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Deutsche geographische Blätter 


Geographische Gesellschaft in Brennen 



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LIBRARY 








Deutsche 



Herausgegeben von der 

Geograpliscben Gesellschaft u Bremen 

durch Dr. M. Lindeman. 


Band X. 


iese Zeitschrift erscheint vierteljährlich. 

Abonnements-Preis 8 Mark jährlich. 



BREMEN. 

Kommissious- Verlag von G. A. v. Halem. 

1887. 


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Seite. 



Gröfsere Aufsätze: 

1. Die Verkehrswege Mexicos und ihre wirtschaftliche Bedeutung. Von 

A. Scobel. Mit Karte, Tafel 1 1 

2. Ein Besuch auf Diego Garcia im Indischen Ozean. Von Dr. 0. Finsch, 

Mit Karte im Text 30 

3. Fontanas Forschungsreise in Ost-Patagonien 1885. Von A. Seelstrang 42 

4. Eine Reise nach dem Persischen Golf. Von K. Mertens 1. und II. 49 113 

5. Emin Pascha. Von Dr. W. Wolkenhauer 63 

6. Laurentius Michaelis und die ältesten Karten von Ostfriesland. Von 

Generalsuperintendent Bartels in Aurich. Mit Karte. Tafel 2 101 

7. Die Insel Hainan. Nach B. C. Henry 125 

8. Einiges aus der Republik Liberia. Von Heinrich Hartert 143 

9. Der siebente deutsche Geographentag. Von Dr. W. Wolkenhauer 148 

10. Der Schwarzwald. Von Professor Dr. Platz in Karlsruhe 257 

11. Über afrikanisches Küsten- und Inland-Klima. Von Stabsarzt Dr. Ludwig 

Wolf, Leipzig 211 

12. Die Landschaft Dawan oder West-Timor. Indonesien. Ethnographische 

Mitteilungen von Dr. J. G. F. Riedel, Resident a. D. in Niederländisch- 
Ostindien. Mit einer Karte. I. und II 227 278 

13. Die Bewaldung des Schwarzwaldes , seine Forstwirtschaft, und die 

Beziehungen der letzteren zur Landwirtschaft, zu den Gewerben und 
dem Handel. I. Von Forstrat Schuberg in Karlsruhe 257 

13. Kanäle und Kolonien im Bourtanger Moor. Mit Kartenskizze im Text 287 

14. Über die Ausdehnung des Geographischen Unterrichts auf die oberen 

Klassen höherer Lehranstalten. Von Prof. Dr. Hermann Wagner in 
Göttingeu 298 

15. Pearys Schlittenfahrt aut dem grönländischen Binneneise im Sommer 1886 315 

Kleinere Mitteilungen: 


1) Aus der geographischen Gesellschaft, 67, 155, 236, 321. 2) Zur Topo- 
graphie von Bremen, 71. 3) Aus der niederländischen Provinz Friesland, 72. 

4) Die Hamburger Post, 75. 5) Die dänischen Untersuchungen in Grönland, 76. 
6) Die Insel Fernando Poo, 78. 7) Aus Madagaskar, 80. 8) Die schottische 

Kompanie der ostafrikanischen Seen, 84. 9) Die Kolanufs, 85, 165. 10) Ein 

neues afrikanisches Geld, 87. 11) Aus der Provinz Para, 87. 12) Labuan, 88. 

13) Aus Neu-Guinea, 91, 163, 240. 14) Die niederländische Polarstation, 93. 

15) Geographische Litteratur, 93, 176, 248, 341. 16) Vom Niger-Benue 148. 

17) Polarregionen, 159, 237, 326. 18) Alaska 161, 239. 19) British Columbien 
165, 335. 20) Die Auswanderung aus Italien, 164. 21) Aus Südwest-Florida, 165. 
22) Cura^ao, 166. 23) Ans Californien, 169. 24) Alexander Ziegler f, 169. 
25) Das Klima von Bremen, 170. 26) Die französischen Kolonien in Mada- 
gaskar, 173. 27) Aus Argentinien, 244. 28) Die Petschora, 337. 29) Einiges 

über den Dollart, 337. 30) Die nördlichste Eisenbahn Europas, 340. 31) Erd- 
wohnungen im Grofsh. Oldenburg, 340. 


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Karten : 

Tafel 1. Übersichtskarte der Höhenverhältnisse und Eisenbahnen in Mexico. 
Von A. Scobel. Mafsstab 1 : 500 000. 

Kartenskizze von Diego Garcia im Text S. 32. 

Tafel 2. Frisiae Orientalis nova et cxacta descriptio, Auctore Laurentio Michaelis 
ab Hagen Karcben, anno 1579. Gerar de Jode excudebat. (Kopie des im 
Besitz des Herr Seefahrtschuldirektors Dr. Breusing in Bremen befindlichen 
Originals. 

Tafel 3. Yacat. 

Tafel 4. Karte eines Teils der Insel Timor zur Veranschaulichung der Reise- 
route des Herrn Dr. J. G. F. Riedel im Jahre 1879, Mafsstab 1 : 1 000 000. 

Kartenskizze im Text : Überblick über die Kolonisierung des Bourtangcr Moores, 
S. 295. 

Beilage: 

Katalog der von der Geographischen Gesellschaft in Bremen im April und 
Mai 1887 veranstaltenden Ausstellung für vergleichende Völkerkunde der 
westlichen Südsee. Von Dr. 0. Finsch. 


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Heft 1. 


Deutsche 


Band X. 


Geographische Blätter. 

Herausgegeben ron der 

Geographischen Gesellschaft in Bremen. 


Beiträge tmd sonstige Sendungen an die Redaktion werden unter der Adresse : 
Dr. M. Lindemau, Bremen, Mendestrasse 8, erbeten. 

Der Abdruck der Original-Aufsätze, sowie die Nachbildung von Karten 
und Illustrationen dieser Zeitschrift ist nur nach Verständigung mit 
der Redaktion gestattet. 


Die Verkehrswege Mexicos und ihre wirtschaftliche 

Bedeutung. 

Von A. Seobel. 

Hierzu Tafel I: Obersicht der Höhenverhältnisse und Eisenbahnen Mexicos 
von A. Seobel. Mafsstab: 1 : 15000000. 


I. Die Wege der alteren Zeit Flüsse. Heeratrafsen. Reisen. Post- 
dienst. Handelsverkehr. Überseeischer Handel. — II. Die Wege derNenxeit 
Eisenbahnbau. Mexicanische Eisenbahn. Mexicanische Zentraleisenbahn. Mexicanische 
Nationaleisenbahn. Interozeanische Eisenbahn. Mexicanische SUdbahn. Tamaulipas 
internationale Eisenbahn. Mexicanische internationale Eisenbahn. Amerikanische and 
mexicanische Pazifikeisenbahn. Sonora-Eisenbahn. Zentralamerikanischer Isthmus. 
Tehuantepec-Eisenbahn. Schiffseisenbahn. Ynoatan. Telegraphenlinien. Dampfer- 
verbindnngen. Häfen. — III. Wirtschaftliche Entwickelung. Höhen- 
regionen. Ernte. Viehzucht. Mineralien. Industrie. Handel. 

I. Die Wege der älteren Zeit. 

Das grofse Gebirgssystem der Anden erreicht in Mittelamerika 
an den Stellen der Isthmen seine geringste vertikale Erhebung. 
An der Enge von Tehuantepec sinkt die absolute Höhe bis 212 m, 
in seinem nordwestlichen Verlaufe steigt das Gebirge aber nicht nur 
zu bedeutenden Kämmen auf, sondern spaltet sich in mehrere 
Ketten, am ausgeprägtesten im Gebiete von Oaxaca, wo nordwestlich 
die Sierra Madre Occidental, mehr nördlich die Sierra madre oriental 
in weiten Bögen hinziehen, und sich im Gebiete der Vereinigten 
Staaten in der Sierra Nevada und den eigentlichen Rocky Mountains 
fortsetzen. Diese beiden zuerst genannten Hauptketten schliefsen 
ein hohes Tafelland ein, und hier im Herzen des mexicanischen 
Landes, wo einst die Aztekenreiche blühten, hat sich die heutige 
Bevölkerung am dichtesten zusammengeschlossen und zeigt einen 
auffallenden Gegensatz zu europäischen Ländern, in denen bei 
gröfserer Bodenerhebung eine Auflockerung der Bevölkerung statt- 
findet. 

Geogr. Blätter. Bremen, 1887. j 


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Die Karte 1 ) zeigt die enorme räumliche Ausdehnung der Plateaus, 
welche von 1200 — 1400 m, im zentralen Teile des Landes bis über 
2000 m hoch ansteigen. Die umschliefsenden Raudgebirge fallen im 
allgemeinen an der pazifischen Seite steiler ab, als an der atlantischen 
Seite. Die Flüsse haben bei ihrem verhältnismäfsig kurzen Laufe 
ein starkes Gefälle, in einigen Gegenden zu oft Wassermangel, als 
dafs sie zu wirklichen Verkehrswegen tauglich wären. Der Colorado 
berührt nur in seinem unteren Laufe mexicanisches Gebiet, und 
obgleich er etwa 1000 km von seiner Mündung aufwärts schiffbar 
ist, hat er doch für Mexico keine grofse Bedeutung. Auch der 
mächtige Rio Grande delNorte,der nördliche Grenzflufs zwischen Mexico 
und der Union, ist nur zeitweise bis 650 km weit von der Mündung 
mit Dampfern zu befahren, aber seine Ufer sind ähnlich dem Colo- 
rado im oberen Teile von hohen Felsw änden eingefafst, und auf viele 
Meilen langen Strecken ist kein Platz zu finden, wo auch nur ein 
Boot zu landen vermöchte. Seine Mündung ist 360 m breit. Die Barre 
hat nur 3 m Wasserstand, der Flufs selbst aber bis zur Einmündung 
des Pecos 5,5 m. Böte können bis Paso del Norte hinauf gelangen. 
Von den wenigen schiffbaren Flüssen des Landes sind Coatzacoalcos 
(180 km), Tabasco (550 km) und Panuco (958 km) die bedeutendsten. 
Sandbarren an der Mündung bilden aber Hindernisse und haben bei 
Ebbe oft wenig mehr als 1 m Wasser. Manche Ströme könnten mit 
geringen Kosten schiffbar gemacht werden, besonders der 867 km 
lange Rio de Santiago (etwa so lang wie die Oder), der längste Flufs 
der Republik, der einen trefflichen Transportweg für die Produkte 
von Guanajuato und Jalisco abgeben würde. Die Barre des Rio 
de Tampico kann nur von Schiffen passiert werden, die nicht über 
2,5 m Tiefgang haben; jenseits ist die Fahrbahn tiefer. Der 
Panuco ist bis 50 km oberhalb der Stadt Tampico de Tamaulipas 
für mittlere Seefahrzenge schiffbar, mit Kähnen und flachen Böten 
noch eine Strecke höher hinauf. Der Rio de San Juan ist nur bis 
34 km oberhalb seiner Mündungen (in die Lagune del Madie) für 
Seeschiffe, weiter nur für kleinere Fahrzeuge schiffbar. 

Die Verkehrswege waren zur Zeit der Conquista vielleicht 
relativ besser als unter der späteren spanischen Miswirtschaft. Die 
öffentlichen Heerstrassen wurden nach der Regenzeit ausgebessert. 
In Gebirgen und unbewohnten Gegenden gab es Zufluchtshäuser, und 
die Flüsse waren entweder überbrückt oder mit Fähren versehen. 
Letztere bestanden aus kleinen oder grofsen Böten, oder einem 

*) Die Materialien für Konstruktion der Höhenschichten sind angeführt 
in A. Scobel, Die geographischen und Kulturverhältnisse Mexicos. Mitt. d. Ver. 
f. Erdkunde zu Leipzig 1882, p. 37. 


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platten Fahrzeug, Valsa genannt, einem von Rohr zusammen ge- 
bundenem Flofs, das auf hohlen Kürbissen befestigt war und von 
schwimmenden Bootsleuten getrieben wurde. Was nicht zu Wasser 
fortgeschafft wurde, inufste von Menschen auf dem Rücken getragen 
werden, und zwar in Rohrkörben (Petlacalli). Im alten Mexico 
waren es nur die Kaufleute, welche Reisen unternahmen. „Meist 
reisten der gröfseren Sicherheit wegen mehrere mit einander. Ein 
jeder hatte einen schwarzen glatten Stab in der Hand, welcher, 
wie sie sagten, ihr Gott Jaeateuctli war, der sie vor allen Gefahren 
der Reise beschützte. Sobald sie an ein Haus kamen, wo sie ver- 
weilen wollten, banden sie alle Stäbe zusammen und verrichteten Ge- 
bete dabei. Nachts zapften sie sich dem Götzen zu Ehren zwei 
oder dreimal etwas Blut ab. Während der Abwesenheit des 
Kaufmanns wuschen seine Frau und Kinder sich den Kopf nicht, 
obgleich sie badeten, aufser alle 80 Tage, teils um dadurch ihren 
Kummer über seine Abwesenheit zu bezeugen, teils um die Götter 
durch diese Art von Kasteiung zu seinem Schutze geneigt zu machen.*) 

Postdienst gab es in gewissem Sinne schon zur Zeit der spanischen 
Eroberung. An den Heerstrafsen standen in einer Entfernung von 
etwa 25 km kleine Türme, in denen Kuriere immer bereit waren, 
alle Aufträge schnell zu erledigen. In der nächsten Station über- 
nahm ein andrer Schnellläufer den Dienst, und sofort, so dafs z. B. 
Montezuma II. täglich Nachrichten vom mexicanischen Golf erhielt. 

Ein eigentlicher Handelsverkehr bestand in Mexico nur als 
Inlandhandel in verhältnismäfsig eng begrenzten Gebieten, nur dazu 
dienend, der heimischen Produktion einen Austausch zu ermöglichen. 
Für den Warentransport dienten die indianischen Träger, oder Maul- 
tiere, welche beladen oder vor den Lastwagen gespannt wurden. In 
diesen Fallen galten bis in die neuere Zeit als Tagereisen Ent- 
fernungen von 25—30 km, je nach Jahreszeit und Gegend. Im 
Mittel bezahlte man für Wagenfracht l 1 /* • für 12 , s kg auf je 20 km 
(oder 12 $ für 100 kg.) 

Nach der spanischen Eroberung wurden bereits neue Bahnen 
betreten, mexicanische Natur- und Industrieprodukte nach Spanien 
verschifft und von hier aus eine Güterbewegung mit europäischen 
Erzeugnissen begonnen. Die gewaltige Anziehungskraft der Edel- 
metalle war hier besonders verlockend und der Silberreichtum 
Mexicos zog nicht nur neue Einwanderer ins Land, sondern öffnete 
manch verschlossenes Gebiet dem Verkehr. Zur Zeit der Abhängigkeit 
Mexicos von Spanien war der überseeische Handel auf die Häfen 
von Veracruz und Acapulco beschränkt, und wurde nur von Spanien 

*) Clavigoro, Geschichte von Mexico, VII. Buch. 


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mit Ausschlufs aller übrigen Nationen betrieben. Erst im Jahre 
1778 gestattete Spanien mehreren seiner Hafen (bis dahin segelten 
sogenannte Registerschiffe, dazu von der Regierung privilegiert, nur 
von Cadix und Sevilla) eine freie Kommunikation mit Mexico. Die 
wohlthätigen Wirkungen dieser neuen freieren Einrichtung auf den 
Handel, die Industrie und die Einkünfte Neuspaniens zeigten sich 
bald, obgleich auch hier der ganze erlaubte Verkehr mit Europa 
immer noch ausschliefslich auf den Hafen von Veracruz und das 
Mutterland beschränkt blieb. 

Erst am Anfang des 19. Jahrhunderts gestattete die spanische 
Regierung einen vorübergehenden direkten Handelsverkehr Mexicos 
mit fremden, ihrer Oberherrschaft nicht unterworfenen Ländern. Der 
Handel Acapulcos, des einzigen geöffneten Hafens der Westküste, 
war von geringer Bedeutung und wurde nur durch Manilaschiffe 
besorgt. Mit der Unabhängigkeit Mexicos trat eine gänzliche Um- 
wälzung des Handels ein, und mit dem Aufhören des Prohibitiv- 
systems kamen Briten, Franzosen, Deutsche und Nordamerikaner 
und errichteten Handelshäuser in den Hafenplätzen und in den 
größeren Städten des Iunern. Dekrete des Nationalkongresses er- 
öffneten dem fremden Handel die Häfen des Landes, an der Ost- 
küste Campeche, Isla del Carmen, Sizal, Coatzacoalcos, Tabasco, 
Alvarado, Veracruz, Tuxpan, Tonala, Puebla viejo de Tampico, 
Tampico de Tamaulipas, Matamoros, Soto la Marina, Bahia de 
Espiritu santo und Galveston ; an der Westküste Huatulco, Acapulco, 
San Blas, Mazatlan, Guaynyis und die californischen Häfen. Die 
Innenprovinzen konnten nun direkt und auf dem kürzesten Wege 
Waren beziehen, welche sie früher nur auf grofsen Umwegen und durch 
eine Menge Zwischenhändler erhalten konnten. Schon 1824 löschte 
kein spanisches Schiff mehr in Mexicos Häfen. Baumwollwaren ver- 
drängten die Seidenzeuge, französische und deutsche Weine und 
Branntweine die spanischen. 1827 waren bereits mit den Vereinigten 
Staaten, England, Frankreich, Schweden, Preufsen und den Nieder- 
landen Handelsverträge abgeschlossen worden. 

Der Handel Mexicos hatte an dem Mangel guter Verbindungen 
das gröfste Hindernis. Noch Mühlenpfordt beklagte die schlechten 
Wege, denn aufser der grofsen Handelsstrafse, welche von Veracruz 
über Orizaba, Cordoba und Aculzingo zur Hochebene, und einer 
zweiten, welche von Veracruz über Jalapa, Perote und Puebla nach 
Mexico führte, gab es keine einzige dieses Namens würdige Kunst- 
strafse. Die meisten der mexicanischen Wege waren steile Gebirgs- 
pfade, die nur für Maultiere gangbar waren. Dieser Transport auf 
dem Rücken der Muli erhöhte den Preis der Waren ins Ungeheure. 


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Ferner fehlten noch die Grundbedingungen für Anlage besserer Ver- 
kehrswege: Geld und staatliche Ordnung. Einen Transithandel hatte 
Mexico nicht, obgleich es bei seiner vorteilhaften Lage zwischen 
dem Atlantischen und Grofsen Ozean und seiner im Süden nur 
geringen Breite einen grofsen Theil des Handels zwischen Europa 
und Asien hätte besorgen können, besonders in der Zeit vor der 
Erbauung des Suezkanals. 

II. Die Wege der Neuzeit. 

Bei dem wirtschaftlichen Aufschwung der Vereinigten Staaten, 
der seit dem Bau der grofsen Pazifikbahnen ungeahnte Dimensionen 
annahm, konnte eine Rückwirkung auf die Nachbarrepublik nicht 
ausbleiben. Nachdem die politischen Verhältnisse stabiler geworden 
waren, konnte man sich nicht verhehlen, dafs zur weiteren Förderung 
des Minenbetriebes und der Landwirtschaft, der beiden ersten Reich- 
tumsquellen Mexicos, regelmäfsige und schnelle Verbindungen not- 
wendig seien, welche der Produktion einen leichten Absatz ermöglichen. 
Der gewöhnliche Fahrweg konnte hier nicht mehr in Betracht kommen, 
der Dampf allein mufste seine Kräfte wirken lassen, und es waren 
ja auch für den Eisenbahnbau günstige Vorbedingungen gegeben, 
da es wie in der alten Welt vor allem darauf ankam, die Be- 
völkerungszentren des Innern mit den Küstenplätzen in Verbindung 
zu bringen, und nicht, wie so oft in der Union, durch die Eisen- 
schiene erst Ansiedlung und Kultur in entfernte Gebiete zu tragen. 
Wohnt doch etwa neunzehntel der Gesamtbevölkerung auf den 
Tafelländern des Innern, bisher ziemlich abgeschlossen gegen die 
grofse Welt des Handels ; aber die Notwendigkeit trat überall zu tage, 
der Regsamkeit und Thätigkeit der Bevölkerung freie Bahn zu 
schaffen. Für den Bau von Eisenbahnen wurden manche Ver- 
günstigungen gewährt, freie Einfuhr aller Bau- und Maschinenteile, 
und Subventionen in Höhe von etwa 90 Millionen Pesos bewilligt. 
In richtiger Erkenntnis von der durch besseren Verkehr bedingten 
Entwickelung Mexicos waren besonders die Amerikaner in hervor- 
ragender Weise beim Eisenbahnbau th&tig. Von seiten der Kapitalisten 
der Vereinigten Staaten wurden allein in den Jahren 1882 und 1883 
etwa 30 Millionen Dollar in Eisenbahnen angelegt. Man kann an- 
nehmen, dafs etwa zwei Drittel der Bahnen von Amerikanern erbaut 
sind, was um so bedeutender erscheint, wenn man die Durchschnitts- 
kosten für den Bau einer englischen Meile (1,6 km) mit 25000 $ 
annimmt. Die ersten Bewilligungen der Regierung betrafen Ver- 
bindungslinien vom Rio Grande nach dem Innern des Landes. Diese 
neueste Zeit für mexicanische Handelspolitik begann mit der Regierung 
des Präsidenten Diaz 1877. 


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Die Güterbewegung, besonders in bezug auf landwirtschaftliche 
Produkte, kann erst durch Anlage von Eisenbahnen entwickelt und 
gefördert werden. Weizen der feinsten Qualität wird in den meisten 
Landesteilen gebaut, aber durch die schwierigen Transporte war sein 
Preis so hoch, dafs er der arbeitenden Klasse fast unzugänglich war. 
Im Distrikte El Bajo war der Preis von Weizen und Gerste gleich, 
aber in der Hauptstadt war der Preis des ersteren schon um das 
Achtfache des Gerstenwertes gestiegen. Der Inlandhandel krankte 
an dem Mangel geeigneter Wege, und die erste Bahn des Landes, 
Veracruz-Mexico, verbrauchte lieber Kohlen aus England, als mit 
grofsen Schwierigkeiten und Kosten Brennmaterial dem eigenen 
Lande, etwa auf Entfernungen von 30 — 50 km von der Bahnstrecke, 
zu entnehmen. Aber trotz dieser Schwierigkeiten breitet sich der 
Bau des vielverzweigten Verkehrsnetzes weit nach dem Innern des 
Landes aus. Für die Unterstützung dieser Unternehmungen wa^ 
freilich nicht mehr so viel an Freiländereien zur Bewilligung vor- 
handen, wie in den Vereinigten Staaten, aber die Regierung zahlte 
10500 bis 15400$ Subvention für die Meile vollendeter Bahn. 
Schon Alexander v. Humboldt betonte am Anfang dieses Jahrhunderts, 
dafs die beste Verbindung Mexicos mit der Union das Hochplateau 
bilde. Jetzt führen mehrere grofse Eisenstrafseu bis zu den Grenz- 
landschaften. Durch die zentrale Lage der Hauptstadt und die 
Kulturfähigkeit des ganzen Hochlandes war es erforderlich, die 
Schienenwege hierher zu führen beziehungsweise von hier ausstrahlen 
zu lassen. Und in dieses neugeschaffene Netz fügte sich die älteste 
Bahn, die mexicanische Eisenbahn, ohnehin ein. Für die normal- 
spurigen Bahnen ist eine Spurweite von 1,4 m (4 Fufs 8 1 /» Zoll 
englisch) bestimmt. 

Der Bau der mexicanischen Eisenbahn von Veracruz nach der 
Hauptstadt, 424 km lang, wurde bereits 1837 begonnen. 1869 baute 
man die Zweiglinie Apizako-Puebla, 47 km. Die ganze Linie wurde 
1873 vollendet, und erforderte 30 Millionen Pesos Kosten. Von der 
Regierung wurden 12 Millionen Pesos Subventionen bewilligt. Die 
Bahnlinie bildete viele Jahre hindurch die einzige geregelte Ver- 
bindung zwischen dem Hochlande und der Golfküste, wird aber auch 
künftig nicht an Bedeutung verlieren. Die Einnahmen sind im 
Steigen, so dafs jetzt 6 */* °/o Dividende gezahlt werden können. 

Die mexicanische Zentraieisenbahn verbindet Mexico über 
Queretaro, Leon, Aguascalientes, Zacatecas, Villa Lerdo, Jimenez, 
Chihuahua und Paso del Norte mit der Südpazitikbahn der Ver- 
einigten Staaten, in einer Gesamtlänge von 1971 km. 1884 bestanden 
bereits Zweiglinien von Silao nach Guanajuato, 23 km, und ein 


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115 km langer Teil der Zweiglinie San Luis-Tampico 3 ). Nach den 
Minenstädten in Durango und Guauajuato sollen Zweiglinien gebaut 
werden, ebenso von San Luis nach Aguascalientes. Die Verbindung 
mit dem Ufer des Stillen Ozeans würde dann durch die Linie 
Irapuato-La Barca nach San Blas oder via Colima nach Manzanillo 
erfolgen. Die Zentralbahn war die erste der grofsen Durchgangs- 
linien und wurde am 1. April 1884 fertig. Die Regierung bewilligte 
für die englische Meile 15 200 * Subsidien, also etwa 30 Millionen. 
Die Baukosten betrugen für die Meile (l,e km) 25 000 — 28 000 *. 
Die von der Bahn durchschnittenen Gebiete gehören zu den frucht- 
barsten des Landes. Zuerst wird das gesegnete Thal von Tula 
berührt, dann die reichen Distrikte in den Thälern von Huichapam 
und San Juan del Rio. Jenseits Queretaro dehnt sich die Ebene 
von Bajio aus, in welcher durch Anwendung von künstlicher Be- 
wässerung grofse Ernten gewonnen wurden. Der Bau von artesischen 
Brunnen könnte hier zu einer vermehrten und ausgedehnten 
Kultivation helfen. Der Abzweigung nach San Blas im Staate 
Jalisco wollen manche eine politische Bedeutung beimessen, doch 
ist auch die landwirtschaftliche Aufschliefsung des Gebietes von 
grofsem Werte, da im tropischen Klima des Staates ein flotter Acker- 
bau leicht zu ermöglichen ist Die Thäler von Ameca, Ahualulco, 
Etzatlan, Tequila und Magdalena geben volle Ernten in Zerealien, 
Zuckerrohr und andern Produkten. Zwischen den Flüssen Tololatlan 
und Ameca dehnt sich eine Zone etwa 65 km weit aus, bei frucht- 
barem Boden und warmem Klima zum Anbau von Baumwolle, Kaffee, 
Reis und Zuckerrohr vorzüglich geeignet. Die genannten Flüsse 
bieten hinreichende Wasserkräfte zum Betriebe industrieller Werke. 

Die von der Bahn durchlaufenen Staaten haben fast 6 Millionen 
Bewohner, welche allein an Produkten für 90 Millionen Pesos 

') Die Kilometerzahlen nehme ich aus Antonio Oarcia Cubas: „Cuadra 

geografico etc. de los Estados Dnidos Mexicanos“, Mexico 1884. Als Gesamt- 
zahl für sämtliche mexicanische Bahnen giebt er 6958,53 km. hat aber die 
23 km der Strecke Silao-Guanajuato vergessen. Bis heute dürfte die Zahl etwa 
6500 betragen. Filomena Matas „Anuario universal 1885/86* giebt gar nur 
4630 km. Das „Anuario mexicano 1886* von Juan Valdes y Cueva teilt nur 
einige Fahrpläne mit, erhebt sich überhaupt nicht über das Niveau eines 
gewöhnlichen Adrefsbuches. Die Angaben in englischen Werken stimmen nicht 
mit dem Cuadro. Anderson veröffentlicht in seinem „Mexico from the material 
standpoint* eine von Ingenieur Gorsuch in Mexico zusammengestellte Liste aller 
Konzessionen, die gleichlautend ist mit einer in Nimmos report in reply to a 
resolution of the house of representatives of January 31. 1884 „Commerce 
between the United States and Mexico*. Hiernach wäre z. B. die Strecke 
Veracruz-Mexico mit der Zweigbahn nach Puebla 263 miles, also nur 421 km 
lang, was nach den oben mitgeteilten Angaben entschieden falsch ist. 


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(4 Millionen Tonnen) liefern. Aber die Landwirtschaft kommt hier 
nicht allein in Betracht, denn bei Tula werden Gold und die Minerale 
von Zimapan, El Cardonal, Jacala und Encarnacion verfrachtet. 
Bei San Juan del Rio fliefsen die Mineralreichtümer der Sierra Gorda 
zusammen, ebenso liegt Guanajuato in einer metallreichen Region 
und hat lebendigen Handel. Die Münzen, welche an der Bahn liegen, 
lieferten in 5 Jahren 19132119 $ an Gold und Silber. Bei 
Salamanca findet sich Porzellanerde und Leon liefert Bausteine in 
grofsen Massen. Nördlich von Leon können die Ebenen von Tecuan 
durch künstliche Bewässerung fruchtbar gemacht werden; das Thal 
von Aguascalientes liefert Getreide und aus den Waldbeständen gute 
Nutzhölzer. Auch in Durango kann man noch auf gute Ernten 
rechnen. Durch die Zweiglinien, besonders die östliche nach Tampico, 
wird den Produkten des Landes ein Seehafen leicht erreichbar und 
wird einen vermehrten Anbau begünstigen. 

Die mexikanische Nationaleisenbahn besitzt als Hauptlinie die 
Strecke von der Hauptstadt nach der Nordgrenze bis Nuevo Laredo. 
Bis Saltillo wird das grofse Tafelland gequert, und bei der grofsen 
Erhebung der Landschaften, die von der Bahn berührt werden, 
gelangt man in alle Klimate. Die fruchtbare Umgegend des Lago 
Chapala erstreckt sich bis zu den Salzebenen von Zacoalco und 
Sayula. Nebst Zuckerrohr- und Kaffeeplantagen giebt es in Fülle 
auch Gold, Silber, Eisen, Kupfer und Quecksilber. Nach dem pazifi- 
schen Abhang durchschneidet die Bahn die tropischen Regionen des 
südlichen Jalisco, Michoacans und Colimas, in denen vor allem Zucker 
und Kaffee gedeihen, letzterer zu guten Preisen marktfähig. Auch Wälder 
und Minen werden für Frachten sorgen. Für die Rentabilität der 
Bahn kommt die landwirtschaftliche Produktion gewaltig in Betracht. 
Die beste Weizenzone Mexicos dehnt sich von Puebla bis Colima 
aus, 800 km von Ost nach West, und vom südlichen Michoacan bis 
Zacatecas, 650 km von Süd nach Nord. Das von einzelnen Ketten 
unterbrochene Plateau hat ganz besonders reiche Gebiete, so das 
Lermatbal, das Bajio (Nord-Michoacan, Jalisco und Süd-Guanajuato), 
und die Distrikte von Aguascalientes, San Luis Potosi und Quere- 
taro, zusammen ein Areal von etwa 500 000 qkm. Die Hauptstrecke 
ist etwas über 1300 km lang. Von Monterey führt eine Zweiglinie 
über Mier nach Matamoros. Eine Verbindung mit dem Hafenplatz 
Corpus Christi am mexicanischen Golf wurde von der Texas-Mexican- 
Railway gebaut, steht aber unter Kontrolle der Mexican. Nationalbahn. 
Eine ganze Anzahl relativ kleinerer Strecken sind der Gesellschaft 
übertragen. An Subventionen sind 7000 $ für den km für die 
Linie von der Hauptstadt bis zum pazifischen Hafen von Manzanillo 


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und 6500 Pesos für den km des südlichen Zweiges ausgeworfen. 
Von den Nebenlinien messen Ac&mbaro nach Morelia 92, Manzanillo 
nach Colima 46, und Mexico nach Salto 67 km. Nach Garcia Cubas 
waren 1884 insgesamt 1074 km im Betrieb, eine Zahl, die aber 
schon durch Fertigstellung der Hauptlinie übertroffen wurde. 

Die interozeanische Eisenbahn vou Acapulco, Morelos und 
Mexico ist die einzige bedeutende Linie Mexicos, welche den Mexi- 
canern gehört und von ihnen in Betrieb gehalten wird. Sie führt 
von der Hauptstadt über Amecameca und Cuautla bis Yautepec, 
161 km. Von hier soll die Bahn verlängert werden über Cuernavaca 
und Chilpancingo nach Acapulco (ca. 350 km), dem besten Hafen 
der Westküste. Von der Hauptlinie geht ein Zweig über Los Reyes 
nach Irolo, und soll über Perote und Jalapa bis Veracruz ausgebaut 
werden. Die Eisenbahn ist schmalspurig, bildet die direkteste Ver- 
bindung der Hauptstadt mit einem pazifischen Hafen und zugleich 
einen kurzen Weg vom volkreichen Hochlande zur Basis der 
grofsen Sierra. 

Die mexkanische Südbahn wird von Mexico über Tulancingo, 
Victoria und Mier nach Nuevo Laredo führen (etwa 1090 km) und 
dort sich mit der mexicanischen Nationalbahn und mit der Inter- 
national and Great Northern Railroad der Vereinigten Staaten ver- 
binden. Die normalspurig gebaute Bahn soll Zweiglinien erhalten 
von Victoria nach S. Luis Potosi, und nach dem Golfhafen von 
Tuxpan. Von der Stadt Mexico wird die Bahn parallel der mexi- 
canischen Bahn laufen, und dann südwärts über Puebla (bis hierher 
schon im Betrieb), Cuicatlan, Oaxaca, Tehuantepec nach Tonala in 
Chiapas führen. Von hier teilt sich die Strecke in zwei Linien, von 
denen die eine nordöstlich nach San Cristobal, die andre nach 
Tapachula führt und später nach Guatemala verlängert werden soll. 
Von Cuicatlan ist ein Zweig nach Veracruz projektiert, und ein 
andrer von Oaxaca nach Huatulco. Die Entfernung von Mexico 
nach Tehuantepec beträgt etwa 840 km. An Subventionen wurden 
für den Kilometer des nördlichen Teiles 8000 $, des südlichen 
Teiles 7000 * bewilligt. Von Laredo nach dem Panuco zieht 
die Bahn am Fufse des Gebirges, durch fruchtbare im tropischen 
Klima gelegene Niederungen. In bedeutender Steigerung windet sich 
dann die Linie zum Tafellande empor. Aber auch der südliche Teil 
der Bahn durchschneidet eine dichtbevölkerte Gegend, welche an 
forst- und landwirtschaftlichen Produkten reich ist. In manchen 
Gebieten werden Edelmetalle, Eisen und Kohlen gefunden. Die 
Kohlenminen von Tamaulipas und Puebla werden mit Lokaltarifen 
berücksichtigt werden müssen und zur Handelsentwickelung der 


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Strecke zweifellos beitragen. Die Zukunft der Siidbahn liegt aber 
am internationalen Verkehr, durch die direkte Verbindung mit dem 
Eisenbahnsystem der Union. 

Die Tamaulipas internationale Eisenbahn wird Tuxpan über 
Tampico mit Matamoros verbinden und dort an das Amerikanische 
Netz, die New-York, Texas and Mexico Railroad (Count Telfeners 
road) anschliefsen. Die Bahn bildet ein Bindeglied unter den Golf- 
häfen und hat auch strategische Bedeutung. Zweiglinien werden 
ostwärts nach Soto la Marina, westwärts nach Victoria gebaut. 

Die mexicanische internationale Eisenbahn beginnt bei Piedas 
Negras am Rio Grande und wendet sich südlich und südwestlich, 
über Monclova durch die tierra laguna nach Villa Lerdo, wo sie sich 
an die mexicanische Zentralbahn anschliefst. Über den Rio Grande 
wurde eine eiserne Brücke gebaut und so die Verbindung mit der 
Südpazifikbahn der Union hergestellt (i. e. Galveston, Harrisburgh 
and San Antonio Railroad.) Die Strecke wurde normalspurig ohne 
Subvention erbaut. In den benachbarten Gebieten wurden bereits 
reiche Kohlenlager gefunden und es ist zu erwarten, dafs die Aus- 
beute von Mineralien und landwirtschaftlichen Produkten durch ihre 
Verfrachtung die Linie rentabel machen wird. Die Länge der Brücke 
ist ohne die Zufahrten 285 m., die Höhe der Trace ist am Rio 
Grande 240 m, bei Villa Lerdo 1140 m, die Neigung beträgt 
nirgends über l°/o. Die Linie ist deshalb eine der bedeutendsten, 
weil sie mit den amerikanischen Anschlufsstrecken New-Orleans 
auf dem kürzesten Wege mit einem pazifischen Hafen verbindet. 

Die amerikanische und mexicanische Pazifikeisenbahn, auch als 
Texas, Topolobampo and Pacific Railroad and Telegraph Company 
bekannt, war 1884 noch nicht begonnen, dürfte aber eine der her- 
vorragendsten Linien werden. Sie soll an der Topolobampo-Bai be- 
ginnen, die Staaten Sinaloa, Chihuahua und Coahuila quer durch- 
schneiden, bei Piedas Negras oder Presidio den Rio Grande 
erreichen, und von hier bis Galveston verlängert werden. Zweig- 
linien nach Presidio del Norte, Alamos und Mazatlan sind geplant. 
Die Gesamtlänge der Bahn dürfte etwa 2130 km betragen. Mazatlan 
ist nach Veracruz der bedeutendste Hafen Mexicos. Sinaloa hat 
alle Vorbedingungen eines regen Handelsverkehrs, bedeutende Land- 
wirtschaft, Mineralienlager, holzreiche Wälder. Auch der Hafen von 
Topolobampo ist einer der besten an der Westküste. Fichtenholz 
und Farbhölzer dürften gute Frachten liefern, und in Sonora werden 
Lager von Anthrazit und bituminöser Kohle durch eine Zweigbahn 
mit der Hauptlinie verbunden sein. Für die englische Meile ist 


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eine Subvention von 8064 $ gewährt worden, im ganzen etwa 
15 Mill. Pesos. 

Die Sonora-Eisenbahn geht von Guaymas über Hermosillo nach 
Nogales (426 km normalspurig), wo sie durch eine weitere Strecke 
bis Benson mit der Südpazifikbahn verbunden ist. Im Anschlufs an die 
Atchison, Topeka und Santa F6-Eisenbahn bildet sie eine transkonti- 
nentale Linie zwischen den Gebieten östlich von Arizona und der 
mexicanischen Küste des Stillen Ozeans. Von Guaymas geht eine 
Zweigbahn nach Alamos. An Subsidien wurden pro Kilometer 7000 9 
bewilligt, zusammen 2950000 #. Die Alamoszweigbabn wird be- 
sonders für Verfrachtung von Anthrazit und bituminöser Kohle aus den 
Minen Sonoras in Betracht kommen. Von Guaymas wird eine regel- 
mäfsige Dampferverbindung nach den südlichen Küstenplätzen Mexicos 
ebenfalls für Vermehrung des Handels beitragen. 

Die meisten der grofsen Bahnlinien bezwecken entweder den 
direkten Verkehr zwischen Ost- und Westküste, oder führen von der 
Grenze der Vereinigten Staaten zum Zentrum des Landes und der 
Hauptstadt. Die kleineren Strecken haben meist nur lokale Be- 
deutung, werden sich hiernach auch in ihren Tarifen zu richten 
haben. Ausgenommen ist hiervon die Eisenbahn über die Landenge 
von Tehuantepec, die trotz ihrer geringen Länge von grofser Wichtig- 
keit zu werden verspricht. 

Der zentralamerikanische Isthmus, das Verbindungsglied von 
Nord- und Südamerika, bietet den beiden Ozeanen nur eine wenig 
ausgedehnte Scheidewand. Schon Cortez hatte in seinen Berichten 
an Kaiser Karl V. (d. d. 15. Oktober 1524. Kap. XIX.) auf den 
Wert einer Meerenge aufmerksam gemacht, und der Vorteile ge- 
dacht, welche durch eine derartige Entdeckung der spanischen Krone 
werden könnten. Durch Eröffnung der Panamaeisenbahn hat man 
hier dem Welthandel eine Brücke geschlagen, und für die Schiffahrt 
wird der Kanal nach seiner Vollendung einen offenen Weg erschliefsen, 
bei Ostwestfahrten um Tausende von Seemeilen kürzer als bisher. 
Bei den vielen Kanalprojekten kam der Isthmus von Tehuantepec 
nicht in Frage, obgleich er, abgesehen von seiner breiteren Erstreckung, 
kaum ungünstigere Verhältnisse geboten hatte als die Enge von 
Panama. Um so mehr suchte man den Verkehr für Transitgüter 
zu erleichtern und begann den Bau der Tehuantepec-Eisenbahn, die 
von der Mündung des Coatzacoalcos über Tehuantepec nach Salina 
Cruz führt, in einer Länge von etwa 305 km. Nach ihrer Fertig- 
stellung wird die Bahn der Panamaeisenbahn eine fühlbare Konkurrenz 
machen. Der Bau der Isthmusbahn tritt aber völlig zurück vor dem 
kühnen Projekt des amerikanischen Ingenieurs Eads, eine Schiffs- 


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eisenbahn anzulegen, um auf Schienen die Schiffe direkt von einem 
Ozean in den andern zu befördern. Hierdurch wären die geringsten 
Unterbrechungen langer Fahrten ermöglicht und ein Umladen der 
Güter völlig entbehrlich. 

Dem Werke stehen keine unüberwindlichen Schwierigkeiten ent- 
gegen, es müssen nur die Geldmittel dafür flüssig sein, die auf 
75 Mill. $ veranschlagt sind. Auf den ersten Blick erscheint es 
kaum ausführbar, das Gewicht eines grofsen Schiffes auf 1200 Räder, 
welche einen 500 F. (166 m) langen und 50 F. (16 m) breiten 
Raum einnehmen, gleichmäfsig zu verteilen. Der Riesenwaggon 
oder die Wiege, welche zur Aufnahme des Schiffes bestimmt ist, 
besteht aus einem starken eisernen Gitterwerk. Trotz seiner Stärke 
und Festigkeit besitzt dasselbe doch hinreichende Biegsamkeit und 
Elastizität. Der Kiel des Schiffes ruht auf einer ebenen Fläche, 
während die konvexen Seitenwände gleichfalls auf geeignete Weise 
mit Stützen versehen werden. Von der ebenen Fläche, auf welcher 
das Fahrzeug ruht, hängt es eben ab, dafs das Gesamtgewicht auf 
alle Räder des Riesenwagens gleichmäfsig verteilt wird. Eine andre 
Schwierigkeit bietet sich in der Erhaltung von Schienengleisen in 
einer stets gleichen Ebene, so dafs das eine Geleise nicht etwa mehr 
belastet werde als das andre. Deshalb ist für dieses zwölffache 
Geleise eine ganz besonders starke Unterlage erforderlich. Eine 
dritte grofse Schwierigkeit besteht darin, das Fahrzeug sowohl bei 
der Hebung als auch beim Bahntransport vor Beschädigungen zu be- 
wahren und in vollkommen ungestörter gleicher Lage gegen alle 
Zufälligkeiten zu erhalten. Ein andrer Ingenieur hat eine Änderung 
des ursprünglichen Planes vorgeschlagen, indem er die Wiege des 
Dampfers aus verschiedenen durch starke Kautschukwände zu ver- 
bindende Teile zusaramensetzen will, damit die Bahn auch ohne 
Mühe Kurven beschreiben kann; und ferner die Wiege in die Bai 
versenken will, so dafs das Schiff in dieselbe einfahren, im Wasser 
innerhalb derselben verankert und das Ganze gehoben werden könne. 

Doch erscheint dieses Projekt noch komplizierter, und falls der 
Eadssche Plan sich durch Herstellung einer möglichst geraden 
Schienenlinie und ohne jedwede Gefahr der Beschädigung von Schiffen 
verwirklichen liefse, so wäre ihm der Vorzug zu geben. Die unter- 
nehmende Gesellschaft ist ermächtigt, von jedem Schiffe, das ihre 
Linie benutzt, 5 8 für die Tonne Gewicht von Schiff und Ladung 
(die Fracht um das Kap Hoorn beträgt 15 $ für die Tonne) und 
15 $ pro Passagier zu erheben, nebst 1 °/o von transportirten Edel- 
metallen. 

Nächst Mexico haben die Vereinigten Staaten das gröfste 

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Interesse an der Verwirklichung des Projektes, denn der Weg von 
den pazifischen Hafen nach den Golfhäfen oder denen der Oststaaten 
ist über die Enge von Tehuantepec bedeutend kürzer als über 
Panama, 4905 engl. Meilen gegen 6057 Meilen von San Franzisco 
nach Newyork, und 3576 Meilen gegen 5412 Meilen von San Fran- 
zisco nach New-Orleans. Sollte der Schiffskanal durch Florida erst 
gebaut sein, so tritt eine weitere Verkürzung des Wasserweges ein. 
Das alles sind wichtige Momente, die bei den grofsen Reisen nach 
Australien und den chinesisch-japanischen Gewässern in Rechnung 
gezogen werden müssen. 

In Yucatan haben die Eisenbahnbauer keine Terrainschwierig- 
keiten zu überwinden. Es bestehen bis jetzt die Strecken Merida- 
Progreso (36 km), Merida-Peto (etwa 160 km.), Merida-Valladolid 
(etwa 200 km), und Merida-Kalkini-Campeclie (etwa 175 km). Diese 
Bahnlinien sind für Verfrachtung der hauptsächlichsten Produkte 
Yucatans von Wichtigkeit, besonders für Farbhölzer, Faserpflanzen 
und Baumwolle. 

An Telegraphenlinien waren 1871 nur gebaut 6515 km, 1881 
bereits 10486 km, die sich 1884 erweiterten bis 31088 km. Von 


den Linien sind: 

Regierungslinien 21 000 km 

Staatenlinien 1653 „ 

Eisenbahnlinien 4431 „ 

Privatlinien 3301 „ 

Submarine Kabel 703 „ 


Es bestanden 1884 : 327 Telegraphenämter. Den Postver- 
bindungen wird neuerdings gröfsere Aufmerksamkeit geschenkt und 
die Strafsen werden mit mehr Sorgfalt unterhalten als früher. 

Von Wichtigkeit für den internationalen Handel sind die regel- 
mäfsigen Dampferverbindungen. Zuerst ist zu nennen die Post- 
dampferfahrt der Hamburg - Amerikanischen Packetfahrt- Aktien- 
gesellschaft, die von Hamburg über Veracruz nach Tampico (6145 
Seemeilen in 30 Tagen) fährt. Auf der Heimfahrt wird von Tampico 
aus in 2 Tagen das 465 sm entfernte Progreso angelaufen. Die 
Royal Mail Steam Packet Company verbindet Jamaica über Habana 
mit Veracruz (1793 sm in 12 Tagen). Die Compagnie generale 
transatlantique unterhält eine Schiffahrt zwischen St. Nazaire und 
St. Thomas, San Juan (Puertorico), Habana, Veracruz (5597 sm in 
24 Tagen). Die Pazific Mail Steam Ship Company unterhält Ver- 
bindung von Panama mit den Häfen der zentralamerikanischen Repu- 
bliken und läuft dann die mexicanischen Häfen San Benito (von 
Panama 1121 sm in 14 Tagen), Tonala (15 Tage), Salina Cruz 


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(15 Tage), Port Angel (16 Tage) und Acapulco (1591 sm in 18 
Tagen) an. Wichtiger ist die derselben Gesellschaft gehörige Linie 
Panama-San Francisco, die über Champerico und Acapulco und auch 
über Acapulco, Manzanillo, San Blas und Mazatlan nach San Fran- 
cisco führt, erstere 8303 sm in 16 Tagen, letztere 3241 sm in 
17 Tagen. Die hier genannten sind regelmäfsige Postdampfschiffs- 
linien. Aufserdem fahren aber noch die Dampfer der Kompanie 
Alexander 35 oder 40 mal jährlich zwischen Yeracruz und New-York, 
Frontera, Campeche, Progreso und Habana anlaufend; ferner alle 
drei Wochen zwischen Veracruz, Tuxpan, Tampico, Bagdad und 
New-Orleans. Die Schiffe der Compania Morgan laufen zwischen 
Veracruz und Morgan City über Galveston. Die Califomische 
Dampfschiffgesellschaft unterhält eine Route zwischen Mazatlan und 
San Francisco, über die Häfen La Paz, Guaymas, Cabo San Lucas, 
Bahia de la Magdalena und Ensenada der Todos Santos ; ferner eine 
Schnellfahrt del Golfo de Cortes zwischen Guaymas und Manzanillo, 
über die Häfen von Altata, La Paz, Mazatlan, San Blas und Chamela. 
Die mexicanisch-transatlantische Kompanie fährt zwischen Liverpool 
und Veracruz über Havre, Santander, Habana und Progreso, auf 
der Heimreise über Progreso, New-Orleans, Habana und Santander. 
Endlich giebt es noch eine Dampferfahrt des Antonio Lopez von 
Cadiz nach Veracruz. 

Mexico besitzt wenig gute Häfen, im Osten diejenigen der 
Flachküsten am Golf, während am Stillen Ozean meist eine bedeutende 
Brandung das Landen erschwert. Matamoros liegt etwa 40 sm flufs- 
aufwärts am rechten Ufer des Rio Grande und wird stark besucht. 
Wegen der Barre ist der Verkehr aber meist auf Leichterfahrzeuge 
angewiesen. Tampico wird erst seit 1824 öfters besucht. Für Schiffe, 
welche die Barre passieren können, ist der am Eingang nur l l* sm 
breite Flufs mehr als 80 sm weit bis Penuco schiffbar. Die Vor- 
arbeiten für eine Vertiefung des Fahrwassers auf der Barre haben 
zu keinem Ergebnis geführt. Die Einfuhr im Jahre 1883 belief 
sich auf 1,5 Mill. $ Wert, das meiste aus den Vereinigten Staaten. 
Die Ausfuhr betrug 1,2 Mill. * (darunter Ixtle für 496267 #, 
Gelbholz für 134055 $, Häute für 109053 *), das meiste nach 
New-York und Liverpool. 1883 liefen ein 186 Schiffe (81 Dampfer) 
von 19884 1, darunter 2 deutsche; aus liefen 186 Schiffe (82 Dampfer) 
von 16 617 t, darunter ein deutsches Schiff. Tuxpan liegt 5 sm 
innerhalb der Barre, und hat keinen eigentlichen Hafen, sondern nur 
eine Reede, so dafs gröfsere Schiffe 5 sm östlich von der Barre, 
in 11 m ankern müssen. Veracruz ist der bedeutendste Handels- 
hafen Mexicos und war lange Zeit der Haupteinfuhrplatz, der be- 



15 


sonders durch Eröffnung der ersten Eisenbahn des Landes an Ver- 
kehr gewann. Die Reede wird von Riffen begrenzt und ist die 
Ansegelung in den Wintermonaten nicht ohne Gefahr. Der Hafen- 
platz Tlacotalpan liegt am Ende einer Lagune, deren Eingang durch 
die nur 3 — 5 m haltende Barre von Alvarado gesperrt ist, so dafs 
grofse Schiffe aufserhalb der Barre in ungeschützter Lage ankern 
müssen. Auch der Hafen von Coatzacoalcos leidet an dem Übelstand, 
dafs eine gefährliche Barre vorgelagert ist, die durchschnittlich nur 
4,5 m Wasser hat und eine halbe sm vom Lande liegt. Im 
Flusse ist das Wasser hinreichend tief, und es können kleinere Schiffe 
bis Minatitlan gelangen. Tonala hat auf der Barre nur etwa 3 m 
Wasser, so dafs die grofsen Schiffe aufserhalb bleiben müssen. Der 
jährliche Import beträgt an 100000 «, die Ausfuhr 1883/84 wertete 
80000 *. Frontera hat nur einige Bedeutung als Hafen für Tabasco. 
Bei Niedrigwasser erfolgt eine Zusammenziehung und Vertiefung der 
Stromrinne, während bei Hochwasser die starke Ausströmung des 
Flusses oft grofse Sandanhäufungen veranlafst, welche die Tiefe (3,5 m) 
erheblich verringern. 4 ) Die Laguna de Terminos bildet ein grofses 
Becken, in welches zahlreiche Flüsse münden, die von Fahrzeugen 
von geringem Tiefgang etwa 225 km weit befahren werden können. 
Die Einfahrt in die Laguna liegt zwischen der Landspitze Xicalanga 
und der Insel Carmen, und führt zum besten Hafen der ganzen Küste. 
Bei niedrigem Wasserstande hat man auf der Barre nur 4 m Wasser, 
zu andern Zeiten bis 5 m. 1884 wurden etwa 5000 t Mahagoni- und 
Zedernholz vom Staate Tabasco über Laguna verschifft. Der Handel 
nimmt mit jedem Jahre zu; das verhandelte Blauholz wertete 745000 s, 
Mahagoni- und Zedernholz 400000 *. Nach fremden Häfen gingen 
mit Produkten 148 Schiffe (darunter 41 deutsche), von denen nur 
zwei Dampfer waren. Campeche ist der Haupthafen Yucatans und 
der wichtigste Stapelplatz für Hölzer, liegt aber als Seehafen un- 
günstig, da der niedrigen Küste viele Untiefen vorgelagert sind. 
Sisal und Progreso sind die Ausfuhrhäfen für die Hauptstadt Yuca- 
tans, Merida. In Sisal liegen die Schiffe auf offener Reede, auch 
bei Progreso ist die Küste niedrig und flach. Merida hatte in den 
letzten Jahren eine gedrückte Geschäftslage zu beklagen; im Jahre 
1884 litten die Maisfelder sehr von Heuschrecken. Vom Haupt- 
produkt des Staates, Henequen (Sisalhanf), wurden 233 311 Ballen 
(42 Mill. kg) im Werte von 3 471 646 $ verschifft, erzielten aber 
nur niedrige Preise. 


4 ) Jülfs und Baileer: Die Seehäfen und Seehandelsplätze der Erde. 
Bd. 1L Oldenburg, 1875. 


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San Benito, der Hafen Soconuscos, importiert für etwa 50000 9, 
exportierte 1883/84 Waren im Werte von 86000 $, besonders Kaffee, 
Häute und Kautschuk. Acapulco liegt an einer geräumigen Bucht, die 
einen ausgezeichneten natürlichen Hafen bildet, einer der sichersten an 
der Westküste. Die Einfahrt ist bequem und in dem tiefen Wasser der 
Ankergrund ausgezeichnet, der Stadt gegenüber in 22 m Tiefe. Der 
Handel dieses Platzes ist in den letzten Jahren durch die Dampfer- 
verbindungen mit nördlicheren Häfen ein lebendiger geworden. 
Salina Cruz bildet den Transitplatz für Tehuantepec. Die Ausfuhr 
belief sich 1884 auf 178 849 $, besonders mexicaniscbe Thaler, 
Indigo und Kuhhäute. Aber auch in Tehuantepec lag im Jahre 
1885 der Einfuhrhandel fast gänzlich danieder, da die beständigen 
Mifsernten den Konsum auf die unentbehrlichsten Gegenstände be- 
schränkten. Der Ertrag der Einfuhrzölle betrug 1884 : 64860 $, 
1885 : 4324 ». Die Ausfuhr war stetiger, obgleich auch hier ein 
Ausfall von beinahe 50000 $ (131427 gegen 178849 9 in 1884) 
stattfand. Die Ausfuhr von Kautschuk hebt sich etwas und es kann 
dieser Artikel mit der Zeit, wenn die Leute die Gewinnung rationeller 
betreiben und nicht mehr wie bisher die auszubeutenden Bäume 
fällen, für den Export lohnender werden. Brasilholz vertrat hier 
1885 meist die Stelle des Bargeldes, da selbst in Läden Waren 
gegen Holz eingetauscht wurden. Den Hafen Salina Cruz haben 
1885 nur 25 Schiffe besucht, davon 21 Dampfer. 6 ) Manzanillo ist 
der Hafen von Colima und liegt an einer von hohen Felsbergen 
umrahmten Bai. Der über 4 km breite Eingang derselben hat- 72 m 
Tiefe. 1884 liefen u. a. nur 3 deutsche Segelschiffe (1885 nur 1) 
von 1109 t ein. Sämtliche Schiffe liefen in Ballast (darunter jedoch 
281 Kolli Silbererze und 1671 Blöcke Zedernholz, nach Bremen 
bestimmt) aus. San Blas ging nach dem Aufschwung des Hafen- 
platzes Mazatlan etwas zurück, wird aber nach der Vollendung der 
Bahnverbindungen mit dem Hochlande wieder an Bedeutung ge- 
winnen. Aufserhalb der Küste ragen zwei weifse Felsklippen empor, 
in deren Nähe gröfsere Schiffe ankern müssen, während kleinere 
über die nur 4 m Wasser haltende Barre bis nach Estero hinauf- 
gehen. Über den Hafen werden die reichen Produkte des neuen 
Territoriums Tepic ausgeführt, Zucker und Mais. Die Einfuhr betrug 
1883/84 (Fiskaljahr) ungefähr 400 000$ Wert, davon etwa V* Tran- 
sitwaren, meist für Guadalajara bestimmt. 1883 liefen u. a. drei 
deutsche Schiffe ein, sechs mit Ladung wieder aus; 1884 nur zwei 
deutsche Schiffe, die mit Ladung Anfang 1885 wieder ausliefen. 
Der Hafen von Mazatlan bildet eine verkehrsreiche Bucht, in welche 
6 ) Deutsches Handelsarchiv, 1886. VI. 


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der Mazatlanflufs mündet. Auf der vorliegenden Barre stehen nur 
4 m Wasser, während innerhalb die Tiefe bis 6 m reicht. In der 
Regenzeit von Juni bis zum November wehen heftige Stürme, die 
das Auslaufen unmöglich machen. 1884 liefen u. a. 15 deutsche 
Schiffe von 7465 t ein. Die Einfuhr wurde besonders in englischem 
Roheisen bedeutend durch den Bedarf der Giefsereien und Minen- 
plätze. Die Ausfuhr bestand aus Silber und Gold, von Untercali- 
fornien grofse Quantitäten Orseille und Perlmutterschalen. Im Fis- 
kaljahr 1883/84 wurden ausgeführt für 3 992 100 $ Edelmetalle, 
darunter Silber in Barren für 2 652 000 $, gemünztes Silber für 
1 292 200 s. Altata ist der Handelshafen für die Hauptstadt Sinaloas, 
Culiacan, aber auf der Barre steht nur wenig Wasser und eine be- 
ständige Brandung. Guaymas hat durch Eröffnung der Eisenbahn 
einen Rückgang des Schiffsverkehrs zu erleiden. Die Schiffsbewegung 
zeigte 1885 : 194 Schiffe mit 37 517 Tonneu (darunter 58 Dampfer 
von 26952 t), deutsche Schiffe liefen nur 3 ein und aus, gegen 11 
im Vorjahre. Ein bedeutender Teil von Waren, welche sonst zu 
Schiff eingebracht wurden, wird jetzt auf der Sonoraeisenbahn ein- 
geführt. Die Ausfuhr weist eine Zunahme auf, die aber meist auf 
Rechnung der Transitverschiffung zu setzen ist. Die Einfuhr belief 
sich 1885 zusammen auf 1 581 940 $, darunter für 1 340 451 $ aus 
den Vereinigten Staaten. Die Hauptsummen kommen auf landwirt- 
schaftliche und Minengeräte, Baumwoll-, Wollen-, Leinen-, Seiden- 
und Spezereiwaren. Die Ausfuhr nach den Vereinigten Staaten be- 
lief sich auf 473 514 $, darunter 8 /* des Wertes mexicanische 
Thaler; mit der Eisenbahn über Nogales wurde 'ausgeführt für 
544 790 $. Die Stadt liegt an der Nordwestseite einer ziemlich aus- 
gedehnten Bucht, die an allen Seiten von Halbinseln oder Inseln 
umschlossen wird und einen in jeder Jahreszeit sicheren und ge- 
schützten Hafen bildet, in welchem die Wassertiefe von 5,5 m bis 
12,5 m wechselt. 


III. Wirtschaftliche Entwickelung. 

Mexico war von altersher ein ackerbautreibender Staat, und 
noch heute beruht der Nationalwohlstand des mexicanischen Volkes 
in der Bodenkultur und im Minenbetriebe. Die landwirtschaft- 
liche Produktion ist vom Relief des Bodens und den verschiedenen 
Klimaten der Höhenregionen abhängig. Im allgemeinen lassen sich 
drei Regionen unterscheiden: die tierra caliente, das heifseLand, etwa 
500—1000 m hoch, umfafst die Küstenlandschaften, am Golf von 
Mexico in gröfserer Breitenentwickelung als am pazifischen Gestade, 
und ausgezeichnet durch tropische Üppigkeit, in welcher Kaffee, 

Geogr. Blätter. Bremen, 188?. g 


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Kakao, Vanille, Bananen, Baumwolle gedeihen uud grofse Bestände 
von Farbhölzern Vorkommen, Die tierra templada, das gemäfsigte 
Land, bis 2000 oder 2500 m Höhe reichend, ist das Gebiet des 
Ackerbaues und der Wohnsitz der gröfsten Volksmasse. Weiter 
hinauf reicht die tierra fria, das kalte Land, wo Eichen, Weiden, 
Pappeln, Ulmen, Eschen und Koniferen wachsen, und die Hochgipfel 
bis in das Gebiet des ewigen Schnees aufragen. 

Das Gebiet der höchsten Sommerwarme umfafst die Uferland- 
schaften des mexicanischen Golfs uud zieht sich bis New-Mexiko und 
Baja-California. Die Temperaturschwankungen sind aber im Winter 
in Mexiko gröfser, als in den meisten andern Tropenlandern, und 
die berüchtigten „Northers“ wehen oft bis 15° n. Br. herab. Mexico 
liegt im Bereich des Nordostpassat und hat normale tropische 
Sommerregen vom Mai bis September und einen trockenen Winter. 
Zu Coliiua an der Westküste dauert die Regenzeit von Juni bis 
Oktober, ihr Höhepunkt ist im August (Jahresmittel 1062 mm.) 
Der Übergang zu dem trockenen Hochland geschieht auf rasche 
Weise, und nach Norden hin verschmelzen die Sommerregen Mexicos 
mit jenen von Texas, während sie iin Westen von den regenarmen 
Gebieten Baja-Californias und Arizonas begrenzt werden. Yucatan 
hat trockenes heifses Klima. In Merida betragt die mittlere Jahres- 
temperatur 27,2° C. Die Regenzeit umfafst hier nur Herbst und 
Winter, und die ebenen Savannen stehen dann monatelang seeartig 
unter Wasser. 

Die Ernte ist je nach Lage und Bodenbeschaffenheit von 
Regenfall und Bewässerung abhängig. In den Zentral- und Nord- 
staaten säet man im Mai und erntet im Oktober. Mais und Weizen 
geben in vielen Bezirken der tierra caliente und tierra templada 
zwei Ernten. In den Staaten Veracruz, Oaxaca, Guerrero, Tabasco, 
Mexico, Jalisco und Sinaloa hat man jährlich drei Maisernten, riego, 
temporal und tonalmile genannt. Schon die Azteken wandten künst- 
liche Bewässerung an, die fast für die Hälfte des Laudes, besonders 
vom 19° nordwärts geboten ist. Dann aber gebeu die Hochflächen 
ergiebige Ernten, und die Bodenkultur wird noch an Intensität ge- 
winnen, wenn durch die Eisenbahnen Gelegenheit geboten ist, auch 
nach entfernteren Orten landwirtschaftliche Maschinen zu befördern, 
die dort bisher nur mit Aufwand bedeutender Kosten zu beschaffen 
waren. In den grofsen Haciendas ist schon so mancher Fortschritt 
zu verzeichnen; freilich gilt dies nur von soliden Gütern, in denen 
der Besitzer noch keinen Kaufmann hat, der ihm selbst und seinen 
Peonen Vorschüsse gemacht hat, und dadurch zum teil schon Eigen- 
tümer der Früchte ist, während sie noch auf dem Halm stehen. 


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— 19 — 

Der Mais bildet die vorzüglichste Anbaufrucht, und in den 
landesüblichen Maiskuchen (tortillas) das tägliche Brot von Reich 
und Arm. Exportiert wird ein unbedeutender Teil, da das meiste 
im Lande verbraucht wird. Die Jahresproduktion beläuft sich auf etwa 
114 Mill. Dollar Wert(Busto giebt in seiner grofsen Estadistica für das 
Jahr 1878 : 5309 Mill. kg, Jesus Fuentes y Muniz im Konsularbericht 
der Vereinigten Staaten No. 41 für 1883: 5403 Mill. kg an). Auch von 
Weizen, der u. a. in Jalisco (88,9 Mill. kg im Werte von 4377 950 $), 
Chihuahua, Guauajuato, Puebla, Tlaxcala, Zacatecas und Coahuila 
reiche Ernten erzielt, wird nur weniges ausgeführt. Er gedeiht am 
besten in Höhen von 1200 — 2500 m, uud in den meisten Gebieten 
nördlich von 18° n. Br. Die Produktion betrug 1883: 339 Mill. kg 
für 17,5 Mill. $. Gerste wurde gewonnen 238,9 Mill. kg für 4,4 Mill. $. 
Hülsenfrüchte werden überall gebaut, vor allem Frijoles, schwarze 
Zwergbohnen, die als beliebte Speise der ärmeren Bevölkerung gelten. 
Die Produktion betrug Frijoles 210,8 Mill. kg (8,4 Mill. $), gewöhn- 
liche Bohnen 15,5 Mill. kg (478510 ?), spanische Erbsen 11,5 Mill. kg 
(470940 $), Kichererbsen 12,8 Mill. kg (543 283 Mill. $). Linsen 
2 Mill. kg (83 920 $). Von Wichtigkeit für den Haushalt des Mexi- 
caners ist der Chile, der spanische Pfeffer, welcher in vielen Arten 
besonders in Jalisco, Guanajuato, Mexico, Puebla, Sau Luis Potosi, 
Michoacan, Oaxaca, Veracruz gewonnen wird, zusammen 54,4 Mill. kg 
(4,2 Mill. $). Kartoffeln wurden am meisten in Tlaxcala und Puebla 
gebaut, im ganzen Lande 10,6 Mill. kg (584280 $). Reis wird in 
gröfseren Massen in den Staaten Colima, Morelos, Yucatau, Tamaulipas 
und Jalisco gewonnen, zusammen 15,2 Mill. kg (1,24 Mill. $). Zucker- 
rohr wird in zahlreichen, ausgedehnten Pflanzungen gewonnen, am 
meisten in Morelos (die canada von Cuernavaca und Cuantla), Veracruz, 
Puebla und Michoacan. Mit der Konkurrenz des europäischen Rüben- 
zuckers wird aber wohl, ähnlich wie in Cuba, ein Rückschlag er- 
folgen, und ein grofser Teil des Bodens für andre Kultureu frei 
werden. Man kann im allgemeinen annehmen, dafs Zuckerrohr- 
pflanzungen im Gebiet von unter 1200 m Meereshöhe am besten 
gedeihen. Südlich vom Wendekreis ist aber in Höhen von 600 — 1200 m 
Bewässerung nötig. Die Jahresernte betrug 70,2 Mill. kg im Werte 
von 8,7 Mill. $. Kakao wird in den unteren Regionen gebaut, da 
sein Gedeihen eine gleichmäfsige Temperatur von 24 — 28° C. 
erfordert, und kommt in gröfseren Mengen nur in Tabasco, 
Chiapas, Guerrero, Oaxaca und Colima vor, zusammen 1,4 Mill. kg 
(1,14 Mill. $). Der Aubau von Kaffee, besonders auf den 
Küstenterrassen, hat neuerdings einen bedeutenden Aufschwung 


2 * 


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20 


genommen. °) Die Kultur ist von einer mittleren Jahrestemperatur 
von 18° — 28° C. abhängig, gehört aber zu den rentabelsten, 
die es überhaupt giebt. Die gröfste Ausbeute liefert Veracruz, 
Colima und Michoaean. Die gröfsten Kaffeemärkte sind Tabasco, 
Jalapa, Cordoba und Oaxaca. Der erstere ist ein sogenannter 
Küstenkaffee; Jalapa hat kleine gelbliche Bohnen, kurz und 
breit, aber von unregelmäfsiger Gröfse; Cordoba hat grüfsere 
und längere Bohnen, die oft einen künstlichen Glauz erhalten und 
dann als Rio-Kaffee in den Handel kommen; Oaxaca bietet eiiien 
rohen, grünen Bergkaffee, der aber bei besserer Kultur wohl mit 
den Erzeugnissen Costaricas und Jamaicas konkurrieren könnte. 
Die Produktion betrug 8,18 Mill. kg im Werte von 2 Mill. s. Indigo 
ist im Anbau zurückgegangen und wurden nur 196000 kg 
(288 CKJO #) gezogen. Der Tabak kann bei sorgfältiger Bearbeitung 
grofse Erträge erzielen, und ist im Anbau in Veracruz, Jalisco und 
Yucatan am bedeutendsten. Die Produktion war 7,5 Mill. kg (2 Mill. *). 
Von Baumwolle finden sich die gröfsten Pflanzungen in Veracruz, 
Durango, Coahuila und Jalisco. Die Ernte belief sich auf 25,18 Mill. kg 
für 6,6 Mill. *. Vanille bedarf nur sehr einfacher Kultur und ge- 
deiht am besten in Veracruz und Tamaulipas. Die Jahresernte be- 
trug 76645 kg im Werte von 862550 $. Flachs wird besonders 
in der Umgebung von Queretaro und in den Thälern von Toluca 
gebaut.. Ferner sind noch zu nennen Sesam in einer Jahresernte 
von 3 Mill. kg (215000 *), Anis 1,19 Mill. kg (105200 $), Stroh 
für Flechtwaren, Sarsaparille (Smilax) 76645 kg (862550 $). Wein 
gedeiht vortrefflich in Aguacalientes, Sonora, Baja California, Coahuila 
und Chihuahua. Leider stehen mir hier keine andern Daten zur Ver- 
fügung, als diejenigen in Bustos Statistik, allerdings nur für 1878; 
darnach wurde 2,2 Mill. kg Weifswein, 3,5 Mill. kg Rotwein, und 
531576 kg Brantwein aus Trauben (Aguardiente) hergestellt. 7 ) 

Früchte giebt es in unzähligen Mengen, Bananen, Zitronen, 
Orangen, kürbis- und melonenartige Früchte, Äpfel, Birnen, Granaten, 
Feigen, Aprikosen, Pfirsiche; von letzteren wurden schon 1878 
12,6 Mill. kg geerntet. Die Fruchtkultur ist grofser Ausdehnung 
fähig und kann einst einen guten Ausfuhrartikel liefern. Allein von 

•) Ygl. meinen oben zitierten Aufsatz in denMitt. desVer. f. Erdkunde zu 
Leipzig. 1882. 

7 ) Im United States Consular Report No. 41 wird eine ganze Liste mexica- 
nischer Getränke gegeben, bis zu den verschiedenen Baumweinen, aber ohno 
Angabe des Produktionsbezirkes und der Masse der Flüssigkeiten. Doch scheint 
mir der Berichterstatter wohl etwas zu weit zu gehen, wenn er u. a. auch aufführt : 
„Zagardua or citron puneh: Cold water, sngar, some drops of lemon or orange 
juice, mixed witli citron.“ 


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Limonen werden jährlich für 25000 $ durch die Dampfer der 
Pacific Mail Steamship Co. nach San Franz isco gebracht. Sowohl 
Limonen- als Orangenbäume werden im Alter von 5 — 8 Jahren völlig 
tragfähig und bleiben ungefähr 50 Jahre lang ergiebig. Ein Orangen- 
baum trägt im Durchschnitt jährlich 3000 Früchte im Werte von 
12 $, ein Limonenbaum etwa 8000 Früchte im Werte von 10 $. 
Dabei betragen die Kulturkosten für eine Plantage von einigen 
hundert Bäumen nicht mehr als 150 $ jährlich. Besondere Beachtung 
verdient die Fruchtkultur in Baja-California, wo aufser den genannten 
Früchten auch Feigen, Datteln und Oliven geerntet werden. Die 
auf den trockenen Hochebenen wachsenden Agaven haben für den 
Mexicaner doppelten Wert; sie liefern ihren Saft als Getränk, ihre 
Faser als Gespinnst Von der Maguey (A. mexicaDa) wird der 
beliebte Mezcal-Branutwein bereitet, 14 — 15 Mill. kg jährlich. 
Von einer andern Agave gewinnt man das Pulque, das National- 
getränk der Mexicaner, jährlich etwa 190 Mill. kg, die im 
Lande selbst verbraucht werden. Der Pulqueverbrauch der Haupt- 
stadt wurde schon von Clavigero auf die Wertsumme von 300000 
Kronen (1,35 Mill. Mark) geschätzt, obgleich 25 kastilianische 
Pfunde nur mit einem Real (0,50 J6.) bezahlt wurden. Die im 
Jahre 1774 in der Hauptstadt getrunkene Quantität Pulque betrug 
2214294 Arroben (25162431 kg) ohne dasjenige, welches von den 
privilegierten Indianern auf dem grofsen Markt verkauft wurde. Von 
andern Agavearten werden wertvolle Fasern gewonnen, die einen 
steigenden Ausfuhrartikel bilden. Die Agave sisiliana in Yucatan liefert 
den Sisalhanf oder Henequen, das 1883 für 3,3 Mill. Pesos 
ausgeführt wurde, gegen 1873 eine Steigung von 400°/o. Das meiste 
ging nach den Vereinigten Staateu. Eine andre Faser giebt das 
Pita in Yucatan und bei Oaxaca; und in der tierra fria, besonders 
bei Huasteca, das Ixtle, von der Maguey und Lechuguilla gewonnen, 
jährlich etwa 2,2 Mill. kg, das meist über Tampico in den 
Handel kommt, während Henequen über Progreso ausgeführt wird. 
— Hölzer sind in grofser Menge vorhanden und von bedeutendem 
Handelswert, u. a. Mahagoni-, Zeder- und Kautschukbäume, Brasil- 
und Campecheholz u. a. Der Hauptmarkt für Holz ist die Insel 
Carmen, und die Küste von Veracruz bis Tamaulipas ist reich an 
Farbhölzern. Die Gebirge des Landes liefern zahlreiche Nutzhölzer, 
aber die Schlaggebiete werden in Nord- und Zentralmexico immer 
enger begrenzt, und es ist hohe Zeit, mit einer streng geregelten 
Forstkultur vorzugehen und einer drohenden Entwaldung mit ihren 
gefährlichen Folgen vorzubeugen. Auf den Opuntienkakteen (Nopal) 
wird die Kocheuillelaus gezüchtet, deren Wert aber seit Einführung 



22 


der Anilinfarben zurückgegangen ist. Eine andre Nopalspezies, nopal 
de castillo genannt, wird bis 6 ra hoch und wird wegen seiner 
delikaten Früchte gepflanzt. 

Die Viehzucht ist grosser Entwickelung fähig, und würde bei 
verständiger Ausnutzung sehr lohnend werden. Für den kleinen 
Landmann ist sie aber wegen fehlerhafter Pachtsteueranlage kaum 
zu ermöglichen, und die Haciendados fangen erst in neuerer Zeit 
an, eine geregelte Züchtung zu begünstigen. Die Ausfuhr von 
Häuten ist schon eine ganz ansehnliche, und zahlreiche Gerbereien 
und Zubereitungsanstalten sind in fast allen Städten vorhanden. 
Bei fortschreitender Lederindustrie wird sich das Land bald von 
aller Ledereinfuhr, meist in englischen und französischen Waren 
bestehend, befreien. 

Mineralien sind in vielen Lagern vorhanden und sind eigentlich 
die unerschöpflich scheinenden Reichtumsquellen des Landes. Erze 
wurden bereits von den alten Mexicanern abgebaut, und an Silber 
und Gold hat kein Land mehr geliefert, als Mexico. Die metall- 
reiche Zone erstreckt sich von Sonora bis Oaxaca in einer Längen- 
ausdehnung von 2000 km, die ergiebigsten Bezirke sind diejenigen 
von Zacatecas, Guanajuato und Pachuca. Durch eine Reihe von 
Jahren war die Silberausbeute der Vereinigten Staaten bedeutender 
als diejenige Mexicos, aber der berühmte Comstock Lode in Nevada 
geht seiner Erschöpfung entgegen, und im Gegensatz hierzu sind 
gerade in Mexico die Erträge seit zwei Jahrhunderten fast stetige 
geblieben. Es hat dies aber nicht allein seinen Grund in der Yer- 
schiedenartigkeit der Lagerstätten des Edelmetalls, sondern auch in 
der Verschiedenheit der gesamten sozialen Zustände der beiden 
Länder, wobei noch zu berücksichtigen ist, dafs die silberrcichen 
Distrikte im Norden Mexicos auf dürren Hochebenen liegen und 
relativ ungünstige klimatische Verhältnisse darbieten. Busto sagt in 
seiner Statistik, dafs im Jahre 1878 von 1694 Minen 1247 bearbeitet 
wurden, von denen 162 Minen auf Gold, 332 auf Gold und Silber, 
807 auf Silber, 156 auf Kupfer, 143 auf Blei und 94 auf Quecksilber 
bauten, und in denen 102 240 Menschen beschäftigt wurden. Silber 
und Gold wird zugleich in den Staaten Zacatecas, Hidalgo, Guanajuata, 
San Luis, Chihuahua, Durango, Jalisco, Sonora, Sinaloa, Mexico, 
Michoacan, Oaxaca, Guerrera und Puebla abgebaut. Die berühmtesten 
Silberminen sind die veta grande in Zacatecas und die veta madre 
in Guanajuato, welche schon seit 300 Jahren bearbeitet werden. 
Dagegen hat das Gebiet von Sierra Mojada, das als Territorium 
organisiert werden sollte, den Erwartungen nicht entsprochen und 
keine grofsen Erträgnisse geliefert. 


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23 


In den 11 Münzen (Alamos, Culiacan, Chihuahua, Durango, 
Guadalajara, Guauajuato, Hermosillo, Mexico, Oaxaca, San Luis 
Potosi, Zacatecas) wurden im Fiskaljahr 1884/85 geprägt für 
423 250 t Gold und für 26 263 978 $ Silber. Seit der Gründung 
der Münzen während der Kolonialepoche, vom Jahre 1537 bis zum 
30. Juni 1885, betrug die Ausmünzung total 3 245 084 875 $, wovon 
nur 5 981 370 $ für Kupfer, 4 Mill. für Nickelmünzen gerechnet 
werden. Im Jahre 1884/85 wurde aus den Minen in die Münzen 
geliefert für 653 840 f Gold, 25 556 630 $ Silber, zusammen 
26 210 470 $. Gold lieferte am meisten der distrito federal mit 
301 964 8, Silber Guanajuato mit 4807 638, Zacatecas mit 4807 581, 
Hidalgo mit 4 291 918, San Luis Potosi mit 3 362 679, Chihuahua 
mit 2 917980 und Durango mit 1541589 s. 8 ) 

Von Eisen hat bis jetzt der cerro del mercado (im Staate 
Durango) am meisten produziert, d. h. Eisenerze im Werte von etwa 
10 Mill. 8. Das Erz enthält freilich 60 °/o reines Metall. Eisen- 
haltige Berge giebt es noch in Sonora (bei Coalcoman), Michoacan 
und im zentralen Gebiete Oaxacas. Kupfer wird im Chihuahua, 
Oaxaca und Baja-California, bei den Städten Mazapil und Jalapa, 
und in der Nähe des Vulkans Jorullo gefunden. Zinn giebt es 
in Gängen und in Alluvialbetten von Durango. Der künftige 
Fortschritt Mexicos hängt in bezug auf Handel und Industrie, Ent- 
wickelung der Landwirtschaft und Ausbeutung der Mineralschätze 
durchaus von der Schaffung vermehrter Verkehrswege ab, also der 
Eisenbahnen, deren Betrieb ohne billige Kohle undenkbar ist. Kohle 
ist also für Mexico von der gröfsten Bedeutung, besonders wenn 
man die Sünde vergangener Jahrhunderte, die fortschreitende Ent- 
waldung, in Betracht zieht. Kohlen werden abgebaut in Veracruz, 
Morelos, Tlaxcala, Oaxaca, Chihuahua, Michoacan, Puebla und Baja 
California. Es giebt Kohlenlager an den Ufern des Rio Grande 
und in den Nachbargebieten der Zentralbahn, der Südbahn, der 
Nationalbahn und der internationalen Eisenbahn. Flötze von Anthrazit 
und bituminöser Kohle sind auch im Staat Sonora am Yaquiflusse 
entdeckt worden. Petroleum kommt in Oaxaca, Durango und Vera- 
cruz vor und in Tuxpan besteht schon eine Raffinerie. 

Die mexicanische Industrie ist in den letzten Jahren namentlich 
in der Manufakturwarenbranche weiter fortgeschritten, doch haben 
die Fabrikanten bei der Überproduktion und den schlechten Zeiten 
trotz Preisermäfsigung monatelang Mangel an Absatz gehabt, und 
erst seit kurzem hat sich ihre Lage gebessert. Am lebhaftesten ist 

•) Noticias de acufiacion 6 introdnccion de metales en el a8o fiscal de 1884 
ä 1885 foraiadas por la seccion setima de la secretaria de hacienda. Mexico, 1886. 


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die industrielle Arbeit in agrikolen Produkten, Textilwaren und Edel- 
metallen. 1878 wurden u. a. produziert 10 Mill. kg Bier, 19,3 Mill. kg 
Branntwein aus Zuckerrohr, 124 Mill. kg Weizenmehl, 671278 kg 
Schokolade. Von Baumwolle wurden im Jahre 1883 etwa 
136000 Ballen (68 Mill. libras) verarbeitet, gegen 14,5 Mill. libras 
im Jahre 1865. Die Einfuhr von Rohbaumwolle hat seit 1874 kaum 
das zehnfache zugenommen. Fabriken für sogenannte coloured goods 
giebt es in Mexico noch nicht, wohl aber werden prints im Lande selbst 
gefertigt. Das Hauptfabrikat sind brown shirtings (manta). Gebleichte 
Ware wird gröfstenteils von den Vereinigten Staaten und England 
eingeführt, nur eine Fabrik in Puebla ist in diesem Fache thätig. 
Die Zahl der Baumwollfabriken (für Gewebe und Garne) in Mexico 
beträgt 88, die Zahl der Wollfabriken 7. Die Woll- und Baumwoll- 
garne finden vorzugsweise in der Handweberei zur Anfertigung von 
Zeugen für die ärmeren Klassen Verwendung. Die gröfste Baumwoll- 
fabrik ist die „Herkules“ in Queretaro mit 20594 Spindeln. Die 
übrigen zusammen haben an 500000 Spindeln. Die Regierung suchte 
durch Nationalausstellungen die industrielle Leistungsfähigkeit zu 
heben und anzuregen, aber trotzdem ist die Einfuhr von Waren noch 
eine ganz bedeutende. Die Seidenraupe wird bei Oaxaca, Tetla 
(Puebla) und Ixmiquilpan (Hidalgo) mit grofser Sorgfalt gezüchtet. 
Es ist anzunehmen, dafs in den nächsten fünf Jahren in Mexico mehr 
Seide verarbeitet werden wird, als für den Verbrauch nötig ist, ob- 
gleich diese Industrie jetzt noch in den ersten Anfängen steckt. Zu 
beachten ist ferner, dafs die Verarbeitung hier nur die Hälfte der 
Kosten beansprucht, als in Paris. 

Der Handel hatte schon hinsichtlich seiner Bahnen in Mexico 
keine erfreulichen Vorbedingungen. Die Häfen sind meist schwierig 
anzusegeln, und die Hochebenen des Landes boten dem Grofshandel 
von alters her manche Schwierigkeiten. Von der Zeit der spanischen 
Eroberung bis vor wenigen Jahren existierte nur ein beschränkter 
Inlandhandel, der sich mühsam fortschlich. Transportmittel boten 
nur die Maultiere und die Rücken der indianischen Lastträger. Die 
spanische Verwaltung während der Kolonialepoche war nicht geeignet, 
Produktion und Handel zu unterstützen, und wer wollte für diese 
Zeit der Unterdrückung dem geplagten raexicanischen Volke wegen 
wirtschaftlicher Versumpfung Vorwürfe machen? Über den blühenden 
Handel zur Zeit der Azteken haben uns die spanischen Geschichts- 
schreiber berichtet, und selbst Ferd. Cortez war verwundert über 
die Bedeutung des Handels und die Art seiner Ausübung. Aber die 
spanische Regierung unterliefs nichts, um diesen vorzüglicheu Zu- 
stand zu verändern und den Wohlstand der Eingeborenen zu unter- 


25 


graben. Anbau von Flachs, Hanf und Safran war durch zwei Jahr- 
hunderte hindurch verboten, ebenso das Auspresseu der Ölfrucht für 
Privatgebrauch, selbst des Kokosnufsöls , damit der Einfuhr des 
Olivenöls aus Spanien kein Eintrag geschehe. Die Seidenzucht liefs 
man nicht aufkommen, damit die Kompanie der Philippinen an ihrem 
Verkauf chinesischer Rohseide nicht beeinträchtigt werde. Wein 
konnte man bauen, doch durften die Trauben nicht gekeltert werden ; 
die Mexicaner sollten nur katalonische und andalusische Weine trinken. 
Als sich 1802 Alexander von Humboldt in Mexico befand, erhielt 
der Vizekönig von Madrid aus den Befehl, alle Rebstöcke in den 
nördlichen Provinzen ausrotten zu lassen, weil die Kaufleute in Cadix 
sich beklagt hatten, dafs ihr Absatz spanischer Weine sich dorthin 
vermindere. 

Erst seit dem Beginn der grofsen Eisenbahnbauten trat Mexico 
in eine neue Ära. Schnelle Verbindung mit den grofsen Produktions- 
und Handelszentren der Union war wohl das erste treibende Motiv, 
das wichtigere aber ist ohne Zweifel die Aufschliessung der mannig- 
faltigen Hilfsquellen des eigenen Landes. Mit der Entwickelung 
dieser materiellen Interessen geht eng zusammen eine erleichterte 
geregelte Verwaltung, Preissteigerung des Grund und Bodens und 
der Arbeitskraft. In allen Landschaften, in denen Eisenbahnen 
gebaut wurden, macht sich eine geistige Regsamkeit und frische 
Thätigkeit bemerkbar. Durch Erleichterung des Transports macht 
auch der Handel Fortschritte, wird Handwerk und Großindustrie 
belebt, und dieser Fortschritt ist jetzt in Dekaden gröfser, als früher 
in Jahrhunderten. Mit diesem Aufschwung in neuerer Zeit werden 
sich auch allmählich die Verhältnisse der grofsen Masse der Bevölkerung 
ändern, die bisher in reicher Umgebung ein ärmliches Dasein fristete. 

Im Platzhaudel nimmt der Deutsche eine hervorragende Stellung 
ein, und deutsche Handelshäuser findet man in allen gröfseren 
Städten des Landes. Aber der durch die Eisenbahnen veränderten 
Lage tragt man in Hinsicht auf Handelsverbindungen und Geschäfts- 
bräuche besonders in der Union Rechnung. Es beträgt daher auch 
der Aufsenhandel Mexicos mit den Vereinigten Staaten und Grofs- 
britannien */» des Gesamthandels überhaupt. In den 5 Jahren von 
1877 bis 1882 stieg der Handelsverkehr Mexicos mit der Union 
um 123 °/o, mit Großbritannien um 36°/o. Die Entwickelung des 
mexicanischen Handels steht in enger Beziehung mit dem Inland- 
handel der Union, und die großen Eisenbahnlinien erhalten erst 
durch ihren Anschluß an die Stammlinien der Vereinigten Staaten 
ihren eigentlichen Wert. Die Länge der Grenzlinie zwischen beiden 
Staaten gilt nicht mehr als erschwerendes Moment, denn die Grenz- 


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landschaften waren von der Natur schon nicht als Gebiete für er- 
leichterten Durchgangsverkehr geschaffen. Durch die Verbindungen 
mit dem Norden bis zu den Grenzlinien der Canadischen Pazifik- 
bahn ist nun ein gewaltiges Schienennetz geschaffen, und ein grofser 
Schritt vorwärts zur dereinstigen Eisenverbindung Nord- und Süd- 
amerikas gethan worden. 

Der direkte Einflufs der Eisenbahnbauten zeigt sich in der 
Zunahme der Warenmassen, die über die Grenzzollämter Mexico’s 
von der Union eingeführt werden, und deren Wert in Laredo für 
1877 — 1882 von 272000 $ auf 1 220 Mill. Doll, stieg, in Paso 
del Norte von 81000 $ auf 881000 $, und in Nogales vou 6800 $ 
auf 143200 S. Auch die Einnahmen des Landes selbst haben sich 
in 5 Jahren verdoppelt, und die Eingangszölle spielen dabei keine 
geringe Rolle. Man glaubt, dafs für den Landhandel vor allem 
New- Orleans und St. Louis die Hauptzentren des Verkehrs mit 
Mexico bilden werden. Dabei bleiben aber die Hafenplätze immer 
noch von Bedeutung, wenngleich trotz des grofsen maritimen Aufsen- 
handels sich ein Umschwung zu gunsten des Laudhandels zu zeigen 
scheint. In den 5 Jahren bis zum 30. Juni 1883 exportierte Vera- 
cruz allein 62°/o Metalle, 36°/o andre Produkte des gesamten Exports, 
während über Paso del Norte, Nuevo Laredo und Nogales nur 0,022°/« 
des Totalexports gingen. Im Jahre 1884 exportierte Veracruz noch 
54°/o der Gesamtausfuhr (64°/o der Metalle, 28°/o der andern 
Produkte). 

Nach Eröffnung der neuen Eisenbahnen mufste eine Verschiebung 
der bisherigen Handelswege stattfinden, zumal die in amerikanischen 
Ländern befindlichen Strecken alles aufboten, vermittelst niedriger 
Durchfrachten den internationalen Verkehr an sich zu ziehen. 
Besonders wurden dem amerikanischen Exporthandel hierdurch neue 
Vorteile zugeführt. Ja es scheint, als ob der erleichterte Bezug 
amerikanischer Produkte der deutschen Ausfuhr einigen Abbruch 
gethan habe. Denn während seit 1880 die Ausfuhr Bremens und 
Hamburgs sich verdoppelte, ist sie seit 1884 zurückgegangen. 
Ebenso grofse Veränderungen vollzogen sich in den mexicanischen 
Zolllisten. Die Golfhäfen hatten einen kleinen Rückgang des Ver- 
kehrs zu beklagen, dagegen hatten die Zollämter an der Nordgrenze 
eine ansehnliche Zunahme desselben zu verzeichnen. 

Die Handelsplätze am Stillen Ozean dehnen ihren Wirkungs- 
kreis bis tief in das dahinterliegende Binnenland aus und beziehen ihre 
nordamerikanischen Güter im wesentlichen zur See von San Fran- 
zisco, ihre europäischen teils über Panama (die eiligeren), teils um 
das Kap Hoorn. Für den Platz Mazatlan, der mit l 1 /* Millionen Dollar 


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Zolleinkünften der Haupteinfuhrhafen an der Westküste ist, stellt 
sich die Fracht von Europa mit Segelschiff um das Kap HoöYn 
(4 — 5 Monate) 6 — 15 $ für die Tonne, mit Dampfschiff über Panama 
(40 — 50 Tage) 30 — 35 $, mit Benutzung der Eisenbahn von New- 
York bis Guaymas, und des Schiffes von Europa nach New-York und 
von Guaymas nach Mazatlan 63 — 76 $ für die Tonne. Die Fracht 
mit der Eisenbahn ist daher noch sehr erheblich teurer als die 
Seefrachten, und der ziemlich unveränderte Stand der letzteren stellt 
somit die Transportbedingungen dar, unter denen die Konkurrenz 
zwischen deutschen und amerikanischen Produkten nach wie vor 
stattfindet. Eine durchgreifende Veränderung der Bezugsbedingungen 
ist nur für Guaymas eingetreten, denn hier sind die Transport- 
bedingungen infolge von Fracht- und Zeitersparnis zu gunsten der 
amerikanischen Konkurrenz. Mit dieser Ausnahme sind aber die 
Konkurrenzverhältnisse Deutschlands und Nordamerikas an der 
Westküste Mexicos gleich geblieben; für beide Länder macht sich 
eine Zunahme in der Einfuhr bemerkbar, und zwar erweitert sich 
der amerikanische Absatz hauptsächlich auf Kosten Englands, und 
der deutsche auf Kosten Frankreichs und Englands. 

Die Handelsplätze der nördlichen Zone, von Paso del Norte 
bis Zacatecas, versehen sich jetzt von und über Nordamerika, statt 
früher von Mexico oder über Veracruz. Die deutsche Einfuhr hat 
aber hier kaum abgenommen, und während Maschinen, Waffen, 
Handwerkszeug, Papier und Glaswaren von der Union bezogen 
werden, liefert Deutschland wollene und halbwollene Waren. Der 
Landweg erleidet durch die Eisenbahn bis Galveston eine bedeutende 
Verkürzung, und unser Absatz nach dem Norden Mexicos würde 
noch umfangreicher werden, wenn nach Galveston eine direkte 
deutsche Dampferlinie bestünde. In den Zentralstaaten und der 
Hauptstadt hört die Überlegenheit des neuen Überlandweges infolge 
der grofsen Entfernungen auf (von der Hauptstadt bis zur Landes- 
grenze allein 1971 km.) Die Bahnfracht von New-York bis zur 
Stadt Mexico stellt sich nur in Eisen- uud Kurzwaren unter dem 
Frachtsatz des Weges von Liverpool über Veracruz, während sie 
in Schnittwaren noch um das Doppelte höher ist. Aber trotz der 
Transportnachteile hat der deutsche Absatz in dem Zentraldistrikt 
Mexicos sein Gebiet vollständig behauptet und es sogar fortwährend 
erweitert. 

In den Staaten der Golfküste hat die neue Überlandverbindung 
mit den Vereinigten Staaten keine direkte Wirkung äufsern können, 
und die Staaten Yucatan und Campeche haben wegen ihrer abge- 
trennten Lage ein ganz unabhängiges wirtschaftliches Leben. Man 


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kann also annehmen, (lafs der Rückgang in der Gesamtziffer der 
deutschen Ausfuhr nach Mexico kein Unterliegen gegen andre 
Konkurrenten bedeutet, sondern in der allgemeinen Handelsstockung 
seinen Grund hat. Ist doch selbst die nordamerikanische Ausfuhr 
von 1882—1885 um die Hälfte zurückgegangen. Es wird aber 
weiterer Anstrengungen bedürfen, um das Feld zu behaupten, 
besonders wenn erst die Natioualbahn eine noch kürzere Verbindung 
mit der Union herstellt. 9 ) 

Im Einfuhrgeschäft versucht Amerika, Europa aus dem Felde 
zu schlagen, und hat wohl auch in einigen Artikeln neuerdings einen 
erheblichen Vorsprung gewonnen. Die Mehrzahl der wertvolleren 
Ausfuhrartikel Mexicos werden aber nach der Union zollfrei ein- 
geführt, so Häute und Felle, Kaffee und Hölzer. Dagegen ist die 
Ausfuhr von Jute, Flechtgräsern, lebenden Tieren und Früchten mit 
Zöllen belastet. Nach Mexico senden die Vereinigten Staaten, dem 
Werte nach gruppirt, folgende Artikel : Eisen- und Stahlwaren, Roh- 
baumwolle, Eisenbahnwagen, Brot und Brotstoffe, und lebende Tiere. 
Im letzten Jahrzehnt haben die Amerikaner sich an vielen Plätzen 
Mexicos Absatzgebiete geschaffen. Dem deutschen Handel liegt es 
nahe, sich nicht nur nicht aus dem bisher inne gehabten Gebiet ver- 
drängen zu lassen, sondern auf kluge Erweiterung seiner geschäft- 
lichen Beziehungen Bedacht zu nehmen. Der Haupthandel Mexicos 
ist fast allein in den Händen grofser Kommissionshäuser von Hamburg, 
London, Liverpool und Paris. Die Bemühungen vieler europäischer 
Fabrikanten, in ein direktes Geschäft mit mexicanisehen Häusern 
zu kommen, sind mifslungen. Man sollte nun meinen, dafs die 
Vergütung des Kommissionärs den Einkaufspreis um 5 — 10°/o erhöht, 
aber eine langjährige Erfahrung hat gezeigt, dafs trotzdem dieser 
Modus der direkten Verbindung mit dem Fabrikanten vorzuziehen 
ist. Da es sich gewöhnlich um Kommissionshäuser ersten Ranges 
handelt, welche in grofsen Mengen einkaufen, so wiegen die ihnen vom 
Fabrikanten eingeräumten Begünstigungen die durch jene Vergütung 
verursachte Erhöhung des Einkaufspreises bei weitem auf. Der Ver- 
mittler hat überdies noch den Vorteil, dafs er mit den Formalitäten 
der Verfrachtungen für Mexico vollständig vertraut ist. Ferner sind 
die Häuser in Mexico weit davon entfernt, in einer einzigen Spezialität 
zu arbeiten , weshalb sie sich auch in ausgedehnte Bazare um- 
gestalteten, in welchen man alle diejenigen Warensorten trifft, welche 
in eine der grofsen Kategorien der ausländischen Waren fallen. 

Die Ausfuhr Mexicos hatte im Fiskaljahr 1884 einen Wert von 
39,7 Mill. $ (davon für Edelmetalle 28,45 Mill., andre Produkte 

*) Deutsches Handelsarchiv. 1886. I. 


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11,26 Mill. $). Das Jahr 1885 zeigt aber eine bedeutende Erhöhung, 
denn die Ausfuhr wertete 46,67 Mill. $, wovon 33,77 Mill. auf Edel- 
metalle, 12,89 Mill. * auf andre Produkte fallen. Nur im Zueker- 
export herrscht eine grofse Flauheit, er wurde bisher durch die 
enorme Höhe der Transportkosten sehr erschwert, auch haben die 
Produzenten auf früheren Aussendungen Verluste erlitten. Die 
Erzeugnisse der Küstenstaaten wurden hier bevorzugt, da die Haupt- 
masse in den Seehäfen verschilft wurde. Trotzdem wird aber auch 
noch Zucker eingeführt, und an einzelnen Punkten im Innern des 
Landes kostet der Zucker drei bis viermal mehr als in den Häfen 
der Vereinigten Staaten. Ausgeführt wird meist brauner, eingeführt 
raffinierter Zucker. Die Ausfuhr betrug im Fiskaljahr 1883/84 nur 
1,95 Mill. kg im Wert von 177 260 $, die Hälfte weniger als in den 
Jahren 1879 bis 1881. Die Überproduktion von Zucker und dessen 
Entwertung auf dem Weltmärkte machte sich hier wie in allen Zucker- 
rohr bauenden Ländern um so mehr geltend, als selbst der europäische 
Rübenzucker kaum die Produktionskosten deckte. 

Die Ausfuhr im Fiskaljahr 1884/85 stellt sich nach offiziellen 
Angaben 10 ) für die hauptsächlichsten Ausfuhrartikel wie folgt: Lebende 
Pferde im Werte von 204185 $, meist nach den Vereinigten Staaten; 
lebende Rinder für 264281 *, nur nach der Union; Kaffee für 
1,2 Mill. $, davon nach den Vereinigten Staaten für 934903 $; 
rohes Henequeu 3,9 Mill. $, davon für 3,6 Mill. nach den Vereinigten 
Staaten; rohes Ixtle 619376 $, davon die Hälfte nach der Union; 
feine Hölzer 995019 $, davon nach England für 690315 $; Farb- 
hölzer 617 942 $, davon nach England für 312877 $; Ziegenfelle 
779561 $, Rinderfelle 845 658 $, Wildfelle 109 786 $, Blei 329240 $, 
letztere vier Produkte fast nur nach den Vereinigten Staaten; ver- 
arbeiteter Tabak 226482 $, davon nach England für 182374$ ; Vanille 
471612 $, davon nach den Vereinigten Staaten für 385870 $. — 
Von Edelmetallen wurden u. a. ausgeführt: Silbererze 1332897 $, 
davon nach den Vereinigten Staaten für '548822 $, nach Deutschland 
für 473495 $; gemünztes mexicanisches Gold 391097 $, das meiste 
nach der Union; Gold in Barren 476470 $, davon nach Englaud für 
299452 $; gemünztes mexicanisches Silber 25394262 $, davon 
nach England für 12 Mill., nach den Vereinigten Staaten für 
11 Mill. $; gewalztes Silber (Blech) 5881178 $, davon nach den 
Vereinigten Staaten für 4,3 Mill. $. Vom oben genannten Gesamt- 
export (Edelmetalle und andre Produkte) im Betrage von 46,67 Mill. $ 


,0 ) Noticia de la exportacion de mercancias en el ano fiscal de 1884 & 1885 
formada bnjo la direecion ds Javier Stävoli. Mexico, 1886. 


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hatten Anteil die Vereinigten Staaten 25,85 Mill., England 15,36 Mill., 
Deutschland 1,42 Mill. und Spanien 1,24 Mill. 

Betrachtet man diese einzelneu Faktoren der wirtschaftlichen 
Entwickelung, so stellt sich daraus ein recht erfreuliches Bild zu- 
sammen, es kennzeichnet ein neues glücklicheres Zeitalter. Mit der Be- 
ständigkeit der staatlichen Regierung und Verwaltung, der Befestigung 
und Ausdehnung finanzieller Leistungsfähigkeit wird die Möglichkeit 
geschaffen, eine erhöhte Kultur zu fördern und den Nationalwohlstand 
zu heben. Die Eisenbahnen, welche das Land durchkreuzen, werden 
sich nicht nur segensreich für Handel und Verkehr erweisen, sie 
werden auch den inneren Frieden gebieten durch Stärkung der 
Zentralgewalt. Durch Vermehrung der Bodenerzeugnisse wird dem 
jetzt noch in grofser Dürftigkeit lebenden Arbeiter eine bessere Zu- 
kunft erblühen, uud das von der Natur so bevorzugte Land wird 
einst das doppelte oder dreifache der Bevölkerung zu ernähren ver- 
mögen, als es jetzt in seinen Grenzen beherbergt. 


Ein Besuch auf Diego Garcia im Indischen Ozean. 

Von Dr. 0. Finsch, Bremen. 

Mit einer Orieiitierungskartenskizze im Text. 


Der Chagosarchipel. Geographische Lage. Diego Garcia. Kohlendepot. Kokoa- 
nufsül. Ostinsel. Provisorische Niederlassung. Kolossale Briitephitze von See> 
schwalben. Armut der Tierwelt. Krabben. Sonderbare Kokospalmen Mittelinsel. 
Farbige Arbeiter. Krankheiten und Klima. Iiauptinsel. Vegetation. Zeichen von 
Hebung des Atoll. Bimstein. 


Unter den wenigen Atollen oder Lagunen-Inseln des Indischen 
Ozeans nimmt der Tschagosarchipel eine hervorragende Stelle ein. 
Er ist, mit Einschlufs der unter den Meeresspiegel herabgesunkenen 
Bänke, darunter die grofse Tschagosbank, 170 Meilen*) lang und 80 
Meilen breit. Südlich von den Malediven und Lakkadiven und fast 
unter den gleichen Längegraden (71 bis 73 östl. L.) erscheinen 
die Tschagos als eine südliche Fortsetzung der ersteren beiden Ar- 
chipele, die in ihrer Gesamtheit sich von Nord nach Süd über 
1500 .sm ausdehnen. Der Tschagosarchipel besteht aus vier 
kleinen Atollen, unter denen Diego Garcia das südlichste und 
die Hauptinsel ist. Die Lagune hat eine Länge von 13 und eine 
Breite von 5 Meilen und besitzt nur an der Nordseite Verbindungen 

*) Alle Entfernungen in diesem Aufsatze sind nach Seemeilen, 4 = 1 
r. Meile, gerechnet. 


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Bl 


mit dem Ozean, Passagen, die durch drei kleine Inseln: West-, 
Mittel- und Ostinsel gebildet werden. Die beste Passage, für 
Schiffe jeder Gröfse zugänglich und vollkommen sicher, ist die 
zwischen der West- und Mittelinsel. Die Ostpassage, zwischen 
Ostinsel und Barton Point der Hauptinsel, ist nur für kleinere Schiffe 
mit geringem Tiefgang zu benutzen, aber nicht frei von Riffflecken, 
über die es ziemlich brandet. Die Mittelinsel, unter 7° 13,30 
südl. Br. und 72° 22,56 östl. L., ist 2085 Meilen von Aden, 2873 
Meilen von Kap Leeuwin, 1167 Meilen von Mauritius und 2136 
Meilen von Calcutta entfernt. Diego Garcia hegt also fast direkt 
auf dem Wege von Afrika (Rotes Meer) nach Australien. England 
hat sich daher diesen wichtigen Platz des Indischen Ozeans bereits 
längst gesichert und Diego Garcia mit den Seychellen und Rodriguez 
als Dependenzen der Kolonie Mauritius unterstellt. Wegen der 
grofseu Bedeutung für die australischen Dampferlinien hatte die „Orient 
Company“ bereits im Jahre 1884 mit grofsen Kosten hier eine 
Station und Einrichtungen zum Einnehmen von Kohlen errichtet. 
Seither mögen andre Dampfergesellschaften nachgefolgt sein. So 
hielt die Hamburger „Slomanlinie“ 1884 hier ebenfalls ein Kohlen- 
depot. Jedenfalls hat sich die Orientlinie die besten Lokalitäten 
auf der Ost- und Mittelinsel gesichert. Aber nicht alle australischen 
Dampfer dieser Kompanie laufen die Insel an, sondern dies ge- 
schieht nur auf der Hinreise nach Australien und dann nicht regel- 
mäfsig. 

Da ich genug von den Atollen der Südsee kannte, im Indischen 
Ozean bisher aber nur die Malediven beim Vorüberdampfen gesehen 
hatte, so war es mir sehr lieb zu hören, dafs der D. „Chimborazo“ 
(3850 t, 550 Pferdekr.) der Orientkompanie, auf dem ich mich 
als Passagier befand, Diego Garcia anlaufen würde. 

Wir hatten am 27. Juni (1884) Suez verlassen, am 6. Juli 
den Äquator passiert und waren am Nachmittag des 8. der Insel 
schon so nahe, dafs die Geschwindigkeit des Dampfers auf 4 Knoten 
herabgesetzt werden mufste, da wir vor Sonnenuntergang (6 Uhr) 
doch nicht mehr einlaufen konnten. So bekamen wir Diego Garcia 
erst in der Frühe des andern Tages in Sicht, ein Bild, das sich 
in keiner Weise von Atollen der Südsee unterschied. Anfangs nie- 
drigen Hecken ähnelnd, entwickeln sich allmählich aus den Wipfeln 
der Bäume diese selbst und endlich sieht man auch den weifsen 
Sandrand, welcher den Strand bildet. Ganz wie in der Südsee! 
Aber die Vegetation ist dichter und ich vermisse die das übrige 
Baum werk überragenden Kokospalmen mit ihren langweiligen Wipfel- 
wedeln. Mit dem Glase kann man übrigens hie und da gröfsere 


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Bestände Kokospalmen, kleine Haine, erblicken, aber alle von ge- 
ringer Höhe. 

Wir liefen gegen 7 Uhr früh in die Passage zwischen der 
West- und Mittelinsel ein; auch sie ist ganz anders als ich sie in 
der Südsee sah, oder vielmehr sie ist viel besser als dort: eine 
Meile breit und fast ohne Brandung! An Steuerbord hatten wir 
die kleine Westinsel, Backbord Mittel- und Ostinsel, in deren Baum- 



dickicht Dächer von Häusern sichtbar waren ; östlich von der letztem 
Insel Brandung! Zur gröfseren Sicherheit für einführende Schiffe 
ist innerhalb der Passage eine Boje gelegt, bis jetzt das einzige 
Seezeichen, aber auf Eklipse- und Horsburgh-Point sollen Leuchtfeuer 
errichtet werden. Das Atoll ist übrigens durch englische Kriegs- 
schiffe, zuletzt durch Staffkonimander H. Y. Slader 1882 trefflich 
aufgenommen und ausgelotet. 


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Gegenüber der Boje nahe der Ostseite der Hauptinsel lagen 
zwei Hulks, die Kohlenmagazine der Orientkompanie, an denen 
der „Chimborazo“ vor Anker ging. Der Dampfer hatte an 100 t 
Ladung zu löschen, meist Bretter und Holz zum Bau von Hftusern 
und nahm dafür Kohlen über, ein Quantum, das für den „Chimborazo“ 
kaum 2 Tage ausreichte. Die Kohlen werden, wie ich beiläufig be- 
merken will, mittelst Segelschiffen von England angebracht. 

Von unserrn Ankerplatz konnte man die Lagune von Nord 
nach Süd gut übersehen. Sie zeichnet sich schon dadurch aus, dafs 
sie, mit Ausnahme des Nordens, von einem ununterbrochenen Streifen 
Land rings umschlossen wird, dicht mit Vegetation bedeckt, unter 
der im Süden ein mächtiger Baum den übrigen Baumgürtel gleich 
einem Hügel überragt. Die Atolle der Südsee sind selten so dicht 
geschlossen, sondern besitzen meist eine Menge Öffnungen nach dem 
Meere, wenn dieselben auch nur selten für Schiffe, zuweilen selbst 
nicht für Böte passierbar sind. Das Wasser der Lagune war wenig heller 
blau als das des Meeres; hie und da zeigten sich hellgrüne Streifeu, 
Untiefen, an denen der südliche Teil der Lagune reich sein soll. 

Aber wo blieb das rege Leben, welches sich bei Ankunft eines 
Schiffes in der Südsee entwickelt? Schon beim Grauen des Morgens 
waren zum Zeichen unsrer Ankunft Raketen abgeschossen worden, 
aber kein Boot, kein Kanu liefs sich blicken, die in der Südsee 
den Schiffen schon weit entgegenzukommen pflegen, um Kokosnüsse 
anzubieten und — zu betteln. Hier war alles still, tot! Erst als 
wir am Hulk festgelegt hatten, kam der Agent der Orientkompanie 
von Ost-Insel herüber, und später zwei Böte mit Farbigen, welche 
löschen und laden halfen. 

Diego Garcia, ursprünglich unbewohnt, ist zur Ausbeute der 
Kokosnüsse an drei Gesellschaften (Estates) verpachtet, die in Mau- 
ritius ihren Sitz haben *). Im Dienste dieser Gesellschaften stehen 
ungefähr 400 farbige Arbeiter, meist Neger von Mauritius. Die 
Leitung der Stationen ist in den Händen weniger Weifsen, meist 
Franzosen, aber, wie kaum anders zu erwarten, Deutschland ist eben- 
falls vertreten, denn auf welchem Fleckchen Erde findet man wohl 
keinen Deutschen? Herr Lundt besitzt eine Koprastation und ver- 
waltete damals das Kohlenlager der Slomandampferliuie. Auf Diego 
Garcia wird nicht, wie in der Südsee, Kopra, d. h. der getrocknete 
Kern der Kokosnufs ausgeführt, sondern gleich Kokosnufsöl bereitet, 
wie dies früher in der Siidsee der Fall war. Die Insel produziert 

*) Ober die Kulturen und Erträge der Tschagos-lnseln teilten wir in 
Band V. S. 173 u. ff. dieser Zeitschrift aus amtlichen Berichten einiges Nähere 
mit. • D. Red. 

(leegr. Witter. Bremen, 18#7. 3 


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jährlich an 150 (XX) Gallons Kokosnufsöl, das, gleichwie auf den 
Seychellen und Mauritius, in eisernen Cvlindern in kleinen Schiffen 
zunächst nach Mauritius und von dort meist mit Dampfer nach 
Marseille verladen wird. Man läfst die Nufs völlig reif werden, 
weil sie dann am ölreichsten ist und von den Bäumen von selbst 
abfällt, wodurch das Abpflücken erspart wird. Aus dem geschnittenen 
Kerne der Nufs wird mittelst einfach konstruierter hölzerner Mühlen, 
ähnlich Kaffeemühlen im grofsen, das Öl ausgeprefst. Zum Betriebe 
der Mühlen verwendet man Esel. Das ausgeprefste Öl läuft durch 
Röhren in unterirdische Behälter, von denen es ausgepumpt und 
geklärt wird. 

Da keine Böte vorhanden waren, um den Passagieren einen 
Besuch der Insel zu gestatten, folgte ich mit Vergnügen der freund- 
lichen Einladung von Kapt. Ruthven, ihn in der Dampfbarkasse zu 
begleiten. Der Kapitän wollte zunächst die Boje aufsuchen, allein 
infolge von Strömungen und konträren Winden waren die Wellen 
so unregelmäfsig und häfslich, dafs dieser Plan aufgegeben werden 
raufste. Die Barkasse nahm ohnehin schon soviel See über, dafs 
die Fahrt nichts weniger als angenehm war, aber ich kanute das 
aus der Südsee. Wir wandten uns zunächst nach der Ostinsel, 
aber die Landung hier liefs sich, der Brandung wegen, mit der 
Barkasse nicht bewerkstelligen. Sie wurde im Schutz eines grofsen 
eisernen Lichterschiffes, ebenfalls ein Kohlenmagazin der Orient- 
kompanie, festgelegt und wir selbst gingen in einem kleinen Boote 
des Agenten an Land, was durch einen Wellenbrecher aus Korall- 
steinen erleichtert wurde. 

Niedliche Negerkinder begrüfsten uns und nur wenige Schritte 
vom Ufer befanden wir uns bald auf der Station des Agenten, Herrn 
Spourge, eines Franzosen, der schon seit 16 Jahren auf dieser ein- 
samen Insel wohnt. Aber wie ganz anders sah es hier aus! Die 
von Ferne so freundlich winkenden Dächer entpuppten sich als 
Fetzen Segeltuch, denn in der That bestand die ganze Niederlassung 
nur aus etlichen Hütten und Zelten aus Segeltuch. Das Haupthaus 
des Agenten glich einer Marktbude aus Kanvafs, war aber gedielt 
und enthielt zwei stattliche Betten mit sauber weifsem Linnen. Das 
Vorratshaus war mit allerlei Konserven, von Salzfleisch bis franzö- 
sischen Gemüsen und den verschiedenartigsten Materialien gefüllt. 
Feldschmiede, Backofen, Drehbänke und Zimmerwerkstatt standen 
im Freien. Als Efssalon diente ein gedieltes, an zwei Seiten offenes 
Zelt; die Arbeiter hatte man in kleineren, sehr primitiven Zelteu 
untergebracht. Zur Beobachtung der Schiffe hatte der Agent einen 
hohen Mastbaum errichtet, mit einem Ausguck, zu dem eine Leiter 


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führte, von dem aus die ganze Lagune übersehen werden konnte. 
Wie ich bald erfuhr, war diese ganze Niederlassung nur eine pro- 
visorische, die in ihrer Unordnung interessante Robinsonade 
wird inzwischen hübschen Holzhäusern Platz gemacht und jedenfalls 
ein ganz andres Aussehen gewonnen haben. 

W T ir hatten es uns in der Kühle unter dicht belaubten hübschen 
Bäumen bequem gemacht, auf denen die silberweifse Meerschwalbe 
(Gygis alba), diese Gemme der ozeanischen Vogelwelt, unbekümmert 
um das Treiben der Menschen, zutraulich brütete. 

Eine stattliche, üppige Negerin, sehr sauber gekleidet, kredenzte, 
wie üblich, zunächst Kokosmilch, der später Champagner folgte. 

Von Haustieren wurden Hühner, Perlhühner und Enten, sowie 
ein andres sehr sonderbares Tier, die mächtige Landschildkröte von 
Madagaskar (Testudo radiata) gehalten; in beschränkter Zahl auch 
Schweine. 

Mehr als durch die Landschildkröten sollten wir bald von der 
eingeborenen Tierwelt überrascht werden. Wir machten einen 
Spaziergang auf der Insel, der uns nicht weit von der Niederlassung 
auf einen offenen, spärlich mit Büschelgras bestandenen Platz führte, 
und hier bot sich ein wunderbares Schauspiel! Der ganze grofse 
Platz erschien mit Vögeln, Seeschwalbeu, dicht bedeckt, die sich bei 
unsrer Annäherung, unter ohrenbetäubendem Geschrei, mächtigen 
Wolken gleich, erhoben, zu „Millionen“ ! wie meine Begleiter meinten. 
Ich erinnere mich, ähnliche Unmassen von Vögelu nur an den berühmten 
Vogelbergen unweit Nordkap gesehen zu haben, aber hier wie dort 
blieb jede Schätzung unmöglich; wenn auch nicht um Millionen, so 
handelte es sich jedenfalls um Tausende und Abertausende ! ! Wie 
an den Vogelbergen Norwegens die dreizehige Möve die Haupt- 
masse der Brüter bildet, so war es hier die dunkle Seeschwalbe, 
„sooty Tern“ der Engländer (Sterna fuliginosa), eine weit über die 
Tropen verbreitete Art, die sich sogar einmal bis Deutschland ver- 
flogen haben soll und in der Liste unsrer Vögel mit aufgeführt 
wird. Diese dunkle Seeschwalbe ist ein sehr hübscher Vogel, oben 
schwarz, unten weifs, die äufsersten Schwanzfedern ebenfalls weifs, 
mit schwarzem Schnabel und Füfsen, von der Gröfse gewöhnlicher 
Seeschwalben, die in der Anschauung des Laien meist als „Möven" 
bezeichnet werden. Nächst den Lakkadiven dürfte Diego Garcia wohl 
der Hauptbrüteplatz dieser Art im Indischen Ozean sein ; im At- 
lantischen ist die Insel Asceusion bekannt dafür. Je näher wir dem 
Brüteplatze kamen, um so gröfser wurde das Geschrei der Vögel, 
die in wildem Durcheinander so niedrig über unsren Köpfen 
schwirrten, dafs man mit einem Stocke welche hätte erschlagen 

3 * 


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können. In der That brachten Steinwitrfe mehrere Exemplare 
herab. Fast ebenso zahlreich als die Vögel waren die Eier! Sie 
lagen ohne jedes Nest und Unterlage auf dem blofsen Erdboden, 
zuweilen in sanften Vertiefungen und so dicht beieinander, dafs man 
oft den Fufs nicht vorwärts setzen konnte, ohne einige zu zertreten. 
Das Gelege bestand ausnahmslos nur in einem Ei, wie dies bei den 
ozeanischen Seeschwalben meist der Fall ist. Für einen Eiersammler 
wäre dieser Platz ein Eldorado gewesen, denn die Verschiedenheit 
in der Färbung der Eier konnte selbst den Laien zum sammeln 
reizen. Ich begnügte mich mit einer schönen Serie, die in der 
Fleckung, Marmorierung und Verschiedenheit der Farbentöne eine 
Variation zeigte, wie ich sie bisher kaum sah. Einzelne Eier ähnelten 
in der dichten rotbraunen Fleckung an Turmfalkeneier, andre 
waren auf roströtlichem Grunde dicht gefleckt, gesprenkelt; einzelne 
zeigten nur einzelne Flecke oder Punkte. Und doch stammten alle 
diese Farbenvarietäten nur von der einen genannten Vogelart her, 
denn aufser ihr war nur noch eine andre auf dem Brüteplatz ver- 
treten und zwar die schwarze Meerschwalbe, der Noddy der 
Engländer (Anous stolidus). Es ist dies ein etwas gröfserer, einfarbig 
tiefbrauuer Vogel, mit lichtem Oberkopfe, den ich allenthalben iu 
der Südsee angetroffen hatte. Er gehört zu den wenigen Erschei- 
nungen der Vogelwelt, welchen man Hunderte vou Meilen auf offener 
See begegnet und die es lieben auf der Rahe eines Schiffes zu über- 
nachten. Aber in der Südsee fand ich diese Art stets auf Bäumen 
in einem roh zusammengetragenen Neste brütend. Es war mir 
daher auffallend, sie hier als Erdbrüter anzutreffen, umsomehr, da es 
in der Nähe an Bäumen durchaus nicht mangelte. Wie erwähnt 
bestand das Gros der Vögel aus der dunklen Seeschwalbe; auf 
hundert der ersteren kamen kaum zehn Noddies. Die Vögel waren 
übrigens wenig scheu und liefsen sich auf dem Neste bis auf wenige 
Schritte nahe kommen, ehe sie aufflogen, kehrten auch bald wieder 
zum Nest zurück, sobald man sich etwas entfernt hatte. 

Wie ich vom Agenten hörte, erscheinen die Vögel im Juni an 
diesem Brüteplatze, übrigens dem einzigen auf Diego Garcia, und 
bleiben hier bis die Jungen ausgebrütet und flugfähig sind. Gegen 
November sind alle Vögel vou der Insel verschwunden, gehen in 
See und lassen sich nicht mehr an Land sehen. Es scheint auf 
Diego Garcia also eine gewisse Brütezeit zu herrschen, was mich 
nach meinen Südseeerfahrungen ebenfalls überraschte, wo diese 
Vogelarten das ganze Jahr über nisten, so dafs man in einer Brüte- 
kolonie frisch gelegte Eier und fast flügge Junge zugleich findet. 

Aufser den Ansiedlern und deren Katzen haben die Vögel keine 


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Feinde, da es merkwürdigerweise auf Diego Garcia nicht einmal 
Ratten giebt, die in der Südsee fast überall Vorkommen und auf 
manchen Inseln zur wahren Plage werden. Und zwar sind es beide 
unsrer europäischen Arten, die schwarze (Mus rattus) und die 
Wanderratte (Mus decumanus), die durch den Schiffsverkehr eine 
so weite Verbreitung fanden. 

Wie sich von einer Koralleninsel fast voraussehen läfst, ist die 
Thierwelt eine sehr arme. Säugetiere fehlen auf Diego Garcia ganz 
und Vögel sind ebenfalls, einige zufällige Waudergäste abgerechnet, 
nur in wenigen Arten vertreten. Ich beobachtete aufser den ange- 
führten drei Arten aus dem Geschlecht der Seeschwalben, nur noch den 
Fregattvogel (Tachypetes aquila), der zuweilen zu Hunderten Vor- 
kommen soll, aber nicht brütet, den braunen Tölpel (Sula fusca), eine 
Art Brachvogel (Numenius), uud im Gelaube der Zweige einen kleinen 
bräunlichen Vogel. Schon freute ich mich, auch nach den Stimmlauten 
zu urteilen, einen neuen Brillenvogel (Zosterops) entdeckt zu haben, 
aber ich sah meinen Irrtum bald ein, es war ein Webervögel (Foudia 
madagascariensis) in dem unscheinbaren Winterkleide. Diese Art, 
bei den Ansiedlern wegen seiner prachtvollen roteu Färbung des 
Männchens im Prachtkleide „Kardinal“ genannt, wurde von Mauritius 
eingeführt; von dorther auch eine Taubenart, die mir aber nicht 
zu Gesicht kam. Befremdend war mir das Fehlen des Tropikvogels 
(Phaeton), sowie des schieferfarbenen Reihers (Ardea sacra), der auf 
jeder Koralleninsel der Südsee zu den gewöhnlichen Erscheinungen 
gehört. 

Dasselbe gilt für jene Gebiete in Bezug auf Eidechsen, von denen 
zwei bis drei sehr zierliche und hübsch gefärbte Arten sich allent- 
halben, namentlich au den Stämmen der Kokospalmen zeigten und 
kaum dem Beobachter entgehen können. Hier bemerkte ich keine 
einzige Eidechse, doch sollen welche Vorkommen. 

Wie mit den Eidechsen verhielt es sich hinsichtlich der 
Schmetterlinge. Wahrend auf den Südseeinseln wenigstens eine Art 
Tagfalter (Vanessa äuge) überall und in sehr verschiedenen Va- 
rietäten vorkommt, fehlte es auf Diego Garcia an solchen durchaus 
und zwei bis drei Arten unscheinbarer Motten war alles, was mir 
vorkam. Auch von Libellen, die in der Südsee so häufig sind, 
bemerkte ich keine. 

Um so reicher fanden sich Landkrabben, deren Löcher überall 
zu sehen waren, wie die Tiere selbst. Am häufigsten zeigten sich 
jene sonderbaren Krabben, die ihren weichen Hinterleib in ein totes 
Muschelgehäuse gesteckt, mit diesem umherlaufen und deshalb Ein- 
siedlerkrebse heifsen. Sie beleben sowohl den Strand als das Inner' 


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und klettern in grofser Anzahl in dem Blattwerk des Gesträuches 
umher. Durch den Tritt des Menschen erschreckt, fallen sie dann 
dutzendweise von den Zweigen und stellen sich tot, indem sie mit 
der einen kolossal grofsen Scheere die Öffnung ihrer Wohnung ver- 
schliefsen. Auch die Kokosnufskrabbe (Birgus latro), ein gewaltiges 
Tier, welches die Palmen erklettert und mit ihren kräftigen Scheeren 
die Kokosnüsse abnagt, soll auf Diego Garcia Vorkommen. 

Es wird ihr hier leicht gemacht! Sie hat keine 40 bis 60 
Fufs hohen Stämme zu erklimmen, denn schon in 10 bis 15 Fufs 
Höhe erreicht sie die reifen Nüsse und damit ihre Beute. In der 
That, ich hatte bisher weder in der Südsee, noch auf Java und Ceylon 
Kokospalmen wie diese auf Diego Garcia gesehen und ich glaubte, 
eine ganz neue Art vor mir zu haben. Am auffallendsten war die 
geringe Höhe bei völliger Fruchtreife. Bäume, deren Blattspitzen 
fast noch die Erde berührend, ein hübsches Schattendach bildeten, 
hingen bereits voll, zwar sehr kleiner, aber reifer Nüsse. Wie 
ich durch den Agenten erfuhr, sind alle diese niedrigen Kokospalmen 
angepflanzte und somit alle Haine Bestände künstlicher Kulturen. 
Die wenigen ursprünglichen Kokospalmen, welche ich später auf 
der Hauptinsel sah, haben einen schlankeren Stamm, aber ich be- 
merkte keinen von solcher Höhe als in der Südsee. Die Kokos- 
palme scheint auf Diego Garcia, wo sie übrigens nur an gewissen 
Lokalitäten, z. B. an der Südseite gar nicht, gedeiht, sehr langsam 
zu wachsen. Bäume, welche mir der Agent als zehn Jahre alt be- 
zeichnete, hatten kaum Stamm angesetzt. 

Nicht ohne Schwierigkeiten gingen wir wieder an Bord der 
Barkasse und wandten uns der Mittelinsel zu, auf welcher eine 
vorspringende Ecke des Rifl’s im Südwesten der Insel vollständig 
Schutz zum landen bietet. Diese Insel ist etwas kleiner als die 
Ostinsel und besitzt eine kleine Lagune oder Teich mit brackischem 
Wasser. Für den Wasservorrat mufs daher, wie fast auf allen 
Stationen der Südsee, der Himmel mit Regen sorgen und die grofsen 
viereckigen eisernen Kasten (Tanks) gehören auch auf Diego Garcia 
zu dem unvermeidlichen Bilde einer Niederlassung. Die letztere 
war wie auf der Ostinsel erst in der Gründungsperiode, aber bei 
weitem gröfser. Drei Reihen Häuser, je zu 10 Wohnungen, not- 
dürftig aus Brettern zusammengeschlagen und meist nur mit Segel- 
tuch überzogen, dienten den Arbeitern zur Wohnung. Aber ein 
Bretterhaus war bereits fix und fertig und zeigte, wie nett diese 
Station der Orientkorapanie zu werden verspricht. Auch baute 
man an einem stattlichen massiven Hause aus Korallfels, das als 


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Magazin dienen soll. Der Kalk wurde, wie üblich, aus Korallen 
gebrannt. 

Da die meisten Männer auf dem Hulk beschäftigt waren, so 
fanden wir meist nur Frauen und Kinder vor, alle Farbige, meist 
Neger und Mulatten von Mauritius. Ich fand keinen Unterschied 
mit Südseeschwarzen und glaubte einige Physiognomien schon in 
Neubritannien oder Neuguinea gesehen zu haben. Aber gewisse 
Frauengestalten mit schlichtem Haar unterschieden sich von den 
Kraushaarigen sehr auffällig, und ich freute mich sie als Be- 
wohnerinnen Ceylons, die ich hier gar nicht envartet hatte, richtig 
gedeutet zu haben: es waren Tamilfrauen! Obwohl ärmlich, waren 
alle diese Frauen, von denen die meisten französisch sprachen, doch 
sehr reinlich gekleidet, dabei sehr bescheiden und höflich, die Kinder 
artig und zutraulich. Wie freute ich mich, wieder einmal die süfsen 
braunen Geschöpfe mit ihren schönen dunklen Augen um mich zu 
haben, die alle freundlich die Händchen entgegenstreckten, ein 
Knixchen machten und „bon jour Monsieur“ zum Grufse sagten. 

Diese Schwarzen sind übrigens alle Christen und Bekenner der ka- 
tholischen Religion. — In den Wohnungen sah es ziemlich reinlich 
aus und zu meiner Verwunderung rauchten die Leutchen nicht ein- 
mal. Sie werden mit Mais und Salzfleisch ernährt und erhalten 
nicht einmal Brot oder Mehl. Die Klage über das Klima, nament- 
lich den häufigen Regen, war allgemein und wie wir beim Besuche 
des Hospitals, eines ganz hübschen und zweckentsprechenden Holz- 
hauses, fanden, berechtigt. Ein Franzose, der diese Anstalt, obwohl 
Nichtarzt, leitete, sagte mir, dafs Rheumatismus, infolge des vielen 
Regens, das Hauptleiden sei. Nach seiner Beschreibung fängt das 
Übel in den Beinen an, geht dann rasch in die Wirbelsäule über 
und hat den Tod zur Folge. Ich zweifle nicht, dafs wir es hier 
mit dem auf den Sunda-Inseln so häufigen Berriberri zu thun haben, 
das mir von Java zur Genüge bekannt war. Fieber, nach welcher 
Krankheit ich besonders Erkundigungen einzog, fehlt auf Diego 
Garcia, da das Klima überhaupt als gesund gilt, wie dies meist auf 
allen Koralleninseln der Fall ist. Aber durch gewisse zufällige 
Einflüsse kann sich dies zuweilen anders verhalten. So hatte Ka- 
pitänleutnant Graf Baudissin über das Klima ungünstig zu berichten. 

Der genannte Herr hatte kaum vierzehn Tage vor mir Diego Garcia 
besucht und zwar an Bord eines Hamburger Slomandampfers, welcher 
die Ablösungsmannschaften für das Kanonenboot „Hyäne“ nach 
Sydney führte. Von mehr als hundert Personen, die, wenn auch 
nur wenige Stunden, an Land gewesen waren, erkrankten innerhalb 
acht Tagen 22 an einem sehr heftigen, von Brechen begleiteten Fiebe 

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von denen viele, darunter auch der Arzt, bei der Ankunft in Sydney 
noch zu leiden hatten. Graf Baudissin schreibt diese Zufälle dem 
Genüsse des Wassers zu, aber es erkrankten nicht alle, die von 
demselben getrunken hatten. Von unsrer Reisegesellschaft hatte 
keiner nach dem Besuche an Land üble Folgen zu verspüren 
und ich erwähne den Fall hauptsächlich, um zu zeigen, wie ver- 
schieden das Klima einer Tropeninsel, je nach dem zeitweiligen 
ersten Eindrücke, beurteilt werden kann. 

Die Temperatur auf Diego Garcia ist übrigens für die Tropen 
sehr gemäfsigt und bewegt sich meist zwischen 77 und 85° F. 
Die beständige Seebrise trägt zu diesen günstigen Verhältnissen 
wesentlich bei. Die Insel liegt in der Region der Nordwest- und 
Mittelmonsune; vom April bis September herrscht Südost-, von 
Oktober bis März Nordwestmonsun. 

Da sich die See inzwischen gelegt hatte, so war die Fahrt 
nach der Hauptinsel eine ruhige und angenehme. Wir gingen dabei 
in wenigen Faden Tiefe über das Riff und erfreuten uns an dem schön 
zartblauen Wasser, das in wundervoller Klarheit den Meeresgrund 
mit seinen Korallenbildungen deutlich erkennen liefs. Aber wie in 
der Südsee so war es auch hier, von jener wunderbaren Farben- 
pracht der Korallenbildungeu und andrer Meeresgewächse, wie sie 
so oft in überschwenglicher Weise geschildert werden, bemerkt man 
nichts. Grau in Grau, das ist die Hauptfärbung des Meeresgrundes. 
Aber die mannigfach verästelten Zweige der Korallen, oder die 
runden mosaikartigen Klumpen der Madreporen, zwischen denen 
kleine buntgefärbte Fischchen umherschwimmen, sind immerhin 
sehr interessant zu sehen. Im Hause des Agenten war eine reiche 
Sammlung gereinigter Korallen, wie sie stets bei den Bewohnern 
dieser Inseln zu finden sind. Ich bemerkte nichts auffallendes darunter ; 
nur eine Korallenart mit schön blauen und roten Pünktchen an den 
Spitzen schien mir neu. Aber bei näherer Besichtigung erwiesen 
sich diese bunten Pünktchen als gemalte! 

Wir machten einen Spaziergang quer über die Insel, deren 
Breite wohl nirgends mehr als eine halbe Seemeile beträgt, um an 
die Ostseite zu gelangen. Der Boden war überall reicher und mit 
einer dickeren Humusschicht bedeckt, als dies auf den Atollen der 
Südsee der Fall ist, infolgedessen auch die Vegetation üppiger und 
reicher. Aber die Bäume und Pflanzen waren dieselben. Wie iu 
der Südsee bildet ein verästelter Strauch mit harten, breiten, dunkel- 
grünen Blättern, das fast undurchdringliche, übermannshohe Dickicht 
der Aufsenkante. Der lindenblättrige, baumartige Hibiskus, mit der 
schön gelben Blume, war üppiger und höher, aber ich vermifste die 

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hohe Lilie mit der zart roten, augenehm duftenden Blüte, die auf 
den Marshalls fast die einzige Vertreterin der Blumen ist. Diese 
waren auch auf Diego Garcia sehr spärlich und aufser einer weifs- 
blühenden Winde, deren Ranken sich an der Erde hinzogen, bemerkte 
ich nur ein paar kleine, bescheidene Blümchen, die bei uns keine 
Beachtung verdienen würden, in der Flora dieser armen Tropen- 
inseln aber schon auffallen. Dies gilt auch für einen lebhaft korall- 
roteu Schwamm, der an feuchtem Holz wächst und hier nicht selten 
vorkam. Von Farrnkräutern bemerkte ich nur Asplenium nidus, 
jene langblättrige ungefiederte Art, die in der Südsee überall auf 
Bäumen wächst, sich hier aber nur an der Erde zeigte. — Der 
zuweilen waldartige Baumbestand schien vorzugsweis aus drei Arten 
Laubhölzern gebildet, von denen die eine an hundert Fufs Höhe 
erreichen soll, also ein sehr stattlicher Baum, der sehr schnell wächst, 
aber ebenso schnell wieder abstirbt. Sehr auffallend war mir das 
Fehlen von Pandanus, des Schraubenbaumes, der in der Südsee zu 
den charakteristischen Erscheinungen der Baumwelt gehört und 
wohl keinem Atolle fehlt. Der Graswuchs, obwohl spärlich, erschien 
doch viel üppiger als auf den Südseeatollen. 

Von Kulturgewächsen, um auch diese hier kurz zu erwähnen, 
werden auf Diego Garcia nur Kürbisse, Melonen, Tomaten und 
spanischer Pfeffer angebaut. Die Banane gedeiht nur auf gewissen 
Lokalitäten der Hauptinsel. Auf der Mittelinsel standen stattliche 
Mangobäume, aber sie trugen uugeniefsbare Früchte. 

Nicht ohne Mühe arbeiteten wir uns quer über die Insel, denn 
umgefallene Bäume, Äste und namentlich die toten Blätter der 
Kokospalme hinderten uns sehr am Fortkommen. Die letztere 
zeichnete sich auch auf der Hauptinsel durch die geringe Höhe, aber 
gewaltige Stammdicke und Kleinheit der Nüsse aus. Diese liegen 
zum Teil halbverfault, oder im Keimen begriffen, in grofser Menge 
unter den Bäumen umher. Hier und da stiefsen wir auf mächtige 
Haufen verfaulender Faserhüllen von Kokosnüssen und die Reste primi- 
tiver Hütten dabei zeigten, dafs hier Kopra gemacht worden war, da 
man nur die abgefalleneu Nüsse dazu verwendet. Der Boden schien 
allenthalben ziemlich gut zu sein, aber überall fand sich Trümmer- 
gestein von Korallen, darunter auch Stücke Korallfels mit Löchern 
der Bohrmuschel. Dies würde ein neuer Beweis für die allmähliche 
Erhebung mancher Koralleninseln sein, wie ich dieselbe bereits auf 
dem Riff von Nauinatal auf Ponape nachweisen konnte, eine Er- 
scheinung, die sehr mit Darwins Ansichten über die Bildung der 
Korallinseln im Widerspruche steht. 

An der Aufseukante der Ostseite betraten wir zunächst einen 


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breiten Gürtel festen weifsen Sandes, aber es fehlte jene Halde von 
Korall- und Muscheltrümmern, welche an den Atollen der Südsce die 
höchste Flutmerke so deutlich erkennen läfst. Weiterhin dehnte sich 
das eigentliche tiefbraune Riff aus, über welches die Brandung in 
mächtigen Wellenbergen donnernd brauste. 

Ich hatte schon am Strande der Lagune, welcher aus weichem 
weifsen Sande besteht, und kein Riff aus Korallfels wie die meisten 
Atolle der Südsee zu besitzen scheint, Bimstein bemerkt, aber hier 
an der Aufsenkante lag er in grofser Menge. Er stammte vom 
Ausbruch des Krakatoa und war im Oktober 1883 in ungeheuren 
Feldern angetrieben. Wenige Tage später passierten wir unter 
10° 56' s. Br. noch grofse Massen treibenden Bimsteins, der von 
jener Eruption herrührte. 

Der kurze tropische Sommertag neigte sich zu Ende und wir 
mufsten an Bord zurückkehren, dankbar für den Genufs einer Ab- 
wechselung, wie sie auf Ozeanreisen nur selten geboten wird. In 
der Frühe des andern Tages ging der „Chimborazo“ wieder in See, 
lagen doch noch an 4000 Meilen bis Melbourne vor uns, die wir in 
17 Tagen zurücklegten. 


Fontana’s Forschungsreise in Ost -Patagonien 1885. 

(Viage de exploracion en la Patagonia Austral por 
Luis Torge Fontana. Buenos-Aires, 1886.) 

Von A. Seelstrang. 

Der offizielle Bericht des Oberstleutnants Fontana über seine 
Forschungsreise nach den Quellen des Rio Chubut, deren glückliche 
Beendigung schon in Heft 2, Band IX, dieser Zeitschrift gemeldet 
wurde, liegt endlich vor, und liefert eine Fülle von schätzenswerten 
Angaben zur Kenntnis dieser noch so wenig betretenen Landstriche. 

Eingeschlossen in dem engen Thale des unteren Chubut, dessen 
wenig fruchtbarem Boden nur durch künstliche Bewässerung einiger- 
mafsen günstige Ernten abzuringen sind, hatte der junge Nachwuchs 
der dort bestehenden walliser Kolonie schon seit lange versucht, den 
Wüstengürtel zu durchbrechen, der sie .von den ersehnten Gefilden 
der andinischen Regionen trennte. Die Einbildungskraft der An- 
siedler war erregt durch die Berichte der sie jährlich besuchenden 
Tehuelchen und die abenteuerliche Reise des englischen Seeoffiziers 
Musters, dessen Buch sie mit Eifer studierten; zu verschiedenen 
Malen hatten sie Vorstöfse nach dem sagenhaften Westen unter- 
nommen, doch waren diese teils an den unzureichenden Mitteln der 


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Ausrüstung, teils auch am Widerstande der Indianer gescheitert, 
welche noch vor kurzem das ganze Personal einer solchen Expedition 
niedergemacht hatten. So diente denn die Ernennung des jungen, 
thatkräftigen Fontana zum Gouverneur des neu geschaffenen Terri- 
toriums des Chubut als frischer Antrieb für den Entdeckuugseifer 
der Walliser, welchen dessen frühere Reisen im Chaco nicht unbe- 
kannt geblieben waren. Schon nach wenigen Monaten baten sie 
denselben, an der Spitze einer auf eigne Kosten ausgerüsteten 
Schaar von Freiwilligen den Weg nach den lockenden Andes zu 
erforschen. 

Der einige 30 Mann starke Trupp brach am 14. Oktober 1882 
von Rawson, dem Hauptorte der Ansiedlung, auf und folgte zuerst 
so weit als möglich der nördlichen Seite des Flusses. Das ziemlich 
enge Thal desselben (1 km) bietet genügendes Gras und wird von 
häufigen Wasserrissen durchschnitten, welche von den steilen Ufer- 
höhen herunterkommen; auch enthalt es einige Wäldchen von 
Weiden. Dagegen wird die Hochfläche als fast wertlos geschildert. 

Den Zusammeuflufs des Rio Chico, wie Fontana den unteren 
Lauf des Senguel oder Senger nennt, mit dem Chubut konnte dieser 
jetzt nicht besuchen, da er etwa 35 km südlich von seinem Wege 
entfernt blieb; doch gelang es, diesen wichtigen Punkt von ver- 
schiedenen Stellen aus einzuschneideu. Dann ging es stetig den 
Strom aufwärts, an einer Reihe von hoch charakteristischen Hügeln 
und Querthälern vorüber, bis am 12. Reisetage der strategisch und 
geographisch bemerkenswerte Paso de los Indios erreicht wurde, 
wo der Flufs noch immer eine Breite von 50 m bei 1,jo m Tiefe be- 
sitzt. Von hier aus ändert sich die bis dahin ziemlich west-östliche 
Richtung des Chubut, welcher nun ganz entschieden von Nord- 
westen herabkommt. 

Bei weiterem Vordringen wurden schneebedeckte Berge am 
Südufer beobachtet, und endlich unter 42° 40' s. Br. und 71° 15' 
w. L. Gr. die erste Gabelung des Stromes augetroffen, welcher, 
selbst von Nordwesten herfliefsend, dort den 30 m breiten Charmate 
von Südwesten her aufnimmt. Leider konnte der Hauptarm nicht 
weiter verfolgt werden, da einesteils derselbe sich zu weit gegen 
Norden wandte, somit von der Hauptrichtung des Marsches abführte, 
und dann, weil die Walliser als Hauptunternehmer und Ausrüster 
der Expedition, den geographischen Neigungen Fontanas ihren be- 
greifbaren Wunsch entgegensetzten, endlich die verheifsenen Thäler 
der Andes zu schauen und das Gold mit den Händen zu greifen, 
welches die Bäche führen sollten. Bis hierher also hatte die Frucht- 
barkeit des Bodens die doch kaum verwöhnten Kolonnen nicht be- 


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sonders berührt, und der Schlufs ist wohl gerechtfertigt, dafs sie 
auf dem zurückgelegten Wege von 800 km zwar Gras genug für 
ihre Pferde, doch keinen zum Ackerbau günstigen Punkt gefunden 
hatten. 

So folgte man dann dem Charmate, und als dieser zu weit 
nach Süden abbog, verliess Fontana schon nach zwei Tageinärsclien 
auch dessen etwas fruchtbares Thal, um direkt westlich vorzudringen. 
Nach Überschreitung verschiedener Hügelrücken sah er endlich 
(22. November) zu seinen Füfseu reiche, blumengeschmückte Fluren 
sich ausdehnen, während jenseits die Cordillera majestätisch empor- 
stieg, den Fufs in dichte Wälder, das Haupt in ewigen Schnee 
gehüllt. Das Land der Verheifsung war erreicht; und unser 
Reisender kann nicht genug seine Schönheit und Fruchtbarkeit 
rühmen, deu Reichtum der Forsten an riesigen Tannen und Buchen, 
die Felder von Erdbeeren (Freciers Chilensis) und einer andern 
Frucht, die er Korinthen nennt, sowie die Menge des Wildes und 
verwilderten Rindviehes, welches jene gesegneten Flureu bevölkerte. 
Selbst fern von der Örtlichkeit und ohne deu Gegensatz eudloser 
Märsche durch öde Steppen läfst sich die Begeisterung Fontanas nach- 
fühlen beim Anblick der verschiedenen dem Buche beigefügten 
Photographien, welche uns einen hohen Grad landschaftlicher Schön- 
heit und sehr stattlichen Baumwuchs vorführen. 

Stets dem Laufe eines nach Westen eilenden Baches folgend 
durchkreuzte die Schar eine Reihe von prächtigen Querthälern, 
deren schönstes und letztes mit dem Namen 16 de Octubrd getauft 
wurde, zur Erinnerung an das Gesetz, welches die Nationalterritorien 
begrenzend auch das Gouvernement Chubut schuf. Dort ergofs sich 
der Bach in einen majestätischen Strom, der 150 m breit, mit nur 
geringer Schnelligkeit (2 englische Meileu) seinen Weg nach W. und 
SW. zwischen steilen Bergen und dichten Wäldern dahin zog. Nach 
der beobachteten Breite von 43 u 20' glaubte Fontana den Rio Cor- 
covado, welcher sich unter 43° 15' s. Br. in den gleichnamigen Golf 
der chilenischen Gewässer ergiefst, vor sich zu haben (ich sehe ab 
von der zweifelhaften Länge von 72° 42' Gr., die allerdings 
schon in den Meerbusen selbst fällt) und machten die gröfsten 
Anstrengungen, den schönen Flufs zu verfolgen; doch ohue Böte, 
um den anscheinend schiffbaren Strom zu befahren, mufste er bald 
sein Vorhaben aufgeben, da dichtverwachsener Wald das Vordringen 
zu Lande hinderte.*) Trotzdem scheint wenigstens festgestellt, dafs 


*) Offenbar ist hier der Pafs von Weekel und der Schauplatz der Jagd 
auf wildes Rindvieh, welche Musters in seinem Buche pag. 155—157 schildert. 


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wir hier eine jener Querspalten vor uns haben, welche den süd- 
amerikanischen Kontinent von Osten nach Westen durchsetzen, wie 
jene des Rio Santa Cruz und der Magelhaensstrafse : liegt doch die 
Gabel des Chubut und Chamiate nur 550 m, und das Thal des 
Corcovado 480 m über dem Meeresspiegel; uud da zwischen beiden 
nur unbedeutende Höhen überstiegen wurden, ist es klar, dafs auch 
in dieser Breite die Andes durchaus keinen zusammenhängenden, 
scharf ausgesprochenen Gebirgsrücken bilden. Ähnliches geschieht 
ja auch weiter südlich bei den zwei nach dem Stillen Ozean ent- 
wässernden Flüssen Avsen und Huemules. 

Verschiedene fernere Versuche, in nördlicher und südlicher 
Richtung den östlichen Abhang des Höhenzuges, welchen der Cor- 
covado durchbricht, zu erforschen, erwiesen sich wegen der Schroff- 
heit der Berge und des dichten Waldes als unmöglich ; aber dieselben 
bewiesen wenigstens, dafs ein weites Thal in nordsüdlicher Richtung 
die Vorkordilleren von der Hauptkette scheidet, welche letztere aller- 
dings vielfach durch Querriegel mit einander verbunden sind. Es 
ist dies dieselbe Bildung, die in den chilenischen Andes auftritt. 
In den steilen Uferwänden des Corcovado, welche die geologische 
Schichtung zu Tage treten liefsen, wurde Gneis, Hornblendeschiefer, 
Porphyr, Basalt und an einzelnen Punkten Trachyt gefunden, ein 
Gegensatz zur patagonischen Formation des Chubut. 

Am 9. Dezember befand sich die Expedition wieder im alten 
Lager au den Ufern des Channate und verfolgte denselben einige 
Tage direkt südlich, bis auch dieser Bach, unter 43° 30' Breite 
aus den westlichen Bergen hervorbrechend, seinen nahen Ursprung 
verriet. Er führte Gold in groben Körnern; doch sein Gelände 
war wenig anziehend, weil ohne Wald. 

Von dort aus lief der Weg, sich von den Quellen des wirklichen 
Chubut entfernend, stets südlich durch ein weites Thal, traf nach 
zwei Tagemärschen einen neuen in dieser Richtung strömenden Bach 
und an dessen Ufern ein Lager von wenigen Indianern, traurigen 
Überresten der einst so mächtigen Manzaneros. Wie aufgescheuchtes 
Wild flohen die meisten in die Gebüsche, und von den Gefangeuen 
wurde einer, seines Zeichens ein Silberschmied, als Führer mit- 
genommen. Er hat F. Moreno und selbst Musters gekannt, und 
sagte uns, dafs dasselbe Thal bis zum Santa Cruz führe und dafs 
letzterer auf diesem Wege den Senguel überschritten habe. Das 
Gelände breitete sich nun immer mehr aus, im Osten von einer 
rotbraunen, vulkanischen Hügelkette begrenzt, während westlich die 
Kordillere wohl 50 km entfernt blieb. Bald gesellte sich dem Bache 
ein mittlerer Flufs aus Nordwesten kommend zu (Rio Quinua, der 


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Genue Moyanos) und später ein zweiter (Rio Tegcr), den Fontana 
weiter aufwärts überschritt, um endlich den Senguel selbst von dem 
durch Musters bekannte Passe unter 45° 1' zu erreichen. Der 
Name Senguerr ist einfach die indische Bezeichnung für Flufs- 
übergang, doch dürfte derselbe für den ganzen südlichen Arm des 
Chubut zur Erinnerung an den kühnen Reisenden geltend bleiben. 

Der Flufs hatte etwa 100 m Breite und eine Schnelligkeit von 
5 Meilen, die stärkste, welche die Reisenden antrafen. Sein Thal 
war parkähnlich durch darüber zerstreute Baumgruppen, und 
dasselbe aufwärts zog nun der Trupp den offenbar nicht fernen 
Quellen zu. Die Versuche, den Ursprung der Goldkörner, welche 
der Strom führte, aufzufindeu, waren vergeblich, aber am Abend 
des zweiten Tages (28. Dezember) dehnte sich plötzlich vor den 
Augen Foutanas ein weitgestreckter See aus, eingebettet in die 
schneeigen Hänge der Andes, aus welchem der Senguel schäumend 
hervorbrach. Ersterer zerfällt in zwei verschiedene Flächen, deren 
östliche 41 km von 0. nach W. und 20 km von N. nach S. mifst, 
während die andre, mit der ersten durch einen kurzen nur 100 m 
breiten Arm verbunden, sich von neuem 29 — 30 km nach SW. hin- 
zieht. Eine hübsche Photographie giebt den Anblick des prächtigen 
Seebeckens höchst anschaulich wieder, obgleich die Phantasie des 
retouchierenden Künstlers aus irgend einem Fleck der Originalplatte 
ein elegantes dreieckiges Segel gemacht hat, das sich wunderbar 
genug auf diesem von zivilisierten Menschen nie geschauten Wasser- 
spiegel ausnimmt. 

Die Gefährten tauften den See mit dem Namen Fontanas. 
Dieser aber, nicht zufrieden, den Ursprung des Senguel gefunden zu 
habeu, ergeht sich nun in den kühnsten Spekulationen über die 
Wahrscheinlichkeit, dafs dasselbe Becken auch dem in den Stillen 
Ozean mündenden Rio Aysen zur Quelle diene; er glaubt nämlich, 
von einem Berge aus, den er nach seinem deutschen Begleiter 
Katterfeldt nannte, einen nach Westen strömenden Flufs, dem gleichen 
See entspringend, unterschieden zu haben. Abgesehen von dieser 
gewifs seltenen Erscheinung, deren Möglichkeit allerdings nicht zu 
leugnen ist, findet sich die Notiz, dafs den Indianern zufolge in 
diesen Breiten von demselben Punkte aus zwei Ströme dem At- 
lantischen und dem Stillen Ozean zueilten, weder in deu Berichten 
von Musters, noch in denen von Simpson (Anuario Hydrogr. de 
Chile 1875) wie der Autor irrtümlich annimrnt; noch hat jemals 
jener behauptet, den Senguel, welchen er nur kreuzte, erforscht und 
dieser ebenso wenig erklärt, die Quellen des Aysen erreicht zu 
haben; er kehrte vielmehr unter 71 0 Länge wieder um. Die beiden 



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verdienten Reisenden zugeschobene Unwahrheit beruht also nur auf 
Fiktion des Verfassers. Schliefslich stützt Fontana seine Hypothese 
auf die Voraussetzung, der See liege auf 45 0 25 ' s. Br., welche 
Simpson allerdings dem Aysen zuspricht, doch auf der folgenden 
Seite des Buches (Seite 106) finden wir das Lager an seinem Süd- 
ufer in 44° 57' berechnet, und auch der beigefügte Plan zeigt uns 
dieselbe Breite. Es liegt mithin augenscheinlich ein Irrtum des 
Autors vor, der seine Breitenbestimmungen erst nach Vollendung 
des Berichtes revidierte und wenn dann durchaus den Aussagen der 
Indianer Glauben geschenkt werden soll, scheint die Annahme ein- 
facher, dafs der Rio Mayo, von seinem Begleiter dieses namens 
etwas südlicher und nach Osten fliefsend entdeckt, nahe bei deu 
Quellen des Aysen entspringe. 

Wie dem auch sei, die Entdeckung des grofsen Alpensees, 
welcher als Sammelbecken für die Gewässer des Ser.guel dient, ist 
eine schöne Bereicherung unsrer geographischen Kenntnisse, und 
Herr Fontana hat wohl Ursache, stolz darauf zu sein, auch ohne 
seiner gewagten Theorie von dessen Ausflüssen nach zwei Welt- 
meeren Rechnung zu tragen. 

Leider fand die Expedition hier dieselben Hindernisse, welche ihr 
westliches Vordringeu den Corcovado hinab vereitelt hatten. Dicht 
verworrener Urwald und auch Mangel an Lebensmitteln zwangen 
zur Umkehr, und von jetzt ab ging der Marsch den Senguel strom- 
ab, in stets südöstlicher Richtung von dessen Zusammenflufs mit 
dem vereinigten Teger und Quinua aus. Das Thal wird nun weit 
und sumpfig, im Süden von öden Hügeln tertiärer Bildung ein- 
gefafst, während die linke Seite durch eiue Kette vulkanischer Berge 
begrenzt wird, welche sich nördlich bis zum eigentlichen Chubut zu 
erstrecken scheinen. Meilenweit zieht sich eine oft 10 m dicke 
Lavaschicht am Flusse entlang, und ist wohl jünger, als dieser 
selbst, da auf dem rechten Ufer keine Spur davon zu entdecken war. 
Weiter östlich schliefst dieselbe das Thal völlig ab, und, gezwungen 
die etwa 20 m hohe Uferbank zu ersteigen, erblickten die Reisenden 
die bis dahin so düsteren vulkanischen Berge in allen Farben des 
Regenbogens leuchtend, doch so grell und unharmonisch, dafs Fon- 
tana keine nähere Beschreibung davon zu geben wagt. Es erinnert 
dies an jene eigentümlichen Farbenzusammenstellungen gewisser Ge- 
birge im fernen Westen von Nordamerika, welche uns das pracht- 
volle Werk der „Landesvermessung jenseits des hundertsten Me- 
ridians“ in anschaulicher Weise vorführt. 

Auf dieser Strecke hatte die Expedition ein unerwartetes Zu- 
sammentreffen mit dem Besitzer einer Herde von 1 500 Stück Rind- 


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vieh, welche derselbe von der Kolonie Clmlnit aus den Senguel ent- 
lang führte mit Bestimmung nach dem Rio Santa Cruz. Ohne 
Führer und nur der Beschreibung Movanos folgend, welcher diesen 
Weg 1880 erforscht hatte, war der unerschrockene Juan Acosta auf- 
gebrochen, ein ansehnliches Vermögen (etwa 100000 A) aufs Spiel 
setzend, doch hatte er bis dahin noch keinen Verlust zu beklagen 
gehabt. Leider giebt Fontana keine Kunde Uber den Enderfolg des 
kühnen Unternehmens, das gerade für die Ansiedler des Chubut von 
bedeutender Wichtigkeit werden dürfte, da der Seetransport von 
Schlacht- und Zuchtvieh nach den Niederlassungen am Santa Cruz 
und den neu entdeckten Goldfeldern des Cabo de Virgines grofsen 
Schwierigkeiten unterworfen ist, welche durch den allerdings be- 
deutend längeren Landweg vermieden werden. 

Von dem scharfen Winkel ab, welchen der Flufs unter fast 
45° s. Br. macht, um von nun ab nordöstlich zu strömen, erweitert 
sich das Thal zu einer Ebene von einigen 40 km, welche sich, Über- 
schwemmungen ausgesetzt, bis zu den Seen Colhuß und Musters 
hinzieht. Diese interessante Gruppe, die zwar schon von Jones und 
Durnford, sow'ie später von Movano besucht wurde, beschreibt Fon- 
tana zum ersten Male eingehender. Der Seuguel tritt durch eiuen 
kleinen See von 10 km Durchmesser in den Colhuö, der sich bei 
einer Breite von etwa 35 km von Süden nach Norden ausdehnt, 
begleitet am westlichen und nördlichen Ufer von Hügeln tertiären 
Gesteines, aber nach Osten zu durch eine schroffe vulkanische Kette 
vom Lago Musters geschieden. Um die Sudspitze deivolben herum 
ergielst sich ein Ausflufs der oben genannten Lagune in diesen etwa 
20 m tiefer liegenden See, und letzterer giebt wiederum seine 
Gewässer an eine dritte bedeutend kleinere Lagune ab (L. Dillon), 
aus welcher endlich der Rio Chico, wie Fontana den untern Teil 
des Senguel nennt, sich in trägem Laufe durch ödes, dürres Gelände 
nordöstlich dem Chubut zuwendet. 

Hier schliefst, etwas plötzlich, der Bericht Fontanas, welcher 
nach Laune weite Strecken seiner Reise überspringt , um en- 
thusiastisch bei einzelnen Stellen zu verweilen ; doch geht wenigstens 
ans dem Gesamtbilde hervor, dafs die Region zwischen dem Atlan- 
tischen Meere und dem 71. Grade, oder bis zu den Gabeln des 
Chubut und Charmate einerseits, und des Seuguel und Quinua andrer- 
seits, höchstens zeitweilige Weide für durchziehende Herden und 
Karawanen gewährt, aber nicht zur wirklichen Besiedelung geeiguet 
ist. Dagegen scheinen die Thäler der Anden von jenem Meridian 
westwärts in grofser Ausdehnung kulturfähig zu sein, und durch ihre 


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unzweifelhaft leichte Verbindung mit Fjorden des Stillen Ozeans ein 
lohnendes Feld für nordeuropäische Kolonisation zu bieten. 

Der unermüdliche Reisende bereitet eine neue Expedition vor, 
und bei dem unter dem jungen Nachwuchs der Welschen am Chubut 
erwachten Wandertriebe ist es nicht unmöglich, dafs wir bald von 
einer blühenden Ansiedelung an den Ufern des Corcovado oder des 
Sees Fontana hören. 

Cördoba, im Oktober 1886. A. Seelstrang. 


Eine Reise nach dem Persischen Golf. 

Von K. Mertens. 

L 

Allgemeiner Reisebericht. 

