Deutsche geographische Blätter
Geographische Gesellschaft in Brennen
vdtrrAs
LIBRARY
Deutsche
Herausgegeben von der
Geograpliscben Gesellschaft u Bremen
durch Dr. M. Lindeman.
Band X.
iese Zeitschrift erscheint vierteljährlich.
Abonnements-Preis 8 Mark jährlich.
BREMEN.
Kommissious- Verlag von G. A. v. Halem.
1887.
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Seite.
Gröfsere Aufsätze:
1. Die Verkehrswege Mexicos und ihre wirtschaftliche Bedeutung. Von
A. Scobel. Mit Karte, Tafel 1 1
2. Ein Besuch auf Diego Garcia im Indischen Ozean. Von Dr. 0. Finsch,
Mit Karte im Text 30
3. Fontanas Forschungsreise in Ost-Patagonien 1885. Von A. Seelstrang 42
4. Eine Reise nach dem Persischen Golf. Von K. Mertens 1. und II. 49 113
5. Emin Pascha. Von Dr. W. Wolkenhauer 63
6. Laurentius Michaelis und die ältesten Karten von Ostfriesland. Von
Generalsuperintendent Bartels in Aurich. Mit Karte. Tafel 2 101
7. Die Insel Hainan. Nach B. C. Henry 125
8. Einiges aus der Republik Liberia. Von Heinrich Hartert 143
9. Der siebente deutsche Geographentag. Von Dr. W. Wolkenhauer 148
10. Der Schwarzwald. Von Professor Dr. Platz in Karlsruhe 257
11. Über afrikanisches Küsten- und Inland-Klima. Von Stabsarzt Dr. Ludwig
Wolf, Leipzig 211
12. Die Landschaft Dawan oder West-Timor. Indonesien. Ethnographische
Mitteilungen von Dr. J. G. F. Riedel, Resident a. D. in Niederländisch-
Ostindien. Mit einer Karte. I. und II 227 278
13. Die Bewaldung des Schwarzwaldes , seine Forstwirtschaft, und die
Beziehungen der letzteren zur Landwirtschaft, zu den Gewerben und
dem Handel. I. Von Forstrat Schuberg in Karlsruhe 257
13. Kanäle und Kolonien im Bourtanger Moor. Mit Kartenskizze im Text 287
14. Über die Ausdehnung des Geographischen Unterrichts auf die oberen
Klassen höherer Lehranstalten. Von Prof. Dr. Hermann Wagner in
Göttingeu 298
15. Pearys Schlittenfahrt aut dem grönländischen Binneneise im Sommer 1886 315
Kleinere Mitteilungen:
1) Aus der geographischen Gesellschaft, 67, 155, 236, 321. 2) Zur Topo-
graphie von Bremen, 71. 3) Aus der niederländischen Provinz Friesland, 72.
4) Die Hamburger Post, 75. 5) Die dänischen Untersuchungen in Grönland, 76.
6) Die Insel Fernando Poo, 78. 7) Aus Madagaskar, 80. 8) Die schottische
Kompanie der ostafrikanischen Seen, 84. 9) Die Kolanufs, 85, 165. 10) Ein
neues afrikanisches Geld, 87. 11) Aus der Provinz Para, 87. 12) Labuan, 88.
13) Aus Neu-Guinea, 91, 163, 240. 14) Die niederländische Polarstation, 93.
15) Geographische Litteratur, 93, 176, 248, 341. 16) Vom Niger-Benue 148.
17) Polarregionen, 159, 237, 326. 18) Alaska 161, 239. 19) British Columbien
165, 335. 20) Die Auswanderung aus Italien, 164. 21) Aus Südwest-Florida, 165.
22) Cura^ao, 166. 23) Ans Californien, 169. 24) Alexander Ziegler f, 169.
25) Das Klima von Bremen, 170. 26) Die französischen Kolonien in Mada-
gaskar, 173. 27) Aus Argentinien, 244. 28) Die Petschora, 337. 29) Einiges
über den Dollart, 337. 30) Die nördlichste Eisenbahn Europas, 340. 31) Erd-
wohnungen im Grofsh. Oldenburg, 340.
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Karten :
Tafel 1. Übersichtskarte der Höhenverhältnisse und Eisenbahnen in Mexico.
Von A. Scobel. Mafsstab 1 : 500 000.
Kartenskizze von Diego Garcia im Text S. 32.
Tafel 2. Frisiae Orientalis nova et cxacta descriptio, Auctore Laurentio Michaelis
ab Hagen Karcben, anno 1579. Gerar de Jode excudebat. (Kopie des im
Besitz des Herr Seefahrtschuldirektors Dr. Breusing in Bremen befindlichen
Originals.
Tafel 3. Yacat.
Tafel 4. Karte eines Teils der Insel Timor zur Veranschaulichung der Reise-
route des Herrn Dr. J. G. F. Riedel im Jahre 1879, Mafsstab 1 : 1 000 000.
Kartenskizze im Text : Überblick über die Kolonisierung des Bourtangcr Moores,
S. 295.
Beilage:
Katalog der von der Geographischen Gesellschaft in Bremen im April und
Mai 1887 veranstaltenden Ausstellung für vergleichende Völkerkunde der
westlichen Südsee. Von Dr. 0. Finsch.
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Heft 1.
Deutsche
Band X.
Geographische Blätter.
Herausgegeben ron der
Geographischen Gesellschaft in Bremen.
Beiträge tmd sonstige Sendungen an die Redaktion werden unter der Adresse :
Dr. M. Lindemau, Bremen, Mendestrasse 8, erbeten.
Der Abdruck der Original-Aufsätze, sowie die Nachbildung von Karten
und Illustrationen dieser Zeitschrift ist nur nach Verständigung mit
der Redaktion gestattet.
Die Verkehrswege Mexicos und ihre wirtschaftliche
Bedeutung.
Von A. Seobel.
Hierzu Tafel I: Obersicht der Höhenverhältnisse und Eisenbahnen Mexicos
von A. Seobel. Mafsstab: 1 : 15000000.
I. Die Wege der alteren Zeit Flüsse. Heeratrafsen. Reisen. Post-
dienst. Handelsverkehr. Überseeischer Handel. — II. Die Wege derNenxeit
Eisenbahnbau. Mexicanische Eisenbahn. Mexicanische Zentraleisenbahn. Mexicanische
Nationaleisenbahn. Interozeanische Eisenbahn. Mexicanische SUdbahn. Tamaulipas
internationale Eisenbahn. Mexicanische internationale Eisenbahn. Amerikanische and
mexicanische Pazifikeisenbahn. Sonora-Eisenbahn. Zentralamerikanischer Isthmus.
Tehuantepec-Eisenbahn. Schiffseisenbahn. Ynoatan. Telegraphenlinien. Dampfer-
verbindnngen. Häfen. — III. Wirtschaftliche Entwickelung. Höhen-
regionen. Ernte. Viehzucht. Mineralien. Industrie. Handel.
I. Die Wege der älteren Zeit.
Das grofse Gebirgssystem der Anden erreicht in Mittelamerika
an den Stellen der Isthmen seine geringste vertikale Erhebung.
An der Enge von Tehuantepec sinkt die absolute Höhe bis 212 m,
in seinem nordwestlichen Verlaufe steigt das Gebirge aber nicht nur
zu bedeutenden Kämmen auf, sondern spaltet sich in mehrere
Ketten, am ausgeprägtesten im Gebiete von Oaxaca, wo nordwestlich
die Sierra Madre Occidental, mehr nördlich die Sierra madre oriental
in weiten Bögen hinziehen, und sich im Gebiete der Vereinigten
Staaten in der Sierra Nevada und den eigentlichen Rocky Mountains
fortsetzen. Diese beiden zuerst genannten Hauptketten schliefsen
ein hohes Tafelland ein, und hier im Herzen des mexicanischen
Landes, wo einst die Aztekenreiche blühten, hat sich die heutige
Bevölkerung am dichtesten zusammengeschlossen und zeigt einen
auffallenden Gegensatz zu europäischen Ländern, in denen bei
gröfserer Bodenerhebung eine Auflockerung der Bevölkerung statt-
findet.
Geogr. Blätter. Bremen, 1887. j
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Die Karte 1 ) zeigt die enorme räumliche Ausdehnung der Plateaus,
welche von 1200 — 1400 m, im zentralen Teile des Landes bis über
2000 m hoch ansteigen. Die umschliefsenden Raudgebirge fallen im
allgemeinen an der pazifischen Seite steiler ab, als an der atlantischen
Seite. Die Flüsse haben bei ihrem verhältnismäfsig kurzen Laufe
ein starkes Gefälle, in einigen Gegenden zu oft Wassermangel, als
dafs sie zu wirklichen Verkehrswegen tauglich wären. Der Colorado
berührt nur in seinem unteren Laufe mexicanisches Gebiet, und
obgleich er etwa 1000 km von seiner Mündung aufwärts schiffbar
ist, hat er doch für Mexico keine grofse Bedeutung. Auch der
mächtige Rio Grande delNorte,der nördliche Grenzflufs zwischen Mexico
und der Union, ist nur zeitweise bis 650 km weit von der Mündung
mit Dampfern zu befahren, aber seine Ufer sind ähnlich dem Colo-
rado im oberen Teile von hohen Felsw änden eingefafst, und auf viele
Meilen langen Strecken ist kein Platz zu finden, wo auch nur ein
Boot zu landen vermöchte. Seine Mündung ist 360 m breit. Die Barre
hat nur 3 m Wasserstand, der Flufs selbst aber bis zur Einmündung
des Pecos 5,5 m. Böte können bis Paso del Norte hinauf gelangen.
Von den wenigen schiffbaren Flüssen des Landes sind Coatzacoalcos
(180 km), Tabasco (550 km) und Panuco (958 km) die bedeutendsten.
Sandbarren an der Mündung bilden aber Hindernisse und haben bei
Ebbe oft wenig mehr als 1 m Wasser. Manche Ströme könnten mit
geringen Kosten schiffbar gemacht werden, besonders der 867 km
lange Rio de Santiago (etwa so lang wie die Oder), der längste Flufs
der Republik, der einen trefflichen Transportweg für die Produkte
von Guanajuato und Jalisco abgeben würde. Die Barre des Rio
de Tampico kann nur von Schiffen passiert werden, die nicht über
2,5 m Tiefgang haben; jenseits ist die Fahrbahn tiefer. Der
Panuco ist bis 50 km oberhalb der Stadt Tampico de Tamaulipas
für mittlere Seefahrzenge schiffbar, mit Kähnen und flachen Böten
noch eine Strecke höher hinauf. Der Rio de San Juan ist nur bis
34 km oberhalb seiner Mündungen (in die Lagune del Madie) für
Seeschiffe, weiter nur für kleinere Fahrzeuge schiffbar.
Die Verkehrswege waren zur Zeit der Conquista vielleicht
relativ besser als unter der späteren spanischen Miswirtschaft. Die
öffentlichen Heerstrassen wurden nach der Regenzeit ausgebessert.
In Gebirgen und unbewohnten Gegenden gab es Zufluchtshäuser, und
die Flüsse waren entweder überbrückt oder mit Fähren versehen.
Letztere bestanden aus kleinen oder grofsen Böten, oder einem
*) Die Materialien für Konstruktion der Höhenschichten sind angeführt
in A. Scobel, Die geographischen und Kulturverhältnisse Mexicos. Mitt. d. Ver.
f. Erdkunde zu Leipzig 1882, p. 37.
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platten Fahrzeug, Valsa genannt, einem von Rohr zusammen ge-
bundenem Flofs, das auf hohlen Kürbissen befestigt war und von
schwimmenden Bootsleuten getrieben wurde. Was nicht zu Wasser
fortgeschafft wurde, inufste von Menschen auf dem Rücken getragen
werden, und zwar in Rohrkörben (Petlacalli). Im alten Mexico
waren es nur die Kaufleute, welche Reisen unternahmen. „Meist
reisten der gröfseren Sicherheit wegen mehrere mit einander. Ein
jeder hatte einen schwarzen glatten Stab in der Hand, welcher,
wie sie sagten, ihr Gott Jaeateuctli war, der sie vor allen Gefahren
der Reise beschützte. Sobald sie an ein Haus kamen, wo sie ver-
weilen wollten, banden sie alle Stäbe zusammen und verrichteten Ge-
bete dabei. Nachts zapften sie sich dem Götzen zu Ehren zwei
oder dreimal etwas Blut ab. Während der Abwesenheit des
Kaufmanns wuschen seine Frau und Kinder sich den Kopf nicht,
obgleich sie badeten, aufser alle 80 Tage, teils um dadurch ihren
Kummer über seine Abwesenheit zu bezeugen, teils um die Götter
durch diese Art von Kasteiung zu seinem Schutze geneigt zu machen.*)
Postdienst gab es in gewissem Sinne schon zur Zeit der spanischen
Eroberung. An den Heerstrafsen standen in einer Entfernung von
etwa 25 km kleine Türme, in denen Kuriere immer bereit waren,
alle Aufträge schnell zu erledigen. In der nächsten Station über-
nahm ein andrer Schnellläufer den Dienst, und sofort, so dafs z. B.
Montezuma II. täglich Nachrichten vom mexicanischen Golf erhielt.
Ein eigentlicher Handelsverkehr bestand in Mexico nur als
Inlandhandel in verhältnismäfsig eng begrenzten Gebieten, nur dazu
dienend, der heimischen Produktion einen Austausch zu ermöglichen.
Für den Warentransport dienten die indianischen Träger, oder Maul-
tiere, welche beladen oder vor den Lastwagen gespannt wurden. In
diesen Fallen galten bis in die neuere Zeit als Tagereisen Ent-
fernungen von 25—30 km, je nach Jahreszeit und Gegend. Im
Mittel bezahlte man für Wagenfracht l 1 /* • für 12 , s kg auf je 20 km
(oder 12 $ für 100 kg.)
Nach der spanischen Eroberung wurden bereits neue Bahnen
betreten, mexicanische Natur- und Industrieprodukte nach Spanien
verschifft und von hier aus eine Güterbewegung mit europäischen
Erzeugnissen begonnen. Die gewaltige Anziehungskraft der Edel-
metalle war hier besonders verlockend und der Silberreichtum
Mexicos zog nicht nur neue Einwanderer ins Land, sondern öffnete
manch verschlossenes Gebiet dem Verkehr. Zur Zeit der Abhängigkeit
Mexicos von Spanien war der überseeische Handel auf die Häfen
von Veracruz und Acapulco beschränkt, und wurde nur von Spanien
*) Clavigoro, Geschichte von Mexico, VII. Buch.
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mit Ausschlufs aller übrigen Nationen betrieben. Erst im Jahre
1778 gestattete Spanien mehreren seiner Hafen (bis dahin segelten
sogenannte Registerschiffe, dazu von der Regierung privilegiert, nur
von Cadix und Sevilla) eine freie Kommunikation mit Mexico. Die
wohlthätigen Wirkungen dieser neuen freieren Einrichtung auf den
Handel, die Industrie und die Einkünfte Neuspaniens zeigten sich
bald, obgleich auch hier der ganze erlaubte Verkehr mit Europa
immer noch ausschliefslich auf den Hafen von Veracruz und das
Mutterland beschränkt blieb.
Erst am Anfang des 19. Jahrhunderts gestattete die spanische
Regierung einen vorübergehenden direkten Handelsverkehr Mexicos
mit fremden, ihrer Oberherrschaft nicht unterworfenen Ländern. Der
Handel Acapulcos, des einzigen geöffneten Hafens der Westküste,
war von geringer Bedeutung und wurde nur durch Manilaschiffe
besorgt. Mit der Unabhängigkeit Mexicos trat eine gänzliche Um-
wälzung des Handels ein, und mit dem Aufhören des Prohibitiv-
systems kamen Briten, Franzosen, Deutsche und Nordamerikaner
und errichteten Handelshäuser in den Hafenplätzen und in den
größeren Städten des Iunern. Dekrete des Nationalkongresses er-
öffneten dem fremden Handel die Häfen des Landes, an der Ost-
küste Campeche, Isla del Carmen, Sizal, Coatzacoalcos, Tabasco,
Alvarado, Veracruz, Tuxpan, Tonala, Puebla viejo de Tampico,
Tampico de Tamaulipas, Matamoros, Soto la Marina, Bahia de
Espiritu santo und Galveston ; an der Westküste Huatulco, Acapulco,
San Blas, Mazatlan, Guaynyis und die californischen Häfen. Die
Innenprovinzen konnten nun direkt und auf dem kürzesten Wege
Waren beziehen, welche sie früher nur auf grofsen Umwegen und durch
eine Menge Zwischenhändler erhalten konnten. Schon 1824 löschte
kein spanisches Schiff mehr in Mexicos Häfen. Baumwollwaren ver-
drängten die Seidenzeuge, französische und deutsche Weine und
Branntweine die spanischen. 1827 waren bereits mit den Vereinigten
Staaten, England, Frankreich, Schweden, Preufsen und den Nieder-
landen Handelsverträge abgeschlossen worden.
Der Handel Mexicos hatte an dem Mangel guter Verbindungen
das gröfste Hindernis. Noch Mühlenpfordt beklagte die schlechten
Wege, denn aufser der grofsen Handelsstrafse, welche von Veracruz
über Orizaba, Cordoba und Aculzingo zur Hochebene, und einer
zweiten, welche von Veracruz über Jalapa, Perote und Puebla nach
Mexico führte, gab es keine einzige dieses Namens würdige Kunst-
strafse. Die meisten der mexicanischen Wege waren steile Gebirgs-
pfade, die nur für Maultiere gangbar waren. Dieser Transport auf
dem Rücken der Muli erhöhte den Preis der Waren ins Ungeheure.
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Ferner fehlten noch die Grundbedingungen für Anlage besserer Ver-
kehrswege: Geld und staatliche Ordnung. Einen Transithandel hatte
Mexico nicht, obgleich es bei seiner vorteilhaften Lage zwischen
dem Atlantischen und Grofsen Ozean und seiner im Süden nur
geringen Breite einen grofsen Theil des Handels zwischen Europa
und Asien hätte besorgen können, besonders in der Zeit vor der
Erbauung des Suezkanals.
II. Die Wege der Neuzeit.
Bei dem wirtschaftlichen Aufschwung der Vereinigten Staaten,
der seit dem Bau der grofsen Pazifikbahnen ungeahnte Dimensionen
annahm, konnte eine Rückwirkung auf die Nachbarrepublik nicht
ausbleiben. Nachdem die politischen Verhältnisse stabiler geworden
waren, konnte man sich nicht verhehlen, dafs zur weiteren Förderung
des Minenbetriebes und der Landwirtschaft, der beiden ersten Reich-
tumsquellen Mexicos, regelmäfsige und schnelle Verbindungen not-
wendig seien, welche der Produktion einen leichten Absatz ermöglichen.
Der gewöhnliche Fahrweg konnte hier nicht mehr in Betracht kommen,
der Dampf allein mufste seine Kräfte wirken lassen, und es waren
ja auch für den Eisenbahnbau günstige Vorbedingungen gegeben,
da es wie in der alten Welt vor allem darauf ankam, die Be-
völkerungszentren des Innern mit den Küstenplätzen in Verbindung
zu bringen, und nicht, wie so oft in der Union, durch die Eisen-
schiene erst Ansiedlung und Kultur in entfernte Gebiete zu tragen.
Wohnt doch etwa neunzehntel der Gesamtbevölkerung auf den
Tafelländern des Innern, bisher ziemlich abgeschlossen gegen die
grofse Welt des Handels ; aber die Notwendigkeit trat überall zu tage,
der Regsamkeit und Thätigkeit der Bevölkerung freie Bahn zu
schaffen. Für den Bau von Eisenbahnen wurden manche Ver-
günstigungen gewährt, freie Einfuhr aller Bau- und Maschinenteile,
und Subventionen in Höhe von etwa 90 Millionen Pesos bewilligt.
In richtiger Erkenntnis von der durch besseren Verkehr bedingten
Entwickelung Mexicos waren besonders die Amerikaner in hervor-
ragender Weise beim Eisenbahnbau th&tig. Von seiten der Kapitalisten
der Vereinigten Staaten wurden allein in den Jahren 1882 und 1883
etwa 30 Millionen Dollar in Eisenbahnen angelegt. Man kann an-
nehmen, dafs etwa zwei Drittel der Bahnen von Amerikanern erbaut
sind, was um so bedeutender erscheint, wenn man die Durchschnitts-
kosten für den Bau einer englischen Meile (1,6 km) mit 25000 $
annimmt. Die ersten Bewilligungen der Regierung betrafen Ver-
bindungslinien vom Rio Grande nach dem Innern des Landes. Diese
neueste Zeit für mexicanische Handelspolitik begann mit der Regierung
des Präsidenten Diaz 1877.
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Die Güterbewegung, besonders in bezug auf landwirtschaftliche
Produkte, kann erst durch Anlage von Eisenbahnen entwickelt und
gefördert werden. Weizen der feinsten Qualität wird in den meisten
Landesteilen gebaut, aber durch die schwierigen Transporte war sein
Preis so hoch, dafs er der arbeitenden Klasse fast unzugänglich war.
Im Distrikte El Bajo war der Preis von Weizen und Gerste gleich,
aber in der Hauptstadt war der Preis des ersteren schon um das
Achtfache des Gerstenwertes gestiegen. Der Inlandhandel krankte
an dem Mangel geeigneter Wege, und die erste Bahn des Landes,
Veracruz-Mexico, verbrauchte lieber Kohlen aus England, als mit
grofsen Schwierigkeiten und Kosten Brennmaterial dem eigenen
Lande, etwa auf Entfernungen von 30 — 50 km von der Bahnstrecke,
zu entnehmen. Aber trotz dieser Schwierigkeiten breitet sich der
Bau des vielverzweigten Verkehrsnetzes weit nach dem Innern des
Landes aus. Für die Unterstützung dieser Unternehmungen wa^
freilich nicht mehr so viel an Freiländereien zur Bewilligung vor-
handen, wie in den Vereinigten Staaten, aber die Regierung zahlte
10500 bis 15400$ Subvention für die Meile vollendeter Bahn.
Schon Alexander v. Humboldt betonte am Anfang dieses Jahrhunderts,
dafs die beste Verbindung Mexicos mit der Union das Hochplateau
bilde. Jetzt führen mehrere grofse Eisenstrafseu bis zu den Grenz-
landschaften. Durch die zentrale Lage der Hauptstadt und die
Kulturfähigkeit des ganzen Hochlandes war es erforderlich, die
Schienenwege hierher zu führen beziehungsweise von hier ausstrahlen
zu lassen. Und in dieses neugeschaffene Netz fügte sich die älteste
Bahn, die mexicanische Eisenbahn, ohnehin ein. Für die normal-
spurigen Bahnen ist eine Spurweite von 1,4 m (4 Fufs 8 1 /» Zoll
englisch) bestimmt.
Der Bau der mexicanischen Eisenbahn von Veracruz nach der
Hauptstadt, 424 km lang, wurde bereits 1837 begonnen. 1869 baute
man die Zweiglinie Apizako-Puebla, 47 km. Die ganze Linie wurde
1873 vollendet, und erforderte 30 Millionen Pesos Kosten. Von der
Regierung wurden 12 Millionen Pesos Subventionen bewilligt. Die
Bahnlinie bildete viele Jahre hindurch die einzige geregelte Ver-
bindung zwischen dem Hochlande und der Golfküste, wird aber auch
künftig nicht an Bedeutung verlieren. Die Einnahmen sind im
Steigen, so dafs jetzt 6 */* °/o Dividende gezahlt werden können.
Die mexicanische Zentraieisenbahn verbindet Mexico über
Queretaro, Leon, Aguascalientes, Zacatecas, Villa Lerdo, Jimenez,
Chihuahua und Paso del Norte mit der Südpazitikbahn der Ver-
einigten Staaten, in einer Gesamtlänge von 1971 km. 1884 bestanden
bereits Zweiglinien von Silao nach Guanajuato, 23 km, und ein
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115 km langer Teil der Zweiglinie San Luis-Tampico 3 ). Nach den
Minenstädten in Durango und Guauajuato sollen Zweiglinien gebaut
werden, ebenso von San Luis nach Aguascalientes. Die Verbindung
mit dem Ufer des Stillen Ozeans würde dann durch die Linie
Irapuato-La Barca nach San Blas oder via Colima nach Manzanillo
erfolgen. Die Zentralbahn war die erste der grofsen Durchgangs-
linien und wurde am 1. April 1884 fertig. Die Regierung bewilligte
für die englische Meile 15 200 * Subsidien, also etwa 30 Millionen.
Die Baukosten betrugen für die Meile (l,e km) 25 000 — 28 000 *.
Die von der Bahn durchschnittenen Gebiete gehören zu den frucht-
barsten des Landes. Zuerst wird das gesegnete Thal von Tula
berührt, dann die reichen Distrikte in den Thälern von Huichapam
und San Juan del Rio. Jenseits Queretaro dehnt sich die Ebene
von Bajio aus, in welcher durch Anwendung von künstlicher Be-
wässerung grofse Ernten gewonnen wurden. Der Bau von artesischen
Brunnen könnte hier zu einer vermehrten und ausgedehnten
Kultivation helfen. Der Abzweigung nach San Blas im Staate
Jalisco wollen manche eine politische Bedeutung beimessen, doch
ist auch die landwirtschaftliche Aufschliefsung des Gebietes von
grofsem Werte, da im tropischen Klima des Staates ein flotter Acker-
bau leicht zu ermöglichen ist Die Thäler von Ameca, Ahualulco,
Etzatlan, Tequila und Magdalena geben volle Ernten in Zerealien,
Zuckerrohr und andern Produkten. Zwischen den Flüssen Tololatlan
und Ameca dehnt sich eine Zone etwa 65 km weit aus, bei frucht-
barem Boden und warmem Klima zum Anbau von Baumwolle, Kaffee,
Reis und Zuckerrohr vorzüglich geeignet. Die genannten Flüsse
bieten hinreichende Wasserkräfte zum Betriebe industrieller Werke.
Die von der Bahn durchlaufenen Staaten haben fast 6 Millionen
Bewohner, welche allein an Produkten für 90 Millionen Pesos
') Die Kilometerzahlen nehme ich aus Antonio Oarcia Cubas: „Cuadra
geografico etc. de los Estados Dnidos Mexicanos“, Mexico 1884. Als Gesamt-
zahl für sämtliche mexicanische Bahnen giebt er 6958,53 km. hat aber die
23 km der Strecke Silao-Guanajuato vergessen. Bis heute dürfte die Zahl etwa
6500 betragen. Filomena Matas „Anuario universal 1885/86* giebt gar nur
4630 km. Das „Anuario mexicano 1886* von Juan Valdes y Cueva teilt nur
einige Fahrpläne mit, erhebt sich überhaupt nicht über das Niveau eines
gewöhnlichen Adrefsbuches. Die Angaben in englischen Werken stimmen nicht
mit dem Cuadro. Anderson veröffentlicht in seinem „Mexico from the material
standpoint* eine von Ingenieur Gorsuch in Mexico zusammengestellte Liste aller
Konzessionen, die gleichlautend ist mit einer in Nimmos report in reply to a
resolution of the house of representatives of January 31. 1884 „Commerce
between the United States and Mexico*. Hiernach wäre z. B. die Strecke
Veracruz-Mexico mit der Zweigbahn nach Puebla 263 miles, also nur 421 km
lang, was nach den oben mitgeteilten Angaben entschieden falsch ist.
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(4 Millionen Tonnen) liefern. Aber die Landwirtschaft kommt hier
nicht allein in Betracht, denn bei Tula werden Gold und die Minerale
von Zimapan, El Cardonal, Jacala und Encarnacion verfrachtet.
Bei San Juan del Rio fliefsen die Mineralreichtümer der Sierra Gorda
zusammen, ebenso liegt Guanajuato in einer metallreichen Region
und hat lebendigen Handel. Die Münzen, welche an der Bahn liegen,
lieferten in 5 Jahren 19132119 $ an Gold und Silber. Bei
Salamanca findet sich Porzellanerde und Leon liefert Bausteine in
grofsen Massen. Nördlich von Leon können die Ebenen von Tecuan
durch künstliche Bewässerung fruchtbar gemacht werden; das Thal
von Aguascalientes liefert Getreide und aus den Waldbeständen gute
Nutzhölzer. Auch in Durango kann man noch auf gute Ernten
rechnen. Durch die Zweiglinien, besonders die östliche nach Tampico,
wird den Produkten des Landes ein Seehafen leicht erreichbar und
wird einen vermehrten Anbau begünstigen.
Die mexikanische Nationaleisenbahn besitzt als Hauptlinie die
Strecke von der Hauptstadt nach der Nordgrenze bis Nuevo Laredo.
Bis Saltillo wird das grofse Tafelland gequert, und bei der grofsen
Erhebung der Landschaften, die von der Bahn berührt werden,
gelangt man in alle Klimate. Die fruchtbare Umgegend des Lago
Chapala erstreckt sich bis zu den Salzebenen von Zacoalco und
Sayula. Nebst Zuckerrohr- und Kaffeeplantagen giebt es in Fülle
auch Gold, Silber, Eisen, Kupfer und Quecksilber. Nach dem pazifi-
schen Abhang durchschneidet die Bahn die tropischen Regionen des
südlichen Jalisco, Michoacans und Colimas, in denen vor allem Zucker
und Kaffee gedeihen, letzterer zu guten Preisen marktfähig. Auch Wälder
und Minen werden für Frachten sorgen. Für die Rentabilität der
Bahn kommt die landwirtschaftliche Produktion gewaltig in Betracht.
Die beste Weizenzone Mexicos dehnt sich von Puebla bis Colima
aus, 800 km von Ost nach West, und vom südlichen Michoacan bis
Zacatecas, 650 km von Süd nach Nord. Das von einzelnen Ketten
unterbrochene Plateau hat ganz besonders reiche Gebiete, so das
Lermatbal, das Bajio (Nord-Michoacan, Jalisco und Süd-Guanajuato),
und die Distrikte von Aguascalientes, San Luis Potosi und Quere-
taro, zusammen ein Areal von etwa 500 000 qkm. Die Hauptstrecke
ist etwas über 1300 km lang. Von Monterey führt eine Zweiglinie
über Mier nach Matamoros. Eine Verbindung mit dem Hafenplatz
Corpus Christi am mexicanischen Golf wurde von der Texas-Mexican-
Railway gebaut, steht aber unter Kontrolle der Mexican. Nationalbahn.
Eine ganze Anzahl relativ kleinerer Strecken sind der Gesellschaft
übertragen. An Subventionen sind 7000 $ für den km für die
Linie von der Hauptstadt bis zum pazifischen Hafen von Manzanillo
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und 6500 Pesos für den km des südlichen Zweiges ausgeworfen.
Von den Nebenlinien messen Ac&mbaro nach Morelia 92, Manzanillo
nach Colima 46, und Mexico nach Salto 67 km. Nach Garcia Cubas
waren 1884 insgesamt 1074 km im Betrieb, eine Zahl, die aber
schon durch Fertigstellung der Hauptlinie übertroffen wurde.
Die interozeanische Eisenbahn vou Acapulco, Morelos und
Mexico ist die einzige bedeutende Linie Mexicos, welche den Mexi-
canern gehört und von ihnen in Betrieb gehalten wird. Sie führt
von der Hauptstadt über Amecameca und Cuautla bis Yautepec,
161 km. Von hier soll die Bahn verlängert werden über Cuernavaca
und Chilpancingo nach Acapulco (ca. 350 km), dem besten Hafen
der Westküste. Von der Hauptlinie geht ein Zweig über Los Reyes
nach Irolo, und soll über Perote und Jalapa bis Veracruz ausgebaut
werden. Die Eisenbahn ist schmalspurig, bildet die direkteste Ver-
bindung der Hauptstadt mit einem pazifischen Hafen und zugleich
einen kurzen Weg vom volkreichen Hochlande zur Basis der
grofsen Sierra.
Die mexkanische Südbahn wird von Mexico über Tulancingo,
Victoria und Mier nach Nuevo Laredo führen (etwa 1090 km) und
dort sich mit der mexicanischen Nationalbahn und mit der Inter-
national and Great Northern Railroad der Vereinigten Staaten ver-
binden. Die normalspurig gebaute Bahn soll Zweiglinien erhalten
von Victoria nach S. Luis Potosi, und nach dem Golfhafen von
Tuxpan. Von der Stadt Mexico wird die Bahn parallel der mexi-
canischen Bahn laufen, und dann südwärts über Puebla (bis hierher
schon im Betrieb), Cuicatlan, Oaxaca, Tehuantepec nach Tonala in
Chiapas führen. Von hier teilt sich die Strecke in zwei Linien, von
denen die eine nordöstlich nach San Cristobal, die andre nach
Tapachula führt und später nach Guatemala verlängert werden soll.
Von Cuicatlan ist ein Zweig nach Veracruz projektiert, und ein
andrer von Oaxaca nach Huatulco. Die Entfernung von Mexico
nach Tehuantepec beträgt etwa 840 km. An Subventionen wurden
für den Kilometer des nördlichen Teiles 8000 $, des südlichen
Teiles 7000 * bewilligt. Von Laredo nach dem Panuco zieht
die Bahn am Fufse des Gebirges, durch fruchtbare im tropischen
Klima gelegene Niederungen. In bedeutender Steigerung windet sich
dann die Linie zum Tafellande empor. Aber auch der südliche Teil
der Bahn durchschneidet eine dichtbevölkerte Gegend, welche an
forst- und landwirtschaftlichen Produkten reich ist. In manchen
Gebieten werden Edelmetalle, Eisen und Kohlen gefunden. Die
Kohlenminen von Tamaulipas und Puebla werden mit Lokaltarifen
berücksichtigt werden müssen und zur Handelsentwickelung der
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Strecke zweifellos beitragen. Die Zukunft der Siidbahn liegt aber
am internationalen Verkehr, durch die direkte Verbindung mit dem
Eisenbahnsystem der Union.
Die Tamaulipas internationale Eisenbahn wird Tuxpan über
Tampico mit Matamoros verbinden und dort an das Amerikanische
Netz, die New-York, Texas and Mexico Railroad (Count Telfeners
road) anschliefsen. Die Bahn bildet ein Bindeglied unter den Golf-
häfen und hat auch strategische Bedeutung. Zweiglinien werden
ostwärts nach Soto la Marina, westwärts nach Victoria gebaut.
Die mexicanische internationale Eisenbahn beginnt bei Piedas
Negras am Rio Grande und wendet sich südlich und südwestlich,
über Monclova durch die tierra laguna nach Villa Lerdo, wo sie sich
an die mexicanische Zentralbahn anschliefst. Über den Rio Grande
wurde eine eiserne Brücke gebaut und so die Verbindung mit der
Südpazifikbahn der Union hergestellt (i. e. Galveston, Harrisburgh
and San Antonio Railroad.) Die Strecke wurde normalspurig ohne
Subvention erbaut. In den benachbarten Gebieten wurden bereits
reiche Kohlenlager gefunden und es ist zu erwarten, dafs die Aus-
beute von Mineralien und landwirtschaftlichen Produkten durch ihre
Verfrachtung die Linie rentabel machen wird. Die Länge der Brücke
ist ohne die Zufahrten 285 m., die Höhe der Trace ist am Rio
Grande 240 m, bei Villa Lerdo 1140 m, die Neigung beträgt
nirgends über l°/o. Die Linie ist deshalb eine der bedeutendsten,
weil sie mit den amerikanischen Anschlufsstrecken New-Orleans
auf dem kürzesten Wege mit einem pazifischen Hafen verbindet.
Die amerikanische und mexicanische Pazifikeisenbahn, auch als
Texas, Topolobampo and Pacific Railroad and Telegraph Company
bekannt, war 1884 noch nicht begonnen, dürfte aber eine der her-
vorragendsten Linien werden. Sie soll an der Topolobampo-Bai be-
ginnen, die Staaten Sinaloa, Chihuahua und Coahuila quer durch-
schneiden, bei Piedas Negras oder Presidio den Rio Grande
erreichen, und von hier bis Galveston verlängert werden. Zweig-
linien nach Presidio del Norte, Alamos und Mazatlan sind geplant.
Die Gesamtlänge der Bahn dürfte etwa 2130 km betragen. Mazatlan
ist nach Veracruz der bedeutendste Hafen Mexicos. Sinaloa hat
alle Vorbedingungen eines regen Handelsverkehrs, bedeutende Land-
wirtschaft, Mineralienlager, holzreiche Wälder. Auch der Hafen von
Topolobampo ist einer der besten an der Westküste. Fichtenholz
und Farbhölzer dürften gute Frachten liefern, und in Sonora werden
Lager von Anthrazit und bituminöser Kohle durch eine Zweigbahn
mit der Hauptlinie verbunden sein. Für die englische Meile ist
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eine Subvention von 8064 $ gewährt worden, im ganzen etwa
15 Mill. Pesos.
Die Sonora-Eisenbahn geht von Guaymas über Hermosillo nach
Nogales (426 km normalspurig), wo sie durch eine weitere Strecke
bis Benson mit der Südpazifikbahn verbunden ist. Im Anschlufs an die
Atchison, Topeka und Santa F6-Eisenbahn bildet sie eine transkonti-
nentale Linie zwischen den Gebieten östlich von Arizona und der
mexicanischen Küste des Stillen Ozeans. Von Guaymas geht eine
Zweigbahn nach Alamos. An Subsidien wurden pro Kilometer 7000 9
bewilligt, zusammen 2950000 #. Die Alamoszweigbabn wird be-
sonders für Verfrachtung von Anthrazit und bituminöser Kohle aus den
Minen Sonoras in Betracht kommen. Von Guaymas wird eine regel-
mäfsige Dampferverbindung nach den südlichen Küstenplätzen Mexicos
ebenfalls für Vermehrung des Handels beitragen.
Die meisten der grofsen Bahnlinien bezwecken entweder den
direkten Verkehr zwischen Ost- und Westküste, oder führen von der
Grenze der Vereinigten Staaten zum Zentrum des Landes und der
Hauptstadt. Die kleineren Strecken haben meist nur lokale Be-
deutung, werden sich hiernach auch in ihren Tarifen zu richten
haben. Ausgenommen ist hiervon die Eisenbahn über die Landenge
von Tehuantepec, die trotz ihrer geringen Länge von grofser Wichtig-
keit zu werden verspricht.
Der zentralamerikanische Isthmus, das Verbindungsglied von
Nord- und Südamerika, bietet den beiden Ozeanen nur eine wenig
ausgedehnte Scheidewand. Schon Cortez hatte in seinen Berichten
an Kaiser Karl V. (d. d. 15. Oktober 1524. Kap. XIX.) auf den
Wert einer Meerenge aufmerksam gemacht, und der Vorteile ge-
dacht, welche durch eine derartige Entdeckung der spanischen Krone
werden könnten. Durch Eröffnung der Panamaeisenbahn hat man
hier dem Welthandel eine Brücke geschlagen, und für die Schiffahrt
wird der Kanal nach seiner Vollendung einen offenen Weg erschliefsen,
bei Ostwestfahrten um Tausende von Seemeilen kürzer als bisher.
Bei den vielen Kanalprojekten kam der Isthmus von Tehuantepec
nicht in Frage, obgleich er, abgesehen von seiner breiteren Erstreckung,
kaum ungünstigere Verhältnisse geboten hatte als die Enge von
Panama. Um so mehr suchte man den Verkehr für Transitgüter
zu erleichtern und begann den Bau der Tehuantepec-Eisenbahn, die
von der Mündung des Coatzacoalcos über Tehuantepec nach Salina
Cruz führt, in einer Länge von etwa 305 km. Nach ihrer Fertig-
stellung wird die Bahn der Panamaeisenbahn eine fühlbare Konkurrenz
machen. Der Bau der Isthmusbahn tritt aber völlig zurück vor dem
kühnen Projekt des amerikanischen Ingenieurs Eads, eine Schiffs-
c
5 gle
12
eisenbahn anzulegen, um auf Schienen die Schiffe direkt von einem
Ozean in den andern zu befördern. Hierdurch wären die geringsten
Unterbrechungen langer Fahrten ermöglicht und ein Umladen der
Güter völlig entbehrlich.
Dem Werke stehen keine unüberwindlichen Schwierigkeiten ent-
gegen, es müssen nur die Geldmittel dafür flüssig sein, die auf
75 Mill. $ veranschlagt sind. Auf den ersten Blick erscheint es
kaum ausführbar, das Gewicht eines grofsen Schiffes auf 1200 Räder,
welche einen 500 F. (166 m) langen und 50 F. (16 m) breiten
Raum einnehmen, gleichmäfsig zu verteilen. Der Riesenwaggon
oder die Wiege, welche zur Aufnahme des Schiffes bestimmt ist,
besteht aus einem starken eisernen Gitterwerk. Trotz seiner Stärke
und Festigkeit besitzt dasselbe doch hinreichende Biegsamkeit und
Elastizität. Der Kiel des Schiffes ruht auf einer ebenen Fläche,
während die konvexen Seitenwände gleichfalls auf geeignete Weise
mit Stützen versehen werden. Von der ebenen Fläche, auf welcher
das Fahrzeug ruht, hängt es eben ab, dafs das Gesamtgewicht auf
alle Räder des Riesenwagens gleichmäfsig verteilt wird. Eine andre
Schwierigkeit bietet sich in der Erhaltung von Schienengleisen in
einer stets gleichen Ebene, so dafs das eine Geleise nicht etwa mehr
belastet werde als das andre. Deshalb ist für dieses zwölffache
Geleise eine ganz besonders starke Unterlage erforderlich. Eine
dritte grofse Schwierigkeit besteht darin, das Fahrzeug sowohl bei
der Hebung als auch beim Bahntransport vor Beschädigungen zu be-
wahren und in vollkommen ungestörter gleicher Lage gegen alle
Zufälligkeiten zu erhalten. Ein andrer Ingenieur hat eine Änderung
des ursprünglichen Planes vorgeschlagen, indem er die Wiege des
Dampfers aus verschiedenen durch starke Kautschukwände zu ver-
bindende Teile zusaramensetzen will, damit die Bahn auch ohne
Mühe Kurven beschreiben kann; und ferner die Wiege in die Bai
versenken will, so dafs das Schiff in dieselbe einfahren, im Wasser
innerhalb derselben verankert und das Ganze gehoben werden könne.
Doch erscheint dieses Projekt noch komplizierter, und falls der
Eadssche Plan sich durch Herstellung einer möglichst geraden
Schienenlinie und ohne jedwede Gefahr der Beschädigung von Schiffen
verwirklichen liefse, so wäre ihm der Vorzug zu geben. Die unter-
nehmende Gesellschaft ist ermächtigt, von jedem Schiffe, das ihre
Linie benutzt, 5 8 für die Tonne Gewicht von Schiff und Ladung
(die Fracht um das Kap Hoorn beträgt 15 $ für die Tonne) und
15 $ pro Passagier zu erheben, nebst 1 °/o von transportirten Edel-
metallen.
Nächst Mexico haben die Vereinigten Staaten das gröfste
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13
Interesse an der Verwirklichung des Projektes, denn der Weg von
den pazifischen Hafen nach den Golfhäfen oder denen der Oststaaten
ist über die Enge von Tehuantepec bedeutend kürzer als über
Panama, 4905 engl. Meilen gegen 6057 Meilen von San Franzisco
nach Newyork, und 3576 Meilen gegen 5412 Meilen von San Fran-
zisco nach New-Orleans. Sollte der Schiffskanal durch Florida erst
gebaut sein, so tritt eine weitere Verkürzung des Wasserweges ein.
Das alles sind wichtige Momente, die bei den grofsen Reisen nach
Australien und den chinesisch-japanischen Gewässern in Rechnung
gezogen werden müssen.
In Yucatan haben die Eisenbahnbauer keine Terrainschwierig-
keiten zu überwinden. Es bestehen bis jetzt die Strecken Merida-
Progreso (36 km), Merida-Peto (etwa 160 km.), Merida-Valladolid
(etwa 200 km), und Merida-Kalkini-Campeclie (etwa 175 km). Diese
Bahnlinien sind für Verfrachtung der hauptsächlichsten Produkte
Yucatans von Wichtigkeit, besonders für Farbhölzer, Faserpflanzen
und Baumwolle.
An Telegraphenlinien waren 1871 nur gebaut 6515 km, 1881
bereits 10486 km, die sich 1884 erweiterten bis 31088 km. Von
den Linien sind:
Regierungslinien 21 000 km
Staatenlinien 1653 „
Eisenbahnlinien 4431 „
Privatlinien 3301 „
Submarine Kabel 703 „
Es bestanden 1884 : 327 Telegraphenämter. Den Postver-
bindungen wird neuerdings gröfsere Aufmerksamkeit geschenkt und
die Strafsen werden mit mehr Sorgfalt unterhalten als früher.
Von Wichtigkeit für den internationalen Handel sind die regel-
mäfsigen Dampferverbindungen. Zuerst ist zu nennen die Post-
dampferfahrt der Hamburg - Amerikanischen Packetfahrt- Aktien-
gesellschaft, die von Hamburg über Veracruz nach Tampico (6145
Seemeilen in 30 Tagen) fährt. Auf der Heimfahrt wird von Tampico
aus in 2 Tagen das 465 sm entfernte Progreso angelaufen. Die
Royal Mail Steam Packet Company verbindet Jamaica über Habana
mit Veracruz (1793 sm in 12 Tagen). Die Compagnie generale
transatlantique unterhält eine Schiffahrt zwischen St. Nazaire und
St. Thomas, San Juan (Puertorico), Habana, Veracruz (5597 sm in
24 Tagen). Die Pazific Mail Steam Ship Company unterhält Ver-
bindung von Panama mit den Häfen der zentralamerikanischen Repu-
bliken und läuft dann die mexicanischen Häfen San Benito (von
Panama 1121 sm in 14 Tagen), Tonala (15 Tage), Salina Cruz
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14
(15 Tage), Port Angel (16 Tage) und Acapulco (1591 sm in 18
Tagen) an. Wichtiger ist die derselben Gesellschaft gehörige Linie
Panama-San Francisco, die über Champerico und Acapulco und auch
über Acapulco, Manzanillo, San Blas und Mazatlan nach San Fran-
cisco führt, erstere 8303 sm in 16 Tagen, letztere 3241 sm in
17 Tagen. Die hier genannten sind regelmäfsige Postdampfschiffs-
linien. Aufserdem fahren aber noch die Dampfer der Kompanie
Alexander 35 oder 40 mal jährlich zwischen Yeracruz und New-York,
Frontera, Campeche, Progreso und Habana anlaufend; ferner alle
drei Wochen zwischen Veracruz, Tuxpan, Tampico, Bagdad und
New-Orleans. Die Schiffe der Compania Morgan laufen zwischen
Veracruz und Morgan City über Galveston. Die Califomische
Dampfschiffgesellschaft unterhält eine Route zwischen Mazatlan und
San Francisco, über die Häfen La Paz, Guaymas, Cabo San Lucas,
Bahia de la Magdalena und Ensenada der Todos Santos ; ferner eine
Schnellfahrt del Golfo de Cortes zwischen Guaymas und Manzanillo,
über die Häfen von Altata, La Paz, Mazatlan, San Blas und Chamela.
Die mexicanisch-transatlantische Kompanie fährt zwischen Liverpool
und Veracruz über Havre, Santander, Habana und Progreso, auf
der Heimreise über Progreso, New-Orleans, Habana und Santander.
Endlich giebt es noch eine Dampferfahrt des Antonio Lopez von
Cadiz nach Veracruz.
Mexico besitzt wenig gute Häfen, im Osten diejenigen der
Flachküsten am Golf, während am Stillen Ozean meist eine bedeutende
Brandung das Landen erschwert. Matamoros liegt etwa 40 sm flufs-
aufwärts am rechten Ufer des Rio Grande und wird stark besucht.
Wegen der Barre ist der Verkehr aber meist auf Leichterfahrzeuge
angewiesen. Tampico wird erst seit 1824 öfters besucht. Für Schiffe,
welche die Barre passieren können, ist der am Eingang nur l l* sm
breite Flufs mehr als 80 sm weit bis Penuco schiffbar. Die Vor-
arbeiten für eine Vertiefung des Fahrwassers auf der Barre haben
zu keinem Ergebnis geführt. Die Einfuhr im Jahre 1883 belief
sich auf 1,5 Mill. $ Wert, das meiste aus den Vereinigten Staaten.
Die Ausfuhr betrug 1,2 Mill. * (darunter Ixtle für 496267 #,
Gelbholz für 134055 $, Häute für 109053 *), das meiste nach
New-York und Liverpool. 1883 liefen ein 186 Schiffe (81 Dampfer)
von 19884 1, darunter 2 deutsche; aus liefen 186 Schiffe (82 Dampfer)
von 16 617 t, darunter ein deutsches Schiff. Tuxpan liegt 5 sm
innerhalb der Barre, und hat keinen eigentlichen Hafen, sondern nur
eine Reede, so dafs gröfsere Schiffe 5 sm östlich von der Barre,
in 11 m ankern müssen. Veracruz ist der bedeutendste Handels-
hafen Mexicos und war lange Zeit der Haupteinfuhrplatz, der be-
15
sonders durch Eröffnung der ersten Eisenbahn des Landes an Ver-
kehr gewann. Die Reede wird von Riffen begrenzt und ist die
Ansegelung in den Wintermonaten nicht ohne Gefahr. Der Hafen-
platz Tlacotalpan liegt am Ende einer Lagune, deren Eingang durch
die nur 3 — 5 m haltende Barre von Alvarado gesperrt ist, so dafs
grofse Schiffe aufserhalb der Barre in ungeschützter Lage ankern
müssen. Auch der Hafen von Coatzacoalcos leidet an dem Übelstand,
dafs eine gefährliche Barre vorgelagert ist, die durchschnittlich nur
4,5 m Wasser hat und eine halbe sm vom Lande liegt. Im
Flusse ist das Wasser hinreichend tief, und es können kleinere Schiffe
bis Minatitlan gelangen. Tonala hat auf der Barre nur etwa 3 m
Wasser, so dafs die grofsen Schiffe aufserhalb bleiben müssen. Der
jährliche Import beträgt an 100000 «, die Ausfuhr 1883/84 wertete
80000 *. Frontera hat nur einige Bedeutung als Hafen für Tabasco.
Bei Niedrigwasser erfolgt eine Zusammenziehung und Vertiefung der
Stromrinne, während bei Hochwasser die starke Ausströmung des
Flusses oft grofse Sandanhäufungen veranlafst, welche die Tiefe (3,5 m)
erheblich verringern. 4 ) Die Laguna de Terminos bildet ein grofses
Becken, in welches zahlreiche Flüsse münden, die von Fahrzeugen
von geringem Tiefgang etwa 225 km weit befahren werden können.
Die Einfahrt in die Laguna liegt zwischen der Landspitze Xicalanga
und der Insel Carmen, und führt zum besten Hafen der ganzen Küste.
Bei niedrigem Wasserstande hat man auf der Barre nur 4 m Wasser,
zu andern Zeiten bis 5 m. 1884 wurden etwa 5000 t Mahagoni- und
Zedernholz vom Staate Tabasco über Laguna verschifft. Der Handel
nimmt mit jedem Jahre zu; das verhandelte Blauholz wertete 745000 s,
Mahagoni- und Zedernholz 400000 *. Nach fremden Häfen gingen
mit Produkten 148 Schiffe (darunter 41 deutsche), von denen nur
zwei Dampfer waren. Campeche ist der Haupthafen Yucatans und
der wichtigste Stapelplatz für Hölzer, liegt aber als Seehafen un-
günstig, da der niedrigen Küste viele Untiefen vorgelagert sind.
Sisal und Progreso sind die Ausfuhrhäfen für die Hauptstadt Yuca-
tans, Merida. In Sisal liegen die Schiffe auf offener Reede, auch
bei Progreso ist die Küste niedrig und flach. Merida hatte in den
letzten Jahren eine gedrückte Geschäftslage zu beklagen; im Jahre
1884 litten die Maisfelder sehr von Heuschrecken. Vom Haupt-
produkt des Staates, Henequen (Sisalhanf), wurden 233 311 Ballen
(42 Mill. kg) im Werte von 3 471 646 $ verschifft, erzielten aber
nur niedrige Preise.
4 ) Jülfs und Baileer: Die Seehäfen und Seehandelsplätze der Erde.
Bd. 1L Oldenburg, 1875.
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San Benito, der Hafen Soconuscos, importiert für etwa 50000 9,
exportierte 1883/84 Waren im Werte von 86000 $, besonders Kaffee,
Häute und Kautschuk. Acapulco liegt an einer geräumigen Bucht, die
einen ausgezeichneten natürlichen Hafen bildet, einer der sichersten an
der Westküste. Die Einfahrt ist bequem und in dem tiefen Wasser der
Ankergrund ausgezeichnet, der Stadt gegenüber in 22 m Tiefe. Der
Handel dieses Platzes ist in den letzten Jahren durch die Dampfer-
verbindungen mit nördlicheren Häfen ein lebendiger geworden.
Salina Cruz bildet den Transitplatz für Tehuantepec. Die Ausfuhr
belief sich 1884 auf 178 849 $, besonders mexicaniscbe Thaler,
Indigo und Kuhhäute. Aber auch in Tehuantepec lag im Jahre
1885 der Einfuhrhandel fast gänzlich danieder, da die beständigen
Mifsernten den Konsum auf die unentbehrlichsten Gegenstände be-
schränkten. Der Ertrag der Einfuhrzölle betrug 1884 : 64860 $,
1885 : 4324 ». Die Ausfuhr war stetiger, obgleich auch hier ein
Ausfall von beinahe 50000 $ (131427 gegen 178849 9 in 1884)
stattfand. Die Ausfuhr von Kautschuk hebt sich etwas und es kann
dieser Artikel mit der Zeit, wenn die Leute die Gewinnung rationeller
betreiben und nicht mehr wie bisher die auszubeutenden Bäume
fällen, für den Export lohnender werden. Brasilholz vertrat hier
1885 meist die Stelle des Bargeldes, da selbst in Läden Waren
gegen Holz eingetauscht wurden. Den Hafen Salina Cruz haben
1885 nur 25 Schiffe besucht, davon 21 Dampfer. 6 ) Manzanillo ist
der Hafen von Colima und liegt an einer von hohen Felsbergen
umrahmten Bai. Der über 4 km breite Eingang derselben hat- 72 m
Tiefe. 1884 liefen u. a. nur 3 deutsche Segelschiffe (1885 nur 1)
von 1109 t ein. Sämtliche Schiffe liefen in Ballast (darunter jedoch
281 Kolli Silbererze und 1671 Blöcke Zedernholz, nach Bremen
bestimmt) aus. San Blas ging nach dem Aufschwung des Hafen-
platzes Mazatlan etwas zurück, wird aber nach der Vollendung der
Bahnverbindungen mit dem Hochlande wieder an Bedeutung ge-
winnen. Aufserhalb der Küste ragen zwei weifse Felsklippen empor,
in deren Nähe gröfsere Schiffe ankern müssen, während kleinere
über die nur 4 m Wasser haltende Barre bis nach Estero hinauf-
gehen. Über den Hafen werden die reichen Produkte des neuen
Territoriums Tepic ausgeführt, Zucker und Mais. Die Einfuhr betrug
1883/84 (Fiskaljahr) ungefähr 400 000$ Wert, davon etwa V* Tran-
sitwaren, meist für Guadalajara bestimmt. 1883 liefen u. a. drei
deutsche Schiffe ein, sechs mit Ladung wieder aus; 1884 nur zwei
deutsche Schiffe, die mit Ladung Anfang 1885 wieder ausliefen.
Der Hafen von Mazatlan bildet eine verkehrsreiche Bucht, in welche
6 ) Deutsches Handelsarchiv, 1886. VI.
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der Mazatlanflufs mündet. Auf der vorliegenden Barre stehen nur
4 m Wasser, während innerhalb die Tiefe bis 6 m reicht. In der
Regenzeit von Juni bis zum November wehen heftige Stürme, die
das Auslaufen unmöglich machen. 1884 liefen u. a. 15 deutsche
Schiffe von 7465 t ein. Die Einfuhr wurde besonders in englischem
Roheisen bedeutend durch den Bedarf der Giefsereien und Minen-
plätze. Die Ausfuhr bestand aus Silber und Gold, von Untercali-
fornien grofse Quantitäten Orseille und Perlmutterschalen. Im Fis-
kaljahr 1883/84 wurden ausgeführt für 3 992 100 $ Edelmetalle,
darunter Silber in Barren für 2 652 000 $, gemünztes Silber für
1 292 200 s. Altata ist der Handelshafen für die Hauptstadt Sinaloas,
Culiacan, aber auf der Barre steht nur wenig Wasser und eine be-
ständige Brandung. Guaymas hat durch Eröffnung der Eisenbahn
einen Rückgang des Schiffsverkehrs zu erleiden. Die Schiffsbewegung
zeigte 1885 : 194 Schiffe mit 37 517 Tonneu (darunter 58 Dampfer
von 26952 t), deutsche Schiffe liefen nur 3 ein und aus, gegen 11
im Vorjahre. Ein bedeutender Teil von Waren, welche sonst zu
Schiff eingebracht wurden, wird jetzt auf der Sonoraeisenbahn ein-
geführt. Die Ausfuhr weist eine Zunahme auf, die aber meist auf
Rechnung der Transitverschiffung zu setzen ist. Die Einfuhr belief
sich 1885 zusammen auf 1 581 940 $, darunter für 1 340 451 $ aus
den Vereinigten Staaten. Die Hauptsummen kommen auf landwirt-
schaftliche und Minengeräte, Baumwoll-, Wollen-, Leinen-, Seiden-
und Spezereiwaren. Die Ausfuhr nach den Vereinigten Staaten be-
lief sich auf 473 514 $, darunter 8 /* des Wertes mexicanische
Thaler; mit der Eisenbahn über Nogales wurde 'ausgeführt für
544 790 $. Die Stadt liegt an der Nordwestseite einer ziemlich aus-
gedehnten Bucht, die an allen Seiten von Halbinseln oder Inseln
umschlossen wird und einen in jeder Jahreszeit sicheren und ge-
schützten Hafen bildet, in welchem die Wassertiefe von 5,5 m bis
12,5 m wechselt.
III. Wirtschaftliche Entwickelung.
Mexico war von altersher ein ackerbautreibender Staat, und
noch heute beruht der Nationalwohlstand des mexicanischen Volkes
in der Bodenkultur und im Minenbetriebe. Die landwirtschaft-
liche Produktion ist vom Relief des Bodens und den verschiedenen
Klimaten der Höhenregionen abhängig. Im allgemeinen lassen sich
drei Regionen unterscheiden: die tierra caliente, das heifseLand, etwa
500—1000 m hoch, umfafst die Küstenlandschaften, am Golf von
Mexico in gröfserer Breitenentwickelung als am pazifischen Gestade,
und ausgezeichnet durch tropische Üppigkeit, in welcher Kaffee,
Geogr. Blätter. Bremen, 188?. g
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18
Kakao, Vanille, Bananen, Baumwolle gedeihen uud grofse Bestände
von Farbhölzern Vorkommen, Die tierra templada, das gemäfsigte
Land, bis 2000 oder 2500 m Höhe reichend, ist das Gebiet des
Ackerbaues und der Wohnsitz der gröfsten Volksmasse. Weiter
hinauf reicht die tierra fria, das kalte Land, wo Eichen, Weiden,
Pappeln, Ulmen, Eschen und Koniferen wachsen, und die Hochgipfel
bis in das Gebiet des ewigen Schnees aufragen.
Das Gebiet der höchsten Sommerwarme umfafst die Uferland-
schaften des mexicanischen Golfs uud zieht sich bis New-Mexiko und
Baja-California. Die Temperaturschwankungen sind aber im Winter
in Mexiko gröfser, als in den meisten andern Tropenlandern, und
die berüchtigten „Northers“ wehen oft bis 15° n. Br. herab. Mexico
liegt im Bereich des Nordostpassat und hat normale tropische
Sommerregen vom Mai bis September und einen trockenen Winter.
Zu Coliiua an der Westküste dauert die Regenzeit von Juni bis
Oktober, ihr Höhepunkt ist im August (Jahresmittel 1062 mm.)
Der Übergang zu dem trockenen Hochland geschieht auf rasche
Weise, und nach Norden hin verschmelzen die Sommerregen Mexicos
mit jenen von Texas, während sie iin Westen von den regenarmen
Gebieten Baja-Californias und Arizonas begrenzt werden. Yucatan
hat trockenes heifses Klima. In Merida betragt die mittlere Jahres-
temperatur 27,2° C. Die Regenzeit umfafst hier nur Herbst und
Winter, und die ebenen Savannen stehen dann monatelang seeartig
unter Wasser.
Die Ernte ist je nach Lage und Bodenbeschaffenheit von
Regenfall und Bewässerung abhängig. In den Zentral- und Nord-
staaten säet man im Mai und erntet im Oktober. Mais und Weizen
geben in vielen Bezirken der tierra caliente und tierra templada
zwei Ernten. In den Staaten Veracruz, Oaxaca, Guerrero, Tabasco,
Mexico, Jalisco und Sinaloa hat man jährlich drei Maisernten, riego,
temporal und tonalmile genannt. Schon die Azteken wandten künst-
liche Bewässerung an, die fast für die Hälfte des Laudes, besonders
vom 19° nordwärts geboten ist. Dann aber gebeu die Hochflächen
ergiebige Ernten, und die Bodenkultur wird noch an Intensität ge-
winnen, wenn durch die Eisenbahnen Gelegenheit geboten ist, auch
nach entfernteren Orten landwirtschaftliche Maschinen zu befördern,
die dort bisher nur mit Aufwand bedeutender Kosten zu beschaffen
waren. In den grofsen Haciendas ist schon so mancher Fortschritt
zu verzeichnen; freilich gilt dies nur von soliden Gütern, in denen
der Besitzer noch keinen Kaufmann hat, der ihm selbst und seinen
Peonen Vorschüsse gemacht hat, und dadurch zum teil schon Eigen-
tümer der Früchte ist, während sie noch auf dem Halm stehen.
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— 19 —
Der Mais bildet die vorzüglichste Anbaufrucht, und in den
landesüblichen Maiskuchen (tortillas) das tägliche Brot von Reich
und Arm. Exportiert wird ein unbedeutender Teil, da das meiste
im Lande verbraucht wird. Die Jahresproduktion beläuft sich auf etwa
114 Mill. Dollar Wert(Busto giebt in seiner grofsen Estadistica für das
Jahr 1878 : 5309 Mill. kg, Jesus Fuentes y Muniz im Konsularbericht
der Vereinigten Staaten No. 41 für 1883: 5403 Mill. kg an). Auch von
Weizen, der u. a. in Jalisco (88,9 Mill. kg im Werte von 4377 950 $),
Chihuahua, Guauajuato, Puebla, Tlaxcala, Zacatecas und Coahuila
reiche Ernten erzielt, wird nur weniges ausgeführt. Er gedeiht am
besten in Höhen von 1200 — 2500 m, uud in den meisten Gebieten
nördlich von 18° n. Br. Die Produktion betrug 1883: 339 Mill. kg
für 17,5 Mill. $. Gerste wurde gewonnen 238,9 Mill. kg für 4,4 Mill. $.
Hülsenfrüchte werden überall gebaut, vor allem Frijoles, schwarze
Zwergbohnen, die als beliebte Speise der ärmeren Bevölkerung gelten.
Die Produktion betrug Frijoles 210,8 Mill. kg (8,4 Mill. $), gewöhn-
liche Bohnen 15,5 Mill. kg (478510 ?), spanische Erbsen 11,5 Mill. kg
(470940 $), Kichererbsen 12,8 Mill. kg (543 283 Mill. $). Linsen
2 Mill. kg (83 920 $). Von Wichtigkeit für den Haushalt des Mexi-
caners ist der Chile, der spanische Pfeffer, welcher in vielen Arten
besonders in Jalisco, Guanajuato, Mexico, Puebla, Sau Luis Potosi,
Michoacan, Oaxaca, Veracruz gewonnen wird, zusammen 54,4 Mill. kg
(4,2 Mill. $). Kartoffeln wurden am meisten in Tlaxcala und Puebla
gebaut, im ganzen Lande 10,6 Mill. kg (584280 $). Reis wird in
gröfseren Massen in den Staaten Colima, Morelos, Yucatau, Tamaulipas
und Jalisco gewonnen, zusammen 15,2 Mill. kg (1,24 Mill. $). Zucker-
rohr wird in zahlreichen, ausgedehnten Pflanzungen gewonnen, am
meisten in Morelos (die canada von Cuernavaca und Cuantla), Veracruz,
Puebla und Michoacan. Mit der Konkurrenz des europäischen Rüben-
zuckers wird aber wohl, ähnlich wie in Cuba, ein Rückschlag er-
folgen, und ein grofser Teil des Bodens für andre Kultureu frei
werden. Man kann im allgemeinen annehmen, dafs Zuckerrohr-
pflanzungen im Gebiet von unter 1200 m Meereshöhe am besten
gedeihen. Südlich vom Wendekreis ist aber in Höhen von 600 — 1200 m
Bewässerung nötig. Die Jahresernte betrug 70,2 Mill. kg im Werte
von 8,7 Mill. $. Kakao wird in den unteren Regionen gebaut, da
sein Gedeihen eine gleichmäfsige Temperatur von 24 — 28° C.
erfordert, und kommt in gröfseren Mengen nur in Tabasco,
Chiapas, Guerrero, Oaxaca und Colima vor, zusammen 1,4 Mill. kg
(1,14 Mill. $). Der Aubau von Kaffee, besonders auf den
Küstenterrassen, hat neuerdings einen bedeutenden Aufschwung
2 *
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genommen. °) Die Kultur ist von einer mittleren Jahrestemperatur
von 18° — 28° C. abhängig, gehört aber zu den rentabelsten,
die es überhaupt giebt. Die gröfste Ausbeute liefert Veracruz,
Colima und Michoaean. Die gröfsten Kaffeemärkte sind Tabasco,
Jalapa, Cordoba und Oaxaca. Der erstere ist ein sogenannter
Küstenkaffee; Jalapa hat kleine gelbliche Bohnen, kurz und
breit, aber von unregelmäfsiger Gröfse; Cordoba hat grüfsere
und längere Bohnen, die oft einen künstlichen Glauz erhalten und
dann als Rio-Kaffee in den Handel kommen; Oaxaca bietet eiiien
rohen, grünen Bergkaffee, der aber bei besserer Kultur wohl mit
den Erzeugnissen Costaricas und Jamaicas konkurrieren könnte.
Die Produktion betrug 8,18 Mill. kg im Werte von 2 Mill. s. Indigo
ist im Anbau zurückgegangen und wurden nur 196000 kg
(288 CKJO #) gezogen. Der Tabak kann bei sorgfältiger Bearbeitung
grofse Erträge erzielen, und ist im Anbau in Veracruz, Jalisco und
Yucatan am bedeutendsten. Die Produktion war 7,5 Mill. kg (2 Mill. *).
Von Baumwolle finden sich die gröfsten Pflanzungen in Veracruz,
Durango, Coahuila und Jalisco. Die Ernte belief sich auf 25,18 Mill. kg
für 6,6 Mill. *. Vanille bedarf nur sehr einfacher Kultur und ge-
deiht am besten in Veracruz und Tamaulipas. Die Jahresernte be-
trug 76645 kg im Werte von 862550 $. Flachs wird besonders
in der Umgebung von Queretaro und in den Thälern von Toluca
gebaut.. Ferner sind noch zu nennen Sesam in einer Jahresernte
von 3 Mill. kg (215000 *), Anis 1,19 Mill. kg (105200 $), Stroh
für Flechtwaren, Sarsaparille (Smilax) 76645 kg (862550 $). Wein
gedeiht vortrefflich in Aguacalientes, Sonora, Baja California, Coahuila
und Chihuahua. Leider stehen mir hier keine andern Daten zur Ver-
fügung, als diejenigen in Bustos Statistik, allerdings nur für 1878;
darnach wurde 2,2 Mill. kg Weifswein, 3,5 Mill. kg Rotwein, und
531576 kg Brantwein aus Trauben (Aguardiente) hergestellt. 7 )
Früchte giebt es in unzähligen Mengen, Bananen, Zitronen,
Orangen, kürbis- und melonenartige Früchte, Äpfel, Birnen, Granaten,
Feigen, Aprikosen, Pfirsiche; von letzteren wurden schon 1878
12,6 Mill. kg geerntet. Die Fruchtkultur ist grofser Ausdehnung
fähig und kann einst einen guten Ausfuhrartikel liefern. Allein von
•) Ygl. meinen oben zitierten Aufsatz in denMitt. desVer. f. Erdkunde zu
Leipzig. 1882.
7 ) Im United States Consular Report No. 41 wird eine ganze Liste mexica-
nischer Getränke gegeben, bis zu den verschiedenen Baumweinen, aber ohno
Angabe des Produktionsbezirkes und der Masse der Flüssigkeiten. Doch scheint
mir der Berichterstatter wohl etwas zu weit zu gehen, wenn er u. a. auch aufführt :
„Zagardua or citron puneh: Cold water, sngar, some drops of lemon or orange
juice, mixed witli citron.“
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Limonen werden jährlich für 25000 $ durch die Dampfer der
Pacific Mail Steamship Co. nach San Franz isco gebracht. Sowohl
Limonen- als Orangenbäume werden im Alter von 5 — 8 Jahren völlig
tragfähig und bleiben ungefähr 50 Jahre lang ergiebig. Ein Orangen-
baum trägt im Durchschnitt jährlich 3000 Früchte im Werte von
12 $, ein Limonenbaum etwa 8000 Früchte im Werte von 10 $.
Dabei betragen die Kulturkosten für eine Plantage von einigen
hundert Bäumen nicht mehr als 150 $ jährlich. Besondere Beachtung
verdient die Fruchtkultur in Baja-California, wo aufser den genannten
Früchten auch Feigen, Datteln und Oliven geerntet werden. Die
auf den trockenen Hochebenen wachsenden Agaven haben für den
Mexicaner doppelten Wert; sie liefern ihren Saft als Getränk, ihre
Faser als Gespinnst Von der Maguey (A. mexicaDa) wird der
beliebte Mezcal-Branutwein bereitet, 14 — 15 Mill. kg jährlich.
Von einer andern Agave gewinnt man das Pulque, das National-
getränk der Mexicaner, jährlich etwa 190 Mill. kg, die im
Lande selbst verbraucht werden. Der Pulqueverbrauch der Haupt-
stadt wurde schon von Clavigero auf die Wertsumme von 300000
Kronen (1,35 Mill. Mark) geschätzt, obgleich 25 kastilianische
Pfunde nur mit einem Real (0,50 J6.) bezahlt wurden. Die im
Jahre 1774 in der Hauptstadt getrunkene Quantität Pulque betrug
2214294 Arroben (25162431 kg) ohne dasjenige, welches von den
privilegierten Indianern auf dem grofsen Markt verkauft wurde. Von
andern Agavearten werden wertvolle Fasern gewonnen, die einen
steigenden Ausfuhrartikel bilden. Die Agave sisiliana in Yucatan liefert
den Sisalhanf oder Henequen, das 1883 für 3,3 Mill. Pesos
ausgeführt wurde, gegen 1873 eine Steigung von 400°/o. Das meiste
ging nach den Vereinigten Staateu. Eine andre Faser giebt das
Pita in Yucatan und bei Oaxaca; und in der tierra fria, besonders
bei Huasteca, das Ixtle, von der Maguey und Lechuguilla gewonnen,
jährlich etwa 2,2 Mill. kg, das meist über Tampico in den
Handel kommt, während Henequen über Progreso ausgeführt wird.
— Hölzer sind in grofser Menge vorhanden und von bedeutendem
Handelswert, u. a. Mahagoni-, Zeder- und Kautschukbäume, Brasil-
und Campecheholz u. a. Der Hauptmarkt für Holz ist die Insel
Carmen, und die Küste von Veracruz bis Tamaulipas ist reich an
Farbhölzern. Die Gebirge des Landes liefern zahlreiche Nutzhölzer,
aber die Schlaggebiete werden in Nord- und Zentralmexico immer
enger begrenzt, und es ist hohe Zeit, mit einer streng geregelten
Forstkultur vorzugehen und einer drohenden Entwaldung mit ihren
gefährlichen Folgen vorzubeugen. Auf den Opuntienkakteen (Nopal)
wird die Kocheuillelaus gezüchtet, deren Wert aber seit Einführung
22
der Anilinfarben zurückgegangen ist. Eine andre Nopalspezies, nopal
de castillo genannt, wird bis 6 ra hoch und wird wegen seiner
delikaten Früchte gepflanzt.
Die Viehzucht ist grosser Entwickelung fähig, und würde bei
verständiger Ausnutzung sehr lohnend werden. Für den kleinen
Landmann ist sie aber wegen fehlerhafter Pachtsteueranlage kaum
zu ermöglichen, und die Haciendados fangen erst in neuerer Zeit
an, eine geregelte Züchtung zu begünstigen. Die Ausfuhr von
Häuten ist schon eine ganz ansehnliche, und zahlreiche Gerbereien
und Zubereitungsanstalten sind in fast allen Städten vorhanden.
Bei fortschreitender Lederindustrie wird sich das Land bald von
aller Ledereinfuhr, meist in englischen und französischen Waren
bestehend, befreien.
Mineralien sind in vielen Lagern vorhanden und sind eigentlich
die unerschöpflich scheinenden Reichtumsquellen des Landes. Erze
wurden bereits von den alten Mexicanern abgebaut, und an Silber
und Gold hat kein Land mehr geliefert, als Mexico. Die metall-
reiche Zone erstreckt sich von Sonora bis Oaxaca in einer Längen-
ausdehnung von 2000 km, die ergiebigsten Bezirke sind diejenigen
von Zacatecas, Guanajuato und Pachuca. Durch eine Reihe von
Jahren war die Silberausbeute der Vereinigten Staaten bedeutender
als diejenige Mexicos, aber der berühmte Comstock Lode in Nevada
geht seiner Erschöpfung entgegen, und im Gegensatz hierzu sind
gerade in Mexico die Erträge seit zwei Jahrhunderten fast stetige
geblieben. Es hat dies aber nicht allein seinen Grund in der Yer-
schiedenartigkeit der Lagerstätten des Edelmetalls, sondern auch in
der Verschiedenheit der gesamten sozialen Zustände der beiden
Länder, wobei noch zu berücksichtigen ist, dafs die silberrcichen
Distrikte im Norden Mexicos auf dürren Hochebenen liegen und
relativ ungünstige klimatische Verhältnisse darbieten. Busto sagt in
seiner Statistik, dafs im Jahre 1878 von 1694 Minen 1247 bearbeitet
wurden, von denen 162 Minen auf Gold, 332 auf Gold und Silber,
807 auf Silber, 156 auf Kupfer, 143 auf Blei und 94 auf Quecksilber
bauten, und in denen 102 240 Menschen beschäftigt wurden. Silber
und Gold wird zugleich in den Staaten Zacatecas, Hidalgo, Guanajuata,
San Luis, Chihuahua, Durango, Jalisco, Sonora, Sinaloa, Mexico,
Michoacan, Oaxaca, Guerrera und Puebla abgebaut. Die berühmtesten
Silberminen sind die veta grande in Zacatecas und die veta madre
in Guanajuato, welche schon seit 300 Jahren bearbeitet werden.
Dagegen hat das Gebiet von Sierra Mojada, das als Territorium
organisiert werden sollte, den Erwartungen nicht entsprochen und
keine grofsen Erträgnisse geliefert.
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In den 11 Münzen (Alamos, Culiacan, Chihuahua, Durango,
Guadalajara, Guauajuato, Hermosillo, Mexico, Oaxaca, San Luis
Potosi, Zacatecas) wurden im Fiskaljahr 1884/85 geprägt für
423 250 t Gold und für 26 263 978 $ Silber. Seit der Gründung
der Münzen während der Kolonialepoche, vom Jahre 1537 bis zum
30. Juni 1885, betrug die Ausmünzung total 3 245 084 875 $, wovon
nur 5 981 370 $ für Kupfer, 4 Mill. für Nickelmünzen gerechnet
werden. Im Jahre 1884/85 wurde aus den Minen in die Münzen
geliefert für 653 840 f Gold, 25 556 630 $ Silber, zusammen
26 210 470 $. Gold lieferte am meisten der distrito federal mit
301 964 8, Silber Guanajuato mit 4807 638, Zacatecas mit 4807 581,
Hidalgo mit 4 291 918, San Luis Potosi mit 3 362 679, Chihuahua
mit 2 917980 und Durango mit 1541589 s. 8 )
Von Eisen hat bis jetzt der cerro del mercado (im Staate
Durango) am meisten produziert, d. h. Eisenerze im Werte von etwa
10 Mill. 8. Das Erz enthält freilich 60 °/o reines Metall. Eisen-
haltige Berge giebt es noch in Sonora (bei Coalcoman), Michoacan
und im zentralen Gebiete Oaxacas. Kupfer wird im Chihuahua,
Oaxaca und Baja-California, bei den Städten Mazapil und Jalapa,
und in der Nähe des Vulkans Jorullo gefunden. Zinn giebt es
in Gängen und in Alluvialbetten von Durango. Der künftige
Fortschritt Mexicos hängt in bezug auf Handel und Industrie, Ent-
wickelung der Landwirtschaft und Ausbeutung der Mineralschätze
durchaus von der Schaffung vermehrter Verkehrswege ab, also der
Eisenbahnen, deren Betrieb ohne billige Kohle undenkbar ist. Kohle
ist also für Mexico von der gröfsten Bedeutung, besonders wenn
man die Sünde vergangener Jahrhunderte, die fortschreitende Ent-
waldung, in Betracht zieht. Kohlen werden abgebaut in Veracruz,
Morelos, Tlaxcala, Oaxaca, Chihuahua, Michoacan, Puebla und Baja
California. Es giebt Kohlenlager an den Ufern des Rio Grande
und in den Nachbargebieten der Zentralbahn, der Südbahn, der
Nationalbahn und der internationalen Eisenbahn. Flötze von Anthrazit
und bituminöser Kohle sind auch im Staat Sonora am Yaquiflusse
entdeckt worden. Petroleum kommt in Oaxaca, Durango und Vera-
cruz vor und in Tuxpan besteht schon eine Raffinerie.
Die mexicanische Industrie ist in den letzten Jahren namentlich
in der Manufakturwarenbranche weiter fortgeschritten, doch haben
die Fabrikanten bei der Überproduktion und den schlechten Zeiten
trotz Preisermäfsigung monatelang Mangel an Absatz gehabt, und
erst seit kurzem hat sich ihre Lage gebessert. Am lebhaftesten ist
•) Noticias de acufiacion 6 introdnccion de metales en el a8o fiscal de 1884
ä 1885 foraiadas por la seccion setima de la secretaria de hacienda. Mexico, 1886.
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die industrielle Arbeit in agrikolen Produkten, Textilwaren und Edel-
metallen. 1878 wurden u. a. produziert 10 Mill. kg Bier, 19,3 Mill. kg
Branntwein aus Zuckerrohr, 124 Mill. kg Weizenmehl, 671278 kg
Schokolade. Von Baumwolle wurden im Jahre 1883 etwa
136000 Ballen (68 Mill. libras) verarbeitet, gegen 14,5 Mill. libras
im Jahre 1865. Die Einfuhr von Rohbaumwolle hat seit 1874 kaum
das zehnfache zugenommen. Fabriken für sogenannte coloured goods
giebt es in Mexico noch nicht, wohl aber werden prints im Lande selbst
gefertigt. Das Hauptfabrikat sind brown shirtings (manta). Gebleichte
Ware wird gröfstenteils von den Vereinigten Staaten und England
eingeführt, nur eine Fabrik in Puebla ist in diesem Fache thätig.
Die Zahl der Baumwollfabriken (für Gewebe und Garne) in Mexico
beträgt 88, die Zahl der Wollfabriken 7. Die Woll- und Baumwoll-
garne finden vorzugsweise in der Handweberei zur Anfertigung von
Zeugen für die ärmeren Klassen Verwendung. Die gröfste Baumwoll-
fabrik ist die „Herkules“ in Queretaro mit 20594 Spindeln. Die
übrigen zusammen haben an 500000 Spindeln. Die Regierung suchte
durch Nationalausstellungen die industrielle Leistungsfähigkeit zu
heben und anzuregen, aber trotzdem ist die Einfuhr von Waren noch
eine ganz bedeutende. Die Seidenraupe wird bei Oaxaca, Tetla
(Puebla) und Ixmiquilpan (Hidalgo) mit grofser Sorgfalt gezüchtet.
Es ist anzunehmen, dafs in den nächsten fünf Jahren in Mexico mehr
Seide verarbeitet werden wird, als für den Verbrauch nötig ist, ob-
gleich diese Industrie jetzt noch in den ersten Anfängen steckt. Zu
beachten ist ferner, dafs die Verarbeitung hier nur die Hälfte der
Kosten beansprucht, als in Paris.
Der Handel hatte schon hinsichtlich seiner Bahnen in Mexico
keine erfreulichen Vorbedingungen. Die Häfen sind meist schwierig
anzusegeln, und die Hochebenen des Landes boten dem Grofshandel
von alters her manche Schwierigkeiten. Von der Zeit der spanischen
Eroberung bis vor wenigen Jahren existierte nur ein beschränkter
Inlandhandel, der sich mühsam fortschlich. Transportmittel boten
nur die Maultiere und die Rücken der indianischen Lastträger. Die
spanische Verwaltung während der Kolonialepoche war nicht geeignet,
Produktion und Handel zu unterstützen, und wer wollte für diese
Zeit der Unterdrückung dem geplagten raexicanischen Volke wegen
wirtschaftlicher Versumpfung Vorwürfe machen? Über den blühenden
Handel zur Zeit der Azteken haben uns die spanischen Geschichts-
schreiber berichtet, und selbst Ferd. Cortez war verwundert über
die Bedeutung des Handels und die Art seiner Ausübung. Aber die
spanische Regierung unterliefs nichts, um diesen vorzüglicheu Zu-
stand zu verändern und den Wohlstand der Eingeborenen zu unter-
25
graben. Anbau von Flachs, Hanf und Safran war durch zwei Jahr-
hunderte hindurch verboten, ebenso das Auspresseu der Ölfrucht für
Privatgebrauch, selbst des Kokosnufsöls , damit der Einfuhr des
Olivenöls aus Spanien kein Eintrag geschehe. Die Seidenzucht liefs
man nicht aufkommen, damit die Kompanie der Philippinen an ihrem
Verkauf chinesischer Rohseide nicht beeinträchtigt werde. Wein
konnte man bauen, doch durften die Trauben nicht gekeltert werden ;
die Mexicaner sollten nur katalonische und andalusische Weine trinken.
Als sich 1802 Alexander von Humboldt in Mexico befand, erhielt
der Vizekönig von Madrid aus den Befehl, alle Rebstöcke in den
nördlichen Provinzen ausrotten zu lassen, weil die Kaufleute in Cadix
sich beklagt hatten, dafs ihr Absatz spanischer Weine sich dorthin
vermindere.
Erst seit dem Beginn der grofsen Eisenbahnbauten trat Mexico
in eine neue Ära. Schnelle Verbindung mit den grofsen Produktions-
und Handelszentren der Union war wohl das erste treibende Motiv,
das wichtigere aber ist ohne Zweifel die Aufschliessung der mannig-
faltigen Hilfsquellen des eigenen Landes. Mit der Entwickelung
dieser materiellen Interessen geht eng zusammen eine erleichterte
geregelte Verwaltung, Preissteigerung des Grund und Bodens und
der Arbeitskraft. In allen Landschaften, in denen Eisenbahnen
gebaut wurden, macht sich eine geistige Regsamkeit und frische
Thätigkeit bemerkbar. Durch Erleichterung des Transports macht
auch der Handel Fortschritte, wird Handwerk und Großindustrie
belebt, und dieser Fortschritt ist jetzt in Dekaden gröfser, als früher
in Jahrhunderten. Mit diesem Aufschwung in neuerer Zeit werden
sich auch allmählich die Verhältnisse der grofsen Masse der Bevölkerung
ändern, die bisher in reicher Umgebung ein ärmliches Dasein fristete.
Im Platzhaudel nimmt der Deutsche eine hervorragende Stellung
ein, und deutsche Handelshäuser findet man in allen gröfseren
Städten des Landes. Aber der durch die Eisenbahnen veränderten
Lage tragt man in Hinsicht auf Handelsverbindungen und Geschäfts-
bräuche besonders in der Union Rechnung. Es beträgt daher auch
der Aufsenhandel Mexicos mit den Vereinigten Staaten und Grofs-
britannien */» des Gesamthandels überhaupt. In den 5 Jahren von
1877 bis 1882 stieg der Handelsverkehr Mexicos mit der Union
um 123 °/o, mit Großbritannien um 36°/o. Die Entwickelung des
mexicanischen Handels steht in enger Beziehung mit dem Inland-
handel der Union, und die großen Eisenbahnlinien erhalten erst
durch ihren Anschluß an die Stammlinien der Vereinigten Staaten
ihren eigentlichen Wert. Die Länge der Grenzlinie zwischen beiden
Staaten gilt nicht mehr als erschwerendes Moment, denn die Grenz-
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landschaften waren von der Natur schon nicht als Gebiete für er-
leichterten Durchgangsverkehr geschaffen. Durch die Verbindungen
mit dem Norden bis zu den Grenzlinien der Canadischen Pazifik-
bahn ist nun ein gewaltiges Schienennetz geschaffen, und ein grofser
Schritt vorwärts zur dereinstigen Eisenverbindung Nord- und Süd-
amerikas gethan worden.
Der direkte Einflufs der Eisenbahnbauten zeigt sich in der
Zunahme der Warenmassen, die über die Grenzzollämter Mexico’s
von der Union eingeführt werden, und deren Wert in Laredo für
1877 — 1882 von 272000 $ auf 1 220 Mill. Doll, stieg, in Paso
del Norte von 81000 $ auf 881000 $, und in Nogales vou 6800 $
auf 143200 S. Auch die Einnahmen des Landes selbst haben sich
in 5 Jahren verdoppelt, und die Eingangszölle spielen dabei keine
geringe Rolle. Man glaubt, dafs für den Landhandel vor allem
New- Orleans und St. Louis die Hauptzentren des Verkehrs mit
Mexico bilden werden. Dabei bleiben aber die Hafenplätze immer
noch von Bedeutung, wenngleich trotz des grofsen maritimen Aufsen-
handels sich ein Umschwung zu gunsten des Laudhandels zu zeigen
scheint. In den 5 Jahren bis zum 30. Juni 1883 exportierte Vera-
cruz allein 62°/o Metalle, 36°/o andre Produkte des gesamten Exports,
während über Paso del Norte, Nuevo Laredo und Nogales nur 0,022°/«
des Totalexports gingen. Im Jahre 1884 exportierte Veracruz noch
54°/o der Gesamtausfuhr (64°/o der Metalle, 28°/o der andern
Produkte).
Nach Eröffnung der neuen Eisenbahnen mufste eine Verschiebung
der bisherigen Handelswege stattfinden, zumal die in amerikanischen
Ländern befindlichen Strecken alles aufboten, vermittelst niedriger
Durchfrachten den internationalen Verkehr an sich zu ziehen.
Besonders wurden dem amerikanischen Exporthandel hierdurch neue
Vorteile zugeführt. Ja es scheint, als ob der erleichterte Bezug
amerikanischer Produkte der deutschen Ausfuhr einigen Abbruch
gethan habe. Denn während seit 1880 die Ausfuhr Bremens und
Hamburgs sich verdoppelte, ist sie seit 1884 zurückgegangen.
Ebenso grofse Veränderungen vollzogen sich in den mexicanischen
Zolllisten. Die Golfhäfen hatten einen kleinen Rückgang des Ver-
kehrs zu beklagen, dagegen hatten die Zollämter an der Nordgrenze
eine ansehnliche Zunahme desselben zu verzeichnen.
Die Handelsplätze am Stillen Ozean dehnen ihren Wirkungs-
kreis bis tief in das dahinterliegende Binnenland aus und beziehen ihre
nordamerikanischen Güter im wesentlichen zur See von San Fran-
zisco, ihre europäischen teils über Panama (die eiligeren), teils um
das Kap Hoorn. Für den Platz Mazatlan, der mit l 1 /* Millionen Dollar
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Zolleinkünften der Haupteinfuhrhafen an der Westküste ist, stellt
sich die Fracht von Europa mit Segelschiff um das Kap HoöYn
(4 — 5 Monate) 6 — 15 $ für die Tonne, mit Dampfschiff über Panama
(40 — 50 Tage) 30 — 35 $, mit Benutzung der Eisenbahn von New-
York bis Guaymas, und des Schiffes von Europa nach New-York und
von Guaymas nach Mazatlan 63 — 76 $ für die Tonne. Die Fracht
mit der Eisenbahn ist daher noch sehr erheblich teurer als die
Seefrachten, und der ziemlich unveränderte Stand der letzteren stellt
somit die Transportbedingungen dar, unter denen die Konkurrenz
zwischen deutschen und amerikanischen Produkten nach wie vor
stattfindet. Eine durchgreifende Veränderung der Bezugsbedingungen
ist nur für Guaymas eingetreten, denn hier sind die Transport-
bedingungen infolge von Fracht- und Zeitersparnis zu gunsten der
amerikanischen Konkurrenz. Mit dieser Ausnahme sind aber die
Konkurrenzverhältnisse Deutschlands und Nordamerikas an der
Westküste Mexicos gleich geblieben; für beide Länder macht sich
eine Zunahme in der Einfuhr bemerkbar, und zwar erweitert sich
der amerikanische Absatz hauptsächlich auf Kosten Englands, und
der deutsche auf Kosten Frankreichs und Englands.
Die Handelsplätze der nördlichen Zone, von Paso del Norte
bis Zacatecas, versehen sich jetzt von und über Nordamerika, statt
früher von Mexico oder über Veracruz. Die deutsche Einfuhr hat
aber hier kaum abgenommen, und während Maschinen, Waffen,
Handwerkszeug, Papier und Glaswaren von der Union bezogen
werden, liefert Deutschland wollene und halbwollene Waren. Der
Landweg erleidet durch die Eisenbahn bis Galveston eine bedeutende
Verkürzung, und unser Absatz nach dem Norden Mexicos würde
noch umfangreicher werden, wenn nach Galveston eine direkte
deutsche Dampferlinie bestünde. In den Zentralstaaten und der
Hauptstadt hört die Überlegenheit des neuen Überlandweges infolge
der grofsen Entfernungen auf (von der Hauptstadt bis zur Landes-
grenze allein 1971 km.) Die Bahnfracht von New-York bis zur
Stadt Mexico stellt sich nur in Eisen- uud Kurzwaren unter dem
Frachtsatz des Weges von Liverpool über Veracruz, während sie
in Schnittwaren noch um das Doppelte höher ist. Aber trotz der
Transportnachteile hat der deutsche Absatz in dem Zentraldistrikt
Mexicos sein Gebiet vollständig behauptet und es sogar fortwährend
erweitert.
In den Staaten der Golfküste hat die neue Überlandverbindung
mit den Vereinigten Staaten keine direkte Wirkung äufsern können,
und die Staaten Yucatan und Campeche haben wegen ihrer abge-
trennten Lage ein ganz unabhängiges wirtschaftliches Leben. Man
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kann also annehmen, (lafs der Rückgang in der Gesamtziffer der
deutschen Ausfuhr nach Mexico kein Unterliegen gegen andre
Konkurrenten bedeutet, sondern in der allgemeinen Handelsstockung
seinen Grund hat. Ist doch selbst die nordamerikanische Ausfuhr
von 1882—1885 um die Hälfte zurückgegangen. Es wird aber
weiterer Anstrengungen bedürfen, um das Feld zu behaupten,
besonders wenn erst die Natioualbahn eine noch kürzere Verbindung
mit der Union herstellt. 9 )
Im Einfuhrgeschäft versucht Amerika, Europa aus dem Felde
zu schlagen, und hat wohl auch in einigen Artikeln neuerdings einen
erheblichen Vorsprung gewonnen. Die Mehrzahl der wertvolleren
Ausfuhrartikel Mexicos werden aber nach der Union zollfrei ein-
geführt, so Häute und Felle, Kaffee und Hölzer. Dagegen ist die
Ausfuhr von Jute, Flechtgräsern, lebenden Tieren und Früchten mit
Zöllen belastet. Nach Mexico senden die Vereinigten Staaten, dem
Werte nach gruppirt, folgende Artikel : Eisen- und Stahlwaren, Roh-
baumwolle, Eisenbahnwagen, Brot und Brotstoffe, und lebende Tiere.
Im letzten Jahrzehnt haben die Amerikaner sich an vielen Plätzen
Mexicos Absatzgebiete geschaffen. Dem deutschen Handel liegt es
nahe, sich nicht nur nicht aus dem bisher inne gehabten Gebiet ver-
drängen zu lassen, sondern auf kluge Erweiterung seiner geschäft-
lichen Beziehungen Bedacht zu nehmen. Der Haupthandel Mexicos
ist fast allein in den Händen grofser Kommissionshäuser von Hamburg,
London, Liverpool und Paris. Die Bemühungen vieler europäischer
Fabrikanten, in ein direktes Geschäft mit mexicanisehen Häusern
zu kommen, sind mifslungen. Man sollte nun meinen, dafs die
Vergütung des Kommissionärs den Einkaufspreis um 5 — 10°/o erhöht,
aber eine langjährige Erfahrung hat gezeigt, dafs trotzdem dieser
Modus der direkten Verbindung mit dem Fabrikanten vorzuziehen
ist. Da es sich gewöhnlich um Kommissionshäuser ersten Ranges
handelt, welche in grofsen Mengen einkaufen, so wiegen die ihnen vom
Fabrikanten eingeräumten Begünstigungen die durch jene Vergütung
verursachte Erhöhung des Einkaufspreises bei weitem auf. Der Ver-
mittler hat überdies noch den Vorteil, dafs er mit den Formalitäten
der Verfrachtungen für Mexico vollständig vertraut ist. Ferner sind
die Häuser in Mexico weit davon entfernt, in einer einzigen Spezialität
zu arbeiten , weshalb sie sich auch in ausgedehnte Bazare um-
gestalteten, in welchen man alle diejenigen Warensorten trifft, welche
in eine der grofsen Kategorien der ausländischen Waren fallen.
Die Ausfuhr Mexicos hatte im Fiskaljahr 1884 einen Wert von
39,7 Mill. $ (davon für Edelmetalle 28,45 Mill., andre Produkte
*) Deutsches Handelsarchiv. 1886. I.
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11,26 Mill. $). Das Jahr 1885 zeigt aber eine bedeutende Erhöhung,
denn die Ausfuhr wertete 46,67 Mill. $, wovon 33,77 Mill. auf Edel-
metalle, 12,89 Mill. * auf andre Produkte fallen. Nur im Zueker-
export herrscht eine grofse Flauheit, er wurde bisher durch die
enorme Höhe der Transportkosten sehr erschwert, auch haben die
Produzenten auf früheren Aussendungen Verluste erlitten. Die
Erzeugnisse der Küstenstaaten wurden hier bevorzugt, da die Haupt-
masse in den Seehäfen verschilft wurde. Trotzdem wird aber auch
noch Zucker eingeführt, und an einzelnen Punkten im Innern des
Landes kostet der Zucker drei bis viermal mehr als in den Häfen
der Vereinigten Staaten. Ausgeführt wird meist brauner, eingeführt
raffinierter Zucker. Die Ausfuhr betrug im Fiskaljahr 1883/84 nur
1,95 Mill. kg im Wert von 177 260 $, die Hälfte weniger als in den
Jahren 1879 bis 1881. Die Überproduktion von Zucker und dessen
Entwertung auf dem Weltmärkte machte sich hier wie in allen Zucker-
rohr bauenden Ländern um so mehr geltend, als selbst der europäische
Rübenzucker kaum die Produktionskosten deckte.
Die Ausfuhr im Fiskaljahr 1884/85 stellt sich nach offiziellen
Angaben 10 ) für die hauptsächlichsten Ausfuhrartikel wie folgt: Lebende
Pferde im Werte von 204185 $, meist nach den Vereinigten Staaten;
lebende Rinder für 264281 *, nur nach der Union; Kaffee für
1,2 Mill. $, davon nach den Vereinigten Staaten für 934903 $;
rohes Henequeu 3,9 Mill. $, davon für 3,6 Mill. nach den Vereinigten
Staaten; rohes Ixtle 619376 $, davon die Hälfte nach der Union;
feine Hölzer 995019 $, davon nach England für 690315 $; Farb-
hölzer 617 942 $, davon nach England für 312877 $; Ziegenfelle
779561 $, Rinderfelle 845 658 $, Wildfelle 109 786 $, Blei 329240 $,
letztere vier Produkte fast nur nach den Vereinigten Staaten; ver-
arbeiteter Tabak 226482 $, davon nach England für 182374$ ; Vanille
471612 $, davon nach den Vereinigten Staaten für 385870 $. —
Von Edelmetallen wurden u. a. ausgeführt: Silbererze 1332897 $,
davon nach den Vereinigten Staaten für '548822 $, nach Deutschland
für 473495 $; gemünztes mexicanisches Gold 391097 $, das meiste
nach der Union; Gold in Barren 476470 $, davon nach Englaud für
299452 $; gemünztes mexicanisches Silber 25394262 $, davon
nach England für 12 Mill., nach den Vereinigten Staaten für
11 Mill. $; gewalztes Silber (Blech) 5881178 $, davon nach den
Vereinigten Staaten für 4,3 Mill. $. Vom oben genannten Gesamt-
export (Edelmetalle und andre Produkte) im Betrage von 46,67 Mill. $
,0 ) Noticia de la exportacion de mercancias en el ano fiscal de 1884 & 1885
formada bnjo la direecion ds Javier Stävoli. Mexico, 1886.
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hatten Anteil die Vereinigten Staaten 25,85 Mill., England 15,36 Mill.,
Deutschland 1,42 Mill. und Spanien 1,24 Mill.
Betrachtet man diese einzelneu Faktoren der wirtschaftlichen
Entwickelung, so stellt sich daraus ein recht erfreuliches Bild zu-
sammen, es kennzeichnet ein neues glücklicheres Zeitalter. Mit der Be-
ständigkeit der staatlichen Regierung und Verwaltung, der Befestigung
und Ausdehnung finanzieller Leistungsfähigkeit wird die Möglichkeit
geschaffen, eine erhöhte Kultur zu fördern und den Nationalwohlstand
zu heben. Die Eisenbahnen, welche das Land durchkreuzen, werden
sich nicht nur segensreich für Handel und Verkehr erweisen, sie
werden auch den inneren Frieden gebieten durch Stärkung der
Zentralgewalt. Durch Vermehrung der Bodenerzeugnisse wird dem
jetzt noch in grofser Dürftigkeit lebenden Arbeiter eine bessere Zu-
kunft erblühen, uud das von der Natur so bevorzugte Land wird
einst das doppelte oder dreifache der Bevölkerung zu ernähren ver-
mögen, als es jetzt in seinen Grenzen beherbergt.
Ein Besuch auf Diego Garcia im Indischen Ozean.
Von Dr. 0. Finsch, Bremen.
Mit einer Orieiitierungskartenskizze im Text.
Der Chagosarchipel. Geographische Lage. Diego Garcia. Kohlendepot. Kokoa-
nufsül. Ostinsel. Provisorische Niederlassung. Kolossale Briitephitze von See>
schwalben. Armut der Tierwelt. Krabben. Sonderbare Kokospalmen Mittelinsel.
Farbige Arbeiter. Krankheiten und Klima. Iiauptinsel. Vegetation. Zeichen von
Hebung des Atoll. Bimstein.
Unter den wenigen Atollen oder Lagunen-Inseln des Indischen
Ozeans nimmt der Tschagosarchipel eine hervorragende Stelle ein.
Er ist, mit Einschlufs der unter den Meeresspiegel herabgesunkenen
Bänke, darunter die grofse Tschagosbank, 170 Meilen*) lang und 80
Meilen breit. Südlich von den Malediven und Lakkadiven und fast
unter den gleichen Längegraden (71 bis 73 östl. L.) erscheinen
die Tschagos als eine südliche Fortsetzung der ersteren beiden Ar-
chipele, die in ihrer Gesamtheit sich von Nord nach Süd über
1500 .sm ausdehnen. Der Tschagosarchipel besteht aus vier
kleinen Atollen, unter denen Diego Garcia das südlichste und
die Hauptinsel ist. Die Lagune hat eine Länge von 13 und eine
Breite von 5 Meilen und besitzt nur an der Nordseite Verbindungen
*) Alle Entfernungen in diesem Aufsatze sind nach Seemeilen, 4 = 1
r. Meile, gerechnet.
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Bl
mit dem Ozean, Passagen, die durch drei kleine Inseln: West-,
Mittel- und Ostinsel gebildet werden. Die beste Passage, für
Schiffe jeder Gröfse zugänglich und vollkommen sicher, ist die
zwischen der West- und Mittelinsel. Die Ostpassage, zwischen
Ostinsel und Barton Point der Hauptinsel, ist nur für kleinere Schiffe
mit geringem Tiefgang zu benutzen, aber nicht frei von Riffflecken,
über die es ziemlich brandet. Die Mittelinsel, unter 7° 13,30
südl. Br. und 72° 22,56 östl. L., ist 2085 Meilen von Aden, 2873
Meilen von Kap Leeuwin, 1167 Meilen von Mauritius und 2136
Meilen von Calcutta entfernt. Diego Garcia hegt also fast direkt
auf dem Wege von Afrika (Rotes Meer) nach Australien. England
hat sich daher diesen wichtigen Platz des Indischen Ozeans bereits
längst gesichert und Diego Garcia mit den Seychellen und Rodriguez
als Dependenzen der Kolonie Mauritius unterstellt. Wegen der
grofseu Bedeutung für die australischen Dampferlinien hatte die „Orient
Company“ bereits im Jahre 1884 mit grofsen Kosten hier eine
Station und Einrichtungen zum Einnehmen von Kohlen errichtet.
Seither mögen andre Dampfergesellschaften nachgefolgt sein. So
hielt die Hamburger „Slomanlinie“ 1884 hier ebenfalls ein Kohlen-
depot. Jedenfalls hat sich die Orientlinie die besten Lokalitäten
auf der Ost- und Mittelinsel gesichert. Aber nicht alle australischen
Dampfer dieser Kompanie laufen die Insel an, sondern dies ge-
schieht nur auf der Hinreise nach Australien und dann nicht regel-
mäfsig.
Da ich genug von den Atollen der Südsee kannte, im Indischen
Ozean bisher aber nur die Malediven beim Vorüberdampfen gesehen
hatte, so war es mir sehr lieb zu hören, dafs der D. „Chimborazo“
(3850 t, 550 Pferdekr.) der Orientkompanie, auf dem ich mich
als Passagier befand, Diego Garcia anlaufen würde.
Wir hatten am 27. Juni (1884) Suez verlassen, am 6. Juli
den Äquator passiert und waren am Nachmittag des 8. der Insel
schon so nahe, dafs die Geschwindigkeit des Dampfers auf 4 Knoten
herabgesetzt werden mufste, da wir vor Sonnenuntergang (6 Uhr)
doch nicht mehr einlaufen konnten. So bekamen wir Diego Garcia
erst in der Frühe des andern Tages in Sicht, ein Bild, das sich
in keiner Weise von Atollen der Südsee unterschied. Anfangs nie-
drigen Hecken ähnelnd, entwickeln sich allmählich aus den Wipfeln
der Bäume diese selbst und endlich sieht man auch den weifsen
Sandrand, welcher den Strand bildet. Ganz wie in der Südsee!
Aber die Vegetation ist dichter und ich vermisse die das übrige
Baum werk überragenden Kokospalmen mit ihren langweiligen Wipfel-
wedeln. Mit dem Glase kann man übrigens hie und da gröfsere
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Bestände Kokospalmen, kleine Haine, erblicken, aber alle von ge-
ringer Höhe.
Wir liefen gegen 7 Uhr früh in die Passage zwischen der
West- und Mittelinsel ein; auch sie ist ganz anders als ich sie in
der Südsee sah, oder vielmehr sie ist viel besser als dort: eine
Meile breit und fast ohne Brandung! An Steuerbord hatten wir
die kleine Westinsel, Backbord Mittel- und Ostinsel, in deren Baum-
dickicht Dächer von Häusern sichtbar waren ; östlich von der letztem
Insel Brandung! Zur gröfseren Sicherheit für einführende Schiffe
ist innerhalb der Passage eine Boje gelegt, bis jetzt das einzige
Seezeichen, aber auf Eklipse- und Horsburgh-Point sollen Leuchtfeuer
errichtet werden. Das Atoll ist übrigens durch englische Kriegs-
schiffe, zuletzt durch Staffkonimander H. Y. Slader 1882 trefflich
aufgenommen und ausgelotet.
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Gegenüber der Boje nahe der Ostseite der Hauptinsel lagen
zwei Hulks, die Kohlenmagazine der Orientkompanie, an denen
der „Chimborazo“ vor Anker ging. Der Dampfer hatte an 100 t
Ladung zu löschen, meist Bretter und Holz zum Bau von Hftusern
und nahm dafür Kohlen über, ein Quantum, das für den „Chimborazo“
kaum 2 Tage ausreichte. Die Kohlen werden, wie ich beiläufig be-
merken will, mittelst Segelschiffen von England angebracht.
Von unserrn Ankerplatz konnte man die Lagune von Nord
nach Süd gut übersehen. Sie zeichnet sich schon dadurch aus, dafs
sie, mit Ausnahme des Nordens, von einem ununterbrochenen Streifen
Land rings umschlossen wird, dicht mit Vegetation bedeckt, unter
der im Süden ein mächtiger Baum den übrigen Baumgürtel gleich
einem Hügel überragt. Die Atolle der Südsee sind selten so dicht
geschlossen, sondern besitzen meist eine Menge Öffnungen nach dem
Meere, wenn dieselben auch nur selten für Schiffe, zuweilen selbst
nicht für Böte passierbar sind. Das Wasser der Lagune war wenig heller
blau als das des Meeres; hie und da zeigten sich hellgrüne Streifeu,
Untiefen, an denen der südliche Teil der Lagune reich sein soll.
Aber wo blieb das rege Leben, welches sich bei Ankunft eines
Schiffes in der Südsee entwickelt? Schon beim Grauen des Morgens
waren zum Zeichen unsrer Ankunft Raketen abgeschossen worden,
aber kein Boot, kein Kanu liefs sich blicken, die in der Südsee
den Schiffen schon weit entgegenzukommen pflegen, um Kokosnüsse
anzubieten und — zu betteln. Hier war alles still, tot! Erst als
wir am Hulk festgelegt hatten, kam der Agent der Orientkompanie
von Ost-Insel herüber, und später zwei Böte mit Farbigen, welche
löschen und laden halfen.
Diego Garcia, ursprünglich unbewohnt, ist zur Ausbeute der
Kokosnüsse an drei Gesellschaften (Estates) verpachtet, die in Mau-
ritius ihren Sitz haben *). Im Dienste dieser Gesellschaften stehen
ungefähr 400 farbige Arbeiter, meist Neger von Mauritius. Die
Leitung der Stationen ist in den Händen weniger Weifsen, meist
Franzosen, aber, wie kaum anders zu erwarten, Deutschland ist eben-
falls vertreten, denn auf welchem Fleckchen Erde findet man wohl
keinen Deutschen? Herr Lundt besitzt eine Koprastation und ver-
waltete damals das Kohlenlager der Slomandampferliuie. Auf Diego
Garcia wird nicht, wie in der Südsee, Kopra, d. h. der getrocknete
Kern der Kokosnufs ausgeführt, sondern gleich Kokosnufsöl bereitet,
wie dies früher in der Siidsee der Fall war. Die Insel produziert
*) Ober die Kulturen und Erträge der Tschagos-lnseln teilten wir in
Band V. S. 173 u. ff. dieser Zeitschrift aus amtlichen Berichten einiges Nähere
mit. • D. Red.
(leegr. Witter. Bremen, 18#7. 3
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jährlich an 150 (XX) Gallons Kokosnufsöl, das, gleichwie auf den
Seychellen und Mauritius, in eisernen Cvlindern in kleinen Schiffen
zunächst nach Mauritius und von dort meist mit Dampfer nach
Marseille verladen wird. Man läfst die Nufs völlig reif werden,
weil sie dann am ölreichsten ist und von den Bäumen von selbst
abfällt, wodurch das Abpflücken erspart wird. Aus dem geschnittenen
Kerne der Nufs wird mittelst einfach konstruierter hölzerner Mühlen,
ähnlich Kaffeemühlen im grofsen, das Öl ausgeprefst. Zum Betriebe
der Mühlen verwendet man Esel. Das ausgeprefste Öl läuft durch
Röhren in unterirdische Behälter, von denen es ausgepumpt und
geklärt wird.
Da keine Böte vorhanden waren, um den Passagieren einen
Besuch der Insel zu gestatten, folgte ich mit Vergnügen der freund-
lichen Einladung von Kapt. Ruthven, ihn in der Dampfbarkasse zu
begleiten. Der Kapitän wollte zunächst die Boje aufsuchen, allein
infolge von Strömungen und konträren Winden waren die Wellen
so unregelmäfsig und häfslich, dafs dieser Plan aufgegeben werden
raufste. Die Barkasse nahm ohnehin schon soviel See über, dafs
die Fahrt nichts weniger als angenehm war, aber ich kanute das
aus der Südsee. Wir wandten uns zunächst nach der Ostinsel,
aber die Landung hier liefs sich, der Brandung wegen, mit der
Barkasse nicht bewerkstelligen. Sie wurde im Schutz eines grofsen
eisernen Lichterschiffes, ebenfalls ein Kohlenmagazin der Orient-
kompanie, festgelegt und wir selbst gingen in einem kleinen Boote
des Agenten an Land, was durch einen Wellenbrecher aus Korall-
steinen erleichtert wurde.
Niedliche Negerkinder begrüfsten uns und nur wenige Schritte
vom Ufer befanden wir uns bald auf der Station des Agenten, Herrn
Spourge, eines Franzosen, der schon seit 16 Jahren auf dieser ein-
samen Insel wohnt. Aber wie ganz anders sah es hier aus! Die
von Ferne so freundlich winkenden Dächer entpuppten sich als
Fetzen Segeltuch, denn in der That bestand die ganze Niederlassung
nur aus etlichen Hütten und Zelten aus Segeltuch. Das Haupthaus
des Agenten glich einer Marktbude aus Kanvafs, war aber gedielt
und enthielt zwei stattliche Betten mit sauber weifsem Linnen. Das
Vorratshaus war mit allerlei Konserven, von Salzfleisch bis franzö-
sischen Gemüsen und den verschiedenartigsten Materialien gefüllt.
Feldschmiede, Backofen, Drehbänke und Zimmerwerkstatt standen
im Freien. Als Efssalon diente ein gedieltes, an zwei Seiten offenes
Zelt; die Arbeiter hatte man in kleineren, sehr primitiven Zelteu
untergebracht. Zur Beobachtung der Schiffe hatte der Agent einen
hohen Mastbaum errichtet, mit einem Ausguck, zu dem eine Leiter
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führte, von dem aus die ganze Lagune übersehen werden konnte.
Wie ich bald erfuhr, war diese ganze Niederlassung nur eine pro-
visorische, die in ihrer Unordnung interessante Robinsonade
wird inzwischen hübschen Holzhäusern Platz gemacht und jedenfalls
ein ganz andres Aussehen gewonnen haben.
W T ir hatten es uns in der Kühle unter dicht belaubten hübschen
Bäumen bequem gemacht, auf denen die silberweifse Meerschwalbe
(Gygis alba), diese Gemme der ozeanischen Vogelwelt, unbekümmert
um das Treiben der Menschen, zutraulich brütete.
Eine stattliche, üppige Negerin, sehr sauber gekleidet, kredenzte,
wie üblich, zunächst Kokosmilch, der später Champagner folgte.
Von Haustieren wurden Hühner, Perlhühner und Enten, sowie
ein andres sehr sonderbares Tier, die mächtige Landschildkröte von
Madagaskar (Testudo radiata) gehalten; in beschränkter Zahl auch
Schweine.
Mehr als durch die Landschildkröten sollten wir bald von der
eingeborenen Tierwelt überrascht werden. Wir machten einen
Spaziergang auf der Insel, der uns nicht weit von der Niederlassung
auf einen offenen, spärlich mit Büschelgras bestandenen Platz führte,
und hier bot sich ein wunderbares Schauspiel! Der ganze grofse
Platz erschien mit Vögeln, Seeschwalbeu, dicht bedeckt, die sich bei
unsrer Annäherung, unter ohrenbetäubendem Geschrei, mächtigen
Wolken gleich, erhoben, zu „Millionen“ ! wie meine Begleiter meinten.
Ich erinnere mich, ähnliche Unmassen von Vögelu nur an den berühmten
Vogelbergen unweit Nordkap gesehen zu haben, aber hier wie dort
blieb jede Schätzung unmöglich; wenn auch nicht um Millionen, so
handelte es sich jedenfalls um Tausende und Abertausende ! ! Wie
an den Vogelbergen Norwegens die dreizehige Möve die Haupt-
masse der Brüter bildet, so war es hier die dunkle Seeschwalbe,
„sooty Tern“ der Engländer (Sterna fuliginosa), eine weit über die
Tropen verbreitete Art, die sich sogar einmal bis Deutschland ver-
flogen haben soll und in der Liste unsrer Vögel mit aufgeführt
wird. Diese dunkle Seeschwalbe ist ein sehr hübscher Vogel, oben
schwarz, unten weifs, die äufsersten Schwanzfedern ebenfalls weifs,
mit schwarzem Schnabel und Füfsen, von der Gröfse gewöhnlicher
Seeschwalben, die in der Anschauung des Laien meist als „Möven"
bezeichnet werden. Nächst den Lakkadiven dürfte Diego Garcia wohl
der Hauptbrüteplatz dieser Art im Indischen Ozean sein ; im At-
lantischen ist die Insel Asceusion bekannt dafür. Je näher wir dem
Brüteplatze kamen, um so gröfser wurde das Geschrei der Vögel,
die in wildem Durcheinander so niedrig über unsren Köpfen
schwirrten, dafs man mit einem Stocke welche hätte erschlagen
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können. In der That brachten Steinwitrfe mehrere Exemplare
herab. Fast ebenso zahlreich als die Vögel waren die Eier! Sie
lagen ohne jedes Nest und Unterlage auf dem blofsen Erdboden,
zuweilen in sanften Vertiefungen und so dicht beieinander, dafs man
oft den Fufs nicht vorwärts setzen konnte, ohne einige zu zertreten.
Das Gelege bestand ausnahmslos nur in einem Ei, wie dies bei den
ozeanischen Seeschwalben meist der Fall ist. Für einen Eiersammler
wäre dieser Platz ein Eldorado gewesen, denn die Verschiedenheit
in der Färbung der Eier konnte selbst den Laien zum sammeln
reizen. Ich begnügte mich mit einer schönen Serie, die in der
Fleckung, Marmorierung und Verschiedenheit der Farbentöne eine
Variation zeigte, wie ich sie bisher kaum sah. Einzelne Eier ähnelten
in der dichten rotbraunen Fleckung an Turmfalkeneier, andre
waren auf roströtlichem Grunde dicht gefleckt, gesprenkelt; einzelne
zeigten nur einzelne Flecke oder Punkte. Und doch stammten alle
diese Farbenvarietäten nur von der einen genannten Vogelart her,
denn aufser ihr war nur noch eine andre auf dem Brüteplatz ver-
treten und zwar die schwarze Meerschwalbe, der Noddy der
Engländer (Anous stolidus). Es ist dies ein etwas gröfserer, einfarbig
tiefbrauuer Vogel, mit lichtem Oberkopfe, den ich allenthalben iu
der Südsee angetroffen hatte. Er gehört zu den wenigen Erschei-
nungen der Vogelwelt, welchen man Hunderte vou Meilen auf offener
See begegnet und die es lieben auf der Rahe eines Schiffes zu über-
nachten. Aber in der Südsee fand ich diese Art stets auf Bäumen
in einem roh zusammengetragenen Neste brütend. Es war mir
daher auffallend, sie hier als Erdbrüter anzutreffen, umsomehr, da es
in der Nähe an Bäumen durchaus nicht mangelte. Wie erwähnt
bestand das Gros der Vögel aus der dunklen Seeschwalbe; auf
hundert der ersteren kamen kaum zehn Noddies. Die Vögel waren
übrigens wenig scheu und liefsen sich auf dem Neste bis auf wenige
Schritte nahe kommen, ehe sie aufflogen, kehrten auch bald wieder
zum Nest zurück, sobald man sich etwas entfernt hatte.
Wie ich vom Agenten hörte, erscheinen die Vögel im Juni an
diesem Brüteplatze, übrigens dem einzigen auf Diego Garcia, und
bleiben hier bis die Jungen ausgebrütet und flugfähig sind. Gegen
November sind alle Vögel vou der Insel verschwunden, gehen in
See und lassen sich nicht mehr an Land sehen. Es scheint auf
Diego Garcia also eine gewisse Brütezeit zu herrschen, was mich
nach meinen Südseeerfahrungen ebenfalls überraschte, wo diese
Vogelarten das ganze Jahr über nisten, so dafs man in einer Brüte-
kolonie frisch gelegte Eier und fast flügge Junge zugleich findet.
Aufser den Ansiedlern und deren Katzen haben die Vögel keine
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Feinde, da es merkwürdigerweise auf Diego Garcia nicht einmal
Ratten giebt, die in der Südsee fast überall Vorkommen und auf
manchen Inseln zur wahren Plage werden. Und zwar sind es beide
unsrer europäischen Arten, die schwarze (Mus rattus) und die
Wanderratte (Mus decumanus), die durch den Schiffsverkehr eine
so weite Verbreitung fanden.
Wie sich von einer Koralleninsel fast voraussehen läfst, ist die
Thierwelt eine sehr arme. Säugetiere fehlen auf Diego Garcia ganz
und Vögel sind ebenfalls, einige zufällige Waudergäste abgerechnet,
nur in wenigen Arten vertreten. Ich beobachtete aufser den ange-
führten drei Arten aus dem Geschlecht der Seeschwalben, nur noch den
Fregattvogel (Tachypetes aquila), der zuweilen zu Hunderten Vor-
kommen soll, aber nicht brütet, den braunen Tölpel (Sula fusca), eine
Art Brachvogel (Numenius), uud im Gelaube der Zweige einen kleinen
bräunlichen Vogel. Schon freute ich mich, auch nach den Stimmlauten
zu urteilen, einen neuen Brillenvogel (Zosterops) entdeckt zu haben,
aber ich sah meinen Irrtum bald ein, es war ein Webervögel (Foudia
madagascariensis) in dem unscheinbaren Winterkleide. Diese Art,
bei den Ansiedlern wegen seiner prachtvollen roteu Färbung des
Männchens im Prachtkleide „Kardinal“ genannt, wurde von Mauritius
eingeführt; von dorther auch eine Taubenart, die mir aber nicht
zu Gesicht kam. Befremdend war mir das Fehlen des Tropikvogels
(Phaeton), sowie des schieferfarbenen Reihers (Ardea sacra), der auf
jeder Koralleninsel der Südsee zu den gewöhnlichen Erscheinungen
gehört.
Dasselbe gilt für jene Gebiete in Bezug auf Eidechsen, von denen
zwei bis drei sehr zierliche und hübsch gefärbte Arten sich allent-
halben, namentlich au den Stämmen der Kokospalmen zeigten und
kaum dem Beobachter entgehen können. Hier bemerkte ich keine
einzige Eidechse, doch sollen welche Vorkommen.
Wie mit den Eidechsen verhielt es sich hinsichtlich der
Schmetterlinge. Wahrend auf den Südseeinseln wenigstens eine Art
Tagfalter (Vanessa äuge) überall und in sehr verschiedenen Va-
rietäten vorkommt, fehlte es auf Diego Garcia an solchen durchaus
und zwei bis drei Arten unscheinbarer Motten war alles, was mir
vorkam. Auch von Libellen, die in der Südsee so häufig sind,
bemerkte ich keine.
Um so reicher fanden sich Landkrabben, deren Löcher überall
zu sehen waren, wie die Tiere selbst. Am häufigsten zeigten sich
jene sonderbaren Krabben, die ihren weichen Hinterleib in ein totes
Muschelgehäuse gesteckt, mit diesem umherlaufen und deshalb Ein-
siedlerkrebse heifsen. Sie beleben sowohl den Strand als das Inner'
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und klettern in grofser Anzahl in dem Blattwerk des Gesträuches
umher. Durch den Tritt des Menschen erschreckt, fallen sie dann
dutzendweise von den Zweigen und stellen sich tot, indem sie mit
der einen kolossal grofsen Scheere die Öffnung ihrer Wohnung ver-
schliefsen. Auch die Kokosnufskrabbe (Birgus latro), ein gewaltiges
Tier, welches die Palmen erklettert und mit ihren kräftigen Scheeren
die Kokosnüsse abnagt, soll auf Diego Garcia Vorkommen.
Es wird ihr hier leicht gemacht! Sie hat keine 40 bis 60
Fufs hohen Stämme zu erklimmen, denn schon in 10 bis 15 Fufs
Höhe erreicht sie die reifen Nüsse und damit ihre Beute. In der
That, ich hatte bisher weder in der Südsee, noch auf Java und Ceylon
Kokospalmen wie diese auf Diego Garcia gesehen und ich glaubte,
eine ganz neue Art vor mir zu haben. Am auffallendsten war die
geringe Höhe bei völliger Fruchtreife. Bäume, deren Blattspitzen
fast noch die Erde berührend, ein hübsches Schattendach bildeten,
hingen bereits voll, zwar sehr kleiner, aber reifer Nüsse. Wie
ich durch den Agenten erfuhr, sind alle diese niedrigen Kokospalmen
angepflanzte und somit alle Haine Bestände künstlicher Kulturen.
Die wenigen ursprünglichen Kokospalmen, welche ich später auf
der Hauptinsel sah, haben einen schlankeren Stamm, aber ich be-
merkte keinen von solcher Höhe als in der Südsee. Die Kokos-
palme scheint auf Diego Garcia, wo sie übrigens nur an gewissen
Lokalitäten, z. B. an der Südseite gar nicht, gedeiht, sehr langsam
zu wachsen. Bäume, welche mir der Agent als zehn Jahre alt be-
zeichnete, hatten kaum Stamm angesetzt.
Nicht ohne Schwierigkeiten gingen wir wieder an Bord der
Barkasse und wandten uns der Mittelinsel zu, auf welcher eine
vorspringende Ecke des Rifl’s im Südwesten der Insel vollständig
Schutz zum landen bietet. Diese Insel ist etwas kleiner als die
Ostinsel und besitzt eine kleine Lagune oder Teich mit brackischem
Wasser. Für den Wasservorrat mufs daher, wie fast auf allen
Stationen der Südsee, der Himmel mit Regen sorgen und die grofsen
viereckigen eisernen Kasten (Tanks) gehören auch auf Diego Garcia
zu dem unvermeidlichen Bilde einer Niederlassung. Die letztere
war wie auf der Ostinsel erst in der Gründungsperiode, aber bei
weitem gröfser. Drei Reihen Häuser, je zu 10 Wohnungen, not-
dürftig aus Brettern zusammengeschlagen und meist nur mit Segel-
tuch überzogen, dienten den Arbeitern zur Wohnung. Aber ein
Bretterhaus war bereits fix und fertig und zeigte, wie nett diese
Station der Orientkorapanie zu werden verspricht. Auch baute
man an einem stattlichen massiven Hause aus Korallfels, das als
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Magazin dienen soll. Der Kalk wurde, wie üblich, aus Korallen
gebrannt.
Da die meisten Männer auf dem Hulk beschäftigt waren, so
fanden wir meist nur Frauen und Kinder vor, alle Farbige, meist
Neger und Mulatten von Mauritius. Ich fand keinen Unterschied
mit Südseeschwarzen und glaubte einige Physiognomien schon in
Neubritannien oder Neuguinea gesehen zu haben. Aber gewisse
Frauengestalten mit schlichtem Haar unterschieden sich von den
Kraushaarigen sehr auffällig, und ich freute mich sie als Be-
wohnerinnen Ceylons, die ich hier gar nicht envartet hatte, richtig
gedeutet zu haben: es waren Tamilfrauen! Obwohl ärmlich, waren
alle diese Frauen, von denen die meisten französisch sprachen, doch
sehr reinlich gekleidet, dabei sehr bescheiden und höflich, die Kinder
artig und zutraulich. Wie freute ich mich, wieder einmal die süfsen
braunen Geschöpfe mit ihren schönen dunklen Augen um mich zu
haben, die alle freundlich die Händchen entgegenstreckten, ein
Knixchen machten und „bon jour Monsieur“ zum Grufse sagten.
Diese Schwarzen sind übrigens alle Christen und Bekenner der ka-
tholischen Religion. — In den Wohnungen sah es ziemlich reinlich
aus und zu meiner Verwunderung rauchten die Leutchen nicht ein-
mal. Sie werden mit Mais und Salzfleisch ernährt und erhalten
nicht einmal Brot oder Mehl. Die Klage über das Klima, nament-
lich den häufigen Regen, war allgemein und wie wir beim Besuche
des Hospitals, eines ganz hübschen und zweckentsprechenden Holz-
hauses, fanden, berechtigt. Ein Franzose, der diese Anstalt, obwohl
Nichtarzt, leitete, sagte mir, dafs Rheumatismus, infolge des vielen
Regens, das Hauptleiden sei. Nach seiner Beschreibung fängt das
Übel in den Beinen an, geht dann rasch in die Wirbelsäule über
und hat den Tod zur Folge. Ich zweifle nicht, dafs wir es hier
mit dem auf den Sunda-Inseln so häufigen Berriberri zu thun haben,
das mir von Java zur Genüge bekannt war. Fieber, nach welcher
Krankheit ich besonders Erkundigungen einzog, fehlt auf Diego
Garcia, da das Klima überhaupt als gesund gilt, wie dies meist auf
allen Koralleninseln der Fall ist. Aber durch gewisse zufällige
Einflüsse kann sich dies zuweilen anders verhalten. So hatte Ka-
pitänleutnant Graf Baudissin über das Klima ungünstig zu berichten.
Der genannte Herr hatte kaum vierzehn Tage vor mir Diego Garcia
besucht und zwar an Bord eines Hamburger Slomandampfers, welcher
die Ablösungsmannschaften für das Kanonenboot „Hyäne“ nach
Sydney führte. Von mehr als hundert Personen, die, wenn auch
nur wenige Stunden, an Land gewesen waren, erkrankten innerhalb
acht Tagen 22 an einem sehr heftigen, von Brechen begleiteten Fiebe
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von denen viele, darunter auch der Arzt, bei der Ankunft in Sydney
noch zu leiden hatten. Graf Baudissin schreibt diese Zufälle dem
Genüsse des Wassers zu, aber es erkrankten nicht alle, die von
demselben getrunken hatten. Von unsrer Reisegesellschaft hatte
keiner nach dem Besuche an Land üble Folgen zu verspüren
und ich erwähne den Fall hauptsächlich, um zu zeigen, wie ver-
schieden das Klima einer Tropeninsel, je nach dem zeitweiligen
ersten Eindrücke, beurteilt werden kann.
Die Temperatur auf Diego Garcia ist übrigens für die Tropen
sehr gemäfsigt und bewegt sich meist zwischen 77 und 85° F.
Die beständige Seebrise trägt zu diesen günstigen Verhältnissen
wesentlich bei. Die Insel liegt in der Region der Nordwest- und
Mittelmonsune; vom April bis September herrscht Südost-, von
Oktober bis März Nordwestmonsun.
Da sich die See inzwischen gelegt hatte, so war die Fahrt
nach der Hauptinsel eine ruhige und angenehme. Wir gingen dabei
in wenigen Faden Tiefe über das Riff und erfreuten uns an dem schön
zartblauen Wasser, das in wundervoller Klarheit den Meeresgrund
mit seinen Korallenbildungen deutlich erkennen liefs. Aber wie in
der Südsee so war es auch hier, von jener wunderbaren Farben-
pracht der Korallenbildungeu und andrer Meeresgewächse, wie sie
so oft in überschwenglicher Weise geschildert werden, bemerkt man
nichts. Grau in Grau, das ist die Hauptfärbung des Meeresgrundes.
Aber die mannigfach verästelten Zweige der Korallen, oder die
runden mosaikartigen Klumpen der Madreporen, zwischen denen
kleine buntgefärbte Fischchen umherschwimmen, sind immerhin
sehr interessant zu sehen. Im Hause des Agenten war eine reiche
Sammlung gereinigter Korallen, wie sie stets bei den Bewohnern
dieser Inseln zu finden sind. Ich bemerkte nichts auffallendes darunter ;
nur eine Korallenart mit schön blauen und roten Pünktchen an den
Spitzen schien mir neu. Aber bei näherer Besichtigung erwiesen
sich diese bunten Pünktchen als gemalte!
Wir machten einen Spaziergang quer über die Insel, deren
Breite wohl nirgends mehr als eine halbe Seemeile beträgt, um an
die Ostseite zu gelangen. Der Boden war überall reicher und mit
einer dickeren Humusschicht bedeckt, als dies auf den Atollen der
Südsee der Fall ist, infolgedessen auch die Vegetation üppiger und
reicher. Aber die Bäume und Pflanzen waren dieselben. Wie iu
der Südsee bildet ein verästelter Strauch mit harten, breiten, dunkel-
grünen Blättern, das fast undurchdringliche, übermannshohe Dickicht
der Aufsenkante. Der lindenblättrige, baumartige Hibiskus, mit der
schön gelben Blume, war üppiger und höher, aber ich vermifste die
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hohe Lilie mit der zart roten, augenehm duftenden Blüte, die auf
den Marshalls fast die einzige Vertreterin der Blumen ist. Diese
waren auch auf Diego Garcia sehr spärlich und aufser einer weifs-
blühenden Winde, deren Ranken sich an der Erde hinzogen, bemerkte
ich nur ein paar kleine, bescheidene Blümchen, die bei uns keine
Beachtung verdienen würden, in der Flora dieser armen Tropen-
inseln aber schon auffallen. Dies gilt auch für einen lebhaft korall-
roteu Schwamm, der an feuchtem Holz wächst und hier nicht selten
vorkam. Von Farrnkräutern bemerkte ich nur Asplenium nidus,
jene langblättrige ungefiederte Art, die in der Südsee überall auf
Bäumen wächst, sich hier aber nur an der Erde zeigte. — Der
zuweilen waldartige Baumbestand schien vorzugsweis aus drei Arten
Laubhölzern gebildet, von denen die eine an hundert Fufs Höhe
erreichen soll, also ein sehr stattlicher Baum, der sehr schnell wächst,
aber ebenso schnell wieder abstirbt. Sehr auffallend war mir das
Fehlen von Pandanus, des Schraubenbaumes, der in der Südsee zu
den charakteristischen Erscheinungen der Baumwelt gehört und
wohl keinem Atolle fehlt. Der Graswuchs, obwohl spärlich, erschien
doch viel üppiger als auf den Südseeatollen.
Von Kulturgewächsen, um auch diese hier kurz zu erwähnen,
werden auf Diego Garcia nur Kürbisse, Melonen, Tomaten und
spanischer Pfeffer angebaut. Die Banane gedeiht nur auf gewissen
Lokalitäten der Hauptinsel. Auf der Mittelinsel standen stattliche
Mangobäume, aber sie trugen uugeniefsbare Früchte.
Nicht ohne Mühe arbeiteten wir uns quer über die Insel, denn
umgefallene Bäume, Äste und namentlich die toten Blätter der
Kokospalme hinderten uns sehr am Fortkommen. Die letztere
zeichnete sich auch auf der Hauptinsel durch die geringe Höhe, aber
gewaltige Stammdicke und Kleinheit der Nüsse aus. Diese liegen
zum Teil halbverfault, oder im Keimen begriffen, in grofser Menge
unter den Bäumen umher. Hier und da stiefsen wir auf mächtige
Haufen verfaulender Faserhüllen von Kokosnüssen und die Reste primi-
tiver Hütten dabei zeigten, dafs hier Kopra gemacht worden war, da
man nur die abgefalleneu Nüsse dazu verwendet. Der Boden schien
allenthalben ziemlich gut zu sein, aber überall fand sich Trümmer-
gestein von Korallen, darunter auch Stücke Korallfels mit Löchern
der Bohrmuschel. Dies würde ein neuer Beweis für die allmähliche
Erhebung mancher Koralleninseln sein, wie ich dieselbe bereits auf
dem Riff von Nauinatal auf Ponape nachweisen konnte, eine Er-
scheinung, die sehr mit Darwins Ansichten über die Bildung der
Korallinseln im Widerspruche steht.
An der Aufseukante der Ostseite betraten wir zunächst einen
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breiten Gürtel festen weifsen Sandes, aber es fehlte jene Halde von
Korall- und Muscheltrümmern, welche an den Atollen der Südsce die
höchste Flutmerke so deutlich erkennen läfst. Weiterhin dehnte sich
das eigentliche tiefbraune Riff aus, über welches die Brandung in
mächtigen Wellenbergen donnernd brauste.
Ich hatte schon am Strande der Lagune, welcher aus weichem
weifsen Sande besteht, und kein Riff aus Korallfels wie die meisten
Atolle der Südsee zu besitzen scheint, Bimstein bemerkt, aber hier
an der Aufsenkante lag er in grofser Menge. Er stammte vom
Ausbruch des Krakatoa und war im Oktober 1883 in ungeheuren
Feldern angetrieben. Wenige Tage später passierten wir unter
10° 56' s. Br. noch grofse Massen treibenden Bimsteins, der von
jener Eruption herrührte.
Der kurze tropische Sommertag neigte sich zu Ende und wir
mufsten an Bord zurückkehren, dankbar für den Genufs einer Ab-
wechselung, wie sie auf Ozeanreisen nur selten geboten wird. In
der Frühe des andern Tages ging der „Chimborazo“ wieder in See,
lagen doch noch an 4000 Meilen bis Melbourne vor uns, die wir in
17 Tagen zurücklegten.
Fontana’s Forschungsreise in Ost -Patagonien 1885.
(Viage de exploracion en la Patagonia Austral por
Luis Torge Fontana. Buenos-Aires, 1886.)
Von A. Seelstrang.
Der offizielle Bericht des Oberstleutnants Fontana über seine
Forschungsreise nach den Quellen des Rio Chubut, deren glückliche
Beendigung schon in Heft 2, Band IX, dieser Zeitschrift gemeldet
wurde, liegt endlich vor, und liefert eine Fülle von schätzenswerten
Angaben zur Kenntnis dieser noch so wenig betretenen Landstriche.
Eingeschlossen in dem engen Thale des unteren Chubut, dessen
wenig fruchtbarem Boden nur durch künstliche Bewässerung einiger-
mafsen günstige Ernten abzuringen sind, hatte der junge Nachwuchs
der dort bestehenden walliser Kolonie schon seit lange versucht, den
Wüstengürtel zu durchbrechen, der sie .von den ersehnten Gefilden
der andinischen Regionen trennte. Die Einbildungskraft der An-
siedler war erregt durch die Berichte der sie jährlich besuchenden
Tehuelchen und die abenteuerliche Reise des englischen Seeoffiziers
Musters, dessen Buch sie mit Eifer studierten; zu verschiedenen
Malen hatten sie Vorstöfse nach dem sagenhaften Westen unter-
nommen, doch waren diese teils an den unzureichenden Mitteln der
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Ausrüstung, teils auch am Widerstande der Indianer gescheitert,
welche noch vor kurzem das ganze Personal einer solchen Expedition
niedergemacht hatten. So diente denn die Ernennung des jungen,
thatkräftigen Fontana zum Gouverneur des neu geschaffenen Terri-
toriums des Chubut als frischer Antrieb für den Entdeckuugseifer
der Walliser, welchen dessen frühere Reisen im Chaco nicht unbe-
kannt geblieben waren. Schon nach wenigen Monaten baten sie
denselben, an der Spitze einer auf eigne Kosten ausgerüsteten
Schaar von Freiwilligen den Weg nach den lockenden Andes zu
erforschen.
Der einige 30 Mann starke Trupp brach am 14. Oktober 1882
von Rawson, dem Hauptorte der Ansiedlung, auf und folgte zuerst
so weit als möglich der nördlichen Seite des Flusses. Das ziemlich
enge Thal desselben (1 km) bietet genügendes Gras und wird von
häufigen Wasserrissen durchschnitten, welche von den steilen Ufer-
höhen herunterkommen; auch enthalt es einige Wäldchen von
Weiden. Dagegen wird die Hochfläche als fast wertlos geschildert.
Den Zusammeuflufs des Rio Chico, wie Fontana den unteren
Lauf des Senguel oder Senger nennt, mit dem Chubut konnte dieser
jetzt nicht besuchen, da er etwa 35 km südlich von seinem Wege
entfernt blieb; doch gelang es, diesen wichtigen Punkt von ver-
schiedenen Stellen aus einzuschneideu. Dann ging es stetig den
Strom aufwärts, an einer Reihe von hoch charakteristischen Hügeln
und Querthälern vorüber, bis am 12. Reisetage der strategisch und
geographisch bemerkenswerte Paso de los Indios erreicht wurde,
wo der Flufs noch immer eine Breite von 50 m bei 1,jo m Tiefe be-
sitzt. Von hier aus ändert sich die bis dahin ziemlich west-östliche
Richtung des Chubut, welcher nun ganz entschieden von Nord-
westen herabkommt.
Bei weiterem Vordringen wurden schneebedeckte Berge am
Südufer beobachtet, und endlich unter 42° 40' s. Br. und 71° 15'
w. L. Gr. die erste Gabelung des Stromes augetroffen, welcher,
selbst von Nordwesten herfliefsend, dort den 30 m breiten Charmate
von Südwesten her aufnimmt. Leider konnte der Hauptarm nicht
weiter verfolgt werden, da einesteils derselbe sich zu weit gegen
Norden wandte, somit von der Hauptrichtung des Marsches abführte,
und dann, weil die Walliser als Hauptunternehmer und Ausrüster
der Expedition, den geographischen Neigungen Fontanas ihren be-
greifbaren Wunsch entgegensetzten, endlich die verheifsenen Thäler
der Andes zu schauen und das Gold mit den Händen zu greifen,
welches die Bäche führen sollten. Bis hierher also hatte die Frucht-
barkeit des Bodens die doch kaum verwöhnten Kolonnen nicht be-
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sonders berührt, und der Schlufs ist wohl gerechtfertigt, dafs sie
auf dem zurückgelegten Wege von 800 km zwar Gras genug für
ihre Pferde, doch keinen zum Ackerbau günstigen Punkt gefunden
hatten.
So folgte man dann dem Charmate, und als dieser zu weit
nach Süden abbog, verliess Fontana schon nach zwei Tageinärsclien
auch dessen etwas fruchtbares Thal, um direkt westlich vorzudringen.
Nach Überschreitung verschiedener Hügelrücken sah er endlich
(22. November) zu seinen Füfseu reiche, blumengeschmückte Fluren
sich ausdehnen, während jenseits die Cordillera majestätisch empor-
stieg, den Fufs in dichte Wälder, das Haupt in ewigen Schnee
gehüllt. Das Land der Verheifsung war erreicht; und unser
Reisender kann nicht genug seine Schönheit und Fruchtbarkeit
rühmen, deu Reichtum der Forsten an riesigen Tannen und Buchen,
die Felder von Erdbeeren (Freciers Chilensis) und einer andern
Frucht, die er Korinthen nennt, sowie die Menge des Wildes und
verwilderten Rindviehes, welches jene gesegneten Flureu bevölkerte.
Selbst fern von der Örtlichkeit und ohne deu Gegensatz eudloser
Märsche durch öde Steppen läfst sich die Begeisterung Fontanas nach-
fühlen beim Anblick der verschiedenen dem Buche beigefügten
Photographien, welche uns einen hohen Grad landschaftlicher Schön-
heit und sehr stattlichen Baumwuchs vorführen.
Stets dem Laufe eines nach Westen eilenden Baches folgend
durchkreuzte die Schar eine Reihe von prächtigen Querthälern,
deren schönstes und letztes mit dem Namen 16 de Octubrd getauft
wurde, zur Erinnerung an das Gesetz, welches die Nationalterritorien
begrenzend auch das Gouvernement Chubut schuf. Dort ergofs sich
der Bach in einen majestätischen Strom, der 150 m breit, mit nur
geringer Schnelligkeit (2 englische Meileu) seinen Weg nach W. und
SW. zwischen steilen Bergen und dichten Wäldern dahin zog. Nach
der beobachteten Breite von 43 u 20' glaubte Fontana den Rio Cor-
covado, welcher sich unter 43° 15' s. Br. in den gleichnamigen Golf
der chilenischen Gewässer ergiefst, vor sich zu haben (ich sehe ab
von der zweifelhaften Länge von 72° 42' Gr., die allerdings
schon in den Meerbusen selbst fällt) und machten die gröfsten
Anstrengungen, den schönen Flufs zu verfolgen; doch ohue Böte,
um den anscheinend schiffbaren Strom zu befahren, mufste er bald
sein Vorhaben aufgeben, da dichtverwachsener Wald das Vordringen
zu Lande hinderte.*) Trotzdem scheint wenigstens festgestellt, dafs
*) Offenbar ist hier der Pafs von Weekel und der Schauplatz der Jagd
auf wildes Rindvieh, welche Musters in seinem Buche pag. 155—157 schildert.
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wir hier eine jener Querspalten vor uns haben, welche den süd-
amerikanischen Kontinent von Osten nach Westen durchsetzen, wie
jene des Rio Santa Cruz und der Magelhaensstrafse : liegt doch die
Gabel des Chubut und Chamiate nur 550 m, und das Thal des
Corcovado 480 m über dem Meeresspiegel; uud da zwischen beiden
nur unbedeutende Höhen überstiegen wurden, ist es klar, dafs auch
in dieser Breite die Andes durchaus keinen zusammenhängenden,
scharf ausgesprochenen Gebirgsrücken bilden. Ähnliches geschieht
ja auch weiter südlich bei den zwei nach dem Stillen Ozean ent-
wässernden Flüssen Avsen und Huemules.
Verschiedene fernere Versuche, in nördlicher und südlicher
Richtung den östlichen Abhang des Höhenzuges, welchen der Cor-
covado durchbricht, zu erforschen, erwiesen sich wegen der Schroff-
heit der Berge und des dichten Waldes als unmöglich ; aber dieselben
bewiesen wenigstens, dafs ein weites Thal in nordsüdlicher Richtung
die Vorkordilleren von der Hauptkette scheidet, welche letztere aller-
dings vielfach durch Querriegel mit einander verbunden sind. Es
ist dies dieselbe Bildung, die in den chilenischen Andes auftritt.
In den steilen Uferwänden des Corcovado, welche die geologische
Schichtung zu Tage treten liefsen, wurde Gneis, Hornblendeschiefer,
Porphyr, Basalt und an einzelnen Punkten Trachyt gefunden, ein
Gegensatz zur patagonischen Formation des Chubut.
Am 9. Dezember befand sich die Expedition wieder im alten
Lager au den Ufern des Channate und verfolgte denselben einige
Tage direkt südlich, bis auch dieser Bach, unter 43° 30' Breite
aus den westlichen Bergen hervorbrechend, seinen nahen Ursprung
verriet. Er führte Gold in groben Körnern; doch sein Gelände
war wenig anziehend, weil ohne Wald.
Von dort aus lief der Weg, sich von den Quellen des wirklichen
Chubut entfernend, stets südlich durch ein weites Thal, traf nach
zwei Tagemärschen einen neuen in dieser Richtung strömenden Bach
und an dessen Ufern ein Lager von wenigen Indianern, traurigen
Überresten der einst so mächtigen Manzaneros. Wie aufgescheuchtes
Wild flohen die meisten in die Gebüsche, und von den Gefangeuen
wurde einer, seines Zeichens ein Silberschmied, als Führer mit-
genommen. Er hat F. Moreno und selbst Musters gekannt, und
sagte uns, dafs dasselbe Thal bis zum Santa Cruz führe und dafs
letzterer auf diesem Wege den Senguel überschritten habe. Das
Gelände breitete sich nun immer mehr aus, im Osten von einer
rotbraunen, vulkanischen Hügelkette begrenzt, während westlich die
Kordillere wohl 50 km entfernt blieb. Bald gesellte sich dem Bache
ein mittlerer Flufs aus Nordwesten kommend zu (Rio Quinua, der
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Genue Moyanos) und später ein zweiter (Rio Tegcr), den Fontana
weiter aufwärts überschritt, um endlich den Senguel selbst von dem
durch Musters bekannte Passe unter 45° 1' zu erreichen. Der
Name Senguerr ist einfach die indische Bezeichnung für Flufs-
übergang, doch dürfte derselbe für den ganzen südlichen Arm des
Chubut zur Erinnerung an den kühnen Reisenden geltend bleiben.
Der Flufs hatte etwa 100 m Breite und eine Schnelligkeit von
5 Meilen, die stärkste, welche die Reisenden antrafen. Sein Thal
war parkähnlich durch darüber zerstreute Baumgruppen, und
dasselbe aufwärts zog nun der Trupp den offenbar nicht fernen
Quellen zu. Die Versuche, den Ursprung der Goldkörner, welche
der Strom führte, aufzufindeu, waren vergeblich, aber am Abend
des zweiten Tages (28. Dezember) dehnte sich plötzlich vor den
Augen Foutanas ein weitgestreckter See aus, eingebettet in die
schneeigen Hänge der Andes, aus welchem der Senguel schäumend
hervorbrach. Ersterer zerfällt in zwei verschiedene Flächen, deren
östliche 41 km von 0. nach W. und 20 km von N. nach S. mifst,
während die andre, mit der ersten durch einen kurzen nur 100 m
breiten Arm verbunden, sich von neuem 29 — 30 km nach SW. hin-
zieht. Eine hübsche Photographie giebt den Anblick des prächtigen
Seebeckens höchst anschaulich wieder, obgleich die Phantasie des
retouchierenden Künstlers aus irgend einem Fleck der Originalplatte
ein elegantes dreieckiges Segel gemacht hat, das sich wunderbar
genug auf diesem von zivilisierten Menschen nie geschauten Wasser-
spiegel ausnimmt.
Die Gefährten tauften den See mit dem Namen Fontanas.
Dieser aber, nicht zufrieden, den Ursprung des Senguel gefunden zu
habeu, ergeht sich nun in den kühnsten Spekulationen über die
Wahrscheinlichkeit, dafs dasselbe Becken auch dem in den Stillen
Ozean mündenden Rio Aysen zur Quelle diene; er glaubt nämlich,
von einem Berge aus, den er nach seinem deutschen Begleiter
Katterfeldt nannte, einen nach Westen strömenden Flufs, dem gleichen
See entspringend, unterschieden zu haben. Abgesehen von dieser
gewifs seltenen Erscheinung, deren Möglichkeit allerdings nicht zu
leugnen ist, findet sich die Notiz, dafs den Indianern zufolge in
diesen Breiten von demselben Punkte aus zwei Ströme dem At-
lantischen und dem Stillen Ozean zueilten, weder in deu Berichten
von Musters, noch in denen von Simpson (Anuario Hydrogr. de
Chile 1875) wie der Autor irrtümlich annimrnt; noch hat jemals
jener behauptet, den Senguel, welchen er nur kreuzte, erforscht und
dieser ebenso wenig erklärt, die Quellen des Aysen erreicht zu
haben; er kehrte vielmehr unter 71 0 Länge wieder um. Die beiden
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verdienten Reisenden zugeschobene Unwahrheit beruht also nur auf
Fiktion des Verfassers. Schliefslich stützt Fontana seine Hypothese
auf die Voraussetzung, der See liege auf 45 0 25 ' s. Br., welche
Simpson allerdings dem Aysen zuspricht, doch auf der folgenden
Seite des Buches (Seite 106) finden wir das Lager an seinem Süd-
ufer in 44° 57' berechnet, und auch der beigefügte Plan zeigt uns
dieselbe Breite. Es liegt mithin augenscheinlich ein Irrtum des
Autors vor, der seine Breitenbestimmungen erst nach Vollendung
des Berichtes revidierte und wenn dann durchaus den Aussagen der
Indianer Glauben geschenkt werden soll, scheint die Annahme ein-
facher, dafs der Rio Mayo, von seinem Begleiter dieses namens
etwas südlicher und nach Osten fliefsend entdeckt, nahe bei deu
Quellen des Aysen entspringe.
Wie dem auch sei, die Entdeckung des grofsen Alpensees,
welcher als Sammelbecken für die Gewässer des Ser.guel dient, ist
eine schöne Bereicherung unsrer geographischen Kenntnisse, und
Herr Fontana hat wohl Ursache, stolz darauf zu sein, auch ohne
seiner gewagten Theorie von dessen Ausflüssen nach zwei Welt-
meeren Rechnung zu tragen.
Leider fand die Expedition hier dieselben Hindernisse, welche ihr
westliches Vordringeu den Corcovado hinab vereitelt hatten. Dicht
verworrener Urwald und auch Mangel an Lebensmitteln zwangen
zur Umkehr, und von jetzt ab ging der Marsch den Senguel strom-
ab, in stets südöstlicher Richtung von dessen Zusammenflufs mit
dem vereinigten Teger und Quinua aus. Das Thal wird nun weit
und sumpfig, im Süden von öden Hügeln tertiärer Bildung ein-
gefafst, während die linke Seite durch eiue Kette vulkanischer Berge
begrenzt wird, welche sich nördlich bis zum eigentlichen Chubut zu
erstrecken scheinen. Meilenweit zieht sich eine oft 10 m dicke
Lavaschicht am Flusse entlang, und ist wohl jünger, als dieser
selbst, da auf dem rechten Ufer keine Spur davon zu entdecken war.
Weiter östlich schliefst dieselbe das Thal völlig ab, und, gezwungen
die etwa 20 m hohe Uferbank zu ersteigen, erblickten die Reisenden
die bis dahin so düsteren vulkanischen Berge in allen Farben des
Regenbogens leuchtend, doch so grell und unharmonisch, dafs Fon-
tana keine nähere Beschreibung davon zu geben wagt. Es erinnert
dies an jene eigentümlichen Farbenzusammenstellungen gewisser Ge-
birge im fernen Westen von Nordamerika, welche uns das pracht-
volle Werk der „Landesvermessung jenseits des hundertsten Me-
ridians“ in anschaulicher Weise vorführt.
Auf dieser Strecke hatte die Expedition ein unerwartetes Zu-
sammentreffen mit dem Besitzer einer Herde von 1 500 Stück Rind-
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vieh, welche derselbe von der Kolonie Clmlnit aus den Senguel ent-
lang führte mit Bestimmung nach dem Rio Santa Cruz. Ohne
Führer und nur der Beschreibung Movanos folgend, welcher diesen
Weg 1880 erforscht hatte, war der unerschrockene Juan Acosta auf-
gebrochen, ein ansehnliches Vermögen (etwa 100000 A) aufs Spiel
setzend, doch hatte er bis dahin noch keinen Verlust zu beklagen
gehabt. Leider giebt Fontana keine Kunde Uber den Enderfolg des
kühnen Unternehmens, das gerade für die Ansiedler des Chubut von
bedeutender Wichtigkeit werden dürfte, da der Seetransport von
Schlacht- und Zuchtvieh nach den Niederlassungen am Santa Cruz
und den neu entdeckten Goldfeldern des Cabo de Virgines grofsen
Schwierigkeiten unterworfen ist, welche durch den allerdings be-
deutend längeren Landweg vermieden werden.
Von dem scharfen Winkel ab, welchen der Flufs unter fast
45° s. Br. macht, um von nun ab nordöstlich zu strömen, erweitert
sich das Thal zu einer Ebene von einigen 40 km, welche sich, Über-
schwemmungen ausgesetzt, bis zu den Seen Colhuß und Musters
hinzieht. Diese interessante Gruppe, die zwar schon von Jones und
Durnford, sow'ie später von Movano besucht wurde, beschreibt Fon-
tana zum ersten Male eingehender. Der Seuguel tritt durch eiuen
kleinen See von 10 km Durchmesser in den Colhuö, der sich bei
einer Breite von etwa 35 km von Süden nach Norden ausdehnt,
begleitet am westlichen und nördlichen Ufer von Hügeln tertiären
Gesteines, aber nach Osten zu durch eine schroffe vulkanische Kette
vom Lago Musters geschieden. Um die Sudspitze deivolben herum
ergielst sich ein Ausflufs der oben genannten Lagune in diesen etwa
20 m tiefer liegenden See, und letzterer giebt wiederum seine
Gewässer an eine dritte bedeutend kleinere Lagune ab (L. Dillon),
aus welcher endlich der Rio Chico, wie Fontana den untern Teil
des Senguel nennt, sich in trägem Laufe durch ödes, dürres Gelände
nordöstlich dem Chubut zuwendet.
Hier schliefst, etwas plötzlich, der Bericht Fontanas, welcher
nach Laune weite Strecken seiner Reise überspringt , um en-
thusiastisch bei einzelnen Stellen zu verweilen ; doch geht wenigstens
ans dem Gesamtbilde hervor, dafs die Region zwischen dem Atlan-
tischen Meere und dem 71. Grade, oder bis zu den Gabeln des
Chubut und Charmate einerseits, und des Seuguel und Quinua andrer-
seits, höchstens zeitweilige Weide für durchziehende Herden und
Karawanen gewährt, aber nicht zur wirklichen Besiedelung geeiguet
ist. Dagegen scheinen die Thäler der Anden von jenem Meridian
westwärts in grofser Ausdehnung kulturfähig zu sein, und durch ihre
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unzweifelhaft leichte Verbindung mit Fjorden des Stillen Ozeans ein
lohnendes Feld für nordeuropäische Kolonisation zu bieten.
Der unermüdliche Reisende bereitet eine neue Expedition vor,
und bei dem unter dem jungen Nachwuchs der Welschen am Chubut
erwachten Wandertriebe ist es nicht unmöglich, dafs wir bald von
einer blühenden Ansiedelung an den Ufern des Corcovado oder des
Sees Fontana hören.
Cördoba, im Oktober 1886. A. Seelstrang.
Eine Reise nach dem Persischen Golf.
Von K. Mertens.
L
Allgemeiner Reisebericht.
