Sturmflut
Henryk
Sienkiewicz
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Sturmflut
Sturmflut
Hiftorifcher Roman
von
benryk Sienkiewicz
—
Autorifierte Überfegung
von
Clara Hillebrand
— — —
— Zweiter Band —
Zweite Auflage
IB
STILLE m ELLE
Feipzig
Derlag von ®. Gradlauer
1900
Slay 7123.1.7964.5
vV
HARVARD
UNIVERSITY
LIBRARY
z. er 8
Niertes Buch.
35
l. Kapitel.
Kmiziz und die drei Kiemlitjche eilten jo ſchnell jie fonnten
der jchlefischen Grenze zu. Sie ritten dabei vorfichtig, um nicht
einem jchwedischen Vortrabe zu begegnen, denn wenn auch die
Kiemlitjche mit Päſſen von Kuklinowski und Miller wohl ver-
jehen waren, jo wurden doch im jener Zeit jelbit folche Leute,
die jich genügend ausweiſen fonnten, angehalten und auf das
Strengite ausgeforjcht. Solches konnte aber für Herrn Andreas
und jeine Gefährten einen jchlimmen Ausgang haben. So
eilten jie denn über die Grenze, um ein Stüd in das Innere
des deutjchen Kaijerreich® zu gelangen, denn jelbjt unweit der
Grenze innerhalb desjelben war man vor jchwedijchen Streif-
züglern noch nicht ficher. Es jtrichen oft ganze Reiterabteilungen
bis in das Innere des Schlejierlandes, um diejenigen aufzu-
fangen, welche zu Johann Kafimir wollten. Die Kiemlitjche
aber hatten während der Zeit ihres Aufenthaltes bei Tſchen—
ſtochau durch ihre Bejchäftigung, einzelnen Schweden aufzu=
lauern, alle Grenzwege und Stege genau fennen gelernt, weil
dort immer die reichite Beute zu finden war. Große Ber-
änderungen waren num vorgegangen. Ueberall Hatten die
Schweden Niederlagen erlitten; es war ein baldige® Ende der
Schwedenherrichaft in Polen zu erwarten. Das polnijche Heer
war der jchwedischen Stameradjchaft überdrüſſig. Diejenigen
Regimenter, welche ihre Hetmane früher mit dem Tode be-
drohten, wenn jte ſich micht mit den Schweden vereinigten,
jandten jet Deputationen zu ihnen, mit der Bitte, die Nepublik
aus der Gefahr zu retten, indem fie den Eid leilteten, bis zum
Sienkiewicz, Sturmflut II. 1
2
Tode ihnen darin beizujtehen. Cinige Hauptleute hatten jogar
allein mit der Auflehnung gegen das Schwedenregiment be⸗
onnen. Zuerſt waren es die Herren Zegozki, der Staroſt von
omſt, und Herr Kuleſcha. Dieſe hatten in Großpolen einen
Krieg im kleinen angefangen und den Schweden tüchtig zugeſetzt.
Vom ſtehenden Heere war das Regiment, deſſen Führer Herr
Woynillowitſch war, von den Schweden zuerſt abgefallen.
Auch die Gebirgsbewohner lehnten ſich jetzt gegen den
Feind auf. Von den ſchwediſchen Abteilungen, welche man
ihnen in das Gebirge nachſandte, war nicht ein Mann zurück—
efommen. Herr Woynillowitſch ſandte den armen Bauern
Siffe: er jelbit war zum Marjchall Lubomirsfi gegangen und
hatte ſich mit feinen Truppen vereinigt.
Die Belagerung Tichenjtochaus hatte das ganze Neid)
gegen die Schweden erbittert. Das Heer, der Adel jchlug jte
Ichon, wo fie fich finden ließen, die Bauern rotteten jich zu—
fammen und die Tartaren, der Chan in eigener Perſon an der
Spite, famen in Eilmärjchen hergezogen. Nadziwill wurde von
Sapieha bedrängt und allmählich unjchädlich gemacht. Bald war
Kmiziz in Schlefien. Die Landitragen wimmelten von Reijenben,
die Schenken und Wirtshäufer waren überall überfüllt. Die
einen flohen aus den angrenzenden Landesteilen der Republik
in das Innere des Nachbarlandes, die anderen zogen wieder
der Grenze zu, um Nachrichten über den Stand der Dinge im
DVaterlande einzuziehen. Von Zeit zu Zeit traf Kmiziz auch
jolche, welche, der Schwedenherrichaft überdrüfjig, eilten, ihre
Dienjte dem vertriebenen Könige anzubieten. Hier und da be-
gegnete er jogar jchon ganzen Abteilungen Soldaten und ganzen
Zügen Adliger, welche teils freiwillig, teil® auf Grund der mit
den Schweden getroffenen Vereinbarungen die Grenze über-
ſchritten hatten, wie z. B. die Abteilung des Herrn Kajtellan
von Kijow. Sie zogen ſich jekt zujammen; die Nachrichten aus
der Nepublif hatten den Mut diejer „Erilierten“ von neuem
entfacht; jie trafen num eifrige Vorkehrungen zur Rückkehr unter
die Waffen. In ganz Schlefien wogte es. Bejonders rege ging
e3 in den Herzogtümern Natibor und Oppeln zu. Dort flogen
die Kuriere hin und her. Es entwidelte jich ein lebhafter
Briefverfehr zwischen dem Könige, dem Stajtellan von Kijow,
dem Kardinal-Primas von Polen, dem Kanzler Koryzinsfi und
dem Kaſtellan von Krakau, Herrn Warſchyzki, welcher feinem
föniglichen Herrn nicht einen Mugenblid untreu gevorden war.
Alle dieje Herren jegten jich untereinander in Verbindung. Im
3
Einvernehmen mit der großherzigen, im Unglüd an Mut un—
erjchütterlichen Königin wurden Verhandlungen mit angejehenen
Perjönlichfeiten im VBaterlande wieder angefnüpft, von deren
Königstreue man überzeugt war. Auch der Kronen-Marichall,
die Hetmane und viele vom hohen Adel beeilten jich, durch Eil-
boten den König willen zu lafjen, daß auch fie die Erhebung
gegen die Fremdherrſchaft vorbereiteten.
Wieder jtand die Republik Polen am Borabende eines
allgemeinen Krieges. Die Schweden unterdrücten zwar jtellen-
weie die Flammen der Auflehnung gegen die Gewaltherrichaft
noch, bald durch die Gewalt der Waffen, bald mit dem Henkers—
ichwert, aber war e3 an einer Stelle gejchehen, da ſtiegen jie
an anderer Stelle jchon wieder in die Höhe Ein jchrecdlicher
Sturm bereitete ſich gegen die jfandinavischen Eindringlinge
vor. Der Boden, obgleich jchneebededt, brannte ihnen ſozuſagen
unter den Füßen. Drohungen und Nachegejchrei tönte ihnen
rings entgegen, jchredte und ängjtigte fie.
Wie betäubt jchlichen fie umher. Die Siegeshymnen, welche
noch unlängjt von ihren stehlen erflangen, waren verjtummt,
und verwundert frug einer den anderen: „Sit das denn das—
jelbe Volk, welches noch vor wenigen Tagen jeinen eigenen
Herrn verlafjen, um fampflos ji) uns zu ergeben?“
Waren doch thatjächlich die polnischen Herren, der Abel,
das Heer mit im der Gejchichte der Völker ganz unerhörter
Bereitwilligfeit in das Lager der Sieger übergegangen, hatten
ihnen die Thore der Städte, der Velten und Burgen freiwillig
geöffnet. Nie war wohl ein ganzes Land leichter unterworfen
worden, als dieje Nepublif. - Ohne Blutvergießen, ohne An—
jtrengung war jie den Schweden in den Schoß gefallen. Die
Sieger jelbit, erjtaunt über die Leichtigfeit des errungenen
Sieges, fonnten den Befiegten, welche beim erjten Erjcheinen
des jchwedischen Banners ihren angeitammten König, das Vater-
fand verleugnet hatten, um in geträumter Ruhe und Wohlleben
ihr Dajein hinzubringen, ihre Verachtung nicht verbergen. Das,
was jeiner Zeit Wrejtjchowitjch dem Kaiſerlichen Gejandten Lijola
gejagt hatte, das wiederholten jpäter alle jchwedischen Generale,
ja der König jelbit: „Diejes Volk bejit weder Mut, noch Treue,
weder Glauben, noch Baterlandsliebe, noch Sinn für geordnete
Verhältnifje; — es muß zu Grunde gehen!“
Man hatte nur eines vergejlen, man wußte nicht, daß
ein Gefühl ihm inne wohnte, dejjen irdiſcher Ausdruck Tſchen—
1*
4
jtochau, der heilige Berg war. Und diefem Gefühl entjprang
die Wiedergeburt dieſes Volkes.
Der Donner der Gejchüge bei Tichenjtochau hatte einen
nachhaltigen Widerhall gefunden in den Herzen der Magnaten,
des Adels, der Städter und Bauern. Ein Schrei der Ent-
rüftung war ertönt von den Karpaten bis zum baltischen Meere,
der Rieſe war aus feiner Erjtarrung erwacht!
„Das ijt ein anderes Volk!“ — fagten jet verwundert die
jchwedischen Generale.
Und alle, von Arwid Wittenberg angefangen, bis zu den
Kommandanten der Eleinjten Burgen, jandten fie Boten zu
dem in Preußen befindlichen Karl Gujtav mit der Schredens-
botjchaft.
Der Boden jchwand ihnen unter den Füßen. An Stelle
der früheren Freunde fanden fie überall nur Feinde, ftatt der
Unterwerfung, Widerjtand, jtatt Furcht, wilden Mut, jtatt janfter
Duldung, Barbarismus, jtatt Ergebung, Racheluft.
Unterdejjen flog in der ganzen Republik von Hand zu
Hand das Manifeit Johann Kafimirs, welches ſchon früher
von Schlejien aus erlafjen, vor der Belagerung von Tſchen—
jtochau gar feine Beachtung gefunden hatte. Seht fonnte man
feine Abjchrift überall finden. Wo irgend der ſchwediſche Arm
nicht Hinreichte, da jammelte jich der Adel, da rottete fich das
Bolf zujammen, um den Worten des vertriebenen Königs zu
laufchen, welche dem Volke alle jeine Sünden und Fehler vor-
haltend, dennoch mahnten, Die Soffnung nicht aufzugeben und
zur Rettung der jo gejunfenen Republik ſich aufzuraffen.
„Es iſt noch Zeit,“ jchrieb Johann Kaſimir, „die ver-
(orenen Provinzen und Städte zurüdzugewinnen, die Kirchen—
Ihändungen durch Feindesblut zu rächen und Freiheit, Ordnung
und Necht nach altpolnifcher Weiſe wieder herzujtellen, wenn
ihr die alten polnischen Tugenden, die alte, unjeren Vorfahren
eigene, jo herzgewinnende Königstreue und Waterlandsliebe
wieder erweckt, durch welche unſere Ahnen ſich ſtets vor anderen
Völkern auszeichneten. Eure Nusjchreitungen haben euren
Tugendjinn abgejtumpft. Wem Gott und jein Glaube über
alle irdiichen Güter wert it, der erhebe jich gegen den ſchwe—
diſchen Feind. Wartet nicht, bis die Wojewoden und Feldherren
nach alter Staatsordnung euch zur Erhebung aufrufen, denn
eure Zuvorfommenheit und Bereitwilligfeit, dem Schwedenkönig
den Treueeid zu leiten, haben die alte Ordnung über den
Haufen geworfen. Sammelt euch zu Zweien, Dreien, Vieren,
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Fünfen; verpflichtet euch gegenjeitig, daß ein jeder mit jeinem
Geſinde fich einfinde, wo euer gutes Necht Widerjtand gegen
den Feind erheijcht. Dann wählt einen Führer. Eine jolche
Vereinigung ſchließe jich der anderen an, bis ein genügend
großes Heer ſich gejammelt hat, über welches dann ein Komman—
dierender zu wählen ijt. Wartet Unjere Ankunft ab, aber
unterlaßt inzwijchen feine Gelegenheit, den Feind zu schädigen.
Sobald Wir auch nur den geringiten Beweis von eurer Treue,
eurem Entgegenfommen und eurer Zuneigung erfahren, werden
Wir fogleich zu euch eilen und Unjer Gut und Leben freudig
zur Wiederherjtellung der Ehre und des Ruhmes des Bater-
landes darbieten!“
Dieſes Manifejt wurde überall verlejen, jogar im Haupt-
quartier Karl Gujtavs, im Lager der Schweden und überall,
wo nur ein polnisches Fähnlein bei den Feinden jtand. Die
Herren und der Adel hörten mit Thränen jedes dieſer könig—
lihen Worte, fie bedauerten ihren guten Herrn und jchwuren
auf das Kruzifix und ihre Schwerter, jeinen Willen treulich
zu erfüllen.
Um aber von dieſer Willensbereitjchaft einen Beweis zu
liefern und zu zeigen, wie groß die Begeijterung ſei, griff man,
noch ehe die Thränen getrodnet waren, zur Waffe, ſchwang ſich
aufs Pferd und jchlug auf die Schweden los.
So kam es, dat Fleinere jchwedijche Abteilungen fait ſpur—
[08 zu verjchwinden begannen. Alſo gejchah e8 in Litauen, in
Smudz, Mafowien, in Groß» und Stleinpolen. Es ereignete jich
häufiger, daß eine größere Anzahl Adlige, welche bei den Nach—
barn zu einem Namensfeſte, einer Taufe, Hochzeit, oder einer
geſelligen Zuſammenkunft, ohne jede kriegeriſche Abſicht ſich ver—
ſammelt hatten, das Feſt damit beſchloſſen, daß ſie in einer
Weinlaune plöglich zu den Schwertern griffen, auf die Pferde
Iprangen und das nächte bejte jchwediiche Kommando nieder-
meßelten. Einmal im Zuge, ritt dann die Gejellichaft unter
Geſang und Bivatrufen nach vollbrachtem Werk weiter, unter-
weg3 alle diejenigen, welche Luſt hatten mitzuziehen, aufgreifend,
und jo zu einem Haufen blutgieriger Partifanen angewachjen,
zogen jie dann durchs Land, überall Krieg anfachend. Die
leibeigenen Bauern und das Geſinde ſtrömte haufenweiſe herzu,
um ſich ihnen anzuſchließen. Sie brachten in der Regel die
Nachricht mit, wo einzelne ſchwediſche Wachtpoſten oder kleinere
feindliche Abteilungen unvorſichtig in Dörfern oder Meilern
ſtationiert waren. Die Zahl dieſer ſogenannten Vergnügungs—
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zügler mehrte ſich täglich. Die angeborene Heiterfeit und
öantafie dieſes Volkes mijchte frohe Gelage und blutige
Kämpfe untereinander. Man liebte es, ald Tartaren verkleidet
im Lande umbherzuziehen, da man wußte, daß jchon der bloße
Name „Zartar“ die Schweden zu jchreden vermochte. Es
freijten im jchwedifchen Heere die wunderlichiten Gerüchte von
der Graujamfeit und dem Barbarismus dieſer Söhne der
Krimſchen Steppen, welche die Sfandinavier noch nie gejehen
hatten. Da nun allgemein befannt war, daß der Chan mit
hunderttaujend Mann jeiner Horden dem Könige Johann Kaſimir
zu Hilfe eile und die Polen das Schlachtgejchrei der Tartaren
nachahmten, wenn fie die Schweden überfielen, jo entitand eine
wahre Panik unter ihnen.
Die jchwedilchen Hauptleute und Slommandanten waren
wirklich überzeugt, daß die Tartaren jchon da feien und be—
annen fich eiligjt in die größeren Feſtungen und Lager zu
onzentrieren, überall Hin die Schredensfunde von dem Heran—
nahen der Tartaren verbreitend. Das war gut, denn es wurden
dadurch ganze Länderjtriche frei, in welchen ſich nun die [oje
umberziehenden — ſammeln und zu einem regelrechten
Heere formieren konnten.
Doch gefährlicher als die Freizügler und ſchreckhafter als
ſelbſt die Tartaren, war für die Schweden der Bauern-Aufſtand.
Längſt jchon, gleich vom erjten Tage der Belagerung von Tjchen-
jtochau an, hatte es im Volke zu gähren begonnen. Die jtillen,
geduldigen Acdersleute hatten angefangen, den Forderungen der
Feinde Widerjtand zu leiften und hier und da ihre Senjen zu
jchwingen, um fie zu föpfen. Die verjtändigeren Generale be—
obachteten diejes heraufziehende Unwetter mit großer Bejorgnis;
e3 konnte ſich plöglich, einer Sturmflut gleich, über das Land
ergießen und die Eindringlinge verjchlingen.
Als geeignetites Mittel, diefe Gefahr in ihrem Entitehen
zu vernichten, jchien ihnen der Schreden. Sie bedrüdten die
Bauern auf die jchredlichite Weije, um ihnen Furcht einzujagen.
Karl Guftav war zwar ſehr gnädig und jchmeichelte den
polnischen Fahnen, welche ihm nach Preußen gefolgt waren, in
liebevolliter Weife. Er that auch fein Möglichites, um jich dem
Herrn Fahnenträger Koniezpolsfi, dem berühmten General-
Negimentar von Sbaraſch, angenehm zu machen. Diejer jtand
mit jechstaufend Neitern ihm zur Seite, welche bei dem eriten
feindlichen Zujammentreffen mit dem Kurfürjten eine folche
Berheerung unter den Preußen angerichtet hatten, daß der
7
Kurfürft den Kampf aufgeben und den Weg der Verhandlungen
bejchreiten mußte.
Der König von Schweden hatte auch Briefe an die —*
mane, den Adel und die Magnaten abgeſandt, welche ſehr
nädig allerhand Verſprechungen und Aufmunterungen ent—
— um ſie zum Halten der Treue zu bewegen. Gleichzeitig
aber erteilte er Befehl an alle Generale und Kommandanten,
alle Widerſpenſtigen und allen Widerſtand im Lande mit
Feuer und Schwert zu unterdrücken, namentlich aber die
Bauern auszurotten. Von da ab hörten die Schweden auf,
den Schein der Freundſchaft aufrecht zu erhalten, ein eiſernes
Regiment brach an. Das Feuer, das Schwert, Raub und
Mord traten an die Stelle geheuchelten Wohlwollens. Die
Feſtungen und befejtigten Schlöfjer jandten Reiterabteilungen
zur Verfolgung der ;jreizügler aus. Ganze Dörfer wurden
der Erde gleichgemacht; Höfe, Kirchen os Brobjteien ver-
brannt, die gefangenen Adligen den Henfersfnechten überliefert,
den gefangenen Bauern aber die rechte Hand abgehauen, worauf
man fie entließ.
Am graujamjten verfuhren die Schweden in Großpolen,
welches jo, wie es ſich zuerjt ergeben, auch zuerjt wieder fich
gegen die Fremdherrſchaft erhoben hatte. Dort ließ der General
Stein eine® Tages Ddreihundert Bauern föpfen, welche man
mit den Waffen in der Hand gefangen hatte. In den Städten
wurden Galgen aufgerichtet, welche für immer jtehen blieben
und täglich) mit neuen Opfern behangen wurden. Aehnlic)
verfuhrt Magnus de la Gardie in Litauen und Smudz, wo
zuerjt die Höfe, dann die Bauern zu den Waffen griffen. Da
e3 num jchwierig war, zu unterjcheiden, wer den Schweden
Freund, wer Feind war, jo wurde niemand gejchont.
Doc) das Feuer, welches mit Blut gelöjcht werden follte,
erlofch nicht. Es loderte immer heftiger, immer weiter, und
erbitterter entbrannte der Krieg, in welchem es beiden Gegnern
nicht mehr um den Gewinn von Ehre, Schlöfjern und Städten
zu thun war. Es wurde ein Krieg auf Tod und Leben. Die
ſchwediſche Graufamfeit hatte den Haß der Gegner entjacht,
man fämpfte nicht mehr, jondern man jtrebte, ſich gegenjeitig
zu vernichten ohne Erbarmen.
a
2. Rapite,
Diejer Vernichtungsfrieg war eben in jeinen Anfängen
ausgebrochen, als Herr Kmiziz mit dem alten Kiemlitſch und
deſſen beiden Söhnen in Glogau anlangte. Der Weg war
mühevoll und langjam gewejen, denn die Gejundheit des jungen
Helden war jtarf erjchüttert. Sie famen nachts am Ziel ihrer
Neife an. Die Stadt war jo überfüllt von Soldaten, Herren,
Adligen, Föniglichen und anderen Bedienjteten, die Herbergen
alle bejegt, jo daß der alte Kiemlitjch nur mit großer Mühe
ein Unterfommen für feinen Seren bei einem Geiler fand,
welcher jchon außerhalb der Stadt wohnte.
Den eriten Tag verbrachte Herr Andreas auf jeinem Lager
im beftigiten Wundfieber. Zuweilen dachte er, eine jchiwere
Krankheit werde ihn befallen, jeine Fräftige Natur aber half
ihm das Fieber bewältigen. Während der darauf folgenden
Nacht bejjerte jich fein Zuſtand. Am nächjten Tage jtand er
jchon früh auf und ging in die Pfarrfirche, um Gott für jeine
wunderbare Rettung zu danfen.
Der Morgen war grau und dämmerig; es jchneite. Die
Stadt lag noch jtill im Schlummer, aber durch Die offene
Kirchenthüre fonnte man die Lichter auf dem Altar brennen
jehen und die vollen Klänge der Orgel hören.
Kmiziz trat in das Innere der Kirche Am Altar
zelebrierte der Geijtliche die Votive; nur wenige Betende noch
befanden ich darin. In den Bänken fnieten einige Gejtalten,
welche ihre Angefichter in den Händen verbargen. Außer diejen
gewahrte Herr Andreas, als jein Auge fi) an das Dunkel
9
gewöhnt hatte, eine dicht vor den Kommunionbänfen zu Kreuz
liegende Gejtalt. Hinter ihr mieten zwei halberwachjene Knaben
mit rojigen, engelsjchönen Kindergefichtern. Der Mann, welcher
dort lag, verharrte regungslos, nur einzelne jchwere Seufzer,
welche jich feiner Bruſt entrangen, ließen erraten, daß er wache
und mit voller Inbrunſt bete. Auch Kmiziz betete aus voller
Seele, doch wider Willen zog die auf dem Boden ausgejtredte
Gejtalt jeine Blide immer wieder an, zuleßt fonnte er jie gar
nicht mehr von derjelben losreißen. Beim gelben Lichte der
Kerzen konnte er nun auch allmählich deutlicher die Umriſſe
erfennen.
Die Kleidung des Mannes ließ auf eine Perſon von
Nang Schließen, ebenjo der Umjtand, dat alle Anwejenden, den
Geiftlichen nicht ausgenommen, ihre Blicke zuweilen voll Ehr-
furcht auf ihn richteten. Der Unbekannte war ganz in jchwarzen
Sammet gekleidet, welcher mit Zobelpelz gefüttert umd bejett
war. Nur die Schultern wurden von einem breiten weißen
Spigenfragen bededt, unter welchem die Glieder einer goldenen
Kette hervorjchimmerten; ein jchwarzer Hut mit breiter Krämpe
und mit jchwarzen Federn geſchmückt, lag neben ihm. Ciner
der Hinter ihm fnieenden Pagen aber hielt jeine Handjchuhe
und einen blaugejchmelzten Säbel. Das Gejicht des Un—
befannten fonnte Kmiziz nicht jehen, es war halb in den
alten des Fleinen Teppichs verborgen, auf welchem er lag,
und die herabfallenden Loden einer üppigen Perücke verdeckten
e3 vollends.
Herr Andreas rüdte jo nahe als möglich, um, wenn der
Unbefannte aufjtand, jein Geficht jehen zu können. Unterdeſſen
näherte die Botive ji) ihrem Ende; der Geiftliche fang jchon
dag pater noster. Die Kirche begann jich mit Menjchen zu
füllen, welche der bald darauffolgenden zweiten Meſſe bewohnen
wollten. Es wurde etwas Gedränge. Da jtieß Kmiziz einen
neben ihm jtehenden Edelmann an und flüjterte:
„Verzeiht, Ew. Liebden, wenn ich eure Andacht jtöre, aber
meine Neugierde ilt zu groß. Wer ijt jener dort?“ Cr zeigte
mit den Augen hinüber nad) dem auf dem Boden Liegenden.
„Ihr müßt von jehr weit hergefommen jein, daß ihr das
nicht wüßt,“ entgegnete der Edelmann.
„Das ift es eben,“ jagte Kmiziz. „Deshalb frage ich, in
der Hoffnung, daß meine Frage an einen Menjchenfreund ge—
richtet ift, welcher mir die Antwort nicht jchuldig bleibt.“
„Es iſt der König!“
10
„Beim lebendigen Gotte!“ rief Kmiziz.
In diefem Augenblid erhob der König fich, denn der
Geijtliche verlas das Evangelium.
Herr Andreas erblidte ein hageres, leidend ausjehendes
Antlig, jo gelb, wie das Wachs der Kerzen auf dem Altar.
Die Augen des Königs waren feucht, die Lider geröte. Ein
großer Schmerz, Leiden und Sorgen waren in dieſen Mugen,
in diejen edlen Antlig ausgeprägt. Schlafloje Nächte, kummer⸗
volle Tage, Enttäuſchungen, die Trauer über die Demütigung
und ey A der Majejtät, über die Undankbarfeit jeines
Volfes, für welches er Blut und Leben jo gern geopfert hätte,
waren in dieſen Zügen zu lejen, wie in einem Buche Bei
alledem hatten jtille Refignation, Glaubenstreue und unendliche
Güte das Haupt und das Antlig dieſes Gejalbten des Herrn
mit einem Heiligenfchein umfloffen. Man mußte auf den erjten
Blick jehen, daß es nur der Rückkehr der Abtrünnigen bedurfte,
nur der Bitte, fie wieder an fein Herz zu nehmen, um den
Strom der Liebe, welchen das Herz diefes Mannes barg, über-
fliegen zu machen.
Kmiziz war zu Mute, al3 prefje ihm eine eiferne Klammer
das Herz. Schmerz und Neue, jein großes Schuldbewußtfein,
Ehrfurcht umd tiefites Mitleid benahmen ihm fajt den Atem.
Ein neues, früher nie gefanntes Gefühl zog in feine Bruft ein.
Er fühlte fich zu diefem Manne hingezogen; er wußte plößlich,
daß er die jchmerzvolle Lage diefer Majeſtät vollitändig begriff,
daß er Gut und Leben a wolle, um ihr zu ihrem Rechte
zu verhelfen. Er hätte ihr jett zu Fühen fallen, jie um Ver—
gebung feiner Schuld anflehen mögen. Der freche Raufbold in
ihn war volljtändig erjtorben, ein neuer Menjch war er beim
Anblick jo jchmerzvollen Leides, jo unendlicher Güte geworden,
ein jeinem Könige treuergebener Diener.
„Das aljo it unſer Herr, unfer unglüdlicher Herr!“
flüfterte er.
Wieder war Johann Kaſimir niedergefniet, wieder hatte
er ſich mit gefalteten Händen ins Gebet verjenft. Der Geiitliche
hatte die Kirche jchon verlafien, eine Bewegung war entitanden,
aber der König betete noch).
Da jtieß jener Edelmann, welchen vorher Kmiziz gefragt
hatte, ihn an.
„Wer ſeid ihr?“ frug er.
Kmiziz veritand nicht fogleich die Frage und antwortete
11
auch nicht, jo jehr waren feine Gedanfen von dem, was er jah,
eingenonmen.
„Ver jeid ihr?“ frug der Edelmann noch einmal.
‚Ein Edelmann, wie ihr!“ antwortete Kmiziz, wie aus
einem Traume erwachend.
„Wie nennt man euch ?“
„Wie man mich nennt? Ich Heike Babinitfch und bin
aus Litauen, aus der Gegend von Witebsk.“
„Und ich bin Lugowsfi, ein Hofjchranze! Bitte, alſo
aus Litauen, aus Witebsk jeid ihr hierher gefommen?“
„Rein! Ich komme aus Tichenjtochau.“
Herr Lugowski jah Herrn Andreas jtarr vor Staunen an.
„Wenn das der Fall it, dann kommt jchleunigjt mit mir,
denn ihr müßt erzählen, was ihr wißt. Seine Majejtät zehrt
jih auf vor Kummer, daß jeit drei Tagen feine Nachricht von
dort mehr hierher gelangt ilt. Seid ihr von der Fahne
Shrojchefs, oder Kalinskis, oder Kuklinowskis bei Tſchen—
ſtochau?“
„Ich komme nicht bei Tſchenſtochau her, ſondern von dort,
direkt aus dem Kloſter ſelbſt!“
53 ſcherzt doch wohl? Wie ſteht es? Hält das Kloſter
ſich no
7— hält ſich und wird ſich halten. Die Schweden werden
demnächſt abziehen müſſen.“
„Wahrhaftig? Der König wird euch in Gold faſſen für
dieje Kunde! Aus dem Kloſter jelbit, jagt ihr? ... . Wie jeid
ihr denn durch das Schwedenlager gekommen?“
„Sch Habe die Schweden um Erlaubnis zum Durchmarjch
nicht gebeten. Aber entichuldigt, mein Herr; ich kann im der
Kirche nähere Auskunft nicht erteilen.“
„Ihr habt —— Herr Lugowski. —
herziger Gott! . Ihr kommt wie vom Himmel gejandt! .
In der Kirche schickt ed ſich nicht, darüber zu ſprechen! ..
Wartet ein wenig! Der König wird ſich gleich erheben, er wird
vor dem Hochamt frühjtüden . . . Heute ijt Sonntag.
Kommt mit mir. . Wir wollen uns beide an die Thüre
itellen, jo fann ich) euch gleich beim Dinausgehen dem Könige
vorjtellen. . . . Kommt, fommt, wir haben feine Zeit zu
verlieren.‘
Inden er das jagte, eilte er fort und Kmiziz folgte ihm
auf dem Fuße. Sie hatten fi faum an der Thüre auf-
12
gejtellt, da famen auch jchon die beiden Pagen, Hinter ihnen
langjam der König gegangen.
„Allerdurchlauchtigiter Herr!“ rief Lugomwsfi. „Wir haben
Nachrichten aus Tſchenſtochau!“
Die bleichen Züge des Königs belebten jich plötzlich.
„Wie? Wo? Wer bringt ſie?“ frug er haitig.
„Diejer Edelmann hier! Er jagt, bar er aus dem Klojter
jelbjt komme.“
„So iſt das Kloſter jchon genommen?“ rief der König aus.
Da warf fi) Kmiziz dem Könige zu Füßen.
Sohann Kajimir beugte ic herab und faßte ihn an den
Schultern.
„Laßt das!“ rief er. „Laßt das... Steht auf, um Gottes
Willen und ſprecht ... Iſt das Ktlojter genommen ?*
Die Augen voll Thränen, jprang Kmiziz auf und jagte
begeijtert:
„Es iſt nicht genommen, Majejtät, und wird auch nicht
genommen werden! Die Schweden jind gejchlagen! Ihr größtes
Geſchütz iſt zerjprengt! Panik, Schreden, Hunger und Not
herrjchen unter ihnen! Sie find gezwungen, an den Rüdzug
zu denfen ...“
„Selobt ſeiſt du, Königin der Engel!“ jagte der König.
Er wandte jich um, dem Eingang der Kirche zu, entblößte
jein Haupt, fniete nieder, lehnte den Kopf an Die jteinerne
Einfajjung der Thüre und verharrte jchweigend. Nach einigen
Augenbliden hörte man ihn leiſe jchluchzen, jein ganzer
Körper bebte.
Auch die anderen Anweſenden wurden von Nührung
erfaßt. Herr Andreas weinte laut aus.
Nach einer Weile jtand der König beruhigt auf. Sein
Antlitz trug einen viel heitereren Ausdrud. Er frug Kmiziz
jogleich nad) jeinem Namen und als dieſer ihm jeinen an—
genommenen genannt hatte, jagte er:
„Herr Lugowski wird euch in Unjer Quartier führen.
Wir wollen Unſer Frühjtüd einnehmen, während ihr Uns von
der Belagerung erzählt!“
Eine Bierteljtunde jpäter jtand Kmiziz in den föniglichen
Gemächern vor einer äußerjt vornehmen Gejellichaft. Der
König wartete nur noch auf die Ankunft der Königin. Maria
Ludwika erjchien auch bald, worauf man jich ſetzte, um Die
Morgenjuppe einzunehmen. Der König hatte faum feine Ge-
mahlın erblickt, jo rief er ihr jchon entgegen:
13
„Zichenitochau Hat die Belagerung ausgehalten! Die
Schweden müſſen fie aufgeben! Hier iſt Herr Babinitjch, welcher
von dort fommt und uns die frohe Botjchaft gebracht hat!“
Die jchwarzen Augen der Königin ruhten eine Weile
forjchend auf dem Antlig des Ritters. Der Eindrucd, welchen
jein offenes Gejicht und jein grader Bli machten, jchien jie
zu befriedigen, denn ihre Züge wurden heiter. Er verneigte
fi tief vor ihr und begegnete ihrem Blid mit offenherziger
Ehrlichkeit.
„Bei der Allmacht Gottes!” jagte die Königin. „Ihr habt
eine große Lajt von Unjeren Herzen genommen. Walte Gott,
daß dies der Anfang eines Umſchwunges in Unjerem Gejchic jei.
Ihr jeid direft von Tichenjtochau hierher gefommen ?“
„Er jagt, direft aus dem Kloſter jei er, einer der Ver—
teidiger besjelben!“ rief der König „Das iſt ein teurer
Gaſt! ... Wollte Gott, e8 kämen jolche täglich einer ... Aber
laßt ihn doc) zu Worte fommen ... Erzählt, Bruderherz, wie
habt ihr euch Dort des Feindes erwehrt, wie hat Gottes Hand
euch beſchützt?“
„sa, lerdurdhlauchtigfte Herrichaften,“ jagte Kmiziz. „Es
war wirklich nur Gottes Fürjorge und die Huld der wunder:
thätigen Gottesmutter, daß wir den Sieg errungen haben.“
Schon wollte Kmiziz mit dem Erzählen der Einzelheiten
ber Belagerung beginnen, da traten noch mehrere hohe Würden-
träger in das Gemach. Es erjchienen zuerjt der päpitliche
Nuntius mit dem Fürſt Primas Leichtichingki und dem Probſt
Wydzga, einem berühmten Kanzelredner, welcher dazumal Kanzler
der Königin, jpäter Bilchof von Kulm und zulegt Primas von
Großpolen war. Bald nad) ihnen fam der Neichsfanzler, Herr
Koryzinsfi, und der Franzoſe de Noyers, Kammerherr der
Königin, etwas jpäter noch andere Herren vom Hofe, welche
mit ihrem hohen Herrn die Verbannung teilten.
Der König, welcher gern jchon näheres erfahren hätte, rief
allen Eintretenden gleich entgegen:
„Hört, hört, meine Herren! Wir haben einen Gajt vom
heiligen Berge hier ... Er bringt gute Nachrichten!“
Die Mürdenträger blidten neugierig zu Kmiziz hinüber,
welcher wie vor einem Gericht jtand halten mußte. Doch er,
von Natur furchtlos und an den Verkehr mit VBornehmen ge=
wöhnt, ließ ſich durch die jtaunenden Blicke jo vieler hoch—
eitellter Perjonen nicht aus der Faſſung bringen. Sobald alle
las genommen hatten, begann er jeine Erzählung.
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Man merkte es jeiner Nede an, daß er die Wahrheit jagte,
denn er jprach flar und mit Nachdrudt, wie jemand, der das
alles jelbit erlebt hat. Er ſprach vom Prior Stordezfi wie von
einem Heiligen, erhob die Heldenthaten Zamoyskis und Tſchar—
niezfis bis in den Himmel, lobte das Verhalten der Ordens-
brüder und ließ niemand aus, nur fich jelber erwähnte er nicht.
Die Erhaltung des Kloſters aber jchrieb er nur den Wunder-
thaten der Mutter Gottes zu.
Mit andächtigem Staunen hörten ihm die Anwefenden zu.
Der Fürſt Primas erhob die thränenfeuchten Augen zum
Himmel, der Probſt Wydzga dolmetjchte das Erzählte eiligit
dem Nuntius, die anderen Herren jtütten ihre Köpfe in Die
Hände oder falteten Die Hände über der Bruft.
Kmiziz war in jeinem Bericht eben bei den legten Stürmen
angefommen. Als er erzählte, dag Miller die ſchweren Be—
lagerumngsgeichüge von Krakau, unter denjelben die Rieſenkanone,
welcher noch feine Mauer widerftanden hatte, herbeijchaffen ließ,
da hingen aller Augen an jeinen Lippen und Totenjtille herrjchte
im Gemad).
Plötzlich brach) Kmiziz ab. Dunkle Nöte färbte jeine
Wangen, jein Atem ging rajcher. Nun runzelte er die Stirn,
hob den Kopf ein wenig und jagte barjc) in Furzen, abgerijjenen
Yauten:
„Jetzt muß ich von mir jprechen, obgleich ich lieber darüber
gejchwiegen hätte . . . Wenn ich etwas jage, was mir zum Lobe
gereicht, jo iſt Gott mein Zeuge, daß ich es nicht thue um
irdijchen Lohnes willen, denn diejen brauche ich nit. Mein
höchiter Lohn wäre der, daß ich mein Leben für die Majejtät
einjegen dürfte . . .“
„Sprecht dreift, Wir glauben euch!" fagte der König.
„Bas war es mit der Niejenfanone?“
„Dieje Kanone... Sch ſtahl mich nachts aus der Veſte
und zerfprengte fie mit Bulver in taujend Splitter! . . .“
„Beim allmächtigen Gotte!* rief der König.
Auf diefen Ausruf folgte wieder tiefe Stille. Die Er-
zühlung des Herrn Andreas hatte einen bewältigenden Eindrud
auf die Hörer gemacht. Aller Blicke hingen an der Geitalt
des jungen Helden, welcher mit hoc) emporgerichtetem Haupte,
glühenden Wangen und bligenden Augen dajtand. Im feiner
Haltung lag jo viel männliches Selbitbewußtjein, ein jo hoher,
unerjchütterlicher Mut drückte jich in feinen Zügen aus, daß
unwillkürlich jich den Anweſenden die Ueberzeugung aufdrängen
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mußte, dieſer Menjch ſei einer ſolchen Heldenthat wohl fähig.
Diefer Ueberzeugung gab auch zuerſt der Fürſt Primas
Ausdrud, indem er jagte:
„Der Mann fieht ganz darnach aus, jo etwas vollbracht
zu haben.“
„Wie habt ihr das angeſtellt?“ frug der König,
Kmiziz erzählte.
„Es iſt faum zu glauben!“ meinte der Kanzler Koryzinski.
„Meine Herren!” jagte der König würdevoll. „Wir ahnten
nicht, daß es jolche Helden unter ung giebt. Uns bleibt Die
Hoffnung, daß die Nepublif nicht verloren iſt, jo lange jie
jolche Männer gebiert, wie diejer hier.“
„Er fann von fich jagen: ‚Si fractus illabatur orbis
impavidum ferient ruinae‘,* jagte der Probſt Wydzga, welcher
bei jeder Gelegenheit mit Zitaten zur Hand war.
„Es iſt fait unmöglich,“ machte fich der Herr Kanzler
wieder bemerflich, „Erzählt doch, Herr Kavalier, wie jeid ihr
denn mit dem Leben davongefommen und auf welche Weije
gelangtet ihr aus dem Schwedenlager?*
„Der Donner der Erplofion betäubte mich,“ jagte Kmiziz.
„sch blieb Tiegen und erjt am folgenden Tage fanden mich die
Schweden an der Schanze bewuhtlos daliegend. Sie jtellten
mich auch jogleich vor das Striegsgericht und Miller verurteilte
mich zum Tode.“
„Ihr jeid entflohen?“
„Ein gewiffer Kuklinowski bat mich bei Miller für fich
aus, damit er jeinen Haß an mir auslaſſen fünne, denn ich
hatte ihn beichimpft.“
„Er iſt ein berüchtigter Raufbold und Mörder; wir haben
bier auch von ihm gehört,“ jagte der Herr Kaitellan von
Kriewen. „Seine Abteilung jteht mit Miller bei Tſchenſtochau ...
Es ijt wahr!”
„Sener Kuflinowsfi war einmal als Gejandter Millers
ins Kloſter gefommen und hatte mich privatim zum Werrat
überreden wollen, als ich ihm bis zum Thore das Seleit gab...
da ohrfeigte ich ihn und jtieß ihn den Berg hinunter. Dafür
wollte er ſich num rächen.“
„Ihr jeid ja ein Edelmann vom reinjten Blut!“ jagte
der König heiter. „Nun jo einen Kuklinowski beleidigt man
nicht jtraflos!... Alfo Miller jchenkte euch dem Kuklinowski?“
„Er schenkte mich ihm, Majeſtät! ... Jener aber zog jich
mit mir in eine einfame Scheune zurück . .. Es waren noch drei
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jeiner Soldaten dabei... Dort ließ er mich mit Striden an
einem Balfen in die Höhe ziehen und marterte mic), indem er
mir die Seite mit glühendem Pech verbrannte.“
„Barmherziger Gott!“
„Da wurde er plöglic zu Miller abberufen und unter-
dejien famen drei andere jeiner Soldaten vom Klein-Adel,
welche früher in meinen Dienjten geitanden hatten. Die jchlugen
die Wächter nieder und banden mich los.“
„Aha, ich veritehe!“ jagte der König. „Ihr entflohet
dann ?“
„Nein, Majejtät! Wir warteten die Rückkehr Kuklinowskis
ab. Dann ließ ich ihn an denjelben Balfen fejtbinden, an
welchem ich vorher gehangen hatte und brannte ihn beſſer, als
er mich.“
In der Erinnerung an diejes Ereignis hatten fich die
Wangen des Kavaliers von neuem gerötet, feine Augen
jprühten Feuer.
Der König aber, welcher gern von der Trauer zur
röhlichkeit, vom Ernſt zum Shen; überging, klatſchte vor
Vergnügen in die Hände und rief lachend:
„Das war recht! Das war recht! Diejer Verräter hat
e3 nicht beſſer verdient.“
„sch Lie ihn lebend zurücd,* fuhr Kmiziz fort, „aber bis
zum Morgen muß er erfroren fein.“
„Rache ijt ſüß! Wir fünnten viele jolche Tapfere brauchen,
wie ihr jeid,“ ſprach der König. „Ihr jeid aljo allein mit
den drei Soldaten hierhergefommen? Wie heißen fie denn?“
„Kiemlitich; es ijt der Vater mit zwei Söhnen.”
„Mater mea de domo Kiemlitschowna est“ (Meine
Mutter ift eine geborene Kiemlitſch), jagte würbdevoll der
Kanzler der Königin, Probſt Wydzga.