Einleitung. Dampfer „Perscpolis". Die Ausreise. Die Ufer des Persischen Golfs. 
Ankunft in Bushire. Empfang daselbst. Flufsfahrt nach Mobammera. Die Ufer des 
Shat el Arab. Moh&mmera. Der Karunflufs. Ahwas. Basra. Zurück nach Mohammera. 
Zusammensetzung der „Susa". Stapellauf. Rückkehr nach Bushire. Triste Tage. 

Tod des Kapitäns der „Persepolis*. Nach Bombay. Meteorologische Tabellen. 

Die schon seit langer Zeit bestehenden, immer schärfer hervor- 
tretenden Feindseligkeiten Rufslands und Englands in Zentralasien, 
welche vor kurzer Zeit beinahe zum offenen Kriege geführt hätten, 
haben naturgemäfs auch die Aufmerksamkeit der andern Mächte 
Europas auf Zentralasien, speziell auf Afghanistan und die um- 
liegenden Länder, in welchen sich die Fortschritte des russischen 
Einflusses besonders geltend gemacht haben, gelenkt. Unter diesen 
Ländern nimmt nun Persien infolge seiner Lage und Gröfse wohl die 
bedeutendste und wichtigste Stelle ein, wenn man von Afghanistan 
selbst, als Thor Indiens, absieht. 

Wohl hauptsächlich aus diesem Grunde knüpfte auch Deutschland 
seiue Beziehungen mit Persien wieder an, welche vor etwa 20 Jahren 
begonnen, aber schnell wieder eingeschlafen waren, iudem es im 
Herbst 1884 eine aufserordeutliche Gesandschaft nach Teheran schickte, 
die bald darauf zu einer ständigen Gesandschaft erhoben wurde. 

Dadurch, als auch durch die vielfachen, höchst interessanten 
Vorträge des Herrn Professor Brugsch-Pascha, welcher dieser aufser- 
ordentlichen Gesandschaft attachiert war, ist das Interesse für 
Persien in weiteren Kreisen erweckt worden, so dafs vielleicht 
folgende Mitteilungen einige Beachtung finden werden. 

üeogr Blätter. Breineu, 1887. 4 


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l)er jetzige Herrscher Persiens, der Schah-in-Schah Nassr Eddin, 
ist entschieden ein sehr intelligenter, einsichtsvoller und liebens- 
würdiger Mann — soweit man bei einem Orientalen und Mohammedaner 
von derartigen Eigenschaften sprechen kann — dem es wirklich 
Ernst ist, sein Reich vor dem Verfall zu bewahren. Dafs ihm dies 
nicht gelingt, ist nicht seine Schuld, denn er thut alles mögliche, 
um Industrie, Handel und Wandel zu heben. Alle Versuche scheitern 
indes an der bodenlosen Korruption seiner Minister und Beamten, 
an der Indolenz der Bewohner und an den Ränken der Mollahs, 
die jedem Fortschritt in der Kultur und in der Zivilisation feindlich 
gesinnt sind. Vor ungefähr sieben Jahren war dem Schah ein Projekt, 
die Errichtung einer Marine betreffend, vorgelegt worden, auf welches 
er mit grofsem Interesse einging. Es sollten vorläufig 5 Schiffe 
verschiedener Art gebaut werden. 

Verschiedene andre Pläne, auch wohl Mangel an Geld, ver- 
zögerten die Ausführung dieses Projektes, bis vor etwa drei Jahren 
der Sohn eines persischen Ministers, welcher sich Studien halber in 
Berlin aufhielt, den Auftrag bekam, vorläufig einen Regierungs- 
dampfer in Europa zu bestellen. Dieser wandte sich an verschiedene 
englische und deutsche Schiffswerften und eutschlofs sich schliefslich für 
den Entwurf der Aktiengesellschaft „Weser“ zu Bremen, mit welcher 
Gesellschaft der Baukontrakt im Aufang des Jahres 1884 abgeschlossen 
wurde. Am 1. Juli dieses Jahres wurde der Bau in Angriff ge- 
nommen, und trat ich zur selben Zeit als Ingenieur in die Dienste 
der persischen Regierung, um den Bau zu beaufsichtigen. Die 
„Persepolis“, diesen Namen hatte der Regierungsdampfer beim 
Stapellauf erhalten, wurde bis zum 1. Januar 1885 fertig gestellt. 
Gleichzeitig war noch ein Flufsdampfer bestellt worden , der hier 
provisorisch zusammengeschraubt, nach abgehaltener Probefahrt 
demontiert und in Teilen auf die „Persepolis“ verladen wurde, um später 
in Persien an seinem Bestimmungsorte zusammengebaut zu werden. 

Die „Persepolis“ ist ein Schraubendampfer von etwa 600 R. T., 
besitzt eine Kompoundmaschine von 450 indizierten Pferdestärken, 
ist als Schuner getakelt und läuft im Mittel 9 Knoten pro Stunde. 

Da nach dem ursprünglichen Projekt 5 Dampfer in Aussicht 
genommen waren, diese aber schliefslich auf Einen reduziert wurden, 
so sollte nun dieser eine auch allen Zwecken entsprechend ein- 
gerichtet sein, und wurde diese sehr schwere Aufgabe von der 
Erbauerin in der denkbar günstigsten Weise gelöst. 

Als Jacht für den Schah oder andre hohe Würdenträger des 
Reiches erhielt das Schiff eine höchst luxuriös eingerichtete Staatskabine ; 
um ihm ein kriegsschiffmäfsiges Aussehen zu geben-, wurde es mit einem 


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- 51 — 

Rammsteven verseilen und mit einer Armierung, bestehend aus 3 mit 
allem Zubehör versehenen gezogenen Kruppschen Stahlkanonen (7,5 cm) 
und 40 Gewehren nach Dreyses neuestem Patent ausgerüstet. In seiner 
Eigenschaft als Passagierdampfer erhielt das Schiff einen sehr schönen 
Salon nebst Kammern für 40 Passagiere I. Klasse, während die 
vorderen Zwischendecke für andre Passagiere hergerichtet werden 
konnten. Schliefslich konnten sämtliche unter Deck befindliche Räum- 
lichkeiten als Ladungsräume benutzt werden. — Die Besatzung 
bestand alles in allem aus 32 Mann. 

Am 7. Januar fand die Probefahrt der „Persepolis“ von Bre- 
merhaven iu See statt. Dieselbe lieferte sehr gute Ergebnisse und 
wir waren somit klar, in See zu gehen. — Wir sollten jedoch schon 
hier einige Proben von der Promptheit der persischen Regierung in 
Geschäftssachen kennen lernen. Durch unnütze Trödeleien und 
allerlei unsinnige Projekte, um möglichst viel bei Überführung des 
Regierungsdampfers an Fracht zu verdienen, verzögerte sich unsre 
Abreise bis 17. März, an welchem Tage wir, mit Kohlen für eigene 
Rechnung beladen, Deutschland verliefseu. 

Unsre Ausreise ging ziemlich günstig von statten; ausgenom- 
men einen Maschinenunfall, welcher uns auf der Höhe von Kap 
Vincent am 24. März passierte, und der uns zwang, Cadix als Not- 
hafen anzulaufen. Da der Kolben des Hochdruckcylinders gebrochen 
war, so nahm die Anfertigung eines neuen Kolbens geraume Zeit in 
Anspruch, und erst nach zehn Tagen, am 4. April, konnten wir unsre 
Reise fortsetzen. Das schöne Mittelmeer durchliefen wir bei sehr 
günstigem Wetter in verhältnismäfsig kurzer Zeit. Am Abend des 
13. April ankerten wir in Port Said und setzten am nächsten Morgen 
unsre Reise durch den Kanal fort. Nach zwei Tagen erreichten 
wir Suez, welcher Platz damals ein sehr belebtes Aussehen hatte. 

Englische und italienische Kriegs- und Transportschiffe lagen in 
grofser Anzahl dort. Grofse Trupps von Kameelen, für Suakiin 
bestimmt, harrten ihrer Einschiffung. Wir setzten in Suez den 
Kanallotsen ab und erreichten am 17. April das Rote Meer. Hier 
wurde es von Tag zu Tag wärmer, dabei hatten wir eine leichte 
uördliche Brise, welche wir jedoch tot liefen, so dafs der Rauch kerzen- 
gerade aus dem Schlot stieg. Am 22. April morgens passierten wir 
die englische Kohlen- und Signalstation auf der Insel Perim und 
abends Aden. Wir steuerten nun N.O. z. 0. und erreichten am 27. April 
das südöstlichste Kap Arabiens Ras al Hadd; von hier ging es in 
nordwestlicher Richtung in den Golf von Oman. Am Morgen des 
29. April befanden wir uns in der Strafse von Ormus und kamen 
somit in den Persischen Golf. 

4 * 

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Der Persische Golf, von den Eingeborenen Bahru al Fars ge- 
nannt, der grofse Meeresarm des Indischen Ozeans, wird im Norden 
und Osten von Persien, iin Westen und Süden von Arabien begrenzt 
und steht mit dem Ozean durch den Golf von Oman in Verbindung. 

Die beiden Seiten des Golfes zeigen einen sehr verschiedenen 
Charakter : wahrend die persische Küste sehr gebirgig ist und über- 
all bis zur Küste das Wasser sehr tief, ist die arabische Küste, 
mit wenigen Ausnahmen, niedrig und besitzt viele Riffe und Untiefen. 
Infolgedessen halten sich die Schiffe auch meistens an der persischen 
Seite. Auch wir fuhren ziemlich dicht an der persischen Küste 
entlang und passierten viele Inseln, von denen diejenigen, welche nach 
der arabischen Seite lagen, nur öde Felsen, ohne jede Vegetation 
sind, während die in unmittelbarer Nähe der persischen Küste 
einiges Leben zeigten und augenscheinlich von Fischern bewohnt 
wurden. Da weder der Golf, noch irgend ein Hafen befeuert ist, so 
lag uns daran, noch bei Tage unser Ziel, Bushire, zu erreichen, leider 
war dies nicht mehr möglich, es wurde Nacht, ehe wir die Lichter 
einiger zufällig in Bushire vor Anker liegenden Schiffe in Sicht 
bekamen. Wir gingen am 30. April, abends 9 Uhr, froh unser 
Ziel soweit erreicht zu haben, auf der Aufsenreede zu Anker. 

Am nächsten Morgen dampften wir unter Anweisung eines 
persischen Lotsen, welcher noch in der Nacht an Bord gekommen war, 
nach der Innenreede, wo wir in einer Entfernung von etwa 5 sm. 
von Bushire zu Anker gingen. Es lagen hier noch zwei Schiffe — 
das unvermeidliche, weifsgestrichene, englische Kanonenboot und ein 
englischer Telegraphendampfer (Kabelleger), welcher, wie wir später 
erfuhren, das zwischen Bushire und Fao liegende Kabel revidierte. 

Bushire, der hauptsächlichste Seehafen Persiens, liegt auf dem 
Nordende einer sehr schmalen niedrigen Landzunge, welche etwa 
11 engl. Meilen lang und etwa 3 engl. Meilen breit ist. Der Hafen 
ist der vielen Riffe und Untiefen wegen, auch durch den Mangel 
irgendwelcher Land- und Seezeichen sehr ungünstig. Fast alle 
Schiffe müssen der Riffe wegen etwa 4 sm. von der Stadt auf der 
Reede vor Anker gehen, trotzdem unmittelbar vor der Stadt hin- 
reichend tiefes Wasser ist, um selbst für die gröfsten Schiffe einen 
guten geschützten Hafen zu bilden. Leider sind bisher alle Projekte 
der Engländer durch Anlegen eines Kanals, diesem Übelstande ab- 
zuhelfen, von der Regierung abschlägig beschieden worden — wie 
alles, was thatsächlich dazu beitragen könnte, Haudel und Wandel 
zu heben. 

Der Kapitäu fuhr sogleich, nachdem wir vor Anker gegangen 
waren, an Land, um das Schiff und sich bei irgend wem zu melden, 


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da sich hier aber niemand um ihn kümmerte, so blieb ihm nichts 
andres übrig, als nach dem Telegraphenbüreau zu gehen und selbst 
der Regierung seine Ankunft zu melden. Er kehrte ziemlich 
enttäuscht ob seines ersten Empfanges an Bord zurück. Am 
nächsten Morgen erhielten wir jedoch ein sehr langes, viel schöne 
Worte enthaltendes Begrüfsungs- und Glückwunschtelegramm von 
der Regierung im Namen des Schahs, in welchem uns alles mögliche 
Gute gewünscht und aufserdem mitgeteilt wurde, dafs sämtlichen 
Gouverneuren und sonstigen Würdenträgern des Reiches die Weisung 
erteilt worden wäre, uns alle mögliche Unterstützungen u. a. zu 
gewähren. Nun dies war doch wenigstens etwas, und wir, die wir 
damals die Art und Weise der Perser noch wenig kannten, fafsten 
neuen Mut. 

Leider befand sich der Gouverneur von Bushire auf Reisen und 
hatte die Verwaltung seines Distriktes seinem Schreiber übergeben, 
welcher uns allerdings nicht viel Unterstützung gewähren und nicht 
mit grofsem Pomp empfangen konnte. Trotzdem erhielten wir am 
nächsten Tage nach dem Kaiserlichen Erlafs einen lebendigen Hammel 
zum Geschenk und die Einladung zu einem offiziellen Empfangs- 
frühstück um 8 Uhr morgens. Diese frühe Stunde war mit Rücksicht 
auf die jetzt immer zunehmende Tagestemperatur gewählt worden. 

Wir begaben uns denn auch an dem betreffenden Tage fünf Mann 
hoch rechtzeitig an Land. Wir legten mit der Dampfpinasse vor 
dem Gouvernementsgebäude an, welches sich von den übrigen Häusern 
nur durch einen riesigen Flaggenmast, an dem die persische National- 
flagge wehte, sowie durch zwei alte Messingkanonen, aus der Zeit des 
Krimkrieges stammend, unterscheidet. Au Land war eine Horde 
zerlumpter Kerls, die Soldaten vorstellen sollten, (die besten beglei- 
teten den Gouverneur auf seinen Reisen) in zwei Gliedern aufgestellt, 
welche, als wir an Land traten, auf Befehl eines am rechten Flügel 
stehenden Offiziers, ganz verzweifelt mit den Armen schlenkerten, 
was höchst lächerlich aussah, so dafs wir Mühe hatten, ernst zu bleiben, 
obschon es eine aufserordentliche Ehrenbezeugung sein sollte. 

Eine Art von Haushofmeister mit sechs ziemlich rein gekleideten 
Dienern empfing uns, und schritt, uns den Weg zu weisen, majestätisch 
in einem ganz feierlichen Tempo voran. Im Hofraum war eine aus 
etwa 20 Mann bestehende Musikkapelle aufgestellt. Die halb mit 
europäischen, halb mit persischen Instrumenten versehen, einen 
Musik sein sollenden, schauerlichen Lärm vollführte. Die an jeder 
Ecke aufgestellten Posten präsentierten mit einem sehr verrosteten, 
alten Zündnadelgewehr, und wir betraten das Empfangszimmer. 

In demselben war alles, was in Bushire im Besitze einer hall 

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wegs anständigen Uniform war, versammelt und safs dem 
Range nach auf Stühlen und alten Kisten in einem ziemlich 
hohen und luftigen Gemach. Für uns waren einige alte wackelige, 
mit verschossener Seide überzogene Polsterstühle hingestellt, 
auf denen wir, auch dem Range entsprechend, Platz nahmen. 
Nachdem die üblichen, überschwenglichen Begrüfsungsformalitäten 
gewechselt waren, wurde uns mit 24 Schufs salutiert, während welcher 
Zeit die Musikkapelle einen solchen heidenmäfsigen Lärm machte, 
dafs es unmöglich war, zu sprechen und zu hören. Endlich schwieg 
dieselbe. Der Vezier des Gouverneurs, der den Vorsitz führte, er- 
klärte uns nun durch einen englisch sprechenden Dolmetscher, wie 
entzückt er von uns allen wäre, wie es einer der glücklichsten 
Tage für Persien sei, dafs wir persischen Boden betreten hätten 
u. a. nichtssagende Redensarten mehr. Dasselbe wurde uns noch 
von den andern Herren mitgeteilt. Der Kapitän antwortete uu- 
gefähr in derselben Weise. Zwischendurch gab es abwechselnd Thee 
und Kaffee und Süfsigkeiten. Da aber nur sechs Tassen vorhanden 
waren, so mufsten die andern stets so lange warten, bis die sechs 
Angesehensten ausgetrunken hatten. 

Das ewige uichtssagendc Komplimentieren dauerte etwa zwei 
Stunden, bis wir zur gröfsten beiderseitigen Freude unsern Abschied 
nahmen. Die Herren Perser schwitzten ungemein in ihren nach europäi- 
scher Art bis an den Hals zugeknöpften Uniformröcken, und da uns 
ein nochmaliger ohrenzerreifsender Musikgenufs nicht erspart blieb, 
waren auch wir froh, als wir in unserm Boot safsen und der „Perse- 
polis“ zudampften. Am nächsten Tage statteten uns sämtliche 
gestern im Gouvernementsgebäude anwesende Herren ihre Gegen- 
visite ab, und somit war der offizielle Teil erledigt. Glücklicher- 
weise hatten wir nie mehr mit diesen Herren zu thun; unsre 
Orders erhielten wir direkt von Teheran. Im allgemeinen erregte 
das Schiff nicht solches Aufsehen, wie wir erwartet hatten, was wohl 
hauptsächlich darin seinen Grund haben mochte, dafs wir uns sehr 
ruhig verhielten, nicht viel salutierten, keinen Aufwand machten, 
und da wir auch keine Uniform trugen, wurden wir sehr wenig 
beachtet. 

Da unser erster Aufenthalt in Bushire nur ein verhältnis- 
mäfsig kurzer war, sich aufserdem nichts Bemerkenswertes ereig- 
nete, so komme ich auf eine ausführliche Beschreibung der Stadt, 
der Sitten, der Bewohner u. a. in einem zweiten Abschnitt zurück 
und will erst den weitern Verlauf unsrer Reise berichten. 

Ungefähr 14 Tage nach unsrer Ankunft erhielten wir von der 
Regierung den Befehl, nach Mohammera, einem kleinen Flecken, der 

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an dem Flusse Karuu, unmittelbar vor dessen Mündung in den Shat 
el Arab, liegt — zu gehen, um dort den Zusammenbau des Flufs- 
dampfers „Susa“ vorzunehmen. Wir verliefsen am 16. Mai, 8 Uhr 
Abends, Bushire und dampften nach der Mündung des Shat el Arab, 
welche wir am nächsten Morgen erreichten. Einige Stunden ver- 
gingen bevor wir die vor der Mündung liegende Barre, welche von 
Jahr zu Jahr gröfser wird und die Schiffahrt immer mehr und mehr 
erschwert, passieren konnten. Als wir genügend Wasser hatten, 
fuhren wir unter Führung eines persischen Lotsen in den Shat el 
Arab. Au der rechten Seite der Mündung liegt Fao, Station der 
Indo-European Telegraph Company, Eudpuukt der Kabellinie Bushire- 
Fao. Die Ufer sind vollständig flach, anfangs öde und kahl, dann 
aber dicht mit Dattelpalmen bepflanzt. Das türkische (rechte) Ufer 
zeigte bedeutend üppigere Vegetation, war regelmäfsiger bebaut und 
an den meisten Stellen mit Buhnen und Deichen versehen, während 
das persische (linke) Ufer keine Spur künstlicher Anlagen -zeigte und 
einen verhältnismäfsig öden Anblick darbot. Viele Inseln und immer 
neue Anschwemmungen, welche stets das Fahrwasser verändern, er- 
schweren trotz der grofsen Breite des Stromes die Schiffahrt sehr. 
Erst gegen Abend erreichten wir die Münduug des Karun, dampften 
jedoch noch etwa eine Meile weiter und gingen bei Kut Feilye, dem 
Schlosse des Scheiks von Mohammera, vor Anker. Letzterer liefs 
uns durch einen Salut von elf Schufs begrüfsen und schickte, nach- 
dem wir den Salut erwidert hatten, seinen Dolmetscher au Bord, 
welcher uns im Namen des Scheiks willkommen hiefs ; er selbst liefs 
sich krankeitshalber eutschuldigeu. Am nächsten Morgen machte der 
Kapitän dem Scheik 3eine Aufwartung. Derselbe behauptete, 
keinerlei Instruktionen empfangen zu haben, zeigte sich sehr 
erstaunt über den Anblick eines persischen Dampfers, von dessen 
Existenz er wirklich nichts gewufst haben wollte, versprach jedoch, 
uns in jeder Weise behülflich zu sein. Der Kapitän fuhr sodann 
nach dem Karun, um einen günstigen Bauplatz zu suchen, welcher 
bald in einer kleinen Bucht, oberhalb der Stadt Mohammera gefunden 
war. Wir dampften noch an demselben Tage mit der „Persepolis“ 
nach jener Stelle, gingen vor Anker und machten das Schiff dicht 
am Ufer fest. 

Das Städtchen Mohammera, obgleich sehr verfallen und zurück- 
gekommen, ist einer der wichtigsten Plätze, sowohl in strategischer 
als kommerzieller Beziehung, des südlichen Persien. Seine günstige 
Lage am Zusammenflüsse des Karun mit dem Shat el Arab, für alle, 
selbst für die gröfsten, den Golf befahrenden Dampfer leicht erreichbar, 
seine verhältnismäfsig gute Verbindung mit dein Hinterlande, welch 


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teils durch Karavanenstrafsen, teils durch die natürliche und beste 
Wasserstrafse, den Karun, hergestellt wird — macht Moharamera zu 
einem wichtigen Ausfuhrhafen, ja es würde eine bedeutende Stadt, 
eine der ersten Hafenstädte am Golf werden, wenn es eben nicht in . 
Persien läge. So bietet der Ort noch einen erbärmlicheren Anblick, 
als Bushire dar; er besteht aus einem Labyrinth von engen, 
schmutzigen Gassen, die niedrigen Häuser sind aus getrockneten 
Erdziegeln oder Lehm aufgeführt, mit platten Dächern, teilweise 
auch nur mit Matten aus den Blättern der Dattelpalme versehen. 
Ferner hat es, wie jedes orientalische Nest, einen Bazar, wie man ihn 
sich nicht schlechter und schmutziger denken kann. Die Umgebung 
von Mohammera macht noch einen besseren Eindruck als die von 
Bushire, da die Umgegend zum grofsen Teil aus Dattelpalmenwäldern, 
die auch zum Teil mit Unterholz versehen sind, besteht. Mohammera 
ist weder Post- noch Telegraphenstation und steht mit der Aufsenwelt 
nur durch das etwa 12 engl. Meilen an dem Shat stromaufwärts 
liegende Basra, mit welcher Stadt es einen regen Verkehr unterhält, 
in Verbindung. Die aus etwa 2 — 3000 Seelen bestehende Bevölkerung 
ist gröfstenteils arabischer Abkunft, ihre Beschäftigung ist Han- 
del, Schiffahrt und die Dattelernte. Mohammera steht unter der 
Botmäfsigkeit eines arabischen Scheiks, dessen Wohnsitz das schon 
erwähnte am Shat liegende Felija ist, und der dem Gouverneur der 
persischen Provinz Arabistan tributpflichtig ist. 

Der Karun, der bedeutendste Flufs Persiens, entspringt auf dem 
Gebirge Luristan und mündet teils in den Shat el Arab, teils direkt 
in den Persischen Golf. Vor Zeiten bestand nur die letztere Mündung, 
da der Karun etwa 2 Meilen oberhalb Mohammera eine rechtwinklige 
Biegung macht und parallel mit dem Shat el Arab dem persischen 
Golf zuflofs ; durch Anlegung eines Kanals von der Biegungsstelle in 
gerader Richtung nach dem Shat wurde indes der Hauptstrom nach 
dem Shat el Arab gelenkt. Der Karun ist ein sehr tiefer, reifsender 
Strom (die Strömungsgeschwindigkeit wird auf 4 — 5 Knoten, in der 
Regenzeit, wo er gewaltig steigt, auf 6—8 Knoten per Stunde 
angegeben), er liefert ein wunderbar schönes und sehr kühles Wasser, 
welches in Persien so berühmt ist, dafs demselben Heilkraft zuge- 
schrieben und es deshalb überall hin verschickt wird. Der Tem- 
peraturunterschied zwischen Luft und Wasser betrug auch in der 
heifsesten Jahreszeit etwa 10° C. Es sei hierbei erwähnt, dafs dieses 
gute Wasser wesentlich zur Erhaltung des guten Gesundheits- 
zustandes unsrer Mannschaft beitrug; giebt es doch in den Tropen 
nichts besseres, als einen kühlen Trunk und ein erfrischendes Bad. 
Der Karun ist uugefähr 60 engl. Meilen bis Ahwas für gröfsere 


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Fahrzeuge schiffbar; Ahwas war in alter Zeit eine der schönsten 
Städte des Reiches und Winterresidenz der persischen Könige, jetzt 
liegt der Ort ganz in Trümmern und zählt kaum 1500 Einwohner. 

Bei Ahwas ist ein Katarakt, vor welchem die Leichterschiffe 
ihre Waren ausladen; nach Passieren der Stromschnelle laden 
sie wieder, um den Weg bis Schuschter fortzusetzen. — Von 
Scliuschter, einer Stadt von etwa 10 000 Einwohnern, in deren Nähe die 
Ruinen des alten Susa liegen, gehen grofse Karavanenstrafsen nach 
Disful, Ispahan und Teheran. In den Flufsniederungen zu beiden 
Seiten des Karuns liegen viele Dörfer und Ortschaften, deren 
Bewohner sich mit Pferde- und Viehzucht, etwas Acker- und besonders 
Getreidebau beschäftigen ; ihre Produkte senden sie nach Mohammera, 
von dort gehen dieselben entweder nach Basra oder auch direkt 
nach Bushire. 

Die ersten Tage unsrer Anwesenheit benutzten wir, um uns 
so viel als möglich heimisch zu machen. — Der Kapitän und ich 
fuhren nach Basra, um Telegramme und Briefe zu expedieren und 
Bekanntschaften anzuknüpfen. Basra, zur Zeit Harun al Raschids 
eine blühende und in grofsem Ansehen stehende Stadt, ist noch jetzt 
der wichtigste Seehandelsplatz der asiatisch-türkischen Provinz Irak- 
Arabi. Die Stadt, mit etwa 30 — 40000 Einwohnern, ist sehr weitläufig 
angelegt, gleicht im übrigen, was die engen, schmutzigen Gassen 
anbelangt, den bisher beschriebenen ; hat aber innerhalb ihrer Mauern 
eine Menge von Gärten, die von vielen die Stadt durchschneidenden 
Kanälen bewässert werden, wodurch zwar die Fruchtbarkeit des 
Landes erhöht wird, im Sommer aber werden durch diese Kanäle, die 
dann richtiger Kloaken genannt werden sollten, bei der Sonnenhitze 
fürchterliche Fieber erzeugt, infolge deren die Bevölkerung dieser 
einst so gewaltigen Stadt jährlich mehr zusammenschmilzt. 

Von der Flufsseite gewährt indes Basra einen sehr stattlichen 
Anblick. Der Shat ist hier etwa 2 engl. Meilen breit; es lagen 4 — 5 
türkische Kriegsschiffe, ein englisches, mehrere Frachtdampfer sowie 
viele Flufsdampfer und Fahrzeuge von Eingeborenen hier vor Anker. 
Ferner liegen alle hauptsächlichen Gebäude, der wirklich schöne 
Palast des Gouverneurs, die Häuser der Konsuln, die Post und Zoll- 
gebäude, alles nach europäischem Geschmack aus Steinen ausgeführte 
Baulichkeiten, von schönen Gärten umgeben, an dem Hafen. Um 
zu dem uns in Basra empfohlenen persischen Agenten zu gelangen, 
mufsten wir den gröfsten dieser Kanäle hinauffahren, an demselben 
liegen die Kontore der hauptsächlichsten englischen und französischen 
Kaufmannsbäuser. Unser Agent, ein Deutscher', Vertreter einer 
gröfseren englischen Exportfirma, der von unserm Kommen ebenfalls 


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unterrichtet war, empfing uns und bereitete uns die freundlichste 
und liebenswürdigste Aufnahme. Bei dem abends stattfindenden Diner 
machten wir auch die Bekanntschaft der hier lebenden Deutschen, 
welche sich zu unsrer Begrüfsuug eingefundeu hatten: zwei im 
türkischen Militärdienste stehende deutsche Ärzte und einige Wiener 
Herren, Vertreter der Pariser Weltfirma Dreifus & Co. Da es gerade 
Pfingsten war, so blieben wir während der Festtage in Basra und 
verlebten einige recht angeuehme Tage. Wir machten dem türkischen 
Gouverneur, einem sehr jovialen Herrn, mehr Europäer als Asiat, 
da er lange Zelt Militärattache in London und Paris gewesen, sowie 
dem englischen und französischen Konsul unsre Aufwartung und 
kehrten in Begleitung eines chaldäischen Ingenieurs, welcher uus als 
Dolmetscher im Verkehr mit dem Scheik dienen sollte, nach Mohara- 
mera zurück. Nach einigen Tagen wurde nun der Bau unsres 
sogenannten Docks in Angriff genommen, d. h. wir schnitten die 
kleine Bucht durch einen ziemlich starken Erdwall, welcher durch 
Palissaden verstärkt wurde, von dem Flusse ab. Da diese erste 
Arbeit bei sehr niedrigem Wasserstand und schnell besorgt werden 
mufste, hatte uns der Scheik etwa 100 Arbeiter zur Verfügung gestellt, 
welche den Wall in unglaublich kurzer Zeit aufführten. Alsdann 
wurde die Bucht trocken gemacht und der Boden durch Aufschüttung 
planiert, wobei uns die jetzt immer empfindlicher werdenden Sonnen- 
strahlen sehr gut zu statten kamen, indem dieselben den Lehmboden 
vollkommen ausdörrten. Auf diesem nun völlig ebenen Grunde 
wurde durch quer zur Längsrichtung gelegte Palmenstämme, welche 
je zwei und zwei mit eisernen Klammern befestigt waren, und drei 
parallel zur Längsrichtung darauf gelegte Spieren eine richtige 
Helling gebildet. Schliefslich wurde das ganze Dock mit einem 
ziemlich hohen, aus Matten hergerichteten Dach zum Schutz gegen 
die Sonne versehen. Diese ganze Anlage, wozu noch der Bau einer 
Schmiede kam, hatte jedoch eine ziemlich geraume Zeit in Anspruch 
genommen, da wir nur wenige und in dergleichen Arbeiten ungeübte 
Leute zur Verfügung hatten. [Der Scheik hatte uns die Leute 
gleich nach Aufführung des Walles wieder fortgenommen, da er in 
harter Fehde mit seinem älteren Bruder lag, welchen er aus seiner 
Stellung vertrieben, und zu diesem Zweck seine Leute nötig 
hatte.] Dann aber kamen auch die Einflüsse des Klimas zur Geltung. 

Die Hitze wurde von Tag zu Tag gröfser und konnten wir nur 
von morgens 5 — 11 und nachmittags von 4 — 7 arbeiten lassen. Im 
ersten Monat unsres Hierseins hatten wir viel von den feuchten 
Ausdünstungen der in unmittelbarer Nähe von Mohammera liegenden 
Sümpfe zu leiden; auch peinigten uns die in dieser Luft am besten 

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lebeuden Moskitos ungeheuer. Ich habe selten so viele dieser kleinen 
entsetzlichen Quälgeister gesehen, als hier. Sowie die Sonne unter- 
gegangen war, krochen wir nach hastig eingenommenem Abendbrot 
in unsre Moskitonetze, welche schon vor Sonnenuntergang sorgfältig 
aufgeschlagen waren. Die immer intensiver werdende Hitze und die 
trockenen heifsen, häufig mit feinem Sand geschwängerten Winde, 
dörrten die Sümpfe indes bald vollkommen aus, und vertrieben 
auch zum grofsen Teil die Moskitos. Wir hatten jetzt eine Tagestempe- 
ratur von etwa 40° C., im Maximum 46°, welche hohe Temperatur 
nur durch die sehr trockene Atmosphäre erträglich war. Die Luft 
war von solch aufsergewöhnlichen Trockenheit, dafs der Temperatur- 
unterschied zwischen der nassen und trockenen Kugel unsres Psych- 
rometers etwa 23 — 25° C. betrug.*) Ein weiterer Beweis dafür liegt 
auch darin, dafs die blankpolierteu eisernen Maschinenwellen der 
„Susa“ tagelang frei am Land lagen, ohne auch nur die geringste 
Spur von Rost anzusetzen. Die Eingeborenen machten sich diese 
grofse Verdunstungswarme der Luft insofern zu nutzen, als sie ihre 
aus porösem Thon bestehenden Wassergefäfse (eine Art Alkarazzas) 
an hohen auf ihren platten Dächern befindlichen Stangen, aufheifsten, 
wo sic einige Stunden hingen und ein ausgezeichnet kühles Wasser 
lieferten. Fast die ganze Mannschaft war schon im ersten Monat 
vom Fieber befallen worden, welches sie während ihres ganzen Aufent- 
haltes in Persien behielt. — Alles dieses verzögerte die Errichtung 
des Dockes und auch den Zusammenbau des Dampfers „Susa“ sehr, 
besonders da ich für den letzteren nur meine acht Heizer hatte, von 
denen täglich zwei bis drei durch Fieber untauglich waren. Wir be- 
gannen Mitte Juni mit dem Zusammenbau des Flufsdampfers und 
waren nach Überwindung mancher Widerwärtigkeiten nach vier Wochen 
soweit fertig, dafs der Stapellauf stattfinden konnte. In Gegenwart 
des Scheiks und seines grofsen Gefolges, sowie der ganzen Bevöl- 
kerung von Mohammera und Umgegend, welche schon dem Zu- 
sammenbau mit grofser Aufmerksamkeit gefolgt war, fand das 
Ereignis statt. Wir hatten während der Ebbe den Deich abbrechen 
lassen, und da wir den durch Springzeit besonders hohen Wasser- 
stand abgewartet hatten, [der Unterschied zwischen Flut und Ebbe, 
welcher bis hierher beinerklich, beträgt noch etwa 1,2 m] so füllte 
sich das Dock schnell mit Wasser, hob das Schiff von den Hellingen 
und unter lautem Jubel wurde die „Susa“ längsseits von der „Perse- 
polis“ geholt. Wir setzten nun Kessel und Maschinen ein, vollendeten 
die innere Einrichtung und nachdem wir einige Probefahrten gemacht 

*) Siehe die Temperatmtabellc am Schlul's dieses Aufsatzes. 


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hatten, die sehr gut ausfielen, konnten wir unsre Aufgabe hier als 
beendet ansehen. 

Leider verzögerte sich aber unsre Abreise von Mohammera 
über einen Monat; erstens erhielten wir von der Regierung den 
Befehl, den Scheik Mizel Khan mit unsern Schiffen gegen einige am 
oberen Karun aufständische Araberstämme zu unterstützen — wir 
dampften auch etwa 20 Meilen mit der „Persepolis“ und der „Susa“ 
stromaufwärts, blieben einige Tage dort liegen, kehrten jedoch, da 
die Sache bald beigelegt war, und wir den Aufständischen gehörigen 
Schreck eingejagt hatten, schleunigst nach Mohammera zurück. 
Ferner machte uns die Übergabe der „Susa“ Schwierigkeiten, da 
keine berufene Persönlichkeit anwesend war, welcher das Schiff über- 
geben werden konnte. Überdies wäre unser längeres Verweilen mit 
den Schiffen an dieser Stelle auf alle Fälle mifslich gewesen, da eine 
starke Strom Versetzung uns stets von Neuem an das Ufer trieb; die 
ausgebrachten beiden Anker vermochten dagegen nichts. Schliefslich 
liefsen wir es unter der Obhut unsres Bootsmannes in Mohammera 
zurück, ohne irgend welche Bestimmung, da sich die Regierung weder 
bei der Bestellung der „Susa“ noch der der „Persepolis“ klar gemacht 
gehabt zu haben scheint, zu welchem Zweck sie die Schiffe hat bauen 
lassen. Die „Susa“ lag während der ganzen Zeit, die ich in Persien 
zugebracht, unthätig und zwecklos in Mohammera vor Anker. 
Anfang September verliefsen wir Mohammera und dampften nach 
Bushire, gespannt auf die Dinge, die kommen sollten, zurück. 

Unmittelbar nach unsrer Ankunft in Bushire wurde der Zustand 
des Kapitäns, der schon während der letzten Zeit unsres Aufent- 
haltes in Mohammera gekränkelt hatte, ein derartig bedenklicher, 
dafs ihm die Ärzte rieten, am Land zu wohnen. Erst im Dezember 
kehrte derselbe einigermafsen wiederhergestellt an Bord zurück. Wir 
lagen während dieser gauzen Zeit unthätig vor Anker und führten 
ein gar tristes Dasein ; Verkehr am Land hatten wir fast gar nicht, 
da sich die Engländer uns gegenüber sehr abgeschlossen verhielten, 
und erst ganz allmählich gelang es uns Eingang zu verschaffen. 
Dann hatten wir eine entsetzlich schlechte Kost, immer nur Ham- 
melfleisch, fast gar kein Gemüse, selten nur Kartoffeln, die wir hin 
und wieder von den Postdampfern erhielten. Ferner lagen wir auch 
ziemlich weit, etwa 4 engl. Meilen, von Land, wodurch die Kommu- 
nikation etwas gehindert wurde. 

Der Übergang aus dem sehr trockenen Klima von Mohammera 
in das feuehtwarrae von Bushire hatte wieder häufige Fieber hervor- 
gerufen und oft lag die halbe Mannschaft krank darnieder. Mit 
Jabresschlufs verliefs unsre ganze deutsche Mannschaft und auch 


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die Hälfte der Offiziere, froh aus dem öden Leben herauszukommen, 
das Schiff und kehrte nach der Heimat zurück. Mit dem Abgänge 
unsrer Besatzung waren unsre Aussichten auf irgendwelche 
Thätigkeit oder Beschäftigung des Schiffes, als: eine Reise nach 
Europa, wie sie mehrfach projektiert war, oder Kreuzen im Golf u. a. 
ganz gesunken. Wir Zurückbleibenden, der Kapitän, zwei Offiziere und 
ich mufsten uns mit einigen Eingeborenen behelfen, um das Schiff 
und die Maschinen nur einigermafsen in Ordnung zu erhalten. 
Unsre Beschäftigung war daher eine sehr beschränkte, denn obschon 
die persische Regierung auf alle, auch von dem Kapitän gemachten 
Vorschläge scheinbar einging, gelangte doch kein Projekt mehr zur 
Ausführung; glücklicherweise erlaubte die kühlere Jahreszeit, uns 
die Zeit mit Bootsegeln und Reitpartien einigermafsen zu vertreiben. 
Indes sehnten wir uns sehr nach Abwechselung und die Zeit schlich 
in sehr monotoner Weise für uns hin. Das Schiff war mittlerweile 
in den an Parasiten so reichen Gewässern derartig bewachsen, dafs 
es unter Wasser eher einem Felsen als einem Schiffe glich, Korallen 
in Klumpen von etwa neun Zoll Radius, grofse Barnakels oder Seetulpen, 
Muscheln und allerlei derartiges Getier hatten sich an dem Boden 
des Schiffes angesetzt. Alle Vorstellungen des Kapitäns bei der 
Regierung, dafs es für das Schiff absolut notwendig wäre, dafs das- 
selbe nach Bombay ins Dock käme, waren bisher vergeblich. Teils 
war es der Regierung zu teuer, teils fehlte es an Interesse. Endlich, 
im Mai, nachdem wieder fünf lange Monate vergangen waren, schien 
uns die Regierung ein geneigtes Ohr zu schenken, indem sie einen 
direkten Vertreter in der Person des General A. Hutum-Schindler 
von Teheran nach Bushire sandte, damit sich dieser selbst von dem 
Stand der Dinge überzeuge. 

Dieser Herr, welcher mit den persischen Verhältnissen, wie kein 
andrer Europäer, vertraut ist, bewirkte endlich durch seine ein- 
dringlichen Vorstellungen die Erlaubnis, das Schiff nach Bombay 
behufs docken und reparieren zu bringen. Leider wurde unsre 
Abreise durch den Tod unsres Kapitäns noch verzögert. Derselbe 
hatte einen Rückfall seiner ersten Krankheit (Lungenentzündung) 
erhalten, dazu war das Fieber getreten und er starb am 1. Juni 
1886. Erst nach dem Tode des Kapitäns bestellten wir in Bom- 
bay die Überführungsmannschaften, welche uns aus dem Reserve- 
personal der Britisch-indischen Dampfschiffahrtsgesellschaft bereit- 
willigst übersandt wurden. Nachdem wir das Schiff einigermafsen 
in Stand gesetzt hatten, verliefsen wir am 20. Juli Bushire 
und dampften nach Bombay. Die Fahrt durch den Golf war 
bei dieser heifsen Jahreszeit und völliger Windstille mit unsrer, 


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nicht gerade für derartige Klimute speziell eingerichteten, „Per- 
sepolis“ einfach schrecklich. In dem Maschiuenraum herrschte eine 
Temperatur von 56 — 58 0 C., au Deck hatten wir allerdings nur 
durchschnittlich 35 — 38 °C., aber die Windstille machte es desto 
empfindlicher und atmeten wir alle sehr erleichtert auf, als wir den 
Golf von Oman passierten und in den Indischen Ozean gelaugten, 
wo uns ein steifer Südwestwind empfing. 

Am 31. Juli erreichten wir Bombay. Obgleich ich schon zum 
1. Juli mit den übrigen Herren um meine Entlassung aus den per- 
sischen Diensten eingekommen war, hatte ich mich doch noch auf 
Drängen der Regierung verpflichtet, bis zum 1. September in Dienst 
zu bleiben, um sowohl das Docken als auch die Reparaturen zu 
beaufsichtigen. Diese waren bis dahin glücklich beendet und konnten 
wir am 2. September aus dem persischen Dienst treten. Wir kehrten 
mit einem englischen Dampfer über Ilavre nach Deutschland zurück. 

Wie ich jetzt erfahre, ist die „Persepolis“ wieder mit neuem 
Offizierpersoual von Deutschland versehen nach Bushire zurückgekehrt 
und hat ihre frühere Beschäftigung wieder aufgenommen — nämlich: 
Ausbildung zu einem Korallenriff! 

Iu einem zweiten durch Heft H. dieser Zeitschrift zu ver- 
öffentlichenden Aufsatz werde ich unsern Aufenthalt in Bushire 
schildern. 

Es folgen hier noch unsre meteorologischen Beobachtungen 
in Bushire und in Mohammera: 

Zusammenstellung der an Bord des persiseben Regiernngsdompfers .Perse- 
polis“ zu Mohammera am Karun(30 0 29' n. B., 48° 25' ö. L. Gr.) beobachteten 
Maximal- und Minimal-Temperaturen in "0. 




Monatsmittel 

Höchste und niedrigste 
Ablesung im Monat | 


/idt 

Luft-Temp. 

Wass.-Temp. 

Luft-Temp. 

Wass.-Temp. 

gen 

1885 

i Maxim. 

Minim 

Maxim. | Minim. 

Maxim. 

1 

Minim. 

; Maxiin. 

Mistiin. | 

I 

18.-31. Mai. 

33,4 

27,8 

24,3 22,8 

36,8 

21,8 

27,8 

21,4 

j Tcmperatur- 
| Unterschied 

Juni 

38,2 

27,5 

25,1 23,4 

41,2 

22,0 

26,5 

22,0 

Juli 

40,6 

29,5 

27,6 25,9 

43.5 

26,2 

30,0 

24,3 

; Psychrometer 

August 

40,4 

28,6 

27,4 25,9 

46,0 

; 27,0 

30,3 

23,2 

‘15— 22 “C. 

1 


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63 


Knsanmienstellung der Temperatur-Beobachtungen an Bord des persischen 
Regierungsdainpfers „Rersepolis- anf der Reede von Bnshire. 


1 

Monatsmittel 


Höchster und niedrigster 1 
Stand im Monat 

Luft-Temp. 

Wass. 

Temp. 

Luft-Temp. 

Wass.- 

Temp. 

J Maxim. 

Miuiui. 

Maxim. 

Minim. 

Maxim. 

Minim. 

Maxim. 

Miuim. : 



r~ 

33.0 

28,0 

31.5 

30,2 

36,6 

26.2 

32,2 

28,8 j 

29,6 

23,9 

27,4 

26,0 

32,2 

21,0 

30,6 

24,0 1 

25,6 

20,0 

23,7 

22.1 

28,5 

16,5 

26,5 

20,5 

21,7 

15,7 

19.8 

m 

28,0 

12,0 

22,0 

15,1 

17,6 

18,1 

17,0 

15,5 

23,0 

10,2 

19,5 

13,8 j 

18,9 

13,9 

17,2 

15,8 

23,2 

10,0 

19.2 

14,0 

21,2 

HU 

19,9 

18,1 

26,3 

12,2 

22,0 

14,0 

25.7 

21,5 

23,5 

22,3 

35,0 

15,2 

29,5 

18,5 

30,8 

26,9 

28,3 

26,7 

33.9 

24,0 

31,0 

24,4 

33,0 

30,3 

30,7 

29.6 

365 

27,0 

32,0 

28.0 

33,2 

! 

30,8 

31,4 

30.3 

35.0 

28,7 

32,5 

28,8 '1 


Zeit 


1885 


September . . 
Oktober . . . . 
November . . 
Dezember . . 

1886 

Januar 

Februar . . . . 

März 

April 

Mai 

Juni 

Juli 


gen 


d 

3 o 
~a ° 

iS & 
3 

o ÖC 

Ö P 
iS 

*-r a> 


NB. Anfang November fiel der erste Kegen — Anfang Mai der letzte. 


Emin Pascha. 

Wenn die Afrikaforsehung im allgemeinen auf der Tages- 
ordnung der geographischen Kreise steht, so ist es gegenwärtig 
doch vorzugsweise das ungewisse Schicksal Emin Paschas, des ver- 
dienstvollen Forschers und Gouverneurs der ehemals ägyptischen 
Äquatorialprovinzen, das die Blicke der zivilisierten Welt mit er- 
höhtem Interesse auf sich zieht. Seit mehr als drei Jahren ist 
derselbe durch den Aufstand des Mahdi und seiner Sudanesen vom 
Verkehre mit Europa abgeschlossen, doch aber hat er mutig auf 
dem von der eigenen ägyptischen Regierung verloren gegebenen 
Posten ausgeharrt und sich mit einem kleinen Häuflein getreuer 
Anhänger durch eine bewunderungswürdige Energie zu halten ver- 
standen. Zwei ausgesandte Expeditionen, Emin Pascha Hülfe zu 
briugen, sind schon fruchtlos verlaufen; jetzt ist kein Geringerer 
als Stanley unterwegs, das gleiche zu versuchen und der junge 
schottische Forscher Thomson und der Italiener Mafsari rüsten sich 
dem Vernehmen nach zu gleichem Zwecke. 

Wer ist aber eigentlich Emin Pascha? Ein geheimnisvolles 
Dunkel umgiebt bislang diesen Namen ; man nennt ihn in den best- 
unterrichteten ausländischen und deutschen Kreisen einen öster- 


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reichischen Schlesier, Dr. Schnitzler — mehr weifs man nicht von 
ihm, trotzdem derselbe durch zahlreiche Berichte und wertvolle 
Sammlungen unsre Afrikakunde über entlegene und wenig bekannte 
Gebiete des oberen Nils in der hingehendsten und uneigennützigsten 
Weise gefördert hat. 

Es dürfte aber deshalb gerade jetzt zeitgemäfs sein, etwas 
Genaueres über die Persönlichkeit Emin Paschas mitzuteilen. Durch 
Herrn Dr. med. G. Hartlaub hier, der mehrere Jahre hindurch mit 
Emin Bey (bis vor kurzem war dies der Name und Titel) in wissen- 
schaftlichem Verkehr stand und demselben aufserordentlich wertvolle 
zoologische Sammlungen verdankt, auf die Stadt Neisse als den Ge- 
burtsort desselben hingewiesen, gelang es mir, Verwandte und 
Freunde von Emin Bey zu erkunden und auf Grund ihrer ge- 
fälligen Mitteilungen stelle ich nun folgende zuverlässige Angaben 
über seine Herkunft und seinen wechselvollen Lebensgang zusammen. 

Eduard Schnitzer ist am 28. März 1840 zu Oppeln in der 
preufsischen Provinz Schlesien als Sohn des dortigen Kaufmanns 
Louis Schnitzer und seiner Ehefrau Pauline, geb. Schweitzer, ge- 
boren. Er kam mit seinen Eltern als Kind von etwa zwei Jahren 
nach der oberschlesischen Stadt Neisse, woselbst seine Mutter, nach 
dem im Jahre 1845 erfolgten Tode ihres Mannes, den Kaufmann 
und Vorsteher der Königlichen, später Reichsbanknebenstelle in 
Neisse, Bernhard Treftz, heiratete. Die Mutter lebt dort heute 
noch, ebenfalls eine vollbürtige Schwester, Melanie Schnitzer; auch 
zwei Stiefgeschwister, ein Halbbruder und eine Halbschwester wohnen 
in Neisse. Eduard Schnitzer ist evangelischer Konfession; seine 
wissenschaftliche Vorbildung erhielt er auf dem katholischen Gym- 
nasium seiner Heimatstadt Neisse, das er von 1850 — 1858- besuchte. 
Von früher Jugend auf zeigte er ein reges Interesse für Natur- 
wissenschaften; schon als Gymnasiast besafs er die verschiedensten 
Sammlungen von Schmetterlingen, Käfern, Pflanzen, Steinen u. a. 
Mit dem Zeugnis der Reife bezog er im Herbst 1858 die Universität 
Breslau, um sich dem Studium der Medizin zu widmen. Zu Anfang 
seiner Studienzeit gehörte er der Burschenschaft Arminia an ; er war 
in enger Freundschaft mit dem jetzt in Berlin lebenden Medizinalrat 
Dr. R. Long, bei dem er wohnte, und dem jüngst verstorbenen Botaniker 
Rudolf Freiherrn von Üchtritz verbunden. Eduard Schnitzers Neigung 
für Zoologie, besonders für die Ornithologie, brachte ihn in nähern 
Verkehr mit dem Zoologen Professor Dr. Grube, mit dem er auch 
eine kleine Forschungsreise in das Altvatergebirge unternahm, und 
mit dem Konservator Tiemann, von dem er das Abbalgen der Vögel 
lernte. In den letzten Semestern wandte er sich dann den eigent- 


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liehen medizinischen Studien zu und war 1861/62 Famulus bei dem 
Chirurgen Professor Middeldorph, liefs aber doch niemals den Plan 
fallen, einmal als Naturforscher in die Welt zu gehen. Von Breslau 
bezog er die Universität Berlin und war hier Assistent in der 
Poliklinik des Dr. Angelstein. Zuletzt hielt er sich in Berlin 
während des Wintersemesters 1863/64 auf, wo er vermutlich 
auch promovierte. t Das Sommerhalbjahr 1864 studierte er 
in Königsberg, kehrte im Herbst 1864 nach Berlin zurück, 
verliefs dieses aber bald wieder in der Absicht über Triest 
nach Konstantinopel zu reisen. Doch Eduard Schnitzer kam 
zunächst nicht nach der türkischen Hauptstadt, sondern wir 
finden ihn alsbald in Antivari in Albauien als türkischen Hafen- 
und Distriktsarzt. Im Jahre 1870 berief ihn der Gouverneur Is- 
mael Hacki Pascha zu sich, bei dem er jedoch vorerst nicht lange 
verweilte, da er noch als Militärarzt eine Expedition nach Syrien 
und Arabien mitmachte. Bald nach seiner Rückkehr folgte er dann 
Anfang 1871 Ismael Pascha nach Trapezunt und Erzerum; Ende 
September 1872 wurde Ismael Pascha nach Konstantinopel zurück- 
berufen und kam dann als Generalgouverueur von Epirus nach 
Janina. Auch übei’all dorthin folgte ihm Schnitzer, blieb bei 
ihm bis zu seinem gegen Ende des Jahres 1873 erfolgten Tode und 
begab sich Anfang des Jahres 1874 mit dessen Familie nach Konstan- 
tinopel. Durch seinen langjährigen Aufenthalt und die häufigen Reisen 
im Auslande war Schnitzer bei seiner aufserordeutlichen Begabung 
für das Erlernen fremder Sprachen des Französischen, Englischen, 
Italienischen, verschiedener slavischer Idiome, des Türkischen, 
Arabischen und Persischen vollständig mächtig geworden; auch hatte 
er sich die orientalischen Sitten und Gebräuche so angeeignet und 
dieselben waren ihm in dem Mafse zur Gewohuheit geworden, dafs 
niemand ihm den westeuropäischen Ursprung anmerkte. Auf 
allen Reisen hatte er seine Vorliebe für die Ornithologie 
bewahrt und führte meistens eine kleine Menagerie seiner Lieblinge 
mit sich. Im Frühjahr 1875 besuchte Schnitzer nach langjähriger 
Abwesenheit einmal wieder seine Heimatstadt Neifse auf längere 
Zeit, reiste am 18. September 1875 nach Breslau zu Dr. Long, 
verkehrte hier noch mit mehreren andern Universitätsfreunden, 
war dann aber plötzlich verschollen. 

Schnitzer war nach seinem Verschwinden in Europa als Arzt 
in die ägyptische Armee eingetreten ; für das Pharaonenland hatte er 
schon früher geschwärmt und über Afrika namentlich v. d. Deekens 
und Fritschs Werke studiert. Im Jahre 1876 folgte er von Kairo 
Gordon Pascha in den Sudan, wurde unter dem Namen Emin 

Geogr. Blätter. Breme», 1887. 5 


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Eifendi zum Chefarzt mul 1878 zum Gouverneur der ägyptischen 
Äquatorialprovinzen mit dem Rang eines Beys ernannt; erst kürzlich 
ehrte ihn dann noch der Chedive durch Verleihung des Paschatitels. 

Es ist hier nicht der Ort, über die vielseitige und mühevolle 
organisatorische und administrative Thätigkeit Emin Beys, sowie 
über seine Verdienste auf geographischem und naturwissen- 
schaftlichem Gebiete seit dem Jahre 1876 ausführlich zu berichten, 
es sei in dieser Beziehung auf die zahlreichen Aufsätze in der 
Fachpresse, insonderheit auf Petermanus Mitteilungen, hingewiesen ; 
hier sei mir nur noch eine kurze Bemerkung, die ich der gefälligen 
Mitteilung des Herrn Dr. G. Hartlaub verdanke, über Emin Beys 
Sammluugen gestattet. Die Zahl der nach Bremen (an Dr. Hartlaub) 
und nach Wien (an Dr. A. v. Pelzein) gesandten Vogelbälge dürfte 
nicht viel weniger als 2000 betragen. Dieselben sind vortrefflich 
präpariert und mit Etiketten versehen, auf welchen mit der gröfsten 
Sorgfalt verzeichnet ist : 1) das Geschlecht, 2) Datum der Erlegung, 
3) Lokalität, 4) Farbe der Weichteile und 5) die Messung am frischen 
Vogel. Die Zahl der neuen Arten, also Entdeckungen Emin Beys 
beträgt etwa 25; davon sind 23 Arten von Dr. Hartlaub, 3 von 
A. v. Pelzeln wissenschaftlich eingeführt worden. Zu Ehren Emin Beys 
sind von Dr. Hartlaub benannt: Eminia lepida, Sorella Einini und 
Hyphantornis Emini. Dr. Hartlaubs bisherige Arbeiten über 
Emin Beys Vogelsammlungeu sind erschienen in den Ver- 
handlungen des naturwissenschaftlichen Vereins in Bremen, im „Ibis“ 
(dem Organ der British Ornithologicis Union), den Proceedings of 
the Zoological Society of London und in Cabanis Journal für 
Ornithologie; A. v. Pelzeln veröffentlichte seine Arbeiten in den 
Verhandlungen der k. k. Zoolog. Botan. Gesellschaft in Wien. Herr 
Dr. Hartlaub hat die sämtlichen ihm persönlich geschenkten 
Sammlungen Emin Beys an unsre städtische Sammlung für Natur- 
geschichte überwiesen. Es gereicht mir daher zur Freude, dafs die 
ersten genaueren Nachrichten über die Person des berühmten Afrika- 
forschers auch von seiten der Bremer geographischen Gesellschaft 
ausgehen können. 

Bremen, deu 25. Februar 1887. 

Dr. W. Wolkenhauer. 


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67 


Kleinere Mitteilungen. 


§ Aus der geographischen Gesellschaft in Bremen. In nachfolgendem 

wird über zwei im Kreise der Gesellschaft kürzlich gehaltene Vorträge berichtet. 

Am 10. Dezember 1886 hielt Herr Dr. Bernhard Schwarz einen 
Vortrag über Kamerun. Auf der Grundlage der Anschauungen und Be- 
obachtungen, welche der Redner auf seinen Fufswanderungen durch Kamerun 
im vergangenen Winter und Frühjahr gewonnen, entwarf er ein vollständiges 
Bild der geographischen, ethnographischen und wirtschaftlichen Verhältnisse von 
Kamerun. Zuerst führte der Redner dem Hörer das einzig grofsartige Land- 
schaftstableau vor, welches sich dem zu Schiff der Küste Nahenden in dem 
4000 m hohen Götterberge entrolle, der, unten wie auf einem Wolkenpostament 
ruhend, bis an die nur spärlich von Schneestreifen durchzogenen schwarzen 
Lavakämme des Gipfels heran von einem grünen Samtmantel tropischen 
Waldes dicht umschlossen sei. Auch wenn mau den Berg auf einem der durch 
den Wald führenden Negerpfade bis zu seiner mittleren Höhe erklettert, bietet 
sich ein eigenartig reizvolles Landschaftsbild, das den Almen unsrer Alpen 
ähnelt, aber durch den Blick auf den blauen Ozean noch aufserordentlich viel 
grofsartiger ist. Auf den hier und da von moosbewachsenen Lavablöcken be- 
deckten, von Schluchten und klaren Gewässern durchzogenen Bergwiesen liegen 
malerisch zerstreut die aus Flechtwerk erbauten Hütten der Eingeborenen und 
weidet kräftiges Vieh von einer stämmigen Gebirgsrasse. Wenn nun die Wider- 
spruchsgeister in der deutschen Kolonialbewegung einräumen, dafs der Kamerun- 
berg schön sei, so fügen sie zugleich hinzu : Das andre ist alles Sumpfterrain. 
Dem ist nun aber, wie er sich auf seiner Reise durch Augenschein hat über- 
zeugen können, durchaus nicht so: einmal ist der Kamerun kein einzelner 
Berg, sondern ein 50 Quadratmeilen einnehmendes Gebirge, dessen sanft auf- 
steigende Flanken weit in das Land hinein sich erstrecken. Nur das schilf- 
reiche Mündungsgebiet und der Unterlauf der Flüsse liegen tief, im übrigen ist 
das Terrain hoch und wirtschaftlich vielfältig benutzbar. Der niedrigen Ufer- 
landschaft folgt nach Norden die zweite Zone des Urwaldes, ein von Wasser- 
adern durchzogener sandiger, trockener Boden, auf welchem Bäume mit leder- 
artigen glänzenden Blättern : Eben- und Rotholz, Mahagoni u. a. wachsen. Auch 
hier waren die Ansiedlungen der Eingeborenen zahlreich, das Material der eng 
nebeneinander in einer langen Strafse stehenden Häuser fester, aus Lehm, 
getüncht und mit phantastischen Figuren geschmückt. Die Tierwelt dieser im 
ganzen melancholischen Landschaft ist arm, der Hauptvertreter der gefiederten 
Welt ist der Glockenvogel mit seinem regelmäfsig wiederkehrenden Gekreisch 
und aus dem Urwald schmettert ab und zu der Trompetenton des Elefanten. 
Viele Tage durchwanderte Redner diese Gegenden; die Weltgeschichte schien 
hier ein Ende zu haben. Um so überraschender war der Anblick der dritten 
Zone, des Hochplateaus, wo eine fleifsige Bevölkerung zahlreiche Plantagen von 
Bohnen und Mais kultiviert, wo der Mango, die Banane und andre Frucht- 
bäume üppig gedeihen und wo auch das Tierlcbcn ein reicheres ist. In lebens- 
voller Schilderung entwarf der Redner sodann das Bild eines Flusses in dieser 
Gegend, der in mäandrischen Windungen bei einer bedeutenden Breite doch eine 
Fülle seines trübgelblichen Wassers mit sich führend zahlreiche Busch- und 
Sandinseln aufweist und von oben herab mächtige Baumstämme flöfst. Die 
Pfianzenszenerie der Flufsufer ist eine aufserordentlich reiche. Das Tierleben 

ö* 


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macht sich hauptsächlich während der frühen Morgenstunden in den ihre 
Strafsc durch den Wald sich brechenden Elefantenherden bemerkbar, auf den 
Sandinseln sonnen sich Krokodile und mitunter hört man aus den Fluten ein 
Stöhnen, wie das eines Sterbenden, das Flufspferd. Die Neger vermeiden die 
Flufsthäler, weil auch ihnen die Ausdünstungen Fieber bringen, sie legen ihre 
Ansiedlungen 3 — 5 km landeinwärts auf frei und hoch gelegenen Punkten an und 
hier und da belehren uns ein Schuppen oder aufgestapelte Ölfässer, dafs hier 
der Hafen einer solchen Negeransiedlung ist. Ab und zu ziehen Fahrzeuge 
schwarzer Händler stromaufwärts. Ein andres Bild bieten die Flüsse in ihren 
5 — 20 km breiten Mündungsgebieten. Die schlammigen Ufer und Inseln besetzen, 
in mächtigem Wurzelwerk sich aufbauend, die Mangroven und Rhizophoren. 
Der träge, langsame Lauf des Stromes gestattet das Eindringen der Meeres- 
flutwellc weit hinein, mit ihr wird eine Menge von Weichtieren hineingeschwemmt, 
welche, bei ablaufender Flut in den Wurzeln und abgestorbenen Asten der 
Mangrove zurückbleibend, unter dor brennenden Tropensonne schnell in Ver- 
wesung übergehen. Inmitten dieser Fieberregion, worin der europäische Kauf- 
mann notgedrungen leben mufs, giebt cs aber auch höher gelegene, daher gesunde 
Stellen. — Sodann verbreitet sich der Redner über die Nutzbarmachung, die 
Bewirtschaftung unsrer Kolonie Kamerun. Schon jetzt wird Palmöl in er- 
heblichen Mengen ausgeführt zur Seifenfabrikation und neuerdings auch, in 
Berlin, zur Herstellung von Kunstbutter, die Nutzbarmachung des bekanntlich 
vom Stamme einer Liane entnommenen Kautschuk kann noch eine bei weitem 
vielseitigere werden. Die schönen roten Beeren des wild wachsenden Kaffee- 
baumes weifs der Neger leider nicht zu schätzen; beachtenswert sind zahl- 
reiche Medizinpflanzeu, namentlich Strychnusartcn ; die Rinde und Blätter der 
Mangrove enthalten Gerbstoff und das Holz der Stämme ist wasserbeständig und 
dauerhaft. Die verschiedenen Zonen am Kamerunberg gestatten bei dem stets 
fruchtbaren Lavaboden die mannigfaltigste Bodenbebauung: Tabak, Wein, Obst, 
Gewürznelken, der Chinarinden- und der Kakaobaum gedeihen hier. Damit ist 
auch praktisch ein bedeutender Anfang in einer 9000 Stämme zählenden Kakao- 
pflanzung gemacht, welche bei der Missionsstation Viktoria an der Ambas-Bai 
trefflich gedeiht und daher bei dem Übergang dieses bisher englischen Besitzes 
an die Baseler Mission zu 62000 M laxiert wurde. Dafs auch das Innere von 
Kamerun fruchtbar ist, beweisen die Farmen der Eingeborenen und selbst die 
niedrigen Gelände an den Flufsmündungen würden nach Abtreiben der Man- 
grove ein Terrain für die Kultur von Reis und Zucker bieten. Jagd auf Elefanten 
und Rindviebzucht könnten weitere Erwerbsquellen werden. Das Wichtigste ist 
aber der Handel, in welchem die Deutschen zwar nicht der Zahl, aber der Be- 
deutung ihrer Faktoreien nach die erste Stelle einnehmen. Als Scheidemünze 
im Tauschhandel dient u. a. Tabak, der aber nicht geraucht, sondern, auch 
von Kindern und Damen, geschnupft wird, die Frauen tragen ihn mitunter in 
Düten im Ohr. Waffen, Kattune, Schmuck, Geräte bilden weitere Einfuhrartikel, 
ja schon jetzt arbeiten schwarze Schönen mit der komplizierten Nähmaschine. 
Den Löwenanteil des Handels nach dem Innern nehmen zur Zeit die schwarzen 
Zwischenhändler, die Duallas, in Anspruch, sie kaufen die Erzeugnisse des 
Landes zur Ausfuhr billig ein und verkaufen die europäischen Erzeugnisse so 
teuer wie möglich, , so dafs sie bis zu 20C0 und 3000 °/u verdienen. Darum 
ist es für den deutschen Kaufmann an der Küste eine Lebensfrage, direkte 
Handelsverbindungen mit dem Hinterlandc durch Errichtung von Stationen dort 
anzuknüpfen. Endlich wendet sich der Redner gegen die übertriebenen Vor- 


69 


Stellungen von der Gefährlichkeit des Klimas von Kamerun. Durch vernünftige 
Lebensweise und Sicherung des gerade in den Tropen nötigen Lebenskomforts 
kann der Europäer viel zur Erhaltung seiner Gesundheit thun, manche ’Mafs- 
regeln, wie die Reinigung der Creeks, die Beschränkung der Mangrove werden 
vorteilhaft wirken, ebenso Höhenstationen am Kamerunberg für die Erkrankten. 
Freilich mufs man Geduld haben, eine Eigenschaft, die der Deutsche ja Jahr- 
hunderte lang hat üben müssen. In der französischen Kolonie Algerien hat 
Redner in Dörfern verweilt, wo in den vierziger Jahren dieses Jahrhunderts 
das Fieber bis zu zwei Drittel der Bevölkerung hinwegraffte und jetzt sind diese 
Dörfer dank den Verbesserungen durchaus gesund, ja teilweise Gesundheits- 
stationen. Zum Schlufs sagte der Redner: Wir können gewifs, wie überhaupt 

auf unsre junge Kolonialpolitik, so auf das vielfach verleumdete Kamerun mit 
Stolz hinblicken. Gewifs sind noch genug Schwierigkeiten zu überwinden, es 
wird Mühsal und Arbeit kosten, daran ist aber das deutsche Volk durch seine 
bisherige Geschichte gewöhnt, das ist deutsche Art, und mit deutscher Arbeit 
wird auch Kamerun, so dürfen wir hoffen, noch einmal ein Land werden, das 
Gedeihen und Wohlstand seiner schwarzen wie der weifsen Bevölkerung bietet. 
Zwei grofse Karten, Zentral-Westafrika und das deutsche Kamerungebiet dar- 
stellend, dienten den vom Redner gegebenen geographischen Erläuterungen als 
Illustration. 

Am 17. Januar 1887 folgte ein Vortrag des Herrn Ernst Hartert, der mit 
Flegel zu seiner letzten Reise hinausgezogen war, über das Niger-Bonuegebiet. 
Der Redner hob zunächst die Schwierigkeiten der Erforschung dieses grofsen, 
an Bodenbeschaffenheit und Bevölkerung vielfach verschiedenen Gebiets hervor, 
mehr als ein Forscher habe in diesem Gebiet im Dienste der Wissenschaft sein 
Leben opfern müssen. Gleich beim Beginn der Reiso mufsten zwei zum Tode 
erkrankte Mitglieder, die Doktoren Scmon und Gürich, zurück in die Heimat 
befördert werden. Flegel starb und Staudingor, der treue Beisegefährte des 
Vortragenden, erkrankte schwer nach der Rückkehr. Am 19. Mai 1885 landete 
Redner nach fünfwöchentlicher Seefahrt an einer der grofsen Nigermündungen, 
dem Brafs-River. Der erste Eindruck bei Annäherung an die sonnenbeglänzte 
waldige Küste ist ein günstiger. Aber es gilt auch für diese Gegend das Wort, 
welches ein Seemann ihm zuflüsterte: der Tod schlummert in jeder Blume der 
afrikanischen Küste! An Niederlassung europäischer Ackerbauer ist weder an 
der Küste noch im Innern zu denken, doch kehren Forschungsreisende trotz 
gröfster Entbehrungen und Strapazen nicht selten gesund heim und der 
europäische Kaufmann kann bei vernünftiger Lebensweise hier lange leben und 
wirken, ihm eröffnen sich hier neue Bahnen, die besonders der mutige und 
beharrliche Deutsche unentwegt verfolgen wird. Unter der Bevölkerung der 
unteren Nigergegend sind besonders die Yoruba hervorzuheben; unter einigen 
kommt der Kannibalismus vor. Das Grab eines in Onitscha verstorbenen 
katholischen Missionars mufste auf die Bitte der Eingeborenen selbst zwei Nächte 
hindurch bewacht werden, damit die Leiche nicht von einem benachbarten 
Stamm von Kannibalen geraubt werde. Der Aufenthalt am untern Niger war 
ein kurzer, Flegel drängte zur Reise ins Innere. Am Zusammenflufs des Niger 
und Benue zeigt die Landschaft einen bergigen Charakter und unter der viel- 
sprachigen Bevölkerung überwiegen die Mohammedaner. Flegel zog den Niger 
aufwärts in das reiche Nupeland, während Hartert sich zum Benne wandte, an 
dessen Ufern teils Mohammedaner, teils Heiden wohnen, die streckenweise unter 
der Oberhoheit des grofsen Haussa-Fulbe-Staat.es Sokoto stehen. Von Loko ging 


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70 


die Reise nach Norden za den Sultanen von Sokoto und Qanda, denen die 
Geschenke nnsers Kaisers zu übergeben waren. In der Nähe der Dörfer zeigten 
sich üppige Felder von Guineakorn, Sorghum, Kolbenhirse, Penicillaria, Mais. 
Kassawa u. dergl. Zeitraubend und schwierig waren die Übergänge über die in 
der Regenzeit angeschwollenen Bäche und Flüsse, sie wurden teils durchritten, 
teils in Kanus oder auf leichten Flöfsen oder schwebenden Brücken passiert. 
In der jungen Stadt Anassarawa, wo ein junger kriegerischer Sultan herrscht, 
wie zwei Tage später in Keffi-Abd-es-Ssenga, versuchte man vergeblich, die 
Reisenden aufzuhalten. Prächtig ist der Ritt am Morgen unter Palmen, deren 
Kronen die über zackigem Felsen erscheinende Sonne rötlich färbt, die Träger 
traben singend voraus, aber bald gilt es sich zu rüsten gegen einen Überfall von 
Räuberscharen, die sich drohend zeigten, doch halb aus Furcht vor der Waffe 
des Weifsen, halb aus Scheu vor den Beschwörungen des Priesters, wieder 
abzogen. Durch ein fruchtbares palmenreiches Thal ging es bergan ins Gebirge 
zu den auf Felskuppen oder in Waldcsdickicht wohnenden wilden und roten 
Kotoheiden. Die Häfslichkeit ihrer Weiber steht in schroffem Gegensatz zu der 
Formenschönheit der schwarzen Haussafrauen und zu der Grazie und dem 
Anstand der gelben Fulbemädchen. In der grofsen Stadt Scaria bereitete der 
Sultan den Reisenden freilich einen glänzenden Empfang, nötigte sie aber zu 
bleiben, bis er selbst zur Entrichtung des Tributs zum Sultan von Sokoto zöge. 
Leider war die Gegend ungesund, auch Hartert wurde vom Fieber befallen. 
Doch konnte der unfreiwillige Aufenthalt zu einem Besuch der grofsen und 
reichen Stadt Kanu benutzt werden, die seit Barth von keinem Europäer wieder 
betreten worden war. Das Leben und Treiben in dieser Stadt, wo die Reisenden 
von einem der Vornehmen gastlich aufgenommen wurden, schildert der Redner 
anschaulich und lebendig : das Araberviertel mit seinen viereckigen Lehmhäusern, 
die Dromedarkarawanen der wilden Tuaregs, welche Salz von den Seen der 
Wüste bringen, eine arabische Schule, eine Reiterschar, die unter Trompeten- 
geschmetter den eben errungenen Sieg über eine kleine Heidengemeinde ver- 
kündet. Hier in Kanu sind auch reine weifse Araber ansässig, doch sie kehren, 
wenn sie Reichtümer erworben haben, immer wieder nach Nordafrika, nach 
Tripoli oder Tunis, zurück. Einer von diesen reichen Kaufleuten, welche haupt- 
sächlich Elfenbein, ferner Straufsfedern, Sklaven und Toben ausführen, gab den 
Europäern in seinem hohen kühlen Hause ein Gastmahl. Das Elfenbein kommt von 
Adamaua, hat die breite Wasserstrafse des Benne passiert, von wo es eigentlich 
naturgemäfs nach Europa ausgeführt werden sollte; infolge des Auftretens 
englischer, zum teil schwarzer Agenten geht es aber wieder mehr hinauf zu dem 
alten bekannten Handelsweg der Araber, die es auf langer, beschwerlicher Reise 
von Kanu über Kuka am Tsadsee durch die Wüste zum Mittelmeer bringen. 
Das Treiben auf dem arabischen Markte in Kanu mit seinem malerischen Durch- 
einander der Trachten und Waren, zu denen leider hier auch Sklaven gehören, 
schildert der Redner lebhaft und wendet sich dann zu der zum Teil durch neues 
Gebiet gehenden Reise von Sana nach Sokoto, die im Zuge des Sultans gemacht 
wurde. Dieser Zug des auf einem braunen Araberhengst und umgeben von 
Beinen prächtig gekleideten Grofsen einhersprengenden Sultans von Saria bestand 
aus etlichen Tausend Menschen, Hunderten von Pferden, Rindviehherden u. a. 
In Dangoga nahm der „Sultan aller Sultane“ den Tribut seiner Statthalter ent- 
gegen und empfing sofort die Männer aus Europa in seiner Halle unter dem 
vielmal wiederholten arabischen Grufs : marhabba marhabbi 1 Am dritten Tage 
wurden in feierlichem Zuge die Geschenke unsers Kaisers überbracht, die Be- 


71 


Wanderung erregten. Weiter gings nach Sokoto; die grofse Stadt, obwohl über 
einen grofsen Flächonraum ausgedehnt und mit einem reich besuchten Markte, 
zeigt doch im ganzen das Bild des Verfalls, und die Stadtmauern sind so 
schadhaft, dafs an einigen Stellen des Tags die Ziegen, des Nachts die Hyänen 
hinüberklettern ; die eisernen Thore werden allabendlich sorgsam verschlossen, 
ln Qandu war der Empfang ein kühler, da die von Flegel über Nupe einge- 
sandten Geschenke noch nicht eingetroffen waren. In Wurnu zeigten sich die 
Träger übermütig und unzuverlässig und fanden fortwährend Ärgerlichkeiten mit 
denselben statt, die erst in Samfara, dessen edler, freundlicher Herrscher den 
Reisenden ein starkes Dromedar schenkte, ihr Ende erreichten. Der Rückweg über 
Saria ging durch eine Gegend, die, heimgesucht von Räubern, das traurige Bild von 
Mord, Brand und Plünderung bot. In Kukui nahm die Reisenden der frühere 
Gastfreund herzlich wieder auf und erbat sich beim Abschied von ihnen als 
Liebeszeichen eine Medizin gegen — den Tod. In Loko verweilten die Reisenden 
noch zwei Monate und traten dann, nachdem sie Erkundigungen über Flegels 
Aufenthalt eingezogen hatten, die Heimreise an. — 

Die Mitglieder der Gesellschaft begrüfsten am 22. Januar d. J. in Bremen 
die Mitglieder der deutschen Schingu-Expedition. Diese Herren — Dr. 
med. v. d. Steinen und W. v. d. Steinen aus Düsseldorf, Dr. Ehrenreich aus 
Berlin und Dr. Vogel aus München — verliefsen am 25. Januar Bremerhaven mit 
dem Lloyddampfer „Berlin' zur Fahrt nach Rio, von wo die Reise mit einem 
Regierungsdampfer zunächst längs der atlantischen Südküste Brasiliens, sodann 
den Parana und Paraguay hinauf bis Cuyabä fortgesetzt werden soll Hier in 
Cuyabä, von wo schon die frühere Expedition ausging, wird auch die diesmalige 
weiter organisiert werden. Die geographischen und ethnologischen Forschungen 
werden sich diesmal hauptsächlich auf die Quellgebiete der Flüsse, welche 
zum Schingu zusammenströmen, besonders auf die Uferlandschaften des Kuliseu 
erstrecken. 

Im November v. J. wurde, wie in Heft 4 der Zeitschrift von 1886 be- 
richtet, von unsrer Gesellschaft in ihrem Lokal eine Ausstellung von eth- 
nologischen und kommerziellen Gegenständen aus Ostasien und Mittel- 
amerika veranstaltet. Dieselbe war fünf Wochen hindurch geöffnet und wurde 
von 450 Personen besucht; ein Eintrittsgeld wurde nicht erhoben, doch war 
durch Ausstellung von Sammelbüchsen Gelegenheit zu Spenden für die 
Deutsche Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger gegeben. Somit konnte am 
Schlufs der Ausstellung nach Abzug der Kosten der Kasse dieser Gesellschaft 
ein kleiner Betrag überwiesen werden. 

Leider haben wir den Verlust unsres Mitgliedes, des um die deutsche 
Kolonialsache hochverdienten Herrn F. A. E. Lüde ritz zu beklagen: wie die 
Zeitungen berichtet haben, ist Herr Lüderitz auf einer Bootsreise von der 
Mündung des Oranjeflusses längs der Küste des von ihm erworbenen deutschen 
Koloniallandes in Südwestafrika, verunglückt. Es ist an der Wahrheit des 
Berichts jetzt leider nicht mehr zu zweifeln ! 


Zur Topographie von Bremen. In der historischen Gesellschaft von Bremen 
hielt am 29. Januar 1887 Herr Dr. Dünzelmann einen Vortrag über die 
topographische Entwickelung der Stadt Bremen. Der „Bremer Courier“ be- 
richtet über diesen Vortrag das Folgende : Die Frage nach den örtlichen 

Bedingungen, welchen unsre Stadt ihren Ursprung verdankt, ist schon öfter 
erhoben und zu beantworten versucht worden. Gewöhnlich nimmt man an, 


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72 


dafs sich hier an der Unterweser der änfserste Punkt befand, der zu jeder Zeit 
gestattete, vom Rhein und benachbarten Gegenden in das Gebiet der Elbe und 
weiter nordwärts zu gelangen. Die zu überwindenden Schwierigkeiten lagen 
nicht so sehr in den Gewässern, welche überschritten werden mufsten, als in 
Sümpfen und Mooren, an deren Rändern entlang stets gangbare Wege gesucht 
werden mufsten. Um dies Verhältnis gründlich anseinanderzusetzen, ging 
Herr Dr. Dünzelmann auf die Zeit der Römer, uuf die Geschichtsquellen des 
Tacitus zurück. Mit Hülfe einer Landkarte wurden die uralten Verbindungs- 
wege zwischen dem Rhein, der Lippe und der Weser einerseits, sowie zwischen 
dieser und den Gegenden an der Elbe anderseits in ihrer naturnotwendigen 
Entstehung nachgewiesen. In Kürze ausgedrückt, sind dies die alten Heer- 
strafsen, die von der jetzigen Neustadt aus südlich an den Dümmersee und 
nach Osnabrück und westlich über Wildeshausen nach Quakenbrück führen, 
und für die Altstadt die Verbindungen vom Oster- und dem Ansgarii- und 
Doventhore aus. — In engerer Ausführung seines Themas kam der Vortragende 
auf die äufsere Erscheinung unsrer Stadt im Mittelalter in bezug auf Strafsen- 
anlagen und Befestigungen. Letztere wurden in dreifacher Hinsicht unterschieden 
und zwar zuerst als die des Domes und seiner Nebengebäude, dann die der ge- 
samten Stadt und endlich mit bezug auf 'die Aufsenwerke, Landwehren. Dabei 
ergaben sich auf Grund urkundlicher Darstellungen mancherlei interessante Auf- 
schlüsse, die indes durch fortgesetzte Studien ihres hypothetischen Charakters 
noch mehr entkleidet werden müssen und deshalb hier der näheren Mitteilung 
entbehren können. Die fortgesetzten Untersuchungen werden voraussichtlich 
viele der erlangten Ergebnisse bestätigen oder zu gröfserer Wahrscheinlichkeit 
erheben, während andre sich entweder als haltlos erweisen oder dunkel und 
unaufgeklärt bleiben werden. Unaufgeklärt ist namentlich Vieles in betreff 
der ältesten Stadtmauer, der Lage einiger Thore, und der Befestigung des Domes, 
wozu u. a. auch ein starker Turm gehörte. Wie urkundlich bestätigt, haben 
bei dem Bau des Rathauses erhebliche Oberreste älterer Festungsmauern entfernt 
werden müssen. Es ist wahrscheinlich, dafs es eine Zeit gegeben, in welcher 
der Hauptverkehrsweg nach Nordwesten an die Lesum in der Richtung der 
jetzigen Pelzerstrafse sich erstreckte. Die Grenzen der Stadt sind ohne Zweifel 
zu verschiedenen Zeiten ausgedehnt und erweitert worden, so dafs der gegen- 
wärtige Umfang der Altstadt erst in der nachmittelalterlichcn Zeit erreicht und 
durch Gräben, Wälle und Mauern fest bestimmt worden ist. Jedenfalls bleibt 
die Enthüllung der topographischen Entwickelung unsrer Stadt ein höchst 
interessantes Kapitel, dessen Fortsetzung zu wünschen ist. 

Aus der niederländischen Provinz Friesland. Die „Weserzeitung“ ver- 
öffentlichte kürzlich unter der Überschrift: „Land und Leute, Sitten und Ge- 
bräuche in Westfriesland - ansprechende Schilderungen, denen wir folgendes 
entnehmen : Der Bewohner des Strandes ist nicht sehr zur Fröhlichkeit geneigt. 
Die weite, graue Meeresfläche, welche in weiter Ferne mit dem Horizonte in 
eins verschwimmt, stimmt ihn zum Ernste. Die tägliche Beschäftigung macht 
mit der Gefahr so vertraut, dafs der Tod wie mit zur Familie gehörig erscheint, 
ein böser Gast, der an allen Orten lauert, um hervorzubrechen. Selbst die- 
jenigen, welche im Innern der Provinz dem Landbau und der Viehzucht ob- 
liegen, können sich diesem Ernst des Lebens nicht entziehen. Müssen sie doch 
stets mit dem Binnenwasser um ihr niedrig gelegenes Land kämpfen und dem- 
selben wehrhafte Dämme entgegensetzen, damit es nicht in einen weiten Sumpf 


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73 


verwandelt wird. An der Küste der Nordsee und der Zuidcrzee entlang liegt 
fruchtbarer Marschboden. Von Harlingen nordostwärts eignet derselbe sich 
wegen seiner höheren Lage zum Ackerbau ; es werden daselbst Gerste, Weizen, 
Hafer, Bohnen, Kartoffeln und Flachs gewonnen. Winter- und Sommerraps 
wird im Vergleich zu früheren Zeiten weniger gebaut, auch trifft man einzelne 
Felder mit Zichorien an. In der Umgegend von Berlikum, nordwestlich von 
Leeuwarden, beschäftigen sich die Bewohner mit Gartenbau und versorgen die 
Städte des Landes mit Gemüse, sowie mit Erdbeeren, Himbeeren, Johannis- 
und Stachelbeeren. 

Anders ist es in der niedriger gelegenen Marsch, welche von Harlingen 
südwärts an der Zniderzce entlang liegt bis Stavoren und sich in das Innere 
des Landes hinein über den Grund der eingedeichten Middelsee hinweg in 
einem schmalen Streifen bis nach Dokkum hinzieht, wo 755 Bonifacius 
von den heidnischen Friesen erschlagen wurde. Auf weiten Flächen sieht man 
kein einziges Stück Ackerland, hier wird nur Viehzucht getrieben, Wiese reiht 
sich an Wiese. Breite Kanäle, auf denen Dampfschiffe regelmäfsige Verbindungen 
mit den Ortschaften hcrstellen, durchschneiden das Land. Die zu einem Bauern- 
hof gehörenden Ländereien sind von einem Damm umgeben, von breiten Gräben 
durchschnitten, in denen sich das Wasser sammelt, welches durch eine Wasser- 
schöpfmühle in den Kanal gehoben wird. Ohne solche Windmühlen kann man 
sich eine holländische Landschaft gar nicht denken. Auf einer erhöhten Stelle 
baut der Bauer seinen Hof. An den eingedeichten Poldern, deren es in West- 
friesland wohl 1600 giebt, liegen dieselben einzeln, während sie sonst zu kleinen 
Dörfern vereinigt sind. Alle Räumlichkeiten des Hofes sind unter einem ans 
roten Ziegeln hergestelltcn Dache vereinigt, es ist die rote Farbe in dem um- 
gebenden Grün der Wiesen und Weiden eine angenehme Unterbrechung. Die 
gröfste Sorgfalt beim Bau des Hauses wird dem Keller gewidmet. Als Aufbe- 
wahrungsort für die Milch mufs er luftig, kühl und geräumig sein. Gewöhnlich 
liegt er an der Nordwostecke des Hauses und nicht gar zu tief in der Erde. 
Damit die Milch recht kühl bloibt, ist rundherum an der Wand entlang ein 
Wasserreservoir von etwa 60 cm Höhe und 1 m Breite aufgemauert. Die Ober- 
fläche desselben ist mit runden Löchern versehen, in welche die aus Zinkblech 
hergestellten Milchtaljen hineingesetzt werden, so dafs sie in den hohlen Raum 
hineinragen, und stets von kühlem Wasser, das täglich mehrmals erneuert wird, 
umspült werden. * 

Neben dem Milchkeller, zur ebenen Erde, findet sich an der Giebelwand 
die beste Stube. Beide, Stube und Keller, sind von den übrigen Räumen durch 
einen Gang getrennt. Don gröfsten Raum im Innern des Gebäudes nimmt der 
Lagerplatz für Heu ein, Gulf genannt, der von drei Seiten mit Viehställen um- 
geben ist, während die vierte Seite nach dem vorerwähnten Gange zu, Platz 
für die Küche, die zugleich Wohnstube ist, und den Raum für die Butter- 
maschine gewährt. Die Stallung für Grofsvich nimmt eine ganze Längsseite 
des Hauses ein und ist durch eine Wand von dom Gulf getrennt, während an 
der entgegengesetzten Seite zwischen dem Gulf und der Stellung für Kleinvieh 
sich die Tenne oder vielmehr eine mit Lehm gedielte Auffahrt befindet, denn 
zu dreschen giebt es hier überall nicht. Die Kammer für die Käsebereitung 
findet sich am Hause, ist jedoch durch eine Überdachung mit dem Ganzen ver- 
einigt. Schlafzimmer giebt es im ganzen Hause nicht, sondern in der Wohn- 
stube, wie am Hausflur entlang, sind Wandkojen errichtet, in denen die Bewohner 
des Nachts der Ruhe pflegen. Am Tage sind dieselben durch Thüren verschlossen. 


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Die Produkte, Butter und Käse, bringt der Landmann entweder zu 
Schiff oder zu Wagen zum nächstgelegenen Markte, der in den Städten all- 
wöchentlich abgehalten wird. Die schwerfälligen Wagen haben eine kurze 
Deichsel, an deren Spitze die Zugstränge befestigt werden, während der Knecht 
einen niedrigen Sitzplatz hat und den l'ufs auf die Deichsel stemmt, um das 
Gefährt zu lenken. 

Zur Zeit der Heuernte giebt es für den Viehzüchter vollauf > zu thun. 
Aus Deutschland kommen ganze Scharen von Mähern, um das hochauf- 
gewachsene Gras abzuschneiden, während der Bauer mit seinem Gesinde die 
Arbeit des Trocknens und Einfahrens besorgt. Erst im September, nach der 
Grummeternte, tritt eine Buhepause ein, die benutzt wird, um Nachbarn, Freunden 
und Verwandten Besuche abzustatten. In diese Zeit fällt auch der Jahrmarkt, 
de Kermis, welcher gewöhnlich eine Woche dauert. Für die angestrengte Arbeit 
im Sommer entschädigen sie sich hier durch die ausgelassenste Fröhlichkeit. 
Schon sechs Wochen vorher ladet der Bursche die vou ihm erwählte Schöne 
zur Kirmes ein, und er ist dann gehalten, während der ganzen Dauer nur mit 
der Dame seines Herzens Kirchweih zu feiern. Mehrere Tage lang geniefsen 
sie ununterbrochen die Marktfreuden, erst nach völligem Auskosten des 
tollen Jubels geleitet er die Schöne heim, und mit einem einfachen Abend- 
essen im Hause der Jungfrau nimmt die Fröhlichkeit ein Ende. Solche Kirmes- 
feier ist gewöhnlich die Einleitung zu einem Bunde fürs Leben. Der Bursche 
besucht längere Zeit, manchmal jahrelang seine Auserwählte, um sie näher 
kennen zu lernen, und wenn auch ein Verlöbnis erfolgt ist, so wird dasselbe 
doch nicht eher für bindend erachtet, als bis das Aufgebot erlassen ist, welchem 
nach 14 Tagen schon die Hochzeit folgt. Das Verhältnis kann deshalb leicht 
gelöst werden, und cs wird in dem Falle immer formell von seiten der Jung- 
frau gekündigt, weil nach Ansicht der Friesen sonst ein Makel auf ihr haften 
bleibt und ihr das Eingehen eines neuen Verlöbnisses erschwert wird. 

Ausgedehnte Binnenmeere von 6—8 Stunden im Umfang, wie das Tjeuke- 
meer, das Fluessen- und Ilcegermeer, Sneekermeer u. a. breiten Bich im Innern 
der Provinz aus. Alle sind durch breite Kanäle untereinander verbunden, 
welche, eigentlich zum Zwecke der Entwässerung angelegt, die Hauptverkehrs- 
strafsen bilden. Die Meere und Kanäle sind sehr fischreich, besonders werden 
Aale in Menge gefangen und in eigens dazu konstruirten Schiffen, die einen 
doppelten Boden haben, von denen der untere durchlöchert ist, lebendig nach 
London befördert. Die Jagd auf Wasservögel ist sehr ergiebig. Enten werden 
in sogenannten Entenkojen, grofsen mit dichtem Gebüsch umgebenen Teichen, 
denen kein Mensch bei Vermeidung hoher Geldstrafen nabe kommen darf, 
angelockt und gefangen, um als gute Beute den Städtern zum Kauf angeboten 
zu werden. Im Sommer dienen die weiten Wasserflächen dem Segelsport, wenn 
aber der Winter spiegelglatte Eisflächen über das Wasser gebaut hat, so hält 
nichts den Friesen am Herde fest. Im engen, kurzen Wams, mit der Mütze 
aus Robbenfell, eilt er hinaus auf die Eisbahn, um sich dem Vergnügen des 
Schlittschuhlaufens hinzugeben. Schlanke, blauäugige Friesinnen mit hell- 
blonden Haaren erwarten hier ihre „Jongens J . Die Backen sind vom Ostwind 
und vor heller Lust frisch gerötet. In ihrem eigentümlichen Kopfputz nehmen 
sie sich gar sonderbar aus, besonders, wenn die helle Sonne darauf scheint, 
dafs es blitzt und glitzert. Derselbe wird Ohreisen genannt und besteht aus 
zwei mit einander verbundenen Metallplatten, die zu beiden Seiten den Kopf 
bedecken und an den Schläfen mit Rosetten verziert sind. Dem Namen nach 




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sollte man annehmen, dafs es ans unedlem Metall angefertigt wäre, dem ist 
aber nicht so, sondern gewöhnlich sind die Platten ans massivem Golde herge- 
stellt, und die Rosetten bilden eine kunstvoll getriebene Arbeit. Ein solcher 
Schmuck hat oft den Wert von 300 — 100 Gulden. Axis Silber oder minder- 
wertigem Metall tragen ihn nnr die ärmeren Klassen. Die Platten werden zum 
Teil von einer Spitzenhaube bedeckt und eine solche wird, aus feinstem Gewebe 
und mit Brüsseler Spitzen besetzt, oft mit 60 Gulden bezahlt. Nicht nnr in 
Friesland, sondern auch in dem übrigen Teil der Niederlande tragen die Frauen 
und jungen Mädchen solchen Kopfputz. Jede Provinz hat nur eine andre 
Form für den seitlichen Schmuck, so dafs man daran sofort erkennen kann, 
aus welcher Provinz die Trägerin stammt. Die junge Städterin aber huldigt 
schon der Weltmode und will von alten Sitten nichts mehr wissen. 

8 Die Hamburger Post. Am 5. Februar d. J. wurde das neue Post- und 
Telegraphengebäude am Stephansplatz in Hamburg eingeweiht und es wurde 
in Anlafs dieser Festlichkeit eine im Auftrag der Kaiserlichen Oberpostdirektion 
zn Hamburg vom Oberpostdirektionssekretär F. Bonge daselbst ausgearbeitete 
Denkschrift verteilt, welche auf 52 Seiten 1. die Geschichte des Post- und 
Telegraphenwesens der Stadt Hamburg bis zur Gründung des Norddeutschen 
Bundes, 2. eine Beschrcibnng der Häuser, welche von den früher in 
Hamburg vertretenen sieben Postverwaltungen als Diensträume benutzt 
wurden, weiter 3. eine Darstellung der Entwickelung, welche das Post- und 
Telegraphenwesen in Hamburg seit Errichtung des Norddeutschen Bundes bis 
auf die Gegenwart genommen hat, endlich 4. die Baugeschichte und Beschreibung 
des neuen grofsartigen Reichs-Post- und Telegraphengebäudes, samt der mit 
demselben verbundenen Anstalten und Anlagen enthält. Die Schrift ist typo- 
graphisch schön ansgostattet und durch ein künstlerisch ausgeführtes Titelblatt, 
sowie durch ein gelungenes Bild des neuen Postgebäudes geziert; den Inhalt 
fanden wir im hohen Grade anziehend. Die ersten Abschnitte zeigen uns die 
Unbehilflichkeit und Schwerfälligkeit des Verkehrswesens der früheren Zeit. 
Das im 16. Jahrhundert unter dem Kaufmannsrate eingerichtete Botenwesen 
bestand bis in das 17. Jahrhundert, dann kam die Reitpost, eine Fahrpost nach 
Bremen wurde 1750 eingerichtet, zwischen Berlin und Hamburg fuhr schoji 1656 
eine „fliegende Kalesche“, später kam die „geschwinde Hofküchenpost'. All- 
mählich setzten sich neben der freistädtischen Post eine Thum- und Taxissche, 
eine Preufsische, Hannoversche, Dänische, Schwedische und Mecklenburgische 
Post fest und es gab unaufhörliche Streitigkeiten unter den verschiedenen Post- 
ämtern und mit dem Senat, wegen gegenseitiger Abgrenzung der Gerechtsame: 
nirgend mehr als in der grofsen Handelsstadt Hamburg mit ihren sieben Post- 
ämtern mufste man das Bedürfnis einer einheitlichen Deutschen Postverwaltung 
empfinden und in der That, bald nach den Freiheitskriegen von 1813 — 15 liefs 
Hamburg durch seinen Gesandten beim Bundestage den Antrag stellen , ein 
einheitliches Staats-Postwesen für Deutschland einzurichten, ein Vorschlag, der 
an der Existenz des Thurn- und Taxisschen Lehnspostwesens scheiterte. Gegen- 
über der Post- und Verkehrsmisere der früheren Zeit, — beispielsweise durfte 
bis zum Jahre 1806 nach Thoresschlufs keine Post in Hamburg ein- oder 
ausfakren! — erscheint die Gegenwart, die Reichspost um so glänzender. Für 
die grofsartige Entwickelung des Postverkchrs in Hamburg in der Zeit von 
1874 bis 1885 sprechen folgende Zahlen. Die Zahl der eingegangenen Brief- 
sendnngen betrug 1874 13 945 788 und 1885 : 35440100. Im Jahre 1874 gingen 


ogle 


Die 



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Postanweisungen ein im Betrage von 22 Millionen, 1885 war dieser Betrag 
79 Millionen Mark, während die aufgegebenen Postanweisungen in dieser Zeit 
von 11 auf 62 Millionen „tf. stiegen. Die Roheinnahme in barem Gclde betrug 
1874; 15 808 002 M, 1885: 71 476 777 M ; die liohansgabe war 1874 : 23151 117 M., 
1885 : 119 937 698 M — Schliefslich sei aus der Rede, welche bei der Festfeier am 
5. Februar der Kaiserlich deutscho Generalpostmeister Staatssekretär Dr. von 
Stephan hielt, folgende Stelle hier wiedergegeben: ,In dem neuen Zentral- 
Reichs-Postgobäudc zu Hamburg bewegt sich ein Strom von jährlich 90 Millio- 
nen Briefpostgegenständen, von 2 Millionen Telegrammen, von Werten, welche 
dem Betrage des ganzen seewärts kommenden Imports von Hamburg gleich- 
kommt. Eine Rohrpost ist inzwischen hier auch eingerichtet. Wie das Fern- 
sprechwesen sich in den wenigen Jahren ausgedehnt hat, ist Ihnen heute früh 
vom Herrn Ober-Postdirektor geschildert worden: Sic sprechen jetzt direkt mit 
Lübeck und Bremen und ich sehe die Zeit kommen, wo Sie sich mit Ihren 
Geschäftsfreunden in Berlin, Kopenhagen und Amsterdam mündlich unterhalten 
werden.“ Alles in allem ist die Festschrift ein wichtiger Beitrag zur Geschichte 
der Deutschen Post und des Binnenverkehrs in Deutschland. Nachdem uns der 
jetzige Reichspostmeister Stephan vor längerer Zeit in einer trefflichen Arbeit 
die Geschichte der Prenfsischen Post geliefert, wäre es eine würdige Aufgabe, 
eine Geschichte der Entwickelung des gesamten Deutschen Post- und Binnen- 
verkehrswesens zu schreiben. Gedrucktes Material dazu ist schon reichlich 
vorhanden, freilich müfsten einer erschöpfenden Darstellung zeitraubende und 
mühevolle Studien in Archiven vorangehen, weshalb ein derartiges Unternehmen 
durch Stipendien und Preise gefördert werden müfste. Ein besonderes, unsres 
Wissens noch gar nicht bearbeitetes Kapitel ist das Seepostwesen, das freilich 
in Deutschland, wenigstens früher, lange nicht die Bedeutung hatte, wie in 
England, Frankreich und Italien. M. L. 

Die dänischen Untersuchungen in Grönland. Wie schon früher berichtet, 
sind diese Forschungen im Jahre 1886 durch zwei Expeditionen fortgesetzt worden : 
1) Die des Premierleutnant Ryders mit dem Prcmierlcutnant Bloch und dem 
Mineralogen Ussing, welche den nördlichsten Bezirk, von 72 0 22' an zur Aufgabe 
hatten. Von dieser verlautet bis jetzt nur, dafs es, obgleich die Witterung sehr 
ungünstig war, doch geglückt ist, den gröfsten Teil, etwa 15 Meilen der zunächst 
vorgeschriebenen Küstenstrecke, noch in demselben Sommer zu bereisen, und 
namentlich dem grofsen Eisfjorde von Augpadlartok besondere Aufmerksamkeit 
zu widmen. Von den Teilnehmern ist Ussing dem Plane gcmäfs im Herbst nach 
Kopenhagen zurückgekchrt, wogegen die beiden Seeoffiziere überwintern. 2) Die 
Expedition des Kriegsschiffes „Fylla“ unter Kapitän Braem mit Premierleutnant 
Hammer als Nächst-, dem Prinzen Valdemar als dritten Kommandierenden und 
dem Forscher der Ostküste, Premierleutnant Garde. Als Naturforscher nahmen 
Holm (von früheren Expeditionen bekannt) und Kolderup Rosenvinge teil. Die 
wissenschaftliche Aufgabe dieser Expedition war hauptsächlich hydrographischer 
Natur; sie wurde in dieser Beziehung sehr durch die Menge und Lage des 
Treibeises in diesem Sommer gehindert und war durch dasselbe bei der Kolonie 
Godthaab vom 15. Juni bis zum 9. Juli völlig eingesperrt. Ober die Ergebnisse 
der Untersuchungen hat Hammer in der Zeitschrift der dänischen geographischen 
Gesellschaft einen kurzgefafsten und klaren Bericht abgegeben, aus welchem 
das hier Folgende entnommen ist. Für Tiefseemessungen bis auf 100 Faden 
wurde der Patentapparat Sir William Thomsons, und für gröfsere Tiefen die 


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vom Amerikaner Sigsbec erfundene Maschine benutzt. Diese Messungen schliefsen 
sich an die im Jahre 1884 unter Normann ausgeführten, und die Ergebnisse 
beider Jahre sind auf einer beifolgenden Karte dargestellt. Diese zeigt eine 
dichte Beihe von Tiefenangaben in verschiedenen Entfernungen von der Küste 
von 02 0 bis nahezu 73° nördl. Br. Man versuchte in der Baffins-Bai so weit 
wie möglich quer hinüber nach Westen vorzudringen, fand aber in einer Ent- 
fernung von weniger als 8 Meilen im Westeise ein unüberwindliches Hindernis. 
Mit den Messungen der Tiefe waren auch, je nach den Umständen, solche der 
Temperatur, sowie Sammlung von Wasserproben und Anwendung des Trawls- 
und Bodenschleppnetzcs verbunden. Die ersten Lotungen wurden zur Einübung 
im Gebrauche der Apparate vor der Mündung der Davisstrafse vorgenommen 
und dabei eine Tiefe von 1670 Faden erreicht; die eigentlichen Messungen 
fingen aber erst unter 62 “ 46' an. Von da bis 64°, wo man beim Einlaufen 
zur Kolonie Godthaab das Grofseis traf, wurden Tiefen von 1233 —595 Faden 
gemessen. In der Nähe des Eises sank die Temperatur der Oberfläche bis 
— 1 °. 4 (Celsius), während sie in der Tiefe bis zu 3‘/a “ zunahm, in gröfserer 
Tiefe als 150 Faden jedoch wieder bis zu 2“ abnahm. Am wichtigsten 
waren jedoch die nördlichsten Messungen, von 69‘/« “ nördl. Br. an, weil diese 
Strecke im Jahre 1884 unberührt gebbeben war. Bei Upernivik (72 “ 47') war 
die Temperatur der Oberfläche wahrscheinlich wegen der Nähe des Eisfjords 
nur — l l /v °, denn von da südwärts bis Pröven (72° 22‘) stieg sie bis zu 5°. 3. 
Bei Svartehuk (71 Vs“ nördl. Br.) hielt die Oberfläche — |— 5 °, abnehmend bis 
zu 0° in 40 Faden Tiefe, dann negativ (Minimum ~ 0.9) bis 130 Faden, und 
von da wiederum zunehmend bis zu 1 0 . 3 am Boden in 234 Faden Tiefe. — 
Aufserhalb Disko traf man in der Oberfläche — (- 4 °, abnehmend bis zu 0° in 
20 Faden, und -f- 1 7 in 50 Faden, von da wiederum steigend bis 0 0 in 
125 Faden, und -j- 1 °. 3 in 173 Faden Tiefe. In gröfserer Tiefe scheinbar wieder 
etwas abnehmend. Auf der Karte sind drei Durchschnitte von der Küste aus- 
wärts, unler 63°, 68‘/j° und 71“ nördl. Br. hinzugefügt, welche Temperatur 
und Boden nach den bisherigen Beobachtungen darstellen, und unter andern 
zeigen, wie die Schicht warmen Wassers, welches längs der Küste Grönlands 
in die Davisstrafse hineingeführt wird, allmählich nach Norden zu abnimmt. 
Auf der letzten Beise wurde im Juni beim Kap Farwel unter 59“ nördl. Br. im 
Juni -j- 5 “, im August -j- l'h “, unter 61 0 nördl. Br. sogar ebenfalls -f- 7‘/i “ in 
der Oberfläche beobachtet. Merkwürdig sind die Bänke, welche von 62“ bis 
69“ nördl. Br. in einer Entfernung von ungefähr 5 Meilen parallel mit der 
Küste laufen. Sie zeigen eine Tiefe von 15 bis 50, an einer Stelle sogar nur 
11 Faden, fallen gegen das Land hin schroff ab, bis zu 200 Faden, nach Westen 
weniger schroff. Der Grund besteht aus Sand mit Steinen und Schaltieren. 
Aus mehreren Ursachen hat man diese Gründe als Moränen mit der älteren 
Glacialbildung derselben Küstenstrecke in Verbindung gesetzt. Schleppnetz und 
Trawl gaben den Naturforschern eine reiche Ernte. Auf den Bänken fand man 
ein grofsartiges Ticrieben entwickelt, darunter besondere Krebstiere, merk- 
würdig wegen der Gröfse, teilweise auch der Seltenheit ihrer Formen (Pandalus, 
Mysida u. a.). In der Baffins-Bai wurde sechs Mal getrawlt in 18 bis 150 Faden 
Tiefe; besonders merkwürdig waren da die Sterntiere (Antodon, Astrophylon, 
Solaster). Die Untersuchung der reichen Algenvegetation des grönländischen 
Meeres wurde auf dieser Expedition als Spezialität betrieben. — Dieselbe Nummer 
der dänischcu geographischen Zeitschrift enthält Artikel, Grönland betreffend, 
von Kapitän Holm und seinem Begleiter auf der Ostküstc, Eberlin. Letzterer 


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erörtert in einer ausführlichen kritischen Untersuchung dio Meinungen, welche 
über die Unartokquellen, die Kentierinsel der alten Sagas und das in Grönland 
als Antiquität Vorgefundene Glockenmetall geäufsert worden sind. — Kapitän 
Holm beantwortet in einer gründlichen Kritik die Angriffe, welche von 
schwedischer Seite, durch Kjellström, auf seine Ortsbestimmungen und seine 
Kart« von Angmagsalik gerichtet worden sind. Der Kernpunkt der Frage ist die 
Lage des Kap Dan, aber Kjellström führte den Streit auf andre und allgemeinere 
Gebiete über, während Holm sich streng defensiv hält und genau die Methode 
seiner Ortsbestimmungen angiebt. Bekanntlich sind seine Resultate aus Arbeiten 
hervorgegangen, die ungefähr ein Jahr in Anspruch nahmen und das Gepräge 
eines seltenen Fleifses sowie grofser Ausdauer und Gründlichkeit tragen. Die 
Resultate Kjellströms gründen sich aber nur auf eine einzelne Landung an der 
Küste, die allerdings in der Reihe arktischer Entdeckungen Bewunderung ver- 
dient, aber mit einem für genaue Messungen und Beobachtungen wahrscheinlich 
all zu kurzen Aufenthalt verbunden war. 

Christiania, im Februar 1887. Dr. H. Rink. 


§ Oie Insel Fernaudo Poo. In dem letzten vorigjährigen Bulletin der 
g/eographischen Gesellschaft zu Paris veröffentlicht L. Janikowski, einer der Teil- 
nehmer der bekannten westafrikanischen Expedition des Polen Rogozynski, 
einen Aufsatz über die unter spanischer Hoheit stehende Insel Fernando Poo, 
welche gegenüber dem Deutschen Kamerungebiet und nur 20 engl. Meilen vom 
groi'sen Kamerunberg entfernt ist. Die Ausdehnung der Insel von Nord (Punta 
de los Frailes) nach Süd (Punta Santiago) wird auf 3ö, die Breite auf 14 eng- 
lische Meilen angegeben. Aus dem Bergsystem des Innern ragt als höchster 
Punkt der Clarence Pik empor, dessen Höhe auf 10000 Fufs (ä 0,3048 m) an- 
gegeben wird. Die Küsten der Insel sind sehr malerisch, vielfach in geräumigen 
Baien gegliedert, in welche sich von den Bergen herabkommende Gewässer 
ergiefsen. Nnr die wenig bekannte Südseite wird von schroffen unzugänglichen 
Felsen besetzt. Der bedentendste Flufs ist der Rio del Con-ul; er entspringt 
am Westabhang des Clarence Piks, fliefst in einem steinigen Beit nahe bei der 
Stadt vorüber und ergiefst sich nordöstlich von Isabella in die Bai del Consul. 
Die Insel wurde im Jahr 1471 von dem Portugiesen Fernao do Poo entdeckt, 
der sie „Ilha Formosa“ nannte; später erhielt sie ihren jetzigen Namen. Die 
Kolonisationsversuche der Portugiesen mifsglückten, hauptsächlich wegen der 
grofsen Sterblichkeit unter den weifsen Ansiedlern der Biafra-Bai; diese Sterb- 
lichkeit entsprang hauptsächlich aus einer dem Klima nicht angepafsten Lebens- 
weise. Die Portugiesen traten die Insel im Jahre 1778 au die Spanier ab. 
Sogleich nach der Besitzergreifung sandte die spanische Regierung unter dem 
Oberbefehl des Grafen Artalejos eine aus der Fregatte , Catalina“ und zwei 
kleinen Schiffen bestehende Expedition aus, w'elche von der im Golf von Biafra 
gelegenen Insel Anobon Besitz ergriff. Der Nachfolger von Artalejos, Primo de 
Rivera, erbaute an der Biafra-Bai das Fort Concepcion, jedoch wurde die Insel 
später infolge von Aufständen, welche in der Garnison ausbrachen, von den 
Spaniern wieder aufgegeben. Nunmehr kamen die Engländer und unter Führung 
des Kapitäns Owen wurde im Jahre 1827 unter dem Namen Clarence an der 
Westküste eine Kolonie gegründet. Diese Kolonie wurde der Ausgangs- und 
Stützpunkt der Kriegsschiffe, welche Jagd auf die Sklavenschiffe machten. Die 
genommenen Sklavenschiffe wurden hier eingebracht, die Kapitäne, meist Weifse, 
wurden am Grofsmast ihres Schiffes aufgeknüpft und letzteres sodann zerstört; 




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den Sklaven gab man die Freiheit und diese mischten sich nun mit der ein- 
geborenen Bevölkerung. So entstand das merkwürdige Kassengemisch, aus 
welchem die heutige bürgerliche Bevölkerung von St Isabelle besteht. Oie 
Engländer verlegten später ihre Gerichte nach Sierra -Leone and die Insel 
Fernando Poo wurde zur Ausbeutung Kompanien überlassen, die indes schlechte 
Geschäfte machten. Gestützt auf einen älteren Vertrag mit Portugal, suchte 
England sich wiederum der Insel zu bemächtigen, allein die Spanier protestierten 
unter Berufung auf ihre unbestreitbaren Rechte. Oie Engländer wollten nun 
die Insel für 60000 .£ kaufen, doch die spanische Regierung erwiderte stolz, dafs 
sie noch nicht so arm sei, um ihre Kolonien verkaufen zu müssen und sandte 
nun zur Befestigung der spanischen Oberhoheit in der Person des Don Juan 
Josö de Lorena einen Vertreter nach der Insel, der einen Schwarzen Namens 
Beekroft zum Gouverneur ernannte. Merkwürdigerweise war Beekroft zugleich 
englischer Konsul; derselbe starb 1864. Lerena ergriff ferner Besitz von den 
Corisco - Inseln und von einem Stück Festlandsküste bei der Mündung des 
Flusses Muni, an der Westgrenze von Gabun. Im Jahre 1858 begannen die 
Spanier das Kolonisationswerk ernstlich. Oon Carlos Cbacon wurde zum General- 
Gouverneur des ganzen Gebiets ernannt; drei Schiffe brachten den Gouverneur 
der Insel, Gandera, eine Anzahl Missionare und eine Garnison. Die Bevölkerung 
Fernando Poos besteht aus 30000 Bubis, der eingeborenen Mischbevölkerung; 
die Stadt St Isabelle zählt 175 Katholiken, 145 Deportierte der letzten cuba- 
nischen Insurrektion, 243 schwarze Katholiken, 38ö schwarze Protestanten, 
Baptisten , Methodisten, einige Hundert Schwarze bekennen sich zu keiner 
Religion; im ganzen zählt die Stadt 1500 Einwohnor. Die Insel Fernando Poo 
steht in dem Ruf ungesund zu sein, aber nach der Meinung Janikowskis trifft 
das nicht zu, das Klima ist günstiger, als auf manchen Punkten der Festlands- 
küste. Dio grölste Sterblichkeit herrscht unter den dem Trunk ergebenen 
cubanischen Deportierten, dann folgen die Schwarzen und erst darauf die Weifsen. 
Natürlich werden letztere auch hier, wie überall im tropischen Afrika, vom 
Fieber ergriffen, aber nur in sehr seltenen Fällen führt die Krankheit zum Tode. 
Die im Monat August angestellten Thermometer-Beobachtungen haben ergeben: 
am Morgen 18, s°, am Mittag 21,»°, in dor Dämmerung 20, i° R. Diese gemäfsigte 
Temperatur herrscht während der Regenzeit, von Juli bis Oktober, während der 
übrigen Zeit des Jahres ist die Temperatur allerdings höher. Während der 
trocknen Zeit ist die Temperatur an der Ambas-Bai niedriger als auf Fernando 
Poo, besonders des Nachts; um 3 Uhr fällt sie auf 14° R. und beim Sonnen- 
untergang ist sie 16° R. Tornados sind selten und nicht heftig. Von der 
Berghöhe, welche den Hafen im Halbkreis, als ein natürlicher Wall, umschliefst, 
bietet sich ein prächtiger Blick auf St. Isabelle. Auf der einen Seite wird 
das Bergsystera der Insel durch den eigentümlich geformten 10000 Fufs hohen 
Pik beherrscht, auf der andern breitet sich das Meer aus, in dessen Fluten von 
Zeit zu Zeit eines oder das andre Kriegsschiff heranschwimmt und in welchem 
jährlich zwein al zur Regenzeit zahlreiche Wale erscheinen. Der Anblick der 
bald ruhig liegenden, bald sich tummelnden, auf und niedcrschiefsenden, mit 
dem mächtigen Schwänze schlagenden Walfische ist ein wunderbarer; zur Zeit 
des Besuchs von Janikowski waren sie besonders zahlreich erschienen. — Der 
Aufsatz enthält sodann noch eine Reihe interessanter Mitteilungen über die 
eingeborene Mischbevölkerung der Insel Fernando Poo, die Bubis; auf diese soll 
gelegentlich hier zurückgekommen werden. 


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Aus Madagaskar. Den in der , Neuen Züricher Zeitung" veröffentlichten 
Reisebriefen Dr. Conrad Kellers entnehmen wir die nachstehenden Mitteilungen 
aus der französischen Kolonie Nossi Be, der kleinen Insel nördlich von der 
Hauptinsel Madagaskar: Hcllville, den 22. August 1886. Nossi Be, d. h. grofse 
Insel, ist ein Heck madagassischer Erde, welcher allenfalls im Bureau des 
französischen Marineministers genannt wird, wenn es sich um die Bewilligung 
von Budgetposten oder um die Ernennung eines neuen Kommandanten handelt , 
in der übrigen Welt ist es kaum dem Namen nach bekannt. Der Reisende ge- 
langt nur selten hierher, und doch ist Nossi Be eine Perle im ostafrikanischen 
Archipel, welche vielleicht in nicht allzu ferner Zeit gewürdigt wird. Unter 
tropischem Himmel gelegen, umflutet von dem tiefblauen Meere, hat dieses be- 
zaubernde Ländchen mit seinem originellen Stillleben mir mehrere Wochen 
hindurch einen wissenschaftlichen und ästhetischen Genufs verschafft, den ich 
in Westmadagaskar nicht erwartet hatte. Ein friedliches und freundliches Volk 
von Eingeborenen, ein buntes und farbenreiches Volksleben, das noch unver- 
fälscht pulsiert und mir märchenhaft vorkommt. Wie lebhaft empfand ich hier 
das Bedürfnis, eine möglichst grofse Zahl von Naturszenen und Bildern aus 
dem Volksleben getreu fcstzuhalten und als bleibendes Andenken mitzunehmen! 
Ich habe solche Bilder in reichlichem Mafse ausführen können, dank dem 
Zusammenwirken verschiedener glücklicher Umstände. Ich fand hier auch iu 
wissenschaftlicher Hinsicht einen Boden, auf welchem man zwar mühsame, 
aber ausgiebige Ernte halten kann. Wie oft kehrte ich halb erschöpft und er- 
mattet in meine Wohnung zurück, und doch vermochten mich die wunderbaren 
Eindrücke immer wieder frisch zu halten. Doch zur Sache. Nossi Be ist eine 
buchtenreiche Insel von unregelmäfsig viereckiger Gestalt, welche ungefähr 
22 km lang und 15 km breit ist. Sie ist der madagassischen Küste so sehr 
genähert, dafs man bei günstigem Wind dieselbe in einer Stunde mit einer 
Segelbarke erreichen kann. Sie liegt in derjenigen geologischen Zone, wo die 
granitische Region in Nordmadagaskar in die vulkanische Region übergeht. Im 
Südwesten der Insel tritt in einem gegen 500 m hohen Massiv ein grobkörniger 
Granit zu Tage, welchem ein bläulicher oder schwarzer Schiefer mit stark ge- 
neigten Schichten aufgelagert erscheint. Die Hauptmasse der Insel ist jedoch 
vulkanischer Natur und besteht aus trachytischen und basaltischen Gesteins- 
massen, lockeren vulkanischen Tuffen, denen im Küstengebiet alluviale Bildungen, 
zum teil ausgedehnte Musclielbreccien aufgelagert sind. Die granitischen Ge- 
biete sind mit Urwald bedeckt, welcher einst mit dem Urwald der benachbarten 
Küste im Zusammenhang stand, fast undurchdringlich erscheint und heute 
sorgfältig gegen weitere Zerstörungen geschützt wird. Im westlichen Teil der 
Insel erheben sich einige nackte Krater von regelmäfsiger Form. Sie sind 
sämtlich erloschen und teilweise mit runden Kraterseen ausgefüllt. An deren 
Ufer wuchern grofse Schilfgräser, üppige Roflapalmen und dickblättrige Com- 
mersonien. Die Oberfläche wird von den Blätteru einer blauen Nymphäa be- 
deckt, zwischen denen sich Krokodile von ansehnlicher Grofse herumtreiben. 
Eine bunte und reiche Vogelwelt haust an den Ufern, in den Bäumen treiben 
sich die Makis oder nächtliche Lemuren herum. Ara reichsten ist die Vegetation 
der Insel im Gebiet der Küste, wo zwei Arten von Commersonien, zahllose 
Lianen, Akazien mit breiten gelben Schoten, Mangobäume, Kokospalmen und 
Roflapalmen nebst grofsblütigen, baumartigen Malven die hervorstechendsten 
Charakterpflauzen bilden. Trotz der grofsen Fruchtbarkeit hat die im Besitz 
der Franzosen stehende Insel als Kolonie bisher nicht recht gedeihen können. 


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da verschiedene ungünstige Bedingungen den agrikolen und industriellen Unter- 
nehmungen entgegentreten. Die Kaffeckultur war früher bedeutend, heute ist 
sie fast völlig aufgegeben, weil der berüchtigte Kaffeepilz (Hemileja vastatrix) 
grofse Zerstörungen anrichtete. Die Zuckerplantagen liefern im Jahr höchstens 
1000 Tonnen Zucker, welcher nach Frankreich oder nach Indien exportiert wird. 
Dieses geringe Ergebnis hängt mit dem Mangel an geeigneten Arbeitskräften 
zusammen. Der hier ansäfsige Madagasse hat eine unüberwindliche Abneigung 
gegen eine regelmäfsige Arbeit auf den Plantagen. Man verwendet daher meistens 
Leute von Mozambique, allein die portugiesische Regierung setzt deren Ein- 
wanderung möglichst viele Hindernisse entgegen. Man mufste sich nach den 
Bewohnern der Komoren umsehen. Allein diese sind zum Teil unsäglich faul, 
zum Teil werden sie von der benachbarten Kolonie Mayotte absorbiert, und so 
ist der Aufschwung der Kolonie gehemmt. Die Rumfabrikation vermag bei- 
spielsweise kaum die Hälfte dos hiesigen Konsums zu decken. Das Meer ist 
reich an tierischen Produkten. Der Fischfang ist an gewissen windstillen Tagen 
aufserordentlich ergiebig und bildet eine der wichtigsten Erwerbsquellen der 
Eingeborenen. Die Küsten sind reich an Korallen, ohne jedoch zusammen- 
hängende Riffe zu bilden. Die Arten sind mit denen Indiens und denen des 
Roten Meeres zum Teil identisch, zum Teil sehr nahe verwandt. Doch fand ich 
eigentümliche Weichkorallen und hübsche Seerosen. Man gelangt aber nur 
sehr schwer in deren Besitz, da das Schleppnetz nicht verwendet werden kann 
und die Eingeborenen sich auf das Tauchergeschäft nicht verstehen. Gegen 
gute Bezahlung wurde mir doch oft genug verweigert, diese wertvollen Gegen- 
stände heraufzuholen. Die Geschichte der Insel ist nicht reich an bemerkens- 
werten Ereignissen. In den Dreifsigerjahren wurden die Sakalavenstämme in 
Nordwestmadagaskar von den Howa hart bedräDgt und ein Teil derselben 
flüchtete sich nach Nossi Be. 1839 erschien eine französische Brigg in den 
Gewässern dieser Insel und die Sakalavenkönigin Tsihomeko verlangte im 
Einverständnis mit ihren Unterthanen, ihre Rechte an die französische Regierung 
abzutreten, verlangte dafür Schutz gegen die nach Norden vordringenden Howa. 
1841 erfolgte die Annexion und die genannte Königin erhielt eine jährliche 
Pension von 1200 Franken. Anfänglich stand die neue Kolonie unter der Ver- 
waltung von Reunion, wurde 1843 von ihr abgetrennt und mit der benachbarten 
Insel Mayotte gemeinsam verwaltet. Seit 1878 steht die Insel als autonome 
Kolonie direkt unter dem französischen Marineministerium und erhält einen 
Kommandanten als Leiter der internen Angelegenheiten. Zur Zeit zählt die 
Kolonie etwa 300 Bewohner europäischer Abkunft, welche vorzugsweise im Süden 
der Insel das Städtchen Hellville bewohnen. Dieser Ort liegt in reizender Lage 
auf einem gleichnamigen Plateau und ist liafenplatz der Insel, besitzt einen 
Kai, Kohlenmagazine, längs der Hauptstraße eine schattige Allee von Mango- 
bäumen, au welche das Postgebäude, die Kaserne, die Kirche, das Polizei- 
gebäude und der Bazar anstofsen. In diese Hauptstrafse münden einige Neben- 
straßen mit ärmlichen Quartieren. In der Umgebung von Hellville liegen zahl- 
reiche gröfsere und kleinere Sakalavendörfer. Die Aussicht von dem Plateau 
von Hellville bietet ein großartiges Landschaftsbild dar. Zur Linken erblickt 
man das steil ansteigende Massiv von Locube, mit fast undurchdringlichem 
Urwald bedeckt, in der Nähe desselben die Insel Comba, auf welcher sich die 
Landhäuser und Badeeinrichtungen der Kolonisten befinden. Im Hintergrund 
liegt die Bai von Passanda, von ansehnlichen Gebirgen umrahmt, welche all- 
abendlich mit Sonnenuntergang die schönsten Farbenefl'ekte aufweisen. Am 

üeogr. Blätter. Bretueu 1SS7. £ 



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Eingang in diese Bucht erhebt sieh keck im Fels, von den Madagassen Tany 
kely, d. h. kleine Erde, genannt, welcher fast nur von Fledermäusen bewohnt 
wird. Bei einer Exkursion nach diesem Felsennest machte ich reiche Ausbeute 
von fliegenden Hunden, welche bei jedem Schufs als schwarze Wolke sich in 
die Luft erheben. Sie kommen mit Einbruch der Nacht jeden Abend nach 
Nossi Be, um die Fruchtbänme zu plündern. Ein eigentümlicher, hoher Baum 
mit schirmförmig ausgreifendem Astwerk, von den Kolonisten „Quattier“ genannt, 
würde einen bedeutenden Ertrag einer feinen Baumwolle liefern, allein die 
spindelförmigen Früchte werden «or ihrer Reife von den fliegenden Hunden 
fast vollständig vernichtet, so dafs der Bauinwollertrast dieser Bäume kaum 100 kg 
beträgt. Wenn die agrikolen und industriellen Unternehmungen vor der Hand auf 
Nossi Be nicht zu einer gedeihlichen Entwickelung gelangen konnten, so hat dieser 
Platz in kommerzieller Hinsicht eine nicht zu unterschätzende Bedeutung erlangt 
und bildet gegenwärtig den Mittelpunkt des Verkehrs von Nordwestmadagaskar. 
Die Sakalaven fühlen sich unter der französischen Herrschaft freier als unter 
den Howa und haben auf der Insel zahlreiche und belebte Dorfschaften be- 
gründet. Der Import von Spirituosen ist bedeutend, namentlich aber derjenige 
von farbigen Baumwolltüchern von ganz bestimmten Dessins. Die Sakalaven, 
insbesondere die Frauen lieben auffallende, bunte Zeichnungen für ihre Bekleidung, 
insbesondere grofsblumige bedruckte Stoffe in rot., weifs und schwarz. Von 
schweizerischen Erzeugnissen werden Uhren, Spieldosen und namentlich Ab- 
synthe aus dem Kanton Neuenburg abgesetzt Als Exportartikel sind vorwiegend 
Kautschuk und Reis zu nennen. Früher dominierten französische und amerika- 
nische Kaufleute, gegenwärtig sind sie durch die deutsche Konkurrenz gänzlich 
aus dem Felde geschlagen. Der Kleinhandel liegt in den Händen der Araber 
und Hindu, welche in allen gröfseren Orten ihre Butiken aufgeschlagen haben. 
Sie sind auch in grofser Zahl über die benachbarte Küste verbreitet, nehmen 
ihre Waren beim Grossisten auf Kredit und setzen sie unter den Sakalaven ab, 
welche sich nicht mit Handel, sondern nur mit Reisbau, Viehzucht und Fischerei 
abgeben. Vereinzelt trifft man auch die Howa als Händler. In ethnographischer 
Hinsicht besitzt die Insel einen sehr gemischten Charakter. In dem südlichen 
Teil leben die europäischen Kolonisten. Der Ton dieser Gesellschaft ist im 
ganzen ein gemütlicher. Da es an Zerstreuung fehlt, so findet sie sich all- 
wöchentlich einmal beim Kommandanten, der sich einer grofsen Beliebtheit 
erfreut, zu einer Soiree zusammen. Ich fand in der Kolonie die zuvorkom- 
mendste Aufnahme, da meine Ankunft in Madagaskar hier durch eine geogra- 
phische Zeitschrift signalisiert war. Neben dem Europäer bildet der Hindu und 
der Araber ein wesentliches Volkselement, beide durch ihre bunten Trachten 
mit den Eingeborenen rivalisierend. Als Arbeiter trifft mau gewöhnlich den 
Afrikaner von Mozambique. Stark vertreten sind die Komorenleute. In einem 
neueren Reisewerk habe ich recht günstige Urteile über dieselben gelesen, kann 
aber nicht beistimmen. Sie sind schlau, aber arbeitsscheu und kommen nur 
hierher, um sich Sakalavenfrauen zu holen und auf Kosten der Gutmütigkeit 
dieser Frauen zu leben. Als gewandte Tänzer und Spafsmacher haben sie mir 
oft Erheiterung verschafft. Sie veranstalteten früher in mondhellen Nächten 
Stiergefechte, in neuester Zeit wird dieser Sport ihnen nicht mehr gestattet 
Die Hauptmasse der einheimischen Bevölkerung wird von den Sakalaven gebildet. 
Es ist dies ein sehr merkwürdiger Volksstamm von Madagaskar, der in Kürze 
nicht so leicht zu schildern ist. Ich werde später über Sitten und ethnogra- 
phische Stellung der Sakalaven eingehendere Mitteilungen machen. Es ist ein 


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Volk von vortrefflicher physischer Beschaffenheit, bis jetzt aber noch wenig 
beobachtet. Die Männer sind recht begabt, aber verschlagen und sehr arbeitsscheu. 

Die Frauen sind sehr aufgeweckt und müssen so zu sagen den ganzen Haushalt 
führen. In ihnen ist durchschnittlich grofse Schönheit mit einem gutartigen 
Charakter vereinigt und sie machen einen weit günstigeren Eindruck als die 
durchweg sehr abstofseuden und durch ihre Sinnlichkeit widerwärtigen Frauen 
der Betsimisarakastämrae. Im Hauswesen, in welchem der Mann im allgemeinen 
als Null figuriert, entwickeln die Sakalavenfrauen, obschon auf barbarischer 
Stufe stehend, einen so guten Geschmack und einen so feinen Sinn für Ordnung, 
dafs man oft geradezu in Erstaunen gerät. Ihre bunten, geschmackvoll ange- 
ordneten Gewänder tragen wesentlich zu den bunten Volksszenen bei, denen 
man in Westmadagaakar begegnet. Wer je einem Kabar, d. h. Volksversamm- 
lung, von Eingeborenen bcigewolint, dem werden diese bunten Gestalten im 
Schatten der dunkeln Mangobäume stets im Gedächtnisse bleiben. Ein Künstler 
hätte hier die schönsten Motive in reicher Fülle. Die Landschaft, die Menschen, 
böten ihm ein Feld reichen Schaffens. Diese Szenen, noch von wenigen mit 
Verständnis geschaut, wollte ich mir nicht entgehen lassen und so viel als 
möglich fixieren. Ich besafs einen vortrefflichen photographischen Apparat aus 
dem Laboratorium unsres Polytechnikums, und mein Kollege Dr. B. in Zürich 
hatte die Güte, mich in die Kunst der Photographie einzuweihen. Ein Artillerie- 
offizier in Nossi Be suchte mich auf und stellte mir sein zweckmäfsig einge- 
richtetes photographisches Zimmer zur Verfügung. Aber o weh! Die Kolonie 
hatte keinen Photographen, und jetzt erhielt ich von allen Seiten Besuche. 

Die ganze Kolonie wollte sich photographieren lassen. Auf der Strafse konnte 
ich keinen Ausgang machen, ohne von den Indiern als Photograph engagiert zu 
werden. Das entsprach meinen Intentionen nicht und wo nicht besondere 
Verbindlichkeiten vorhanden waren, wies ich ab. Die Aufnahme von charak- 
teristischen Landschaftsszenen, Männern uud Knaben der Sakalaven bot keine 
grofse Schwierigkeit. Dagegen waren die Frauen gar nicht zu bewegen, vor 
dem Apparat stehen zu bleiben, sondern flüchteten unter lautem Geschrei, weil 
sie denselben für eine geladene Kanone hielten. Durch Vermittelung einer 
europäischen Familie waren einige von den Ordensschwestern erzogene Frauen 
von ihren Vorurteilen abzubringen, und nun entsclilofs ich mich zu einer Kriegs- 
list. Der Humor hatte mich trotz aller Aufregungen und Anstrengungen noch 
nicht zu verlassen vermocht. In einem benachbarten Dorfe hatte sich die 
Kunde verbreitet, dafs ich Bilder von Eingeborenen verfertige, und diese Kunde 
war zu einer Art Dorfkönigin gelangt, welche stets einen Hof von Frauen um 
sich hatte und dieselben beherrschte. Die Frau war geistig sehr begabt und 
wohlhabend. Ihr Einftufs war um so gröfser, als sie zwei grofse Spiegel besafs, 
in welchen sich ihre ärmeren Freundinnen mit einem ungemeinen Behagen 
betrachteten. Das Weib besafs den schönsten und ausdruckvollsten Kopf, der 
mir je bei primitiven Völkern vorgekommen ist. Man sagte mir, wenn diese 
Frau sich für meine Pläne gewinnen lasse, so stehen mir die schönsten Sujets 
für die Aufnahme von Bildern zur Verfügung Ich kaufte einige Geschenke und, 
obschon mir nur zwei Dutzend madagassische Vokabeln zur Verfügung standen, 
gelangte ich zum Ziele. Ich konnte mich hier aufs neue überzeugen, dafs primi- 
tive Menschen ihre Vorurteile und ihr Mifstrauen ungemein leicht ablegen, 
sobald man sie als menschenwürdige Wesen behandelt. Zu meiner grofsen Über- 
raschung wurde meine Bitte mit einem kräftigen deutschen „Ja“ beantwortet. Es 
mag hier nebenbei bemerkt werden, dafs die Bejahung in der deutschen und 

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madagassischen Sprache zufällig genau gleich laufet. Die Frau holte ihre 
zahlreichen silbernen Armspangen nnd die schönsten Kleider hervor, nahm ihr 
prächtiges zweijähriges Kind auf den Arm nnd stellte sich vor den Apparat. 
Das Bild gefiel, und auf Befehl der Frau mnfsten sich einige Freundinnen als 
Wasserträgerinnen verkleiden, andre den Mörser mit Reis holen und Reis 
stampfen. Diese für Madagaskar so charakteristischen Gruppen lieferten die 
schönsten Bilder, welche hoffentlich später auch in Zürich Anklang finden 
werden. Dieses Eingehen auf meine Wünsche beweist, dafs bei diesen Frauen 
ein nicht gewöhnlicher ästhetischer Sinn vorhanden ist, der sich auch in der 
Art der Bekleidung nnd in der Ausschmückung der Wohnungen deutlich doku- 
mentiert. So vergingen die Tage rasch und ich vergafs über der Arbeit meine 
erste Aufregung wegen der Blatternerkrankungen. Und doch war vielleicht 
Quarantäne in naher Sicht. Sollte dieselbe verhängt werden, so entschlofs ich 
mich, mit Barke an der Küste entlang zu fahren, auf der im Norden gelegenen 
Insel Nossi Mitsiu Träger zu engagieren und quer durch die Insel nach Diego 
Suarez zu reisen. Zum Glück traten keine neuen Erkrankungen auf; es war 
kaum anzunehmen, dafs der nächste Dampfer Schwierigkeiten bereite. Er er- 
schien zur erwarteten Stunde. Es gab zunächst eine kleine Verhandlung zwischen 
den Ärzten und dem Kommandanten des Schiffes; endlich senkte sich die ver- 
hängnisvolle gelbe Flagge, ich konnte an Bord gehen. Ohne Unfall reiste ich 
wieder nach der Ostküste. 


§ Die schottische Kompanie der ostafrikanischen Seen. Ober diese 
in Bezug auf Entdeckung wie Mission so bedeutend gewordene Gesellschaft 
finden wir Mitteilungen in dem Februarheft der monatlich erscheinenden 
Zeitschrift der .Free Church of Scotland 1 . Obgleich keine Missionsgesellschaft, 
hat diese Kompanie doch der Mission so grofse Dienste geleistet, dafs sie 
derselben gar nicht würde entraten können. Alle, welche die Missionsarbeit 
unter unzivilisierten Völkern näher kennen gelernt haben, wissen, dafs die Mission 
am besten vorwärts kommt, wenn sie Hand in Hand geht mit einer indu- 
striellen Entwickelung; rein geistiges Wirken ist bei völlig unzivilisierten Völkern 
vergeblich, vielmehr müssen die Grundsätze des neuen Testaments praktisch 
gelehrt werden und zwar durch Urteil und Unterweisung im Bauen und Pflanzen, 
Kaufen und Verkaufen, wie im Predigen und in ärztlicher Hilfsleistung. Um 
nun eine bisher unbekannte Gegend in Zentralafrika, besonders den Bezirk Living- 
stone, zu eröffnen und zu entwickeln, den Leuten Beschäftigung zu geben, ehr- 
lichen Handel mit ihnen zu treiben, überhaupt um mit den Missionaren zu 
arbeiten und sie zu stärken, ist die „African Lakes Company“ im Jahre 1878 
gebildet worden. Dieselbe hat im ganzen 12 Handelsstationcn gegründet, in 
welchen 25 Europäer und viele Eingeborene als Handelsagenten beschäftigt 
werden. Eine Anzahl dieser Agenten sind zugleich Missionare. Der Kompanie 
gehört der oft genaunte Dampfer „Uala“ auf dem Nyassa-See und kürzlich hat 
sie auf dem Schireflufs, der Hauptstrafse nach Livingstonia und dem Tanganyika- 
See, neben dem Steamer „Lhdy Nyasa“ noch einen zweiten Dampfer in Fahrt 
gesetzt. Es ist der Kompanie gelungen, im Innern eine Kaffeeplantage zu 
errichten und zu vollem Gedeihen zu bringen. Ferner sind Plantagen von 
Chinarindebäumen, Indigo, Kakao, Tbce und Faserpflanzen angelegt und die 
Eingeborenen sind dazu gebracht worden, die Wohlthaten dieser Kulturen ein- 
isehen. Die Kompanie ist dem Sklavenhandel durch alle diese Unternehmun- 
i entschieden entgegengetreten. Gegenwärtig plant die Kompanie, deren 


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Präses der bekannte afrikanische Philantrop James Stevenson in Glasgow ist, 
während die Leitung der Unternehmungen in Afrika in den Händen der Gebrüder 
Muir liegt, eine Vergröfserung ihres Aktienkapitals, wofür sie, allem Anschein 
nach, willige Nehmer in Schottland finden wird. 


Die Kolanufs. In der Versammlung des Bremer naturwissenschaftlichen 
Vereins, welche am 14. Februar d. J. stattfand, hielt Herr Dr. Hausmann einen 
Vortrag über die Kolanufs. Es wird darüber das Folgendo berichtet. Diese 
Nufs, auch Guru- oder Ombemenufs genannt, zeichnet sich vor den uns bekannten 
koffeinhaltigen Genufsmitteln durch ihren grofsen Koffeingehalt aus, welcher mit 
2,35 °/o selbst den stärksten Javakaffee übertrifft und nur hinter einigen seltenen 
Theesorten zurücksteht; zugleich enthält sie geringe Mengen von Theebromin. 
Sie ist eine nahe Verwandte des Kakao. Beide stammen von Planzeu aus der 
Familie der Sterculiaceen. Einige Arten der Gattung Sterculia liefern die Kola- 
nufs, gewöhnlich wird Sterculia acuminata als Stammpflanze bezeichnet. Von 
dieser Pflanze, deren Heimat die westafrikanischen Küstenländer von 10° nörd- 
licher bis 5° südlicher Breite bis ins Innere hinein sind, wurden Abbildungen 
vorgelegt und ihre botanischen Eigentümlichkeiten besprochen. Die Kola ist 
für den Neger ein unentbehrliches Gennfsmittel geworden; am liebsten werden 
die Nüsse verzehrt. Nach einigen innerafrikanischen Ländern, in denen die 
Kola nicht gedeiht, findet ein reger Handel mit diesen Nüsseu statt. Interessant 
sind die Notizen, welche der berühmte Afrikaforscher Nachtigal über den 
Verbrauch und den Handel mit Kolanüssen in Kuka, der Hauptstadt von Bornu 
am Tsadsee, giebt. Wie man bei uns einem Besuche eine Zigarre oder eine 
Tasse Kaffee, ein Glas Wein anbietet, präsentiert man dort eine Kolanufs. Kein 
Geschäft wird geschlossen, ohne dafs man die Verhandlung mit dem Genüsse 
einiger Kolanüsse eingeleitet hätte. Die Nüsse sind dabei gar nicht billig, man 
bezahlt das Hundert je nach der Güte mit 10 — 50 Jt nach unserm Gelde. Man 
unterscheidet verschiedene Handelssorten; wenig angesehen sind die Nüsse aus 
Adamaua, man zieht die Nüsse aus den Nigerländern vor. Hier ist in Gondscha 
der Hauptmarkt für dieselben. Der weite Transport von dort bis Kuka, mehrere 
Monate, macht die Nüsse teuer. Man mufs dabei stets im Auge behalten, 
dafs die Nüsse im frischen Zustande genossen werden und der Transport durch 
trockene, teilweise wüste Landstriche geht. Der Händler mufs die Nüsse zu 
mehreren Tausenden zusammenpackeu und sorgfältig mit feuchten Blättern und 
Matten umhüllen, damit sie nicht welk werden. Um sie anderseits nicht ver- 
schimmeln und verfaulen zu lassen, müssen sie unterwegs häufig ausgepackt, 
sorgfältig ausgesucht und wieder frisch verpackt werden. Trotz vieler Sorgfalt 
gehen grofse Mengen der Ware zu Grunde. Nachtigal zählt fünf verschiedene 
Krankheiten auf, denen die Nüsse beim Transport ausgesetzt sind und die von 
den Händlern wohl unterschieden werden. Auch seewärts wird Kola versandt, 
nach Brasilien und früher auch nach den andern- Sklavenstaaten Amerikas 
wurden sie verschifft. Die Sklavenhalter glaubten in ihnen ein Mittel zu haben, 
ihre Neger bei Stimmung zu erhalten und namentlich Selbstmordepidemien 
entgegenzuwirken. Aus diesem Grunde ist auch Kola in Brasilien und West- 
indien angepflanzt, dort von der weifsen Bevölkerung aber so gut als nicht 
beachtet worden. Nach Küstenorten Afrikas, welche keine Kola produzieren, 
geht oft auch ein bedeutendes Quantum dieses Artikels. So wurden aus Sierra- 
Leone in Gambia eingeführt im Jahre 1860: 150,000 Pfund, im Jahre 1870- 
416,000 Pfund, im Jahre 1880 : 743,000 Pfund. Bis an die Küste des Mitt 


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meeres hat sich der Handel mit Kola jetzt ausgedehnt und sind auch neuerdings 
Sendungen nach England gekommen. Es handelt sich bei letzteren einstweilen 
nur um getrocknete Ware, von frischen Nüssen sollen allerdings auch geringe 
Posten nach London gebracht sein. An die Frage, ob die Kola für den 
europäischen Markt eine Zukunft habe, wurde folgende Betrachtung geknüpft: 
Was zuerst die trockene Ware betrifft, so geht ans der chemischen Analyse 
hervor, dafs die Kola alle hier in Betracht kommenden Substanzen an Alkaloid- 
gehalt übertrifft. Dieser Umstand spricht vielleicht für eine medizinische 
Anwendung, wenn auch nur als Rohmaterial für die Bereitung des Koffein. 
Sonst ist sie von allen andern Gennfsmitteln durch ihren hohen Stärkegehalt, 
34 °/o, ausgezeichnet. Sehr fällt ihre Armut an Fett auf. Als wertvollste 
hier in Betracht kommende Drogue gilt der Kakao, ihm fehlen die Kohlehydrate 
aber in verdaulicher Form fast gänzlich. Man pflegt ihn daher meistens in 
Form von Chokolade zu geniefsen, nachdem man dem besprochenen Mangel 
durch Zusatz von Zucker abgeholfen hat. Würde man umgekehrt der Kolannfs 
Fett zusetzen, so würde man eine ähnliche Mischung erhalten, welche jetzt schon 
einigen Negerstämmen als Reiseproviant dient. Sollte es gelingen, diese Mischung 
bedeutend billiger als Chokolade und zugleich schmackhaft darzustellen, so 
würde die Kolannfs auch für uns eine Bedeutung erhalten. An der Billigkeit 
ist wohl kaum zu zweifeln, die Geschmacksverbesserung ist aber noch ein 
ungelöstes Problem, da es bisher noch nicht gelungen ist, den allerdings nur 
geringen Gerbstoffgehalt zu entfernen. Leichter werden sich vielleicht die 
frischen Nüsse bei uns eiubürgern. Sie werden ja mit Dampfern besser und 
leichter noch Europa, als mit Karawanen nach den trockenen Gegenden 
Innerafrikas zu bringen sein. Ob sich unsre europäische Bevölkerung einem 
solchen neuen Genufsmittel zuwenden werde, wer möchte das im Voraus 
beurtheilen? Nachtigal hat die Kolanüsse in Kuka viel und gern gegessen und 
behauptet sie später schwerer entbehrt zu haben, als Kaffee und Thee. Wir 
erhielten damit jedenfalls ein ganz neues eigenartiges Genufsmittel, einen Thee, 
welcher in fester Form genossen wird. 

Im Anschlufs an diese Mitteilungen machen wir darauf aufmerksam, dafs 
über denselben Gegenstand der Kaufmann John E. Hertz in der Versammlung 
der geographischen Gesellschaft zu Hamburg am ö. Januar 1882 einen Vortrag 
hielt, dessen Inhalt in den von dem ersten Sekretär dieser Gesellschaft, Herrn 
L. Friederichsen, im Aufträge des Vorstandes herausgegebenen Mitteilungen, 
Heft II. 1880 — 81 wiedergegoben ist. Die in betreff des Handels und Preises, 
der Verbreitung und des Gebrauchs der Nufs bemerkenswerten Mitteilungen des 
Herrn Hertz schlossen mit Betrachtungen, welche der Einführung der Nufs in 
Europa keine günstigen Aussichten eröffneten. Mit ihrer Frische scheine die Frucht 
auch das ihr innewohnende anregende Prinzip zu verlieren und Europa be- 
sitze die dem Nervensystem nötigen animierenden Speisen und Genufsmittel in 
mannigfacher Weise, darunter Thee, Kaffee und das im Süden so vielfach 
mangelnde Salz. 

Der Vortragende teilte uns hierzu das Folgende mit: Zu obiger Schlufs- 
betrachtung erlaube ich mir einige Bemerkungen. Sicher ist, dafs die Nufs mit 
dem Verlust ihrer Frische sehr schwer geniefsbar wird, ihr anregendes Prinzip 
kann aber wohl kaum durch das Trocknen leiden. Wir können nach den bis- 
herigen Untersuchungen nur annehmen, dafs dasselbe aus Koffein und sehr wenig 
Theehromin besteht. Beide Alkaloide sind noch in der getrockneten Nufs vor- 
handen, und verschwinden ja noch wie wir wissen beim Trocknen des Kaffee, 


87 


Thee und Kakao nicht. Mit dem Salz kann man aber weder die Kolanufs noch 
Kaffee und Thee in Vergleich setzen. Letztere wirken anregend auf das Nerven- 
system ein, und können entbehrt werden, das Salz aber ist ein zur Verdauung 
absolut nötiger Bestandteil in menschlicher Nahrung. Ich gebe aber gern zu, 
dafs viele Gründe vorhanden sind, welche wahrscheinlich machen, dafs die Kola 
in Europa gegen die vorhandenen Genufsmittel nur schwer aufkommen wird. 

Bremen, 23. Februar 1887. Dr. U. Hausmann. 


§ Ein nenes afrikanisches Geld. Der englischen Zeitschrift „Nature“ vom 
24. Febr. entnehmen wir folgendes: Tippu Tip, dessen Name kürzlich vielfach 
in Verbindung mit dem Plan zur Aufsuchung Emin Paschas genannt wurde, 
scheint neben seinen Elfenbeinjagden noch in gewissem Grade wissenschaftliche 
Interessen zu verfolgen. Kürzlich traf er im Norden am Niangwe mit einem 
merkwürdigen Kongostamm zusammen, bei dem die Kunst des Kupfersehmiedens 
in hohem Grade entwickelt ist. Proben dieser Arbeit sandte er an einen ihm 
befreundeten Engländer, der sie mit nach England gebracht hat. Bei demselben 
Volk fand Tippu Tip Speere als kurante Geldmünze. Man verfertigt aus 
dünnem Kupfer Speerspitzen bis zu 6 Fufe Länge, die, wie bei uns die Bank- 
noten, als Geld von Hand zu Hand gehen. 

§ Aus der Provinz Para (Brasilien). Die Zeitschrift der niederländischen 
Geselllschaft für Erdkunde bringt in No. 3 von 188ß der „Meer uitgebreide 
artikelen“ überschriebenen Abteilung eine Mitteilung: „Aufzeichnungen 

während meines Aufenthaltes in der Provinz Para von E. Engelenburg“, 
denen wir das Folgende entnehmen. Der Verfasser lebte achtzehn Monate in der 
Provinz und hauptsächlich in der Hauptstadt S. Maria de Belem und in der 
unmittelbaren Umgebung derselben. Der Name der Provinz Pari ist auch auf 
die Hauptstadt übergegangen; er bedeutet in der Tupisprache soviel als Wasser 
und kommt in Zusammensetzung noch in den Namen vieler Flüsse, wie: Para- 
hyba, Paranah yba, Parana, Paraguassa u. a. vor; der Amazonenstrom heilst bei 
den Indianern Para-nassü (das grofse Wasser). Der gesamte Verkehr in der 
Provinz, ja in der ganzen Niederung des Amazonenstromes geschieht zu Wasser 
und so ist es denn keine Gbertreibnng, wenn die Brasilianer diesen grofsen 
Strom mit seinen zahlreichen Nebenflüssen das Mittelländische Meer von Süd- 
amerika nennen. Der Pastor, der zum Krankenbesuch auszieht, wie der geringe 
Mann, der die Erzeugnisse des Busches sammeln will, beide bedienen sich zum 
Fortkommen der Montaria, eines Kanus. Bei gröfseren Entfernungen nimmt 
man die „cuberta“, ein kleines zwei stumpfe Masten tragendes Schiffchen, das, 
ausgenommen den Bug, ganz offen ist, so dafs die Rippen und Spanten blofs 
liegen. Hinten ist gewöhnlich ein Dach von Palmblättem; einmal bei einem 
Besuch des Innern der Insel Marajö bediente ich mich der „cuberta“, die neuer- 
dings durch den Verkehr von Dampfern auf dem Strome ziemlich aufser Ge- 
brauch gekommen ist. Der Anblick dieser Insel ist trist. An der Süd- und 
Ostküste ist sie einförmig, mit steilen steinigen Ufern, die Pflanzenbckleidung 
besteht aus Strauchwerk und Jungholz, einen eigentlichen Wald giebt es nicht. 
Landeinwärts wird der Boden immer kahler und ärmer an Pflanzen. Ich fuhr 
das Flüfschen Arary hinauf; das Wasser besteht, wie das der übrigen Flüsse, 
den Amazonenstrom nicht ausgenommen, aus einer gelbbraunen Flüssigkeit. Die 
Ebbe legt die schwarzschlammigcn Ufer und Bänke blofs, die mit mannshohen 
Aroideen begrünt sind; ßambu deckt erst die höher gelegenen Strecken; die 


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Palmen sind durch zahlreiche Arten vertretcu, unter ihnen in erster Linie die 
assai (cuterpe oleracea) zu nennen. Das Inland der Insel Marajö ist eine end- 
lose hie und da mit ziemlich bedeutenden Partien Busch besetzte Fläche. Diese 
in der Regenzeit durchfeuchteten campos sind in der trockenen Zeit dürr, hart 
und pflanzenarm. Wegen dieses steten Wechsels von Feuchtigkeit und Trocken- 
heit sind die meisten Häuser, soweit sie nicht auf wasserfreien Stellen stehen, 
auf Pfählen erbaut. Die Wohnungen erlangen so den doppelten Vorteil des 
Schutzes gegen die Bodenfeuchtigkeit und der Annehmlichkeit, dafs in der 
trockenen Zeit die Winde um die Wohnung freies Spiel haben. Die Bewohner 
dieser Campos treiben hauptsächlich Viehzucht; halbwilde Rinder sieht man 
überall, Pferde selten. Als Reisetier benutzt man vorzugsweise Ochsen, die 
dauerhafter sind als Pferde und ohne Scheu bis an den Bauch den Schlamm 
durchwaten. Der Boden von Marajö besteht aus einer mehrere Meter mäch- 
tigen Humusschicht, welche auf Laterit lagert. Dieser letztere besteht meist 
aus kleinen abgerundeten Stücken, die wegen ihrer Härte zum Hausbau und in 
Parä auch als Material zum Strafsenbau benutzt w'erden. Die kleinen Flüsse, 
Tümpel und Teiche wimmeln von Vögeln verschiedener Art und von Alligatoren. 
Besonders zahlreich sind Löffclreiher und scharlachrote Ibisse, ferner findet 
sich ein kleiner mit zwei langen Schwanzfedern versehener Singvogel, den die 
Bewohner, weil er in der Regel nur einzeln angetroffen wird, die Witwe nennen. 
Die Säugetiere sind hauptsächlich durch Capivaras und kleine Schweine vertreten. 
Eine kleine Alligatorart dient als Nahrung und Leckerei. Der Pirarucu ist von 
grofser Bedeutung für die Hauswirtschaft, und gerne wird dieser Fisch sowohl 
gesalzen als an der Sonne gedörrt genossen. Einiger Naturerscheinungen sei 
noch gedacht. Gegen Ende der trockenen Zeit herrschte bei Sonnenauf- und 
Untergang vollkommene Windstille. Mit dem Aufsteigen der Sonne nahm die 
Windstärke zu und erreichte in der wärmsten Stunde des Tages ihr Maximum, 
es wehte ein kräftiger Passat. Doch trat keine Abkühlung ein, im Gegenteil 
war der Wind trocken, warm, ja sengend. Die untersten Luftschichten waren 
fortdauernd in zittornder Bewegung. An solchen Tagen sind Luftspiegelungen 
nichts seltenes, auch Windhosen kommen vor. 