Einleitung. Dampfer „Perscpolis". Die Ausreise. Die Ufer des Persischen Golfs.
Ankunft in Bushire. Empfang daselbst. Flufsfahrt nach Mobammera. Die Ufer des
Shat el Arab. Moh&mmera. Der Karunflufs. Ahwas. Basra. Zurück nach Mohammera.
Zusammensetzung der „Susa". Stapellauf. Rückkehr nach Bushire. Triste Tage.
Tod des Kapitäns der „Persepolis*. Nach Bombay. Meteorologische Tabellen.
Die schon seit langer Zeit bestehenden, immer schärfer hervor-
tretenden Feindseligkeiten Rufslands und Englands in Zentralasien,
welche vor kurzer Zeit beinahe zum offenen Kriege geführt hätten,
haben naturgemäfs auch die Aufmerksamkeit der andern Mächte
Europas auf Zentralasien, speziell auf Afghanistan und die um-
liegenden Länder, in welchen sich die Fortschritte des russischen
Einflusses besonders geltend gemacht haben, gelenkt. Unter diesen
Ländern nimmt nun Persien infolge seiner Lage und Gröfse wohl die
bedeutendste und wichtigste Stelle ein, wenn man von Afghanistan
selbst, als Thor Indiens, absieht.
Wohl hauptsächlich aus diesem Grunde knüpfte auch Deutschland
seiue Beziehungen mit Persien wieder an, welche vor etwa 20 Jahren
begonnen, aber schnell wieder eingeschlafen waren, iudem es im
Herbst 1884 eine aufserordeutliche Gesandschaft nach Teheran schickte,
die bald darauf zu einer ständigen Gesandschaft erhoben wurde.
Dadurch, als auch durch die vielfachen, höchst interessanten
Vorträge des Herrn Professor Brugsch-Pascha, welcher dieser aufser-
ordentlichen Gesandschaft attachiert war, ist das Interesse für
Persien in weiteren Kreisen erweckt worden, so dafs vielleicht
folgende Mitteilungen einige Beachtung finden werden.
üeogr Blätter. Breineu, 1887. 4
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l)er jetzige Herrscher Persiens, der Schah-in-Schah Nassr Eddin,
ist entschieden ein sehr intelligenter, einsichtsvoller und liebens-
würdiger Mann — soweit man bei einem Orientalen und Mohammedaner
von derartigen Eigenschaften sprechen kann — dem es wirklich
Ernst ist, sein Reich vor dem Verfall zu bewahren. Dafs ihm dies
nicht gelingt, ist nicht seine Schuld, denn er thut alles mögliche,
um Industrie, Handel und Wandel zu heben. Alle Versuche scheitern
indes an der bodenlosen Korruption seiner Minister und Beamten,
an der Indolenz der Bewohner und an den Ränken der Mollahs,
die jedem Fortschritt in der Kultur und in der Zivilisation feindlich
gesinnt sind. Vor ungefähr sieben Jahren war dem Schah ein Projekt,
die Errichtung einer Marine betreffend, vorgelegt worden, auf welches
er mit grofsem Interesse einging. Es sollten vorläufig 5 Schiffe
verschiedener Art gebaut werden.
Verschiedene andre Pläne, auch wohl Mangel an Geld, ver-
zögerten die Ausführung dieses Projektes, bis vor etwa drei Jahren
der Sohn eines persischen Ministers, welcher sich Studien halber in
Berlin aufhielt, den Auftrag bekam, vorläufig einen Regierungs-
dampfer in Europa zu bestellen. Dieser wandte sich an verschiedene
englische und deutsche Schiffswerften und eutschlofs sich schliefslich für
den Entwurf der Aktiengesellschaft „Weser“ zu Bremen, mit welcher
Gesellschaft der Baukontrakt im Aufang des Jahres 1884 abgeschlossen
wurde. Am 1. Juli dieses Jahres wurde der Bau in Angriff ge-
nommen, und trat ich zur selben Zeit als Ingenieur in die Dienste
der persischen Regierung, um den Bau zu beaufsichtigen. Die
„Persepolis“, diesen Namen hatte der Regierungsdampfer beim
Stapellauf erhalten, wurde bis zum 1. Januar 1885 fertig gestellt.
Gleichzeitig war noch ein Flufsdampfer bestellt worden , der hier
provisorisch zusammengeschraubt, nach abgehaltener Probefahrt
demontiert und in Teilen auf die „Persepolis“ verladen wurde, um später
in Persien an seinem Bestimmungsorte zusammengebaut zu werden.
Die „Persepolis“ ist ein Schraubendampfer von etwa 600 R. T.,
besitzt eine Kompoundmaschine von 450 indizierten Pferdestärken,
ist als Schuner getakelt und läuft im Mittel 9 Knoten pro Stunde.
Da nach dem ursprünglichen Projekt 5 Dampfer in Aussicht
genommen waren, diese aber schliefslich auf Einen reduziert wurden,
so sollte nun dieser eine auch allen Zwecken entsprechend ein-
gerichtet sein, und wurde diese sehr schwere Aufgabe von der
Erbauerin in der denkbar günstigsten Weise gelöst.
Als Jacht für den Schah oder andre hohe Würdenträger des
Reiches erhielt das Schiff eine höchst luxuriös eingerichtete Staatskabine ;
um ihm ein kriegsschiffmäfsiges Aussehen zu geben-, wurde es mit einem
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Rammsteven verseilen und mit einer Armierung, bestehend aus 3 mit
allem Zubehör versehenen gezogenen Kruppschen Stahlkanonen (7,5 cm)
und 40 Gewehren nach Dreyses neuestem Patent ausgerüstet. In seiner
Eigenschaft als Passagierdampfer erhielt das Schiff einen sehr schönen
Salon nebst Kammern für 40 Passagiere I. Klasse, während die
vorderen Zwischendecke für andre Passagiere hergerichtet werden
konnten. Schliefslich konnten sämtliche unter Deck befindliche Räum-
lichkeiten als Ladungsräume benutzt werden. — Die Besatzung
bestand alles in allem aus 32 Mann.
Am 7. Januar fand die Probefahrt der „Persepolis“ von Bre-
merhaven iu See statt. Dieselbe lieferte sehr gute Ergebnisse und
wir waren somit klar, in See zu gehen. — Wir sollten jedoch schon
hier einige Proben von der Promptheit der persischen Regierung in
Geschäftssachen kennen lernen. Durch unnütze Trödeleien und
allerlei unsinnige Projekte, um möglichst viel bei Überführung des
Regierungsdampfers an Fracht zu verdienen, verzögerte sich unsre
Abreise bis 17. März, an welchem Tage wir, mit Kohlen für eigene
Rechnung beladen, Deutschland verliefseu.
Unsre Ausreise ging ziemlich günstig von statten; ausgenom-
men einen Maschinenunfall, welcher uns auf der Höhe von Kap
Vincent am 24. März passierte, und der uns zwang, Cadix als Not-
hafen anzulaufen. Da der Kolben des Hochdruckcylinders gebrochen
war, so nahm die Anfertigung eines neuen Kolbens geraume Zeit in
Anspruch, und erst nach zehn Tagen, am 4. April, konnten wir unsre
Reise fortsetzen. Das schöne Mittelmeer durchliefen wir bei sehr
günstigem Wetter in verhältnismäfsig kurzer Zeit. Am Abend des
13. April ankerten wir in Port Said und setzten am nächsten Morgen
unsre Reise durch den Kanal fort. Nach zwei Tagen erreichten
wir Suez, welcher Platz damals ein sehr belebtes Aussehen hatte.
Englische und italienische Kriegs- und Transportschiffe lagen in
grofser Anzahl dort. Grofse Trupps von Kameelen, für Suakiin
bestimmt, harrten ihrer Einschiffung. Wir setzten in Suez den
Kanallotsen ab und erreichten am 17. April das Rote Meer. Hier
wurde es von Tag zu Tag wärmer, dabei hatten wir eine leichte
uördliche Brise, welche wir jedoch tot liefen, so dafs der Rauch kerzen-
gerade aus dem Schlot stieg. Am 22. April morgens passierten wir
die englische Kohlen- und Signalstation auf der Insel Perim und
abends Aden. Wir steuerten nun N.O. z. 0. und erreichten am 27. April
das südöstlichste Kap Arabiens Ras al Hadd; von hier ging es in
nordwestlicher Richtung in den Golf von Oman. Am Morgen des
29. April befanden wir uns in der Strafse von Ormus und kamen
somit in den Persischen Golf.
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Der Persische Golf, von den Eingeborenen Bahru al Fars ge-
nannt, der grofse Meeresarm des Indischen Ozeans, wird im Norden
und Osten von Persien, iin Westen und Süden von Arabien begrenzt
und steht mit dem Ozean durch den Golf von Oman in Verbindung.
Die beiden Seiten des Golfes zeigen einen sehr verschiedenen
Charakter : wahrend die persische Küste sehr gebirgig ist und über-
all bis zur Küste das Wasser sehr tief, ist die arabische Küste,
mit wenigen Ausnahmen, niedrig und besitzt viele Riffe und Untiefen.
Infolgedessen halten sich die Schiffe auch meistens an der persischen
Seite. Auch wir fuhren ziemlich dicht an der persischen Küste
entlang und passierten viele Inseln, von denen diejenigen, welche nach
der arabischen Seite lagen, nur öde Felsen, ohne jede Vegetation
sind, während die in unmittelbarer Nähe der persischen Küste
einiges Leben zeigten und augenscheinlich von Fischern bewohnt
wurden. Da weder der Golf, noch irgend ein Hafen befeuert ist, so
lag uns daran, noch bei Tage unser Ziel, Bushire, zu erreichen, leider
war dies nicht mehr möglich, es wurde Nacht, ehe wir die Lichter
einiger zufällig in Bushire vor Anker liegenden Schiffe in Sicht
bekamen. Wir gingen am 30. April, abends 9 Uhr, froh unser
Ziel soweit erreicht zu haben, auf der Aufsenreede zu Anker.
Am nächsten Morgen dampften wir unter Anweisung eines
persischen Lotsen, welcher noch in der Nacht an Bord gekommen war,
nach der Innenreede, wo wir in einer Entfernung von etwa 5 sm.
von Bushire zu Anker gingen. Es lagen hier noch zwei Schiffe —
das unvermeidliche, weifsgestrichene, englische Kanonenboot und ein
englischer Telegraphendampfer (Kabelleger), welcher, wie wir später
erfuhren, das zwischen Bushire und Fao liegende Kabel revidierte.
Bushire, der hauptsächlichste Seehafen Persiens, liegt auf dem
Nordende einer sehr schmalen niedrigen Landzunge, welche etwa
11 engl. Meilen lang und etwa 3 engl. Meilen breit ist. Der Hafen
ist der vielen Riffe und Untiefen wegen, auch durch den Mangel
irgendwelcher Land- und Seezeichen sehr ungünstig. Fast alle
Schiffe müssen der Riffe wegen etwa 4 sm. von der Stadt auf der
Reede vor Anker gehen, trotzdem unmittelbar vor der Stadt hin-
reichend tiefes Wasser ist, um selbst für die gröfsten Schiffe einen
guten geschützten Hafen zu bilden. Leider sind bisher alle Projekte
der Engländer durch Anlegen eines Kanals, diesem Übelstande ab-
zuhelfen, von der Regierung abschlägig beschieden worden — wie
alles, was thatsächlich dazu beitragen könnte, Haudel und Wandel
zu heben.
Der Kapitäu fuhr sogleich, nachdem wir vor Anker gegangen
waren, an Land, um das Schiff und sich bei irgend wem zu melden,
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da sich hier aber niemand um ihn kümmerte, so blieb ihm nichts
andres übrig, als nach dem Telegraphenbüreau zu gehen und selbst
der Regierung seine Ankunft zu melden. Er kehrte ziemlich
enttäuscht ob seines ersten Empfanges an Bord zurück. Am
nächsten Morgen erhielten wir jedoch ein sehr langes, viel schöne
Worte enthaltendes Begrüfsungs- und Glückwunschtelegramm von
der Regierung im Namen des Schahs, in welchem uns alles mögliche
Gute gewünscht und aufserdem mitgeteilt wurde, dafs sämtlichen
Gouverneuren und sonstigen Würdenträgern des Reiches die Weisung
erteilt worden wäre, uns alle mögliche Unterstützungen u. a. zu
gewähren. Nun dies war doch wenigstens etwas, und wir, die wir
damals die Art und Weise der Perser noch wenig kannten, fafsten
neuen Mut.
Leider befand sich der Gouverneur von Bushire auf Reisen und
hatte die Verwaltung seines Distriktes seinem Schreiber übergeben,
welcher uns allerdings nicht viel Unterstützung gewähren und nicht
mit grofsem Pomp empfangen konnte. Trotzdem erhielten wir am
nächsten Tage nach dem Kaiserlichen Erlafs einen lebendigen Hammel
zum Geschenk und die Einladung zu einem offiziellen Empfangs-
frühstück um 8 Uhr morgens. Diese frühe Stunde war mit Rücksicht
auf die jetzt immer zunehmende Tagestemperatur gewählt worden.
Wir begaben uns denn auch an dem betreffenden Tage fünf Mann
hoch rechtzeitig an Land. Wir legten mit der Dampfpinasse vor
dem Gouvernementsgebäude an, welches sich von den übrigen Häusern
nur durch einen riesigen Flaggenmast, an dem die persische National-
flagge wehte, sowie durch zwei alte Messingkanonen, aus der Zeit des
Krimkrieges stammend, unterscheidet. Au Land war eine Horde
zerlumpter Kerls, die Soldaten vorstellen sollten, (die besten beglei-
teten den Gouverneur auf seinen Reisen) in zwei Gliedern aufgestellt,
welche, als wir an Land traten, auf Befehl eines am rechten Flügel
stehenden Offiziers, ganz verzweifelt mit den Armen schlenkerten,
was höchst lächerlich aussah, so dafs wir Mühe hatten, ernst zu bleiben,
obschon es eine aufserordentliche Ehrenbezeugung sein sollte.
Eine Art von Haushofmeister mit sechs ziemlich rein gekleideten
Dienern empfing uns, und schritt, uns den Weg zu weisen, majestätisch
in einem ganz feierlichen Tempo voran. Im Hofraum war eine aus
etwa 20 Mann bestehende Musikkapelle aufgestellt. Die halb mit
europäischen, halb mit persischen Instrumenten versehen, einen
Musik sein sollenden, schauerlichen Lärm vollführte. Die an jeder
Ecke aufgestellten Posten präsentierten mit einem sehr verrosteten,
alten Zündnadelgewehr, und wir betraten das Empfangszimmer.
In demselben war alles, was in Bushire im Besitze einer hall
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wegs anständigen Uniform war, versammelt und safs dem
Range nach auf Stühlen und alten Kisten in einem ziemlich
hohen und luftigen Gemach. Für uns waren einige alte wackelige,
mit verschossener Seide überzogene Polsterstühle hingestellt,
auf denen wir, auch dem Range entsprechend, Platz nahmen.
Nachdem die üblichen, überschwenglichen Begrüfsungsformalitäten
gewechselt waren, wurde uns mit 24 Schufs salutiert, während welcher
Zeit die Musikkapelle einen solchen heidenmäfsigen Lärm machte,
dafs es unmöglich war, zu sprechen und zu hören. Endlich schwieg
dieselbe. Der Vezier des Gouverneurs, der den Vorsitz führte, er-
klärte uns nun durch einen englisch sprechenden Dolmetscher, wie
entzückt er von uns allen wäre, wie es einer der glücklichsten
Tage für Persien sei, dafs wir persischen Boden betreten hätten
u. a. nichtssagende Redensarten mehr. Dasselbe wurde uns noch
von den andern Herren mitgeteilt. Der Kapitän antwortete uu-
gefähr in derselben Weise. Zwischendurch gab es abwechselnd Thee
und Kaffee und Süfsigkeiten. Da aber nur sechs Tassen vorhanden
waren, so mufsten die andern stets so lange warten, bis die sechs
Angesehensten ausgetrunken hatten.
Das ewige uichtssagendc Komplimentieren dauerte etwa zwei
Stunden, bis wir zur gröfsten beiderseitigen Freude unsern Abschied
nahmen. Die Herren Perser schwitzten ungemein in ihren nach europäi-
scher Art bis an den Hals zugeknöpften Uniformröcken, und da uns
ein nochmaliger ohrenzerreifsender Musikgenufs nicht erspart blieb,
waren auch wir froh, als wir in unserm Boot safsen und der „Perse-
polis“ zudampften. Am nächsten Tage statteten uns sämtliche
gestern im Gouvernementsgebäude anwesende Herren ihre Gegen-
visite ab, und somit war der offizielle Teil erledigt. Glücklicher-
weise hatten wir nie mehr mit diesen Herren zu thun; unsre
Orders erhielten wir direkt von Teheran. Im allgemeinen erregte
das Schiff nicht solches Aufsehen, wie wir erwartet hatten, was wohl
hauptsächlich darin seinen Grund haben mochte, dafs wir uns sehr
ruhig verhielten, nicht viel salutierten, keinen Aufwand machten,
und da wir auch keine Uniform trugen, wurden wir sehr wenig
beachtet.
Da unser erster Aufenthalt in Bushire nur ein verhältnis-
mäfsig kurzer war, sich aufserdem nichts Bemerkenswertes ereig-
nete, so komme ich auf eine ausführliche Beschreibung der Stadt,
der Sitten, der Bewohner u. a. in einem zweiten Abschnitt zurück
und will erst den weitern Verlauf unsrer Reise berichten.
Ungefähr 14 Tage nach unsrer Ankunft erhielten wir von der
Regierung den Befehl, nach Mohammera, einem kleinen Flecken, der
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an dem Flusse Karuu, unmittelbar vor dessen Mündung in den Shat
el Arab, liegt — zu gehen, um dort den Zusammenbau des Flufs-
dampfers „Susa“ vorzunehmen. Wir verliefsen am 16. Mai, 8 Uhr
Abends, Bushire und dampften nach der Mündung des Shat el Arab,
welche wir am nächsten Morgen erreichten. Einige Stunden ver-
gingen bevor wir die vor der Mündung liegende Barre, welche von
Jahr zu Jahr gröfser wird und die Schiffahrt immer mehr und mehr
erschwert, passieren konnten. Als wir genügend Wasser hatten,
fuhren wir unter Führung eines persischen Lotsen in den Shat el
Arab. Au der rechten Seite der Mündung liegt Fao, Station der
Indo-European Telegraph Company, Eudpuukt der Kabellinie Bushire-
Fao. Die Ufer sind vollständig flach, anfangs öde und kahl, dann
aber dicht mit Dattelpalmen bepflanzt. Das türkische (rechte) Ufer
zeigte bedeutend üppigere Vegetation, war regelmäfsiger bebaut und
an den meisten Stellen mit Buhnen und Deichen versehen, während
das persische (linke) Ufer keine Spur künstlicher Anlagen -zeigte und
einen verhältnismäfsig öden Anblick darbot. Viele Inseln und immer
neue Anschwemmungen, welche stets das Fahrwasser verändern, er-
schweren trotz der grofsen Breite des Stromes die Schiffahrt sehr.
Erst gegen Abend erreichten wir die Münduug des Karun, dampften
jedoch noch etwa eine Meile weiter und gingen bei Kut Feilye, dem
Schlosse des Scheiks von Mohammera, vor Anker. Letzterer liefs
uns durch einen Salut von elf Schufs begrüfsen und schickte, nach-
dem wir den Salut erwidert hatten, seinen Dolmetscher au Bord,
welcher uns im Namen des Scheiks willkommen hiefs ; er selbst liefs
sich krankeitshalber eutschuldigeu. Am nächsten Morgen machte der
Kapitän dem Scheik 3eine Aufwartung. Derselbe behauptete,
keinerlei Instruktionen empfangen zu haben, zeigte sich sehr
erstaunt über den Anblick eines persischen Dampfers, von dessen
Existenz er wirklich nichts gewufst haben wollte, versprach jedoch,
uns in jeder Weise behülflich zu sein. Der Kapitän fuhr sodann
nach dem Karun, um einen günstigen Bauplatz zu suchen, welcher
bald in einer kleinen Bucht, oberhalb der Stadt Mohammera gefunden
war. Wir dampften noch an demselben Tage mit der „Persepolis“
nach jener Stelle, gingen vor Anker und machten das Schiff dicht
am Ufer fest.
Das Städtchen Mohammera, obgleich sehr verfallen und zurück-
gekommen, ist einer der wichtigsten Plätze, sowohl in strategischer
als kommerzieller Beziehung, des südlichen Persien. Seine günstige
Lage am Zusammenflüsse des Karun mit dem Shat el Arab, für alle,
selbst für die gröfsten, den Golf befahrenden Dampfer leicht erreichbar,
seine verhältnismäfsig gute Verbindung mit dein Hinterlande, welch
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teils durch Karavanenstrafsen, teils durch die natürliche und beste
Wasserstrafse, den Karun, hergestellt wird — macht Moharamera zu
einem wichtigen Ausfuhrhafen, ja es würde eine bedeutende Stadt,
eine der ersten Hafenstädte am Golf werden, wenn es eben nicht in .
Persien läge. So bietet der Ort noch einen erbärmlicheren Anblick,
als Bushire dar; er besteht aus einem Labyrinth von engen,
schmutzigen Gassen, die niedrigen Häuser sind aus getrockneten
Erdziegeln oder Lehm aufgeführt, mit platten Dächern, teilweise
auch nur mit Matten aus den Blättern der Dattelpalme versehen.
Ferner hat es, wie jedes orientalische Nest, einen Bazar, wie man ihn
sich nicht schlechter und schmutziger denken kann. Die Umgebung
von Mohammera macht noch einen besseren Eindruck als die von
Bushire, da die Umgegend zum grofsen Teil aus Dattelpalmenwäldern,
die auch zum Teil mit Unterholz versehen sind, besteht. Mohammera
ist weder Post- noch Telegraphenstation und steht mit der Aufsenwelt
nur durch das etwa 12 engl. Meilen an dem Shat stromaufwärts
liegende Basra, mit welcher Stadt es einen regen Verkehr unterhält,
in Verbindung. Die aus etwa 2 — 3000 Seelen bestehende Bevölkerung
ist gröfstenteils arabischer Abkunft, ihre Beschäftigung ist Han-
del, Schiffahrt und die Dattelernte. Mohammera steht unter der
Botmäfsigkeit eines arabischen Scheiks, dessen Wohnsitz das schon
erwähnte am Shat liegende Felija ist, und der dem Gouverneur der
persischen Provinz Arabistan tributpflichtig ist.
Der Karun, der bedeutendste Flufs Persiens, entspringt auf dem
Gebirge Luristan und mündet teils in den Shat el Arab, teils direkt
in den Persischen Golf. Vor Zeiten bestand nur die letztere Mündung,
da der Karun etwa 2 Meilen oberhalb Mohammera eine rechtwinklige
Biegung macht und parallel mit dem Shat el Arab dem persischen
Golf zuflofs ; durch Anlegung eines Kanals von der Biegungsstelle in
gerader Richtung nach dem Shat wurde indes der Hauptstrom nach
dem Shat el Arab gelenkt. Der Karun ist ein sehr tiefer, reifsender
Strom (die Strömungsgeschwindigkeit wird auf 4 — 5 Knoten, in der
Regenzeit, wo er gewaltig steigt, auf 6—8 Knoten per Stunde
angegeben), er liefert ein wunderbar schönes und sehr kühles Wasser,
welches in Persien so berühmt ist, dafs demselben Heilkraft zuge-
schrieben und es deshalb überall hin verschickt wird. Der Tem-
peraturunterschied zwischen Luft und Wasser betrug auch in der
heifsesten Jahreszeit etwa 10° C. Es sei hierbei erwähnt, dafs dieses
gute Wasser wesentlich zur Erhaltung des guten Gesundheits-
zustandes unsrer Mannschaft beitrug; giebt es doch in den Tropen
nichts besseres, als einen kühlen Trunk und ein erfrischendes Bad.
Der Karun ist uugefähr 60 engl. Meilen bis Ahwas für gröfsere
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Fahrzeuge schiffbar; Ahwas war in alter Zeit eine der schönsten
Städte des Reiches und Winterresidenz der persischen Könige, jetzt
liegt der Ort ganz in Trümmern und zählt kaum 1500 Einwohner.
Bei Ahwas ist ein Katarakt, vor welchem die Leichterschiffe
ihre Waren ausladen; nach Passieren der Stromschnelle laden
sie wieder, um den Weg bis Schuschter fortzusetzen. — Von
Scliuschter, einer Stadt von etwa 10 000 Einwohnern, in deren Nähe die
Ruinen des alten Susa liegen, gehen grofse Karavanenstrafsen nach
Disful, Ispahan und Teheran. In den Flufsniederungen zu beiden
Seiten des Karuns liegen viele Dörfer und Ortschaften, deren
Bewohner sich mit Pferde- und Viehzucht, etwas Acker- und besonders
Getreidebau beschäftigen ; ihre Produkte senden sie nach Mohammera,
von dort gehen dieselben entweder nach Basra oder auch direkt
nach Bushire.
Die ersten Tage unsrer Anwesenheit benutzten wir, um uns
so viel als möglich heimisch zu machen. — Der Kapitän und ich
fuhren nach Basra, um Telegramme und Briefe zu expedieren und
Bekanntschaften anzuknüpfen. Basra, zur Zeit Harun al Raschids
eine blühende und in grofsem Ansehen stehende Stadt, ist noch jetzt
der wichtigste Seehandelsplatz der asiatisch-türkischen Provinz Irak-
Arabi. Die Stadt, mit etwa 30 — 40000 Einwohnern, ist sehr weitläufig
angelegt, gleicht im übrigen, was die engen, schmutzigen Gassen
anbelangt, den bisher beschriebenen ; hat aber innerhalb ihrer Mauern
eine Menge von Gärten, die von vielen die Stadt durchschneidenden
Kanälen bewässert werden, wodurch zwar die Fruchtbarkeit des
Landes erhöht wird, im Sommer aber werden durch diese Kanäle, die
dann richtiger Kloaken genannt werden sollten, bei der Sonnenhitze
fürchterliche Fieber erzeugt, infolge deren die Bevölkerung dieser
einst so gewaltigen Stadt jährlich mehr zusammenschmilzt.
Von der Flufsseite gewährt indes Basra einen sehr stattlichen
Anblick. Der Shat ist hier etwa 2 engl. Meilen breit; es lagen 4 — 5
türkische Kriegsschiffe, ein englisches, mehrere Frachtdampfer sowie
viele Flufsdampfer und Fahrzeuge von Eingeborenen hier vor Anker.
Ferner liegen alle hauptsächlichen Gebäude, der wirklich schöne
Palast des Gouverneurs, die Häuser der Konsuln, die Post und Zoll-
gebäude, alles nach europäischem Geschmack aus Steinen ausgeführte
Baulichkeiten, von schönen Gärten umgeben, an dem Hafen. Um
zu dem uns in Basra empfohlenen persischen Agenten zu gelangen,
mufsten wir den gröfsten dieser Kanäle hinauffahren, an demselben
liegen die Kontore der hauptsächlichsten englischen und französischen
Kaufmannsbäuser. Unser Agent, ein Deutscher', Vertreter einer
gröfseren englischen Exportfirma, der von unserm Kommen ebenfalls
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unterrichtet war, empfing uns und bereitete uns die freundlichste
und liebenswürdigste Aufnahme. Bei dem abends stattfindenden Diner
machten wir auch die Bekanntschaft der hier lebenden Deutschen,
welche sich zu unsrer Begrüfsuug eingefundeu hatten: zwei im
türkischen Militärdienste stehende deutsche Ärzte und einige Wiener
Herren, Vertreter der Pariser Weltfirma Dreifus & Co. Da es gerade
Pfingsten war, so blieben wir während der Festtage in Basra und
verlebten einige recht angeuehme Tage. Wir machten dem türkischen
Gouverneur, einem sehr jovialen Herrn, mehr Europäer als Asiat,
da er lange Zelt Militärattache in London und Paris gewesen, sowie
dem englischen und französischen Konsul unsre Aufwartung und
kehrten in Begleitung eines chaldäischen Ingenieurs, welcher uus als
Dolmetscher im Verkehr mit dem Scheik dienen sollte, nach Mohara-
mera zurück. Nach einigen Tagen wurde nun der Bau unsres
sogenannten Docks in Angriff genommen, d. h. wir schnitten die
kleine Bucht durch einen ziemlich starken Erdwall, welcher durch
Palissaden verstärkt wurde, von dem Flusse ab. Da diese erste
Arbeit bei sehr niedrigem Wasserstand und schnell besorgt werden
mufste, hatte uns der Scheik etwa 100 Arbeiter zur Verfügung gestellt,
welche den Wall in unglaublich kurzer Zeit aufführten. Alsdann
wurde die Bucht trocken gemacht und der Boden durch Aufschüttung
planiert, wobei uns die jetzt immer empfindlicher werdenden Sonnen-
strahlen sehr gut zu statten kamen, indem dieselben den Lehmboden
vollkommen ausdörrten. Auf diesem nun völlig ebenen Grunde
wurde durch quer zur Längsrichtung gelegte Palmenstämme, welche
je zwei und zwei mit eisernen Klammern befestigt waren, und drei
parallel zur Längsrichtung darauf gelegte Spieren eine richtige
Helling gebildet. Schliefslich wurde das ganze Dock mit einem
ziemlich hohen, aus Matten hergerichteten Dach zum Schutz gegen
die Sonne versehen. Diese ganze Anlage, wozu noch der Bau einer
Schmiede kam, hatte jedoch eine ziemlich geraume Zeit in Anspruch
genommen, da wir nur wenige und in dergleichen Arbeiten ungeübte
Leute zur Verfügung hatten. [Der Scheik hatte uns die Leute
gleich nach Aufführung des Walles wieder fortgenommen, da er in
harter Fehde mit seinem älteren Bruder lag, welchen er aus seiner
Stellung vertrieben, und zu diesem Zweck seine Leute nötig
hatte.] Dann aber kamen auch die Einflüsse des Klimas zur Geltung.
Die Hitze wurde von Tag zu Tag gröfser und konnten wir nur
von morgens 5 — 11 und nachmittags von 4 — 7 arbeiten lassen. Im
ersten Monat unsres Hierseins hatten wir viel von den feuchten
Ausdünstungen der in unmittelbarer Nähe von Mohammera liegenden
Sümpfe zu leiden; auch peinigten uns die in dieser Luft am besten
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lebeuden Moskitos ungeheuer. Ich habe selten so viele dieser kleinen
entsetzlichen Quälgeister gesehen, als hier. Sowie die Sonne unter-
gegangen war, krochen wir nach hastig eingenommenem Abendbrot
in unsre Moskitonetze, welche schon vor Sonnenuntergang sorgfältig
aufgeschlagen waren. Die immer intensiver werdende Hitze und die
trockenen heifsen, häufig mit feinem Sand geschwängerten Winde,
dörrten die Sümpfe indes bald vollkommen aus, und vertrieben
auch zum grofsen Teil die Moskitos. Wir hatten jetzt eine Tagestempe-
ratur von etwa 40° C., im Maximum 46°, welche hohe Temperatur
nur durch die sehr trockene Atmosphäre erträglich war. Die Luft
war von solch aufsergewöhnlichen Trockenheit, dafs der Temperatur-
unterschied zwischen der nassen und trockenen Kugel unsres Psych-
rometers etwa 23 — 25° C. betrug.*) Ein weiterer Beweis dafür liegt
auch darin, dafs die blankpolierteu eisernen Maschinenwellen der
„Susa“ tagelang frei am Land lagen, ohne auch nur die geringste
Spur von Rost anzusetzen. Die Eingeborenen machten sich diese
grofse Verdunstungswarme der Luft insofern zu nutzen, als sie ihre
aus porösem Thon bestehenden Wassergefäfse (eine Art Alkarazzas)
an hohen auf ihren platten Dächern befindlichen Stangen, aufheifsten,
wo sic einige Stunden hingen und ein ausgezeichnet kühles Wasser
lieferten. Fast die ganze Mannschaft war schon im ersten Monat
vom Fieber befallen worden, welches sie während ihres ganzen Aufent-
haltes in Persien behielt. — Alles dieses verzögerte die Errichtung
des Dockes und auch den Zusammenbau des Dampfers „Susa“ sehr,
besonders da ich für den letzteren nur meine acht Heizer hatte, von
denen täglich zwei bis drei durch Fieber untauglich waren. Wir be-
gannen Mitte Juni mit dem Zusammenbau des Flufsdampfers und
waren nach Überwindung mancher Widerwärtigkeiten nach vier Wochen
soweit fertig, dafs der Stapellauf stattfinden konnte. In Gegenwart
des Scheiks und seines grofsen Gefolges, sowie der ganzen Bevöl-
kerung von Mohammera und Umgegend, welche schon dem Zu-
sammenbau mit grofser Aufmerksamkeit gefolgt war, fand das
Ereignis statt. Wir hatten während der Ebbe den Deich abbrechen
lassen, und da wir den durch Springzeit besonders hohen Wasser-
stand abgewartet hatten, [der Unterschied zwischen Flut und Ebbe,
welcher bis hierher beinerklich, beträgt noch etwa 1,2 m] so füllte
sich das Dock schnell mit Wasser, hob das Schiff von den Hellingen
und unter lautem Jubel wurde die „Susa“ längsseits von der „Perse-
polis“ geholt. Wir setzten nun Kessel und Maschinen ein, vollendeten
die innere Einrichtung und nachdem wir einige Probefahrten gemacht
*) Siehe die Temperatmtabellc am Schlul's dieses Aufsatzes.
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hatten, die sehr gut ausfielen, konnten wir unsre Aufgabe hier als
beendet ansehen.
Leider verzögerte sich aber unsre Abreise von Mohammera
über einen Monat; erstens erhielten wir von der Regierung den
Befehl, den Scheik Mizel Khan mit unsern Schiffen gegen einige am
oberen Karun aufständische Araberstämme zu unterstützen — wir
dampften auch etwa 20 Meilen mit der „Persepolis“ und der „Susa“
stromaufwärts, blieben einige Tage dort liegen, kehrten jedoch, da
die Sache bald beigelegt war, und wir den Aufständischen gehörigen
Schreck eingejagt hatten, schleunigst nach Mohammera zurück.
Ferner machte uns die Übergabe der „Susa“ Schwierigkeiten, da
keine berufene Persönlichkeit anwesend war, welcher das Schiff über-
geben werden konnte. Überdies wäre unser längeres Verweilen mit
den Schiffen an dieser Stelle auf alle Fälle mifslich gewesen, da eine
starke Strom Versetzung uns stets von Neuem an das Ufer trieb; die
ausgebrachten beiden Anker vermochten dagegen nichts. Schliefslich
liefsen wir es unter der Obhut unsres Bootsmannes in Mohammera
zurück, ohne irgend welche Bestimmung, da sich die Regierung weder
bei der Bestellung der „Susa“ noch der der „Persepolis“ klar gemacht
gehabt zu haben scheint, zu welchem Zweck sie die Schiffe hat bauen
lassen. Die „Susa“ lag während der ganzen Zeit, die ich in Persien
zugebracht, unthätig und zwecklos in Mohammera vor Anker.
Anfang September verliefsen wir Mohammera und dampften nach
Bushire, gespannt auf die Dinge, die kommen sollten, zurück.
Unmittelbar nach unsrer Ankunft in Bushire wurde der Zustand
des Kapitäns, der schon während der letzten Zeit unsres Aufent-
haltes in Mohammera gekränkelt hatte, ein derartig bedenklicher,
dafs ihm die Ärzte rieten, am Land zu wohnen. Erst im Dezember
kehrte derselbe einigermafsen wiederhergestellt an Bord zurück. Wir
lagen während dieser gauzen Zeit unthätig vor Anker und führten
ein gar tristes Dasein ; Verkehr am Land hatten wir fast gar nicht,
da sich die Engländer uns gegenüber sehr abgeschlossen verhielten,
und erst ganz allmählich gelang es uns Eingang zu verschaffen.
Dann hatten wir eine entsetzlich schlechte Kost, immer nur Ham-
melfleisch, fast gar kein Gemüse, selten nur Kartoffeln, die wir hin
und wieder von den Postdampfern erhielten. Ferner lagen wir auch
ziemlich weit, etwa 4 engl. Meilen, von Land, wodurch die Kommu-
nikation etwas gehindert wurde.
Der Übergang aus dem sehr trockenen Klima von Mohammera
in das feuehtwarrae von Bushire hatte wieder häufige Fieber hervor-
gerufen und oft lag die halbe Mannschaft krank darnieder. Mit
Jabresschlufs verliefs unsre ganze deutsche Mannschaft und auch
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die Hälfte der Offiziere, froh aus dem öden Leben herauszukommen,
das Schiff und kehrte nach der Heimat zurück. Mit dem Abgänge
unsrer Besatzung waren unsre Aussichten auf irgendwelche
Thätigkeit oder Beschäftigung des Schiffes, als: eine Reise nach
Europa, wie sie mehrfach projektiert war, oder Kreuzen im Golf u. a.
ganz gesunken. Wir Zurückbleibenden, der Kapitän, zwei Offiziere und
ich mufsten uns mit einigen Eingeborenen behelfen, um das Schiff
und die Maschinen nur einigermafsen in Ordnung zu erhalten.
Unsre Beschäftigung war daher eine sehr beschränkte, denn obschon
die persische Regierung auf alle, auch von dem Kapitän gemachten
Vorschläge scheinbar einging, gelangte doch kein Projekt mehr zur
Ausführung; glücklicherweise erlaubte die kühlere Jahreszeit, uns
die Zeit mit Bootsegeln und Reitpartien einigermafsen zu vertreiben.
Indes sehnten wir uns sehr nach Abwechselung und die Zeit schlich
in sehr monotoner Weise für uns hin. Das Schiff war mittlerweile
in den an Parasiten so reichen Gewässern derartig bewachsen, dafs
es unter Wasser eher einem Felsen als einem Schiffe glich, Korallen
in Klumpen von etwa neun Zoll Radius, grofse Barnakels oder Seetulpen,
Muscheln und allerlei derartiges Getier hatten sich an dem Boden
des Schiffes angesetzt. Alle Vorstellungen des Kapitäns bei der
Regierung, dafs es für das Schiff absolut notwendig wäre, dafs das-
selbe nach Bombay ins Dock käme, waren bisher vergeblich. Teils
war es der Regierung zu teuer, teils fehlte es an Interesse. Endlich,
im Mai, nachdem wieder fünf lange Monate vergangen waren, schien
uns die Regierung ein geneigtes Ohr zu schenken, indem sie einen
direkten Vertreter in der Person des General A. Hutum-Schindler
von Teheran nach Bushire sandte, damit sich dieser selbst von dem
Stand der Dinge überzeuge.
Dieser Herr, welcher mit den persischen Verhältnissen, wie kein
andrer Europäer, vertraut ist, bewirkte endlich durch seine ein-
dringlichen Vorstellungen die Erlaubnis, das Schiff nach Bombay
behufs docken und reparieren zu bringen. Leider wurde unsre
Abreise durch den Tod unsres Kapitäns noch verzögert. Derselbe
hatte einen Rückfall seiner ersten Krankheit (Lungenentzündung)
erhalten, dazu war das Fieber getreten und er starb am 1. Juni
1886. Erst nach dem Tode des Kapitäns bestellten wir in Bom-
bay die Überführungsmannschaften, welche uns aus dem Reserve-
personal der Britisch-indischen Dampfschiffahrtsgesellschaft bereit-
willigst übersandt wurden. Nachdem wir das Schiff einigermafsen
in Stand gesetzt hatten, verliefsen wir am 20. Juli Bushire
und dampften nach Bombay. Die Fahrt durch den Golf war
bei dieser heifsen Jahreszeit und völliger Windstille mit unsrer,
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nicht gerade für derartige Klimute speziell eingerichteten, „Per-
sepolis“ einfach schrecklich. In dem Maschiuenraum herrschte eine
Temperatur von 56 — 58 0 C., au Deck hatten wir allerdings nur
durchschnittlich 35 — 38 °C., aber die Windstille machte es desto
empfindlicher und atmeten wir alle sehr erleichtert auf, als wir den
Golf von Oman passierten und in den Indischen Ozean gelaugten,
wo uns ein steifer Südwestwind empfing.
Am 31. Juli erreichten wir Bombay. Obgleich ich schon zum
1. Juli mit den übrigen Herren um meine Entlassung aus den per-
sischen Diensten eingekommen war, hatte ich mich doch noch auf
Drängen der Regierung verpflichtet, bis zum 1. September in Dienst
zu bleiben, um sowohl das Docken als auch die Reparaturen zu
beaufsichtigen. Diese waren bis dahin glücklich beendet und konnten
wir am 2. September aus dem persischen Dienst treten. Wir kehrten
mit einem englischen Dampfer über Ilavre nach Deutschland zurück.
Wie ich jetzt erfahre, ist die „Persepolis“ wieder mit neuem
Offizierpersoual von Deutschland versehen nach Bushire zurückgekehrt
und hat ihre frühere Beschäftigung wieder aufgenommen — nämlich:
Ausbildung zu einem Korallenriff!
Iu einem zweiten durch Heft H. dieser Zeitschrift zu ver-
öffentlichenden Aufsatz werde ich unsern Aufenthalt in Bushire
schildern.
Es folgen hier noch unsre meteorologischen Beobachtungen
in Bushire und in Mohammera:
Zusammenstellung der an Bord des persiseben Regiernngsdompfers .Perse-
polis“ zu Mohammera am Karun(30 0 29' n. B., 48° 25' ö. L. Gr.) beobachteten
Maximal- und Minimal-Temperaturen in "0.
Monatsmittel
Höchste und niedrigste
Ablesung im Monat |
/idt
Luft-Temp.
Wass.-Temp.
Luft-Temp.
Wass.-Temp.
gen
1885
i Maxim.
Minim
Maxim. | Minim.
Maxim.
1
Minim.
; Maxiin.
Mistiin. |
I
18.-31. Mai.
33,4
27,8
24,3 22,8
36,8
21,8
27,8
21,4
j Tcmperatur-
| Unterschied
Juni
38,2
27,5
25,1 23,4
41,2
22,0
26,5
22,0
Juli
40,6
29,5
27,6 25,9
43.5
26,2
30,0
24,3
; Psychrometer
August
40,4
28,6
27,4 25,9
46,0
; 27,0
30,3
23,2
‘15— 22 “C.
1
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Knsanmienstellung der Temperatur-Beobachtungen an Bord des persischen
Regierungsdainpfers „Rersepolis- anf der Reede von Bnshire.
1
Monatsmittel
Höchster und niedrigster 1
Stand im Monat
Luft-Temp.
Wass.
Temp.
Luft-Temp.
Wass.-
Temp.
J Maxim.
Miuiui.
Maxim.
Minim.
Maxim.
Minim.
Maxim.
Miuim. :
r~
33.0
28,0
31.5
30,2
36,6
26.2
32,2
28,8 j
29,6
23,9
27,4
26,0
32,2
21,0
30,6
24,0 1
25,6
20,0
23,7
22.1
28,5
16,5
26,5
20,5
21,7
15,7
19.8
m
28,0
12,0
22,0
15,1
17,6
18,1
17,0
15,5
23,0
10,2
19,5
13,8 j
18,9
13,9
17,2
15,8
23,2
10,0
19.2
14,0
21,2
HU
19,9
18,1
26,3
12,2
22,0
14,0
25.7
21,5
23,5
22,3
35,0
15,2
29,5
18,5
30,8
26,9
28,3
26,7
33.9
24,0
31,0
24,4
33,0
30,3
30,7
29.6
365
27,0
32,0
28.0
33,2
!
30,8
31,4
30.3
35.0
28,7
32,5
28,8 '1
Zeit
1885
September . .
Oktober . . . .
November . .
Dezember . .
1886
Januar
Februar . . . .
März
April
Mai
Juni
Juli
gen
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3 o
~a °
iS &
3
o ÖC
Ö P
iS
*-r a>
NB. Anfang November fiel der erste Kegen — Anfang Mai der letzte.
Emin Pascha.
Wenn die Afrikaforsehung im allgemeinen auf der Tages-
ordnung der geographischen Kreise steht, so ist es gegenwärtig
doch vorzugsweise das ungewisse Schicksal Emin Paschas, des ver-
dienstvollen Forschers und Gouverneurs der ehemals ägyptischen
Äquatorialprovinzen, das die Blicke der zivilisierten Welt mit er-
höhtem Interesse auf sich zieht. Seit mehr als drei Jahren ist
derselbe durch den Aufstand des Mahdi und seiner Sudanesen vom
Verkehre mit Europa abgeschlossen, doch aber hat er mutig auf
dem von der eigenen ägyptischen Regierung verloren gegebenen
Posten ausgeharrt und sich mit einem kleinen Häuflein getreuer
Anhänger durch eine bewunderungswürdige Energie zu halten ver-
standen. Zwei ausgesandte Expeditionen, Emin Pascha Hülfe zu
briugen, sind schon fruchtlos verlaufen; jetzt ist kein Geringerer
als Stanley unterwegs, das gleiche zu versuchen und der junge
schottische Forscher Thomson und der Italiener Mafsari rüsten sich
dem Vernehmen nach zu gleichem Zwecke.
Wer ist aber eigentlich Emin Pascha? Ein geheimnisvolles
Dunkel umgiebt bislang diesen Namen ; man nennt ihn in den best-
unterrichteten ausländischen und deutschen Kreisen einen öster-
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reichischen Schlesier, Dr. Schnitzler — mehr weifs man nicht von
ihm, trotzdem derselbe durch zahlreiche Berichte und wertvolle
Sammlungen unsre Afrikakunde über entlegene und wenig bekannte
Gebiete des oberen Nils in der hingehendsten und uneigennützigsten
Weise gefördert hat.
Es dürfte aber deshalb gerade jetzt zeitgemäfs sein, etwas
Genaueres über die Persönlichkeit Emin Paschas mitzuteilen. Durch
Herrn Dr. med. G. Hartlaub hier, der mehrere Jahre hindurch mit
Emin Bey (bis vor kurzem war dies der Name und Titel) in wissen-
schaftlichem Verkehr stand und demselben aufserordentlich wertvolle
zoologische Sammlungen verdankt, auf die Stadt Neisse als den Ge-
burtsort desselben hingewiesen, gelang es mir, Verwandte und
Freunde von Emin Bey zu erkunden und auf Grund ihrer ge-
fälligen Mitteilungen stelle ich nun folgende zuverlässige Angaben
über seine Herkunft und seinen wechselvollen Lebensgang zusammen.
Eduard Schnitzer ist am 28. März 1840 zu Oppeln in der
preufsischen Provinz Schlesien als Sohn des dortigen Kaufmanns
Louis Schnitzer und seiner Ehefrau Pauline, geb. Schweitzer, ge-
boren. Er kam mit seinen Eltern als Kind von etwa zwei Jahren
nach der oberschlesischen Stadt Neisse, woselbst seine Mutter, nach
dem im Jahre 1845 erfolgten Tode ihres Mannes, den Kaufmann
und Vorsteher der Königlichen, später Reichsbanknebenstelle in
Neisse, Bernhard Treftz, heiratete. Die Mutter lebt dort heute
noch, ebenfalls eine vollbürtige Schwester, Melanie Schnitzer; auch
zwei Stiefgeschwister, ein Halbbruder und eine Halbschwester wohnen
in Neisse. Eduard Schnitzer ist evangelischer Konfession; seine
wissenschaftliche Vorbildung erhielt er auf dem katholischen Gym-
nasium seiner Heimatstadt Neisse, das er von 1850 — 1858- besuchte.
Von früher Jugend auf zeigte er ein reges Interesse für Natur-
wissenschaften; schon als Gymnasiast besafs er die verschiedensten
Sammlungen von Schmetterlingen, Käfern, Pflanzen, Steinen u. a.
Mit dem Zeugnis der Reife bezog er im Herbst 1858 die Universität
Breslau, um sich dem Studium der Medizin zu widmen. Zu Anfang
seiner Studienzeit gehörte er der Burschenschaft Arminia an ; er war
in enger Freundschaft mit dem jetzt in Berlin lebenden Medizinalrat
Dr. R. Long, bei dem er wohnte, und dem jüngst verstorbenen Botaniker
Rudolf Freiherrn von Üchtritz verbunden. Eduard Schnitzers Neigung
für Zoologie, besonders für die Ornithologie, brachte ihn in nähern
Verkehr mit dem Zoologen Professor Dr. Grube, mit dem er auch
eine kleine Forschungsreise in das Altvatergebirge unternahm, und
mit dem Konservator Tiemann, von dem er das Abbalgen der Vögel
lernte. In den letzten Semestern wandte er sich dann den eigent-
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liehen medizinischen Studien zu und war 1861/62 Famulus bei dem
Chirurgen Professor Middeldorph, liefs aber doch niemals den Plan
fallen, einmal als Naturforscher in die Welt zu gehen. Von Breslau
bezog er die Universität Berlin und war hier Assistent in der
Poliklinik des Dr. Angelstein. Zuletzt hielt er sich in Berlin
während des Wintersemesters 1863/64 auf, wo er vermutlich
auch promovierte. t Das Sommerhalbjahr 1864 studierte er
in Königsberg, kehrte im Herbst 1864 nach Berlin zurück,
verliefs dieses aber bald wieder in der Absicht über Triest
nach Konstantinopel zu reisen. Doch Eduard Schnitzer kam
zunächst nicht nach der türkischen Hauptstadt, sondern wir
finden ihn alsbald in Antivari in Albauien als türkischen Hafen-
und Distriktsarzt. Im Jahre 1870 berief ihn der Gouverneur Is-
mael Hacki Pascha zu sich, bei dem er jedoch vorerst nicht lange
verweilte, da er noch als Militärarzt eine Expedition nach Syrien
und Arabien mitmachte. Bald nach seiner Rückkehr folgte er dann
Anfang 1871 Ismael Pascha nach Trapezunt und Erzerum; Ende
September 1872 wurde Ismael Pascha nach Konstantinopel zurück-
berufen und kam dann als Generalgouverueur von Epirus nach
Janina. Auch übei’all dorthin folgte ihm Schnitzer, blieb bei
ihm bis zu seinem gegen Ende des Jahres 1873 erfolgten Tode und
begab sich Anfang des Jahres 1874 mit dessen Familie nach Konstan-
tinopel. Durch seinen langjährigen Aufenthalt und die häufigen Reisen
im Auslande war Schnitzer bei seiner aufserordeutlichen Begabung
für das Erlernen fremder Sprachen des Französischen, Englischen,
Italienischen, verschiedener slavischer Idiome, des Türkischen,
Arabischen und Persischen vollständig mächtig geworden; auch hatte
er sich die orientalischen Sitten und Gebräuche so angeeignet und
dieselben waren ihm in dem Mafse zur Gewohuheit geworden, dafs
niemand ihm den westeuropäischen Ursprung anmerkte. Auf
allen Reisen hatte er seine Vorliebe für die Ornithologie
bewahrt und führte meistens eine kleine Menagerie seiner Lieblinge
mit sich. Im Frühjahr 1875 besuchte Schnitzer nach langjähriger
Abwesenheit einmal wieder seine Heimatstadt Neifse auf längere
Zeit, reiste am 18. September 1875 nach Breslau zu Dr. Long,
verkehrte hier noch mit mehreren andern Universitätsfreunden,
war dann aber plötzlich verschollen.
Schnitzer war nach seinem Verschwinden in Europa als Arzt
in die ägyptische Armee eingetreten ; für das Pharaonenland hatte er
schon früher geschwärmt und über Afrika namentlich v. d. Deekens
und Fritschs Werke studiert. Im Jahre 1876 folgte er von Kairo
Gordon Pascha in den Sudan, wurde unter dem Namen Emin
Geogr. Blätter. Breme», 1887. 5
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Eifendi zum Chefarzt mul 1878 zum Gouverneur der ägyptischen
Äquatorialprovinzen mit dem Rang eines Beys ernannt; erst kürzlich
ehrte ihn dann noch der Chedive durch Verleihung des Paschatitels.
Es ist hier nicht der Ort, über die vielseitige und mühevolle
organisatorische und administrative Thätigkeit Emin Beys, sowie
über seine Verdienste auf geographischem und naturwissen-
schaftlichem Gebiete seit dem Jahre 1876 ausführlich zu berichten,
es sei in dieser Beziehung auf die zahlreichen Aufsätze in der
Fachpresse, insonderheit auf Petermanus Mitteilungen, hingewiesen ;
hier sei mir nur noch eine kurze Bemerkung, die ich der gefälligen
Mitteilung des Herrn Dr. G. Hartlaub verdanke, über Emin Beys
Sammluugen gestattet. Die Zahl der nach Bremen (an Dr. Hartlaub)
und nach Wien (an Dr. A. v. Pelzein) gesandten Vogelbälge dürfte
nicht viel weniger als 2000 betragen. Dieselben sind vortrefflich
präpariert und mit Etiketten versehen, auf welchen mit der gröfsten
Sorgfalt verzeichnet ist : 1) das Geschlecht, 2) Datum der Erlegung,
3) Lokalität, 4) Farbe der Weichteile und 5) die Messung am frischen
Vogel. Die Zahl der neuen Arten, also Entdeckungen Emin Beys
beträgt etwa 25; davon sind 23 Arten von Dr. Hartlaub, 3 von
A. v. Pelzeln wissenschaftlich eingeführt worden. Zu Ehren Emin Beys
sind von Dr. Hartlaub benannt: Eminia lepida, Sorella Einini und
Hyphantornis Emini. Dr. Hartlaubs bisherige Arbeiten über
Emin Beys Vogelsammlungeu sind erschienen in den Ver-
handlungen des naturwissenschaftlichen Vereins in Bremen, im „Ibis“
(dem Organ der British Ornithologicis Union), den Proceedings of
the Zoological Society of London und in Cabanis Journal für
Ornithologie; A. v. Pelzeln veröffentlichte seine Arbeiten in den
Verhandlungen der k. k. Zoolog. Botan. Gesellschaft in Wien. Herr
Dr. Hartlaub hat die sämtlichen ihm persönlich geschenkten
Sammlungen Emin Beys an unsre städtische Sammlung für Natur-
geschichte überwiesen. Es gereicht mir daher zur Freude, dafs die
ersten genaueren Nachrichten über die Person des berühmten Afrika-
forschers auch von seiten der Bremer geographischen Gesellschaft
ausgehen können.
Bremen, deu 25. Februar 1887.
Dr. W. Wolkenhauer.
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Kleinere Mitteilungen.
§ Aus der geographischen Gesellschaft in Bremen. In nachfolgendem
wird über zwei im Kreise der Gesellschaft kürzlich gehaltene Vorträge berichtet.
Am 10. Dezember 1886 hielt Herr Dr. Bernhard Schwarz einen
Vortrag über Kamerun. Auf der Grundlage der Anschauungen und Be-
obachtungen, welche der Redner auf seinen Fufswanderungen durch Kamerun
im vergangenen Winter und Frühjahr gewonnen, entwarf er ein vollständiges
Bild der geographischen, ethnographischen und wirtschaftlichen Verhältnisse von
Kamerun. Zuerst führte der Redner dem Hörer das einzig grofsartige Land-
schaftstableau vor, welches sich dem zu Schiff der Küste Nahenden in dem
4000 m hohen Götterberge entrolle, der, unten wie auf einem Wolkenpostament
ruhend, bis an die nur spärlich von Schneestreifen durchzogenen schwarzen
Lavakämme des Gipfels heran von einem grünen Samtmantel tropischen
Waldes dicht umschlossen sei. Auch wenn mau den Berg auf einem der durch
den Wald führenden Negerpfade bis zu seiner mittleren Höhe erklettert, bietet
sich ein eigenartig reizvolles Landschaftsbild, das den Almen unsrer Alpen
ähnelt, aber durch den Blick auf den blauen Ozean noch aufserordentlich viel
grofsartiger ist. Auf den hier und da von moosbewachsenen Lavablöcken be-
deckten, von Schluchten und klaren Gewässern durchzogenen Bergwiesen liegen
malerisch zerstreut die aus Flechtwerk erbauten Hütten der Eingeborenen und
weidet kräftiges Vieh von einer stämmigen Gebirgsrasse. Wenn nun die Wider-
spruchsgeister in der deutschen Kolonialbewegung einräumen, dafs der Kamerun-
berg schön sei, so fügen sie zugleich hinzu : Das andre ist alles Sumpfterrain.
Dem ist nun aber, wie er sich auf seiner Reise durch Augenschein hat über-
zeugen können, durchaus nicht so: einmal ist der Kamerun kein einzelner
Berg, sondern ein 50 Quadratmeilen einnehmendes Gebirge, dessen sanft auf-
steigende Flanken weit in das Land hinein sich erstrecken. Nur das schilf-
reiche Mündungsgebiet und der Unterlauf der Flüsse liegen tief, im übrigen ist
das Terrain hoch und wirtschaftlich vielfältig benutzbar. Der niedrigen Ufer-
landschaft folgt nach Norden die zweite Zone des Urwaldes, ein von Wasser-
adern durchzogener sandiger, trockener Boden, auf welchem Bäume mit leder-
artigen glänzenden Blättern : Eben- und Rotholz, Mahagoni u. a. wachsen. Auch
hier waren die Ansiedlungen der Eingeborenen zahlreich, das Material der eng
nebeneinander in einer langen Strafse stehenden Häuser fester, aus Lehm,
getüncht und mit phantastischen Figuren geschmückt. Die Tierwelt dieser im
ganzen melancholischen Landschaft ist arm, der Hauptvertreter der gefiederten
Welt ist der Glockenvogel mit seinem regelmäfsig wiederkehrenden Gekreisch
und aus dem Urwald schmettert ab und zu der Trompetenton des Elefanten.
Viele Tage durchwanderte Redner diese Gegenden; die Weltgeschichte schien
hier ein Ende zu haben. Um so überraschender war der Anblick der dritten
Zone, des Hochplateaus, wo eine fleifsige Bevölkerung zahlreiche Plantagen von
Bohnen und Mais kultiviert, wo der Mango, die Banane und andre Frucht-
bäume üppig gedeihen und wo auch das Tierlcbcn ein reicheres ist. In lebens-
voller Schilderung entwarf der Redner sodann das Bild eines Flusses in dieser
Gegend, der in mäandrischen Windungen bei einer bedeutenden Breite doch eine
Fülle seines trübgelblichen Wassers mit sich führend zahlreiche Busch- und
Sandinseln aufweist und von oben herab mächtige Baumstämme flöfst. Die
Pfianzenszenerie der Flufsufer ist eine aufserordentlich reiche. Das Tierleben
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macht sich hauptsächlich während der frühen Morgenstunden in den ihre
Strafsc durch den Wald sich brechenden Elefantenherden bemerkbar, auf den
Sandinseln sonnen sich Krokodile und mitunter hört man aus den Fluten ein
Stöhnen, wie das eines Sterbenden, das Flufspferd. Die Neger vermeiden die
Flufsthäler, weil auch ihnen die Ausdünstungen Fieber bringen, sie legen ihre
Ansiedlungen 3 — 5 km landeinwärts auf frei und hoch gelegenen Punkten an und
hier und da belehren uns ein Schuppen oder aufgestapelte Ölfässer, dafs hier
der Hafen einer solchen Negeransiedlung ist. Ab und zu ziehen Fahrzeuge
schwarzer Händler stromaufwärts. Ein andres Bild bieten die Flüsse in ihren
5 — 20 km breiten Mündungsgebieten. Die schlammigen Ufer und Inseln besetzen,
in mächtigem Wurzelwerk sich aufbauend, die Mangroven und Rhizophoren.
Der träge, langsame Lauf des Stromes gestattet das Eindringen der Meeres-
flutwellc weit hinein, mit ihr wird eine Menge von Weichtieren hineingeschwemmt,
welche, bei ablaufender Flut in den Wurzeln und abgestorbenen Asten der
Mangrove zurückbleibend, unter dor brennenden Tropensonne schnell in Ver-
wesung übergehen. Inmitten dieser Fieberregion, worin der europäische Kauf-
mann notgedrungen leben mufs, giebt cs aber auch höher gelegene, daher gesunde
Stellen. — Sodann verbreitet sich der Redner über die Nutzbarmachung, die
Bewirtschaftung unsrer Kolonie Kamerun. Schon jetzt wird Palmöl in er-
heblichen Mengen ausgeführt zur Seifenfabrikation und neuerdings auch, in
Berlin, zur Herstellung von Kunstbutter, die Nutzbarmachung des bekanntlich
vom Stamme einer Liane entnommenen Kautschuk kann noch eine bei weitem
vielseitigere werden. Die schönen roten Beeren des wild wachsenden Kaffee-
baumes weifs der Neger leider nicht zu schätzen; beachtenswert sind zahl-
reiche Medizinpflanzeu, namentlich Strychnusartcn ; die Rinde und Blätter der
Mangrove enthalten Gerbstoff und das Holz der Stämme ist wasserbeständig und
dauerhaft. Die verschiedenen Zonen am Kamerunberg gestatten bei dem stets
fruchtbaren Lavaboden die mannigfaltigste Bodenbebauung: Tabak, Wein, Obst,
Gewürznelken, der Chinarinden- und der Kakaobaum gedeihen hier. Damit ist
auch praktisch ein bedeutender Anfang in einer 9000 Stämme zählenden Kakao-
pflanzung gemacht, welche bei der Missionsstation Viktoria an der Ambas-Bai
trefflich gedeiht und daher bei dem Übergang dieses bisher englischen Besitzes
an die Baseler Mission zu 62000 M laxiert wurde. Dafs auch das Innere von
Kamerun fruchtbar ist, beweisen die Farmen der Eingeborenen und selbst die
niedrigen Gelände an den Flufsmündungen würden nach Abtreiben der Man-
grove ein Terrain für die Kultur von Reis und Zucker bieten. Jagd auf Elefanten
und Rindviebzucht könnten weitere Erwerbsquellen werden. Das Wichtigste ist
aber der Handel, in welchem die Deutschen zwar nicht der Zahl, aber der Be-
deutung ihrer Faktoreien nach die erste Stelle einnehmen. Als Scheidemünze
im Tauschhandel dient u. a. Tabak, der aber nicht geraucht, sondern, auch
von Kindern und Damen, geschnupft wird, die Frauen tragen ihn mitunter in
Düten im Ohr. Waffen, Kattune, Schmuck, Geräte bilden weitere Einfuhrartikel,
ja schon jetzt arbeiten schwarze Schönen mit der komplizierten Nähmaschine.
Den Löwenanteil des Handels nach dem Innern nehmen zur Zeit die schwarzen
Zwischenhändler, die Duallas, in Anspruch, sie kaufen die Erzeugnisse des
Landes zur Ausfuhr billig ein und verkaufen die europäischen Erzeugnisse so
teuer wie möglich, , so dafs sie bis zu 20C0 und 3000 °/u verdienen. Darum
ist es für den deutschen Kaufmann an der Küste eine Lebensfrage, direkte
Handelsverbindungen mit dem Hinterlandc durch Errichtung von Stationen dort
anzuknüpfen. Endlich wendet sich der Redner gegen die übertriebenen Vor-
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Stellungen von der Gefährlichkeit des Klimas von Kamerun. Durch vernünftige
Lebensweise und Sicherung des gerade in den Tropen nötigen Lebenskomforts
kann der Europäer viel zur Erhaltung seiner Gesundheit thun, manche ’Mafs-
regeln, wie die Reinigung der Creeks, die Beschränkung der Mangrove werden
vorteilhaft wirken, ebenso Höhenstationen am Kamerunberg für die Erkrankten.
Freilich mufs man Geduld haben, eine Eigenschaft, die der Deutsche ja Jahr-
hunderte lang hat üben müssen. In der französischen Kolonie Algerien hat
Redner in Dörfern verweilt, wo in den vierziger Jahren dieses Jahrhunderts
das Fieber bis zu zwei Drittel der Bevölkerung hinwegraffte und jetzt sind diese
Dörfer dank den Verbesserungen durchaus gesund, ja teilweise Gesundheits-
stationen. Zum Schlufs sagte der Redner: Wir können gewifs, wie überhaupt
auf unsre junge Kolonialpolitik, so auf das vielfach verleumdete Kamerun mit
Stolz hinblicken. Gewifs sind noch genug Schwierigkeiten zu überwinden, es
wird Mühsal und Arbeit kosten, daran ist aber das deutsche Volk durch seine
bisherige Geschichte gewöhnt, das ist deutsche Art, und mit deutscher Arbeit
wird auch Kamerun, so dürfen wir hoffen, noch einmal ein Land werden, das
Gedeihen und Wohlstand seiner schwarzen wie der weifsen Bevölkerung bietet.
Zwei grofse Karten, Zentral-Westafrika und das deutsche Kamerungebiet dar-
stellend, dienten den vom Redner gegebenen geographischen Erläuterungen als
Illustration.
Am 17. Januar 1887 folgte ein Vortrag des Herrn Ernst Hartert, der mit
Flegel zu seiner letzten Reise hinausgezogen war, über das Niger-Bonuegebiet.
Der Redner hob zunächst die Schwierigkeiten der Erforschung dieses grofsen,
an Bodenbeschaffenheit und Bevölkerung vielfach verschiedenen Gebiets hervor,
mehr als ein Forscher habe in diesem Gebiet im Dienste der Wissenschaft sein
Leben opfern müssen. Gleich beim Beginn der Reiso mufsten zwei zum Tode
erkrankte Mitglieder, die Doktoren Scmon und Gürich, zurück in die Heimat
befördert werden. Flegel starb und Staudingor, der treue Beisegefährte des
Vortragenden, erkrankte schwer nach der Rückkehr. Am 19. Mai 1885 landete
Redner nach fünfwöchentlicher Seefahrt an einer der grofsen Nigermündungen,
dem Brafs-River. Der erste Eindruck bei Annäherung an die sonnenbeglänzte
waldige Küste ist ein günstiger. Aber es gilt auch für diese Gegend das Wort,
welches ein Seemann ihm zuflüsterte: der Tod schlummert in jeder Blume der
afrikanischen Küste! An Niederlassung europäischer Ackerbauer ist weder an
der Küste noch im Innern zu denken, doch kehren Forschungsreisende trotz
gröfster Entbehrungen und Strapazen nicht selten gesund heim und der
europäische Kaufmann kann bei vernünftiger Lebensweise hier lange leben und
wirken, ihm eröffnen sich hier neue Bahnen, die besonders der mutige und
beharrliche Deutsche unentwegt verfolgen wird. Unter der Bevölkerung der
unteren Nigergegend sind besonders die Yoruba hervorzuheben; unter einigen
kommt der Kannibalismus vor. Das Grab eines in Onitscha verstorbenen
katholischen Missionars mufste auf die Bitte der Eingeborenen selbst zwei Nächte
hindurch bewacht werden, damit die Leiche nicht von einem benachbarten
Stamm von Kannibalen geraubt werde. Der Aufenthalt am untern Niger war
ein kurzer, Flegel drängte zur Reise ins Innere. Am Zusammenflufs des Niger
und Benue zeigt die Landschaft einen bergigen Charakter und unter der viel-
sprachigen Bevölkerung überwiegen die Mohammedaner. Flegel zog den Niger
aufwärts in das reiche Nupeland, während Hartert sich zum Benne wandte, an
dessen Ufern teils Mohammedaner, teils Heiden wohnen, die streckenweise unter
der Oberhoheit des grofsen Haussa-Fulbe-Staat.es Sokoto stehen. Von Loko ging
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die Reise nach Norden za den Sultanen von Sokoto und Qanda, denen die
Geschenke nnsers Kaisers zu übergeben waren. In der Nähe der Dörfer zeigten
sich üppige Felder von Guineakorn, Sorghum, Kolbenhirse, Penicillaria, Mais.
Kassawa u. dergl. Zeitraubend und schwierig waren die Übergänge über die in
der Regenzeit angeschwollenen Bäche und Flüsse, sie wurden teils durchritten,
teils in Kanus oder auf leichten Flöfsen oder schwebenden Brücken passiert.
In der jungen Stadt Anassarawa, wo ein junger kriegerischer Sultan herrscht,
wie zwei Tage später in Keffi-Abd-es-Ssenga, versuchte man vergeblich, die
Reisenden aufzuhalten. Prächtig ist der Ritt am Morgen unter Palmen, deren
Kronen die über zackigem Felsen erscheinende Sonne rötlich färbt, die Träger
traben singend voraus, aber bald gilt es sich zu rüsten gegen einen Überfall von
Räuberscharen, die sich drohend zeigten, doch halb aus Furcht vor der Waffe
des Weifsen, halb aus Scheu vor den Beschwörungen des Priesters, wieder
abzogen. Durch ein fruchtbares palmenreiches Thal ging es bergan ins Gebirge
zu den auf Felskuppen oder in Waldcsdickicht wohnenden wilden und roten
Kotoheiden. Die Häfslichkeit ihrer Weiber steht in schroffem Gegensatz zu der
Formenschönheit der schwarzen Haussafrauen und zu der Grazie und dem
Anstand der gelben Fulbemädchen. In der grofsen Stadt Scaria bereitete der
Sultan den Reisenden freilich einen glänzenden Empfang, nötigte sie aber zu
bleiben, bis er selbst zur Entrichtung des Tributs zum Sultan von Sokoto zöge.
Leider war die Gegend ungesund, auch Hartert wurde vom Fieber befallen.
Doch konnte der unfreiwillige Aufenthalt zu einem Besuch der grofsen und
reichen Stadt Kanu benutzt werden, die seit Barth von keinem Europäer wieder
betreten worden war. Das Leben und Treiben in dieser Stadt, wo die Reisenden
von einem der Vornehmen gastlich aufgenommen wurden, schildert der Redner
anschaulich und lebendig : das Araberviertel mit seinen viereckigen Lehmhäusern,
die Dromedarkarawanen der wilden Tuaregs, welche Salz von den Seen der
Wüste bringen, eine arabische Schule, eine Reiterschar, die unter Trompeten-
geschmetter den eben errungenen Sieg über eine kleine Heidengemeinde ver-
kündet. Hier in Kanu sind auch reine weifse Araber ansässig, doch sie kehren,
wenn sie Reichtümer erworben haben, immer wieder nach Nordafrika, nach
Tripoli oder Tunis, zurück. Einer von diesen reichen Kaufleuten, welche haupt-
sächlich Elfenbein, ferner Straufsfedern, Sklaven und Toben ausführen, gab den
Europäern in seinem hohen kühlen Hause ein Gastmahl. Das Elfenbein kommt von
Adamaua, hat die breite Wasserstrafse des Benne passiert, von wo es eigentlich
naturgemäfs nach Europa ausgeführt werden sollte; infolge des Auftretens
englischer, zum teil schwarzer Agenten geht es aber wieder mehr hinauf zu dem
alten bekannten Handelsweg der Araber, die es auf langer, beschwerlicher Reise
von Kanu über Kuka am Tsadsee durch die Wüste zum Mittelmeer bringen.
Das Treiben auf dem arabischen Markte in Kanu mit seinem malerischen Durch-
einander der Trachten und Waren, zu denen leider hier auch Sklaven gehören,
schildert der Redner lebhaft und wendet sich dann zu der zum Teil durch neues
Gebiet gehenden Reise von Sana nach Sokoto, die im Zuge des Sultans gemacht
wurde. Dieser Zug des auf einem braunen Araberhengst und umgeben von
Beinen prächtig gekleideten Grofsen einhersprengenden Sultans von Saria bestand
aus etlichen Tausend Menschen, Hunderten von Pferden, Rindviehherden u. a.
In Dangoga nahm der „Sultan aller Sultane“ den Tribut seiner Statthalter ent-
gegen und empfing sofort die Männer aus Europa in seiner Halle unter dem
vielmal wiederholten arabischen Grufs : marhabba marhabbi 1 Am dritten Tage
wurden in feierlichem Zuge die Geschenke unsers Kaisers überbracht, die Be-
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Wanderung erregten. Weiter gings nach Sokoto; die grofse Stadt, obwohl über
einen grofsen Flächonraum ausgedehnt und mit einem reich besuchten Markte,
zeigt doch im ganzen das Bild des Verfalls, und die Stadtmauern sind so
schadhaft, dafs an einigen Stellen des Tags die Ziegen, des Nachts die Hyänen
hinüberklettern ; die eisernen Thore werden allabendlich sorgsam verschlossen,
ln Qandu war der Empfang ein kühler, da die von Flegel über Nupe einge-
sandten Geschenke noch nicht eingetroffen waren. In Wurnu zeigten sich die
Träger übermütig und unzuverlässig und fanden fortwährend Ärgerlichkeiten mit
denselben statt, die erst in Samfara, dessen edler, freundlicher Herrscher den
Reisenden ein starkes Dromedar schenkte, ihr Ende erreichten. Der Rückweg über
Saria ging durch eine Gegend, die, heimgesucht von Räubern, das traurige Bild von
Mord, Brand und Plünderung bot. In Kukui nahm die Reisenden der frühere
Gastfreund herzlich wieder auf und erbat sich beim Abschied von ihnen als
Liebeszeichen eine Medizin gegen — den Tod. In Loko verweilten die Reisenden
noch zwei Monate und traten dann, nachdem sie Erkundigungen über Flegels
Aufenthalt eingezogen hatten, die Heimreise an. —
Die Mitglieder der Gesellschaft begrüfsten am 22. Januar d. J. in Bremen
die Mitglieder der deutschen Schingu-Expedition. Diese Herren — Dr.
med. v. d. Steinen und W. v. d. Steinen aus Düsseldorf, Dr. Ehrenreich aus
Berlin und Dr. Vogel aus München — verliefsen am 25. Januar Bremerhaven mit
dem Lloyddampfer „Berlin' zur Fahrt nach Rio, von wo die Reise mit einem
Regierungsdampfer zunächst längs der atlantischen Südküste Brasiliens, sodann
den Parana und Paraguay hinauf bis Cuyabä fortgesetzt werden soll Hier in
Cuyabä, von wo schon die frühere Expedition ausging, wird auch die diesmalige
weiter organisiert werden. Die geographischen und ethnologischen Forschungen
werden sich diesmal hauptsächlich auf die Quellgebiete der Flüsse, welche
zum Schingu zusammenströmen, besonders auf die Uferlandschaften des Kuliseu
erstrecken.
Im November v. J. wurde, wie in Heft 4 der Zeitschrift von 1886 be-
richtet, von unsrer Gesellschaft in ihrem Lokal eine Ausstellung von eth-
nologischen und kommerziellen Gegenständen aus Ostasien und Mittel-
amerika veranstaltet. Dieselbe war fünf Wochen hindurch geöffnet und wurde
von 450 Personen besucht; ein Eintrittsgeld wurde nicht erhoben, doch war
durch Ausstellung von Sammelbüchsen Gelegenheit zu Spenden für die
Deutsche Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger gegeben. Somit konnte am
Schlufs der Ausstellung nach Abzug der Kosten der Kasse dieser Gesellschaft
ein kleiner Betrag überwiesen werden.
Leider haben wir den Verlust unsres Mitgliedes, des um die deutsche
Kolonialsache hochverdienten Herrn F. A. E. Lüde ritz zu beklagen: wie die
Zeitungen berichtet haben, ist Herr Lüderitz auf einer Bootsreise von der
Mündung des Oranjeflusses längs der Küste des von ihm erworbenen deutschen
Koloniallandes in Südwestafrika, verunglückt. Es ist an der Wahrheit des
Berichts jetzt leider nicht mehr zu zweifeln !
Zur Topographie von Bremen. In der historischen Gesellschaft von Bremen
hielt am 29. Januar 1887 Herr Dr. Dünzelmann einen Vortrag über die
topographische Entwickelung der Stadt Bremen. Der „Bremer Courier“ be-
richtet über diesen Vortrag das Folgende : Die Frage nach den örtlichen
Bedingungen, welchen unsre Stadt ihren Ursprung verdankt, ist schon öfter
erhoben und zu beantworten versucht worden. Gewöhnlich nimmt man an,
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dafs sich hier an der Unterweser der änfserste Punkt befand, der zu jeder Zeit
gestattete, vom Rhein und benachbarten Gegenden in das Gebiet der Elbe und
weiter nordwärts zu gelangen. Die zu überwindenden Schwierigkeiten lagen
nicht so sehr in den Gewässern, welche überschritten werden mufsten, als in
Sümpfen und Mooren, an deren Rändern entlang stets gangbare Wege gesucht
werden mufsten. Um dies Verhältnis gründlich anseinanderzusetzen, ging
Herr Dr. Dünzelmann auf die Zeit der Römer, uuf die Geschichtsquellen des
Tacitus zurück. Mit Hülfe einer Landkarte wurden die uralten Verbindungs-
wege zwischen dem Rhein, der Lippe und der Weser einerseits, sowie zwischen
dieser und den Gegenden an der Elbe anderseits in ihrer naturnotwendigen
Entstehung nachgewiesen. In Kürze ausgedrückt, sind dies die alten Heer-
strafsen, die von der jetzigen Neustadt aus südlich an den Dümmersee und
nach Osnabrück und westlich über Wildeshausen nach Quakenbrück führen,
und für die Altstadt die Verbindungen vom Oster- und dem Ansgarii- und
Doventhore aus. — In engerer Ausführung seines Themas kam der Vortragende
auf die äufsere Erscheinung unsrer Stadt im Mittelalter in bezug auf Strafsen-
anlagen und Befestigungen. Letztere wurden in dreifacher Hinsicht unterschieden
und zwar zuerst als die des Domes und seiner Nebengebäude, dann die der ge-
samten Stadt und endlich mit bezug auf 'die Aufsenwerke, Landwehren. Dabei
ergaben sich auf Grund urkundlicher Darstellungen mancherlei interessante Auf-
schlüsse, die indes durch fortgesetzte Studien ihres hypothetischen Charakters
noch mehr entkleidet werden müssen und deshalb hier der näheren Mitteilung
entbehren können. Die fortgesetzten Untersuchungen werden voraussichtlich
viele der erlangten Ergebnisse bestätigen oder zu gröfserer Wahrscheinlichkeit
erheben, während andre sich entweder als haltlos erweisen oder dunkel und
unaufgeklärt bleiben werden. Unaufgeklärt ist namentlich Vieles in betreff
der ältesten Stadtmauer, der Lage einiger Thore, und der Befestigung des Domes,
wozu u. a. auch ein starker Turm gehörte. Wie urkundlich bestätigt, haben
bei dem Bau des Rathauses erhebliche Oberreste älterer Festungsmauern entfernt
werden müssen. Es ist wahrscheinlich, dafs es eine Zeit gegeben, in welcher
der Hauptverkehrsweg nach Nordwesten an die Lesum in der Richtung der
jetzigen Pelzerstrafse sich erstreckte. Die Grenzen der Stadt sind ohne Zweifel
zu verschiedenen Zeiten ausgedehnt und erweitert worden, so dafs der gegen-
wärtige Umfang der Altstadt erst in der nachmittelalterlichcn Zeit erreicht und
durch Gräben, Wälle und Mauern fest bestimmt worden ist. Jedenfalls bleibt
die Enthüllung der topographischen Entwickelung unsrer Stadt ein höchst
interessantes Kapitel, dessen Fortsetzung zu wünschen ist.
Aus der niederländischen Provinz Friesland. Die „Weserzeitung“ ver-
öffentlichte kürzlich unter der Überschrift: „Land und Leute, Sitten und Ge-
bräuche in Westfriesland - ansprechende Schilderungen, denen wir folgendes
entnehmen : Der Bewohner des Strandes ist nicht sehr zur Fröhlichkeit geneigt.
Die weite, graue Meeresfläche, welche in weiter Ferne mit dem Horizonte in
eins verschwimmt, stimmt ihn zum Ernste. Die tägliche Beschäftigung macht
mit der Gefahr so vertraut, dafs der Tod wie mit zur Familie gehörig erscheint,
ein böser Gast, der an allen Orten lauert, um hervorzubrechen. Selbst die-
jenigen, welche im Innern der Provinz dem Landbau und der Viehzucht ob-
liegen, können sich diesem Ernst des Lebens nicht entziehen. Müssen sie doch
stets mit dem Binnenwasser um ihr niedrig gelegenes Land kämpfen und dem-
selben wehrhafte Dämme entgegensetzen, damit es nicht in einen weiten Sumpf
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verwandelt wird. An der Küste der Nordsee und der Zuidcrzee entlang liegt
fruchtbarer Marschboden. Von Harlingen nordostwärts eignet derselbe sich
wegen seiner höheren Lage zum Ackerbau ; es werden daselbst Gerste, Weizen,
Hafer, Bohnen, Kartoffeln und Flachs gewonnen. Winter- und Sommerraps
wird im Vergleich zu früheren Zeiten weniger gebaut, auch trifft man einzelne
Felder mit Zichorien an. In der Umgegend von Berlikum, nordwestlich von
Leeuwarden, beschäftigen sich die Bewohner mit Gartenbau und versorgen die
Städte des Landes mit Gemüse, sowie mit Erdbeeren, Himbeeren, Johannis-
und Stachelbeeren.
Anders ist es in der niedriger gelegenen Marsch, welche von Harlingen
südwärts an der Zniderzce entlang liegt bis Stavoren und sich in das Innere
des Landes hinein über den Grund der eingedeichten Middelsee hinweg in
einem schmalen Streifen bis nach Dokkum hinzieht, wo 755 Bonifacius
von den heidnischen Friesen erschlagen wurde. Auf weiten Flächen sieht man
kein einziges Stück Ackerland, hier wird nur Viehzucht getrieben, Wiese reiht
sich an Wiese. Breite Kanäle, auf denen Dampfschiffe regelmäfsige Verbindungen
mit den Ortschaften hcrstellen, durchschneiden das Land. Die zu einem Bauern-
hof gehörenden Ländereien sind von einem Damm umgeben, von breiten Gräben
durchschnitten, in denen sich das Wasser sammelt, welches durch eine Wasser-
schöpfmühle in den Kanal gehoben wird. Ohne solche Windmühlen kann man
sich eine holländische Landschaft gar nicht denken. Auf einer erhöhten Stelle
baut der Bauer seinen Hof. An den eingedeichten Poldern, deren es in West-
friesland wohl 1600 giebt, liegen dieselben einzeln, während sie sonst zu kleinen
Dörfern vereinigt sind. Alle Räumlichkeiten des Hofes sind unter einem ans
roten Ziegeln hergestelltcn Dache vereinigt, es ist die rote Farbe in dem um-
gebenden Grün der Wiesen und Weiden eine angenehme Unterbrechung. Die
gröfste Sorgfalt beim Bau des Hauses wird dem Keller gewidmet. Als Aufbe-
wahrungsort für die Milch mufs er luftig, kühl und geräumig sein. Gewöhnlich
liegt er an der Nordwostecke des Hauses und nicht gar zu tief in der Erde.
Damit die Milch recht kühl bloibt, ist rundherum an der Wand entlang ein
Wasserreservoir von etwa 60 cm Höhe und 1 m Breite aufgemauert. Die Ober-
fläche desselben ist mit runden Löchern versehen, in welche die aus Zinkblech
hergestellten Milchtaljen hineingesetzt werden, so dafs sie in den hohlen Raum
hineinragen, und stets von kühlem Wasser, das täglich mehrmals erneuert wird,
umspült werden. *
Neben dem Milchkeller, zur ebenen Erde, findet sich an der Giebelwand
die beste Stube. Beide, Stube und Keller, sind von den übrigen Räumen durch
einen Gang getrennt. Don gröfsten Raum im Innern des Gebäudes nimmt der
Lagerplatz für Heu ein, Gulf genannt, der von drei Seiten mit Viehställen um-
geben ist, während die vierte Seite nach dem vorerwähnten Gange zu, Platz
für die Küche, die zugleich Wohnstube ist, und den Raum für die Butter-
maschine gewährt. Die Stallung für Grofsvich nimmt eine ganze Längsseite
des Hauses ein und ist durch eine Wand von dom Gulf getrennt, während an
der entgegengesetzten Seite zwischen dem Gulf und der Stellung für Kleinvieh
sich die Tenne oder vielmehr eine mit Lehm gedielte Auffahrt befindet, denn
zu dreschen giebt es hier überall nicht. Die Kammer für die Käsebereitung
findet sich am Hause, ist jedoch durch eine Überdachung mit dem Ganzen ver-
einigt. Schlafzimmer giebt es im ganzen Hause nicht, sondern in der Wohn-
stube, wie am Hausflur entlang, sind Wandkojen errichtet, in denen die Bewohner
des Nachts der Ruhe pflegen. Am Tage sind dieselben durch Thüren verschlossen.
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Die Produkte, Butter und Käse, bringt der Landmann entweder zu
Schiff oder zu Wagen zum nächstgelegenen Markte, der in den Städten all-
wöchentlich abgehalten wird. Die schwerfälligen Wagen haben eine kurze
Deichsel, an deren Spitze die Zugstränge befestigt werden, während der Knecht
einen niedrigen Sitzplatz hat und den l'ufs auf die Deichsel stemmt, um das
Gefährt zu lenken.
Zur Zeit der Heuernte giebt es für den Viehzüchter vollauf > zu thun.
Aus Deutschland kommen ganze Scharen von Mähern, um das hochauf-
gewachsene Gras abzuschneiden, während der Bauer mit seinem Gesinde die
Arbeit des Trocknens und Einfahrens besorgt. Erst im September, nach der
Grummeternte, tritt eine Buhepause ein, die benutzt wird, um Nachbarn, Freunden
und Verwandten Besuche abzustatten. In diese Zeit fällt auch der Jahrmarkt,
de Kermis, welcher gewöhnlich eine Woche dauert. Für die angestrengte Arbeit
im Sommer entschädigen sie sich hier durch die ausgelassenste Fröhlichkeit.
Schon sechs Wochen vorher ladet der Bursche die vou ihm erwählte Schöne
zur Kirmes ein, und er ist dann gehalten, während der ganzen Dauer nur mit
der Dame seines Herzens Kirchweih zu feiern. Mehrere Tage lang geniefsen
sie ununterbrochen die Marktfreuden, erst nach völligem Auskosten des
tollen Jubels geleitet er die Schöne heim, und mit einem einfachen Abend-
essen im Hause der Jungfrau nimmt die Fröhlichkeit ein Ende. Solche Kirmes-
feier ist gewöhnlich die Einleitung zu einem Bunde fürs Leben. Der Bursche
besucht längere Zeit, manchmal jahrelang seine Auserwählte, um sie näher
kennen zu lernen, und wenn auch ein Verlöbnis erfolgt ist, so wird dasselbe
doch nicht eher für bindend erachtet, als bis das Aufgebot erlassen ist, welchem
nach 14 Tagen schon die Hochzeit folgt. Das Verhältnis kann deshalb leicht
gelöst werden, und cs wird in dem Falle immer formell von seiten der Jung-
frau gekündigt, weil nach Ansicht der Friesen sonst ein Makel auf ihr haften
bleibt und ihr das Eingehen eines neuen Verlöbnisses erschwert wird.
Ausgedehnte Binnenmeere von 6—8 Stunden im Umfang, wie das Tjeuke-
meer, das Fluessen- und Ilcegermeer, Sneekermeer u. a. breiten Bich im Innern
der Provinz aus. Alle sind durch breite Kanäle untereinander verbunden,
welche, eigentlich zum Zwecke der Entwässerung angelegt, die Hauptverkehrs-
strafsen bilden. Die Meere und Kanäle sind sehr fischreich, besonders werden
Aale in Menge gefangen und in eigens dazu konstruirten Schiffen, die einen
doppelten Boden haben, von denen der untere durchlöchert ist, lebendig nach
London befördert. Die Jagd auf Wasservögel ist sehr ergiebig. Enten werden
in sogenannten Entenkojen, grofsen mit dichtem Gebüsch umgebenen Teichen,
denen kein Mensch bei Vermeidung hoher Geldstrafen nabe kommen darf,
angelockt und gefangen, um als gute Beute den Städtern zum Kauf angeboten
zu werden. Im Sommer dienen die weiten Wasserflächen dem Segelsport, wenn
aber der Winter spiegelglatte Eisflächen über das Wasser gebaut hat, so hält
nichts den Friesen am Herde fest. Im engen, kurzen Wams, mit der Mütze
aus Robbenfell, eilt er hinaus auf die Eisbahn, um sich dem Vergnügen des
Schlittschuhlaufens hinzugeben. Schlanke, blauäugige Friesinnen mit hell-
blonden Haaren erwarten hier ihre „Jongens J . Die Backen sind vom Ostwind
und vor heller Lust frisch gerötet. In ihrem eigentümlichen Kopfputz nehmen
sie sich gar sonderbar aus, besonders, wenn die helle Sonne darauf scheint,
dafs es blitzt und glitzert. Derselbe wird Ohreisen genannt und besteht aus
zwei mit einander verbundenen Metallplatten, die zu beiden Seiten den Kopf
bedecken und an den Schläfen mit Rosetten verziert sind. Dem Namen nach
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sollte man annehmen, dafs es ans unedlem Metall angefertigt wäre, dem ist
aber nicht so, sondern gewöhnlich sind die Platten ans massivem Golde herge-
stellt, und die Rosetten bilden eine kunstvoll getriebene Arbeit. Ein solcher
Schmuck hat oft den Wert von 300 — 100 Gulden. Axis Silber oder minder-
wertigem Metall tragen ihn nnr die ärmeren Klassen. Die Platten werden zum
Teil von einer Spitzenhaube bedeckt und eine solche wird, aus feinstem Gewebe
und mit Brüsseler Spitzen besetzt, oft mit 60 Gulden bezahlt. Nicht nnr in
Friesland, sondern auch in dem übrigen Teil der Niederlande tragen die Frauen
und jungen Mädchen solchen Kopfputz. Jede Provinz hat nur eine andre
Form für den seitlichen Schmuck, so dafs man daran sofort erkennen kann,
aus welcher Provinz die Trägerin stammt. Die junge Städterin aber huldigt
schon der Weltmode und will von alten Sitten nichts mehr wissen.
8 Die Hamburger Post. Am 5. Februar d. J. wurde das neue Post- und
Telegraphengebäude am Stephansplatz in Hamburg eingeweiht und es wurde
in Anlafs dieser Festlichkeit eine im Auftrag der Kaiserlichen Oberpostdirektion
zn Hamburg vom Oberpostdirektionssekretär F. Bonge daselbst ausgearbeitete
Denkschrift verteilt, welche auf 52 Seiten 1. die Geschichte des Post- und
Telegraphenwesens der Stadt Hamburg bis zur Gründung des Norddeutschen
Bundes, 2. eine Beschrcibnng der Häuser, welche von den früher in
Hamburg vertretenen sieben Postverwaltungen als Diensträume benutzt
wurden, weiter 3. eine Darstellung der Entwickelung, welche das Post- und
Telegraphenwesen in Hamburg seit Errichtung des Norddeutschen Bundes bis
auf die Gegenwart genommen hat, endlich 4. die Baugeschichte und Beschreibung
des neuen grofsartigen Reichs-Post- und Telegraphengebäudes, samt der mit
demselben verbundenen Anstalten und Anlagen enthält. Die Schrift ist typo-
graphisch schön ansgostattet und durch ein künstlerisch ausgeführtes Titelblatt,
sowie durch ein gelungenes Bild des neuen Postgebäudes geziert; den Inhalt
fanden wir im hohen Grade anziehend. Die ersten Abschnitte zeigen uns die
Unbehilflichkeit und Schwerfälligkeit des Verkehrswesens der früheren Zeit.
Das im 16. Jahrhundert unter dem Kaufmannsrate eingerichtete Botenwesen
bestand bis in das 17. Jahrhundert, dann kam die Reitpost, eine Fahrpost nach
Bremen wurde 1750 eingerichtet, zwischen Berlin und Hamburg fuhr schoji 1656
eine „fliegende Kalesche“, später kam die „geschwinde Hofküchenpost'. All-
mählich setzten sich neben der freistädtischen Post eine Thum- und Taxissche,
eine Preufsische, Hannoversche, Dänische, Schwedische und Mecklenburgische
Post fest und es gab unaufhörliche Streitigkeiten unter den verschiedenen Post-
ämtern und mit dem Senat, wegen gegenseitiger Abgrenzung der Gerechtsame:
nirgend mehr als in der grofsen Handelsstadt Hamburg mit ihren sieben Post-
ämtern mufste man das Bedürfnis einer einheitlichen Deutschen Postverwaltung
empfinden und in der That, bald nach den Freiheitskriegen von 1813 — 15 liefs
Hamburg durch seinen Gesandten beim Bundestage den Antrag stellen , ein
einheitliches Staats-Postwesen für Deutschland einzurichten, ein Vorschlag, der
an der Existenz des Thurn- und Taxisschen Lehnspostwesens scheiterte. Gegen-
über der Post- und Verkehrsmisere der früheren Zeit, — beispielsweise durfte
bis zum Jahre 1806 nach Thoresschlufs keine Post in Hamburg ein- oder
ausfakren! — erscheint die Gegenwart, die Reichspost um so glänzender. Für
die grofsartige Entwickelung des Postverkchrs in Hamburg in der Zeit von
1874 bis 1885 sprechen folgende Zahlen. Die Zahl der eingegangenen Brief-
sendnngen betrug 1874 13 945 788 und 1885 : 35440100. Im Jahre 1874 gingen
ogle
Die
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Postanweisungen ein im Betrage von 22 Millionen, 1885 war dieser Betrag
79 Millionen Mark, während die aufgegebenen Postanweisungen in dieser Zeit
von 11 auf 62 Millionen „tf. stiegen. Die Roheinnahme in barem Gclde betrug
1874; 15 808 002 M, 1885: 71 476 777 M ; die liohansgabe war 1874 : 23151 117 M.,
1885 : 119 937 698 M — Schliefslich sei aus der Rede, welche bei der Festfeier am
5. Februar der Kaiserlich deutscho Generalpostmeister Staatssekretär Dr. von
Stephan hielt, folgende Stelle hier wiedergegeben: ,In dem neuen Zentral-
Reichs-Postgobäudc zu Hamburg bewegt sich ein Strom von jährlich 90 Millio-
nen Briefpostgegenständen, von 2 Millionen Telegrammen, von Werten, welche
dem Betrage des ganzen seewärts kommenden Imports von Hamburg gleich-
kommt. Eine Rohrpost ist inzwischen hier auch eingerichtet. Wie das Fern-
sprechwesen sich in den wenigen Jahren ausgedehnt hat, ist Ihnen heute früh
vom Herrn Ober-Postdirektor geschildert worden: Sic sprechen jetzt direkt mit
Lübeck und Bremen und ich sehe die Zeit kommen, wo Sie sich mit Ihren
Geschäftsfreunden in Berlin, Kopenhagen und Amsterdam mündlich unterhalten
werden.“ Alles in allem ist die Festschrift ein wichtiger Beitrag zur Geschichte
der Deutschen Post und des Binnenverkehrs in Deutschland. Nachdem uns der
jetzige Reichspostmeister Stephan vor längerer Zeit in einer trefflichen Arbeit
die Geschichte der Prenfsischen Post geliefert, wäre es eine würdige Aufgabe,
eine Geschichte der Entwickelung des gesamten Deutschen Post- und Binnen-
verkehrswesens zu schreiben. Gedrucktes Material dazu ist schon reichlich
vorhanden, freilich müfsten einer erschöpfenden Darstellung zeitraubende und
mühevolle Studien in Archiven vorangehen, weshalb ein derartiges Unternehmen
durch Stipendien und Preise gefördert werden müfste. Ein besonderes, unsres
Wissens noch gar nicht bearbeitetes Kapitel ist das Seepostwesen, das freilich
in Deutschland, wenigstens früher, lange nicht die Bedeutung hatte, wie in
England, Frankreich und Italien. M. L.
Die dänischen Untersuchungen in Grönland. Wie schon früher berichtet,
sind diese Forschungen im Jahre 1886 durch zwei Expeditionen fortgesetzt worden :
1) Die des Premierleutnant Ryders mit dem Prcmierlcutnant Bloch und dem
Mineralogen Ussing, welche den nördlichsten Bezirk, von 72 0 22' an zur Aufgabe
hatten. Von dieser verlautet bis jetzt nur, dafs es, obgleich die Witterung sehr
ungünstig war, doch geglückt ist, den gröfsten Teil, etwa 15 Meilen der zunächst
vorgeschriebenen Küstenstrecke, noch in demselben Sommer zu bereisen, und
namentlich dem grofsen Eisfjorde von Augpadlartok besondere Aufmerksamkeit
zu widmen. Von den Teilnehmern ist Ussing dem Plane gcmäfs im Herbst nach
Kopenhagen zurückgekchrt, wogegen die beiden Seeoffiziere überwintern. 2) Die
Expedition des Kriegsschiffes „Fylla“ unter Kapitän Braem mit Premierleutnant
Hammer als Nächst-, dem Prinzen Valdemar als dritten Kommandierenden und
dem Forscher der Ostküste, Premierleutnant Garde. Als Naturforscher nahmen
Holm (von früheren Expeditionen bekannt) und Kolderup Rosenvinge teil. Die
wissenschaftliche Aufgabe dieser Expedition war hauptsächlich hydrographischer
Natur; sie wurde in dieser Beziehung sehr durch die Menge und Lage des
Treibeises in diesem Sommer gehindert und war durch dasselbe bei der Kolonie
Godthaab vom 15. Juni bis zum 9. Juli völlig eingesperrt. Ober die Ergebnisse
der Untersuchungen hat Hammer in der Zeitschrift der dänischen geographischen
Gesellschaft einen kurzgefafsten und klaren Bericht abgegeben, aus welchem
das hier Folgende entnommen ist. Für Tiefseemessungen bis auf 100 Faden
wurde der Patentapparat Sir William Thomsons, und für gröfsere Tiefen die
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vom Amerikaner Sigsbec erfundene Maschine benutzt. Diese Messungen schliefsen
sich an die im Jahre 1884 unter Normann ausgeführten, und die Ergebnisse
beider Jahre sind auf einer beifolgenden Karte dargestellt. Diese zeigt eine
dichte Beihe von Tiefenangaben in verschiedenen Entfernungen von der Küste
von 02 0 bis nahezu 73° nördl. Br. Man versuchte in der Baffins-Bai so weit
wie möglich quer hinüber nach Westen vorzudringen, fand aber in einer Ent-
fernung von weniger als 8 Meilen im Westeise ein unüberwindliches Hindernis.
Mit den Messungen der Tiefe waren auch, je nach den Umständen, solche der
Temperatur, sowie Sammlung von Wasserproben und Anwendung des Trawls-
und Bodenschleppnetzcs verbunden. Die ersten Lotungen wurden zur Einübung
im Gebrauche der Apparate vor der Mündung der Davisstrafse vorgenommen
und dabei eine Tiefe von 1670 Faden erreicht; die eigentlichen Messungen
fingen aber erst unter 62 “ 46' an. Von da bis 64°, wo man beim Einlaufen
zur Kolonie Godthaab das Grofseis traf, wurden Tiefen von 1233 —595 Faden
gemessen. In der Nähe des Eises sank die Temperatur der Oberfläche bis
— 1 °. 4 (Celsius), während sie in der Tiefe bis zu 3‘/a “ zunahm, in gröfserer
Tiefe als 150 Faden jedoch wieder bis zu 2“ abnahm. Am wichtigsten
waren jedoch die nördlichsten Messungen, von 69‘/« “ nördl. Br. an, weil diese
Strecke im Jahre 1884 unberührt gebbeben war. Bei Upernivik (72 “ 47') war
die Temperatur der Oberfläche wahrscheinlich wegen der Nähe des Eisfjords
nur — l l /v °, denn von da südwärts bis Pröven (72° 22‘) stieg sie bis zu 5°. 3.
Bei Svartehuk (71 Vs“ nördl. Br.) hielt die Oberfläche — |— 5 °, abnehmend bis
zu 0° in 40 Faden Tiefe, dann negativ (Minimum ~ 0.9) bis 130 Faden, und
von da wiederum zunehmend bis zu 1 0 . 3 am Boden in 234 Faden Tiefe. —
Aufserhalb Disko traf man in der Oberfläche — (- 4 °, abnehmend bis zu 0° in
20 Faden, und -f- 1 7 in 50 Faden, von da wiederum steigend bis 0 0 in
125 Faden, und -j- 1 °. 3 in 173 Faden Tiefe. In gröfserer Tiefe scheinbar wieder
etwas abnehmend. Auf der Karte sind drei Durchschnitte von der Küste aus-
wärts, unler 63°, 68‘/j° und 71“ nördl. Br. hinzugefügt, welche Temperatur
und Boden nach den bisherigen Beobachtungen darstellen, und unter andern
zeigen, wie die Schicht warmen Wassers, welches längs der Küste Grönlands
in die Davisstrafse hineingeführt wird, allmählich nach Norden zu abnimmt.
Auf der letzten Beise wurde im Juni beim Kap Farwel unter 59“ nördl. Br. im
Juni -j- 5 “, im August -j- l'h “, unter 61 0 nördl. Br. sogar ebenfalls -f- 7‘/i “ in
der Oberfläche beobachtet. Merkwürdig sind die Bänke, welche von 62“ bis
69“ nördl. Br. in einer Entfernung von ungefähr 5 Meilen parallel mit der
Küste laufen. Sie zeigen eine Tiefe von 15 bis 50, an einer Stelle sogar nur
11 Faden, fallen gegen das Land hin schroff ab, bis zu 200 Faden, nach Westen
weniger schroff. Der Grund besteht aus Sand mit Steinen und Schaltieren.
Aus mehreren Ursachen hat man diese Gründe als Moränen mit der älteren
Glacialbildung derselben Küstenstrecke in Verbindung gesetzt. Schleppnetz und
Trawl gaben den Naturforschern eine reiche Ernte. Auf den Bänken fand man
ein grofsartiges Ticrieben entwickelt, darunter besondere Krebstiere, merk-
würdig wegen der Gröfse, teilweise auch der Seltenheit ihrer Formen (Pandalus,
Mysida u. a.). In der Baffins-Bai wurde sechs Mal getrawlt in 18 bis 150 Faden
Tiefe; besonders merkwürdig waren da die Sterntiere (Antodon, Astrophylon,
Solaster). Die Untersuchung der reichen Algenvegetation des grönländischen
Meeres wurde auf dieser Expedition als Spezialität betrieben. — Dieselbe Nummer
der dänischcu geographischen Zeitschrift enthält Artikel, Grönland betreffend,
von Kapitän Holm und seinem Begleiter auf der Ostküstc, Eberlin. Letzterer
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erörtert in einer ausführlichen kritischen Untersuchung dio Meinungen, welche
über die Unartokquellen, die Kentierinsel der alten Sagas und das in Grönland
als Antiquität Vorgefundene Glockenmetall geäufsert worden sind. — Kapitän
Holm beantwortet in einer gründlichen Kritik die Angriffe, welche von
schwedischer Seite, durch Kjellström, auf seine Ortsbestimmungen und seine
Kart« von Angmagsalik gerichtet worden sind. Der Kernpunkt der Frage ist die
Lage des Kap Dan, aber Kjellström führte den Streit auf andre und allgemeinere
Gebiete über, während Holm sich streng defensiv hält und genau die Methode
seiner Ortsbestimmungen angiebt. Bekanntlich sind seine Resultate aus Arbeiten
hervorgegangen, die ungefähr ein Jahr in Anspruch nahmen und das Gepräge
eines seltenen Fleifses sowie grofser Ausdauer und Gründlichkeit tragen. Die
Resultate Kjellströms gründen sich aber nur auf eine einzelne Landung an der
Küste, die allerdings in der Reihe arktischer Entdeckungen Bewunderung ver-
dient, aber mit einem für genaue Messungen und Beobachtungen wahrscheinlich
all zu kurzen Aufenthalt verbunden war.
Christiania, im Februar 1887. Dr. H. Rink.
§ Oie Insel Fernaudo Poo. In dem letzten vorigjährigen Bulletin der
g/eographischen Gesellschaft zu Paris veröffentlicht L. Janikowski, einer der Teil-
nehmer der bekannten westafrikanischen Expedition des Polen Rogozynski,
einen Aufsatz über die unter spanischer Hoheit stehende Insel Fernando Poo,
welche gegenüber dem Deutschen Kamerungebiet und nur 20 engl. Meilen vom
groi'sen Kamerunberg entfernt ist. Die Ausdehnung der Insel von Nord (Punta
de los Frailes) nach Süd (Punta Santiago) wird auf 3ö, die Breite auf 14 eng-
lische Meilen angegeben. Aus dem Bergsystem des Innern ragt als höchster
Punkt der Clarence Pik empor, dessen Höhe auf 10000 Fufs (ä 0,3048 m) an-
gegeben wird. Die Küsten der Insel sind sehr malerisch, vielfach in geräumigen
Baien gegliedert, in welche sich von den Bergen herabkommende Gewässer
ergiefsen. Nnr die wenig bekannte Südseite wird von schroffen unzugänglichen
Felsen besetzt. Der bedentendste Flufs ist der Rio del Con-ul; er entspringt
am Westabhang des Clarence Piks, fliefst in einem steinigen Beit nahe bei der
Stadt vorüber und ergiefst sich nordöstlich von Isabella in die Bai del Consul.
Die Insel wurde im Jahr 1471 von dem Portugiesen Fernao do Poo entdeckt,
der sie „Ilha Formosa“ nannte; später erhielt sie ihren jetzigen Namen. Die
Kolonisationsversuche der Portugiesen mifsglückten, hauptsächlich wegen der
grofsen Sterblichkeit unter den weifsen Ansiedlern der Biafra-Bai; diese Sterb-
lichkeit entsprang hauptsächlich aus einer dem Klima nicht angepafsten Lebens-
weise. Die Portugiesen traten die Insel im Jahre 1778 au die Spanier ab.
Sogleich nach der Besitzergreifung sandte die spanische Regierung unter dem
Oberbefehl des Grafen Artalejos eine aus der Fregatte , Catalina“ und zwei
kleinen Schiffen bestehende Expedition aus, w'elche von der im Golf von Biafra
gelegenen Insel Anobon Besitz ergriff. Der Nachfolger von Artalejos, Primo de
Rivera, erbaute an der Biafra-Bai das Fort Concepcion, jedoch wurde die Insel
später infolge von Aufständen, welche in der Garnison ausbrachen, von den
Spaniern wieder aufgegeben. Nunmehr kamen die Engländer und unter Führung
des Kapitäns Owen wurde im Jahre 1827 unter dem Namen Clarence an der
Westküste eine Kolonie gegründet. Diese Kolonie wurde der Ausgangs- und
Stützpunkt der Kriegsschiffe, welche Jagd auf die Sklavenschiffe machten. Die
genommenen Sklavenschiffe wurden hier eingebracht, die Kapitäne, meist Weifse,
wurden am Grofsmast ihres Schiffes aufgeknüpft und letzteres sodann zerstört;
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den Sklaven gab man die Freiheit und diese mischten sich nun mit der ein-
geborenen Bevölkerung. So entstand das merkwürdige Kassengemisch, aus
welchem die heutige bürgerliche Bevölkerung von St Isabelle besteht. Oie
Engländer verlegten später ihre Gerichte nach Sierra -Leone and die Insel
Fernando Poo wurde zur Ausbeutung Kompanien überlassen, die indes schlechte
Geschäfte machten. Gestützt auf einen älteren Vertrag mit Portugal, suchte
England sich wiederum der Insel zu bemächtigen, allein die Spanier protestierten
unter Berufung auf ihre unbestreitbaren Rechte. Oie Engländer wollten nun
die Insel für 60000 .£ kaufen, doch die spanische Regierung erwiderte stolz, dafs
sie noch nicht so arm sei, um ihre Kolonien verkaufen zu müssen und sandte
nun zur Befestigung der spanischen Oberhoheit in der Person des Don Juan
Josö de Lorena einen Vertreter nach der Insel, der einen Schwarzen Namens
Beekroft zum Gouverneur ernannte. Merkwürdigerweise war Beekroft zugleich
englischer Konsul; derselbe starb 1864. Lerena ergriff ferner Besitz von den
Corisco - Inseln und von einem Stück Festlandsküste bei der Mündung des
Flusses Muni, an der Westgrenze von Gabun. Im Jahre 1858 begannen die
Spanier das Kolonisationswerk ernstlich. Oon Carlos Cbacon wurde zum General-
Gouverneur des ganzen Gebiets ernannt; drei Schiffe brachten den Gouverneur
der Insel, Gandera, eine Anzahl Missionare und eine Garnison. Die Bevölkerung
Fernando Poos besteht aus 30000 Bubis, der eingeborenen Mischbevölkerung;
die Stadt St Isabelle zählt 175 Katholiken, 145 Deportierte der letzten cuba-
nischen Insurrektion, 243 schwarze Katholiken, 38ö schwarze Protestanten,
Baptisten , Methodisten, einige Hundert Schwarze bekennen sich zu keiner
Religion; im ganzen zählt die Stadt 1500 Einwohnor. Die Insel Fernando Poo
steht in dem Ruf ungesund zu sein, aber nach der Meinung Janikowskis trifft
das nicht zu, das Klima ist günstiger, als auf manchen Punkten der Festlands-
küste. Dio grölste Sterblichkeit herrscht unter den dem Trunk ergebenen
cubanischen Deportierten, dann folgen die Schwarzen und erst darauf die Weifsen.
Natürlich werden letztere auch hier, wie überall im tropischen Afrika, vom
Fieber ergriffen, aber nur in sehr seltenen Fällen führt die Krankheit zum Tode.
Die im Monat August angestellten Thermometer-Beobachtungen haben ergeben:
am Morgen 18, s°, am Mittag 21,»°, in dor Dämmerung 20, i° R. Diese gemäfsigte
Temperatur herrscht während der Regenzeit, von Juli bis Oktober, während der
übrigen Zeit des Jahres ist die Temperatur allerdings höher. Während der
trocknen Zeit ist die Temperatur an der Ambas-Bai niedriger als auf Fernando
Poo, besonders des Nachts; um 3 Uhr fällt sie auf 14° R. und beim Sonnen-
untergang ist sie 16° R. Tornados sind selten und nicht heftig. Von der
Berghöhe, welche den Hafen im Halbkreis, als ein natürlicher Wall, umschliefst,
bietet sich ein prächtiger Blick auf St. Isabelle. Auf der einen Seite wird
das Bergsystera der Insel durch den eigentümlich geformten 10000 Fufs hohen
Pik beherrscht, auf der andern breitet sich das Meer aus, in dessen Fluten von
Zeit zu Zeit eines oder das andre Kriegsschiff heranschwimmt und in welchem
jährlich zwein al zur Regenzeit zahlreiche Wale erscheinen. Der Anblick der
bald ruhig liegenden, bald sich tummelnden, auf und niedcrschiefsenden, mit
dem mächtigen Schwänze schlagenden Walfische ist ein wunderbarer; zur Zeit
des Besuchs von Janikowski waren sie besonders zahlreich erschienen. — Der
Aufsatz enthält sodann noch eine Reihe interessanter Mitteilungen über die
eingeborene Mischbevölkerung der Insel Fernando Poo, die Bubis; auf diese soll
gelegentlich hier zurückgekommen werden.
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Aus Madagaskar. Den in der , Neuen Züricher Zeitung" veröffentlichten
Reisebriefen Dr. Conrad Kellers entnehmen wir die nachstehenden Mitteilungen
aus der französischen Kolonie Nossi Be, der kleinen Insel nördlich von der
Hauptinsel Madagaskar: Hcllville, den 22. August 1886. Nossi Be, d. h. grofse
Insel, ist ein Heck madagassischer Erde, welcher allenfalls im Bureau des
französischen Marineministers genannt wird, wenn es sich um die Bewilligung
von Budgetposten oder um die Ernennung eines neuen Kommandanten handelt ,
in der übrigen Welt ist es kaum dem Namen nach bekannt. Der Reisende ge-
langt nur selten hierher, und doch ist Nossi Be eine Perle im ostafrikanischen
Archipel, welche vielleicht in nicht allzu ferner Zeit gewürdigt wird. Unter
tropischem Himmel gelegen, umflutet von dem tiefblauen Meere, hat dieses be-
zaubernde Ländchen mit seinem originellen Stillleben mir mehrere Wochen
hindurch einen wissenschaftlichen und ästhetischen Genufs verschafft, den ich
in Westmadagaskar nicht erwartet hatte. Ein friedliches und freundliches Volk
von Eingeborenen, ein buntes und farbenreiches Volksleben, das noch unver-
fälscht pulsiert und mir märchenhaft vorkommt. Wie lebhaft empfand ich hier
das Bedürfnis, eine möglichst grofse Zahl von Naturszenen und Bildern aus
dem Volksleben getreu fcstzuhalten und als bleibendes Andenken mitzunehmen!
Ich habe solche Bilder in reichlichem Mafse ausführen können, dank dem
Zusammenwirken verschiedener glücklicher Umstände. Ich fand hier auch iu
wissenschaftlicher Hinsicht einen Boden, auf welchem man zwar mühsame,
aber ausgiebige Ernte halten kann. Wie oft kehrte ich halb erschöpft und er-
mattet in meine Wohnung zurück, und doch vermochten mich die wunderbaren
Eindrücke immer wieder frisch zu halten. Doch zur Sache. Nossi Be ist eine
buchtenreiche Insel von unregelmäfsig viereckiger Gestalt, welche ungefähr
22 km lang und 15 km breit ist. Sie ist der madagassischen Küste so sehr
genähert, dafs man bei günstigem Wind dieselbe in einer Stunde mit einer
Segelbarke erreichen kann. Sie liegt in derjenigen geologischen Zone, wo die
granitische Region in Nordmadagaskar in die vulkanische Region übergeht. Im
Südwesten der Insel tritt in einem gegen 500 m hohen Massiv ein grobkörniger
Granit zu Tage, welchem ein bläulicher oder schwarzer Schiefer mit stark ge-
neigten Schichten aufgelagert erscheint. Die Hauptmasse der Insel ist jedoch
vulkanischer Natur und besteht aus trachytischen und basaltischen Gesteins-
massen, lockeren vulkanischen Tuffen, denen im Küstengebiet alluviale Bildungen,
zum teil ausgedehnte Musclielbreccien aufgelagert sind. Die granitischen Ge-
biete sind mit Urwald bedeckt, welcher einst mit dem Urwald der benachbarten
Küste im Zusammenhang stand, fast undurchdringlich erscheint und heute
sorgfältig gegen weitere Zerstörungen geschützt wird. Im westlichen Teil der
Insel erheben sich einige nackte Krater von regelmäfsiger Form. Sie sind
sämtlich erloschen und teilweise mit runden Kraterseen ausgefüllt. An deren
Ufer wuchern grofse Schilfgräser, üppige Roflapalmen und dickblättrige Com-
mersonien. Die Oberfläche wird von den Blätteru einer blauen Nymphäa be-
deckt, zwischen denen sich Krokodile von ansehnlicher Grofse herumtreiben.
Eine bunte und reiche Vogelwelt haust an den Ufern, in den Bäumen treiben
sich die Makis oder nächtliche Lemuren herum. Ara reichsten ist die Vegetation
der Insel im Gebiet der Küste, wo zwei Arten von Commersonien, zahllose
Lianen, Akazien mit breiten gelben Schoten, Mangobäume, Kokospalmen und
Roflapalmen nebst grofsblütigen, baumartigen Malven die hervorstechendsten
Charakterpflauzen bilden. Trotz der grofsen Fruchtbarkeit hat die im Besitz
der Franzosen stehende Insel als Kolonie bisher nicht recht gedeihen können.
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da verschiedene ungünstige Bedingungen den agrikolen und industriellen Unter-
nehmungen entgegentreten. Die Kaffeckultur war früher bedeutend, heute ist
sie fast völlig aufgegeben, weil der berüchtigte Kaffeepilz (Hemileja vastatrix)
grofse Zerstörungen anrichtete. Die Zuckerplantagen liefern im Jahr höchstens
1000 Tonnen Zucker, welcher nach Frankreich oder nach Indien exportiert wird.
Dieses geringe Ergebnis hängt mit dem Mangel an geeigneten Arbeitskräften
zusammen. Der hier ansäfsige Madagasse hat eine unüberwindliche Abneigung
gegen eine regelmäfsige Arbeit auf den Plantagen. Man verwendet daher meistens
Leute von Mozambique, allein die portugiesische Regierung setzt deren Ein-
wanderung möglichst viele Hindernisse entgegen. Man mufste sich nach den
Bewohnern der Komoren umsehen. Allein diese sind zum Teil unsäglich faul,
zum Teil werden sie von der benachbarten Kolonie Mayotte absorbiert, und so
ist der Aufschwung der Kolonie gehemmt. Die Rumfabrikation vermag bei-
spielsweise kaum die Hälfte dos hiesigen Konsums zu decken. Das Meer ist
reich an tierischen Produkten. Der Fischfang ist an gewissen windstillen Tagen
aufserordentlich ergiebig und bildet eine der wichtigsten Erwerbsquellen der
Eingeborenen. Die Küsten sind reich an Korallen, ohne jedoch zusammen-
hängende Riffe zu bilden. Die Arten sind mit denen Indiens und denen des
Roten Meeres zum Teil identisch, zum Teil sehr nahe verwandt. Doch fand ich
eigentümliche Weichkorallen und hübsche Seerosen. Man gelangt aber nur
sehr schwer in deren Besitz, da das Schleppnetz nicht verwendet werden kann
und die Eingeborenen sich auf das Tauchergeschäft nicht verstehen. Gegen
gute Bezahlung wurde mir doch oft genug verweigert, diese wertvollen Gegen-
stände heraufzuholen. Die Geschichte der Insel ist nicht reich an bemerkens-
werten Ereignissen. In den Dreifsigerjahren wurden die Sakalavenstämme in
Nordwestmadagaskar von den Howa hart bedräDgt und ein Teil derselben
flüchtete sich nach Nossi Be. 1839 erschien eine französische Brigg in den
Gewässern dieser Insel und die Sakalavenkönigin Tsihomeko verlangte im
Einverständnis mit ihren Unterthanen, ihre Rechte an die französische Regierung
abzutreten, verlangte dafür Schutz gegen die nach Norden vordringenden Howa.
1841 erfolgte die Annexion und die genannte Königin erhielt eine jährliche
Pension von 1200 Franken. Anfänglich stand die neue Kolonie unter der Ver-
waltung von Reunion, wurde 1843 von ihr abgetrennt und mit der benachbarten
Insel Mayotte gemeinsam verwaltet. Seit 1878 steht die Insel als autonome
Kolonie direkt unter dem französischen Marineministerium und erhält einen
Kommandanten als Leiter der internen Angelegenheiten. Zur Zeit zählt die
Kolonie etwa 300 Bewohner europäischer Abkunft, welche vorzugsweise im Süden
der Insel das Städtchen Hellville bewohnen. Dieser Ort liegt in reizender Lage
auf einem gleichnamigen Plateau und ist liafenplatz der Insel, besitzt einen
Kai, Kohlenmagazine, längs der Hauptstraße eine schattige Allee von Mango-
bäumen, au welche das Postgebäude, die Kaserne, die Kirche, das Polizei-
gebäude und der Bazar anstofsen. In diese Hauptstrafse münden einige Neben-
straßen mit ärmlichen Quartieren. In der Umgebung von Hellville liegen zahl-
reiche gröfsere und kleinere Sakalavendörfer. Die Aussicht von dem Plateau
von Hellville bietet ein großartiges Landschaftsbild dar. Zur Linken erblickt
man das steil ansteigende Massiv von Locube, mit fast undurchdringlichem
Urwald bedeckt, in der Nähe desselben die Insel Comba, auf welcher sich die
Landhäuser und Badeeinrichtungen der Kolonisten befinden. Im Hintergrund
liegt die Bai von Passanda, von ansehnlichen Gebirgen umrahmt, welche all-
abendlich mit Sonnenuntergang die schönsten Farbenefl'ekte aufweisen. Am
üeogr. Blätter. Bretueu 1SS7. £
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Eingang in diese Bucht erhebt sieh keck im Fels, von den Madagassen Tany
kely, d. h. kleine Erde, genannt, welcher fast nur von Fledermäusen bewohnt
wird. Bei einer Exkursion nach diesem Felsennest machte ich reiche Ausbeute
von fliegenden Hunden, welche bei jedem Schufs als schwarze Wolke sich in
die Luft erheben. Sie kommen mit Einbruch der Nacht jeden Abend nach
Nossi Be, um die Fruchtbänme zu plündern. Ein eigentümlicher, hoher Baum
mit schirmförmig ausgreifendem Astwerk, von den Kolonisten „Quattier“ genannt,
würde einen bedeutenden Ertrag einer feinen Baumwolle liefern, allein die
spindelförmigen Früchte werden «or ihrer Reife von den fliegenden Hunden
fast vollständig vernichtet, so dafs der Bauinwollertrast dieser Bäume kaum 100 kg
beträgt. Wenn die agrikolen und industriellen Unternehmungen vor der Hand auf
Nossi Be nicht zu einer gedeihlichen Entwickelung gelangen konnten, so hat dieser
Platz in kommerzieller Hinsicht eine nicht zu unterschätzende Bedeutung erlangt
und bildet gegenwärtig den Mittelpunkt des Verkehrs von Nordwestmadagaskar.
Die Sakalaven fühlen sich unter der französischen Herrschaft freier als unter
den Howa und haben auf der Insel zahlreiche und belebte Dorfschaften be-
gründet. Der Import von Spirituosen ist bedeutend, namentlich aber derjenige
von farbigen Baumwolltüchern von ganz bestimmten Dessins. Die Sakalaven,
insbesondere die Frauen lieben auffallende, bunte Zeichnungen für ihre Bekleidung,
insbesondere grofsblumige bedruckte Stoffe in rot., weifs und schwarz. Von
schweizerischen Erzeugnissen werden Uhren, Spieldosen und namentlich Ab-
synthe aus dem Kanton Neuenburg abgesetzt Als Exportartikel sind vorwiegend
Kautschuk und Reis zu nennen. Früher dominierten französische und amerika-
nische Kaufleute, gegenwärtig sind sie durch die deutsche Konkurrenz gänzlich
aus dem Felde geschlagen. Der Kleinhandel liegt in den Händen der Araber
und Hindu, welche in allen gröfseren Orten ihre Butiken aufgeschlagen haben.
Sie sind auch in grofser Zahl über die benachbarte Küste verbreitet, nehmen
ihre Waren beim Grossisten auf Kredit und setzen sie unter den Sakalaven ab,
welche sich nicht mit Handel, sondern nur mit Reisbau, Viehzucht und Fischerei
abgeben. Vereinzelt trifft man auch die Howa als Händler. In ethnographischer
Hinsicht besitzt die Insel einen sehr gemischten Charakter. In dem südlichen
Teil leben die europäischen Kolonisten. Der Ton dieser Gesellschaft ist im
ganzen ein gemütlicher. Da es an Zerstreuung fehlt, so findet sie sich all-
wöchentlich einmal beim Kommandanten, der sich einer grofsen Beliebtheit
erfreut, zu einer Soiree zusammen. Ich fand in der Kolonie die zuvorkom-
mendste Aufnahme, da meine Ankunft in Madagaskar hier durch eine geogra-
phische Zeitschrift signalisiert war. Neben dem Europäer bildet der Hindu und
der Araber ein wesentliches Volkselement, beide durch ihre bunten Trachten
mit den Eingeborenen rivalisierend. Als Arbeiter trifft mau gewöhnlich den
Afrikaner von Mozambique. Stark vertreten sind die Komorenleute. In einem
neueren Reisewerk habe ich recht günstige Urteile über dieselben gelesen, kann
aber nicht beistimmen. Sie sind schlau, aber arbeitsscheu und kommen nur
hierher, um sich Sakalavenfrauen zu holen und auf Kosten der Gutmütigkeit
dieser Frauen zu leben. Als gewandte Tänzer und Spafsmacher haben sie mir
oft Erheiterung verschafft. Sie veranstalteten früher in mondhellen Nächten
Stiergefechte, in neuester Zeit wird dieser Sport ihnen nicht mehr gestattet
Die Hauptmasse der einheimischen Bevölkerung wird von den Sakalaven gebildet.
Es ist dies ein sehr merkwürdiger Volksstamm von Madagaskar, der in Kürze
nicht so leicht zu schildern ist. Ich werde später über Sitten und ethnogra-
phische Stellung der Sakalaven eingehendere Mitteilungen machen. Es ist ein
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Volk von vortrefflicher physischer Beschaffenheit, bis jetzt aber noch wenig
beobachtet. Die Männer sind recht begabt, aber verschlagen und sehr arbeitsscheu.
Die Frauen sind sehr aufgeweckt und müssen so zu sagen den ganzen Haushalt
führen. In ihnen ist durchschnittlich grofse Schönheit mit einem gutartigen
Charakter vereinigt und sie machen einen weit günstigeren Eindruck als die
durchweg sehr abstofseuden und durch ihre Sinnlichkeit widerwärtigen Frauen
der Betsimisarakastämrae. Im Hauswesen, in welchem der Mann im allgemeinen
als Null figuriert, entwickeln die Sakalavenfrauen, obschon auf barbarischer
Stufe stehend, einen so guten Geschmack und einen so feinen Sinn für Ordnung,
dafs man oft geradezu in Erstaunen gerät. Ihre bunten, geschmackvoll ange-
ordneten Gewänder tragen wesentlich zu den bunten Volksszenen bei, denen
man in Westmadagaakar begegnet. Wer je einem Kabar, d. h. Volksversamm-
lung, von Eingeborenen bcigewolint, dem werden diese bunten Gestalten im
Schatten der dunkeln Mangobäume stets im Gedächtnisse bleiben. Ein Künstler
hätte hier die schönsten Motive in reicher Fülle. Die Landschaft, die Menschen,
böten ihm ein Feld reichen Schaffens. Diese Szenen, noch von wenigen mit
Verständnis geschaut, wollte ich mir nicht entgehen lassen und so viel als
möglich fixieren. Ich besafs einen vortrefflichen photographischen Apparat aus
dem Laboratorium unsres Polytechnikums, und mein Kollege Dr. B. in Zürich
hatte die Güte, mich in die Kunst der Photographie einzuweihen. Ein Artillerie-
offizier in Nossi Be suchte mich auf und stellte mir sein zweckmäfsig einge-
richtetes photographisches Zimmer zur Verfügung. Aber o weh! Die Kolonie
hatte keinen Photographen, und jetzt erhielt ich von allen Seiten Besuche.
Die ganze Kolonie wollte sich photographieren lassen. Auf der Strafse konnte
ich keinen Ausgang machen, ohne von den Indiern als Photograph engagiert zu
werden. Das entsprach meinen Intentionen nicht und wo nicht besondere
Verbindlichkeiten vorhanden waren, wies ich ab. Die Aufnahme von charak-
teristischen Landschaftsszenen, Männern uud Knaben der Sakalaven bot keine
grofse Schwierigkeit. Dagegen waren die Frauen gar nicht zu bewegen, vor
dem Apparat stehen zu bleiben, sondern flüchteten unter lautem Geschrei, weil
sie denselben für eine geladene Kanone hielten. Durch Vermittelung einer
europäischen Familie waren einige von den Ordensschwestern erzogene Frauen
von ihren Vorurteilen abzubringen, und nun entsclilofs ich mich zu einer Kriegs-
list. Der Humor hatte mich trotz aller Aufregungen und Anstrengungen noch
nicht zu verlassen vermocht. In einem benachbarten Dorfe hatte sich die
Kunde verbreitet, dafs ich Bilder von Eingeborenen verfertige, und diese Kunde
war zu einer Art Dorfkönigin gelangt, welche stets einen Hof von Frauen um
sich hatte und dieselben beherrschte. Die Frau war geistig sehr begabt und
wohlhabend. Ihr Einftufs war um so gröfser, als sie zwei grofse Spiegel besafs,
in welchen sich ihre ärmeren Freundinnen mit einem ungemeinen Behagen
betrachteten. Das Weib besafs den schönsten und ausdruckvollsten Kopf, der
mir je bei primitiven Völkern vorgekommen ist. Man sagte mir, wenn diese
Frau sich für meine Pläne gewinnen lasse, so stehen mir die schönsten Sujets
für die Aufnahme von Bildern zur Verfügung Ich kaufte einige Geschenke und,
obschon mir nur zwei Dutzend madagassische Vokabeln zur Verfügung standen,
gelangte ich zum Ziele. Ich konnte mich hier aufs neue überzeugen, dafs primi-
tive Menschen ihre Vorurteile und ihr Mifstrauen ungemein leicht ablegen,
sobald man sie als menschenwürdige Wesen behandelt. Zu meiner grofsen Über-
raschung wurde meine Bitte mit einem kräftigen deutschen „Ja“ beantwortet. Es
mag hier nebenbei bemerkt werden, dafs die Bejahung in der deutschen und
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madagassischen Sprache zufällig genau gleich laufet. Die Frau holte ihre
zahlreichen silbernen Armspangen nnd die schönsten Kleider hervor, nahm ihr
prächtiges zweijähriges Kind auf den Arm nnd stellte sich vor den Apparat.
Das Bild gefiel, und auf Befehl der Frau mnfsten sich einige Freundinnen als
Wasserträgerinnen verkleiden, andre den Mörser mit Reis holen und Reis
stampfen. Diese für Madagaskar so charakteristischen Gruppen lieferten die
schönsten Bilder, welche hoffentlich später auch in Zürich Anklang finden
werden. Dieses Eingehen auf meine Wünsche beweist, dafs bei diesen Frauen
ein nicht gewöhnlicher ästhetischer Sinn vorhanden ist, der sich auch in der
Art der Bekleidung nnd in der Ausschmückung der Wohnungen deutlich doku-
mentiert. So vergingen die Tage rasch und ich vergafs über der Arbeit meine
erste Aufregung wegen der Blatternerkrankungen. Und doch war vielleicht
Quarantäne in naher Sicht. Sollte dieselbe verhängt werden, so entschlofs ich
mich, mit Barke an der Küste entlang zu fahren, auf der im Norden gelegenen
Insel Nossi Mitsiu Träger zu engagieren und quer durch die Insel nach Diego
Suarez zu reisen. Zum Glück traten keine neuen Erkrankungen auf; es war
kaum anzunehmen, dafs der nächste Dampfer Schwierigkeiten bereite. Er er-
schien zur erwarteten Stunde. Es gab zunächst eine kleine Verhandlung zwischen
den Ärzten und dem Kommandanten des Schiffes; endlich senkte sich die ver-
hängnisvolle gelbe Flagge, ich konnte an Bord gehen. Ohne Unfall reiste ich
wieder nach der Ostküste.
§ Die schottische Kompanie der ostafrikanischen Seen. Ober diese
in Bezug auf Entdeckung wie Mission so bedeutend gewordene Gesellschaft
finden wir Mitteilungen in dem Februarheft der monatlich erscheinenden
Zeitschrift der .Free Church of Scotland 1 . Obgleich keine Missionsgesellschaft,
hat diese Kompanie doch der Mission so grofse Dienste geleistet, dafs sie
derselben gar nicht würde entraten können. Alle, welche die Missionsarbeit
unter unzivilisierten Völkern näher kennen gelernt haben, wissen, dafs die Mission
am besten vorwärts kommt, wenn sie Hand in Hand geht mit einer indu-
striellen Entwickelung; rein geistiges Wirken ist bei völlig unzivilisierten Völkern
vergeblich, vielmehr müssen die Grundsätze des neuen Testaments praktisch
gelehrt werden und zwar durch Urteil und Unterweisung im Bauen und Pflanzen,
Kaufen und Verkaufen, wie im Predigen und in ärztlicher Hilfsleistung. Um
nun eine bisher unbekannte Gegend in Zentralafrika, besonders den Bezirk Living-
stone, zu eröffnen und zu entwickeln, den Leuten Beschäftigung zu geben, ehr-
lichen Handel mit ihnen zu treiben, überhaupt um mit den Missionaren zu
arbeiten und sie zu stärken, ist die „African Lakes Company“ im Jahre 1878
gebildet worden. Dieselbe hat im ganzen 12 Handelsstationcn gegründet, in
welchen 25 Europäer und viele Eingeborene als Handelsagenten beschäftigt
werden. Eine Anzahl dieser Agenten sind zugleich Missionare. Der Kompanie
gehört der oft genaunte Dampfer „Uala“ auf dem Nyassa-See und kürzlich hat
sie auf dem Schireflufs, der Hauptstrafse nach Livingstonia und dem Tanganyika-
See, neben dem Steamer „Lhdy Nyasa“ noch einen zweiten Dampfer in Fahrt
gesetzt. Es ist der Kompanie gelungen, im Innern eine Kaffeeplantage zu
errichten und zu vollem Gedeihen zu bringen. Ferner sind Plantagen von
Chinarindebäumen, Indigo, Kakao, Tbce und Faserpflanzen angelegt und die
Eingeborenen sind dazu gebracht worden, die Wohlthaten dieser Kulturen ein-
isehen. Die Kompanie ist dem Sklavenhandel durch alle diese Unternehmun-
i entschieden entgegengetreten. Gegenwärtig plant die Kompanie, deren
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Präses der bekannte afrikanische Philantrop James Stevenson in Glasgow ist,
während die Leitung der Unternehmungen in Afrika in den Händen der Gebrüder
Muir liegt, eine Vergröfserung ihres Aktienkapitals, wofür sie, allem Anschein
nach, willige Nehmer in Schottland finden wird.
Die Kolanufs. In der Versammlung des Bremer naturwissenschaftlichen
Vereins, welche am 14. Februar d. J. stattfand, hielt Herr Dr. Hausmann einen
Vortrag über die Kolanufs. Es wird darüber das Folgendo berichtet. Diese
Nufs, auch Guru- oder Ombemenufs genannt, zeichnet sich vor den uns bekannten
koffeinhaltigen Genufsmitteln durch ihren grofsen Koffeingehalt aus, welcher mit
2,35 °/o selbst den stärksten Javakaffee übertrifft und nur hinter einigen seltenen
Theesorten zurücksteht; zugleich enthält sie geringe Mengen von Theebromin.
Sie ist eine nahe Verwandte des Kakao. Beide stammen von Planzeu aus der
Familie der Sterculiaceen. Einige Arten der Gattung Sterculia liefern die Kola-
nufs, gewöhnlich wird Sterculia acuminata als Stammpflanze bezeichnet. Von
dieser Pflanze, deren Heimat die westafrikanischen Küstenländer von 10° nörd-
licher bis 5° südlicher Breite bis ins Innere hinein sind, wurden Abbildungen
vorgelegt und ihre botanischen Eigentümlichkeiten besprochen. Die Kola ist
für den Neger ein unentbehrliches Gennfsmittel geworden; am liebsten werden
die Nüsse verzehrt. Nach einigen innerafrikanischen Ländern, in denen die
Kola nicht gedeiht, findet ein reger Handel mit diesen Nüsseu statt. Interessant
sind die Notizen, welche der berühmte Afrikaforscher Nachtigal über den
Verbrauch und den Handel mit Kolanüssen in Kuka, der Hauptstadt von Bornu
am Tsadsee, giebt. Wie man bei uns einem Besuche eine Zigarre oder eine
Tasse Kaffee, ein Glas Wein anbietet, präsentiert man dort eine Kolanufs. Kein
Geschäft wird geschlossen, ohne dafs man die Verhandlung mit dem Genüsse
einiger Kolanüsse eingeleitet hätte. Die Nüsse sind dabei gar nicht billig, man
bezahlt das Hundert je nach der Güte mit 10 — 50 Jt nach unserm Gelde. Man
unterscheidet verschiedene Handelssorten; wenig angesehen sind die Nüsse aus
Adamaua, man zieht die Nüsse aus den Nigerländern vor. Hier ist in Gondscha
der Hauptmarkt für dieselben. Der weite Transport von dort bis Kuka, mehrere
Monate, macht die Nüsse teuer. Man mufs dabei stets im Auge behalten,
dafs die Nüsse im frischen Zustande genossen werden und der Transport durch
trockene, teilweise wüste Landstriche geht. Der Händler mufs die Nüsse zu
mehreren Tausenden zusammenpackeu und sorgfältig mit feuchten Blättern und
Matten umhüllen, damit sie nicht welk werden. Um sie anderseits nicht ver-
schimmeln und verfaulen zu lassen, müssen sie unterwegs häufig ausgepackt,
sorgfältig ausgesucht und wieder frisch verpackt werden. Trotz vieler Sorgfalt
gehen grofse Mengen der Ware zu Grunde. Nachtigal zählt fünf verschiedene
Krankheiten auf, denen die Nüsse beim Transport ausgesetzt sind und die von
den Händlern wohl unterschieden werden. Auch seewärts wird Kola versandt,
nach Brasilien und früher auch nach den andern- Sklavenstaaten Amerikas
wurden sie verschifft. Die Sklavenhalter glaubten in ihnen ein Mittel zu haben,
ihre Neger bei Stimmung zu erhalten und namentlich Selbstmordepidemien
entgegenzuwirken. Aus diesem Grunde ist auch Kola in Brasilien und West-
indien angepflanzt, dort von der weifsen Bevölkerung aber so gut als nicht
beachtet worden. Nach Küstenorten Afrikas, welche keine Kola produzieren,
geht oft auch ein bedeutendes Quantum dieses Artikels. So wurden aus Sierra-
Leone in Gambia eingeführt im Jahre 1860: 150,000 Pfund, im Jahre 1870-
416,000 Pfund, im Jahre 1880 : 743,000 Pfund. Bis an die Küste des Mitt
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meeres hat sich der Handel mit Kola jetzt ausgedehnt und sind auch neuerdings
Sendungen nach England gekommen. Es handelt sich bei letzteren einstweilen
nur um getrocknete Ware, von frischen Nüssen sollen allerdings auch geringe
Posten nach London gebracht sein. An die Frage, ob die Kola für den
europäischen Markt eine Zukunft habe, wurde folgende Betrachtung geknüpft:
Was zuerst die trockene Ware betrifft, so geht ans der chemischen Analyse
hervor, dafs die Kola alle hier in Betracht kommenden Substanzen an Alkaloid-
gehalt übertrifft. Dieser Umstand spricht vielleicht für eine medizinische
Anwendung, wenn auch nur als Rohmaterial für die Bereitung des Koffein.
Sonst ist sie von allen andern Gennfsmitteln durch ihren hohen Stärkegehalt,
34 °/o, ausgezeichnet. Sehr fällt ihre Armut an Fett auf. Als wertvollste
hier in Betracht kommende Drogue gilt der Kakao, ihm fehlen die Kohlehydrate
aber in verdaulicher Form fast gänzlich. Man pflegt ihn daher meistens in
Form von Chokolade zu geniefsen, nachdem man dem besprochenen Mangel
durch Zusatz von Zucker abgeholfen hat. Würde man umgekehrt der Kolannfs
Fett zusetzen, so würde man eine ähnliche Mischung erhalten, welche jetzt schon
einigen Negerstämmen als Reiseproviant dient. Sollte es gelingen, diese Mischung
bedeutend billiger als Chokolade und zugleich schmackhaft darzustellen, so
würde die Kolannfs auch für uns eine Bedeutung erhalten. An der Billigkeit
ist wohl kaum zu zweifeln, die Geschmacksverbesserung ist aber noch ein
ungelöstes Problem, da es bisher noch nicht gelungen ist, den allerdings nur
geringen Gerbstoffgehalt zu entfernen. Leichter werden sich vielleicht die
frischen Nüsse bei uns eiubürgern. Sie werden ja mit Dampfern besser und
leichter noch Europa, als mit Karawanen nach den trockenen Gegenden
Innerafrikas zu bringen sein. Ob sich unsre europäische Bevölkerung einem
solchen neuen Genufsmittel zuwenden werde, wer möchte das im Voraus
beurtheilen? Nachtigal hat die Kolanüsse in Kuka viel und gern gegessen und
behauptet sie später schwerer entbehrt zu haben, als Kaffee und Thee. Wir
erhielten damit jedenfalls ein ganz neues eigenartiges Genufsmittel, einen Thee,
welcher in fester Form genossen wird.
Im Anschlufs an diese Mitteilungen machen wir darauf aufmerksam, dafs
über denselben Gegenstand der Kaufmann John E. Hertz in der Versammlung
der geographischen Gesellschaft zu Hamburg am ö. Januar 1882 einen Vortrag
hielt, dessen Inhalt in den von dem ersten Sekretär dieser Gesellschaft, Herrn
L. Friederichsen, im Aufträge des Vorstandes herausgegebenen Mitteilungen,
Heft II. 1880 — 81 wiedergegoben ist. Die in betreff des Handels und Preises,
der Verbreitung und des Gebrauchs der Nufs bemerkenswerten Mitteilungen des
Herrn Hertz schlossen mit Betrachtungen, welche der Einführung der Nufs in
Europa keine günstigen Aussichten eröffneten. Mit ihrer Frische scheine die Frucht
auch das ihr innewohnende anregende Prinzip zu verlieren und Europa be-
sitze die dem Nervensystem nötigen animierenden Speisen und Genufsmittel in
mannigfacher Weise, darunter Thee, Kaffee und das im Süden so vielfach
mangelnde Salz.
Der Vortragende teilte uns hierzu das Folgende mit: Zu obiger Schlufs-
betrachtung erlaube ich mir einige Bemerkungen. Sicher ist, dafs die Nufs mit
dem Verlust ihrer Frische sehr schwer geniefsbar wird, ihr anregendes Prinzip
kann aber wohl kaum durch das Trocknen leiden. Wir können nach den bis-
herigen Untersuchungen nur annehmen, dafs dasselbe aus Koffein und sehr wenig
Theehromin besteht. Beide Alkaloide sind noch in der getrockneten Nufs vor-
handen, und verschwinden ja noch wie wir wissen beim Trocknen des Kaffee,
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Thee und Kakao nicht. Mit dem Salz kann man aber weder die Kolanufs noch
Kaffee und Thee in Vergleich setzen. Letztere wirken anregend auf das Nerven-
system ein, und können entbehrt werden, das Salz aber ist ein zur Verdauung
absolut nötiger Bestandteil in menschlicher Nahrung. Ich gebe aber gern zu,
dafs viele Gründe vorhanden sind, welche wahrscheinlich machen, dafs die Kola
in Europa gegen die vorhandenen Genufsmittel nur schwer aufkommen wird.
Bremen, 23. Februar 1887. Dr. U. Hausmann.
§ Ein nenes afrikanisches Geld. Der englischen Zeitschrift „Nature“ vom
24. Febr. entnehmen wir folgendes: Tippu Tip, dessen Name kürzlich vielfach
in Verbindung mit dem Plan zur Aufsuchung Emin Paschas genannt wurde,
scheint neben seinen Elfenbeinjagden noch in gewissem Grade wissenschaftliche
Interessen zu verfolgen. Kürzlich traf er im Norden am Niangwe mit einem
merkwürdigen Kongostamm zusammen, bei dem die Kunst des Kupfersehmiedens
in hohem Grade entwickelt ist. Proben dieser Arbeit sandte er an einen ihm
befreundeten Engländer, der sie mit nach England gebracht hat. Bei demselben
Volk fand Tippu Tip Speere als kurante Geldmünze. Man verfertigt aus
dünnem Kupfer Speerspitzen bis zu 6 Fufe Länge, die, wie bei uns die Bank-
noten, als Geld von Hand zu Hand gehen.
§ Aus der Provinz Para (Brasilien). Die Zeitschrift der niederländischen
Geselllschaft für Erdkunde bringt in No. 3 von 188ß der „Meer uitgebreide
artikelen“ überschriebenen Abteilung eine Mitteilung: „Aufzeichnungen
während meines Aufenthaltes in der Provinz Para von E. Engelenburg“,
denen wir das Folgende entnehmen. Der Verfasser lebte achtzehn Monate in der
Provinz und hauptsächlich in der Hauptstadt S. Maria de Belem und in der
unmittelbaren Umgebung derselben. Der Name der Provinz Pari ist auch auf
die Hauptstadt übergegangen; er bedeutet in der Tupisprache soviel als Wasser
und kommt in Zusammensetzung noch in den Namen vieler Flüsse, wie: Para-
hyba, Paranah yba, Parana, Paraguassa u. a. vor; der Amazonenstrom heilst bei
den Indianern Para-nassü (das grofse Wasser). Der gesamte Verkehr in der
Provinz, ja in der ganzen Niederung des Amazonenstromes geschieht zu Wasser
und so ist es denn keine Gbertreibnng, wenn die Brasilianer diesen grofsen
Strom mit seinen zahlreichen Nebenflüssen das Mittelländische Meer von Süd-
amerika nennen. Der Pastor, der zum Krankenbesuch auszieht, wie der geringe
Mann, der die Erzeugnisse des Busches sammeln will, beide bedienen sich zum
Fortkommen der Montaria, eines Kanus. Bei gröfseren Entfernungen nimmt
man die „cuberta“, ein kleines zwei stumpfe Masten tragendes Schiffchen, das,
ausgenommen den Bug, ganz offen ist, so dafs die Rippen und Spanten blofs
liegen. Hinten ist gewöhnlich ein Dach von Palmblättem; einmal bei einem
Besuch des Innern der Insel Marajö bediente ich mich der „cuberta“, die neuer-
dings durch den Verkehr von Dampfern auf dem Strome ziemlich aufser Ge-
brauch gekommen ist. Der Anblick dieser Insel ist trist. An der Süd- und
Ostküste ist sie einförmig, mit steilen steinigen Ufern, die Pflanzenbckleidung
besteht aus Strauchwerk und Jungholz, einen eigentlichen Wald giebt es nicht.
Landeinwärts wird der Boden immer kahler und ärmer an Pflanzen. Ich fuhr
das Flüfschen Arary hinauf; das Wasser besteht, wie das der übrigen Flüsse,
den Amazonenstrom nicht ausgenommen, aus einer gelbbraunen Flüssigkeit. Die
Ebbe legt die schwarzschlammigcn Ufer und Bänke blofs, die mit mannshohen
Aroideen begrünt sind; ßambu deckt erst die höher gelegenen Strecken; die
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Palmen sind durch zahlreiche Arten vertretcu, unter ihnen in erster Linie die
assai (cuterpe oleracea) zu nennen. Das Inland der Insel Marajö ist eine end-
lose hie und da mit ziemlich bedeutenden Partien Busch besetzte Fläche. Diese
in der Regenzeit durchfeuchteten campos sind in der trockenen Zeit dürr, hart
und pflanzenarm. Wegen dieses steten Wechsels von Feuchtigkeit und Trocken-
heit sind die meisten Häuser, soweit sie nicht auf wasserfreien Stellen stehen,
auf Pfählen erbaut. Die Wohnungen erlangen so den doppelten Vorteil des
Schutzes gegen die Bodenfeuchtigkeit und der Annehmlichkeit, dafs in der
trockenen Zeit die Winde um die Wohnung freies Spiel haben. Die Bewohner
dieser Campos treiben hauptsächlich Viehzucht; halbwilde Rinder sieht man
überall, Pferde selten. Als Reisetier benutzt man vorzugsweise Ochsen, die
dauerhafter sind als Pferde und ohne Scheu bis an den Bauch den Schlamm
durchwaten. Der Boden von Marajö besteht aus einer mehrere Meter mäch-
tigen Humusschicht, welche auf Laterit lagert. Dieser letztere besteht meist
aus kleinen abgerundeten Stücken, die wegen ihrer Härte zum Hausbau und in
Parä auch als Material zum Strafsenbau benutzt w'erden. Die kleinen Flüsse,
Tümpel und Teiche wimmeln von Vögeln verschiedener Art und von Alligatoren.
Besonders zahlreich sind Löffclreiher und scharlachrote Ibisse, ferner findet
sich ein kleiner mit zwei langen Schwanzfedern versehener Singvogel, den die
Bewohner, weil er in der Regel nur einzeln angetroffen wird, die Witwe nennen.
Die Säugetiere sind hauptsächlich durch Capivaras und kleine Schweine vertreten.
Eine kleine Alligatorart dient als Nahrung und Leckerei. Der Pirarucu ist von
grofser Bedeutung für die Hauswirtschaft, und gerne wird dieser Fisch sowohl
gesalzen als an der Sonne gedörrt genossen. Einiger Naturerscheinungen sei
noch gedacht. Gegen Ende der trockenen Zeit herrschte bei Sonnenauf- und
Untergang vollkommene Windstille. Mit dem Aufsteigen der Sonne nahm die
Windstärke zu und erreichte in der wärmsten Stunde des Tages ihr Maximum,
es wehte ein kräftiger Passat. Doch trat keine Abkühlung ein, im Gegenteil
war der Wind trocken, warm, ja sengend. Die untersten Luftschichten waren
fortdauernd in zittornder Bewegung. An solchen Tagen sind Luftspiegelungen
nichts seltenes, auch Windhosen kommen vor.
Labuan bei Nordwest-Borneo. Die nachstehende Schilderung entnehmen
wir dem bei Sampson Low in London erschienenen Werke von Frank Hatton,
„North Borneo, Explorations and adventnres on thcEquator“. Hatton war einer
der Pioniere, welche die im Jahre 1881 mit Königlichem Freibrief ausgestattete
englische Nord-Borneo-Kompanie zur Erforschung des von ihr in Besitz ge-
nommenen etwa 30 000 englische Quadratmeilen grofsen Teils des nördlichen
Borneo aussendete. Hatton leistete, wie das aus seinen Berichten und Auf-
zeichnungen zusammengestellte Werk und die demselben beigegebene Karte
ergiebt, durch seine im Jahre 1882 ausgeführten Roiscn bedeutendes, leider
starb er auf der Elefantenjagd, durch zufälliges Entladen seines Gewehrs tötlich
getroffen. Labuan ist eine Insel, welche sechs miles nordwestlich von Borneo
liegt. Sie ist eine der kleinsten und am wenigsten bekannten der britischen
Kolonien. Im Jahre 1847 an England abgetreten, geniefst sie den Vorzug
englischer Regierung und versprach einmal eine wichtige Kohlenstation für die
Flotte zu werden. Von der europäischen Route aus macht man den kleinen
Abstecher nach Labuan mit einem Dampfboote, welches von Singapore dahin
fährt. Wenn man bei der einzigen Stadt auf der Insel, Victoria, landet, so ist
das erste, welches man zu sehen bekommt, eine Häuserreihe, der man die
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schmeichelhafte Bezeichnung Bazar bcigclcgt hat. Aller Handel und Verkehr
Labuans vollzieht sich in dieser Gruppe von Kaufläden, die meist in den Händen
der Chinesen sind. Der Ort riecht nach ihrem Essen und ihrem Tabak. Die
himmlischen Ladenbesitzer bezeichnen sich als „general dealers“, was bedeuten
soll, dafs man schlecht verzinnte Milch, altbackenen Zwieback, merkwürdige
Weine, eingemachte fossil gewordene Fleischwaren, Schiefspulver, Kugeln und
Schrot und alte Flinten zu verschiedenen Preisen bei ihnen bekommen kann.
Sie bandeln auch mit Banmwollwaren aus Manchester und Deutschland und
bieten überdem billige „sarongs“ feil, das allgemeine Kleidungsstück des Landes,
welches sie in einer unendlichen Mannigfaltigkeit vorrätig haben. Über jeder
Ladenthür sind chinesische Schriftzüge, schwarz auf rotem Grunde, angeklebt.
Ich ermittelte, dafs einer derselben .Glück', ein andrer „Heil“ bedeutete. —
Wenn man hinter diesen wohlriechenden Läden weitergeht, so zeigen sich die
einzigen beiden imponierenden Gebäude in Labuan. die Kegierungsbüreaus, zwei
grofse, niedrige Gebäude mit roten Ziegeldächern, und, wie beinahe alle Häuser
auf den Inseln des malayischen Archipels, auf Pfählen errichtet. Zwei messingene
Kanonen sind vor den Regierungsbiireaus aufgestellt. Diese Geschütze wurden,
nebenbei bemerkt, den Holländern im Jahre 1850 bei Cossipore abgenommen.
Die englische Flagge weht an einem grofsen Flaggenstock dabei, und in einiger
Entfernung ist ein Pfahlgestcll für kleine Geschütze. Diese sechs Geschütze,
sowie fünfzig mit Sniderbüclisen bewaffnete eingeborene Polizisten, bilden das
Heer von Labuan. Es befinden sich augenblicklich ein halbes Dutzend europäische
Residenten und Beamte auf der Insel, und eine Bevölkerung von 5—6000 ein-
geborenen Mischlingen, aus Kadyans, Malayen und einigen Borneanern, Klings
und Bengalesen bestehend. Die Malayen an den Küsten von Borneo sind eine
erbärmliche und entartete Rasse, die Herr St. John ganz richtig als die in-
dolenteste und verächtlichste der Erde bezeichnet hat. Sic sind durchschnittlich
4 l /s— 5 (englische) Fufs hoch. Es giebt keine grofsen Malayen in diesen Gegenden.
Ein viereckiger Kopf mit langem schlaffem, schwarzem Haar, trübem tückischen
Blick, eine kurze stämmige Figur, vorstehende Backenknochen, das sind die
nicht beneidenswerten Vorzüge des Malayen. Von Charakter sind die Nord-
borneaner feige und knechtisch. Allen Geistes und aller Unternehmungskraft
bar, begnügen sie sich damit, auf ihre hergebrachte Weise zu leben, bis ihre
Pfahlbauten über ihnen zusammenfallen. Die Frauen verrichten die ganze Haus-
arbeit und auch den gröfsten Teil der Feldarbeit Der Fluch der Malayen ist
ihre grofse Trägheit. Der Kronbeamte iu Labuan sagte mir, dafs er kürzlich
eine amtliche Feststellung des Todes eines kleinen Kindes vorzunehmen gehabt
habe, welches in einen Graben gefallen und ertrunken war, während ein Malayc
auf der Bank safs und Betel kaute, zu träge, aufzustehen und dem Kinde aus
dem Wasser herauszuholfen. Das Hans des Malayen auf dem Lande ist vielleicht
besser gehalten, als sein Haus in der Stadt. Es steht gewöhnlich in einer
kleinen Kokosnufspflanzung und ist auf hohen Pfählen erbaut, so dafs die Wohn-
ränmc 14 — 15 Fufs über dem Boden liegen. Das ganze Äufserc ist von den
getrockneten Blättern der Nipapalme hergestellt, die mit gespaltenem Rohr
zusammengenäht und auf ein Holzfachwerk aufgelegt sind. Die Innenseite ist
mit rohgeschnittenen Bohlen bekleidet. Den Eingang des Hauses bildet eine
Reihe knarrender Stufen, die zur Veranda führen, einem Lieblingssitz der Familie.