„Dann muß es zweierlei Kiemlitjch geben, vom großen
und vom Stleinadel,“ entgegnete Kmiziz heiter, „Die, welche ich
bei mir habe, find nicht nur vom Kleinadel, jondern jie jind
von Grund aus Gejindel, jonit aber tapfere Männer und mir
jehr ergeben.“
Unterdejien hatte der Neichsfanzler, Herr Koryzinski, jchon
längere Zeit mit dem Erzbifchof von Gneſen geflüſtert. Setzt
jagte er:
„Es fommt mancher hier an, welcher, um jich im gutes
Licht zu ſetzen, oder cine Belohnung zu erhalten, gern lügt
und aufjchneidet. Sie bringen faljche Nachrichten, oder jolche,
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welche ung irre führen, jind aud) wohl gar vom Feinde dazu
gedungen.“
Dieje Bemerkung wirkte erfältend auf alle Anwejenden.
Kmiziz färbte ſich dunfelrot.
„sc fenne die Stellung nicht, welche Ew. Gnaden be—
fleiden,“ jagte er. „Sie mag wohl eine jehr hohe jein und
ic) will ihr nicht zu nahe treten. Aber ich denke, ſelbſt die
höchite Stellung berechtigt niemanden, einen Edelmann grundlos
der Lüge zu aeihen.“
„Menjch! Ihr jprecht zum Neichsfanzler!* jagte Herr
Lugowski.
Jetzt entbrannte in Kmiziz der Zorn lichterloh.
„Wer mich der Lüge beſchuldigt,“ ſagte er, „dem ſage ich,
gleichviel ob er Kanzler iſt oder nicht, daß es leichter iſt,
jemanden Lügner zu nennen, als ſein Leben in die Schanze
u ſchlagen, leichter ein Siegel in Wachs zu drücken, als ſein
Brut hinzugeben.“
Herr Koryzinski hörte gelaſſen dieſen Zornesausbruch an.
„sch ſagte nicht, daß ihr lügt,“ antwortete er. „Aber Herr
Kavalier, wenn ihr die Wahrheit jprecht, jo muß eure Seite
ja verbrannt jein.“
„Kommt mit mir, gnädiger Herr, ich will fie euch zeigen!“
itieß Kmiziz wütend hervor.
„Das ijt nicht nötig,“ jagte der König, „Wir glauben
euch auch jo!“
„sch fordere dieſe Unterfuchung als eine Gnade, Aller:
gnädigite Majejtät! Niemand hier, jei er auch noch jo hoch-
geitellt, joll mich einen Lügner jchimpfen! Die Qualen, welche
ich ausgejtanden, werden durch diefes Mißtrauen jchlecht gelohnt.
sch verlange feine andere Belohnung, als daß man mir glaubt;
mögen die Ungläubigen meine Wunden unterjuchen!“
„Dei Mir findet ihr Glauben!“ jagte der König.
„Seine Worte tragen den Stempel der Wahrheit,“ jebte
die Königin hinzu, „Sch täujche mich nicht.“
Kmiziz aber faltete die Hände und bat:
„Allergnädigite Herrichaften! Erlaubt, daß jemand mit
mir zur Seite trete; ich könnte das Mihtrauen nicht ertragen.“
„sch werde mit euch gehen,“ jagte Herr Tyſenhaus,
ein junger Höfling am Hofe des Königs.
Während er Kmiziz in ein anliegendes Gemach führte,
jagte er zu ihm:
„sc gehe nicht deshalb mit euch, weil ich euch > glaube,
Sientiewicza, Sturmflut II,
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denn ich glaube alles, was ihr jagt, nur um mit euch zu
jprechen. Wir find ung irgendwo in Litauen jchon begegnet.
Auf euren Namen fann ich mich nicht erinnern, denn es ilt
leicht möglich, daß wir uns gejehen haben, als wir beide noch
erit halberwachjene Burſchen waren.“
Kmiziz wandte den Kopf ein wenig zur Seite, um feine
Berlegenheit zu verbergen.
„Dielleicht jahen wir uns auf irgend einem Landtage.
Mein jeliger Vater nahm mich gern mit zu den öffentlichen
Verhandlungen, damit ich frühzeitig einen Einblick in das poli-
tische Leben und Treiben gewinne.“
„Das iſt möglih! ... Euer Geficht ijt mir beſtimmt nicht
fremd, nur hattet ihr damals diefe Narben nicht. Aber, wenn
ich nicht jehr irre, jo führtet ihr auc einen anderen Namen.“
„Die Zeit täufcht das Gedächtnis,“ entgegnete Herr
Andreas.
Sie befanden jich im Nebengemach. Nach einer Weile trat
Tyſenhaus wieder vor den König.
„Seine ganze Seite ijt verbrannt, wie auf dem Roſt ge-
braten,“ berichtete er.
AS nun auch Kmiziz zurücgefehrt war, jtand der König
auf, nahın den Kopf des jungen Nitters in beide Hände und
jagte: „Wir würden niemals an der Wahrheit eurer Angaben
zweifeln, und euer Verdienſt, jorwie eure Schmerzen werden nad)
Gebühr gewürdigt werden.“
„Wir bleiben eure Schuldner,“ ſetzte die Königin Hinzu,
ihm die Hand reichend.
Herr Andreas ließ jich auf ein Knie nieder und fühte
ehrfurchtsvoll die Hand der Königin. Dieje aber jtreichelte fein
Haar mit mütterlicher Zärtlichkeit.
„Und nicht wahr, ihr zürnt auch dem Herren NReichsfanzler
nicht mehr?“ frug der König. „ES iſt ja wahr, Verräter und
Lügner drängten jich jchon oftmals Uns auf und es gehört
doch zu den Funktionen des Neichsfanzlers, Wahrheit von Un—
wahrheit zu jondern.“
„sch glaube, der Zorn meiner Wenigfeit würde eine jo hohe
Perjönlichkeit wenig grämen,“ antwortete Herr Andreas. „Es
ziemt mir auch gar nicht, einem Staat3manne auch nur einen
Augenblick zu zürnen, welcher durch jeine Vaterlandsliebe und
Treue allen ein jo nachahmenswertes Beiſpiel giebt.“
Der Kanzler lächelte gutmütig und reichte Kmiziz die Hand.
„So jei aljo Friede unter und. Ihr Habt mir da mit
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dem Siegel auf Wachs einen häßlichen Hieb verjegt, denn ihr
jolltet wijjen, day die Koryzinskis ihre Königstreue auch ſchon
mit Blut bejiegelt haben.“
Der König wurde jehr froh geitimmt.
„Diejer Babinitjch gefällt Uns, wie jelten jemand,“ jagte
er zu den Anwejenden. „Wir wollen ihn auch nicht mehr von
Uns lafjen und hoffen, recht bald gemeinschaftlich in das Vater—
land zurückzukehren.“
„O, Alergnädigiter Herr!“ jagte Kıniziz begeiitert, „obgleich
ich in der Veſte mit eingejchlojjen war, jo weiß ich doch vom
Adel, dem Heere, ja jogar von denjenigen, welche bei Tjchen>
jtochau unter Shrofchef und Kalinski dienen, daß alle jehn-
jüchtig des Tages der Rückkehr Ew. Majejtät harren. So—
bald Em. Meajejtät im Lande erjcheinen, wird Litauen,
Kongrekpolen und Neußen wie ein Mann fich erheben und zu
Ew. Majejtät eilen. Alle, bis auf den legten Mann, denn felbit
der geringjte leibeigene Bauer jehnt den Tag der Befreiung
herbei. Die Hetmane jind bereit, die Schweden anzugreifen; ich
weiß jogar, daß fie Deputationen an Kalinsfi, Shrojchef und
Kuklinowsfi nach dem Lager bei Tſchenſtochau gejandt haben,
um jie gegen die Schweden aufzuhegen. Sch bin ficher, daß
einen Monat nad) dem Erjcheinen Ew. Majejtät fein Schwede
mehr im Lande jein wird, denn das ganze Land harrt nur der
Ankunft jeines Hirten, welcher die verirrten Schafe allein
wieder um ſich zu jammeln vermag! ...“
Kmiziz hatte ſich in eine ſolche Begeifterung hinein-
ejprochen, daß jeine Augen in leuchtendem Feuer erglänzten.
& war in der Mitte des Gemaches auf ein Knie gejunfen,
während er den König bejchwor, in das Land zurüczufehren.
Auch die Königin, welche mutig und bejonnen oft im Die
Negierungsgejchäfte eingriff und den König jchon wiederholt
gemahnt hatte, in fein Land zurüdzufehren, war von der Be—
geilterung des jungen Ritters ganz hingerijjen.
Sie wandte jich aljo jegt an Johann Kaſimir und jagte
energijch und feit:
„sch Höre die Stimme des ganzen Volfes aus dem Munde
diejes Mannes! ...“
„So iſt e8 auch, wirklich, jo it es! Allergnädigite
— .... Allerdurchlauchtigſte Landesmutter! ....“ rief
iziz aus.
Auch der Kanzler und der König waren durch etliche
Worte Kmiziz' betroffen gemacht worden.
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„Wir find immer bereit, Unfer Leben dem Wohle Unjeres
Bolfes zum Opfer zu bringen. Wir warteten nur auf ein
Beichen der Bejjerung Unjerer Unterthanen.“
„Diefe Beſſerung iſt jchon eingetreten,“ jagte Maria
Ludwika.
„Majestas infracta malis!“ ſprach der Probſt Wydzga,
ehrfurchtsvoll zu ihr aufblickend.
„Es iſt von großer Wichtigkeit,“ unterbrach ihn der Erz—
biſchof Leſchtſchinskti, „daß zwiſchen den Hetmanen und den
Hauptleuten bei Tſchenſtochau Verhandlungen eingeleitet ſind.
Iſt das aber auch wirklich geſchehen?“
„Es iſt mir von meinen Leuten, den Kiemlitſchs, erzählt
worden!“ entgegnete Herr Andreas. „In den Abteilungen
Sbroſcheks und Kalinskis iſt offen darüber geſprochen worden,
ohne Rückſicht auf Miller und die Schweden. Die Kiemlitſch,
welche nicht in der Veſte mit eingeſchloſſen waren, unterhielten
Verbindungen mit der Welt, dem Adel, den Soldaten. Ich
kann die Dreie Sr. Majeſtät und euch edlen Herren vorführen;
ſie mögen ſelbſt erzählen, wie es im ganzen Lande gährt. Die
Hetmane ſind doch nur aus Zwang zu den Schweden über—
gegangen, das Heer will zu jeiner Pflicht zurüdfehren, denn
ie Schweden maltraitieren die Geiftlichkeit, jie rauben, jengen
und morden, jpotten über die frühere Freiheit des Volkes; jo
fommt es, daß diejes mit geballten Fäuſten und zähnefnirjchend
des Augenblids Harrt, wo es zum Schwert greifen fann.“
„Auch Wir hatten jchon geheime Botjchafter vom Heere
bier,“ jagte der König, „welche Uns einen allgemeinen Um—
jchwung der Dinge und den guten Willen Unjerer Unterthanen
zur Umkehr Fund thaten ... .“
„Auch Hier jtimmen alſo die Nachrichten diejes Kavaliers
mit den jchon eingelaufenen überein,“ jagte der Kanzler. „Es
iſt aljo von Kan Wichtigkeit, daß die Negimenter bejtrebt
find, untereinander Verbindungen anzufnüpfen, denn das it
das untrügliche Zeichen, daß die Frucht reif it, unſere Be—
mühungen nicht umjonft waren und die Arbeit beginnen
fann . . .*
„Und Stoniezpolsfi?“ warf der König dazwijchen. „Und
die vielen anderen, welche noch immer dem Gindringling bei-
jtehen, ihn ihrer Treue verjichern ?“
Diefe Bemerfung des Königs machte alle verjtummen.
Der König jelbit wurde plöglic ernit. Wie die Wolfen, wenn
die Sonne ich hinter ihnen birgt, die Welt in dunkle Schatten
21
büllen, jo warf der Gedanfe an jeine ungetreuen Edlen einen
tiefen Schatten über des Königs Antlitz.
Nach einer Weile jprach er weiter:
„Bott weiß es, daß Wir jederzeit zur Nüdfehr ins Vater-
fand bereit jind. Was Uns davon zurüdhält, iſt micht Die
ſchwediſche Königsmacht, jondern allein der unglüdjelige Wantel-
mut Unferes eigenen Volfes. Wer fann wiſſen, ob jeine Umfehr
von Dauer fein wird, ob nicht gerade in der Schnelligkeit feiner
Gerühlswandlungen eine große Gefahr liegt? Können Wir
einem Volke trauen, welches unlängit erit jeinen Slönig, fein
Vaterland und feine Freiheit aufgegeben hat, um dem Fremd—
berrjcher fich zu eigen zu geben? Wir jchämen Uns Unſerer
Unterthanen und namenlojer Schmerz über diefe Schande preft
Uns das Herz. Wo findet man in der Gefchichte der Völker
ähnliche Vorgänge, wo lebt ein König, welcher jo viel Mißgunſt,
jo viel Verrat erfahren hat, welcher jo verlafien daſteht, ala
ich? Erinnert ihr euch noch daran, meine Herren, daß Wir
mitten unter Unjeren Soldaten, welche Uns doch Treue ge-
Ichworen hatten, nicht mehr Unjeres Lebens ficher waren? Und
wenn Wir das Vaterland verlafjen haben und in fremdem Lande
Schug und Unterfommen juchten, fo gejchah das nicht aus
Feigheit und aus Furcht vor den Schweden, jondern weil Wir
Unjer Volf vor dem gräßlichen Verbrechen des Königsmordes
bewahren wollten.“
„Majeſtät!“ rier Kmiziz. „Unjer Volk Hat fich jchwer
verfündigt und das Elend, welches es jetzt erduldet, iſt eine ge-
rechte Strafe Gottes, aber bei den Wunden Jeſu! e3 würde
jich Steiner finden laſſen, weder jest noch in alle Ewigfeit,
welcher jo verworfen wäre, die Mörderhand gegen feinen König
zu erheben!“
„Ihr jeid zu ehrlich, um an jolche Schandthat zu glauben,“
antwortete der König, „Wir haben aber Beweije! Obgleich die
undankfbaren Radziwills Uns alle Güte durch Verrat gelohnt
haben, jo hatte doch Fürſt Boguslaw noch jo viel Gewiſſen, Uns
vor dem Dolchſtoß des Mörders zu warnen. Er hat Uns ge-
jchrieben . . .*
„Er hat gejchrieben?* frug Kmiziz verwundert.
„Er hat Uns mitgeteilt, daß jich ihm einer für hundert
Goldgulden angeboten hat, ung entweder tot oder lebendig ben
Schweden auszuliefern.”
Die Berjammelten überlief ein Schauer des Entſetzens bei
22
diefen Worten des Königs, und Kmiziz vermochte faum die
Frage zu jtammeln:
„Ben fonnte er meinen, wen?“
„Einen gewiljen Kmiziz nannte er,“ antwortete der König.
Da —— eine heiße Blutwelle dem Kavalier in den op.
E3 wurde ihm dunkel vor den Augen; er griff mit beiden
Armen nad) jeinem Kopfe und fchrie wie ein Irrſinniger: „Das
it eine Lüge! Der Fürſt Boguslaw lügt wie ein Hund!
Majeität, König, mein Herr! Glaubt diefem Verräter nicht!
Er hat die Lüge erdacht, um feinen Feind unjchädlich zu machen,
und Ew. Majettät in Schreden zu jegen. Herr, mein König!
Er ift ein Verräter! ... Kmiziz würde eine jolche Handlung
nie begehen ...“
Hier überwältigten die Aufregung, die Not und Bein der
jüngjt vergangenen Tage, die gejchwächten Kräfte den jungen
Ritter. Er drehte jich plöglich im Kreiſe herum und jtürzte
leblos dem Könige zu Füßen.
Man Hob ihn auf und trug ihn in ein Nebenzimmer. Der
königliche Leibmedifus machte Wiederbelebungsverjuche. Seiner
der Berjammelten aber fonnte fich erklären, warum die könig—
fihen Worte eine jo erjchütternde Wirkung auf den Edelmann
hervorgebracht hatten.
„Entweder iſt er jo edlen Charakters, daß der bloße Ge—
danke an jolche Greuelthat ihn ohmmächtig machte, oder er ilt
ein Verwandter von Kmiziz,“ jagte der Herr Sajtellan von
Krakau.
„Bir werden das in Erfahrung zu bringen ſuchen müfjen,“
jagte der Neichsfanzler Koryzinski. „In Litauen ſind faſt alle
unter einander verwandt, wie bei uns auch.“
„Majeſtät!“ fiel jetzt Tyſenhaus ein. „Gott bewahre
mich, dat ich dDiefem Edelmanne etwas Böſes nachjagen wollte...
aber... .. ich glaube, man darf ihm nicht allzufehr vertrauen.
Daß er in Tſchenſtochau war, iſt wahr. Seine Seite ijt ver-
brannt und das haben ihm die Mönche nicht gethan, denn dieje
müfjen als Diener Gottes jelbjt an den Feinden Barmherzigkeit
üben. Nur eines geht mir immerfort im Kopfe herum und
läßt fein volles Vertrauen zu ihm bei mir auffommen ...
Ich habe ihm jchon irgendwo in Litauen gejehen . . . als er
noch ein Bürjchchen war, . . . gelegentlich eines Landtages oder
Vergnügens, . . . ich fann mich nicht erinnern, wo ...“
„gun, und u: folgt daraus?“ frug der König.
23
„Und er... mir ift immer, .... dab er damals nicht
Babinitjch hieß.“
„Sprecht feinen Unſinn!“ jagte der König. „Ihr jeid
jung und zeritreut, da fommen leicht Verwechjelungen vor. Ob
er Babinitjch heißt oder anders, — weshalb jollte ich ihm miß—
trauen? Offenheit und Ehrlichkeit prägen jich in feinen Zügen
aus, er hat ein treues Herz. Wenn ich auch ihm nicht trauen
dürfte, der jein Leben für mich gewagt, dann müßte ich alles
Selbitvertrauen verlieren.“
„Jedenfalls verdienen jeine Worte mehr Glauben, als der
Inhalt des Briefes vom Fürſten Boguslam,“ mijchte fich die
Königin ein. „Sch bitte die Herren, in Erwägung zu ziehen,
daß wirklich fein Wort Wahrheit an dem zu fein braucht, was
der Fürſt jchreibt. Den Radziwills der Birzer Linie muß that-
tächlich viel daran liegen, Uns vollitändig mutlos zu machen,
und es iſt leicht möglich, daß Boguslam auch einen feiner
Gegner verderben und für den Fall, daß die Lage der Dinge
ſich ändert, für jich durch die Warnung den Nüdzug offen
halten wollte.“
„Denn ich nicht daran gewöhnt wäre, daß den Lippen
unjerer Allergnädigiten Königin nur Worte der Weisheit ent-
itrömen, jo müßte ich über die Kombinationsgabe Ew. Majeftät
ſtaunen,“ jagte der Fürſt Primas. „Sie iſt des größten Staats—
mannes würdig.“
„... curasque gerens, animosque viriles! ...* flüjterte
der Probſt Wydzga vor ſich Hin.
Durch diefe Anerkennung ermutigt, erhob ich die Königin
von ihrem Sejjel und begann jo zu jprechen:
„Es handelt jich hier weniger um die Birzer Radziwills,
denn ſie jind den Einflüjterungen ihrer protejtantijchen
Slaubensgenofjen gefolgt. Auch der Brief des Fürſten
Boguslaw ijt Mir nicht viel Redens wert. Der ijt wohl der
Ausflug irgend einer Privatangelegenheit desjelben. Was
Mich mehr aufregt und jchmerzt als alles andere, das jind
die verzweifelten Worte des Königs, Meines Herrn und Ge-
mahls, das iſt das Urteil, welches er jelbjt über jein Volt
fällt. Wer foll es in jeinem Falle aufhalten, wenn der eigene
König es aufgeben will? Wenn Ich Umschau Halte unter den
Völkern der Erde, da muß Ich dem Urteil des Königs folgen-
des entgegenhalten: Wo findet jich ein Bol, in welchem die
alten Weberlieferungen ſich jo fortpflanzen und vermehren, wie
bei Unjerem Bolfe? Wo ijt noch ein Volk, welchem jo viel
24
Freimut inne wohnt? Zeigt, nennt Mir ein Königreich, in
welchem jo wenige Verbrechen verübt werden wie bei Uns?
Hier giebt es feine Meuchelmörder und Giftmijcher und feine
Hinterlijt, wie 5.3. bei den Engländern. In Unjerem Vater-
lande iſt bisher jeder Herrjcher eines natürlichen, ruhigen Todes
geitorben, während in anderen Ländern der Königsmord an der
Tagesordnung it... Es ijt wahr! ... Unjer Volk Hat fich
jchwer verjündigt durch Uebermut und Leichtjinn . . . Aber
welche Nation hätte das nicht auch jchon gethan und welche
wäre wohl jo bald zur Einficht ihrer Schuld gelangt, welche
jo jchnell bereit, Buße zu thun, wie die Unjrige?... Da jeht,
Mein Herr und Gemahl! Sie fommen jchon, die Abtrünnigen,
mit dem Schuldbefenntnis zu Ew. Majejtät! Sie wollen Euch)
ihr Leben weihen, ihr Blut für Euch vergiefen. Wollt Ihr
Euer Bolt von Euch jtoßen? Wollt Ihr den Neuigen nicht
Verzeihung gewähren, den Bejjerung Berjprechenden nicht ver-
trauen, den Stindern, welche an das Herz des Vaters flüchten,
Eure Liebe nicht wieder zuwenden? ... O jchenft doch Euer
Vertrauen denen, welche das väterliche Regiment der Jagiellonen
zurüderjehnen . . . Gehen Wir zu Unferem Wolfe! ... Ich,
ein Weib, fürchte Mich nicht vor Berrat. Sch jehe nur die
Liebe und Reue Unjerer Unterthanen, die das Klönigreich wieder
heritellen wollen, welches jich von Gejchlecht zu Gejchlecht ver-
erbt. Es iſt ja auch unmöglich, daß Gott dieſes Herrliche
Land, in welchem die Leuchte jeine® Glaubens ihr Licht in
ferne Länder jendet, dem Untergange geweiht haben jollte.
Gottes jtrafende Hand hat eine Weile auf Unjerem Wolfe
geruht. Seine Güte wird es in furzem wieder zurücführen
auf den Weg des Heild. So verachte es auch jein König nicht!
Vertraut den Söhnen des Vaterlandes Euer Leben an, und auf
diefe Weije fann das Böfe zum Guten, der Gram in Freude,
das Elend in Glück ſich wandeln.“
Nachdem fie aljo gejprochen, ſetzte die Königin fich wieder
nieder. Ihre Augen leuchteten, ihr Atem ging ſchnell. Mit
Bewunderung blieten alle Anwejenden auf die hohe mutige
Frau und der Probſt Wydzga fing feierlich zu zitieren an:
„Nulla sors longa est, dolor et voluptas
Invicens cedunt.
Ima permutat brevis hora summis . . .“
Doch niemand hörte auf ihn. Die Begeiiterung der
Königin hatte fich allen mitgeteilt. Selbjt des Königs Wangen
waren von der Aufregung gerötet; er jprang auf und rief aus:
25
„Noch ijt mein Reich nicht verloren, jolange eine jolche
Königin mir zur Seite jteht! Es jei denn! Ihr Wille gejchehe,
denn prophetijch Elingen ihre Worte. Je eher wir aufbrechen
und im Lande erjcheinen, deito beſſer ... .“
Da ſagte ernjt und wiürdevoll der Fürſt Primas:
„sch möchte dem ausdrüclichen Wunſche der Allerhöchiten
Herrichaften nicht zuwider jprechen. Doc) bleibt die Aus—
führung desjelben immerhin ein Wagnis. Meine Anficht it
die, daß die Vorficht gebietet, zuerjt noch nach Oppeln zu gehen,
wo die Mehrzahl der Senatoren ſich aufhält, um diejelben zu
einer Berfammlung zujammenzuberufen, ihre Meinung zu hören,
da die Herren dort jedenfalls beſſer über alle politijchen Vor—
gänge unterrichtet jein werden, als wir.“
„Auf denn nach Oppeln!“ rief der König, „und dann
auf den Weg, den Gott Uns weijt!“
„Gott wird Uns zurüd ins Vaterland und zum Siege
führen!” jagte zuverfichtlich die Königin.
„men!“ jagte der Primas.
3. Rapitet,
Herr Andreas wütete wie ein verwundeter Stier in jeiner
Herberge. Die teufliiche Nache Nadziwilld brachte ihn dem
Wahnſinn nahe Nicht genug, dab der Fürſt fich feinen
Händen entrifjen, ihn jelbit fait ums Leben gebracht und mehrere
jeiner Leute getötet hatte, auch noch Schmach und Schande
brachte er über ihn, jo große Schande, wie fie nie jemanden
weder in jeiner Familie, noch in ganz Polen betroffen.
Kmiziz war jo verzweifelt, daß er im Begriff jtand, allem
zu entjagen, jogar der Ausficht auf einen Dienit am füniglichen
Hofe, nur um hinaugzueilen in die Welt, die er faum verlafien
hatte, und Nache zu üben an demjenigen, den er haßte über
alle Maßen.
Dann überlegte er doch, troß der überjchäumenden Wut,
welche ihn befallen hatte, daß, jo lange der Fürſt am Leben
war, er jeiner Nache nicht entgehen fonnte, die beſte Gelegenheit
aber, die Lügen des Verleumders zu widerlegen, jeine ganze
Ehrloſigkeit and Licht zu bringen, fich eben im Dienſte des
Königs finden mußte. Er wollte der Welt beweifen, daß
e3 ihm nicht nur fern gelegen hatte, den König meuchlings zu
morden, jondern daß Johann Kaſimir unter dem ganzen Adel
Polens feinen treueren Diener finden fonnte, als ihn, Kmiziz.
Zähnefnirjchend, wutentbrannt zerriß er die Kleider auf
jeinem Leibe und es dauerte lange, ehe er jich beruhigte.
Dann vertiefte er ich in Nachegedanfen. Er ſchwur ſich
beim Andenken an jeinen Vater, daß er den Fürjten in jeine
Gewalt befommen müſſe und follten Tod und Höllenpein feiner
dafür warten. Hätte der Fürſt Boguslam, diefer mächtige Herr,
welcher nicht nur die Rache eines einfachen Adligen, jondern
27
jogar die des Königs verlachte, die Gedanken und die jchranfen-
loſe Wut Kmiziz' gekannt, er Hätte nicht jo ruhig geichlafen,
als er e8 that.
Und dabei wußte Kmiziz nur, daß er ihm Ehre und den
guten Namen hatte rauben wollen; er ahnte ja nicht, was der
Fürſt mit Olenka vorhatte.
Inzwiſchen ließ der König, welcher den jungen Edelmann
jehr lieb gewonnen hatte, noch an demfelben Tage Kmiziz durch
Herrn Lugowski zu ſich berufen. Am folgenden mußte er mit
dem Hofe nach Oppeln aufbrechen, wo mit den Senatoren über
die Nückehr des Königs ind Vaterland beraten werden jollte.
Das war notwendig, denn jchon hatte der Kronenmarſchall eine
neue Bitte um eilige Rückkehr dem Könige zugejandt, mit dem
Bemerfen, dab alles zum allgemeinen Aufſtande bereit jei.
Außerdem hatte ſich eine neue Verbindung zur Verteidigung
des Königs und des Waterlandes im Weiche gebildet, welche
ſchon lange vordem ing Leben gerufen werden jollte und welche
nun unter dem Namen „Die SKonföderation von Tyſchowietz“
zufammengetreten war.
Diefe Nachrichten bejchäftigten die Gedanken aller ganz
außerordentlich. Mean verjammelte jich gleich nach der heiligen
Mefle zu einer geheimen Konferenz, an welcher auf den Wunsch
des Königs auch Kmiziz teilnehmen mußte.
E3 wurde die Frage erörtert, ob die Nückfehr ins Vater—
(and jogleich erfolgen jolle, oder ob man den Augenblid ab-
warten jolle, wo das Kronenheer mit dem Abfall von Schweden
vom guten Willen zur That übergehen werde.
ohann Kaſimir machte der Debatte ein Ende, indem
er jagte:
„sch bitte die Herren, nicht über den Zeitpunkt Unjeres
Aufbruches von Hier zu jtreiten. Darüber bin ich mit Mir
einig. Hiermit erfläre Ich, daß Wir bejtimmt noch in dieſen
Tagen abreifen, fomme, was da wolle. Cure Gedanfen jollen
ſich von jett ab nur damit bejchäftigen, die ficherjten und
Ichnelliten Wege zur Heimat aufzufinden.“
Darüber waren die Meinungen erjt recht verfchieden. Die "
einen warnten, dem Herrn Kronenmarjchall nicht allzufehr zu
trauen, da derjelbe jich jchon einmal wanfelmütig und unzu—
verläffig gezeigt hatte, indem er die Reichskrone, anjtatt fie dem
Kaifer in Verwahrung zu geben, diejelbe nach Lublin brachte.
„Er jei ein maßlos jtolzer Mann,“ wurde gejagt. „Wenn er
nun gar noch den König in feinem Schloſſe beherbergen dürfe,
28
wer weiß, was da gejchehen könne, was für einen Lohn er für
jeine Dienjte beanfpruchen wolle. Es jei ihm zuzutrauen, daß
er die Regierung an fich reißen und über den König ein Pro-
teftorat ausüben werde.“
Dieſe Partei alſo riet dem Könige, den Nücdzug der
Schweden abzuwarten und dann nach Tichenjtochau zu gehen,
als an denjenigen Ort, von welchem die Wiedergeburt des
Bolfes ausgegangen jei.
Doch andere waren anderer Anficht.
Die Schweden jeien noch bei Tſchenſtochau und wenn jie
mit Gottes Hilfe das Kloſter auch nicht erobern werden, jo
find die Wege dorthin doch nicht frei. Die ganze Gegend ſei
von Schweden bejett. Kſchepitz, Wielun und Srafau fowie
alle Grenzorte in den Händen der Feinde. In den Bergen
an der umngarijchen Lehne entlang gäbe es aber feine anderen
Coldaten, als das Negiment des Marjchalls, denn bis dorthin
vorzudringen, dazu gebrach e3 den Schweden ſowohl an Mann-
Ichaften, wie an Mut. Bon Lubow aus jei es auch näher
nach) Reußen, welches jtet3 von feindlicher Beſatzung frei
geblieben war, und nad) dem jtet3 fünigstreuen Lemberg.
Bon dort aus erwarteten auc) die Tartaren den Entichluh
des Könige.
„Der Herr Marjchall,“ jagte der Bilchof von Krakau,
„wird ſich mit der Ehre zufrieden geben, da Se. Majejtät
zuerjt bei ihm in der Spijer Starojtei Einfehr hält und er
als erjter den König verpflegen darf. Der König werde Die
Negierung nicht aus den Händen geben und den Herrn Mar-
jchall wird die ihm erwiejene Ehre zufrieden jtellen. Wenn er
an Treue und Dienjteifer allen vorangehen will, gleichviel, ob
diejes Verlangen jeinem Stolze, oder der Liebe zum Königs—
hauſe entjtammt, immer wird jein Anerbieten der Meajejtät
große Vorteile gewähren.
Die Anfiht des an Erfahrungen reichen und edlen
Biichofs erhielt die Zuftimmung der Mehrzahl. Es wurde
aljo fejtgejtellt, da der König nach Lubow durch das Gebirge
und von dort nach Lemberg, oder wo die Verhältniſſe jeine
Anmwejenheit dringend erheiichten, gehen jolle.
Auch der Tag der Abreije jollte jogleich feitgejegt werden,
doch der Wojewode von Lentſchütz, welcher joeben vom Kaiſer
zurüdgefehrt war, den er im Namen des Königs um Hilfe
gebeten, riet, einen Tag nicht zu bejtimmen, die Beitimmung
über den Zeitpunft der Abreije vielmehr dem Könige jelbit zu
29
überlafjen und zwar darum, um durch Verbreitung von Nach-
richten über den Termin des Aufbruches, den * nicht zu
warnen. Es wurde alſo nur der Beſchluß gefaßt, der König
ſolle mit einer Eskorte, beſtehend aus dreihundert auserleſenen
Dragonern unter der Leitung des Herrn Tyjenhaus, welcher,
obgleich noc) jung, doch als tüchtiger Soldat galt, ausrüden.
Der weitaus wichtigere Teil der Beratung folgte nun erit.
Einmütig jollte bejchlofjen werden, daß nach der Rückkehr des
Königs in jein Reich die Regierung allein in jeiner Hand ruhen
jolle und daß alle Verfügungen der Majejtät, gleichviel was fie
betrafen, von dem Adel, dem Heere und den Hetmanen rejpektiert
werden müſſen. Man erörterte die Vergangenheit und die Ur-
jachen des jo plöglich hereingebrochenen Unheils, welches in
furzer Zeit das ganze Land wie eine Sturmflut überzogen
hatte, und führte dasjelbe auf die Unregelmäßigfeiten und die
Willfür Einzelner in der Verwaltung, den Mangel an Ge-
horjam und die allzuleichtfertige Nichtachtung der Königswürde
zurüd.
Man hörte den Ausführungen des Fürjten Primas mit
gejpanntejter Aufmerkſamkeit zu. Handelte es jich doch um noch nie
dagewejene tief eingreifende Veränderungen in der Verwaltung
des MNeiches, welche allein die Möglichkeit boten, die Nepublif
zu ihrer früheren Macht zurüdzuführen. Dieje Veränderungen
wünjchte ganz bejonders die kluge, ihr Land ſehr Liebende
Königin.
Der Kirchenfürit jprach jo eindringlich, jo klar und ver-
jtändlich, daß den Hörern die Herzen dabei aufgingen, wie die
Blumenfnojpen fich dem Lichte der wärmenden Sonne öffnen.
„Es liegt mir fern, gegen die altherfömmlichen Freiheiten,
die unjere Nation genießt, zu opponieren,” jagte der Primas,
„nur jene übermütigen Auswüchſe derjelben a ich verdammen,
welche einzig und allein jchuld find an dem Verfall der Re—
publif. Wahrhaftig! Im diefem Neich verjteht man fein Map
zu halten, feine Grenze zu ziehen zwijchen Freiheit und Ueber—
mut, und jeht: „jo wie llebermaß in der Freude Schmerz be-
reitet, jo führt zügelloje Freiheit zur Umnfreiheit. Bis zu welcher
Berblendung jind die Bewohner diejes herrlichen Landes ge—
langt, daß fie glauben fonnten, nur derjenige fei ein wirklicher
VBaterlandsfreund, welcher der größte Yärmmacher iſt, die Land-
tage jtört, dem Willen des Königs entgegen wirft gerade in
Fällen, wo es fich um ernjte Negierungsangelegenheiten handelt.
Unjere Schagfammer ijt leer, die Soldaten, welche ihren Sold
30
nicht mehr ausgezahlt erhalten fonnten, haben Dienjte beim
Feinde gejucht, die Yandtage haben ihre Funktionen eingejtellt,
denn ein einziger Uebelgejinnter, ein Uebermütiger genügte, um
die größte Verwirrung in die Verhandlungen zu bringen, fie
ganz aufzulöjen. Soll das ‚Freiheit genannt werden, wenn Die
Stimme eines Einzigen, das Werk Bieler zu nichte machen darf?
Sit denn dieſe jchranfenloje Freiheit eines Einzelnen nicht die
Unfreiheit Vieler? Wohin hat jie uns denn geführt, dieje reis
heit, was für Früchte hat fie getragen? Da jeht ihr! Ihr
habt es erlebt, da der Feind, über welchen unfere Vorfahren
jo oft glänzende Siege erfochten haben, jest unjer Vaterland
vom Norden bis zum Süden beherrjcht. Niemand hat ihn in
jeinem Borjchreiten aufgehalten, niemand ihn an der Beſitz—
ergreifung des Landes, an der Schändung der Kirchen, am
Morden, Rauben und jonjtigen Gewaltthaten gehindert! So
weit iſt e8 Durch Die Freiheitsluſt der Brüder, durch ihre
Zänkereien und zFeindjeligfeiten unter einander gefommen! Sie
haben den angejtammten Bejchüter des VBaterlandes zuerjt macht-
[08 gemacht, dann haben fie fich beflagt, daß er jie nicht be=
ſchützte .... Sie verſchmähten ſeine Befehle, traten dieſelben
mit Füßen, jetzt tragen ſie das Joch des Feindes! ... Wer
anders aber, ſo frage ich, könnte die Republik retten, wenn
nicht derjenige, der ihr ſein Leben geweiht? Er allein, der ſein
unglückliches Land ſiegreich durch den Krieg mit den Koſaken
geführt, der ſich unerhörten Gefahren ausgeſetzt hat, der bei
Sbaraſch und Bereſchtez wie ein gemeiner Soldat gefochten
und alle Beſchwerden mit ſeinen Kriegern geteilt hat, er allein
kann ſein Reich wieder zum früheren Glanz zurückführen ....
Ihm wollen wir allein vertrauen, ihm die Diktatur übergeben!
Wir ſelbſt aber wollen Sorge tragen, daß die inneren Kämpfe,
der Uebermut und die Privatangelegenheiten einzelner nicht
ungejtraft bleiben und auf dieſe Weije der Regierung wieder
zu ihrem Anjehen verhelfen.“
Aljo Hatte der Primas gejprochen. Das Unglück und die
Erfahrungen der legten Zeit hatten die Hörer überzeugt, daß
der Redner vollfommen Recht hatte. Eines von beiden nur
fonnte gejchehen — entweder wurde das Königtum in Bolen
wieder befejtigt, oder die Nepublif mußte untergehen. Es
protejtierte daher auch niemand gegen die Ausführungen des
Fürſten Primas, nur begann nach dem Schluß feiner Rede
eine lebhafte Debatte über die Mittel, durch welche die Vor—
jchläge des Primas am leichtejten und beiten zur Ausführung
31
gelangen konnten. Die Majeſtäten hörten mit freudiger
Spannung zu, bejonders die Königin, welche jchon lange über
einem Plane zur Seritellung der allgemeinen Ordnung im
Reiche arbeitete,
Der König war heiter und befriedigt nach Glogau zurüd-
gekehrt. Er berief fogleich einige der vertrauteiten Offiziere,
darunter Kmiziz, in jein Gemach und jagte ihnen folgendes:
„E3 drängt Uns num lebhaft, diefes Land zu verlafjen,
am liebjten möchten Wir gleich morgen aufbrechen. Deshalb
haben Wir euch zu Uns berufen, damit ihr euch jo jchnell als
möglich marfchbereit macht. Jeder Augenblick ift verloren, den
Wir ohne Not länger hier verweilen. Das Vaterland ruft,
deshalb heißt es eilen.“
„Sicherlich iſt es beſſer, die Abreife nicht hinauszuſchieben,
jobald das mit dem Willen Ew. Majejtät übereinjtimmt,* jagte
Herr Lugowski. „Se jchneller der Aufbruch jtattfindet, deſto
bejjer!“
„Damit der Feind die Abjicht der Rückkehr nicht erfährt
en jeine Wachjamfeit verdoppelt,” ergänzte der Hauptmann
olff.
„Der Feind it Schon aufmerkſam gemacht; er hat alle
Wege bejeßt, jo gut er kann!“ jagte Kmiziz.
„Woher wißt ihr das?“ frug der König.
„Noch als ic in Tichenjtochau war, erhielten wir durch
Bauern zuweilen Nachrichten über die Vorgänge in dem Reich,
jo unter anderem auc), dal es Heike, Ew. Majejtät jeien unter-
wegs nac dem Baterlande oder jchon innerhalb der Grenzen
desjelben. Es muß deshalb Die größte Vorſicht beobachtet
werden, der Nüdzug darf nur in aller Stille, durch die Eng-
päfje gejchehen, denn auf den Landſtraßen lauern die Soldaten
des Douglas ung auf.‘
„Der beite Schuß jind die dreihundert jcharfe Säbel,“
fagte Tyfenhaus, indem er Kmiziz feſt anblidte. „Wenn
Se. Majejtät mir das Kommando über diejelben anvertrauen
wollen, dann führe ich Euch glüdlich und gejund durch das
ganze Schwedenheer.“
„Ihr könnt das, wenn ihr auf dem Zuge dreihundert,
jagen wir jechshundert, oder meinetiwegen taufend Mann
Schweden antreffl. Wie aber, wenn ihr auf noch größere
Trupps jtoßt, was dann?“
„sch jagte dreihundert,“ entgegnete Tyſenhaus, „weil von
32
dreihundert Mann Begleitung die Rede war. Sollten dieſe
nicht genügen, jo müjjen wir eine größere Anzahl bejorgen.“
„Um Gottes Willen nicht! Je größer die Esforte, dejto
weniger fünnen wir unbemerkt bleiben!“ jagte Kmiziz.
„Bah! Ich denfe doch, der Herr Marjchall wird Uns mit
jeinen Truppen eine Wegitrede entgegenfommen?“ warf der
König ein.
„Das wird er nicht thun, denn er fennt ja den Zeitpunkt
der Abreije Ew. Majeität nicht, und wüßte er ihn, fo fünnten
ihn unterwegs immer noch Hindernijje vom rajchen Vordringen
aufhalten. Es it jchwer, hier ficher etwas vorauszubejtimmen ... .“
„Das jagt ein Soldat, ein echter Soldat!“ jagte der König.
„Man jieht, ihr jeid fein Neuling im Kriegshandwerk.“
Kmiziz lächelte. Er dachte an jeine Kämpfe mit Chowanski.
Wer wußte wohl befjer Bejcheid in jolchen Dingen als er,
wen fonnte der König jein Leben jicherer anvertrauen als ihm?
Aber Herr Ayfenhaus jhien anderer Anficht als der
König, Er wandte ſich jtirnrunzelnd an Kmiziz und fagte
ironifih: „Wir warten begierig auf eure befjeren Natjchläge!“
Kmiziz hörte die Ironie aus diefen Worten wohl heraus.
Er blickte Tyſenhaus jcharf an und antwortete:
„Meine Anjicht ijt die, daß wir um jo leichter und uns
bemerfter fortfommen, je Eleiner die Eskorte ijt.‘
„Wie ſoll man das verjtehen ?“
„Majejtät!” wandte ſich Kmiziz an den König. „Es bleibt
Ew. Majeität überlaffen, zu thun, was Ew. Majejtät wollen.
Mein Verſtand jagt mir aber das: „Mag Herr Tyjenhaus mit
den Dragonern vorausgehen, indem er überall dag Gerücht ver-
breitet, daß er den König geleitet, um die Aufmerkjamfeit des
Feindes auf ich zu lenken. Seine Sache wird es fein, mit
heiler Haut ſich durchzudrüden. Ew. Majejtät aber wollen mit
anz Heiner E3forte einen oder zwei Tage nach) ihm ausrüden.
enn des Feindes Augenmerk von uns abgelenft it, dann
wird es uns leicht werden, nach Lubow zu gelangen.“
Der König Hatjchte diefem VBorjchlage Beifall.
„Sott hat Uns diejen Krieger geſandt!“ rief er. „Salomon
jelber konnte Uns nicht weijere NRatjchläge erteilen! So joll es
jein, dabei joll es bleiben! Etwas Befjeres giebt e8 nicht! Man
wird den König unter den Dragonern fjuchen, während Diejer
dem Feinde ein Schnippchen jchlägt und ihm an der Naje vor-
beizieht!“
„Meajejtät belieben zu jcherzen! . . .* jagte Tyjenhaus.