Labuan bei Nordwest-Borneo. Die nachstehende Schilderung entnehmen 
wir dem bei Sampson Low in London erschienenen Werke von Frank Hatton, 
„North Borneo, Explorations and adventnres on thcEquator“. Hatton war einer 
der Pioniere, welche die im Jahre 1881 mit Königlichem Freibrief ausgestattete 
englische Nord-Borneo-Kompanie zur Erforschung des von ihr in Besitz ge- 
nommenen etwa 30 000 englische Quadratmeilen grofsen Teils des nördlichen 
Borneo aussendete. Hatton leistete, wie das aus seinen Berichten und Auf- 
zeichnungen zusammengestellte Werk und die demselben beigegebene Karte 
ergiebt, durch seine im Jahre 1882 ausgeführten Roiscn bedeutendes, leider 
starb er auf der Elefantenjagd, durch zufälliges Entladen seines Gewehrs tötlich 
getroffen. Labuan ist eine Insel, welche sechs miles nordwestlich von Borneo 
liegt. Sie ist eine der kleinsten und am wenigsten bekannten der britischen 
Kolonien. Im Jahre 1847 an England abgetreten, geniefst sie den Vorzug 
englischer Regierung und versprach einmal eine wichtige Kohlenstation für die 
Flotte zu werden. Von der europäischen Route aus macht man den kleinen 
Abstecher nach Labuan mit einem Dampfboote, welches von Singapore dahin 
fährt. Wenn man bei der einzigen Stadt auf der Insel, Victoria, landet, so ist 
das erste, welches man zu sehen bekommt, eine Häuserreihe, der man die 


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schmeichelhafte Bezeichnung Bazar bcigclcgt hat. Aller Handel und Verkehr 
Labuans vollzieht sich in dieser Gruppe von Kaufläden, die meist in den Händen 
der Chinesen sind. Der Ort riecht nach ihrem Essen und ihrem Tabak. Die 
himmlischen Ladenbesitzer bezeichnen sich als „general dealers“, was bedeuten 
soll, dafs man schlecht verzinnte Milch, altbackenen Zwieback, merkwürdige 
Weine, eingemachte fossil gewordene Fleischwaren, Schiefspulver, Kugeln und 
Schrot und alte Flinten zu verschiedenen Preisen bei ihnen bekommen kann. 
Sie bandeln auch mit Banmwollwaren aus Manchester und Deutschland und 
bieten überdem billige „sarongs“ feil, das allgemeine Kleidungsstück des Landes, 
welches sie in einer unendlichen Mannigfaltigkeit vorrätig haben. Über jeder 
Ladenthür sind chinesische Schriftzüge, schwarz auf rotem Grunde, angeklebt. 
Ich ermittelte, dafs einer derselben .Glück', ein andrer „Heil“ bedeutete. — 
Wenn man hinter diesen wohlriechenden Läden weitergeht, so zeigen sich die 
einzigen beiden imponierenden Gebäude in Labuan. die Kegierungsbüreaus, zwei 
grofse, niedrige Gebäude mit roten Ziegeldächern, und, wie beinahe alle Häuser 
auf den Inseln des malayischen Archipels, auf Pfählen errichtet. Zwei messingene 
Kanonen sind vor den Regierungsbiireaus aufgestellt. Diese Geschütze wurden, 
nebenbei bemerkt, den Holländern im Jahre 1850 bei Cossipore abgenommen. 
Die englische Flagge weht an einem grofsen Flaggenstock dabei, und in einiger 
Entfernung ist ein Pfahlgestcll für kleine Geschütze. Diese sechs Geschütze, 
sowie fünfzig mit Sniderbüclisen bewaffnete eingeborene Polizisten, bilden das 
Heer von Labuan. Es befinden sich augenblicklich ein halbes Dutzend europäische 
Residenten und Beamte auf der Insel, und eine Bevölkerung von 5—6000 ein- 
geborenen Mischlingen, aus Kadyans, Malayen und einigen Borneanern, Klings 
und Bengalesen bestehend. Die Malayen an den Küsten von Borneo sind eine 
erbärmliche und entartete Rasse, die Herr St. John ganz richtig als die in- 
dolenteste und verächtlichste der Erde bezeichnet hat. Sic sind durchschnittlich 
4 l /s— 5 (englische) Fufs hoch. Es giebt keine grofsen Malayen in diesen Gegenden. 
Ein viereckiger Kopf mit langem schlaffem, schwarzem Haar, trübem tückischen 
Blick, eine kurze stämmige Figur, vorstehende Backenknochen, das sind die 
nicht beneidenswerten Vorzüge des Malayen. Von Charakter sind die Nord- 
borneaner feige und knechtisch. Allen Geistes und aller Unternehmungskraft 
bar, begnügen sie sich damit, auf ihre hergebrachte Weise zu leben, bis ihre 
Pfahlbauten über ihnen zusammenfallen. Die Frauen verrichten die ganze Haus- 
arbeit und auch den gröfsten Teil der Feldarbeit Der Fluch der Malayen ist 
ihre grofse Trägheit. Der Kronbeamte iu Labuan sagte mir, dafs er kürzlich 
eine amtliche Feststellung des Todes eines kleinen Kindes vorzunehmen gehabt 
habe, welches in einen Graben gefallen und ertrunken war, während ein Malayc 
auf der Bank safs und Betel kaute, zu träge, aufzustehen und dem Kinde aus 
dem Wasser herauszuholfen. Das Hans des Malayen auf dem Lande ist vielleicht 
besser gehalten, als sein Haus in der Stadt. Es steht gewöhnlich in einer 
kleinen Kokosnufspflanzung und ist auf hohen Pfählen erbaut, so dafs die Wohn- 
ränmc 14 — 15 Fufs über dem Boden liegen. Das ganze Äufserc ist von den 
getrockneten Blättern der Nipapalme hergestellt, die mit gespaltenem Rohr 
zusammengenäht und auf ein Holzfachwerk aufgelegt sind. Die Innenseite ist 
mit rohgeschnittenen Bohlen bekleidet. Den Eingang des Hauses bildet eine 
Reihe knarrender Stufen, die zur Veranda führen, einem Lieblingssitz der Familie. 
Hier sitzt die Grofsmutter den ganzen Tag, ihren Betel kauend oder ihre lange 
Roko rauchend. Die Mutter ist draufsen auf dem Felde, wo sie gräbt oder das 
Obst und Gemüse beschneidet und reinigt. Eine malayisehe „Dame“, die nahe 


Die 



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bei meiner Wohnung in Labuan wohnte, pflegte ihre Tage damit zu verbringen, 
dafs sie mit einer unbeholfenen alten Flinte wilde Schweine jagte. Kürzlich 
kam sie in Ungelegenheit, weil sie statt des Ebers, den sie verfolgte, eines 
Nachbars Kuh geschossen hatte. Seitdem bezweifeln ihre Freundinnen augen- 
scheinlich ihr Jägertalent, und die Flinte ist verschwunden. — Die Klings sind 
bei weitem der schönste Typus der Eingeborenen Labuans. Ihre Gesichtsfarbe 
ist etwas dunkler als die der Malayen und im allgemeinen sehen sie kräftiger 
und schöner aus. - Die Chinesen haben den gröfseren Teil des Handels in 
Labuan in Händen, und neun Zehntel von ihnen sind nicht allzu ehrlich, 
besonders die Knaben, die sich als Diener anbieten. Sie haben eine Art Erwerbs- 
genossenschaft oder geheime Verbindung, deren Befehlen sie folgen müssen. 
Wenn die Gesellschaft einem Burschen verbietet, eine gewisse Summe im Monat 
anzunehmen, so mufs er gehorchen, da jeder, der gegen die Gesellschaft an- 
kämpft, bald zur Unterwerfung gezwungen wird. Das Leben in den Bungalows 
in Labuan ist sehr angenehm für eine Zeitlang, wird aber bald eintönig. Das 
Bungalow, in welchem ich wohnte, war auf Pfählen erbaut und stand ungefähr 
4 Fufs über dem Erdboden. Eine grofse Veranda umgab von drei Seiten das 
Haus, welches von Kokosnufsbäumen fast ganz eingeschlossen war. An der 
Vorderseite erweiterte sich die Veranda in eine Art offenes Zimmer, d. h. ein 
Zimmer ohne Wände, und dies ist der angenehmste Sitzplatz in allen ostindischen 
Häusern. Ein einziger grofser Raum diente als Efs-, Gesellschafts- und Schreib- 
zimmer. Er war 60 Fufs lang, 30 breit und hatte nicht weniger als 8 Thüren. 
Während der Monsunzeit konnte man sich durch Öffnen der zahlreichen Thüren, 
einen prächtigen Luftzug verschaffen. Das Kochgeschäft wird aufserhalb des 
Bungalow in den Kochränmen besorgt, die 40 — 50 Yards weiterhin eingerichtet 
sind, und die Speisen werden durch Diener hereingetragen. Die Badezimmer 
bestehen lediglich aus kleinen Kellern mit einem Kübel Wasser und einer kleinen 
Zinnkanne, mit der man das Wasser über sich hergiefst. Während meines Auf- 
enthaltes in Labuan stehe ich regelmäfsig um 6 Uhr auf, geniefse ein erstes 
Frühstück, ganz ä la fran<;aise, dann gehe ich am Strande spazieren oder baden 
und komme um 8—9 '/» Uhr zurück. Das Thermometer, welches nm 6 Uhr auf 
78 — 79 0 steht, steigt auf 83 0 und kommt regelmäfsig zwischen 11 — 12 Uhr auf 
85 — 87 °, bisweilen 90 °, zu stehen. Zwischen 8 und 10 Uhr — dem unan- 
genehmsten Teil des Tages — thut man wenig mehr, als dafs man auf der 
Verande sitzt und die kühlende Brise geniefst, wenn es in der Monsunzeit ist, 
oder die Zuckerfresser beobachtet, die die grofsen hellroten und gelben Blüten 
umschwärmen, welche die Veranda umhängen. Diese Zuckerfresser sind die 
Bienen des Ostens. Es sind winzige Geschöpfe mit goldenen, gelben, braunen 
und roten Strichen prächtig gefärbt. Sie ziehen mit ihrem Schnabel durch die 
weit ausgebreiteten Blüten und sind ebenso zahm und unverschämt wie die 
Sperlinge in London. — Hier im Osten wird das zweite Frühstück (lunch), 
Tiffin, wie die Eingeborenen es nennen, um 1 Uhr Mittag und das Mittagessen 
um 6 oder 7 Uhr genommen. Die angenehmste Zeit des Tages ist von 5 bis 
6 Uhr nachmittags. Um */v6 ist es ganz dunkel; die Sonne geht zwischen 5 
und l IS Uhr früh auf. Id Singapore sind die Mahlzeiten der europäischen 
Kaufleute besser als hier ; um l /«9 oder 9 Uhr wird reichlich und gut gefrühstückt, 
zu warmen Speisen giebt es französische Rot- und Rheinweine. Das zweite 
Frühstück um 1 Uhr ist ebenso reichlich und trinkt man dann nicht selten 
auch Champagner; am Nachmittag, nach Schlufs des Kontors, fährt man zu 
seinem Landhause und hier, um V* 8 Uhr, wird ein regelrechtes Mittagessen 


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— 91 — 

eingenommen. Die Bungalows anf Labnan stecken voll Insekten verschiedener 
Art, die unangenehmsten sind natürlich die Moskito. Jedesmal vor dem Schlafe 
brachte Hatton eine längere Zeit mit der Moskitojagd zu, im stillen grübelte er 
darüber nach, wozu diese Quälgeister erschaffen seien. — Eine der angenehmsten 
kühlsten Punkte auf Labnan ist Tanjong Knbong oder Coal-Point, an der Nord- 
ostseite der Insel. Hier befinden sich die Kohlenlager, welche von der Oriental 
Coal Company in London und Leith ansgeboutet werden und die im Jahre 1876 
5800 Tons Kohlen lieferten, aber bald darauf aufgegoben wurden, da man den 
Betrieb wegen der erforderlichen Bewältigung des Wassers zu kostspielig fand. 
Jetzt liegen die Gebäude in Ruinen, die das tropische Pflanzenleben überwuchert ; 
auch die Eisenbahn, welche mit einem Tunnel durch einen Berg und dann 
durch den Wald nach Labnan geführt werden sollte, ist unvollendet geblieben. 
Labnan ist einer der Märkte Borneos und des Sulu-Archipels und zwar für 
efsbare Vogelnester, Wachs, Kampher, Guttapercha, Perlen, Tripang und Schild- 
krötenmuscheln. Diese Produkte werden wie das auf der Insel in drei Fabriken 
gemahlene Sagomehl nach Singapore ansgeführt. Der Wert der Ausfuhren 
von Labnan wird auf 85 740 £ , derjenige der Einfuhr anf 84 868 £ für 1884 
angegeben. Labnan hat drei Dampferverbindungen: eine mit Singapore und 
Brunei, eine andre mit Singapore, Sandakan (Ostküste von Borneo) und den 
Sulu-Inseln, eine dritte mit diesen und der Insel Celebes. 


§ Aus Neu - Guinea. Der geographisch wichtigste Teil des kürzlich aus- 
gegebenen Heft 1, 1887 der von der Nen-Guinea-Kompanie zu Berlin heraus- 
gegebenen Nachrichten über Kaiser Wilhelms-Land und dem Bismarck-Archipel 
ist der Bericht des Landeshauptmanns Freiherrn von Schleinitz über eine in 
den Tagen des 7. bis 13. Oktober v. J. mit Dampfer „Samoa“ ausgeführte Unter- 
snehungsfahrt im Hüon-Golf ; es wurden acht Baien bezw. Häfen und neun Flüsse 
zum Teil neu aufgefunden und mehr oder weniger genau untersucht. Als prak- 
tisches Ergebnis dieser Samoareise wird zunächst bezeichnet, dafs es höchst 
wahrscheinlich sei, dafs eine Expedition an verschiedenen Stellen der sehr 
gebirgigen Südküste des Hüon-Golfes in das Innere einzudringen vermöge. Im 
Gegensatz zu Finschhafen und der Küste bis Kap König Wilhelm findet man an 
der Südküste des Hüon-Golfs weder Kalkformation noch gehobene Korallenriffe, 
vielmehr besteht hier die Küste aus Urgestein, aus metamorphischen Gesteinen 
oder älteren sedimentären wie auch vulkanischen Formationen. Plateaus und 
Thäler werden in diesem Gebirgsland sicher eine gröfsere kulturelle Bedeutung 
besitzen als an der zerrissenen Kalkküste. Für die am Hüon-Golf fehlenden 
Flachküsten wird reichlicher Ersatz, namentlich was die Fruchtbarkeit anlangt, 
in den vom Markhamflufs und andern Wasserläufen gebildeten Alluvialebenen 
gefunden werden. Die Küste besitzt sichere Häfen und wenigstens für kleine 
Fahrzeuge schiffbare Flufsläufe; von diesen sind zu nennen: 1) der Adlerflufs, 
Breite 200 m, in der Mündung eine Wassertiefe von 10 bis 13 Faden ; 2) der 
schon von Moresby gesichtete Markhamflufs: Breite 300 bis 500 m, Tiefe 1,5 bis 
2,5 m; 3) der 50 bis 150 m breite Franziskaflufs mit einer bis auf 0,6 m Wasser- 
tiefe versandeten Mündung; 4) der in der Mündung 200 m breite und 1 bis 1 */» 
Faden tiefe Steinflufs; 5) der in der Mündung 200 m breite und l 1 /« Faden 
tiefe Margotflufs. Diese Flüsse werden sich für die Ausnutzung des Holz- 
reichtums sehr nützlich erweisen. Über die Eingeborenen des Hüon-Golfs berichtet 
Hauptmann Dreger: Die Sitten und Gebräuche derselben scheinen sich von 
denen der Bewohner von Finschhafen kaum zu unterscheiden. Kleidung und 


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Schmuck sind am Hüon-Golf roher und mit weniger Geschick gefertigt, auch 
die Kanus waren weniger gut gearbeitet. Dagegen standen am Hüon-Golf Flecht- 
arbeiten auf einer höheren Stufe als anderswo ; an schönen, gefälligen Basttaschen, 
an geschmackvollen, aus gelbem und rotem Stroh geflochtenen Armbändern und 
an fein geflochtenen Fischnetzen war entschieden bemerkenswertes geleistet. 
Waffe scheint hauptsächlich der Speer zu sein, Bogen und Pfeil sah man fast 
gar nicht. Die Eingeborenen zeigten das äufserste Mifstrauen, ja offene Feind- 
seligkeit, als wir die Absicht kund gaben, einige ihrer meist aus vielen Häusern 
bestehenden Dörfer zu betreten. Es wurde übrigens seitens der Eingeborenen 
kein Hehl daraus gemacht, dafs sie die erschlagenen Feinde verzehren. Die 
Plantagen der Dörfer befanden sich alle auf hohen, ziemlich steilen Bergeshängen 
und schienen in der Hanptsache Taro, welche auch mehrfach zum Verkauf 
angeboten wurde, zu tragen; an sonstigen Nutzpflanzen wurden noch Zuckerrohr, 
Betelnüsse und Tabak bemerkt. An Haustieren fanden sich der bekannte Ein- 
geborenenhund, — es besteht auch hier der Gebrauch, Hunde als Zeichen fried- 
licher Gesinnung zu schenken, — eine grofse schön gefärbte Hühnersorte und 
auffallend grofse Schweine. Dem Heft, das auch sonst noch einige Nachrichten, 
jedoch von geringerer Bedeutung, enthält, sind Kartenskizzen mit Küsten- 
profilen vom Hüon-Golf und vom Küstengebiet südlich von Finschhafen bei- 
gegeben. 

Das soeben ausgegebene zweite diesjährige Heft der Nachrichten der Neu- 
Guinea-Kompanie zn Berlin bringt eine Mitteilung über eine weitere Reise, 
welche der Landeshauptmann Freiherr von Schleinitz in der Zeit vom 1. bis 
19. November v. J. mit dem Dampfer .Ottilie“ ausgeführt hat; auf derselben 
wurde die bereits von Dr. Finsch befahrene Küste von Fortifikation Point bis 
zur Mündung des Kaiserin Augusta-Flusscs näher untersucht, die Lage der süd- 
westlich von den Admiralitäts-Inseln gelegenen Purdy-Inseln festgestellt, Mioko 
und Matupi im Bismarck-Archipel besucht und ein Teil der Südküste von Neu- 
Pommern berührt. Diesem Bericht ist eine Kartenskizze der Küste des Kaiser 
Wilhelms-Landes von Iris Spitze bis zum Kap della Torre beigegeben ; sie wurde 
im Mafsstab von 1 : 500 000 vom Hauptmann Dreger aufgenommen und gezeichnet. 
Es wurden auch auf dieser Reise eine Menge interessanter Beobachtungen und 
Entdeckungen gemacht, verschiedene Buchten, Häfen, Inseln und Flüsse wurden 
festgestcllt und teilweise benannt, so der an der Mündung 80—90 m breite 
Marien-Flufs (Astrolabe-Bai, südlich vom Kap Dnperre), der Prinz Friedrich Karl- 
Hafen (nördlich vom Kap Dnperrö), der 150 bis 180 m breite Ama-Flufs (zwischen 
Juno Point und Kap Croisilles) der Prinz Adalbert-Hafen (westlich vom Kap 
Croisilles), der Margarethen-Flufs (bei Samoa Huk) der Prinz Albrecht-Hafen 
(westlich von Hatzfeldt-Hafen), weiter nach Westen der Potsdam-Hafen und die 
Hansabucht, endlich der 300 bis 500 m breite Ottilien-Flufs bei Venus-Spitze, süd- 
östlich vom Kap Della Torre. Über Bewohnung, Bodenbebauung und sonstige 
Beschäftigungen der Eingeborenen enthält der Bericht mancherlei Angaben. 
Besonders wohlhabend sind die Dörfer Correndu und Bongn am Konstantin- 
Hafen; der von ihnen bebaute Boden ist aufserordentlich ertragsfähig 
und die Einwohner haben infolgedessen Lebensmittel aller Art in 
Überflufs. Die Bilibili-Insulaner sind unternehmende Seefahrer und Händler; 
eine stattliche Flotte von grofsen Kanus mit wimpelgeschmückten Masten lag 
auf dem Sandstrand. Fast in jedem der über 50 Hänser dos Dorfes werden aus 
freier Hand sehr regelmäfsig geformte Thontöpfe gedreht. An der Mündung des 
Kaiserin' Angusta-Stromes bei einer Lagune wurden in einem Dorf an mehreren 


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Hütten in Bündeln aufgehängte Menschenschädel getroffen. — Die bisher geglaubte 
Gefährlichkeit der Schiffahrt an den Küsten von Kaiser Wilhelms-Land bestreitet 
Fr eiherr von Schleinitz, ja er behauptet, dafs, wenn auch viele Riffe und Untiefen 
vorhanden, die Küste von Kaiser Wilhelms-Land und eines grofsen Teils 
des Bismarck-Archipels doch für die grofse Schiffahrt selbst in dunkelster 
Nacht bei mäfsiger Aufmerksamkeit leicht zu befahren sind. Für 
Dampfer, welche von chinesischen Häfen nach Australien 
gehen, sei ohne Frage der Weg längs der Küste von Kaiser- 
Wilhelms-Landderkürzesteundgcfahrloseste. Dasselbe Heft enthält 
einen Bericht von Dr. Hollrung über die Vegetationsverlüdtnisse in Hatzfeldt- 
Hafen. 


§ Die niederländische Polarstation. Im Band IX, 1886, S. 247 dieser 
Zeitschrift wurde das von Professor Snellen in Utrecht herausgegebene Werk 
über die niederländische Polarstation besprochen und darin erwähnt, dafs nach 
der gefährlichen Überwinterung in der Kara-See der glücklich über und durch 
das Eis bewerkstelligte Rückzug zu den rettenden Schiffen stattgefunden habe. 
Von befreundeter Seite wird uns nun mitgcteilt. dafs von einer Rettung der 
holländischen Expedition nicht die Rede sein könne und der Ausdruck daher 
irrig gewählt sei, und es wird hierüber von Herrn Professor Snellen das Fol- 
gende geschrieben: «Von rettenden Schiffen war so wenig die Rede, dafs die 
Schiffe, welchen wir an der Mündung von Jugor Scharr begegneten, nicht die 
geringste Ursache hatten, unsertwegen den Bug zu wenden, sondern ruhig ihre 
Bemühungen, in das Kara-Meer einzudringcu, fortzusetzen beabsichtigten, als 
plötzlich eines derselben, D. „Louisa“, einen Flügel ihrer Schraube verlor und 
daher genötigt war, nach Europa zurückzukehren, welcher Umstand Herrn 
Dalimann veranlal'ste, uns einzuladen, mit ihm an Bord seines Schiffes die Rück- 
reise zu machen, welche durch die angenehme Gesellschaft und Unterhaltung 
unsres Gastherrn jeden von uns immer in lieber Erinnerung bleiben wird. 
Von Rettung war aber keine Rede. Aus welcher Not würde man uns damals 
haben retten können ? Wir genossen der kräftigsten Gesundheit, waren an einem 
bewohnten Ort, hatten Proviant noch für mehrere Tage und obendrein Geld.“ 
Darnach ist es allerdings irrig, wenn von rettenden Schiffen gesprochen wurde; 
das eben Mitgeteilte dürfte vielmehr den wahren Sachverhalt genügend klar 
gestellt haben. 


Geographische Litteratur. 

Europa. 

§ Festschrift zur fünfzigjährigen Jubelfeier des Provin- 
zial - L a n d wirtscha fts-Vere ins zu Bremervörde (Regierungsbezirk 
Stade). Zweiter Band. Stade 1886. Dem im Jahre 1885 veröffentlichten und 
in Band VIII., S. 228 u. ff. besprochenen ersten Band der Breraervördoner Fest- 
und Jubelschrift ist nun der zweite Band gefolgt. Wenn auch nicht so viel- 
seitig und umfangreich wie der frühere, so bietet doch auch dieser Band be- 
sonders in seinem zweiten Teile einen reichen bedeutungsvollen Inhalt. Der erste 
Teil ist den landwirtschaftlichen Vereinsbestrebungen in der Provinz, der Bremer- 
vorder Ackerbauschule, der Königl. prenfsischen Moorversuchsstation in Bremen, 


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endlich der Schilderung der Jubelfeier am 2. bis 4. September 1885 gewidmet. 
Der zweite Teil, Statistik, bearbeitet von C. Diercke, bietet ein über die landwirt- 
schaftlichen Kreise hinausreichendes Interesse. Auf 140 Seiten bietet er zu- 
nächst ein Ortschaftsverzeichnis des Regierungsbezirks, sodann finden wir Texte 
und tabellarische Übersichten, betreffend die jetzige politische Einteilung und die 
Ergebnisse der Zählung vom 1. Dezember 1885, Gebäude, Haushaltungen und Be- 
wohner 1861 — 80, Verteilung der Bevölkerung über das Land nach der Zählung 
von 1880, die Bevölkerung nach Herkunft, Alter, Familienstand, Zusammenleben 
und Bekenntnis, Bewegung, Beruf und Erwerbsthätigkcit der Bevölkerung, die 
Steuerverhältnisse nach der Veranlagung von 1883/84, endlich den Viehstand. 
Die beigegebenen Karten möchten wir etwas näher betrachten.' Karte No. 1 
zeigt die Dichtigkeit der Bevölkerung, in 10 Farbenabstufungen von der dünnsten 
Bewohnung, 20 — 24 Bewohner auf 1 qkm bis zur stärksten, 130 Bewohner auf 
den qkm. Jene am schwächsten bevölkerten Teile des Regierungsbezirks sind 
die Gegenden um Zeven und Rotenburg, also im Haide- und Moorgebiet, nicht 
viel günstiger ist das Verhältnis in Lehe, Dorum, Otterndorf, Hagen, eine mittlere 
Bewohnung zeigen die Ämter Neuhaus und Freiburg; die stärkste Bewohnung 
zeigen die Ämter Blumenthal, Lilienthal und Achim, sowie ferner die Elbmarsch 
im Amte Jork. Die stärkste Bevölkerungszunahme von 1861 — 80 hatten laut 
Karte No. 3 die Ämter Achim und Verden, sowie die Hafenorte an der Weser- 
mündung. Die Karten ö und 6 geben Aufschlufs über die Bodenverteilung: 
Die Besitzungen von 20 ha und darüber sind am zahlreichsten (82 °/o) in den 
Marschen am linken Ufer der Unterelbe, während der Kleinbesitz, 5 ha und 
darunter, in den Ämtern Lilienthal und Achim vorherrscht. Das Ackerland 
überwiegt (Karte No. 7) im Lande Uadeln, das Grünland in den Gegenden am 
rechten Weserufer (Hagen, Lehe, Dorum). Der Bodenwert (Ackerland und 
Gesamtfläche, Karten 9 und 10) ist am höchsten in den Marschen an der Unter- 
Weser wie Unter-Elbe und an der See (Reinertrag der Gesamtfläche durch- 
schnittlich 35 — 40 Jt., des Ackerlandes über 50 M. vom ha). Mit diesen That- 
sachen übereinstimmend zeigen sich auch die recht interessanten Karten der 
Steuerstatistik, der Pferde- und Viehzucht. Ein besonderes Kärtchen veran- 
schaulicht die Lage der zahlreichen im Regierungsbezirk bisher erschlossenen 
Mergellager. — Mit diesem Bande ist die Festschrift zum Abschlufs gekommen 
und damit durch das Zusammenwirken zahlreicher am meisten dazu berufenen 
Kräfte, ein Werk geschaffen, das wohl für längere Zeit die Hauptquelle für die 
Kunde der Lande und des Volkes zwischen Unter-Elbe und Unter-Weser 
bleiben wird. 

Europäische Wanderbilder. No. 114 — 116: Lugano und die Ver- 
bindungslinie zwischen den drei oberitalienischen Seen. Von J. Hardmeyer. 
Mit 55 Illustrationen von J. Weber und vier Karten. Zürich. Orell Füfsli & Co. 
Alle Vorzüge, welche wir den früheren Bändchen der „Europäischen Wander- 
bilder“ nachrühmeu durften, treffen in diesem zusammen. Der Verfasser ist 
ein guter Kenner der Schweiz, seine klare, gewandte und wo es darauf 
ankommt, schwungvolle Darstellung bewährt sich auch bei dem vorliegenden, 
allerdings höchst dankbaren Stoff, dem schönen Lugano und seiner reizvollen See- 
und Bergumgebung. Seit Eröffnung der Gotthardbahn ist Lugano bekanntlich 
ein Mittelpunkt für den sommerlichen Touristenverkehr und eine Winterstation 
für zahlreiche Gäste aus dem Norden geworden. Die Monographie enthält eine Fülle 
zierlicher Bilder, von denen wir folgende hervorheben: Lugano von der Villa 
Maraini aus, die Aussicht auf dem Friedhof von Canobbio, am Strand vor Bis- 


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sone, Gandria, Val Solda, Morcote, die Weinkeller von Caprino, die Aussicht 
von Bellavista gegen Melide, welche Bilder volle Blicke in die Schönheit der 
luganesischen Landschaft thnn lassen. 


Asien. 

Die Landwirtschaft Japans, ihre Gegenwart und ihre 
Zukunft. Von Dr. Shinkizi Nagai. Dresden, Schönfeld, 1887. Der Ver- 
fasser äufsert sich in der Vorrede wie folgt : .Das Volk Japans lebte bis zum 
Jahre 18G8 seit vielen Jahrhunderten in der strengen Abgeschlossenheit des 
Landes nach aufsen hin in ganz eigener Weise. Damit war die Entwickelung 
der Landwirtschaft zu einem ganz eigentümlichen Charakter bedingt. Der Um- 
stand, dafs das japanische Volk im allgemeinen eine fast vegctarianische Lebens- 
weise führte und die fehlende Fleischnahrung dnreh andre Substanzen ersetzte, 
zwang die Landwirtschaft, sich einseitig zu entwickeln. Aus dieser Ursache 
weisen die japanischen Felder sehr viel Gemüse und Leguminosen auf, die dem 
Bedürfnis nach Abwechselung resp. nach konzentrierter, fleischähnlicher Nahrung 
zu genügen haben. — In letzterer Richtung tritt daneben (und vielleicht noch 
überwiegend) das Meer mit seinem Reichtum an Fischen und Schaltieren ein, 
um das Fehlen der Schlachttiere minder empflndlich zu machen. Aus Mangel 
an Nachfrage ihrer Produkte konnte die Viehhaltung in Japan natürlich keine 
grofse Ausdehnung annehmen, sie mufste aufserdem noch dadurch eingeschränkt 
werden, dafs auch bei der Bearbeitung des Feldes der Gebrauch von Spann- 
rieh wenig üblich war, da ja derselbe hei der Kleinheit der oft terassenförmig 
angelegten Felder vielfach nicht wohl möglich ist und da die höchst unvoll- 
kommenen Ackergeräte und das Angebot von guter und billiger Handarbeit 
letztere vorteilhafter erscheinen liefsen. Deshalb konnten Pferde und Rinder 
vorwiegend nur zum Tragen von Lasten und Reiten Verwendung Anden und 
waren natnrgemäfs nicht zahlreich. Dies mufste der Landwirtschaft einen 
eigentümlichen Charakter verleihen, denn es liegen einmal grofse Flächen 
nutzlos, auf denen in Europa Futter für die Haustiere erzeugt würde und 
anderseits fehlt infolgedessen in Japan die in der europäischen Wirtschaft 
fast unentbehrliche Düngerquelle, der Stallmist. Damit ist eine grofse Ver- 
schiedenheit in der Natur der wichtigsten landwirtschaftlichen Arbeiten und der 
Betriebsrichtung dort und hier gegeben. Seitdem die ganzen sozialen und 
wirtschaftlichen Verhältnisse Japans gewaltige Umänderungen von Grund aus 
erfahren haben, tritt auch die Landwirtschaft nach ihrem vielhundertjährigen 
Stillstand in den Beginn einer ganz andern Entwickelungsphase. Die Lebens- 
weise des Volkes ändert sich wesentlich, die Nachfrage der bisherigen ein- 
heimischen, landwirtschaftlichen Erzeugnisse wird verringert, die Produktions- 
kosten der landwirtschaftlichen Produkte vergröfsern und die Preise vermindern 
sich. Aus dem allen resultiert die Notwendigkeit von jener mittelalterlichen zu 
einer den neuen Verhältnissen angepafston, wesentlich andern Betriebsweise 
überzugehen.' Die sodann folgenden Darlegungen des Verfassers betreffen : 
1. Die Bodengestaltung. 2. Das Klima. 3. Die Bodenbearbeitung. 4. Düugcr- 
bereitung. 5. Der Pflanzenbau. 6. Die Viehzucht. In einem Sehlufskapitel : 
.Allgemeine Zusammenfassung über Zustände und Aussichten der japanischen 
Landwirtschaft“ legt der Verfasser die Trostlosigkeit der landwirtschaftlichen 
Zustande seit Eröffnung Japans für den allgemeinen Weltmarkt dar; jetzt reicht 
der Wert der Ernte eben nur zur Bestreitung der Steuern und baren Unkosten 
hin. Trotz der angestrengtesten, vielseitigsten Hilfsthätigkeit der Regierung wird 


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eine langsame Resserung der Verhältnisse erst künftigen Generationen zum Nutzen 
gereichen. 

Geographische Charakterbilder aus Asien. Aus den Original- 
berichton der Reisenden gesammelt von Gymuasialdirektor Dr. Berth. Volz. 
Mit 87 Illustrationen. Leipzig, Fues’ Verlag. 1887. Dieses mit 87 Illustrationen 
geschmückte und hübsch ausgestattete Buch eignet sich vortrefflich zur Lektüre 
für Schüler und Schülerinnen höherer Klassen, die sich für Länder- und Völker- 
kunde interessieren. Aber auch darüber hinaus können allen Freunden der 
Geographie, jungen wie alten, die vorliegenden „Charakterbilder“ zu anregender 
Erholung und zur Erweiterung und Abklärung der Anschauung von fernen 
Ländern und Menschen empfohlen werden. Dieselben enthalten zweckmäfsig 
ausgewählte Abschnitte aus solchen Originalwerken, welche für unsre Kenntnis 
Asiens von Bedeutung, gewissermaßen die klassischen sind. Dem Fachmann 
wohlbekannte Namen, wie G. Radde, Max von Thielmann, H. Dalton, Palgrave, 
Dambery, Nordenskjöld, Richthofen, Prschewalski, Rein, Schlagintweit, von Hübner 
und viele andre begegnen hier dem Leser. Grundsätzlich sind nur die Original- 
. werke cinwandsfreier Augenzeugen berücksichtigt worden, damit den „Charakter- 
bildern“ das Wesen eines geographischen Quellenwerkcs bewahrt und der Wert 
wissenschaftlicher Zuverlässigkeit erhalten blieb. Die Bearbeitung bezog sich 
daher lediglich und in vorzüglicher Weise auf formale Dinge. Auch die novel- 
listische Form, in welcher die Erzählung den Rahmen abgiebt, ist beibehalten, 
da sie anzieht und, indem sie belehrt, doch angenehm unterhält. Mit Geschick 
hat es dabei der Verfasser verstanden, alle die verschiedenen Beiträge zu einem 
Gesamtbilde des Erdteils in grofsen Zügen nach den wichtigsten Gesichtspunkten 
zusammcuzustellen. Auch auf die beiden bereits früher erschienenen Bände, 
welche Charakterbilder aus Deutschland (I. Bd.) und aus Afrika (II. Bd.) ent- 
halten, sei nochmals empfehlend hingewiesen. W. W. 

Amerika. 

Elliot, Henry W. An Arctic Province, Alaska and the Seal 
Islands, lllustrated by many Drawings from nature and maps. London, 
Sampson Low. 1886. 8 °. 465 p. Über die Wertschätzung des früheren russischen 
Amerikas, des jetzigen Territoriums Alaska und über das in bezug auf dasselbe 
befolgte Regierungssystem hat sich in den Vereinigten Staaten ein heftiger Streit 
erhoben, der auch heute noch nicht geschlichtet ist. Der Verfasser des vor- 
liegenden Buches will nun auf Grund ausgedehnter persönlicher Erfahrung den 
Leser mit der Natur und den Zuständen des Landes so vertraut machen, dal's 
er seine eigene Meinung über dasselbe zu bilden vermöge. — Nach einer kurzen 
geschichtlichen Übersicht beginnt er mit einer Schilderung des südöstlichen 
Teiles, des Sitkadistriktes, läfst dann eine Beschreibung der westwärts sich an- 
schliofsendcn Küstenstrecke, weiter der Kenai-Halbinsel, der Insel Kadiak, der 
Halbinsel Alaska und der Kette der Aleuten folgen, um schliefslich längere 
Zeit bei den Pribylow-Iuseln, St.. Paul und St. Georg zu verweilen. Der Rest 
des Buches enthält dann noch eine kurze Beschreibung der vom Beringsmeer 
und dem Eismeer bespülten Fcstlandsküste, der Stromgebiete des Kuskokwim 
und Yukon und einiger Inseln im Beringsmeer. Die Beschreibung der Pribylow- 
Inseln und des auf denselben betriebenen Pelzrobbenschlages bildet den wich- 
tigsten und interessantesten Teil des Buches; fast 300 Seiten, des ganzen 
Werkes sind diesem Gegenstände gewidmet. Der Verfasser hat während eines 
wiederholten längeren Aufenthalts auf diesen Inseln die beste Gelegenheit zu 


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eingehenden Stadien gehabt und auch bereits mehrfach ausführliche Mitteilungen 
über dieselben gemacht. Millionen von Pelzrobben, Callorhinus ursinus, sammeln 
sich hier in den Sommermonaten jeden Jahres, um ihre Jungen zur Welt zu 
bringen und nufzoziehen. Die Alaska Commercial Company in San Franzisco 
übt auf diesen Inseln das Monopol des Robbenschlages aus. Nach dem Ver- 
trage mit der Regierung vom Jahre 1870 hat sie auf 20 Jahre, also bis 1890, 
das Recht, jährlich 100,000 Pelzrobben, 75,000 auf St. Paul und 25,000 auf 
St. Georg, zu schlagen. Elliot ist ein eifriger Fürsprecher dieses Monopols, 
dem er wohl nicht mit Unrecht cs zuschreibt, dafs die Zahl der Tiere in den 
letzten Jahren unvermindert geblieben ist. — Was die Beschreibung des grofsen 
Restes von Alaska anlangt, so entbehren hier die Angaben des Verfassers öfters 
der Genauigkeit und Vollständigkeit Die historischen Notizen sind nicht immer 
zuverlässig, die Litteratur ist unvollständig benutzt worden, auch fehlen gröfsten. 
teils alle Quellenangaben ; dürftig ist ferner die Darstellung der ethnographischen 
Verhältnisse. Störend wirken auch bei der Lektüre die im Text mitunter bis 
zur völligen Unkenntlichkeit verstümmelten russischen Eigennamen. — Das 
Buch ist mit zahlreichen nach Zeichnungen des Verfassers hergestellten Ab- 
bildungen und einer Karte ausgestattet, welche letztere jedoch nicht überall 
die neuesten Berichtigungen zur Darstellung bringt. A. K. 

Scidmore, E. Ruhama. Alaska, its Southern Coast and the Sitkan 
Archipelago. With map and illustrations. Boston, Lothrop & Co. 1885, 12 # . 
333 S. Das Büchlein enthält die Schilderung einer Touristenfahrt in das süd- 
liche Alaska, wie sie in den Sommermonaten jetzt öfters auf den allmonatlich 
von Portland oder San Franzisco ausgehenden Dampfern unternommen wird. 
Die Verfasserin hat die Reise zweimal, 1883 und 1884, gemacht. Bei der 
lebendigen und doch anspruchslosen Darstellung ist das Buch wohl geeignet, 
das Verständnis für die grofsartige Natur des Sitka-Archipels zu erwecken. 
Auch hat sich die Verfasserin über Land und Leute hinlänglich unterrichtet, 
um im wesentlichen zuverlässige Mitteilungen darüber machen zu können. 

A. K. 


Karten. 

Atlas de la Republica Argentina construido y publicado por 
resolucion del „Instituto Geografico Argentino' y redactado por el Dr. Art uro 
Seelstrang. Primera Entrega. Buenos-Aires 1886. Von diesem Atlas, dessen 
Erscheinen schon vor geraumer Zeit angekündigt wurde, ist nun die erste Lie- 
ferung, enthaltend 6 Blätter, an die Öffentlichkeit gelangt. Bei dem Instituto 
Geografico bestand ursprünglich die Absicht, eine grobe Karte der Republik 
herauszugeben. Die Vorarbeiten für diese Karte waren schon sehr weit gediehen, 
als eine Publikation in noch gröberem Mafsstabe nnd zwar in Form eines Atlas 
beschlossen wurde. So kam es, dafs die längst erwartete Veröffentlichung eines 
Kartenwerkes von Argentinien beträchtliche Verzögerung erfuhr. Diese Ver- 
spätung gereicht aber dem Werke selbst äufserheh nicht zum Nachteil. Zwar 
haben wir seit den Reisen der argentinischen Forscher Moreno und Moyano 
in Patagonien ein völlig klares Bild von den topographischen Verhältnissen auch 
des unbesiedelten Teiles der Republik gewonnen, so dafs besondere geographische 
Neuigkeiten in dem Atlas nicht zu erwarten sind. Dagegen haben sich durch 
die Vermessungsarbeiten, welche mit dem Landverkauf, dem Eisenbahnbau und 
en Grenzregulirungen Hand in Hand gehen, viele topographische Details ergeben 

Ocogr. Blätter. Bremen, 1887. n 


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und da sich bei der immer gröfseren Ausdehnung dieser Arbeiten das Material 
von Jahr zu Jahr zusehends häuft, so kann der Genauigkeit der Karten die 
Verspätung ihres Erscheinens nur zu statten gekommen sein. Mit dem Entwurf 
der Karten und der kritischen Verwertung des bei so verschiedenen Gelegen- 
heiten gewonnenen Materials wurde von dem „Instituto Geografico“ unser Lands- 
mann Herr Dr. Artur Seelstrang betraut, der sich ja schon durch eine ganze 
Beihe von Arbeiten um die Kartographie von Argentinien verdient gemacht hat. 
Der fertige Atlas wird etwa 30 Tafeln enthalten. Er hat das Format des Andree- 
schen Handatlas. Jede Provinz wird gesondert dargestellt und zwar im Mafsstab 
1 : 1 000 000 mit Benutzung der gewöhnlichen Kegelprojektion. Die Karten sind 
lithographiert auf sehr schönem Papier. Das Gebiet der dargestellten Provinz 
ist immer gelb, das Meer blau abgetönt; die Gebirge sind braun schraffiert. Die 
Schrift ist sauber, so dafs die Blätter einen sehr freundlichen Eindruck machen. 
Aufser dem üblichen topographischen Detail enthalten die Karten Höhenangaben 
in Metern, die Eisenbahnlinien, sowohl die im Betrieb befindlichen als die pro- 
jektierten, die Tclegraphenlinicn und die Grenzen der je einem Jefe Politico 
unterstehenden Dcpartementos. Die in der ersten Lieferung erschienenen sechs 
Tafeln sind: die Provinz Buenos-Aires, Sektion Südost, Tafel V. des fertigen 
Atlas; die Provinz Entrerios Tafel VIII; die Provinz Cördoba in zwei 
Sektionen Nord und Süd Tafeln XII. und XIII ; das Gouvernement Santa Cruz 
Tafel XXVI. und das Gouvernement Feuerland mit einem Karton: die Falk- 
lands-Inseln Tafel XXVH. Für diese sämtlichen Blätter, mit Ausnahme von 
Tafel XXVI., welche die Jahreszahl 1886 trägt, wurden die Entwürfe im Jahre 
1885 vollendet. Tafel V. giebt ein sehr klares Bild der im Kap Corrientes aus- 
laufenden Sierra von Tandil. Tafel VHI. stellt das hydrographische Netz des 
argentinischen Mesopotamiens, wie Entrerios genannt wird, mit grofser Ausführ- 
lichkeit dar. Aus diesem Blatte gewinnt man eine Vorstellung von dem grofsen 
Wasserreichtum dieser Provinz. Die Namengebung war einer solchen Fülle von 
Wasseradern gegenüber offenbar in Verlegenheit , denn allenthalben begegnet das 
Auge einer Arroyo Sauce (Salix, Weide) ; doch mag diese häufige Wiederholung 
auch dem Charakter der Landschaft entsprechen. Den Tafeln XII. und XIII. 
liegt eine im Mafsstab 1 : 500 000 gezeichnete Karte der Provinz Cördoba zu 
Grunde, welche im Jahre 1883 von dem topographischen Institut der Provinz 
herausgegeben worden ist. Die Provinz Cördoba geniefst verschiedene Vorteile, 
welche der Entstehung einer genauen Karte günstig waren: sie wird von den 

meisten argentinischen Bahnlinien durchquert, ferner besitzt sie im Süden und 
namentlich im Südosten wertvollen Boden, der parzelliert und besiedelt ist, und 
schliefslieh ist die Hauptstadt Cördoba Sitz einer Universität, an welcher natur- 
wissenschaftliche Professoren — zumeist Deutsche — wirkten und noch wirken, 
denen die Erforschung des Landes am Herzen lag. Sehr eingehend ist die 
Sierra von Cördoba behandelt, wenngleich hier die lithographische Wiedergabe 
nicht ganz so klar gelungen ist, wie bei der Sierra von Tandil. Besonderes 
Interesse gewähren auf diesen beiden Blättern die Verzweigungen der Canadones 
(Cana, Bohr), flache Einsenkungen mit saftigem Grün, in welchen man gewöhnlich 
in der Tiefe von 1 — 2 m Wasser trifft. Das Wasser tritt häufig in kleinen 
Lagunen zu Tage. Viele dieser Canadones stellen die Fortsetzung von Wasser- 
läufen dar, welche auf dem weiten Weg durch die Steppe versiegten. Aber als 
Grundwasser erhält sich der Lauf auf gröfsere Strecken und so Bind es gerade 
diese Canadones, welchen Südost-Cördoba seine wirtschaftliche Bedeutung ver- 
dankt Das auf Tafel XXVI. dargestellte Gouvernement Santa Cruz liegt zwischen 


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den Parallelkreisen 46 und 52 0 s. B. Es ist ebenso wie das Gouvernement 
Feuerland Tafel XXVII. im Mafsstab 1 : 2 000000 gezeichnet. In diese Blätter 
sind die Routen der Erforscher Patagoniens von Kapitän Fitz Roy 1834 bis 
auf Ramon Lista 1884 eingetragen. Zu den Routen, welehe man auf Tafel 3 
Band XXVIII. 1882 von Petermanns Mitteilungen findet, kommen hier noch 
hinzu : die Route M o y a n o s 1882 von der Mündung des Rio Santa Cruz längs 
der Küste bis zur Mündung des Rio Deseado, ferner seine Route 1883 vom Lago 
Argentino nach Süd bis zum Rio Gallegos, dann diesem entlang bis zur Mün- 
dung und zuletzt nördlich vom Unterlauf des Rio Chico; als neueste Route 
kommt hinzu die von Ramon Lista 1884 längs des Rio Deseado. Diese 
Routen ermöglichten eine genaue Einzeichnung der Flufsläufe. Nach allem dürfen 
wir das „Instituto Geografico Argentino“ und Herrn Dr. Seelstrang zu dem 
schönen Anfang des grofsen Werkes beglückwünschen und wir sprechen die 
Hoffnung aus, dafs die nächsten Lieferungen sich bald der ersten anschliefsen 
werden. O. C. 

Übersichtskarte der ethn ograph isch e n Verhältnis s e von 
Asien. Bearbeitet von Vincenz von Haardt. 6Blatt in SOfachem Farben- 
druck. Mafsstab 1 : 8 000 000. (Gröfsc der zusammengesetzten Karte: 175 cm breit, 
180 cm hoch). Wien 1887. Der durch eine langjährige Thätigkeit auf geogra- 
phischem und zumal kartographischem Gebiete wohlbekannte Verfasser bietet in 
dieser überaus grofsen und schönen Karte ein Gesamtbild über die ethno- 
graphischen Verhältnisse Asiens, jenes Erdteils, welcher als die «Wiege 
des Menschengeschlechtes“ vor allem das Interesse des Forschers und des 
wissenschaftlich gebildeten Publikums in Anspruch nimmt. Es unterliegt keinem 
Zweifel, dafs eine solche in gröfserem Mafsstabe ausgeführte Übersichtskarte 
der Bevölkerungsverhältnisse eines ganzen Erdteils, sowohl für das Selbststudium, 
als auch für den Unterricht von besonderer Wichtigkeit ist, wie sie andemteils 
bei der hervorragenden Bedeutung des ethnographischen Momentes auch für 
den Staatsmann und Politiker als gradezu unentbehrlich bezeichnet werden 
mufs. Bislang fehlte eine solche Karte in der fachwissenschaftlichen Litteratur 
aber gänzlich und es ist daher ein Verdienst des Herrn Haardt, dafs er diese 
Lücke ausgefüllt hat. Die Aufgabe war aber zugleich eine aufserordentlich 
schwierige, da kein Erdteil eine Völkermischung von solch aufsergewöhnlichen 
Dimensionen hat wie gerade Asien. Allein 26 grofse Gruppen von Völker- und 
Sprachstämmen treten uns auf der Karte, durch verschiedene Farbentöne 
deutlich erkennbar, entgegen ; zwölf dieser Gruppen gehören der mongolischen, 
acht der mittelländischen Rasse und drei den Dravida-Völkern an ; für die 
arktischen Völker, für die malaiischen Stämme und für die Papuas wurde nur 
je ein Farbenton gewählt. Der vom fachwissenschaftlichen Standpunkte wünschens- 
werten weiteren Gliederung dieser 26 gröfseren Gruppen wurde durch eine Be- 
schreibung oder durch die Einfügung der auf die tabellarische Übersicht hin- 
weisenden Ziffer entsprochen. Auf diese Weise sind die Verbreitungsbezirke von 
nicht weniger als 120 Völker- und Sprachstämmen nebst vielen ihrer wichtigeren 
Unterabteilungen (die Karte enthält in allem über 600 ethnographische Nomen- 
klaturen) zur Anschauung gebracht, ohne durch eine Überladung mit kleineren 
farbigen Flächen das Auge und die Übersichtlichkeit der Karte zu verwirren. 
— Der bis Ende März d. J. festgesetzte Subskriptionspreis von 24 M. für die 
Karte ist ein verhältnismäfsig billiger, möge dieselbe deshalb auch einen recht 
zahlreichen Käuferkreis finden. Einer der besten Kenner der ethnographischen 


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A 



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Verhältnisse Asiens, der berühmte Ethnograph H. Vämberv, empfiehlt die Karte 
als eine gediegene, nützliche und anerkennenswerte Arbeit; auf dieses Urteil 
hin darf der Leser den Kauf getrost wagen. Dr. W. Wolkenhauer. 

Spezialkarte der österreichisch-ungarischen Monarchie, 
herausgegeben vom K. K. militärgeographischen Institut in Wien. Vom Generel- 
Depot dieses Instituts empfingen wir folgende Mitteilung : »Von der Spezialkartc der 
österreich-ungarischen Monarchie im Mafse 1 : 75000 gelangten im Laufe des 
Monats Januar 1887 folgende Blätter zur Ausgabe : Nagy-Röce und Rima-Bänya ; 
Gönc und Csobäd; Bercgszäsz und Mezö-Tarpa; Gyöngyös und Bakta; Jänk; Szalacs 
und £r-Diöszeg ; Bucsa und Rossia ; Almissa und S. Pietro dclla Brazza; Koierin 
undMostar; Ljubuski und Metkoviö; Bilek; Trebinje und’Risano. Sodann wird 
noch mitgeteilt, dafs der VI. Band der „Mitteilungen des K. K. militär-geographischen 
Instituts“ erschienen ist. Derselbe enthält in seinem offiziellen Teile den Bericht 
über die Leistungen sämtlicher Abteilungen des Institutes in der Zeit vom 
1. Mai 1885 bis Ende April 1886; ferner den Bericht über die in das Präzisions- 
nivellement der österreichisch -ungarischen Monarchie einbezogenen meteorolo- 
gischen Beobachtungs-Stationen ; Studien über die Erzeugung galvanoplastischer 
Druckplatten ; Untersuchungen über die Schwere im Innern der Erde, sowie den 
Bericht über die Projektionen der wichtigsten vom K. K. Generalquartiermeister- 
stabe herausgegebenen Kartenwerke. 


Zur Besprechung gingen ferner ein: »Der 'Weltverkehr“, von Dr. Michael 
Geistbeck (mit 123 Abbildungen und 33 Karten), Freiburg, B. Herder, 1885. — 
»Westindische Skizzen“, Reiseerinnerungen von K. Martin, mit 22 Tafeln und 
einer Karte, Leiden, E. J. Brill, 1887. — »Tre Ar i Kongo“, Skildringar af P. 
Möller, G. Pagels och E. Gleerup, Stockholm, P. A. Norstedt & Söner. Erste 
Lieferung. — Observations internationales Polaircs, 1882—83. Expedition Danoise. 
Observations faites ä Godthaab sans la Direction de Adam Paulsen, Directeur 
de l’Institut Metäorologique de Dänemark, publiäs par l’Institut Metäorologique 
de Dänemark. Tome II. U' re livraison: I. Meteorologie (Pression atmospherique, 
cartes et tableaux); II. Flux et reflux dela mer; III. la longitude de Godthaab. 
Copenhague, G. E. C. Gad, Libraire de l’universite, 1886. 




>- 


DrucV Schüuemann. Bremen. 


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Heft 2. 


Deutsche 


Band X. 


Geographische Blätter. 

Herausgegeben von der 

Geographischen Gesellschaft in Bremen. 


Beiträge und sonstige Sendungen an die Redaktion werden unter der Adresse : 
Dp. M. Lindeulan, Bremen, Mendeatraaae S, erbeten. 

Der Abdruck der Original-Aufsätze, sowie die Nachbildung von Karten 
und Illustrationen dieser Zeitschrift ist nur nach Verständigung mit 
der Redaktion gestattet. 


Laurentius Michaelis 

und die ältesten Karten von Ostfriesland. 

Von Generalsuperintendent Bartels in Aurich. 

Hierzu Tafel 2: Frisiae Orientalis nova et exacta descriptio, Auctore Lanrentio 
Michaelis ab Hagen Härchen, anno 1579. Gerar de Jode exendebat. (Copie des 
im Besitz des Herrn Navigationsschuldirektor Dr. Breusing in Bremen befindlichen 

Originals.) 


Schon seit langer Zeit ist wiederholt nach einer von Laurentius 
Michaelis von Hohenkirchen entworfenen Karte von Ostfriesland ge- 
fragt worden. Hauber in seinem Versuch einer umständlichen Historie 
der Landkarten, Ulm 1724, führte sie an, aber Coldewey, der sich 
Mühe gab, alle alteren Karten von Ostfriesland aufzutreiben, bezeugt 
in einem Brief an Bertram 1734 (mitgeteilt in Bertram, Parerga 
Ostfrisica, Brem. 1735, S. 109 ff.), er habe sich bis dahin vergeblich 
bemüht, ihrer habhaft zu werden. Es scheint ihm auch später nicht 
gelungen zu sein, wenigstens unter der von Coldewey herrührenden 
Sammlung älterer Karten von Ostfriesland auf der Bibliothek der 
ostfriesischen Landschaft findet sie sich nicht, und fand sie sich auch 
früher nicht, der Landsyndikus Wiarda gab 1794 auf eine Anfrage 
aus der Kriegs- und Domänenkammer nach älteren gedruckten Karten 
der Provinz die Auskunft, dafs ihm die Karte des Lorenz Michaelis 
von Hogenkirchen nur dem Namen nach aus Büsching bekannt sei. 
Vor einigen Jahren hat Babucke (Wilhelm Gnapheus, Emden 1875, 
S. 79 ff.) sich bemüht sie wieder aufzufinden, er ermittelte jedoch 
nur ein auf der Bibliothek zu Oldenburg vorhandenes handschrift- 
liches Kärtchen des Laurentius Michaelis, anscheinend aus der Zeit 
bald nach 1540, welches den an Jever anstofsenden Teil von Ost- 
friesland darstellt mit der Aufschrift „Pars Frisiae Orientalis sive 
Minorum Cauchorum“ — das konnte schwerlich die von Hauber ge 

Geogr. Blätter. Bremen, 1887. 8 


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meinte Karte sein, aber sie bewies allerdings, dafs Laurentius Michaelis 
sich mit Entwertung einer Karte von Ostfriesland beschäftigt hat. 
Auch die von de Vries und Focken (Ostfriesland, Land und Volk in 
Wort und Bild, Emden 1881, S. 440 ff.) mitgeteilten Angaben über 
die älteren Karten führten auf keine weitere Spur. Inzwischen ist 
der Verschollene nun dennoch aufgetaucht, er fand sich wieder in 
Cornelis de Jode, Speculum orbis terrarum. Antverpiae 
1593 

mit der Aufschrift 

FRISIAE ORIENTALIS nova et exacta descriptio Auctore 
Laurentio Michaelis ab Hagenkarcheu anno 1579. Gerar 
de Jode excudebat, 

wonach hier ein Faksimile mitgeteilt wird.*) Schon früher brachte 
Ortelius in der Ausgabe des Theatrum orbis terrarum von 1584 im 
Catalogus auctorum die Angabe : Laurentius Michaelis ab Hogenkirchen 
Frisiam orientalem in tabulam deduxit. Edita est Antverpiae 1579. 
Ortelius teilte aber statt ihrer die hernach zu besprechende Karte 
von Johannes Florianus mit, von Laurentius Michaelis nur dessen 
Karte von Oldenburg. 

Über Laurentius selbst ist uns sehr wenig sicheres bekannt, 
auch die jeverschen und oldenburgischen Schriftsteller sehen sich 
auf Mutmafsungen angewiesen; v. Halem nimmt an (Geschichte des 
Herzogthums Oldenburg I. S. 12), er sei zu Hohenkirchen in Jeverland 
Pastor gewesen, das ist aber mit den überlieferten Nachrichten 
Yon Predigern daselbst nicht in Einklang zu bringen, weder Martens 
(Jeversches Prediger-Gedächtnis, Aurich 1788, S. 57 ff.) noch Meene 
(in den Beiträgen zur Spezialgeschichte Jeverlands, Jever 1853, 
S. 120 ff.) nennen unter den Pastoren zu Hohenkirchen einen Laurentius 
Michaelis, Martens kennt einen 1514 als lic. d. Rechte und Provisor 
zu Hohenkirchen verstorbenen Mag. Martin Michaelis und vermutet, 
dessen Sohn sei Laurentius gewesen, Hollmann dagegen (Beitr. S. 9), 
Mag. Martin, mutmafslicher Hofprediger bei Fräulein Maria von 
Jever zur Zeit des Interims sei sein Vater gewesen; Martens fügt 

*) Wir verdanken die Veröffentlichung dem Eigentümer des Originals, dem 
Herrn Dr. A. Breusing, Direktor der Seefahrtschule in Bremen. Weiteren 
Kreisen wurde die Karte erst bekannt, als Herr Dr. Breusing sie mit obigem 
Speculum terrarum und andern älteren Karten vor einigen Jahren in der 
Historischen Gesellschaft in Bremen vorlegte und besprach. Auf Herrn Dr. 
Breusings Anraten wandten wir nus behufs eines erläuternden Textes an 
Herrn Generalsupcrintendenten Bartels, einen der besten Kenner der ostfriesischen 
Geschichte, und sind auch diesem Herrn für sein durch Abfassung dieser inter- 
essanten Mitteilungen bezeugtes freundliches Entgegenkommen sehr dankbar. 

Die Redaktion. 


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103 


noch hinzu, Laurentius Michaelis von Hohenkirchen habe als Notarius 
caesareus das Testament der Fräulein Maria (1573) aufgesetzt. 
Sicher ist, dafs er sich mit jeverscher und oldenburgischer Geschichte 
beschäftigt und ein von Hamelmann in der Oldenburger Chronik 
öfter citiertes „Oldenburgisch und Jeverisch Chronicon“ in der 
Handschrift hinterlasseu hat; nach v. Halem hatte dasselbe auf 
selbständigen Wert keinen Anspruch, und würde ein etwaniger 
Verlust nicht sehr zu bedauern sein, ein Urteil, das, nach Harnel- 
rnanns auf Laurentius zurückgeführten Angaben zu schliefsen, wohl 
nicht unbegründet sein dürfte. 

Abgesehen von dem litterarhistorischen Interesse dürfen wir 
Laurentius’ Karte auch nicht hoch anschlagen, sie gehört noch in 
die dürftigen Anfänge der Kartographie. Die vier Himmelsgegenden 
sind am Kande ausdrücklich angegeben, und die Inseln entsprechen 
ihnen auch leidlich, aber das feste Land ist dann so weit von Süd- 
westen nach Nordosten hinübergeschoben, dafs z. B. der Ausflufs 
der Leybucht nach Norden, gerade Norderney gegenüber, zu 
liegen kommt, und die Weser von Brake bis Blexen eine ostnord- 
östljcke Richtung erhält. Dementsprechend wird die Lage der Ort- 
schaften zu einander auch eine verkehrte, Wymeer z. B. kommt so 
weit nordwestlich von Weener zu liegen, wie es in Wirklichkeit 
südwestlich davon liegt, der Krumme Hörn liegt in der Hauptsache 
nicht westlich uud nordwestlich von Emden, sondern nördlich, Pilsum 
gerade im Norden, Greetsyhl gar ein wenig nordöstlich, Aurich gerade 
östlich von Emden und gerade südlich von Hage und Berum. Ab- 
gesehen von dieser die ganze Karte beherrschenden Verschiebung 
sind zahlreiche einzelne Irrtümer eingeschlichen; z. B. in Reiderland 
verschwimmeü Bingum und Borgum (jetzt Kirchborgum) in den einen 
nicht vorhandenen Namen Burrigum, Bunde fehlt, dagegen erscheint 
die Bunder Jarde, eine Blinke im Dollart, damals nach Angabe des 
Augenzeugen Gerh. Oldeborg in seiner Bunder Chronik 1 — 2 Diemath 
grofs, mit entstelltem Namen und übertriebener Gröfse; im Over- 
ledingerland ist Dorenborg zwischen Grotegaste und Driver weg ver- 
setzt bis südlich vom Hampoel in die Gegend des jetzigen Papenburg, 
die Lage von Driver und Müde ist vertauscht; im Krummen Hörn 
ist Betteweer (jetzt ausgedeicht und verschwunden) von der Küste 
zwischen der Knock uud Rysum weg — und ins Binnenland hinein- 
versetzt; in der Umgegend von Aurich ist Wiesens mit Wisede ver- 
wechselt, Westerende zu Osterende geworden u. a., der Entstellung 
vieler Namen bis zur Unkenntlichkeit nicht zu gedenken. Politisch 
hat Laurentius von Ostfriesland eiue undeutliche Vorstellung, in dem 
der Karte beigegebenen Kommentar, wenn derselbe anders vom Ver 

8 * 


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104 


, fasser der Karte herrührt, werden Harlingerland und Jeverland als 
zwei „Grafschaften neben Ostfriesland“ gerechnet, dieses aber nach 
der Kolorierung der Karte nur bis an die Ems ausgedehnt, so dafs 
ganz Reiderland schon zu Holland gehört. Möglich dafs dies mit des 
Verfassers historischen Vorstellungen zusammenhängt, und ihm die 
„Chauci minores" noch vorschweben, nach denen das vorhin erwähnte 
Kärtchen von 1540 das Land benennt, und er der ebenso unhalt- 
baren als oft unvorsichtig befolgten Angabe des Ptolemäus sich an- 
schliefst (II, 11), wonach die Ems zwischen Friesen und Chauken die 
Grenze bilden soll, und dann zwischen Ems und Weser die Chauci 
minores wohnen, zwischen Weser und Elbe die Chauci majores. 
Ostfriesland soll deshalb auch nicht gesagt sein zum Unterschied von 
West- und Nordfriesland, sondern weil es „östlich von Friesland“ 
liege. Die Klassiker beeinflussen die Karte auch sonst; sie führt 
zwischen Heede und Westerwoldingerland ein altes Römerlager auf 
und einen Knüppeldamm ähnlich der Spetze zwischen Auricholdendorf 
und Strakholt, ohne Zweifel im Hinblick auf die oft besprochenen 
pontes longi des Cäcina, von welchen Tacitus ( Ann. I, 60 ff.) berichtet ; 
Laurentius dürfte wohl der älteste von denen sein, die sie in .den 
Bereich des Burtangermores verlegen. Der Kommentar der Karte 
beschäftigt sich denn auch eiugehend mit dem, was die lateinischen 
Autoren insonderheit was Plinius in der bekannten Schilderung (Nat. 
Hist. XVI, 1.) vom Lande und Volk der Chauken berichtet, indem 
er dessen Angaben durch die abweichenden von Tacitus (Germ. 35.) 
zu berichtigen sucht und aus dem Unterschied von Sonst und Jetzt 
den Schlufs zieht: „non coeli intemperie, non humi natura accidere, 
ut soluin infecundum sit, sed hominum potius vitio aut moribus“. 

Die Jahreszahl 1579, welche die Karte trägt, wird nicht 
sowohl die Zeit ihrer Entstehung angeben als die der Veröffentlichung. 
Denn sie giebt den Zustand des Landes, ohne zu berücksichtigen, 
was in der Allerheiligenflut von 1570 an der Küste des Harlinger- 
landes, also ganz in der Nähe des Jeverlandes, geschehen war: die 
beiden Dörfer Oldendorp und Bense, unter Langeoog, werden als noch 
vorhanden aufgeführt, sie waren aber eben durch die Allerheiligen- 
flut ruiniert und 1579 wohl schon ausgedeicht (Arends, physikalische 
Geschichte der Nordseeküste II, 105.), ebenso war nach der Aller- 
heiligenflut Zahl und Umfang der Blinken im Dollart wahrscheinlich 
geringer als Laurentius angiebt, die Namen der letzteren sind übrigens 
zum Teil unverständlich. Es spricht sonach vieles dafür, die Ent- 
stehung der Karte etwa auf 1570 anzusetzen. Sie wird wohl die 
erste, Ostfriesland allein darstellende gewesen sein, welche zum Druck 
gelangt ist. 


105 


Schon bald nach der Mitte des sechszehnten Jahrhunderts 
wird uns das Vorhandensein von Karten bezeugt, welche entweder 
Ostfriesland allein oder zusammen mit Groningerland und Westfriesland 
zur Darstellung brachten. Der Bischof von Osnabrück erkundigte 
sich 1565 bei dem Grafen Edzard von Ostfriesland nach einer 
„Mappen oder Carthen“, in welcher dieser die Gelegenheit seines 
Landes habe „abreissen“ lassen, und erbat sich dieselbe zur Ansicht 
(Herquet, Miszell. zur Geschichte Ostfrieslands, Norden 1883, S. 64). 
Ein paar Jahre später berichtet der westfriesische Rechtsgelehrte 
Joach. Hopperus, dafs er selbst auf einer nach Madrid mitgebrachteu 
Karte dem König Philipp von Spanien den Schauplatz der Kämpfe 
bei Heiligerlee, Groningen und Jemgum (1568) wie auch die Lage 
von Emden gezeigt habe; Suffridus Petrus (de scriptoribus Frisiae. 
S. 299.) bezeugt, dafs er selbst durch Hopperus entworfene Karten 
von Friesland gesehen habe. Diese Karten sind verschwunden und 
wohl nie zum Druck gelangt. Die erste Karte von Ostfriesland 
zusammen mit Westfriesland erschien 1568, vermutlich allein, ward 
aber bald hernach in Ortelius Theatrum orbis terrarum aufgenommen 
und findet sich in den Ausgaben von 1570, 1573, 1579, 1584. (Oost- 
ende west-vrieslands Beschryvinge. Utriusque frisiorum Regionis 
novissiina descriptio 1568). Auf der Karte selbst wird der Verfasser 
nicht genannt, aber die lateinische Originalausgabe des Ortelius 
enthält einen Nomenclator auctorum tabularum geographicarum 
und in diesem die Bemerkung: „Jacobus a Daventria Brabantiae, 
Hollandiae, Gelriae, Frisiae, Zelandiae tabulas descripsit et edidit 
Mecbliniae.“ Bodel Nienhuis und Eckhoff (De algemeene Kaarten 
van de’Provincie Friesland, Leiden und Leeuward. 1846. S. 17 ff.) 
bezweifeln jedoch, ob Jacobus von Deventer selbst in Friesland die 
Karte aufgenommen, oder dieselbe vielmehr nach ihm von dort ge- 
machten Angaben entworfen habe, und entscheiden sich für letzteres. 
Wohl mit Grund, da Suffridus Petrus von seinem langjährigen Freunde 
und Studiengenossen Sibrandus Leo, Priester zu Menaldum bei 
Leeuwarden um 1557, f 1588, bezeugt: „nostro hortatu primum (sic!) 
Tabulam Geographicam Frisiae composuit, quam excudit primum 
Jacobus Daventriensis et deinde locupletatam recudit anno Christi 
1579 Hoenbergius“ (1. cit. S. 393). Die zweite „locupletirte“ Be- 
arbeitung wird die in der Ausgabe von Ortelius Atlas von 1584 
sein, welche Westfriesland allein darstellt mit der Angabe : Sibrandus 
Leonis Leovardensis describ. Cum privilegio Imp. et Reg. Maj. ad 
decennium 1579. Hoenbergius wird identisch sein mit Franz Hogenberg, 
einem niederländischen Flüchtlinge in Köln, durch welchen Ortelius 
seine Karten stechen liefs. (Breusing, Leitfaden durch das Wiegenalfr 
der Kartographie bis zum Jahre 1600, Frankfurt 1883, S. 29). 


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Dem Sibrand Leo sind dann bald und wahrscheinlich kurz 
nach einander zwei Karten von Ostfriesland allein gefolgt, die unsres 
Laurentius Michaelis und die des Johannes Florianus. Das mir 
bekannte Exemplar der letzteren stammt aus Coldeweys Naclilafs 
und entspricht ganz der von Babueke a. a. 0. im Faksimile mitge- 
teilten Karte des Joh. Florianus (Frisiae orientalis descriptio, unten 
in der Ecke links: Joes Florianus describ. und am Rande in der 
Mitte ebenfalls links: Cum privilegio Imp. et Reg. Mts. ad decen- 
nium 1579). Babueke teilte sie mit aus der französischen Ausgabe 
von Ortelius Atlas von 1581, die lateinische von 1584 bringt sie mit 
der Angabe im Catalogus auctorum : Joannes Florianus Antverpiensis 
Frisiae orientalis regionem delineavit, quae in hoc Theatro nunc 
recens apparet. Zu Antwerpen erschien 1556 Joannis Leonis Africani 
de totius Africae descriptione libri IX recens in Latinam linguam 
conversi Joanne Floriano interprete — das wird der Urheber unsrer 
Karte sein. In Ostfriesland kennen wir einen Joh. Florianus, der 
1566 — 72 Rektor in Norden und um die Mitte der 70er Jahre, 
jedenfalls noch 1574, Pastor in Pilsum war, später einer prote- 
stantischen Gemeinde in Brüssel diente und 1585 nach der Einnahme 
der Stadt durch die Spanier umgebracht ward. Dafs er geogra- 
phischen und kartographischen Studien oblag, erwähnt kein zeit- 
genössischer Autor, aber die Karte verrät es uns, dafs ihr Verfasser 
mit dem Norder Rektor und Pilsumer Pastor eine Person ist: während 
sie die Anwüchse am Dollart bei Bunde nicht beachtet, interessiert 
sie sich offenbar speziell für das unfern Norden an der Leybucht 
im Anwachs begriffene Osteeler- und Wirdumer Neuland und in- 
sonderheit für den Pilsumer Turm. Florianus stattet auf seiner 
Karte nur die Städte und Kastelle mit einem Turm aus, aber zu 
Gunsten seines Pfarrdorfs macht er eine Ausnahme: der Pilsumer 
Turm steht darauf. Die Karte ist also jedenfalls entstanden nach 
1572, als Florianus Pastor in Pilsum war. Auf von Grund aus 
neuer selbständiger Arbeit beruht sie nicht, man kann kaum zwei- 
feln, dafs Laurentius Michaelis zu Grunde liegt, aber Florianus hat 
ihn vielfach berichtigt, und, wenn anzunehmen ist, dafs er schon in 
seinen jüngeren Jahren in den Niederlanden die oben genannte 
Übersetzung des Leo Africanus besorgte (als er 1585 den Tod fand, 
stand er im 63. Lebensjahre, w r ar also etwa 1522 geboren), war er 
ja kein Neuling und stand vielleicht auch mit Ortelius in Verbindung. 
Die Gestalt des Landes erscheint bei ihm ebenso verschoben wie 
bei Laurentius, aber er macht durch den auf der Karte angebrachten 
Kompafs darauf aufmerksam, dafs oben nicht Norden, sondern Nord- 
westen sei, bringt dann die Leybucht in die richtige Lage, giebt die 


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Grenzen genauer an und verbessert in zahlreichen Fällen Laurentius 
Angabe der Lage und Benennung der Ortschaften. Dabei scheint 
er in den westlichen Gegenden bekannter zu sein als in den östlichen, 
wo manche irrtümliche Benennungen des Laurentius wiederkehren, 
z. B. Osterende statt Westerende; Räude und die ganze südöstliche 
Ecke des Overledingerlandes kommt ihm jenseits der ostfriesischen 
Grenze zu liegen. 

Bisher war blos die besprochene Ausgabe der Karte des 
Florianus von 1579 bekannt; durch gütige Mitteilung des Herrn 
Dr. Breusing, welcher ich bereits mehrere Angaben aus den Atlanten 
des Ortelius verdanke, erfahre ich, dafs der Atlas von 1595 eine 
neue Karte des Joh. Florianus brachte, die wesentlich von der 
früheren abwich, und dafs er im Catalogus auctorum die Notiz 
enthielt : David Fabricius Esensis Frisiam orientalem descripsit, quam 
Joannes ab Oldersum edidit Emdae 1589. Hat Florianus noch selbst 
an der Karte von 1579 gebessert? Hat Fabricius’ Karte Verbesse- 
rungen an die Hand gegeben ? oder ist bei derselben die inzwischen 
in Mercators Tabulae Galliae et Germaniae (Duisb. 1585) erschienene 
Karte „Emden et Oldenburg Comitatus“ benutzt? Das beruht vor 
der Hand auf sich;*) interessanter aber ist die durch Ortelius 
Angabe erteilte Auskunft, dafs Fabricius’ Karte 1589 zu Emden 
erschienen ist. Bis hierher waren blos zwei Ausgaben von Fabricius’ 
Karte bekannt, von 1610 und 1617, und jene galt allgemein für 
die erste ; indessen beruft sich schon Giseken in seiner 1600 
erschienenen Apologie für Hamelmann gegen Emmius auf die ge* 
druckte Karte des Fabricius, von der wir nun wenigstens das 
Jahr der ersten Veröffentlichung wissen. Viel mehr aber auch 
nicht als dies, und dafs bei Fabricius’ Karte das „ Haben t sua fata 
libelli“ sich eigentümlich bewahrheitet. David Fabricius, Pastor zu 

*) Anmerkung: Während des Druckes kommt mir noch eine über- 
sehene Notiz zu Gesicht, die hier nachträglich anzuführen ist. Im „Ostfries. 
Monatsblatt“ 1883, Seite 108 ff. in einem Aufsatz über die älteste Dollartkarte 
beschreibt de Vries eine als No. 47 in einer ohne Jahreszahl aber nicht ror 
1586 erschienenen Ausgabe des Ortelius gedruckte zweite Auflage von Florianus 
Karte, welche mit einer Nebenkarte, des im Dollart versunkenen Landes, einigen 
Abbildungen älterer friesischer Volkstrachten und etlichen Anmerkungen ver- 
mehrt ist. Danach unterliegt, es keinem Zweifel, dass Florianus seine Karte 
mehrmals herausgegeben und revidiert hat. Eine Bemerkung über den Borkumer 
Turm besagt „Haec turris ex continente apparenter visa futuram brevi tem- 
pestatem minatur“ — eine Wahrnehmung, die, wie ich aus Erfahrung bestätigen 
kann, so spezifisch auf Pilsum hinweist, dafs an der Identität des Autors der 
Karte mit dem Pastor Florianus zu Pilsum nicht füglich gezweifelt werden kann. 
Dafs Fabricius auf die von Florianus vorgenommenen Änderungen und Zusätze 
von Emflufs gewesen sei, ist kaum wahrscheinlich. 


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Resterhafe, später zu Osteel, hat von 1585 bis 1613 ein „Calen- 
darium Historicum“ geführt über allerhand Erlebnisse, Observationen 
und Studien, auch wohl alltägliche Kleinigkeiten nicht vergessend; 
es ist im Jahrbuch der Gesellschaft für bildende Kunst und vater- 
ländische Altertümer zu Emden (Band 6, 2. Heft) durch Herrn 
Dr. Bunte in Leer veröffentlicht und erläutert. Weitere Mitteilungen 
aus Fabricius’ Korrespondenz mit Keppler sind unter der Presse — 
mit keiner Silbe erwähnt er etwas von seiner Karte, auch erfahre 
ich von Herrn Dr. Bunte, dafs demselben in dem übrigen Quellen- 
material nichts über diese vorgekomraen sei. Niemand hat über 
den Druck von 1589 eingehender berichtet, unsre Kenntnis von 
ihm beschränkt sich auf zwei sogleich noch mitzuteilende Notizen. 
Ein späterer Abdruck von 1610 und ein dritter von 1617 sind 
dagegen eingehend beschrieben von Bodel Nienhuis und Eckhoff 
(a. a. 0. S. 30 No. 37 und S. 32 No. 40), welchen beide Vor- 
gelegen haben. Die Karte von 1610 erschien bei Petr. Kaerius zu 
Amsterdam, gestochen von Abr. Goos, und umfafste nicht blos Ost-, 
sondern auch Westfriesland; sie zeichnete sich aus durch ungemein 
splendide Ausstattung, am Rande die Bildnisse des Grafen Enno 
von Ostfriesland und des Stadthalters von Groningen und West- 
friesland, Grafen Wilhelm Ludwig von Nassau, nebst Ansichten der 
Städte Emden, Groningen, Leeuwarden, Franecker, Abbildungen 
der Volkstrachten u. a. Dieser splendiden Ausstattung entsprach 
jedoch der Wert der Karte durchaus nicht, sie gab von Groningen 
und Westfriesland einen verkleinerten Nachstich einer gröfseren 
um 1600 durch Joh. v. Doetecum zu Rotterdam herausgegebenen mit 
allen Fehlern derselben und noch neuen dazu. Bei Peter Kaerius 
erschien 1617 ein Atlas der 17 niederländischen Provinzen „Germania 
Inferior“ mit erläuterndem Text von Petrus Montanus, und in 
diesem Atlas eine Karte von Ost- und Westfriesland mit Fabricius’ 
Namen, aber hier war nicht einmal die Karte v.on van Doetecum wieder- 
gegeben, sondern die des Ortelius von 1566 (also wahrscheinlich des 
Sibrand Leo, s. o.) buchstäblich kopiert. Bodel Nienhuis und Eckhoff 
kommen deshalb zu dem Ergebnis: „auf beiden Karten, welchen 
Kaerius den Namen des Fabricius beigelegt hat, ist dieser Name 
vielleicht allein für Ostfriesland zutreffend.“ Aber von dem, was 
die Karte von Ostfriesland durch Fabricius gewann, dürfen wir uns 
auch schwerlich eine grofse Vorstellung machen. In der vorhin 
angeführten Schrift von Giseken gegen Emmius „Apologia pro 
H. Hamelmanno“, Lemgo 1600, beruft sich jener (f. 35 v.) auf 
Fabricius: der bestätige die Angaben Hamelmanns in betreff von Jade- 
1o he und Mellum „ut tabulae ipsius Geographicae ostendunt“. Am 


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Rande seines Exemplars dieser Schrift, welches sich auf der Universitäts- 
bibliothek zu Groningen befindet, hat aber Emmius dazu die eigen- 
händige Glosse gemacht: „Si aliud argumentum non habes, quo 
doceas arces istas quondam iis locis stetisse, causa cadis sine dubio. 
Novi bonum B'abricium melius quam tu, et scio, unde ista sit mu- 
tuatus, scilicet ab eodem hoc Hamelmanno. Sic enim ipse apud me, 
cum partem Chorographicae suae tabulae a me emendicaret, quod 
ipse non diffitebitur.“ Wir haben hieraus zu entuehmen, dafs Ost- 
friesland allerdings nur einen Teil der von Fabricius entworfenen 
Karte bilden sollte, und es scheint, dafs Fabricius für seine Arbeit 
sich das Ziel nicht höher gesteckt hatte, als in derselben die durch 
andre bereits gewonnenen Ergebnisse zusammenzustellen und in 
gefälligerer Form zur Darstellung zu bringen, wobei er denn z. B. 
Hamelmanns Angaben gegenüber nicht allzu behutsam gewesen sein 
mag. Wie weit aber daneben die Eigenmächtigkeit der Verleger 
im Umspringen mit Fabricius Arbeit und Namen gegangen ist, 
wissen wir nicht, und befinden uns überhaupt in betreff der karto- 
graphischen Arbeiten des Astronomen so ziemlich im Dunkeln, bis 
etwa eine glückliche Entdeckung genauere Nachrichten und vor 
allem ein Exemplar der 1589 bei Johann von Oldersum zu Emden 
erschienenen Karte wieder zu Tage fördert, wie es nun mit der des 
Laurentius Michaelis der Fall gewesen ist. 

Noch ist eine mit den besprochenen in dieselbe Zeit fallende 
aber von ihnen unterschiedene Karte zu erwähnen, die mit hoher 
Wahrscheinlichkeit auf Mercator zurückzuführen ist: „Emden et 
Olden horch“ überschrieben. Nach einer Mitteilung des Herrn 
Dr. Breusing findet sich in Mercators Tabulae Galliae et Germaniae, 
Duisburg 1585, die in der Duisburger Ausgabe des Atlas von 1602 
und dann in den späteren von Hond zu Amsterdam besorgten Aus- 
gaben wiederholt sind, auch „Emden et Oldenburg Comitatus. Gerardi 
Mercatoris;“ die ganz ähnlichen Titel führende Karte liegt mir vor 
in einem kleinen Atlas in 8° obl., dem leider Titelblatt und ander- 
weite Angabe von Druckort und Verleger fehlen, aber mehrere Karten 
tragen den Vermerk „Petrus Kaerius caelavit“ und in den Er- 
läuterungen wird öfter auf Mercator Bezug genommen, auch gleich auf 
Seite 1 verwiesen auf „magna Orbis terrae descriptio und „magna Europa 
mea, quas Duysburgi edidi“; der von de Vries und Focken S. 444 
unter 10 besprochene Atlas von P. Bertius, Amst. b. Hondius 1616, 
kann es nicht sein, da die dort hervorgehobenen Irrtümer sich auf 
unsrer Karte nicht finden, eher der von B. Nienhuis und Eckhoff 
unter No. 39 genannte von Abr. Goos, Amst. 1615, da er die dort 
beschriebene Karte von Westfriesland, wenn auch nicht koloriert, 


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enthält. In jedem Fall kennzeichnet sich die Karte (S. 371) „Embden 
et Oldenburg“ (oben links in der Ecke wird geschrieben Emden 
et Oldenborch) in ihren Berichtigungen wie in ihren Fehlern als eine 
von Laurentius Michaelis und von Joh. Florianus unabhängige Arbeit. 
Die Gestalt des eigentlichen Ostfriesland ist richtig gezeichnet und 
in den Ortsnamen sind verhältnismäfsig weniger Fehler als bei den 
Vorgängern ; ich erwähne als Beispiel, dafs im Krummen Hörn 
Hamswerum noch mehr ausgezeichnet wird als Pilsum bei Florianus, 
es erscheint als ein Ort von gleicher Bedeutung mit 'Wittmund, 
Jemgum (entstellt in Jemmerduin), Weener, und dafs in der Nähe 
des Lengenerlandes die unverständliche Bezeichnung einer Landschaft 
Alnen sich findet, und anscheinend in Beziehung darauf das Over- 
ledingerland den Namen Overalnen erhält. Arg entstellt ist da- 
gegen das Harlingerland; während bei Laurentius und Florianus seine 
Küste die Hauptrichtung nach Ostsüdost erhielt, läuft sie hier von 
Nesse bis unter Langeoog fast Nordnordost, und die Landschaft er- 
hält eine viel zu grofse Breite. Übrigens giebt diese Karte schon 
eine deutliche und im ganzen richtige Vorstellung von der Aus- 
dehnung der Moorflächen. 

Wenn sonach Mercators Karte für Ostfriesland nicht unmittelbar 
epochemachend geworden ist, so ist sie es wahrscheinlich mittelbar 
geworden durch Ubbo Emmius. Emmius war nämlich ein Schüler von 
Mercators Schwiegersohn Molanus , und es dürfte wohl mit auf dessen 
Einflufs zurückzuführen sein, wenn Emmius von Anfang seiner päda- 
gogischen und litterarischen Thätigkeit an sich von der Überzeugung 
durchdrungen zeigt, dafs historische Kenntnisse und Studien in der 
Luft schweben, überhaupt die wissenschaftliche Bildung hinkt, wenn 
sie keine geographische Unterlage hat. Er hat übrigens auch, nach- 
dem er seine Gymnasialstudien in Bremen beendet, ehe er zur 
Universität ging, noch eine zeitlang sich zu Norden vorbereitet, 
unter Johannes Florianus, als dieser dort Rektor war. Um die Zeit, 
in welcher die bisher besprochenen Karten erschienen oder entworfen 
wurden, trug sich Emmius, damals Rektor zu Norden (1579 — 87) 
und zu Leer (1588 — 95) mit dem Plan, seine Rerum Frisicarum 
Historia zu schreiben, die er später als Rektor und Professor zu 
Groningen (f 1625) herausgegeben hat. Eine wesentliche Vorarbeit 
dazu schien es ihm, sich zunächst eine deutlichere detaillierte Karte 
von Ostfriesland zu verschaffen^ als bis dahin vorhanden sei. „Cum 
abhinc annos XXV plus minus ad illustrandam historiam nostratem, 
quam tum meditabar — schreibt er unterm 2. Januar 1616 — in eo 
essem, ut chartam geographium patriae meae exactiorem, quam quae 
•sto tempore extabant, conficerem, eamque in rem regionem totam et 


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omnes partes ipsius obirem, diligenterque contemplarer, positum, 
magnitudinem, distantiam oppidorum, vicorum, locorum aliorum per 
angulos observarem notaremque, non alienum a reliquo Studio meo 
facturum me cogitavi, si quae in patenti Charta calamo delineata 
oculis spectanda subjicerem, eadem illa etiam sermone exposita 
tanquam in commentario breviculo legenda harum rerum cognos- 
cendarum cupidis exhiberem.“ (Rerum Frisicarum Historia, ed 
Lugd. 1616 in fol. Anhang, in der Zuschrift zur Desciptio choro- 
graphica.) Emmius unternahm die Arbeit nicht als Dilettant, er 
hatte mit besonderem Interesse die mathematischen Vorlesungen 
von Brucäus in Rostock gehört und vermochte bei Errichtung 
der Universität Groningen neben seinen eignen Vorlesungen auch 
noch den Lehrstuhl für Mathematik aushillfsweise zu bekleiden, 
bis sein für dieses Fach berufener Freund Mulerius eintraf, mit 
welchem er noch bis ins hohe Alter mathematische und astronomische 
Studien trieb. Er entwarf also seine Karte gegen 1590 und er- 
läuterte dieselbe durch eine „descriptio chorographica“. Heraus- 
gegeben ward auch die Karte, wahrscheinlich bald nach dem Er- 
scheinen der ersten, 1596 herausgekommenen, Decade seiner Rerum 
Frisicarum Historia etwa 1599 in Emden. Aber von diesem ersten 
Druck scheint kein Exemplar erhalten zu sein, sie ist jedoch wieder 
abgedruckt in den grofsen Atlanten von Janssonius, Visscher, Blaeuw, 
und gleichfalls in der Regel zu Grunde gelegt in den nach 1600 
erschienenen Karten von Groningerland und Westfrieskmd, sofern 
sie Stücke von Ostfriesland mitumfafsten. Dem Verfasser genügte 
aber die Akkuratesse in der Ausführung nicht; als er daher seine 
Rerum Frisicarum Historia vollendet hatte und dieselbe 1616 in 
einer Folioausgabe erscheinen liefs, gab er dieser die Karte in klein 
Folioformat sorgfältig berichtigt und mit Berücksichtigung ein- 
getretener Veränderungen in sorgfältigem Stich von Nicol. Geilkerk 
bei und liefs im Anhang zum Hauptwerk auch die um 1590 ge- 
schriebene descriptio chorographica mit abdrucken. 

Emmius Karte, und zwar in der 1616 gedruckten revidierten 
Ausgabe, ist von 1600 bis 1800 die einzige zuverlässige geblieben, 
es ist aber bemerkenswert, wie Verleger und Nachfolger mit ihr 
zu Werke gegangen sind. Sie haben sich an die ältere Ausgabe 
in grofsem Folioformat mit wenig Ausnahmen gehalten, und ich 
habe keinen gefunden, der es beachtet hätte, dafs der Verfasser zur 
Berichtigung und Kontrollierung derselben erstlich eine zweite 
revidierte und sorgfältiger ausgeführte Auflage, zweitens einen aus- 
führlichen Kommentar, drittens am Rande desselben Notizen über 
eingetretene Veränderungen ihnen in die lland gegeben hatte. 


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112 


Die Karten von Sanson, Allard, Coldewey wiederholen einfach 
Emmius mit allen Druckfehlern der ersten Ausgabe, suchen ihn 
gelegentlich zu berichtigen, bringen aber nur Verschlimmbesserungen, 
Sanson z. B. bringt wieder die Küste des Harlingerlandes in die 
verkehrte Richtung, die sie bei Mercator erhalten hatte, sucht auch 
die Bodeubeschafl'enheit anzudeuten, aber Mercator hat es schon 
richtiger gethan als er. Diese Karten gaben sich gern als neue 
Arbeiten, verraten sich aber als Nachfolger von Emmius, auch 
wenn sie sich an die berichtigte Karte von 1616 anschliefsen. Auf 
dieser war nämlich ein Druckfehler stehen geblieben, die Namen der 
Dörfer Wiesens, Egels und Popens bei Aurich waren verwechselt — 
den Druckfehler wiederholen alle, sogar Coldewey, der die richtige 
Lage täglich vor Augen hatte. (Näheres habe ich in dem Jahrbuch 
der Emder Gesellschaft für vaterländische Altertümer IV, 1 S. 1 ff. 
mitgeteilt: „Ubbo Emmius und die Karte von Ostfriesland “, vergl. 
ebendaselbst über Emmius: „Die apokryphische Geschichtschreibung 
in Friesland im Zeitalter des Ubbo Emmius“ UI, 1 ; und „Ubbo 
Emmius und seine Rerum Frisicarum Historia“ VI, 1.) Endlich 
machte es die Güssefeldsche Karte von 1790 gar ärger als ihre 
Vorgänger, und es gab infolgedessen gelegentlich arge Unzuträglich- 
keiten. Freese, der die Güssefeldsche Karte (Ostfriesland und 
Harlingerland, Aurich 1796, S. 143 ff.) einer eingehenden Kritik 
unterzog, notiert in mir vorliegenden handschriftlichen Aufzeichnungen, 
dafs öfter in den Kriegsjahren 1794 ff. ansehnliche Einquartierungen 
auf einzelne Höfe vorgesehen waren, weil man diese nach der Karte 
für Dörfer hatte halten müssen. Einmal waren sogar ganze 
Kompagnien nach Rysum und Geertsweer gelegt; es war aber kein 
Geertsweer aufzufinden, wiewohl es auf der Karte stand — es lag 
schon seit Menschenaltern versunken in der Bucht von Wybelsum! 
Da kam denn endlich die seit lange in Aussicht genommene neue 
Landesvermessung zu stände, aus welcher 1801 die Campsche Karte 
hervorgegangen ist. 


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Eine Fahrt nach dem Persischen Golf. 

Von K. Mertens. 


II. Bushire. 

AbusohKhr. Lage und Beschreibung der Stadt. Windtürme. Der Gouverneur. Persische 
Wirtschaft. Der Bazar. Die Bevölkerung. Industrie. Fischerei. Juden und Ar- 
menier. Der Branntwein. Das MUnzwesen und dessen Mttngel. Der englische Resident. 
Telephon- und Postwesen. Dampfschiffahrt auf dem Persischen Golf. Mohammedanische 
Wallfabrts- und BegrttbnisstJttten. Die Mollahs. Schulwesen. Der Koran. Frei- 
mauerei. Die Muhallis. Die Bettelraünche. Die persische Sprache. Das Klima in 
Bushire. Krankheiten. SanitütsverhUltnisse. 

Abuschähr oder kurzweg Bushire liegt, wie schon früher erwähnt, 
auf dem Nordende einer schmalen niedrigen Landzunge, welche etwa 
11 englische Meilen lang und in der Mitte etwa 3 Meilen breit ist. 
Die Stadt hat einen Umfang von etwa 2 englischen Meilen, ist sehr 
ärmlich gebaut und besitzt weder architektonische Merkwürdigkeiten, 
noch natürliche Reize. Da sieht man keine Moscheen mit schlanken 
Minarets, keine geschmack- und stilvollen Paläste, keiue Gärten, 
wie doch sonst in einigen bedeutenden Städten des viel gepriesenen 
Orients. Alles ist öde, kahl und unsauber, kein Baum spendet 
Schatten, kein Quell durchrinnt den Sand. Die Strafsen sind eng 
und schmutzig, weder gepflastert noch drainiert, noch erleuchtet. 
Hervorragende Gebäude giebt es nicht, einige, meistens von Euro- 
päern oder armenischen Kaufleuten zu Kontoren und Lagerräumen 
benutzte Häuser unterscheiden sich wohl durch die Gröfse von den 
übrigen Wohnhäusern der Eingeborenen, übertreffen dieselben aber 
weder an Eleganz, noch an Reinlichkeit. Aus dem Konglomerat der 
niedrigen, meistens aus Erdziegeln oder Lehm aufgeführten Häuser 
heben sich nur vier oder fünf aus gleichem Material erbaute, etwa 70 
bis 90 engl. Fufs hohe Türme, sogenannte Windtower, hervor, 
welche an einer Seite (der Nordwestseite, als der Richtung des 
hauptsächlich hier herrschenden Windes) vollständig offen sind und 
als Ventilatoren der besseren Häuser dienen. Eine, ungefähr im 
Anfang dieses Jahrhunderts von einem englischen Reisenden aufge- 
nommene Skizze von Bushire zeigt noch 19 dieser Windtower, doch 
sind sie meistens verfallen. Ferner sieht man auf diesem Bilde, 
dafs die Stadt von einer ziemlich starken Mauer, mit verschiedenen 
runden Türmen, umgeben war. Von diesen Türmen und Mauern 
sieht man heute nur die Trümmer, da an eine Wiederherstellung 
seit der im Jahre 1856 erfolgten Beschiefsung durch die Engländer 
nicht gedacht worden ist. Ja, es würde heute nach 20 Jahren noch 
genau so aussehen, wenn nicht hie und da die Einwohner die Steine 
fortgeholt hätten, um dieselben zum Bau ihrer eigenen Häuser zu 


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verwenden. Gegen den Anprall der manchmal recht stürmischen 
Seewogen ist Bushire hauptsächlich durch die, unmittelbar vor der 
Stadt liegenden Riffe und Bänke geschützt; tritt Springflut ein, so 
reifst das Wasser immer tüchtige Stücke von dem sogenannten Kai 
fort, ohne dafs es jemandem einfiele, durch ein leicht anzulegendes 
Bollwerk dies zu verhindern. Es scheint auch niemand das geringste 
Interesse zu haben, etwas für die Stadt zu thun ! Der die Regierung 
vertretende Gouverneur, welcher die Stadt und Umgegend gegen 
eine ziemlich hohe Summe vom Staate gepachtet hat, sucht, um auf 
seine Kosten zu kommen, so viel Geld wie möglich herauszupressen 
und wird sich hüten, auch nur einen Schahi für das Wohl der Stadt 
zu verausgaben; denn nach drei Jahren ist sein Regiment zu Ende 
und ein andrer tritt in seine Stelle, der vielleicht noch mehr Pacht 
zu zahlen hat als sein Vorgänger, und erst recht nichts für die 
Stadt thut. Die Bewohner selbst sind teils zu arm, teils zu indolent 
und gleichgültig — vor allem aber vermeiden sie den Schein, als 
wenn sie Geld besäfsen, bewohnen häufig die erbärmlichsten Hütten, 
leben so einfach wie möglich und senden ihr Geld, um sich den 
Besitz zu sichern, nach irgend einer englischen Bank in Bombay 
oder London. Ja, es war schliefslich in Bushire soweit gekommen, 
dafs die aufserhalb der Stadt auf ihren Landsitzen wohnenden Euro- 
päer und Armenier weder zu Wagen noch zu Pferd nach ihren 
meistens am entgegengesetzten Ende der Stadt gelegenen Geschäfts- 
lokalen gelangen konnten, sondern gezwungen waren, zu Fufs durch 
die engen, schmutzigen Gassen der Stadt zu wandern. Sie thaten 
sich schliefslich zusammen, brachten das nötige Geld auf, und liefsen 
einen bequemen Fahrweg aufserhalb der Stadt längs der See an- 
legen. Dies Unternehmen war nun für die wenigen Leute ziemlich 
kostpielig. Sie forderten daher die wohlhabenden Perser auf, sich 
daran zu beteiligen, doch bekamen sie dadurch nur blutwenig, 
denn selbst der Herr Gouverneur, nebenbei ein sehr reicher Mann, 
welcher den Weg am meisten benutzt, gab die ungeheure Summe 
von fünfzig Rupien. 

Inmitten der Stadt liegt der sehr ausgedehnte, aus vielen engen, 
dunkeln Strafsen bestehende Bazar, welcher zum grofsen Teil über- 
wölbt ist, so dafs weder Licht noch Luft von oben hereindringen 
kann. In diesen Verkaufshöhlen giebt es alles erdenkliche zu er- 
handeln und ist eine Wanderung durch den Bazar, wenn auch an- 
strengend und besonders für die Geruchsnerven nicht angenehm, 
doch ganz interessant. Gefährlich ist hier indes der Aufenthalt in 
der heifsen Jahreszeit und völlig unbegreiflich, wie es die Leute in 
diesen schrecklichen Höhlen aushalten — jährlich sterben 10 bis 12 


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Personen in den Bazaren am Hitzschlag. Während der Regenzeit 
ist der Bazar der günstigste Platz, um sich gehörig das Fieber zu 
holen ; weder hier, noch im ganzen Bushire geschieht das geringste 
in sanitärer Beziehung, doch es ist noch der Unterschied, dafs 
in den übrigen Strafsen Licht und Luft freien Zutritt haben, was 
in dem überdeckten Bazar nicht der Fall ist. 

Die Bevölkerung der Stadt, deren Einwohnerzahl auf etwa 
14 000 nach oberflächlicher Schätzung veranschlagt wird, ist eine 
Mischrasse von Arabern und Persern. Es ist im allgemeinen ein 
schöner kräftiger Menschenschlag, besonders die ärmere Bevölkerung, 
während die Wohlhabenderen infolge eines faulen, sybaritischen Lebens- 
wandels sehr verweichlicht und körperlich verkommen sind. Die 
Beschäftigung der Bewohner entspricht dem Charakter der Stadt 
als einer Handel treibenden. Die bessere Klasse sind die wenigen 
Grofskaufleute, welche den Handel der englischen Häuser mit dem 
Inlande vermitteln, jedoch mehr Exporteure als Importeure sind, 
und die wenigen Beamten, zu denen auch die Mollahs (Priester) zu 
rechnen sind. Der Mittelstand besteht aus den kleineren Kaufleuten, 
welche im Bazar ihre Waren feil bieten und den wenigen Indu- 
striellen, unter denen indes nur einige Schneider, Schuster und 
Kupferschmiede zu verstehen sind, eben genügend, um die nötigsten 
Bedürfnisse der Stadt zu befriedigen. Die ehemals blühende Industrie 
Persiens, welche besonders grofä in Lederarbeiten, Waffenfabrikation, 
Seide- und Teppichweberein war, ist vollkommen erschlafft und ver- 
schwunden; besonders ist der Süden vollständig überschwemmt mit 
den sogenannten Manchesterwaren, welche alle einheimische Industrie 
verdrängt haben. An Stelle der schönen bunten seideneu und wollenen 
Kunstgewebe ist der buntgedruckte, englische Zitzkattun getreten, 
alte englische Kavalleriesäbel haben die schönen Damaszener Klingen 
verdrängt, u. a. 

Die Teppichindustrie würde wohl auch schon verschwunden 
sein, wenn sie nicht von einigen englischen Firmen unterstützt und 
gepflegt würde, da die persischen Teppiche immerhin noch einen 
wertvollen Exportartikel ausmachen. 

Die ärmere Bevölkerung Bushires ernährt sich hauptsächlich 
durch die Fischerei, welche in dem sehr fischreichen Golf eifrig be- 
trieben wird ; die Fische werden teils frisch verzehrt, teils in grofseu 
Mengen getrocknet und gehen dann mit Karavanen weit in das Land. 
Ferner findet die arbeitende Klasse Beschäftigung beim Löschen und 
Laden der Dampfer, als Lastträger und vor allem auch als Wasser- 
träger, sogenannte sakkahs. In Bushire selbst giebt es kein Trink- 
wasser, dasselbe kommt aus den 3 bis 5 Meilen von der Stadt ab- 


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gelegenen Brunnen, die entferntesten liefern das beste, von dort 
wird es in Häuten auf Eseln nach der Stadt geschafft und dort 
Sackweise verkauft. Aufserdem sind in Bushire noch einige Hundert 
jüdische aud armenische Kaufleute ansässig, — wo fände man diese 
nicht im ganzen Orient! Beide vaterlandslos, nur durch das Band 
ihrer Religionen zusammengehalten, haben sie sich handeltreibend 
fast über alle Teile der Erde verbreitet. 

Die Juden sind hier hauptsächlich Schnapsfabrikanten und 
Bankiers, richtiger Geldwechsler und Zähler. Ersteres, weil von den 
Mohammedanern keine geistigen Getränke fabriziert werden dürfen; 
obgleich diesem nun durch den Koran der Genufs von Spirituosen 
verboten ist, trinken sie doch sehr gern und sehr viel davon. Ja, 
wie verschiedene Ärzte konstatiert haben, ist hier das delirium tremens 
eine gar häufige Krankheit, denn der Orientale trinkt nicht wie wir, 
sondern nur, um sich zu berauschen, je schärfer der Stoff, um so 
schneller er die Sinne umnebelt, desto besser ist er. Als Geld- 
wechsler nehmen die Juden eine gar wichtige Stelle ein. Jedes 
englische, armenische und auch das gröfsere persische Kaufmanns- 
haus hat seinen seraf (Geldkenner). Um ein solcher zu werden, mufs 
der Jude den Nachweis führen, dafs er im Besitze von mindestens 
2000 Krans (1250 Mark) ist. Es ist für jeden, der mit Persern 
Geschäfte machen will, absolut notwendig, einen solchen seraf zu 
haben, weil nirgends so viel falsches Geld kursiert, als hier und nur 
ein Geldjude Autorität im Unterscheiden von falschen und richtigen 
Geldstücken ist, da er, sobald er angestellt, für die Richtigkeit und 
Echtheit der Zahlungen Garantie leisten mufs. Die persische Münze 
ist nämlich, wie alle Staatsämter, verpachtet, und es wird an ver- 
schiedenen Orten bei sehr ungenügender Kontrolle Geld geprägt, 
so dafs schon bei der Münze schlechtes aus Legirungeu bestehendes 
Geld fabriziert wird. Gold ist fast gar nicht mehr zu haben, es ist 
von ausländischen Kaufleuten, besonders von einer griechischen Firma, 
aus dem Lande gezogen worden. Die Goldmünze ist der Toman, 
welcher in halbe und einviertel Tomane zerfällt, und früher 
einen Wert von etwa 10 Mark hatte, jetzt aber nur etwa 6,50 Mark 
gilt. Die gangbarste und gebräuchlichste Münze ist der Kran, eine 
Silbermünze von etwa 65 Pfennige, von denen 10 Stück auf den 
Toman gehen, und die hauptsächlich gefälscht wird ; ich habe Stücke 
in meinem Besitz gehabt, die aus veritabelem Blei bestanden. Aufser- 
dem giebt es noch Kupfermünzen, den Schahi, von denen 20= 1 Kran 
sind und der in 4, 2, 1 und halben Schahistücken geprägt wird. 

Die Juden sind hier, wie früher überall, wenig geachtet und 
bewohnen den ärmlichsten Stadtteil. Anders ist es mit den hier , 


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ansässigen Armeniern, welche eine kleine Gemeinde von etwa 100 Köpfen 
bilden. Mehrere sind Grofskaufleute , Schiffsprovianthändler und 
Konsuln fremder Nationen ; die ärmeren sind Schreiber in englischen 
Häusern und Telegraphenbeamte; sie rangieren vollständig mit den 
Europäern, von denen es hier allerdings nur wenige giebt. Es sind 
in Bushire 4 bis 5 englische Häuser vertreten, welche hauptsächlich 
den ganzen Handel in den Händen haben. *) 

Bushire ist Sitz der englischen politischen Residenz des Per- 
sischen Golfes und wahrend der günstigen kühleren Jahreszeit Haupt- 
quartier des englischen Golfgeschwaders. Der jetzige Resident ist 
der Obrist E. C. Ross, C. J. S., ein höchst liebenswürdiger und in 
Busbire sehr angesehener Herr, dessen Familie den Mittelpunkt des 
gesellschaftlichen Lebens der Europäer bildet, welche aufser den 
Vertretern der schon erwähnten Kaufmannshäuser, aus den Sekre- 
tären, dem Arzte und sonstigen Attachirten der Residenz und den 
höheren Telegraphenbeamten besteht. Sämtliche Europäer und 
einige reiche Armenier und Perser wohnen während der meisten 
Zeit des Jahres auf ihren 3 bis 5 Meilen von der Stadt entfernten 
Landsitzen, wo sich eine frischere, gesundere Luft und etwas Vege- 
tation bietet. An üppig gedeihende Gärten ist allerdings nicht zu 
denken, denn der Boden ist durchweg steinig und nur mit vieler 
Mühe ist es durch künstliche Bewässerung möglich, einige Bäume, 
Blumen und Gemüsearten zu erhalten. 

Ferner ist Bushire ein Hauptpunkt der Indo European Telegraph 
Company. Die Telegraphenverbindung besteht in einem Kabel, 
welches, 1864 gelegt, durch den Golf geht, alle hauptsächlichen 
Plätze verbindet und dann von Bushire nach dem an der Mündung 
des Shat el Arab gelegenen Fau führt; von dort reicht die Ver- 
bindung über Land nach Bagdad und Konstantinopel. Aufserdem 
existiert noch eine direkte Landlinie obengenannter Kompanie durch 
Persien von Bushire über Teheran nach Europa, welche die Plätze 
Shiras und Isphahan berührt und mit der aufserdem vorhandenen 


*) Ausfuhrgegenstände sind: Getreide, Baumwolle, Teppiche, Pferde und 
Maulesel, Droguen, Datteln, Häute, Felle, Opium, Rosenwasser, Taback und 
Wolle. — Die Zeit für die Ausfuhrschiffahrt von Wolle beginnt im Juni, von Ge- 
treide im Juli, von Opium und Taback im August, von Datteln im September, 
von Teppichen, Baumwolle, Pferden im Oktober und November. Die Einfuhr 
besteht aus Zucker, Thee, Kaffee, Reis, Eisen, Stahlwaren, Kupfer, Zeug- 
stoffen, Lichten, Steingut, Glaswaren u. a. Die Höhe der Zölle für ein- und 
ausgeführte Waren ist für die persischen Untertanen sehr verschieden. Bis- 
weilen werden einige Artikel willkürlich ganz verboten. Fremde, d. h. Europäer, 
bezahlen 5°/» vom Wert für Export und Import; dies ist durch Vertrag 
festgesetzt. 


Geegr. Bllitter. 


Bremen, 1887 . 


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persischen Telegraphenroute ziemlich gleichlänft. Die europäische 
Telegraphenlinie durch Persien ist die zweite Verbindung Englands 
mit Indien, eine Reserve für den Fall, dafs die grofse Kabellinie 
über Aden einmal auf hoher See Schaden leiden sollte. 

In Persien hat die Telegraphie sehr schnell Eingang gefunden 
und hat sich auch erhalten. Schon anfangs der 60er Jahre wurden 
die ersten Hauptlinien gelegt und 1868 waren fast alle Hauptstädte 
mittelst Telegraphen verbunden. Diese schnelle Einrichtung der 
Telegraphen hat im folgenden ihre Gründe. 

Erstens interessierte sich der Schah (richtiger noch seine Mutter, 
die bis zu ihrem 1873 erfolgten Tode thatsächlich regierte) sehr 
dafür, weil er dadurch in den Stand gesetzt wurde, über alle 
Vorkommnisse in den verschiedenen, zum Teil sehr entfernten 
Gouvernements, von denen er nie oder erst nach langer Zeit etwas 
erfuhr, schnell und sicher unterrichtet zu werden. Freilich erstatteten 
die betreffenden Gouverneure nicht etwa Bericht, dergleichen existiert 
in Persien nicht, aber der Schah konnte überall Spione unterhalten, 
welche ihm fortwährend Kunde zukommen liefsen. So ist denn in 
der That jeder Telegraphenbeamte ein Spion der Regierung, indem 
er wöchentlich zweimal Berichte über alles, was in den Gouvernements 
und in den Städten vorgeht, nach Teheran senden mufs. Selbst- 
verständlich ist solch ein Posten, als Telegrapbenvorsteher, ein sehr 
einträglicher und sind dieselben, so lange sie schlau und vorsichtig 
zu Werke gehen, sehr einflufsreiche, ja gefürchtete Persönlichkeiten ; 
denn es liegt in ihrer Macht, Gutes oder Schlechtes über den 
Gouverneur zu berichten; je nachdem er von diesem oder von dessen 
Feinden, die jeder Machthaber, zumal in Persien hat, bestochen wird. 

Dafs sich diese Einrichtung europäischer Kultur so gut erhält, 
liegt wohl auch daran, dafs an der Spitze der Telegraphie der beste 
und liberalste persische Minister steht, welcher aufserdem noch die 
Minen und neuerdings auch die Marine verwaltet. Der General- 
inspektor der persischen Telegraphie, ein äufserst tüchtiger und 
thätiger Mann, ist die rechte Hand und wohl auch zum grofsen Teil 
der Kopf des Ministers. 

Während die Telegrapheneinrichtung verhältnismäfsig sehr gut 
ist, lagen und liegen zum Teil noch die Postverhältnisse sehr 
im argen. Bis vor ungefähr 10 Jahren bestand das ganze Postwesen 
in einem Kuriernetz, welches die hauptsächlichsten Städte mit ein- 
ander verband und welches die Aufgabe hatte, die Regierungs- 
sendungen zwischen Teheran und den Provinzgouverneuren zu ver- 
mitteln; zugleich aber auch zum Transport von Privatbriefen und 
Paketen diente. Es war aber eine so unregelmäfsige, unsichere Art 


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der Beförderung, dafs sich schliefslich die Regierung genötigt sah, 
etwas in der Sache zu thun. Die Regieruug wandte sich nach Wien 
und die österreichische Regierung erteilte einem Kaiserlichen Postrat 
die Erlaubnis nach Persien zu gehen und dort das Postwesen nach 
europäischer Art einzurichten. Diesem Beamten gelang es trotz 
unendlicher Schwierigkeiten und Widerwärtigkeiten im Verlaufe von 
etwa 2 Jahren, eine ziemlich gute Postverbindung herzustellen. *) 
Seit dem Jahre 1878 ist Persien mit einem Netze regelmäfsig 
funktionierender Reitpostkurse überzogen, welche wöchentlichen An- 
schlufs an die Postlinie der englischen Dampfer nach und aus Bombay 
in Bushire und zweimal wöchentliche Verbindung von Teheran über 
Tabris mit Europa haben. Aufserdem sind überall Poststationen 
errichtet, die, obschon sehr primitiver Art, wie z. B. in Bushire, doch 
ihrem Zweck entsprechen. In Bushire befindet sich aber aufserdem — 
wie an allen Plätzen des Golfes, welche von den englischen Post- 
dampfern berührt werden — eine englische Poststation, welche von 
Allen, die Verbindung mit Europa haben, mit Vorliebe, ja durchweg 
benutzt wird: jeder zieht den Seeweg über Bombay-Brindisi der 
Landroute Teheran-Tabris vor, vor allen Dingen natürlich bei Geld- 
und Wertsendungen, aufserdem geht es trotz des längeren Weges 
bedeutend schneller. Ein Brief ist von Bushire über Brindisi in 
28 Tagen, über Tabris und Teheran gewöhnlich erst in 35—40 Tagen 
in Berlin. Die erwähnte englische Postdampferlinie ist eine wöchentlich 
von Bombay bezw. Karantschi laufende Zweiglinie der British-Indischen 
Dampfschiffahrtsgesellschaft, die Dampfer laufen Bahrein, Bänder 
Abbas, Lingeh, Bushire und Basra an. Aufser dieser Linie besteht 
noch eine ziemlich regelmäfsige Verbindung zwischen Bushire bezw. 
Basra und Bombay in der aus 4 Dampfern bestehenden Bombay- und 
Persischen Golflinie. Mit Europa steht der Golf durch die monatlich 
fahrenden Dampfer der Anglo-Persian-Linie, welche auch fast alle 
obengenannten Plätze anlaufen, in regelmäfsiger Verbindung. Aufser 
diesen festen Linien kommen im Jahre durchschnittlich 20 bis 30 
sogenannte „wilde“ Dampfer nach Bushire; vorzugsweise zur Zeit 
der Dattelernte und Pilgerfahrt. Diese bringen gewöhnlich Kohlen 
heraus, welche in Bushire und Basra gelagert werden. In Bushire 
haben auch die englischen Kriegsschiffe, welche in der angenehmen 
Jahreszeit vor Bushire liegen, eine kleine Kohlenstation. 


*) Näheres hierüber in dem Buch: Aus Persien, Aufzeichnungen eines 
Österreichers, der 40 Monate im Reiche der Sonne gelebt und gewirkt hat. 
Wien 1882. Verlag von R. v. Waldheim. 


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Der Religion nach sind die Einwohner Bushires wie alle Perser 
Schiiten, nächst den Sunniten die Hauptsekte der mohammedanischen 
Religion. Sie verehren nächst Mohammed, dessen Schwiegersohn Ali 
als ihren Hauptheiligen und dessen Söhne Hassan und Hussein ; auch 
sind die Begräbnisplätze der eben Genannten hauptsächlich Wall- 
fahrtsorte der Perser. Erstere liegen in Kufe, letztere in Kerbela 
begraben. Kerbela, auf türkischem Gebiet (in der Nähe von Bagdad) 
in der Wüste gelegen, ist (aufser Wallfahrtsort) der Hauptbegräbnis- 
platz der Schiiten ; aus ganz Persien, ja aus Indien, senden die 
Gläubigen der reicheren Klassen ihre Toten nach dem heiligen 
Grabmale Hassans und Husseins, damit sie bei der Auferstehung 
in unmittelbarer Nähe ihrer Heiligen sind. Früher wurden die 
Toten über Land mit Karavauen nach Kerbela geschickt; solche 
Karavanen führten stets mehrere Leichen in gewöhnlichen hölzernen 
Kasten mit sich. Sie mufsten kurz vor Kerbela die türkische 
Grenze passieren und da waren einige schlaue Perser auf die Idee 
gekommen, diese Leichenkasten als sehr praktisches Mittel zum 
Schmuggeln zollpflichtiger Waren zu benutzen, indem sie mehrere 
mit Waren gefüllte Kasten einem solchen Leichenkondukt einver- 
leibten. Ein findiger türkischer Zollbeamte entdeckte dies und nun 
wurde der Transport verboten, und zwar mit um so grösserem 
Rechte, als die ungenügend verpackten, bisweilen halbverwesten 
Leichen die, Ursache vieler Krankheiten wurden. Jetzt geschieht 
der Transport nach Kerbela nur mittelst des Wasserweges. Die 
Leichen werden, wenn in genügender Anzahl an einem Hafen- 
platze des Golfes angesammelt, in gut verschlossenen Kasten, auf 
einen Dampfer geladen, welcher dieselben nach Basra bringt, dort 
kommen sie auf die zwischen Basra und Bagdad fahrenden Flufs- 
dampfer und weiter nach Kerbela. Die Führer der Dampfer 
nehmen diese Ladung sehr gern, weil sie gut bezahlt bekommen, 
nämlich für jeden Kasten etwa 50 Rupies. Nur die sehr armen 
Leute bestatten ihre Toten in der Nahe ihrer Städte, daher ist auch 
der Kirchhof von Bushire verhältuismäfsig klein. Die Priester. 
Mollahs, haben wie in allen mohammedanischen Ländern eine sehr 
grofse Macht, sie regieren die Grofsen wie das Volk, sind aber sehr 
vorsichtig in der Ausübung dieser Macht; jeder Kultur und Zivi- 
lisation, sowie allem, was zur Aufklärung des Volkes, der dadurch 
entstehenden Verringerung ihres Einflusses beitragen kann, stehen 
sie natürlich feindlich gegenüber. Ihre grofse Macht über das Volk 
hat bekanntlich darin seinen Grund, dafs sie aufser ihrer Eigenschaft 
als Priester, auch die Lehrer au den Schulen sind, dieselben 
wenigstens unter ihrer Botmäfsigkeit stehen. Die Unterricbts- 


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gegenstände sind wenige: die Schüler lernen zuerst verschiedene 
Kapitel des Korans durch Nachplappern auswendig, dann lernen sie 
dieselben Kapitel lesen und schliefslich schreiben. Einige Aus- 
erwählte lernen vielleicht noch etwas Mathematik. Nur in Teheran sind 
einige wirklich gute, nach europäischem Muster eingerichtete Schulen, 
allerdings nur für die besseren Klassen — nämlich eine sogenannte 
polytechnische Schule und eine Militärschule; letztere ist eine Art 
Kadettenanstalt und sind die Lehrer derselben ehemalige preufsische 
Offiziere. 

Der Koran ist aufser Religionsbuch auch Gesetzbuch der Moham- 
medaner, denn er umfafst nicht nur Glaubens- und Sittenlehren, 
sondern auch Vorschriften des bürgerlichen und Strafgesetzes, der 
Gesundheitspolizei, ja selbst der Politik, — so dafs die Ausleger 
und Kenner des Korans, welcher in Persien durchweg Gesetzbuch 
ist, d. h. die Priester gleichzeitig Rechtsgelehrte, ja Richter sind, 
nicht allein in religiösen, sondern auch in zivilgesetzlichen, ja poli- 
tischen Streitfragen;' sie sind die Juristen, haben aber natürlich 
keine ausübende Gewalt, diese übt der betreffende Gouverneur aus. 
Einen wie grofsen Einflufs die Priester auf ein solch indolentes, wenig 
aufgeklärtes und streng gläubiges Volk ausüben, ist leicht erklärlich; 
es giebt hier nur sehr wenige aufgeklärte Leute, und auch diese 
müssen äufserlich sehr religiös und fromm erscheinen, sonst ist es 
mit ihrem Ansehen zu Ende. Das Christentum hat in mohamme- 
danischen Ländern, trotz vieler Anstrengungen der englischen und 
französischen Missionsgesellschaften, trotzdem sie Millionen veraus- 
gabt haben, gar keinen Eingang gefunden. Dagegen hat die Frei- 
mauerei zum grofsen Ärger der Priester etwas Verbreitung ge- 
wonnen. In Teheran heilst die Loge im Volksmunde Feramuschchene, 
d. i. Haus des Vergessens, so genannt, weil die Mollahs im Volke 
den Glauben verbreitet haben, dafs Jeder, der dies Haus betritt, 
sein Gedächtnis verliert. Jede Stadt hat je nach ihrer Gröfse 
mehrere Mollahs, von denen der schneidigste und geriebenste der 
Obermoliah ist. Bushire hatte beispielsweise fünf Mollahs; diese 
werden nun nicht etwa vom Staate eingesetzt, sondern setzen sich 
selbst ein, sie etablieren sich wie bei uns die Notare und Ärzte. Über alle 
Mollahs steht jedoch der Mollah von Kerbela. Er nimmt eine fast 
gleiche Stellung ein als der Papst, was er sagt, ist unfehlbar, und 
um diese kolossale Gewalt sicher zu behalten, ist er im Gegensatz 
zu allen andern Mollahs, welche dem Recht geben, welcher ihnen 
das meiste Geld giebt, unparteiisch und gerecht, nimmt nie Geschenke 
an und hält sich dadurch vollkommen unabhängig. Einer interessanten, 
wenig bekannten Einrichtung sei bei dieser Gelegenheit Erwähnung 


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gethan. Nach dem Koran kann sich der Mohammedaner dreimal von 
seiner rechtmäfsigen Frau scheiden lassen; dies geschieht einfach 
dadurch, dafs er seine Frau aus dem Hause weist; um sie jedoch, 
falls es ihm leid wird, wiederzuholen, mufs er zum Mollali gehen 
und sich von neuem trauen lassen. Dies Spiel kann er, wie gesagt, 
dreimal wiederholen, zum vierten Male geht es indes nicht. Da 
haben nun die guten Leute einen Ausweg gefunden, mit dessen 
Hülfe sie das Gesetz umgehen. Es giebt nämlich in jeder Stadt zwei 
bis drei sogenannte Muhallis — ein Zeichen, dafs dieses kein so 
seltenes Vorkommnis ist — d. h. Männer, an die man sich in solchem 
Falle wendet; man giebt ihnen eine bestimmte Summe, für welche 
sie zu der dreimal geschiedenen Frau gehen und diese selbst heiraten, 
sich jedoch sofort nach einigen Stunden wieder scheiden lafsen. Nun 
kann die geschiedene Frau ihren theuren Gatten, der sie schon drei- 
mal an die Luft gesetzt hat, wieder ehelichen. Es soll nun bis- 
weilen Vorkommen, dafs sich ein Muhalli in ein solch dreimal ge- 
schiedenes Weibchen, wenn sie recht hübsch ist, verliebt und sie 
ihrem ehemaligen Eheherrn nicht wiedergiebt, d. h. sich nicht von 
ihr scheidet. Derselbe kann natürlich dagegen nichts machen, da 
die Sache nicht legal ist — oder er mufs sehr viel Geld daran 
wenden — dann kann er natürlich hier zu Lande alles erringen, 
denn Bakschisch ist auch hier ein gewaltiges Wort und öffnet jede 
noch so fest verschlossene Thür. Aufser den in den Städten sefs- 
haften Mollahs giebt es noch eine Menge Wanderprediger, eine Art 
Bettelmönche, Derwische, welche gewöhnlich eine Zeitlang in der 
Einsamkeit der Wüste leben, angeblich, um sich durch Fasten und 
Beten für ihren Beruf vorzubereiten, in Wirklichkeit aber nur, um 
sich ein recht verwildertes, elendes Aussehen zu geben. Ist dies 
erreicht, dadurch, dafs sie sich weder Haare noch Nägel beschnitten, 
stets unter freiem Himmel lebten, so kommen sie nach den Städten 
und Dörfern, wo sich bald eine grofse Menschenmenge um sie 
sammelt, denen sie dann die traurige Geschichte Alis und das 
Schicksal von Hassan und Hussein erzählen, vielmehr mit monotoner 
Stimme Vorsingen, immer trauriger werdend, immer heftiger weh- 
klagend, bis sie das ganze Volk in solche Aufregung versetzt haben, 
dafs auch dieses anfängt, mit zu weinen und zu klagen. Ist diese 
Wirkung erreicht, dann ist das Schauspiel zu Ende, der Wander- 
prediger — Bänkelsänger — erhält reichliche Gaben und zieht von 
hinnen. 

Ferner giebt es in Persien noch eine andre Klasse von Leuten, 
welche wie diese auf Kosten anderer leben, nur noch müheloser; 
es sind die als heilig gehaltenen Nachkommen Mohammeds, Sejid ge- 


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nannt, kenntlich an einen grünen Turban oder grünen Shawl. Es 
giebt deren eine grofse Menge, ja ganze Ortschaften gehören zu 
ihnen, obschon wohl viele Betrüger sind; diese geniefsen vor allen 
andern bedeutende Vorrechte, sie erhalten von der Stadt eine Art 
Pension, sei es in barem Gelde, sei es in Naturalien und sind aufser- 
dem völlig steuerfrei. Sie halten sich ziemlich abgeschlossen, kommen 
sie aber irgendwo mal in eine Versammlung, so rangieren sie allen 
andern vor und der Sejid setzt sich stets auf den Ehrenplatz. 

Die persische Sprache ist wie bekannt eine indogermanische, 
dem Sanskrit nabe verwandte Sprache, sie ist sehr wohllautend 
und es ist nicht schwer, sich in kurzer Zeit so viel von ihr anzu- 
eignen, dafs man sich im gewöhnlichen Verkehr mit den Einwohnern 
ganz gut verständigen kann. Die Sprache vollkommener beherrschen 
zu können, d. h. Lesen und Schreiben, ist sehr schwer und erfordert 
langes Studium; von den in Persien lebenden Europäern können es 
auch nur einige wenige. In Bushire, wie überall an den Grenz- und 
Küstenplätzen, ist das Persische stark vermischt mit dem Arabischen ; 
englisch, die einzige hier in Betracht kommende europäische Sprache, 
können nur sehr wenige Leute, obschon die vermögenderen Perser 
anfangen, ihre Söhne nach Bombay zu senden. 

Das Klima ist in Bushire wie im ganzen Persischen Golf 
während der Sommermonate, d. h. hier von Mai bis Oktober, ein 
möglichst unangenehmes wegen der enormen Hitze; die heifseste 
Zeit ist Mitte Juni bis Mitte Oktober; die Engländer nennen sie die 
bösen hundert Tage und streichen jeden glücklich überstandenen 
Tag mit besonderem Nachdruck im Kalender aus. Die intensive 
Hitze wird besonders durch die grofse Feuchtigkeit der Atmosphäre — 
abweichend von dem Klima des übrigen Persiens, welches sehr 
trocken ist — beschwerlich; auch giebt es in dieser Jahreszeit 
weder Wolken noch Regen. Das Thermometer zeigt durchschnittlich 
35 bis 40 0 C. und sinkt diese hohe Temperatur während der Nacht 
nur um 2 höchstens 3 °. Man befindet sich im fortwährenden Trans- 
pirieren, welches schliefslich so ermattet, dafs man zu jeder anstren- 
genden körperlichen oder geistigen Thätigkeit unfähig wird. Im 
Winter, d. h. in der Regenzeit, besonders in den Monaten Dezember, 
Januar, Februar, wo kalte Winde vorherrschen, ist die Temperatur 
für Europäer bedeutend angenehmer, aber das Klima ist zu dieser 
Zeit bei weitem ungesunder, als in der warmen Saison. 

Die vorherrschenden Winde sind die Nordwestwinde, Schemel 
genannt, und besonders vor Eintritt der heifsen Saison recht heftig, 
nur in den Wintermonaten wehen Süd- und Südostwinde, welche 
letztere bisweilen zu Orkanen anwachsen. Unter den Krankheiten 


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ist Fieber vorherrschend; eine Art Wechselfieber, speziell Golffieber 
genannt, welches an sich nicht gefährlich und mit eiuigen Dosen 
Chinin leicht zu beseitigen, aber da es leicht auf die inneren Teile, 
besonders Leber und Lunge schlägt, wird es unter Umständen sehr 
gefährlich und ist Heilung nur durch rechtzeitiges Verlassen des 
Golfes möglich. Die Eingeborenen leiden am häufigsten an Augen- 
krankheiten (Ophthalmie), welche meistens syphilitischer oder skrofu- 
löser Natur sind. Ferner giebt es hier den bekannten Guinea- oder 
Medinawurm, welcher als wahre Landplage zu bezeichnen ist. 
Derselbe erscheint vornehmlich nach der Regenzeit, hängt sich den 
Badenden oder durch das Wasser Watenden an und bohrt sich be- 
sonders in den Unterschenkeln in das Zellgewebe. Der betreffende 
Körperteil schwillt erst an, nach einiger Zeit (2 bis 3 Tagen) 
kommt der Wurm an einer Stelle zum Vorschein, wo man ihn lang- 
sam herausziehen und um ein Stäbchen wickeln mufs, damit er nicht 
abreifst Geschieht das letztere, so mufs der Wurm herausschwären, 
was dem Leidenden grofse Schmerzen verursacht, auch entstehen 
dadurch häufig sehr gefährliche Entzündungen. 

Obgleich die sanitären Verhältnisse sehr im argen liegen, ist 
die Sterblichkeit keine sehr grofse, ausgenommen unter Kindern im 
ersten bis dritten Lebensjahre. Wissenschaftlich gebildete Ärzte 
giebt es in Persien nicht, die gröfseren Städte Teheran und Isphahan 
ausgenommen, wo sich europäische Ärzte niedergelassen haben; es 
giebt zwar in Teheran und auch in Schiras sogenannte medizinische 
Schulen, wo indes die Studierenden verzweifelt wenig von der hohen 
Kunst Äskulaps erlernen. In Bushire ist der politischen englischen 
Residenz ein Arzt zugeteilt, dem zwei Assistenten für die dortige 
Telegraphenstation unterstellt sind; diese thun sehr viel für die 
Eingeborenen, indem sie die Armen unentgeltlich behandeln und 
ihnen auch freie Medizin verabfolgen. Die persischen Ärzte stehen 
ungefähr auf demselben wissenschaftlichen Standpunkt, welchen 
unsre Wunderdoktoren im Mittelalter eingenommen haben, wie 
überhaupt viele Institutionen im schönen Land Iran auf unsre 
mittelalterlichen Zustände hinweisen. Wenn auch viele Neuerungen 
der europäischen Kultur in Persien Eingang gefunden haben, so mufs 
man doch die Überzeugung gewinnen, dafs Persien, welches noch im 
Mittelalter auf gleicher Kulturstufe mit Europa gestanden, seitdem 
nicht allein stehen geblieben, sondern in jeder Beziehung zurück- 
gegangen ist. 

Durch die schönen Märchen aus „Tausend und eine Nacht“, 
durch die meistens einer früheren Epoche entnommenen Schilde- 
rungen vou Leuten, die den Orient nie gesehen haben, durch Gesänge 


125 


längst vergessener Poeten, hat sich um den Orient und auch um 
Persien ein romantisch geheimnisvolles, reizendes Gewebe gesponnen, 
welches im Laufe der Zeit zu einem dichten Schleier, geworden, der 
keinen Durchblick gestattet und hinter dem man noch immer das- 
selbe Gesicht vermutet, wie es sich die Phantasie, angeregt durch 
obenerwähnte Schilderungen, ausmalt Wenige haben seit dieser 
Zeit einen Blick hinter diesen Schleier gethan, schnell haben auch 
diese denselben wieder fallen lassen — denn statt des verführerischen 
Bildes grinst ihnen ein häfsliches Bild entgegen, das, aus Indolenz, 
Habsucht und Faulheit zusammengesetzt, wenig geistiges Leben 
verrät. 


Die Insel Hainan. 

Nach B. C. Henry. 

Einleitung. Allgemeine geographische Bemerkungen über Hainan. Henrys Reise ins 
Innere von Hainan. Von Hoihow nach Lam-ko. N'am-fung. Das Bergvolk der wilden 
Lis. Plan xur Durchkreuzung der Insel bis zur SiidkUste. Das erste Li-Dorf. Die 
Stadt Loi-bän. Ein chinesischer Gelehrter. Li-Häuptliog. Holz als Heilmittel. Das 
„Weisse Steingebirge“. Gute Aufnahme in den Li-Dürfern. Äufsere Erscheinung der 
I.i-Männer und -Frauen. Wohlriechendes Holz. Ärzüiche Praxis. Gastfreiheit der 
Eis. Gute Anssichten für eine christliche Mission im Li-Lande. Das . Wasscrursprung*- 
Gebirge. Malerische Szenerie der Landschaft. Schwierigkeit der Bergwanderung. Die 
Stadt Tx-hin. Kleidung der Eingeborenen. Der grofse Fünffingerberg. Blutegel. Nga- 
han. Einkehr bei einem Chinesen. Die listigen Ratschläge und Ränke des Chinesen 
vereiteln das weitere Vordringen nach Süden. Ostwärts Uber Ling-mnn zurück an die 
Nordküste Allgemeine Bemerkungen Uber das Reisen im Innern von Hainan. 

Bis vor wenigen Juhren war das Innere der grofsen Insel 
Hainan ein unbekanntes Land. Nachdem vor etwa 17 Jahren die 
Stadt Hoihow zum Vertragshafen erklärt worden war, machten 
zuerst englische Konsularbeamte und später Missionare den Versuch, 
die Insel genauer zu erforschen. Unsre heutige Kenntnis von Hainan 
verdanken wir daher hauptsächlich dem Engländer Swiuhoe*) und 
dem amerikanischen Missionar Henry.**) Der letztere zog in Be- 
gleitung des Dänen Jeremiassen im Oktober und November 1882 
durch das Innere der Insel und legte die Ergebnisse seiner Reise 
zuerst in den „Glimpses of Hainan“, spater in Verbindung mit der 
Beschreibung der Provinz Canton in der Schrift „Ling Nam“**) vor. 

*) Swinhoe, Narrative of an exploring visit to Hainan. Journal of the 
North China branch of the Royal Asiatic Society for 1871 — 72. — The Aborigines 
of Hainan. Ib. 

**) Ling Nam or interior Views of Southern China inclnding Explorations 
in the hitherto untraversed Island of Hainan by B. C. Henry. A. M. London, 
Partridge 1886. 


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Der Titel dieses Werks ist die bei den Chinesen übliche Bezeichnung 
für den südlichen Teil des Reichs. Die beigegebenen Illustrationen 
sind nach den Federzeichnungen chinesischer Künstler in Holz ge- 
schnitten. Leider entspricht die in England angefertigte Karte der 
Insel kaum den bescheidensten Anforderungen, obgleich das Werk 
sonst vortrefflich ausgestattet ist. 

Unter dem Dutzend Europäern, die auf der Insel sich angesiedelt 
haben, giebt es vier Deutsche. Zwei derselben, die Herren August 
und Adolf Schomburg, stammen aus Bremen. Der erstgenannte der 
beiden Brüder besuchte nach einem 15jährigen Aufenthalt in China 
seine hiesigen Angehörigen und übergab unter anderm eine Anzahl 
Mollusken dem städtischen Museum. Dieselben waren von ihm und 
Herrn Konsul von Möllendorf auf Hainau gesammelt und von diesem 
Herrn auch bestimmt worden. Desgleichen erhielten unsre Samm- 
lungen ein Exemplar des so seltenen Eurinorhynchus pygmaeus L., 
ein hochnordischer Vogel, der nach Nordenskjöld an der Bering- 
strafse nistet und als Zugvogel auf dieser südlichen Insel überwintert. 

Hainan gehört bekanntlich zur chinesischen Provinz Canton 
und ist durch einen flachen, schmalen Meeresarm vom Festlande 
getrennt. Früher war die Insel ein Verbannungsort für mifsliebige 
chinesische Beamte und bis gegen das Ende der sechsziger Jahre 
ein Schlupfwinkel der Seeräuber. Die Küstenvermessung, welche 
Schiffe der englischen Flotte Vornahmen, wurde vor etwa vier Jahren 
durch den Kriegsdampfer „Magpie“, Kapitän Napier, beendigt. 
Hainan erstreckt sich von 18° 97»' bis 20° 10' nördl. Br. und wird 
vom 110. Grade östl. L. v. Gr. nahezu halbiert. Der Flächeninhalt 
beträgt etwa 650 Quadratmeilen oder 36 200 Quadratkilometer. Die 
Zahl der Einwohner dürfte mit zwei Millionen wohl reichlich hoch 
angegeben sein. Wegen des Vorkommens von Kokos-, Fächer-, 
Dattel- und Caryota - Palmen wird Hainan auch die Palmeninsel ge- 
nannt. Leider ist das prächtige Eiland nicht von Erdbeben verschont 
geblieben und ist fast noch schlimmer durch heftige Teifune verheert 
worden. Zucker, Öl und lebende Schweine bilden neben Kokosnüssen, 
spanischem Rohr und Leder die wichtigsten Ausfuhrartikel. Die 
Reede von Hoihow ist drei englische Meilen von der Stadt entfernt, 
die wegen des schlammigen Watts nur zur Flutzeit mittelst flacher 
Böte erreicht werden kann. Ebenso weit westlich vom genannten 
Hafenorte liegt die Hauptstadt King-tschau-fu, wo die vornehmsten 
Beamten der Insel wohnen. 

Die Kapitell bis 16 des genannten Werks von Henry beschäftigen 
sich mit dem südlichen China; der Schilderung der Reisen auf Hainan 
sind die Kapitel 17 bis 27 gewidmet. Herr Henry landete mit einem 

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kleinen Dampfer von Hongkong kommend in Hoihow. Von hier 
wurde nach kurzem Aufenthalt die Reise zum westlichen Teil und 
in das Innere der Insel angetreten. Von dem jetzigen Hoihow, das 
sich hauptsächlich um eine Strafse gruppiert und dessen wichtigster 
Handelsartikel Opium ist, entwirft Henry keine vorteilhafte 
Schilderung. Im Westen erhebt sich das Land mit Gehölzen und 
frischen Quellen, hier soll das europäische Viertel von Hoihow ent- 
stehen. Nach einem Besuch der nahen Hauptstadt King-tschau-fu 
rüstete sich Henry für seine Reise ins Innere, die mit wenigen Leuten 
angetreten wurde. Sie ging zunächst zu Fufs längs der nördlichen 
Küstenregion über eine wellige, wenig kultivierte, mit Gras und Busch 
bedeckte Ebene, in der mehrere Städte und Flüsse passiert wurden. 
In der unweit der Küste gelegenen Stadt Lam-ko wurden Herr 
Henry und seine Begleiter von dem städtischen Beamten sehr gut 
aufgenommen; hier mündet ein Flufs, an dessen gut bevölkertem 
Ufer die Expedition nunmehr südwärts in das Innere der Insel zog. 
Durch eine Hügelkette gelangte man zu höherem Gebirgsland. In 
Nam-fung war man an der Grenze des chinesischen Gebiets und es 
galt nun in die Thäler der Lis einzudringen, welche letztere als 
zahme, die noch chinesisch verstehen und als wilde, welche das 
eigentliche Bergland des Inneren bewohnen, zu unterscheiden sind. 
In Nam-fung wurden erst Erkundigungen eingezogen und Ratschläge 
eingeholt über die beste Art, unter den Lis der Berge vorwärts zu 
kommen. Als Tauschmittel wurde von den Fremden empfohlen, neben 
etwas Silber- und schwerem Kupfergeld einen Ballen Opium mitzu- 
nehmeu. Dies letztere lehnten die Reisenden ab, sie nahmen dafür 
Salz, Tabacksblätter und gesalzene Fische mit. Es war die Absicht, 
das Innere der Insel zu durchkreuzen und bis zu dem an der Süd- 
seite der Insel gelegenen Hafen Ling Shui oder zur Po-ping-Bai 
vorzudringen. Anfänglich wurde die Expedition durch starke Regen- 
güsse zurückgehalten. Das erste Li-Dorf war Ta-män-tin, 20 Bambu- 
hütten mit etwa 100 Einwohnern. Die Reisenden wurden hier 
gastfreundschaftlich von dem Vorsteher des Ortes aufgenommen und 
diese Gastfreundschaft der Lis erfuhren sie auch auf ihrer ferneren 
Wanderung. Viehzucht, Reis- und Maisbau schienen die Haupt- 
beschäftigung der Bevölkerung; Männer sowohl wie Frauen waren 
kräftig und wohlgebildet. Die letzteren waren in blauen Streifen an 
Stirn, Wangen, Kinn, Armen, Händen, Beinen und teilweise auf 
Brust und Rücken tättowiert. Sie trugen kurze, mit starken Schnüren 
umschlossene Jacken und eng anliegende Hemden, die kaum bis zu 
den Knieen reichten. In den Ohren trugen sie ein Zoll lange Stücke 
von Hirschhorn. Das Haar war von der Stirn zurückgebunden ur 


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mit einem Kamm aufgesteckt, den Kopf deckte ein befranstes Tuch. 
Die Gesichtszüge waren gefällig, der Körper kräftig entwickelt. 
Bemerkenswert ist, dafs in jedem Dorf zwei bis drei Chinesen an- 
getroffen wurden. Sie lassen sich als Handelsagenten nieder und 
gewinnen oft grofsen Einflufs auf die Lis, die sie dem Anscheine 
nach fürchten. 

„Die Stadt Loi-bän besteht aus fünf Dörfern. In einem dieser 
sehr anmutig gelegenen Dörfer war am Eingänge ein Thor mit einer 
sinnreichen Federvorrichtung, bestehend in einem bogenförmigen 
elastischen Stück Holz, welche das Thor zuschlug und schlofs, sobald 
der Druck der Hand nachliefs. In dieser Stadt trafen wir einen 
Chinesen aus der Nähe von Canton, den wir dadurch in Erstaunen 
setzten, dafs wir ihn in seiner Heimatsprache anredeten. Er wohnte 
in einer erbärmlichen kleinen dunstigen Lehmhütte , welche er 
zufolge des gewöhnlichen Vorurteils seines Stammes den luftigeren 
und bequemeren Häusern der Eingeborenen vorzog. Als wir eintraten, 
sahen wir eine Anzahl in sauberer Handschrift geschriebener Bücher 
vor ihm ausgebreitet, ein Zeichen, dafs wir uns bei dem eiuzigen 
Schriftkundigen der Gegend befanden. Er trieb die Wahrsagekunst, 
führte Protokolle und diente als Volksnotar. Wir kamen au der 
Wohnung des Unterhäuptlings vorbei, der uns in Loi-bän besucht 
hatte. Er war ein dünner, hagerer Mann, gut gekleidet, mit einem 
Anzuge aus dunkelblauen chinesischen Tuchen, und so still und 
bescheiden, dafs wir seine Stellung erst nach einiger Zeit erfuhren. 

Er trug Armbänder aus Ch’um-heung-Holz (Aquilaria agal- 
lochum), welches wegen seiner heilkräftigen Eigenschaften von den 
Chinesen hochgeschätzt wird. Die Lis haben eine ähnliche Meinung 
davon. Es wird auf mancherlei Weise gebraucht; die gewöhnlichste 
ist die in der Form von Armbändern, um Malaria, Cholera und andre 
Krankheiten abzuwenden. Wenn jemand krank wird, schabt er von 
der Oberfläche des Armbandes etwas Holz ab, mischt es einer Tasse 
Thee zu und trinkt es in dem festen Glauben, dafs es ihn heilt. 
Dies Holz bildet einen Haupthandelsartikel in Hainan und wird an 
den Kaiser als Tribut geschickt. Es ist sehr selten und in gröfseren 
Mengen nur in den weniger zugänglichen Bergen des Innern zu 
finden. Die Lis häufen es oft auf und verstecken es, um in Fällen 
des Mangels einen Vorrat zu haben. Man erzählte mir von einer 
weiter nach Süden wohnenden Familie, sie halte ein Stück dieses 
Holzes versteckt, welches sie auf 10,000 Taels (14000 Dollar) schätze. 
Es finden sich in den Bergen noch andre Arten harten, wohl- 
riechenden Holzes, wir sahen behauene Balken davon an den Flüssen 
liegen, welche etwa 12 Fufs lang und 6 Zoll im Geviert am Kopfe 


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waren; dieselben sollten bei Hochwasser herabgeflöfst werden. Unser 
Führer schnitzte von einem halbverbrannten Stamme ein Stück von 
dunkelroter Farbe ab, welches sehr wohlriechend war. 

Das Thal, in welchem wir hinaufgingen, war von hohen Bergen 
eingeschlossen, über deren Gipfeln bis weit an den Seiten hinab 
■Wolken hingen. Der Strom diente nicht gerade zu unsrer Bequem- 
lichkeit, da wir ihn an diesem Tage dreifsigmal auf einer Strecke 
von 6 Meilen zu überschreiten hatten. Eine zwei Meilen lange 
Strecke unsres Weges lag im Flusse selbst, und es war eine schwere 
Arbeit, gegen den Strom anzukommen, da das Wasser fast überall 
bis an die Knie reichte und der Felsgrund scharf und schlüpfrig 
zugleich war. An einigen Stellen waren Schnellen, wo das Wasser 
in malerischer Weise über die Felsen sprang und uns, die wir uns 
abmühten hindurchzuwaten, umzuwerfen drohte. Hohe steile Ab- 
hänge mit dicken Massen von Weinsträuchen bedeckt und mit Bäu- 
men besäumt, erhöhten die romantische Schönheit der engen Schlucht, 
welche wir hinaufstiegen, bedeutend. Die Abhänge dieser steilen 
Felswände waren an einigen Stellen mit blühenden Chiritas (Chirita 
chinensis) fast ganz bedeckt. 

Zwei kleine Dörfer, To-ko und Ly-chee, passierten wir kurz 
bevor wir Ka-la erreichten, wo wir unsre Mittagsruhe hielten. Der 
Weg war, aufser wo er in den Strom versenkt war, recht gut, aber 
es wäre unmöglich gewesen, eine Sänfte darauf zu tragen, und selbst 
die sicher gehenden Ponies, welche auf der Insel gebraucht werden, 
würden an einzelnen Stellen nur schwer festen Fufs behalten können. 
Unsre liitischen Führer brachten uns auf der nächsten Route über 
Felder, zu welchen' wir durch roh hergestellte Zauntritte gelangten, 
die aus eingekerbten und beiderseitig an die Zäune gestellten Holz- 
stämmen bestanden. In Ka-la trafen wir einen alten Li aus einem 
hoch oben auf den Bergen gelegenen Dörfchen, welcher ein wenig 
lesen und schreiben und, was noch seltener der Fall war, einige 
Worte cantonisch sprechen konnte, die er von den Kaufleuten 
in Nam-fung und Ling-mun erlernt hatte. Von ihm erlangten wir 
viele nützliche Belehrungen über das Land. Zu unsrer Rechten, 
hinter Ka-la, erstreckte sich ein ansehnlicher Gebirgsrücken mit 
drei hervorragenden Gipfeln, die sich über die umliegenden Berge 
erhoben; der mittlere war umbaut und das Ganze bestand aus 
weifslichem Fels, woher der Name „Pdk-shek-ling“, „Weifses Stein- 
gebirge“ entnommen war. Diese Gipfel bilden eine schöne Land- 
marke, da sie, wenn wolkenlos, viele Meilen weit sichtbar sind. 

Es war für uns eine grofse Erleichterung, dafs wir Kwai-fung, 
das letzte Dorf am Ende des Thaies, erreichten, und ein bequemes 


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Haus fanden, in welchem wir ausruhen konnten. Dies Dörfchen, 
an einem steilen Berghang gelegen, enthalt nur sechs Häuser, 
zeichnet sich aber durch grofse Gastfreundlichkeit aus, wie wir bei 
unserm zweitägigen Aufenthalt erfuhreu. Es wird auch Ju-tau, 
„Pomelo-Dorf“ genannt; dies ist die hainanesische Wiedergabe seines 
Namens in der Lisprache, und ein grofser Pomelobaum am Ein- 
gänge, der, obgleich abgestorben, stehen gelassen war, wurde als 
ein Beweis dafür bezeichnet, dafs die Benennung nicht ganz falsch 
war. Unsre Erfahrungen waren hier in mancher Hinsicht eine 
Wiederholung derjenigen, die wir in den andern Dörfern gemacht 
hatten. Da unsre Anwesenheit im Lande allgemein bekannt war, 
kamen von beiden Seiten viele Leute aus den mehr oder weniger 
entfernten Dörfern, um uns zu sehen. Ihre Aufnahme durch unsern 
Wirt gab uns einen schönen Beweis der Gastfreundschaft, welche 
diese Leute unter sich üben. Die Familie unsres Wirtes zählte 
nur 5 oder 6 Personen, aber während unsrer Anwesenheit sahen 
wir wenigstens 15 Leute, die sich bei jeder Mahlzeit um seinen 
Reiskessel setzten, unter ihnen den Unterhäuptling von Loi-bän, der 
uns zur Sicherheit bis zur Grenze seines Machtbereichs begleitet 
hatte, und den alten Li aus Ka-la, der sich die Mühe gab, uns 
über die Berge nach Ling-shui zu führen. 

Um die beiden Herde, welche nur aus viereckigen Einschnitten 
bestanden, die mit Lehm fest gemacht waren, an Stelle der gewöhn- 
lichen gespaltenen Bambustäbe, safsen die Leute rauchend und 
schwatzend in grofser Anzahl. Sie trieben ihre Neugier nie bis zur 
Belästigung. Sie schienen von hellerer Farbe zu sein, als diejenigen, 
welche wir bis dahin gesehen hatten, einige der unbekleideten 
Kinder waren beinahe weifs. Die Männer schoren fast alle ihre 
Köpfe und trugen chinesische Tücher; der Anzug der Frauen war 
derselbe, den wir schon vorher gesehen hatten, nur kam noch eine 
kleine Schürze über der Brust hinzu. Sehr wenige von ihnen waren 
tättowiert, und dann nur mit einigen leichten Linien. Sie hatten 
aber noch einen weiteren Schmuck, bestehend aus grofsen Ringen 
von weifsen und schwarzen Kugeln, die auf Draht gezogen waren. 
Eine der Frauen, welche unsre Aufmerksamkeit erregte, hatte 
zwanzig Ringe von verschiedenem Durchmesser, die ein schweres 
Gewicht an ihrem Halse gebildet haben müssen. Sie war aus 
Pun-tuet, einem noch kleineren Dörfchen, welches wir einige Ruten 
vorher passiert hatten. 

An Stelle der gewöhnlich für unsre Betten benutzten Bambu- 
stäbe, brachte unser Wirt in diesem Dorfe einige junge Stämme 
von sehr aromatischem Holze herein, die nach Entfernung der Rinde 


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einen sehr angenehmen Geruch verbreiteten, so dafs wir in der That 
auf parfümirten Lagern schliefen. In dem Hause waren sechs 
Götzenbilder, augenscheinlich aus China, in einem Kasten am einen 
Ende des Zimmers aufgestellt, und beim Herstellen unsrer Betten 
wurde darüber verhandelt, welche Lage die einzelnen Betten zu den 
Idolen einnehmen sollten. Wir sagten ihnen, sie möchten das ganz 
nach ihrem Belieben einrichten, da die Idole für uns keine Bedeutung 
hätten; sonach stellten sie schliefslich die Betten kreuzweise, anstatt, 
wie ursprünglich beabsichtigt, der Länge nach. Meines Freundes 
Ruf als wundervoller Heiler der Übel des Fleisches begleitete ihn 
hierher, wenn er ihm nicht vorhergegangen war, und bald gingen Be- 
stellungen auf Medizin ein. Rheumatismuspliaster wurden soviel 
verabreicht, dafs schliefslich die ganze Gesellschaft mit ihnen 
geschmückt war und die Köpfe in einigen Fällen ein geradezu 
groteskes Aussehen gewannen. Wir lachten herzlich über die 
humoristische Szene vor uns. Ein Patient, der an Zahnschmerz 
litt, wurde davon durch Ausziehen eines Backenzahns befreit. Dies 
war das Signal für eine allgemeine Erprobung dieses neuen Heil- 
mittels, und eine ganze Reihe Leute kamen, um sich Zähne aus- 
ziehen zu lassen; sie zeigten eine kindische Neugier zu sehen, wie 
diese aussähen, wenn sie heraus wären. Der Unterhäuptling benutzte 
die günstige Gelegenheit in der Reihe mit den andern, aber unglück- 
licherweise fiel sein Stückchen Elfenbein durch einen Rifs im Boden 
und war verloren. 

Da wir von unsern Wohnungen aus sehr wenig von dem 
Lande sehen konnten, ersuchten die Leute uns, den Berg hinten 
heraufzugehen; sie zeigten nichts von dem chinesischen Verdacht 
wegen unsrer Absichten auf ihr „fung-shui“, die Einflüsse von 
„Wind und Wasser“, von denen man annimmt, sie brächten Glück 
oder Unglück. Sie schienen aufrichtiges Vergnügen daran zu 
finden, uns ihr Land zu zeigen und hätten uns hingeführt, wohin 
wir wünschten. Die Blutegel, das scharfe Gras und die schlüpfrigen 
Pfade drängten bald jeden Wunsch, zu sehen, was weiter hinten 
war, zurück und machten uns zufrieden, die Leute in ihren Häusern 
zu studieren. Unser Wirt brachte sein Familienregister zum Vor- 
schein, welches aus einer Anzahl Bambustreifen mit dem Namen 
und Geburtsdatum, unter Angabe des Jahres, Monats, Tages und 
der Stunde, jedes Mitgliedes seiner 12 bis 15 Personen ausmachenden 
Familie bestand und chinesisch geschrieben war. Das Register 
seiner Mutter, Frau und Tochter wurde in derselben Weise geführt 
wie dasjenige der Männer. Der jüngere Sohn oder Neffe, ein 
sechzehnjähriger Knabe, schien ungewöhnlich aufgeweckt und vielver- 



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sprechend zn sein. Mein Freund fand grofsen Gefallen an ihm und 
suchte seinen Vater zu veranlassen, ihn uns nach Hoi-how begleiten 
zu lassen. Der Knabe würde mit Freuden eingewilligt haben und 
sein Vater schlug es nicht geradezu ab, sondern sagte, wenn mein 
Freund in einigen Monaten wiederkommen würde, wollte er ihn 
gehen lassen. Beinahe an jedem Orte wollten die Leute gern 
wissen, wann wir wiederkämen und zeigten aufrichtige Freude über 
die Aussicht, meinen Freund wiederzusehen. Der Sohn unsres 
Wirtes, welcher die Aufsicht über das Haus hatte, und sein Bruder 
oder Vetter, waren hoch erfreut, als wir ihnen einige Bücher zum 
Geschenk machten, in welche wir zu ihrer noch gröfseren Freude 
unsre Namen einschrieben. 

Unser Wirt schlachtete ein junges Schwein, bestand darauf, 
uns die besten Stücke davon zu schenken und gab sich nicht eher 
zufrieden, als bis wir von seinem Reis afsen ; er lehnte jede Bezahlung 
oder Geldvergütung dafür ab. Wir erwiderten natürlich alle seine 
Geschenke, und jeder kleine Gegenstand, den wir gaben, wurde mit 
deutlich erkennbarer Wertschätzung empfangen. Die leeren Zinn- 
gefäfse wurden immer sehr begehrt, und wir trugen Sorge, dafs 
diejenigen, welche für unsern Wirt bestimmt waren, mit Salz oder 
andern zum Geschenk passenden Sachen gefüllt wurden. Lebens- 
mittel schienen die Leute reichlich zu haben, obgleich ihre Reis- 
und Kornfelder, die an den Abhängen und auf den Gipfeln stiller 
Berge gelegen waren, sehr viel Arbeit erfordern mufsten. Einige 
kleine aber stark gebaute Kornhäuser in der Umgebung des Dorfes 
gewährten eine sichere Lagerung für das überflüssige Korn. Der 
Fleischbedarf wird hauptsächlich durch Haustiere gedeckt, da Wild 
nicht immer zu haben ist; in dieser Jahreszeit schien es besonders 
rar zu sein. Wir hörten, als wir fortgingen, Frankolinhühner, und 
begegneten einem Manne mit einem prächtigen Silberfasan, welchen 
wir kauften, derselbe starb vor Schreck, ehe wir das Dorf er- 
reichten. 

Den Sonntag brachten wir in diesem Dorfe zu, aber während 
das Volk grofse Ehrfurcht vor unsern gottesdienstlichen Verrich- 
tungen bezeigte, fanden wir es schwer, ihm ihre Bedeutung 
begreiflich zu machen. Dies hatte in hohem Mafse seinen Grund 
in unsrer mangelhaften Kenntnis ihrer Sprache. Die Leute sind 
frei von vielen abergläubischen Ansichten und götzendienerischen 
Gewohnheiten der Chinesen. Weder Verehrung der Vorfahren noch 
Punktirkunst (fung-shui), noch eine Staatsreligion stehen einem 
besseren System im Wege. Ihre Freundlichkeit, Gelehrigkeit und 
^nbar empfängliche Natur lassen sie auf das Christentum vor- 


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bereitet erscheinen. Wenn durch Freundlichkeit und gleicbmäfsige 
Gerechtigkeit ihr Vertrauen gewonnen würde, so würde der Unter- 
richt eines Missionärs ohne Zweifel sehr günstig aufgenommen 
werden. Es scheint keine äufsere Schranke für eine unmittelbare 
und umfassende Arbeit unter ihnen zu bestehen, wenn die Männer 
gefunden werden, die willens sind, diese Arbeit zu übernehmen. Die 
weitverbreitete Anwendung des hainanesischen Dialekts vermehrt die 
Leichtigkeit, ihnen näher zu treten, obgleich ihre heimischen 
Dialekte bedeutend von einander abweichen. 

Alle Flüsse, welche wir bis dahin überschritten hatten, ergiefsen 
ihre Wasser in den Strom, welcher den Ting-on-Distrikt durchfliefst 
und in die Bai von Hoi-how mündet; aber jetzt waren wir an die 
Gebirgsscheide gelangt, welche diese Flüsse von den nach Süden 
gehenden trennt. Die massigen Berge, welche sich vor uns beiuahe 
senkrecht erhoben, bilden das „Shui-tau“, „Wasserursprung“-Gebirge, 
welches wir überschreiten müssen. Wir bereiteten uns auf einen 
schweren Marsch vor. Unser Wirt schien es für seine Pflicht zu 
halten, dafür zu sorgen, dafs wir mit Männern wohl versehen waren, 
und wenn niemand sonst zur Verfügung war, nahm er selbst eine 
der Lasten. Der vorhinerwähnte alte Li übernahm auch die Last 
des Kochs, dessen Füfse von den Blutegeln so übel zugerichtet waren, 
dafs er kaum gehen konnte. Mit diesen beiden Lis, welche den 
Weg genau kannten, und den beiden aus Loi-bän, welche noch bei 
uns waren, glaubten wir den Gebirgsrücken sicher überschreiten zu 
können. 

Als wir das Dorf verliefsen, nahmen wir von dem Häuptling, 
welcher uns begleitet hatte, einen förmlichen Abschied, indem wir 
eine Tasse Chokolade mit ihm tranken, und indem wir das kleine 
Bergwasser zum beinahe hundertsten und jetzt zum letzten Male 
überschritten, schlugen wir einen an dem steilen und schlüpfrigen 
Bergabhang hinaufführenden Pfad ein. Beinahe eine Meile lang führte 
der Weg durch dichtes Gehölz, welches hier und da ein durch einen 
Pfahlzaun eingeschlossenes kleines Stück Feld enthielt. Von diesen 
offenen Plätzen hatten wir schöne Ausblicke auf das Land, welche 
sich erweiterten, je höher wir stiegen. Das „Weifse Steingebirge“ 
stieg prächtig über das Thal auf, dessen Tiefen wir kannten, dessen 
Höhen wir aber erst jetzt kennen lernten. Wir gewannen Einblick 
in die Entstehung des kleinen F’lusses aus mehreren Gebirgsbächen, 
die hoch oben au den Abhängen entsprangen und von denen zwei 
schöne Wasserfälle bildeten; der uns nähere fiel in einer breiten 
Wasserfläche 70 oder 80 Fufs über eine senkrechte Wand mit einer 
tiefen, weinbewachsenen Schlucht hinab. Wir bemerkten nur wenige 

Ueogr. Blätter. Bremen 1887. in 


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Zeichen vou Lebeu, eine Waldschnepfe, die über den Pfad flog, ein 
Frankolinhuhu, welches im Unterholz krähte und Papageien, die zu 
unser n Häupten schwatzten, waren alles, das man bemerken konnte. 
Aus dem Waldgürtel heraustretend gelangten wir auf einige Reis- 
felder mit kleinen, 5 bis 6 Fufs hohen Kornhäusern dabei. 

Eine durch Rauchen ausgefüllte Ruhepause in einer verlassenen 
Hütte, die uns gegen den treibenden Nebel Schutz gab, welcher an 
Kälte zunahm, je höher wir stiegen, bereitete uns auf die schwere 
Arbeit vor, welche begann, als wir in das hohe Gras kamen. Von 
hier aus war der Pfad sehr schmal und vou Dschungelgras ganz 
überhangen. Das Gras war an einigen Stellen höher als unsre 
Köpfe und flocht sich in sehr belästigender Weise über den Weg; 
es war von der Feuchtigkeit ganz durchweicht und schwer. Die 
Träger mufsten doppelte Anstrengungen machen, um die Körbe durch 
die überhängende Masse hindurchzudrängen. Das Gras hatte Ecken 
so scharf wie Schwertschneiden, welche in die Haud schnitten, wenn 
man es zurückdrängte. Dies sowie die allgegenwärtigen Blutegel 
vermehrten die Unbequemlichkeit bedeutend. Dieser Weg über den 
Gebirgsrücken war vier Meilen oder darüber lang ; der höchste Punkt, 
den wir erreichten, war etwa 2000 Fufs über dem Thale und wahr- 
scheinlich 3000 Fufs über der See. Alle Hoffnung, die schönen jen- 
seitigen Berge zu sehen, sobald wir den Gipfel des Gebirges er- 
reichten, wurde vernichtet durch die fliegenden Nebelstürme, die 
alles absclilosseu aufser den weifslichen Abhängen des Shui-t’au- 
Gebirges, soweit sie uns nahe waren, und gelegentlichen Blicken auf 
die Put-pet-Kette, der mit seinen schön bewaldeten Thalabhängen 
rechtwinklig nach Süden ablief. 

War der Aufstieg schwierig gewesen, so war es der Abstieg 
auf der andern Seite noch mehr, obgleich er kürzer war. Der steile 
Pfad, der mit einem niedrigen Gewölbe ineinandergewirrten Grases 
bedeckt und unten mit dampfenden Fallgruben gefüllt war, machte 
das Gehen nicht nur unangenehm, sondern geradezu gefährlich. Am 
Fufse flofs ein Bach mit wundervoll klarem Wasser, im stillen 
Gegensatz zu dem Schlamm, welchen wir eben durchwatet hatten, 
und bald dahinter, jenseits einiger marschiger F elder, stand das kleine 
Dorf Shui-ying, das erste im Lidistrikt Ung-mau-t’ung. Es enthält 
nur zwei Häuser, in deren einem wir einen Ruheplatz fanden, bis 
die Träger alle heraufkameu, was noch etwa zwei Stunden dauerte. 
Durchkältet durch die Feuchtigkeit und die tröpfelnde Nässe, ver- 
suchten wir mit dem uns verfügbaren grünen Holze ein Feuer 
anzuzünden, was uns aber nicht gelang. An dem einen Ende des 
Hauses, welches alt, schmutzig und mit Fächerpalmenblättern gedeckt 


135 


war, safs die Mutter mit drei oder vier nackenden Kindern über 
einem kleinen Feuer kauernd. Der Herr kehrte bald zurück, aber 
'da er das Hainanesische nicht verstand und einen andern Lidialekt 
als unsre Begleiter sprach, hatten wir einige Mühe, uns ihm ver- 
ständlich zu machen. Der alte Li aber verstand etwas von der 
Sprache dieses Distrikts, und wir stellten durch ihn unsre Fragen. 

Nachdem wir uns eine Stunde lang ausgeruht hatten, setzten 
wir über einen andern Bergrücken unsern Weg Vit Meilen weiter 
nach Ta-hän fort. Dieser Weg war besser, aber durch gefallene 
Bäume und Büsche, die durch die kürzlichen Stürme niedergeweht 
waren, sehr behindert. Alles sah wild und öde aus, aufser einigen 
Schluchten, in denen schöne Farrenbäume wuchsen, die nebst wilden 
Bananen und breitblftttrigen Alpinien an die Stelle der allgemeinen 
Dschungelgraswüste traten. Die Chinesen erklären Ta-hän durch ge- 
schriebene Zeichen, welche „kalt machen“ bedeuten, was uns insofern 
ganz passend schien, als wir den Ort durchkältet und infolge des 
kalten Nebels beinahe zitternd erreichten. Die Stadt liegt an einem 
Bergabhang, von wo aus man ein fruchtbares Thal übersieht. Sie 
zählt 8 oder 10 Häuser, von denen das des Häuptlings, welches am 
höchsten liegt und teilweise in chinesischem Stil gebaut, dasgröfste 
und beste ist. Hierher wurden wir gebracht. Früher enthielt der 
Ort 40 Häuser, aber vor einem Jahre wurde er von einer aus Neu- 
Ifakkas und Lis zusammengesetzten Räuberbande niedergebrannt, 
welche das ganze Thal auskehrte, die Häuser niedersengte und das 
Vieh forttrieb. Unser Wirt zeigte uns die Spuren der Beilhiebe an 
seiner Thür, welche sie aufzubrechen versucht hatten und wies mit 
schmerzlicher Miene auf die kleine Ziegenherde, das Einzige, welches 
von den grofsen Herden übrig geblieben war; man hatte ihm 
70 Stück grofses Rindvieh fortgetrieben! 