Hier sitzt die Grofsmutter den ganzen Tag, ihren Betel kauend oder ihre lange
Roko rauchend. Die Mutter ist draufsen auf dem Felde, wo sie gräbt oder das
Obst und Gemüse beschneidet und reinigt. Eine malayisehe „Dame“, die nahe
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bei meiner Wohnung in Labuan wohnte, pflegte ihre Tage damit zu verbringen,
dafs sie mit einer unbeholfenen alten Flinte wilde Schweine jagte. Kürzlich
kam sie in Ungelegenheit, weil sie statt des Ebers, den sie verfolgte, eines
Nachbars Kuh geschossen hatte. Seitdem bezweifeln ihre Freundinnen augen-
scheinlich ihr Jägertalent, und die Flinte ist verschwunden. — Die Klings sind
bei weitem der schönste Typus der Eingeborenen Labuans. Ihre Gesichtsfarbe
ist etwas dunkler als die der Malayen und im allgemeinen sehen sie kräftiger
und schöner aus. - Die Chinesen haben den gröfseren Teil des Handels in
Labuan in Händen, und neun Zehntel von ihnen sind nicht allzu ehrlich,
besonders die Knaben, die sich als Diener anbieten. Sie haben eine Art Erwerbs-
genossenschaft oder geheime Verbindung, deren Befehlen sie folgen müssen.
Wenn die Gesellschaft einem Burschen verbietet, eine gewisse Summe im Monat
anzunehmen, so mufs er gehorchen, da jeder, der gegen die Gesellschaft an-
kämpft, bald zur Unterwerfung gezwungen wird. Das Leben in den Bungalows
in Labuan ist sehr angenehm für eine Zeitlang, wird aber bald eintönig. Das
Bungalow, in welchem ich wohnte, war auf Pfählen erbaut und stand ungefähr
4 Fufs über dem Erdboden. Eine grofse Veranda umgab von drei Seiten das
Haus, welches von Kokosnufsbäumen fast ganz eingeschlossen war. An der
Vorderseite erweiterte sich die Veranda in eine Art offenes Zimmer, d. h. ein
Zimmer ohne Wände, und dies ist der angenehmste Sitzplatz in allen ostindischen
Häusern. Ein einziger grofser Raum diente als Efs-, Gesellschafts- und Schreib-
zimmer. Er war 60 Fufs lang, 30 breit und hatte nicht weniger als 8 Thüren.
Während der Monsunzeit konnte man sich durch Öffnen der zahlreichen Thüren,
einen prächtigen Luftzug verschaffen. Das Kochgeschäft wird aufserhalb des
Bungalow in den Kochränmen besorgt, die 40 — 50 Yards weiterhin eingerichtet
sind, und die Speisen werden durch Diener hereingetragen. Die Badezimmer
bestehen lediglich aus kleinen Kellern mit einem Kübel Wasser und einer kleinen
Zinnkanne, mit der man das Wasser über sich hergiefst. Während meines Auf-
enthaltes in Labuan stehe ich regelmäfsig um 6 Uhr auf, geniefse ein erstes
Frühstück, ganz ä la fran<;aise, dann gehe ich am Strande spazieren oder baden
und komme um 8—9 '/» Uhr zurück. Das Thermometer, welches nm 6 Uhr auf
78 — 79 0 steht, steigt auf 83 0 und kommt regelmäfsig zwischen 11 — 12 Uhr auf
85 — 87 °, bisweilen 90 °, zu stehen. Zwischen 8 und 10 Uhr — dem unan-
genehmsten Teil des Tages — thut man wenig mehr, als dafs man auf der
Verande sitzt und die kühlende Brise geniefst, wenn es in der Monsunzeit ist,
oder die Zuckerfresser beobachtet, die die grofsen hellroten und gelben Blüten
umschwärmen, welche die Veranda umhängen. Diese Zuckerfresser sind die
Bienen des Ostens. Es sind winzige Geschöpfe mit goldenen, gelben, braunen
und roten Strichen prächtig gefärbt. Sie ziehen mit ihrem Schnabel durch die
weit ausgebreiteten Blüten und sind ebenso zahm und unverschämt wie die
Sperlinge in London. — Hier im Osten wird das zweite Frühstück (lunch),
Tiffin, wie die Eingeborenen es nennen, um 1 Uhr Mittag und das Mittagessen
um 6 oder 7 Uhr genommen. Die angenehmste Zeit des Tages ist von 5 bis
6 Uhr nachmittags. Um */v6 ist es ganz dunkel; die Sonne geht zwischen 5
und l IS Uhr früh auf. Id Singapore sind die Mahlzeiten der europäischen
Kaufleute besser als hier ; um l /«9 oder 9 Uhr wird reichlich und gut gefrühstückt,
zu warmen Speisen giebt es französische Rot- und Rheinweine. Das zweite
Frühstück um 1 Uhr ist ebenso reichlich und trinkt man dann nicht selten
auch Champagner; am Nachmittag, nach Schlufs des Kontors, fährt man zu
seinem Landhause und hier, um V* 8 Uhr, wird ein regelrechtes Mittagessen
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— 91 —
eingenommen. Die Bungalows anf Labnan stecken voll Insekten verschiedener
Art, die unangenehmsten sind natürlich die Moskito. Jedesmal vor dem Schlafe
brachte Hatton eine längere Zeit mit der Moskitojagd zu, im stillen grübelte er
darüber nach, wozu diese Quälgeister erschaffen seien. — Eine der angenehmsten
kühlsten Punkte auf Labnan ist Tanjong Knbong oder Coal-Point, an der Nord-
ostseite der Insel. Hier befinden sich die Kohlenlager, welche von der Oriental
Coal Company in London und Leith ansgeboutet werden und die im Jahre 1876
5800 Tons Kohlen lieferten, aber bald darauf aufgegoben wurden, da man den
Betrieb wegen der erforderlichen Bewältigung des Wassers zu kostspielig fand.
Jetzt liegen die Gebäude in Ruinen, die das tropische Pflanzenleben überwuchert ;
auch die Eisenbahn, welche mit einem Tunnel durch einen Berg und dann
durch den Wald nach Labnan geführt werden sollte, ist unvollendet geblieben.
Labnan ist einer der Märkte Borneos und des Sulu-Archipels und zwar für
efsbare Vogelnester, Wachs, Kampher, Guttapercha, Perlen, Tripang und Schild-
krötenmuscheln. Diese Produkte werden wie das auf der Insel in drei Fabriken
gemahlene Sagomehl nach Singapore ansgeführt. Der Wert der Ausfuhren
von Labnan wird auf 85 740 £ , derjenige der Einfuhr anf 84 868 £ für 1884
angegeben. Labnan hat drei Dampferverbindungen: eine mit Singapore und
Brunei, eine andre mit Singapore, Sandakan (Ostküste von Borneo) und den
Sulu-Inseln, eine dritte mit diesen und der Insel Celebes.
§ Aus Neu - Guinea. Der geographisch wichtigste Teil des kürzlich aus-
gegebenen Heft 1, 1887 der von der Nen-Guinea-Kompanie zu Berlin heraus-
gegebenen Nachrichten über Kaiser Wilhelms-Land und dem Bismarck-Archipel
ist der Bericht des Landeshauptmanns Freiherrn von Schleinitz über eine in
den Tagen des 7. bis 13. Oktober v. J. mit Dampfer „Samoa“ ausgeführte Unter-
snehungsfahrt im Hüon-Golf ; es wurden acht Baien bezw. Häfen und neun Flüsse
zum Teil neu aufgefunden und mehr oder weniger genau untersucht. Als prak-
tisches Ergebnis dieser Samoareise wird zunächst bezeichnet, dafs es höchst
wahrscheinlich sei, dafs eine Expedition an verschiedenen Stellen der sehr
gebirgigen Südküste des Hüon-Golfes in das Innere einzudringen vermöge. Im
Gegensatz zu Finschhafen und der Küste bis Kap König Wilhelm findet man an
der Südküste des Hüon-Golfs weder Kalkformation noch gehobene Korallenriffe,
vielmehr besteht hier die Küste aus Urgestein, aus metamorphischen Gesteinen
oder älteren sedimentären wie auch vulkanischen Formationen. Plateaus und
Thäler werden in diesem Gebirgsland sicher eine gröfsere kulturelle Bedeutung
besitzen als an der zerrissenen Kalkküste. Für die am Hüon-Golf fehlenden
Flachküsten wird reichlicher Ersatz, namentlich was die Fruchtbarkeit anlangt,
in den vom Markhamflufs und andern Wasserläufen gebildeten Alluvialebenen
gefunden werden. Die Küste besitzt sichere Häfen und wenigstens für kleine
Fahrzeuge schiffbare Flufsläufe; von diesen sind zu nennen: 1) der Adlerflufs,
Breite 200 m, in der Mündung eine Wassertiefe von 10 bis 13 Faden ; 2) der
schon von Moresby gesichtete Markhamflufs: Breite 300 bis 500 m, Tiefe 1,5 bis
2,5 m; 3) der 50 bis 150 m breite Franziskaflufs mit einer bis auf 0,6 m Wasser-
tiefe versandeten Mündung; 4) der in der Mündung 200 m breite und 1 bis 1 */»
Faden tiefe Steinflufs; 5) der in der Mündung 200 m breite und l 1 /« Faden
tiefe Margotflufs. Diese Flüsse werden sich für die Ausnutzung des Holz-
reichtums sehr nützlich erweisen. Über die Eingeborenen des Hüon-Golfs berichtet
Hauptmann Dreger: Die Sitten und Gebräuche derselben scheinen sich von
denen der Bewohner von Finschhafen kaum zu unterscheiden. Kleidung und
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Schmuck sind am Hüon-Golf roher und mit weniger Geschick gefertigt, auch
die Kanus waren weniger gut gearbeitet. Dagegen standen am Hüon-Golf Flecht-
arbeiten auf einer höheren Stufe als anderswo ; an schönen, gefälligen Basttaschen,
an geschmackvollen, aus gelbem und rotem Stroh geflochtenen Armbändern und
an fein geflochtenen Fischnetzen war entschieden bemerkenswertes geleistet.
Waffe scheint hauptsächlich der Speer zu sein, Bogen und Pfeil sah man fast
gar nicht. Die Eingeborenen zeigten das äufserste Mifstrauen, ja offene Feind-
seligkeit, als wir die Absicht kund gaben, einige ihrer meist aus vielen Häusern
bestehenden Dörfer zu betreten. Es wurde übrigens seitens der Eingeborenen
kein Hehl daraus gemacht, dafs sie die erschlagenen Feinde verzehren. Die
Plantagen der Dörfer befanden sich alle auf hohen, ziemlich steilen Bergeshängen
und schienen in der Hanptsache Taro, welche auch mehrfach zum Verkauf
angeboten wurde, zu tragen; an sonstigen Nutzpflanzen wurden noch Zuckerrohr,
Betelnüsse und Tabak bemerkt. An Haustieren fanden sich der bekannte Ein-
geborenenhund, — es besteht auch hier der Gebrauch, Hunde als Zeichen fried-
licher Gesinnung zu schenken, — eine grofse schön gefärbte Hühnersorte und
auffallend grofse Schweine. Dem Heft, das auch sonst noch einige Nachrichten,
jedoch von geringerer Bedeutung, enthält, sind Kartenskizzen mit Küsten-
profilen vom Hüon-Golf und vom Küstengebiet südlich von Finschhafen bei-
gegeben.
Das soeben ausgegebene zweite diesjährige Heft der Nachrichten der Neu-
Guinea-Kompanie zn Berlin bringt eine Mitteilung über eine weitere Reise,
welche der Landeshauptmann Freiherr von Schleinitz in der Zeit vom 1. bis
19. November v. J. mit dem Dampfer .Ottilie“ ausgeführt hat; auf derselben
wurde die bereits von Dr. Finsch befahrene Küste von Fortifikation Point bis
zur Mündung des Kaiserin Augusta-Flusscs näher untersucht, die Lage der süd-
westlich von den Admiralitäts-Inseln gelegenen Purdy-Inseln festgestellt, Mioko
und Matupi im Bismarck-Archipel besucht und ein Teil der Südküste von Neu-
Pommern berührt. Diesem Bericht ist eine Kartenskizze der Küste des Kaiser
Wilhelms-Landes von Iris Spitze bis zum Kap della Torre beigegeben ; sie wurde
im Mafsstab von 1 : 500 000 vom Hauptmann Dreger aufgenommen und gezeichnet.
Es wurden auch auf dieser Reise eine Menge interessanter Beobachtungen und
Entdeckungen gemacht, verschiedene Buchten, Häfen, Inseln und Flüsse wurden
festgestcllt und teilweise benannt, so der an der Mündung 80—90 m breite
Marien-Flufs (Astrolabe-Bai, südlich vom Kap Dnperre), der Prinz Friedrich Karl-
Hafen (nördlich vom Kap Dnperrö), der 150 bis 180 m breite Ama-Flufs (zwischen
Juno Point und Kap Croisilles) der Prinz Adalbert-Hafen (westlich vom Kap
Croisilles), der Margarethen-Flufs (bei Samoa Huk) der Prinz Albrecht-Hafen
(westlich von Hatzfeldt-Hafen), weiter nach Westen der Potsdam-Hafen und die
Hansabucht, endlich der 300 bis 500 m breite Ottilien-Flufs bei Venus-Spitze, süd-
östlich vom Kap Della Torre. Über Bewohnung, Bodenbebauung und sonstige
Beschäftigungen der Eingeborenen enthält der Bericht mancherlei Angaben.
Besonders wohlhabend sind die Dörfer Correndu und Bongn am Konstantin-
Hafen; der von ihnen bebaute Boden ist aufserordentlich ertragsfähig
und die Einwohner haben infolgedessen Lebensmittel aller Art in
Überflufs. Die Bilibili-Insulaner sind unternehmende Seefahrer und Händler;
eine stattliche Flotte von grofsen Kanus mit wimpelgeschmückten Masten lag
auf dem Sandstrand. Fast in jedem der über 50 Hänser dos Dorfes werden aus
freier Hand sehr regelmäfsig geformte Thontöpfe gedreht. An der Mündung des
Kaiserin' Angusta-Stromes bei einer Lagune wurden in einem Dorf an mehreren
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Hütten in Bündeln aufgehängte Menschenschädel getroffen. — Die bisher geglaubte
Gefährlichkeit der Schiffahrt an den Küsten von Kaiser Wilhelms-Land bestreitet
Fr eiherr von Schleinitz, ja er behauptet, dafs, wenn auch viele Riffe und Untiefen
vorhanden, die Küste von Kaiser Wilhelms-Land und eines grofsen Teils
des Bismarck-Archipels doch für die grofse Schiffahrt selbst in dunkelster
Nacht bei mäfsiger Aufmerksamkeit leicht zu befahren sind. Für
Dampfer, welche von chinesischen Häfen nach Australien
gehen, sei ohne Frage der Weg längs der Küste von Kaiser-
Wilhelms-Landderkürzesteundgcfahrloseste. Dasselbe Heft enthält
einen Bericht von Dr. Hollrung über die Vegetationsverlüdtnisse in Hatzfeldt-
Hafen.
§ Die niederländische Polarstation. Im Band IX, 1886, S. 247 dieser
Zeitschrift wurde das von Professor Snellen in Utrecht herausgegebene Werk
über die niederländische Polarstation besprochen und darin erwähnt, dafs nach
der gefährlichen Überwinterung in der Kara-See der glücklich über und durch
das Eis bewerkstelligte Rückzug zu den rettenden Schiffen stattgefunden habe.
Von befreundeter Seite wird uns nun mitgcteilt. dafs von einer Rettung der
holländischen Expedition nicht die Rede sein könne und der Ausdruck daher
irrig gewählt sei, und es wird hierüber von Herrn Professor Snellen das Fol-
gende geschrieben: «Von rettenden Schiffen war so wenig die Rede, dafs die
Schiffe, welchen wir an der Mündung von Jugor Scharr begegneten, nicht die
geringste Ursache hatten, unsertwegen den Bug zu wenden, sondern ruhig ihre
Bemühungen, in das Kara-Meer einzudringcu, fortzusetzen beabsichtigten, als
plötzlich eines derselben, D. „Louisa“, einen Flügel ihrer Schraube verlor und
daher genötigt war, nach Europa zurückzukehren, welcher Umstand Herrn
Dalimann veranlal'ste, uns einzuladen, mit ihm an Bord seines Schiffes die Rück-
reise zu machen, welche durch die angenehme Gesellschaft und Unterhaltung
unsres Gastherrn jeden von uns immer in lieber Erinnerung bleiben wird.
Von Rettung war aber keine Rede. Aus welcher Not würde man uns damals
haben retten können ? Wir genossen der kräftigsten Gesundheit, waren an einem
bewohnten Ort, hatten Proviant noch für mehrere Tage und obendrein Geld.“
Darnach ist es allerdings irrig, wenn von rettenden Schiffen gesprochen wurde;
das eben Mitgeteilte dürfte vielmehr den wahren Sachverhalt genügend klar
gestellt haben.
Geographische Litteratur.
Europa.
§ Festschrift zur fünfzigjährigen Jubelfeier des Provin-
zial - L a n d wirtscha fts-Vere ins zu Bremervörde (Regierungsbezirk
Stade). Zweiter Band. Stade 1886. Dem im Jahre 1885 veröffentlichten und
in Band VIII., S. 228 u. ff. besprochenen ersten Band der Breraervördoner Fest-
und Jubelschrift ist nun der zweite Band gefolgt. Wenn auch nicht so viel-
seitig und umfangreich wie der frühere, so bietet doch auch dieser Band be-
sonders in seinem zweiten Teile einen reichen bedeutungsvollen Inhalt. Der erste
Teil ist den landwirtschaftlichen Vereinsbestrebungen in der Provinz, der Bremer-
vorder Ackerbauschule, der Königl. prenfsischen Moorversuchsstation in Bremen,
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endlich der Schilderung der Jubelfeier am 2. bis 4. September 1885 gewidmet.
Der zweite Teil, Statistik, bearbeitet von C. Diercke, bietet ein über die landwirt-
schaftlichen Kreise hinausreichendes Interesse. Auf 140 Seiten bietet er zu-
nächst ein Ortschaftsverzeichnis des Regierungsbezirks, sodann finden wir Texte
und tabellarische Übersichten, betreffend die jetzige politische Einteilung und die
Ergebnisse der Zählung vom 1. Dezember 1885, Gebäude, Haushaltungen und Be-
wohner 1861 — 80, Verteilung der Bevölkerung über das Land nach der Zählung
von 1880, die Bevölkerung nach Herkunft, Alter, Familienstand, Zusammenleben
und Bekenntnis, Bewegung, Beruf und Erwerbsthätigkcit der Bevölkerung, die
Steuerverhältnisse nach der Veranlagung von 1883/84, endlich den Viehstand.
Die beigegebenen Karten möchten wir etwas näher betrachten.' Karte No. 1
zeigt die Dichtigkeit der Bevölkerung, in 10 Farbenabstufungen von der dünnsten
Bewohnung, 20 — 24 Bewohner auf 1 qkm bis zur stärksten, 130 Bewohner auf
den qkm. Jene am schwächsten bevölkerten Teile des Regierungsbezirks sind
die Gegenden um Zeven und Rotenburg, also im Haide- und Moorgebiet, nicht
viel günstiger ist das Verhältnis in Lehe, Dorum, Otterndorf, Hagen, eine mittlere
Bewohnung zeigen die Ämter Neuhaus und Freiburg; die stärkste Bewohnung
zeigen die Ämter Blumenthal, Lilienthal und Achim, sowie ferner die Elbmarsch
im Amte Jork. Die stärkste Bevölkerungszunahme von 1861 — 80 hatten laut
Karte No. 3 die Ämter Achim und Verden, sowie die Hafenorte an der Weser-
mündung. Die Karten ö und 6 geben Aufschlufs über die Bodenverteilung:
Die Besitzungen von 20 ha und darüber sind am zahlreichsten (82 °/o) in den
Marschen am linken Ufer der Unterelbe, während der Kleinbesitz, 5 ha und
darunter, in den Ämtern Lilienthal und Achim vorherrscht. Das Ackerland
überwiegt (Karte No. 7) im Lande Uadeln, das Grünland in den Gegenden am
rechten Weserufer (Hagen, Lehe, Dorum). Der Bodenwert (Ackerland und
Gesamtfläche, Karten 9 und 10) ist am höchsten in den Marschen an der Unter-
Weser wie Unter-Elbe und an der See (Reinertrag der Gesamtfläche durch-
schnittlich 35 — 40 Jt., des Ackerlandes über 50 M. vom ha). Mit diesen That-
sachen übereinstimmend zeigen sich auch die recht interessanten Karten der
Steuerstatistik, der Pferde- und Viehzucht. Ein besonderes Kärtchen veran-
schaulicht die Lage der zahlreichen im Regierungsbezirk bisher erschlossenen
Mergellager. — Mit diesem Bande ist die Festschrift zum Abschlufs gekommen
und damit durch das Zusammenwirken zahlreicher am meisten dazu berufenen
Kräfte, ein Werk geschaffen, das wohl für längere Zeit die Hauptquelle für die
Kunde der Lande und des Volkes zwischen Unter-Elbe und Unter-Weser
bleiben wird.
Europäische Wanderbilder. No. 114 — 116: Lugano und die Ver-
bindungslinie zwischen den drei oberitalienischen Seen. Von J. Hardmeyer.
Mit 55 Illustrationen von J. Weber und vier Karten. Zürich. Orell Füfsli & Co.
Alle Vorzüge, welche wir den früheren Bändchen der „Europäischen Wander-
bilder“ nachrühmeu durften, treffen in diesem zusammen. Der Verfasser ist
ein guter Kenner der Schweiz, seine klare, gewandte und wo es darauf
ankommt, schwungvolle Darstellung bewährt sich auch bei dem vorliegenden,
allerdings höchst dankbaren Stoff, dem schönen Lugano und seiner reizvollen See-
und Bergumgebung. Seit Eröffnung der Gotthardbahn ist Lugano bekanntlich
ein Mittelpunkt für den sommerlichen Touristenverkehr und eine Winterstation
für zahlreiche Gäste aus dem Norden geworden. Die Monographie enthält eine Fülle
zierlicher Bilder, von denen wir folgende hervorheben: Lugano von der Villa
Maraini aus, die Aussicht auf dem Friedhof von Canobbio, am Strand vor Bis-
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sone, Gandria, Val Solda, Morcote, die Weinkeller von Caprino, die Aussicht
von Bellavista gegen Melide, welche Bilder volle Blicke in die Schönheit der
luganesischen Landschaft thnn lassen.
Asien.
Die Landwirtschaft Japans, ihre Gegenwart und ihre
Zukunft. Von Dr. Shinkizi Nagai. Dresden, Schönfeld, 1887. Der Ver-
fasser äufsert sich in der Vorrede wie folgt : .Das Volk Japans lebte bis zum
Jahre 18G8 seit vielen Jahrhunderten in der strengen Abgeschlossenheit des
Landes nach aufsen hin in ganz eigener Weise. Damit war die Entwickelung
der Landwirtschaft zu einem ganz eigentümlichen Charakter bedingt. Der Um-
stand, dafs das japanische Volk im allgemeinen eine fast vegctarianische Lebens-
weise führte und die fehlende Fleischnahrung dnreh andre Substanzen ersetzte,
zwang die Landwirtschaft, sich einseitig zu entwickeln. Aus dieser Ursache
weisen die japanischen Felder sehr viel Gemüse und Leguminosen auf, die dem
Bedürfnis nach Abwechselung resp. nach konzentrierter, fleischähnlicher Nahrung
zu genügen haben. — In letzterer Richtung tritt daneben (und vielleicht noch
überwiegend) das Meer mit seinem Reichtum an Fischen und Schaltieren ein,
um das Fehlen der Schlachttiere minder empflndlich zu machen. Aus Mangel
an Nachfrage ihrer Produkte konnte die Viehhaltung in Japan natürlich keine
grofse Ausdehnung annehmen, sie mufste aufserdem noch dadurch eingeschränkt
werden, dafs auch bei der Bearbeitung des Feldes der Gebrauch von Spann-
rieh wenig üblich war, da ja derselbe hei der Kleinheit der oft terassenförmig
angelegten Felder vielfach nicht wohl möglich ist und da die höchst unvoll-
kommenen Ackergeräte und das Angebot von guter und billiger Handarbeit
letztere vorteilhafter erscheinen liefsen. Deshalb konnten Pferde und Rinder
vorwiegend nur zum Tragen von Lasten und Reiten Verwendung Anden und
waren natnrgemäfs nicht zahlreich. Dies mufste der Landwirtschaft einen
eigentümlichen Charakter verleihen, denn es liegen einmal grofse Flächen
nutzlos, auf denen in Europa Futter für die Haustiere erzeugt würde und
anderseits fehlt infolgedessen in Japan die in der europäischen Wirtschaft
fast unentbehrliche Düngerquelle, der Stallmist. Damit ist eine grofse Ver-
schiedenheit in der Natur der wichtigsten landwirtschaftlichen Arbeiten und der
Betriebsrichtung dort und hier gegeben. Seitdem die ganzen sozialen und
wirtschaftlichen Verhältnisse Japans gewaltige Umänderungen von Grund aus
erfahren haben, tritt auch die Landwirtschaft nach ihrem vielhundertjährigen
Stillstand in den Beginn einer ganz andern Entwickelungsphase. Die Lebens-
weise des Volkes ändert sich wesentlich, die Nachfrage der bisherigen ein-
heimischen, landwirtschaftlichen Erzeugnisse wird verringert, die Produktions-
kosten der landwirtschaftlichen Produkte vergröfsern und die Preise vermindern
sich. Aus dem allen resultiert die Notwendigkeit von jener mittelalterlichen zu
einer den neuen Verhältnissen angepafston, wesentlich andern Betriebsweise
überzugehen.' Die sodann folgenden Darlegungen des Verfassers betreffen :
1. Die Bodengestaltung. 2. Das Klima. 3. Die Bodenbearbeitung. 4. Düugcr-
bereitung. 5. Der Pflanzenbau. 6. Die Viehzucht. In einem Sehlufskapitel :
.Allgemeine Zusammenfassung über Zustände und Aussichten der japanischen
Landwirtschaft“ legt der Verfasser die Trostlosigkeit der landwirtschaftlichen
Zustande seit Eröffnung Japans für den allgemeinen Weltmarkt dar; jetzt reicht
der Wert der Ernte eben nur zur Bestreitung der Steuern und baren Unkosten
hin. Trotz der angestrengtesten, vielseitigsten Hilfsthätigkeit der Regierung wird
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eine langsame Resserung der Verhältnisse erst künftigen Generationen zum Nutzen
gereichen.
Geographische Charakterbilder aus Asien. Aus den Original-
berichton der Reisenden gesammelt von Gymuasialdirektor Dr. Berth. Volz.
Mit 87 Illustrationen. Leipzig, Fues’ Verlag. 1887. Dieses mit 87 Illustrationen
geschmückte und hübsch ausgestattete Buch eignet sich vortrefflich zur Lektüre
für Schüler und Schülerinnen höherer Klassen, die sich für Länder- und Völker-
kunde interessieren. Aber auch darüber hinaus können allen Freunden der
Geographie, jungen wie alten, die vorliegenden „Charakterbilder“ zu anregender
Erholung und zur Erweiterung und Abklärung der Anschauung von fernen
Ländern und Menschen empfohlen werden. Dieselben enthalten zweckmäfsig
ausgewählte Abschnitte aus solchen Originalwerken, welche für unsre Kenntnis
Asiens von Bedeutung, gewissermaßen die klassischen sind. Dem Fachmann
wohlbekannte Namen, wie G. Radde, Max von Thielmann, H. Dalton, Palgrave,
Dambery, Nordenskjöld, Richthofen, Prschewalski, Rein, Schlagintweit, von Hübner
und viele andre begegnen hier dem Leser. Grundsätzlich sind nur die Original-
. werke cinwandsfreier Augenzeugen berücksichtigt worden, damit den „Charakter-
bildern“ das Wesen eines geographischen Quellenwerkcs bewahrt und der Wert
wissenschaftlicher Zuverlässigkeit erhalten blieb. Die Bearbeitung bezog sich
daher lediglich und in vorzüglicher Weise auf formale Dinge. Auch die novel-
listische Form, in welcher die Erzählung den Rahmen abgiebt, ist beibehalten,
da sie anzieht und, indem sie belehrt, doch angenehm unterhält. Mit Geschick
hat es dabei der Verfasser verstanden, alle die verschiedenen Beiträge zu einem
Gesamtbilde des Erdteils in grofsen Zügen nach den wichtigsten Gesichtspunkten
zusammcuzustellen. Auch auf die beiden bereits früher erschienenen Bände,
welche Charakterbilder aus Deutschland (I. Bd.) und aus Afrika (II. Bd.) ent-
halten, sei nochmals empfehlend hingewiesen. W. W.
Amerika.
Elliot, Henry W. An Arctic Province, Alaska and the Seal
Islands, lllustrated by many Drawings from nature and maps. London,
Sampson Low. 1886. 8 °. 465 p. Über die Wertschätzung des früheren russischen
Amerikas, des jetzigen Territoriums Alaska und über das in bezug auf dasselbe
befolgte Regierungssystem hat sich in den Vereinigten Staaten ein heftiger Streit
erhoben, der auch heute noch nicht geschlichtet ist. Der Verfasser des vor-
liegenden Buches will nun auf Grund ausgedehnter persönlicher Erfahrung den
Leser mit der Natur und den Zuständen des Landes so vertraut machen, dal's
er seine eigene Meinung über dasselbe zu bilden vermöge. — Nach einer kurzen
geschichtlichen Übersicht beginnt er mit einer Schilderung des südöstlichen
Teiles, des Sitkadistriktes, läfst dann eine Beschreibung der westwärts sich an-
schliofsendcn Küstenstrecke, weiter der Kenai-Halbinsel, der Insel Kadiak, der
Halbinsel Alaska und der Kette der Aleuten folgen, um schliefslich längere
Zeit bei den Pribylow-Iuseln, St.. Paul und St. Georg zu verweilen. Der Rest
des Buches enthält dann noch eine kurze Beschreibung der vom Beringsmeer
und dem Eismeer bespülten Fcstlandsküste, der Stromgebiete des Kuskokwim
und Yukon und einiger Inseln im Beringsmeer. Die Beschreibung der Pribylow-
Inseln und des auf denselben betriebenen Pelzrobbenschlages bildet den wich-
tigsten und interessantesten Teil des Buches; fast 300 Seiten, des ganzen
Werkes sind diesem Gegenstände gewidmet. Der Verfasser hat während eines
wiederholten längeren Aufenthalts auf diesen Inseln die beste Gelegenheit zu
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eingehenden Stadien gehabt und auch bereits mehrfach ausführliche Mitteilungen
über dieselben gemacht. Millionen von Pelzrobben, Callorhinus ursinus, sammeln
sich hier in den Sommermonaten jeden Jahres, um ihre Jungen zur Welt zu
bringen und nufzoziehen. Die Alaska Commercial Company in San Franzisco
übt auf diesen Inseln das Monopol des Robbenschlages aus. Nach dem Ver-
trage mit der Regierung vom Jahre 1870 hat sie auf 20 Jahre, also bis 1890,
das Recht, jährlich 100,000 Pelzrobben, 75,000 auf St. Paul und 25,000 auf
St. Georg, zu schlagen. Elliot ist ein eifriger Fürsprecher dieses Monopols,
dem er wohl nicht mit Unrecht cs zuschreibt, dafs die Zahl der Tiere in den
letzten Jahren unvermindert geblieben ist. — Was die Beschreibung des grofsen
Restes von Alaska anlangt, so entbehren hier die Angaben des Verfassers öfters
der Genauigkeit und Vollständigkeit Die historischen Notizen sind nicht immer
zuverlässig, die Litteratur ist unvollständig benutzt worden, auch fehlen gröfsten.
teils alle Quellenangaben ; dürftig ist ferner die Darstellung der ethnographischen
Verhältnisse. Störend wirken auch bei der Lektüre die im Text mitunter bis
zur völligen Unkenntlichkeit verstümmelten russischen Eigennamen. — Das
Buch ist mit zahlreichen nach Zeichnungen des Verfassers hergestellten Ab-
bildungen und einer Karte ausgestattet, welche letztere jedoch nicht überall
die neuesten Berichtigungen zur Darstellung bringt. A. K.
Scidmore, E. Ruhama. Alaska, its Southern Coast and the Sitkan
Archipelago. With map and illustrations. Boston, Lothrop & Co. 1885, 12 # .
333 S. Das Büchlein enthält die Schilderung einer Touristenfahrt in das süd-
liche Alaska, wie sie in den Sommermonaten jetzt öfters auf den allmonatlich
von Portland oder San Franzisco ausgehenden Dampfern unternommen wird.
Die Verfasserin hat die Reise zweimal, 1883 und 1884, gemacht. Bei der
lebendigen und doch anspruchslosen Darstellung ist das Buch wohl geeignet,
das Verständnis für die grofsartige Natur des Sitka-Archipels zu erwecken.
Auch hat sich die Verfasserin über Land und Leute hinlänglich unterrichtet,
um im wesentlichen zuverlässige Mitteilungen darüber machen zu können.
A. K.
Karten.
Atlas de la Republica Argentina construido y publicado por
resolucion del „Instituto Geografico Argentino' y redactado por el Dr. Art uro
Seelstrang. Primera Entrega. Buenos-Aires 1886. Von diesem Atlas, dessen
Erscheinen schon vor geraumer Zeit angekündigt wurde, ist nun die erste Lie-
ferung, enthaltend 6 Blätter, an die Öffentlichkeit gelangt. Bei dem Instituto
Geografico bestand ursprünglich die Absicht, eine grobe Karte der Republik
herauszugeben. Die Vorarbeiten für diese Karte waren schon sehr weit gediehen,
als eine Publikation in noch gröberem Mafsstabe nnd zwar in Form eines Atlas
beschlossen wurde. So kam es, dafs die längst erwartete Veröffentlichung eines
Kartenwerkes von Argentinien beträchtliche Verzögerung erfuhr. Diese Ver-
spätung gereicht aber dem Werke selbst äufserheh nicht zum Nachteil. Zwar
haben wir seit den Reisen der argentinischen Forscher Moreno und Moyano
in Patagonien ein völlig klares Bild von den topographischen Verhältnissen auch
des unbesiedelten Teiles der Republik gewonnen, so dafs besondere geographische
Neuigkeiten in dem Atlas nicht zu erwarten sind. Dagegen haben sich durch
die Vermessungsarbeiten, welche mit dem Landverkauf, dem Eisenbahnbau und
en Grenzregulirungen Hand in Hand gehen, viele topographische Details ergeben
Ocogr. Blätter. Bremen, 1887. n
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und da sich bei der immer gröfseren Ausdehnung dieser Arbeiten das Material
von Jahr zu Jahr zusehends häuft, so kann der Genauigkeit der Karten die
Verspätung ihres Erscheinens nur zu statten gekommen sein. Mit dem Entwurf
der Karten und der kritischen Verwertung des bei so verschiedenen Gelegen-
heiten gewonnenen Materials wurde von dem „Instituto Geografico“ unser Lands-
mann Herr Dr. Artur Seelstrang betraut, der sich ja schon durch eine ganze
Beihe von Arbeiten um die Kartographie von Argentinien verdient gemacht hat.
Der fertige Atlas wird etwa 30 Tafeln enthalten. Er hat das Format des Andree-
schen Handatlas. Jede Provinz wird gesondert dargestellt und zwar im Mafsstab
1 : 1 000 000 mit Benutzung der gewöhnlichen Kegelprojektion. Die Karten sind
lithographiert auf sehr schönem Papier. Das Gebiet der dargestellten Provinz
ist immer gelb, das Meer blau abgetönt; die Gebirge sind braun schraffiert. Die
Schrift ist sauber, so dafs die Blätter einen sehr freundlichen Eindruck machen.
Aufser dem üblichen topographischen Detail enthalten die Karten Höhenangaben
in Metern, die Eisenbahnlinien, sowohl die im Betrieb befindlichen als die pro-
jektierten, die Tclegraphenlinicn und die Grenzen der je einem Jefe Politico
unterstehenden Dcpartementos. Die in der ersten Lieferung erschienenen sechs
Tafeln sind: die Provinz Buenos-Aires, Sektion Südost, Tafel V. des fertigen
Atlas; die Provinz Entrerios Tafel VIII; die Provinz Cördoba in zwei
Sektionen Nord und Süd Tafeln XII. und XIII ; das Gouvernement Santa Cruz
Tafel XXVI. und das Gouvernement Feuerland mit einem Karton: die Falk-
lands-Inseln Tafel XXVH. Für diese sämtlichen Blätter, mit Ausnahme von
Tafel XXVI., welche die Jahreszahl 1886 trägt, wurden die Entwürfe im Jahre
1885 vollendet. Tafel V. giebt ein sehr klares Bild der im Kap Corrientes aus-
laufenden Sierra von Tandil. Tafel VHI. stellt das hydrographische Netz des
argentinischen Mesopotamiens, wie Entrerios genannt wird, mit grofser Ausführ-
lichkeit dar. Aus diesem Blatte gewinnt man eine Vorstellung von dem grofsen
Wasserreichtum dieser Provinz. Die Namengebung war einer solchen Fülle von
Wasseradern gegenüber offenbar in Verlegenheit , denn allenthalben begegnet das
Auge einer Arroyo Sauce (Salix, Weide) ; doch mag diese häufige Wiederholung
auch dem Charakter der Landschaft entsprechen. Den Tafeln XII. und XIII.
liegt eine im Mafsstab 1 : 500 000 gezeichnete Karte der Provinz Cördoba zu
Grunde, welche im Jahre 1883 von dem topographischen Institut der Provinz
herausgegeben worden ist. Die Provinz Cördoba geniefst verschiedene Vorteile,
welche der Entstehung einer genauen Karte günstig waren: sie wird von den
meisten argentinischen Bahnlinien durchquert, ferner besitzt sie im Süden und
namentlich im Südosten wertvollen Boden, der parzelliert und besiedelt ist, und
schliefslieh ist die Hauptstadt Cördoba Sitz einer Universität, an welcher natur-
wissenschaftliche Professoren — zumeist Deutsche — wirkten und noch wirken,
denen die Erforschung des Landes am Herzen lag. Sehr eingehend ist die
Sierra von Cördoba behandelt, wenngleich hier die lithographische Wiedergabe
nicht ganz so klar gelungen ist, wie bei der Sierra von Tandil. Besonderes
Interesse gewähren auf diesen beiden Blättern die Verzweigungen der Canadones
(Cana, Bohr), flache Einsenkungen mit saftigem Grün, in welchen man gewöhnlich
in der Tiefe von 1 — 2 m Wasser trifft. Das Wasser tritt häufig in kleinen
Lagunen zu Tage. Viele dieser Canadones stellen die Fortsetzung von Wasser-
läufen dar, welche auf dem weiten Weg durch die Steppe versiegten. Aber als
Grundwasser erhält sich der Lauf auf gröfsere Strecken und so Bind es gerade
diese Canadones, welchen Südost-Cördoba seine wirtschaftliche Bedeutung ver-
dankt Das auf Tafel XXVI. dargestellte Gouvernement Santa Cruz liegt zwischen
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99
den Parallelkreisen 46 und 52 0 s. B. Es ist ebenso wie das Gouvernement
Feuerland Tafel XXVII. im Mafsstab 1 : 2 000000 gezeichnet. In diese Blätter
sind die Routen der Erforscher Patagoniens von Kapitän Fitz Roy 1834 bis
auf Ramon Lista 1884 eingetragen. Zu den Routen, welehe man auf Tafel 3
Band XXVIII. 1882 von Petermanns Mitteilungen findet, kommen hier noch
hinzu : die Route M o y a n o s 1882 von der Mündung des Rio Santa Cruz längs
der Küste bis zur Mündung des Rio Deseado, ferner seine Route 1883 vom Lago
Argentino nach Süd bis zum Rio Gallegos, dann diesem entlang bis zur Mün-
dung und zuletzt nördlich vom Unterlauf des Rio Chico; als neueste Route
kommt hinzu die von Ramon Lista 1884 längs des Rio Deseado. Diese
Routen ermöglichten eine genaue Einzeichnung der Flufsläufe. Nach allem dürfen
wir das „Instituto Geografico Argentino“ und Herrn Dr. Seelstrang zu dem
schönen Anfang des grofsen Werkes beglückwünschen und wir sprechen die
Hoffnung aus, dafs die nächsten Lieferungen sich bald der ersten anschliefsen
werden. O. C.
Übersichtskarte der ethn ograph isch e n Verhältnis s e von
Asien. Bearbeitet von Vincenz von Haardt. 6Blatt in SOfachem Farben-
druck. Mafsstab 1 : 8 000 000. (Gröfsc der zusammengesetzten Karte: 175 cm breit,
180 cm hoch). Wien 1887. Der durch eine langjährige Thätigkeit auf geogra-
phischem und zumal kartographischem Gebiete wohlbekannte Verfasser bietet in
dieser überaus grofsen und schönen Karte ein Gesamtbild über die ethno-
graphischen Verhältnisse Asiens, jenes Erdteils, welcher als die «Wiege
des Menschengeschlechtes“ vor allem das Interesse des Forschers und des
wissenschaftlich gebildeten Publikums in Anspruch nimmt. Es unterliegt keinem
Zweifel, dafs eine solche in gröfserem Mafsstabe ausgeführte Übersichtskarte
der Bevölkerungsverhältnisse eines ganzen Erdteils, sowohl für das Selbststudium,
als auch für den Unterricht von besonderer Wichtigkeit ist, wie sie andemteils
bei der hervorragenden Bedeutung des ethnographischen Momentes auch für
den Staatsmann und Politiker als gradezu unentbehrlich bezeichnet werden
mufs. Bislang fehlte eine solche Karte in der fachwissenschaftlichen Litteratur
aber gänzlich und es ist daher ein Verdienst des Herrn Haardt, dafs er diese
Lücke ausgefüllt hat. Die Aufgabe war aber zugleich eine aufserordentlich
schwierige, da kein Erdteil eine Völkermischung von solch aufsergewöhnlichen
Dimensionen hat wie gerade Asien. Allein 26 grofse Gruppen von Völker- und
Sprachstämmen treten uns auf der Karte, durch verschiedene Farbentöne
deutlich erkennbar, entgegen ; zwölf dieser Gruppen gehören der mongolischen,
acht der mittelländischen Rasse und drei den Dravida-Völkern an ; für die
arktischen Völker, für die malaiischen Stämme und für die Papuas wurde nur
je ein Farbenton gewählt. Der vom fachwissenschaftlichen Standpunkte wünschens-
werten weiteren Gliederung dieser 26 gröfseren Gruppen wurde durch eine Be-
schreibung oder durch die Einfügung der auf die tabellarische Übersicht hin-
weisenden Ziffer entsprochen. Auf diese Weise sind die Verbreitungsbezirke von
nicht weniger als 120 Völker- und Sprachstämmen nebst vielen ihrer wichtigeren
Unterabteilungen (die Karte enthält in allem über 600 ethnographische Nomen-
klaturen) zur Anschauung gebracht, ohne durch eine Überladung mit kleineren
farbigen Flächen das Auge und die Übersichtlichkeit der Karte zu verwirren.
— Der bis Ende März d. J. festgesetzte Subskriptionspreis von 24 M. für die
Karte ist ein verhältnismäfsig billiger, möge dieselbe deshalb auch einen recht
zahlreichen Käuferkreis finden. Einer der besten Kenner der ethnographischen
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100
Verhältnisse Asiens, der berühmte Ethnograph H. Vämberv, empfiehlt die Karte
als eine gediegene, nützliche und anerkennenswerte Arbeit; auf dieses Urteil
hin darf der Leser den Kauf getrost wagen. Dr. W. Wolkenhauer.
Spezialkarte der österreichisch-ungarischen Monarchie,
herausgegeben vom K. K. militärgeographischen Institut in Wien. Vom Generel-
Depot dieses Instituts empfingen wir folgende Mitteilung : »Von der Spezialkartc der
österreich-ungarischen Monarchie im Mafse 1 : 75000 gelangten im Laufe des
Monats Januar 1887 folgende Blätter zur Ausgabe : Nagy-Röce und Rima-Bänya ;
Gönc und Csobäd; Bercgszäsz und Mezö-Tarpa; Gyöngyös und Bakta; Jänk; Szalacs
und £r-Diöszeg ; Bucsa und Rossia ; Almissa und S. Pietro dclla Brazza; Koierin
undMostar; Ljubuski und Metkoviö; Bilek; Trebinje und’Risano. Sodann wird
noch mitgeteilt, dafs der VI. Band der „Mitteilungen des K. K. militär-geographischen
Instituts“ erschienen ist. Derselbe enthält in seinem offiziellen Teile den Bericht
über die Leistungen sämtlicher Abteilungen des Institutes in der Zeit vom
1. Mai 1885 bis Ende April 1886; ferner den Bericht über die in das Präzisions-
nivellement der österreichisch -ungarischen Monarchie einbezogenen meteorolo-
gischen Beobachtungs-Stationen ; Studien über die Erzeugung galvanoplastischer
Druckplatten ; Untersuchungen über die Schwere im Innern der Erde, sowie den
Bericht über die Projektionen der wichtigsten vom K. K. Generalquartiermeister-
stabe herausgegebenen Kartenwerke.
Zur Besprechung gingen ferner ein: »Der 'Weltverkehr“, von Dr. Michael
Geistbeck (mit 123 Abbildungen und 33 Karten), Freiburg, B. Herder, 1885. —
»Westindische Skizzen“, Reiseerinnerungen von K. Martin, mit 22 Tafeln und
einer Karte, Leiden, E. J. Brill, 1887. — »Tre Ar i Kongo“, Skildringar af P.
Möller, G. Pagels och E. Gleerup, Stockholm, P. A. Norstedt & Söner. Erste
Lieferung. — Observations internationales Polaircs, 1882—83. Expedition Danoise.
Observations faites ä Godthaab sans la Direction de Adam Paulsen, Directeur
de l’Institut Metäorologique de Dänemark, publiäs par l’Institut Metäorologique
de Dänemark. Tome II. U' re livraison: I. Meteorologie (Pression atmospherique,
cartes et tableaux); II. Flux et reflux dela mer; III. la longitude de Godthaab.
Copenhague, G. E. C. Gad, Libraire de l’universite, 1886.
>-
DrucV Schüuemann. Bremen.
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Heft 2.
Deutsche
Band X.
Geographische Blätter.
Herausgegeben von der
Geographischen Gesellschaft in Bremen.
Beiträge und sonstige Sendungen an die Redaktion werden unter der Adresse :
Dp. M. Lindeulan, Bremen, Mendeatraaae S, erbeten.
Der Abdruck der Original-Aufsätze, sowie die Nachbildung von Karten
und Illustrationen dieser Zeitschrift ist nur nach Verständigung mit
der Redaktion gestattet.
Laurentius Michaelis
und die ältesten Karten von Ostfriesland.
Von Generalsuperintendent Bartels in Aurich.
Hierzu Tafel 2: Frisiae Orientalis nova et exacta descriptio, Auctore Lanrentio
Michaelis ab Hagen Härchen, anno 1579. Gerar de Jode exendebat. (Copie des
im Besitz des Herrn Navigationsschuldirektor Dr. Breusing in Bremen befindlichen
Originals.)
Schon seit langer Zeit ist wiederholt nach einer von Laurentius
Michaelis von Hohenkirchen entworfenen Karte von Ostfriesland ge-
fragt worden. Hauber in seinem Versuch einer umständlichen Historie
der Landkarten, Ulm 1724, führte sie an, aber Coldewey, der sich
Mühe gab, alle alteren Karten von Ostfriesland aufzutreiben, bezeugt
in einem Brief an Bertram 1734 (mitgeteilt in Bertram, Parerga
Ostfrisica, Brem. 1735, S. 109 ff.), er habe sich bis dahin vergeblich
bemüht, ihrer habhaft zu werden. Es scheint ihm auch später nicht
gelungen zu sein, wenigstens unter der von Coldewey herrührenden
Sammlung älterer Karten von Ostfriesland auf der Bibliothek der
ostfriesischen Landschaft findet sie sich nicht, und fand sie sich auch
früher nicht, der Landsyndikus Wiarda gab 1794 auf eine Anfrage
aus der Kriegs- und Domänenkammer nach älteren gedruckten Karten
der Provinz die Auskunft, dafs ihm die Karte des Lorenz Michaelis
von Hogenkirchen nur dem Namen nach aus Büsching bekannt sei.
Vor einigen Jahren hat Babucke (Wilhelm Gnapheus, Emden 1875,
S. 79 ff.) sich bemüht sie wieder aufzufinden, er ermittelte jedoch
nur ein auf der Bibliothek zu Oldenburg vorhandenes handschrift-
liches Kärtchen des Laurentius Michaelis, anscheinend aus der Zeit
bald nach 1540, welches den an Jever anstofsenden Teil von Ost-
friesland darstellt mit der Aufschrift „Pars Frisiae Orientalis sive
Minorum Cauchorum“ — das konnte schwerlich die von Hauber ge
Geogr. Blätter. Bremen, 1887. 8
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102
meinte Karte sein, aber sie bewies allerdings, dafs Laurentius Michaelis
sich mit Entwertung einer Karte von Ostfriesland beschäftigt hat.
Auch die von de Vries und Focken (Ostfriesland, Land und Volk in
Wort und Bild, Emden 1881, S. 440 ff.) mitgeteilten Angaben über
die älteren Karten führten auf keine weitere Spur. Inzwischen ist
der Verschollene nun dennoch aufgetaucht, er fand sich wieder in
Cornelis de Jode, Speculum orbis terrarum. Antverpiae
1593
mit der Aufschrift
FRISIAE ORIENTALIS nova et exacta descriptio Auctore
Laurentio Michaelis ab Hagenkarcheu anno 1579. Gerar
de Jode excudebat,
wonach hier ein Faksimile mitgeteilt wird.*) Schon früher brachte
Ortelius in der Ausgabe des Theatrum orbis terrarum von 1584 im
Catalogus auctorum die Angabe : Laurentius Michaelis ab Hogenkirchen
Frisiam orientalem in tabulam deduxit. Edita est Antverpiae 1579.
Ortelius teilte aber statt ihrer die hernach zu besprechende Karte
von Johannes Florianus mit, von Laurentius Michaelis nur dessen
Karte von Oldenburg.
Über Laurentius selbst ist uns sehr wenig sicheres bekannt,
auch die jeverschen und oldenburgischen Schriftsteller sehen sich
auf Mutmafsungen angewiesen; v. Halem nimmt an (Geschichte des
Herzogthums Oldenburg I. S. 12), er sei zu Hohenkirchen in Jeverland
Pastor gewesen, das ist aber mit den überlieferten Nachrichten
Yon Predigern daselbst nicht in Einklang zu bringen, weder Martens
(Jeversches Prediger-Gedächtnis, Aurich 1788, S. 57 ff.) noch Meene
(in den Beiträgen zur Spezialgeschichte Jeverlands, Jever 1853,
S. 120 ff.) nennen unter den Pastoren zu Hohenkirchen einen Laurentius
Michaelis, Martens kennt einen 1514 als lic. d. Rechte und Provisor
zu Hohenkirchen verstorbenen Mag. Martin Michaelis und vermutet,
dessen Sohn sei Laurentius gewesen, Hollmann dagegen (Beitr. S. 9),
Mag. Martin, mutmafslicher Hofprediger bei Fräulein Maria von
Jever zur Zeit des Interims sei sein Vater gewesen; Martens fügt
*) Wir verdanken die Veröffentlichung dem Eigentümer des Originals, dem
Herrn Dr. A. Breusing, Direktor der Seefahrtschule in Bremen. Weiteren
Kreisen wurde die Karte erst bekannt, als Herr Dr. Breusing sie mit obigem
Speculum terrarum und andern älteren Karten vor einigen Jahren in der
Historischen Gesellschaft in Bremen vorlegte und besprach. Auf Herrn Dr.
Breusings Anraten wandten wir nus behufs eines erläuternden Textes an
Herrn Generalsupcrintendenten Bartels, einen der besten Kenner der ostfriesischen
Geschichte, und sind auch diesem Herrn für sein durch Abfassung dieser inter-
essanten Mitteilungen bezeugtes freundliches Entgegenkommen sehr dankbar.
Die Redaktion.
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103
noch hinzu, Laurentius Michaelis von Hohenkirchen habe als Notarius
caesareus das Testament der Fräulein Maria (1573) aufgesetzt.
Sicher ist, dafs er sich mit jeverscher und oldenburgischer Geschichte
beschäftigt und ein von Hamelmann in der Oldenburger Chronik
öfter citiertes „Oldenburgisch und Jeverisch Chronicon“ in der
Handschrift hinterlasseu hat; nach v. Halem hatte dasselbe auf
selbständigen Wert keinen Anspruch, und würde ein etwaniger
Verlust nicht sehr zu bedauern sein, ein Urteil, das, nach Harnel-
rnanns auf Laurentius zurückgeführten Angaben zu schliefsen, wohl
nicht unbegründet sein dürfte.
Abgesehen von dem litterarhistorischen Interesse dürfen wir
Laurentius’ Karte auch nicht hoch anschlagen, sie gehört noch in
die dürftigen Anfänge der Kartographie. Die vier Himmelsgegenden
sind am Kande ausdrücklich angegeben, und die Inseln entsprechen
ihnen auch leidlich, aber das feste Land ist dann so weit von Süd-
westen nach Nordosten hinübergeschoben, dafs z. B. der Ausflufs
der Leybucht nach Norden, gerade Norderney gegenüber, zu
liegen kommt, und die Weser von Brake bis Blexen eine ostnord-
östljcke Richtung erhält. Dementsprechend wird die Lage der Ort-
schaften zu einander auch eine verkehrte, Wymeer z. B. kommt so
weit nordwestlich von Weener zu liegen, wie es in Wirklichkeit
südwestlich davon liegt, der Krumme Hörn liegt in der Hauptsache
nicht westlich uud nordwestlich von Emden, sondern nördlich, Pilsum
gerade im Norden, Greetsyhl gar ein wenig nordöstlich, Aurich gerade
östlich von Emden und gerade südlich von Hage und Berum. Ab-
gesehen von dieser die ganze Karte beherrschenden Verschiebung
sind zahlreiche einzelne Irrtümer eingeschlichen; z. B. in Reiderland
verschwimmeü Bingum und Borgum (jetzt Kirchborgum) in den einen
nicht vorhandenen Namen Burrigum, Bunde fehlt, dagegen erscheint
die Bunder Jarde, eine Blinke im Dollart, damals nach Angabe des
Augenzeugen Gerh. Oldeborg in seiner Bunder Chronik 1 — 2 Diemath
grofs, mit entstelltem Namen und übertriebener Gröfse; im Over-
ledingerland ist Dorenborg zwischen Grotegaste und Driver weg ver-
setzt bis südlich vom Hampoel in die Gegend des jetzigen Papenburg,
die Lage von Driver und Müde ist vertauscht; im Krummen Hörn
ist Betteweer (jetzt ausgedeicht und verschwunden) von der Küste
zwischen der Knock uud Rysum weg — und ins Binnenland hinein-
versetzt; in der Umgegend von Aurich ist Wiesens mit Wisede ver-
wechselt, Westerende zu Osterende geworden u. a., der Entstellung
vieler Namen bis zur Unkenntlichkeit nicht zu gedenken. Politisch
hat Laurentius von Ostfriesland eiue undeutliche Vorstellung, in dem
der Karte beigegebenen Kommentar, wenn derselbe anders vom Ver
8 *
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104
, fasser der Karte herrührt, werden Harlingerland und Jeverland als
zwei „Grafschaften neben Ostfriesland“ gerechnet, dieses aber nach
der Kolorierung der Karte nur bis an die Ems ausgedehnt, so dafs
ganz Reiderland schon zu Holland gehört. Möglich dafs dies mit des
Verfassers historischen Vorstellungen zusammenhängt, und ihm die
„Chauci minores" noch vorschweben, nach denen das vorhin erwähnte
Kärtchen von 1540 das Land benennt, und er der ebenso unhalt-
baren als oft unvorsichtig befolgten Angabe des Ptolemäus sich an-
schliefst (II, 11), wonach die Ems zwischen Friesen und Chauken die
Grenze bilden soll, und dann zwischen Ems und Weser die Chauci
minores wohnen, zwischen Weser und Elbe die Chauci majores.
Ostfriesland soll deshalb auch nicht gesagt sein zum Unterschied von
West- und Nordfriesland, sondern weil es „östlich von Friesland“
liege. Die Klassiker beeinflussen die Karte auch sonst; sie führt
zwischen Heede und Westerwoldingerland ein altes Römerlager auf
und einen Knüppeldamm ähnlich der Spetze zwischen Auricholdendorf
und Strakholt, ohne Zweifel im Hinblick auf die oft besprochenen
pontes longi des Cäcina, von welchen Tacitus ( Ann. I, 60 ff.) berichtet ;
Laurentius dürfte wohl der älteste von denen sein, die sie in .den
Bereich des Burtangermores verlegen. Der Kommentar der Karte
beschäftigt sich denn auch eiugehend mit dem, was die lateinischen
Autoren insonderheit was Plinius in der bekannten Schilderung (Nat.
Hist. XVI, 1.) vom Lande und Volk der Chauken berichtet, indem
er dessen Angaben durch die abweichenden von Tacitus (Germ. 35.)
zu berichtigen sucht und aus dem Unterschied von Sonst und Jetzt
den Schlufs zieht: „non coeli intemperie, non humi natura accidere,
ut soluin infecundum sit, sed hominum potius vitio aut moribus“.
Die Jahreszahl 1579, welche die Karte trägt, wird nicht
sowohl die Zeit ihrer Entstehung angeben als die der Veröffentlichung.
Denn sie giebt den Zustand des Landes, ohne zu berücksichtigen,
was in der Allerheiligenflut von 1570 an der Küste des Harlinger-
landes, also ganz in der Nähe des Jeverlandes, geschehen war: die
beiden Dörfer Oldendorp und Bense, unter Langeoog, werden als noch
vorhanden aufgeführt, sie waren aber eben durch die Allerheiligen-
flut ruiniert und 1579 wohl schon ausgedeicht (Arends, physikalische
Geschichte der Nordseeküste II, 105.), ebenso war nach der Aller-
heiligenflut Zahl und Umfang der Blinken im Dollart wahrscheinlich
geringer als Laurentius angiebt, die Namen der letzteren sind übrigens
zum Teil unverständlich. Es spricht sonach vieles dafür, die Ent-
stehung der Karte etwa auf 1570 anzusetzen. Sie wird wohl die
erste, Ostfriesland allein darstellende gewesen sein, welche zum Druck
gelangt ist.
105
Schon bald nach der Mitte des sechszehnten Jahrhunderts
wird uns das Vorhandensein von Karten bezeugt, welche entweder
Ostfriesland allein oder zusammen mit Groningerland und Westfriesland
zur Darstellung brachten. Der Bischof von Osnabrück erkundigte
sich 1565 bei dem Grafen Edzard von Ostfriesland nach einer
„Mappen oder Carthen“, in welcher dieser die Gelegenheit seines
Landes habe „abreissen“ lassen, und erbat sich dieselbe zur Ansicht
(Herquet, Miszell. zur Geschichte Ostfrieslands, Norden 1883, S. 64).
Ein paar Jahre später berichtet der westfriesische Rechtsgelehrte
Joach. Hopperus, dafs er selbst auf einer nach Madrid mitgebrachteu
Karte dem König Philipp von Spanien den Schauplatz der Kämpfe
bei Heiligerlee, Groningen und Jemgum (1568) wie auch die Lage
von Emden gezeigt habe; Suffridus Petrus (de scriptoribus Frisiae.
S. 299.) bezeugt, dafs er selbst durch Hopperus entworfene Karten
von Friesland gesehen habe. Diese Karten sind verschwunden und
wohl nie zum Druck gelangt. Die erste Karte von Ostfriesland
zusammen mit Westfriesland erschien 1568, vermutlich allein, ward
aber bald hernach in Ortelius Theatrum orbis terrarum aufgenommen
und findet sich in den Ausgaben von 1570, 1573, 1579, 1584. (Oost-
ende west-vrieslands Beschryvinge. Utriusque frisiorum Regionis
novissiina descriptio 1568). Auf der Karte selbst wird der Verfasser
nicht genannt, aber die lateinische Originalausgabe des Ortelius
enthält einen Nomenclator auctorum tabularum geographicarum
und in diesem die Bemerkung: „Jacobus a Daventria Brabantiae,
Hollandiae, Gelriae, Frisiae, Zelandiae tabulas descripsit et edidit
Mecbliniae.“ Bodel Nienhuis und Eckhoff (De algemeene Kaarten
van de’Provincie Friesland, Leiden und Leeuward. 1846. S. 17 ff.)
bezweifeln jedoch, ob Jacobus von Deventer selbst in Friesland die
Karte aufgenommen, oder dieselbe vielmehr nach ihm von dort ge-
machten Angaben entworfen habe, und entscheiden sich für letzteres.
Wohl mit Grund, da Suffridus Petrus von seinem langjährigen Freunde
und Studiengenossen Sibrandus Leo, Priester zu Menaldum bei
Leeuwarden um 1557, f 1588, bezeugt: „nostro hortatu primum (sic!)
Tabulam Geographicam Frisiae composuit, quam excudit primum
Jacobus Daventriensis et deinde locupletatam recudit anno Christi
1579 Hoenbergius“ (1. cit. S. 393). Die zweite „locupletirte“ Be-
arbeitung wird die in der Ausgabe von Ortelius Atlas von 1584
sein, welche Westfriesland allein darstellt mit der Angabe : Sibrandus
Leonis Leovardensis describ. Cum privilegio Imp. et Reg. Maj. ad
decennium 1579. Hoenbergius wird identisch sein mit Franz Hogenberg,
einem niederländischen Flüchtlinge in Köln, durch welchen Ortelius
seine Karten stechen liefs. (Breusing, Leitfaden durch das Wiegenalfr
der Kartographie bis zum Jahre 1600, Frankfurt 1883, S. 29).
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106
Dem Sibrand Leo sind dann bald und wahrscheinlich kurz
nach einander zwei Karten von Ostfriesland allein gefolgt, die unsres
Laurentius Michaelis und die des Johannes Florianus. Das mir
bekannte Exemplar der letzteren stammt aus Coldeweys Naclilafs
und entspricht ganz der von Babueke a. a. 0. im Faksimile mitge-
teilten Karte des Joh. Florianus (Frisiae orientalis descriptio, unten
in der Ecke links: Joes Florianus describ. und am Rande in der
Mitte ebenfalls links: Cum privilegio Imp. et Reg. Mts. ad decen-
nium 1579). Babueke teilte sie mit aus der französischen Ausgabe
von Ortelius Atlas von 1581, die lateinische von 1584 bringt sie mit
der Angabe im Catalogus auctorum : Joannes Florianus Antverpiensis
Frisiae orientalis regionem delineavit, quae in hoc Theatro nunc
recens apparet. Zu Antwerpen erschien 1556 Joannis Leonis Africani
de totius Africae descriptione libri IX recens in Latinam linguam
conversi Joanne Floriano interprete — das wird der Urheber unsrer
Karte sein. In Ostfriesland kennen wir einen Joh. Florianus, der
1566 — 72 Rektor in Norden und um die Mitte der 70er Jahre,
jedenfalls noch 1574, Pastor in Pilsum war, später einer prote-
stantischen Gemeinde in Brüssel diente und 1585 nach der Einnahme
der Stadt durch die Spanier umgebracht ward. Dafs er geogra-
phischen und kartographischen Studien oblag, erwähnt kein zeit-
genössischer Autor, aber die Karte verrät es uns, dafs ihr Verfasser
mit dem Norder Rektor und Pilsumer Pastor eine Person ist: während
sie die Anwüchse am Dollart bei Bunde nicht beachtet, interessiert
sie sich offenbar speziell für das unfern Norden an der Leybucht
im Anwachs begriffene Osteeler- und Wirdumer Neuland und in-
sonderheit für den Pilsumer Turm. Florianus stattet auf seiner
Karte nur die Städte und Kastelle mit einem Turm aus, aber zu
Gunsten seines Pfarrdorfs macht er eine Ausnahme: der Pilsumer
Turm steht darauf. Die Karte ist also jedenfalls entstanden nach
1572, als Florianus Pastor in Pilsum war. Auf von Grund aus
neuer selbständiger Arbeit beruht sie nicht, man kann kaum zwei-
feln, dafs Laurentius Michaelis zu Grunde liegt, aber Florianus hat
ihn vielfach berichtigt, und, wenn anzunehmen ist, dafs er schon in
seinen jüngeren Jahren in den Niederlanden die oben genannte
Übersetzung des Leo Africanus besorgte (als er 1585 den Tod fand,
stand er im 63. Lebensjahre, w r ar also etwa 1522 geboren), war er
ja kein Neuling und stand vielleicht auch mit Ortelius in Verbindung.
Die Gestalt des Landes erscheint bei ihm ebenso verschoben wie
bei Laurentius, aber er macht durch den auf der Karte angebrachten
Kompafs darauf aufmerksam, dafs oben nicht Norden, sondern Nord-
westen sei, bringt dann die Leybucht in die richtige Lage, giebt die
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107
Grenzen genauer an und verbessert in zahlreichen Fällen Laurentius
Angabe der Lage und Benennung der Ortschaften. Dabei scheint
er in den westlichen Gegenden bekannter zu sein als in den östlichen,
wo manche irrtümliche Benennungen des Laurentius wiederkehren,
z. B. Osterende statt Westerende; Räude und die ganze südöstliche
Ecke des Overledingerlandes kommt ihm jenseits der ostfriesischen
Grenze zu liegen.
Bisher war blos die besprochene Ausgabe der Karte des
Florianus von 1579 bekannt; durch gütige Mitteilung des Herrn
Dr. Breusing, welcher ich bereits mehrere Angaben aus den Atlanten
des Ortelius verdanke, erfahre ich, dafs der Atlas von 1595 eine
neue Karte des Joh. Florianus brachte, die wesentlich von der
früheren abwich, und dafs er im Catalogus auctorum die Notiz
enthielt : David Fabricius Esensis Frisiam orientalem descripsit, quam
Joannes ab Oldersum edidit Emdae 1589. Hat Florianus noch selbst
an der Karte von 1579 gebessert? Hat Fabricius’ Karte Verbesse-
rungen an die Hand gegeben ? oder ist bei derselben die inzwischen
in Mercators Tabulae Galliae et Germaniae (Duisb. 1585) erschienene
Karte „Emden et Oldenburg Comitatus“ benutzt? Das beruht vor
der Hand auf sich;*) interessanter aber ist die durch Ortelius
Angabe erteilte Auskunft, dafs Fabricius’ Karte 1589 zu Emden
erschienen ist. Bis hierher waren blos zwei Ausgaben von Fabricius’
Karte bekannt, von 1610 und 1617, und jene galt allgemein für
die erste ; indessen beruft sich schon Giseken in seiner 1600
erschienenen Apologie für Hamelmann gegen Emmius auf die ge*
druckte Karte des Fabricius, von der wir nun wenigstens das
Jahr der ersten Veröffentlichung wissen. Viel mehr aber auch
nicht als dies, und dafs bei Fabricius’ Karte das „ Haben t sua fata
libelli“ sich eigentümlich bewahrheitet. David Fabricius, Pastor zu
*) Anmerkung: Während des Druckes kommt mir noch eine über-
sehene Notiz zu Gesicht, die hier nachträglich anzuführen ist. Im „Ostfries.
Monatsblatt“ 1883, Seite 108 ff. in einem Aufsatz über die älteste Dollartkarte
beschreibt de Vries eine als No. 47 in einer ohne Jahreszahl aber nicht ror
1586 erschienenen Ausgabe des Ortelius gedruckte zweite Auflage von Florianus
Karte, welche mit einer Nebenkarte, des im Dollart versunkenen Landes, einigen
Abbildungen älterer friesischer Volkstrachten und etlichen Anmerkungen ver-
mehrt ist. Danach unterliegt, es keinem Zweifel, dass Florianus seine Karte
mehrmals herausgegeben und revidiert hat. Eine Bemerkung über den Borkumer
Turm besagt „Haec turris ex continente apparenter visa futuram brevi tem-
pestatem minatur“ — eine Wahrnehmung, die, wie ich aus Erfahrung bestätigen
kann, so spezifisch auf Pilsum hinweist, dafs an der Identität des Autors der
Karte mit dem Pastor Florianus zu Pilsum nicht füglich gezweifelt werden kann.
Dafs Fabricius auf die von Florianus vorgenommenen Änderungen und Zusätze
von Emflufs gewesen sei, ist kaum wahrscheinlich.
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108
Resterhafe, später zu Osteel, hat von 1585 bis 1613 ein „Calen-
darium Historicum“ geführt über allerhand Erlebnisse, Observationen
und Studien, auch wohl alltägliche Kleinigkeiten nicht vergessend;
es ist im Jahrbuch der Gesellschaft für bildende Kunst und vater-
ländische Altertümer zu Emden (Band 6, 2. Heft) durch Herrn
Dr. Bunte in Leer veröffentlicht und erläutert. Weitere Mitteilungen
aus Fabricius’ Korrespondenz mit Keppler sind unter der Presse —
mit keiner Silbe erwähnt er etwas von seiner Karte, auch erfahre
ich von Herrn Dr. Bunte, dafs demselben in dem übrigen Quellen-
material nichts über diese vorgekomraen sei. Niemand hat über
den Druck von 1589 eingehender berichtet, unsre Kenntnis von
ihm beschränkt sich auf zwei sogleich noch mitzuteilende Notizen.
Ein späterer Abdruck von 1610 und ein dritter von 1617 sind
dagegen eingehend beschrieben von Bodel Nienhuis und Eckhoff
(a. a. 0. S. 30 No. 37 und S. 32 No. 40), welchen beide Vor-
gelegen haben. Die Karte von 1610 erschien bei Petr. Kaerius zu
Amsterdam, gestochen von Abr. Goos, und umfafste nicht blos Ost-,
sondern auch Westfriesland; sie zeichnete sich aus durch ungemein
splendide Ausstattung, am Rande die Bildnisse des Grafen Enno
von Ostfriesland und des Stadthalters von Groningen und West-
friesland, Grafen Wilhelm Ludwig von Nassau, nebst Ansichten der
Städte Emden, Groningen, Leeuwarden, Franecker, Abbildungen
der Volkstrachten u. a. Dieser splendiden Ausstattung entsprach
jedoch der Wert der Karte durchaus nicht, sie gab von Groningen
und Westfriesland einen verkleinerten Nachstich einer gröfseren
um 1600 durch Joh. v. Doetecum zu Rotterdam herausgegebenen mit
allen Fehlern derselben und noch neuen dazu. Bei Peter Kaerius
erschien 1617 ein Atlas der 17 niederländischen Provinzen „Germania
Inferior“ mit erläuterndem Text von Petrus Montanus, und in
diesem Atlas eine Karte von Ost- und Westfriesland mit Fabricius’
Namen, aber hier war nicht einmal die Karte v.on van Doetecum wieder-
gegeben, sondern die des Ortelius von 1566 (also wahrscheinlich des
Sibrand Leo, s. o.) buchstäblich kopiert. Bodel Nienhuis und Eckhoff
kommen deshalb zu dem Ergebnis: „auf beiden Karten, welchen
Kaerius den Namen des Fabricius beigelegt hat, ist dieser Name
vielleicht allein für Ostfriesland zutreffend.“ Aber von dem, was
die Karte von Ostfriesland durch Fabricius gewann, dürfen wir uns
auch schwerlich eine grofse Vorstellung machen. In der vorhin
angeführten Schrift von Giseken gegen Emmius „Apologia pro
H. Hamelmanno“, Lemgo 1600, beruft sich jener (f. 35 v.) auf
Fabricius: der bestätige die Angaben Hamelmanns in betreff von Jade-
1o he und Mellum „ut tabulae ipsius Geographicae ostendunt“. Am
109
Rande seines Exemplars dieser Schrift, welches sich auf der Universitäts-
bibliothek zu Groningen befindet, hat aber Emmius dazu die eigen-
händige Glosse gemacht: „Si aliud argumentum non habes, quo
doceas arces istas quondam iis locis stetisse, causa cadis sine dubio.
Novi bonum B'abricium melius quam tu, et scio, unde ista sit mu-
tuatus, scilicet ab eodem hoc Hamelmanno. Sic enim ipse apud me,
cum partem Chorographicae suae tabulae a me emendicaret, quod
ipse non diffitebitur.“ Wir haben hieraus zu entuehmen, dafs Ost-
friesland allerdings nur einen Teil der von Fabricius entworfenen
Karte bilden sollte, und es scheint, dafs Fabricius für seine Arbeit
sich das Ziel nicht höher gesteckt hatte, als in derselben die durch
andre bereits gewonnenen Ergebnisse zusammenzustellen und in
gefälligerer Form zur Darstellung zu bringen, wobei er denn z. B.
Hamelmanns Angaben gegenüber nicht allzu behutsam gewesen sein
mag. Wie weit aber daneben die Eigenmächtigkeit der Verleger
im Umspringen mit Fabricius Arbeit und Namen gegangen ist,
wissen wir nicht, und befinden uns überhaupt in betreff der karto-
graphischen Arbeiten des Astronomen so ziemlich im Dunkeln, bis
etwa eine glückliche Entdeckung genauere Nachrichten und vor
allem ein Exemplar der 1589 bei Johann von Oldersum zu Emden
erschienenen Karte wieder zu Tage fördert, wie es nun mit der des
Laurentius Michaelis der Fall gewesen ist.
Noch ist eine mit den besprochenen in dieselbe Zeit fallende
aber von ihnen unterschiedene Karte zu erwähnen, die mit hoher
Wahrscheinlichkeit auf Mercator zurückzuführen ist: „Emden et
Olden horch“ überschrieben. Nach einer Mitteilung des Herrn
Dr. Breusing findet sich in Mercators Tabulae Galliae et Germaniae,
Duisburg 1585, die in der Duisburger Ausgabe des Atlas von 1602
und dann in den späteren von Hond zu Amsterdam besorgten Aus-
gaben wiederholt sind, auch „Emden et Oldenburg Comitatus. Gerardi
Mercatoris;“ die ganz ähnlichen Titel führende Karte liegt mir vor
in einem kleinen Atlas in 8° obl., dem leider Titelblatt und ander-
weite Angabe von Druckort und Verleger fehlen, aber mehrere Karten
tragen den Vermerk „Petrus Kaerius caelavit“ und in den Er-
läuterungen wird öfter auf Mercator Bezug genommen, auch gleich auf
Seite 1 verwiesen auf „magna Orbis terrae descriptio und „magna Europa
mea, quas Duysburgi edidi“; der von de Vries und Focken S. 444
unter 10 besprochene Atlas von P. Bertius, Amst. b. Hondius 1616,
kann es nicht sein, da die dort hervorgehobenen Irrtümer sich auf
unsrer Karte nicht finden, eher der von B. Nienhuis und Eckhoff
unter No. 39 genannte von Abr. Goos, Amst. 1615, da er die dort
beschriebene Karte von Westfriesland, wenn auch nicht koloriert,
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110
enthält. In jedem Fall kennzeichnet sich die Karte (S. 371) „Embden
et Oldenburg“ (oben links in der Ecke wird geschrieben Emden
et Oldenborch) in ihren Berichtigungen wie in ihren Fehlern als eine
von Laurentius Michaelis und von Joh. Florianus unabhängige Arbeit.
Die Gestalt des eigentlichen Ostfriesland ist richtig gezeichnet und
in den Ortsnamen sind verhältnismäfsig weniger Fehler als bei den
Vorgängern ; ich erwähne als Beispiel, dafs im Krummen Hörn
Hamswerum noch mehr ausgezeichnet wird als Pilsum bei Florianus,
es erscheint als ein Ort von gleicher Bedeutung mit 'Wittmund,
Jemgum (entstellt in Jemmerduin), Weener, und dafs in der Nähe
des Lengenerlandes die unverständliche Bezeichnung einer Landschaft
Alnen sich findet, und anscheinend in Beziehung darauf das Over-
ledingerland den Namen Overalnen erhält. Arg entstellt ist da-
gegen das Harlingerland; während bei Laurentius und Florianus seine
Küste die Hauptrichtung nach Ostsüdost erhielt, läuft sie hier von
Nesse bis unter Langeoog fast Nordnordost, und die Landschaft er-
hält eine viel zu grofse Breite. Übrigens giebt diese Karte schon
eine deutliche und im ganzen richtige Vorstellung von der Aus-
dehnung der Moorflächen.
Wenn sonach Mercators Karte für Ostfriesland nicht unmittelbar
epochemachend geworden ist, so ist sie es wahrscheinlich mittelbar
geworden durch Ubbo Emmius. Emmius war nämlich ein Schüler von
Mercators Schwiegersohn Molanus , und es dürfte wohl mit auf dessen
Einflufs zurückzuführen sein, wenn Emmius von Anfang seiner päda-
gogischen und litterarischen Thätigkeit an sich von der Überzeugung
durchdrungen zeigt, dafs historische Kenntnisse und Studien in der
Luft schweben, überhaupt die wissenschaftliche Bildung hinkt, wenn
sie keine geographische Unterlage hat. Er hat übrigens auch, nach-
dem er seine Gymnasialstudien in Bremen beendet, ehe er zur
Universität ging, noch eine zeitlang sich zu Norden vorbereitet,
unter Johannes Florianus, als dieser dort Rektor war. Um die Zeit,
in welcher die bisher besprochenen Karten erschienen oder entworfen
wurden, trug sich Emmius, damals Rektor zu Norden (1579 — 87)
und zu Leer (1588 — 95) mit dem Plan, seine Rerum Frisicarum
Historia zu schreiben, die er später als Rektor und Professor zu
Groningen (f 1625) herausgegeben hat. Eine wesentliche Vorarbeit
dazu schien es ihm, sich zunächst eine deutlichere detaillierte Karte
von Ostfriesland zu verschaffen^ als bis dahin vorhanden sei. „Cum
abhinc annos XXV plus minus ad illustrandam historiam nostratem,
quam tum meditabar — schreibt er unterm 2. Januar 1616 — in eo
essem, ut chartam geographium patriae meae exactiorem, quam quae
•sto tempore extabant, conficerem, eamque in rem regionem totam et
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111
omnes partes ipsius obirem, diligenterque contemplarer, positum,
magnitudinem, distantiam oppidorum, vicorum, locorum aliorum per
angulos observarem notaremque, non alienum a reliquo Studio meo
facturum me cogitavi, si quae in patenti Charta calamo delineata
oculis spectanda subjicerem, eadem illa etiam sermone exposita
tanquam in commentario breviculo legenda harum rerum cognos-
cendarum cupidis exhiberem.“ (Rerum Frisicarum Historia, ed
Lugd. 1616 in fol. Anhang, in der Zuschrift zur Desciptio choro-
graphica.) Emmius unternahm die Arbeit nicht als Dilettant, er
hatte mit besonderem Interesse die mathematischen Vorlesungen
von Brucäus in Rostock gehört und vermochte bei Errichtung
der Universität Groningen neben seinen eignen Vorlesungen auch
noch den Lehrstuhl für Mathematik aushillfsweise zu bekleiden,
bis sein für dieses Fach berufener Freund Mulerius eintraf, mit
welchem er noch bis ins hohe Alter mathematische und astronomische
Studien trieb. Er entwarf also seine Karte gegen 1590 und er-
läuterte dieselbe durch eine „descriptio chorographica“. Heraus-
gegeben ward auch die Karte, wahrscheinlich bald nach dem Er-
scheinen der ersten, 1596 herausgekommenen, Decade seiner Rerum
Frisicarum Historia etwa 1599 in Emden. Aber von diesem ersten
Druck scheint kein Exemplar erhalten zu sein, sie ist jedoch wieder
abgedruckt in den grofsen Atlanten von Janssonius, Visscher, Blaeuw,
und gleichfalls in der Regel zu Grunde gelegt in den nach 1600
erschienenen Karten von Groningerland und Westfrieskmd, sofern
sie Stücke von Ostfriesland mitumfafsten. Dem Verfasser genügte
aber die Akkuratesse in der Ausführung nicht; als er daher seine
Rerum Frisicarum Historia vollendet hatte und dieselbe 1616 in
einer Folioausgabe erscheinen liefs, gab er dieser die Karte in klein
Folioformat sorgfältig berichtigt und mit Berücksichtigung ein-
getretener Veränderungen in sorgfältigem Stich von Nicol. Geilkerk
bei und liefs im Anhang zum Hauptwerk auch die um 1590 ge-
schriebene descriptio chorographica mit abdrucken.
Emmius Karte, und zwar in der 1616 gedruckten revidierten
Ausgabe, ist von 1600 bis 1800 die einzige zuverlässige geblieben,
es ist aber bemerkenswert, wie Verleger und Nachfolger mit ihr
zu Werke gegangen sind. Sie haben sich an die ältere Ausgabe
in grofsem Folioformat mit wenig Ausnahmen gehalten, und ich
habe keinen gefunden, der es beachtet hätte, dafs der Verfasser zur
Berichtigung und Kontrollierung derselben erstlich eine zweite
revidierte und sorgfältiger ausgeführte Auflage, zweitens einen aus-
führlichen Kommentar, drittens am Rande desselben Notizen über
eingetretene Veränderungen ihnen in die lland gegeben hatte.
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112
Die Karten von Sanson, Allard, Coldewey wiederholen einfach
Emmius mit allen Druckfehlern der ersten Ausgabe, suchen ihn
gelegentlich zu berichtigen, bringen aber nur Verschlimmbesserungen,
Sanson z. B. bringt wieder die Küste des Harlingerlandes in die
verkehrte Richtung, die sie bei Mercator erhalten hatte, sucht auch
die Bodeubeschafl'enheit anzudeuten, aber Mercator hat es schon
richtiger gethan als er. Diese Karten gaben sich gern als neue
Arbeiten, verraten sich aber als Nachfolger von Emmius, auch
wenn sie sich an die berichtigte Karte von 1616 anschliefsen. Auf
dieser war nämlich ein Druckfehler stehen geblieben, die Namen der
Dörfer Wiesens, Egels und Popens bei Aurich waren verwechselt —
den Druckfehler wiederholen alle, sogar Coldewey, der die richtige
Lage täglich vor Augen hatte. (Näheres habe ich in dem Jahrbuch
der Emder Gesellschaft für vaterländische Altertümer IV, 1 S. 1 ff.
mitgeteilt: „Ubbo Emmius und die Karte von Ostfriesland “, vergl.
ebendaselbst über Emmius: „Die apokryphische Geschichtschreibung
in Friesland im Zeitalter des Ubbo Emmius“ UI, 1 ; und „Ubbo
Emmius und seine Rerum Frisicarum Historia“ VI, 1.) Endlich
machte es die Güssefeldsche Karte von 1790 gar ärger als ihre
Vorgänger, und es gab infolgedessen gelegentlich arge Unzuträglich-
keiten. Freese, der die Güssefeldsche Karte (Ostfriesland und
Harlingerland, Aurich 1796, S. 143 ff.) einer eingehenden Kritik
unterzog, notiert in mir vorliegenden handschriftlichen Aufzeichnungen,
dafs öfter in den Kriegsjahren 1794 ff. ansehnliche Einquartierungen
auf einzelne Höfe vorgesehen waren, weil man diese nach der Karte
für Dörfer hatte halten müssen. Einmal waren sogar ganze
Kompagnien nach Rysum und Geertsweer gelegt; es war aber kein
Geertsweer aufzufinden, wiewohl es auf der Karte stand — es lag
schon seit Menschenaltern versunken in der Bucht von Wybelsum!
Da kam denn endlich die seit lange in Aussicht genommene neue
Landesvermessung zu stände, aus welcher 1801 die Campsche Karte
hervorgegangen ist.
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113
Eine Fahrt nach dem Persischen Golf.
Von K. Mertens.
II. Bushire.
AbusohKhr. Lage und Beschreibung der Stadt. Windtürme. Der Gouverneur. Persische
Wirtschaft. Der Bazar. Die Bevölkerung. Industrie. Fischerei. Juden und Ar-
menier. Der Branntwein. Das MUnzwesen und dessen Mttngel. Der englische Resident.
Telephon- und Postwesen. Dampfschiffahrt auf dem Persischen Golf. Mohammedanische
Wallfabrts- und BegrttbnisstJttten. Die Mollahs. Schulwesen. Der Koran. Frei-
mauerei. Die Muhallis. Die Bettelraünche. Die persische Sprache. Das Klima in
Bushire. Krankheiten. SanitütsverhUltnisse.
Abuschähr oder kurzweg Bushire liegt, wie schon früher erwähnt,
auf dem Nordende einer schmalen niedrigen Landzunge, welche etwa
11 englische Meilen lang und in der Mitte etwa 3 Meilen breit ist.
Die Stadt hat einen Umfang von etwa 2 englischen Meilen, ist sehr
ärmlich gebaut und besitzt weder architektonische Merkwürdigkeiten,
noch natürliche Reize. Da sieht man keine Moscheen mit schlanken
Minarets, keine geschmack- und stilvollen Paläste, keiue Gärten,
wie doch sonst in einigen bedeutenden Städten des viel gepriesenen
Orients. Alles ist öde, kahl und unsauber, kein Baum spendet
Schatten, kein Quell durchrinnt den Sand. Die Strafsen sind eng
und schmutzig, weder gepflastert noch drainiert, noch erleuchtet.
Hervorragende Gebäude giebt es nicht, einige, meistens von Euro-
päern oder armenischen Kaufleuten zu Kontoren und Lagerräumen
benutzte Häuser unterscheiden sich wohl durch die Gröfse von den
übrigen Wohnhäusern der Eingeborenen, übertreffen dieselben aber
weder an Eleganz, noch an Reinlichkeit. Aus dem Konglomerat der
niedrigen, meistens aus Erdziegeln oder Lehm aufgeführten Häuser
heben sich nur vier oder fünf aus gleichem Material erbaute, etwa 70
bis 90 engl. Fufs hohe Türme, sogenannte Windtower, hervor,
welche an einer Seite (der Nordwestseite, als der Richtung des
hauptsächlich hier herrschenden Windes) vollständig offen sind und
als Ventilatoren der besseren Häuser dienen. Eine, ungefähr im
Anfang dieses Jahrhunderts von einem englischen Reisenden aufge-
nommene Skizze von Bushire zeigt noch 19 dieser Windtower, doch
sind sie meistens verfallen. Ferner sieht man auf diesem Bilde,
dafs die Stadt von einer ziemlich starken Mauer, mit verschiedenen
runden Türmen, umgeben war. Von diesen Türmen und Mauern
sieht man heute nur die Trümmer, da an eine Wiederherstellung
seit der im Jahre 1856 erfolgten Beschiefsung durch die Engländer
nicht gedacht worden ist. Ja, es würde heute nach 20 Jahren noch
genau so aussehen, wenn nicht hie und da die Einwohner die Steine
fortgeholt hätten, um dieselben zum Bau ihrer eigenen Häuser zu
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114
verwenden. Gegen den Anprall der manchmal recht stürmischen
Seewogen ist Bushire hauptsächlich durch die, unmittelbar vor der
Stadt liegenden Riffe und Bänke geschützt; tritt Springflut ein, so
reifst das Wasser immer tüchtige Stücke von dem sogenannten Kai
fort, ohne dafs es jemandem einfiele, durch ein leicht anzulegendes
Bollwerk dies zu verhindern. Es scheint auch niemand das geringste
Interesse zu haben, etwas für die Stadt zu thun ! Der die Regierung
vertretende Gouverneur, welcher die Stadt und Umgegend gegen
eine ziemlich hohe Summe vom Staate gepachtet hat, sucht, um auf
seine Kosten zu kommen, so viel Geld wie möglich herauszupressen
und wird sich hüten, auch nur einen Schahi für das Wohl der Stadt
zu verausgaben; denn nach drei Jahren ist sein Regiment zu Ende
und ein andrer tritt in seine Stelle, der vielleicht noch mehr Pacht
zu zahlen hat als sein Vorgänger, und erst recht nichts für die
Stadt thut. Die Bewohner selbst sind teils zu arm, teils zu indolent
und gleichgültig — vor allem aber vermeiden sie den Schein, als
wenn sie Geld besäfsen, bewohnen häufig die erbärmlichsten Hütten,
leben so einfach wie möglich und senden ihr Geld, um sich den
Besitz zu sichern, nach irgend einer englischen Bank in Bombay
oder London. Ja, es war schliefslich in Bushire soweit gekommen,
dafs die aufserhalb der Stadt auf ihren Landsitzen wohnenden Euro-
päer und Armenier weder zu Wagen noch zu Pferd nach ihren
meistens am entgegengesetzten Ende der Stadt gelegenen Geschäfts-
lokalen gelangen konnten, sondern gezwungen waren, zu Fufs durch
die engen, schmutzigen Gassen der Stadt zu wandern. Sie thaten
sich schliefslich zusammen, brachten das nötige Geld auf, und liefsen
einen bequemen Fahrweg aufserhalb der Stadt längs der See an-
legen. Dies Unternehmen war nun für die wenigen Leute ziemlich
kostpielig. Sie forderten daher die wohlhabenden Perser auf, sich
daran zu beteiligen, doch bekamen sie dadurch nur blutwenig,
denn selbst der Herr Gouverneur, nebenbei ein sehr reicher Mann,
welcher den Weg am meisten benutzt, gab die ungeheure Summe
von fünfzig Rupien.
Inmitten der Stadt liegt der sehr ausgedehnte, aus vielen engen,
dunkeln Strafsen bestehende Bazar, welcher zum grofsen Teil über-
wölbt ist, so dafs weder Licht noch Luft von oben hereindringen
kann. In diesen Verkaufshöhlen giebt es alles erdenkliche zu er-
handeln und ist eine Wanderung durch den Bazar, wenn auch an-
strengend und besonders für die Geruchsnerven nicht angenehm,
doch ganz interessant. Gefährlich ist hier indes der Aufenthalt in
der heifsen Jahreszeit und völlig unbegreiflich, wie es die Leute in
diesen schrecklichen Höhlen aushalten — jährlich sterben 10 bis 12
115
Personen in den Bazaren am Hitzschlag. Während der Regenzeit
ist der Bazar der günstigste Platz, um sich gehörig das Fieber zu
holen ; weder hier, noch im ganzen Bushire geschieht das geringste
in sanitärer Beziehung, doch es ist noch der Unterschied, dafs
in den übrigen Strafsen Licht und Luft freien Zutritt haben, was
in dem überdeckten Bazar nicht der Fall ist.
Die Bevölkerung der Stadt, deren Einwohnerzahl auf etwa
14 000 nach oberflächlicher Schätzung veranschlagt wird, ist eine
Mischrasse von Arabern und Persern. Es ist im allgemeinen ein
schöner kräftiger Menschenschlag, besonders die ärmere Bevölkerung,
während die Wohlhabenderen infolge eines faulen, sybaritischen Lebens-
wandels sehr verweichlicht und körperlich verkommen sind. Die
Beschäftigung der Bewohner entspricht dem Charakter der Stadt
als einer Handel treibenden. Die bessere Klasse sind die wenigen
Grofskaufleute, welche den Handel der englischen Häuser mit dem
Inlande vermitteln, jedoch mehr Exporteure als Importeure sind,
und die wenigen Beamten, zu denen auch die Mollahs (Priester) zu
rechnen sind. Der Mittelstand besteht aus den kleineren Kaufleuten,
welche im Bazar ihre Waren feil bieten und den wenigen Indu-
striellen, unter denen indes nur einige Schneider, Schuster und
Kupferschmiede zu verstehen sind, eben genügend, um die nötigsten
Bedürfnisse der Stadt zu befriedigen. Die ehemals blühende Industrie
Persiens, welche besonders grofä in Lederarbeiten, Waffenfabrikation,
Seide- und Teppichweberein war, ist vollkommen erschlafft und ver-
schwunden; besonders ist der Süden vollständig überschwemmt mit
den sogenannten Manchesterwaren, welche alle einheimische Industrie
verdrängt haben. An Stelle der schönen bunten seideneu und wollenen
Kunstgewebe ist der buntgedruckte, englische Zitzkattun getreten,
alte englische Kavalleriesäbel haben die schönen Damaszener Klingen
verdrängt, u. a.
Die Teppichindustrie würde wohl auch schon verschwunden
sein, wenn sie nicht von einigen englischen Firmen unterstützt und
gepflegt würde, da die persischen Teppiche immerhin noch einen
wertvollen Exportartikel ausmachen.
Die ärmere Bevölkerung Bushires ernährt sich hauptsächlich
durch die Fischerei, welche in dem sehr fischreichen Golf eifrig be-
trieben wird ; die Fische werden teils frisch verzehrt, teils in grofseu
Mengen getrocknet und gehen dann mit Karavanen weit in das Land.
Ferner findet die arbeitende Klasse Beschäftigung beim Löschen und
Laden der Dampfer, als Lastträger und vor allem auch als Wasser-
träger, sogenannte sakkahs. In Bushire selbst giebt es kein Trink-
wasser, dasselbe kommt aus den 3 bis 5 Meilen von der Stadt ab-
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116
gelegenen Brunnen, die entferntesten liefern das beste, von dort
wird es in Häuten auf Eseln nach der Stadt geschafft und dort
Sackweise verkauft. Aufserdem sind in Bushire noch einige Hundert
jüdische aud armenische Kaufleute ansässig, — wo fände man diese
nicht im ganzen Orient! Beide vaterlandslos, nur durch das Band
ihrer Religionen zusammengehalten, haben sie sich handeltreibend
fast über alle Teile der Erde verbreitet.
Die Juden sind hier hauptsächlich Schnapsfabrikanten und
Bankiers, richtiger Geldwechsler und Zähler. Ersteres, weil von den
Mohammedanern keine geistigen Getränke fabriziert werden dürfen;
obgleich diesem nun durch den Koran der Genufs von Spirituosen
verboten ist, trinken sie doch sehr gern und sehr viel davon. Ja,
wie verschiedene Ärzte konstatiert haben, ist hier das delirium tremens
eine gar häufige Krankheit, denn der Orientale trinkt nicht wie wir,
sondern nur, um sich zu berauschen, je schärfer der Stoff, um so
schneller er die Sinne umnebelt, desto besser ist er. Als Geld-
wechsler nehmen die Juden eine gar wichtige Stelle ein. Jedes
englische, armenische und auch das gröfsere persische Kaufmanns-
haus hat seinen seraf (Geldkenner). Um ein solcher zu werden, mufs
der Jude den Nachweis führen, dafs er im Besitze von mindestens
2000 Krans (1250 Mark) ist. Es ist für jeden, der mit Persern
Geschäfte machen will, absolut notwendig, einen solchen seraf zu
haben, weil nirgends so viel falsches Geld kursiert, als hier und nur
ein Geldjude Autorität im Unterscheiden von falschen und richtigen
Geldstücken ist, da er, sobald er angestellt, für die Richtigkeit und
Echtheit der Zahlungen Garantie leisten mufs. Die persische Münze
ist nämlich, wie alle Staatsämter, verpachtet, und es wird an ver-
schiedenen Orten bei sehr ungenügender Kontrolle Geld geprägt,
so dafs schon bei der Münze schlechtes aus Legirungeu bestehendes
Geld fabriziert wird. Gold ist fast gar nicht mehr zu haben, es ist
von ausländischen Kaufleuten, besonders von einer griechischen Firma,
aus dem Lande gezogen worden. Die Goldmünze ist der Toman,
welcher in halbe und einviertel Tomane zerfällt, und früher
einen Wert von etwa 10 Mark hatte, jetzt aber nur etwa 6,50 Mark
gilt. Die gangbarste und gebräuchlichste Münze ist der Kran, eine
Silbermünze von etwa 65 Pfennige, von denen 10 Stück auf den
Toman gehen, und die hauptsächlich gefälscht wird ; ich habe Stücke
in meinem Besitz gehabt, die aus veritabelem Blei bestanden. Aufser-
dem giebt es noch Kupfermünzen, den Schahi, von denen 20= 1 Kran
sind und der in 4, 2, 1 und halben Schahistücken geprägt wird.
Die Juden sind hier, wie früher überall, wenig geachtet und
bewohnen den ärmlichsten Stadtteil. Anders ist es mit den hier ,
117
ansässigen Armeniern, welche eine kleine Gemeinde von etwa 100 Köpfen
bilden. Mehrere sind Grofskaufleute , Schiffsprovianthändler und
Konsuln fremder Nationen ; die ärmeren sind Schreiber in englischen
Häusern und Telegraphenbeamte; sie rangieren vollständig mit den
Europäern, von denen es hier allerdings nur wenige giebt. Es sind
in Bushire 4 bis 5 englische Häuser vertreten, welche hauptsächlich
den ganzen Handel in den Händen haben. *)
Bushire ist Sitz der englischen politischen Residenz des Per-
sischen Golfes und wahrend der günstigen kühleren Jahreszeit Haupt-
quartier des englischen Golfgeschwaders. Der jetzige Resident ist
der Obrist E. C. Ross, C. J. S., ein höchst liebenswürdiger und in
Busbire sehr angesehener Herr, dessen Familie den Mittelpunkt des
gesellschaftlichen Lebens der Europäer bildet, welche aufser den
Vertretern der schon erwähnten Kaufmannshäuser, aus den Sekre-
tären, dem Arzte und sonstigen Attachirten der Residenz und den
höheren Telegraphenbeamten besteht. Sämtliche Europäer und
einige reiche Armenier und Perser wohnen während der meisten
Zeit des Jahres auf ihren 3 bis 5 Meilen von der Stadt entfernten
Landsitzen, wo sich eine frischere, gesundere Luft und etwas Vege-
tation bietet. An üppig gedeihende Gärten ist allerdings nicht zu
denken, denn der Boden ist durchweg steinig und nur mit vieler
Mühe ist es durch künstliche Bewässerung möglich, einige Bäume,
Blumen und Gemüsearten zu erhalten.
Ferner ist Bushire ein Hauptpunkt der Indo European Telegraph
Company. Die Telegraphenverbindung besteht in einem Kabel,
welches, 1864 gelegt, durch den Golf geht, alle hauptsächlichen
Plätze verbindet und dann von Bushire nach dem an der Mündung
des Shat el Arab gelegenen Fau führt; von dort reicht die Ver-
bindung über Land nach Bagdad und Konstantinopel. Aufserdem
existiert noch eine direkte Landlinie obengenannter Kompanie durch
Persien von Bushire über Teheran nach Europa, welche die Plätze
Shiras und Isphahan berührt und mit der aufserdem vorhandenen
*) Ausfuhrgegenstände sind: Getreide, Baumwolle, Teppiche, Pferde und
Maulesel, Droguen, Datteln, Häute, Felle, Opium, Rosenwasser, Taback und
Wolle. — Die Zeit für die Ausfuhrschiffahrt von Wolle beginnt im Juni, von Ge-
treide im Juli, von Opium und Taback im August, von Datteln im September,
von Teppichen, Baumwolle, Pferden im Oktober und November. Die Einfuhr
besteht aus Zucker, Thee, Kaffee, Reis, Eisen, Stahlwaren, Kupfer, Zeug-
stoffen, Lichten, Steingut, Glaswaren u. a. Die Höhe der Zölle für ein- und
ausgeführte Waren ist für die persischen Untertanen sehr verschieden. Bis-
weilen werden einige Artikel willkürlich ganz verboten. Fremde, d. h. Europäer,
bezahlen 5°/» vom Wert für Export und Import; dies ist durch Vertrag
festgesetzt.
Geegr. Bllitter.
Bremen, 1887 .
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118
persischen Telegraphenroute ziemlich gleichlänft. Die europäische
Telegraphenlinie durch Persien ist die zweite Verbindung Englands
mit Indien, eine Reserve für den Fall, dafs die grofse Kabellinie
über Aden einmal auf hoher See Schaden leiden sollte.
In Persien hat die Telegraphie sehr schnell Eingang gefunden
und hat sich auch erhalten. Schon anfangs der 60er Jahre wurden
die ersten Hauptlinien gelegt und 1868 waren fast alle Hauptstädte
mittelst Telegraphen verbunden. Diese schnelle Einrichtung der
Telegraphen hat im folgenden ihre Gründe.
Erstens interessierte sich der Schah (richtiger noch seine Mutter,
die bis zu ihrem 1873 erfolgten Tode thatsächlich regierte) sehr
dafür, weil er dadurch in den Stand gesetzt wurde, über alle
Vorkommnisse in den verschiedenen, zum Teil sehr entfernten
Gouvernements, von denen er nie oder erst nach langer Zeit etwas
erfuhr, schnell und sicher unterrichtet zu werden. Freilich erstatteten
die betreffenden Gouverneure nicht etwa Bericht, dergleichen existiert
in Persien nicht, aber der Schah konnte überall Spione unterhalten,
welche ihm fortwährend Kunde zukommen liefsen. So ist denn in
der That jeder Telegraphenbeamte ein Spion der Regierung, indem
er wöchentlich zweimal Berichte über alles, was in den Gouvernements
und in den Städten vorgeht, nach Teheran senden mufs. Selbst-
verständlich ist solch ein Posten, als Telegrapbenvorsteher, ein sehr
einträglicher und sind dieselben, so lange sie schlau und vorsichtig
zu Werke gehen, sehr einflufsreiche, ja gefürchtete Persönlichkeiten ;
denn es liegt in ihrer Macht, Gutes oder Schlechtes über den
Gouverneur zu berichten; je nachdem er von diesem oder von dessen
Feinden, die jeder Machthaber, zumal in Persien hat, bestochen wird.
Dafs sich diese Einrichtung europäischer Kultur so gut erhält,
liegt wohl auch daran, dafs an der Spitze der Telegraphie der beste
und liberalste persische Minister steht, welcher aufserdem noch die
Minen und neuerdings auch die Marine verwaltet. Der General-
inspektor der persischen Telegraphie, ein äufserst tüchtiger und
thätiger Mann, ist die rechte Hand und wohl auch zum grofsen Teil
der Kopf des Ministers.
Während die Telegrapheneinrichtung verhältnismäfsig sehr gut
ist, lagen und liegen zum Teil noch die Postverhältnisse sehr
im argen. Bis vor ungefähr 10 Jahren bestand das ganze Postwesen
in einem Kuriernetz, welches die hauptsächlichsten Städte mit ein-
ander verband und welches die Aufgabe hatte, die Regierungs-
sendungen zwischen Teheran und den Provinzgouverneuren zu ver-
mitteln; zugleich aber auch zum Transport von Privatbriefen und
Paketen diente. Es war aber eine so unregelmäfsige, unsichere Art
119
der Beförderung, dafs sich schliefslich die Regierung genötigt sah,
etwas in der Sache zu thun. Die Regieruug wandte sich nach Wien
und die österreichische Regierung erteilte einem Kaiserlichen Postrat
die Erlaubnis nach Persien zu gehen und dort das Postwesen nach
europäischer Art einzurichten. Diesem Beamten gelang es trotz
unendlicher Schwierigkeiten und Widerwärtigkeiten im Verlaufe von
etwa 2 Jahren, eine ziemlich gute Postverbindung herzustellen. *)
Seit dem Jahre 1878 ist Persien mit einem Netze regelmäfsig
funktionierender Reitpostkurse überzogen, welche wöchentlichen An-
schlufs an die Postlinie der englischen Dampfer nach und aus Bombay
in Bushire und zweimal wöchentliche Verbindung von Teheran über
Tabris mit Europa haben. Aufserdem sind überall Poststationen
errichtet, die, obschon sehr primitiver Art, wie z. B. in Bushire, doch
ihrem Zweck entsprechen. In Bushire befindet sich aber aufserdem —
wie an allen Plätzen des Golfes, welche von den englischen Post-
dampfern berührt werden — eine englische Poststation, welche von
Allen, die Verbindung mit Europa haben, mit Vorliebe, ja durchweg
benutzt wird: jeder zieht den Seeweg über Bombay-Brindisi der
Landroute Teheran-Tabris vor, vor allen Dingen natürlich bei Geld-
und Wertsendungen, aufserdem geht es trotz des längeren Weges
bedeutend schneller. Ein Brief ist von Bushire über Brindisi in
28 Tagen, über Tabris und Teheran gewöhnlich erst in 35—40 Tagen
in Berlin. Die erwähnte englische Postdampferlinie ist eine wöchentlich
von Bombay bezw. Karantschi laufende Zweiglinie der British-Indischen
Dampfschiffahrtsgesellschaft, die Dampfer laufen Bahrein, Bänder
Abbas, Lingeh, Bushire und Basra an. Aufser dieser Linie besteht
noch eine ziemlich regelmäfsige Verbindung zwischen Bushire bezw.
Basra und Bombay in der aus 4 Dampfern bestehenden Bombay- und
Persischen Golflinie. Mit Europa steht der Golf durch die monatlich
fahrenden Dampfer der Anglo-Persian-Linie, welche auch fast alle
obengenannten Plätze anlaufen, in regelmäfsiger Verbindung. Aufser
diesen festen Linien kommen im Jahre durchschnittlich 20 bis 30
sogenannte „wilde“ Dampfer nach Bushire; vorzugsweise zur Zeit
der Dattelernte und Pilgerfahrt. Diese bringen gewöhnlich Kohlen
heraus, welche in Bushire und Basra gelagert werden. In Bushire
haben auch die englischen Kriegsschiffe, welche in der angenehmen
Jahreszeit vor Bushire liegen, eine kleine Kohlenstation.
*) Näheres hierüber in dem Buch: Aus Persien, Aufzeichnungen eines
Österreichers, der 40 Monate im Reiche der Sonne gelebt und gewirkt hat.
Wien 1882. Verlag von R. v. Waldheim.
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120
Der Religion nach sind die Einwohner Bushires wie alle Perser
Schiiten, nächst den Sunniten die Hauptsekte der mohammedanischen
Religion. Sie verehren nächst Mohammed, dessen Schwiegersohn Ali
als ihren Hauptheiligen und dessen Söhne Hassan und Hussein ; auch
sind die Begräbnisplätze der eben Genannten hauptsächlich Wall-
fahrtsorte der Perser. Erstere liegen in Kufe, letztere in Kerbela
begraben. Kerbela, auf türkischem Gebiet (in der Nähe von Bagdad)
in der Wüste gelegen, ist (aufser Wallfahrtsort) der Hauptbegräbnis-
platz der Schiiten ; aus ganz Persien, ja aus Indien, senden die
Gläubigen der reicheren Klassen ihre Toten nach dem heiligen
Grabmale Hassans und Husseins, damit sie bei der Auferstehung
in unmittelbarer Nähe ihrer Heiligen sind. Früher wurden die
Toten über Land mit Karavauen nach Kerbela geschickt; solche
Karavanen führten stets mehrere Leichen in gewöhnlichen hölzernen
Kasten mit sich. Sie mufsten kurz vor Kerbela die türkische
Grenze passieren und da waren einige schlaue Perser auf die Idee
gekommen, diese Leichenkasten als sehr praktisches Mittel zum
Schmuggeln zollpflichtiger Waren zu benutzen, indem sie mehrere
mit Waren gefüllte Kasten einem solchen Leichenkondukt einver-
leibten. Ein findiger türkischer Zollbeamte entdeckte dies und nun
wurde der Transport verboten, und zwar mit um so grösserem
Rechte, als die ungenügend verpackten, bisweilen halbverwesten
Leichen die, Ursache vieler Krankheiten wurden. Jetzt geschieht
der Transport nach Kerbela nur mittelst des Wasserweges. Die
Leichen werden, wenn in genügender Anzahl an einem Hafen-
platze des Golfes angesammelt, in gut verschlossenen Kasten, auf
einen Dampfer geladen, welcher dieselben nach Basra bringt, dort
kommen sie auf die zwischen Basra und Bagdad fahrenden Flufs-
dampfer und weiter nach Kerbela. Die Führer der Dampfer
nehmen diese Ladung sehr gern, weil sie gut bezahlt bekommen,
nämlich für jeden Kasten etwa 50 Rupies. Nur die sehr armen
Leute bestatten ihre Toten in der Nahe ihrer Städte, daher ist auch
der Kirchhof von Bushire verhältuismäfsig klein. Die Priester.
Mollahs, haben wie in allen mohammedanischen Ländern eine sehr
grofse Macht, sie regieren die Grofsen wie das Volk, sind aber sehr
vorsichtig in der Ausübung dieser Macht; jeder Kultur und Zivi-
lisation, sowie allem, was zur Aufklärung des Volkes, der dadurch
entstehenden Verringerung ihres Einflusses beitragen kann, stehen
sie natürlich feindlich gegenüber. Ihre grofse Macht über das Volk
hat bekanntlich darin seinen Grund, dafs sie aufser ihrer Eigenschaft
als Priester, auch die Lehrer au den Schulen sind, dieselben
wenigstens unter ihrer Botmäfsigkeit stehen. Die Unterricbts-
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gegenstände sind wenige: die Schüler lernen zuerst verschiedene
Kapitel des Korans durch Nachplappern auswendig, dann lernen sie
dieselben Kapitel lesen und schliefslich schreiben. Einige Aus-
erwählte lernen vielleicht noch etwas Mathematik. Nur in Teheran sind
einige wirklich gute, nach europäischem Muster eingerichtete Schulen,
allerdings nur für die besseren Klassen — nämlich eine sogenannte
polytechnische Schule und eine Militärschule; letztere ist eine Art
Kadettenanstalt und sind die Lehrer derselben ehemalige preufsische
Offiziere.
Der Koran ist aufser Religionsbuch auch Gesetzbuch der Moham-
medaner, denn er umfafst nicht nur Glaubens- und Sittenlehren,
sondern auch Vorschriften des bürgerlichen und Strafgesetzes, der
Gesundheitspolizei, ja selbst der Politik, — so dafs die Ausleger
und Kenner des Korans, welcher in Persien durchweg Gesetzbuch
ist, d. h. die Priester gleichzeitig Rechtsgelehrte, ja Richter sind,
nicht allein in religiösen, sondern auch in zivilgesetzlichen, ja poli-
tischen Streitfragen;' sie sind die Juristen, haben aber natürlich
keine ausübende Gewalt, diese übt der betreffende Gouverneur aus.
Einen wie grofsen Einflufs die Priester auf ein solch indolentes, wenig
aufgeklärtes und streng gläubiges Volk ausüben, ist leicht erklärlich;
es giebt hier nur sehr wenige aufgeklärte Leute, und auch diese
müssen äufserlich sehr religiös und fromm erscheinen, sonst ist es
mit ihrem Ansehen zu Ende. Das Christentum hat in mohamme-
danischen Ländern, trotz vieler Anstrengungen der englischen und
französischen Missionsgesellschaften, trotzdem sie Millionen veraus-
gabt haben, gar keinen Eingang gefunden. Dagegen hat die Frei-
mauerei zum grofsen Ärger der Priester etwas Verbreitung ge-
wonnen. In Teheran heilst die Loge im Volksmunde Feramuschchene,
d. i. Haus des Vergessens, so genannt, weil die Mollahs im Volke
den Glauben verbreitet haben, dafs Jeder, der dies Haus betritt,
sein Gedächtnis verliert. Jede Stadt hat je nach ihrer Gröfse
mehrere Mollahs, von denen der schneidigste und geriebenste der
Obermoliah ist. Bushire hatte beispielsweise fünf Mollahs; diese
werden nun nicht etwa vom Staate eingesetzt, sondern setzen sich
selbst ein, sie etablieren sich wie bei uns die Notare und Ärzte. Über alle
Mollahs steht jedoch der Mollah von Kerbela. Er nimmt eine fast
gleiche Stellung ein als der Papst, was er sagt, ist unfehlbar, und
um diese kolossale Gewalt sicher zu behalten, ist er im Gegensatz
zu allen andern Mollahs, welche dem Recht geben, welcher ihnen
das meiste Geld giebt, unparteiisch und gerecht, nimmt nie Geschenke
an und hält sich dadurch vollkommen unabhängig. Einer interessanten,
wenig bekannten Einrichtung sei bei dieser Gelegenheit Erwähnung
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gethan. Nach dem Koran kann sich der Mohammedaner dreimal von
seiner rechtmäfsigen Frau scheiden lassen; dies geschieht einfach
dadurch, dafs er seine Frau aus dem Hause weist; um sie jedoch,
falls es ihm leid wird, wiederzuholen, mufs er zum Mollali gehen
und sich von neuem trauen lassen. Dies Spiel kann er, wie gesagt,
dreimal wiederholen, zum vierten Male geht es indes nicht. Da
haben nun die guten Leute einen Ausweg gefunden, mit dessen
Hülfe sie das Gesetz umgehen. Es giebt nämlich in jeder Stadt zwei
bis drei sogenannte Muhallis — ein Zeichen, dafs dieses kein so
seltenes Vorkommnis ist — d. h. Männer, an die man sich in solchem
Falle wendet; man giebt ihnen eine bestimmte Summe, für welche
sie zu der dreimal geschiedenen Frau gehen und diese selbst heiraten,
sich jedoch sofort nach einigen Stunden wieder scheiden lafsen. Nun
kann die geschiedene Frau ihren theuren Gatten, der sie schon drei-
mal an die Luft gesetzt hat, wieder ehelichen. Es soll nun bis-
weilen Vorkommen, dafs sich ein Muhalli in ein solch dreimal ge-
schiedenes Weibchen, wenn sie recht hübsch ist, verliebt und sie
ihrem ehemaligen Eheherrn nicht wiedergiebt, d. h. sich nicht von
ihr scheidet. Derselbe kann natürlich dagegen nichts machen, da
die Sache nicht legal ist — oder er mufs sehr viel Geld daran
wenden — dann kann er natürlich hier zu Lande alles erringen,
denn Bakschisch ist auch hier ein gewaltiges Wort und öffnet jede
noch so fest verschlossene Thür. Aufser den in den Städten sefs-
haften Mollahs giebt es noch eine Menge Wanderprediger, eine Art
Bettelmönche, Derwische, welche gewöhnlich eine Zeitlang in der
Einsamkeit der Wüste leben, angeblich, um sich durch Fasten und
Beten für ihren Beruf vorzubereiten, in Wirklichkeit aber nur, um
sich ein recht verwildertes, elendes Aussehen zu geben. Ist dies
erreicht, dadurch, dafs sie sich weder Haare noch Nägel beschnitten,
stets unter freiem Himmel lebten, so kommen sie nach den Städten
und Dörfern, wo sich bald eine grofse Menschenmenge um sie
sammelt, denen sie dann die traurige Geschichte Alis und das
Schicksal von Hassan und Hussein erzählen, vielmehr mit monotoner
Stimme Vorsingen, immer trauriger werdend, immer heftiger weh-
klagend, bis sie das ganze Volk in solche Aufregung versetzt haben,
dafs auch dieses anfängt, mit zu weinen und zu klagen. Ist diese
Wirkung erreicht, dann ist das Schauspiel zu Ende, der Wander-
prediger — Bänkelsänger — erhält reichliche Gaben und zieht von
hinnen.
Ferner giebt es in Persien noch eine andre Klasse von Leuten,
welche wie diese auf Kosten anderer leben, nur noch müheloser;
es sind die als heilig gehaltenen Nachkommen Mohammeds, Sejid ge-
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nannt, kenntlich an einen grünen Turban oder grünen Shawl. Es
giebt deren eine grofse Menge, ja ganze Ortschaften gehören zu
ihnen, obschon wohl viele Betrüger sind; diese geniefsen vor allen
andern bedeutende Vorrechte, sie erhalten von der Stadt eine Art
Pension, sei es in barem Gelde, sei es in Naturalien und sind aufser-
dem völlig steuerfrei. Sie halten sich ziemlich abgeschlossen, kommen
sie aber irgendwo mal in eine Versammlung, so rangieren sie allen
andern vor und der Sejid setzt sich stets auf den Ehrenplatz.
Die persische Sprache ist wie bekannt eine indogermanische,
dem Sanskrit nabe verwandte Sprache, sie ist sehr wohllautend
und es ist nicht schwer, sich in kurzer Zeit so viel von ihr anzu-
eignen, dafs man sich im gewöhnlichen Verkehr mit den Einwohnern
ganz gut verständigen kann. Die Sprache vollkommener beherrschen
zu können, d. h. Lesen und Schreiben, ist sehr schwer und erfordert
langes Studium; von den in Persien lebenden Europäern können es
auch nur einige wenige. In Bushire, wie überall an den Grenz- und
Küstenplätzen, ist das Persische stark vermischt mit dem Arabischen ;
englisch, die einzige hier in Betracht kommende europäische Sprache,
können nur sehr wenige Leute, obschon die vermögenderen Perser
anfangen, ihre Söhne nach Bombay zu senden.
Das Klima ist in Bushire wie im ganzen Persischen Golf
während der Sommermonate, d. h. hier von Mai bis Oktober, ein
möglichst unangenehmes wegen der enormen Hitze; die heifseste
Zeit ist Mitte Juni bis Mitte Oktober; die Engländer nennen sie die
bösen hundert Tage und streichen jeden glücklich überstandenen
Tag mit besonderem Nachdruck im Kalender aus. Die intensive
Hitze wird besonders durch die grofse Feuchtigkeit der Atmosphäre —
abweichend von dem Klima des übrigen Persiens, welches sehr
trocken ist — beschwerlich; auch giebt es in dieser Jahreszeit
weder Wolken noch Regen. Das Thermometer zeigt durchschnittlich
35 bis 40 0 C. und sinkt diese hohe Temperatur während der Nacht
nur um 2 höchstens 3 °. Man befindet sich im fortwährenden Trans-
pirieren, welches schliefslich so ermattet, dafs man zu jeder anstren-
genden körperlichen oder geistigen Thätigkeit unfähig wird. Im
Winter, d. h. in der Regenzeit, besonders in den Monaten Dezember,
Januar, Februar, wo kalte Winde vorherrschen, ist die Temperatur
für Europäer bedeutend angenehmer, aber das Klima ist zu dieser
Zeit bei weitem ungesunder, als in der warmen Saison.
Die vorherrschenden Winde sind die Nordwestwinde, Schemel
genannt, und besonders vor Eintritt der heifsen Saison recht heftig,
nur in den Wintermonaten wehen Süd- und Südostwinde, welche
letztere bisweilen zu Orkanen anwachsen. Unter den Krankheiten
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ist Fieber vorherrschend; eine Art Wechselfieber, speziell Golffieber
genannt, welches an sich nicht gefährlich und mit eiuigen Dosen
Chinin leicht zu beseitigen, aber da es leicht auf die inneren Teile,
besonders Leber und Lunge schlägt, wird es unter Umständen sehr
gefährlich und ist Heilung nur durch rechtzeitiges Verlassen des
Golfes möglich. Die Eingeborenen leiden am häufigsten an Augen-
krankheiten (Ophthalmie), welche meistens syphilitischer oder skrofu-
löser Natur sind. Ferner giebt es hier den bekannten Guinea- oder
Medinawurm, welcher als wahre Landplage zu bezeichnen ist.
Derselbe erscheint vornehmlich nach der Regenzeit, hängt sich den
Badenden oder durch das Wasser Watenden an und bohrt sich be-
sonders in den Unterschenkeln in das Zellgewebe. Der betreffende
Körperteil schwillt erst an, nach einiger Zeit (2 bis 3 Tagen)
kommt der Wurm an einer Stelle zum Vorschein, wo man ihn lang-
sam herausziehen und um ein Stäbchen wickeln mufs, damit er nicht
abreifst Geschieht das letztere, so mufs der Wurm herausschwären,
was dem Leidenden grofse Schmerzen verursacht, auch entstehen
dadurch häufig sehr gefährliche Entzündungen.
Obgleich die sanitären Verhältnisse sehr im argen liegen, ist
die Sterblichkeit keine sehr grofse, ausgenommen unter Kindern im
ersten bis dritten Lebensjahre. Wissenschaftlich gebildete Ärzte
giebt es in Persien nicht, die gröfseren Städte Teheran und Isphahan
ausgenommen, wo sich europäische Ärzte niedergelassen haben; es
giebt zwar in Teheran und auch in Schiras sogenannte medizinische
Schulen, wo indes die Studierenden verzweifelt wenig von der hohen
Kunst Äskulaps erlernen. In Bushire ist der politischen englischen
Residenz ein Arzt zugeteilt, dem zwei Assistenten für die dortige
Telegraphenstation unterstellt sind; diese thun sehr viel für die
Eingeborenen, indem sie die Armen unentgeltlich behandeln und
ihnen auch freie Medizin verabfolgen. Die persischen Ärzte stehen
ungefähr auf demselben wissenschaftlichen Standpunkt, welchen
unsre Wunderdoktoren im Mittelalter eingenommen haben, wie
überhaupt viele Institutionen im schönen Land Iran auf unsre
mittelalterlichen Zustände hinweisen. Wenn auch viele Neuerungen
der europäischen Kultur in Persien Eingang gefunden haben, so mufs
man doch die Überzeugung gewinnen, dafs Persien, welches noch im
Mittelalter auf gleicher Kulturstufe mit Europa gestanden, seitdem
nicht allein stehen geblieben, sondern in jeder Beziehung zurück-
gegangen ist.
Durch die schönen Märchen aus „Tausend und eine Nacht“,
durch die meistens einer früheren Epoche entnommenen Schilde-
rungen vou Leuten, die den Orient nie gesehen haben, durch Gesänge
125
längst vergessener Poeten, hat sich um den Orient und auch um
Persien ein romantisch geheimnisvolles, reizendes Gewebe gesponnen,
welches im Laufe der Zeit zu einem dichten Schleier, geworden, der
keinen Durchblick gestattet und hinter dem man noch immer das-
selbe Gesicht vermutet, wie es sich die Phantasie, angeregt durch
obenerwähnte Schilderungen, ausmalt Wenige haben seit dieser
Zeit einen Blick hinter diesen Schleier gethan, schnell haben auch
diese denselben wieder fallen lassen — denn statt des verführerischen
Bildes grinst ihnen ein häfsliches Bild entgegen, das, aus Indolenz,
Habsucht und Faulheit zusammengesetzt, wenig geistiges Leben
verrät.
Die Insel Hainan.
Nach B. C. Henry.
Einleitung. Allgemeine geographische Bemerkungen über Hainan. Henrys Reise ins
Innere von Hainan. Von Hoihow nach Lam-ko. N'am-fung. Das Bergvolk der wilden
Lis. Plan xur Durchkreuzung der Insel bis zur SiidkUste. Das erste Li-Dorf. Die
Stadt Loi-bän. Ein chinesischer Gelehrter. Li-Häuptliog. Holz als Heilmittel. Das
„Weisse Steingebirge“. Gute Aufnahme in den Li-Dürfern. Äufsere Erscheinung der
I.i-Männer und -Frauen. Wohlriechendes Holz. Ärzüiche Praxis. Gastfreiheit der
Eis. Gute Anssichten für eine christliche Mission im Li-Lande. Das . Wasscrursprung*-
Gebirge. Malerische Szenerie der Landschaft. Schwierigkeit der Bergwanderung. Die
Stadt Tx-hin. Kleidung der Eingeborenen. Der grofse Fünffingerberg. Blutegel. Nga-
han. Einkehr bei einem Chinesen. Die listigen Ratschläge und Ränke des Chinesen
vereiteln das weitere Vordringen nach Süden. Ostwärts Uber Ling-mnn zurück an die
Nordküste Allgemeine Bemerkungen Uber das Reisen im Innern von Hainan.
Bis vor wenigen Juhren war das Innere der grofsen Insel
Hainan ein unbekanntes Land. Nachdem vor etwa 17 Jahren die
Stadt Hoihow zum Vertragshafen erklärt worden war, machten
zuerst englische Konsularbeamte und später Missionare den Versuch,
die Insel genauer zu erforschen. Unsre heutige Kenntnis von Hainan
verdanken wir daher hauptsächlich dem Engländer Swiuhoe*) und
dem amerikanischen Missionar Henry.**) Der letztere zog in Be-
gleitung des Dänen Jeremiassen im Oktober und November 1882
durch das Innere der Insel und legte die Ergebnisse seiner Reise
zuerst in den „Glimpses of Hainan“, spater in Verbindung mit der
Beschreibung der Provinz Canton in der Schrift „Ling Nam“**) vor.
*) Swinhoe, Narrative of an exploring visit to Hainan. Journal of the
North China branch of the Royal Asiatic Society for 1871 — 72. — The Aborigines
of Hainan. Ib.
**) Ling Nam or interior Views of Southern China inclnding Explorations
in the hitherto untraversed Island of Hainan by B. C. Henry. A. M. London,
Partridge 1886.
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126
Der Titel dieses Werks ist die bei den Chinesen übliche Bezeichnung
für den südlichen Teil des Reichs. Die beigegebenen Illustrationen
sind nach den Federzeichnungen chinesischer Künstler in Holz ge-
schnitten. Leider entspricht die in England angefertigte Karte der
Insel kaum den bescheidensten Anforderungen, obgleich das Werk
sonst vortrefflich ausgestattet ist.
Unter dem Dutzend Europäern, die auf der Insel sich angesiedelt
haben, giebt es vier Deutsche. Zwei derselben, die Herren August
und Adolf Schomburg, stammen aus Bremen. Der erstgenannte der
beiden Brüder besuchte nach einem 15jährigen Aufenthalt in China
seine hiesigen Angehörigen und übergab unter anderm eine Anzahl
Mollusken dem städtischen Museum. Dieselben waren von ihm und
Herrn Konsul von Möllendorf auf Hainau gesammelt und von diesem
Herrn auch bestimmt worden. Desgleichen erhielten unsre Samm-
lungen ein Exemplar des so seltenen Eurinorhynchus pygmaeus L.,
ein hochnordischer Vogel, der nach Nordenskjöld an der Bering-
strafse nistet und als Zugvogel auf dieser südlichen Insel überwintert.
Hainan gehört bekanntlich zur chinesischen Provinz Canton
und ist durch einen flachen, schmalen Meeresarm vom Festlande
getrennt. Früher war die Insel ein Verbannungsort für mifsliebige
chinesische Beamte und bis gegen das Ende der sechsziger Jahre
ein Schlupfwinkel der Seeräuber. Die Küstenvermessung, welche
Schiffe der englischen Flotte Vornahmen, wurde vor etwa vier Jahren
durch den Kriegsdampfer „Magpie“, Kapitän Napier, beendigt.
Hainan erstreckt sich von 18° 97»' bis 20° 10' nördl. Br. und wird
vom 110. Grade östl. L. v. Gr. nahezu halbiert. Der Flächeninhalt
beträgt etwa 650 Quadratmeilen oder 36 200 Quadratkilometer. Die
Zahl der Einwohner dürfte mit zwei Millionen wohl reichlich hoch
angegeben sein. Wegen des Vorkommens von Kokos-, Fächer-,
Dattel- und Caryota - Palmen wird Hainan auch die Palmeninsel ge-
nannt. Leider ist das prächtige Eiland nicht von Erdbeben verschont
geblieben und ist fast noch schlimmer durch heftige Teifune verheert
worden. Zucker, Öl und lebende Schweine bilden neben Kokosnüssen,
spanischem Rohr und Leder die wichtigsten Ausfuhrartikel. Die
Reede von Hoihow ist drei englische Meilen von der Stadt entfernt,
die wegen des schlammigen Watts nur zur Flutzeit mittelst flacher
Böte erreicht werden kann. Ebenso weit westlich vom genannten
Hafenorte liegt die Hauptstadt King-tschau-fu, wo die vornehmsten
Beamten der Insel wohnen.
Die Kapitell bis 16 des genannten Werks von Henry beschäftigen
sich mit dem südlichen China; der Schilderung der Reisen auf Hainan
sind die Kapitel 17 bis 27 gewidmet. Herr Henry landete mit einem
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kleinen Dampfer von Hongkong kommend in Hoihow. Von hier
wurde nach kurzem Aufenthalt die Reise zum westlichen Teil und
in das Innere der Insel angetreten. Von dem jetzigen Hoihow, das
sich hauptsächlich um eine Strafse gruppiert und dessen wichtigster
Handelsartikel Opium ist, entwirft Henry keine vorteilhafte
Schilderung. Im Westen erhebt sich das Land mit Gehölzen und
frischen Quellen, hier soll das europäische Viertel von Hoihow ent-
stehen. Nach einem Besuch der nahen Hauptstadt King-tschau-fu
rüstete sich Henry für seine Reise ins Innere, die mit wenigen Leuten
angetreten wurde. Sie ging zunächst zu Fufs längs der nördlichen
Küstenregion über eine wellige, wenig kultivierte, mit Gras und Busch
bedeckte Ebene, in der mehrere Städte und Flüsse passiert wurden.
In der unweit der Küste gelegenen Stadt Lam-ko wurden Herr
Henry und seine Begleiter von dem städtischen Beamten sehr gut
aufgenommen; hier mündet ein Flufs, an dessen gut bevölkertem
Ufer die Expedition nunmehr südwärts in das Innere der Insel zog.
Durch eine Hügelkette gelangte man zu höherem Gebirgsland. In
Nam-fung war man an der Grenze des chinesischen Gebiets und es
galt nun in die Thäler der Lis einzudringen, welche letztere als
zahme, die noch chinesisch verstehen und als wilde, welche das
eigentliche Bergland des Inneren bewohnen, zu unterscheiden sind.
In Nam-fung wurden erst Erkundigungen eingezogen und Ratschläge
eingeholt über die beste Art, unter den Lis der Berge vorwärts zu
kommen. Als Tauschmittel wurde von den Fremden empfohlen, neben
etwas Silber- und schwerem Kupfergeld einen Ballen Opium mitzu-
nehmeu. Dies letztere lehnten die Reisenden ab, sie nahmen dafür
Salz, Tabacksblätter und gesalzene Fische mit. Es war die Absicht,
das Innere der Insel zu durchkreuzen und bis zu dem an der Süd-
seite der Insel gelegenen Hafen Ling Shui oder zur Po-ping-Bai
vorzudringen. Anfänglich wurde die Expedition durch starke Regen-
güsse zurückgehalten. Das erste Li-Dorf war Ta-män-tin, 20 Bambu-
hütten mit etwa 100 Einwohnern. Die Reisenden wurden hier
gastfreundschaftlich von dem Vorsteher des Ortes aufgenommen und
diese Gastfreundschaft der Lis erfuhren sie auch auf ihrer ferneren
Wanderung. Viehzucht, Reis- und Maisbau schienen die Haupt-
beschäftigung der Bevölkerung; Männer sowohl wie Frauen waren
kräftig und wohlgebildet. Die letzteren waren in blauen Streifen an
Stirn, Wangen, Kinn, Armen, Händen, Beinen und teilweise auf
Brust und Rücken tättowiert. Sie trugen kurze, mit starken Schnüren
umschlossene Jacken und eng anliegende Hemden, die kaum bis zu
den Knieen reichten. In den Ohren trugen sie ein Zoll lange Stücke
von Hirschhorn. Das Haar war von der Stirn zurückgebunden ur
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mit einem Kamm aufgesteckt, den Kopf deckte ein befranstes Tuch.
Die Gesichtszüge waren gefällig, der Körper kräftig entwickelt.
Bemerkenswert ist, dafs in jedem Dorf zwei bis drei Chinesen an-
getroffen wurden. Sie lassen sich als Handelsagenten nieder und
gewinnen oft grofsen Einflufs auf die Lis, die sie dem Anscheine
nach fürchten.
„Die Stadt Loi-bän besteht aus fünf Dörfern. In einem dieser
sehr anmutig gelegenen Dörfer war am Eingänge ein Thor mit einer
sinnreichen Federvorrichtung, bestehend in einem bogenförmigen
elastischen Stück Holz, welche das Thor zuschlug und schlofs, sobald
der Druck der Hand nachliefs. In dieser Stadt trafen wir einen
Chinesen aus der Nähe von Canton, den wir dadurch in Erstaunen
setzten, dafs wir ihn in seiner Heimatsprache anredeten. Er wohnte
in einer erbärmlichen kleinen dunstigen Lehmhütte , welche er
zufolge des gewöhnlichen Vorurteils seines Stammes den luftigeren
und bequemeren Häusern der Eingeborenen vorzog. Als wir eintraten,
sahen wir eine Anzahl in sauberer Handschrift geschriebener Bücher
vor ihm ausgebreitet, ein Zeichen, dafs wir uns bei dem eiuzigen
Schriftkundigen der Gegend befanden. Er trieb die Wahrsagekunst,
führte Protokolle und diente als Volksnotar. Wir kamen au der
Wohnung des Unterhäuptlings vorbei, der uns in Loi-bän besucht
hatte. Er war ein dünner, hagerer Mann, gut gekleidet, mit einem
Anzuge aus dunkelblauen chinesischen Tuchen, und so still und
bescheiden, dafs wir seine Stellung erst nach einiger Zeit erfuhren.
Er trug Armbänder aus Ch’um-heung-Holz (Aquilaria agal-
lochum), welches wegen seiner heilkräftigen Eigenschaften von den
Chinesen hochgeschätzt wird. Die Lis haben eine ähnliche Meinung
davon. Es wird auf mancherlei Weise gebraucht; die gewöhnlichste
ist die in der Form von Armbändern, um Malaria, Cholera und andre
Krankheiten abzuwenden. Wenn jemand krank wird, schabt er von
der Oberfläche des Armbandes etwas Holz ab, mischt es einer Tasse
Thee zu und trinkt es in dem festen Glauben, dafs es ihn heilt.
Dies Holz bildet einen Haupthandelsartikel in Hainan und wird an
den Kaiser als Tribut geschickt. Es ist sehr selten und in gröfseren
Mengen nur in den weniger zugänglichen Bergen des Innern zu
finden. Die Lis häufen es oft auf und verstecken es, um in Fällen
des Mangels einen Vorrat zu haben. Man erzählte mir von einer
weiter nach Süden wohnenden Familie, sie halte ein Stück dieses
Holzes versteckt, welches sie auf 10,000 Taels (14000 Dollar) schätze.
Es finden sich in den Bergen noch andre Arten harten, wohl-
riechenden Holzes, wir sahen behauene Balken davon an den Flüssen
liegen, welche etwa 12 Fufs lang und 6 Zoll im Geviert am Kopfe
129
waren; dieselben sollten bei Hochwasser herabgeflöfst werden. Unser
Führer schnitzte von einem halbverbrannten Stamme ein Stück von
dunkelroter Farbe ab, welches sehr wohlriechend war.
Das Thal, in welchem wir hinaufgingen, war von hohen Bergen
eingeschlossen, über deren Gipfeln bis weit an den Seiten hinab
■Wolken hingen. Der Strom diente nicht gerade zu unsrer Bequem-
lichkeit, da wir ihn an diesem Tage dreifsigmal auf einer Strecke
von 6 Meilen zu überschreiten hatten. Eine zwei Meilen lange
Strecke unsres Weges lag im Flusse selbst, und es war eine schwere
Arbeit, gegen den Strom anzukommen, da das Wasser fast überall
bis an die Knie reichte und der Felsgrund scharf und schlüpfrig
zugleich war. An einigen Stellen waren Schnellen, wo das Wasser
in malerischer Weise über die Felsen sprang und uns, die wir uns
abmühten hindurchzuwaten, umzuwerfen drohte. Hohe steile Ab-
hänge mit dicken Massen von Weinsträuchen bedeckt und mit Bäu-
men besäumt, erhöhten die romantische Schönheit der engen Schlucht,
welche wir hinaufstiegen, bedeutend. Die Abhänge dieser steilen
Felswände waren an einigen Stellen mit blühenden Chiritas (Chirita
chinensis) fast ganz bedeckt.
Zwei kleine Dörfer, To-ko und Ly-chee, passierten wir kurz
bevor wir Ka-la erreichten, wo wir unsre Mittagsruhe hielten. Der
Weg war, aufser wo er in den Strom versenkt war, recht gut, aber
es wäre unmöglich gewesen, eine Sänfte darauf zu tragen, und selbst
die sicher gehenden Ponies, welche auf der Insel gebraucht werden,
würden an einzelnen Stellen nur schwer festen Fufs behalten können.
Unsre liitischen Führer brachten uns auf der nächsten Route über
Felder, zu welchen' wir durch roh hergestellte Zauntritte gelangten,
die aus eingekerbten und beiderseitig an die Zäune gestellten Holz-
stämmen bestanden. In Ka-la trafen wir einen alten Li aus einem
hoch oben auf den Bergen gelegenen Dörfchen, welcher ein wenig
lesen und schreiben und, was noch seltener der Fall war, einige
Worte cantonisch sprechen konnte, die er von den Kaufleuten
in Nam-fung und Ling-mun erlernt hatte. Von ihm erlangten wir
viele nützliche Belehrungen über das Land. Zu unsrer Rechten,
hinter Ka-la, erstreckte sich ein ansehnlicher Gebirgsrücken mit
drei hervorragenden Gipfeln, die sich über die umliegenden Berge
erhoben; der mittlere war umbaut und das Ganze bestand aus
weifslichem Fels, woher der Name „Pdk-shek-ling“, „Weifses Stein-
gebirge“ entnommen war. Diese Gipfel bilden eine schöne Land-
marke, da sie, wenn wolkenlos, viele Meilen weit sichtbar sind.
Es war für uns eine grofse Erleichterung, dafs wir Kwai-fung,
das letzte Dorf am Ende des Thaies, erreichten, und ein bequemes
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Haus fanden, in welchem wir ausruhen konnten. Dies Dörfchen,
an einem steilen Berghang gelegen, enthalt nur sechs Häuser,
zeichnet sich aber durch grofse Gastfreundlichkeit aus, wie wir bei
unserm zweitägigen Aufenthalt erfuhreu. Es wird auch Ju-tau,
„Pomelo-Dorf“ genannt; dies ist die hainanesische Wiedergabe seines
Namens in der Lisprache, und ein grofser Pomelobaum am Ein-
gänge, der, obgleich abgestorben, stehen gelassen war, wurde als
ein Beweis dafür bezeichnet, dafs die Benennung nicht ganz falsch
war. Unsre Erfahrungen waren hier in mancher Hinsicht eine
Wiederholung derjenigen, die wir in den andern Dörfern gemacht
hatten. Da unsre Anwesenheit im Lande allgemein bekannt war,
kamen von beiden Seiten viele Leute aus den mehr oder weniger
entfernten Dörfern, um uns zu sehen. Ihre Aufnahme durch unsern
Wirt gab uns einen schönen Beweis der Gastfreundschaft, welche
diese Leute unter sich üben. Die Familie unsres Wirtes zählte
nur 5 oder 6 Personen, aber während unsrer Anwesenheit sahen
wir wenigstens 15 Leute, die sich bei jeder Mahlzeit um seinen
Reiskessel setzten, unter ihnen den Unterhäuptling von Loi-bän, der
uns zur Sicherheit bis zur Grenze seines Machtbereichs begleitet
hatte, und den alten Li aus Ka-la, der sich die Mühe gab, uns
über die Berge nach Ling-shui zu führen.
Um die beiden Herde, welche nur aus viereckigen Einschnitten
bestanden, die mit Lehm fest gemacht waren, an Stelle der gewöhn-
lichen gespaltenen Bambustäbe, safsen die Leute rauchend und
schwatzend in grofser Anzahl. Sie trieben ihre Neugier nie bis zur
Belästigung. Sie schienen von hellerer Farbe zu sein, als diejenigen,
welche wir bis dahin gesehen hatten, einige der unbekleideten
Kinder waren beinahe weifs. Die Männer schoren fast alle ihre
Köpfe und trugen chinesische Tücher; der Anzug der Frauen war
derselbe, den wir schon vorher gesehen hatten, nur kam noch eine
kleine Schürze über der Brust hinzu. Sehr wenige von ihnen waren
tättowiert, und dann nur mit einigen leichten Linien. Sie hatten
aber noch einen weiteren Schmuck, bestehend aus grofsen Ringen
von weifsen und schwarzen Kugeln, die auf Draht gezogen waren.
Eine der Frauen, welche unsre Aufmerksamkeit erregte, hatte
zwanzig Ringe von verschiedenem Durchmesser, die ein schweres
Gewicht an ihrem Halse gebildet haben müssen. Sie war aus
Pun-tuet, einem noch kleineren Dörfchen, welches wir einige Ruten
vorher passiert hatten.
An Stelle der gewöhnlich für unsre Betten benutzten Bambu-
stäbe, brachte unser Wirt in diesem Dorfe einige junge Stämme
von sehr aromatischem Holze herein, die nach Entfernung der Rinde
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einen sehr angenehmen Geruch verbreiteten, so dafs wir in der That
auf parfümirten Lagern schliefen. In dem Hause waren sechs
Götzenbilder, augenscheinlich aus China, in einem Kasten am einen
Ende des Zimmers aufgestellt, und beim Herstellen unsrer Betten
wurde darüber verhandelt, welche Lage die einzelnen Betten zu den
Idolen einnehmen sollten. Wir sagten ihnen, sie möchten das ganz
nach ihrem Belieben einrichten, da die Idole für uns keine Bedeutung
hätten; sonach stellten sie schliefslich die Betten kreuzweise, anstatt,
wie ursprünglich beabsichtigt, der Länge nach. Meines Freundes
Ruf als wundervoller Heiler der Übel des Fleisches begleitete ihn
hierher, wenn er ihm nicht vorhergegangen war, und bald gingen Be-
stellungen auf Medizin ein. Rheumatismuspliaster wurden soviel
verabreicht, dafs schliefslich die ganze Gesellschaft mit ihnen
geschmückt war und die Köpfe in einigen Fällen ein geradezu
groteskes Aussehen gewannen. Wir lachten herzlich über die
humoristische Szene vor uns. Ein Patient, der an Zahnschmerz
litt, wurde davon durch Ausziehen eines Backenzahns befreit. Dies
war das Signal für eine allgemeine Erprobung dieses neuen Heil-
mittels, und eine ganze Reihe Leute kamen, um sich Zähne aus-
ziehen zu lassen; sie zeigten eine kindische Neugier zu sehen, wie
diese aussähen, wenn sie heraus wären. Der Unterhäuptling benutzte
die günstige Gelegenheit in der Reihe mit den andern, aber unglück-
licherweise fiel sein Stückchen Elfenbein durch einen Rifs im Boden
und war verloren.
Da wir von unsern Wohnungen aus sehr wenig von dem
Lande sehen konnten, ersuchten die Leute uns, den Berg hinten
heraufzugehen; sie zeigten nichts von dem chinesischen Verdacht
wegen unsrer Absichten auf ihr „fung-shui“, die Einflüsse von
„Wind und Wasser“, von denen man annimmt, sie brächten Glück
oder Unglück. Sie schienen aufrichtiges Vergnügen daran zu
finden, uns ihr Land zu zeigen und hätten uns hingeführt, wohin
wir wünschten. Die Blutegel, das scharfe Gras und die schlüpfrigen
Pfade drängten bald jeden Wunsch, zu sehen, was weiter hinten
war, zurück und machten uns zufrieden, die Leute in ihren Häusern
zu studieren. Unser Wirt brachte sein Familienregister zum Vor-
schein, welches aus einer Anzahl Bambustreifen mit dem Namen
und Geburtsdatum, unter Angabe des Jahres, Monats, Tages und
der Stunde, jedes Mitgliedes seiner 12 bis 15 Personen ausmachenden
Familie bestand und chinesisch geschrieben war. Das Register
seiner Mutter, Frau und Tochter wurde in derselben Weise geführt
wie dasjenige der Männer. Der jüngere Sohn oder Neffe, ein
sechzehnjähriger Knabe, schien ungewöhnlich aufgeweckt und vielver-
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sprechend zn sein. Mein Freund fand grofsen Gefallen an ihm und
suchte seinen Vater zu veranlassen, ihn uns nach Hoi-how begleiten
zu lassen. Der Knabe würde mit Freuden eingewilligt haben und
sein Vater schlug es nicht geradezu ab, sondern sagte, wenn mein
Freund in einigen Monaten wiederkommen würde, wollte er ihn
gehen lassen. Beinahe an jedem Orte wollten die Leute gern
wissen, wann wir wiederkämen und zeigten aufrichtige Freude über
die Aussicht, meinen Freund wiederzusehen. Der Sohn unsres
Wirtes, welcher die Aufsicht über das Haus hatte, und sein Bruder
oder Vetter, waren hoch erfreut, als wir ihnen einige Bücher zum
Geschenk machten, in welche wir zu ihrer noch gröfseren Freude
unsre Namen einschrieben.
Unser Wirt schlachtete ein junges Schwein, bestand darauf,
uns die besten Stücke davon zu schenken und gab sich nicht eher
zufrieden, als bis wir von seinem Reis afsen ; er lehnte jede Bezahlung
oder Geldvergütung dafür ab. Wir erwiderten natürlich alle seine
Geschenke, und jeder kleine Gegenstand, den wir gaben, wurde mit
deutlich erkennbarer Wertschätzung empfangen. Die leeren Zinn-
gefäfse wurden immer sehr begehrt, und wir trugen Sorge, dafs
diejenigen, welche für unsern Wirt bestimmt waren, mit Salz oder
andern zum Geschenk passenden Sachen gefüllt wurden. Lebens-
mittel schienen die Leute reichlich zu haben, obgleich ihre Reis-
und Kornfelder, die an den Abhängen und auf den Gipfeln stiller
Berge gelegen waren, sehr viel Arbeit erfordern mufsten. Einige
kleine aber stark gebaute Kornhäuser in der Umgebung des Dorfes
gewährten eine sichere Lagerung für das überflüssige Korn. Der
Fleischbedarf wird hauptsächlich durch Haustiere gedeckt, da Wild
nicht immer zu haben ist; in dieser Jahreszeit schien es besonders
rar zu sein. Wir hörten, als wir fortgingen, Frankolinhühner, und
begegneten einem Manne mit einem prächtigen Silberfasan, welchen
wir kauften, derselbe starb vor Schreck, ehe wir das Dorf er-
reichten.
Den Sonntag brachten wir in diesem Dorfe zu, aber während
das Volk grofse Ehrfurcht vor unsern gottesdienstlichen Verrich-
tungen bezeigte, fanden wir es schwer, ihm ihre Bedeutung
begreiflich zu machen. Dies hatte in hohem Mafse seinen Grund
in unsrer mangelhaften Kenntnis ihrer Sprache. Die Leute sind
frei von vielen abergläubischen Ansichten und götzendienerischen
Gewohnheiten der Chinesen. Weder Verehrung der Vorfahren noch
Punktirkunst (fung-shui), noch eine Staatsreligion stehen einem
besseren System im Wege. Ihre Freundlichkeit, Gelehrigkeit und
^nbar empfängliche Natur lassen sie auf das Christentum vor-
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bereitet erscheinen. Wenn durch Freundlichkeit und gleicbmäfsige
Gerechtigkeit ihr Vertrauen gewonnen würde, so würde der Unter-
richt eines Missionärs ohne Zweifel sehr günstig aufgenommen
werden. Es scheint keine äufsere Schranke für eine unmittelbare
und umfassende Arbeit unter ihnen zu bestehen, wenn die Männer
gefunden werden, die willens sind, diese Arbeit zu übernehmen. Die
weitverbreitete Anwendung des hainanesischen Dialekts vermehrt die
Leichtigkeit, ihnen näher zu treten, obgleich ihre heimischen
Dialekte bedeutend von einander abweichen.
Alle Flüsse, welche wir bis dahin überschritten hatten, ergiefsen
ihre Wasser in den Strom, welcher den Ting-on-Distrikt durchfliefst
und in die Bai von Hoi-how mündet; aber jetzt waren wir an die
Gebirgsscheide gelangt, welche diese Flüsse von den nach Süden
gehenden trennt. Die massigen Berge, welche sich vor uns beiuahe
senkrecht erhoben, bilden das „Shui-tau“, „Wasserursprung“-Gebirge,
welches wir überschreiten müssen. Wir bereiteten uns auf einen
schweren Marsch vor. Unser Wirt schien es für seine Pflicht zu
halten, dafür zu sorgen, dafs wir mit Männern wohl versehen waren,
und wenn niemand sonst zur Verfügung war, nahm er selbst eine
der Lasten. Der vorhinerwähnte alte Li übernahm auch die Last
des Kochs, dessen Füfse von den Blutegeln so übel zugerichtet waren,
dafs er kaum gehen konnte. Mit diesen beiden Lis, welche den
Weg genau kannten, und den beiden aus Loi-bän, welche noch bei
uns waren, glaubten wir den Gebirgsrücken sicher überschreiten zu
können.
Als wir das Dorf verliefsen, nahmen wir von dem Häuptling,
welcher uns begleitet hatte, einen förmlichen Abschied, indem wir
eine Tasse Chokolade mit ihm tranken, und indem wir das kleine
Bergwasser zum beinahe hundertsten und jetzt zum letzten Male
überschritten, schlugen wir einen an dem steilen und schlüpfrigen
Bergabhang hinaufführenden Pfad ein. Beinahe eine Meile lang führte
der Weg durch dichtes Gehölz, welches hier und da ein durch einen
Pfahlzaun eingeschlossenes kleines Stück Feld enthielt. Von diesen
offenen Plätzen hatten wir schöne Ausblicke auf das Land, welche
sich erweiterten, je höher wir stiegen. Das „Weifse Steingebirge“
stieg prächtig über das Thal auf, dessen Tiefen wir kannten, dessen
Höhen wir aber erst jetzt kennen lernten. Wir gewannen Einblick
in die Entstehung des kleinen F’lusses aus mehreren Gebirgsbächen,
die hoch oben au den Abhängen entsprangen und von denen zwei
schöne Wasserfälle bildeten; der uns nähere fiel in einer breiten
Wasserfläche 70 oder 80 Fufs über eine senkrechte Wand mit einer
tiefen, weinbewachsenen Schlucht hinab. Wir bemerkten nur wenige
Ueogr. Blätter. Bremen 1887. in
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Zeichen vou Lebeu, eine Waldschnepfe, die über den Pfad flog, ein
Frankolinhuhu, welches im Unterholz krähte und Papageien, die zu
unser n Häupten schwatzten, waren alles, das man bemerken konnte.
Aus dem Waldgürtel heraustretend gelangten wir auf einige Reis-
felder mit kleinen, 5 bis 6 Fufs hohen Kornhäusern dabei.
Eine durch Rauchen ausgefüllte Ruhepause in einer verlassenen
Hütte, die uns gegen den treibenden Nebel Schutz gab, welcher an
Kälte zunahm, je höher wir stiegen, bereitete uns auf die schwere
Arbeit vor, welche begann, als wir in das hohe Gras kamen. Von
hier aus war der Pfad sehr schmal und vou Dschungelgras ganz
überhangen. Das Gras war an einigen Stellen höher als unsre
Köpfe und flocht sich in sehr belästigender Weise über den Weg;
es war von der Feuchtigkeit ganz durchweicht und schwer. Die
Träger mufsten doppelte Anstrengungen machen, um die Körbe durch
die überhängende Masse hindurchzudrängen. Das Gras hatte Ecken
so scharf wie Schwertschneiden, welche in die Haud schnitten, wenn
man es zurückdrängte. Dies sowie die allgegenwärtigen Blutegel
vermehrten die Unbequemlichkeit bedeutend. Dieser Weg über den
Gebirgsrücken war vier Meilen oder darüber lang ; der höchste Punkt,
den wir erreichten, war etwa 2000 Fufs über dem Thale und wahr-
scheinlich 3000 Fufs über der See. Alle Hoffnung, die schönen jen-
seitigen Berge zu sehen, sobald wir den Gipfel des Gebirges er-
reichten, wurde vernichtet durch die fliegenden Nebelstürme, die
alles absclilosseu aufser den weifslichen Abhängen des Shui-t’au-
Gebirges, soweit sie uns nahe waren, und gelegentlichen Blicken auf
die Put-pet-Kette, der mit seinen schön bewaldeten Thalabhängen
rechtwinklig nach Süden ablief.
War der Aufstieg schwierig gewesen, so war es der Abstieg
auf der andern Seite noch mehr, obgleich er kürzer war. Der steile
Pfad, der mit einem niedrigen Gewölbe ineinandergewirrten Grases
bedeckt und unten mit dampfenden Fallgruben gefüllt war, machte
das Gehen nicht nur unangenehm, sondern geradezu gefährlich. Am
Fufse flofs ein Bach mit wundervoll klarem Wasser, im stillen
Gegensatz zu dem Schlamm, welchen wir eben durchwatet hatten,
und bald dahinter, jenseits einiger marschiger F elder, stand das kleine
Dorf Shui-ying, das erste im Lidistrikt Ung-mau-t’ung. Es enthält
nur zwei Häuser, in deren einem wir einen Ruheplatz fanden, bis
die Träger alle heraufkameu, was noch etwa zwei Stunden dauerte.
Durchkältet durch die Feuchtigkeit und die tröpfelnde Nässe, ver-
suchten wir mit dem uns verfügbaren grünen Holze ein Feuer
anzuzünden, was uns aber nicht gelang. An dem einen Ende des
Hauses, welches alt, schmutzig und mit Fächerpalmenblättern gedeckt
135
war, safs die Mutter mit drei oder vier nackenden Kindern über
einem kleinen Feuer kauernd. Der Herr kehrte bald zurück, aber
'da er das Hainanesische nicht verstand und einen andern Lidialekt
als unsre Begleiter sprach, hatten wir einige Mühe, uns ihm ver-
ständlich zu machen. Der alte Li aber verstand etwas von der
Sprache dieses Distrikts, und wir stellten durch ihn unsre Fragen.