33
„sa, wie Soldaten jcherzen!“ antwortete der König. „Doch
gleichviel, ob Scherz oder nicht, es bleibt dabei.“
Kmiziz leuchteten die Augen vor Freude, daß jeine Ansicht
überwog. Tyjenhaus war heftig aufgeiprungen.
„Allergnädigjter Herr!“ jagte er. „ch lege mein Kommando
nieder. Ein anderer möge die Dragoner anführen!“
„Warum das?“ frug der König.
„Wenn mein König jchußlos dem Zufall fich preisgiebt,
ji allen nur denkbaren Gefahren ausjegt, dann will auch ich
Dabei jein, um für jeine geheiligte Perſon nötigenfalls mit
meinem Leben einzutreten.“
„Wir danken euch für euren guten Willen,“ entgegnete
Sohann Kajimir, „Doch beruhigt euch, gerade die Art zu reifen,
wie Babinitjch ſie vorjchlägt, wird Uns am beiten vor allen
Gefahren bewahren.“
„Was der Herr Babinitjch, oder wie er jonjt heißen mag,
im Schilde führt, das mag er auch verantworten. Vielleicht
liegt ihm daran, daß Ew. Majeftät ji) im Gebirge verirren......
Sch nehme Gott und die hier anmwejenden Waffenbrüder zu
Zeugen, daß ich aus voller Seele von diefer Art zu reifen
abrate!‘
Er hatte jeine Rede kaum geendet, als Kmiziz dicht vor
ihn Hintrat und ihm fejt in die Augen blidend fragte:
„Bas wollt ihr mit euren Worten jagen?“
Tyfenhaus maß ihn mit einem hochmütigen Blid vom
Kopf bis zu den Füßen.
„Bemüht euch nicht, euch mir gleich zu jtellen, Kleines
Herrchen! Ihr erreicht meine Höhe doch nicht,“ jagte er.
Nun jchoffen wieder Zornesblige aus Kmiziz' Augen.
„Wer weiß,“ entgegnete er, „wenn der Andere zu Hoc)
jtände, um ihn zu erreichen, wenn . . .“
„Wenn was?“ frug Tyſenhaus, gejpannt und fejt dem
Gegner ins Auge jehend.
„Sch Habe mich mit Höheren gemejjen, als ihr es jeid!“
Tyſenhaus lachte höhniſch.
„Ich wäre begierig, zu erfahren, wo ihr ſolche ſuchtet.“
„Schweigt!“ gebot jetzt der König mit gerunzelten Brauen.
„sch verbiete euch, Hier Streitigkeiten anzufangen!“
Die Streitenden verjtummten jofort. Es war ihnen durch
das Verbot erjt in Erinnerung zurüdgerufen worden, wo jie
ji befanden. Der König aber fuhr fort:
„Diejer Kavalier, welcher das größte Gejchüg der Schweden
Sientiewicz;, Sturmflut II, 8
34
mit Einjegung jeines Lebens zeritört hat, joll und darf von
Keinem hier durch Hochmut verlegt werden und wäre jein Vater
auch nur ein leibeigener Bauer. Das er das aber nicht iſt,
das haben Wir längjt erfannt, denn den Vogel erkennt man
an jeinem Gefieder und die Abjtammung der Menjchen an
ihren Handlungen. Laßt aljo das Streiten und Hadern.“ Zu
Tyſenhaus gewendet, jprach der König weiter: „Ihr wollt bei
Uns bleiben? Nun gut! Das jei euch gewährt! Wolff oder
Denhof mögen die Dragoner führen, doc) Babinitjch bfeibt auch
beit Uns und jein Rat wird befolgt, denn er behagt Uns jehr!“
„sch wajche meine Hände in Unjchuld!“ jagte Tyjenhaus.
„Bewahrt nur das Geheimmis gut, meine Herren! Die
Dragoner jollen noch heute nad) Ratibor ausrücen. Gleichzeitig
ſoll die Nachricht, daß ich mich verkleidet unter ihnen befinde,
auf das Weitejte verbreitet werden. Dann haltet euch jeden
Augenblid zur Abreife bereit, dieſelbe kann ganz plötzlich er-
folgen... . Tyfenhaus, geht jett, gebt Befehl, daß der Kapitän
an die Spite der Dragoner trete und mit ihnen ausrüde.“
Tyſenhaus verließ händeringend und zornbebend das
Gemach. Ihm folgten die anderen Offiziere.
Noch an demjelben Tage erfuhr ganz Glogau, daß des
Königs Majejtät mit den Dragonern die Stadt verlafjen habe,
um in jein Neich, in die Nepublif zurüdzufehren. Viele der
angejeheniten Bürger jogar waren jo fejt von der Abreije des
Königs überzeugt, daß fie die Neuigkeit immer weiter ver-
breiteten, jo daß jie bald nach Oppeln und weiter Hin ihren
Weg fand.
Obgleich nun Tyſenhaus erklärt hatte, daß er jeine Hände
in Unjchuld wajche, gab er noch nicht alle Hoffnung auf. Da
er als erjter Kammerherr des Königs zu jeder Zeit Zutritt zu
der Perſon desjelben hatte, jo begab er jich noch an demjelben
Tage, gleich nach dem Ausmarſch der Dragoner, in die könig—
lichen Gemächer, wo er die Majejtäten beide antraf.
„sch fomme, mir nähere Befehle über die Abreije einzue
holen. Wann gedenfen Ew. Majeſtät aufzubrechen?“ jagte er.
„Mebermorgen in aller Frühe,“ antivortete der König.
„Wie groß foll die Esforte fein?“
„Ihr, Babinitſch und Lugowski begleitet Uns als mili—
tärijche Esforte. Außerdem reilt der Herr Kaſtellan von
Candomir auch mit Uns. Ich habe ihn gebeten, jo wenige jeiner
Leute mitzunehmen als thunlich, aber ganz gering wird ihre
Zahl doch wohl nicht jein; es find ja meist auch tapfere Kämpen.
35
Zum Ueberfluß will auch Se. Eminenz, der Herr Nuntius Uns
begleiten, dejjen Anmwejenheit dem Unternehmen die rechte Weihe
geben joll. Se. Eminenz wollen daher ihre Perſon den Ge-
fahren der Reife ausjegen. Ihr aber jorgt dafür, daß nicht
mehr al3 vierzig Roſſe allerhöchitens Unſer Geleit bilden, denn
jo Hat Babinitich Uns geraten.
„Allergnädigiter Herr!“ fagte Tyſenhaus.
„Wollt ihr noch etwas?“
„sch bitte fußfällig um eine Gnade. Es ift gejchehen.....
Die Dragoner find fort... . wir werden jchußlos die Neije
antreten, der kleinſte feindliche Vortrab kann uns gefangen
nehmen. Majejtät wollen meinem Flehen ein geneigtes Ohr
leihen, Gott weiß, wie treu ich bin. Trauen Ew. Majejtät
dieſem Menschen doch nicht jo blindlings. Wie gewandt er tt,
das beweiſt der Umjtand, daß er in jabelhaft Furzer Zeit es
* brachte, ſich in Gunſt bei den Majeſtäten zu ſetzen,
aber
„Mißgönnt ihr ihm Unſere Gunſt?“ frug der König.
„sch mißgönne ihm nichts, Majeſtät! Ich will ihn auch
nicht des offenbaren Verrats verdächtigen, aber ich möchte fait
darauf jchwören, daß er nicht Babinitjch heißt. Warum ver-
birgt er jeinen wahren Namen? Warum jpricht er nie von
dem, was er war oder that, ehe er nach Tichenftochau ging?
Warum drängte er jo fehr, daß die Dragoner vorausgehen und
Ew. Majeität ohne Eskorte reifen jollen ?“
Der König dachte ein wenig nach, wobei er alter Gewohn-
heit gemäß, die Baden wiederholt aufblies.
„Wenn er wirklich im Einvernehmen mit den Schweden
handelt,“ jagte er dann, „welchen Schub würden uns dann wohl
dreihundert Dragoner bieten können? Babinitjch brauchte
dann nur die Schweden zu benachrichtigen, dab jie mit etlichen
Hunderten ihrer Füſiliere die Engpäffe bejegen; wir wären dann
wie in einem Net gefangen. Ueberlegt doch nur ein wenig.
Bon Verrat kann gar feine Rede fein. Er müßte dazu genau
den Tag und die Stunde des Ausmarjches fennen, dann
brauchte er Zeit, um die Schweden in Krakau in Kenntnis zu
jegen und zulegt fonnte er gar micht willen, ob Wir feinem
Nate folgen würden oder nicht. Da anfangs beitimmt war,
da Wir zugleich mit den Dragonern ausmarjchieren jollten,
jo müßte, wäre er mit den Schweden im Einvernehmen, diejes
vereinzelte Abreifen nur jeine Pläne freuzen, da er jie von
dieſer Veränderung von neuem in Kenntnis jegen mußte. Das
8*
36
alles jind wichtige Folgerungen. Uebrigens drängte er Uns
jeine Anficht durchaus nicht auf, wie ihr behauptet, jondern er
jagte nur, wie jeder andere jeine Meinung. Nein! Nein! Aus
jeinen Augen leuchtet Wahrheit und die verbrannte Seite legt
Beugnis ab, daß er imjtande ilt, einen quälenden Schmerz
klagelos zu tragen.“
„Seine Majejtät hat Recht,“ jagte nun plößlich die
Königin... . „Das find alles ganz richtige Folgerungen und
der Nat des Babinitſch war und bleibt gut.“
Tyjenhaus wußte aus Erfahrung, daß, wenn erjt Die
Königin eine Anficht ausgejprochen hatte, eine Appellation an
den König vergeblich war, denn Johann Kafimir vertraute
ihrem Scharffinn und Verjtand unbedingt. Jetzt handelte es
fih) nur darum, den König zur Beobachtung der äußerſten
Vorſicht zu beivegen.
„Es ziemt mir nicht, den Allerhöchiten Herrichaften zu
opponieren. Wenn denn bejtimmt der Aufbruch auf über-
morgen früh angejeßt jein joll, jo bitte ich, daß diefer Babinitjch
nicht eher davon erfährt, als eine Stunde vorher.“
„Damit bin Sch einverjtanden!” jagte der König.
„Unterwegs laſſe ich jelbjt ihm nicht aus den Augen und
wehe ihm, wenn ein Unfall pajlieren jollte, dann fommt er
mir nicht lebend davon !“
„Das iſt nicht nötig,” jagte die Königin. „Hört einmal,
mein Herr! Sein anderer fann den König vor Verrat und
Tüde bewahren, als Gott allein. Weder ihr, noch die Dra—
goner, noch Babinitjch, Fünnt die Majejtät jchügen, wenn des
Allmächtigen wachjames Auge nicht auf ihr ruht. Gott allein
wird über dem Könige wachen und jollte ihm Unheil drohen,
ihm unerwartet jeine Hilfstruppen jenden. Das jagen Wir euch,
der ihr an himmlische Mächte nicht glaubt.“
„llerdurchlauchtigite Herrin!“ entgegnete Tyfenhaus, „auch
ich glaube, daß ohne Gottes Willen niemandem ein Huar ges
frümmt wird. Es it doch aber feine Sünde, wenn ich aus
Bejorgnis um die Perſon Sr. Majejtät Verrat fürchte.“
Maria Ludwika lächelte Huldvoll.
„Rein! das nicht! Aber ihr jeid ſehr jchnell fertig mit
eurem Urteil über andere und bejchimpft dadurch Unſer ganzes
Volt, Unfere Nation, welche, wie Babinitſch mit Necht jagt,
feinen einzigen aufzuweijen hätte, der jich zum Königsmorde
hergeben wollte. Es mag euch vielleicht wundern, day Wir
nach allen den bitteren Erfahrungen der legten Zeiten, welche
37
Uns, Meinem königlichen Gemahl und Mir, widerfahren, jo jpreche.
Ih habe trotdem das fejte Vertrauen zu Unjerem Volke nicht
verloren und bin überzeugt, daß jelbjt unter denen, Die gegen-
wärtig noch in ſchwediſchen Dienften ſtehen, fich nicht ein
einziger Königsmörder finden würde.“
„Und der Brief des Fürſten Boguslaw, Majeſtät?“
„Der Brief lügt!“ ſagte die Königin beitimmt. „Wenn
es einen gebe in der ganzen Republik Polen, welcher des
Königsverrates fähig wäre, jo ijt diefer Eine ſicher der Fürſt
EStallmeister, doch er gehört kaum noch dem Namen nad
Unjerer Nation an.“
„Kurz und gut, verdächtigt den Babinitjch nicht mehr,“
jagte der König. „Das mit dem Namen muß eine Ver—
wechjelung bei euch fein. Man fünnte ihn jchließlich desivegen
in ein Berhör nehmen, aber jagt jelbit, wie joll man das be-
werfitellign? . . . Sollen Wir etwa fragen: Wenn ihr nicht
Babinitjch heit, wie nennt ihr euch dann? Dieje frage müßte
ihn jchwer verlegen und Wir haften mit Unſerem Kopfe für
feine Rechtlichkeit.“
„Um Ddiefen Preis, Majeität, möchte ich mich nicht von
jeiner Nechtlichfeit überzeugen wollen.“
„But! Schon gut! Wir danfen euch für eure Bejorgnis.
Der morgige Tag jei dem Gebet und Buhübungen geweiht.
Uebermorgen mit Tagesanbruch wird ausgerückt.“
Tyſenhaus zog fich jeufzend zurüd und begann nod an
demjelben Tage ganz im Geheimen die Vorbereitungen zur
Abreife. Auch die höchjten Würdenträger hatten feine Ahnung
davon. Die Dienerjchaft erhielt nur kurz den Befehl, Die
Pferde jeden Augenblick marjchbereit zu halten, da der Befehl
zum Aufbruch einmal ganz plößlic) gegeben werden könne.
Am ganzen folgenden Tage blieb der König unfichtbar;
er fam auch nicht in die Slirche. Dafür verrichtete er in jeinen
Semächern Gebete und fromme Bubübungen. Er betete nicht
für jich, nein, für jein unglücjeliges Reid).
Auch die Königin mit ihrem Frauenzimmer verharrte
im Gebet.
Die darauffolgende Nacht jtärfte in tiefem gejunden
Schlaf die Kräfte der Neifebereiten und als eben die Kirchen—
* der Glogauer Stadtkirche zur Frühmette rief, da hatte
ie SZ —— geſchlagen.
— —
4. Rapitet,
Der König Hatte Ratibor pafjiert, ohne länger dort zu
verweilen, al3 zum Füttern der Pferde nötig war. Niemand
dort hatte ihn erfannt, niemand dem Neiterzuge bejondere Auf:
merfjamfeit gejchenft, denn die ganze Stadt jprach von nichts,
al3 von dem Durchzuge der Dragoner, unter welchen jich nach)
aller Meinung auch der polnische Monarch befunden haben
jollte. Die Esforte des Königs war dennoch zahlreicher, als
er jelbjt e8 gewünjcht, da noch mehrere hohe Wiürdenträger, jo
unter anderen allein fünf Biſchöfe fich im legten Augenblid
entjchlofjen hatten, die Gefahren ihres Königlichen Herrn zu
teilen. In den Grenzen des Saijerreiches bot allerdings Die
Neije feine Gefahr. Im Oderberg, unweit der Mündung der
Dlja in die Oder, wurde die mährische Grenze überjchritten.
Der Tag war trübe. Dichter Schnee fiel in Mengen, jo
daß man nur auf ganz furze Entfernungen den Weg zu er-
fennen vermochte. Aber der König war heiter und guter Dinge,
denn es war etwas gejchehen, was allen eine gute VBorbedeutung
jchien und deſſen jogar die damaligen Gefchichtsjchreiber Er—
wähnung thaten. Als der König eben das Weichbild der Stadt
Glogau verließ, erjchien vor dem föniglichen Roſſe ein ſchnee—
weißer Bogel und umflatterte das Haupt des Monarchen
zwitjchernd und jingend. Es erinnerten jich viele aus der
Umgebung des Königs, daß eim ähnlicher, aber kohlſchwarzer
Vogel jeine Kreife über dem Monarchen gezogen hatte, als
derjelbe Warjchau verließ, um den Schweden das Feld
zu räumen.
39
Diejer weiße Vogel nun war an Gejtalt einer Schwalbe
ähnlich. Sein Erjcheinen war um jo wunderbarer, da e3 doch
mitten im Winter war, wo an eine Nüdfehr der Schwalben
noc gar nicht zu denken war. So erfreute aljo das Erjcheinen
des Vögelchens die Herzen aller; der König erblidte darin eine
gute VBorbedeutung für jeine Fahrt umd dachte mehrere Tage
an nichts anderes, als an den Vogel. Es zeigte ſich auch
vom erjten NReijetage an, wie gut die Natjchläge Kmiziz' waren.
Ueberall im Mähriſchen, wohin der Neiterzug fam, wurde
von dem Durchmarjch der Dragoner mit dem Slönige von
Polen erzählt. Manche behaupteten, ihn mit eigenen Augen
gejehen zu haben, im PBanzerhemd, das Schwert in der Hand,
die Krone auf dem Haupt. Es furjierten auch die ver-
jchiedeniten Gerüchte über die Streitmacht, welche er mit fich
führte, die Zahl der Dragoner wuchs im Volksmunde bis ins
Märchenhafte. Es wurde erzählt, daß das Ende des Zuges
gar nicht abzujehen war.
„Sicher werden die Schweden den König angreifen,“ fagte
man, „doch bezwingen werden jie jeine Heeresmacht nicht mehr.“
„Run?“ frug der König Tyſenhaus, „hatte Babinitjc)
nicht Recht?“
„Wir find noch nicht in Lubow, Meajejtät,“ entgegnete der
junge Magnat.
Babinitjch aber war zufrieden mit ſich und mit dem Ber-
lauf der Fahrt. Er Hielt ſich mit den drei Kiemlitſch meijt
ganz vorn im Zuge, um die Wege zu erforjchen; zuweilen auch)
ritt er zufammen mit den anderen und dann unterhielt er den
König mit den Erzählungen verjchiedener Einzelheiten aus der
Belagerung von Tſchenſtochau, an welchen derjelbe jich nie jatt
hören fonnte.
Bon Tag zu Tag gefiel der junge Held dem Könige beſſer.
Die Zeit verging dem Monarchen mit frommen Betrachtungen,
Gebet, Gejprächen über den Krieg, jowie bei den Erzählungen
Kmiziz' angenehm. Auch Eleine Sriegsjpiele wurden unterwegs
von den Offizieren aufgeführt, um die Neife durch Kurzweil zu
fürzen. Es lag im Weſen Johann Kafimirs, daß er jchnell
vom Ernjt zum Scherz, von fchwerer Arbeit zu luftigen Späßen
überging. Immer aber gab er fich der jeweiligen Bejchäftigung
mit voller Seele Hin.
So mußte ein jeder nach Vermögen dazu beitragen,” den
König zu zeritreuen. Die Kiemlitjch unterhielten ihn durch ihre
ungejchlachten Bewegungen und mit Proben ihrer Mustelitärte,
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indem fie eijerne Hufeifen zerbrachen, wie leichtes Nohr. Für
jede jolche Leijtung ließ ihnen der Slönig einen blanfen Thaler
auszahlen, obgleich der Geldjädel der Majeität gar jehr zu—
jammengejchmolzen war, denn alles Gold, jelbit die Kleinodien
und Staatsfleider der Königin waren zur Ausitattung der
Soldaten veräußert worden.
Herr Andreas zeigte eine große Fertigkeit im Werfen eines
ichweren Beiles, welches er hoch in die Luft jchleuderte, um es
im Serumnterfliegen auf jeinem Pferde am Stiel zu erfafjen.
Diefem Kunſtſtück Hatjchte der König lebhaft Beifall.
„Dasjelbe Kunſtſtück,“ jagte er, „jahen Wir von dem Herrn
Slujchfa, dem Bruder der Frau Unterfanzlerin. Derjelbe warf
das Beil aber nicht halb jo hoch.“
„Diejeg Spiel wird bei ung in Litauen allgemein geübt,
und was man von Kindesbeinen an treibt, das geht einem ſo—
zufagen in Fleiſch und Blut über,“ fagte Kmiziz.
„Wie jeid ihr denn zu der Narbe im Gejicht gefommen ?“
frug einmal der König, indem er auf Kmiziz' Wange deutete,
„E83 muß euch da einer mit dem Säbel tüchtig über das Geficht
gefahren jein.“
„Das war fein Säbelhieb; die Narbe rührt von einem
Schuß Her, welcher dicht vor meinem Gejicht auf mich abgefeuert
wurde.“
„That das einer der Unfrigen oder ein Feind?“
„Einer der Unjrigen und dennoch ein Feind, welchem ich
Rache geichworen, aber ehe dieje nicht vollbracht ift, jpreche ich
nicht über die Sache.“
„So gehäjjig jeid ihr?“
„Ich bin nicht gehäffig, Majeftät. Auf meinem Kopfe
trage ich eine Narbe von einem Säbelhieb. Durch die Flaffende
Wunde dort oben wäre um ein Haar meine Seele entflohen
und dennoch trage ich demjenigen, der fie mir gejchlagen, feinen
Groll nach, weil er ein edler Mann ilt.“
Indem er das jagte, entblößte Kmiziz fein Haupt und
wies dem Könige Die Harbe, deren weißliche Ränder deutlich
zu erfennen waren,
„Sch ſchäme mich diefer Narbe nicht,“ jagte Kıniziz, „denn
ein FFechtmeiiter hat fie mir beigebracht, wie es feinen zweiten
in der ganzen Republik giebt.“
„er war denn dieler Meiiter ?
„Herr Wolodyjowski.“
„Er? Wir kennen ihn. Er hat Wunder der Tapferfeit bei
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Sharajch verübt. Auch waren Wir auf der Hochzeit des Herrn
Skrzetuski, welcher Uns die erjte Nachricht von den Belagerten
in Sharajch überbrachte. Ach, das find große Männer! Es war
aber noch ein dritter, welchen das ganze Heer als den Größten
rühmte. Er war did, diejer Edelmann, und jo Furzweilig, daß
Wir bei der Hochzeit vor Lachen fajt barjten.“
„sc errate! Das ijt Herr Sagloba!* jagte Amiziz. „Er
it nicht nur tapfer, jondern auch voller luftiger Einfälle.“
„Wißt ihr vielleicht, was die Dreie jegt thun und wo jie
ſich befinden ?*
„Wolodyjowsfi hat die Dragoner de3 Fürſt-Wojewoden
angeführt.“
Das Antlig des Königs verdüjterte jich.
„Und er dient jet mit dem Fürſt-Wojewoden den
Schweden ?*
„Er? den Schweden? Er ijt bei Herrn Sapieha. Ich
war zugegen, wie er nach dem Verrat des Fürſten-Wojewoden,
ihm das zerbrochene Schwert vor die Füße warf.“
„O, das ijt ein braver Soldat!“ entgegnete der König.
„Dir haben Nachrichten von Herrn Sapieha aus Tykozin, wo
er den Fürſten belagert. Gott jegne ihn! Wenn alle wären
wie er, dann hätten die Schweden längit das Weite gejucht.“
Hier frug Tyſenhaus, welcher die ganze Unterhaltung gehört
hatte, ganz plöglich:
„Sp waret ihr in Kiejdan bei Radziwill?“
Ein flein wenig wurde Kmiziz verlegen; er warf das Beil,
welches er in der Hand hielt, leicht auf und nieder.
„a, ich war dort!“ antwortete er kurz.
„Laßt das Beil in Ruhe,“ ſprach Tyjenhaus weiter. „Was
hattet ihr am fürjtlichen Hofe zu thun?“
„sch war Gajt dort,“ antwortete Kmiziz verdrofien. „Das
fürftliche Brot ſchmeckte mir jedoch nicht mehr, als der Fürſt
zum Verräter wurde.“
„Warum jeid ihr denn nicht mit den anderen zu Herrn
Sapieha gegangen ?“
„Weil ich der heiligen Jungfrau gelobt hatte, nad) Tjchen-
jtochau zu gehen, was ihr leicht begreiflich finden werdet, da
unjer Djtra Brama durch die Septentrionare offupiert war.“
Herr Tyſenhaus jchüttelte den Kopf umd jchnaufte jo
beitig, daß dadurch die Aufmerkfjamjeit des Königs rege ge—
* wurde, ſo daß er ſelbſt forſchend den jungen Ritter
anblickte.
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Diejer wandte jich jchließlich ungeduldig an Tyſenhaus
und jagte:
„Mein Herr! Sch habe euch noch nicht gefragt, wo ihr
waret und was ihr getrieben habt.“
„So fragt doch!“ antwortete Tyjenhaus. „Sch habe nichts
zu verbergen.“
„Ich stehe vor feinem Gericht, und wäre das der Fall,
dann wäret ihr nicht mein Richter. So laßt mich denn in
Frieden, jonjt verliere ich einmal die Geduld.“
Indem er das jagte, warf er das Beil mit jolcher Gewalt
in die Höhe, dab es, ein ganz Feiner Punkt, oben in der Luft
jchwebte. Die Augen des Königs folgten ihm; er dachte augen=
blieklich nichts anderes als das, ob Babinitſch es auffangen
werde oder nicht .
Babinitjch gab dem Pferde die Sporen, jeßte los umd fing
das Beil auf.
An demjelben Abende jagte Tyjenhaus zum Könige:
„Majejtät! Diejer Edelmann gefällt mir immer weniger!...*
„Und Mir immer mehr!“ erwiderte der König.“
„sch hörte heute zufällig, wie einer feiner Leute ihn „Herr
Hauptmann“ anredete. Er aber gebot ihm mit einem drohenden
Blide Schweigen. Dahinter jtedt etwas.“
„Auch Mir kommt es zuweilen jo vor, als ob er etwas
verbergen wolle,“ jagte der König, „aber das ijt jeine Sache,
das geht Uns nichts an.“
„Jawohl, Majeität! Das geht uns an, denn das Wohl
und Wehe der ganzen Republit kann von jeinem Schweigen
abhängen. Sit er ein Spion, welcher Ew. Majeität ins Ver—
derben jtürzen will, jo find mit Ew. Majeität das Vaterland
und alle Getreuen in demjelben verloren, da auf Ew. Majejtät
allein die einzige Hoffnung auf Rettung beruht.“
„Ich werde ihn morgen früh jelbjt befragen.“
„Wolle Gott, ich wäre ein faljcher Prophet, aber er jchaut
nicht gut aus. Er iſt zu eingebildet, zu frech und rejolut;
ſolche Menjchen find zu allem fähig.“
Der König war verjtimmt.
Am nächiten Morgen, gleich beim Aufbruch winfte er ihn
an jeine Seite.
„Wo waret ihr, Hauptmann?“ frug ihn der Klönig ganz
unvermittelt.
Kmiziz jchwieg. Er kämpfte einen harten Kampf. Der
Wunſch, ſich dem Könige zu Füßen zu werfen und die Laft,
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welche er mit jich herumjschleppte, abzuwälzen, die ganze Wahr:
heit zu befennen, entbrannte auf das heftigite in ihm.
Doc, mit Schreden dachte er daran, welchen grauenhaften
Eindrud das Wort Kmiziz, im Zujammenhange mit dem Briefe
des Fürſten Boguslaw, auf den König machen mußte.
Womit fonnte er, der Helfershelfer des Wojewoden von
Wilna, er, welcher allein durch jein Handeln, jeine Energie
den Verrat desſelben gejtütt Hatte, er, der des jchändlichiten
Verbrechens, des Königsmordes, verdächtigt war, beweijen, daß
jich eine Wiedergeburt an ihm vollzogen, daß er jeine Schuld
jchwer mit dem eigenen Blute gebüßt? Wie jollte er den
König, die Bijchöfe, alle die Senatoren von der Ehrlichkeit
jeiner Gefinnung überzeugen?
„Meine Sünden verfolgen mich umerbittlich immer und
überallhin,“ dachte er verzweifelt.
Er bejchloß alfo, zu jchweigen. Gleichzeitig aber empfand
er einen unausjprechlichen Widerwillen und Efel vor der Lüge.
Mußte er diefen unglüdlichen Herrn, den er aus voller Seele
liebte, belügen, ihm ein Märchen aufbinden? Ihm fehlte die
Kraft dazu.
Er begann aljo nach einer Weile:
„lergnädigiter Herr! Die Zeit liegt nicht mehr fern,
wo ich Ew. Majeität meine Seele, mein Herz ausjchütten
werde, wie im Beichtjtuhl ... Aber ich will, daß für mic),
für die Treue und Ehrlichkeit meiner Gefinnung nicht bloße
Worte, jondern Thaten zeugen... Ich habe gefündigt, Majejtät,
ichwer gefündigt gegen.das Vaterland, gegen Ew. Majejtät, und
noch zu wenig gebüßt. Daher juchte ich nach einem Dienft,
in welchem ich leicht Gelegenheit finden fann, meinem heißen
Verlangen nach Befjerung, nach harter Buße Genüge zu
feiiten . .. Wer hätte denn nicht auch jchon gejündigt, wer
in dieſer ganzen Nepublif wäre ganz von Schuld frei. Vielleicht
(ud ich größere Schuld auf mic), ale andere, aber ich fam auch
ichneller al3 andere zur Befinnung . . . DO, Majejtät! Ich
bitte nach nichts zu fragen, bis mein Dienjt mir Gelegenheit
gegeben, meine Schuld zu tilgen; ich bitte mir zu glauben,
denn ich darf nicht fprechen, weil ich mir den Weg zur Buße
frei halten muß. Gott und feine gebenedeite Mutter find
meine Zeugen, daß ich nicht lüge, daß ich mein Herzblut für
Ew. Majejtät zu vergießen bereit bin... .“
Hier zitterte Kmiziz die Stimme, jeine Augen wurden
feucht; der Ausdruck eines tiefen Schmerzes in jeinem Gejicht,
44
deugten bejjer für die Ehrlichkeit feiner Handlungen, als alle
orte
„Bott kennt die Neue meines Herzens; er wird fie mir
am Zn e bes letzten Gerichts anrechnen,“ fuhr Kmiziz fort.
Wenn Ew. Majeſtät mir aber nicht trauen, jo bitte ich,
mich "fortzufchicen. Ich werde dann von ferne den Spuren
Ew. Majejtät folgen, um im Augenblide höchſter Gefahr un—
gerufen zur Hand zu jein und mein Leben für meinen Herrn
und König einzufegen. Dann werden Ew. Majejtät hoffent—
lich glauben, daß ic) fein Verräter, jondern ein treuer Diener
bin, vielleicht treuer als diejenigen, welche gern andere ver=
dächtigen.“
„Wir glauben euch jchon heute!“ jagte der König. „Bleibt
nach wie vor bei Uns, der Verrat jpricht nicht aus euch.“
„Ich danke Ew. Majeſtät!“ jagte Kmiziz.
Er hielt fein Pferd ein wenig zurüd, um in die legten
Neihen des Zuges zu gelangen.
Inzwiſchen hatte Tyſenhaus jeine Verdächtigungen nicht
nur dem Slönige, jondern auch anderen mitgeteilt, was zur
Folge hatte, dab alle begannen, Kmiziz jcheel anzubliden. Es
verjtummten die Gejpräche, wo er Jich blicken ließ; man raunte
einander allerhand zu, jede jeiner Bewegungen wurde beobachtet.
Herr Andreas bemerkte das; es wurde ihm unbehaglich unter
diejen Menjchen.
Selbjt des Königs Antlig war erniter als früher, wenn
er ihm auch fein Vertrauen nicht entzog. Der junge Ritter
verlor jeinen Frohſinn, er wurde nachdenklich und Reue und
Bitternis erfüllten jein Herz. Im Gegenſatz zu früher, wo er
an der Spite des Zuges jein Roß getummelt, jchleppte er ſich
immer mehrere Hundert Schritte Hinter der Kavalfade, mit
rk Kopfe und düfteren Gedanfen drein.
Endlich jchimmerten die jchneebededten Bergkuppen der
Sarpaten zu den Meitern herüber. Wolfen breiteten ihre
jchweren Flügel über die Gipfel und da der Abend fich auf:
hellte, jo überzog die Abendröte den Fuß der Berge mit roſigem
Schimmer, welcher das Auge jtarf blendete, bis die Schatten
der Nacht ſich auf die Berge herniederjenkten.
Kmiziz ſah diefes Naturwunder, welches er früher nie
gefannt hatte, mit bewunderndem Staunen und vergaß darüber
momentan jeinen Sram.
Mit jedem Tage rüdten ihnen die Berge näher, immer
riejenhaftere Dimenfionen annehmend, bis endlich der fünigliche
45
Reiterzug fie erreichte und in die Engpäfje einzog, welche ich
wie Thore vor ihm öffneten.
„Es fann nicht mehr weit bis zur Grenze jein,“ jagte
der König bewegt.
Da erblidten die Reiter einen Eleinen Wagen, welchem ein
Pferd vorgejpannt war. Ein einzelner Mann jaß auf demjelben.
Er wurde jogleich angehalten und Tyjenhaus frug:
„Sagt einmal, Mann, befinden wir ung jchon in Polen?“
„Da, dort, hinter jenem Felſen und dem Flüßchen ijt noc)
ur Land; hier jteht ihr jchon auf königlicher Erde.“
elangt man nach Sywiez?“
een eaus fommt ihr auf den Weg dorthin.“
Der Bergbewohner hieb auf fein Pferd ein, ITyjenhaus
jprengte zu dem unweit haltenden Könige.
„Majejtät!* rief er begeijtert, „Ew. Majejtät befinden jich
ihon auf eigenem Grund und Boden, dort an jenem Flüßchen
fängt Ew. Majeftät Neich an!“
Der König antwortete nicht; er winkte nur, daß man
jein Pferd Halte, dann jtieg er ab, fniete nieder und faltete
die Hände.
Bei diefem Anblid folgten alle dem Beiſpiel ihres fünig-
lichen Herrn. Diejer aber, der jo lange umbergeirrt, breitete
die Arme aus, beugte jich hernieder und fühte die Erde, die er
jo liebte und die jo undanfbar gewejen, in den Tagen der Not
ihrem Könige ein Obdach zu verjagen.
Die tiefite, andächtigite Stille herrjchte. Der Abend janf
hernieder; er war frojtig aber hell. Die Berge und die Wipfel
der Tannen in der Nähe waren mit Purpurlicht übergojjen,
während die ferner liegenden jchon in dunkles Biolett getaucht
waren. Der Streifen Landſtraße, wo der König eben jein
Land begrüßte, glänzte wie ein rotgoldenes Band, ein gelblicher
Schimmer fiel auf den König, die Bilchöfe und Würdenträger.
Da fegte plöglich ein leichter Wind von den Bergen her—
nieder und trieb loje Schneefloden vor ji) her. Er fuhr in
die Wipfel der bejchneiten Tannen, jo daß dieje jich tief neigten
und laut raujchten, als wollten jie ihrem Könige das uralte
polnische Lied zum Willfommen in der Heimat fingen:
„Sei ung gegrüßt, geliebter Herre!“
Es war jchon ganz dunfel, als der Zug endlich weiter
jich bewegte. Hinter dem Engpaß dehnte ich ein etwas breiteres
Thal, dejien Ende jich in der Ferne verlor. Ringsum herrichte
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Dämmerung, nur an einer Stelle des Horizontes leuchtete es
noc) rötlich.
Der König begann das Ave Maria, die anderen beteten
andächtig nach. Der Gedanke, im Baterlande zu fein, die in
nächtliches Dunkel ſich hüllenden Berge, die langjam erlöjchende
Abendröte, das Gebet, jtimmte die Herzen aller Reiſenden fo
feierlich, daß fie nach beendetem Gebet ſchweigend weiterritten.
Nun war es völlig Nacht geworden, nur im Djten dauerte
die Nöte fort, ja fie wurde immer heller.
„Wir reiten der Nöte nad), jagte der König. „Mich
wundert, daß jte nicht erlischt.“
Ehen fam Kmiziz angejprengt:
„Majejtät!“ rief er, „Dort ift eine Feuersbrunſt!“
Der Zug hielt an.
„Eine Feuersbrunſt?“ frug der König. „Mir fcheint, es
iſt die Abendröte?“
: En nein! Ich täuſche mich nicht; es iſt eine Feuers—
runſt.“
Und wirklich, Kmiziz hatte recht. Es blieb kein Zweifel,
denn bald türmte es ſich wie rote Wolken über dem Schein,
welche bald heller, bald dunkler leuchteten.
„Dort kann nur Sywiez liegen; der Ort muß brennen!“
rief der König. „Der Feind kann dort Feuer angelegt haben!“
Er Hatte noch nicht geendet, als die Laute menschlicher
Stimmen und das Schnaufen von Pferden ertönte und einige
dunkle Geitalten dicht vor dem Könige auftauchten.
„alt! Halt!“ rief Tyſenhaus.
Die Gejtalten hielten an, ungewiß, was fie zu thun hätten.
„Ber jeid ihr?” frug jemand mitten aus dem Zuge heraus.
„Sute Freunde!“ antivorteten ein paar Stimmen, „gute
Freunde! Wir fommen aus Sywiez; wir find nur mit dem
nadten Leben entflohen, denn die Schweden morden und
brennen dort!“
„Halt! Um Gotteswillen! Was jagt ihr? Wie find fie
denn dorthin gefommen ?“
„Sie haben, gnädiger Herr, unferem Könige aufgelauert.
Es jind ihrer viele, jehr viele! Gott jei unjerem Herrn
gnädig!“
Tyſenhaus war einen Augenblid ratlos.
„Da haben wir es! Jetzt fünnen wir jehen, was es heikt,
mit Fleiner Esforte reifen!” jchrie er miziz an. „Der Teufel
hole eure guten Ratſchläge!“
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Aber Johann Kafimir ergriff jelbit das Wort.
„Wo ilt der König?“ frug er die Leute,
„Der König hat jich mit einem großen Heere in die Berge
begeben. Er ijt vor zwei Tagen durch Sywiez gefommen, aber
die Schweden haben ihn verfolgt und bei Sucha eingeholt. Es
joll dort zu einer Schlacht gefommen ſein. . . . Wir willen
nicht, ob jie ihn gefangen haben oder nicht. Heute gegen Abend
find fie zurücdgefommen und morden und fengen jetzt ...“
„Ihr könnt weiter reiten, Leute!” jagte Johann Kaſimir.
„Bott geleite euch!“
Die Flüchtenden eilten davon.
„Da jeht ihr, was gejchehen wäre, wenn wir mit den
Dragonern geritten wären,” jagte Kmiziz.
„Majejtät!” begann der Herr Biſchof Gembizfi. „Der
Feind iſt vor uns ... Was jollen wir thun?“
Alle umringten den König, als wollten fie ihn vur einer
plöglichen Gefahr jchügen. Der König blicte nach dem Feuer—
jchein, welcher fich in feinen Augen widerjpiegelte. Steiner
wagte ein Wort zu jprechen, denn es war jchwer, einen Aus—
weg zu finden.
„Als Wir das Baterland verließen, beleuchteten brennende
Ortichaften Meinen Weg‘, jagte der König endlich, „und jebt,
wo Wir faum den Fuß auf heimatlichen Boden gejegt haben, jtehen
Wir wieder vor einer Feueröbrunit . . .“
Wieder wurde es jtill nach diefen Worten, nur dauerte das
Schweigen länger al3 zuvor.
„Wer weiß einen Ausweg?“ frug plötzlich der Bijchof
Gembizfi.
Da ertönte die Stimme Tyſenhaus' voll Bitterfeit und Hohn.
„Derjenige, welcher ſich nicht geicheut hat, die Perſon
- umjeres geliebten Herrn Gefahren preiszugeben, möge nun auch
einen Ausweg finden.“
Da Löfte jich ein Neiter aus dem Streije los; es war
Kmiziz.
„But!“ ſagte er.
Er erhob ſich in den Steigbügeln und indem er fich nach
der Seite zu wandte, wo die Dienerjchaft hielt, rief er aus
vollem Halje:
„Kiemlitſch! Mir nach!“
Sn demjelben Augenblid gab er dem Pferde die Sporen
und jagte davon, was das gBierb ausgreifen konnte, hinter ihm
drein die drei Kiemlitſch.
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Ein fürchterlicher Schrei entrang fich der Bruft Tyjenhaus'.
„Das iſt Verrat!“ jchrie er. „Die Verräter holen die
Schweden hierher. Majejtät! Retten wir ung, jo lange es
angeht. Der Engpaß wird bald vom Feinde bejet fein... .
Zurüd, Majejtät! Zurück!“
„Kehren wir um!“ riefen einjtimmig die Kirchenfürjten und
Staatd-Würdenträger.
Da wurde Johann Kajimir migmutig. Er blidte zornig
drein, zog den Säbel aus der Scheide und jagte:
„Gott bewahre mich davor, daß ich freiwillig noch einmal
das Land meiner Väter verlafje! Es gejchehe, was da wolle,
ich bleibe.“
Er gab jeinem Pferde die Sporen, um vorwärts zu reiten,
da fiel der päpjtliche Gejandte dem Pferde in die Zügel.
„Majeſtät!“ jagte er ernit. „Die Geſchicke des Vaterlandes
und der heiligen Kirche ruhen auf Eurer Perſon, folglich dürft
Ihr diejelbe nicht in Gefahr bringen!“
„Rein, das darf nicht gejchehen!“ bejtätigten die Bijchöfe.
„ber Ich fehre nicht nad) Schlefien zurück,“ rief der König,
„sc will nicht zurüd, beim heiligen Kreuz, Ich will nicht!“
„Allerdurchlauchtigſter Herr! jo hört doch auf die Bitten
Eurer Unterthanen!“ jagte, die Hände faltend, der Kajtellan von
Sandomir. Wenn denn durchaus von einer Rückkehr in das
Kaijerreich nicht die Rede jein joll, jo verlajjen wir wenigitens
diefen Play und lenken wir der ungarischen Grenze unjere
Schritte zu, oder ziehen wir uns wenigjtens in den Engpaß
zurüd, damit uns der Rückzug nicht abgejchnitten wird. Dort
fünnen wir die Dinge abwarten und im Falle eines Ueberfalles
die Flucht juchen. Wenigſtens fünnen wir nicht eingejchlojien
werden, wie in einer Maufjefalle.
„So jei es denn,“ antwortete der König etwas befänftigt.
„Einen veritändigen Nat verjchmähe Ich nicht, aber noch einmal
zurüd in die Verbannung, nein, das gejchieht nicht! Können
wir hier nicht weiter, nun dann ficher auf einer anderen Stelle.
Ich bin aber überzeugt, daß ihr, meine Herren, euch umjonjt
ängitigt. Daß die Schweden ung bei den Dragonern gejucht
haben, beweiſt Mir, daß fie von unjerem Hierjein feine Ahnung
haben, und daß von einem Verrat gar nicht die Nede jein Fann.