Die hiesigen Einwohner gehören zu dem Stamme der Kon- 
keuk- (Hunclefufs-) Lis und reden einen von dem jenseits des 
Gebirges gesprochenen so verschiedenen Dialekt, dafs unsre liitischen 
Träger mit ihnen hainanesisch sprechen inufsten, um verstanden zu 
werden. Unser Wirt und mehrere andre Eingeborene, die in Ge- 
schäften unter die Chinesen gehen — einer von ihnen war eben 
aus Hoi-how zurückgekehrt — waren in chinesische Tuche gekleidet, 
aber die meisten Männer trugen einen primitiveren Anzug, wenn 
man es einen Anzug nennen konnte, während die Frauen in derselben 
Weise wie die des letzten Dorfes gekleidet waren ; die meisten von 
ihnen waren gar nicht tättowiert. Einige waren sehr grofs und stämmig 
und alle trugen Ringe aus Kugeln, die von den Chinesen gekauft 
waren, in einigen Fallen fünfundzwanzig um einen Hals. Mehrere 

10 * 


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trugen auch grofse silberne Ohrringe zur Schau. An diesem Orte 
gelang es mir, einige Proben ihrer Kleider zu erlangen, obgleich sie 
sich nicht gern davon trennen wollten. An keinem andern Platze* 
hatten wir so viele Knaben gesehen; es waren schöne, gesunde 
Jünglinge, welche ihren Eltern gleichzukommen versprachen, von 
welchen letzteren viele die Normalgröfse überschritten. Die Häuser 
waren infolge des kürzlichen Unglücks ärmlich ; sie waren mit Blättern 
der Fächerpalme gedeckt, welche eine halbe Tagereise vom Dorfe 
in Menge wächst. Rotang wird iu beträchtlicher Menge aus den 
nahen bewaldeten Bergen gewonnen und nach dem Markte zu 
Ling-mun gebracht, welcher zwei Tagereisen entfernt liegt. 

Unser Wirt war grofsmütig in seiner Gastfreundschaft, er- 
brachte bei unsrer Ankunft eine Menge Reis und nachher noch 
Eier und andre Artikel herbei, wofür er keine Zahlung wünschte. 
Als wir am folgenden Tage aufbrechen wollten, erboten sich mehrere 
Männer, unser Gepäck unentgeltlich zum nächsten Dorfe zu befördern 
und zwei von ihnen dienten als freiwillige Führer über den Berg. 
Der Weg führte durch eine der schönsten Landschaften, die man sich 
denken kann; er folgte dem Laufe des Gebirgsbaches, der zu einem 
rauschenden Giefsbach wurde, und wir waren an einigen Stellen 
unsern Führern Dank schuldig, dafs sie uns die seichteren und 
weniger reifsendeu Stellen beim Überschreiten aussuchen halfen. 
Es war ein breiter und stellenweise, wo ihn ein reichlicher uud 
mannigfacher Waldwuchs zu beiden Seiten einsäumte, schön be- 
schatteter Weg. Viele grofse Bäume waren bis zum Gipfel mit Wein und 
Farrenkraut, und Mengen sehr zarter Farren und Bärlappmoose, haupt- 
sächlich Lycopodiurn caudatum bedeckt, diese bildeten einen prächtigen 
grünen Teppich über den harten Unebenheiten des Bodens. Unsre 
Führer waren noch voll von dem vorigjährigen Überfall und zeigten 
uns die Stelle, wo sie diesen Weg verbarrikadiert hatten. Nachdem 
sie von hier aus auf ihre Angreifer gefeuert, waren sie auf einem 
andern steilen und verschlungenen, nur ihnen bekannten Pfade 
geflohen. Sie retteten so ihr Leben, gaben aber ihre Häuser der 
Plünderung preis. Der Gebirgsbach fällt durch eine enge von Felsen 
eingeschlossene Schlucht, in der das Weiterkommen unmöglich ist, 
bis sie dann in jähem Niedergang in das jenseitige Thal fällt. 

Wir stiegen allmählich weiter in die Höhe, ein mehrere Meilen 
langes kühles Holz durchschreitend, welches die Schulter des Berges 
an der linken Seite bedeckt. Der weitere Abhang des Berges zeigte 
sich nackt und schrecklich steil. Als wir aus den Bäumen heraus- 
traten, erreichten wir den besten Punkt für einen Ausblick auf den 
grofsen Fünffingerberg, aber leider war der Nebel so dick, dafs wir 


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auch nicht den geringsten Schimmer seines Umrisses bemerken 
konnten. Wir mufsten uns also mit der halbverstandenen Bemerkung 
der Lis begnügeu, welche die Lage der fünf Piks, die ihr umgeben, 
bezeichneten und es ihnen auf ihr Wort glauben, dafs der mittlere 
und höchste Pik vor nicht langer Zeit vom Blitz getroffen und so 
zersplittert worden sei, dafs sein ins Auge fallender Umrifs zerstört 
sei. Man konnte deutlich sehen, dafs die massigen Abhänge bis zu 
einer Höhe von etwa 3000 Fufs mit Bäumen bedeckt waren. Von 
unserm südwestlichen Standpunkte aus wurde die Richtung unsres 
Weges nach Ling-shui als etwas links von dem grofsen Berge liegend 
bezeichnet, und zwar durch einen breiten Pafs oder richtiger eine 
rauhe Hochebene, so dafs wir nicht so schwer zu steigen brauchten 
wie bisher. Der ungestüme Giefsbach zu unsrer Rechten verbindet 
sich etwas weiter unten mit einem Flusse, der sich durch den Kom- 
yan-Distrikt einige Meilen weiter in die See ergiefst; er entspringt 
auch auf dem grofsen Berge. Man sieht noch einen Flufs, der nach 
Ngai-tscho hinabfliefst. Mit nicht geringer Befriedigung erfüllte uns 
dieser weite Ausblick auf das noch vor uns liegende Land, da wir 
nun gewifs wareu, dafs wir nach weiteren drei Tagen zu der Quelle 
des Ling-shui-Stromes an der Stadt Pö-teng gelangt sein würden. 

Vou diesem Punkte aus blickten wir in das Herz des Lilandes, 
eines Landes voll prächtiger Thäler und fruchtbarer Ebenen, hoher 
Berge und romantischer Szenerien, wohl geeignet zu Weiden und 
für die Erhaltung einer weit gröfseren Bevölkerung, als wir in den 
zerstreuten Dörfern bisher gesehen hatten. Der Abstieg von diesem 
Berge war sehr ermüdend, da er stellenweise an jähen Abhängeu 
hinunterführte. Wir erreichten seinen Fufs ohne einen Unfall, und 
wieder durch einen Waldgürtel schreitend, wo Papageien über uns 
laut schwatzten und ein Alfe ärgerlich durch die Zweige eines grofsen 
Eichbaums entwich, kamen wir zu der Stadt Nga-hän an den Ufern 
des gröfseren Flusses. Unser alter liitischer Träger, welcher der 
einzige gewohnheitsmäfsige Opiumraucher war, den wir an der 
andern Seite des Gebirges trafen, brachte uns zu dem Hause eines 
Chinesen, wie er sagte, zu unsrer gröfseren Bequemlichkeit, wahr- 
scheinlich aber um ein wenig Opium zu bekommen. Dafs wir 
nach diesem Hause kamen, bedeutete für uns den Anfang eines 
Unfalls. Es war unsre Absicht, nur eine kurze Ruhe zu halten 
und dann zu dem Häuptlingsdorf zu gehen, welches drei Meilen 
weiter lag und von wo wir in schnellen Märschen nach der Gegend 
von Ling-shui gehen wollten. 

Nachdem wir uns niedergesetzt hatten, war unsre erste Be- 
schäftigung, uns von den Blutegeln zu befreien, die an diesem Tage 


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zahlreicher als je waren. Ich zog von meinen Füfsen und Beinen 
nahezu vierzig Blutegel von allen Gröfsen; als die liitische Frau 
des Chinesen heifse Kohlen brachte, um sie zu vernichten, stiefs sie 
einen Ruf der Verwunderung über ihre grofse Zahl aus. Als wir 
fortgehen wollten, kam der Chinese sehr höflich mit einem ge- 
schriebenen Ersuchen an uns, bis zum folgenden Tage bei ihm zu 
bleiben. Als wir auf unsrer Absicht, zu gehen, bestanden, sagte 
er uns, der Strom sei unpassierbar, da er bei dem Übergange 
wenigstens 8 Fufs tief sei, das Wasser würde aber in der Nacht 
nachlassen. Er führte uns dann zum Ufer, um uns zu beweisen, 
dafs es sich wirklich so verhalte. Unser Bleiben schien unvermeidlich, 
wir schickten uns also an, dasselbe so gut wie möglich zu benutzen, 
indem wir uns die Stadt ansaheu. Vor uns in der Mitte des Dorfes 
stand ein schöner Tamariudenbaum. Die Häuser waren entlang 
einer Art Strafse gebaut, und an den Aufsenseiten des Dorfes standen 
etwa ein Dutzend Kornhäuser. Ein zweites Dorf stand einige 
Ruten weiterhin; beide Dörfer zusammen hatten etwa 40 Häuser. 

Unser Wirt war augenscheinlich ein Maun von Einflufs, nicht 
nur im Dorfe, sondern in dem ganzen Distrikte. Er wohnte hier 
seit zwanzig Jahren, hatte eine Li zur Frau und mehrere Kinder, 
die er aber nicht ganz über die Gesetze des Anstandes belehrt zu 
haben schien, denn seine Frau zeigte einen Mangel von Sittsamkeit, 
wie wir noch in keinem der Dörfer, die wir durchwandert, kennen 
gelernt hatten, indem sie meistens ohne Jacke ausging. Sein Haus 
war das gröfste in der Stadt, da es aber in chinesischem Stil mit 
Lehmmauern und Fufsboden aus Erde erbaut, war es nicht so bequem 
wie die gewöhnlichen Gebäude der Lis. Wir vermifsten auch den 
nötigen Vorrat von Bambu für unsre Betten und inufsten selbst 
aus einer Anzahl langer krummer Stangen, die sich als sehr unge- 
nügend erwiesen, Auswahl treffen. Man brachte uns Fleisch von Wild- 
schwein und Hochwild. Das erstere war viel zu pikant für imsern 
Geschmack, das letztere aber ausgezeichnet. 

Während des Abends waren unsre chinesischen Träger augen- 
scheinlich nahe daran, zu meutern; sie waren erschreckt durch die 
Geschichten von Räubern, die den Weg über den grofsen Berg 
unsicher machten , unser Wirt und andre Chinesen aus dem 
Dorfe hatten sie ihnen erzählt. Um die Sache noch schlimmer zu 
machen, brach zwischen unsern liitischen Trägern und den Chinesen 
ein Streit wegen ihres Essens aus. Wir suchten die Sache leichthin 
zu behandeln, fürchteten aber, dafs sich eine ernste Störung vor- 
bereite, namentlich als unser Wirt sich den andern anschlofs und 
drängte, den Plan, die Berge zu überschreiten, aufzugeben und 


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den nächsten Weg nach Ling-mun zu nehmen. Wir besorgten, dafs 
unser Wirt uns im Geheimen entgegenarbeitete, welcher Verdacht 
sich später vollkommen bestätigte. 

Als wir am nächsten Morgen aufbrachen, führte man uns den 
Strom hinauf zu eiuer seichten Furt, wo das Wasser nur bis 
zum Leib ging, und die ebenso leicht am Tage zuvor hätte durch- 
schritten werden können. Wir durchwateten diesen grofsen Flufs 
viermal und passierten drei Dörfer, ehe wir die Residenz des 
Häuptlings erreichten. Seine Stadt hatte schwer von den Räubern 
gelitten, und es war kein gutes Haus übrig geblieben. Es waren 
hier mehrere Ziegel- und Steingebäude, sehr dumpf und muffig, nach 
chinesischem Muster gebaut. Die Leute waren wahrscheinlich durch 
die Hoffnung, sicherer gegen Angriffe zu sein, zu der Wahl solcher 
Form und solchen Materials veranlafst. Sie opferten so Gesundheit 
und Bequemlichkeit, um einen zweifelhaften Vorteil zu erreichen. 
Unsre schlimmsten Befürchtungen bewahrheiteten sich, als der 
Häuptling uns mitteilte, dafs in diesem Dorfe keine Leute zu haben 
wären und dafs er nichts thun könnte, uns weiterzuhelfen. Unsre 
liitischen Träger waren nur bis hierher gemietet und wollten mit 
Ausnahme eines alten Mannes nicht weiter gehen, während unsre 
Chinesen in einer meuterischen Stimmung waren, und selbst wenn 
sie bereit gewesen wären, hätte ihre Zahl nicht ausgereicht. Wir 
mufsten sehr bald einsehen, dafs unsre Sache hoffnungslos war und 
dafs uns nichts übrig blieb, als uns in das Unvermeidliche zu fügen. 

Da in dem Dorfe des Häuptlings keine bequeme Unterkunft 
zu finden war, gingen wir auf dem bisherigen Wege zurück, über- 
schritten dreimal den breiten Strom und kehrten zur Nacht in einem 
kleinen Dorfe ein, welches wir am Morgen passiert hatten, allen Be- 
mühungen des Chinesen, der uns gefolgt war, wieder zu seinem 
Hause zurückzukehren, widerstehend.“ 

Die Reisenden mufsten notgedrungen das Vordringen zur 
Südküste aufgeben. Schuld an der Vereitelung dieses Vorhabens 
war lediglich der Chinese. Er war es, wie sich herausstellte, ge- 
wesen, der durch falsche Angaben über die Tiefe des zu überschrei- 
tenden Stromes Zeit gewonnen hatte, den Lihäuptling davor zu 
warnen, der Expedition irgend welchen Vorschub zu leisten. Als 
Beweggründe für dieses Auftreten des Chinesen ermittelte Henry 
neben der Eifersucht gegenüber der freundlichen Aufnahme der 
Fremdlinge durch die Lis, und neben dem Wunsch, seinen Einfluis 
zu zeigen, die Furcht, dafs die weifsen Leute aus dem Westen ledig- 
lich zu dem Zweck in das Land gekommen seien, um die in der 
Erde verborgenen Schätze auszuspionieren. 


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Statt nach Süden zogen die Reisenden jetzt nach Osten, über 
das Dorf Viaban, durch ein prächtiges, teilweise angebautes, teil- 
weise mit Wald bedecktes Land, welches mehrere Ströme durch- 
zogen. Zur Linken hatteu sie die in Wolken gehüllten Höhen des 
Li Mother- Gebirgszugs, dessen Erhebung Henry auf 5500 Fufs 
schätzt. Über Ling-mun, wo sie von den Lis Abschied nahmen, 
kamen die Reisenden nach Shüu-fau, und fuhren im Bpot auf einem 
Rufs noch weiter östlich nach Ka-tschik, einer bedeutenden Handels- 
stadt nahe der Ostküste der Insel. Von hier gelangten sie, nordwärts 
sich wendend, teils zu Lande, teils zu Wasser wieder nach Hoi-how. 

Der Aufenthalt in der Stadt Ling-mun giebt Henry Anlafs zu 
allgemeinen Bemerkungen über die beste Art und Weise, in das 
Innere vorzudringen; wir geben dieselben hier noch wieder. 

„Ling-mun“, wörtlich „das Thor der Berge“, ist, wie der Name 
besagt, der Eingang zu den zentralen Berggegenden und bei weitem 
der bequemste Platz für diejenigen, welche von Hoi-how kommen, 
in das Liland zu gehen. Zwei Tage verhältnismäfsig bequemer 
Reise (wenn das Wetter trocken ist) durch eine sehr anziehende 
Gegend würden den Reisenden zu dem Häuptlingsdorfe in Ung-mun 
bringen, von welchem aus wir zurückkehrten. Von jenem Punkte 
über den Fünffingerberg nach Ling-shui, oder direkt südlich nach 
Ny-tschoo dauert die Reise einige Tage länger, wenn man mit dem 
nötigen Führer und Trägern versehen ist. Freundlichkeit uud 
Takt sind die Haupteigenschaften, welche erforderlich sind, um sich 
eine gute Aufnahme bei den Lis zu sichern. 

Wenn man gemächlich von Dorf zu Dorf geht, würde es wohl 
keine Schwierigkeit haben, sie als Träger zu gewinnen, aber bei 
eiligen Märschen und langen Tagereisen sind sie nicht zuverlässig. 
Wegen Unterkunft uud Nahrung braucht man keine Augst zu haben, 
da man bei ihrer angeborenen Gastfreundschaft sicher sein kann, 
beides zu erhalten. Ein Vorrat verschiedenfarbigen Seidengarns, 
gestickte Börsen und Tabaksbeutel, Perlen, Nadeln und irgend- 
welche kleiue Gebrauchsartikel würden in vielen Fällen dienlicher 
als Geld sein. Beim Mieten vou Trägern darf mau nicht mehr als 
35 oder 40 Katties (1 Kattie = l 3 .U Pfund) für jeden derselben 
bestimmen; mehr gestattet die Beschaffenheit der Wege nicht. 

Die Lis, welche beiuahe den ganzen mittleren uud südlichen 
Teil der Insel bewohnen, finden sich in den geographischen Grenzen 
von elf der dreizehn Distrikte, in welche die Chinesen das Land 
eingeteilt haben. Hierüber haben die Chinesen die Strophe: 
Wan-tschang hat keinen Li 
Ting-an hat keine See; 


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letzteres ist der einzige binnenländische Distrikt in der Präfektur 
King-tschan. 

Die Lis seheinen, soweit ich erfahren konnte, in 15 oder 16 
Stämme geteilt zu werden, welche unter bestimmten Namen bekannt 
sind und in Anzug. Sprache und Gewohnheiteu mehr oder weniger 
von einander abweicheu, aber alle zu einer gleichartigen Rasse ge- 
hören, die durch gemeinschaftliche Bande miteinander verbunden 
ist, und der Regel nach in freundschaftlichen Beziehungen steht. 
Sie sind wahrscheinlich malayischer Abkunft, wovon sich eiue An- 
deutung in ihren Namen findet, welcher verschieden ausgesprochen 
wird: le, lai, lay, loy u. a., und an eiuem Orte wenigstens, moi. 
Wenn sie von sich selbst sprechen, fügen sie einen Lippenlaut hinzu 
und sagen b’lai, b’lay u. a. Wenn das b mit m vertauscht würde 
hätten wir m’lai und m’lay, welches dem Worte Malaya ähnlich genug 
klingt, um einen Zusammenhang zu vermuten. Die oft wechselnde 
chinesische Schriftbezeichnung zeigt, dafs dieselbe nur die Laute 
des Wortes wiedergeben soll, mit dem die Lis sich selbst bezeichnen. 

Ihr Benehmen gegen die Chinesen ist immer das eines unab- 
hängigen Volkes gewesen, welches sich gegen Unterdrücker vertei- 
digt, die sie zur Knechtschaft erniedrigen wollten. Die Beschuldi- 
gung der Furchtsamkeit und Feigheit, welche die Chinesen ihnen 
stets entgegeuhalten, ist kaum aufrecht zu erhalten und könnte in 
manchen Fällen auf die Chinesen selbst angewandt werden. Kriege 
sind häufig geführt, und infolge des gänzlichen Mangels an Gerech- 
tigkeit, den die Chinesen bei ihrem Auftreten zeigen, wird ein dau- 
ernder Frieden nicht gesichert werden können. Die Arten der 
Kriegführung bei diesen immer wiederkehrenden Aufständen sind 
eigentümlich. Die Lis, hauptsächlich mit Bogen und Speeren be- 
waffnet, sind im offenen Felde den mit Gewehren und Kanonen 
bewaffneten Chinesen nicht gewachsen, deshalb verstecken sie sich in 
den Dschungels, machen plötzliche Ausfälle und ziehen sich zurück, ehe 
der Feind Widervergeltung üben kann. Die Chinesen sind ander- 
seits mit all ihren Waffen ratlos angesichts einem pfadlosen 
Dschungel, in welchen sie sich nicht gern hiueinwagen, da das 
Sumpffieber sie dahinraffen oder ein feindlicher Hinterhalt sie ein- 
schliefsen könnte. 

Im Frühling des Jahres 1882 fand ein Aufstand der Berg- 
Lis im Süden der Insel, nahe Sam-a, statt. Ein Brigadegeneral wurde 
mit einem Heere ausgesandt, um die Unruhe zu bezwingen; er sah 
sich aber in einem niedrigen Sumpffiebergebiet, wo seine Soldaten 
krank wurden und starben, während die Feinde, durch ihre undurch- 
dringlichen Dschungel geschützt, ihm Trotz boten. Mit mehr Ge- 


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wissenhaftigkeit als sich bei den meisten seiner Klasse findet, ver- 
schmähte er alle Scheinmanöver und infolgedessen vergingen Monate, 
ohne dafs sich ein Erfolg zeigte, aufser der beständigen Verminderung 
seiner kleinen Armee durch Krankheit und Desertion. Wegen dieser 
Erfolglosigkeit wurde er degradiert und in der Nähe des Schauplatzes 
seines Mifslingens in Pension gestellt. Au seiner Statt wurde ein 
Tao-tai gesandt, um die Expedition zu befehligen. Dieser begann 
sogleich ein Bestechungs- und Betrugssystem, infolgedessen es ihm 
schliefslich gelang, den Lihäuptling, welcher die feindlichen Stämme 
anführte, zu verleiten, in sein Lager zu kommen, um über die 
Friedensbedingungen zu untcrhandelu. Um dies zu erreichen, schickte 
er aufser Geldgeschenken und Sicherheitsversprechungen vier gemeine 
Soldaten als Geiseln, wobei er dem Häuptling versicherte, dafs zwei 
derselben jüngere Brüder von ihm und die beiden andern Mandarinen 
wären. Kaum war der Lihäuptling in seinem Lager, als er ge- 
fesselt, auf ein Kriegsschiff' gebracht und nach G'anton überführt 
wurde, wo mau ihn bald darauf hinrichtete. Und was wurde aus 
den vier Geiseln? Die Lis, durch den ihnen gespielten Verrat in 
Wut gebracht, übten an diesen unglücklichen Opfern in furchtbarer 
Weise ihre Rache, indem sie sie, wie erzählt wird, lebendig schunden, 
um den Zorn des Volkes zu besänftigen. Solche Vorkommnisse sind 
nicht geeignet, freundliche Beziehungen zwischen deu beiden Rassen 
zu fordern. 

Es spricht sehr für die natürliche Freundlichkeit und Nachsicht 
der Lis, dafs sie ungeachtet solcher Erfahrungen den Chinesen er- 
lauben, unbelästigt in so ausgedehntem Mafse in ihrem Lande zu 
reisen und Handel zu treiben. Wir sahen die letzten dieses eigen- 
tümlichen Volkes in Ling-mun. wo sie durch ihre ungeschorenen 
Köpfe, ihr ungekämmtes Haar und ihren sonderbaren Anzug er- 
kennbar waren, als sie den Markt auf und ab gingen, um kleine 
Einkäufe zu machen. Einer von ihnen, ein kräftiger junger Bursche 
mit angenehmen Gesichtszügen aber sehr dürftiger Kleidung, trug 
Wasser für die Wirtin nach unserm Gasthof.“ 

An diese Mitteilungen aus Henrys Werk schliefsen wir folgende, 
der Juninummer der Proceedings der Londoner geographischen Ge- 
sellschaft entnommene Notiz: Herr Henry benachrichtigt die Ge- 
sellschaft, dafs er im vorigen Jahre, 1886, zum zweiten Mal auf 
Hainan war, ausgedehnte Reisen in die Bergregionen unternahm 
und das Zentrum des Li-Gebiets erreichte. Nach Henry kann die 
Insel ohne Schwierigkeiten von Ost nach West und von Nord nach 
Süd durchwandert werden. 


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Einiges aus der Republik Liberia. 

Von Heinrich Harter!. 


Vorwort. Diu politische Organisation der Republik. Diu Bevölkerung. Religiöses 
Bekenntnis und Bfission. Die Heidenstämmo des Innern, sprachen und Kulturstufen. 

Zahlen der Vey-Sprache. 

V o rwort. 

Da ich mich längere Zeit in Liberia aufliielt, und als Kaufmann 
stets Gelegenheit hatte, mit den Eingeborenen zu verkehren, und 
ihre Sitten und Gebrauche kennen zu lernen, erlaube ich mir, Eini- 
ges über dieselben hier zu veröffentlichen. 

Es ist schon einmal in diesen Blattern dieser Gegenden Er- 
wähnung getlian, nämlich bei Gelegenheit der Forschungen Bütti- 
kofers, in dem auf Seite 81 und ff. des Bandes VII. dieser Zeitschrift 
veröffentlichten Aufsatz. — Mit diesem unermüdlichen Forscher, der 
sich jetzt wieder dort befiudet, habe ich manche angenehme Stunde 
verlebt, und dürfte seine jetzige Reise die Grundlage eines gröfseren 
Werkes bilden, dem durch charakteristische photographische Auf- 
nahmen auch die Anschauung nicht fehlen wird. 

Was die früheren in der Niederländischen geographischen Zeit- 
schrift veröffentlichten Mitteilungen Büttikofers betrifft, so kann ich 
dieselben als eine iiufserst wahrheitsgetreue Schilderung dortiger 
Zustände bezeichnen. Zu den von Biittikofer genannten Handels- 
häusern ist in ueuster Zeit (1882) noch die „Soci6t6 Beige Liberi- 
eune getreten, deren Haupthaus sich in Antwerpen befindet, und 
in deren Diensten ich stand; dieselbe besitzt u. a. auch eine 
Faktorei in Marshall am Junkriver, wohin sich Biittikofer im Fe- 
bruar d. J. in Begleitung mehrerer in Grand Cape Mount gemieteter 
Boys und eines Jägers begeben hat. 

In seiner Begleitung habe ich mehrere kleinere Touren, u. a. den 
Shugryriver stromaufwärts gemacht, auf denen sich des Interessanten 
viel hot. Sehr treffend ist namentlich die in jenem Aufsatz erwähnte 
Schilderung des faulen Kreditsystems zwischen Farmern und Händlern 
einerseits und den Faktoreien anderseits; erst in allerueuster Zeit 
fängt man an, mit dem Kreditgeben an besitzlose liberianische Händler 
aufzuhören und verkauft mit verhältnismäfsig wenigen Ausnahmen 
nur gegen Empfang der Waren. 


Liberia, die bedeutendste der drei bestehenden Negerrepubliken, 
ist im Jahre 1828 von Nordamerika aus gegründet worden, und 


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wurde im Jahre 1837 als unabhängig erklärt; die ans Amerika 
dort eingeführten Sklaven bilden daher die herrschende Klasse, aus 
der alle Beamten und Würdenträger hervorgehen. Die Regierung 
ist ganz nach dem Muster der nordainerikanischen Union eingerichtet, 
und besteht wie dort aus einem auf vier Jahre gewählten Präsidenten 
und dem Senat. 

Das Land ist in vier Counties eingeteilt, welche letztere wieder in 
Governments zerfallen. In vielen Gegenden des Staates herrschen noch 
teils erbliche, teils erwählte Könige und Königinnen über die Stämme der 
Ureinwohner. So im nördlichsten Teile der „King Freeman“, der sieb 
in Kämpfen, welche schon lange vor Einwanderung der Amerikaner 
unter seinem Vater, dem „Sultan Morannah Satulo“ begonnen habeu, 
das ganze Reich Teywar, welches sich weit ins Innere erstreckt, 
unterworfen hat. Unbeschränkt herrscht auch die „Queen Sandy 
manny of Yearbacca, welche ihr Land mit despotischer Strenge 
regiert, so dafs Hinrichtungen in ihrem Reiche nicht zu den 
Seltenheiten gehören. In ihrem Residenzorte sah ich iu einem 
langhiugestreckten Hause eine grofse Anzahl Sklaven mit den 
Fiifsen in schwere Holzpflöcke eingeschmiedet und an Ketten 
liegend, damit beschäftigt, Palmkerne zu knacken, aus deren Verkauf 
die alte Königin mit ihrem noch kaum erwachsenen Gatten ihre 
Haupteinnahmen zieht. 

Als Beispiel für die wechselseitige Abhängigkeit der liberianischen 
Republik und der halbunterworfenen Stämme, welche nur dem Namen 
nach dem Staate angehören, möge folgendes dienen. In der 

Nähe von Cape Mount, welches nahe der Grenze von Sierra Leone 
liegt, wurde ein Gehöft niedergebrannt und man konnte einen der Ver- 
brecher nicht hiurichten lassen, ehe man vom Kinq Bimba, einem 
andern landsässigen Fürsten, dessen Unterthan der Verbrecher war, 
hierzu die Erlaubnis eingeholt hatte; der (mir befreundete) König 
versagte natürlich, wie vorauszusehen war, seine Einwilligung und 
mau war gezwungen, um denselben nicht zu erzürnen, die Gefaugeuen 
auf dem Transporte nach Monrovia, wie durch ein Versehen ent- 
springen zu lassen. — Die Transporteure wurden natürlich belohnt 
anstatt bestraft. 

Diese eben genannten Fürsten gehören sämtlich den Whys*) 
an, welche die Hauptbevölkerung in den besprochenen Gegenden bilden, 
ein schönes, kräftiges und kriegerisches Volk, welches zum Schrecken 
andrer, nicht so hoch kultivierter Heidenvölker, den Islam mit aller 
ihm eigenen Härte unter den Ungläubigen zu verbreiten bestrebt ist. 


*) Bei uns ist die Schreibweise Vey bekannter. 


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Das Christentum macht nur geringe Fortschritte unter ihnen, und 
kehrt ein sehr hoher Prozentsatz der neu bekehrten Täuflinge wieder 
zu dem ursprünglichen Fetischdienst zurück. 

Die Liberianer gehören zum grofsen Teile der Methodistenkirche 
an, welche auch unter den Heiden im Innern die meisten Erfolge 
aufzuweisen hat, aufserdem sind Anglikaner und Katholiken dort 
thätig. Die Baptisten und Katholiken haben jedoch allein Aussicht 
auf Erfolg, da sie sich schwarzer Missionare bedienen. — Die 
letzteren (Jesuiten) unterziehen sich in anerkennenswerter Weise der 
Krankenpflege, und hat auch Schreiber dieses, evangelischen Glaubens, 
lediglich der aufopfernden Pflege eines Mitgliedes der katholischen 
Mission sein Leben und seine Gesundheit zu verdanken. 

Dafs der Unterricht von schwarzen Missionaren, welche 
vielfach die Unterdrückung und Hintansetzung der schwarzen Rasse 
in Amerika kennen gelernt und dort, gleichsam mit der Muttermilch, 
den Hafs gegen alles, was hellfarbig ist, eingesogen haben, neben 
den vielen Lichtseiten seine Schattenseiten hat, ist leicht erklärlich. 

Zu den Lichtseiten kann man rechnen, dafs der Neger zu 
gleichfarbigen Glaubensaposteln mehr Vertrauen hat, und nicht in 
dem alten Glauben befangen bleibt, die Religion der schwarzen 
Lehrer sei nicht die richtige, und der Gott der Weifsen sei nicht 
für den „armen Nigger“ gemacht; — zu den Schattenseiten, dafs 
die schwarzen Lehrer wohl in der That nicht immer den wahren 
Glauben und christliche Liebe predigen, sondern nur zu oft den 
Hafs gegen ihre weifsen Mitmenschen schüren. 

Leider nur zu oft findet man, dafs die Missiouare auch kauf- 
männisch thätig sind, wodurch sie sich die Feindschaft der Weifsen 
zuziehen, deren Hülfe doch in so manchem Falle die Bemühungen 
der Missionsgesellschaften erst möglich und erfolgreich werden läfst. 

Zu den wildesten Heidenstämmen des Hinterlandes von Liberia 
gehören vor allen Dingen neben einem kleinen Teil der Veys (auch 
Why) der grofse Stamm der Kossos, von welchen vielfach, ob mit 
Recht oder Unrecht lasse ich dahingestellt sein, behauptet w r ird, 
dafs sie hier und da noch dem Kannibalismus huldigten; erwiesen 
ist dies aber keineswegs. Die Industrie steht bei ihnen, im Gegeusatz 
zu den ziemlich hoch kultivierten Veys, auf einer aufserordentlich 
niedrigen Stufe, die Weberei ist ihnen unbekannt und fast alle ihre 
Bedürfnisse tauschen sie gegen Erträge der Jagd und des Waldes 
von den Whys oder Europäern ein. In geringer Anzahl findet sich 
in den undurchdringlichsten Gegenden, in den dichtesten Wäldern 
und unwirtlichen Schluchten des Gebirges ein wilder, aber nur 
schwacher Volksstamm, die Pesse; sie sind im Gegensatz zu den 


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146 


andern dunklen, fast schwarzen Völkern, sehr hellfarbig; nach 
meiner Meinung haben sie im Äufsern, aber auch nur darin, eine 
frappante Ähnlichkeit mit Fulbe ,*) welche als Händler auch bis in 
jene Gegenden kommen, und die durch ihr würdevolles Benehmen, 
welches vorteilhaft gegen den Lärm der andern Schwarzen absticht, 
auffallen. Gleich ihnen findet man als Händler zuweilen auch 
Mandingos, man erkennt sie auf den ersten Blick au der dunkel- 
schwarzen fast rufsfarbenen Haut. 

Als Bootsleute werden neben Gruboys auch Bassamen lind 
Susstts verwandt. — Über erstere zu sprechen halte ich für über- 
flüssig, sie werden den meisten Lesern aus den vielen Reise- 
beschreibungen nur zu wohl bekannt sein; vielleicht sogar vom 
Ansehen, denn von zehn Negern, die aus Westafrika zu uns kommen, 
gehören — das kann man sicher annehmen, — neun zu diesem 
Stamme. — Vielfach aber werden unter Crus auch Bassaleute ver- 
standen, die dieselben Beschäftigungen haben, gemischt wohnen und 
sich durch eine hellere Hautfarbe, sowie auch durch ihre Sprache 
unterscheiden. Gleichwie die Crus sind auch die Bassas meist Träger 
höchst eigentümlicher Namen, solche wie Freeman, Ginbottle, 
Twoglasses und Kai-kai (trockener Kerl) gehören zu den alltäglichen 
Vorkommnissen. Ich sah unter ihnen einen Mann mit zahlreichen, 
deutlich sichtbaren Sommersprossen, der einzige Fall, der mir je 
vorgekommen ist. 

Die Sussus siud nicht eigentlich heimisch in Liberia, sondern 
wandern, — wie die Chinesen nach Amerika, — in die Nordde- 
partements von Liberia ein und kehren, wenn sie genug erworben 
haben, wieder in ihr Heimatland Sierra Leone zurück, um dort mit 
ihren Weibern und Kindern von den erworbenen Schätzen so lange 
in süfsem Nichtsthun zu leben, wie diese Vorhalten. 

In politischer Hinsicht lehnt sich Liberia so viel als möglich 
an die Union an, und sucht den Ursprungsstaat so getreu als möglich 
zu kopieren, was jedoch meist zu Zerrbildern führt. Die Armee 
kann den Weifsen aller Nationen nur zur Erheiterung dienen, Ab- 
bildungen liberianischer Soldaten wären wert, europäischen Witz- 
blättern eingeschickt zu werden. 

Der Weifse wird in Liberia so viel als möglich geplagt und 
ist nur dann vor den Plackereien der Regierung völlig sicher, wenn 
er die örtlichen Vorstände derselben pekuniär so viel als möglich 
von sich abhängig macht. Es gelingt dies um so leichter, weil der 
Liberianer den Europäern immerhin noch etwas mehr traut, als 
seinen Landsleuten und das mit vollem Recht. 

*) Felläta, Fillaui, Fulfin. 

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14? 

In deu oben erwähnten Gegenden sind, wie schon erwähnt, 
neben der europäischen und arabischen, mehrere einheimische Sprachen 
& gebräuchlich. 

Die Kulturstufe der Völker läfst sich vielfach nach der hoch 
oder niedrig stehenden Sprache beurteilen, und man wird wohl 
nicht fehl gehen, wenn man bei letzterer wieder die Zahlensysteme 
zur Beurteilung heranzieht; die Kenntnis derselben läfst sich mit 
verhältnismäfsig geringerer Mühe erwerben, als die ganzen Sprachen, 
welche nur bei langem Aufenthalte zu erforschen sind, zumal sie 
wieder in zahllose Dialekte zerfallen, so dafs die Einwohner fast 
jeden Dorfes auders sprechen. Hauptsächlich wird das System der 
Veys gebraucht, dessen Kenntnis auch dem Kaufmann jener Gegenden 
sehr viel nützt, da er dann keinen Vermittler braucht und mit den 
Eingeborenen direkt verkehren kann. Die Veysprache hat an Stelle 
eines Zehnersystems ein Fünfersystem, welches auch bei den Golah 
gebraucht wird. Die Kossosprache, als die am wenigsten ausgebildete, 
kennt eigene Zahlen nur bis Zwanzig, zum Bezeichnen höherer Ziffern 
bedienen sie sich der Veyzahlen, die überhaupt eine grofse Verbreitung 
zu haben scheinen. Das wenigst ausgebildete System besitzen wohl 
die Golah, die gar nur bis zehn zählen können. 

Die Zahlen der Veys sind folgende: 

1. Döndo 11. Taug dondo 

2. Ferä 12. „ ferä 

3. Saba 13. „ sabä 

4. Näni 14. Tang näni 

5. Solo 15. „ solo 

6. Sumdondö 16. „ sumdondö 

7. Sumferä 17. „ sumferä 

8. Sumsaba 18. „ sumsabä 

9. Sumnäni 19. „ sumnäni 

10. Tang 20. Mobandi. 

21. Mobandi a ko dondö. — 

22. Mobandi a ko ferä etc. — 

30. Mobandi a ko Tang. — 

40. Muflabandi (wohl zusammengezogen 
aus Mo ferä bandi.) 

50. Muflabandi a ko Tang. — 

60. Solobandi a ko Tang. — 

70. Mosumdöndobandi a ko Tang. — 

80. Mosumferäbandi a ko Tang. — 

90. Mosumsababandi a ko Tang. — 

100. Mosumnänibandi a ko Tang. — 


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148 


Die Zahlen der Kosso sind : 


1. Etäh 

11. Buh etäh 

2. Fede 

12. Buh fede 

3. Schaua 

13. Buh shaua 

4. Nani 

14. Buh näni 

5. Dblu, 

15. Buh dblu 

6. U&tä 

16. Buh uetä 

7. Uafede 

17. Buh uafede 

8. U6iapa 

18. Buh ueiapa 

9. Tan 

19. Buh Tau 

10. Buh 

20. Buh Buh. 

der Gölahs sind: 


1. Gun 

6. de Gun 

2. Tieh 

7. de Tieh 

3. Tai 

8. de Tai 

4. Ti6na 

9. de Tiena 

5. Nono 

10. Edjah. 


Der siebente deutsche Geographentag. 

Von Dr. W. Wolkenhaner. 

Die seit 1881 jährlich wiederkehrende Wanderversammlung 
deutscher Geographen, Kartographen und Freunde der Geographie 
fand in diesem Jahre in der badischen Hauptstadt Karlsruhe statt, 
und zwar gewohnterweise in der Osterwoche, vom 14. bis 17. April. 
An den beiden Tagen vorher hatte die Deutsche meteorologische 
Gesellschaft ebenfalls ihre jährliche Hauptversammlung in Karlsruhe 
abgehalten uud eine gröfsere Anzahl der Besucher dieser nahmen 
nun auch erfreulicherweise am Geographentage teil, wodurch der- 
selbe noch an Bedeutung und Interesse gewann. Einen besonderen 
Glanz erhielt die diesjährige Versainmluug durch die lebhafte Teil- 
nahme des Grofsherzogs Friedrich und der Grofsherzogin Luise von 
Baden, welche bereits am Tage vor Eröffnung der Verhandlungen 
die auch diesmal mit dem Geographentag verbundene Fachausstellung 
besuchten und am zweiten und dritten Sitzungstage den Geographeu- 
tag durch ihren längeren Besuch ehrten; auch mehrere Minister, 
andre hohe Staatsbeamten und Offiziere wohnten vielfach den Ver- 
handlungen bei. Da die Bedeutung der geographischen Wissen- 
schaft bei uns in Deutschland in manchen Kreisen noch nicht in 


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dem Mafse gewürdigt wird, wie sie es verdient, so kann es für 
jeden Geographen nur erfreulich sein, weun Hochstehende derselben 
ein lebhaftes Interesse entgegenbringen. Von den drei badischen 
Hochschulen, den Universitäten Frei bürg, Heidelberg und der tech- 
nischen Hochschule in Karlsruhe hat nur die erstere, und diese 
auch erst in jüngster Zeit, einen Dozenten für die Geographie er- 
halten; vielleicht darf man da an den Karlsruher Geographentag 
die Hoffnung für eine fortschreitende Entwickelung des geographischen 
Studiums in Baden knüpfen. 

Ein Vorbereitungsausschul's unter der Leitung des Geheimrats 
Dr. Hardeck, des derzeitigen Vorsitzenden der badischen geo- 
graphischen Gesellschaft, hatte mit grofser Umsicht und Aufopferung 
dafür Sorge getragen, den Verlauf der Versammlung, die in den 
Räumen der technischen Hochschule tagte, so günstig als möglich 
zu gestalten. Zu bedauern bleibt nur, dafs die Bekanntmachung des 
Programms diesmal ganz besonders spät erfolgte ; dieser Umstand 
hat, neben dem- in der Osterwoche eintretenden unfreundlichen 
"Wetter jedenfalls die geringere Teilnahme aus den entfernteren 
Teilen des deutschen Reichs zur Folge gehabt. Immerhin war der 
Besuch ein regerer als voriges Jahr in dem günstiger gelegenen 
Dresden. Die Gesamtzahl der Teilnehmer belief sich nach der 
Präsenzliste auf 404 ; die Mehrzahl, allerdings einen gröfseren Prozent- 
satz als früher, stellte natürlich der Versammlungsort, Karlsruhe, 
selbst, nämlich 311 ; 93 waren von Aufsen gekommen, und zwar 22 
aus Baden aufser Karlsruhe, 6 aus Elsafs, nur 3 aus Württemberg, 
2 aus der Pfalz, 5 aus dem übrigen Bayern, 40 aus den norddeutschen 
Staaten, zum Teil aus nicht geringer Ferne; so waren Königsberg, 
Stettin, Lübeck, Hamburg, Bremen und Hannover vertreten. Auch 
das Ausland hatte wie zu den vorhergehenden Geographentagen eine 
Anzahl Teilnehmer gesandt; die Schweiz 5, Österreich 7, Frankreich, 
Holland, Rufsland je einen. Die grofse Mehrzahl der auswärtigen 
Teilnehmer waren Universitätsprofessoren, Lehrer an höheren Schulen, 
Kartographen und Inhaber kartographischer Anstalten oder geo- 
graphischer Verlagsbuchhandlungen, von deutschen Reisenden waren 
diesmal leider nur wenige erschienen : Professor Rein, Paul Reichard, der 
Österreicher E. Glaser, Hugo Zöller und Missionsinspektor Büttner. 
Obgleich die meisten deutschen geographischen Gesellschaften zu 
den „ständigen Mitgliedern“ des Geographentags gehören, so hatten 
dieselben doch nur wenige Vertreter gesandt, nur Bremen, Halle 
und Jena waren offiziell vertreten; lebhaft zu wünschen bleibt aber, 
dafs jede Gesellschaft ihr Interesse an der Fortentwickelung der Geo- 
graphentage durch Absendung eines Vertreters bethätigt; die fran- 

Geogr. Blätter. Bremen, 1887. 


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zösisehen Congr&s nationaux de Geographie können 11 ns da als 
rühmliches Vorbild dienen. 

An den drei Yersammlungstagen, 14. bis 16. April, wurden in 
5 Sitzungen 16 Vorträge gehalten, an drei derselben knüpfte sich 
diesmal eine Diskussion. Die Gegenstände der Verhandlungen be- 
wegten sich im wesentlichen um vier Fragen: um die antarktische 
Forschung, um die Afrikaforschung, um die deutsche Landeskunde 
und um die Schulgeographie. Da sowohl durch die Zeitungen als 
durch einzelne Fachblätter bereits mehr oder weniger ausführliche 
Berichte über die Vorträge gegeben sind, so beschränke ich mich, 
um nicht zu wiederholen, auf die folgenden Bemerkungen. 

Geh. Admiralitätsrat Dr. dVenmayer-Hambnrg berichtete über 
den Stand der antarktischen Forschung und konnte mit einem ge- 
wissen Stolze darauf hinweisen, dafs die seit einer Reihe vou Jahren 
von den deutschen Geographentagen gegebenen Anregungen, die 
Erforschung der antarktischen Gebiete in deu Vordergrund des 
Interesses zu bringen, jetzt beginnen, gute Früchte zu tragen; 
denn einerseits macht sich eine rege Thätigkeit auf literarischem 
Gebiete geltend, wohin die hervorragende Arbeit Dr. II. Reiters 
in Freiburg, die Forschungen Creaks, Adjunkten der britischen 
Admiralität und John Murrays, welcher an der Challenger-Expedition 
teilgeuommen habe, gehören, sodann aber sei auch die Entsendung 
einer Expedition wesentlich dadurch in nähere Aussicht gestellt, 
dafs die australischen Kolonien in Gemeinschaft mit der britischen 
Regierung die Sache in die Hand nehmen wollten. 

Dr. -EscAenAat/en-Hamburg knüpfte an diese Ausführungen Mit- 
teilungen über die Resultate der erdmagnetischen Forschungen auf 
den internationalen Polarstationen und bezeiclmete näher die Richtung, 
in welcher die erdmagnetischen Forschungen fortgesetzt werden 
müfsten. 

Der Afrikaforschung, die noch immer im Vordergründe des 
allgemeinen geographischen Interesse steht, waren vier Vorträge 
gewidmet. Professor .ft«» -Bonn eröffnete dieselbe mit einer 
Schilderung der geographischen und wirtschaftlichen Verhältnisse 
von Marokko, das er 1872 selbst bereist hat; Paul Jieichard 
sprach über seine auf fünfjähriger Reise in Ostafrika gesammelten 
Beobachtungen über Klima, geologischen Aufbau, Pflanzen- und Tier- 
welt und die Einwohner, Missionsinspektor Büttner schilderte aus 
eigener Anschauung das Nama- und Damaraland und Hugo Zoller 
berichtete in eingehender und fesselnder Weise über die Erfolge in 
der Erforschung von Togoland und Kamerun. 


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Von besonderem Interesse waren die diesmaligen Vorträge 
über die deutsche Landeskuude. Professor Jordan-Hannover entwarf 
zunächst ein Bild der geschichtlichen Entwickelung der deutschen 
Landesvermessungen, schiderte den heutigen Stand derselben und gab 
am Schlufs der Hoffnung Ausdruck, dafs die bis jetzt noch zerstreuten 
Landesvermessungsarbeiten unsres Vaterlandes einmal in einer Ceu- 
tralstelle des deutschen Reiches ihre Zusammenfassung und einheit- 
liche Leitung finden. Die beiden Vorträge von Baudirektor Honsett- 
lvarlsruhe über den natürlicheu Strombau des Oberrheines und von 
Professor Got/tein-Karlsruhe über die Naturbedingungen der kultur- 
geschichtlichen Entwickelung im Rheinthal und im Schwarzwald 
zeigten recht augenscheinlich, welch reiches Arbeitsgebiet der wissen- 
schaftlichen Landeskunde noch im eigenen Vaterlande harrt. Während 
der erste Redner die allmähliche Entstehung und Entwickelung der 
oberrheinischen Tiefebene aus dem ursprünglichen grofsen Binnensee 
und an der Hand vorzüglicher Spezialkarten die Bildung und Fort- 
entwickelung des Rheinbettes auf der Strecke vom Bodensee bis 
Bingen bis zur grofsen Eindämmung des Stromes in diesem Jahr- 
hundert darlegte, führte der zweite Redner mit meisterhafter An- 
schaulichkeit aus, wie zuerst die Besiedelung und Urbarmachung 
des fruchtbaren Hügellandes zwischen Schwarzwald und Rheinebene 
vor sich ging, wie dann später der sandige Streifen auf beiden 
Seiten des Rheinstromes, welcher noch heute gröfstenteils von Wal- 
dungeu, die den Namen Hardt führen, bedeckt ist, und noch viel 
später die Hochfläche des Schwarzwaldes besiedelt wurde. Den all- 
jährlichen Bericht über die Thätigkeit der „Centralkommission für 
wissenschaftliche Laudeskunde von Deutschland“ stattete Professor 
Kirchhof ab. Die Arbeiten derselben haben hiernach im letzten 
Jahre infolge erfreulicher Unterstützung des preufsischen Kultus- 
ministeriums einen ebenso ungestörten als finanziell gesicherten 
Verlauf genommen. Zimächst gelangte das „Verzeichnis von For- 
schern in wissenschaftlicher Landes- und Volkskunde Mitteleuropas“ 
zur Ausgabe, welches durch seine Anführung von mehr als dritthalb- 
tausend Gelehrten möglich macht, sich rasch über die auf irgend 
einem einschlägigen Untersuchungsgebiete vorhandene Genossenschaft 
Gleichstrebender zu orientieren, um ihren Rat oder ihre Mitarbeit 
in Anspruch zu nehmen. In ununterbrochenem Fortgange sind die 
bibliographischen Zusammenstellungen zur Landes- und Volkskunde 
von Mitteleuropa. Professor Ratzel ist mit einer umfangreichen Arbeit 
über die Schneedecke der deutschen Gebirge beschäftigt, zu der das 
Material teilweise durch zahlreich verschickte Fragebogen bezüglich der 
in ganz Deutschland gemachten Beobachtungen herbeigesucht ist. Von 

ll* 


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den „Forschungen“ ist der erste Band abgeschlossen und bereits das 
erste Heft des H. Bandes erschienen; von der „Bibliothek zur 
deutschen Landes- und Volkskunde“ wird in Kürze der erste Band: 
Die Geologie von Deutschland, bearbeitet von Professor Lepsius, aus- 
gegeben werden. Ein weiterer Plan betrifft die Herstellung einer 
„Anleitung zur Landes- und Volksforschung iin anfseralpinen 
Deutschland“. 

Auf die Schulgeographie fielen diesmal fünf Vorträge, mehr 
wie jemals zuvor. Professor A. Stäuber (Augsburg) skizzierte 
den Inhalt seiner Arbeit „über die Förderung des geographischen 
Studiums und Unterrichts“, für welche ihm kürzlich in internationaler 
Wettbewerbung der vom König von Belgien ausgesetzte Preis von 
20 000 M. zuerkannt wurde. Schulamtskandidat W. Krebs (Altona) 
behandelte das geographische Zeichnen, fand aber gegen seine Aus- 
führungen heftigen Widerspruch. Der Vortrag des Oberlehrers 
0. Perthes (Bielefeld) über die Notwendigkeit eines einheitlichen 
Atlasses in den Händen der Schüler einer Klasse veranlafste den 
Geographentag zu einer dem Vortrage zustimmenden Resolution, 
welche den Ministerien und obersten Schulbehörden zur Kenntnis 
gebracht werden soll. Dieselbe lautet: „Der deutsche Geographentag 
hält es aus inneren Gründen für unstatthaft, dafs dem geographischen 
Unterricht in einer und derselben Klasse verschiedene Atlanten 
zu Grunde gelegt werden.“ Reallehrer A. Mang (Baden-Baden) sprach 
über die Erweckung des allgemeinen Verständnisses für die astro- 
nomische Geographie und Professor Schmidt (Wien) erklärte das 
von ihm konstruierte Tellurium und den Foucaultschen Pendel- 
versuchapparat. 

Schliefslich erwähne ich noch des anregenden Vortrags von 
Dr. A. Böhm (Wien) „über Gebirgsgruppierung“. Der Redner 
kritisiert die bisher meistens übliche Gruppierung von Gebirgen 
nach den Wasserscheiden, weil dadurch Berge zusammengebracht 
würden, welche ihrem ganzen Aufbau nach nicht zueinander gehören, 
und andre wirklich zu einander gehörende durch Zufälligkeiten 
getrennt würden. Er befürworte die Gruppierung nach dem geologisch- 
oroplastischen Charakter; nur diejenigen Gebirgsglieder seien zu 
einer Gruppe zu vereinigen, welche in Gestalt, Höhe, Material, 
Aufbau und Anordnung Beziehungen und Ähnlichkeit erkennen lassen. 
Hierdurch werde vielleicht zwar ein etwas bunteres Bild erreicht 
werden, als das nach den Flufsgrenzen entworfene; allein dasselbe 
werde auch ein entschieden naturgetreueres sein und der Geograph 
dürfe nicht Einfachheit verlangen, wo sie die Natur selbst nicht 
habe. Eine nach diesen Grundsätzen ausgeführte Gebirgsgruppierung 


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für die Ostalpeu legte der Vortragende vor; dieselbe wird dem- 
nächst im Druck erscheinen. 

Dem seitherigen Gebrauch folgend, war auch diesmal mit dem 
Geographentag eine Ausstellung verbunden, die des Interessanten 
und Lehrreichen in Menge bot. In fünf Sälen und zwei Durch- 
gangszimmern war dieselbe, soweit möglich, systematisch angeordnet; 
sie gliederte sich in der Hauptsache in eine historische, eine topo- 
graphische, eine ethnographische und eine pflanzengeographische 
Abteilung; eine fünfte umfal'ste neuere geographische Verlagsartikel, 
Reisewerke, Atlanten, Wandkarten und andre Unterrichtsmittel und 
Gegenstände geophysikalischer Natur. Bei der Fülle des Stoffes ist 
es nur möglich, auf einzelnes hinzuweisen. Die historische Abteilung 
bot aus dem Privatbesitz des Grofsherzogs, aus der grofsherzog- 
lichen Hof- und Landesbibliothek und andern Sammlungen des 
Landes eine reiche Auswahl von Karten, Plänen, Ansichten; ferner 
kosmographische und Reisewerke, durch welche die Geschichte der 
Erd- und Völkerkunde und insbesondere die Entwickelung der 
Kartographie veranschaulicht wurde. So war das Altertum nament- 
lich durch die Tabula Peutingeriana, das Mittelalter durch mehrere 
Ausgaben des Ptolemäus vertreten. Der Stadtrat von Karlsruhe 
stellte die Entwickelung dieser Stadt seit ihrer im Jahre 1715 er- 
folgten Gründung durch den Markgrafen Karl Wilhelm bis auf die 
Gegenwart in 58 prächtigen Karten und Plänen aus; ebenso be- 
teiligten sich die Stadträte von Mannheim, Freiburg, Konstanz u. a. 
Der Grofsherzog überliefs der Ausstellung vier riesige Erd- und 
Himmelsgloben aus dem 17. und 18. Jahrhundert. In der topo- 
graphischen Abteilung fielen dein Besucher zunächst eine Reihe von 
prächtigen Reliefs über Baden uud die Schweiz in die Augen. 
Eine Reihe von 49 Farbdruckblättern, den Lauf des Rheins von 
seinem Austritt aus der Schweiz bis zur deutsch-niederländischen 
Grenze im Mafsstabe von 1 : 20 000 darstellend, bedeckten die eine 
Wand des Saales. Das Statistische Landesamt von Württemberg 
hatte eine vollständige Sammlung der auf die württembergische 
Landeskunde bezüglichen Arbeiten ausgestellt, die den ganzen Ent- 
wickelungsgang der Landeskunde in Württemberg repräsentierte. 
Auch die bekannte Dufoursche Karte der Schweiz fehlte hier nicht. 
Viele Besucher der beiden ersten Abteilungen werden mit dem Bericht- 
erstatter nur lebhaft bedauern, dafs ihnen zur eingehenden Be- 
trachtung der hier aufgestapelten Schätze leider die Zeit fehlte. 

Für die ethnographische Abteilung hatten eine gröfsere Zahl 
von Reisenden ihre Privatsammlungen zur Verfügung gestellt, so 
Dr. W. Joest seine ostafrikanische Sammlung, Paul Reichard zahl- 


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reiche Aquarellskizzen, der Maler Hellgrewe Ölskizzen, Assessor 
Lucas seine Trophäensammlung aus Ostafrika. Die Firma Jantzen 
& Thormählen (Hamburg) hatte Industrieerzeugnisse aus Westafrika, 
Missionsinspektor Büttner eine interessante Sammlung von Ge- 
genständen aus dem Herero- und Namalande ansgestellt. Von 
deu Stationen der Deutsch - Ostafrikauischen Gesellschaft waren 
Proben von Reis, Bohnen, Durra, Sesam, Tabak und Baumwolle 
vorgelegt ; auch Kamerun war durch mancherlei Produkte vertreten. 
Von Asien waren besonders China, Japan und Siam durch eine reiche 
Sammlung von Erzeugnissen der Kunstiudustrie zur Anschauung 
gebracht. Australien ward durch unsres Dr. 0. Finsch treffliche 
Aquarelle von Neu-Guiuea illustriert; von demselben waren auch 
sehr vorzügliche Gesichtsmasken ausgestellt, welche die Aufmerk- 
samkeit der Besucher vielfach auf sich zogen. Die pflanzeugeo- 
graphische Abteilung, die von dem botanischen Institut der Grofs- 
herzoglichen technischen Hochschule ausgestellt wurde, bot Drogueu 
aller Länder, vorzugsweise Produkte unsrer überseeischen Kolonien, 
reichhaltige Kollektionen von Kaffeesorten, Tabaken, Rhabarber, 
Cacao, Chinarinde, Kork u. a. 

Die fünfte Abteilung umfafste die Wandkarten und Atlanteu 
unsrer kartographischen Institute von Perthes, Reimer, Ilölzel, 
Wagner, Debes, Fischer, Bamberg; die neue ethnographische Karte 
von Asien und die prächtige Alpenkarte von Vincenz vom Hardt 
(Holzels Verlag), sowie die Habenichtsche Karte von Afrika und 
die Höhenschichtenkarte von Deutschland (J. Perthes Verlag) fielen 
besonders in die Augen, nicht minder die vorzüglichen geographischen 
Charakterbilder von Holzel. Lange Tische waren bedeckt mit den 
geographischen Verlagsartikeln von Brockhaus, Hirt, Fues (R. Rci- 
chard) u. v. a. — kurz, der Saal bot ein anschauliches und zugleich 
hocherfreuliches Bild der den deutschen Schulen zur Verfügung 
stehenden Lehrmittel auf geographischem Gebiet. 

Zur Erleichterung und Anbahnung des persönlichen Verkehrs 
der Besucher der Versammlung untereinander hatte der Ortsauschufs 
die bei den vorhergehenden Geographentagen üblichen Veranstaltungen 
getroffen. Für den Sonnabendnachmittag hatte die Stadt Karlsruhe 
die Teilnehmer zu einer Besichtigung des städtischen Entwässerungs- 
kanals und zur Fahrt an deii Rhein eingeladen und am Abend ver- 
anstaltete sie zu Ehren derselben ein Bankett im grofsen Saale der 
städtischen Festhalle. Professor Kirchhoffs Dank im Namen der 
Gäste an Karlsruhe, „die jugendliche Stadt auf dem jugendlichen 
Boden des einstigen Rheinsees“, welche durch den siebenten Geo- 
graphentag die „böse Sieben“ in eine gute verwandelt habe, fand bei 
allen Teilnehmern vollste Zustimmung. 


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So hat sich denn der 7. deutsche Geographeutag nach jeder 
Seite hin seinen Vorgängern in Berlin, Halle, Frankfurt a. M., 
München, Hamburg und Dresden würdig an die Seite gestellt, die 
Stadt Karlsruhe kann mit Genugthuung auf denselben zurückblicken 
und den Teilnehmern werden die anregenden und schönen Tage 
uoch lange eine angenehme Erinnerung bleiben. 




Kleinere Mitteilungen. 

§ Aas der Geographischen Gesellschaft in Bremen, ln den Tagen vom 
20. April bis 7. Mai d. J. veranstaltete nnsre Gesellschaft wiederum in Bremen und 
zwar im Saale der Börsenhalle, eine Ansstellung (die fünfte): dieselbe war der 
vergleichenden Völkerkunde der westlichen Südsee, besonders der 
deutschen Schutzgebiete gewidmet und enthielt lediglich die von unsrem 
EhrenmitgUede Herrn Dr. 0. F i n s c h auf seinen Reisen in der Südseo gemachten 
reichen Sammlungen, soweit solche nicht bereits in den Besitz des Königlichen 
Museums für Völkerkunde in Berlin übergegangen sind. Ober den Inhalt der 
Ausstellung giebt der 25 Seiten starke Katalog Auskunft, welcher den die Aus- 
stellung besuchenden Hiesigen im Ansstellungslokale behändigt wurde und für 
die auswärtigen Mitglieder und Freunde der Gesellschaft, sowie für die geehrten 
Abonnenten der Zeitschrift dieser Nummer beigelegt ist. Die Ausstellung war 
in folgenden Abteilungen geordnet: Werkzeuge und Gerätschaften, Hausbau, 
Ackergeräte, Haus- und Kochgeräte, Töpferei , Kochkunst , Korbflechterei , 
Tauwerk, Bindfaden und Material dazu, Strickarbeiten, Fischerei und Gerät- 
schaften dazu, Fahrzeuge, Flechtarbeiten, Weberei, Bekleidung, Schmuck und 
Zierrat, prähistorische Funde, Musikinstrumente, Tanzgerätschaften, Idole, Talis- 
mane und dergleichen, Waffen und Wehr, endlich Handelsprodukte der west- 
lichen Südsec. Über Bedeutung und Wert der Ausstellung verbreitete sich ein 
von unserm Vorstandsmitglieds Herrn Dr. Opp el gehaltener Vortrag, dessen 
Inhalt weiter unten etwas näher charakterisiert wird. Die Gesellschaft ist ihrem 
Ehrenmitgliede Herrn Dr. Otto Finsch in hohem Mafse za Dank verpflichtet, 
einmal für die Bereitwilligkeit zur Ausstellung seiner wertvollen Sammlungen, 
sodann für die grofse Mühe und Aufopferung, mit welcher er die ganze Arbeit 
der Aufstellung der zahlreichen Gegenstände, sowie der Katalogisierung derselben, 
auf sich genommen hatte. Wir haben selten eine Ausstellung dieser Art ge- 
sehen, welche so wie diese trefflich geordnet den Zweck der Belehrung in vollem 
Mafse zur Geltung brachte. Die in der Tagespresse veröffentlichten Berichte 
waren denn auch einstimmig in anerkennenden Urteilen. Leider war die Aus- 
stellung nicht so zahlreich besucht, wie man hätte erwarten sollen. Die Auf- 
merksamkeit des in der Zahl immerhin beschränkten Publikums, auf dessen 
Teilnahme man in Bremen überhaupt für solche Ausstellungen rechnen kann, 
war leider geteilt, denn es fanden zur selben Zeit eine historische Ausstellung 
im Rathause und sodann ein Bazar zum Besten der Errichtung einer Schwimm- 
halle statt. Im ganzen wurde die Ausstellung von 864 Personen (627 Erwachsene 
mid 237 Schüler) besucht. Der Eintrittspreis war, um jedermann Gelegenlir 


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znm Besuch zu geben, nur 50 die Person. Da nun Saalmiete, Aufsicht, Druck 
des Katalogs, sowie die täglichen Anzeigen in den öffentlichen Blättern nicht unerheb- 
liche Ausgaben erforderten, so sind leider die Einnahmen hinter den Ausgaben 
um 410 »ff 60 /3) zurückgeblieben, welcher Fehlbetrag aus der Kasse der Gesell- 
schaft zu bestreiten ist. Immerhin hat die letztere wiederum durch diese schöne 
Ausstellung einen thatkräftigen Beweis geliefert, dafs sie ihre durch das Statut 
gestellte Aufgabe der Verbreitung von Kenntnissen der Länder- und Völkerkunde 
unausgesetzt im Auge behält und dafür wirkt, soweit es ihre durch die beschränkte 
Zahl der Mitglieder leider geringen Mittel nur irgend erlauben. 

Die am 2. Mai im roten Saale der Union stattgehabte Versammlung der 
Gesellschaft war nur schwach besucht. Zunächst sprach Herr Dr. 0 p p e 1 über 
die gegenwärtig von der Gesellschaft aus den Sammlungen des Herrn Dr. Finsch 
veranstaltete Südseeausstellung. Die letztere, so führte der Redner aus, habe 
einen nationalen und einen wissenschaftlichen Wert, den ersteren insofern, als 
sie die Einwohner deutscher Schutzgebiete genau darstelle. Nach der wissen- 
schaftlichen Seite hin seien zwei Gesichtspunkte mafsgebend : einmal die Körper- 
beschaffenheit und Abstammung, sodann die Lebensformen und Lebensäufserungen, 
die gesamte Kultur der Völker. Was die Körperbeschaffenheit betrifft, so führte 
der Redner aus, dafs Dr. Finsch durch seine anthropologischen Studien, 
Messungen, Gipsabgüsse von Köpfen u. a. in die bis dahin ziemlich verworrenen 
ethnologischen Verhältnisse der Inselwelt von Australien Klarheit gebracht habe. 
Er betonte den Unterschied zwischen Melanesiern oder Papuanen und Ozcaniern. 
Der Einblick in die Lebensbedingungen dieser bisher noch in der Steinzeit 
lebenden Naturvölker sei nicht blos an sich, sondern auch wegen der Aufschlüsse 
interessant, welche wir dadurch für unsre sogenannte prähistorische Zeit, für 
das Leben der europäischen Pfahlbaubewohner gewinnen. Sodann ging der 
Redner, in Erinnerung an die zahlreichen Gegenstände der Ausstellung, näher 
auf die gewerbliche Kunstfertigkeit der Melanesier ein ; dieselbe habe sich bisher 
noch in ihrer Ursprünglichkeit erhalten, während die Ozeanier mehr und mehr 
sich die notwendigen Bedarfsgegenstände an Geräten und Werkzeugen durch 
Tausch von den Europäern verschaffen. Auch in der besonders bei den Neu- 
seeländern ansgebildeten Kunst des Tättowierens bekunde sich die Neigung zu 
Zierrat und Ausschmückung. Die Bedürfnislosigkeit, das warme Klima, der 
fruchtbare Boden bedingen es, dafs die Arbeiten sich auf ein geringes Mafs, in 
der Fischerei, der Jagd und der Bodenkultur mit Bäumen und Knollengewächsen, 
beschränken. Mit dem Ausdruck der Anerkennung für Dr. Finsch, der durch 
seine mit so viel Talent und Ausdauer durchgeführten Sammlungen und 
Beobachtungen der Wissenschaft einen grofsen Dienst erwiesen und mit dem 
Wunsche, dafs die nur noch wenige Tage währende Ausstellung vom Bremer 
Publikum mehr wie bisher gewürdigt werden möge, schlofs der Redner seine 
Mitteilungen. 

Sodann hielt Herr Ministerresident z. D. Dr. Schumacher einen Vortrag 
über die amerikanischen Studien von J. G. Kohl (f 28. Oktober 1878), 
welche in dessen Biographien, z. B. in denen von H. Bulthaupt und W. Wolken- 
hauer, noch nicht die volle Beachtung gefunden haben, die sie zu verdienen 
scheinen. Aus dem litterarischeu Nachlafs, der bei der Geographischen Gesellschaft 
hinterlegt ist, waren Karten in reicher Menge ausgehängt, teils Handzeichnungen, 
teils edierte Urkunden, teils als Illustrationen von Schriften verwandte Blätter, 
aufserdem auch einer von Kohls eigenen Kartenentwürfen : der zur Entdeckungs- 
4 es Golfstromes. Der Vortrag schilderte die Umstände, unter denen Kohl 



157 


1853 die bisher mit ziemlichem Erfolg betriebene Reiseschriftstellerei und auch 
die Anfänge seiner wissenschaftlichen Geographie aufgab und sich plötzlich dem 
Geschichtsstadium zuwaudle, besonders angeregt durch den ersten Band der 
Veröffentlichungen der Londoner Hakluyt-Society. Zu dem grofsartig angelegten, 
aber inhaltlich unbedeutenden Werke über die Entdeckung der neuen Welt von 
Columbus bis zur Gegenwart kam sehr bald nicht blos eine Reihe von Vor- 
lesungen in Dresden und Berlin, sondern auch eine Sammlung alter Karten in 
Gotha, Weimar, München u. a. 0. Diese Kollektion wurde bald die Liebhaberei 
von Kohl, obwohl er meist nur den antiquarischen Wert zu schätzen Vorstand, 
keineswegs immer den eigentlich historischen, da ihm die nötigen mathematischen 
und nautischen Kenntnisse fehlten. „In der Hoffnung, dafs ihm einmal in 
Amerika etwas gelingen werde“, begab sich Kohl 1854 nach Paris und London* 
wo er, der liebenswürdige Reiseschriftsteller, schon zahlreiche Freunde besafs, 
und ebenso ausgedehnte wie glückliche Archivstudien machte. Dann ging’s nach 
den Vereinigten Staaten, wo sowohl das Geschichtswerk als auch die Karten- 
sammlung verwertet werden sollte. Das erste mifsglückte, dagegen fanden sich 
zu Washington in Alexander Dal las Bache, dem Chef des Küstcnvermessungs- 
amtes, und in Joseph Henry, dem Vorsteher der Smitlisonian-Institution, Personen, 
welche sehr bald für die Kartcnsammlung sich interessierten, auf welche Kohl 
die Aufmerksamkeit durch eine Menge kleiner Vorträge und Artikel zu lenken 
verstand, welche zum Teil recht wertvoll sind, besser als die früheren und auch 
als die späteren. Bald nachdem er von längeren, an den cauadischcn Seen und 
im Mississippithalc ausgeführten Reisen nach Washington zurückgekehrt war, 
bewilligte ihm der Kongrefs GOOO Dollar, um Kopien der Kartensammlung an- 
fertigen zu lassen. 

Während dieser Kopierung von 474 Blättern, die im vorigen Jahre von 
Justin Winsor in wissenschaftlicher Weise katalogisiert worden sind, verlor sich 
Kohl immer mehr in den Gedanken, dafs die alten Karten geeignete Illustrationen 
zu modernen Geschichtsdarstellungen abgäben. Aufserdem gedachte er seine 
historischen Studien, seine Kartenpausen und die neuen Aufnahmen des Küsten- 
vermessungsamtes zu einem grofsen Werke zu verarbeiten, welches die See- 
küsten der Vereinigten Staaten in 4 Bänden darstellen sollte; er behandelte zuerst 
die Westküste, dann die Südküste und endlich, namentlich in Haward College 
bei Boston, die überaus reich gegliederte Ostküste, die ihm, wie die Karten- 
manuskripte noch heute beweisen, viele Schwierigkeiten bereitete, aber auch 
manche gute Erfolge einbrachtc. 

Die Krisis von 1857 vereitelte die Herausgabe dieses Werkes, in welchem 
Kohl alles nicdergelegt. hatte, was er über die Küstenlande der Vereinigten 
Staaten gelesen, gehört oder gedacht hatte; die Routen der verschiedenen See- 
fahrten, Landexpeditionen, die Ermittelung der Strömungen, Buchten und Flufs- 
mündungen, die neue Namengebung und die alten Indianerbenennungon, die 
Entwickelung der Hafenstädte u. a. Im Juni 1858 kam Kohl mit einem Teil 
dieses Manuskriptes nach seiner Vaterstadt, in welcher er allmählich sefshaft 
wurde, obwohl er von ihr von 1830 bis 1858 abwesend gewesen war. Er gab 
nun als Krönung seines Kartenstndiums die beiden ältesten Generalkarten von 
Amerika, die in Weimar aufbewahrten von 1527 und 1529, heraus: ein Pracht- 
werk, welches als Urkundenedition den Werken von Jomard, Kunstmann n. a. 
ebenbürtig ist, aber doch in der Behandlung als Geschichtsquelle die Schwächen 
Kohlscher Arbeitsweise hervortreten liifst. Zn gleicher Zeit gestaltete Kohl 
seine schon veraltete Dresdener Geschichte der Entdeckung von Amerika zu 


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Vorlesungen um, die er im Bremer Museum hielt und dann drucken liefs, mit 
einigen sehr anerkennenswerten Ausnahmen unbedeutende Sachen, welche 
zeigten, dafs keine selbständige Forschung, sondern nur emsige Lektüre zu 
Grunde lag. 

In der That waren die amerikanischen Studien mit dem Jahre 1863 zu 
Ende; allein es war Kohl vergönnt, aus den in Amerika begonnenen Arbeiten 
erhebliche Stücke noch nachträglich zur Veröffentlichung zu bringen, z. B. die 
Geschichte der Entdeckung der Ostküste der Vereinigten Staaten und die der 
Fahrten nach der Magelhaensstrafse ; die Reisen nach dem höchsten Norden 
Amerikas sind stückweise veröffentlicht, aber ganz im Zusammenhang beschrieben 
worden; für eine Schrift über die grofsen Binnenseen Nordamerikas sind nur 
die Karten druckfertig gestellt. 

Der Vortrag, dessen reiche Details hier nur angedeutet werden können, 
wird in einem späteren Hefte der Geographischen Blätter abgedruckt werden. 
Derselbe ging auch auf verschiedene der vorgelegten Handzeichnungen näher 
ein, unter denen die den Golfstrom darstellende von Benjamin Franklin und 
die Walther Raleigh zugeschriebene vom Orinoko besonderes Interesse erregten. 
Obwohl sachliche Kritik keineswegs gespart wurde, traten doch auch immer 
die vortrefflichen Seiten des arbeitseligen Mannes hervor, dessen Name in den 
Vereinigten Staaten einen noch gröfseren Ruf hat, als bei uns in Deutschland. 
Unsre Geographische Gesellschaft wird nun mehr als bislang die Aufgabe zu 
erfüllen suchen, von Kohls amerikanischen Arbeiten die wertvolleren, die meist 
zerstreut, ja geradezu versteckt sind, unsrer Zeit wieder ins Gedächtnis zu 
rufen, wie Justin Winsor dies im vorigen Jahre mit der Kohlschen Kartcn- 
sammlung auf so anerkennenswerte Weise gethan hat 


Vom Niger-Benue. Anknüpfend an meinen Artikel „Vom Niger-Benuc- 
Gcbiet und seinen Handelsverhältnissen“ in Band IX, Heft 4 der 
„Deutschen Geographischen Blätter“ und zur näheren Erklärung und dein 
besseren Verständnis des daselbst Gesagten erlaube ich mir noch nachstehend 
über die nunmehr zum Teil veränderten Verhältnisse einiges zu be- 
merken. Vieles davon verdanke ich dem im Januar zurückgekehrten wackeren 
Führer unsrer — leider überaus kleinen und für den Benue viel zu tief 
gehenden — Dampfbarkasse,*) Herrn Thiel. Die Barkasse ist, wie ich bemerken 
will, der englischen Mission in Brafs verkauft worden. Die Engländer betrachten 
bekanntlich seit dem Sommer 1886, in welchem die „national African Company“ 
die royal charter bekam, den unteren Niger und Benne als ihren Besitz. Die 
Company nannte sich von nun ab „Niger-company“ und setzte aufserordentlich 
hohe Zölle fest. Mit einigen Ortschaften am Niger kam es zum Kriege. 
Englische Kriegsschiffe fuhren den Niger hinauf, mehrere gröfsere und kleinere 
Ortschaften wurden beschossen, einige dem Erdboden gleich gemacht. Eine 
derbe Züchtigung erfuhren namentlich die Anwohner des Wari-creek. Auf 


*) Es sei hier darauf aufmerksam gemacht, dafs der Benue zur 
trockenen Zeit auf weite Strecken nur höchstens zwei Fufs 
Wasser hat, dafs aber der höchste Wasserstand um 20 bis 30, ja zuweilen 
bis 40 Fufs höher ist. Für Böte von sechs Fufs Tiefgang ist der Benue vom Juni 
bis Oktober schiffbar. Schiffe bedeutenden Tiefgangs können etwa von Ende 
Juli bis Oktober (Mitte) fahren. Die Regenmenge in den verschiedenen Jahren 
und somit die Wassertiefe der Ströme ist eine sehr verschiedene. E. H. 


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englischer Seite sollen nur Verwundungen vorgekomincn sein. Ebenfalls am 
Benne wurde furchtbar Gericht gehalten. Schiffe der Niger-company zerstörten 
die Orte der Muntsclii-Neger, mehrere Häuptlinge wurden erschossen — eine 
jedenfalls sehr angebrachte Strafe für die Ermordung des englischen Agenten 
im Jahre 1885(86. — In Onitscha am Niger ist eine Truppenstation eingerichtet, 
die dortigen Faktoreien der Company nach Abutschi konzentriert. Die Einfuhr- 
zölle — für Spirituosen etwa 100 Prozent, wie mir berichtet wurde — sind außer- 
ordentlich hoch, die Einfuhr von Gewehren und Patronen gänzlich verboten. 
Nur für die im oberen Benue den Hauplhandelsartikel bildenden leichten Zeuge 
und Glasperlen u. a. sind die Einfuhrzölle verhältnismäfsig niedrig. Auch Ausfuhr- 
zölle, namentlich für Elfenbein, sind eingeführt, doch nicht unerträglich hoch. 
Überblickt man diese Einrichtungen, so wird ersichtlich, dafs der Handel mit 
Palmöl und dergleichen in den unteren Nigerdistrikten allen Konkurrenten der 
nunmehrigen Niger-company ganz unmöglich gemacht worden ist. Auch der 
Handel der in B ra f s bestehenden englischen Faktoreien andrer Häuser liegt z. Z. 
fast gänzlich brach. Die eingeborenen Brafsleute, die das Ol stromaufwärts 
kauften und nach Brafs hinunterbrachten, sind ihres Erwerbs beraubt und 
befanden sich im Januar 1887 in gröfster Aufregung und Kriegsbereitschaft. 
Nur noch in den oberen Bennegebieten, wo Stoffe und Glasperlen die Haupt- 
handelsprodukte bilden, ist cs möglich für englische tind andre europäische 
Unternehmer, Elfenbein zu erhandeln. Mit allzu geringen Kapitalien dürften 
solche Unternehmungen freilich leicht fehlschlagen, aber Versuche mit einiger- 
maßen erheblichem Kapital mögen immerhin von Erfolg gekrönt sein. Der 
Reichtum an Elfenbein ist noch immer sehr groß und ich kann uur meine auf 
Seite 331 Band IX, Heft 4 ausgesprochenen Worte wiederholen und nochmals 
darauf hinweisen, dafs jene Gebiete noch fast eine terra incognita sind und das 
Pflanzenreich und die Tiefen der Berge in späterer Zeit noch manch ungeahnten 
Reichtum zeigen werden. Zur Beschönigung des ungesunden Klimas im Innern 
wie an der Küste vermag ich freilich keine Loblieder unzustiinmen, aber wir 
lernen mit der Zeit gewiß noch besser den Schädlichkeiten jener Gegenden 
entgegentreten. Ernst Harter t. 

§ l’olarregionen. Die Erforschung der Neu-Sibirischen Inseln 
ist jetzt erfolgt, vor einiger Zeit ist die unter Führung des Dr. Bunge von der 
Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften in St. Petersburg nach den Neu- 
Sibirischen Inseln ausgesandte Expedition zurückgekehrt und wir haben dem- 
nächst einen ausführlichen Bericht zu erwarten. Einige Notizen können schon 
jetzt gegeben werden. Gegen Ende März 1886 brach Dr. Bunge von Kasatschje 
nach Swjätoj Noss auf, von wo die Fahrt über das Eis zu den Inseln in 19 von 
12 Hunden gezogenen Schiitton begann. In der zweiten Hälfte des April kehrten 
die Jakuten mit den Schlitten zurück, die Reise war glücklich ausgeführt. 
Dr. Bunge widmete seine Forschungen zunächst den Ljachow-Inscln, während 
Baron Toll sich nach Kotelnyi und nach Neil-Sibirien begab. Im Mai trafen 
beide Reisende am Südufer der Kessel-Insel (Kotelnyi) zusammen. Die Ljachow- 
Inscln haben ein gleichförmiges schroffes Aussehen. Der Umfang wird auf 300 km 
angegeben. Die Oberfläche ist bergig. Vorwiegend wehen die Winde aus Ost 
und West; besonders heftig sind die Westwinde, sie bringen erst Regen und 
dann Frost. Der Winter währt bis Anfang Juni, aber auch der kurze Sommer 
ist nicht völlig frei von Schnee, Nebel und Stürmen. Große Massen Eises um- 
gaben beständig die Inseln, nur einmal konnte Dr. Bunge eine Seefahrt ohne Eis 


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macheu. Bei klarem Wetter erscheint nördlich von der Kessel-Insel, von letzterer 
etwa 150 km entfernt, Land. Die Aussicht, dieses Land za erreichen, ist insofern 
eine begründete, als ein in einer bestimmten Richtung fiiefsender warmer Strom 
ein Dberfrieren der See hier verhindert. Die höchste auf den Ljachow-Inscln 
beobachtete Temperatur war nur 8 1 ' R. Der Schnee schmolz Anfang Juni und 
um Mitte Juni fand sich die erste Blume. Wilde Rentiere, Wölfe, Eisfüchse, 
Mäuse und verschiedene Arten arktischer Vögel wurden augetroffen, doch nur 
die Maus soll auch den Winter auf den Inseln zubriugen. 

In Amerika beabsichtigt Alexander Mc. , Arthur, ein früherer Beamter 
der Hudsons-Bai-Kompauie eine drei- bis vierjährige Polarreise; zunächst will er 
■yi der Westküste der Hudsons-Bai nach King Williams - Laud eindringen, dort 
überwintern und sodann den Lancaster-Sund kreuzend längs der Westküste 
von North-Devon nordwärts ziehen. Dr. Boas setzt in der amerikanischen Zeit- 
schrift ^Science - auf Grurtd seiner Kenntnis der Verhältnisse auseinander, dafs 
die Passage über den Lancaster-Snnd ihre Schwierigkeiten haben dürfte, da die 
Eskimos diese nur in günstigen Jahren, wenn eine genügende Eisdecke vor- 
handen, mögliche Passage selten unternehmen. — Oberst Gilder war, wie wir 
s. Z. meldeten, im Herbst v. J. nach Fort Churchill an der Hudsons-Bai gegangen, 
um von da zu Schiff zunächst die Nottingham-Insel zu erreichen ; er traf indes 
zu dieser mit einem Fahrzeug der Hudsons-Bai zu unternehmenden Fahrt zu 
spät ein und verbrachte den Winter in Newyork, während sein Gefährte Griffith 
in Forth Churchill zurückblicb. Nach den letzten Nachrichten war Gilder im 
Begriff, wie der zur Hudsons-Bai aufzubrechen. Gilder gedenkt sich den Eskimos 
des Wagerflusses, dieer als Teilnehmer der Schwatka'schen Schlittenreise durch 
King Williams-Land kennen lernte, anzuschliefsen und mit ihnen im Frühjahr 1888 
Iglulik in der Fury- und Hecla-Strafse nnd im Sommer oder Herbst desselben 
Jahres Lancasiter-Snnd zu erreichen. Mit Dr. Boas bedauern wir, dafs Männer, 
die sich die Erforschung unbekannter Regionen zur Aufgabe machen, nicht vor- 
ziehen, sich zu Schiff so weit wie möglich nach Norden bringen zu lassen, um 
dann erst ihre Kräfte zum weiteren Vordringen polwärts einzusetzen, statt die- 
selben schon früher auf Wanderungen durch mehr oder weniger bekannte 
Gegenden in Anspruch zu nehmen. Von diesem Gesichtspunkte wäre die Er- 
forschung des Jones - Sundes eine dankbare nnd bedeutende Aufgabe gewesen. 

Ans Rnfsland wird gemeldet, dafs K. D. Kossiloff, bisher im Dienste des 
Herrn Sibiriakoff zur Erkundung der Wegsamkeit des nördlichen Ural tätig, 
ausgedehnte Untersuchungen anf Nowaja Semlja anstellen will. 

Von Schottland (Peterhead, 22. Februar) schrieb uns Kapitän Gray 
folgendes: Ich gehe nun doch noch wieder auf die Grönlandsfischerei, indessen 
erst im April, nicht wie bisher schon Anfang März. Wir haben nämlich gefunden, 
dafs der Seehundsfang sich nicht mehr lohnt, vielmehr nur der Walfang 
durch die hoch im Preise stehenden Barten. Ich hatte grofsc Lust, den 
Walfang im antarktischen Meere zu versuchen und zwar mit den Dampfern 
-Erik* und ^Eclipse“, ich würde es gethan haben, wenn ich Personen gefunden 
hätte, die willig gewesen wäreu, das Risiko der Hälfte der Kosten des Unter- 
nehmeus zu überuchmeu. Bei einem Fehlschlag würde dann der Schaden für 
mich nicht gar zu grofs gewesen sein, doch ich fand nur wenige bereit, sich auf 
eine, wie sie meinten, so gewagte Sache einzulassen. 

In Dänemark wird die Anssendung einer Expedition nach dem nördlichen 
Teile der Ostküste von Grönland geplant. Die Führung des Schiffes wurde 
Leutnant Hovgaard, bekannt von der „Dymphna^-Expedition, überwiesen und will 


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der Rheder und Grofskaufmann, Herr Gamel in Kopenhagen, die Kosten be- 
streiten. Boi günstigeren Eisverhältnissen als sie die Deutsche Expedition, die 
„Germania“, im Sommer 1870 und 1871 antraf, ist es vielleicht möglich, eine 
höhere Breite zu erreichen, als die „Germania“. Aus den Berichten des 
Kapitän Gray wissen wir, dafs das Grönlandsmeer vor der Ostküste in manchen 
Sommern viel höher nach Norden eisfrei war, als in den genannten Jahren. 

In No. 3, Teil 3, zweite Serie der Zeitschrift der Niederländischen geo- 
graphischen Gesellschaft veröffentlicht M. Buysman einen Aufsatz über Natur, 
Klima und Pflanzenwelt der arktischen Gegenden, besonders von Grönland. 

Der Plan der Aussendung einer von den englisch-australischen Kolonien 
auszurüstenden Süd-Polarexpedition rückt seiner Verwirklichung näher. 
Der bekannte englische Polarreisende Allen Young hat sich zur Führung der 
Expedition erboten. Die Regierung der Kolonie Viktoria ist um Unterstützung 
des Unternehmens angegangen und es wird schon die Aussendung der Expe- 
dition von Melbourne im Oktober oder November d. J. in Aussicht genommen. 

Alaska. Vom Geological Snrvey in Canada wird eine geologische 
Untersuchung des oberen Yukongebict.es geplant, mit deren Leitung 
der durch seine Forschungen in Britisch Columbien rühmliehst bekannte 
George M. Dawson beauftragt ist. Ein Zweig der Expedition soll unter Führung 
von Ogilvy durch das Stakeenthal hinaufgehen, dann über das Felsengebirge 
zum Liardflnfs und nach Überschreitung der Wasserscheide den Pellyfiufs bis 
zu seiner Mündung in den Ynkon bei Fort Selkirk verfolgen, wohin der andre 
Zweig der Expedition auf dem Wege durch den Lynnkanal gelangen soll. Von 
hier aus sollen dann kürzere Forschungsreisen nach verschiedenen Richtungen 
unternommen werden. Ogilvy soll den Winter 1887/88 im Lande bleiben, 
während Dawson noch in diesem Herbste auf dem Wege über den Lynnkanal 
zurückkehren will. („Science“ No. 218) — Das Maiheft der „Proceedings“ der 
Royal Geogr. Society bringt den von Seton Karr in der Sitzung vom 14. März 
gehaltenen Vortrag über die alpinen Gebiete von Alaska. Leutnant 
Seton Karr war in der Absicht nach Amerika gegangen, die Gletschergebiete an 
der Grenze von Britisch Amerika und Alaska zu besuchen. In Victoria traf er 
mit der Schwatkaschen Expedition zusammen, welche zu gleichem Zwecke von 
der „Newyork Times“ ausgerüstet war. Seton Karr sohlofs sich dieser Expe- 
dition an ; das amerikanische Kriegsschiff „Pinta“ brachte dieselbe von Sitka 
nach Icy Bay, von wo aus der Aufstieg auf den 19 500 ' hohen Mt. St. Elias 
unternommen werden sollte. Nach Seton Karrs Darstellung, die mit derjenigen 
Schwatkas nicht in allen Punkten übereinstimmt, war die Expedition für ein 
solches Unternehmen nicht hinreichend ausgerüstet, namentlich fehlte den 
einzelnen Mitgliedern derselben die Erfahrung in Hochgebirgstouren. In einer 
Höhe von 5100' mufste Schwatka, der aufser durch sein grofses Körpergewicht 
durch Unwohlsein behindert wurde, Halt machen. Seton Karr stieg dann 
allein bis zu 7200' hinauf; doch schon bei 6500' hatte er die Kammhöhe 
erreicht, von der sich ein freier Blick über weite Schneefelder nach allen 
Seiten hin bot. — Auf der Rückkehr trennte sich Seton Karr in Yakatat von 
der Expedition, um auf einem Ilandelsschuner noch den Prinz Wilhelm-Sund und 
die Insel Kodiak zu besuchen. — Eine. Karte des südlichen Alaskas mit einem 
Spczialplan des Eliasberges ist zur Orientierung beigegeben. Eine in dem vor- 
liegenden Bericht ausgesprochene Behauptung Seton Karrs, dafs der Eliasberg 
mehr als 30 Meilen von der Küste entfernt und östlich vom 141. Längengrad, 


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also auf britischem Gebiet gelegen sei, hat in Amerika vielfachen Widerspruch 
erfahren, ln der zweiten Nummer des in San Francisco erscheinenden „Kosmos" 
hält Prof. Davidson die Dichtigkeit der älteren Angabe aufrecht. A. K. 

Kritisch Columbien. Dr. Franz Boas giebt in der „Sciencc t vom 25. März 
dieses Jahres einen vorläufigen Bericht über die Ergebnisse seiner Forschungen 
in Britisch Columbien. Er unterscheidet auf Vancouver und dem gegenüber- 
liegenden Festlandc drei verschiedene Sprachstämme, die Wost-Yancouverstämme 
an der Aussenküste, die Sclishstämmc im Südosten der Insel und an der 
gegenüberliegenden Festlaudsküste, die Kwakiutl im Norden von Vancouver und 
auf dem Festlande bis zum Gardner Kanal. Zu den Selish gehören auch die 
Bilhula am Bentinck Arm, welche jedoch durch die Kwakiutl von den Küsten- 
Selisli getrennt sind und einen mehr abweichenden Dialekt sprechen. In den 
Mythen der Vancouverstämme spielt der Babe nicht mehr dieselbe Bolle wie in 
denjenigen der Tlingit, Haidas und Tsimpshians. Boas fand wohl noch zahl- 
reiche Spuren dieser Babenlegcnde, doch waren sie verwischt und ohne Zu- 
sammenhang. Das höchste Wesen der Kwakiutl ist Kantsoump, ursprünglich 
vielleicht mit der Sonne ident. Er sandte seine beiden Söhne Kanikilak und 
Nomokois auf die Erde, welche dort von dem W'eibe des Spechts geboren 
wurden. Kanikilak durchzog dann die ganze Welt, befreundete sich mit allen Häupt- 
lingen und verwandelte alle bösen Menschen in Tiere. Ähnliche Überlieferungen 
finden sich bei allen Stämmen vom Puget Sund bis zu den Tsimpshians. Die 
Süd-Yancouverstämme schreiben dem Mink all die Thaten zu, welche weiter im 
Norden vom Baben erzählt werden, die Quomoks kennen Baben- und Miuk- 
Legenden, erstere beziehen sich auf die Gefräfsigkeit des Baben, letztere haben 
einen stark erotischen Charakter. Eine besondere Überlieferung besitzen die 
Bilhula. Sie sagen, dafs nachdem der Rabe die Sonne erschaffen hatte, vier 
Männer, Masmasalanigh, Yubatimot, Matlapalitsek und Matlipekoagh vom Himmel 
herabstiegen und alles erschufen. Dieselbe Sage findet sich in ähnlicher Form 
bei den Hciltsuk wieder, wiewohl diese einem andern Sprachstamme angehören. 
Der vielberufeue rituelle Kannibalismus wird von den Kwakiutl, Tsimpshian, 
Bilhule und Quomoks geübt. Nach der Sage der Kwakiutl stieg einer ihrer 
Vorfahren mit einem aus der Binde der ersten Zeder gefertigten Ringe vom 
Himmel und lehrte dem. Volke die kannibalischen Gebräuche. Die Tsimpshian 
dagegen erzählen von einem Mann, der bei der Verfolgung eines Bären zu 
einem Berge kam, der sich hinter ihm schlofs. Im Innern lernte er die Gebräuche 
und nach der Rückkehr lehrte er sie seinem Stamme. Die Quomoks haben nur 
einen Teil der Zeremonien angenommen. An Stelle der zu verzehrenden Leichen 
machen sie künstliche, indem sie an ein menschliches Skelett getrocknete Heil- 
butten nähen. Ein bemerkenswerter Gegensatz findet sich bei den gesellschaft- 
lichen Einrichtungen der Tsimpshian, Tlingit und Haida einerseits und den 
übrigen Stämmen andrerseits. Bei ersteren folgen die Kinder der Mutter, bei 
letzteren dem Vater. Es zeigt dies eine nähere Verbindung der Kwakiutl und 
Selish an, welche auch durch eine gewisse Verwandtschaft der beiderseitigen 
Sprachen bestätigt zu werden scheint. Jeder Stamm zerfällt in eine Anzahl 
von Geschlechtern, deren Mitglieder nicht unter einander heiraten dürfen. Doch 
ist die gegenwärtige Verteilung der Stämme und Geschlechter noch sehr unge- 
nügend bekannt; überhaupt liegt, wie Boas bemerkt, für einen Ethnologen in 
Britisch Columbien noch ein sehr günstiges Arbeitsfeld vor. Doch rnnfs dasselbe 
schleunigst in Angriff genommen werden, da in wenigen Jahien die ursprünglichen 


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Zustände der eingeborenen Bevölkerung verschwunden sein werden. — Eine 
diesen interessanten Mitteilungen beigefügte Kartenskizze giebt ein Bild von der 
gegenwärtigen Verteilung der eingeborenen Stämme auf Vanconver und der 
benachbarten Festlandsküste. A. K. 

Aus .Ncu-Uuinea. Der Inhalt des Heftes II. 1887 der von der Neu-Guinea- 
Kompanie zu Berlin herausgegebenen Nachrichten über Kaiser Wilhelms-Land 
und den Bismarck-Archipel ist bereits in Heft I. dieser Zeitschrift besprochen. 
Dem Berichte des Dr. Hollrung über seine Beobachtungen der Vegetations- 
verhältnisse von Hatzfeldthafen entnehmen wir noch das Folgende: -Der Wald 
bedeckt die Umgebung der Wasserläufe und diejenigen Strecken, woselbst thonige 
Schichten den Untergrnnd bilden. Der Charakter des Waldes ist strichweise ein 
recht verschiedener. Erinnern einige nahe der Küste befindliche Partien durch 
ihre dichtstämmigen, himmelanstrebenden, dicht belaubten Baumriesen, durch 
die schlanken, dünnen Stämme des Unterholzes, sowie durh das vollständige 
Fehlen monokotyledonischer Pflanzen lebhaft an den deutschen Wald, so ver- 
leihen anderseits die namentlich am Fufso der Berge sich hinziehenden Be- 
stände von Fächerpalmen, die ersten, welche ich in Kaiser Wilhelms-Land bisher 
sah, sowie Calamus Rotang mit seinen laugen, dicken, stacheligen Stengeln, die 
sich iii kühnen Windungen bis in die Kronen der höchsten Bäume hinaufwinden, 
und den schön geformten, durch ihren Besatz mit Widerhaken aber oft unan- 
genehm wirkenden Blätter dem Walde eine ausgesprochen tropische Physiognomie. 
Dieser Eindruck wird verstärkt durch die bald herabhängenden Fellen, bald 
grofsen Bechern mit zerfetztem Rande, bald dem Kopfputze der Eingeborenen 
gleichenden, bald am Boden, bald hoch oben in den Bäumen wachsenden Farn- 
kräuter, die mächtigen Baumfarn (hauptsächlich Alsophila armata), durch die 
zahlreichen Orchideen, das Blumenrohr und wilden Ingwer. Unter den Lanb- 
bäumen ist der wilde Muskatnufsbaum wieder so häufig vertreten, dafs es den 
Anschein gewinnt, es müsse der Boden für das Wachstum dieses Baumes ein 
besonders geeigneter sein. Mehrere Sorten Nutzhölzer sind bereits von der 
Station eingesandt worden. Es finden sich aufser diesen Nutzbäumen noch eine 
Reihe sehr dickstämmiger vor, deren Holz zwar wegen der geringen Härte und 
wegen der Färbung für den Export nicht besonders geeignet erscheint, für den 
Bedarf im Schutzgebiete sicherlich aber verarbeitet zu werden verdient. Garcinia, 
welche Gummigut liefert, fand ich nur in jungen Exemplaren. Dickschaftiges 
Bambusrohr befindet sich in der Nähe von Tambcrro; das dünne Bambusrohr 
fehlt dagegen gänzlich. Die Areca- und Caryotapalme kommen beide ziemlich 
häufig vor und werden durch ihr zähes, festes Holz nutzbar. Der bereits oben 
erwähnte Rotang tritt sehr häufig auf, die Eingeborenen flechten aus demselben 
Fischkörbe, Armringe, Futterale für ihre Haare u. a., auch auf der Station 
findet er bereits vielfach Verwendung. Die Sagopalme ist nur vereinzelt zu 
bemerken. In ähnlicher Weise wie der harte Kern der Früchte von Phy- 
tclephas, der Elfenbcinpalme, scheint mir auch der Kern von den Früchten der 
Nipapalme zu allerhand kleineren Drechslerarbeiten verwertbar zu sein.“ 

Dr. Schilling, Arzt im Dienste der Neu-Guinca-Kompagnic, erörtert in der 
Deutschen medizinischen Wochenschrift die klimatischen Verhältnisse Neu- 
Guincas mit Bezug auf die Ansiedelung Weifscr. Er schliefst seine Erörterungen 
mit folgenden Sätzen : Alles in allem genommen, so möchte ich mich einst- 
weilen dahin resumiren, dafs man mit der Malaria in Kaiser Wilhelms-Land als 
mit einer durch klimatische Einflüsse bedingten häufigen Erkrankung wohl 


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D 



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auch weiterhin zu rechnen haben wird, dafs man aber in Rücksicht auf die 
verhältnismässig leichte Form, in welcher dieselbe meist aufzutreten pflegt, 
ernstlicho Bedenken gegen die Akklimatisationsmöglichkeit des Europäers nicht 
hegen, vielmehr der zuversichtlichen Hoffnung Raum geben darf, dafs mit der 
festeren Konsolidation der kolonisatorischen Grundlage auch in dieser Hinsicht 
günstigere Verhältnisse eintreten werden. Die ungleich wichtigere Frage ist die, 
was sich dein neuen Lande sonst für eine Zukunft erschliefst; mit der vor- 
schreitenden Lösung dieser Frage wird sich diejenige der Akklimatisations- 
fähigkeit, wenigstens für die Malaria, von selbst lösen. 

Nachdem im vorigen Jahr das Vordringen des Naturforschers Forbes zn 
den Gebirgen im Inneren von englisch Neu-Guinea hauptsächlich infolge unge- 
nügender Mittel unterbrochen wurde, will die Regierung von Viktoria auf ihre 
Kosten eine Expedition zum 0 we n-S tanley-Ge b i rge veranstalten und 
hat die Leitung des Unternehmens dem Missionar Chalmers angeboten. 


§ Die Auswanderung aus Italien. Einer vor kurzem in Italien er- 
schienenen Schrift von Luigi Bodio über die italienische Auswanderung ent- 
nehmen wir das Folgende. Die italienische Auswanderung ist zweierlei Art. 
Die eine ist die Auswanderung behufs dauernder Niederlassung in überseeischen 
Gebieten, die andre ist nur eine zeitweilige, bei welcher es sich, wie z. B. 
bei den aus Deutschland nach Dänemark und den Niederlanden ziehenden 
Zieglern, um Arbeit für eine bestimmte Zeit in einem der Nachbarländer 
Italiens, also in Österreich, Deutschland, Frankreich, der Schweiz, Corsika und 
Algerien und sodann Rückkehr nach der Heimat handelt Es sind dies haupt- 
sächlich Maurer, Steinhaner, Arbeiter bei Eisenbahn- und Kanalbauten ; die Zahl 
dieser letzteren, meist aus Italien, jährlich ausziehenden Arbeiter beträgt jährlich 
zwischen 80 und 100 000. Die eigentliche Auswanderung, über See, belief sich 
1878 auf 20000, in den drei folgenden Jahren auf je 40 000 Personen; sie war 
1882: 66 000, 1883 : 68 400, 1884 : 58000, 1885 : 77 000. Diese Auswanderer 
stammen zumeist aus Ligurien, Neapel, Venedig, der Lombardei und Piemont; 
sie gehen nach Argentinien (1885 : 37 710), nach Brasilien (1885: 12311), nach 
den Vereinigten Staaten (1885: 13 096) und nach Uruguay (1885: 1497); mithin 
gehen bei weitem die meisten nach Südamerika. Nimmt man die gesamte 
Auswanderung beider Arten des Jahres 1885 = 100 au, so gingen 21, «7 °/o nach 
Frankreich, 10,7» •/» nach Österreich, 6,84 °/» nach Ungarn, 2,»i °/o nach der 
Schweiz, 2,-w */» nach Deutschland, 5,»» */ 0 nach andren europäischen Ländern, 
50,23 Wo gehörten zur Klasse der zeitweiligen Auswanderung, während 49,7; V» 
für die Dauer auswanderten. Von diesen letzten gingen 25,« °/o nach den La 
Plata-Staaten, 7, 93 nach Brasilien, 8,33 nach den Vereinigten Staaten. Betrachtet 
man die gesamte Auswanderung des Jahres 1885 nach Ständen, so gehörten 
70039 dem Stand der landwirtschaftlichen Arbeiter (50,32 °l » waren Männer 
und Frauen im Alter von mehr als 14 Jahren) an, 29 428 (24 ,u°/») waren Tage- 
löhner, 15 823 (11,37 °/») Maurer und Bildhauergehülfen, 12 506 (8,»» “/») waren 
Handwerker und Künstler. Der Überschufs der der Zahl nach steigenden Be- 
völkerung Italiens wird durch diese bedeutende Auswanderung doch noch nicht 
ausgeglichen, denn während die Geburten die Todesfälle in dem Mafsstab von 11, 54 
vom Tausend überstiegen, wurde die Bevölkerung durch die Auswanderung nur 
um 2, »9 vom Tausend vermindert. 


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165 


§ Weiteres über ilio Kolanufs. In Heft I. 1887 dieser Zeitschrift machten 
wir nach den) Vorträge des Dr. Hausmann in Bremen einige Mitteilungen über 
diese afrikanische Frucht. Inzwischen wurde dieselbe kürzlich von dem hiesigen 
Handelshause Friedrich Vietor Söhne von Westafrika in frischem Zustande ein- 
geführt und in einer Anzahl von Exemplaren an das Droguenhaus Gehe & Co. 
in Dresden übersandt. Nach einem Zirkular des letztgenannten Hauses ergänzen 
wir unsre früheren Mitteilungen noch durch folgendes : 

Die Kolanüsse werden von dem in Obergninea und Zentralafrika heimischen 
Stinkbaume erzeugt, dessen botanischer Name verschiedentlich, mit Sterculia 
acuminata, Sterculia cola, und Cola acuminata, angegeben wird. Er gehört zur 
Familie der Stcrculiaccen und existiert in zwei Spielarten, die eine mit schmalen, 
die andre mit breiten Blättern. Die Früchte dieses Baumes werden als Reiz- 
und Nährmittel geschätzt; sie enthalten mehr Thein als die besten Kaffee- und 
Theesorten, daneben ansehnliche Mengen Theobromin, sowie dreimal mehr 
Stärke als die Kakaobohnen, wodurch die nährende Eigenschaft derselben erklärt 
wird. Aufserdem sollen die Kolanüsse, was von Eingeborenen sowie euro- 
päischen Reisenden übereinstimmend bestätigt wird, den Körper zur Ertragung 
von Strapazen stärken, sowie als Arznei für Krankheiten der Eingeweide und 
der Leber vorzüglich wirken. Die Zusammensetzung der Kolanüsse ist die 
folgende : 


Wasser 

.. 13,65 °/o 

Gummi u. Zucker 

10,67 °/o 

Thein 

.. 2,13, 

fettes Öl 

1,52 - 

Theobromin. . . 

.. 0,23, 

Rohfaser 

20, IX) , 

Eiweifsstoff . . . 

.. 6,33, 

Ascho 

3,20, 

Stärke 

. . 42,00 „ 

Verlust 

0,27 , 


100 u /o 

Der Handel mit Kolanüssen hat in den letzten Jahren bedeutend zu- 
genommen und scheint einer weiteren Ausdehnung fähig zu sein, weshalb es 
sich wohl empfehlen dürfte, einer Kultivierung des Stinkbaumes nach dem Vor- 
bilde der Kaffee- und Kakaoplantageu näher zu treten. An der Goldküste wird 
der Stinkbaum Bise genannt; Bise bio ist die unechte Kolanufs, die nach 
den Untersuchungen von Heckei und Schlagdenliauffen gar kein Thein ent- 
halten soll. 


§ Aus Siiclwest-Florhla. Unser werter Freund und Mitarbeiter, Professor 
W. H. Dali in Washington, schreibt uns unterm 22. Mai d. J. : Soeben kehrte 
ich von einer sechswöchentlichen Untersuchung der Region am Caloosahatchie- 
ilusse, Südwest-Florida, zurück. Diese Region, welche bedeutende plioeäne 
Fossilienlager enthält, wurde im vorigen Jahre zum ersten Male von wissen- 
schaftlichen Männern untersucht. Die Herren Joseph Willcox und Angelo 
Heilprin aus Philadelphia brachten freilich nur 1 oder 2 Tage dort zu, 
sammelten aber doch viele neue und bemerkenswerte Fossilien. Willcox, 
Mineraloge vom Fach, wünschte nun in diesem Jahre eine genauere Unter- 
suchung au Ort und Stelle vorzunehmen und ich schlofs mich ihm im Auf- 
träge von U. S. Geological Survey an. Wir sammelten 1 — 200 Spezies, ich 
untersuchte die Gegend genau und bestimmte die geologischen Beziehungen 
der Felsen auf einem ausgedehnten Gebiete. DerFlufs ist niemals kartographisch 

Geugr. Blätter. Breme», 1887. 12 


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166 


aufgenommen worden. Es wurde ein Kanal znr Verbindung seines Quellgebiets 
mit dem Lake Okeechobee gegraben in der Annahme, dafs so das Niveau des 
Sees erniedrigt und die fruchtbaren Uferländereien desselben der Kultur ge- 
wonnen werden könnten. Indessen hat sich ergeben, dafs der Kanal zu schmal 
und zu flach ist, um irgend welche Wirkung von Belang in der angedeuteten 
Richtung üben zu können, zumal bei den starken sommerlichen Regengüssen 
in Südwest-Florida. Immerhin hat der Kanal schon jetzt die Wirkung eines 
gleichmäfsigeren Wasserstandes des Flusses in der trocknen Zeit und einer Ab- 
kühlung seines Wassers bis näher nach der See hin gehabt. Da die Gewässer 
von Florida, allein das Wasser der grofsen Seen ausgenommen, sich nicht zum 
Trinken eignen, so ist aus jenen Wirkungen schon ein Vorteil für die geringe 
Zahl von Ansiedler am Flusse erwachsen. Bei Hochwasser überschwemmt 
übrigens der Flufs weithin seine Ufer; die Häuser in der Flufsgegend sind darum 
auch fast alle auf Pfählen erbaut und die Bewohner haben ein bleiches, elendes, 
fieberhaftes Aussehen. 


Caracas. (Aus Martin’s westindischen Reise - Erinnerungen ; Leiden, 
Brill, 1878.) „In der Frühe des 9. Januars 1885 fiel unser erster Blick auf die 
Insel Cnra<;ao. Wir befanden uns an der Südküste, nahe dem Tafelberge, und 
pittoreske Felsen ragten in unsicheren Umrissen aus dem Halbdunkel des er- 
wachenden Tages uns entgegen, während Kreuz und Venns noch klar am Firma- 
mente sichtbar waren. Mit anbrechendem Morgen lagen wir gegenüber der 
Einfahrt zum Hafen, und freundlich breitete sich vor unsern Augen die Stadt 
aus, mit sauber weifs angestrichenen Gebäuden, durch rote Ziegelbedeckung 
und grüne Fensterläden anmutig verziert. Wir genossen aus nächster Nähe 
einen weiten Überblick über die Wohnungen. Die drei Gebrüder mit ihren 
spitzen, schroffen Gipfeln, das Fort Nassau, welches gleichfalls auf einem steilen 
Felsen gelegen die Stadt überragt, t rugen nicht wenig dazu bei, das Landschafts- 
bild zu verschönern, iu dem nur die Waldung fehlte, um ihm einen dauernden 
Reiz zu verleihen. Der PHanzenwuchs erzeugte auf den Felsen nur einen 
schwachen Schimmer, denn es war in diesem Jahre ungemein trocken, und von 
dem fröhlichen Grün, welches die kahlen Felsen in der regenreicheren Zeit be- 
decken soll, sahen wir nicht viel. Inzwischen war der Lotse an Bord gekom- 
men und in wenigen Minuten dampfte das Schiff in rascher Fahrt in die Mün- 
dung des prächtigsten Hafens der Erde ein, wo es bald in unmittelbarer Be- 
rührung mit dem Ufer, einer Strafse der Stadt, anlegen konnte. Die Natur hat 
hier einen Hafen geschaffen, wie ihn kein andrer Ort von gleicher Vortreff- 
lichkeit besitzen soll, und es macht einen eigentümlichen, ungewohnten Eindruck, 
in ihm die gröfsten Dampfer ebenso ungehindert wie die kleinsten Fahrzeuge 
inmitten der Häuser ihre Bewegungen ausführen zu sehen. In seinem blau- 
grünen Wasser, in das man tief hineinblickt, sieht man Scharen von Fischen 
schwimmen, und zierliche Korallentiere strecken darin ihre bunten Tentakeln 
aus, einem wasserbedeckten Blumenbeete gleich. Riffkalke bilden auch den 
Untergrund der Stadt, die zu beiden Seiten des Hafens sich ausdehnt. Zwischen 
„Willemstad 11 im Osten und dem gegenüberliegenden Stadtteile „Otrabanda“ im 
Westen unterhalten zahlreiche, von Negern und andern Farbigen geleitete 
Ruderböte (pontjen) sowie eine Dampffähre die Verbindung. Eine Vorstadt, ge- 
nannt „Scharloo“, liegt nordöstlich von erstcrer und wird von ihr durch die 


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167 


Lagune .Waaigat“ geschieden; eine andre dehnt sich weit nach Osten längs 
des Meeresstrandes und südlich von dieser Lagune ans, sie heifst „Pietermaaij“. 
Wilhelmstadt ist der Geschäftsteil, mit engen Strafsen und dichtgedrängten, 
stattlichen Häusern, nur in der Nähe des Meeres, wo das Fort und die freund- 
liche Residenz des Gouverneurs liegt, geräumiger gebaut. In Otrabanda stehen 
die Wohnungen minder eng, denn vielfach befinden sich dort ausgedehnte Höfe 
zwischen den einzelnen Häusern ; aber nur in den Vorstädten sieht man Gärten. 
Da indessen die ungemein grofse Dürre des Bodens nirgends einen üppigen 
Ptianzeuwuchs aufkommen läfst, so sind auch diese Stadtteile trotz aller daran 
verwendeter Mühen keineswegs anmutig; ich wurde daselbst stets an die küm- 
merlichen Anlagen unsrer Nordseeinseln erinnert und mufste mich oftmals selbst, 
zu dem Bewnfstsein, dafs ich mich in den Tropen befinde, zurückrufen. Niemand 
wird die Gebäude, welche hier stehen, Villen nennen wollen, so sehr sie auch 
auf diese Bezeichnung Anspruch zu erheben scheinen. Dazu kommt, dafs alle 
Wohnungen ungemein mafsiv und plump aus Kalksteinen aufgebaut sind, so 
dafs das ganze Äufsere der Vorstädte bei näherer Betrachtung verliert, so 
freundlich sie sich auch vor dem Ankömmlinge, vom Meere her gesehen, 
ansbreiten. Die Bauart dürfte, ohne Verschulden der Bewohner, durch den 
Mangel an Holz und besonders auch durch die zu Zeiten auftretenden Cyklone 
welche eine sehr solide Aufführung der Wohnungen wünschenswert machen 
in diesem für die Schönheit nicht sehr erspriefslichen Sinne beeinflufst werden. 
Freilich sind die gefürchteten Hurricane West-Indiens auf den Inseln unter dem 
Winde selten, aber bisweilen treten sie doch auch hier mit fürchterlicher Gewalt, 
auf, und so sieht man noch heute in Pietermaaij in größerer Zahl die traurigen 
Ruinen, welche ein derartiger Orkan am 23. September 1877 hat. entstehen 
lassen. Die Kolosse der Häuser werden aber bisweilen noch weiter in un- 
nötiger Weise verunziert, denn wo man eine elegante Treppe erwarten würde, 
führen mächtige Steinstufen, geschaffen wie für eine Festung, zum Hause hinauf; 
wo leichte Umzäunungen angebracht werden könnten, stehen Mauern gleich 
massiv und steif, wie die Wohnung, welche sie umgeben. Nur wenige Häuser 
sind in der Weise der gleich zu beschreibenden Plantagen eingerichtet, während 
die übrigen nichts bieten, was einen Fremden besonders interessieren könnte. 

Die Bevölkerung der Stadt und der Insel überhaupt besteht aus Weifsen, 
Negern und Mischlingen, und zwar sind unter den Farbigen die Letzteren so 
sehr vorherrschend, dafs man Mühe hat, noch einen echten Neger zu finden. 
Die Gesamtzahl der Einwohner von Curagao belief sich am Schlüsse des Jahres 
1884 auf 25015, worunter die meisten Katholiken, bedeutend weniger Protestanten 
und einzelne Israeliten waren, und zwar sind die Katholiken besonders unter 
der farbigen Bevölkerung, die Protestanten und Juden unter der weifsen ver- 
treten. Letztere besteht vorwiegend aus Holländern und deren Nachkommen, 
gebildeten, gastfreien Leuten von liebenswürdiger Einfachheit; doch ist der 
Zuzug geborener Holländer äufsorst gering, denn es befanden sich nicht mehr 
als 300 auf allen niederländischen westindischen Inseln zusammen. Deswegen 
ist auch die niederländische Sprache keineswegs so gepflegt und bekannt., wie 
man erwarten sollte; vielmehr bedient man sich im vertrauten Verkehre in 
weitaus den meisten Fällen des papiamento, einer Sprache, welche überwiegend 
ans spanischen, untergeordnet aus holländischen und wenigen indianischen 
Wörtern zusammengesetzt ist und allgemein von der farbigen Bevölkerung ge- 
redet wird. Das Papiamento vertritt auf Cura^ao fast die Stelle des Neger- 

12 * 


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168 


englischen in Surinam, nur hat es eine bedeutend gröfsero Macht als dieses 
bei der angesehenen Bevölkerung. Es ist dies wohl eine Folge des Umstandes, 
dafs das Kind der farbigen Bedienung in seinen ersten Lebensjahren zur Wartung 
überlassen bleibt und so das Papiamento erlernt. Das euphemistisch auch wohl 
„ Spanisch“ genannte Idiom bleibt als Sprache der Kindheit am meisten geschätzt. 
Indessen sprechen die Männer neben der niederländischen Sprache und dem 
Papiamento ausnahmslos auch Englisch, sehr oft Spanisch und daneben bisweilen 
auch Französisch, so dafs sie über einen ganz erstaunlichen Sprachschatz ver- 
fügen, eine Folge des grofsen Verkehrs, dessen Cura?ao sich zu erfreuen hat. 
In den primitiven, schmutzigen Gasthäusern, welche sich am Hafen von Wilhelm- 
stadt befinden, begegnet man vielfach Einwohnern des benachbarten Venezuelas. 
Sie zetteln hier nicht selten Ränke und Aufstände gegen die bestehende, einem 
stetigen Wechsel unterworfene Regierung ihres Mutterlandes an, ein Grund wes- 
wegen Venezuela mit verlangenden Blicken nach dem Besitze der niederländi- 
schen, westindischen Inseln aussieht. Unter den Strafsenbildem sieht man wenig 
bemerkenswerthes. Die Männer unter den Farbigen tragen sich in Beinkleid, 
Blouse oder Manschettenhemd und Hut; auch die Frauen suchen die Wcifsen 
nachzuahmen, aber cs ist ein entsetzlicher Aufzug, in dem sie sich präsentieren : 
In allen Stadien der Verkommenheit sieht man an ihren langen Leibern die 
pariser Mode der letzten zehn Jahre in schlotternden Kleidern vertreten, schmutzig 
und zerrissen und stets mit langer Schleppe versehen, welche beim elastischen 
Gang der Trägerin die Strafsc fegt und wie eine Fahne hintenan weht. Der 
Anblick ist geradezu unerträglich für den Ankömmling und macht das Betreten 
der Strafse weit minder angenehm, als es ohne diese Zuthat, sein würde. Aufser 
der Stadt giebt. es keinen gröfseren Ort auf Curacao, dagegen findet sich eine 
ansehnliche Zahl von Plantagen über die ganze Insel zerstreut, und diese liegen 
fast ohne Ausnahme in den flachen Kummen des Binnenlandes, welches von dem 
schroffen Küstengebirge weit überragt wird.“ 

Über die Namen der Eilande Cnragao, Aruba und Bonaire teilte dem 
Verfasser Herr Prof. Dr. Ernst in Caracas folgendes mit: 

.Da die Inseln früher von Cariben bewohnt waren, so halte ich ihre 
Namen für caribisch. Die Cariben-Sprachen haben aber alle das alte Guarani 
zur Basis, wie wir dasselbe mehr oder weniger genau aus den Arbeiten des 
Pater Rniz de Montoya (Tcsora de la lengua Guarani, Madrid 1639; neue fak- 
similierte Ausgabe von Plotzmann, Leipzig, 1876) und namentlich aus dem über- 
aus trefflichen „Vocabulario guarani“ von Baptista Caetano de Almeida Nogueira 
(Rio de Janeiro, 1879) kennen. Mit Benutzung dieser Werko habe ich versucht, 
die Namen der 3 genannten holländischen Inseln zu deuten: 

1) Curacao. Die älteste, mir bekannte Schreibart ist Curasaote, auf der 
alten Weltkarte von 1527, von welcher Kohl die Amerika betreffende Sektion 
(die beiden ältesten Generalkarten von Amerika, Weimar 1860) publiziert hat. 
Dieser Name stimmt nicht übel zu cora — uagu — grosse Anpflanzung; die 
Endung ote ist vielleicht spanischer Herkunft (Augmentativ), und könnte zum 
Unterschiede von der kleineren Insel gleichen Namens beigefügt worden sein. 

2) Aruba (in älteren Schriften und Karten auch Oruba und Orua ge- 
nannt). Oirubae ist im alten Guarani nach Almeida Nogueira t aquelle que acom- 
panha der Name der „Begleiterin“ scheint mir auf Aruba ganz gut zu passen. 

3) Bonaire (früher durch falsche Deutung zu Buen Ayre verstümmelt). 


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Wenn der Name caribiseh ist, so könnte man an das verbnin bur (sich über 
das Wasser erheben. Almeida Nogneira: «nfr da aqua) und die Adverbialform 
nai (ein wenig) denken. Bur giebt in der Conjngatiou für die 3. Person Sing, 
des Praesens y buri (sie erhebt sich über das Wasser. Almeida Nogneira. 
Esbo^o grammatical da lingua gnarani. Rio, 1879. pag. 29.) In der Aggluti- 
nation yburinai ging das anlantende Praefix y verloren (was beiläufig sehr oft 
geschieht), und burinai wurde durch die im Guarani sehr häufig eintretende 
Metathesis der Konsonanten in buinari verwandelt, ein Name, welcher demnach 
bedeutet : sie (d. i. die Insel) crhebtsich wenig über das Wasser, also .niedrige Insel“. 

Verfasser kann diesen Bemerkungen von Ernst noch hinzufügen, dafs der 
Name einer „niedrigen Insel“ fürBonaire ganz besonders gut pafst. Man hat Oruba 
mit dem spanischen oro in Verbindung bringen wollen, da die Insel Gold enthält ; 
aber es handelt sich hier sicherlich nnr um einen ganz zufälligen Anklang. 
Andre Erklärungen der Namen der 3 Inseln, welche sich in verschiedenen 
älteren Schriftstellern finden, sind so augenscheinlich falsch, dafs dieselben über- 
gangen werden können. 


§ Ans Californien. In Band VIII. dieser Zeitschrift, S. 294 und ff. brachten 
wir ans der Feder unsere verehrten Mitgliedes Herrn Herrn. Melchers, die 
Schilderung des Besuchs von Los Angeles, jener durch ihr mildes Klima und den in 
großartigem Mafsstabe betriebenen Wein- und Obstbau berühmt gewordenen cali- 
fornischen Stadt. Herr Melchers teilt uns nun mit, dafs die damals von ihm 
ausgesprochene Voraussetzung des weiteren Aufblühens von Los Angeles sich 
vollständig bewahrheitet habe. Nachrichten daher von diesem Frühjahr melden, 
dafs Los Angeles und die umgebenden Ortschaften nunmehr klimatische Kurorte 
für die reichen Leute in den Vereinigten Staaten geworden sind. Bereits im 
Februar d. J. war Los Angeles von Fremden überfüllt, der Grund und Boden 
war noch weiter gestiegen und eine Reihe kostspieliger Neubauten erheben sich, 
um für die Zukunft den Strom der Fremden besser als bisher aufnehmen zu 
können. 


§ Alexander Ziegler f. Am 8. April d. J. starb in Wiesbaden der durch 
Herausgabe verschiedener Reisewerke in weiteren Kreisen bekannte Grofsherzoglich 
sächsische Hofrat Dr. Alexander Ziegler. Einem im „Rheinischen Kurier“ ver- 
öffentlichten Nachruf des Dr. E. Ausfeld entnehmen wir das Folgende : Alexander 
Ziegler, geboren in Ruhla 1822, erhielt seine erste Ausbildung in Schnepfen- 
thal, studierte in Jena und trat 1846 seine erste grofse Reise nach Nordamerika 
und Westindien an, welcher andre nach Spanien, Marokko, Algerien, in den 
Orient und nach dem Norden Europas folgten. Seine auf diesen Reisen ge- 
sammelten Erfahrungen legte er in lehrreichen Schriften der geographischen 
und ethnographischen Wissenschaft nieder. Auch die Geschichte dieser Disziplinen 
beschäftigte Z. lebhaft; er gab Untersuchungen heraus über Martin Behaim, „den 
geistigen Entdecker Amerikas“ und über Regiomontanus »ein geistiger Vorläufer 
des Columbns“. In den späteren Jahren seines Lebens wandte er sein Interesse 
vorwiegend der engeren Heimat zu und was er hier zur Förderung des Verkehre, 
der Industrie, der Volksbildung gethan, wird in den Kreisen seiner dankbaren 
Landsleute unvergessen bleiben. Seine Geschichte des Meerschaums, welcher 


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bekanntlich in Ruhla vorzüglich verarbeitet wird, erschien in Dresden 1883 in 
2. Auflage; sein im Verein mit Schwerdt herausgegebenes Reisehandbuch für 
Thüringen ist den Besuchern dieses Landes alljährlich ein lieber und treuer 
Begleiter. Zu wenig bekannt ist, dafs Ziegler sich grofse Verdienste um die 
„Schiller-Stiftung erworben hat; jahrelang hat er mit Rat und That für dieses 
menschenfreundliche Dntemehmen gearbeitet und viel des Guten in selbstlosester 
Weise gewirkt. Mit bebevollstem Interesse verfolgte er den Lebensweg der 
hervorragenderen unter seinen Heimatsgenossen; wir erinnern an den Dichter 
Ludwig Storch, dessen Nachlafs Ziegler 1882 herausgab. Wohl mancher Besucher 
Thüringens, der die Freude hatte, von Ziegler in seinem Ruhlaer Heim, der 
anmutig auf dem Bärenberge gelegenen, in ihrem Innern kunstreich aus- 
geschmückten Villa Ursomontana, gastfrei empfangen zu werden, erinnert sich 
des reichen Schatzes von auf den Thüringer Wald bezüglichen Kenntnissen, 
mit denen Ziegler im Gespräch über seine tlieure Heimat immer von neuem zu 
fesseln wufste. 


§ Das Klima von Bremen. Das Oster - Programm 1887 der altstädtischen 
Realschule in Bremen enthält eine sehr fleifsigo und gründliche Abhandlung 
des Dr. Gustav Schneider in Bremen über das KUma von Bremen. Der Ver- 
fasser bezweckte in gedrängter Kürze eine Übersicht über die wichtigsten 
Faktoren des KUmas von Bremen zu geben und ist die Arbeit in erster Linie 
nicht für Fachmänner, sondern für das gebildete Publikum überhaupt bestimmt. 
Die nachstehenden Mitteilungen geben einigen Aufschlufs, wie der Verfasser sein 
Thema behandelt und worauf er seine Erörterungen und Zusammenstellungen 
erstreckt hat. Eine zusammenhängende ausführliche Darstellung des Klimas 
von Bremen war bisher noch nicht vorhanden und ist die Arbeit daher besonders 
willkommen zu heifsen. Als Quelle diente dem Verfasser hauptsächlich das 
Jahrbuch für Bremische Statistik, daneben die Preufsische Statistik, deren Inhalt 
nach den noch ungedruckten Originalbeobachtungen der letzten Jahre ergänzt 
wurde. Er schickt voraus: Die Stadt Bremen hat 53 u 5' nördliche Breite; ihre 
Länge östlich von Greenwich beträgt 8° 48', von Ferro 26° 28'. Sie liegt fast 
in der Mitte des nordwestdeutschen Tieflandes, etwa 90 Kilometer von der 
Mündung der Weser in die Nordsee entfernt. Nennenswerte Wälder und An- 
höhen in ihrer Nähe sind nicht vorhanden. Der Nullpunkt des Bremer Pegels 
an der Börsenbrücke liegt 4,4 m über dem Nullpunkt in Bremerhaven und 
2,3 Meter über dem Nullpunkt in Amsterdam. Dem entspricht der hohe 
Barometerstand von Bremen, welcher, reduziert auf 0" Wärme und die Höhe 
unsrer Wettersäule, d. h. 5 Meter über Bremer Null, im Mittel 759,1 mm beträgt. 
Folgende Reihen Bremischer meteorologischer Beobachtungen wurden benutzt: 
1. von Olbers 1803 — 13 und 1815 — 21. 2. von Physikus Heineken 1829 — 70. 
3. die seit 1874 auf Veranlassung der Bremischen Sanitätsbehörde und zwar bis 
1876 in der städtischen Krankenanstalt, vom Juli 1876 an in der 7‘/i km nord- 
westlich von Bremen gelegenen Strafanstalt Oslebshausen angestellten Beob- 
achtungen. 

Im 1. Abschnitt: Temperatur erörtert Verfasser zunächst das Ver- 
fahren zur Erlangung einer Übersicht über den Gang der Temperatur eines 
Jahres, beziehungsweise der fünftägigen Mittel. Dasselbe wird in einer Tabelle 
der fünftägigen W T ärmemittel des Jahres 1886 nach den Oslebshauser Beob- 


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171 


achtungen veranschaulicht. Weiter hat Verfasser aus dem im Jahrbuch für die 
Bremische Statistik enthaltenen, in einer Figur graphisch dargcstellten fünf- 
tägigen Mitteln für die Stunden 8, 3 und 11 Uhr eine Tabelle der fünftägigen 
Mittel der Luftwärme in Bremen (nach Heinekens 42jährigen Beobachtungen) 
abgeleitet. Der tiefste Punkt der so gewonnenen, in der Figur dargestellten 
Linie fällt auf die fünf Tage 11. — 15. Januar, also ungefähr auf den 13. und in 
dieser durchschnittlichen Lage der gröfsten Kälte stimmt Bremen mit den 
meisten Orten Norddeutschlands überein; in Süddeutschland tritt das Minimum 
etwa 5 Tage früher ein, während der äufserste Nordosten von Deutschland eine 
Verzögerung aufweist. Die Wärme erreicht bei uns ihren Höhepunkt etwa am 
17. Juli und um diesen Tag liegt im ganzen nordwestlichen Deutschland die 
stärkste Hitze; im mittleren Norddeutschland bis zur Weichsel fällt dieselbe 5, 
im äufsersten Osten 10 Tage später. Daraus folgt, dafs die Temperatur in 
Bremen zur Vollendung des aufsteigenden Teils der Kurve ziemlich die gleiche 
Zeit braucht, als um vom Maximum zum Minimum hinabzusinken, nämlich 
nur 5 Tage mehr. (Genau die gleiche Zeit kann bei der obigen Ermittelung 
nicht wohl hcrauskommen, da 73 eine ungerade Zahl ist.) Im mittleren Nord- 
dcutschland erreicht dagegen der Unterschied 15, in Ostpreufsen 25 Tage. 

Die Wärraeschwankung zwischen den kältesten und den heifsesten 5 Tagen 
beträgt in Bremen nach jenem Durchschnitt 15,3°. Dieselbe übertrifft die von 
Küstenorten, wie von Emden mit 14,1° und von Kiel mit 14,5°, während sic 
geringer ist als an solchen Orten, die im Binnenlande oder im Nordosten 
Deutschlands liegen, wie z. B. Pos^n mit 17,8° oder Tilsit mit 18,8“. 

Wesentlich auf der Gröfse dieser Schwankung beruht die Unterscheidung 
zwischen Kontinental- und Seoklima. Halle a. S. ist um Mitte Januar etwas 
kälter, dagegen im Juli über 1 0 wärmer als Bremen. Während die kälteste 
Pentade von Tilsit reichlich 3° unter der von Bremen liegt, hat Tilsit in der 
heifsen Jahreszeit einen Wärmeüberschufs von etwa '/«» über den Nordwesten 
von Deutschland. Die lange Dauer des Winters im Nordosten spricht sich sehr 
deutlich in der Thatsache aus, dafs in Tilsit die Temperatur durchschnittlich 
130 Tage, also über den dritten Teil des Jahres, unter dem Nullpunkt bleibt, in 
Bremen nur 20 Tage. Beim Steigen der Wärme wird der Gefrierpunkt bei uns 
etwa am 20. Januar passiert, in Posen am 23. Februar, ja in Königsberg erst 
am 22., in Memel am 25. März! 

Gestützt auf sein Verfahren zur Auffindung von Pentadenmitteln giebt 
Verfasser sodann eine Tabelle zur Auffindung von Stundenmitteln aus den 
Tagesmitteln. 

Die drei Reihen von Monatsmitteln : Beobachtungen von Olbers 1803 — 13, 
1815 — 21, von Heineken 1820 — 70, der meteorologischen Station in Oslebshausen, — 
ergaben für 72 Jahre folgende Monatsmittel: 


Januar 

....— 0,1« 

R. 

Juli 

.. 14,0» 

R. 

Februar . . . . 

.... 1,2» 

» 

August 

.. 13,7» 

n 

März 

.... 2,8» 

n 

September . . 

.. 11,2» 

V 

April 

.... 6,4° 


Oktober 

.. 7,5» 

V 

Mai 

.... 10,2» 

n 

November . . . 

.. 3,4» 

n 

Juni 

.... 12,8» 

„ 

Dezember . . . 

.. 1,1» 



Das Jahresmittel 7,01 0 R. stellt sich so ziemlich in eine Reihe mit denen der 
Städte Kassel 6,0°, Halle a. S. 7,1», Berlin 7,2°, Brünn 7,1“; in England mit 


/" 

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172 


Hüll (7,0°); London und Liverpool sind wärmer, beide 8,2", in Nordamerika 
hat Albany die gleiche Temperatur 7,0°, Newyork mit 8,8" ist wärmer. Dafs 
nun aber das Jahresmittel der Wärme für sich allein kein abschliefsendes Urteil 
über die relative Temperatur zweier Orte gestattet, lehrt Albany, das, wie bemerkt, 
zwar im Jahresdurchschnitt mit Bremen gleich steht, jedoch im Juli 4 0 wärmer, 
im Januar gegen 4° kälter ist. Dies führt zur Vergleichung der Monatsmittel. 
Eine Zusammenstellung der hundertjährigen Beobachtungen von Wien mit den 
zwoiundsiebzigjährigen von Bremen bestätigt den Charakter des Wiener Klimas 
als eines Landklimas, während Bremen mit einem Unterschied von 14" des 
wärmsten und kältesten Monats dem Gebiete des Übergangsklimas angohört. 
Eine für die 6 Jahre 1879 — 84 gemachte Zusammenstellung der Temperatur- 
mittel der vier Jahreszeiten in Oslebshausen, Elsfleth, Oldenburg, Emden, 
Hamburg und Kassel ergiebt eine grofse Übereinstimmung in den Jahreszeiten- 
temperaturen; für Oslebshausen stellen sich die Ziffern wie folgt: Winter 1,3" R., 
Sommer 13,1°, Frühling 6,0", Herbst 7,4". Was die Tagesschwankungen des 
Thermometers betrifft, so bestätigen die Tabellen des Verfassers, dafs die tägliche 
Wärmeschwankung im Winter geringer ist, als im Frühling und Sommer; für 
Mai erreicht sie ihren höchsten Betrag, 7,8°. 

Die gröfste in Bremen bis jetzt beobachtete Kälte war am 23. Januar 1823 : 
-- 21,8°, die höchste Wärme am 26. Juli 1872 : 28,9°. 

Das Jahresmittel der Eis- und Frosttage für die Periode 1879, 1880 und 
1883—86 und der Sommertage 1879 — 86 in Oslebshausen stellte sich, wie folgt: 

in Oslebshausen 18,2 Eistage, 89,8 frosttage und 11,4 Sommertage, 

„ Berlin (30 Jahre) . . 24 „82 „ „37 „ 

„ Elsfleth (6 Jahre).. 19 - „ 80 „ „11 „ 

„ Königsberg i. Pr. (6 J.) 45 ,110 „ „26 „ 

Was die Eisbcdecknng der Weser bei Bremen betrifft, so ist dieser Strom 
in den letzten 62 Wintern 19 mal ohne Eisdecke geblieben, also etwa alle drei 
Winter einmal. Wenn die Weser zufror, stand das Eis den betreffenden Winter 
im ganzen durchschnittlich 30 Tage, einmal, 1844:45, 76, im Winter 1870/71 
64 Tage. Der früheste Termin, an welchem die Eisdecke sich bildete, war der 
17. November, der späteste, an welchem die Weser wieder zum Stehen kam» 
war der 5. März, der zweitspäteste der 1. März. Das Eis brach am spätesten 
im Jahre 1845 auf; am 28. März. Zum Vergleich zieht Verfasser die Weichsel 
an, welche in der Periode 1828 — 73 in jedem Winter zufror; die mittlere Dauer 
der Eisdecke war 77 Tage. 

Die Feuchtigkeit der Luft betreffend, so stellt Verfasser eine vergleichende 
Tabelle der absoluten Feuchtigkeit von Bremen und Wien in den vier Jahres- 
zeiten zusammen. Daraus geht hervor , dafs in Bremen die Luft zu allen 
Jahreszeiten mehr Dampf enthält, als in Wien, was ohne Zweifel mit der 
gröfscren Nähe der See zusammenhängt. Über die relative Feuchtigkeit finden 


wir folgende Übersicht: Oslebshausen Wien Newyork Philadelphia 

(1883—86) 

Winter 85 82 78 69»/, 

Frühling 78 66 67 61 

Sommer 78 64 68 65 

Herbst 81 75 71 67 

Jahr 81 72 71 65'/a 


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173 


Einen ähnlichen Gang wie die relative Feuchtigkeit zeigt im Laufe des 
Jahres die Bewölkung. Die von dem Verfasser mitgeteilten Bewölkungszahleu 
ergeben, dafs im Jahre etwa T /io des Himmels mit Wolken bedeckt ist. Am 
geringsten ist die Bedeckung im Frühling (im Mai 5,6.) 

Die Niederschläge betreffend , so ergeben die älteren Beobachtungen 
Heinekens aus der Periode von 1830 — 70 ein Jahresmittel von 706 mm, die 
zehnjährigen Regenmessnngcn beim Doventhor ein solches von 78 cm. Verfasser 
führt aus, dafs trotz der viel kürzeren Beobachtungszeit die Höhe von 78 cm 
der wahren jährlichen Regenmenge verhältnismäfsig sehr nahe kommen dürfte. 
Unser regenreichster Monat, Juli, ist zngleich derjenige, welcher die meisten 
Regentage bringt; der April hat mit der geringsten Niederschlagshöhe auch die 
wenigsten Regentage. Seit 1883 worden auf Anordnung des meteorologischen 
Instituts in Berlin an den demselben unterstehenden Stationen nur diejenigen 
als Tage mit Niederschlag verzeichnet, an denen mehr als ’/s mm Wasserhöhe 
gemessen werden konnte. Infolge davon wird in Zukunft die Zahl der jährlichen 
Regentage für Bremen voraussichtlich etwas unter 149 hinabgehen. Übrigens 
hat dieselbe in den letzten Jahren zwischen 132 und 159 geschwankt. 

Bezüglich der Gewitter wurde die ausführliche Arbeit des Dr. Häpke durch 
die Beobachtungen der Jahre 1881 — 86 ergänzt. Darnach ist in Bremen in den 
letzten 58 Jahren keiner der zwölf Monate ganz ohne Gewitter geblieben. Die 
grofse Mehrzahl, 80°/o, fiel auf die Monate Mai bis August, wobei vom Mai 
bis Juli eine Steigerung stattfand, während der August hinter dem Mai znrück- 
blieb. Eigentümlich für unsre Küste sind die Wintergewitter, welche in Bremen 
5°/o der Gesamtsumme ausmachen. 

Was die Jlichtung der Winde betrifft, so sind in den letzten 12 Jahren 
durchschnittlich über zwei Drittel, nämlich 69°/o aller beobachteten Winde, von 
der westlichen Hälfte des Horizonts (zwischen S und NNW) gekommen und nur 
31 "h> von der östlichen Hälfte (zwischen N und SSO). Die westlichen Winde 
erreichen ihren höchsten Betrag im Juli, ihren geringsten im April, ganz wie 
die Regenmengen und die Tage mit Niederschlag. 

Im letzten Abschnitt: phänologischc Erscheinungen, wird an die Beob- 
achtungen und Arbeiten des Hauptvertreters dieses jüngsten Zweiges der Meteo- 
rologie, des Professor Hoffmann in Gicfscn erinnert, in dessen Händen eine 
grofse Zahl vou Beobachtungen aus ganz Deutschland und darüber hinaus 
zusammenfliefsen. Dieselben werden an der Rofskastanie, der Vogelkirsche, 
der Schlehe, der Sauerkirsche, am Birnbaum, Apfelbaum, an der Buche und 
andern Pflanzen gemacht und erstrecken sich hauptsächlich auf die Zeit der 
ersten Blüte, teilweise auch auf die der Belaubung, wie bei der Buche und 
Rofskastanie. Die in Bremen von Professor Buchenau und Dr. W. 0. Fockc 
gemachten Aufzeichnungen ergeben, dafs im Durchschnitt der Jahre 1883—86 
im April Bremen hinter Gicfsen um reichlich 2 Tage zurück war. Dagegen 
blieben Oldenburg 1881 - 85 um 6, Soltau 1879—86 um 7, Wilhelmshaven 1878 
bis 1886 um 10, Hamburg 1883 — 85 um 11, Buxtehude 1881 — 86 um 11 — 12 Tage 
hinter Giefsen zurück. 


Die französischen Kolonien in Madagaskar. Bekanntlich besitzt Frank- 
reich an der Nord- und Ostküste von Madagaskar zwei Häfen mit einem sie 


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umgebenden Gebiet und es ist zu diesen auch in neuester Zeit noch der Hafen 
Diogo Suarez gekommen. Der Schweizer Afrikareisende Dr. Konrad Keller hat 
dieselben im vorigen Jahre besucht, und wir entnehmen seiner in der „Neuen 
Züricher Zeitung“ veröffentlichten Mitteilung das Folgende: Zunächst verweilte 
Dr. K. auf der Insel St. Marie, einer französischen Kolonie für rückfällige Ver- 
brecher; den Boden bezeichnet Dr. K. als sehr fruchtbar, allein das Klima sei 
sehr ungesund. Hier hielt sich der Reisende nur so lange auf, als der Dampfer, 
mit welchem er von Tamntave gekommen war, Zeit zum Ein- und Ausladen 
erforderte. Die Fahrt ging sodann an der Bucht von Antongil vorüber zur 
Bucht vonVoheinar. (14 l /j° südl. Br.) „Der Ort besteht aus ungefähr 150 Mada- 
gassenhütten ; die Zahl der hier angesiedelten Europäer beträgt etwa 2 Dutzend. 
Alle Bedingungen für eine günstige Weiterentwicklung finden sich hier bei- 
sammen. Das Klima ist gesund, der Hafen nicht sehr ausgedehnt, aber gut 
geschützt ; in der Nähe ausgedehnte Waldungen und Grasflächen. Der Reichtum 
an Vieh ist enorm und Vohemar besitzt wohl die bedeutendste Ausfuhr an Zebu- 
ochsen, welche hauptsächlich nach Reunion und Mauritius verschifft werden. 
Die Lebensmittel, namentlich die Fleisehwaaren, sind enorm billig. Ein Ochse 
wird durchschnittlich um 15 bis 20 Franken vorkauft. Für 40 Centimes erhält 
man etwa 5 kg Fleisch, für ein ganzes Filet bezahlt man 15 Cent. Gemüse 
und Früchte gedeihen hier vorzüglich, und die Mangobäume setzen so massen- 
haft Früchte an, dafs man zur Zeit der Reife, d. h. im November und Dezember, 
nicht weifs, was man damit anfangen soll. Der Ertrag der Douane ergab eine monat- 
liche Einnahme von 30 000 Frcs. während des Krieges, in normalen Zeiten dürfte 
er doppelt so hoch angeschlagen werden, und die Howaregierung hat die Wichtig- 
keit dieses Ilafenplatzes stets gewürdigt. Während des letzten Krieges errichtete 
sie sogar in der Nähe von Vohemar ein befestigtes Lager mit einer ziemlich 
starken Besatzung. Durch einen kühnen Handstreich gelang es einem Häufchen 
Franzosen, dieses Lager zn erobern. Man befindet sich hier bereits im Gebiet 
derjenigen Madagassen, welche als Antakaren bezeichnet werden und in den 
Sitten, sowie in ihrem äussern Aussehen sehr bedeutend von den Betsimisaraka- 
stämmen abweichen. Ihre enge Verwandtschaft mit den Sakalavcn der Westküste 
erscheint mir zweifellos. Das Zentrum dieser Antakaren ist das Gebiet von 
Diego Suarez, welches nach einer kurzen Fahrt von etwa 12 Stunden erreicht 
wird. Die Berge werden niedriger, die Küsten flacher. Au den Abhängen erblickt 
man ausgedehnte Rauchmassen und Nachts ist der Horizont vom Feuer gerötet. 
Die Madagassen pflegen um diese Zeit die Grasflächen anzuzüuden, um den 
Boden für den Reisbau vorzubereiten. Sobald die Regenzeit beginnt, werden 
diese Abhänge mit dem üppigsten Grün bedeckt. Leider verfahren die An- 
wohner nicht immer mit der gehörigen Vorsicht und brennen häufig auch die 
Waldungen nieder. Wer am Rande des Urwaldes reist, wird häufig genug eine 
Menge von angebrannten und halb verkohlten Stämmen vorfinden. Die Bai 
von Diego Suarez, sobald sie in Sicht kam, begann meine Hoffnung 
bedeutend herabznstimmen, da ich in der Nähe ausgedehnte Plateaus, 
ohne ordentliche Vegetation, im Hintergrund nackte Gebirge vulkanischen 
Ursprungs erblickte. Die Bai bietet einen natürlichen Hafen dar, welcher in 
seiner Ausdehnung dem Golf von Neapel gleichkommen mag. Der Eingaug ist 
etwa einen Kilometer weit, wird aber teilweise durch die kleine Insel Nossi Volane 
versperrt. Die Bai besitzt in fast genau symmetrischer Anordnung fünf Aus- 
zackungen, in denen selbst zur Zeit der gefürchteten Zyklone die Schiffe sichere 


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175 


Unterkunft finden. Dafs auch die Engländer, deren Tüchtigkeit zur See Niemand 
in Abrede stellen wird, diesen Hafen zu schätzen wissen, beweist der Umstand, 
dafs kürzlich ein englischer Dampfer eiulief, gegenüber dem hier stationirten 
Kriegsschiff ankerte und Kanonen und Munition für die Howaregierung auslud. 
Etwa 1500 Eingeborne waren hierbei behülflich. Die Franzosen ärgerten sich natür- 
lich ob dieser Dngenierthcit und die Engländer beriefen sich auf ihre Freiheit des 
Handels. Als militärische Position hat Diego Suarez für die Franzosen ohne Zweifel 
einen Wert. Ihre Kriegsschiffe finden hier stets sichere Unterkunft. An der 
Küste werden zur Zeit Kasernen und Festungen gebaut. Anders gestaltet ist die 
Wertschätzung vom Standpunkte der Kolonisation aus. In dieser Hinsicht ist 
die Erwerbung gleich Null zu setzen. Vergeblich sah ich mich nach landschaft- 
lichen Heizen um. Überall ein nackter vulkanischer Boden, der zu einer 
roten oder gelben und unfruchtbaren Erde verwittert und meist mit 
niedrigem Gestrüpp bedeckt ist. Der Mangel an Wasser macht sich 
überall fühlbar. Die Zufuhr von frischein Fleisch hängt gänzlich vom 
guten Willen der Eingebornen ab. Ein Umstand macht den Aufenthalt 
in Diego endlich im höchsten Grade unangenehm. Über die Hochflächen 
streicht beständig ein so heftiger Wind, dafs man den Hock sehr fest zuknöpfen, 
ja selbst binden mufs, damit, er nicht vom Leibe geweht wird. Alle diese Eigen- 
schaften- sind schwerlich geeignet, die Kolonisten anzuziehen. Zur Zeit hat sich 
ein Publikum anf diesen zu momentaner Bedeutung gelangten Platz geworfen, 
das mir Bedenken für einen längeren Aufenthalt einflöfste. Was in den be- 
nachbarten Kolonien an verkrachten Existenzen aufzutreiben ist, hat sich hier 
eingefnnden, um ein oft recht zweifelhaftes Gewerbe zu betreiben. Schon anf 
dem Dampfer hatte ich das Vergnügen, bestohlen zu werden, was sollte erst 
kommen, wenn ich hier wochenlang weilen wollte ! Dazu waren die Lebens- 
mittel über Gebühr im Preise gestiegen. Für ein Ei wurde bis zu 25 Centimes 
bezahlt, Brod war oft tagelang nicht vorhanden, Fleisch oft mehr als genug, 
dann wieder gar nicht zu haben, die Umgebung eine Einöde. Ich wollte um 
keinen Preis hier bleiben und gab Befehl, mein Gepäck und meine Kisten an 
Bord zu lassen. Wohin ich gehen wollte, wufste ich vorläufig nicht, nur soviel 
konnte ich erfahren, dafs in einer der nächsten Stationen die Blattern ansge- 
brochen und daher die Quarantäne angeordnet würde Weitere Berichte besagten, 
dafs in Westmadagaskar die Blattern eine starke Ausdehnung erlangt hatten. 
Die Lage fing an ungemütlich zu werden. In nicht gerade rosiger Stimmung 
fuhr ich um das flachgelegene Kap Ambre herum und entschied mich für 
Nossi Be, einer hart an der Westküste liegenden Insel, welche als das Zentrum 
des nordwestmadagassischen Verkehrslebens angesehen werden darf. Die Insel 
war noch seuchenfrei, ich stieg auf gut Glück ab und hatte mich kaum ein- 
gerichtet, als die Kunde vom Ausbruch der Blattern auf Nossi Be eintraf!“ 

Mit den Bemerkungen Dr. Keller’s über Diego Suarez steht vielfach in 
Widerspruch, was wir in einem Aufsatz des französischen Marine-Kapitäns 
Chodzco (Zeitschrift der handelsgeograpbiscken Gesellschaft von Havre, Januar 
bis Februar 1887) lesen. Bezüglich des Wassers an der Küste wird bemerkt, 
dafs es überall gut und reichlich sei, gleichwohl wird empfohlen, dasselbe nur 
gekocht zu geniefsen. Der Aufenthalt anf Diego Suarez sei der gesundeste auf 
ganz Madagaskar, wenn auch in den niedrigeren, sumpfigen Gegenden Fieber 
vorkämen, so sei es doch auf der Heede und auf den Höhen durchaus gesund. 
Das Land in der Umgegend der Bai eigne sich zu allen Kulturen, auch zum 


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Woinban. Ochsenfleisch sei gut und billig zu haben, die Fischerei liefere reich- 
liche Fänge, ebenso sei Geflügel zahlreich. Die Waldungen könnten wertvolle 
Handelsprodukte erzeugen. 


Geographische Litteratur. 

Europa. 

Arthur Krause, Beitrag zur marinen Fauna des nördlichen 
Norwegen. Wissenschaftliche Beilage zum Programm der Luisenstädtischen 
Oberrealschule. Berlin 1887. Der Verfasser, welcher durch die im Aufträge der 
Bremer Geographischen Gesellschaft ausgeführte Reise nach der Tschuktschen- 
Halbinsel bekannt ist, giebt in der vorliegenden Abhandlung über das Tierleben 
an der norwegischen Küste einen schätzenswerten Beitrag. Derselbe wird manchen 
Kreisen um so willkommener sein, als die Nordlandsfahrten jetzt so recht zur 
Mode geworden sind. Nachdem Dr. Krause bereits in früheren Jahren die Küste 
Norwegens bei Tromsö, Bergen und am Saltenfjord in Hinsicht auf sein spezielles 
Arbeitsgebiet untersucht hatte, verwandte er die Sommerferien des Jahres 1886 
dazu, die marine Fauna des Ranenfjords und der vorgelagerten Inseln kennen 
zu lernen. Dieser Fjord, den auch eine beigegebene Kartenskizze veranschau- 
licht, liegt nördlich vom 66. Breitengrade, ist durchschnittlich 3 km breit und 
zieht sich gegen 60 km nordöstlich ins Land hinein. Steile und kahle Fels- 
wände begrenzen an seinem Eingänge die Gewässer, die sich weiterhin vielfach 
verzweigen und von bedeutender Tiefe sind. So beträgt die Tiefe im innersten 
Fjord nahe dem Ufer schon 60 Faden und wächst nach dem Meere zu sogar 
auf 240 Faden an. Die eiskalten Gletscherbäche, die den ausgedehnten Firn- 
feldern des Svartisen entstammen, mischen sich hier mit den warmen Gewässern 
der nordatlantischen Strömung und schaffen Zustände, welche auf die in der 
Tiefe lebende niedere Tierwelt von grofsem Einflüsse sind. An diesen Gestaden 
berühren sich die europäische und arktische Fauna oder greifen vielmehr in- 
einander über. Während die inneren Buchten und Einschnitte ein ausgesprochenes 
arktisches Gepräge zeigen, treten an der Mündung des Fjords und noch weiter 
nach dem Meere zu südliche Formen auf. Unter den von Krause gesammelten 
157 Molluskenspezies finden sich 96 arktische und 61 boreal-ouropäische Arten, 
endlich werden noch 17 Echinodermen und 14 Würmer aufgeführt. Bei dem 
weit nördlicher gelegenen Tromsö sind wegen des wärmeren und salzreichern 
Wassers dieselben Klassen der Tierwelt ungleich mannigfaltiger und reicher an 
Arten. Das vorherrschende Gestein des Festlandes und der Inseln besteht aus 
Gneis und Glimmerschiefer, wovon der letztero vereinzelt grofse Granaten cin- 
schliefst; stellenweise findet sich auch Urkalk abgelagert. Da in den älteren 
glacialen Schichten an der Küstcnlandschaft verschiedene Muschelformcn Vor- 
kommen, die für die Tiefseeablagcrung charakteristisch sind, so folgert Krause, 
dafs in verhältnismäfsig jüngerer Zeit eine beträchtliche Hebung der Küste 
stattgefunden haben müsse. Dieser Schlufs steht auch im Einklang mit ver- 
schiedenen andern Beobachtungen, wie z. B. mit den deutlich ausgeprägten 
Terrassenbildungen, von denen manche 80 m hoch über dem Meeresspiegel liegen. 
Die Ergebnisse dieser Rekognoszierungsfahrt sind so vielseitig, dafs sie zur weiteren 
planmäfsigen Erforschung des Fjords in Bezug auf physikalische und fatalistische 
Verhältnisse auch zu verschiedenen Jahreszeiten herausfordern. H. 


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17 ? 


Länderkunde von Europa, hcrausgogeben unter fachmännischer 
Mitwirkung von Alfred Kirchhoff. Leipzig und Prag. G. Freitag und 
F. Tempsky. 1887. Von diesem vortrefflichen Werke, auf dessen Erscheinen 
wir im 4. Hefte des vorigen Bandes in ausführlicher Weise hinwiesen, liegen uns 
bis jetzt die ersten 30 Lieferungen vor. Mit der 25. Lieferung hat Professor 
A. Penck die Darstellung des deutschen Reiches zu Ende geführt; mit Lieferung 
26 beginnt. Professor A. Snpan die Darstellung von Österreich-Ungarn. Zahl- 
reiche Abbildungen und Karten illustrieren den Text und bilden eine vorzüg- 
liche Beigabe. Indem wir uns Vorbehalten, nach Abschlnfs eines gröfseren Teils 
auf das Werk zurückzukommen, wollen wir doch nicht unterlassen, von neuem 
unsere Leser auf das im Erscheinen begriffene Werk hinzuweisen; die Heraus- 
gabe desselben verdient in hohem Mafse die Unterstützung aller Freunde der 
Geographie. W. 

Amerika. 

§ Westindische Skizzen. Reiseerinnerungen von K. Martin, 
Professor für Geologie an der Universität zu Leiden. Mit 22 Tafeln und einer 
Karte. Leiden. E. J. Brill. 1887. 

Der Verfasser unternahm Ende 1884 eine geologische Untersuchungsreise 
nach Niederländisch-Westindien und zwar in Gemeinschaft mit dem Professor 
der Botanik Suringar ans Leiden, sowie den Herren Molengraaff, Neervoort van 
de Poll und van Breda de Haan, Kandidaten der Naturwissenschaften. Die 
fieise ging zunächst über Paramaribo nach Curagao ; diese Insel sowie die Eilande 
Aruba und Bonaire wurden untersucht. Darauf trennte sich die Expedition: 
Martin ging mit v. d. Poll über Venezuela nach Surinam zurück, um das Binnen- 
land von niederländisch Guiana zu besuchen, während die drei andern Herren sich 
den niederländischen Inseln über dem Winde zuwandten. Das vorliegende Buch ist 
ein Sondcr-Druck des aus zwei Teilen bestehenden „Berichts über eine Reise nach 
niederländisch West-Indien und darauf gegründeter Studien, von K. Martin“; 
der andre Teil enthält die Geologie. Diese Skizzen von Land und Leuten nieder- 
ländisch Westindiens sind, wie Verfasser selbst sagt, als eine Erholung von streng 
wissenschaftlicher Arbeit geschrieben; dabei ist jedoch der wissenschaftliche 
Standpunkt insofern gewahrt, als zunächst nur Selbstgesehenes und Selbst- 
erlebtes geschildert wird und dabei die einschlägige Littcratur berücksichtigt 
wurde. Besonders willkommen ist das Verzeichnis der über Surinam und über- 
haupt niederländisch Westindien vorhandenen zum Teil wenig bekannten Litteratur, 
auch ein Index fehlt nicht. Die beigegebenen Abbildungen stützen sich teils 
aut Photographien, teils auf vom Verfasser selbst angefertigte Zeichnungen: 
die technische Ausführung der Tafeln — teils Licht-, teils Steindruck, — ist zu 
loben. Von der ansprechenden Darstellung, welche das Werk auszcichnet, haben 
wir in diesem Heft an andrer Stelle (unter „Cura^ao“ in den kleineren Mit- 
teilungen) eine Probe gegeben. 


Atlanten. 

Rieh ard An d rees Allgemeiner Handatlas in 120 Kartensciten 
mit vollständigem Namenverzeichnis, herausgegeben von der Geographischen 
Anstalt von Velhagen & Klasing in Leipzig. Zweite Auflage. Lieferung 1 — 9. 

Der so beliebt gewordene Andreesche Handatlas ist in neun Lieferungen 
der 2. Auflage erschienen. Die Herausgeber haben denselben von 96 auf 120 


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Seiten vergröfsert, wobei besonders diejenigen Gebiete berücksichtigt wurden, 
die erst in neuerer Zeit öffentliches Interesse gewonnen haben. Aufserdem sind 
aber viele der alten Karten völlig beseitigt, nnd durch Neustiche ersetzt ; wieder 
andre, die sich in erster Auflage als unzureichend erwiesen, wurden vollständig 
überarbeitet und durch Kartons in grofsen Mafsstäben ergänzt. Es scheint alles 
neue Material für die Zeichnungen und Korrekturen benutzt worden zu sein, 
wenigstens innerhalb des Abschlufstermins, der bei jeder Karte unten links im 
Rande verzeichnet ist. So sehen wir in der Nordpolarkarte alle Resultate der 
neueren Polarreiscn verwertet. Völlig neu hinzugekommen sind Grofsbritannien 
und Irland in 4 Seiten, Frankreich in 4 Seiten, ferner 1 Blatt für die Ober- 
sicht der Alpen und 1 für die französisch-italienischen Alpen, sodann je eine 
Karte von Griechenland, von den Kaukasusländern und von Wcstrufsland, wie 
von Südschweden, von Oberitalien und von Sizilien, Calabrien und Sardinien. 
Besonders reich im Vergleich zu andern Atlanten ist Afrika bedacht. Aufser 
der Übersichtskarte sind die 6 Seiten der Andree-Scobelschen Karte von Afrika 
aufgenommen worden, die von der Kritik allgemein anerkannt wurde. Hierzu 
kommen noch Spezialblätter: Algerien, Ägypten, Deutscli-Ostafrika, die West- 
afrikanischen Kolonien und das Kapland mit den Boerenrcpubliken. Bei Asien 
sind als neue Ergänzungen gegeben: Ostchina und Japan, in den letzten 
Lieferungen wird noch das vielumstrittene Turkestan, Afghanistan und Balutschistan 
erscheinen. Bei Amerika ist ein Spezialblatt der Westindischen Inseln neu 
hinzugekommen. Die bisher erschienenen Lieferungen enthalten auch eine Karte 
von Neu-Gninea und dem Bismarckarchipel, auf der die Forschungen von 
Finsch und von Schleinitz bereits benutzt sind. Das ganze ungeheure Material 
wird der Benutzung besonders für Kaufleute, Beamte u. a. dadurch zugänglicher, 
dal's ein der letzten Lieferung beizugebendes Register, welches jeden Namen 
einer Stadt, eines Berges oder eines Flusses giebt, die Aufsuchung auf der 
betreffenden Karte erleichtert. So werden weit über 100,000 Namen gegeben, 
die ein Nachschlagebuch von gröfstem Werte bilden. Hat der Atlas in seiner 
ersten Auflage eine weite Verbreitung gefunden, so wird diese, wie angedeutet, 
vielfach verbesserte zweite Auflage der tüchtigen Arbeit noch mehr Freunde 
zuführen. 