Nachdem wir uns eine Stunde lang ausgeruht hatten, setzten
wir über einen andern Bergrücken unsern Weg Vit Meilen weiter
nach Ta-hän fort. Dieser Weg war besser, aber durch gefallene
Bäume und Büsche, die durch die kürzlichen Stürme niedergeweht
waren, sehr behindert. Alles sah wild und öde aus, aufser einigen
Schluchten, in denen schöne Farrenbäume wuchsen, die nebst wilden
Bananen und breitblftttrigen Alpinien an die Stelle der allgemeinen
Dschungelgraswüste traten. Die Chinesen erklären Ta-hän durch ge-
schriebene Zeichen, welche „kalt machen“ bedeuten, was uns insofern
ganz passend schien, als wir den Ort durchkältet und infolge des
kalten Nebels beinahe zitternd erreichten. Die Stadt liegt an einem
Bergabhang, von wo aus man ein fruchtbares Thal übersieht. Sie
zählt 8 oder 10 Häuser, von denen das des Häuptlings, welches am
höchsten liegt und teilweise in chinesischem Stil gebaut, dasgröfste
und beste ist. Hierher wurden wir gebracht. Früher enthielt der
Ort 40 Häuser, aber vor einem Jahre wurde er von einer aus Neu-
Ifakkas und Lis zusammengesetzten Räuberbande niedergebrannt,
welche das ganze Thal auskehrte, die Häuser niedersengte und das
Vieh forttrieb. Unser Wirt zeigte uns die Spuren der Beilhiebe an
seiner Thür, welche sie aufzubrechen versucht hatten und wies mit
schmerzlicher Miene auf die kleine Ziegenherde, das Einzige, welches
von den grofsen Herden übrig geblieben war; man hatte ihm
70 Stück grofses Rindvieh fortgetrieben!
Die hiesigen Einwohner gehören zu dem Stamme der Kon-
keuk- (Hunclefufs-) Lis und reden einen von dem jenseits des
Gebirges gesprochenen so verschiedenen Dialekt, dafs unsre liitischen
Träger mit ihnen hainanesisch sprechen inufsten, um verstanden zu
werden. Unser Wirt und mehrere andre Eingeborene, die in Ge-
schäften unter die Chinesen gehen — einer von ihnen war eben
aus Hoi-how zurückgekehrt — waren in chinesische Tuche gekleidet,
aber die meisten Männer trugen einen primitiveren Anzug, wenn
man es einen Anzug nennen konnte, während die Frauen in derselben
Weise wie die des letzten Dorfes gekleidet waren ; die meisten von
ihnen waren gar nicht tättowiert. Einige waren sehr grofs und stämmig
und alle trugen Ringe aus Kugeln, die von den Chinesen gekauft
waren, in einigen Fallen fünfundzwanzig um einen Hals. Mehrere
10 *
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trugen auch grofse silberne Ohrringe zur Schau. An diesem Orte
gelang es mir, einige Proben ihrer Kleider zu erlangen, obgleich sie
sich nicht gern davon trennen wollten. An keinem andern Platze*
hatten wir so viele Knaben gesehen; es waren schöne, gesunde
Jünglinge, welche ihren Eltern gleichzukommen versprachen, von
welchen letzteren viele die Normalgröfse überschritten. Die Häuser
waren infolge des kürzlichen Unglücks ärmlich ; sie waren mit Blättern
der Fächerpalme gedeckt, welche eine halbe Tagereise vom Dorfe
in Menge wächst. Rotang wird iu beträchtlicher Menge aus den
nahen bewaldeten Bergen gewonnen und nach dem Markte zu
Ling-mun gebracht, welcher zwei Tagereisen entfernt liegt.
Unser Wirt war grofsmütig in seiner Gastfreundschaft, er-
brachte bei unsrer Ankunft eine Menge Reis und nachher noch
Eier und andre Artikel herbei, wofür er keine Zahlung wünschte.
Als wir am folgenden Tage aufbrechen wollten, erboten sich mehrere
Männer, unser Gepäck unentgeltlich zum nächsten Dorfe zu befördern
und zwei von ihnen dienten als freiwillige Führer über den Berg.
Der Weg führte durch eine der schönsten Landschaften, die man sich
denken kann; er folgte dem Laufe des Gebirgsbaches, der zu einem
rauschenden Giefsbach wurde, und wir waren an einigen Stellen
unsern Führern Dank schuldig, dafs sie uns die seichteren und
weniger reifsendeu Stellen beim Überschreiten aussuchen halfen.
Es war ein breiter und stellenweise, wo ihn ein reichlicher uud
mannigfacher Waldwuchs zu beiden Seiten einsäumte, schön be-
schatteter Weg. Viele grofse Bäume waren bis zum Gipfel mit Wein und
Farrenkraut, und Mengen sehr zarter Farren und Bärlappmoose, haupt-
sächlich Lycopodiurn caudatum bedeckt, diese bildeten einen prächtigen
grünen Teppich über den harten Unebenheiten des Bodens. Unsre
Führer waren noch voll von dem vorigjährigen Überfall und zeigten
uns die Stelle, wo sie diesen Weg verbarrikadiert hatten. Nachdem
sie von hier aus auf ihre Angreifer gefeuert, waren sie auf einem
andern steilen und verschlungenen, nur ihnen bekannten Pfade
geflohen. Sie retteten so ihr Leben, gaben aber ihre Häuser der
Plünderung preis. Der Gebirgsbach fällt durch eine enge von Felsen
eingeschlossene Schlucht, in der das Weiterkommen unmöglich ist,
bis sie dann in jähem Niedergang in das jenseitige Thal fällt.
Wir stiegen allmählich weiter in die Höhe, ein mehrere Meilen
langes kühles Holz durchschreitend, welches die Schulter des Berges
an der linken Seite bedeckt. Der weitere Abhang des Berges zeigte
sich nackt und schrecklich steil. Als wir aus den Bäumen heraus-
traten, erreichten wir den besten Punkt für einen Ausblick auf den
grofsen Fünffingerberg, aber leider war der Nebel so dick, dafs wir
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auch nicht den geringsten Schimmer seines Umrisses bemerken
konnten. Wir mufsten uns also mit der halbverstandenen Bemerkung
der Lis begnügeu, welche die Lage der fünf Piks, die ihr umgeben,
bezeichneten und es ihnen auf ihr Wort glauben, dafs der mittlere
und höchste Pik vor nicht langer Zeit vom Blitz getroffen und so
zersplittert worden sei, dafs sein ins Auge fallender Umrifs zerstört
sei. Man konnte deutlich sehen, dafs die massigen Abhänge bis zu
einer Höhe von etwa 3000 Fufs mit Bäumen bedeckt waren. Von
unserm südwestlichen Standpunkte aus wurde die Richtung unsres
Weges nach Ling-shui als etwas links von dem grofsen Berge liegend
bezeichnet, und zwar durch einen breiten Pafs oder richtiger eine
rauhe Hochebene, so dafs wir nicht so schwer zu steigen brauchten
wie bisher. Der ungestüme Giefsbach zu unsrer Rechten verbindet
sich etwas weiter unten mit einem Flusse, der sich durch den Kom-
yan-Distrikt einige Meilen weiter in die See ergiefst; er entspringt
auch auf dem grofsen Berge. Man sieht noch einen Flufs, der nach
Ngai-tscho hinabfliefst. Mit nicht geringer Befriedigung erfüllte uns
dieser weite Ausblick auf das noch vor uns liegende Land, da wir
nun gewifs wareu, dafs wir nach weiteren drei Tagen zu der Quelle
des Ling-shui-Stromes an der Stadt Pö-teng gelangt sein würden.
Vou diesem Punkte aus blickten wir in das Herz des Lilandes,
eines Landes voll prächtiger Thäler und fruchtbarer Ebenen, hoher
Berge und romantischer Szenerien, wohl geeignet zu Weiden und
für die Erhaltung einer weit gröfseren Bevölkerung, als wir in den
zerstreuten Dörfern bisher gesehen hatten. Der Abstieg von diesem
Berge war sehr ermüdend, da er stellenweise an jähen Abhängeu
hinunterführte. Wir erreichten seinen Fufs ohne einen Unfall, und
wieder durch einen Waldgürtel schreitend, wo Papageien über uns
laut schwatzten und ein Alfe ärgerlich durch die Zweige eines grofsen
Eichbaums entwich, kamen wir zu der Stadt Nga-hän an den Ufern
des gröfseren Flusses. Unser alter liitischer Träger, welcher der
einzige gewohnheitsmäfsige Opiumraucher war, den wir an der
andern Seite des Gebirges trafen, brachte uns zu dem Hause eines
Chinesen, wie er sagte, zu unsrer gröfseren Bequemlichkeit, wahr-
scheinlich aber um ein wenig Opium zu bekommen. Dafs wir
nach diesem Hause kamen, bedeutete für uns den Anfang eines
Unfalls. Es war unsre Absicht, nur eine kurze Ruhe zu halten
und dann zu dem Häuptlingsdorf zu gehen, welches drei Meilen
weiter lag und von wo wir in schnellen Märschen nach der Gegend
von Ling-shui gehen wollten.
Nachdem wir uns niedergesetzt hatten, war unsre erste Be-
schäftigung, uns von den Blutegeln zu befreien, die an diesem Tage
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zahlreicher als je waren. Ich zog von meinen Füfsen und Beinen
nahezu vierzig Blutegel von allen Gröfsen; als die liitische Frau
des Chinesen heifse Kohlen brachte, um sie zu vernichten, stiefs sie
einen Ruf der Verwunderung über ihre grofse Zahl aus. Als wir
fortgehen wollten, kam der Chinese sehr höflich mit einem ge-
schriebenen Ersuchen an uns, bis zum folgenden Tage bei ihm zu
bleiben. Als wir auf unsrer Absicht, zu gehen, bestanden, sagte
er uns, der Strom sei unpassierbar, da er bei dem Übergange
wenigstens 8 Fufs tief sei, das Wasser würde aber in der Nacht
nachlassen. Er führte uns dann zum Ufer, um uns zu beweisen,
dafs es sich wirklich so verhalte. Unser Bleiben schien unvermeidlich,
wir schickten uns also an, dasselbe so gut wie möglich zu benutzen,
indem wir uns die Stadt ansaheu. Vor uns in der Mitte des Dorfes
stand ein schöner Tamariudenbaum. Die Häuser waren entlang
einer Art Strafse gebaut, und an den Aufsenseiten des Dorfes standen
etwa ein Dutzend Kornhäuser. Ein zweites Dorf stand einige
Ruten weiterhin; beide Dörfer zusammen hatten etwa 40 Häuser.
Unser Wirt war augenscheinlich ein Maun von Einflufs, nicht
nur im Dorfe, sondern in dem ganzen Distrikte. Er wohnte hier
seit zwanzig Jahren, hatte eine Li zur Frau und mehrere Kinder,
die er aber nicht ganz über die Gesetze des Anstandes belehrt zu
haben schien, denn seine Frau zeigte einen Mangel von Sittsamkeit,
wie wir noch in keinem der Dörfer, die wir durchwandert, kennen
gelernt hatten, indem sie meistens ohne Jacke ausging. Sein Haus
war das gröfste in der Stadt, da es aber in chinesischem Stil mit
Lehmmauern und Fufsboden aus Erde erbaut, war es nicht so bequem
wie die gewöhnlichen Gebäude der Lis. Wir vermifsten auch den
nötigen Vorrat von Bambu für unsre Betten und inufsten selbst
aus einer Anzahl langer krummer Stangen, die sich als sehr unge-
nügend erwiesen, Auswahl treffen. Man brachte uns Fleisch von Wild-
schwein und Hochwild. Das erstere war viel zu pikant für imsern
Geschmack, das letztere aber ausgezeichnet.
Während des Abends waren unsre chinesischen Träger augen-
scheinlich nahe daran, zu meutern; sie waren erschreckt durch die
Geschichten von Räubern, die den Weg über den grofsen Berg
unsicher machten , unser Wirt und andre Chinesen aus dem
Dorfe hatten sie ihnen erzählt. Um die Sache noch schlimmer zu
machen, brach zwischen unsern liitischen Trägern und den Chinesen
ein Streit wegen ihres Essens aus. Wir suchten die Sache leichthin
zu behandeln, fürchteten aber, dafs sich eine ernste Störung vor-
bereite, namentlich als unser Wirt sich den andern anschlofs und
drängte, den Plan, die Berge zu überschreiten, aufzugeben und
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den nächsten Weg nach Ling-mun zu nehmen. Wir besorgten, dafs
unser Wirt uns im Geheimen entgegenarbeitete, welcher Verdacht
sich später vollkommen bestätigte.
Als wir am nächsten Morgen aufbrachen, führte man uns den
Strom hinauf zu eiuer seichten Furt, wo das Wasser nur bis
zum Leib ging, und die ebenso leicht am Tage zuvor hätte durch-
schritten werden können. Wir durchwateten diesen grofsen Flufs
viermal und passierten drei Dörfer, ehe wir die Residenz des
Häuptlings erreichten. Seine Stadt hatte schwer von den Räubern
gelitten, und es war kein gutes Haus übrig geblieben. Es waren
hier mehrere Ziegel- und Steingebäude, sehr dumpf und muffig, nach
chinesischem Muster gebaut. Die Leute waren wahrscheinlich durch
die Hoffnung, sicherer gegen Angriffe zu sein, zu der Wahl solcher
Form und solchen Materials veranlafst. Sie opferten so Gesundheit
und Bequemlichkeit, um einen zweifelhaften Vorteil zu erreichen.
Unsre schlimmsten Befürchtungen bewahrheiteten sich, als der
Häuptling uns mitteilte, dafs in diesem Dorfe keine Leute zu haben
wären und dafs er nichts thun könnte, uns weiterzuhelfen. Unsre
liitischen Träger waren nur bis hierher gemietet und wollten mit
Ausnahme eines alten Mannes nicht weiter gehen, während unsre
Chinesen in einer meuterischen Stimmung waren, und selbst wenn
sie bereit gewesen wären, hätte ihre Zahl nicht ausgereicht. Wir
mufsten sehr bald einsehen, dafs unsre Sache hoffnungslos war und
dafs uns nichts übrig blieb, als uns in das Unvermeidliche zu fügen.
Da in dem Dorfe des Häuptlings keine bequeme Unterkunft
zu finden war, gingen wir auf dem bisherigen Wege zurück, über-
schritten dreimal den breiten Strom und kehrten zur Nacht in einem
kleinen Dorfe ein, welches wir am Morgen passiert hatten, allen Be-
mühungen des Chinesen, der uns gefolgt war, wieder zu seinem
Hause zurückzukehren, widerstehend.“
Die Reisenden mufsten notgedrungen das Vordringen zur
Südküste aufgeben. Schuld an der Vereitelung dieses Vorhabens
war lediglich der Chinese. Er war es, wie sich herausstellte, ge-
wesen, der durch falsche Angaben über die Tiefe des zu überschrei-
tenden Stromes Zeit gewonnen hatte, den Lihäuptling davor zu
warnen, der Expedition irgend welchen Vorschub zu leisten. Als
Beweggründe für dieses Auftreten des Chinesen ermittelte Henry
neben der Eifersucht gegenüber der freundlichen Aufnahme der
Fremdlinge durch die Lis, und neben dem Wunsch, seinen Einfluis
zu zeigen, die Furcht, dafs die weifsen Leute aus dem Westen ledig-
lich zu dem Zweck in das Land gekommen seien, um die in der
Erde verborgenen Schätze auszuspionieren.
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Statt nach Süden zogen die Reisenden jetzt nach Osten, über
das Dorf Viaban, durch ein prächtiges, teilweise angebautes, teil-
weise mit Wald bedecktes Land, welches mehrere Ströme durch-
zogen. Zur Linken hatteu sie die in Wolken gehüllten Höhen des
Li Mother- Gebirgszugs, dessen Erhebung Henry auf 5500 Fufs
schätzt. Über Ling-mun, wo sie von den Lis Abschied nahmen,
kamen die Reisenden nach Shüu-fau, und fuhren im Bpot auf einem
Rufs noch weiter östlich nach Ka-tschik, einer bedeutenden Handels-
stadt nahe der Ostküste der Insel. Von hier gelangten sie, nordwärts
sich wendend, teils zu Lande, teils zu Wasser wieder nach Hoi-how.
Der Aufenthalt in der Stadt Ling-mun giebt Henry Anlafs zu
allgemeinen Bemerkungen über die beste Art und Weise, in das
Innere vorzudringen; wir geben dieselben hier noch wieder.
„Ling-mun“, wörtlich „das Thor der Berge“, ist, wie der Name
besagt, der Eingang zu den zentralen Berggegenden und bei weitem
der bequemste Platz für diejenigen, welche von Hoi-how kommen,
in das Liland zu gehen. Zwei Tage verhältnismäfsig bequemer
Reise (wenn das Wetter trocken ist) durch eine sehr anziehende
Gegend würden den Reisenden zu dem Häuptlingsdorfe in Ung-mun
bringen, von welchem aus wir zurückkehrten. Von jenem Punkte
über den Fünffingerberg nach Ling-shui, oder direkt südlich nach
Ny-tschoo dauert die Reise einige Tage länger, wenn man mit dem
nötigen Führer und Trägern versehen ist. Freundlichkeit uud
Takt sind die Haupteigenschaften, welche erforderlich sind, um sich
eine gute Aufnahme bei den Lis zu sichern.
Wenn man gemächlich von Dorf zu Dorf geht, würde es wohl
keine Schwierigkeit haben, sie als Träger zu gewinnen, aber bei
eiligen Märschen und langen Tagereisen sind sie nicht zuverlässig.
Wegen Unterkunft uud Nahrung braucht man keine Augst zu haben,
da man bei ihrer angeborenen Gastfreundschaft sicher sein kann,
beides zu erhalten. Ein Vorrat verschiedenfarbigen Seidengarns,
gestickte Börsen und Tabaksbeutel, Perlen, Nadeln und irgend-
welche kleiue Gebrauchsartikel würden in vielen Fällen dienlicher
als Geld sein. Beim Mieten vou Trägern darf mau nicht mehr als
35 oder 40 Katties (1 Kattie = l 3 .U Pfund) für jeden derselben
bestimmen; mehr gestattet die Beschaffenheit der Wege nicht.
Die Lis, welche beiuahe den ganzen mittleren uud südlichen
Teil der Insel bewohnen, finden sich in den geographischen Grenzen
von elf der dreizehn Distrikte, in welche die Chinesen das Land
eingeteilt haben. Hierüber haben die Chinesen die Strophe:
Wan-tschang hat keinen Li
Ting-an hat keine See;
)y Googld
141
letzteres ist der einzige binnenländische Distrikt in der Präfektur
King-tschan.
Die Lis seheinen, soweit ich erfahren konnte, in 15 oder 16
Stämme geteilt zu werden, welche unter bestimmten Namen bekannt
sind und in Anzug. Sprache und Gewohnheiteu mehr oder weniger
von einander abweicheu, aber alle zu einer gleichartigen Rasse ge-
hören, die durch gemeinschaftliche Bande miteinander verbunden
ist, und der Regel nach in freundschaftlichen Beziehungen steht.
Sie sind wahrscheinlich malayischer Abkunft, wovon sich eiue An-
deutung in ihren Namen findet, welcher verschieden ausgesprochen
wird: le, lai, lay, loy u. a., und an eiuem Orte wenigstens, moi.
Wenn sie von sich selbst sprechen, fügen sie einen Lippenlaut hinzu
und sagen b’lai, b’lay u. a. Wenn das b mit m vertauscht würde
hätten wir m’lai und m’lay, welches dem Worte Malaya ähnlich genug
klingt, um einen Zusammenhang zu vermuten. Die oft wechselnde
chinesische Schriftbezeichnung zeigt, dafs dieselbe nur die Laute
des Wortes wiedergeben soll, mit dem die Lis sich selbst bezeichnen.
Ihr Benehmen gegen die Chinesen ist immer das eines unab-
hängigen Volkes gewesen, welches sich gegen Unterdrücker vertei-
digt, die sie zur Knechtschaft erniedrigen wollten. Die Beschuldi-
gung der Furchtsamkeit und Feigheit, welche die Chinesen ihnen
stets entgegeuhalten, ist kaum aufrecht zu erhalten und könnte in
manchen Fällen auf die Chinesen selbst angewandt werden. Kriege
sind häufig geführt, und infolge des gänzlichen Mangels an Gerech-
tigkeit, den die Chinesen bei ihrem Auftreten zeigen, wird ein dau-
ernder Frieden nicht gesichert werden können. Die Arten der
Kriegführung bei diesen immer wiederkehrenden Aufständen sind
eigentümlich. Die Lis, hauptsächlich mit Bogen und Speeren be-
waffnet, sind im offenen Felde den mit Gewehren und Kanonen
bewaffneten Chinesen nicht gewachsen, deshalb verstecken sie sich in
den Dschungels, machen plötzliche Ausfälle und ziehen sich zurück, ehe
der Feind Widervergeltung üben kann. Die Chinesen sind ander-
seits mit all ihren Waffen ratlos angesichts einem pfadlosen
Dschungel, in welchen sie sich nicht gern hiueinwagen, da das
Sumpffieber sie dahinraffen oder ein feindlicher Hinterhalt sie ein-
schliefsen könnte.
Im Frühling des Jahres 1882 fand ein Aufstand der Berg-
Lis im Süden der Insel, nahe Sam-a, statt. Ein Brigadegeneral wurde
mit einem Heere ausgesandt, um die Unruhe zu bezwingen; er sah
sich aber in einem niedrigen Sumpffiebergebiet, wo seine Soldaten
krank wurden und starben, während die Feinde, durch ihre undurch-
dringlichen Dschungel geschützt, ihm Trotz boten. Mit mehr Ge-
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wissenhaftigkeit als sich bei den meisten seiner Klasse findet, ver-
schmähte er alle Scheinmanöver und infolgedessen vergingen Monate,
ohne dafs sich ein Erfolg zeigte, aufser der beständigen Verminderung
seiner kleinen Armee durch Krankheit und Desertion. Wegen dieser
Erfolglosigkeit wurde er degradiert und in der Nähe des Schauplatzes
seines Mifslingens in Pension gestellt. Au seiner Statt wurde ein
Tao-tai gesandt, um die Expedition zu befehligen. Dieser begann
sogleich ein Bestechungs- und Betrugssystem, infolgedessen es ihm
schliefslich gelang, den Lihäuptling, welcher die feindlichen Stämme
anführte, zu verleiten, in sein Lager zu kommen, um über die
Friedensbedingungen zu untcrhandelu. Um dies zu erreichen, schickte
er aufser Geldgeschenken und Sicherheitsversprechungen vier gemeine
Soldaten als Geiseln, wobei er dem Häuptling versicherte, dafs zwei
derselben jüngere Brüder von ihm und die beiden andern Mandarinen
wären. Kaum war der Lihäuptling in seinem Lager, als er ge-
fesselt, auf ein Kriegsschiff' gebracht und nach G'anton überführt
wurde, wo mau ihn bald darauf hinrichtete. Und was wurde aus
den vier Geiseln? Die Lis, durch den ihnen gespielten Verrat in
Wut gebracht, übten an diesen unglücklichen Opfern in furchtbarer
Weise ihre Rache, indem sie sie, wie erzählt wird, lebendig schunden,
um den Zorn des Volkes zu besänftigen. Solche Vorkommnisse sind
nicht geeignet, freundliche Beziehungen zwischen deu beiden Rassen
zu fordern.
Es spricht sehr für die natürliche Freundlichkeit und Nachsicht
der Lis, dafs sie ungeachtet solcher Erfahrungen den Chinesen er-
lauben, unbelästigt in so ausgedehntem Mafse in ihrem Lande zu
reisen und Handel zu treiben. Wir sahen die letzten dieses eigen-
tümlichen Volkes in Ling-mun. wo sie durch ihre ungeschorenen
Köpfe, ihr ungekämmtes Haar und ihren sonderbaren Anzug er-
kennbar waren, als sie den Markt auf und ab gingen, um kleine
Einkäufe zu machen. Einer von ihnen, ein kräftiger junger Bursche
mit angenehmen Gesichtszügen aber sehr dürftiger Kleidung, trug
Wasser für die Wirtin nach unserm Gasthof.“
An diese Mitteilungen aus Henrys Werk schliefsen wir folgende,
der Juninummer der Proceedings der Londoner geographischen Ge-
sellschaft entnommene Notiz: Herr Henry benachrichtigt die Ge-
sellschaft, dafs er im vorigen Jahre, 1886, zum zweiten Mal auf
Hainan war, ausgedehnte Reisen in die Bergregionen unternahm
und das Zentrum des Li-Gebiets erreichte. Nach Henry kann die
Insel ohne Schwierigkeiten von Ost nach West und von Nord nach
Süd durchwandert werden.
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Einiges aus der Republik Liberia.
Von Heinrich Harter!.
Vorwort. Diu politische Organisation der Republik. Diu Bevölkerung. Religiöses
Bekenntnis und Bfission. Die Heidenstämmo des Innern, sprachen und Kulturstufen.
Zahlen der Vey-Sprache.
V o rwort.
Da ich mich längere Zeit in Liberia aufliielt, und als Kaufmann
stets Gelegenheit hatte, mit den Eingeborenen zu verkehren, und
ihre Sitten und Gebrauche kennen zu lernen, erlaube ich mir, Eini-
ges über dieselben hier zu veröffentlichen.
Es ist schon einmal in diesen Blattern dieser Gegenden Er-
wähnung getlian, nämlich bei Gelegenheit der Forschungen Bütti-
kofers, in dem auf Seite 81 und ff. des Bandes VII. dieser Zeitschrift
veröffentlichten Aufsatz. — Mit diesem unermüdlichen Forscher, der
sich jetzt wieder dort befiudet, habe ich manche angenehme Stunde
verlebt, und dürfte seine jetzige Reise die Grundlage eines gröfseren
Werkes bilden, dem durch charakteristische photographische Auf-
nahmen auch die Anschauung nicht fehlen wird.
Was die früheren in der Niederländischen geographischen Zeit-
schrift veröffentlichten Mitteilungen Büttikofers betrifft, so kann ich
dieselben als eine iiufserst wahrheitsgetreue Schilderung dortiger
Zustände bezeichnen. Zu den von Biittikofer genannten Handels-
häusern ist in ueuster Zeit (1882) noch die „Soci6t6 Beige Liberi-
eune getreten, deren Haupthaus sich in Antwerpen befindet, und
in deren Diensten ich stand; dieselbe besitzt u. a. auch eine
Faktorei in Marshall am Junkriver, wohin sich Biittikofer im Fe-
bruar d. J. in Begleitung mehrerer in Grand Cape Mount gemieteter
Boys und eines Jägers begeben hat.
In seiner Begleitung habe ich mehrere kleinere Touren, u. a. den
Shugryriver stromaufwärts gemacht, auf denen sich des Interessanten
viel hot. Sehr treffend ist namentlich die in jenem Aufsatz erwähnte
Schilderung des faulen Kreditsystems zwischen Farmern und Händlern
einerseits und den Faktoreien anderseits; erst in allerueuster Zeit
fängt man an, mit dem Kreditgeben an besitzlose liberianische Händler
aufzuhören und verkauft mit verhältnismäfsig wenigen Ausnahmen
nur gegen Empfang der Waren.
Liberia, die bedeutendste der drei bestehenden Negerrepubliken,
ist im Jahre 1828 von Nordamerika aus gegründet worden, und
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wurde im Jahre 1837 als unabhängig erklärt; die ans Amerika
dort eingeführten Sklaven bilden daher die herrschende Klasse, aus
der alle Beamten und Würdenträger hervorgehen. Die Regierung
ist ganz nach dem Muster der nordainerikanischen Union eingerichtet,
und besteht wie dort aus einem auf vier Jahre gewählten Präsidenten
und dem Senat.
Das Land ist in vier Counties eingeteilt, welche letztere wieder in
Governments zerfallen. In vielen Gegenden des Staates herrschen noch
teils erbliche, teils erwählte Könige und Königinnen über die Stämme der
Ureinwohner. So im nördlichsten Teile der „King Freeman“, der sieb
in Kämpfen, welche schon lange vor Einwanderung der Amerikaner
unter seinem Vater, dem „Sultan Morannah Satulo“ begonnen habeu,
das ganze Reich Teywar, welches sich weit ins Innere erstreckt,
unterworfen hat. Unbeschränkt herrscht auch die „Queen Sandy
manny of Yearbacca, welche ihr Land mit despotischer Strenge
regiert, so dafs Hinrichtungen in ihrem Reiche nicht zu den
Seltenheiten gehören. In ihrem Residenzorte sah ich iu einem
langhiugestreckten Hause eine grofse Anzahl Sklaven mit den
Fiifsen in schwere Holzpflöcke eingeschmiedet und an Ketten
liegend, damit beschäftigt, Palmkerne zu knacken, aus deren Verkauf
die alte Königin mit ihrem noch kaum erwachsenen Gatten ihre
Haupteinnahmen zieht.
Als Beispiel für die wechselseitige Abhängigkeit der liberianischen
Republik und der halbunterworfenen Stämme, welche nur dem Namen
nach dem Staate angehören, möge folgendes dienen. In der
Nähe von Cape Mount, welches nahe der Grenze von Sierra Leone
liegt, wurde ein Gehöft niedergebrannt und man konnte einen der Ver-
brecher nicht hiurichten lassen, ehe man vom Kinq Bimba, einem
andern landsässigen Fürsten, dessen Unterthan der Verbrecher war,
hierzu die Erlaubnis eingeholt hatte; der (mir befreundete) König
versagte natürlich, wie vorauszusehen war, seine Einwilligung und
mau war gezwungen, um denselben nicht zu erzürnen, die Gefaugeuen
auf dem Transporte nach Monrovia, wie durch ein Versehen ent-
springen zu lassen. — Die Transporteure wurden natürlich belohnt
anstatt bestraft.
Diese eben genannten Fürsten gehören sämtlich den Whys*)
an, welche die Hauptbevölkerung in den besprochenen Gegenden bilden,
ein schönes, kräftiges und kriegerisches Volk, welches zum Schrecken
andrer, nicht so hoch kultivierter Heidenvölker, den Islam mit aller
ihm eigenen Härte unter den Ungläubigen zu verbreiten bestrebt ist.
*) Bei uns ist die Schreibweise Vey bekannter.
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145
Das Christentum macht nur geringe Fortschritte unter ihnen, und
kehrt ein sehr hoher Prozentsatz der neu bekehrten Täuflinge wieder
zu dem ursprünglichen Fetischdienst zurück.
Die Liberianer gehören zum grofsen Teile der Methodistenkirche
an, welche auch unter den Heiden im Innern die meisten Erfolge
aufzuweisen hat, aufserdem sind Anglikaner und Katholiken dort
thätig. Die Baptisten und Katholiken haben jedoch allein Aussicht
auf Erfolg, da sie sich schwarzer Missionare bedienen. — Die
letzteren (Jesuiten) unterziehen sich in anerkennenswerter Weise der
Krankenpflege, und hat auch Schreiber dieses, evangelischen Glaubens,
lediglich der aufopfernden Pflege eines Mitgliedes der katholischen
Mission sein Leben und seine Gesundheit zu verdanken.
Dafs der Unterricht von schwarzen Missionaren, welche
vielfach die Unterdrückung und Hintansetzung der schwarzen Rasse
in Amerika kennen gelernt und dort, gleichsam mit der Muttermilch,
den Hafs gegen alles, was hellfarbig ist, eingesogen haben, neben
den vielen Lichtseiten seine Schattenseiten hat, ist leicht erklärlich.
Zu den Lichtseiten kann man rechnen, dafs der Neger zu
gleichfarbigen Glaubensaposteln mehr Vertrauen hat, und nicht in
dem alten Glauben befangen bleibt, die Religion der schwarzen
Lehrer sei nicht die richtige, und der Gott der Weifsen sei nicht
für den „armen Nigger“ gemacht; — zu den Schattenseiten, dafs
die schwarzen Lehrer wohl in der That nicht immer den wahren
Glauben und christliche Liebe predigen, sondern nur zu oft den
Hafs gegen ihre weifsen Mitmenschen schüren.
Leider nur zu oft findet man, dafs die Missiouare auch kauf-
männisch thätig sind, wodurch sie sich die Feindschaft der Weifsen
zuziehen, deren Hülfe doch in so manchem Falle die Bemühungen
der Missionsgesellschaften erst möglich und erfolgreich werden läfst.
Zu den wildesten Heidenstämmen des Hinterlandes von Liberia
gehören vor allen Dingen neben einem kleinen Teil der Veys (auch
Why) der grofse Stamm der Kossos, von welchen vielfach, ob mit
Recht oder Unrecht lasse ich dahingestellt sein, behauptet w r ird,
dafs sie hier und da noch dem Kannibalismus huldigten; erwiesen
ist dies aber keineswegs. Die Industrie steht bei ihnen, im Gegeusatz
zu den ziemlich hoch kultivierten Veys, auf einer aufserordentlich
niedrigen Stufe, die Weberei ist ihnen unbekannt und fast alle ihre
Bedürfnisse tauschen sie gegen Erträge der Jagd und des Waldes
von den Whys oder Europäern ein. In geringer Anzahl findet sich
in den undurchdringlichsten Gegenden, in den dichtesten Wäldern
und unwirtlichen Schluchten des Gebirges ein wilder, aber nur
schwacher Volksstamm, die Pesse; sie sind im Gegensatz zu den
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146
andern dunklen, fast schwarzen Völkern, sehr hellfarbig; nach
meiner Meinung haben sie im Äufsern, aber auch nur darin, eine
frappante Ähnlichkeit mit Fulbe ,*) welche als Händler auch bis in
jene Gegenden kommen, und die durch ihr würdevolles Benehmen,
welches vorteilhaft gegen den Lärm der andern Schwarzen absticht,
auffallen. Gleich ihnen findet man als Händler zuweilen auch
Mandingos, man erkennt sie auf den ersten Blick au der dunkel-
schwarzen fast rufsfarbenen Haut.
Als Bootsleute werden neben Gruboys auch Bassamen lind
Susstts verwandt. — Über erstere zu sprechen halte ich für über-
flüssig, sie werden den meisten Lesern aus den vielen Reise-
beschreibungen nur zu wohl bekannt sein; vielleicht sogar vom
Ansehen, denn von zehn Negern, die aus Westafrika zu uns kommen,
gehören — das kann man sicher annehmen, — neun zu diesem
Stamme. — Vielfach aber werden unter Crus auch Bassaleute ver-
standen, die dieselben Beschäftigungen haben, gemischt wohnen und
sich durch eine hellere Hautfarbe, sowie auch durch ihre Sprache
unterscheiden. Gleichwie die Crus sind auch die Bassas meist Träger
höchst eigentümlicher Namen, solche wie Freeman, Ginbottle,
Twoglasses und Kai-kai (trockener Kerl) gehören zu den alltäglichen
Vorkommnissen. Ich sah unter ihnen einen Mann mit zahlreichen,
deutlich sichtbaren Sommersprossen, der einzige Fall, der mir je
vorgekommen ist.
Die Sussus siud nicht eigentlich heimisch in Liberia, sondern
wandern, — wie die Chinesen nach Amerika, — in die Nordde-
partements von Liberia ein und kehren, wenn sie genug erworben
haben, wieder in ihr Heimatland Sierra Leone zurück, um dort mit
ihren Weibern und Kindern von den erworbenen Schätzen so lange
in süfsem Nichtsthun zu leben, wie diese Vorhalten.
In politischer Hinsicht lehnt sich Liberia so viel als möglich
an die Union an, und sucht den Ursprungsstaat so getreu als möglich
zu kopieren, was jedoch meist zu Zerrbildern führt. Die Armee
kann den Weifsen aller Nationen nur zur Erheiterung dienen, Ab-
bildungen liberianischer Soldaten wären wert, europäischen Witz-
blättern eingeschickt zu werden.
Der Weifse wird in Liberia so viel als möglich geplagt und
ist nur dann vor den Plackereien der Regierung völlig sicher, wenn
er die örtlichen Vorstände derselben pekuniär so viel als möglich
von sich abhängig macht. Es gelingt dies um so leichter, weil der
Liberianer den Europäern immerhin noch etwas mehr traut, als
seinen Landsleuten und das mit vollem Recht.
*) Felläta, Fillaui, Fulfin.
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14?
In deu oben erwähnten Gegenden sind, wie schon erwähnt,
neben der europäischen und arabischen, mehrere einheimische Sprachen
& gebräuchlich.
Die Kulturstufe der Völker läfst sich vielfach nach der hoch
oder niedrig stehenden Sprache beurteilen, und man wird wohl
nicht fehl gehen, wenn man bei letzterer wieder die Zahlensysteme
zur Beurteilung heranzieht; die Kenntnis derselben läfst sich mit
verhältnismäfsig geringerer Mühe erwerben, als die ganzen Sprachen,
welche nur bei langem Aufenthalte zu erforschen sind, zumal sie
wieder in zahllose Dialekte zerfallen, so dafs die Einwohner fast
jeden Dorfes auders sprechen. Hauptsächlich wird das System der
Veys gebraucht, dessen Kenntnis auch dem Kaufmann jener Gegenden
sehr viel nützt, da er dann keinen Vermittler braucht und mit den
Eingeborenen direkt verkehren kann. Die Veysprache hat an Stelle
eines Zehnersystems ein Fünfersystem, welches auch bei den Golah
gebraucht wird. Die Kossosprache, als die am wenigsten ausgebildete,
kennt eigene Zahlen nur bis Zwanzig, zum Bezeichnen höherer Ziffern
bedienen sie sich der Veyzahlen, die überhaupt eine grofse Verbreitung
zu haben scheinen. Das wenigst ausgebildete System besitzen wohl
die Golah, die gar nur bis zehn zählen können.
Die Zahlen der Veys sind folgende:
1. Döndo 11. Taug dondo
2. Ferä 12. „ ferä
3. Saba 13. „ sabä
4. Näni 14. Tang näni
5. Solo 15. „ solo
6. Sumdondö 16. „ sumdondö
7. Sumferä 17. „ sumferä
8. Sumsaba 18. „ sumsabä
9. Sumnäni 19. „ sumnäni
10. Tang 20. Mobandi.
21. Mobandi a ko dondö. —
22. Mobandi a ko ferä etc. —
30. Mobandi a ko Tang. —
40. Muflabandi (wohl zusammengezogen
aus Mo ferä bandi.)
50. Muflabandi a ko Tang. —
60. Solobandi a ko Tang. —
70. Mosumdöndobandi a ko Tang. —
80. Mosumferäbandi a ko Tang. —
90. Mosumsababandi a ko Tang. —
100. Mosumnänibandi a ko Tang. —
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148
Die Zahlen der Kosso sind :
1. Etäh
11. Buh etäh
2. Fede
12. Buh fede
3. Schaua
13. Buh shaua
4. Nani
14. Buh näni
5. Dblu,
15. Buh dblu
6. U&tä
16. Buh uetä
7. Uafede
17. Buh uafede
8. U6iapa
18. Buh ueiapa
9. Tan
19. Buh Tau
10. Buh
20. Buh Buh.
der Gölahs sind:
1. Gun
6. de Gun
2. Tieh
7. de Tieh
3. Tai
8. de Tai
4. Ti6na
9. de Tiena
5. Nono
10. Edjah.
Der siebente deutsche Geographentag.
Von Dr. W. Wolkenhaner.
Die seit 1881 jährlich wiederkehrende Wanderversammlung
deutscher Geographen, Kartographen und Freunde der Geographie
fand in diesem Jahre in der badischen Hauptstadt Karlsruhe statt,
und zwar gewohnterweise in der Osterwoche, vom 14. bis 17. April.
An den beiden Tagen vorher hatte die Deutsche meteorologische
Gesellschaft ebenfalls ihre jährliche Hauptversammlung in Karlsruhe
abgehalten uud eine gröfsere Anzahl der Besucher dieser nahmen
nun auch erfreulicherweise am Geographentage teil, wodurch der-
selbe noch an Bedeutung und Interesse gewann. Einen besonderen
Glanz erhielt die diesjährige Versainmluug durch die lebhafte Teil-
nahme des Grofsherzogs Friedrich und der Grofsherzogin Luise von
Baden, welche bereits am Tage vor Eröffnung der Verhandlungen
die auch diesmal mit dem Geographentag verbundene Fachausstellung
besuchten und am zweiten und dritten Sitzungstage den Geographeu-
tag durch ihren längeren Besuch ehrten; auch mehrere Minister,
andre hohe Staatsbeamten und Offiziere wohnten vielfach den Ver-
handlungen bei. Da die Bedeutung der geographischen Wissen-
schaft bei uns in Deutschland in manchen Kreisen noch nicht in
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149
dem Mafse gewürdigt wird, wie sie es verdient, so kann es für
jeden Geographen nur erfreulich sein, weun Hochstehende derselben
ein lebhaftes Interesse entgegenbringen. Von den drei badischen
Hochschulen, den Universitäten Frei bürg, Heidelberg und der tech-
nischen Hochschule in Karlsruhe hat nur die erstere, und diese
auch erst in jüngster Zeit, einen Dozenten für die Geographie er-
halten; vielleicht darf man da an den Karlsruher Geographentag
die Hoffnung für eine fortschreitende Entwickelung des geographischen
Studiums in Baden knüpfen.
Ein Vorbereitungsausschul's unter der Leitung des Geheimrats
Dr. Hardeck, des derzeitigen Vorsitzenden der badischen geo-
graphischen Gesellschaft, hatte mit grofser Umsicht und Aufopferung
dafür Sorge getragen, den Verlauf der Versammlung, die in den
Räumen der technischen Hochschule tagte, so günstig als möglich
zu gestalten. Zu bedauern bleibt nur, dafs die Bekanntmachung des
Programms diesmal ganz besonders spät erfolgte ; dieser Umstand
hat, neben dem- in der Osterwoche eintretenden unfreundlichen
"Wetter jedenfalls die geringere Teilnahme aus den entfernteren
Teilen des deutschen Reichs zur Folge gehabt. Immerhin war der
Besuch ein regerer als voriges Jahr in dem günstiger gelegenen
Dresden. Die Gesamtzahl der Teilnehmer belief sich nach der
Präsenzliste auf 404 ; die Mehrzahl, allerdings einen gröfseren Prozent-
satz als früher, stellte natürlich der Versammlungsort, Karlsruhe,
selbst, nämlich 311 ; 93 waren von Aufsen gekommen, und zwar 22
aus Baden aufser Karlsruhe, 6 aus Elsafs, nur 3 aus Württemberg,
2 aus der Pfalz, 5 aus dem übrigen Bayern, 40 aus den norddeutschen
Staaten, zum Teil aus nicht geringer Ferne; so waren Königsberg,
Stettin, Lübeck, Hamburg, Bremen und Hannover vertreten. Auch
das Ausland hatte wie zu den vorhergehenden Geographentagen eine
Anzahl Teilnehmer gesandt; die Schweiz 5, Österreich 7, Frankreich,
Holland, Rufsland je einen. Die grofse Mehrzahl der auswärtigen
Teilnehmer waren Universitätsprofessoren, Lehrer an höheren Schulen,
Kartographen und Inhaber kartographischer Anstalten oder geo-
graphischer Verlagsbuchhandlungen, von deutschen Reisenden waren
diesmal leider nur wenige erschienen : Professor Rein, Paul Reichard, der
Österreicher E. Glaser, Hugo Zöller und Missionsinspektor Büttner.
Obgleich die meisten deutschen geographischen Gesellschaften zu
den „ständigen Mitgliedern“ des Geographentags gehören, so hatten
dieselben doch nur wenige Vertreter gesandt, nur Bremen, Halle
und Jena waren offiziell vertreten; lebhaft zu wünschen bleibt aber,
dafs jede Gesellschaft ihr Interesse an der Fortentwickelung der Geo-
graphentage durch Absendung eines Vertreters bethätigt; die fran-
Geogr. Blätter. Bremen, 1887.
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150
zösisehen Congr&s nationaux de Geographie können 11 ns da als
rühmliches Vorbild dienen.
An den drei Yersammlungstagen, 14. bis 16. April, wurden in
5 Sitzungen 16 Vorträge gehalten, an drei derselben knüpfte sich
diesmal eine Diskussion. Die Gegenstände der Verhandlungen be-
wegten sich im wesentlichen um vier Fragen: um die antarktische
Forschung, um die Afrikaforschung, um die deutsche Landeskunde
und um die Schulgeographie. Da sowohl durch die Zeitungen als
durch einzelne Fachblätter bereits mehr oder weniger ausführliche
Berichte über die Vorträge gegeben sind, so beschränke ich mich,
um nicht zu wiederholen, auf die folgenden Bemerkungen.
Geh. Admiralitätsrat Dr. dVenmayer-Hambnrg berichtete über
den Stand der antarktischen Forschung und konnte mit einem ge-
wissen Stolze darauf hinweisen, dafs die seit einer Reihe vou Jahren
von den deutschen Geographentagen gegebenen Anregungen, die
Erforschung der antarktischen Gebiete in deu Vordergrund des
Interesses zu bringen, jetzt beginnen, gute Früchte zu tragen;
denn einerseits macht sich eine rege Thätigkeit auf literarischem
Gebiete geltend, wohin die hervorragende Arbeit Dr. II. Reiters
in Freiburg, die Forschungen Creaks, Adjunkten der britischen
Admiralität und John Murrays, welcher an der Challenger-Expedition
teilgeuommen habe, gehören, sodann aber sei auch die Entsendung
einer Expedition wesentlich dadurch in nähere Aussicht gestellt,
dafs die australischen Kolonien in Gemeinschaft mit der britischen
Regierung die Sache in die Hand nehmen wollten.
Dr. -EscAenAat/en-Hamburg knüpfte an diese Ausführungen Mit-
teilungen über die Resultate der erdmagnetischen Forschungen auf
den internationalen Polarstationen und bezeiclmete näher die Richtung,
in welcher die erdmagnetischen Forschungen fortgesetzt werden
müfsten.
Der Afrikaforschung, die noch immer im Vordergründe des
allgemeinen geographischen Interesse steht, waren vier Vorträge
gewidmet. Professor .ft«» -Bonn eröffnete dieselbe mit einer
Schilderung der geographischen und wirtschaftlichen Verhältnisse
von Marokko, das er 1872 selbst bereist hat; Paul Jieichard
sprach über seine auf fünfjähriger Reise in Ostafrika gesammelten
Beobachtungen über Klima, geologischen Aufbau, Pflanzen- und Tier-
welt und die Einwohner, Missionsinspektor Büttner schilderte aus
eigener Anschauung das Nama- und Damaraland und Hugo Zoller
berichtete in eingehender und fesselnder Weise über die Erfolge in
der Erforschung von Togoland und Kamerun.
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151
Von besonderem Interesse waren die diesmaligen Vorträge
über die deutsche Landeskuude. Professor Jordan-Hannover entwarf
zunächst ein Bild der geschichtlichen Entwickelung der deutschen
Landesvermessungen, schiderte den heutigen Stand derselben und gab
am Schlufs der Hoffnung Ausdruck, dafs die bis jetzt noch zerstreuten
Landesvermessungsarbeiten unsres Vaterlandes einmal in einer Ceu-
tralstelle des deutschen Reiches ihre Zusammenfassung und einheit-
liche Leitung finden. Die beiden Vorträge von Baudirektor Honsett-
lvarlsruhe über den natürlicheu Strombau des Oberrheines und von
Professor Got/tein-Karlsruhe über die Naturbedingungen der kultur-
geschichtlichen Entwickelung im Rheinthal und im Schwarzwald
zeigten recht augenscheinlich, welch reiches Arbeitsgebiet der wissen-
schaftlichen Landeskunde noch im eigenen Vaterlande harrt. Während
der erste Redner die allmähliche Entstehung und Entwickelung der
oberrheinischen Tiefebene aus dem ursprünglichen grofsen Binnensee
und an der Hand vorzüglicher Spezialkarten die Bildung und Fort-
entwickelung des Rheinbettes auf der Strecke vom Bodensee bis
Bingen bis zur grofsen Eindämmung des Stromes in diesem Jahr-
hundert darlegte, führte der zweite Redner mit meisterhafter An-
schaulichkeit aus, wie zuerst die Besiedelung und Urbarmachung
des fruchtbaren Hügellandes zwischen Schwarzwald und Rheinebene
vor sich ging, wie dann später der sandige Streifen auf beiden
Seiten des Rheinstromes, welcher noch heute gröfstenteils von Wal-
dungeu, die den Namen Hardt führen, bedeckt ist, und noch viel
später die Hochfläche des Schwarzwaldes besiedelt wurde. Den all-
jährlichen Bericht über die Thätigkeit der „Centralkommission für
wissenschaftliche Laudeskunde von Deutschland“ stattete Professor
Kirchhof ab. Die Arbeiten derselben haben hiernach im letzten
Jahre infolge erfreulicher Unterstützung des preufsischen Kultus-
ministeriums einen ebenso ungestörten als finanziell gesicherten
Verlauf genommen. Zimächst gelangte das „Verzeichnis von For-
schern in wissenschaftlicher Landes- und Volkskunde Mitteleuropas“
zur Ausgabe, welches durch seine Anführung von mehr als dritthalb-
tausend Gelehrten möglich macht, sich rasch über die auf irgend
einem einschlägigen Untersuchungsgebiete vorhandene Genossenschaft
Gleichstrebender zu orientieren, um ihren Rat oder ihre Mitarbeit
in Anspruch zu nehmen. In ununterbrochenem Fortgange sind die
bibliographischen Zusammenstellungen zur Landes- und Volkskunde
von Mitteleuropa. Professor Ratzel ist mit einer umfangreichen Arbeit
über die Schneedecke der deutschen Gebirge beschäftigt, zu der das
Material teilweise durch zahlreich verschickte Fragebogen bezüglich der
in ganz Deutschland gemachten Beobachtungen herbeigesucht ist. Von
ll*
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den „Forschungen“ ist der erste Band abgeschlossen und bereits das
erste Heft des H. Bandes erschienen; von der „Bibliothek zur
deutschen Landes- und Volkskunde“ wird in Kürze der erste Band:
Die Geologie von Deutschland, bearbeitet von Professor Lepsius, aus-
gegeben werden. Ein weiterer Plan betrifft die Herstellung einer
„Anleitung zur Landes- und Volksforschung iin anfseralpinen
Deutschland“.
Auf die Schulgeographie fielen diesmal fünf Vorträge, mehr
wie jemals zuvor. Professor A. Stäuber (Augsburg) skizzierte
den Inhalt seiner Arbeit „über die Förderung des geographischen
Studiums und Unterrichts“, für welche ihm kürzlich in internationaler
Wettbewerbung der vom König von Belgien ausgesetzte Preis von
20 000 M. zuerkannt wurde. Schulamtskandidat W. Krebs (Altona)
behandelte das geographische Zeichnen, fand aber gegen seine Aus-
führungen heftigen Widerspruch. Der Vortrag des Oberlehrers
0. Perthes (Bielefeld) über die Notwendigkeit eines einheitlichen
Atlasses in den Händen der Schüler einer Klasse veranlafste den
Geographentag zu einer dem Vortrage zustimmenden Resolution,
welche den Ministerien und obersten Schulbehörden zur Kenntnis
gebracht werden soll. Dieselbe lautet: „Der deutsche Geographentag
hält es aus inneren Gründen für unstatthaft, dafs dem geographischen
Unterricht in einer und derselben Klasse verschiedene Atlanten
zu Grunde gelegt werden.“ Reallehrer A. Mang (Baden-Baden) sprach
über die Erweckung des allgemeinen Verständnisses für die astro-
nomische Geographie und Professor Schmidt (Wien) erklärte das
von ihm konstruierte Tellurium und den Foucaultschen Pendel-
versuchapparat.
Schliefslich erwähne ich noch des anregenden Vortrags von
Dr. A. Böhm (Wien) „über Gebirgsgruppierung“. Der Redner
kritisiert die bisher meistens übliche Gruppierung von Gebirgen
nach den Wasserscheiden, weil dadurch Berge zusammengebracht
würden, welche ihrem ganzen Aufbau nach nicht zueinander gehören,
und andre wirklich zu einander gehörende durch Zufälligkeiten
getrennt würden. Er befürworte die Gruppierung nach dem geologisch-
oroplastischen Charakter; nur diejenigen Gebirgsglieder seien zu
einer Gruppe zu vereinigen, welche in Gestalt, Höhe, Material,
Aufbau und Anordnung Beziehungen und Ähnlichkeit erkennen lassen.
Hierdurch werde vielleicht zwar ein etwas bunteres Bild erreicht
werden, als das nach den Flufsgrenzen entworfene; allein dasselbe
werde auch ein entschieden naturgetreueres sein und der Geograph
dürfe nicht Einfachheit verlangen, wo sie die Natur selbst nicht
habe. Eine nach diesen Grundsätzen ausgeführte Gebirgsgruppierung
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für die Ostalpeu legte der Vortragende vor; dieselbe wird dem-
nächst im Druck erscheinen.
Dem seitherigen Gebrauch folgend, war auch diesmal mit dem
Geographentag eine Ausstellung verbunden, die des Interessanten
und Lehrreichen in Menge bot. In fünf Sälen und zwei Durch-
gangszimmern war dieselbe, soweit möglich, systematisch angeordnet;
sie gliederte sich in der Hauptsache in eine historische, eine topo-
graphische, eine ethnographische und eine pflanzengeographische
Abteilung; eine fünfte umfal'ste neuere geographische Verlagsartikel,
Reisewerke, Atlanten, Wandkarten und andre Unterrichtsmittel und
Gegenstände geophysikalischer Natur. Bei der Fülle des Stoffes ist
es nur möglich, auf einzelnes hinzuweisen. Die historische Abteilung
bot aus dem Privatbesitz des Grofsherzogs, aus der grofsherzog-
lichen Hof- und Landesbibliothek und andern Sammlungen des
Landes eine reiche Auswahl von Karten, Plänen, Ansichten; ferner
kosmographische und Reisewerke, durch welche die Geschichte der
Erd- und Völkerkunde und insbesondere die Entwickelung der
Kartographie veranschaulicht wurde. So war das Altertum nament-
lich durch die Tabula Peutingeriana, das Mittelalter durch mehrere
Ausgaben des Ptolemäus vertreten. Der Stadtrat von Karlsruhe
stellte die Entwickelung dieser Stadt seit ihrer im Jahre 1715 er-
folgten Gründung durch den Markgrafen Karl Wilhelm bis auf die
Gegenwart in 58 prächtigen Karten und Plänen aus; ebenso be-
teiligten sich die Stadträte von Mannheim, Freiburg, Konstanz u. a.
Der Grofsherzog überliefs der Ausstellung vier riesige Erd- und
Himmelsgloben aus dem 17. und 18. Jahrhundert. In der topo-
graphischen Abteilung fielen dein Besucher zunächst eine Reihe von
prächtigen Reliefs über Baden uud die Schweiz in die Augen.
Eine Reihe von 49 Farbdruckblättern, den Lauf des Rheins von
seinem Austritt aus der Schweiz bis zur deutsch-niederländischen
Grenze im Mafsstabe von 1 : 20 000 darstellend, bedeckten die eine
Wand des Saales. Das Statistische Landesamt von Württemberg
hatte eine vollständige Sammlung der auf die württembergische
Landeskunde bezüglichen Arbeiten ausgestellt, die den ganzen Ent-
wickelungsgang der Landeskunde in Württemberg repräsentierte.
Auch die bekannte Dufoursche Karte der Schweiz fehlte hier nicht.
Viele Besucher der beiden ersten Abteilungen werden mit dem Bericht-
erstatter nur lebhaft bedauern, dafs ihnen zur eingehenden Be-
trachtung der hier aufgestapelten Schätze leider die Zeit fehlte.
Für die ethnographische Abteilung hatten eine gröfsere Zahl
von Reisenden ihre Privatsammlungen zur Verfügung gestellt, so
Dr. W. Joest seine ostafrikanische Sammlung, Paul Reichard zahl-
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reiche Aquarellskizzen, der Maler Hellgrewe Ölskizzen, Assessor
Lucas seine Trophäensammlung aus Ostafrika. Die Firma Jantzen
& Thormählen (Hamburg) hatte Industrieerzeugnisse aus Westafrika,
Missionsinspektor Büttner eine interessante Sammlung von Ge-
genständen aus dem Herero- und Namalande ansgestellt. Von
deu Stationen der Deutsch - Ostafrikauischen Gesellschaft waren
Proben von Reis, Bohnen, Durra, Sesam, Tabak und Baumwolle
vorgelegt ; auch Kamerun war durch mancherlei Produkte vertreten.
Von Asien waren besonders China, Japan und Siam durch eine reiche
Sammlung von Erzeugnissen der Kunstiudustrie zur Anschauung
gebracht. Australien ward durch unsres Dr. 0. Finsch treffliche
Aquarelle von Neu-Guiuea illustriert; von demselben waren auch
sehr vorzügliche Gesichtsmasken ausgestellt, welche die Aufmerk-
samkeit der Besucher vielfach auf sich zogen. Die pflanzeugeo-
graphische Abteilung, die von dem botanischen Institut der Grofs-
herzoglichen technischen Hochschule ausgestellt wurde, bot Drogueu
aller Länder, vorzugsweise Produkte unsrer überseeischen Kolonien,
reichhaltige Kollektionen von Kaffeesorten, Tabaken, Rhabarber,
Cacao, Chinarinde, Kork u. a.
Die fünfte Abteilung umfafste die Wandkarten und Atlanteu
unsrer kartographischen Institute von Perthes, Reimer, Ilölzel,
Wagner, Debes, Fischer, Bamberg; die neue ethnographische Karte
von Asien und die prächtige Alpenkarte von Vincenz vom Hardt
(Holzels Verlag), sowie die Habenichtsche Karte von Afrika und
die Höhenschichtenkarte von Deutschland (J. Perthes Verlag) fielen
besonders in die Augen, nicht minder die vorzüglichen geographischen
Charakterbilder von Holzel. Lange Tische waren bedeckt mit den
geographischen Verlagsartikeln von Brockhaus, Hirt, Fues (R. Rci-
chard) u. v. a. — kurz, der Saal bot ein anschauliches und zugleich
hocherfreuliches Bild der den deutschen Schulen zur Verfügung
stehenden Lehrmittel auf geographischem Gebiet.
Zur Erleichterung und Anbahnung des persönlichen Verkehrs
der Besucher der Versammlung untereinander hatte der Ortsauschufs
die bei den vorhergehenden Geographentagen üblichen Veranstaltungen
getroffen. Für den Sonnabendnachmittag hatte die Stadt Karlsruhe
die Teilnehmer zu einer Besichtigung des städtischen Entwässerungs-
kanals und zur Fahrt an deii Rhein eingeladen und am Abend ver-
anstaltete sie zu Ehren derselben ein Bankett im grofsen Saale der
städtischen Festhalle. Professor Kirchhoffs Dank im Namen der
Gäste an Karlsruhe, „die jugendliche Stadt auf dem jugendlichen
Boden des einstigen Rheinsees“, welche durch den siebenten Geo-
graphentag die „böse Sieben“ in eine gute verwandelt habe, fand bei
allen Teilnehmern vollste Zustimmung.
155
So hat sich denn der 7. deutsche Geographeutag nach jeder
Seite hin seinen Vorgängern in Berlin, Halle, Frankfurt a. M.,
München, Hamburg und Dresden würdig an die Seite gestellt, die
Stadt Karlsruhe kann mit Genugthuung auf denselben zurückblicken
und den Teilnehmern werden die anregenden und schönen Tage
uoch lange eine angenehme Erinnerung bleiben.
Kleinere Mitteilungen.
§ Aas der Geographischen Gesellschaft in Bremen, ln den Tagen vom
20. April bis 7. Mai d. J. veranstaltete nnsre Gesellschaft wiederum in Bremen und
zwar im Saale der Börsenhalle, eine Ansstellung (die fünfte): dieselbe war der
vergleichenden Völkerkunde der westlichen Südsee, besonders der
deutschen Schutzgebiete gewidmet und enthielt lediglich die von unsrem
EhrenmitgUede Herrn Dr. 0. F i n s c h auf seinen Reisen in der Südseo gemachten
reichen Sammlungen, soweit solche nicht bereits in den Besitz des Königlichen
Museums für Völkerkunde in Berlin übergegangen sind. Ober den Inhalt der
Ausstellung giebt der 25 Seiten starke Katalog Auskunft, welcher den die Aus-
stellung besuchenden Hiesigen im Ansstellungslokale behändigt wurde und für
die auswärtigen Mitglieder und Freunde der Gesellschaft, sowie für die geehrten
Abonnenten der Zeitschrift dieser Nummer beigelegt ist. Die Ausstellung war
in folgenden Abteilungen geordnet: Werkzeuge und Gerätschaften, Hausbau,
Ackergeräte, Haus- und Kochgeräte, Töpferei , Kochkunst , Korbflechterei ,
Tauwerk, Bindfaden und Material dazu, Strickarbeiten, Fischerei und Gerät-
schaften dazu, Fahrzeuge, Flechtarbeiten, Weberei, Bekleidung, Schmuck und
Zierrat, prähistorische Funde, Musikinstrumente, Tanzgerätschaften, Idole, Talis-
mane und dergleichen, Waffen und Wehr, endlich Handelsprodukte der west-
lichen Südsec. Über Bedeutung und Wert der Ausstellung verbreitete sich ein
von unserm Vorstandsmitglieds Herrn Dr. Opp el gehaltener Vortrag, dessen
Inhalt weiter unten etwas näher charakterisiert wird. Die Gesellschaft ist ihrem
Ehrenmitgliede Herrn Dr. Otto Finsch in hohem Mafse za Dank verpflichtet,
einmal für die Bereitwilligkeit zur Ausstellung seiner wertvollen Sammlungen,
sodann für die grofse Mühe und Aufopferung, mit welcher er die ganze Arbeit
der Aufstellung der zahlreichen Gegenstände, sowie der Katalogisierung derselben,
auf sich genommen hatte. Wir haben selten eine Ausstellung dieser Art ge-
sehen, welche so wie diese trefflich geordnet den Zweck der Belehrung in vollem
Mafse zur Geltung brachte. Die in der Tagespresse veröffentlichten Berichte
waren denn auch einstimmig in anerkennenden Urteilen. Leider war die Aus-
stellung nicht so zahlreich besucht, wie man hätte erwarten sollen. Die Auf-
merksamkeit des in der Zahl immerhin beschränkten Publikums, auf dessen
Teilnahme man in Bremen überhaupt für solche Ausstellungen rechnen kann,
war leider geteilt, denn es fanden zur selben Zeit eine historische Ausstellung
im Rathause und sodann ein Bazar zum Besten der Errichtung einer Schwimm-
halle statt. Im ganzen wurde die Ausstellung von 864 Personen (627 Erwachsene
mid 237 Schüler) besucht. Der Eintrittspreis war, um jedermann Gelegenlir
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znm Besuch zu geben, nur 50 die Person. Da nun Saalmiete, Aufsicht, Druck
des Katalogs, sowie die täglichen Anzeigen in den öffentlichen Blättern nicht unerheb-
liche Ausgaben erforderten, so sind leider die Einnahmen hinter den Ausgaben
um 410 »ff 60 /3) zurückgeblieben, welcher Fehlbetrag aus der Kasse der Gesell-
schaft zu bestreiten ist. Immerhin hat die letztere wiederum durch diese schöne
Ausstellung einen thatkräftigen Beweis geliefert, dafs sie ihre durch das Statut
gestellte Aufgabe der Verbreitung von Kenntnissen der Länder- und Völkerkunde
unausgesetzt im Auge behält und dafür wirkt, soweit es ihre durch die beschränkte
Zahl der Mitglieder leider geringen Mittel nur irgend erlauben.
Die am 2. Mai im roten Saale der Union stattgehabte Versammlung der
Gesellschaft war nur schwach besucht. Zunächst sprach Herr Dr. 0 p p e 1 über
die gegenwärtig von der Gesellschaft aus den Sammlungen des Herrn Dr. Finsch
veranstaltete Südseeausstellung. Die letztere, so führte der Redner aus, habe
einen nationalen und einen wissenschaftlichen Wert, den ersteren insofern, als
sie die Einwohner deutscher Schutzgebiete genau darstelle. Nach der wissen-
schaftlichen Seite hin seien zwei Gesichtspunkte mafsgebend : einmal die Körper-
beschaffenheit und Abstammung, sodann die Lebensformen und Lebensäufserungen,
die gesamte Kultur der Völker. Was die Körperbeschaffenheit betrifft, so führte
der Redner aus, dafs Dr. Finsch durch seine anthropologischen Studien,
Messungen, Gipsabgüsse von Köpfen u. a. in die bis dahin ziemlich verworrenen
ethnologischen Verhältnisse der Inselwelt von Australien Klarheit gebracht habe.
Er betonte den Unterschied zwischen Melanesiern oder Papuanen und Ozcaniern.
Der Einblick in die Lebensbedingungen dieser bisher noch in der Steinzeit
lebenden Naturvölker sei nicht blos an sich, sondern auch wegen der Aufschlüsse
interessant, welche wir dadurch für unsre sogenannte prähistorische Zeit, für
das Leben der europäischen Pfahlbaubewohner gewinnen. Sodann ging der
Redner, in Erinnerung an die zahlreichen Gegenstände der Ausstellung, näher
auf die gewerbliche Kunstfertigkeit der Melanesier ein ; dieselbe habe sich bisher
noch in ihrer Ursprünglichkeit erhalten, während die Ozeanier mehr und mehr
sich die notwendigen Bedarfsgegenstände an Geräten und Werkzeugen durch
Tausch von den Europäern verschaffen. Auch in der besonders bei den Neu-
seeländern ansgebildeten Kunst des Tättowierens bekunde sich die Neigung zu
Zierrat und Ausschmückung. Die Bedürfnislosigkeit, das warme Klima, der
fruchtbare Boden bedingen es, dafs die Arbeiten sich auf ein geringes Mafs, in
der Fischerei, der Jagd und der Bodenkultur mit Bäumen und Knollengewächsen,
beschränken. Mit dem Ausdruck der Anerkennung für Dr. Finsch, der durch
seine mit so viel Talent und Ausdauer durchgeführten Sammlungen und
Beobachtungen der Wissenschaft einen grofsen Dienst erwiesen und mit dem
Wunsche, dafs die nur noch wenige Tage währende Ausstellung vom Bremer
Publikum mehr wie bisher gewürdigt werden möge, schlofs der Redner seine
Mitteilungen.
Sodann hielt Herr Ministerresident z. D. Dr. Schumacher einen Vortrag
über die amerikanischen Studien von J. G. Kohl (f 28. Oktober 1878),
welche in dessen Biographien, z. B. in denen von H. Bulthaupt und W. Wolken-
hauer, noch nicht die volle Beachtung gefunden haben, die sie zu verdienen
scheinen. Aus dem litterarischeu Nachlafs, der bei der Geographischen Gesellschaft
hinterlegt ist, waren Karten in reicher Menge ausgehängt, teils Handzeichnungen,
teils edierte Urkunden, teils als Illustrationen von Schriften verwandte Blätter,
aufserdem auch einer von Kohls eigenen Kartenentwürfen : der zur Entdeckungs-
4 es Golfstromes. Der Vortrag schilderte die Umstände, unter denen Kohl
157
1853 die bisher mit ziemlichem Erfolg betriebene Reiseschriftstellerei und auch
die Anfänge seiner wissenschaftlichen Geographie aufgab und sich plötzlich dem
Geschichtsstadium zuwaudle, besonders angeregt durch den ersten Band der
Veröffentlichungen der Londoner Hakluyt-Society. Zu dem grofsartig angelegten,
aber inhaltlich unbedeutenden Werke über die Entdeckung der neuen Welt von
Columbus bis zur Gegenwart kam sehr bald nicht blos eine Reihe von Vor-
lesungen in Dresden und Berlin, sondern auch eine Sammlung alter Karten in
Gotha, Weimar, München u. a. 0. Diese Kollektion wurde bald die Liebhaberei
von Kohl, obwohl er meist nur den antiquarischen Wert zu schätzen Vorstand,
keineswegs immer den eigentlich historischen, da ihm die nötigen mathematischen
und nautischen Kenntnisse fehlten. „In der Hoffnung, dafs ihm einmal in
Amerika etwas gelingen werde“, begab sich Kohl 1854 nach Paris und London*
wo er, der liebenswürdige Reiseschriftsteller, schon zahlreiche Freunde besafs,
und ebenso ausgedehnte wie glückliche Archivstudien machte. Dann ging’s nach
den Vereinigten Staaten, wo sowohl das Geschichtswerk als auch die Karten-
sammlung verwertet werden sollte. Das erste mifsglückte, dagegen fanden sich
zu Washington in Alexander Dal las Bache, dem Chef des Küstcnvermessungs-
amtes, und in Joseph Henry, dem Vorsteher der Smitlisonian-Institution, Personen,
welche sehr bald für die Kartcnsammlung sich interessierten, auf welche Kohl
die Aufmerksamkeit durch eine Menge kleiner Vorträge und Artikel zu lenken
verstand, welche zum Teil recht wertvoll sind, besser als die früheren und auch
als die späteren. Bald nachdem er von längeren, an den cauadischcn Seen und
im Mississippithalc ausgeführten Reisen nach Washington zurückgekehrt war,
bewilligte ihm der Kongrefs GOOO Dollar, um Kopien der Kartensammlung an-
fertigen zu lassen.
Während dieser Kopierung von 474 Blättern, die im vorigen Jahre von
Justin Winsor in wissenschaftlicher Weise katalogisiert worden sind, verlor sich
Kohl immer mehr in den Gedanken, dafs die alten Karten geeignete Illustrationen
zu modernen Geschichtsdarstellungen abgäben. Aufserdem gedachte er seine
historischen Studien, seine Kartenpausen und die neuen Aufnahmen des Küsten-
vermessungsamtes zu einem grofsen Werke zu verarbeiten, welches die See-
küsten der Vereinigten Staaten in 4 Bänden darstellen sollte; er behandelte zuerst
die Westküste, dann die Südküste und endlich, namentlich in Haward College
bei Boston, die überaus reich gegliederte Ostküste, die ihm, wie die Karten-
manuskripte noch heute beweisen, viele Schwierigkeiten bereitete, aber auch
manche gute Erfolge einbrachtc.
Die Krisis von 1857 vereitelte die Herausgabe dieses Werkes, in welchem
Kohl alles nicdergelegt. hatte, was er über die Küstenlande der Vereinigten
Staaten gelesen, gehört oder gedacht hatte; die Routen der verschiedenen See-
fahrten, Landexpeditionen, die Ermittelung der Strömungen, Buchten und Flufs-
mündungen, die neue Namengebung und die alten Indianerbenennungon, die
Entwickelung der Hafenstädte u. a. Im Juni 1858 kam Kohl mit einem Teil
dieses Manuskriptes nach seiner Vaterstadt, in welcher er allmählich sefshaft
wurde, obwohl er von ihr von 1830 bis 1858 abwesend gewesen war. Er gab
nun als Krönung seines Kartenstndiums die beiden ältesten Generalkarten von
Amerika, die in Weimar aufbewahrten von 1527 und 1529, heraus: ein Pracht-
werk, welches als Urkundenedition den Werken von Jomard, Kunstmann n. a.
ebenbürtig ist, aber doch in der Behandlung als Geschichtsquelle die Schwächen
Kohlscher Arbeitsweise hervortreten liifst. Zn gleicher Zeit gestaltete Kohl
seine schon veraltete Dresdener Geschichte der Entdeckung von Amerika zu
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Vorlesungen um, die er im Bremer Museum hielt und dann drucken liefs, mit
einigen sehr anerkennenswerten Ausnahmen unbedeutende Sachen, welche
zeigten, dafs keine selbständige Forschung, sondern nur emsige Lektüre zu
Grunde lag.
In der That waren die amerikanischen Studien mit dem Jahre 1863 zu
Ende; allein es war Kohl vergönnt, aus den in Amerika begonnenen Arbeiten
erhebliche Stücke noch nachträglich zur Veröffentlichung zu bringen, z. B. die
Geschichte der Entdeckung der Ostküste der Vereinigten Staaten und die der
Fahrten nach der Magelhaensstrafse ; die Reisen nach dem höchsten Norden
Amerikas sind stückweise veröffentlicht, aber ganz im Zusammenhang beschrieben
worden; für eine Schrift über die grofsen Binnenseen Nordamerikas sind nur
die Karten druckfertig gestellt.
Der Vortrag, dessen reiche Details hier nur angedeutet werden können,
wird in einem späteren Hefte der Geographischen Blätter abgedruckt werden.
Derselbe ging auch auf verschiedene der vorgelegten Handzeichnungen näher
ein, unter denen die den Golfstrom darstellende von Benjamin Franklin und
die Walther Raleigh zugeschriebene vom Orinoko besonderes Interesse erregten.
Obwohl sachliche Kritik keineswegs gespart wurde, traten doch auch immer
die vortrefflichen Seiten des arbeitseligen Mannes hervor, dessen Name in den
Vereinigten Staaten einen noch gröfseren Ruf hat, als bei uns in Deutschland.
Unsre Geographische Gesellschaft wird nun mehr als bislang die Aufgabe zu
erfüllen suchen, von Kohls amerikanischen Arbeiten die wertvolleren, die meist
zerstreut, ja geradezu versteckt sind, unsrer Zeit wieder ins Gedächtnis zu
rufen, wie Justin Winsor dies im vorigen Jahre mit der Kohlschen Kartcn-
sammlung auf so anerkennenswerte Weise gethan hat
Vom Niger-Benue. Anknüpfend an meinen Artikel „Vom Niger-Benuc-
Gcbiet und seinen Handelsverhältnissen“ in Band IX, Heft 4 der
„Deutschen Geographischen Blätter“ und zur näheren Erklärung und dein
besseren Verständnis des daselbst Gesagten erlaube ich mir noch nachstehend
über die nunmehr zum Teil veränderten Verhältnisse einiges zu be-
merken. Vieles davon verdanke ich dem im Januar zurückgekehrten wackeren
Führer unsrer — leider überaus kleinen und für den Benue viel zu tief
gehenden — Dampfbarkasse,*) Herrn Thiel. Die Barkasse ist, wie ich bemerken
will, der englischen Mission in Brafs verkauft worden. Die Engländer betrachten
bekanntlich seit dem Sommer 1886, in welchem die „national African Company“
die royal charter bekam, den unteren Niger und Benne als ihren Besitz. Die
Company nannte sich von nun ab „Niger-company“ und setzte aufserordentlich
hohe Zölle fest. Mit einigen Ortschaften am Niger kam es zum Kriege.
Englische Kriegsschiffe fuhren den Niger hinauf, mehrere gröfsere und kleinere
Ortschaften wurden beschossen, einige dem Erdboden gleich gemacht. Eine
derbe Züchtigung erfuhren namentlich die Anwohner des Wari-creek. Auf
*) Es sei hier darauf aufmerksam gemacht, dafs der Benue zur
trockenen Zeit auf weite Strecken nur höchstens zwei Fufs
Wasser hat, dafs aber der höchste Wasserstand um 20 bis 30, ja zuweilen
bis 40 Fufs höher ist. Für Böte von sechs Fufs Tiefgang ist der Benue vom Juni
bis Oktober schiffbar. Schiffe bedeutenden Tiefgangs können etwa von Ende
Juli bis Oktober (Mitte) fahren. Die Regenmenge in den verschiedenen Jahren
und somit die Wassertiefe der Ströme ist eine sehr verschiedene. E. H.
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englischer Seite sollen nur Verwundungen vorgekomincn sein. Ebenfalls am
Benne wurde furchtbar Gericht gehalten. Schiffe der Niger-company zerstörten
die Orte der Muntsclii-Neger, mehrere Häuptlinge wurden erschossen — eine
jedenfalls sehr angebrachte Strafe für die Ermordung des englischen Agenten
im Jahre 1885(86. — In Onitscha am Niger ist eine Truppenstation eingerichtet,
die dortigen Faktoreien der Company nach Abutschi konzentriert. Die Einfuhr-
zölle — für Spirituosen etwa 100 Prozent, wie mir berichtet wurde — sind außer-
ordentlich hoch, die Einfuhr von Gewehren und Patronen gänzlich verboten.
Nur für die im oberen Benue den Hauplhandelsartikel bildenden leichten Zeuge
und Glasperlen u. a. sind die Einfuhrzölle verhältnismäfsig niedrig. Auch Ausfuhr-
zölle, namentlich für Elfenbein, sind eingeführt, doch nicht unerträglich hoch.
Überblickt man diese Einrichtungen, so wird ersichtlich, dafs der Handel mit
Palmöl und dergleichen in den unteren Nigerdistrikten allen Konkurrenten der
nunmehrigen Niger-company ganz unmöglich gemacht worden ist. Auch der
Handel der in B ra f s bestehenden englischen Faktoreien andrer Häuser liegt z. Z.
fast gänzlich brach. Die eingeborenen Brafsleute, die das Ol stromaufwärts
kauften und nach Brafs hinunterbrachten, sind ihres Erwerbs beraubt und
befanden sich im Januar 1887 in gröfster Aufregung und Kriegsbereitschaft.
Nur noch in den oberen Bennegebieten, wo Stoffe und Glasperlen die Haupt-
handelsprodukte bilden, ist cs möglich für englische tind andre europäische
Unternehmer, Elfenbein zu erhandeln. Mit allzu geringen Kapitalien dürften
solche Unternehmungen freilich leicht fehlschlagen, aber Versuche mit einiger-
maßen erheblichem Kapital mögen immerhin von Erfolg gekrönt sein. Der
Reichtum an Elfenbein ist noch immer sehr groß und ich kann uur meine auf
Seite 331 Band IX, Heft 4 ausgesprochenen Worte wiederholen und nochmals
darauf hinweisen, dafs jene Gebiete noch fast eine terra incognita sind und das
Pflanzenreich und die Tiefen der Berge in späterer Zeit noch manch ungeahnten
Reichtum zeigen werden. Zur Beschönigung des ungesunden Klimas im Innern
wie an der Küste vermag ich freilich keine Loblieder unzustiinmen, aber wir
lernen mit der Zeit gewiß noch besser den Schädlichkeiten jener Gegenden
entgegentreten. Ernst Harter t.
§ l’olarregionen. Die Erforschung der Neu-Sibirischen Inseln
ist jetzt erfolgt, vor einiger Zeit ist die unter Führung des Dr. Bunge von der
Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften in St. Petersburg nach den Neu-
Sibirischen Inseln ausgesandte Expedition zurückgekehrt und wir haben dem-
nächst einen ausführlichen Bericht zu erwarten. Einige Notizen können schon
jetzt gegeben werden. Gegen Ende März 1886 brach Dr. Bunge von Kasatschje
nach Swjätoj Noss auf, von wo die Fahrt über das Eis zu den Inseln in 19 von
12 Hunden gezogenen Schiitton begann. In der zweiten Hälfte des April kehrten
die Jakuten mit den Schlitten zurück, die Reise war glücklich ausgeführt.
Dr. Bunge widmete seine Forschungen zunächst den Ljachow-Inscln, während
Baron Toll sich nach Kotelnyi und nach Neil-Sibirien begab. Im Mai trafen
beide Reisende am Südufer der Kessel-Insel (Kotelnyi) zusammen. Die Ljachow-
Inscln haben ein gleichförmiges schroffes Aussehen. Der Umfang wird auf 300 km
angegeben. Die Oberfläche ist bergig. Vorwiegend wehen die Winde aus Ost
und West; besonders heftig sind die Westwinde, sie bringen erst Regen und
dann Frost. Der Winter währt bis Anfang Juni, aber auch der kurze Sommer
ist nicht völlig frei von Schnee, Nebel und Stürmen. Große Massen Eises um-
gaben beständig die Inseln, nur einmal konnte Dr. Bunge eine Seefahrt ohne Eis
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macheu. Bei klarem Wetter erscheint nördlich von der Kessel-Insel, von letzterer
etwa 150 km entfernt, Land. Die Aussicht, dieses Land za erreichen, ist insofern
eine begründete, als ein in einer bestimmten Richtung fiiefsender warmer Strom
ein Dberfrieren der See hier verhindert. Die höchste auf den Ljachow-Inscln
beobachtete Temperatur war nur 8 1 ' R. Der Schnee schmolz Anfang Juni und
um Mitte Juni fand sich die erste Blume. Wilde Rentiere, Wölfe, Eisfüchse,
Mäuse und verschiedene Arten arktischer Vögel wurden augetroffen, doch nur
die Maus soll auch den Winter auf den Inseln zubriugen.
In Amerika beabsichtigt Alexander Mc. , Arthur, ein früherer Beamter
der Hudsons-Bai-Kompauie eine drei- bis vierjährige Polarreise; zunächst will er
■yi der Westküste der Hudsons-Bai nach King Williams - Laud eindringen, dort
überwintern und sodann den Lancaster-Sund kreuzend längs der Westküste
von North-Devon nordwärts ziehen. Dr. Boas setzt in der amerikanischen Zeit-
schrift ^Science - auf Grurtd seiner Kenntnis der Verhältnisse auseinander, dafs
die Passage über den Lancaster-Snnd ihre Schwierigkeiten haben dürfte, da die
Eskimos diese nur in günstigen Jahren, wenn eine genügende Eisdecke vor-
handen, mögliche Passage selten unternehmen. — Oberst Gilder war, wie wir
s. Z. meldeten, im Herbst v. J. nach Fort Churchill an der Hudsons-Bai gegangen,
um von da zu Schiff zunächst die Nottingham-Insel zu erreichen ; er traf indes
zu dieser mit einem Fahrzeug der Hudsons-Bai zu unternehmenden Fahrt zu
spät ein und verbrachte den Winter in Newyork, während sein Gefährte Griffith
in Forth Churchill zurückblicb. Nach den letzten Nachrichten war Gilder im
Begriff, wie der zur Hudsons-Bai aufzubrechen. Gilder gedenkt sich den Eskimos
des Wagerflusses, dieer als Teilnehmer der Schwatka'schen Schlittenreise durch
King Williams-Land kennen lernte, anzuschliefsen und mit ihnen im Frühjahr 1888
Iglulik in der Fury- und Hecla-Strafse nnd im Sommer oder Herbst desselben
Jahres Lancasiter-Snnd zu erreichen. Mit Dr. Boas bedauern wir, dafs Männer,
die sich die Erforschung unbekannter Regionen zur Aufgabe machen, nicht vor-
ziehen, sich zu Schiff so weit wie möglich nach Norden bringen zu lassen, um
dann erst ihre Kräfte zum weiteren Vordringen polwärts einzusetzen, statt die-
selben schon früher auf Wanderungen durch mehr oder weniger bekannte
Gegenden in Anspruch zu nehmen. Von diesem Gesichtspunkte wäre die Er-
forschung des Jones - Sundes eine dankbare nnd bedeutende Aufgabe gewesen.
Ans Rnfsland wird gemeldet, dafs K. D. Kossiloff, bisher im Dienste des
Herrn Sibiriakoff zur Erkundung der Wegsamkeit des nördlichen Ural tätig,
ausgedehnte Untersuchungen anf Nowaja Semlja anstellen will.
Von Schottland (Peterhead, 22. Februar) schrieb uns Kapitän Gray
folgendes: Ich gehe nun doch noch wieder auf die Grönlandsfischerei, indessen
erst im April, nicht wie bisher schon Anfang März. Wir haben nämlich gefunden,
dafs der Seehundsfang sich nicht mehr lohnt, vielmehr nur der Walfang
durch die hoch im Preise stehenden Barten. Ich hatte grofsc Lust, den
Walfang im antarktischen Meere zu versuchen und zwar mit den Dampfern
-Erik* und ^Eclipse“, ich würde es gethan haben, wenn ich Personen gefunden
hätte, die willig gewesen wäreu, das Risiko der Hälfte der Kosten des Unter-
nehmeus zu überuchmeu. Bei einem Fehlschlag würde dann der Schaden für
mich nicht gar zu grofs gewesen sein, doch ich fand nur wenige bereit, sich auf
eine, wie sie meinten, so gewagte Sache einzulassen.
In Dänemark wird die Anssendung einer Expedition nach dem nördlichen
Teile der Ostküste von Grönland geplant. Die Führung des Schiffes wurde
Leutnant Hovgaard, bekannt von der „Dymphna^-Expedition, überwiesen und will
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der Rheder und Grofskaufmann, Herr Gamel in Kopenhagen, die Kosten be-
streiten. Boi günstigeren Eisverhältnissen als sie die Deutsche Expedition, die
„Germania“, im Sommer 1870 und 1871 antraf, ist es vielleicht möglich, eine
höhere Breite zu erreichen, als die „Germania“. Aus den Berichten des
Kapitän Gray wissen wir, dafs das Grönlandsmeer vor der Ostküste in manchen
Sommern viel höher nach Norden eisfrei war, als in den genannten Jahren.
In No. 3, Teil 3, zweite Serie der Zeitschrift der Niederländischen geo-
graphischen Gesellschaft veröffentlicht M. Buysman einen Aufsatz über Natur,
Klima und Pflanzenwelt der arktischen Gegenden, besonders von Grönland.
Der Plan der Aussendung einer von den englisch-australischen Kolonien
auszurüstenden Süd-Polarexpedition rückt seiner Verwirklichung näher.
Der bekannte englische Polarreisende Allen Young hat sich zur Führung der
Expedition erboten. Die Regierung der Kolonie Viktoria ist um Unterstützung
des Unternehmens angegangen und es wird schon die Aussendung der Expe-
dition von Melbourne im Oktober oder November d. J. in Aussicht genommen.
Alaska. Vom Geological Snrvey in Canada wird eine geologische
Untersuchung des oberen Yukongebict.es geplant, mit deren Leitung
der durch seine Forschungen in Britisch Columbien rühmliehst bekannte
George M. Dawson beauftragt ist. Ein Zweig der Expedition soll unter Führung
von Ogilvy durch das Stakeenthal hinaufgehen, dann über das Felsengebirge
zum Liardflnfs und nach Überschreitung der Wasserscheide den Pellyfiufs bis
zu seiner Mündung in den Ynkon bei Fort Selkirk verfolgen, wohin der andre
Zweig der Expedition auf dem Wege durch den Lynnkanal gelangen soll. Von
hier aus sollen dann kürzere Forschungsreisen nach verschiedenen Richtungen
unternommen werden. Ogilvy soll den Winter 1887/88 im Lande bleiben,
während Dawson noch in diesem Herbste auf dem Wege über den Lynnkanal
zurückkehren will. („Science“ No. 218) — Das Maiheft der „Proceedings“ der
Royal Geogr. Society bringt den von Seton Karr in der Sitzung vom 14. März
gehaltenen Vortrag über die alpinen Gebiete von Alaska. Leutnant
Seton Karr war in der Absicht nach Amerika gegangen, die Gletschergebiete an
der Grenze von Britisch Amerika und Alaska zu besuchen. In Victoria traf er
mit der Schwatkaschen Expedition zusammen, welche zu gleichem Zwecke von
der „Newyork Times“ ausgerüstet war. Seton Karr sohlofs sich dieser Expe-
dition an ; das amerikanische Kriegsschiff „Pinta“ brachte dieselbe von Sitka
nach Icy Bay, von wo aus der Aufstieg auf den 19 500 ' hohen Mt. St. Elias
unternommen werden sollte. Nach Seton Karrs Darstellung, die mit derjenigen
Schwatkas nicht in allen Punkten übereinstimmt, war die Expedition für ein
solches Unternehmen nicht hinreichend ausgerüstet, namentlich fehlte den
einzelnen Mitgliedern derselben die Erfahrung in Hochgebirgstouren. In einer
Höhe von 5100' mufste Schwatka, der aufser durch sein grofses Körpergewicht
durch Unwohlsein behindert wurde, Halt machen. Seton Karr stieg dann
allein bis zu 7200' hinauf; doch schon bei 6500' hatte er die Kammhöhe
erreicht, von der sich ein freier Blick über weite Schneefelder nach allen
Seiten hin bot. — Auf der Rückkehr trennte sich Seton Karr in Yakatat von
der Expedition, um auf einem Ilandelsschuner noch den Prinz Wilhelm-Sund und
die Insel Kodiak zu besuchen. — Eine. Karte des südlichen Alaskas mit einem
Spczialplan des Eliasberges ist zur Orientierung beigegeben. Eine in dem vor-
liegenden Bericht ausgesprochene Behauptung Seton Karrs, dafs der Eliasberg
mehr als 30 Meilen von der Küste entfernt und östlich vom 141. Längengrad,
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also auf britischem Gebiet gelegen sei, hat in Amerika vielfachen Widerspruch
erfahren, ln der zweiten Nummer des in San Francisco erscheinenden „Kosmos"
hält Prof. Davidson die Dichtigkeit der älteren Angabe aufrecht. A. K.
Kritisch Columbien. Dr. Franz Boas giebt in der „Sciencc t vom 25. März
dieses Jahres einen vorläufigen Bericht über die Ergebnisse seiner Forschungen
in Britisch Columbien. Er unterscheidet auf Vancouver und dem gegenüber-
liegenden Festlandc drei verschiedene Sprachstämme, die Wost-Yancouverstämme
an der Aussenküste, die Sclishstämmc im Südosten der Insel und an der
gegenüberliegenden Festlaudsküste, die Kwakiutl im Norden von Vancouver und
auf dem Festlande bis zum Gardner Kanal. Zu den Selish gehören auch die
Bilhula am Bentinck Arm, welche jedoch durch die Kwakiutl von den Küsten-
Selisli getrennt sind und einen mehr abweichenden Dialekt sprechen. In den
Mythen der Vancouverstämme spielt der Babe nicht mehr dieselbe Bolle wie in
denjenigen der Tlingit, Haidas und Tsimpshians. Boas fand wohl noch zahl-
reiche Spuren dieser Babenlegcnde, doch waren sie verwischt und ohne Zu-
sammenhang. Das höchste Wesen der Kwakiutl ist Kantsoump, ursprünglich
vielleicht mit der Sonne ident. Er sandte seine beiden Söhne Kanikilak und
Nomokois auf die Erde, welche dort von dem W'eibe des Spechts geboren
wurden. Kanikilak durchzog dann die ganze Welt, befreundete sich mit allen Häupt-
lingen und verwandelte alle bösen Menschen in Tiere. Ähnliche Überlieferungen
finden sich bei allen Stämmen vom Puget Sund bis zu den Tsimpshians. Die
Süd-Yancouverstämme schreiben dem Mink all die Thaten zu, welche weiter im
Norden vom Baben erzählt werden, die Quomoks kennen Baben- und Miuk-
Legenden, erstere beziehen sich auf die Gefräfsigkeit des Baben, letztere haben
einen stark erotischen Charakter. Eine besondere Überlieferung besitzen die
Bilhula. Sie sagen, dafs nachdem der Rabe die Sonne erschaffen hatte, vier
Männer, Masmasalanigh, Yubatimot, Matlapalitsek und Matlipekoagh vom Himmel
herabstiegen und alles erschufen. Dieselbe Sage findet sich in ähnlicher Form
bei den Hciltsuk wieder, wiewohl diese einem andern Sprachstamme angehören.
Der vielberufeue rituelle Kannibalismus wird von den Kwakiutl, Tsimpshian,
Bilhule und Quomoks geübt. Nach der Sage der Kwakiutl stieg einer ihrer
Vorfahren mit einem aus der Binde der ersten Zeder gefertigten Ringe vom
Himmel und lehrte dem. Volke die kannibalischen Gebräuche. Die Tsimpshian
dagegen erzählen von einem Mann, der bei der Verfolgung eines Bären zu
einem Berge kam, der sich hinter ihm schlofs. Im Innern lernte er die Gebräuche
und nach der Rückkehr lehrte er sie seinem Stamme. Die Quomoks haben nur
einen Teil der Zeremonien angenommen. An Stelle der zu verzehrenden Leichen
machen sie künstliche, indem sie an ein menschliches Skelett getrocknete Heil-
butten nähen. Ein bemerkenswerter Gegensatz findet sich bei den gesellschaft-
lichen Einrichtungen der Tsimpshian, Tlingit und Haida einerseits und den
übrigen Stämmen andrerseits. Bei ersteren folgen die Kinder der Mutter, bei
letzteren dem Vater. Es zeigt dies eine nähere Verbindung der Kwakiutl und
Selish an, welche auch durch eine gewisse Verwandtschaft der beiderseitigen
Sprachen bestätigt zu werden scheint. Jeder Stamm zerfällt in eine Anzahl
von Geschlechtern, deren Mitglieder nicht unter einander heiraten dürfen. Doch
ist die gegenwärtige Verteilung der Stämme und Geschlechter noch sehr unge-
nügend bekannt; überhaupt liegt, wie Boas bemerkt, für einen Ethnologen in
Britisch Columbien noch ein sehr günstiges Arbeitsfeld vor. Doch rnnfs dasselbe
schleunigst in Angriff genommen werden, da in wenigen Jahien die ursprünglichen
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Zustände der eingeborenen Bevölkerung verschwunden sein werden. — Eine
diesen interessanten Mitteilungen beigefügte Kartenskizze giebt ein Bild von der
gegenwärtigen Verteilung der eingeborenen Stämme auf Vanconver und der
benachbarten Festlandsküste. A. K.
Aus .Ncu-Uuinea. Der Inhalt des Heftes II. 1887 der von der Neu-Guinea-
Kompanie zu Berlin herausgegebenen Nachrichten über Kaiser Wilhelms-Land
und den Bismarck-Archipel ist bereits in Heft I. dieser Zeitschrift besprochen.
Dem Berichte des Dr. Hollrung über seine Beobachtungen der Vegetations-
verhältnisse von Hatzfeldthafen entnehmen wir noch das Folgende: -Der Wald
bedeckt die Umgebung der Wasserläufe und diejenigen Strecken, woselbst thonige
Schichten den Untergrnnd bilden. Der Charakter des Waldes ist strichweise ein
recht verschiedener. Erinnern einige nahe der Küste befindliche Partien durch
ihre dichtstämmigen, himmelanstrebenden, dicht belaubten Baumriesen, durch
die schlanken, dünnen Stämme des Unterholzes, sowie durh das vollständige
Fehlen monokotyledonischer Pflanzen lebhaft an den deutschen Wald, so ver-
leihen anderseits die namentlich am Fufso der Berge sich hinziehenden Be-
stände von Fächerpalmen, die ersten, welche ich in Kaiser Wilhelms-Land bisher
sah, sowie Calamus Rotang mit seinen laugen, dicken, stacheligen Stengeln, die
sich iii kühnen Windungen bis in die Kronen der höchsten Bäume hinaufwinden,
und den schön geformten, durch ihren Besatz mit Widerhaken aber oft unan-
genehm wirkenden Blätter dem Walde eine ausgesprochen tropische Physiognomie.
Dieser Eindruck wird verstärkt durch die bald herabhängenden Fellen, bald
grofsen Bechern mit zerfetztem Rande, bald dem Kopfputze der Eingeborenen
gleichenden, bald am Boden, bald hoch oben in den Bäumen wachsenden Farn-
kräuter, die mächtigen Baumfarn (hauptsächlich Alsophila armata), durch die
zahlreichen Orchideen, das Blumenrohr und wilden Ingwer. Unter den Lanb-
bäumen ist der wilde Muskatnufsbaum wieder so häufig vertreten, dafs es den
Anschein gewinnt, es müsse der Boden für das Wachstum dieses Baumes ein
besonders geeigneter sein. Mehrere Sorten Nutzhölzer sind bereits von der
Station eingesandt worden. Es finden sich aufser diesen Nutzbäumen noch eine
Reihe sehr dickstämmiger vor, deren Holz zwar wegen der geringen Härte und
wegen der Färbung für den Export nicht besonders geeignet erscheint, für den
Bedarf im Schutzgebiete sicherlich aber verarbeitet zu werden verdient. Garcinia,
welche Gummigut liefert, fand ich nur in jungen Exemplaren. Dickschaftiges
Bambusrohr befindet sich in der Nähe von Tambcrro; das dünne Bambusrohr
fehlt dagegen gänzlich. Die Areca- und Caryotapalme kommen beide ziemlich
häufig vor und werden durch ihr zähes, festes Holz nutzbar. Der bereits oben
erwähnte Rotang tritt sehr häufig auf, die Eingeborenen flechten aus demselben
Fischkörbe, Armringe, Futterale für ihre Haare u. a., auch auf der Station
findet er bereits vielfach Verwendung. Die Sagopalme ist nur vereinzelt zu
bemerken. In ähnlicher Weise wie der harte Kern der Früchte von Phy-
tclephas, der Elfenbcinpalme, scheint mir auch der Kern von den Früchten der
Nipapalme zu allerhand kleineren Drechslerarbeiten verwertbar zu sein.“
Dr. Schilling, Arzt im Dienste der Neu-Guinca-Kompagnic, erörtert in der
Deutschen medizinischen Wochenschrift die klimatischen Verhältnisse Neu-
Guincas mit Bezug auf die Ansiedelung Weifscr. Er schliefst seine Erörterungen
mit folgenden Sätzen : Alles in allem genommen, so möchte ich mich einst-
weilen dahin resumiren, dafs man mit der Malaria in Kaiser Wilhelms-Land als
mit einer durch klimatische Einflüsse bedingten häufigen Erkrankung wohl
Jgle
D
164
auch weiterhin zu rechnen haben wird, dafs man aber in Rücksicht auf die
verhältnismässig leichte Form, in welcher dieselbe meist aufzutreten pflegt,
ernstlicho Bedenken gegen die Akklimatisationsmöglichkeit des Europäers nicht
hegen, vielmehr der zuversichtlichen Hoffnung Raum geben darf, dafs mit der
festeren Konsolidation der kolonisatorischen Grundlage auch in dieser Hinsicht
günstigere Verhältnisse eintreten werden. Die ungleich wichtigere Frage ist die,
was sich dein neuen Lande sonst für eine Zukunft erschliefst; mit der vor-
schreitenden Lösung dieser Frage wird sich diejenige der Akklimatisations-
fähigkeit, wenigstens für die Malaria, von selbst lösen.
Nachdem im vorigen Jahr das Vordringen des Naturforschers Forbes zn
den Gebirgen im Inneren von englisch Neu-Guinea hauptsächlich infolge unge-
nügender Mittel unterbrochen wurde, will die Regierung von Viktoria auf ihre
Kosten eine Expedition zum 0 we n-S tanley-Ge b i rge veranstalten und
hat die Leitung des Unternehmens dem Missionar Chalmers angeboten.
§ Die Auswanderung aus Italien. Einer vor kurzem in Italien er-
schienenen Schrift von Luigi Bodio über die italienische Auswanderung ent-
nehmen wir das Folgende. Die italienische Auswanderung ist zweierlei Art.
Die eine ist die Auswanderung behufs dauernder Niederlassung in überseeischen
Gebieten, die andre ist nur eine zeitweilige, bei welcher es sich, wie z. B.
bei den aus Deutschland nach Dänemark und den Niederlanden ziehenden
Zieglern, um Arbeit für eine bestimmte Zeit in einem der Nachbarländer
Italiens, also in Österreich, Deutschland, Frankreich, der Schweiz, Corsika und
Algerien und sodann Rückkehr nach der Heimat handelt Es sind dies haupt-
sächlich Maurer, Steinhaner, Arbeiter bei Eisenbahn- und Kanalbauten ; die Zahl
dieser letzteren, meist aus Italien, jährlich ausziehenden Arbeiter beträgt jährlich
zwischen 80 und 100 000. Die eigentliche Auswanderung, über See, belief sich
1878 auf 20000, in den drei folgenden Jahren auf je 40 000 Personen; sie war
1882: 66 000, 1883 : 68 400, 1884 : 58000, 1885 : 77 000. Diese Auswanderer
stammen zumeist aus Ligurien, Neapel, Venedig, der Lombardei und Piemont;
sie gehen nach Argentinien (1885 : 37 710), nach Brasilien (1885: 12311), nach
den Vereinigten Staaten (1885: 13 096) und nach Uruguay (1885: 1497); mithin
gehen bei weitem die meisten nach Südamerika. Nimmt man die gesamte
Auswanderung beider Arten des Jahres 1885 = 100 au, so gingen 21, «7 °/o nach
Frankreich, 10,7» •/» nach Österreich, 6,84 °/» nach Ungarn, 2,»i °/o nach der
Schweiz, 2,-w */» nach Deutschland, 5,»» */ 0 nach andren europäischen Ländern,
50,23 Wo gehörten zur Klasse der zeitweiligen Auswanderung, während 49,7; V»
für die Dauer auswanderten. Von diesen letzten gingen 25,« °/o nach den La
Plata-Staaten, 7, 93 nach Brasilien, 8,33 nach den Vereinigten Staaten. Betrachtet
man die gesamte Auswanderung des Jahres 1885 nach Ständen, so gehörten
70039 dem Stand der landwirtschaftlichen Arbeiter (50,32 °l » waren Männer
und Frauen im Alter von mehr als 14 Jahren) an, 29 428 (24 ,u°/») waren Tage-
löhner, 15 823 (11,37 °/») Maurer und Bildhauergehülfen, 12 506 (8,»» “/») waren
Handwerker und Künstler. Der Überschufs der der Zahl nach steigenden Be-
völkerung Italiens wird durch diese bedeutende Auswanderung doch noch nicht
ausgeglichen, denn während die Geburten die Todesfälle in dem Mafsstab von 11, 54
vom Tausend überstiegen, wurde die Bevölkerung durch die Auswanderung nur
um 2, »9 vom Tausend vermindert.
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165
§ Weiteres über ilio Kolanufs. In Heft I. 1887 dieser Zeitschrift machten
wir nach den) Vorträge des Dr. Hausmann in Bremen einige Mitteilungen über
diese afrikanische Frucht. Inzwischen wurde dieselbe kürzlich von dem hiesigen
Handelshause Friedrich Vietor Söhne von Westafrika in frischem Zustande ein-
geführt und in einer Anzahl von Exemplaren an das Droguenhaus Gehe & Co.
in Dresden übersandt. Nach einem Zirkular des letztgenannten Hauses ergänzen
wir unsre früheren Mitteilungen noch durch folgendes :
Die Kolanüsse werden von dem in Obergninea und Zentralafrika heimischen
Stinkbaume erzeugt, dessen botanischer Name verschiedentlich, mit Sterculia
acuminata, Sterculia cola, und Cola acuminata, angegeben wird. Er gehört zur
Familie der Stcrculiaccen und existiert in zwei Spielarten, die eine mit schmalen,
die andre mit breiten Blättern. Die Früchte dieses Baumes werden als Reiz-
und Nährmittel geschätzt; sie enthalten mehr Thein als die besten Kaffee- und
Theesorten, daneben ansehnliche Mengen Theobromin, sowie dreimal mehr
Stärke als die Kakaobohnen, wodurch die nährende Eigenschaft derselben erklärt
wird. Aufserdem sollen die Kolanüsse, was von Eingeborenen sowie euro-
päischen Reisenden übereinstimmend bestätigt wird, den Körper zur Ertragung
von Strapazen stärken, sowie als Arznei für Krankheiten der Eingeweide und
der Leber vorzüglich wirken. Die Zusammensetzung der Kolanüsse ist die
folgende :
Wasser
.. 13,65 °/o
Gummi u. Zucker
10,67 °/o
Thein
.. 2,13,
fettes Öl
1,52 -
Theobromin. . .
.. 0,23,
Rohfaser
20, IX) ,
Eiweifsstoff . . .
.. 6,33,
Ascho
3,20,
Stärke
. . 42,00 „
Verlust
0,27 ,
100 u /o
Der Handel mit Kolanüssen hat in den letzten Jahren bedeutend zu-
genommen und scheint einer weiteren Ausdehnung fähig zu sein, weshalb es
sich wohl empfehlen dürfte, einer Kultivierung des Stinkbaumes nach dem Vor-
bilde der Kaffee- und Kakaoplantageu näher zu treten. An der Goldküste wird
der Stinkbaum Bise genannt; Bise bio ist die unechte Kolanufs, die nach
den Untersuchungen von Heckei und Schlagdenliauffen gar kein Thein ent-
halten soll.
§ Aus Siiclwest-Florhla. Unser werter Freund und Mitarbeiter, Professor
W. H. Dali in Washington, schreibt uns unterm 22. Mai d. J. : Soeben kehrte
ich von einer sechswöchentlichen Untersuchung der Region am Caloosahatchie-
ilusse, Südwest-Florida, zurück. Diese Region, welche bedeutende plioeäne
Fossilienlager enthält, wurde im vorigen Jahre zum ersten Male von wissen-
schaftlichen Männern untersucht. Die Herren Joseph Willcox und Angelo
Heilprin aus Philadelphia brachten freilich nur 1 oder 2 Tage dort zu,
sammelten aber doch viele neue und bemerkenswerte Fossilien. Willcox,
Mineraloge vom Fach, wünschte nun in diesem Jahre eine genauere Unter-
suchung au Ort und Stelle vorzunehmen und ich schlofs mich ihm im Auf-
träge von U. S. Geological Survey an. Wir sammelten 1 — 200 Spezies, ich
untersuchte die Gegend genau und bestimmte die geologischen Beziehungen
der Felsen auf einem ausgedehnten Gebiete. DerFlufs ist niemals kartographisch
Geugr. Blätter. Breme», 1887. 12
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166
aufgenommen worden. Es wurde ein Kanal znr Verbindung seines Quellgebiets
mit dem Lake Okeechobee gegraben in der Annahme, dafs so das Niveau des
Sees erniedrigt und die fruchtbaren Uferländereien desselben der Kultur ge-
wonnen werden könnten. Indessen hat sich ergeben, dafs der Kanal zu schmal
und zu flach ist, um irgend welche Wirkung von Belang in der angedeuteten
Richtung üben zu können, zumal bei den starken sommerlichen Regengüssen
in Südwest-Florida. Immerhin hat der Kanal schon jetzt die Wirkung eines
gleichmäfsigeren Wasserstandes des Flusses in der trocknen Zeit und einer Ab-
kühlung seines Wassers bis näher nach der See hin gehabt. Da die Gewässer
von Florida, allein das Wasser der grofsen Seen ausgenommen, sich nicht zum
Trinken eignen, so ist aus jenen Wirkungen schon ein Vorteil für die geringe
Zahl von Ansiedler am Flusse erwachsen. Bei Hochwasser überschwemmt
übrigens der Flufs weithin seine Ufer; die Häuser in der Flufsgegend sind darum
auch fast alle auf Pfählen erbaut und die Bewohner haben ein bleiches, elendes,
fieberhaftes Aussehen.
Caracas. (Aus Martin’s westindischen Reise - Erinnerungen ; Leiden,
Brill, 1878.) „In der Frühe des 9. Januars 1885 fiel unser erster Blick auf die
Insel Cnra<;ao. Wir befanden uns an der Südküste, nahe dem Tafelberge, und
pittoreske Felsen ragten in unsicheren Umrissen aus dem Halbdunkel des er-
wachenden Tages uns entgegen, während Kreuz und Venns noch klar am Firma-
mente sichtbar waren. Mit anbrechendem Morgen lagen wir gegenüber der
Einfahrt zum Hafen, und freundlich breitete sich vor unsern Augen die Stadt
aus, mit sauber weifs angestrichenen Gebäuden, durch rote Ziegelbedeckung
und grüne Fensterläden anmutig verziert. Wir genossen aus nächster Nähe
einen weiten Überblick über die Wohnungen. Die drei Gebrüder mit ihren
spitzen, schroffen Gipfeln, das Fort Nassau, welches gleichfalls auf einem steilen
Felsen gelegen die Stadt überragt, t rugen nicht wenig dazu bei, das Landschafts-
bild zu verschönern, iu dem nur die Waldung fehlte, um ihm einen dauernden
Reiz zu verleihen. Der PHanzenwuchs erzeugte auf den Felsen nur einen
schwachen Schimmer, denn es war in diesem Jahre ungemein trocken, und von
dem fröhlichen Grün, welches die kahlen Felsen in der regenreicheren Zeit be-
decken soll, sahen wir nicht viel. Inzwischen war der Lotse an Bord gekom-
men und in wenigen Minuten dampfte das Schiff in rascher Fahrt in die Mün-
dung des prächtigsten Hafens der Erde ein, wo es bald in unmittelbarer Be-
rührung mit dem Ufer, einer Strafse der Stadt, anlegen konnte. Die Natur hat
hier einen Hafen geschaffen, wie ihn kein andrer Ort von gleicher Vortreff-
lichkeit besitzen soll, und es macht einen eigentümlichen, ungewohnten Eindruck,
in ihm die gröfsten Dampfer ebenso ungehindert wie die kleinsten Fahrzeuge
inmitten der Häuser ihre Bewegungen ausführen zu sehen. In seinem blau-
grünen Wasser, in das man tief hineinblickt, sieht man Scharen von Fischen
schwimmen, und zierliche Korallentiere strecken darin ihre bunten Tentakeln
aus, einem wasserbedeckten Blumenbeete gleich. Riffkalke bilden auch den
Untergrund der Stadt, die zu beiden Seiten des Hafens sich ausdehnt. Zwischen
„Willemstad 11 im Osten und dem gegenüberliegenden Stadtteile „Otrabanda“ im
Westen unterhalten zahlreiche, von Negern und andern Farbigen geleitete
Ruderböte (pontjen) sowie eine Dampffähre die Verbindung. Eine Vorstadt, ge-
nannt „Scharloo“, liegt nordöstlich von erstcrer und wird von ihr durch die
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167
Lagune .Waaigat“ geschieden; eine andre dehnt sich weit nach Osten längs
des Meeresstrandes und südlich von dieser Lagune ans, sie heifst „Pietermaaij“.
Wilhelmstadt ist der Geschäftsteil, mit engen Strafsen und dichtgedrängten,
stattlichen Häusern, nur in der Nähe des Meeres, wo das Fort und die freund-
liche Residenz des Gouverneurs liegt, geräumiger gebaut. In Otrabanda stehen
die Wohnungen minder eng, denn vielfach befinden sich dort ausgedehnte Höfe
zwischen den einzelnen Häusern ; aber nur in den Vorstädten sieht man Gärten.
Da indessen die ungemein grofse Dürre des Bodens nirgends einen üppigen
Ptianzeuwuchs aufkommen läfst, so sind auch diese Stadtteile trotz aller daran
verwendeter Mühen keineswegs anmutig; ich wurde daselbst stets an die küm-
merlichen Anlagen unsrer Nordseeinseln erinnert und mufste mich oftmals selbst,
zu dem Bewnfstsein, dafs ich mich in den Tropen befinde, zurückrufen. Niemand
wird die Gebäude, welche hier stehen, Villen nennen wollen, so sehr sie auch
auf diese Bezeichnung Anspruch zu erheben scheinen. Dazu kommt, dafs alle
Wohnungen ungemein mafsiv und plump aus Kalksteinen aufgebaut sind, so
dafs das ganze Äufsere der Vorstädte bei näherer Betrachtung verliert, so
freundlich sie sich auch vor dem Ankömmlinge, vom Meere her gesehen,
ansbreiten. Die Bauart dürfte, ohne Verschulden der Bewohner, durch den
Mangel an Holz und besonders auch durch die zu Zeiten auftretenden Cyklone
welche eine sehr solide Aufführung der Wohnungen wünschenswert machen
in diesem für die Schönheit nicht sehr erspriefslichen Sinne beeinflufst werden.
Freilich sind die gefürchteten Hurricane West-Indiens auf den Inseln unter dem
Winde selten, aber bisweilen treten sie doch auch hier mit fürchterlicher Gewalt,
auf, und so sieht man noch heute in Pietermaaij in größerer Zahl die traurigen
Ruinen, welche ein derartiger Orkan am 23. September 1877 hat. entstehen
lassen. Die Kolosse der Häuser werden aber bisweilen noch weiter in un-
nötiger Weise verunziert, denn wo man eine elegante Treppe erwarten würde,
führen mächtige Steinstufen, geschaffen wie für eine Festung, zum Hause hinauf;
wo leichte Umzäunungen angebracht werden könnten, stehen Mauern gleich
massiv und steif, wie die Wohnung, welche sie umgeben. Nur wenige Häuser
sind in der Weise der gleich zu beschreibenden Plantagen eingerichtet, während
die übrigen nichts bieten, was einen Fremden besonders interessieren könnte.
Die Bevölkerung der Stadt und der Insel überhaupt besteht aus Weifsen,
Negern und Mischlingen, und zwar sind unter den Farbigen die Letzteren so
sehr vorherrschend, dafs man Mühe hat, noch einen echten Neger zu finden.
Die Gesamtzahl der Einwohner von Curagao belief sich am Schlüsse des Jahres
1884 auf 25015, worunter die meisten Katholiken, bedeutend weniger Protestanten
und einzelne Israeliten waren, und zwar sind die Katholiken besonders unter
der farbigen Bevölkerung, die Protestanten und Juden unter der weifsen ver-
treten. Letztere besteht vorwiegend aus Holländern und deren Nachkommen,
gebildeten, gastfreien Leuten von liebenswürdiger Einfachheit; doch ist der
Zuzug geborener Holländer äufsorst gering, denn es befanden sich nicht mehr
als 300 auf allen niederländischen westindischen Inseln zusammen. Deswegen
ist auch die niederländische Sprache keineswegs so gepflegt und bekannt., wie
man erwarten sollte; vielmehr bedient man sich im vertrauten Verkehre in
weitaus den meisten Fällen des papiamento, einer Sprache, welche überwiegend
ans spanischen, untergeordnet aus holländischen und wenigen indianischen
Wörtern zusammengesetzt ist und allgemein von der farbigen Bevölkerung ge-
redet wird. Das Papiamento vertritt auf Cura^ao fast die Stelle des Neger-
12 *
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168
englischen in Surinam, nur hat es eine bedeutend gröfsero Macht als dieses
bei der angesehenen Bevölkerung. Es ist dies wohl eine Folge des Umstandes,
dafs das Kind der farbigen Bedienung in seinen ersten Lebensjahren zur Wartung
überlassen bleibt und so das Papiamento erlernt. Das euphemistisch auch wohl
„ Spanisch“ genannte Idiom bleibt als Sprache der Kindheit am meisten geschätzt.
Indessen sprechen die Männer neben der niederländischen Sprache und dem
Papiamento ausnahmslos auch Englisch, sehr oft Spanisch und daneben bisweilen
auch Französisch, so dafs sie über einen ganz erstaunlichen Sprachschatz ver-
fügen, eine Folge des grofsen Verkehrs, dessen Cura?ao sich zu erfreuen hat.
In den primitiven, schmutzigen Gasthäusern, welche sich am Hafen von Wilhelm-
stadt befinden, begegnet man vielfach Einwohnern des benachbarten Venezuelas.
Sie zetteln hier nicht selten Ränke und Aufstände gegen die bestehende, einem
stetigen Wechsel unterworfene Regierung ihres Mutterlandes an, ein Grund wes-
wegen Venezuela mit verlangenden Blicken nach dem Besitze der niederländi-
schen, westindischen Inseln aussieht. Unter den Strafsenbildem sieht man wenig
bemerkenswerthes. Die Männer unter den Farbigen tragen sich in Beinkleid,
Blouse oder Manschettenhemd und Hut; auch die Frauen suchen die Wcifsen
nachzuahmen, aber cs ist ein entsetzlicher Aufzug, in dem sie sich präsentieren :
In allen Stadien der Verkommenheit sieht man an ihren langen Leibern die
pariser Mode der letzten zehn Jahre in schlotternden Kleidern vertreten, schmutzig
und zerrissen und stets mit langer Schleppe versehen, welche beim elastischen
Gang der Trägerin die Strafsc fegt und wie eine Fahne hintenan weht. Der
Anblick ist geradezu unerträglich für den Ankömmling und macht das Betreten
der Strafse weit minder angenehm, als es ohne diese Zuthat, sein würde. Aufser
der Stadt giebt. es keinen gröfseren Ort auf Curacao, dagegen findet sich eine
ansehnliche Zahl von Plantagen über die ganze Insel zerstreut, und diese liegen
fast ohne Ausnahme in den flachen Kummen des Binnenlandes, welches von dem
schroffen Küstengebirge weit überragt wird.“
Über die Namen der Eilande Cnragao, Aruba und Bonaire teilte dem
Verfasser Herr Prof. Dr. Ernst in Caracas folgendes mit:
.Da die Inseln früher von Cariben bewohnt waren, so halte ich ihre
Namen für caribisch. Die Cariben-Sprachen haben aber alle das alte Guarani
zur Basis, wie wir dasselbe mehr oder weniger genau aus den Arbeiten des
Pater Rniz de Montoya (Tcsora de la lengua Guarani, Madrid 1639; neue fak-
similierte Ausgabe von Plotzmann, Leipzig, 1876) und namentlich aus dem über-
aus trefflichen „Vocabulario guarani“ von Baptista Caetano de Almeida Nogueira
(Rio de Janeiro, 1879) kennen. Mit Benutzung dieser Werko habe ich versucht,
die Namen der 3 genannten holländischen Inseln zu deuten:
1) Curacao. Die älteste, mir bekannte Schreibart ist Curasaote, auf der
alten Weltkarte von 1527, von welcher Kohl die Amerika betreffende Sektion
(die beiden ältesten Generalkarten von Amerika, Weimar 1860) publiziert hat.
Dieser Name stimmt nicht übel zu cora — uagu — grosse Anpflanzung; die
Endung ote ist vielleicht spanischer Herkunft (Augmentativ), und könnte zum
Unterschiede von der kleineren Insel gleichen Namens beigefügt worden sein.
2) Aruba (in älteren Schriften und Karten auch Oruba und Orua ge-
nannt). Oirubae ist im alten Guarani nach Almeida Nogueira t aquelle que acom-
panha der Name der „Begleiterin“ scheint mir auf Aruba ganz gut zu passen.
3) Bonaire (früher durch falsche Deutung zu Buen Ayre verstümmelt).
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Wenn der Name caribiseh ist, so könnte man an das verbnin bur (sich über
das Wasser erheben. Almeida Nogneira: «nfr da aqua) und die Adverbialform
nai (ein wenig) denken. Bur giebt in der Conjngatiou für die 3. Person Sing,
des Praesens y buri (sie erhebt sich über das Wasser. Almeida Nogneira.
Esbo^o grammatical da lingua gnarani. Rio, 1879. pag. 29.) In der Aggluti-
nation yburinai ging das anlantende Praefix y verloren (was beiläufig sehr oft
geschieht), und burinai wurde durch die im Guarani sehr häufig eintretende
Metathesis der Konsonanten in buinari verwandelt, ein Name, welcher demnach
bedeutet : sie (d. i. die Insel) crhebtsich wenig über das Wasser, also .niedrige Insel“.
Verfasser kann diesen Bemerkungen von Ernst noch hinzufügen, dafs der
Name einer „niedrigen Insel“ fürBonaire ganz besonders gut pafst. Man hat Oruba
mit dem spanischen oro in Verbindung bringen wollen, da die Insel Gold enthält ;
aber es handelt sich hier sicherlich nnr um einen ganz zufälligen Anklang.
Andre Erklärungen der Namen der 3 Inseln, welche sich in verschiedenen
älteren Schriftstellern finden, sind so augenscheinlich falsch, dafs dieselben über-
gangen werden können.
§ Ans Californien. In Band VIII. dieser Zeitschrift, S. 294 und ff. brachten
wir ans der Feder unsere verehrten Mitgliedes Herrn Herrn. Melchers, die
Schilderung des Besuchs von Los Angeles, jener durch ihr mildes Klima und den in
großartigem Mafsstabe betriebenen Wein- und Obstbau berühmt gewordenen cali-
fornischen Stadt. Herr Melchers teilt uns nun mit, dafs die damals von ihm
ausgesprochene Voraussetzung des weiteren Aufblühens von Los Angeles sich
vollständig bewahrheitet habe. Nachrichten daher von diesem Frühjahr melden,
dafs Los Angeles und die umgebenden Ortschaften nunmehr klimatische Kurorte
für die reichen Leute in den Vereinigten Staaten geworden sind. Bereits im
Februar d. J. war Los Angeles von Fremden überfüllt, der Grund und Boden
war noch weiter gestiegen und eine Reihe kostspieliger Neubauten erheben sich,
um für die Zukunft den Strom der Fremden besser als bisher aufnehmen zu
können.
§ Alexander Ziegler f. Am 8. April d. J. starb in Wiesbaden der durch
Herausgabe verschiedener Reisewerke in weiteren Kreisen bekannte Grofsherzoglich
sächsische Hofrat Dr. Alexander Ziegler. Einem im „Rheinischen Kurier“ ver-
öffentlichten Nachruf des Dr. E. Ausfeld entnehmen wir das Folgende : Alexander
Ziegler, geboren in Ruhla 1822, erhielt seine erste Ausbildung in Schnepfen-
thal, studierte in Jena und trat 1846 seine erste grofse Reise nach Nordamerika
und Westindien an, welcher andre nach Spanien, Marokko, Algerien, in den
Orient und nach dem Norden Europas folgten. Seine auf diesen Reisen ge-
sammelten Erfahrungen legte er in lehrreichen Schriften der geographischen
und ethnographischen Wissenschaft nieder. Auch die Geschichte dieser Disziplinen
beschäftigte Z. lebhaft; er gab Untersuchungen heraus über Martin Behaim, „den
geistigen Entdecker Amerikas“ und über Regiomontanus »ein geistiger Vorläufer
des Columbns“. In den späteren Jahren seines Lebens wandte er sein Interesse
vorwiegend der engeren Heimat zu und was er hier zur Förderung des Verkehre,
der Industrie, der Volksbildung gethan, wird in den Kreisen seiner dankbaren
Landsleute unvergessen bleiben. Seine Geschichte des Meerschaums, welcher
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bekanntlich in Ruhla vorzüglich verarbeitet wird, erschien in Dresden 1883 in
2. Auflage; sein im Verein mit Schwerdt herausgegebenes Reisehandbuch für
Thüringen ist den Besuchern dieses Landes alljährlich ein lieber und treuer
Begleiter. Zu wenig bekannt ist, dafs Ziegler sich grofse Verdienste um die
„Schiller-Stiftung erworben hat; jahrelang hat er mit Rat und That für dieses
menschenfreundliche Dntemehmen gearbeitet und viel des Guten in selbstlosester
Weise gewirkt. Mit bebevollstem Interesse verfolgte er den Lebensweg der
hervorragenderen unter seinen Heimatsgenossen; wir erinnern an den Dichter
Ludwig Storch, dessen Nachlafs Ziegler 1882 herausgab. Wohl mancher Besucher
Thüringens, der die Freude hatte, von Ziegler in seinem Ruhlaer Heim, der
anmutig auf dem Bärenberge gelegenen, in ihrem Innern kunstreich aus-
geschmückten Villa Ursomontana, gastfrei empfangen zu werden, erinnert sich
des reichen Schatzes von auf den Thüringer Wald bezüglichen Kenntnissen,
mit denen Ziegler im Gespräch über seine tlieure Heimat immer von neuem zu
fesseln wufste.
§ Das Klima von Bremen. Das Oster - Programm 1887 der altstädtischen
Realschule in Bremen enthält eine sehr fleifsigo und gründliche Abhandlung
des Dr. Gustav Schneider in Bremen über das KUma von Bremen. Der Ver-
fasser bezweckte in gedrängter Kürze eine Übersicht über die wichtigsten
Faktoren des KUmas von Bremen zu geben und ist die Arbeit in erster Linie
nicht für Fachmänner, sondern für das gebildete Publikum überhaupt bestimmt.
Die nachstehenden Mitteilungen geben einigen Aufschlufs, wie der Verfasser sein
Thema behandelt und worauf er seine Erörterungen und Zusammenstellungen
erstreckt hat. Eine zusammenhängende ausführliche Darstellung des Klimas
von Bremen war bisher noch nicht vorhanden und ist die Arbeit daher besonders
willkommen zu heifsen. Als Quelle diente dem Verfasser hauptsächlich das
Jahrbuch für Bremische Statistik, daneben die Preufsische Statistik, deren Inhalt
nach den noch ungedruckten Originalbeobachtungen der letzten Jahre ergänzt
wurde. Er schickt voraus: Die Stadt Bremen hat 53 u 5' nördliche Breite; ihre
Länge östlich von Greenwich beträgt 8° 48', von Ferro 26° 28'. Sie liegt fast
in der Mitte des nordwestdeutschen Tieflandes, etwa 90 Kilometer von der
Mündung der Weser in die Nordsee entfernt. Nennenswerte Wälder und An-
höhen in ihrer Nähe sind nicht vorhanden. Der Nullpunkt des Bremer Pegels
an der Börsenbrücke liegt 4,4 m über dem Nullpunkt in Bremerhaven und
2,3 Meter über dem Nullpunkt in Amsterdam. Dem entspricht der hohe
Barometerstand von Bremen, welcher, reduziert auf 0" Wärme und die Höhe
unsrer Wettersäule, d. h. 5 Meter über Bremer Null, im Mittel 759,1 mm beträgt.
Folgende Reihen Bremischer meteorologischer Beobachtungen wurden benutzt:
1. von Olbers 1803 — 13 und 1815 — 21. 2. von Physikus Heineken 1829 — 70.
3. die seit 1874 auf Veranlassung der Bremischen Sanitätsbehörde und zwar bis
1876 in der städtischen Krankenanstalt, vom Juli 1876 an in der 7‘/i km nord-
westlich von Bremen gelegenen Strafanstalt Oslebshausen angestellten Beob-
achtungen.
Im 1. Abschnitt: Temperatur erörtert Verfasser zunächst das Ver-
fahren zur Erlangung einer Übersicht über den Gang der Temperatur eines
Jahres, beziehungsweise der fünftägigen Mittel. Dasselbe wird in einer Tabelle
der fünftägigen W T ärmemittel des Jahres 1886 nach den Oslebshauser Beob-
Digi
171
achtungen veranschaulicht. Weiter hat Verfasser aus dem im Jahrbuch für die
Bremische Statistik enthaltenen, in einer Figur graphisch dargcstellten fünf-
tägigen Mitteln für die Stunden 8, 3 und 11 Uhr eine Tabelle der fünftägigen
Mittel der Luftwärme in Bremen (nach Heinekens 42jährigen Beobachtungen)
abgeleitet. Der tiefste Punkt der so gewonnenen, in der Figur dargestellten
Linie fällt auf die fünf Tage 11. — 15. Januar, also ungefähr auf den 13. und in
dieser durchschnittlichen Lage der gröfsten Kälte stimmt Bremen mit den
meisten Orten Norddeutschlands überein; in Süddeutschland tritt das Minimum
etwa 5 Tage früher ein, während der äufserste Nordosten von Deutschland eine
Verzögerung aufweist. Die Wärme erreicht bei uns ihren Höhepunkt etwa am
17. Juli und um diesen Tag liegt im ganzen nordwestlichen Deutschland die
stärkste Hitze; im mittleren Norddeutschland bis zur Weichsel fällt dieselbe 5,
im äufsersten Osten 10 Tage später. Daraus folgt, dafs die Temperatur in
Bremen zur Vollendung des aufsteigenden Teils der Kurve ziemlich die gleiche
Zeit braucht, als um vom Maximum zum Minimum hinabzusinken, nämlich
nur 5 Tage mehr. (Genau die gleiche Zeit kann bei der obigen Ermittelung
nicht wohl hcrauskommen, da 73 eine ungerade Zahl ist.) Im mittleren Nord-
dcutschland erreicht dagegen der Unterschied 15, in Ostpreufsen 25 Tage.
Die Wärraeschwankung zwischen den kältesten und den heifsesten 5 Tagen
beträgt in Bremen nach jenem Durchschnitt 15,3°. Dieselbe übertrifft die von
Küstenorten, wie von Emden mit 14,1° und von Kiel mit 14,5°, während sic
geringer ist als an solchen Orten, die im Binnenlande oder im Nordosten
Deutschlands liegen, wie z. B. Pos^n mit 17,8° oder Tilsit mit 18,8“.
Wesentlich auf der Gröfse dieser Schwankung beruht die Unterscheidung
zwischen Kontinental- und Seoklima. Halle a. S. ist um Mitte Januar etwas
kälter, dagegen im Juli über 1 0 wärmer als Bremen. Während die kälteste
Pentade von Tilsit reichlich 3° unter der von Bremen liegt, hat Tilsit in der
heifsen Jahreszeit einen Wärmeüberschufs von etwa '/«» über den Nordwesten
von Deutschland. Die lange Dauer des Winters im Nordosten spricht sich sehr
deutlich in der Thatsache aus, dafs in Tilsit die Temperatur durchschnittlich
130 Tage, also über den dritten Teil des Jahres, unter dem Nullpunkt bleibt, in
Bremen nur 20 Tage. Beim Steigen der Wärme wird der Gefrierpunkt bei uns
etwa am 20. Januar passiert, in Posen am 23. Februar, ja in Königsberg erst
am 22., in Memel am 25. März!
Gestützt auf sein Verfahren zur Auffindung von Pentadenmitteln giebt
Verfasser sodann eine Tabelle zur Auffindung von Stundenmitteln aus den
Tagesmitteln.
Die drei Reihen von Monatsmitteln : Beobachtungen von Olbers 1803 — 13,
1815 — 21, von Heineken 1820 — 70, der meteorologischen Station in Oslebshausen, —
ergaben für 72 Jahre folgende Monatsmittel:
Januar
....— 0,1«
R.
Juli
.. 14,0»
R.
Februar . . . .
.... 1,2»
»
August
.. 13,7»
n
März
.... 2,8»
n
September . .
.. 11,2»
V
April
.... 6,4°
Oktober
.. 7,5»
V
Mai
.... 10,2»
n
November . . .
.. 3,4»
n
Juni
.... 12,8»
„
Dezember . . .
.. 1,1»
Das Jahresmittel 7,01 0 R. stellt sich so ziemlich in eine Reihe mit denen der
Städte Kassel 6,0°, Halle a. S. 7,1», Berlin 7,2°, Brünn 7,1“; in England mit
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172
Hüll (7,0°); London und Liverpool sind wärmer, beide 8,2", in Nordamerika
hat Albany die gleiche Temperatur 7,0°, Newyork mit 8,8" ist wärmer. Dafs
nun aber das Jahresmittel der Wärme für sich allein kein abschliefsendes Urteil
über die relative Temperatur zweier Orte gestattet, lehrt Albany, das, wie bemerkt,
zwar im Jahresdurchschnitt mit Bremen gleich steht, jedoch im Juli 4 0 wärmer,
im Januar gegen 4° kälter ist. Dies führt zur Vergleichung der Monatsmittel.
Eine Zusammenstellung der hundertjährigen Beobachtungen von Wien mit den
zwoiundsiebzigjährigen von Bremen bestätigt den Charakter des Wiener Klimas
als eines Landklimas, während Bremen mit einem Unterschied von 14" des
wärmsten und kältesten Monats dem Gebiete des Übergangsklimas angohört.
Eine für die 6 Jahre 1879 — 84 gemachte Zusammenstellung der Temperatur-
mittel der vier Jahreszeiten in Oslebshausen, Elsfleth, Oldenburg, Emden,
Hamburg und Kassel ergiebt eine grofse Übereinstimmung in den Jahreszeiten-
temperaturen; für Oslebshausen stellen sich die Ziffern wie folgt: Winter 1,3" R.,
Sommer 13,1°, Frühling 6,0", Herbst 7,4". Was die Tagesschwankungen des
Thermometers betrifft, so bestätigen die Tabellen des Verfassers, dafs die tägliche
Wärmeschwankung im Winter geringer ist, als im Frühling und Sommer; für
Mai erreicht sie ihren höchsten Betrag, 7,8°.
Die gröfste in Bremen bis jetzt beobachtete Kälte war am 23. Januar 1823 :
-- 21,8°, die höchste Wärme am 26. Juli 1872 : 28,9°.
Das Jahresmittel der Eis- und Frosttage für die Periode 1879, 1880 und
1883—86 und der Sommertage 1879 — 86 in Oslebshausen stellte sich, wie folgt:
in Oslebshausen 18,2 Eistage, 89,8 frosttage und 11,4 Sommertage,
„ Berlin (30 Jahre) . . 24 „82 „ „37 „
„ Elsfleth (6 Jahre).. 19 - „ 80 „ „11 „
„ Königsberg i. Pr. (6 J.) 45 ,110 „ „26 „
Was die Eisbcdecknng der Weser bei Bremen betrifft, so ist dieser Strom
in den letzten 62 Wintern 19 mal ohne Eisdecke geblieben, also etwa alle drei
Winter einmal. Wenn die Weser zufror, stand das Eis den betreffenden Winter
im ganzen durchschnittlich 30 Tage, einmal, 1844:45, 76, im Winter 1870/71
64 Tage. Der früheste Termin, an welchem die Eisdecke sich bildete, war der
17. November, der späteste, an welchem die Weser wieder zum Stehen kam»
war der 5. März, der zweitspäteste der 1. März. Das Eis brach am spätesten
im Jahre 1845 auf; am 28. März. Zum Vergleich zieht Verfasser die Weichsel
an, welche in der Periode 1828 — 73 in jedem Winter zufror; die mittlere Dauer
der Eisdecke war 77 Tage.
Die Feuchtigkeit der Luft betreffend, so stellt Verfasser eine vergleichende
Tabelle der absoluten Feuchtigkeit von Bremen und Wien in den vier Jahres-
zeiten zusammen. Daraus geht hervor , dafs in Bremen die Luft zu allen
Jahreszeiten mehr Dampf enthält, als in Wien, was ohne Zweifel mit der
gröfscren Nähe der See zusammenhängt. Über die relative Feuchtigkeit finden
wir folgende Übersicht: Oslebshausen Wien Newyork Philadelphia
(1883—86)
Winter 85 82 78 69»/,
Frühling 78 66 67 61
Sommer 78 64 68 65
Herbst 81 75 71 67
Jahr 81 72 71 65'/a
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173
Einen ähnlichen Gang wie die relative Feuchtigkeit zeigt im Laufe des
Jahres die Bewölkung. Die von dem Verfasser mitgeteilten Bewölkungszahleu
ergeben, dafs im Jahre etwa T /io des Himmels mit Wolken bedeckt ist. Am
geringsten ist die Bedeckung im Frühling (im Mai 5,6.)
Die Niederschläge betreffend , so ergeben die älteren Beobachtungen
Heinekens aus der Periode von 1830 — 70 ein Jahresmittel von 706 mm, die
zehnjährigen Regenmessnngcn beim Doventhor ein solches von 78 cm. Verfasser
führt aus, dafs trotz der viel kürzeren Beobachtungszeit die Höhe von 78 cm
der wahren jährlichen Regenmenge verhältnismäfsig sehr nahe kommen dürfte.
Unser regenreichster Monat, Juli, ist zngleich derjenige, welcher die meisten
Regentage bringt; der April hat mit der geringsten Niederschlagshöhe auch die
wenigsten Regentage. Seit 1883 worden auf Anordnung des meteorologischen
Instituts in Berlin an den demselben unterstehenden Stationen nur diejenigen
als Tage mit Niederschlag verzeichnet, an denen mehr als ’/s mm Wasserhöhe
gemessen werden konnte. Infolge davon wird in Zukunft die Zahl der jährlichen
Regentage für Bremen voraussichtlich etwas unter 149 hinabgehen. Übrigens
hat dieselbe in den letzten Jahren zwischen 132 und 159 geschwankt.
Bezüglich der Gewitter wurde die ausführliche Arbeit des Dr. Häpke durch
die Beobachtungen der Jahre 1881 — 86 ergänzt. Darnach ist in Bremen in den
letzten 58 Jahren keiner der zwölf Monate ganz ohne Gewitter geblieben. Die
grofse Mehrzahl, 80°/o, fiel auf die Monate Mai bis August, wobei vom Mai
bis Juli eine Steigerung stattfand, während der August hinter dem Mai znrück-
blieb. Eigentümlich für unsre Küste sind die Wintergewitter, welche in Bremen
5°/o der Gesamtsumme ausmachen.
Was die Jlichtung der Winde betrifft, so sind in den letzten 12 Jahren
durchschnittlich über zwei Drittel, nämlich 69°/o aller beobachteten Winde, von
der westlichen Hälfte des Horizonts (zwischen S und NNW) gekommen und nur
31 "h> von der östlichen Hälfte (zwischen N und SSO). Die westlichen Winde
erreichen ihren höchsten Betrag im Juli, ihren geringsten im April, ganz wie
die Regenmengen und die Tage mit Niederschlag.
Im letzten Abschnitt: phänologischc Erscheinungen, wird an die Beob-
achtungen und Arbeiten des Hauptvertreters dieses jüngsten Zweiges der Meteo-
rologie, des Professor Hoffmann in Gicfscn erinnert, in dessen Händen eine
grofse Zahl vou Beobachtungen aus ganz Deutschland und darüber hinaus
zusammenfliefsen. Dieselben werden an der Rofskastanie, der Vogelkirsche,
der Schlehe, der Sauerkirsche, am Birnbaum, Apfelbaum, an der Buche und
andern Pflanzen gemacht und erstrecken sich hauptsächlich auf die Zeit der
ersten Blüte, teilweise auch auf die der Belaubung, wie bei der Buche und
Rofskastanie. Die in Bremen von Professor Buchenau und Dr. W. 0. Fockc
gemachten Aufzeichnungen ergeben, dafs im Durchschnitt der Jahre 1883—86
im April Bremen hinter Gicfsen um reichlich 2 Tage zurück war. Dagegen
blieben Oldenburg 1881 - 85 um 6, Soltau 1879—86 um 7, Wilhelmshaven 1878
bis 1886 um 10, Hamburg 1883 — 85 um 11, Buxtehude 1881 — 86 um 11 — 12 Tage
hinter Giefsen zurück.
Die französischen Kolonien in Madagaskar. Bekanntlich besitzt Frank-
reich an der Nord- und Ostküste von Madagaskar zwei Häfen mit einem sie
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umgebenden Gebiet und es ist zu diesen auch in neuester Zeit noch der Hafen
Diogo Suarez gekommen. Der Schweizer Afrikareisende Dr. Konrad Keller hat
dieselben im vorigen Jahre besucht, und wir entnehmen seiner in der „Neuen
Züricher Zeitung“ veröffentlichten Mitteilung das Folgende: Zunächst verweilte
Dr. K. auf der Insel St. Marie, einer französischen Kolonie für rückfällige Ver-
brecher; den Boden bezeichnet Dr. K. als sehr fruchtbar, allein das Klima sei
sehr ungesund. Hier hielt sich der Reisende nur so lange auf, als der Dampfer,
mit welchem er von Tamntave gekommen war, Zeit zum Ein- und Ausladen
erforderte. Die Fahrt ging sodann an der Bucht von Antongil vorüber zur
Bucht vonVoheinar. (14 l /j° südl. Br.) „Der Ort besteht aus ungefähr 150 Mada-
gassenhütten ; die Zahl der hier angesiedelten Europäer beträgt etwa 2 Dutzend.
Alle Bedingungen für eine günstige Weiterentwicklung finden sich hier bei-
sammen. Das Klima ist gesund, der Hafen nicht sehr ausgedehnt, aber gut
geschützt ; in der Nähe ausgedehnte Waldungen und Grasflächen. Der Reichtum
an Vieh ist enorm und Vohemar besitzt wohl die bedeutendste Ausfuhr an Zebu-
ochsen, welche hauptsächlich nach Reunion und Mauritius verschifft werden.
Die Lebensmittel, namentlich die Fleisehwaaren, sind enorm billig. Ein Ochse
wird durchschnittlich um 15 bis 20 Franken vorkauft. Für 40 Centimes erhält
man etwa 5 kg Fleisch, für ein ganzes Filet bezahlt man 15 Cent. Gemüse
und Früchte gedeihen hier vorzüglich, und die Mangobäume setzen so massen-
haft Früchte an, dafs man zur Zeit der Reife, d. h. im November und Dezember,
nicht weifs, was man damit anfangen soll. Der Ertrag der Douane ergab eine monat-
liche Einnahme von 30 000 Frcs. während des Krieges, in normalen Zeiten dürfte
er doppelt so hoch angeschlagen werden, und die Howaregierung hat die Wichtig-
keit dieses Ilafenplatzes stets gewürdigt. Während des letzten Krieges errichtete
sie sogar in der Nähe von Vohemar ein befestigtes Lager mit einer ziemlich
starken Besatzung. Durch einen kühnen Handstreich gelang es einem Häufchen
Franzosen, dieses Lager zn erobern. Man befindet sich hier bereits im Gebiet
derjenigen Madagassen, welche als Antakaren bezeichnet werden und in den
Sitten, sowie in ihrem äussern Aussehen sehr bedeutend von den Betsimisaraka-
stämmen abweichen. Ihre enge Verwandtschaft mit den Sakalavcn der Westküste
erscheint mir zweifellos. Das Zentrum dieser Antakaren ist das Gebiet von
Diego Suarez, welches nach einer kurzen Fahrt von etwa 12 Stunden erreicht
wird. Die Berge werden niedriger, die Küsten flacher. Au den Abhängen erblickt
man ausgedehnte Rauchmassen und Nachts ist der Horizont vom Feuer gerötet.
Die Madagassen pflegen um diese Zeit die Grasflächen anzuzüuden, um den
Boden für den Reisbau vorzubereiten. Sobald die Regenzeit beginnt, werden
diese Abhänge mit dem üppigsten Grün bedeckt. Leider verfahren die An-
wohner nicht immer mit der gehörigen Vorsicht und brennen häufig auch die
Waldungen nieder. Wer am Rande des Urwaldes reist, wird häufig genug eine
Menge von angebrannten und halb verkohlten Stämmen vorfinden. Die Bai
von Diego Suarez, sobald sie in Sicht kam, begann meine Hoffnung
bedeutend herabznstimmen, da ich in der Nähe ausgedehnte Plateaus,
ohne ordentliche Vegetation, im Hintergrund nackte Gebirge vulkanischen
Ursprungs erblickte. Die Bai bietet einen natürlichen Hafen dar, welcher in
seiner Ausdehnung dem Golf von Neapel gleichkommen mag. Der Eingaug ist
etwa einen Kilometer weit, wird aber teilweise durch die kleine Insel Nossi Volane
versperrt. Die Bai besitzt in fast genau symmetrischer Anordnung fünf Aus-
zackungen, in denen selbst zur Zeit der gefürchteten Zyklone die Schiffe sichere
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175
Unterkunft finden. Dafs auch die Engländer, deren Tüchtigkeit zur See Niemand
in Abrede stellen wird, diesen Hafen zu schätzen wissen, beweist der Umstand,
dafs kürzlich ein englischer Dampfer eiulief, gegenüber dem hier stationirten
Kriegsschiff ankerte und Kanonen und Munition für die Howaregierung auslud.
Etwa 1500 Eingeborne waren hierbei behülflich. Die Franzosen ärgerten sich natür-
lich ob dieser Dngenierthcit und die Engländer beriefen sich auf ihre Freiheit des
Handels. Als militärische Position hat Diego Suarez für die Franzosen ohne Zweifel
einen Wert. Ihre Kriegsschiffe finden hier stets sichere Unterkunft. An der
Küste werden zur Zeit Kasernen und Festungen gebaut. Anders gestaltet ist die
Wertschätzung vom Standpunkte der Kolonisation aus. In dieser Hinsicht ist
die Erwerbung gleich Null zu setzen. Vergeblich sah ich mich nach landschaft-
lichen Heizen um. Überall ein nackter vulkanischer Boden, der zu einer
roten oder gelben und unfruchtbaren Erde verwittert und meist mit
niedrigem Gestrüpp bedeckt ist. Der Mangel an Wasser macht sich
überall fühlbar. Die Zufuhr von frischein Fleisch hängt gänzlich vom
guten Willen der Eingebornen ab. Ein Umstand macht den Aufenthalt
in Diego endlich im höchsten Grade unangenehm. Über die Hochflächen
streicht beständig ein so heftiger Wind, dafs man den Hock sehr fest zuknöpfen,
ja selbst binden mufs, damit, er nicht vom Leibe geweht wird. Alle diese Eigen-
schaften- sind schwerlich geeignet, die Kolonisten anzuziehen. Zur Zeit hat sich
ein Publikum anf diesen zu momentaner Bedeutung gelangten Platz geworfen,
das mir Bedenken für einen längeren Aufenthalt einflöfste. Was in den be-
nachbarten Kolonien an verkrachten Existenzen aufzutreiben ist, hat sich hier
eingefnnden, um ein oft recht zweifelhaftes Gewerbe zu betreiben. Schon anf
dem Dampfer hatte ich das Vergnügen, bestohlen zu werden, was sollte erst
kommen, wenn ich hier wochenlang weilen wollte ! Dazu waren die Lebens-
mittel über Gebühr im Preise gestiegen. Für ein Ei wurde bis zu 25 Centimes
bezahlt, Brod war oft tagelang nicht vorhanden, Fleisch oft mehr als genug,
dann wieder gar nicht zu haben, die Umgebung eine Einöde. Ich wollte um
keinen Preis hier bleiben und gab Befehl, mein Gepäck und meine Kisten an
Bord zu lassen. Wohin ich gehen wollte, wufste ich vorläufig nicht, nur soviel
konnte ich erfahren, dafs in einer der nächsten Stationen die Blattern ansge-
brochen und daher die Quarantäne angeordnet würde Weitere Berichte besagten,
dafs in Westmadagaskar die Blattern eine starke Ausdehnung erlangt hatten.
Die Lage fing an ungemütlich zu werden. In nicht gerade rosiger Stimmung
fuhr ich um das flachgelegene Kap Ambre herum und entschied mich für
Nossi Be, einer hart an der Westküste liegenden Insel, welche als das Zentrum
des nordwestmadagassischen Verkehrslebens angesehen werden darf. Die Insel
war noch seuchenfrei, ich stieg auf gut Glück ab und hatte mich kaum ein-
gerichtet, als die Kunde vom Ausbruch der Blattern auf Nossi Be eintraf!“
Mit den Bemerkungen Dr. Keller’s über Diego Suarez steht vielfach in
Widerspruch, was wir in einem Aufsatz des französischen Marine-Kapitäns
Chodzco (Zeitschrift der handelsgeograpbiscken Gesellschaft von Havre, Januar
bis Februar 1887) lesen. Bezüglich des Wassers an der Küste wird bemerkt,
dafs es überall gut und reichlich sei, gleichwohl wird empfohlen, dasselbe nur
gekocht zu geniefsen. Der Aufenthalt anf Diego Suarez sei der gesundeste auf
ganz Madagaskar, wenn auch in den niedrigeren, sumpfigen Gegenden Fieber
vorkämen, so sei es doch auf der Heede und auf den Höhen durchaus gesund.
Das Land in der Umgegend der Bai eigne sich zu allen Kulturen, auch zum
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Woinban. Ochsenfleisch sei gut und billig zu haben, die Fischerei liefere reich-
liche Fänge, ebenso sei Geflügel zahlreich. Die Waldungen könnten wertvolle
Handelsprodukte erzeugen.
Geographische Litteratur.
Europa.
Arthur Krause, Beitrag zur marinen Fauna des nördlichen
Norwegen. Wissenschaftliche Beilage zum Programm der Luisenstädtischen
Oberrealschule. Berlin 1887. Der Verfasser, welcher durch die im Aufträge der
Bremer Geographischen Gesellschaft ausgeführte Reise nach der Tschuktschen-
Halbinsel bekannt ist, giebt in der vorliegenden Abhandlung über das Tierleben
an der norwegischen Küste einen schätzenswerten Beitrag. Derselbe wird manchen
Kreisen um so willkommener sein, als die Nordlandsfahrten jetzt so recht zur
Mode geworden sind. Nachdem Dr. Krause bereits in früheren Jahren die Küste
Norwegens bei Tromsö, Bergen und am Saltenfjord in Hinsicht auf sein spezielles
Arbeitsgebiet untersucht hatte, verwandte er die Sommerferien des Jahres 1886
dazu, die marine Fauna des Ranenfjords und der vorgelagerten Inseln kennen
zu lernen. Dieser Fjord, den auch eine beigegebene Kartenskizze veranschau-
licht, liegt nördlich vom 66. Breitengrade, ist durchschnittlich 3 km breit und
zieht sich gegen 60 km nordöstlich ins Land hinein. Steile und kahle Fels-
wände begrenzen an seinem Eingänge die Gewässer, die sich weiterhin vielfach
verzweigen und von bedeutender Tiefe sind. So beträgt die Tiefe im innersten
Fjord nahe dem Ufer schon 60 Faden und wächst nach dem Meere zu sogar
auf 240 Faden an. Die eiskalten Gletscherbäche, die den ausgedehnten Firn-
feldern des Svartisen entstammen, mischen sich hier mit den warmen Gewässern
der nordatlantischen Strömung und schaffen Zustände, welche auf die in der
Tiefe lebende niedere Tierwelt von grofsem Einflüsse sind. An diesen Gestaden
berühren sich die europäische und arktische Fauna oder greifen vielmehr in-
einander über. Während die inneren Buchten und Einschnitte ein ausgesprochenes
arktisches Gepräge zeigen, treten an der Mündung des Fjords und noch weiter
nach dem Meere zu südliche Formen auf. Unter den von Krause gesammelten
157 Molluskenspezies finden sich 96 arktische und 61 boreal-ouropäische Arten,
endlich werden noch 17 Echinodermen und 14 Würmer aufgeführt. Bei dem
weit nördlicher gelegenen Tromsö sind wegen des wärmeren und salzreichern
Wassers dieselben Klassen der Tierwelt ungleich mannigfaltiger und reicher an
Arten. Das vorherrschende Gestein des Festlandes und der Inseln besteht aus
Gneis und Glimmerschiefer, wovon der letztero vereinzelt grofse Granaten cin-
schliefst; stellenweise findet sich auch Urkalk abgelagert. Da in den älteren
glacialen Schichten an der Küstcnlandschaft verschiedene Muschelformcn Vor-
kommen, die für die Tiefseeablagcrung charakteristisch sind, so folgert Krause,
dafs in verhältnismäfsig jüngerer Zeit eine beträchtliche Hebung der Küste
stattgefunden haben müsse. Dieser Schlufs steht auch im Einklang mit ver-
schiedenen andern Beobachtungen, wie z. B. mit den deutlich ausgeprägten
Terrassenbildungen, von denen manche 80 m hoch über dem Meeresspiegel liegen.
Die Ergebnisse dieser Rekognoszierungsfahrt sind so vielseitig, dafs sie zur weiteren
planmäfsigen Erforschung des Fjords in Bezug auf physikalische und fatalistische
Verhältnisse auch zu verschiedenen Jahreszeiten herausfordern. H.
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Länderkunde von Europa, hcrausgogeben unter fachmännischer
Mitwirkung von Alfred Kirchhoff. Leipzig und Prag. G. Freitag und
F. Tempsky. 1887. Von diesem vortrefflichen Werke, auf dessen Erscheinen
wir im 4. Hefte des vorigen Bandes in ausführlicher Weise hinwiesen, liegen uns
bis jetzt die ersten 30 Lieferungen vor. Mit der 25. Lieferung hat Professor
A. Penck die Darstellung des deutschen Reiches zu Ende geführt; mit Lieferung
26 beginnt. Professor A. Snpan die Darstellung von Österreich-Ungarn. Zahl-
reiche Abbildungen und Karten illustrieren den Text und bilden eine vorzüg-
liche Beigabe. Indem wir uns Vorbehalten, nach Abschlnfs eines gröfseren Teils
auf das Werk zurückzukommen, wollen wir doch nicht unterlassen, von neuem
unsere Leser auf das im Erscheinen begriffene Werk hinzuweisen; die Heraus-
gabe desselben verdient in hohem Mafse die Unterstützung aller Freunde der
Geographie. W.
Amerika.
§ Westindische Skizzen. Reiseerinnerungen von K. Martin,
Professor für Geologie an der Universität zu Leiden. Mit 22 Tafeln und einer
Karte. Leiden. E. J. Brill. 1887.
Der Verfasser unternahm Ende 1884 eine geologische Untersuchungsreise
nach Niederländisch-Westindien und zwar in Gemeinschaft mit dem Professor
der Botanik Suringar ans Leiden, sowie den Herren Molengraaff, Neervoort van
de Poll und van Breda de Haan, Kandidaten der Naturwissenschaften. Die
fieise ging zunächst über Paramaribo nach Curagao ; diese Insel sowie die Eilande
Aruba und Bonaire wurden untersucht. Darauf trennte sich die Expedition:
Martin ging mit v. d. Poll über Venezuela nach Surinam zurück, um das Binnen-
land von niederländisch Guiana zu besuchen, während die drei andern Herren sich
den niederländischen Inseln über dem Winde zuwandten. Das vorliegende Buch ist
ein Sondcr-Druck des aus zwei Teilen bestehenden „Berichts über eine Reise nach
niederländisch West-Indien und darauf gegründeter Studien, von K. Martin“;
der andre Teil enthält die Geologie. Diese Skizzen von Land und Leuten nieder-
ländisch Westindiens sind, wie Verfasser selbst sagt, als eine Erholung von streng
wissenschaftlicher Arbeit geschrieben; dabei ist jedoch der wissenschaftliche
Standpunkt insofern gewahrt, als zunächst nur Selbstgesehenes und Selbst-
erlebtes geschildert wird und dabei die einschlägige Littcratur berücksichtigt
wurde. Besonders willkommen ist das Verzeichnis der über Surinam und über-
haupt niederländisch Westindien vorhandenen zum Teil wenig bekannten Litteratur,
auch ein Index fehlt nicht. Die beigegebenen Abbildungen stützen sich teils
aut Photographien, teils auf vom Verfasser selbst angefertigte Zeichnungen:
die technische Ausführung der Tafeln — teils Licht-, teils Steindruck, — ist zu
loben. Von der ansprechenden Darstellung, welche das Werk auszcichnet, haben
wir in diesem Heft an andrer Stelle (unter „Cura^ao“ in den kleineren Mit-
teilungen) eine Probe gegeben.
Atlanten.
Rieh ard An d rees Allgemeiner Handatlas in 120 Kartensciten
mit vollständigem Namenverzeichnis, herausgegeben von der Geographischen
Anstalt von Velhagen & Klasing in Leipzig. Zweite Auflage. Lieferung 1 — 9.
Der so beliebt gewordene Andreesche Handatlas ist in neun Lieferungen
der 2. Auflage erschienen. Die Herausgeber haben denselben von 96 auf 120
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178
Seiten vergröfsert, wobei besonders diejenigen Gebiete berücksichtigt wurden,
die erst in neuerer Zeit öffentliches Interesse gewonnen haben. Aufserdem sind
aber viele der alten Karten völlig beseitigt, nnd durch Neustiche ersetzt ; wieder
andre, die sich in erster Auflage als unzureichend erwiesen, wurden vollständig
überarbeitet und durch Kartons in grofsen Mafsstäben ergänzt. Es scheint alles
neue Material für die Zeichnungen und Korrekturen benutzt worden zu sein,
wenigstens innerhalb des Abschlufstermins, der bei jeder Karte unten links im
Rande verzeichnet ist. So sehen wir in der Nordpolarkarte alle Resultate der
neueren Polarreiscn verwertet. Völlig neu hinzugekommen sind Grofsbritannien
und Irland in 4 Seiten, Frankreich in 4 Seiten, ferner 1 Blatt für die Ober-
sicht der Alpen und 1 für die französisch-italienischen Alpen, sodann je eine
Karte von Griechenland, von den Kaukasusländern und von Wcstrufsland, wie
von Südschweden, von Oberitalien und von Sizilien, Calabrien und Sardinien.