Ihr jeid doch erfahrene Männer; jo überlegt doch nur. Die
Schweden hätten jicher den Dragonern nicht aufgelauert, feinen
einzigen Schuß auf fie abgefeuert, wenn jie wußten, daß wir
erit hinterdrein fonımen. Babinitjch ijt mit jeinen Leuten aus—
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geritten, um Kundſchaft einzuziehen und wird wohl bald zurück—
fehren. Beruhigt euch aljo!“
Indem er das jagte, wandte der König jein Roß dem
Engpaß zu. Er hielt auf der Stelle an, welche der Bauer
als die Grenze bezeichnet hatte.
Es verfloß eine Biertelitunde, eine halbe, eine ganze Stunde.
„Benerfen Ew. Eminenz, daß der Feuerſchein Kleiner
wird?“ frug der Wojewode von Yentjchüg den Herrn Primas
von Polen:
„Es jcheint, das Feuer erlijcht!“ riefen gleichzeitig mehrere
Stimmen.
„Das ijt ein gutes Zeichen!“ bemerkte der König.
„sch möchte mit einigen Soldaten vorausreiten,“ mengte
jich jest Tyjenhaus in das Geſpräch. „Ein Gewände weit von
hier fünnten wir halten und wenn etiva die Schweden fommen,
fie aufhalten, bis wir alle tot find. Jedenfalls wird Damit
Zeit gewonnen, den König zu retten.“
„hr bleibt Hier; Ich verbiete euch fortzureiten!“ jagte
der König.
„And wenn Ew. Majejtät mich jpäter für meinen Un—
gehorjam erjchiegen laſſen, jo reite ich dennoch jegt voraus, denn
e3 handelt jich um Ew. Majejtät Rettung.“
Er rief einige Soldaten zujammen, die in der Treue er=
probt waren, und eilte mit ihnen von dannen.
Sie hielten am anderen Ende des Engpajies im Thale
und verhielten fich ganz jtill mit der Büchje in der Hand, ge—
jpannt horchend.
Längere Zeit blieb alles till, endlich fam auf dem ge=
frorenen Schnee Pferdegetrappel näher.
„Sie fommen!“ flüjterte einer der Soldaten.
„sa, aber es jind nur ein paar Reiter,“ antwortete der
andere. „Herr Babinitjch kommt zurüc!“
Die Anfommenden hatten ſich inzwijchen bis auf wenige
Schritte genähert.
„Werda?“ rief Tyjenhaus.
„But Freund! Nicht schießen, ihr dort!“ ertönte Die
Donnerjtimme Kmiziz's.
Im jelben Augenblict tauchte der Sprecher auch jchon dicht
vor Tyjenhaus auf und frug:
„Wo ijt der König?“
„Dort, hinter dem Felſen, am Ausgange des Engpajjes!“
antiwortete Tyjenhaus.
Sienkiewicz, Sturmflut II. 4
50
„Wer ijt Hier? Ich kann euch in der Finſternis nicht
erfennen.“
„Zyjenhaus! Was habt ihr da für einen großen Gegen-
Itand vor euch auf dem Pferde?“
Indem er das jagte, wies er auf die dunfle Geitalt, welche
vor Kmiziz quer über dem Sattel hing.
Aber Herr Andreas antwortete nicht, jondern ritt jtumm
vorüber. Als er im Zuge den König erfannt hatte, — e3 war
jenjeitS des Engpafjes viel heller, — rief er:
„Majejtät! Der Weg tft frei!“
„Sind die Schweden nicht mehr in Sywiez?“
„Sie jind nach Wadowig zu fortgezogen. Es war eine
Abteilung deutjcher Söldlinge. Webrigens habe ich gleich einen
mitgebracht, damit Ew. Majejtät ihn ſelbſt ausfragen fünnen.“
Bei diefen Worten warf Herr Andreas die Lajt, welche er
vor jich hielt, herab, jo daß der Gefangene ächzte.
„Was ift das?“ fragte der König verwundert.
„Das? Ein Neiter! Gin Schwede!“
„Wahrhaftig, er hat gleich einen Gefangenen mitgebracht.
Wie ging das zu? jprecht!“
„Allergnädigiter Herr! Wenn der Wolf nachts eine Herde
Schafe bejchleicht, jo wird es ihm leicht gelingen, ein einzelnes
zu erhajchen. In Wahrheit iſt das bei mir nicht das erite
Mal, daß ich einen Feind einfange.“
Der König fuhr mit der Hand über jeinen Kopf.
„Das iſt aber ein Soldat! Stellt euch vor ihr Herren,
Wir hätten alles jolche Soldaten, dann fünnten Wir dreiſt
mitten unter die Schweden gehen!“
Unterdejjen hatten viele ſich um den Weiter gedrängt,
welcher wie tot am Boden lag.
„ragen Ew. Majejtät ihn doch, obgleich er faum wird
antworten fünnen, er ijt etwas gedrüct worden,“ jagte Kmiziz
nicht ohne eine gewilje abjichtliche Großthuerei.
„Gießt ihm etwas Branntwein ein,“ jagte der König.
Und wirklich bewährte jich das Mittel, denn der Neiter
gewann bald Sträfte und Sprache wieder. Als das gejchehen,
jegte ihm Kmiziz feinen Dolch an die Kehle und befahl ihm,
die Wahrheit zu jagen.
Der Gefangene jagte aus, daß er zum Negiment des
Hauptmann Irlehorn gehöre, day jie Kunde von der Durd)-
reife der Dragoner mit dem Könige gehabt und infolgedejlen
diejelben bei Sucha angegriffen haben. Sie hätten ich aber
öl
auf Sywiez zurüdziehen müſſen, weil fie eine gründliche Schlappe
befommen. Von da jeien die Schweden nun nach Wadowitz
und Krakau gezogen.
„Befinden jich im dem Bergen noch andere Abteilungen
jchwedischer Soldaten?“ frug Kmiziz, indem er den Mann leicht
mit dem Dolche rigte, in deutjcher Sprache.
Vielleicht,“ antwortete der Reiter in abgerifjenen Worten,
„denn der General Douglas Hat verjchiedene Fleinere Ab-
teilungen in die Berge geichidt. Sie fünnen ſich aber auch
jchon zurücdgezogen haben, denn die Bauern lauern ihnen
überall in den Engpäſſen auf.“
„Aber hier, in der Gegend von Sywiez, waret ihr die
einzigen ?“
„Wir einzig und allein.“
„Und ihr wißt beitimmt, daß der König jchon weiter
gereijt iſt?“
„Ja! Er war ja bei den Dragonern, mit welchen wir bei
Sucha zujammentrafen; er ijt von vielen gejehen worden.“
„Warum habt ihr ihn denn nicht verfolgt?“
„Wir fürchteten uns vor den Bergbewohnern.“
Hier wandte fich Kmiziz wieder dem Könige zu, indem er
in polnischer Sprache jagte:
„Majeſtät, dev Weg ijt frei! Auch ein Nachtquartier
finden wir in Sywiez, denn der Ort iſt nur zum Teil ab-
gebrannt.“
Unterdejjen hatte der ungläubige Herr Tyjenhaus mit dem
Herrn Kajtellan Wojnizfi ein Geſpräch geführt.
„Entweder ijt der dort ein Soldat von feltener Größe und
treu wie Gold, oder ein Durrchtriebener Intriguant . . . Bedenkt,
Herr Kaſtellan; die ganze Gejchichte fann ſimuliert jein, von
der Gefangennahme des Neiters an, bis zu deſſen Bekenntniſſen.
Wie, wenn dahinter eine Abſicht tete? Wie, wenn Die
Schweden in Sywiez bleiben und der König in eine ‚Falle ge—
lodt würde?“
„Man müßte fich der Sicherheit wegen jelbit überzeugen,“
jagte der Kaſtellan Wojnizfi.
Sogleic; wandte ſich Tyſenhaus dem Könige zu und
jagte laut:
„Erlauben Ew. Majeltät, daß ich vorausreite, um mich zu
überzeugen, ob jener Kavalier und der Reiter die Wahrheit ſagten.“
„Auch ich bitte, daß es gejchehen darf; erlauben Ew.
Majejtät, daß er ſich überzeuge!” bat Kmiziz.
4*
or
DD
„So reitet!“ jagte der König. „Doch aucd Wir wollen
hier nicht jtehen bleiben, denn es ijt falt.“
Herr Tyjenhaus jprengte davon, was das Pferd laufen
fonnte, während der König mit den anderen langjam folgte.
Der König wurde immer heiterer gelaunt. Nach einer Weile
jagte er zu Kmiziz:
„Man fönnte mit euch wie mit einem Falken auf die
Schwedenjagd ziehen, denn ihr jchießt wie der Falke auf den
Feind herab.“
„Beinahe,“ entgegnete Herr Andreas. „Der alte ijt
bereit, die Jagd kann beginnen, Majejtät!“
„Erzählt Uns, wie ihr ihn gefangen.“
„Das war nicht jchwer, Majejtät! Wenn eine Abteilung
Soldaten im Aufbruch begriffen ilt, dann bleiben anfangs immer
einer oder einzelne zurüd. Diejer bier blieb ungefähr ein
halbes Gewände hinter den anderen; ich jagte ihm nach; er
dachte, e3 wäre einer der Kameraden, da hatte ich ihn jchon
— denn er jah ſich nicht um — und verjtopfte ihm den Mund,
damit er nicht jchreien konnte.“
„Ihr ſagtet doch, daß ihr fein Neuling jeid in folchen
Dingen ?“
Kmiziz lachte.
„O, 0, Meajeität! ich Habe Beſſeres vollbracht als dieje
Kleinigkeit. Ew. Majejtät wollen nur befehlen, dann hole ich
die Schweden noch ein, fange jelbit noch einen und laſſe jeden
meiner Kiemlitjch auch einen fangen.“ Nun ritten fie eine Weile
jchweigend weiter. Plötzlich hörte man PBferdegetrappel und
Tyſenhaus Fam herangejprengt.
„Majeſtät!“ meldete er. „Der Weg ijt frei, das Nacht:
quartier beitellt.“
„Sagten Wir's nicht?!“ rief Johann Kajimir. „Die Herren
haben ſich ganz unnötig geängitigt . . . . Eilen wir nun aber,
denn Wir jehnen Uns nach Ruhe.“
E3 kam plöglic) Leben in den Zug. Alles trabte hurtig
und fröhlich der Nachtruhe entgegen. Eine Stunde jpäter
ichlief der König feſt und janft zum eriten Male jeit langer
Zeit auf eigenem Grund und Boden.
Am jelben Abend aber war Tyſenhaus noch zu Kmiziz
gefommen.
„Berzeiht mir, mein Herr!“ hatte er gejagt. „Aus Liebe
zu meinem Herrn habe ich euch verdächtigt.“
Kmiziz aber ſtieß die dargebotene Hand von ich.
53
„O nein, das kann ich nicht!“ antwortete er. „Ihr habt
mich des Verrates, der Beſtechlichkeit beſchuldigt.“
„Ich hätte noch mehr gethan als das, wäre der König
gefährdet worden; ich hätte euch eine Kugel in den Schädel
gejagt,“ ſagte Tyſenhaus. „Da ich mich überzeugt habe, daß
ihr ein edler Menſch ſeid und den König liebt, ſo bot ich euch
die Hand zur Verſöhnung. Wollt ihr ſie nehmen, gut, wenn
nicht, dann auch gut! en wollte lieber mit euch die Liebe
zum Slönige teilen ... ., doch werde ich auch eine Auseinander-
jegung anderer Art nicht jcheuen.“
„Meint ihr? .... Hm! vielleicht Habt ihr recht. Sch
bin aber zu ergrimmt auf euch.“
„Dann laßt den Grimm... Ihr jeid ein tüchtiger
Soldat! Nun?... Wollt ihr mir einen Kuß geben, damit
wir unjeren Haß tilgen, ehe wir zur Ruhe gehen ?“
„So jei es denn!“ antwortete Kmiziz.
Und jie umarmten jich brüderlid).
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5. Rapitet,
Der fünigliche Zug war fpät in der Nacht nach Sywiez
gefommen und war von den Einwohnern fait gar nicht bemerft
worden. Man nahm auch am nächiten Morgen feine Notiz
von ihm, da das ganze Städtchen jich von dem geitrigen
Schreden, in welchen e3 der Ueberfall der Schweden verjett,
noch nicht erholt hatte Der König war nicht im Schloß ein-
gefehrt, welches von den Schweden zum Teil zerjtört worden
war, jondern in der Probjtei. Dort hatte Kmiziz erzählt, ein
Gejandter des deutjchen Kaiſers komme von Schlejien und gehe
nad Krakau.
Der König jchlug am folgenden Tage auch jcheinbar den
Weg nah Wadowig ein und bog erit weit Hinter der Stadt
von diefem ab, um nad) Sucha zu gelangen. Won dort jollte
die Neije über Kichetichonow nad) Jordanowo und Nowy-Targ
gehen. In Nowy-Targ wollte man Erfundigungen einziehen,
ob in der Gegend von Tſchorſchtyn ſchwediſche Truppen ſich
hatten bliden laſſen. Wenn nicht, jo wollte man über
Tſchorſchtyn, anderenfalle® an der ungarischen Grenze entlang
nach Zubow zu kommen juchen.
Der König Hoffte, daß der Herr Kronenmarjchall, welcher
über ein Kriegsheer zu verfügen hatte, wie ein fleiner regieren-
der Fürſt, die Wege fichern und alle Feinde fernhalten, jelbit
aber feinem Könige entgegenfommen werde. Nur ein Umjtand
fonnte ihn daran hindern, nämlich der, daß er nicht wußte,
welchen Weg der Monarch eingejchlagen hatte. Es würde jich
wohl aber unter den Bergbewohnern irgend ein zuverläjfiger
Mann finden, welcher dem Marjchall Botjchaft bringen Fonnte.
99
Man brauchte Hierbei durchaus das Geheimnis, welches den
König umgab, nicht preiszugeben; es genügte, zu jagen, dab es
im Dienjte des Königs geichehe. Das Volk, welches hier
wohnte, war jeinem Herrſcher treu ergeben, obgleich es jehr
arm war, in der Wildnis aufgewachjen, halb wild, jich nur
mit der Bearbeitung des äußerſt undankbaren Bodens und
der Viehzucht abmühte. Es haßte den Feind bitter und Die
Bergbauern waren die erjten, welche bei der Nachricht von der
Belagerung Tſchenſtochaus und Krafaus zu ihren Beilen griffen
und die Berge verließen. Zwar fonnten jie in der Ebene den
Gejichügen und Säbeln des Grafen Douglas feinen Widerjtand
feiften, da fie nicht gewohnt waren, in den Niederungen einen
Kampf auszufechten. Dafür durften die Schweden nur mit
Beobachtung der größten Vorjichtsmahregeln ſich zur Ver—
folgung der Bauern in die Berge wagen, da diejenigen Fleineren
Abteilungen, welche unnüger Weije jich in die Engpäfje gewagt
hatten, nie wieder zum Vorſchein gefommen waren.
Set hatte die bloße Nachricht von der Durchreije des
Königs ſchon wie ein Zauber gewirkt. Was und wer eine
Waffe tragen fonnte, eilte unter das königliche Banner.
E3 hätte nur der Nennung feines Namens bedurft, um
Taujende diejer halbwilden Gebirgsjöhne um Johann Kafimir
zu jfammeln, doch der König war mit Necht der Anficht, daß
dann die Kunde von jeiner Anwejenheit mit Sturmegeile durch
die Lande fliegen würde und die Schweden dann jedenfalls
ein größeres Heer jammeln und ihm entgegenführen würden.
Er zog daher vor, unerfannt weiterzureijen.
Ueberall fand man fichere Führer durch das Gebirge, welche
nicht weiter fragten und jich zufrieden gaben, jobald man ihnen
jagte, daß die Neifenden Fromme Bijchöfe und Herren jeien,
welche jich vor den Schweden verbergen wollten. So wurde
der Zug über befchneite Felſengipfel, Eisfelder und Schluchten
unter wehenden Stürmen auf nur den Bergbewohnern befannten,
fait unzugänglichen Pfaden weitergeführt.
Oft wandelte der König mit jeinem Gefolge hoch auf ſteilen
Felſen, während die Wolfen ihm zu Füßen jchiwebten, und teilten
jich die Wolfen, jo fonnte jein Blick über große jchneebedecte
eslächen jchweifen, deren Grenzen faum jichtbar, ſich häufig in
dunkle Felsſchlünde verloren, welche, halb von überhängenden
Felſen verdedt, höchſtens Raubtieren als Unterjchlupf dienen
fonnten. Aber es wurden auf diejen bejchwerlichen Pfaden
die dem Feinde zugänglichen Wege vermieden und der Weg be=
56
deutend abgefürzt. Cs fam wohl vor, daß eine Anjiedelung,
welche jo fern daliegend, frühejtens in einem halben Tage er-
reichbar gejchienen, plöglich dicht vor den Neijenden lag. Immer
aber, auch in der ärmlichiten Hütte, wartete ihrer die gajtlichite
Aufnahme.
Der König blieb ftets gut gelaunt; er ſprach feinen Be—
gleitern Mut zu, die Strapazen geduldig zu ertragen, da fie
auf diefe Weife am jchnelliten und am ficheriten nach Lubow
gelangen mußten.
„Der Herr Marjchall wird ganz erjtaunt jein, wenn Wir
eines jchönen Tages plötzlich dort erjcheinen!“ wiederholte
er öfters.
Und der Nuntius erwiderte darauf:
„Was war die Rückkehr Xenophons im Vergleich zu diejem
Nitt durch die Wolfen ?*
„se höher Wir jteigen, dejto -tiefer finft das Glück der
Schweden,“ bemerkte der König.
Endlich war man in Nowy-Targ angekommen. Nun war
allem Anjchein nach jede Gefahr vorüber, die Bergbauern aber
meinten, daß bei Tſchorſchtyn bis hier in diefe Gegend fremde
Soldaten gejehen worden jeien. Der König ließ die Annahme
gelten, dal dieje Soldaten wohl die deutjchen Söldlinge des
Herrn Stronenmarjchalls jein könnten, von denen er zwei Ab—
teilungen bejaß, oder, daß feine eigenen, dem Künige entgegen-
gejandten Dragoner für fremde Soldaten gehalten worden
waren. Als man num Tichorjchtyn wirklich von Truppen des
Biſchofs von Krakau bejegt fand, da wurde diefe Annahme zur
Gewißheit, aber die Anſichten über den nunmehr einzuſchlagenden
Weg teilten ſich. Die einen wollten über Tſchorſchtyn an der
Grenze entlang die Spiſer Wojewodſchaft zu erreichen ſuchen,
die anderen rieten, noch vor Tſchorſchtyn die ungariſche Grenze
zu überſchreiten, welche hier wie ein Keil ſich bis dicht an
Nowy-Targ in das polniſche Land zwängte, und weiter durch
Engpäſſe und Klüfte unter Leitung bewährter Führer den Weg
fortzuſetzen.
Dieſe letztere Anſicht überwog, da auf dieſe Weiſe die
Möglichkeit eines Zuſammentreffens mit den Schweden faſt ganz
ausgeſchloſſen blieb und der König dieſen „Adlerzug“ über Ab—
gründe und Wolken ſehr intereſſant fand.
Man nahm daher den Weg von Nowy-Targ aus etwas ſüd—
weſtlich, den weißen Don zur Rechten liegen laſſend. Anfangs
führte der Weg durch eine ziemlich weite Ebene; je weiter man
57
aber fam, dejto näher rücdten die Berge zujammen, deſto enger
wurden die Thäler. Man fam auf Wege, die von den Pferden
nur mühjam bejchritten werden fonnten. Oft mußten die Reiter
abjteigen, um ihre Roſſe am Zügel weiter zu führen — und
auch das war jchwierig, denn die Tiere jchredten vor den ſich
vor ihnen dehnenden Abgründen mit weit geöffneten Nüjtern
und eingezogenen Ohren zurüd.
Die Bergbauern, welche an das Klettern über die jteiliten
Felſen an Abgründen entlang gewöhnt waren, wählten oft
Pfade, auf denen die des Weges Ungewohnten Schwindel
ergriff. Endlich gelangten fie in eine lange, grade Felsſpalte,
welche jo jchmal war, daß jich faum drei Neiter nebeneinander
fortbewegen konnten.
Der Engpaß zog ſich lang Hin, wie ein endlojer Storridor.
Zwei hohe Felſen jchlojien ihn von beiden Seiten ein; hier
und da zeigten ſich in denjelben jchmale Riſſe, dann wieder
etwas weniger jteil abjallende Lehnen, welche die! mit Schnee
bededt und am oberen Rande mit dunklen Kiefern eingefaßt
waren. Die Winterjtürme hatten den Grund des Engpajies jo
vom Schnee reingefegt, daß die Hufeifen der Pferde überall auf
den bloßen Felſenboden trafen und laut Elirrten.
Gegenwärtig aber wehte fein Züftchen; es herrſchte jo tiefe
Stille in der Natur, dal diejes Klirren wie Glodenton in den
Ohren klang. Nur Hoch oben, wo zwijchen den Kiefern am
oberen Rande der Schlucht ein blauer Streifen des Firmaments
jichtbar war, ertönte von Zeit zu Zeit das Krächzen und der
Flügelſchlag vorüberfliegender Krähen.
Der königliche Zug hatte angehalten, um auszuruhen.
Die Pferde dampften und die Menſchen waren ermüdet.
„Sind wir hier auf polniſchem oder auf ungariſchem
Terrain?“ frug nach einer Weile der Ruhe der König den
Führer.
„Wir befinden uns noch auf polniſchem Boden.“
„Warum haben wir nicht gleich die ungariſche Grenze
überjchritten ?“
„Das war unmöglich,“ antwortete der Führer. „Dieſer
Engpaß macht nicht weit von hier eine Biegung; durch dieſe
gelangt man über einen Sturzbach, in einer Wendung nach
rückwärts, in einen zweiten Engpaß und jenſeits dieſes liegt
Ungarn.“
„Da wäre es ja beſſer geweſen, wir wären gleich der
Landſtraße gefolgt,“ ſagte der König.
98
„Stille! . . .“ antwortete plöglich der Bergbauer.
Aller Augen richteten fi auf ihn. Sein Geficht war
plöglich verändert, als er gleid) darauf ſagte:
„Hinter der Biegung, vom Sturzbach her, fommen Soldaten!
Um Gottes Willen! Sind das etwa Schweden ?“
„Wie? Was?“ jtürmte man von allen Seiten auf ihn ein.
„Man hört ja nichts!‘
„Dort liegt Schnee, da fann man nichts hören. Bei den
Wunden Jeſu! Sie find jchon ganz nahe! ... Gleich werden
fie hier jein!“
„DBielleicht jind e8 Leute des Kronenmarſchalls?“ ſagte
der König.
Kmiziz war auf fein Pferd geſprungen.
„Ich werde nachjehen!“ fagte er.
Die Kiemlitſch eilten — Herrn ſogleich nach; wie Jagd—
hunde der Spur des Wildes, ſo folgten ſie ihrem Herrn. Doch
kaum waren ſie ein Stücthen vorwärts gefommen, da tauchte
etwa Hundert Schritte vor ihnen in der Biegung des Engpajjes
eine dunkle Schar ſchwediſcher Reiter auf.
Kwmiziz erſtarrte vor Schreck; es waren Schweden.
Sie waren ſchon jo nahe, daß an einen Rückzug nicht mehr
gedacht werden konnte, beſonders da die Pferde des königlichen
Zuges ermüdet waren. Hier hieß es, entweder ſiegen oder
ſterben. Das begriff auch der unerfchrodene König jofort; er
griff Schnell zum Schwert und bejtieg fein Roß.
„Beichügt den König und tretet den Rückzug an!“ jchrie
Kmiziz.
Tyſenhaus Hatte jich jchnell mit zwanzig Mann an Die
Spitze des füniglichen Zuges geitellt, Kmiziz aber ritt, jtatt ſich
ihnen anzufchließen, in furzem Trab dem Feinde entgegen.
Da er jet zufällig wieder den jchiwedischen Rod trug, in
welchem er jich aus dem Kloſter in das Schwedenlager ge—
ichlichen, jo wuhßten die Schweden nicht gleich, mit wem jie es
zu thun hatten. Als fie den jo angethanen Reiter erblidten,
glaubten ſie offenbar einer jchwediichen Patrouille ich gegen—
über zu befinden, denn jie verblieben in ihrer gemächlichen Ruhe,
nur der anführende Kapitän ritt ein wenig vor.
„Wer jeid ihr?“ frug er in jchwediicher Sprache, indem er
dem finiter dreinjchauenden Ritter in das ernite Geficht blidte.
Kmiziz jprengte jo dicht an ihn heran, daß ihre Kniee ſich
fait berührten, und ohne ein Wort zu erwidern, jchoß er ihm
eine Kugel in das Ohr.
59
Ein Schredengjchrei entriß ſich den Kehlen der Schwedischen
Reiter, gleichzeitig aber fommandierte Kmiziz:
„Schlagt zu!“
Und wie ein losgeriſſener Felsblock im alle alles mit fich
fortreißt und zerjtört, was ihm im Wege liegt, jo jtürzte Kmiziz
fih Tod und Verderben bringend auf die vorderjte Neihe der
Feinde und die beiden Söhne des alten Kiemlitich jprangen
ihm nach wie zwei wütende Bären, ein arges Getümmel ans
richtend. Das Klirren der Schwerter auf die Helme und Banzer
hallte in der engen Schlucht wieder wie Hammerjchläge, und
bald folgten diejem Geräuſch Schmerzenslaute und Stühnen.
Im erjten Augenblid glaubten die erjchredten Schweden
nicht3 anderes, als daß drei Bergriefen jie überfallen hätten.
Die eriten Reihen prallten entjegt vor diefem unerwarteten
Angriff zurüd und ehe noch die letten um Die Biegung des
Engpafjes herumgefommen waren, da war die Verwirrung jchon
bis zur Mitte des Neiterzuges vorgedrungen. Die Pferde
biſſen ſich gegenfeitig und jchlugen wild um fich; die folgenden
Reihen fonnten weder jchiegen, noch ihren Kameraden zu Hilfe
eilen und mußten fie den Schlägen der drei Rieſen er-
liegen jehen.
Umſonſt hielten jie ihnen ihre Lanzen entgegen, vergeblich
juchten fie vorzudringen, jene drei zerbrachen die Zanzenjchäfte,
ichlugen die Säbel aus den Händen der Schweden, warfen
Menichen und Pferde über den Haufen. Kmiziz riß fein Pferd
empor, daß die Hufe desjelben die Köpfe der feindlichen Pferde
trafen; er jelbjt raſte, tobte, jchlug um jich und ſtach wie bejeflen.
Sein Geficht war mit Blut bejprigt, feine Augen leuchteten wie im
Wahnſinn, er Hatte nur den einen Gedanken: der Feind mußte
aufgehalten werden um den Preis feines Lebens. Seine Kräfte
jchienen fich zu verdoppeln, zu verdreifachen, jeine Bewegungen
glichen denen eines Quchjes, bligesjchnell und tollfühn. ie
der Blit die Bäume, jo trafen jeine Hiebe die Menjchen. Die
beiden jungen Kiemlitſch hielten mit ihm gleichen Schritt,
während der Alte etwas rüdwärts alle Augenblide mit feinem
Schwert zwifchen den beiden Rieſenſöhnen durchfahrend, ver-
juchte, einen Schweden zu erreichen.
Unterdefjen herrjchte in der Umgebung des Königs heftige
Bewegung. Der Nuntius hatte wieder wie bei Sywiez die
Zügel des füniglichen Roſſes gefaßt und Hielt dasjelbe von
einer Seite fejt, während der Biſchof von Krakau auf der
anderen Seite fi) abmühte, den König mit jeinem Pferde rück—
60
wärts zu ziehen. Der König dagegen jpornte das Tier jo ge=
waltig vorwärts, daß dasjelbe ferzengerade emporitieg.
„Laßt Mich!“ rief der König, „lat Mich, um Gotteswillen!
Wir müffen uns durchichlagen.“
„Herr, denft an das Vaterland!“ jagte der Biſchof von
Krakau.
Aber der Monarch konnte ich nicht losreigen, jo wurde
er zurücgedrängt, da auch Tyfenhaus ihm von vorn den Weg
verjtellte. Diejer gab Kmiziz preis, um den König zu retten.
„Bei dem Leiden Seju! rief er verzweifelt, „jene dort
müfjen gleich den Widerjtand aufgeben! ... Majejtät! Netten
Ew. Majejtät jich, jo lange es noch Zeit!... Ich halte den
Feind bier auf!“
Doc der Eigenfinn des Königs, einmal entfacht, war un:
berechenbar. Anjtatt ſich rückwärts zu konzentrieren, jpornte er
das Pferd nur heftiger und drängte er vor.
Die Zeit verging. Jeder Augenblid fonnte das VBerderben
bringen.
„Soll es denn jein, jo jterbe Ich auf heimatlicher Erde! ...
Laßt die Zügel los! ...“ rief der König.
Zum Glüd konnten des engen Plabes wegen nur eine
kleine Anzahl der Feinde gegen Kmiziz und die Kiemlitſch vor—
dringen. Infolgedeſſen Eonnten dieje jich länger halten. All:
mählich aber begannen ihre Kräfte doch nachzulaſſen. Kmiziz
blutete jchon aus einigen leichten Wunden, ein nebelgleicher
Schleier legte jic, über jeine Augen, der Atem begann ihm aus:
zugehen. Er fühlte den Tod nahen, deshalb wollte er jein Leben
jo teuer als möglich verfaufen. „Nur noch einen!“ murmelte
er unaufhörlic) vor ich Hin, während er jeinen Säbel bald
auf den Kopf, bald auf den Arm eines Feindes herabjaujen
ließ, um jogleich jich wieder einem anderen zuzuwenden. Zuletzt
aber jchienen e8 die Schweden wie eine Art Schande zu em—
pfinden, jo lange von drei Neitern aufgehalten zu werden, denn
jie drängten plöglich mit aller Gewalt vor, um diejelben durd)
die Gewalt des Anpralles zurücdzudrängen. Da jtrauchelte das
Pferd Kmiziz', es fam zu Falle und die jchwedifchen Reiter
ftürmten über ihn fort. Noch leijteten die Kiemlitſch einige
Augenblide Widerjtand, dann wurden auch fie überritten. . . .
Wie ein Sturmwind jagten num die Schweden dem könig—
lichen Zuge zu.
Tyſenhaus stellte jich ihnen mit jeinen Leuten entgegen,
fie prallten gegeneinander, daß das Klirren der Schwerter und
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das Raſſeln der Panzer von den Bergen widerhallte. Was
aber bedeutete dieſe Handvoll Soldaten gegenüber der drei—
hundert Reiter zählenden ſchwediſchen Kolonne!
Es blieb kein Zweifel! Der König und ſeine Begleitung
mußten entweder fallen oder in Gefangenſchaft geraten.
Der König, welcher das erjtere der Gefangenſchaft vorzog,
hatte jich endlich den ihn zurüdhaltenden Händen zu entreißen
vermocht und eilte an Tyſenhaus' Seite.
Da gejchah etwas ganz Außerordentliches. Die Berge jelbit
jchienen ihrem rechtmäßigen Könige und Herrn zu Hilfe zu
fommen, denn die oberen Säume des Engpajjes erzitterten, als
ob ein Erdbeben jie erjchütterte; der dort oben wachjende Wald
ihien an dem Kampfe teilnehmen zu wollen. Baumjtämme,
fleine Schneelawinen, Eisjtücde, Steine und Felſentrümmer be-
gannen fich oben loszulöjen und jtürzten frachend und polternd
auf die unten eingepferchten Neihen ſchwediſcher Reiter, gleich-
zeitig aber ertönte zu beiden Seiten des Engpaſſes von oben
ein wildes Geheul.
Unten aber entjtand eine aller Bejchreibung jpottende Ver-
wirrung. Die Schweden dachten, die Berge jtürzten ein, und
laubten nichts anderes, al3 daß fie erdrückt würden unter der
Laſt derjelben. Hergerreißendes Geſchrei und Klagerufe, ver—
zweifelte Schreie nach Hilfe vermiſchten ſich mit dem Quieken
der Pferde und dem Knirſchen und Klirren der die Panzer
treffenden herabſtürzenden Felsſtücke.
Bald bildeten Pferde und Menſchen dort unten nur noch
einen ſich lonvulſiviſch krümmenden Haufen, welcher verzweifelte,
gräßliche Schreie ausſtieß.
Immer dichter flogen die Steine und Felsſtücke herunter;
erbarmungslos die ſchwediſchen Reiter und Pferde nieder-
jchmetternd.
„Die Bergbauern! Die Bergbauern!” ertönte es endlich
in den Reihen des füniglichen Zuges, welcher voll Entjegen
diefem Ereignis zugejehen.
„Schlagt fie mit den Aexten tot, die Bluthunde!“ hörte
man jett oben rufen.
In demjelben Augenblid tauchten über dem ande der
‚seljen oben langhaarige, mit Fleinen Lederhüten bedecte Köpfe
auf, denen gleich die dazugehörigen Körper folgten, umd mit
Bligesjchnelle glitten einige Hundert jeltiame Gejtalten mit
fagenartiger Behendigfeit an den jteilen Felſen herab in Die
Tiefe des Engpaiies.
Die Flügel ihrer hellen oder dunflen Mäntel, welche fich
über ihre Schultern gejchoben Hatten, gaben ihnen das Anſehen
einer Schar herabflatternder Naubvögel. Im Handumdrehen
waren jie unten; ihre Aexte ſauſten auf die — hernieder
und richteten ſchreckliche Verheerungen an. Der König wollte
dem Gemetzel Einhalt thun. Ihn erſchütterte der Anblick und
das Geſchrei der um ihr Leben flehenden Schweden gewaltig.
Aber kein Befehl, kein Einſchreiten vermochte das Rachewerk
der Bergbauern aufzuhalten und eine Viertelſtunde ſpäter
befand ſich kein einziger lebender Schwede mehr im Engpaß.
Endlich wandten die blutüberſtrömten Bergbauern ſich
dem königlichen Zuge zu.
Der Nuntius ſah mit Staunen dieſe ihm völlig fremden,
groß und ſtark gewachſenen Männer, welche zum größten Teil
in Schaffelle gekleidet, blutbefleckt, mit noch vom Kampfe
dampfenden Aexten näher kamen.
Beim Anblick der Biſchöfe entblößten ſie ihre Köpfe, viele
von ihnen knieten nieder.
Der Biſchof von Krakau erhob das thränenüberſtrömte
Antlitz zum Himmel.
„Das war Gottes Fürſorge, Gottes Auge, welches über
der Majeſtät wachte!“ ſagte er.
Dann wandte er ſich den Bergbauern zu und frug:
„Woher ſeid ihr, Leute?“
‚Aus dieſer Gegend!” antwortete es aus der Menge.
Wißt ihr, wem ihr Hilfe und Rettung gebracht habt?
Seht, euer Herr und König iſt es!“
Dieſer Erklärung folgten ſeitens der Bergbauern lebhafte
Freudenrufe: „Der König! Der König! Jeſus Maria, der
König!“ tönte es von allen Seiten. Es entſtand ein Gedränge
nach vorwärts. Ein jeder der treuen Bauern wollte ſeinen
König ſehen. Weinend und ſchluchzend drängten ſie von allen
Seiten herbei, um ſeine Hände, die Steigbügel, ja die Füße
des Königs zu küſſen. Die Begeiſterung nahm ſo zu, daß die
Biſchöfe aus Beſorgnis um die Perſon des Königs ihr zuletzt
Einhalt thun mußten.
Der König aber ſtand hoch zu Roß unter ſeinem Volke,
wie der Hirt unter ſeiner Herde, und Thränen der Rührung
perlten über ſeine Wangen herab.
Dann wurde ſein Antlitz heiter; ein Gedanke ſchien ihn
zu beſeelen und ganz zu erfüllen. Er erhob die Hand zum
Zeichen, daß er ſprechen wolle und als die Menge ſich be—
63
ruhigt hatte, da jagte er mit erhobener Stimme, jo dab alle
ihn hören fonnten:
„O Gott! der du Mich durch die Hände diejer einfachen
Bauern vom Tode errettet haft, bet dem Leiden und dem Tode
deines Sohnes jchwöre Ich, daß Ich Meinem Volke immer ein
Vater fein will!“
„men!“ ſchloſſen die Bijchöfe.
Einen Augenblid herrſchte andächtige Stille, dann brad)
fich) die Freude von neuem Bahn. Man frug die Bergbauern,
wie fie in den Engpaß gefommen und jo zu rechter Zeit dem
Könige Hilfe bringen konnten.
Sie berichteten, dal größere jchwedtiche Truppenteile ic)
jchon tagelang in der Nähe von Tſchorſchtyn umhergetrieben
hätten, ohne doc, das Schloß anzugreifen; es hatte den An—
jchein, als fuchten fie jemanden. Die Bauern hatten auch von
einem Gefecht gehört, welches dieſe Abteilung jchwedischer Neiter
mit polnifchen Soldaten geführt haben jollten, welche den König
in fein Reich zurückbegleiteten. Da hatten fie bejchlofjen, die
Schweden durch faljche Berichte irre zu leiten und in die Eng—
päſſe zu lodenn.
„Wir jahen,“ erzählten die Bergbauern, „daß jene vier
Nitter die Bluthunde wütend angriffen und wären ihnen gern
zu Hilfe geeilt, doch fürchteten wir, fie vorzeitig zu verjtreuen
und dann nicht alle zu befommen.“
Hier fuhr der König empor.
„Heilige Mutter Gottes!“ rief er. „Sucht Mir jofort den
Babinitich! ... Laßt uns ihn wenigitens ehrenvoll begraben! ...
Und diejer Mann, der als Erjter für Uns in den Tod ging,
diejer Mann wurde des Verrat verdächtigt!”
„Sch befenne mich schuldig, Majejtät!“ jagte Tyſen—
haus betrübt.
„Sucht ihn! Sucht ihn!“ rief der König. „Sch verlafie
diefe Stelle nicht, bevor Sch fein Angeficht nicht gejehen und
Abjchied von ihm genommen habe.“
Soldaten und Bergbauern jprangen fort, juchten den
Platz, wo der Kampf begonnen, und zogen nach furzem Suchen
den Körper des Herrn Andreas unter feinem Pferde hervor.
Sein bleiches Geficht war mit Blut bejprigt; dicke Tropfen
desjelben waren ihm im Barte geronnen, die Augen hatte
er gejchlofien. Sein Panzer zeigte mehrfah Epuren von
Schwerthieben und Pferdetritten, aber dieſer Panzer war es
auch, welcher ihn vor dem HZerquetjchen durch die Laſt jeines
64
Pferdes behütet hatte, und dem Soldaten, welcher ihn emporhob,
ichien es, als hätte er ein leijes Stöhnen vernommen:
„Er lebt! Wahrhaftig, er lebt!“ rief er aus.
„Nehmt ihm den Panzer ab!“ jchrieen andere.
Die Riemen, welche dieſen zujammenhielten, waren bald
durchichnitten.
Kmiziz begann tiefer zu atmen.
„Er atmet! Er atmet! Er lebt!“ rief es durcheinander.
Eine Zeitlang lag der Totgeglaubte unbeweglich, dann
öffnete er langjam die Augen. Ein Soldat flößte ihm etwas
Branntwein ein, während mehrere andere jich bemühten, ihn
aufzurichten.
Da fam eben auch der König herzugeeilt. Die Rufe: „er
febt* waren von Mund zu Mund geflogen und jo aud an
das Ohr des Königs gedrungen.
Die Soldaten trugen den Körper des Herrn Andreas dem
Könige entgegen. Er laitete jchwer umd regungslos auf ihren
Armen. Doc als die Stimme des Königs an jein Ohr jchlug,
da fehrte jein Bewußtſein noch einmal zurüd, die Augen öffneten
jih und die blaffen Lippen jprachen leife, aber ganz deutlich:
„Mein Herr, mein König lebt... frei...“
Eine Thräne hing an feinen Wimpern.
„Babinitjch, Babinitſch! Womit kann ch euch Tohnen?“
rief der König bewegt.
„Ich bin nicht Ba—bi—nitfch, — ih — bin Kmi—ziz!“
flüjterte der Ritter.
Dann hing er wieder leblos und jchwer in den Armen
der Soldaten.
6. Rapitet.
Den Berficherungen der Bergbauern zufolge, daß auf dem
Wege nach Tſchorſchtyn weitere Abteilungen jchwediicher Truppen
jich nicht befänden, jchlug der Fünigliche Zug die Richtung nach
diejem befejtigten Schlofie zu ein. Bald auch gelangte er nun
auf eine Landſtraße, auf welcher er jich bequemer und weniger
mühevoll fortbewegen fonnte. Fröhliche Gejänge und Vivatrufe
der Bergbauern geleiteten ihn. Immer neue Haufen Volkes,
mit Senjen, Drejchtlegeln, Mijtgabeln und alten Musfeten be-
waffnet, jchlofjen fich dem Zuge an. Johann Kaſimir befaud
fich im furzer Seit an der Spitze eines anjehnlichen Heeres,
welches, wenn auch nicht durchweg aus regulären Truppen be—
itehend, doch für ihn in den Tod oder zum Siege zu gehen
freudig bereit war. Noch vor jeinem Einzuge in Tichorjchtyn
fand er ſich von über eintaujend Freiwilligen umgeben, die zum
gröpten Teile wilde Steppenjühne waren.
Nun fing auch der Kleinadel aus der Umgegend von Neu—
und Alt-Sontjch an herbeizujtrömen. Diejer brachte die frohe
Kunde mit, daß an diefem Morgen eine polnische Fahne unter
dem Kommando des Hauptmann Woynillowitjch einen größeren
ſchwediſchen Vortrab gänzlich aufgerieben habe. Die Mehrzahl
der Schweden jei entweder durch das Schwert der Polen ge-
fallen, oder in der Kamienna ertrunfen.
Etwas jpäter wurde dieje Nachricht beitätigt, denn bald
darauf tauchten in der Ferne auf der Landſtraße polniſche
Neiterfähnchen auf und Woynillowitich jelbjt jprengte mit einer
Abteilung Reiter des Wojewoden von Brazlaw heran.
Der König begrüßte die Ankunft des ihm längit befannten
tapferen Nitters auf das Freudigſte. Unter lauten Yurufen
Sientiewicez, Sturnflut II. 5
66
der Begeiiterung jeitens des Volfes und der Soldaten jegte er
jeine Neije nach dem Spiſer Komitat an der Seite Woynillo—
witich 8 fort.
Man hatte inzwijchen Eilboten abgejandt, welche dem Herrn
Marjchall das Kommen des Königs melden jollten, damit er
die nötigen Vorbereitungen zum Empfange desjelben treffen fünne.