Verschiedenes. 

Die Erscheinungen des Erdmagnetismus in ihrer Abhängigkeit 
vom Bau der Erdrinde, dargestellt von Dr. Edmund Neumann. Mit 3 Figuren 
im Text und einer Karte. Stuttgart 1887, Verlag von Ferdinand Enke. Der 
Erdmagnetismus, welcher nach Zeit und Ort veränderlich ist, hat den mensch- 
lichen Geist vielfach in die Irre geführt. Die im Jahre 1839 erschienene „Theorie 
des Erdmagnetismus 2 von Gaufs und Weber erhellte zuerst wie ein Lichtblitz 
das Dunkel. Wenn auch später einzelnes sich als Irrtum herausstellte, so 
haben doch die Beobachtungsmethoden, welche darin niedergelegt, waren, das 
Werk unsterblich gemacht. Zehn Jahre später wies Kreil in Wien nach, dafs 
die Äul'sernngen der erdmagnetischen Kraft in den Gebirgsgegenden andre sind 
als in der Ebene, dafs sie also von der geographischen Lage abhängen. Die vor- 
liegende Schrift sucht nun diese scheinbare Regellosigkeit, gleichsam die wunden 
Stellen aufzudecken, welche die Regungen der innern Kräfte der Erde verzerren. 
Der Herr Verfasser, dem die geologische Landesaufnahme von Japan übertragen 


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179 


war, hat in verdienstlicher Weise gleichzeitig auch die magnetischen Aufnahmen 
dort vorgenommen, wobei ihn zwei geschickte Japanesen, Sekino und Kodnri, 
unterstützten. In weniger als zwei Jahren war das ganze Land mit einem 
System von 200 Beobachtungspunkten überzogen. Auf dem vom hydrographischen 
Amte in Tokio errichteten magnetischen Observatorium wnrde die Deklination 
täglich 7 Uhr morgens abgelesen, während Inklination nnd Horizontalintensität 
zweimal im Monat beobachtet wurden. Aus dem so gewonnenen Material zog 
der Verfasser den Schlafs, dafs hier ein ausgezeichnetes Beispiel des Zusammen- 
hangs zwischen magnetischen Erscheinungen nnd dem geologischen Bau der 
Erdrinde vorliege Die Isogone, welche die Orte von ö Grad wcstl. Deklination 
verbindet, erleidet bei der Insel Sado eine merkwürdige Einbiegung, die genau 
mit dem Störungsgebiet des Gebirges zusammenfällt. Diese Thatsachc ver- 
anlagte den Verfasser, nun auch in andern Gebieten der Erdoberfläche dasselbe 
Abhängigkeitsverhältnis nachzuweisen. In Europa zeigen die magnetischen 
Linien innerhalb des Alpengebiets die gröfsten Abweichungen, aber auch für 
Belgien, Holland nnd Norddeutschland ist kein vollständiger Parallelismus vor- 
handen, da am Znider See und bei Lauenburg eine östliche Biegung der Iso- 
gonen vorkommt. Weitere Anomalien ergab die magnetische Aufnahme Schott- 
lands, wo die Insel Man einen außerordentlichen Einfluß auf die Nadel ausübt. 
Die Störungen werden hier dem starken Eisengehalt der vulkanischen Auf- 
schüttungsgesteine zugeschrieben. Wegen der magnetischen Unregelmäßigkeiten 
am Finnischen Meerbusen und im Weißen Meer ist schon manches Schiff ge- 
scheitert. Auch hier sucht der Verfasser den Grund in den Eruptivmassen, 
die mit metamorphosierten paläozoischen Gesteinen wechsellagern. Der Einfluß 
des Landes auf die Magnetnadel hört in der Regel 5 bis 6 Seemeilen von der 
Küste auf, erstreckt sich jedoch an einigen Stellen auf 20 bis 30 Seemeilen 
Entfernung. An manchen Orten ist die Unregelmäßigkeit auf einen kleinen 
Umkreis beschränkt, wie z. B. an den bekannten Schnarchern des Harzes, 
deren Magnetisierung man vielleicht Blitzschlägen zuschreiben könnte. Nach 
den erdmagnctischcn Aufzeichnungen zu Wilhelmshaven ist der von Südost. 
nach Nordwest streichende Erdstrom als wesentliche Ursache der Schwankungen 
der magnetischen Deklination und Horizontalintensität anzusehen. — Eine er- 
schöpfende Darstellung der magnetischen Erdkraft mit Festlegung der Linien 
gleicher Säknlaränderung für verschiedene Zeiträume in ihrer Abhängigkeit 
vom geologischen Bau der Erde wird noch lange die Arbeitskräfte der Forscher 
in Anspruch nehmen. H. 

§ Der Weltverkehr. Telegraphie nnd Post, Eisenbahnen und Schiffahrt 
in ihrer Entwickelung dargestellt von Dr. Michael Geistbeck. Mit 123 Abbil- 
dungen und 33 Karten. Freiburg i. B. Herderscher Verlag. 1887. 

Der Verfasser verfolgte mit seinem Buch die Absicht, die modernen Ver- 
kehrsmittel in ihrer Gesamtheit und nach dem neuesten Stande ihrer Ent- 
wickelung in gemeinverständlicher Darstellung zu behandeln. Wenn auch die 
einzelnen Abschnitte sehr ungleichartig behandelt sind, einige zn kurz, andre 
dagegen wieder zu ausführlich gehalten und über ihr eigentliches Gebiet hinans 
ausgedehnt sind, wenn man ferner sagen muß, daß nach manchen Richtungen 
erst sorgfältige, auf mühevollen, zeitraubenden Studien beruhende Einzelarbeiten 
voranzugehen haben werden, ehe man durch ein solches allgemeines Werk in 
gründlicher Weise die Summe, ziehen knnn, so heißen wir doch die fleißige, 


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frisch und anregend geschriebene Arbeit Dr. Geistbccks hoch willkommen und 
wir zweifeln nicht, dafs sie viele Leser, namentlich auch im Kreise der Jugend, 
finden wird, zumal sie illustrativ sehr reich ausgestattet ist, — das Verzeichnis 
der Illustrationen zählt 154 Nummern — und in den Ausführungen der ver- 
schiedenen Abschnitte eine Menge interessanter Einzelheiten passend zusammen- 
getragen und eingeordnet sind. Dazu gehört beispielsweise das Kapitel , Leitungs- 
störungen“ im ersten Teil: Telegraphie, sowie verschiedene andre. Der zweite 
Teil ist: .Weltpost“ überschrieben und dieser, wie Teil drei: „Eisenbahnen“, 
bilden, w r enn man so sagen darf, den Kern des Buchs, während im vierten Teil, 
„Schiffahrt" in 11 Kapiteln freilich sehr vielerlei geboten w'ird, doch manches eben 
deshalb skizzenhaft bleibt. Auch das Schlnfskapitel des Buches, dessen Titelbild 
sehr zukunftsmusikalisch einen Luftballon darstellt, wird jeder mit Interesse 
lesen, es ist eine Darstellung der Wirkungen der modernen Verkehrsmittel und 
einem Aufsatz des Staatssekretärs Herzog in der Deutschen Rundschau entlehnt. 


Zur Besprechung gingen ferner ein : In Fortsetzung Heft 3 des Lieferungs- 
werkes Tre Ar i Kongo. Skildringar af P. Möller, G. Pagels och E. Gleerup, 
Stockholm, Verlag von Norstedt & Söhne. — The Antananarivo Annual and 
Madagascar Magazine. No. X. Christmas 1886 (enthält eine gröfsere Zahl 
von Abhandlungen zur naturwissenschaftlichen und ethnologischen Kunde von 
Madagaskar.) — Vorläufiger Bericht, über eine im Dezember 1885 bis Februar 1886 
ausgeführte botanische Reise in den Provinzen Cördoba, San Luis und 
Mendoza, von Professor Dr. F. Kurtz. Buenos-Aires 1887. — Annual report of 
the Collector General of Customs, relative to the imports, exports, immigration 
and navigation of the Hawaiian Islands for the year, ending December 31 1886. 


Druck von Carl Schtlucmann. Bremen. 


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I 


Heft 3. 


Deutsche 


Band X. 


Geographische Blätter. 

Herausgegeben von der 

Geographischen Gesellschaft in Bremen. 


Beitrüge und sonstige Sendungen an die Redaction werden unter der Adresse : 
I)r. M. Lindeman, Bremen, Mendeetrasse 8, erbeten. 

Der Abdruck der Original-Aufsätze, sowie die Nachbildung von Karten 
und Illustrationen dieser Zeitschrift ist nur nach Verständigung mit 
der Redaction gestattet. 


Der Schwarzwald. 

I. Orographisch-geologische Übersicht 

von Prof. Dr. Platz in Karlsruhe. 

A. Orographie. 

Der Schwarzwald bildet einen Teil des oberrheinischen Gebirgs- 
systems, welches sich beiderseits der oberrheinischen weiten Tief- 
ebene von Basel bis zur Mainmündung ausdehnt. Schwarzwald und 
Odenwald einerseits, Vogesen und Hardt anderseits, geben sich 
durch gleichartigen topographischen wie geologischen Bau als Glieder 
einer grofsen ursprünglich zusammenhängenden Gebirgsmasse zu 
erkennen, deren allgemeiner Bau nach dem Ausdruck von E. de 
Beaumont das Bild eines flachen Gewölbes mit fehlendem resp. ver- 
sunkenem Schlufsstein darbietet. 

Symmetrisch kehren sich beide Ketten ihre Steilabhänge zu, 
während die äufseren Abhänge mit schwachem Fall in die angrenzen- 
den Hügelländer verlaufen; auch im Süden steil abfallend, sind sie 
rechts des Rheins durch das Thal desselben zwischen Schaffhausen 
und Basel, links durch die höher liegende burgundische Pforte von 
dem südlich aufsteigenden Jura getrennt. Ebenso symmetrisch ist 
der geologische Bau: im Süden die ausgedehnten Urgebirgskerne, 
welche die höchsten Teile der Gebirge einnehmen , nördlich und 
östlich von Buntsandstein überlagert, welcher sich nach Norden 
immer breiter über die sich senkenden Urgesteine lagert; auf der 
Aufsenseite die jüngeren Gesteine in parallelen Streifen aufgelagert, 
am Innenrande dieselben Gesteine mannigfach zerstückelt und ver- 
worfen in einzelnen Schollen den Steilabfall begleitend. 

Die räumliche Anordnung der einzelnen Gesteine, soweit sie 
überhaupt von wesentlicher Bedeutung sind, läfst somit ein allge- 

Ceograph. Blätter. Bremen, 1887. 


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meines Gesetz erkennen, welches den Gebirgsbau des oberrheinischen 
Systems and seiner Umgebung beherrscht. 

In der Mitte des gesamten Systems ragen die alten krystaliini- 
schen Gesteine in Form langgestreckter Inseln über die Seditnent- 
gestemc empor; auf die flach geneigten Auf senseiten lagern sich sodann 
in regelmäfsiger Aufeinanderfolge die jüngeren Sedimentgesteine, sodafs 
man von den Höhen des Gebirges nach Osten oder Westeti fort- 
schreitend, immer jüngere Gesteine betritt. Die Reihenfolge derselben 
ist vollständig vom Buntsandstein bis zum obersten Jura, während 
die Schichten der Kreidezeit in ganz Süddeutschland fehlen, so dafs 
auf den Jura direkt die tertiären Ablagerungen aufgelagert sind. 

Wie so die südwestdeutschen Gebirge in Bezug auf die räum- 
liche Anordnung der Sedimentgesteine eine bestimmende Rolle 
spielen, so ist dies auch in dem inneren Bau der Fall: alle Schichten 
vom Bunisandstein aufwärts fallen von den alten Gebirgslcernen ab 
und nehmen gleichzeitig mit wachsende)' Entfernung von den beherr- 
schenden Zentralmassen an Mächtigkeit zu. 

Auch in der Richtung von Süden nach Norden, der Längs- 
richtung der beiderseitigen Gebirge, zeigt sich Übereinstimmung, 
indem die Höhe nach Norden zu immer mehr abnimmt. Sehr regel- 
mäfsig ist diese Abnahme auf der linken Rheinseite, so dafs Vogesen 
und Hardt geradezu Zusammenhängen, während rechts des Rheins 
Schwarzwald und Odenwald durch eine weite Senkung: das Kreich- 
gauer Hügelland, getrennt sind, in welchem sich die jüngeren 
Gesteine bis zum Rande der Rheinebene ausdehnen, wo sie durch 
einen niedrigen, aber ebenfalls steilen Absturz abgeschnitten sind. 

In dieser Senkung ist der Schichtenbau ein muldenförmiger, wobei 
die jüngeren Gesteine im Tiefsten der Mulde liegen. 

Während links des Rheins das oberrheinische Gebirgssystem 
südlich von Mainz aufhört, setzt es sich auf der rechten Seite, wie 
von Gümbel (diese Zeitschrift, Bd. IV, Heft 1) ausgeführt wurde, 
noch über den Main in dem Spessart fort, welcher, wie dort nach- 
gewiesen wurde, in orographischer wie in geologischer Beziehung 
als Fortsetzung des Odenwaldes erscheint. 

Gehen wir nun zum Schwarzwald selbst über, so steht uns 
hier zur Beurteilung seiner orometrischen Verhältnisse die kürzlich 
erschienene vorzügliche Arbeit über die Orometrie des Schwarzwaldes 
von Prof. Br. Neumann in Freiburg (erschienen als Heft 2 des ersten 
Bandes der Geographischen Mitteilungen, herausgegeben von Penck, 

Wien 1886) zu Gebot, aus welcher wir mit gütiger Erlaubnis des 
Verfassers das Wesentliche der folgenden Angaben entnehmen. 

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Die Umgrenzung des Gebirges ist im Süden wie im Westen 
durch die Natur selbst gegeben, im Süden durch den Rhein, im 
Westen durch die den Steilabfall begrenzende Tiefebene, an deren 
Rande zwar stellenweise breitere oder schmalere Hügelketten eine 
Zwischenstufe von wesentlich andern topographischen Charakter 
bilden, indessen im Gegensatz zur Ebene dem Gebirge zugerechnet 
werden müssen. 

Im Norden und Westen ist eine natürliche Grenze nicht vor- 
handen; ziemlich allgemein wurde bisher diese Grenze nach dem 
geologischen Bau dahin verlegt, wo der Muschelkalk dem Bunt- 
sandstein aufgelagert ist, indem mit dem Auftreten des Muschelkalks 
Bewohnung, Bewaldung und topographischer Charakter sich ändern. 
Neumann zieht die Grenzen etwas weiter, indem er als Nordgrenze 
die Linie von Durlach nach Pforzheim, als Ostgrenze die Flüsse 
Nagold, Neckar und Wutach annimmt, um dadurch für die Orometrie 
Tiefenlinien als Umgrenzung zu erhalten. 

Nach diesen erweiterten Grenzen beträgt das gesamte Areal 
7862,21 qkm, wovon auf den badischen Anteil 6063,23 qkm oder 
77,12 Prozent, auf den württembergischen einschliefslich eines kleinen 
Stückes von Hohenzollern 1798,88 qkm oder 22,88 Prozent entfallen. 
Dem Donaugebiet gehören nur 513, 40 qkm oder 6,53 Prozent, dem 
Rheingebiet 7348, 8i qkm oder 93,47 Prozent an. 

Scheidet man das Muschelkalkgebiet aus, welches nördlich und 
östlich den eigentlichen Schwarzwald umgiebt, nimmt man also statt 
der oben angegebenen Flufsläufe die Linie Malsch (bei Rastatt), 
Dobel, Pforzheim, Nagold, Villingen, Gündelwangen als Grenze, so 
enthält dieser Schwarzwald im engeren Sinne noch 6958, 81 qkm, in 
welcher Zahl noch die Vorhügel mit inbegriffen sind. Die im fol- 
genden angegebenen Zahlenwerte beziehen sich sämtlich auf das von 
Neumann angenommene gröfsere Areal ; für den eigentlichen Schwarz- 
wald würden die Höhenzahlen etwas gröfser ausfallen. 

Die Längenerstreckung des ganzen Gebirges von Durlach bis 
zum Rhein bei Laufenburg beträgt 163,8 km, die mittlere Breite 
48,u km, während die gröfste Breite (Ost-Westrichtung) im Süden 
gegen 70 km beträgt und gegen Norden ziemlich regelmäfsig ab- 
nimmt. 

Zwei westöstlich gerichtete Depressionen durchschneiden das 
ganze Gebirge und bewirken dadurch eine natürliche Gliederung in 
einen südlichen, mittleren und nördlichen Teil, im Süden die ent- 
gegengesetzt gerichteten Thalläufe der Dreisam und der oberen 
Wutach, deren Wasserscheide auf 890 m Höhe durch ein flaches 

13 * 


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Torfmoor gebildet wird, und das Thal der Kinzig, welche, auf dem 
Ostabhange entspringend, den Schwarzwald in seiner ganzen Breite 
durchschneidet. Durch die fast geradlinig südnördlich gerichteten 
Längsthäler der Brigach, Schiltach, oberen Kinzig und Murg wird 
dann noch ein viertes Gebiet, der östliche Schwarzwald, abgegrenzt. 

Der topographische Charakter des Gebirges ergiebt sich am 
einfachsten aus der Betrachtung des Längs- und Querprofils. Das 
Querprofil zeigt überall — von den Thaleinschnitten abgesehen — 
dieselbe Gestaltung: Steilabfall gegen Westen nach dem Rheinthal, 
ganz allmähliche Senkung gegen Osten, also eine Plateaubildung, 
welche stellenweise den Charakter einer welligen Hochebene an- 
nimmt; von einem scharfen Gebirgskamm ist nirgends die Rede. 
Als Längsprofil wird daher die Linie betrachtet, welche parallel 
dem steilen Westabfall über die höchsten Punkte geht. Am Süd- 
fufse von dem Ufer des Rheins steil bis auf etwa 1000 m auf- 
steigend, erhebt sich der Rücken alsdann langsam bis zum Kul- 
minationspunkt im Feldberg (1495 m), von wo er sich allmählich bis 
zur Dreisam- Wutach- Wasserscheide (890 m) senkt. Nach Üeber- 
schreitung dieser Tiefenlinie hebt sich der Kamm wieder bis zu dem 
nahe gelegenen Kulminationspunkt, der Weifstannenhöhe (1192 m) 
und senkt sich von da allmählich zur Kinzig, hebt sich nördlich davon 
allmählich wieder bis 1166 m auf der Hornisgrinde, dem höchsten 
Punkt des nördlichen Schwarzwaldes, von wo aus sich die Höhe 
gegen Norden sehr allmählich vermindert. Sehr schön übersieht man 
diesen Verlauf von einem Punkt der gegenüberliegenden Vogesen, 
was aber hier als einheitlicher Kamm erscheint, ist gebildet durch 
die perspektivische Vereinigung mehrerer hintereinander liegenden 
Rücken. Dem Plateaucharakter des Gebirges entsprechend erheben 
sich die Berge nur wenig über die breiten Rücken und zwar im 
allgemeinen mit abgerundeten, wenig charakteristischen Formen; 
was in den Thälern als einzelne Berge erscheint, sind nur die Aus- 
läufer der durch Seitenthäler gebildeten Ketten. Nur im südlichen 
Schwarzwald erheben sich einzelne der höchsten Berge bedeutend 
über die umgebenden Rückenlinien, so Feldberg, Belchen und Blauen. 
Ebenso liegen die Pässe meist relativ hoch, manche, z. B. der 
Kniebis, führen geradezu über die Hochfläche ohne irgend welche 
Einsenkung. 

Zahlreiche Thäler durchschneiden den massigen Gebirgskörper 
und bedingen eine komplizierte Gliederung , welche in den vier 
Hauptteilen eine wesentlich verschiedene ist, wie auch die Thal- 
gestaltung selbst. 


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— 185 


Im südlichen Schwarzwald beginnen dieselben fast ausnahmslos 
als weite flache Hochthäler, und gehen nach unten rasch in steil— 
wandige oft felsige Thalschluchten mit starkem Fall der Thalsohle 
über. In diesen Hochthälem liegen daher zahlreiche gröfsere 
geschlossene Ortschaften und Städte, wie Lenzkirch, Neustadt, St. 
Blasien, Todtmoos, Schönau, Todtnau u. a. in Höhen von 6 — 800 m. 

Im mittleren Schwarzwald ist der Hochthalcharakter nur schwach 
und auf kürzere Strecken ausgeprägt, der Mittellauf entbehrt meist 
der steilen Felspartien, während die Thäler im Unterlauf sich oft 
bedeutend erweitern und so ziemlich tief ins Gebirge einschneidende 
fast ebene Thalsohlen bilden. 

Im nördlichen Schwarzwald sind die Verhältnisse nahezu die- 
selben, auch hier nimmt das Thalgefälle von oben nach unten ab, 
nur die Murg macht hiervon eine Ausnahme, indem das Gefäll des 
Mittellaufs das stärkste ist und dieser Teil sich zugleich durch 
felsige Thalwände auszeichnet. 

Der östliche Schwarzwald, dessen Thäler dem Neckar znlaufen, 
sowie das Donaugebiet des mittleren Schwarzwaldes hat durchweg 
weite flache Thäler mit geringem Gefäll. 

Im südlichen Schwarzwald herrscht die südliche Thalrichtung 
bei weitem vor, während die Hauptkämme vom höchsten Punkt, 
«lern Feldberg, nach Osten, Süden und Westen ausstrahlen und die 
Seitenkämme sich dem Laufe der Thäler entsprechend parallel 
nach Süden richten. 

Im mittleren Schwarzwald wird die Konfiguration der Höhen 
durch die nördlich verlaufenden Thäler der oberen Elz und der 
Gutaeh bedingt, welche, letztere von zwei breiten Hauptkämmen 
begleitet wird, die beide an der Kinzig endigen. 

Parallel damit erhebt sich nahe dem Westabfall noch ein 
dritter Kamm, der durch die in einer Linie von Süd nach Nord 
steil und felsig aufsteigenden kegelförmigen Porphyrberge (Hühner- 
sedel, Geisberg, Geroldsecker Schlofsberg, Rauhkasten, Steinfirst) 
eine von dem Charakter des höheren Schwarzwaldes abweichende 
Physiognomie erhält. Der östliche, dem Wutach- und Donaugebiet 
angehörige Teil des mittleren Schwarzwaldes mit seinen zahlreichen 
östlich gerichteten Thälern hat den Plateaucharakter, ohne erheblich 
aufsteigende Kämme. 

Der nördliche Schwarzwald enthält nur einen Hauptkamm, der 
sich in der Hornisgrinde auf 1166 m erhebt und sich dort zugleich 
am meisten dem Rheinthal nähert. Nur im südlichen Teil zieht 
noch ein bedeutender Seitenkamm dem Hauptkamme parallel. 


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Im östlichen Schwarzwald zieht sich die Hauptwasserscheide 
zwischen Kinzig und Murg einerseits, Neckar und Nagold ander- 
seits, als flacher Rücken, der nicht mehr als Gebirgskamm bezeichnet 
werden kann, nahe den Flüssen, welche dieses Gebiet westlich 
begrenzen, von Süd nach Nord und steht nur an zwei Stellen mit 
den westlichen Kämmen in Verbindung. Die zahlreichen östlich 
laufenden Flüsse zerteilen das Plateau in einzelne Felder ohne her- 
vorragende Bergkuppen oder Einschnitte, während der steile West- 
abfall nur ganz kurze Seitenäste aussendet und so als gleichförmig 
aus den tiefgelegenen Thalsohlen aufsteigende Wand erscheint. 

Noch charakteristischer drückt sich die Gestaltung des Gebirges 
in den von Neumann ermittelten orometrischen Werten aus, von 
welchen hier die wichtigsten aus dem früher angeführten Werke 
mitgeteilt werden. 

Die mittleren Höhenverhältnisse ergeben sich aus folgender 
Tabelle (pag. 32, Neumanns Orometrie) 


Gruppe 

Summe 

aller 

Kamm- 

längen 

Mittlere 

Kamm- 

hölie 

Mittlere 

Schartung 

Mittlere 

Gipfelhöh. 

c3 OP 
02 J! 
*o 

53 £ 

fl? 

S ■** 

km 

m 

m 

m 

m 

Südlicher Schwarzwald 

713,9 

854,1 

49,7 

879,0 

829,3 

Mittlerer do. 

650,8 

792,9 

33,4 

809,6 

776,2 

Nördlicher do. 

415,8 

725,3 

45,2 

747,9 

792,7 

Östlicher do. 

500,3 

656,8 

12,6 

663,1 

650,5 

Ganzes Gebirge 

2280,8 

769,8 

36,1 

787,9 

751,8 


Der südliche Schwarzwald erscheint somit sowohl in den 
Gipfel- wie in den Kammhöhen als der höchste Teil; 16 Kämme 
erheben sich hier über 1000 m, während der mittlere Schwarzwald 
deren noch 10, die übrigen Teile aber keine Kämme von dieser 
Höhe besitzen. 

Der Plateaucharakter drückt sich ferner besonders deutlich in 
der geringen mittleren Schartung aus, welche wiederum im südlichen 
Teil am gröfsten erscheint und hier in einzelnen Kämmen um die 
höchsten Punkte Werte von etwas über 100 m erreicht. An aus- 
gedehnten Strecken des östlichen Schwarzwaldes hingegen ist der 
Abfall so gleichmäfsig, dafs weder Gipfel noch Sättel auftreten, also 
auch keine Schartung bestimmt werden kann. 

Ein weiteres wichtiges orometrisehes Element ist die mittlere 
Thalhöhe, welche die Höhe des Sockels angiebt, auf welchem die 


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Kämme als liegende dreiseitige Prismen aufgesetzt sind. Es ergaben 
sich die folgenden Werte (1. c. pag. 33): 



Mittlere 

Sockelhöhe 

Relative 

Kammhöhe 

Südlicher Schwarzwald 

Mittlerer do. 

m 

608,0 

565,6 

460,1 

516,4 

m 

246.1 

227.3 

265.2 

140.4 

Nördlicher do. 

Östlicher do. 

Das Gebirge im ganzen 

545,5 

224,3 


Die relative Kammhöhe ist im nördlichen Schwarzwald am 
gröfsten, weil hier die Thäler am tiefsten eingeschnitten sind. 

Das ganze Gebirge kann somit aufgefafst werden als eine 
horizontale Platte von 7862,21 qkm Flächeninhalt und 545,5 m 
Höhe, auf welcher die Kämme in einer Länge von 2280,8 km mit 
einer mittleren Höhe von 224,3 m aufgesetzt sind. 

Der massige Charakter des Gebirges drückt sich auch in der 
Verteilung der Areale der einzelnen Höhenschichten aus. 57 Prozent 
des gesamten Areals liegen höher als 600 m, 26,01 Prozent über 
800 m und nur 6,4 Prozent über 1000 m. 

Der Kubikinhalt des ganzen Gebirges ergab sich zu 4987,2 cbkm, 
die mittlere Höhe oder die Höhe des ausgeehneten Plateaus zu 
635,8 m. 

Der Gesamtinhalt teilt sich in 

1) Sockelvolum : 4288,751 cbkm, 

2) Kammvolum: 698,536 „ 

Summa : 4987,287 cbkm. 

Dafs die Sonklarsche Methode der Volumberechnung, nach 
welcher die Kämme als liegende dreiseitige Prismen betrachtet 
werden, deren Volum aus der mittleren Thalhöhe, der mittleren 
Kammhöhe und dem Neigungswinkel bestimmt wird, nur bei den 
scharfgeschnittenen Kämmen des Hochgebirges anwendbar ist und 
auch da nur angenäherte Werte liefern kann, ist bekannt. Die 
Werte von Neumann wurden daher durch Benutzung der aus der 
Jordanschen Höhenschichtenkarte von Baden und Württemberg ent- 
nommenen Horizontalkurven von 200 m Vertikalabstand, deren 
Flächeninhalt planimetrisch bestimmt wurde, berechnet und haben 
somit grofse Zuverlässigkeit. 

Die Volumbestimmung, wie sie von Sonklar eingeführt wurde, 
leidet aber an einem prinzipiellen Fehler, indem das Gebirgsvolum 


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vom Meeresspiegel aus gerechnet wurde. Zur Gebirgsmasse gehört 
aber nur dasjenige Volum, welches sich über die Umgebung erhebt. 

Zur Charakterisierung des Gebirges mufs daher noch eine 
neue Gröfse eingeführt werden: die Höhe der Gebirgsbasis. 

Für den Schwarzwald berechnet sich die Höhe der Basis 
folgendermafsen : 



Länge 

Mittlere 

Höhe 

Produkt. 

Westrand 

200 km 

154 m 

30800 

Südrand 

60,7 „ 

270,1 „ 

16395 

Ostrand 

194,75 „ 

401,9 „ 

89 958 

Nordrand 

26,0 „ 

193,2 „ 

5004 


481,45km 142 157 


Durch Division der Produktensumme durch die Gesamtlänge 
erhält man die mittlere Höhe der Basis = 295,26 m. 

Da nun die Meereshöhe des Sockels 545,5 m beträgt, so ist 
die Dicke des Sockels über der Gebirgsbasis gleich 545,5 — 295,3 = 
250,2 m. 

Demnach ist das Sockelvolum über der Basis gleich 7862 


X 250,2 = 1967,2 cbkm 

Hierzu das Kammvolum 698,5 „ 


folglich das Gesamtvolum des Gebirges über der Basis 2665,7 cbkm- 
Die Masse des Sockels ist also etwa dreimal gröfser als die Masse 
der Kämme. 

Bei der Berechnung der Lotablenkung durch die Gebirge kommt 
offenbar nur die auf diese Weise berechnete Masse in Betracht. 

Ein charakteristisches topographisches Element des Schwarz- 
waldes bilden die Seen. Nach ihren topographischen Verhältnissen 
können sie in zwei wesentlich verschiedene Gruppen geteilt werden, 
die wir kurz als Thalseen und Bergseen bezeichnen wollen. 

Die Seen der ersten Gruppe liegen in gröfseren Thälern und 
sind durch langgestreckte Form, wie durch ihre Gröfse ausgezeichnet. 
Zu ihnen gehören: 

1) der Titisee, im Flufsgebiet der Wutach, 1,078 qkm grofs, 
von ovaler Gestalt, Wasserspiegel 848 m über dem Meere, 
Tiefe 39 m, 

2) der Schluchsee im Gebiet der Schwarza, ebenfalls dem 
Flufsgebiet der Wutach angehörig, 1,014 qkm grofs, 
lang und schmal, Wasserspiegel 900 m, Tiefe 28,5 m. 

Beide Seen sind oberhalb durch flache, sich nur wenig über den 


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Seespiegel erhebende Torfmoore abgeschlossen, welche eine frühere 
gröfsere Ausdehnung bezeichnen; nach unten sind sie durch dilu- 
viale Geröllmassen abgeschlossen , in welche der Abflufs einge- 
schnitten ist; bei beiden ist der Boden auf gröfsere Strecken 
horizontal. 

Beide Seen sind offenbar Stücke des alten Thalbodens, welcher 
unterhalb durch Geröllmassen ausgefüllt worden ist. Beim Titisee 
wird diese Entstehung dadurch besonders wahrscheinlich gemacht, 
dafs das ganze Thal unterhalb des Sees 5 km weit mit Gerollen 
ausgefüllt ist, in welche der Ablauf eingegraben ist; anstehender 
Fels kommt in der Thalsohle erst bei Neustadt in der Höhe von 
807 m, 4,1 m unter dem jetzigen Seegrund, zum Vorschein. 

Beim Schluchsee liegt die Sache etwas anders; sein jetziger 
Abflufs ist in der Richtung nach Süden in den Felsen eingeschnitten, 
aber sicher nicht der ursprüngliche, welcher der Richtung des Sees 
und des oberen Thals entsprechend gegen Südosten ging und nun 
durch mächtige Geröllmassen abgesperrt ist. 

Diesen Thalseen ist auch der kleine W indgfällweier, zwischen 
Titisee und Schluchsee nahe bei einer sekundären Wasserscheide 
gelegen, zuzurechnen. 

Mehrere Hochthäler des Schwarzwaldes, welche einen ebenen 
moorigen Grund besitzen, sind wahrscheinlich ausgefüllte Seebecken. 

Auch die Gruppe der Bergseen zeigt viel Übereinstimmendes. 
Sie liegen sämtlich in kesselförmigen Ausweitungen der im übrigen 
ziemlich regelmäfsig abfallenden Bergwände, haben also sehr schön 
die Zirkusform und sind nach unten durch niedrige Hügel abge- 
schlossen. In der Regel werden sie nur durch Quellen gespeist, 
welche am Hintergrund des Kessels entspringen. Ihre Form ist 
meistens annähernd kreisrund, ihre Tiefe gering (12 — 20 m), der 
Grund und die nächste Umgebung torfig und das Wasser, wie auch 
das der gröfseren Thalseen, durch aufgelöste Humussubstanzen 
braun gefärbt. Ihr Durchmesser beträgt meistens nur 2 — 300 m. 

Zu dieser Gruppe gehören : 

1) Der Wildsee (913 m) im Murggebiet. (Buntsandstein.) 

2) „ Schurmsee (789 m) im „ „ 

3) „ Ellbachsee „ „ „ 

4) „ Herrenwieser See (830 m) im Murggebiet. „ 

5) „ Mummelsee (1032 m) im Achergebiet. „ 

6) „ Glaswaldsee (876 m) „ Kinziggebiet. „ 

7) „ Feldsee (1113 m) „ Wutachgebiet. (Gneis.) (Am 

Ostabhang des Feldbergs.) 


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8) Der Nommattweier (913 m) im Wiesegebiet. (Culm.) 

(Fast ganz mit Torf überwachsen.) 

An vielen Stellen des Schwarzwaldes linden sich ganz gleich 
gestaltete kesselförmige Ausweitungen, deren Boden gänzlich mit 
Torf ausgefüllt ist, und die wohl auch als ehemalige Seebecken 
anzusehen sind; manche derselben enthalten noch zeitweise etwas 
Wasser. 

Verschieden hiervon sind die beiden Seen auf dem Plateau 
des Hohloh, östlich vom Murgthal, deren Umgebung sich nur ganz 
wenig über den Wasserspiegel erhebt: der Hornsee und Hohlohsee. 
Sie sind nur 1 — 2 m tief und teilweise mit Torf überwachsen. 

Erwähnung verdient noch der veränderliche Eichener See im 
Muschelkalkgebiet bei Schopfheim im Wiesenthal. Er bildet eine 
flache von unregelmäfsig geformten Hügeln eingeschlossene Vertiefung, 
welche gewöhnlich als Wiese und Ackerfeld benützt wird und sich 
in nassen Jahren 1 — 2 m hoch mit Wasser füllt. Dasselbe steigt 
aus dem lehmigen Boden auf und verschwindet ebenso wieder, 
ohne dafs hier irgend welche Oeffnungen vorhanden wären. 

B. Geologie. 

Nirgends auf der Erde ist die vollständige Reihe der Gesteins- 
bildungen vorhanden , auch die Gesteinsfolge des Schwarzwaldes 
zeigt einige bedeutende Lücken. Es fehlen nämlich die dem 
Gneis, welcher die Zentralmasse des Schwarzwaldes bildet, im 
Alter zunächst folgenden krystallinischen Schiefer mit dem cam- 
brischen und sibirischen System, ferner die Gesteine der Kreidezeit 
gänzlich, während die Schichten der Tertiärzeit nur am Rande in 
vielfach unterbrochenen isolierten Ahlagerungen Vorkommen. Dabei 
ist aber die Raumerfüllung der einzelnen Gesteine eine sehr ungleiche, 
indem Gneis, Granit, Buntsandstein und Muschelkalk der Ausdehnung 
nach so sehr überwiegen, dafs die andern Formationen dagegen 
fast verschwinden. Von dem Schwarzwald in der oben angegebenen 
weiteren Umgrenzung nehmen die einzelnen Formationen folgende 
Flächenräume ein: 


Gneis 1900 Quadratkilometer oder 24, ie Prozent 

Granit 1400 „ „ 17 , 8 « „ 


Bundsandstein . . . 2420 „ „ 30,79 „ 

Muschelkalk 1224 „ „ 15, ss ,, 

Summa . . . 88,6* Prozent 

die paläozoischen Gesteine, Kohlenformation und Rotliegendes er- 


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füllen etwa 200 qkm oder 2 Prozent, während die sämtlichen 
jüngeren Gesteinsbild ungen in dem Rest von 9,s« Prozent enthalten 
sind, in welchem wieder die Diluvialbildungen der Vorhügel den 
weitaus gröfsten Raum beanspruchen. Da der Muschelkalk nur auf 
die äufsere Umrandung beschränkt ist und geologisch eigentlich nicht 
zum Schwarzwald gehört, so sind im eigentlichen Schwarzwald 
Gneis, Granit und Buntsandstein die weitaus vorherrschenden und 
charakteristischen Gesteine, neben denen nur noch die Porphyre 
mehr durch ihr auffallendes Hervortreten, als durch Einnehmen 
gröfserer Flächenräume zu bemerken sind. 

I. Krystallinische Gesteine, 

1) Gneis. 

Der Gneis bildet als zusammenhängende Masse den zentralen 
Gebirgskern des Schwarzwaldes von Badenweiler bis zum Renchthal 
in einer südnördlichen Erstreckung von 84 Kilometer mit einer 
mittleren Breite von 20 Kilometer, welche sich zwischen Freiburg 
und Neustadt auf 34 Kilometer erweitert. Südlich des Kinzigthals 
frei zu Tage ausgehend, wird er im nördlichen Theil von der an- 
fangs nur in schmalen Zügen, dann immermehr sich in die Breite 
ausdehnenden Masse des Bunt Sandsteins bedeckt; dafs er sich aber 
nördlich wie südöstlich noch weiter ausdehnt, beweist das Vor- 
kommen desselben in den tief eingeschnittenen Thälern der Murg und 
Wutach. Von Badenweiler bis zum Elzthal bildet Gneis den westlichen 
Steilabfall des Gebirges und erhebt sich zugleich zu den gröfsten 
Höhen : Feldberg (1495 m), Herzogenhorn (1417 m), Belchen (1415 m), 
Schauinsland (1286 m) und Kandel (1243 m); von hier an nördlich 
sind ihm jüngere 0 steine in niedrigen Bergen und Hügelzügen 
vorgelagert. 

Getrennt von dem Hauptstock liegen noch im südlichen 
Schwarzwald zwei gröfsere isolierte Gneismassen zwischen den Thälern 
der Werra und Wutach, im Norden zwischen Achern und Bühl eine 
dritte, welche sich im Omerskopf bis auf 874 m erhebt. 

Im ganzen Gebiet herrscht eine Varietät des Gneises so sehr 
über alle andern vor , dafs sie als Schwarzwald-Normalgneis be- 
zeichnet werden kann. Es ist dies ein kömig-flaseriger , dunkler 
Gneis, aus Quarz, Orthoklas und Biotit zusammengesetzt, mit ganz 
geringem Gehalt an Plagioklas, welcher nur selten (Petersthal) den 
Orthoklas an Menge übertrißt. Quarz und Feldspat bilden mit 
wenig Glimmer ein kleinkörniges Gemeng in dünnen Lagen, welche 
durch glimmerreiche Lagen verbunden sind. Die parallele Anordnu 


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dieser glimmerreichen Lagen giebt, dem Gneis die schiefrige Struktur, 
welche auch als Schichtung bezeichnet wird. Die Schieferurigsflächen 
sind aber nur selten auf gröfsere Erstreckungen hin gleichförmig, indem 
sich die Glimmerlagen auskeilen ; auch sind sehr häufig diese Flächen 
auf das Unregelmäfsigste gewunden, gebogen, oft spiralförmig gerollt 
und geknickt, so dafs sich nirgends gröfsere Platten durch Spaltung 
gewinnen lassen. 

ln dieser Hauptmasse liegen nun noch folgende Varietäten 
eingeschaltet : 

a) körnig-streifiger Gneis, aus geradlinigen sehr gliiniuerarmen 
und glimmerreichen Bändern von grofser Festigkeit zusammengesetzt. 

b) körniger granüischer Gneis, sehr glimmerarm und dieser 
regellos zerstreut, gröfstenteils von heller, oft weifser Farbe. Teil- 
weise ist das Gestein von Granit im Handstück nicht zu unter- 
scheiden, geht aber häufig durch Vermehrung und parallele Lagerung 
der Glimmerhlättehen in wahren Gneis über. Häufig enthält das 
Gestein kleine Granaten eingesprengt. 

c) schiefriger Gneis, glimmerreich, der Glimmer gleichinäfsig 
in parallelen Schuppen dem ganzen Gestein eingelagert, so dafs dieses 
sich an jeder Stelle spalten läfst ; durch glimmerreiche dünne Streifen 
wird das Gestein in einzelne Bänke von 2 — 3 cm Dicke geteilt. 
In der Regel ist der schiefrige Gneis stark verwittert. 

d) Hornblendegneis, von dunkler, meist schwarzgrüner Farbe 
und sehr verschiedenem äufserem Ansehen. Hornblende und Orthoklas 
sind die herrschenden Bestandteile, Quarz, Glimmer und sehr wenig 
Plagioklas sind ebenfalls regelmäfsig vorhanden, Granat ebenso ein 
fast nie fehlender und oft in grofser Menge vorhandener Bestandteil, 
Titanit ist selten, häufiger Magneteisen. Am deutlichsten sind diese 
Bestandteile in den grobkörnigen Varietäten erkennbar, welche teil- 
weise ein vollkommen körniges Gefüge annehmen, und dann im 
Handstück nicht von Diorit oder Syenit zu unterscheiden sind. Ist 
die Hornblende etwas reichlicher vorhanden und die Struktur fein- 
körnig, so erscheint das Gestein fast homogen, so dafs erst im Dünn- 
schliff die Zusammensetzung erkannt werden kann, und zwar teils 
ohne Anzeichen schiefriger Struktur, teils durch parallele Lagerung 
der Hornblendekrystalle unvollkommen schiefrig. Zu den Hornblende- 
gneisen gehören auch die hellgrauen, anscheinend dichten Gesteine, 
welche früher als Cornubianite bezeichnet wurden und sich zum 
Teil durch eigentümliche Struktur auszeichnen, indem Quarz, Horn- 
blende oder Granat rundliche Knoten bilden, um welche sich die 
■“Vigen Bestandteile in welligen Lagen herumschlingen. Stellenweise 


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193 — 


geht der Hornblendegneis durch Überhandnehmen des Granats in 
eklogitähnliche Gesteine über. 

Alle diese Gesteine zeichnen sich durch grofse Festigkeit und 
Zähigkeit aus; sie ragen daher häufig als Felsen über die Umgebung 
hervor oder liegen in grofsen Blöcken auf der Oberfläche ; sie werden 
mit Vorliebe als Schottermaterial beim Strafsenbau verwendet. 

e) roter Muscovitgneis, aus Quarz, rotem Feldspat und weifsem 
Kaliglimmer bestehend, meist glimmerarm und deshalb undeutlich 
geschiefert. 

f) Porphy rartiger Gneis, durch ziemlich grofse, häufig regel- * 
mäfsig ausgebildete Feldspatkrystalle ausgezeichnet, findet sich vor- 
zugsweise an der Grenze zwischen Gneis und Granit. 

An accessorischen Mineralien ist der Gneis arm. Häufig finden sich 
grofse nester- oder stockförmige Ausscheidungen eines sehr grob- 
körnigen Gemenges von Feldspat, Quarz und Glimmer, in welchem der 
erstere, teils Orthoklas, teils Mikroklin, in faust- bis kopfgrofsen spalt- 
baren Massen an Menge weitaus überwiegt; nach aufsen gehen diese 
Massen indes immer durch Abnahme des Korns und Eintreten paralleler 
Lagerung in den gemeinen Gneis über. Wollastonit, körniger Kalk, 
Hornblende mit etwas Granat, Vesuvian und Titanit bilden einige 
zollmächtige Schichten im normalen Gneis bei Berghaupten an der 
Ausmündung des Kinzigthals ; Graphit kommt ebenda und im Rench- 
thal als Vertreter des Glimmers, manchmal in reichlicher Menge, vor ; 
eine eigentümliche Mineralkombination von Plagioklas, Grämt und 
Glimmer bildet Felsen bei Schenkenzell im Kinzigthal und wurde 
unter dem Namen Kinzig it als besondere Felsart bezeichnet. Auch 
eine dolomitische Zwischenlage findet sich im Gneis bei Oppenau im 
Renchthale. 

Die Lagerungsverhältnisse des Gneisgebiets sind bis jetzt 
noch nicht vollständig bekannt. Im allgemeinen ist das Fallen 
steil, und zwar vorherrschend gegen Norden und Nordosten gerichtet. 

Im südlichen Schwarzwald haben neuere Untersuchungen gezeigt, 
dafs die Zone der roten Gneise das Liegende bildet, während die 
Wollastonit und Kalk führenden Lagen wohl zu den obersten gehören 
dürften, welche Lagerung mit den in Bayern und Sachsen genauer 
bekannten übereinstimmt. 

Sehr zahlreich sind die Erzgänge im Gneis, auf welchen im 
vorigen und teilweise noch im Beginn dieses Jahrhunderts ein leb- 
hafter Bergbau betrieben wurde. Sie sind meistens zu gröfseren 
Gangzügen mit nahezu parallelem Streichen vereinigt. Der gröfste 
Teil derselben enthält als Haupterz silberhaltigen Bleiglanz, in’ 


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— 194 


Kinzigthal kommen auch Kupferkiesgänge vor; Eisenerzgänge sind 
ebenfalls verbreitet, doch meistens unbauwürdig. Kalkspat, Schwer- 
spat, Flufsspat und Quarz sind die hauptsächlichsten Begleiter 
der Erze. 

Durch die Untersuchungen von Sandberger wurde nachgewiesen, 
dafs diese Gänge durch Auslaugung des Nebengesteins, und zwar 
vorzugsweise des Glimmers, entstanden sind, indem sich in diesem 
die sämtlichen auf den Gängen vorkommenden Mineralbestandteile 
nachweisen liefsen. 

* Der Gneis ist sehr reich an Quellen, welche sich durch grofse 

Reinheit auszeichnen und oft noch auf grofsen Höhen Vorkommen. 
Mineralquellen sind vorzugsweise im Renchthale bekannt (Rippoldsau, 
Antogast, Petersthal, Griesbach u. a.), wo sie ihre Bestandteile, wie 
die Erzgänge, aus dem Nebengestein entnehmen. Keine derselben 
besitzt eine höhere Temperatur, sie stammen also nicht aus gröfserer 
Tiefe. Der Verwitterung unterhegt der Gneis in sehr ungleichem 
Mafse, am meisten der glimmerreiche schiefrige Gneis, welcher oft 
in grofser Tiefe bei noch erhaltener Struktur alle Festigkeit ein- 
gebüfst hat und von tiefen Wasserrissen durchfurcht ist; die feld- 
spatreichen, besonders die körnigen, ebenso die hornblendeführenden 
Gneise erhalten sich lange frisch, doch wechseln häufig frische mit 
stark verwitterten Lagen, welche letzteren in der Regel Quellen führen, 
wobei es unentschieden bleibt, ob die Wasser die Ursache der Ver- 
witterung, oder die durch die Verwitterung bedingte Lockerung und 
stärkere Zerklüftung die Ansammlung des Wassers verursacht. Auch 
der rote Gneis ist meistens stark durch Verwitterung angegriffen 
und zerklüftet. 

Vollkommen verwittert bildet der Gneis einen lockeren frucht- 
baren Lehmboden, welcher, besonders auf der Hochebene, auf weite 
Strecken den Boden überzieht und nur wenig und kleine unverwitterte 
Gesteinsbrocken einschliefst. 

Im ganzen Gebiet zeigt der Gneis sehr übereinstimmende 
charakteristische Bergformen. Die Abhänge sind meist geradlinig, 
selbst nach unten hin steiler werdend, und setzen daher schroff und 
unvermittelt an den Thalsohlen ab. Häufig setzen sich die Linien 
der Abhänge bis zum Gipfel fort, so dafs, da isolierte Berge nicht 
Vorkommen, dachförmige Berggestalten mit welliger Firstlinie ent- 
stehen, so besonders in den tieferen Seitenkämmen, während die das 
Plateau überragenden Berge häufig gerundete Gipfel tragen. Die 
Kammsysteme des Gneisgebiets haben meistens einen sehr regel- 
mäfsigen Bau, indem von einem Hauptkamm rechtwinklig sich 


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— 195 — 


ansetzende Seitenkämme ausgehen; die Wände gröfserer Thäler 
erhalten dadurch einen ausgesprochen kulissenförraigen Bau. Da 
die Höhe der Ketten ziemlich regelmäfsig vom Ursprung an abnimmt, 
sind die Kammsysteme in der Kegel von höheren Punkten aus leicht 
übersichtlich. 

2) Granit. 

Nach dem Gneis besitzt der Granit die gröfste Verbreitung 
unter den kristallinischen Gesteinen. Die Hauptmasse desselben 
umschliefst den Gneis als fast zusammenhängendes, bald schmäleres, 
bald breiteres Band auf der Süd-, Ost- und Nordseite. 

Aufserdem erscheint er im Gneisgebiet teils in Form gröfserer 
oder kleinerer stockförmiger Massen, teils in Gängen, welche oft 
mehrfach parallel laufend oder von einem Punkte ausstrahlend, 
bestimmte Gangzüge bilden, wie z. B. im unteren Kinzigthal und 
im Renchthal. Diese Gänge schliefsen häutig, zum Beweise ihres 
eruptiven Charakters, eckige Bruchstücke des Nebengesteins ein. 

Der meiste Granit des Schwarzwaldes besteht aus zweierlei 
Feldspat (Orthoklas und Oligoklas), Quarz und dunklem (Magnesia-) 
Glimmer (Biotit), ist also nach der Nomenklatur von Rose als 
Granitit zu bezeichnen; eigentliche Granite mit zweierlei Glimmer 
(Kali- und Magnesiaglimmer) und Granite mit nur weifsem Kali- 
glimmer (Muscoritgranite) treten nur sporadisch in beschränkter 
Verbreitung auf. 

Auch der Hornblendegranit, in welchem der Glimmer ganz oder 
teilweise durch Hornblende ersetzt ist, ist vorzugsweise auf den süd- 
lichen Schwarzwald beschränkt, wo er im Gebiet der Wiese und 
Wehra eine Reihe von Stöcken und gangartigen Vorkommnissen bildet. 

Schriftgranit, durch Verwachsung von stengeligem Quarz und 
Feldspat (meist Mikroklin) ausgezeichnet, und der grofskömige 
Pegmatit kommen nicht als selbständige Gebirgsmassen, sondern 
teils in nesterartigen Ausscheidungen, teils in Gängen von geringer 
Ausdehnung vor. 

Während beim Gneis die Verteilung der Varietäten eine regel- 
lose ist, unterscheiden sich die Granite der verschiedenen Lokalitäten 
in Farbe und Struktur derart, dafs fast jede Gegend einen ihr 
eigentümlichen Granittypus besitzt. 

Im Schwarzwald herrscht porphyrartiger Granit von heller 
Farbe vom Murgthal bis zum Acherthal; der Hauptgranitzug des 
Kinzigthals ist meist mittelkörnig, reicher an Plagioklas und von 
rötlicher Farbe, der des südlichen Albthals ist weifs und häufig 


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porphyrartig; im Wiesenthal herrscht ein rötlicher, häufig durch 
grofse rote Feldspatkrystalle porphyrartiger Granit. 

Von den die grofsen Granitmassive bildenden meist mittel- und 
grobkörnigen Graniten unterscheiden sich scharf die kleinkörnige u 
Granite , welche vorzugsweise in Gängen und kleineren Stöcken, 
sowohl im Granit- wie im Gneisgebiet auftreten. Die mittel- und 
grobkörnigen Granite besitzen sehr häufig eine deutliche bankförmige 
Absonderung, welche mit rechtwinkliger Zerklüftung verbunden ist, 
so dafs sich das Gestein in rechtwinklige Blöcke spalten läfst; die 
feinkörnigen Granite hingegen sind meist sehr regelmäfsig schief- 
winklig zerklüftet und zerfallen in rhomboedrisehe Trümmer. Häufig 
sind die Gebiete der erstgenannten Granite mit grofsen Massen eckiger 
oder unvollkommen gerundeter Blöcke bedeckt, welche stellenweise 
in großartigem Mafsstabe, Felsenmeere bildend, Vorkommen, so im 
Murgthale des nördlichen, im Alb- und Schwarzathal des südlichen 
Schwarzwaldes. Diese Blöcke sind vollkommen frisch, während der 
anstehende Granit meistens mehr oder weniger verwittert ist und 
werden daher vorzugsweise zu Steinhauerarbeiten verwendet. Ihrer 
grofsen Festigkeit und Dauerhaftigkeit wegen werden sie von den 
Fundstätten weit verführt. 

Der starken Zerklüftung des Granits wegen ist derselbe weit 
quellenärmer als der Gneis. Dieser starken Zerklüftung verdanken 
auch die an den Granit gebundenen Thermen des Schwarzwaldes 
(Baden, Liebenzell, Wildbad, Badenweiler) ihren Ursprung. Sie führeiv 
vorzugsweise Kochsalz und schwefelsaure Salze. 

An Erzgängen ist der Granit ärmer als der Gneis; sie finden 
sich hauptsächlich da, wo das Gestein in hohem Grade zersetzt ist 
(Wittichen im Kinzigthal) ; sie enthalten Bleiglanz, Kupferkies, 
gediegen Wismut und Silber; als Gangart erscheint hier haupt- 
sächlich Schwerspat, welcher häufig durch Quarz verdrängt ist, 
welcher noch die ursprüngliche Struktur und Kristallisation des 
Schwerspats bewahrt hat. Rot- und Brauneisensteingänge sind 
häufig (Forbach, Diersburg, Eisenbach), setzen aber nicht weit in die 
Tiefe nieder, meist nur so weit, als das Gestein verwittert ist, so dafs 
ihre Entstehung durch Auslaugung des Nebengesteins zweifellos ist. 
Bei Eisenbach im südlichen Schwarzwald treten auch zahlreiche 
aber wenig mächtige Braunsteingänge auf. 

Bei seiner Verwitterung erzeugt der Granit einen lockeren 
grusigen Boden, dem das Wasser bald die feineren erdigen Teile 
entführt, so dafs der Boden auf den Höhen flachgrundig, mager und 
trocken erscheint, für den Getreidebau wenig, vortrefflich aber für 


— 197 — 


die Weinrebe und den Wald geeignet, dessen Beschattung das Aus- 
trocknen des Bodens verhindert. An den tieferen Teilen der Abhänge 
und in den Thälern ist der Boden hingegen tiefgründig und sehr 
fruchtbar. 

Die Bergformen des Granits sind von denen des Gneises 
wesentlich verschieden. Es herrschen hier pyramidale Formen, welche 
durch kurze , steile , meist radienförmig verzweigte Seitenthäler 
getrennt sind und sich am Fufse durch Anhäufung des Schuttes 
verflachen. Die Gegend von Achern bietet ein typisches Bild einer 
Granitlandschaft. 

Dafs der Granit im allgemeinen jünger ist als der Gneis, 
ergiebt, sich schon aus dem gang- und stockförmigen Auftreten 
innerhalb des Gneisgebiets, sowie auch aus der Thatsache, dafs die 
Granitgänge häutig Bruchstücke des Gneises einschliefsen. In den 
Konglomeraten des Culm finden sich zahlreiche Granitgerölle, der 
grüfste Teil des Granits ist somit älter, doch sind Granitgänge auch 
in den Culm bei Lenzkirch eingedrungen, also jünger als die Haupt- 
masse, wie denn auch Granitgänge im Granit Vorkommen. 

Dem Granit schliefst sich zunächst der Diorit an, welcher 
gewöhnlich in Gesellschaft • der Hornblendegranite und zwar vorzugs- 
weise im südlichen Schwarzwald vorkommt; Plagioklas und Horn- 
blende, manchmal mit Glimmer, sind die Hauptbestandteile, das 
Gefüge körnig, stellenweise aber auch schiefrig, die Farbe dunkel 
schwarzgrün. Sie sind im Schwarzwalde nicht häufig; die wichtig- 
sten Vorkommnisse sind bei Offenburg (Riedle), Ebersteinburg, Ehrs- 
berg und Gersbach im Wiesenthal. An den beiden letzteren Orten 
geht das Gestein durch Aufnahme von Diallag, welcher stellenweise 
die Hornblende ganz verdrängt, in einen grofskörnigen Gabbro über, 
in dessen Gesellschaft sich auch bei Ehrsberg ein feinkörniger 
OUvhtpikrit in einzelnen Blöcken findet. 

Diese Gesteine stehen dem Granit im Alter wohl gleich. 

Achte Syenite und die in den Vogesen so verbreiteten Diabase 
fehlen dem Schwarzwald gänzlich. 

3) Porphyr. 

Der Porphyr ist im Schwarzwalde weit verbreitet, indessen 
nur selten, so in der Gegend von Baden, im Münsterthal und im 
Schutterthal, etwas gröfsere Flächenräume einnehmend ; meist ist 
sein Vorkommen auf einzelne oder gesellig vorkommende schmale 
Gänge oder Kuppen beschränkt. 

Eine dichte, manchmal versteckt krystallinische Grundmasse 

Geograph. Blätter. Bremen. 1887. 14 


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von sehr verschiedener Farbe (grau, grünlich, rötlich, violett, braun, 
oder weife) umschliefst gut ausgebildete Krystalle von Quarz, Feld- 
spat und Glimmer. Das Gestein ist teils unregehnäfsig zerklüftet, 
teils plattenförmig oder säulenförmig abgesondert, meist so stark, 
dafs sich keine gröfseren Blöcke gewinnen lassen, und die Berge 
mit ausgedehnten Schutthalden kleiner eckiger Trümmer umgeben sind. 

Steil aufsteigend erheben sich die Porphyrberge mit Kegel- 
oder Glockenform über das umgebende Terrain ; auch die Gänge 
ragen häufig wie Mauern über die Umgebung hervor, oder bilden 
in den Thälern stark vortretende steile Felsmassen. 

An manchen Stellen (Aubach bei Neusatz, bei Antogast im 
Renchthal, im Schutterthal) schliefsen die Porphyre eckige Bruch- 
stücke von Gneis ein und beweisen dadurch ihren eruptiven Charakter. 

Die verbreitetste Abänderung ist der Quarzporphyr, von dem 
über 200 einzelne Vorkommnisse bekannt sind. Eine Gruppe von 
Glimmerporpftyrgängen, von rötlichbrauner Farbe, quarzfrei, ist im 
mittleren Schwarzwald im Quellgebiet der Donau sehr verbreitet. 
Finitporphyr bildet einige Berge bei Baden und Gänge im südlichen 
Schwarzwald. 

Das geologische Alter der Porphyre ist sehr verschieden und 
reicht bis in die Periode des Rotliegenden, kann aber nur daim 
bestimmt werden, wenn dieselben mit geschichteten Gesteinen in 
Berührung treten. 

Als ältere Porphyre werden diejenigen bezeichnet, welche vor 
der Periode des Rotliegenden emporgestiegen sind; sie zeichnen sich 
durch gröfsere Frische und Härte und zahlreichere und gröfsere 
Kristalleinschlüsse, sowie durch ausschliefslich gang- oder stock- 
förmiges Vorkommen aus; solche Porphyrgänge sind z. B. im 
Münsterthal durch den Bergbau bis in grofse Tiefen verfolgt worden. 

Ein Teil dieser Porphyre ist älter als der Culm, indem dieser Gerolle 
von Porphyr einschliefst; andre hingegen treten im Culmgebiet 
gangförmig auf, sind also jünger. Die übrigen Vorkommnisse und 
gerade die mächtigsten, treten im Granit- und Gneisgebiet auf, im 
ersteren die zahlreichen Porphyrgänge der Gegend von Triberg, im 
letztem die Porphyre des Münsterthals ; sie können nur ihrer 
petrographischen Beschaffenheit wegen den älteren Porphyren zu- 
gerechnet werden. 

Die jüngeren Porphyre sind durch weichere, stark verwitterte 
Grandmasse und Armut an Kristalleinschlüssen petrographisch von 
den älteren verschieden; sie finden sich im Gebiete des Rotliegenden 
in Stöcken, sowie in Lagern, welche dem Rotliegenden eingeschaltet 

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sind, und sind selbst wieder von verschiedenem Alter, immer aber 
älter als das obere Rotliegende. Zu diesen gehören die grofsen 
Porphyrmassen der Gegend von Baden, sowie die kegel- und glocken- 
förmigen Berge des Schutterthals, welche in einer von Nord nach 
Süden streichenden Linie liegen, ebenso die Porphyre des unteren 
Kinzigthals und des Renchthals. Diese Ströme, teilweise noch vom 
oberen Rotliegenden bedeckt, lassen sich oft stundenweit verfolgen. 

C. Basalt. 

Schwarzwald und Vogesen sind arm an Eruptivgesteinen der 
Tertiärzeit, von welchen überhaupt nur der Basalt vorkommt. 

Im hohen Schwarzwald hat nur an einer einzigen beschränkten 
Stelle, am Hauenstein bei Homberg, der Basalt den Granit durch- 
brochen, die andern Vorkommnisse sind auf den westlichen Rand 
beschränkt. Bei Mahlberg bildet Basalt einen Hügel im Löfs; bei 
Maleck durchbricht Basalttuff den Muschelkalk, am Schönberg bei 
Freiburg den mittleren Jura, am Bromberg ebenda den Gneis. Das 
Gestein ist Nephelinbasalt, bei Mahlberg Melilit enthaltend. 

II. Sedimentgesteine. 

Die jüngeren kristallinischen Schiefer fehlen im Schwarzwald 
gänzlich, ebenso die ältesten paläozoischen Ablagerungen : das 
cambrische und sibirische System. 

1) Devonische Schiefer. 

Die ältesten Sedimentgesteine des Schwarzwaldes sind wohl die 
Thonschiefer, welche in der Stadt Baden bei der Trinkhalle und in 
der Nähe von Ebersteinburg bis ins Murgthal bei Gaggenau dem 
Granit und Gneis in steiler Schichtenstellung aufgelagert sind. 
Petrefakten fehlen darin gänzlich, ihrer petrographischen Beschaffen- 
heit nach sind sie den Schiefern des oberen Devon zuzurechnen; 
bei Gaggenau schliefsen dieselben ein Lager körnigen Kalkes von 
rötlicher Farbe ein. 

2) Steinkohlenformation. 

a) Die Gesteine der untern Etage (Culm) sind hauptsächlich 
in einer schmalen Zone im südlichen Schwarzwalde verbreitet, wo 
sie vom Westrande bei Baden weder bis nach Lenzkirch einen 
schmalen mehrfach unterbrochenen Zug zwischen Granit und Gneis 
bilden. 

Thonschiefer von grünlicher bis schwarzer Farbe ist das älteste 
und verbreitetste Glied dieser Etage ; darauf ruhen graue feinkörnige 

14 * 


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Sandsteine und Konglomerate, welche zahlreiche Gerolle von Granit, 
Gneis, Porphyr und Thonschiefer einschliefsen. 

In der Nähe der eruptiven Gesteine, welche diese Bildung 
durchsetzen, verändert der Thonschiefer seine Beschaffenheit : die 
Schichtung verschwindet, die Härte nimmt zu, und in dem Gestein 
entwickeln sich Kristalle, welche demselben grofse Ähnlichkeit mit 
Porphyr verleihen. 

Im Sandstein finden sich fossile Pflanzenreste, nämlich Cala- 
mites transitionis, Sagenaria Veltheimiana, Cordaites borassifolius 
und Cyclopteris tenuifolia, wodurch das Alter dieser Schichten fest- 
gestellt ist. An mehreren Stellen schliefsen die Schichten kohlen- 
stoffreiche Bänke ein, welche bisweilen dem Anthracit ähnlich werden, 
aber 60 — 70 Prozent Asche enthalten. Sie haben schon zu vielen 
erfolglosen Ausbeutungsversuchen Veranlassung gegeben. Trotz der 
ziemlich grofsen Härte zerbröckelt das Gestein leicht, weshalb die 
Abhänge der meist steilen Berge mit grofsen Schutthalden bedeckt sind. 

Bei seiner Verwitterung bildet dasselbe einen fruchtbaren 
thonigen Boden, der meistens mit Wald oder Wiesen bedeckt ist. 

b) Die obere produktive Steinkohlenbildung bildet im Schwarz- 
wald sechs kleinere von einander getrennte Becken, welche von 
Schieferthon , Sandstein und stellenweise von Konglomeraten aus- 
gefüllt sind. Die Reihenfolge der einzelnen Vorkommnisse von Norden 
nach Süden ist folgende: 

1) Baden, 120 m mächtig, hauptsächlich aus granitischem 
Schutt bestehend. Dasselbe erstreckt sich von der Stadt Baden 
unter dem Rotliegenden bis zur Rheinebene bei Umwegen, wo ein 
21 — 28 cm mächtiges Kohlenlager eine Zeitlang ausgebeutet. wurde. 

2) Lierbachthal bei Oppenau (Renchthal), 62 m mächtig. 
Sandige glimmerreiche Schiefer mit kleinen Kohlensehmitzen bilden 
die Schichtenfolge, welche Farren und Cycadeen einschliefst. 

3) Hinterohlsbach bei Gengenbach (Kinzigthal), 36 m mächtig, 
enthält Kohlenschiefer mit Resten von Farrenkräutern. 

4) Berghaupten-Diersburg : das bedeutendste und allein bau- 
würdige Kohlenflötze einschliefsende Vorkommen. Das Kohlengebirge 
bildet einen schmalen Streifen zwischen Granit . und Gneis, dessen 
Länge von West nach Ost etwa 5 km, dessen Breite - 100 — 250 m 
beträgt. Die Schichten fallen mit 70 — 80 Grad gegen Norden und 
sind bis auf 330 m Tiefe verfolgt worden. Die einzelnen Kohlen- 
lager sind sehr unregelmäfsig, meistens im Streichen 30 — 60 m lang 
und hoch, und keilen sich nach allen Seiten aus. Die Kohle ist 
mager, anthracitähnlich, nicht backend, brennt mit kurzer Flamme 


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— 201 


und ist sehr bröckelig. Die Produktion beträgt etwa 140 000 Zentner 
jährlich. Unter den Petrefakten sind Sigillarien, Lepidodendren und 
Farren vorherrschend. 

5) Geroldseck bei Lahr (Schutterthal). Das Kohlengebirge, 
30 m mächtig, liegt auf Gneis und besteht vorherrschend aus glim- 
merreichen Sandsteinen mit schwachen Kohlennestem. Die Flora 
besteht aus Calamiten, Farren und Palmen. 

6) Eine weitere Ablagerung von Kohlensandstein und Schiefer 
liegt im württembergischen Schwarzwald bei Schramberg, etwa 90 m 
mächtig, ebenfalls ohne Kohlenflötze. 

Die Verschiedenheit der Flora läfst erkennen, dafs die einzelnen 
Becken verschiedenen Alters sind: das Becken von Diersburg ist das 
älteste. Sie sind daher nicht, wie man früher annahm, Reste einer 
gröfseren Ablagerung, sondern ursprünglich isolierte Becken ; die Hoff- 
nung, die Fortsetzung dieser hypothetischen Ablagerung im Rhein- 
thal zu finden, ist also wenig begründet. 

3) Das Rotliegende. 

Die Gesteine dieser Periode haben im Schwarzwald eine ziem- 
lich grofse Verbreitung, nehmen jedoch mit wenigen Ausnahmen der 
Überdeckung wegen keinen bedeutenden Oberflächenraum ein. Geo- 
graphisch gliedert sich das Rotliegende in vier Zonen: 

a) Die Gegend von Baden. Von der nächsten Umgebung der 
Stadt Baden erstreckt sich das Rotliegende, nur wenig überdeckt, 
nordöstlich bis in das Murgthal und nimmt hier etwa eine Quadrat- 
meile Flächenraum ein. Nur durch den überdeckenden Sandstein 
getrennt, setzt sich diese Ablagerung noch ins obere Albthal bei 
Herrenalb fort. Hier liegen zu unterst mächtige Bänke einer Breccie, 
welche aus Granit-, Gneis- und Porphyrbruchstücken zusammen- 
gesetzt ist und stellenweise (Vormberg bei Baden, Badener Schlofs- 
berg, Herrenalb) durch Verkieselung des Bindemittels eine grofse 
Härte und Festigkeit erlangt haben. 

Die mittlere Abteilung enthält rote und graue Schieferthone, 
über welchen Konglomeratbänke, vorherrschend aus abgerundeten 
Po-rphyrgeröllen bestehend, liegen. Die obere Abteilung wird von 
rotem Schieferton mit Sandsteinbänken, mit Dolomit und Jaspis- 
einschlüssen gebildet. 

Die mittlere Abteilung schliefst einige Pflanzenreste (Walchia pini- 
formis) und Tierreste (Estheria tenella und Gampsonyx fimbriatus) ein. 

b) Ein zweites Verbreitungsgebiet zieht sich von Geroldseck 
bei Lahr in nordöstlicher Richtung über die Thäler der Kinzig und 


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— 202 — 


* 


Rench ins obere Murgthal ; die Gliederung ist ungefähr dieselbe wie 
bei Baden; in der mittleren Abteilung liegen ausgedehnte Porphyr- 
lager; auch hier enthält dieselbe stellenweise Pflanzenreste. 

c) Ein dritter Zug liegt in dem Quellgebiet der Donau und * 

setzt sich von hier, gröfstenteils von Buntsandstein überdeckt, in das 
Gebiet der Kinzig fort, wo er von Schramberg bis Alpirsbach als 
schmales Band vorkommt. 

d) Im südlichen Schwarzwalde verbreitet sich das Rotliegende 
am Abhange des Granits nördlich vom unteren Wiesenthal auf eine 
gröfsere Fläche, und kommt noch in vereinzelten Ablagerungen am 
Rhein bei Säckingen und Laufenburg vor. Auch hier ist dasselbe 
aus Breccien, Konglomeratbänken und grobkörnigem Sandstein mit 
wenig Schieferthon zusammengesetzt. Bei Rheinfelden wurde das- 
selbe 320 m mächtig durchbohrt und ruht dort, wie am Schwarz- 
wald, auf Granit. 

Die Breccien bilden die malerischen Felsen des Schlofsbergs 
bei Baden und die Falkensteinfelsen bei Herrenalb, die übrigen 
Gesteine verwittern rasch und bilden einen lockern grusigen, bei 
Vorherrschen des Schieferthons thonigen Boden von tiefbraunroter t 

Farbe. Im Gebiet des mittleren und oberen Rotliegenden erhalten 
die Berge durch die Verwitterung stark abgerundete, oft kuppel- 
förmige Formen, zwischen deren steilen Abhängen sich vielfach ver- 
zweigte enge Thälchen hinziehen ; häufig sind gröfsere Flächen durch 
den Regen gänzlich abgespült und vegetationslos. 

Der lockere, leicht austrocknende Boden ist dem Ackerbau 
nicht günstig, hingegen ein ausgezeichneter Waldboden; an den 
sonnigen Abhängen gedeiht auch die Rebe. 

Die nächste Etage, die Schichtengruppe des Zechsteins, ist 
noch in schwachen Schichten zwischen dem Rotliegenden und Bunt- 
sandstein am Südende des Odenwaldes verbreitet, fehlt aber im 
Schwarzwalde gänzlich. Nur am Nordende wurde in einem Bohrloch 
bei Ingelfingen (Württemberg) Zechstein durchbohrt, so dafs seine 
Verbreitung bis zum Schwarzwaldrande wahrscheinlich ist. 

4) Der Buntsandstein. . 

Fast ein Dritteil des ganzen Schwarzwaldgebietes ist von 
Buntsandstein bedeckt, welcher auch, und in noch höherem Mafse, 
im benachbarten Odenwald das vorherrschende Gestein bildet. Am 
Südrande des letzteren Gebirges senken sich die Schichten allmählich 
unter die Ebene des Rheinthals bis zu beträchtlicher Tiefe, durch- 
setzen die Kraichgauer Mulde zwischen den beiden Gebirgen und 

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— 203 — 


steigen bei Durlach wieder im Südflügel der Mulde gegen Süden in 
die Höhe, bis sie an der Hornisgrinde (1166 m) ihren Kulminations- 
punkt erreichen. Etwa 7 km weit ist derselbe von Muschelkalk 
bedeckt, bildet aber dann ausschliefslich die Oberfläche. Bei der 
Hornisgrinde erreicht das Sandsteingebiet zugleich seine gröfste 
Breite von 40 km, und sendet von hier zahlreiche Ausläufer auf 
das Gneisgebiet, welche die Gneishöhen in Form schmaler lang- 
gestreckter Rücken bis zur mittleren Kinzig krönen. Bei Freuden- 
stadt verschmälert sich die Sandsteinmasse, behält aber noch ihre 
kulminirende Stellung auf dem höchsten Rücken bis Schramberg, 
von wo sie von den westlich aufsteigenden Granit- und Gneis- 
gebieten auf den sanften Ostabfall gedrängt wird. Mit ganz geringen 
Unterbrechungen setzt der Sandstein aber noch bis zum Südrande 
des Schwarzwaldes mit beträchtlich verminderter Höhenlage und 
Mächtigkeit fort. Wie am Nordrand, ist er auch am Ostrande 
regelmäfsig von Muschelkalk überlagert, in dessen tief eingeschnittenen 
Thälem er auch bis zum Neckar, dem allgemeinen Gebirgsabfall 
entsprechend, stellenweise zu Tage tritt. Man kann daher ununter- 
brochen auf Buntsandstein von Ettlingen südlich bis Villingen, ja 
mit Überspringung einiger schmalen Thaleinschnitte, bis fast zum 
Rhein bei Waldshut gelangen. 

Buntsandstein bildet ferner eine isolierte niedrige Vorstufe am 
Westabhang von Offenburg bis Emmendingen, einige ebenfalls dem 
Gebirg angelehnte Hügel bei Freiburg, in etwas gröfserer Ausdehnung 
eine ähnliche Vorstufe nördlich des unteren Wiesenthals und einige 
kleinere Ablagerungen auf dem etwa 900 m hohen Plateau des Hauen- 
steiner Landes im südlichen Schwarzwald. 

Übereinstimmend mit den Verhältnissen links des Rheins kann 
auch hier der Buntsandstein in drei Etagen gegliedert werden: 

a) Untere Etage: hellfarbige, meist weifse glimmerarme Sand- 
steine mit kaolinartigem Bindemittel und Feldspatkörnchen, meist 
in dicke Bänke abgesondert. Dieselben enthalten stellenweise, 
besonders in den untersten Schichten, Knollen eines gelben sandigen 
Dolomit», welche sich bei der Verwitterung dunkel färben und 
alsdann die Tigersandsteine bilden; schliefslich entstehen runde, mit 
braunem manganoxydhaltigem Mulm ausgefüllte Löcher. 

b) Mittlere Etage : grobkörnige glimmerfreie Sandsteine in 
0,3—1 m mächtigen Bänken von grofser Einförmigkeit bilden die 
Hauptmasse, getrennt durch dünne, wie die Sandsteine rotgefärbte 
Schieferthone. In verschiedenen Höhen sind demselben Konglomerat- 
bänke eingelagert, von denen die unterste neben dem vorherrschenden 

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Quarz auch Gerolle verschiedener Urgebirgsgesteine enthält, während 
die oberen fast ausschliefslich aus Quarzgeröllen verschiedener Farben 
bestehen. Diese Konglomeratbänke lassen sich oft auf weite Strecken 
verfolgen, während die einzelnen Sandsteinsichten sich oft auskeilen, 
erreichen aber nicht die Mächtigkeit und gleiehmäfsige Verbreitung 
wie in den Vogesen und der Hardt. 

c) Obere Etage: dieselbe beginnt mit thonigen mürben Sand- 
steinen von violetter Farbe, welche häufig Knollen und Platten von 
Dolomit und rotem Karneol einschliefsen ; diese sogenannte Kameol- 
bank ist vom Südrande des Schwarzwaldes durch das ganze Gebiet, 
Sowie durch die Vogesen bis in die Gegend von Saarbrücken ver- 
breitet, und bildet einen wichtigen Horizont. Darüber liegen fein- 
körnige meist rote glimmerführende Sandsteinbänke, welche nach 
oben immer dünnschiefriger und glimmerreicher werden. Zwischen 
und auf denselben liegt der Röt, ein roter dünngeschichteter Schiefer- 
thon, welcher in der Regel 2—6 m mächtig das Schlufsglied 
der ganzen Sandsteinbildung ausmacht. 

Die unteren Etagen sind petrefaktenfrei ; in der obersten finden 
sich hie und da Saurier, Fische und Mollusken (ausschliefslich 
Bivalven und Schnecken), welche mit der darauffolgenden Muschel- 
kalkfauna identisch sind, ebenso stellenweise Pflanzenreste: Farren. 
Kalamiten und Nadelhölzer. 

Die Mächtigkeit des Buntsandsteins ist im südlichen Schwarz- 
wald nur gering, sie übersteigt hier nicht 15 — 20 m, wobei die 
mittlere und obere Abteilung etwa je die Hälfte ausmachen ; je weiter 
nach Norden, desto mehr gewinnt die mittlere Abteilung an Mächtig- 
keit, und erreicht am Kniebis und der Hornisgrinde 260, am Nord- 
ostrande des Schwarzwaldes 400 m, während die untere Etage 
10 — 12, die oberste 40 — 50 m Mächtigkeit nicht überschreitet. 

Die unterste Abteilung kann südlich der Kinzig nicht mehr 
als selbständige Etage unterschieden werden ; die obere fehlt auf dem 
Plateau des mittleren Bnntsandsteins und kommt nur einerseits in 
den tiefer gelegenen Partien des Nord- und Westrandes, anderseits 
am Westabhange des Gebirgs unterhalb des Hauptkammes vor. Nur 
die Carneolbank ist in vereinzelten Schollen auf den Höhen des 
Kniebis abgelagert. 

Wo der Sandstein in einiger Verbreitung auftritt, zeigt, er bei 
der fast horizontalen Lage seiner Schichten die ausgesprochene 
Plateaubildnng ; weite Strecken sind mit Torfmoor und Legforlen 
bedeckt. Steile, wenig gegliederte Wände mit fast geradlinigem 
Abfall begrenzen das Plateau, während unterhalb desselben Gneis 


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205 — 


und Granit durch ihre mannigfaltige Gliederung die Gesteinsgrenze 
schon von weitem erkennen lassen. .Wo der Sandstein zwischen den 
Thälern als schmaler Rücken die Höhen krönt, erscheinen die Berge 
steil dachförmig, von der Front oft wie isolierte Kegel, seltener 
knppelförmig gerundet. 

Die atmosphärischen Wasser versinken in den Klüften des 
oberen Bundsandsteins schnell bis zur Cameolbank, welche einen 
ausgezeichneten Quellenhorizont bildet ; auch im mittleren und unteren 
Buntsandstein sind die Quellen nicht häufig, wo nicht die Oberfläche 
mit sandigem Lehm bedeckt und dadurch undurchlässig ist. Ein 
zweiter Quellenhorizont, eben so konstant wie der erste, liegt an der 
Basis des Sandsteins, besonders wo derselbe auf den Thonen des 
Rotliegenden oder auf Granit liegt. Die Quellen des Buntsandsteins 
sind nahezu chemisch rein. 

Nur die obersten Schichten, die Schieferthone des Röt, bilden 
durch Verwitterung eine tiefgründige Ackerkrume, die eigentlichen 
Sandsteine werden nur mechanisch oder durch den Frost in lockeren 
Sand umgewandelt, dem meistens zahlreiche Trümmer festerer Bänke 
beigemischt sind, während das ausgeschwemmte sparsame Bindemittel 
sich am Fufse der Berge aufhäuft. Wo festere Schichten Vor- 
kommen, bleiben deren Blöcke auf den Höhen und besonders an den 
Abhängen zusammengehäuft liegen ; diese sogenannten Findlinge 
werden ihrer erprobten Festigkeit und Widerstandsfähigkeit wegen 
vorzugsweise zu technischer Verwendung gesucht. 

Der mittlere Buntsandstein liegt meistens so hoch, dafs schon 
dadurch seine Verwendung als Ackerfeld erschwert ist, auf dem 
mageren sandigen Boden gedeiht hingegen vorzugsweise der Wald, 
welcher dem Sande Schutz vor Abschwemmung und Austrocknung 
gewährt; im Sandsteingebiet ist daher der Wald so ausschliefslich 
dominierend, dafs nur wenige Dörfer sich im Gebiet desselben finden, 
während im Granit- und Gneisgebiet noch auf 800 — 1000 m Höhe 
sich eine ziemlich dichte Bevölkerung findet; das Sandsteingebiet 
hat die wenigst dichte Bevölkerung des ganzen Landes. 

Der Buntsandstein liefert das verbreitetste und beste Bau- 
material des Landes. Die weifsen Sandsteine der unteren Abteilung 
sind vorzüglich im Murgthale entwickelt und liefern ausgezeichneten 
Quader und Säulen ; die grobkörnigen roten Sandsteine der mittleren 
Etage geben ebenfalls ein vortreffliches frostbeständiges Material, die 
Bänke der oberen Abteilung sind ihres feineren Korns wegen sogar 
zu Bildhauerarbeiten brauchbar und liefern noch ausgezeichnete 
Platten von seltener Gröfse. 


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— 206 


5) Der Muschelkalk. 

Mit dem Verlassen des Buntsandsteins ändert sich der land- 
schaftliche Charakter derart, dafs seit alten Zeiten hierher die Grenze 
des Schwarzwaldes gelegt wurde. Da wir die Grenzen aus orographi- 
schen Gründen weiter gesteckt haben, so mufs auch noch kurz dieser 
Gesteine Erwähnung gethan werden. 

Dem allgemeinen Gesetz der Schichtenlage entsprechend über- 
lagert der Muschelkalk den bunten Sandstein auf der Nord- und 
Ostseite, erreicht aber nur die Höhe von etwa 660 m bei Villingen, 
so dafs er beträchtlich unter dem Niveau des Buntsandsteins (Hor- 
nisgrinde 1166 m) zurückbleibt. Eine isolierte Muschelkalkpartie 
bildet auf der Südseite das Plateau des Dinkelbergs; an der West- 
seite kommt er nur in kleineren Schichten in dem Hügellande am 
Fufse des Gebirges, gröfstenteils von Löfs bedeckt, vor. 

Der Muschelkalk gliedert sich ebenfalls in drei Etagen: 

a) der untere Muschelkalk (Wellenkalk und Dolomit). Am 
Nordende bei Durlach stimmt diese Etage noch im wesentlichen mit 
der Entwickelung im Odenwald überein. Auf dem Buntsandstein 
liegen hier 40 — 50 m graue Mergel mit zahlreichen Dolomit- 
bänken, darüber etwa 10 m echter Wellenkalk mit unebenen 
wulstigen dünnen Schichten, und als Schlufsglied schiefrige Mergel. 
In den unteren Bänken sind Terebratula vulgaris, Gervillia 
socialis, Ceratites Buchii und Myophoria laevigata die wichtig- 
sten Leitmuscheln, für den mittleren Wellenkalk Lima lineata, und 
für die oberen Mergel Myophoria orbicularis. 

Verfolgt man von hier den unteren Muschelkalk am Ostrande 
des Gebirges, so wächst die Mächtigkeit der unteren Mergel immer 
mehr auf Kosten des mittleren Wellenkalks, welcher südlich von 
Nagold ganz verschwindet. 

Auch am Westrande besteht die untere Etage ausschliefslich aus 
den unteren Mergeln mit Dolomitbänken. 

b) Der mittlere Muschelkalk (die Anhydritgruppe) besteht am 
Nordrande aus gelbbraunen 20 — 25 m mächtigen Zellenkalken, welche 
Hornstein und bei Pforzheim die bekannten kristallisierten Stinkquarze 
einschliefsen. Weiter südlich liegen auf den Zellenkalken weifse 
Mergel mit Hornstein. Im südlichen und östlichen Teil treten endlich 
mächtige linsenförmige Gipslager, im Innern meistens noch aus 
Anhydrit bestehend, an der Stelle des Zellenkalks auf, stellenweise 
wieder unterlagert von Steinsalz, welches an den Quellen des Neckars 
und am Südrande des Dinkelberges eine grofse Verbreitung erlangt. 

c) Der obere Muschelkalk endlich besteht aus einer sehr ein- 


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förmigen Schichtenfolge von grauen Kalksteinen, in welchen eine 
untere Region mit mehreren Bänken, erfüllt mit den Stielgliedern 
von Encrinus liliiformis und eine obere mit Ceratites nodosus als 
Leitpetrefakt unterschieden werden. Zahlreiche Klüfte durchschneiden 
die Schichten und erweitern sich mitunter zu Höhlen, welche mit 
Tropfsteinen geschmückt sind, und in denen unterirdische Bäche 
laufen. (Erdmannshöhle bei Hasel und Tschamberhöhle bei Beuggen, 
beide dem Gebiet des Dinkelbergs angehörig.) 

Wo die weichen Mergel des unteren Muschelkalks die Ober- 
fläche bilden, wie dies vorzugsweise an der Buntsandsteingrenze der 
Fall ist, bilden sie ein sanft welliges Hügelland mit flachen Thälern 
und lehmigem fruchtbarem Boden; im Gebiet des oberen Muschel- 
kalks ist die Plateaubildung deutlich ausgesprochen ; die Thäler 
steilwandig, aber nicht tief; die athmosphärischen Wasser versinken 
auf den Klüften bis zu den Mergeln der Anhydritgruppe, wo sie 
als mächtige stark kalkhaltige Quellen zu Tage treten. 

6) Keuper. 

Die Schichten des Keupers sind im Schwarzwaldgebiet nur 
wenig verbreitet. Längs der Ostgrenze am Neckarthal ist der 
Muschelkalk auch auf der Westseite des Flusses streckenweise von 
den Schichten der unteren Etage: Mergel, Sandsteine und Dolomite 
der Lettenkohle bedeckt, deren Verwitterungsboden sich durch 
Quellenreichtum und Fruchtbarkeit scharf von dem dürren Muschel- 
kalkgebiet abhebt; ferner sind Keuperschichten bei Donaueschingen 
entwickelt, ebenso am Dinkelberg, und an wenigen Stellen in der 
Hügelregion des Westabhangs. Es sind vorherrschend rote Mergel, 
welche in geringer Mächtigkeit weder landschaftlich noch agronomisch 
eine besondere Bedeutung erlangen. 

7) Jura. 

Auch die Schichten dieser im Süden und Osten so mächtig 
entwickelten Formation sind für den geologischen Bau des Schwarz- 
waldes nur von geringer Bedeutung. Am Ostrande erfüllen Schichten 
des unteren und mittleren Jura eine Bucht zwischen Donau und 
Wutach, welche im Süden durch eine Verwerfungsspalte vom Muschel- 
kalk getrennt ist; merkwürdigerweise finden sich 30 km westlich 
in der Verlängerung der Bucht einige isolierte Blöcke von Liaskalk 
auf dem Plateau des Schwarzwaldes in 950 m Höhe ob dem Höllen- 
thal. Die Schichten dieser Abteilungen stimmen vollständig mit 
denen des schwäbischen Jura, mit welchen sie unmittelbar Zusammen- 
hängen, überein. 


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208 — 


Ein zweites Verbreitungsgebiet liegt im Rheinthal. Zwischen 
Basel und Freiburg sind die Schichten des ganzen Jurasystems in 
schmalen Zügen verbreitet, so dafs der Lias den östlichen, der 
braune Jura den mittleren und der weifee Jura den westlichen Zug 
bildet, welcher am Isteiner Klotz unmittelbar vom Rhein bespült 
wird. Auch auf dem Plateau des Dinkelbergs liegen Liasschichten. 
Weiter nördlich kommen Schichten des Lias und braunen Jura ver- 
einzelt im Hügelland vor, erreichen aber nur bei Kenzingen und 
Lahr einige Verbreitung. 

Der Jura des Rheinthals stimmt durch die mächtige Ent- 
wickelung der Rogensteinbänke des mittleren (braunen) Jura, welche 
in Schwaben fehlen, mit dem westschweizerischen Jura überein. 

8) Tertiär. 

Die Schichten der Kreideformation fehlen im südwestlichen 
Deutschland vollständig, eine weite Lücke trennt also die mesozoischen 
von den tertiären Bildungen. Ebenso fehlen in unsrem Gebiet die 
ältesten Tertiärschichten der Eocenzeit. Tertiäre Schichten sind nur 
am Westrande des Schwarzwaldes entwickelt und erfüllen wahr- 
scheinlich den ganzen Boden des Rheinthals als Fortsetzung des 
Mainzer Beckens. 

Die ältesten Tertiärgebilde des Gebiets sind die Bohnerze, 
unteroligocenen Alters, welche unmittelbar dem weifsen Jura auf- 
liegen und ausschliefslich an dessen Verbreitung im südwestlichen 
Hügellande geknüpft sind: knollige und schalige Brauneisensteine, 
welche von buntem Thon eingeschlossen sind. Die Hauptmasse der 
Tertiärbildungen bildet der oligocene Kalksandstein mit einzelnen 
Konglomeratbänken, welcher hauptsächlich zwischen Basel und 
Freiburg ziemlich ausgedehnte Ablagerungen bildet und hier brauch- 
bare Bausteine liefert; darüber liegen miocene Süfswasserkalke, 
welche am Tüllinger Berg eine Mächtigkeit von 150 m erreichen. 
Nördlich von Freiburg erscheinen die Kalksandsteine nur noch am 
Schütterlindenberg bei Lahr. 

9) Diluvium. 

Wie nach unten so sind auch nach oben die Tertiärschichten 
unsres Gebiets durch eine Lücke von der nächstfolgenden Periode, der 
Diluvialzeit, getrennt. In diese Lücke fällt die Ausbildung der jetzigen 
Gebirgsgestaltung, die Bildung seiner Flufsläufe und der Übergang 
des Klimas aus dem tropischen in den Charakter der jetzigen Zeit. 

Die Diluvialmassen sind Kies, Sand, Thon und Löfs, welche 
sich nach Alter und Verbreitung folgendermafsen gliedern: 


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a) Kies des Rheinthals. Derselbe, vorzugsweise den Gebirgen 
der Schweiz entstammend, und hauptsächlich aus Quarz und Kalk- 
steingeröllen zusammengesetzt, erfüllt das Rheinthal und ist an dessen 
Ufern in mehreren Terrassen abgelagert. Am Schwarzwald steigt er 
nirgends erheblich über die Ebene empor. 

b) Kies der Schwarzwaldthäler. Alle Tliäler sind, besonders 
in ihren unteren, meistens erweiterten Teilen, mit geschichteten 
Massen von Kies, Sand und Lehm ausgefüllt, welche ebenfalls häufig 
Terrassen beiderseits des jetzigen Flufslaufes bilden, die sich oft bis 
15 m über die Thalsohle erheben. In der Regel enthält der Kies 
eines Flufsgebietes nur diejenigen Gesteine, welche in dessen Ober- 
lauf anstehen; in einigen Fällen aber mischen sich diesen Gesteinen 
auch solche benachbarter Gebiete bei, so dafs das Flufsnetz der 
Diluvialzeit nicht vollständig mit dem der Gegenwart übereinstimmt. 

Die wichtigste Veränderung ist die des Wutachlaufes, welche zur 
Diluvialzeit ihre Gewässer durch das Aitrachthal zur Donau sendete, 
während sie jetzt in tiefem Thale dem Rhein zufliefsen. 

Wo die Schwarzwaldthäler in das Rheinthal münden, überlagert 
der Kies der Thäler den Kies des Rheinthals, der letztere ist somit älter. 

Die meisten Thäler im Urgebirge sind reine Erosionsthäler, 
während die Thäler des Ostabhanges häufig Bodenspaltungen folgten, 
ihre Ausbildung aber jedenfalls auch der Erosionswirkung des 
Wassers verdanken. 

c) Kies des hohen Schwarzwaldes. In den Hochthälern des 
südlichen Schwarzwaldes, wie auch auf der Ebene selbst, lagern 
ausgedehnte Kies-, Sand- und Lehmmassen, welche stellenweise 
geschliffene und geschrammte Blöcke einschliefsen und gänzlich 
ungeschichtet sind. Es sind dies Moränen diluvialer Gletscher, 
welche die Hochthäler bis gegen 800 m Höhe ausfüllten. Besonders 
charakteristisch sind diese Moränenhügel im Gebiet der Wutach in 
den Umgebungen des Titisees und Schluchsees, welche beide durch 
Moränen abgesperrt sind. Auch das Thal der oberen Alb (Bernau, 
Menzenschwand, St. Blasien) sowie die angrenzende Hochfläche von 
Höchenschwand zeigt die Spuren ehemaliger Gletscherbedeckung. Im 
nördlichen Schwarzwald wurden sichere Spuren diluvialer Gletscher 
noch nicht gefunden. 

d) Löfs. Diese jüngste Diluvialbildung, aus feinem scharf- 
kantigem Quarzsand, Thon und kohlensaurem Kalk bestehend, um- 
zieht den Süd-, Ost- und Nordrand des Schwarzwaldes und über- 
deckt ohne Unterschied alles anstehende Gebirge der Hügelregion, 
ohne in das Innere der Thäler einzudringen. Bei Basel liegt seine 

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obere Grenze bei 450 m. 200 m über dem Rhein, und senkt sich 
von hier allmählich gegen Norden. Zahlreiche Landschnecken und 
zwar ausschlielslich Bewohner feuchter und kälterer Gegenden, unter 
ihnen Succinea oblonga vorherrschend, sind in der ungeschichteten 
Masse zerstreut; neben diesen den jetzt lebenden sehr ähnlichen 
Tieren erscheinen als fremdartig die Reste ausgestorbener Tiere, 
Mammut, Urochs und Nashorn, deren Reste auch im Kies des 
Rheinthals zerstreut liegen. 

Der Löfs stammt aus der Schweiz und mufs als das Aus- 
schwemmungsprodukt der die Nordschweiz überdeckenden Moränen- 
ablagerungen betrachtet werden. In die Zeit des Löfses fällt das 
erste Auftreten des Menschen, von welchem Reste sowie Artefakte 
im Löfs der Hügel gefunden wurden. 

10) Alluvium. 

Eine scharfe Grenze zwischen den Bildungen der Diluvialzeit 
und denen der historischen Periode läfst sich selten angeben. Der 
letzteren Zeit gehören die Ablagerungen innerhalb der jetzigen FIuls- 
läufe sowie die Torfmoore an, von denen übrigens ein Teil wolil 
zur Diluvialzeit entstanden sein mag. Sie sind vorzugsweise auf den 
Hochflächen des Schwarzwaldes verbreitet, und zwar sowohl auf 
Gneis und Granit, wie auf dem Buntsandstein, wo eben die Boden- 
gestaltung die Ansammlung stagnierender Wasser begünstigte. Sie 
sind noch im Wachsen begriffen und tragen durch ihre Ausbreitung 
zur Ausfüllung der Seebecken das meiste bei; viele Torfmoore sind 
als Ausfüllungen ehemaliger Seebecken zu erkennen. Das wichtigste 
Glied des Alluviums bildet die Ackererde, deren Bildung und Eigen- 
schaften bereits bei den Einzelbeschreibungen der Gesteine erwähnt 
wurden. Im Gebirge sind auch die durch Frost und Verwitterung 
entstehenden Trümmerbildungen, welche die entstehenden Fels- 
bildungen umgeben, teilweise der Alluvialzeit zuzurechnen, da deren 
Bildung beständig fortgeht. Bei der allgemeinen Bedeckung des 
Bodens mit Vegetation, den sanften abgerundeten Formen der Berge 
und der Seltenheit kahler Felsmassen, sind übrigens die Veränderun- 
gen, welche seit der Diluvialzeit im Gebirge vor sich gehen, im 
Verhältnis unbedeutend, nur aufsergewöhnliche Vorgänge vermögen 
lokal gröfsere Änderungen zu erzeugen, welche die Arbeit des 
Menschen immer mehr in enge Grenzen, wenn auch nicht immer 
mit Erfolg, einzuschliefsen sucht. 


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Über afrikanisches Küsten- und Inland-Klima. 

Vortrag, gehalten in der Sektion für medizinische Geographie, Klimatologie 
und Tropenhygiene. 60. Versammlung Deutscher Naturforscher und Ärzte in 
Wiesbaden, September 1887, von Stabsarzt Dr. Ludwig Wolf,*) Leipzig. 

Klimatische Unterschiede zwischen der Küste und dem Innern. Der 6. 0 s. Br. 
eine klimatogeographische Grenze. Günstige klimatische Verhältnisse des zentral- 
afrikanischen Hochplateaus. Erkältung, Unmäfsigkeit und Ärger sind begünstigende 
Ursachen für die Aufnahme des Malariagiftes. Boden und Lufttemperatur die 
wichtigsten Faktoren für die Frage der Malariacntwickelung. Günstige Verhältnisse 
im Balubagebiet Lubuku. Die Station und Plantage Luluaburg. Europäische Frauen 
sollen nicht nach dem tropischen Afrika gehen. Die Höhenlage mindert die Gefahren 
der Malaria. Dysenterie und Pocken. Hautkrankheiten. Hygienische Mafsregeln 
und therapeutische Mittel gegen die Malaria : Kleidung, Wohnung, Ernährung. Chinin. 
Zusammenfassung der Vorsichtsmaßregeln. 

Nachdem auch unser Vaterland in die Reihe der Kolonial- 
mächte getreten ist, und der Schwerpunkt unsres überseeischen 
Besitzes sich in Afrika befindet, ist das afrikanische Klima für uns ein 
Faktor von besonders praktischer Bedeutung g worden. Um der ehren- 
vollen Aufforderung, Ihnen über dasselbe hier Vortrag zu halten, nach- 
zukommen, werde ich mich an eigne Erfahrungen und Beobachtungen 
halten, welche ich während einer fast dreijährigen Afrikareise in den 
Gegenden sammeln konnte, die ich selbst durchreist habe, und jedem 
überlassen, etwa weitere Schlüsse für andre Gebiete daraus zu ziehen. 

Wenn auch das Klima Afrikas wegen der Lage des Erdteiles 
zu *ib ein tropisches, im Gegensätze zu dem andrer Kontinente, wie 
z. B. Amerika und Asien, im allgemeinen ein einförmiges ist, so 
sind dennoch gewisse klimatogeographische Grenzen vorhanden, welche 
besonders in dem mir bekannt gewordenen äquatorialen Teile einen 
erheblichen Unterschied zwischen der Küste und dem Innern zu 
gunsten des letzteren erkennen lassen. 

Meine Beobachtungen erstrecken sich auf einen Teil des 
westafrikanischen Küstengebietes Angola und den unteren Kongo, 
vornehmlich aber auf die innerafrikanische Hochebene. Sowohl 
meteorologisch als auch klimatisch unterscheiden sich diese 
Gegenden wesentlich von einander. An der Küste giebt 
es eine scharf abgegrenzte Regen- und Trockenzeit und beträgt in 
der ersteren das tägliche Minimum und Maximum der Temperatur 

*) Diese Mitteilungen werden im Kreise unsrer Mitglieder und Freunde 
daheim und über See mit um so gröfserem Interesse gelesen werden, als wir 
bisher nur sehr selten das auf eigenen Anschauungen, Erfahrungen und Ermittelun- 
gen sich stützende Urteil eines deutschen Arztes über die wichtige Frage der 
Akklimatisation der Europäer im tropischen Afrika hörten, ein Thema, welches 
vor einiger Zeit auch im Kreise unsrer Gesellschaft durch einen Vortrag des 
Herrn Dr. Oppel näher erörtert wurde. 


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durchschnittlich 17 und 27, in der letzteren dagegen 7 und 27 
Zentigrade. Im Innern habe ich keine eigentliche Trockenzeit be- 
obachtet ; es fehlten daher auch die erheblichen Unterschiede in der 
Temperatur, welche dort durchschnittlich zwischen 17 bis 28 0 C. 
für das ganze Jahr betrug. Im Juli 1884 notierte ich beispielsweise 
etwa 60 km östlich von Malange, das noch zu dem Küstengebiet 
gehört, früh 3 Uhr, das Minimum 5 0 C. und mittags desselben Tages 
36 0 C. Dagegen wurde während zweier Beobachtungsjahre im Innern 
auf unsrer Station Luluaburg keine niedrigere Temperatur als 
12,8 0 C. am 16. Aug. 1885 und im Jahre 1886 die niedrigste mit 
14,2 0 C. am 2. August notiert. Von Bedeutung als klimatogeogra- 
phische Grenze scheint der 6. 0 s. Br. zu sein, welcher auch im 
Innern wie am Kongo mit der Katarakt-Region zusammenfällt. Nach 
den Beobachtungen des leider kürzlich verstorbenen englischen 
Missionars Comber pflegt Malaria in der Katarakt-Region am Kongo 
besonders heftig aufzutreten. Ob und wie hier ein ursächlicher 
Zusammenhang besteht, ist wissenschaftlich noch nicht festgestellt. 
Jedenfalls zeigen sich im Innern südlich vom 6. 0 s. Br. alsbald 
andre meteorologische und physiographische Verhältnisse. So fand 
Wifsmann auf seiner Reise von Mukenge nach Südosten im Juni 
und Juli 1886 bei etwa 6,30 s. Br. die Minima 6° und 7°C., während 
in demselben Jahre auf Luluaburg bei 6 0 s. Br. als niedrigste 
Temperatur 14,8 0 C. verzeichnet wurde. — Auch Büchner giebt 
(Deutsche Kolonial-Zeitung III. Jahrgang 1886, 19. Heft, p. 559) 
an, dafs in dem von ihm durchreisten Hochplateau zwischen 7 und 
11 0 s. Br. die Temperaturen der Luft in der Trockenzeit zwischen 
7 und 27 Zentigrad schwanken. Wifsmann fand südlich vom 6. 0 s. Br. 
alsbald ebenfalls im Gegensätze zu Luluaburg einen unfruchtbaren 
Boden und eine ärmere Fauna. Diese Angaben mögen genügen, um 
schon den Beweis zu liefern, wie vorsichtig auch Afrikareisende in 
ihrem Urteile über Gegenden sein müssen, die sie nicht selbst gesehen 
und kennen gelernt haben. 

Die klimatischen Verhältnisse des zentralafrikanischen Hoch- 
plateaus nördlich vom 6. 0 s. Br., das sich bei etwa 600 bis 300 m 
Meereshöhe nach WNW. zu allmählich abdacht, sind erheblich andre 
und bessere als in den Küstengebieten Angolas und des untern Kongo. 
Malaria giebt es jedoch überall in den von mir durchreisten Gegenden, 
kein Gebiet scheint davon frei zu sein. Wir können im Innern eben- 
solche schwere Fiebererkrankungen, die unter gleichen typhösen Er- 
scheinungen schnell mit tödlichem Ausgang enden, beobachten, als an 
der Küste. Nur sind im Innern die Fieber seltener und im allgemeinen 


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gelinder. Auch der englische Generalarzt Gordon. der längere Zeit an 
der Goldküste thätig gewesen ist, hat die Beobachtung gemacht, dafs 
2 bis 300 Meilen im Inland Malaria schon viel weniger häufig und 
milder als an der Küste aufzutreten pflegte. 

Das noch unbekannte Etwas, der mikroskopische Pilz oder 
Bacillus, der das Malariagift bildet, findet bekanntlich seine günstigsten 
Entwickelungsbedingungen in der Regenzeit, wird aber erst gefährlich, 
wenn er durch Austrocknen des Bodens in Freiheit gesetzt ist. Der 
schnelle Übergang von der Regen- in die Trockenzeit an der Küste ist 
daher für Fiebererkrankungen besonders günstig im Gegensatz zu dem 
Teil des Innern, wo eine derartige Trockenzeit fehlt. Als begünstigende 
Ursachen für Aufnahme des Malariagiftes in den Körper, für den 
Ausbruch eines Fiebers sind erfahrungsgemäfs in Afrika Erkältung , 
Unnuif sigkeit im Essen und Trinken und Ärger in erster Linie zu 
rechnen. Schon eine leichte Erkältung pflegt nicht selten fieberhaft 
zu verlaufen und geht dann, wenn nicht entsprechend behandelt, oft 
in ein schleichendes oder schweres perniciöses Fieber über. Die 
Häufigkeit dieser Erscheinung hat wohl Stanley veranlagt , alle 
Fiebererkrankungen auf Erkältung zurückzuführen und das Vor- 
handensein eines spezifischen Malariagiftes ins Lächerliche zu ziehen. 
Zu Gunsten dieser Erkältungstheorie hat sich bereits früher der 
englische Marinearzt Oldham in einer Schrift „What is Malaria?“ 
ausgesprochen 8 ). Wenn diese Ansicht richtig wäre, müfste sicher fast 
ganz Deutschland vom Fieber durchseucht sein. Dafs sie trotz ihrer 
Unhaltbarkeit überhaupt aufgestellt werden konnte, beweist übrigens 
auch, wie oft der Ausbruch eines Fiebers durch Erkältung begünstigt 
wird. Erkältungen sind nun im tropischen Afrika wegen der schnellen 
Schweifsverdunstung sehr häufig, besonders aber in den Gebieten 
mit scharf abgegrenzter Regen- und Trockenzeit und den vorhin 
angegebenen erheblichen Temperaturschwankungen. Da diese in dem 
mir bekannt gewordenen Innern Zentralafrikas fehlen, kommen auch 
weniger häufig Fieber vor. 

Das Bedürfnis, die grofsen Wärme Verluste, die der Mensch in 
den Tropen durch Verdunstung bei Umwandlung des Schweifses in 
Dampfform erleidet, durch entsprechende Nahrungszufuhr wieder zu 
ersetzen, ist erhöht. Der Appetit ist daher in Afrika unter nor- 
malen Verhältnissen keinesweges etwa herabgesetzt, sondern vielmehr 
gesteigert. So sehr es nun zu empfehlen und für die Leistungs- 


*) „Health on the Kongo.“ By Prosser James M. D. London. 1885. 

p. 140. 

Geograph. Blätter. Bremen, 1S87. lö 

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fähigkeit des Europäers in den Tropen geradezu bedingend ist, diesen 
Appetit nach Möglichkeit zu befriedigen, ist anderseits ein Überladen 
des Magens mit Speisen, vornehmlich aber mit alkoholischen Ge- 
tränken, oft die Veranlassung zu dem Ausbruch eines bösen Fiebers. 
Ich habe selbst zweimal die Beobachtung machen können, allerdings 
nur an der Küste, wohl weil im Innern noch die Gelegenheit dazu 
fehlt, dafs nach übermäfsigem Trinken ein perniciöses Fieber auftrat. 
Der Sitte, in heifsen Gegenden grofse Mengen Alkohol in Form 
von Kognak, Brandy und Whisky zu trinken, huldigen nach meiner 
Beobachtung in den Tropen in erster Linie Engländer und 
Amerikaner und dann auch, vielleicht in etwas geringerem Grade, 
unsre Landsleute. Zweifellos sind hierauf eine Menge Krankheits- 
und Todesfälle zurückzuführen. Ein paar mir bekannte gebildete 
Engländer, die in der Zivilisation durch zu viel Trinken niemals 
Anstofs erregten, befanden sich in Afrika in einem permanenten 
Rausche, so lange ihnen überhaupt Kognak oder Whisky zur Ver- 
fügung stand. Die romanischen Völker dagegen, Portugiesen und 
Franzosen, sind bei weitem enthaltsamer und mäfsiger, deshalb 
auch wohl widerstandsfähiger in den Tropen. , 

Wenn der Herzog von Wellington sagt, man müsse hi 
Indien, um gesund zu bleiben , „den Geist beschäftigen und 
mit der ganzen Welt in guter Laune sein“, so läfst sich dieses 
Rezept auch für Afrika bestens empfehlen. Arger, Gemütsdepression 
haben oft Fieber zur Folge und können dieses wohl gerade 
Forschungsreisende mit ihren Erfahrungen am besten bestätigen. 

Boden und Temperatur sind die beiden Hauptfaktoren, von 
deren jeweiliger Beschaffenheit und Höhe die Malariaentwickelung ab- 
hängig ist. Es schliefst zwar keine Bodenformation das Vorkommen 
von Malaria aus. Kalk, Sand, auch sogar Granit können unter 
Umständen Träger des Malariagiftes sein, doch ist es im allgemeinen 
nach Roth und Lex an einen „sumpfigen oder andauernd durch- 
feuchteten, mit organischen und speziell vegetabilischen Substanzen 
durchsetzten Boden“ s ) gebunden. Lehm, Mergel und Alluvialboden 
sind besonders imgesund. Eine sehr - verbreitete Bodenart in Afrika 
ist aber Laterit, eine jugendliche Formation, welche an der Ober- 
fläche liegt, leicht Wasser aufnimmt und hält, daher für die Malaria- 
entwickelung günstig ist. Ist nun der poröse Laterit durch vegeta- 
bilische und animalische Zersetzungsprodukte verunreinigt, tritt dann 


*) Koth und Lex, Handbuch der Militär-Gesundheitspflege. 3 Bände. 
Berün 1872—77. 


215 — 


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35 * 


in der Trockenzeit eine Abnahme, ja ein schnelles Sinken des Grund- 
wassers ein, und bleibt der Regen ganz aus, so findet eine voll- 
ständige Lockerung der oberen Bodenschichten statt. Die heifse 
Luft hat dann einen ungehinderten Zutritt zu den in der Tiefe sich 
zersetzenden organischen und vegetabilischen Stoffen und bewirkt 
dadurch Malaria. 

Je schroffer der Übergang von der Regen- in die Trockenzeit 
ist, desto günstiger sind im Lateritboden die Bedingungen für die 
Bildung des Malariagiftes gegeben, das sich nur in einem feuchten 
Boden entwickeln und durch Austrocknen desselben frei werden kann. 

In beständiger, gleichmäfsig starker Regenzeit kann Malaria nicht 
frei werden, in immerwährender Trockenzeit sich überhaupt gar nicht 
entwickeln. Hiernach wird es leicht verständlich, dafs ein Teil 
Afrikas, der keine ausgeprägte Trockenzeit hat, auch bessere Ge- 
sundheitsverhältnisse haben mufs, beziehungsweise dafs sich in dem- 
selben solche leichter durch Erhaltung einer gleichmäfsigen Boden- 
feuchtigkeit vermittelst Abzugskanälen hersteilen lassen. Ein solcher 
Teil Inner-Afrikas aber ist das Balubagebiet Lubuku, welches östlich 
vom Kassai und teils unter, teils nördlich vom 6 0 s. Br. liegt. Als Dr. 

Pogge, der ebenso erfolgreiche als zugleich bescheidene Afrikareisende, 
nachdem er eine Reise nach Süd-Afrika bereits gemacht, dann das 
Lunda-Reich und Mussumba der Forschung erschlossen hatte, mit 
Leutnant Wifsmann diese Gegend zuerst kennen lernte und ein Jahr 
lang dort landwirtschaftliche Versuche anstellte, war er so angenehm 
überrascht, dafs er über Klima und Bodenfruchtbarkeit günstige 
Berichte einschickte. Dafür hat man ihn einen Optimisten genannt ! — 

Pogge, dem als Landwirt und auf Grund seiner früheren Reisen ein 
praktisches Urteil über afrikanische Verhältnisse vollberechtigt wie 
keinem zweiten zustand und dem bei seinem ruhigen, bescheidenen 
Wesen nichts so fern lag, als die Verdienste andrer Reisenden mit 
neidischem Gefühl zu verfolgen und zu beurteilen, hat damals schon 
den Wert dieser Gegend erkannt und darauf aufmerksam gemacht. 

Ebenso auch Wifsmann. Wenn uns diese Domäne deutscher 
Forschung verloren geht und statt deutschen Handels wir schon 
jetzt den amerikanischen, holländischen und portugiesischen sich 
eiligst dort festsetzen sehen, so ist dieses zum grofsen Teil die Schuld 
jenes nörgelnden Pessimismus, der sich überall berufen fühlt, seine 
Kassandrastimme zu erheben, jeden opferfreudigen Unternehmungs- 
geist lähmt und unser Vaterland schon so oft hat „zu spät“ 
kommen lassen. Wifsmann, Hauptmann v. Francois , Leutenant 
Mueller als Forstmann und ich, vor kurzem wiederum der jetzt dort 

15 * 

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— 216 — 


befindliche amerikanische Arzt Dr. Simmers haben auf Grand eigener 
Anschauung und Erfahrung über jenen Teil Inner - Afrikas ebenfalls 
einstimmig eine günstige Ansicht ausgesprochen. 

Pogge ist übrigens nicht, wie fälschlich berichtet worden ist, 
dem Fieber, sondern einem Lungenleiden erlegen. Kurz vor seinem 
Tode traf ich mit ihm in Dondo-Angola zusammen, und habe ich 
mich selbst von seinem Zustande überzeugen können. Er ist nach 
eigener Aussage nicht fieberkrank gewesen, sondern hat im Innern 
bereits infolge der Reisestrapazen und Entbehrungen Bluthusten 
gehabt. 

Im November 1884 wurde von Wifsmann die Station und 
Plantage Luluaburg angelegt, welche alsbald reiche Ernteerträge 
lieferte und somit Pogges Ansichten praktisch bewies. Der Schiffs- 
zimmermann Bugslag und der Büchsenmacher Schneider haben dort 
täglich angestrengt gearbeitet und sich dabei körperlich wohl 
befunden. Bugslag hat trotz Abredens ungestraft selbst Feldarbeit 
verrichtet, und war sein Arbeitseifer nicht zu zügeln. Luluaburg 
besteht noch in blühendem Zustande mit ausgedehnten Reis-, Mais-, 
Erdnufs- u. a. Kulturen und lohnender Viehzucht. Ich habe von 
dort auch Laterit und Bodenproben mitgebracht, welche Herr Pro- 
fessor Maerker in Halle die Güte hatte, zu untersuchen und zu 
beurteilen. Wenn die Analyse in allen Fällen auch nicht hei uns 
für eine gute Bodenart sprechen würde, so hängt deren Ertrags- 
fähigkeit in Afrika auch nach Professor Maerkers Ansicht, von der 
Bewässerung ab. Diese ist aber dort günstig, ähnlich wie in den 
oberen Nilgegenden , wo trotz Laterit die reichsten Ernteerträge 
erzielt werden. 

Wenn auch die Verhältnisse Inner-Afrikas der Küste gegen- 
über günstiger sind, so ist sein Klima immerhin ein tropisches, 
und wird es schon aus diesem Grunde in absehbarer Zeit eben- 
sowenig als Indien ein Aufnahmegebiet für eine europäische 
Masseneinwanderung in dem Sinne werden als die Vereinigten 
Staaten von Nordamerika. Auf Grund meiner in den Südstaaten 
Nordamerikas und als Arzt auf einem Lloyddampfer mit Aus- 
wanderern nach Brasilien gesammelten Erfahrungen möchte ich 
den Strom unsrer gewöhnlichen nordischen Auswanderer mit Frauen 
und Kindern nur bedingungsweise in subtropische und in tropische 
Gegenden überhaupt nicht geschickt wünschen, um dort die Möglich- 
keit einer Akklimatisation etwa auszuprobieren. Anderseits empfiehlt 
sich aber das mir bekannte Inner-Afrika sehr für Plantagenbau und 
ist ein Europäer von guter, gesunder Konstitution bei vernünftiger 


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Lebensweise, die ich dem gewöhnlichen Auswanderer a priori nicht 
zutraue, wohl im Stande, dort täglich ohne Nachteil für seine Ge- 
sundheit selbst schwere Handarbeit zu verrichten, weit leichter und 
dankbarer als in den Küstengebieten. Feldarbeit, so lange dieselbe 
noch auf jungfräulichem Boden betrieben werden mnfs , soll ein 
Europäer persönlich unterlassen. 

Für sehr bedenklich aber halte ich es unter den jetzigen Ver- 
hältnissen europäische Frauen nach dem tropischen Afrika zu 
schicken oder kommen zu lassen. Als Verheiratete und Mütter 
scheinen sie am meisten unter dem Klima zu leiden und neigen 
mehr als Männer zu der Tropenanämie und der im allgemeinen ge- 
steigerten Nervosität; eine Beobachtung, die auch in anderen tro- 
pischen Gebieten bereits gemacht ist. 4 ) Die wenigen europäischen 
Frauen, die ich bis jetzt in Afrika gesehen habe, sprechen sicher nicht 
mit ihren Kindern für die Möglichkeit einer Akklimatisation. Als 
Missionäre ist ihre Thätigkeit, wenn man etwa die von der Zivilisation 
bereits lange beeinflufsten Küstenstriche ausnimmt, gleich Null. 
Auf den wilden Eingeborenen, in dessen Augen die Frau überhaupt 
nur Sklavin ist, können sie keinen guten Einflufs ausüben, wohl 
aber seine tierischen Leidenschaften entflammen. Wenn der pro- 
testantische Missionar sich in Afrika verheiraten will, sollte er schon 
vom Standpunkte der Humanität aus sich die Frau nicht aus Europa 
kommen lassen, sondern lieber, wie der englische Reverend Grenfell, 
dieselbe aus den Töchtern des Landes wählen. Dadurch tritt er 
auch zu den Eingeborenen in ein Verhältnis, das ihm seine zivilisa- 
torische Aufgabe wesentlich erleichtert. Ich habe mich persönlich 
sowohl hiervon als auch von dem glücklichen Familienleben des um 
Afrika hochverdienten Missionars Grenfell überzeugen können. Frau 
Grenfell füllte den Platz einer christlichen Hausfrau und Mutter in 
jeder Weise vollständig aus und wurde sie während ihres kürzlichen 
Aufenthaltes in London trotz ihrer schwarzen Hautfarbe mit jener 
vorurteilsfreien Achtung behandelt, welche bei uns im allgemeinen, 
auch in Kolonialkreisen, noch nicht verständlich ist, Deshalb darf 
ich mich nicht wundem, wenn mein Rat, den ich unter dem Ein- 
drücke des selbst Beobachteten gebe und der ja auch nur für den 
immerhin beschränkten Kreis derjenigen Missionare beziehungsweise 
Europäer bestimmt ist, welche sich in Afrika verheiraten wollen, 
von Manchen ebenfalls mifsverstanden wird. Gerade in letzter Zeit 
hat sich eine bedenkliche Strömung bemerkbar gemacht, Missions- 


4 ) Vergl. Dr. C. L. van der Burg, De geneesheer in Nederl. Indie. 


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218 — 


frauen und Schwestern nach dem tropischen Afrika zn schicken und 
fühle ich mich hinreichend belohnt, wenn meine Warnung auch nur 
einige abschrecken sollte. 

Die Höhenlage des Innern ist zweifellos mit ein Faktor, um 
Malaria dort seltener auftreten zu lassen oder die Erkrankungs- 
formen zu mildern, trotzdem man dieses in letzter Zeit zuweilen hat 
bezweifeln wollen. Man hat z. B. am Kongo gefunden, dafs höher 
gelegene Stationen oft ungesunder als niedrig 'gelegene waren. 
Hierbei hat man aber entweder nicht die Windrichtung oder 
hochgelegene Sümpfe in Betracht gezogen. Die englischen Army 
medical reports liefern uns ein ebenso reichhaltiges wie zuver- 
lässiges Beweismaterial für den günstigen Einflufs der Höhen- 
lage auf Malaria. Je gröfser überhaupt der Höhenabstand von 
dem Malariaboden ist, um so geringer ist die Intensität des 
Malariagiftes. Nach Ansicht des berühmten englischen Hygienikers 
Parkes genügt in einem gemäfsigten Klima eine Höhe von 500 
in den Tropen eine solche von 1500 — 2000 als Schutz gegen Ma- 
laria, die über 5000 ‘ Meereshöhe überhaupt nicht mehr Vorkommen 
soll. Jedoch haben schon geringere Höhen je nach der Windrichtung 
und Umgebung einen günstigen Einflufs auf Fiebererkrankungen. 
Auf Cypern erkrankten 1878 von der englischen Garnison 3465,3°/oo, 
also jeder Mann mehr als drei Male im Jahre, dagegen im 
darauf folgenden Jahre, als die Truppen in Platris 3500' nnd auf 
Mount Troades 5600' über dem Meeresspiegel lagen, nur 521,a°/oe. 
Aufserdem verliefen die Fieber milder. In West-Indien lag ein Teil 
der Truppen in der Ebene und ein Teil auf den Höhen von New Castle, 
von den ersteren erkrankten 443,5°/oo und von den letzteren dagegen 
nur 29,i°/oo. Auch auf Mauritius trat Malaria seltener und milder 
auf, seit die Garnison von St. Louis nach Curlpipe, 1900' Meeres- 
höhe, verlegt worden ist. Fast in allen englischen Garnisonen, in 
denen Malaria ein wichtiger Faktor für den Gesundheitszustand und 
daher die Leistungsfähigkeit der Truppe ist, hat man die Kasernen 
aus den Ebenen auf die Höhen verlegt und dadurch aufserordentlich 
günstige Erfolge erzielt. Auf Grund und an der Hand dieser exakten 
Beobachtungen sind wir berechtigt anzunehmen, dafs auch im Kamerun- 
und Kilima Njaro-Gebirge in entsprechender Höhe fieberfreie Gebiete 
zu finden sind, ohne dafs es notwendig sein dürfte, etwa vermittelst 
eines Luftballons von Europa ausgehend die Fiebergrenze dort 
festzustellen. 5 ) 


*) Siehe Kamerun etc. von Max Büchner. 1887. S. 151. 


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Aufser Fieber sind Dysenterie und Pocken an der Küste 
und im Innern, wenn auch selten, zuweilen epidemisch und 
dann von verheerender Wirkung. Die Dysenterie soll mehr in der 
Katarakt-Region Vorkommen, ich selbst habe nie einen Fall im Innern 
gesehen, und die Pocken kommen, je weiter nach Osten, desto 
häufiger vor. Auf meiner Reise zur Erforschung des Sankuru traf 
ich sie bei den Bena Lussamba. Man erzählte mir, dafs dort mit 
kaum irgend welcher Zeitunterbrechung fortwährend einzelne Variola- 
fälle vorhanden seien. Als hygienische Sehutzmafsregel wurde jeder 
Pockenkranke sofort aus der Ortschaft entfernt und über den Flufs 
in den Urwald geschafft, der sich zwischen Sankuru und Lubi an 
der Einmündung des letzteren befindet. Man war jedoch menschlich 
genug, ihm einen Sklaven als Pfleger mitzugeben, der dem Kranken 
Nahrung brachte und bis zu seinem Tode bei ihm verblieb. Die 
von mir aus Berlin mitgenommene und sorgfältig verpackte Lymphe, 
sowohl animale als auch humanisierte, war im Innern nicht mehr 
wirkungsvoll. Auch habe ich am Kongo vielfach Klagen darüber 
gehört, dafs fast alle Impfungen erfolglos zu verlaufen pflegten. 
Es ist daher von grofser Wichtigkeit, Lymphe zu beschaffen, die 
auch in den Tropen ihre Haltbarkeit nicht verliert. Die Pocken 
sind nach meinen Erkundigungen im Tnnern nicht etwa autochthon, 
sondern von Osten her eingeschleppt. 

Zahlreicher als Fieber- aber auch glücklicherweise ungefährlicher 
sind die Hautkrankheiten. An die Haut, als Regulator der tierischen 
Wärme, werden in den Tropen erhöhte Ansprüche gestellt, die 
Schweifsdrüsen haben sich einer gröfseren Arbeitsleistung zu unter 
ziehen, das C’apillargefäfsnetz der ganzen Haut ist durch die erhöhte 
Temperatur des Mediums erweitert. Von einer regen Hautthätigkeit 
ist das allgemeine Wohlbefinden abhängig. Ist erstere gestört, dann 
auch sicher letzteres. Die Hautpflege erfordert daher eine besondere 
Beachtung, und sind zu dem Zwecke tägliche Bäder, am besten 
abends, etwa gegen 6 Uhr vor dem Essen, dringend zu empfehlen. 

Die gewöhnlichen leichteren Hautkrankheiten, denen der neu- 
angekommene Europäer besonders sich aussetzt, sind ein Erythem, 
das durch direkte Einwirkung der Sonnenstrahlen auf die von der 
Kleidung entblöfste Haut zu entstehen pflegt und der liehen tropicus, 
bekannt unter dem Namen roter Hund, prichly heat, und bedingt 
durch behinderte Hautthätigkeit. Eine ebenfalls häufige und in 
ihren Folgen oft sehr gefährliche Hautkrankheit ist das Eczema im- 
petiginosum, in Angola unter der Benennung Sarnes allgemein ge- 
kannt, ein Leiden, das an verschiedenen Körperstellen zunächst eine 


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umschriebene Röte zeigt, in deren Mitte ein Knötchen entsteht, 
dessen Inhalt eitrig zerfällt. Der befriedigte Juckreiz verschlimmert 
den Zustand, es bilden sich gröfsere Geschwüre, die oft zu mehreren 
konfluieren. 

Im Innern habe ich dieses Hautleiden vielfach bei Kindern im 
Alter von 6 — 12 Jahren beobachtet, die infolge desselben am ganzen 
Körper oft mit Ulcerationen bedeckt, entsetzlich abmagerten und 
schliefslich an Entkräftung, nicht selten aber auch an konsekutiver 
Pneumonie zu Grunde gingen. Im Gegensatz zu dem Innern liefert 
in den Küstengebieten ein tierischer Parasit, der Pulex penetrans, 
Sandfloh, einen nicht unerheblichen Prozentsatz der Hautkrankheiten. 
Zunächst ist das Tier mit seinen Erfolgen glücklicherweise noch 
auf die Küstengebiete beschränkt. Jedoch ist seine Verbreitung 
eine rapide und obwohl der Sandfloh erst im Jahre 1872 durch ein 
Schilf von Brasilien nach der Loangoküste eingeschleppt sein soll, 
ist er schon jetzt am unteren Kongo bis nach der Kassai-Mündung 
und auch in Angola bis Melange zu einer wahren Landplage ge- 
worden. Die Eingeborenen wissen ihn übrigens geschickt, auch wem» 
er nur als ein kleines schwarzes Pünktchen kaum sichtbar ist, mit 
einer Nadel fast schmerzlos zu entfernen. Die Elephantiasis Arabum 
habe ich in den Küstengebieten vereinzelt beobachtet, aber nicht im 
Innern, ebensowenig spezifische Krankheiten. 

Wenn es keine Malaria gäbe, würde ich keinen Anstand 
nehmen, den mir bekannt gewordenen Teil Inner-Afrikas klima- 
tisch für ein besonders gesundes und angenehmes Tropengebiet 
zu bezeichnen, so wenig kommen andre Krankheiten in Betracht. 
Cholera, Typhus, gelbes Fieber sind unbekannt, auf Blasen- und 
Nierenleiden aber ist lediglich der Aufenthalt schon therapeutisch 
von sehr günstigem Einflufs. Vergebens sucht man dort die 

Bilder menschlichen Elends, von denen uns Reisende aus andren 
Gegenden Afrikas ergreifende Schilderungen geben. Weder gehört 
das Gebiet zu den heifsesten in Afrika, noch in den Tropen 
überhaupt. Die höchste Schattentemperatur 38 0 C. fand ich 
in einem Thalkessel am Lomami. Sogar die Sommermonate 
in den Vereinigten Staaten von Nord-Amerika pflegen heifser zu 
sein und sind mir unangenehmer gewesen, als der Aufejithalt in 
Afrika. Jeder, der z. B. im Sommer 1876 die Weltausstellung von 
Philadelphia besucht hat, wird sich der fast unerträglichen Hitze 
erinnern, welche damals dort herrschte und die auch des Nachts 
immer noch eine drückende blieb. Die Abende und Nächte dagegen 
pflegen in Afrika frisch, oft sogar kühl zu sein, so dafs man morgens 


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nach einem erquickenden Schlaf mit voller Arbeitslust an seine 
Thätigkeit gehen kann. Während meiner Landreisen bin ich nur 
dann von Moskitos belästigt worden, wenn ich etwa in einer Flufs- 
niederung Lager beziehen mufste, sonst habe ich keines Schutz- 
netzes bedurft. Auf Flufsreisen fand ich die Moskitoplage nicht 
schlimmer als auch in Amerika und wird sie in der Donauniederung 
selbst keine gelindere sein. # 

Aus dem bisher Gesagten erhellt, dafs Malaria der gefährlichste, 
überall lauernde Feind ist, mit dem wir in Afrika zu rechnen haben. 
Glücklicherweise stehen wir ihm jedoch nicht machtlos gegenüber. 
Wir können uns durch hygienische Mafsregeln nicht allein gegen ihn 
schützen, sondern ihn auch mit therapeutischen Mitteln erfolgreich 
bekämpfen. 

Zu den ersteren rechne ich zunächst passende Kleidung und 
hier empfiehlt sich als Unterzeug Wolle, die am besten bei der 
schnellen Schweifsverdunstung und den oft schroffen Temperatur- 
wechseln gegen Erkältung schützt. Baumwolle soll nur dann ge- 
nommen werden, wenn etwa die Haut zu reizbar für Wolle sein 
sollte. Übrigens ist dieses selten der Fall, vorausgesetzt, dafs die 
wollenen Unterzeuge oft, womöglich täglich gewaschen werden. 
Man zieht sie zu diesem Zwecke mehrere Male kräftig durchs Wasser, 
ringt sie nicht aus, sondern hängt sie zum trocknen auf. Der schwarze 
Leibdiener pflegt sich mit grofsem Geschick dieser einfachen Aufgabe 
auch auf dem Marsche täglich nach dem Einrücken, zu entledigen. 
Wer auf einer Station oder in einer Faktorei ein ruhiges, beschau- 
liches Dasein führt, kann vielleicht ungestraft von Anfang an auf 
Wolle verzichten, andres aber verhält es sich mit denen, die sich 
körperlich anstrengen und der wechselvollen Witterung aussetzen 
müssen, besonders gilt dieses von Reisenden, die oft täglich mehr- 
fach Temperaturwechsel beim Durchwaten von Bächen und Sümpfen, 
Austritt aus der heifsen, schattenlosen Savanne in den kühlen Urwald 
u. a. zu ertragen haben. Die Engländer und Seeleute im allge- 
meinen, welche in dieser Hinsicht am meisten Erfahrung haben, 
sprechen sich ebenfalls für Wolle aus. Ein englischer Offizier erzählte 
mir, dafs in Burmah-Indien während seiner Anwesenheit die Einge- 
borenen mehr an Malaria erkrankt seien, als die Engländer, weil 
nach seiner Ansicht erstere nur leichte leinene Stoffe, letztere 
aber wollene Unterzeuge getragen hätten. Einer unsrer Lands- 
leute, der sich für seine Reise nach Afrika zunächst durch Äpfel- 
weintrinken vorbereitet hatte und trotz Abredens nur leinene 
Unterzeuge trug, war fortwährend fieberkrank, kleidete sich aber 


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dann, als er kaum lebend nach Deutschland zurückkehrte, ganz in 
Wolle a la Jaeger. (Les extremes se touchent!) Als wir 1883 
unsre Reise nach Afrika antraten, hatten wir uns alle auf 
Wifsmanns Anraten, der von Pogge gelernt hatte, wollene Unterzeuge 
beschafft. Die durch Schuld des Fabrikanten schlecht gearbeiteten 
Hemden waren mir anfangs, weil ich ebensowenig als meine Kame- 
raden an Wolle gewöhnt war, ^unbehaglich und ich kaufte mir in 
Kamerun ein paar baumwollene. An der Loangoküste machte ich 
mit von Francois einen anstrengenden Ausflug, erkältete mich, hatte 
am nächsten Tage Fieber und zog eiligst mein wollenes Hemd wieder 
an, in dem ich mich dann trotz des groben Gewebes später 
wohl und behaglich gefühlt habe. Francois, der sein wollenes 
Hemd anbehalten hatte, zog sich weder eine Erkältung noch 
ein Fieber zu. 

Kann jemand Wolle nicht unmittelbar auf der Haut 
tragen, so empfiehlt es sich, Unterzeuge von „Indian ganze“, 
ein leichtes Seidengewebe, mit einer wollenen Leibbinde und wollenem 
Oberzeug zu tragen. Auch Dr. Güfsfeldt hat die Beobachtung ge- 
macht, dafs beim Tragen eines einfachen stark durchschwitzten 
Baumwollenhemdes ohne wollenes Hemd 8 ) leicht Erkältungen er- 
folgen. Man nimmt daher nach Afrika am besten sowohl wollene 
Unterzeuge, als auch solche von „Indian gauze“ mit und geht zu 
der erwähnten Doppelkleidung nur dann über, wenn Wolle die Haut 
zu stark reizen sollte, oder Hautkrankheiten bestehen. Weil Er- 
kältungen so oft, wie schon bemerkt, den Ausbruch eines Fiebers 
begünstigen, kann ich dem wollenen Unterzeuge als besten Schutz 
dagegen nicht eindringlich genug das Wort reden. Übrigens stimmen 
bei weitem die Mehrzahl der Afrikareisenden darin mit mir überein, 
deren Kreis ich allerdings nicht so weit ausdehne, als dieses oft in 
letzter Zeit geschieht. Der Unfug, der mit der Benennung „Afrika- 
reisende“ getrieben wird und dieselbe bedenklich in Mifskredit zu 
bringen droht, ist in treffender Weise schon von Dr. Wilhelm Joest 7 ) 
gegeifselt worden, dessen Ausführungen ich nur beipflichten kann. 

Eine weifse Mütze mit grofsem Schirm, und Nackentuch, sowie 
ein Tropenhelm und im Lager oder Hause etwa ein Fez, sind die 
passendste Kopfbedeckung. Statt eines Rockes trägt man besonders 

*) Dr. Max Boehr, Instruktion für wissenschaftliche Reisende. Berlin 1875. 
Hirschwaldt. 

*) Reise in Afrika im Jahre 1883 von Wilhelm Joest Dr. phil. Separat- 
abdrnck aus der Zeitschrift für Anthropologie, Ethnologie und Urgeschichte, 
Jahrgang 1885. p. 4. 


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auf Reisen am besten eine Ärmelweste mit vielen Taschen und je 
nachdem, ob man geht oder reitet, Schuhe oder Kniestiefeln von 
Naturleder. Als Steigbügel bediene man sich des amerikanischen 
Schuhsteigbügels, der den Fufs sowohl gegen die Nässe schätzt, als 
auch ein Verfangen in den zahlreichen Lianen verhindert. 

Die beste Unterkunft für den Reisenden gewährt ein Zelt mit 
Doppeldach, wie es von Edginton in London besonders für 
Afrika hergestellt wird. Das Doppeldach schützt sowohl am Tage 
gegen die Hitze als auch nachts gegen die Kälte. Ich habe leider 
während des ersten Teils meiner Reise keins besessen und von 
Malange bis Mukenge über vier Monate mir täglich eine Grashütte 
bauen lassen, die selten genügend Schutz gegen Wind und Regen 
bot. Nicht immer findet man hinreichend Gras, und aufserdem mufs 
man, im Lager angekommen, oft stundenlang warten, ehe die 
ermüdeten Träger eine notdürftige Hütte für ihren Herrn erbauet 
haben. Ein Zelt ist dagegen nur eine Trägerlast und innerhalb 
10 Minuten irgendwo aufgestellt. 

Bei Anlage einer Station nach Auswahl eines hochgelegenen, 
sumpffreien, luftigen Platzes soll man stets von dem Grundsätze 
ausgehen, die Wohnhäuser auf Stein-, oder wenn dieses nicht möglich 
ist, auf Holzpfeilern so zu bauen, dafs der Fufsboden sich mindestens 
1 m über der Erde befindet. Das Erdgeschofs soll vollständig frei 
für die Ventilation bleiben und weder dem Dienstpersonal als 
Unterkunft noch als Vorratskammer dienen. Die Häuser dürfen 
wegen der heftigen Gewitterstürme — Tornados — nicht zu hoch 
gebauet sein. Jede Wohnung mit breiter Veranda bestehe ans zwei 
Räumen und einem Flur und diene für nur einen Europäer. Kasemen- 
mäfsiges Zusammenwohnen vieler Europäer in einem Hause empfiehlt 
sich in den Tropen durchaus nicht. So lange Backsteine, Cement 
und Dachziegeln fehlen, nimmt man als Baumaterial am besten 
Holz, Stroh und Lehm. Man findet Holz, das nicht von Termiten 
angefressen wird. Fufsboden und Wände werden aus Lehm gemacht 
und mit Thon ge weifst. Nägel werden durch Lianen und Pflöcke 
ersetzt. Das Dach wird aus Stroh hergestellt, und hält das Innere 
während des Tages kühl und des Nachts warm. Ein solches 
Häuschen läfst sich übrigens schnell bauen und genügt den An- 
forderungen der Tropenhygiene vollständig. — Im November 1885 
beschlofs ich, an der Mündung des Luebo in den Lulua, dem äufsersten 
Punkte der Schiffbarkeit nach Süden, auf der durch diese beiden 
Flüsse gebildeten Landspitze, die flach und mit. dichtem Urwald 
bestanden war, als dem auch strategisch wichtigsten Platze in der Nähe 

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_ 224 — 

feindseliger Eingeborenen, eine Station anzulegen. In der Zeit der 
heftigsten Regen wurde der Urwald gelichtet, Bäume und Gestrüpp 
flufsabwärts geschwemmt und Häuser nach obiger Beschreibung gebauet. 
Hinter der Station befand sich ein Sumpf. Ich liefs denselben durch 
einen Graben mit dem Lulua und Luebo verbinden, wodurch die 
Station selbst auf einer Insel lag. Der Gesundheitszustand blieb ein 
vorzüglicher, was ich in erster Linie der Berücksichtigung hygieni- 
scher Anforderungen beim Häuserbau und dem Abzugskanal, dann 
auch einer günstigen Windrichtung vom Luebo und Lulua abwärts 
zuschreibe. 

In der Nähe der Wohnung sollen Gestrüpp und abgestorbene 
Blätter stets entfernt und das Gras kurz gehalten sein. Doch lasse man 
Bäume stehen entweder im Umkreise um die Wohnung oder wenigstens 
an der Stelle, woher etwa ein scharfer Wind zu wehen pflegt. Dia 
Bäume verhindern, dafs Malaria durch die Luft zugeführt werde. 
In Alabama, Nordamerika, brach z. B. auf einer Farm, die eine halbe 
englische Meile von einem versumpften See lag, plötzlich nach Nieder- 
hauen eines zwischenliegenden Gehölzes eine so starke Malariaepidemie 
aus, dafs von 150 Bewohnern nur 3 oder 4 verschont blieben. Vorher 
war Malaria dort nicht vorgekommen. 

Die Ernährung soll in den Tropen so gut als möglich sein. 
Ein kräftiger, wohlgenährter Körper ist leistungsfähig und im Er- 
krankungsfalle gewifs widerstandsfähiger als ein schwacher. Ein 
mäfsiger Genufs von Spirituosen ist zu empfehlen, besonders Kognak 
und leichter Rotwein. Schwacher Kaffee und Thee löschen den 
Durst am besten. Wasser soll man nur gut filtriert und gekocht 
trinken. Filtrieren allein genügt nicht, da die Filter oft unrein 
werden. Die medizinische Litteratur, sowohl die deutsche als auch 
besonders die englische, liefert uns ein reichhaltiges Beweismaterial 
dafür, dafs Malaria auch durch Trinkwasser in den menschlichen 
Körper übergeführt werden kann. 8 ) 

Während des Krimkrieges litten, wie Parkes in seinem 
klassischen Handbuch der praktischen Hygiene berichtet, alle eng- 
lischen Soldaten, welche Sumpfwasser tranken, während des ganzen 
Jahres an Malaria, während diejenigen, denen Brunnenwasser zur 
Verfügung stand, nur im Spätsommer und Herbst am Fieber erkrankten. 
Auch die englische Garnison Sheerness hat infolge von Sumpf- 

*) 1) Stat. Sanit. Bericht für die Künigl. Preuss. Armee and das XIII. 
(K. W.) Armeekorps für die Zeit vom 1. April 73 — 31. März 74, p. 12. 

2) Faught, Report on the prevalonee of agtie and Malaria at Tilbury 
Fort, in connection with the water supply, Army Medical Report p. 212. 


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— 225 — 

wasser sehr an Malaria gelitten. In Tnlliwoon — Madras — pflegte 
niemand fieberfrei zu sein, weil allgemein Sumpfwasser getrunken 
wurde. Mr. Bettington of the Madras Civil Service, legte einen 
Brunnen an, dessen Wasser fortan zum Trinken diente und infolge 
dessen kam in 14 Jahren kein Malariafall vor. 

Die äthiopische Rasse besitzt keineswegs eine Immunität gegen 
Malaria. Im Jahre 1880 erkrankten in West-Afrika von 623 schwarzen 
englischen Truppen 404 an Malaria und von diesen 285 an remit- 
tierendem und 119 an intermittierendem Fieber. Von 1869 — 1877 
hatten die englischen Soldaten äthiopischer Rasse in West-Indien 
127,8 °/oo Fieberfälle und folge dessen _l,i5 °/oo Sterblichkeit; die 
europäischen Truppen dort in derselben Zeit dagegen nur 52,8 °/oo 
beziehungsweise 0,97 °/oo. Doch neigt der neuangekommene Europäer, 
wie leicht verständlich, schon wegen des schroffen Überganges in andre 
Lebensverhältnisse mehr zur- Malariaerkrankung als die angesessene 
und auch als die einheimische Bevölkerung. Es mufs daher eine 
beschränkte Akklimatisation stattfinden. 

Die Behandlung der Malariakrankheiten wird mit Recht eines 
der schwierigsten Kapitel der speziellen Therapie genannt und 
erfordert nicht allein theoretisches Wissen, sondern mehr als dieses 
in den Tropen selbst gesammelte Erfahrungen. 

Im allgemeinen ist der Grundsatz festzuhalten, stets grofse 
Dosen Chinin (l,o) zu geben. Öftere kleine Gaben reizen den an 
und für sich schon empfindlichen Magen und werden leicht wieder 
erbrochen. Ipecacuanha, Arsen und kalte Vollbäder unterstützen 
die Behandlung. Ein fortgesetzter prophylaktischer Gebrauch 
von Chinin soll nicht stattfinden, da derselbe sowohl auf die kräftigste 
Körperkonstitution schliefslich schädlich wirkt, (Chinintaubheit, 
Blindheit n. a.) als auch im allgemeinen nach neueren Beobachtungen 
erfolglos ist und den Organismus so an dasselbe gewöhnt, dass im 
Erkrankungsfalle die Wirkung des Mittels gegen Malaria abgeschwächt 
ist. Jedoch empfiehlt es sich, bei einem vorübergehenden Aufenthalt 
in einer besonders fiebergefährlichen Gegend, oder nach starken 
körperlichen Anstrengungen, sowie bei irgend welchem Unwohlsein 
eine einmalige kleinere Dosis Chinin, etwa 0,25 — 0,5, vor dem Früh- 
stück oder vor dem Schlafengehen mit Kognak zu nehmen. 

Der prophylaktische Arsengebrauch ist auch kein absolut sicherer 
Schutz. Mir sind zwei Fälle vom untern Kongo bekannt geworden, 
wo trotz 3monatlichen Arsengebrauches schliefslich ein perniciöses 
Fieber sich einstellte und inzwischen noch einige leichte Fieber zu 


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226 — 


bestehen waren. Die allgemeinen Vorsichtsmafsregeln lassen sich 
etwa in folgender Weise zusammenfassen: 

1) Man trage wollenes Unterzeug und wechsle dasselbe wo- 
möglich täglich, sicher aber nach jedem Tagesmarsche. 

2) Man frühstücke nach dem Aufstehen möglichst bald und gut. 

3) Man vermeide mit vollem Magen während der heifsen Tages- 
zeit zu arbeiten oder zu marschieren. Nach jeder Hauptmahlzeit 
folge eine Stunde Ruhe. 

4) Man schütze Kopf und Nacken durch einen guten Helm mit 
Nackentuch. 

5) Man trinke nur gekochtes Wasser. Schwacher Kaffee oder 
Thee löschen den Durst am besten. Alkohol ist dem Gesunden nur 
abends zu empfehlen. 

6) Man vermeide alle Gemüthserregungen, mache sich viel 
Bewegung und gebe sich keiner übermäfsigen Ruhe hin. 

7) Man nehme täglich ein kaltes oder lauwarmes Bad und 
reibe die Haut so lange mit einem rauhen Handtuche, bis sie gleich- 
inäfsig erwärmt ist. 

Das Bad wird am besten abends zwischen 5 und 6 oder später 
vor dem Essen genommen. 

8) Man lege sich spätestens 10 Uhr schlafen und stehe um 
5 Uhr früh auf. 

Man nehme prophylaktisch Chinin nur beim Aufenthalte oder 
Übernachten in einer Sumpfgegend, nach starken körperlichen An- 
strengungen, oder bei irgend welchem Unwohlsein und in diesen 
Fällen eine einmalige Dosis von 0,25 bis 0,5 gr. 

Die fortschreitende Kultur wird zweifellos auch das afrika- 
nische Klima bessern, doch werden von ihren Pionieren noch 
manche ihr Leben als Preis dafür zahlen müssen. Das lehrt 
uns als eine unerbittliche Notwendigkeit die Kulturgeschichte 
aller Weltteile. Nach der hohen Sterblichkeits- und Krankheitsziffer 
der Forschungsreisenden, welche unter den schwierigsten und 
wechselvollsten Lebensbedingungen in Afrika den Kampf ums 
Dasein auszufechten haben, ‘ dürfen wir daher das afrikanische 
Klima nicht beurteilen. Gute Wohnungsverhältnisse, eine mäfsige 
Lebensweise, verbunden mit einer geregelten Thätigkeit bilden 
auch dort wie überall die Grundbedingungen für die Gesundheit 
und das Leben. Wenn man für den Kolonialdienst und Afrikareisen 
überhaupt nur nach bester Prüfung für die Tropen geeignete und 
auf Grund einer streng durchgeführten ärztlichen Untersuchung 
gesund und widerstandsfähig befundene Persönlichkeiten auswählt, so 


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— 227 — 


werden viele Menschen und infolgedessen auch Geldopfer erspart bleiben. 
Noch vor 50 Jahren starben die britischen Soldaten in Westindien 
in erschreckender Zahl. Ein Regiment von 1000 Mann war 
innerhalb 5 Jahren dem mörderischen Klima zum Opfer gefallen. 
Und jetzt ist der Dienst dort fast ebenso gesund, als im Mutterlande. 
In Indien ist während der letzten 30 Jahre die Sterblichkeitsziffer 
unter den Europäern um 50°/o geringer geworden. Derartige Ver- 
hältnisse schaffen die Engländer dadurch, dafs sie bei allen ihren 
kolonialen Unternehmungen den Anforderungen der Tropenhygiene 
die gröfste Aufmerksamkeit, widmen und dieselben auch peinlichst 
befolgen. Wenn wir unbeirrt durch pessimistische oder zu 
optimistische Schilderungen uns deren Erfahrungen zu nutze machen, 
werden wir zweifellos ähnlich günstige Erfolge in Afrika erzielen. 


Die Landschaft Dawan oder West-Timor. 

In douesieu. 

Ethnographische Mitteilungen von Dr. J. O. F. Riedel, 

Resident n. I). in Niederländisch-Ostindien. 

(Vortrag, gehalten in der 60. Versammlung Deutscher Naturforscher und Arzte 
in Wiesbaden, September 1887.) 

Mit einer Karte. ') 

I. 

Bemerkungen Uber die Insel Timor. Die Timorosen : KörperbeschafTenheit. 
Intellektuelle und moralische Eigenschaften. Das Solidaritätsprinzip. Lebensweise. 
Nahrung, Kleidung. Sitten. Singen und Tanzen. Die Beschäftigung der Männer und 
Frauen. Grundeigentum. Die Gemeinde. Weiderechte. Jagd und Fischfang. Sammeln 
des Sandalholzes. Bodenkultur. Die Stände. Bufsen. Das Knpfabschneiden. Blut- 
schande. Die Einkünfte der Häupter der Landschaften. 

Die Insel Timor oder Timol, im Jahre 1554 von den Portu- 
giesen, welche noch heutzutage den östlichen Teil besitzen und im 
Jahre 1613 von den Holländern, welche sich im westlichen Teil 
niedergelassen haben, zum ersten Male besucht, liegt zwischen 
123° 20' und 127° 30' östl. L. von Greenwich und zwischen 8° 40' 
und 10° 50' südl. B. Sie wird von der Bevölkerung in drei Haupt- 
gebiete eingeteilt, als Marae, das östliche Tetun oder Tetuun, das 
mittlere und Dawan, das westliche Timor. Die Inseln, welche 
unmittelbar nördlich davon sich zeigen, heifsen in der Landessprache 

*) Die Karte wird mit dem 2. Teil dieses Aufsatzes in Heft IV publiziert. 


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— 228 — 


Pah-Keera oder Schildkrötenland. Die Landschaften, welche westlich 
und zum Teil inmitten der Insel liegen und als holländisch betrachtet 
werden, sind Kopan, Amaabi, Vonai. Tapenu. Sonabai-ana. Amarasi. 
Tevnai, Nevo, Manubai, Nakliu, Sorbian. Ambenn, Amvnang. Takaip. 
Pitai, Bati, Besiama, Numbena. Netpala oder Nevkoko. Bidjaepunu. 
Amakono, Djenilo, Lidak, Naitimu, Beboki. Insana. Silawang, 
Mandeu, Sonleu. Lamaksanhulu. Lamakneen. Vehalarang, Makir. 
Dirmaa, Maukatar, Amanubang, Amanatnng, Nenometan und Wai- 
wiku-Waihale mit einer Bevölkerang von etwa 170000 Einwohnern. 
Unter Waihale, das zum holländischen Teile gehört, stehen heute 
noch als Vasallstaaten die den Portugiesen im Jahre 1857 abge- 
tretenen Landschaften Balibo, Koa, Saniring. Marowo, Atsabee. 
Limea. Diruwati, Mauhara, Babula und Alas, welche noch alle dem 
Fürsten oder Liarai von Waiwiku -Waihale zinsbar sind. Den Über- 
lieferungen nach, sollen die ersten Bewohner von Timor von einer 
weit nördlich liegenden Insel herübergekommen sein. 

Der Timorese gehört zur dunkel-braunen, glattharigen, indo- 
nesischen Rasse und hat im allgemeinen die orthodolicho- und hyp- 
simesocephale Schädelform. Kraushaarige, wie die Papuas, werden 
nicht angetroffen. Die Männer sind kräftig, stark und hübsch gebaut, 
von schlankem Wuchs. Sie haben eine durchschnittliche Länge 
von 1,69 m, während die Frauen, deren Wuchs kurz und ge- 
drungen ist, selten mehr als 1,44 m erreichen. Das Haupthaar, 
das bei einigen lockig, lang getragen wird, ordnen die Männer 
künstlich und schmücken dasselbe mit farbigen Federn, Stückchen 
roter Leinwand und silbernen Plättchen. Die Frauen haben wenig 
Haar, nicht nur auf dem Körper, sondern auch auf dem Kopfe und 
Männer mit dichten Bärten werden selten getroffen. Die Augen 
sind glänzend schwarz, bei jungen Leuten mit frechem Blicke : die Nase 
vorspringend und bei vielen einigermafsen gebogen. Frauen, welche 
noch nicht gesäugt haben, haben kleine coniforme Brüste ; bei älteren 
Frauen hängen diese als lange, runzliche Hauttaschen mit stark 
entwickelten Warzen herab. Das Becken ist schmal; die Hände und 
Füfse sind klein. Männer und Weiber sind gute Läufer und 
vielen Strapazen gewachsen. Sie sind roh, grausam, kaltblütig und 
gegen Körperschmerzen gleichgültig. In Gegenwart Fremder lassen 
sogar die Kinder ihre Schmerzen und unangenehmen Empfindungen 
nicht bemerken*). Die Männer sind weiter stolz, arrogant und reizbar, 

■j Ein Junge von etwa zehn Jahren, dem ich nacheinander einen Thec- 
löffel Zucker und darauf Sulphas Chinine in den Mund steckte, verzog keine 
Miene. 


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— 229 — 


schenken Fremden wenig Aufmerksamkeit, und sehen sie bei 
Begegnungen sogar nicht an, weil sie sich selbst viel höher 
schätzen. Die Weiber sind häfslich, dabei sehr schüchtern; nur 
bei heftigen Erregungen lärmen und toben sie fürchterlich. Von 
Recht, Fremden gegenüber, haben sie nicht die leiseste Ahnung, 
wohl aber, wenn der Fremde ein Freund geworden ist. Kräftiges 
Auftreten in irgend einem Gefechte, oder in irgend einer andern 
männlichen Handlung, wird bewundert und belohnt. Der Timorese 
schätzt nicht nur die öffentliche Meinung seiner lebenden, sondern 
auch seiner verstorbenen Stammesgenossen, seiner Ahnen. Indessen 
ist er schlecht beanlagt und hat ein kurzsichtiges Urteil. Nur 
wenige sind dankbar und treu. Sie achten ihre Fürsten nur so lange, 
als dieselben einflnfsreich und mächtig sind, doch lieben sie ihre 
Dörfer, in welchen die nüu oder Geister ihrer Ahnen sie in beson- 
derem Schutz halten. Als die gröfste Ehre betrachtet ein timore- 
sischer Fürst eine Reihe hoher, um seine Wohnung gestellter Stäbe, 
auf welchen die abgeschlagenen Köpfe seiner Feinde stecken. An- 
gesehene Personen oder Freunde solcher müssen, bei ihrer Ankunft 
in den Dörfern, auf zwei oder vier abgeschnittene Köpfe treten, 
welche ihnen als Schemel dienen. Das Solidaritätsprinzip wird 
überall pünktlich und sehr streng angewendet. Für dasjenige was 
ein Büffel oder Hund thut, mufs der Eigentümer, — was ein Kind 
ausführt, der Vater oder die Mutter büfsen. Die Schuld oder das 
Unrecht einer Person mufs der Verwandte oder der Stamm verantworten. 

In ihrer Lebensweise und Nahrung, welche letztere aus Mais, Bohnen, 

Pferde-, Schweine- und Büffelfleisch in erster Linie besteht, sind die 
Leute sehr unreinlich. Aus diesem Grunde leiden sie häufig an 
allerlei Hautkrankheiten. Mund und Zähne werden aber sehr rein 
gehalten, die letzteren werden, wie bei den Somali im östlichen 
Afrika, fortwährend mit einem Stücke weichen Holzes geputzt. In 
den Binnenländern badet man sich sehr selten und zieht man noch 
seltener reine Kleider an. Die Kleider der Männer bestehen einfach 
aus zwei Umschlagetüchem, die der Weiber aus einer sogenannten 
Sarong. Nachdem sie ihre Notdurft verrichtet haben, reinigen sie 
sich nicht mit Wasser, wie die übrigen indonesischen Völker. Sie 
schneiden nach ihrem Körper zu und essen nicht mit den Fingern, 
sondern bedienen sich Löffel von Kokosnufsschale. Die Menses, 

nü vunan, treten schon frühzeitig ein, der Mann berührt in jener 
Zeit seine Frau nicht. Geschlechtsgemeinschaft ist unter den 
jungen Leuten frei, und findet par preference in Wäldern 
statt. Verheiratete Frauen sind ihren Gatten selten treu. Um das 

Geograph. Blätter. Bremen, 1SS7. 16 

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Rlut., wie man sagt, rein oder mau zu behalten, ist die. Blutschande 
zwischen Vater und Tochter, anvuli na vcni in amu, zwischen Mutter 
und Sohn, anvuli na i:eni e iiutav, und zwischen Bruder und 
Schwester, an »tone anvuli na voni vetov, gestattet : sie ist eine 
tägliche Sache, besonders bei den höheren Ständen. Obscöne Reden 
dürfen in der Anwesenheit von Frauen und Kindern gehalten werden. 
Bei festlichen Gelegenheiten geschieht es nicht selten, dafs, nach 
der Mahlzeit, coram populo die Gäste die Sklavinnen des Gastgebers 
zum Beischlaf erhalten. Das Abnehmen der Kopfbedeckung vor 
irgend einem Mann ist eine Beleidigung, nicht nur für denselben, 
sondern auch für alle, welche in dessen Nähe sich befinden. Als 
eine noch gröfsere Beleidigung gilt es, wenn einer einen höheren 
als den ihm gebührenden Sitz einnimmt oder wenn ein Gast 
die ihm angebotene Frau oder Tochter ausschlägt. Während 
des Sprechens wird die Rechte vor den Mund gehalten, damit 
der böse Geist boang nicht in den Körper fahre, und die 
Person, mit der man spricht, nicht durch irgend geheime 
Zaubermittel den Geist snumav des Sprechers verletze. Hat man 
Brüderschaft, maolitatav, mit einander geschlossen, d. h. einer des 
andern Blut getrunken, dann ist es dem Freunde gestattet , in 
Geschlechtsgemeinschaft mit der Gattin des andern zu treten. Die 
Männer lieben sehr den Saft des Borassus flabelliformis, tua oder 
koli, den sie im frischen Zustande mit der Rinde und der Wurzel 
der Caesalpinia ferruginea mischen, sonst auch destillieren, sie werden 
dadurch frühzeitig echte Trunkenbolde. Auf Arrak und Genever sind 
Männer und Weiber wie versessen. Sie nennen beides Milch von 
dem Vater und von der Mutter, ina o ama mtutu oen, womit sie die 
vereinigte Niederländisch-Ostindische Gesellschaft meinen. In Mittel- 
Timor singt und tanzt mau leidenschaftlich. Liebliche und reizende 
Melodien werden von Männer-, Weiber- und Kinderchören abwechselnd 
gesungen. Diese Lieder sind aber alle im tetunischen Dialekt 
gedichtet. Bei Todesfällen singen blofs die Frauen die makarcreu, 
lakumerin und hanonolalan. nach der Köpfejagd die Männer die bone 
leke, tvonehunu oder tebevunu genannt, welche in gewöhnlichen Zeiten 
nicht gesungen werden dürfen. Schimpflieder heifsen hunu lau oder 
(laisowan. Bei andern Feierlichkeiten, z. B. bei der Reisernte, singt 
man olotlo, wakosala, samahare und tebediak. Der /oir-Gesang hat 
viel ähnliches mit dem malaischen Dendang. Die Tänze sind ein- 
förmig, wie der ttabsoo, eine Art von Bewegungen der Hände und 
Arme ; der tua tum bann, ein Ringeltanz mit lebhaften Sprüngen und 
grofsem Geschrei von Männern und Weibern; der heleoli, auch ein 


— 231 


Ringeltanz, welcher Schritt für Schritt sehr ruhig getanzt wird, 
indem die Männer und Weiber mit tiefen Grabstimmen singen. Wenn 
die Rede von Festen ist, pflegt man, anstatt: es hat zwei bis acht 
Tage gedauert, zu sagen, man hat zehn bis hundert Schweine, vier bis 
sechszig Büffel u. a. geschlachtet. Die Männer befassen sich mit dem 
Einsammeln des Bienenwachses und Sandalholzes, übrigens mit dev 
Jagd und Kopfschnellerei, doch hauptsächlich mit dem Kriege. 