Besonders reich im Vergleich zu andern Atlanten ist Afrika bedacht. Aufser
der Übersichtskarte sind die 6 Seiten der Andree-Scobelschen Karte von Afrika
aufgenommen worden, die von der Kritik allgemein anerkannt wurde. Hierzu
kommen noch Spezialblätter: Algerien, Ägypten, Deutscli-Ostafrika, die West-
afrikanischen Kolonien und das Kapland mit den Boerenrcpubliken. Bei Asien
sind als neue Ergänzungen gegeben: Ostchina und Japan, in den letzten
Lieferungen wird noch das vielumstrittene Turkestan, Afghanistan und Balutschistan
erscheinen. Bei Amerika ist ein Spezialblatt der Westindischen Inseln neu
hinzugekommen. Die bisher erschienenen Lieferungen enthalten auch eine Karte
von Neu-Gninea und dem Bismarckarchipel, auf der die Forschungen von
Finsch und von Schleinitz bereits benutzt sind. Das ganze ungeheure Material
wird der Benutzung besonders für Kaufleute, Beamte u. a. dadurch zugänglicher,
dal's ein der letzten Lieferung beizugebendes Register, welches jeden Namen
einer Stadt, eines Berges oder eines Flusses giebt, die Aufsuchung auf der
betreffenden Karte erleichtert. So werden weit über 100,000 Namen gegeben,
die ein Nachschlagebuch von gröfstem Werte bilden. Hat der Atlas in seiner
ersten Auflage eine weite Verbreitung gefunden, so wird diese, wie angedeutet,
vielfach verbesserte zweite Auflage der tüchtigen Arbeit noch mehr Freunde
zuführen.
Verschiedenes.
Die Erscheinungen des Erdmagnetismus in ihrer Abhängigkeit
vom Bau der Erdrinde, dargestellt von Dr. Edmund Neumann. Mit 3 Figuren
im Text und einer Karte. Stuttgart 1887, Verlag von Ferdinand Enke. Der
Erdmagnetismus, welcher nach Zeit und Ort veränderlich ist, hat den mensch-
lichen Geist vielfach in die Irre geführt. Die im Jahre 1839 erschienene „Theorie
des Erdmagnetismus 2 von Gaufs und Weber erhellte zuerst wie ein Lichtblitz
das Dunkel. Wenn auch später einzelnes sich als Irrtum herausstellte, so
haben doch die Beobachtungsmethoden, welche darin niedergelegt, waren, das
Werk unsterblich gemacht. Zehn Jahre später wies Kreil in Wien nach, dafs
die Äul'sernngen der erdmagnetischen Kraft in den Gebirgsgegenden andre sind
als in der Ebene, dafs sie also von der geographischen Lage abhängen. Die vor-
liegende Schrift sucht nun diese scheinbare Regellosigkeit, gleichsam die wunden
Stellen aufzudecken, welche die Regungen der innern Kräfte der Erde verzerren.
Der Herr Verfasser, dem die geologische Landesaufnahme von Japan übertragen
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war, hat in verdienstlicher Weise gleichzeitig auch die magnetischen Aufnahmen
dort vorgenommen, wobei ihn zwei geschickte Japanesen, Sekino und Kodnri,
unterstützten. In weniger als zwei Jahren war das ganze Land mit einem
System von 200 Beobachtungspunkten überzogen. Auf dem vom hydrographischen
Amte in Tokio errichteten magnetischen Observatorium wnrde die Deklination
täglich 7 Uhr morgens abgelesen, während Inklination nnd Horizontalintensität
zweimal im Monat beobachtet wurden. Aus dem so gewonnenen Material zog
der Verfasser den Schlafs, dafs hier ein ausgezeichnetes Beispiel des Zusammen-
hangs zwischen magnetischen Erscheinungen nnd dem geologischen Bau der
Erdrinde vorliege Die Isogone, welche die Orte von ö Grad wcstl. Deklination
verbindet, erleidet bei der Insel Sado eine merkwürdige Einbiegung, die genau
mit dem Störungsgebiet des Gebirges zusammenfällt. Diese Thatsachc ver-
anlagte den Verfasser, nun auch in andern Gebieten der Erdoberfläche dasselbe
Abhängigkeitsverhältnis nachzuweisen. In Europa zeigen die magnetischen
Linien innerhalb des Alpengebiets die gröfsten Abweichungen, aber auch für
Belgien, Holland nnd Norddeutschland ist kein vollständiger Parallelismus vor-
handen, da am Znider See und bei Lauenburg eine östliche Biegung der Iso-
gonen vorkommt. Weitere Anomalien ergab die magnetische Aufnahme Schott-
lands, wo die Insel Man einen außerordentlichen Einfluß auf die Nadel ausübt.
Die Störungen werden hier dem starken Eisengehalt der vulkanischen Auf-
schüttungsgesteine zugeschrieben. Wegen der magnetischen Unregelmäßigkeiten
am Finnischen Meerbusen und im Weißen Meer ist schon manches Schiff ge-
scheitert. Auch hier sucht der Verfasser den Grund in den Eruptivmassen,
die mit metamorphosierten paläozoischen Gesteinen wechsellagern. Der Einfluß
des Landes auf die Magnetnadel hört in der Regel 5 bis 6 Seemeilen von der
Küste auf, erstreckt sich jedoch an einigen Stellen auf 20 bis 30 Seemeilen
Entfernung. An manchen Orten ist die Unregelmäßigkeit auf einen kleinen
Umkreis beschränkt, wie z. B. an den bekannten Schnarchern des Harzes,
deren Magnetisierung man vielleicht Blitzschlägen zuschreiben könnte. Nach
den erdmagnctischcn Aufzeichnungen zu Wilhelmshaven ist der von Südost.
nach Nordwest streichende Erdstrom als wesentliche Ursache der Schwankungen
der magnetischen Deklination und Horizontalintensität anzusehen. — Eine er-
schöpfende Darstellung der magnetischen Erdkraft mit Festlegung der Linien
gleicher Säknlaränderung für verschiedene Zeiträume in ihrer Abhängigkeit
vom geologischen Bau der Erde wird noch lange die Arbeitskräfte der Forscher
in Anspruch nehmen. H.
§ Der Weltverkehr. Telegraphie nnd Post, Eisenbahnen und Schiffahrt
in ihrer Entwickelung dargestellt von Dr. Michael Geistbeck. Mit 123 Abbil-
dungen und 33 Karten. Freiburg i. B. Herderscher Verlag. 1887.
Der Verfasser verfolgte mit seinem Buch die Absicht, die modernen Ver-
kehrsmittel in ihrer Gesamtheit und nach dem neuesten Stande ihrer Ent-
wickelung in gemeinverständlicher Darstellung zu behandeln. Wenn auch die
einzelnen Abschnitte sehr ungleichartig behandelt sind, einige zn kurz, andre
dagegen wieder zu ausführlich gehalten und über ihr eigentliches Gebiet hinans
ausgedehnt sind, wenn man ferner sagen muß, daß nach manchen Richtungen
erst sorgfältige, auf mühevollen, zeitraubenden Studien beruhende Einzelarbeiten
voranzugehen haben werden, ehe man durch ein solches allgemeines Werk in
gründlicher Weise die Summe, ziehen knnn, so heißen wir doch die fleißige,
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frisch und anregend geschriebene Arbeit Dr. Geistbccks hoch willkommen und
wir zweifeln nicht, dafs sie viele Leser, namentlich auch im Kreise der Jugend,
finden wird, zumal sie illustrativ sehr reich ausgestattet ist, — das Verzeichnis
der Illustrationen zählt 154 Nummern — und in den Ausführungen der ver-
schiedenen Abschnitte eine Menge interessanter Einzelheiten passend zusammen-
getragen und eingeordnet sind. Dazu gehört beispielsweise das Kapitel , Leitungs-
störungen“ im ersten Teil: Telegraphie, sowie verschiedene andre. Der zweite
Teil ist: .Weltpost“ überschrieben und dieser, wie Teil drei: „Eisenbahnen“,
bilden, w r enn man so sagen darf, den Kern des Buchs, während im vierten Teil,
„Schiffahrt" in 11 Kapiteln freilich sehr vielerlei geboten w'ird, doch manches eben
deshalb skizzenhaft bleibt. Auch das Schlnfskapitel des Buches, dessen Titelbild
sehr zukunftsmusikalisch einen Luftballon darstellt, wird jeder mit Interesse
lesen, es ist eine Darstellung der Wirkungen der modernen Verkehrsmittel und
einem Aufsatz des Staatssekretärs Herzog in der Deutschen Rundschau entlehnt.
Zur Besprechung gingen ferner ein : In Fortsetzung Heft 3 des Lieferungs-
werkes Tre Ar i Kongo. Skildringar af P. Möller, G. Pagels och E. Gleerup,
Stockholm, Verlag von Norstedt & Söhne. — The Antananarivo Annual and
Madagascar Magazine. No. X. Christmas 1886 (enthält eine gröfsere Zahl
von Abhandlungen zur naturwissenschaftlichen und ethnologischen Kunde von
Madagaskar.) — Vorläufiger Bericht, über eine im Dezember 1885 bis Februar 1886
ausgeführte botanische Reise in den Provinzen Cördoba, San Luis und
Mendoza, von Professor Dr. F. Kurtz. Buenos-Aires 1887. — Annual report of
the Collector General of Customs, relative to the imports, exports, immigration
and navigation of the Hawaiian Islands for the year, ending December 31 1886.
Druck von Carl Schtlucmann. Bremen.
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I
Heft 3.
Deutsche
Band X.
Geographische Blätter.
Herausgegeben von der
Geographischen Gesellschaft in Bremen.
Beitrüge und sonstige Sendungen an die Redaction werden unter der Adresse :
I)r. M. Lindeman, Bremen, Mendeetrasse 8, erbeten.
Der Abdruck der Original-Aufsätze, sowie die Nachbildung von Karten
und Illustrationen dieser Zeitschrift ist nur nach Verständigung mit
der Redaction gestattet.
Der Schwarzwald.
I. Orographisch-geologische Übersicht
von Prof. Dr. Platz in Karlsruhe.
A. Orographie.
Der Schwarzwald bildet einen Teil des oberrheinischen Gebirgs-
systems, welches sich beiderseits der oberrheinischen weiten Tief-
ebene von Basel bis zur Mainmündung ausdehnt. Schwarzwald und
Odenwald einerseits, Vogesen und Hardt anderseits, geben sich
durch gleichartigen topographischen wie geologischen Bau als Glieder
einer grofsen ursprünglich zusammenhängenden Gebirgsmasse zu
erkennen, deren allgemeiner Bau nach dem Ausdruck von E. de
Beaumont das Bild eines flachen Gewölbes mit fehlendem resp. ver-
sunkenem Schlufsstein darbietet.
Symmetrisch kehren sich beide Ketten ihre Steilabhänge zu,
während die äufseren Abhänge mit schwachem Fall in die angrenzen-
den Hügelländer verlaufen; auch im Süden steil abfallend, sind sie
rechts des Rheins durch das Thal desselben zwischen Schaffhausen
und Basel, links durch die höher liegende burgundische Pforte von
dem südlich aufsteigenden Jura getrennt. Ebenso symmetrisch ist
der geologische Bau: im Süden die ausgedehnten Urgebirgskerne,
welche die höchsten Teile der Gebirge einnehmen , nördlich und
östlich von Buntsandstein überlagert, welcher sich nach Norden
immer breiter über die sich senkenden Urgesteine lagert; auf der
Aufsenseite die jüngeren Gesteine in parallelen Streifen aufgelagert,
am Innenrande dieselben Gesteine mannigfach zerstückelt und ver-
worfen in einzelnen Schollen den Steilabfall begleitend.
Die räumliche Anordnung der einzelnen Gesteine, soweit sie
überhaupt von wesentlicher Bedeutung sind, läfst somit ein allge-
Ceograph. Blätter. Bremen, 1887.
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— 182 —
meines Gesetz erkennen, welches den Gebirgsbau des oberrheinischen
Systems and seiner Umgebung beherrscht.
In der Mitte des gesamten Systems ragen die alten krystaliini-
schen Gesteine in Form langgestreckter Inseln über die Seditnent-
gestemc empor; auf die flach geneigten Auf senseiten lagern sich sodann
in regelmäfsiger Aufeinanderfolge die jüngeren Sedimentgesteine, sodafs
man von den Höhen des Gebirges nach Osten oder Westeti fort-
schreitend, immer jüngere Gesteine betritt. Die Reihenfolge derselben
ist vollständig vom Buntsandstein bis zum obersten Jura, während
die Schichten der Kreidezeit in ganz Süddeutschland fehlen, so dafs
auf den Jura direkt die tertiären Ablagerungen aufgelagert sind.
Wie so die südwestdeutschen Gebirge in Bezug auf die räum-
liche Anordnung der Sedimentgesteine eine bestimmende Rolle
spielen, so ist dies auch in dem inneren Bau der Fall: alle Schichten
vom Bunisandstein aufwärts fallen von den alten Gebirgslcernen ab
und nehmen gleichzeitig mit wachsende)' Entfernung von den beherr-
schenden Zentralmassen an Mächtigkeit zu.
Auch in der Richtung von Süden nach Norden, der Längs-
richtung der beiderseitigen Gebirge, zeigt sich Übereinstimmung,
indem die Höhe nach Norden zu immer mehr abnimmt. Sehr regel-
mäfsig ist diese Abnahme auf der linken Rheinseite, so dafs Vogesen
und Hardt geradezu Zusammenhängen, während rechts des Rheins
Schwarzwald und Odenwald durch eine weite Senkung: das Kreich-
gauer Hügelland, getrennt sind, in welchem sich die jüngeren
Gesteine bis zum Rande der Rheinebene ausdehnen, wo sie durch
einen niedrigen, aber ebenfalls steilen Absturz abgeschnitten sind.
In dieser Senkung ist der Schichtenbau ein muldenförmiger, wobei
die jüngeren Gesteine im Tiefsten der Mulde liegen.
Während links des Rheins das oberrheinische Gebirgssystem
südlich von Mainz aufhört, setzt es sich auf der rechten Seite, wie
von Gümbel (diese Zeitschrift, Bd. IV, Heft 1) ausgeführt wurde,
noch über den Main in dem Spessart fort, welcher, wie dort nach-
gewiesen wurde, in orographischer wie in geologischer Beziehung
als Fortsetzung des Odenwaldes erscheint.
Gehen wir nun zum Schwarzwald selbst über, so steht uns
hier zur Beurteilung seiner orometrischen Verhältnisse die kürzlich
erschienene vorzügliche Arbeit über die Orometrie des Schwarzwaldes
von Prof. Br. Neumann in Freiburg (erschienen als Heft 2 des ersten
Bandes der Geographischen Mitteilungen, herausgegeben von Penck,
Wien 1886) zu Gebot, aus welcher wir mit gütiger Erlaubnis des
Verfassers das Wesentliche der folgenden Angaben entnehmen.
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— 183 —
Die Umgrenzung des Gebirges ist im Süden wie im Westen
durch die Natur selbst gegeben, im Süden durch den Rhein, im
Westen durch die den Steilabfall begrenzende Tiefebene, an deren
Rande zwar stellenweise breitere oder schmalere Hügelketten eine
Zwischenstufe von wesentlich andern topographischen Charakter
bilden, indessen im Gegensatz zur Ebene dem Gebirge zugerechnet
werden müssen.
Im Norden und Westen ist eine natürliche Grenze nicht vor-
handen; ziemlich allgemein wurde bisher diese Grenze nach dem
geologischen Bau dahin verlegt, wo der Muschelkalk dem Bunt-
sandstein aufgelagert ist, indem mit dem Auftreten des Muschelkalks
Bewohnung, Bewaldung und topographischer Charakter sich ändern.
Neumann zieht die Grenzen etwas weiter, indem er als Nordgrenze
die Linie von Durlach nach Pforzheim, als Ostgrenze die Flüsse
Nagold, Neckar und Wutach annimmt, um dadurch für die Orometrie
Tiefenlinien als Umgrenzung zu erhalten.
Nach diesen erweiterten Grenzen beträgt das gesamte Areal
7862,21 qkm, wovon auf den badischen Anteil 6063,23 qkm oder
77,12 Prozent, auf den württembergischen einschliefslich eines kleinen
Stückes von Hohenzollern 1798,88 qkm oder 22,88 Prozent entfallen.
Dem Donaugebiet gehören nur 513, 40 qkm oder 6,53 Prozent, dem
Rheingebiet 7348, 8i qkm oder 93,47 Prozent an.
Scheidet man das Muschelkalkgebiet aus, welches nördlich und
östlich den eigentlichen Schwarzwald umgiebt, nimmt man also statt
der oben angegebenen Flufsläufe die Linie Malsch (bei Rastatt),
Dobel, Pforzheim, Nagold, Villingen, Gündelwangen als Grenze, so
enthält dieser Schwarzwald im engeren Sinne noch 6958, 81 qkm, in
welcher Zahl noch die Vorhügel mit inbegriffen sind. Die im fol-
genden angegebenen Zahlenwerte beziehen sich sämtlich auf das von
Neumann angenommene gröfsere Areal ; für den eigentlichen Schwarz-
wald würden die Höhenzahlen etwas gröfser ausfallen.
Die Längenerstreckung des ganzen Gebirges von Durlach bis
zum Rhein bei Laufenburg beträgt 163,8 km, die mittlere Breite
48,u km, während die gröfste Breite (Ost-Westrichtung) im Süden
gegen 70 km beträgt und gegen Norden ziemlich regelmäfsig ab-
nimmt.
Zwei westöstlich gerichtete Depressionen durchschneiden das
ganze Gebirge und bewirken dadurch eine natürliche Gliederung in
einen südlichen, mittleren und nördlichen Teil, im Süden die ent-
gegengesetzt gerichteten Thalläufe der Dreisam und der oberen
Wutach, deren Wasserscheide auf 890 m Höhe durch ein flaches
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Torfmoor gebildet wird, und das Thal der Kinzig, welche, auf dem
Ostabhange entspringend, den Schwarzwald in seiner ganzen Breite
durchschneidet. Durch die fast geradlinig südnördlich gerichteten
Längsthäler der Brigach, Schiltach, oberen Kinzig und Murg wird
dann noch ein viertes Gebiet, der östliche Schwarzwald, abgegrenzt.
Der topographische Charakter des Gebirges ergiebt sich am
einfachsten aus der Betrachtung des Längs- und Querprofils. Das
Querprofil zeigt überall — von den Thaleinschnitten abgesehen —
dieselbe Gestaltung: Steilabfall gegen Westen nach dem Rheinthal,
ganz allmähliche Senkung gegen Osten, also eine Plateaubildung,
welche stellenweise den Charakter einer welligen Hochebene an-
nimmt; von einem scharfen Gebirgskamm ist nirgends die Rede.
Als Längsprofil wird daher die Linie betrachtet, welche parallel
dem steilen Westabfall über die höchsten Punkte geht. Am Süd-
fufse von dem Ufer des Rheins steil bis auf etwa 1000 m auf-
steigend, erhebt sich der Rücken alsdann langsam bis zum Kul-
minationspunkt im Feldberg (1495 m), von wo er sich allmählich bis
zur Dreisam- Wutach- Wasserscheide (890 m) senkt. Nach Üeber-
schreitung dieser Tiefenlinie hebt sich der Kamm wieder bis zu dem
nahe gelegenen Kulminationspunkt, der Weifstannenhöhe (1192 m)
und senkt sich von da allmählich zur Kinzig, hebt sich nördlich davon
allmählich wieder bis 1166 m auf der Hornisgrinde, dem höchsten
Punkt des nördlichen Schwarzwaldes, von wo aus sich die Höhe
gegen Norden sehr allmählich vermindert. Sehr schön übersieht man
diesen Verlauf von einem Punkt der gegenüberliegenden Vogesen,
was aber hier als einheitlicher Kamm erscheint, ist gebildet durch
die perspektivische Vereinigung mehrerer hintereinander liegenden
Rücken. Dem Plateaucharakter des Gebirges entsprechend erheben
sich die Berge nur wenig über die breiten Rücken und zwar im
allgemeinen mit abgerundeten, wenig charakteristischen Formen;
was in den Thälern als einzelne Berge erscheint, sind nur die Aus-
läufer der durch Seitenthäler gebildeten Ketten. Nur im südlichen
Schwarzwald erheben sich einzelne der höchsten Berge bedeutend
über die umgebenden Rückenlinien, so Feldberg, Belchen und Blauen.
Ebenso liegen die Pässe meist relativ hoch, manche, z. B. der
Kniebis, führen geradezu über die Hochfläche ohne irgend welche
Einsenkung.
Zahlreiche Thäler durchschneiden den massigen Gebirgskörper
und bedingen eine komplizierte Gliederung , welche in den vier
Hauptteilen eine wesentlich verschiedene ist, wie auch die Thal-
gestaltung selbst.
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— 185
Im südlichen Schwarzwald beginnen dieselben fast ausnahmslos
als weite flache Hochthäler, und gehen nach unten rasch in steil—
wandige oft felsige Thalschluchten mit starkem Fall der Thalsohle
über. In diesen Hochthälem liegen daher zahlreiche gröfsere
geschlossene Ortschaften und Städte, wie Lenzkirch, Neustadt, St.
Blasien, Todtmoos, Schönau, Todtnau u. a. in Höhen von 6 — 800 m.
Im mittleren Schwarzwald ist der Hochthalcharakter nur schwach
und auf kürzere Strecken ausgeprägt, der Mittellauf entbehrt meist
der steilen Felspartien, während die Thäler im Unterlauf sich oft
bedeutend erweitern und so ziemlich tief ins Gebirge einschneidende
fast ebene Thalsohlen bilden.
Im nördlichen Schwarzwald sind die Verhältnisse nahezu die-
selben, auch hier nimmt das Thalgefälle von oben nach unten ab,
nur die Murg macht hiervon eine Ausnahme, indem das Gefäll des
Mittellaufs das stärkste ist und dieser Teil sich zugleich durch
felsige Thalwände auszeichnet.
Der östliche Schwarzwald, dessen Thäler dem Neckar znlaufen,
sowie das Donaugebiet des mittleren Schwarzwaldes hat durchweg
weite flache Thäler mit geringem Gefäll.
Im südlichen Schwarzwald herrscht die südliche Thalrichtung
bei weitem vor, während die Hauptkämme vom höchsten Punkt,
«lern Feldberg, nach Osten, Süden und Westen ausstrahlen und die
Seitenkämme sich dem Laufe der Thäler entsprechend parallel
nach Süden richten.
Im mittleren Schwarzwald wird die Konfiguration der Höhen
durch die nördlich verlaufenden Thäler der oberen Elz und der
Gutaeh bedingt, welche, letztere von zwei breiten Hauptkämmen
begleitet wird, die beide an der Kinzig endigen.
Parallel damit erhebt sich nahe dem Westabfall noch ein
dritter Kamm, der durch die in einer Linie von Süd nach Nord
steil und felsig aufsteigenden kegelförmigen Porphyrberge (Hühner-
sedel, Geisberg, Geroldsecker Schlofsberg, Rauhkasten, Steinfirst)
eine von dem Charakter des höheren Schwarzwaldes abweichende
Physiognomie erhält. Der östliche, dem Wutach- und Donaugebiet
angehörige Teil des mittleren Schwarzwaldes mit seinen zahlreichen
östlich gerichteten Thälern hat den Plateaucharakter, ohne erheblich
aufsteigende Kämme.
Der nördliche Schwarzwald enthält nur einen Hauptkamm, der
sich in der Hornisgrinde auf 1166 m erhebt und sich dort zugleich
am meisten dem Rheinthal nähert. Nur im südlichen Teil zieht
noch ein bedeutender Seitenkamm dem Hauptkamme parallel.
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Im östlichen Schwarzwald zieht sich die Hauptwasserscheide
zwischen Kinzig und Murg einerseits, Neckar und Nagold ander-
seits, als flacher Rücken, der nicht mehr als Gebirgskamm bezeichnet
werden kann, nahe den Flüssen, welche dieses Gebiet westlich
begrenzen, von Süd nach Nord und steht nur an zwei Stellen mit
den westlichen Kämmen in Verbindung. Die zahlreichen östlich
laufenden Flüsse zerteilen das Plateau in einzelne Felder ohne her-
vorragende Bergkuppen oder Einschnitte, während der steile West-
abfall nur ganz kurze Seitenäste aussendet und so als gleichförmig
aus den tiefgelegenen Thalsohlen aufsteigende Wand erscheint.
Noch charakteristischer drückt sich die Gestaltung des Gebirges
in den von Neumann ermittelten orometrischen Werten aus, von
welchen hier die wichtigsten aus dem früher angeführten Werke
mitgeteilt werden.
Die mittleren Höhenverhältnisse ergeben sich aus folgender
Tabelle (pag. 32, Neumanns Orometrie)
Gruppe
Summe
aller
Kamm-
längen
Mittlere
Kamm-
hölie
Mittlere
Schartung
Mittlere
Gipfelhöh.
c3 OP
02 J!
*o
53 £
fl?
S ■**
km
m
m
m
m
Südlicher Schwarzwald
713,9
854,1
49,7
879,0
829,3
Mittlerer do.
650,8
792,9
33,4
809,6
776,2
Nördlicher do.
415,8
725,3
45,2
747,9
792,7
Östlicher do.
500,3
656,8
12,6
663,1
650,5
Ganzes Gebirge
2280,8
769,8
36,1
787,9
751,8
Der südliche Schwarzwald erscheint somit sowohl in den
Gipfel- wie in den Kammhöhen als der höchste Teil; 16 Kämme
erheben sich hier über 1000 m, während der mittlere Schwarzwald
deren noch 10, die übrigen Teile aber keine Kämme von dieser
Höhe besitzen.
Der Plateaucharakter drückt sich ferner besonders deutlich in
der geringen mittleren Schartung aus, welche wiederum im südlichen
Teil am gröfsten erscheint und hier in einzelnen Kämmen um die
höchsten Punkte Werte von etwas über 100 m erreicht. An aus-
gedehnten Strecken des östlichen Schwarzwaldes hingegen ist der
Abfall so gleichmäfsig, dafs weder Gipfel noch Sättel auftreten, also
auch keine Schartung bestimmt werden kann.
Ein weiteres wichtiges orometrisehes Element ist die mittlere
Thalhöhe, welche die Höhe des Sockels angiebt, auf welchem die
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Kämme als liegende dreiseitige Prismen aufgesetzt sind. Es ergaben
sich die folgenden Werte (1. c. pag. 33):
Mittlere
Sockelhöhe
Relative
Kammhöhe
Südlicher Schwarzwald
Mittlerer do.
m
608,0
565,6
460,1
516,4
m
246.1
227.3
265.2
140.4
Nördlicher do.
Östlicher do.
Das Gebirge im ganzen
545,5
224,3
Die relative Kammhöhe ist im nördlichen Schwarzwald am
gröfsten, weil hier die Thäler am tiefsten eingeschnitten sind.
Das ganze Gebirge kann somit aufgefafst werden als eine
horizontale Platte von 7862,21 qkm Flächeninhalt und 545,5 m
Höhe, auf welcher die Kämme in einer Länge von 2280,8 km mit
einer mittleren Höhe von 224,3 m aufgesetzt sind.
Der massige Charakter des Gebirges drückt sich auch in der
Verteilung der Areale der einzelnen Höhenschichten aus. 57 Prozent
des gesamten Areals liegen höher als 600 m, 26,01 Prozent über
800 m und nur 6,4 Prozent über 1000 m.
Der Kubikinhalt des ganzen Gebirges ergab sich zu 4987,2 cbkm,
die mittlere Höhe oder die Höhe des ausgeehneten Plateaus zu
635,8 m.
Der Gesamtinhalt teilt sich in
1) Sockelvolum : 4288,751 cbkm,
2) Kammvolum: 698,536 „
Summa : 4987,287 cbkm.
Dafs die Sonklarsche Methode der Volumberechnung, nach
welcher die Kämme als liegende dreiseitige Prismen betrachtet
werden, deren Volum aus der mittleren Thalhöhe, der mittleren
Kammhöhe und dem Neigungswinkel bestimmt wird, nur bei den
scharfgeschnittenen Kämmen des Hochgebirges anwendbar ist und
auch da nur angenäherte Werte liefern kann, ist bekannt. Die
Werte von Neumann wurden daher durch Benutzung der aus der
Jordanschen Höhenschichtenkarte von Baden und Württemberg ent-
nommenen Horizontalkurven von 200 m Vertikalabstand, deren
Flächeninhalt planimetrisch bestimmt wurde, berechnet und haben
somit grofse Zuverlässigkeit.
Die Volumbestimmung, wie sie von Sonklar eingeführt wurde,
leidet aber an einem prinzipiellen Fehler, indem das Gebirgsvolum
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vom Meeresspiegel aus gerechnet wurde. Zur Gebirgsmasse gehört
aber nur dasjenige Volum, welches sich über die Umgebung erhebt.
Zur Charakterisierung des Gebirges mufs daher noch eine
neue Gröfse eingeführt werden: die Höhe der Gebirgsbasis.
Für den Schwarzwald berechnet sich die Höhe der Basis
folgendermafsen :
Länge
Mittlere
Höhe
Produkt.
Westrand
200 km
154 m
30800
Südrand
60,7 „
270,1 „
16395
Ostrand
194,75 „
401,9 „
89 958
Nordrand
26,0 „
193,2 „
5004
481,45km 142 157
Durch Division der Produktensumme durch die Gesamtlänge
erhält man die mittlere Höhe der Basis = 295,26 m.
Da nun die Meereshöhe des Sockels 545,5 m beträgt, so ist
die Dicke des Sockels über der Gebirgsbasis gleich 545,5 — 295,3 =
250,2 m.
Demnach ist das Sockelvolum über der Basis gleich 7862
X 250,2 = 1967,2 cbkm
Hierzu das Kammvolum 698,5 „
folglich das Gesamtvolum des Gebirges über der Basis 2665,7 cbkm-
Die Masse des Sockels ist also etwa dreimal gröfser als die Masse
der Kämme.
Bei der Berechnung der Lotablenkung durch die Gebirge kommt
offenbar nur die auf diese Weise berechnete Masse in Betracht.
Ein charakteristisches topographisches Element des Schwarz-
waldes bilden die Seen. Nach ihren topographischen Verhältnissen
können sie in zwei wesentlich verschiedene Gruppen geteilt werden,
die wir kurz als Thalseen und Bergseen bezeichnen wollen.
Die Seen der ersten Gruppe liegen in gröfseren Thälern und
sind durch langgestreckte Form, wie durch ihre Gröfse ausgezeichnet.
Zu ihnen gehören:
1) der Titisee, im Flufsgebiet der Wutach, 1,078 qkm grofs,
von ovaler Gestalt, Wasserspiegel 848 m über dem Meere,
Tiefe 39 m,
2) der Schluchsee im Gebiet der Schwarza, ebenfalls dem
Flufsgebiet der Wutach angehörig, 1,014 qkm grofs,
lang und schmal, Wasserspiegel 900 m, Tiefe 28,5 m.
Beide Seen sind oberhalb durch flache, sich nur wenig über den
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— 189
Seespiegel erhebende Torfmoore abgeschlossen, welche eine frühere
gröfsere Ausdehnung bezeichnen; nach unten sind sie durch dilu-
viale Geröllmassen abgeschlossen , in welche der Abflufs einge-
schnitten ist; bei beiden ist der Boden auf gröfsere Strecken
horizontal.
Beide Seen sind offenbar Stücke des alten Thalbodens, welcher
unterhalb durch Geröllmassen ausgefüllt worden ist. Beim Titisee
wird diese Entstehung dadurch besonders wahrscheinlich gemacht,
dafs das ganze Thal unterhalb des Sees 5 km weit mit Gerollen
ausgefüllt ist, in welche der Ablauf eingegraben ist; anstehender
Fels kommt in der Thalsohle erst bei Neustadt in der Höhe von
807 m, 4,1 m unter dem jetzigen Seegrund, zum Vorschein.
Beim Schluchsee liegt die Sache etwas anders; sein jetziger
Abflufs ist in der Richtung nach Süden in den Felsen eingeschnitten,
aber sicher nicht der ursprüngliche, welcher der Richtung des Sees
und des oberen Thals entsprechend gegen Südosten ging und nun
durch mächtige Geröllmassen abgesperrt ist.
Diesen Thalseen ist auch der kleine W indgfällweier, zwischen
Titisee und Schluchsee nahe bei einer sekundären Wasserscheide
gelegen, zuzurechnen.
Mehrere Hochthäler des Schwarzwaldes, welche einen ebenen
moorigen Grund besitzen, sind wahrscheinlich ausgefüllte Seebecken.
Auch die Gruppe der Bergseen zeigt viel Übereinstimmendes.
Sie liegen sämtlich in kesselförmigen Ausweitungen der im übrigen
ziemlich regelmäfsig abfallenden Bergwände, haben also sehr schön
die Zirkusform und sind nach unten durch niedrige Hügel abge-
schlossen. In der Regel werden sie nur durch Quellen gespeist,
welche am Hintergrund des Kessels entspringen. Ihre Form ist
meistens annähernd kreisrund, ihre Tiefe gering (12 — 20 m), der
Grund und die nächste Umgebung torfig und das Wasser, wie auch
das der gröfseren Thalseen, durch aufgelöste Humussubstanzen
braun gefärbt. Ihr Durchmesser beträgt meistens nur 2 — 300 m.
Zu dieser Gruppe gehören :
1) Der Wildsee (913 m) im Murggebiet. (Buntsandstein.)
2) „ Schurmsee (789 m) im „ „
3) „ Ellbachsee „ „ „
4) „ Herrenwieser See (830 m) im Murggebiet. „
5) „ Mummelsee (1032 m) im Achergebiet. „
6) „ Glaswaldsee (876 m) „ Kinziggebiet. „
7) „ Feldsee (1113 m) „ Wutachgebiet. (Gneis.) (Am
Ostabhang des Feldbergs.)
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8) Der Nommattweier (913 m) im Wiesegebiet. (Culm.)
(Fast ganz mit Torf überwachsen.)
An vielen Stellen des Schwarzwaldes linden sich ganz gleich
gestaltete kesselförmige Ausweitungen, deren Boden gänzlich mit
Torf ausgefüllt ist, und die wohl auch als ehemalige Seebecken
anzusehen sind; manche derselben enthalten noch zeitweise etwas
Wasser.
Verschieden hiervon sind die beiden Seen auf dem Plateau
des Hohloh, östlich vom Murgthal, deren Umgebung sich nur ganz
wenig über den Wasserspiegel erhebt: der Hornsee und Hohlohsee.
Sie sind nur 1 — 2 m tief und teilweise mit Torf überwachsen.
Erwähnung verdient noch der veränderliche Eichener See im
Muschelkalkgebiet bei Schopfheim im Wiesenthal. Er bildet eine
flache von unregelmäfsig geformten Hügeln eingeschlossene Vertiefung,
welche gewöhnlich als Wiese und Ackerfeld benützt wird und sich
in nassen Jahren 1 — 2 m hoch mit Wasser füllt. Dasselbe steigt
aus dem lehmigen Boden auf und verschwindet ebenso wieder,
ohne dafs hier irgend welche Oeffnungen vorhanden wären.
B. Geologie.
Nirgends auf der Erde ist die vollständige Reihe der Gesteins-
bildungen vorhanden , auch die Gesteinsfolge des Schwarzwaldes
zeigt einige bedeutende Lücken. Es fehlen nämlich die dem
Gneis, welcher die Zentralmasse des Schwarzwaldes bildet, im
Alter zunächst folgenden krystallinischen Schiefer mit dem cam-
brischen und sibirischen System, ferner die Gesteine der Kreidezeit
gänzlich, während die Schichten der Tertiärzeit nur am Rande in
vielfach unterbrochenen isolierten Ahlagerungen Vorkommen. Dabei
ist aber die Raumerfüllung der einzelnen Gesteine eine sehr ungleiche,
indem Gneis, Granit, Buntsandstein und Muschelkalk der Ausdehnung
nach so sehr überwiegen, dafs die andern Formationen dagegen
fast verschwinden. Von dem Schwarzwald in der oben angegebenen
weiteren Umgrenzung nehmen die einzelnen Formationen folgende
Flächenräume ein:
Gneis 1900 Quadratkilometer oder 24, ie Prozent
Granit 1400 „ „ 17 , 8 « „
Bundsandstein . . . 2420 „ „ 30,79 „
Muschelkalk 1224 „ „ 15, ss ,,
Summa . . . 88,6* Prozent
die paläozoischen Gesteine, Kohlenformation und Rotliegendes er-
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füllen etwa 200 qkm oder 2 Prozent, während die sämtlichen
jüngeren Gesteinsbild ungen in dem Rest von 9,s« Prozent enthalten
sind, in welchem wieder die Diluvialbildungen der Vorhügel den
weitaus gröfsten Raum beanspruchen. Da der Muschelkalk nur auf
die äufsere Umrandung beschränkt ist und geologisch eigentlich nicht
zum Schwarzwald gehört, so sind im eigentlichen Schwarzwald
Gneis, Granit und Buntsandstein die weitaus vorherrschenden und
charakteristischen Gesteine, neben denen nur noch die Porphyre
mehr durch ihr auffallendes Hervortreten, als durch Einnehmen
gröfserer Flächenräume zu bemerken sind.
I. Krystallinische Gesteine,
1) Gneis.
Der Gneis bildet als zusammenhängende Masse den zentralen
Gebirgskern des Schwarzwaldes von Badenweiler bis zum Renchthal
in einer südnördlichen Erstreckung von 84 Kilometer mit einer
mittleren Breite von 20 Kilometer, welche sich zwischen Freiburg
und Neustadt auf 34 Kilometer erweitert. Südlich des Kinzigthals
frei zu Tage ausgehend, wird er im nördlichen Theil von der an-
fangs nur in schmalen Zügen, dann immermehr sich in die Breite
ausdehnenden Masse des Bunt Sandsteins bedeckt; dafs er sich aber
nördlich wie südöstlich noch weiter ausdehnt, beweist das Vor-
kommen desselben in den tief eingeschnittenen Thälern der Murg und
Wutach. Von Badenweiler bis zum Elzthal bildet Gneis den westlichen
Steilabfall des Gebirges und erhebt sich zugleich zu den gröfsten
Höhen : Feldberg (1495 m), Herzogenhorn (1417 m), Belchen (1415 m),
Schauinsland (1286 m) und Kandel (1243 m); von hier an nördlich
sind ihm jüngere 0 steine in niedrigen Bergen und Hügelzügen
vorgelagert.
Getrennt von dem Hauptstock liegen noch im südlichen
Schwarzwald zwei gröfsere isolierte Gneismassen zwischen den Thälern
der Werra und Wutach, im Norden zwischen Achern und Bühl eine
dritte, welche sich im Omerskopf bis auf 874 m erhebt.
Im ganzen Gebiet herrscht eine Varietät des Gneises so sehr
über alle andern vor , dafs sie als Schwarzwald-Normalgneis be-
zeichnet werden kann. Es ist dies ein kömig-flaseriger , dunkler
Gneis, aus Quarz, Orthoklas und Biotit zusammengesetzt, mit ganz
geringem Gehalt an Plagioklas, welcher nur selten (Petersthal) den
Orthoklas an Menge übertrißt. Quarz und Feldspat bilden mit
wenig Glimmer ein kleinkörniges Gemeng in dünnen Lagen, welche
durch glimmerreiche Lagen verbunden sind. Die parallele Anordnu
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dieser glimmerreichen Lagen giebt, dem Gneis die schiefrige Struktur,
welche auch als Schichtung bezeichnet wird. Die Schieferurigsflächen
sind aber nur selten auf gröfsere Erstreckungen hin gleichförmig, indem
sich die Glimmerlagen auskeilen ; auch sind sehr häufig diese Flächen
auf das Unregelmäfsigste gewunden, gebogen, oft spiralförmig gerollt
und geknickt, so dafs sich nirgends gröfsere Platten durch Spaltung
gewinnen lassen.
ln dieser Hauptmasse liegen nun noch folgende Varietäten
eingeschaltet :
a) körnig-streifiger Gneis, aus geradlinigen sehr gliiniuerarmen
und glimmerreichen Bändern von grofser Festigkeit zusammengesetzt.
b) körniger granüischer Gneis, sehr glimmerarm und dieser
regellos zerstreut, gröfstenteils von heller, oft weifser Farbe. Teil-
weise ist das Gestein von Granit im Handstück nicht zu unter-
scheiden, geht aber häufig durch Vermehrung und parallele Lagerung
der Glimmerhlättehen in wahren Gneis über. Häufig enthält das
Gestein kleine Granaten eingesprengt.
c) schiefriger Gneis, glimmerreich, der Glimmer gleichinäfsig
in parallelen Schuppen dem ganzen Gestein eingelagert, so dafs dieses
sich an jeder Stelle spalten läfst ; durch glimmerreiche dünne Streifen
wird das Gestein in einzelne Bänke von 2 — 3 cm Dicke geteilt.
In der Regel ist der schiefrige Gneis stark verwittert.
d) Hornblendegneis, von dunkler, meist schwarzgrüner Farbe
und sehr verschiedenem äufserem Ansehen. Hornblende und Orthoklas
sind die herrschenden Bestandteile, Quarz, Glimmer und sehr wenig
Plagioklas sind ebenfalls regelmäfsig vorhanden, Granat ebenso ein
fast nie fehlender und oft in grofser Menge vorhandener Bestandteil,
Titanit ist selten, häufiger Magneteisen. Am deutlichsten sind diese
Bestandteile in den grobkörnigen Varietäten erkennbar, welche teil-
weise ein vollkommen körniges Gefüge annehmen, und dann im
Handstück nicht von Diorit oder Syenit zu unterscheiden sind. Ist
die Hornblende etwas reichlicher vorhanden und die Struktur fein-
körnig, so erscheint das Gestein fast homogen, so dafs erst im Dünn-
schliff die Zusammensetzung erkannt werden kann, und zwar teils
ohne Anzeichen schiefriger Struktur, teils durch parallele Lagerung
der Hornblendekrystalle unvollkommen schiefrig. Zu den Hornblende-
gneisen gehören auch die hellgrauen, anscheinend dichten Gesteine,
welche früher als Cornubianite bezeichnet wurden und sich zum
Teil durch eigentümliche Struktur auszeichnen, indem Quarz, Horn-
blende oder Granat rundliche Knoten bilden, um welche sich die
■“Vigen Bestandteile in welligen Lagen herumschlingen. Stellenweise
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geht der Hornblendegneis durch Überhandnehmen des Granats in
eklogitähnliche Gesteine über.
Alle diese Gesteine zeichnen sich durch grofse Festigkeit und
Zähigkeit aus; sie ragen daher häufig als Felsen über die Umgebung
hervor oder liegen in grofsen Blöcken auf der Oberfläche ; sie werden
mit Vorliebe als Schottermaterial beim Strafsenbau verwendet.
e) roter Muscovitgneis, aus Quarz, rotem Feldspat und weifsem
Kaliglimmer bestehend, meist glimmerarm und deshalb undeutlich
geschiefert.
f) Porphy rartiger Gneis, durch ziemlich grofse, häufig regel- *
mäfsig ausgebildete Feldspatkrystalle ausgezeichnet, findet sich vor-
zugsweise an der Grenze zwischen Gneis und Granit.
An accessorischen Mineralien ist der Gneis arm. Häufig finden sich
grofse nester- oder stockförmige Ausscheidungen eines sehr grob-
körnigen Gemenges von Feldspat, Quarz und Glimmer, in welchem der
erstere, teils Orthoklas, teils Mikroklin, in faust- bis kopfgrofsen spalt-
baren Massen an Menge weitaus überwiegt; nach aufsen gehen diese
Massen indes immer durch Abnahme des Korns und Eintreten paralleler
Lagerung in den gemeinen Gneis über. Wollastonit, körniger Kalk,
Hornblende mit etwas Granat, Vesuvian und Titanit bilden einige
zollmächtige Schichten im normalen Gneis bei Berghaupten an der
Ausmündung des Kinzigthals ; Graphit kommt ebenda und im Rench-
thal als Vertreter des Glimmers, manchmal in reichlicher Menge, vor ;
eine eigentümliche Mineralkombination von Plagioklas, Grämt und
Glimmer bildet Felsen bei Schenkenzell im Kinzigthal und wurde
unter dem Namen Kinzig it als besondere Felsart bezeichnet. Auch
eine dolomitische Zwischenlage findet sich im Gneis bei Oppenau im
Renchthale.
Die Lagerungsverhältnisse des Gneisgebiets sind bis jetzt
noch nicht vollständig bekannt. Im allgemeinen ist das Fallen
steil, und zwar vorherrschend gegen Norden und Nordosten gerichtet.
Im südlichen Schwarzwald haben neuere Untersuchungen gezeigt,
dafs die Zone der roten Gneise das Liegende bildet, während die
Wollastonit und Kalk führenden Lagen wohl zu den obersten gehören
dürften, welche Lagerung mit den in Bayern und Sachsen genauer
bekannten übereinstimmt.
Sehr zahlreich sind die Erzgänge im Gneis, auf welchen im
vorigen und teilweise noch im Beginn dieses Jahrhunderts ein leb-
hafter Bergbau betrieben wurde. Sie sind meistens zu gröfseren
Gangzügen mit nahezu parallelem Streichen vereinigt. Der gröfste
Teil derselben enthält als Haupterz silberhaltigen Bleiglanz, in’
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— 194
Kinzigthal kommen auch Kupferkiesgänge vor; Eisenerzgänge sind
ebenfalls verbreitet, doch meistens unbauwürdig. Kalkspat, Schwer-
spat, Flufsspat und Quarz sind die hauptsächlichsten Begleiter
der Erze.
Durch die Untersuchungen von Sandberger wurde nachgewiesen,
dafs diese Gänge durch Auslaugung des Nebengesteins, und zwar
vorzugsweise des Glimmers, entstanden sind, indem sich in diesem
die sämtlichen auf den Gängen vorkommenden Mineralbestandteile
nachweisen liefsen.
* Der Gneis ist sehr reich an Quellen, welche sich durch grofse
Reinheit auszeichnen und oft noch auf grofsen Höhen Vorkommen.
Mineralquellen sind vorzugsweise im Renchthale bekannt (Rippoldsau,
Antogast, Petersthal, Griesbach u. a.), wo sie ihre Bestandteile, wie
die Erzgänge, aus dem Nebengestein entnehmen. Keine derselben
besitzt eine höhere Temperatur, sie stammen also nicht aus gröfserer
Tiefe. Der Verwitterung unterhegt der Gneis in sehr ungleichem
Mafse, am meisten der glimmerreiche schiefrige Gneis, welcher oft
in grofser Tiefe bei noch erhaltener Struktur alle Festigkeit ein-
gebüfst hat und von tiefen Wasserrissen durchfurcht ist; die feld-
spatreichen, besonders die körnigen, ebenso die hornblendeführenden
Gneise erhalten sich lange frisch, doch wechseln häufig frische mit
stark verwitterten Lagen, welche letzteren in der Regel Quellen führen,
wobei es unentschieden bleibt, ob die Wasser die Ursache der Ver-
witterung, oder die durch die Verwitterung bedingte Lockerung und
stärkere Zerklüftung die Ansammlung des Wassers verursacht. Auch
der rote Gneis ist meistens stark durch Verwitterung angegriffen
und zerklüftet.
Vollkommen verwittert bildet der Gneis einen lockeren frucht-
baren Lehmboden, welcher, besonders auf der Hochebene, auf weite
Strecken den Boden überzieht und nur wenig und kleine unverwitterte
Gesteinsbrocken einschliefst.
Im ganzen Gebiet zeigt der Gneis sehr übereinstimmende
charakteristische Bergformen. Die Abhänge sind meist geradlinig,
selbst nach unten hin steiler werdend, und setzen daher schroff und
unvermittelt an den Thalsohlen ab. Häufig setzen sich die Linien
der Abhänge bis zum Gipfel fort, so dafs, da isolierte Berge nicht
Vorkommen, dachförmige Berggestalten mit welliger Firstlinie ent-
stehen, so besonders in den tieferen Seitenkämmen, während die das
Plateau überragenden Berge häufig gerundete Gipfel tragen. Die
Kammsysteme des Gneisgebiets haben meistens einen sehr regel-
mäfsigen Bau, indem von einem Hauptkamm rechtwinklig sich
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ansetzende Seitenkämme ausgehen; die Wände gröfserer Thäler
erhalten dadurch einen ausgesprochen kulissenförraigen Bau. Da
die Höhe der Ketten ziemlich regelmäfsig vom Ursprung an abnimmt,
sind die Kammsysteme in der Kegel von höheren Punkten aus leicht
übersichtlich.
2) Granit.
Nach dem Gneis besitzt der Granit die gröfste Verbreitung
unter den kristallinischen Gesteinen. Die Hauptmasse desselben
umschliefst den Gneis als fast zusammenhängendes, bald schmäleres,
bald breiteres Band auf der Süd-, Ost- und Nordseite.
Aufserdem erscheint er im Gneisgebiet teils in Form gröfserer
oder kleinerer stockförmiger Massen, teils in Gängen, welche oft
mehrfach parallel laufend oder von einem Punkte ausstrahlend,
bestimmte Gangzüge bilden, wie z. B. im unteren Kinzigthal und
im Renchthal. Diese Gänge schliefsen häutig, zum Beweise ihres
eruptiven Charakters, eckige Bruchstücke des Nebengesteins ein.
Der meiste Granit des Schwarzwaldes besteht aus zweierlei
Feldspat (Orthoklas und Oligoklas), Quarz und dunklem (Magnesia-)
Glimmer (Biotit), ist also nach der Nomenklatur von Rose als
Granitit zu bezeichnen; eigentliche Granite mit zweierlei Glimmer
(Kali- und Magnesiaglimmer) und Granite mit nur weifsem Kali-
glimmer (Muscoritgranite) treten nur sporadisch in beschränkter
Verbreitung auf.
Auch der Hornblendegranit, in welchem der Glimmer ganz oder
teilweise durch Hornblende ersetzt ist, ist vorzugsweise auf den süd-
lichen Schwarzwald beschränkt, wo er im Gebiet der Wiese und
Wehra eine Reihe von Stöcken und gangartigen Vorkommnissen bildet.
Schriftgranit, durch Verwachsung von stengeligem Quarz und
Feldspat (meist Mikroklin) ausgezeichnet, und der grofskömige
Pegmatit kommen nicht als selbständige Gebirgsmassen, sondern
teils in nesterartigen Ausscheidungen, teils in Gängen von geringer
Ausdehnung vor.
Während beim Gneis die Verteilung der Varietäten eine regel-
lose ist, unterscheiden sich die Granite der verschiedenen Lokalitäten
in Farbe und Struktur derart, dafs fast jede Gegend einen ihr
eigentümlichen Granittypus besitzt.
Im Schwarzwald herrscht porphyrartiger Granit von heller
Farbe vom Murgthal bis zum Acherthal; der Hauptgranitzug des
Kinzigthals ist meist mittelkörnig, reicher an Plagioklas und von
rötlicher Farbe, der des südlichen Albthals ist weifs und häufig
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porphyrartig; im Wiesenthal herrscht ein rötlicher, häufig durch
grofse rote Feldspatkrystalle porphyrartiger Granit.
Von den die grofsen Granitmassive bildenden meist mittel- und
grobkörnigen Graniten unterscheiden sich scharf die kleinkörnige u
Granite , welche vorzugsweise in Gängen und kleineren Stöcken,
sowohl im Granit- wie im Gneisgebiet auftreten. Die mittel- und
grobkörnigen Granite besitzen sehr häufig eine deutliche bankförmige
Absonderung, welche mit rechtwinkliger Zerklüftung verbunden ist,
so dafs sich das Gestein in rechtwinklige Blöcke spalten läfst; die
feinkörnigen Granite hingegen sind meist sehr regelmäfsig schief-
winklig zerklüftet und zerfallen in rhomboedrisehe Trümmer. Häufig
sind die Gebiete der erstgenannten Granite mit grofsen Massen eckiger
oder unvollkommen gerundeter Blöcke bedeckt, welche stellenweise
in großartigem Mafsstabe, Felsenmeere bildend, Vorkommen, so im
Murgthale des nördlichen, im Alb- und Schwarzathal des südlichen
Schwarzwaldes. Diese Blöcke sind vollkommen frisch, während der
anstehende Granit meistens mehr oder weniger verwittert ist und
werden daher vorzugsweise zu Steinhauerarbeiten verwendet. Ihrer
grofsen Festigkeit und Dauerhaftigkeit wegen werden sie von den
Fundstätten weit verführt.
Der starken Zerklüftung des Granits wegen ist derselbe weit
quellenärmer als der Gneis. Dieser starken Zerklüftung verdanken
auch die an den Granit gebundenen Thermen des Schwarzwaldes
(Baden, Liebenzell, Wildbad, Badenweiler) ihren Ursprung. Sie führeiv
vorzugsweise Kochsalz und schwefelsaure Salze.
An Erzgängen ist der Granit ärmer als der Gneis; sie finden
sich hauptsächlich da, wo das Gestein in hohem Grade zersetzt ist
(Wittichen im Kinzigthal) ; sie enthalten Bleiglanz, Kupferkies,
gediegen Wismut und Silber; als Gangart erscheint hier haupt-
sächlich Schwerspat, welcher häufig durch Quarz verdrängt ist,
welcher noch die ursprüngliche Struktur und Kristallisation des
Schwerspats bewahrt hat. Rot- und Brauneisensteingänge sind
häufig (Forbach, Diersburg, Eisenbach), setzen aber nicht weit in die
Tiefe nieder, meist nur so weit, als das Gestein verwittert ist, so dafs
ihre Entstehung durch Auslaugung des Nebengesteins zweifellos ist.
Bei Eisenbach im südlichen Schwarzwald treten auch zahlreiche
aber wenig mächtige Braunsteingänge auf.
Bei seiner Verwitterung erzeugt der Granit einen lockeren
grusigen Boden, dem das Wasser bald die feineren erdigen Teile
entführt, so dafs der Boden auf den Höhen flachgrundig, mager und
trocken erscheint, für den Getreidebau wenig, vortrefflich aber für
— 197 —
die Weinrebe und den Wald geeignet, dessen Beschattung das Aus-
trocknen des Bodens verhindert. An den tieferen Teilen der Abhänge
und in den Thälern ist der Boden hingegen tiefgründig und sehr
fruchtbar.
Die Bergformen des Granits sind von denen des Gneises
wesentlich verschieden. Es herrschen hier pyramidale Formen, welche
durch kurze , steile , meist radienförmig verzweigte Seitenthäler
getrennt sind und sich am Fufse durch Anhäufung des Schuttes
verflachen. Die Gegend von Achern bietet ein typisches Bild einer
Granitlandschaft.
Dafs der Granit im allgemeinen jünger ist als der Gneis,
ergiebt, sich schon aus dem gang- und stockförmigen Auftreten
innerhalb des Gneisgebiets, sowie auch aus der Thatsache, dafs die
Granitgänge häutig Bruchstücke des Gneises einschliefsen. In den
Konglomeraten des Culm finden sich zahlreiche Granitgerölle, der
grüfste Teil des Granits ist somit älter, doch sind Granitgänge auch
in den Culm bei Lenzkirch eingedrungen, also jünger als die Haupt-
masse, wie denn auch Granitgänge im Granit Vorkommen.
Dem Granit schliefst sich zunächst der Diorit an, welcher
gewöhnlich in Gesellschaft • der Hornblendegranite und zwar vorzugs-
weise im südlichen Schwarzwald vorkommt; Plagioklas und Horn-
blende, manchmal mit Glimmer, sind die Hauptbestandteile, das
Gefüge körnig, stellenweise aber auch schiefrig, die Farbe dunkel
schwarzgrün. Sie sind im Schwarzwalde nicht häufig; die wichtig-
sten Vorkommnisse sind bei Offenburg (Riedle), Ebersteinburg, Ehrs-
berg und Gersbach im Wiesenthal. An den beiden letzteren Orten
geht das Gestein durch Aufnahme von Diallag, welcher stellenweise
die Hornblende ganz verdrängt, in einen grofskörnigen Gabbro über,
in dessen Gesellschaft sich auch bei Ehrsberg ein feinkörniger
OUvhtpikrit in einzelnen Blöcken findet.
Diese Gesteine stehen dem Granit im Alter wohl gleich.
Achte Syenite und die in den Vogesen so verbreiteten Diabase
fehlen dem Schwarzwald gänzlich.
3) Porphyr.
Der Porphyr ist im Schwarzwalde weit verbreitet, indessen
nur selten, so in der Gegend von Baden, im Münsterthal und im
Schutterthal, etwas gröfsere Flächenräume einnehmend ; meist ist
sein Vorkommen auf einzelne oder gesellig vorkommende schmale
Gänge oder Kuppen beschränkt.
Eine dichte, manchmal versteckt krystallinische Grundmasse
Geograph. Blätter. Bremen. 1887. 14
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198 —
von sehr verschiedener Farbe (grau, grünlich, rötlich, violett, braun,
oder weife) umschliefst gut ausgebildete Krystalle von Quarz, Feld-
spat und Glimmer. Das Gestein ist teils unregehnäfsig zerklüftet,
teils plattenförmig oder säulenförmig abgesondert, meist so stark,
dafs sich keine gröfseren Blöcke gewinnen lassen, und die Berge
mit ausgedehnten Schutthalden kleiner eckiger Trümmer umgeben sind.
Steil aufsteigend erheben sich die Porphyrberge mit Kegel-
oder Glockenform über das umgebende Terrain ; auch die Gänge
ragen häufig wie Mauern über die Umgebung hervor, oder bilden
in den Thälern stark vortretende steile Felsmassen.
An manchen Stellen (Aubach bei Neusatz, bei Antogast im
Renchthal, im Schutterthal) schliefsen die Porphyre eckige Bruch-
stücke von Gneis ein und beweisen dadurch ihren eruptiven Charakter.
Die verbreitetste Abänderung ist der Quarzporphyr, von dem
über 200 einzelne Vorkommnisse bekannt sind. Eine Gruppe von
Glimmerporpftyrgängen, von rötlichbrauner Farbe, quarzfrei, ist im
mittleren Schwarzwald im Quellgebiet der Donau sehr verbreitet.
Finitporphyr bildet einige Berge bei Baden und Gänge im südlichen
Schwarzwald.
Das geologische Alter der Porphyre ist sehr verschieden und
reicht bis in die Periode des Rotliegenden, kann aber nur daim
bestimmt werden, wenn dieselben mit geschichteten Gesteinen in
Berührung treten.
Als ältere Porphyre werden diejenigen bezeichnet, welche vor
der Periode des Rotliegenden emporgestiegen sind; sie zeichnen sich
durch gröfsere Frische und Härte und zahlreichere und gröfsere
Kristalleinschlüsse, sowie durch ausschliefslich gang- oder stock-
förmiges Vorkommen aus; solche Porphyrgänge sind z. B. im
Münsterthal durch den Bergbau bis in grofse Tiefen verfolgt worden.
Ein Teil dieser Porphyre ist älter als der Culm, indem dieser Gerolle
von Porphyr einschliefst; andre hingegen treten im Culmgebiet
gangförmig auf, sind also jünger. Die übrigen Vorkommnisse und
gerade die mächtigsten, treten im Granit- und Gneisgebiet auf, im
ersteren die zahlreichen Porphyrgänge der Gegend von Triberg, im
letztem die Porphyre des Münsterthals ; sie können nur ihrer
petrographischen Beschaffenheit wegen den älteren Porphyren zu-
gerechnet werden.
Die jüngeren Porphyre sind durch weichere, stark verwitterte
Grandmasse und Armut an Kristalleinschlüssen petrographisch von
den älteren verschieden; sie finden sich im Gebiete des Rotliegenden
in Stöcken, sowie in Lagern, welche dem Rotliegenden eingeschaltet
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sind, und sind selbst wieder von verschiedenem Alter, immer aber
älter als das obere Rotliegende. Zu diesen gehören die grofsen
Porphyrmassen der Gegend von Baden, sowie die kegel- und glocken-
förmigen Berge des Schutterthals, welche in einer von Nord nach
Süden streichenden Linie liegen, ebenso die Porphyre des unteren
Kinzigthals und des Renchthals. Diese Ströme, teilweise noch vom
oberen Rotliegenden bedeckt, lassen sich oft stundenweit verfolgen.
C. Basalt.
Schwarzwald und Vogesen sind arm an Eruptivgesteinen der
Tertiärzeit, von welchen überhaupt nur der Basalt vorkommt.
Im hohen Schwarzwald hat nur an einer einzigen beschränkten
Stelle, am Hauenstein bei Homberg, der Basalt den Granit durch-
brochen, die andern Vorkommnisse sind auf den westlichen Rand
beschränkt. Bei Mahlberg bildet Basalt einen Hügel im Löfs; bei
Maleck durchbricht Basalttuff den Muschelkalk, am Schönberg bei
Freiburg den mittleren Jura, am Bromberg ebenda den Gneis. Das
Gestein ist Nephelinbasalt, bei Mahlberg Melilit enthaltend.
II. Sedimentgesteine.
Die jüngeren kristallinischen Schiefer fehlen im Schwarzwald
gänzlich, ebenso die ältesten paläozoischen Ablagerungen : das
cambrische und sibirische System.
1) Devonische Schiefer.
Die ältesten Sedimentgesteine des Schwarzwaldes sind wohl die
Thonschiefer, welche in der Stadt Baden bei der Trinkhalle und in
der Nähe von Ebersteinburg bis ins Murgthal bei Gaggenau dem
Granit und Gneis in steiler Schichtenstellung aufgelagert sind.
Petrefakten fehlen darin gänzlich, ihrer petrographischen Beschaffen-
heit nach sind sie den Schiefern des oberen Devon zuzurechnen;
bei Gaggenau schliefsen dieselben ein Lager körnigen Kalkes von
rötlicher Farbe ein.
2) Steinkohlenformation.
a) Die Gesteine der untern Etage (Culm) sind hauptsächlich
in einer schmalen Zone im südlichen Schwarzwalde verbreitet, wo
sie vom Westrande bei Baden weder bis nach Lenzkirch einen
schmalen mehrfach unterbrochenen Zug zwischen Granit und Gneis
bilden.
Thonschiefer von grünlicher bis schwarzer Farbe ist das älteste
und verbreitetste Glied dieser Etage ; darauf ruhen graue feinkörnige
14 *
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Sandsteine und Konglomerate, welche zahlreiche Gerolle von Granit,
Gneis, Porphyr und Thonschiefer einschliefsen.
In der Nähe der eruptiven Gesteine, welche diese Bildung
durchsetzen, verändert der Thonschiefer seine Beschaffenheit : die
Schichtung verschwindet, die Härte nimmt zu, und in dem Gestein
entwickeln sich Kristalle, welche demselben grofse Ähnlichkeit mit
Porphyr verleihen.
Im Sandstein finden sich fossile Pflanzenreste, nämlich Cala-
mites transitionis, Sagenaria Veltheimiana, Cordaites borassifolius
und Cyclopteris tenuifolia, wodurch das Alter dieser Schichten fest-
gestellt ist. An mehreren Stellen schliefsen die Schichten kohlen-
stoffreiche Bänke ein, welche bisweilen dem Anthracit ähnlich werden,
aber 60 — 70 Prozent Asche enthalten. Sie haben schon zu vielen
erfolglosen Ausbeutungsversuchen Veranlassung gegeben. Trotz der
ziemlich grofsen Härte zerbröckelt das Gestein leicht, weshalb die
Abhänge der meist steilen Berge mit grofsen Schutthalden bedeckt sind.
Bei seiner Verwitterung bildet dasselbe einen fruchtbaren
thonigen Boden, der meistens mit Wald oder Wiesen bedeckt ist.
b) Die obere produktive Steinkohlenbildung bildet im Schwarz-
wald sechs kleinere von einander getrennte Becken, welche von
Schieferthon , Sandstein und stellenweise von Konglomeraten aus-
gefüllt sind. Die Reihenfolge der einzelnen Vorkommnisse von Norden
nach Süden ist folgende:
1) Baden, 120 m mächtig, hauptsächlich aus granitischem
Schutt bestehend. Dasselbe erstreckt sich von der Stadt Baden
unter dem Rotliegenden bis zur Rheinebene bei Umwegen, wo ein
21 — 28 cm mächtiges Kohlenlager eine Zeitlang ausgebeutet. wurde.
2) Lierbachthal bei Oppenau (Renchthal), 62 m mächtig.
Sandige glimmerreiche Schiefer mit kleinen Kohlensehmitzen bilden
die Schichtenfolge, welche Farren und Cycadeen einschliefst.
3) Hinterohlsbach bei Gengenbach (Kinzigthal), 36 m mächtig,
enthält Kohlenschiefer mit Resten von Farrenkräutern.
4) Berghaupten-Diersburg : das bedeutendste und allein bau-
würdige Kohlenflötze einschliefsende Vorkommen. Das Kohlengebirge
bildet einen schmalen Streifen zwischen Granit . und Gneis, dessen
Länge von West nach Ost etwa 5 km, dessen Breite - 100 — 250 m
beträgt. Die Schichten fallen mit 70 — 80 Grad gegen Norden und
sind bis auf 330 m Tiefe verfolgt worden. Die einzelnen Kohlen-
lager sind sehr unregelmäfsig, meistens im Streichen 30 — 60 m lang
und hoch, und keilen sich nach allen Seiten aus. Die Kohle ist
mager, anthracitähnlich, nicht backend, brennt mit kurzer Flamme
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— 201
und ist sehr bröckelig. Die Produktion beträgt etwa 140 000 Zentner
jährlich. Unter den Petrefakten sind Sigillarien, Lepidodendren und
Farren vorherrschend.
5) Geroldseck bei Lahr (Schutterthal). Das Kohlengebirge,
30 m mächtig, liegt auf Gneis und besteht vorherrschend aus glim-
merreichen Sandsteinen mit schwachen Kohlennestem. Die Flora
besteht aus Calamiten, Farren und Palmen.
6) Eine weitere Ablagerung von Kohlensandstein und Schiefer
liegt im württembergischen Schwarzwald bei Schramberg, etwa 90 m
mächtig, ebenfalls ohne Kohlenflötze.
Die Verschiedenheit der Flora läfst erkennen, dafs die einzelnen
Becken verschiedenen Alters sind: das Becken von Diersburg ist das
älteste. Sie sind daher nicht, wie man früher annahm, Reste einer
gröfseren Ablagerung, sondern ursprünglich isolierte Becken ; die Hoff-
nung, die Fortsetzung dieser hypothetischen Ablagerung im Rhein-
thal zu finden, ist also wenig begründet.
3) Das Rotliegende.
Die Gesteine dieser Periode haben im Schwarzwald eine ziem-
lich grofse Verbreitung, nehmen jedoch mit wenigen Ausnahmen der
Überdeckung wegen keinen bedeutenden Oberflächenraum ein. Geo-
graphisch gliedert sich das Rotliegende in vier Zonen:
a) Die Gegend von Baden. Von der nächsten Umgebung der
Stadt Baden erstreckt sich das Rotliegende, nur wenig überdeckt,
nordöstlich bis in das Murgthal und nimmt hier etwa eine Quadrat-
meile Flächenraum ein. Nur durch den überdeckenden Sandstein
getrennt, setzt sich diese Ablagerung noch ins obere Albthal bei
Herrenalb fort. Hier liegen zu unterst mächtige Bänke einer Breccie,
welche aus Granit-, Gneis- und Porphyrbruchstücken zusammen-
gesetzt ist und stellenweise (Vormberg bei Baden, Badener Schlofs-
berg, Herrenalb) durch Verkieselung des Bindemittels eine grofse
Härte und Festigkeit erlangt haben.
Die mittlere Abteilung enthält rote und graue Schieferthone,
über welchen Konglomeratbänke, vorherrschend aus abgerundeten
Po-rphyrgeröllen bestehend, liegen. Die obere Abteilung wird von
rotem Schieferton mit Sandsteinbänken, mit Dolomit und Jaspis-
einschlüssen gebildet.
Die mittlere Abteilung schliefst einige Pflanzenreste (Walchia pini-
formis) und Tierreste (Estheria tenella und Gampsonyx fimbriatus) ein.
b) Ein zweites Verbreitungsgebiet zieht sich von Geroldseck
bei Lahr in nordöstlicher Richtung über die Thäler der Kinzig und
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*
Rench ins obere Murgthal ; die Gliederung ist ungefähr dieselbe wie
bei Baden; in der mittleren Abteilung liegen ausgedehnte Porphyr-
lager; auch hier enthält dieselbe stellenweise Pflanzenreste.
c) Ein dritter Zug liegt in dem Quellgebiet der Donau und *
setzt sich von hier, gröfstenteils von Buntsandstein überdeckt, in das
Gebiet der Kinzig fort, wo er von Schramberg bis Alpirsbach als
schmales Band vorkommt.
d) Im südlichen Schwarzwalde verbreitet sich das Rotliegende
am Abhange des Granits nördlich vom unteren Wiesenthal auf eine
gröfsere Fläche, und kommt noch in vereinzelten Ablagerungen am
Rhein bei Säckingen und Laufenburg vor. Auch hier ist dasselbe
aus Breccien, Konglomeratbänken und grobkörnigem Sandstein mit
wenig Schieferthon zusammengesetzt. Bei Rheinfelden wurde das-
selbe 320 m mächtig durchbohrt und ruht dort, wie am Schwarz-
wald, auf Granit.
Die Breccien bilden die malerischen Felsen des Schlofsbergs
bei Baden und die Falkensteinfelsen bei Herrenalb, die übrigen
Gesteine verwittern rasch und bilden einen lockern grusigen, bei
Vorherrschen des Schieferthons thonigen Boden von tiefbraunroter t
Farbe. Im Gebiet des mittleren und oberen Rotliegenden erhalten
die Berge durch die Verwitterung stark abgerundete, oft kuppel-
förmige Formen, zwischen deren steilen Abhängen sich vielfach ver-
zweigte enge Thälchen hinziehen ; häufig sind gröfsere Flächen durch
den Regen gänzlich abgespült und vegetationslos.
Der lockere, leicht austrocknende Boden ist dem Ackerbau
nicht günstig, hingegen ein ausgezeichneter Waldboden; an den
sonnigen Abhängen gedeiht auch die Rebe.
Die nächste Etage, die Schichtengruppe des Zechsteins, ist
noch in schwachen Schichten zwischen dem Rotliegenden und Bunt-
sandstein am Südende des Odenwaldes verbreitet, fehlt aber im
Schwarzwalde gänzlich. Nur am Nordende wurde in einem Bohrloch
bei Ingelfingen (Württemberg) Zechstein durchbohrt, so dafs seine
Verbreitung bis zum Schwarzwaldrande wahrscheinlich ist.
4) Der Buntsandstein. .
Fast ein Dritteil des ganzen Schwarzwaldgebietes ist von
Buntsandstein bedeckt, welcher auch, und in noch höherem Mafse,
im benachbarten Odenwald das vorherrschende Gestein bildet. Am
Südrande des letzteren Gebirges senken sich die Schichten allmählich
unter die Ebene des Rheinthals bis zu beträchtlicher Tiefe, durch-
setzen die Kraichgauer Mulde zwischen den beiden Gebirgen und
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steigen bei Durlach wieder im Südflügel der Mulde gegen Süden in
die Höhe, bis sie an der Hornisgrinde (1166 m) ihren Kulminations-
punkt erreichen. Etwa 7 km weit ist derselbe von Muschelkalk
bedeckt, bildet aber dann ausschliefslich die Oberfläche. Bei der
Hornisgrinde erreicht das Sandsteingebiet zugleich seine gröfste
Breite von 40 km, und sendet von hier zahlreiche Ausläufer auf
das Gneisgebiet, welche die Gneishöhen in Form schmaler lang-
gestreckter Rücken bis zur mittleren Kinzig krönen. Bei Freuden-
stadt verschmälert sich die Sandsteinmasse, behält aber noch ihre
kulminirende Stellung auf dem höchsten Rücken bis Schramberg,
von wo sie von den westlich aufsteigenden Granit- und Gneis-
gebieten auf den sanften Ostabfall gedrängt wird. Mit ganz geringen
Unterbrechungen setzt der Sandstein aber noch bis zum Südrande
des Schwarzwaldes mit beträchtlich verminderter Höhenlage und
Mächtigkeit fort. Wie am Nordrand, ist er auch am Ostrande
regelmäfsig von Muschelkalk überlagert, in dessen tief eingeschnittenen
Thälem er auch bis zum Neckar, dem allgemeinen Gebirgsabfall
entsprechend, stellenweise zu Tage tritt. Man kann daher ununter-
brochen auf Buntsandstein von Ettlingen südlich bis Villingen, ja
mit Überspringung einiger schmalen Thaleinschnitte, bis fast zum
Rhein bei Waldshut gelangen.
Buntsandstein bildet ferner eine isolierte niedrige Vorstufe am
Westabhang von Offenburg bis Emmendingen, einige ebenfalls dem
Gebirg angelehnte Hügel bei Freiburg, in etwas gröfserer Ausdehnung
eine ähnliche Vorstufe nördlich des unteren Wiesenthals und einige
kleinere Ablagerungen auf dem etwa 900 m hohen Plateau des Hauen-
steiner Landes im südlichen Schwarzwald.
Übereinstimmend mit den Verhältnissen links des Rheins kann
auch hier der Buntsandstein in drei Etagen gegliedert werden:
a) Untere Etage: hellfarbige, meist weifse glimmerarme Sand-
steine mit kaolinartigem Bindemittel und Feldspatkörnchen, meist
in dicke Bänke abgesondert. Dieselben enthalten stellenweise,
besonders in den untersten Schichten, Knollen eines gelben sandigen
Dolomit», welche sich bei der Verwitterung dunkel färben und
alsdann die Tigersandsteine bilden; schliefslich entstehen runde, mit
braunem manganoxydhaltigem Mulm ausgefüllte Löcher.
b) Mittlere Etage : grobkörnige glimmerfreie Sandsteine in
0,3—1 m mächtigen Bänken von grofser Einförmigkeit bilden die
Hauptmasse, getrennt durch dünne, wie die Sandsteine rotgefärbte
Schieferthone. In verschiedenen Höhen sind demselben Konglomerat-
bänke eingelagert, von denen die unterste neben dem vorherrschenden
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Quarz auch Gerolle verschiedener Urgebirgsgesteine enthält, während
die oberen fast ausschliefslich aus Quarzgeröllen verschiedener Farben
bestehen. Diese Konglomeratbänke lassen sich oft auf weite Strecken
verfolgen, während die einzelnen Sandsteinsichten sich oft auskeilen,
erreichen aber nicht die Mächtigkeit und gleiehmäfsige Verbreitung
wie in den Vogesen und der Hardt.
c) Obere Etage: dieselbe beginnt mit thonigen mürben Sand-
steinen von violetter Farbe, welche häufig Knollen und Platten von
Dolomit und rotem Karneol einschliefsen ; diese sogenannte Kameol-
bank ist vom Südrande des Schwarzwaldes durch das ganze Gebiet,
Sowie durch die Vogesen bis in die Gegend von Saarbrücken ver-
breitet, und bildet einen wichtigen Horizont. Darüber liegen fein-
körnige meist rote glimmerführende Sandsteinbänke, welche nach
oben immer dünnschiefriger und glimmerreicher werden. Zwischen
und auf denselben liegt der Röt, ein roter dünngeschichteter Schiefer-
thon, welcher in der Regel 2—6 m mächtig das Schlufsglied
der ganzen Sandsteinbildung ausmacht.
Die unteren Etagen sind petrefaktenfrei ; in der obersten finden
sich hie und da Saurier, Fische und Mollusken (ausschliefslich
Bivalven und Schnecken), welche mit der darauffolgenden Muschel-
kalkfauna identisch sind, ebenso stellenweise Pflanzenreste: Farren.
Kalamiten und Nadelhölzer.
Die Mächtigkeit des Buntsandsteins ist im südlichen Schwarz-
wald nur gering, sie übersteigt hier nicht 15 — 20 m, wobei die
mittlere und obere Abteilung etwa je die Hälfte ausmachen ; je weiter
nach Norden, desto mehr gewinnt die mittlere Abteilung an Mächtig-
keit, und erreicht am Kniebis und der Hornisgrinde 260, am Nord-
ostrande des Schwarzwaldes 400 m, während die untere Etage
10 — 12, die oberste 40 — 50 m Mächtigkeit nicht überschreitet.
Die unterste Abteilung kann südlich der Kinzig nicht mehr
als selbständige Etage unterschieden werden ; die obere fehlt auf dem
Plateau des mittleren Bnntsandsteins und kommt nur einerseits in
den tiefer gelegenen Partien des Nord- und Westrandes, anderseits
am Westabhange des Gebirgs unterhalb des Hauptkammes vor. Nur
die Carneolbank ist in vereinzelten Schollen auf den Höhen des
Kniebis abgelagert.
Wo der Sandstein in einiger Verbreitung auftritt, zeigt, er bei
der fast horizontalen Lage seiner Schichten die ausgesprochene
Plateaubildnng ; weite Strecken sind mit Torfmoor und Legforlen
bedeckt. Steile, wenig gegliederte Wände mit fast geradlinigem
Abfall begrenzen das Plateau, während unterhalb desselben Gneis
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und Granit durch ihre mannigfaltige Gliederung die Gesteinsgrenze
schon von weitem erkennen lassen. .Wo der Sandstein zwischen den
Thälern als schmaler Rücken die Höhen krönt, erscheinen die Berge
steil dachförmig, von der Front oft wie isolierte Kegel, seltener
knppelförmig gerundet.
Die atmosphärischen Wasser versinken in den Klüften des
oberen Bundsandsteins schnell bis zur Cameolbank, welche einen
ausgezeichneten Quellenhorizont bildet ; auch im mittleren und unteren
Buntsandstein sind die Quellen nicht häufig, wo nicht die Oberfläche
mit sandigem Lehm bedeckt und dadurch undurchlässig ist. Ein
zweiter Quellenhorizont, eben so konstant wie der erste, liegt an der
Basis des Sandsteins, besonders wo derselbe auf den Thonen des
Rotliegenden oder auf Granit liegt. Die Quellen des Buntsandsteins
sind nahezu chemisch rein.
Nur die obersten Schichten, die Schieferthone des Röt, bilden
durch Verwitterung eine tiefgründige Ackerkrume, die eigentlichen
Sandsteine werden nur mechanisch oder durch den Frost in lockeren
Sand umgewandelt, dem meistens zahlreiche Trümmer festerer Bänke
beigemischt sind, während das ausgeschwemmte sparsame Bindemittel
sich am Fufse der Berge aufhäuft. Wo festere Schichten Vor-
kommen, bleiben deren Blöcke auf den Höhen und besonders an den
Abhängen zusammengehäuft liegen ; diese sogenannten Findlinge
werden ihrer erprobten Festigkeit und Widerstandsfähigkeit wegen
vorzugsweise zu technischer Verwendung gesucht.
Der mittlere Buntsandstein liegt meistens so hoch, dafs schon
dadurch seine Verwendung als Ackerfeld erschwert ist, auf dem
mageren sandigen Boden gedeiht hingegen vorzugsweise der Wald,
welcher dem Sande Schutz vor Abschwemmung und Austrocknung
gewährt; im Sandsteingebiet ist daher der Wald so ausschliefslich
dominierend, dafs nur wenige Dörfer sich im Gebiet desselben finden,
während im Granit- und Gneisgebiet noch auf 800 — 1000 m Höhe
sich eine ziemlich dichte Bevölkerung findet; das Sandsteingebiet
hat die wenigst dichte Bevölkerung des ganzen Landes.
Der Buntsandstein liefert das verbreitetste und beste Bau-
material des Landes. Die weifsen Sandsteine der unteren Abteilung
sind vorzüglich im Murgthale entwickelt und liefern ausgezeichneten
Quader und Säulen ; die grobkörnigen roten Sandsteine der mittleren
Etage geben ebenfalls ein vortreffliches frostbeständiges Material, die
Bänke der oberen Abteilung sind ihres feineren Korns wegen sogar
zu Bildhauerarbeiten brauchbar und liefern noch ausgezeichnete
Platten von seltener Gröfse.
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— 206
5) Der Muschelkalk.
Mit dem Verlassen des Buntsandsteins ändert sich der land-
schaftliche Charakter derart, dafs seit alten Zeiten hierher die Grenze
des Schwarzwaldes gelegt wurde. Da wir die Grenzen aus orographi-
schen Gründen weiter gesteckt haben, so mufs auch noch kurz dieser
Gesteine Erwähnung gethan werden.
Dem allgemeinen Gesetz der Schichtenlage entsprechend über-
lagert der Muschelkalk den bunten Sandstein auf der Nord- und
Ostseite, erreicht aber nur die Höhe von etwa 660 m bei Villingen,
so dafs er beträchtlich unter dem Niveau des Buntsandsteins (Hor-
nisgrinde 1166 m) zurückbleibt. Eine isolierte Muschelkalkpartie
bildet auf der Südseite das Plateau des Dinkelbergs; an der West-
seite kommt er nur in kleineren Schichten in dem Hügellande am
Fufse des Gebirges, gröfstenteils von Löfs bedeckt, vor.
Der Muschelkalk gliedert sich ebenfalls in drei Etagen:
a) der untere Muschelkalk (Wellenkalk und Dolomit). Am
Nordende bei Durlach stimmt diese Etage noch im wesentlichen mit
der Entwickelung im Odenwald überein. Auf dem Buntsandstein
liegen hier 40 — 50 m graue Mergel mit zahlreichen Dolomit-
bänken, darüber etwa 10 m echter Wellenkalk mit unebenen
wulstigen dünnen Schichten, und als Schlufsglied schiefrige Mergel.
In den unteren Bänken sind Terebratula vulgaris, Gervillia
socialis, Ceratites Buchii und Myophoria laevigata die wichtig-
sten Leitmuscheln, für den mittleren Wellenkalk Lima lineata, und
für die oberen Mergel Myophoria orbicularis.
Verfolgt man von hier den unteren Muschelkalk am Ostrande
des Gebirges, so wächst die Mächtigkeit der unteren Mergel immer
mehr auf Kosten des mittleren Wellenkalks, welcher südlich von
Nagold ganz verschwindet.
Auch am Westrande besteht die untere Etage ausschliefslich aus
den unteren Mergeln mit Dolomitbänken.
b) Der mittlere Muschelkalk (die Anhydritgruppe) besteht am
Nordrande aus gelbbraunen 20 — 25 m mächtigen Zellenkalken, welche
Hornstein und bei Pforzheim die bekannten kristallisierten Stinkquarze
einschliefsen. Weiter südlich liegen auf den Zellenkalken weifse
Mergel mit Hornstein. Im südlichen und östlichen Teil treten endlich
mächtige linsenförmige Gipslager, im Innern meistens noch aus
Anhydrit bestehend, an der Stelle des Zellenkalks auf, stellenweise
wieder unterlagert von Steinsalz, welches an den Quellen des Neckars
und am Südrande des Dinkelberges eine grofse Verbreitung erlangt.
c) Der obere Muschelkalk endlich besteht aus einer sehr ein-
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207 —
förmigen Schichtenfolge von grauen Kalksteinen, in welchen eine
untere Region mit mehreren Bänken, erfüllt mit den Stielgliedern
von Encrinus liliiformis und eine obere mit Ceratites nodosus als
Leitpetrefakt unterschieden werden. Zahlreiche Klüfte durchschneiden
die Schichten und erweitern sich mitunter zu Höhlen, welche mit
Tropfsteinen geschmückt sind, und in denen unterirdische Bäche
laufen. (Erdmannshöhle bei Hasel und Tschamberhöhle bei Beuggen,
beide dem Gebiet des Dinkelbergs angehörig.)
Wo die weichen Mergel des unteren Muschelkalks die Ober-
fläche bilden, wie dies vorzugsweise an der Buntsandsteingrenze der
Fall ist, bilden sie ein sanft welliges Hügelland mit flachen Thälern
und lehmigem fruchtbarem Boden; im Gebiet des oberen Muschel-
kalks ist die Plateaubildung deutlich ausgesprochen ; die Thäler
steilwandig, aber nicht tief; die athmosphärischen Wasser versinken
auf den Klüften bis zu den Mergeln der Anhydritgruppe, wo sie
als mächtige stark kalkhaltige Quellen zu Tage treten.
6) Keuper.
Die Schichten des Keupers sind im Schwarzwaldgebiet nur
wenig verbreitet. Längs der Ostgrenze am Neckarthal ist der
Muschelkalk auch auf der Westseite des Flusses streckenweise von
den Schichten der unteren Etage: Mergel, Sandsteine und Dolomite
der Lettenkohle bedeckt, deren Verwitterungsboden sich durch
Quellenreichtum und Fruchtbarkeit scharf von dem dürren Muschel-
kalkgebiet abhebt; ferner sind Keuperschichten bei Donaueschingen
entwickelt, ebenso am Dinkelberg, und an wenigen Stellen in der
Hügelregion des Westabhangs. Es sind vorherrschend rote Mergel,
welche in geringer Mächtigkeit weder landschaftlich noch agronomisch
eine besondere Bedeutung erlangen.
7) Jura.
Auch die Schichten dieser im Süden und Osten so mächtig
entwickelten Formation sind für den geologischen Bau des Schwarz-
waldes nur von geringer Bedeutung. Am Ostrande erfüllen Schichten
des unteren und mittleren Jura eine Bucht zwischen Donau und
Wutach, welche im Süden durch eine Verwerfungsspalte vom Muschel-
kalk getrennt ist; merkwürdigerweise finden sich 30 km westlich
in der Verlängerung der Bucht einige isolierte Blöcke von Liaskalk
auf dem Plateau des Schwarzwaldes in 950 m Höhe ob dem Höllen-
thal. Die Schichten dieser Abteilungen stimmen vollständig mit
denen des schwäbischen Jura, mit welchen sie unmittelbar Zusammen-
hängen, überein.
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208 —
Ein zweites Verbreitungsgebiet liegt im Rheinthal. Zwischen
Basel und Freiburg sind die Schichten des ganzen Jurasystems in
schmalen Zügen verbreitet, so dafs der Lias den östlichen, der
braune Jura den mittleren und der weifee Jura den westlichen Zug
bildet, welcher am Isteiner Klotz unmittelbar vom Rhein bespült
wird. Auch auf dem Plateau des Dinkelbergs liegen Liasschichten.
Weiter nördlich kommen Schichten des Lias und braunen Jura ver-
einzelt im Hügelland vor, erreichen aber nur bei Kenzingen und
Lahr einige Verbreitung.
Der Jura des Rheinthals stimmt durch die mächtige Ent-
wickelung der Rogensteinbänke des mittleren (braunen) Jura, welche
in Schwaben fehlen, mit dem westschweizerischen Jura überein.
8) Tertiär.
Die Schichten der Kreideformation fehlen im südwestlichen
Deutschland vollständig, eine weite Lücke trennt also die mesozoischen
von den tertiären Bildungen. Ebenso fehlen in unsrem Gebiet die
ältesten Tertiärschichten der Eocenzeit. Tertiäre Schichten sind nur
am Westrande des Schwarzwaldes entwickelt und erfüllen wahr-
scheinlich den ganzen Boden des Rheinthals als Fortsetzung des
Mainzer Beckens.
Die ältesten Tertiärgebilde des Gebiets sind die Bohnerze,
unteroligocenen Alters, welche unmittelbar dem weifsen Jura auf-
liegen und ausschliefslich an dessen Verbreitung im südwestlichen
Hügellande geknüpft sind: knollige und schalige Brauneisensteine,
welche von buntem Thon eingeschlossen sind. Die Hauptmasse der
Tertiärbildungen bildet der oligocene Kalksandstein mit einzelnen
Konglomeratbänken, welcher hauptsächlich zwischen Basel und
Freiburg ziemlich ausgedehnte Ablagerungen bildet und hier brauch-
bare Bausteine liefert; darüber liegen miocene Süfswasserkalke,
welche am Tüllinger Berg eine Mächtigkeit von 150 m erreichen.
Nördlich von Freiburg erscheinen die Kalksandsteine nur noch am
Schütterlindenberg bei Lahr.
9) Diluvium.
Wie nach unten so sind auch nach oben die Tertiärschichten
unsres Gebiets durch eine Lücke von der nächstfolgenden Periode, der
Diluvialzeit, getrennt. In diese Lücke fällt die Ausbildung der jetzigen
Gebirgsgestaltung, die Bildung seiner Flufsläufe und der Übergang
des Klimas aus dem tropischen in den Charakter der jetzigen Zeit.
Die Diluvialmassen sind Kies, Sand, Thon und Löfs, welche
sich nach Alter und Verbreitung folgendermafsen gliedern:
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— 209 —
a) Kies des Rheinthals. Derselbe, vorzugsweise den Gebirgen
der Schweiz entstammend, und hauptsächlich aus Quarz und Kalk-
steingeröllen zusammengesetzt, erfüllt das Rheinthal und ist an dessen
Ufern in mehreren Terrassen abgelagert. Am Schwarzwald steigt er
nirgends erheblich über die Ebene empor.
b) Kies der Schwarzwaldthäler. Alle Tliäler sind, besonders
in ihren unteren, meistens erweiterten Teilen, mit geschichteten
Massen von Kies, Sand und Lehm ausgefüllt, welche ebenfalls häufig
Terrassen beiderseits des jetzigen Flufslaufes bilden, die sich oft bis
15 m über die Thalsohle erheben. In der Regel enthält der Kies
eines Flufsgebietes nur diejenigen Gesteine, welche in dessen Ober-
lauf anstehen; in einigen Fällen aber mischen sich diesen Gesteinen
auch solche benachbarter Gebiete bei, so dafs das Flufsnetz der
Diluvialzeit nicht vollständig mit dem der Gegenwart übereinstimmt.
Die wichtigste Veränderung ist die des Wutachlaufes, welche zur
Diluvialzeit ihre Gewässer durch das Aitrachthal zur Donau sendete,
während sie jetzt in tiefem Thale dem Rhein zufliefsen.
Wo die Schwarzwaldthäler in das Rheinthal münden, überlagert
der Kies der Thäler den Kies des Rheinthals, der letztere ist somit älter.
Die meisten Thäler im Urgebirge sind reine Erosionsthäler,
während die Thäler des Ostabhanges häufig Bodenspaltungen folgten,
ihre Ausbildung aber jedenfalls auch der Erosionswirkung des
Wassers verdanken.
c) Kies des hohen Schwarzwaldes. In den Hochthälern des
südlichen Schwarzwaldes, wie auch auf der Ebene selbst, lagern
ausgedehnte Kies-, Sand- und Lehmmassen, welche stellenweise
geschliffene und geschrammte Blöcke einschliefsen und gänzlich
ungeschichtet sind. Es sind dies Moränen diluvialer Gletscher,
welche die Hochthäler bis gegen 800 m Höhe ausfüllten. Besonders
charakteristisch sind diese Moränenhügel im Gebiet der Wutach in
den Umgebungen des Titisees und Schluchsees, welche beide durch
Moränen abgesperrt sind. Auch das Thal der oberen Alb (Bernau,
Menzenschwand, St. Blasien) sowie die angrenzende Hochfläche von
Höchenschwand zeigt die Spuren ehemaliger Gletscherbedeckung. Im
nördlichen Schwarzwald wurden sichere Spuren diluvialer Gletscher
noch nicht gefunden.
d) Löfs. Diese jüngste Diluvialbildung, aus feinem scharf-
kantigem Quarzsand, Thon und kohlensaurem Kalk bestehend, um-
zieht den Süd-, Ost- und Nordrand des Schwarzwaldes und über-
deckt ohne Unterschied alles anstehende Gebirge der Hügelregion,
ohne in das Innere der Thäler einzudringen. Bei Basel liegt seine
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obere Grenze bei 450 m. 200 m über dem Rhein, und senkt sich
von hier allmählich gegen Norden. Zahlreiche Landschnecken und
zwar ausschlielslich Bewohner feuchter und kälterer Gegenden, unter
ihnen Succinea oblonga vorherrschend, sind in der ungeschichteten
Masse zerstreut; neben diesen den jetzt lebenden sehr ähnlichen
Tieren erscheinen als fremdartig die Reste ausgestorbener Tiere,
Mammut, Urochs und Nashorn, deren Reste auch im Kies des
Rheinthals zerstreut liegen.
Der Löfs stammt aus der Schweiz und mufs als das Aus-
schwemmungsprodukt der die Nordschweiz überdeckenden Moränen-
ablagerungen betrachtet werden. In die Zeit des Löfses fällt das
erste Auftreten des Menschen, von welchem Reste sowie Artefakte
im Löfs der Hügel gefunden wurden.
10) Alluvium.
Eine scharfe Grenze zwischen den Bildungen der Diluvialzeit
und denen der historischen Periode läfst sich selten angeben. Der
letzteren Zeit gehören die Ablagerungen innerhalb der jetzigen FIuls-
läufe sowie die Torfmoore an, von denen übrigens ein Teil wolil
zur Diluvialzeit entstanden sein mag. Sie sind vorzugsweise auf den
Hochflächen des Schwarzwaldes verbreitet, und zwar sowohl auf
Gneis und Granit, wie auf dem Buntsandstein, wo eben die Boden-
gestaltung die Ansammlung stagnierender Wasser begünstigte. Sie
sind noch im Wachsen begriffen und tragen durch ihre Ausbreitung
zur Ausfüllung der Seebecken das meiste bei; viele Torfmoore sind
als Ausfüllungen ehemaliger Seebecken zu erkennen. Das wichtigste
Glied des Alluviums bildet die Ackererde, deren Bildung und Eigen-
schaften bereits bei den Einzelbeschreibungen der Gesteine erwähnt
wurden. Im Gebirge sind auch die durch Frost und Verwitterung
entstehenden Trümmerbildungen, welche die entstehenden Fels-
bildungen umgeben, teilweise der Alluvialzeit zuzurechnen, da deren
Bildung beständig fortgeht. Bei der allgemeinen Bedeckung des
Bodens mit Vegetation, den sanften abgerundeten Formen der Berge
und der Seltenheit kahler Felsmassen, sind übrigens die Veränderun-
gen, welche seit der Diluvialzeit im Gebirge vor sich gehen, im
Verhältnis unbedeutend, nur aufsergewöhnliche Vorgänge vermögen
lokal gröfsere Änderungen zu erzeugen, welche die Arbeit des
Menschen immer mehr in enge Grenzen, wenn auch nicht immer
mit Erfolg, einzuschliefsen sucht.
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211 —
Über afrikanisches Küsten- und Inland-Klima.
Vortrag, gehalten in der Sektion für medizinische Geographie, Klimatologie
und Tropenhygiene. 60. Versammlung Deutscher Naturforscher und Ärzte in
Wiesbaden, September 1887, von Stabsarzt Dr. Ludwig Wolf,*) Leipzig.
Klimatische Unterschiede zwischen der Küste und dem Innern. Der 6. 0 s. Br.
eine klimatogeographische Grenze. Günstige klimatische Verhältnisse des zentral-
afrikanischen Hochplateaus. Erkältung, Unmäfsigkeit und Ärger sind begünstigende
Ursachen für die Aufnahme des Malariagiftes. Boden und Lufttemperatur die
wichtigsten Faktoren für die Frage der Malariacntwickelung. Günstige Verhältnisse
im Balubagebiet Lubuku. Die Station und Plantage Luluaburg. Europäische Frauen
sollen nicht nach dem tropischen Afrika gehen. Die Höhenlage mindert die Gefahren
der Malaria. Dysenterie und Pocken. Hautkrankheiten. Hygienische Mafsregeln
und therapeutische Mittel gegen die Malaria : Kleidung, Wohnung, Ernährung. Chinin.
Zusammenfassung der Vorsichtsmaßregeln.
Nachdem auch unser Vaterland in die Reihe der Kolonial-
mächte getreten ist, und der Schwerpunkt unsres überseeischen
Besitzes sich in Afrika befindet, ist das afrikanische Klima für uns ein
Faktor von besonders praktischer Bedeutung g worden. Um der ehren-
vollen Aufforderung, Ihnen über dasselbe hier Vortrag zu halten, nach-
zukommen, werde ich mich an eigne Erfahrungen und Beobachtungen
halten, welche ich während einer fast dreijährigen Afrikareise in den
Gegenden sammeln konnte, die ich selbst durchreist habe, und jedem
überlassen, etwa weitere Schlüsse für andre Gebiete daraus zu ziehen.
Wenn auch das Klima Afrikas wegen der Lage des Erdteiles
zu *ib ein tropisches, im Gegensätze zu dem andrer Kontinente, wie
z. B. Amerika und Asien, im allgemeinen ein einförmiges ist, so
sind dennoch gewisse klimatogeographische Grenzen vorhanden, welche
besonders in dem mir bekannt gewordenen äquatorialen Teile einen
erheblichen Unterschied zwischen der Küste und dem Innern zu
gunsten des letzteren erkennen lassen.
Meine Beobachtungen erstrecken sich auf einen Teil des
westafrikanischen Küstengebietes Angola und den unteren Kongo,
vornehmlich aber auf die innerafrikanische Hochebene. Sowohl
meteorologisch als auch klimatisch unterscheiden sich diese
Gegenden wesentlich von einander. An der Küste giebt
es eine scharf abgegrenzte Regen- und Trockenzeit und beträgt in
der ersteren das tägliche Minimum und Maximum der Temperatur
*) Diese Mitteilungen werden im Kreise unsrer Mitglieder und Freunde
daheim und über See mit um so gröfserem Interesse gelesen werden, als wir
bisher nur sehr selten das auf eigenen Anschauungen, Erfahrungen und Ermittelun-
gen sich stützende Urteil eines deutschen Arztes über die wichtige Frage der
Akklimatisation der Europäer im tropischen Afrika hörten, ein Thema, welches
vor einiger Zeit auch im Kreise unsrer Gesellschaft durch einen Vortrag des
Herrn Dr. Oppel näher erörtert wurde.
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durchschnittlich 17 und 27, in der letzteren dagegen 7 und 27
Zentigrade. Im Innern habe ich keine eigentliche Trockenzeit be-
obachtet ; es fehlten daher auch die erheblichen Unterschiede in der
Temperatur, welche dort durchschnittlich zwischen 17 bis 28 0 C.
für das ganze Jahr betrug. Im Juli 1884 notierte ich beispielsweise
etwa 60 km östlich von Malange, das noch zu dem Küstengebiet
gehört, früh 3 Uhr, das Minimum 5 0 C. und mittags desselben Tages
36 0 C. Dagegen wurde während zweier Beobachtungsjahre im Innern
auf unsrer Station Luluaburg keine niedrigere Temperatur als
12,8 0 C. am 16. Aug. 1885 und im Jahre 1886 die niedrigste mit
14,2 0 C. am 2. August notiert. Von Bedeutung als klimatogeogra-
phische Grenze scheint der 6. 0 s. Br. zu sein, welcher auch im
Innern wie am Kongo mit der Katarakt-Region zusammenfällt. Nach
den Beobachtungen des leider kürzlich verstorbenen englischen
Missionars Comber pflegt Malaria in der Katarakt-Region am Kongo
besonders heftig aufzutreten. Ob und wie hier ein ursächlicher
Zusammenhang besteht, ist wissenschaftlich noch nicht festgestellt.
Jedenfalls zeigen sich im Innern südlich vom 6. 0 s. Br. alsbald
andre meteorologische und physiographische Verhältnisse. So fand
Wifsmann auf seiner Reise von Mukenge nach Südosten im Juni
und Juli 1886 bei etwa 6,30 s. Br. die Minima 6° und 7°C., während
in demselben Jahre auf Luluaburg bei 6 0 s. Br. als niedrigste
Temperatur 14,8 0 C. verzeichnet wurde. — Auch Büchner giebt
(Deutsche Kolonial-Zeitung III. Jahrgang 1886, 19. Heft, p. 559)
an, dafs in dem von ihm durchreisten Hochplateau zwischen 7 und
11 0 s. Br. die Temperaturen der Luft in der Trockenzeit zwischen
7 und 27 Zentigrad schwanken. Wifsmann fand südlich vom 6. 0 s. Br.
alsbald ebenfalls im Gegensätze zu Luluaburg einen unfruchtbaren
Boden und eine ärmere Fauna. Diese Angaben mögen genügen, um
schon den Beweis zu liefern, wie vorsichtig auch Afrikareisende in
ihrem Urteile über Gegenden sein müssen, die sie nicht selbst gesehen
und kennen gelernt haben.
Die klimatischen Verhältnisse des zentralafrikanischen Hoch-
plateaus nördlich vom 6. 0 s. Br., das sich bei etwa 600 bis 300 m
Meereshöhe nach WNW. zu allmählich abdacht, sind erheblich andre
und bessere als in den Küstengebieten Angolas und des untern Kongo.
Malaria giebt es jedoch überall in den von mir durchreisten Gegenden,
kein Gebiet scheint davon frei zu sein. Wir können im Innern eben-
solche schwere Fiebererkrankungen, die unter gleichen typhösen Er-
scheinungen schnell mit tödlichem Ausgang enden, beobachten, als an
der Küste. Nur sind im Innern die Fieber seltener und im allgemeinen
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gelinder. Auch der englische Generalarzt Gordon. der längere Zeit an
der Goldküste thätig gewesen ist, hat die Beobachtung gemacht, dafs
2 bis 300 Meilen im Inland Malaria schon viel weniger häufig und
milder als an der Küste aufzutreten pflegte.
Das noch unbekannte Etwas, der mikroskopische Pilz oder
Bacillus, der das Malariagift bildet, findet bekanntlich seine günstigsten
Entwickelungsbedingungen in der Regenzeit, wird aber erst gefährlich,
wenn er durch Austrocknen des Bodens in Freiheit gesetzt ist. Der
schnelle Übergang von der Regen- in die Trockenzeit an der Küste ist
daher für Fiebererkrankungen besonders günstig im Gegensatz zu dem
Teil des Innern, wo eine derartige Trockenzeit fehlt. Als begünstigende
Ursachen für Aufnahme des Malariagiftes in den Körper, für den
Ausbruch eines Fiebers sind erfahrungsgemäfs in Afrika Erkältung ,
Unnuif sigkeit im Essen und Trinken und Ärger in erster Linie zu
rechnen. Schon eine leichte Erkältung pflegt nicht selten fieberhaft
zu verlaufen und geht dann, wenn nicht entsprechend behandelt, oft
in ein schleichendes oder schweres perniciöses Fieber über. Die
Häufigkeit dieser Erscheinung hat wohl Stanley veranlagt , alle
Fiebererkrankungen auf Erkältung zurückzuführen und das Vor-
handensein eines spezifischen Malariagiftes ins Lächerliche zu ziehen.
Zu Gunsten dieser Erkältungstheorie hat sich bereits früher der
englische Marinearzt Oldham in einer Schrift „What is Malaria?“
ausgesprochen 8 ). Wenn diese Ansicht richtig wäre, müfste sicher fast
ganz Deutschland vom Fieber durchseucht sein. Dafs sie trotz ihrer
Unhaltbarkeit überhaupt aufgestellt werden konnte, beweist übrigens
auch, wie oft der Ausbruch eines Fiebers durch Erkältung begünstigt
wird. Erkältungen sind nun im tropischen Afrika wegen der schnellen
Schweifsverdunstung sehr häufig, besonders aber in den Gebieten
mit scharf abgegrenzter Regen- und Trockenzeit und den vorhin
angegebenen erheblichen Temperaturschwankungen. Da diese in dem
mir bekannt gewordenen Innern Zentralafrikas fehlen, kommen auch
weniger häufig Fieber vor.
Das Bedürfnis, die grofsen Wärme Verluste, die der Mensch in
den Tropen durch Verdunstung bei Umwandlung des Schweifses in
Dampfform erleidet, durch entsprechende Nahrungszufuhr wieder zu
ersetzen, ist erhöht. Der Appetit ist daher in Afrika unter nor-
malen Verhältnissen keinesweges etwa herabgesetzt, sondern vielmehr
gesteigert. So sehr es nun zu empfehlen und für die Leistungs-
*) „Health on the Kongo.“ By Prosser James M. D. London. 1885.
p. 140.
Geograph. Blätter. Bremen, 1S87. lö
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fähigkeit des Europäers in den Tropen geradezu bedingend ist, diesen
Appetit nach Möglichkeit zu befriedigen, ist anderseits ein Überladen
des Magens mit Speisen, vornehmlich aber mit alkoholischen Ge-
tränken, oft die Veranlassung zu dem Ausbruch eines bösen Fiebers.
Ich habe selbst zweimal die Beobachtung machen können, allerdings
nur an der Küste, wohl weil im Innern noch die Gelegenheit dazu
fehlt, dafs nach übermäfsigem Trinken ein perniciöses Fieber auftrat.
Der Sitte, in heifsen Gegenden grofse Mengen Alkohol in Form
von Kognak, Brandy und Whisky zu trinken, huldigen nach meiner
Beobachtung in den Tropen in erster Linie Engländer und
Amerikaner und dann auch, vielleicht in etwas geringerem Grade,
unsre Landsleute. Zweifellos sind hierauf eine Menge Krankheits-
und Todesfälle zurückzuführen. Ein paar mir bekannte gebildete
Engländer, die in der Zivilisation durch zu viel Trinken niemals
Anstofs erregten, befanden sich in Afrika in einem permanenten
Rausche, so lange ihnen überhaupt Kognak oder Whisky zur Ver-
fügung stand. Die romanischen Völker dagegen, Portugiesen und
Franzosen, sind bei weitem enthaltsamer und mäfsiger, deshalb
auch wohl widerstandsfähiger in den Tropen. ,
Wenn der Herzog von Wellington sagt, man müsse hi
Indien, um gesund zu bleiben , „den Geist beschäftigen und
mit der ganzen Welt in guter Laune sein“, so läfst sich dieses
Rezept auch für Afrika bestens empfehlen. Arger, Gemütsdepression
haben oft Fieber zur Folge und können dieses wohl gerade
Forschungsreisende mit ihren Erfahrungen am besten bestätigen.
Boden und Temperatur sind die beiden Hauptfaktoren, von
deren jeweiliger Beschaffenheit und Höhe die Malariaentwickelung ab-
hängig ist. Es schliefst zwar keine Bodenformation das Vorkommen
von Malaria aus. Kalk, Sand, auch sogar Granit können unter
Umständen Träger des Malariagiftes sein, doch ist es im allgemeinen
nach Roth und Lex an einen „sumpfigen oder andauernd durch-
feuchteten, mit organischen und speziell vegetabilischen Substanzen
durchsetzten Boden“ s ) gebunden. Lehm, Mergel und Alluvialboden
sind besonders imgesund. Eine sehr - verbreitete Bodenart in Afrika
ist aber Laterit, eine jugendliche Formation, welche an der Ober-
fläche liegt, leicht Wasser aufnimmt und hält, daher für die Malaria-
entwickelung günstig ist. Ist nun der poröse Laterit durch vegeta-
bilische und animalische Zersetzungsprodukte verunreinigt, tritt dann
*) Koth und Lex, Handbuch der Militär-Gesundheitspflege. 3 Bände.
Berün 1872—77.
215 —
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in der Trockenzeit eine Abnahme, ja ein schnelles Sinken des Grund-
wassers ein, und bleibt der Regen ganz aus, so findet eine voll-
ständige Lockerung der oberen Bodenschichten statt. Die heifse
Luft hat dann einen ungehinderten Zutritt zu den in der Tiefe sich
zersetzenden organischen und vegetabilischen Stoffen und bewirkt
dadurch Malaria.
Je schroffer der Übergang von der Regen- in die Trockenzeit
ist, desto günstiger sind im Lateritboden die Bedingungen für die
Bildung des Malariagiftes gegeben, das sich nur in einem feuchten
Boden entwickeln und durch Austrocknen desselben frei werden kann.
In beständiger, gleichmäfsig starker Regenzeit kann Malaria nicht
frei werden, in immerwährender Trockenzeit sich überhaupt gar nicht
entwickeln. Hiernach wird es leicht verständlich, dafs ein Teil
Afrikas, der keine ausgeprägte Trockenzeit hat, auch bessere Ge-
sundheitsverhältnisse haben mufs, beziehungsweise dafs sich in dem-
selben solche leichter durch Erhaltung einer gleichmäfsigen Boden-
feuchtigkeit vermittelst Abzugskanälen hersteilen lassen. Ein solcher
Teil Inner-Afrikas aber ist das Balubagebiet Lubuku, welches östlich
vom Kassai und teils unter, teils nördlich vom 6 0 s. Br. liegt. Als Dr.
Pogge, der ebenso erfolgreiche als zugleich bescheidene Afrikareisende,
nachdem er eine Reise nach Süd-Afrika bereits gemacht, dann das
Lunda-Reich und Mussumba der Forschung erschlossen hatte, mit
Leutnant Wifsmann diese Gegend zuerst kennen lernte und ein Jahr
lang dort landwirtschaftliche Versuche anstellte, war er so angenehm
überrascht, dafs er über Klima und Bodenfruchtbarkeit günstige
Berichte einschickte. Dafür hat man ihn einen Optimisten genannt ! —
Pogge, dem als Landwirt und auf Grund seiner früheren Reisen ein
praktisches Urteil über afrikanische Verhältnisse vollberechtigt wie
keinem zweiten zustand und dem bei seinem ruhigen, bescheidenen
Wesen nichts so fern lag, als die Verdienste andrer Reisenden mit
neidischem Gefühl zu verfolgen und zu beurteilen, hat damals schon
den Wert dieser Gegend erkannt und darauf aufmerksam gemacht.
Ebenso auch Wifsmann. Wenn uns diese Domäne deutscher
Forschung verloren geht und statt deutschen Handels wir schon
jetzt den amerikanischen, holländischen und portugiesischen sich
eiligst dort festsetzen sehen, so ist dieses zum grofsen Teil die Schuld
jenes nörgelnden Pessimismus, der sich überall berufen fühlt, seine
Kassandrastimme zu erheben, jeden opferfreudigen Unternehmungs-
geist lähmt und unser Vaterland schon so oft hat „zu spät“
kommen lassen. Wifsmann, Hauptmann v. Francois , Leutenant
Mueller als Forstmann und ich, vor kurzem wiederum der jetzt dort
15 *
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befindliche amerikanische Arzt Dr. Simmers haben auf Grand eigener
Anschauung und Erfahrung über jenen Teil Inner - Afrikas ebenfalls
einstimmig eine günstige Ansicht ausgesprochen.
Pogge ist übrigens nicht, wie fälschlich berichtet worden ist,
dem Fieber, sondern einem Lungenleiden erlegen. Kurz vor seinem
Tode traf ich mit ihm in Dondo-Angola zusammen, und habe ich
mich selbst von seinem Zustande überzeugen können. Er ist nach
eigener Aussage nicht fieberkrank gewesen, sondern hat im Innern
bereits infolge der Reisestrapazen und Entbehrungen Bluthusten
gehabt.
Im November 1884 wurde von Wifsmann die Station und
Plantage Luluaburg angelegt, welche alsbald reiche Ernteerträge
lieferte und somit Pogges Ansichten praktisch bewies. Der Schiffs-
zimmermann Bugslag und der Büchsenmacher Schneider haben dort
täglich angestrengt gearbeitet und sich dabei körperlich wohl
befunden. Bugslag hat trotz Abredens ungestraft selbst Feldarbeit
verrichtet, und war sein Arbeitseifer nicht zu zügeln. Luluaburg
besteht noch in blühendem Zustande mit ausgedehnten Reis-, Mais-,
Erdnufs- u. a. Kulturen und lohnender Viehzucht. Ich habe von
dort auch Laterit und Bodenproben mitgebracht, welche Herr Pro-
fessor Maerker in Halle die Güte hatte, zu untersuchen und zu
beurteilen. Wenn die Analyse in allen Fällen auch nicht hei uns
für eine gute Bodenart sprechen würde, so hängt deren Ertrags-
fähigkeit in Afrika auch nach Professor Maerkers Ansicht, von der
Bewässerung ab. Diese ist aber dort günstig, ähnlich wie in den
oberen Nilgegenden , wo trotz Laterit die reichsten Ernteerträge
erzielt werden.
Wenn auch die Verhältnisse Inner-Afrikas der Küste gegen-
über günstiger sind, so ist sein Klima immerhin ein tropisches,
und wird es schon aus diesem Grunde in absehbarer Zeit eben-
sowenig als Indien ein Aufnahmegebiet für eine europäische
Masseneinwanderung in dem Sinne werden als die Vereinigten
Staaten von Nordamerika. Auf Grund meiner in den Südstaaten
Nordamerikas und als Arzt auf einem Lloyddampfer mit Aus-
wanderern nach Brasilien gesammelten Erfahrungen möchte ich
den Strom unsrer gewöhnlichen nordischen Auswanderer mit Frauen
und Kindern nur bedingungsweise in subtropische und in tropische
Gegenden überhaupt nicht geschickt wünschen, um dort die Möglich-
keit einer Akklimatisation etwa auszuprobieren. Anderseits empfiehlt
sich aber das mir bekannte Inner-Afrika sehr für Plantagenbau und
ist ein Europäer von guter, gesunder Konstitution bei vernünftiger
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Lebensweise, die ich dem gewöhnlichen Auswanderer a priori nicht
zutraue, wohl im Stande, dort täglich ohne Nachteil für seine Ge-
sundheit selbst schwere Handarbeit zu verrichten, weit leichter und
dankbarer als in den Küstengebieten. Feldarbeit, so lange dieselbe
noch auf jungfräulichem Boden betrieben werden mnfs , soll ein
Europäer persönlich unterlassen.
Für sehr bedenklich aber halte ich es unter den jetzigen Ver-
hältnissen europäische Frauen nach dem tropischen Afrika zu
schicken oder kommen zu lassen. Als Verheiratete und Mütter
scheinen sie am meisten unter dem Klima zu leiden und neigen
mehr als Männer zu der Tropenanämie und der im allgemeinen ge-
steigerten Nervosität; eine Beobachtung, die auch in anderen tro-
pischen Gebieten bereits gemacht ist. 4 ) Die wenigen europäischen
Frauen, die ich bis jetzt in Afrika gesehen habe, sprechen sicher nicht
mit ihren Kindern für die Möglichkeit einer Akklimatisation. Als
Missionäre ist ihre Thätigkeit, wenn man etwa die von der Zivilisation
bereits lange beeinflufsten Küstenstriche ausnimmt, gleich Null.
Auf den wilden Eingeborenen, in dessen Augen die Frau überhaupt
nur Sklavin ist, können sie keinen guten Einflufs ausüben, wohl
aber seine tierischen Leidenschaften entflammen. Wenn der pro-
testantische Missionar sich in Afrika verheiraten will, sollte er schon
vom Standpunkte der Humanität aus sich die Frau nicht aus Europa
kommen lassen, sondern lieber, wie der englische Reverend Grenfell,
dieselbe aus den Töchtern des Landes wählen. Dadurch tritt er
auch zu den Eingeborenen in ein Verhältnis, das ihm seine zivilisa-
torische Aufgabe wesentlich erleichtert. Ich habe mich persönlich
sowohl hiervon als auch von dem glücklichen Familienleben des um
Afrika hochverdienten Missionars Grenfell überzeugen können. Frau
Grenfell füllte den Platz einer christlichen Hausfrau und Mutter in
jeder Weise vollständig aus und wurde sie während ihres kürzlichen
Aufenthaltes in London trotz ihrer schwarzen Hautfarbe mit jener
vorurteilsfreien Achtung behandelt, welche bei uns im allgemeinen,
auch in Kolonialkreisen, noch nicht verständlich ist, Deshalb darf
ich mich nicht wundem, wenn mein Rat, den ich unter dem Ein-
drücke des selbst Beobachteten gebe und der ja auch nur für den
immerhin beschränkten Kreis derjenigen Missionare beziehungsweise
Europäer bestimmt ist, welche sich in Afrika verheiraten wollen,
von Manchen ebenfalls mifsverstanden wird. Gerade in letzter Zeit
hat sich eine bedenkliche Strömung bemerkbar gemacht, Missions-
4 ) Vergl. Dr. C. L. van der Burg, De geneesheer in Nederl. Indie.
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frauen und Schwestern nach dem tropischen Afrika zn schicken und
fühle ich mich hinreichend belohnt, wenn meine Warnung auch nur
einige abschrecken sollte.
Die Höhenlage des Innern ist zweifellos mit ein Faktor, um
Malaria dort seltener auftreten zu lassen oder die Erkrankungs-
formen zu mildern, trotzdem man dieses in letzter Zeit zuweilen hat
bezweifeln wollen. Man hat z. B. am Kongo gefunden, dafs höher
gelegene Stationen oft ungesunder als niedrig 'gelegene waren.
Hierbei hat man aber entweder nicht die Windrichtung oder
hochgelegene Sümpfe in Betracht gezogen. Die englischen Army
medical reports liefern uns ein ebenso reichhaltiges wie zuver-
lässiges Beweismaterial für den günstigen Einflufs der Höhen-
lage auf Malaria. Je gröfser überhaupt der Höhenabstand von
dem Malariaboden ist, um so geringer ist die Intensität des
Malariagiftes. Nach Ansicht des berühmten englischen Hygienikers
Parkes genügt in einem gemäfsigten Klima eine Höhe von 500
in den Tropen eine solche von 1500 — 2000 als Schutz gegen Ma-
laria, die über 5000 ‘ Meereshöhe überhaupt nicht mehr Vorkommen
soll. Jedoch haben schon geringere Höhen je nach der Windrichtung
und Umgebung einen günstigen Einflufs auf Fiebererkrankungen.
Auf Cypern erkrankten 1878 von der englischen Garnison 3465,3°/oo,
also jeder Mann mehr als drei Male im Jahre, dagegen im
darauf folgenden Jahre, als die Truppen in Platris 3500' nnd auf
Mount Troades 5600' über dem Meeresspiegel lagen, nur 521,a°/oe.
Aufserdem verliefen die Fieber milder. In West-Indien lag ein Teil
der Truppen in der Ebene und ein Teil auf den Höhen von New Castle,
von den ersteren erkrankten 443,5°/oo und von den letzteren dagegen
nur 29,i°/oo. Auch auf Mauritius trat Malaria seltener und milder
auf, seit die Garnison von St. Louis nach Curlpipe, 1900' Meeres-
höhe, verlegt worden ist. Fast in allen englischen Garnisonen, in
denen Malaria ein wichtiger Faktor für den Gesundheitszustand und
daher die Leistungsfähigkeit der Truppe ist, hat man die Kasernen
aus den Ebenen auf die Höhen verlegt und dadurch aufserordentlich
günstige Erfolge erzielt. Auf Grund und an der Hand dieser exakten
Beobachtungen sind wir berechtigt anzunehmen, dafs auch im Kamerun-
und Kilima Njaro-Gebirge in entsprechender Höhe fieberfreie Gebiete
zu finden sind, ohne dafs es notwendig sein dürfte, etwa vermittelst
eines Luftballons von Europa ausgehend die Fiebergrenze dort
festzustellen. 5 )
*) Siehe Kamerun etc. von Max Büchner. 1887. S. 151.
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Aufser Fieber sind Dysenterie und Pocken an der Küste
und im Innern, wenn auch selten, zuweilen epidemisch und
dann von verheerender Wirkung. Die Dysenterie soll mehr in der
Katarakt-Region Vorkommen, ich selbst habe nie einen Fall im Innern
gesehen, und die Pocken kommen, je weiter nach Osten, desto
häufiger vor. Auf meiner Reise zur Erforschung des Sankuru traf
ich sie bei den Bena Lussamba. Man erzählte mir, dafs dort mit
kaum irgend welcher Zeitunterbrechung fortwährend einzelne Variola-
fälle vorhanden seien. Als hygienische Sehutzmafsregel wurde jeder
Pockenkranke sofort aus der Ortschaft entfernt und über den Flufs
in den Urwald geschafft, der sich zwischen Sankuru und Lubi an
der Einmündung des letzteren befindet. Man war jedoch menschlich
genug, ihm einen Sklaven als Pfleger mitzugeben, der dem Kranken
Nahrung brachte und bis zu seinem Tode bei ihm verblieb. Die
von mir aus Berlin mitgenommene und sorgfältig verpackte Lymphe,
sowohl animale als auch humanisierte, war im Innern nicht mehr
wirkungsvoll. Auch habe ich am Kongo vielfach Klagen darüber
gehört, dafs fast alle Impfungen erfolglos zu verlaufen pflegten.
Es ist daher von grofser Wichtigkeit, Lymphe zu beschaffen, die
auch in den Tropen ihre Haltbarkeit nicht verliert. Die Pocken
sind nach meinen Erkundigungen im Tnnern nicht etwa autochthon,
sondern von Osten her eingeschleppt.
Zahlreicher als Fieber- aber auch glücklicherweise ungefährlicher
sind die Hautkrankheiten. An die Haut, als Regulator der tierischen
Wärme, werden in den Tropen erhöhte Ansprüche gestellt, die
Schweifsdrüsen haben sich einer gröfseren Arbeitsleistung zu unter
ziehen, das C’apillargefäfsnetz der ganzen Haut ist durch die erhöhte
Temperatur des Mediums erweitert. Von einer regen Hautthätigkeit
ist das allgemeine Wohlbefinden abhängig. Ist erstere gestört, dann
auch sicher letzteres. Die Hautpflege erfordert daher eine besondere
Beachtung, und sind zu dem Zwecke tägliche Bäder, am besten
abends, etwa gegen 6 Uhr vor dem Essen, dringend zu empfehlen.
Die gewöhnlichen leichteren Hautkrankheiten, denen der neu-
angekommene Europäer besonders sich aussetzt, sind ein Erythem,
das durch direkte Einwirkung der Sonnenstrahlen auf die von der
Kleidung entblöfste Haut zu entstehen pflegt und der liehen tropicus,
bekannt unter dem Namen roter Hund, prichly heat, und bedingt
durch behinderte Hautthätigkeit. Eine ebenfalls häufige und in
ihren Folgen oft sehr gefährliche Hautkrankheit ist das Eczema im-
petiginosum, in Angola unter der Benennung Sarnes allgemein ge-
kannt, ein Leiden, das an verschiedenen Körperstellen zunächst eine
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umschriebene Röte zeigt, in deren Mitte ein Knötchen entsteht,
dessen Inhalt eitrig zerfällt. Der befriedigte Juckreiz verschlimmert
den Zustand, es bilden sich gröfsere Geschwüre, die oft zu mehreren
konfluieren.
Im Innern habe ich dieses Hautleiden vielfach bei Kindern im
Alter von 6 — 12 Jahren beobachtet, die infolge desselben am ganzen
Körper oft mit Ulcerationen bedeckt, entsetzlich abmagerten und
schliefslich an Entkräftung, nicht selten aber auch an konsekutiver
Pneumonie zu Grunde gingen. Im Gegensatz zu dem Innern liefert
in den Küstengebieten ein tierischer Parasit, der Pulex penetrans,
Sandfloh, einen nicht unerheblichen Prozentsatz der Hautkrankheiten.
Zunächst ist das Tier mit seinen Erfolgen glücklicherweise noch
auf die Küstengebiete beschränkt. Jedoch ist seine Verbreitung
eine rapide und obwohl der Sandfloh erst im Jahre 1872 durch ein
Schilf von Brasilien nach der Loangoküste eingeschleppt sein soll,
ist er schon jetzt am unteren Kongo bis nach der Kassai-Mündung
und auch in Angola bis Melange zu einer wahren Landplage ge-
worden. Die Eingeborenen wissen ihn übrigens geschickt, auch wem»
er nur als ein kleines schwarzes Pünktchen kaum sichtbar ist, mit
einer Nadel fast schmerzlos zu entfernen. Die Elephantiasis Arabum
habe ich in den Küstengebieten vereinzelt beobachtet, aber nicht im
Innern, ebensowenig spezifische Krankheiten.
Wenn es keine Malaria gäbe, würde ich keinen Anstand
nehmen, den mir bekannt gewordenen Teil Inner-Afrikas klima-
tisch für ein besonders gesundes und angenehmes Tropengebiet
zu bezeichnen, so wenig kommen andre Krankheiten in Betracht.
Cholera, Typhus, gelbes Fieber sind unbekannt, auf Blasen- und
Nierenleiden aber ist lediglich der Aufenthalt schon therapeutisch
von sehr günstigem Einflufs. Vergebens sucht man dort die
Bilder menschlichen Elends, von denen uns Reisende aus andren
Gegenden Afrikas ergreifende Schilderungen geben. Weder gehört
das Gebiet zu den heifsesten in Afrika, noch in den Tropen
überhaupt. Die höchste Schattentemperatur 38 0 C. fand ich
in einem Thalkessel am Lomami. Sogar die Sommermonate
in den Vereinigten Staaten von Nord-Amerika pflegen heifser zu
sein und sind mir unangenehmer gewesen, als der Aufejithalt in
Afrika. Jeder, der z. B. im Sommer 1876 die Weltausstellung von
Philadelphia besucht hat, wird sich der fast unerträglichen Hitze
erinnern, welche damals dort herrschte und die auch des Nachts
immer noch eine drückende blieb. Die Abende und Nächte dagegen
pflegen in Afrika frisch, oft sogar kühl zu sein, so dafs man morgens
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nach einem erquickenden Schlaf mit voller Arbeitslust an seine
Thätigkeit gehen kann. Während meiner Landreisen bin ich nur
dann von Moskitos belästigt worden, wenn ich etwa in einer Flufs-
niederung Lager beziehen mufste, sonst habe ich keines Schutz-
netzes bedurft. Auf Flufsreisen fand ich die Moskitoplage nicht
schlimmer als auch in Amerika und wird sie in der Donauniederung
selbst keine gelindere sein. #
Aus dem bisher Gesagten erhellt, dafs Malaria der gefährlichste,
überall lauernde Feind ist, mit dem wir in Afrika zu rechnen haben.
Glücklicherweise stehen wir ihm jedoch nicht machtlos gegenüber.
Wir können uns durch hygienische Mafsregeln nicht allein gegen ihn
schützen, sondern ihn auch mit therapeutischen Mitteln erfolgreich
bekämpfen.
Zu den ersteren rechne ich zunächst passende Kleidung und
hier empfiehlt sich als Unterzeug Wolle, die am besten bei der
schnellen Schweifsverdunstung und den oft schroffen Temperatur-
wechseln gegen Erkältung schützt. Baumwolle soll nur dann ge-
nommen werden, wenn etwa die Haut zu reizbar für Wolle sein
sollte. Übrigens ist dieses selten der Fall, vorausgesetzt, dafs die
wollenen Unterzeuge oft, womöglich täglich gewaschen werden.
Man zieht sie zu diesem Zwecke mehrere Male kräftig durchs Wasser,
ringt sie nicht aus, sondern hängt sie zum trocknen auf. Der schwarze
Leibdiener pflegt sich mit grofsem Geschick dieser einfachen Aufgabe
auch auf dem Marsche täglich nach dem Einrücken, zu entledigen.
Wer auf einer Station oder in einer Faktorei ein ruhiges, beschau-
liches Dasein führt, kann vielleicht ungestraft von Anfang an auf
Wolle verzichten, andres aber verhält es sich mit denen, die sich
körperlich anstrengen und der wechselvollen Witterung aussetzen
müssen, besonders gilt dieses von Reisenden, die oft täglich mehr-
fach Temperaturwechsel beim Durchwaten von Bächen und Sümpfen,
Austritt aus der heifsen, schattenlosen Savanne in den kühlen Urwald
u. a. zu ertragen haben. Die Engländer und Seeleute im allge-
meinen, welche in dieser Hinsicht am meisten Erfahrung haben,
sprechen sich ebenfalls für Wolle aus. Ein englischer Offizier erzählte
mir, dafs in Burmah-Indien während seiner Anwesenheit die Einge-
borenen mehr an Malaria erkrankt seien, als die Engländer, weil
nach seiner Ansicht erstere nur leichte leinene Stoffe, letztere
aber wollene Unterzeuge getragen hätten. Einer unsrer Lands-
leute, der sich für seine Reise nach Afrika zunächst durch Äpfel-
weintrinken vorbereitet hatte und trotz Abredens nur leinene
Unterzeuge trug, war fortwährend fieberkrank, kleidete sich aber
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dann, als er kaum lebend nach Deutschland zurückkehrte, ganz in
Wolle a la Jaeger. (Les extremes se touchent!) Als wir 1883
unsre Reise nach Afrika antraten, hatten wir uns alle auf
Wifsmanns Anraten, der von Pogge gelernt hatte, wollene Unterzeuge
beschafft. Die durch Schuld des Fabrikanten schlecht gearbeiteten
Hemden waren mir anfangs, weil ich ebensowenig als meine Kame-
raden an Wolle gewöhnt war, ^unbehaglich und ich kaufte mir in
Kamerun ein paar baumwollene. An der Loangoküste machte ich
mit von Francois einen anstrengenden Ausflug, erkältete mich, hatte
am nächsten Tage Fieber und zog eiligst mein wollenes Hemd wieder
an, in dem ich mich dann trotz des groben Gewebes später
wohl und behaglich gefühlt habe. Francois, der sein wollenes
Hemd anbehalten hatte, zog sich weder eine Erkältung noch
ein Fieber zu.
Kann jemand Wolle nicht unmittelbar auf der Haut
tragen, so empfiehlt es sich, Unterzeuge von „Indian ganze“,
ein leichtes Seidengewebe, mit einer wollenen Leibbinde und wollenem
Oberzeug zu tragen. Auch Dr. Güfsfeldt hat die Beobachtung ge-
macht, dafs beim Tragen eines einfachen stark durchschwitzten
Baumwollenhemdes ohne wollenes Hemd 8 ) leicht Erkältungen er-
folgen. Man nimmt daher nach Afrika am besten sowohl wollene
Unterzeuge, als auch solche von „Indian gauze“ mit und geht zu
der erwähnten Doppelkleidung nur dann über, wenn Wolle die Haut
zu stark reizen sollte, oder Hautkrankheiten bestehen. Weil Er-
kältungen so oft, wie schon bemerkt, den Ausbruch eines Fiebers
begünstigen, kann ich dem wollenen Unterzeuge als besten Schutz
dagegen nicht eindringlich genug das Wort reden. Übrigens stimmen
bei weitem die Mehrzahl der Afrikareisenden darin mit mir überein,
deren Kreis ich allerdings nicht so weit ausdehne, als dieses oft in
letzter Zeit geschieht. Der Unfug, der mit der Benennung „Afrika-
reisende“ getrieben wird und dieselbe bedenklich in Mifskredit zu
bringen droht, ist in treffender Weise schon von Dr. Wilhelm Joest 7 )
gegeifselt worden, dessen Ausführungen ich nur beipflichten kann.
Eine weifse Mütze mit grofsem Schirm, und Nackentuch, sowie
ein Tropenhelm und im Lager oder Hause etwa ein Fez, sind die
passendste Kopfbedeckung. Statt eines Rockes trägt man besonders
*) Dr. Max Boehr, Instruktion für wissenschaftliche Reisende. Berlin 1875.
Hirschwaldt.
*) Reise in Afrika im Jahre 1883 von Wilhelm Joest Dr. phil. Separat-
abdrnck aus der Zeitschrift für Anthropologie, Ethnologie und Urgeschichte,
Jahrgang 1885. p. 4.
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auf Reisen am besten eine Ärmelweste mit vielen Taschen und je
nachdem, ob man geht oder reitet, Schuhe oder Kniestiefeln von
Naturleder. Als Steigbügel bediene man sich des amerikanischen
Schuhsteigbügels, der den Fufs sowohl gegen die Nässe schätzt, als
auch ein Verfangen in den zahlreichen Lianen verhindert.
Die beste Unterkunft für den Reisenden gewährt ein Zelt mit
Doppeldach, wie es von Edginton in London besonders für
Afrika hergestellt wird. Das Doppeldach schützt sowohl am Tage
gegen die Hitze als auch nachts gegen die Kälte. Ich habe leider
während des ersten Teils meiner Reise keins besessen und von
Malange bis Mukenge über vier Monate mir täglich eine Grashütte
bauen lassen, die selten genügend Schutz gegen Wind und Regen
bot. Nicht immer findet man hinreichend Gras, und aufserdem mufs
man, im Lager angekommen, oft stundenlang warten, ehe die
ermüdeten Träger eine notdürftige Hütte für ihren Herrn erbauet
haben. Ein Zelt ist dagegen nur eine Trägerlast und innerhalb
10 Minuten irgendwo aufgestellt.
Bei Anlage einer Station nach Auswahl eines hochgelegenen,
sumpffreien, luftigen Platzes soll man stets von dem Grundsätze
ausgehen, die Wohnhäuser auf Stein-, oder wenn dieses nicht möglich
ist, auf Holzpfeilern so zu bauen, dafs der Fufsboden sich mindestens
1 m über der Erde befindet. Das Erdgeschofs soll vollständig frei
für die Ventilation bleiben und weder dem Dienstpersonal als
Unterkunft noch als Vorratskammer dienen. Die Häuser dürfen
wegen der heftigen Gewitterstürme — Tornados — nicht zu hoch
gebauet sein. Jede Wohnung mit breiter Veranda bestehe ans zwei
Räumen und einem Flur und diene für nur einen Europäer. Kasemen-
mäfsiges Zusammenwohnen vieler Europäer in einem Hause empfiehlt
sich in den Tropen durchaus nicht. So lange Backsteine, Cement
und Dachziegeln fehlen, nimmt man als Baumaterial am besten
Holz, Stroh und Lehm. Man findet Holz, das nicht von Termiten
angefressen wird. Fufsboden und Wände werden aus Lehm gemacht
und mit Thon ge weifst. Nägel werden durch Lianen und Pflöcke
ersetzt. Das Dach wird aus Stroh hergestellt, und hält das Innere
während des Tages kühl und des Nachts warm. Ein solches
Häuschen läfst sich übrigens schnell bauen und genügt den An-
forderungen der Tropenhygiene vollständig. — Im November 1885
beschlofs ich, an der Mündung des Luebo in den Lulua, dem äufsersten
Punkte der Schiffbarkeit nach Süden, auf der durch diese beiden
Flüsse gebildeten Landspitze, die flach und mit. dichtem Urwald
bestanden war, als dem auch strategisch wichtigsten Platze in der Nähe
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feindseliger Eingeborenen, eine Station anzulegen. In der Zeit der
heftigsten Regen wurde der Urwald gelichtet, Bäume und Gestrüpp
flufsabwärts geschwemmt und Häuser nach obiger Beschreibung gebauet.
Hinter der Station befand sich ein Sumpf. Ich liefs denselben durch
einen Graben mit dem Lulua und Luebo verbinden, wodurch die
Station selbst auf einer Insel lag. Der Gesundheitszustand blieb ein
vorzüglicher, was ich in erster Linie der Berücksichtigung hygieni-
scher Anforderungen beim Häuserbau und dem Abzugskanal, dann
auch einer günstigen Windrichtung vom Luebo und Lulua abwärts
zuschreibe.
In der Nähe der Wohnung sollen Gestrüpp und abgestorbene
Blätter stets entfernt und das Gras kurz gehalten sein. Doch lasse man
Bäume stehen entweder im Umkreise um die Wohnung oder wenigstens
an der Stelle, woher etwa ein scharfer Wind zu wehen pflegt. Dia
Bäume verhindern, dafs Malaria durch die Luft zugeführt werde.
In Alabama, Nordamerika, brach z. B. auf einer Farm, die eine halbe
englische Meile von einem versumpften See lag, plötzlich nach Nieder-
hauen eines zwischenliegenden Gehölzes eine so starke Malariaepidemie
aus, dafs von 150 Bewohnern nur 3 oder 4 verschont blieben. Vorher
war Malaria dort nicht vorgekommen.
Die Ernährung soll in den Tropen so gut als möglich sein.
Ein kräftiger, wohlgenährter Körper ist leistungsfähig und im Er-
krankungsfalle gewifs widerstandsfähiger als ein schwacher. Ein
mäfsiger Genufs von Spirituosen ist zu empfehlen, besonders Kognak
und leichter Rotwein. Schwacher Kaffee und Thee löschen den
Durst am besten. Wasser soll man nur gut filtriert und gekocht
trinken. Filtrieren allein genügt nicht, da die Filter oft unrein
werden. Die medizinische Litteratur, sowohl die deutsche als auch
besonders die englische, liefert uns ein reichhaltiges Beweismaterial
dafür, dafs Malaria auch durch Trinkwasser in den menschlichen
Körper übergeführt werden kann. 8 )
Während des Krimkrieges litten, wie Parkes in seinem
klassischen Handbuch der praktischen Hygiene berichtet, alle eng-
lischen Soldaten, welche Sumpfwasser tranken, während des ganzen
Jahres an Malaria, während diejenigen, denen Brunnenwasser zur
Verfügung stand, nur im Spätsommer und Herbst am Fieber erkrankten.
Auch die englische Garnison Sheerness hat infolge von Sumpf-
*) 1) Stat. Sanit. Bericht für die Künigl. Preuss. Armee and das XIII.
(K. W.) Armeekorps für die Zeit vom 1. April 73 — 31. März 74, p. 12.
2) Faught, Report on the prevalonee of agtie and Malaria at Tilbury
Fort, in connection with the water supply, Army Medical Report p. 212.
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wasser sehr an Malaria gelitten. In Tnlliwoon — Madras — pflegte
niemand fieberfrei zu sein, weil allgemein Sumpfwasser getrunken
wurde. Mr. Bettington of the Madras Civil Service, legte einen
Brunnen an, dessen Wasser fortan zum Trinken diente und infolge
dessen kam in 14 Jahren kein Malariafall vor.
Die äthiopische Rasse besitzt keineswegs eine Immunität gegen
Malaria. Im Jahre 1880 erkrankten in West-Afrika von 623 schwarzen
englischen Truppen 404 an Malaria und von diesen 285 an remit-
tierendem und 119 an intermittierendem Fieber. Von 1869 — 1877
hatten die englischen Soldaten äthiopischer Rasse in West-Indien
127,8 °/oo Fieberfälle und folge dessen _l,i5 °/oo Sterblichkeit; die
europäischen Truppen dort in derselben Zeit dagegen nur 52,8 °/oo
beziehungsweise 0,97 °/oo. Doch neigt der neuangekommene Europäer,
wie leicht verständlich, schon wegen des schroffen Überganges in andre
Lebensverhältnisse mehr zur- Malariaerkrankung als die angesessene
und auch als die einheimische Bevölkerung. Es mufs daher eine
beschränkte Akklimatisation stattfinden.
Die Behandlung der Malariakrankheiten wird mit Recht eines
der schwierigsten Kapitel der speziellen Therapie genannt und
erfordert nicht allein theoretisches Wissen, sondern mehr als dieses
in den Tropen selbst gesammelte Erfahrungen.
Im allgemeinen ist der Grundsatz festzuhalten, stets grofse
Dosen Chinin (l,o) zu geben. Öftere kleine Gaben reizen den an
und für sich schon empfindlichen Magen und werden leicht wieder
erbrochen. Ipecacuanha, Arsen und kalte Vollbäder unterstützen
die Behandlung. Ein fortgesetzter prophylaktischer Gebrauch
von Chinin soll nicht stattfinden, da derselbe sowohl auf die kräftigste
Körperkonstitution schliefslich schädlich wirkt, (Chinintaubheit,
Blindheit n. a.) als auch im allgemeinen nach neueren Beobachtungen
erfolglos ist und den Organismus so an dasselbe gewöhnt, dass im
Erkrankungsfalle die Wirkung des Mittels gegen Malaria abgeschwächt
ist. Jedoch empfiehlt es sich, bei einem vorübergehenden Aufenthalt
in einer besonders fiebergefährlichen Gegend, oder nach starken
körperlichen Anstrengungen, sowie bei irgend welchem Unwohlsein
eine einmalige kleinere Dosis Chinin, etwa 0,25 — 0,5, vor dem Früh-
stück oder vor dem Schlafengehen mit Kognak zu nehmen.
Der prophylaktische Arsengebrauch ist auch kein absolut sicherer
Schutz. Mir sind zwei Fälle vom untern Kongo bekannt geworden,
wo trotz 3monatlichen Arsengebrauches schliefslich ein perniciöses
Fieber sich einstellte und inzwischen noch einige leichte Fieber zu
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bestehen waren. Die allgemeinen Vorsichtsmafsregeln lassen sich
etwa in folgender Weise zusammenfassen:
1) Man trage wollenes Unterzeug und wechsle dasselbe wo-
möglich täglich, sicher aber nach jedem Tagesmarsche.
2) Man frühstücke nach dem Aufstehen möglichst bald und gut.
3) Man vermeide mit vollem Magen während der heifsen Tages-
zeit zu arbeiten oder zu marschieren. Nach jeder Hauptmahlzeit
folge eine Stunde Ruhe.
4) Man schütze Kopf und Nacken durch einen guten Helm mit
Nackentuch.
5) Man trinke nur gekochtes Wasser. Schwacher Kaffee oder
Thee löschen den Durst am besten. Alkohol ist dem Gesunden nur
abends zu empfehlen.
6) Man vermeide alle Gemüthserregungen, mache sich viel
Bewegung und gebe sich keiner übermäfsigen Ruhe hin.
7) Man nehme täglich ein kaltes oder lauwarmes Bad und
reibe die Haut so lange mit einem rauhen Handtuche, bis sie gleich-
inäfsig erwärmt ist.
Das Bad wird am besten abends zwischen 5 und 6 oder später
vor dem Essen genommen.
8) Man lege sich spätestens 10 Uhr schlafen und stehe um
5 Uhr früh auf.
Man nehme prophylaktisch Chinin nur beim Aufenthalte oder
Übernachten in einer Sumpfgegend, nach starken körperlichen An-
strengungen, oder bei irgend welchem Unwohlsein und in diesen
Fällen eine einmalige Dosis von 0,25 bis 0,5 gr.
Die fortschreitende Kultur wird zweifellos auch das afrika-
nische Klima bessern, doch werden von ihren Pionieren noch
manche ihr Leben als Preis dafür zahlen müssen. Das lehrt
uns als eine unerbittliche Notwendigkeit die Kulturgeschichte
aller Weltteile. Nach der hohen Sterblichkeits- und Krankheitsziffer
der Forschungsreisenden, welche unter den schwierigsten und
wechselvollsten Lebensbedingungen in Afrika den Kampf ums
Dasein auszufechten haben, ‘ dürfen wir daher das afrikanische
Klima nicht beurteilen. Gute Wohnungsverhältnisse, eine mäfsige
Lebensweise, verbunden mit einer geregelten Thätigkeit bilden
auch dort wie überall die Grundbedingungen für die Gesundheit
und das Leben. Wenn man für den Kolonialdienst und Afrikareisen
überhaupt nur nach bester Prüfung für die Tropen geeignete und
auf Grund einer streng durchgeführten ärztlichen Untersuchung
gesund und widerstandsfähig befundene Persönlichkeiten auswählt, so
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werden viele Menschen und infolgedessen auch Geldopfer erspart bleiben.
Noch vor 50 Jahren starben die britischen Soldaten in Westindien
in erschreckender Zahl. Ein Regiment von 1000 Mann war
innerhalb 5 Jahren dem mörderischen Klima zum Opfer gefallen.
Und jetzt ist der Dienst dort fast ebenso gesund, als im Mutterlande.
In Indien ist während der letzten 30 Jahre die Sterblichkeitsziffer
unter den Europäern um 50°/o geringer geworden. Derartige Ver-
hältnisse schaffen die Engländer dadurch, dafs sie bei allen ihren
kolonialen Unternehmungen den Anforderungen der Tropenhygiene
die gröfste Aufmerksamkeit, widmen und dieselben auch peinlichst
befolgen. Wenn wir unbeirrt durch pessimistische oder zu
optimistische Schilderungen uns deren Erfahrungen zu nutze machen,
werden wir zweifellos ähnlich günstige Erfolge in Afrika erzielen.
Die Landschaft Dawan oder West-Timor.
In douesieu.
Ethnographische Mitteilungen von Dr. J. O. F. Riedel,
Resident n. I). in Niederländisch-Ostindien.
(Vortrag, gehalten in der 60. Versammlung Deutscher Naturforscher und Arzte
in Wiesbaden, September 1887.)
Mit einer Karte. ')
I.
Bemerkungen Uber die Insel Timor. Die Timorosen : KörperbeschafTenheit.
Intellektuelle und moralische Eigenschaften. Das Solidaritätsprinzip. Lebensweise.
Nahrung, Kleidung. Sitten. Singen und Tanzen. Die Beschäftigung der Männer und
Frauen. Grundeigentum. Die Gemeinde. Weiderechte. Jagd und Fischfang. Sammeln
des Sandalholzes. Bodenkultur. Die Stände. Bufsen. Das Knpfabschneiden. Blut-
schande. Die Einkünfte der Häupter der Landschaften.
Die Insel Timor oder Timol, im Jahre 1554 von den Portu-
giesen, welche noch heutzutage den östlichen Teil besitzen und im
Jahre 1613 von den Holländern, welche sich im westlichen Teil
niedergelassen haben, zum ersten Male besucht, liegt zwischen
123° 20' und 127° 30' östl. L. von Greenwich und zwischen 8° 40'
und 10° 50' südl. B. Sie wird von der Bevölkerung in drei Haupt-
gebiete eingeteilt, als Marae, das östliche Tetun oder Tetuun, das
mittlere und Dawan, das westliche Timor. Die Inseln, welche
unmittelbar nördlich davon sich zeigen, heifsen in der Landessprache
*) Die Karte wird mit dem 2. Teil dieses Aufsatzes in Heft IV publiziert.
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Pah-Keera oder Schildkrötenland. Die Landschaften, welche westlich
und zum Teil inmitten der Insel liegen und als holländisch betrachtet
werden, sind Kopan, Amaabi, Vonai. Tapenu. Sonabai-ana. Amarasi.
Tevnai, Nevo, Manubai, Nakliu, Sorbian. Ambenn, Amvnang. Takaip.
Pitai, Bati, Besiama, Numbena. Netpala oder Nevkoko. Bidjaepunu.
Amakono, Djenilo, Lidak, Naitimu, Beboki. Insana. Silawang,
Mandeu, Sonleu. Lamaksanhulu. Lamakneen. Vehalarang, Makir.
Dirmaa, Maukatar, Amanubang, Amanatnng, Nenometan und Wai-
wiku-Waihale mit einer Bevölkerang von etwa 170000 Einwohnern.
Unter Waihale, das zum holländischen Teile gehört, stehen heute
noch als Vasallstaaten die den Portugiesen im Jahre 1857 abge-
tretenen Landschaften Balibo, Koa, Saniring. Marowo, Atsabee.
Limea. Diruwati, Mauhara, Babula und Alas, welche noch alle dem
Fürsten oder Liarai von Waiwiku -Waihale zinsbar sind. Den Über-
lieferungen nach, sollen die ersten Bewohner von Timor von einer
weit nördlich liegenden Insel herübergekommen sein.
Der Timorese gehört zur dunkel-braunen, glattharigen, indo-
nesischen Rasse und hat im allgemeinen die orthodolicho- und hyp-
simesocephale Schädelform. Kraushaarige, wie die Papuas, werden
nicht angetroffen. Die Männer sind kräftig, stark und hübsch gebaut,
von schlankem Wuchs. Sie haben eine durchschnittliche Länge
von 1,69 m, während die Frauen, deren Wuchs kurz und ge-
drungen ist, selten mehr als 1,44 m erreichen. Das Haupthaar,
das bei einigen lockig, lang getragen wird, ordnen die Männer
künstlich und schmücken dasselbe mit farbigen Federn, Stückchen
roter Leinwand und silbernen Plättchen. Die Frauen haben wenig
Haar, nicht nur auf dem Körper, sondern auch auf dem Kopfe und
Männer mit dichten Bärten werden selten getroffen. Die Augen
sind glänzend schwarz, bei jungen Leuten mit frechem Blicke : die Nase
vorspringend und bei vielen einigermafsen gebogen. Frauen, welche
noch nicht gesäugt haben, haben kleine coniforme Brüste ; bei älteren
Frauen hängen diese als lange, runzliche Hauttaschen mit stark
entwickelten Warzen herab. Das Becken ist schmal; die Hände und
Füfse sind klein. Männer und Weiber sind gute Läufer und
vielen Strapazen gewachsen. Sie sind roh, grausam, kaltblütig und
gegen Körperschmerzen gleichgültig. In Gegenwart Fremder lassen
sogar die Kinder ihre Schmerzen und unangenehmen Empfindungen
nicht bemerken*). Die Männer sind weiter stolz, arrogant und reizbar,
■j Ein Junge von etwa zehn Jahren, dem ich nacheinander einen Thec-
löffel Zucker und darauf Sulphas Chinine in den Mund steckte, verzog keine
Miene.
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schenken Fremden wenig Aufmerksamkeit, und sehen sie bei
Begegnungen sogar nicht an, weil sie sich selbst viel höher
schätzen. Die Weiber sind häfslich, dabei sehr schüchtern; nur
bei heftigen Erregungen lärmen und toben sie fürchterlich. Von
Recht, Fremden gegenüber, haben sie nicht die leiseste Ahnung,
wohl aber, wenn der Fremde ein Freund geworden ist. Kräftiges
Auftreten in irgend einem Gefechte, oder in irgend einer andern
männlichen Handlung, wird bewundert und belohnt. Der Timorese
schätzt nicht nur die öffentliche Meinung seiner lebenden, sondern
auch seiner verstorbenen Stammesgenossen, seiner Ahnen. Indessen
ist er schlecht beanlagt und hat ein kurzsichtiges Urteil. Nur
wenige sind dankbar und treu. Sie achten ihre Fürsten nur so lange,
als dieselben einflnfsreich und mächtig sind, doch lieben sie ihre
Dörfer, in welchen die nüu oder Geister ihrer Ahnen sie in beson-
derem Schutz halten. Als die gröfste Ehre betrachtet ein timore-
sischer Fürst eine Reihe hoher, um seine Wohnung gestellter Stäbe,
auf welchen die abgeschlagenen Köpfe seiner Feinde stecken. An-
gesehene Personen oder Freunde solcher müssen, bei ihrer Ankunft
in den Dörfern, auf zwei oder vier abgeschnittene Köpfe treten,
welche ihnen als Schemel dienen. Das Solidaritätsprinzip wird
überall pünktlich und sehr streng angewendet. Für dasjenige was
ein Büffel oder Hund thut, mufs der Eigentümer, — was ein Kind
ausführt, der Vater oder die Mutter büfsen. Die Schuld oder das
Unrecht einer Person mufs der Verwandte oder der Stamm verantworten.
In ihrer Lebensweise und Nahrung, welche letztere aus Mais, Bohnen,
Pferde-, Schweine- und Büffelfleisch in erster Linie besteht, sind die
Leute sehr unreinlich. Aus diesem Grunde leiden sie häufig an
allerlei Hautkrankheiten. Mund und Zähne werden aber sehr rein
gehalten, die letzteren werden, wie bei den Somali im östlichen
Afrika, fortwährend mit einem Stücke weichen Holzes geputzt. In
den Binnenländern badet man sich sehr selten und zieht man noch
seltener reine Kleider an. Die Kleider der Männer bestehen einfach
aus zwei Umschlagetüchem, die der Weiber aus einer sogenannten
Sarong. Nachdem sie ihre Notdurft verrichtet haben, reinigen sie
sich nicht mit Wasser, wie die übrigen indonesischen Völker. Sie
schneiden nach ihrem Körper zu und essen nicht mit den Fingern,
sondern bedienen sich Löffel von Kokosnufsschale. Die Menses,
nü vunan, treten schon frühzeitig ein, der Mann berührt in jener
Zeit seine Frau nicht. Geschlechtsgemeinschaft ist unter den
jungen Leuten frei, und findet par preference in Wäldern
statt. Verheiratete Frauen sind ihren Gatten selten treu. Um das
Geograph. Blätter. Bremen, 1SS7. 16
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Rlut., wie man sagt, rein oder mau zu behalten, ist die. Blutschande
zwischen Vater und Tochter, anvuli na vcni in amu, zwischen Mutter
und Sohn, anvuli na i:eni e iiutav, und zwischen Bruder und
Schwester, an »tone anvuli na voni vetov, gestattet : sie ist eine
tägliche Sache, besonders bei den höheren Ständen. Obscöne Reden
dürfen in der Anwesenheit von Frauen und Kindern gehalten werden.
Bei festlichen Gelegenheiten geschieht es nicht selten, dafs, nach
der Mahlzeit, coram populo die Gäste die Sklavinnen des Gastgebers
zum Beischlaf erhalten. Das Abnehmen der Kopfbedeckung vor
irgend einem Mann ist eine Beleidigung, nicht nur für denselben,
sondern auch für alle, welche in dessen Nähe sich befinden. Als
eine noch gröfsere Beleidigung gilt es, wenn einer einen höheren
als den ihm gebührenden Sitz einnimmt oder wenn ein Gast
die ihm angebotene Frau oder Tochter ausschlägt. Während
des Sprechens wird die Rechte vor den Mund gehalten, damit
der böse Geist boang nicht in den Körper fahre, und die
Person, mit der man spricht, nicht durch irgend geheime
Zaubermittel den Geist snumav des Sprechers verletze. Hat man
Brüderschaft, maolitatav, mit einander geschlossen, d. h. einer des
andern Blut getrunken, dann ist es dem Freunde gestattet , in
Geschlechtsgemeinschaft mit der Gattin des andern zu treten. Die
Männer lieben sehr den Saft des Borassus flabelliformis, tua oder
koli, den sie im frischen Zustande mit der Rinde und der Wurzel
der Caesalpinia ferruginea mischen, sonst auch destillieren, sie werden
dadurch frühzeitig echte Trunkenbolde. Auf Arrak und Genever sind
Männer und Weiber wie versessen. Sie nennen beides Milch von
dem Vater und von der Mutter, ina o ama mtutu oen, womit sie die
vereinigte Niederländisch-Ostindische Gesellschaft meinen. In Mittel-
Timor singt und tanzt mau leidenschaftlich. Liebliche und reizende
Melodien werden von Männer-, Weiber- und Kinderchören abwechselnd
gesungen. Diese Lieder sind aber alle im tetunischen Dialekt
gedichtet. Bei Todesfällen singen blofs die Frauen die makarcreu,
lakumerin und hanonolalan. nach der Köpfejagd die Männer die bone
leke, tvonehunu oder tebevunu genannt, welche in gewöhnlichen Zeiten
nicht gesungen werden dürfen. Schimpflieder heifsen hunu lau oder
(laisowan. Bei andern Feierlichkeiten, z. B. bei der Reisernte, singt
man olotlo, wakosala, samahare und tebediak. Der /oir-Gesang hat
viel ähnliches mit dem malaischen Dendang. Die Tänze sind ein-
förmig, wie der ttabsoo, eine Art von Bewegungen der Hände und
Arme ; der tua tum bann, ein Ringeltanz mit lebhaften Sprüngen und
grofsem Geschrei von Männern und Weibern; der heleoli, auch ein
— 231
Ringeltanz, welcher Schritt für Schritt sehr ruhig getanzt wird,
indem die Männer und Weiber mit tiefen Grabstimmen singen. Wenn
die Rede von Festen ist, pflegt man, anstatt: es hat zwei bis acht
Tage gedauert, zu sagen, man hat zehn bis hundert Schweine, vier bis
sechszig Büffel u. a. geschlachtet. Die Männer befassen sich mit dem
Einsammeln des Bienenwachses und Sandalholzes, übrigens mit dev
Jagd und Kopfschnellerei, doch hauptsächlich mit dem Kriege.