Die Weiterreiſe fand fröhlich und unter munteren Ge—
ſprächen ſtatt. Immer neue Zuzüge vergrößerten die Begleitung
des Königs. Der päpitliche Nuntius, welcher voll Angſt und
Sorge um fein und des Königs 2os Schlejien verlaſſen und
deſſen Bejorgnis im Anfang der Reiſe jich noch geiteigert
hatte, ſchwamm in Wonne, da er jegt ficher zu jein glaubte,
daß die nächite Zukunft dem Könige und mit diefem auch der
Kirche den Sieg über die Andersgläubigen bringen werde. Die
Biichöfe teilten feine Zuverjicht und die weltlichen Würden:
träger waren ebenfalls der Anficht, daß das Volf vom baltijchen
Meere bis zu den Karpathen fich einmütig erheben werde, ja
Wopnillowitjch behauptete, daß Dies jchon wenigjtens zum
größten Teil gejchehen fei.
Er erzählte, was er im Meiche gehört, wie die Schweden
von Angjt und Schreden befallen, nicht mehr wagten, in
geringerer Anzahl die Befeſtigungen zu verlafjen, wie fie jelbit
kleinere Schlößchen aufgaben und dieſelben in Brand ſteckten,
um in „gröberen Feſtungen Schug zu juchen.
„Das Heer ſchlägt ſich jchuldbewurt mit der einen Fauſt
an die Brut, mit dev anderen füngt es an auf die Schweden
loszuſchlagen,“ jagte er. „Wiltjchfowsfi, dev Hauptmann der
Hujaren Ew. Majeität, hat den ſchwediſchen Dienſt bereits
quittiert und zwar in der Weife, daß er jie bei Zackſchewo,
wo eine Abteilung unter dem Kommando des Hauptmann
Attenberg ſtand, angriff und fait vollitändig aufrieb . . . Sch
habe ſie mit Gottes Hilfe aus Nowy-Sontjch herausgedrängt,
der Sieg war ein volljtändiger, denn faum einer ift mit dem
Leben dDavongefommen . . . Herr Felizian Kochowsfi hat mir
mit jeinem Fußvolk wader beigejtanden, jo dat wir wenigiteng
die vor zwei Tagen von den Schweden angefallenen Dragoner
rächen fonnten.“
„as für Dragoner?“ frug der König.
„Nun, die, welche Ew. Majejtät von Schlefien aus voraus-
jandte. Sie wurden plöglic” aus einem Hinterhalte von den
Schweden überfallen, und wenn diefe auch nicht vermochten, die
Dragoner zu zeriprengen, jo fügten fie ihnen Doch großen
67
Schaden zu, obgleich diejelben jich brav wehrten. Wir aber hätten
uns vor Verzweiflung beinahe ein Leids anaethan, weil wir
feit glaubten, Ew. Majejtät befinde jich bei den Dragonern
und unjerem Könige fünne ein Unglück zugeitogen jein. Das
hat Gott Em. Majejtät wohl eingegeben, die Dragoner voraus-
zujchifen. Die Schweden hatten das bald ausgejpürt und
hielten alle Wege beſetzt.“
„Hört ihr es, Tyſenhaus?“ frug der König. „Das jagt
ein erfahrener Kriegsmann.“
„sch höre, Allergnädigiter Herr,“ antwortete Eleinlaut der
junge Edelmann.
Der König wandte fich wieder Woynillowitjch zu.
„Und was weiter? Fahrt fort! Erzählt!“
„sch will nichts von dem verheimlichen, was ich weil.
In Großpolen treiben Zegozfi und Kulejcha ihr Spiel mit
den Schweden. Herr Warjchyzfi hat den Lindorm aus dem
Schneidemühler Schloß verdrängt, Dankow wehrt jich tapfer,
Krone iſt ſchon in unjeren Händen und in Podlachien wächjt
die Macht Sapiehas bei Tykozin zujehende. Den Schweden
dort im Schloſſe brennt der Boden jchon unter den Füßen,
mehr aber noch als ihnen, dem Fürſt-Wojewoden von Wilna.
Die Kronen-Hetmane find jchon auf dem Wege von Sandomir
nad) Yublin und machen feinen Hehl daraus, dab fie die
Schweden als Feinde betrachten. Der Wojewode von Tjcherni-
how hat jich ihnen angejchlofien, und wer irgend in jener
Gegend einen Säbel in der Fauſt halten fann, der eilt ihnen
zu. Man jagt, es werde dort eine Verjchwörung gegen die
Schweden ins Werk gejeßt, deren Leiter Herr Sapieha und
der Herr Kaſtellan von Kijow find.“
„So befindet ſich alfo der Herr Kaſtellan von Kijow eben—
fall3 im Lubliner Komitat?“
„sa, Majejtät! Aber er ijt bald hier, bald dort ... Auch
ich Toll zu ihm stoßen; ich weiß aber noch nicht, wo ich ihn
finden werde.“
„Sein Nufenthalt wird überall befannt jein,“ jagte der
König. „Ihr werdet nicht nötig haben, ihn zu juchen.“
„Das hoffe ich, Allergnädigjter Herr!” antwortete Woy—
nillowitjch.
Unter jolchen Gejprächen war die Zeit vergangen. Das
Wetter hatte jich aufgeklärt, der Himmel jtrahlte in ſchönſtem
Blau, der Schnee gligerte im Scheine der leuchtenden Sonne.
Die Spiſer Berge breiteten ſich majeſtätiſch und freundlich
„
68
vor den Neijenden aus, die ganze Natur jchien ihrem König
entgegen zu lächeln.
„Beliebtes Vaterland!“ rief der König aus. „Wäre es Mir
doch vergönnt, dir Frieden und Nuhe wieder zu geben, ehe Meine
Gebeine in deinen Schoß zur Ruhe gehen!“
Der Zug langte jegt eben auf einer hohen Bergfuppe an,
von wo aus man eine weithin jich dehnende Ausjicht hatte.
Zu Füßen derjelben breitete jich eine weite Ebene. Auf der-
jelben bewegte ſich noch in großer Entfernung ein Saufen
Menjchen dem Berge zu.
„Sort fommen die Soldaten des Herrn Marjchall uns
entgegen,“ jagte Woynillowitjch.
„Bielleicht jind es Schweden?“ meinte der König.
„Nein, Allergnädigiter Herr! Vom Süden, von Ungarn
ber fünnen Schweden nicht kommen. Ich kann jchon Die
Truppengattung erfennen; es jind Huſaren.“
Nach einer Weile tauchte in der Ferne auch jchon ein
Wald von Speeren auf, bunte Fähnchen wehten wie vom
Winde geichaufelte Blumen, darüber leuchteten die Spigen der
Wurfſpieße, wie fleine Flämmchen, während die Strahlen der
Sonne auf den Panzern und Helmen jpielten.
Die Begleiter des Königs ließen Freudenrufe erjchallen.
Diejelben mußten von den Entgegenfommenden gehört worden
jein, denn die Kolonnen famen jet in immer jchneller werdenden
Tempo herangeiprengt, jo daß man bald die einzelnen Weiter
deutlich erkennen fonnte, f
„Wir wollen hier auf diejer Anhöhe den Herrn Marjchall
erwarten,“ ſagte der König.
Der Zug hielt an. Die anderen dort unten eilten noch mehr.
Zuweilen wurden jie den Blicken der oben Harrenden durch Kleine,
in der Ebene veritreute Felsblöcke, Hügelchen oder durch eine
Diegung des Weges entzogen. Dann wieder jchlängelte der
Neiterzug ſich jichtbar dahin, wie eine große, buntgligernde
Schlange. Endlich war er dicht bei der Anhöhe angelangt,
er kam langjam herauf. Das Auge fonnte nun den ganzen
Zug überjehen und fich an jeinem Anblick weiden. Im Border:
grumde erichten Die Huſaren-Leibfahne des Herrn Kronen—
marjchalls, reich geichmückt, jo daß jeder Monarch ſtolz darauf
jein fonnte. In Diejer Fahne dienten ausnahmslos nur Herren
von dem Bergadel, Männer von herrlichem Wuchs, welche
Panzer von blauem Stahl trugen, die kupferne Beichläge hatten
und im feiner Gravierung das Bildnis der heiligen Jungfrau
69
von Tichenitochau trugen. Den Kopf bededte ein runder Helm,
welcher durch ein eifernes Schuppenbandelier feitgehalten wurde;
auf den Schultern waren Adler und Geierfedern befeitigt und
über dem Rücken fielen, nach damaliger Eitte, Tiger:, Leoparden—
oder Wolfsfelle herab.
Ein Wald jchwarzgrüner Fähnchen flatterte über ihren
Häuptern. An der Spige des Zuges ritt der Hauptmann
Wiktor, gleid) Hinter ihm die Janitſcharen-Kapelle, mit Glöckchen,
Zimbeln, PBaufen und Pfeifen, dahinter dicht gedrängt Neiter
an Reiter.
Tas Herz des Königs jauchzte auf vor Wonne beim
Anblick dieſer herrlichen Strieger. Den Hufaren folgte auf dem
Fuße Die leichte Neiterei, die blanfen Schwerter in der Hand,
den Köcher und Bogen auf dem Nüden. Dann famen drei
Abteilungen Somenen, farbig wie bunter Mohn gekleidet und
mit Spiegen und Musfeten bewaffnet. Hinter ihnen ritten
zweihundert Dragoner in roten Kollets umd zulegt Die Mliet-
joldaten der verfchiedenen adligen Herren, Diener, welche feitlich
geichmücdt wie zu einem Sochzeitsfeite waren, Trabanten,
Heiducken, Bagen, Ungarn und Sanitjcharen, die zum Gefolge
des Marjchalls gehörten.
Das alles fam nüher und näher in allen Farben des
Negenbogens jchillernd, Iujtig plaudernd, geräufchvoll mit dem
Klirren der Waffen und dem Wiehern der Pferde vermengt.
Zwijchendrein wirbelten die Trommeln, tönten die Pauken,
Pfeifen, das Glodenjpiel, dat die Berge rings davon wider-
hallten. Ganz am Ende des Zuges jah man eine Reihe
herrichaftlicher Wagen nahen, deren Inſaſſen weltliche und
geistliche Würdenträger zu fein jchienen.
Jetzt jtellten jich Die Truppen in zwei Neihen zu beiden
Seiten auf, jo eine Gaſſe bildend, in welcher alsbald auf
milchweißem Pferde der Herr Sironenmarjchall Georg von
Lubomirski erjchten. Wie ein Wirbelwind fam er dahergejagt,
hinter ihm zwei Stallmeijter, deren Livreen von Gold jtroßten.
Auf der Anhöhe angelangt, jprang er vom Pferde, warf die
die Zügel desjelben einem der Stallmeister zu und näherte jich
zu Fuß dem Slönige Er Hatte die Müte abgenommen, jie
auf den Griff jeines Säbels gejtügt und jchritt jo barhäuptig
dem Monarchen entgegen. Der Marjchall trug den polnischen
Kriegerrod; jeine Brut war von einem veich mit fojtbaren
Steinen bejegten jilbernen Panzer bedeckt, welcher jo blanf
poliert war und jo glänzte, dat es jchien, der Marjchall trage
0
die Sonne auf der Brujt. Ueber die linfe Schulter hatte er
einen dunklen mit violettem venetianiichen Sammet ausgejchlagenen
Oberrock geworfen. Derjelbe wurde an einer Schnur am Halſe
mit brillantenen Agraffen fejtgehalten; jeine Knöpfe waren
ebenfalls große Brillanten und ein ganzes Bündel gleicher
Steine war in Form eines Fleinen Straußes an der Mütze
angebracht, welcher im Hin- und Herwiegen einen fürmlichen
Strahlenregen über die Gejtalt des Marjchalls ergo}.
Georg Lubomirsfi war ein Mann in der vollen Kraft
jeiner Jahre, von majejtätiichem Wuchſe. Der Hintere Teil
jeines Kopfes war glatt gejchoren, während das jtarf gelichtete,
von grauen Fäden durchzogene Vorderhaar gejcheitelt über der
Stirn lag. Der rabenjchwarze Schnurrbart hing in dünnen
Enden an beiden Seiten der Oberlippe herab. Die Schönheit
der gewölbten Stirn und der römischen Naje wurde etwas
beeinträchtigt durch die zu jehr hervorjtehenden Baden und die
kleinen, rot umrandeten Augen. Ein tiefer Ernit, gepaart mit
unendlichen Hochmut und Eitelfeit, prägten ſich in diejem Ge—
jiht aus. Ein Blick auf diefen Mann mußte überzeugen, dal
er ſtets bemüht war, das Augenmerf nicht nur des ganzen
Landes, jondern Europas auf jich zu lenken.
Wo Georg Lubomirsfi nicht vermochte, den erjten Platz
zu behaupten, wo er das PVerdienjt mit einem anderen teilen
jollte, da jcheute jein Stolz fein Mittel, da jchonte er niemanden,
jelbit nicht das Wohl des VBaterlandes, um den andern zu ver-
nichten und allein das Feld zu behaupten.
Obgleich ein gewandter und vom Glück begünjtigter Feld—
herr, hatte er doch Rivalen, welche ihn bei weitem übertrafen,
denn jeine Fähigkeiten hielten nicht immer gleichen Schritt mit
dem Stolz und der Herrjchlucht des Marjchalle. Eine dauernde
Unruhe peinigte ihn, welche wiederum dem Mißtrauen und
Neid entjprangen. Dieſe beiden legteren Eigenſchaften machten
ihn jpäter zu dem Manne, welcher ein jchlimmerer Feind der
Republit wurde, als selbit der gräßliche Januſch Radziwill.
Der böſe Geiſt, welcher Januſch innewohnte, war ſo groß, daß
er vor nichts und niemandem zurückſchreckte; er verlangte nach
der Krone und ſchritt dieſem Ziele dreiſt und unerſchrocken zu,
gleichviel ob der Weg über die Trümmer und das Grab des
Vaterlandes führte. Auch Lubomirsfi hätte jich gern Die
Krone auf das Haupt jegen lafien, wenn der Adel das hätte
thun wollen; jie zu verlangen und jelbjt zu erringen, Dazu
war er geijtig nicht Ttarf genug. Nadziwill war einer jener
rl
Männer, welche das Nichtgelingen eines Planes zu VBerbrechern,
das Gelingen zu Halbgöttern macht. Lubomirsfi war ein
großer Naufbold, der, wenn jein Stolz; verlegt fich fühlte, alles
mit ‚süßen trat, was das Wohl des Vaterlandes aufrichten
fonnte, ohne doc) aus jeinem Fall für fic) etwas zu gewinnen
zu verjuchen. Nadziwill war der Schuldigere, Yubomirsfi der
Gefährlichere von beiden.
Zur Zeit, wo er in Gold und Edelſteinen jtrahlend dem
Könige entgegenjchritt, war jein Hochmut vollfommen gejättigt.
War er doch der erite der Adligen, welcher den König auf
jeinem Grund und Boden begrüßen durfte, ihn gewiſſermaßen
in jeinen Schuß nehmen, auf den Thron führen und den Feind
aus dem Lande vertreiben ſollte. Grwartete doch jeßt der
Monarch und mit ihm das ganze Neich alles von ihm, waren
doch aller Augen auf ihn allein gerichtet. So entſprach es
auch ganz feiner Eigenliebe, in dieſem Augenblick jeine Treue
und jeinen Dieniteifer zu befunden, ja, feine Opferwillig—
feit in Zeichen der Ehrerbietung und Demut darzuthun, die
alles May weit überjchritten. Noch ein Stüd vom Könige
entfernt, nahm er jeine Mütze vom Griff des Säbels, und ich
fortwährend tief vermeigend, fegte er mit dem Diamantenen
Strauß derjelben den Schnee.
Der König ritt ein paar Schritte vorwärts, hielt dann
jein Prerd an, um zur Begrüßung des Marjchall3 abzufigen.
Als der Marjchall das bemerkte, ſprang er jchnell herbei, fahte
den Steigbügel und indem er gleichzeitig mit einem fräftigen
Ruck jeinen Oberrod am Halje löjte, breitete er, dem Beijpiele
jenes englischen Höflings folgend, denjelben dem Monarchen
unter die ‚Füße.
Tief bewegt öffnete der König jeine Arme und umarmte
den Marjchall wie einen Bruder.
Eine Weile vermochte feiner von beiden ein Wort hervor-
zubringen. Die Truppen aber riß der erhabene Anblid zu
einer jtürmijchen Begeilterung fort. Der Adel und das Gefolge
ses Königs, das Volk, welches ſich ihm in immer wachjender
Zahl auf jeinem Zuge angejchlojjen, jie alle brachen in laute
Subelrufe aus. Tauſende von Müten und Kalpaks flogen hod)
in die Luft. Die Musfeten, Flinten und Biltolen wurden ab»
gefeuert und von Lublow her jefundierten die dortigen Gejchüge
mit leijen Bahtönen, jo da die Berge und Wälder von taujend-
fältigem Echo widerhallten, dasjelbe auffingen und die frohen
172
Aufe: „der König iſt da!“ weitertrugen bis zu den ferniten
Felſen und Thälern.
„Herr Marſchall,“ ſagte endlich der König, „euch wird man
die Wiederherſtellung des Königtums zu danken haben.“
„Allergnädigſter Herr!“ antwortete Lubomirski, „ich lege
mein Leben, mein Hab und Gut, alles zu Füßen Ew. Majeſtät.“
„Vivat! Vivat Joannes Casimirus Rex! . . .“ donnerte
es in den Reihen der Adligen.
„Es lebe unjer König, unſer Vater!“ riefen die Bergbauern.
Unterdejjen war auch das Gefolge des Königs herbeigeeilt,
den Marjchall zu begrüßen. Doch diejer fümmerte fich um
niemanden und wich nicht von der Seite des Monarchen. Nach
der eriten „Begrüßung hatte der König jein Pferd wieder
beitiegen. Der Marjchall, welcher ſich in Beweijen der Unter—
würfigfeit und Gajtfreundjchaft gar nicht genug thun fonnte,
hatte die Zügel des königlichen Roſſes erfaßt und führte, jelbit
zu Fuß gehend, den König durch die Neihen der unaufhörlic)
Vivat rufenden Truppen, bis zu der vergoldeten, mit acht
Arabern bejpannten Karoſſe, in: welche der König mit dem
päpitlichen Nuntius Widon ich ſetzte. Die Bijchöfe und
Würdenträger fanden Pläge in den anderen Wagen, worauf
der Zug ſich langjam nach Lubow zu in Bewegung jeßte. Der
Herr Marjchall ritt neben dem Wagenjenjter, wo der König
ſaß, jo ſtolz und jelbjtbewußt, als jei er allein der Vater der
Nepublif.
An beiden Seiten ritten in dichten Reihen die verjchiedenen
Truppen, die folgenden Verſe jingend:
Haut die Schweden, fehrt Duält die Schweden, quält
Mit geihärftem Schwert. Und ja feinen fehlt.
Schlagt die Schweden, ichlagt, Raubt der Schweden Gut
Bald die Freiheit tagt. Und vergießt ihr Blut.
Zieht den Schwed zur Qual Tilgt ſie alle aus,
Auf den Marterpfahl. Alle, Mann und Maus.
Schlagt die Feinde tot,
Aus ift dann die Not.
In dem allgemeinen Freudentaumel, der alle beherrichte,
ahnte wohl fein einziger, daß dasjelbe Lied jpäter von dieſen
ſelben Truppen Lubomirskis als Schandlied gegen den eigenen
König und deſſen Hilfstruppen, die Franzoſen, geſungen werden
ſollte.
Doch bis dahin war es noch weit. In Lubow läuteten
alle Glocken und donnerten alle Geſchütze dem Könige den
13
Willtommensgruß. Der Schloßhof, wo der König ausitieg, die
Kreuzgänge und Treppen des Schlojjes, durch welche der Monarch
jchritt, waren mit rotem Tuch belegt. Im italienischen Bajen
brannten morgenländiiche Sträuter und jtrömten aromatische
Düfte aus. Schon vorher hatte Yubomirsfi den größten Teil
jeiner Schäge nach Lubow überführen laſſen, um jie vor der
Habgier der Schweden zu retten. Da gab es jilberne und
vergoldete Kredenztische, fojtbare Teppiche und Gobelins von
funjtvolliter vlamländischer Handjtiderei, Statuen, Uhren, mit
Edelſteinen bejegte Spinde, Schreibtiiche mit Perlmutter und
Bernjtein ausgelegt. Das alles war jet verwendet worden,
um die Nejidenz der Lubomirskis zu einem Zauberpalait um:
zugejtalten. Der Herr Marſchall hatte dieſe Prachtentfaltung
angeordnet, um den König zu zeigen, daß er, obgleich als Ver—
triebener in größter Armut zurückkehrend, dennoch ein mächtiger
Herrſcher jei, im Beſitz jo mächtiger und. dabei jo treuer Diener.
Der König merfte diefe Abjicht wohl, das Herz jchwoll
ihm vor Glück und Freude und danfbar ſchloß er den Marjchall
wiederholt in feine Arme. Auch der Nuntius, an den aus—
erlejenjten Luxus gewöhnt, jprach offen jeine Bewunderung
dejien aus, was er jah und jagte zu dem Grafen Apotyngen,
daß er bis jeßt feine Ahnung von der Macht und Größe des
polnischen Königs gehabt habe und nun überzeugt fei, dal alles
über Bolen hereingebrochene Unheil nur vorübergehend jein fünne.
Bei dem Feſtmahl, welches jpäter folgte, nahm der König
auf einer Erhöhung Platz: der Herr Mearjchall bediente ihn
jelbjt und gejtattete nicht, daß ein anderer jeine Stelle über:
nehme. Zur Nechten des Monarchen ſaß der Nuntins Widon,
zur Linken der Fürſt Primas Lejchtichinsfi, dann zu beiden
Seiten der Nangordnung mach die Bilchöfe von Krakau, von
Poſen, der Erzbijchof von Lemberg und Luzf, von Pichemyst,
Kulm, der Archidiafon von Krakau, ferner die Staatswürdenträger
und Wojewoden, deren acht erjchienen waren, Saitellane und
Neferendare. Won den Offizieren jpeiiten an der füntglichen
Tafel Herr Woynillowitich, Herr Wiftor, Herr Stabfowsft und
Herr Balduin Schursfi, der Kommandeur der Fahne Yubomirsfi.
Im anitoßenden Saale war die Tafel für den Stleinadel
und im Zeughaufe für das gewöhnliche Vol gededt, denn alle
ohne Ausnahme jollten an dem Freudenfeſt der Nückfehr des
Königs teilnehmen.
Es wurde auch an allen Tifchen von nichts anderen ge=
jprochen, al8 von der Nüdfehr des Königs und von den großen
74
Gefahren, die ihn bedroht, und aus weldyen nur Gottes Hand
ihn zu vetten vermocht. Johann Kaſimir hatte dieſes Gejpräc
jelbjt begonnen, indem er den Verlauf des Gefechtes im Engpaß
jchilderte und die Thaten des jungen Ritters rühmte, welcher
das Bordringen der Schweden jo lange aufgehalten hatte.
„Wie geht es ihm denn?“ frug er den Marichall.
„Der Medifus verläßt jein Lager nicht; er verjichert, daß
er genejen wird. Außerdem haben die Frauen und Mädchen
des Frauenzimmers ihn in ihre Obhut genommen. Dieje werden
ja nicht leiden, daß die Seele jeinen Körper verläßt, denn
dieſer Nörper iſt jung und jchön!" antwortete heiter Der
Marjchall.
„Selobt jei Gott!“ rief der König. „Sein Mund hat Mir
etwas verraten, was ch dem Herren nicht wiederholen will,
denn Mir iſt es, als hätte Ich ihn falſch verjtanden, oder er
mus im Delirium gejprochen haben. Wenn er aber die Wahr-
heit Sprach, dann werdet ihr ſtaunen.“
„Wenn er nur nichts gejagt hat, was Ew. Majeität be-
trüben könnte?“
„Nein, nichts dergleichen!” jagte der König. „Es hat
Mich vielmehr maßlos erfreut, denn nun weiß Sch, daß felbit
diejenigen, welche Wir als Unjere jchlimmiten Feinde anzujehen
berechtigt waren, in der Gefahr mit ihrem Blute für Uns
eintreten.”
„lergnädigiter Herr!” rief der Herr Marichall. „Die
Zeit der Umfehr und Beljerung iſt gefommen, aber unter diejem
Dache befinden Ew. Majejtät fi) nur unter jolchen, welche
auch micht einmal mit einem Gedanken gegen Ew. Majeität
gelündigt haben.“
„Es iſt wahr, es iſt wahr!“ entgegnete der König. „Und
ihr Herr Mearjchall jeid der Treueſte der Treuen!“
„sch bin nur ein armjeliger Diener Ew. Majejtät.“
Bei Tijche war es inzwijchen immer lebhafter geworden.
Politische Debatten wurden geführt; man taujchte Meinungen
aus über das Nusbleiben der bisher jo jehnlich erwarteten
Hilfstruppen des deutjchen Kaiſers und der Tartaren und über
die Entwidelung des bevorjtehenden Strieges mit den Schweden.
Lebhafte Freudenausbrüche wurden laut, als der Marjchall
berichtete, daß der von ihm zum Chan ausgejandte Bote vor ein
paar Tagen zurücigefehrt jei mit der Nachricht, dab der Chan
nit vierzigtaufend Horden bereit ſtehe, auf Wunjch jogar
Hunderttauſend, und man nur der Ankunft des Königs in Lemberg
15
harre, um den Bund gegen die Schweden zu jchlieen. Der—
jelbe Bote habe auch berichtet, daß die Stojafen unter den
Drohungen der Tartaren jich zum Gehorjam gegen den König
befehrt hätten.
„Ihr denkt an alles, Herr Marjchall,“ jagte der König,
„und handelt jo, wie Wir jelbjt nicht bejjer handeln konnten!“
Der Monarch griff nach dem Becher und denjelben erheben,
agte er:
„Bir trinken auf die Gejundheit des Herrn Kronen—
Marichalls, Unjeres Wirtes und Freundes!“
„Das darf nicht gejchehen, Allergnädigiter Herr!“ fiel der
Marjchall ein. „ES darf niemandes Gejundheit eher ausgebracht
werden, als diejenige Ew. Majejtät!*
Die jchon halb erhobenen Becher wurden wieder hingeitellt.
Der vor Glücjeligfeit jtrahlende Lubomirski aber winfte jeinem
Haushofmeilter.
Auf dieſen Winf hin beeilte die im Saale umberjchwärmende
Dienerjchaft jich, in vergoldete Kannen, aus filbernen Tonnen
friichen Malvafier zu jchöpfen und die Vecher von neuem zu
füllen. Die Stimmung wurde noch gehobener; alle erwarteten
freudig angeregt den Toaſt des Herrn Marjchall.
Der Kredenzmeilter hatte inzwijchen zwei Humpen aus
venetianischem Kryitall, von jo wunderbar jchöner Arbeit herbei-
gebracht, daß fie für das achte Weltwunder gelten fonnten.
Der Kryitall, durch jahrelange Arbeit ausgehöhlt und gejchliffen
bis zur feinjten Glajesjtärfe, warf dDiamantene Strahlen, während
der Fuß desjelben von Meijterhand aus Gold Hergeitellt, in ganz
Heinen Figuren den Einzug des jiegreichen Cäſaren auf das
Kapitol darjtellte. Der Sieger fuhr in goldenem Wagen auf einem
Wege, welcher aus kleinſten Perlen hergeitellt war. Hinter dem
Wagen jchritten Die Gefangenen mit gefejjelten Händen; irgend
ein König, deſſen Turban aus einem herrlichen Smaragd be-
Itand, weiter die Legionäre mit ihren Abzeichen und den Adlern.
Mehr als fünfzig jolch Kleiner Figuren waren auf dem Fuß
eines jeden Bechers untergebracht; jie hatten jede Die Höhe
einer Haſelnuß und waren jo wundervoll modelliert, daß man
nicht nur die Gefichtszüge, jondern auch den Ausdruck des
Stolzes in den Gejichtern der Sieger und der fummervollen
Ergebung in denjenigen der Bejiegten erfennen fonnte. Die
Verbindung zwijchen Fuß und Stelch bildeten goldene Filigran—
Arbeiten, welche fein wie Haare, kunstvoll gebogene Weinranfen
mit Blättern und Trauben und zwijchendurch geflochtenen
76
verjchtedenen Blumen zeigten. Dieſe Filigrane umzogen den
Kryſtall bis an jeinen Rand, wo ihre Enden fich zu einem
Kranz verbanden, welcher den Rand des Humpen bildete und
mit Edeljteinen in fieben verjchiedenen Farben bejegt war.
Der Kredenzmeilter reichte den einen dieſer Humpen dem
König, den andern dem Marjchall; beide waren mit Malvafier
gefüllt
Da erhoben ſich alle Anweſenden von ihren Sitzen und
der Herr Marſchall rief, ſeinen Humpen hoch emporhebend, mit
laut ſchallender Stimme:
„vivat Joannes Casimirus Rex!“
„vivat! Vivat! Vivat!“
In demjelben Moment dDonnerten Geſchützſalven, daß Die
Mauern des Palajtes bebten. Die Adligen aus dem Nebenjaal
jtürmten herein, um anzujtoßen; der Marjchall wollte Iprechen,
kam jedoch nicht zu Worte in dem allgemeinen Aufruhr, denn von
allen Zeiten rief e5 immerwährend: „Vivat! Vivat! Vivat!“
Es Hatte ſich des Marjchalls eine jolche Begeijterung be=
mächtigt, daß jeine Mugen fait unheimlich leuchteten. Indem
er jeinen Humpen bis auf den legten Tropfen leerte, überjchrie
er die Menge mit Anitrengung aller Sträfte. Mit den Worten:
„Ego ultimus!* jchlug er den Humpen von jo unjchäßbarem
Werte jo heftig an jeinen Kopf, dab der Stryitall in Hunderten
von Zplittern zeriprang, welche flirvend zu Boden fielen,
während an der Schläfe des Marjchalld herab eine Blutrinne
jich ergoß.
Alle Anweſenden waren eriihrocden, der König aber jagte:
„Ei, ei, Herr Marjchall! Wenn Wir auch jchon den Wert
des Gefäßes gering achten wollten, jo dürfen Wir doch nicht
dulden, daß ıhr euren Kopf, am welchem Uns jo viel gelegen
iit, Verletzungen ausjett!“
„Bas fünnte mir wohl zu koſtbar ſein,“ rief der Marjchall,
„da ih Doch die Ehre geniehe, Ew. Majeität ımter meinem
Dache zu bewirten. Viyat Joannes Casimirus Rex!“
Der Kredenzmeijter reichte ihm einen anderen Becher.
„Vivat! Vivat! Vivat!“ tönte es von neuem durch die
Säle. * Klang zerbrochenen Glaſes miſchte ſich mit den
Rufen. Nur die Biſchöfe folgten nicht dem Beiſpiel des Mar—
ſchalls; ſie hatten die geiſtliche Würde zu wahren.
Der päpjtliche Nuntins aber, welchem die Zitten des
Landes fremd waren, meigte fich hinüber zu dem neben ihm
jigenden Biſchof von Poſen und jagte:
77
di
„Um Gotteswillen! Ich bin Starr vor Staunen. Cure
Schakfammern find leer, jagt ihr? Für den Wert eines
einzigen jolchen Humpens könntet ihr Doch jchon zwei ganz
hübſche Negimenter Soldaten jtiften und fie unterhalten.“
„So geht es bei uns immer her,“ antwortete der Biſchof,
mit dem Kopfe nidend. „Wenn Die Luft im Herzen jchwillt,
da fennt jie weder Maß noch Ziel.“
Die Luſt war auch Hier noch im Zunehmen begriffen.
Gegen das Ende des Mahles erhellte plöglich roter Feuerſchein
die Fenſter des Palaſtes.
„Bas bedeutet das?“ frug der König.
„Nllergnädigiter Herr! Ich bitte zu den Ritterſpielen!“
fagte der Marjchall.
Ein wenig taumelnd führte er den Monarchen zum Fenſter.
Ein wunderjchöner Anblid bot jich ihren Mugen. Der Schloß—
hof war taghell erleuchtet. Mehrere brennende Pechtonnen
warfen hellgelbe Yichtreflere auf das vom Schnee gejäuberte
und mit Tanmenzweigen überitreute Pflaiter Ddesjelben. Hier
und da leuchteten hohe Spiritusflammen in bläulichem Licht;
anderen hatte man Salz beigemijcht, damit jie rot leuchten
jollten.
Die Nitterfpiele begannen. Zuerſt hieben die Ritter
Türfenföpfe ab, jprangen durch Neifen und fochten miteinander
auf fcharfe Singen. Dann hetzten Wolfshunde einen Bären
zu Tode; zulegt warf ein viejenhafter Bergbauer, ein zweiter
Zamjon, einen Mühlſtein hoch in die Luft und fing denielben
wieder auf. Die Mitternachtitunde jette endlich diejen Spielen
ein Ziel. Alſo zeigte der Herr Marjchall jeine Macht, obgleich
die Schweden noch im Lande hauiten.
T. Kapitel.
Der gute König vergaß aber über den Freuden der Gaſt—
mähler und den Aufregungen und Unruhen, welche die Ankunft
immer neuer hoher Gäſte mit jich brachte, nicht feinen treuen
Diener, welcher im Engpaß jo unerjchroden jich den Schweden
entgegengeworfen und für ihn jein Leben aufs Spiel geſetzt
hatte. Am Tage nach jeiner Ankunft in Lubow bejuchte er
den verwundeten Herrn Andreas. Gr fand ihn bei voller Be—
jinnung und heiter geitimmt, trog feiner leichenhaften Bläſſe,
denn der junge Held hatte glüclicherweije feine jchwere Ver—
wundung erhalten, nur einen großen Blutverlujt erlitten.
Beim Anblick des Monarchen jegte ſich Kmiziz jogar auf
und legte ſich trog dem Drängen des Königs auch nicht mehr
nieder.
„sn wenigen Tagen, Allergnädigiter Herr!“ jagte er,
„fann ich wieder zu Pferde ſitzen und mit Ew. Majejtät, wenn
es gejtattet ijt, weiter veifen; ich fühle mich ganz wohl.“
„Du mußt ja aber tüchtig serhauen jein, ... .“ meinte der
König, „es war doch eine unerhörte Waghalfigfeit von dir, als
einzelner jich jo vielen entgegenzuitellen.*
„Das habe ich jchon zu wiederholten Malen gethan, und
immer fand ich die Bejtätigung meiner Annahme, dad; i in Augen-
blicken höchiter Gefahr ein reſolutes Dreinjchlagen das einzig
Nichtige iſt. . . . Er, Allergnädigiter Herr! die Narben, welche
meine Haut trägt, jind nicht zu zählen, das iſt Kriegerlos!“
„lage nicht das Los allein an, denn du hajt bewiejen,
daß du blindlings nicht nur dahin rennit, wo es Wunden zu holen
giebt, jondern wo jicher der Tod gefunden werden kann. Wie
9
fange biit du denn jchon beim Kriegshandwert? Wo Haft du
vorher gedient umd dich ausgezeichnet ?
Ein heißes Rot überflog- das junge Geficht des Herrn
tmiziz.
„Allergnädigſter Herr!“ ſagte er zögernd. „Ich bin es,
der die heranziehenden Horden Chowansfis immer noch aufhielt,
als jchon alle anderen die Büchje ins Korn geworfen; ich bin
e3, auf deſſen Kopf ein Preis ausgeſetzt it.“
„Höre einmal,“ jagte der König plöglih. „Du jprachit in
jenem Engpaß ein jeltjames Wort aus; Ich dachte aber, Das
Delirtum hätte dich gepadt und dir den Verſtand verwirrt.
Jetzt Iprichit du wieder davon, daß du gegen Chowanski ge—
jtritten haft. Wer bijt du eigentlich? Iſt wirflih Babinitich
nicht dein wahrer Name? Wir willen recht gut, wer den
Chowanski jo lange aufgehalten hat.“
Eine Weile Herrichte Totenitille im Gemach. Endlich
richtete der junge Nitter das abgezehrte Antlig empor und
jagte mit fejter Stimme:
„Es iſt jo, Allergnädigiter Herr! . . . Es war nicht das
Delirium, welches aus mir jprach .. . ich jagte die Wahrheit ..
ich bin derjenige, welcher Chowansti aufhielt. Seit jener Zeit
ijt mein Name in der ganzen Republik zuerjt befannt, dann
berüchtigt geworden. . . Ich bin Kmiziz, der Fahnenträger von
Orſchan . . .“
Hier ſchloß Kmiziz die Augen, ſein Geſicht wurde fahl.
Als aber der König verwundert ſchwieg, ſprach er mühſam
weiter:
„Ich bin, Allergnädigſter Herr! dieſer von Gott Ver—
dammte und von den Menſchen, den Gerichten für Mord—
brennerei und Uebermut Verurteilte. Ich habe dem Radziwill
gedient und mit ihm das Vaterland und Ew. Majeſtät ver:
raten. Und jest, von Schwerthieben zerfegt, von Pferdehufen
halbtot getreten, von Schwäche ans Lager gefejlelt, jchlage ich
an meine Brujt und wiederhofe reuevoll: „mea culpa, mea
culpa!* und flehe die väterliche Barınherzigfeit Ew. Majejtät
an: „Berzeihung! Verzeihung! denn ich habe jelbit meine früheren
Thaten verflucht und mich von ihnen abgewendet.“
Ihränen rannen an den Wangen des Reiters herab, Die
bebenden Hände langten nach der Hand des Königs. Johann
Kafimir zog die jeinige zwar nicht zurüd, aber ev war jehr ernit
geworden, als er jagte:
„Wer die Krone diejes Yandes auf dem Haupte trägt, der
80
muß von vornherein mit einer unerſchöpflichen Geduld und
Barmherzigkeit von Gott ausgeſtattet ſein, ſonſt ſteht es ſchlimm
um ihn und ſein Volk. Da du in Tſchenſtochau und hier Uns
ſo treue und große Dienſte geleiſtet haſt und dein Leben für
Uns in Gefahr brachteſt, ſo ſind Wir bereit, dir deine Schuld
zu en —
ſo darf ich Verzeihung und damit das Ende meiner
El hoffen?“ rief Kmiziz aus,
„Eines nur fünnen Wir dir miemals verzeihen,“ fuhr
Johann Kaſimir fort, „und zwar dieſes, daß du gegen den
Brauch Unjerer Nation und entgegen allen Gejegen der Menich-
heit Dich dem Fürſten Boguslaw verpflichtet halt, die Hand
gegen die Majeſtät zu erheben und Uns gefangen, tot vder
lebendig, in die Hände der Schweden augzuliefern.“
Kmiziz, welcher noch kurz zuvor verjichert, daß Körper—
ichwäche ihn an das Lager fejiele, war bei diejen Worten des
Königs mit beiden Füßen zugleich aufgejprungen. Gr hatte
nad) dem über dem Bette hängenden Kruzifix gegriffen und
ſtand nun, dasjelbe in den Händen haltend, mit dunfelroten
Flecken auf den Wangen und fieberhaft glänzenden Augen
keuchend vor ihm:
„Das iſt nicht wahr,“ ſchrie er auf. „Bei dem Seelenheil
meiner Eltern und den Wunden des Gekreuzigten, das iſt nicht
wahr! Wenn Gott mich dieſer Sünde ſchuldig weiß, jo möge
er mich augenblids mit meinem plößlichen Tode und der
ewigen Verdammnis jtrafen. Mein Herr und König! Wenn
Ihr mir nicht glauben wollt, jo werde ich die Verbände von
meinen Wunden reißen, dann möge der Nejt des Blutes,
welches die Schwedenjchwerter noch in meinen Adern zurüd-
gelaften, davonfliegen, dann will ich nicht mehr leben. Ich
habe niemandem und nie ein ſolches Verſprechen gemacht, nie—
mals iſt ein ſolcher Gedanke meinem Kopf entſprungen.
Nicht für alle Königreiche der Welt würde ich mich einer ſolchen
* ſchuldig machen. Amen! Amen! auf dieſes heilige Kreuz,
Amen!“
Er zitterte am ganzen Leibe vor Aufregung und Fieber.
„So hat der Fürſt gelogen?“ frug der König erſtaunt.
„Aber warum? zu welchem Zweck?“
„Ja, Allergnädigſter Herr, er hat gelogen .. .“ ſagte
Kmiziz. „Er wollte ſich mit der Lüge an mir rächen, für das,
was ich ihm angethan.“
„Was haſt du ihm denn gethan?“ frug der König wieder.
81
„sch entführte ihn amgejichts eines ganzen Gefolges,
mitten aus dem Heere heraus; ich wollte ihn gebunden
Ew. Majejtät zu Füßen legen.“
Der König jtrich jich mit der —— Hand über die Stirn.
„Seltſam!“ ſagte er, „ſeltſam! laube dir ja, aber
Ich kann noch immer nicht begreifen. — hängt das zu—
ſammen? Du dienteſt beim Fürſten Januſch und entführteſt
den Fürſten Boguslaw, welcher doch weniger ſchuldig war, um
deinen Gefangenen Mir zu bringen?“
Kmiziz wollte antworten. In dieſem Augenblick aber
gewahrte der König ſeine Bläſſe und das Schlottern ſeiner
Glieder, er wehrte ihm alſo, indem er ſagte:
„Erhole dich erſt; ſpäter kannſt du Mir von Anfang an
erzählen, Wir glauben dir. — Hier meine Hand!“
Der junge Ritter drückte dieſe Hand an ſeine Lippen und
verharrte ruhig, bis er zu Atem gekommen. Er blickte dabei
dem Könige unendlich liebevoll in die Augen, endlich nahm er
alle Kraft zuſammen und begann:
„sch will Ew. Majeſtät alles erzählen. Für Chowanski
war ich ein Schredgejpenit, den Unſeren eine Laſt, denn alles,
was ich brauchte, haben muhte, das mußte ich mit Gewalt
nehmen. Zum Zeil trieb mich die zwingende Notwendigfeit
dazu, zum Teil wilder Uebermut, denn ich bin jehr heihblütig.
Sch Hatte eine Anzahl Kameraden — fie waren alle von gutem
alten Adel, aber nicht beſſer als ich . . Hier und da wurde
etwas marodiert, hier und da ein Feuer angeſteckt oder ein
paar Menjchen durchgepeiticht. Man begann uns zu verfolgen.
Wo der Feind noch nicht Beſitz ergriffen hatte vom Lande,
dort bot man die Gerichte gegen mich auf — ich wurde in
contumaciam verurteilt. Die Verurteilungen häuften ſich mit
der Zeit, aber ic) machte mir nichts daraus, ja, ich hatte die
verwegene Abficht, es darauf anfommen zu laſſen, der Teufel
ritt mich, jozufagen, — es reizte mich, es zu machen wie Herr
Laſchtſch, der mit dem Urteilsurkunden jein Wohnzimmer
tapezieren lieg und trogdem ein geachteter Mann noch über
den Tod hinaus iit.“
„Weil er Buße that und mit Gott verjöhnt jtarb,“ warf
der König ein.
Nachdem Kmiziz ein wenig gerubt, fuhr er fort:
„Unterdejien war der Herr Hauptmann Billewitſch — die
Billewitſch find ein altes, ehrwürdiges Geſchlecht in Snudz —
aus dieſem Jammerthal in ein beſſeres Leben eingegangen und
Stentiewicz, Sturmflut II. 6
82
hatte mir eim Gut und jeine einzige Tochter verjchrieben.