Bei einer Kriegserklärung wirft man den Kopf eines schwarzen 
Hundes in das feindliche Land, auch legt, man das Bild eines penis 
oder cunnus an die Grenze nieder. 

Die Frauen und die Sklaven verrichten die übrige Arbeit. 

Männer und Weiber gebrauchen bei weiten, ermüdenden Reisen 
Baumäste als Fächer, welche sie an bestimmten Orten, wo die Ahnen 
dasselbe thaten, wegwerfen. Die Ermüdung, welche in die Blätter 
gefahren ist, läfst man auf diese Weise zurück. Andre bedienen 
sich Steine statt Blätter. Wenn man jemanden bei der Mahlzeit über- 
rascht, zieht man sich sogleich zurück, weil es für sehr unanständig 
gilt, einen, aufser die Familienglieder, ungeladen essen zu sehen. 

Alle Grundstücke betrachtet man als das von den Vätern 
erhaltene Erbe, atoni namnasi benat, das Eigentum der Gemeinde, 
koan , oder des Stammes riku, und über welche der Herr oder der 
erste Urharmacher des Grundstückes, der pah tua, auch wohl dale 
mm tua genannt, die unmittelbare Aufsicht führt, wenigstens wenn 
dieselben keine persönliche Eigentümer sind. Wenn die Nachkommen 
des pah tua ausgestorben sind, hat der Fürst, usi, loro oder datu 
diese Aufsicht. Die persönlichen Eigentümer und die der Gemeinde 
oder des Stammes sind alle durch Grenzen tor-tol, durch Steine 
vatu, Deiche dende, Vorgebirge pene, Meerbusen oetasi, Berge neten, 
Bäume hau und Zäune bohan getrennt. Will man Waldgrundstücke 
urbar machen, oten leie, dann mufs man den pah tua oder bei dessen 
Abwesenheit das vornehmste Stammeshaupt und die übrigen Stammes- 
genossen davon in Kenntnis setzen, damit diese später zeugen 
können, dafs die Urbarmachung des Bodens durch den Eigentümer 
desselben geschah. Für diese Bemühung bietet er dem pah tua ein 
kleines Geschenk im Werte von nicht mehr als fünf Mark an. 
Wenn man die Erlaubnis dazu nicht nachsucht, ist man verpflichtet, 
dem pah tua ein Geschenk von über hundert Mark als Strafgeld zu 
erlegen. Will der pah tua auf einem von den ersten Urbarmachern 
erhaltenen, doch provisorisch verlassenen Grundstück, tetas, ein Reis- 
oder Maisfeld, leie, anlegen, dann mufs er gleichfalls von den Eigen- 
tümern die Erlaubnis dazu einholen. Die Gemeinde, Jcoan, aus den 

16 * 


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betreffenden Oberhäuptern, Ältesten, amnasik nael und Häuptern 
der Familien, umdnaman bestehend, kann Waldgrundstücke ver- 
mieten oder verpachten, s teko, auch an Fremde, wie Chinesen u. a., 
gegen die einmalige Erlegung der Mietgelder. Der Mieter ist jedoch 
verpflichtet, auf demselben zu wohnen, wenn er seine Ansprüche 
daran nicht verlieren will. Beim Tode ist dies aber der Fall. 
Waldungen dürfen nicht verkauft, heilige Wälder, nasi leu, nicht 
besucht werden. Die individuellen Grundstücke können als Lehen 
gegeben, verpachtet, verkauft oder auf irgend eine andre Weise 
einem Stammesgenossen abgetreten werden. Fremde oder Männer, 
welche zu einem andern Stamme gehören, können nicht über die Grund- 
stücke ihrer Weiber verfügen. Grasfelder, humusu naosona, und Wiesen, 
hm, gehören gleichfalls der Gemeinde und es ist bei Strafe verboten, 
darauf das andern Stämmen gehörende Vieh zu weiden. Einige 
Fürsten, usi, haben jedoch die Erlaubnis der Ältesten, eine Weide für 
ihr Vieh abzugrenzen, welche völlig umzäunt sein mufs. Die Gold- 
gruben, hani moni, sind entweder das Eigentum des pah tua oder 
dessen, der dieselbe auf Kommunalgrundstücken zuerst entdeckt und 
davon den betreffenden Behörden Anzeige gemacht hat. Die Schweine- 
und andre Jagd ist jedem, sowohl auf kommunalen als auf indi- 
viduellen Grundstücken gestattet. Der Fischfang in Flüssen, noel , 
und Seen, oematnu, ist jedem erlaubt. Das Einsammeln des Bienen- 
wachses, vani ninin, in den kommunalen Euealyptuswäldem und des 
Sandalholzes, Santalum album, ist durch einige Regeln bedingt. 
Wenn einer einen Bienenschwarm in einem Baum entdeckt, macht 
er ein Zeichen an dem Baum, wodurch er als Besitzer seiner Ent- 
deckung anerkannt wird. Zuerst streut er aber ein wenig Reis für 
die Geister, usneno-uspaha , und die Älteren nitu, damit diese 
sein Eigentum beschützen. Das Sammeln des Sandalholzes, hau meni , 
geschieht, nachdem man mit einander darüber zu Rate gegangen ist, 
nach der Reisernte, wobei man die Zeit und die zu nehmende 
Richtung bestimmt. Alle Männer begeben sich dann in die Wälder 
und das gesammelte Holz ist und bleibt das Eigentum des Sammlers. 
Bevor sie in den Wald gehen, streuen sie an einem bestimmten Ort 
Reis , indem Schweine- und Hühnerfleisch den obenerwähnten 
Geistern geopfert werden. Büffel und Pferde dürfen als fremde und 
eingeführte Tiere nicht geopfert werden. Diese Tiere sind auch, wie 
inan sagt, wegen ihrer dicken Haut den Geistern nicht angenehm. 
Die nichtkonservativen usneno- und mtoanbeter brauchen indessen 
auch Büffel und berühmen sich damit, wenn sie ihren Zweck er- 
reichten. Vor den ersten Regenschauern kehren sie mit ihren 


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Produkten heim. Das Urbarmachen von Wäldern geschieht mit 
Hülfe tnesenok, der Blutsverwandten und Freunde, die, solange die 
Arbeit dauert, festlich bewirtet werden. Dieses findet auch bei 
der ersten Bearbeitung der nassen Reisfelder, mepu lei an oc. 
statt. Die übrige jährliche Bestellung der Reis-, Mais-, Bohnen- 
und andern Äcker geschieht grofsenteils von Sklaven und 
Weibern. Die Männer müssen allein die Einzäunung herstellen 
oder reparieren. Vor jeder Bearbeitung des Bodens mufs man Reis 
ausstreuen, um die Ahnen günstig zu stimmen. Die wenigen nassen 
Reisfelder werden vor dem Anbau teils gepflügt, teils von Büffeln 
platt getreten. Auf trocknen Feldern pflanzt man neunzehn Reis- 
arten, ane, welche in drei bis fünf Monaten reif sind, wie pulu, 
elonmti, elomölo, elohaekao, elobubu, kasee, leolmata, oken, makasal 
poometan, mctan petu, makono, bonak, molomue, lapat mutinoel, too, 
kolo, oni und Uli, — weiter sechs Arten Mais pena, welche neunzig 
Tage lang wachsen, wie naes, tnolo, toli, kikis, tuhu und ike; zwei 
Arten von sechzig Tagen, wie sajan und timaus und eine Art astet, 
welche fünfzig Tage wächst. Auf diesen Feldern baut man auch 
u. a. Ladgenaria hispida, woko ; Phaseolus radiatus und lunatus, 
intel und boto; Allium escalonicum, sabola; Arachis hypogaea, vuel 
käse; Batatas edulis, loli; Cajanus indicus, iuris; Capsicum annuum, 
kurus; Gossipium indicum, awas; Saccharum officinarum, tevu und 
einige Gemüsearten an. In den sogenannten Plantagen mamar oder 
hoon pflanzt man Kokosnüsse, noa; pinang, pua; Sirih oder Betel, 
manus; pisang, uki; Orangen und Zitronen, lilo; Anona murieata, 
sorsak; Artocarpus incisa natmu und andre Bäume. Wenn der 
Reis oder Mais nicht günstig auf dem Felde steht, so opfert 
der Pflanzer , uspaha , ein schwarzes Huhn , sammelt darauf 
hm niki, oder Kräuter, welche, wie man glaubt, kühlend wirken, 
zerreibt diese in Wasser, und befeuchtet damit die Ecken des Feldes. 
Bei der Reisernte werden die Halme mit einem Messer abgeschnitten 
und zu Büscheln gebunden. Es ist Sitte jährlich nicht mehr als 
das Nötige anzubauen. Um die nötige Zahl Bäume, Häuser, Gesinde, 
Sklaven, Vieh u. a. behalten zu können, schlingt man in einem 
Seil die nötigen Knoten. Die Obstbäume werden durch hölzerne 
Modelle von Schwertern, Flinten, Keulen und andern Waffen 
geschützt, mit welchen man den eventuellen Frevler ohne weiteres 
töten kann. 

Die Stände, aan oder nahin, eigentlich Kind oder Namen, zer- 
fallen in netto ana, Sohn des Himmels, der Stand eines Fürsten, 
leu rai oder liu rai, des höchsten Verwalters, dessen, der weit über 


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die Grenzen hinaus gebietet ; in asla puh tua, Grundeigentümer ; in 
asla uv, die vornehmsten Häupter ; in asla vetol, die Reichsverweser ; 
in asla nakav, Stammeshäupter; übrigens in tou, touk, atoni ana. 
hutu oder emarenu, gemeine Leute; in alel oder ema ata , Sklaven, 
und in leksaan, Kriegsgefangene, welche für die ersten Häupter 
Sklavenarbeit leisten müssen. Die Defzendenten der leurai heifsen 
manapina, Sterne; die der vornehmsten Häupter naimenuke. Das 
Land wird von Fürsten verwaltet, welche nach den verschiedenen 
Landschaften leurai, rniwesi, usi, datu, lahi, dasi und loroboot 
heifsen; weiter von Reichsverwesern, vetol auch loro genannt, von 
Stammeshäuptern, kolobe, leitubu, nakav und lopo ; von Häuptern der 
Polizei, otepaha, und von Ältesten, amnasik nael. Ist in einer der 
Landschaften das regierende Geschlecht erloschen, so wird eines in 
den benachbarten Landschaften gekauft. Dieses geschieht auch mit 
den Frauen der leurai. Die Häupter sind nicht die Priester, welche 
opfern. Die pah tua, asu pah und meo oder meong, beide letzteren 
Anführer im Kriege, haben keinen Anteil an der Regierung. Standes- 
erhöhung findet nie statt, der loro kann z. B. nie zum usi , datu 
oder leurai erhoben werden. Standeserniedrigung kommt aber manch- 
mal vor, der heutige leurai von Sonabai heifst okomama oder Kind 
des Betelkochers, weil er das Gnadenbrot ifst und kein mno am 
oder Sohn des Himmels mehr ist. Er hat auch nichts mehr zu 
befehlen. Meos, welche durch Mut und Tapferkeit Häupter von 
Landschaften geworden sind, nämlich durch Usurpation, bleiben in 
ihrem Stand. Der gemeine Mann, auch Sklave, kann, wenn er 
mutig ist, nur zum meo erhoben werden. Zu dieser Würde wird 
er mit Zustimmung der Häupter von der Bevölkerung gewählt. Alle 
Angelegenheiten , welche das Dorf betreffen und alle Verbrechen 
werden von den erwähnten Häuptern und den Ältesten untersucht und 
unter dem grofsen nunubaum, Ficus altimeralos, Rxb. aufserhalb des 
Dorfes, wo sie sich auf grofse Steine setzen, erledigt, beziehungsweise 
abgeurteilt. Ehebruch, nakaek lou nok auveel , und Diebstahl, waka. 
welche früher mit dem Tode gestraft wurden, werden jetzt mit 
Strafgeld gesühnt. Aufser dem von den Ältesten zu bestimmenden 
Strafgelde mufs man bei Beschädigung oder Vernichtung der Pflanzungen, 
un oke-oke, — z. B. des Mais, naleu aupctui, des Reis, tuileu au am — 
und bei Brandstiftung, notu umc, den Verlust ersetzen. Wenn man 
dieses nicht kann, verfällt man der Sklaverei oder man mufs Sklaven- 
dienste verrichten für den, der das Strafgeld bezahlt hat. Das 
Kopfabschneiden — otenakan nakatoni, Männerkopf; nakaveel, Frauen- 
kopf — ist nach Landesbrauch kein Verbrechen, im Gegenteil der- 


% 


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— 235 


jenige, der die meisten Köpfe abgeschnitten hat, steht in hohem 
Ansehen, besonders bei den Frauen. Für jeden Kopf bekommt man 
ein ponov oder Wadenband 3 ). Regelmäfsige Köpfejagden sind natürlich 
an der Tagesordnung. Streitigkeiten, die Mord und Totschlag ver- 
anlassen, wie Frauenraub, nasik biceel, das Singen von Schimpfliedern, 
polim lasi, das Schelten, naakan, z. B. du Affe, bcbo, du Schwein, 
vavi; das Prügeln in der Gegenwart von Weibern, ineso , das Aus- 
sprechen des Namens des Vaters oder Schwiegervaters, der Mutter 
oder der Schwiegermutter, von Schwägern qder Schwägerinnen, nun ; 
das Spotten, mae, über männliche, utin, durch Frauen, oder über 
weibliche Schamteile, tinakona, durch Männer, und das Überschreien 
bei feierlichen Gelegenheiten, werden heute mit Strafgeld erledigt. 
Die Blutrache jedoch geht vom Vater auf den Sohn und weiteren 
Nachkommen über. Die Kinder und Kindeskinder sind verantwortlich 
für die Erlegung der Strafgelder ihrer Väter und Grofsväter. Die 
Freunde der Feinde werden als Feinde betrachtet, nötigenfalls getötet 
und gestraft. Krieg wird erst geführt, wenn die gegenseitigen 
asu pah oder meo an dem bestimmten Ort angekommen sind, und 
vor allen wehrbaren Männern der Gegenpartei die Ursachen zu dem- 
selben oder die gegenseitigen Streitigkeiten und Klagen erörtert 
worden sind. Als Waffen werden Flinten und Schwerter gebraucht. 
Die Timoresen sind vortreffliche Schützen. 

Die Einkünfte der Häupter bestehen in den Landschaften, 
welche in der unmittelbaren Nähe der holländischen Niederlassung 
liegen, aus der Arbeit, mepu asi, einer Anzahl Personen, welche 
gegen Beköstigung täglich Frohndienste leisten müssen. Dieser 
Gebrauch besteht in den Binnenländern, wo man dem Europäer 
als fremdem Eindringling übel gesinnt ist, nicht. Dort nennt man 
diese Arbeit spottenderweise auch tituholo manu oder die Hühner 
warten, um anzudeuten, dafs die Männer damit nicht beschäftigt 
werden dürften. Weiter bestehen die Einkünfte, welche man poni 
nennt, aus dem Anteil an dem gesammelten Sandalholz und Bienen- 
wachs, aus hundert Pfund Reis ungefähr von jedem Stammhaupt, 
aus fünftausend Maisklöfsen, aus dreifsig Pfund getrocknetem und 
feingeriebenem Mais, aus zweihundert Pfund Bohnen nach der Ernte 
und jährlich zwei Büffeln und zwei oder mehr Schweinen, ln einigen 
Landschaften werden von jeder Familie der ersten Regierungsperson 
nach der Ernte zehn Klöfse aus jungem Mais geschenkt, um in dem 

*) Ich sah 1879 in Beboki einen Jungen von etwa 12 Jahren mit einem 
Wadenband nnd erfnhr, dafs er den Kopf eines Kindes, das dnrch seinen 
Vater aus dem Krieg mitgebracht wurde, abgeschlagen hatte! 


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— 236 — 


Dorfe ein Fest zu begehen ; eigentlich ist dies ein dem Stellvertreter 
des us mno dargebrachtes Opfer. Wenn die Ernte mifslingt, wird 
kein poni bezahlt. Die Häupter unterscheidet man leicht an ihrer 
Kleidung von den Untergebenen, weil sie zu ihrem Schultertuch, 
in weti nasai niu kanun oder Hüftkleid, awa tai, andre Muster 
tragen. Ihre Frauen verfahren mit ihrer Sarong, tais awm, ebenso. 




Kleinere Mitteilungen. 

§ Ans der Geographischen Gesellschaft ln Bremen. Zunächst möchten 
wir hier einige kürzlich veröffentlichte Arbeiten von Mitgliedern verzeichnen. 
Herr Dr. Wolkenhauer ist Verfasser einer neuen Bearbeitung des Danielschen 
Handbuchs der Geographie.*) Herr Dr. Oppel publizierte in Heft 3/4, Band 22 
der Zeitschrift der Gesellschaft für Erdkunde einen Aufsatz über die religiösen 
Verhältnisse in Afrika, nebst Karte; von Dr. 0. Finsch stammen der in der 
Revue Coloniale Internationale enthaltene Aufsatz über die Wasserverhältnisse 
in Heu-Guinea und dem Bismarck-Archipel und in Heft 17 bis 19 der diesjährigen 
Deutschen Kolonialzeitung Mitteilungen über Naturprodukte der westlichen 
Südsee, besonders der deutschen Schutzgebiete. 

Unser langjähriges Mitglied und Freund, Arzt und Naturforscher der 
deutschen Polarexpedition der Jahre 1869 — 70, Professor Adolf Pansch in Kiel, 
ist leider bei einer von ihm am 14. August in der Kieler Bucht unternommenen 
Segelfahrt durch plötzliches Kentern des Bootes infolge einer Böe, ums Leben 
gekommen. Adolf Pansch, Schleswig-Holsteiner, wurde am 2. März 1845 zu Eutin, 
wo sein Vater Rektor war, geboren. Er studierte 1860 in Berlin Medizin und 
Naturwissenschaften, sodann in Heidelberg besonders Physiologie und Geologie, 
bereiste die Schweiz, besuchte sodann die Kliniken in Berlin und Halle und 
bestand später in Oldenburg die vorgeschriebene Staatsprüfung als praktischer 
Arzt. Im Juli 1865 wurde er Prosektor, 1866 Privatdozent und später ordent- 
licher Professor der Anatomie an der Universität Kiel. Zu dem Werke über die 
deutsche Polarexpedition 1869 — 70 lieferte er wertvolle Beiträge. Sein Haupt- 
werk ist das in den Kreisen Sachverständiger hochgeschätzte Handbuch der 
Anatomie. Sein Interesse für Anthropologie und Urgeschichte bethätigte Prof. P. 
besonders auch in seinem engeren Vaterlande. Die Lauterkeit und Liebens- 
würdigkeit des Charakters des Verstorbenen wufsten alle, die mit ihm in 
persönliche Berührung kamen, zu schätzen. 

Auch in diesem Winter, wie in früheren, wird unsre Gesellschaft eine 
Reihe von Vorträgen aus dem Gebiete der Länder- und Völkerkunde ver- 
anstalten, und es haben sich dazu eine Reihe von Herren bereit erklärt. 

*) Illustriertes kleineres Handbuch der Geographie von Dr. Hermann Adal- 
bert Daniel. Zweite verbesserte Auflage, bearbeitet von Dr. W. Wolkenhauer, mit 
650 Illustrationen und Karten im Text. Zwei Bände. Der erste Band umfafsl die 
allgemeine Geographie und die außereuropäischen Erdteile; der zweite Europa. 
Leipzig, Fues's Verlag (R. Reisland). 


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237 


Polarregionen. Der Generalagent der Kolonie Victoria in London, 
Herr Graham Berry, hat im Auftrag seiner Regierung bei der britischen 
Regierung angefragt , ob sie geneigt sei , zn den Kosten der geplanten 
Forschungsexpedition in die antarktischen Regionen 6000 £ beizu- 
tragen, wenn die australischen Kolonien eine gleiche Summe zu dem Zweck 
steuerten. Im Bejahungsfall soll mit dem bekannten Polarfahrer Sir Allen 
Yonng wegen Übernahme der Expedition verhandelt werden. 

Die amerikanische Zeitschrift „Science“ enthält einen warm und ver- 
ständig geschriebenen Aufsatz nebst Karte über die Notwendigkeit der Fort- 
setzung der Erforschung des arktischen Amerika im Interesse der 
Geographie und andrer Wissenschaften. Es könne sich nicht darum handeln, 
grofse kostspielige und gewagte Expeditionen in der Richtung nach dem Pole 
hinauszusenden, vielmehr komme es darauf an, Schritt vor Schritt ganz 
bestimmte Aufgaben, welche nur geringe Mittel erforderten, zu lösen. Als solche 
nennt der Verfasser die Erforschung der Inseln im Westen von Smith Sund, 
ferner des Fox Basin und der Hndson-Strafse, sodann, um die Eskimos fern 
von der Berührung mit Europäern zu studieren, das Eindringen in die zentralen 
Teile der arktischen Küste, besonders zwischen King William-Land und dem 
Mackenzie-Flufs. Neben den wissenschaftlichen Früchten verspricht sich der 
Verfasser auch praktische Erfolge. Er sagt: „Noch immer bildet der Walfang 
eine wichtige Einnahmequelle, bisher wurden durch neue Polarfahrten stets neue. 
Walgründe erschlossen. Manche andern Hiilfsquellen des arktischen Gebiets 
sind bis jetzt nur wenig in Anspruch genommen worden. Es sind dort in 
leicht zugänglichen Gegenden enorme Herden von Walrossen, in den Flüssen 
und Seen leben Lachse in Fülle, endlich liefern der schwarze Fuchs und der 
Polarbär wertvolles Pelzwerk.“ Es steht um so mehr zu hoffen, dafs die An- 
regungen des Verfassers von Erfolg begleitet sein werden, als, wie näher aus- 
geführt wird, zur Lösung kleiner aber wichtiger Anfgabon nur geringe Mittel 
erforderlich sein werden. 


§ See - Hnndelsverbindung mit Sibirien. Am 7. September traf im 
Sicherheitshafen der Stadt Bremen nach 16tägiger Reise — unter Anlaufen 
von Wardö und Christianssnnd, — von der Petschora- Mündung der russische 
Dampfer „A. E. Nordcnskiöld“ mit einer Ladung sibirischer Produkte ein. 
Nachdem sich die Versuche einer direkten Seeverbindnng mit dem Ob und 
•lenissej infolge der Eisverhältnisse im Karischen Meere als aussichtslos erwiesen 
haben, läfst der bekannte russische Kaufmann A. M. Sibiriakoff, der Eigentümer 
des genannten Dampfers, die sibirischen Waren auf dem Ob und dessen Neben- 
flufs Lapin an das Uralgebirge bringen, von wo sie auf einem etwa 90 Werst 
langen Landwege über das Gebirge an den Flufs Tschugaia und auf demselben 
in die Petschora nach dem See-Verschiffungsorte Knja. etwa 100 Werst vom 
Meere entfernt, gebracht werden. Die „Weser-Zeitung“ berichtet weiter über diese 
Unternehmung das Folgende: Bremen, 11. September. Der in dieser Woche 

hierselbst mit sibirischen Waren eingetroffene, vom Kapitän G. Kihsch geführte 
russische Dampfer des Herrn Alexander Sibiriakoff, „A. E. Nordcnskiöld“, 
spielte in der Geschichte der Nordfahrten der letzten Jahre eine hervorragende 
Rolle. Das Schiff wurde im Frühjahr 1879 auf Kosten des genaimten Herrn 
auf der Motalawerft bei Malmö gebaut, zunächst zu dem Zweck, um dem auf 


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238 — 


der Umsegelnng Asiens begriffenen Nordpolfahrer Nordenskjöld , den man 
irrtümlicherweise im Eise des sibirischen Eismeeres eingeschlossen wähnte, 
Hülfe und Entsatz zu bringen. Es ist bekannt, dafs das Schiff die Bering- 
strafse nicht erreichte, sondern an der Felsenküste des östlichen Japan auf 
Strand lief, später wieder abkam und nach Europa zurückgebracht wurde. 
Seitdem wurde es zu Reisen im europäischen Eismeere verwendet. Nachdem 
der Dampfer „Luise" des Herrn Baron v. Knoop eine Reihe von Jahren hin- 
durch die Fahrten norden um Europa nach der Mündung des Jenissej gemacht, 
stellte es sich heraus, dafs die Eisverhältnisse zu schwierig seien, um auf die 
Dauer Handelsfahrten in einem Sommer hin und zurück zu machen. Vor zwei 
Jahren machte Herr Sibiriakoff selbst mit Dampfer „Nordenskiöld 1 ' noch einmal 
den Versuch, durch das Karische Meer die Mündung des Jenissej zu erreichen, 
doch dies mifslang. Der unermüdlich um die Aufschliefsung seines Vaterlandes 
Sibirien für den Seeverkehr bemühte, als Miteigentümer reicher Golbwäschereien 
in Ostsibirien mit bedeutenden Mitteln ausgestattete Mann liefs sich nicht 
beirren, er betrat nun einen neuen Weg, indem er mit Gütern aus Tomsk und 
andern sibirischen Handelsplätzen den Ob hinab fuhr und die Güter sodann 
auf die oben bezeichnete Weise zur Petschora beförderte. Auf diesem Strom 
erfolgte der Transport in grofsen Prahmen bis zu dem am rechten Ufer ge- 
legenen Ort Kuja. Bis hier herauf kommen die Seeschiffe und auf diese Weise 
ist auch die jetzt hier in Bremen angekommene Ladung befördert. Der 
Transport der Waren über den Ural erfolgt im Winter und zwar, nachdem 
durch Lichten des Waldes und Ziehen von Gräben, eine Art Weg geschaffen, 
mittels Pferden und Schlitten. Die Ladung besteht aus Ochsen-, Kuh-, Schaf-, 
Ziegen- und Lämmer-, ferner Seehunds- und Eisbärfellen, Roggen, Leinsaat, 
Lärchenhärz, Talg und Mammuthörnern. Als lebendiges Zeichen, dafs das 
Schiff vom Norden kommt, begrüfste uns an Bord ein munterer Polarfuchs. 
Dampfer „Nordenskiöld“ hat beladen einen Tiefgang von 10*/s Fufs. Die Trag- 
fähigkeit ist 203 Register-Tons, die Maschine hat 7 ö Pferdekraft und vermag 
bei vollem Dampf ohne Segelkraft das Schiff 7,5 Seemeilen in der Stunde vor- 
wärts zu treiben. Die Länge des Schiffes ist 153 Fufs, die Breite 26, die Tiefe 
12 Fufs 5 Zoll englisch. Ob dieser neue Handelsweg, dem der Kanal zwischen 
dem Ob und Jenissej und die Schiffbarmachung der Angara zu statten kommen 
müssen, neben der neuen Gestaltung der Verkehrswege zwischen europäisch 
Rufsland und Sibirien, welche die jetzt in Angriff zu nehmende sibirische 
Eisenbahn herbeiführen wird, bestehen kann, mufs die Zukunft lehren. Die 
Inangriffnahme der Arbeiten für diese letzteren ist nach dem Monatsbericht 
in Heft X. 1837 von Petermanns Mitteilungen von dem russischen Reichsrat 
beschlossen und vom Kaiser genehmigt worden. Allerdings handelt es sich, 
wie daselbst weiter berichtet wird, vorläufig noch nicht um die Anlage eines 
fortlaufenden Schienennetzes, sondern einstweilen sollen nur diejenigen Gebiete 
durch einen Schienenstrang erschlossen werden, welche bequemer Verbindungs- 
mittel gänzlich entbehren, während auf den übrigen Strecken einstweilen noch 
Flnfsläufc zur Vermittelung des Verkehrs dienen müsson, wie es auch noch im 
europäischen Kufsland auf der Strecke zwischen Nischni Nowgorod und Perm, 
•lern. Ausgangspunkt der sibirischen Bahn, der Fall ist. Zunächst begonnen 
werden die Strecken Tomsk - Irkutsk, Baikalsee - Srjetensk und Chabarowka 
(ovent. Chanka-See) - Wladiwostok, und sollen dieselben innerhalb 5 Jahren 
'ollendet sein. Die Leitung des Baues übernimmt General Annenkow, welcher 


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— 239 — 

durch den Bau der transkaspischen Linie eich hervorragende Verdienste 
erworben hat. 

Alaska. Im Bulletin der amerikanischen geographischen Gesellschaft. 
1886 No. 4, giebt Professor Libbey einen kurzen Bericht über einige während 
der Sch watkaschen Expedition nach Südost -Alaska gemachten geographischen 
Wahrnehmungen. Von Sitka aus wurde der Mt. Edgecombe bestiegen. Der 
bekannte, durch seine regelmäfsige Gestalt ausgezeichnete Gipfel ist nach Libbey 
nur ein parasitischer Kegel am Rand eines grofsen, seit Jahrhunderten unthütigen 
Kraters, während die andern Gipfel der Gruppe Überreste eines noch älteren 
Vulkans zu sein scheinen. 

Weiter teilt dann Libbey die Ergebnisse seiner geographischen Forschun- 
gen im Gebiete der Elias-Alpen mit. Die westliche Abdachung dieses Gebirgs- 
systems von der Yakutat-Bai bis Kap Yaktag bildet ein gewaltiges Gletscher- 
bassin, das in einem grofsen Bogen von der Gebirgskette umschlossen wird, 
welche im St. Eliasberge und einigen andern erhabenen Gipfeln ihre höchsten 
Spitzen erreicht. Inmitten dieses Gletscherbassins entdeckte die Expedition 
eine Kette von etwa 3500 Fufs hohen Sandsteinhügeln, die Chaix hills benannt 
wurden und als Überrest einer allgemeineren Sandsteinbedeckung erschienen. 
Diese Chaix hills teilen die gesamten Eismassen in zwei ungeheuere Gletscher, 
den Agassiz- und Gnyot-Gletscher. Zwischen den Chaix hills und den umge- 
benden Gletschermassen, fand man zwei mächtige Gletscherströme, die sich in 
einen See, der Castani lake genannt wurde und von Eisbergen erfüllt war, er- 
giel'sen. Der Austlufs dieses Sees, von der Expedition als Jones river bezeichnet, 
ist ein subglacialer Strom, dessen Mündung ein von zahlreichen Armen durch- 
schnittenes Delta bildet. — Der Eliasberg bietet fast von jeder Seite den Anblick 
einer abgestutzten Pyramide dar. Am Westabhange des von Libbey 16 000 Fufs 
hoch geschätzten Gipfels befinden sich mehrere fast vollständige Amphitheater, 
die erloschenen Kratern ähnlich erschienen, jedoch nach Libbey durch Gletscher- 
wirkung entstanden sein sollen. A. K. 

In Heft H, S. 161 dieser Zeitschrift gedachten wir der damals beschlossenen 
geologischen Untersuchung des oberen Yukon gebiets durch eine Expedition 
unter der Führung des Dr. George M. Dawson. Diese Expedition ist in diesem 
Sommer ins Werk gesetzt worden und teilt uns der Vater des Herrn Dawson 
aus Montreal (3. September) die bis dahin von der Expedition eingelaufenen 
Nachrichten mit. Es wurden zwei Böte am Deaso Lake gebaut und am 3. Juli 
die Fahrt den Dcase-Rivcr abwärts bis zu dessen Vereinigung mit dem Liard 
angetreten. Von hier ging ein Teil der Mitglieder der Expedition unter Führung 
des Herrn Mc. Connell den Liard abwärts, während die übrigen mit fünf Indianern 
den nördlichen Arm des Liard bis nach Lake Francis fuhren. Hier liefsen sie 
die Böte zurück und drangen über eine 60 miles breite Tragstelle zum Pelly- 
River. Sie kamen am 29. Juli bei guter Gesundheit in Pelly Banks, einem ver- 
lassenen Posten der IIudsons-Bai-Kompagnie, an. Der Weg dahin war freilich 
mühselig und beschwerlich, denn die ehemalige Tragstelle war vollständig zu- 
gewachscn, mit Moos und dichtem Gestrüpp bedeckt. Sodann wurden die 
Indianer, für welche man unterwegs an verschiedenen Stellen Vorräte nieder- 
gelegt hatte, zurück gesandt und Herr Dawson, mit Herrn Mc. Evoy und zwei 
Begleitern rüsteten sich, in einem zu dem Zwecke zu zimmernden Boot den 
Pelly bis zur Vereinigung desselben mit dem Yukon hinabznfahrcn. Nördlich 


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240 


vom 60. Breitengrad erfreute sich die Expedition fast fortwährend des Tages- 
lichts und war bei guter Gesundheit. Das Land war mit ausgewachsenen 
Bäumen gut bestanden ; weiter im Osten vorkommende Pflanzen fand man in 
Blüte, doch wurden auch dem Norden und Westen eigentümliche Pflanzen ange- 
troffen. Gewisse Moosarten, namentlich das reichlich vorhandene Rentiermoos 
lassen die Vegetation von derjenigen Britisch Columbiens abweichend erscheinen. 
Indianer wurden nicht angetroffen. Dr. Dawson schreibt, dafs er, obwohl 
später als er dachte, doch noch rechtzeitig, vor Eintritt des Frostes, die Küste 
zu erreichen hoffe. 

§ Entdeckungen und Forschungen ln Neu-Guinea. Aus dem vor 
kurzem versandten Heft IV. der von der Neu -Guinea -Kompagnie zu Berlin 
herausgegebenen Nachrichten über Kaiser Wilhelms - Land und den Bismarck- 
Archipel ist zunächst eines Berichts des Dr. Hollrung über eine Anfang 
November 1886 ausgeführte und bis in die Nähe des Kap Gourdon erstreckte 
Untersuchung der östlich von Hatzfeldt-Hafen belegenen Teile des Festlandes 
von Kaiser Wilhelms-Land zu gedenken. Dr. H. giebt eine ausführliche Be- 
schreibung der erwähnten Küstenstrecke, an welcher vier Flüsse : Dodo, Bub, 
Bololab und Dsudsur münden, der letztere ist 1 m tief und strömt ziemlich 
stark ans, er scheint daher eine gröfsere Länge zu besitzen als die andern 
drei. Die besuchte Küstenstrooke wird ausführlich beschrieben. Sie unter- 
scheidet sich wesentlich von der Küste westlich von Hatzfeldt-Hafen : im Osten 
äufserst flache, kaum als solche zu erkennende Einbuchtungen, dort tief einge- 
schnittene Buchten, hier Sandstrand vorherrschend, dort Koralle sehr häufig, 
hier Riffe fehlend, dort jedem Huk ein Riff eingelagert, hier vielfach Gras bis 
an den Strand, dort allenthalben ein breiter Waldsaum am Ufer entlang. An 
den Ausläufern des ulum baebi (Regenberges), des im Süden das Hinterland 
wellartig abschliefsenden Bergzugs fand Dr. H. eine zweite Sorte Bambu, der 
wegen der besonderen Stärke in den Wandungen sich besonders als Material 
für Zäune empfehlen dürfte und den Wollbaum, dessen Früchte nutzbar sind. 
Den genannten 700 m hohen Berg bestieg Dr. H. ; auf dem zu der bewaldeten 
Spitze führenden Kamme wurden mehrere Dörfer der Eingeborenen und eine 
Kokospflanzung angetroffen. Ober die Anbauversuche in Hatzfeldt-Hafen berichtet 
Dr. H., dafs Sorghum 3 Monate bis zur Fruchtreife braucht. Von Encalyptus 
rostrata wurden 65 Pflanzen zu einer Baumschule vereinigt. Anona und Citrus 
gedeihen gut. Carica, von Konstantin-Hafen nach Hatzfeldt-Hafen verpflanzt, 
gedeiht und steht zum Teil schon in Blüte. — Dr. H. begab sich am 31. Januar 
d. J. von Finsch-Hafen nach Hatzfeldt-Hafen (Astrolabe-Bai), wo er bis 31. März 
blieb. Hier setzte er seine Forschungen fort. Er giebt zunäclist eine 
ausführliche topographische Beschreibung der Astrolabe - Bai und ihrer 
Ufer; es finden sich hier gröfsere für landwirtschaftliche Kulturen geeignete 
Ebenen. An der Südseite mündet neben einer Reihe von Bächen der 
Kabenau, ein wasserreicher, in ziemlich gerader Richtung von Südwest aus 
dem Hinterlande hervorbrechender Flufs ohne Barre, mit breiter Mündung 
und so scharfem Gefälle, dafs er für Böte unfahrbar, zum Flöfsen 
von Holz jedoch wohl benutzt werden könnte. Östlich folgen eine Reihe 
gröfserer Zuflüsse in die Bai. Von den Vegetationsverhältnissen, besonders den 
' v aldbäumen in der Astrolabe-Bai uud dem später besuchten Friedrich Wilhelms- 
’en, ferner von den durch die Eingeborenen angebauten Gewächsen (Tarro, 


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Jam, Zuckerrohr. Bohnen, Bananen, Gnrken, Papayon, »panischer Pfeffer, Mais, 

Tabak) macht Dr. H. ausführliche Mitteilungen. — Dr. Schneider besucht« von 
Konstantin-Hafen aus eine grofse Zahl teils in der Ebene, teils in den Bergen 
belegener Dörfer der Eingeborenen. Betreffs der geologischen Beschaffenheit 
der Gegend sei auf die sehr eingehenden Angaben in dem Bericht des Dr. Sch. 
verwiesen. Dr. Sch. besuchto ebenfalls die Pflanzungen der Eingeborenen und 
änfsert sich wie folgt: „An Haustieren sind Hund und Schwein überall, Hühner 
oft zu finden. Paradies-, Nashornvogel, Taube, weifscr und schwarzer Kakadu, 
auch der Lederkopf kamen mir in den Bergen vor. In der Höhe von Jaga- 
damu waren Vögel sehr selten, in etwa 400 m Höhe am gleichen Berge hörte 
ich nur Paradiesvögel. Die Eingeborenen sind freundlich. Ihre Bewaffnung 
sind Bogen mit Bambussehne und Pfeil. Die Lanzen mit Blutrinne scheinen 
den Bergbewohnern nur zur Ausführung des Todesstofses zu dienen. Die Leute 
selbst sind gut gebaut, klein bis mittelgrofs, hellere und dunklere gemischt. 

Ihre Sprache unterscheidet sich von der Bongnsprache ; in manchen Wörtern 
ist der Unterschied für blofse Dialektverschicdenheit zu grofs. Ob die Sprache 
der Dörfer übereinstimmt, habe ich nicht festgcstellt. Die Wege sind schlecht. 

Der Friede untereinander scheint mehr gefährdet, als derjenige mit den Weilseu. 

So sagte man mir, von Jadabi nach Jcugellam ginge kein Weg, weil die Männer 
des einen Dorfes in dem andern getötet würden. Auch von Ssongum kam keiu 
Mann mehr als halben Weg mit nach Jadabi. Mit Bongu verkehren sie alle, 
doch ist die Innigkeit der Beziehungen auch da verschieden. Im allgemeinen 
herrschten gesicherte Rechtsverhältnisse. Ein Mann, Namui, aus Bongu ist der 
Sohn einer Frau aus Burrahm (nennt sich deshalb Burrahmtamu) und eines 
Mannes aus Correndu, wo er Gartenrechte hat. Seine F rau ist aus Bongu, 
dort hat er sein Haus. Bongu, Correndu und Gumbu haben connubium und 
feiern Freuden- und Totenfeste gemeinsam, Kollyku hat mit Bongu nur connu- 
bium. Eines Tages suchte ein junger Bursch aus Kollyku ein Bongumädchen 
aus der Plantage zu entführen; er wurde festgenommen. Seitdem lebt er in 
Bongu in einem losen, dienstbaren Verhältnisse. Aus Gumbu und Correndu 
stammende Männer sind mehrfach in Bongu. Von Mcdizinmitteln spielt die 
etwas geheim gehaltene Mujurinde (in Finschhafen musica, nach Herrn 
Dr. Hollrung Sassafras) eine Rolle. Einmal dient ihr Rauch als Fiebermittel, 
sodann kaut man sie bei Anstrengungen und speit dem Ermüdeten den Saft 
auf Schenkel, Brust und Kreuz. Die Hütten, an der Küste mit Gras bedeckt, 
haben auf den Bergen Matten- oder Laubdächer. Bretter werden im Gegen- 
sätze zu Finsch-Hafen nicht verwendet, ebensowenig ist das Bauen von Pfahl- 
häusern hier bekannt. Iu Kollyku zählte ich auf einem Haufen 600 Matten. 

Die Dörfer sind meist sauber. Am gröfsteu ist Bokadjo, dann Bongu mit rund 
150 und 100 Hütten. Male schätzte ich auf 70, die andern Dörfer haben : 

Gumbu etwa 40, Correndu 19, Burrahm 60, Jagadamu 11, Manniga 27, Djind- 
jara 22, Jadabi 41 und Ssongum 73 Hütten. Das ergiebt für das ganze Gebiet 
rund 600 Hütten. Wenn man nun bedenkt, dafs jede verheiratete Frau ihre 
eigene Hütte hat, dafs Vielweiberei häufig (bis 3 Frauen) und eine 4 über- 
steigende Kinderzahl des Mannes selten ist, so kann man die Kopfzahl der 
Bevölkerung auf höchstens 1500 abschätzen, wovon über die Hälfte auf die 
Küste kommt.“ 

Im April d. J. wurde durch Dr. Schräder, Dr. Hollrung, Dr. Schneider 
und Karl Hunstein das Land zwischen Juno-Insel und Kap Croisilles untersucht. 

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UIC 



242 — 


Die 12 — 14 km lange Küstenstrecke wird durch den Ama-Flufs, der in seinem 
unteren Teil für Böte befahrbar und ohne Barre vor der Mündung ist., in zwei 
Teile geteilt: der nördliche Teil bietet gutes Flach- und Hügelland mit zahl- 
reichen Plantagen nnd zum Teil sehr reichen Dörfern, welche ausgedehnte 
Schiffahrt nnd Handel betreiben, der südliche Teil enthält zum Teil sumpfiges 
Terrain. Als Gesamtergebnis der Untersuchung berichtet Dr. Sehrador. dafs 
das ganze untersuchte Gebiet wertvoll ist für landwirtschaftliche Unternehmungen. 
— Der Landeshauptmann von Schleinitz berichtet ferner, dafs er von der unvor- 
messenen Küste von Kaiser Wilhelms-Land gegen 140 sin, von der West- und 
Nordküste von Neu-Pommern und Rock-Island gegen 110 sm durch fliegende 
Vermessung persönlich aufgenommen habe. Derselbe borichtet sodann weiter : 
„Ich habe in Kaiser Wilhelms-Land, wie in Neu-Pommern mehrere gute neue 
Häfen und Ankerplätze, sowie eine Anzahl Flüsse ihrer Lage nach bestimmt 
und zwei genauer untersucht. Was ich aber besonders wichtig erachte, ist der 
Umstand, dafs ich in Kaiser Wilhelms-Land für Kulturzwecke sehr geeignetes 
flaches Vorland, auf Rock-Island und namentlich in Neu-Pommern aber gröfsere 
Tiefebenen aufgefundou habe. Die Tiefebene in Neu-Pommern, welche sich 
zwischen die vulkanischen Berge der Westspitze und diejenigen des zentralen 
Teils der Insel einlagert und von der Nordküste bis zur Südküste geht, schätze 
ich auf ein Areal von ppr. 4000 qkm. Sie hat, soweit ich sie untersuchen 
konnte, fruchtbaren Boden und wird von schiffbaren Strömen entwässert, von 
denen ich zwei näher untersuchte, indem ich im Boot 5 — 6 sm aufwärts fuhr. 
Sie besitzen zwar eine — leicht fortzuschaffende — Barre von etwa 1 m Tiefe 
bei Niedrigwasser vor der Mündung, haben nachher aber ein Fahrwasser von 
4—12 m Tiefe, soweit ich mit Ruderboot hinauffahren konnte. Ich halte für 
wahrscheinlich, dafs diese Ströme ein Fahrwasser von 4 — 5 m noch viele Meilen 
weiter stromaufwärts besitzen. Ich stellte die Mündung noch andrer gröfserer 
[Güsse fest, die ich aber aus Zeitmangel nicht untersucht habe. Die Ebene, 
deren Südküsto noch der Untersuchung bedarf, hat ohne Frage eine grofse 
Zukunft, auch wenn ein Teil derselben aus sumpfigem Lande bestehen sollte, 
wofür Anzeichen indes nicht erkenntlich waren. Dieser westliche Teil von 
Neu-Pommern ist im Gegensatz zu Kaiser Wilhelms-Land sehr schwielig zu 
befahren, da hunderte von Riflen an der Küste liegen. Da es indes gute Fahr- 
strafsen zwischen diesen Riffen in genügender Zahl giebt, kann dieser Umstand 
der Bedeutung der Ebene, welche zahlreiche sichere Ankerplätze nnd einige 
gute Häfen hat, kernen Abbruch thun.“ 

Nach einer von Kapitän Dallmann im April v. J. mit dem Dampfer „Samoa“ 
aufgeführten vorläufigen Rekognoszierungsfahrt auf dem Kaiserin August a-Flufs, 
unternahm der Landeshauptmann Freiherr von Schleinitz mit dem Dampfer 
„Ottilie“ eine neue Befahrung dieses Stromes. Ohne auf nennenswerte Hinder- 
nisse zu stofsen, drang er auf dem Flusse vom 26. Juli bis 1. August 1886 
etwa 200 sm landeinwärts. Der Strom wurde dann noch mit der Dampfbarkasse 
2*/t Tage weiter hinauf bis zu 4° 16' südl. B. und 141° 50' östl. L. befahren. 
Mangel an Proviant und Kohlen nötigte zur Umkehr. Nach der Wassermenge, 
die der Strom an der erreichten innersten Stelle führte, zu urteilen, schien es 
nicht unwahrscheinlich, dafs die Schiffbarkeit noch 50 — 100 sm weiter reiche. 
Am 24. Juni d. J. brach nun eine neue Expedition mit dem Dampfer „Samoa“ 
von Finsch-Hafen nach dem Kaiserin Augusta-Flnfs auf; es waren die Herren 
Dr. Schräder, Dr. Hollrung. Dr. Schneider und Hunstein. ein Matrose und 


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243 — 


20 farbige Träger. Die Aufgabe war, am oberen Strome nahe dem Gebirge 
ein Lager aufzuschlagen und von demselben ans zu Forschungen Vorgehen, mit 
der besonderen Aufgabe, für den Tabakbau geeignete Ländereien anfzusuchen. 
Die Expedition wurde auf 5 Monate ausgerüstet und sollte mit ihr eine sochs- 
bis achtwöchentliche Verbindung unterhalten werden. Am 16. August lief das 
Telegramm ein, dafs die Expedition bis 141° 48' östl. L., also etwas weiter als 
im vorigen Sommer die Barkasse, stromaufwärts vorgedrungen sei. — Endlich 
bringt das Heft die meteorologischen Beobachtungen in Hatzfeldt-Hafen für die 
Monate Februar bis April 1887 und eine Zusammenstellung der in diesem Hafen 
seit Begründung der Station gemessenen Niederschlagsmengen. Nach dem zur 
Zeit vorhandenen Material scheint Hatzfeldt-Hafen bei weitem die relativ 
trockenste aller Stationen der Kompanie in Kaiser Wilhelms-Land zu sein. 


Aus Britisch Neu-Guinoa ist nach dem Oktober-Heft der Proceedings 
von einer neuen Entdeckungsreise ins Innere zu berichten. Die genannte Zeit- 
schrift der Londoner geographischen Gesellschaft berichtet : Herr C. II. Hartmann 
unterrichtet uns durch Brief aus Port Moresby, dafs er und Herr G. Hunter 
die Höhe der Hauptgebirgskette von Britisch Neu-Guinea erstiegen haben. 
Es scheint, dafs sie nicht die höchsten Erhebungen erreichten, allein es gelang 
ihnen, indem sie ihren Weg durch die Thäler des Kemp Welsh und des Mus- 
grave-Flusses nahmen, den Gebirgssattel zwischen den Bergen Obree und 
Brown zu ersteigen, und nach der östlichen oder Inlands-Abdachung der Gebirgs- 
kette zu gelangen. Sie traten ihre Expedition mit 27 freundlich gesinnten 
Eingeborenen an, fanden indes bei dem eigentlichen Anstieg Schwierigkeiten von 
seiten eines kriegerischen Stammes am Berge Paramagoro, der nach ihrem 
Glauben der Aufenthalt der Seelen der Abgeschiedenen ist. Indessen wurde 
die feindselige Gesinnung dieses Stammes durch friedliche Verhandlungen über- 
wunden und nun folgten 200 Leute dieses Stammes der Expedition bei ihrem 
Anstieg; die Jagd auf wilde Tauben, welche die Weifsen mit ihren Büchsen 
betrieben, lieferte täglich die nötige Fleischnahrung. Die Reise von Rigo, einem 
Dorfe nahe der Küste bei Kapatapa und zurück erforderte nur 11 Tage; 
während die Expedition in den Bergen war, regnete es fast fortwährend in 
Strömen. Die Flora wird als im höchsten Grade prächtig geschildert, cs 
wurden vielerlei Palmen, Baumfarren, Marantas, Strelitzias, Orchideen und eine 
unendliche Menge blühender tropischer Pflanzen angetroffen; östlich vom 
Gebirge war das Land mehr offen und reich mit Gras bewachsen. 

Das Gebiet 2 — 300 miles im Nordwesten von Port Moresby will 
Theodor Bevan, mit Unterstützung der Regierungen von Neu Süd-Wales und 
Queensland, erforschen und seine Reise im September d. J. antreten. Die 
erstere hat ihm eine Dampfbarkasse zur Verfügung gestellt, welche der von der 
Queenslandregicrung gesandte Dampfer „Albatrofs“ zur Küste von Neu-Guinea 
bringen soll. Bevan unternahm im März v. J. mit einem ihm zur Verfügung 
gestellten kleinen Dampfer, Victory, vom Papua-Golf aus in den Aird-River ein- 
dringend eine Flufsfahrt landeinwärts, wobei zwei Ströme, der Douglas und der 
Jubilee-River entdeckt wurden. Nur einmal und zwar 20 miles von der Mün- 
dung, zeigten sich die Eingeborenen feindlich. Im ganzen wurden sieben ver- 
schiedene Stämme von Eingeborenen angetroffen. 

Auf der in London abgehaltenen Konferenz der englischen Kolonien haben 
sich die australischen Kolonien zu einem Beitrag von 16 000 £ jährlich zu den 


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Verwaltungskosten von Britisch Neu-Guinea bereit erklärt. Sobald das Parla- 
ment von Queensland sich entschliefst, für die Zahlung der obigen Summe zu 
haften, wird die englische Regierung die volle Souveränität über Britisch Neu- 
Guinea übernehmen. Die Regierung von Queensland würde sich dann mit den 
übrigen australischen Kolonien wegen Verteilung der obigen Summe in Be- 
nehmen setzen. 

In der „Revue Coloniale internationale" bespricht Dr. 0. Finsch den 
grofsen Wasserreichtum von Kaiser Wilhelms-Land. Ferner sei auch an dieser 
Stelle auf die trefflichen Artikel desselben Verfassers in der „Deutschen Kolonial- 
zeitung“ Heft 17, 18 und 19: Über Naturprodukte der westlichen Südsee, 
besonders der deutschen .Schutzgebiete, aufmerksam gemacht. 


Aus Argentinien. Von unserem Ehrenmitglied und Freund, Herr Professor 
Seelstrang, der gegenwärtig als Mitglied der Grenzkommission im Grenzgebiet 
von Brasilien thätig ist, empfingen wir folgende lebhafte Schilderung : 

Nonohay 7, VI. 87. 

Von den Gestaden des romantischen Alto-Uruguay schrieb ich Ihnen 
zuletzt (39. HI.), im Begriff den Ritt durch Hinter-Brasilien anzutreten, was 
auch wirklich am 12. IV. geschah. Doch noch immer fahre ich in dieser Wald- 
wüste umher, nähre mich von schwarzen Bohnen, frischem Speck und Charqui 
(getrocknetem Rindfleisch), nehme fröhlich ab an Leibesumfang und wage noch 
gar nicht an das Ende dieser Reisen ins Blaue und an den wirklichen Anfang 
der Arbeit zu denken. Das Terrain ist scharf gefaltet, und hundertfach schlängelt 
sich der Weg durch Berg und Thal mit Niveaunterschieden bis za 50 und 60 m. 
In den Thälern dehnt sich stattlicher Wald, sei es als einzelne „Inseln“, sei es 
als breites Land, welches den Lauf der kleinen Bäche begleitot, die in jedem 
Terraineinschnitt über rotes Felsgestein ihren Weg thalabwärts plätschern. — 
Alte Niederlassungen der Jesuiten mit stattlichen Kirchenruinen aus Hausteinen 
finden sich im hundertjährigen Orangenwald versteckt, und die ganze Gegend 
atmet eine reiche, stattliche Vergangenheit, welche der traurigsten Gegenwart 
gewichen ist. Verschwunden sind die Tausende von fleifsigen Indianern, die 
intelligenten fromm waltenden Väter und die zahlreichen Scharen springenden 
Heerdenviehes, welche vor hundert Jahren die grünenden Hügelseiten belebten. 
Eine grausame Politik hat die Zivilisation von Jahrhunderten vernichtet, und 
öde Ruinen melden von dem emsigen Leben, welches einst in diesen frucht- 
baren Regionen pulsierte. Der kleine brasilianische Bauer, welcher heutzutags 
seinen geringen Lebensunterhalt auf derselben Scholle fristet, ist auf der Höhe 
der alten Indianer geblieben. Er vegetiert bei Bohnen, Reis und Tabak nebst einigem 
Zuckerrohr, aus welchem er nur Schnaps zu brennen versteht. Eingeschlossen 
auf der einen Seite durch die grofse Entfernung zum nächsten Hafen (Porto 
Alegre), und auf der andern durch den bis jetzt nicht schiffbaren Uruguay, 
hat er keine Hoffnung auf Verbesserung seiner Lage, und ergiebt sich dem 
politischen Schwindel, welcher alles von der Änderung der Regierungsform 
erwartet. Jammervoll genug wird es den biederen Republikanern ergehen, 
wenn Don Pedro II. einmal die Augen schliefst! 

Boca del Pepiry, 23. VI. Pues contoda eso, querido doctor, habe ich 
unterdessen einen wirklich schönen trip gemacht. Im öden Nonohay mit seinen 
etwa 50 Holzhäusern (aus gespaltenen Brettern der arancaria brasilensis, einem 


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prachtvollen Baume), wo wenig zu holen und zu suchen, aufser den dichten 
Nebeln, die bis 10 h. a. in. die waldigen Gelände einhüllten. So war ich denn 
froh, als endlich die Geschäfte meiner hohen Kommission abgethan waren und 
mir frei stand, das eigentümliche Arbeitsfeld am Pepiry aufzusuchen. Dreitsig 
und einige Meilen ; wie leicht spricht sich das aus 1 Für mich war es eine Reise 
von 8 Tagen. Vielleicht hätte ich einen Tag auf dem Landwege gespart; doch 
die grauenhafte Picada, die ich einmal zwischen Palmeiras und Nonohay passierte, 
schreckte mich ab, und so zog ich es vor, auf schwanker canoa die vielfachen, 
recht gefährlichen Stromschncllen des Uruguay zu passieren. Es hat mich nicht 
gereut! Von Nonohay ging es zu Pferde und mit zwei Lasttieren 20 km weit 
direkt nach Norden durch ein schönes Waldgebirge, dessen schattige Stege 
allerdings auch einiges zu wünschen liefsen, und dann tauchte ich im jähen 
Abstieg zum Uruguay hinab. Welcher Gegensatz 1 Aus dem schreckhaft öden 
Urwald, in dem keine Tierstimme laut wird, und der uns wie ein bleierner 
Mantel erdrückt trotz all seiner Schöne, ritt ich hinab zum langsam flutenden 
Strome, welchen schon jetzt um 3 p. m. dichte Nebel einhüllten. Hellgrüne, 
frische Zuckerrohrfelder zu beiden Seiten des Steges, eingezäunt von riesen- 
haften Bäumen, den Resten des Urwaldes, die umzogen von hunderten pracht- 
vollen Schlingpflanzen erst jetzt ihre einsame Schöne recht präsentieren. Bana- 
nen mit hellem Grün und Orangenbäume mit Frucht beladen stechen freundlich 
ab gegen den düstern Hintergrund des gegenseitigen, waldbekleideten Ufers, 
und prachtvolle, himmelblaue Falter, die Sie ja aus der brasilianischen Fauna 
kennen, flättern zwischen den trotz des Winters hundertfach geöffneten 
Blüten. Am Ufer hegt eine einfache Hütte mit dem unvermeidlichen Ingenio 
de Azucas ursprünglichster Art. Zwei Ochsen drehen drei aufrecht stehende 
Zylinder von etwa 2 Fufs Durchmesser, und zwei Kinder, ein Knabe und ein 
wunderhübsches Mädchen von 12 Jahren, stecken einzehie Rohrstengel zwischen 
die Walzen. Der Saft fliefst in hölzerner Röhre in hölzernen Trog, klärt sich 
dort und wird dann in die kupferne Destillierblase geschöpft. Ein unterge- 
stelltes Fälschen empfangt den Spiritus, und der Rückstand wird zu rapadura 
eingekocht, einem bonbonähnlichen Körper, welchen die Waldloute mit Behagen, 
unsereins aber mit Widerstreben kauen. — Von dort ging es hinüber zum 
Lager der Brasilianer, die schon auf uns warteten, unter dem donnerähnlichen 
Brausen der corredera del Mutato, einer gefürchteten Stromschnelle weiter 
flufsaufwärts, der noch im Schlafe uns lockende Weisen vorsang. Und tags 
darauf ging es den Strom hinab, mit 15 canoas und einigen 40 Mann. Virasoro, 
mein Kollege, und ich safsen ganz bequem auf dem Boden der etwa 80 cm 
breiten canoa (aus einem Baumstamme gezimmert, und etwa 10 ra lang). 
Unsere petacas, urwüchsige Lederkoffer, für den Rücken des Maultieres be- 
stimmt, dienten als Tisch, und erlaubten uns, die Windungen des Stromes 
(4 — 600 m breit) gemächlich aufzunehmen, während unsre Diener die langen, 
hier selten gebrauchten, Ruder schwangen und ein eingeborener Steuermann 
den Nachen leitete. Zuerst blickten noch einzelne Ansiedlungcn mit jungem 
Zuckerrohr wie Smaragden von den wüsten Waldhängen der Ufer, und schallen- 
des Jauchzen der Schiffer begrüfste die einsamen Gehöfte; dann aber schlol's 
sich das Waldgebirge um uns. Stunde verfliefst auf Stunde, die dichten 
Morgennebel verziehen sich, ohne andres als die ewigen Waldungen zu zeigen, 
die Sonne brennt trotz des Winters recht munter auf unsre Rücken und die 
unverfrorene jäjäne (eine ganz kleine Stechfliege, welche den Tagesdienst für 
Geograph. Blätter. Bremen, 1887. 


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die Mücken vertritt,) läfst Gesicht und Hände lehhaft anschwellen. Trotzdem 
verführt die einförmige Fahrt zum Schlaf, auch die Ruder schlagen langsamer, 
bis auf einmal das Brausen einer Stromschnelle herübertönt. Da wird alles 
lebendig und horcht auf die Befehle des Piloten, der mit energischem Ruder- 
schlag in den engen Kanal leitet. Höchste Anstrengung aller Energie gehört 
dazu, denn der Weg ist gewunden, schwarze Steine und Baumstämme ragen 
aus der schäumenden Fläche und gar manches Riff streift der Nachen in der 
pfeilschnellen Fahrt. Unterhalb der Schnelle aber lagen wir dann auf den 
Rudern, um das Passieren der übrigen Flotille zu beobachten. Auch geht dies 
ruuning the rapide manchmal nicht so glatt ab. Uns schlug eine canoa um in 
der corredera del Chapecö, und die Ladung ging verloren, während die Mann- 
schaft. sich durch schwimmen rettete. Ein andres Boot aber rannte so herz- 
haft auf eine Klippe, dafs es mit durchlöchertem Boden gerade noch bis zur 
nächsten Landungsstelle gelangte und dort verlassen werden mufste. Einmal 
zogen wir es auch vor, die canoa von 6 Mann einfach über eine kurze aber 
gefährliche Stelle wegschleifen zn lassen, oder besser gesagt: die Leute halten 
das Boot mit Brust und Armen gegen den Strom und heben es zeitweise über 
die zudringlichsten Klippen. Sie aber, lieber Freund, sitzen darin, rauchen 
Ihre Zigarrette, und malen sich das frische Bad aus, welches möglicherweise 
Ihrer harrt, notabene mit Reiterstiefeln. Sinkt dann aber der Abend, d. h. 
schon um 3 Uhr, wird an einer der wenigen Stellen angelegt, wo der Flnfs 
überhaupt das Aussteigen erlaubt.* Sie klettern 8 — 15 m zwischen dichtem Ge- 
hölz die schlüpfrige Uferwand in die Höhe, und dann beginnt emsiges Bäume- 
fällen. Mit 12 Mann ist in einer Stunde ein Raum von etwa 30 m im Quadrat 
gereinigt, die Zelte werden schon im Zwielicht aufgeschlagen und riesige Feuer 
entzündet, um die dumpf« Feuchtigkeit zu bekämpfen. Das Nachtmahl ist 
dann bald fertig, getrocknetes Fleisch nebst Speck und Bohnen haben wenig 
Anziehungskraft, anch die Erlebnisse des Tages sind selten anregend genug : 
vielleicht hat jemand ein Waldhuhn geschossen, oder äufsert den neuen Ge- 
danken, dafs wir schon seit 2 Monaten ohne Nachricht von der Welt sind; 
und dann ziehe ich mich in das Zelt znrück, mache einige Notizen und suche 
mein Lager, den Sattel. — So fuhren wir 6 Tage lang, mit Ausnahme eines, 
der an der Mündnng des Chapecö geographischen Beobachtungen gewidmet 
wurde, und liegen nun liier schon seit dem 16. dieses, die Brasilianer zum 
Marsche bereit und wir noch auf Lebensmittel und Beute wartend. Wir nehmen 
also mit skrupulöser Genauigkeit die Mündung des Pepiry auf, die seit fast 
150 Jahren so viel Staub zwischen den Nachbaren aufgewirbelt hat, und lauern 
des Nachts den unschuldigen Sternen auf, deren schon über hundert den Orts- 
bestimmnngen zum Opfer gefallen sind. Glücklicherweise beschützt ein gütiger 
Nebel Sterne und nnsem Schlaf durch regelmäfsiges Aufsteigen genau um 
10 Uhr p. m. ebenso wie derselbe die Feststellung der Ortszeit und des Ganges 
der Chronometer unmöglich macht, da iu diesem Thale die Sonne erst gegen 
10 Uhr aufgeht, der Nebel aber erst eine halbe Stunde später weicht. Ein 
verteufelt feuchtes Klima das! .Nicht nur Eisen- nnd Lederzeug, sondern oft 
sogar das Erdreich selbst ist mit Schimmel bedeckt. 

Colonie del Alto Uruguay 7, VH. Gegenwärtiges ist denn glücklich einen 
Monat alt; doch von hier ans sende ich es ab. Drei Tage und Nächte tropft 
der Regen vom Himmel, der Uruguay stieg die Kleinigkeit von 5 m in 2 Tagen, 
und au Arbeit auf dem Flusse ist noch für eine Woche wegen der starken 


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Strömung nicht zu denken. Da setzte ich mich denn ins canoe und rasselte 
Aber den Salto Grande hinab, der nur noch einen direkten Fall von 2 m hatte 
(gewöhnlich 6 m), aber doch noch beim Passieren das Herz beben machte. In 
ö Stunden kam ich in diesem reizenden, weltvergessenen Platze an, von dem 
ich Ihnen später einmal Schilderung gebe; doch dürfte ich 4 Tage zur Rück- 
fahrt. brauchen. Obermorgen breche ich auf, kopfüber in den Urwald! 

A. Seelstrang. 

§ Afrikanische Drognen. Wie auf S. 75 des diesjährigen Bandes 
unsrer Zeitschrift berichtet, machte Herr Dr. Hausmann in einer Versammlung 
des naturwissenschaftlichen Vereins zu BVemen über die Kolanufs, deren 
Beschaffenheit und Verwendung, einige Mitteilungen. In der am 17. Oktober 
stattgehabten Versammlung des genannten Vereins machte nun Herr Dr. Hausmann 
weitere Mitteilungen über afrikanische Droguen. Anknüpfend an jenen früheren 
Vortrag über die Kolanufs legte er einige in Spiritus befindliche Kolanüsse vor, 
welche im vergangenen Sommer in frischem Zustande nach Bremen gelangt 
waren. Da die in Afrika getrockneten Nüsse meist einen raulstrigen Geschmack 
zeigen, lag es nahe, den Versuch zu machen, frische Nüsse kommen zu lassen, 
um den Geschmack derselben zu prüfen und so der Frage näher zu treten, ob 
dieselben ein für Europa verwendbares Genufsmittel seien. Die durch die 
Güte der Herren Friedr. M. Vietor & Söhne in Bremen in ausgezeichnet frischem 
Zustande erhaltenen Nüsse erwiesen sich von einem anfangs etwas zusammen- 
ziehenden, dann rein bitteren Geschmacke und hinterliefsen einen schwachen 
süfslichen Nachgeschmack, konnten aber als besonders angenehm schmeckend 
nicht bezeichnet werden. Die rasch in künstlicher Wärme getrockneten Kola- 
nüsse bewahrten denselben Geschmack. Versuche, ein angenehmes Genufsmittel 
aus der Kolanufs herzustellen, sind bisher an dem Cellulosegehalt, derselben 
gescheitert. Die gerösteten Nüsse sind sehr hart und sehr schwer zu zer- 
kleinern. Auch andre von der Sklavenküste stammende Droguen verdankte 
der Vortragende den Horren Friedr. M. Vietor & Söhne. Er bemerkte, dafs von 
der Sklavenküste verschiedene für den Handel wertvolle aber allgemein bekannte 
Produkte ausgeführt werden . z. B. eine ausgezeichnet schöne Baumwolle, 
Kautschuk, Kopra, Palmöl u. a., doch wolle er sich auf die Vorlage einiger 
weniger bekannten, aber teilweise naturwissenschaftlich interessanten Produkte 
beschränken. Es wurden dann vorgelegt : Die Früchte von Anacardium occi- 
dentalc; Samen von Bassia Parckü, welche die Schi-Butter liefern; Wurzelstöcke 
von Maranta (indica oder arundinacea ?), aus welcher die echte Arrow-root- 
Stärke in Westindien gewonnen wird. Wurzelstöcke einer Curcuma-Art, die 
Gelbwurzel oder Curcumawurzel des Handels; Samen einer Cucurbita-Art, 
wahrscheinlich C. Citrollus, deren Samen 30°/o eines fetten Öles liefern. Vom Senegal 
aus soll ein bedeutender Import dieser Samen nach Frankreich stattfinden. 
Kopal von der Sklavenküste verhält sich gegen Lösungsmittel gerade so, wie 
das sehr wertvolle Zanzibar-Kopal, ist aber etwas blasig in der Masse und 
enthält mehr ätherisches Öl, wodurch es etwas weicher und nicht ganz geruchlos 
ist. Vortragender glaubt es trotzdem für eine recht wertvolle Sorte halten zu 
dürfen. Zur Erläuterung einiger Bemerkungen über verschiedene Kopalsorten 
wurde echtes Zanzibar-Kopal vorgezeigt. Von der Sklavenküste folgten dann 
noch Früchte von Pterocarpus esculentus, dieselben enthalten in einer eigen- 
tümlich zähen korkartigen Hülse einen grofsen Samen, welcher in frischem 


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Zustande giftig sein soll, geröstet aber von den Negern verzehrt wird. Samen 
von Cassia occidentalis, sie liefern ein sehr geschätztes Kaffeesurrogat, enthalten 
aber kein Coffein. Als ein für technische Zwecke anscheinend sehr brauchbares 
Surrogat für Gummi arabicum wurde ein. wahrscheinlich von einer Ficus-Art, 
stammendes Gummi vorgezeigt. Es steht in seinen Eigenschaften etwa zwischen 
Gummi arabicum und Dextrin, dreht wie letzteres die Ebene des polarisierten 
Lichtes nach rechts (ersteres nach links), löst sich gut in Wasser und reduziert 
Metallsalze. An die Demonstration dieser westafrikanischen Droguen knüpfte 
Vortragender noch die der Strophanthus-Samen, eines neuen, der Digitalis 
ähnlich wirkenden Arzneimittels, welches bisher nur von Mozambique in den 
Handel kommt und in den Gegenden gesammelt wird, welche am Shire liegen. 
Die Pflanze ist ein Schlinggewächs, gehört zur Familie der Apocyneen, die 
Samen befinden sich in grofsen Balgkapseln, und zeiclfnen sich durch eine 
prachtvoll ausgebildete Feder auf ihrer Spitze ans. Sie sind sehr giftig und 
dienen in Afrika zur Bereitung eines Pfeilgiftes, welches in Ostafrika Kombö, 
in Westafrika Jne genannt wird ; von Westafrika sind aber bisher keine Samen 
in den Handel gelangt. 

§ Giacomo Bove +. Am 9. August d. J. starb in Verona durch Selbst- 
mord Giacamo Bove, Leutnant in der italienischen Kriegsmarine, bekannt 
durch seine Teilnahme an der grofsen Entdeckungsreise der „Vega“ unter 
Nordenskjöld, durch seine Forschungen im Feuerland und Patagonien, ferner 
in den südamerikanischen Misiones. Bove stellte den Plan einer italienischen 
Expedition in das antarktische Meer auf. Praktisch vorbereitet für ein 
solches Unternehmen war Bove durch seine ehrenvoll durchgoführte Teilnahme 
an jener denkwürdigen Vega-Fahrt. Seine 1881 — 82 auf Kosten der italie- 
nischen geographischen Gesellschaft ausgeführte Reise in die Gewässer des 
Feuerlandes war gewissermafsen eine weitete praktische Vorstudie für jenes 
grofse Unternehmen, dessen Verwirklichung, wie es scheint, an der Unmöglich- 
keit, die dazu erforderlichen bedeutenden Mittel znsammenzubringen, scheiterte. 
Im Aufträge des italienischen Ministeriums unternahm er in Verbindung mit 
Kapitän Fabrello in den Jahren 1885 — 86 eine Bereisung des Kongo. Von 
dieser Reise kam er schwer krank zurück; an seiner Genesung verzweifelnd, 
gab sich der verdienstvolle Mann selbst den Tod. 


Geographische Litteratur. 

Lehrbücher. 

Grundzüge der mathematischen Geographie und der 
L andkar t en pr o j ek tion. Von Anton Steinhäuser. Dritte verbesserte 
und vermehrte Auflage. Mit 186 Holzschnitten. Wien 1887. Verlag von 
Fr. Beck. Es ist ein erfreuliches Zeichen für das zunehmende Interesse, welches 
die Kartographie bei Lehrern und Studierenden in neuerer Zeit findet, dafs 
das vorliegende, in weiten Kreisen wohlbekannte Buch nach wenigen Jahren — 
zwischen der ersten und zweiten Auflage lag leider ein langer Zeitraum — 
in dritter Auflage erscheint. Der jetzt hochbetagte Verfasser hat das Verdienst, 
durch das vorliegende Werk zur Verbreitung der Projektionslehre in weiten Kreisen 
mehr wie vielleicht irgend ein andrer bei uns beigetragen zu haben. In den 
beiden ersten Abschnitten, der Einleitung, welche die. nötigen Kenntnisse von 
der Mefsknnst, Orientierung und Landkartenkundo enthält, und der mathematischen 

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Geographie ist wenig verändert und wenig hinzugesetzt worden. Der dritte Teil, die 
Projektionslehre, zeigt dagegen eine wesentliche Umgestaltung in der 
Ordnung des Stoffes, die dadurch systematischer geworden ist. Auch sind noch 
einige neuere und ältere Projektionsarten aufgenommen worden; die Tafeln 
sind jetzt sämtlich anf Meter uragcrechuet. Zur Einführung in das Karten- 
verständnis kenne ich kein besseres Hülfsmittel als das Steinhausersche Buch, 
ich wünsche demselben also eine immer weitere Verbreitung zumal in den 
Kreisen der jüngeren Lehrer. W. \V. 

Landkarten, i h re He rs tel lu ng und ihre Fehlergrenzen. 
Mit zahlreichen in den Text gedmekten Abbildungen. Von H. Strnve, (Geh. 
Rechnungsrat im Kursbüreau des Reichspostamts). Berlin, Verlag von Julius 
Springer, 1887. Gr. 8°. 2 Mark. Eine recht dankenswerte Ergänzung zu dem 
Stcinhauserschen Buche und ähnlichen bildet in einigen Punkten die vorliegende 
79 Seiten umfassende Schrift, welche als Sonderabdruck aus dem Archiv für 
Post und Telegraphie erschienen ist. Dieselbe behandelt, nachdem in einer 
Einleitung ganz übersichtlich die Hauptverrichtungen der Landkartendarstellung 
besprochen sind, die Herstellung topographischer Spezialkarten; die Methoden 
der Landesvermessung, der Höhenmessung, die Bestimmung der Himmelsgegend, 
die Feststellung der geographischen Breite und Länge werden dabei in einfacher 
und klarer Weise dargclcgt und auf die dabei anftretonden Fehlerquellen hin- 
gewiesen. In dem Kapitel , Anfertigung des Gradnetzes“ werden die gewöhnlichen 
Landkartenprojektionen von Seite 21 — 54 behandelt; eine besondere Be- 
sprechung erfahren noch die „gewölbten Karten“. Die folgenden Kapitel 
handeln von der Berechnung des kürzesten Weges (der geodätischen Linie), 
der Genauigkeit der Entfernungsberechnungen, der Wegemessung auf Karten, 
der Landkartenvervielfältigung, der Landkartenschrift und der Zuverlässigkeit 
aufsereuropäischer Landkarten. Zur Einführung in das Kartenverständnis kann 
anch diese kleine Schrift gute Dienste leisten. W. W. 

Europa. 

§ Von den ,,Europäi sehen Wan d er bildern“, welche die Verlags- 
buchhandlung von Grell, Füssli und Kompanie seit einigen Jahren herausgiebt 
und deren wir mehrere bereits besprochen haben, liegt uns nun eine ganze 
Serie vor. Es sind die folgenden: 

No. 1. Die Arth -Rigi -Balm, mit 13 Illustrationen und einer Karte, von 
J. Weber ; No. 2. Die Ütliberg-Bahn von J. J. Binder, mit. 21 Illustrationen von 
J. Weber und E. F. Graf; No. 4. Heiden und die Rohrschach-Heiden-Bahn von 
H. Szadrowskv. mit 22 Illustrationen und zwei Karten ; No. 6. Thun und 
Thnner-See, mit 23 Illustrationen von G. Roux und J. Weber, nebst einer Karte ; 
No. 7. Interlaken, von Gerber, Diakon in Interlakeu, mit 20 Illustrationen und 
einer Karte; No. 10. Zürich und seine Umgebung, mit 17 Illustrationen von 
J. Weber und zwei Planen; No. Iß. Luzern und seine Umgebung, mit 13 Illu- 
strationen von J. Weber nebst einer Karte; No. 30 — 32. Die Gotthardbahn, mit 
47 Illustrationen von J. Weber und einer Karte; No. 36. Die Vitznau-Itigi-Bahn. 
mit 10 Illustrationen von J. Weber und einer Karte; No. 51 u. 52. Der 
Bürgenstock, von Dr. W. Cubasch, mit 8 Illustrationen, 2 Doppelbildern und 
einer Karte; No. 75 u. 76. Der Vierwaldstätter-See und seine Ufer, von J. Hard- 
meyer, mit 40 Illustrationen von J. Weber; No. 105 — 107. Lötsehen und Leuker- 
bad, von F. 0. Wolf, mit 21 Illustrationen von J. Weber und R. Ritz, nebst einer 
Karte. Die Vorzüge, welche wir den früher von uns besprochenen Heften nacb- 


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— 250 


rühmen durften: Reichtum an Thatsachon. Knappheit der Form, lebendige 

Darstellung, treffen auch bei allen hier aufgeführten zu. das können wir auf 
Grund der eigenen Reiseerfahrung dieses Sommers bestätigen. Man sieht denn 
auch bei Wanderungen durch die Schweiz die kleinen handlichen, wenig Raun) 
in der Tasche beanspruchenden Hefte unter den Touristen aufserordentlich 
verbreitet, so dafs eine gröfsere Anzahl dieser Publikationen bereits mehrere 
Auflagen erforderte. Einen Wunsch möchten wir für die weiteren Auflagen 
äufsern: es möchte jedem Hefte, behufs des schnelleren Zurechtfindens, ein 
kurzes alphabetisches Register angefügt, werden. 

§ Die Verlagsbuchhandlung von Orell, Füssli & Cie. in Zürich teilt uns 
mit, dafs das vor einiger Zeit in 29. Auflage erschienene Reisehandbuch 
der Schweiz von Iwan von Tscliudi käuflich in ihren Besitz über- 
gegangen sei. Die Verlagshandlung wird, wie sie uns schreibt, bestrebt sein, 
das Unternehmen im Geiste des Verfassers fortzuführen, immer weiter zu ver- 
vollkommnen und dem Werke das Ansehen, welches es bei allen Alpentouristen 
geniefst, zu erhalten. 

§ Pola, seine Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Eine Studie. 

2. Auflage, mit 4 Tafeln. Wien 1887. Carl Gerolds Sohn. Die vorliegende Schrift 
über Pola, den Zentralhafen der österreichisch-ungarischen Flotte und die erste 
Seefestung des Kaiserreichs, ist in erster Linie auf österreichische Leser berechnet. 

Sie bietet aber auch allgemeines Interesse und sei darum der Beachtung em- 
pfohlen. In gründlicher Weise werden wir über die Geschichte von der Gründung 
der römischen Militärkolonie bis auf die Gegenwart , über die Anstalten des Kriegs- 
hafens, über die Stadt, ihre Entwickelung und Verwaltung, über Bevölkerung (jetzt 
19,000), Klima u. a. belehrt. Der Innen- und der Vor-Hafen haben zusammen 
eine Fläche von 2 1 /» D sm und eine Ufcrausdehnnng von 10'/* sm, sie bieten 
einer grofsen Flotte von tiefgehenden Schiffen guten, gegen Seegang und teil- 
weise auch gegen heftige Winde geschützten Ankergrund. Die engste fahrbare 
Stelle der Einfahrt (ungefähr 800 m breit) gestattet gleichzeitig mehreren 
Schiffen rasches und sicheres Auslaufen. Der Verfasser macht eine Reihe von 
Vorschlägen, deren Durchführung er zur Entwickelung der Stadt und des Kriegs- 
hafens als notwendig bezeichnet. Wie Wilhelmshafen nach der Eröffnung — 
jetzt ist dem Mangel im wesentlichen abgeholfen — so litt und leidet auch 
Pola Mangel an gutem Trinkwasser und es steht wohl noch dahin, ob die an- 
zustellenden Bohrversuche zu einer gründlichen Beseitigung des Mangels führen * 
werden. Die beigegebenen Tafeln stellen dar : 1 Pola zur Zeit der Römer, nach 
Kandier, 2. und 3. Ansichten von Pola zu Anfang des 19. Jahrhunderts und im 
Jahre 1886. 

§ Di e B al k au -H a 1 bi nse 1 (mit Ausschlufs von Griechenland). Physika- 
lische und ethnographische Schilderungen und Städtebilder von A. E. Lux, 
mit 90 Illustrationen, einem Panorama von Konstantinopel und einer Über- 
sichtskarte. Freiburg i. B. 1887. Herder. Bei dem immer von neuem durch 
die Zeitverhältnisse genährten Interesse, welches sich der orientalischen Frage 
und allem, das damit zusammenhängt, zuwendet, darf man annehmen, dafs 
auch dieses Buch, wie so manche Publikationen der neuesten Zeit über das- 
selbe Thema, einen grofsen Leserkreis linden werde, zumal der Inhalt ein mannig- 
faltiger und grofsenteils auf eigenen durch wiederholte Reisen gewonnenen Beob- 
achtungen beruht. Das Buch zerfällt in 1. einen physikalischen, 2. einen 
ethnographischen Teil und in 3. Städtebilder und Routenbeschreibungen. Be- 

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sonders die letzteren werden manchem Orient -Reisenden willkommen sein. 
Ein Anhang bringt historische Übersichten. Die Illustrationen sind nur zum 
Teil gelungen, die Karte giebt itber einige Punkte eine gute Übersicht. 

§ Rumänien. Eine Darstellung des Landes und der Leute von Rudolf 
Bergner. Mit 26 Illustrationen nnd einer Karte. Breslau 1887. J. U. Kern. 
Ein wertvoller Beitrag zur Kunde von Rumänien. Der erste Teil bietet 
Schilderungen von Städten, Landschaften und Volksleben, der zweite enthält 
eine kurze geographische Beschreibung des Landes, geschichtliche Darstellungen 
und Nachrichten über öffentliche Verhältnisse, mit statistischen Tabellen. Als 
Anhang ist ein Literaturverzeichnis beigegeben. Aus dem Abschnitt über die 
wirtschaftlichen Verhältnisse heben wir ein paar Sätze über die Entwickelung her- 
vor, welche das Verkehrswesen in den letzten Jahrzehnten genommen hat. „Ein 
Netz von guten Landstrasfen unterstützt jetzt im Gegensatz zu früher den Binnen- 
handel, für die Personenbeförderung bestehen mehr als 40 Diligencenrouten. 
Chausseegeld wird nirgends erhoben. 1885 standen über 200 Tolegrapheuämter 
mit 5211 km Drahtlänge in Betrieb. Seitdem am 1. November 1869 die erste 
Eisenbahnlinie Bncurosci-Giurgiu eröffnet wurde, erfreut sich das Eisenbahn- 
netz einer beständigen Entwickelung. Vor zehn Jahren noch auf 1237 km be- 
schränkt, umfafst es gegenwärtig über 2000 km, es wird, wenn der Aasbau 
aller projektirten Linien ungestört vor sich gehen kann, in längstens zwei 
Jahren alle bedeutenden Städte Rumäniens mit einander verbinden. Bis auf 
224 km Linien der Lemberg-Czernow'itz-Jassyer Gesellschaft sind die Eisenbahnen 
Eigentum des rumänischen Staats. Die beigegebene Karte aus der kartographischen 
Anstalt von C. Flemming in Glogau, im Mafsstab von 1 : 1.700,000 ist zweck- 
entsprechend. 

Afrika. 

§ Reisebilder aus Ostafrika und Madagaskar von Dr. Konrad 
Keller, mit 43 Holzschnitten. Leipzig, C. F. Wintersche Verlagshandlung. 
Der Verfasser unternahm, zum Teil unterstützt durch schweizerische wissen- 
schaftliche Gesellschaften und die Schweizer Bundesregierung, zwei Reisen. 
Die erste wurde im Winter 1881/82 ausgeführt und hatte hauptsächlich natur- 
wissenschaftliche Studien am tropischen Seestrande zum Zweck. Der Suezkanal, 
das Rote Meer und der Arabische Golf waren die Gebiete, in die der Verfasser 
von seinen an der Küste improvisierten zoologischen Stationen täglich hinaus- 
fulir, um Sammlungen und Beobachtungen zu machen. Die letzteren werden 
in der dem Verfasser eigenen lebendigen anregenden Weise erzählt und müssen 
das Interesse auch des Laien fesseln. Wissenschaftlich wertvoll sind besonders 
die vom Verfasser zuerst geführten Untersuchungen über die nach Eröffnung 
des Kanals stattfindenden beiderseitigen Wanderzüge von Meerestieren des 
Mittelmceres und des Indischen Ozeans. Die zweite Reise, 1886, in deren 
Programm auch ethnologische und handelsgeographische Studien aufgenommen 
worden waren, führte den Verfasser nach Räunion und Madagaskar. Hier 
verweilte der Verfasser an verschiedenen Punkten und unternahm auch, teils 
zu Boot, teils im Tragsessel, von Tamatave aus eine Reise ins Innere und 
durch den Urwald. Neben den Mitteilungen über Boden, Tier- und Pflanzen- 
welt Madagaskars interessieren uns besonders die Bemerkungen über die Be- 
völkerung. Im Gegensatz zu den ungünstigen Urteilen andrer Beisenden 
erklärt Dr. Keller, dafs die Howas ihm im ganzen einen guten nnd sehr 
sympatisclien Eindruck gemacht haben. Die volkreichen Stämme der Betsimi- 


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savaka, der Antankareu nnd dar Sa ka luven de» Westens lernte Dr. Keller durch 
eigene Anschauung kennen. Was den zuletzt, genannten Stmnra betrifft, so 
mufs man nach Dr. Keller die Sakalaven des Nordwestens von denen des Süd- 
westens unterscheiden. Die erstercn verdienen ihren schlimmen Ruf nicht. 
Dr. Keller konnte, je mehr er mit ihnen in Berührung kam, desto mehr gute 
Seiten entdecken. Die afrikanischen Rcisebilder Kellers machen durchweg den 
Eindruck der Naturwahrheit, die Wahrnehmungen wurden während der Reise 
nicdergesclirieben und später für die Veröffentlichung in Buchform hie und da 
gemodelt, wobei aber die Ursprünglichkeit vollständig erhalten blieb. Man 
darf sagen: wo man auch Kellers Buch anfschlagen mag, fesselt es uns. Die 
zahlreichen Illustrationen sind mit wenigen Ausnahmen Originalbilder, zu deren 
Herstellung die Zeichnungen und photographischen Aufnahmen des Verfassers 
dienten. 

Orographio und Hydrographie des Kongobeckens von Ernst 
Böttcher, Dr. philos. Berlin. Haude & Spenersche Buchhandlung 1887. Der 
Verfasser, welcher das Kongogebiet aus eigener Anschauung nicht kennt, hat 
sich die Aufgabe gestellt, nach den besten Büchern und Karten in möglichst 
klarer Weise die Hauptzüge der Bodenbildung und namentlich der Gewässer- 
verteilung des so wichtigen Gebietes darzustellen, wobei er es mit Recht unter- 
lassen hat, über diejenigen Punkte, welche nach dem Stande der Forschung 
mehr oder weniger dunkel sind, gewagte Hypothesen 8ufzustellen. Der gesamte 
Stoff ist in der Weise angeordnet, dafs zuerst die Grenzen des Kongobeckens 
besprochen werden. Daran schliefst sich eine allgemeine Übersicht über den 
so abgegrenzten Raum und die Besprechung der einzelnen Teile. Den Schlafs 
bildet eine Auseinandersetzung über die allgemeine Hydrographie des Kongo- 
beckcns. Dem 100 Seiten zählenden Werkchen sind aufser Stromnetzkarte des 
Kongo mehrere Blätter mit graphischen Darstellungen boigegeben, welche zahl- 
reiche Querprotile u. a. enthalten. A. O. 


Amerika. 

§ Das Itajahy-Thal und die Kolonie Blumenau in Süd-Brasilien, Provinz 
Santa Katarina, von G. Stutzer, mit einer Karte der Kolonie. Goslar 1887. 
Verlag von Ludwig Koch. Die vorliegende kleine Schrift bildet einen wert- 
wollen Beitrag zur Kenntnis der deutschen Kolonisation in Süd-Brasilien. Der 
Verfasser hat dieselbe nach einem fünfviertcljährigcn Aufenthalte in der 
Kolonie verfafst, um, wie er in der Vorrede sagt, „niemandem zu 
Lieb und niemandem zu Leid die thatsächlichen Zustände zu schildern'. 
Das ist eine dankenswerte Aufgabe, zumal die Kunde von den im Aus- 
lande und besonders in transatlantischen Ländern gruppenweise lebenden 
Deutschen daheim noch eine recht mangelhafte ist. Am Itajahy und seinen 
Nebenflüssen wohnen wenigstens 20,000 Deutsche. In 15 Kapiteln werden alle 
in Betracht kommenden Verhältnisse erörtert: Klima. Boden, Pflanzen- und 
Tierwelt, Bevölkerung, Haus, Kirche und politische Verhältnisse, sodann die 
Landwirtschaft, wobei jedem einzelnen Produkt besondere Bemerkungen ge- 
widmet sind, die Viehzucht, Verkehrsverhältnisse, Handel und Industrie u. a. 
Dafs sich Süd-Brasilien für die Niederlassung Deutscher eignet, bestätigt auch 
der Verfasser und darf wohl als ausgemacht angesehen werden. Die persön- 
lichen Eigenschaften des Auswanderungslustigen sind natürlich im einzelnen 
Falle entscheidend. 


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— 253 — 


Aus Raumrücksichten wurde von dein Abdruck der für eiueu Anhang 
bestimmten Mitteilungen des Verfassers über die transatlantischen Ycrkehrs- 
verhältnisse und die Küstendampfschiffahrt mit bezug auf das Itajaliy-Thal 
Abstand genommen, aber wir möchten den Wunsch anssprechen, dafs der Ver- 
fasser diese vorzugsweise unsre Seestädte interessierenden Mitteilungen an 
andrer Stelle veröffentlichen möge. 


Polarregionon. 

§ Drei Jahre im hohen Norden. Die Lady Franklin -Bai-Expedition 
in den Jahren 1881 — 84 von Adolph W. Greely, Leutnant der Vereinigten 
Staaten-Arraee, Führer der Expedition. Einzig autorisierte deutsche Ausgabe. 

Aus dem Englischen von Reinhold Tenscher, Dr. med. Mit zahlreichen Illu- 
strationen, Karten und Plänen. Jena, H. Costenoblc, 1887. 

Durch Errichtung der einen der amerikanischen Polarstationen an einem 
so weit nördlich liegendem Punkte, wie es die Lady Franklin-Bai ist, erhielt 
diese ganze Unternehmung den Charakter des Gewagten und es war dies um so ver- 
hängnisvoller, als der ausnahmsweise günstige Sommer des Jahres 1881 es ge- 
stattete, die Lady Franklin-Bai ohne Schwierigkeiten und in kurzer Zeit zu 
erreichen. Dadurch wurde in den Kreisen, welche die Leitung der ganzen 
Angelegenheit in den Händen hatten, der Glaube erweckt, als ob überhaupt die 
Erreichung einer so hohen Breite in jener Richtung nicht die vermuteten Schwierig- 
keiten habe. Das wirkte auf die Organisation der Fahrten in dem folgendem 
Sommer zur Aufsuchung und besseren Verproviantierung der Station ein. man 
nahm dieselben sehr leicht, wählte nicht die richtigen Führer, es kam Indisziplin 
hinzu. Der Untergang des zur Hülfe ausgesandten Dampfers .Proteus" war von 
seinem Führer in seiner Berechnung als möglich nicht mit aufgenoinmen und 
so hatte er versäumt, zeitig an den bei der Ausfahrt verabredeten Plätzen Depots 
von Lebensmitteln zu legen, in der Meinung, dafs er die Station an der Lady 
Franklin-Bai sicher erreichen werde. Ein dunkler Punkt ist ferner die Unter- 
lassung der Aussendung einer Rettuugsexpedition im Herbst 1883. Endlich gesteht 
Greely ein, dafs auch er selbst den Fall des Untergangs des Dampfers ..Proteus“ 
und die damit verbundene Notwendigkeit, nach Süden den Rettungsexpeditionen 
oder Walfängern entgegen zu gehen, nicht in Rechnung gezogen habe. Das 
traurige Gcscliiek. welches über Greely und seine Gefährten hereinbracli, ist 
in aller Erinnerung. „Keine Feder", so sagt Greely, ..könnte der Welt ein treffendes 
Bild von dem schrecklichen Elend und der jämmerlichen Lage geben, welcher wir 
bei Kap Sabine verfallen waren. Ungenügend bekleidet, monatelang ohne Trink- 
wasser, ohne Wärme, die Schlafsäcke am Boden festgefroren, Wände, Dach und 
Fufsboden mit Eis bedeckt, lebten wir von dem fünften Teil einer arktischen 
Ration — und trotz der Entbehrung von Kleidern, Wärme, Licht. Nahrung waren 
wir niemals ohne Mut und Hoffnung. Die. außerordentliche Bethätigung von 
Treue, Geduld, Menschenliebe und Selbstverleugnung, wie sie von unsrer aus- 
gehungerten und fast wahnsinnigen Mannschaft täglich und fast allgemein geübt 
wurde, mufs man in dem Bericht üher unser tägliches Leben, wie es unter solchen 
traurigen Umständen wjedergeschricben worden ist, zwischen den Zeilen lesen. 

Solchen Worten, in solcher Zeit geschrieben, habeich weiter nichts hinznzufügen.“ 

Das Trübste ist die Klage Greelys gegen die amerikanische Regierung, welcher 
er vorwirft, sich der Überlebenden der Expedition in keiner Weise angenommen 
zu haben. 

18 

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— 254 — 


So wurde denn die Geschichte, der Polarreisen durch ein neues düsteres 
Blatt vermehrt. Glücklicherweise wurden die Opfer nicht, wie bei der unheil- 
vollen Expedition de Longs, vergeblich gebracht, wir verdanken dem tapferen 
Greely und seinen braven Gefährten Lockwood und andern, die Entdeckung 
des Innern und der Westküste von Grinncll-Land und die Aufschliefsung eines 
weiteren Stückes der Küste von Nord-Grönland. Selbst abgesehen hiervon ist 
Greelys Buch durch die in klarer objektiver Weise wiedergegebenen Be- 
obachtungen eine bedeutende Bereicherung unsrer Polarlitteratur, deren Freunde 
der Verlagshandlnng von H. Costenoble, welche die wie uns scheint durchaus 
sachgemäfs ausgefnhrte Übersetzung veranstaltete, Dank dafür wissen werden. 

Hydrographie. 

§ Physikalische Untersuchungen in der Adria. Ein Beitrag von 
Julius Wolf und Josef Luksch, Professoren an der K. K. Marine- Akademie. Mit einer 
Tafel. Separat-Abdruck aus den »Mitteilungen aus dem Gebiete des Seewesens. “ 
Wien 1887. Carl Gerolds Sohn. Dem Admiral Wüllerstorf-Urbair gebührt das 
Verdienst, die österreichische Küstenaufnahme ungebahnt und die Bildung der 
Adria-Kommission der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften in Wien be- 
wirkt. zu haben. Die Berichte dieser Kommission boten wertvolles Material als 
Grundlage und zur Ergänzung der Arbeiten der Verfasser. Diese Arbeiten er- 
streckten sich 1874 auf die Gewässer an der Küste von Dalmatien. 1875 auf 
jene im Nordbecken der Adria, 1870 und 1880 auf die Gesamtfläche dieses 
Meeres. In den Jahren 1876 und 1877 wurden zu verschiedenen Jahreszeiten 
eine Reihe von Fahrten im Quarnero unternommen und endlich während 
12 Monaten Beobachtungen auf der Rhede von Fiume angestellt. Die vor- 
liegende Abhandlung enthält eine Zusammenfassung der Ergebnisse der Studien, 
welche sich auf Temperatur des Seewussers, spezifisches Gewicht und Salzgehalt 
desselben, Meeresströmungen, Durchsichtigkeit und Farbe des Seewassers erstrecken. 
Die beigegebene kartographische Veranschaulichung ist zwar deutlich, im übrigen 
aber technisch nicht, besonders gelungen. Einige der Ergebnisse seien hier 
znsammengestellt. Die Temperatur de» Wassers an der Oberfläche zeigt im 
Hochsommer sowohl unter der italienischen Küste als in der Achse der Adria 
eine Zunahme von 2—3 0 C. im Sinne von Nordwest nach Südost. Die Tem- 
peratur am Grunde schmiegt sich in dieser Jahreszeit dem Bodcnrelief derart 
an, dafs an vielen Stellen eine gewisse Übereinstimmung im Verlauf der Iso- 
thermen und Isobathen nicht zu verkennen ist. Von der Oberfläche bis zu 
60 m sinkt die Temperatur sehr rasch. Wesentlich verschieden von dem Ge- 
sagten stellt sich die Verteilung der Temperatur während des Winters dar. 
Kann nämlich in der heifsen Jahreszeit die Erwärmung des Wassers durch die 
Luft nur sehr langsam gegen die Tiefe vorschreiten, weil mit der Temperatur- 
erhöhung eine Dichteverminderung verbunden ist, das leichter gewordene Wasser 
aber oben aufschwimmt und daher eine Vermischung der Schichten und ein 
direktes Hinabtragen der Wärme durch vertikale Zirkulation nur infolge der 
bei der lebhaften Verdunstung zunehmenden Salinität der obersten flüssigen 
Teilchen eintritt, so reicht im Winter, wenn das Meer an die Luft Wärme ab- 
giebt, schon dieser Umstandan sich allein aus, ein kontinuierliches Hinabdringen 
des abgekühlten Oberflächenwassers zu bedingen, derart also, dafs nunmehr 
der Temperaturausgleich durchaus nicht auf die unbedeutende Wirkung der 
Dnrchstrahlung und der Leitung angewiesen bleibt. Auch der die Schichten 
durchmischende Seegang tritt im Winter häufiger und energischer auf als im 


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255 — 


Sommer. Thatsächlich fanden »ich, wenn die Verhältnisse der kälteren Jahres- 
zeit bereits vollkommen herausgebildet waren, bedeutend geringere Temperatur- 
unterschiede im vertikalen Sinne vor als während der wärmeren, ja in der 
Regel zeigte sich im vollen Gegensätze zu den Sommererscheinungen eine Zu- 
nahme der Wärme gegen die Tiefe hin, oder doch eine gleichmäfsige Durch- 
wärmung. Bezüglich des spezifischen Gewichts und des Salzgehalts ergab sich 
u. a., dafs an der Oberfläche, und nahe derselben im Sommer die Salinität von 
Nordwest nach Südost im allgemeinen zunimmt, dabei ist jedoch das Wasser 
unter Italien versüfster als jenes unter der Balkan-Halbinsel. Eine Salinität von 
über 3,8s °/o wird nur in einem kleinen Gebiete seewärts des Golfs von Drin 
gefunden. Eine gewisse Abhängigkeit der Salinität des Wassers am Grunde 
von der Bodenkonfignration findet in vielen Teilen der Adria statt.. Im ganzen 
wächst der Salzgehalt von der Oberfläche gegen den Grund hin, jedoch sehr 
ungleichartig in verschiedenen Gebieten. Für den Winter liegen nur Be- 
obachtungen aus dem Quarnero vor; auch beim Salzgehalte wie bei dersWärmc 
besteht im Winter eine weit gleichmäfsigere Anordnung im vertikalen Sinne 
als im Sommer. Bezüglich der Meeresströmungen fehlen direkte Beobachtungen 
aus einer längeren Reihe von Jahren. Die Verfasser versuchten es nun, die 
Hauptzüge der Meeresströmnugen in der Adria aus bedeutend vermehrten und 
über das ganze Gebiet der Adria ausgedehnten Temperatur- und Salzgehalts- 
beobaehtungen zu konstatieren, indem sie die Ergebnisse dieser Untersuchungen 
mit den meteorologischen Verhältnissen, sowie mit der Verteilung der 
Süfswasserzutühr vom Lande her und der Konfiguration des Bodens in Be- 
ziehung brachten. Es sei in Beziehung auf diesen Punkt auf die Schrift sowie 
auf die beigogebonc Karte, welche im allgemeinen eine Strömungsrichtung 
Nordwest an der albanisch-dalmatinischen und Südost au der gegenüberliegenden 
italienischen Küste ergiebt, verwiesen. Was endlich die Farbe des Adriatischen 
Meeres im durchscheinendem Lichte betrifft, so ist dieselbe wie bei allen salz- 
haltigen und warmen Seegebieten als eine dunkelblaue zu bezeichnen. 


Karten. 

§ Durch Ausgabe der 10., 11. und 12. Lieferung liegt nunmehr die 
zweite Auflage von Richard And re es allgemeinem Handatlas — Verlag der 
geographischen Anstalt, von Velhagen & Klasing in Leipzig — vollständig vor 
und verweisen wir bezüglich des Werts und der Brauchbarkeit dieses Werks 
auf das in Heft II. S. 177 und 178 dieser Zeitschrift Gesagte. Die oben er- 
wähnten drei letzten Lieferungen enthalten: Südöstliches Frankreich, Über- 
sichtskarte von Italien, Oberitalien, Kapland, Natal, Buren-Republiken und 
Lüderitzland, Zentral- und Südafrika, Südsee-Inseln, Religionskarte der Erde, 
Karte des Weltverkehrs und der Meeresströmungen, Grofser Ozean, Palästina, 
Übersichtskarte von Asien, Afghanistan und Balutschistau; Ergänzungskarten 
I und II: Übersicht von Zeutralafrika und von Deutsch-Ostafrika. Ein voll- 
ständiges Namenverzeichnis von über 100000 Namen, welches das sofortige 
Auffinden jedes Ortes auf den Karten ermöglicht, erhöht die Brauchbarkeit 
des Atlas bedeutend. Der Preis von 24 Mark für das Gebotene ist ein sehr ge- 
ringer. — Anzuerkennen ist, dafs die Verlagshandlung den Besitzern der ersten 
Auflage die neuen Karten der zweiten in Form eines Supplementes zum Preise 
von 6 Mark zugänglich macht, so dafs also jeder sein altes Exemplar für diesen 
geringen Preis wieder erneuern kann. 


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Übersichtskarte von den Waldangen Preufsens, unter 
Zugrundelegung der von dem kartographischen Büveau im Königlichen Mini- 
sterium der öffentlichen Arbeiten 1876 herausgegebenen, im Eisenbahn- und 
Wegenetz bis auf die Gegenwart vervollständigten Verkehrskarte, hergestellt 
von dom Forsteinrichtungsbüreau im Königlichen Ministerium für Landwirtschaft, 
Domänen und Forsten. Mafsstab: 1:600000". Verlag von J. Springer, Berlin. 
Preis 20 Mark. Die Karte giebt einesteils ein deutliches Bild davon, wie ver- 
schieden die Waldverteilung in den einzelnen Teilen der preufsischen Monarchie 
ist; die Provinzen Hannover nnd Schleswig - Holstein, sowie Teile der Rhein- 
provinz nnd von Westfalen stellen sich als die waldärmsten dar; dem gegen- 
über tritt der Waldreichtum in den Provinzen Ost- und Westpreufseu, 
Brandenburg und Schlesien, hervor. Durch Farben wird sodann die Art des 
Besitzes unterschieden ; in dieser Richtung ist die aus 8 Blatt bestehende Karte 
im hohen Grade lehrreich und eines näheren Studiums wert. Schon bei einer 
nur oberflächlichen Einsicht ergeben sich interessante Vergleiche. Dio Unter- 
scheidung geschieht durch vier Farben, welche zeigen : 1) die Königlichen Kron- 
und Hausfideikommifsforsten, 2) die Königlichen Staatsforsten, 8) den Gemeinde- 
und Instituten- (Stiftungs-? Genossenschafts-?) Wald, endlich 4) den standes- 
herrlichen und Privatwald. Der Staatswald überwiegt vorzugsweise in den 
östlichen Teilen der Monarchie, den Provinzen Ost- und Westpreufsen, ferner 
in der Provinz Brandenburg, wo aber Stiftungs- und standeshorrlicher 
beziehungsweise Privatwald auch in grofsen Komplexen auftreten, sodann in 
Schlesien neben ausgedehnten Flächen der letzterwähnten Gattung (standes- 
herrlicher und Privatwald.) Aufserordentlich bedeutend, ja fast das ganze 
Waldgebiet in Anspruch nehmend, ist der Geroeindewald in der Provinz Hessen- 
Nassau. Die Unterscheidung des standesherrlichen vom Privatwald wäre er- 
wünscht gewesen, wie nicht minder eine gedruckte, mit den erforderlichen 
statistischen Daten ansgestattete Erläuterung zu der Karte. Jetzt wird man 
in Ermangelung einer solchen Schrift das vor einigen Jahren erschienene Werk 
von Donner nachzuschlagen haben. Eine kartographische Unterscheidung nach 
Waldarten: Laub-, Nadel- und Mischwald, würde ebenfalls vielfaches Interesse 
bieten; sie erfordert freilich eine neue Ausgabe der Karte, da sie nicht hier 
mit eingetragen werden kann. Wenn wir die von Preufscn umschlossenen oder 
es begrenzenden gröfseren deutschen Staatsgebiete, wie Oldenburg, Mecklenburg, 
Sachsen, auf der vorliegenden Karte ohne Bezeichnung sehen, werden wir daran 
erinnert, wie wünschenswert eine Waldkarte für das ganze deutsche Reichs- 
gebiet wäre. 

Zur Besprechung liegen ferner vor: 

Camps in the Caribees, the adventnres of a naturalist in the lesser Antilles by 
Frederick A. Ober. Edinburgh D. Douglas, 1880. 

Nationalität und Sprache im Königreich Belgien, von Karl Brämer. Stuttgart 
1887, J. Engelhorn. 

Reise in der Sierra Nevada de Santa Marta. Von Dr. W. Sievers. Mit 
8 Abbildungen von Prof. A. Göring. Leipzig, Gressner & Schramm, 1887. 
The Dawn of British trade in the Ea§t Indies, the Court Records of the East 
India Company now first printed from the Original Manuscript by Henry 
Stevens of Vermont. London, Henry Stevens & Son, 1886. 



Druck von Carl Schünemann. Bremen. 


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Heft 4. 


Deutsche 


Band X. 


Geographische Blätter. 

Herausgegeben von der 

Geographischen Gesellschaft in Bremen. 


Beiträge und sonstige Sendungen an die Redaktion werden unter der Adresse : 
Dr. M. Lindeinau, Bremen, Mendestrasse 8, erbeten. 

Der Abdruck der Original-Aufsätze, sowie die Nachbildung von Karten 
und Illustrationen dieser Zeitschrift ist nur nach Verständigung mit 
der Redaktion gestattet. 


Die Bewaldung des Schwarzwaldes, 

seine Forstwirtschaft und die Beziehungen der letzteren zur 
Landwirtschaft, zu den Gewerben und dem Handel. 

Von Forstrat Schuberg in Karlsruhe.*) 

Mit Karte.**) 

Einleitung. Gesamtfläche und Bewaldungsprozcnt. Verteilung der Waldungen 
nach den Eigontumsarten. Lage und Zusammenhang, Bedeutung und Gruppierung 
der Waldungen. Gebirgs- und Bodenarten des Waldes, ihre Gunst und Ungunst. Die 
Bestockung. Die herrschenden forstwirtschaftlichen Grundsätze. Die Erschließung 
der Waldungen durch Wege und Flol'sbüche. Der forstliche Anbau. Der wirtschaft- 
liche Aufwand, Roh- nnd Reinertrag. Die Waldbeschädigungen. Die Beziehungen 
zum Bergbau, zur Landwirtschaft, zu den holzverarbeitenden und sonstigen Gewerken. 

I. 

Der Schwarz wald ist ein fruchtbares Waldgebirge, nicht so 
im Zusammenhänge bewaldet, wie man sich ziemlich allgemein vor- 
stellt. Vielmehr durchziehen es bald hoch hinauf bebaute und an 
Ortschaften reiche Thäler, bald engere Wiesenthäler mit vereinzelten 
Häusern. Oder über tiefeingeschnittenen, oft schluchtartigen Wald- 
thälern liegen längs der oberen Hänge und auf ausgedehnten Hoch- 
ebenen blühende gewerbreiclie Ortschaften, Häusergruppen und zer- 
streute Höfe mit Gärten, Wiesen, Feldern oder sogenannten Reut- 
feldern und Weiden, in buntem Wechsel wieder von Wald durch- 
brochen oder umrahmt. Im nördlichen Teile finden wir über der 
Bewaldung auf den Hochflächen des Buntsandsteins ausgedehnte 

*) Der erste Aufsatz über den Schwarzwald : Orographisch-geologische 
Übersicht von Professor Platz in Karlsruhe, wurde in Heft 3, S. 181 — 210 
veröffentlicht.. 

**) Wie uns der Herr Verfasser mitteilt, haben sich bei Fertigstellung 
der diesem Aufsatz beizugehenden Karte unerwartet technische Schwierigkeiten 
ergeben, welche das Erscheinen der Karte wenigstens in diesem Heft ver- 
hindern. Die Red. 

Geograph. Blätter. Breme», 1887 . 19 


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Moore zwischen Gesteinstrümmern, im südlichen Teile Weideland 
bis zu den höchsten Bergkuppen (Feldberg, Belchen, Blöfsling, 
Kandel u. a.). Infolge der ungleichen Gestaltung der Berg- und 
Thalzüge, welche bald auf breiteren Thalsohlen, terrassenartigen 
Abhängen und schwachgeneigten Hochflächen zur landwirtschaftlichen 
Bodenbenutzung ermuntern, bald durch die Enge der Thäler, Steilheit 
der Hänge, steinige Bodenbeschaffenheit, Rauhheit der Lage, Abge- 
schlossenheit vom Verkehr u. a. die Kultur erschweren — ist die 
Bewaldung sehr ungleich verteilt. 

1. Die Bewaldung nach ihrer Fläche, Verteilung, Lage und 

Bestockung. 

a. Gesamtfläche und Bewaldungsprozent. 

Ain badischen Schwarzwalde sind die (5 politischen Kreise 
Villingen, Waldshut, Lörrach, Freiburg, Oft'enburg, Baden und — 
je nachdem man die Grenzen des Schwarzwaides zieht — noch 
Karlsruhe als 7ter Kreis beteiligt. Diese Kreise sind zu 31,5 °/o 
(Villingen) bis zu 48,7 °/o (Baden) bewaldet, haben zusammen 
9616,77 qkm Gesamtfläche, 3566, to qkm Gesamtwaldfläche und 
durchschnittlich eine Bevölkerung von 105 Köpfen auf 1 qkm, also 
0,36 ha Wald per Kopf. Aber diese Kreise enthalten Teile des 
Donaugebietes am östlichen Rande des Schwarzwaldes, das ganze 
Rheinthal nebst dem Kaiserstuhle und Hügelland nördlich des 
Pfinzthals, welches nach seinem Charakter nicht mehr zum Schwarz- 
wald gehört; zu dessen Ausläufern ist höchstens noch Pforzheim 
(porta hercyniae) mit seinem südlichen Gebirgszuge zu rechnen. Von 
der badischen Forstverwaltung wird ihm statistisch eine Gesamt- 
fläche von 3900 qkm mit einer Gesamtwaldfläche von 1812 , «ms qkm, *) 
also mit 46, 5 °/o Wald zugesprochen, neben welchem noch ein weiteres 
Gebiet als „oberes Rheinthal mit den Sch warzwald vorbergen“ unter- 
schieden wird, in der Gröfse von 3480 qkm Gesamtfläche mit 
1130,5435 qkm=32,5 °/o Wald, so dafs also, wenn hiervon die Hälfte 
als „Vorberge“ zugeschlagen wird, der badische Anteil des Schwar.?- 
waldgebirges nicht höher als zu 5640 qkm mit einer Waldfläche von 
2378 qkm oder 42 °/o Bewaldung angenommen werden kann®). 

') Nach dem neuesten Stande vom 1. Januar 1886 (siehe „Statistische 
Nachweisungon ans der Foi'stverwaltung des Grol'sh. Baden für das Jahr 1885“). 

! ) Die Ziehung einer genauen Grenze, um den geographischen Begriff 
zweifellos fcstzusfellen, wäre ebenso schwierig als unlohnend, ob mau die Ge- 
ognosie, den landschaftlichen Charakter oder audres zur Entscheidung be- 
nutzen wollte. 


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259 — 


Als Wald könnte man noch einige hundert Hektare Kastanien- 
wald (im Gebiete der Rench, Acher, Murg) u. a. und über 30000 ha 
„Reutberge“, welch letztere wechselnd bewaldet und landwirt- 
schaftlich benutzt sind,®) ansehen. 

Vom Schwarzwaldkreise des Königreichs Württemberg gehört 
ein beträchtlicher Teil nicht mehr zum Schwarzwalde, nämlich 
von den 17 Oberamtsbezirken nur 8 (Calw, Freudenstadt, Horb, 

Nagold, Neuenburg, Oberndorf und Sulz ganz, Rottweil teilweise), 
so dafs der württembergische Anteil etwa 2500 qkm Gesamtfläche 
mit einer Waldfläche von 1280 qkm (= 51 , a Bewaldungsprozenten) 
und mit einer Bevölkerungsdichtheit von 80 Köpfen auf 1 qkm 
umfafst. Auch hier bestehen noch ausgedehnte Reutberge. 

Je nach engerer oder weiterer Auffassung des geographischen 
Begriffs, wobei östlich die Übergangsgebiete zwischen der Rauhen 
Alb und dem Schwarzwalde ebenso zu Meinungsverschiedenheiten 
Anlafs geben, wie die Vorberge im Westen und Norden, enthält 
also der Schwarzwald höchstens 8000, mindestens 6400 qkm Ge- 
samtfläche mit mehr als 3500 oder nur etwa 3100 qkm Wald. 

Bas Querthal der Kinzig und eine östlich von Schiltach oder 
Schenkenzell nach Oberndorf ziehende Linie können zur Zer- 
legung des Schwarzwaldes in einen (gröfseren) südlichen und einen 
nördlichen Teil benützt werden, zu welch letzterem der württem- 
bergische Anteil bis auf eine kleine Fläche gehört. Der Haupt- 
gebirgsstock mit seinem westlichen und südlichen Steilabfall gegen 
das Rheinthal liegt ganz auf badischem, die sanftere Abdachung 
gegen Osten auf württembergischem Gebiete. 

Während für ganz Baden die Bewaldung sich zur landwirtschaft- 
lichen Fläche wie 1 : 1,58 verhält, tritt, im Schwarzwalde das Ackerland, 
zu welchem es an tauglichem Gelände fehlt, zu gunsten der Wald- 
und Weidewirtschaft, des Wies- und Graslandes zurück. Reutberge 
und Weiden nehmen rund 87000 ha ein. In den Vorbergen liegen 
aufser zahlreichen Obstgärten 7300 ha Reben. 

Da auch Ödland da und dort vorkommt, so steht sich die 
Bewaldung und die landwirtschaftliche Fläche einschliefslich der 
Weiden in gleicher Gröfse gegenüber. 

Von der Gesamtwaldfläche sind als ertraglos (Gewässer, 

Felsen und Steinhalden, Sumpf und Moor) sowie als ein der ertrags- 
fähigen Fläche entzogener Teil (Baugrund und Hofräume, bebautes 
Zwischenland, Wege und Holzplätze, Steinbrüche, Sand- und Kies- 

a ) Siehe hierüber Dr. V. Vogelinann „Die Reutberge des Schwarzwaldes“, 

2te vermehrte Aufl., von Dr. V. Funk, Karlsruhe 1871. 

19 * 

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260 


gruben u. a.) im ganzen beim Privatwald 3, bei den übrigen 
Waldungen höchstens 2 Prozent abzuziehen. 

b. Die Verteilung der Waldungen nach den 
Eigentumsarten. (Stand vom 1. Januar 1886.) 

Der eigentliche Holzboden umfafst gegenwärtig 
I. Im eigentlichen badischen Schwalzwald 


1) Domänenwald 4 ) 38 662 ha (21, s °/o) 

2) Gemeinde- und Körperschafts-Wald 68 003 „ (38,4 „ ) 

3) Standes- und grundherrl. Wald ... 10 615 „ ( 6,o „ ) 

4) Sonstiger Privatwald 59 700 „ (33,8 „) 

zusammen 176 980 ha 
II. Im Rheinthal einschliefslich der Vorberge 

1) Domänenwald 20825 ha (18, s ®/o) 

2) Gemeinde- und Körperschaftswald . 60 626 „ (54,7 „ ) 

3) Standes- und grundherrl. Wald... 2103 „ ( 2,o „ ) 

4) Sonstiger Privatwald 27 106 „ (24,5 „ ) 

zusammen ... 110 660 ha 


IH. Im württembergischen Anteil 5 ) gehören von den Waldungen 
(in runder Zahl) an Holzboden: 

dem Staate 45 000 ha (36 °/o) 

den Gemeinden und Körperschaften . . 49 000 „ (39 „ ) 

den Grundherren -. 2000 „ (1,5 „ ) 

den sonstigen Privaten 29 000 „ (23,5 „ ) 


125000 ha 

Im ganzen rund 412 800 ha. 

Unter dem Privatwaldbesitze sind zwei bemerkenswerte Formen hervor- 
zuheben, welche denselben dem raschen Besitzwechsel entziehen und ihm eine 
gröfsere Stetigkeit und Sorgsamkeit der Behandlung verschaffen, nämlich der 
genossenschaftliche Besitz und der geschlossene Giiterbesitz. 

Die Waldgenossenschaften des Schwarzwaldes sind sämtlich älteren 
Ursprungs; die gröfste derselben ist die Murgschifferschaft mit 5029 ha auf 
badischem und württembergisehem Gebiete, welche ähnlich einer Aktiengesell- 
schaft mit ihren 365 390 Rechten sich so in den Waldbesitz teilt, dal's jedes 
Recht mit seinem Jahresgenufs am Nutzholzcrtrag auf einem gewissen Waldteil 
beruht, also von dessen Erwachs abhängig ist, während die Produktionskosten 

*) Mit diesem Ausdruck wird der in wirtschaftlicher Behandlung und 
Benutzung des Staates befindliche Wald bezeichnet (ohne Entscheidung über 
den Eigentümer.) 

*) Die Königliche Forst Verwaltung rechnet zu dem Nadelholzgebiet des 
Schwarzwaldes die Forstamtsbezirke Altenstaig, Freudenstadt, Neuenburg, Sulz, 
Wildberg und zwei Reviere des Forstamtsbezirks Rottweil. 


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— 261 


und Lasten aus dem Breunholzertrag und den Nebennutzungen gedeckt werden. 
Durch Ankauf etwa der Hälfte der Rechte ist seit, dem Jahre 1878 das badische 
Domänenärar Teilhaber geworden und infolgedessen der Schifferschaftswald 
unter staatliche Forstvcrwaltung getreten. Kleinere Waldgenossenschaften mit 
und ohne staatliche Beförsterung (also teilweise, wenn bedeutender, wie andre 
Körperschaften gesetzlich geltend) bestehen noch an verschiedenen Orten des 
beiderseitigen Schwarzwaldes. Sie mögen zusammen einschliefslieh der Murg- 
schifferschaft 3 — 4 0 o des Privatwaldbesitzes ansmachen. 

An manchen andern Orten wäre es sachgemäfs, den durch frühere zu 
weitgehende Duldung der Waldteilung bedenklich zersplitterten Gebirgswald 
durch gesetzliche Bestimmungen zu Waldgenossenschaften zu vereinigen und 
vor Verwüstung zu bewahren. 

Zu den geschlossenen Hofgütern (Bauerngütern mit dem gesetzlich aner- 
kannten Recht unteilbarer Vererbung) gehört, ein sein’ bedeutender Waldbesitz 
der früheron freien Bauernschaften. Nicht selten gehören zu einem solchen 
Hofgut 100 und mehr ha zusammenhängenden, mit Einsicht behandelten Waldes, 
mehr jedoch im südlichen als nördlichen Gebirgsteile. Ihre Gesamtgröfse läfst 
sich zur Zeit nicht angeben. 

Daraus ergiebt sich, dafs der weitaus grüfste Teil der Wal- 
dungen sich in sicherer Hand befindet, da aufser dem Staate auch 
die Gemeinden und die sonstigen Körperschaften (schon vermöge der 
Staatsaufsicht) ihre Waldungen erhalten und pfleglich behandeln, 
was bei den Standes- und Grundherren ebenfalls die Regel bildet. 
Von den sonstigen Privatwaldungen werden viele ebenfalls als 
wertvolles und wichtiges Eigentum schonlich bewirtschaftet. 
Aufforstungen von Waldblöfsen, Ödungen, schlechten Weiden und 
Reutbergen werden von manchen Privaten mit Eifer betrieben. 
Jedoch werden noch häufig zur Waldanlage geeignete Flächen dem 
Staat, den Gemeinden, Kirchen und Stiftungen oder den Grofsgrund- 
besitzern zum Kauf angeboten, welche derartige Gelegenheiten zur 
Abrundung und Ausdehnung ihres Waldbesitzes gerne ergreifen. 
Alljährlich wird die Aufforstung von Flächen, welche den landwirt- 
schaftlichen Betrieb nicht lohnen, fortgesetzt, namentlich im Mittel- 
und Hochgebirge, während anderweitig, vorzugsweise in den Vor- 
bergen und im Rheinthal zu Wiesen-, Feld- und Rebenanlagen kleine 
Waldflächen und Aufsenteile gerodet werden oder Eisenbahn-, 
Strafsen- und Fabrikanlagen u. a. mehr oder weniger Waldboden 
in Anspruch nehmen. 

Die Veränderungen an der Bewaldung werden daher noch lange 
nicht — vielleicht nie — aufhüren. Der Staat mufs des Klein- 
besitzes sich entäufsern und einen Grofsbetrieb mit möglichst 
gestreckten Grenzzügen, zur Ermäfsigung der Verwaltungskosten, 
anstreben, aber auch der Nachfrage nach Baugrund und Bau- 
materialien entsprechen, um den gewerblichen Unternehmungssinn 


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26 2 


zu ermuntern. Der Schwarzwald würde, ohne die grofse gewerbliche 
Thätigkeit seiner Bewohner, eine so dichte Bevölkerung, wie er 
bereits besitzt, nicht zu ernähren vermögen. Dafs diese aber weniger 
in dichtgeschlossenen Wohnsitzen sich angesiedelt hat, vielmehr 
zerstreut mitten in ihren Hofgütem und Gütchen zu wohnen liebt, 
begünstigt die bessere Bodenbenutzung, bedingt aber auch häufigeren 
Kulturwechsel. In den Jahren 1878 bis 1885 erfolgten beispielsweise 

Aufstockungen 

im badischen Schwarzwald auf 84 ha 

in dem oberen Rheinthal und den Vorbergen „166 „ 

zusammen auf 250 ha 
also Mehranlagen 

Ähnliche Vorgänge finden auch in Württemberg statt. 

Es könnte allerdings manchen Orts erwogen werden, das 
urbare und Weideland vom Waldland besser nach der Lage und 
Bodengüte auszuscheiden und abzugrenzen, namentlich das Brach- 
und Weideland mit Waldschutz zu umgeben, zeitweise zu verlegen 
und durch Bau zu verbessern, unlohnendes Reutfeld aufzugeben und 
einer Waldwirtschaft zu widmen, welche baldige Erträge verspricht, 
dagegen tauglichen Waldboden der Landwirtschaft auszufolgen. 

Aber dazu müfste eine vollkommenere Erschliefsung gar mancher 
Seitenthäler und Bergzüge durch ein gemeinsames Wegnetz ganzer 
Gemarkungen oder Gegenden vorausgehen, welches sich an die 
vielen neueren Strafsen- und Waldwegbauten anzuschliefsen hätte. 

c. Die Lage der Waldungen, ihr Zusammenhang, ihre 
Bedeutung und Gruppirung. 

Am Feldberge, im Gemeindewald von Todtnauberg-Rütte, bei 
1368 m über dem Meere erreichen die Waldungen ihre obere Grenze. 
Darüber hinaus erscheinen nur noch einzelne verkümmerte Bäume 
oder Büsche von Fichten und Buchen, Vogelbeeren u. a. Die 
unterste Grenze bildet das Rheinthal, etwa bei 120 m über dem 
Meere. 

Die Waldungen steigen von den Thalrändern oder den urbaren 
blühenden Fluren der Vorberge auf zahlreichen Bergrücken und breiten 
Thalgehängen, bald zwischen den Feldgemarkungen geschlossener 
Städte und Dörfer, bald zwischen weit in die Thäler erstreckten 
zerstreut angesiedelten Orten, Weilern und Höfen, zu den Wasser- 
scheiden des massig aufgebauten Gebirgssystems hinauf, dessen höchste 
Kuppen entweder über der Baumgrenze noch als Weideland dienen 
(südlicher Schwarzwald) oder als vermoorte Hochflächen mit Krumm- 

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Neue 

Waldaulagen 

1446 ha 
351 „ 
1797 ha 

i!U7 


263 — 


holzkiefer- (Legforlen-) Partien — nördlicher Schwarzwald — be- 
wachsen sind. Die gröfsten zusammenhängenden Wäldermassen finden 
sich noch im nördlichen Gebirgsteile, wo sie an den Einhängen 
und Rücken des Alb-, Murg- und Oosthals streckenweise die Thal- 
sohle ausfüllend über die Wasserscheiden (Dobel, Hohloh) hinab ins 
obere Enzthal abfallen, sowie aus dem Bühler-, Acher- und Renchthal 
zur Hornisgrinde und zum Kniebis hinaufziehen. Mit kurzen Unter- 
brechungen durch die Hochflächen reihen sich jenseits gegen Freuden- 
stadt und südlich gegen das Kinzigthal wiederum grofse Flächen 
an. Andre, doch weniger grofse Wäldergruppen bedecken die 
Höhenzüge und oberen Thaleinhänge auf beiden Seiten des Kinzig-, 
Elz- und Gutachthals und südlich desselben die Hochebene bei 
Yillingen bis zum Donauthal hin, mit nördlichen Ausläufern gegen 
das obere Neckarthal hin (Sulz, Oberndorf, Rottweil), als (Iber- 
gänge zur Rauhen Alb. Gröfsere und kleinere Gruppen begrenzen 
das Rheinthal südlich von Freiburg über den Schauinsland, Belchen 
und Blauen hinweg zmn Wiesenthal hin und umlagern nach allen 
Himmelsrichtungen den Feldberg, ziehen sich südöstlich desselben 
zum Wehra- und oberen Albthal hinab und erreichen jenseits des 
linken Ufers östlich von Bonndorf die Wutach als Grenze des 
Schwarzwaldes gegen den hohen Randen (Kanton Schaffhausen). 

Zwischen den gröfseren Wälderstrecken verteilen sich ins- 
besondere im südlichen Schwarzwalde zahllose Feld-, Wiesen- und 
Sumpfgehölze (Moose) über die Hochflächen und bebauten Thal- 
einhänge oder liegen zerstreut in den weiten flachen Hochthälern. 

Die grofsen Höhenabstände bis zur Baumgrenze oder Wasser- 
scheide, die Ungleichheit des (mäfsigeren) Gebirgsabfalls gegen 
Osten und Norden, teilweise auch gegen Westen, im Vergleich mit 
dem steileren Südabfall bewirken sehr grofse Verschiedenheiten der 
Lage, sowohl bezüglich der Wachstumsbedingungen als auch der 
Absatzverhältnisse, so dafs alle Gütegrade des Bodens, die mannig- 
faltigsten Bestockungsarten und die höchsten wie die niedrigsten 
Walderträge Vorkommen. 

Im ganzen gehören die Bergwaldungen Badens 
dem Hochgebirge etwa zu 15°/o 

„ Mittelgebirge (500 — 1000 m Meereshöhe.) „ „ 60 % 

den Vorbergen „ „ 25 °/o an. 

Im Württembergisehen bewegen sich die Meereshöhen zwischen 
400 und 1000 m. Ein mildes Klima haben nur die südlichen und 
westlichen Ausläufer des Gebirges ; das Mittelgebirge hat noch dem 
Holzwuchs günstiges, gemäfsigtes bis rauhes Klima, kurzes Frühjahr, 


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— 264 — 


unbeständigen, oft heifsen Sommer, beständigen, meist sehr schönen 
Herbst, langen, schneereichen Winter; auf den höchsten Höhen ist 
das Klima sehr rauh und läfst nur noch kümmerlichen Pflanzenwuchs 
zu. Bei weiterer Fassung der Gebietsgrenzen ist noch der reichen 
und mannigfachen Bewaldung zu gedenken, welche das Rheinthal 
vom Einlauf der Wutach bis zu jenem der Wiese (bei Basel), sodann 
abwärts etwa bis zur unteren Alb begrenzt oder inmitten des Rhein- 
thals die zeitweise nassen oder sumpfigen Mulden in ansehnlichen 
Komplexen, namentlich im Westen und Norden von Freiburg bis 
zum Elzkanal, einnimmt oder endlich unterhalb des Hochgestades 
den Rhein und seine Altwasser einsäumt und die zahlreichen Rhein- 
inseln begrünt. 

Die Bewaldung des Gebirges wie der weiten Rheinthalebene 
und der Stromufer erfüllt zwei bedeutende Aufgaben nebeneinander, 
welche sich nicht scharf scheiden lassen, von welchen aber bald die 
eine, bald die andre in höherem Grade empfunden wird: 

als Wirtschaftswald der Bevölkerung reichliche Bezüge für 
den Haushalt und für ihren landwirtschaftlichen Betrieb zu liefern 
und eine nachhaltige Quelle von Rohstoffen für viele und vielartige 
gewerbliche Zweige oder selbst eine Quelle des Arbeitseinkommens 
zu bieten; 

als Schutzwald die Bergkuppen, Hochflächen und Rücken zu 
krönen, das Quellengebiet vor gänzlichem oder zeitweisem Versiegen 
zu bewahren und eine gleichmäfsigere Quellenspeisung zu vermitteln, 
steile Einhänge zu befestigen und ihre Abrutschung zu verhüten, 
welche die Anfüllung der Flufs- und Bachbette mit Geschieben und 
häufige grofse Überschwemmungen zur Folge hätte, vom urbaren 
Land und den Wohnsitzen stürmische und trocken-kalte staubreiche 
Luftströmungen abzuhalten oder die Wirkung derselben doch zu 
mäfsigen, jähen Schneeabgang zu verhüten und dem verderblichen 
Abfluten und Auswühlen der Berghänge durch heftige, anhaltende 
Regengüsse mit dem reichen Blätterdach und dem dichten Wurzel- 
geflechte einen nachhaltigen Damm entgegenzustellen. Eine ge- 
schlossene Bewaldung in Verbindung mit einem sorglichen Uferbau 
hält verderbliche Ereignisse von gröfserem Umfang ferne, was bei 
den ganz aufserordentlichen Hochgewässern der letzten Jahre hand- 
greiflich hervorgetreten ist; die Wasser sind verlaufen, geringfügige 
Spuren der Überschwemmung oder Verschüttung sind zurückgeblieben, 
eigentliche Zerstörungen sind im Gebirge nur an einigen Wasser- 
läufen mit sehr nachgiebigem Boden bemerkbar geworden. 


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— 265 


Welchen Schmuck die prächtigen geschonten Bergwaldungen 
den vielen Bade- und Erholungsorten gewähren, welche Anziehungs- 
kraft und Wirkung sie auf die Tausende jährlicher Besucher üben, 
dafür bedarf es keiner Zeugnisse! 

d. Die Gebirgs- und Bodenarten des Waldes, ihre 
Gunst und Ungunst. 

Von den geognostischen Formationen des Schwarzwaldes haben 
nur wenige eine forstliche Bedeutung, in erster Reihe der Granit 
und Gneis nebst dem häufig nesterweis eingesprengten Porphyr, auf 
welchen (erstere zwei zu fast gleichen Teilen) etwa 67 °,o aller 
Waldungen auf badischer Seite stocken, in zweiter auf der Ostseite 
(von der oberen Wutach an gegen Norden sich immer breiter ent- 
wickelnd und die gröfsten Bewaldungsgruppen tragend) der Bant- 
sandstein mit 22 ° o, in Württemberg dagegen als Taggebirge, in 
westöstlich fallender Schichtung dem Gebirgsstock aufgelagert, weit- 
aus vorherrschend (etwa zu 80% der Waldfläche gegenüber von 
etwa 10% Urgebirge). Die übrigen 10 — 11 % verteilen sich auf 
Diluvialgebilde, das Totliegende, Muschelkalk, Jurakalk und Untere 
Steinkohle. 

Auf beiden Gebirgsseiten gedeiht zwar Laub- und Nadelholz 
auf Granit, Gneis und Porphyr gleich gut, jedoch nimmt ersteres nur 
40, das Nadelholz dagegen 60 % an Fläche ein ; auf dem Bunt- 
sandstein weicht ersteres noch mehr dem Nadelholz, so dafs 
das Flächenverhältnis 10 zu 90, auf dem Totliegenden 1 zu 2 be- 
trägt, während Muschelkalk, Jura und Diluvialgebilde das Laubholz 
begünstigen — 90 zu 10. 

Kräftige frische und bindige Böden mit den besten Standorten 
für die heimischen Holzarten liefert das Kleeblatt Granit, Gneis, 
Porphyr, wozu der grofse Quellenreichtum dieser Gebirgsteile noch 
viel beiträgt. Gute Waldböden liefert zwar der Buntsandstein, wenn 
er viele thonige Bindemittel hat, selbst für mehrere Laubholzarten, 
aber das Verwitterungsprodukt dieser Gesteinsart ist doch mineralisch 
ärmer, trockener, sandiger, verwildert und verhärtet leichter, bildet 
oft mächtige Fels- und Gescliieblager, unterliegt an den Hängen der 
Auswaschung und Yerheidung, auf den Hochflächen der Versumpfung 
und Vermoorung, sinkt daher bis zur völligen Ertraglosigkeit und 
bereitet dem Holzanbau viele Schwierigkeiten und Kosten. 

Im oberen Rheinthal herrscht das Schwemmland vom „Isteiner 
Klotz“, unterhalb Basel in zunehmender Breite der Entwickelung zu 
etwa 36 °.'o der ganzen Waldfläche, der Buntsandstein zu gleichem 


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266 


Prozentsatz in den Vorbergen an drei Orten: im vorderen Wiesen- 
thal, vom vorderen Elz- bis zum Kinzigthal und unterhalb der Murg 
bis zum Pfinzthal. Neben ihm und ihm aufgelagert nimmt hier der 
Muschelkalk im Waldgebiete noch 13, von ihm begrenzt das Ur- 
gebirge nebst Totliegendem gar nur 9, der Jurakalk 5°/o der 
Fläche ein. Jedoch sind die Böden der herrschenden Formationen 
hier meistens dem Holzwnchs günstige thonige Sand- oder sandige 
Thonböden, nur trocken und mager bei übertriebener Streunutzung 
(Rebgegenden !). 

e. Die Bestockung der Waldungen. 

Von den Hauptholzarten, welche die Waldungen im Südwesten 
Deutschlands bilden, herrschen im eigentlichen Gebirgsstoeke die 
Buche, Weifstanne und Fichte, bald die eine rein, bald zwei oder 
alle in allen Mischungsgraden vereinigt, weitaus vor. Auf gewissen 
Standorten mischt sich die genügsamere Kiefer ein oder ersetzt die 
andern Nadelhölzer, auf andern die Eiche und die Hainbuche, die 
Esche und der Ahorn, Erle und Birke. 

Wie der Name des Gebirges schon andeutet, hat von jeher 
Tanne und Fichte das Waldgebiet beherrscht. An den Gebirgs- 
ausläufern und am südlichen und westlichen Fufs des Gebirges be- 
haupten sich häufig unmittelbar über dem Reb- und Obstland die 
beiden Eichenarten, teils in reinen Horsten, teils untermischt mit 
der Weifstanne (ihr im Jugendwuchs voraus), der Buche uud Hain- 
buche oder Kiefer. Die Eichen gehen auf der Süd- und Westseite 
höher (550 — 600 m) als auf der Nordseite, einzeln noch bis zu 
700 m Meereshöhe. Die Stein- oder Traubeneiche wiegt gegen 
oben vor. Auf der Ostseite fehlen beide oder erscheinen vereinzelt. 

Unmittelbar über der Eiche oder mit ihr beginnt häufiger die 
Weifstanne als die Buche ; oft schon am Rand des Rheinthals, tritt sie 
als herrschende Holzart in grofsen reinen oder fast reinen Wald- 
beständen mehr im nördlichen Gebirgsteile als im südlichen auf, 
hier fast allein am Süd- und Westrande, im Norden auch tief im 
Gebirge (Kinzig-, Murg-, Oos-, Enz- und Nagold-, unteres Albthal). 
Bestandsweise tritt sie nur bis 1000 oder 1050 m, horstweise und 
einzeln bis 1300 m auf. Ihre besten natürlichen Standorte hat sie 
auf frischen Einhängen und in geschützten Mulden des Vor- und 
Mittelgebirges, wo sie in Mischung mit fast allen Holzarten gerne 
gedeiht und zu vollformigen starken Stämmen bis zu 48 m Höhe 
und 2,5 — 3 m unterer Stärke heranwächst. Da sie durchschnitt- 
lich alle zwei Jahre guten reichlichen Samen trägt, so verjüngt sie 
sich natürlich sehr leicht. Vermöge ihres Gebrauchswertes ist sie 


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— 267 — 

eine der wichtigsten Holzarten für die Nutzholzwirtschaft des 
Schwarzwaldes. 

Die Rotbuche folgt gewöhnlich auf die Weifstanne, zuweilen 
auch die Fichte in nassen Mulden, welche beiden ersteren zuwider 
sind. Die Buche beginnt ebenfalls oft am Fufse der Berge, häufiger 
über 450 — 550 m Meereshöhe, begleitet die Tanne überall gerne, 
überwächst sie in der Jugend meistens (wird aber später von ihr 
überholt) und erhebt sich mit noch gutem Wuchs über sie, etwa 
bis über 900 m im nördlichen, bis über 1200 m im südlichen Ge- 
birgsteil. ln der Massenerzeugung bleibt sie hinter der Tanne zurück, 
dient auch vorzugsweise als Brennholz. Sie ist viel gleichmäfsiger 
über das ganze Gebirge verbreitet. 

Auf die Buche folgt die Fichte, soweit nicht überschüssige 
Feuchtigkeit sie schon in geringerer Höhe begünstigt, als Haupt- 
holzart. des Hochgebirges. Sie beginnt seltener unter 600 m 
Meereshöhe, steigt aber mit der Tanne und Buche, dann in reinen 
Beständen höher an, im nördlichen Gebirge bis auf die Höhen, so- 
weit nicht die moorigen Standorte der Legforle sie ausschliefsen, 
im südlichen bis zu 1300 m und darüber (Belchen, Feldberg), als 
Krüppelwuchs noch höher. Im Vor- und Mittelgebirge kommt die 
Fichte in ihren Eigenschaften der Tanne gleich (hei schlankerer 
und abfälligerer Schaftform spältigeres und etwas weifseres Holz), 
leidet aber mehr von Windwurf und Schneebruch, von Insekten und 
Pilzen (Rotfäule). Durch ihren Anbau werden oft zur Vermoosung 
und Versumpfung geneigte Böden wieder für den Holzwuchs ge- 
wonnen, so dafs unter ihrem Schutz, sobald sie sich lichtstellt, auch 
die Weifstanne sich wieder ansiedelt. In höheren Lagen dagegen 
überbietet sie die Tanne durch ihren schöneren und besseren Wuchs, 
ihre gröfsere Länge und Schaftreinheit. EVst weiter oben, gegen 
die Grenze des Baiunwuchses oder an sehr freien Orten bleibt sie 
klein, zwergartig und auf der Wetterseite astlos (verpeitscht). 

Die gemeine Kiefer (Forle) zählt nur im nördlichen Schwarz- 
wald zu den Hauptholzarten, da sie nur auf Rücken und trockenen 
steinigen Südhängen durch ihren langsameren zäheren Wuchs wider- 
standsfähig genug gegen Schneebruch bleibt. Reine Kiefernbestände 
und Mischungen gedeihen am besten auf dem Buntsandstein, Muschel- 
kalk und Rotliegenden und sind wegen ihres vorzüglichen Holzes, 
dessen Wert und Preis jenen der Tanne und Fichte übertrifft, sehr 
erwünscht — auch deswegen, weil sie auf heifsen trockenen Böden 
und Südlagen einen Vorläufer imd Beschützer für die Tanne, Fichte 
und Buche bildet. 


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Schon an vielen Orten ist die Lärche seit etwa 100 Jahren 
durch Kultur eingebracht und zu schönen kleinen Bestandspartien 
erwachsen, l welche zuweilen (zum Beispiel bei Freiburg i. Br.) sich 
natürlich wieder verjüngen. Seltener, einzeln und in Gruppen kommt 
die Weymouthskiefer vor. 

Auf vermoorten Hochflächen und flachen Kuppen des nörd- 
lichen Schwarzwaldes bildet die Legforle reine und oft recht ansehnliche 
Bestände, am Rande und auf trockeneren Stellen mit Birken, Kiefern 
und Fichten gemischt; sie ist hier ein unentbehrliches Glied, ver- 
hindert die Verwehung des Schnees in die Einhänge und seinen all- 
zuraschen Abgang im Frühjahr. Im südlichen Schwarzwalde fehlt sie. 

Die höchsten Gebirgshöhen sind waldlos. Wo die Fichte ver- 
sagt, wächst auf den Sandsteinhöhen nur noch Strauchwerk von 
Birken, Mehl- und Vogelbeeren, sowie von geringen Weidenarten, 
dazwischen ein dichter Filz von Heide, Heidel- und Preifselbeeren, 
Farren und Moosen u. a. Auf den Urgebirgshöhen im Süden des 
Gebirges ist jedoch der Charakter ein ganz andrer, die Vegetation 
jene der unteren Alpenregion und als Viehweide benützt. Die Kuppe 
des Feldbergs, des höchsten Berggipfels, bildet die gröfste Weide 
dieser Art. 

Von den Nadelhölzern nimmt a. im badischen Schwarzwalde 


die Tanne, Fichte, Kiefer 

von der Waldfläche 32 25 5°/'o 

b. im oberen Rheinthal und in den Vorbergen 

von derselben 10 5 12°/o 

von den Laubhölzern nehmen in a. von der Waldfläche die 

Buche, Eiche, Esche, Ahorn u. a. ; Weichlaubhölzer 
27 8 3°/o 

in b. von der Waldfl. 32 28 13°/o 


ein. Im württembergischen Anteile wiegt das Nadelholz viel mehr 
vor, nämlich mit etwa 90°/o der Fläche, wovon auf die Tanne 
etwa 40, die Kiefer 30, die Fichte 20°/o entfallen, während die 
Buche (mit geringer Beimischung der Eiche, des Ahorns u. a.) nur 
knapp 10°/o, meistens als Beimischung, einnimmt. Noch sei erwähnt: 

Die Esche und der Ahorn werden als wertvolle gesuchte Nutz- 
laubhölzer mehr als früher zu begünstigen gesucht; beide gedeihen 
auf dem Buntsandstein jedoch nicht recht, desto besser auf den 
kräftigeren frischen Böden des Urgebirgs (sowie auf den kalk- 
haltigen Böden) bis in die Höhenlagen. 

Die .Ro£-(Schw arz -) Erle tritt zuweilen in reinen kleineren Be- 
ständen auf nassen Thalsohlen auf und hat hi neuerer Zeit wegen 

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ihres Nutzholzwertes, wie auch die ziemlich hoch hinaufsteigende 
Aspe (Zitterpappel) — als Papierholz — gröfsere Beachtung erlangt. 

Alle sonstigen Holzarten haben für die Waldwirtschaft wenig 
Bedeutung. 

Die von obigen Holzarten gebildeten Waldungen werden in 
Baden und Württemberg, soweit sie Staats-(Domänen-) Waldungen 
sind, im Gebirge (mit der geringen Ausnahme von höchstens 0,20 °/o 
Mittel- und Eichenschälwald) im Hochwaldbetriebe bewirtschaftet, 
welcher bei den Waldungen mit vorherrschender Weifstanne die 
dieser Holzart zusagendste Femel- oder Femelschlagform 6 ) hat und, 
weil von altersher gefemelt. wurde, meistens haben mufs, so namentlich 
im Kinzigthalgebiet und nördlich von demselben. 

In den Gemeinde- und Körperschaftswaldungen des badischen 
Schwarzwaldes herrschen zwar auf 95°/o der Fläche die gleichen 
Betriebsformen, aber doch ist bisher auf fast 5°/o in niedrigeren 
Lagen noch Mittelwald geblieben und etwas mehr Schälwald neu 
entstanden. In jenen Württembergs gebieten die Verhältnisse des 
Bodens und der meist höheren Lage sowie die dort mehr vor- 
herrschende Nadelholzbestockung mit wenigen Ausnahmen den Hoch- 
waldbetrieb. 

In den Vorbergen am Rande des Rheinthals und in demselben 
tritt der Hochwald etwas mehr zurück. Der Staat selbst besitzt in der 
Rheinthalebene von Freiburg abwärts bis unterhalb Lichtenau (bei Bühl) 
über 2800 ha Mittelwald und 142 ha Eichenniederwald und Weidenheger 
(sogenannten Faschinenwald). Um vieles gröfser ist aber hier der 
Besitz der Gemeinden und Körperschaften an Mittel-, Nieder- und 
Faschinenwald. Von der Grenze des Kantons Schaffhausen abwärts 
sind die äufseren Höhenzüge und die vorderen Einhänge der ein- 
mündenden Thäler vielfach mit Mittelwald bestockt, für welche sich 
die Böden des Muschelkalks, Oligo- und Mioeens, des Jurakalks, 
Diluviums u. a. meistens gut eignen. Auch unterhalb Basels setzen 

*) (Anmerkung der Redaktion.) „Ein Plänter- oder Femelwald fällt auch 
dem Unkundigen, sobald er sich einmal daran gewöhnt hat, in don regelrecht 
bewirtschafteten Beständen eine gewisse Gleichmäfsigkeit zu sehen, dadurch 
leicht auf, dafs er eben dieser Gleichmäfsigkeit seiner Zusammenholzung ent- 
behrt, im Gegenteil, auch wenn er ein ungemischter ist, ein zerrissenes Durch- 
einander von Bäumen aller Altersklassen und in den verschiedensten Ab- 
stufungen des Schlusses ist. Diese Beschaffenheit erhält der Plänterwald 
dadurch, dafs nicht nach einer gewissen Flächenreihenfolge (Schlagwirtschaft), 
sondern nach Bedürfnis bald hier, bald dort Bäume herausgeschlagen werden, 
was man pläntern nennt.“ S. Rofsmäfsler, Der Wald, 3. Auflage von M. Will- 
komm. Leipzig, Winter 1881. 


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270 — 


sich dieselben eine Strecke weit fort, treten dann um Freiburg 
(Mooswald u. a.), am Kaiserstahl, auf dem breiten Schwemmlande 
des Rheinthals bis zum unteren Albtbale in gröfserer Flächenent- 
wickelung auf. Sie umfassen eine ertragsfähige Gesamtfläche von 
21 220 ha. Zwischen ihnen, dem Hochwald und dem urbaren Lande 
eingestreut liegen aufserdem in vielen kleinen Stücken 465 ha 
Eichenschäl- und Buschwald. 

Der Mittelwald vergrößert sich noch in neuerer Zeit, nachdem 
die Rheinkorrektion durchgeführt und der Faschinenbau am Rheine 
und an seinen Seitenflüssen durch den Steinbau ersetzt ist, durch 
allmähliche Umwandlung der an und unter dem Hochgestade liegenden 
Niederwaldungen (bis zur Alb bei Karlsruhe im ganzen 5500 ha). 

Der Mittel- und Niederwald nimmt also in diesem Gebiet schon 
einen ansehnlichen Prozentsatz der Waldfläche ein: beim Domänen- 
wald schon fast 15, beim Gemeinde- und Körperschaftswald aber 39°/o. 

Je nach ihrem Standorte zeigen sie ein grundverschiedenes 
Waldbild. Auf den Vorbergen bilden die Eiche, Esche, auch Hain- 
und Rotbuche, beide Ahorne, seltener die Linde, Elzbirne u. a. 
das Oberholz, Stockausschläge der Buche und Hainbuche, Hasel, 
Hartriegel und andre Sträucher das Unterholz; Aspe und Birke 
drängen sich als Anflug ein; die Kiefer rnufs die Lücken auf ver- 
armtem Boden decken. Im Rheinthale bildet die Schwarzerle mit 
der Esche auf nassen Böden ziemlich ansehnliche reine Bestände; 
auf Kies- und Sandboden hat die Weifserie, Birke, Schwarz-, Silber- 
und Zitterpappel nebst den bescheideneren Weidenarten, Schwarz- und 
Weifsdorne u. a. dürftigen Wuchs und Stand; auf tiefgründigerem 
feuchtem Schlammboden (Auboden) dagegen bilden Eiche, Esche, 
Rot- und Weifsulme, Ahorn, Hainbuche, Mafsholder, Wildobst, 
Baumweide, Silberpappel u. a. Oberholzgruppen von dichtem üppigem 
Wuchs, nur in den Lichtungen mit kräftigem Stockausschlag. 

Der Privatwaldbesitz ist im Rheinthal ganz unbedeutend und 
meistens nur Buschwald. 

Den Zustand der Waldungen sucht die neuere Forstverwaltung, 
soweit die äufseren oder inneren Verhältnisse es früher nicht erlaubt 
hatten, mit allen Mitteln des Wissens und Könnens der Vollkommen- 
heit und höchsten Einträglichkeit entgegenzuführen. 

Die Staatsverwaltung ist bestrebt, den eigenen Besitz als 
Musterbild für die übrigen Waldbesitzer zu gestillten und wo durch 
Kauf und Tausch bisher verwahrloste Flächen des Privatbesitzes 
behufs der Abrundung der Grenzzüge und Herstellung grofser Wald- 
komplexe erworben werden, dieselben möglichst bald durch fleifsige 


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— 271 — 


Kultur in besseren Stand zu bringen. Das Forstgesetz von 1833 hat 
ihr aber auch die Befugnis verliehen, für die Gemeinde- und Körper- 
schaftswaldungen eine technische Verwaltung unter ihrer steten Auf- 
sicht zu bestellen, welche nach gleichen Wirtschaftsgrundsätzen wie 
beim Staatsbesitz zu verfahren hat. Infolgedessen ist nach vollen 
50 Jahren der forstpolizeilichen Leitung und Aufsicht — soweit 
nicht bisher unabstellbare Bräuche uud Übungen (z. B. Streunutzung !) 
entgegenstanden — ein nicht minder günstiger gedeihlicher Wald- 
zustand eingetreten. 

Nicht ganz so günstig — wenigstens nicht überall — ist der 
Privatwald beschaffen. In manchen Gegenden hat. die allzugrofse 
Besitzzersplitterung ihre ungünstigen Folgen nicht verfehlt und einen 
höchst ungleichen Zustand herbeigeführt. An andern Orten hat 
der geschlossene Güterbesitz zwar vielfach die Walderhaltung be- 
wirkt, aber auch oft Verschuldung und geringer Güterertrag die 
Besitzer verleitet, durch beharrliche Überhiebe den Wald in bedenk- 
lichen Zustand zu versetzen. Der Privatwald, oft auch ganz grund- 
satzlos und ohne alles Verständnis behandelt, stellt daher eine 
Musterkarte aller Waldzustände dar, vom pfleglich erzogenen, mit 
Vorliebe und Sachkunde behandelten Hoch- oder ausgeprägten Femel- 
wald bis zum Krüppelbestand und verwilderten Buschwald. 

Soweit regelmäfsige Formen beim Privatwalde wahrnehmbar 
sind, ist der Hochwald entweder ein aus natürlicher Verjüngung 
entstandener, aus allen Alterstufen bunt gemengter Femelwald von 
Tannen und Fichten (mit untergeordneter Beimengung der Buche, 
Kiefer, des Ahorns u. a.) oder ein weniger ungleichaltrig erwach- 
sener Buchwald mit Nadelholz oder ein gleichaltrig aus Saat oder 
Pflanzung entstandener Fichten-, seltener Kiefernwald. 

Der Niedericald ist ebenfalls in drei Hauptformen vertreten, 
entweder durch Kultur auf bisherigem Reut- oder Brachfeld (oder 
Waldblösen) erzogener Eichenschälwald oder aus dem Reutfeld (nach 
ein- oder zweijährigem Prachtbau und mehrjährigem Waidgang) 
erwachsener Buschwald von Eichen, Buchen, Birken, Haseln u. a. 
mit Nadelholzanflug oder durch Abtrieb von Buchenhochwald ent- 
standener Niederwald mit Anflug von Birken, Aspen, Nadelholz. 

2) Die Forstwirtschaft. 

/ 

a. Die herrschenden wirtschaftlichen Grundsätze. 

Seitdem eine regelmäfsige wirtschaftliche Behandlung und Be- 
nutzung der Waldungen im Schwarzwalde im Gang ist, haben 
dieselben meistens als Handelswald gegolten; es war demnach die 


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— 272 — 

Erziehung von Starknutzholz, nach welchem von jeher die gröfste 
Nachfrage herrschte und welches die Erhaltung als Hochwald und 
einen höheren Umtrieb bedingte, die Hauptaufgabe, denn Kleinnutz- 
holz lohnte den weiten Transport zum Markte nur insoweit, als es 
beigefügt in geringerer Menge das Starkholz begleitete und zum 
Herrichten der Flöfse nötig oder erwünscht war. 

Zwar sind auch die Brennholzpreise des Hartlaubholzes noch 
ganz ansehnliche (z. B. im Vergleich mit dem Mittel- und Nieder- 
rhein sogar sehr hohe), weil die fossile Kohle durch die Fracht bis 
in die Thäler hinauf noch zu theuer ist, die Heizeinrichtungen und 
die Gewohnheit das Brennholz begünstigen und das Bürgergabholz 
zum Beharren ermuntert. Jedoch entspricht offenbar eine Ausdehnung 
der Nutz- und Bauholzzucht der Entwickelung von Gewerbe und 
Handel am besten und stellt die gröfste Steigerung des Waldertrags 
in Aussicht. Die fernere Erhaltung der vielen noch vorhandenen 
reinen Buchenwaldungen, welche der Vernachlässigung der andern 
Holzarten bei und nach den Verjüngungshieben ihr Dasein verdanken, 
wäre keinesfalls gerechtfertigt. Die Buche verbreitet sich im ganzen 
Schwarzwalde von Natur sehr leicht zu Ungunsten von Tanne und 
Fichte, welche doch einen viel gröfseren Zuwachs und Preis haben. 

Nach seitheriger Erfahrung liefert nämlich bis zum Alter von 
100 Jahren 


! 

auf bestem i 

mittlerem j 
Standort 

geringstem 

1 

oberirdische Holzmasse in cbm 
auf 1 ha 

die Tanne 

1060 

730 

455 

„ Fichte ' 

1100 

750 

470 

„ Buche 1 

660 

465 

290 


letztere also nur 0,6o bis 0,64 des Erwachses der beiden 
Nadelhölzer, 

die Kiefer 800 525 285 

also in besseren Lagen ebenfalls mehr als die Buche. 

Aufserdem vermochte man bisher nur die bestwüchsigen 
schweren Buchenstämme in beschränkter Menge, (zu 5 — 10°/o des 
Gesamterwachses) zu gutem Preis (12 bis höchstens 20 Jk pr. cbm) 
abzusetzen, das übrige Stammholz mufste zu Brennholz aufbereitet 
werden und erzielte nur einen Durchschnittspreis von 8 bis 10 Jk 
vom Ster (d. i. 4 — 14.3 Jk pr. cbm) innerhalb des Schwarzwaldes. 


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— 273 — 


Dagegen liefsen sich vom Nadelholz 60 bis 75°/o als Nutz- oder 
Bauholz leicht absetzen und erreichten als 

schwaches Stammholz Preise von 7 — 12 Jk. 

starkes „ „ „ 13—22 „ 

Sägholz im Gebirge „ bis zu 24 „ 

Viel Tannen- und Fichtenholz, welches früher zu Brennholz 
aufgearbeitet werden mufste, ist seit einiger Zeit zur Fabrikation 
von Holzpapierstoff sehr begehrt. 

Aber auch die Durchforstungen liefern eine Menge zu ähn- 
lichen Preisen verwertbarer mannigfacher Stangensortimente vom 
Bohnenpfahl und Rebstecken bis zur Bauholzstange, welche sich im 
Buchenwalde nicht gewinnen lassen. Durch einen rationellen Betrieb 
und sorgfältige Sortierung läfst der Ertrag der Nutzholzwirtschaft 
sich noch weiterhin im Massen- und Geldertrag steigern, während 
bis heute für Buchenwirtschaft eher ein Rückgang als eine Steigerung 
anzunehmen ist. 

Man wird deswegen die Buche niemals ganz aufgeben können, 
da ihre Beimischung zum Nadelholz den Wuchs des letzteren fördert 
und die grofsen Gefährdungen, welchen die reine Nadelholzwirtschaft 
durch Wind, Schnee, Feuer, Insekten und Pilze ausgesetzt ist, ver- 
mindert und fernhält. 

Die vorhandenen Holzarten werden also nur in ein günstigeres 
sicherndes Mischungsverhältnis zu bringen sein. Das Nadelholz be- 
günstigt man entweder w'ährend der natürlichen Verjüngung oder 
auf dem Wege der Saat und Pflanzung, auch durch Aushieb vor- 
wüchsiger Buchen bei den Schlagreinigungen und Durchforstungen. 
Für die Art der Bewirtschaftung ist einerseits das natürliche Ver- 
halten der vorhandenen Holzarten und der derzeitige Waldzustand 
auf den verschiedenen Standorten der Hoch- und Tieflagen mafs- 
gebend, anderseits die Absatzlage, und der Bedarf des Eigentümers 
an Walderzeugnissen. Durch die Holzarten und die Gebirgslage ist 
für weitaus die meisten Waldungen der Hochwaldbetrieb vorge- 
zeichnet, welcher jedoch schon mehrere Stadien durchlaufen hat und 
noch in einer grundsätzlichen Durchbildung begriffen ist. 