Bei einer Kriegserklärung wirft man den Kopf eines schwarzen
Hundes in das feindliche Land, auch legt, man das Bild eines penis
oder cunnus an die Grenze nieder.
Die Frauen und die Sklaven verrichten die übrige Arbeit.
Männer und Weiber gebrauchen bei weiten, ermüdenden Reisen
Baumäste als Fächer, welche sie an bestimmten Orten, wo die Ahnen
dasselbe thaten, wegwerfen. Die Ermüdung, welche in die Blätter
gefahren ist, läfst man auf diese Weise zurück. Andre bedienen
sich Steine statt Blätter. Wenn man jemanden bei der Mahlzeit über-
rascht, zieht man sich sogleich zurück, weil es für sehr unanständig
gilt, einen, aufser die Familienglieder, ungeladen essen zu sehen.
Alle Grundstücke betrachtet man als das von den Vätern
erhaltene Erbe, atoni namnasi benat, das Eigentum der Gemeinde,
koan , oder des Stammes riku, und über welche der Herr oder der
erste Urharmacher des Grundstückes, der pah tua, auch wohl dale
mm tua genannt, die unmittelbare Aufsicht führt, wenigstens wenn
dieselben keine persönliche Eigentümer sind. Wenn die Nachkommen
des pah tua ausgestorben sind, hat der Fürst, usi, loro oder datu
diese Aufsicht. Die persönlichen Eigentümer und die der Gemeinde
oder des Stammes sind alle durch Grenzen tor-tol, durch Steine
vatu, Deiche dende, Vorgebirge pene, Meerbusen oetasi, Berge neten,
Bäume hau und Zäune bohan getrennt. Will man Waldgrundstücke
urbar machen, oten leie, dann mufs man den pah tua oder bei dessen
Abwesenheit das vornehmste Stammeshaupt und die übrigen Stammes-
genossen davon in Kenntnis setzen, damit diese später zeugen
können, dafs die Urbarmachung des Bodens durch den Eigentümer
desselben geschah. Für diese Bemühung bietet er dem pah tua ein
kleines Geschenk im Werte von nicht mehr als fünf Mark an.
Wenn man die Erlaubnis dazu nicht nachsucht, ist man verpflichtet,
dem pah tua ein Geschenk von über hundert Mark als Strafgeld zu
erlegen. Will der pah tua auf einem von den ersten Urbarmachern
erhaltenen, doch provisorisch verlassenen Grundstück, tetas, ein Reis-
oder Maisfeld, leie, anlegen, dann mufs er gleichfalls von den Eigen-
tümern die Erlaubnis dazu einholen. Die Gemeinde, Jcoan, aus den
16 *
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betreffenden Oberhäuptern, Ältesten, amnasik nael und Häuptern
der Familien, umdnaman bestehend, kann Waldgrundstücke ver-
mieten oder verpachten, s teko, auch an Fremde, wie Chinesen u. a.,
gegen die einmalige Erlegung der Mietgelder. Der Mieter ist jedoch
verpflichtet, auf demselben zu wohnen, wenn er seine Ansprüche
daran nicht verlieren will. Beim Tode ist dies aber der Fall.
Waldungen dürfen nicht verkauft, heilige Wälder, nasi leu, nicht
besucht werden. Die individuellen Grundstücke können als Lehen
gegeben, verpachtet, verkauft oder auf irgend eine andre Weise
einem Stammesgenossen abgetreten werden. Fremde oder Männer,
welche zu einem andern Stamme gehören, können nicht über die Grund-
stücke ihrer Weiber verfügen. Grasfelder, humusu naosona, und Wiesen,
hm, gehören gleichfalls der Gemeinde und es ist bei Strafe verboten,
darauf das andern Stämmen gehörende Vieh zu weiden. Einige
Fürsten, usi, haben jedoch die Erlaubnis der Ältesten, eine Weide für
ihr Vieh abzugrenzen, welche völlig umzäunt sein mufs. Die Gold-
gruben, hani moni, sind entweder das Eigentum des pah tua oder
dessen, der dieselbe auf Kommunalgrundstücken zuerst entdeckt und
davon den betreffenden Behörden Anzeige gemacht hat. Die Schweine-
und andre Jagd ist jedem, sowohl auf kommunalen als auf indi-
viduellen Grundstücken gestattet. Der Fischfang in Flüssen, noel ,
und Seen, oematnu, ist jedem erlaubt. Das Einsammeln des Bienen-
wachses, vani ninin, in den kommunalen Euealyptuswäldem und des
Sandalholzes, Santalum album, ist durch einige Regeln bedingt.
Wenn einer einen Bienenschwarm in einem Baum entdeckt, macht
er ein Zeichen an dem Baum, wodurch er als Besitzer seiner Ent-
deckung anerkannt wird. Zuerst streut er aber ein wenig Reis für
die Geister, usneno-uspaha , und die Älteren nitu, damit diese
sein Eigentum beschützen. Das Sammeln des Sandalholzes, hau meni ,
geschieht, nachdem man mit einander darüber zu Rate gegangen ist,
nach der Reisernte, wobei man die Zeit und die zu nehmende
Richtung bestimmt. Alle Männer begeben sich dann in die Wälder
und das gesammelte Holz ist und bleibt das Eigentum des Sammlers.
Bevor sie in den Wald gehen, streuen sie an einem bestimmten Ort
Reis , indem Schweine- und Hühnerfleisch den obenerwähnten
Geistern geopfert werden. Büffel und Pferde dürfen als fremde und
eingeführte Tiere nicht geopfert werden. Diese Tiere sind auch, wie
inan sagt, wegen ihrer dicken Haut den Geistern nicht angenehm.
Die nichtkonservativen usneno- und mtoanbeter brauchen indessen
auch Büffel und berühmen sich damit, wenn sie ihren Zweck er-
reichten. Vor den ersten Regenschauern kehren sie mit ihren
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Produkten heim. Das Urbarmachen von Wäldern geschieht mit
Hülfe tnesenok, der Blutsverwandten und Freunde, die, solange die
Arbeit dauert, festlich bewirtet werden. Dieses findet auch bei
der ersten Bearbeitung der nassen Reisfelder, mepu lei an oc.
statt. Die übrige jährliche Bestellung der Reis-, Mais-, Bohnen-
und andern Äcker geschieht grofsenteils von Sklaven und
Weibern. Die Männer müssen allein die Einzäunung herstellen
oder reparieren. Vor jeder Bearbeitung des Bodens mufs man Reis
ausstreuen, um die Ahnen günstig zu stimmen. Die wenigen nassen
Reisfelder werden vor dem Anbau teils gepflügt, teils von Büffeln
platt getreten. Auf trocknen Feldern pflanzt man neunzehn Reis-
arten, ane, welche in drei bis fünf Monaten reif sind, wie pulu,
elonmti, elomölo, elohaekao, elobubu, kasee, leolmata, oken, makasal
poometan, mctan petu, makono, bonak, molomue, lapat mutinoel, too,
kolo, oni und Uli, — weiter sechs Arten Mais pena, welche neunzig
Tage lang wachsen, wie naes, tnolo, toli, kikis, tuhu und ike; zwei
Arten von sechzig Tagen, wie sajan und timaus und eine Art astet,
welche fünfzig Tage wächst. Auf diesen Feldern baut man auch
u. a. Ladgenaria hispida, woko ; Phaseolus radiatus und lunatus,
intel und boto; Allium escalonicum, sabola; Arachis hypogaea, vuel
käse; Batatas edulis, loli; Cajanus indicus, iuris; Capsicum annuum,
kurus; Gossipium indicum, awas; Saccharum officinarum, tevu und
einige Gemüsearten an. In den sogenannten Plantagen mamar oder
hoon pflanzt man Kokosnüsse, noa; pinang, pua; Sirih oder Betel,
manus; pisang, uki; Orangen und Zitronen, lilo; Anona murieata,
sorsak; Artocarpus incisa natmu und andre Bäume. Wenn der
Reis oder Mais nicht günstig auf dem Felde steht, so opfert
der Pflanzer , uspaha , ein schwarzes Huhn , sammelt darauf
hm niki, oder Kräuter, welche, wie man glaubt, kühlend wirken,
zerreibt diese in Wasser, und befeuchtet damit die Ecken des Feldes.
Bei der Reisernte werden die Halme mit einem Messer abgeschnitten
und zu Büscheln gebunden. Es ist Sitte jährlich nicht mehr als
das Nötige anzubauen. Um die nötige Zahl Bäume, Häuser, Gesinde,
Sklaven, Vieh u. a. behalten zu können, schlingt man in einem
Seil die nötigen Knoten. Die Obstbäume werden durch hölzerne
Modelle von Schwertern, Flinten, Keulen und andern Waffen
geschützt, mit welchen man den eventuellen Frevler ohne weiteres
töten kann.
Die Stände, aan oder nahin, eigentlich Kind oder Namen, zer-
fallen in netto ana, Sohn des Himmels, der Stand eines Fürsten,
leu rai oder liu rai, des höchsten Verwalters, dessen, der weit über
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die Grenzen hinaus gebietet ; in asla puh tua, Grundeigentümer ; in
asla uv, die vornehmsten Häupter ; in asla vetol, die Reichsverweser ;
in asla nakav, Stammeshäupter; übrigens in tou, touk, atoni ana.
hutu oder emarenu, gemeine Leute; in alel oder ema ata , Sklaven,
und in leksaan, Kriegsgefangene, welche für die ersten Häupter
Sklavenarbeit leisten müssen. Die Defzendenten der leurai heifsen
manapina, Sterne; die der vornehmsten Häupter naimenuke. Das
Land wird von Fürsten verwaltet, welche nach den verschiedenen
Landschaften leurai, rniwesi, usi, datu, lahi, dasi und loroboot
heifsen; weiter von Reichsverwesern, vetol auch loro genannt, von
Stammeshäuptern, kolobe, leitubu, nakav und lopo ; von Häuptern der
Polizei, otepaha, und von Ältesten, amnasik nael. Ist in einer der
Landschaften das regierende Geschlecht erloschen, so wird eines in
den benachbarten Landschaften gekauft. Dieses geschieht auch mit
den Frauen der leurai. Die Häupter sind nicht die Priester, welche
opfern. Die pah tua, asu pah und meo oder meong, beide letzteren
Anführer im Kriege, haben keinen Anteil an der Regierung. Standes-
erhöhung findet nie statt, der loro kann z. B. nie zum usi , datu
oder leurai erhoben werden. Standeserniedrigung kommt aber manch-
mal vor, der heutige leurai von Sonabai heifst okomama oder Kind
des Betelkochers, weil er das Gnadenbrot ifst und kein mno am
oder Sohn des Himmels mehr ist. Er hat auch nichts mehr zu
befehlen. Meos, welche durch Mut und Tapferkeit Häupter von
Landschaften geworden sind, nämlich durch Usurpation, bleiben in
ihrem Stand. Der gemeine Mann, auch Sklave, kann, wenn er
mutig ist, nur zum meo erhoben werden. Zu dieser Würde wird
er mit Zustimmung der Häupter von der Bevölkerung gewählt. Alle
Angelegenheiten , welche das Dorf betreffen und alle Verbrechen
werden von den erwähnten Häuptern und den Ältesten untersucht und
unter dem grofsen nunubaum, Ficus altimeralos, Rxb. aufserhalb des
Dorfes, wo sie sich auf grofse Steine setzen, erledigt, beziehungsweise
abgeurteilt. Ehebruch, nakaek lou nok auveel , und Diebstahl, waka.
welche früher mit dem Tode gestraft wurden, werden jetzt mit
Strafgeld gesühnt. Aufser dem von den Ältesten zu bestimmenden
Strafgelde mufs man bei Beschädigung oder Vernichtung der Pflanzungen,
un oke-oke, — z. B. des Mais, naleu aupctui, des Reis, tuileu au am —
und bei Brandstiftung, notu umc, den Verlust ersetzen. Wenn man
dieses nicht kann, verfällt man der Sklaverei oder man mufs Sklaven-
dienste verrichten für den, der das Strafgeld bezahlt hat. Das
Kopfabschneiden — otenakan nakatoni, Männerkopf; nakaveel, Frauen-
kopf — ist nach Landesbrauch kein Verbrechen, im Gegenteil der-
%
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— 235
jenige, der die meisten Köpfe abgeschnitten hat, steht in hohem
Ansehen, besonders bei den Frauen. Für jeden Kopf bekommt man
ein ponov oder Wadenband 3 ). Regelmäfsige Köpfejagden sind natürlich
an der Tagesordnung. Streitigkeiten, die Mord und Totschlag ver-
anlassen, wie Frauenraub, nasik biceel, das Singen von Schimpfliedern,
polim lasi, das Schelten, naakan, z. B. du Affe, bcbo, du Schwein,
vavi; das Prügeln in der Gegenwart von Weibern, ineso , das Aus-
sprechen des Namens des Vaters oder Schwiegervaters, der Mutter
oder der Schwiegermutter, von Schwägern qder Schwägerinnen, nun ;
das Spotten, mae, über männliche, utin, durch Frauen, oder über
weibliche Schamteile, tinakona, durch Männer, und das Überschreien
bei feierlichen Gelegenheiten, werden heute mit Strafgeld erledigt.
Die Blutrache jedoch geht vom Vater auf den Sohn und weiteren
Nachkommen über. Die Kinder und Kindeskinder sind verantwortlich
für die Erlegung der Strafgelder ihrer Väter und Grofsväter. Die
Freunde der Feinde werden als Feinde betrachtet, nötigenfalls getötet
und gestraft. Krieg wird erst geführt, wenn die gegenseitigen
asu pah oder meo an dem bestimmten Ort angekommen sind, und
vor allen wehrbaren Männern der Gegenpartei die Ursachen zu dem-
selben oder die gegenseitigen Streitigkeiten und Klagen erörtert
worden sind. Als Waffen werden Flinten und Schwerter gebraucht.
Die Timoresen sind vortreffliche Schützen.
Die Einkünfte der Häupter bestehen in den Landschaften,
welche in der unmittelbaren Nähe der holländischen Niederlassung
liegen, aus der Arbeit, mepu asi, einer Anzahl Personen, welche
gegen Beköstigung täglich Frohndienste leisten müssen. Dieser
Gebrauch besteht in den Binnenländern, wo man dem Europäer
als fremdem Eindringling übel gesinnt ist, nicht. Dort nennt man
diese Arbeit spottenderweise auch tituholo manu oder die Hühner
warten, um anzudeuten, dafs die Männer damit nicht beschäftigt
werden dürften. Weiter bestehen die Einkünfte, welche man poni
nennt, aus dem Anteil an dem gesammelten Sandalholz und Bienen-
wachs, aus hundert Pfund Reis ungefähr von jedem Stammhaupt,
aus fünftausend Maisklöfsen, aus dreifsig Pfund getrocknetem und
feingeriebenem Mais, aus zweihundert Pfund Bohnen nach der Ernte
und jährlich zwei Büffeln und zwei oder mehr Schweinen, ln einigen
Landschaften werden von jeder Familie der ersten Regierungsperson
nach der Ernte zehn Klöfse aus jungem Mais geschenkt, um in dem
*) Ich sah 1879 in Beboki einen Jungen von etwa 12 Jahren mit einem
Wadenband nnd erfnhr, dafs er den Kopf eines Kindes, das dnrch seinen
Vater aus dem Krieg mitgebracht wurde, abgeschlagen hatte!
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Dorfe ein Fest zu begehen ; eigentlich ist dies ein dem Stellvertreter
des us mno dargebrachtes Opfer. Wenn die Ernte mifslingt, wird
kein poni bezahlt. Die Häupter unterscheidet man leicht an ihrer
Kleidung von den Untergebenen, weil sie zu ihrem Schultertuch,
in weti nasai niu kanun oder Hüftkleid, awa tai, andre Muster
tragen. Ihre Frauen verfahren mit ihrer Sarong, tais awm, ebenso.
Kleinere Mitteilungen.
§ Ans der Geographischen Gesellschaft ln Bremen. Zunächst möchten
wir hier einige kürzlich veröffentlichte Arbeiten von Mitgliedern verzeichnen.
Herr Dr. Wolkenhauer ist Verfasser einer neuen Bearbeitung des Danielschen
Handbuchs der Geographie.*) Herr Dr. Oppel publizierte in Heft 3/4, Band 22
der Zeitschrift der Gesellschaft für Erdkunde einen Aufsatz über die religiösen
Verhältnisse in Afrika, nebst Karte; von Dr. 0. Finsch stammen der in der
Revue Coloniale Internationale enthaltene Aufsatz über die Wasserverhältnisse
in Heu-Guinea und dem Bismarck-Archipel und in Heft 17 bis 19 der diesjährigen
Deutschen Kolonialzeitung Mitteilungen über Naturprodukte der westlichen
Südsee, besonders der deutschen Schutzgebiete.
Unser langjähriges Mitglied und Freund, Arzt und Naturforscher der
deutschen Polarexpedition der Jahre 1869 — 70, Professor Adolf Pansch in Kiel,
ist leider bei einer von ihm am 14. August in der Kieler Bucht unternommenen
Segelfahrt durch plötzliches Kentern des Bootes infolge einer Böe, ums Leben
gekommen. Adolf Pansch, Schleswig-Holsteiner, wurde am 2. März 1845 zu Eutin,
wo sein Vater Rektor war, geboren. Er studierte 1860 in Berlin Medizin und
Naturwissenschaften, sodann in Heidelberg besonders Physiologie und Geologie,
bereiste die Schweiz, besuchte sodann die Kliniken in Berlin und Halle und
bestand später in Oldenburg die vorgeschriebene Staatsprüfung als praktischer
Arzt. Im Juli 1865 wurde er Prosektor, 1866 Privatdozent und später ordent-
licher Professor der Anatomie an der Universität Kiel. Zu dem Werke über die
deutsche Polarexpedition 1869 — 70 lieferte er wertvolle Beiträge. Sein Haupt-
werk ist das in den Kreisen Sachverständiger hochgeschätzte Handbuch der
Anatomie. Sein Interesse für Anthropologie und Urgeschichte bethätigte Prof. P.
besonders auch in seinem engeren Vaterlande. Die Lauterkeit und Liebens-
würdigkeit des Charakters des Verstorbenen wufsten alle, die mit ihm in
persönliche Berührung kamen, zu schätzen.
Auch in diesem Winter, wie in früheren, wird unsre Gesellschaft eine
Reihe von Vorträgen aus dem Gebiete der Länder- und Völkerkunde ver-
anstalten, und es haben sich dazu eine Reihe von Herren bereit erklärt.
*) Illustriertes kleineres Handbuch der Geographie von Dr. Hermann Adal-
bert Daniel. Zweite verbesserte Auflage, bearbeitet von Dr. W. Wolkenhauer, mit
650 Illustrationen und Karten im Text. Zwei Bände. Der erste Band umfafsl die
allgemeine Geographie und die außereuropäischen Erdteile; der zweite Europa.
Leipzig, Fues's Verlag (R. Reisland).
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237
Polarregionen. Der Generalagent der Kolonie Victoria in London,
Herr Graham Berry, hat im Auftrag seiner Regierung bei der britischen
Regierung angefragt , ob sie geneigt sei , zn den Kosten der geplanten
Forschungsexpedition in die antarktischen Regionen 6000 £ beizu-
tragen, wenn die australischen Kolonien eine gleiche Summe zu dem Zweck
steuerten. Im Bejahungsfall soll mit dem bekannten Polarfahrer Sir Allen
Yonng wegen Übernahme der Expedition verhandelt werden.
Die amerikanische Zeitschrift „Science“ enthält einen warm und ver-
ständig geschriebenen Aufsatz nebst Karte über die Notwendigkeit der Fort-
setzung der Erforschung des arktischen Amerika im Interesse der
Geographie und andrer Wissenschaften. Es könne sich nicht darum handeln,
grofse kostspielige und gewagte Expeditionen in der Richtung nach dem Pole
hinauszusenden, vielmehr komme es darauf an, Schritt vor Schritt ganz
bestimmte Aufgaben, welche nur geringe Mittel erforderten, zu lösen. Als solche
nennt der Verfasser die Erforschung der Inseln im Westen von Smith Sund,
ferner des Fox Basin und der Hndson-Strafse, sodann, um die Eskimos fern
von der Berührung mit Europäern zu studieren, das Eindringen in die zentralen
Teile der arktischen Küste, besonders zwischen King William-Land und dem
Mackenzie-Flufs. Neben den wissenschaftlichen Früchten verspricht sich der
Verfasser auch praktische Erfolge. Er sagt: „Noch immer bildet der Walfang
eine wichtige Einnahmequelle, bisher wurden durch neue Polarfahrten stets neue.
Walgründe erschlossen. Manche andern Hiilfsquellen des arktischen Gebiets
sind bis jetzt nur wenig in Anspruch genommen worden. Es sind dort in
leicht zugänglichen Gegenden enorme Herden von Walrossen, in den Flüssen
und Seen leben Lachse in Fülle, endlich liefern der schwarze Fuchs und der
Polarbär wertvolles Pelzwerk.“ Es steht um so mehr zu hoffen, dafs die An-
regungen des Verfassers von Erfolg begleitet sein werden, als, wie näher aus-
geführt wird, zur Lösung kleiner aber wichtiger Anfgabon nur geringe Mittel
erforderlich sein werden.
§ See - Hnndelsverbindung mit Sibirien. Am 7. September traf im
Sicherheitshafen der Stadt Bremen nach 16tägiger Reise — unter Anlaufen
von Wardö und Christianssnnd, — von der Petschora- Mündung der russische
Dampfer „A. E. Nordcnskiöld“ mit einer Ladung sibirischer Produkte ein.
Nachdem sich die Versuche einer direkten Seeverbindnng mit dem Ob und
•lenissej infolge der Eisverhältnisse im Karischen Meere als aussichtslos erwiesen
haben, läfst der bekannte russische Kaufmann A. M. Sibiriakoff, der Eigentümer
des genannten Dampfers, die sibirischen Waren auf dem Ob und dessen Neben-
flufs Lapin an das Uralgebirge bringen, von wo sie auf einem etwa 90 Werst
langen Landwege über das Gebirge an den Flufs Tschugaia und auf demselben
in die Petschora nach dem See-Verschiffungsorte Knja. etwa 100 Werst vom
Meere entfernt, gebracht werden. Die „Weser-Zeitung“ berichtet weiter über diese
Unternehmung das Folgende: Bremen, 11. September. Der in dieser Woche
hierselbst mit sibirischen Waren eingetroffene, vom Kapitän G. Kihsch geführte
russische Dampfer des Herrn Alexander Sibiriakoff, „A. E. Nordcnskiöld“,
spielte in der Geschichte der Nordfahrten der letzten Jahre eine hervorragende
Rolle. Das Schiff wurde im Frühjahr 1879 auf Kosten des genaimten Herrn
auf der Motalawerft bei Malmö gebaut, zunächst zu dem Zweck, um dem auf
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der Umsegelnng Asiens begriffenen Nordpolfahrer Nordenskjöld , den man
irrtümlicherweise im Eise des sibirischen Eismeeres eingeschlossen wähnte,
Hülfe und Entsatz zu bringen. Es ist bekannt, dafs das Schiff die Bering-
strafse nicht erreichte, sondern an der Felsenküste des östlichen Japan auf
Strand lief, später wieder abkam und nach Europa zurückgebracht wurde.
Seitdem wurde es zu Reisen im europäischen Eismeere verwendet. Nachdem
der Dampfer „Luise" des Herrn Baron v. Knoop eine Reihe von Jahren hin-
durch die Fahrten norden um Europa nach der Mündung des Jenissej gemacht,
stellte es sich heraus, dafs die Eisverhältnisse zu schwierig seien, um auf die
Dauer Handelsfahrten in einem Sommer hin und zurück zu machen. Vor zwei
Jahren machte Herr Sibiriakoff selbst mit Dampfer „Nordenskiöld 1 ' noch einmal
den Versuch, durch das Karische Meer die Mündung des Jenissej zu erreichen,
doch dies mifslang. Der unermüdlich um die Aufschliefsung seines Vaterlandes
Sibirien für den Seeverkehr bemühte, als Miteigentümer reicher Golbwäschereien
in Ostsibirien mit bedeutenden Mitteln ausgestattete Mann liefs sich nicht
beirren, er betrat nun einen neuen Weg, indem er mit Gütern aus Tomsk und
andern sibirischen Handelsplätzen den Ob hinab fuhr und die Güter sodann
auf die oben bezeichnete Weise zur Petschora beförderte. Auf diesem Strom
erfolgte der Transport in grofsen Prahmen bis zu dem am rechten Ufer ge-
legenen Ort Kuja. Bis hier herauf kommen die Seeschiffe und auf diese Weise
ist auch die jetzt hier in Bremen angekommene Ladung befördert. Der
Transport der Waren über den Ural erfolgt im Winter und zwar, nachdem
durch Lichten des Waldes und Ziehen von Gräben, eine Art Weg geschaffen,
mittels Pferden und Schlitten. Die Ladung besteht aus Ochsen-, Kuh-, Schaf-,
Ziegen- und Lämmer-, ferner Seehunds- und Eisbärfellen, Roggen, Leinsaat,
Lärchenhärz, Talg und Mammuthörnern. Als lebendiges Zeichen, dafs das
Schiff vom Norden kommt, begrüfste uns an Bord ein munterer Polarfuchs.
Dampfer „Nordenskiöld“ hat beladen einen Tiefgang von 10*/s Fufs. Die Trag-
fähigkeit ist 203 Register-Tons, die Maschine hat 7 ö Pferdekraft und vermag
bei vollem Dampf ohne Segelkraft das Schiff 7,5 Seemeilen in der Stunde vor-
wärts zu treiben. Die Länge des Schiffes ist 153 Fufs, die Breite 26, die Tiefe
12 Fufs 5 Zoll englisch. Ob dieser neue Handelsweg, dem der Kanal zwischen
dem Ob und Jenissej und die Schiffbarmachung der Angara zu statten kommen
müssen, neben der neuen Gestaltung der Verkehrswege zwischen europäisch
Rufsland und Sibirien, welche die jetzt in Angriff zu nehmende sibirische
Eisenbahn herbeiführen wird, bestehen kann, mufs die Zukunft lehren. Die
Inangriffnahme der Arbeiten für diese letzteren ist nach dem Monatsbericht
in Heft X. 1837 von Petermanns Mitteilungen von dem russischen Reichsrat
beschlossen und vom Kaiser genehmigt worden. Allerdings handelt es sich,
wie daselbst weiter berichtet wird, vorläufig noch nicht um die Anlage eines
fortlaufenden Schienennetzes, sondern einstweilen sollen nur diejenigen Gebiete
durch einen Schienenstrang erschlossen werden, welche bequemer Verbindungs-
mittel gänzlich entbehren, während auf den übrigen Strecken einstweilen noch
Flnfsläufc zur Vermittelung des Verkehrs dienen müsson, wie es auch noch im
europäischen Kufsland auf der Strecke zwischen Nischni Nowgorod und Perm,
•lern. Ausgangspunkt der sibirischen Bahn, der Fall ist. Zunächst begonnen
werden die Strecken Tomsk - Irkutsk, Baikalsee - Srjetensk und Chabarowka
(ovent. Chanka-See) - Wladiwostok, und sollen dieselben innerhalb 5 Jahren
'ollendet sein. Die Leitung des Baues übernimmt General Annenkow, welcher
Googli
— 239 —
durch den Bau der transkaspischen Linie eich hervorragende Verdienste
erworben hat.
Alaska. Im Bulletin der amerikanischen geographischen Gesellschaft.
1886 No. 4, giebt Professor Libbey einen kurzen Bericht über einige während
der Sch watkaschen Expedition nach Südost -Alaska gemachten geographischen
Wahrnehmungen. Von Sitka aus wurde der Mt. Edgecombe bestiegen. Der
bekannte, durch seine regelmäfsige Gestalt ausgezeichnete Gipfel ist nach Libbey
nur ein parasitischer Kegel am Rand eines grofsen, seit Jahrhunderten unthütigen
Kraters, während die andern Gipfel der Gruppe Überreste eines noch älteren
Vulkans zu sein scheinen.
Weiter teilt dann Libbey die Ergebnisse seiner geographischen Forschun-
gen im Gebiete der Elias-Alpen mit. Die westliche Abdachung dieses Gebirgs-
systems von der Yakutat-Bai bis Kap Yaktag bildet ein gewaltiges Gletscher-
bassin, das in einem grofsen Bogen von der Gebirgskette umschlossen wird,
welche im St. Eliasberge und einigen andern erhabenen Gipfeln ihre höchsten
Spitzen erreicht. Inmitten dieses Gletscherbassins entdeckte die Expedition
eine Kette von etwa 3500 Fufs hohen Sandsteinhügeln, die Chaix hills benannt
wurden und als Überrest einer allgemeineren Sandsteinbedeckung erschienen.
Diese Chaix hills teilen die gesamten Eismassen in zwei ungeheuere Gletscher,
den Agassiz- und Gnyot-Gletscher. Zwischen den Chaix hills und den umge-
benden Gletschermassen, fand man zwei mächtige Gletscherströme, die sich in
einen See, der Castani lake genannt wurde und von Eisbergen erfüllt war, er-
giel'sen. Der Austlufs dieses Sees, von der Expedition als Jones river bezeichnet,
ist ein subglacialer Strom, dessen Mündung ein von zahlreichen Armen durch-
schnittenes Delta bildet. — Der Eliasberg bietet fast von jeder Seite den Anblick
einer abgestutzten Pyramide dar. Am Westabhange des von Libbey 16 000 Fufs
hoch geschätzten Gipfels befinden sich mehrere fast vollständige Amphitheater,
die erloschenen Kratern ähnlich erschienen, jedoch nach Libbey durch Gletscher-
wirkung entstanden sein sollen. A. K.
In Heft H, S. 161 dieser Zeitschrift gedachten wir der damals beschlossenen
geologischen Untersuchung des oberen Yukon gebiets durch eine Expedition
unter der Führung des Dr. George M. Dawson. Diese Expedition ist in diesem
Sommer ins Werk gesetzt worden und teilt uns der Vater des Herrn Dawson
aus Montreal (3. September) die bis dahin von der Expedition eingelaufenen
Nachrichten mit. Es wurden zwei Böte am Deaso Lake gebaut und am 3. Juli
die Fahrt den Dcase-Rivcr abwärts bis zu dessen Vereinigung mit dem Liard
angetreten. Von hier ging ein Teil der Mitglieder der Expedition unter Führung
des Herrn Mc. Connell den Liard abwärts, während die übrigen mit fünf Indianern
den nördlichen Arm des Liard bis nach Lake Francis fuhren. Hier liefsen sie
die Böte zurück und drangen über eine 60 miles breite Tragstelle zum Pelly-
River. Sie kamen am 29. Juli bei guter Gesundheit in Pelly Banks, einem ver-
lassenen Posten der IIudsons-Bai-Kompagnie, an. Der Weg dahin war freilich
mühselig und beschwerlich, denn die ehemalige Tragstelle war vollständig zu-
gewachscn, mit Moos und dichtem Gestrüpp bedeckt. Sodann wurden die
Indianer, für welche man unterwegs an verschiedenen Stellen Vorräte nieder-
gelegt hatte, zurück gesandt und Herr Dawson, mit Herrn Mc. Evoy und zwei
Begleitern rüsteten sich, in einem zu dem Zwecke zu zimmernden Boot den
Pelly bis zur Vereinigung desselben mit dem Yukon hinabznfahrcn. Nördlich
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vom 60. Breitengrad erfreute sich die Expedition fast fortwährend des Tages-
lichts und war bei guter Gesundheit. Das Land war mit ausgewachsenen
Bäumen gut bestanden ; weiter im Osten vorkommende Pflanzen fand man in
Blüte, doch wurden auch dem Norden und Westen eigentümliche Pflanzen ange-
troffen. Gewisse Moosarten, namentlich das reichlich vorhandene Rentiermoos
lassen die Vegetation von derjenigen Britisch Columbiens abweichend erscheinen.
Indianer wurden nicht angetroffen. Dr. Dawson schreibt, dafs er, obwohl
später als er dachte, doch noch rechtzeitig, vor Eintritt des Frostes, die Küste
zu erreichen hoffe.
§ Entdeckungen und Forschungen ln Neu-Guinea. Aus dem vor
kurzem versandten Heft IV. der von der Neu -Guinea -Kompagnie zu Berlin
herausgegebenen Nachrichten über Kaiser Wilhelms - Land und den Bismarck-
Archipel ist zunächst eines Berichts des Dr. Hollrung über eine Anfang
November 1886 ausgeführte und bis in die Nähe des Kap Gourdon erstreckte
Untersuchung der östlich von Hatzfeldt-Hafen belegenen Teile des Festlandes
von Kaiser Wilhelms-Land zu gedenken. Dr. H. giebt eine ausführliche Be-
schreibung der erwähnten Küstenstrecke, an welcher vier Flüsse : Dodo, Bub,
Bololab und Dsudsur münden, der letztere ist 1 m tief und strömt ziemlich
stark ans, er scheint daher eine gröfsere Länge zu besitzen als die andern
drei. Die besuchte Küstenstrooke wird ausführlich beschrieben. Sie unter-
scheidet sich wesentlich von der Küste westlich von Hatzfeldt-Hafen : im Osten
äufserst flache, kaum als solche zu erkennende Einbuchtungen, dort tief einge-
schnittene Buchten, hier Sandstrand vorherrschend, dort Koralle sehr häufig,
hier Riffe fehlend, dort jedem Huk ein Riff eingelagert, hier vielfach Gras bis
an den Strand, dort allenthalben ein breiter Waldsaum am Ufer entlang. An
den Ausläufern des ulum baebi (Regenberges), des im Süden das Hinterland
wellartig abschliefsenden Bergzugs fand Dr. H. eine zweite Sorte Bambu, der
wegen der besonderen Stärke in den Wandungen sich besonders als Material
für Zäune empfehlen dürfte und den Wollbaum, dessen Früchte nutzbar sind.
Den genannten 700 m hohen Berg bestieg Dr. H. ; auf dem zu der bewaldeten
Spitze führenden Kamme wurden mehrere Dörfer der Eingeborenen und eine
Kokospflanzung angetroffen. Ober die Anbauversuche in Hatzfeldt-Hafen berichtet
Dr. H., dafs Sorghum 3 Monate bis zur Fruchtreife braucht. Von Encalyptus
rostrata wurden 65 Pflanzen zu einer Baumschule vereinigt. Anona und Citrus
gedeihen gut. Carica, von Konstantin-Hafen nach Hatzfeldt-Hafen verpflanzt,
gedeiht und steht zum Teil schon in Blüte. — Dr. H. begab sich am 31. Januar
d. J. von Finsch-Hafen nach Hatzfeldt-Hafen (Astrolabe-Bai), wo er bis 31. März
blieb. Hier setzte er seine Forschungen fort. Er giebt zunäclist eine
ausführliche topographische Beschreibung der Astrolabe - Bai und ihrer
Ufer; es finden sich hier gröfsere für landwirtschaftliche Kulturen geeignete
Ebenen. An der Südseite mündet neben einer Reihe von Bächen der
Kabenau, ein wasserreicher, in ziemlich gerader Richtung von Südwest aus
dem Hinterlande hervorbrechender Flufs ohne Barre, mit breiter Mündung
und so scharfem Gefälle, dafs er für Böte unfahrbar, zum Flöfsen
von Holz jedoch wohl benutzt werden könnte. Östlich folgen eine Reihe
gröfserer Zuflüsse in die Bai. Von den Vegetationsverhältnissen, besonders den
' v aldbäumen in der Astrolabe-Bai uud dem später besuchten Friedrich Wilhelms-
’en, ferner von den durch die Eingeborenen angebauten Gewächsen (Tarro,
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Jam, Zuckerrohr. Bohnen, Bananen, Gnrken, Papayon, »panischer Pfeffer, Mais,
Tabak) macht Dr. H. ausführliche Mitteilungen. — Dr. Schneider besucht« von
Konstantin-Hafen aus eine grofse Zahl teils in der Ebene, teils in den Bergen
belegener Dörfer der Eingeborenen. Betreffs der geologischen Beschaffenheit
der Gegend sei auf die sehr eingehenden Angaben in dem Bericht des Dr. Sch.
verwiesen. Dr. Sch. besuchto ebenfalls die Pflanzungen der Eingeborenen und
änfsert sich wie folgt: „An Haustieren sind Hund und Schwein überall, Hühner
oft zu finden. Paradies-, Nashornvogel, Taube, weifscr und schwarzer Kakadu,
auch der Lederkopf kamen mir in den Bergen vor. In der Höhe von Jaga-
damu waren Vögel sehr selten, in etwa 400 m Höhe am gleichen Berge hörte
ich nur Paradiesvögel. Die Eingeborenen sind freundlich. Ihre Bewaffnung
sind Bogen mit Bambussehne und Pfeil. Die Lanzen mit Blutrinne scheinen
den Bergbewohnern nur zur Ausführung des Todesstofses zu dienen. Die Leute
selbst sind gut gebaut, klein bis mittelgrofs, hellere und dunklere gemischt.
Ihre Sprache unterscheidet sich von der Bongnsprache ; in manchen Wörtern
ist der Unterschied für blofse Dialektverschicdenheit zu grofs. Ob die Sprache
der Dörfer übereinstimmt, habe ich nicht festgcstellt. Die Wege sind schlecht.
Der Friede untereinander scheint mehr gefährdet, als derjenige mit den Weilseu.
So sagte man mir, von Jadabi nach Jcugellam ginge kein Weg, weil die Männer
des einen Dorfes in dem andern getötet würden. Auch von Ssongum kam keiu
Mann mehr als halben Weg mit nach Jadabi. Mit Bongu verkehren sie alle,
doch ist die Innigkeit der Beziehungen auch da verschieden. Im allgemeinen
herrschten gesicherte Rechtsverhältnisse. Ein Mann, Namui, aus Bongu ist der
Sohn einer Frau aus Burrahm (nennt sich deshalb Burrahmtamu) und eines
Mannes aus Correndu, wo er Gartenrechte hat. Seine F rau ist aus Bongu,
dort hat er sein Haus. Bongu, Correndu und Gumbu haben connubium und
feiern Freuden- und Totenfeste gemeinsam, Kollyku hat mit Bongu nur connu-
bium. Eines Tages suchte ein junger Bursch aus Kollyku ein Bongumädchen
aus der Plantage zu entführen; er wurde festgenommen. Seitdem lebt er in
Bongu in einem losen, dienstbaren Verhältnisse. Aus Gumbu und Correndu
stammende Männer sind mehrfach in Bongu. Von Mcdizinmitteln spielt die
etwas geheim gehaltene Mujurinde (in Finschhafen musica, nach Herrn
Dr. Hollrung Sassafras) eine Rolle. Einmal dient ihr Rauch als Fiebermittel,
sodann kaut man sie bei Anstrengungen und speit dem Ermüdeten den Saft
auf Schenkel, Brust und Kreuz. Die Hütten, an der Küste mit Gras bedeckt,
haben auf den Bergen Matten- oder Laubdächer. Bretter werden im Gegen-
sätze zu Finsch-Hafen nicht verwendet, ebensowenig ist das Bauen von Pfahl-
häusern hier bekannt. Iu Kollyku zählte ich auf einem Haufen 600 Matten.
Die Dörfer sind meist sauber. Am gröfsteu ist Bokadjo, dann Bongu mit rund
150 und 100 Hütten. Male schätzte ich auf 70, die andern Dörfer haben :
Gumbu etwa 40, Correndu 19, Burrahm 60, Jagadamu 11, Manniga 27, Djind-
jara 22, Jadabi 41 und Ssongum 73 Hütten. Das ergiebt für das ganze Gebiet
rund 600 Hütten. Wenn man nun bedenkt, dafs jede verheiratete Frau ihre
eigene Hütte hat, dafs Vielweiberei häufig (bis 3 Frauen) und eine 4 über-
steigende Kinderzahl des Mannes selten ist, so kann man die Kopfzahl der
Bevölkerung auf höchstens 1500 abschätzen, wovon über die Hälfte auf die
Küste kommt.“
Im April d. J. wurde durch Dr. Schräder, Dr. Hollrung, Dr. Schneider
und Karl Hunstein das Land zwischen Juno-Insel und Kap Croisilles untersucht.
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UIC
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Die 12 — 14 km lange Küstenstrecke wird durch den Ama-Flufs, der in seinem
unteren Teil für Böte befahrbar und ohne Barre vor der Mündung ist., in zwei
Teile geteilt: der nördliche Teil bietet gutes Flach- und Hügelland mit zahl-
reichen Plantagen nnd zum Teil sehr reichen Dörfern, welche ausgedehnte
Schiffahrt nnd Handel betreiben, der südliche Teil enthält zum Teil sumpfiges
Terrain. Als Gesamtergebnis der Untersuchung berichtet Dr. Sehrador. dafs
das ganze untersuchte Gebiet wertvoll ist für landwirtschaftliche Unternehmungen.
— Der Landeshauptmann von Schleinitz berichtet ferner, dafs er von der unvor-
messenen Küste von Kaiser Wilhelms-Land gegen 140 sin, von der West- und
Nordküste von Neu-Pommern und Rock-Island gegen 110 sm durch fliegende
Vermessung persönlich aufgenommen habe. Derselbe borichtet sodann weiter :
„Ich habe in Kaiser Wilhelms-Land, wie in Neu-Pommern mehrere gute neue
Häfen und Ankerplätze, sowie eine Anzahl Flüsse ihrer Lage nach bestimmt
und zwei genauer untersucht. Was ich aber besonders wichtig erachte, ist der
Umstand, dafs ich in Kaiser Wilhelms-Land für Kulturzwecke sehr geeignetes
flaches Vorland, auf Rock-Island und namentlich in Neu-Pommern aber gröfsere
Tiefebenen aufgefundou habe. Die Tiefebene in Neu-Pommern, welche sich
zwischen die vulkanischen Berge der Westspitze und diejenigen des zentralen
Teils der Insel einlagert und von der Nordküste bis zur Südküste geht, schätze
ich auf ein Areal von ppr. 4000 qkm. Sie hat, soweit ich sie untersuchen
konnte, fruchtbaren Boden und wird von schiffbaren Strömen entwässert, von
denen ich zwei näher untersuchte, indem ich im Boot 5 — 6 sm aufwärts fuhr.
Sie besitzen zwar eine — leicht fortzuschaffende — Barre von etwa 1 m Tiefe
bei Niedrigwasser vor der Mündung, haben nachher aber ein Fahrwasser von
4—12 m Tiefe, soweit ich mit Ruderboot hinauffahren konnte. Ich halte für
wahrscheinlich, dafs diese Ströme ein Fahrwasser von 4 — 5 m noch viele Meilen
weiter stromaufwärts besitzen. Ich stellte die Mündung noch andrer gröfserer
[Güsse fest, die ich aber aus Zeitmangel nicht untersucht habe. Die Ebene,
deren Südküsto noch der Untersuchung bedarf, hat ohne Frage eine grofse
Zukunft, auch wenn ein Teil derselben aus sumpfigem Lande bestehen sollte,
wofür Anzeichen indes nicht erkenntlich waren. Dieser westliche Teil von
Neu-Pommern ist im Gegensatz zu Kaiser Wilhelms-Land sehr schwielig zu
befahren, da hunderte von Riflen an der Küste liegen. Da es indes gute Fahr-
strafsen zwischen diesen Riffen in genügender Zahl giebt, kann dieser Umstand
der Bedeutung der Ebene, welche zahlreiche sichere Ankerplätze nnd einige
gute Häfen hat, kernen Abbruch thun.“
Nach einer von Kapitän Dallmann im April v. J. mit dem Dampfer „Samoa“
aufgeführten vorläufigen Rekognoszierungsfahrt auf dem Kaiserin August a-Flufs,
unternahm der Landeshauptmann Freiherr von Schleinitz mit dem Dampfer
„Ottilie“ eine neue Befahrung dieses Stromes. Ohne auf nennenswerte Hinder-
nisse zu stofsen, drang er auf dem Flusse vom 26. Juli bis 1. August 1886
etwa 200 sm landeinwärts. Der Strom wurde dann noch mit der Dampfbarkasse
2*/t Tage weiter hinauf bis zu 4° 16' südl. B. und 141° 50' östl. L. befahren.
Mangel an Proviant und Kohlen nötigte zur Umkehr. Nach der Wassermenge,
die der Strom an der erreichten innersten Stelle führte, zu urteilen, schien es
nicht unwahrscheinlich, dafs die Schiffbarkeit noch 50 — 100 sm weiter reiche.
Am 24. Juni d. J. brach nun eine neue Expedition mit dem Dampfer „Samoa“
von Finsch-Hafen nach dem Kaiserin Augusta-Flnfs auf; es waren die Herren
Dr. Schräder, Dr. Hollrung. Dr. Schneider und Hunstein. ein Matrose und
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20 farbige Träger. Die Aufgabe war, am oberen Strome nahe dem Gebirge
ein Lager aufzuschlagen und von demselben ans zu Forschungen Vorgehen, mit
der besonderen Aufgabe, für den Tabakbau geeignete Ländereien anfzusuchen.
Die Expedition wurde auf 5 Monate ausgerüstet und sollte mit ihr eine sochs-
bis achtwöchentliche Verbindung unterhalten werden. Am 16. August lief das
Telegramm ein, dafs die Expedition bis 141° 48' östl. L., also etwas weiter als
im vorigen Sommer die Barkasse, stromaufwärts vorgedrungen sei. — Endlich
bringt das Heft die meteorologischen Beobachtungen in Hatzfeldt-Hafen für die
Monate Februar bis April 1887 und eine Zusammenstellung der in diesem Hafen
seit Begründung der Station gemessenen Niederschlagsmengen. Nach dem zur
Zeit vorhandenen Material scheint Hatzfeldt-Hafen bei weitem die relativ
trockenste aller Stationen der Kompanie in Kaiser Wilhelms-Land zu sein.
Aus Britisch Neu-Guinoa ist nach dem Oktober-Heft der Proceedings
von einer neuen Entdeckungsreise ins Innere zu berichten. Die genannte Zeit-
schrift der Londoner geographischen Gesellschaft berichtet : Herr C. II. Hartmann
unterrichtet uns durch Brief aus Port Moresby, dafs er und Herr G. Hunter
die Höhe der Hauptgebirgskette von Britisch Neu-Guinea erstiegen haben.
Es scheint, dafs sie nicht die höchsten Erhebungen erreichten, allein es gelang
ihnen, indem sie ihren Weg durch die Thäler des Kemp Welsh und des Mus-
grave-Flusses nahmen, den Gebirgssattel zwischen den Bergen Obree und
Brown zu ersteigen, und nach der östlichen oder Inlands-Abdachung der Gebirgs-
kette zu gelangen. Sie traten ihre Expedition mit 27 freundlich gesinnten
Eingeborenen an, fanden indes bei dem eigentlichen Anstieg Schwierigkeiten von
seiten eines kriegerischen Stammes am Berge Paramagoro, der nach ihrem
Glauben der Aufenthalt der Seelen der Abgeschiedenen ist. Indessen wurde
die feindselige Gesinnung dieses Stammes durch friedliche Verhandlungen über-
wunden und nun folgten 200 Leute dieses Stammes der Expedition bei ihrem
Anstieg; die Jagd auf wilde Tauben, welche die Weifsen mit ihren Büchsen
betrieben, lieferte täglich die nötige Fleischnahrung. Die Reise von Rigo, einem
Dorfe nahe der Küste bei Kapatapa und zurück erforderte nur 11 Tage;
während die Expedition in den Bergen war, regnete es fast fortwährend in
Strömen. Die Flora wird als im höchsten Grade prächtig geschildert, cs
wurden vielerlei Palmen, Baumfarren, Marantas, Strelitzias, Orchideen und eine
unendliche Menge blühender tropischer Pflanzen angetroffen; östlich vom
Gebirge war das Land mehr offen und reich mit Gras bewachsen.
Das Gebiet 2 — 300 miles im Nordwesten von Port Moresby will
Theodor Bevan, mit Unterstützung der Regierungen von Neu Süd-Wales und
Queensland, erforschen und seine Reise im September d. J. antreten. Die
erstere hat ihm eine Dampfbarkasse zur Verfügung gestellt, welche der von der
Queenslandregicrung gesandte Dampfer „Albatrofs“ zur Küste von Neu-Guinea
bringen soll. Bevan unternahm im März v. J. mit einem ihm zur Verfügung
gestellten kleinen Dampfer, Victory, vom Papua-Golf aus in den Aird-River ein-
dringend eine Flufsfahrt landeinwärts, wobei zwei Ströme, der Douglas und der
Jubilee-River entdeckt wurden. Nur einmal und zwar 20 miles von der Mün-
dung, zeigten sich die Eingeborenen feindlich. Im ganzen wurden sieben ver-
schiedene Stämme von Eingeborenen angetroffen.
Auf der in London abgehaltenen Konferenz der englischen Kolonien haben
sich die australischen Kolonien zu einem Beitrag von 16 000 £ jährlich zu den
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Verwaltungskosten von Britisch Neu-Guinea bereit erklärt. Sobald das Parla-
ment von Queensland sich entschliefst, für die Zahlung der obigen Summe zu
haften, wird die englische Regierung die volle Souveränität über Britisch Neu-
Guinea übernehmen. Die Regierung von Queensland würde sich dann mit den
übrigen australischen Kolonien wegen Verteilung der obigen Summe in Be-
nehmen setzen.
In der „Revue Coloniale internationale" bespricht Dr. 0. Finsch den
grofsen Wasserreichtum von Kaiser Wilhelms-Land. Ferner sei auch an dieser
Stelle auf die trefflichen Artikel desselben Verfassers in der „Deutschen Kolonial-
zeitung“ Heft 17, 18 und 19: Über Naturprodukte der westlichen Südsee,
besonders der deutschen .Schutzgebiete, aufmerksam gemacht.
Aus Argentinien. Von unserem Ehrenmitglied und Freund, Herr Professor
Seelstrang, der gegenwärtig als Mitglied der Grenzkommission im Grenzgebiet
von Brasilien thätig ist, empfingen wir folgende lebhafte Schilderung :
Nonohay 7, VI. 87.
Von den Gestaden des romantischen Alto-Uruguay schrieb ich Ihnen
zuletzt (39. HI.), im Begriff den Ritt durch Hinter-Brasilien anzutreten, was
auch wirklich am 12. IV. geschah. Doch noch immer fahre ich in dieser Wald-
wüste umher, nähre mich von schwarzen Bohnen, frischem Speck und Charqui
(getrocknetem Rindfleisch), nehme fröhlich ab an Leibesumfang und wage noch
gar nicht an das Ende dieser Reisen ins Blaue und an den wirklichen Anfang
der Arbeit zu denken. Das Terrain ist scharf gefaltet, und hundertfach schlängelt
sich der Weg durch Berg und Thal mit Niveaunterschieden bis za 50 und 60 m.
In den Thälern dehnt sich stattlicher Wald, sei es als einzelne „Inseln“, sei es
als breites Land, welches den Lauf der kleinen Bäche begleitot, die in jedem
Terraineinschnitt über rotes Felsgestein ihren Weg thalabwärts plätschern. —
Alte Niederlassungen der Jesuiten mit stattlichen Kirchenruinen aus Hausteinen
finden sich im hundertjährigen Orangenwald versteckt, und die ganze Gegend
atmet eine reiche, stattliche Vergangenheit, welche der traurigsten Gegenwart
gewichen ist. Verschwunden sind die Tausende von fleifsigen Indianern, die
intelligenten fromm waltenden Väter und die zahlreichen Scharen springenden
Heerdenviehes, welche vor hundert Jahren die grünenden Hügelseiten belebten.
Eine grausame Politik hat die Zivilisation von Jahrhunderten vernichtet, und
öde Ruinen melden von dem emsigen Leben, welches einst in diesen frucht-
baren Regionen pulsierte. Der kleine brasilianische Bauer, welcher heutzutags
seinen geringen Lebensunterhalt auf derselben Scholle fristet, ist auf der Höhe
der alten Indianer geblieben. Er vegetiert bei Bohnen, Reis und Tabak nebst einigem
Zuckerrohr, aus welchem er nur Schnaps zu brennen versteht. Eingeschlossen
auf der einen Seite durch die grofse Entfernung zum nächsten Hafen (Porto
Alegre), und auf der andern durch den bis jetzt nicht schiffbaren Uruguay,
hat er keine Hoffnung auf Verbesserung seiner Lage, und ergiebt sich dem
politischen Schwindel, welcher alles von der Änderung der Regierungsform
erwartet. Jammervoll genug wird es den biederen Republikanern ergehen,
wenn Don Pedro II. einmal die Augen schliefst!
Boca del Pepiry, 23. VI. Pues contoda eso, querido doctor, habe ich
unterdessen einen wirklich schönen trip gemacht. Im öden Nonohay mit seinen
etwa 50 Holzhäusern (aus gespaltenen Brettern der arancaria brasilensis, einem
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prachtvollen Baume), wo wenig zu holen und zu suchen, aufser den dichten
Nebeln, die bis 10 h. a. in. die waldigen Gelände einhüllten. So war ich denn
froh, als endlich die Geschäfte meiner hohen Kommission abgethan waren und
mir frei stand, das eigentümliche Arbeitsfeld am Pepiry aufzusuchen. Dreitsig
und einige Meilen ; wie leicht spricht sich das aus 1 Für mich war es eine Reise
von 8 Tagen. Vielleicht hätte ich einen Tag auf dem Landwege gespart; doch
die grauenhafte Picada, die ich einmal zwischen Palmeiras und Nonohay passierte,
schreckte mich ab, und so zog ich es vor, auf schwanker canoa die vielfachen,
recht gefährlichen Stromschncllen des Uruguay zu passieren. Es hat mich nicht
gereut! Von Nonohay ging es zu Pferde und mit zwei Lasttieren 20 km weit
direkt nach Norden durch ein schönes Waldgebirge, dessen schattige Stege
allerdings auch einiges zu wünschen liefsen, und dann tauchte ich im jähen
Abstieg zum Uruguay hinab. Welcher Gegensatz 1 Aus dem schreckhaft öden
Urwald, in dem keine Tierstimme laut wird, und der uns wie ein bleierner
Mantel erdrückt trotz all seiner Schöne, ritt ich hinab zum langsam flutenden
Strome, welchen schon jetzt um 3 p. m. dichte Nebel einhüllten. Hellgrüne,
frische Zuckerrohrfelder zu beiden Seiten des Steges, eingezäunt von riesen-
haften Bäumen, den Resten des Urwaldes, die umzogen von hunderten pracht-
vollen Schlingpflanzen erst jetzt ihre einsame Schöne recht präsentieren. Bana-
nen mit hellem Grün und Orangenbäume mit Frucht beladen stechen freundlich
ab gegen den düstern Hintergrund des gegenseitigen, waldbekleideten Ufers,
und prachtvolle, himmelblaue Falter, die Sie ja aus der brasilianischen Fauna
kennen, flättern zwischen den trotz des Winters hundertfach geöffneten
Blüten. Am Ufer hegt eine einfache Hütte mit dem unvermeidlichen Ingenio
de Azucas ursprünglichster Art. Zwei Ochsen drehen drei aufrecht stehende
Zylinder von etwa 2 Fufs Durchmesser, und zwei Kinder, ein Knabe und ein
wunderhübsches Mädchen von 12 Jahren, stecken einzehie Rohrstengel zwischen
die Walzen. Der Saft fliefst in hölzerner Röhre in hölzernen Trog, klärt sich
dort und wird dann in die kupferne Destillierblase geschöpft. Ein unterge-
stelltes Fälschen empfangt den Spiritus, und der Rückstand wird zu rapadura
eingekocht, einem bonbonähnlichen Körper, welchen die Waldloute mit Behagen,
unsereins aber mit Widerstreben kauen. — Von dort ging es hinüber zum
Lager der Brasilianer, die schon auf uns warteten, unter dem donnerähnlichen
Brausen der corredera del Mutato, einer gefürchteten Stromschnelle weiter
flufsaufwärts, der noch im Schlafe uns lockende Weisen vorsang. Und tags
darauf ging es den Strom hinab, mit 15 canoas und einigen 40 Mann. Virasoro,
mein Kollege, und ich safsen ganz bequem auf dem Boden der etwa 80 cm
breiten canoa (aus einem Baumstamme gezimmert, und etwa 10 ra lang).
Unsere petacas, urwüchsige Lederkoffer, für den Rücken des Maultieres be-
stimmt, dienten als Tisch, und erlaubten uns, die Windungen des Stromes
(4 — 600 m breit) gemächlich aufzunehmen, während unsre Diener die langen,
hier selten gebrauchten, Ruder schwangen und ein eingeborener Steuermann
den Nachen leitete. Zuerst blickten noch einzelne Ansiedlungcn mit jungem
Zuckerrohr wie Smaragden von den wüsten Waldhängen der Ufer, und schallen-
des Jauchzen der Schiffer begrüfste die einsamen Gehöfte; dann aber schlol's
sich das Waldgebirge um uns. Stunde verfliefst auf Stunde, die dichten
Morgennebel verziehen sich, ohne andres als die ewigen Waldungen zu zeigen,
die Sonne brennt trotz des Winters recht munter auf unsre Rücken und die
unverfrorene jäjäne (eine ganz kleine Stechfliege, welche den Tagesdienst für
Geograph. Blätter. Bremen, 1887.
17
— 240
die Mücken vertritt,) läfst Gesicht und Hände lehhaft anschwellen. Trotzdem
verführt die einförmige Fahrt zum Schlaf, auch die Ruder schlagen langsamer,
bis auf einmal das Brausen einer Stromschnelle herübertönt. Da wird alles
lebendig und horcht auf die Befehle des Piloten, der mit energischem Ruder-
schlag in den engen Kanal leitet. Höchste Anstrengung aller Energie gehört
dazu, denn der Weg ist gewunden, schwarze Steine und Baumstämme ragen
aus der schäumenden Fläche und gar manches Riff streift der Nachen in der
pfeilschnellen Fahrt. Unterhalb der Schnelle aber lagen wir dann auf den
Rudern, um das Passieren der übrigen Flotille zu beobachten. Auch geht dies
ruuning the rapide manchmal nicht so glatt ab. Uns schlug eine canoa um in
der corredera del Chapecö, und die Ladung ging verloren, während die Mann-
schaft. sich durch schwimmen rettete. Ein andres Boot aber rannte so herz-
haft auf eine Klippe, dafs es mit durchlöchertem Boden gerade noch bis zur
nächsten Landungsstelle gelangte und dort verlassen werden mufste. Einmal
zogen wir es auch vor, die canoa von 6 Mann einfach über eine kurze aber
gefährliche Stelle wegschleifen zn lassen, oder besser gesagt: die Leute halten
das Boot mit Brust und Armen gegen den Strom und heben es zeitweise über
die zudringlichsten Klippen. Sie aber, lieber Freund, sitzen darin, rauchen
Ihre Zigarrette, und malen sich das frische Bad aus, welches möglicherweise
Ihrer harrt, notabene mit Reiterstiefeln. Sinkt dann aber der Abend, d. h.
schon um 3 Uhr, wird an einer der wenigen Stellen angelegt, wo der Flnfs
überhaupt das Aussteigen erlaubt.* Sie klettern 8 — 15 m zwischen dichtem Ge-
hölz die schlüpfrige Uferwand in die Höhe, und dann beginnt emsiges Bäume-
fällen. Mit 12 Mann ist in einer Stunde ein Raum von etwa 30 m im Quadrat
gereinigt, die Zelte werden schon im Zwielicht aufgeschlagen und riesige Feuer
entzündet, um die dumpf« Feuchtigkeit zu bekämpfen. Das Nachtmahl ist
dann bald fertig, getrocknetes Fleisch nebst Speck und Bohnen haben wenig
Anziehungskraft, anch die Erlebnisse des Tages sind selten anregend genug :
vielleicht hat jemand ein Waldhuhn geschossen, oder äufsert den neuen Ge-
danken, dafs wir schon seit 2 Monaten ohne Nachricht von der Welt sind;
und dann ziehe ich mich in das Zelt znrück, mache einige Notizen und suche
mein Lager, den Sattel. — So fuhren wir 6 Tage lang, mit Ausnahme eines,
der an der Mündnng des Chapecö geographischen Beobachtungen gewidmet
wurde, und liegen nun liier schon seit dem 16. dieses, die Brasilianer zum
Marsche bereit und wir noch auf Lebensmittel und Beute wartend. Wir nehmen
also mit skrupulöser Genauigkeit die Mündung des Pepiry auf, die seit fast
150 Jahren so viel Staub zwischen den Nachbaren aufgewirbelt hat, und lauern
des Nachts den unschuldigen Sternen auf, deren schon über hundert den Orts-
bestimmnngen zum Opfer gefallen sind. Glücklicherweise beschützt ein gütiger
Nebel Sterne und nnsem Schlaf durch regelmäfsiges Aufsteigen genau um
10 Uhr p. m. ebenso wie derselbe die Feststellung der Ortszeit und des Ganges
der Chronometer unmöglich macht, da iu diesem Thale die Sonne erst gegen
10 Uhr aufgeht, der Nebel aber erst eine halbe Stunde später weicht. Ein
verteufelt feuchtes Klima das! .Nicht nur Eisen- nnd Lederzeug, sondern oft
sogar das Erdreich selbst ist mit Schimmel bedeckt.
Colonie del Alto Uruguay 7, VH. Gegenwärtiges ist denn glücklich einen
Monat alt; doch von hier ans sende ich es ab. Drei Tage und Nächte tropft
der Regen vom Himmel, der Uruguay stieg die Kleinigkeit von 5 m in 2 Tagen,
und au Arbeit auf dem Flusse ist noch für eine Woche wegen der starken
— 247 —
Strömung nicht zu denken. Da setzte ich mich denn ins canoe und rasselte
Aber den Salto Grande hinab, der nur noch einen direkten Fall von 2 m hatte
(gewöhnlich 6 m), aber doch noch beim Passieren das Herz beben machte. In
ö Stunden kam ich in diesem reizenden, weltvergessenen Platze an, von dem
ich Ihnen später einmal Schilderung gebe; doch dürfte ich 4 Tage zur Rück-
fahrt. brauchen. Obermorgen breche ich auf, kopfüber in den Urwald!
A. Seelstrang.
§ Afrikanische Drognen. Wie auf S. 75 des diesjährigen Bandes
unsrer Zeitschrift berichtet, machte Herr Dr. Hausmann in einer Versammlung
des naturwissenschaftlichen Vereins zu BVemen über die Kolanufs, deren
Beschaffenheit und Verwendung, einige Mitteilungen. In der am 17. Oktober
stattgehabten Versammlung des genannten Vereins machte nun Herr Dr. Hausmann
weitere Mitteilungen über afrikanische Droguen. Anknüpfend an jenen früheren
Vortrag über die Kolanufs legte er einige in Spiritus befindliche Kolanüsse vor,
welche im vergangenen Sommer in frischem Zustande nach Bremen gelangt
waren. Da die in Afrika getrockneten Nüsse meist einen raulstrigen Geschmack
zeigen, lag es nahe, den Versuch zu machen, frische Nüsse kommen zu lassen,
um den Geschmack derselben zu prüfen und so der Frage näher zu treten, ob
dieselben ein für Europa verwendbares Genufsmittel seien. Die durch die
Güte der Herren Friedr. M. Vietor & Söhne in Bremen in ausgezeichnet frischem
Zustande erhaltenen Nüsse erwiesen sich von einem anfangs etwas zusammen-
ziehenden, dann rein bitteren Geschmacke und hinterliefsen einen schwachen
süfslichen Nachgeschmack, konnten aber als besonders angenehm schmeckend
nicht bezeichnet werden. Die rasch in künstlicher Wärme getrockneten Kola-
nüsse bewahrten denselben Geschmack. Versuche, ein angenehmes Genufsmittel
aus der Kolanufs herzustellen, sind bisher an dem Cellulosegehalt, derselben
gescheitert. Die gerösteten Nüsse sind sehr hart und sehr schwer zu zer-
kleinern. Auch andre von der Sklavenküste stammende Droguen verdankte
der Vortragende den Horren Friedr. M. Vietor & Söhne. Er bemerkte, dafs von
der Sklavenküste verschiedene für den Handel wertvolle aber allgemein bekannte
Produkte ausgeführt werden . z. B. eine ausgezeichnet schöne Baumwolle,
Kautschuk, Kopra, Palmöl u. a., doch wolle er sich auf die Vorlage einiger
weniger bekannten, aber teilweise naturwissenschaftlich interessanten Produkte
beschränken. Es wurden dann vorgelegt : Die Früchte von Anacardium occi-
dentalc; Samen von Bassia Parckü, welche die Schi-Butter liefern; Wurzelstöcke
von Maranta (indica oder arundinacea ?), aus welcher die echte Arrow-root-
Stärke in Westindien gewonnen wird. Wurzelstöcke einer Curcuma-Art, die
Gelbwurzel oder Curcumawurzel des Handels; Samen einer Cucurbita-Art,
wahrscheinlich C. Citrollus, deren Samen 30°/o eines fetten Öles liefern. Vom Senegal
aus soll ein bedeutender Import dieser Samen nach Frankreich stattfinden.
Kopal von der Sklavenküste verhält sich gegen Lösungsmittel gerade so, wie
das sehr wertvolle Zanzibar-Kopal, ist aber etwas blasig in der Masse und
enthält mehr ätherisches Öl, wodurch es etwas weicher und nicht ganz geruchlos
ist. Vortragender glaubt es trotzdem für eine recht wertvolle Sorte halten zu
dürfen. Zur Erläuterung einiger Bemerkungen über verschiedene Kopalsorten
wurde echtes Zanzibar-Kopal vorgezeigt. Von der Sklavenküste folgten dann
noch Früchte von Pterocarpus esculentus, dieselben enthalten in einer eigen-
tümlich zähen korkartigen Hülse einen grofsen Samen, welcher in frischem
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Zustande giftig sein soll, geröstet aber von den Negern verzehrt wird. Samen
von Cassia occidentalis, sie liefern ein sehr geschätztes Kaffeesurrogat, enthalten
aber kein Coffein. Als ein für technische Zwecke anscheinend sehr brauchbares
Surrogat für Gummi arabicum wurde ein. wahrscheinlich von einer Ficus-Art,
stammendes Gummi vorgezeigt. Es steht in seinen Eigenschaften etwa zwischen
Gummi arabicum und Dextrin, dreht wie letzteres die Ebene des polarisierten
Lichtes nach rechts (ersteres nach links), löst sich gut in Wasser und reduziert
Metallsalze. An die Demonstration dieser westafrikanischen Droguen knüpfte
Vortragender noch die der Strophanthus-Samen, eines neuen, der Digitalis
ähnlich wirkenden Arzneimittels, welches bisher nur von Mozambique in den
Handel kommt und in den Gegenden gesammelt wird, welche am Shire liegen.
Die Pflanze ist ein Schlinggewächs, gehört zur Familie der Apocyneen, die
Samen befinden sich in grofsen Balgkapseln, und zeiclfnen sich durch eine
prachtvoll ausgebildete Feder auf ihrer Spitze ans. Sie sind sehr giftig und
dienen in Afrika zur Bereitung eines Pfeilgiftes, welches in Ostafrika Kombö,
in Westafrika Jne genannt wird ; von Westafrika sind aber bisher keine Samen
in den Handel gelangt.
§ Giacomo Bove +. Am 9. August d. J. starb in Verona durch Selbst-
mord Giacamo Bove, Leutnant in der italienischen Kriegsmarine, bekannt
durch seine Teilnahme an der grofsen Entdeckungsreise der „Vega“ unter
Nordenskjöld, durch seine Forschungen im Feuerland und Patagonien, ferner
in den südamerikanischen Misiones. Bove stellte den Plan einer italienischen
Expedition in das antarktische Meer auf. Praktisch vorbereitet für ein
solches Unternehmen war Bove durch seine ehrenvoll durchgoführte Teilnahme
an jener denkwürdigen Vega-Fahrt. Seine 1881 — 82 auf Kosten der italie-
nischen geographischen Gesellschaft ausgeführte Reise in die Gewässer des
Feuerlandes war gewissermafsen eine weitete praktische Vorstudie für jenes
grofse Unternehmen, dessen Verwirklichung, wie es scheint, an der Unmöglich-
keit, die dazu erforderlichen bedeutenden Mittel znsammenzubringen, scheiterte.
Im Aufträge des italienischen Ministeriums unternahm er in Verbindung mit
Kapitän Fabrello in den Jahren 1885 — 86 eine Bereisung des Kongo. Von
dieser Reise kam er schwer krank zurück; an seiner Genesung verzweifelnd,
gab sich der verdienstvolle Mann selbst den Tod.
Geographische Litteratur.
Lehrbücher.
Grundzüge der mathematischen Geographie und der
L andkar t en pr o j ek tion. Von Anton Steinhäuser. Dritte verbesserte
und vermehrte Auflage. Mit 186 Holzschnitten. Wien 1887. Verlag von
Fr. Beck. Es ist ein erfreuliches Zeichen für das zunehmende Interesse, welches
die Kartographie bei Lehrern und Studierenden in neuerer Zeit findet, dafs
das vorliegende, in weiten Kreisen wohlbekannte Buch nach wenigen Jahren —
zwischen der ersten und zweiten Auflage lag leider ein langer Zeitraum —
in dritter Auflage erscheint. Der jetzt hochbetagte Verfasser hat das Verdienst,
durch das vorliegende Werk zur Verbreitung der Projektionslehre in weiten Kreisen
mehr wie vielleicht irgend ein andrer bei uns beigetragen zu haben. In den
beiden ersten Abschnitten, der Einleitung, welche die. nötigen Kenntnisse von
der Mefsknnst, Orientierung und Landkartenkundo enthält, und der mathematischen
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Geographie ist wenig verändert und wenig hinzugesetzt worden. Der dritte Teil, die
Projektionslehre, zeigt dagegen eine wesentliche Umgestaltung in der
Ordnung des Stoffes, die dadurch systematischer geworden ist. Auch sind noch
einige neuere und ältere Projektionsarten aufgenommen worden; die Tafeln
sind jetzt sämtlich anf Meter uragcrechuet. Zur Einführung in das Karten-
verständnis kenne ich kein besseres Hülfsmittel als das Steinhausersche Buch,
ich wünsche demselben also eine immer weitere Verbreitung zumal in den
Kreisen der jüngeren Lehrer. W. \V.
Landkarten, i h re He rs tel lu ng und ihre Fehlergrenzen.
Mit zahlreichen in den Text gedmekten Abbildungen. Von H. Strnve, (Geh.
Rechnungsrat im Kursbüreau des Reichspostamts). Berlin, Verlag von Julius
Springer, 1887. Gr. 8°. 2 Mark. Eine recht dankenswerte Ergänzung zu dem
Stcinhauserschen Buche und ähnlichen bildet in einigen Punkten die vorliegende
79 Seiten umfassende Schrift, welche als Sonderabdruck aus dem Archiv für
Post und Telegraphie erschienen ist. Dieselbe behandelt, nachdem in einer
Einleitung ganz übersichtlich die Hauptverrichtungen der Landkartendarstellung
besprochen sind, die Herstellung topographischer Spezialkarten; die Methoden
der Landesvermessung, der Höhenmessung, die Bestimmung der Himmelsgegend,
die Feststellung der geographischen Breite und Länge werden dabei in einfacher
und klarer Weise dargclcgt und auf die dabei anftretonden Fehlerquellen hin-
gewiesen. In dem Kapitel , Anfertigung des Gradnetzes“ werden die gewöhnlichen
Landkartenprojektionen von Seite 21 — 54 behandelt; eine besondere Be-
sprechung erfahren noch die „gewölbten Karten“. Die folgenden Kapitel
handeln von der Berechnung des kürzesten Weges (der geodätischen Linie),
der Genauigkeit der Entfernungsberechnungen, der Wegemessung auf Karten,
der Landkartenvervielfältigung, der Landkartenschrift und der Zuverlässigkeit
aufsereuropäischer Landkarten. Zur Einführung in das Kartenverständnis kann
anch diese kleine Schrift gute Dienste leisten. W. W.
Europa.
§ Von den ,,Europäi sehen Wan d er bildern“, welche die Verlags-
buchhandlung von Grell, Füssli und Kompanie seit einigen Jahren herausgiebt
und deren wir mehrere bereits besprochen haben, liegt uns nun eine ganze
Serie vor. Es sind die folgenden:
No. 1. Die Arth -Rigi -Balm, mit 13 Illustrationen und einer Karte, von
J. Weber ; No. 2. Die Ütliberg-Bahn von J. J. Binder, mit. 21 Illustrationen von
J. Weber und E. F. Graf; No. 4. Heiden und die Rohrschach-Heiden-Bahn von
H. Szadrowskv. mit 22 Illustrationen und zwei Karten ; No. 6. Thun und
Thnner-See, mit 23 Illustrationen von G. Roux und J. Weber, nebst einer Karte ;
No. 7. Interlaken, von Gerber, Diakon in Interlakeu, mit 20 Illustrationen und
einer Karte; No. 10. Zürich und seine Umgebung, mit 17 Illustrationen von
J. Weber und zwei Planen; No. Iß. Luzern und seine Umgebung, mit 13 Illu-
strationen von J. Weber nebst einer Karte; No. 30 — 32. Die Gotthardbahn, mit
47 Illustrationen von J. Weber und einer Karte; No. 36. Die Vitznau-Itigi-Bahn.
mit 10 Illustrationen von J. Weber und einer Karte; No. 51 u. 52. Der
Bürgenstock, von Dr. W. Cubasch, mit 8 Illustrationen, 2 Doppelbildern und
einer Karte; No. 75 u. 76. Der Vierwaldstätter-See und seine Ufer, von J. Hard-
meyer, mit 40 Illustrationen von J. Weber; No. 105 — 107. Lötsehen und Leuker-
bad, von F. 0. Wolf, mit 21 Illustrationen von J. Weber und R. Ritz, nebst einer
Karte. Die Vorzüge, welche wir den früher von uns besprochenen Heften nacb-
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rühmen durften: Reichtum an Thatsachon. Knappheit der Form, lebendige
Darstellung, treffen auch bei allen hier aufgeführten zu. das können wir auf
Grund der eigenen Reiseerfahrung dieses Sommers bestätigen. Man sieht denn
auch bei Wanderungen durch die Schweiz die kleinen handlichen, wenig Raun)
in der Tasche beanspruchenden Hefte unter den Touristen aufserordentlich
verbreitet, so dafs eine gröfsere Anzahl dieser Publikationen bereits mehrere
Auflagen erforderte. Einen Wunsch möchten wir für die weiteren Auflagen
äufsern: es möchte jedem Hefte, behufs des schnelleren Zurechtfindens, ein
kurzes alphabetisches Register angefügt, werden.
§ Die Verlagsbuchhandlung von Orell, Füssli & Cie. in Zürich teilt uns
mit, dafs das vor einiger Zeit in 29. Auflage erschienene Reisehandbuch
der Schweiz von Iwan von Tscliudi käuflich in ihren Besitz über-
gegangen sei. Die Verlagshandlung wird, wie sie uns schreibt, bestrebt sein,
das Unternehmen im Geiste des Verfassers fortzuführen, immer weiter zu ver-
vollkommnen und dem Werke das Ansehen, welches es bei allen Alpentouristen
geniefst, zu erhalten.
§ Pola, seine Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Eine Studie.
2. Auflage, mit 4 Tafeln. Wien 1887. Carl Gerolds Sohn. Die vorliegende Schrift
über Pola, den Zentralhafen der österreichisch-ungarischen Flotte und die erste
Seefestung des Kaiserreichs, ist in erster Linie auf österreichische Leser berechnet.
Sie bietet aber auch allgemeines Interesse und sei darum der Beachtung em-
pfohlen. In gründlicher Weise werden wir über die Geschichte von der Gründung
der römischen Militärkolonie bis auf die Gegenwart , über die Anstalten des Kriegs-
hafens, über die Stadt, ihre Entwickelung und Verwaltung, über Bevölkerung (jetzt
19,000), Klima u. a. belehrt. Der Innen- und der Vor-Hafen haben zusammen
eine Fläche von 2 1 /» D sm und eine Ufcrausdehnnng von 10'/* sm, sie bieten
einer grofsen Flotte von tiefgehenden Schiffen guten, gegen Seegang und teil-
weise auch gegen heftige Winde geschützten Ankergrund. Die engste fahrbare
Stelle der Einfahrt (ungefähr 800 m breit) gestattet gleichzeitig mehreren
Schiffen rasches und sicheres Auslaufen. Der Verfasser macht eine Reihe von
Vorschlägen, deren Durchführung er zur Entwickelung der Stadt und des Kriegs-
hafens als notwendig bezeichnet. Wie Wilhelmshafen nach der Eröffnung —
jetzt ist dem Mangel im wesentlichen abgeholfen — so litt und leidet auch
Pola Mangel an gutem Trinkwasser und es steht wohl noch dahin, ob die an-
zustellenden Bohrversuche zu einer gründlichen Beseitigung des Mangels führen *
werden. Die beigegebenen Tafeln stellen dar : 1 Pola zur Zeit der Römer, nach
Kandier, 2. und 3. Ansichten von Pola zu Anfang des 19. Jahrhunderts und im
Jahre 1886.
§ Di e B al k au -H a 1 bi nse 1 (mit Ausschlufs von Griechenland). Physika-
lische und ethnographische Schilderungen und Städtebilder von A. E. Lux,
mit 90 Illustrationen, einem Panorama von Konstantinopel und einer Über-
sichtskarte. Freiburg i. B. 1887. Herder. Bei dem immer von neuem durch
die Zeitverhältnisse genährten Interesse, welches sich der orientalischen Frage
und allem, das damit zusammenhängt, zuwendet, darf man annehmen, dafs
auch dieses Buch, wie so manche Publikationen der neuesten Zeit über das-
selbe Thema, einen grofsen Leserkreis linden werde, zumal der Inhalt ein mannig-
faltiger und grofsenteils auf eigenen durch wiederholte Reisen gewonnenen Beob-
achtungen beruht. Das Buch zerfällt in 1. einen physikalischen, 2. einen
ethnographischen Teil und in 3. Städtebilder und Routenbeschreibungen. Be-
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sonders die letzteren werden manchem Orient -Reisenden willkommen sein.
Ein Anhang bringt historische Übersichten. Die Illustrationen sind nur zum
Teil gelungen, die Karte giebt itber einige Punkte eine gute Übersicht.
§ Rumänien. Eine Darstellung des Landes und der Leute von Rudolf
Bergner. Mit 26 Illustrationen nnd einer Karte. Breslau 1887. J. U. Kern.
Ein wertvoller Beitrag zur Kunde von Rumänien. Der erste Teil bietet
Schilderungen von Städten, Landschaften und Volksleben, der zweite enthält
eine kurze geographische Beschreibung des Landes, geschichtliche Darstellungen
und Nachrichten über öffentliche Verhältnisse, mit statistischen Tabellen. Als
Anhang ist ein Literaturverzeichnis beigegeben. Aus dem Abschnitt über die
wirtschaftlichen Verhältnisse heben wir ein paar Sätze über die Entwickelung her-
vor, welche das Verkehrswesen in den letzten Jahrzehnten genommen hat. „Ein
Netz von guten Landstrasfen unterstützt jetzt im Gegensatz zu früher den Binnen-
handel, für die Personenbeförderung bestehen mehr als 40 Diligencenrouten.
Chausseegeld wird nirgends erhoben. 1885 standen über 200 Tolegrapheuämter
mit 5211 km Drahtlänge in Betrieb. Seitdem am 1. November 1869 die erste
Eisenbahnlinie Bncurosci-Giurgiu eröffnet wurde, erfreut sich das Eisenbahn-
netz einer beständigen Entwickelung. Vor zehn Jahren noch auf 1237 km be-
schränkt, umfafst es gegenwärtig über 2000 km, es wird, wenn der Aasbau
aller projektirten Linien ungestört vor sich gehen kann, in längstens zwei
Jahren alle bedeutenden Städte Rumäniens mit einander verbinden. Bis auf
224 km Linien der Lemberg-Czernow'itz-Jassyer Gesellschaft sind die Eisenbahnen
Eigentum des rumänischen Staats. Die beigegebene Karte aus der kartographischen
Anstalt von C. Flemming in Glogau, im Mafsstab von 1 : 1.700,000 ist zweck-
entsprechend.
Afrika.
§ Reisebilder aus Ostafrika und Madagaskar von Dr. Konrad
Keller, mit 43 Holzschnitten. Leipzig, C. F. Wintersche Verlagshandlung.
Der Verfasser unternahm, zum Teil unterstützt durch schweizerische wissen-
schaftliche Gesellschaften und die Schweizer Bundesregierung, zwei Reisen.
Die erste wurde im Winter 1881/82 ausgeführt und hatte hauptsächlich natur-
wissenschaftliche Studien am tropischen Seestrande zum Zweck. Der Suezkanal,
das Rote Meer und der Arabische Golf waren die Gebiete, in die der Verfasser
von seinen an der Küste improvisierten zoologischen Stationen täglich hinaus-
fulir, um Sammlungen und Beobachtungen zu machen. Die letzteren werden
in der dem Verfasser eigenen lebendigen anregenden Weise erzählt und müssen
das Interesse auch des Laien fesseln. Wissenschaftlich wertvoll sind besonders
die vom Verfasser zuerst geführten Untersuchungen über die nach Eröffnung
des Kanals stattfindenden beiderseitigen Wanderzüge von Meerestieren des
Mittelmceres und des Indischen Ozeans. Die zweite Reise, 1886, in deren
Programm auch ethnologische und handelsgeographische Studien aufgenommen
worden waren, führte den Verfasser nach Räunion und Madagaskar. Hier
verweilte der Verfasser an verschiedenen Punkten und unternahm auch, teils
zu Boot, teils im Tragsessel, von Tamatave aus eine Reise ins Innere und
durch den Urwald. Neben den Mitteilungen über Boden, Tier- und Pflanzen-
welt Madagaskars interessieren uns besonders die Bemerkungen über die Be-
völkerung. Im Gegensatz zu den ungünstigen Urteilen andrer Beisenden
erklärt Dr. Keller, dafs die Howas ihm im ganzen einen guten nnd sehr
sympatisclien Eindruck gemacht haben. Die volkreichen Stämme der Betsimi-
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savaka, der Antankareu nnd dar Sa ka luven de» Westens lernte Dr. Keller durch
eigene Anschauung kennen. Was den zuletzt, genannten Stmnra betrifft, so
mufs man nach Dr. Keller die Sakalaven des Nordwestens von denen des Süd-
westens unterscheiden. Die erstercn verdienen ihren schlimmen Ruf nicht.
Dr. Keller konnte, je mehr er mit ihnen in Berührung kam, desto mehr gute
Seiten entdecken. Die afrikanischen Rcisebilder Kellers machen durchweg den
Eindruck der Naturwahrheit, die Wahrnehmungen wurden während der Reise
nicdergesclirieben und später für die Veröffentlichung in Buchform hie und da
gemodelt, wobei aber die Ursprünglichkeit vollständig erhalten blieb. Man
darf sagen: wo man auch Kellers Buch anfschlagen mag, fesselt es uns. Die
zahlreichen Illustrationen sind mit wenigen Ausnahmen Originalbilder, zu deren
Herstellung die Zeichnungen und photographischen Aufnahmen des Verfassers
dienten.
Orographio und Hydrographie des Kongobeckens von Ernst
Böttcher, Dr. philos. Berlin. Haude & Spenersche Buchhandlung 1887. Der
Verfasser, welcher das Kongogebiet aus eigener Anschauung nicht kennt, hat
sich die Aufgabe gestellt, nach den besten Büchern und Karten in möglichst
klarer Weise die Hauptzüge der Bodenbildung und namentlich der Gewässer-
verteilung des so wichtigen Gebietes darzustellen, wobei er es mit Recht unter-
lassen hat, über diejenigen Punkte, welche nach dem Stande der Forschung
mehr oder weniger dunkel sind, gewagte Hypothesen 8ufzustellen. Der gesamte
Stoff ist in der Weise angeordnet, dafs zuerst die Grenzen des Kongobeckens
besprochen werden. Daran schliefst sich eine allgemeine Übersicht über den
so abgegrenzten Raum und die Besprechung der einzelnen Teile. Den Schlafs
bildet eine Auseinandersetzung über die allgemeine Hydrographie des Kongo-
beckcns. Dem 100 Seiten zählenden Werkchen sind aufser Stromnetzkarte des
Kongo mehrere Blätter mit graphischen Darstellungen boigegeben, welche zahl-
reiche Querprotile u. a. enthalten. A. O.
Amerika.
§ Das Itajahy-Thal und die Kolonie Blumenau in Süd-Brasilien, Provinz
Santa Katarina, von G. Stutzer, mit einer Karte der Kolonie. Goslar 1887.
Verlag von Ludwig Koch. Die vorliegende kleine Schrift bildet einen wert-
wollen Beitrag zur Kenntnis der deutschen Kolonisation in Süd-Brasilien. Der
Verfasser hat dieselbe nach einem fünfviertcljährigcn Aufenthalte in der
Kolonie verfafst, um, wie er in der Vorrede sagt, „niemandem zu
Lieb und niemandem zu Leid die thatsächlichen Zustände zu schildern'.
Das ist eine dankenswerte Aufgabe, zumal die Kunde von den im Aus-
lande und besonders in transatlantischen Ländern gruppenweise lebenden
Deutschen daheim noch eine recht mangelhafte ist. Am Itajahy und seinen
Nebenflüssen wohnen wenigstens 20,000 Deutsche. In 15 Kapiteln werden alle
in Betracht kommenden Verhältnisse erörtert: Klima. Boden, Pflanzen- und
Tierwelt, Bevölkerung, Haus, Kirche und politische Verhältnisse, sodann die
Landwirtschaft, wobei jedem einzelnen Produkt besondere Bemerkungen ge-
widmet sind, die Viehzucht, Verkehrsverhältnisse, Handel und Industrie u. a.
Dafs sich Süd-Brasilien für die Niederlassung Deutscher eignet, bestätigt auch
der Verfasser und darf wohl als ausgemacht angesehen werden. Die persön-
lichen Eigenschaften des Auswanderungslustigen sind natürlich im einzelnen
Falle entscheidend.
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Aus Raumrücksichten wurde von dein Abdruck der für eiueu Anhang
bestimmten Mitteilungen des Verfassers über die transatlantischen Ycrkehrs-
verhältnisse und die Küstendampfschiffahrt mit bezug auf das Itajaliy-Thal
Abstand genommen, aber wir möchten den Wunsch anssprechen, dafs der Ver-
fasser diese vorzugsweise unsre Seestädte interessierenden Mitteilungen an
andrer Stelle veröffentlichen möge.
Polarregionon.
§ Drei Jahre im hohen Norden. Die Lady Franklin -Bai-Expedition
in den Jahren 1881 — 84 von Adolph W. Greely, Leutnant der Vereinigten
Staaten-Arraee, Führer der Expedition. Einzig autorisierte deutsche Ausgabe.
Aus dem Englischen von Reinhold Tenscher, Dr. med. Mit zahlreichen Illu-
strationen, Karten und Plänen. Jena, H. Costenoblc, 1887.
Durch Errichtung der einen der amerikanischen Polarstationen an einem
so weit nördlich liegendem Punkte, wie es die Lady Franklin-Bai ist, erhielt
diese ganze Unternehmung den Charakter des Gewagten und es war dies um so ver-
hängnisvoller, als der ausnahmsweise günstige Sommer des Jahres 1881 es ge-
stattete, die Lady Franklin-Bai ohne Schwierigkeiten und in kurzer Zeit zu
erreichen. Dadurch wurde in den Kreisen, welche die Leitung der ganzen
Angelegenheit in den Händen hatten, der Glaube erweckt, als ob überhaupt die
Erreichung einer so hohen Breite in jener Richtung nicht die vermuteten Schwierig-
keiten habe. Das wirkte auf die Organisation der Fahrten in dem folgendem
Sommer zur Aufsuchung und besseren Verproviantierung der Station ein. man
nahm dieselben sehr leicht, wählte nicht die richtigen Führer, es kam Indisziplin
hinzu. Der Untergang des zur Hülfe ausgesandten Dampfers .Proteus" war von
seinem Führer in seiner Berechnung als möglich nicht mit aufgenoinmen und
so hatte er versäumt, zeitig an den bei der Ausfahrt verabredeten Plätzen Depots
von Lebensmitteln zu legen, in der Meinung, dafs er die Station an der Lady
Franklin-Bai sicher erreichen werde. Ein dunkler Punkt ist ferner die Unter-
lassung der Aussendung einer Rettuugsexpedition im Herbst 1883. Endlich gesteht
Greely ein, dafs auch er selbst den Fall des Untergangs des Dampfers ..Proteus“
und die damit verbundene Notwendigkeit, nach Süden den Rettungsexpeditionen
oder Walfängern entgegen zu gehen, nicht in Rechnung gezogen habe. Das
traurige Gcscliiek. welches über Greely und seine Gefährten hereinbracli, ist
in aller Erinnerung. „Keine Feder", so sagt Greely, ..könnte der Welt ein treffendes
Bild von dem schrecklichen Elend und der jämmerlichen Lage geben, welcher wir
bei Kap Sabine verfallen waren. Ungenügend bekleidet, monatelang ohne Trink-
wasser, ohne Wärme, die Schlafsäcke am Boden festgefroren, Wände, Dach und
Fufsboden mit Eis bedeckt, lebten wir von dem fünften Teil einer arktischen
Ration — und trotz der Entbehrung von Kleidern, Wärme, Licht. Nahrung waren
wir niemals ohne Mut und Hoffnung. Die. außerordentliche Bethätigung von
Treue, Geduld, Menschenliebe und Selbstverleugnung, wie sie von unsrer aus-
gehungerten und fast wahnsinnigen Mannschaft täglich und fast allgemein geübt
wurde, mufs man in dem Bericht üher unser tägliches Leben, wie es unter solchen
traurigen Umständen wjedergeschricben worden ist, zwischen den Zeilen lesen.
Solchen Worten, in solcher Zeit geschrieben, habeich weiter nichts hinznzufügen.“
Das Trübste ist die Klage Greelys gegen die amerikanische Regierung, welcher
er vorwirft, sich der Überlebenden der Expedition in keiner Weise angenommen
zu haben.
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So wurde denn die Geschichte, der Polarreisen durch ein neues düsteres
Blatt vermehrt. Glücklicherweise wurden die Opfer nicht, wie bei der unheil-
vollen Expedition de Longs, vergeblich gebracht, wir verdanken dem tapferen
Greely und seinen braven Gefährten Lockwood und andern, die Entdeckung
des Innern und der Westküste von Grinncll-Land und die Aufschliefsung eines
weiteren Stückes der Küste von Nord-Grönland. Selbst abgesehen hiervon ist
Greelys Buch durch die in klarer objektiver Weise wiedergegebenen Be-
obachtungen eine bedeutende Bereicherung unsrer Polarlitteratur, deren Freunde
der Verlagshandlnng von H. Costenoble, welche die wie uns scheint durchaus
sachgemäfs ausgefnhrte Übersetzung veranstaltete, Dank dafür wissen werden.
Hydrographie.
§ Physikalische Untersuchungen in der Adria. Ein Beitrag von
Julius Wolf und Josef Luksch, Professoren an der K. K. Marine- Akademie. Mit einer
Tafel. Separat-Abdruck aus den »Mitteilungen aus dem Gebiete des Seewesens. “
Wien 1887. Carl Gerolds Sohn. Dem Admiral Wüllerstorf-Urbair gebührt das
Verdienst, die österreichische Küstenaufnahme ungebahnt und die Bildung der
Adria-Kommission der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften in Wien be-
wirkt. zu haben. Die Berichte dieser Kommission boten wertvolles Material als
Grundlage und zur Ergänzung der Arbeiten der Verfasser. Diese Arbeiten er-
streckten sich 1874 auf die Gewässer an der Küste von Dalmatien. 1875 auf
jene im Nordbecken der Adria, 1870 und 1880 auf die Gesamtfläche dieses
Meeres. In den Jahren 1876 und 1877 wurden zu verschiedenen Jahreszeiten
eine Reihe von Fahrten im Quarnero unternommen und endlich während
12 Monaten Beobachtungen auf der Rhede von Fiume angestellt. Die vor-
liegende Abhandlung enthält eine Zusammenfassung der Ergebnisse der Studien,
welche sich auf Temperatur des Seewussers, spezifisches Gewicht und Salzgehalt
desselben, Meeresströmungen, Durchsichtigkeit und Farbe des Seewassers erstrecken.
Die beigegebene kartographische Veranschaulichung ist zwar deutlich, im übrigen
aber technisch nicht, besonders gelungen. Einige der Ergebnisse seien hier
znsammengestellt. Die Temperatur de» Wassers an der Oberfläche zeigt im
Hochsommer sowohl unter der italienischen Küste als in der Achse der Adria
eine Zunahme von 2—3 0 C. im Sinne von Nordwest nach Südost. Die Tem-
peratur am Grunde schmiegt sich in dieser Jahreszeit dem Bodcnrelief derart
an, dafs an vielen Stellen eine gewisse Übereinstimmung im Verlauf der Iso-
thermen und Isobathen nicht zu verkennen ist. Von der Oberfläche bis zu
60 m sinkt die Temperatur sehr rasch. Wesentlich verschieden von dem Ge-
sagten stellt sich die Verteilung der Temperatur während des Winters dar.
Kann nämlich in der heifsen Jahreszeit die Erwärmung des Wassers durch die
Luft nur sehr langsam gegen die Tiefe vorschreiten, weil mit der Temperatur-
erhöhung eine Dichteverminderung verbunden ist, das leichter gewordene Wasser
aber oben aufschwimmt und daher eine Vermischung der Schichten und ein
direktes Hinabtragen der Wärme durch vertikale Zirkulation nur infolge der
bei der lebhaften Verdunstung zunehmenden Salinität der obersten flüssigen
Teilchen eintritt, so reicht im Winter, wenn das Meer an die Luft Wärme ab-
giebt, schon dieser Umstandan sich allein aus, ein kontinuierliches Hinabdringen
des abgekühlten Oberflächenwassers zu bedingen, derart also, dafs nunmehr
der Temperaturausgleich durchaus nicht auf die unbedeutende Wirkung der
Dnrchstrahlung und der Leitung angewiesen bleibt. Auch der die Schichten
durchmischende Seegang tritt im Winter häufiger und energischer auf als im
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Sommer. Thatsächlich fanden »ich, wenn die Verhältnisse der kälteren Jahres-
zeit bereits vollkommen herausgebildet waren, bedeutend geringere Temperatur-
unterschiede im vertikalen Sinne vor als während der wärmeren, ja in der
Regel zeigte sich im vollen Gegensätze zu den Sommererscheinungen eine Zu-
nahme der Wärme gegen die Tiefe hin, oder doch eine gleichmäfsige Durch-
wärmung. Bezüglich des spezifischen Gewichts und des Salzgehalts ergab sich
u. a., dafs an der Oberfläche, und nahe derselben im Sommer die Salinität von
Nordwest nach Südost im allgemeinen zunimmt, dabei ist jedoch das Wasser
unter Italien versüfster als jenes unter der Balkan-Halbinsel. Eine Salinität von
über 3,8s °/o wird nur in einem kleinen Gebiete seewärts des Golfs von Drin
gefunden. Eine gewisse Abhängigkeit der Salinität des Wassers am Grunde
von der Bodenkonfignration findet in vielen Teilen der Adria statt.. Im ganzen
wächst der Salzgehalt von der Oberfläche gegen den Grund hin, jedoch sehr
ungleichartig in verschiedenen Gebieten. Für den Winter liegen nur Be-
obachtungen aus dem Quarnero vor; auch beim Salzgehalte wie bei dersWärmc
besteht im Winter eine weit gleichmäfsigere Anordnung im vertikalen Sinne
als im Sommer. Bezüglich der Meeresströmungen fehlen direkte Beobachtungen
aus einer längeren Reihe von Jahren. Die Verfasser versuchten es nun, die
Hauptzüge der Meeresströmnugen in der Adria aus bedeutend vermehrten und
über das ganze Gebiet der Adria ausgedehnten Temperatur- und Salzgehalts-
beobaehtungen zu konstatieren, indem sie die Ergebnisse dieser Untersuchungen
mit den meteorologischen Verhältnissen, sowie mit der Verteilung der
Süfswasserzutühr vom Lande her und der Konfiguration des Bodens in Be-
ziehung brachten. Es sei in Beziehung auf diesen Punkt auf die Schrift sowie
auf die beigogebonc Karte, welche im allgemeinen eine Strömungsrichtung
Nordwest an der albanisch-dalmatinischen und Südost au der gegenüberliegenden
italienischen Küste ergiebt, verwiesen. Was endlich die Farbe des Adriatischen
Meeres im durchscheinendem Lichte betrifft, so ist dieselbe wie bei allen salz-
haltigen und warmen Seegebieten als eine dunkelblaue zu bezeichnen.
Karten.
§ Durch Ausgabe der 10., 11. und 12. Lieferung liegt nunmehr die
zweite Auflage von Richard And re es allgemeinem Handatlas — Verlag der
geographischen Anstalt, von Velhagen & Klasing in Leipzig — vollständig vor
und verweisen wir bezüglich des Werts und der Brauchbarkeit dieses Werks
auf das in Heft II. S. 177 und 178 dieser Zeitschrift Gesagte. Die oben er-
wähnten drei letzten Lieferungen enthalten: Südöstliches Frankreich, Über-
sichtskarte von Italien, Oberitalien, Kapland, Natal, Buren-Republiken und
Lüderitzland, Zentral- und Südafrika, Südsee-Inseln, Religionskarte der Erde,
Karte des Weltverkehrs und der Meeresströmungen, Grofser Ozean, Palästina,
Übersichtskarte von Asien, Afghanistan und Balutschistau; Ergänzungskarten
I und II: Übersicht von Zeutralafrika und von Deutsch-Ostafrika. Ein voll-
ständiges Namenverzeichnis von über 100000 Namen, welches das sofortige
Auffinden jedes Ortes auf den Karten ermöglicht, erhöht die Brauchbarkeit
des Atlas bedeutend. Der Preis von 24 Mark für das Gebotene ist ein sehr ge-
ringer. — Anzuerkennen ist, dafs die Verlagshandlung den Besitzern der ersten
Auflage die neuen Karten der zweiten in Form eines Supplementes zum Preise
von 6 Mark zugänglich macht, so dafs also jeder sein altes Exemplar für diesen
geringen Preis wieder erneuern kann.
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— 256 —
Übersichtskarte von den Waldangen Preufsens, unter
Zugrundelegung der von dem kartographischen Büveau im Königlichen Mini-
sterium der öffentlichen Arbeiten 1876 herausgegebenen, im Eisenbahn- und
Wegenetz bis auf die Gegenwart vervollständigten Verkehrskarte, hergestellt
von dom Forsteinrichtungsbüreau im Königlichen Ministerium für Landwirtschaft,
Domänen und Forsten. Mafsstab: 1:600000". Verlag von J. Springer, Berlin.
Preis 20 Mark. Die Karte giebt einesteils ein deutliches Bild davon, wie ver-
schieden die Waldverteilung in den einzelnen Teilen der preufsischen Monarchie
ist; die Provinzen Hannover nnd Schleswig - Holstein, sowie Teile der Rhein-
provinz nnd von Westfalen stellen sich als die waldärmsten dar; dem gegen-
über tritt der Waldreichtum in den Provinzen Ost- und Westpreufseu,
Brandenburg und Schlesien, hervor. Durch Farben wird sodann die Art des
Besitzes unterschieden ; in dieser Richtung ist die aus 8 Blatt bestehende Karte
im hohen Grade lehrreich und eines näheren Studiums wert. Schon bei einer
nur oberflächlichen Einsicht ergeben sich interessante Vergleiche. Dio Unter-
scheidung geschieht durch vier Farben, welche zeigen : 1) die Königlichen Kron-
und Hausfideikommifsforsten, 2) die Königlichen Staatsforsten, 8) den Gemeinde-
und Instituten- (Stiftungs-? Genossenschafts-?) Wald, endlich 4) den standes-
herrlichen und Privatwald. Der Staatswald überwiegt vorzugsweise in den
östlichen Teilen der Monarchie, den Provinzen Ost- und Westpreufsen, ferner
in der Provinz Brandenburg, wo aber Stiftungs- und standeshorrlicher
beziehungsweise Privatwald auch in grofsen Komplexen auftreten, sodann in
Schlesien neben ausgedehnten Flächen der letzterwähnten Gattung (standes-
herrlicher und Privatwald.) Aufserordentlich bedeutend, ja fast das ganze
Waldgebiet in Anspruch nehmend, ist der Geroeindewald in der Provinz Hessen-
Nassau. Die Unterscheidung des standesherrlichen vom Privatwald wäre er-
wünscht gewesen, wie nicht minder eine gedruckte, mit den erforderlichen
statistischen Daten ansgestattete Erläuterung zu der Karte. Jetzt wird man
in Ermangelung einer solchen Schrift das vor einigen Jahren erschienene Werk
von Donner nachzuschlagen haben. Eine kartographische Unterscheidung nach
Waldarten: Laub-, Nadel- und Mischwald, würde ebenfalls vielfaches Interesse
bieten; sie erfordert freilich eine neue Ausgabe der Karte, da sie nicht hier
mit eingetragen werden kann. Wenn wir die von Preufscn umschlossenen oder
es begrenzenden gröfseren deutschen Staatsgebiete, wie Oldenburg, Mecklenburg,
Sachsen, auf der vorliegenden Karte ohne Bezeichnung sehen, werden wir daran
erinnert, wie wünschenswert eine Waldkarte für das ganze deutsche Reichs-
gebiet wäre.
Zur Besprechung liegen ferner vor:
Camps in the Caribees, the adventnres of a naturalist in the lesser Antilles by
Frederick A. Ober. Edinburgh D. Douglas, 1880.
Nationalität und Sprache im Königreich Belgien, von Karl Brämer. Stuttgart
1887, J. Engelhorn.
Reise in der Sierra Nevada de Santa Marta. Von Dr. W. Sievers. Mit
8 Abbildungen von Prof. A. Göring. Leipzig, Gressner & Schramm, 1887.
The Dawn of British trade in the Ea§t Indies, the Court Records of the East
India Company now first printed from the Original Manuscript by Henry
Stevens of Vermont. London, Henry Stevens & Son, 1886.
Druck von Carl Schünemann. Bremen.
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Heft 4.
Deutsche
Band X.
Geographische Blätter.
Herausgegeben von der
Geographischen Gesellschaft in Bremen.
Beiträge und sonstige Sendungen an die Redaktion werden unter der Adresse :
Dr. M. Lindeinau, Bremen, Mendestrasse 8, erbeten.
Der Abdruck der Original-Aufsätze, sowie die Nachbildung von Karten
und Illustrationen dieser Zeitschrift ist nur nach Verständigung mit
der Redaktion gestattet.
Die Bewaldung des Schwarzwaldes,
seine Forstwirtschaft und die Beziehungen der letzteren zur
Landwirtschaft, zu den Gewerben und dem Handel.
Von Forstrat Schuberg in Karlsruhe.*)
Mit Karte.**)
Einleitung. Gesamtfläche und Bewaldungsprozcnt. Verteilung der Waldungen
nach den Eigontumsarten. Lage und Zusammenhang, Bedeutung und Gruppierung
der Waldungen. Gebirgs- und Bodenarten des Waldes, ihre Gunst und Ungunst. Die
Bestockung. Die herrschenden forstwirtschaftlichen Grundsätze. Die Erschließung
der Waldungen durch Wege und Flol'sbüche. Der forstliche Anbau. Der wirtschaft-
liche Aufwand, Roh- nnd Reinertrag. Die Waldbeschädigungen. Die Beziehungen
zum Bergbau, zur Landwirtschaft, zu den holzverarbeitenden und sonstigen Gewerken.
I.
Der Schwarz wald ist ein fruchtbares Waldgebirge, nicht so
im Zusammenhänge bewaldet, wie man sich ziemlich allgemein vor-
stellt. Vielmehr durchziehen es bald hoch hinauf bebaute und an
Ortschaften reiche Thäler, bald engere Wiesenthäler mit vereinzelten
Häusern. Oder über tiefeingeschnittenen, oft schluchtartigen Wald-
thälern liegen längs der oberen Hänge und auf ausgedehnten Hoch-
ebenen blühende gewerbreiclie Ortschaften, Häusergruppen und zer-
streute Höfe mit Gärten, Wiesen, Feldern oder sogenannten Reut-
feldern und Weiden, in buntem Wechsel wieder von Wald durch-
brochen oder umrahmt. Im nördlichen Teile finden wir über der
Bewaldung auf den Hochflächen des Buntsandsteins ausgedehnte
*) Der erste Aufsatz über den Schwarzwald : Orographisch-geologische
Übersicht von Professor Platz in Karlsruhe, wurde in Heft 3, S. 181 — 210
veröffentlicht..
**) Wie uns der Herr Verfasser mitteilt, haben sich bei Fertigstellung
der diesem Aufsatz beizugehenden Karte unerwartet technische Schwierigkeiten
ergeben, welche das Erscheinen der Karte wenigstens in diesem Heft ver-
hindern. Die Red.
Geograph. Blätter. Breme», 1887 . 19
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— 258 —
Moore zwischen Gesteinstrümmern, im südlichen Teile Weideland
bis zu den höchsten Bergkuppen (Feldberg, Belchen, Blöfsling,
Kandel u. a.). Infolge der ungleichen Gestaltung der Berg- und
Thalzüge, welche bald auf breiteren Thalsohlen, terrassenartigen
Abhängen und schwachgeneigten Hochflächen zur landwirtschaftlichen
Bodenbenutzung ermuntern, bald durch die Enge der Thäler, Steilheit
der Hänge, steinige Bodenbeschaffenheit, Rauhheit der Lage, Abge-
schlossenheit vom Verkehr u. a. die Kultur erschweren — ist die
Bewaldung sehr ungleich verteilt.
1. Die Bewaldung nach ihrer Fläche, Verteilung, Lage und
Bestockung.
a. Gesamtfläche und Bewaldungsprozent.
Ain badischen Schwarzwalde sind die (5 politischen Kreise
Villingen, Waldshut, Lörrach, Freiburg, Oft'enburg, Baden und —
je nachdem man die Grenzen des Schwarzwaides zieht — noch
Karlsruhe als 7ter Kreis beteiligt. Diese Kreise sind zu 31,5 °/o
(Villingen) bis zu 48,7 °/o (Baden) bewaldet, haben zusammen
9616,77 qkm Gesamtfläche, 3566, to qkm Gesamtwaldfläche und
durchschnittlich eine Bevölkerung von 105 Köpfen auf 1 qkm, also
0,36 ha Wald per Kopf. Aber diese Kreise enthalten Teile des
Donaugebietes am östlichen Rande des Schwarzwaldes, das ganze
Rheinthal nebst dem Kaiserstuhle und Hügelland nördlich des
Pfinzthals, welches nach seinem Charakter nicht mehr zum Schwarz-
wald gehört; zu dessen Ausläufern ist höchstens noch Pforzheim
(porta hercyniae) mit seinem südlichen Gebirgszuge zu rechnen. Von
der badischen Forstverwaltung wird ihm statistisch eine Gesamt-
fläche von 3900 qkm mit einer Gesamtwaldfläche von 1812 , «ms qkm, *)
also mit 46, 5 °/o Wald zugesprochen, neben welchem noch ein weiteres
Gebiet als „oberes Rheinthal mit den Sch warzwald vorbergen“ unter-
schieden wird, in der Gröfse von 3480 qkm Gesamtfläche mit
1130,5435 qkm=32,5 °/o Wald, so dafs also, wenn hiervon die Hälfte
als „Vorberge“ zugeschlagen wird, der badische Anteil des Schwar.?-
waldgebirges nicht höher als zu 5640 qkm mit einer Waldfläche von
2378 qkm oder 42 °/o Bewaldung angenommen werden kann®).
') Nach dem neuesten Stande vom 1. Januar 1886 (siehe „Statistische
Nachweisungon ans der Foi'stverwaltung des Grol'sh. Baden für das Jahr 1885“).
! ) Die Ziehung einer genauen Grenze, um den geographischen Begriff
zweifellos fcstzusfellen, wäre ebenso schwierig als unlohnend, ob mau die Ge-
ognosie, den landschaftlichen Charakter oder audres zur Entscheidung be-
nutzen wollte.
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259 —
Als Wald könnte man noch einige hundert Hektare Kastanien-
wald (im Gebiete der Rench, Acher, Murg) u. a. und über 30000 ha
„Reutberge“, welch letztere wechselnd bewaldet und landwirt-
schaftlich benutzt sind,®) ansehen.
Vom Schwarzwaldkreise des Königreichs Württemberg gehört
ein beträchtlicher Teil nicht mehr zum Schwarzwalde, nämlich
von den 17 Oberamtsbezirken nur 8 (Calw, Freudenstadt, Horb,
Nagold, Neuenburg, Oberndorf und Sulz ganz, Rottweil teilweise),
so dafs der württembergische Anteil etwa 2500 qkm Gesamtfläche
mit einer Waldfläche von 1280 qkm (= 51 , a Bewaldungsprozenten)
und mit einer Bevölkerungsdichtheit von 80 Köpfen auf 1 qkm
umfafst. Auch hier bestehen noch ausgedehnte Reutberge.
Je nach engerer oder weiterer Auffassung des geographischen
Begriffs, wobei östlich die Übergangsgebiete zwischen der Rauhen
Alb und dem Schwarzwalde ebenso zu Meinungsverschiedenheiten
Anlafs geben, wie die Vorberge im Westen und Norden, enthält
also der Schwarzwald höchstens 8000, mindestens 6400 qkm Ge-
samtfläche mit mehr als 3500 oder nur etwa 3100 qkm Wald.
Bas Querthal der Kinzig und eine östlich von Schiltach oder
Schenkenzell nach Oberndorf ziehende Linie können zur Zer-
legung des Schwarzwaldes in einen (gröfseren) südlichen und einen
nördlichen Teil benützt werden, zu welch letzterem der württem-
bergische Anteil bis auf eine kleine Fläche gehört. Der Haupt-
gebirgsstock mit seinem westlichen und südlichen Steilabfall gegen
das Rheinthal liegt ganz auf badischem, die sanftere Abdachung
gegen Osten auf württembergischem Gebiete.
Während für ganz Baden die Bewaldung sich zur landwirtschaft-
lichen Fläche wie 1 : 1,58 verhält, tritt, im Schwarzwalde das Ackerland,
zu welchem es an tauglichem Gelände fehlt, zu gunsten der Wald-
und Weidewirtschaft, des Wies- und Graslandes zurück. Reutberge
und Weiden nehmen rund 87000 ha ein. In den Vorbergen liegen
aufser zahlreichen Obstgärten 7300 ha Reben.
Da auch Ödland da und dort vorkommt, so steht sich die
Bewaldung und die landwirtschaftliche Fläche einschliefslich der
Weiden in gleicher Gröfse gegenüber.
Von der Gesamtwaldfläche sind als ertraglos (Gewässer,
Felsen und Steinhalden, Sumpf und Moor) sowie als ein der ertrags-
fähigen Fläche entzogener Teil (Baugrund und Hofräume, bebautes
Zwischenland, Wege und Holzplätze, Steinbrüche, Sand- und Kies-
a ) Siehe hierüber Dr. V. Vogelinann „Die Reutberge des Schwarzwaldes“,
2te vermehrte Aufl., von Dr. V. Funk, Karlsruhe 1871.
19 *
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260
gruben u. a.) im ganzen beim Privatwald 3, bei den übrigen
Waldungen höchstens 2 Prozent abzuziehen.
b. Die Verteilung der Waldungen nach den
Eigentumsarten. (Stand vom 1. Januar 1886.)
Der eigentliche Holzboden umfafst gegenwärtig
I. Im eigentlichen badischen Schwalzwald
1) Domänenwald 4 ) 38 662 ha (21, s °/o)
2) Gemeinde- und Körperschafts-Wald 68 003 „ (38,4 „ )
3) Standes- und grundherrl. Wald ... 10 615 „ ( 6,o „ )
4) Sonstiger Privatwald 59 700 „ (33,8 „)
zusammen 176 980 ha
II. Im Rheinthal einschliefslich der Vorberge
1) Domänenwald 20825 ha (18, s ®/o)
2) Gemeinde- und Körperschaftswald . 60 626 „ (54,7 „ )
3) Standes- und grundherrl. Wald... 2103 „ ( 2,o „ )
4) Sonstiger Privatwald 27 106 „ (24,5 „ )
zusammen ... 110 660 ha
IH. Im württembergischen Anteil 5 ) gehören von den Waldungen
(in runder Zahl) an Holzboden:
dem Staate 45 000 ha (36 °/o)
den Gemeinden und Körperschaften . . 49 000 „ (39 „ )
den Grundherren -. 2000 „ (1,5 „ )
den sonstigen Privaten 29 000 „ (23,5 „ )
125000 ha
Im ganzen rund 412 800 ha.
Unter dem Privatwaldbesitze sind zwei bemerkenswerte Formen hervor-
zuheben, welche denselben dem raschen Besitzwechsel entziehen und ihm eine
gröfsere Stetigkeit und Sorgsamkeit der Behandlung verschaffen, nämlich der
genossenschaftliche Besitz und der geschlossene Giiterbesitz.
Die Waldgenossenschaften des Schwarzwaldes sind sämtlich älteren
Ursprungs; die gröfste derselben ist die Murgschifferschaft mit 5029 ha auf
badischem und württembergisehem Gebiete, welche ähnlich einer Aktiengesell-
schaft mit ihren 365 390 Rechten sich so in den Waldbesitz teilt, dal's jedes
Recht mit seinem Jahresgenufs am Nutzholzcrtrag auf einem gewissen Waldteil
beruht, also von dessen Erwachs abhängig ist, während die Produktionskosten
*) Mit diesem Ausdruck wird der in wirtschaftlicher Behandlung und
Benutzung des Staates befindliche Wald bezeichnet (ohne Entscheidung über
den Eigentümer.)
*) Die Königliche Forst Verwaltung rechnet zu dem Nadelholzgebiet des
Schwarzwaldes die Forstamtsbezirke Altenstaig, Freudenstadt, Neuenburg, Sulz,
Wildberg und zwei Reviere des Forstamtsbezirks Rottweil.
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— 261
und Lasten aus dem Breunholzertrag und den Nebennutzungen gedeckt werden.
Durch Ankauf etwa der Hälfte der Rechte ist seit, dem Jahre 1878 das badische
Domänenärar Teilhaber geworden und infolgedessen der Schifferschaftswald
unter staatliche Forstvcrwaltung getreten. Kleinere Waldgenossenschaften mit
und ohne staatliche Beförsterung (also teilweise, wenn bedeutender, wie andre
Körperschaften gesetzlich geltend) bestehen noch an verschiedenen Orten des
beiderseitigen Schwarzwaldes. Sie mögen zusammen einschliefslieh der Murg-
schifferschaft 3 — 4 0 o des Privatwaldbesitzes ansmachen.
An manchen andern Orten wäre es sachgemäfs, den durch frühere zu
weitgehende Duldung der Waldteilung bedenklich zersplitterten Gebirgswald
durch gesetzliche Bestimmungen zu Waldgenossenschaften zu vereinigen und
vor Verwüstung zu bewahren.
Zu den geschlossenen Hofgütern (Bauerngütern mit dem gesetzlich aner-
kannten Recht unteilbarer Vererbung) gehört, ein sein’ bedeutender Waldbesitz
der früheron freien Bauernschaften. Nicht selten gehören zu einem solchen
Hofgut 100 und mehr ha zusammenhängenden, mit Einsicht behandelten Waldes,
mehr jedoch im südlichen als nördlichen Gebirgsteile. Ihre Gesamtgröfse läfst
sich zur Zeit nicht angeben.
Daraus ergiebt sich, dafs der weitaus grüfste Teil der Wal-
dungen sich in sicherer Hand befindet, da aufser dem Staate auch
die Gemeinden und die sonstigen Körperschaften (schon vermöge der
Staatsaufsicht) ihre Waldungen erhalten und pfleglich behandeln,
was bei den Standes- und Grundherren ebenfalls die Regel bildet.
Von den sonstigen Privatwaldungen werden viele ebenfalls als
wertvolles und wichtiges Eigentum schonlich bewirtschaftet.
Aufforstungen von Waldblöfsen, Ödungen, schlechten Weiden und
Reutbergen werden von manchen Privaten mit Eifer betrieben.
Jedoch werden noch häufig zur Waldanlage geeignete Flächen dem
Staat, den Gemeinden, Kirchen und Stiftungen oder den Grofsgrund-
besitzern zum Kauf angeboten, welche derartige Gelegenheiten zur
Abrundung und Ausdehnung ihres Waldbesitzes gerne ergreifen.
Alljährlich wird die Aufforstung von Flächen, welche den landwirt-
schaftlichen Betrieb nicht lohnen, fortgesetzt, namentlich im Mittel-
und Hochgebirge, während anderweitig, vorzugsweise in den Vor-
bergen und im Rheinthal zu Wiesen-, Feld- und Rebenanlagen kleine
Waldflächen und Aufsenteile gerodet werden oder Eisenbahn-,
Strafsen- und Fabrikanlagen u. a. mehr oder weniger Waldboden
in Anspruch nehmen.
Die Veränderungen an der Bewaldung werden daher noch lange
nicht — vielleicht nie — aufhüren. Der Staat mufs des Klein-
besitzes sich entäufsern und einen Grofsbetrieb mit möglichst
gestreckten Grenzzügen, zur Ermäfsigung der Verwaltungskosten,
anstreben, aber auch der Nachfrage nach Baugrund und Bau-
materialien entsprechen, um den gewerblichen Unternehmungssinn
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zu ermuntern. Der Schwarzwald würde, ohne die grofse gewerbliche
Thätigkeit seiner Bewohner, eine so dichte Bevölkerung, wie er
bereits besitzt, nicht zu ernähren vermögen. Dafs diese aber weniger
in dichtgeschlossenen Wohnsitzen sich angesiedelt hat, vielmehr
zerstreut mitten in ihren Hofgütem und Gütchen zu wohnen liebt,
begünstigt die bessere Bodenbenutzung, bedingt aber auch häufigeren
Kulturwechsel. In den Jahren 1878 bis 1885 erfolgten beispielsweise
Aufstockungen
im badischen Schwarzwald auf 84 ha
in dem oberen Rheinthal und den Vorbergen „166 „
zusammen auf 250 ha
also Mehranlagen
Ähnliche Vorgänge finden auch in Württemberg statt.
Es könnte allerdings manchen Orts erwogen werden, das
urbare und Weideland vom Waldland besser nach der Lage und
Bodengüte auszuscheiden und abzugrenzen, namentlich das Brach-
und Weideland mit Waldschutz zu umgeben, zeitweise zu verlegen
und durch Bau zu verbessern, unlohnendes Reutfeld aufzugeben und
einer Waldwirtschaft zu widmen, welche baldige Erträge verspricht,
dagegen tauglichen Waldboden der Landwirtschaft auszufolgen.
Aber dazu müfste eine vollkommenere Erschliefsung gar mancher
Seitenthäler und Bergzüge durch ein gemeinsames Wegnetz ganzer
Gemarkungen oder Gegenden vorausgehen, welches sich an die
vielen neueren Strafsen- und Waldwegbauten anzuschliefsen hätte.
c. Die Lage der Waldungen, ihr Zusammenhang, ihre
Bedeutung und Gruppirung.
Am Feldberge, im Gemeindewald von Todtnauberg-Rütte, bei
1368 m über dem Meere erreichen die Waldungen ihre obere Grenze.
Darüber hinaus erscheinen nur noch einzelne verkümmerte Bäume
oder Büsche von Fichten und Buchen, Vogelbeeren u. a. Die
unterste Grenze bildet das Rheinthal, etwa bei 120 m über dem
Meere.
Die Waldungen steigen von den Thalrändern oder den urbaren
blühenden Fluren der Vorberge auf zahlreichen Bergrücken und breiten
Thalgehängen, bald zwischen den Feldgemarkungen geschlossener
Städte und Dörfer, bald zwischen weit in die Thäler erstreckten
zerstreut angesiedelten Orten, Weilern und Höfen, zu den Wasser-
scheiden des massig aufgebauten Gebirgssystems hinauf, dessen höchste
Kuppen entweder über der Baumgrenze noch als Weideland dienen
(südlicher Schwarzwald) oder als vermoorte Hochflächen mit Krumm-
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Neue
Waldaulagen
1446 ha
351 „
1797 ha
i!U7
263 —
holzkiefer- (Legforlen-) Partien — nördlicher Schwarzwald — be-
wachsen sind. Die gröfsten zusammenhängenden Wäldermassen finden
sich noch im nördlichen Gebirgsteile, wo sie an den Einhängen
und Rücken des Alb-, Murg- und Oosthals streckenweise die Thal-
sohle ausfüllend über die Wasserscheiden (Dobel, Hohloh) hinab ins
obere Enzthal abfallen, sowie aus dem Bühler-, Acher- und Renchthal
zur Hornisgrinde und zum Kniebis hinaufziehen. Mit kurzen Unter-
brechungen durch die Hochflächen reihen sich jenseits gegen Freuden-
stadt und südlich gegen das Kinzigthal wiederum grofse Flächen
an. Andre, doch weniger grofse Wäldergruppen bedecken die
Höhenzüge und oberen Thaleinhänge auf beiden Seiten des Kinzig-,
Elz- und Gutachthals und südlich desselben die Hochebene bei
Yillingen bis zum Donauthal hin, mit nördlichen Ausläufern gegen
das obere Neckarthal hin (Sulz, Oberndorf, Rottweil), als (Iber-
gänge zur Rauhen Alb. Gröfsere und kleinere Gruppen begrenzen
das Rheinthal südlich von Freiburg über den Schauinsland, Belchen
und Blauen hinweg zmn Wiesenthal hin und umlagern nach allen
Himmelsrichtungen den Feldberg, ziehen sich südöstlich desselben
zum Wehra- und oberen Albthal hinab und erreichen jenseits des
linken Ufers östlich von Bonndorf die Wutach als Grenze des
Schwarzwaldes gegen den hohen Randen (Kanton Schaffhausen).
Zwischen den gröfseren Wälderstrecken verteilen sich ins-
besondere im südlichen Schwarzwalde zahllose Feld-, Wiesen- und
Sumpfgehölze (Moose) über die Hochflächen und bebauten Thal-
einhänge oder liegen zerstreut in den weiten flachen Hochthälern.
Die grofsen Höhenabstände bis zur Baumgrenze oder Wasser-
scheide, die Ungleichheit des (mäfsigeren) Gebirgsabfalls gegen
Osten und Norden, teilweise auch gegen Westen, im Vergleich mit
dem steileren Südabfall bewirken sehr grofse Verschiedenheiten der
Lage, sowohl bezüglich der Wachstumsbedingungen als auch der
Absatzverhältnisse, so dafs alle Gütegrade des Bodens, die mannig-
faltigsten Bestockungsarten und die höchsten wie die niedrigsten
Walderträge Vorkommen.
Im ganzen gehören die Bergwaldungen Badens
dem Hochgebirge etwa zu 15°/o
„ Mittelgebirge (500 — 1000 m Meereshöhe.) „ „ 60 %
den Vorbergen „ „ 25 °/o an.
Im Württembergisehen bewegen sich die Meereshöhen zwischen
400 und 1000 m. Ein mildes Klima haben nur die südlichen und
westlichen Ausläufer des Gebirges ; das Mittelgebirge hat noch dem
Holzwuchs günstiges, gemäfsigtes bis rauhes Klima, kurzes Frühjahr,
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— 264 —
unbeständigen, oft heifsen Sommer, beständigen, meist sehr schönen
Herbst, langen, schneereichen Winter; auf den höchsten Höhen ist
das Klima sehr rauh und läfst nur noch kümmerlichen Pflanzenwuchs
zu. Bei weiterer Fassung der Gebietsgrenzen ist noch der reichen
und mannigfachen Bewaldung zu gedenken, welche das Rheinthal
vom Einlauf der Wutach bis zu jenem der Wiese (bei Basel), sodann
abwärts etwa bis zur unteren Alb begrenzt oder inmitten des Rhein-
thals die zeitweise nassen oder sumpfigen Mulden in ansehnlichen
Komplexen, namentlich im Westen und Norden von Freiburg bis
zum Elzkanal, einnimmt oder endlich unterhalb des Hochgestades
den Rhein und seine Altwasser einsäumt und die zahlreichen Rhein-
inseln begrünt.
Die Bewaldung des Gebirges wie der weiten Rheinthalebene
und der Stromufer erfüllt zwei bedeutende Aufgaben nebeneinander,
welche sich nicht scharf scheiden lassen, von welchen aber bald die
eine, bald die andre in höherem Grade empfunden wird:
als Wirtschaftswald der Bevölkerung reichliche Bezüge für
den Haushalt und für ihren landwirtschaftlichen Betrieb zu liefern
und eine nachhaltige Quelle von Rohstoffen für viele und vielartige
gewerbliche Zweige oder selbst eine Quelle des Arbeitseinkommens
zu bieten;
als Schutzwald die Bergkuppen, Hochflächen und Rücken zu
krönen, das Quellengebiet vor gänzlichem oder zeitweisem Versiegen
zu bewahren und eine gleichmäfsigere Quellenspeisung zu vermitteln,
steile Einhänge zu befestigen und ihre Abrutschung zu verhüten,
welche die Anfüllung der Flufs- und Bachbette mit Geschieben und
häufige grofse Überschwemmungen zur Folge hätte, vom urbaren
Land und den Wohnsitzen stürmische und trocken-kalte staubreiche
Luftströmungen abzuhalten oder die Wirkung derselben doch zu
mäfsigen, jähen Schneeabgang zu verhüten und dem verderblichen
Abfluten und Auswühlen der Berghänge durch heftige, anhaltende
Regengüsse mit dem reichen Blätterdach und dem dichten Wurzel-
geflechte einen nachhaltigen Damm entgegenzustellen. Eine ge-
schlossene Bewaldung in Verbindung mit einem sorglichen Uferbau
hält verderbliche Ereignisse von gröfserem Umfang ferne, was bei
den ganz aufserordentlichen Hochgewässern der letzten Jahre hand-
greiflich hervorgetreten ist; die Wasser sind verlaufen, geringfügige
Spuren der Überschwemmung oder Verschüttung sind zurückgeblieben,
eigentliche Zerstörungen sind im Gebirge nur an einigen Wasser-
läufen mit sehr nachgiebigem Boden bemerkbar geworden.
j by Googlt
— 265
Welchen Schmuck die prächtigen geschonten Bergwaldungen
den vielen Bade- und Erholungsorten gewähren, welche Anziehungs-
kraft und Wirkung sie auf die Tausende jährlicher Besucher üben,
dafür bedarf es keiner Zeugnisse!
d. Die Gebirgs- und Bodenarten des Waldes, ihre
Gunst und Ungunst.
Von den geognostischen Formationen des Schwarzwaldes haben
nur wenige eine forstliche Bedeutung, in erster Reihe der Granit
und Gneis nebst dem häufig nesterweis eingesprengten Porphyr, auf
welchen (erstere zwei zu fast gleichen Teilen) etwa 67 °,o aller
Waldungen auf badischer Seite stocken, in zweiter auf der Ostseite
(von der oberen Wutach an gegen Norden sich immer breiter ent-
wickelnd und die gröfsten Bewaldungsgruppen tragend) der Bant-
sandstein mit 22 ° o, in Württemberg dagegen als Taggebirge, in
westöstlich fallender Schichtung dem Gebirgsstock aufgelagert, weit-
aus vorherrschend (etwa zu 80% der Waldfläche gegenüber von
etwa 10% Urgebirge). Die übrigen 10 — 11 % verteilen sich auf
Diluvialgebilde, das Totliegende, Muschelkalk, Jurakalk und Untere
Steinkohle.
Auf beiden Gebirgsseiten gedeiht zwar Laub- und Nadelholz
auf Granit, Gneis und Porphyr gleich gut, jedoch nimmt ersteres nur
40, das Nadelholz dagegen 60 % an Fläche ein ; auf dem Bunt-
sandstein weicht ersteres noch mehr dem Nadelholz, so dafs
das Flächenverhältnis 10 zu 90, auf dem Totliegenden 1 zu 2 be-
trägt, während Muschelkalk, Jura und Diluvialgebilde das Laubholz
begünstigen — 90 zu 10.
Kräftige frische und bindige Böden mit den besten Standorten
für die heimischen Holzarten liefert das Kleeblatt Granit, Gneis,
Porphyr, wozu der grofse Quellenreichtum dieser Gebirgsteile noch
viel beiträgt. Gute Waldböden liefert zwar der Buntsandstein, wenn
er viele thonige Bindemittel hat, selbst für mehrere Laubholzarten,
aber das Verwitterungsprodukt dieser Gesteinsart ist doch mineralisch
ärmer, trockener, sandiger, verwildert und verhärtet leichter, bildet
oft mächtige Fels- und Gescliieblager, unterliegt an den Hängen der
Auswaschung und Yerheidung, auf den Hochflächen der Versumpfung
und Vermoorung, sinkt daher bis zur völligen Ertraglosigkeit und
bereitet dem Holzanbau viele Schwierigkeiten und Kosten.
Im oberen Rheinthal herrscht das Schwemmland vom „Isteiner
Klotz“, unterhalb Basel in zunehmender Breite der Entwickelung zu
etwa 36 °.'o der ganzen Waldfläche, der Buntsandstein zu gleichem
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Prozentsatz in den Vorbergen an drei Orten: im vorderen Wiesen-
thal, vom vorderen Elz- bis zum Kinzigthal und unterhalb der Murg
bis zum Pfinzthal. Neben ihm und ihm aufgelagert nimmt hier der
Muschelkalk im Waldgebiete noch 13, von ihm begrenzt das Ur-
gebirge nebst Totliegendem gar nur 9, der Jurakalk 5°/o der
Fläche ein. Jedoch sind die Böden der herrschenden Formationen
hier meistens dem Holzwnchs günstige thonige Sand- oder sandige
Thonböden, nur trocken und mager bei übertriebener Streunutzung
(Rebgegenden !).
e. Die Bestockung der Waldungen.
Von den Hauptholzarten, welche die Waldungen im Südwesten
Deutschlands bilden, herrschen im eigentlichen Gebirgsstoeke die
Buche, Weifstanne und Fichte, bald die eine rein, bald zwei oder
alle in allen Mischungsgraden vereinigt, weitaus vor. Auf gewissen
Standorten mischt sich die genügsamere Kiefer ein oder ersetzt die
andern Nadelhölzer, auf andern die Eiche und die Hainbuche, die
Esche und der Ahorn, Erle und Birke.
Wie der Name des Gebirges schon andeutet, hat von jeher
Tanne und Fichte das Waldgebiet beherrscht. An den Gebirgs-
ausläufern und am südlichen und westlichen Fufs des Gebirges be-
haupten sich häufig unmittelbar über dem Reb- und Obstland die
beiden Eichenarten, teils in reinen Horsten, teils untermischt mit
der Weifstanne (ihr im Jugendwuchs voraus), der Buche uud Hain-
buche oder Kiefer. Die Eichen gehen auf der Süd- und Westseite
höher (550 — 600 m) als auf der Nordseite, einzeln noch bis zu
700 m Meereshöhe. Die Stein- oder Traubeneiche wiegt gegen
oben vor. Auf der Ostseite fehlen beide oder erscheinen vereinzelt.
Unmittelbar über der Eiche oder mit ihr beginnt häufiger die
Weifstanne als die Buche ; oft schon am Rand des Rheinthals, tritt sie
als herrschende Holzart in grofsen reinen oder fast reinen Wald-
beständen mehr im nördlichen Gebirgsteile als im südlichen auf,
hier fast allein am Süd- und Westrande, im Norden auch tief im
Gebirge (Kinzig-, Murg-, Oos-, Enz- und Nagold-, unteres Albthal).
Bestandsweise tritt sie nur bis 1000 oder 1050 m, horstweise und
einzeln bis 1300 m auf. Ihre besten natürlichen Standorte hat sie
auf frischen Einhängen und in geschützten Mulden des Vor- und
Mittelgebirges, wo sie in Mischung mit fast allen Holzarten gerne
gedeiht und zu vollformigen starken Stämmen bis zu 48 m Höhe
und 2,5 — 3 m unterer Stärke heranwächst. Da sie durchschnitt-
lich alle zwei Jahre guten reichlichen Samen trägt, so verjüngt sie
sich natürlich sehr leicht. Vermöge ihres Gebrauchswertes ist sie
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eine der wichtigsten Holzarten für die Nutzholzwirtschaft des
Schwarzwaldes.
Die Rotbuche folgt gewöhnlich auf die Weifstanne, zuweilen
auch die Fichte in nassen Mulden, welche beiden ersteren zuwider
sind. Die Buche beginnt ebenfalls oft am Fufse der Berge, häufiger
über 450 — 550 m Meereshöhe, begleitet die Tanne überall gerne,
überwächst sie in der Jugend meistens (wird aber später von ihr
überholt) und erhebt sich mit noch gutem Wuchs über sie, etwa
bis über 900 m im nördlichen, bis über 1200 m im südlichen Ge-
birgsteil. ln der Massenerzeugung bleibt sie hinter der Tanne zurück,
dient auch vorzugsweise als Brennholz. Sie ist viel gleichmäfsiger
über das ganze Gebirge verbreitet.
Auf die Buche folgt die Fichte, soweit nicht überschüssige
Feuchtigkeit sie schon in geringerer Höhe begünstigt, als Haupt-
holzart. des Hochgebirges. Sie beginnt seltener unter 600 m
Meereshöhe, steigt aber mit der Tanne und Buche, dann in reinen
Beständen höher an, im nördlichen Gebirge bis auf die Höhen, so-
weit nicht die moorigen Standorte der Legforle sie ausschliefsen,
im südlichen bis zu 1300 m und darüber (Belchen, Feldberg), als
Krüppelwuchs noch höher. Im Vor- und Mittelgebirge kommt die
Fichte in ihren Eigenschaften der Tanne gleich (hei schlankerer
und abfälligerer Schaftform spältigeres und etwas weifseres Holz),
leidet aber mehr von Windwurf und Schneebruch, von Insekten und
Pilzen (Rotfäule). Durch ihren Anbau werden oft zur Vermoosung
und Versumpfung geneigte Böden wieder für den Holzwuchs ge-
wonnen, so dafs unter ihrem Schutz, sobald sie sich lichtstellt, auch
die Weifstanne sich wieder ansiedelt. In höheren Lagen dagegen
überbietet sie die Tanne durch ihren schöneren und besseren Wuchs,
ihre gröfsere Länge und Schaftreinheit. EVst weiter oben, gegen
die Grenze des Baiunwuchses oder an sehr freien Orten bleibt sie
klein, zwergartig und auf der Wetterseite astlos (verpeitscht).
Die gemeine Kiefer (Forle) zählt nur im nördlichen Schwarz-
wald zu den Hauptholzarten, da sie nur auf Rücken und trockenen
steinigen Südhängen durch ihren langsameren zäheren Wuchs wider-
standsfähig genug gegen Schneebruch bleibt. Reine Kiefernbestände
und Mischungen gedeihen am besten auf dem Buntsandstein, Muschel-
kalk und Rotliegenden und sind wegen ihres vorzüglichen Holzes,
dessen Wert und Preis jenen der Tanne und Fichte übertrifft, sehr
erwünscht — auch deswegen, weil sie auf heifsen trockenen Böden
und Südlagen einen Vorläufer imd Beschützer für die Tanne, Fichte
und Buche bildet.
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— 268 —
Schon an vielen Orten ist die Lärche seit etwa 100 Jahren
durch Kultur eingebracht und zu schönen kleinen Bestandspartien
erwachsen, l welche zuweilen (zum Beispiel bei Freiburg i. Br.) sich
natürlich wieder verjüngen. Seltener, einzeln und in Gruppen kommt
die Weymouthskiefer vor.
Auf vermoorten Hochflächen und flachen Kuppen des nörd-
lichen Schwarzwaldes bildet die Legforle reine und oft recht ansehnliche
Bestände, am Rande und auf trockeneren Stellen mit Birken, Kiefern
und Fichten gemischt; sie ist hier ein unentbehrliches Glied, ver-
hindert die Verwehung des Schnees in die Einhänge und seinen all-
zuraschen Abgang im Frühjahr. Im südlichen Schwarzwalde fehlt sie.
Die höchsten Gebirgshöhen sind waldlos. Wo die Fichte ver-
sagt, wächst auf den Sandsteinhöhen nur noch Strauchwerk von
Birken, Mehl- und Vogelbeeren, sowie von geringen Weidenarten,
dazwischen ein dichter Filz von Heide, Heidel- und Preifselbeeren,
Farren und Moosen u. a. Auf den Urgebirgshöhen im Süden des
Gebirges ist jedoch der Charakter ein ganz andrer, die Vegetation
jene der unteren Alpenregion und als Viehweide benützt. Die Kuppe
des Feldbergs, des höchsten Berggipfels, bildet die gröfste Weide
dieser Art.
Von den Nadelhölzern nimmt a. im badischen Schwarzwalde
die Tanne, Fichte, Kiefer
von der Waldfläche 32 25 5°/'o
b. im oberen Rheinthal und in den Vorbergen
von derselben 10 5 12°/o
von den Laubhölzern nehmen in a. von der Waldfläche die
Buche, Eiche, Esche, Ahorn u. a. ; Weichlaubhölzer
27 8 3°/o
in b. von der Waldfl. 32 28 13°/o
ein. Im württembergischen Anteile wiegt das Nadelholz viel mehr
vor, nämlich mit etwa 90°/o der Fläche, wovon auf die Tanne
etwa 40, die Kiefer 30, die Fichte 20°/o entfallen, während die
Buche (mit geringer Beimischung der Eiche, des Ahorns u. a.) nur
knapp 10°/o, meistens als Beimischung, einnimmt. Noch sei erwähnt:
Die Esche und der Ahorn werden als wertvolle gesuchte Nutz-
laubhölzer mehr als früher zu begünstigen gesucht; beide gedeihen
auf dem Buntsandstein jedoch nicht recht, desto besser auf den
kräftigeren frischen Böden des Urgebirgs (sowie auf den kalk-
haltigen Böden) bis in die Höhenlagen.
Die .Ro£-(Schw arz -) Erle tritt zuweilen in reinen kleineren Be-
ständen auf nassen Thalsohlen auf und hat hi neuerer Zeit wegen
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ihres Nutzholzwertes, wie auch die ziemlich hoch hinaufsteigende
Aspe (Zitterpappel) — als Papierholz — gröfsere Beachtung erlangt.
Alle sonstigen Holzarten haben für die Waldwirtschaft wenig
Bedeutung.
Die von obigen Holzarten gebildeten Waldungen werden in
Baden und Württemberg, soweit sie Staats-(Domänen-) Waldungen
sind, im Gebirge (mit der geringen Ausnahme von höchstens 0,20 °/o
Mittel- und Eichenschälwald) im Hochwaldbetriebe bewirtschaftet,
welcher bei den Waldungen mit vorherrschender Weifstanne die
dieser Holzart zusagendste Femel- oder Femelschlagform 6 ) hat und,
weil von altersher gefemelt. wurde, meistens haben mufs, so namentlich
im Kinzigthalgebiet und nördlich von demselben.
In den Gemeinde- und Körperschaftswaldungen des badischen
Schwarzwaldes herrschen zwar auf 95°/o der Fläche die gleichen
Betriebsformen, aber doch ist bisher auf fast 5°/o in niedrigeren
Lagen noch Mittelwald geblieben und etwas mehr Schälwald neu
entstanden. In jenen Württembergs gebieten die Verhältnisse des
Bodens und der meist höheren Lage sowie die dort mehr vor-
herrschende Nadelholzbestockung mit wenigen Ausnahmen den Hoch-
waldbetrieb.
In den Vorbergen am Rande des Rheinthals und in demselben
tritt der Hochwald etwas mehr zurück. Der Staat selbst besitzt in der
Rheinthalebene von Freiburg abwärts bis unterhalb Lichtenau (bei Bühl)
über 2800 ha Mittelwald und 142 ha Eichenniederwald und Weidenheger
(sogenannten Faschinenwald). Um vieles gröfser ist aber hier der
Besitz der Gemeinden und Körperschaften an Mittel-, Nieder- und
Faschinenwald. Von der Grenze des Kantons Schaffhausen abwärts
sind die äufseren Höhenzüge und die vorderen Einhänge der ein-
mündenden Thäler vielfach mit Mittelwald bestockt, für welche sich
die Böden des Muschelkalks, Oligo- und Mioeens, des Jurakalks,
Diluviums u. a. meistens gut eignen. Auch unterhalb Basels setzen
*) (Anmerkung der Redaktion.) „Ein Plänter- oder Femelwald fällt auch
dem Unkundigen, sobald er sich einmal daran gewöhnt hat, in don regelrecht
bewirtschafteten Beständen eine gewisse Gleichmäfsigkeit zu sehen, dadurch
leicht auf, dafs er eben dieser Gleichmäfsigkeit seiner Zusammenholzung ent-
behrt, im Gegenteil, auch wenn er ein ungemischter ist, ein zerrissenes Durch-
einander von Bäumen aller Altersklassen und in den verschiedensten Ab-
stufungen des Schlusses ist. Diese Beschaffenheit erhält der Plänterwald
dadurch, dafs nicht nach einer gewissen Flächenreihenfolge (Schlagwirtschaft),
sondern nach Bedürfnis bald hier, bald dort Bäume herausgeschlagen werden,
was man pläntern nennt.“ S. Rofsmäfsler, Der Wald, 3. Auflage von M. Will-
komm. Leipzig, Winter 1881.
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270 —
sich dieselben eine Strecke weit fort, treten dann um Freiburg
(Mooswald u. a.), am Kaiserstahl, auf dem breiten Schwemmlande
des Rheinthals bis zum unteren Albtbale in gröfserer Flächenent-
wickelung auf. Sie umfassen eine ertragsfähige Gesamtfläche von
21 220 ha. Zwischen ihnen, dem Hochwald und dem urbaren Lande
eingestreut liegen aufserdem in vielen kleinen Stücken 465 ha
Eichenschäl- und Buschwald.
Der Mittelwald vergrößert sich noch in neuerer Zeit, nachdem
die Rheinkorrektion durchgeführt und der Faschinenbau am Rheine
und an seinen Seitenflüssen durch den Steinbau ersetzt ist, durch
allmähliche Umwandlung der an und unter dem Hochgestade liegenden
Niederwaldungen (bis zur Alb bei Karlsruhe im ganzen 5500 ha).
Der Mittel- und Niederwald nimmt also in diesem Gebiet schon
einen ansehnlichen Prozentsatz der Waldfläche ein: beim Domänen-
wald schon fast 15, beim Gemeinde- und Körperschaftswald aber 39°/o.
Je nach ihrem Standorte zeigen sie ein grundverschiedenes
Waldbild. Auf den Vorbergen bilden die Eiche, Esche, auch Hain-
und Rotbuche, beide Ahorne, seltener die Linde, Elzbirne u. a.
das Oberholz, Stockausschläge der Buche und Hainbuche, Hasel,
Hartriegel und andre Sträucher das Unterholz; Aspe und Birke
drängen sich als Anflug ein; die Kiefer rnufs die Lücken auf ver-
armtem Boden decken. Im Rheinthale bildet die Schwarzerle mit
der Esche auf nassen Böden ziemlich ansehnliche reine Bestände;
auf Kies- und Sandboden hat die Weifserie, Birke, Schwarz-, Silber-
und Zitterpappel nebst den bescheideneren Weidenarten, Schwarz- und
Weifsdorne u. a. dürftigen Wuchs und Stand; auf tiefgründigerem
feuchtem Schlammboden (Auboden) dagegen bilden Eiche, Esche,
Rot- und Weifsulme, Ahorn, Hainbuche, Mafsholder, Wildobst,
Baumweide, Silberpappel u. a. Oberholzgruppen von dichtem üppigem
Wuchs, nur in den Lichtungen mit kräftigem Stockausschlag.
Der Privatwaldbesitz ist im Rheinthal ganz unbedeutend und
meistens nur Buschwald.
Den Zustand der Waldungen sucht die neuere Forstverwaltung,
soweit die äufseren oder inneren Verhältnisse es früher nicht erlaubt
hatten, mit allen Mitteln des Wissens und Könnens der Vollkommen-
heit und höchsten Einträglichkeit entgegenzuführen.
Die Staatsverwaltung ist bestrebt, den eigenen Besitz als
Musterbild für die übrigen Waldbesitzer zu gestillten und wo durch
Kauf und Tausch bisher verwahrloste Flächen des Privatbesitzes
behufs der Abrundung der Grenzzüge und Herstellung grofser Wald-
komplexe erworben werden, dieselben möglichst bald durch fleifsige
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Kultur in besseren Stand zu bringen. Das Forstgesetz von 1833 hat
ihr aber auch die Befugnis verliehen, für die Gemeinde- und Körper-
schaftswaldungen eine technische Verwaltung unter ihrer steten Auf-
sicht zu bestellen, welche nach gleichen Wirtschaftsgrundsätzen wie
beim Staatsbesitz zu verfahren hat. Infolgedessen ist nach vollen
50 Jahren der forstpolizeilichen Leitung und Aufsicht — soweit
nicht bisher unabstellbare Bräuche uud Übungen (z. B. Streunutzung !)
entgegenstanden — ein nicht minder günstiger gedeihlicher Wald-
zustand eingetreten.
Nicht ganz so günstig — wenigstens nicht überall — ist der
Privatwald beschaffen. In manchen Gegenden hat. die allzugrofse
Besitzzersplitterung ihre ungünstigen Folgen nicht verfehlt und einen
höchst ungleichen Zustand herbeigeführt. An andern Orten hat
der geschlossene Güterbesitz zwar vielfach die Walderhaltung be-
wirkt, aber auch oft Verschuldung und geringer Güterertrag die
Besitzer verleitet, durch beharrliche Überhiebe den Wald in bedenk-
lichen Zustand zu versetzen. Der Privatwald, oft auch ganz grund-
satzlos und ohne alles Verständnis behandelt, stellt daher eine
Musterkarte aller Waldzustände dar, vom pfleglich erzogenen, mit
Vorliebe und Sachkunde behandelten Hoch- oder ausgeprägten Femel-
wald bis zum Krüppelbestand und verwilderten Buschwald.
Soweit regelmäfsige Formen beim Privatwalde wahrnehmbar
sind, ist der Hochwald entweder ein aus natürlicher Verjüngung
entstandener, aus allen Alterstufen bunt gemengter Femelwald von
Tannen und Fichten (mit untergeordneter Beimengung der Buche,
Kiefer, des Ahorns u. a.) oder ein weniger ungleichaltrig erwach-
sener Buchwald mit Nadelholz oder ein gleichaltrig aus Saat oder
Pflanzung entstandener Fichten-, seltener Kiefernwald.
Der Niedericald ist ebenfalls in drei Hauptformen vertreten,
entweder durch Kultur auf bisherigem Reut- oder Brachfeld (oder
Waldblösen) erzogener Eichenschälwald oder aus dem Reutfeld (nach
ein- oder zweijährigem Prachtbau und mehrjährigem Waidgang)
erwachsener Buschwald von Eichen, Buchen, Birken, Haseln u. a.
mit Nadelholzanflug oder durch Abtrieb von Buchenhochwald ent-
standener Niederwald mit Anflug von Birken, Aspen, Nadelholz.
2) Die Forstwirtschaft.
/
a. Die herrschenden wirtschaftlichen Grundsätze.
Seitdem eine regelmäfsige wirtschaftliche Behandlung und Be-
nutzung der Waldungen im Schwarzwalde im Gang ist, haben
dieselben meistens als Handelswald gegolten; es war demnach die
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Erziehung von Starknutzholz, nach welchem von jeher die gröfste
Nachfrage herrschte und welches die Erhaltung als Hochwald und
einen höheren Umtrieb bedingte, die Hauptaufgabe, denn Kleinnutz-
holz lohnte den weiten Transport zum Markte nur insoweit, als es
beigefügt in geringerer Menge das Starkholz begleitete und zum
Herrichten der Flöfse nötig oder erwünscht war.
Zwar sind auch die Brennholzpreise des Hartlaubholzes noch
ganz ansehnliche (z. B. im Vergleich mit dem Mittel- und Nieder-
rhein sogar sehr hohe), weil die fossile Kohle durch die Fracht bis
in die Thäler hinauf noch zu theuer ist, die Heizeinrichtungen und
die Gewohnheit das Brennholz begünstigen und das Bürgergabholz
zum Beharren ermuntert. Jedoch entspricht offenbar eine Ausdehnung
der Nutz- und Bauholzzucht der Entwickelung von Gewerbe und
Handel am besten und stellt die gröfste Steigerung des Waldertrags
in Aussicht. Die fernere Erhaltung der vielen noch vorhandenen
reinen Buchenwaldungen, welche der Vernachlässigung der andern
Holzarten bei und nach den Verjüngungshieben ihr Dasein verdanken,
wäre keinesfalls gerechtfertigt. Die Buche verbreitet sich im ganzen
Schwarzwalde von Natur sehr leicht zu Ungunsten von Tanne und
Fichte, welche doch einen viel gröfseren Zuwachs und Preis haben.
Nach seitheriger Erfahrung liefert nämlich bis zum Alter von
100 Jahren
!
auf bestem i
mittlerem j
Standort
geringstem
1
oberirdische Holzmasse in cbm
auf 1 ha
die Tanne
1060
730
455
„ Fichte '
1100
750
470
„ Buche 1
660
465
290
letztere also nur 0,6o bis 0,64 des Erwachses der beiden
Nadelhölzer,
die Kiefer 800 525 285
also in besseren Lagen ebenfalls mehr als die Buche.
Aufserdem vermochte man bisher nur die bestwüchsigen
schweren Buchenstämme in beschränkter Menge, (zu 5 — 10°/o des
Gesamterwachses) zu gutem Preis (12 bis höchstens 20 Jk pr. cbm)
abzusetzen, das übrige Stammholz mufste zu Brennholz aufbereitet
werden und erzielte nur einen Durchschnittspreis von 8 bis 10 Jk
vom Ster (d. i. 4 — 14.3 Jk pr. cbm) innerhalb des Schwarzwaldes.
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Dagegen liefsen sich vom Nadelholz 60 bis 75°/o als Nutz- oder
Bauholz leicht absetzen und erreichten als
schwaches Stammholz Preise von 7 — 12 Jk.
starkes „ „ „ 13—22 „
Sägholz im Gebirge „ bis zu 24 „
Viel Tannen- und Fichtenholz, welches früher zu Brennholz
aufgearbeitet werden mufste, ist seit einiger Zeit zur Fabrikation
von Holzpapierstoff sehr begehrt.
Aber auch die Durchforstungen liefern eine Menge zu ähn-
lichen Preisen verwertbarer mannigfacher Stangensortimente vom
Bohnenpfahl und Rebstecken bis zur Bauholzstange, welche sich im
Buchenwalde nicht gewinnen lassen. Durch einen rationellen Betrieb
und sorgfältige Sortierung läfst der Ertrag der Nutzholzwirtschaft
sich noch weiterhin im Massen- und Geldertrag steigern, während
bis heute für Buchenwirtschaft eher ein Rückgang als eine Steigerung
anzunehmen ist.
Man wird deswegen die Buche niemals ganz aufgeben können,
da ihre Beimischung zum Nadelholz den Wuchs des letzteren fördert
und die grofsen Gefährdungen, welchen die reine Nadelholzwirtschaft
durch Wind, Schnee, Feuer, Insekten und Pilze ausgesetzt ist, ver-
mindert und fernhält.
Die vorhandenen Holzarten werden also nur in ein günstigeres
sicherndes Mischungsverhältnis zu bringen sein. Das Nadelholz be-
günstigt man entweder w'ährend der natürlichen Verjüngung oder
auf dem Wege der Saat und Pflanzung, auch durch Aushieb vor-
wüchsiger Buchen bei den Schlagreinigungen und Durchforstungen.
Für die Art der Bewirtschaftung ist einerseits das natürliche Ver-
halten der vorhandenen Holzarten und der derzeitige Waldzustand
auf den verschiedenen Standorten der Hoch- und Tieflagen mafs-
gebend, anderseits die Absatzlage, und der Bedarf des Eigentümers
an Walderzeugnissen. Durch die Holzarten und die Gebirgslage ist
für weitaus die meisten Waldungen der Hochwaldbetrieb vorge-
zeichnet, welcher jedoch schon mehrere Stadien durchlaufen hat und
noch in einer grundsätzlichen Durchbildung begriffen ist.