Aus dem Gut mache ich mir nicht viel, denn ich habe bei den
jteten Stämpeleien mit den Feinden Beute genug gemacht, um
nicht nur das mir von den Feinden gänzlich offupierte Familien—
erbe wieder zu erjegen, jondern noch etwas Ordentliches darüber.
„Als aber meine Partijanen jehr heruntergefommen waren,
benußte ich das mir zugefallene Erbe, weil ich gerade nahebei
war, ihnen etwas Ruhe zu gönnen, und brachte fie in Die
Laudaer Gegend in Winterquartiere. Dort verliebte ich mich
jo jehr in meine Braut, daß ich bald die ganze Welt vergak.
Das iſt ein Mädchen, jo brav und tugendhaft, daß ich mic)
vor ihr meiner begangenen Thaten herzlich jchämte. Sie hat
einen angeborenen Abſcheu vor Schlechtigkeit und Sünde; ſie
jtürmte gleich auf mich ein, daß ich mein Leben ändern, das
gethane Unvecht nah Kräften gutmachen und fünftig ein
ordentliches Dajein führen jolle.“
„Bilt du ihrem Nate gefolgt?“
„ch bewahre, Allergnädigiter Herr! Ich wollte es von
Herzen gern, das wei Gott... aber die alten Sünden ver-
folgten mich überallhin. Auerft miphandelte man in Upit
meine Soldaten; dafür jteckte ich die Stadt in Brand... .“
„Um Gotteswillen!“ rief der König aus, „das ijt ja ein
Verbrechen.“
„Das iſt noch nicht das Schlimmite, Majejtät!“ ſprach
Kmiziz weiter. „Nachher haben fie mir meine Kameraden ge:
mordet, die adligen Ktavaliere, die, wenn fie auch wüjt waren,
immerhin nicht verdient hatten, was man ihnen gethan. Der
Laudaer Adel hat fie heimtückiſch überfallen und fie jämtlic)
hingemordet. ch durfte jie nicht ungerächt laſſen, darum habe
ich in jener Nacht die Anſiedelung der Butrym überfallen und
jie mit ‚Feuer und Schwert geitraft. Es gehört aber ein
ger Anhang zu diejen Grauröden; ich mußte fliehen. Meine
raut wollte nichts mehr von mir willen — die Grauröde
waren ihre im Teſtament des Vaters eingejegten VBormünder
und hatten jomit das Necht, jie vor mir zu jchügen. Ach, und
mein Herz zog mich zu ihr, daß Gott erbarm! ch konnte
nicht ohne sie leben! Da jammelte ich eine Handvoll Leute
und entführte ſie.“
„Du biit des Teufels, Menjch!“ rief der König. „Das
war nach Tartaren Art um die Braut geworben.“
„Es war ein Bubenſtück, ich jehe es ein. Gott hat mic)
daher auch durch die Hand des Herrn Wolodyjowski geitrait.
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Der hat mic) zujammengehauen, daß es mich wundert, daß ich
meine Seele nicht dazumal jchon ausgehaucht habe. Es wäre
taujendmal bejler für mich gewejen, ich hätte mich dann nicht
mit den Radziwills zum Verderben des Vaterlands verbinden
fünnen. Was blieb mir aber zu thun übrig? Zu den alten
Prozeſſen fam jegt ein meuer ... ., das Verbrechen, das ich
nun begangen, hHeijchte Sühnung ... . ich wuhte nicht mehr
aus noc) ein. Da fam mir plöglic) der Wojewode von Wilna
zu Hilfe.“
„Er nahm dich in jeinen Schu?“ frug der König.
„sa, er jandte mir durch Herrn Wolodyjowski einen Auf:
gebotsberehl, dadurch Fam ic) unter jeine Gerichtsbarfeit und
brauchte feine anderen Gerichte mehr zu fürchten. Sch griff
nach dieſem Ausweg, wie der Ertrinfende nad) einem Stroh—
halm. Ich Hatte bald eine Kompagnie beifammen, lauter
rabiates Volk; jie war die bejte, in ganz Litauen fam feine
ihr gleich. Ich führte fie nach Kiejdan. Dort empfing mic)
Nadziwill wie einen Sohn, jagte mir, ich jei mütterlicherjeits
mit ihm verwandt und versprach mich zu ſchützen. Er jchmeichelte
meiner Tapferfeit und ich Dummkopf frod) mit Haut und Haar
in die Falle.
„Noch ehe er fi) mir ganz anvertraute, ließ er mich auf
den Gefreuzigten jchwören, daß ich im jeder Lebenslage zu ihm
jtehen würde, in jeder. Weil ich Dachte, es handle ſich um den
Krieg mit den Schweden, legte ich den Eid gern ab, bis jenes
gräßliche Gajtmahl, bei welchem der Vertrag von Kiejdan unter-
jchrieben worden, mir die Augen öffnete. Die anderen Haupt-
leute fonnten ſich von Radziwill losjagen, es hielt jie nichts
davon zurüd, „ich war durch meinen Eid, wie der Hund an
der Kette gefejlelt,“ ich mußte bleiben.“
„gaben denn Diejenigen, welche Uns abtrünnig geworden
Jind, nicht auch den Eid der Treue geleistet?“ fragte der König
traurig.
„uch ich wollte mit dem offenbaren Verrat nicht noch mehr
meine Seele befleden. Was ich damals gelitten, Allergnädigiter
Herr, das weiß Gott allein. Ich wandt mich im Schmerz, wie
der Wurm im Staube, mein Kopf brannte, als wäre leibhaftiges
Feuer in ihm, denn — auch mein geliebtes Mädchen, die ine
folge der Entführung ohnehin nicht mehr für mich zu haben
war, auch fie hatte num das Recht, mid) als Waterlandsverräter
zu verachten, wie ein efliges Gewürm. Und ich Elender hatte
geſchworen den Nadziwill nicht zu verlaſſen . . . . Sie aber,
6*
84
Majejtät! befist einen jtarfen Geilt und vermag Männer zu
bejchämen durch ihren klaren Berjtand und ihre Königstreue.“
„Bott jegne fie dafür!“ jprach der König; „dag macht fie
Mir lieb.“
„Anfangs glaubte fie, aus einem Parteigenofjen Radziwills
einen treuen Anhänger des Königtums und des Vaterlandes
aus mir zu machen, als fie aber einjah, daß ihre Mühe ver-
eblic) war, da wandelte jich ihre große Liebe in ebenfo großen
Sof Nadziwill Hatte mich rufen lafien und bemühte jich,
mich zu überzeugen, daß nur auf dieſe Weije, das im Unter:
ange begriffene Waterland zu retten jei. Sch vermag jeine
usführungen nicht mehr wiederzugeben, aber er ſprach jo über-
zeugend, wie jehr ihm das Glüd und Wohl des Vaterlandes
am Herzen liege, daß er einen viel Klügeren als mich über-
zeugt haben würde, mich, einen jo einfachen, vertrauensvollen
Menjchen, er — der Künjtler in der Kunſt des Berjtellens.
Sch flammerte mich an ihn mit der ganzen Kraft meines
hoffenden Herzens, denn nun glaubte ich — alle anderen jeien
blind, er allein heilfehend, alle anderen elende Sammergeitalten,
er allein ein edler Heros. Damald wäre ich für ihn in dem
Tod gegangen, wie jet für meinen Allergnädigiten König, weil
ich —— bin, etwas halb zu thun. Ich kann weder halb
lieben, noch halb haſſen!“
„Ich ſehe ein, daß du recht hatteſt,“ bemerkte der König.
„Es waren unſchätzbare Dienſte, die ich ihm leiſtete,“ er—
zählte Kmiziz weiter. „Leider muß ich ſagen, daß ohne meine
Beihilfe ſeine verräteriſchen Thaten nicht ſo ſchlimme Früchte
hätten tragen können, denn ſeine eigenen Leute drohten ihm
den Gehorſam zu weigern. Schon drangen die Dragoner und
ungariſchen Söldlinge auf die Schotten ein, da ſprengte ich mit
meinen Leuten dazwischen und verhinderte Die Niederlage der—
jelben, ebenjo wehrte ich dem Angriff der anderen Regimenter,
indem ich jie zum größten Teil aufhob. Nur dem Herrn
MWolodyjowsfi allein gelang es, ſich und jeine Laudaer Leute
auf fait wunderbare Weife aus der Gefangenjchaft zu befreien
und mit Sapieha zu vereinigen. Was noch übrig geblieben
war, das juchte und fand Unterfommen bei jenem Feldherrn,
aber Gott allein weit, welch zahllofe Menge braver Soldaten
durch meine Schuld zu Grunde gegangen jind. Ich Ipreche die
Wahrheit, wie in der Beichte.
„Darauf hat Herr Wolodyjowsfi jelbit, auf jeinem Zuge
nach Bodlachten, mich mit eigener Hand gefangen genommen
85
und mich erjchiegen lajjen wollen. Ich ſtand jchon auf der
Kichtjtätte. Auf Grund von Briefen aber, welche man bei mir
fand und welche auswiejen, daß ich durch mein energijches Ein—
jchreiten verhinderte, dab der Fürſt in Kiejdan ihm nieder-
ſchießen ließ, gab er mir die Freiheit wieder. Ich Fehrte zurück
zu Nadziwill und diente ihm weiter, aber jchon erwachte in mir
der Unwille über verjchiedene jeiner Handlungen. Ich erfannte
bald genug, da er weder Glauben noch Ehre und Gewifjen
bejigt und daß jeine Verjprechungen ebenjoviel oder ebenſowenig
galten, wie die des Schwedenfönige. Ich fing an, ihm ins
Geſicht offenherzig Vorwürfe und Ausjtellungen zu machen.
Meine Dreiftigfeit erzürnte ihn; er begann mich zu fürchten.
Zulegt wurde ich ihm unbequem, da jchickte er mich mit Briefen
ſort
„Du erzählſt wunderbare und äußerſt wichtige Dinge,“
ſagte der König. „Endlich erfahren Wir einmal von einem
Augenzeugen, welcher pars magna fuit jagen kann, wie es dort
zugegangen . ..“
„Es iſt wahr, pars magna fui,“ antwortete Kmiziz. „Ich
eilte freudig mit den Briefen hinweg, da mir das Feuer ſozu—
ſagen unter den Sohlen brannte, und ich hoffte endlich einmal
zu wirklichen Thaten zu gelangen. In Pilwiſchki erreichte ich
den Fürſten Boguslaw! O, daß doch Gott ihn mir in die
Hände liefern möchte, damit er für ſeine Verleumdung Rede
ſtehen müßte! Nicht die mindeſten Zugeſtändniſſe habe ich ihm
gemacht, nein, gerade dort wurde mir das ganze Lügengewebe,
die Niedertracht und Frechheit dieſer Heretiker klar.“
„Erzähle ſchnell, wie war das! Man ſagte Uns hier, daß
Fürſt Boguslaw nur gezwungen ſeinem Vetter ſekundierte.“
„Er? Allerdurchlauchtigſter Herr!“ rief Kmiziz aufgeregt.
„Er iſt ja viel ſchlechter als ſein Vetter Januſch. In ſeinem
Kopfe iſt der Gedanke des Verrates entſprungen, er verlockte
den Fürſt-Hetman, indem er ihm als Ziel und Lohn die
Krone wies. Gott wird ihr Richter ſein. Jener gab wenigſtens
vor, pro bono publico zu handeln. Boguslaw aber enthüllte
mir, mich für einen Erzſchelm haltend, die ganze bodenloſe
Schlechtigkeit ſeiner Seele. Ich ſchaudere, ſeine Worte zu
wiederholen. . . . ‚Eure Republik muß der Teufel holen,‘ jagte
er. ‚Stelle jie dir einmal vor in Gejtalt eines Stüdes roten
Tuches, an welchen von allen Seiten herumgezerrt wird; wir
denfen nicht daran, es zu retten — beileibe nicht! — Unjere
Sorge wird nur jein, das möglichit größte Stüd davon für
86
ung zu gewinnen. Litauen,‘ jagte er, ‚muß uns bleiben. Sch
werde als Nachfolger meines Vetters Januſch die Großherjogs-
Krone mir auf das Haupt ſetzen, indem ich jeine Tochter heirate.‘
Hier bededte der König feine Augen mit der Hand.
„Sroßer Gott!” jeufzte er. „Wie hätte da nicht gejchehen
jollen, was gejchehen ift. Die Radziwills, Radziejowski, Opa—
linsfi. Sie alle langten nach der Krone, und galt es jelbit
das zu zeritören, was Gott zujammengefügt . . .“
„Auch mir graute vor jo viel Schlechtigfeit, Majeſtät.
Ich rannte an die Pumpe und pumpte Wafjer auf meinen
Schädel, um ihn abzufühlen, denn mir war zu Mute, als jollte
ich den Verjtand verlieren. Bon diefem Augenblik an, war
mein Entjchluß gefaßt. Sch war vor mir jelber erjchroden.
Hatte ich mich nicht der Mitarbeiterjchaft an dem jchmachvollen
Werke jchuldig gemacht? Was war zu thun. Sollte ich ihn
oder mich jelbit niederjtechen? Ich brüllte wie ein Stier, den
man mit dem Laſſo eingefangen. Mein Berlangen, mein
einziger Wunjch war nur noch: „Rache an den Radziwille.“
Da gab mir Gott plöglich einen guten Gedanken. Unter dem
Vorwande, ihn mein Pferd Probe reiten zu laſſen, welches ihm
fehr gut gefiel, lockte ich mit mehreren meiner Leute den Fürſten
Boguslaw aus der Stadt heraus, bemächtigte mich dann plöß-
fi) der Zügel jeines Pferdes und wollte ihn in das Lager
der Konföderierten ausliefern, um für den Preis ſeines Kopfes
die Verzeifung Ew. Majejtät und der Nation für mich zu
erfaufen.“
„Es jei dir alles verziehen für diefe That!“ rief der König.
„Nur Kmiziz allein war imjtande, ein jolches Neiterjtüc zu
unternehmen, niemand jonjt! Von ganzem Herzen verzeihe Sch
dir! Aber erzähle weiter, wie fam es, daß er dir entjchlüpfte?‘
„Als wir das erjte Mal Halt machten,“ fuhr Kmiziz fort,
„riß er mir unverjehens die Piſtole aus dem Gürtel und ſchoß
mir den Schrot ins Gejicht . . . Hier dieſe Narben... Mit
meinen Leuten wurde er ganz allein fertig ... er entfloh ...
Niemand kann ihm jtreitig machen, daß er ein ausgezeichneter
Kriegsheld iſt . . . aber ich finde ihn jchon noch und ſollte das
BZujammentreffen mit ihm meine legte Stunde werden!“
Kmiziz riß an jeiner Dede herum, als wolle er jie in
Stüde reißen, der König wehrte ihm jchnell und frug:
„Und um fich zu rächen, hat er jenen Brief erdacht und
geräljcht ?“
„Und aus Rache hat er ihn zu Händen Ew. Majejtät
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niedergelegt! Ach, die Wunden meines Körpers jind geheilt,
aber die Wunden meiner Seele nicht . . . Zu Wolodyjowsfi,
zu den Slonföderierten konnte ich micht zurüd, die Laudaer
hätten mich erjchlagen, wie einen Hund ... Da ich aber
wußte, daß Nadziwill gegen fie zu Felde ziehen und fie über-
fallen wollte, jo jchicfte ich ihnen einen Warner, damit fie ich
jammeln fonnten, jonit hätte er jede einzelne ihrer ahnen
zeritreut wie Spreu. Das war meine erite gute That, denn
num halten jie ihm umzingelt wie ich höre, und laſſen ihn
nicht mehr frei. Gott helfe ihnen dazu und jtrafe den Miſſe—
thäter, Amen.“
„Das iſt vielleicht jchon gejchehen und wenn nicht, jo
geichieht es wohl bald,“ jagte der König. „Was gejchah weiter
mit dir?“
„Da ich bei den Konföderierten Ew. Majejtät nicht dienen
durfte,“ berichtete Kıniziz weiter, „Jo bejchloß ich, zu meinem
Allergnädigiten Herrn jelbit zu wandern und dort durch treue
Dienjte meine Sünden abzubüßen. Aber wie fonnte ich zu ihm
— Wer hätte wohl dem Kmiziz, deſſen ſchmachbedeckter
dame in der ganzen Republik bekannt war, auch nur einen
Biſſen Brot oder ein Nachtlager gewährt. So nahm ich meinen
jetzigen Namen an; als Babinitſch zog ich nach Tſchenſtochau.
Ob ich dort etwas für das Vaterland geleiſtet, kann der
Prior Kordezki Ew. Majeſtät ſagen. Tag und Nacht war mein
Denken nur darauf gerichtet, meine Schuld an das Vaterland
abzutragen, ihm mein Leben zu opfern und Ehre und Ruhm
wiederzuerlangen. Der Reſt meiner Geſchichte iſt Ew. Majeſtät
befannt. Wenn mein Allergnädigſter Herr in ſeiner Herzens—
aüte geneigt wäre, abzuwägen, ob meine neuen Verdienſte im—
Itande jind, die alten Sünden auszugleichen, jo bitte ich innigit,
möchten doch Em. Majeität mich gnädig an Ew. Herz nehmen,
denn ich bin veritoßen von allen, ein Verbannter, ein Verräter
und Meineidiger. Gott und Ew. Majeität allein kennen meine
Neue, meine Thränen und mein Verlangen, ihm und Ew. Maje-
jtät treu zu dienen.“ a
Bei diefen Worten jtürzten Thränen aus den Mugen des
jungen Mannes; er jchluchzte herzbrechend, während der gute
König jeinen Kopf zwijchen beide Hände nahm, ihn auf die
Stirn fühte und ihn zu tröjten begann:
„Andreas!“ jprad er. „Du biſt Mir lieb geworden, wie
ein Sohn. Sch weiß es nun, du Halt in der Verblendung
gehandelt, wie viele aber jündigen mit Harem Bewußtſein? ...
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Ic verzeihe dir aus vollem Herzen, denn du haſt deine Schuld
getilgt. Beruhige dich, mein Sohn! Mand) einer wird Dich
um deine DVerdienjte noch beneiden! ... Gott ſei mit dir!
Sch verzeihe und das Baterland verzeiht. Wir bleiben zulett
noch deine Schuldner! Höre auf, dich anzuflagen.“
„Bott lohne Ew. Majejtät dieſen Troſt!“ brachte Kmiziz
ſchluchzend hervor. „Sch muß ohnehin doch noch in jener Welt
büßen, für den Eidbrucd an Nadziwill, denn wenn ich auch
nicht wußte, was ich bejchwor, jo bleibt Eid doch Eid.“
„Gott wird Dich dafür nicht verdammen,“ antwortete der
König, „er mühte denn die halbe Republik als Eidbrüchige zur
Hölle wandern laſſen.“
„Das denfe ich auch,“ meinte Amiziz. „Der Prior Kor—
dezfi in Tſchenſtochau jagte auch, daß ich nicht brauchen werde
zur Hölle zu jahren, nur wußte er nicht vecht, ob ich ohne
das Fegefeuer davonkommen werde. Es iſt doch eine jchwere
Sache, hundert Jahre dort zuzubringen. Aber jei es! Der
Menſch kann viel ertragen, wenn die Hoffnung auf Erlöjung
len und an Fürbitten wird es mir hoffentlich auch nicht
ehlen.“
„Sorge nicht darum!” jagte Johann Kaſimir. „Ich jelbit
will beim Nuntius einfommen, dab er für dein Seelenheil eine
heilige Meſſe lejen läßt. Vertraue auf Gottes Barmherzigkeit.“
Kmiziz lächelte unter Thränen.
„Vielleicht,“ jprach er, „schenkt Gott mir noch einmal
meine Kräfte wieder, dann kann ich noch manchem Schweden
das Yebenslicht ausblafen, was mir nicht nur zu himmliſchem
Frieden, jondern auch zur Herjtellung der irdischen Reputation
verhelfen würde.“
„Ser guten Mutes und gräme dich nicht um deine irdijche
Reputation. ch werde dafür forgen, daß dir zufommt, was
dir gebührt. Wenn ruhige Zeiten wiederkehren, werde Ich
deine Verdienſte publizieren, deine bisherigen und die neuen,
welche du Hinzufügen wirft. Dann jollen deine Privatitreitig-
fetten auf dem Landtage zur Entjcheidung gebracht und dein
guter Ruf wiederhergejtellt werden.“
„ech ja, Allerdurcjlauchtigiter Herr!“ bat Kmiziz. „Das
iſt meine größte Sorge. Denn jobald nur der Friede im
Lande leidlich hergeitellt jein wird, oder jchon vorher, werden
die Gerichte alle meine Prozejje aufs neue revidieren, davor
fann jelbit Ew. Majeität mich nicht jchügen. Aber darum
geht es mir weniger. ch werde mich verteidigen, jolange ich
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atmen und mein Arm ein Schwert führen fann ... Doc
mein Mädchen! Olenka heißt jie, Allergnädigiter Herr! Ach,
wie lange habe ich ſie nicht mehr gejehen, ach, wie viel habe
ih um fie und durch fie gelitten. Wie oft ich mich aud)
bemühe, jie mir aus dem Sinne zu jchlagen, weil fie mich doc)
nicht mehr mag, — die Liebe läht mich nicht lös!“
Johann Kafimir lachte fröhlich und unendlich gutmütig.
„Wie kann ich dir Armjeligen Hierin helfen?“
„Wer anders fünnte e8 wohl, wenn nicht Ew. Majeftät.
Das Mädchen iſt treu Füniglich gefinnt; fie wird mir meine
Kiejdaner Thaten niemals verzeihen, — es wäre denn, daß
Ew. Majeſtät jelbjt für mich eintreten und mir ein Zeugnis
ausjtellen wollen, daß ich mich volljtändig befehrt und mich
frenvillig dem Dienjte des Königs und des Vaterlandes gejtellt
habe, durch nichts verlodt und durch nichts gezwungen, als
durch meine Reue und meinen Willen.“
„Wenn e8 nur das it, jo will Ich gern dein Fürſprecher
jein. Und wenn jie jo fönigstreu gejinnt it, wie du jagit, jo
fann Meine Fürſprache nicht fruchtlos bleiben.“
„Wenn das Mädchen nur auch frei bliebe oder nicht ein
Unfall, wie jie zu Sriegszeiten jo häufig vorkommen, fie treffen
wollte. Die Engel werden ſie bewahren!“ jagte Kmiziz mit
Veberzeugung.
„Sie iſt jolchen Schußes auch würdig,“ bemerfte der König.
„Damit du gegenwärtig vor den Verfolgungen der Gerichte
Ruhe haft, die — wie du jagft, wegen verbrecherischer Hand-
lungen dich verfolgen werden, will Ich dir einen Aufgebotsbrief
ausitellen, und weil Ich das auf den Namen Kmiziz nicht kann,
jo joll er auf den Namen Babinitſch lauten. Du jollit dir
wieder eine Fahne werben, was jedenfall zum Nuten des
Baterlandes gereichen wird, da du ein erfahrener und tapferer
Soldat bit... Du wirt unter dem Oberbefehl des Herrn
Kajtellan von Kijow jtehen, denn bei ihm ijt es ebenjo leicht
ji den Tod zu holen, als Lorbeeren zu erringen. Und wenn
es notwendig werden jollte, jo wirft du auf eigene Fauſt
Plänfeleien gegen die Schweden unternehmen und jo mit ihnen
verfahren, wie du es mit Chowansfi gemacht haft. Deine Be—
fehrung und guten Handlungen haben von der Zeit an be-
gonnen, wo du den Namen Babinitich annahmit . . . Nenne
did) weiter jo, dann wirft du auch vor den Gerichten Ruhe
haben. Wenn dann die Sonne des Nuhmes wieder über dir
jcheint, dann joll, wenn dein Ruhm durch die ganze Nepublif
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widerhallt, befannt werden, wer diefer berühmte Kavalier iſt.
Manch einer wird jich dann jchämen, einen jo großen Nitter
anzuflagen, der Krieg wird manchen fortraffen, der dir Böjes
finnt, andere wirft du vielleicht begütigen können . . . es werden
im Wirrjal des Krieges auch eine Menge Akten verloren ge—
gangen jein und — ch verjpreche dir noch einmal, deine
Berdienite für dich jprechen zu laljen, das haſt du um Mich
verdient.“
„Nllergnädigiter Herr!“ jagte Kmiziz mit vor NRührung
bebender Stimme, „womit habe ich jo viel Gnade verdient?“
„Du haft fie mehr verdient als mancher, welcher ein Recht
darauf zu haben glaubt,“ erwiderte der König Huldvoll. „Nun
gräme dich aber nicht mehr; Ich hoffe, auch deine Braut wird
jich verjühnen laſſen und ihr jorgt mir dann beide für ein
neues königstreues Gejchlecht.“
MWahrjcheinlich wollte Amiziz dem Könige noch einmal für
jo viel Gnade danken und ihm zu Füßen finfen. Er erhob
fich hajtig vom Lager, aber von der langen Erzählung und der
damit verbundenen Aufregung ſchwach geworden, fiel er mit
der ganzen Länge jeines Körpers vor dem König zu Boden
und blieb bejinnungslos liegen.
„Um Gotteswillen! Was thuſt du?“ vief der König angjt-
voll. „Er wird fich verbluten! Andreas!... Iſt denn niemand
in der Nähe?“
Auf diefen Ruf eilte der Stronenmarjchall herbei, welcher
ſchon lange den König gejucht und jetzt jeine Stimme ge-
hört hatte.
„Beim heiligen Georg, meinem Schugpatron! Was muß
ich jehen,“ jchrie der Marjchall, als er jah, wie der König
bemüht war, höchitjelbit den am Boden Liegenden auf jeine
Arme zu nehmen, um ihn auf das Lager zu legen.
„Helft Mir, Herr Marjchall,“ entgegnete hajtig der König.
„Das hier iſt Babinitjch, mein liebiter Soldat und treuejter
Diener; er hat mir das Leben gerettet, helft Mir.“
HRFZ
8. Rapitet,
Bon Lubow ging der König über Dufla, Krosno, Yanzut
nach Lemberg. Sein Gefolge beitand außer dem Kronen—
marjchall aus vielen Biſchöfen, Cdelleuten, Senatoren, dem
Garderegiment und den Adjutanten. Wie ein mächtiger Strom
in jeinem Laufe durch das Land alle Fleineren Gewäjler auf-
nimmt und mit jich fortführt, jo jchloffen ſich dem königlichen
Zuge immer neue Heerjcharen an; teil einzeln, teils in ge-
ordnneten Haufen zogen Herren vom Model, bewaffnet, Soldaten,
die von ihren Negimentern verjprengt waren, und Bauern, die
der Haß gegen die Schweden zu wilden Thaten entflammte,
herbei, um unter dem Schuße der Majeität weiter zu wandern.
Der Aufitand war inzwijchen überall ausgebrochen. Man
begann im ganzen Lande, Ordnung in die Bewegung zu bringen.
Konſtantin Lubomirsfi, der Marjchall der Nitterf Ichaft, und
Sohann Wielopolsfi, der Kajtellan von Wojnit, hatten von
Sontſch aus datierte Proflamationen an den Adel der Kra—
fauer Wojewodjchaft erlajjen umd zu den Waffen gerufen. Nun
wuhte man, um wen man jich ſcharen konnte, und da nach dem
allgemeinen Landrecht denjenigen Strafe drohte, welche dem
Aufruf nicht Folge leisteten, jo jtrömte alles, was nur einen
Arm rühren fonnte, zur Fahne. Das Aufgebot des Königs
endlich trieb auch die Läſſigen aus ihrer Ruhe auf.
Es bedurfte auch feiner Drohungen, denn ein wahrer
Feuereifer hatte fich aller, ohne Unterjchied des Standes, be-
mächtigt. reife wie finder jtiegen zu Pferde, die rauen
opferten freudig ihre Kleinodien und Schmucjachen, einzelne
unter ihnen griffen jogar zur Wehr.
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In den Feldſchmieden hämmerten die Zigeuner Tag und
Nacht, um Pflugſchare und anderes Wirtichaftsgerät in Waffen
umzuarbeiten, Städte und Dörfer lagen öde und jtill da, weil
die Männer in den Krieg zogen, und von den Karpathen her
zogen ungezählte Scharen der wilden Bergbewohner heran.
Die Ktriegsmacht des Königs wuchs von Stunde zu Stunde,
Sein Zug durch das Yand glic einem Triumphzuge, denn
überall fam dem Könige die hohe und miedere Geijtlichfeit mit
Prozejjionen entgegen, jogar jüdische Deputationen mit ihren
Rabbinern fanden fich ein und es jchten ihnen allen Freude zu
machen, wenn ſie gute Nachrichten überbringen fonnten.
In allen Teilen des Neiches, in den ferniten Provinzen,
in der Steppe erhob die Racheluit dreiit ihr Haupt. Je tiefer
das Volk gejunfen war, je jchmachvoller e3 feine Erniedrigung
empfand, Deito höher richtete es ich nun empor und jcheute
ih in jeinem Enthuſiasmus nicht, faum vernarbte Wunden
aufzureißen, damit mit dem Blut auch die vergifteten Säfte
der Verblendung und der Untreue davonfliegen konnten.
Immer lauter verbreitete jich die Kunde von einem mäch-
tigen Bündnis zwijchen Bolt und Adel. An die Spige der
Truppen jollten geitellt werden: der alte Großhetman Reverenzius
Potozki und der Landeshauptmann Lanzkoronski, der Wojewode
von Neuen, Herr Paul Sapieha, der Wojewode von Witebst
und der ‚zürit-Truchjeß von Litauen, Herr Michael Radziwill,
welchen ſehnlichſt darnad) verlangte, die Schande, die Fürjt
Januſch auf jein Gejchlecht gehäuft, wieder auszulöjchen; ferner
noch Herr Krystof Tyſchkiewitſch, der Wojewode von Ticher-
nichow, und viele andere Senatoren und Beamte von Abel.
Zwijchen dieſen Herren herrſchte bereits ein lebhafter
Briefwechiel, welcher vom Herrn Stronenmarjchall eingeleitet
worden war, da Diejer einer jo bedeutungsreichen Bewegung
nicht fern bleiben wollte. Mit immer größerer Sicherheit traten
die Gerüchte von den Unterhandlungen diefer Herren auf, bis
endlich durch das ganze Land die Kunde erjcholl, daß jämtliche
Hetmane jamt ihren Truppen jich von den Schweden Losgejagt,
und zum Schuß der Königlichen Majeität und des Baterlandes
die Konföderation von Tyſchowietz zujtande gekommen jei.
Dem Könige und der Königin waren die Bemühungen,
diejelben ing Leben zu rufen, nicht verborgen geblieben. Sie
hatten ſelbſt eifrig, wenn auch indirekt, an dem Zuitandefommen
der Konföderation mitgearbeitet und erwarteten nun jehnlichit
den Zuſammentritt derjelben, da ſie perjünlic) daran nicht teils
93
nehmen fonnten. Che der König noch Lemberg erreichen konnte,
famen dann auch Herr Domajchewsft aus Domajchewitjche, der
Oberrichter von Lukow und Herr Sluſchewski bei ihm an, und
brachten im Namen der Ktonfüderierten das Gelöbnis der Dienit-
willigfeit und Treue, nebit dem Vertrage der Konföderation,
zur Beitätigung.
Der König las den Vertrag der Verſammlung der Sena-
toren und Bijchöfe, welche er zu diefem Zwed zujammenberufen,
laut vor. Aller Herzen jubelten vor Freude und danften Gott,
denn dieſe Konföderation, die in der Gejchichte der Polen für
ewige Zeiten verzeichnet bleiben wird, jollte der jchlagendite
Beweis dafür werden, daß das ganze Volf nicht nur jich aus
feiner Berjumpfung aufzuraffen begann, jondern dat die Nation,
von welcher man jagte, jie bejige weder Treue noch Glauben,
nicht Vaterlandsliebe noch Gewijien, nicht Ausdauer noch Ord-
nungsjinn, dennoch nicht vollitändig bar jei der Tugenden, welche
Neichen und Nationen allein zum Schmude dienen.
Das Zeugnis für dieſe Tugenden lag in der Form des
Konföderationgvertrages im Original nun dem Könige vor.
Die Kommiſſion der Honföderation erwog in dieſem Wertrage
alle die widerrechtlichen Handlungen, deren jich Karl Guſtav
jchuldig gemacht, und erklärte von num an gegen die jchwedijchen
Eindringlinge zu fämpfen bis auf den legten Mann. Wie der
Erzengel jeine Bojaune am Tage des leiten Gerichts erjchallen
laſſen joll, jo jolle das allgemeine Aufgebot alle, die Ritter,
Adligen und Standesherren, zum Bernichtungskriege gegen die
Schweden auffordern. Doch nicht jie allein, jondern auch die
Verbrecher und Verbannten jeien verpflichtet, dem Rufe des
Vaterlandes Folge zu leilten. Die Ritter jollen zu Pferde
jteigen, ihren Arm in den Dienjt des Baterlandes jtellen und
von ihren Befigungen jo viele Fußſoldaten mit jich führen, als
jeder nach jeinem Vermögen zu halten vermöge.
Da in dieſem Lande Leiden und Freuden alle gleich treffen,
jo find auch alle verpflichtet, die Gefahren dieſes Krieges zu
teilen und feiner, der jich Edelmann nennt, jei er angejejlen
oder nicht, darf ſich der Pflicht entziehen, ven Kampf. gegen
den Feind der Republik mitzufämpfen.
Da wir nun aber alle vom Stleinadel auch mehr oder
minder verantivortungsvolle Aemter befleiden, jo werden jie,
und mit ihnen wir, eingedenf der genojjenen Würden und
Ehren in eigener Perſon uns dem Dienite des Baterlandes
unteritellen.
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Auf dieſe Weiſe proflamierte der Vertrag die Gleichheit
des Adeld. Der König, die Biichöfe und Senatoren, welchen
längit jchon eine Aufbejlerung der Zuftände in der Nepublif
am Herzen lag, bemerften zu ihrer frohen Berwunderung, daß
die Nation jet reif geworden, den neuen Weg zu bejchreiten,
der das Weich in geordnete Geletje Führen fonnte, dab Die
Zeit gefommen war, wo jeder wohlgelinnte Mann bemüht jein
werde, den Roſt und Schimmel von den Waffen zu wijchen,
ein neues Leben zu beginnen.
Der Vertrag jchloß mit den Worten:
„Es wird jomit einem jeden Gelegenheit geboten, durch
dieſes Bündnis mit uns zu Ehren, Rechten und Auszeichnungen
zu gelangen, die geeignet jind, den Stand der Adligen zu
ſchmücken.“
Als dieſer letzte Abſatz des Vertrages vorgeleſen wurde,
entſtand eine lautloſe Stille. Diejenigen, welche die Anſicht
des Königs, daß das Recht der höheren Stände auch den
niederen Ständen zugänglich gemacht werden müſſe, und ge—
fürchtet hatten, daß noch Jahre ſchwerer Kämpfe bis zu dem
Zeitpunkte vergehen würden, wo man wagen dürfte, mit dieſem
Plane an die Oeffentlichkeit zu treten, ihn dem auf feine an—
geborenen Rechte jo eiferjüchtigen hohen Adel vorzulegen, waren
eritaunt, eben Ddiejen Adel mit weit geöffneten Armen dem
grauröcdigen bäuerlichen Stleinadel entgegen fommen zu jehen.
Nie von prophetijchemn Geiſte umweht, erhob ſich der Erz—
biſchof und ſprach:
„Darum, weil ihr dieſen letzten Punkt dem Vertrage ein—
verleibt habt, wird dieſes Vertrages von allen kommenden Ge—
ſchlechtern gedacht werden. Sofern aber jemandem einfallen
ſollte, dieſe Zeit eine Zeit des Verfalles der alten polniſchen
Tugenden zu nennen, den will ich im Hinweis auf dieſen Ver—
trag eines Beſſeren belehren.“
Der Probſt Gembizki, welcher krank war, konnte nicht
ſprechen; er ſtreckte nur ſeine zitternde Hand aus, um gerührt
den Vertrag und die Geſandten zu ſegnen.
„Ich ſehe den Feind ſchon mit Schimpf und Schande ab—
ziehen,“ ſagte der König.
„Gebe Gott, daß das ſehr bald geſchieht!“ riefen die beiden
Geſandten.
„Ihr begleitet Uns ſogleich nach Lemberg, Meine Herren,“
ſprach der König wieder. „Dort wollen Wir den Vertrag be—
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glaubigen und noch einen anderen jchliegen, den jelbit die
Mächte der Hölle nicht zu zeritören vermögen.“
Die Gejandten und Senatoren blidten jich verwundert an.
Sie hätten gern erfahren, um welche Dinge es ſich noch handeln
fönne. Doch der König jchwieg, nur jein Gejicht leuchtete und
nahm einen immer froheren Ausdruck an, während er den Ver:
trag in den Händen haltend, lächelnd fragte:
„um, habt ihr viele Opponenten gehabt?“
„llergnädigiter Herr!“ antwortete Herr Domajchewsti,
„Die Konföderation wurde durch die Herren Feldhauptlente,
den Herrn Wojewoden von Witebsf und den Herrn Tieharniezfi
eingeleitet und feiner der Herren vom Stleinadel hat auch nur
ein Wort dagegen geredet; die Konföderation wurde einjtimmig
proflamiert, die Liebe für das Vaterland und für Ew. Majeität
iſt mächtig entflammt und der Haß gegen die Schweden groß
und allgemein.“
„Wir haben von vornherein erklärt,“ fügte Herr Slu—
ſchewski Hinzu, „daß wir feinen Neichstag abzuhalten gedenfen,
jondern die ganze Nation aufgefordert jei, zu erjcheinen. So
fonnte feine Oppofition laut werden; es hätte nur einer wagen
jollen zu widerjprechen, man hätte ihn gemordet; denn darin
find wir alle einig, daß dieſem Widerjpruchsgeiit ein Ende
gemacht werden muß.“
„O, das iſt ein goldenes Wort, das Ew. Liebden da
jprechen!* jagte der Erzbijchof. „Sit erit eine Beſſerung in der
Gejinnung der Bevölferung eingetreten, jo fann uns fein Feind
mehr jchreden.“
„Wo befindet jich jet der Wojewode von Witebsk,“ Trug
der König.
„Er it jogleich nach Unterzeichnung des Vertrages in jein
Heerlager bei Tykozin abgereijt, wo er den Verräter, den
Wojewoden von Wilna, belagert. Zu diejer Stunde muß er
übrigens jeiner jchon habhaft geworden jein, jei es tot oder
lebendig.“
„War er denn jeiner Sache jo gewiß?“ frug der König
weiter.
„Er war dejien jo jicher, wie daß auf die Nacht der Tag
folgt. Der Verräter ijt bereits jogar von jeinen treuejten
Dienern verlajjen. Er hat nur noch eine Handvoll Schweden
zu jeinem Schutze bei ji. Zuzug oder Entjag für ihn laſſen
wir nicht heran. Herr Sapieha auf Tyſchowietz jagte uns in
der Verjammlung: ‚Sch hätte mich gern um einen Tag hierher
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veripätet — bis zum Abend wäre ich mit Nadziwill fertig
geworden — aber die Angelegenheit bier erjchten mir Doc)
von größerer Wichtigfeit, denn ihn wird man auch ohne mid)
befommen, eine einzige Fahne wird genügen, ihn gefangen zu
nehmen.‘“
„Sott jei gepriefen!* rief der König. „Wo aber befindet
fi) Herr Tſcharniezki?“
„Das vermögen wir nicht zu jagen. Es haben Jich jogleich
eine Menge Männer freiwillig bei ihm gemeldet, jo dab er
ſchon am zweiten Tage ein anjehnliches Regiment übernehmen
fonnte. Mit dieſem iſt er gegen die Schweden ausgerüdt.“
„Und die Herren Feldhauptleute?“
„Die Herren FFeldhauptleute erwarten jehnlichit die Befehle
Em. Majeität. Inzwiſchen beraten fie, wie der fommende Feld—
zug am vorteilhaftejten einzuleiten jei, und bemühen jich, mit
dem Herrn Starojten von Samojchtich abzurechnen. Sie führen
ihre tompagnieen troß Eis und Schnee ihm entgegen.“
„fo fallen alle von den Schweden ab?“
„So iſt es, Mllergnädigiter Herr! Sogar der Herr
Ktoniezpolsfi, welcher jeinerzeit zu Karl Guſtav übergegangen
it und zur Leibgarde des Königs fommandiert wurde, jcheint
nicht übel Luft zu haben, zu jeiner Pflicht zurüdzufehren, ob-
gleich der König weder mit Schmeichelworten noch Verſprechungen
fargt. Gr hat bereits wiederholt Abgejandte an die Feldhaupt—
leute geſchickt. Dieje berichteten, dat fie ja nicht ſogleich den
Nüdzug in unjer Lager antreten fünnten, doch die erjte beite
Gelegenheit benügen wollten, e8 zu thun.“
„Das find ja überaus gute Neuigkeiten aus allen Gegenden, *
jagte der König. „Die heiligite Jungfrau fei gelobt! Das it
heute der glüclichite Tag Meines Lebens; der zweite kommt,
wenn die Schweden bis auf den leiten Mann das Land ver-
laſſen haben werden.“
Herr Domaſchewski griff bei diefen Worten des Königs
an jeine Schärpe.
„So Gott will, geſchieht das nicht!” ſprach er feierlich.
„Was joll das heißen?“ frug mit Staunen der König.
„Ew. Majeität jagen, wenn die legte Pluderhoje auf
eigenen Füßen die Grenzen der Republik Hinter ſich haben
wird? Das darf nicht geichehen, Allergnädigiter Herr! Wozu
hätten wir denn unjere Säbel?“
„Ihr habt den Schelm im Naden,” erwiderte heiter der
König. „Eine jolche Kriegsluſt laſſe Ih Mir gefallen!“
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Herr Sluſchewski, welcher nicht hinter dem Herrn Doma-
ſchewski zurüchtehen wollte, rief num auch:
„So wahr ich lebe, das darf nicht gejchehen. Wir wollen
ung mit ihrem Davonlaufen nicht begnügen, wir wollen ihnen
folgen!“
Der Erzbijchof jchüttelte das Haupt und jagte gutmütig:
„Oo! D! Der Adel fitt hoch zu Roſſe und reitet und
reitet! Nun, Gott jegne euren Ritt, nur reitet nicht zu jchnell!
Immer langjam, langjam! Noch befindet jich der Feind inner-
halb der Grenzen.“
„Er joll es nicht lange mehr fein!“ riefen Die beiden Ge-
fandten.
„Ein neuer Geiſt iſt bei ung eingezogen, der Erfolg wird
fiher nicht ausbleiben!“ jagte der Probſt Gembizfi mit leiſer
Stimme.
„Bringt Wein!“ befahl der Hlönig. „Laßt Uns auf die
vollzogene Wandlung trinken!“
Der Wein wurde gebracht. Zugleich mit den Edelknaben,
welche ihn hereintrugen, trat der erite Kammerherr des Königs
in das Gemach.
„Allergnädigiter Herr,“ meldete er. „Soeben ift Herr
Kſchystoporski aus Tichenitochau angefommen; er bittet Ew.