In den Nadelholzwaldungen war die Nutzholzwirtschaft durch 
Femeln früher fast allgemeine Regel. Dies war nicht gerade da- 
durch bedungen, dafs man stets dem stärksten, weil wertvollsten 
Stammholze nachging und hierzu grofse Waldflächen auf einmal dem 
Durchhieb unterzog, oder in bestimmten Zeitabständen an dieselben 
Orte zurückkehrte, — vielmehr verlangte der Bau der Langholz- 
flöfse Stämme verschiedener Länge, und Stärke und nicht minder 

Geograph. Blätter. Bremen. 1887 20 


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— 274 


begehrten die Grofshändler wie die Bauleute gleichzeitig mannig- 
faltige Holzsorten, zum Beispiel wie sie für ein grofses Schwarz- 
wälderhaus nötig waren. Dieses Durehfemeln hatte auch für den 
Wald und seinen Besitzer grofse Vorteile: dichte Bestände wurden 
durch lichtere Stellung wüchsiger, kranke und beschädigte Stämme 
entfernt, dem natürlichen Anwuchs durch Aushieb starkkroniger 
Stämme Licht und Luft geschafft, frohwüchsige schwächere Stämme 
in freiere Stellung gebracht, um sie zu stärkeren wertvolleren Sorten 
erwachsen zu lassen. Diese Wirtschaftsweise ist an vielen Orten, 
namentlich im Privatwald, bis heute in Übung geblieben, deim sie 
gewährt auch für kleineren Waldbesitz einen gleiclimäfsigeren und 
häutiger wiederkehrenden Ertrag und steigert den Zuwachs der 
Bestände auf einen Höhegrad, welchen der strenge Hochwaldbetrieb 
mit seinen gleichalterigen geschlossenen Beständen nicht zu erreichen 
vermag und ist von Sturm und Insektenbeschädigungen viel weniger 
bedroht. Aber sie verlangt tüchtige orts- und sachkundige Holz- 
hauer. Nicht selten liefsen schon vor vielen Jahren die Waldbesitzer 
Bäume erklettern, um durch Messung ihrer Stärke in einer gewissen 
Baumhöhe zu erfahren, ob das Mafs für das wertvollste Stamm- 
sortiment erreicht sei, oder wie viele Jahre der Baum hierfür noch 
stehen bleiben müsse. 

Waren die meisten Bäume eines Bestandes haubar geworden, 
so trat auch der völlige Abtrieb, mit Ausnahme jüngerer, noch nicht 
nutzbarer Stämme ein, welche letztere als Waldrechter in den jungen 
Bestand einwuchsen. Auch hier blieb der Natur in der Regel die 
Wiederbesamung der Schläge überlassen, wie es noch manchmal ge- 
bräuchlich. In Buchenbeständen pflegte man gleichfalls schlagweise 
Hiebe mit Überhalten von mehr oder weniger Samenbäumen zu führen. 

Da bei diesen Hiebsweisen durch sorglose Behandlung und 
Unterlassung der Nachzucht manchen Waldungen Rückgang drohte, 
so ging die Forstverwaltung davon ab; (es untersagte sogar eine 
Bestimmung im Forstgesetz von 1833 die Femelwirtschaft allgemein) 
und ging zum geregelten Hochwaldbetrieb über. Dieser bildete aller- 
dings eine Stufe zu besserer wirtschaftlicher Ordnung und blieb 
einige Zeit in Anwendung, obgleich viele Gemeinden sich entschieden 
dagegen auflehnten und über die'grofsen pekuniären Nachteile klagten, 
welche er veranlafste. Dieses ist erklärlich. 

In einem Femelwalde sind die nutzbaren Althölzer über die 
ganze Fläche verteilt. Beginnen nun die Hiebe an einem Ende und 
rücken während eines ganzen Umtriebs von 100 oder 120 Jahren 
bis zum andern Ende langsam fort, so müssen die Jahresnutzungen 

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— 275 — 


auf kleinerer Fläche auch auf jüngere noch hiebsunreife Stämme sich 
ausdehnen, während viele Stämme im übrigen Walde überhaubar, 
krank und abgängig werden und unter ihrer breiten Krone der junge 
Nachwuchs. verkommt. Der Verlust ist also ein dreifacher imd sehr 
empfindlicher. 

Während der längeren Durchführung des strengen Hochwaldes 
konnten diese und andre Erfahrungen (zum Beispiel unnötige Steige- 
rung der Kulturkosten) nicht ausbleibeu. Man mufste wieder ein- 
lenken und gelangte zum Hochwald mit verlängertem Verjüngungs- 
zeitraum oder „Femelschlagbetrieb“. 

Die Weifstanne bedurfte mehr als die Fichte grofse Zeiträume, 
die gröfsten auf geringerem Boden und in den rauheren Hochlagen, 
damit man die Anwuchshorste freistellen, den geringeren Hölzern des 
Femelbestandes Zeit zum Heranwachsen und Samenansatz im Licht- 
stande lassen und zugleich den jungen Pflanzen in ihrem langsamen 
Wuchs noch Schutz und Seitenschatten gegen Frost und Hitze geben 
konnte. Solchen Beständen sind zur vollständigen Verjüngung und 
gleichzeitigen Erstarkung mindestens 30 Jahre nötig, in sehr rauhen 
Lagen, an Felshalden und steilen Wänden noch mehr. Dabei müssen 
noch die Nadelhölzer vor Überwachsen durch die Buche bewahrt 
und durch einige Nachkultur ergänzt werden. Wo die Bestände 
gleichförmiger erwachsen, Boden und Lage besser sind, genügen 
25 — 30 Jahre; wo die Buche vorherrscht, auch 20 Jahre. 

Man hielt dabei an Umtrieben von 100 Jahren beim Vor- 
herrschen der Buche, von 120 Jahren bei Tannen und Fichten fest, 
weil sie dies Alter erreichen müssen, um zu den meistbegehrten 
und bestbezahlten Sortimenten zu erwachsen. Viele empfindliche 
Nachteile sind dadurch gemindert, aber nicht gehoben ; durch die 
beweglichere Wirtschaft manche Vorteile erreicht, aber jene eines 
durchdachten fleifsigen Femelbetriebes sind gröfser und entsprechen 
den örtlichen Verhältnissen besser. Es hat seine guten Gründe, 
welche auf alter Erfahrung beruhen, dafs man nicht überall oder 
nur vorübergehend sich vom Femelbetrieb abgewendet hat. Die 
Verteilung der Holzhiebe in solcher Reihenfolge und Ordnuug, dafs 
binnen 10 bis höchstens 20 Jahren die nämlichen Hiebsorte wieder 
erreicht werden, läfst jeweils die nutzbaren stärksten Stämme aus- 
wählen, die kranken und schadhaften entfernen, heranwachsende 
dichte Baiungruppen durch Lichtung im Wüchse fördern, dem jungen 
Nachwuchs durch Aushiebe oder Aufastung überschattender Stämme 
aufhelfen, Lichtungen und Blösen auspflanzen, — so dafs stets ein 
voller, gesunder Wuchs hergestellt und ein voller Erlös aus den 

20 * 


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Hiebsmassen erzielt wird. Da die wiederkehrende Freistellung den 
Höhen- und Stärkewuchs namhaft fördert, so brauchen viele Stämme, 
namentlich auf gutem Boden und in geschützter Lage, nur ein ge- 
ringeres Hiebsalter (von 90 — 100 Jahren) und kranke oder be- 
schädigte Stämme, vor allem die krebsbehafteten, braucht man nicht 
in langer Hiebsruhe stehen zu lassen, wie beim Femelschlagbetrieb. 

Ausgeschlossen ist es bei beiden Wirtschaftsverfahren nicht, 
gleichaltrig erwachsene Fichten- oder Kiefernpartien auf nassem oder 
sehr trockenem Boden zugleich oder binnen weniger Jahre abzutreiben 
oder durch Nachkultur zu verjüngen. 

Noch gehen die Ansichten der Schwarzwald-Forst wirte aus- 
einander und die Untersuchungen dauern fort, weisen jedoch auf 
Erfolge des Femelbetriebs hin, welche bei der Schlagwirtschaft nicht 
Vorkommen. 

Im württembergischen Schwarzwalde namentlich sträubt man 
sich gegen den Femelbetrieb und neigt zu rascher Verjüngung hin ; 
doch läuft dabei, da 1 — 25jährige Vorwuchsgruppen benutzt werden, 
einige Selbsttäuschung über die Verjüngungsdauer unter. 

Die Zwecke des Eigentümers müssen mitsprechen, wie in der 
Bevorzugung einer Holzart vor der andern. Die Tanne, z. B. er- 
wächst in höherer Lage kurzschaftiger, rauhborkiger und ästiger 
als die Fichte, mufs also gegen oben mehr zurücktreten. Die Buche 
ist wetterbeständiger, bildet ein dichtes Blätterdach, deckt den 
Boden besser, erhält ihn und die Waldluft kühler und frischer. Die 
Gemeinden sollen ihrer Bürgerschaft als Gabholz gutes Brennholz 
für ihren Hausbedarf verabreichen, aber auch aufserdem Stammholz 
für Neubauten, Reparaturen und (in den Vorbergen) zu Rebpfählen 
für ihren Weinbau. Wegen dieser Vielheit der Ansprüche sagt vielen 
Gemeinden der Vorberge und des Rheinthals noch der Mittelwald 
mehr zu, welcher auf besseren Böden einen oft reichhaltigen Oberholz- 
vorrat an Laubhölzern, auf Bruchböden raschwüchsige Erlen und 
Eschen, auf Sand- und Kiesboden Pappeln, Birken, Weifserien, auch 
Kiefern als Oberholz liefert, im Wechsel mit Niederwaldpartien von 
Weiden, Weifserien, Strauchholz und Dornen, also sehr vielerlei Be- 
dürfnisse aus kleinen Waldflächen deckt. Der Staat, Körperschaften 
(Kirchen, Schulen, Spitäler u. a.) und Grofsgrundbesitzer gehen, 
soweit nicht Stiftungszwecke oder Berechtigungen andres fordern, 
dem gröfsten Ertrage nach ; doch soll der Staat auch die wachsende 
Industrie berücksichtigen. Nur wenige Gewerbe fragen noch nach 
Brennholz. Spalt-, Schnitt- und Bauholz stehen in allererste Reihe. 


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— 277 — 

• 

Eine andre Nachfrage ist jene nach Gerbrinde von Fichten 
und Eichen. Erstere bedingt keine besondere wirtschaftliche Rück- 
sichten, anfser etwa Verkürzung des Hiebsalters, weil 60 — 80jährige 
Stämme die beste Rinde liefern, und Hieb zur Saftzeit. Die klima- 
tischen Verhältnisse gebieten aber ohnehin im Schwarzwalde den 
Sommerhieb, d. h. die Holzhauerei beginnt im Juni und endigt mit 
dem Oktober. 

Die Eichenrinde wird teils im Reutfeld-, teils im Schälwald- 
betriebe gewonnen (auch aus jüngeren Hochwaldbeständen heraus- 
geschält). ln ersterem, lauter Privatbesitz, zu Bauerngütern gehörig, 
ist 12 bis 18 Jahre nach dem ein-, selten zweijährigen Fruchtbau und 
mehrjährigem Beweiden das Reutfeld mit Stockausschlägen der Eiche, 
Birke, Hasel u. a. und Anflug von Nadel- und Weichholz bedeckt ; 
die Eichenausschläge werden geschält, die Schälprügel und andres 
stärkeres Holz speisen Ofen und Herd, das Reisig und Strauchholz 
wird entweder über die Fläche verteilt und angezündet (Flammfeuer) 
oder in Langhaufen zusammengezogen und unter einer Rasen- und 
Unkrautdecke verbrannt (Schmodfeuer), worauf die ganze Fläche 
gehackt und angesäet wird. Da die Fruchtpreise seit langer Zeit 
nicht gestiegen sind, dagegen in hohem Mafse die Arbeitslöhne, so 
kann nur eine gute Ernte noch einigen Ertrag erzielen. Deswegen 
sind schon viele Reutfelder zu Eichenschäl- oder Nadelwald auf- 
geforstet. 

Die Mineralgerbung und ungünstige Zeitverhältnisse haben 
jedoch die Rindenpreise gedrückt und die Umwandlung aufgehalten. 

Der Eichenschäl wald desSchwarzwaldes hat eine Eigentümlichkeit 
darin, dafs die Rinde im s. g. Stehendschälen gewonnen, am Stamme 
hängend an der Luft getrocknet und dann zu Langgebunden auf- 
bereitet wird. Bei günstigen Rindenpreisen (6 und mehr Mark vom 
Zentner) ist der Ertrag des Schälwaldes, welcher einen einjährigen 
landwirtschaftlichen Zwischenbau nicht ausschliefst (aber die Weide) 
mindestens der zwei- bis dreifache wie beim Reutfeldbetrieb. 


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— ;278 — 

Die Landschaft Dawan oder West-Timor. 


Ethnographisch«! Mitteilungen von I)r. J. («. F. Riedel, 

Resident n. D. in Nicdcrländisch-Ostindien. 

(Vortrag, gehalten in der fiO. Versammlung deutscher Naturforscher und Arzte 
in Wiesbaden, September 1887.) 

Hierzu Tafel 4 : Karte eines Teils der Insel Timor zur Veranschaulichung der 
Reiseroute des Verfassers im Jahr 1879, Mafsstab: 1:1 000 (XX). 


Götter und Geister. Glauben an eine Seelenwanderung, nitu, der Geist 
der Abgeschiedenen. Opfer und Opfcrstiltten. Verkehr der Lebenden mit den 
Abgeschiedenen im Traume. Gottesgerichte. Heirat. Werbung. Freie Wahl. 
Mitgift. Hochzeitsgebräuche. Frühe Eheabschlüsse bei Vornehmen. Ehescheidung. 
Gründe und Folgen solcher. Schwangerschaft und Geburt. Gebräuche nach der 
Geburt eines Kindes. Beschneidung. Tättowiren der Frauen. Tod und Begräbnis. 
Das Totenfest. 

II. 

Die Timoresen verehren den usnmo, oder usi neno, Herr des 
Himmels, den dapa, das Himmelsgewölbe, und den loro nai maromdk, 
grofse Sonne, oder den Geist, der seine Kräfte als männliches Prinzip 
in der Sonne offenbart, und beim Eintritt des Westmonsuns die 

uspaha, Herrin der Erde, die dale Erde, oder die rai liurai, Geist, der 
allüberall auf der Erde Einflufs ausübt, befruchtet. Den ersteren werden 
männliche Tiere, am liebsten roter Farbe, den letzteren weibliche 
Tiere, welche schwarz sind, geopfert, envua, um Glück, Reichtum, 
Schutz u. a. zu erlangen, nachdem aber zuvor der Opferer eine 
Handvoll ungekochten Reis gestreut hat. Den ersteren kann man 
allüberall, am liebsten aber auf hohen Bergen, den letzteren an 

bestimmten Orten, seine Verehrung darbringen. Weiter verehren sie 
den nitu, den durch den Tod aus dem Körper sich entfernenden 

Geist, neo, srnanav, smanan oder smanalc, welcher sich teils in der 
Erde, bei uspaha, auf den Gräbern, in Steinen und Brunnen, in den 
Wäldern, auf den Bergen Lakaan und Mutis, wie auch in den 

Wohnungen der Verwandten in der Mitte des Hauptpfahles, nii, im 
Hause, auch oft in einem kupfernen Musikbecken, send, Schwert, 
suni, oder Pike, anni, aufhält. Andre nitu nehmen die Gestalt 
wilder Schweine, Hirsche und Bienen an, das letzte thun speziell 
diejenigen, welche im Kriege gefallen sind, um auf der Erde frei 
umher zu wandern. Die bei uspaha wohnenden nitu zerfallen wieder 
in männliche, atona mona, und weibliche, biveel, deren Nachkommen 
die leu pah, zu Myriaden im Luftraum schweben, so dafs man, wie 
geglaubt wird, bei irgend einer Bewegung des Körpers einen von 
ihnen notwendig treffen mufs. Nach ihrer augenblicklichen Laune 


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— 279 — 


sind diese nitu gut, leko oder böse, kanlvkov. Sie heifsen auch nitu 
pah, Geist Erde, im Gegensatz zum nitu smanav, Geist des lebendigen 
Menschen. Übrigens ist die Lebensweise der nitu eine Wiederholung 
der heutigen. Die a taut oder hoaiig sind alte Leute, die als böse 
Geister betrachtet werden, und deren Sinnen und Trachten darauf 
gerichtet ist, den smanav des Menschen zu schaden, indem sie als 
Schatten, mukmi, in den Körper hineinschleichen. Oft nehmen sie 
auch die Gestalt der Nachteule, kakunk, an, eines des Gesandten 
des uspaJia, um so den Menschen irre zu führen. Die nitu der in 
partu verstorbenen Frauen irren allüberall umher, und werden manu 
maromdk oder kolo samaan, heilige, göttliche Vögel genannt. Sie 
gehören auch zu den bösen Geistern und verfolgen die Männer, weil 
diese die Ursache ihres Todes sind. Sie überfallen die Wöchnerinnen, 
um Schicksalsgefährten zu haben und werden /leshalb, um sie zu 
befriedigen oder ihnen zu schmeicheln, manu niaromak genannt. Alle 
Krankheiten, welche nicht durch Ansteckung oder Erblichkeit ent- 
stehen, werden dem uspaha, nitu, Im pah kanlekov und alaut zuge- 
schrieben, zur Strafe für Beleidigungen und schlechte Nahrung, für 
das Töten von Hirschen, von wilden Schweinen, in welchen die nitu 
provisorisch sich aufhalten — und für den Verkauf der Musikbecken, 
Schwerter und Piken, worin ein nitu sich niedergelassen hat. Die 
Opfer vua an usi neno und uspaha, gebracht beim Brunnen oel, 
heiligen Steinen, vatu oder ume Im, auch vat luli genannt, sowie an 
den übrigen Stellen, wo die nitu angetroffen werden, bestehen vor- 
wiegend aus Tieren, deren Blut, in welchem die Seele anwesend ist, 
von den Geistern so sehr geliebt wird. Der sogenannte Geistliche 
menane oder atoni ahinet, gewöhnlich ein Mann, der das »«/«-Dogma 
ausbeutet, und bei Amtsgeschäften immer im Kriegsgewand steckt, 
ruft bestimmte Geister an, welche er bei Namen kennt und murmelt 
sein Verlangen flüsternd, kukusu, weil es nicht erlaubt sei, dafs ein 
dritter die Sprache der nitu hört. Ist man durch arnnane oder 
Zauberei zur Gewifsheit gekommen, dafs usneno eine Krankheit 
verursacht habe, usneno narnaut anmöe menas, dann schlachtet der 
Geistliche ein rotes männliches Schwein, schneidet demselben das 
rechte Ohr, lukenleu, ab, stellt sich unter den freien Himmel, streuet 
Reis um sich her, hebt das abgeschnittene Ohr empor und fleht 
um Verzeihung, touti arnpo. Den nitu der Ahnen, hoaina nok lioama, 
Mutter und Vater, werden auf gleiche Weise ein rotes Schwein oder 
ein Hund geopfert an den Orten , wo dieselben sich auf halten. 
Dem uspaha wird gewöhnlich ein schwarzes Huhn geopfert. Die 
Opferstätten, wo man die Geister anruft, songgo, heifsen Ich ode 


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280 — 


ume soiu/go nitu und sind kleine Schuppen mit Kokos- und andern 
Palmblättern, mit Schädeln von Menschen und Büffeln geschmückt. 

In den Dörfern findet man bisweilen diese Schuppen. An Orten, 
wo ein Unglück passiert ist, wird zu bestimmten Zeiten Reis gestreut. 

Fliegt während einer Feierlichkeit der Vogel kotkotos vorbei, dann 
ist der nitu in Anzug. Schlangen, samea, Schmetterlinge, babebal, 
und teki, Eidechsen, sind gleichfalls Gesandte der nitu. Kriecht eine 
Schlange quer über den Weg, so ist das ein Wink der nitu, nicht 
fortzufahren. Kommt ein Schmetterling in die Nähe irgend einer 
Person geflogen, so ist dieses ein untrügliches Zeichen der nitu, 
dafs es derselben Wohlergehen wird. Das Geschrei der Eidechsen 
bedeutet, dafs einer von den Hausgenossen sterben mufs. Im 
Traume, namnau, pflegen die suutnnv, Geister der lebendigen Menschen, 
Gemeinschaft mit den nitu. Es ist deshalb verboten lull, nanuni 
oder pamali, einen Schlafenden auf rohe Weise zu wecken. Wird 
dieses gethan, so verirrt sich der sinanav vielleicht und wird als 
Fremder im Luftraum von den älteren nitu ergriffen. Bei Ohnmacht, 
Apoplexie, Epilepsie, welche sehr häufig vorkommt, und andern hypno- 
tischen Erscheinungen verläfst. der smanav gleichfalls den Körper. Um 
die Zukunft zu prophezeien, untersucht und prüft man die Eingeweide 
einer jungen Henne, antaemanu taie, oder die Lebereines Schweines, 
antae ate vavi, auch wird eine Pike geklaftert, ote naus, in eine 
Ing wer wurzel gebissen, lau hau, oder ein Ei geschlagen, tolo manu 
tekok. Um bei Diebstahl oder andern Verbrechen die Wahrheit zu 
ergründen, braucht man Ordalia. Man läfst die betreffenden Personen 
einen Stein, vatu, mit der Rechten aus siedendem Wasser, oel loto, 
herausholen — ungekochten Reis kauen, mua weites, oder ein scharf- 
geschliffenes Schwert festhalten, indem schon vor der Probe Reis 
umhergestreut war. Der Schuldige mufs dann die Hand verbrennen, 
den Reis im Munde nicht fein kauen können, und in kurzem ver- 
wundet werden. Ehemals pflegte man bei der Leistung des Eides 
suub sonyyo uspaha, zuerst Reis auszustreuen, um darauf unter An- 
rufung des uspaha ein wenig Erde zu essen. Jetzt geht die An- 
rufung vor sich, indem man ein wenig „schwarzes Salz“, wie die 
Timoresen das Schiefspulver nennen, in Arrak, worin auch eine 
Kugel gelegt ist, trinkt und usi netto anruft. Vermöge Gegenopfer, 
sita suub hetleo, können jedoch alle Eide kraftlos gemacht werden. 

Wenn ein Jüngling, atoni muniv und eine Jungfrau, biveel muniv, 
übereingekommen sind, einen eigenen Herd zu ‘gründen, dann ent- 
schliefsen sie sich, sich zu heiraten, sau oder matsao. Der Jüngling 
bietet der Jungfrau in Gegenwart ihrer Eltern einen gefüllten Betel- 

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— 281 


kocher, santpi oder takan bun an. Nimmt sie daraus einen pinang, 

Arekannfs und ein (Stück Sirih, Betelfracht, HP ist dies ein Zeichen 
ihrer Zustimmung. Sie überreicht hernach ihren Eltern den Kocher, 
welche damit zufrieden sind, da die Wahl der betreffenden Personen 
bei der Heirat alles entscheidet. Die Eltern setzen weiter die 
Brüder oder Schwäger von der Werbung in Kenntnis, welche als- 
dann die Heiratsangelegenheiten ordnen, weil dieselben über die 
Jungfrau mehr Macht und Einhafs haben, als die Eltern. Falls 
Brüder oder Schwäger ungeneigt sind, ihre Zustimmung zu geben, 
versuchen die Eltern die Schwierigkeiten zu beseitigen. Bestehen 
keine Bedenken, so werden die jungen Leute sogleich in ein Gemach 
eingesperrt, halor daluir, während vier Tagen und Nächten, und zwar, 
wie man sagt, um einander kennen zu lernen, oder um sich an ein- 
ander zu gewöhnen. Erst dann setzen sie die Eltern des Jünglings 
von dem Vorgang in Kenntnis. Sind dieselben gegen die Heirat, so 
sagen sie, dafs der junge Mann ihr Sohn nicht sei, der alsdann der 
Familie oder dem Stamme der Braut folgt, weil er keinen naiti 
nonis oder Brautschatz, bezahlt. Haben sie aber gegen die Heirat 
nichts einzuwenden, so wird der Tag festgesetzt, an dem sie mit 
ihrem Sohn den Eltern der Braut einen Besuch abstatten wollen. 

Die Jungfrau wird an dem bestimmten Tag in die Mitte ihrer Ver- 
wandten gesetzt. Der Jüngling zieht seinen Betelkocher heraus, 
läfst denselben von einer alten Frau auf den Schofs der Jungfrau 
legen und nachdem sie den Pinang oder Arekanufs daraus genommen 
hat, wird derselbe in das Schlafgemach gebracht. Darauf unter- 
handelt man über die naiti nonis. Der Vater der Jungfrau sagt : 
lafs mich nun die mama niu oder Inkan hua, Betelkocher, sehen, 
worauf der junge Mann fünf Stücke roter Leinwand und fünf Stücke 
Silber, gewöhnlich fünf Eingiddenstücke, einhändigt, alles in allem 
zu einem Betrage von achtzig bis hundert Mark. Die jungen Leute 
werden nun wieder vier Tage und vier Nächte in das Schlafzimmer 
eingeschlossen. Nach dem vierten Tage baden sie sich mit ihren 
Verwandten im Flusse, oder vielmehr man taucht sie unter. Die 
Verwandten beaugenscheinigen darauf das Schlaf gemach. Dafür mufs . 
der Jüngling ein Geschenk geben, nämlich für den Vorhang vor der 
Thür zwanzig Mark, für das Tuch, das auf dem Kissen oder auf 
der Matte liegt, je zehn Mark und obendrein noch eine, Schnur ninu 
sala , oder temou, alter Korallen. Die Tücher nehmen die Verwandten 
des Jünglings mit nach Hause. Schweine und Büffel werden ge- 
schlachtet, den nitu bei der nii geopfert und Feste gefeiert. Für 
das geschlachtete Vieh bezahlen die Verwandten des Jünglings einen 

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— 282 — 


Betrag von ungefähr vierzig Mark in Leinwand. Will der Jüngling 
seine Frau zu seinen Eltern führen, dann mufs er an Leinwand, 
Silber und Korallen noch einen Wert von fünfhundert Mark nebst fünf 
lebendigen Büffeln bezahlen. Die Eltern der Braut geloben dem 
Jüngling, dafs sie ihm noiii nitu oder Schadenersatz bezahlen werden, 
wenn ihre Tochter stirbt und zwar, sieben Schweine für den Kopf, 
sechs Stücke roter Leinwand für die Augen, fünf für den siuisan 
oder Atem, vier für ihren Leib, drei für den Schatten, zwei für das 
Eisen, womit ihr Grab gegraben worden, und ein Stück für die 
Damarfackel, welche ihr zn Füfsen brennen mnfs. Darauf wird 
gegessen und ein Zeichen gegeben, damit jedermann sehen könne, 
dafs alles den Gebräuchen und Sitten gemäfs beendigt ist. Indem 
man sich anschickt das Hans zu verlassen, schreit der junge Mann : 
au ceel csnic, d. h. wo ist meine Frau? Die Eltern antworten, etan, 
d. h. hier. Darauf sagt, er nieki oko mama niti, d. h. überreiche mir 
den Betelkocher, was seine Frau dann sogleich thut. Abermals 
fragt er zweimal hintereinander: au verl esme, wo ist meine Frau, 
worauf die Eltern seiner Frau ein Stück Leinwand, gewöhnlich einen 
tais awon oder Frauensarong, auf den Schofs seiner Mutter legen. 
Erst dann erhebt sich der Jüngling, geht mit seiner Frau weg und 
nimmt drei Stücke Leinwand und drei lebende Schweine mit sich. 
Fremde heiraten in den Binnenlanden ohne Haiti nonis oder Braut- 
schatz, weil die Frauen ihren Geburtsort nicht verlassen, oder dem 
Manne nicht folgen dürfen. Geht der Mann weg, so mufs er alle 
seine Kinder und seine Besitzungen entweder seiner Frau, oder deren 
Verwandten überlassen. Kinder von hochgestellten Leuten werden 
sehr jung verheiratet, das Mädchen selbst vor dem Eintritt der 
Mannbarkeit, oder im Alter von zehn bis zwölf Jahren, damit sie 
beim Eintritt der Pubertät keine Geschlechtsgemeinschaft mit Sklaven 
oder Sklavinnen habe. 

Ehescheidung, mapolinen, oder söemalu, findet statt, wenn der 
Mann seine Frau oder diese ihren Mann auf Ehebruch, nakackion 
nok au veel, in flagranti ertappt, auch wegen Mifshandlung durch 
den Mann, oder wenn die Frau faul ist. Vor der Scheidung wird 
eine Versammlung der Verwandten von Mann und Frau abgehalten, 
um das Für und Wider zu erwägen und die Sache zu beendigen. 

Die Häupter und Ältesten haben keinen Sitz in der Versammlung. 
Wird die Frau schuldig erklärt, so wird die Scheidung ausgesprochen 
und die Frau verurteilt, den Brautschatz zurückzubezahlen. Die 
Verwandten haben das Recht, vom Ehebrecher zu fordern, dafs er 
den Brautschatz bezahle und die verführte Frau heirate, was er 

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gewöhnlich thut. Ist der Mann schuldig, so wird der Brautschatz 
nicht zurückgegeben, man feiert nur ein Fest, zum Zeichen, dafs die 
Frau wieder eine Heirat schliefsen kann. Wenn Leute, welche 
ohne naiti nonis verheiratet sind, Ehebruch begehen, in Uneinigkeit 
mit einander leben, oder scheiden wollen, dann kommen die Ver- 
wandten der Frau zusammen, die Angelegenheit zu untersuchen und 
zu ordnen. Hat der Mann die Scheidung veranlafst, dann bezahlt 
er ein Strafgeld von fünf weissen nati nim und fünf roten muti nim- 
Korallensträngen, zusammen einen Betrag von hundert Mark, und 
darf dann mit Zurücklassung seiner Kinder und Eigentums Weggehen. 
Ist die Frau die Veranlassung der Uneinigkeit, so kann er ohne 
Strafgeld zu zahlen von dannen ziehen, Kinder und Eigentum hleihen 
aber der Frau. Wollen Mann und Frau später wieder Frieden 
schliefsen, dann ist der Mann oder Frau verpflichtet, der Familie 
fünf Schweine und fünf Stücke Leinwand zu geben (nämlich der- 
jenige Teil, welcher es provoziert hat). 

Eine schwangere Frau, biveel maah oder naapu, ist vor der 
Entbindung nicht unrein. Sie braucht sich nicht zu schonen und 
weil sie die epithymia hat, darf sie alles essen und trinken, selbst 
bis zum Partus unbehindert den Beischlaf, ui, ausüben. Vor den 
Kindesnöten mufs die Tliüre der Wohnung geschlossen sein, damit 
die bösen Geister, nitu Tcanlelcoc oder manu maromal:, das Ereignis 
nicht bemerken. Es giebt jedoch auch Weiber, welche in einem 
nahen Walde gebären, um ein neu gebautes Haus nicht zu ver- 
unreinigen. Bei der Niederkunft, welche leicht stattfindet und selten 
länger als eine halbe Stunde dauert, ruht die Frau auf ihren Knien, 
die Beine weit von einander gestreckt, den Körper vorübergebeugt, 
indem die Helferin, natiel, sich hinter sie setzt, um das Kind in 
Empfang zu nehmen. Nach der Niederkunft wird das Kind mit 
der Placenta, ölin, in lauem Wasser gebadet und der Körper 

der Mutter darauf mit diesem Wasser besprengt. Nachdem man 

die Geburt den Verwandten angezeigt hat, wird die Nabelschnur 
eine Handbreite vom Bauche mit der taiii, einem Stück Bambusa 
longinodis, abgeschnitten. Die Placenta wird in einem hohlen 
Kürbis aufbewahrt und vom Vater in einen von den höchsten 

Bäumen, gewöhnlich in Ficus Altimeraloo, oder Eriodendron anfrac- 
tuosum, gehängt. Von diesem Baume bricht er einige Zweige, 

welche er über die Hausthüre hängt, damit das Kind nicht krank 
werde. Das Kind wird während zweimal vier und zwanzig Stunden 
nicht von der Mutter, sondern von einer andern Frau gesäugt. So 
lange die Nabelwunde noch nicht geheilt ist, ist es der Wöchnerin 


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— 284 — 


nicht erlaubt nanuni, »panischen Pfeffer und Salz zu essen. Vier 
Tage nach der Geburt wird ein Schwein getötet, die Leber unter- 
sucht oder konsultiert und von den Verwandten ein kleines Fest ge- 
feiert, worauf allein Kokosmilch, non nok oni. mit Zucker wasser getrunken 
und dem Kinde vom Grofsvater oder von der Grofsmutter ein 
Namen gegeben wird; gewöhnlich ist es der eines Ahnen, welcher 
ein glückliches Leben geführt hat. Mehrere Namen werden dann 
hintereinander ausgerufen und wenn das Kind beim Nennen irgend 
eines Namens einen Schrei ausstöfst, so ist dieser der Name nach 
seiner Wahl. Einen Monat später wird ihm das Haar abgeschnitten 
und das Säuglingsfest, nulai len, für das Kind gegeben. Unter dem 
Absingen des loir wird das Kind vor die Wohnung gebracht, um 
mit dem rechten Fufs auf die Erde zu treten und sich den andern 
Dorfsgenossen zu zeigen. Zwei Monate hinter einander mufs die 
Frau, welche unrein ist, auf einem Bambugestell liegen; während 
man unter ihr ein Feuer anlegt, um die manu maromdk fern zu 
halten. Hei schwerer Niederkunft werden Kinder in das Gemach 
hereingeführt, damit das Kind im Leibe, aufgemuntert seine Gespielen 
zu sehen, sich anstrenge, um auszutreten — ebenso wird durch 
Zaubermittel erforscht, aus welchem Grunde dieses stattgefunden 
hat, um die Geister durch Opfer zu versöhnen. Nach der Geburt 
des ersten Kindes dürfen die Eltern neben den Schwiegereltern 
sitzen und das Mahl teilen. Abortiva, aitaJcan, werden von Alten, 
welche damit sehr geheim thun, häufig gereicht. Unfruchtbare Frauen 
brauchen dagegen auch viele Mittel, hataa vo ooan, um Kinder zu 
gebären. Bevor das Kind gehen kann, werden ihm die Ohrläppchen 
durchstochen, lcoto lulcen. Das Feilen der Zähne mit Steinen, von 
nisin, oder mit dem Bambusa longinodis, nns Jciki, wird gegen den 
Eintritt der Pubertät von alten Männern und Frauen vorgenommen. 

Die Vorderzähne der Vornehmen werden zugleich gebohrt und mit 
Gold und Silber, wie bei der Asupah ausgefüllt. Wenn das Haar 
sich auf dem Pubes der Knaben zeigt, unterwerfen sie sich der 
heli, oder der Spaltung des Praeputiums. Diese Operation geschieht 
auf dreierlei Weise. Die heli pan man ist die Aufschlitzung eines 
Teiles der oberen Vorhaut, die vutu neki bakase navtiu bi vovon 
pan man, geschieht dadurch, dafs man den oberen Teil derselben 
mittelst eines Pferdehaares so lange festbindet, bis er herunterfällt 
und die haapi neki kakaa pisaa nua bi vavon pan man, heifst das 
Klemmen jenes Teiles zwischen zwei Stücken Bambu, bis er sich 
loslöst. Unter den Frauen finden sich viele, welche bei der Kopu- 
lation einer von diesen Methoden den Vorzug geben und darüber den 

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betreffenden Mann befragen. Ehe die Wunde noch nicht vollständig 
geheilt ist, darf man kein Fleisch, Salz oder spanischen Pfeffer 
essen, an keinen Reisstampfer, kann, oder Feuerschirm, pesee ui, 
Vorbeigehen, auch nicht auf Hühnerkot, manu teei, treten. Das 
Tättowieren lula oder lulat basan, mit Dörnern, wobei geriebene 
Holzkohle mit Zuckerwasser auf die Wunde gelegt wird, ist mehr 
unter Frauen Brauch, entweder um ihre Schönheit zu erhöhen 
oder um nach dem Tode als nitu keinen Mangel an Feuer zu haben. 
Nach Aussage von alten Leuten sollen früher nur diejenigen Frauen 
sich haben tättowieren lassen, welche von den Blattern entstellt 
waren. Heuzutage heifst es, dafs man, vermöge des Feilens 
der Zähne, der Tättowierung der Wangen, des Kinnes, der Brüste 
bis zum Mons Pubis, erst recht Frau wird, von nisi, luul sui, sano, 
ansao ti tinakona, (Juli biveel, d. h. heiratsfähig ist. Für Tättowier- 
muster wählt man Figuren von Hirschen, luus, Krokodilen, besimnase, 
Hunden, asu, Pferden, bnkase, Baumblättern, hau noo und andre 
Erkennungszeichen, mala, der gegenseitigen Verwandten. 

Die Hausgenossen sind verpflichtet, wenn einer im Hause stirbt, 
einen grofsen Lärm zu machen, zu zetern und zu lamentieren, 
damit der smanav wisse, wenn er zur Besinnung kommt, wohin er 
gehen müsse, um seine Verwandten zu sehen. Sogleich zeigt einer 
von ihnen den Todesfall den Ältesten, den übrigen Verwandten und 
Freunden an, welche unverzüglich alsdann kommen, um die Leiche 
zu besuchen, indem sie, jeder nach seinem Vermögen, Umschlage- 
tücher und Leinwand u. a. mitbringen. Darauf wird die Leiche 
gewaschen, umu, das Haupthaar geordnet und geschmückt, hernach 
in wenigstens drei Stücke Leinwand eingewickelt. Die Begüterten 
gebrauchen mehr als dreifsig solcher Stücke, unter welchen goldene 
Zierraten gelegt werden, worauf ein necysia gefeiert und der 
makarereu, lakmierin und hanonolalan durch die Frauen allein 
gesungen wird. Hat der Verstorbene Schulden, dann wird er nicht 
eher begraben, als bis dieselben bezahlt sind. Die Hinterbliebenen 
sind dafür verantwortlich und es ist eine grofse Schmach, unbegraben 
zu bleiben. Bei der Bestattung ohne Sarg, mit dem Gesicht nach 
Osten gekehrt, schlachtet man einen Büffel, um einen Teil des 
Fleisches mit Reis, Arrak und andern Speisen zum Proviant für den 
Toten zu bestimmen, während das übrige von den versammelten 
Freunden und Verwandten genossen wird. Auf dem Grabe werden 
Teller, Töpfe, Pfannen, Löffel und andre zerbrechliche Gegenstände 
für den Toten zerschlagen, seine Kleider, Matten, Hauptkissen zerfetzt, 
sein Lieblingspferd erschlagen, damit der Verstorbene Hube finde und 


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die Hinterbliebenen nicht aus Rache quäle. Darauf werden Pferde, 
Büffel und Schweine in Hülle und Fülle geschlachtet, unter die 
Anwesenden verteilt, uin wie man sagt, die Augen, welche durch 
Trauer geschlossen sind, wieder zu öffnen. Bis die Verwandten sich 
gebadet haben, wird auf dem Grabe zu Füfsen eine Damarfackel 
vier bis acht Tage lang gebrannt, damit der nitu sich nicht zu weit 
entferne. Fürsten und Häuptlinge wickelt man in mehr als dreifsig 
Stücke Leinwand und allüberall in die Falten werden goldene und 
silberne Schmucksachen verborgen. Weiter wird die Leiche, wiewohl 
unrein, acht bis zehn Tage auf den Sehofs der Sklavinnen nieder- 
gelegt, ohne auf die herunterfliefsenden Fäulnisteile zu achten, und 
dann in einen hermetisch schliefsenden Sarg gelegt. - Der Deckel 
des Sarges wird gewöhnlich mit schönem Schnitzwerk geschmückt. 
Bevor die Leiche in den Sarg gelegt wird, müssen die Gattinnen 
alle laut weinend um denselben herumstehen, die älteste mit 
bedektem Haupte, während die übrigen Dorfgenossinnen, alle mit gelösten 
Haaren, tun sich für den nitu des Toten unkennbar zu machen, 
dabei gegenwärtig sein müssen. Der Tote wird auch nicht begraben, 
ehe alles das Benötigte zum Leichenbegängnis da ist, alle Freunde 
und Verwandte beisammen sind, oder ein andrer Häuptling als 
Nachfolger erwählt ist. Finden einige Verwandte sich nicht ein, 
so wird die Bestattung dreifsig bis vierzig Jahre aufgeschoben, so 
dafs alles verzehrt, von Ungeziefer vernichtet ist und man es nicht 
mehr der Mühe wert achtet, das Übriggebliebene zu begraben. 
Nachdem die Verwandten vier Tage später sich gebadet haben, um 
die Traurigkeit abzuwaschen, wird der nuhuleu oder das Totenfest ge- 
feiert. Dazu nimmt man ein wenig Reis und Maiskörner, schüttet 
das in einen Topf und bindet an der Thür ein Schwein und einen 
Hund fest. Kommt man aus dem Bade heraus, dann zerschlägt 
man den Topf und schlägt beide Tiere, als letzte Gabe an den Ver- 
storbenen, tot. Das Schwein, der Reis und Mais bilden seine Speise 
auf der Reise nach den Bergen Lakaan oder Mutis, den nitu des 
Hundes giebt man ihm zur Gesellschaft, soba, mit. Zum Zeichen 
tiefer Trauer wird von keinem ein bis zwei Jahre das Feld bestellt. 
Dies geschieht deswegen, dafs der nitu keinen Lebenden in dem 
Felde begegne und sie krank mache. Sind alle Formalitäten erfüllt 
und das Benötigte zur Beerdigung gesammelt, dann baut man in 
der Nähe des Sterbehauses ein lolci, oder leichtes Gebäude von Pahn- 
blättern und ladet alle Bekannte, Freunde und Verwandte zu der 
Feierlichkeit ein. Am Abend vor der Beerdigung müssen alle An- 
wesenden einen grofsen Lärm machen und laut weinen. Den fol- 


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genden Mittag wird der Verstorbene in der Gegenwart von Tausenden 
von Männern, Weibern und Kindern begraben. Darauf setzt man 
sich zu Tisch, wo mit tierischer Gier Speisen und Getränke ver- 
schlungen werden. Die Dorfredner halten lange Reden zur Ver- 
herrlichung des Verstorbenen und sprechen den Wunsch aus, dafs 
er sich als nitu glücklich fühle. Unterdessen wird das zusammen- 
getriebene Vieh zu Hunderten geschlachtet und das rohe Fleisch 
unter die Gäste, deren Namen ausgerufen werden, verteilt. Darnach ruft 
einer der Oberhäupter die Fürsten zusammen, um mit den andern Fest- 
genossen den foli, der mittlerweile mit Kokos und Arekanüssen, Pisang, 
Zuckerrohr und andern Früchten geschmückt worden und in welchem 
ein lebendiges Schwein festgebunden ist, aufzunehmen und dasselbe von 
dem Hofe des Sterbehauses zu tragen, was unter ausbündigem Jubel 
stattfindet. Wenn es aufserhalb des Hofes ist, werden die Gegen- 
stände von den Anwesenden geraubt. Es wird als eine grofse 
Schande betrachtet, wenn die Anwesenden nicht im stände sind, 
das Gebäude wegzutragen. Jeder Mann strengt deshalb alle seine 
Kräfte an, diesen Zweck zu erreichen. Darauf wird der Weg zum 
Grabe versperrt. Die Bestattung der Frauen, sei es auch aus 
vornehmen Häusern, geschieht ohne viel Umstände. Weim eine 
Frau bei der Geburt stirbt, wird das Kind nicht entfernt, sondern lebend 
oder tot mit der Mutter auf die vorgeschriebene Art begraben. 

Die beigegebene Karte zeigt meine Reiseroute durch einen 
Teil der Insel Timor im Jahre 1879. 


Kanäle und Kolonien im Bourtanger Moor. 

Hierzu Kartenskizze im Text. 


Die Kultivierung und Besiedelung öder und unfruchtbarer 
Ländereien hat in neuerer Zeit in Deutschland erhebliche Fort- 
schritte gemacht. Besonders gilt dies von den Mooren, welche in 
gröfserer oder geringerer Ausdehnung die ganze germanische Tief- 
ebene durchsetzen. Man unterscheidet drei verschiedene Arten von 
Moor : Waldmoor, Wiesen- oder Grünlandsmoor und Hochmoor 
(niederländisch : Hoogeveen, schwedisch : Hvitmossar). Die ersteren 
finden sich in der Provinz Hannover, von welchen hier die Rede 
sein soll, nicht. Eine zweite Art sind die Grünlands- oder Wiesen- 
moore. Dipse entstehen meist in mulden- oder beckenförmigen Ver- 


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tiefungen, die mit mineralstoffreichen, besonders kalkhaltigen, ste- 
henden Gewässern erfüllt sind. Zunächst siedelt sich eine Decke 
von Moos (Hypnum- und Mniuin-Arten) an, welche dann zahlreichen 
andern Pflanzen, besonders Cyperaceen und Gräsern zum Saatbett 
und zur Unterlage dient. Die Gräser überwuchern und ersticken 
allmählich die Moosvegetation und das Ergebnis des ganzen Ver- 
torfungsprozesses ist eine auch in den oberen Schichten stark zer- 
setzte schwarze Torfmasse. Die dritte Art, die Hochmoore, ent- 
stehen in kalkarmen, über dem Boden stehenden oder langsam 
fliefsenden Gewässern. Es siedehi sich hier nur in solchem Wasser 
gedeihende Moosarten (Spliagnaceen) an; bei Abzug des Wassers 
bilden sie für die Heide (Calluna vulgaris und Erica tetralix), sowie 
wenige ähnliche Pflanzen die Unterlage. Auf sandigem, mit weichem 
Wasser geschwängerten Boden kann auch Heide, selbst ohne Ver- 
mittelung der auf mineralischer Unterlage ungern wachsenden Sphag- 
num-Arten die Torfbildung einleiten und man unterscheidet darnach 
Sphagnum- und Heide-Hochmoore. 

Die Provinz Hannover ist einer der an Moorbooden reichsten 
Teile des preufsischen Staats und des deutschen Reichs, sie enthält 
nach der neuesten Grundsteuer Veranlagung 561,433 ha Moorboden; 
14°/o der Gesamtfläche der Provinz. Der Moorboden ist auf die 
einzelnen Regierungsbezirke sehr ungleich verteilt. Es enthalten 
nämlich der Regierungsbezirk Hildesheim 1,124 ha 
„ „ Lüneburg 80,064 „ 

„ „ Hannover 91,634 „ 

' „ „ Stade 185,146 „ 

„ „ Aurich 76,305 „ 

„ „ Osnabrück 127,160 „ 

Hiernach liegen die gröfsten zusammenhängenden Strecken Moor- 
bodens zwischen der Unterweser und Unterelbe — in dem Re- 
gierungsbezirk Stade — und im Westen der Unterems. 

Die Besiedelung und Bebauung der Moore in dem Gebiet, 
welches die heutige Provinz Hannover bildet, begann im 17. Jahr- 
hundert nach dem Vorbilde, welches uns unsre Nachbarn, die 
Niederländer, schon damals wie noch heute gegeben haben. Die 
ersten Kulturversuche erfolgten von den Tangen, den von der Geest 
in das Moor reichenden, höher als das letztere gelegenen und daher 
trockenen Sandzungen. Das Moor wurde einige Fufs tief durch 
oberflächliche Kanäle entwässert und der Dünger der auf den Tangen 
gehaltenen Schafherden bereitete den Moorboden für einen erfolg- 
reichen Anbau von Roggen. Eine zweite Methode der Bewirt- 


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schaftung des Moores war und ist leider aucli heute noch vielfach 
notgedrungen, die sogenannte schon lange als Raubbau erkannte 
Brandkultur, d. h. das nach voraufgegangener Abwässerung 
erfolgende Abbrennen der obersten Moorschicht zur Ge- 
winnung von Asche als Dünger für den Anbau des Buchweizens, 
der nur höchstens 8 Jahre hintereinander, bis zur Erschöpfung des 
Bodens für längere Zeit., betrieben werden kann und bei ungünstiger 
Witterung häufig fehl schlägt. Die Brandkultur erfordert grofse 
Flächen. Einen bedeutenden Schritt vorwärts that die Moor- 
bewirtschaftung durch die Anlage von schiffbaren Kanälen, welche die 
besiedelten Moorgebiete dem Verkehr eröffneten, die Verbindung mit 
den nächsten Flüssen und Städten und dadurch den Absatz von 
Brenntorf, sowie die billige. Heranführung von Dünger ermöglichten. 

Solche sogenamite Veen- (d. h. Moor-) Kolonien wurden in Ost- 
friesland im 17., 18. und 19. Jahrhundert angelegt. Eine in der 
„Festschrift zur Säkularfeier der Königlichen Landwirtschaftsgesell- 
schaft zu Celle 1864“ enthaltene Statistik von 1862 zählt solcher 
Veenkolonien im ganzen 20 mit 2517 Häusern und 14,118 Ein- 
wohnern auf; über die Hälfte des zu 17,243 rheinischen Quadrat- 
ruten angegebenen Gesamtflächeninhalts stand in Kultur ; das älteste 
Veen, Westgrofseveen, wurde 1633, das letzte, Halterveen, 1825 
angelegt. Neben dem Bodenbau und der Torfgewinnung war es 
das Seeschiffahrtsgewerbe, welchem sich, da die Hauptkanäle breit 
und tief genug angelegt waren,- um kleineren Seeschiffen zugänglich 
zu sein, ein Teil der Bewohner der Veene widmete und so finden 
wir in jener Statistik neben 600 Torfschiffen 148 Seeschiffe, deren 
Heimatshafen eines der Veene war, mit einer Bemannung von im 
ganzen 628 Mann aufgeführt, ln neuerer und neuester Zeit hat 
die Küstenfrachtfahrt der Segelschiffe bedeutend durch die Dampf- 
schiffahrt und das mehr und mehr entwickelte Eisenbahnwesen zu 
leiden und das Seeschiffahrtsgewerbe ist infolge dessen erheblich 
zurückgegangen. 

Die bedeutendste Veenkolonie ist die durch Schiffahrtsverkehr 
und Industrie rasch emporgeblühte Stadt Papenburg. Diese Veen- 
anlage wurde in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts durch 
Grabung eines Kanals von der Ems nach dem Gebiet der zu er- 
richtenden Kolonie von dem bischöflich Münstersehen Drost Dietrich 
von Velen begonnen und nach niederländischem Muster mit Haupt- 
und Nebenkanälen (Haupt- und Inwieken) durchgeführt ; im Jahre 1861 
konnte die Fleckengemeinde Papenburg dem Nachkommen ihres 
Gründers, dem Freiherrn von Landsberg-Velen, seine Gerechtsame 

Geograph. Blätter. Bremen, 1887. 21 

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an das Veen für 100,000 Thaler abkaufen und Stadtrechte er- 
werben. Während jene ostfriesischen Veene teils von einzelnen, 
teils von Genossenschaften gegründet wurden und die Regierung 
nur unterstützend, namentlich durch Wegeanlagen, mitwirkte, unter- 
nahm die letztere im Herzogtum Bremen — einem Teil des jetzigen 
Regierungsbezirks Stade — die Kolonisierung der Moore auf eigne 
Hand. Auch hier, wo schon in früherer Zeit eingewanderte Nieder- 
länder die ersten Niederlassungen im Moor angelegt hatten, gedieh 
das in der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts begonnene Werk 
sehr gut. Die Kanäle erhielten hier freilich nicht die Breite und 
Tiefe, wie sie die ostfriesischen besafsen, vielmehr glaubte man sich 
darauf beschränken zu dürfen, im Anschlüsse an die zahlreich vor- 
handenen natürlichen Wasserzüge, Gräben von genügender Breite 
und Tiefe herzustellen, auf denen kleine Fahrzeuge den Torf nach 
Hamburg und Bremen, sowie nach den reichen Marschgegenden 
bringen und von dort die Bedarfsgegenstände den neuen Kolonaten 
zuführen konnten. Unter der Leitung, Überwachung und Förderung 
umsichtiger Beamten, wie jenes Moorkommissärs Jürgen Christian 
Findorf, zu dessen Gedächtnis auf der Spitze des inmitten der 
Kolonien des Amtes Lilienthal bei Bremen sich erhebenden Weyher 
Bergs ein Denkstein errichtet wurde, entwickelten sich auch diese 
Schöpfungen in erfreulichster Weise. Anders in den Hochmooren 
westlich der Ems, dem öden Bourtanger Moor. Auch hier begann 
die Kolonisierung schon frühzeitig, versäumte jedoch die Herstellung 
der erforderlichen Kanäle und die nötigen Wege Verbindungen. 

Das Bild dieser Moore und ihrer kümmerlichen Bewirt- 
schaftung hat uns A. Grisebach in seiner trefflichen Abhandlung 
„über die Bildung des Torfs in den Emsmooren aus deren unver- 
änderter Pflanzendecke, nebst Bemerkungen über die Kulturfähigkeit 
des Bourtanger Hochmoors“ (Göttingen 1846) gezeichnet. Er be- 
spricht darin, auf Grund seiner Anschauungen und Studien, die Ge- 
stalt und vegetabilische Decke des Ems-Hochmoors, die Torfschichten 
und ihre Bildung, Alter und Bau der Emsmoore und erörtert so- 
dann den Anbau und die Kulturfähigkeit des Bourtanger Moors. 
Die landschaftliche Wirkung des Bourtanger Moors schildert uns 
Grisebach mit folgenden Worten: 

„An der hannoverisch-holländischen Grenze habe ich, zwischen 
Hesepertwist und Ruetenbrock das pfadlose Moor von ßourtange 
überschreitend, einen Punkt besucht, wo wie auf hohem Meere der 
ebene Boden am Horizont von einer reinen Kreislinie umschlossen 
rd und kein Baum, kein Strauch, keine Hütte, kein Gegenstand 


— 291 


von eines Kindes Höhe auf der scheinbar unendlichen Einöde sich 
abgrenzte. Auch die entlegenen Ansiedelungen, die, in Birken- 
gehölzen verborgen, lange Zeit noch wie blaue Inseln in weiter Ferne 
erscheinen, sinken zuletzt, unter diesen freien Horizont herab. 
Dieses Schauspiel, auf festem Boden ohne seinesgleichen, überall 
hin auf abgerundete Heiderasen und über dem Schlamm gesellig 
schwebende Cyperaceen das Auge einschränkend, zugleich seltsam 
das Gemüt mit der Gewalt des Schrankenlosen ergreifend, versetzt 
uns in ursprüngliche Naturzustände, wo eine organische, jedoch ein- 
förmige Kraft alles überwältigend gewirkt hat. Es ist das Gebiet 
der gröfsten zusammenhängenden Ansammlungen von Torfsubstanz, 
welche Deutschland besitzt. Man kann diese organische Masse, 
welche das zwischen der ostfriesischen Geest und dem Haimling 
von der Hunte bis zu den Marschen am Dollart ausgedehnte Becken 
aasfüllt, auf 50 bis 60 geographische Quadratmeilen Oberfläche 
schätzen. 25 Quadratmeilen liegen in ununterbrochener Fläche 
allein auf dem linken Emsufer und werden unter der Bezeichnung 
des Bourtanger Moors und Twists begriffen.“ 

Vor allem betont Griesebach als Ursache der Armut der we- 
nigen Kolonisten die Unmöglichkeit, wegen mangelnder Wasser- und 
Landwege den Torf zu verwerten. Indem er nun die Mängel der 
Bewirtschaftung, vornehmlich der Brandkultur, näher darlegt, fordert 
er die Anlage eines allgemeinen schiffbaren Kanals als einziges 
Mittel, die Entwickelung der Kolonien weiter zu führen. 

Erst ganz allmählich unter harten Kämpfen, häufig angesichts 
des gröfsten Notstandes, haben sich die wenigen Kolonien zu dem 
verhältnismäfsigen Gedeihen entwickeln können, welchem man im 
Hebeier Meer, Georgsdorf und den Twisten nach Ablauf eines Jahr- 
hunderts begegnet. Auch die Ansiedlung von den Rändern des 
Moores aus war im Bourtanger Moor durch die verschiedensten 
Verhältnisse besonders erschwert. Eine Abwässerung des Moores 
nach der Ems war wegen der vorliegenden Dünenkette nicht möglich 
und ein Anschlufs an die niederländischen Kanäle nicht erreichbar. 

Über diese im Bourtanger Moor gelegenen Kolonien und deren 
Entstehung finden sich im einzelnen nur wenige und dürftige Nach- 
richten. Unter der Regierung des Grafen Ernst Wilhelm Bentheim 
entstand im Jahre 1662 die Kolonie Alte Piccardie, später die 
Kolonie Neue Piccardie (Georgsdorf), ln dem zum Herzogtum 
Aremberg-Meppen gehörenden Teil wurden vielfach Kolonien durch 
die alten am Rande des Moors gelegenen Gemeinden gegründet, 
wobei die dem einzelnen Kolonisten zuzuweisenden Moorflächen in 


21 * 


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— 292 — 


„Plaatzen“, jede Plaatze von einer bestimmten Gröfse, geteilt wurden 
(1809.) Die Kolonisten von Neu-Aremberg erhielten ihre „Plaatze“ 
zu freiem Eigentum, dazu noch für 10 Jahre Steuerfreiheit. Das 
Schlimme war eben, dafs, wie bemerkt, für Wasserabzüge und 
Wegeverbindungeil nicht genügend gesorgt wurde. J. G. Kohl er- 
zählt in seinem „Ausflug zürn Bourtanger Moor und zur holländischen 
Grenze“ (Nordwestdeutsche Skizzen, Bremen 1864, 2. Theil): „Fast 
jedes deutsche Grenzdorf hat seit der Mitte des vorigen Jahrhunderts 
seine Kolonie ins Moor abgezweigt. Das alte Dersum hat sein 
Neudersum, das alte Sustrum sein Neusustrum, das alte Heede sein 
Neuheede geboren. Und so ist das ganze Bourtanger Moor mit 
solchen neuen Kolonien, freilich noch immer spärlich, durchwebt. 
Gewöhnlich liegen diese Kolonien auf einer Tange (Sandzunge).“ 
Kohl, der seine Wanderung bis hinüber in das niederländische 
Gebiet, zu dem Dorf bei den alten Bourtanger Schanzen ausdehnte, 
fielen im Moor besonders die kuriosen schon im Hümling von ihm 
beobachteten Schafstalldörfer auf. Er berichtet weiter : „Am meisten 
setzte uns ein Spaziergang, den ein guter Bürger des Dorfes Bour- 
tange mit uns durch seine Gärten und Felder unternahm, in Er- 
staunen. Denn, obwohl der Boden nichts weniger als fetter Marsch- 
grund war, vielmehr sich vor dem auf der deutschen Seite in nichts 
hervorthat, so waren doch Gemüse und Getreide unvergleichlich viel 
stattlicher als an der Ems, die Wurzeln und Rüben riesig, der 
Klee drei Fufs hoch, der Kohl prachtvoll, durch die Bank 6 bis 
7 Fufs hoch.“ Den eigentlichen Grund dieser glänzenden Erfolge 
in der Bewirtschaftung des Moores sagte der biedere Mynheer unser m 
Landsmann nicht und Kohl selbst hat nicht näher nachgeforscht. 
Wir kennen ihn nun seit, längerer Zeit zur Genüge. „Vor allem 
hatte man in den Niederlanden schon vor langer Zeit die Not- 
wendigkeit erkannt., durch planvoll angelegte Kanäle nicht blos für 
die notwendige Entwässerung zu sorgen, sondern besonders auch 
Verkehrsstrafsen zu schaffen, auf welchen die im Moor erzeugten 
Produkte: zunächst Brenntorf, dann aber auch die landwirtschaft- 
lichen Erzeugnisse, einem sehr kaufkräftigen Hinterland zugeführt 
werden konnten, und welche anderseits einen möglichst billigen 
Transport von Meliorations- und Düngemitteln in das sehr dünger- 
bedürftige Moor ermöglichten. Derartiges Material stand in grofsen 
Mengen in den am Kanalnetz liegenden, ihren Unrat in sorgsamster 
Weise sammelnden Städten zur Verfügung. Der benachbarte, höchst 
fruchtbare Küstenstrich lieferte, wenigstens zeitweise, tierischen 
Dünger und aufserdem in seiner eigenen Bodenmasse, dem Kleiboden 


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— 293 — 


und Seeschlick, ein zur Verbesserung des Moorbodens vorzüglich 
geeignetes Material, und endlich hatte der abgebaute Torf, welcher 
nicht blos einen Teil der Niederlande, sondern in früheren Zeiten 
selbst die angrenzenden deutschen Landesteile mit Brennmaterial 
versorgte, einen sehr hohen Wert. Die Torferzeugung verschaffte 
den Ansiedlern in den ersten Jahren den Lebensunterhalt und die 
nötigen, nicht unbedeutenden Mittel zur Einleitung des Land- 
wirtschaftsbetriebes . “ *) 

In den Niederlanden war es zuerst die Stadt Groningen, welche, 
als Besitzerin des grofsen Moores der Provinz, hervorragendes 
Interesse an einer zweckmäfsigen Verwertung der Moorflächen hatte 
und aus diesem Interesse heraus einerseits die Ansiedlung auf dem 
letzteren möglichst erleichterte, anderseits aber dieselbe durch 
strenge Bestimmungen regelte. „Wenn die Groninger Moorkolonien zu 
hoher Blüte gelangt sind und wenn in glücklicher Nachahmung des 
gegebenen Beispiels immer noch neue Mooransiedlungen in den Nieder- 
landen entstehen und aufblühen, so verdanken sie das in erster Linie 
der einsichtsvollen und eingehenden Direktive, welche die Stadt 
Groningen für die Gestaltung der Ansiedlungen seiner Zeit gegeben 
hat.“ **) Die Entwickelung dieser Kolonien weist eine von Professor 
Fleischer citierte niederländische Schrift von Borgesius noch näher 
nach: „Eine Fläche von etwas mehr als 4 Quadratmeilen, welche 

vor 2 1 /a Jahrhunderten völlig unbenutzt als Sumpf dalag, nicht einmal 
den Schafen zugänglich war, besteht zu drei vierteln aus dem besten 
Acker- und Weideland. Allein in den Gemeinden Alt- und Neu- 
Pekela, welche etwa 4 '5 Quadratmeilen umfassen, finden jetzt 
10000 Einwohner Unterkommen und Arbeit, in zehn Gotteshäusern 
wird ihren kirchlichen Bedürfnissen genügt, acht Schulen, von 22 
Lehrern geleitet, sorgen für den Elementar- und fortgeschrittenen 
Unterricht, Kanäle, selbst für Seeschiffe zugänglich, vortreffliche 
Klinkerchausseen, Pferdebahnen, Dampftramways vermitteln einen 
aufserordentlich lebhaften Verkehr. 5 bis 10 ha Landbesitz gewähren 
dem Eigentümer und seiner Familie nicht blos den nötigen Lebens- 
unterhalt, sondern selbst einen gewissen Wohlstand. Neben einer 
blühenden Landwirtschaft, die dem ärmsten Moorboden aufserordentlich 
hohe Erträge an allen Früchten abgewinnt, hat sich eine einträgliche 
Industrie entwickelt. Brennereien und Brauereien, Stärke- und 
Kartoffelmehl-, Stärkezucker- und Strohfabriken, 01- und Kornmühlen 
verarbeiten an Ort und Stelle die erzeugten Rohprodukte und steigern 

*) Vergleiche : Professor Fleischer, die Aussichten der Hochmoor-Kultur. 

**) Fleischer 1. c. 


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ihren Wert.“ Auf eine landwirtschaftlich kultivierte Fläche von 



Ein wichtiger Schritt für die Kolonisierung und bessere Be- 
wirtschaftung des deutschen Teiles des Bourtanger Moores ist mui 
unter der Verwaltung des preußischen Staates bereits gethan und 
damit die von ürisebach als unerläfslich hingestellte Vorbedingung 
schon jetzt zum gröfston Teil erfüllt. Die Königlich preufsische 


295 


Regierung hat den schon von der vormaligen Königlich hannoverschen 
Regierung bearbeiteten Plan der Entwässerung und Kanalisierung 
des Bourtanger Moores aufgenommen ; es war dies hauptsächlich den 
Vorstellungen des an der Spitze des preussischen Moorwesens stehenden 
Wirkl. Geh. Rath Marcard, welche im landwirtschaftlichen Ministerium 
und in den gesetzgebenden Körperschaften die vex-diente Aufnahme 
fanden, zu danken. Die Kanalisierung des Bourtanger Moores ist jetzt 
mit einem Kostenaufwand von etwa 13 Millionen Mark bereits durch- 
geführt und damit das linksemsische Moorgebiet mit einem Kanalnetz 
versehen, das nach seiner Vollendung eine Längenausdehnung von 
etwa 102 km haben wird. Das beigegebene Kärtchen gewährt 
einen Überblick über dasselbe. 

Die Dimensionen dieses Kanalnetzessinxi : Wassertiefe 1,9 m, Sohlen- 
breite 6,9 m und Breite im Wasserspiegel 14,4 m. Die Tragfähigkeit 
xler den Kanal befahrenden Schifte kann bis 2000 Zentner betragen- 

1m Norden vermittelt der 13,5 km lange Kanal Haren- 
Rütenbrock in der Richtung von Südost nach Nordwest die Ver- 
bindung zwischen der Ems und dem Endpunkte des niederländischen 
Staatskanals bei Rütenbrock. Im Süden verbindet der Ems-Vechta- 
Kanal, von Osten nach Westen verlaufend, in einer Ausdehnung von 
21 km die Ems bei Lingen mit der Vechta bei Nordhorn. Zwischen 
dem Ems-Vechta-Kanal und dem Kanal Haaren-Rütenbrock erstreckt 
sich, die linksemsischen Moore in ihrer Längenausdehnung von Süden 
nach Norden durchschneidend, der Süd-Nord-Kanal in einer Länge 
von 45,5 km. Von letzterem zweigt bei Alt-Picardie der etwa 23 km 
lange Kanal Picardie-Koeverden ab iuid bewirkt hier den Anschlufs 
an die grofsen zur Zuydersee führenden niederländischen Kanäle. 
Alle diese Kanäle sind bereits bis auf eine etwa 14 km lange Strecke 
des Süd-Nord-Kanals fertig gestellt. Es soll ferner der Ems-Vechta- 
Kanal mit dem niederländischen Kanal Almelo-Nordhorn durch 
Vollendung einer noch fehlenden verhältnismäfsig kurzen Strecke in 
Verbindung gebracht werden. Der niederländische Hoogeveen-Kanal 
soll in der Gegend von Schöningsdorf mit dem Süd-Nord-Kanal 
verbunden werden. Die Arbeiten zur Herstellung dieser Verbindung 
auf niederländischer Seite sind bis in die Nähe, der deutschen Grenze 
gefördert und nach Ausbau der noch rückständigen Strecke von nur 
5 km wird eine Verbindung der Hoogeveen-Vaart mit dem Oranje- 
Kanal hergestellt sein. Die Entfernung von der Grenze bis zur 
Einmündung in den Süd-Nord-Kanal beträgt nur 2,? km. 

Nunmehr hanxlelt es sich um die Kolonisation in dem kanali- 
sierten Moor. In einer Beziehung stellen sich die Aussichten für 


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die Besiedelung nicht so günstig dar, als sie sich im niederländischen 
Teil boten und teilweise noch bieten. „Was dort die Einleitung der 
Kolonisation so wesentüch begünstigte, die Möglichkeit, durch 
Torfabsatz sich über die Jahre der Urbarmachung hinwegzuhelfen 
und noch Mittel für die Anschaffung der nötigen Düngermengen zu 
gewinnen, fällt wenigstens vorläufig für die Anbauer an diesen 
deutschen Kanälen so gut w r ie ganz weg, da infolge des erleichterten 
Kohlentransports und der gesunkenen Kohlenpreise die Nachfrage nach 
Brenntorf auf ein sehr geringes Mafs beschränkt wird und an einen 
Absatz, der dem massenhaft im Bourtanger Moore aufgespeicherten 
Torfvorrat auch nur einigermafsen entspricht, nicht zu denken ist. 
Ferner ist den deutschen Ansiedlern die Gelegenheit, städtischen oder 
tierischen Dünger von aufserhalb zu beziehen, welche mit Recht als 
die Grundlage für die niederländische Moorkultur bezeichnet werden 
kann, völlig abgeschnitten.“ *) Anderseits kommen der nunmehr von 
der Provinz Hannover durch eine Versuchsanlage in Angriff zu 
nehmenden Kolonisation des Bourtanger Moores die Wissenschaft 
und die von ihr durch die Praxis erprobten Erfahrungen zu Hilfe. 
Wir verdanken diese den Arbeiten der Moorversnchsstation in Bremen. 
Die dem hannoverschen Provinziallandtag vor kurzem vorgelegte, 
von dem Königl. Provinzial- Forstmeister Quart- Faslern in Hannover 
ausgearbeitete, in diesem Aufsatz mehrfach benutzte Denkschrift, 
betreffend „die Erwerbung einer gröfseren Moorfläche am Süd-Nord- 
Kanal seitens der hannoverschen Provinzialverwaltung zwecks An- 
bahnung der Kolonisation im Bourtanger Moor und Hebung der 
Moorkultur“ spricht sich hierüber wie folgt aus* 

„Auf der Forderung Griesebachs fufsend, dafs auch auf dem 
Hochmoor der Ackerbau gelinge, sobald durch den Dünger für 
hinlängliche mineralische Nahrung gesorgt sei, haben die Versuche 
der Moorversuchsstation in Bremen sich spekulativ aufgebaut und 
wesentlich veränderte Bedingungen für die Moorkultur schon jetzt 
geschaffen, Mit einer zähen Ausdauer hat die Moorversuchsstation 
zu Bremen unter der Führung der Königlich preufsischen Zentral- 
Moorkommission und unter der Leitung des wissenschaftlich und 
praktisch gleich ausgezeichneten Vorstandes, Professor Fleischer, seit 
der Mitte des vorigen Jahrzehnts begonnen, die chemischen und 
physikalischen Eigenschaften der Moore zu erforschen und allmählich 
auch praktische Versuche mit Moorkultur durch Düngung und 
sonstiger Nutzbarmachung anzustellen. Diese Versuche haben nun 

*) Fleischer 1. c. 


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unter anderem als Thatsache ergeben, dafs die künstlichen Düngemittel 
für die Kultivierung der Hochmoore eine grofse Bedeutung haben. Die 
sachverständige Verwendung von kalkhaltigen Materialien und von 
Kunstdünger steigert auf dem Hochmoor die Erträge weit über die 
Durchschnittsernten hinaus, welche bislang, bei ausschliefslicher Ver- 
wendung von tierischem Dünger, in den deutschen Hochmoor-Kolonien 
erzielt, wurden. Die genannten Stoffe eignen sich nicht nur zur Düngung 
von Hochmoorboden, welcher bereits längere Zeit in Stalldung-Kultur 
gewesen, sondern sie besitzen auch in hohem Mafse die Fähigkeit, 
auf totgebranntem, noch nie gedüngtem Hochmoorboden hohe Erträge 
an Kartoffeln und Roggen, später auch an Hafer, Klee, Erbsen, 
Bohnen, Gräsern hervorzubringen. Gestützt auf diese in der er- 
wähnten Denkschrift näher dargelegten Erfahrungen haben die 
Organe der Provinz Hannover, der Provinzialausschufs und der 
Provinziallandtag, kürzlich beschlossen, mit der Kultivierung und 
Kolonisierung des bisher noch öden Teils des Bourtanger Moores 
einen Anfang zu machen. In günstiger Lage,*) an den beiden das 
Innere des Moores durchkreuzenden Kanälen, ist nach vorsichtiger Aus- 
wahl ein Terrain von 425 ha angekauft worden. Sorgfältig aus- 
gearbeitete Pläne über die vorläufig zu schaffenden Anlagen, die 
Bewirtschaftung u. a. wurden dem Provinziallandtag vorgelegt, 
welcher für die Erwerbung der Fläche, für die Kultivierung 
derselben und ihre Vorbereitung und Überführung in die Bewirt- 
schaftung und den Besitz von Kolonisten die Summe von 
400 (XX) Mark aus dem Aufforstungsfond bewilligte. Der Plan 
umfafst alles erforderliche, so die Kosten für eine Wegeanlage, 
für Nivellement, für die Durchführung der Hochmoorkultur 

auf HfiO ha und einer Veenkultur auf 40 ha, Forstkulturen 
und Baumpflanzungen, die Anlage einer Feldbahn von 5 km Länge, 
die Erbauung von Wohn- und Wirtschaftsgebäuden für (> Kolonisten, 
Anschaffung von Torf schiffen. Vieh und sonstigem Inventar, endlich 
die Anstellung eines Aufsehers zur Leitung des ganzen Unternehmens. 
Die Ansiedler sollen das Land in Zeitpacht oder Kauf erhalten. Man 
kann nur wünschen, dafs dieses Vorgehen der Provinz Haimover 
den besten Erfolg haben möge. Die Aussicht hierauf scheint be- 
gründet, wenn man an die von der Provinz neuerdings mit grofsem 
Erfolg durchgeführten Waldkulturen in der Heide denkt und wenn 
man sich vergegenwärtigt, wie es sich hier eigentlich nur um Wieder- 
aufnahme der in früheren Jahrhunderten durch die Anlage der 

*) Dio Lage der geplanten Kolonie ist auf dem Kartellen f?. 291 bezeichnet. 


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Veenkulturen erfolgreich begonnenen Besiedlung der Moore handelt, 
nur mit dem Unterschied, dafs die inzwischen gereifte tiefere 
wissenschaftliche Erkenntnis und praktische Erfahrung neue wirksame 
Mittel zur Lösung des Problems bieten. Gelingt der Versuch im 
Laufe der Jahre, so werden die öden Moorstrecken in unserm 
deutschen Nordwesten nach und nach verschwinden und den gleichen 
blühenden Kulturen Platz machen, wie wir sie jenseits der ver- 
witterten Granitblöcke, welche im Bourtanger Moor die Grenze 
bezeichnen, bei nnsern Nachbarn, den Niederländern, sehen. Denn 
das deutsche Kapital, das ja schon für eine immerhin unsichere 
äufsere Kolonisation zu haben war, wird sicher nicht Zurückbleiben, 
wenn es sich nach im Kleinen erreichten Erfolgen um die Durch- 
führung einer inneren Kolonisation im Grofsen handelt, die uns mit 
der Zeit im Lande selbst eine neue auf eigenem Grund und Boden 
arbeitende, gedeihende und kaufkräftige Bevölkerung schaffen wird. 


Uber die Ausdehnung des geographischen Unterrichts 
auf die oberen Klassen höherer Lehranstalten. 

Von Prof. Dr. Hermann Wagner in (jöttingen. 

Am 20. September d. J. hat die Bürgerschaft Bremens einen 
aus ihrer Mitte hervorgehenden Antrag angenommen, der weitere 
geographische Kreise zu interessieren geeignet ist und deshalb einer 
Erörterung von fachmännischer Seite unterzögen werden mag: 

„Die Bürgerschaft spricht den Wunsch aus, dafs der Senat 
die Frage in Erwägung ziehen möge, ob nicht — unter Voraus- 
setzung, dafs die Zahl der Unterrichtsstunden nicht vermehrt wird, 
— der geographische Unterricht am Gymnasium bis zu den obersten 
Klassen ausgedehnt werden könne“. 

Zunächst erinnern wir daran, dafs die Korporation, welche 
sich vor sieben Jahren aus Lehrern, Jüngern und Freunden der 
Geographie zusammengeschlossen hatte, um neben andern Zwecken 
zugleich die Förderung des geographischen Unterrichts mit auf ihre 
Fahne zu schreiben, der deutsche Geographentag, sich der an- 
geregten Frage bereits mehrfach angenommen hat. Am eindrin- 
gendsten geschah dies zu Berlin 1880 und Halle 1881 (Verhand- 
lungen des deutschen Geographentages zu Berlin 1880, S. 129, desgl. 
zu Halle 1881, S. 137, desgl. zu Frankfurt 1882, S. 178 ft.) und 


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das Ergebnis der Beratungen wird in einigen Forderungen zusammen- 
gefafst, aus denen die folgenden hierher gehören: 

„Die Geographie ist in sämtlichen Klassen der höhern Schulen 
mit eigenen Lehrstunden zu bedenken und auch in den Abgangs- 
prüfungen als selbständiger Lehrgegenstand zu behandeln“. 

Diese Thesen wurden mit mehreren andern, die Schulgeo- 
graphie betreffenden, begleitet von einer kurzen Motivierung laut 
Beschlufs der Geographentage an sämtliche deutsche Schulbehörden 
gesandt. Unter den darauf erfolgten Riickäufserungen der letztem 
hat natürlich die gröfste Bedeutung diejenige des preufsichen Un- 
terrichtsministeriums. Dieselbe (vom 3. November 1882) lautete da- 
hin, „dafs über die Stellung des geographischen Unterrichts in der 
Lehr- und Prüfungseinrichtung der höhern Schulen durch die kürz- 
lich in Geltung gesetzten revidierten Lehrpläne Bestimmungen ge- 
troffen seien, über deren Erfolg weitere Erfahrungen abzuwarten 
seien“ . 

Es ist hier Bezug genommen auf die Verordnungen vom März 
1882, in welcher die seit lange bestehende Verquickung des ge- 
schichtlichen mit dem geographischen Unterricht von neuem gutge- 
heifsen wird, indem der Lehrplan der Gymnasien 30 Stunden „Ge- 
schichte und Geographie“ umfafst mit der nähern Bestimmung, dafs 
in den untern Klassen die Geographie, in den obern Klassen die 
Geschichte bevorzugt werden soll. 

Das Resultat war und ist, dafs der geographische Unterricht 
thatsächlich in Tertia das Ende erreichte und selbst in dieser Klasse 
meist nur mit einer Stunde bedacht ist. 

Jene Resolutionen des deutschen Geographentages kamen 
also zu spät, um noch berücksichtigt werden zu können bei den 
bevorstehenden Verordnungen, denn bekanntlich sind solche von 
langer Hand vorbereitet. Das mufs man sich zum Trost sagen und 
braucht daher nicht das Zusammentreffen einer laut und eindring- 
lich redenden Kundgebung der Fachkreise mit einer scheinbar die- 
selbe total ignorierenden Mafsregel der Unterrichtsverwaltung als ein 
für alle Zukunft unsre Wünsche ausschliefsendes Faktum anzusehen. 

Und eben weil ich das volle Vertrauen in die gesunden Prin- 
zipien deutscher Unterrichtsverwaltungen habe, die ich bei der 
grofsen Vielseitigkeit der Erwägungen, die hier in Frage kommen, 
nicht durch einzelne Fehlgriffe oder Kurzsichtigkeiten mir beirren 
lasse, und weil ich dies Vertrauen aus der Entwickelung schöpfen 
zu können glaube, welche gerade die Pflege des geographischen 
Studiums und Unterrichts in PreuTsen seit zehn bis zwölf Jahren 

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genommen, halte ich es für richtig, dafs wir hei Zeiten auf die 
weitern Konsequenzen aufmerksam machen, welche aus dem bisherigen 
Betreten des neuen Weges folgen. 

Damit weise ich daher auch den etwaigen Vorwurf ab, als 
käme es uns Geographen auf Beunruhigung bestehender Verhältnisse 
an. Mit der Thatsache, so bedauerlich sie ist, müssen wir rechnen, 
dafs nämlich die verhängnisvolle Verordnung, welche einen nach 
unsrer Ansicht unheilvollen, aus früherer Zeit überkommenen Zu- 
stand bestätigt, erst aus dem Jahre 1882 stammt, mithin die 
Hoffnung, es werde sich eine Geneigtheit zeigen, bereits jetzt unsern 
Wünschen gemäfs generelle Mafsregeln zur Abänderung des Lehr- 
plans von 1882 zu ergreifen, wenig Aussicht auf Erfüllung hat. 
Immerhin sind schon fünf Jahre seitdem verflossen, und es liegt, 
wie ich glaube, wenigstens diejenige Periode schon hinter uns, wo 
die Lehrpläne andrer deutscher Staaten nach jenen preufsischen 
Verordnungen noch umgewandelt werden. Dies ist, meine ich, 
bereits geschehen, und der Rückschritt, der beispielsweise 1884 die 
sächsischen Realschulen ihrer geographischen Lehrstunden in Prima 
beraubte, welche sie früher besafsen, fängt vielleicht schon an in 
mafsgebenden Kreisen der Schulverwaltung als ein solcher erkannt zu 
werden, was unsern Argumenten kein geringes Gewicht zuführen würde. 

Ich fasse unter diesen Umständen meine vorliegende Aufgabe 
nicht dahin auf, dafs ich die Einführung bezw. Wiedereinführung 
des selbständigen geographischen Unterrichts in den oberen Klassen 
unsrer Gymnasien als eine wünschenswerte oder vom Standpunkt 
des rasch erfolgten Aufschwungs wissenschaftlicher Erdkunde zu 
fordernde nochmals beleuchte. Derartige Auseinandersetzungen werden 
zu leicht als subjektive Meinungsäufserungen eines Einzelnen ange- 
sehen, der pro domo spricht. Anders vielleicht, wenn man die 
Sache als eine notwendige Konsequenz der bereits von den mafs- 
gebenden Behörden beschrittenen Wege nachweisen kann, als das 
fehlende Glied einer Kette von Mafsregeln. zu denen die Schulver- 
waltungen bereits aus eigener Überzeugung gelangt sind, um einen 
deutlich erkannten Übelstand zu beseitigen. 

Darnach zerlege ich diese kleine Abhandlung in drei Abschnitte. 

Im ersten erörtere ich. dafs heute gewisse Vorbedingungen er- 
füllt sind, ohne welche die Abänderungen des Lehrplanes im Sinne 
des Antrages der Bremer Bürgerschaft nutzlos sein würden. 

Im zweiten suche ich nachzuweisen, warum die begonnene 
Reform des geographischen Unterrichts ihren Zweck verfehlt, wenn 
sie bei den bisherigen Schritten einer Reform von oben stehen bleibt. 

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Im dritten gehe ich auf die Mittel und Wege ein, um den von 
uns als notwendig erkannten Forderungen eines geographischen 
Unterrichts in den oberen Klassen der höheren Schulen schon vor 
einer allgemeinen Einführung einigermafsen gerecht zu werden. 

Man wird sich bei den gesamten Fragen vergegenwärtigen müssen, 
dafs wie bei jeder Umgestaltung des Lehrplans unsrer Schulen, vier 
Gruppen von Stimmen initzureden pflegen und mitzureden haben, 
die Schulverwaltungen, die Direktoren, die Fachlehrer und die öffent- 
liche Meinung, deren Stimmführer oder intellektuelle Leiter bei uns 
in Deutschland meist die Vertreter der betreffenden Wissenschaften 
sind* Da meiner Überzeugung nach drei unter diesen unsem 
Bestrebungen schon eng verbündet sind oder sympathisch gegenüber 
stehen, so handelt es sich besonders darum, solche Gründe ins Feld 
zu stellen, welche die Direktoren der Lehranstalten als durchschlagend 
anerkennen, und sie veranlassen den aktiven oder passiven Wider- 
stand aufzugeben, welcher die Weiterentwickelung des geographischen 
Unterrichts an so vielen Anstalten lähmt. Es soll dabei keineswegs 
verkannt werden, dafs derselbe häufig aus den Schwierigkeiten ent- 
springt, den verschiedenartigen Anforderungen an die Ausdehnung 
des Lehrplans gerecht zu werden. Aber bei der bekannten Thatsache, 
dafs heute an zahlreichen Anstalten der geographische Unterricht 
flickweise an ungeeignete wie an geeignete Kräfte von seiten der 
Direktoren vergeben wird, beweist zur Genüge, dafs Mangel an Ver- 
ständnis für die Bedeutung desselben die Hauptschuld daran trägt, 
wenn man die Leiter der Schulen als Hemmnisse für eine freie Ent- 
wickelung dieses Lehrzweiges aaszusehen gezwungen ist. 

I. 

Uber die Thatsache des geringen Erfolges des geographischen 
Unterrichts auf unsem höhern Schulen, wie er früher — und sicher 
zum teil bis heute — zu beklagen war, mich noch weiter zu verbreiten, 
erscheint mir nicht am Platze, da die Einsicht, dafs hier Wandel 
geschaffen werden müsse, ja längst bereits zu sehr umfassenden 
Reformen geführt hat. 

Alles kam und kommt darauf an, dafs man von seiten der 
Schulverwaltungen erkannte und erkennt, es seien hier manigfaltige 
Ursachen mitwirkend und es könne nur eine Beseitigung aller derselben 
zum Ziele führen. 

Weitaus der schwerwiegendste Grund war der fast gänzliche Mangel 
tüchtig rargebildeter Lehrer der Geographie und es war meines Er- 
achtens vollkommen richtig, dafs man von preufsischer Seite von 


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oben und nicht von unten reformierte, dafs man zuerst seine Auf- 
merksamkeit auf die Ausbildung tüchtiger Fachlehrer richtete, statt 
etwa mit Reform der Lehrpläne zu beginnen, für deren Durchführung 
nur an den wenigsten Schulen geeignete Kräfte vorhanden waren. 

Dieser Einsicht verdanken die geographischen Lehrstühle an 
deutschen Universitäten in erster Linie, wenn auch natürlich nicht 
allein, ihre Entstehung und jeder Docent, müfste es hiernach als 
eine seiner wichtigsten Pflichten ansehen, für die heranwachsende 
Generation Lehrer der Geographie auszubilden. 

Da hier jpdoeh ab ovo begonnen werden mufste, indem es zu 
Anfang schlechterdings fast an allem fehlte, an eigentlichen Docenten 
der Erdkunde, an einer ausgebildeten Methode für akademische Vor- 
träge und Übungen, an zweckmäfsigen Unterrichtsmitteln und Samm- 
lungen und vor allem an einigermafsen für das Studium der Geographie 
vorbereiteten jungen Männern, — so mufste der Reform einige Zeit 
gelassen werden sich einzubürgern, zu befestigen, zu wirken. 

Das ist der Grund, weshalb ich meine Überzeugung nicht zurück- 
halten kann, dafs jene Vorschläge der Geograph entage für Abänderung 
der Lehrpläne zu gunsten einer Erweiterung des geographischen 
Unterrichts eigentlich zu früh gemacht wurden. Wären sie 1880 
bereits allgemein eingeführt, so hätte es sicher an sehr vielen, ja 
an den meisten hohem Schulen noch an geeigneten Fachlehrern ge- 
fehlt, welche die neuen Verpflichtungen hätten erfüllen können. 

In diesen Beziehungen liegen die Dinge nun heute schon wesentlich 
anders. Einzelne jener geographischen Lehrstühle sind schon zwölf 
und mehr Jahre in Wirksamkeit und in Preufsen, Sachsen, dem 
Reichslande ist seit Jahren jede Universität mit einer solchen Pro- 
fessur versehen. Berücksichtigen wir ferner, dafs sich überall sehr 
bald ein starker Zudrang zu dem neuen Fach entwickelte, so folgt, 
dafs Norddeutschland heute bereits über eine nach hunderten zählende, 
sich täglich vermehrende Schar von mehr oder weniger tüchtigen 
Lehrern der Geographie verfügt, welche in Verbindung mit den 
altern noch auf autodidaktischem Wege gebildeten Vertretern dieses 
Fachs an den höhern Schulen jenen frühen Mangel an Lehrkräften 
bald ausreichend ersetzen kann. 

Doch es mufs eines andern Erfolges gedacht werden, welchen 
die auf den Geographentagen gleichzeitig zum Ausdruck gekommenen 
und weiter im stillen fortgesetzten Bestrebungen gefunden haben. 

Dieser Punkt gehört nicht nur deshalb hierher, weil er zeigt, wie 
naturgemäfs, wie mit Notwendigkeit sich eine berechtigte Forderung 
nach der andern erfüllt, sondern weil sie auch auf die Stellung des 

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— 303 — 

geographischen Unterrichts rückwirken wird und mufs. In dem 
neuen Prüfungsreglement für Lehramtskandidaten vom März 1887 
ist endlich der erste entscheidende Schritt für die Erhebung des 
Studiums der Geographie zu einem selbständigen Fach, einem solchen, 
welches nicht notwendig mehr mit dem der Geschichte verbunden 
ist, gethan. Es gehört nicht zu den geringsten der Vorteile, welchen 
diese Verordnung im Gefolge haben wird, dafs nunmehr eine zwar 
kleinere Zahl von jungen Männern sich dieser Disziplin zuwendet, 
aber sicher zumeist nur von solchen, welche tieferes Interesse und 
gröfsere Befähigung für die Geographie in sich fühlen. Wichtiger 
scheint mir indessen der Umstand, dafs darin nun auch von seiten 
der mafsgebenden Kreise der Schulverwaltung die Geographie als 
Wissenschaft, die mehr als blofse Hilfswissenschaft ist, anerkannt 
wird. Nicht dafs die Geographie als solche ein derartiges offizielles 
Zeugnis bedürfte, in wissenschaftlichen Kreisen hat dieselbe seit 
längeren Jahren diesen ihr besonders durch Ritters Einfiufs indirekt, 
aufgeprägten Charakter abgestreift und fühlt sich in dem Bewufst- 
sein ihrer Selbständigkeit und ihrer rein naturwissenschaftlichen 
Grundlage wohl. Aber für die Stellung des geographischen Schul- 
unterrichts ist die Auffassung, welche in den direktiven Kreisen über 
die betreffende Wissenschaft herrscht, viel wichtiger, als diejenige, 
welche ihre Fachvertreter davon hegen. Und eben deshalb kann 
die endliche Aufhebung der obligatorischen Verquickung der Geographie 
mit der Geschichte, welche bei der Lehrerbildung durch Jahrzehnte, 
vorgeschrieben war, nur zur Folge haben, dafs auch im Schulunterricht 
ihr eine etwas andre und namentlich selbständigere Stellung ge- 
währt wird. 

Ich bin weit entfernt davon zu verlangen, dafs fortan der 
geschichtliche und geographische Unterricht notwendig in getrennte 
Hände gelegt werden müfste, oder es als meine Überzeugung aus- 
zusprechen, dafs überhaupt nur der Lehrer der Naturwissenschaften 
oder der Mathematik geeignet sei, den geographischen Unterricht 
zu erteilen — vielmehr mufs nur gefordert werden, dafs der Ver- 
treter eines beliebigen Faches, welcher gleichzeitig Unterricht 
in der Erdkunde übertragen erhält, nun auch wirklich solchen 
im wahren Sinne des Wortes erteilt, nicht etwa nur historische 
Topographie, aber auch nicht nur Kosmographie unter dem Namen 
der Geographie lehrt. Kurz, ich ziehe aus der jetzigen Entwicke- 
lung den Schlufs und die sicherste Zuversicht, dass die verhängnis- 
volle Kombination „Geschichte und Geographie “ des Lehrplans der 
Schulen von 1856 und 1882 fallen mufs und über kurz oder lang 


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fallen wird, und schöpfe dieselbe aus dem Umstand, dafs in diesem 
Punkte von jenen vier maßgebenden Faktoren der in diesem Fall 
wichtigste, die oberen Schulbehörden, beginnt, sich den Überzeugungen 
der Vertreter der Wissenschaft sowie der jüngeren Generation geogra- 
phischer Fachlehrer anzuschliefsm. 

Aber ich wiederhole meinen Zweifel, ob eine generelle Abän- 
derung des Lehrplans im angeregten Sinne schon in Bälde zu er- 
warten ist. Neue Erlasse werden vor Aust rag der prinzipiellen Fragen 
über die gesamte Umgestaltung unseres höheren Schulwesens 
schwerlich hervortreten, und sicher müssen die Leiter der einzelnen 
Schulen erst noch in ihrer Gesamtheit in unser Lager herübergezogen 
werden, ehe man sich innerhalb der Schulbehörden ernstlich mit der 
Frage beschäftigt. 

Diese Umstimmung ist sicher die schwierigste Aufgabe, weil 
wir hier keine geschlossene, von wenigen Autoritäten geleitete Macht 
vor uns haben, sondern eine ungemein grofse Zahl kleiner Souveräne, 
mit denen man einzeln gleichsam in Unterhandlung zu treten hat. 
Die Schwierigkeiten, die uns hierbei im Wege stehen, sind subjek- 
tiver wie objektiver Natur. 

Die grofse Mehrzahl der heutigen Direktoren unsrer höhern 
Lehranstalten ist aus philologischer Schule hervorgegangen, welche 
dem Studium sogenannter Nebenfächer auf den Universitäten abhold 
war und sicher im allgemeinen noch keine Gelegenheit fand oder 
sie jedenfalls noch nicht suchte, Kenntnis von dem Wesen geogra- 
phischen Studiums auf der Universität zu nehmen. Und jene traurigen 
Zeiten, in denen man eine Lehrbefähigung für den Unterricht in der 
Geographie erwerben konnte auf Grund weniger Fragen eines Histo- 
rikers nach geschichtlichen Lokalitäten und ohne nur ein geogra- 
phisches Buch angesehen zu haben, konnten sicher auch den zahl- 
reichen Direktoren, welchen eine solche Fakultas verbrieft war, 
kein inneres Interesse und Verständnis, keine Wertschätzung für 
unsre Disziplin eintlöfsen. Daher auch das geringere äufsere Interesse 
für den geographischen Unterricht an den ihnen an vertrauten Schulen, 
über welches so viele der eifrigen altern oder jüngern Lehrer der 
Geographie mit Recht klagen. 

Nimmt man dazu, dafs auch im Lehrerkollegium die Mehrzahl 
genau auf dem gleichen Standpunkte steht, so läfst sich die Grofse 
des passiven Widerstandes, welchen der Reformator an solchen 
Schulen zu überwinden hat, ermessen. 

Zum Glück vereinigen sich heute verschiedene Momente, um 
diese in dem persönlichen Bildungsgang der Direktoren liegenden 


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Schwierigkeiten zu bekämpfen. Von oben wirken nicht selten 
die Winke der Schulräte oder höheren Behörden, die eine etwas 
engere Fühlung mit den Universitäten bewahren,* — man braucht 
in diesem Punkte nur an die Direktorenkonferenzen zu erinnern, 
welche sich mehrfach mit dem geographischen Unterrichte beschäf- 
tigten. Ganz ohne Einflufs werden doch auch die lauter werdenden 
Stimmen geographischer Fachmänner und ihre Vereinigungen in den 
Geographentagen nicht sein, wiewohl ich diesen der Hauptmasse der 
Direktoren gegenüber noch als sehr geringfügig ansehe. Somit bleibt 
die Hauptarbeit dem eimeinen Fachlehrer der Geographie übrig — 
oder im günstigen Falle mehreren an gleicher Anstalt wirkenden — 
um bei ihrem Direktor und dem Lehrkollegium jene Umstimmung 
hervorzurufen, die ich als Vorbedingung für Änderung des Lehrplans 
hinstellte. 

Es liefse sich über diesen neuen Punkt ein Buch schreiben und 
ich selbst vermöchte aus persönlichen Mitteilungen und Briefen teils 
ehemaliger Schüler, teils angestellter Lehrer, die sich einer Prüfung 
in der Geographie unterzogen, ein reiches Material dazu zu liefern, um 
zu schildern, mit welchen Vorurteilen und Schwierigkeiten dieselben 
zu kämpfen haben, um ihre Kräfte richtig zu entfalten, um die 
nötigen Lehrmittel zu erhalten, um unbeeinträchtigt von den Ein- 
griffen ihrer Kollegen ihre Schüler das lebendige Interesse, welches 
sie für die Geographie gewinnen, auch offen zu bethätigen zu lassen. 

Ich habe, um offen zu sein, solche klagenden Mitteilungen stets 
mit einer gewissen inneren Ruhe und Freude entgegengenommen, denn 
dafs diese Kämpfe notwendig waren und sind, war mir von jeher 
klar. Abgesehen davon, dafs die über die einzelnen verhängte 
Prüfungszeit für deren Entwickelung nur zu oft als heilsam zur 
Stählung ihrer intellektuellen wie sittlichen Kräfte angesehen werden 
darf, sind auch schon positive Erfolge zu verzeichnen. Wie oft 
vermochte ich den Niedergeschlagenen das Beispiel derer entgegen- 
zuhalten, welche nach Jahren unermüdlichen Strebens die Er- 
reichung des Ziels, die Anerkennung der Bedeutung des geogra- 
phischen Unterrichts durch Direktor und Kollegen, die Herbeischaffung 
einer schönen Sammlung von Unterrichtsmitteln, der Erlaubnis 
geographischer Spaziergänge u. a. m. berichten konnten. 

Hier also liegt der Schwerpunkt für die enger begrenzte Frage 
unsres Themas. Die Persönlichkeit des einzelnen Lehrers vermag 
an der einzelnen Schule für die Hebung des geographischen Unter- 
richts trotz entgegenstehenden generellen Lehrplans doch das meiste 
zu thun und alle andern Ratschläge oder Mafsregeln sind wirkungs- 

Geograph. Blätter. Bremen, 1887. 22 

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los, wenn dieser Faktor versagt. Ich zweifle aber durchaus, ob heute 
schon an allen Schulen solche durch Selbststudium oder akademische 
Vorbereitung ausgebildete Lehrer vorhanden sind, die sich durch ihr 
Wissen, ihre Begeisterung für die Sache, ihren pädagogischen Takt eine 
Stellung verschaffen können, wie wir sie erheischen. Und selbst- 
verständlich stelle ich die genannten Eigenschaften nicht allein in 
Abhängigkeit von einer durch einen Fachprofessor zuerkannten „Lehr- 
befähigung“. Denn in der nunmehr, wie ich denke, abgeschlossenen 
Übergangszeit, in welcher der Zudrang zum geographischen Studium 
ähnlich gewaltig war, wie zu andern Zweigen des Lehrerberufes, 
sind auch manche ungeeignete Elemente in diesen letztem gelangt, 
an denen die nachfolgende Generation noch zu leiden haben wird. 

n. 

Nach diesen Auseinandersetzungen liegt der Gedanke nahe, dafs 
wenn nur erst allerwärts tüchtig fachmännisch vorgebildete Lehrer 
der Geographie an unsern höhern Schulen thätig sind, wenn sie 
durch Direktoren alle die Förderungen erfahren, die man innerhalb 
eines Komplexes von Lehrgegenständen für einen einzelnen überhaupt 
erwarten darf, dafs dann allen Anforderungen an eine geographische 
Bildung der Schüler genügt werden könnte, ohne dafs die Lehrpläne 
im Sinne des Bremer Antrages abgeändert werden. 

Hierauf mufs nicht nur aus allgemein theoretischen Gründen, 
sondern infolge rein praktischer Erfahrungen mit einem entschiedenen 
Nein geantwortet werden. Wir haben hierbei durchaus den all- 
gemeinen Zweck der höhern Schulen im Auge, allen denen, welche 
sich den höhern Berufsarten widmen wollen, eine allgemeine Durch- 
bildung des Geistes ohne spezielle Rücksicht auf ein späteres Fach- 
studium mit auf den Weg zu geben; sie sollen befähigt werden, 
sieh in das Verständnis der ihre Zeit bewegenden grofsen Faktoren 
je nach ihrem späteren Berufskreis einzuleben. Fern sei es, mich 
nun sofort auf eine Untersuchung und Abwägung des sogenannten 
Bildungswertes der verschiedenen Schuldisziplinen einzulassen. Der 
grofse Gehalt des sprachlichen, geschichtlichen, mathematischen 
Unterrichts soll ebensowenig geleugnet werden, als die Notwendig- 
keit, den gesamten höhern Schulen den Untergrund klassischer 
Bildung zu belassen. Wir wollen uns in enger Begrenzung halten. 
Es fragt sich danach nur, ob der Zweck, welchen man mit Ein- 
führung des geographischen Unterrichts in diese Schulen überhaupt 
verfolgt hat, auch wirklich erfüllt werden kann, wenn er, wie es jetzt 
üblich, sich bereits in der Sekunda verblutet. Dieser Zweck kann 


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— BO 7 — 


in erster Linie nicht in dem Sinne formaler Natur sein, dafs da- 
durch rein Verstandeskräfte geübt und abgerichtet werden sollten, 
vielmehr will man durch ihn wie durch den geschichtlichen reale 
Ideen in das jugendliche Gemüt einpflanzen, an welchen die spätere 
Bildung unmittelbar oder mittelbar anknüpfen kann. Ist dem so, 
so lehrt die Erfahrung, dafs der Zweck unter den jetzigen Verhält- 
nissen nicht erfüllt werden kann und nicht erfüllt wird, und dafs 
demnach Wandel geschaffen werden mufs, wenn nicht die jahrelange 
Arbeit geographischen Unterrichts überhaupt vergeblich sein soll. 

Der Beweis, dafs der Zweck nicht erfüllt wird, ist leichter zu 
erbringen, als dafs es beim Fehlen eigener Stunden in den obern 
Klassen nicht geschehen kann. Er liegt in den Prüfungs-Ergeb- 
nissen der heutigen Abiturienten, sowie der Kandidaten des höhern 
Schulamtes. Bekanntlich hebt das neue Prüfungsreglement für letztere 
von 1887 dies Erfordernis des Nachweises sog. allgemeiner Bildung auf, 
und damit hören auch die Prüfungen hinsichtlich einiger Kenntnisse der 
Geschichte, der Geographie, des Lateinischen und des Französischen 
u. a. künftig auf. Um so unschätzbarer ist das in den Prüfungs- 
protokollen während der letzten zehn bis zwölf Jahre aufgesammelte 
Material zur Beurteilung der geographischen Bildung unsrer ge- 
bildeten, ja gelehrten Stände. Denn es ist nicht anzunehmen, dafs 
es bei Theologen, Juristen und Medizinern damit besser stände als 
bei Philologen, Mathematikern, Historikern, Naturwissenschaftlern, 
kurz den Jüngern philosophischer Disziplinen. 

Was hat sich nun herausgestellt und stellt sich noch heute 
heraus ? Dafs während fast alle Kandidaten über die grofsen Phasen 
der Weltgeschichte und speziell die Perioden der deutschen und 
preufsischen Geschichte leidlich orientiert sind, und insbesondere 
eine geringe Beschäftigung mit diesen Gegenständen etwa schlummernde 
Kenntnisse rasch wieder wach ruft, über geographische Verhält- 
nisse des Vaterlandes, wie aufserdeutscher Gebiete die grö/sle Un- 
kenntnis oder Unklarheit herrscht. Dazu tritt für die meisten der- 
selben die Unmöglichkeit, sich bei der knapp bemessenen Vorberei- 
tungszeit nur einigermafsen über die Erdoberfläche und die elemen- 
tarsten Teile der politischen Geographie zu orientieren, weil die 
Betreffenden — nach eigenem Geständnis — nicht mehr an Bekanntem, 
nur im Gedächtnis und im Vorst ellungsvermögen Zurückgedrängten 
anknüpfen können. 

Es ergeht ihnen hier genau so, wie im Gebiet der Geschichte 
des 19. Jahrhunderts, in der die gleichen Examina eine erstaunliche 
Unkenntnis ans Licht gezogen haben. Diesem Übelstand konnte 

22 * 


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308 — 


man und hat man von behördlicher Seite sofort abzuhelfen gesucht, 
indem man Verordnungen erliefs, den geschichtlichen Unterricht in 
den obern Klassen bis zum Jahre 1870 auszudehnen. Hinsichtlich 
der geographischen Ignoranz stand höchstens das Mittel zur Ver- 
fügung, im Abiturientenexamen auf diese Disziplin gröfsern Nach- 
druck zu legen. Aber damit erreichte man nicht viel mehr als etwa 
durch die Mafsregel, dafs man den Vertretern der Geographie die 
Prüfung der allgemeinen Bildung in dieser Disziplin im Examen für 
Schulamtskandidaten übertrug, — eine rein äufserliche, vielleicht 
für den momentanen Zweck ausreichende Aneignung von Thatsachen, 
niemals aber eine Einpflanzung realer Ideen über die Erfüllung der 
Erdräume mit verschiedenartig ausgestatteten Ländern, Lebewesen 
und Menschen. 

Eine solche kann nur durch eine ununterbrochene, bis zum 
Schlufs der Schulzeit reichende Beschäftigung mit dem Gegenstände 
gewonnen werden, ganz wie bei den andern Schuldisziplinen. Ins- 
besondere aber bei einem Wissenszweig, bei welchem Jahre hindurch 
die trockenere Seite der Einprägung von Formen, Lagen, Namen 
und Zahlen die Hauptthätigkeit von Lehrer und Schüler in Anspruch 
nehmen mufs. Man nimmt beiden den Lohn der Mühen, wenn man 
den Unterricht dort abbricht, wo die Entwickelung allgemeinerer 
Ideen verwandt werden kann, um das elementare Wissen immer 
von neuem aufzufrischen. 

Jedoch auf solche mehr gemütvolle Gründe wollen wir uns 
deshalb nicht einlassen, weil sich andre Fächer des niedern Gym- 
nasialunterrichts, wie vor allem die Naturgeschichte, in gleicher Lage 
befinden, und die hieraus sich ergebende Konsequenz unsern An- i 

forderungen nur ungünstig sein kann. Denn die Überbürdungsfrage 
würde uns sofort entgegengehalten werden. 

Vielmehr müssen wir die gröfsere Bedeutung geographischer 
Kenntnisse gegenüber naturhistorischen für die höher Gebildeten 
und demnach die Notwendigkeit gröfseren Spielraums für den geo- 
graphischen Schulunterricht nachzuweisen suchen, alles mit Rück- 
sicht auf die Oekonomie des gesamten Lehrplans. Wir sehen sie 
darin, dafs der Sprung von der Auffassung der Formen der Lebe- 
wesen, welche die Beobachtungsgabe und den Natursinn jugend- 
licher Geister so ungemein anzuregen und zu beleben weifs, bis zur 
Erfassung allgemeinerer Ideen über die Organisation und Enwickelung 
derselben ein zu gewaltiger ist, als dafs er mit Erfolg schon inner- 
halb der Schuljahre gethan werden könnte. So mächtig auch heute 
der Aufschwung der Naturwissenschaften ist, so laut die Natur- 

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pliilosophen in der Entwickelungslehre ihre Stimme erheben, so mufs 
doch jeder, der nur einige pädagogische Erfahrung über das Auf- 
fassungsvermögen von Schülern höherer Lehranstalten hat, sagen, 
flafs hier Ideen zu erörtern sind, welche selbst für die grofse Masse 
der Gebildeten schwerverständlich, geschweige denn für Schüler es sind. 

Leichter begreifliche Ideen lassen sich an den Reichtum der 
Naturformen anknüpfen, sobald man der Verbreitung derselben, der 
verschiedenen Ausstattung der Naturräume mit solchen gedenkt. 
Dann aber befindet man sich innerhalb der populären Behandlung, 
die hier allein in Frage kommen kann, auf geographischem Boden, so 
dafs recht eigentlich der geographische Unterricht geeignet ist, in 
den obern Klassen das Fazit des naturhistorischen in untern und 
mittlern zugleich mit zu ziehen. 

Aber damit berühren wir nur eine Seite jener realen Ideen, 
welche die Erdkunde noch innerhalb des Schulunterrichts den Schülern 
mit auf den Weg zu geben vermag. Und somit kommen wir zum 
Kernpunkt der Sache. 

Solange ein Volk in völliger Isolierung lebt, wie es die ostasia- 
tischen noch bis vor kurzem durch Jahrhunderte thaten, hat die 
Kenntnis geographischer Verhältnisse in andern Gebieten der Erde 
für die Gesamtbildung des Volkes kaum einen gröfseren Wert als 
jede innerhalb eines Gelehrtenkreises gepflegte Idee oder Erkenntnis. 
Anders wenn die politischen und wirtschaftlichen Fäden dasselbe 
hundertfach und in steigendem Mafse mit andern Völkern der Erde 
verknüpfen und der Wechsel von Wohl und Wehe der einzelnen bis 
in die fernsten Gegenden Wellen schlägt. 

Dann ist der Zeitpunkt gekommen, wo die Volksseele ihr Herz 
erweitern, die gebildeten Träger desselben ihren Blick weiter umher- 
schweifen lassen und lernen müssen, was aufserhalb des nächsten 
Interessenkreises — im räumlichen Sinne genommen — vor sich 
geht. 

Welcher Schulmann wollte leugnen, dafs unser Volk längst in das 
Stadium solcher tausendfältiger Beziehungen getreten ist, wer könnte 
leugnen, dafs zu diesen die realen Kenntnisse der Gebildeten über 
alle fremden Länder und Erdteile in schreiendstem Widerspruch 
stehen? Aber verweilen wir selbst in den Grenzen des deutschen 
Reiches. Die Entstehung des neuen Staatenbundes hat die isolierten 
Teile in so enge Bande gebracht, dafs es eine unabweisliche For- 
derung ist, über die andern Provinzen und Staaten wenigstens 
einigermafsen orientiert zu sein. 


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Wie aber reimen sich solche Forderungen mit den Vorstellungen, 
wie sie bei näherer Erforschung zu Tage treten? 

Wenn Königsberg an die Weichsel, die Altmark an die Oder, 
der Kyffkäuser ins Fichtelgebirge verlegt ward — lauter Ergeb- 
nisse der Prüfung von 24- bis 30-jährigen Männern — so wird man 
dies vielleicht noch auf den Mangel des historischen Unterrichts, 
der die Karte zu wenig benutzte, zu schieben geneigt sein, aber 
wenn Semmering und Brenner verwechselt werden, das Engadin 
nach Tirol verlegt wird, Dutzende über die Lagenverhältnisse vom 
Gotthard und Simplon garnicht orientiert sind, trotzdem der Gotthard- 
tunnel in jedermanns Mund, wenn Leute, die sich in England und 
Frankreich als Lehrer oder Stipendiaten anfgehalten, von Hüll und 
Southampton nie etwas gehört zu haben behaupten oder nicht ein- 
mal die Provinzen anzugeben wissen, welche sie auf dem Wege von 
Paris zur Heimat durchfahren haben, so zeugt dies von einem 
Mangel an geographischem Sinn, den viele für Übertreibung halten 
werden, der sich aber protokollarisch nachweisen läfst. 

Man dehne aber solche Fragen auf weltbewegende, wie die 
nach den heutigen Kornkammern der Erde, die Heimatsländer der 
grofsen Stapelprodukte des Welthandels, über Volksverbreitung und 
Kolonialbesitz aus, und auch dem grüfsten Gegner unsrer Bestre- 
bungen, wenn anders er ein gebildeter Mann ist, müssen die Augen 
aufgehen, dafshier auf Abhülfe gesonnen werden mufs. Nun gar, wenn 
man die Vorstellungen über Volksmengen, Gröfse und Machtverhält- 
nisse von Staaten und Provinzen, über die Verteilung der Nationali- 
täten erforscht. Da wird mit Millionen umhergeworfen ohne Sinn 
und Verstand, ohne jedes Mafsverhältnis. Nicht immer sind es 
Überschätzungen, wie wenn man den Vereinigten Staaten 300 Mill., 
der Schweiz 10 Mill. Bewohner giebt, auch 1000 Menschen auf einer 
Quadratmeile ward für eine sehr dichte Bevölkerung — bei uns — ge- 
halten. Andre gestehen offen, überhaupt nicht eine einzige Zahl über 
Bevölkerungsgröfse zu kennen, von andern Zahlenwerten, die in der 
Geographie eine Rolle spielen, ganz zu schweigen. 

Doch ich will das Kapitel der geographischen Zahlenverhält- 
nisse nicht weiter erörtern, hier kann die Wirkung bessern Unter- 
richts, der vielleicht in untern Klassen heute gegen früher schon 
erteilt wird, noch nicht im Kreise jüngerer Männer in die Erscheinung 
treten. Und sicher wird durch weitere Pflege des Anfangsunterrichts 
auch sonst noch vieles gebessert werden. Aber man täusche sich 
nicht, ivenn dieselbe, wie jetzt, bereits in Tertia abbricht, so ist es 
undenkbar, da/s die Kenntnisse jene tiefe Wurzeln schlagen, die für 

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ein Haften im späteren Leben unerläfslich sind, ein Haften nicht in 
der Form stets präsenten Wissens, das ja nur einzelne begünstigte 
Naturen von sich rühmen können, sondern in der Form fest be- 
gründeter räumlicher Vorstellungen, welche sich jederzeit leicht auf- 
frischen und zu einem Kreis realer Ideen erweitern lassen. 

III. 

Wenn der Erfolg eines Unterrichts in erster Linie von dem 
Interesse abhängt, welches der Lehrer im Schüler zu erwecken weifs, 
so ist jener an Preufsens Schulen vielfach übliche Ersatz geogra- 
phischer Lehrstunden in oberen Klassen — die sogenannten geogra- 
phischen Repetitionen — ein totgeborenes Kind. 

Im allgemeinen stimmen damit auch alle Lehrer überein. Es 
ist das ja nur zu begreiflich, denn die sogenannten Repetitionen 
sollen nur Zusammenfassungen aller der Thatsachen und Anschauun- 
gen sein, welche der Unterricht in seiner ganzen Breite und dem 
jeweiligen Bildungstand und Interessenkreis der Schüler entsprechend 
vorgeführt hat. Repetitionen gehören also beim geographischen 
Unterricht selbstverständlich zu den allernotwendigsten Mafsregeln. 

Aber beim Fehlen eigentlichen Unterrichts in den oberen 
Klassen können diese Repetitionen im wesentlichen stets nur bei der 
Summe von Erkenntnissen und Anschauungen anknüpfen, welche 
dem untern Standpunkt entsprechen. Über diesen aber sind Sekun- 
daner und Primaner hinaus. Darin liegt die Wurzel der Unfrucht- 
barkeit dieser Repetitionen in den obern Klassen, die noch erhöht 
wird, wenn sie nicht von demselben Lehrer abgenommen werden, 
welcher den Unterricht früher erteilte. Die Unkenntnis des früher 
geforderten, durchgenommenen Stoffes von Seiten des neuen Lehrers 
führt zu weitern Unzuträglichkeiten, da für letztere keine Zeit 
bleibt, die entdeckten Lücken auszufüllen. 

Selbstverständlich reden wir hiermit nicht dem Fortfall der 
Repetitionen das Wort — besser diese als gar keine Rückerinnerung 
— , sondern behaupten nur von neuem deren Bedeutungslosigkeit als 
Ersatz für die ausfallenden Lehrstunden. 

Demnach stehen wir ganz und voll auf dem Standpunkt, dafs 
ein jeder Direktor die Pflicht hat in Erwägung zu ziehen, wie er 
für eigene Lehrstunden der Geographie in den obern Klassen Platz 
gewinnt. Es kann mir dabei nicht in den Sinn kommen, einen 
Rat erteilen zu wollen, welcher Unterrichtszweig statt dessen be- 
schränkt werden könnte, wenn auch der häufig ausgesprochenen 
Ansicht gedacht werden mag, dafs dies durch Beschränkung des 


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einzelnen geschichtlichen Lehrstoffes am ehesten zu erreichen wäre. 
Wie früher angedeutet, knüpfe ich die Hoffnung zunächst nicht an 
eine allgemeine Malsregel, sondern daran, dafs die Verhältnisse an 
einzelnen Schulen vielleicht günstiger liegen und diese andern 
Unterrichtsanstalten den Beweis liefern, dafs sich die Sache ohne 
wesentliche Beeinträchtigung der übrigen Lehrfächer oder zu starke 
Anspannung der Schüler machen läfst. Diese günstigen Verhältnisse 
werden nicht nur in einem einsichtigen, unserm Fache zugethanen 
Direktor liegen, sondern auch in der Zusammensetzung des Lehrer- 
kollegiums. Wo keine tüchtige Lehrkraft für Geographie vorhanden, 
wäre es durchaus vergeblich, die Sache durch Einstellung eigener 
Lehrstunden fördern zu wollen. Ein Philolog oder Historiker der 
alten Schule würde dieselben als eine schwere Last empfinden und 
den Schülern die Erdkunde mehr als durch die sogenannten Re- 
petitionen verleiden. Aber ebenso kann ein jugendlicher Brausekopf 
oder einseitig ausgebildeter Fachlehrer der Geographie die Sache in 
ein falsches Fahrwasser bringen, wenn er, ohne sich an das Ge- 
samtziel gymnasialer Bildung zu halten, die jugendlichen Geister 
mit wissenschaftlichen Problemen unterhält, die ihn selbst von der 
Universität her interessieren. Nur der wird uns ein rechter Bundes- 
genosse sein können, welcher sich ganz in den inneren Organismus 
seiner Schule eingelebt hat und gerade im geographischen Unter- 
richt ein Mittel erkennt und zur Anwendung zu bringen mit- 
schlossen ist, um der leidigen Zersplitterung der Geisteskräfte 
der Schüler, wie sie die in die Breite wachsende Bildung mit sich 
bringt, entgegenzuarbeiten. Wir leiten ja gerade aus der associierenden 
Kraft geographischer Ideen die Berechtigung unsrer Forderung ab. 
Nachdrücklich weisen hierauf die Thesen hin, welche der erste 
deutsche Geographentag den Schulbehörden vorlegte. Die Geographie 
wird dort „als das einzige Fach bezeichnet, welches naturwissen- 
schaftlich - mathematisches mit geschichtlichem Wissen verbindet 
und dadurch ein kräftiges Gegengewicht gegen die schädliche Zer- 
splitterung bildet.“ *) 

Endlich ist es denkbar, dafs tüchtige Lehrkräfte anderer Dis- 
ciplinen an einzelnen Schulen ihre Zöglinge derart fördern, dafs 
wenigstens semesterweise eine Stunde für eigene geographische Lehr- 
stunden abgetreten werden könnte. 

Kurz, wenn nur die Direktoren erst von deren Notwendigkeit 
überzeugt sind, so läfst sich sicher an den meisten hohem Schulen 


*) Verhandlungen des deutschen Goographentages 1881, S. 128. 

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zunächst wenigstens eine geographische Lehrstunde für Sekunda und 
Prima erübrigen. Die. Vorbedingung der Gedeihlichkeit solcher 
Mafsregel ist allerdings unter allen Umständen, dafs der Erdkunde 
in den mittleren Klassen zwei volle Lehrstunden eingeräumt werden. 

Leider ist selbst dies heute nur selten der Fall. Unsre nächsten 
Forderungen sind hiernach in der That durchaus mäfsige. Sie werden 
keineswegs allen Geographen genügen, trotzdem erklären wir, dafs 
dadurch schon viel erreicht sein würde. 

Und nun darf daran erinnert werden, dafs solche Einrichtung, 
wie sie eben in Vorschlag gebracht wird, auch bereits an manchen 
Schulen, welche die geographischen Fachlehrer „bevorzugte“ nennen, 
unabhängig von der Verordnung von 1882 erfolgt ist. Ich möchte 
es jüngern, über mehr Zeit verfügenden Kräften überlassen den Beweis 
für fliese Behauptung statistisch dadurch festzustellen, dafs die Schul- 
programme einer genauem Durchsicht unterzogen werden. Und 
ferner spricht doch unzweifelhaft für die Durchführung der ge- 
wünschten Mafsregel die Thatsaehe, dafs zahlreiche Anstalten, 
besonders Mittel-Deutschlands, die Einrichtung eigenen geographischen 
Unterrichts in den obern Klassen besafsen, bevor er ihnen durch 
die Novelle des Jahres 1882 genommen ward. 

Ich entnehme diesen Verhältnissen unsre Berechtigung den 
einzelnen Direktoren ganz im Sinne des Antrages der Bremer Bürger- 
schaft die Bitte ans Herz zu legen, zu erwägen, ob sich nicht 
das Gleiche an den ihnen unterstellten Schulen durchführen läfst, 
unbekümmert um die allgemeinen Bestimmungen oder besser in 
richtiger Auslegung der Bestimmungen des Lehrplans. 

Im Laufe der Jahre habe ich den Irrthum, welcher meines 
Erachtens nach ziemlich weit verbreitet ist, abgestreift, als seien 
Schulräte und Direktoren, namentlich Preufsens, durch die stramme 
Zucht der Beamtenhierarchie an engherzige Befolgung der geschrie- 
benen Verordnungen gebunden. Vielmehr giebt es unter beiden 
Kategorien zahlreiche bedeutendere Männer, die ihre Provinz bezw. 
ihre Schule innerhalb der allgemeinen Bestimmungen nach eigenen 
Ideen und Idealen zu gestalten und zu beeinflussen wissen, die die 
Formen nur als Mittel zum Zweck, nicht als Selbstzweck betrachten. 

Auf solche Männer setzen wir zunächst unsre Hoffnung und lassen 
uns nicht durch die Erfahrungen in einzelnen Provinzen und deutschen 
Staaten oder durch Beschränktheit einzelner Direktoren beirren. 

Dafs aber die Leiter höherer Schulen in den kleinen deutschen 
Staaten eine noch viel unabhängigere Stellung haben, ist sicher un- 

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bestritten, und somit wird es diesen noch leichter möglich sein, den 
Lehrplan in kleinerem Mafse ihren individuellen Anschauuungen 
entsprechend umzugestalten. 

Und nun zum Schlafs noch ein Wort über einen solchen geo- 
graphischen Unterricht in den obern Klassen unsrer hohem Schulen. 

Er kann unter sehr verschiedenem Gewände erteilt werden und ein 
allgemeines Schema kann nicht in Vorschlag gebracht werden, 
so lange man noch an den zufällig vorhandenen Lehrkräften an- 
kniipfen mufs. 

Dennoch läfst sich der allgemeine Grundsatz in den Vorder- 
grund stellen, dafs durch jenen Unterricht — ganz wie bei den so- 
genannten Repetitionen — in erster Linie reine elementare Kennt- 
nisse, vor allem das Bild der Landkarte stetig aufgefrischt werden 
müssen, dafs dies der Endzweck des Unterrichts ist wie in den unteren 
Klassen. Aber derart, dafs die erwachsenen Schüler diesen Zweck 
nicht merken, der Unterricht mufs ihnen ein ganz neuer, durch- 
geistigter, höherer zu sein scheinen. Und selbstverständlich sollen 
allgemeinere, reale Ideen in die jugendlichen Köpfe dabei gepflanzt 
werden. Aber da diese ohne jene Grundlage, welche sie an das 
Kartenbild festheftet, wie Nebel rasch verfliegen, so gehört eine 
feine und bis in die Einzelheit ansgearbeitete Darstellung 
dazu. Hier kommen nicht allgemeine didaktische Prinzipien, sondern 
bis ins kleinste durchgeführte methodische Gesichtspunkte zur 
Geltung. Kaum ein Name, keine Zahl darf ohne Zweck, etwa nur 
der Ausschmückung wegen angebracht werden, alles mufs womöglich 
aus der Karte herausgelesen oder an die Betrachtung derselben an- 
geknüpft werden, ohne natürlich in diesen Klassen die heuristische 
Methode so in den Vordergrund zu stellen, wie dies beim geogra- 
phischen Unterricht in den untern und mittlern Klassen ge- 
schehen mufs. 

Aus diesen Gesichtspunkten rede ich Vorträgen über allgemeine 
physische Erdkunde oder interessante Probleme derselben nicht das 
Wort, dieselben gehören nicht auf die Schule. Der geographische 
Unterricht mufs sich dort vielmehr an die andern Unterrichtszweige 
anschliefsen. Dagegen bilden zusammenhängende Darstellung der 
alten Geographie, die Entdeckungsgeschichte, die Entwickelung der 
grofsen Welthandelslinien, des europäischen Kolonialwesens treffliche 
Themata für einzelne Semester oder auch Jahre, um die Schüler im 
Laufe der drei letzten Schuljahre noch ein- bis zweimal über den 
ganzen Erdenraum hinweg zu führen. Zugleich bietet sich dabei 
vielfach Gelegenheit jener Erscheinungen der Luftzirkulation, des 

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Klimas, der Ozeanographie zu gedenken, welche dem Verständnis 
der Schüler leicht begreiflich zu machen sind, wenn man unmittel- 
bar ihre Folgen auf die wirtschaftlichen Verhältnisse von Staaten 
und Völkern darstellt. Daneben mögen manche dieser Dinge auch 
noch vom Lehrer der Physik und im Anschlufs an einen Kursgs so- 
genannter mathematischer Geographie Erörterung erfahren. Innerhalb 
eines solchen bleibt aber nur die Zeit, die Theorie der Phänomene 
zu erörtern, nicht die dem Schüler fafsbareren konkreten Beispiele 
geographischer Verbreitung derselben vorzuführen. Ich breche diese 
Andeutungen ab, sie dienen, so kurz sie sind, hoffentlich dazu, unsre 
Gegner davon zu überzeugen, dafs wir nichts in die Schulen hinein- 
tragen wollen, was nicht hineingehört, was dem wissenschaftlichen 
Studium Vorbehalten bleiben mufs. Nein, wir glauben ganz im 
Rahmen gymnasialen Unterrichts zu bleiben mit solchen Ratschlägen. 

Ob nun diese Zeilen von solchen gewürdigt oder überhaupt 
gelesen werden, für welche sie geschrieben sind, mufs die Zukunft 
lehren. Vielleicht bieten sie den Vorkämpfern für unsre Be- 
strebungen in einzelnen Orten einiges Material. Ihr Endzweck war 
nachzuweisen, dafs ohne geographischen Unterricht in den obern 
Klassen unsrer hohem Schulen, ohne Ausfüllung der klaffenden Lücke 
die Kette von erfreulichen Mafsregeln, die den geographischen Un- 
terricht zu beleben und zu erneuern ergriffen sind, ein Stückwerk 
bleibt. 


Pearys Schlittenfahrt auf dem grönländischen Binneneise 

im Sommer 1886. 

ln No. 3 des 19. Bandes der Bülletins der amerikanischen 
geographischen Gesellschaft giebt der amerikanische Zivilingenieur 
R. C. Peary einen sehr interessanten Bericht über eine, wie er es 
nennt, „Rekognoszierung auf dem grönländischen Binneneise“, 
welche er in den Monaten Juni und Juli 1886 ausgeführt hat. Die 
kleine Ausrüstung von sorgfältig ausgewählten Lebensmitteln, Gummi- 
decken, Schneeschuhen u. a. wurde auf ein paar starke elastische 
Schlitten gepackt, die mit Bändern und Zugtauen jeder 23 Pfund 
wogen. Wie viel die Belastung ider Schlitten wog, wird nicht an- 

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gegeben, es scheint, dafs Lebensrnittel anf drei Wochen für zwei Leute 
mitgenommen wurden. Diese waren Peary und sein Freund Christian 
Maigaard, stellvertretender Vorsteher des Distrikts Ritenbank. 

Nach einigen vorläufigen Rekognoszierungen wurde der Eisblink am 
inneren Ende des Pakitsok -Fjords, nahe Godhavn, auf 69 0 30 ' n. B. 
erklommen. Zunächst mufste alles 1155 Fufs hoch über Felsen be- 
fördert werden, dann ging es über eine Eiszunge weitere 800 Fufs 
über Eis, das so rauh war, dafs immer nur ein Schlitten befördert 
werden konnte, obwohl noch ein Eskimo mit half. Um 8 Uhr 
abends traten die beiden die Reise an; es gelang ihnen in gerade 
östlicher Richtung 10 miles zurückzulegen, wobei sie zum teil von 
Nebel umgeben waren. Sie schlugen in der Höhe von 3000 Fufs 
ihr Lager aufT zum Teil gegen den heftigen Wind und Schnee durch 
ihre Schlitten geschützt. Die Oberfläche des Eises bestand auf und 
ab aus zusammengeschobenem Eis. Die Eistrümmer ragten bis 100 
und 150 Fufs auf, gelegentlich öffneten sich Eisspalten, das Wetter 
wurde schlechter und so mufsten die Reisenden sich zu ihrem Zelte 
am Rande des Fjords zurückziehen. Nach einem dreitägigen Sturm 
wurde die Reise am 5. Juli von neuem angetreten : ein siebenstündiger 
Marsch brachte die Reisenden zu ihren in Schnee vergrabenen Schlitten. 

Mit diesen ging es nun vorwärts, bis der alte Feind, der Wind, und 
ein infolge Nachgebens des Eises eines kleinen Teichs eingetre- 
tenes teilweises Untertauchen eines der Schlitten Halt geboten, man 
hatte nun 3300 Fufs ii. M. erreicht. Der 'nächste Marsch brachte 
die Reisenden zur Höhe von 4100 Fufs, ungeachtet eines Umwegs 
von zwei miles um das Ende eines Sees herum. In der Höhe von 
4600 Fufs verloren sie das letzte Stück Land, eine der Spitzen der 
Noursoak-Berge, aus Sicht. Im allgemeinen war die Nacht die beste 
Reisezeit, der Schnee war dann härter, allein gegen Morgen herrschte 
gewöhnlich heftiger Ostwind. So weit es thunlich war, schützten 
die Reisenden ihr Lager durch Schneewälle, über welche dann die 
Schlitten quer gelegt wurden. Meist bedienten sie sich der Schnee- 
schuhe um die Gefahren des Passierens der Eisspalten zu mindern. 

Im Anfang war die Temperatur des Nachts 26 — 28 0 F., allein bei 
erreichter bedeutenderer Höhe wurden die Nächte immer kälter, bis 
bei 6500 Fufs Meereshöhe das Thermometer auf 8 0 F. stand. Am 
15. Juli brachen sie von ihrem Lager in 7450 Fufs Höhe auf, allein 
Schnee und Wind waren so heftig, dafs sie in 7525 Fufs Höhe Halt 
machen mufsten. Hier wurden die Reisenden einige Tage hindurch 
in Schnee eingehüllt; endlich liefsen Schneefall und Wind etwas 
nach, so dafs sie ihr Lager in Stand setzen, sich heifsen Thee und 

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31 1 — 


eine kräftige Mahlzeit bereiten konnten. Der folgende sehr schöne 
und warme Tag wurde zum Trocknen der Kleider und Anstellen von 
Beobachtungen benutzt. Die Note, betreffend die letzteren ist durch- 
aus nicht klar, der Ausdruck „circummeridian altitudes“ (Neben- 
mittagshöhen) klärt nicht genügend über die erreichte Länge auf. 
Immerhin bleibt das geschätzte Vordringen 100 miles landeinwärts 
vermutlich nicht weit von der Wahrheit. Die erreichte Höhe liefs 
sich zuverlässiger ermitteln, denn ein ausgezeichnetes Aneroid-Baro- 
meter zeigte 7525 Fufs auf der Ausreise und 7450 Fufs bei der 
Rückkehr zur Küste oder 7487 Fufs als die Höhe ihrer Station, was, 
so weit bekannt, die höchste innerhalb des Polarkreises erreichte 
Höhe ist.*) Ingenieur Peary sagt von dem am weitesten im Lande 
gelegenen Punkt, welchen er erreichte, dafs es ein flaches Becken 
war, in welchem vor dem letzten Sturm der Schnee, so weit er mit 
seinem Alpenstock — etwa 6 Fufs — hineinstofsen konnte, wie 
feiner körniger Zucker war. 

Die Reisenden hatten nun nur noch für sechs Tage Lebens- 
mittel und beschlossen daher umzukehren. Sie banden die Schlitten 
nebeneinander zusammen, errichteten aus einer Decke ein Segel und 
nun ging es mit günstigem Wind und mit Hilfe der Bodensenkung 
so rasch vorwärts, dafs Peary und sein Gefährte sich des seltenen 
Vergnügens erfreuen konnten, viele Stunden sitzend auf einem Eis- 
flofs hinzugleiten, das mittelst eines an einem Schneeschuh be- 
festigten Beiles gesteuert wurde. Mit einiger Vorsicht glückte es, in 
der Höhe von 6000 Fufs eine Anzahl Eisspalten, deren manche wohl 
50 Fufs breit waren, auf natürlichen Schneebrücken sicher zu 
passieren. Der gesamte Abstieg auf dieser Fahrt betrug 2125 Fufs. 
Weiter abwärts verzögerten Wassertümpel, weicher Schnee und Eis- 
spalten das Vorwärtskommen; der schwierigste und gefährlichste Teil 
der Reise war über die Eiszunge, welche drei Wochen arktischen 
Sommers in massives blauschillerndes Eis umgebildet hatte. Unge- 
achtet einiger Unfälle erreichten die Reisenden wohlbehalten ihr Zelt 
am Pakitsok-Fjord. Natürlicherweise kam ihnen, den an die kalte 
Atmosphäre Gewöhnten, die Hitze im Thal drückend vor, wenn diese 
auch den prächtig blühenden arktischen Pflanzen, die unterdes in 
Bltithe geschossen waren, unentbehrlich war. Die beiden Reisenden 


*) Nordenskiöld erreichte auf seiner Reise auf dem grönländischen 
Binneneise am 21. Juli 1883 auf 88° 30' n. Br. die Höhe von 1510 m ü. M., 
seine Lappen drangen bis zur Höhe von 1947 nt — auf 88“ 32' n. Br. und 
42 0 51 ' w. L. Gr. — vor. 


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trennten sich nun. Peary wandte sich neuen Unternehmungen zu; 
er durchquerte den Eisblink vom Torsukatak-Gletscher auf 70 0 n. B. 
nach dem grofsen Kariak-Gletscher, der etwa 20 ' nördlicher an der 
Noursuak- (Nugsuak)-Halbinsel liegt und untersuchte die Küstenlinie 
des Eisblinks in jener Gegend. 

Die Beschreibung, welche Peary von dem Eisblink hier giebt, 
zeigt, dafs die hervorragenden Zungen oder Gletscher den in andern 
Teilen der Welt angetroffenen sehr ähneln ; der Zugang zu ihrer Ober- 
fläche Ist, in ihren unteren Teilen sehr schwierig. Die Oberfläche 
ist im allgemeinen brüchig und durch Spalten, Abstürze und her- 
vorragende Spitzen zerrissen. Weiter hinauf verbinden harte Schnee- 
wehen oft das Eis mit dem Felsen. Was nun die Beschaffenheit 
der Oberfläche jenseits der Küstenlinie im Innern betrifft, so besteht 
die Oberfläche des Eisblinks nahe dem Rande aus einer Reihe von 
aufgeschichteten Eistrümmern, die an ihrer dem eisfreien Lande 
zugekehrten Seite am steilsten und höchsten sind und oft in Ab- 
gründe abfallen. Weiter landeinwärts senken sicli diese Eistrümmer 
in langen flachen Terrainwellen, bis endlich eine flache langsam 
ansteigende Ebene erreicht wird, welche höchst wahrscheinlich 
zuletzt in ganz gleichem Niveau verläuft. 

Die Bedingungen einer erfolgreichen Erforschung des Inland- 
eises werden von Peary wie folgt entwickelt: 

1) Man suche den Eisblick möglichst da, wo er hoch über 
Meer gelegen, auf, um so die grofse Zahl von Gletscherspalten weiter 
abwärts zu vermeiden. 

2) Sollte möglichst eine Stelle gewählt werden, wo das Vor- 
handensein grofser und schnell vorrückender Gletscher *) auf die 
Wahrscheinlichkeit eines schnellen Aufstiegs zu einem nahe der 
Küste hochgelegenen Inneren schliefsen läfst. 

3) Müssen Hudsons-Bai-Schlitten zur Verwendung kommen 
und es sollte ferner jeder Teilnehmer im Gebrauch sowohl der 
Schneeschuhe, als der Schnee-Schlittschuhe vollständig eingeübt sein. 

Für eine so ausgerüstete und von dem rechten Geiste beseelte 
Expedition würde der tiefe, unveränderliche Schnee, wie Peary 
sagt, keine bete noire, sondern etwas sein, das man so bald als 
möglich erreichen müfste; wenn einmal erreicht, würde dieser Schnee 


*) Hierzu macht Herr Justizrat Dr. Rink, mit dem die Redaktion über 
den Bericht Pearys korrespondierte, die Bemerkung, dafs das rasche Yorrücken 
der Gletscher nicht von der Neigung des Bodens nahe der Küste, sondern von 
der Stärke der unter der Eisdecke sich bewegenden Wasserströme herrühre. 

Die Red. 


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eine prächtige Heerstrafse sein, auf der man direkt zur Ostküste 
Vordringen könnte. Das erste wäre, von der Basis der Noursoak- 
Halbinsel hinüber nach dem innern Ende des Franz Josefs -Fjord 
zu dringen und wieder zurückzukehren. Mit der nunmehr gewonnenen 
Erfahrung ausgerüstet, würde man dann vom Whale-Sund ausgehen 
und, das Land in Sicht behaltend, dem Rande des Eisblinks folgend, 
entweder in den nordöstlichen Winkel von Grönland Vordringen, 
oder unter einer niedrigem Breite das Innere von Grönland durch- 
schneiden können. Diese Route hält Peary für den Schlüssel zur 
Lösung des Grönland-Problems. Fügt man noch eine Reise von 
der Disko-Bai quer nach der Südostküste, nach Kap Dan hinzu, so 
würden nur noch untergeordnete Punkte zu erledigen sein. 

Der einzige Punkt in Pearys Aufstellungen, denen man zuzu- 
stimmen Bedenken tragen mufs, ist der zweite: wenn auch das 
Vorhandensein eines grofsen und bewegten Gletschers einen schnellen 
Aufstieg in das Innere andeuten mag, so scheint andrerseits gewifs, 
dafs das beständige Yorrücken eines solchen Gletschers notwendig 
starke Spalten und eine schwierige Beschaffenheit eine Strecke weit 
ins Innere bedingen mufs. Die Bedeutung von Punkt 1. und 3. ist 
hinreichend durch Pearys energische und erfolgreiche Rekognoszie- 
rung bewiesen und wir können hier nur die Hoffnung aussprechen, 
dafs Peary sich in den Stand gesetzt sehen möge, eine nach einem 
gröfsern Mafsstab ausgerüstete Expedition ins Werk zu setzen. 

W r ie immer auch die verwendeten Mittel und Kräfte und deren 
Nutzbarmachung beschaffen sein mögen, so scheint es doch zweifelhaft, 
ob die ganze Breite von Grönland durch eine Schlittenexpedition 
wird durchmessen werden können. Selbst wenn man eine Hilfs- 
expedition organisierte, welche Reservevorräte und Alkohol (zu 
Feuerung) für die ersten Strecken lieferte, so würde doch das selbst 
von der mutigsten und energischsten Expedition zu erreichende Ziel 
auf dem 70. Breitengrad noch immer von jedem bekannten Punkte 
der Ostküste weit entfernt bleiben. Die Schwierigkeit, Depots zu 
errichten oder vielmehr sie auf dem Inlandeis zu finden, scheint unüber- 
windlich, denn in einem so unsichem Klima würde es schwerlich 
geraten sein, zu dem Ende sich auf astronomische Beobachtungen 
zu verlassen. 

Immerhin ist es möglich, dafs weitere Forschungen zur Ent- 
deckung von Nunataks — tief im Inneren über das Eis empor- 
steigender Bergspitzen — führen. An einem solchen Nunatak könnte 
ein Depot errichtet und es könnte hier auch eine Hilfsexpedition statio- 
niert werden. So hätte man eine Operationsbasis für Forschungen 


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nach allen Richtungen. Wenn man sich der interessanten Reise des 
dänischen Leutnants Jensen im Jahre 1878 zu den nach ihm ge- 
nannten Nunataks erinnert, so braucht man nicht erst nachzuweisen, 
wie wertvoll botanische und mineralogische Sammlungen, die an so 
isolierten Punkten gemacht werden könnten, sein würden. 

Aber es ist auch noch ein andrer Fall ins Auge zu fassen: 
die Fjorde der Ostküste könnten noch weit tiefer ins Innere reichen, 
als die von Payer und Copeland am weitesten im Inneren gesehenen 
Verzweigungen des Franz Josefs-Fjords. Selbst von der Spitze des 
Payer-Berges vermochten diese beiden arktischen Reisenden nichts zu 
erspähen, was der Eisblink-Formation der grönländischen Westküste 
ähnlich w'ar. Überall fanden die Gletscher von den beschränkten 
Schneefeldem, wo sie entstanden, ihren Weg ohne Hindernis herab 
in das niedrige Land oder zu den Fjorden. Dies möchte dafür 
sprechen, dafs der erreichte weiteste Punkt entweder eine grofse 
Insel oder eine ausgedehnte Halbinsel war. Abgesehen aber von 
den zahlreichen Verzweigungen des Franz- Josef-Fjords, welche die 
zweite deutsche Polarexpedition nicht erforschte, sind an der Ost- 
küste noch andre tiefe Fjorde und Sunde, wie Davy- und Scoresby- 
Sund, welche möglicherweise bis ins Herz von Grönland reichen. 
Auch ist es durchaus nicht unmöglich, dafs innere Wasserstrafsen 
diese Einbuchtungen nicht nur unter einander, sondern auch mit der 
Gael Hamkes-Bai verbinden. Auf alle Fälle bieten diese Fjords 
ein nahezu jungfräuliches Gebiet für geographische Erforschung. In 
der That, wenn es gelänge, dem Ingenieur Peary für diese Unter- 
nehmung eine gut ausgerüstete Expedition zur Verfügung zu stellen, 
so würde er einen trefflichen Ausgangspunkt für eine Reise quer 
durch von der Ost- nach der Westküste von Grönland gewinnen und 
es würde die Erreichung der einen oder andern dänischen Nieder- 
lassung an der Westküste wahrscheinlich sein. 

Sollte dieser wie uns scheint günstigste Plan für die Durch- 
kreuzung Grönlands nicht zur Ausführung kommen, so hoffen wir, 
dafs Ingenieur Peary jede gewünschte Unterstützung für die Fort- 
setzung seiner Forschungen von der Westküste aus finden werde. 


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Kleinere Mitteilungen. 

§ Aus der Geographischen Gesellschaft iu Bremen. Seit ihrem Bestehen, 
welches vom 19. September 1870, dem Tage der Gründung des „Vereins für die 
deutsche Nordpolarfahrt“ an gerechnet werden darf, ist dem Vorstände unsrer 
Gesellschaft zum ersten Male die Freude widerfahren, dafs ihr ein Vermächt- 
nis eines kürzlich verstorbenen Mitgliedes und zwar im Betrag von 1400 Mk. 
zugewaudt worden ist. Der Name darf leider auf von betreffender Seite ge- 
äufserten Wunsch nicht genannt werden. Der Vorstand vertraut, dafs dieses 
Beispiel vorkommenden Falls kräftige Nachfolge finden möge. Denn nur durch 
von Zeit zu Zeit ihr zu teil werdende aufserordentliche Beihilfe vermag die 
Gesellschaft dauernd die Ziele zu verfolgen, welche sie sich gesteckt hat! Dem 
freundlichen Geber wird die Gesellschaft ein treues Andenken bewahren. 

Am 20. Oktober d. J. verschied im 72. Lebensjahre unser Mitglied Konsul 
II. Hackfeld, der sich um die Ausbreitung des deutschen Handels in der 
Südsee grofse Verdienste erworben hat. Er wurde am 24. August 1816 in 
einem Dorfe des Kirchspiels Ganderkesee (Grofsherzogtum Oldenburg) geboren 
und ging im 15. Jahre zur See. Seinen Seemannsverdienst benutzte er zu 
seiner Fortbildung, namentlich zum Besuch der Steuermannsschule in Bremen. 
Als Kapitän erhielt er ein Schiff zuerst im Anfang der vierziger Jahre ; es war 
die Bremer Brig „Exprefs“, Rheder Grasers Handlung, Inhaber Heidorn in 
Bremen. Nach verschiedenen Fahrten in europäischen Gewässern machte er 
die erste grofse Fahrt nach St. Thomas und Maracaibo, nach welchem letzteren 
Platze die „Exprefs“ als das erste Bremer Schiff kam. Von Maracaibo fuhr 
er zurück nach Hamburg und trat dann die grofse Fahrt nach Valparaiso und 
Mazatlan an. In Mazatlan konnte die Ladung wegen der damals in Mexiko 
herrschenden Kriegsunruhen nicht abgeliefert werden. So wurde das Schiff 
nach Honolulu dirigiert, von wo es abermals nach Mazatlan ging, diesmal mit 
Lebensmitteln für die dort liegenden englischen Kriegsschiffe, wobei sehr viel 
Geld verdient wurde. Von Mexiko ging die „Exprefs“ mit Farbholz und Silber 
nach China, strandete aber am 7. Oktober 1845 bei den Baschi-Inseln ; die 
Mannschaft sowie die Silberladung wurde geborgen und später von einem eng- 
lischen Kriegsschiffe nach Manila gebracht, von wo die letztere nach Kanton zur 
Ablieferung gelangte. Uackfeld, nun ohne Kommando, ging 1846 zum zweiten 
Mal nach Honolulu, um hier einen kleinen Handel zu beginnen. So gelangte 
er in das Land, in dem er seine grofsen Erfolge erzielen und ein Pionier des 
Handels in der ganzen Südsee werden sollte. Bis zum amerikanischen Bürger- 
kriege beruhte die Blüte des Handels von Honolulu in dem Verkehr der zahl- 
reichen Walfischfänger, namentlich amerikanischer Nationalität. Die Kaper der 
Konföderierten fegten diese von der See weg und auch aus andern Gründen, 
wegen Abnahme der Wale, ging der Walfischfang bedeutend zurück. Un- 
gefähr gleichzeitig begann die Zuckerkultur den Hawaiischen Inseln einen Er- 
satz'fürjias Verlorene zu bringen. Sie blühte empor und w'iedor war es Hackfeld, 
der mittlerweile (1855) seinen 1883 verstorbenen Schwager Pflüger als Teilhaber 
ins Geschäft genommen hatte, beschieden, durch kluge Beteiligung zu bedeutenden 
Erfolgen zu kommen. Durch seine Umsicht, seinen praktischen Blick und seine 
spätere Kapitalkraft wurde er einer der Hauptförderer der Entwickelung 
Hawaiis; der deutsche Handel dorthin hatte an ilun einen festen Halt, eine 
gewaltige Stütze. Er scheute für diesen Zweck keine Opfer; sie lohnten sich 

Geograph. Blätter. Bremen 1887. 23 


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indes in grofsartigem Mafsc. Seit einer Reihe von Jahren hat er seinen Wohn- 
sitz in Bremen gehabt; still ging er seines Wegs, wenige kannten ihn näher. 
Aber eben im stillen entfaltete er als abgesagter Feind aller Ostcntatiou eine 
grofsartige Freigebigkeit, sowohl nach anfsen als namentlich gegen seine in 
bescheidenen Verhältnissen lebende weitverzweigte Familie. Er war nnd blieb 
bis an sein Lebensende ein Mann, der nur in der Arbeit und treuesten Pflicht- 
erfüllung seine Befriedigung fand. Hackfeld war im vollsten Sinne ein seif 
made man. Ein echt norddeutscher Charakter, hat er gezeigt, welche Erfolge 
durh Fleifs, zäheste Ausdauer und Bravheit der Gesinnung auch noch in jetziger 
Zeit zu erreichen sind. 

Wie in früheren Wintern, so veranstaltet die Gesellschaft auch in diesem 
in Verbindung mit der Bremer Abteilung des Deutschen Kolonialvereins, Vorträge. 
Am Freitag, den 4. November, fand die erste Versammlung statt. Zunächst 
sprach Herr Dr. A. Oppel über die Expedition Stanleys zur Unterstützung 
und Hilfe des in Wadelai festgehaltenen Emin Bey, indem er die Zwecke dieser 
Expedition näher auseinandersetzte und neben der Hilfsleistung für Emin Bey 
auf die zugleich mit zu lösenden geographischen Aufgaben hinwies. Zu letzteren 
gehören namentlich das Problem des Uelle und die Frage der Identität desselben 
mit dem Mobangi. Redner gedachte sodann der Sicherung der Kosten der 
Hilfsexpedition durch eine Beihilfe der ägyptischen Regierung und die Garantie 
englischer Kapitalisten, der Vorbereitungen und der Wald des Weges den Congo 
aufwärts, besonders in Rücksicht darauf, dafs ein Vordringen von der Ostküste 
ins Innere durch die feindselige Gesinnung des Königs von Uganda erheblich 
erschwert worden wäre. Auch die Reise der aus 700 Personen bestehenden 
Expedition den Congo aufwärts fand bekanntlich mancherlei Schwierigkeiten 
hinsichtlich der Verpflegung, in der Stromfahrt, u a. Von Janbuka wurde der 
Marsch ins Innere angetreten. Berücksichtigt man die Entfernung von hier 
nach Wadelai — zum mindestens 800 km — und die afrikanischen Roise- 
schwierigkeiten, — der Redner demonstrierte dies näher an mehreren Karten, — 
so lasse sich, die Friedlichkeit der berührten Völkerschaften vorausgesetzt, 
annehmen, dafs Stanley Mitte oder Ende September Wadelai erreicht haben 
werde. Erst drei Monate später können Nachrichten über diese Ankunft iu 
Europa eintreffen. Sollte dem kühnen Stanley auch dieser Zug gelingen, 
so werden wir ihm neben seinen bisherigen Entdeckungen auch die Ent- 
hüllung eines weiteren bisher noch unbekannten grofsen Teils des inneren 
Afrika zu danken haben. — Nach diesen mit lebhaftem Interesse aufgenommenen 
Mitteilungen nahm Herr Dr. Schwarz aus Berlin zu dem Vortrag über seine 
im vergangenen Sommerausgeführte Reise nach Kleinasien das Wort. In der 
Einleitung wies der Redner darauf hin, dafs das Europa so nahe gelegene 
uud doch verhältuismäfsig unbekannte Kleinasien, reich an Naturreizen und 
historischen Erinnerungen, der Zivilisation entbehre und, wie Europa die 
griechische Kultur von dort empfangen habe, vielleicht dermaleinst wieder von 
Europa aus kolonisiert, werden dürfte. Das nächste Reiseziel des Redners war 
die Provinz Bithynien. Den Bosporus mit Dampfer kreuzend erreicht man in 
Skutari den Endpunkt der in 100 km Länge nahe der Küste des Marinara- 
meeres und des Golfs von Ismid zu dieser Hafenstadt führenden Kaiserlich 
ottomanischen Eisenbahn. In langsamer Fahrt geniefst man in vollem Mafse 
die Reize der kleinasiatischen Landschaft, deren herrliche Bergformen aus den 
reich bebauten, bewaldeten und besiedelten Gefilden emporsteigen. Von der 


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malerisch in Lorbeer- und Cypressenhainen gelegenen Stadt Diocletians gelangt 
man in einem elenden Gefährt auf halb verfallener griechischer Strafse und 
unter Bewachung eines Zaptielis (türkischen Polizeidieners) durch die Tiefebene 
von Uesküb; ein starker Karawanenverkehr, namentlich gewaltige Holztrans- 
portc, bew r egen sich hier durch nach der Hafenstadt. Vorüber an dem grünen 
See Sabrandscha und den zum Schwarzen Meer strömenden Sakaria auf ge- 
brechlicher Brücke kreuzend gelangt man auf schlechten Bergwegen in 2000 m 
hohes von Tscherkessen und Kurden besiedeltes Gebirg und zu der fruchtbaren, 
gut bewässerten Hochebene von Prusias. Hier hausen Tscherkessen und Lasen; 
sie haben den Kartoffelbau eingeführt und kultivieren Reis. In der auf einer 
Bfergterrnsse gelegenen alten Stadt Prusias finden wir noch bauliche Überreste 
aus der griechischen Zeit, namentlich auf dem Markte das trotz der Ver- 
stümmelungen noch herrliche Marmorbild der Venus. Die die Hochebene um- 
gebenden Walnufs- und Kastanienwälder sind von Bären und Wildschweinen 
belebt. Von liier steigt man über das nördliche Randgebirge, Hedjys Joll, zum 
Schwarzen Meer und zu dem an letzterem gelegenen Hafen Akdseheschehr, von 
wo ein bedeutender Export wertvoller Hölzer, namentlich nach Frankreich, 
stattfindet. Gasthäuser giebt cs nicht, doch findet der Empfohlene Unterkunft 
bei griechischen Kaufleuten. Die Segelbootfahrt ostwärts nach Eregli, dem alten 
Heraklea Pontika. das zu Lande über felsiges Ufer noch schwerer zu erreichen, 
ist oft langwierig und selbst gefährlich. Eregli, das nur von griechischen und 
türkischen Dampfern in unregelmäl'sigem Dienst besucht wird, — der öster- 
reichische Lloyd läfst nur die Hauptplätze des Schwarzen Meeres aulaufen, — 
führt viele französische und englische Waren ein, deutsche sind den dortigen 
griechischen Kaufleuten unbekannt. Hier erstrecken sich 20 Meilen ostwärts 
und ins Land hinein mächtige, bis jetzt noch sehr primitiv abgebaute Lager 
einer der Cardiffer an Güte gleichen Kohle, deren näclistes Absatzgebiet die 
Länder an der unteren Donau bilden. Die Fahrt ging weiter ostwärts zur 
Mündung des Bartansu, w r o ein für die Ansiedlung der Deutschen aus der Dobrud- 
scha geeignetes Terrain besichtigt wurde und sodann den Fltifs aufwärts zu der 
Getreide. Früchte und Häute exportierenden Stadt Bartan. Von da reitet mau über 
den Vogelsberg (türkisch Kusch Khaya), einen 1100 ra hohen, von Lorbeer- und 
Myrtenwäldern bestandenen Pafs, hinab zu dem auf vorspringendem Land, 
mit Mauern und Zinnen umschlossenen Hafenplatz Amastra. Mit dem Ausblick 
auf eine zukünftige Kolonisation Kleinasiens durch Europäer sclilofs der Redner 
seinen anziehenden, durch viele Details reich belebten Vortrag, den der 
Beifall des Auditoriums lohnte. Eine türkische Marinekarte und Moltkes Karte 
von Kleinasien dienten als Erläuterung. 

In der am 25. November abgehaltcncu Versammlung der Geographischen 
Gesellschaft machte znnächst Dr. M. Lindeman namens des Vorstandes Mit- 
teilung über das vom Reich errichtete, am 27. Oktober d. J. in Berlin eröffnete 
Seminar für orientalische Sprachen, dessen Direktor, Herrn Professor 
Sachau, der Vorstand zur Eröffnung die besten Wünsche der Gesellschaft ausge- 
sprochen habe. Redner w ies auf die vorwiegend praktischen Ziele dieses Instituts 
hin, das den Forschungsreisenden, wie den Kaufmann, den Techniker, Missionär, 
und Dragomau für einen nutzbringenden Aufenthalt in überseeischen Ländern 
sprachlich genügend vorbilden wolle. Die Kenntnis der Sprache sei mitunter 
für den Erfolg von Forschungsreisen geradezu ausschlaggebend und ermögliche 
allein ein gründliches ethnologisches Studium. Die Erfahrung habe ferner ge- 

23 * 


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lehrt, dafs ein Kaufmann, der die Landessprache rede, einen grofsen Vorteil 
vor seinen europäischen Mitwerbern voraus habe. Der Lehrkursus, an welchem 
jetzt im ganzen 115 Schüler, darunter 40 Juristen, eben so viel Sprachgelehrte 
und Naturforscher und nur 30 Kaufleute teilnehmen, dauert 6 — 8 Semester 
für das Chinesische, fi für das Japanische je 4 für Hindustani, Arabisch, Persisch 
und Türkisch, 2 für Suaheli. In Verbindung mit dem sprachlichen Unterricht 
werden auch die Realien der betreffenden Sprachgebiete gelelirt. Das Auditoriums- 
geld betrage für das Semester nur eine Mark, neben einem Beitrag von 20 Mark 
zu den Kosten der Bibliothek. An sich auszeichnende bedürftige Schüler werden 
Stipendien im Betrage von je 300 Mark bewilligt. Zur Aufnahme genüge eine 
schriftliche Meldung, Angabe des Lebenslaufs und ein Leumundszeugnis. Der 
Unterricht im Chinesischen. — was für den Kaufmann wohl die Hauptsache, — 
sei so eingerichtet, dafs ein tüchtiger junger Mann in einem Jahre so viel 
lernen könne, um ohne Hilfe wenigstens das Notwendigste zu sprechen und zu 
schreiben. Der Redner sclxlofs mit dem Wunsche, dal's auch junge Bremer 
Kaufleute die gebotene Gelegenheit benutzen möchten, um sich in dem neuen 
Reichsinstitut für ihren in überseeischen Ländern auszuübenden Beruf sprachlich 
tüchtig vorzubilden und so ein neues wichtiges Mittel für eine erfolgreiche 
kaufmännische Thätigkeit sich anzueigneu. 

Über den sodann gehaltenen anziehenden Vortrag des Herrn Dr. Kükenthal 
aus Jena, der durch Karten, eine Reihe schöner Aquarelle von spitzbergischeu 
Landschaften und Eismeerszenerien, sowie verschiedene ausgestopfte Vierfüfser 
und Vögel aus den arktischen Regionen illustriert war, berichten wir nachstehend. 