In den Nadelholzwaldungen war die Nutzholzwirtschaft durch
Femeln früher fast allgemeine Regel. Dies war nicht gerade da-
durch bedungen, dafs man stets dem stärksten, weil wertvollsten
Stammholze nachging und hierzu grofse Waldflächen auf einmal dem
Durchhieb unterzog, oder in bestimmten Zeitabständen an dieselben
Orte zurückkehrte, — vielmehr verlangte der Bau der Langholz-
flöfse Stämme verschiedener Länge, und Stärke und nicht minder
Geograph. Blätter. Bremen. 1887 20
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— 274
begehrten die Grofshändler wie die Bauleute gleichzeitig mannig-
faltige Holzsorten, zum Beispiel wie sie für ein grofses Schwarz-
wälderhaus nötig waren. Dieses Durehfemeln hatte auch für den
Wald und seinen Besitzer grofse Vorteile: dichte Bestände wurden
durch lichtere Stellung wüchsiger, kranke und beschädigte Stämme
entfernt, dem natürlichen Anwuchs durch Aushieb starkkroniger
Stämme Licht und Luft geschafft, frohwüchsige schwächere Stämme
in freiere Stellung gebracht, um sie zu stärkeren wertvolleren Sorten
erwachsen zu lassen. Diese Wirtschaftsweise ist an vielen Orten,
namentlich im Privatwald, bis heute in Übung geblieben, deim sie
gewährt auch für kleineren Waldbesitz einen gleiclimäfsigeren und
häutiger wiederkehrenden Ertrag und steigert den Zuwachs der
Bestände auf einen Höhegrad, welchen der strenge Hochwaldbetrieb
mit seinen gleichalterigen geschlossenen Beständen nicht zu erreichen
vermag und ist von Sturm und Insektenbeschädigungen viel weniger
bedroht. Aber sie verlangt tüchtige orts- und sachkundige Holz-
hauer. Nicht selten liefsen schon vor vielen Jahren die Waldbesitzer
Bäume erklettern, um durch Messung ihrer Stärke in einer gewissen
Baumhöhe zu erfahren, ob das Mafs für das wertvollste Stamm-
sortiment erreicht sei, oder wie viele Jahre der Baum hierfür noch
stehen bleiben müsse.
Waren die meisten Bäume eines Bestandes haubar geworden,
so trat auch der völlige Abtrieb, mit Ausnahme jüngerer, noch nicht
nutzbarer Stämme ein, welche letztere als Waldrechter in den jungen
Bestand einwuchsen. Auch hier blieb der Natur in der Regel die
Wiederbesamung der Schläge überlassen, wie es noch manchmal ge-
bräuchlich. In Buchenbeständen pflegte man gleichfalls schlagweise
Hiebe mit Überhalten von mehr oder weniger Samenbäumen zu führen.
Da bei diesen Hiebsweisen durch sorglose Behandlung und
Unterlassung der Nachzucht manchen Waldungen Rückgang drohte,
so ging die Forstverwaltung davon ab; (es untersagte sogar eine
Bestimmung im Forstgesetz von 1833 die Femelwirtschaft allgemein)
und ging zum geregelten Hochwaldbetrieb über. Dieser bildete aller-
dings eine Stufe zu besserer wirtschaftlicher Ordnung und blieb
einige Zeit in Anwendung, obgleich viele Gemeinden sich entschieden
dagegen auflehnten und über die'grofsen pekuniären Nachteile klagten,
welche er veranlafste. Dieses ist erklärlich.
In einem Femelwalde sind die nutzbaren Althölzer über die
ganze Fläche verteilt. Beginnen nun die Hiebe an einem Ende und
rücken während eines ganzen Umtriebs von 100 oder 120 Jahren
bis zum andern Ende langsam fort, so müssen die Jahresnutzungen
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— 275 —
auf kleinerer Fläche auch auf jüngere noch hiebsunreife Stämme sich
ausdehnen, während viele Stämme im übrigen Walde überhaubar,
krank und abgängig werden und unter ihrer breiten Krone der junge
Nachwuchs. verkommt. Der Verlust ist also ein dreifacher imd sehr
empfindlicher.
Während der längeren Durchführung des strengen Hochwaldes
konnten diese und andre Erfahrungen (zum Beispiel unnötige Steige-
rung der Kulturkosten) nicht ausbleibeu. Man mufste wieder ein-
lenken und gelangte zum Hochwald mit verlängertem Verjüngungs-
zeitraum oder „Femelschlagbetrieb“.
Die Weifstanne bedurfte mehr als die Fichte grofse Zeiträume,
die gröfsten auf geringerem Boden und in den rauheren Hochlagen,
damit man die Anwuchshorste freistellen, den geringeren Hölzern des
Femelbestandes Zeit zum Heranwachsen und Samenansatz im Licht-
stande lassen und zugleich den jungen Pflanzen in ihrem langsamen
Wuchs noch Schutz und Seitenschatten gegen Frost und Hitze geben
konnte. Solchen Beständen sind zur vollständigen Verjüngung und
gleichzeitigen Erstarkung mindestens 30 Jahre nötig, in sehr rauhen
Lagen, an Felshalden und steilen Wänden noch mehr. Dabei müssen
noch die Nadelhölzer vor Überwachsen durch die Buche bewahrt
und durch einige Nachkultur ergänzt werden. Wo die Bestände
gleichförmiger erwachsen, Boden und Lage besser sind, genügen
25 — 30 Jahre; wo die Buche vorherrscht, auch 20 Jahre.
Man hielt dabei an Umtrieben von 100 Jahren beim Vor-
herrschen der Buche, von 120 Jahren bei Tannen und Fichten fest,
weil sie dies Alter erreichen müssen, um zu den meistbegehrten
und bestbezahlten Sortimenten zu erwachsen. Viele empfindliche
Nachteile sind dadurch gemindert, aber nicht gehoben ; durch die
beweglichere Wirtschaft manche Vorteile erreicht, aber jene eines
durchdachten fleifsigen Femelbetriebes sind gröfser und entsprechen
den örtlichen Verhältnissen besser. Es hat seine guten Gründe,
welche auf alter Erfahrung beruhen, dafs man nicht überall oder
nur vorübergehend sich vom Femelbetrieb abgewendet hat. Die
Verteilung der Holzhiebe in solcher Reihenfolge und Ordnuug, dafs
binnen 10 bis höchstens 20 Jahren die nämlichen Hiebsorte wieder
erreicht werden, läfst jeweils die nutzbaren stärksten Stämme aus-
wählen, die kranken und schadhaften entfernen, heranwachsende
dichte Baiungruppen durch Lichtung im Wüchse fördern, dem jungen
Nachwuchs durch Aushiebe oder Aufastung überschattender Stämme
aufhelfen, Lichtungen und Blösen auspflanzen, — so dafs stets ein
voller, gesunder Wuchs hergestellt und ein voller Erlös aus den
20 *
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Hiebsmassen erzielt wird. Da die wiederkehrende Freistellung den
Höhen- und Stärkewuchs namhaft fördert, so brauchen viele Stämme,
namentlich auf gutem Boden und in geschützter Lage, nur ein ge-
ringeres Hiebsalter (von 90 — 100 Jahren) und kranke oder be-
schädigte Stämme, vor allem die krebsbehafteten, braucht man nicht
in langer Hiebsruhe stehen zu lassen, wie beim Femelschlagbetrieb.
Ausgeschlossen ist es bei beiden Wirtschaftsverfahren nicht,
gleichaltrig erwachsene Fichten- oder Kiefernpartien auf nassem oder
sehr trockenem Boden zugleich oder binnen weniger Jahre abzutreiben
oder durch Nachkultur zu verjüngen.
Noch gehen die Ansichten der Schwarzwald-Forst wirte aus-
einander und die Untersuchungen dauern fort, weisen jedoch auf
Erfolge des Femelbetriebs hin, welche bei der Schlagwirtschaft nicht
Vorkommen.
Im württembergischen Schwarzwalde namentlich sträubt man
sich gegen den Femelbetrieb und neigt zu rascher Verjüngung hin ;
doch läuft dabei, da 1 — 25jährige Vorwuchsgruppen benutzt werden,
einige Selbsttäuschung über die Verjüngungsdauer unter.
Die Zwecke des Eigentümers müssen mitsprechen, wie in der
Bevorzugung einer Holzart vor der andern. Die Tanne, z. B. er-
wächst in höherer Lage kurzschaftiger, rauhborkiger und ästiger
als die Fichte, mufs also gegen oben mehr zurücktreten. Die Buche
ist wetterbeständiger, bildet ein dichtes Blätterdach, deckt den
Boden besser, erhält ihn und die Waldluft kühler und frischer. Die
Gemeinden sollen ihrer Bürgerschaft als Gabholz gutes Brennholz
für ihren Hausbedarf verabreichen, aber auch aufserdem Stammholz
für Neubauten, Reparaturen und (in den Vorbergen) zu Rebpfählen
für ihren Weinbau. Wegen dieser Vielheit der Ansprüche sagt vielen
Gemeinden der Vorberge und des Rheinthals noch der Mittelwald
mehr zu, welcher auf besseren Böden einen oft reichhaltigen Oberholz-
vorrat an Laubhölzern, auf Bruchböden raschwüchsige Erlen und
Eschen, auf Sand- und Kiesboden Pappeln, Birken, Weifserien, auch
Kiefern als Oberholz liefert, im Wechsel mit Niederwaldpartien von
Weiden, Weifserien, Strauchholz und Dornen, also sehr vielerlei Be-
dürfnisse aus kleinen Waldflächen deckt. Der Staat, Körperschaften
(Kirchen, Schulen, Spitäler u. a.) und Grofsgrundbesitzer gehen,
soweit nicht Stiftungszwecke oder Berechtigungen andres fordern,
dem gröfsten Ertrage nach ; doch soll der Staat auch die wachsende
Industrie berücksichtigen. Nur wenige Gewerbe fragen noch nach
Brennholz. Spalt-, Schnitt- und Bauholz stehen in allererste Reihe.
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— 277 —
•
Eine andre Nachfrage ist jene nach Gerbrinde von Fichten
und Eichen. Erstere bedingt keine besondere wirtschaftliche Rück-
sichten, anfser etwa Verkürzung des Hiebsalters, weil 60 — 80jährige
Stämme die beste Rinde liefern, und Hieb zur Saftzeit. Die klima-
tischen Verhältnisse gebieten aber ohnehin im Schwarzwalde den
Sommerhieb, d. h. die Holzhauerei beginnt im Juni und endigt mit
dem Oktober.
Die Eichenrinde wird teils im Reutfeld-, teils im Schälwald-
betriebe gewonnen (auch aus jüngeren Hochwaldbeständen heraus-
geschält). ln ersterem, lauter Privatbesitz, zu Bauerngütern gehörig,
ist 12 bis 18 Jahre nach dem ein-, selten zweijährigen Fruchtbau und
mehrjährigem Beweiden das Reutfeld mit Stockausschlägen der Eiche,
Birke, Hasel u. a. und Anflug von Nadel- und Weichholz bedeckt ;
die Eichenausschläge werden geschält, die Schälprügel und andres
stärkeres Holz speisen Ofen und Herd, das Reisig und Strauchholz
wird entweder über die Fläche verteilt und angezündet (Flammfeuer)
oder in Langhaufen zusammengezogen und unter einer Rasen- und
Unkrautdecke verbrannt (Schmodfeuer), worauf die ganze Fläche
gehackt und angesäet wird. Da die Fruchtpreise seit langer Zeit
nicht gestiegen sind, dagegen in hohem Mafse die Arbeitslöhne, so
kann nur eine gute Ernte noch einigen Ertrag erzielen. Deswegen
sind schon viele Reutfelder zu Eichenschäl- oder Nadelwald auf-
geforstet.
Die Mineralgerbung und ungünstige Zeitverhältnisse haben
jedoch die Rindenpreise gedrückt und die Umwandlung aufgehalten.
Der Eichenschäl wald desSchwarzwaldes hat eine Eigentümlichkeit
darin, dafs die Rinde im s. g. Stehendschälen gewonnen, am Stamme
hängend an der Luft getrocknet und dann zu Langgebunden auf-
bereitet wird. Bei günstigen Rindenpreisen (6 und mehr Mark vom
Zentner) ist der Ertrag des Schälwaldes, welcher einen einjährigen
landwirtschaftlichen Zwischenbau nicht ausschliefst (aber die Weide)
mindestens der zwei- bis dreifache wie beim Reutfeldbetrieb.
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— ;278 —
Die Landschaft Dawan oder West-Timor.
Ethnographisch«! Mitteilungen von I)r. J. («. F. Riedel,
Resident n. D. in Nicdcrländisch-Ostindien.
(Vortrag, gehalten in der fiO. Versammlung deutscher Naturforscher und Arzte
in Wiesbaden, September 1887.)
Hierzu Tafel 4 : Karte eines Teils der Insel Timor zur Veranschaulichung der
Reiseroute des Verfassers im Jahr 1879, Mafsstab: 1:1 000 (XX).
Götter und Geister. Glauben an eine Seelenwanderung, nitu, der Geist
der Abgeschiedenen. Opfer und Opfcrstiltten. Verkehr der Lebenden mit den
Abgeschiedenen im Traume. Gottesgerichte. Heirat. Werbung. Freie Wahl.
Mitgift. Hochzeitsgebräuche. Frühe Eheabschlüsse bei Vornehmen. Ehescheidung.
Gründe und Folgen solcher. Schwangerschaft und Geburt. Gebräuche nach der
Geburt eines Kindes. Beschneidung. Tättowiren der Frauen. Tod und Begräbnis.
Das Totenfest.
II.
Die Timoresen verehren den usnmo, oder usi neno, Herr des
Himmels, den dapa, das Himmelsgewölbe, und den loro nai maromdk,
grofse Sonne, oder den Geist, der seine Kräfte als männliches Prinzip
in der Sonne offenbart, und beim Eintritt des Westmonsuns die
uspaha, Herrin der Erde, die dale Erde, oder die rai liurai, Geist, der
allüberall auf der Erde Einflufs ausübt, befruchtet. Den ersteren werden
männliche Tiere, am liebsten roter Farbe, den letzteren weibliche
Tiere, welche schwarz sind, geopfert, envua, um Glück, Reichtum,
Schutz u. a. zu erlangen, nachdem aber zuvor der Opferer eine
Handvoll ungekochten Reis gestreut hat. Den ersteren kann man
allüberall, am liebsten aber auf hohen Bergen, den letzteren an
bestimmten Orten, seine Verehrung darbringen. Weiter verehren sie
den nitu, den durch den Tod aus dem Körper sich entfernenden
Geist, neo, srnanav, smanan oder smanalc, welcher sich teils in der
Erde, bei uspaha, auf den Gräbern, in Steinen und Brunnen, in den
Wäldern, auf den Bergen Lakaan und Mutis, wie auch in den
Wohnungen der Verwandten in der Mitte des Hauptpfahles, nii, im
Hause, auch oft in einem kupfernen Musikbecken, send, Schwert,
suni, oder Pike, anni, aufhält. Andre nitu nehmen die Gestalt
wilder Schweine, Hirsche und Bienen an, das letzte thun speziell
diejenigen, welche im Kriege gefallen sind, um auf der Erde frei
umher zu wandern. Die bei uspaha wohnenden nitu zerfallen wieder
in männliche, atona mona, und weibliche, biveel, deren Nachkommen
die leu pah, zu Myriaden im Luftraum schweben, so dafs man, wie
geglaubt wird, bei irgend einer Bewegung des Körpers einen von
ihnen notwendig treffen mufs. Nach ihrer augenblicklichen Laune
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sind diese nitu gut, leko oder böse, kanlvkov. Sie heifsen auch nitu
pah, Geist Erde, im Gegensatz zum nitu smanav, Geist des lebendigen
Menschen. Übrigens ist die Lebensweise der nitu eine Wiederholung
der heutigen. Die a taut oder hoaiig sind alte Leute, die als böse
Geister betrachtet werden, und deren Sinnen und Trachten darauf
gerichtet ist, den smanav des Menschen zu schaden, indem sie als
Schatten, mukmi, in den Körper hineinschleichen. Oft nehmen sie
auch die Gestalt der Nachteule, kakunk, an, eines des Gesandten
des uspaJia, um so den Menschen irre zu führen. Die nitu der in
partu verstorbenen Frauen irren allüberall umher, und werden manu
maromdk oder kolo samaan, heilige, göttliche Vögel genannt. Sie
gehören auch zu den bösen Geistern und verfolgen die Männer, weil
diese die Ursache ihres Todes sind. Sie überfallen die Wöchnerinnen,
um Schicksalsgefährten zu haben und werden /leshalb, um sie zu
befriedigen oder ihnen zu schmeicheln, manu niaromak genannt. Alle
Krankheiten, welche nicht durch Ansteckung oder Erblichkeit ent-
stehen, werden dem uspaha, nitu, Im pah kanlekov und alaut zuge-
schrieben, zur Strafe für Beleidigungen und schlechte Nahrung, für
das Töten von Hirschen, von wilden Schweinen, in welchen die nitu
provisorisch sich aufhalten — und für den Verkauf der Musikbecken,
Schwerter und Piken, worin ein nitu sich niedergelassen hat. Die
Opfer vua an usi neno und uspaha, gebracht beim Brunnen oel,
heiligen Steinen, vatu oder ume Im, auch vat luli genannt, sowie an
den übrigen Stellen, wo die nitu angetroffen werden, bestehen vor-
wiegend aus Tieren, deren Blut, in welchem die Seele anwesend ist,
von den Geistern so sehr geliebt wird. Der sogenannte Geistliche
menane oder atoni ahinet, gewöhnlich ein Mann, der das »«/«-Dogma
ausbeutet, und bei Amtsgeschäften immer im Kriegsgewand steckt,
ruft bestimmte Geister an, welche er bei Namen kennt und murmelt
sein Verlangen flüsternd, kukusu, weil es nicht erlaubt sei, dafs ein
dritter die Sprache der nitu hört. Ist man durch arnnane oder
Zauberei zur Gewifsheit gekommen, dafs usneno eine Krankheit
verursacht habe, usneno narnaut anmöe menas, dann schlachtet der
Geistliche ein rotes männliches Schwein, schneidet demselben das
rechte Ohr, lukenleu, ab, stellt sich unter den freien Himmel, streuet
Reis um sich her, hebt das abgeschnittene Ohr empor und fleht
um Verzeihung, touti arnpo. Den nitu der Ahnen, hoaina nok lioama,
Mutter und Vater, werden auf gleiche Weise ein rotes Schwein oder
ein Hund geopfert an den Orten , wo dieselben sich auf halten.
Dem uspaha wird gewöhnlich ein schwarzes Huhn geopfert. Die
Opferstätten, wo man die Geister anruft, songgo, heifsen Ich ode
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ume soiu/go nitu und sind kleine Schuppen mit Kokos- und andern
Palmblättern, mit Schädeln von Menschen und Büffeln geschmückt.
In den Dörfern findet man bisweilen diese Schuppen. An Orten,
wo ein Unglück passiert ist, wird zu bestimmten Zeiten Reis gestreut.
Fliegt während einer Feierlichkeit der Vogel kotkotos vorbei, dann
ist der nitu in Anzug. Schlangen, samea, Schmetterlinge, babebal,
und teki, Eidechsen, sind gleichfalls Gesandte der nitu. Kriecht eine
Schlange quer über den Weg, so ist das ein Wink der nitu, nicht
fortzufahren. Kommt ein Schmetterling in die Nähe irgend einer
Person geflogen, so ist dieses ein untrügliches Zeichen der nitu,
dafs es derselben Wohlergehen wird. Das Geschrei der Eidechsen
bedeutet, dafs einer von den Hausgenossen sterben mufs. Im
Traume, namnau, pflegen die suutnnv, Geister der lebendigen Menschen,
Gemeinschaft mit den nitu. Es ist deshalb verboten lull, nanuni
oder pamali, einen Schlafenden auf rohe Weise zu wecken. Wird
dieses gethan, so verirrt sich der sinanav vielleicht und wird als
Fremder im Luftraum von den älteren nitu ergriffen. Bei Ohnmacht,
Apoplexie, Epilepsie, welche sehr häufig vorkommt, und andern hypno-
tischen Erscheinungen verläfst. der smanav gleichfalls den Körper. Um
die Zukunft zu prophezeien, untersucht und prüft man die Eingeweide
einer jungen Henne, antaemanu taie, oder die Lebereines Schweines,
antae ate vavi, auch wird eine Pike geklaftert, ote naus, in eine
Ing wer wurzel gebissen, lau hau, oder ein Ei geschlagen, tolo manu
tekok. Um bei Diebstahl oder andern Verbrechen die Wahrheit zu
ergründen, braucht man Ordalia. Man läfst die betreffenden Personen
einen Stein, vatu, mit der Rechten aus siedendem Wasser, oel loto,
herausholen — ungekochten Reis kauen, mua weites, oder ein scharf-
geschliffenes Schwert festhalten, indem schon vor der Probe Reis
umhergestreut war. Der Schuldige mufs dann die Hand verbrennen,
den Reis im Munde nicht fein kauen können, und in kurzem ver-
wundet werden. Ehemals pflegte man bei der Leistung des Eides
suub sonyyo uspaha, zuerst Reis auszustreuen, um darauf unter An-
rufung des uspaha ein wenig Erde zu essen. Jetzt geht die An-
rufung vor sich, indem man ein wenig „schwarzes Salz“, wie die
Timoresen das Schiefspulver nennen, in Arrak, worin auch eine
Kugel gelegt ist, trinkt und usi netto anruft. Vermöge Gegenopfer,
sita suub hetleo, können jedoch alle Eide kraftlos gemacht werden.
Wenn ein Jüngling, atoni muniv und eine Jungfrau, biveel muniv,
übereingekommen sind, einen eigenen Herd zu ‘gründen, dann ent-
schliefsen sie sich, sich zu heiraten, sau oder matsao. Der Jüngling
bietet der Jungfrau in Gegenwart ihrer Eltern einen gefüllten Betel-
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kocher, santpi oder takan bun an. Nimmt sie daraus einen pinang,
Arekannfs und ein (Stück Sirih, Betelfracht, HP ist dies ein Zeichen
ihrer Zustimmung. Sie überreicht hernach ihren Eltern den Kocher,
welche damit zufrieden sind, da die Wahl der betreffenden Personen
bei der Heirat alles entscheidet. Die Eltern setzen weiter die
Brüder oder Schwäger von der Werbung in Kenntnis, welche als-
dann die Heiratsangelegenheiten ordnen, weil dieselben über die
Jungfrau mehr Macht und Einhafs haben, als die Eltern. Falls
Brüder oder Schwäger ungeneigt sind, ihre Zustimmung zu geben,
versuchen die Eltern die Schwierigkeiten zu beseitigen. Bestehen
keine Bedenken, so werden die jungen Leute sogleich in ein Gemach
eingesperrt, halor daluir, während vier Tagen und Nächten, und zwar,
wie man sagt, um einander kennen zu lernen, oder um sich an ein-
ander zu gewöhnen. Erst dann setzen sie die Eltern des Jünglings
von dem Vorgang in Kenntnis. Sind dieselben gegen die Heirat, so
sagen sie, dafs der junge Mann ihr Sohn nicht sei, der alsdann der
Familie oder dem Stamme der Braut folgt, weil er keinen naiti
nonis oder Brautschatz, bezahlt. Haben sie aber gegen die Heirat
nichts einzuwenden, so wird der Tag festgesetzt, an dem sie mit
ihrem Sohn den Eltern der Braut einen Besuch abstatten wollen.
Die Jungfrau wird an dem bestimmten Tag in die Mitte ihrer Ver-
wandten gesetzt. Der Jüngling zieht seinen Betelkocher heraus,
läfst denselben von einer alten Frau auf den Schofs der Jungfrau
legen und nachdem sie den Pinang oder Arekanufs daraus genommen
hat, wird derselbe in das Schlafgemach gebracht. Darauf unter-
handelt man über die naiti nonis. Der Vater der Jungfrau sagt :
lafs mich nun die mama niu oder Inkan hua, Betelkocher, sehen,
worauf der junge Mann fünf Stücke roter Leinwand und fünf Stücke
Silber, gewöhnlich fünf Eingiddenstücke, einhändigt, alles in allem
zu einem Betrage von achtzig bis hundert Mark. Die jungen Leute
werden nun wieder vier Tage und vier Nächte in das Schlafzimmer
eingeschlossen. Nach dem vierten Tage baden sie sich mit ihren
Verwandten im Flusse, oder vielmehr man taucht sie unter. Die
Verwandten beaugenscheinigen darauf das Schlaf gemach. Dafür mufs .
der Jüngling ein Geschenk geben, nämlich für den Vorhang vor der
Thür zwanzig Mark, für das Tuch, das auf dem Kissen oder auf
der Matte liegt, je zehn Mark und obendrein noch eine, Schnur ninu
sala , oder temou, alter Korallen. Die Tücher nehmen die Verwandten
des Jünglings mit nach Hause. Schweine und Büffel werden ge-
schlachtet, den nitu bei der nii geopfert und Feste gefeiert. Für
das geschlachtete Vieh bezahlen die Verwandten des Jünglings einen
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Betrag von ungefähr vierzig Mark in Leinwand. Will der Jüngling
seine Frau zu seinen Eltern führen, dann mufs er an Leinwand,
Silber und Korallen noch einen Wert von fünfhundert Mark nebst fünf
lebendigen Büffeln bezahlen. Die Eltern der Braut geloben dem
Jüngling, dafs sie ihm noiii nitu oder Schadenersatz bezahlen werden,
wenn ihre Tochter stirbt und zwar, sieben Schweine für den Kopf,
sechs Stücke roter Leinwand für die Augen, fünf für den siuisan
oder Atem, vier für ihren Leib, drei für den Schatten, zwei für das
Eisen, womit ihr Grab gegraben worden, und ein Stück für die
Damarfackel, welche ihr zn Füfsen brennen mnfs. Darauf wird
gegessen und ein Zeichen gegeben, damit jedermann sehen könne,
dafs alles den Gebräuchen und Sitten gemäfs beendigt ist. Indem
man sich anschickt das Hans zu verlassen, schreit der junge Mann :
au ceel csnic, d. h. wo ist meine Frau? Die Eltern antworten, etan,
d. h. hier. Darauf sagt, er nieki oko mama niti, d. h. überreiche mir
den Betelkocher, was seine Frau dann sogleich thut. Abermals
fragt er zweimal hintereinander: au verl esme, wo ist meine Frau,
worauf die Eltern seiner Frau ein Stück Leinwand, gewöhnlich einen
tais awon oder Frauensarong, auf den Schofs seiner Mutter legen.
Erst dann erhebt sich der Jüngling, geht mit seiner Frau weg und
nimmt drei Stücke Leinwand und drei lebende Schweine mit sich.
Fremde heiraten in den Binnenlanden ohne Haiti nonis oder Braut-
schatz, weil die Frauen ihren Geburtsort nicht verlassen, oder dem
Manne nicht folgen dürfen. Geht der Mann weg, so mufs er alle
seine Kinder und seine Besitzungen entweder seiner Frau, oder deren
Verwandten überlassen. Kinder von hochgestellten Leuten werden
sehr jung verheiratet, das Mädchen selbst vor dem Eintritt der
Mannbarkeit, oder im Alter von zehn bis zwölf Jahren, damit sie
beim Eintritt der Pubertät keine Geschlechtsgemeinschaft mit Sklaven
oder Sklavinnen habe.
Ehescheidung, mapolinen, oder söemalu, findet statt, wenn der
Mann seine Frau oder diese ihren Mann auf Ehebruch, nakackion
nok au veel, in flagranti ertappt, auch wegen Mifshandlung durch
den Mann, oder wenn die Frau faul ist. Vor der Scheidung wird
eine Versammlung der Verwandten von Mann und Frau abgehalten,
um das Für und Wider zu erwägen und die Sache zu beendigen.
Die Häupter und Ältesten haben keinen Sitz in der Versammlung.
Wird die Frau schuldig erklärt, so wird die Scheidung ausgesprochen
und die Frau verurteilt, den Brautschatz zurückzubezahlen. Die
Verwandten haben das Recht, vom Ehebrecher zu fordern, dafs er
den Brautschatz bezahle und die verführte Frau heirate, was er
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gewöhnlich thut. Ist der Mann schuldig, so wird der Brautschatz
nicht zurückgegeben, man feiert nur ein Fest, zum Zeichen, dafs die
Frau wieder eine Heirat schliefsen kann. Wenn Leute, welche
ohne naiti nonis verheiratet sind, Ehebruch begehen, in Uneinigkeit
mit einander leben, oder scheiden wollen, dann kommen die Ver-
wandten der Frau zusammen, die Angelegenheit zu untersuchen und
zu ordnen. Hat der Mann die Scheidung veranlafst, dann bezahlt
er ein Strafgeld von fünf weissen nati nim und fünf roten muti nim-
Korallensträngen, zusammen einen Betrag von hundert Mark, und
darf dann mit Zurücklassung seiner Kinder und Eigentums Weggehen.
Ist die Frau die Veranlassung der Uneinigkeit, so kann er ohne
Strafgeld zu zahlen von dannen ziehen, Kinder und Eigentum hleihen
aber der Frau. Wollen Mann und Frau später wieder Frieden
schliefsen, dann ist der Mann oder Frau verpflichtet, der Familie
fünf Schweine und fünf Stücke Leinwand zu geben (nämlich der-
jenige Teil, welcher es provoziert hat).
Eine schwangere Frau, biveel maah oder naapu, ist vor der
Entbindung nicht unrein. Sie braucht sich nicht zu schonen und
weil sie die epithymia hat, darf sie alles essen und trinken, selbst
bis zum Partus unbehindert den Beischlaf, ui, ausüben. Vor den
Kindesnöten mufs die Tliüre der Wohnung geschlossen sein, damit
die bösen Geister, nitu Tcanlelcoc oder manu maromal:, das Ereignis
nicht bemerken. Es giebt jedoch auch Weiber, welche in einem
nahen Walde gebären, um ein neu gebautes Haus nicht zu ver-
unreinigen. Bei der Niederkunft, welche leicht stattfindet und selten
länger als eine halbe Stunde dauert, ruht die Frau auf ihren Knien,
die Beine weit von einander gestreckt, den Körper vorübergebeugt,
indem die Helferin, natiel, sich hinter sie setzt, um das Kind in
Empfang zu nehmen. Nach der Niederkunft wird das Kind mit
der Placenta, ölin, in lauem Wasser gebadet und der Körper
der Mutter darauf mit diesem Wasser besprengt. Nachdem man
die Geburt den Verwandten angezeigt hat, wird die Nabelschnur
eine Handbreite vom Bauche mit der taiii, einem Stück Bambusa
longinodis, abgeschnitten. Die Placenta wird in einem hohlen
Kürbis aufbewahrt und vom Vater in einen von den höchsten
Bäumen, gewöhnlich in Ficus Altimeraloo, oder Eriodendron anfrac-
tuosum, gehängt. Von diesem Baume bricht er einige Zweige,
welche er über die Hausthüre hängt, damit das Kind nicht krank
werde. Das Kind wird während zweimal vier und zwanzig Stunden
nicht von der Mutter, sondern von einer andern Frau gesäugt. So
lange die Nabelwunde noch nicht geheilt ist, ist es der Wöchnerin
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nicht erlaubt nanuni, »panischen Pfeffer und Salz zu essen. Vier
Tage nach der Geburt wird ein Schwein getötet, die Leber unter-
sucht oder konsultiert und von den Verwandten ein kleines Fest ge-
feiert, worauf allein Kokosmilch, non nok oni. mit Zucker wasser getrunken
und dem Kinde vom Grofsvater oder von der Grofsmutter ein
Namen gegeben wird; gewöhnlich ist es der eines Ahnen, welcher
ein glückliches Leben geführt hat. Mehrere Namen werden dann
hintereinander ausgerufen und wenn das Kind beim Nennen irgend
eines Namens einen Schrei ausstöfst, so ist dieser der Name nach
seiner Wahl. Einen Monat später wird ihm das Haar abgeschnitten
und das Säuglingsfest, nulai len, für das Kind gegeben. Unter dem
Absingen des loir wird das Kind vor die Wohnung gebracht, um
mit dem rechten Fufs auf die Erde zu treten und sich den andern
Dorfsgenossen zu zeigen. Zwei Monate hinter einander mufs die
Frau, welche unrein ist, auf einem Bambugestell liegen; während
man unter ihr ein Feuer anlegt, um die manu maromdk fern zu
halten. Hei schwerer Niederkunft werden Kinder in das Gemach
hereingeführt, damit das Kind im Leibe, aufgemuntert seine Gespielen
zu sehen, sich anstrenge, um auszutreten — ebenso wird durch
Zaubermittel erforscht, aus welchem Grunde dieses stattgefunden
hat, um die Geister durch Opfer zu versöhnen. Nach der Geburt
des ersten Kindes dürfen die Eltern neben den Schwiegereltern
sitzen und das Mahl teilen. Abortiva, aitaJcan, werden von Alten,
welche damit sehr geheim thun, häufig gereicht. Unfruchtbare Frauen
brauchen dagegen auch viele Mittel, hataa vo ooan, um Kinder zu
gebären. Bevor das Kind gehen kann, werden ihm die Ohrläppchen
durchstochen, lcoto lulcen. Das Feilen der Zähne mit Steinen, von
nisin, oder mit dem Bambusa longinodis, nns Jciki, wird gegen den
Eintritt der Pubertät von alten Männern und Frauen vorgenommen.
Die Vorderzähne der Vornehmen werden zugleich gebohrt und mit
Gold und Silber, wie bei der Asupah ausgefüllt. Wenn das Haar
sich auf dem Pubes der Knaben zeigt, unterwerfen sie sich der
heli, oder der Spaltung des Praeputiums. Diese Operation geschieht
auf dreierlei Weise. Die heli pan man ist die Aufschlitzung eines
Teiles der oberen Vorhaut, die vutu neki bakase navtiu bi vovon
pan man, geschieht dadurch, dafs man den oberen Teil derselben
mittelst eines Pferdehaares so lange festbindet, bis er herunterfällt
und die haapi neki kakaa pisaa nua bi vavon pan man, heifst das
Klemmen jenes Teiles zwischen zwei Stücken Bambu, bis er sich
loslöst. Unter den Frauen finden sich viele, welche bei der Kopu-
lation einer von diesen Methoden den Vorzug geben und darüber den
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betreffenden Mann befragen. Ehe die Wunde noch nicht vollständig
geheilt ist, darf man kein Fleisch, Salz oder spanischen Pfeffer
essen, an keinen Reisstampfer, kann, oder Feuerschirm, pesee ui,
Vorbeigehen, auch nicht auf Hühnerkot, manu teei, treten. Das
Tättowieren lula oder lulat basan, mit Dörnern, wobei geriebene
Holzkohle mit Zuckerwasser auf die Wunde gelegt wird, ist mehr
unter Frauen Brauch, entweder um ihre Schönheit zu erhöhen
oder um nach dem Tode als nitu keinen Mangel an Feuer zu haben.
Nach Aussage von alten Leuten sollen früher nur diejenigen Frauen
sich haben tättowieren lassen, welche von den Blattern entstellt
waren. Heuzutage heifst es, dafs man, vermöge des Feilens
der Zähne, der Tättowierung der Wangen, des Kinnes, der Brüste
bis zum Mons Pubis, erst recht Frau wird, von nisi, luul sui, sano,
ansao ti tinakona, (Juli biveel, d. h. heiratsfähig ist. Für Tättowier-
muster wählt man Figuren von Hirschen, luus, Krokodilen, besimnase,
Hunden, asu, Pferden, bnkase, Baumblättern, hau noo und andre
Erkennungszeichen, mala, der gegenseitigen Verwandten.
Die Hausgenossen sind verpflichtet, wenn einer im Hause stirbt,
einen grofsen Lärm zu machen, zu zetern und zu lamentieren,
damit der smanav wisse, wenn er zur Besinnung kommt, wohin er
gehen müsse, um seine Verwandten zu sehen. Sogleich zeigt einer
von ihnen den Todesfall den Ältesten, den übrigen Verwandten und
Freunden an, welche unverzüglich alsdann kommen, um die Leiche
zu besuchen, indem sie, jeder nach seinem Vermögen, Umschlage-
tücher und Leinwand u. a. mitbringen. Darauf wird die Leiche
gewaschen, umu, das Haupthaar geordnet und geschmückt, hernach
in wenigstens drei Stücke Leinwand eingewickelt. Die Begüterten
gebrauchen mehr als dreifsig solcher Stücke, unter welchen goldene
Zierraten gelegt werden, worauf ein necysia gefeiert und der
makarereu, lakmierin und hanonolalan durch die Frauen allein
gesungen wird. Hat der Verstorbene Schulden, dann wird er nicht
eher begraben, als bis dieselben bezahlt sind. Die Hinterbliebenen
sind dafür verantwortlich und es ist eine grofse Schmach, unbegraben
zu bleiben. Bei der Bestattung ohne Sarg, mit dem Gesicht nach
Osten gekehrt, schlachtet man einen Büffel, um einen Teil des
Fleisches mit Reis, Arrak und andern Speisen zum Proviant für den
Toten zu bestimmen, während das übrige von den versammelten
Freunden und Verwandten genossen wird. Auf dem Grabe werden
Teller, Töpfe, Pfannen, Löffel und andre zerbrechliche Gegenstände
für den Toten zerschlagen, seine Kleider, Matten, Hauptkissen zerfetzt,
sein Lieblingspferd erschlagen, damit der Verstorbene Hube finde und
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die Hinterbliebenen nicht aus Rache quäle. Darauf werden Pferde,
Büffel und Schweine in Hülle und Fülle geschlachtet, unter die
Anwesenden verteilt, uin wie man sagt, die Augen, welche durch
Trauer geschlossen sind, wieder zu öffnen. Bis die Verwandten sich
gebadet haben, wird auf dem Grabe zu Füfsen eine Damarfackel
vier bis acht Tage lang gebrannt, damit der nitu sich nicht zu weit
entferne. Fürsten und Häuptlinge wickelt man in mehr als dreifsig
Stücke Leinwand und allüberall in die Falten werden goldene und
silberne Schmucksachen verborgen. Weiter wird die Leiche, wiewohl
unrein, acht bis zehn Tage auf den Sehofs der Sklavinnen nieder-
gelegt, ohne auf die herunterfliefsenden Fäulnisteile zu achten, und
dann in einen hermetisch schliefsenden Sarg gelegt. - Der Deckel
des Sarges wird gewöhnlich mit schönem Schnitzwerk geschmückt.
Bevor die Leiche in den Sarg gelegt wird, müssen die Gattinnen
alle laut weinend um denselben herumstehen, die älteste mit
bedektem Haupte, während die übrigen Dorfgenossinnen, alle mit gelösten
Haaren, tun sich für den nitu des Toten unkennbar zu machen,
dabei gegenwärtig sein müssen. Der Tote wird auch nicht begraben,
ehe alles das Benötigte zum Leichenbegängnis da ist, alle Freunde
und Verwandte beisammen sind, oder ein andrer Häuptling als
Nachfolger erwählt ist. Finden einige Verwandte sich nicht ein,
so wird die Bestattung dreifsig bis vierzig Jahre aufgeschoben, so
dafs alles verzehrt, von Ungeziefer vernichtet ist und man es nicht
mehr der Mühe wert achtet, das Übriggebliebene zu begraben.
Nachdem die Verwandten vier Tage später sich gebadet haben, um
die Traurigkeit abzuwaschen, wird der nuhuleu oder das Totenfest ge-
feiert. Dazu nimmt man ein wenig Reis und Maiskörner, schüttet
das in einen Topf und bindet an der Thür ein Schwein und einen
Hund fest. Kommt man aus dem Bade heraus, dann zerschlägt
man den Topf und schlägt beide Tiere, als letzte Gabe an den Ver-
storbenen, tot. Das Schwein, der Reis und Mais bilden seine Speise
auf der Reise nach den Bergen Lakaan oder Mutis, den nitu des
Hundes giebt man ihm zur Gesellschaft, soba, mit. Zum Zeichen
tiefer Trauer wird von keinem ein bis zwei Jahre das Feld bestellt.
Dies geschieht deswegen, dafs der nitu keinen Lebenden in dem
Felde begegne und sie krank mache. Sind alle Formalitäten erfüllt
und das Benötigte zur Beerdigung gesammelt, dann baut man in
der Nähe des Sterbehauses ein lolci, oder leichtes Gebäude von Pahn-
blättern und ladet alle Bekannte, Freunde und Verwandte zu der
Feierlichkeit ein. Am Abend vor der Beerdigung müssen alle An-
wesenden einen grofsen Lärm machen und laut weinen. Den fol-
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genden Mittag wird der Verstorbene in der Gegenwart von Tausenden
von Männern, Weibern und Kindern begraben. Darauf setzt man
sich zu Tisch, wo mit tierischer Gier Speisen und Getränke ver-
schlungen werden. Die Dorfredner halten lange Reden zur Ver-
herrlichung des Verstorbenen und sprechen den Wunsch aus, dafs
er sich als nitu glücklich fühle. Unterdessen wird das zusammen-
getriebene Vieh zu Hunderten geschlachtet und das rohe Fleisch
unter die Gäste, deren Namen ausgerufen werden, verteilt. Darnach ruft
einer der Oberhäupter die Fürsten zusammen, um mit den andern Fest-
genossen den foli, der mittlerweile mit Kokos und Arekanüssen, Pisang,
Zuckerrohr und andern Früchten geschmückt worden und in welchem
ein lebendiges Schwein festgebunden ist, aufzunehmen und dasselbe von
dem Hofe des Sterbehauses zu tragen, was unter ausbündigem Jubel
stattfindet. Wenn es aufserhalb des Hofes ist, werden die Gegen-
stände von den Anwesenden geraubt. Es wird als eine grofse
Schande betrachtet, wenn die Anwesenden nicht im stände sind,
das Gebäude wegzutragen. Jeder Mann strengt deshalb alle seine
Kräfte an, diesen Zweck zu erreichen. Darauf wird der Weg zum
Grabe versperrt. Die Bestattung der Frauen, sei es auch aus
vornehmen Häusern, geschieht ohne viel Umstände. Weim eine
Frau bei der Geburt stirbt, wird das Kind nicht entfernt, sondern lebend
oder tot mit der Mutter auf die vorgeschriebene Art begraben.
Die beigegebene Karte zeigt meine Reiseroute durch einen
Teil der Insel Timor im Jahre 1879.
Kanäle und Kolonien im Bourtanger Moor.
Hierzu Kartenskizze im Text.
Die Kultivierung und Besiedelung öder und unfruchtbarer
Ländereien hat in neuerer Zeit in Deutschland erhebliche Fort-
schritte gemacht. Besonders gilt dies von den Mooren, welche in
gröfserer oder geringerer Ausdehnung die ganze germanische Tief-
ebene durchsetzen. Man unterscheidet drei verschiedene Arten von
Moor : Waldmoor, Wiesen- oder Grünlandsmoor und Hochmoor
(niederländisch : Hoogeveen, schwedisch : Hvitmossar). Die ersteren
finden sich in der Provinz Hannover, von welchen hier die Rede
sein soll, nicht. Eine zweite Art sind die Grünlands- oder Wiesen-
moore. Dipse entstehen meist in mulden- oder beckenförmigen Ver-
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tiefungen, die mit mineralstoffreichen, besonders kalkhaltigen, ste-
henden Gewässern erfüllt sind. Zunächst siedelt sich eine Decke
von Moos (Hypnum- und Mniuin-Arten) an, welche dann zahlreichen
andern Pflanzen, besonders Cyperaceen und Gräsern zum Saatbett
und zur Unterlage dient. Die Gräser überwuchern und ersticken
allmählich die Moosvegetation und das Ergebnis des ganzen Ver-
torfungsprozesses ist eine auch in den oberen Schichten stark zer-
setzte schwarze Torfmasse. Die dritte Art, die Hochmoore, ent-
stehen in kalkarmen, über dem Boden stehenden oder langsam
fliefsenden Gewässern. Es siedehi sich hier nur in solchem Wasser
gedeihende Moosarten (Spliagnaceen) an; bei Abzug des Wassers
bilden sie für die Heide (Calluna vulgaris und Erica tetralix), sowie
wenige ähnliche Pflanzen die Unterlage. Auf sandigem, mit weichem
Wasser geschwängerten Boden kann auch Heide, selbst ohne Ver-
mittelung der auf mineralischer Unterlage ungern wachsenden Sphag-
num-Arten die Torfbildung einleiten und man unterscheidet darnach
Sphagnum- und Heide-Hochmoore.
Die Provinz Hannover ist einer der an Moorbooden reichsten
Teile des preufsischen Staats und des deutschen Reichs, sie enthält
nach der neuesten Grundsteuer Veranlagung 561,433 ha Moorboden;
14°/o der Gesamtfläche der Provinz. Der Moorboden ist auf die
einzelnen Regierungsbezirke sehr ungleich verteilt. Es enthalten
nämlich der Regierungsbezirk Hildesheim 1,124 ha
„ „ Lüneburg 80,064 „
„ „ Hannover 91,634 „
' „ „ Stade 185,146 „
„ „ Aurich 76,305 „
„ „ Osnabrück 127,160 „
Hiernach liegen die gröfsten zusammenhängenden Strecken Moor-
bodens zwischen der Unterweser und Unterelbe — in dem Re-
gierungsbezirk Stade — und im Westen der Unterems.
Die Besiedelung und Bebauung der Moore in dem Gebiet,
welches die heutige Provinz Hannover bildet, begann im 17. Jahr-
hundert nach dem Vorbilde, welches uns unsre Nachbarn, die
Niederländer, schon damals wie noch heute gegeben haben. Die
ersten Kulturversuche erfolgten von den Tangen, den von der Geest
in das Moor reichenden, höher als das letztere gelegenen und daher
trockenen Sandzungen. Das Moor wurde einige Fufs tief durch
oberflächliche Kanäle entwässert und der Dünger der auf den Tangen
gehaltenen Schafherden bereitete den Moorboden für einen erfolg-
reichen Anbau von Roggen. Eine zweite Methode der Bewirt-
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schaftung des Moores war und ist leider aucli heute noch vielfach
notgedrungen, die sogenannte schon lange als Raubbau erkannte
Brandkultur, d. h. das nach voraufgegangener Abwässerung
erfolgende Abbrennen der obersten Moorschicht zur Ge-
winnung von Asche als Dünger für den Anbau des Buchweizens,
der nur höchstens 8 Jahre hintereinander, bis zur Erschöpfung des
Bodens für längere Zeit., betrieben werden kann und bei ungünstiger
Witterung häufig fehl schlägt. Die Brandkultur erfordert grofse
Flächen. Einen bedeutenden Schritt vorwärts that die Moor-
bewirtschaftung durch die Anlage von schiffbaren Kanälen, welche die
besiedelten Moorgebiete dem Verkehr eröffneten, die Verbindung mit
den nächsten Flüssen und Städten und dadurch den Absatz von
Brenntorf, sowie die billige. Heranführung von Dünger ermöglichten.
Solche sogenamite Veen- (d. h. Moor-) Kolonien wurden in Ost-
friesland im 17., 18. und 19. Jahrhundert angelegt. Eine in der
„Festschrift zur Säkularfeier der Königlichen Landwirtschaftsgesell-
schaft zu Celle 1864“ enthaltene Statistik von 1862 zählt solcher
Veenkolonien im ganzen 20 mit 2517 Häusern und 14,118 Ein-
wohnern auf; über die Hälfte des zu 17,243 rheinischen Quadrat-
ruten angegebenen Gesamtflächeninhalts stand in Kultur ; das älteste
Veen, Westgrofseveen, wurde 1633, das letzte, Halterveen, 1825
angelegt. Neben dem Bodenbau und der Torfgewinnung war es
das Seeschiffahrtsgewerbe, welchem sich, da die Hauptkanäle breit
und tief genug angelegt waren,- um kleineren Seeschiffen zugänglich
zu sein, ein Teil der Bewohner der Veene widmete und so finden
wir in jener Statistik neben 600 Torfschiffen 148 Seeschiffe, deren
Heimatshafen eines der Veene war, mit einer Bemannung von im
ganzen 628 Mann aufgeführt, ln neuerer und neuester Zeit hat
die Küstenfrachtfahrt der Segelschiffe bedeutend durch die Dampf-
schiffahrt und das mehr und mehr entwickelte Eisenbahnwesen zu
leiden und das Seeschiffahrtsgewerbe ist infolge dessen erheblich
zurückgegangen.
Die bedeutendste Veenkolonie ist die durch Schiffahrtsverkehr
und Industrie rasch emporgeblühte Stadt Papenburg. Diese Veen-
anlage wurde in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts durch
Grabung eines Kanals von der Ems nach dem Gebiet der zu er-
richtenden Kolonie von dem bischöflich Münstersehen Drost Dietrich
von Velen begonnen und nach niederländischem Muster mit Haupt-
und Nebenkanälen (Haupt- und Inwieken) durchgeführt ; im Jahre 1861
konnte die Fleckengemeinde Papenburg dem Nachkommen ihres
Gründers, dem Freiherrn von Landsberg-Velen, seine Gerechtsame
Geograph. Blätter. Bremen, 1887. 21
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an das Veen für 100,000 Thaler abkaufen und Stadtrechte er-
werben. Während jene ostfriesischen Veene teils von einzelnen,
teils von Genossenschaften gegründet wurden und die Regierung
nur unterstützend, namentlich durch Wegeanlagen, mitwirkte, unter-
nahm die letztere im Herzogtum Bremen — einem Teil des jetzigen
Regierungsbezirks Stade — die Kolonisierung der Moore auf eigne
Hand. Auch hier, wo schon in früherer Zeit eingewanderte Nieder-
länder die ersten Niederlassungen im Moor angelegt hatten, gedieh
das in der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts begonnene Werk
sehr gut. Die Kanäle erhielten hier freilich nicht die Breite und
Tiefe, wie sie die ostfriesischen besafsen, vielmehr glaubte man sich
darauf beschränken zu dürfen, im Anschlüsse an die zahlreich vor-
handenen natürlichen Wasserzüge, Gräben von genügender Breite
und Tiefe herzustellen, auf denen kleine Fahrzeuge den Torf nach
Hamburg und Bremen, sowie nach den reichen Marschgegenden
bringen und von dort die Bedarfsgegenstände den neuen Kolonaten
zuführen konnten. Unter der Leitung, Überwachung und Förderung
umsichtiger Beamten, wie jenes Moorkommissärs Jürgen Christian
Findorf, zu dessen Gedächtnis auf der Spitze des inmitten der
Kolonien des Amtes Lilienthal bei Bremen sich erhebenden Weyher
Bergs ein Denkstein errichtet wurde, entwickelten sich auch diese
Schöpfungen in erfreulichster Weise. Anders in den Hochmooren
westlich der Ems, dem öden Bourtanger Moor. Auch hier begann
die Kolonisierung schon frühzeitig, versäumte jedoch die Herstellung
der erforderlichen Kanäle und die nötigen Wege Verbindungen.
Das Bild dieser Moore und ihrer kümmerlichen Bewirt-
schaftung hat uns A. Grisebach in seiner trefflichen Abhandlung
„über die Bildung des Torfs in den Emsmooren aus deren unver-
änderter Pflanzendecke, nebst Bemerkungen über die Kulturfähigkeit
des Bourtanger Hochmoors“ (Göttingen 1846) gezeichnet. Er be-
spricht darin, auf Grund seiner Anschauungen und Studien, die Ge-
stalt und vegetabilische Decke des Ems-Hochmoors, die Torfschichten
und ihre Bildung, Alter und Bau der Emsmoore und erörtert so-
dann den Anbau und die Kulturfähigkeit des Bourtanger Moors.
Die landschaftliche Wirkung des Bourtanger Moors schildert uns
Grisebach mit folgenden Worten:
„An der hannoverisch-holländischen Grenze habe ich, zwischen
Hesepertwist und Ruetenbrock das pfadlose Moor von ßourtange
überschreitend, einen Punkt besucht, wo wie auf hohem Meere der
ebene Boden am Horizont von einer reinen Kreislinie umschlossen
rd und kein Baum, kein Strauch, keine Hütte, kein Gegenstand
— 291
von eines Kindes Höhe auf der scheinbar unendlichen Einöde sich
abgrenzte. Auch die entlegenen Ansiedelungen, die, in Birken-
gehölzen verborgen, lange Zeit noch wie blaue Inseln in weiter Ferne
erscheinen, sinken zuletzt, unter diesen freien Horizont herab.
Dieses Schauspiel, auf festem Boden ohne seinesgleichen, überall
hin auf abgerundete Heiderasen und über dem Schlamm gesellig
schwebende Cyperaceen das Auge einschränkend, zugleich seltsam
das Gemüt mit der Gewalt des Schrankenlosen ergreifend, versetzt
uns in ursprüngliche Naturzustände, wo eine organische, jedoch ein-
förmige Kraft alles überwältigend gewirkt hat. Es ist das Gebiet
der gröfsten zusammenhängenden Ansammlungen von Torfsubstanz,
welche Deutschland besitzt. Man kann diese organische Masse,
welche das zwischen der ostfriesischen Geest und dem Haimling
von der Hunte bis zu den Marschen am Dollart ausgedehnte Becken
aasfüllt, auf 50 bis 60 geographische Quadratmeilen Oberfläche
schätzen. 25 Quadratmeilen liegen in ununterbrochener Fläche
allein auf dem linken Emsufer und werden unter der Bezeichnung
des Bourtanger Moors und Twists begriffen.“
Vor allem betont Griesebach als Ursache der Armut der we-
nigen Kolonisten die Unmöglichkeit, wegen mangelnder Wasser- und
Landwege den Torf zu verwerten. Indem er nun die Mängel der
Bewirtschaftung, vornehmlich der Brandkultur, näher darlegt, fordert
er die Anlage eines allgemeinen schiffbaren Kanals als einziges
Mittel, die Entwickelung der Kolonien weiter zu führen.
Erst ganz allmählich unter harten Kämpfen, häufig angesichts
des gröfsten Notstandes, haben sich die wenigen Kolonien zu dem
verhältnismäfsigen Gedeihen entwickeln können, welchem man im
Hebeier Meer, Georgsdorf und den Twisten nach Ablauf eines Jahr-
hunderts begegnet. Auch die Ansiedlung von den Rändern des
Moores aus war im Bourtanger Moor durch die verschiedensten
Verhältnisse besonders erschwert. Eine Abwässerung des Moores
nach der Ems war wegen der vorliegenden Dünenkette nicht möglich
und ein Anschlufs an die niederländischen Kanäle nicht erreichbar.
Über diese im Bourtanger Moor gelegenen Kolonien und deren
Entstehung finden sich im einzelnen nur wenige und dürftige Nach-
richten. Unter der Regierung des Grafen Ernst Wilhelm Bentheim
entstand im Jahre 1662 die Kolonie Alte Piccardie, später die
Kolonie Neue Piccardie (Georgsdorf), ln dem zum Herzogtum
Aremberg-Meppen gehörenden Teil wurden vielfach Kolonien durch
die alten am Rande des Moors gelegenen Gemeinden gegründet,
wobei die dem einzelnen Kolonisten zuzuweisenden Moorflächen in
21 *
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— 292 —
„Plaatzen“, jede Plaatze von einer bestimmten Gröfse, geteilt wurden
(1809.) Die Kolonisten von Neu-Aremberg erhielten ihre „Plaatze“
zu freiem Eigentum, dazu noch für 10 Jahre Steuerfreiheit. Das
Schlimme war eben, dafs, wie bemerkt, für Wasserabzüge und
Wegeverbindungeil nicht genügend gesorgt wurde. J. G. Kohl er-
zählt in seinem „Ausflug zürn Bourtanger Moor und zur holländischen
Grenze“ (Nordwestdeutsche Skizzen, Bremen 1864, 2. Theil): „Fast
jedes deutsche Grenzdorf hat seit der Mitte des vorigen Jahrhunderts
seine Kolonie ins Moor abgezweigt. Das alte Dersum hat sein
Neudersum, das alte Sustrum sein Neusustrum, das alte Heede sein
Neuheede geboren. Und so ist das ganze Bourtanger Moor mit
solchen neuen Kolonien, freilich noch immer spärlich, durchwebt.
Gewöhnlich liegen diese Kolonien auf einer Tange (Sandzunge).“
Kohl, der seine Wanderung bis hinüber in das niederländische
Gebiet, zu dem Dorf bei den alten Bourtanger Schanzen ausdehnte,
fielen im Moor besonders die kuriosen schon im Hümling von ihm
beobachteten Schafstalldörfer auf. Er berichtet weiter : „Am meisten
setzte uns ein Spaziergang, den ein guter Bürger des Dorfes Bour-
tange mit uns durch seine Gärten und Felder unternahm, in Er-
staunen. Denn, obwohl der Boden nichts weniger als fetter Marsch-
grund war, vielmehr sich vor dem auf der deutschen Seite in nichts
hervorthat, so waren doch Gemüse und Getreide unvergleichlich viel
stattlicher als an der Ems, die Wurzeln und Rüben riesig, der
Klee drei Fufs hoch, der Kohl prachtvoll, durch die Bank 6 bis
7 Fufs hoch.“ Den eigentlichen Grund dieser glänzenden Erfolge
in der Bewirtschaftung des Moores sagte der biedere Mynheer unser m
Landsmann nicht und Kohl selbst hat nicht näher nachgeforscht.
Wir kennen ihn nun seit, längerer Zeit zur Genüge. „Vor allem
hatte man in den Niederlanden schon vor langer Zeit die Not-
wendigkeit erkannt., durch planvoll angelegte Kanäle nicht blos für
die notwendige Entwässerung zu sorgen, sondern besonders auch
Verkehrsstrafsen zu schaffen, auf welchen die im Moor erzeugten
Produkte: zunächst Brenntorf, dann aber auch die landwirtschaft-
lichen Erzeugnisse, einem sehr kaufkräftigen Hinterland zugeführt
werden konnten, und welche anderseits einen möglichst billigen
Transport von Meliorations- und Düngemitteln in das sehr dünger-
bedürftige Moor ermöglichten. Derartiges Material stand in grofsen
Mengen in den am Kanalnetz liegenden, ihren Unrat in sorgsamster
Weise sammelnden Städten zur Verfügung. Der benachbarte, höchst
fruchtbare Küstenstrich lieferte, wenigstens zeitweise, tierischen
Dünger und aufserdem in seiner eigenen Bodenmasse, dem Kleiboden
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— 293 —
und Seeschlick, ein zur Verbesserung des Moorbodens vorzüglich
geeignetes Material, und endlich hatte der abgebaute Torf, welcher
nicht blos einen Teil der Niederlande, sondern in früheren Zeiten
selbst die angrenzenden deutschen Landesteile mit Brennmaterial
versorgte, einen sehr hohen Wert. Die Torferzeugung verschaffte
den Ansiedlern in den ersten Jahren den Lebensunterhalt und die
nötigen, nicht unbedeutenden Mittel zur Einleitung des Land-
wirtschaftsbetriebes . “ *)
In den Niederlanden war es zuerst die Stadt Groningen, welche,
als Besitzerin des grofsen Moores der Provinz, hervorragendes
Interesse an einer zweckmäfsigen Verwertung der Moorflächen hatte
und aus diesem Interesse heraus einerseits die Ansiedlung auf dem
letzteren möglichst erleichterte, anderseits aber dieselbe durch
strenge Bestimmungen regelte. „Wenn die Groninger Moorkolonien zu
hoher Blüte gelangt sind und wenn in glücklicher Nachahmung des
gegebenen Beispiels immer noch neue Mooransiedlungen in den Nieder-
landen entstehen und aufblühen, so verdanken sie das in erster Linie
der einsichtsvollen und eingehenden Direktive, welche die Stadt
Groningen für die Gestaltung der Ansiedlungen seiner Zeit gegeben
hat.“ **) Die Entwickelung dieser Kolonien weist eine von Professor
Fleischer citierte niederländische Schrift von Borgesius noch näher
nach: „Eine Fläche von etwas mehr als 4 Quadratmeilen, welche
vor 2 1 /a Jahrhunderten völlig unbenutzt als Sumpf dalag, nicht einmal
den Schafen zugänglich war, besteht zu drei vierteln aus dem besten
Acker- und Weideland. Allein in den Gemeinden Alt- und Neu-
Pekela, welche etwa 4 '5 Quadratmeilen umfassen, finden jetzt
10000 Einwohner Unterkommen und Arbeit, in zehn Gotteshäusern
wird ihren kirchlichen Bedürfnissen genügt, acht Schulen, von 22
Lehrern geleitet, sorgen für den Elementar- und fortgeschrittenen
Unterricht, Kanäle, selbst für Seeschiffe zugänglich, vortreffliche
Klinkerchausseen, Pferdebahnen, Dampftramways vermitteln einen
aufserordentlich lebhaften Verkehr. 5 bis 10 ha Landbesitz gewähren
dem Eigentümer und seiner Familie nicht blos den nötigen Lebens-
unterhalt, sondern selbst einen gewissen Wohlstand. Neben einer
blühenden Landwirtschaft, die dem ärmsten Moorboden aufserordentlich
hohe Erträge an allen Früchten abgewinnt, hat sich eine einträgliche
Industrie entwickelt. Brennereien und Brauereien, Stärke- und
Kartoffelmehl-, Stärkezucker- und Strohfabriken, 01- und Kornmühlen
verarbeiten an Ort und Stelle die erzeugten Rohprodukte und steigern
*) Vergleiche : Professor Fleischer, die Aussichten der Hochmoor-Kultur.
**) Fleischer 1. c.
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ihren Wert.“ Auf eine landwirtschaftlich kultivierte Fläche von
Ein wichtiger Schritt für die Kolonisierung und bessere Be-
wirtschaftung des deutschen Teiles des Bourtanger Moores ist mui
unter der Verwaltung des preußischen Staates bereits gethan und
damit die von ürisebach als unerläfslich hingestellte Vorbedingung
schon jetzt zum gröfston Teil erfüllt. Die Königlich preufsische
295
Regierung hat den schon von der vormaligen Königlich hannoverschen
Regierung bearbeiteten Plan der Entwässerung und Kanalisierung
des Bourtanger Moores aufgenommen ; es war dies hauptsächlich den
Vorstellungen des an der Spitze des preussischen Moorwesens stehenden
Wirkl. Geh. Rath Marcard, welche im landwirtschaftlichen Ministerium
und in den gesetzgebenden Körperschaften die vex-diente Aufnahme
fanden, zu danken. Die Kanalisierung des Bourtanger Moores ist jetzt
mit einem Kostenaufwand von etwa 13 Millionen Mark bereits durch-
geführt und damit das linksemsische Moorgebiet mit einem Kanalnetz
versehen, das nach seiner Vollendung eine Längenausdehnung von
etwa 102 km haben wird. Das beigegebene Kärtchen gewährt
einen Überblick über dasselbe.
Die Dimensionen dieses Kanalnetzessinxi : Wassertiefe 1,9 m, Sohlen-
breite 6,9 m und Breite im Wasserspiegel 14,4 m. Die Tragfähigkeit
xler den Kanal befahrenden Schifte kann bis 2000 Zentner betragen-
1m Norden vermittelt der 13,5 km lange Kanal Haren-
Rütenbrock in der Richtung von Südost nach Nordwest die Ver-
bindung zwischen der Ems und dem Endpunkte des niederländischen
Staatskanals bei Rütenbrock. Im Süden verbindet der Ems-Vechta-
Kanal, von Osten nach Westen verlaufend, in einer Ausdehnung von
21 km die Ems bei Lingen mit der Vechta bei Nordhorn. Zwischen
dem Ems-Vechta-Kanal und dem Kanal Haaren-Rütenbrock erstreckt
sich, die linksemsischen Moore in ihrer Längenausdehnung von Süden
nach Norden durchschneidend, der Süd-Nord-Kanal in einer Länge
von 45,5 km. Von letzterem zweigt bei Alt-Picardie der etwa 23 km
lange Kanal Picardie-Koeverden ab iuid bewirkt hier den Anschlufs
an die grofsen zur Zuydersee führenden niederländischen Kanäle.
Alle diese Kanäle sind bereits bis auf eine etwa 14 km lange Strecke
des Süd-Nord-Kanals fertig gestellt. Es soll ferner der Ems-Vechta-
Kanal mit dem niederländischen Kanal Almelo-Nordhorn durch
Vollendung einer noch fehlenden verhältnismäfsig kurzen Strecke in
Verbindung gebracht werden. Der niederländische Hoogeveen-Kanal
soll in der Gegend von Schöningsdorf mit dem Süd-Nord-Kanal
verbunden werden. Die Arbeiten zur Herstellung dieser Verbindung
auf niederländischer Seite sind bis in die Nähe, der deutschen Grenze
gefördert und nach Ausbau der noch rückständigen Strecke von nur
5 km wird eine Verbindung der Hoogeveen-Vaart mit dem Oranje-
Kanal hergestellt sein. Die Entfernung von der Grenze bis zur
Einmündung in den Süd-Nord-Kanal beträgt nur 2,? km.
Nunmehr hanxlelt es sich um die Kolonisation in dem kanali-
sierten Moor. In einer Beziehung stellen sich die Aussichten für
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die Besiedelung nicht so günstig dar, als sie sich im niederländischen
Teil boten und teilweise noch bieten. „Was dort die Einleitung der
Kolonisation so wesentüch begünstigte, die Möglichkeit, durch
Torfabsatz sich über die Jahre der Urbarmachung hinwegzuhelfen
und noch Mittel für die Anschaffung der nötigen Düngermengen zu
gewinnen, fällt wenigstens vorläufig für die Anbauer an diesen
deutschen Kanälen so gut w r ie ganz weg, da infolge des erleichterten
Kohlentransports und der gesunkenen Kohlenpreise die Nachfrage nach
Brenntorf auf ein sehr geringes Mafs beschränkt wird und an einen
Absatz, der dem massenhaft im Bourtanger Moore aufgespeicherten
Torfvorrat auch nur einigermafsen entspricht, nicht zu denken ist.
Ferner ist den deutschen Ansiedlern die Gelegenheit, städtischen oder
tierischen Dünger von aufserhalb zu beziehen, welche mit Recht als
die Grundlage für die niederländische Moorkultur bezeichnet werden
kann, völlig abgeschnitten.“ *) Anderseits kommen der nunmehr von
der Provinz Hannover durch eine Versuchsanlage in Angriff zu
nehmenden Kolonisation des Bourtanger Moores die Wissenschaft
und die von ihr durch die Praxis erprobten Erfahrungen zu Hilfe.
Wir verdanken diese den Arbeiten der Moorversnchsstation in Bremen.
Die dem hannoverschen Provinziallandtag vor kurzem vorgelegte,
von dem Königl. Provinzial- Forstmeister Quart- Faslern in Hannover
ausgearbeitete, in diesem Aufsatz mehrfach benutzte Denkschrift,
betreffend „die Erwerbung einer gröfseren Moorfläche am Süd-Nord-
Kanal seitens der hannoverschen Provinzialverwaltung zwecks An-
bahnung der Kolonisation im Bourtanger Moor und Hebung der
Moorkultur“ spricht sich hierüber wie folgt aus*
„Auf der Forderung Griesebachs fufsend, dafs auch auf dem
Hochmoor der Ackerbau gelinge, sobald durch den Dünger für
hinlängliche mineralische Nahrung gesorgt sei, haben die Versuche
der Moorversuchsstation in Bremen sich spekulativ aufgebaut und
wesentlich veränderte Bedingungen für die Moorkultur schon jetzt
geschaffen, Mit einer zähen Ausdauer hat die Moorversuchsstation
zu Bremen unter der Führung der Königlich preufsischen Zentral-
Moorkommission und unter der Leitung des wissenschaftlich und
praktisch gleich ausgezeichneten Vorstandes, Professor Fleischer, seit
der Mitte des vorigen Jahrzehnts begonnen, die chemischen und
physikalischen Eigenschaften der Moore zu erforschen und allmählich
auch praktische Versuche mit Moorkultur durch Düngung und
sonstiger Nutzbarmachung anzustellen. Diese Versuche haben nun
*) Fleischer 1. c.
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unter anderem als Thatsache ergeben, dafs die künstlichen Düngemittel
für die Kultivierung der Hochmoore eine grofse Bedeutung haben. Die
sachverständige Verwendung von kalkhaltigen Materialien und von
Kunstdünger steigert auf dem Hochmoor die Erträge weit über die
Durchschnittsernten hinaus, welche bislang, bei ausschliefslicher Ver-
wendung von tierischem Dünger, in den deutschen Hochmoor-Kolonien
erzielt, wurden. Die genannten Stoffe eignen sich nicht nur zur Düngung
von Hochmoorboden, welcher bereits längere Zeit in Stalldung-Kultur
gewesen, sondern sie besitzen auch in hohem Mafse die Fähigkeit,
auf totgebranntem, noch nie gedüngtem Hochmoorboden hohe Erträge
an Kartoffeln und Roggen, später auch an Hafer, Klee, Erbsen,
Bohnen, Gräsern hervorzubringen. Gestützt auf diese in der er-
wähnten Denkschrift näher dargelegten Erfahrungen haben die
Organe der Provinz Hannover, der Provinzialausschufs und der
Provinziallandtag, kürzlich beschlossen, mit der Kultivierung und
Kolonisierung des bisher noch öden Teils des Bourtanger Moores
einen Anfang zu machen. In günstiger Lage,*) an den beiden das
Innere des Moores durchkreuzenden Kanälen, ist nach vorsichtiger Aus-
wahl ein Terrain von 425 ha angekauft worden. Sorgfältig aus-
gearbeitete Pläne über die vorläufig zu schaffenden Anlagen, die
Bewirtschaftung u. a. wurden dem Provinziallandtag vorgelegt,
welcher für die Erwerbung der Fläche, für die Kultivierung
derselben und ihre Vorbereitung und Überführung in die Bewirt-
schaftung und den Besitz von Kolonisten die Summe von
400 (XX) Mark aus dem Aufforstungsfond bewilligte. Der Plan
umfafst alles erforderliche, so die Kosten für eine Wegeanlage,
für Nivellement, für die Durchführung der Hochmoorkultur
auf HfiO ha und einer Veenkultur auf 40 ha, Forstkulturen
und Baumpflanzungen, die Anlage einer Feldbahn von 5 km Länge,
die Erbauung von Wohn- und Wirtschaftsgebäuden für (> Kolonisten,
Anschaffung von Torf schiffen. Vieh und sonstigem Inventar, endlich
die Anstellung eines Aufsehers zur Leitung des ganzen Unternehmens.
Die Ansiedler sollen das Land in Zeitpacht oder Kauf erhalten. Man
kann nur wünschen, dafs dieses Vorgehen der Provinz Haimover
den besten Erfolg haben möge. Die Aussicht hierauf scheint be-
gründet, wenn man an die von der Provinz neuerdings mit grofsem
Erfolg durchgeführten Waldkulturen in der Heide denkt und wenn
man sich vergegenwärtigt, wie es sich hier eigentlich nur um Wieder-
aufnahme der in früheren Jahrhunderten durch die Anlage der
*) Dio Lage der geplanten Kolonie ist auf dem Kartellen f?. 291 bezeichnet.
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Veenkulturen erfolgreich begonnenen Besiedlung der Moore handelt,
nur mit dem Unterschied, dafs die inzwischen gereifte tiefere
wissenschaftliche Erkenntnis und praktische Erfahrung neue wirksame
Mittel zur Lösung des Problems bieten. Gelingt der Versuch im
Laufe der Jahre, so werden die öden Moorstrecken in unserm
deutschen Nordwesten nach und nach verschwinden und den gleichen
blühenden Kulturen Platz machen, wie wir sie jenseits der ver-
witterten Granitblöcke, welche im Bourtanger Moor die Grenze
bezeichnen, bei nnsern Nachbarn, den Niederländern, sehen. Denn
das deutsche Kapital, das ja schon für eine immerhin unsichere
äufsere Kolonisation zu haben war, wird sicher nicht Zurückbleiben,
wenn es sich nach im Kleinen erreichten Erfolgen um die Durch-
führung einer inneren Kolonisation im Grofsen handelt, die uns mit
der Zeit im Lande selbst eine neue auf eigenem Grund und Boden
arbeitende, gedeihende und kaufkräftige Bevölkerung schaffen wird.
Uber die Ausdehnung des geographischen Unterrichts
auf die oberen Klassen höherer Lehranstalten.
Von Prof. Dr. Hermann Wagner in (jöttingen.
Am 20. September d. J. hat die Bürgerschaft Bremens einen
aus ihrer Mitte hervorgehenden Antrag angenommen, der weitere
geographische Kreise zu interessieren geeignet ist und deshalb einer
Erörterung von fachmännischer Seite unterzögen werden mag:
„Die Bürgerschaft spricht den Wunsch aus, dafs der Senat
die Frage in Erwägung ziehen möge, ob nicht — unter Voraus-
setzung, dafs die Zahl der Unterrichtsstunden nicht vermehrt wird,
— der geographische Unterricht am Gymnasium bis zu den obersten
Klassen ausgedehnt werden könne“.
Zunächst erinnern wir daran, dafs die Korporation, welche
sich vor sieben Jahren aus Lehrern, Jüngern und Freunden der
Geographie zusammengeschlossen hatte, um neben andern Zwecken
zugleich die Förderung des geographischen Unterrichts mit auf ihre
Fahne zu schreiben, der deutsche Geographentag, sich der an-
geregten Frage bereits mehrfach angenommen hat. Am eindrin-
gendsten geschah dies zu Berlin 1880 und Halle 1881 (Verhand-
lungen des deutschen Geographentages zu Berlin 1880, S. 129, desgl.
zu Halle 1881, S. 137, desgl. zu Frankfurt 1882, S. 178 ft.) und
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das Ergebnis der Beratungen wird in einigen Forderungen zusammen-
gefafst, aus denen die folgenden hierher gehören:
„Die Geographie ist in sämtlichen Klassen der höhern Schulen
mit eigenen Lehrstunden zu bedenken und auch in den Abgangs-
prüfungen als selbständiger Lehrgegenstand zu behandeln“.
Diese Thesen wurden mit mehreren andern, die Schulgeo-
graphie betreffenden, begleitet von einer kurzen Motivierung laut
Beschlufs der Geographentage an sämtliche deutsche Schulbehörden
gesandt. Unter den darauf erfolgten Riickäufserungen der letztem
hat natürlich die gröfste Bedeutung diejenige des preufsichen Un-
terrichtsministeriums. Dieselbe (vom 3. November 1882) lautete da-
hin, „dafs über die Stellung des geographischen Unterrichts in der
Lehr- und Prüfungseinrichtung der höhern Schulen durch die kürz-
lich in Geltung gesetzten revidierten Lehrpläne Bestimmungen ge-
troffen seien, über deren Erfolg weitere Erfahrungen abzuwarten
seien“ .
Es ist hier Bezug genommen auf die Verordnungen vom März
1882, in welcher die seit lange bestehende Verquickung des ge-
schichtlichen mit dem geographischen Unterricht von neuem gutge-
heifsen wird, indem der Lehrplan der Gymnasien 30 Stunden „Ge-
schichte und Geographie“ umfafst mit der nähern Bestimmung, dafs
in den untern Klassen die Geographie, in den obern Klassen die
Geschichte bevorzugt werden soll.
Das Resultat war und ist, dafs der geographische Unterricht
thatsächlich in Tertia das Ende erreichte und selbst in dieser Klasse
meist nur mit einer Stunde bedacht ist.
Jene Resolutionen des deutschen Geographentages kamen
also zu spät, um noch berücksichtigt werden zu können bei den
bevorstehenden Verordnungen, denn bekanntlich sind solche von
langer Hand vorbereitet. Das mufs man sich zum Trost sagen und
braucht daher nicht das Zusammentreffen einer laut und eindring-
lich redenden Kundgebung der Fachkreise mit einer scheinbar die-
selbe total ignorierenden Mafsregel der Unterrichtsverwaltung als ein
für alle Zukunft unsre Wünsche ausschliefsendes Faktum anzusehen.
Und eben weil ich das volle Vertrauen in die gesunden Prin-
zipien deutscher Unterrichtsverwaltungen habe, die ich bei der
grofsen Vielseitigkeit der Erwägungen, die hier in Frage kommen,
nicht durch einzelne Fehlgriffe oder Kurzsichtigkeiten mir beirren
lasse, und weil ich dies Vertrauen aus der Entwickelung schöpfen
zu können glaube, welche gerade die Pflege des geographischen
Studiums und Unterrichts in PreuTsen seit zehn bis zwölf Jahren
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genommen, halte ich es für richtig, dafs wir hei Zeiten auf die
weitern Konsequenzen aufmerksam machen, welche aus dem bisherigen
Betreten des neuen Weges folgen.
Damit weise ich daher auch den etwaigen Vorwurf ab, als
käme es uns Geographen auf Beunruhigung bestehender Verhältnisse
an. Mit der Thatsache, so bedauerlich sie ist, müssen wir rechnen,
dafs nämlich die verhängnisvolle Verordnung, welche einen nach
unsrer Ansicht unheilvollen, aus früherer Zeit überkommenen Zu-
stand bestätigt, erst aus dem Jahre 1882 stammt, mithin die
Hoffnung, es werde sich eine Geneigtheit zeigen, bereits jetzt unsern
Wünschen gemäfs generelle Mafsregeln zur Abänderung des Lehr-
plans von 1882 zu ergreifen, wenig Aussicht auf Erfüllung hat.
Immerhin sind schon fünf Jahre seitdem verflossen, und es liegt,
wie ich glaube, wenigstens diejenige Periode schon hinter uns, wo
die Lehrpläne andrer deutscher Staaten nach jenen preufsischen
Verordnungen noch umgewandelt werden. Dies ist, meine ich,
bereits geschehen, und der Rückschritt, der beispielsweise 1884 die
sächsischen Realschulen ihrer geographischen Lehrstunden in Prima
beraubte, welche sie früher besafsen, fängt vielleicht schon an in
mafsgebenden Kreisen der Schulverwaltung als ein solcher erkannt zu
werden, was unsern Argumenten kein geringes Gewicht zuführen würde.
Ich fasse unter diesen Umständen meine vorliegende Aufgabe
nicht dahin auf, dafs ich die Einführung bezw. Wiedereinführung
des selbständigen geographischen Unterrichts in den oberen Klassen
unsrer Gymnasien als eine wünschenswerte oder vom Standpunkt
des rasch erfolgten Aufschwungs wissenschaftlicher Erdkunde zu
fordernde nochmals beleuchte. Derartige Auseinandersetzungen werden
zu leicht als subjektive Meinungsäufserungen eines Einzelnen ange-
sehen, der pro domo spricht. Anders vielleicht, wenn man die
Sache als eine notwendige Konsequenz der bereits von den mafs-
gebenden Behörden beschrittenen Wege nachweisen kann, als das
fehlende Glied einer Kette von Mafsregeln. zu denen die Schulver-
waltungen bereits aus eigener Überzeugung gelangt sind, um einen
deutlich erkannten Übelstand zu beseitigen.
Darnach zerlege ich diese kleine Abhandlung in drei Abschnitte.
Im ersten erörtere ich. dafs heute gewisse Vorbedingungen er-
füllt sind, ohne welche die Abänderungen des Lehrplanes im Sinne
des Antrages der Bremer Bürgerschaft nutzlos sein würden.
Im zweiten suche ich nachzuweisen, warum die begonnene
Reform des geographischen Unterrichts ihren Zweck verfehlt, wenn
sie bei den bisherigen Schritten einer Reform von oben stehen bleibt.
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Im dritten gehe ich auf die Mittel und Wege ein, um den von
uns als notwendig erkannten Forderungen eines geographischen
Unterrichts in den oberen Klassen der höheren Schulen schon vor
einer allgemeinen Einführung einigermafsen gerecht zu werden.
Man wird sich bei den gesamten Fragen vergegenwärtigen müssen,
dafs wie bei jeder Umgestaltung des Lehrplans unsrer Schulen, vier
Gruppen von Stimmen initzureden pflegen und mitzureden haben,
die Schulverwaltungen, die Direktoren, die Fachlehrer und die öffent-
liche Meinung, deren Stimmführer oder intellektuelle Leiter bei uns
in Deutschland meist die Vertreter der betreffenden Wissenschaften
sind* Da meiner Überzeugung nach drei unter diesen unsem
Bestrebungen schon eng verbündet sind oder sympathisch gegenüber
stehen, so handelt es sich besonders darum, solche Gründe ins Feld
zu stellen, welche die Direktoren der Lehranstalten als durchschlagend
anerkennen, und sie veranlassen den aktiven oder passiven Wider-
stand aufzugeben, welcher die Weiterentwickelung des geographischen
Unterrichts an so vielen Anstalten lähmt. Es soll dabei keineswegs
verkannt werden, dafs derselbe häufig aus den Schwierigkeiten ent-
springt, den verschiedenartigen Anforderungen an die Ausdehnung
des Lehrplans gerecht zu werden. Aber bei der bekannten Thatsache,
dafs heute an zahlreichen Anstalten der geographische Unterricht
flickweise an ungeeignete wie an geeignete Kräfte von seiten der
Direktoren vergeben wird, beweist zur Genüge, dafs Mangel an Ver-
ständnis für die Bedeutung desselben die Hauptschuld daran trägt,
wenn man die Leiter der Schulen als Hemmnisse für eine freie Ent-
wickelung dieses Lehrzweiges aaszusehen gezwungen ist.
I.
Uber die Thatsache des geringen Erfolges des geographischen
Unterrichts auf unsem höhern Schulen, wie er früher — und sicher
zum teil bis heute — zu beklagen war, mich noch weiter zu verbreiten,
erscheint mir nicht am Platze, da die Einsicht, dafs hier Wandel
geschaffen werden müsse, ja längst bereits zu sehr umfassenden
Reformen geführt hat.
Alles kam und kommt darauf an, dafs man von seiten der
Schulverwaltungen erkannte und erkennt, es seien hier manigfaltige
Ursachen mitwirkend und es könne nur eine Beseitigung aller derselben
zum Ziele führen.
Weitaus der schwerwiegendste Grund war der fast gänzliche Mangel
tüchtig rargebildeter Lehrer der Geographie und es war meines Er-
achtens vollkommen richtig, dafs man von preufsischer Seite von
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oben und nicht von unten reformierte, dafs man zuerst seine Auf-
merksamkeit auf die Ausbildung tüchtiger Fachlehrer richtete, statt
etwa mit Reform der Lehrpläne zu beginnen, für deren Durchführung
nur an den wenigsten Schulen geeignete Kräfte vorhanden waren.
Dieser Einsicht verdanken die geographischen Lehrstühle an
deutschen Universitäten in erster Linie, wenn auch natürlich nicht
allein, ihre Entstehung und jeder Docent, müfste es hiernach als
eine seiner wichtigsten Pflichten ansehen, für die heranwachsende
Generation Lehrer der Geographie auszubilden.
Da hier jpdoeh ab ovo begonnen werden mufste, indem es zu
Anfang schlechterdings fast an allem fehlte, an eigentlichen Docenten
der Erdkunde, an einer ausgebildeten Methode für akademische Vor-
träge und Übungen, an zweckmäfsigen Unterrichtsmitteln und Samm-
lungen und vor allem an einigermafsen für das Studium der Geographie
vorbereiteten jungen Männern, — so mufste der Reform einige Zeit
gelassen werden sich einzubürgern, zu befestigen, zu wirken.
Das ist der Grund, weshalb ich meine Überzeugung nicht zurück-
halten kann, dafs jene Vorschläge der Geograph entage für Abänderung
der Lehrpläne zu gunsten einer Erweiterung des geographischen
Unterrichts eigentlich zu früh gemacht wurden. Wären sie 1880
bereits allgemein eingeführt, so hätte es sicher an sehr vielen, ja
an den meisten hohem Schulen noch an geeigneten Fachlehrern ge-
fehlt, welche die neuen Verpflichtungen hätten erfüllen können.
In diesen Beziehungen liegen die Dinge nun heute schon wesentlich
anders. Einzelne jener geographischen Lehrstühle sind schon zwölf
und mehr Jahre in Wirksamkeit und in Preufsen, Sachsen, dem
Reichslande ist seit Jahren jede Universität mit einer solchen Pro-
fessur versehen. Berücksichtigen wir ferner, dafs sich überall sehr
bald ein starker Zudrang zu dem neuen Fach entwickelte, so folgt,
dafs Norddeutschland heute bereits über eine nach hunderten zählende,
sich täglich vermehrende Schar von mehr oder weniger tüchtigen
Lehrern der Geographie verfügt, welche in Verbindung mit den
altern noch auf autodidaktischem Wege gebildeten Vertretern dieses
Fachs an den höhern Schulen jenen frühen Mangel an Lehrkräften
bald ausreichend ersetzen kann.
Doch es mufs eines andern Erfolges gedacht werden, welchen
die auf den Geographentagen gleichzeitig zum Ausdruck gekommenen
und weiter im stillen fortgesetzten Bestrebungen gefunden haben.
Dieser Punkt gehört nicht nur deshalb hierher, weil er zeigt, wie
naturgemäfs, wie mit Notwendigkeit sich eine berechtigte Forderung
nach der andern erfüllt, sondern weil sie auch auf die Stellung des
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geographischen Unterrichts rückwirken wird und mufs. In dem
neuen Prüfungsreglement für Lehramtskandidaten vom März 1887
ist endlich der erste entscheidende Schritt für die Erhebung des
Studiums der Geographie zu einem selbständigen Fach, einem solchen,
welches nicht notwendig mehr mit dem der Geschichte verbunden
ist, gethan. Es gehört nicht zu den geringsten der Vorteile, welchen
diese Verordnung im Gefolge haben wird, dafs nunmehr eine zwar
kleinere Zahl von jungen Männern sich dieser Disziplin zuwendet,
aber sicher zumeist nur von solchen, welche tieferes Interesse und
gröfsere Befähigung für die Geographie in sich fühlen. Wichtiger
scheint mir indessen der Umstand, dafs darin nun auch von seiten
der mafsgebenden Kreise der Schulverwaltung die Geographie als
Wissenschaft, die mehr als blofse Hilfswissenschaft ist, anerkannt
wird. Nicht dafs die Geographie als solche ein derartiges offizielles
Zeugnis bedürfte, in wissenschaftlichen Kreisen hat dieselbe seit
längeren Jahren diesen ihr besonders durch Ritters Einfiufs indirekt,
aufgeprägten Charakter abgestreift und fühlt sich in dem Bewufst-
sein ihrer Selbständigkeit und ihrer rein naturwissenschaftlichen
Grundlage wohl. Aber für die Stellung des geographischen Schul-
unterrichts ist die Auffassung, welche in den direktiven Kreisen über
die betreffende Wissenschaft herrscht, viel wichtiger, als diejenige,
welche ihre Fachvertreter davon hegen. Und eben deshalb kann
die endliche Aufhebung der obligatorischen Verquickung der Geographie
mit der Geschichte, welche bei der Lehrerbildung durch Jahrzehnte,
vorgeschrieben war, nur zur Folge haben, dafs auch im Schulunterricht
ihr eine etwas andre und namentlich selbständigere Stellung ge-
währt wird.
Ich bin weit entfernt davon zu verlangen, dafs fortan der
geschichtliche und geographische Unterricht notwendig in getrennte
Hände gelegt werden müfste, oder es als meine Überzeugung aus-
zusprechen, dafs überhaupt nur der Lehrer der Naturwissenschaften
oder der Mathematik geeignet sei, den geographischen Unterricht
zu erteilen — vielmehr mufs nur gefordert werden, dafs der Ver-
treter eines beliebigen Faches, welcher gleichzeitig Unterricht
in der Erdkunde übertragen erhält, nun auch wirklich solchen
im wahren Sinne des Wortes erteilt, nicht etwa nur historische
Topographie, aber auch nicht nur Kosmographie unter dem Namen
der Geographie lehrt. Kurz, ich ziehe aus der jetzigen Entwicke-
lung den Schlufs und die sicherste Zuversicht, dass die verhängnis-
volle Kombination „Geschichte und Geographie “ des Lehrplans der
Schulen von 1856 und 1882 fallen mufs und über kurz oder lang
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fallen wird, und schöpfe dieselbe aus dem Umstand, dafs in diesem
Punkte von jenen vier maßgebenden Faktoren der in diesem Fall
wichtigste, die oberen Schulbehörden, beginnt, sich den Überzeugungen
der Vertreter der Wissenschaft sowie der jüngeren Generation geogra-
phischer Fachlehrer anzuschliefsm.
Aber ich wiederhole meinen Zweifel, ob eine generelle Abän-
derung des Lehrplans im angeregten Sinne schon in Bälde zu er-
warten ist. Neue Erlasse werden vor Aust rag der prinzipiellen Fragen
über die gesamte Umgestaltung unseres höheren Schulwesens
schwerlich hervortreten, und sicher müssen die Leiter der einzelnen
Schulen erst noch in ihrer Gesamtheit in unser Lager herübergezogen
werden, ehe man sich innerhalb der Schulbehörden ernstlich mit der
Frage beschäftigt.
Diese Umstimmung ist sicher die schwierigste Aufgabe, weil
wir hier keine geschlossene, von wenigen Autoritäten geleitete Macht
vor uns haben, sondern eine ungemein grofse Zahl kleiner Souveräne,
mit denen man einzeln gleichsam in Unterhandlung zu treten hat.
Die Schwierigkeiten, die uns hierbei im Wege stehen, sind subjek-
tiver wie objektiver Natur.
Die grofse Mehrzahl der heutigen Direktoren unsrer höhern
Lehranstalten ist aus philologischer Schule hervorgegangen, welche
dem Studium sogenannter Nebenfächer auf den Universitäten abhold
war und sicher im allgemeinen noch keine Gelegenheit fand oder
sie jedenfalls noch nicht suchte, Kenntnis von dem Wesen geogra-
phischen Studiums auf der Universität zu nehmen. Und jene traurigen
Zeiten, in denen man eine Lehrbefähigung für den Unterricht in der
Geographie erwerben konnte auf Grund weniger Fragen eines Histo-
rikers nach geschichtlichen Lokalitäten und ohne nur ein geogra-
phisches Buch angesehen zu haben, konnten sicher auch den zahl-
reichen Direktoren, welchen eine solche Fakultas verbrieft war,
kein inneres Interesse und Verständnis, keine Wertschätzung für
unsre Disziplin eintlöfsen. Daher auch das geringere äufsere Interesse
für den geographischen Unterricht an den ihnen an vertrauten Schulen,
über welches so viele der eifrigen altern oder jüngern Lehrer der
Geographie mit Recht klagen.
Nimmt man dazu, dafs auch im Lehrerkollegium die Mehrzahl
genau auf dem gleichen Standpunkte steht, so läfst sich die Grofse
des passiven Widerstandes, welchen der Reformator an solchen
Schulen zu überwinden hat, ermessen.
Zum Glück vereinigen sich heute verschiedene Momente, um
diese in dem persönlichen Bildungsgang der Direktoren liegenden
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Schwierigkeiten zu bekämpfen. Von oben wirken nicht selten
die Winke der Schulräte oder höheren Behörden, die eine etwas
engere Fühlung mit den Universitäten bewahren,* — man braucht
in diesem Punkte nur an die Direktorenkonferenzen zu erinnern,
welche sich mehrfach mit dem geographischen Unterrichte beschäf-
tigten. Ganz ohne Einflufs werden doch auch die lauter werdenden
Stimmen geographischer Fachmänner und ihre Vereinigungen in den
Geographentagen nicht sein, wiewohl ich diesen der Hauptmasse der
Direktoren gegenüber noch als sehr geringfügig ansehe. Somit bleibt
die Hauptarbeit dem eimeinen Fachlehrer der Geographie übrig —
oder im günstigen Falle mehreren an gleicher Anstalt wirkenden —
um bei ihrem Direktor und dem Lehrkollegium jene Umstimmung
hervorzurufen, die ich als Vorbedingung für Änderung des Lehrplans
hinstellte.
Es liefse sich über diesen neuen Punkt ein Buch schreiben und
ich selbst vermöchte aus persönlichen Mitteilungen und Briefen teils
ehemaliger Schüler, teils angestellter Lehrer, die sich einer Prüfung
in der Geographie unterzogen, ein reiches Material dazu zu liefern, um
zu schildern, mit welchen Vorurteilen und Schwierigkeiten dieselben
zu kämpfen haben, um ihre Kräfte richtig zu entfalten, um die
nötigen Lehrmittel zu erhalten, um unbeeinträchtigt von den Ein-
griffen ihrer Kollegen ihre Schüler das lebendige Interesse, welches
sie für die Geographie gewinnen, auch offen zu bethätigen zu lassen.
Ich habe, um offen zu sein, solche klagenden Mitteilungen stets
mit einer gewissen inneren Ruhe und Freude entgegengenommen, denn
dafs diese Kämpfe notwendig waren und sind, war mir von jeher
klar. Abgesehen davon, dafs die über die einzelnen verhängte
Prüfungszeit für deren Entwickelung nur zu oft als heilsam zur
Stählung ihrer intellektuellen wie sittlichen Kräfte angesehen werden
darf, sind auch schon positive Erfolge zu verzeichnen. Wie oft
vermochte ich den Niedergeschlagenen das Beispiel derer entgegen-
zuhalten, welche nach Jahren unermüdlichen Strebens die Er-
reichung des Ziels, die Anerkennung der Bedeutung des geogra-
phischen Unterrichts durch Direktor und Kollegen, die Herbeischaffung
einer schönen Sammlung von Unterrichtsmitteln, der Erlaubnis
geographischer Spaziergänge u. a. m. berichten konnten.
Hier also liegt der Schwerpunkt für die enger begrenzte Frage
unsres Themas. Die Persönlichkeit des einzelnen Lehrers vermag
an der einzelnen Schule für die Hebung des geographischen Unter-
richts trotz entgegenstehenden generellen Lehrplans doch das meiste
zu thun und alle andern Ratschläge oder Mafsregeln sind wirkungs-
Geograph. Blätter. Bremen, 1887. 22
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los, wenn dieser Faktor versagt. Ich zweifle aber durchaus, ob heute
schon an allen Schulen solche durch Selbststudium oder akademische
Vorbereitung ausgebildete Lehrer vorhanden sind, die sich durch ihr
Wissen, ihre Begeisterung für die Sache, ihren pädagogischen Takt eine
Stellung verschaffen können, wie wir sie erheischen. Und selbst-
verständlich stelle ich die genannten Eigenschaften nicht allein in
Abhängigkeit von einer durch einen Fachprofessor zuerkannten „Lehr-
befähigung“. Denn in der nunmehr, wie ich denke, abgeschlossenen
Übergangszeit, in welcher der Zudrang zum geographischen Studium
ähnlich gewaltig war, wie zu andern Zweigen des Lehrerberufes,
sind auch manche ungeeignete Elemente in diesen letztem gelangt,
an denen die nachfolgende Generation noch zu leiden haben wird.
n.
Nach diesen Auseinandersetzungen liegt der Gedanke nahe, dafs
wenn nur erst allerwärts tüchtig fachmännisch vorgebildete Lehrer
der Geographie an unsern höhern Schulen thätig sind, wenn sie
durch Direktoren alle die Förderungen erfahren, die man innerhalb
eines Komplexes von Lehrgegenständen für einen einzelnen überhaupt
erwarten darf, dafs dann allen Anforderungen an eine geographische
Bildung der Schüler genügt werden könnte, ohne dafs die Lehrpläne
im Sinne des Bremer Antrages abgeändert werden.
Hierauf mufs nicht nur aus allgemein theoretischen Gründen,
sondern infolge rein praktischer Erfahrungen mit einem entschiedenen
Nein geantwortet werden. Wir haben hierbei durchaus den all-
gemeinen Zweck der höhern Schulen im Auge, allen denen, welche
sich den höhern Berufsarten widmen wollen, eine allgemeine Durch-
bildung des Geistes ohne spezielle Rücksicht auf ein späteres Fach-
studium mit auf den Weg zu geben; sie sollen befähigt werden,
sieh in das Verständnis der ihre Zeit bewegenden grofsen Faktoren
je nach ihrem späteren Berufskreis einzuleben. Fern sei es, mich
nun sofort auf eine Untersuchung und Abwägung des sogenannten
Bildungswertes der verschiedenen Schuldisziplinen einzulassen. Der
grofse Gehalt des sprachlichen, geschichtlichen, mathematischen
Unterrichts soll ebensowenig geleugnet werden, als die Notwendig-
keit, den gesamten höhern Schulen den Untergrund klassischer
Bildung zu belassen. Wir wollen uns in enger Begrenzung halten.
Es fragt sich danach nur, ob der Zweck, welchen man mit Ein-
führung des geographischen Unterrichts in diese Schulen überhaupt
verfolgt hat, auch wirklich erfüllt werden kann, wenn er, wie es jetzt
üblich, sich bereits in der Sekunda verblutet. Dieser Zweck kann
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in erster Linie nicht in dem Sinne formaler Natur sein, dafs da-
durch rein Verstandeskräfte geübt und abgerichtet werden sollten,
vielmehr will man durch ihn wie durch den geschichtlichen reale
Ideen in das jugendliche Gemüt einpflanzen, an welchen die spätere
Bildung unmittelbar oder mittelbar anknüpfen kann. Ist dem so,
so lehrt die Erfahrung, dafs der Zweck unter den jetzigen Verhält-
nissen nicht erfüllt werden kann und nicht erfüllt wird, und dafs
demnach Wandel geschaffen werden mufs, wenn nicht die jahrelange
Arbeit geographischen Unterrichts überhaupt vergeblich sein soll.
Der Beweis, dafs der Zweck nicht erfüllt wird, ist leichter zu
erbringen, als dafs es beim Fehlen eigener Stunden in den obern
Klassen nicht geschehen kann. Er liegt in den Prüfungs-Ergeb-
nissen der heutigen Abiturienten, sowie der Kandidaten des höhern
Schulamtes. Bekanntlich hebt das neue Prüfungsreglement für letztere
von 1887 dies Erfordernis des Nachweises sog. allgemeiner Bildung auf,
und damit hören auch die Prüfungen hinsichtlich einiger Kenntnisse der
Geschichte, der Geographie, des Lateinischen und des Französischen
u. a. künftig auf. Um so unschätzbarer ist das in den Prüfungs-
protokollen während der letzten zehn bis zwölf Jahre aufgesammelte
Material zur Beurteilung der geographischen Bildung unsrer ge-
bildeten, ja gelehrten Stände. Denn es ist nicht anzunehmen, dafs
es bei Theologen, Juristen und Medizinern damit besser stände als
bei Philologen, Mathematikern, Historikern, Naturwissenschaftlern,
kurz den Jüngern philosophischer Disziplinen.
Was hat sich nun herausgestellt und stellt sich noch heute
heraus ? Dafs während fast alle Kandidaten über die grofsen Phasen
der Weltgeschichte und speziell die Perioden der deutschen und
preufsischen Geschichte leidlich orientiert sind, und insbesondere
eine geringe Beschäftigung mit diesen Gegenständen etwa schlummernde
Kenntnisse rasch wieder wach ruft, über geographische Verhält-
nisse des Vaterlandes, wie aufserdeutscher Gebiete die grö/sle Un-
kenntnis oder Unklarheit herrscht. Dazu tritt für die meisten der-
selben die Unmöglichkeit, sich bei der knapp bemessenen Vorberei-
tungszeit nur einigermafsen über die Erdoberfläche und die elemen-
tarsten Teile der politischen Geographie zu orientieren, weil die
Betreffenden — nach eigenem Geständnis — nicht mehr an Bekanntem,
nur im Gedächtnis und im Vorst ellungsvermögen Zurückgedrängten
anknüpfen können.
Es ergeht ihnen hier genau so, wie im Gebiet der Geschichte
des 19. Jahrhunderts, in der die gleichen Examina eine erstaunliche
Unkenntnis ans Licht gezogen haben. Diesem Übelstand konnte
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man und hat man von behördlicher Seite sofort abzuhelfen gesucht,
indem man Verordnungen erliefs, den geschichtlichen Unterricht in
den obern Klassen bis zum Jahre 1870 auszudehnen. Hinsichtlich
der geographischen Ignoranz stand höchstens das Mittel zur Ver-
fügung, im Abiturientenexamen auf diese Disziplin gröfsern Nach-
druck zu legen. Aber damit erreichte man nicht viel mehr als etwa
durch die Mafsregel, dafs man den Vertretern der Geographie die
Prüfung der allgemeinen Bildung in dieser Disziplin im Examen für
Schulamtskandidaten übertrug, — eine rein äufserliche, vielleicht
für den momentanen Zweck ausreichende Aneignung von Thatsachen,
niemals aber eine Einpflanzung realer Ideen über die Erfüllung der
Erdräume mit verschiedenartig ausgestatteten Ländern, Lebewesen
und Menschen.
Eine solche kann nur durch eine ununterbrochene, bis zum
Schlufs der Schulzeit reichende Beschäftigung mit dem Gegenstände
gewonnen werden, ganz wie bei den andern Schuldisziplinen. Ins-
besondere aber bei einem Wissenszweig, bei welchem Jahre hindurch
die trockenere Seite der Einprägung von Formen, Lagen, Namen
und Zahlen die Hauptthätigkeit von Lehrer und Schüler in Anspruch
nehmen mufs. Man nimmt beiden den Lohn der Mühen, wenn man
den Unterricht dort abbricht, wo die Entwickelung allgemeinerer
Ideen verwandt werden kann, um das elementare Wissen immer
von neuem aufzufrischen.
Jedoch auf solche mehr gemütvolle Gründe wollen wir uns
deshalb nicht einlassen, weil sich andre Fächer des niedern Gym-
nasialunterrichts, wie vor allem die Naturgeschichte, in gleicher Lage
befinden, und die hieraus sich ergebende Konsequenz unsern An- i
forderungen nur ungünstig sein kann. Denn die Überbürdungsfrage
würde uns sofort entgegengehalten werden.
Vielmehr müssen wir die gröfsere Bedeutung geographischer
Kenntnisse gegenüber naturhistorischen für die höher Gebildeten
und demnach die Notwendigkeit gröfseren Spielraums für den geo-
graphischen Schulunterricht nachzuweisen suchen, alles mit Rück-
sicht auf die Oekonomie des gesamten Lehrplans. Wir sehen sie
darin, dafs der Sprung von der Auffassung der Formen der Lebe-
wesen, welche die Beobachtungsgabe und den Natursinn jugend-
licher Geister so ungemein anzuregen und zu beleben weifs, bis zur
Erfassung allgemeinerer Ideen über die Organisation und Enwickelung
derselben ein zu gewaltiger ist, als dafs er mit Erfolg schon inner-
halb der Schuljahre gethan werden könnte. So mächtig auch heute
der Aufschwung der Naturwissenschaften ist, so laut die Natur-
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pliilosophen in der Entwickelungslehre ihre Stimme erheben, so mufs
doch jeder, der nur einige pädagogische Erfahrung über das Auf-
fassungsvermögen von Schülern höherer Lehranstalten hat, sagen,
flafs hier Ideen zu erörtern sind, welche selbst für die grofse Masse
der Gebildeten schwerverständlich, geschweige denn für Schüler es sind.
Leichter begreifliche Ideen lassen sich an den Reichtum der
Naturformen anknüpfen, sobald man der Verbreitung derselben, der
verschiedenen Ausstattung der Naturräume mit solchen gedenkt.
Dann aber befindet man sich innerhalb der populären Behandlung,
die hier allein in Frage kommen kann, auf geographischem Boden, so
dafs recht eigentlich der geographische Unterricht geeignet ist, in
den obern Klassen das Fazit des naturhistorischen in untern und
mittlern zugleich mit zu ziehen.
Aber damit berühren wir nur eine Seite jener realen Ideen,
welche die Erdkunde noch innerhalb des Schulunterrichts den Schülern
mit auf den Weg zu geben vermag. Und somit kommen wir zum
Kernpunkt der Sache.
Solange ein Volk in völliger Isolierung lebt, wie es die ostasia-
tischen noch bis vor kurzem durch Jahrhunderte thaten, hat die
Kenntnis geographischer Verhältnisse in andern Gebieten der Erde
für die Gesamtbildung des Volkes kaum einen gröfseren Wert als
jede innerhalb eines Gelehrtenkreises gepflegte Idee oder Erkenntnis.
Anders wenn die politischen und wirtschaftlichen Fäden dasselbe
hundertfach und in steigendem Mafse mit andern Völkern der Erde
verknüpfen und der Wechsel von Wohl und Wehe der einzelnen bis
in die fernsten Gegenden Wellen schlägt.
Dann ist der Zeitpunkt gekommen, wo die Volksseele ihr Herz
erweitern, die gebildeten Träger desselben ihren Blick weiter umher-
schweifen lassen und lernen müssen, was aufserhalb des nächsten
Interessenkreises — im räumlichen Sinne genommen — vor sich
geht.
Welcher Schulmann wollte leugnen, dafs unser Volk längst in das
Stadium solcher tausendfältiger Beziehungen getreten ist, wer könnte
leugnen, dafs zu diesen die realen Kenntnisse der Gebildeten über
alle fremden Länder und Erdteile in schreiendstem Widerspruch
stehen? Aber verweilen wir selbst in den Grenzen des deutschen
Reiches. Die Entstehung des neuen Staatenbundes hat die isolierten
Teile in so enge Bande gebracht, dafs es eine unabweisliche For-
derung ist, über die andern Provinzen und Staaten wenigstens
einigermafsen orientiert zu sein.
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Wie aber reimen sich solche Forderungen mit den Vorstellungen,
wie sie bei näherer Erforschung zu Tage treten?
Wenn Königsberg an die Weichsel, die Altmark an die Oder,
der Kyffkäuser ins Fichtelgebirge verlegt ward — lauter Ergeb-
nisse der Prüfung von 24- bis 30-jährigen Männern — so wird man
dies vielleicht noch auf den Mangel des historischen Unterrichts,
der die Karte zu wenig benutzte, zu schieben geneigt sein, aber
wenn Semmering und Brenner verwechselt werden, das Engadin
nach Tirol verlegt wird, Dutzende über die Lagenverhältnisse vom
Gotthard und Simplon garnicht orientiert sind, trotzdem der Gotthard-
tunnel in jedermanns Mund, wenn Leute, die sich in England und
Frankreich als Lehrer oder Stipendiaten anfgehalten, von Hüll und
Southampton nie etwas gehört zu haben behaupten oder nicht ein-
mal die Provinzen anzugeben wissen, welche sie auf dem Wege von
Paris zur Heimat durchfahren haben, so zeugt dies von einem
Mangel an geographischem Sinn, den viele für Übertreibung halten
werden, der sich aber protokollarisch nachweisen läfst.
Man dehne aber solche Fragen auf weltbewegende, wie die
nach den heutigen Kornkammern der Erde, die Heimatsländer der
grofsen Stapelprodukte des Welthandels, über Volksverbreitung und
Kolonialbesitz aus, und auch dem grüfsten Gegner unsrer Bestre-
bungen, wenn anders er ein gebildeter Mann ist, müssen die Augen
aufgehen, dafshier auf Abhülfe gesonnen werden mufs. Nun gar, wenn
man die Vorstellungen über Volksmengen, Gröfse und Machtverhält-
nisse von Staaten und Provinzen, über die Verteilung der Nationali-
täten erforscht. Da wird mit Millionen umhergeworfen ohne Sinn
und Verstand, ohne jedes Mafsverhältnis. Nicht immer sind es
Überschätzungen, wie wenn man den Vereinigten Staaten 300 Mill.,
der Schweiz 10 Mill. Bewohner giebt, auch 1000 Menschen auf einer
Quadratmeile ward für eine sehr dichte Bevölkerung — bei uns — ge-
halten. Andre gestehen offen, überhaupt nicht eine einzige Zahl über
Bevölkerungsgröfse zu kennen, von andern Zahlenwerten, die in der
Geographie eine Rolle spielen, ganz zu schweigen.
Doch ich will das Kapitel der geographischen Zahlenverhält-
nisse nicht weiter erörtern, hier kann die Wirkung bessern Unter-
richts, der vielleicht in untern Klassen heute gegen früher schon
erteilt wird, noch nicht im Kreise jüngerer Männer in die Erscheinung
treten. Und sicher wird durch weitere Pflege des Anfangsunterrichts
auch sonst noch vieles gebessert werden. Aber man täusche sich
nicht, ivenn dieselbe, wie jetzt, bereits in Tertia abbricht, so ist es
undenkbar, da/s die Kenntnisse jene tiefe Wurzeln schlagen, die für
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ein Haften im späteren Leben unerläfslich sind, ein Haften nicht in
der Form stets präsenten Wissens, das ja nur einzelne begünstigte
Naturen von sich rühmen können, sondern in der Form fest be-
gründeter räumlicher Vorstellungen, welche sich jederzeit leicht auf-
frischen und zu einem Kreis realer Ideen erweitern lassen.
III.
Wenn der Erfolg eines Unterrichts in erster Linie von dem
Interesse abhängt, welches der Lehrer im Schüler zu erwecken weifs,
so ist jener an Preufsens Schulen vielfach übliche Ersatz geogra-
phischer Lehrstunden in oberen Klassen — die sogenannten geogra-
phischen Repetitionen — ein totgeborenes Kind.
Im allgemeinen stimmen damit auch alle Lehrer überein. Es
ist das ja nur zu begreiflich, denn die sogenannten Repetitionen
sollen nur Zusammenfassungen aller der Thatsachen und Anschauun-
gen sein, welche der Unterricht in seiner ganzen Breite und dem
jeweiligen Bildungstand und Interessenkreis der Schüler entsprechend
vorgeführt hat. Repetitionen gehören also beim geographischen
Unterricht selbstverständlich zu den allernotwendigsten Mafsregeln.
Aber beim Fehlen eigentlichen Unterrichts in den oberen
Klassen können diese Repetitionen im wesentlichen stets nur bei der
Summe von Erkenntnissen und Anschauungen anknüpfen, welche
dem untern Standpunkt entsprechen. Über diesen aber sind Sekun-
daner und Primaner hinaus. Darin liegt die Wurzel der Unfrucht-
barkeit dieser Repetitionen in den obern Klassen, die noch erhöht
wird, wenn sie nicht von demselben Lehrer abgenommen werden,
welcher den Unterricht früher erteilte. Die Unkenntnis des früher
geforderten, durchgenommenen Stoffes von Seiten des neuen Lehrers
führt zu weitern Unzuträglichkeiten, da für letztere keine Zeit
bleibt, die entdeckten Lücken auszufüllen.
Selbstverständlich reden wir hiermit nicht dem Fortfall der
Repetitionen das Wort — besser diese als gar keine Rückerinnerung
— , sondern behaupten nur von neuem deren Bedeutungslosigkeit als
Ersatz für die ausfallenden Lehrstunden.
Demnach stehen wir ganz und voll auf dem Standpunkt, dafs
ein jeder Direktor die Pflicht hat in Erwägung zu ziehen, wie er
für eigene Lehrstunden der Geographie in den obern Klassen Platz
gewinnt. Es kann mir dabei nicht in den Sinn kommen, einen
Rat erteilen zu wollen, welcher Unterrichtszweig statt dessen be-
schränkt werden könnte, wenn auch der häufig ausgesprochenen
Ansicht gedacht werden mag, dafs dies durch Beschränkung des
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einzelnen geschichtlichen Lehrstoffes am ehesten zu erreichen wäre.
Wie früher angedeutet, knüpfe ich die Hoffnung zunächst nicht an
eine allgemeine Malsregel, sondern daran, dafs die Verhältnisse an
einzelnen Schulen vielleicht günstiger liegen und diese andern
Unterrichtsanstalten den Beweis liefern, dafs sich die Sache ohne
wesentliche Beeinträchtigung der übrigen Lehrfächer oder zu starke
Anspannung der Schüler machen läfst. Diese günstigen Verhältnisse
werden nicht nur in einem einsichtigen, unserm Fache zugethanen
Direktor liegen, sondern auch in der Zusammensetzung des Lehrer-
kollegiums. Wo keine tüchtige Lehrkraft für Geographie vorhanden,
wäre es durchaus vergeblich, die Sache durch Einstellung eigener
Lehrstunden fördern zu wollen. Ein Philolog oder Historiker der
alten Schule würde dieselben als eine schwere Last empfinden und
den Schülern die Erdkunde mehr als durch die sogenannten Re-
petitionen verleiden. Aber ebenso kann ein jugendlicher Brausekopf
oder einseitig ausgebildeter Fachlehrer der Geographie die Sache in
ein falsches Fahrwasser bringen, wenn er, ohne sich an das Ge-
samtziel gymnasialer Bildung zu halten, die jugendlichen Geister
mit wissenschaftlichen Problemen unterhält, die ihn selbst von der
Universität her interessieren. Nur der wird uns ein rechter Bundes-
genosse sein können, welcher sich ganz in den inneren Organismus
seiner Schule eingelebt hat und gerade im geographischen Unter-
richt ein Mittel erkennt und zur Anwendung zu bringen mit-
schlossen ist, um der leidigen Zersplitterung der Geisteskräfte
der Schüler, wie sie die in die Breite wachsende Bildung mit sich
bringt, entgegenzuarbeiten. Wir leiten ja gerade aus der associierenden
Kraft geographischer Ideen die Berechtigung unsrer Forderung ab.
Nachdrücklich weisen hierauf die Thesen hin, welche der erste
deutsche Geographentag den Schulbehörden vorlegte. Die Geographie
wird dort „als das einzige Fach bezeichnet, welches naturwissen-
schaftlich - mathematisches mit geschichtlichem Wissen verbindet
und dadurch ein kräftiges Gegengewicht gegen die schädliche Zer-
splitterung bildet.“ *)
Endlich ist es denkbar, dafs tüchtige Lehrkräfte anderer Dis-
ciplinen an einzelnen Schulen ihre Zöglinge derart fördern, dafs
wenigstens semesterweise eine Stunde für eigene geographische Lehr-
stunden abgetreten werden könnte.
Kurz, wenn nur die Direktoren erst von deren Notwendigkeit
überzeugt sind, so läfst sich sicher an den meisten hohem Schulen
*) Verhandlungen des deutschen Goographentages 1881, S. 128.
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zunächst wenigstens eine geographische Lehrstunde für Sekunda und
Prima erübrigen. Die. Vorbedingung der Gedeihlichkeit solcher
Mafsregel ist allerdings unter allen Umständen, dafs der Erdkunde
in den mittleren Klassen zwei volle Lehrstunden eingeräumt werden.
Leider ist selbst dies heute nur selten der Fall. Unsre nächsten
Forderungen sind hiernach in der That durchaus mäfsige. Sie werden
keineswegs allen Geographen genügen, trotzdem erklären wir, dafs
dadurch schon viel erreicht sein würde.
Und nun darf daran erinnert werden, dafs solche Einrichtung,
wie sie eben in Vorschlag gebracht wird, auch bereits an manchen
Schulen, welche die geographischen Fachlehrer „bevorzugte“ nennen,
unabhängig von der Verordnung von 1882 erfolgt ist. Ich möchte
es jüngern, über mehr Zeit verfügenden Kräften überlassen den Beweis
für fliese Behauptung statistisch dadurch festzustellen, dafs die Schul-
programme einer genauem Durchsicht unterzogen werden. Und
ferner spricht doch unzweifelhaft für die Durchführung der ge-
wünschten Mafsregel die Thatsaehe, dafs zahlreiche Anstalten,
besonders Mittel-Deutschlands, die Einrichtung eigenen geographischen
Unterrichts in den obern Klassen besafsen, bevor er ihnen durch
die Novelle des Jahres 1882 genommen ward.
Ich entnehme diesen Verhältnissen unsre Berechtigung den
einzelnen Direktoren ganz im Sinne des Antrages der Bremer Bürger-
schaft die Bitte ans Herz zu legen, zu erwägen, ob sich nicht
das Gleiche an den ihnen unterstellten Schulen durchführen läfst,
unbekümmert um die allgemeinen Bestimmungen oder besser in
richtiger Auslegung der Bestimmungen des Lehrplans.
Im Laufe der Jahre habe ich den Irrthum, welcher meines
Erachtens nach ziemlich weit verbreitet ist, abgestreift, als seien
Schulräte und Direktoren, namentlich Preufsens, durch die stramme
Zucht der Beamtenhierarchie an engherzige Befolgung der geschrie-
benen Verordnungen gebunden. Vielmehr giebt es unter beiden
Kategorien zahlreiche bedeutendere Männer, die ihre Provinz bezw.
ihre Schule innerhalb der allgemeinen Bestimmungen nach eigenen
Ideen und Idealen zu gestalten und zu beeinflussen wissen, die die
Formen nur als Mittel zum Zweck, nicht als Selbstzweck betrachten.
Auf solche Männer setzen wir zunächst unsre Hoffnung und lassen
uns nicht durch die Erfahrungen in einzelnen Provinzen und deutschen
Staaten oder durch Beschränktheit einzelner Direktoren beirren.
Dafs aber die Leiter höherer Schulen in den kleinen deutschen
Staaten eine noch viel unabhängigere Stellung haben, ist sicher un-
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bestritten, und somit wird es diesen noch leichter möglich sein, den
Lehrplan in kleinerem Mafse ihren individuellen Anschauuungen
entsprechend umzugestalten.
Und nun zum Schlafs noch ein Wort über einen solchen geo-
graphischen Unterricht in den obern Klassen unsrer hohem Schulen.
Er kann unter sehr verschiedenem Gewände erteilt werden und ein
allgemeines Schema kann nicht in Vorschlag gebracht werden,
so lange man noch an den zufällig vorhandenen Lehrkräften an-
kniipfen mufs.
Dennoch läfst sich der allgemeine Grundsatz in den Vorder-
grund stellen, dafs durch jenen Unterricht — ganz wie bei den so-
genannten Repetitionen — in erster Linie reine elementare Kennt-
nisse, vor allem das Bild der Landkarte stetig aufgefrischt werden
müssen, dafs dies der Endzweck des Unterrichts ist wie in den unteren
Klassen. Aber derart, dafs die erwachsenen Schüler diesen Zweck
nicht merken, der Unterricht mufs ihnen ein ganz neuer, durch-
geistigter, höherer zu sein scheinen. Und selbstverständlich sollen
allgemeinere, reale Ideen in die jugendlichen Köpfe dabei gepflanzt
werden. Aber da diese ohne jene Grundlage, welche sie an das
Kartenbild festheftet, wie Nebel rasch verfliegen, so gehört eine
feine und bis in die Einzelheit ansgearbeitete Darstellung
dazu. Hier kommen nicht allgemeine didaktische Prinzipien, sondern
bis ins kleinste durchgeführte methodische Gesichtspunkte zur
Geltung. Kaum ein Name, keine Zahl darf ohne Zweck, etwa nur
der Ausschmückung wegen angebracht werden, alles mufs womöglich
aus der Karte herausgelesen oder an die Betrachtung derselben an-
geknüpft werden, ohne natürlich in diesen Klassen die heuristische
Methode so in den Vordergrund zu stellen, wie dies beim geogra-
phischen Unterricht in den untern und mittlern Klassen ge-
schehen mufs.
Aus diesen Gesichtspunkten rede ich Vorträgen über allgemeine
physische Erdkunde oder interessante Probleme derselben nicht das
Wort, dieselben gehören nicht auf die Schule. Der geographische
Unterricht mufs sich dort vielmehr an die andern Unterrichtszweige
anschliefsen. Dagegen bilden zusammenhängende Darstellung der
alten Geographie, die Entdeckungsgeschichte, die Entwickelung der
grofsen Welthandelslinien, des europäischen Kolonialwesens treffliche
Themata für einzelne Semester oder auch Jahre, um die Schüler im
Laufe der drei letzten Schuljahre noch ein- bis zweimal über den
ganzen Erdenraum hinweg zu führen. Zugleich bietet sich dabei
vielfach Gelegenheit jener Erscheinungen der Luftzirkulation, des
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Klimas, der Ozeanographie zu gedenken, welche dem Verständnis
der Schüler leicht begreiflich zu machen sind, wenn man unmittel-
bar ihre Folgen auf die wirtschaftlichen Verhältnisse von Staaten
und Völkern darstellt. Daneben mögen manche dieser Dinge auch
noch vom Lehrer der Physik und im Anschlufs an einen Kursgs so-
genannter mathematischer Geographie Erörterung erfahren. Innerhalb
eines solchen bleibt aber nur die Zeit, die Theorie der Phänomene
zu erörtern, nicht die dem Schüler fafsbareren konkreten Beispiele
geographischer Verbreitung derselben vorzuführen. Ich breche diese
Andeutungen ab, sie dienen, so kurz sie sind, hoffentlich dazu, unsre
Gegner davon zu überzeugen, dafs wir nichts in die Schulen hinein-
tragen wollen, was nicht hineingehört, was dem wissenschaftlichen
Studium Vorbehalten bleiben mufs. Nein, wir glauben ganz im
Rahmen gymnasialen Unterrichts zu bleiben mit solchen Ratschlägen.
Ob nun diese Zeilen von solchen gewürdigt oder überhaupt
gelesen werden, für welche sie geschrieben sind, mufs die Zukunft
lehren. Vielleicht bieten sie den Vorkämpfern für unsre Be-
strebungen in einzelnen Orten einiges Material. Ihr Endzweck war
nachzuweisen, dafs ohne geographischen Unterricht in den obern
Klassen unsrer hohem Schulen, ohne Ausfüllung der klaffenden Lücke
die Kette von erfreulichen Mafsregeln, die den geographischen Un-
terricht zu beleben und zu erneuern ergriffen sind, ein Stückwerk
bleibt.
Pearys Schlittenfahrt auf dem grönländischen Binneneise
im Sommer 1886.
ln No. 3 des 19. Bandes der Bülletins der amerikanischen
geographischen Gesellschaft giebt der amerikanische Zivilingenieur
R. C. Peary einen sehr interessanten Bericht über eine, wie er es
nennt, „Rekognoszierung auf dem grönländischen Binneneise“,
welche er in den Monaten Juni und Juli 1886 ausgeführt hat. Die
kleine Ausrüstung von sorgfältig ausgewählten Lebensmitteln, Gummi-
decken, Schneeschuhen u. a. wurde auf ein paar starke elastische
Schlitten gepackt, die mit Bändern und Zugtauen jeder 23 Pfund
wogen. Wie viel die Belastung ider Schlitten wog, wird nicht an-
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gegeben, es scheint, dafs Lebensrnittel anf drei Wochen für zwei Leute
mitgenommen wurden. Diese waren Peary und sein Freund Christian
Maigaard, stellvertretender Vorsteher des Distrikts Ritenbank.
Nach einigen vorläufigen Rekognoszierungen wurde der Eisblink am
inneren Ende des Pakitsok -Fjords, nahe Godhavn, auf 69 0 30 ' n. B.
erklommen. Zunächst mufste alles 1155 Fufs hoch über Felsen be-
fördert werden, dann ging es über eine Eiszunge weitere 800 Fufs
über Eis, das so rauh war, dafs immer nur ein Schlitten befördert
werden konnte, obwohl noch ein Eskimo mit half. Um 8 Uhr
abends traten die beiden die Reise an; es gelang ihnen in gerade
östlicher Richtung 10 miles zurückzulegen, wobei sie zum teil von
Nebel umgeben waren. Sie schlugen in der Höhe von 3000 Fufs
ihr Lager aufT zum Teil gegen den heftigen Wind und Schnee durch
ihre Schlitten geschützt. Die Oberfläche des Eises bestand auf und
ab aus zusammengeschobenem Eis. Die Eistrümmer ragten bis 100
und 150 Fufs auf, gelegentlich öffneten sich Eisspalten, das Wetter
wurde schlechter und so mufsten die Reisenden sich zu ihrem Zelte
am Rande des Fjords zurückziehen. Nach einem dreitägigen Sturm
wurde die Reise am 5. Juli von neuem angetreten : ein siebenstündiger
Marsch brachte die Reisenden zu ihren in Schnee vergrabenen Schlitten.
Mit diesen ging es nun vorwärts, bis der alte Feind, der Wind, und
ein infolge Nachgebens des Eises eines kleinen Teichs eingetre-
tenes teilweises Untertauchen eines der Schlitten Halt geboten, man
hatte nun 3300 Fufs ii. M. erreicht. Der 'nächste Marsch brachte
die Reisenden zur Höhe von 4100 Fufs, ungeachtet eines Umwegs
von zwei miles um das Ende eines Sees herum. In der Höhe von
4600 Fufs verloren sie das letzte Stück Land, eine der Spitzen der
Noursoak-Berge, aus Sicht. Im allgemeinen war die Nacht die beste
Reisezeit, der Schnee war dann härter, allein gegen Morgen herrschte
gewöhnlich heftiger Ostwind. So weit es thunlich war, schützten
die Reisenden ihr Lager durch Schneewälle, über welche dann die
Schlitten quer gelegt wurden. Meist bedienten sie sich der Schnee-
schuhe um die Gefahren des Passierens der Eisspalten zu mindern.
Im Anfang war die Temperatur des Nachts 26 — 28 0 F., allein bei
erreichter bedeutenderer Höhe wurden die Nächte immer kälter, bis
bei 6500 Fufs Meereshöhe das Thermometer auf 8 0 F. stand. Am
15. Juli brachen sie von ihrem Lager in 7450 Fufs Höhe auf, allein
Schnee und Wind waren so heftig, dafs sie in 7525 Fufs Höhe Halt
machen mufsten. Hier wurden die Reisenden einige Tage hindurch
in Schnee eingehüllt; endlich liefsen Schneefall und Wind etwas
nach, so dafs sie ihr Lager in Stand setzen, sich heifsen Thee und
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eine kräftige Mahlzeit bereiten konnten. Der folgende sehr schöne
und warme Tag wurde zum Trocknen der Kleider und Anstellen von
Beobachtungen benutzt. Die Note, betreffend die letzteren ist durch-
aus nicht klar, der Ausdruck „circummeridian altitudes“ (Neben-
mittagshöhen) klärt nicht genügend über die erreichte Länge auf.
Immerhin bleibt das geschätzte Vordringen 100 miles landeinwärts
vermutlich nicht weit von der Wahrheit. Die erreichte Höhe liefs
sich zuverlässiger ermitteln, denn ein ausgezeichnetes Aneroid-Baro-
meter zeigte 7525 Fufs auf der Ausreise und 7450 Fufs bei der
Rückkehr zur Küste oder 7487 Fufs als die Höhe ihrer Station, was,
so weit bekannt, die höchste innerhalb des Polarkreises erreichte
Höhe ist.*) Ingenieur Peary sagt von dem am weitesten im Lande
gelegenen Punkt, welchen er erreichte, dafs es ein flaches Becken
war, in welchem vor dem letzten Sturm der Schnee, so weit er mit
seinem Alpenstock — etwa 6 Fufs — hineinstofsen konnte, wie
feiner körniger Zucker war.
Die Reisenden hatten nun nur noch für sechs Tage Lebens-
mittel und beschlossen daher umzukehren. Sie banden die Schlitten
nebeneinander zusammen, errichteten aus einer Decke ein Segel und
nun ging es mit günstigem Wind und mit Hilfe der Bodensenkung
so rasch vorwärts, dafs Peary und sein Gefährte sich des seltenen
Vergnügens erfreuen konnten, viele Stunden sitzend auf einem Eis-
flofs hinzugleiten, das mittelst eines an einem Schneeschuh be-
festigten Beiles gesteuert wurde. Mit einiger Vorsicht glückte es, in
der Höhe von 6000 Fufs eine Anzahl Eisspalten, deren manche wohl
50 Fufs breit waren, auf natürlichen Schneebrücken sicher zu
passieren. Der gesamte Abstieg auf dieser Fahrt betrug 2125 Fufs.
Weiter abwärts verzögerten Wassertümpel, weicher Schnee und Eis-
spalten das Vorwärtskommen; der schwierigste und gefährlichste Teil
der Reise war über die Eiszunge, welche drei Wochen arktischen
Sommers in massives blauschillerndes Eis umgebildet hatte. Unge-
achtet einiger Unfälle erreichten die Reisenden wohlbehalten ihr Zelt
am Pakitsok-Fjord. Natürlicherweise kam ihnen, den an die kalte
Atmosphäre Gewöhnten, die Hitze im Thal drückend vor, wenn diese
auch den prächtig blühenden arktischen Pflanzen, die unterdes in
Bltithe geschossen waren, unentbehrlich war. Die beiden Reisenden
*) Nordenskiöld erreichte auf seiner Reise auf dem grönländischen
Binneneise am 21. Juli 1883 auf 88° 30' n. Br. die Höhe von 1510 m ü. M.,
seine Lappen drangen bis zur Höhe von 1947 nt — auf 88“ 32' n. Br. und
42 0 51 ' w. L. Gr. — vor.
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trennten sich nun. Peary wandte sich neuen Unternehmungen zu;
er durchquerte den Eisblink vom Torsukatak-Gletscher auf 70 0 n. B.
nach dem grofsen Kariak-Gletscher, der etwa 20 ' nördlicher an der
Noursuak- (Nugsuak)-Halbinsel liegt und untersuchte die Küstenlinie
des Eisblinks in jener Gegend.
Die Beschreibung, welche Peary von dem Eisblink hier giebt,
zeigt, dafs die hervorragenden Zungen oder Gletscher den in andern
Teilen der Welt angetroffenen sehr ähneln ; der Zugang zu ihrer Ober-
fläche Ist, in ihren unteren Teilen sehr schwierig. Die Oberfläche
ist im allgemeinen brüchig und durch Spalten, Abstürze und her-
vorragende Spitzen zerrissen. Weiter hinauf verbinden harte Schnee-
wehen oft das Eis mit dem Felsen. Was nun die Beschaffenheit
der Oberfläche jenseits der Küstenlinie im Innern betrifft, so besteht
die Oberfläche des Eisblinks nahe dem Rande aus einer Reihe von
aufgeschichteten Eistrümmern, die an ihrer dem eisfreien Lande
zugekehrten Seite am steilsten und höchsten sind und oft in Ab-
gründe abfallen. Weiter landeinwärts senken sicli diese Eistrümmer
in langen flachen Terrainwellen, bis endlich eine flache langsam
ansteigende Ebene erreicht wird, welche höchst wahrscheinlich
zuletzt in ganz gleichem Niveau verläuft.
Die Bedingungen einer erfolgreichen Erforschung des Inland-
eises werden von Peary wie folgt entwickelt:
1) Man suche den Eisblick möglichst da, wo er hoch über
Meer gelegen, auf, um so die grofse Zahl von Gletscherspalten weiter
abwärts zu vermeiden.
2) Sollte möglichst eine Stelle gewählt werden, wo das Vor-
handensein grofser und schnell vorrückender Gletscher *) auf die
Wahrscheinlichkeit eines schnellen Aufstiegs zu einem nahe der
Küste hochgelegenen Inneren schliefsen läfst.
3) Müssen Hudsons-Bai-Schlitten zur Verwendung kommen
und es sollte ferner jeder Teilnehmer im Gebrauch sowohl der
Schneeschuhe, als der Schnee-Schlittschuhe vollständig eingeübt sein.
Für eine so ausgerüstete und von dem rechten Geiste beseelte
Expedition würde der tiefe, unveränderliche Schnee, wie Peary
sagt, keine bete noire, sondern etwas sein, das man so bald als
möglich erreichen müfste; wenn einmal erreicht, würde dieser Schnee
*) Hierzu macht Herr Justizrat Dr. Rink, mit dem die Redaktion über
den Bericht Pearys korrespondierte, die Bemerkung, dafs das rasche Yorrücken
der Gletscher nicht von der Neigung des Bodens nahe der Küste, sondern von
der Stärke der unter der Eisdecke sich bewegenden Wasserströme herrühre.
Die Red.
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eine prächtige Heerstrafse sein, auf der man direkt zur Ostküste
Vordringen könnte. Das erste wäre, von der Basis der Noursoak-
Halbinsel hinüber nach dem innern Ende des Franz Josefs -Fjord
zu dringen und wieder zurückzukehren. Mit der nunmehr gewonnenen
Erfahrung ausgerüstet, würde man dann vom Whale-Sund ausgehen
und, das Land in Sicht behaltend, dem Rande des Eisblinks folgend,
entweder in den nordöstlichen Winkel von Grönland Vordringen,
oder unter einer niedrigem Breite das Innere von Grönland durch-
schneiden können. Diese Route hält Peary für den Schlüssel zur
Lösung des Grönland-Problems. Fügt man noch eine Reise von
der Disko-Bai quer nach der Südostküste, nach Kap Dan hinzu, so
würden nur noch untergeordnete Punkte zu erledigen sein.
Der einzige Punkt in Pearys Aufstellungen, denen man zuzu-
stimmen Bedenken tragen mufs, ist der zweite: wenn auch das
Vorhandensein eines grofsen und bewegten Gletschers einen schnellen
Aufstieg in das Innere andeuten mag, so scheint andrerseits gewifs,
dafs das beständige Yorrücken eines solchen Gletschers notwendig
starke Spalten und eine schwierige Beschaffenheit eine Strecke weit
ins Innere bedingen mufs. Die Bedeutung von Punkt 1. und 3. ist
hinreichend durch Pearys energische und erfolgreiche Rekognoszie-
rung bewiesen und wir können hier nur die Hoffnung aussprechen,
dafs Peary sich in den Stand gesetzt sehen möge, eine nach einem
gröfsern Mafsstab ausgerüstete Expedition ins Werk zu setzen.
W r ie immer auch die verwendeten Mittel und Kräfte und deren
Nutzbarmachung beschaffen sein mögen, so scheint es doch zweifelhaft,
ob die ganze Breite von Grönland durch eine Schlittenexpedition
wird durchmessen werden können. Selbst wenn man eine Hilfs-
expedition organisierte, welche Reservevorräte und Alkohol (zu
Feuerung) für die ersten Strecken lieferte, so würde doch das selbst
von der mutigsten und energischsten Expedition zu erreichende Ziel
auf dem 70. Breitengrad noch immer von jedem bekannten Punkte
der Ostküste weit entfernt bleiben. Die Schwierigkeit, Depots zu
errichten oder vielmehr sie auf dem Inlandeis zu finden, scheint unüber-
windlich, denn in einem so unsichem Klima würde es schwerlich
geraten sein, zu dem Ende sich auf astronomische Beobachtungen
zu verlassen.
Immerhin ist es möglich, dafs weitere Forschungen zur Ent-
deckung von Nunataks — tief im Inneren über das Eis empor-
steigender Bergspitzen — führen. An einem solchen Nunatak könnte
ein Depot errichtet und es könnte hier auch eine Hilfsexpedition statio-
niert werden. So hätte man eine Operationsbasis für Forschungen
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nach allen Richtungen. Wenn man sich der interessanten Reise des
dänischen Leutnants Jensen im Jahre 1878 zu den nach ihm ge-
nannten Nunataks erinnert, so braucht man nicht erst nachzuweisen,
wie wertvoll botanische und mineralogische Sammlungen, die an so
isolierten Punkten gemacht werden könnten, sein würden.
Aber es ist auch noch ein andrer Fall ins Auge zu fassen:
die Fjorde der Ostküste könnten noch weit tiefer ins Innere reichen,
als die von Payer und Copeland am weitesten im Inneren gesehenen
Verzweigungen des Franz Josefs-Fjords. Selbst von der Spitze des
Payer-Berges vermochten diese beiden arktischen Reisenden nichts zu
erspähen, was der Eisblink-Formation der grönländischen Westküste
ähnlich w'ar. Überall fanden die Gletscher von den beschränkten
Schneefeldem, wo sie entstanden, ihren Weg ohne Hindernis herab
in das niedrige Land oder zu den Fjorden. Dies möchte dafür
sprechen, dafs der erreichte weiteste Punkt entweder eine grofse
Insel oder eine ausgedehnte Halbinsel war. Abgesehen aber von
den zahlreichen Verzweigungen des Franz- Josef-Fjords, welche die
zweite deutsche Polarexpedition nicht erforschte, sind an der Ost-
küste noch andre tiefe Fjorde und Sunde, wie Davy- und Scoresby-
Sund, welche möglicherweise bis ins Herz von Grönland reichen.
Auch ist es durchaus nicht unmöglich, dafs innere Wasserstrafsen
diese Einbuchtungen nicht nur unter einander, sondern auch mit der
Gael Hamkes-Bai verbinden. Auf alle Fälle bieten diese Fjords
ein nahezu jungfräuliches Gebiet für geographische Erforschung. In
der That, wenn es gelänge, dem Ingenieur Peary für diese Unter-
nehmung eine gut ausgerüstete Expedition zur Verfügung zu stellen,
so würde er einen trefflichen Ausgangspunkt für eine Reise quer
durch von der Ost- nach der Westküste von Grönland gewinnen und
es würde die Erreichung der einen oder andern dänischen Nieder-
lassung an der Westküste wahrscheinlich sein.
Sollte dieser wie uns scheint günstigste Plan für die Durch-
kreuzung Grönlands nicht zur Ausführung kommen, so hoffen wir,
dafs Ingenieur Peary jede gewünschte Unterstützung für die Fort-
setzung seiner Forschungen von der Westküste aus finden werde.
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Kleinere Mitteilungen.
§ Aus der Geographischen Gesellschaft iu Bremen. Seit ihrem Bestehen,
welches vom 19. September 1870, dem Tage der Gründung des „Vereins für die
deutsche Nordpolarfahrt“ an gerechnet werden darf, ist dem Vorstände unsrer
Gesellschaft zum ersten Male die Freude widerfahren, dafs ihr ein Vermächt-
nis eines kürzlich verstorbenen Mitgliedes und zwar im Betrag von 1400 Mk.
zugewaudt worden ist. Der Name darf leider auf von betreffender Seite ge-
äufserten Wunsch nicht genannt werden. Der Vorstand vertraut, dafs dieses
Beispiel vorkommenden Falls kräftige Nachfolge finden möge. Denn nur durch
von Zeit zu Zeit ihr zu teil werdende aufserordentliche Beihilfe vermag die
Gesellschaft dauernd die Ziele zu verfolgen, welche sie sich gesteckt hat! Dem
freundlichen Geber wird die Gesellschaft ein treues Andenken bewahren.
Am 20. Oktober d. J. verschied im 72. Lebensjahre unser Mitglied Konsul
II. Hackfeld, der sich um die Ausbreitung des deutschen Handels in der
Südsee grofse Verdienste erworben hat. Er wurde am 24. August 1816 in
einem Dorfe des Kirchspiels Ganderkesee (Grofsherzogtum Oldenburg) geboren
und ging im 15. Jahre zur See. Seinen Seemannsverdienst benutzte er zu
seiner Fortbildung, namentlich zum Besuch der Steuermannsschule in Bremen.
Als Kapitän erhielt er ein Schiff zuerst im Anfang der vierziger Jahre ; es war
die Bremer Brig „Exprefs“, Rheder Grasers Handlung, Inhaber Heidorn in
Bremen. Nach verschiedenen Fahrten in europäischen Gewässern machte er
die erste grofse Fahrt nach St. Thomas und Maracaibo, nach welchem letzteren
Platze die „Exprefs“ als das erste Bremer Schiff kam. Von Maracaibo fuhr
er zurück nach Hamburg und trat dann die grofse Fahrt nach Valparaiso und
Mazatlan an. In Mazatlan konnte die Ladung wegen der damals in Mexiko
herrschenden Kriegsunruhen nicht abgeliefert werden. So wurde das Schiff
nach Honolulu dirigiert, von wo es abermals nach Mazatlan ging, diesmal mit
Lebensmitteln für die dort liegenden englischen Kriegsschiffe, wobei sehr viel
Geld verdient wurde. Von Mexiko ging die „Exprefs“ mit Farbholz und Silber
nach China, strandete aber am 7. Oktober 1845 bei den Baschi-Inseln ; die
Mannschaft sowie die Silberladung wurde geborgen und später von einem eng-
lischen Kriegsschiffe nach Manila gebracht, von wo die letztere nach Kanton zur
Ablieferung gelangte. Uackfeld, nun ohne Kommando, ging 1846 zum zweiten
Mal nach Honolulu, um hier einen kleinen Handel zu beginnen. So gelangte
er in das Land, in dem er seine grofsen Erfolge erzielen und ein Pionier des
Handels in der ganzen Südsee werden sollte. Bis zum amerikanischen Bürger-
kriege beruhte die Blüte des Handels von Honolulu in dem Verkehr der zahl-
reichen Walfischfänger, namentlich amerikanischer Nationalität. Die Kaper der
Konföderierten fegten diese von der See weg und auch aus andern Gründen,
wegen Abnahme der Wale, ging der Walfischfang bedeutend zurück. Un-
gefähr gleichzeitig begann die Zuckerkultur den Hawaiischen Inseln einen Er-
satz'fürjias Verlorene zu bringen. Sie blühte empor und w'iedor war es Hackfeld,
der mittlerweile (1855) seinen 1883 verstorbenen Schwager Pflüger als Teilhaber
ins Geschäft genommen hatte, beschieden, durch kluge Beteiligung zu bedeutenden
Erfolgen zu kommen. Durch seine Umsicht, seinen praktischen Blick und seine
spätere Kapitalkraft wurde er einer der Hauptförderer der Entwickelung
Hawaiis; der deutsche Handel dorthin hatte an ilun einen festen Halt, eine
gewaltige Stütze. Er scheute für diesen Zweck keine Opfer; sie lohnten sich
Geograph. Blätter. Bremen 1887. 23
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indes in grofsartigem Mafsc. Seit einer Reihe von Jahren hat er seinen Wohn-
sitz in Bremen gehabt; still ging er seines Wegs, wenige kannten ihn näher.
Aber eben im stillen entfaltete er als abgesagter Feind aller Ostcntatiou eine
grofsartige Freigebigkeit, sowohl nach anfsen als namentlich gegen seine in
bescheidenen Verhältnissen lebende weitverzweigte Familie. Er war nnd blieb
bis an sein Lebensende ein Mann, der nur in der Arbeit und treuesten Pflicht-
erfüllung seine Befriedigung fand. Hackfeld war im vollsten Sinne ein seif
made man. Ein echt norddeutscher Charakter, hat er gezeigt, welche Erfolge
durh Fleifs, zäheste Ausdauer und Bravheit der Gesinnung auch noch in jetziger
Zeit zu erreichen sind.
Wie in früheren Wintern, so veranstaltet die Gesellschaft auch in diesem
in Verbindung mit der Bremer Abteilung des Deutschen Kolonialvereins, Vorträge.
Am Freitag, den 4. November, fand die erste Versammlung statt. Zunächst
sprach Herr Dr. A. Oppel über die Expedition Stanleys zur Unterstützung
und Hilfe des in Wadelai festgehaltenen Emin Bey, indem er die Zwecke dieser
Expedition näher auseinandersetzte und neben der Hilfsleistung für Emin Bey
auf die zugleich mit zu lösenden geographischen Aufgaben hinwies. Zu letzteren
gehören namentlich das Problem des Uelle und die Frage der Identität desselben
mit dem Mobangi. Redner gedachte sodann der Sicherung der Kosten der
Hilfsexpedition durch eine Beihilfe der ägyptischen Regierung und die Garantie
englischer Kapitalisten, der Vorbereitungen und der Wald des Weges den Congo
aufwärts, besonders in Rücksicht darauf, dafs ein Vordringen von der Ostküste
ins Innere durch die feindselige Gesinnung des Königs von Uganda erheblich
erschwert worden wäre. Auch die Reise der aus 700 Personen bestehenden
Expedition den Congo aufwärts fand bekanntlich mancherlei Schwierigkeiten
hinsichtlich der Verpflegung, in der Stromfahrt, u a. Von Janbuka wurde der
Marsch ins Innere angetreten. Berücksichtigt man die Entfernung von hier
nach Wadelai — zum mindestens 800 km — und die afrikanischen Roise-
schwierigkeiten, — der Redner demonstrierte dies näher an mehreren Karten, —
so lasse sich, die Friedlichkeit der berührten Völkerschaften vorausgesetzt,
annehmen, dafs Stanley Mitte oder Ende September Wadelai erreicht haben
werde. Erst drei Monate später können Nachrichten über diese Ankunft iu
Europa eintreffen. Sollte dem kühnen Stanley auch dieser Zug gelingen,
so werden wir ihm neben seinen bisherigen Entdeckungen auch die Ent-
hüllung eines weiteren bisher noch unbekannten grofsen Teils des inneren
Afrika zu danken haben. — Nach diesen mit lebhaftem Interesse aufgenommenen
Mitteilungen nahm Herr Dr. Schwarz aus Berlin zu dem Vortrag über seine
im vergangenen Sommerausgeführte Reise nach Kleinasien das Wort. In der
Einleitung wies der Redner darauf hin, dafs das Europa so nahe gelegene
uud doch verhältuismäfsig unbekannte Kleinasien, reich an Naturreizen und
historischen Erinnerungen, der Zivilisation entbehre und, wie Europa die
griechische Kultur von dort empfangen habe, vielleicht dermaleinst wieder von
Europa aus kolonisiert, werden dürfte. Das nächste Reiseziel des Redners war
die Provinz Bithynien. Den Bosporus mit Dampfer kreuzend erreicht man in
Skutari den Endpunkt der in 100 km Länge nahe der Küste des Marinara-
meeres und des Golfs von Ismid zu dieser Hafenstadt führenden Kaiserlich
ottomanischen Eisenbahn. In langsamer Fahrt geniefst man in vollem Mafse
die Reize der kleinasiatischen Landschaft, deren herrliche Bergformen aus den
reich bebauten, bewaldeten und besiedelten Gefilden emporsteigen. Von der
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malerisch in Lorbeer- und Cypressenhainen gelegenen Stadt Diocletians gelangt
man in einem elenden Gefährt auf halb verfallener griechischer Strafse und
unter Bewachung eines Zaptielis (türkischen Polizeidieners) durch die Tiefebene
von Uesküb; ein starker Karawanenverkehr, namentlich gewaltige Holztrans-
portc, bew r egen sich hier durch nach der Hafenstadt. Vorüber an dem grünen
See Sabrandscha und den zum Schwarzen Meer strömenden Sakaria auf ge-
brechlicher Brücke kreuzend gelangt man auf schlechten Bergwegen in 2000 m
hohes von Tscherkessen und Kurden besiedeltes Gebirg und zu der fruchtbaren,
gut bewässerten Hochebene von Prusias. Hier hausen Tscherkessen und Lasen;
sie haben den Kartoffelbau eingeführt und kultivieren Reis. In der auf einer
Bfergterrnsse gelegenen alten Stadt Prusias finden wir noch bauliche Überreste
aus der griechischen Zeit, namentlich auf dem Markte das trotz der Ver-
stümmelungen noch herrliche Marmorbild der Venus. Die die Hochebene um-
gebenden Walnufs- und Kastanienwälder sind von Bären und Wildschweinen
belebt. Von liier steigt man über das nördliche Randgebirge, Hedjys Joll, zum
Schwarzen Meer und zu dem an letzterem gelegenen Hafen Akdseheschehr, von
wo ein bedeutender Export wertvoller Hölzer, namentlich nach Frankreich,
stattfindet. Gasthäuser giebt cs nicht, doch findet der Empfohlene Unterkunft
bei griechischen Kaufleuten. Die Segelbootfahrt ostwärts nach Eregli, dem alten
Heraklea Pontika. das zu Lande über felsiges Ufer noch schwerer zu erreichen,
ist oft langwierig und selbst gefährlich. Eregli, das nur von griechischen und
türkischen Dampfern in unregelmäl'sigem Dienst besucht wird, — der öster-
reichische Lloyd läfst nur die Hauptplätze des Schwarzen Meeres aulaufen, —
führt viele französische und englische Waren ein, deutsche sind den dortigen
griechischen Kaufleuten unbekannt. Hier erstrecken sich 20 Meilen ostwärts
und ins Land hinein mächtige, bis jetzt noch sehr primitiv abgebaute Lager
einer der Cardiffer an Güte gleichen Kohle, deren näclistes Absatzgebiet die
Länder an der unteren Donau bilden. Die Fahrt ging weiter ostwärts zur
Mündung des Bartansu, w r o ein für die Ansiedlung der Deutschen aus der Dobrud-
scha geeignetes Terrain besichtigt wurde und sodann den Fltifs aufwärts zu der
Getreide. Früchte und Häute exportierenden Stadt Bartan. Von da reitet mau über
den Vogelsberg (türkisch Kusch Khaya), einen 1100 ra hohen, von Lorbeer- und
Myrtenwäldern bestandenen Pafs, hinab zu dem auf vorspringendem Land,
mit Mauern und Zinnen umschlossenen Hafenplatz Amastra. Mit dem Ausblick
auf eine zukünftige Kolonisation Kleinasiens durch Europäer sclilofs der Redner
seinen anziehenden, durch viele Details reich belebten Vortrag, den der
Beifall des Auditoriums lohnte. Eine türkische Marinekarte und Moltkes Karte
von Kleinasien dienten als Erläuterung.
In der am 25. November abgehaltcncu Versammlung der Geographischen
Gesellschaft machte znnächst Dr. M. Lindeman namens des Vorstandes Mit-
teilung über das vom Reich errichtete, am 27. Oktober d. J. in Berlin eröffnete
Seminar für orientalische Sprachen, dessen Direktor, Herrn Professor
Sachau, der Vorstand zur Eröffnung die besten Wünsche der Gesellschaft ausge-
sprochen habe. Redner w ies auf die vorwiegend praktischen Ziele dieses Instituts
hin, das den Forschungsreisenden, wie den Kaufmann, den Techniker, Missionär,
und Dragomau für einen nutzbringenden Aufenthalt in überseeischen Ländern
sprachlich genügend vorbilden wolle. Die Kenntnis der Sprache sei mitunter
für den Erfolg von Forschungsreisen geradezu ausschlaggebend und ermögliche
allein ein gründliches ethnologisches Studium. Die Erfahrung habe ferner ge-
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lehrt, dafs ein Kaufmann, der die Landessprache rede, einen grofsen Vorteil
vor seinen europäischen Mitwerbern voraus habe. Der Lehrkursus, an welchem
jetzt im ganzen 115 Schüler, darunter 40 Juristen, eben so viel Sprachgelehrte
und Naturforscher und nur 30 Kaufleute teilnehmen, dauert 6 — 8 Semester
für das Chinesische, fi für das Japanische je 4 für Hindustani, Arabisch, Persisch
und Türkisch, 2 für Suaheli. In Verbindung mit dem sprachlichen Unterricht
werden auch die Realien der betreffenden Sprachgebiete gelelirt. Das Auditoriums-
geld betrage für das Semester nur eine Mark, neben einem Beitrag von 20 Mark
zu den Kosten der Bibliothek. An sich auszeichnende bedürftige Schüler werden
Stipendien im Betrage von je 300 Mark bewilligt. Zur Aufnahme genüge eine
schriftliche Meldung, Angabe des Lebenslaufs und ein Leumundszeugnis. Der
Unterricht im Chinesischen. — was für den Kaufmann wohl die Hauptsache, —
sei so eingerichtet, dafs ein tüchtiger junger Mann in einem Jahre so viel
lernen könne, um ohne Hilfe wenigstens das Notwendigste zu sprechen und zu
schreiben. Der Redner sclxlofs mit dem Wunsche, dal's auch junge Bremer
Kaufleute die gebotene Gelegenheit benutzen möchten, um sich in dem neuen
Reichsinstitut für ihren in überseeischen Ländern auszuübenden Beruf sprachlich
tüchtig vorzubilden und so ein neues wichtiges Mittel für eine erfolgreiche
kaufmännische Thätigkeit sich anzueigneu.
Über den sodann gehaltenen anziehenden Vortrag des Herrn Dr. Kükenthal
aus Jena, der durch Karten, eine Reihe schöner Aquarelle von spitzbergischeu
Landschaften und Eismeerszenerien, sowie verschiedene ausgestopfte Vierfüfser
und Vögel aus den arktischen Regionen illustriert war, berichten wir nachstehend.
Herr Dr. Kükenthal unternahm Ende April vorigen Jahres, zum Zweck
des Studiums der arktischen Tierwelt, eine Reise in das europäische
Eismeer auf einem norwegischen Fangschiffe. Über vier Monate weilte er so
in den arktischen Gegenden, erst Anfang September kehrte er mit dieser Jacht,
— „Hvidfisk“, Kapitän Ingbrichtsen, — nach Tromsö zurück. Mit der Ent-
deckung Spitzbergens durch Barents im Jahre 1596 erschlossen sich bekanntlich
die reichen, seitdem im Laufe der Jahrhunderte völlig erschöpften Walgründe.
Von den zahlreichen Fischerflotten verschiedener europäischer Nationen sind
nur noch die norwegischen Spitzbergenfahrer, eine kleine Anzahl Fahrzeuge,
geblieben. Diese streifen, dem Seehunds-, Walrofs- und Weifswalfang obliegend,
östlich bis nach Nowaja Semlja und zum Weifsen Meer, westlich bis vor das
ostgrönländische Eis. Die Jachten sind eigens für die Eismeerfahrt gebaut,
haben einen oder zwei Masten, einen eisenbeschlagenen Bug. eine doppelte Be-
plankung des Schiffskörpers und oben im Mast das sogenannte Krähennest zum Aus-
lugen nach Eis und Jagdbeute. Die Hauptpersonen an Bord sind der Kommandeur,
ein tüchtiger Seemann und erfahrener Kenner der Eismeerverhältnisse, und der
Steuermann, der gewöhnlich ein Lappe ist und als Harpunier Büchse wie
Harpune gleich sicher zu handhaben versteht. Die sonstigen Fangleute
rekrutieren sich aus Norwegern und Lappen. Strenge Disziplin herrscht au
Bord. Der Lohn besteht ganz oder teilweise in einem Anteil am Wert des
Fanges. Bei der Bären-Insel oder vor Spitzbergen wird in etwa 100 Faden
Meerestiefe der Haakjerring- oder Eishaifang mit Angeln betrieben. Diese etwa
15 Fufs langen Fische liefern bei einer übergrofsen Leber oft 2 — 3 norwegische
Tonnen Thran. Eine aufregende Jagd ist der Fang des Hyperodon rostratus
(bottle-nosewhale), ein etwa 24 Fufs langer Wal, der in einer eisigkalten,
stürmischen Frühlingsnacht bei Dreien, Dampf blnsend und die braunen Rücken
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im Mitternachtssonnenschein glänzend, erschien. Vom ßoot schiefst der Harpunier
mit seiner besonders konstruierten Walfischkanone zwei Harpunen zugleich in
verschiedener Höhe. Drei Viertelstunden vermag der Wal das Boot an der
Harpunenleine mit sich fortziehend unter Wasser zu schwimmen, bis er anf-
tauchcnd vom Harpunier den tötlichen Stich in den Rücken empfängt. Das
Abspecken des Fisches längsseits des Fahrzeugs lockt die gefräfsigen Eismeer-
sturmvögel zu Tausenden heran. Der Kopf des Fisches enthält noch viel
flüssigen Thran. Die schmutzig grüne Färbung des Wassers bekundet eine
reiche Algenflora, von welcher sich die niederen Meerestiere nähren. Letztere
dienen wiederum höher organisierten zur Nahrung und diese bilden die Speise
der Wale. Die Walgcbiete finden sich an den Grenzen der Ausläufer des warmen
Stromes und des kalten Polarwassers, in 2—3 Grad R. Die Färbung, die oft
wundersame Gestaltung und Trift des Eises, die zartgrüne Farbe des Himmels
fesseln den Beobachter, bis ein erspähter schwarzer Punkt auf den treibenden
Eisfeldern die Nähe von Robbenherden kündet. Mittels Schnellfeuers werden
die Tiere von den Böten ans erlegt; letztere bleiben oft. tagelang aus und ge-
raten nicht selten bei Nebel in eine schlimme Lage. Im Mai oder Juni suchen
die Fahrzeuge an die Küste von Spitzbergen zu kommen, um die dürftige
Schiffskost (Graupen und hartes russisches Salzfleisch) durch frisches Rentier-
fleisch zu bereichern, sowie Vogeleier und Daunen zu sammeln. Das Treibeis
gestattete dem „Hvidfisk“ erst am 23. Juni in den wegen seiner pittoresken
Szenerien berühmten Eisfjord einznlaufen, wo das Fahrzeug in der Nähe des
Rufs-Elfs (Rnssenflusses) ankerte. Die dom- und kegelartig sich aufbauenden
oder in Terrassen hoch aufsteigenden rötlichen Felscnufer gewähren mit dem
ihre Zinnen krönenden Hochlandseis einen über alle Beschreibung grofsartigen
Anblick. Die erhabene Stille der arktischen Natur wird nur durch den Schrei
der Möven unterbrochen, die zu vielen Tausenden auf unzugänglichen Klippen
nisten. Gefahrvoll ist das Erklimmen dieser Vogelberge, aber der zuerst
Kommende wird durch eine wertvolle Ausbeute an Eiern und Daunen belohnt.