Majeität um Audienz.“
„Führe ihn jchleunigit herein!“ befahl der König.
Einen Augenblid jpäter trat ein hochgewachjener, magerer
Mann ein, welcher die Verſammlung jehr von oben herab be-
trachtete. Zuerſt verbeugte er Sich tief vor dem Könige,
worauf er die übrigen Anwejenden herablafiend grüßte. Darauf
jagte er:
„Selobt ſei Jeſus Chriſtus!“
„In Ewigkeit, Amen!“ antwortete der König. „Was giebt
es neues?“
„Es iſt fürchterlich kalt, Allergnädigſter Herr. Die Wimpern
frieren einem an die Backen an.“
„Um Gotteswillen, ſprecht von den Schweden und nicht
von »der Kälte!“ rief Johann Kaſimir ungeduldig.
„Von denen giebt es nichts zu erzählen, jeit fie von
Tichenjtochau vertrieben jind,“ erwiderte Herr Kſchystoporski
barich.
„Das wurde Uns bereits erzählt,“ ſprach der König erregt.
„Doch willen Wir nicht, ob der Bericht nur bloßes Gerede tit,
oder auf Wahrheit beruht. Wenn ihr aus Tichenttochan jelbit
Sienkiewicz, Sturmflut IL J
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fommt, dann waret ihr einer der Verteidiger und Augenzeugen
der Kämpfe dort.“
„Jawohl, Allergnädigiter Herr! Ein Teilnehmer an den
Kämpfen und ein Augenzeuge der Wunder, welche die heilige
Sottesmutter gethan.‘
„Ihre Gnade iſt grenzenlos!“ jagte der König, indem er zum
Himmel emporblidte, „Juchen Wir dieſelbe immer mehr zu verdienen.“
„sc habe viel erlebt,“ fuhr Ktichystoporsfi fort, „aber jo
augenjcheinliche Wunder, wie die zu Tichenitochau gejchehenen,
jah ich noch nie. Der Probit Kordezfi hat Ew. Majejtät in
dieſem Schreiben ausführlich darüber berichtet.‘
Sohann Kajimir nahm Hajtig den Brief, welchen Kſchys—
toporsfi ihm reichte, in Empfang und begann zu lejen. Won
Zeit zu Zeit unterbrach er das Lejen, um ein Gebet zu murmeln,
dann las er um jo eifriger weiter. Sein Geficht jpiegelte die
freudigen Gefühle, die ihn erfüllten, wieder. Endlich richtete
er den Blick wieder auf Kſchystoporski und ſprach:
„Der Probſt Kordezki jchreibt Uns, daß ihr dort einen
tapferen Ritter namens Babinitjch verloren Habt, welcher die
große jchwedische Kolubrine in die Luft geiprengt hat.“
„Er hat jich für uns alle geopfert, Allergnädigiter Herr!
E83 laufen zwar Gerüchte um, daß er lebt; man erzählt ich
Gott weiß was über ihn. Da wir aber feine Gewißheit haben,
jo beweinen wir ihn als Toten, denn ohne jeine Heldenthat
wäre Tiehenitochau und wir mit ihm verloren gewejen.“
„Ihr dürft aufhören, ihn zu beweinen. Herr Babinitich
lebt; er ijt bei Uns. Er war es, der Uns zuerit die Nachricht
brachte, daß die Macht der Schweden an Tjchenitochau zerjchellte,
daß fie Die Belagerung aufgeben mußten. Nachher hat er Uns
jo wichtige Dienſte geleitet, day Wir faum Mittel befigen, fie
ihm zu lohnen.“
„O, das wird den Probſt Stordezfi freuen!“ rief der Edel:
mann, jelbit hocherfreut. „Wenn Herr Babinitjch lebt, jo muß
er bei der allerheiligiten Jungfrau in ganz bejonderer Gunſt
ſtehen. . . Das wird den Probit freuen! Kein Bater fann
jeinen Sohn jo lieben, wie er dieſen Menjchen liebt. Ew. Majejtät
erlauben mir doch, den Nitter zu begrüßen, den größten Hau—
degen, den die Nepublif aufzuweiſen hat.“
Der König las indeijen weiter.
„Bas erfahren Wir?“ rief er nach einer Weile. „Man hat
nach dem Abzuge der Schweden noch einmal verjucht, das Kloſter
zu umgehen?“
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„a, das hat man. Miller zwar hat jich nicht mehr dort
blifen laſſen, aber Wrejtjchowitich erjchien ganz plößlich,
wahrjcheinlich, weil er hoffte, die Thore offen zu finden. Das
war auch der Fall, doc) die Bauern hieben gleich jo gewaltig
auf die Soldaten ein, daß ihr Führer bald mit Schimpf und
Schande abzog. Es war fabelhaft, wie die gewöhnlichen Männer
im offenen Kampfe Stand hielten. Später fam dann Herr
Peter Ticharniezfi mit Herrn Kuleſcha heran, welche jeine
Kompagnie vollitändig aufhoben.“
Ter König wandte jich an die Senatoren:
„Da jeht ihr, Meine Herren, welch jchwache Kräfte jelbit
ji in den Dienſt des Vaterlandes jtellen.“
„Und wie jie herzueilen!* jprach Kichystoporsft weiter.
„In der Gegend von Tichenitochau jtehen ganze Dörfer leer,
weil die Bauern mit ihren Senjen zu Felde gezogen find.
Die Schweden dürfen jich einzeln nicht bliden laſſen, nur in
geichlofjenen Kolonnen wagen ſie jich noch hervor, jeit den Tagen
von Tſchenſtochau.“
„Es joll von nun an in Ddiefem Lande niemand mehr
unterdrücdt werden von allen denen, die ihr Leben dem Vater—
lande weihen,“ jagte der König feierlich, „Das helfe Uns Gott
vollbringen!“
„men!“ jegte der Erzbifchof Hinzu.
Plötzlich jchlug ſich Kichystoporsfi an die Stirn:
„Wahrhaftig!“ jagte er, „mein Gedächtnis jcheint eingefroren
zu jein, daß ich vergejlen fonnte zu melden, der Wojewode von
Poſen it plöglich gejtorben.“
Bei diejer Nachricht wandten jich aller Augen dem Könige
zu. Diejer jchien davon nicht jonderlich berührt zu fein, jondern
jagte ganz ruhig:
„Herr Johann Leichtichinsft iſt Schon jeit langem für Die
Wojewodjchaft Poſen beitimmt, jchon zu Lebzeiten Opalingfis.
Möge er Ddiejes Amt würdiger vertreten, als jein Vorgänger.
Gott jcheint Gericht halten zu wollen, über diejenigen, welche
diejes arme Land zum Gegenitand gemeiner Spekulationen ge—
macht haben... .“
Und zu den Senatoren gewendet fuhr er fort:
„ber es wird Zeit! Laßt Uns ans Werf gehen! Sch
brauche euren Rat und eure Hilfe!“
—æ
9. Rapitel.
Den Wojewoden von Wilna hatte ſein Schickſal jchneller
erreicht, al$ man geglaubt.
Als am fünfundzwanzigiten Dezember Herr Sapieha, der
Wojewode von Witebsf, der Einnahme von Tykozin jo ſicher
war, daß er nicht zögerte zu den Konföderierten nad) Tyjchowieg
u eilen, um durch jeine Gegenwart das Zujtandefommen der
Bu autclion zu bejchleunigen, jtellte er die Belagerungsarbeiten
unter das Kommando Oskierkos. Er befahl, den legten Sturm
auf die Veſte nicht eher zu unternehmen, als bis er zurüc jein
würde. Zuleßt verjammelte er jeine Offiziere um jich und
hielt folgende Anjprache an jie:
„Es iſt mir zu Ohren gefommen, dal im Negiment die
Abjicht beiteht, jogleich nach der Eroberung des Schlojjes den
Fürſt-Wojewoden von Wilna niederzumegeln. Da es num nicht
unmöglich wäre, daß während meiner Abwejenheit die Veite
ſich von jelbjt ergiebt, jo befehle ich euch Hiermit unter An-
Drohung der Todesitrafe, gegen den Fürſten nicht einen Finger
zu erheben und ihn mir umverlegt auszuliefern. Es find mir
zwar von Perſonen, von welchen ihr das am wenigiten erwarten
würdet, Briefe zugegangen, mit dem Befehl, den Fürſten jo-
fort bei Sefangennahme zu töten, doch ich werde dieſen Be—
fehlen nicht Folge leisten, nicht etwa aus Barmberzigfeit mit
dem Verräter, jondern weil mir nicht das Necht des Nichters
über ihn zuiteht. Er gehört vor das Tribunal, damit der
gegenwärtigen und allen fünftigen Generationen bewiejen wird,
daß weder hohe Geburt, noc) hohe Nemter und Neichtümer
einen Verräter vor der gerechten Strafe bewahren.“
101
In diefem Sinne ſprach der Herr Wojewode noch eine Weile
weiter, denn — umbejchadet jeiner vortrefflichen Eigenjchaften —
er hielt jich für einen bedeutenden Nedner und liebte es, bei
jeder Gelegenheit in jchön gejegten Worten Anjprachen zu halten,
wobei er bei Nedewendungen, die ihm bejonders jchön deuchten,
jelbitgefällig die Augen ſchloß.
„2a werde ich meine rechte Hand aber recht bald in faltes
Wafler legen müſſen, denn jie juckt mich gewaltig,“ fette Herr
Sagloba den Worten des Herrn Wojeiwoden entgegen. „Sch
bin überzeugt, daß Nadziwill, wenn er mich in jeine Gewalt
befäme, meinen Kopf nicht bis zum Abend auf den Schultern
jigen (iehe. Er weiß mur zu gut, wer die Veranlafjung war,
daß das Heer von ihm abfiel, ja, daß jogar die Schweden mit
ihm hadern. Eben deswegen aber fann ich nicht begreifen,
warum ich nachfichtiger mit ihm verfahren joll, als er es mit
mir thun würde.“
„Darum, weil ihr nicht zu fommandieren, jondern zu
gehorchen habt!" antwortete der Wojewode mit Würde,
„Es it wahr, gehorchen muß ich, aber zuweilen wäre es
ganz gut, das zu hören und zu befolgen, was der Sagloba
jagt . Sch behaupte dreift, daß Radziwill beſſer gefahren
wäre, wenn er meinen Nat befolgt hätte, jich die Verteidigung
des Naterlandes angelegen jein zu lajjen, anjtatt mit den
Schweden zu paftieren. Er ſäße jett jicher nicht in Tykozin,
un befände fi an der Spike des ganzen litauiſchen
Heeres.”
„Seid ihr vielleicht der Anficht, daß der Feldherrnſtab
ſich jetzt in ſchlechten Händen befindet?“
„Das ziemt mir nicht zu ſagen, denn ich ſelbſt legte
ihn in dieſe Hände. Unſerem Allergnädigſten Herrn, Johann
Kaſimir, bleibt nur zu beſtätigen, was ich gethan, nichts weiter.“
Der Wojewode lächelte gutmütig, denn er war Herrn
Sagloba gewogen und liebte ſeine Scherze.
„Herr Bruder!“ ſagte er, „du haſt den Radziwill unter—
gekriegt, du Haft mich zum Hetman kreiert ... alles das it
dein Berdienft Erlaube, daß ich jet nach Tyſchowieh reiſe,
damit der Sapieha wenigſtens etwas zur Ehre des Vaterlandes
thun kann.“
Sagloba ſtemmte die Arme unter und dachte anſcheinend
einen Augenblid nad, ob er die Erlaubnis geben jolle, oder
nicht. Endlich zwinferte er liſtig mit dem Auge, nickte mit
dem Kopfe und jagte würdevoll:
102
„Reifen Ew. Gnaden mit Gott und in Frieden.“
„Habt Danf für die Gewähr!“ antwortete der Wojewode
(lachend. Die Anwejenden jtimmten in das Lachen ihres
Heerführers ein. Er aber beeilte ſich nun, thatjächlich jeine
Neije anzutreten, denn der Kutjchwagen wartete jchon angeſpannt
jeines Herrn, der ſich bei allen verabjchiedend, noch verjchiedene
Initruftionen erteilte für die Zeit jeiner Abwejenheit. Als er
ji) von dem Herrn Wolodyjowsfi verabjchiedete, jagte er:
„Hört! für den Fall der Uebergabe der Beite, mache ich
euch für das Leben und Wohlbefinden des Wojetvoden ver-
antwortlich; euch vertraue ich jeinen Kopf an.“
„Zu Befehl, Herr Hetman! Es joll ihm fein Haar ge-
frümmt werden,“ antwortete der Fleine Nitter.
„Herr Michael!“ jprach nad) der Abreife Sapiehas Sagloba
zu ihm, „ich bin doch neugierig, was für hohe Perjonen das
jein mögen, die unjeren Sapieha drängen, den Nadziwill zu
töten.“
„Wie follte ich das wiſſen!“ entgegnete der kleine Nitter.
„Wollt ihr damit jagen, daß euer Wi nicht imitande iſt,
etwas zu erraten, was man euch nicht ins Ohr flüjtern mag?
E3 mag ja wohl jo jein! Aber wer da vermag dem Herrn
Wojewoden von Witebsf jolches Verlangen vorzutragen, der
muß jchon eine jehr vornehme Perſönlichkeit jein.“
„Vielleicht der König ſelbſt?“
„Der König? DO nein! Des Königs Gutmütigfeit geht
jo weit, daß er imitande ijt, dem Hunde, der ihn gebifien,
noch ein Stüd Speck hinzumerfen.“
„Sch will nicht mit euch jtreiten,“ entgegnete der kleine
Nitter, „aber man jagt doch, dal er den Nadziejowsfi ge—
waltig haßt.“
„Vor allem müßt ihr wijjen,“ jprach Sagloba, „dah ein
jeder jeine eigene Art zu hafjen hat. So ;. B. meine Art zu
haſſen — o, wie ich den Nadziejowsfi hafje! ... Er haßt ihn
in der Wetje, daß er jich jofort jeiner verlafienen Söhne an-
genommen hat und fie erziehen läßt, damit jie nicht in Die
Fußſtapfen des Vaters treten. Der König hat ein goldenes
Herz! Sch vermute aber, daß die Königin dem Radziejowski
ſchon eher den Strick wünjcht; jie ijt eine edle Frau zivar,
aber wen Frauen einmal verfolgen, den finden jie; und wenn
er fih in eine Mauerjpalte verberge, jo Flaubten jte ihn mit
einer Stedinadel heraus.“
Herr Wolodyjowski jeufzte tief und antwortete:
103
„Daß mich doch auch einmal eine jo verfolgen wollte.
Aber das it nicht gut möglich, da ſich noch niemals die Auf:
merfjamfeit irgend einer auf mic) gelenft hat.“
„Nicht wahr, das wäre euch recht! O ja, das möchte
euch gejallen, daß die eine euch nachliefe. Darum aljo jteigt
ihr jo verzweifelt auf die Mauern Tyfozins los, weil ihr wißt,
dab außer dem Nadziwill auch das Fräulein Billewitich hinter
benjelben jigt. O man fennt euch, ihr Tugendjpiegel‘ Wie?
Habt ihr fie euch noch immer nicht aus dem Sinn gejchlagen ?“
„Es war einmal; da habe ich fie zu vergeſſen gejucht und
Kmiziz jelbit, wein er hier gegenwärtig wäre, fünnte bezeugen,
dat ich meine Neigung zu ihr bezwang und wie ein Slavalier
an ihr handelte. Nun aber, da ich weiß, daß jie Hier in
Tyfozin iſt, mache ich fein Hehl daraus, daß ich Diejes Zu—
jammentreffen mit ihr als einen FFingerzeig Gottes betrachte,
und jo Gott uns Hilft die Veſte zu befommen, will ich aufs
neue um jie werben. Auf Kmiziz brauche ich Feine Nückjicht
mehr zu nehmen; wir find quitt. Sch Hoffe, daß fie ihn
mittlerweile vergelien haben wird, da er jie doch freiwillig
verlieg. Was mir früher mit ihr begegnet tit, wird jich nicht
wiederholen.”
Während ich die Herren in dieſer Weije unterhielten,
waren ſie in ihr Quartier gelangt, wo jie die beiden Herren
Skrzetusfi, den Herrn Rochus Kowalski und den Pächter von
Wonſoſch antrafen. Da im Heere befannt war, zu welchem
Zwed der Wojewode von Witebsf nach Tyſchowietz gereiit war,
gaben die Nitter ihrer zsreude über den Zuſammentritt eines
jo hehren Bundes zum Schutze des VBaterlandes in beredten
Worten Ausdrud.
„Sottlob, dag nun ein anderer Luftzug durch die Re—
publif weht, der jich gegen die Schweden richtet,“ jagte Herr
Stanislaus.
„Er kommt von Tſchenſtochau her,“ entgegnete Herr Johann.
„Wir hatten geſtern Nachrichten, daß das Kloſter ſich noch
immer hält, obgleich es täglich neue Angriffe abzuwehren hat.
Heilige Mutter! Laſſe nicht zu, daß deine auserwählte Stätte
vom Feinde entweiht wird.“
Herr Rzendzian ſeufzte und ſagte:
„Abgeſehen von der Schändung der Kirche, würden doch
große Schätze in die Hände der Feinde fallen. Wenn man daran
nur denkt, bleibt einem der Biſſen im Halſe ſtecken.“
„Ueberall ſoll das Heer zum Sturme drängen; es ſoll
104
jchwer fallen, die Menjchen zu zügeln,“ jagte Herr Michael.
„Öeitern joll die sahne des Stankiewitſch ohne Kommando
ausgerüct fein, denn die Leute meinten, jie müßten zum Ent—
ſatz Tichenjtochaus eilen.“
„Wozu jtehen auch Hier unnützerweiſe jo viele Fahnen.
Zur Einnahme Tykozins würde eine auch genügen,“ meinte
Herr Sagloba. „Darin ijt Herr Sapieha eigenfinnig; er hört
nicht auf das, was ich jage, als wollte er zeigen, daß er
meinen Rat nicht gebraucht. Aber es muß doch jeder einjehen,
daß wir einander hier nur im Wege herumitehen, denn alle
fommen doch nicht in das Schloß.“
„Ihr Habt jo unrecht nicht,“ erwiderte Herr Stanislaus.
„ha! Wie? Habe ich den Kopf auf dem rechten Fleck,
oder nicht ?“
„Ihr Habt ihn auf dem rechten led, Ohm, daran fann
niemand zweifeln!“ vief plößlich Herr Nochus, indem er von
einem zum andern blidte, als wolle er ergründen, ob jemand
zu zweifeln wage.
„Aber auch der Herr Wojewode hat recht,“ warf Johann
Sfrzetusfi ein. „Wenn er eine jo große Anzahl Soldaten hier
hält, jo geſchieht das, weil er befürchtet, Fürit Boguslaw fünnte
zum Entſatz des Vetter herbeieilen.“
„So jchide man ihm ein paar Fahnen nach Kurzreußen
entgegen,“ jagte Sagloba. „Man möge zreiwillige Dazu
aufrufen, ich ſelbſt Hätte micht übel Luft, preußifches Bier
zu fojten.“
„Im Winter taugt Bier nicht,“ entgegnete Herr Michael,
„höchſtens Warmbier.“
„So gebt Wein, oder Branntwein, oder Met!“ rief Sagloba.
Dieſem Wunſche jtimmten noch andere bei; jo jchicte ſich
denn Nzendzian, der Pächter von Wonſoſch, an ihn zu erfüllen.
Es währte auch nicht lange, bis etliche dickbäuchige Flaſchen
auf dem Tijche jtanden. Die Ritter erfreuten fi) an dem
ichönen, wohljchmedenden Met und brachten jtet3 neue Gejund-
heiten aus.
„od und Verderben den Pluderhoſen,“ rief Herr Sagloba,
„Nie jollen nicht länger unjer Land arm ejjen, fie müſſen nach
Schweden zurück!“
„uf das Wohl jeiner Majeität des Königs und der
Königin!” trank Skrzetuski.
„And aller derjenigen, die treu zu den Majeitäten halten!“
jegte Wolodyjowsfi hinzu.
105
„Alſo unſer eigenes!“
„Das Wohl des Ohm!“ brüllte Rochus.
„Gott bezahls! Ich komme dir nach, aber — austrinken
bis zum legten Tropfen ... Noch it Sagloba nicht zu alt
dazu. Meine Herren! Auf daß wir den Dachs hier recht bald
ausräuchern, um dann gen Tchenjtochau ziehen zu können!“
„uf! nach Tichenftochau!“ rief Nochus, „der heiligen
Sungfrau zum Entjaß.“
„Nach Tſchenſtochau!“ riefen auch die anderen.
„Wir wollen die Schäge des blauen Berges vor den
Räubern wahren.“
„Das wollen wir, jo wahr ich Rochus Kowalski heiße.
Ich jelbjt werde bei eriter Gelegenheit mir den Schwedenfönig
herausjuchen. Entweder er oder ich, joll es dann heißen. Ihr
fönnt mic für einen Narren erklären, wenn ich das nicht thue.
Aufſpießen will ich ihn!“
Bei diefen Worten holte er mit der geballten Fauſt aus,
um jie auf den Tiſch zu hauen. Er Hätte dabei unfehlbar das
jchwache Gerät jamt den darauf befindlichen Flaſchen und Gläſern
ertrümmert. Glücklicherweiſe fiel Sagloba ihm rechtzeitig im
en Arm, um es zu verhindern.
„Setze dich, Rochus, und jei jtille!” jagte er. „Olaube
mir, wir werden nicht dann erſt in dir den Narren jehen,
wenn du dein Vorhaben nicht ausführit, jondern wir werden
erit dann aufhören, dich für einen jolchen zu Halten. Wie willit
du es denn fertig befommen, den König aufzujpießen, da du
doch nie bei den Huſaren dienteit und nur mit dem Säbel zu
hantieren verjtehit.‘
„sc will mich aber mit einer Lanze verjehen und zu
des Knäſen Polubinski Fahne einjchreiben laſſen,“ erwiderte
Rochus.
„Jetzt aber halte Ruhe, ſonſt bin ich der erſte, der deinen
Schädel bearbeitet... . Bon was jprachen wir Doch, meine
Herren? ... Aha! von Tichenitochau. Die Ungeduld frißt an
mir, wir fünnten dorthin zu jpät fommen, ich brenne vor Un—
geduld, jage ich euch. Und alles das wegen dem verräterijchen
Radziwill und der Philoſophie Sapiehas.“
„Sprecht nichts wider den Wojewoden! Der iſt ein Edel—
mann durch und durch!“ unterbrach ihn der kleine Ritter.
„Warum deckt er denn beide Rockzipfel über Radziwill, wenn
einer dazu ausreicht. Da ſtehen und liegen nun nahezu zehn—
taujend Mann um dieje Budife und werden nächitens am Ruß
106
aus den Schornjteinen ihren Hunger itillen, denn was darin
gehangen hat, damit ſind fie bald fertig.“
„Es iſt nicht unjere Sache, die Beichlüfie der Vorgejegten
zu kritiſieren wir haben zu gehorchen!“
„Das ziemt euch, Herr Michael, nicht mir, den die Hälfte
des Radziwillſchen Heeres damals zum Regimentarius gewählt hat.
Ich hätte den Carolus Guſtavus ſchon längſt über die Grenze ge—
bracht, wenn nicht meine unſelige Beſcheidenheit mich geheißen
hätte, den Feldherrnſtab in die Hände Sapiehas zu legen. Der
ſoll aber mit ſeinen Kombinationen nicht lange mehr fackeln,
ſonſt ſoll er zuſehen, daß ich ihm nicht wieder abnehme, was er
von mir erhielt.“
„Ihr ſeid ja immer nur in trunkenem Zuſtande ſo reſolut!“
ſagte Herr Wolodyjowski.
„So, meinſt du? Nun, du wirſt ja ſehen! Noch heute
werde ich vor die einzelnen Fahnen treten und rufen: „Wer
Luſt hat, mit mir nach Tſchenſtochau zu gehen, anſtatt am
Tykoziner Mauerkalk die Ellenbogen und Kniee durchzureiben,
der ſtehe zu mir! Wer mich zum Regimentar ernannt hat,
wer mir die Macht, das Vertrauen geſchenkt, etwas zu thun,
der trete neben mich. Es iſt eine ſchöne Sache, einen Verräter
zu ſtrafen, aber tauſendmal ſchöner, die heilige Jungfrau zu
ſchützen.“
Hier ſprang Herr Sagloba, dem der Widerſpruchsgeiſt
ſchon lange aus den Augen blitzte, mit dampfendem Kopfe auf,
ſtieg auf eine Bank und, als befände er ſich vor einer großen
Verſammlung, begann er laut zu ſchreien:
„Meine Herren! Wer Katholik, wer Pole iſt, wer die
Mutter Gottes verehrt, der folge mir zum Entſatz von Tſchen—
ſtochau!“
„sch kommel!“ rief Rochus aufſpringend.
Sagloba blickte einen Augenblick in die Runde und als er
die verwunderten Geſichter ſeiner ſchweigend ihn anſtarrenden
Gefährten ſah, ſtieg er von der Bank herab und ſagte:
„Ich will dem Sapieha ſchon Verſtand beibringen! Ein
Schelm will ich ſein, wenn ich bis morgen nicht, die Hälfte des
Heeres als Freiwillige um mich geſchart, nach Tſchenſtochau
ausrücke!“
„Um Gotteswillen, Vater, kommt zu euch!“ rief Johann
Skrzetuski.
„Ein Schelm will ich ſein! Sage ich dir!“ wiederholte
Sagloba.
107
Die Herren erjchrafen heftig, daß der Alte wahr machen
fönnte, was er drohte Im Heere herrichte thatjächlich Unzu—
friedenheit über den langen Aufenthalt bei Iyfozin, alles
drängte mach Tiehenitochau; es bedurfte nur des zündenden
Funkens, um die Flamme [odernd zum Ausbruch zu bringen,
bejonders, wenn Diejer Fzunfe von einem Manne wie diejem
hier Hingeiworfen wurde Dazu fam, dat das Heer Sapiehas
zum großen Teile aus neugeworbenen Kräften beitand, die noch
wenig an Disziplin, wohl aber mehr an eigemwilliges Handeln
gewöhnt waren.
E3 war daher fein Wunder, wenn die Herren in ernite
Bejorgnis gerieten. Wolodyjowsfi jchalt daher:
„Kaum, dat mit größter Mühe ein Heer zujammen-
gebracht und wenigitens etwas zurechtgeitugt it, und jchon
findet jich irgend ein Hergelaufener bereit, dasjelbe zum Un—
gehorjam zu verführen. Dem Radziwill gejchähe damit freilich
ein großer Dienjt, das wäre Wafjer auf feine Mühle Wie,
Ichämt ihr euch denn nicht, jo etwas auch nur zu denfen?“
„Ein Schelm will ich fein, wenn ich es nicht thue!* ent-
gegnete Zagloba.
„Der Ohm thut es!“ jegte Rochus Hinzu.
„Stille, du Döskopp!“ jchrie Herr Michael ihn an.
i Sofort ſchloß Nochus den Mund und nahm mit glogenden
Augen dienjtliche Stellung an.
Noch einmal wandte ſich Wolodyjowsfi an Sagloba:
„Und ich bin ein Schelm,“ jagte er, „wenn aus meiner
Schwadron ein einziger Soldat mit euch geht. Und wenn ihr
Unzufriedenheit im Deere jchüren wollt, jo wijjet, daß ich der
erite jein werde, welcher euer ‚zreiwilligen-Chor in Grund und
Boden reitet.“
„Heide! Türfe! der ihr jeid!“ rief Sagloba. „Die Ritter
der heiligen Jungfrau wollt ihr angreifen? Gut: Man fennt
euch! Ihr denkt, meine Herren, daß es ihm um die Disziplin
zu thun it? Bewahre! Er hat nur hinter Tykozins Mauern
das Fräulein Billewitjch erwittert. Seine Privatangelegenheiten
halten ihn ab, meiner richtigen Anficht beizujtimmen. Nicht
wahr, es ijt viel angenehmer wie ein Vogel das Gebauer zu
umflattern, in welchem das Mädchen ſteckt. Aber daraus wird
nichts! Meinen Kopf zum Pfande, dat andere euch dort zuvor—
fommen, jei es Kmiziz jelbjt, der nicht jchlechter it, als ihr
es jeid.“
Ganz verwirrt blicte Herr MWolodyjowsfi von einem der
108
Herren zum anderen, als wollte er jie zu Zeugen aufrufen,
wie jchwer man ihn hier beleidigt. Dann rungelte er die
Stirn; man glaubte einen Zornesausbruch an ihm zu erleben.
Statt dejien verfiel er plöglich in eine an ihm ganz ungewohnte
Nührjeligfeit, denn auch er hatte etwas viel getrunfen.
„Da habe ich meinen Lohn weg!“ rief er. „Vom Schul—
buben ber bis auf den heutigen Tag habe ich den Säbel nicht
aus der Fauſt gelaflen. Sch diene dem VBaterlande treu, denn
weder Haus, Hof noch Weib und Sind habe ich je über das
Wohl desselben geitellt; allein wie ein Yanzenjchaft ſtehe ich in
der Welt. Selbit die Edeliten des Neiches denfen an jich; ich
habe außer den Wundenmalen auf meiner Haut nichts auf—
zuweijen als Lohn, und jet werde ich beichuldigt, Privatinterejjen
zu verfolgen — es fehlt nur noch, day man mid) einen Vater:
(andsverräter nennt.“
Bei diefen Worten fugelten ihm die hellen Thränen über
die Baden in den blonden Bart. Sagloba aber, als er das
jah, wurde plößlich nüchtern und ganz weich. Seine Arme
ausbreitend, rief er:
„Herr Michael! Ich habe euch jchweres Unrecht gethan! Ich
verdiene das Henfersbeil dafür, dat ich euch jo ſchmähen konnte.“
Dann fielen jie einander in die Arme, herzten und fühten
ji, worauf fie Frieden mit einander ſchloſſen und Diejen
Frieden mit Met begojien. Als die gemütliche Stimmung
dann vollfommen wieder hergeitellt war, frug Wolodyjowsft:
„Werdet ihr mun nicht mehr Unruhe im Heere jtiften ?“
„Nein, das werde ich nicht, um euretwillen nicht, Herr
Michael.”
„And wenn wir, jo Gott will, Tykozin in unjere Hände
bekommen, jo geht das niemanden etwas an, was ich hinter
jenen Mauern juche. Es hat niemand das Necht, mic zu ver—
jpotten, nicht wahr?“
Herr Sagloba faute, von diejer Frage überrajcht, an jeinem
Schnurrbart. Endlich jagte er:
„Nein, Herr Michael! Ich Liebe euch, wie meinen Aug—
apfel, aber diefe Billewitich jchlagt eud; aus dem Sinn.“
„Warum denn?“ frug Wolodyjowsfi verwundert.
„Schön it fie, das ijt zweifellos!” jagte Sagloba. „Aber
jie it eine zu vornehme Perſon, ihr jeid zu verschieden geartet.
Sie iſt hochgewachjen, ihr jeid Flein. Ihr mühtet ihr denn auf
den Arm hüpfen wie ein ea um Küſſe ſtatt Zucker
von ihren Lippen zu nippen. Auch könnte ſie euch wie einen
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Edelfalfen auf ihrem Handſchuh tragen und euch immer gleich
gegen jeglichen ihrer Feinde loslaſſen, denn ſeid ihr gleich klein,
ſo ſeid Ahr doch eine verdammt biſſige Krabbe.“
„Fangt ihr jchon wieder an zu jpotten ?“ unterbrad) ihn
Wolodyjowski.
„Wenn ich angefangen habe, ſo laßt mich auch zu Ende
kommen: Für euch giebt es nur Eine, die zu euch paßt, als
wäre ſie für euch geſchaffen; das iſt dieſer Kirſchkern . . . wie
heißt fie doch? ... Ihr wißt doch, die, mit welcher der ſelige
Bodbipienta jich verheiraten wollte.“
„Anuſia Vorjchobohata Kraſienska!“ rief Johann Skrze—
tuski. „Wahrhaftig, das iſt ja eine alte Liebe Michaels!“
„Die iſt der reine Stechapfel, ein Weizenfern; ſie jticht
bei jedem Wort, doch das Herz iſt Weizen und ihr Gejicht iſt
glatt und bräumlich, wie ein friichgebadenes Brot, fernig und
ejund. .
® Da fing Herr Michael an zu jeufzen und nachdenklich
immer bdiejelben Worte zu wiederholen, wie er es zu thun
eg jedesmal, wenn jemand den Namen Anuſias nannte.
Was mag mein armſeliges Würmchen jetzt thun? O, o,
wenn” fie zu finden wäre!“
„Dann würdet ihr jie jicher nicht wieder aus den Fingern
laſſen und das wäre das Nichtige, denn bei eurer Verliebtheit,
Herr Michael, fünnte es eines jchönen Tages pajjieren, dab
die erjte beite Ziege euch einfängt und zum Ziegenbod macht.
Sch habe wahrhaftig noch feinen gejehen, der jo heißſpornig
wäre wie ihr. Ihr hättet eigentlich als Hähnchen auf Die
Welt fommen jollen, das fragend und jcharrend auf dem
Semüllhaufen jeinen Lodruf Ko! Ko! Ko! ertönen läßt.“
„Anuſia! Anuſia!“ wiederholte Wolodyjowsfi noch immer
träumerisch. „Dich hat Gott mir gejandt. Wer weil, ob jie
noc) lebt, vielleicht auch Hat fie jich jchon verheiratet und führt
Kinder jpazieren.“
„Bas wird fie nicht alles! Sie war noch eine grüne Rübe
als ich jie fennen lernte, und wenn jie auch mit der Zeit reifer
geworden iſt, deshalb braucht fie nicht jchon eine Frau zu fein.
Einem jolchen wie Yonginus Bodbipienta giebt man nicht gleich
den erjten beiten Nachfolger, Dazu denkt in diejen kriegeriſchen
Zeiten niemand ans Heiraten.“
Darauf erwiderte Herr Michael:
„Shr fennt fie nicht jo gut als ich. Sie iſt edel wie
feine. Aber gerade darum Fonnte feiner ſie jehen, ohne ſich
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bis über die Ohren in fie zu verlieben. Sogar Leute niederen
Standes entgingen dieſem Schicjal nicht, wie zum Beiſpiel
jener italienische Medikus der Fürſtin Grifeldis, der bis in
den Tod in ſie verliebt war. Wer wei, vielleicht hat jie den
geheiratet und iſt mit ihm nach Italien ausgewandert .
„Plappert doch nicht ſolchen Unfinn!“ rief Sagloba ent-
rüjtet. „Ein Medifus, ein Medifus! Als ob ein Edelfräulein
von jo altem Blute ſich an einen Menſchen von ſo niedrigem
Herkommen wegwerfen könnte. Das iſt unmöglich; ich wieder—
hole es.“
„Auch ich war ſchon ärgerlich darüber, daß ſie allen die
Köpfe verdrehte, ſogar dieſem Kurpfuſcher; es machte ihr ſicht—
lich Spaß, und ſie vergaß darüber Maß und Ziel.“
„Ich prophezeihe euch, daß ihr ſie noch zu ſehen bekommt,“
ſagte Sagloba.
Die weitere Unterhaltung wurde durch den Eintritt des
Herrn Tokaſchewitſch unterbrochen, der früher im Regiment
Radziwills gedient, nach dem Verrat des Hetman ihn aber
zugleich mit den anderen Offizieren verlaſſen hatte und gegen—
wärtig Fahnenträger in der Kompagnie Oskierkos war.
„Herr Hauptmann,“ wandte er ſich an Wolodyjowski,
„wir wollen die Petarde in die Luft ſprengen.“
„So iſt aljo Herr Oskierko ſchon fertig mit den Vor—
bereitungen ?“
„Schon jeit heute Mittag ijt er fertig; er möchte nicht
länger warten, denn Die Nacht verjpricht dunkel zu werden.“
„Das ijt recht,“ jagte Wolodyjowsfi. „Wir wollen gehen,
uns die Arbeiten anjehen, auch unſere Leute bewaffnen, für
den all, daß man aus der Veſte ausbricht. Will Herr Ostierfo
jelbjt die Sprengung unternehmen ?“ |
„Er jelbit, in eigener Perſon ... Es jchließen ſich ihm
eine Menge Freiwilliger an.“
„sch werde auch mitgehen!” jagte Wolodyjowsfi.
„Bir auch!“ riefen die beiden Skrzetuskis.
„O! wie jchade, dab der alte Bater im Finjtern jo jchlecht
jieht,“ warf Sagloba dazwijchen, „er ließe euch jicher nicht allein
gehen. Was hilft's! Ich jehe abends nicht den Säbel vor den
Augen. Am Tage! am Tage! beim Lichte der Sonne, da zieht
auch der Alte noch gern zu Felde.“
„sch werde mitreiten,“ jagte nachdenklich der Herr Pächter
aus Wonjojch. „Wenn die Thore gejprengt werden, wird Die
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Soldatesfa zur Plünderung ſchreiten und dort im Schlofje ver>
mute ich Kleinodien und Toftbare Geräte in Menge.“
Alle waren hinausgegangen, denn es dämmerte bereits
draußen, nur Sagloba allein war zurücgeblieben. Er horchte
erit eine Weile auf das Knirſchen des Schnees unter den
Füßen der Davonjchreitenden, dann nahm er eine der Did-
bäuchigen Flaſchen nach der andern in die Hand und hielt fie
vor die Flamme des Kaminfeuers, um zu ſehen, ob ſie voll—
ſtändig leer ſeien.
Jene ſchritten durch das Dunkel dem Schloſſe zu. Ein
Nordwind hatte ſich erhoben, der immer ſtärker wurde und
heulend und pfeifend ganze Wolken trockenen Schnees empor—
wirbelte.
„Das wird eine gute Nacht für unſere Arbeit,“ ſagte
Wolodyjowski.
„Aber auch für einen Ausfall aus der Veſte,“ entgegnete
Skrzetuskti. „Wir müſſen die Waffen im Bereitſchaft, und ein
wachjames Auge halten.“
„Gäbe Gott, daß es bei Tſchenſtochau ebenjo jtöbert, wie
bier, oder mehr noch,“ jagte Herr Tofajchewitich. „Die in den
Mauern werden nicht allzuſehr frieren .. . aber... auf den
Schanzen würden eine Menge Schweden erfrieren . . . Das
Verderben fomme über fie!“
„Eine jchredliche Nacht!“ ſagte Herr Stanislaus. „Hört
ihr, wie es heult und pfeift; es iſt als ob eine Horde Tartaren
durch die Luft zur Attacke zöge.“
„oder,“ warf Wolodyjowsfi ein, „als wollten die Teufel
dem Nadziwill ein Requiem fingen.“
10. Kapitel.
Ein paar Tage jpäter ſaß der große Vaterlandsverräter
oben im Schloß, jtarrte hinaus in den vom Himmel hernieder-
fallenden Schneejchleier und lauſchte dem Heulen des Sturmes,
der immer heftiger tobte.
Die Lampe feines Lebens jchien im Erlöſchen begriffen.
Zwei Stunden früher an demjelben Tage war er noch umher—
gegangen, hatte noch vom Balfon des Schloſſes hernieder-
geblickt auf die Zelte und Holzbaraden des Sapiehajchen Heer-
fager3 und nun? „Er war plöglich jo ſchwach geworden, daß
man ihn in ſeine "Semächer tragen mußte. Sein Ausjehen
hatte ſich jeit jener Zeit, wo wir ihn in Kiejdan gejehen, jehr
verändert; er war faum wiederzuerfennen. Damals jtand jein
Begehren hoch; er langte nach einer Krone Heute war fein
Haar gebleicht, um die Mugen hatten fich rote Ninge gebildet,
das Gejicht war zerdunſen, die Baden hingen jchlaff herab und
liegen dasjelbe noch größer erjcheinen, als es ohnehin war, es
jah aus wie eine Totenmasfe, mit bläulich angelaufenen Flecken,
jchredilich durch den Ausdrud des fait übermenjchlichen Leidens,
der darüber gebreitet lag.“
Und obgleich jein Leben nur noch Stunden zählen fonnte,
er lebte doch ſchon zu lange, oder noch zu lange, denn er hatte
nicht nur den Glauben an ſich jelbit, an feinen guten Stern
begraben müfjen, nicht nur alle Hoffnungen auf Glanz und
Ruhm überlebt, jondern jein Fall drohte jo tief zu werden,
dar Entjegen und Grauen ihn packte, wenn er in den Ab—
grund zur blicken wagte, der fich zu feinen Füßen aufthat und
dem er rettungslos zujtenerte. Alles hatte ihn betrogen, jeine
113
Berechnungen, die gejchichtlichen Ereigniſſe, jogar jeine Ver—
biindeten.
Er, dem es nicht genügt hatte, der mächtigite Fürit
Polens, ein römijcher Großer, Großhetman und Wojewode
von Wilna zu ſein, er, dem die Grenzen Litauens für ſeine
Wünſche und Habgier zu eng geweſen waren, er ſaß jetzt in
einem ſeiner kleinen Schlöſſer eingeſchloſſen, von wo ihn nur
der Tod oder Gefangenſchaft befreien konnten, eines jo ſchlimm
als das andere. Nengitlich hatte er jeit Tagen nach der Thür
geblickt, welches dieſer Schredgejpenjter zuerſt Eintritt bei ihm
verlangen würde.
Koch vor furzem bildeten jeine Bejigungen in Polen ein
kleines jelbjtändiges Königreich, heute war er nicht einmal mehr
Herr in Tykozin, dem kleinſten jeiner befejtigten Schlöfjer.
Vor wenigen Monaten faum noch Hatte er mit den
benachbarten Künigen paftiert, heute empfing feine Befehle nur
ein einziger ſchwediſcher Kapitän, von deſſen gutem Willen es
abhing, ob er jie ausführen wollte oder nicht.
Bon dem Augenblid an, wo fein Heer ihn verlafjen, wo
er vom mächtigen Herrn und Magnaten zum machtlojen Manne
herabgejunfen war, der jelbjt der Hilfe bedurfte, hatte Karl
Gujtav ihm verachtet. Den mächtigen Helfer würde er bis in
den Himmel erhoben haben, von dem Hilfsbedürftigen wandte
er jich verächtlich ab.
Sp wie jener Strauchdieb Kostet Naziersfi jeiner Zeit
in Tichorjchtyn, jo war er jebt, er, Nadziwill, in Tykozin
belagert, und von wem belagert? Bon Sapieha, jeinem größten
perjönlichen Feinde. Wenn er im deſſen Hände fiele, jo würde
man ihn vor die Gerichte jchleppen, jchlimmer würde man ihn
behandeln wie einen Strauchdieb, denn er war ja ein Verräter.