Herr Dr. Kükenthal unternahm Ende April vorigen Jahres, zum Zweck 
des Studiums der arktischen Tierwelt, eine Reise in das europäische 
Eismeer auf einem norwegischen Fangschiffe. Über vier Monate weilte er so 
in den arktischen Gegenden, erst Anfang September kehrte er mit dieser Jacht, 
— „Hvidfisk“, Kapitän Ingbrichtsen, — nach Tromsö zurück. Mit der Ent- 
deckung Spitzbergens durch Barents im Jahre 1596 erschlossen sich bekanntlich 
die reichen, seitdem im Laufe der Jahrhunderte völlig erschöpften Walgründe. 
Von den zahlreichen Fischerflotten verschiedener europäischer Nationen sind 
nur noch die norwegischen Spitzbergenfahrer, eine kleine Anzahl Fahrzeuge, 
geblieben. Diese streifen, dem Seehunds-, Walrofs- und Weifswalfang obliegend, 
östlich bis nach Nowaja Semlja und zum Weifsen Meer, westlich bis vor das 
ostgrönländische Eis. Die Jachten sind eigens für die Eismeerfahrt gebaut, 
haben einen oder zwei Masten, einen eisenbeschlagenen Bug. eine doppelte Be- 
plankung des Schiffskörpers und oben im Mast das sogenannte Krähennest zum Aus- 
lugen nach Eis und Jagdbeute. Die Hauptpersonen an Bord sind der Kommandeur, 
ein tüchtiger Seemann und erfahrener Kenner der Eismeerverhältnisse, und der 
Steuermann, der gewöhnlich ein Lappe ist und als Harpunier Büchse wie 
Harpune gleich sicher zu handhaben versteht. Die sonstigen Fangleute 
rekrutieren sich aus Norwegern und Lappen. Strenge Disziplin herrscht au 
Bord. Der Lohn besteht ganz oder teilweise in einem Anteil am Wert des 
Fanges. Bei der Bären-Insel oder vor Spitzbergen wird in etwa 100 Faden 
Meerestiefe der Haakjerring- oder Eishaifang mit Angeln betrieben. Diese etwa 
15 Fufs langen Fische liefern bei einer übergrofsen Leber oft 2 — 3 norwegische 
Tonnen Thran. Eine aufregende Jagd ist der Fang des Hyperodon rostratus 
(bottle-nosewhale), ein etwa 24 Fufs langer Wal, der in einer eisigkalten, 
stürmischen Frühlingsnacht bei Dreien, Dampf blnsend und die braunen Rücken 

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im Mitternachtssonnenschein glänzend, erschien. Vom ßoot schiefst der Harpunier 
mit seiner besonders konstruierten Walfischkanone zwei Harpunen zugleich in 
verschiedener Höhe. Drei Viertelstunden vermag der Wal das Boot an der 
Harpunenleine mit sich fortziehend unter Wasser zu schwimmen, bis er anf- 
tauchcnd vom Harpunier den tötlichen Stich in den Rücken empfängt. Das 
Abspecken des Fisches längsseits des Fahrzeugs lockt die gefräfsigen Eismeer- 
sturmvögel zu Tausenden heran. Der Kopf des Fisches enthält noch viel 
flüssigen Thran. Die schmutzig grüne Färbung des Wassers bekundet eine 
reiche Algenflora, von welcher sich die niederen Meerestiere nähren. Letztere 
dienen wiederum höher organisierten zur Nahrung und diese bilden die Speise 
der Wale. Die Walgcbiete finden sich an den Grenzen der Ausläufer des warmen 
Stromes und des kalten Polarwassers, in 2—3 Grad R. Die Färbung, die oft 
wundersame Gestaltung und Trift des Eises, die zartgrüne Farbe des Himmels 
fesseln den Beobachter, bis ein erspähter schwarzer Punkt auf den treibenden 
Eisfeldern die Nähe von Robbenherden kündet. Mittels Schnellfeuers werden 
die Tiere von den Böten ans erlegt; letztere bleiben oft. tagelang aus und ge- 
raten nicht selten bei Nebel in eine schlimme Lage. Im Mai oder Juni suchen 
die Fahrzeuge an die Küste von Spitzbergen zu kommen, um die dürftige 
Schiffskost (Graupen und hartes russisches Salzfleisch) durch frisches Rentier- 
fleisch zu bereichern, sowie Vogeleier und Daunen zu sammeln. Das Treibeis 
gestattete dem „Hvidfisk“ erst am 23. Juni in den wegen seiner pittoresken 
Szenerien berühmten Eisfjord einznlaufen, wo das Fahrzeug in der Nähe des 
Rufs-Elfs (Rnssenflusses) ankerte. Die dom- und kegelartig sich aufbauenden 
oder in Terrassen hoch aufsteigenden rötlichen Felscnufer gewähren mit dem 
ihre Zinnen krönenden Hochlandseis einen über alle Beschreibung grofsartigen 
Anblick. Die erhabene Stille der arktischen Natur wird nur durch den Schrei 
der Möven unterbrochen, die zu vielen Tausenden auf unzugänglichen Klippen 
nisten. Gefahrvoll ist das Erklimmen dieser Vogelberge, aber der zuerst 
Kommende wird durch eine wertvolle Ausbeute an Eiern und Daunen belohnt. 
Die Rentierjagd ist besonders am Eingang der nach dem Fjord sich öffnenden 
Thäler einträglich. Sobald der arktische Sommer beginnt, verwandelt sich die 
arktische Landschaft wunderbar schnell, Moose, Gräser, Steinbrecharten, der 
arktische Mohn und andre Bekannte ans unsern Alpen bedecken die öden 
Halden und geben ihnen einen grünlichen Schimmer. Sogar Bäume, zwei 
Weidenarten, wachsen an geschützten Stellen einige Zoll hoch. Der Frühling 
und kurze Sommer ist die goldene Zeit für das Rentier, welches, bis dahin spindel- 
dürr, nach 8 Wochen unter seinem braunen 8ommerkleid eine 2 bis 3 Finger dicke 
Speckschicht trägt. Bei einer gleichmäfsigen Temperatur der Luft von + 4 — 5 0 R. 
und ausgezeichneter Reinheit derselben, bei dem ununterbrochenen Sonnenschein 
sind Erkältungen unmöglich, die Gesundheit und der Appetit sind uner- 
schütterlich, pathogene Bakterien sind absolut nicht vorhanden, und es mag 
einst in der Zukunft die Zeit kommen, wo man Spizbergen als einen sommer- 
lichen Kurort, aufsucht. Im Hochsommer wird endlich an der Nordküste, in 
der Hinlopenstrafse und an dem schwer zugänglichen Nordostlande das Walrofs 
mit Lanze oder Schufswaffe getötet, eine gefährliche Jagd, wenn die Tiere in 
Scharen das sie verfolgende Boot selbst angreifen; die Jagd auf Eisbären — 
den „Länsman von Spitsbergen“, wie er genannt wird — ist dagegen meist 
ungefährlich, weil dieses Tier nur selten und unter besonderen Umständen dem 
Menschen zu Leibe geht. Neben dem Speck ist die Haut des Walrosses wert- 


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— 326 


voll, sie dient zu Treibriemen, während die Zähne für die Anfertigung mensch- 
licher Gebisse benutzt werden. Dem Fang des Weifswals (belnga). dessen untere 
Haut das feinste Stiefelleder abgiebt, w'ohnte Dr. K. in der Advent -Bai bei. Eine 
Schar dieser Wale wurde in einem Fjord durch ein grofses Sperrnetz abge- 
sperrt, mit einem kleineren Netze wurden sie sodann an Land gebracht und 
getötet.; eine dem Tunfischfang ähnliche Schlächterei. Im allgemeinen mufs 
man sagen, dafs die norwegischen Fangleute einen schweren und harten Kampf 
um das tägliche Brot bestehen; Intelligenz und Mnt sind in hohem Mafse er- 
forderlich, dabei ist die Zahl der schlechten Fangjahre viel gröfser als die 
der guten. 


§ Polarregionen. Die Zeitschrift der Königlich dänischen geographischen 
Gesellschaft, Band 9 (1887 88), Heft VI, enthält einen bemerkenswerten Aufsatz von 
H. Rink über die Ergebnisse dor neuesten dänischen Unter- 
snchungen in Grönland, rücksich tli oh des Binnenlandes und 
des Ursprunges der schwimmenden Eisberge. Als im Jahre 1876 
eine planmäfsige physisch-geographische Untersuchung Grönlands eingeleitet 
wurde, war der Gedanke dabei auch besonders auf das noch wenig bekannte 
Binnenland gerichtet. Es waren ja noch ab und zu Zweifel erhoben worden, 
ob dieses wirklich ganz unter Eis begraben sei. Vor allem galt es dann erst 
zu entscheiden, ob der Rand dieses .Binneneises“ wirklich ein zusammen- 
hängender sei, und nirgends einen Durchgang zu möglicherweise vorhandenen 
weniger öden Thälern im Innern gestatte. Wenn man eine durch die Endspit.zen 
der Fjorde gezogene Linie als die Grenze des Binnenlandes betrachtet, dürfte diese 
auf 800 geogr. Meilen veranschlagt worden. Von dieser Erstreckung sind nun 
im Laufe der letzten Jahre 340 Meilen so weit rekognosziert worden, dafs der 
Rand des Binneneises hier mit einiger Sicherheit hat verfolgt werden können, 
und es geht aus allen Berichten hervor, dafs nirgends ein Durchgang zu finden 
war. Wenn dieses Ergebnis enttäuscht haben mag, so könnte der Einblick, den 
man dabei über den Rand des Eises hinweg ius Binnenland selbst gewonnen 
hat, dem ersten Anscheine nach als noch entmutigender betrachtet werden. 
Die Reisenden, welche eine Wanderung über dieses Eis versuchten, fanden 
anfangs neben den sich ihnen darbietenden Schwierigkeiten doch einige Abwechse- 
lung und Gelegenheit zu Beobachtungen ; aber je weiter sie sich vom Rande 
entfernten, desto mehr verschwanden alle fremden Gegenstände, die Oberfläche 
wurde immer ebener, erst Eis und nichts als Eis ; dann verschwand auch dieses 
unter einer Decke von losem Schnee, und wenn man, so weit das Auge reichte, 
nur eine blendend weifse Ebene vor sich hatte, konnte man allerdings einigen 
Grund haben, den Nutzen einos weiteren Vordringens in diese trostlose Öde 
zu bezweifeln. In der That. verspricht eine Wanderung quer über Grönland 
verhältnismäfsig nur wenig direkte Ausbeute. Wenn aber die Beobachtungen 
auf einer solchen mit den Untersuchungen des Eisrandes und der Eisfjorde, 
sowie der mächtigen in diesen vorgehenden Bewegungen in Verbindung 
gesetzt werden, wäre hauptsächlich daraus die Lösung zweier wichtiger Fragen 
in der Geographie und Geologie zu hoffen, indem nämlich Grönland das einzige 
bis jetzt bekannte Land ist, welches Gelegenheit darbietet, teils den Ursprung 
der schwimmenden Eisberge, teils eine noch existierende, der verschwundenen 
europäischen entsprechende Glacialformation zu erforschen. Das Binneneis ist 
zunächst mit einer Cberschwemmung zu vergleichen. Von jeher hat man das 


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Innere des Landes, von Berghöhen aus betrachtet, als ein schneebedecktes 
Tafelland beschrieben. Da aber jetzt in dem weiten erforschten Umkreise überall 
dasselbe sich wiederholt hat, so entsteht die Frage, ob nicht die Horizontalität 
der Oberfläche von einer Nivellierung, einer Ausfüllung der Vertiefungen durch 
Eis, anstatt von der Form des unterliegenden Landes als eines Tafellandes zu 
erklären sei. Anderweitige Beobachtungen haben diese Ansicht bestätigt, und 
wir haben demnach ja schon das Bild einer Überschwemmung. Hierbei ist 
jedoch zu bemerken, dafs die Oberfläche erst in einer gewissen Entfernung vom 
Rande diesen Charakter annimmt und dafs wir die Unebenheiten, die als 
mächtige Spalten besonders im Anfänge die Wanderung gefährden, anfser acht 
lassen. Dabei ist die Oberfläche bis zu den äufsersten Punkten, wenngleich 
in einem stark abnehmenden Grade, fortwährend steigend. Die Steigung ist 
auch für verschiedene Ausgangspunkte verschieden. In derselben Entfernung 
vom Rande, in welcher unter 68'/» 0 n. Br. die Höhe von 2000 Fufs erreicht 
wurde, ist sie unter 62 1 's 0 als 4000 Fufs betragend gefunden. Die gröfste 
Höhe, bis zu welcher man die Oberfläche bis ins ferne Innere hat verfolgen 
können, beträgt 6000, von einem einzelnen Punkte aus vielleicht 7000 Fufs. 

Nicht, selten ist die Frage aufgeworfen worden, oh das Gletschereis in 
Grönland zunehme oder abnehme. Wenn man weifs, dafs auf der nördlichen 
Halbkugel die eigentlichen schwimmenden Eisberge allein von Grönland her- 
rühren, möchte die Frage wohl näher liegen : wie ist es möglich, dafs es noch 
eisfreie, bewohnbare Plätze in einem Lande geben kann, dessen Küsten fort- 
während Bruchstücke einer Eisplatte von 1000 Fufs Dicke dem Meere über- 
geben können? Am kürzesten läfst diese Frage sich wohl durch ein Gleichnis 
beantworten: Das Eis dieser Platte entsteht nicht unmittelbar am Rande des 
Meeres, sondern wird, wie der Niederschlag, im flüssigen Zustande durch Flüsse 
vom ganzen Binnenlande produziert und gewissen Punkten des Umkreises zu- 
geführt. Diese Punkte sind bekanntlich die Eisfjorde. Je nach der verschie- 
denen Stärke, mit welcher sich die merkwürdige Bewegung des Eises vom fernen 
Innern auf die Eisfjorde konzentriert, hat man dieselben in 4 Klassen geteilt. 
Auf der Westküste kannte man bisher etwa 9 Eisfjorde ersten und zweiten 
Ranges, und eine genauere Untersuchung der Arme des Binneneiscs in einigen 
derselben war eine Hauptaufgabe der dänischen Reisenden. Folgende Ergeb- 
nifse haben sich dabei herausgestellt : 

Der Gletscher von Jacobshavn bewegt sich zu jeder Jahreszeit in seiner 
Mitte mit einer Schnelligkeit von über Ö0 Fufs täglich. Ein Gletscherarm des 
Torsukatak-Fjordes (unter 70 0 10 ' n. Br.) zeigt eine Bewegung von 20 bis 
30 Fufs täglich. Der Karajak-Glet.scher im Umanak-Fjorde legte 22 bis 38 
Fufs und der Itivdliarsuk-Gletscher in demselben Fjord 21 bis 46 Fufs täglich 
zurück. Die Messungen der Breite dieser Gletscherarme gaben von 14000 bis 
zu 29000 Fufs, während ihre Dicke zu 600 bis über 1000 Fufs veranschlagt 
werden konnte. Nach diesen Zahlen kamt man sich von den Dimensionen der 
Eisplatten, die jährlich dem Meere übergeben werden, und durch deren Zer- 
stückelung die Eisberge entstehen, einen ungefähren Begriff machen. Wenn 
man die Breite nach dem Querschnitte des Gletschers rechnet, und den im 
Laufe eines Jahres zurückgelegten Weg als Länge bezeichnet, so ergeben sich 
für die genannten Eisplattcn folgende Dimensionen: für Jacobshavn •/* Meile 
breit, *,’» Meile lang, 800 bis 1000 Fufs dick ; für Torsukatak 1 Meile breit, */« 
bis ’/a Meile lang, 600 bis 800 Fufs dick; für Karajak */* Meile breit, ’/» bis */* 


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Meile lang, 800 bis 1000 Fufs dick; für Iiivdliarsuk ' s Meile breit, */• bis ■/» 

Meile lang, 600 bis 800 Fnfs dick. I 

Nach den zuletzt ansgesandten Expeditionen, deren Ergebnisse aber nur erst 
teilweise veröffentlicht wurden, werden hierzu wahrscheinlich noch ein Eisfjord 
ersten Ranges auf der Westküste und fünf Eisfjordo auf der Ostküste, sowie 
die genauere Untersuchung eines der mächtigsten Fjorde der Westküste hinzu- 
zufiigen sein. 

Was die .Kalbung“ oder Ablösung der schwimmenden Eisberge betrifft, 
so sind darüber jetzt bei Jacobshavn vieljährige Erfahrungen gesammelt. Der 
äufserste Teil des Gletschers wird schon vor der Zerstückelung vom Meere 
wie eine schwimmende Brücke getragen. Da die Kalbung scheinbar ganz un- 
regelmäfsig ist, wechselt die Länge dieser Teile im Laufe der Jahre. Es ist 
namentlich bei den letzten Untersuchungen ermittelt worden, dafs der Rand 
des Gletschers zu gewissen Zeiten eine Meile weiter ins Meer hinausreicht als 
zu andern. 

Die vom Binneneisc ausgehenden Gletscher der Eisfjorde bilden verhält- 
nismäfsig nur einen äufserst geringen Teil des oben erwähnten 340 Meilen 
langen Eisrandes. Zahlreiche Beobachtungen sind gelegentlich an andern 
Punkten desselben angestellt, um seine möglichen Bewegungen, besonders da, 
wo er niedriges Land vor sich hat, zu erforschen. Namentlich hat aber die 
im Jahre 1878 vorgenommene Spezialnntersuchung des sogenannten „Frederiks- 
haabs Isblinks“ zur Aufklärung dieser Frage beigetragen. Es ist dadurch nach- 
gewiesen worden, dafs das Eis vom Innern aus mehr oder weniger überall gegen 
den Rand hingedrängt wird, dafs aber die Sommevwärme hinlänglich thauend 
auf den vordem und niedrigem Teil der Oberfläche wirkt, um den periodisch 
etwas vorwärts und dann wieder rückwärts schreitenden Rand innerhalb ge- 
wisser Grenzen zu halten. 

Die Zahlen, durch welche die Produktivität der oben erwähnten vier 
Eisfjorde ausgedrückt ist, zeigen, dafs jeder derselben jährlich vom Binnen- 
lande 84,000 bis 180, 000 Millionen Kubikfufs Eis empfängt. Dieses ent- 
spricht einem Niederschlage von beziehungsweise 1*/« bis 3 a /« Zoll auf 1000 
□ Meilen verteilt. Aus verschiedenen Gründen mufs man aber vermuten, 
dafs eine mehrfach gröfsere Menge Wassers im flüssigen Zustande durch Kanäle 
in der Tiefe das nach den Eisfjorden hin fortschreitende Eis begleitet, und dafs 
über 1000 □ Meilen erforderlich sind, um einen Eisfjord ersten Ranges zu 
nähren. Eine genauere Kenntnis der Eisfjorde im ganzen Umkreise Grönlands, 
sowie auch der atmosphärischen Bedingungen könnte zu Folgerungen rück- 
sichtlich der Wasserscheiden und ursprünglichen Flufsgebiote führen. Ans 
dem, was wir bis jetzt wissen, läfst sich nur mit Wahrscheinlichkeit schliefsen, 
dafs im ganzen der Abflufs weit gröfser nach Westen ist, als nach Osten, 
dafs aber im südlichen, schmäleren Teil Grönlands das Umgekehrte stattfindet. 

Das höchste Land dürfte in der Gegend des Franz Joseph-Fjordes zu suchen sein. 

Endlich sind erst jetzt die Spuren einer verschwundenen Glacialzeit durch 
umfassende Untersuchungen nachgewiesen. Das Binneneis hat sich nach Westen 
über den gröfsten Teil des jetzt eisfreien Küstensaumes erstreckt. Diese Kombi- 
nation einer gegenwärtigen mit einer vergangenen Eiszeit mufs für die Geologie 
sehr lehrreich sein. Man hat den Rückgang des Eisrandes einer Milderung des 
Klimas zugeschrieben, doch dürfte man auch eine andre Ursache vermuten 
können; noch jetzt produziert ja, wie wir gesehen, das Binnenland einen grofsen 

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Überschufs von Eis. Dieses wird nur durch die Eisfjorde als Abzngskanäle 
daran verhindert, sich über das jetzt eisfreie Land zu verbreiten. Allein es ist 
ja möglich, dafs unter anderm die ..Eisstrombetten‘‘ oder Wege, auf welchen 
das Eis jetzt den Fjorden angeführt wird, sich erst in späteren Zeiten durch 
Erosion des Grundes gebildet haben. Man braucht ja die ausgrabende Kraft, 
nicht einer unmittelbaren Berührung mit Eis znzuschreiben. Ursprünglich hat 
die Erdkruste wohl lose oder leicht ablösbare Schalen oder Spitzen dargeboten, 
diese sind von dem tausend Fufs dicken Eise fortgeführt, und haben unter 
diesem mächtigen Drucke als Schleifpulver oder cingefafste Diamanten gewirkt. 

Dasselbe Heft enthält einen Aufsatz von P. Eberl in über den Sund, 
der in alten Zeiten Grönland quer durchschnitten haben soll. 
Der Verfasser untersucht, wie man dazu gekommen, einen solchen Sund, der 
jedenfalls aus physischen Gründen eine Unmöglichkeit gewesen ist, anzunehmen. 
Es wird erstlich hervorgehoben, dafs die Meinung, es sei ein solcher Sund vor- 
handen, nicht auf europäischen Einflufs zurückzuführen ist, da schon Egede die 
Sage bei den Grönländern vorfand. Darauf werden die Angaben der ver- 
schiedenen Verfasser zitiert, die sich über die Frage ausgesprochen haben. Die- 
selben führen zu dem Ergebnis, dafs diese Sage, wie so häufig die grönländischen 
Traditionen, auf einer Lokalisierung älterer Erinnerungen beruht, dafs in diesem 
Falle eine Wanderung am Smiths-Sunde entlang und vordem um Grönland zu 
Grunde liegt, und dafs die Besiedelung der Ostküstc auf diese Weise zu er- 
klären ist. 

Die Tsch i gli t -Eskim o s. 

Unter dem Titel: ,,Les grands Esquimaux“ veröffentlichte E. Petitot, 
der bereits durch seine Publikationen*) über die geographischen Verhältnisse 
der von ihm bereisten Gebiete des arktischen Amerika rühmlichst bekannte 
Missionär, den Teil seines Tagebuches, welcher die Erlebnisse und Beobachtungen 
des Reisenden unter der Innuit.bevölkerung des Kontinents enthält. **) Diese 
Eskimos, die Tschiglit genannt, teilen sich in zw r ei Stämme: die Kraymalit und 
die Tareormiut, deren Wohnsitze an den Mündungen des Anderson- und des 
Mackenzieflusses liegen. Ihre Gesamtzahl wird auf 2000 geschätzt. Der erste 
Aufenthalt Petitots unter den Eingeborenen fällt in das Frühjahr 1865, der zweite 
in den Sommer 1866. Der Verfasser führt den Leser in die dumpfen thran- 
erleuchteten Wohnungen der Eskimos und läfst ihn hier durch eine lebendige 
Darstellungsweise an allen Freuden und Leiden seiner Reise teilnehmen. In den 
reizenden Schilderungen des Zusammenlebens mit den Eskimos liegt der Haupt- 
wert des Petitotschen Buches. Die kleinen Szenen, teils freundlicher, teils 
bedrohlicher Natur, welche er hier durchzumachen hatte, sind anziehend erzählt, 
mit freundlichem Humor gewürzt, und geben uns ein treues Bild von dem 
Leben und Treiben dieses interessanten Volkes. Wie tief der Verfasser, trotz 
verhältnismäfsig kurzen Aufenthaltes unter den Eskimos, in deren geistiges 
Leben eingedrungen ist, davon zeugen die vielen höchst beachtungswerten 
Betrachtungen über ihre Denkungsweise, Sitten u. a., deren Objektivität, be- 

*) Geographie de l’Athabaskaro-Mackcnzic et des grands lacs du bassin arctique. 
Bulletin d. Paris. Geogr. Gesellschaft 1875. — Ferner veröffentlichte Petitot ein 
Vocabulairc Framjais-Esquimau, dialecte des Tchiglit des bouches du Mackenzie et de 
l’Andcrson. Paris 1876. 

*») Erschienen 1887 in Paris bei E. Pion, Nourrit 4 Cie. 


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sonders anzuerkenncu ist. Jedenfalls wird das Buch den Freund der Völker- 
kunde fesseln und kann als ein wertvoller Beitrag zur Psychologie der Eskimos 
bezeichnet werden. 

Hinsichtlich der Reiseerlebnisse verweisen wir auf das Buch selbst und 
beschränken uns hier auf die Wiedergabe einiger ethnologisch interessanten 
Mitteilungen, die seinem reichen Inhalte entnommen sind. 

Die Tschiglit-Eskimos sind von etwas über Mittelgröfsc, daher man sie 
die .grofsen“ Eskimos nennt, im Gegensätze zu denen Labradors, Grönlands 
und der nordamerikanischen Inselwelt. Ihre Haut ist weder weifs noch rot, 
die Farbe ähnelt am meisten der der Spanier und Japaner. Das Haar pflegen 
die Männer nach mönchischer Art zu tonsieren, die Frauen vereinigen dasselbe 
auf dem Kopfe zu einem Knoten. Eine sonderbare Sitte, die man bei den 
Grönländern nicht findet, besteht darin, dafs die Tschiglitfrauen von dem aus- 
gefallenen Haar ihrer Ehemänner und Liebhaber zwei grofse Knäuel anfertigeu, 
die sie zu beiden Seiten des natürlichen Chignons tragen. Zwei andre eben- 
falls unechte Haarwulste hängen auf die Brust herab, gleich grofsen Würsten 
oder egyptischen Zöpfen, in welche blaue Glasperlen eingeflochten sind. Die 
Kleidung eines Häuptlings, welcher Petitot auf seiner ersten Reise nach der 
Liverpool-Bai begleitete, war aus Rentierfellen sorgfältig gearbeitet und mit 
verschiedenfarbigen Besätzen von Fischotter, Wolfsfell u. a. geschmückt. 
Ara Gürtel und von den Arm- und Kniegelenken hingen lange Zotteln von 
Pelzwerk herab, die auch an der Kapuze das Haupt strahlenförmig umgaben. 
Diese, zusammen mit der Kopfhaut des Wolfes, welche grinsend über der Stirn 
ans der Kapuze hervorschaute, verliehen der ganzen Erscheinung etwas phanta- 
stisch wildes, das, wie der Reisende bemerkt, allein hinreicht, um den Ruf der 
Tapferkeit und Grausamkeit zu erklären, dessen sich die Eskimos bei ihren 
Nachbarn, den Indianern und selbst bei den Weifsen erfreuen. Die Frauen 
waren mit Pelzrock, Pelzhose und Pelzstiefeln bekleidet. Auf dem Kopfe trugen 
sie eine ungeheuere Kapuze. Grofses Interesse erweckte ein kleiner Knabe 
von etwa sechs Jahren, welcher in die Haut eines Rentierkalbes eingekleidet 
war, zu beiden Seiten der Stirn standen die kleinen Ohren und die Anfänge 
des jungen Geweihs ab. Die Augen des Thieres waren durch rote Tuch- 
läppchen mit weifsen Glasperlen ersetzt, die Schnauze über der Stirn des Kindes 
war mit drei blauen Perlen geziert, die aus den Nasenlöchern hervorhingen. 
Das ganze Kostüm von Kopf bis zu den Füfsen war aus der Haut des Tieres 
gearbeitet. Petitot wollte das Kind zeichnen, aber die Mutter liefs es nicht zu, 
wahrscheinlich befürchtete sie Unheil für ihren Liebling in der vermeintlichen 
Zauberei des weifsen Mannes. Das erste Dorf, welches Petitot im Frühjahr 
1865 unter dem Schutze des schon erwähnten Häuptlings und in Begleitung 
eines jungen indianischen Dieners besuchte, lag auf dem Eise des Anderson- 
flusses, kurz vor der Mündung in die Liverpool-Bai. an eiuer Stelle, wo sich 
das Bett des Flusses zu einem Becken erweitert. Das Dorf bestand aus einem 
Dutzend grofser, 'zerstreut liegender, schneebedeckter Hütten. In das Innere 
eines solchen „Iglu“ führt ein niedriger, aus Schneeplatten erbauter Gang 
(kranitat.) von halbkreisförmigem Grundrifs. Im Frühjahr wird die Decke dieses 
Ganges durchbrochen und über der Öffnung ein kegelförmiges Zelt (itsark’l er- 
richtet, in welches dann die Küche verlegt wird. Das Zelt dient als Rauchfang. 
Aus dem dunklen Hintergründe des Kranitat, in welchem man sich nur auf 
allen Vieren bewegen kann, steigt man durch eine Öffnung in den höher lie- 


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genden Wohn- und Schlafraum. Diese Öffnung wild durch einen Vorhang von 
Fell gegen die Aufsenluft abgeschlossen. Das Haus ist von einfachster Bauart. 
Vier in den Boden getriebene Baumstämme tragen auf ihren oberen gegabelten 
Enden die horizontalen Querbalken, auf denen das aus runden Knüppeln zu- 
sammengesetzte Dach ruht ; so entsteht ein grofser Tisch, an dessen Kanten 
sich die Wände des Hauses anlehnen. Diese werden aus Stangen hergestellt, 
die am Boden durch stärkere Balken zusammengehalten und oben in die Dach- 
fläche eingepflöckt werden. Eine quadratische Öffnung in der Mitte des Daches 
von einer durchsichtigen Eisplatte überdeckt, läfst genügendes Licht herein- 
fallen, um den ganzen Raum wohnlich zu erhellen. Alle Spalten des Gebäudes 
werden sorgfältig mit Moos, Lehm oder Schnee verstopft. An den Wänden 
entlang, mit Ausnahme derjenigen, an welcher sich der Eingang befindet, läuft 
eine niedrige Bank, welche mit Fellen bedeckt, den Insassen als Lagerstätte 
dient. Jede Bank gewährt genügenden Raum zur Aufnahme einer Familie. 
Die Wohnung besitzt keinen Herd. Vier Topfsteinlampen zu den Füfsen der 
Dachständer übernehmen die Beleuchtung und Erwärmung des Raumes. Ihre 
Unterhaltung ist den Frauen anvertraut und zwar besitzt jede Frau ihre eigene 
Lampe. Über den Lampen hängen aus Holz geflochtene Hürden oder Roste, 
„panertsivik“, auf welchen Kochgefäfse mit Schmelzwasser oder aufzutauendem 
Fleische stehen. Zudem werden hier Kleidungsstücke erwärmt und getrocknet. 
Sobald im Frühjahr sich die Temperatur mildert, die Tage länger werden, 
wandern die Lampen in den Vorratswinkcl. Von nun au kann der Eskimo 
sein Feuer draufsen anmachen und sich nach Behagen erwärmen, wie andre 
Menschenkinder. Hiermit soll jedoch nicht gesagt sein, dafs die guten Leute 
in ihren Häusern von der Kälte zu leiden haben, die Temperatur steigt in 
diesen Räumen bis zu + 18 Grad C. Männer und Frauen bewegen sich innerhalb 
derselben meist in halbnacktem Zustande. Der erwähnte Gang oder Kranitat 
dient anfser als Hundestall auch zur Aufbewahrung einer Menge von Gegen- 
ständen; dort findet man Töpfe, Thran- und Wasserschläuche, aus Walrofszahn 
geschnitztes Spielzeug, Kästchen aus Knochen mit sorgfältig eingeschnittenen 
Figuren, Beutel aus Fischbälgen oder Pelzwerk, Gehänge aus Bärenklauen oder 
Adlerkrallen, Angelzcug mit roten, weifsen oder grünen Specksteinstückchen 
zum Anlocken der Fische oder gar mit kleinen aus Walrofszahn geschnitzten 
Fischchen. An den Wänden hängen an Pflöcken Bogen und Köcher, halbvoll- 
endete Kleidungsstücke, Schmuckgegenstände aus Glasperlen, deren Anfertigung 
eine Hauptbeschäftigung der Frauen ist. Stirnbänder, Ohrgehänge aus Elfenbein, 
ausgestopfte Vogelbälge. Mit einem Worte, man findet in diesen Häusern ein 
wahres Museum ethnologischer Seltenheiten vom höchsten Interesse, welches im 
Btandc wäre, einen Sammler in Entzücken zu versetzen. 

Eine auffallende Stellung nehmen die Frauen der Eskimos zu ihren 
Männern ein. Sie werden gut behandelt, wenigstens erhalten sie keine Schläge, 
über deren Mangel sich die Frauen fast aller sonstigen unkultivierten Völker 
nicht beklagen können. Man darf aber nicht übersehen, dafs in den Prügeln, 
die eine Frau von ihrem eifersüchtigen Gatten erhält, nächst dem Zorn auch 
liebevolle Teilnahme für das moralische Wohlergehen der besseren Hälfte zum 
Ausdruck kommt. Der Eskimo steht jedoch dem weiblichen Geschlecht in betreff des 
sittlichen Lebenswandels mit Gleichgültigkeit gegenüber. Die Frauen lassen sich 
kaufen, verkaufen, vertauschen, verleihen, entehren, ohne dafs die Männer sich 
viel darum kümmern. Erstere haben infolgedessen jedes Ehrgefühl, jede Scham, 


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Zurückhaltung uml Treue verloren. Petitot »eist zur Erklärung dieses Ver- 
hältnisses auf die Möglichkeit hin. dafs die Frauen einer unterworfenen Be- 
völkerung angehört haben könnten, welche die Innuits mit sich verschmolzen 
haben, indem sie die Frauen und Mädchen zu ihren Weibern nahmen, an denen 
jedoch der Charakter des Gemeingutes haften blieb, der dann im Laufe der 
Zeit auf das ganze Geschlecht überging. Petitot will auch körperliche und 
sprachliche Merkmale für eine Rassenverschiedenheit zwischen Männern und 
Frauen bemerkt haben. Als richtig dürfte diese Erklärung indessen wohl nur 
dann angenommen werden, wenn sie in den bisher nur wenig bekannten histo- 
rischen Überlieferungen der Eskimos Bestätigung fände. Einfacher erscheint 
die Annahme, dafs sich das sexuelle Leben der Eskimos erst auf einer Ent- 
wickelnngsstufe von vollständiger Franengemeiuschaft zur Ehe befindet. Man 
würde den gegenwärtigen Zustand als zeitlich beschränkte Frauengemeinschaft 
bezeichnen können. 

Die Gastfreundschaft der Eskimos ist bekannt und findet auch durch Petitos 
Aufnahme bei den Innuits Bestätigung, wenngleich er nicht überall sofort das 
gewünschte Entgegenkommen bemerkte. Einmal im Hause des Gastfreundes 
aufgenommen, ist die Person des Reisenden unverletzlich. Dasselbe gilt von 
seinem Boote und dessen Inhalt, sobald es sich im Flusse zwischen den übrigen 
Fahrzeugen befindet. Wer dagegen ein Unterkommen im gastlichen Iglu zu 
verschmähen wagen würde, sich ein eigenes Zelt errichtete und sein Eigentum 
mifstranisch bei Seite brächte, würde sich der Gefahr anssetzen, dem Hafs und 
der Habgier der Eskimos zum Opfer zu fallen. 

Die Achtung vor fremdem Eigentum, besonders dem der Weifsen und 
Indianer, ist bei den Eskimos nicht übermäfsig entwickelt. Auf dem Fort. Mac- 
Pherson am Peelflnsse, dem Ausgangspunkt der zweiten Reise, wo der Reisende 
sein Zelt aufserhalb der Pallisaden des Forts aufschlug. drangen häufig Eskimos 
in seine Behausung und versuchten seine oder des Dieners Sachen zu entwenden. 
Wurden sie abgefafst, so liefsen sie das Geraubte meistens im Stich und ent- 
fernten sich schleunigst. Ein ertappter Dieb war der einzige Eskimo, den 
Petitot je erröten sah. 

Das Vorstehende wird genügen, einen Begriff von den Sitten und dem 
Charakter der Tschiglit zu geben, die allerdings im grofsen und ganzen nicht 
wesentlich von denen bekannterer Eskimostämme abweichen. Wer sich ein- 
gehender mit ihrer Lebensweise bekannt machen will, wird in dem Petitot- 
schen Buche die angenehmste Belehrung finden. Es ist zu bedauern, dafs 
der kurze Aufenthalt unter jenem Volksstamme kein gründliches Studium seiner 
Sagen und Überlieferungen gestattete, die eine gewünschte Ergänzung zu den 
durch" Rink und Boas erforschten Sagen der östlichen Eskimos bilden und viel- 
leicht manches Dunkle in der Geschichte dieses Volkes anfhellen würden. 

Petitot beabsichtigt, dem vorliegenden Abschnitte seines Tagebuches 
weitere folgen zu lassen, welche die mehr als zwanzigjährigen Wanderungen 
des Missionärs unter den Volksstämmen des amerikanischen Nordens schildern 
sollen. Nach dem Gegenwärtigen wird man jenen Veröffentlichungen mit grofsem 
Interesse entgegensehen. H. A. 

In der amerikanischen Zeitschrift „ Science“ vom 11. November finden 
wir einige Nachrichten vom C u mbe rl an d- Su n d. Dieselben wurden vom 
Kapitän W. Düvel, Kapitän des Schuners „Eira' 1 von Neu-London, welcher vor 
kurzem aus dem Eismeer heimkehrte, mitgebracht. Die Walfischfänger in jener 


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Bai waren seit 1885 mit dem Fange glücklicher gewesen, nachdem sie eine 
Reihe von Jahren nur Mifserfolge erzielt hatten. Im Jahre 1885 erstreckten 
sich die Eisfelder im Snnd am Lande sehr weit südlich; im Jahre 1886 lagen 
sie weiter nördlich, im Winter 1886 reichten sie bis zum Eingang des Sundes, 
während in vielen früheren Jahren das offene Wasser bis Kekerten und selbst bis 
Haystack reichte. Die niedrigste Temperatur war im vorigen Winter — 46° F., 
der Schneefall war sehr spärlich und das Eis kaum mit Schnee bedeckt. Da 
zudem das Eis weich war. so waren die Winterreisen leicht. Im Februar trat 
die gefürchtete Hundekrankheit unter den Hunden der Eingeborenen auf und 
raffte viele Tiere weg. In Black Lead blieben von den Hunden der dreiund- 
dreifsig Eingeborenen nur 9 am Leben. Im Frühjahr 1886 trat die Krankheit 
auch unter den Hunden der Eingeborenen an der Davis-Strafse auf, wo sie bis 
dahin unbekannt war. Im vorigen Sommer brach das Eis im Sunde am 6. Juli 
auf. Da der Walfang im Sunde einträglicher geworden ist, kommen mehr 
Schiffe herein und verschiedene permanente Stationen wurden errichtet. Eine 
schottische Station befindet sich in Kekerten, amerikanische Stationen sind in 
Black Lead, Nugumiut und in der Hudson-Strafse. Der Gesundheitszustand der 
Eingeborenen war sehr gut. Im Cumberland-Sund kamen im letzten Jahre 
fünf Todesfälle vor, drei Kinder wurden in einer einzigen Niederlassung geboren. 
Im Herbst kamen alle Eingeborenen, die zu dem die Westküste des Sundes 
bewohnenden Stamme gehören, in Black Lead zusammen und feierten das allen 
Stämmen in Nord - Labrador und Baffin-Land bekannte Jahresfest , wobei 
maskierte Männer, als Vertreter von Geistern, erscheinen. Zeitig im Frühjahr 
führten südwestliche Winde das schwere Packeis aus der Davis-Strafse in den 
Sund, wo es einige Wochen blieb. — Diesen Mitteilungen ist eine Kartenskizze 
von Dr. F. Boas beigegeben, welche die Grenze der gröfsten Ausdehnung des 
Eises im Sunde, gegen Ende Februar, in einer Reihe von Jahren zeigt. Die 
Verschiedenheit dieser Grenze in den einzelnen Jahren — zwölf — ist aufser- 
ordentlieh grofs. Da jetzt permanente Fischereistationen im Sunde sind, so sollte 
man meinen, cs würde dem meteorologischen Büreau in Wasliington nicht 
schwer werden, eine Einrichtung zu treffen, um das ganze Jahr hindurch 
meteorologische Beobachtungen dort anstellen zu lassen. Über den diesjährigen 
Walfang in der Davis-Strafse und den mit dieser Strafse in Verbindung 
stehenden arktischen Gewässern liegen einige weitere Notizen vor. Im Eise des 
Cumberland-Sundes ging einer der Dundeer Dampfer, ,,Arctic“, Anfang Oktober 
verloren. Die Bemannung rettete sich auf zwei andre Dampfer. Am 6. No- 
vember kam der Fischdampfer „Terra Nova“, der gröfste der Dundeer Wal- 
fangflotte, nach Dundee zurück. Der Kapitän berichtet, dafs der Fang von 
Polarwalen in diesem Sommer mifslungen sei, da die Davis-Strafse mit Eis voll- 
gepackt war. So brauchten die Schiffe einen vollen Monat, um die berüchtigte 
Melville-Bai-Passage, von dieser Bai hinüber zur amerikanischen Seite nach dem 
Lancaster-Sund, zu machen. Sehr wenige Polarwale wurden gefangen. Der 
Fang des am 7. November zurückgokehrten Dampfers „Esquiraaux“ bestand 
aus 60 Weifswalen, 80 Walrossen und 6 Bottlenosewalen, ein Ertrag von 125 t 
Thran. Über den gesamten Fang der in diesem Jahr von Dundee nach ver- 
schiedenen Richtungen ins Eismeer gesandten Fischerflotte liegt eine andre 
Notiz vor. Fünf Dundeer Dampfer wurden von Neu -Fundland aus auf den 
Seehundsfang gesandt; es wurden 51 550 Seehunde getötet, der ganze Wert 
dieses Fanges war 33 — 35 000 Pfd. St. (gegen 26 000 Pfd. St. im Jahre 1886). 


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t)er Gesamtfang der 9 Dnndeer Dampfer in der Davis-Strafse betrug nur 516 t 
Thran und 7 t Barten. Im ganzen war der Wert des Dnndeer Fangs, den 
Ertrag eines ins europäische Eismeer gesandten Dampfers, „ Polar Star“, ein- 
gerechnet, 58 059 Pfd. St. Kapitän D. Gray teilte uns aus Peterhead, den 
18. Oktober, über seine diesjährige Fangreise in das europäische Eismeer folgendes 
mit : „Wir hatten eine schlechte Saison im Grönlandsmeer. Ich bekam nur einen 
Wal, glücklicherweise einen sehr grofsen. Derselbe lieferte 27 t Thran. 2500 Pfd. 
Barten, so dafs der Wert, dieses Fanges 2333 Pfd. St. beträgt. Alle kamen 
wohl nach Hause.“ 

Ober den in diesem Sommer im Eismeer nördlich von der Bering- 
Strafsc von Amerika (San Francisco) aus betriebenen Fang liegt bis jetzt nur ein 
Telegramm vor. Darnach war dort, der Fang seit langen Jahren nicht so 
günstig als im vorigen Sommer. Die Gesamtzahl der bis zum 5. Oktober 
erbeuteten Wale betrug 256. von denen man 4800 Pfd. Barten und 48000 Barrel 
Thran zu gewinnen hoffte. 

Über die Witterung und Verteilung des Eises im euro- 
päischen Eismeer im vergangenen Sommer liegen nähere Berichte vor. Im 
Juli war nördlich von Norwegen und uni Spitzbergen viel Eis, während das 
Meer in der Richtung von Nowaja Semlja offen war. Im August machten 
heftige Nordwestwinde und starker Nebel dem Walfang an der norwegischen 
Küste — einen Monat früher als gewöhnlich — ein Ende, zumal Anzeichen 
dafür vorhanden waren, dafs in der Richtung Nordnordwest starke Massen von 
Eis trieben. Bei Island waren die Witterungs- und Eisverhältnisse ganz aufser- 
gewöhnliche. Die ganze nördliche Küste bis nach Kap Nord war noch im Juli 
von einem wohl an 20 sm breiten Eisgürtel umschlossen. In der ersten Hälfte 
des August, traf der Postdampfer „Thyra* solche Massen von Treibeis, dafs er 
umkehren mufste. Das Eis lag bei der Rückfahrt nahe au der Küste, vor dem 
Reykjavik-Fjord nur 5 — 6 km vom Lande. Am 16. August erreichte D. „Thyra* 
die Ostküste von Island, ein weiteres Vordringen von hier nach Norden war 
durch Eis versperrt. Nur der Beru-Fjord an der Ostküste war zugänglich, doch 
bald füllte er sich mit Eis und der Dampfer hatte Mühe zu entkommen. 
Ungefähr um dieselbe Zeit gelang es dem Postdampfer „Laura“ den Eskefjord 
an der Westküste zu erreichen; zum Seydisfjord an der Nordostküste komite das 
Schiff nicht gelangen, da bei Kap Nord bedeutende Massen von Treibeis ange- 
troffen wurden. Das Schiff lag einige Stunden am Eise ; so weit, das Auge 
reichte, erstreckte sich das Eis in nördlicher und nordöstlicher Richtung; 
sodann kam dichter Nebel auf und das Schiff wendete südwärts. Nochmals 
wurde sodann der Versuch gemacht, nordwärts vorzudringen und am 17. August 
wurde Kap Nord erreicht, einige 20 sm weiter ostwärts wurde die. F ahrt wieder durch 
Eis aufgehaltcn und das Schiff mufste umkehren. Der Wind wehte die ganze 
Zeit über unausgesetzt aus Nord und Nordost, die Eisverhältnisse an der 
Ostküste waren ungewöhnlich ungünstige. Demnächst, gegen Ende August, 
gelang es dem Scliiffe zur Nordküste zu kommen, die Fahrt zur Ostküste 
wurde am 6. September durch Eis unterbrochen. Der Seydisfjord wurde erst 
an diesem Tage eisfrei und noch nach diesem Tage trieben grofse Eisfelder 
zwischen diesem und dem Eskefjord. Zwischen dem 7. und 10. September 
wehte über der ganzen Insel, besonders au der Ostküste, ein heftiger Nordnord- 
weststurm mit starkem Schneefall. In Island geht die Rede, dafs, wenn das 
lis nicht spätestens bis zum 29. August die Nordküste verläfst, es den ganzen 


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— 335 — 


Winter über bleibt. Da das in diesem Jahre der Fall war, so war die Hoffnung 
nur schwach, dafs es überhaupt noch Weggehen werde. Auf den Färöern war 
das Wetter im August und September stürmisch, nördliche und östliche Winde 
mit Nebeln herrschten vor. An der Ostküste von Grönland scheint nach den 
vorhandenen spärlichen Berichten das Eis sich massenhaft aufgestaut 7.u haben. 
So haben also die vorherrschenden Ost- und Nordostwinde das Eis aus der 
Gegend nördlich von Spitzbergen und Nowaja Semlja in die Meeresteile 
längs dem nördlichen Norwegen. Jan Mayen, Island, die Färöer und längs der 
ostgrönländischen Küste getrieben. Nach den Berichten der norwegischen 
Fangfahrzeuge mufs die Gegend nördlich und östlich von Nowaja Semlja frei 
von Eis gewesen sein und Franz Joseph-Land hätte in diesora Sommer wieder 
einmal leicht erreicht werden können. Es ist denn auch dem vom Kapitän 
Wiggins befehligten englicken Dampfer „Phönix“ geglückt, von dem norwegischen 
Hafen Wardö aus durch das Karische Meer den Jenissej zu erreichen. Immerhin 
kam er, wie berichtet wird, erst Mitte Oktober im Jenissej an. Das Schiff 
war in Dundee für Rechnung des Herrn Alexander Sibiriakoff betrachtet 
worden. 

Britisch Columbien. Dr. George Dawson ist nach einer Notiz in 
der Science vom 4. November 1887 von seiner im Aufträge der kanadischen 
Regierung unternommenen Expedition in die Grenzbcbiete zwischen Br. Kolumbien 
und Alaska zurückgekchrt. An den Zuflüssen des Yukon fand man viel offenes, 
grasroiches Land; auch soll das ganze Gebiet mehr oder weniger goldführend 
sein. Zwei Mitglieder der Expedition, Ogilvie und McConncl sind zurück- 
geblieben. um im nächsten Jahre die astronomischen Arbeiten fortzusetzen. 
Nach einer weiteren Mitteilung war der Verlauf der Expedition kurz folgender: 
Im Mai dieses Jahres hatte Dawson Victoria verlassen und sich nach Fort 
Wrangel, Alaska, begeben, von wo aus er den Stikine-Flufs aufwärts bis zum 
Dease-See ging. Hier wurden drei Böte gebaut., mit welchen die Expedition 
am 18. Juni, als das Eis aufgebrochen war, den Doase-Flufs bis zu seiner Ver- 
bindung mit dem Liard-Flufs hinunterfuhr. An dieser Stelle trennte sich ein 
Mitglied, McConnel, von den übrigen, um den Liard- und Mackenzie-Flufs zu 
erforschen, Dawson dagegen ging den Liard- und Fraucis-Flufs aufwärts bis 
zum Francis-See, der seinen Ausflufs in den Liard-Flufs und nicht, wie auf 
den meisten Karten irrig angegeben wird, in den Pelly-Flufs hat. Vom Francis- 
See wurde der schwierige 50 Meilen lange Überlandweg nach dem Pelly-Flufs 
zurückgelegt ; diesen fuhr Dawson bis zu seiner Vereinigung mit dem Lewis-Flul's 
hinunter, woselbst er mit der Abteilung von Ogilvie zusammentraf. Von hier 
ging Dawson den Lewis-Flufs aufwärts, um über den Chilcat-Pafs nach der 
Küste zurückzukehren. Nach einer Kanufahrt über den Lymi-Kanal erreichte 
die Expedition Juneau. von wo aus sie mit dem nächsten Dampfer nach Victoria 
zurückkehrte. 

Kürzlich empfingen wir von Herrn Dr. Georg M. Dawson selbst, dem 
Chef der Expedition, die folgende weitere Auskunft über seine nun beendete Reise : 

Ottawa, den 14. November 1887. 

Sehr geehrter Herr! Ihr werter Brief vom 14. Juni erreichte mich erst hier 
vor wenigen Tagen, nach meiner Rückkehr aus der Gegend des oberen Yukon. Meine 
Aufgabe stand iu Verbindung mit derjenigen der Geological & Natural History 
Survey of Canada und bewegte sich folgeweise ausschliefslich auf kanadischem 


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336 — 


Gebiet, welches vom Yukon bewässert wird, sie Schlots in keiner Weise irgend 
einen Teil von Alaska ein. wenn es auch notwendig war, die südlichste Spitze 
von Alaska zu überqueren, nm mein Forschungsfeld leicht zu erreichen. Die 
Y'ukonexpedition, von welcher ich jetzt zurückkehrte, wurde von der Kanadischen 
Regierung in Rücksicht auf das Interesse und die Beachtung unternommen, 
welche der oberen Yukongegend infolge der Entdeckung von Goldlagern dort 
sich zugeweudet hatte; die Gegend war bis dahin thatsächlich unbekannt, die 
Ströme und die Bodengestaltung kannte man nur sehr oberflächlich uud sie 
waren infolgedessen sehr ungenau in den vorhandenen Karten eingetragen. 
Ich hatte die Ehre, mit der allgemeinen Leitung des Unternehmens betraut zu 
werden und kann zu meiner Freude sagen, dafs der vorher festgestellte 
Operationsplan mit Erfolg durchgeführt wurde. Es handelte sich nm eine 
Aufnahme mit Hilfe von Instrumenten, welche bei Pyramid- Island (einem 
Punkte, dessen geographische Länge durch den U. S. Coast survey festgestellt 
ist) an der Küste von Alaska begann, sich durch den Dejäh- (Daiay) oder Chilkoot- 
Pafs. den Lewis-Flufs hinab bis zur Einmündung in den Pelly und dann dem 
Yukon folgend bis zu dem Punkt erstreckt, wo dieser Strom den 141. Meridian 
— die östliche Grenze von Alaska — schneidet. Dieser Teil der Aufgabe war 
Herrn W. Ogilvie von der Vermessungsbehörde von Kanada (Dominion-Land 
Survey) übertragen. Sie umfafste die Messung von 600 bis 700 rniles in Länge ; 
ohne Zweifel wird diese Aufgabe jetzt gelöst sein, da Herr Ogilvie nach den 
letzten Nachrichten, die im September von ihm kamen, beinahe den oben be- 
zeichneten Punkt erreicht hatte. Derselbe soll in der Nähe der östlichen 
Grenze von Alaska den Winter zubringen und dort wenigstens während eines 
Monats systematische astronomische Beobachtungen anstellen, um möglichst 
genau die Position des 141. Meridians festzustellen. Im Frühjahr wird er seine 
Messungen hinüber bis zum Fort Macpherson der Hudson-Bai-Kompanie. nahe 
der Mündung des Mackenzie-Flusses, erstrecken und sie im Sommer diesen 
Flufs aufwärts ausdelmen, um eine Verbindung mit östlich vom Felsengebirge, 
nordwärts zum Atabaska-See gemessenen Linien herzustellen. Herr Ogilvie 
ist mit Instrumenten für magnetische und meteorologische Beobachtungen ver- 
sehen und wird diese thunlichst in Übereinstimmung mit dem Beobachtungs- 
system der internationalen Polarstationen ausführen. Meine in dem beiliegenden 
Bericht der Science (s. o.) näher bezeichnete Route wurde in der Absicht, von mir 
gewählt, um eine allgemeine geographische und geologische Kenntnis von einem 
Landstrich zu gewinnen, der eben grofs genug war, um ihn iu einer Saison zu 
durchreisen. Auf der ganzen Route erfolgte eine Terrainaufnahme, unter 
häufiger Bestimmung der Längen und Breiten und es wird nun möglich sein, 
die allgemeine physische ■'und geologische Gestaltung dieses bisher nur sehr 
teils unvollkommen bekannten Teils des Nordwestterritoriums und des nördlichen 
von Britisch-Kolumbia zu bestimmen. Geologische und andre Sammlungen wurden 
unterwegs gemacht und meteorologische Beobachtungen angestellt. Zugleich 
sammelten wir Nachrichten über die durch das Gebiet zerstreuten Stämme der 
Tinneindianer,_über 100 photographische Aufnahmen wurden genommen. Ein 
ausführlicher Bericht über die Reise wird jetzt ausgearbeitet. Die Reise war 
ziemlich anstrengend, besonders quer über die Tragstellc, vom Liard- 
Flufs zum Pelly-Flufs. Dasjenige Stück meiner Reise, welches mit der- 
jenigen der Gebrüder Krause, von Ihrer Gesellschaft, zusammeufällt, war die 
Dejäh- oder Tschilkuttragstelle, zwischen dem oberen Ende des Lynu-Kanals 


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— 337 


lind deu Quellen des Lewis-Flusses. Ich freue mich, auch meinerseits die 
Genauigkeit und Treue im topographischen Detail der Aufnahme der Gehrüder 
Krause, welche in ihrer Karte niedergelegt ist, bestätigen zu können. (Ich 
hatte die Karte mit auf die Reise genommen.}* 


§ Die Petschora. Das Flufsgebiet der Petschora ist im vergangenen 
Sommer von einer Expedition bereist worden, sie ging von Tscherdyn, einem an 
einem Nebentlufs der Kama gelegenen Orte, stromaufwärts, kreuzte dann mit 
ihren von Pferden gezogenen Böten die an dieser Stelle 30 km breite Wasser- 
scheide nach der Petschora und fuhr auf diesem Strom abwärts bis in das 
Mündungsgebiet. Russische Blätter berichten folgendes nähere : Eine Ver- 
bindung der beiden Bassins der Kama und der Petschora ist durch eine 
Handelsstrafse sehr leicht möglich. Der Boden im Gebiet der Wasserscheide 
ist fest, Berge sind nicht vorhanden und Material zum Stral'senbau giebt es 
genug. Im Petschora-Bassin leben gegen 40 000 Menschen, welche aus dem 
Kamagebiet Brot, Eisen, Manufakturwaren n. a. beziehen. Aus dem Petschora- 
gebiet werden ausgeführt: Fische, Felle, Wild, Zederuüsse und Thran. Die 
Erzählungen in betreff der mineralogischen Reichtümer der Gebiete sind über- 
trieben. Die Ortschaften Ishma, Pustosersk und üstzilma sind recht wohnlich; 
im allgemeinen aber lebt die Bevölkerung in Armut und Schmutz. Die Vieh- 
zucht ist wenig entwickelt, trotzdem dars Wiesen in Menge vorhanden sind. 
Die Rentierzucht geht allmählich aus den Händen der Samojeden in die der 
russischen Bauern über und es kommt nicht selten vor, dafs die früheren 
Rentierbesitzer bei den Bauern als Hirten sich vermieten. Man zählt im ganzen 
Gebiete gegen 250000 Rentiere, so dafs in einigen Tundren kein Raum mehr 
vorhanden ist ; viele Tiere gehen infolge der sibirischen Pest zu Grunde. Die 
Samojeden gelten als geschickte Hirten; eine aus fünf Gliedern bestehende 
Familie hütet 1000 Rentiere für einen Lohn von 40 bis 50 Rubel (80 bis 
100 Mark) jährlich. — Über fiesen kehrte die Expedition Ende Juli nach 
St. Petersburg zurück. 


§ Einiges Uber den Dollart. Unter dieser Überschrift veröffentlicht 
P. A. van Buuren, Kapitän der Infanterie in Groningen, in der Zeitschrift der 
niederländischen geographischen Gesellschaft, 2. Serie, Teil 14, Nr. 2, interessante 
Mitteilungen unter Beigabe einer Karte, welche die im Laufe der Jahrhunderte 
am Dollart erfolgten Eindeichungen veranschaulicht. Das Nachstehende ist 
diesem Aufsatz entnommen. Vielfach wird angenommen, dafs der Dollart um 
1277 entstand, allein, wie näher nachgewiesen wird, ist anzunehmen, dafs lange 
Jahre erforderlich waren, um den Dollart in seiner spätem Ausdehnung ent- 
stehen zu lassen. Dabei veränderten sich die Ufer in der Weise, dafs, während 
an mehreren Punkten Landverlust durch Abbröckelung entstand, an andern 
wieder durch Aufschlicken Land angesetzt wurde. Die friesische Freiheit liefs 
sich die Erfüllung der Deichpflichten nicht angelegen sein, die Uneinigkeit unter 
den Deichpflichtigen liefs es zu keiner gemeinsamen kräftigen Abwehr kommen. 
Die verheerenden Fluten und Zerstörungen der Jahre 1278 — 81 brachten es 
zwar dahin, dafs man an das Werk des Schutzes ging, aber ohne genügende 
Geograph. Blätter. Bremen, 1887 . 24 


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— 338 


Mittel lind Kräfte, so clafs die Deiche nur teilweise und nicht stark genug 
wiedcrhergestcllt wurden. Im 15. Jahrhundert (1411) waren es die Pfarrer der 
am meisten bedrohten Dörfer. Finsterwolde, Midvvolde und Scheemda. welche 
ein Schutzbündnis unter den am meisten Gefährdeten zu stände brachten. Im 
Jahre 1427 trat die Stadt Groningen energisch für den Deichschntz der zum 
Teil auch ihr gehörenden Ländereien anf und im Jahre 1454 wurde unter 
Leitung des Drosten dieser Stadt ein starker Deich von Reide nach Finsterwolde, 
im Anschlufs an vorhandene, angelegt. Das 16. Jahrhundert mit seinen besonders 
zu Anfang, 1507, 1516 und 1519, verheerenden Hochfluten war ein steter Kampf 
zwischen dem Meere und den Bewohnern der Küste. Die Deichlasten gingen 
allmählich mehr und mehr auf die Provinz Groningen über. Die Allerheiligen- 
flut von 1570 legte den östlichen Teil der Provinz für eine lange Reihe von 
Jahren der See offen. Erst seit dem streng durchgreifenden Regiment des 
spanischen Befehlshabers Caspar de Robles, welcher 1573 als Statthalter und 
Generalkapitän von Groningen und Friesland eingesetzt wurde, und rücksichtslos 
alle Beteiligten zu Geld-, Material- und Arbeitsleistungen anhielt, konnte man 
von ununterbrochenen, gut unterhaltenen Deichen sprechen. Dieses Vorgehen 
war von den wohlthätigsten Folgen. Eine in der Karte näher bezeiehnete, jetzt, 
weit im Lande gelegene Strecke war einst Dollartgrund, das ergab die Unter- 
suchung des Bodens, welcher sich als sogenannter Dollartklei erwies. Sie 
wurde also durch eine Eindeichung wiedergewonnen. Überhaupt, lassen sich — 
abgesehen von dem mutmafslich ältesten Deich vor den heutigen Dörfern Nord- 
brook und Zuidbrook, dessen Entstehungszeit unsicher — am westlichen, nieder- 
ländischen Ufer des Dollart neun aufeinander folgende deutlich erkennbare 
Eindeichungen unterscheiden, welche die Karte veranschaulicht. Sie begannen 
im Jahre 1545, die letzte fand 1877 statt. Durch diese wurde südlich von der 
Landspitze Reider Buitenland der Johannes-Kerkhoven Polder gewonnen. Die 
Areale, welche durch die Eindeichungen gewonnen wurden, hatten eine sehr 
verschiedene Gröfse. Der Verfasser giebt folgende Übersicht der Gröfse des 
Landanwuchses im Laufe der Jahrhunderte. Es wurden gewonnen: 

im 16. Jahrhundert 7900 ha in der westlichen Ausbuchtung, 




7050 

r 

„ „ südlichen 

ff 



1500 

ff 

, Ostfriesland, 


17. 

ff 

4830 

ff 

anf niederländischem Gebiet, 



1190 

ff 

, deutschem 

ff 

18. 

ff 

1050 

ff 

, niederländischem 

* 



3160 

ff 

„ deutschem 

ff 

19. 

ff 

3075 

ff 

, niederländischem 

ff 


Eine periodenweise Vergleichung des Anwuchses durchschnittlich im Jahre 
ergiebt, dafs der Anwuchs am stärksten war: in der Zeit von 1597 — 1626, 
39 ha und 1819 — 1836, 29 ha. Man hat berechnet, dafs seit 1545 die Ufer im 
Durchschnitt jährlich 20 m vorrücken, aber an verschiedenen Punkten ist dieses 
Vorrücken ein sehr verschiedenes. Wenn keine störende Einflüsse dazwischen 
treten und das Anschlicken in der Weise wie im vorigen Jahrhundert auch 
ferner stattfindet, so dürfte nach ungefähr 350 Jahren der Dollart sich in 
Quellergrund verwandelt haben. Die Beschaffenheit des Dollartgrundes ist 
verschieden; man findet fetten Klei, gemischten Grund, groben oder scharfen 
Sand. Im allgemeinen ist an jedem neu errichteten Deich der Verlauf der 


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— 339 — 

Bodenbildung und Aiisclilickung der folgende: dicht am Land findet mau 
eine Lage fetten Dollartkleis von 3 bis 3'/« m Stärke; darunter ist eine Lage 
mit Sand vermengten Kleigrundes 0,4 bis 0,5 m hoch und unter diesem Mischboden 
trifft man den Darggrnnd an. Sobald der Grund infolge der gewöhnlichen 
Anschlickung sich etwas über die gewöhnlichen Flutwasserstände erhebt, wird 
er trocken und zeigt Geneigtheit zum Pflanzemvnchs. Oie erste sich ent- 
wickelnde Pflanze ist der Hahnenfufs, (in einigen Gegenden auch Seekoralle 
genannt) gemengt mit einigen Sültepflanzen. Die Samen der letzteren fallen 
im Herbst ab. Im folgenden Frühjahr erscheinen diese Pflanzen auf dem inzwischen 
mehrmals überschlickten Boden. Im Lauf der Zeit verschwindet der Hahnen- 
fufs *) allmählich ; die Sültepflanzen (Asternart) wachsen bis zu 1,3 und 2 m 
und halten beim Überlaufen des Grundes viel Schlick zurück. Nach einigen 
Jahren ist. der Grnnd 0,os m über Wasser und läuft immer seltener über. 
Bei 0,o3 und 0 ,m m über die gewöhnliche Flut kommt nnn das sogenannte 
Kweldergras zum Vorschein, durch welches die Salzpflanzen verdrängt werden. 
Bei einer Aufhöhung von über 0,o« in über den mittleren Flutstand erscheinen 
wiederum andre Grasarten, nicht selten zum Nachteile des Kweldergrases 
(deutsch: Queller). Man unterscheidet also drei Streifen des mit Pflanzen be- 
wachsenen Schlicks: einen innern mit mehr oder weniger Kweldergras besetzt, 
von sehr verschiedener Breite; er läuft nur bei sehr hoher Flut unterWasser; 
der zweite, etwa 140 m breit, wird von Zeit zu Zeit unter Wasser gesetzt und 
durch den Schlick wesentlich aufgehöht, der äufserste, besetzt mit Hahnenfufs 
(Krückfufe) etwa 80 bis 100 m breit, reicht nur eben über Wasser und wird 
öfter überspült. Aufser diesen drei Streifen, die gewöhnlich zusammen „Kwelder“ 
genannt werden, ist noch weiter hinaus eine Anschlickung zu bemerken und 
diese nennt man in der ersten Periode Schlickgrund. Unter günstigen Ver- 
hältnissen setzt sich der von der Flut herangeführto im Wasser schwebende 
Schlick schon in einer Tide derart fest, dafs die folgende Flut ihn nicht wieder 
auflöst. Den noch nicht gesunkenen Schlick nennt man bleks; sobald er sich 
aber an Grund gelagert hat, heilst er pulver oder sminke. Von der Wind- 
richtung, der Temperatur und Strömung hängt die stärkere oder geringere 
Aufschlickung ab. So ist z. B. ein nach längerem Frost eintretender Nordwest- 
wind für die Aufschlickung vorteilhaft: der gefrorene Schlick wird dann durch 
den Wind auf die Schlickgründe geführt und während des sehr langsamen 
Ablanfens des Wassers bleibt der Schlick zurück. Unter einigermafsen günstigen 
Verhältnissen kann die Aufhöhung in einem Winter 5 bis 7 cm betragen. 
Über das Ziehen von sogenannten Grüppen oder Gräben, um so viel und so 
lange als möglich das Flutwasser über das dem Meer als Polder abzugewiunende 
Terrain zu leiten, werden auch einige Mitteilungen gemacht, die wir indes als 
bekannt voraussetzen dürfen, da ja auch an unsrer Küste die Bildung der 
Polder und Groden in der gleichen Weise wie in den Niederlanden vor sich geht, 
Gegenüber den grofsen Kosten, welche auch in neuerer Zeit die Ver- 
stärkung und beziehungsweise Erneuerung der niederländischen Deiche am 
Dollart verursacht, ist die Frage aufgeworfen worden, ob es nicht besser 
sei, Meeresbuchten, wie es der Dollart und die Lauwer-See (Provinz Fries- 


*) Krückfufs oder Glasschmalz heilst die Pflanze an der deutschen Küste; 
der wissenschaftliche Name ist nach Guthe Salicornia lierbacea. 

24 * 


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— 340 


land, gegenüber der Insel Schiermounik-Ooge) sind, mit einem Mal nach dem 
Vorgänge bezüglich des Haarlemer Meers und andrer Biimenseen trocken zu 
legen. Nach Ansicht des Verfassers ist beim Dollart einem solchen Werk die 
jetzige allmähliche Landgewinnung vorzuziehen. Vermutlich würde man bei 
Führung eines Deiches von der holländischen Landspitze Heide quer herüber 
nach Pogum und Auspnmpen des Wassers aus dem auf diese Weise vom Meere 
abgeschnittenen Teile Land gewinnen, das zum Teil noch 1 bis 1*/* m unter 
mittlerer Flut läge; höchst wahrscheinlich würde man auch viel Land trockeu 
legen, das, sandig und von Darg durchsetzt, die aufgewandten Kosten nicht 
lohnen würde, weil es als Kulturland nicht zu gebrauchen wäre. Somit scheint 
die jetzige allmähliche Landgewinnung die beste Art des Vorgehens. 


§ Die nördlichste Eisenbahn Europas. Unter dieser Überschrift lief 
durch verschiedene Zeitungen und Zeitschriften £ine Nachricht, dahin gehend, 
dafs ein Teil der Eisenbahn, welche die am bottnischen Meerbusen gelegene 
Stadt Luleä mit Ofoten (am gleichnamigen norwegischen Fjord) verbinden soll, 
dem Betriebe übergeben werden solle. Auf von uns an berufener Stelle ein- 
gezogene Erkundigung erhielten wir folgende gütige Auskunft : 

Stockholm, den 17. November 1887. 

In Verfolg Ihres gefälligen Schreibens vom 17. Oktober, betreffend den 
Bau der Eisenbahn von Luleä (schwedische Provinz Norrbotten) nach Ofoten 
(norwegisches Amt Nordland), welche also eine Verbindungslinie zwischen Ostsee 
(dem bottnischen Meerbusen) und dem Atlantischen Ozean herstellen soll, kann ich 
nur sagen, dafs dieselbe durchaus noch nicht fertig gestellt ist. Fertig sind 
von Luleä aus etwa 160 km, aber noch nicht ira Betriebe. Die Strecke vom 
jetzigen Endpunkte bis Gellivara — etwa 10 km — hofft die Gesellschaft bis 
zum nächsten Frühjahr fertig zu stellen und im Sommer 1888 die behördliche 
Genehmigung zum Betriebe der Strecke Luleä-Gellivara zu erhalten. Auf der 
Strecke Gellivara-Norwegische Grenze sind bisher nur einige Vorarbeiten 
gemacht worden. Die schwierigsten Verhältnisse stellen sich dem Bau auf der 
Strecke Norwegische Grenz e-Ofoten (40 km) entgegen. Das Terrain ist sehr 
koupiert und bedeutende Tunnelbauten sind erforderlich. Von dieser Strecke 
mag etwa die Hälfte fertig sein. Die Gesellschaft hofft innerhalb zwei Jahren 
die ganze Bahn dem Betriebe übergeben zu können. Ich zweifle hieran und 
glaube, dafs ein längerer Zeitraum erforderlich sein wird. Im letzten Sommer 
haben etwa 4000 Mann an der Bahn gearbeitet ; für den Winter ist eine Stärke von 
etwa 800 Mann beibehalten worden. Zweck der Bahn ist die Nutzbarmachung 
der Erzlager von Gellivara, Luosavaara und Kirunavaara, die einen reinen 
Eisengehalt von über 70°/o haben. Hierüber liefse sich viel sagen und es ist 
zum Beispiel doch fraglich, ob jetzt, gegenüber dem Thomasverfahren, für 
Eisen mit so hohem Prozentsatz noch derselbe Bedarf ist, wie in früheren 
Jahren. Schwierigkeiten werden auch die Frachtverhältnisse bieten, weil es an 
Hinfrachten nach diesen wenig bevölkerten Gegenden fehlen wird. Man denkt 
an Hochöfenanlagen in Ofoten, aber das sind Zukunftsprojekte. 

§ Erdwohnungeu Im Grofsherzogtuin Oldenburg. Hierüber gelangten 
die nachstehenden Mitteilungen des Herrn Pfarrers Dr. Niemann in Cappeln bei 


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341 — 


Cloppenburg an die Berliner Gesellschaft für Anthropologie und kamen, wie die 
gedruckten Verhandlungen ergehen, in der Versammlung vom 21. Mai d. J. zum 
Vortrag : „Erdhäuser finden sich in grofser Anzahl im Amt Frisoythe, wo neue 
Kolonien angelegt werden, z. B. Petersdorf u. a. Der Kolonist, welcher sich 
eine Fläche erworben und kein Geld hat, um ein Haus bauen zu können, legt 
sich eine Erdhütte an. Man macht nicht eine Vertiefung in die Erde hinein 
(oder nur ausnahmsweise, wo der Boden hoch ist, auf etwa 1 Fufs), sondern 
baut über dem Boden. Die Umfassungsmauer wird gebildet von dicken Erdsoden 
oder Schollen, welche fest zusammcngestollt werden und so eine zusammen- 
hängende Masse bilden. Ein oder das andere Luftloch bekommt einige Scheiben 
Fensterglas. Ober diese nicht hohe Erdmauer werden Lagerstücke gelegt, worauf 
die Sparren befestigt sind ; alles natürlich sehr primitiv. Die beiden Giebelseiten 
erhalten auch schrägliegende Sparren. Das ganze wird mit langem Haidekraut 
sorgfältig gedeckt und der First mit dicken Plaggen behängt. Die etwas ab- 
gerundeten Giebel sind durch diese Bedachung ganz mit den Seitenflächen ver- 
bunden. Das verstehen die Leute meisterhaft herzustellen ; es macht gar keinen 
üblen Eindruck. Vorn in der Hütte ist an der einen Seite ein Abschlag für 
eine Ziege, an der andern Seite ein solcher für ein Schwein. Im hinteren Teile, 
sind in der Mitte das Feuer, an beiden Seiten Schlafstellen. In diesem Baume 
wohnen die Ansiedler, bis sie vor und nach sich ein besseres Wohnhaus von Holz- 
riegelwerk mit Lehmwänden beschafft haben, wozu sie das meiste selbst thun. 
So arbeiten sie sich allmählich empor. Oft wird ein solcher Bau, wenn die 
Bewohner ihn verlassen haben, als Schafstall oder zu sonstigem Zwecke benutzt. 
Ständige Wohnungen bleiben sie nicht.“ — Eine solche Erdhütte hat Verfasser 
dieses vor einer Reihe von Jahren in der Nähe von Papenburg angetroffen, sie 
wurde von einem armen alten Manne, wenn ich mich recht erinnere, ständig 
bewohnt. 


Geographische Litteratur. 

Europa. 

Bauten und Denkmale im Staatsgebiete der Freien und Hansestadt 
Bremen. Bearbeitet von E. Böttcher, Bauinspektor in Bremen. Zweite 
wesentlich umgearbeitete und verbesserte Auflage. Mit 26 Tafeln Zeichnungen, 
einem Plan der Stadt Bremen und einer Übersichtskarte des Bremischen Staats- 
gebiets. Bremen 1887, Verlag von Diercksen & Wiclilein. Die 80 Seiten starke 
gut ansgestattete Schrift wurde für den im August 1882 in Bremen statt- 
gehabten Besuch des Verbandes deutscher Architekten- nnd Ingenieurvereine 
verfafst. Sie erscheint als eine wertvolle Ergänzung zn den vorhandenen To- 
pographien. denn manche ihrer sehr vollständigen Angaben über die älteren 
und neueren Bauten und Denkmale der Stadt findet man nicht, in jenen, und 
anfserdem sind die zahlreichen instruktiven Zeichnungen der Schrift eigen- 
tümlich. So fand sie zahlreiche Freunde auch aufserhalb jenes Kreises von 
Fachmännern und es wurde die uns vorliegende zweite Auflage veranstaltet, 
in welcher nun auch durch Text und Zeichnung die grofsen jetzt in der Aus- 
führung begriffenen Bauten und Werke, wie dev neue Freihafen mit seinen 
Anlagen, der Bahnhof, die Weserkorrektion n. a. Aufnahme finden konnten. 


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Nationalität und Sprache im Königreiche Belgien von 
Karl Braemer. Stuttgart. J. Engelhorn. 1887. In dem vorliegenden Hefte, 
welches einen Bestandteil der bekannten „Forschungen zur deutschen Landes- 
und Volkskunde“ ausmacht, wird der in ethnographischer und politischer Be- 
ziehung wichtige Versuch gemacht, die gegenseitigen Verhältnisse der beiden 
Nationalitäten des Königreichs Belgien für das Jahr 1880 festzustellen. Da 
hierbei nicht nur auf die Zahlenstärke, sondern auch auf die räumliche Ver- 
breitung und die historische Entwickelung Rücksicht genommen wird, so darf 
man K. Braemers Leistung im Prinzip als eine willkommene Ergänzung der 
älteren Arbeiten ähnlicher Art bezeichnen, unter denen B. Böckhs umfassende 
Untersuchung über „der Deutschen Volkszahl und Sprachgebiet in den euro- 
päischen Staaten“ wohl die erste Stelle einnimmt. Während nämlich Böckh 
seinen Erörterungen über Belgien im wesentlichen nur die statistische Aufnahme 
vom Jahre 1846 zu Grunde legen konnte, standen K. Braemer ausserdem die 
offiziellen Ermittelungen aus den Jahren 1866 und 1880 zu Gebote, so dafs es 
möglich wurde, die Verschiebungen zu erkennen und festzustellen, welche im 
Laufe der Zeit bezüglich der Vertreter der germanischen und romanischen Rasse 
stattgefunden haben. Doch gestaltet sich die Sache keineswegs so einfach, wie 
man im Hinblick auf die verfügbaren Ergebnisse der verschiedenen statistischen 
Aufnahmen zu glauben geneigt sein könnte. Vielmehr bedurfte es zur Lösung 
der oben bezeichneten Aufgabe einer Reihe subtiler Erwägungen und eingehender 
Auseinandersetzungen, die das Werkchen. zu einer anstrengenden und teilweise 
auch ermüdenden Lektüre machen. Ohne hier untersuchen zu wollen, ob, un- 
beschadet der Sorgfalt und Richtigkeit, nicht eine gröfsere Übersichtlichkeit. 
Kürze und Einfachheit hätte gewählt werden können, begnügen wir uns damit, 
den Hauptgedankengang anzugeben. Zunächst wird nämlich die Staatsange- 
hörigkeit der belgischen Bevölkerung betrachtet. Daran schliefst sich ein Ab- 
schnitt über die Sefshaftigkeit, insonderheit über den Unterschied von Wohn- 
und Aufenthaltsbevölkerung. Nachdem darauf die Unterscheidung der Wohn- 
bevölkerung nach der Geburtsheimat vollzogen ist. kommt der Verfasser endlich 
im vierten Abschnitt zum Kernpunkte seiner Aufgabe, nämlich zur Darstellung 
der Sprachverhältnisse im Staate und in den Provinzen, um füglich im letzten 
Kapitel die Sprachgrenze und das Mischungsverhältnis zwischen den Germanen 
und Romanen zu erörtern. Die Hauptergebnisse Braemers lassen sich dahin 
zusammenfassen, dafs bezüglich der räumlichen Verbreitung eine geringe Ver- 
schiebung zu Gunsten der Wallonen (Franzosen) stattgefunden hat ; was dagegen 
die Zahlenverhältnisse anbelangt, so tritt die Zunahme der französischen Sprache 
auf Kosten der Viaemen (Deutschen) in recht fühlbai'er Weise dem Beobachter 
entgegen, und dieser Umstand findet hauptsächlich in der steigenden Vermeh- 
rung der Utraquisten (derer, die sowohl französisch als vlaemisch verstehen) 
Ausdruck. Stellt man Böckhs und Braemers Ergebnisse neben einander, so ver- 
hielten sich im Jahre 1846 die Germanen zu den Romanen wie 578:421, im 
Jahre 1880 dagegen wie 542 : 467. Schliefslich mag noch erwähnt werden, dafs 
Braemers Arbeit eine einfache Karte beigefügt ist, auf der durch eine schwarze 
Linie die Sprachgrenze zwischen den Romanen und Germanen innerhalb 
Belgiens bezeichnet wird. A. 0. 


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— 343 


Asien. 

Durch Zentral-Asien. Reiseschilderungen von Heinrich Moser. 
Autorisirte deutsche Ausgabe. Mit 160 Abbildungen. 16 Lichtdrucktafeln und 
einer Karte von Central-Asien. Leipzig. F. A. Brockhaus, 1888. Der Verfasser, 
Schweizer, erzählt in seinem Vorwort scherzhaft, wie er „zu dem Unglück“ kam. 
ein Buch zu schreiben. Einige während seiner Wanderungen in die Heimat 
gesandten Briefe wurden in einer Zeitung abgedruckt, und als er heimkehrte, 
hatte er bereits einen Verleger für sein noch nicht geschriebenes Buch. Über 
das, was man von seinem Buche erwarten könne, äufsert sich daselbst der 
Verfasser in freimütiger Weise: .weder Wissenschaft, noch Philosophie, noch 
Politik wird hier der Leser finden, wohl aber eine anspruchslose Erzählung, 
bald heiter und fröhlich, bald ergreifend und rührend, je nach den Wechsel- 
fällen des Reiselebens. Die Sitten und Gebräuche der Völkerschaften, in deren 
Mitte ich lebte und für welche ich mich ohne vorgefafste Meinung interessierte, 
getreu, so gut es eben gehen wollte, zu schildern, war alles, wonach ich ge- 
strebt habe.“ Ton und Sprache muten an, dazu bildet die Fülle meist trefflich, 
ja künstlerisch ausgeführter niustrationen eine bedeutende Bereicherung. Die 
Reise erstreckte sieh von Orenbnrg ausgehend östlich bis Taschkent, sodann 
über Bochara, Chiwa, durch die Tnrkmenenwüste, den Aladagh bis nach Teheran, 
von wo Moser durch den Kaukasus zurückkehrte ; sie wurde vielfach unter 
sehr günstigen Umständen, in der Begleitung russischer Gouverneure und 
Gesandten, ansgeführt und war reich an mannichfaltigen Erlebnissen und 
Abenteuern, die gut erzählt werden. 

St.ejneger, Leonhard. On the extermination of the great nort hem 
Sea-Cow (Rytina). A Reply to Professor Nordenskjöld. Entgegen Nordenskjölda 
Angaben bleibt, der Verfasser bei der Ansicht bestehen, dass die Seekuh bereits 
im vorigen) Jahrhundert und zwar nach dem Zeugnis von Sauer schon 1768 
ausgerottet worden ist. 

Stejneger, Leonhard. Contributions to the Natural History of the 
Commander Islands. Mit. 3 Tafeln. In dieser in den Proceedings of United 
States National Museum für 1887 enthaltenen Arbeit giebt der Aut or eine durch 
Berücksichtigung von neuem Material vermehrte und berichtigte Aufzählung der 
auf der Berings- und der Kupfer-Insel bisher beobachteten Vogelarten. Es 
werden im ganzen 143 Spezies aufgeführt. 

Amerika. 

Reise in den Andes von Chile und Argentinien von Paul Güfsfeldt, 
mit Übersichtskarte und 2 Spezialkarten. Berlin, Gebrüder Paetel, 1888. Paul 
Güfsfeld. der wissenschaftlichen Welt schon lange durch seine Studien in den 
europäischen Alpen und durch seine im Auftrag der Deutschen Afrikanischen 
Gesellschaft unternommenen Forschungsreisen im westafrikanischen Küstengebiet 
bekannt, unternahm in den Jahren 1882'83, mit Unterstützung der Königlichen 
Akademie der Wissenschaften in Berlin, eine Bereisung der zentralen chileno- 
argentinischen Andes. Das bereiste Gebiet liegt zwischen dem 32 und 35° 
s. Br., begrenzt im Osten von der argentinischen Pampa, im W r esten vom 
Grofsen Ozean trägt es ein wildes Hochgebirge, das sich in dem von 
Güfsfeldt erstiegenen Aconcagua (6970 m) zum höchsten Gipfel Amerikas 
erhebt. Bisher war es nur in den unteren Teilen und längs weniger, quer 
hinüber gelegter Maultierpfade bekannt; eine wissenschaftliche Erforschung 


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344 — 


desselben war daher allen Zufälligkeiten und Gefahren einer Pionierrcise aus- 
gesetzt. Als zn beantwortende Hauptfragen, welche Güfsfeldt bei seiner Reise 
stets im Ange behielt, bezeichnet er in seinem an die Akademie erstatteten 
Bericht die grofsen Züge des Gebirgsbaus, die Physiognomie der Landschaft, 
die Eisverhältnisse oberhalb der Schneegrenze, den Charakter der Vegetation 
und die Erscheinungsformen der Verwitterung. Ausgedehnte Messungsreihen 
geben den Betrachtungen eine exakte Zahlenunterlage. Das Reisen in dem in 
Rede stehenden Teil der Andes ist nur während weniger Monate des Jahres, 
von Mitte November bis März, möglich und erleidet somit für die höchsten Teile 
des Gebirges noch Einschränkungen. Um keine Zeit zu verlieren, hätte recht- 
zeitig ein ins einzelne gehendes Reiseprogramm aufgestellt werden müssen, allein 
dazu fehlte es an der nötigen Information. Aufser der Strafse von Uspallata, 
welche den Verkehr zwischen Chile und Argentinien über das Gebirge vermittelt, 
giebt es nur wenig betretene von einzelnen Eingeborenen benutzte Pfade. G. 
konnte daher nur ganz im allgemeinen den Plan fassen, die Andeskette möglichst 
oft zn überschreiten und auf dem Wege passende Standquartiere zu nehmen. 
Die Beschaffung der nötigen Karawane von Maultieren und Pferden war mit 
grofsen Schwierigkeiten verbunden, dabei mnfste G. im Laufe dreier Monate 
zweimal mit den Tieren, einmal mit den Leuten wechseln. Ferner traf G. gleich 
nach seiner Ankunft in Valparaiso der harte Schlag, dafs der von ihm aus der 
Schweiz mitgenommene bewährte Führer bald nach der Ankunft in Chile an 
Heimweh erkrankte und auf sein Verlangen ohne Säumen wieder zurück- 
geschickt. werden mufste. 

Was nun G. geleistet, was er gesehen nnd beobachtet, alle seine Erleb- 
nisse nnd Mühseligkeiten, die überwundenen Schwierigkeiten nnd errungenen 
Erfolge legt er in der Erzählung seiner Reise, die aufser einem Einleitungswort 
25 Kapitel füllt, nieder. Er hat dafür die Form der Selbstbiographie gewählt 
aus verschiedenen von ihm in dem Einleitungswort ausgesprochenen Gründen, 
namentlich auch deshalb, weil ein kurzer Aufenthalt in einem so wenig be- 
kannten, so wenig übersichtlichen Terrain nicht zu allgemein zusammenfassenden 
Urteilen berechtige. Tragisch, aber leider wohl sehr berechtigt ist das, was G. 
in jenem Einleitungswort über die Geschichte aller Forschungsreisenden sagt. 

Einige der von G. in seinem Bericht an die Akademie niedergelegten 
allgemeinen Ergebnisse seiner Reise mögen hier hervorgehoben werden. Die 
fast ein Tausend Meilen lange Cordillere durchschneidet f?2 Breitengrade, von 
denen etwa 33 dem Tropengebiete angehören. Im Norden schmücken Talmen- 
wäldcr das Gebirge, im Süden erreichen Gletscher das Niveau des Meeres. So 
ergeben sich eine Reihe natürlicher Breitezonen, deren eine das von G. bereiste 
Gebiet ist. Das Gebirge ist durch zwei Parallelketten charakterisiert, denen auf 
der Seite des Stillen Oceans eine Küstencordillere vorgelagert ist. Die westliche 
Kette trägt die Wasserscheide des Pazifischen und Atlantischen Meeres, die 
östliche wird an mehreren Stellen von den Wasserläufen durchbrochen, welche 
in der noch wenig erforschten Mulde zwischen beiden Ketten entspringen, ein 
klar ausgesprochenes Hochthal existiert zwischen beiden Ketten nicht. Jene 
Mulde ist völlig unbewohnt, ihre Länge beträgt 40 Meilen, die mittlere Er- 
hebung ist mutmafslich 3000 m. Die westliche Hauptcordillere sendet gegen den 
Stillen Ozean Seitenketten aus, u r elche durch viele Verzweigungen ein viel- 
gliedriges Alpenland erzeugen. Ein Wirrsal hinter einander aufgebauter Kämme. 


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vermittelt den Obergang vom Fufs der Andes zu ihrer Karamlinie. Eigentüm- 
lich ist, wie 6. näher ansführt, die Thalbildung. So üppig der Pflanzenwnchs 
an einzelnen Stellen gedeiht, so erscheint die Landschaft der Thäler doch kahl, 
die Farben von Schutt und Gestein spielen eine grofse Rolle und nur der untere 
Teil der Thäler zeigt bei künstlicher Bewässerung grüne Weiden und üppige 
Weizenfelder. Hinsichtlich des Verschwindens der Gewächse in den Höhen- 
regionen läfst sich wohl eine Grenzzone, aber nicht eine Grenzlinie bestimmen, 
da die Bedingungen örtlich zu verschieden sind. Was die höchsten Höhen be- 
trifft, so haben an den vier Punkten, wo G. die Wasserscheide überschritt, die 
Messungen folgendes ergeben : Atravieso de la Lena 4107 m, Paso del Maipo 
3473 m, Cumbre Iglesia 3750 m, Boqneta del Vallo Hermosa 3565 m. Zwischen 
diesen Höhen steigt die Kammlinie zu 6000 m und darüber auf. Die Höhe des 
Aconcagua ist oben angegeben, die höchste. Spitze der Ramadan-Kette ist 6413 m. 
Die Firn- und Eisbedeckung weicht von dem Typus unserer Alpen stark ab; 
das Mauerartige der Flächen ist der Ansammlung grofser, gletschererzengender 
Fimmassen w'enig günstig. Auch der den Schnee wegführende Wind ist von 
Einflufs. Die höchsten Gipfel zeigen nur selten eine kontinuierliche. Schnee- 
bedecknng. Charakteristisch ist die Umgestaltung des Hochschnees zu paral- 
lelen Furchen und aufgeworfenen bizarr geformten Furchenkämmen. Von 
grofsem Interesse sind die Beobachtungen über die Einwirkung der verdünnten 
Höhenluft auf den menschlichen Körper. Die von G. über die Puna, die Höhen- 
luftkrankheit, gesammelten Erfahrungen gehen dahin, dafs ein gesunder, durch 
Anstrengung geschulter Organismus die Wirkungen der dünnen Luft nur in der 
Intensität der Lungenthätigkeit zeigt, dafs die Überanstrengung der Lunge 
Mattigkeit und Gliederschmerzen herbeiführt und dafs der moralische Zustand, 
das Zutrauen zu den Begleitern und zum Erfolg das wirksamste Mittel gegen 
die Puna sind. 

Reise in der Sierra Nevada de Santa Marta. Von Dr. W. Sievers, 
mit Abbildungen von Professor A. Göring. Leipzig, Grefsner & Schramm 1887. 
Das Werk ist die Frucht einer Reise, welche Dr. Sievers auf Kosten der Karl 
Ritter-Stiftung in Berlin und im Auftrag der dortigen Gesellschaft für Erd- 
kunde unternahm, um die allgemeine physische Geographie und Geologie der 
Sierra zu untersuchen. Das Buch soll, wie der Verfasser in der Vorrede be- 
merkt, nur unterhalten, cs macht keinerlei Anspruch auf wissenschaftliche Be- 
deutung, sondern es sollen den Thatsachen entsprechende Schilderungen geboten 
werden. Diese sind denn auch lebendig und mannigfaltig ; etwa 20 Monate ver- 
brachte. der Verfasser teils an der nordöstlichen Küste Columbiens, teils in der 
Küstencordillere und der im Innern sich erhebenden Sierra und man folgt 
mit Interesse den Wanderungen in die Gebirgswelt der Sierra, seinen Er- 
zählungen der jetzigen Verhältnisse in den von ihm besuchten südamerikanischen 
Freistaaten, wie des Lebens und der Sitten verschiedener Indianerstämme, mit 
denen er in nähere Berührung kam. Die nach Bleistiftzeichnungen des Ver- 
fassers von Prof. Göring in Leipzig ansgeführten Dlustrationen sind golungen, 
ungern vermifst man aber die Beigabe einer Karte. — 

Geologische Studien über Niederländisch Westindien, auf Grund eigener 
Untersnchungsreisen von K. Martin, Professor für Geologie an der Universität 
zu Leiden. (Separate Ansgabe des 2. Teils von K. Martin. Bericht über eine 


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— 346 


Reise nach Niederländisch-Westindien.) 1. Lieferung: Curaqao. Aruba und 
Bonaire. Mit 3 kol. Karten, 2 Tafeln und 36 Holzschnitten. Leiden, E. F. 
Brill, 1887. Dem von uns besprochenen allgemeinen Bericht über die in den 
Jahren 1884 und 1885 seitens niederländischer Gelehrter ausgeführten Forschungs- 
reisen in niederländisch Westindien folgt nun die Veröffentlichung der Spczial- 
forschungen, zu welchen in erster Linie die Geologie gehört. Die vorliegende 
Lieferung, welche die niederländisch-westindischen Inseln betrifft, wirft zunächst 
einen Blick auf die bisher vorhandenen Schriften und Karten und erörtert die 
geologischen Verhältnisse der einzelnen Inseln; vorab wird die orographische 
Gliederung dargelegt und sodann folgen die Ergebnisse der auf den einzelnen 
Inseln angestellten geognostischen Beobachtungen. Endlich werden unter 
der Überschrift „Den Inseln gemeinsame Bildungen und Verhältnisse“ 
besprochen : ältere quartäre Korallenkalke ; Wirbeltierreste ans marinen 

Phosphaten, Strandverschiebung, Bildung der Seen und Ausräumung des Innern. 
In den Schlufsbetrachtnngen werden die dargelegten Ergebnisse kurz zusammen- 
gefafst. Es folgt eine Liste von Gesteinen, welche von Prof. Dr. J. H. Kloos 
in Braunschweig untersucht wurden, unter genauer Angabe der Fundorte; dabei 
wird auf die in den „Sammlungen des geologischen Reichsmuseums zu Leiden“ 
gegebenen Beschreibungen verwiesen. 

Camps in the C a r i b b e e s . The adventures of a naturalist in the Lesser 
Antilles, by Frederick A. Ober. Edinburgh, D. Douglas, 1880. Der Verfasser 
unternahm im Jahre 1876 unter den Auspicien der Smithsonian Institution die 
Erforschung der kleinen Antillen, hauptsächlich zum Zweck ornithologischer 
Studien und Sammlungen. Er verweilte längere Zeit auf Dominica, Guadeloupe, 
Martinique und den Grenadinen, im ganzen widmete er seiner Aufgabe zwei 
Jahre. Über den ornithologischen Teil des Buchs liegt uns das Urteil eines 
Fachmannes vor: „Das Buch ist ein sehr wertvoller Beitrag zu unsrer Kennt - 
nifs der Vögel Westindiens. Es behandelt Gebiete die zu den weniger bekannten 
zählen und bringt daher viel neues.“ Obwohl nun das Buch schon vor längerer 
Zeit erschienen ist, so dürfte dieser Ausspruch noch jetzt nicht allein für die 
Ornithologie, sondern überhaupt für die gesammte Naturgeschichte der wenig 
bekannten Inseln, für ihre physische Beschaffenheit, für ihr Pflanzen- und 
Tierleben gelten, das der Verfasser monatelang in den Bergen und Wäldern 
des Innern, unter Negern und Indianern lebend, studierte und uns in fesselnder 
Weise erzählt. Die Illustrationen sind meist sehr gelungen. 

Reise S. M. Schiffes „Zrinyi“ über Malta. Tanger und Teneriffa nach 
Westindien in den Jahren 1885 und 1886. Auf Befehl des K. K. Reichs- 
Kriegsministeriums, Marine-Sektion, mit Zugrundelegung der Berichte des 
Schiffskommandanten, Fregattenkapitän von Rosenzweig, zusammengestellt von 
.1. Freiherrn v. Benko, K. K. Korvettenkapitän. Herausgegeben von der 
Redaktion der ..Mitteilungen ans dem Gebiete des Seewesens“. Pola, Kom- 
missionsverlag von Carl Gerold Sohn in Wien, 1887. Der Zweck dieser 
7 1 /* Monate, vom 1. September 1885 bis 13. April 1886, währenden Reise, lag neben 
der Ausbildung von Stab und Mannschaft im Marinedienst in der Wahrnehmung 
der kommerziellen und konsularischen Angelegenheiten der berührten Gebiete 
und in der mit allen Kräften anzustrebenden Förderung der handelspolitischen 
Beziehungen der österreichischen Monarchie zu jenen Ländern. Es wurden in 
Westindien folgende Inseln besucht : Trinidad, Barbadoes, St. Vincent, Santa 


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— 347 — 


Lucia, Martinique, Dominica, Guadeloupe, Antigua, St. Christoph, St. Thomas. 
Portorico, Hayti. Jamaica, Cuba, New Providence (Bahamas). Die Schilderungen 
und Beschreibungen der einzelnen Inseln betreffen die geographischen, politischen 
und wirtschaftlichen Verhältnisse ; jedem Kapitel steht ein Anhang — im ganzen 
sind es 16 — ergänzend zur Seite; es werden darin eine Menge zum Teil 
statistischer Angaben über Produktion, Ein- und Ausfuhrartikel u. a. gemacht. 
Somit bietet das Buch allen, welche sich für überseeischen Handel und Kolonial- 
wirtschaft interessieren, reiche Belehrung, denn wir dürfen annehmen, dafs 
diese Angaben auf genauen Ermittelungen zum Teil wohl der österreichischen 
Konsuln beruhen, und also auf volle Zuverlässigkeit Anspruch machen dürfen. 
Bei den Bahamas ist uns eine Lücke aufgefallen. Dort wird eine sehr be- 
deutende Sehwammfischerci betrieben. Man sollte meinen, dafs Angaben in 
dieser Beziehung um so willkommener gewesen wären, als Schwämme bekanntlich 
einen sehr bedeutenden Handelsartikel Triests bilden. Man mufs es dem 
österreichischen Marineministerium Dank wissen, dafs es dieses wertvolle Material 
nicht nur in seinen Archiven niedergelogt., sondern der Öffentlichkeit übergeben 
hat. Der Preis, 4 Mark für das nahe an 300 Seiten zählende Buch, ist billig; 
auch eine gute Karte fehlt nicht. 


Australien. 

Stej neg er, L. Birds of Kauai Island, HawaianArchipelago, collected 
by Mr. Knudsen. with descriptions of new species. Mit 1 Tafel. Diese Arbeit 
liefert einen Beitrag zur Vogelfauna der Hawaii-Inseln; es werden einige neue 
Arten und ein neues Genus beschrieben. 

— Blandt Menneskeaedere. 4 aars Rejse iAustralien af Carl L u m h o 1 1 z, 
mit Illustrationen, Heft 1 und 2, Verlagsbnreau in Kopenhagen. Mit Unterstützung 
der Universität Christiania hielt sich der norwegische Naturforscher Lumholtz vier 
Jahre, 1880 bis 1884, in Australien auf und lebte zum Zweck seiner Forschungen 
1882 und 1883 in Nord-Queensland unter den Wilden. Die vorliegende auf 10 Hefte 
berechnete Veröffentlichung ist eine populäre Darstellung seiner Reisen unter 
steter Rücksichtnahme auf die inzwischen teilweise bearbeiteten wissenschaft- 
lichen Ergebnisse. Bei dem lebhaften Interesse, welches sich in weiteren 
Kreisen Deutschlands noch immer für die Länder- und Völkerkunde zeigt, wird 
vielleicht eine deutsche Übersetzung veranstaltet werden. 


Polarregionen. 

Ans der grofsen Zahl wertvoller Publikationen, welche durch das in den 
Jahren 1882/83 zur Ausführung gelangte internationale Polarunternehmen her- 
vorgernfen wurden, liegen gegenwärtig wiederum zwei stattliche Bände vor. 
Es sind dieses der III. und IV. Band der „Mission scientifique du Cap Horn 
1882 83“, erschienen in Paris 1887 bei Ganthiers-Villars, welche der Redaktion 
dieser Zeitschrift in dankenswerter Weise von dem wissenschaftlichen Teil- 
nehmer, Herrn Dr. Hyades, zugesandt worden sind. Der erstere dieser beiden 
Bände enthält die magnetischen Beobachtungen, welche in der Orange-Bai, dem 
Stationsort der Expedition, ausgeführt worden und aufserdem noch die inter- 
essanten Ergebnisse einer umfangreichen Arbeit über den Kohlensäure- und 
Sanerstoffgehalt der Luft. — Der zweite derselben beschäftigt sich ausscb 


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348 


lieh, und zwar in sehr eingehender Weise, mit dem geologischen und nament- 
lich petrographischen Bau der Umgehung des Stationsortes. 

Wenn es auch in diesen Blättern nicht am Platze sein würde, eingehend 
den Inhalt der beiden Schriften darznlegen, so wird doch auch vom Standpunkte 
der Geographie an dieser Stelle eine allgemeine Besprechung unter Aufführung 
der wesentlichsten Resultate gerechtfertigt erscheinen. 

Die geographische Position des magnetischen Observatoriums war 
65 0 31 ' 24 " S. und 70 0 25 ' 12 " W. oder 5 h 12 m 5 8 von Göttingen, und ist 
somit diese Station die südlichste in dem System der internationalen Polar- 
forschnng. 

Die ausgeführten magnetischen Beobachtungen zerfallen dem Gesamt- 
pläne gemäfs in absolute und in Variationsbeobachtungen. Die in grofser Zahl 
vorhandenen Deklinationsbestimmungen erstrecken sich gleic.hraäfsig über den 
ganzen Zeitraum und ergeben in Verbindung mit den später zu besprechenden 
stündlichen Ablesungen der Variationsapparate 

D = 20° 10'. 85, 

während sich die Werte für die Horizontalintensität (H) und die Vertikalintensität 
(Z) auf dieselbe Weise ergaben zu H = 0.285362 

Z = 0.377672. 

Die Instrumente, mit welchen die absoluten Bestimmungen ausgeführt wurden, 
waren für die Deklination ein magnetischer Theodolit eigener Konstruktion von 
Brunner in Paris, welcher auch gleichzeitig, wie das bei den meisten Apparaten 
dieser Art der Fall ist, die nötigen Vorrichtungen besafs. um mit demselben 
Instrument die Horizontalkomponente der Intensität zu bestimmen, für die 
Inklination ein Nadel-Inklinatorium von Gnmbey, mit welchem dieselbe im 
Jahresmittel zu 52° 55' 56" bestimmt wurde. 

Wird aus den Resultaten der Beobachtungsperiode die jährliche Verän- 
derung der Deklination abgeleitet, so findet sich eine Abnahme des absoluten 
Wertes um 5'. 15. Benutzt man zur Erlangung dieser Gröfse eine von Kapt. 
King im Jahre 1828 angestellte Observation, so ergiebt sich nur 4'. 11 für die 
Säkularvariation. Eine Beobachtung der Deklination dnreh Admiral Fitz-Roy 
mufs leider aufser Vergleich bleiben, da der Ort, an dem die Messung statt- 
fand, sich nicht mit der für die Deklinationsändernng nötigen Sicherheit be- 
stimmen läfst. Bezüglich der Inklination konnte ein andrer Wert der Säknlar- 
änderung als der durch die Beobachtungen der Expedition sich zu 11'. 3 ergebende 
nicht ermittelt werden, da am Orte der Station früher nicht beobachtet wurde. 
Dagegen ist eine Reihe von Beobachtungen auf der Insel Malonines interessant. 
Es findet sich dafür auf S. 213 des vorliegenden Werkes 


1820 

S = 65°20 (Freycinet) 

1822 

54.49 (Duperrey) 

1833 

53.25 (Fitz-Roy'l 

1842 

52.30 (Rofs) 

1883 

47.38 (de la Monneraye) 


Aus diesen Zahlen ergiebt sich im Mittel eine jährliche Abnahme von 7'. 2. 
Zwei andre Beobachtungen in der Bai von St. Martin (Hermite) von 
Rofs 1842 und die französische Expedition 1883 ergeben den Wert von 8 '.2. 
Alle diese Zahlen, bemerkt der Bearbeiter des französischen Materials, Mr. 
le Cannellier, ganz richtig, können aber entweder durch die Kürze des Zeit- 


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349 — 


raumes oder durch die grofse Unsicherheit, mit welcher frühere luklinations- 
bestimmungen behaftet waren, keinen Anspruch auf grofse Genauigkeit er- 
heben. — 

Die eben angeführten Daten sind in der vorliegenden Publikation nach 
den Variationsbeobachtungen aufgeführt, da sie ja teilweise erst anf diesen be- 
ruhen. Die letzteren wurden an zwei Sätzen von Variationsinstrumenten 
beobachtet, bei welchen als llorizontalintenaimeter auch ein Bifilar benutzt 
wurde. Der eine dieser Sätze war ein auf photographischem Wege selbst- 
registrierender. dessen ausgewertete Kurven zum Abdruck gelangen. — Abge- 
sehen davon, dafs nicht alle Termintage publiziert werden, unterscheidet sich 
das französische Werk auch noch dadurch von andern bisher erschienenen, 
dafs bei der Zusammenstellung der Resultate zwei Wege eingeschlagen wurden. 
Einmal finden sich die Mittel (stündliche, tägliche und monatliche) auf Grund 
aller stündlichen Beobachtungen, zweitens ist aber auch noch eine ganz 
ähnliche Zusammenstellung vorhanden, bei welcher aber die als gestört an- 
zunehmenden Beobachtungen ausgeschlossen wurden. — Da die letztem Zahlen 
der Natur der Sache nach immerhin als etwas willkürlich anzusehen sind, 
wollen wir nur ganz kurz die Endresultate ohne Ausschlufs der gestörten 
Daten anführen, welche auch hier wegen der Veranschaulichung des periodischen 
Verlaufs der Variationen von allgemeinem Interesse sind. 


Stündlich Jahresmittel. 







Deklin. 

Horn. -lut. 

Vortik.-lnt. 

Vorm. 

0 

Uhr 00 Min. 

20“ 9,17' 

0.285 429 

0.377 689 

11 

1 

11 

50 

11 

9,70 ' 

5 435 

7 694 

11 

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50 

11 

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11 

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11 

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5 354 

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7 767 

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11 

50 

11 

10,08' 

5 218 

7 736 

ii 

10 

11 

50 

11 

11,88* 

5 213 

7 687 

ii 

11 

11 

60 

11 

12,14' 

5 254 

7 653 

Nachm. 0 

Uhr 50 

Min. 

13,88' 

5 322 

7 618 

J» 

1 

11 

60 

11 

14,08* 

5 368 

7 572 

11 

2 

11 

50 

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7 580 

11 

3 

11 

50 

11 

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5 365 

7 601 

11 

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11 

50 

11 

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11 

6 

11 

50 

11 

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5 330 

7 647 

11 

6 

11 

50 

11 

10,88* 

5 329 

7 657 

11 

7 

11 

50 

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10,78' 

5 344 

7 663 

11 

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11 

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5367 

7 667 

11 

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11 

50 

11 

10, »0* 

5 390 

7 665 

11 

10 

11 

50 

11 

10,81 ' 

5 403 

7 673 

11 

11 

11 

50 

11 

20° 10,87 ' 

0.285 416 

0.377 681 




Mittel . . 

..20“ 10,88 ' 

0.285 362 

0.377 672 


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— 350 — 

M o ii a t s m i 1 1 e 1. 



Md. 

Horix.-Int. 

Vertik.-tnt. 

Oktober 

. 20® 

12,u ' 

0.285 437 

0.378 783 

November 


12,« ' 

5 315 

8 695 

Dezember 


12,!*' 

5 370 

8 342 

Januar 


11, m' 

5 411 

8 010 

Februar 


11,7»' 

5 302 

7 754 

März 


11,«.' 

5163 

7 557 

April 


10,«' 

5 254 

7384 

Mai 


9j»' 

5 349 

7 187 

Juni 


9,».' 

5351 

7 043 

Juli 


9,m' 

5 519 

6891 

August 

. 20® 

8,».' 

0.285 529 

0.376 749 

Mittel . . 

. 20® 

10,«' 

0.285 362 

0.377 672 


Werden die (stündlichen Monatsmittel wegen der jährlichen Veränderung 
korrigiert nnd auf eine Epoche gebracht, so erhält man für die Deklination 
und Inklination (wo diese Redaktionen mit einiger Sicherheit gemacht werden 
können) die folgenden interessanten Unterschiede zwischen dem Qang dieser 
Elemente im Sommer und Winter: 






Sonn 

südlich des 

Äquat 

ors. 






Zeit. 



Deklin. 

Abweich, v. red. 
Jahresmittel. 

Inklin. 

Abweich. ▼. red. 
Jahresmittel. 

Vorm. 

0 

Uhr 

50 

Min. 

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— 351 — 


Sonne nördlich des Äquators 




Zeit. 


Deklin. 

Abweich, v. red. 
Jahre» mittel. 

Inklin. 

Abweich, r. red. 
Jahresmittel. 

Vorm. 

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Uhr 50 

Min. 

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Zeit. 



Deklin. 

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Inklin. 

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Jahresmittel. 

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Min. 

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20° 9,».' 

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52° 55,«' 

+ 

0,,»' 


Die zweite Abteilung des III. Bandes, welche eine sehr interessante Ab- 
handlung über den Kohlensäurengehalt der Luft enthält, erstreckt sich nur in- 
sofern auf das Gebiet der internationalen Polarforschung, als eben in Verbindung 
mit verschiedenen Stationen in Frankreich auch die in der Orange-Bai gesammelten 
Daten zusammengestellt sind. 

Durch diese Untersuchungen wird aus sehr vielen einzelnen, unter den 
verschiedensten Verhältnissen angestellten gut untereinander übereinstimmenden 
Beobachtungen das folgende Resultat abgeleitet, bei denen auch noch die an deu 
Stationen zur Beobachtung des Venusdurchganges ausgeführten Untersuchungen 
benutzt sind : 


Frankreich . . 


Nördliche Hemisphäre. 

Kohleasitaregehalt 


der Luft. 

Ebene von Vineennes 2.871 °/oo « 

Pic du Midi (2877m) 2.757 


Pätionville auf Hayti 2.812 

Amerika St ' Au S ustiu ’ Florida 2.922 

Fort d. France, Martinique 2.793 

• Puebla in Mexiko ■ .2,763 

Mittel 2.820 


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•Südliche Hemisphäre. 

Santa-Cruz, Patagonien 2.667 

Chubut, Patagonien 2.955 

Cerro-Negro, Chile 2.743 

Orange-Bai. Cap Horn 2.560 

Atlantischer Ozean (Messungen der „Romanche“) 2.680 

Mittel 2.721 

Schon diese beiden Zahlen zeigen eine bei der grofsen Anzahl der zu 
Grunde liegenden Messungen erhebliche Verschiedenheit, die aber noch bedeutend 
vermehrt wird, wenn man die für ., Chubut“ angegebene Zahl eliminiert. Dieselbe 
weicht so stark von den übrigen ab und beruht nur auf zwei Beobachtungen, 
dafs dieses Vorgehen sich wohl rechtfertigen läfst. Nach dieser Ausscheidung 
erhält man für die Südhemisphäre als Mittel 2.663*). 

Das Mittel für die Gesamtatmosphäre würde sich hiernach zu 2.7415 
finden, also nahezu gleich 0.03 Prozent. 

Als Erklärung dieses Unterschiedes heifst es in der Schlufsbemerkung : 

„Les re sulfats montrent que l’acide carbonique n’est pas uniformäment 
r6pandu dans la masse de l’atmosphere, que l’hfmisphere sud, en raison pro- 
bablement du grand düveloppemcnt de la surface des mers et de la basse tem- 
perature des eaux due ä l'extension des glaces polaires, contient une proportion 
d’acide carbonique tres sensiblement inßrieure. 

Wenn die Menge des Kohlensäuregehalts der Luft auch gegen die 
früheren Annahmen von nahe 0.04 °/o erheblich zurückbleibt, so ist die neuere 
Zahl doch gewifs mit grofsem Vertrauen aufzunehmen. 

Ein weiterer Abschnitt dieses Teiles des Werkes umf&fst die von den- 
selben Autoren, Herren A. Müntz und E. Aubin, bearbeiteten Untersuchungen über 
das Verhältnis des Sauerstoffes zum Stickstoff in der Atmosphäre. Die Ver- 
fasser gelangen da zu keinem neuen Resultate, sondern finden nur die bisherigen 
Annahmen bestätigt. Es ergiebt sich für Orange-Bai im Mittel von 20 Messungen 
für Sauerstoff 20.864°/#, während Regnault in Paris 20.960% fand und als 
Grenzen 20.300 bis 21.015% angab. Die Herren Müntz und Aubin fanden in 
Paris aus zwei Messungen im Mittel 20.917%. Sämtliche Werte liegen inner- 
halb der Genauigkeitsgrenzen der Bestimmungen. 

Obgleich die Ausstattung aller Bände eine ausgezeichnete genannt werden 
mufs, so verdient doch der Band IV. (G6ologie) ganz besonders hervorgehoben 
zu werden. Die Abbildungen der Dünnschliffe des anstehenden Gesteines sind 
vortrefflich sowohl nach Arrangement als nach Ausführung. Ebenso vermitteln 
die vielen Lichtdrucke eine recht gute Anschauung bezüglich des Oberflächen- 
charakters und der geologischen Konfiguration. Das Gleiche gilt auch von dem 
der Schrift angefügten Kartenmaterial. Keines der mir bisher zu Gesicht 
gekommenen resp. bis jetzt erschienenen Werke aus dem System der inter- 
nationalen Polarforschung ist so opulent mit instruktiven Abbildungen versehen. 

Über die sehr eingehenden petrographischen Schilderungen sich näher 
zu verbreiten ist wohl hier kaum der Ort, es wird die Würdigung der mühe- 
vollen langwierigen Untersuchungen in der Fachlitteratur nicht ausbleiben. 

*) Die im Werke selbst gegebenen Zahlen scheinen mit Ausschlufs der Zahl 
2.680 für den Atlantischen Ozean gefunden zu sein, während die hier angeführten 
auch diese Angabe umfassen. 


Amerika 


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353 — 


Hier seien nur kurz die allgemeinen Ergebnisse der an einer groben 
Anzahl von Orten des Feuerland-Archipels angestellten Beobachtungen erwähnt. 
Die allgemeine Gliederung der Inselgruppe erscheint in ihren Hauptziigcu der 
Gebirgsbeschaffenheit gemüfs durch nahezu von Ost. nach West ziehende Haupt- 
kanäle in zwei Teile, einen nördlichen. Fenerland-Archipel im speciellen, und 
einen südlichen, den Kap Horn-Archipel, getrennt zn werden. — Die kleineren 
Teilungskanäle und Fjorde lassen eine solche Regelmäfsigkeit nicht mehr hervor- 
treten. Das anstehende Gestein besteht namentlich im Westen vornehmlich 
aus Eruptivgesteinen, Graniten, Andesiten, Trachyten. Dioriten. Diabasen u. a., 
während sich nach Osten hin auch die ältesten Fonnationen der Drschiefer. 
Gneise der verschiedensten Zusammensetzung. Glimmerschiefer u. a. in grofser 
Menge vorfinden. 

Dazwischen scheinen auch mehrfach Quarze. Trachyte und Basalte als 
gang- oder kuppenförmige Bildungen vorzukommen. Eiuo Reihe von Trachyt- 
und Andesitkuppen vertritt die aus den Resten vulkanischer Ausbrüche und 
aus den Trümmern vulkanischen Ursprungs gebildeten Gesteinsgruppen. — Ver- 
steinerungsführende Schichten der archaischen Formation scheinen sehr selten, 
jüngere Formationen überhaupt nicht vorhanden zu sein. — Als Anhang findet 
sich in diesem Baude noch eine Besprechung und Aufzählung der von D. Lovisato 
von der italienisch-argentinischen Expedition unter Leutnant G. Bove gesam- 
melten Gesteine, welche die Sammlungen der Kap-Horn-Expcdition in mehreren 
Stücken ergänzt und deren Resultate bestätigt. 

Bevor wir diese Besprechung schliessen, mag aber noch auf eiue Sammlung 
von Humusproben hingewiesen werden, welche Herr Hyades anlegte und welche 
H. E. Aubin auf ihre chemische Zusammensetzung hin untersuchte, (pg. 186 fl.) 
Das Resultat dieser Untersuchung ist zusammengefarst in dem Schlufssatze : 
„Le plus grnnd obstacle ä des cultures agricoles daus cette contree räside, 
non dans la Constitution du sol, mais dans la rigneur du climat“. 

L. A. 

Vega-Expeditionens Vetenskapliga Jaktagelser bearbetade af deltagare 
i resan och andra forskare, utgifna af A. E. N o rd en skj öld. 

Stockholm, Beijers Förlag. 1887. Bd. IV. mit 47 Tafeln, Bd. V. mit 2 Tafeln. 
Mit diesen beiden starken Bänden schliefst Nordcnskjöld die ursprünglich auf 
einen geringeren Umfang berechneten wissenschaftlichen Mitteilungen der Vega- 
Expedition. Doch auch in diesen 5 Bänden ist, wie der Herausgeber in einem 
Vorworte mitteilt, das Material keineswegs erschöpft. Verschiedene Bearbeitungen, 
wie die der Flechten durch Fries und die der Krustaceeu durch Stuxberg, sind 
noch nicht abgeschlossen, möglicherweise erscheinen sic in einem Supplement- 
bande. Von dem reichen Inhalt der vorliegenden beiden Bände mag eine Auf- 
zählung der in ihnen enthaltenen Abhandlungen Zeugnis ablegen. Im 4. Bande 
beschreibt zunächst Salilberg in drei gesonderten Abhandlungen die Koleopteren 
und Hemipteren, welche an der Nord- und Ostküste der Tschuktschen-Halbinsel 
(41 Spezies), auf der amerikanischen Seite des Berings-Meeres (17 Spezies) und 
auf der Berings-Insel (10 Spezies) eingesammelt wurden. Aurivillius berichtet 
über die von der Nordküste Asiens mitgebrachten Lepidoptera (9 Spezies mit 
einer Tafel), Mc. Lachlan über die Neuroptera (5 Spezies), Swcderus über die 
Tunikaten (9 Spezies). Törnebohm giebt eine petrographisclie Beschreibung der 
von der Expedition heimgebrachten Gesteinsproben, uach den Fundorten ge- 

üeogreph. Blätter. Bremen, 1837. 25 


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— 354 — 


ordnet. Westerluud giebt eine Übersicht der Verbreitung der Land- und Siifs- 
wassermollusken von allen von der Expedition berührten Punkten und beschreibt 
daun die zahlreichen neuen Arten und Formen (39 Spezies auf 5 Tafeln). 
Es folgt eine Abhandlung von Aurivillius über die in Tunikaten lebenden 
Krustaceen mit 3 Tafeln; 13 Arten werden aufgeführt, darunter 6 neue. 
Kjcllman und Petersen liefern eine Arbeit über die japanischen Laminarien 
(mit 2 Tafeln). Erstcrer giebt ferner eine Übersicht über die Phanerogamenflora 
der Berings-Insel ; 157 Arten, darunter 31 Monokotylen und 126 Dikotylen werden 
aufgezählt. Aurivillius beschreibt dann die arktischen Placophoren und Gastropodeu. 
121 Arten mit 20 auf 2 Tafeln abgebildeteu neuen Formen. Die llydroideu, 
24 Spezies, werden von Thompson beschrieben (mit 8 Tafeln), die Schwämme. 
71 Spezies, von Fristedt (mit 10 Tafeln). Die fossilen Pflanzen von Labuan, 
20 Spezies, sind von Geyler bestimmt worden, hierzu 8 Tafeln. Es folgen daun 
noch eine Arbeit von Almquist über die Lichenenvegetation der Küsten des 
Beriugs-Meeres und eine Übersicht der arktischen und antarktischen Hyperideu 
von Bovallius, hierzu 8 Tafeln. Der fünfte Band enthält zunächst eine Arbeit 
von Stuxberg: Die Fauna auf und um Nowaja Semlja. Dieselbe bringt im 
wesentlichen nach den bereits veröffentlichten Spezialarboiten über die zoologischen 
Ergebnisse der drei Nordenskjöldschen Expeditionen eine Aufzählung der auf 
Nowaja Semlja und in den benachbarten Meeren beobachteten Tierformeu, mit 
Ausschluß der nicht bearbeiteten Fische, Tunikaten, Entomostraken, Pyknogonideu 
und Gephyreen. Danach sind im ganzen 732 Arten bekannt und zwar Säuge- 
tiere 16, Vögel 41, Insekten 174, Tausendfüfsler 1, Spinnen 48, Crustaceen 
(Panzerkrebse, Isopoden und Amphipodeu) 96, Würmer 123, Bryozoen 59, 
Mollusken 121, Echinodermen 37, Cölenteraten 13, Schwämme 13. Die zweite 
Abhandlung, von Palmöu, über die Vögelfauna der sibirischen Eismeerküste, 
bringt in ausführlicher Weise die von der Expedition gröfstenteils während des 
Winterquartiers in Pitlekai gemachten ornithologischen Beobachtungen, lin 
ganzen sind 80 Vogelarten wahrgenommen worden ; in ornithologischer Hinsicht 
zeigt danach die Tschuktschen-Halbinsel eine Annäherung au das amerikanische 
Festland. Den Schlufs des Bandes bilden die von Rosen mitgeteilten Flut- 
beobachtungen von Pitlekai. Die Geringfügigkeit der wahrgenommenen Niveau- 
schwankungen scheint die Annahme zu unterstützen, dafs das nördlich von 
der Berings-Strafsc gelegene Meer keine grofse Ausdehnung besitze. A. K. 

§ Den Danske K ono b a ads-E x p e di t io n til Grönlands Ost- 
k y s t , populairt beskreven af G. Holm, Capitain i Marinen og V. Garde, 
Pr.-Lieutenant i Marinen. (Die dänische Bootsexpedition zur Ostküste von 
Grönland, populär beschrieben durch G. Holm, Kapitän und V. Garde, Premier- 
Leutnant in der Marine). Mit Karte, 8 Tondruckbilderu und 39 Abblildungeu 
im Text. Kopenhagen 1887, Verlagsbüreau. Die dänischen Forschungen und 
Entdeckungen in Grönland sind in dieser Zeitschrift ihrer Bedeutung und ihren 
Ergebnissen nach in kürzeren und längeren Aufsätzen gewürdigt worden. W'ir 
verweisen beispielsweise nur auf die Abhandlungen von Rink in den Jahrgängen 
1883 und 1886, und von Ryder im Jahrgang 1887. Während die zahlreichen 
früheren Forschungen vorzugsweise das wissenschaftliche Interesse in Anspruch 
nahmen, erregten die Ergebnisse der Bootsreisen Holms und Gardes längs der 
Südostküste, deren Erforschung wir fast ausschliefslich dänischen Seefahrern 


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— 355 — 


verdanken, und besonders die Geschichte der Überwinterung in Anpmagsalik 
1884 '86, bei dem mntmafslich nördlichsten Stamm der Grönländer an jener 
Küste, die allgemeinste Teilnahme. Die von daher mitgebrachte in Kopenhagen 
eine zeitlang ansgestellte ethnographische Sammlung brachte mancherlei Auf- 
schlüsse und es steht zn erwarten, dafs dieselbe in den von den .Meddelser om 
Grönland“ zn veröffentlichenden wissenschaftlichen Ergebnissen eingehend und 
mit genauen Abbildungen gewürdigt werden wird. Das vorliegende Werkchen 
ist eine im besten Sinne des Worts populäre Darstellung des ganzen Verlaufs 
der Expedition zur Ostküste und der wichtigsten Ergebnisse derselben, sie ist 
von Holm und Garde selbst verfafst. Das gröfste Interesse wird sich den Ka- 
piteln fl — 10 znwenden. in welchen das Vordringen von Graahs nördlichsten 
Pnnkt, der Dannebrog-Insel. bis zum Angmagsalik-Fjord, die Überwinterung in 
Rasen- und Steinhütten bei den nördlichen Ostländern : endlich die Rückkehr, 
im Spätsommer 1886 zu der entgegenkommenden südlichen Abteilung der 
Expedition unter Premierlentnant Garde, die in fesselnder Weise geschildert 
wird. Zahlreich und meist sehr gut sind die nach Zeichnungen oder Photo- 
graphien gegebenen Abbildungen ; eine Übersichtskarte orientiert über das be- 
reiste bezw. entdeckte Gebiet, während die von der Expedition entworfenen 
detaillirto Karten mntmafslich ebenfalls in den . Meddelser“ veröffentlicht 
werden dürften. Einen wertvollen Beitrag zur Entdeckungsgeschichte von Grön- 
land, die s. Z. in dem grofsen Werke über die deutsche Polarfahrt 1869/70 
durch Professor Maurer ausführlich erzählt wurde, enthält die Einleitung von 
Holm ; hier werden besonders die langjährigen Irrtümer bezüglich der vermeinten 
normannischen Niederlassungen an der Ostküste, wie es schon kürzlich in der 
dänischen geographischen Zeitschrift geschehen, beleuchtet nnd die Reisen und 
Entdeckungen Graahs. nnter Beigabe eines Portraits des letzteren, gebührend 
gewürdigt. Bei dem Interesse, welches sich für uns Deutsche in Rücksicht auf 
die Expedition von 1869/70 an Ostgrönland knüpft, wäre eine Übersetzung 
des Werkchens, dessen Inhalt allgemein entsprechen mufs, in hohem Mafse 
erwünscht. 

Anschauungsmittel für den Unterricht. 

Holzels Geographische Charakterbilder. Kleine Handaus- 
gabe. 30 chromolithographische Tafeln mit. beschreibendem Text von 
Prof. Dr. Fr. Umlauft und V. v. Haardt. Wien, Eduard Hölzel. 1887. Auf von 
vielen Seiten her geäufserten Wunsch hat. die um den geographischen Unterricht 
schon vielfach verdiente Wiener Verlagsbuchhandlung von Eduard Hölzel von 
den in ihrem Verlage erschienenen vorzüglichen geographischen Charakter- 
bildern. welche 79 cm breit und 59 cm hoch als Wandbilder dienen, auch 
eine. Ausgabe in kleinem Format. 27 cm lang nnd 18 cm breit, für den Hand- 
gebrauch veranstaltet. Die dargestellten Landschaften — der Vesuv, die Wüste 
Sahara. Helgoland, das Stettiner Haff, die Adelsberger Grotte. Hammerfest, der 
Tafelberg mit der Kapstadt. Tropenurwald am Amazonas u. a. — sind 
wirklich geographisch charakteristische und die künstlerische Ausführung der 
Bilder ist eine treffliche. Jedes Bild ist durch einen kurz gehaltenen, aber dabei 
doch für die Vermittelung eines vollen Verständnisses genügenden Begleittext 
erläutert., der ebenso der reiferen Jugend wie dem Erwachsenen gute Dienste 
leisten wird. Als ein ebenso schönes wie nützliches Anschauungsmittel sei diese 
Handausgabe den Freunden der Erdkunde bestens empfohlen. W. 


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— 356 — 


Das Erd profil der Zone von 31° bis 65° nördlicher Breite von Ingenieur- 
hauptmann Ferdinand Lingg. Gröfse des Tableaus: 51 cm hoch, 375 cm 
lang. Ein Exemplar mit Text, zusammengelegt, sowohl buchartig zum Um- 
blättem, als zum Ausbreiten im ganzen eingerichtet, in kartounierter Mappe 
5138 cm. Preis 20 Mark. Verlag und Ansführung von der Königlich bayerischen 
privilegierten Kunstanstalt von Piloty & Lochle in München. Der zeichnenden 
Erdkunde eröffnet das Linggsche Erdprofil neue und gewinnbringende Wege. 
Zum erstenmal ist hier eine anschauliche Darstellung der Verhältnisse zwischen 
den Einzelnheiteu der Gestaltung der Erdoberfläche und den Dimensionen der 
Erde im ganzen, durch Anwendung eines einheitlichen Mafsstabes geboten. Das 
Erdprofil zeigt einen Teil eines in Südnordrichtung geführten Erddurchschnittes 
und zwar im durchgängigen Mafsverhältnisse von 1 : 1 Million, so dafs ein 
Millimeter der Zeichnung einen Kilometer der Wirklichkeit nach jeder Richtung 
repräsentiert. Die Wölbung des mit Berücksichtigung der Abplattung exakt 
konstruierten Meridianbogenstückes von 34 Breitegraden — mithin fast */io des 
Umfanges eines idealen Globus von über 12 m Durchmesser, — entspricht 
der natürlichen, meridionalen Krümmung des Meeresniveaus. Auf dieses ist ein 
detailliertes Profil von Europa in der Linie von Tripolis an der nordafrikanischen 
Küste, durch das Mittelländische Meer, über Ätna und Vesuv, dann durch die 
Apenninen. den nördlichen Teil des Adriatischen Meeres, die Alpen, den Böhmer- 
wald, das Erzgebirge und Norddeutschland, durch die Ostsee und das nor- 
wegische Gebirge bis über Drontheim in den Nordatlantischen Ozean hinaus, 
aufgetxagen. Da der Beschauer dieses Profils Nord zur Rechten hat, so ist 
sein Blick nach West gerichtet, in welcher Ansicht, panoramaartig hintereinander, 
auf den gemeinsamen Meridianbogen projiziert, über 700 der bedeutendsten, in 
der genannten Zone liegenden, gemessenen Berge, sowie Hochseeniveans. Pässe, 
Plateans n. a. von Westeuropa und Nordafrika. Nordamerika, Zentralasien nnd 
Osteuropa schematisch eingezeichnet, in ihrer absoluten Höhe nnd genauen 
Breitenlage in Erscheinung treten. Aufscrdcm sind Resultate der Tieflotungen, 
der Verlauf und das Ansteigen einzelner Strecken des Bodens der Ozeane, die 
Abnahme der Dichte und Temperatur der Atmosphäre, erreichte Höhen bei 
Ballonfahrten. Wolkenhöhen, Richtung und Grenzen des Aufleuchtens der Stern- 
schnuppen, Forschungsergebnisse über das Nordlicht, Bestrahlung durch Sonne 
und Mond. Refraktion der Lichtstrahlen, Richtung der magnetischen Inklination, 
Rotations- und Umlaufsgeschwindigkeit der Erde und viele andre damit in Be- 
ziehung stehende Verhältnisse zur anschaulichen Darstellung gebracht. Das 
Erdinnere erfuhr insofern eine Veranschaulichung, als die tiefsten Schachte und 
Bohrlöcher, Erdbebenzentren. hypothetische. geologische Tiefenniveaus, 
Temperatur-, Dichtigkeit«- nnd Drnckzunahme mit der Tiefe, ihre Eintragung 
gefunden haben. Zudem sind auch die mathematisch-geographischen Verhält- 
nisse des Erdkörpers klar nnd erschöpfend behandelt. Am oberen und unteren 
Rande des Tableaus sind die Namen von weit über ßOO der bedeutenderen 
Städte, sowie sämtliche Sternwarten des ganzen Erdgürtels nach der Reihen- 
folge ihrer Breitenlage verzeichnet und läfst sich die Lage jeder derselben auf 
dem dargestellten gemeinsamen Meridianbogen der Zone einfach durch Anlegung 
eines Lineales bestimmen, womit dann die angegebenen physikalischen Ver- 
hältnisse für den betreffenden Ort ersichtlich werden. Alles Dargestellte ist 
’urc.h präzise Einschrift je mit Namen. Land. Höhe oder Tiefe bezeichnet, wo- 


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durch sich jeder Teil des Werkes ans sich selbst erklärt. Sämtliche ein- 
geschriebene Mafse sind anf das metrische System, und alle Angaben geographischer 
Länge auf den Nullmoridian von Greenwich bezogen. — Dem Ganzen ist ein 
Text nebst zwei Übersichtstafeln beigegeben. Das Linggsche Erdprofil hat in 
wissenschaftlichen Kreisen grofse Anerkennung gefunden und verdient als 
Unterrichtsmittel für höhere Stnfen angelegentlichst empfohlen zu werden. 

W. 


Meteorologie. 

Der in Heft 3 S. 170 und ff. besprochenen Arbeit des Herrn Dr. 0. Schneider 
über das Klima von Bremen reiht sich nun eine zweite über das gleiche Thema 
an, sie ist von Dr. Bergholz in Bremen. Letzterer unterzieht das Klima 
von Bremen in seiner 40 Seiten starken Schrift einer Bearbeitung auf Grund der 
vorliegenden langjährigen Beobachtungen nach den von Professor Hann in 
seiner Klimatologie aufgestellten Forderungen und nach .dem Muster von 
Längs Klima Münchens. Sämtliche Tabellen, und es sind deren sehr zahl- 
reiche in der Arbeit, sind neu berechnet. Von den der Arbeit beigefügten 
Tabellen heben wir folgende hervor : Monatsmittel und Extreme der Temperatur 
von 1829 — 1886; Pentadcnmittel (Durchschnittswerte von 1803 — 86); Mittel- 
temperatnr für jeden Tag des Jahres (berechnet für die Monate Jannar, Mai, 
Juli); Mittcltompernturen für 3 Tageszeiten. Monatliche Extreme der Tempe- 
ratur, relative Feuchtigkeit, Monats- und Jahressummen der Niederschläge, 
gröfste Niederschlagshöhe in 24 Stunden; Tage mit Regen, Schnee, Hagel, 
Niederschlägen überhaupt, Gewitter, Nebel, Moörrauch. Auch dio Verteilung der 
Windrichtung findet Berücksichtigung. In zwei übersichtlichen Tabellen, die 
wir im nächsten Heft publizieren, hat Dr. B. zum Schlufs seiner Arbeit die 
klimatischen Elemente Bremens übersichtlich zusammengestellt. Ein kleiner 
Anhang von Professor Buchenau bespricht den abnormen Regenfall in Bremen 
am 31. Juli d. J. unter Vergleichung mit früher beobachteten ungewöhnlichen 
Niederschlägen. 


Völkerkunde. 

Afrikanische Jurisprudenz. Ethnologisch-juristische Beiträge zur 
Kenntnis der einheimischen Rechte Afrikas von Dr. Albert Hermann Post, 
Richter am Landgericht in Bremen. Mit Völker-, Länder- und Sachregister. 
Zwei Teile in einem Bande. Oldenburg und Leipzig, 1887. Schulzesche Hof- 
Buchhandlung und Hof-Buchdruckerei (A. Schwartz). Die Bedeutung des vor- 
liegenden Werkes für die Rechtsgeschichtc und Rechtsphilosophie zu würdigen, 
ist in dieser Zeitschrift nicht der Ort. Für einen systematischen Ausbau der 
ethnologischen Jurisprudenz bezeichnet der Verfasser als unumgängliches Fun- 
dament eine genaue. Sammlung der Rechtssitten aller Völker der Erde. Bei 
dieser vermutlich noch viele Jahre erfordernden Arbeit soll die vorliegende 
Schrift mitwirken. Sie beschäftigt sich mit den einheimisch-afrikanischen 
Rechten und hofft der Verfasser, wenn er auch nicht die gesamte bezügliche 
Litteratur durchgesehen hat, doch mit dem herbeigeschafften Material wenigstens 
einen vorläufigen Überblick der afrikanischen Rechtsbildungen bieten zu können. 
Neben diesem kurz bezeichncten Hauptzweck des Buches, welcher die Juristen 
angeht, erfüllt es, wie der Verfasser mit Recht in der Vorrede hervorhebt 


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noch einen eng damit zusammenhängenden Nebenzweck : den Erforschern des 
schwarzen Erdteils eine Handhabe für die Beobachtung von Rechtssitten zu 
bieten. .Kein Gebiet der afrikanischen Ethnologie ist bis jetzt so kümmerlich 
beobachtet, wie das des afrikanischen Rechts. Da die Grundformen des afri- 
kanischen Rechts von den uns heutzutage geläufigen sehr verschieden sind, so 
ist es schon für den juristischen Fachmann äufserst, schwierig sich in dieselben 
hineinznfinden. Der Laie wird häufig auf vollständige Rätsel stofsen. Ich 
glaube, dafs ein Reisender, welcher die vorliegende Sammlung afrikanischer 
Rechtssitten durohgesehen hat, sich ziemlich leicht in den afrikanischen Rechts- 
anschauungen wird zurechtfinden können, und so wird es ihm dann möglich 
werden, wertvolles Material für eine allgemeine vergleichende Rechtswissenschaft 
herbeizusc.haffen. Solches wird aber noch lange gesammelt werden können, da 
Bastians Weissagung des Untergangs der Formen des wilden Lebens durch das 
Eindringen der europäischen Kultur in Beziehung auf das afrikanische Rechts- 
leben wohl noch sehr lange Zeit keine Anwendung finden wird.“ Um wenigstens 
den Inhalt etwas näher anzudenten, so sei hier folgendes erwähnt. Der erste 
Teil, Allgemeine Lehren, beschäftigt sich zunächst mit den Rechtsfjnellen, sodann 
mit den allgemeinen Grundlagen der sozialen Organisation. Letztero wird in folgen- 
den „Hauptstücken“ behandelt : die geschlechtsgenossenschaftliche, die gau- 
genossenschaftliche und die herrschaftliche Organisation, die Gliederung der 
Bevölkerung in Klassen, Kasten und Stände, endlich die Fremden. Der zweite 
Teil betrifft das Verfassungs- und Verwaltuiigsrecht, also die Verfassungsformen, 
Regierung, Justizverfassung. Finanz- und Kriegsverfassung. Der dritte Teil 
handelt vom Personenrecht, der vierte vom Familienrecht. — Dia Zeit der Ent- 
deckung neuer Ländergebiete in Afrika — eine Aufgabe die gegenwärtig noch 
immer im Vordergrund steht — wird, so dürfen wir hoffen, bald zum Abschlufs 
gelangen, auf die ethnologische Erforschung dürfte dann ein gröfseres Gewicht 
gelegt und von denen, die sich ihr widmen, eine gründliche Vorbereitung ver- 
langt werden. Neben der erforderlichen sprachlichen Vorbildung, die ja nun 
durch das vom Reiche errichtete orientalische Seminar auch für Afrika ge- 
boten wird, wüfsten wir kein Vorstudium, das so sehr alle Verhältnisse einer 
Bevölkerung berührt, wie das der Rechtsverhältnisse. Das Werk von Post 
wird also den künftigen Afrikaforscher nach dieser Richtung auf das Beste 
vorbereiten und mittelbar eine Bereicherung und wo nötig Berichtigung des 
jetzt gebotenen Materials herbeiführen, damit aber den Ausbau der ethno- 
logischen Wissenschaft mehr und mehr fördern. Zum leichtern Gebrauch ist 
das umfängliche (gegen 700 Druckseiten starke) Werk mit zwei Registern 
versehen. 

Tättowieren. Narbenzeichnen und Körperbemalen. Ein Beitrag zur 
vergleichenden Ethnologie von Wilhelm Joest. Mit II Tafeln in Farbendruck, 

1 Lichtdrucktafel und 30 Zinkätzungen nach Originalzeichnungen von 0. Finsch, 
CI. Joest, J. Kubary und P. Preifsler. Nebst Originalmittcilungen von 0. Finsch 
und J. Kubary. Berlin 1887. A. Asher & Co. Der Verfasser ist sich, wie er 
in dem Einleitnngswort sagt, wohl bewnfst. eine erschöpfende Behandlung seines 
Themas zur Zeit noch nicht bieten zu können, dazu würde, wie er meint, ein 
längeres Studium unter den Naturvölkern selbst, wie in den Bibliotheken ge- 
hören. Derselbe beabsichtigt in der vorliegenden Arbeit nur seine, während 




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mehrjähriger Reisen in Amerika. Asien. Indonesien und Afrika gemachten Be- 
obachtungen niederzulegen und dabei zu versuchen, unter Benutzung des 
weiteren ihm bekannten bezw. zugänglichen Materials, die Tättowierung nebst 
deren Vorstufen ztimal von der psychologischen Seite zu behandeln. Bei seiner 
Arbeit erfreute sich der Verfasser der Unterstützung einer Reihe Gelehrter, von 
denen beispielsweise Schaafhausen in Bonn, Audree in Leipzig, Bastion, Grün- 
wedel und Reifs in Berlin, Stübel und Meyer in Dresden, Wilken in Leiden ge- 
nannt seien. Besonders zu statten kam es ihm, dafs ihm zwei Arbeiten von 
ausgezeichneten Kennern der Südsec-Iuseln, Dr. Finscli und Kubary, mit Aqua- 
rellen und Zeichnungen zur Verfügung gestellt wurden und dem Werke ein- 
verleibt werden konnten. Um zunächst einige Worte von den Farbendruck- 
bilderu und Holzschuittdruckeu, die bei einem solchen Werk wichtig, ja unent- 
behrlich sind, zu sagen, so ist der Reichtum und die glückliche Auswahl der- 
selben, sodann deren ausgezeichnete Ausführung hervorzuheben. Neben den 
verschiedenen Tättowicriustrumenten und mannigfaltigen Tättowiermusteru, 
werden uns eine grofse Anzahl Tättowierter, vornehmlich von den Carolinen, 
den Palau- und den Marschalls-Inseln durch Holzschnittdruck im Text vorge- 
führt. Die farbigen Tafeln, elf, veranschaulichen uns, grofsenteils in ganzen 
Figuren, Tättowierte von Neu-Guiuea, den Gilbert-Inseln, Neu- Seeland, Birma 
und Japan, endlich alt peruanische Thongefäfse mit Darstellungen von Tättowierten. 
Jeder Tafel ist ein erklärender Text beigegeben. Dem 112 Quartseiten um- 
fassenden Haupttext des Herrn Joest ist das Nachstehende entnommen. Nach 
einigen Mitteilungen in betreff der vorhandenen Litteratur wird zunächst die allge- 
meine Verbreitung des Gebrauchs, den Körper zu bemalen oder zu tättowieren, 
hervorgehoben: wir finden ihn bei den Hottentotten, den Buschmännern des süd- 
lichen Afrika, bei den Anwohnern des Nil, dos Congo und des Niger, auf Madagaskar, 
in Melanesien und Australien ebenso wie bei den Indianern Süd- und Nord- 
amerikas, ja bei den Grönländern. Unter Tättowieren — von dem tahitischen 
Wurzellaut tau, welches Wunde, verwundet bedeutet — versteht man den Vor- 
gang, gewisse Stoffe auf mechanischem Wege in die Haut eines Menschen ein- 
zuführen, um dadurch möglichst unvergängliche Zeichnungen hervorzubringen. 
Von den dabei zur Verwendung kommenden Farben rot, schwarz, weifs, gelb, 
blau, grün ist rot die bevorzugteste ; dies gilt besonders bezüglich der Indianer 
Nord- und Südamerikas und der Australier. Das Rotschminken der Gesichter 
besonders der Frauen herrscht bei den Europäern. In Asien giebt man viel- 
fach der gelben Farbe den Vorzug. Willkürlich wie die Wahl der Farben ist 
auch die der Zeichnung. Streifen, Ringe, Flecken, Sterne, Vierecke, Schnörkel. 
Arabesken kommen bei Angehörigen eines und desselben Stammes vor. Äulserst 
beliebt sind brillenförmige Zeichnungen um die Augen. Ganz merkwürdig war 
die Sitte mehrerer Stämme an der amerikanischen Küste des Stillen Ozeans, 
sich den nackten Körper stark mit Fett cinzureiben und dann Wolken zartester 
Flaumfedern von wilden Gänsen oder Enten darauf zu blasen, so dafs 
der Betreffende aussah, wie in eng anschliefsendcu Schwanenpelz ge- 
kleidet. Das Warum des Tättowiereus wird auf verschiedene Weise beant- 
wortet. Wuttke sieht darin die Anfänge einer Schrift, andern erscheint es als 
eine heilige oder religiöse Handlung, eine Art captatio bcnevolentiae der Götter, 
deren Schutz sich der Betreffende durch seine Tättowierung empfiehlt, wieder 
andre erblicken darin den Anfang einer Bekleidung. Der Verfasser tritt mit 


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Keinen Erklärungen auf die Seite derer, welche als die nächste Veranlassung 
des Tättowierens die Absicht halten, den Körper vor Kälte, Sonne oder den 
Stichen von Insekten zu schützen. Weiter wollte damit der Wilde dem Feinde 
Schrecken einflöfscn. Ein Hauptgrund war und ist dabei auch wohl der Wunsch, 
sich zu verschönern, dem andern Geschlecht« besser zu gefallen. Der Verfasser 
geht auf alle mit, dem Gegenstände zusammenhängende Fragen und Thatsachen, 
namentlich die Art und Weise der Bemalung und Tättowierung bei den ver- 
schiedenen Völkern, die dabei zur Anwendung kommenden Instrumente u. a. 
näher ein, er bespricht im letzten Abschnitt das Tättowieren der Europäer, der 
Prähistorier, der Griechen und Bömer, die Stellung der christlichen Kirche 
dem Tättowieren gegenüber, das Tättowieren der Verbrecher und hebt hervor, 
dafs das Tättowieren noch heute als Körperschmuck beliebt sei. Vor allem 
sind es Seefahrer und Reisende, Gelehrte und Kaufleute, Pilger und Soldaten, 
die es lieben, zur Erinnerung an ferne Länder eine Probe dortiger Tättowierung 
in die Heimat mitzubringen. 

Derartige Spezialst udien einzelner Themata der Völkerkunde erscheinen 
entschieden förderlich, besonders wenn wie hier, ein reiches Material zur Ver- 
gleichung geboten und keine Mühe, kein Geldopfer gescheut wird, getreue und 
genaue Bilder zu liefern. Kunst und Technik haben bei Herstellung der letztem 
auf das Glücklichste zusammengewirkt. Die Farbendrucke gingen aus dem 
Atelier von C. L. Keller in Berlin hervor. Auch die typographische Ausstattung 
ist rühmend anzuerkennen. Der Verfasser hat sein Werk — mit vollem Recht 
— dem Altmeister der deutschen Völkerkunde. Bastian, gewidmet. 

Ferdinand Hirts geographische Bildertafeln. Eine Ergänzung zu 
den Lehrbüchern der Geographie, besonders zu denen von Ernst von Seydlitz. 
Für die Belebung des erdkundlichen Unterrichts und die Veranschaulichung 
der Hauptformen der Erdoberfläche mit besonderer Berücksichtigung der 
wichtigsten Momente aus der Völkerkunde und Kulturgeschichte, herausgegeben 
von Dr. Alwin Oppel (Bremen) und Dr. Arnold Ludwig (Leipzig). Dritter 
Teil: Völkerkunde. Zweite Abteilung: Völkerkunde von Asien und Australien. 
Mit H00 Holzschnitten nach Originalzeichnungen auf 27 Tafeln und einem 
kurzen erläuternden Text. Breslau. Ferdinand Hirt. Diese zweite Abteilung 
des 3. Bandes der geographischen Bildertafeln, — die 1., „Europa“, erschien 
im Herbst 1886 — stellt die Bevölkerung der Erdteile von Asien und Australien 
dar. Sämtliche Bilder ohne Ausnahme sind neu und eigens für dieseu Zweck her- 
gestellt. Als Vorlagen wurden meist solche Origiiialphotographieen benutzt, 
deren Richtigkeit von besonderen Kennern der betreffenden Gebiete bestätigt 
. war ; nur da, wo Photographien nicht zu erlangen, wurde nach bereits vor- 
handenen Bildern gezeichnet. Für die Anordnung der einzelnen Völker auf 
den Tafeln waren die geographisch-kulturgeschichtlichen Gesichtspunkte mafs- 
gebend. Die erläuternden Bemerkungen sind — auf 66 Quartseiten — weit 
mehr als ihre Bezeichnung besagt. Wenn auch die durch den Charakter als 
„Bildertafeln“ vorgeschriebenen räumlichen Grenzen die Ausarbeitung einer 
erschöpfenden Völkerkunde von Asien und Australien nicht zuliersen. so wurden 
doch die wesentlichsten Gesichtspunkte der Völkerkunde zur Geltung gebracht. 
Um eine gewisse Einheitlichkeit der Anordnung und eine bestimmte Gleich- 
artigkeit der Darstellungsweise zu ermöglichen wurde der Text von dem wissen- 


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schaftlichen llanptleiter der Bildortafeln, Herrn Dr. Oppcl, in Gemeinschaft 
nnd enger Fühlung mit einer Reihe von solchen Spezialforschern hergestellt, 
welche die betreffenden Völker durch eigene Anschauung kennen.. Die Namen 
dieser Mitarbeiter sind im Text vermerkt. Dm in die Art und Weise der An- 
ordnung des Stoffes, wie sie in Gemäfsheit mit den eben hervorgehobenen 
Gesichtspunkten getroffen ist, einen Einblick zu bieten, verzeichnen wir die im 
Anschlafs an die betreffenden Bildertafeln verfafsten Abschnitte: Die Russen 

in Asien. Die Eingeborenen des westlichen Sibiriens. Die Eingeborenen des 
östlichen Sibiriens und des Amurgebiets. Die Steppennomaden und die Städte- 
bewohner Mittelasiens. Die Bewohner Katikasiens, Armeniens, von Kleinasien, 
Kurdistan, Syrien und Mesopotamien, Palästina. Die Araber. Die Bewohner 
Irans: Volkstypen, Volksleben, Erwerbsformen, Bauart der Häuser, Städtcbilder. 
Die Bevölkerung von Vorderindien und Ceylon : Bauten, Erwerbsformen, Kultus- 
leben. Die Bewohner des Himalaja und Hochasiens. Die Bewohner Chinas : 
Volkstypen, Erwerbsformen, Bauten, Volksleben, Städteansichten u. a. Die 
Bewohner von Hinterindien. Die Bewohner von Japan und Korea: Volkstypen, 
Volksleben, Industrie, weltliche und religiöse Bauart u. a. Die Bewohner des 
südostasiatischen Archipels. Die Melanesier und die Polynesier. Die Australier 
(Eingeborene und Eingewanderte). Die „geographischen Bildertafeln“ bilden 
jedenfalls ein wichtiges und wertvolles Hilfsmittel für den Unterricht in der 
Völkerkunde. Der klar und fafslich, dabei sehr anschaulich geschriebene Text 
erhöht den Wert des Werks, namentlich für den Selbstunterricht. 

Kolonial-Litteratur. 

Deutsche Kolonialgeschichte von Max von Koschitzky. 
Leipzig, P. Frohberg, 1888. Zwei Teile, mit in den Text gedruckten Karten. 
Die Herstellung einer umfassenden, zuverlässigen und objcctiv gehaltenen Ge- 
schichte der deutschen Kolonisation in Vergangenheit und Gegenwart darf 
als eine ebenso anziehende als notwendige Aufgabe bezeichnet werden, deren 
Lösung nach Lage der Sache allerdings nicht auf den ersten Wurf in voll- 
befriedigender Weise gelingen kann, zumal wenn man sich die Grenzen so 
weit stockt, wie es der Verfasser des bezeichneten Werkes gethan hat. Denn 
derselbe fafst offenbar den Begriff „Kolonisation“ in dem denkbar weitesten 
Sinne des Wortes auf und versteht also darunter nicht nur die gegenwärtigen 
Kolonien und Schutzgebiete des Deutschen Reiches, sondern auch die Aus- 
breitung der deutschen Nationalität von den ältesten Zeiten bis auf die Gegen- 
wart, beziehentlich auch die früheren wirklichen kolonisatorischen Versuche. 
Demgemäfs hat sich der Verfasser den gesamten Stoff in zwei Abteilungen 
zerlegt, von denen die eine die Vorgeschichte der deutschen Kolonisation um- 
fafst, während die andre sich sowohl auf die Kolonisation des Deutschen 
Reiches als auf die thatsächlich erworbenen Reichsschutzgebiete bis zur Er- 
ledigung des Karolinenstreites bezieht. Die erste Abteilung oder die Vor- 
geschichte dürfte im Verhältnifs zur Gesamtanlage des Werkes etwas zu kurz 
ausgefallen sein; meines Erachtens wenigstens weist Bie mehrere entschiedene 
Lücken auf. Denn wenn Gegenstände, wie die Kolonisierung Curlands, Livlands 
nnd Preufsens besprochen wurden, so mufste auch der Ausbreitung des Deutschtums 
in den Slavenländern die gebührende Rücksicht gezollt werden und wenn ferner 
die Deutschen Kolonien in Rufsland Erwähnung fanden, so durften anderseits 

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die deutschen Sprachinseln in Galizien. Ungarn. Österreich n. a. nicht über- 
gangen werden. Diese Andeutungen mögen genügen, um zu zeigen, dafs die 
erste Abteilung der deutschen Kolonialgeschichte keine vollständige Vorgeschichte, 
sondern nur eine Reihe von Beiträgen enthält, die. unter sich verglichen, eine 
nicht ganz gleichmäfsige Behandlung zeigen. Dafs aber der Verfasser das Be- 
streben gehabt hat. die verschiedenartigen Aufsenwirkungen des deutschen 
Volkes zur Geltung zu bringen, mnfs im Hinblick auf seine Kapitel über die 
Auswanderung, die Heidenmission, die Marine, den Handel u. m. a. entschieden 
anerkannt werden. Weit umfangreicher und ausführlicher ist die zweite Ab- 
teilung der Kolonialgeschichte. Hierin findet man einerseits alle die Ereignisse 
und Vorgänge, welche zur Erwerbung von Reichsschutzgebicten führten, 
besonders auch die darauf bezüglichen diplomatischen und parlamentarischen 
Verhandlungen mit einer fast mehr als wünschenswerten Ausführlichkeit ans- 
einandergesetzt. anderseits sind die in Frage kommenden Erwerbungen nebst 
der Art ihrer Besitzergreifung im einzelnen besprochen. Man mufs mit Bezug 
darauf anerkennen, dafs der Verfasser ein sehr reichhaltiges, wenn auch nicht 
unbedingt vollständiges Material znsammengetragen hat, welches dadurch an 
Wert gewinnt, dafs in vielen Fällen die betreffenden Aktenstücke wortgetreu 
mitgeteilt sind. Die in den Text gedruckten Kärtchen bieten zwar nichts neues, 
entheben aber die Leser in den meisten Fällen des Nachschlagens und Auf- 
suchens im Atlas. A. 0. 

The Dawn of British trade to the East Indies as recorded in the 
Court Minutes of the East India Company 1598 — 1603 with an introduction 
by Sir G. Birdwood. London, H. Stevens. 1886. Das im Original im Archiv 
des East India Office in London verwahrte Manuskript, welches in der zur 
Zeit der Königin Elisabeth gesprochenen englischen Sprache genaue amtliche 
Auskunft über Entstehung und Wirken der ostindischen Kompanie, sowie über 
die ältesten von den englischen Küsten nach Ostindien unternommenen Fahrten 
enthält, wurde von H. Stevens im Archiv gleichsam wieder entdeckt und ist 
begreiflich von hohem Wert für die Geschichte der ostindischen Kompanie, 
der Entfaltung des englischen Seehandels und Kolonialwesens überhaupt. Da- 
neben ist noch ein zweites in dem Buch enthalten, das zur Geschichte der 
Polarreisen gehört, nämliah: genaue Mitteilungen über Kapt. Waymouths im 
Aufträge der ostindischen Kompagnie unternommene Reise zur Aufsuchung der 
Nordwestpassage. Dieselben ergänzen in vieler Beziehung die in dem berühmten 
Sammelwerk „Purchas, Pilgrimes“ über bedeutende und merkwürdige Reisen 
in früherer Zeit und so auch über die Unternehmungen des Kapt. Waymouth 
nach dessen Schiffsjournalen gegebenen Nachrichten. 

Dagh-Register gehouden int Casteel Batavia vant passerende daer te 
plaetse als over geheel Nederlandts-India Anuo 1640 — 1641. Uitgegeven door 
het Bataviaasch Gcnootschap van Künsten cn, Wetenschappen, met medewerking 
van de Nederlandscli-Indische Regeering en onder toczicht van Mr. J. A. 
van der Chijs. ’sHage. Nijhoff, Batavia, Landsdrukkerij. 1887. Zu den 
wichtigsten Quellen der Geschichte der nioderländisch-ostindiscken Kom- 
panie gehört, wie der Herausgeber dieses über 500 Seiten starken Werks im 
Vorwort bemerkt, ohne Zweifel das Bataviasche Tagregister, eine Chronik, in 


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— 363 — 


welcher täglich mul ausführlich alle merkwürdigen Vorfälle von Batavia und 
die dort einlaufenden Berichte notiert sind. Viele Beschlüsse und Verfügungen 
der Kolonialregierung, deren originale Ausfertigung verloren ging, sind wört- 
lich oder wenigstens im Auszug in dieser Chronik enthalten. Im Archiv zu 
Batavia sind von diesem Register die Originale bis auf das hier abgedruckte 
älteste in 131 Folianten enthalten. Im Reichsarchiv in Haag sind aber noch 
eine Reihe älterer, bis auf 1624 zurück, vorhanden. Die vorliegende Ausgabe 
wurde durch Darbietung der erforderlichen Mittel seitens der niederländischen 
Regierung und der oben genannten verdienstvollen Gesellschaft ermöglicht. 
Mit verschiedenen Lücken reicht das in Haag und in Batavia vorhandene Tag- 
register bis auf 1807 herab. Eine Herausgabe im Druck erscheint dem Heraus- 
geber nicht nur zur Verbreitung der Kunde der Kolonialgeschichte wünschens- 
wert, sondern vor allem deshalb, weil die zum Teil nur in einzigen Exemplaren 
vorhandenen Originale vom Zahn der Zeit sehr gelitten haben und durch einen 
unglücklichen Zufall ganz verloren gehen könnten. Er verzichtet darauf, es zu 
erleben, dafs sämtliche Bände zum Druck gelangen, doch will er getrost den 
Anfang machen in der Hoffnung, dafs die Fortsetzung folgen werde. 

Karte. 

Karte der deutschen Wasserstrafsen, unter besonderer Berück- 
sichtigung der Tiefen- und Schleusenverhältnisse, im Aufträge S. E. des Herrn 
Ministers der öffentlichen Arbeiten in Preufsen herausgegebeu. Unter Benutzung 
der Liebenowschen Karte von Zentralenropa, nach amtlichen Quellen bearbeitet 
von S y m p h o r und M a s c h k e , Königlichen Regierungsbaumeistern. 4 Blätter, 
koloriert. Mafsstab: 1:1250 000. Preis 7 50 Verlag des Berliner 

lithographischen Instituts (Julius Moser). Die Karte bietet ein übersichtliches 
Bild des ausgebreiteten Schiffahrtsnetzes Deutschlands und dürfte nicht nur 
dem Handel und Verkehr von Nutzen sein, sondern auch in weiteren Kreisen 
mit Interesse begrüfst werden. Um die Benutzbarkeit der Schiffahrtswege leicht 
ersehen zu können, sind die Fahrtiefen durch mafsstäblich aufgetragene Bänder 
dargestellt und die zu durchfahrenden Schleusen nach Gröfse und Anzahl 
anfgeführt. Verschiedene Färbung läfst es erkennen, ob eine Schiffahrtsstrafse 
ein vorzugsweise von Natur schiffbarer oder ein kanalisierter Flufs' oder ob 
dieselbe als künstlicher Kanal ausgebildet, ist. Die Grenzen der See- und 
Flufsschiffahrt sind bezeichnet und ferner sind die nicht schiffbaren, aber zur 
Flöfserei benutzten Wasserläufe hervorgehoben. Die Längen der Wasserwege 
sind durch Ent.fernungszahlen angegeben. Durch Hinzufügen des gleichfalls 
eingetragenen gesamten Eisenbahnnetzes bietet die Karte eine Übersicht über 
die Hauptverkehrsstrafsen Deutschlands zu Wasser und zu Lande. Selbst- 
verständlich sind sowohl der in der Ausführung begriffene Nord-Ostsee- 
Kanal, wie der projektierte Rhein-Ems-Kanal eingetragen. 


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364 — 


Es sind ferner bei der Redaktion zur Besprechung eingegangen: 
Statistische Skizze der europäischen und amerikanischen Staaten nebst den 
auswärtigen Besitzungen der erstercn. Von Professor I)r. H. Brachelli. 
2 Abteilungen, Leipzig 1887, llinrichs. 

Die Theekultur in Britiseh-Ostindien von Dr. O. Feistmantcl. Prag 1888, J. G. 
Calve. 

Daniel Veth’s Reizen in Angola von Professor Dr. P. J. Veth und J. F. Snellmau. 
Hartem 1887, H. D, Tjeenk Willink. 

Ontdekkers en Omlerzoekers von Professor Dr. P. J. Veth. Leiden 1884, 
II. J. Brill. 

Segelhandbuch für die Nordsee. Deutsche Bucht der Nordsee. Dänische Küste 
von Hanstholm bis Bibe. Holländische Küste von der Ems bis Terschelling. 
Herausgegeben vom hydrographischen Amte der Kaiserlichen Admiralität. 
Erster Teil, 3. Heft, mit einer Tafel und 77 in den Text gedruckten 
Holzschnitten. Berlin 1886. In Kommission bei D. Reimer. 

Die Provinz Hannover in Geschichts-, Kultur- und Landschaftsbildern. In Ver- 
bindung mit C. Diercke, A. Ebert, E. Görges, F. Günther, W. Hering, 
L. Rosenbusch und A. Steinvorth herausgegeben von Johannes Meyer 
Erster Halbband mit 48 Abbildungen im Text und je einem Vollbild und 
Doppelvollbild. Zweite vollständig umgearbeitete und erweiterte Auflage. 
Hannover, Carl Meyer, 1887. 

Forschungen zur deutschen Landes- und Volkskunde, herausgegeben von Pro- 
fessor Dr. Kirchhoff. Zweiter Band, Heft 4 : Gebirgsbau und Oberflächen- 
gestaltung der sächsischen Schweiz. Von Dr. A. Hettner. Mit einer 
Karte, einer Figurentafel und sechs Figuren im Text. Stuttgart 1887, 
J. Engelhorn. 

Geographische Abhandlungen herausgogeben von Professor Dr. Albrccht Penck 
in Wien. Band I. Heft 1 : Die Vergletscherung der Salzachgebiete von 
Dr. E. Brückner. Heft 2: Orometrio des Schwarzwaldcs von Professor 
Dr. E. Neumann. Heft 3:. Einteilung der Ostalpen von Dr. A. Böhm. 
Band II. Heft 1: Die Pamirgebiete von Dr. W. Geiger. Heft 2: Die Ver- 
teilung des Luftdrucks über Mittel- und Südeuropa von Direktor J. Hann. 
Wien, E. Holzel, 1886 und 1887. 

Die Besprechungen werden in einem der nächsten Hefte erfolgen. 


•EX<3- 


> 


Druck ron Carl Schünemann, Bremen, 


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J. G. 

Iman. 

1884, 

Küste 

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alität. 

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Pro- 

chen- 

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1887, 

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Hann. 


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Santi i 


Übersicht der HSlienverhälUasae 
Eisenbaimen. 

Vbli 

ascobkl. 

Mafsstab 1.15000000. 


TlVvntrü/ 


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Bund X. Taf. 1. 



Erhebungen vuu 
Obis 500 Meter 


500 - 1000 


2000 - 3000 



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Geograph. Aniitalt v: Wagner i.Debt*8,Leipri 3 • 


Ö s 1 1 ich 5 . 


Commissionsverlag van fiu.v 

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Karte des südwestlichen Theiles 

von 

T I MJ 0 R , 

Zur Übersicht von Dr J. G-.F.Biedels Beiseroule. 
Alaßstab 1:1000000 

? ■■■ <!■ ■ ■■■■■ff — tf Kilometer, 

fc 4 i f 4«» gut »che Meilen. 


. -Die Route des Reisenden . 


T I M 0 R S E E 


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