Die Rentierjagd ist besonders am Eingang der nach dem Fjord sich öffnenden
Thäler einträglich. Sobald der arktische Sommer beginnt, verwandelt sich die
arktische Landschaft wunderbar schnell, Moose, Gräser, Steinbrecharten, der
arktische Mohn und andre Bekannte ans unsern Alpen bedecken die öden
Halden und geben ihnen einen grünlichen Schimmer. Sogar Bäume, zwei
Weidenarten, wachsen an geschützten Stellen einige Zoll hoch. Der Frühling
und kurze Sommer ist die goldene Zeit für das Rentier, welches, bis dahin spindel-
dürr, nach 8 Wochen unter seinem braunen 8ommerkleid eine 2 bis 3 Finger dicke
Speckschicht trägt. Bei einer gleichmäfsigen Temperatur der Luft von + 4 — 5 0 R.
und ausgezeichneter Reinheit derselben, bei dem ununterbrochenen Sonnenschein
sind Erkältungen unmöglich, die Gesundheit und der Appetit sind uner-
schütterlich, pathogene Bakterien sind absolut nicht vorhanden, und es mag
einst in der Zukunft die Zeit kommen, wo man Spizbergen als einen sommer-
lichen Kurort, aufsucht. Im Hochsommer wird endlich an der Nordküste, in
der Hinlopenstrafse und an dem schwer zugänglichen Nordostlande das Walrofs
mit Lanze oder Schufswaffe getötet, eine gefährliche Jagd, wenn die Tiere in
Scharen das sie verfolgende Boot selbst angreifen; die Jagd auf Eisbären —
den „Länsman von Spitsbergen“, wie er genannt wird — ist dagegen meist
ungefährlich, weil dieses Tier nur selten und unter besonderen Umständen dem
Menschen zu Leibe geht. Neben dem Speck ist die Haut des Walrosses wert-
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voll, sie dient zu Treibriemen, während die Zähne für die Anfertigung mensch-
licher Gebisse benutzt werden. Dem Fang des Weifswals (belnga). dessen untere
Haut das feinste Stiefelleder abgiebt, w'ohnte Dr. K. in der Advent -Bai bei. Eine
Schar dieser Wale wurde in einem Fjord durch ein grofses Sperrnetz abge-
sperrt, mit einem kleineren Netze wurden sie sodann an Land gebracht und
getötet.; eine dem Tunfischfang ähnliche Schlächterei. Im allgemeinen mufs
man sagen, dafs die norwegischen Fangleute einen schweren und harten Kampf
um das tägliche Brot bestehen; Intelligenz und Mnt sind in hohem Mafse er-
forderlich, dabei ist die Zahl der schlechten Fangjahre viel gröfser als die
der guten.
§ Polarregionen. Die Zeitschrift der Königlich dänischen geographischen
Gesellschaft, Band 9 (1887 88), Heft VI, enthält einen bemerkenswerten Aufsatz von
H. Rink über die Ergebnisse dor neuesten dänischen Unter-
snchungen in Grönland, rücksich tli oh des Binnenlandes und
des Ursprunges der schwimmenden Eisberge. Als im Jahre 1876
eine planmäfsige physisch-geographische Untersuchung Grönlands eingeleitet
wurde, war der Gedanke dabei auch besonders auf das noch wenig bekannte
Binnenland gerichtet. Es waren ja noch ab und zu Zweifel erhoben worden,
ob dieses wirklich ganz unter Eis begraben sei. Vor allem galt es dann erst
zu entscheiden, ob der Rand dieses .Binneneises“ wirklich ein zusammen-
hängender sei, und nirgends einen Durchgang zu möglicherweise vorhandenen
weniger öden Thälern im Innern gestatte. Wenn man eine durch die Endspit.zen
der Fjorde gezogene Linie als die Grenze des Binnenlandes betrachtet, dürfte diese
auf 800 geogr. Meilen veranschlagt worden. Von dieser Erstreckung sind nun
im Laufe der letzten Jahre 340 Meilen so weit rekognosziert worden, dafs der
Rand des Binneneises hier mit einiger Sicherheit hat verfolgt werden können,
und es geht aus allen Berichten hervor, dafs nirgends ein Durchgang zu finden
war. Wenn dieses Ergebnis enttäuscht haben mag, so könnte der Einblick, den
man dabei über den Rand des Eises hinweg ius Binnenland selbst gewonnen
hat, dem ersten Anscheine nach als noch entmutigender betrachtet werden.
Die Reisenden, welche eine Wanderung über dieses Eis versuchten, fanden
anfangs neben den sich ihnen darbietenden Schwierigkeiten doch einige Abwechse-
lung und Gelegenheit zu Beobachtungen ; aber je weiter sie sich vom Rande
entfernten, desto mehr verschwanden alle fremden Gegenstände, die Oberfläche
wurde immer ebener, erst Eis und nichts als Eis ; dann verschwand auch dieses
unter einer Decke von losem Schnee, und wenn man, so weit das Auge reichte,
nur eine blendend weifse Ebene vor sich hatte, konnte man allerdings einigen
Grund haben, den Nutzen einos weiteren Vordringens in diese trostlose Öde
zu bezweifeln. In der That. verspricht eine Wanderung quer über Grönland
verhältnismäfsig nur wenig direkte Ausbeute. Wenn aber die Beobachtungen
auf einer solchen mit den Untersuchungen des Eisrandes und der Eisfjorde,
sowie der mächtigen in diesen vorgehenden Bewegungen in Verbindung
gesetzt werden, wäre hauptsächlich daraus die Lösung zweier wichtiger Fragen
in der Geographie und Geologie zu hoffen, indem nämlich Grönland das einzige
bis jetzt bekannte Land ist, welches Gelegenheit darbietet, teils den Ursprung
der schwimmenden Eisberge, teils eine noch existierende, der verschwundenen
europäischen entsprechende Glacialformation zu erforschen. Das Binneneis ist
zunächst mit einer Cberschwemmung zu vergleichen. Von jeher hat man das
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Innere des Landes, von Berghöhen aus betrachtet, als ein schneebedecktes
Tafelland beschrieben. Da aber jetzt in dem weiten erforschten Umkreise überall
dasselbe sich wiederholt hat, so entsteht die Frage, ob nicht die Horizontalität
der Oberfläche von einer Nivellierung, einer Ausfüllung der Vertiefungen durch
Eis, anstatt von der Form des unterliegenden Landes als eines Tafellandes zu
erklären sei. Anderweitige Beobachtungen haben diese Ansicht bestätigt, und
wir haben demnach ja schon das Bild einer Überschwemmung. Hierbei ist
jedoch zu bemerken, dafs die Oberfläche erst in einer gewissen Entfernung vom
Rande diesen Charakter annimmt und dafs wir die Unebenheiten, die als
mächtige Spalten besonders im Anfänge die Wanderung gefährden, anfser acht
lassen. Dabei ist die Oberfläche bis zu den äufsersten Punkten, wenngleich
in einem stark abnehmenden Grade, fortwährend steigend. Die Steigung ist
auch für verschiedene Ausgangspunkte verschieden. In derselben Entfernung
vom Rande, in welcher unter 68'/» 0 n. Br. die Höhe von 2000 Fufs erreicht
wurde, ist sie unter 62 1 's 0 als 4000 Fufs betragend gefunden. Die gröfste
Höhe, bis zu welcher man die Oberfläche bis ins ferne Innere hat verfolgen
können, beträgt 6000, von einem einzelnen Punkte aus vielleicht 7000 Fufs.
Nicht, selten ist die Frage aufgeworfen worden, oh das Gletschereis in
Grönland zunehme oder abnehme. Wenn man weifs, dafs auf der nördlichen
Halbkugel die eigentlichen schwimmenden Eisberge allein von Grönland her-
rühren, möchte die Frage wohl näher liegen : wie ist es möglich, dafs es noch
eisfreie, bewohnbare Plätze in einem Lande geben kann, dessen Küsten fort-
während Bruchstücke einer Eisplatte von 1000 Fufs Dicke dem Meere über-
geben können? Am kürzesten läfst diese Frage sich wohl durch ein Gleichnis
beantworten: Das Eis dieser Platte entsteht nicht unmittelbar am Rande des
Meeres, sondern wird, wie der Niederschlag, im flüssigen Zustande durch Flüsse
vom ganzen Binnenlande produziert und gewissen Punkten des Umkreises zu-
geführt. Diese Punkte sind bekanntlich die Eisfjorde. Je nach der verschie-
denen Stärke, mit welcher sich die merkwürdige Bewegung des Eises vom fernen
Innern auf die Eisfjorde konzentriert, hat man dieselben in 4 Klassen geteilt.
Auf der Westküste kannte man bisher etwa 9 Eisfjorde ersten und zweiten
Ranges, und eine genauere Untersuchung der Arme des Binneneiscs in einigen
derselben war eine Hauptaufgabe der dänischen Reisenden. Folgende Ergeb-
nifse haben sich dabei herausgestellt :
Der Gletscher von Jacobshavn bewegt sich zu jeder Jahreszeit in seiner
Mitte mit einer Schnelligkeit von über Ö0 Fufs täglich. Ein Gletscherarm des
Torsukatak-Fjordes (unter 70 0 10 ' n. Br.) zeigt eine Bewegung von 20 bis
30 Fufs täglich. Der Karajak-Glet.scher im Umanak-Fjorde legte 22 bis 38
Fufs und der Itivdliarsuk-Gletscher in demselben Fjord 21 bis 46 Fufs täglich
zurück. Die Messungen der Breite dieser Gletscherarme gaben von 14000 bis
zu 29000 Fufs, während ihre Dicke zu 600 bis über 1000 Fufs veranschlagt
werden konnte. Nach diesen Zahlen kamt man sich von den Dimensionen der
Eisplatten, die jährlich dem Meere übergeben werden, und durch deren Zer-
stückelung die Eisberge entstehen, einen ungefähren Begriff machen. Wenn
man die Breite nach dem Querschnitte des Gletschers rechnet, und den im
Laufe eines Jahres zurückgelegten Weg als Länge bezeichnet, so ergeben sich
für die genannten Eisplattcn folgende Dimensionen: für Jacobshavn •/* Meile
breit, *,’» Meile lang, 800 bis 1000 Fufs dick ; für Torsukatak 1 Meile breit, */«
bis ’/a Meile lang, 600 bis 800 Fufs dick; für Karajak */* Meile breit, ’/» bis */*
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Meile lang, 800 bis 1000 Fufs dick; für Iiivdliarsuk ' s Meile breit, */• bis ■/»
Meile lang, 600 bis 800 Fnfs dick. I
Nach den zuletzt ansgesandten Expeditionen, deren Ergebnisse aber nur erst
teilweise veröffentlicht wurden, werden hierzu wahrscheinlich noch ein Eisfjord
ersten Ranges auf der Westküste und fünf Eisfjordo auf der Ostküste, sowie
die genauere Untersuchung eines der mächtigsten Fjorde der Westküste hinzu-
zufiigen sein.
Was die .Kalbung“ oder Ablösung der schwimmenden Eisberge betrifft,
so sind darüber jetzt bei Jacobshavn vieljährige Erfahrungen gesammelt. Der
äufserste Teil des Gletschers wird schon vor der Zerstückelung vom Meere
wie eine schwimmende Brücke getragen. Da die Kalbung scheinbar ganz un-
regelmäfsig ist, wechselt die Länge dieser Teile im Laufe der Jahre. Es ist
namentlich bei den letzten Untersuchungen ermittelt worden, dafs der Rand
des Gletschers zu gewissen Zeiten eine Meile weiter ins Meer hinausreicht als
zu andern.
Die vom Binneneisc ausgehenden Gletscher der Eisfjorde bilden verhält-
nismäfsig nur einen äufserst geringen Teil des oben erwähnten 340 Meilen
langen Eisrandes. Zahlreiche Beobachtungen sind gelegentlich an andern
Punkten desselben angestellt, um seine möglichen Bewegungen, besonders da,
wo er niedriges Land vor sich hat, zu erforschen. Namentlich hat aber die
im Jahre 1878 vorgenommene Spezialnntersuchung des sogenannten „Frederiks-
haabs Isblinks“ zur Aufklärung dieser Frage beigetragen. Es ist dadurch nach-
gewiesen worden, dafs das Eis vom Innern aus mehr oder weniger überall gegen
den Rand hingedrängt wird, dafs aber die Sommevwärme hinlänglich thauend
auf den vordem und niedrigem Teil der Oberfläche wirkt, um den periodisch
etwas vorwärts und dann wieder rückwärts schreitenden Rand innerhalb ge-
wisser Grenzen zu halten.
Die Zahlen, durch welche die Produktivität der oben erwähnten vier
Eisfjorde ausgedrückt ist, zeigen, dafs jeder derselben jährlich vom Binnen-
lande 84,000 bis 180, 000 Millionen Kubikfufs Eis empfängt. Dieses ent-
spricht einem Niederschlage von beziehungsweise 1*/« bis 3 a /« Zoll auf 1000
□ Meilen verteilt. Aus verschiedenen Gründen mufs man aber vermuten,
dafs eine mehrfach gröfsere Menge Wassers im flüssigen Zustande durch Kanäle
in der Tiefe das nach den Eisfjorden hin fortschreitende Eis begleitet, und dafs
über 1000 □ Meilen erforderlich sind, um einen Eisfjord ersten Ranges zu
nähren. Eine genauere Kenntnis der Eisfjorde im ganzen Umkreise Grönlands,
sowie auch der atmosphärischen Bedingungen könnte zu Folgerungen rück-
sichtlich der Wasserscheiden und ursprünglichen Flufsgebiote führen. Ans
dem, was wir bis jetzt wissen, läfst sich nur mit Wahrscheinlichkeit schliefsen,
dafs im ganzen der Abflufs weit gröfser nach Westen ist, als nach Osten,
dafs aber im südlichen, schmäleren Teil Grönlands das Umgekehrte stattfindet.
Das höchste Land dürfte in der Gegend des Franz Joseph-Fjordes zu suchen sein.
Endlich sind erst jetzt die Spuren einer verschwundenen Glacialzeit durch
umfassende Untersuchungen nachgewiesen. Das Binneneis hat sich nach Westen
über den gröfsten Teil des jetzt eisfreien Küstensaumes erstreckt. Diese Kombi-
nation einer gegenwärtigen mit einer vergangenen Eiszeit mufs für die Geologie
sehr lehrreich sein. Man hat den Rückgang des Eisrandes einer Milderung des
Klimas zugeschrieben, doch dürfte man auch eine andre Ursache vermuten
können; noch jetzt produziert ja, wie wir gesehen, das Binnenland einen grofsen
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Überschufs von Eis. Dieses wird nur durch die Eisfjorde als Abzngskanäle
daran verhindert, sich über das jetzt eisfreie Land zu verbreiten. Allein es ist
ja möglich, dafs unter anderm die ..Eisstrombetten‘‘ oder Wege, auf welchen
das Eis jetzt den Fjorden angeführt wird, sich erst in späteren Zeiten durch
Erosion des Grundes gebildet haben. Man braucht ja die ausgrabende Kraft,
nicht einer unmittelbaren Berührung mit Eis znzuschreiben. Ursprünglich hat
die Erdkruste wohl lose oder leicht ablösbare Schalen oder Spitzen dargeboten,
diese sind von dem tausend Fufs dicken Eise fortgeführt, und haben unter
diesem mächtigen Drucke als Schleifpulver oder cingefafste Diamanten gewirkt.
Dasselbe Heft enthält einen Aufsatz von P. Eberl in über den Sund,
der in alten Zeiten Grönland quer durchschnitten haben soll.
Der Verfasser untersucht, wie man dazu gekommen, einen solchen Sund, der
jedenfalls aus physischen Gründen eine Unmöglichkeit gewesen ist, anzunehmen.
Es wird erstlich hervorgehoben, dafs die Meinung, es sei ein solcher Sund vor-
handen, nicht auf europäischen Einflufs zurückzuführen ist, da schon Egede die
Sage bei den Grönländern vorfand. Darauf werden die Angaben der ver-
schiedenen Verfasser zitiert, die sich über die Frage ausgesprochen haben. Die-
selben führen zu dem Ergebnis, dafs diese Sage, wie so häufig die grönländischen
Traditionen, auf einer Lokalisierung älterer Erinnerungen beruht, dafs in diesem
Falle eine Wanderung am Smiths-Sunde entlang und vordem um Grönland zu
Grunde liegt, und dafs die Besiedelung der Ostküstc auf diese Weise zu er-
klären ist.
Die Tsch i gli t -Eskim o s.
Unter dem Titel: ,,Les grands Esquimaux“ veröffentlichte E. Petitot,
der bereits durch seine Publikationen*) über die geographischen Verhältnisse
der von ihm bereisten Gebiete des arktischen Amerika rühmlichst bekannte
Missionär, den Teil seines Tagebuches, welcher die Erlebnisse und Beobachtungen
des Reisenden unter der Innuit.bevölkerung des Kontinents enthält. **) Diese
Eskimos, die Tschiglit genannt, teilen sich in zw r ei Stämme: die Kraymalit und
die Tareormiut, deren Wohnsitze an den Mündungen des Anderson- und des
Mackenzieflusses liegen. Ihre Gesamtzahl wird auf 2000 geschätzt. Der erste
Aufenthalt Petitots unter den Eingeborenen fällt in das Frühjahr 1865, der zweite
in den Sommer 1866. Der Verfasser führt den Leser in die dumpfen thran-
erleuchteten Wohnungen der Eskimos und läfst ihn hier durch eine lebendige
Darstellungsweise an allen Freuden und Leiden seiner Reise teilnehmen. In den
reizenden Schilderungen des Zusammenlebens mit den Eskimos liegt der Haupt-
wert des Petitotschen Buches. Die kleinen Szenen, teils freundlicher, teils
bedrohlicher Natur, welche er hier durchzumachen hatte, sind anziehend erzählt,
mit freundlichem Humor gewürzt, und geben uns ein treues Bild von dem
Leben und Treiben dieses interessanten Volkes. Wie tief der Verfasser, trotz
verhältnismäfsig kurzen Aufenthaltes unter den Eskimos, in deren geistiges
Leben eingedrungen ist, davon zeugen die vielen höchst beachtungswerten
Betrachtungen über ihre Denkungsweise, Sitten u. a., deren Objektivität, be-
*) Geographie de l’Athabaskaro-Mackcnzic et des grands lacs du bassin arctique.
Bulletin d. Paris. Geogr. Gesellschaft 1875. — Ferner veröffentlichte Petitot ein
Vocabulairc Framjais-Esquimau, dialecte des Tchiglit des bouches du Mackenzie et de
l’Andcrson. Paris 1876.
*») Erschienen 1887 in Paris bei E. Pion, Nourrit 4 Cie.
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sonders anzuerkenncu ist. Jedenfalls wird das Buch den Freund der Völker-
kunde fesseln und kann als ein wertvoller Beitrag zur Psychologie der Eskimos
bezeichnet werden.
Hinsichtlich der Reiseerlebnisse verweisen wir auf das Buch selbst und
beschränken uns hier auf die Wiedergabe einiger ethnologisch interessanten
Mitteilungen, die seinem reichen Inhalte entnommen sind.
Die Tschiglit-Eskimos sind von etwas über Mittelgröfsc, daher man sie
die .grofsen“ Eskimos nennt, im Gegensätze zu denen Labradors, Grönlands
und der nordamerikanischen Inselwelt. Ihre Haut ist weder weifs noch rot,
die Farbe ähnelt am meisten der der Spanier und Japaner. Das Haar pflegen
die Männer nach mönchischer Art zu tonsieren, die Frauen vereinigen dasselbe
auf dem Kopfe zu einem Knoten. Eine sonderbare Sitte, die man bei den
Grönländern nicht findet, besteht darin, dafs die Tschiglitfrauen von dem aus-
gefallenen Haar ihrer Ehemänner und Liebhaber zwei grofse Knäuel anfertigeu,
die sie zu beiden Seiten des natürlichen Chignons tragen. Zwei andre eben-
falls unechte Haarwulste hängen auf die Brust herab, gleich grofsen Würsten
oder egyptischen Zöpfen, in welche blaue Glasperlen eingeflochten sind. Die
Kleidung eines Häuptlings, welcher Petitot auf seiner ersten Reise nach der
Liverpool-Bai begleitete, war aus Rentierfellen sorgfältig gearbeitet und mit
verschiedenfarbigen Besätzen von Fischotter, Wolfsfell u. a. geschmückt.
Ara Gürtel und von den Arm- und Kniegelenken hingen lange Zotteln von
Pelzwerk herab, die auch an der Kapuze das Haupt strahlenförmig umgaben.
Diese, zusammen mit der Kopfhaut des Wolfes, welche grinsend über der Stirn
ans der Kapuze hervorschaute, verliehen der ganzen Erscheinung etwas phanta-
stisch wildes, das, wie der Reisende bemerkt, allein hinreicht, um den Ruf der
Tapferkeit und Grausamkeit zu erklären, dessen sich die Eskimos bei ihren
Nachbarn, den Indianern und selbst bei den Weifsen erfreuen. Die Frauen
waren mit Pelzrock, Pelzhose und Pelzstiefeln bekleidet. Auf dem Kopfe trugen
sie eine ungeheuere Kapuze. Grofses Interesse erweckte ein kleiner Knabe
von etwa sechs Jahren, welcher in die Haut eines Rentierkalbes eingekleidet
war, zu beiden Seiten der Stirn standen die kleinen Ohren und die Anfänge
des jungen Geweihs ab. Die Augen des Thieres waren durch rote Tuch-
läppchen mit weifsen Glasperlen ersetzt, die Schnauze über der Stirn des Kindes
war mit drei blauen Perlen geziert, die aus den Nasenlöchern hervorhingen.
Das ganze Kostüm von Kopf bis zu den Füfsen war aus der Haut des Tieres
gearbeitet. Petitot wollte das Kind zeichnen, aber die Mutter liefs es nicht zu,
wahrscheinlich befürchtete sie Unheil für ihren Liebling in der vermeintlichen
Zauberei des weifsen Mannes. Das erste Dorf, welches Petitot im Frühjahr
1865 unter dem Schutze des schon erwähnten Häuptlings und in Begleitung
eines jungen indianischen Dieners besuchte, lag auf dem Eise des Anderson-
flusses, kurz vor der Mündung in die Liverpool-Bai. an eiuer Stelle, wo sich
das Bett des Flusses zu einem Becken erweitert. Das Dorf bestand aus einem
Dutzend grofser, 'zerstreut liegender, schneebedeckter Hütten. In das Innere
eines solchen „Iglu“ führt ein niedriger, aus Schneeplatten erbauter Gang
(kranitat.) von halbkreisförmigem Grundrifs. Im Frühjahr wird die Decke dieses
Ganges durchbrochen und über der Öffnung ein kegelförmiges Zelt (itsark’l er-
richtet, in welches dann die Küche verlegt wird. Das Zelt dient als Rauchfang.
Aus dem dunklen Hintergründe des Kranitat, in welchem man sich nur auf
allen Vieren bewegen kann, steigt man durch eine Öffnung in den höher lie-
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genden Wohn- und Schlafraum. Diese Öffnung wild durch einen Vorhang von
Fell gegen die Aufsenluft abgeschlossen. Das Haus ist von einfachster Bauart.
Vier in den Boden getriebene Baumstämme tragen auf ihren oberen gegabelten
Enden die horizontalen Querbalken, auf denen das aus runden Knüppeln zu-
sammengesetzte Dach ruht ; so entsteht ein grofser Tisch, an dessen Kanten
sich die Wände des Hauses anlehnen. Diese werden aus Stangen hergestellt,
die am Boden durch stärkere Balken zusammengehalten und oben in die Dach-
fläche eingepflöckt werden. Eine quadratische Öffnung in der Mitte des Daches
von einer durchsichtigen Eisplatte überdeckt, läfst genügendes Licht herein-
fallen, um den ganzen Raum wohnlich zu erhellen. Alle Spalten des Gebäudes
werden sorgfältig mit Moos, Lehm oder Schnee verstopft. An den Wänden
entlang, mit Ausnahme derjenigen, an welcher sich der Eingang befindet, läuft
eine niedrige Bank, welche mit Fellen bedeckt, den Insassen als Lagerstätte
dient. Jede Bank gewährt genügenden Raum zur Aufnahme einer Familie.
Die Wohnung besitzt keinen Herd. Vier Topfsteinlampen zu den Füfsen der
Dachständer übernehmen die Beleuchtung und Erwärmung des Raumes. Ihre
Unterhaltung ist den Frauen anvertraut und zwar besitzt jede Frau ihre eigene
Lampe. Über den Lampen hängen aus Holz geflochtene Hürden oder Roste,
„panertsivik“, auf welchen Kochgefäfse mit Schmelzwasser oder aufzutauendem
Fleische stehen. Zudem werden hier Kleidungsstücke erwärmt und getrocknet.
Sobald im Frühjahr sich die Temperatur mildert, die Tage länger werden,
wandern die Lampen in den Vorratswinkcl. Von nun au kann der Eskimo
sein Feuer draufsen anmachen und sich nach Behagen erwärmen, wie andre
Menschenkinder. Hiermit soll jedoch nicht gesagt sein, dafs die guten Leute
in ihren Häusern von der Kälte zu leiden haben, die Temperatur steigt in
diesen Räumen bis zu + 18 Grad C. Männer und Frauen bewegen sich innerhalb
derselben meist in halbnacktem Zustande. Der erwähnte Gang oder Kranitat
dient anfser als Hundestall auch zur Aufbewahrung einer Menge von Gegen-
ständen; dort findet man Töpfe, Thran- und Wasserschläuche, aus Walrofszahn
geschnitztes Spielzeug, Kästchen aus Knochen mit sorgfältig eingeschnittenen
Figuren, Beutel aus Fischbälgen oder Pelzwerk, Gehänge aus Bärenklauen oder
Adlerkrallen, Angelzcug mit roten, weifsen oder grünen Specksteinstückchen
zum Anlocken der Fische oder gar mit kleinen aus Walrofszahn geschnitzten
Fischchen. An den Wänden hängen an Pflöcken Bogen und Köcher, halbvoll-
endete Kleidungsstücke, Schmuckgegenstände aus Glasperlen, deren Anfertigung
eine Hauptbeschäftigung der Frauen ist. Stirnbänder, Ohrgehänge aus Elfenbein,
ausgestopfte Vogelbälge. Mit einem Worte, man findet in diesen Häusern ein
wahres Museum ethnologischer Seltenheiten vom höchsten Interesse, welches im
Btandc wäre, einen Sammler in Entzücken zu versetzen.
Eine auffallende Stellung nehmen die Frauen der Eskimos zu ihren
Männern ein. Sie werden gut behandelt, wenigstens erhalten sie keine Schläge,
über deren Mangel sich die Frauen fast aller sonstigen unkultivierten Völker
nicht beklagen können. Man darf aber nicht übersehen, dafs in den Prügeln,
die eine Frau von ihrem eifersüchtigen Gatten erhält, nächst dem Zorn auch
liebevolle Teilnahme für das moralische Wohlergehen der besseren Hälfte zum
Ausdruck kommt. Der Eskimo steht jedoch dem weiblichen Geschlecht in betreff des
sittlichen Lebenswandels mit Gleichgültigkeit gegenüber. Die Frauen lassen sich
kaufen, verkaufen, vertauschen, verleihen, entehren, ohne dafs die Männer sich
viel darum kümmern. Erstere haben infolgedessen jedes Ehrgefühl, jede Scham,
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Zurückhaltung uml Treue verloren. Petitot »eist zur Erklärung dieses Ver-
hältnisses auf die Möglichkeit hin. dafs die Frauen einer unterworfenen Be-
völkerung angehört haben könnten, welche die Innuits mit sich verschmolzen
haben, indem sie die Frauen und Mädchen zu ihren Weibern nahmen, an denen
jedoch der Charakter des Gemeingutes haften blieb, der dann im Laufe der
Zeit auf das ganze Geschlecht überging. Petitot will auch körperliche und
sprachliche Merkmale für eine Rassenverschiedenheit zwischen Männern und
Frauen bemerkt haben. Als richtig dürfte diese Erklärung indessen wohl nur
dann angenommen werden, wenn sie in den bisher nur wenig bekannten histo-
rischen Überlieferungen der Eskimos Bestätigung fände. Einfacher erscheint
die Annahme, dafs sich das sexuelle Leben der Eskimos erst auf einer Ent-
wickelnngsstufe von vollständiger Franengemeiuschaft zur Ehe befindet. Man
würde den gegenwärtigen Zustand als zeitlich beschränkte Frauengemeinschaft
bezeichnen können.
Die Gastfreundschaft der Eskimos ist bekannt und findet auch durch Petitos
Aufnahme bei den Innuits Bestätigung, wenngleich er nicht überall sofort das
gewünschte Entgegenkommen bemerkte. Einmal im Hause des Gastfreundes
aufgenommen, ist die Person des Reisenden unverletzlich. Dasselbe gilt von
seinem Boote und dessen Inhalt, sobald es sich im Flusse zwischen den übrigen
Fahrzeugen befindet. Wer dagegen ein Unterkommen im gastlichen Iglu zu
verschmähen wagen würde, sich ein eigenes Zelt errichtete und sein Eigentum
mifstranisch bei Seite brächte, würde sich der Gefahr anssetzen, dem Hafs und
der Habgier der Eskimos zum Opfer zu fallen.
Die Achtung vor fremdem Eigentum, besonders dem der Weifsen und
Indianer, ist bei den Eskimos nicht übermäfsig entwickelt. Auf dem Fort. Mac-
Pherson am Peelflnsse, dem Ausgangspunkt der zweiten Reise, wo der Reisende
sein Zelt aufserhalb der Pallisaden des Forts aufschlug. drangen häufig Eskimos
in seine Behausung und versuchten seine oder des Dieners Sachen zu entwenden.
Wurden sie abgefafst, so liefsen sie das Geraubte meistens im Stich und ent-
fernten sich schleunigst. Ein ertappter Dieb war der einzige Eskimo, den
Petitot je erröten sah.
Das Vorstehende wird genügen, einen Begriff von den Sitten und dem
Charakter der Tschiglit zu geben, die allerdings im grofsen und ganzen nicht
wesentlich von denen bekannterer Eskimostämme abweichen. Wer sich ein-
gehender mit ihrer Lebensweise bekannt machen will, wird in dem Petitot-
schen Buche die angenehmste Belehrung finden. Es ist zu bedauern, dafs
der kurze Aufenthalt unter jenem Volksstamme kein gründliches Studium seiner
Sagen und Überlieferungen gestattete, die eine gewünschte Ergänzung zu den
durch" Rink und Boas erforschten Sagen der östlichen Eskimos bilden und viel-
leicht manches Dunkle in der Geschichte dieses Volkes anfhellen würden.
Petitot beabsichtigt, dem vorliegenden Abschnitte seines Tagebuches
weitere folgen zu lassen, welche die mehr als zwanzigjährigen Wanderungen
des Missionärs unter den Volksstämmen des amerikanischen Nordens schildern
sollen. Nach dem Gegenwärtigen wird man jenen Veröffentlichungen mit grofsem
Interesse entgegensehen. H. A.
In der amerikanischen Zeitschrift „ Science“ vom 11. November finden
wir einige Nachrichten vom C u mbe rl an d- Su n d. Dieselben wurden vom
Kapitän W. Düvel, Kapitän des Schuners „Eira' 1 von Neu-London, welcher vor
kurzem aus dem Eismeer heimkehrte, mitgebracht. Die Walfischfänger in jener
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Bai waren seit 1885 mit dem Fange glücklicher gewesen, nachdem sie eine
Reihe von Jahren nur Mifserfolge erzielt hatten. Im Jahre 1885 erstreckten
sich die Eisfelder im Snnd am Lande sehr weit südlich; im Jahre 1886 lagen
sie weiter nördlich, im Winter 1886 reichten sie bis zum Eingang des Sundes,
während in vielen früheren Jahren das offene Wasser bis Kekerten und selbst bis
Haystack reichte. Die niedrigste Temperatur war im vorigen Winter — 46° F.,
der Schneefall war sehr spärlich und das Eis kaum mit Schnee bedeckt. Da
zudem das Eis weich war. so waren die Winterreisen leicht. Im Februar trat
die gefürchtete Hundekrankheit unter den Hunden der Eingeborenen auf und
raffte viele Tiere weg. In Black Lead blieben von den Hunden der dreiund-
dreifsig Eingeborenen nur 9 am Leben. Im Frühjahr 1886 trat die Krankheit
auch unter den Hunden der Eingeborenen an der Davis-Strafse auf, wo sie bis
dahin unbekannt war. Im vorigen Sommer brach das Eis im Sunde am 6. Juli
auf. Da der Walfang im Sunde einträglicher geworden ist, kommen mehr
Schiffe herein und verschiedene permanente Stationen wurden errichtet. Eine
schottische Station befindet sich in Kekerten, amerikanische Stationen sind in
Black Lead, Nugumiut und in der Hudson-Strafse. Der Gesundheitszustand der
Eingeborenen war sehr gut. Im Cumberland-Sund kamen im letzten Jahre
fünf Todesfälle vor, drei Kinder wurden in einer einzigen Niederlassung geboren.
Im Herbst kamen alle Eingeborenen, die zu dem die Westküste des Sundes
bewohnenden Stamme gehören, in Black Lead zusammen und feierten das allen
Stämmen in Nord - Labrador und Baffin-Land bekannte Jahresfest , wobei
maskierte Männer, als Vertreter von Geistern, erscheinen. Zeitig im Frühjahr
führten südwestliche Winde das schwere Packeis aus der Davis-Strafse in den
Sund, wo es einige Wochen blieb. — Diesen Mitteilungen ist eine Kartenskizze
von Dr. F. Boas beigegeben, welche die Grenze der gröfsten Ausdehnung des
Eises im Sunde, gegen Ende Februar, in einer Reihe von Jahren zeigt. Die
Verschiedenheit dieser Grenze in den einzelnen Jahren — zwölf — ist aufser-
ordentlieh grofs. Da jetzt permanente Fischereistationen im Sunde sind, so sollte
man meinen, cs würde dem meteorologischen Büreau in Wasliington nicht
schwer werden, eine Einrichtung zu treffen, um das ganze Jahr hindurch
meteorologische Beobachtungen dort anstellen zu lassen. Über den diesjährigen
Walfang in der Davis-Strafse und den mit dieser Strafse in Verbindung
stehenden arktischen Gewässern liegen einige weitere Notizen vor. Im Eise des
Cumberland-Sundes ging einer der Dundeer Dampfer, ,,Arctic“, Anfang Oktober
verloren. Die Bemannung rettete sich auf zwei andre Dampfer. Am 6. No-
vember kam der Fischdampfer „Terra Nova“, der gröfste der Dundeer Wal-
fangflotte, nach Dundee zurück. Der Kapitän berichtet, dafs der Fang von
Polarwalen in diesem Sommer mifslungen sei, da die Davis-Strafse mit Eis voll-
gepackt war. So brauchten die Schiffe einen vollen Monat, um die berüchtigte
Melville-Bai-Passage, von dieser Bai hinüber zur amerikanischen Seite nach dem
Lancaster-Sund, zu machen. Sehr wenige Polarwale wurden gefangen. Der
Fang des am 7. November zurückgokehrten Dampfers „Esquiraaux“ bestand
aus 60 Weifswalen, 80 Walrossen und 6 Bottlenosewalen, ein Ertrag von 125 t
Thran. Über den gesamten Fang der in diesem Jahr von Dundee nach ver-
schiedenen Richtungen ins Eismeer gesandten Fischerflotte liegt eine andre
Notiz vor. Fünf Dundeer Dampfer wurden von Neu -Fundland aus auf den
Seehundsfang gesandt; es wurden 51 550 Seehunde getötet, der ganze Wert
dieses Fanges war 33 — 35 000 Pfd. St. (gegen 26 000 Pfd. St. im Jahre 1886).
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t)er Gesamtfang der 9 Dnndeer Dampfer in der Davis-Strafse betrug nur 516 t
Thran und 7 t Barten. Im ganzen war der Wert des Dnndeer Fangs, den
Ertrag eines ins europäische Eismeer gesandten Dampfers, „ Polar Star“, ein-
gerechnet, 58 059 Pfd. St. Kapitän D. Gray teilte uns aus Peterhead, den
18. Oktober, über seine diesjährige Fangreise in das europäische Eismeer folgendes
mit : „Wir hatten eine schlechte Saison im Grönlandsmeer. Ich bekam nur einen
Wal, glücklicherweise einen sehr grofsen. Derselbe lieferte 27 t Thran. 2500 Pfd.
Barten, so dafs der Wert, dieses Fanges 2333 Pfd. St. beträgt. Alle kamen
wohl nach Hause.“
Ober den in diesem Sommer im Eismeer nördlich von der Bering-
Strafsc von Amerika (San Francisco) aus betriebenen Fang liegt bis jetzt nur ein
Telegramm vor. Darnach war dort, der Fang seit langen Jahren nicht so
günstig als im vorigen Sommer. Die Gesamtzahl der bis zum 5. Oktober
erbeuteten Wale betrug 256. von denen man 4800 Pfd. Barten und 48000 Barrel
Thran zu gewinnen hoffte.
Über die Witterung und Verteilung des Eises im euro-
päischen Eismeer im vergangenen Sommer liegen nähere Berichte vor. Im
Juli war nördlich von Norwegen und uni Spitzbergen viel Eis, während das
Meer in der Richtung von Nowaja Semlja offen war. Im August machten
heftige Nordwestwinde und starker Nebel dem Walfang an der norwegischen
Küste — einen Monat früher als gewöhnlich — ein Ende, zumal Anzeichen
dafür vorhanden waren, dafs in der Richtung Nordnordwest starke Massen von
Eis trieben. Bei Island waren die Witterungs- und Eisverhältnisse ganz aufser-
gewöhnliche. Die ganze nördliche Küste bis nach Kap Nord war noch im Juli
von einem wohl an 20 sm breiten Eisgürtel umschlossen. In der ersten Hälfte
des August, traf der Postdampfer „Thyra* solche Massen von Treibeis, dafs er
umkehren mufste. Das Eis lag bei der Rückfahrt nahe au der Küste, vor dem
Reykjavik-Fjord nur 5 — 6 km vom Lande. Am 16. August erreichte D. „Thyra*
die Ostküste von Island, ein weiteres Vordringen von hier nach Norden war
durch Eis versperrt. Nur der Beru-Fjord an der Ostküste war zugänglich, doch
bald füllte er sich mit Eis und der Dampfer hatte Mühe zu entkommen.
Ungefähr um dieselbe Zeit gelang es dem Postdampfer „Laura“ den Eskefjord
an der Westküste zu erreichen; zum Seydisfjord an der Nordostküste komite das
Schiff nicht gelangen, da bei Kap Nord bedeutende Massen von Treibeis ange-
troffen wurden. Das Schiff lag einige Stunden am Eise ; so weit, das Auge
reichte, erstreckte sich das Eis in nördlicher und nordöstlicher Richtung;
sodann kam dichter Nebel auf und das Schiff wendete südwärts. Nochmals
wurde sodann der Versuch gemacht, nordwärts vorzudringen und am 17. August
wurde Kap Nord erreicht, einige 20 sm weiter ostwärts wurde die. F ahrt wieder durch
Eis aufgehaltcn und das Schiff mufste umkehren. Der Wind wehte die ganze
Zeit über unausgesetzt aus Nord und Nordost, die Eisverhältnisse an der
Ostküste waren ungewöhnlich ungünstige. Demnächst, gegen Ende August,
gelang es dem Scliiffe zur Nordküste zu kommen, die Fahrt zur Ostküste
wurde am 6. September durch Eis unterbrochen. Der Seydisfjord wurde erst
an diesem Tage eisfrei und noch nach diesem Tage trieben grofse Eisfelder
zwischen diesem und dem Eskefjord. Zwischen dem 7. und 10. September
wehte über der ganzen Insel, besonders au der Ostküste, ein heftiger Nordnord-
weststurm mit starkem Schneefall. In Island geht die Rede, dafs, wenn das
lis nicht spätestens bis zum 29. August die Nordküste verläfst, es den ganzen
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Winter über bleibt. Da das in diesem Jahre der Fall war, so war die Hoffnung
nur schwach, dafs es überhaupt noch Weggehen werde. Auf den Färöern war
das Wetter im August und September stürmisch, nördliche und östliche Winde
mit Nebeln herrschten vor. An der Ostküste von Grönland scheint nach den
vorhandenen spärlichen Berichten das Eis sich massenhaft aufgestaut 7.u haben.
So haben also die vorherrschenden Ost- und Nordostwinde das Eis aus der
Gegend nördlich von Spitzbergen und Nowaja Semlja in die Meeresteile
längs dem nördlichen Norwegen. Jan Mayen, Island, die Färöer und längs der
ostgrönländischen Küste getrieben. Nach den Berichten der norwegischen
Fangfahrzeuge mufs die Gegend nördlich und östlich von Nowaja Semlja frei
von Eis gewesen sein und Franz Joseph-Land hätte in diesora Sommer wieder
einmal leicht erreicht werden können. Es ist denn auch dem vom Kapitän
Wiggins befehligten englicken Dampfer „Phönix“ geglückt, von dem norwegischen
Hafen Wardö aus durch das Karische Meer den Jenissej zu erreichen. Immerhin
kam er, wie berichtet wird, erst Mitte Oktober im Jenissej an. Das Schiff
war in Dundee für Rechnung des Herrn Alexander Sibiriakoff betrachtet
worden.
Britisch Columbien. Dr. George Dawson ist nach einer Notiz in
der Science vom 4. November 1887 von seiner im Aufträge der kanadischen
Regierung unternommenen Expedition in die Grenzbcbiete zwischen Br. Kolumbien
und Alaska zurückgekchrt. An den Zuflüssen des Yukon fand man viel offenes,
grasroiches Land; auch soll das ganze Gebiet mehr oder weniger goldführend
sein. Zwei Mitglieder der Expedition, Ogilvie und McConncl sind zurück-
geblieben. um im nächsten Jahre die astronomischen Arbeiten fortzusetzen.
Nach einer weiteren Mitteilung war der Verlauf der Expedition kurz folgender:
Im Mai dieses Jahres hatte Dawson Victoria verlassen und sich nach Fort
Wrangel, Alaska, begeben, von wo aus er den Stikine-Flufs aufwärts bis zum
Dease-See ging. Hier wurden drei Böte gebaut., mit welchen die Expedition
am 18. Juni, als das Eis aufgebrochen war, den Doase-Flufs bis zu seiner Ver-
bindung mit dem Liard-Flufs hinunterfuhr. An dieser Stelle trennte sich ein
Mitglied, McConnel, von den übrigen, um den Liard- und Mackenzie-Flufs zu
erforschen, Dawson dagegen ging den Liard- und Fraucis-Flufs aufwärts bis
zum Francis-See, der seinen Ausflufs in den Liard-Flufs und nicht, wie auf
den meisten Karten irrig angegeben wird, in den Pelly-Flufs hat. Vom Francis-
See wurde der schwierige 50 Meilen lange Überlandweg nach dem Pelly-Flufs
zurückgelegt ; diesen fuhr Dawson bis zu seiner Vereinigung mit dem Lewis-Flul's
hinunter, woselbst er mit der Abteilung von Ogilvie zusammentraf. Von hier
ging Dawson den Lewis-Flufs aufwärts, um über den Chilcat-Pafs nach der
Küste zurückzukehren. Nach einer Kanufahrt über den Lymi-Kanal erreichte
die Expedition Juneau. von wo aus sie mit dem nächsten Dampfer nach Victoria
zurückkehrte.
Kürzlich empfingen wir von Herrn Dr. Georg M. Dawson selbst, dem
Chef der Expedition, die folgende weitere Auskunft über seine nun beendete Reise :
Ottawa, den 14. November 1887.
Sehr geehrter Herr! Ihr werter Brief vom 14. Juni erreichte mich erst hier
vor wenigen Tagen, nach meiner Rückkehr aus der Gegend des oberen Yukon. Meine
Aufgabe stand iu Verbindung mit derjenigen der Geological & Natural History
Survey of Canada und bewegte sich folgeweise ausschliefslich auf kanadischem
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Gebiet, welches vom Yukon bewässert wird, sie Schlots in keiner Weise irgend
einen Teil von Alaska ein. wenn es auch notwendig war, die südlichste Spitze
von Alaska zu überqueren, nm mein Forschungsfeld leicht zu erreichen. Die
Y'ukonexpedition, von welcher ich jetzt zurückkehrte, wurde von der Kanadischen
Regierung in Rücksicht auf das Interesse und die Beachtung unternommen,
welche der oberen Yukongegend infolge der Entdeckung von Goldlagern dort
sich zugeweudet hatte; die Gegend war bis dahin thatsächlich unbekannt, die
Ströme und die Bodengestaltung kannte man nur sehr oberflächlich uud sie
waren infolgedessen sehr ungenau in den vorhandenen Karten eingetragen.
Ich hatte die Ehre, mit der allgemeinen Leitung des Unternehmens betraut zu
werden und kann zu meiner Freude sagen, dafs der vorher festgestellte
Operationsplan mit Erfolg durchgeführt wurde. Es handelte sich nm eine
Aufnahme mit Hilfe von Instrumenten, welche bei Pyramid- Island (einem
Punkte, dessen geographische Länge durch den U. S. Coast survey festgestellt
ist) an der Küste von Alaska begann, sich durch den Dejäh- (Daiay) oder Chilkoot-
Pafs. den Lewis-Flufs hinab bis zur Einmündung in den Pelly und dann dem
Yukon folgend bis zu dem Punkt erstreckt, wo dieser Strom den 141. Meridian
— die östliche Grenze von Alaska — schneidet. Dieser Teil der Aufgabe war
Herrn W. Ogilvie von der Vermessungsbehörde von Kanada (Dominion-Land
Survey) übertragen. Sie umfafste die Messung von 600 bis 700 rniles in Länge ;
ohne Zweifel wird diese Aufgabe jetzt gelöst sein, da Herr Ogilvie nach den
letzten Nachrichten, die im September von ihm kamen, beinahe den oben be-
zeichneten Punkt erreicht hatte. Derselbe soll in der Nähe der östlichen
Grenze von Alaska den Winter zubringen und dort wenigstens während eines
Monats systematische astronomische Beobachtungen anstellen, um möglichst
genau die Position des 141. Meridians festzustellen. Im Frühjahr wird er seine
Messungen hinüber bis zum Fort Macpherson der Hudson-Bai-Kompanie. nahe
der Mündung des Mackenzie-Flusses, erstrecken und sie im Sommer diesen
Flufs aufwärts ausdelmen, um eine Verbindung mit östlich vom Felsengebirge,
nordwärts zum Atabaska-See gemessenen Linien herzustellen. Herr Ogilvie
ist mit Instrumenten für magnetische und meteorologische Beobachtungen ver-
sehen und wird diese thunlichst in Übereinstimmung mit dem Beobachtungs-
system der internationalen Polarstationen ausführen. Meine in dem beiliegenden
Bericht der Science (s. o.) näher bezeichnete Route wurde in der Absicht, von mir
gewählt, um eine allgemeine geographische und geologische Kenntnis von einem
Landstrich zu gewinnen, der eben grofs genug war, um ihn iu einer Saison zu
durchreisen. Auf der ganzen Route erfolgte eine Terrainaufnahme, unter
häufiger Bestimmung der Längen und Breiten und es wird nun möglich sein,
die allgemeine physische ■'und geologische Gestaltung dieses bisher nur sehr
teils unvollkommen bekannten Teils des Nordwestterritoriums und des nördlichen
von Britisch-Kolumbia zu bestimmen. Geologische und andre Sammlungen wurden
unterwegs gemacht und meteorologische Beobachtungen angestellt. Zugleich
sammelten wir Nachrichten über die durch das Gebiet zerstreuten Stämme der
Tinneindianer,_über 100 photographische Aufnahmen wurden genommen. Ein
ausführlicher Bericht über die Reise wird jetzt ausgearbeitet. Die Reise war
ziemlich anstrengend, besonders quer über die Tragstellc, vom Liard-
Flufs zum Pelly-Flufs. Dasjenige Stück meiner Reise, welches mit der-
jenigen der Gebrüder Krause, von Ihrer Gesellschaft, zusammeufällt, war die
Dejäh- oder Tschilkuttragstelle, zwischen dem oberen Ende des Lynu-Kanals
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lind deu Quellen des Lewis-Flusses. Ich freue mich, auch meinerseits die
Genauigkeit und Treue im topographischen Detail der Aufnahme der Gehrüder
Krause, welche in ihrer Karte niedergelegt ist, bestätigen zu können. (Ich
hatte die Karte mit auf die Reise genommen.}*
§ Die Petschora. Das Flufsgebiet der Petschora ist im vergangenen
Sommer von einer Expedition bereist worden, sie ging von Tscherdyn, einem an
einem Nebentlufs der Kama gelegenen Orte, stromaufwärts, kreuzte dann mit
ihren von Pferden gezogenen Böten die an dieser Stelle 30 km breite Wasser-
scheide nach der Petschora und fuhr auf diesem Strom abwärts bis in das
Mündungsgebiet. Russische Blätter berichten folgendes nähere : Eine Ver-
bindung der beiden Bassins der Kama und der Petschora ist durch eine
Handelsstrafse sehr leicht möglich. Der Boden im Gebiet der Wasserscheide
ist fest, Berge sind nicht vorhanden und Material zum Stral'senbau giebt es
genug. Im Petschora-Bassin leben gegen 40 000 Menschen, welche aus dem
Kamagebiet Brot, Eisen, Manufakturwaren n. a. beziehen. Aus dem Petschora-
gebiet werden ausgeführt: Fische, Felle, Wild, Zederuüsse und Thran. Die
Erzählungen in betreff der mineralogischen Reichtümer der Gebiete sind über-
trieben. Die Ortschaften Ishma, Pustosersk und üstzilma sind recht wohnlich;
im allgemeinen aber lebt die Bevölkerung in Armut und Schmutz. Die Vieh-
zucht ist wenig entwickelt, trotzdem dars Wiesen in Menge vorhanden sind.
Die Rentierzucht geht allmählich aus den Händen der Samojeden in die der
russischen Bauern über und es kommt nicht selten vor, dafs die früheren
Rentierbesitzer bei den Bauern als Hirten sich vermieten. Man zählt im ganzen
Gebiete gegen 250000 Rentiere, so dafs in einigen Tundren kein Raum mehr
vorhanden ist ; viele Tiere gehen infolge der sibirischen Pest zu Grunde. Die
Samojeden gelten als geschickte Hirten; eine aus fünf Gliedern bestehende
Familie hütet 1000 Rentiere für einen Lohn von 40 bis 50 Rubel (80 bis
100 Mark) jährlich. — Über fiesen kehrte die Expedition Ende Juli nach
St. Petersburg zurück.
§ Einiges Uber den Dollart. Unter dieser Überschrift veröffentlicht
P. A. van Buuren, Kapitän der Infanterie in Groningen, in der Zeitschrift der
niederländischen geographischen Gesellschaft, 2. Serie, Teil 14, Nr. 2, interessante
Mitteilungen unter Beigabe einer Karte, welche die im Laufe der Jahrhunderte
am Dollart erfolgten Eindeichungen veranschaulicht. Das Nachstehende ist
diesem Aufsatz entnommen. Vielfach wird angenommen, dafs der Dollart um
1277 entstand, allein, wie näher nachgewiesen wird, ist anzunehmen, dafs lange
Jahre erforderlich waren, um den Dollart in seiner spätem Ausdehnung ent-
stehen zu lassen. Dabei veränderten sich die Ufer in der Weise, dafs, während
an mehreren Punkten Landverlust durch Abbröckelung entstand, an andern
wieder durch Aufschlicken Land angesetzt wurde. Die friesische Freiheit liefs
sich die Erfüllung der Deichpflichten nicht angelegen sein, die Uneinigkeit unter
den Deichpflichtigen liefs es zu keiner gemeinsamen kräftigen Abwehr kommen.
Die verheerenden Fluten und Zerstörungen der Jahre 1278 — 81 brachten es
zwar dahin, dafs man an das Werk des Schutzes ging, aber ohne genügende
Geograph. Blätter. Bremen, 1887 . 24
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Mittel lind Kräfte, so clafs die Deiche nur teilweise und nicht stark genug
wiedcrhergestcllt wurden. Im 15. Jahrhundert (1411) waren es die Pfarrer der
am meisten bedrohten Dörfer. Finsterwolde, Midvvolde und Scheemda. welche
ein Schutzbündnis unter den am meisten Gefährdeten zu stände brachten. Im
Jahre 1427 trat die Stadt Groningen energisch für den Deichschntz der zum
Teil auch ihr gehörenden Ländereien anf und im Jahre 1454 wurde unter
Leitung des Drosten dieser Stadt ein starker Deich von Reide nach Finsterwolde,
im Anschlufs an vorhandene, angelegt. Das 16. Jahrhundert mit seinen besonders
zu Anfang, 1507, 1516 und 1519, verheerenden Hochfluten war ein steter Kampf
zwischen dem Meere und den Bewohnern der Küste. Die Deichlasten gingen
allmählich mehr und mehr auf die Provinz Groningen über. Die Allerheiligen-
flut von 1570 legte den östlichen Teil der Provinz für eine lange Reihe von
Jahren der See offen. Erst seit dem streng durchgreifenden Regiment des
spanischen Befehlshabers Caspar de Robles, welcher 1573 als Statthalter und
Generalkapitän von Groningen und Friesland eingesetzt wurde, und rücksichtslos
alle Beteiligten zu Geld-, Material- und Arbeitsleistungen anhielt, konnte man
von ununterbrochenen, gut unterhaltenen Deichen sprechen. Dieses Vorgehen
war von den wohlthätigsten Folgen. Eine in der Karte näher bezeiehnete, jetzt,
weit im Lande gelegene Strecke war einst Dollartgrund, das ergab die Unter-
suchung des Bodens, welcher sich als sogenannter Dollartklei erwies. Sie
wurde also durch eine Eindeichung wiedergewonnen. Überhaupt, lassen sich —
abgesehen von dem mutmafslich ältesten Deich vor den heutigen Dörfern Nord-
brook und Zuidbrook, dessen Entstehungszeit unsicher — am westlichen, nieder-
ländischen Ufer des Dollart neun aufeinander folgende deutlich erkennbare
Eindeichungen unterscheiden, welche die Karte veranschaulicht. Sie begannen
im Jahre 1545, die letzte fand 1877 statt. Durch diese wurde südlich von der
Landspitze Reider Buitenland der Johannes-Kerkhoven Polder gewonnen. Die
Areale, welche durch die Eindeichungen gewonnen wurden, hatten eine sehr
verschiedene Gröfse. Der Verfasser giebt folgende Übersicht der Gröfse des
Landanwuchses im Laufe der Jahrhunderte. Es wurden gewonnen:
im 16. Jahrhundert 7900 ha in der westlichen Ausbuchtung,
7050
r
„ „ südlichen
ff
1500
ff
, Ostfriesland,
17.
ff
4830
ff
anf niederländischem Gebiet,
1190
ff
, deutschem
ff
18.
ff
1050
ff
, niederländischem
*
3160
ff
„ deutschem
ff
19.
ff
3075
ff
, niederländischem
ff
Eine periodenweise Vergleichung des Anwuchses durchschnittlich im Jahre
ergiebt, dafs der Anwuchs am stärksten war: in der Zeit von 1597 — 1626,
39 ha und 1819 — 1836, 29 ha. Man hat berechnet, dafs seit 1545 die Ufer im
Durchschnitt jährlich 20 m vorrücken, aber an verschiedenen Punkten ist dieses
Vorrücken ein sehr verschiedenes. Wenn keine störende Einflüsse dazwischen
treten und das Anschlicken in der Weise wie im vorigen Jahrhundert auch
ferner stattfindet, so dürfte nach ungefähr 350 Jahren der Dollart sich in
Quellergrund verwandelt haben. Die Beschaffenheit des Dollartgrundes ist
verschieden; man findet fetten Klei, gemischten Grund, groben oder scharfen
Sand. Im allgemeinen ist an jedem neu errichteten Deich der Verlauf der
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Bodenbildung und Aiisclilickung der folgende: dicht am Land findet mau
eine Lage fetten Dollartkleis von 3 bis 3'/« m Stärke; darunter ist eine Lage
mit Sand vermengten Kleigrundes 0,4 bis 0,5 m hoch und unter diesem Mischboden
trifft man den Darggrnnd an. Sobald der Grund infolge der gewöhnlichen
Anschlickung sich etwas über die gewöhnlichen Flutwasserstände erhebt, wird
er trocken und zeigt Geneigtheit zum Pflanzemvnchs. Oie erste sich ent-
wickelnde Pflanze ist der Hahnenfufs, (in einigen Gegenden auch Seekoralle
genannt) gemengt mit einigen Sültepflanzen. Die Samen der letzteren fallen
im Herbst ab. Im folgenden Frühjahr erscheinen diese Pflanzen auf dem inzwischen
mehrmals überschlickten Boden. Im Lauf der Zeit verschwindet der Hahnen-
fufs *) allmählich ; die Sültepflanzen (Asternart) wachsen bis zu 1,3 und 2 m
und halten beim Überlaufen des Grundes viel Schlick zurück. Nach einigen
Jahren ist. der Grnnd 0,os m über Wasser und läuft immer seltener über.
Bei 0,o3 und 0 ,m m über die gewöhnliche Flut kommt nnn das sogenannte
Kweldergras zum Vorschein, durch welches die Salzpflanzen verdrängt werden.
Bei einer Aufhöhung von über 0,o« in über den mittleren Flutstand erscheinen
wiederum andre Grasarten, nicht selten zum Nachteile des Kweldergrases
(deutsch: Queller). Man unterscheidet also drei Streifen des mit Pflanzen be-
wachsenen Schlicks: einen innern mit mehr oder weniger Kweldergras besetzt,
von sehr verschiedener Breite; er läuft nur bei sehr hoher Flut unterWasser;
der zweite, etwa 140 m breit, wird von Zeit zu Zeit unter Wasser gesetzt und
durch den Schlick wesentlich aufgehöht, der äufserste, besetzt mit Hahnenfufs
(Krückfufe) etwa 80 bis 100 m breit, reicht nur eben über Wasser und wird
öfter überspült. Aufser diesen drei Streifen, die gewöhnlich zusammen „Kwelder“
genannt werden, ist noch weiter hinaus eine Anschlickung zu bemerken und
diese nennt man in der ersten Periode Schlickgrund. Unter günstigen Ver-
hältnissen setzt sich der von der Flut herangeführto im Wasser schwebende
Schlick schon in einer Tide derart fest, dafs die folgende Flut ihn nicht wieder
auflöst. Den noch nicht gesunkenen Schlick nennt man bleks; sobald er sich
aber an Grund gelagert hat, heilst er pulver oder sminke. Von der Wind-
richtung, der Temperatur und Strömung hängt die stärkere oder geringere
Aufschlickung ab. So ist z. B. ein nach längerem Frost eintretender Nordwest-
wind für die Aufschlickung vorteilhaft: der gefrorene Schlick wird dann durch
den Wind auf die Schlickgründe geführt und während des sehr langsamen
Ablanfens des Wassers bleibt der Schlick zurück. Unter einigermafsen günstigen
Verhältnissen kann die Aufhöhung in einem Winter 5 bis 7 cm betragen.
Über das Ziehen von sogenannten Grüppen oder Gräben, um so viel und so
lange als möglich das Flutwasser über das dem Meer als Polder abzugewiunende
Terrain zu leiten, werden auch einige Mitteilungen gemacht, die wir indes als
bekannt voraussetzen dürfen, da ja auch an unsrer Küste die Bildung der
Polder und Groden in der gleichen Weise wie in den Niederlanden vor sich geht,
Gegenüber den grofsen Kosten, welche auch in neuerer Zeit die Ver-
stärkung und beziehungsweise Erneuerung der niederländischen Deiche am
Dollart verursacht, ist die Frage aufgeworfen worden, ob es nicht besser
sei, Meeresbuchten, wie es der Dollart und die Lauwer-See (Provinz Fries-
*) Krückfufs oder Glasschmalz heilst die Pflanze an der deutschen Küste;
der wissenschaftliche Name ist nach Guthe Salicornia lierbacea.
24 *
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land, gegenüber der Insel Schiermounik-Ooge) sind, mit einem Mal nach dem
Vorgänge bezüglich des Haarlemer Meers und andrer Biimenseen trocken zu
legen. Nach Ansicht des Verfassers ist beim Dollart einem solchen Werk die
jetzige allmähliche Landgewinnung vorzuziehen. Vermutlich würde man bei
Führung eines Deiches von der holländischen Landspitze Heide quer herüber
nach Pogum und Auspnmpen des Wassers aus dem auf diese Weise vom Meere
abgeschnittenen Teile Land gewinnen, das zum Teil noch 1 bis 1*/* m unter
mittlerer Flut läge; höchst wahrscheinlich würde man auch viel Land trockeu
legen, das, sandig und von Darg durchsetzt, die aufgewandten Kosten nicht
lohnen würde, weil es als Kulturland nicht zu gebrauchen wäre. Somit scheint
die jetzige allmähliche Landgewinnung die beste Art des Vorgehens.
§ Die nördlichste Eisenbahn Europas. Unter dieser Überschrift lief
durch verschiedene Zeitungen und Zeitschriften £ine Nachricht, dahin gehend,
dafs ein Teil der Eisenbahn, welche die am bottnischen Meerbusen gelegene
Stadt Luleä mit Ofoten (am gleichnamigen norwegischen Fjord) verbinden soll,
dem Betriebe übergeben werden solle. Auf von uns an berufener Stelle ein-
gezogene Erkundigung erhielten wir folgende gütige Auskunft :
Stockholm, den 17. November 1887.
In Verfolg Ihres gefälligen Schreibens vom 17. Oktober, betreffend den
Bau der Eisenbahn von Luleä (schwedische Provinz Norrbotten) nach Ofoten
(norwegisches Amt Nordland), welche also eine Verbindungslinie zwischen Ostsee
(dem bottnischen Meerbusen) und dem Atlantischen Ozean herstellen soll, kann ich
nur sagen, dafs dieselbe durchaus noch nicht fertig gestellt ist. Fertig sind
von Luleä aus etwa 160 km, aber noch nicht ira Betriebe. Die Strecke vom
jetzigen Endpunkte bis Gellivara — etwa 10 km — hofft die Gesellschaft bis
zum nächsten Frühjahr fertig zu stellen und im Sommer 1888 die behördliche
Genehmigung zum Betriebe der Strecke Luleä-Gellivara zu erhalten. Auf der
Strecke Gellivara-Norwegische Grenze sind bisher nur einige Vorarbeiten
gemacht worden. Die schwierigsten Verhältnisse stellen sich dem Bau auf der
Strecke Norwegische Grenz e-Ofoten (40 km) entgegen. Das Terrain ist sehr
koupiert und bedeutende Tunnelbauten sind erforderlich. Von dieser Strecke
mag etwa die Hälfte fertig sein. Die Gesellschaft hofft innerhalb zwei Jahren
die ganze Bahn dem Betriebe übergeben zu können. Ich zweifle hieran und
glaube, dafs ein längerer Zeitraum erforderlich sein wird. Im letzten Sommer
haben etwa 4000 Mann an der Bahn gearbeitet ; für den Winter ist eine Stärke von
etwa 800 Mann beibehalten worden. Zweck der Bahn ist die Nutzbarmachung
der Erzlager von Gellivara, Luosavaara und Kirunavaara, die einen reinen
Eisengehalt von über 70°/o haben. Hierüber liefse sich viel sagen und es ist
zum Beispiel doch fraglich, ob jetzt, gegenüber dem Thomasverfahren, für
Eisen mit so hohem Prozentsatz noch derselbe Bedarf ist, wie in früheren
Jahren. Schwierigkeiten werden auch die Frachtverhältnisse bieten, weil es an
Hinfrachten nach diesen wenig bevölkerten Gegenden fehlen wird. Man denkt
an Hochöfenanlagen in Ofoten, aber das sind Zukunftsprojekte.
§ Erdwohnungeu Im Grofsherzogtuin Oldenburg. Hierüber gelangten
die nachstehenden Mitteilungen des Herrn Pfarrers Dr. Niemann in Cappeln bei
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Cloppenburg an die Berliner Gesellschaft für Anthropologie und kamen, wie die
gedruckten Verhandlungen ergehen, in der Versammlung vom 21. Mai d. J. zum
Vortrag : „Erdhäuser finden sich in grofser Anzahl im Amt Frisoythe, wo neue
Kolonien angelegt werden, z. B. Petersdorf u. a. Der Kolonist, welcher sich
eine Fläche erworben und kein Geld hat, um ein Haus bauen zu können, legt
sich eine Erdhütte an. Man macht nicht eine Vertiefung in die Erde hinein
(oder nur ausnahmsweise, wo der Boden hoch ist, auf etwa 1 Fufs), sondern
baut über dem Boden. Die Umfassungsmauer wird gebildet von dicken Erdsoden
oder Schollen, welche fest zusammcngestollt werden und so eine zusammen-
hängende Masse bilden. Ein oder das andere Luftloch bekommt einige Scheiben
Fensterglas. Ober diese nicht hohe Erdmauer werden Lagerstücke gelegt, worauf
die Sparren befestigt sind ; alles natürlich sehr primitiv. Die beiden Giebelseiten
erhalten auch schrägliegende Sparren. Das ganze wird mit langem Haidekraut
sorgfältig gedeckt und der First mit dicken Plaggen behängt. Die etwas ab-
gerundeten Giebel sind durch diese Bedachung ganz mit den Seitenflächen ver-
bunden. Das verstehen die Leute meisterhaft herzustellen ; es macht gar keinen
üblen Eindruck. Vorn in der Hütte ist an der einen Seite ein Abschlag für
eine Ziege, an der andern Seite ein solcher für ein Schwein. Im hinteren Teile,
sind in der Mitte das Feuer, an beiden Seiten Schlafstellen. In diesem Baume
wohnen die Ansiedler, bis sie vor und nach sich ein besseres Wohnhaus von Holz-
riegelwerk mit Lehmwänden beschafft haben, wozu sie das meiste selbst thun.
So arbeiten sie sich allmählich empor. Oft wird ein solcher Bau, wenn die
Bewohner ihn verlassen haben, als Schafstall oder zu sonstigem Zwecke benutzt.
Ständige Wohnungen bleiben sie nicht.“ — Eine solche Erdhütte hat Verfasser
dieses vor einer Reihe von Jahren in der Nähe von Papenburg angetroffen, sie
wurde von einem armen alten Manne, wenn ich mich recht erinnere, ständig
bewohnt.
Geographische Litteratur.
Europa.
Bauten und Denkmale im Staatsgebiete der Freien und Hansestadt
Bremen. Bearbeitet von E. Böttcher, Bauinspektor in Bremen. Zweite
wesentlich umgearbeitete und verbesserte Auflage. Mit 26 Tafeln Zeichnungen,
einem Plan der Stadt Bremen und einer Übersichtskarte des Bremischen Staats-
gebiets. Bremen 1887, Verlag von Diercksen & Wiclilein. Die 80 Seiten starke
gut ansgestattete Schrift wurde für den im August 1882 in Bremen statt-
gehabten Besuch des Verbandes deutscher Architekten- nnd Ingenieurvereine
verfafst. Sie erscheint als eine wertvolle Ergänzung zn den vorhandenen To-
pographien. denn manche ihrer sehr vollständigen Angaben über die älteren
und neueren Bauten und Denkmale der Stadt findet man nicht, in jenen, und
anfserdem sind die zahlreichen instruktiven Zeichnungen der Schrift eigen-
tümlich. So fand sie zahlreiche Freunde auch aufserhalb jenes Kreises von
Fachmännern und es wurde die uns vorliegende zweite Auflage veranstaltet,
in welcher nun auch durch Text und Zeichnung die grofsen jetzt in der Aus-
führung begriffenen Bauten und Werke, wie dev neue Freihafen mit seinen
Anlagen, der Bahnhof, die Weserkorrektion n. a. Aufnahme finden konnten.
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Nationalität und Sprache im Königreiche Belgien von
Karl Braemer. Stuttgart. J. Engelhorn. 1887. In dem vorliegenden Hefte,
welches einen Bestandteil der bekannten „Forschungen zur deutschen Landes-
und Volkskunde“ ausmacht, wird der in ethnographischer und politischer Be-
ziehung wichtige Versuch gemacht, die gegenseitigen Verhältnisse der beiden
Nationalitäten des Königreichs Belgien für das Jahr 1880 festzustellen. Da
hierbei nicht nur auf die Zahlenstärke, sondern auch auf die räumliche Ver-
breitung und die historische Entwickelung Rücksicht genommen wird, so darf
man K. Braemers Leistung im Prinzip als eine willkommene Ergänzung der
älteren Arbeiten ähnlicher Art bezeichnen, unter denen B. Böckhs umfassende
Untersuchung über „der Deutschen Volkszahl und Sprachgebiet in den euro-
päischen Staaten“ wohl die erste Stelle einnimmt. Während nämlich Böckh
seinen Erörterungen über Belgien im wesentlichen nur die statistische Aufnahme
vom Jahre 1846 zu Grunde legen konnte, standen K. Braemer ausserdem die
offiziellen Ermittelungen aus den Jahren 1866 und 1880 zu Gebote, so dafs es
möglich wurde, die Verschiebungen zu erkennen und festzustellen, welche im
Laufe der Zeit bezüglich der Vertreter der germanischen und romanischen Rasse
stattgefunden haben. Doch gestaltet sich die Sache keineswegs so einfach, wie
man im Hinblick auf die verfügbaren Ergebnisse der verschiedenen statistischen
Aufnahmen zu glauben geneigt sein könnte. Vielmehr bedurfte es zur Lösung
der oben bezeichneten Aufgabe einer Reihe subtiler Erwägungen und eingehender
Auseinandersetzungen, die das Werkchen. zu einer anstrengenden und teilweise
auch ermüdenden Lektüre machen. Ohne hier untersuchen zu wollen, ob, un-
beschadet der Sorgfalt und Richtigkeit, nicht eine gröfsere Übersichtlichkeit.
Kürze und Einfachheit hätte gewählt werden können, begnügen wir uns damit,
den Hauptgedankengang anzugeben. Zunächst wird nämlich die Staatsange-
hörigkeit der belgischen Bevölkerung betrachtet. Daran schliefst sich ein Ab-
schnitt über die Sefshaftigkeit, insonderheit über den Unterschied von Wohn-
und Aufenthaltsbevölkerung. Nachdem darauf die Unterscheidung der Wohn-
bevölkerung nach der Geburtsheimat vollzogen ist. kommt der Verfasser endlich
im vierten Abschnitt zum Kernpunkte seiner Aufgabe, nämlich zur Darstellung
der Sprachverhältnisse im Staate und in den Provinzen, um füglich im letzten
Kapitel die Sprachgrenze und das Mischungsverhältnis zwischen den Germanen
und Romanen zu erörtern. Die Hauptergebnisse Braemers lassen sich dahin
zusammenfassen, dafs bezüglich der räumlichen Verbreitung eine geringe Ver-
schiebung zu Gunsten der Wallonen (Franzosen) stattgefunden hat ; was dagegen
die Zahlenverhältnisse anbelangt, so tritt die Zunahme der französischen Sprache
auf Kosten der Viaemen (Deutschen) in recht fühlbai'er Weise dem Beobachter
entgegen, und dieser Umstand findet hauptsächlich in der steigenden Vermeh-
rung der Utraquisten (derer, die sowohl französisch als vlaemisch verstehen)
Ausdruck. Stellt man Böckhs und Braemers Ergebnisse neben einander, so ver-
hielten sich im Jahre 1846 die Germanen zu den Romanen wie 578:421, im
Jahre 1880 dagegen wie 542 : 467. Schliefslich mag noch erwähnt werden, dafs
Braemers Arbeit eine einfache Karte beigefügt ist, auf der durch eine schwarze
Linie die Sprachgrenze zwischen den Romanen und Germanen innerhalb
Belgiens bezeichnet wird. A. 0.
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— 343
Asien.
Durch Zentral-Asien. Reiseschilderungen von Heinrich Moser.
Autorisirte deutsche Ausgabe. Mit 160 Abbildungen. 16 Lichtdrucktafeln und
einer Karte von Central-Asien. Leipzig. F. A. Brockhaus, 1888. Der Verfasser,
Schweizer, erzählt in seinem Vorwort scherzhaft, wie er „zu dem Unglück“ kam.
ein Buch zu schreiben. Einige während seiner Wanderungen in die Heimat
gesandten Briefe wurden in einer Zeitung abgedruckt, und als er heimkehrte,
hatte er bereits einen Verleger für sein noch nicht geschriebenes Buch. Über
das, was man von seinem Buche erwarten könne, äufsert sich daselbst der
Verfasser in freimütiger Weise: .weder Wissenschaft, noch Philosophie, noch
Politik wird hier der Leser finden, wohl aber eine anspruchslose Erzählung,
bald heiter und fröhlich, bald ergreifend und rührend, je nach den Wechsel-
fällen des Reiselebens. Die Sitten und Gebräuche der Völkerschaften, in deren
Mitte ich lebte und für welche ich mich ohne vorgefafste Meinung interessierte,
getreu, so gut es eben gehen wollte, zu schildern, war alles, wonach ich ge-
strebt habe.“ Ton und Sprache muten an, dazu bildet die Fülle meist trefflich,
ja künstlerisch ausgeführter niustrationen eine bedeutende Bereicherung. Die
Reise erstreckte sieh von Orenbnrg ausgehend östlich bis Taschkent, sodann
über Bochara, Chiwa, durch die Tnrkmenenwüste, den Aladagh bis nach Teheran,
von wo Moser durch den Kaukasus zurückkehrte ; sie wurde vielfach unter
sehr günstigen Umständen, in der Begleitung russischer Gouverneure und
Gesandten, ansgeführt und war reich an mannichfaltigen Erlebnissen und
Abenteuern, die gut erzählt werden.
St.ejneger, Leonhard. On the extermination of the great nort hem
Sea-Cow (Rytina). A Reply to Professor Nordenskjöld. Entgegen Nordenskjölda
Angaben bleibt, der Verfasser bei der Ansicht bestehen, dass die Seekuh bereits
im vorigen) Jahrhundert und zwar nach dem Zeugnis von Sauer schon 1768
ausgerottet worden ist.
Stejneger, Leonhard. Contributions to the Natural History of the
Commander Islands. Mit. 3 Tafeln. In dieser in den Proceedings of United
States National Museum für 1887 enthaltenen Arbeit giebt der Aut or eine durch
Berücksichtigung von neuem Material vermehrte und berichtigte Aufzählung der
auf der Berings- und der Kupfer-Insel bisher beobachteten Vogelarten. Es
werden im ganzen 143 Spezies aufgeführt.
Amerika.
Reise in den Andes von Chile und Argentinien von Paul Güfsfeldt,
mit Übersichtskarte und 2 Spezialkarten. Berlin, Gebrüder Paetel, 1888. Paul
Güfsfeld. der wissenschaftlichen Welt schon lange durch seine Studien in den
europäischen Alpen und durch seine im Auftrag der Deutschen Afrikanischen
Gesellschaft unternommenen Forschungsreisen im westafrikanischen Küstengebiet
bekannt, unternahm in den Jahren 1882'83, mit Unterstützung der Königlichen
Akademie der Wissenschaften in Berlin, eine Bereisung der zentralen chileno-
argentinischen Andes. Das bereiste Gebiet liegt zwischen dem 32 und 35°
s. Br., begrenzt im Osten von der argentinischen Pampa, im W r esten vom
Grofsen Ozean trägt es ein wildes Hochgebirge, das sich in dem von
Güfsfeldt erstiegenen Aconcagua (6970 m) zum höchsten Gipfel Amerikas
erhebt. Bisher war es nur in den unteren Teilen und längs weniger, quer
hinüber gelegter Maultierpfade bekannt; eine wissenschaftliche Erforschung
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344 —
desselben war daher allen Zufälligkeiten und Gefahren einer Pionierrcise aus-
gesetzt. Als zn beantwortende Hauptfragen, welche Güfsfeldt bei seiner Reise
stets im Ange behielt, bezeichnet er in seinem an die Akademie erstatteten
Bericht die grofsen Züge des Gebirgsbaus, die Physiognomie der Landschaft,
die Eisverhältnisse oberhalb der Schneegrenze, den Charakter der Vegetation
und die Erscheinungsformen der Verwitterung. Ausgedehnte Messungsreihen
geben den Betrachtungen eine exakte Zahlenunterlage. Das Reisen in dem in
Rede stehenden Teil der Andes ist nur während weniger Monate des Jahres,
von Mitte November bis März, möglich und erleidet somit für die höchsten Teile
des Gebirges noch Einschränkungen. Um keine Zeit zu verlieren, hätte recht-
zeitig ein ins einzelne gehendes Reiseprogramm aufgestellt werden müssen, allein
dazu fehlte es an der nötigen Information. Aufser der Strafse von Uspallata,
welche den Verkehr zwischen Chile und Argentinien über das Gebirge vermittelt,
giebt es nur wenig betretene von einzelnen Eingeborenen benutzte Pfade. G.
konnte daher nur ganz im allgemeinen den Plan fassen, die Andeskette möglichst
oft zn überschreiten und auf dem Wege passende Standquartiere zu nehmen.
Die Beschaffung der nötigen Karawane von Maultieren und Pferden war mit
grofsen Schwierigkeiten verbunden, dabei mnfste G. im Laufe dreier Monate
zweimal mit den Tieren, einmal mit den Leuten wechseln. Ferner traf G. gleich
nach seiner Ankunft in Valparaiso der harte Schlag, dafs der von ihm aus der
Schweiz mitgenommene bewährte Führer bald nach der Ankunft in Chile an
Heimweh erkrankte und auf sein Verlangen ohne Säumen wieder zurück-
geschickt. werden mufste.
Was nun G. geleistet, was er gesehen nnd beobachtet, alle seine Erleb-
nisse nnd Mühseligkeiten, die überwundenen Schwierigkeiten nnd errungenen
Erfolge legt er in der Erzählung seiner Reise, die aufser einem Einleitungswort
25 Kapitel füllt, nieder. Er hat dafür die Form der Selbstbiographie gewählt
aus verschiedenen von ihm in dem Einleitungswort ausgesprochenen Gründen,
namentlich auch deshalb, weil ein kurzer Aufenthalt in einem so wenig be-
kannten, so wenig übersichtlichen Terrain nicht zu allgemein zusammenfassenden
Urteilen berechtige. Tragisch, aber leider wohl sehr berechtigt ist das, was G.
in jenem Einleitungswort über die Geschichte aller Forschungsreisenden sagt.
Einige der von G. in seinem Bericht an die Akademie niedergelegten
allgemeinen Ergebnisse seiner Reise mögen hier hervorgehoben werden. Die
fast ein Tausend Meilen lange Cordillere durchschneidet f?2 Breitengrade, von
denen etwa 33 dem Tropengebiete angehören. Im Norden schmücken Talmen-
wäldcr das Gebirge, im Süden erreichen Gletscher das Niveau des Meeres. So
ergeben sich eine Reihe natürlicher Breitezonen, deren eine das von G. bereiste
Gebiet ist. Das Gebirge ist durch zwei Parallelketten charakterisiert, denen auf
der Seite des Stillen Oceans eine Küstencordillere vorgelagert ist. Die westliche
Kette trägt die Wasserscheide des Pazifischen und Atlantischen Meeres, die
östliche wird an mehreren Stellen von den Wasserläufen durchbrochen, welche
in der noch wenig erforschten Mulde zwischen beiden Ketten entspringen, ein
klar ausgesprochenes Hochthal existiert zwischen beiden Ketten nicht. Jene
Mulde ist völlig unbewohnt, ihre Länge beträgt 40 Meilen, die mittlere Er-
hebung ist mutmafslich 3000 m. Die westliche Hauptcordillere sendet gegen den
Stillen Ozean Seitenketten aus, u r elche durch viele Verzweigungen ein viel-
gliedriges Alpenland erzeugen. Ein Wirrsal hinter einander aufgebauter Kämme.
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— 345 —
vermittelt den Obergang vom Fufs der Andes zu ihrer Karamlinie. Eigentüm-
lich ist, wie 6. näher ansführt, die Thalbildung. So üppig der Pflanzenwnchs
an einzelnen Stellen gedeiht, so erscheint die Landschaft der Thäler doch kahl,
die Farben von Schutt und Gestein spielen eine grofse Rolle und nur der untere
Teil der Thäler zeigt bei künstlicher Bewässerung grüne Weiden und üppige
Weizenfelder. Hinsichtlich des Verschwindens der Gewächse in den Höhen-
regionen läfst sich wohl eine Grenzzone, aber nicht eine Grenzlinie bestimmen,
da die Bedingungen örtlich zu verschieden sind. Was die höchsten Höhen be-
trifft, so haben an den vier Punkten, wo G. die Wasserscheide überschritt, die
Messungen folgendes ergeben : Atravieso de la Lena 4107 m, Paso del Maipo
3473 m, Cumbre Iglesia 3750 m, Boqneta del Vallo Hermosa 3565 m. Zwischen
diesen Höhen steigt die Kammlinie zu 6000 m und darüber auf. Die Höhe des
Aconcagua ist oben angegeben, die höchste. Spitze der Ramadan-Kette ist 6413 m.
Die Firn- und Eisbedeckung weicht von dem Typus unserer Alpen stark ab;
das Mauerartige der Flächen ist der Ansammlung grofser, gletschererzengender
Fimmassen w'enig günstig. Auch der den Schnee wegführende Wind ist von
Einflufs. Die höchsten Gipfel zeigen nur selten eine kontinuierliche. Schnee-
bedecknng. Charakteristisch ist die Umgestaltung des Hochschnees zu paral-
lelen Furchen und aufgeworfenen bizarr geformten Furchenkämmen. Von
grofsem Interesse sind die Beobachtungen über die Einwirkung der verdünnten
Höhenluft auf den menschlichen Körper. Die von G. über die Puna, die Höhen-
luftkrankheit, gesammelten Erfahrungen gehen dahin, dafs ein gesunder, durch
Anstrengung geschulter Organismus die Wirkungen der dünnen Luft nur in der
Intensität der Lungenthätigkeit zeigt, dafs die Überanstrengung der Lunge
Mattigkeit und Gliederschmerzen herbeiführt und dafs der moralische Zustand,
das Zutrauen zu den Begleitern und zum Erfolg das wirksamste Mittel gegen
die Puna sind.
Reise in der Sierra Nevada de Santa Marta. Von Dr. W. Sievers,
mit Abbildungen von Professor A. Göring. Leipzig, Grefsner & Schramm 1887.
Das Werk ist die Frucht einer Reise, welche Dr. Sievers auf Kosten der Karl
Ritter-Stiftung in Berlin und im Auftrag der dortigen Gesellschaft für Erd-
kunde unternahm, um die allgemeine physische Geographie und Geologie der
Sierra zu untersuchen. Das Buch soll, wie der Verfasser in der Vorrede be-
merkt, nur unterhalten, cs macht keinerlei Anspruch auf wissenschaftliche Be-
deutung, sondern es sollen den Thatsachen entsprechende Schilderungen geboten
werden. Diese sind denn auch lebendig und mannigfaltig ; etwa 20 Monate ver-
brachte. der Verfasser teils an der nordöstlichen Küste Columbiens, teils in der
Küstencordillere und der im Innern sich erhebenden Sierra und man folgt
mit Interesse den Wanderungen in die Gebirgswelt der Sierra, seinen Er-
zählungen der jetzigen Verhältnisse in den von ihm besuchten südamerikanischen
Freistaaten, wie des Lebens und der Sitten verschiedener Indianerstämme, mit
denen er in nähere Berührung kam. Die nach Bleistiftzeichnungen des Ver-
fassers von Prof. Göring in Leipzig ansgeführten Dlustrationen sind golungen,
ungern vermifst man aber die Beigabe einer Karte. —
Geologische Studien über Niederländisch Westindien, auf Grund eigener
Untersnchungsreisen von K. Martin, Professor für Geologie an der Universität
zu Leiden. (Separate Ansgabe des 2. Teils von K. Martin. Bericht über eine
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Reise nach Niederländisch-Westindien.) 1. Lieferung: Curaqao. Aruba und
Bonaire. Mit 3 kol. Karten, 2 Tafeln und 36 Holzschnitten. Leiden, E. F.
Brill, 1887. Dem von uns besprochenen allgemeinen Bericht über die in den
Jahren 1884 und 1885 seitens niederländischer Gelehrter ausgeführten Forschungs-
reisen in niederländisch Westindien folgt nun die Veröffentlichung der Spczial-
forschungen, zu welchen in erster Linie die Geologie gehört. Die vorliegende
Lieferung, welche die niederländisch-westindischen Inseln betrifft, wirft zunächst
einen Blick auf die bisher vorhandenen Schriften und Karten und erörtert die
geologischen Verhältnisse der einzelnen Inseln; vorab wird die orographische
Gliederung dargelegt und sodann folgen die Ergebnisse der auf den einzelnen
Inseln angestellten geognostischen Beobachtungen. Endlich werden unter
der Überschrift „Den Inseln gemeinsame Bildungen und Verhältnisse“
besprochen : ältere quartäre Korallenkalke ; Wirbeltierreste ans marinen
Phosphaten, Strandverschiebung, Bildung der Seen und Ausräumung des Innern.
In den Schlufsbetrachtnngen werden die dargelegten Ergebnisse kurz zusammen-
gefafst. Es folgt eine Liste von Gesteinen, welche von Prof. Dr. J. H. Kloos
in Braunschweig untersucht wurden, unter genauer Angabe der Fundorte; dabei
wird auf die in den „Sammlungen des geologischen Reichsmuseums zu Leiden“
gegebenen Beschreibungen verwiesen.
Camps in the C a r i b b e e s . The adventures of a naturalist in the Lesser
Antilles, by Frederick A. Ober. Edinburgh, D. Douglas, 1880. Der Verfasser
unternahm im Jahre 1876 unter den Auspicien der Smithsonian Institution die
Erforschung der kleinen Antillen, hauptsächlich zum Zweck ornithologischer
Studien und Sammlungen. Er verweilte längere Zeit auf Dominica, Guadeloupe,
Martinique und den Grenadinen, im ganzen widmete er seiner Aufgabe zwei
Jahre. Über den ornithologischen Teil des Buchs liegt uns das Urteil eines
Fachmannes vor: „Das Buch ist ein sehr wertvoller Beitrag zu unsrer Kennt -
nifs der Vögel Westindiens. Es behandelt Gebiete die zu den weniger bekannten
zählen und bringt daher viel neues.“ Obwohl nun das Buch schon vor längerer
Zeit erschienen ist, so dürfte dieser Ausspruch noch jetzt nicht allein für die
Ornithologie, sondern überhaupt für die gesammte Naturgeschichte der wenig
bekannten Inseln, für ihre physische Beschaffenheit, für ihr Pflanzen- und
Tierleben gelten, das der Verfasser monatelang in den Bergen und Wäldern
des Innern, unter Negern und Indianern lebend, studierte und uns in fesselnder
Weise erzählt. Die Illustrationen sind meist sehr gelungen.
Reise S. M. Schiffes „Zrinyi“ über Malta. Tanger und Teneriffa nach
Westindien in den Jahren 1885 und 1886. Auf Befehl des K. K. Reichs-
Kriegsministeriums, Marine-Sektion, mit Zugrundelegung der Berichte des
Schiffskommandanten, Fregattenkapitän von Rosenzweig, zusammengestellt von
.1. Freiherrn v. Benko, K. K. Korvettenkapitän. Herausgegeben von der
Redaktion der ..Mitteilungen ans dem Gebiete des Seewesens“. Pola, Kom-
missionsverlag von Carl Gerold Sohn in Wien, 1887. Der Zweck dieser
7 1 /* Monate, vom 1. September 1885 bis 13. April 1886, währenden Reise, lag neben
der Ausbildung von Stab und Mannschaft im Marinedienst in der Wahrnehmung
der kommerziellen und konsularischen Angelegenheiten der berührten Gebiete
und in der mit allen Kräften anzustrebenden Förderung der handelspolitischen
Beziehungen der österreichischen Monarchie zu jenen Ländern. Es wurden in
Westindien folgende Inseln besucht : Trinidad, Barbadoes, St. Vincent, Santa
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Lucia, Martinique, Dominica, Guadeloupe, Antigua, St. Christoph, St. Thomas.
Portorico, Hayti. Jamaica, Cuba, New Providence (Bahamas). Die Schilderungen
und Beschreibungen der einzelnen Inseln betreffen die geographischen, politischen
und wirtschaftlichen Verhältnisse ; jedem Kapitel steht ein Anhang — im ganzen
sind es 16 — ergänzend zur Seite; es werden darin eine Menge zum Teil
statistischer Angaben über Produktion, Ein- und Ausfuhrartikel u. a. gemacht.
Somit bietet das Buch allen, welche sich für überseeischen Handel und Kolonial-
wirtschaft interessieren, reiche Belehrung, denn wir dürfen annehmen, dafs
diese Angaben auf genauen Ermittelungen zum Teil wohl der österreichischen
Konsuln beruhen, und also auf volle Zuverlässigkeit Anspruch machen dürfen.
Bei den Bahamas ist uns eine Lücke aufgefallen. Dort wird eine sehr be-
deutende Sehwammfischerci betrieben. Man sollte meinen, dafs Angaben in
dieser Beziehung um so willkommener gewesen wären, als Schwämme bekanntlich
einen sehr bedeutenden Handelsartikel Triests bilden. Man mufs es dem
österreichischen Marineministerium Dank wissen, dafs es dieses wertvolle Material
nicht nur in seinen Archiven niedergelogt., sondern der Öffentlichkeit übergeben
hat. Der Preis, 4 Mark für das nahe an 300 Seiten zählende Buch, ist billig;
auch eine gute Karte fehlt nicht.
Australien.
Stej neg er, L. Birds of Kauai Island, HawaianArchipelago, collected
by Mr. Knudsen. with descriptions of new species. Mit 1 Tafel. Diese Arbeit
liefert einen Beitrag zur Vogelfauna der Hawaii-Inseln; es werden einige neue
Arten und ein neues Genus beschrieben.
— Blandt Menneskeaedere. 4 aars Rejse iAustralien af Carl L u m h o 1 1 z,
mit Illustrationen, Heft 1 und 2, Verlagsbnreau in Kopenhagen. Mit Unterstützung
der Universität Christiania hielt sich der norwegische Naturforscher Lumholtz vier
Jahre, 1880 bis 1884, in Australien auf und lebte zum Zweck seiner Forschungen
1882 und 1883 in Nord-Queensland unter den Wilden. Die vorliegende auf 10 Hefte
berechnete Veröffentlichung ist eine populäre Darstellung seiner Reisen unter
steter Rücksichtnahme auf die inzwischen teilweise bearbeiteten wissenschaft-
lichen Ergebnisse. Bei dem lebhaften Interesse, welches sich in weiteren
Kreisen Deutschlands noch immer für die Länder- und Völkerkunde zeigt, wird
vielleicht eine deutsche Übersetzung veranstaltet werden.
Polarregionen.
Ans der grofsen Zahl wertvoller Publikationen, welche durch das in den
Jahren 1882/83 zur Ausführung gelangte internationale Polarunternehmen her-
vorgernfen wurden, liegen gegenwärtig wiederum zwei stattliche Bände vor.
Es sind dieses der III. und IV. Band der „Mission scientifique du Cap Horn
1882 83“, erschienen in Paris 1887 bei Ganthiers-Villars, welche der Redaktion
dieser Zeitschrift in dankenswerter Weise von dem wissenschaftlichen Teil-
nehmer, Herrn Dr. Hyades, zugesandt worden sind. Der erstere dieser beiden
Bände enthält die magnetischen Beobachtungen, welche in der Orange-Bai, dem
Stationsort der Expedition, ausgeführt worden und aufserdem noch die inter-
essanten Ergebnisse einer umfangreichen Arbeit über den Kohlensäure- und
Sanerstoffgehalt der Luft. — Der zweite derselben beschäftigt sich ausscb
/
M oii
'N
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lieh, und zwar in sehr eingehender Weise, mit dem geologischen und nament-
lich petrographischen Bau der Umgehung des Stationsortes.
Wenn es auch in diesen Blättern nicht am Platze sein würde, eingehend
den Inhalt der beiden Schriften darznlegen, so wird doch auch vom Standpunkte
der Geographie an dieser Stelle eine allgemeine Besprechung unter Aufführung
der wesentlichsten Resultate gerechtfertigt erscheinen.
Die geographische Position des magnetischen Observatoriums war
65 0 31 ' 24 " S. und 70 0 25 ' 12 " W. oder 5 h 12 m 5 8 von Göttingen, und ist
somit diese Station die südlichste in dem System der internationalen Polar-
forschnng.
Die ausgeführten magnetischen Beobachtungen zerfallen dem Gesamt-
pläne gemäfs in absolute und in Variationsbeobachtungen. Die in grofser Zahl
vorhandenen Deklinationsbestimmungen erstrecken sich gleic.hraäfsig über den
ganzen Zeitraum und ergeben in Verbindung mit den später zu besprechenden
stündlichen Ablesungen der Variationsapparate
D = 20° 10'. 85,
während sich die Werte für die Horizontalintensität (H) und die Vertikalintensität
(Z) auf dieselbe Weise ergaben zu H = 0.285362
Z = 0.377672.
Die Instrumente, mit welchen die absoluten Bestimmungen ausgeführt wurden,
waren für die Deklination ein magnetischer Theodolit eigener Konstruktion von
Brunner in Paris, welcher auch gleichzeitig, wie das bei den meisten Apparaten
dieser Art der Fall ist, die nötigen Vorrichtungen besafs. um mit demselben
Instrument die Horizontalkomponente der Intensität zu bestimmen, für die
Inklination ein Nadel-Inklinatorium von Gnmbey, mit welchem dieselbe im
Jahresmittel zu 52° 55' 56" bestimmt wurde.
Wird aus den Resultaten der Beobachtungsperiode die jährliche Verän-
derung der Deklination abgeleitet, so findet sich eine Abnahme des absoluten
Wertes um 5'. 15. Benutzt man zur Erlangung dieser Gröfse eine von Kapt.
King im Jahre 1828 angestellte Observation, so ergiebt sich nur 4'. 11 für die
Säkularvariation. Eine Beobachtung der Deklination dnreh Admiral Fitz-Roy
mufs leider aufser Vergleich bleiben, da der Ort, an dem die Messung statt-
fand, sich nicht mit der für die Deklinationsändernng nötigen Sicherheit be-
stimmen läfst. Bezüglich der Inklination konnte ein andrer Wert der Säknlar-
änderung als der durch die Beobachtungen der Expedition sich zu 11'. 3 ergebende
nicht ermittelt werden, da am Orte der Station früher nicht beobachtet wurde.
Dagegen ist eine Reihe von Beobachtungen auf der Insel Malonines interessant.
Es findet sich dafür auf S. 213 des vorliegenden Werkes
1820
S = 65°20 (Freycinet)
1822
54.49 (Duperrey)
1833
53.25 (Fitz-Roy'l
1842
52.30 (Rofs)
1883
47.38 (de la Monneraye)
Aus diesen Zahlen ergiebt sich im Mittel eine jährliche Abnahme von 7'. 2.
Zwei andre Beobachtungen in der Bai von St. Martin (Hermite) von
Rofs 1842 und die französische Expedition 1883 ergeben den Wert von 8 '.2.
Alle diese Zahlen, bemerkt der Bearbeiter des französischen Materials, Mr.
le Cannellier, ganz richtig, können aber entweder durch die Kürze des Zeit-
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349 —
raumes oder durch die grofse Unsicherheit, mit welcher frühere luklinations-
bestimmungen behaftet waren, keinen Anspruch auf grofse Genauigkeit er-
heben. —
Die eben angeführten Daten sind in der vorliegenden Publikation nach
den Variationsbeobachtungen aufgeführt, da sie ja teilweise erst anf diesen be-
ruhen. Die letzteren wurden an zwei Sätzen von Variationsinstrumenten
beobachtet, bei welchen als llorizontalintenaimeter auch ein Bifilar benutzt
wurde. Der eine dieser Sätze war ein auf photographischem Wege selbst-
registrierender. dessen ausgewertete Kurven zum Abdruck gelangen. — Abge-
sehen davon, dafs nicht alle Termintage publiziert werden, unterscheidet sich
das französische Werk auch noch dadurch von andern bisher erschienenen,
dafs bei der Zusammenstellung der Resultate zwei Wege eingeschlagen wurden.
Einmal finden sich die Mittel (stündliche, tägliche und monatliche) auf Grund
aller stündlichen Beobachtungen, zweitens ist aber auch noch eine ganz
ähnliche Zusammenstellung vorhanden, bei welcher aber die als gestört an-
zunehmenden Beobachtungen ausgeschlossen wurden. — Da die letztem Zahlen
der Natur der Sache nach immerhin als etwas willkürlich anzusehen sind,
wollen wir nur ganz kurz die Endresultate ohne Ausschlufs der gestörten
Daten anführen, welche auch hier wegen der Veranschaulichung des periodischen
Verlaufs der Variationen von allgemeinem Interesse sind.
Stündlich Jahresmittel.
Deklin.
Horn. -lut.
Vortik.-lnt.
Vorm.
0
Uhr 00 Min.
20“ 9,17'
0.285 429
0.377 689
11
1
11
50
11
9,70 '
5 435
7 694
11
2
50
11
9,«« '
5 441
7 697
1t
3
11
50
11
9,48 '
5 439
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i:
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11
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50
11
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7 767
ii
9
11
50
11
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ii
10
11
50
11
11,88*
5 213
7 687
ii
11
11
60
11
12,14'
5 254
7 653
Nachm. 0
Uhr 50
Min.
13,88'
5 322
7 618
J»
1
11
60
11
14,08*
5 368
7 572
11
2
11
50
11
13,47 '
5 383
7 580
11
3
11
50
11
12,8»'
5 365
7 601
11
4
11
50
11
11,88'
5335
7 632
11
6
11
50
11
11,8«'
5 330
7 647
11
6
11
50
11
10,88*
5 329
7 657
11
7
11
50
It
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5 344
7 663
11
8
11
50
»»
10,8»'
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7 667
11
9
11
50
11
10, »0*
5 390
7 665
11
10
11
50
11
10,81 '
5 403
7 673
11
11
11
50
11
20° 10,87 '
0.285 416
0.377 681
Mittel . .
..20“ 10,88 '
0.285 362
0.377 672
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— 350 —
M o ii a t s m i 1 1 e 1.
Md.
Horix.-Int.
Vertik.-tnt.
Oktober
. 20®
12,u '
0.285 437
0.378 783
November
12,« '
5 315
8 695
Dezember
12,!*'
5 370
8 342
Januar
11, m'
5 411
8 010
Februar
11,7»'
5 302
7 754
März
11,«.'
5163
7 557
April
10,«'
5 254
7384
Mai
9j»'
5 349
7 187
Juni
9,».'
5351
7 043
Juli
9,m'
5 519
6891
August
. 20®
8,».'
0.285 529
0.376 749
Mittel . .
. 20®
10,«'
0.285 362
0.377 672
Werden die (stündlichen Monatsmittel wegen der jährlichen Veränderung
korrigiert nnd auf eine Epoche gebracht, so erhält man für die Deklination
und Inklination (wo diese Redaktionen mit einiger Sicherheit gemacht werden
können) die folgenden interessanten Unterschiede zwischen dem Qang dieser
Elemente im Sommer und Winter:
Sonn
südlich des
Äquat
ors.
Zeit.
Deklin.
Abweich, v. red.
Jahresmittel.
Inklin.
Abweich. ▼. red.
Jahresmittel.
Vorm.
0
Uhr
50
Min.
20 « 9,m '
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0,7« '
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5
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0,3.'
11
6
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11
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— 351 —
Sonne nördlich des Äquators
Zeit.
Deklin.
Abweich, v. red.
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Jahresmittel.
Vorm.
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Min.
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52° 55,«'
+
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Die zweite Abteilung des III. Bandes, welche eine sehr interessante Ab-
handlung über den Kohlensäurengehalt der Luft enthält, erstreckt sich nur in-
sofern auf das Gebiet der internationalen Polarforschung, als eben in Verbindung
mit verschiedenen Stationen in Frankreich auch die in der Orange-Bai gesammelten
Daten zusammengestellt sind.
Durch diese Untersuchungen wird aus sehr vielen einzelnen, unter den
verschiedensten Verhältnissen angestellten gut untereinander übereinstimmenden
Beobachtungen das folgende Resultat abgeleitet, bei denen auch noch die an deu
Stationen zur Beobachtung des Venusdurchganges ausgeführten Untersuchungen
benutzt sind :
Frankreich . .
Nördliche Hemisphäre.
Kohleasitaregehalt
der Luft.
Ebene von Vineennes 2.871 °/oo «
Pic du Midi (2877m) 2.757
Pätionville auf Hayti 2.812
Amerika St ' Au S ustiu ’ Florida 2.922
Fort d. France, Martinique 2.793
• Puebla in Mexiko ■ .2,763
Mittel 2.820
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•Südliche Hemisphäre.
Santa-Cruz, Patagonien 2.667
Chubut, Patagonien 2.955
Cerro-Negro, Chile 2.743
Orange-Bai. Cap Horn 2.560
Atlantischer Ozean (Messungen der „Romanche“) 2.680
Mittel 2.721
Schon diese beiden Zahlen zeigen eine bei der grofsen Anzahl der zu
Grunde liegenden Messungen erhebliche Verschiedenheit, die aber noch bedeutend
vermehrt wird, wenn man die für ., Chubut“ angegebene Zahl eliminiert. Dieselbe
weicht so stark von den übrigen ab und beruht nur auf zwei Beobachtungen,
dafs dieses Vorgehen sich wohl rechtfertigen läfst. Nach dieser Ausscheidung
erhält man für die Südhemisphäre als Mittel 2.663*).
Das Mittel für die Gesamtatmosphäre würde sich hiernach zu 2.7415
finden, also nahezu gleich 0.03 Prozent.
Als Erklärung dieses Unterschiedes heifst es in der Schlufsbemerkung :
„Les re sulfats montrent que l’acide carbonique n’est pas uniformäment
r6pandu dans la masse de l’atmosphere, que l’hfmisphere sud, en raison pro-
bablement du grand düveloppemcnt de la surface des mers et de la basse tem-
perature des eaux due ä l'extension des glaces polaires, contient une proportion
d’acide carbonique tres sensiblement inßrieure.
Wenn die Menge des Kohlensäuregehalts der Luft auch gegen die
früheren Annahmen von nahe 0.04 °/o erheblich zurückbleibt, so ist die neuere
Zahl doch gewifs mit grofsem Vertrauen aufzunehmen.
Ein weiterer Abschnitt dieses Teiles des Werkes umf&fst die von den-
selben Autoren, Herren A. Müntz und E. Aubin, bearbeiteten Untersuchungen über
das Verhältnis des Sauerstoffes zum Stickstoff in der Atmosphäre. Die Ver-
fasser gelangen da zu keinem neuen Resultate, sondern finden nur die bisherigen
Annahmen bestätigt. Es ergiebt sich für Orange-Bai im Mittel von 20 Messungen
für Sauerstoff 20.864°/#, während Regnault in Paris 20.960% fand und als
Grenzen 20.300 bis 21.015% angab. Die Herren Müntz und Aubin fanden in
Paris aus zwei Messungen im Mittel 20.917%. Sämtliche Werte liegen inner-
halb der Genauigkeitsgrenzen der Bestimmungen.
Obgleich die Ausstattung aller Bände eine ausgezeichnete genannt werden
mufs, so verdient doch der Band IV. (G6ologie) ganz besonders hervorgehoben
zu werden. Die Abbildungen der Dünnschliffe des anstehenden Gesteines sind
vortrefflich sowohl nach Arrangement als nach Ausführung. Ebenso vermitteln
die vielen Lichtdrucke eine recht gute Anschauung bezüglich des Oberflächen-
charakters und der geologischen Konfiguration. Das Gleiche gilt auch von dem
der Schrift angefügten Kartenmaterial. Keines der mir bisher zu Gesicht
gekommenen resp. bis jetzt erschienenen Werke aus dem System der inter-
nationalen Polarforschung ist so opulent mit instruktiven Abbildungen versehen.
Über die sehr eingehenden petrographischen Schilderungen sich näher
zu verbreiten ist wohl hier kaum der Ort, es wird die Würdigung der mühe-
vollen langwierigen Untersuchungen in der Fachlitteratur nicht ausbleiben.
*) Die im Werke selbst gegebenen Zahlen scheinen mit Ausschlufs der Zahl
2.680 für den Atlantischen Ozean gefunden zu sein, während die hier angeführten
auch diese Angabe umfassen.
Amerika
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353 —
Hier seien nur kurz die allgemeinen Ergebnisse der an einer groben
Anzahl von Orten des Feuerland-Archipels angestellten Beobachtungen erwähnt.
Die allgemeine Gliederung der Inselgruppe erscheint in ihren Hauptziigcu der
Gebirgsbeschaffenheit gemüfs durch nahezu von Ost. nach West ziehende Haupt-
kanäle in zwei Teile, einen nördlichen. Fenerland-Archipel im speciellen, und
einen südlichen, den Kap Horn-Archipel, getrennt zn werden. — Die kleineren
Teilungskanäle und Fjorde lassen eine solche Regelmäfsigkeit nicht mehr hervor-
treten. Das anstehende Gestein besteht namentlich im Westen vornehmlich
aus Eruptivgesteinen, Graniten, Andesiten, Trachyten. Dioriten. Diabasen u. a.,
während sich nach Osten hin auch die ältesten Fonnationen der Drschiefer.
Gneise der verschiedensten Zusammensetzung. Glimmerschiefer u. a. in grofser
Menge vorfinden.
Dazwischen scheinen auch mehrfach Quarze. Trachyte und Basalte als
gang- oder kuppenförmige Bildungen vorzukommen. Eiuo Reihe von Trachyt-
und Andesitkuppen vertritt die aus den Resten vulkanischer Ausbrüche und
aus den Trümmern vulkanischen Ursprungs gebildeten Gesteinsgruppen. — Ver-
steinerungsführende Schichten der archaischen Formation scheinen sehr selten,
jüngere Formationen überhaupt nicht vorhanden zu sein. — Als Anhang findet
sich in diesem Baude noch eine Besprechung und Aufzählung der von D. Lovisato
von der italienisch-argentinischen Expedition unter Leutnant G. Bove gesam-
melten Gesteine, welche die Sammlungen der Kap-Horn-Expcdition in mehreren
Stücken ergänzt und deren Resultate bestätigt.
Bevor wir diese Besprechung schliessen, mag aber noch auf eiue Sammlung
von Humusproben hingewiesen werden, welche Herr Hyades anlegte und welche
H. E. Aubin auf ihre chemische Zusammensetzung hin untersuchte, (pg. 186 fl.)
Das Resultat dieser Untersuchung ist zusammengefarst in dem Schlufssatze :
„Le plus grnnd obstacle ä des cultures agricoles daus cette contree räside,
non dans la Constitution du sol, mais dans la rigneur du climat“.
L. A.
Vega-Expeditionens Vetenskapliga Jaktagelser bearbetade af deltagare
i resan och andra forskare, utgifna af A. E. N o rd en skj öld.
Stockholm, Beijers Förlag. 1887. Bd. IV. mit 47 Tafeln, Bd. V. mit 2 Tafeln.
Mit diesen beiden starken Bänden schliefst Nordcnskjöld die ursprünglich auf
einen geringeren Umfang berechneten wissenschaftlichen Mitteilungen der Vega-
Expedition. Doch auch in diesen 5 Bänden ist, wie der Herausgeber in einem
Vorworte mitteilt, das Material keineswegs erschöpft. Verschiedene Bearbeitungen,
wie die der Flechten durch Fries und die der Krustaceeu durch Stuxberg, sind
noch nicht abgeschlossen, möglicherweise erscheinen sic in einem Supplement-
bande. Von dem reichen Inhalt der vorliegenden beiden Bände mag eine Auf-
zählung der in ihnen enthaltenen Abhandlungen Zeugnis ablegen. Im 4. Bande
beschreibt zunächst Salilberg in drei gesonderten Abhandlungen die Koleopteren
und Hemipteren, welche an der Nord- und Ostküste der Tschuktschen-Halbinsel
(41 Spezies), auf der amerikanischen Seite des Berings-Meeres (17 Spezies) und
auf der Berings-Insel (10 Spezies) eingesammelt wurden. Aurivillius berichtet
über die von der Nordküste Asiens mitgebrachten Lepidoptera (9 Spezies mit
einer Tafel), Mc. Lachlan über die Neuroptera (5 Spezies), Swcderus über die
Tunikaten (9 Spezies). Törnebohm giebt eine petrographisclie Beschreibung der
von der Expedition heimgebrachten Gesteinsproben, uach den Fundorten ge-
üeogreph. Blätter. Bremen, 1837. 25
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— 354 —
ordnet. Westerluud giebt eine Übersicht der Verbreitung der Land- und Siifs-
wassermollusken von allen von der Expedition berührten Punkten und beschreibt
daun die zahlreichen neuen Arten und Formen (39 Spezies auf 5 Tafeln).
Es folgt eine Abhandlung von Aurivillius über die in Tunikaten lebenden
Krustaceen mit 3 Tafeln; 13 Arten werden aufgeführt, darunter 6 neue.
Kjcllman und Petersen liefern eine Arbeit über die japanischen Laminarien
(mit 2 Tafeln). Erstcrer giebt ferner eine Übersicht über die Phanerogamenflora
der Berings-Insel ; 157 Arten, darunter 31 Monokotylen und 126 Dikotylen werden
aufgezählt. Aurivillius beschreibt dann die arktischen Placophoren und Gastropodeu.
121 Arten mit 20 auf 2 Tafeln abgebildeteu neuen Formen. Die llydroideu,
24 Spezies, werden von Thompson beschrieben (mit 8 Tafeln), die Schwämme.
71 Spezies, von Fristedt (mit 10 Tafeln). Die fossilen Pflanzen von Labuan,
20 Spezies, sind von Geyler bestimmt worden, hierzu 8 Tafeln. Es folgen daun
noch eine Arbeit von Almquist über die Lichenenvegetation der Küsten des
Beriugs-Meeres und eine Übersicht der arktischen und antarktischen Hyperideu
von Bovallius, hierzu 8 Tafeln. Der fünfte Band enthält zunächst eine Arbeit
von Stuxberg: Die Fauna auf und um Nowaja Semlja. Dieselbe bringt im
wesentlichen nach den bereits veröffentlichten Spezialarboiten über die zoologischen
Ergebnisse der drei Nordenskjöldschen Expeditionen eine Aufzählung der auf
Nowaja Semlja und in den benachbarten Meeren beobachteten Tierformeu, mit
Ausschluß der nicht bearbeiteten Fische, Tunikaten, Entomostraken, Pyknogonideu
und Gephyreen. Danach sind im ganzen 732 Arten bekannt und zwar Säuge-
tiere 16, Vögel 41, Insekten 174, Tausendfüfsler 1, Spinnen 48, Crustaceen
(Panzerkrebse, Isopoden und Amphipodeu) 96, Würmer 123, Bryozoen 59,
Mollusken 121, Echinodermen 37, Cölenteraten 13, Schwämme 13. Die zweite
Abhandlung, von Palmöu, über die Vögelfauna der sibirischen Eismeerküste,
bringt in ausführlicher Weise die von der Expedition gröfstenteils während des
Winterquartiers in Pitlekai gemachten ornithologischen Beobachtungen, lin
ganzen sind 80 Vogelarten wahrgenommen worden ; in ornithologischer Hinsicht
zeigt danach die Tschuktschen-Halbinsel eine Annäherung au das amerikanische
Festland. Den Schlufs des Bandes bilden die von Rosen mitgeteilten Flut-
beobachtungen von Pitlekai. Die Geringfügigkeit der wahrgenommenen Niveau-
schwankungen scheint die Annahme zu unterstützen, dafs das nördlich von
der Berings-Strafsc gelegene Meer keine grofse Ausdehnung besitze. A. K.
§ Den Danske K ono b a ads-E x p e di t io n til Grönlands Ost-
k y s t , populairt beskreven af G. Holm, Capitain i Marinen og V. Garde,
Pr.-Lieutenant i Marinen. (Die dänische Bootsexpedition zur Ostküste von
Grönland, populär beschrieben durch G. Holm, Kapitän und V. Garde, Premier-
Leutnant in der Marine). Mit Karte, 8 Tondruckbilderu und 39 Abblildungeu
im Text. Kopenhagen 1887, Verlagsbüreau. Die dänischen Forschungen und
Entdeckungen in Grönland sind in dieser Zeitschrift ihrer Bedeutung und ihren
Ergebnissen nach in kürzeren und längeren Aufsätzen gewürdigt worden. W'ir
verweisen beispielsweise nur auf die Abhandlungen von Rink in den Jahrgängen
1883 und 1886, und von Ryder im Jahrgang 1887. Während die zahlreichen
früheren Forschungen vorzugsweise das wissenschaftliche Interesse in Anspruch
nahmen, erregten die Ergebnisse der Bootsreisen Holms und Gardes längs der
Südostküste, deren Erforschung wir fast ausschliefslich dänischen Seefahrern
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— 355 —
verdanken, und besonders die Geschichte der Überwinterung in Anpmagsalik
1884 '86, bei dem mntmafslich nördlichsten Stamm der Grönländer an jener
Küste, die allgemeinste Teilnahme. Die von daher mitgebrachte in Kopenhagen
eine zeitlang ansgestellte ethnographische Sammlung brachte mancherlei Auf-
schlüsse und es steht zn erwarten, dafs dieselbe in den von den .Meddelser om
Grönland“ zn veröffentlichenden wissenschaftlichen Ergebnissen eingehend und
mit genauen Abbildungen gewürdigt werden wird. Das vorliegende Werkchen
ist eine im besten Sinne des Worts populäre Darstellung des ganzen Verlaufs
der Expedition zur Ostküste und der wichtigsten Ergebnisse derselben, sie ist
von Holm und Garde selbst verfafst. Das gröfste Interesse wird sich den Ka-
piteln fl — 10 znwenden. in welchen das Vordringen von Graahs nördlichsten
Pnnkt, der Dannebrog-Insel. bis zum Angmagsalik-Fjord, die Überwinterung in
Rasen- und Steinhütten bei den nördlichen Ostländern : endlich die Rückkehr,
im Spätsommer 1886 zu der entgegenkommenden südlichen Abteilung der
Expedition unter Premierlentnant Garde, die in fesselnder Weise geschildert
wird. Zahlreich und meist sehr gut sind die nach Zeichnungen oder Photo-
graphien gegebenen Abbildungen ; eine Übersichtskarte orientiert über das be-
reiste bezw. entdeckte Gebiet, während die von der Expedition entworfenen
detaillirto Karten mntmafslich ebenfalls in den . Meddelser“ veröffentlicht
werden dürften. Einen wertvollen Beitrag zur Entdeckungsgeschichte von Grön-
land, die s. Z. in dem grofsen Werke über die deutsche Polarfahrt 1869/70
durch Professor Maurer ausführlich erzählt wurde, enthält die Einleitung von
Holm ; hier werden besonders die langjährigen Irrtümer bezüglich der vermeinten
normannischen Niederlassungen an der Ostküste, wie es schon kürzlich in der
dänischen geographischen Zeitschrift geschehen, beleuchtet nnd die Reisen und
Entdeckungen Graahs. nnter Beigabe eines Portraits des letzteren, gebührend
gewürdigt. Bei dem Interesse, welches sich für uns Deutsche in Rücksicht auf
die Expedition von 1869/70 an Ostgrönland knüpft, wäre eine Übersetzung
des Werkchens, dessen Inhalt allgemein entsprechen mufs, in hohem Mafse
erwünscht.
Anschauungsmittel für den Unterricht.
Holzels Geographische Charakterbilder. Kleine Handaus-
gabe. 30 chromolithographische Tafeln mit. beschreibendem Text von
Prof. Dr. Fr. Umlauft und V. v. Haardt. Wien, Eduard Hölzel. 1887. Auf von
vielen Seiten her geäufserten Wunsch hat. die um den geographischen Unterricht
schon vielfach verdiente Wiener Verlagsbuchhandlung von Eduard Hölzel von
den in ihrem Verlage erschienenen vorzüglichen geographischen Charakter-
bildern. welche 79 cm breit und 59 cm hoch als Wandbilder dienen, auch
eine. Ausgabe in kleinem Format. 27 cm lang nnd 18 cm breit, für den Hand-
gebrauch veranstaltet. Die dargestellten Landschaften — der Vesuv, die Wüste
Sahara. Helgoland, das Stettiner Haff, die Adelsberger Grotte. Hammerfest, der
Tafelberg mit der Kapstadt. Tropenurwald am Amazonas u. a. — sind
wirklich geographisch charakteristische und die künstlerische Ausführung der
Bilder ist eine treffliche. Jedes Bild ist durch einen kurz gehaltenen, aber dabei
doch für die Vermittelung eines vollen Verständnisses genügenden Begleittext
erläutert., der ebenso der reiferen Jugend wie dem Erwachsenen gute Dienste
leisten wird. Als ein ebenso schönes wie nützliches Anschauungsmittel sei diese
Handausgabe den Freunden der Erdkunde bestens empfohlen. W.
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— 356 —
Das Erd profil der Zone von 31° bis 65° nördlicher Breite von Ingenieur-
hauptmann Ferdinand Lingg. Gröfse des Tableaus: 51 cm hoch, 375 cm
lang. Ein Exemplar mit Text, zusammengelegt, sowohl buchartig zum Um-
blättem, als zum Ausbreiten im ganzen eingerichtet, in kartounierter Mappe
5138 cm. Preis 20 Mark. Verlag und Ansführung von der Königlich bayerischen
privilegierten Kunstanstalt von Piloty & Lochle in München. Der zeichnenden
Erdkunde eröffnet das Linggsche Erdprofil neue und gewinnbringende Wege.
Zum erstenmal ist hier eine anschauliche Darstellung der Verhältnisse zwischen
den Einzelnheiteu der Gestaltung der Erdoberfläche und den Dimensionen der
Erde im ganzen, durch Anwendung eines einheitlichen Mafsstabes geboten. Das
Erdprofil zeigt einen Teil eines in Südnordrichtung geführten Erddurchschnittes
und zwar im durchgängigen Mafsverhältnisse von 1 : 1 Million, so dafs ein
Millimeter der Zeichnung einen Kilometer der Wirklichkeit nach jeder Richtung
repräsentiert. Die Wölbung des mit Berücksichtigung der Abplattung exakt
konstruierten Meridianbogenstückes von 34 Breitegraden — mithin fast */io des
Umfanges eines idealen Globus von über 12 m Durchmesser, — entspricht
der natürlichen, meridionalen Krümmung des Meeresniveaus. Auf dieses ist ein
detailliertes Profil von Europa in der Linie von Tripolis an der nordafrikanischen
Küste, durch das Mittelländische Meer, über Ätna und Vesuv, dann durch die
Apenninen. den nördlichen Teil des Adriatischen Meeres, die Alpen, den Böhmer-
wald, das Erzgebirge und Norddeutschland, durch die Ostsee und das nor-
wegische Gebirge bis über Drontheim in den Nordatlantischen Ozean hinaus,
aufgetxagen. Da der Beschauer dieses Profils Nord zur Rechten hat, so ist
sein Blick nach West gerichtet, in welcher Ansicht, panoramaartig hintereinander,
auf den gemeinsamen Meridianbogen projiziert, über 700 der bedeutendsten, in
der genannten Zone liegenden, gemessenen Berge, sowie Hochseeniveans. Pässe,
Plateans n. a. von Westeuropa und Nordafrika. Nordamerika, Zentralasien nnd
Osteuropa schematisch eingezeichnet, in ihrer absoluten Höhe nnd genauen
Breitenlage in Erscheinung treten. Aufscrdcm sind Resultate der Tieflotungen,
der Verlauf und das Ansteigen einzelner Strecken des Bodens der Ozeane, die
Abnahme der Dichte und Temperatur der Atmosphäre, erreichte Höhen bei
Ballonfahrten. Wolkenhöhen, Richtung und Grenzen des Aufleuchtens der Stern-
schnuppen, Forschungsergebnisse über das Nordlicht, Bestrahlung durch Sonne
und Mond. Refraktion der Lichtstrahlen, Richtung der magnetischen Inklination,
Rotations- und Umlaufsgeschwindigkeit der Erde und viele andre damit in Be-
ziehung stehende Verhältnisse zur anschaulichen Darstellung gebracht. Das
Erdinnere erfuhr insofern eine Veranschaulichung, als die tiefsten Schachte und
Bohrlöcher, Erdbebenzentren. hypothetische. geologische Tiefenniveaus,
Temperatur-, Dichtigkeit«- nnd Drnckzunahme mit der Tiefe, ihre Eintragung
gefunden haben. Zudem sind auch die mathematisch-geographischen Verhält-
nisse des Erdkörpers klar nnd erschöpfend behandelt. Am oberen und unteren
Rande des Tableaus sind die Namen von weit über ßOO der bedeutenderen
Städte, sowie sämtliche Sternwarten des ganzen Erdgürtels nach der Reihen-
folge ihrer Breitenlage verzeichnet und läfst sich die Lage jeder derselben auf
dem dargestellten gemeinsamen Meridianbogen der Zone einfach durch Anlegung
eines Lineales bestimmen, womit dann die angegebenen physikalischen Ver-
hältnisse für den betreffenden Ort ersichtlich werden. Alles Dargestellte ist
’urc.h präzise Einschrift je mit Namen. Land. Höhe oder Tiefe bezeichnet, wo-
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— 357 —
durch sich jeder Teil des Werkes ans sich selbst erklärt. Sämtliche ein-
geschriebene Mafse sind anf das metrische System, und alle Angaben geographischer
Länge auf den Nullmoridian von Greenwich bezogen. — Dem Ganzen ist ein
Text nebst zwei Übersichtstafeln beigegeben. Das Linggsche Erdprofil hat in
wissenschaftlichen Kreisen grofse Anerkennung gefunden und verdient als
Unterrichtsmittel für höhere Stnfen angelegentlichst empfohlen zu werden.
W.
Meteorologie.
Der in Heft 3 S. 170 und ff. besprochenen Arbeit des Herrn Dr. 0. Schneider
über das Klima von Bremen reiht sich nun eine zweite über das gleiche Thema
an, sie ist von Dr. Bergholz in Bremen. Letzterer unterzieht das Klima
von Bremen in seiner 40 Seiten starken Schrift einer Bearbeitung auf Grund der
vorliegenden langjährigen Beobachtungen nach den von Professor Hann in
seiner Klimatologie aufgestellten Forderungen und nach .dem Muster von
Längs Klima Münchens. Sämtliche Tabellen, und es sind deren sehr zahl-
reiche in der Arbeit, sind neu berechnet. Von den der Arbeit beigefügten
Tabellen heben wir folgende hervor : Monatsmittel und Extreme der Temperatur
von 1829 — 1886; Pentadcnmittel (Durchschnittswerte von 1803 — 86); Mittel-
temperatnr für jeden Tag des Jahres (berechnet für die Monate Jannar, Mai,
Juli); Mittcltompernturen für 3 Tageszeiten. Monatliche Extreme der Tempe-
ratur, relative Feuchtigkeit, Monats- und Jahressummen der Niederschläge,
gröfste Niederschlagshöhe in 24 Stunden; Tage mit Regen, Schnee, Hagel,
Niederschlägen überhaupt, Gewitter, Nebel, Moörrauch. Auch dio Verteilung der
Windrichtung findet Berücksichtigung. In zwei übersichtlichen Tabellen, die
wir im nächsten Heft publizieren, hat Dr. B. zum Schlufs seiner Arbeit die
klimatischen Elemente Bremens übersichtlich zusammengestellt. Ein kleiner
Anhang von Professor Buchenau bespricht den abnormen Regenfall in Bremen
am 31. Juli d. J. unter Vergleichung mit früher beobachteten ungewöhnlichen
Niederschlägen.
Völkerkunde.
Afrikanische Jurisprudenz. Ethnologisch-juristische Beiträge zur
Kenntnis der einheimischen Rechte Afrikas von Dr. Albert Hermann Post,
Richter am Landgericht in Bremen. Mit Völker-, Länder- und Sachregister.
Zwei Teile in einem Bande. Oldenburg und Leipzig, 1887. Schulzesche Hof-
Buchhandlung und Hof-Buchdruckerei (A. Schwartz). Die Bedeutung des vor-
liegenden Werkes für die Rechtsgeschichtc und Rechtsphilosophie zu würdigen,
ist in dieser Zeitschrift nicht der Ort. Für einen systematischen Ausbau der
ethnologischen Jurisprudenz bezeichnet der Verfasser als unumgängliches Fun-
dament eine genaue. Sammlung der Rechtssitten aller Völker der Erde. Bei
dieser vermutlich noch viele Jahre erfordernden Arbeit soll die vorliegende
Schrift mitwirken. Sie beschäftigt sich mit den einheimisch-afrikanischen
Rechten und hofft der Verfasser, wenn er auch nicht die gesamte bezügliche
Litteratur durchgesehen hat, doch mit dem herbeigeschafften Material wenigstens
einen vorläufigen Überblick der afrikanischen Rechtsbildungen bieten zu können.
Neben diesem kurz bezeichncten Hauptzweck des Buches, welcher die Juristen
angeht, erfüllt es, wie der Verfasser mit Recht in der Vorrede hervorhebt
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noch einen eng damit zusammenhängenden Nebenzweck : den Erforschern des
schwarzen Erdteils eine Handhabe für die Beobachtung von Rechtssitten zu
bieten. .Kein Gebiet der afrikanischen Ethnologie ist bis jetzt so kümmerlich
beobachtet, wie das des afrikanischen Rechts. Da die Grundformen des afri-
kanischen Rechts von den uns heutzutage geläufigen sehr verschieden sind, so
ist es schon für den juristischen Fachmann äufserst, schwierig sich in dieselben
hineinznfinden. Der Laie wird häufig auf vollständige Rätsel stofsen. Ich
glaube, dafs ein Reisender, welcher die vorliegende Sammlung afrikanischer
Rechtssitten durohgesehen hat, sich ziemlich leicht in den afrikanischen Rechts-
anschauungen wird zurechtfinden können, und so wird es ihm dann möglich
werden, wertvolles Material für eine allgemeine vergleichende Rechtswissenschaft
herbeizusc.haffen. Solches wird aber noch lange gesammelt werden können, da
Bastians Weissagung des Untergangs der Formen des wilden Lebens durch das
Eindringen der europäischen Kultur in Beziehung auf das afrikanische Rechts-
leben wohl noch sehr lange Zeit keine Anwendung finden wird.“ Um wenigstens
den Inhalt etwas näher anzudenten, so sei hier folgendes erwähnt. Der erste
Teil, Allgemeine Lehren, beschäftigt sich zunächst mit den Rechtsfjnellen, sodann
mit den allgemeinen Grundlagen der sozialen Organisation. Letztero wird in folgen-
den „Hauptstücken“ behandelt : die geschlechtsgenossenschaftliche, die gau-
genossenschaftliche und die herrschaftliche Organisation, die Gliederung der
Bevölkerung in Klassen, Kasten und Stände, endlich die Fremden. Der zweite
Teil betrifft das Verfassungs- und Verwaltuiigsrecht, also die Verfassungsformen,
Regierung, Justizverfassung. Finanz- und Kriegsverfassung. Der dritte Teil
handelt vom Personenrecht, der vierte vom Familienrecht. — Dia Zeit der Ent-
deckung neuer Ländergebiete in Afrika — eine Aufgabe die gegenwärtig noch
immer im Vordergrund steht — wird, so dürfen wir hoffen, bald zum Abschlufs
gelangen, auf die ethnologische Erforschung dürfte dann ein gröfseres Gewicht
gelegt und von denen, die sich ihr widmen, eine gründliche Vorbereitung ver-
langt werden. Neben der erforderlichen sprachlichen Vorbildung, die ja nun
durch das vom Reiche errichtete orientalische Seminar auch für Afrika ge-
boten wird, wüfsten wir kein Vorstudium, das so sehr alle Verhältnisse einer
Bevölkerung berührt, wie das der Rechtsverhältnisse. Das Werk von Post
wird also den künftigen Afrikaforscher nach dieser Richtung auf das Beste
vorbereiten und mittelbar eine Bereicherung und wo nötig Berichtigung des
jetzt gebotenen Materials herbeiführen, damit aber den Ausbau der ethno-
logischen Wissenschaft mehr und mehr fördern. Zum leichtern Gebrauch ist
das umfängliche (gegen 700 Druckseiten starke) Werk mit zwei Registern
versehen.
Tättowieren. Narbenzeichnen und Körperbemalen. Ein Beitrag zur
vergleichenden Ethnologie von Wilhelm Joest. Mit II Tafeln in Farbendruck,
1 Lichtdrucktafel und 30 Zinkätzungen nach Originalzeichnungen von 0. Finsch,
CI. Joest, J. Kubary und P. Preifsler. Nebst Originalmittcilungen von 0. Finsch
und J. Kubary. Berlin 1887. A. Asher & Co. Der Verfasser ist sich, wie er
in dem Einleitnngswort sagt, wohl bewnfst. eine erschöpfende Behandlung seines
Themas zur Zeit noch nicht bieten zu können, dazu würde, wie er meint, ein
längeres Studium unter den Naturvölkern selbst, wie in den Bibliotheken ge-
hören. Derselbe beabsichtigt in der vorliegenden Arbeit nur seine, während
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mehrjähriger Reisen in Amerika. Asien. Indonesien und Afrika gemachten Be-
obachtungen niederzulegen und dabei zu versuchen, unter Benutzung des
weiteren ihm bekannten bezw. zugänglichen Materials, die Tättowierung nebst
deren Vorstufen ztimal von der psychologischen Seite zu behandeln. Bei seiner
Arbeit erfreute sich der Verfasser der Unterstützung einer Reihe Gelehrter, von
denen beispielsweise Schaafhausen in Bonn, Audree in Leipzig, Bastion, Grün-
wedel und Reifs in Berlin, Stübel und Meyer in Dresden, Wilken in Leiden ge-
nannt seien. Besonders zu statten kam es ihm, dafs ihm zwei Arbeiten von
ausgezeichneten Kennern der Südsec-Iuseln, Dr. Finscli und Kubary, mit Aqua-
rellen und Zeichnungen zur Verfügung gestellt wurden und dem Werke ein-
verleibt werden konnten. Um zunächst einige Worte von den Farbendruck-
bilderu und Holzschuittdruckeu, die bei einem solchen Werk wichtig, ja unent-
behrlich sind, zu sagen, so ist der Reichtum und die glückliche Auswahl der-
selben, sodann deren ausgezeichnete Ausführung hervorzuheben. Neben den
verschiedenen Tättowicriustrumenten und mannigfaltigen Tättowiermusteru,
werden uns eine grofse Anzahl Tättowierter, vornehmlich von den Carolinen,
den Palau- und den Marschalls-Inseln durch Holzschnittdruck im Text vorge-
führt. Die farbigen Tafeln, elf, veranschaulichen uns, grofsenteils in ganzen
Figuren, Tättowierte von Neu-Guiuea, den Gilbert-Inseln, Neu- Seeland, Birma
und Japan, endlich alt peruanische Thongefäfse mit Darstellungen von Tättowierten.
Jeder Tafel ist ein erklärender Text beigegeben. Dem 112 Quartseiten um-
fassenden Haupttext des Herrn Joest ist das Nachstehende entnommen. Nach
einigen Mitteilungen in betreff der vorhandenen Litteratur wird zunächst die allge-
meine Verbreitung des Gebrauchs, den Körper zu bemalen oder zu tättowieren,
hervorgehoben: wir finden ihn bei den Hottentotten, den Buschmännern des süd-
lichen Afrika, bei den Anwohnern des Nil, dos Congo und des Niger, auf Madagaskar,
in Melanesien und Australien ebenso wie bei den Indianern Süd- und Nord-
amerikas, ja bei den Grönländern. Unter Tättowieren — von dem tahitischen
Wurzellaut tau, welches Wunde, verwundet bedeutet — versteht man den Vor-
gang, gewisse Stoffe auf mechanischem Wege in die Haut eines Menschen ein-
zuführen, um dadurch möglichst unvergängliche Zeichnungen hervorzubringen.
Von den dabei zur Verwendung kommenden Farben rot, schwarz, weifs, gelb,
blau, grün ist rot die bevorzugteste ; dies gilt besonders bezüglich der Indianer
Nord- und Südamerikas und der Australier. Das Rotschminken der Gesichter
besonders der Frauen herrscht bei den Europäern. In Asien giebt man viel-
fach der gelben Farbe den Vorzug. Willkürlich wie die Wahl der Farben ist
auch die der Zeichnung. Streifen, Ringe, Flecken, Sterne, Vierecke, Schnörkel.
Arabesken kommen bei Angehörigen eines und desselben Stammes vor. Äulserst
beliebt sind brillenförmige Zeichnungen um die Augen. Ganz merkwürdig war
die Sitte mehrerer Stämme an der amerikanischen Küste des Stillen Ozeans,
sich den nackten Körper stark mit Fett cinzureiben und dann Wolken zartester
Flaumfedern von wilden Gänsen oder Enten darauf zu blasen, so dafs
der Betreffende aussah, wie in eng anschliefsendcu Schwanenpelz ge-
kleidet. Das Warum des Tättowiereus wird auf verschiedene Weise beant-
wortet. Wuttke sieht darin die Anfänge einer Schrift, andern erscheint es als
eine heilige oder religiöse Handlung, eine Art captatio bcnevolentiae der Götter,
deren Schutz sich der Betreffende durch seine Tättowierung empfiehlt, wieder
andre erblicken darin den Anfang einer Bekleidung. Der Verfasser tritt mit
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Keinen Erklärungen auf die Seite derer, welche als die nächste Veranlassung
des Tättowierens die Absicht halten, den Körper vor Kälte, Sonne oder den
Stichen von Insekten zu schützen. Weiter wollte damit der Wilde dem Feinde
Schrecken einflöfscn. Ein Hauptgrund war und ist dabei auch wohl der Wunsch,
sich zu verschönern, dem andern Geschlecht« besser zu gefallen. Der Verfasser
geht auf alle mit, dem Gegenstände zusammenhängende Fragen und Thatsachen,
namentlich die Art und Weise der Bemalung und Tättowierung bei den ver-
schiedenen Völkern, die dabei zur Anwendung kommenden Instrumente u. a.
näher ein, er bespricht im letzten Abschnitt das Tättowieren der Europäer, der
Prähistorier, der Griechen und Bömer, die Stellung der christlichen Kirche
dem Tättowieren gegenüber, das Tättowieren der Verbrecher und hebt hervor,
dafs das Tättowieren noch heute als Körperschmuck beliebt sei. Vor allem
sind es Seefahrer und Reisende, Gelehrte und Kaufleute, Pilger und Soldaten,
die es lieben, zur Erinnerung an ferne Länder eine Probe dortiger Tättowierung
in die Heimat mitzubringen.
Derartige Spezialst udien einzelner Themata der Völkerkunde erscheinen
entschieden förderlich, besonders wenn wie hier, ein reiches Material zur Ver-
gleichung geboten und keine Mühe, kein Geldopfer gescheut wird, getreue und
genaue Bilder zu liefern. Kunst und Technik haben bei Herstellung der letztem
auf das Glücklichste zusammengewirkt. Die Farbendrucke gingen aus dem
Atelier von C. L. Keller in Berlin hervor. Auch die typographische Ausstattung
ist rühmend anzuerkennen. Der Verfasser hat sein Werk — mit vollem Recht
— dem Altmeister der deutschen Völkerkunde. Bastian, gewidmet.
Ferdinand Hirts geographische Bildertafeln. Eine Ergänzung zu
den Lehrbüchern der Geographie, besonders zu denen von Ernst von Seydlitz.
Für die Belebung des erdkundlichen Unterrichts und die Veranschaulichung
der Hauptformen der Erdoberfläche mit besonderer Berücksichtigung der
wichtigsten Momente aus der Völkerkunde und Kulturgeschichte, herausgegeben
von Dr. Alwin Oppel (Bremen) und Dr. Arnold Ludwig (Leipzig). Dritter
Teil: Völkerkunde. Zweite Abteilung: Völkerkunde von Asien und Australien.
Mit H00 Holzschnitten nach Originalzeichnungen auf 27 Tafeln und einem
kurzen erläuternden Text. Breslau. Ferdinand Hirt. Diese zweite Abteilung
des 3. Bandes der geographischen Bildertafeln, — die 1., „Europa“, erschien
im Herbst 1886 — stellt die Bevölkerung der Erdteile von Asien und Australien
dar. Sämtliche Bilder ohne Ausnahme sind neu und eigens für dieseu Zweck her-
gestellt. Als Vorlagen wurden meist solche Origiiialphotographieen benutzt,
deren Richtigkeit von besonderen Kennern der betreffenden Gebiete bestätigt
. war ; nur da, wo Photographien nicht zu erlangen, wurde nach bereits vor-
handenen Bildern gezeichnet. Für die Anordnung der einzelnen Völker auf
den Tafeln waren die geographisch-kulturgeschichtlichen Gesichtspunkte mafs-
gebend. Die erläuternden Bemerkungen sind — auf 66 Quartseiten — weit
mehr als ihre Bezeichnung besagt. Wenn auch die durch den Charakter als
„Bildertafeln“ vorgeschriebenen räumlichen Grenzen die Ausarbeitung einer
erschöpfenden Völkerkunde von Asien und Australien nicht zuliersen. so wurden
doch die wesentlichsten Gesichtspunkte der Völkerkunde zur Geltung gebracht.
Um eine gewisse Einheitlichkeit der Anordnung und eine bestimmte Gleich-
artigkeit der Darstellungsweise zu ermöglichen wurde der Text von dem wissen-
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schaftlichen llanptleiter der Bildortafeln, Herrn Dr. Oppcl, in Gemeinschaft
nnd enger Fühlung mit einer Reihe von solchen Spezialforschern hergestellt,
welche die betreffenden Völker durch eigene Anschauung kennen.. Die Namen
dieser Mitarbeiter sind im Text vermerkt. Dm in die Art und Weise der An-
ordnung des Stoffes, wie sie in Gemäfsheit mit den eben hervorgehobenen
Gesichtspunkten getroffen ist, einen Einblick zu bieten, verzeichnen wir die im
Anschlafs an die betreffenden Bildertafeln verfafsten Abschnitte: Die Russen
in Asien. Die Eingeborenen des westlichen Sibiriens. Die Eingeborenen des
östlichen Sibiriens und des Amurgebiets. Die Steppennomaden und die Städte-
bewohner Mittelasiens. Die Bewohner Katikasiens, Armeniens, von Kleinasien,
Kurdistan, Syrien und Mesopotamien, Palästina. Die Araber. Die Bewohner
Irans: Volkstypen, Volksleben, Erwerbsformen, Bauart der Häuser, Städtcbilder.
Die Bevölkerung von Vorderindien und Ceylon : Bauten, Erwerbsformen, Kultus-
leben. Die Bewohner des Himalaja und Hochasiens. Die Bewohner Chinas :
Volkstypen, Erwerbsformen, Bauten, Volksleben, Städteansichten u. a. Die
Bewohner von Hinterindien. Die Bewohner von Japan und Korea: Volkstypen,
Volksleben, Industrie, weltliche und religiöse Bauart u. a. Die Bewohner des
südostasiatischen Archipels. Die Melanesier und die Polynesier. Die Australier
(Eingeborene und Eingewanderte). Die „geographischen Bildertafeln“ bilden
jedenfalls ein wichtiges und wertvolles Hilfsmittel für den Unterricht in der
Völkerkunde. Der klar und fafslich, dabei sehr anschaulich geschriebene Text
erhöht den Wert des Werks, namentlich für den Selbstunterricht.
Kolonial-Litteratur.
Deutsche Kolonialgeschichte von Max von Koschitzky.
Leipzig, P. Frohberg, 1888. Zwei Teile, mit in den Text gedruckten Karten.
Die Herstellung einer umfassenden, zuverlässigen und objcctiv gehaltenen Ge-
schichte der deutschen Kolonisation in Vergangenheit und Gegenwart darf
als eine ebenso anziehende als notwendige Aufgabe bezeichnet werden, deren
Lösung nach Lage der Sache allerdings nicht auf den ersten Wurf in voll-
befriedigender Weise gelingen kann, zumal wenn man sich die Grenzen so
weit stockt, wie es der Verfasser des bezeichneten Werkes gethan hat. Denn
derselbe fafst offenbar den Begriff „Kolonisation“ in dem denkbar weitesten
Sinne des Wortes auf und versteht also darunter nicht nur die gegenwärtigen
Kolonien und Schutzgebiete des Deutschen Reiches, sondern auch die Aus-
breitung der deutschen Nationalität von den ältesten Zeiten bis auf die Gegen-
wart, beziehentlich auch die früheren wirklichen kolonisatorischen Versuche.
Demgemäfs hat sich der Verfasser den gesamten Stoff in zwei Abteilungen
zerlegt, von denen die eine die Vorgeschichte der deutschen Kolonisation um-
fafst, während die andre sich sowohl auf die Kolonisation des Deutschen
Reiches als auf die thatsächlich erworbenen Reichsschutzgebiete bis zur Er-
ledigung des Karolinenstreites bezieht. Die erste Abteilung oder die Vor-
geschichte dürfte im Verhältnifs zur Gesamtanlage des Werkes etwas zu kurz
ausgefallen sein; meines Erachtens wenigstens weist Bie mehrere entschiedene
Lücken auf. Denn wenn Gegenstände, wie die Kolonisierung Curlands, Livlands
nnd Preufsens besprochen wurden, so mufste auch der Ausbreitung des Deutschtums
in den Slavenländern die gebührende Rücksicht gezollt werden und wenn ferner
die Deutschen Kolonien in Rufsland Erwähnung fanden, so durften anderseits
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die deutschen Sprachinseln in Galizien. Ungarn. Österreich n. a. nicht über-
gangen werden. Diese Andeutungen mögen genügen, um zu zeigen, dafs die
erste Abteilung der deutschen Kolonialgeschichte keine vollständige Vorgeschichte,
sondern nur eine Reihe von Beiträgen enthält, die. unter sich verglichen, eine
nicht ganz gleichmäfsige Behandlung zeigen. Dafs aber der Verfasser das Be-
streben gehabt hat. die verschiedenartigen Aufsenwirkungen des deutschen
Volkes zur Geltung zu bringen, mnfs im Hinblick auf seine Kapitel über die
Auswanderung, die Heidenmission, die Marine, den Handel u. m. a. entschieden
anerkannt werden. Weit umfangreicher und ausführlicher ist die zweite Ab-
teilung der Kolonialgeschichte. Hierin findet man einerseits alle die Ereignisse
und Vorgänge, welche zur Erwerbung von Reichsschutzgebicten führten,
besonders auch die darauf bezüglichen diplomatischen und parlamentarischen
Verhandlungen mit einer fast mehr als wünschenswerten Ausführlichkeit ans-
einandergesetzt. anderseits sind die in Frage kommenden Erwerbungen nebst
der Art ihrer Besitzergreifung im einzelnen besprochen. Man mufs mit Bezug
darauf anerkennen, dafs der Verfasser ein sehr reichhaltiges, wenn auch nicht
unbedingt vollständiges Material znsammengetragen hat, welches dadurch an
Wert gewinnt, dafs in vielen Fällen die betreffenden Aktenstücke wortgetreu
mitgeteilt sind. Die in den Text gedruckten Kärtchen bieten zwar nichts neues,
entheben aber die Leser in den meisten Fällen des Nachschlagens und Auf-
suchens im Atlas. A. 0.
The Dawn of British trade to the East Indies as recorded in the
Court Minutes of the East India Company 1598 — 1603 with an introduction
by Sir G. Birdwood. London, H. Stevens. 1886. Das im Original im Archiv
des East India Office in London verwahrte Manuskript, welches in der zur
Zeit der Königin Elisabeth gesprochenen englischen Sprache genaue amtliche
Auskunft über Entstehung und Wirken der ostindischen Kompanie, sowie über
die ältesten von den englischen Küsten nach Ostindien unternommenen Fahrten
enthält, wurde von H. Stevens im Archiv gleichsam wieder entdeckt und ist
begreiflich von hohem Wert für die Geschichte der ostindischen Kompanie,
der Entfaltung des englischen Seehandels und Kolonialwesens überhaupt. Da-
neben ist noch ein zweites in dem Buch enthalten, das zur Geschichte der
Polarreisen gehört, nämliah: genaue Mitteilungen über Kapt. Waymouths im
Aufträge der ostindischen Kompagnie unternommene Reise zur Aufsuchung der
Nordwestpassage. Dieselben ergänzen in vieler Beziehung die in dem berühmten
Sammelwerk „Purchas, Pilgrimes“ über bedeutende und merkwürdige Reisen
in früherer Zeit und so auch über die Unternehmungen des Kapt. Waymouth
nach dessen Schiffsjournalen gegebenen Nachrichten.
Dagh-Register gehouden int Casteel Batavia vant passerende daer te
plaetse als over geheel Nederlandts-India Anuo 1640 — 1641. Uitgegeven door
het Bataviaasch Gcnootschap van Künsten cn, Wetenschappen, met medewerking
van de Nederlandscli-Indische Regeering en onder toczicht van Mr. J. A.
van der Chijs. ’sHage. Nijhoff, Batavia, Landsdrukkerij. 1887. Zu den
wichtigsten Quellen der Geschichte der nioderländisch-ostindiscken Kom-
panie gehört, wie der Herausgeber dieses über 500 Seiten starken Werks im
Vorwort bemerkt, ohne Zweifel das Bataviasche Tagregister, eine Chronik, in
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welcher täglich mul ausführlich alle merkwürdigen Vorfälle von Batavia und
die dort einlaufenden Berichte notiert sind. Viele Beschlüsse und Verfügungen
der Kolonialregierung, deren originale Ausfertigung verloren ging, sind wört-
lich oder wenigstens im Auszug in dieser Chronik enthalten. Im Archiv zu
Batavia sind von diesem Register die Originale bis auf das hier abgedruckte
älteste in 131 Folianten enthalten. Im Reichsarchiv in Haag sind aber noch
eine Reihe älterer, bis auf 1624 zurück, vorhanden. Die vorliegende Ausgabe
wurde durch Darbietung der erforderlichen Mittel seitens der niederländischen
Regierung und der oben genannten verdienstvollen Gesellschaft ermöglicht.
Mit verschiedenen Lücken reicht das in Haag und in Batavia vorhandene Tag-
register bis auf 1807 herab. Eine Herausgabe im Druck erscheint dem Heraus-
geber nicht nur zur Verbreitung der Kunde der Kolonialgeschichte wünschens-
wert, sondern vor allem deshalb, weil die zum Teil nur in einzigen Exemplaren
vorhandenen Originale vom Zahn der Zeit sehr gelitten haben und durch einen
unglücklichen Zufall ganz verloren gehen könnten. Er verzichtet darauf, es zu
erleben, dafs sämtliche Bände zum Druck gelangen, doch will er getrost den
Anfang machen in der Hoffnung, dafs die Fortsetzung folgen werde.
Karte.
Karte der deutschen Wasserstrafsen, unter besonderer Berück-
sichtigung der Tiefen- und Schleusenverhältnisse, im Aufträge S. E. des Herrn
Ministers der öffentlichen Arbeiten in Preufsen herausgegebeu. Unter Benutzung
der Liebenowschen Karte von Zentralenropa, nach amtlichen Quellen bearbeitet
von S y m p h o r und M a s c h k e , Königlichen Regierungsbaumeistern. 4 Blätter,
koloriert. Mafsstab: 1:1250 000. Preis 7 50 Verlag des Berliner
lithographischen Instituts (Julius Moser). Die Karte bietet ein übersichtliches
Bild des ausgebreiteten Schiffahrtsnetzes Deutschlands und dürfte nicht nur
dem Handel und Verkehr von Nutzen sein, sondern auch in weiteren Kreisen
mit Interesse begrüfst werden. Um die Benutzbarkeit der Schiffahrtswege leicht
ersehen zu können, sind die Fahrtiefen durch mafsstäblich aufgetragene Bänder
dargestellt und die zu durchfahrenden Schleusen nach Gröfse und Anzahl
anfgeführt. Verschiedene Färbung läfst es erkennen, ob eine Schiffahrtsstrafse
ein vorzugsweise von Natur schiffbarer oder ein kanalisierter Flufs' oder ob
dieselbe als künstlicher Kanal ausgebildet, ist. Die Grenzen der See- und
Flufsschiffahrt sind bezeichnet und ferner sind die nicht schiffbaren, aber zur
Flöfserei benutzten Wasserläufe hervorgehoben. Die Längen der Wasserwege
sind durch Ent.fernungszahlen angegeben. Durch Hinzufügen des gleichfalls
eingetragenen gesamten Eisenbahnnetzes bietet die Karte eine Übersicht über
die Hauptverkehrsstrafsen Deutschlands zu Wasser und zu Lande. Selbst-
verständlich sind sowohl der in der Ausführung begriffene Nord-Ostsee-
Kanal, wie der projektierte Rhein-Ems-Kanal eingetragen.
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Es sind ferner bei der Redaktion zur Besprechung eingegangen:
Statistische Skizze der europäischen und amerikanischen Staaten nebst den
auswärtigen Besitzungen der erstercn. Von Professor I)r. H. Brachelli.
2 Abteilungen, Leipzig 1887, llinrichs.
Die Theekultur in Britiseh-Ostindien von Dr. O. Feistmantcl. Prag 1888, J. G.
Calve.
Daniel Veth’s Reizen in Angola von Professor Dr. P. J. Veth und J. F. Snellmau.
Hartem 1887, H. D, Tjeenk Willink.
Ontdekkers en Omlerzoekers von Professor Dr. P. J. Veth. Leiden 1884,
II. J. Brill.
Segelhandbuch für die Nordsee. Deutsche Bucht der Nordsee. Dänische Küste
von Hanstholm bis Bibe. Holländische Küste von der Ems bis Terschelling.
Herausgegeben vom hydrographischen Amte der Kaiserlichen Admiralität.
Erster Teil, 3. Heft, mit einer Tafel und 77 in den Text gedruckten
Holzschnitten. Berlin 1886. In Kommission bei D. Reimer.
Die Provinz Hannover in Geschichts-, Kultur- und Landschaftsbildern. In Ver-
bindung mit C. Diercke, A. Ebert, E. Görges, F. Günther, W. Hering,
L. Rosenbusch und A. Steinvorth herausgegeben von Johannes Meyer
Erster Halbband mit 48 Abbildungen im Text und je einem Vollbild und
Doppelvollbild. Zweite vollständig umgearbeitete und erweiterte Auflage.
Hannover, Carl Meyer, 1887.
Forschungen zur deutschen Landes- und Volkskunde, herausgegeben von Pro-
fessor Dr. Kirchhoff. Zweiter Band, Heft 4 : Gebirgsbau und Oberflächen-
gestaltung der sächsischen Schweiz. Von Dr. A. Hettner. Mit einer
Karte, einer Figurentafel und sechs Figuren im Text. Stuttgart 1887,
J. Engelhorn.
Geographische Abhandlungen herausgogeben von Professor Dr. Albrccht Penck
in Wien. Band I. Heft 1 : Die Vergletscherung der Salzachgebiete von
Dr. E. Brückner. Heft 2: Orometrio des Schwarzwaldcs von Professor
Dr. E. Neumann. Heft 3:. Einteilung der Ostalpen von Dr. A. Böhm.
Band II. Heft 1: Die Pamirgebiete von Dr. W. Geiger. Heft 2: Die Ver-
teilung des Luftdrucks über Mittel- und Südeuropa von Direktor J. Hann.
Wien, E. Holzel, 1886 und 1887.
Die Besprechungen werden in einem der nächsten Hefte erfolgen.
•EX<3-
>
Druck ron Carl Schünemann, Bremen,
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ilen
•helli.
J. G.
Iman.
1884,
Küste
;lling.
alität.
ckten
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ering,
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1 and I
(läge.
Pro-
chen-
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1887,
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P Ver- j
Hann.
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Santi i
Übersicht der HSlienverhälUasae
Eisenbaimen.
Vbli
ascobkl.
Mafsstab 1.15000000.
TlVvntrü/
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Bund X. Taf. 1.
Erhebungen vuu
Obis 500 Meter
500 - 1000
2000 - 3000
Digitized by Google
Geograph. Aniitalt v: Wagner i.Debt*8,Leipri 3 •
Ö s 1 1 ich 5 .
Commissionsverlag van fiu.v
Digitized by Google
Karte des südwestlichen Theiles
von
T I MJ 0 R ,
Zur Übersicht von Dr J. G-.F.Biedels Beiseroule.
Alaßstab 1:1000000
? ■■■ <!■ ■ ■■■■■ff — tf Kilometer,
fc 4 i f 4«» gut »che Meilen.
. -Die Route des Reisenden .
T I M 0 R S E E
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