Verwandte, Freunde, Verbündete, alle hatten ihn verlajjen,
jein Heer war zerſtreut, jeine Schätze zerſtoben, die Güter ver—
wüſtet und der Herr, welcher mit der Pracht ſeiner Reichtümer
und ſeines Glanzes einſt den franzöſiſchen Hof geblendet hatte,
welcher Tauſende Adliger zu ſeinen Gaſtmählern lud, er —
Radziwill — mußte jetzt entbehren, er hatte in den letzten
Stunden ſeines Lebens nicht genug mehr, um ſeinen Hunger
zu ſtillen. |
Sm Schlojie herrichte jchon lange Mangel an Lebens—
mitteln. Die fnappen Vorräte verteilte dev ſchwediſche
Kommandant in fleinen Nationen, und Radziwill wollte nicht
um mehr bitten.
Sientiewicz, Sturmflut IL. 3
114
Sa, wenn das Fieber, das in feinen Adern tobte, ihm
wenigitens die Bejinnung geraubt hätte! Seine Brujt arbeitete
immer jchwerer, der Atem ging allmählich in ein Raſſeln über,
die gejchwollenen Hände und Füße eritarrten ihm vor Kalte,
aber der Verſtand, das Bewußtſein blieb, abgeſehen von einzelnen
Momenten, wo Viſionen und Wahnideen ihn verfolgten, Kar.
Der arme Fürſt jah jein ganzes Elend und jeine Erniedrigung
beranfommen, er litt Qualen, die aller Bejchreibung jpotteten
und die Größe feiner Schuld wett machten.
Wie den Drejtes die Erynnien, jo verfolgten ihn Die
Gewiſſensbiſſe. Wo in der weiten Welt gab es einen Ort,
ein Heiligtum, wohin er vor ihmen hätte flüchten können.
Zuweilen zerfleifchte er jich die eigene Brust, um durch den
phyſiſchen Schmerz die Seelenqual zu betäuben. Deutlich und
jtreng zeigte ihm nun der innere Richter das arme zerrijiene
Vaterland, das unter den Schwerthieben der äußeren und
inneren Feinde verblutete. Was hatte er gethan? Anjtatt
Erbarmen mit jeinem Elend zu haben umd als jein Netter
- aufzujtehen, anitatt bis zum legten Blutstropfen für jeine Be—
freiung einzuitehen, hatte er, der Großhetman, jich mit jeinem
jchlimmiten Feinde verbunden, um es vollends zu zerfleijchen.
Sept jtand er vor der Abrechnung mit dem Vaterlande; wie
würde diejelbe ausfallen, was wartete jeiner?
Seine Haare ftiegen zu Berge, wenn er nur daran dachte.
Nie fehrte jich alles gegen ihn. Gr war ſich jo groß vor:
gefommen, als er die Hand gegen das Vaterland erhoben. Jetzt
war er jo klein. Dafür wuchs die Nepublif aus dem Staube
heraus, in den er fie getreten, immer größer, majejtätischer,
während er in den Staub immer mehr hinabjanf, er, der Fürſt
und Großhetman Radziwill. Er fonnte nicht begreifen, wie
das zuging. Hatte er denn micht jchon früher das fommen
jehen künnen? War er denn wahnjinnig damals, als er die
Hand gegen ſie erhob? Furcht, entjegliche Furcht vor der
Nemefis packte ihn, während jolche Gedanken jein Hirn zer—
marterten. Sein Geiſt war gebrochen. Oft war ihm, als be-
fände er jich in fremdem Lande, unter fremden Menſchen.
Ueber die belagerten Mauern hinweg drang die Kunde von
allem, was draußen geſchah, zu ihm herüber; es waren ſeltſame,
grauſige Dinge, die ſich in der Republik vollzogen. Die Er—
hebung gegen die Schweden, der Kampf auf Tod und Leben
mit ihnen, dünkten ihm um ſo ſchreckenerregender, je weniger
er ſie vorausgeſehen hatte. Die Republik begann ihr Straf—
115
gericht! Er hörte aus dem Brauſen des Kriegslärmes die zornige
Stimme der beleidigten Majeität Gottes,
ALS die Nachricht von der Belagerung Tchenjtochaus zu
ihm gedrungen war, da hatte ihn, den Fürſten und Anhänger
des Galvinismus, zum erjtenmale die Angjt gepadt; fie hatte
ihn jeitdem nicht mehr verlafjen. Zum erjtenmale hatte er das
Gefühl, als könne da die geheime Welle entipringen, welche
zum reigenden Strom wachjend, den Schweden Verderben bringen
konnte. Damals fing zum erjtenmale der Vorhang vor jeinen
Augen an zu weichen; er begann im der jchwediichen Invaſion
nicht nur die Invaſion mehr zu jehen, jondern einen heiligtum-
Ichändenden Naubzug.
Alle diejenigen, welche der Republik treugeblieben waren
und ihr mit Herz und Hand dienten, wuchjen mit ihr empor;
wer gegen jie die Hand erhoben, gegen jie gejündigt, der mußte
untergehen.
„Es joll niemand jich jelbit erhöhen wollen,“ dachte der
Fürſt, „weder jich noch jein Gejchlecht, jondern alle jeine Kräfte,
jein Fühlen und Denken in den Dienit des Allgemeinwejens
ſtellen.“
Für ihn war es zu ſpät; er hatte nichts mehr, was er
auf den Altar des Vaterlandes hätte legen fünnen, für ihn gab
es feine Zukunft mehr, höchitens jenjeitS des Grabes, und vor
diejer graute ihm. Seitdem er den Schrei der Verzweiflung,
des Entjegend vernommen, den die ganze große Nepublif auf
die Kunde von der Belagerung Tſchenſtochaus ausgeitoßen, und
der jelbjt in jeine Vereinſamung gedrungen, jeitdem fonnte er
die Schwarzen Gedanken nicht mehr bannen, ihm war, als müſſe
ſich Gott nunmehr von ihm abwenden.
Seine Verzweiflung wuchs; er begann „Zweifel in die
Nichtigkeit jeiner Glaubenslehren zu jegen. Der Verfall irdijcher
Macht und Größe, der Berfall innerlichen Friedens und
Glaubens hatte jih an ihm vollzogen, was blieb ihm da noch)
übrig? Nichts! Nur Dunkel und Finjternis, wohin er fic)
wandte.
Anfangs war er trogdem noch voll Hoffnung, als er von
Kiejdan aus den Zug nach Podlacdhien unternahm. Sapieha
war ein jchlechterer Heerführer als er. Zwar hatte diejer ihn
in offener Feldſchlacht bejiegt, der Reſt feines eigenen Heeres
hatte ihn treulos verlafjjen, aber damals noch hatte der Gedanfe
ihn aufgerichtet, day Fürſt Boguslaw mit den in Preußen ge—
worbenen Söldlingen bald heranziehen müſſe; dann wollten jie
8*
116
es dem Sapieha heimzahlen, jeine sahne auflöjen, die Kon—
füderation vernichten, ihre Tagen, raubgierigen Löwen gleich, über
Litauen breiten und mit ihrem Gebrüll diejenigen verjcheuchen,
welche e8 wagen wollten, ihnen ihre Beute zu entreigen.
Doc die Zeit verging; die Macht des Fürjten Januſch
ſchmolz immer mehr zujammen. Sogar jeine ausländijchen
Söldlinge waren zu Sapieha übergegangen. Wochen, Monate
waren verjtrichen, Boguslarv fam nicht. Dann begann die
Belagerung von Tykozin.
Die Handvoll Schweden, die noch bei Januſch geblieben
war, wehrte ſich mannhaft; wußten fie doch zu gut, daß nad
den von den Schweden vollbrachten Greuelthaten auch ihre frei-
willige Unterwerfung feinen Bardon mehr bei der Rachewut der
Litauer auswirken fünne Zu Anfang der Belagerung hoffte
der Fürſt noch, daß im Falle der Not Karl Gujtav felbit, oder
Jerr Koniezpolski, der jich beim Könige von Schweden be-
finden mußte, zu jeiner Befreiung berbeieilen würden. Aber
umſonſt! Man jchien ihn ganz vergeſſen zu haben.
„Boguslaw! Boguslaw!“ Hatte der Fürſt jo oft gerufen,
während er ruhelos in den Gemächern umberrannte „Wenn
du den Verwandten nicht retten willit, jo rette wenigitens den
Radziwill!“ ...
Es blieb dem Fürſten noch ein letzter Rettungsanker.
Seine ganze Seele ſträubte ſich zwar dawider, ihn auszuwerfen,
zuletzt griff er doch nach dieſem Mittel. Er ſchrieb an den
Fürſten Michael nach Nieswierſch und bat um Rettung. Der
Bote, welcher dieſen Brief beförderte, war von den Leuten
Sapiehas aufgefangen worden. Der Wojewode aber ſandte da—
mals dem Fürſten einen Brief zu, welchen er etwa acht Tage
früher von deſſen Vetter Michael erhalten hatte.
Fürſt Januſch Hatte in diefem Briefe eine Stelle folgenden
Wortlauts gefunden:
„Sollte aber vielleicht meinem allergnädigjten Herren und
König die Nachricht zugetragen werden, daß ich beabfichtige,
meinem Verwandten, dem Fürſt-Wojewoden von Wilna zu
Hilfe zu eilen, jo bitte ich Ew. Gnaden, Höchitdemjelben zu
melden, daß ich Partiſane nur derjenigen bin und bleiben
werde, welche im Glauben, in der Liebe zum Baterlande und
zu Sr. Majejtät ausharren und bemüht find, die Republik mit
allen ihren früheren Freiheiten wieder herzustellen. Es fällt
mir gar nicht ein, Baterlandsverräter vor der ihnen zufommenden
Strafe zu bewahren. Auf Suffurs von Seiten Boguslaws darf
117
er nicht vechnen, diejer geht viel zu jehr jeinem eigenen Vor—
teil nad) und quod attinet „Koniezpolski“ dem it darum zu
thun, die Witwe Januſch's zu freien, womit er doch deito eher
zum ‚Ziele fommt, je jchneller der Fürſt zu Grunde geht!“
Dieſer, an Sapieha adrejjierte Brief, hatte dem Fürſten
das letzte Nejtchen Hoffnung genommen. Er mußte offenen
Auges der Vollendung jeines Geſchickes entgegenjehen.
Die Belagerung nahte ihrem Ende.
Am frühen Morgen heute war die Nachricht von der Ab-
reije Sapiehas in das Schloß gedrungen, doch die Hoffnung,
dat dieſe Abreije die Aufhebung des Belagerungszuftandes zur
‚solge haben fünne, hatte jich nicht erfüllt. Im Gegenteil, die
Agitation der Fußſoldaten wurde ungewöhnlich lebhaft. Ein
paar Tage waren ruhig verflojjen, denn die Abjicht, die Thore
zu jprengen, war mchreremale vereitelt worden. Sp war der
heutige Tag herangefommen. Es war der einumddreißigite
Dezember. Nur die niederjinfende jtocfinitere Nacht konnte
möglicherweije verhindern, was die Belagerer im Schilde führten.
Wollten fie die Veſte jtürmen, oder nur eine Brejche in die jchon
mürbe gewordenen Mauern legen? Wer fonnte es wijjen?
Der Fürjt lag auf dem Rüden lang ausgejtredt auf einem
Nuhebett, welches man, um ihm mehr Luft zu jchaffen, in
die Mitte des jogenannten „Geweiheſaales“ gejchoben hatte.
Im großen Kamin brannten mächtige Stiefernjcheite, deren
‚slammen einen hellen weißlichen Lichtjchein auf die fait fahlen
Wände warfen. In der Nähe des Kamins lag auf einem
fleinen Teppich ein Page, welcher jchlief. Neben dem Fürſten
jagen müde und nicdend auf Stühlen, Frau Jakimowitjch, die
frühere Vorjteherin des Frauenzimmers der Fürjtin in Kiejdan,
ein zweiter Page, der Medifus und gleichzeitiger Ajtrologe des
Fürſten und — Charlamp.
Diejer letztere war das lebte Ueberbleibſel aus der mili-
tärischen Glanzzeit des Fürſten. Als alle ihn verlaſſen Hatten,
war er allein bei ihm zurücgeblieben. Es war ein bitterer
Dienjt für ihn, denn das Herz und die Seele des Alten waren
dort draußen vor den Mauern Tyfozins, im Lager Sapiehas
bei den alten Waffenbrüdern, trogdem harrte er treu bei jeinem
alten Heerführer aus. Der arme Soldat war von den erlittenen
Entbehrungen zum Sfelett abgemagert. Bon jeinem Geficht
war nur die Naſe übrig geblieben, der Schnurrbart ding ihm
ichlaff an den Wangen herab. Er war in voller Uniform, mit
dem Panzer und Viſier, welches ihm gegenwärtig am Hals—
118
riemen über die Schulter herabhing. Eifenjplitter und Mauer-
brödeln lagen auf jeinen Schultern, denn er war vor einer
Weile erit von den Wällen zurücgefehrt, wohin er mehrere-
male tagsüber ging, um nachzujehen, was da draußen vorging,
auf die Mauern, wo er hoffen fonnte, von einer tödlichen Kugel
getroffen zu werden. Jetzt war er eingejchlummert vor über-
großer Müdigkeit, obgleich der Fürſt ſchrecklich röchelte und der
Sturm im Schorntein heulte.
Plötzlich ging ein kurzes Zucken durch den Niejenförper
Radziwills; er hörte auf zu röcheln. Seine Pfleger erwachten,
blidten ihn zuerſt jcharf an, dann jah einer zum andern
hinüber,
Der Fürſt aber jagte:
„Mir it, als jei der Alp von meiner Brust gewichen!
Es wird mir leichter.“
Er wandte ein wenig den Kopf, blickte dann jehr aufmerk—
ſam nach der Thür, endlich jagte er:
„Charlamp!“
„Zu Befehl, Durchlaucht!“
„Was will denn Stachowitſch hier?“
Dem armen Charlamp zitterten alle Glieder, denn, obgleich
ein erprobter Krieger, war er doch ſehr abergläubiſch. Er ſah
ſich ſcheu um und antwortete dann mit gedämpfter Stimme:
„Stachowitſch iſt ja nicht hier. Ew. Durchlaucht haben
ihn ja in Kiejdan erſchießen laſſen.“
Der Fürſt ſchloß die Augen wieder und ſchwieg. Eine
Zeitlang war nichts zu hören, als das melancholiſche Heulen
des Sturmes.
„Es iſt das Weinen und Wehklagen von Menſchen, welches
den Sturm durchdringt,“ ſprach der Fürſt wieder, indem er die
Augen weit öffnete. „Aber nicht ich habe die Schweden in das
Land gebracht, ſondern Radziejowski.“
Als ihm niemand antwortete, ſetzte er nach einer Weile hinzu:
„Er iſt ſchuld! Er trägt die größte Schuld.“
Es war, als ob dieſes Selbſtgeſpräch ihn beruhigte, als
ſei der Gedanke ihm tröſtlich, daß er jemanden ausfindig gemacht,
der noch ſchuldiger war, als er.
Bald jedoch mußten wiederum ſchwere Gedanken ſeinen
Kopf belaſten, denn ſein Geſicht nahm einen düſteren Aus—
druck an; er wiederholte verſchiedenemale:
„Jeſus! Jeſus! Jeſus!“
119
Da fam die Atemnot wieder. Das Nöcheln Elang gräß-
licher noch als früher.
Unterdejfen drang von draußen das Knattern von Gewehr-
feuer herein, zuerjt vereinzelt, dann immer häufiger. Das
Schneetreiben und das Heulen des Windes dämpfte zwar den
Schall jo, daß man glauben fonnte, es würden Schläge an die
Thore geführt.
„Sie fümpfen!” jagte der Medifus.
„ie gewöhnlich!" antwortete Charlamp. „Die Leute
frieren bei der Kälte, da wollen fie fich Bewegung machen.“
„Es tobt num jchon den jechiten Tag jo fort,“ meinte der
Medifus. „ES bereiten ſich große Dinge im Neiche vor, Die
Natur ſchickt ihre Vorboten!“
Darauf erwiderte Charlamp:
„Wolle Gott, daß jie bald fommen. Schlimmer als «8
iſt, kann es nicht werden.“
Hier unterbrach der Fürſt die Unterhaltung der beiden:
„Eharlamp!* rief er.
„Zu Befehl, Durchlaucht!“
„Zäuscht mich meine Schwäche, oder tit es wahr, daß vor
einigen Tagen Oskierko verjucht hat, das Thor mittels einer
Petarde zu jprengen ?“
„Er hat es verjucht, aber die Schweden haben die Betarde
genommen, Oskierko iſt leicht verwundet, die Leute Sapiehas
abgewehrt.”
„Denn er nur leicht verwundet it, jo wird er wieder-
fommen .. . Welchen Tag haben wir?“
„Den legten Dezember, Durchlaucht!“
„Bott jei meiner Seele gnädig! ... . Sch werde das neue
Jahr nicht mehr erleben... Man hat mir immer gejagt, daß
an jedem fünften Sylveiter der Tod neben mir jteht.“
„Bott iſt Ew. Durchlaucht gnädig!“
„Sott it dem Sapieha gnädig!“ ſagte der Fürſt dumpf.
Plötzlich blickte er fich nach allen Seiten um und jagte:
„Es weht mir falt von ihm entgegen; ich jehe ihn nicht,
aber ich fühle jeine Nähe.“
„Wer iſt bier, Durcjlaucht?” frug Charlamp.
„Der Tod!“
„sm Namen des Vaters, des Sohnes und des heiligen
Geiſtes!“
Es folgte eine Weile tiefſten Schweigens; man hörte nur
das Flüſtern der Betenden.
120
„Sagt mir,“ jtöhnte der Fürſt in Abjägen, „glaubt ihr
wirflih, daß alle, die nicht eurem Glauben angehören, ver:
dammt jind?“
„O, 88 fann jeder noch in der Todesitunde feine Sünden
bereuen,“ antwortete Charlamp.
Man hörte das Knattern der Gewehre jebt deutlicher.
Plöglic erdröhnte Kanonendonner. Die Fenſterſcheiben Elirrten.
Einen Augenblid horchte der Fürſt aufmerfjam, dann
richtete er sich allmählich auf, jeine Augen weiteten jich und
begannen zu leuchten. Nun jaß er aufrecht und jtüßte den
Kopf in die Hände. Wlößlich jchrie er auf wie im Wahnfinn:
„Boguslaw! Boguslaw! Boguslaw!“
Wie bejejjen rannte Charlamp hinaus aus dem Gemad).
Das ganze Schloß erbebte vom Donner der Gejchüge.
Dann hörte man Gejchrei, wie aus Tauſenden von Menſchen—
fehlen, gleich) darauf wurden die Wände des Gemachs jo
furchtbar erjchüttert, daß die Kohlen aus dem Kamin in den
Saal hineinflogen. Gleichzeitig kehrte Charlamp atemlos zurüd.
„Sie haben das Thor gejprengt!“ rief er. „Die Schweden
haben jich in den Turm zurücdgezogen — der Feind tjt hier!
Durchlaucht!“
Das Wort eritarb ihm auf den Lippen. Nadziwill ſaß
aufgerichtet auf dem Nuhebett. Die Augen fchienen ihm aus
dem Kopfe zu quellen, mit offenem Munde jchnappte er nad)
Luft, die Zähne traten immer mehr hervor, jeine Hände rupften
an dem Stillen des Bettes, und während er in die Dunkle
Tiefe des Gemaches jtierte, entrangen jich jeiner Brust zwijchen
den einzelnen Atemzügen mit röchelnder Stimme laute Worte:
„Das war Nadziejowsfi .... Ich nicht . . . Rettung! ...
Was wollt ihr? ... Nehmt doc) die Krone!... Es war
Nadziejowsfi . . . Nettet, Menjchen! Jeſus! Jeſus! Maria!“
Das waren Radziwills legte Worte. in fürchterlicher
Schluden befiel ihn, die Augen traten noch mehr aus ihren
Höhlen, er jtredte fich, fiel zurück und blieb regungslos liegen.
„Er hat vollendet!” jagte der Medikus.
„Er hat Maria angerufen! Habt ihr es gehört, obgleich
er ein Calviniſt it,“ ſprach Frau Jakimowitſch.
„Werft Holz auf die Kohlen!“ befahl Charlamp den er—
jchredten Pagen. Er jelbjt trat an die Leiche des Fürſten,
drücte ihm die Augen zu, dann löjte er von der Stette feines
Banzers ein Feines goldenes Bild der Gottesmutter und indem
121
er jchweigend die Hände Nadziwills faltete, drückte ev ihm das—
jelbe zwiichen die ‚Finger.
Die Flamme im Kamin fpiegelte fich auf dem goldenen
Grunde des Bildes wieder. Das Bild jtrahlte im Licht des
Feuers und ein Abglanz diejes Strahles fiel auf das Gejicht
des Fürſten und ließ es freumdlicher ericheinen als es geweſen.
Charlamp jette jich neben den toten Herrn und während
er die Arme auf die Kniee jtüßte, verbarg er jein Geficht in
den Händen.
Das Schweigen im Saale wurde nur durch den Donner
der Gejchüge unterbrochen. Plötzlich geſchah etwas Schredliches.
Eine unheimliche Helle durchleuchtete den Saal, begleitet von
einem furchtbaren Stracyen. Es war, als jtürzte der Boden
unter dem Schlofje zufammen. Die Mauern Ihwanften, Die
Dede befam unter gräßlichem Krachen breite Niffe, die Fenſter
jtürzten mit großem Gepolter in das Innere des Saales,
während zugleich die Scheiben in tauſende Splitter zerbrachen.
Durch Die öden Fenſterhöhlen ſtürzten gewaltige Schnee-
maſſen herein und der Sturm fuhr mit Ichauerlichem Saufen
durch dag Gemach, alle Anwejenden fielen mit den Gefichtern
zu Boden und waren vor Schred jprachlos.
Der erite, welcher wieder auf den Füßen jtand, war
Charlamp. Sein eriter Blick fiel auf die Leiche des Fürſten,
doch dieſe lag still und unberührt, wie er jie zuvor gebettet
hatte, nur das Bild der Gottesmutter in ihren Händen hatte
ji) etwas verjchoben.
Charlamp atmete auf. Er hatte geglaubt, eine Schar
Teufel wäre hereingebrochen, um den Körper Radziwills
zu holen.
„Und das Wort it Fleiſch geworden!“ rief er aus. „Die
Schweden müfjen jich jamt dem Turm in die Luft geiprengt
haben.”
Bon außen drang fein Laut herein. Die Truppen Sapiehas
mußten vor Staunen über die That des Feindes verjtummt
jein, oder fie befürchteten, das ganze Schloß ſei unterminiert
und werde jtüchveife in die Luft geiprengt.
Wieder befahl Charlamp den Bagen das Feuer zu ſchüren.
Und wieder durchflammte das helle Licht das Gemach mit un—
jicherem Schein, denn während der Totenjtille, die darin herrichte,
trug der Sturm immer neue Schneemafjen zu den Fenſtern
herein.
Endlich vernahmen die im Gemach Befindlichen Stimmen-
122
gewirr, welches die Stiegen herauf näher fam, dann ertünte
Sporenflirren, Fußtritte wurden laut, zulegt wurden die Saal-
thüren aufgerifjen und Soldaten drängten herein. Schwerter
bligten, in den Harnifchen und Viſierhelmen jpiegelten jich die
Flammen des SKaminfeuers wieder. Immer mehr Soldaten
betraten den Raum, welcher jchon bis zur Mitte gefüllt war.
Etliche von ihnen trugen Laternen, und obgleich das Kamin—
feuer den Saal hinreichend beleuchtete, jo leuchteten jie dennoch
damit vorjichtig in jeden Winkel hinein.
Segt machte jich der kleine Ritter, vom Kopf bis zum
Fuß mit einem Stahlpanzer befleidet, Bahn durch die Menge.
„Wo befindet ich der Wojewode von Wilna?“ Trug
er laut.
„Bier!“ antivortete Charlamp auf den Leichnam des Fürſten
weiiend. Herr Wolodyjowsfi jah genauer hin.
„Er lebt nicht mehr!“ jchrie er fait auf.
„Er lebt nicht mehr! Gr lebt nicht mehr!” pflanzte ſich
der Ruf fort.
„Er lebt nicht mehr, der Verräter, der Makler!“
„ein, er lebt nicht mehr!“ jagte Charlamp ernjt. „Doc
wenn ihr beablichtigt, jeinen Leichnam zu jchänden, oder den
Toten in Stüde zu hauen, jo laßt euch jagen, dab ihr ein
großes Unrecht begehen würdet, da er noch in jeiner Todes»
ſtunde die Gottesmutter angerufen hat und ihr Bildnis in den
Händen hält.“
Diefe Worte verfehlten ihren Eindrud nicht. Das Ge-
jchrei hörte auf, die Soldaten näherten fich dem Ruhebett und
hielten Totenſchau. Diejenigen, welche eine Laterne trugen,
leuchteten ihm in das Geficht und jahen ihr genau an, wie er
dalag, ein gefällter Rieje, im erfalteten Antlitz troß aller vor-
aufgegangenen Leiden den Ausdruck der majejtätiichen Größe, die
er im Leben vorgeitellt, und die Würde und den Ernit des Todes.
Der Neihe nach famen die Soldaten und mit ihnen die
Offiziere und Hauptleute. Allen voran Stanfiewitich, Die
beiden Sfrzetusfis, Horotfiewitich, Jakob Kmiziz, Oskierko und
Herr Sagloba.
„Es iſt wahr!“ jagte Sagloba leife, als fürchte er den
Fürſten zu weden. „Er hält das Bild feit; der Abglanz des-
jelben wirft einen Schein über jein Geficht.“
Während er das jagte, nahm er den Helm vom Stopfe.
Die anderen folgten jogleich jeinem Beiſpiel. Es trat eine
123
achtungsvolle Stille ein, welche endlich Herr Wolodyjorwsfi
unterbrach.
„ech!“ ſagte er ernit. „Diejer hier jteht jchon vor dem
Kichterjtuhl Gottes, das irdiiche Tribunal hat fein Necht mehr
an ihn.“
Zu Charlamp gewendet fuhr er fort:
„Aber du Unglücjeliger! Warum hajt du jeinetwegen das
Vaterland und deinen Herrn und König verlafien?*
„sat ihn! Her mit ihm!“ fchrieen mehrere Stimmen
durcheinander.
Da jtand Charlamp auf, riß jeinen Säbel aus der Scheide
und warf ihn Elirrend zu Boden.
„Da habt ihr mich““ rief er. „Schlagt mich doch tot!
Weil ich ihm nicht gleichzeitig mit euch verlieh, als er mächtig
war, wie ein König, jo wäre es jchlecht von mir geweſen, hätte
ich ihn im Elend verlajjen wollen, als jelbit jeine Freunde ihn
im Stiche ließen. Mein Dienit hat. mich nicht, fett gemacht:
jeit drei Tagen Habe ich nichts gegejjen, die Füße tragen mic)
faum . . . Aber nehmt mich, jchlagt mich nieder, denn auch
das befenne ich offen und ehrlich, hier zitterte die Stimme
Charlamps, denn — ich habe ihn aufrichtig geliebt.“
Er ſchwankte und wäre hingefallen, hätte Sagloba ihn nicht
in jeinen Armen aufgefangen und feitgehalten:
„Beim lebendigen Gotte!“ rief er. „Gebt ihm zu ejjen.“
Mit diefen Worten hatte er die Herzen der Umijtehenden
gewonnen. Man alte Charlamp unter den Armen und führte
ihn aus dem Gemach. Darauf verließen auch die Soldaten
dasjelbe der Reihe nach, jich Fromm befreuzend.
Auf dem Wege zurüc nach den Uuartieren jchien Herr
Sagloba etwas ernithaft zu erwägen. Er räuſperte jich, endlich
faßte er den Nodzipfel des Herrn Wolodyjowski.
„Herr Michael!“ jagte er.
„Was giebt es?“
„Mein Haß gegen den Nadziwill ijt verraucht. Ein Toter
ijt nun einmal ein Toter! ... ch verzeihe ihm von Her—
zen, daß er mir einjt nach dem Leben getrachtet.“
„Er iteht vor dem himmlischen Tribunal!“ antwortete
Wolodyjorwsft.
„Das iſt es! Das iſt es eben!. Hm! Wenn ich
wüßte, daß es ihm etwas müßte, würde ich auf eine heilige Meſſe
für ihn geben; ich glaube jeine Sache jteht jchlecht dort oben!“
„Bott iſt barmherzig!“
124
„sa, Gott iſt gerecht! Aber ein Waterlandsverräter iſt
auch) ein ganz apartes Objeft. Doc da fällt mir etwas ein!“
Hier legte er den Kopf in den Naden zurüd und blidte
nach oben.
„sch fürchte nämlich,“ jagte er nach einer Weile, „es fönnte
mir einer jener Schweden auf den Kopf fallen, die ſich mit dem
Turme in die Luft gejprengt haben; denn daß die Einlaß in
den Himmel finden, das bezweifle ich doch.“
„Es waren brave Jungen,“ jagte Wolodyjorwsfi anerfennend.
Sie gingen lieber in den Tod, als day jie jich ergaben. Solche
Soldaten giebt es nicht viele in der Welt!“
Stilljchweigend gingen jie weiter. Plötzlich blieb Herr
Michael jtehen. "
„Das Fräulein Billewitih war nicht im Schloß,“
jagte er.
„Woher wißt ihr das?“
„sch Frug die Pagen nach ihr. Boguslaw Hat jie mit
fih nach Tauroggen geführt.“
„Oo, o!“ ſprach Sagloba. „Da hat man die Ziege dem
Wolf anvertraut. Aber das it nicht eure Sache; für euch iſt
die fleine Kernige beitimmt.“
1. Kapitel.
Seit dem Einzuge des Königs in Lemberg war Dieje
Stadt die pauptitubt, der Sammelpunft der Republik. Mit dem
Könige zugleich waren die größte Zahl der Bijchöfe des Neiches
in Lemberg eingefehrt und alle diejenigen Senatoren, welche
nicht zum Feinde hielten. Die ausgegebenen Befehle beriefen
ebenfalls den Adel von Neuen und anderer benachvarten
Provinzen, der um jo ungehinderter und zahlreicher erjchten,
da jeme Gegend ganz frei von Schweden war. Es war
wirklich herzerquidend zu jehen, wie freudig alles, was fähig
war eine Waffe zu führen, herbeieilte, um jich der allgemeinen
Erhebung anzuschließen. Und wie verjchieden war dieſe Er—
hebung von derjenigen dazumal in Großpolen, die bei Uſchtz
ein jo Elägliches Ende fand. Hier jammelte jich um den König
ein Heer wacderer, friegstüchtiger Männer, die von Kindes—
beinen an ein Leben im Sattel gewöhnt waren und Die im
jteten SKampfe mit den Horden blutgieriger, brandjchagender
Tartaren gelernt hatten mit dem Schwert, jtatt mit der Zunge
zu echten. Noch waren ihnen die jieben Jahre währenden
Meseleien Chmielnizfis zu frisch im Gedächtnis, als daß ſie
die Führung der Waffen hätten verlernen jollen; es befand jich
faum ein Mann darunter, der nicht jo viele Schlachten und
Gefechte mitgemacht hatte, als er Jahre zählte. Die Zuzüge
mehrten jich von Tag zu Tag. Sie famen aus allen Gegenden,
von dem zerflüfteten Bieſchtſchadow die Einen, die Anderen vom
Brut, und vom Seret her. Die Anfiedler aus den Niederungen
des Dniepr mit jeinen reißenden Wajjern, diejenigen, die am
glatt und breit dahinjtrömenden Bohem und den Lieblichen
Ufern der Sieniucha ihre Hütten gebaut hatten, und aus dem
126
Inneren des Landes die Bauern, bis hinein in die tartarijchen
Gebiete fie Alle, Alle, folgten dem Rufe des Königs. Auch
aus Wolhymen und den ferner liegenden Wojewodſchaften
eilten Adlige und Bauern herbei, denn die Nachricht, daß
der Feind Tſchenſtochau belagert halte und die Kloſter—
ſchätze mit dem Bilde der Gottesmutter in Gefahr ſeien, den
Schweden in die Hände zur fallen, hatte die ganze Republik
bis in die ferniten Winfel mit Entjegen erfüllt. Won den Ko—
jafen brauchte man nichts zu befürchten, jelbit die roheiten Ge-
müter wurden von dem Clend im Vaterlande ermweicht, auch fie
lehnten jich gegen die Schwedenherrichaft auf und wer von
ihnen nicht freiwillig gegen den Yandesfeind auszog, der wurde
von den Tartaren gezwungen, dem König Sohann Kafimir zum
jo und jovielten Male den Eid der Treue zu leisten.
Unter der „Führung Subaghaji-Beis befand ſich auch
bereits eine tartariiche Gejandtichaft in Lemberg, welche dem
Lönige im Namen des Chan ein Heer von hunderttauſend
Tartaren zur Vertreibung der Schweden zur Verfügung ſtellte,
von welchem vierzigtauſend Mann in Kamienz bereits des
Befehls harrten, abzumarſchieren.
Außerdem fand ſich eine Deputation aus Siedmiogrod ein,
— Einleitung der Verhandlungen, betreffend die Feititellung
der Thronfolge Nakotichys. Ein Gejandter des Kaiſers, ein
päpjtlicher Nuntius, der zugleich mit dem Könige eingetroffen
war, verjchiedene Deputationen der litauischen Kronenheere, der
verjchiedenen Wojewodichaften und Provinzen befanden jich
ebenfalls bereits in Lemberg, um dem Könige ihre Gelöbnijie
der Treue zu Füßen zu legen.
Das Anjehen des Königs war in jtetem Steigen begriffen
und die noch vor furzem tief in den Staub getretene Nepublif
erhob jich langjam, aber jtetig, zur Verwunderung der Nationen
und Zeitgenofien. Die Herzen der Menjchen entbrannten in
Kriegs- und Nachelujt, trogdem waren alle frohgemut, denn
eine neue Zeit war angebrochen. Wie der laue Frühlingsregen
den Winterſchnee hinwegtaut, ſo verdrängte hier die mächtige
Hoffnung die Verzweiflung. Man wollte nicht nur ſiegen, nein,
man glaubte auch an den Sieg. Eine gute Nachricht drängte
die andere und waren ſie auch oft erfunden, oder ihre Wahr-
heit anzuzweifeln, jo erfüllten fie doch die bedrüdten Herzen
mit Freude und jäeten überall die Saat guter Hoffnung. Wie
verlautete, erhoben jich ganze Scharen Bauern und Köhler
gegen den Feind, den fie von ihren Wäldern aus oft unver:
127
mutet überfielen. Der Name Stefan Ticharniezfis wurde immer
häufiger genannt und lebte bald in aller Munde.
Die Einzelheiten der Begebenheiten beruhten jelten auf
Wahrheit, aber es genügte, daß jie überhaupt fich begaben, und
alles in allem waren jie das beite Spiegelbild deſſen, was jich
im ganzen Neiche regte und zutrug.
In Lemberg war jtändig Feiertag. Als der König einzog,
hatte ihn die Stadt feierlich begrüßt. Die Geiitlichfeit dreier
Glaubensgenofienichaften, die Stadträte, die Handelskammer
und Gewerfe, jie alle waren zu jeinem Empfang ausgezogen.
Auf den öffentlichen Plätzen, in den Straßen wehten, jo weit
das Auge reichte, weiße, blaue, purpurrote und goldgelbe
Fahnen. Stolz liegen die Yemberger ihren goldenen Löwen im
blauen ‚Felde flattern, während jie jelbitgefällig von den Leber-
fällen der Koſaken und Tartaren erzählten, die fie ausgehalten
und abgewehrt hatten. Ueberall, wo der König Tich blicken lieh,
wurde er mit Jubel begrüßt.
Die Einwohnerzahl Lembergs hatte jich in den legten zwei
Tagen verdoppelt. Außer den Bifchöfen, Senatoren, dem Adel
war eine Menge Bauern herzugeitrömt. Es Hatte fich jehr
bald die Nachricht verbreitet, der König wolle das Los der
armen Bauern verbejlern, und nun famen fie herbei in Stitteln
und langem Tuchrod, die neben den gelben Gehröcen der Städter
ein hübjches buntes Bild gaben. Die gewerbetreibenden Armenier
mit ihren jchmalen Gejichtern jchlugen ihre Zelte auf und boten
Waren und Waffen feil, die von dem anweſenden Noel gern
gekauft wurden.
Ber den Gejandtjchaften befanden ſich auch eine Menge
vornehmer Tartaren, Ungarn, Italiener u. ſ. w, eine Unzahl
Hofbediensteter, Pagen, Heiduden, Janitjcharen, Koſaken, Yäufer,
die in den verjchiedeniten bunten Trachten und Uniformen in
den Straßen umberwandelten.
Vom Morgen bis zum Abend, ja bis jpät in die Nacht
dauerte das Lärmen in den Straßen. Mit dem Geplauder und den
Rufen der Menjchen mijchte jich das Pferdegetrappel der an—
fommenden und durchreitenden Schwadronen, das Wiehern der
Roſſe, das Rajjeln der Räder, Kommandorufe, ja jogar Lieder
tönten durch die Straßen.
Die Gloden aller Kirchen, der polnischen, reußiſchen und
armentjchen, läuteten unaufhörlich, allen verfündend, daß der
König in Lemberg jei und dal; Lemberg die erite feiner Nefi-
128
denzjtädte, in deren Mauern der vertriebene Monard) nach
jeiner Rückkehr in das Land eingefehrt war.
Man brannte jogar nachts auf den freien Plätzen Holz:
feuer, an welchen diejenigen jich wärmen fonnten, welche aus
Mangel an Uuartieren fein Obdach fanden.
Der Monarch brachte ganze Tage mit Beratungen tm
Kreiſe der Senatoren zu. Er empfing die auswärtigen Depu—
tationen der Provinzen und des Stronenheeres, um zu beraten,
auf welche Weife man die geleerte Reichskaſſe, die Schagfammern
wieder füllen Fünnte, und wo der Aufjtand gegen den Feinden
noc nicht entfacht war, dorthin brachten Boten die Kunde von
der allgemeinen Erhebung. Bis weit nach dem fernen Preußen,
nad) Smudz, nach) Tyjchowieg, zu den Hetmanen wurden Eil-
boten gejchictt, auch zu Sapieha, welcher nach der Zeritörung
von Tyfozin mit feinem Heere in Eilmärjchen dem Süden
zuzog, jogar an Herrn Stoniezpolsfti, welcher noch bei den
Schweden jich befand. Wo Geld nötig war, mußte die Schaß-
fammer es hergeben, wo der Nationalgeijt noch jchlummerte, da
wurde er durch Manifeſte gewvedt.
Die Konföderation von Tyjchowieg wurde vom Könige an-
erfannt und bejtätigt. Er trat ihr jelbit bei, indem er Die
Leitung der fjämtlichen Gefchäfte in die Hand nahm und mit
unermüdlichem Fleiße führte. Er arbeitete an dem Wohle
und der Wiederheritellung der alten Nechte, ohne jeine Gejund-
heit zu jchonen. Aber nicht genug damit! Er bejchloß für jich
und im Namen aller Stände des Neiches noch einen Bund zu
Ichließen, den feine menschliche Macht zu bewältigen imitande
jein würde und der dazu dienen jollte, die Moral aller der
Nepublif angehörenden Unterthanen zu heben.
Der Augenblid war jebt gefommen, wo das Geheimnis
diejes Bundes offenbar werden jollte.e Won den Senatoren
zum Abel, vom Adel zum Volk drang die Kunde, daß während
des heutigen Gottesdienites etwas Außergewöhnliches ſich zutragen
werde. Es hieß, der König wolle ein feierliches Gelübde ab-
legen. Man jprach von der Aufbeflerung der Verhältnifie der
feibeigenen Bauern und einem Bündnis mit dem Himmel.
Andere meinten, das wären Dinge, die in der Weltgejchichte
noch nie dageweſen wären und auch nie vorfommen fünnten.
Dennoch war die allgemeine Neugier erwedt und aufs höchſte
geiteigert.
Der Tag war froitig und far. Kleine Schneeflitterchen
flogen umher und bligten wie Funken im Sommenlicht. Die
129
Lemberger Fußſoldaten und diejenigen aus dem Kreiſe Sydatjch-
fow in goldverbrämten PBelzjaden und ein halbes Negiment
Ungarn bildeten vor der Kathedrale Spalier mit den Musfeten
bei Fuß. Offiziere mit Rohrſtöcken in der Hand jchritten die
Neihen entlang. Zwiſchen diejen beiden Spalierreihen jtrömte
eine buntfarbige Menge in die Kirche. Zuerſt fam der könig—
lihe Zug, voran die Adligen und die Ritter, dann die Herren
vom jtädtijchen Nat mit goldenen Ketten auf der Bruſt. Sie
trugen brennende Wachsferzen und wurden vom Bürgermeiſter
angeführt, der ein weithin berühmter Medifus war; er war mit
einer jchwarzen Toga befleidet, auf dem Kopfe trug er ein
Ichwarzes Barett. Hinter den Stadträten jchritten die Kauf—
leute, darunter viele Armenier mit grünen, goldgeiticten Mützen
und weiten morgenländiichen Gewändern. Wenngleich Die
Letzteren nicht eigentlich zur Gemeinjchaft gehörten, jo gingen
jte doch mit, um den Stand zu repräjentieren. Ihnen folgten
die Innungen mit ahnen: die Fleiſcher, Bäder, Schuhmacher,
Soldarbeiter, Tuchmacher, Teppichfnüpfer, Honigfüchler u. a.
Jeder Innung voran jchritt der jtattlichite Mann derjelben mit
der Fahne. Dann erſt famen die verjchiedenen Orden, Bruder-
ichaften und zulett die große Menge.
Endlich) fuhren auch die Kutjchwagen heran, doch Dieje
fuhren an dem SHaupteingange vorüber und lenkten einem
Seitenthor zu, durch welches der König, die Geijtlichkeit und
Würdenträger jogleih in die Nähe des Hochaltares gelangten.
Das Militär präfentierte das Gewehr, jo oft einer der hohen
Herren vorüber fuhr; oft jtellten jie die Musfeten wieder
an Fuß, nur um jchnell einmal in die eritarrten Hände
zu hauchen.
Der Monarch fam zujammen mit dem Nuntius Widon in
einem Wagen. Dann folgte der Erzbifchof von Gnejen mit
dem Biſchof Tiehartorysfi, dann die Bilchöfe von Krakau und
Lemberg, der Ktronenfanzler, viele Wojewoden und Kajtellane.
Sie alle traten durch die Seitenthüre in die Kathedrale, während
ihre Wagen, Karofjen und Kutſchen vor derjelben einen dichten
Wall bildeten.
Der päpftliche Nuntius las die heilige Mejje in purpur=
roter Soutane, über welche er ein weihes, reich mit Gold und
Perlen gejticktes Ornat trug.
Für den König war zwifchen dem Hochaltar und der
Stalla ein Betituhl aufgejtellt, vor welchem ein türkijcher
Teppich ausgebreitet lag. Die Sitzplätze der Domherren
Sientiewica, Sturmflut II. 9
130
wurden von den Biſchöfen und den hohen Würdenträgern ein-
genommen.
Durch die buntgemalten Fenſter fielen farbige Lichtitreifen
herein und vermijchten ſich mit dem Strahle der Kerzen; fie
ergofjen fich über die Gejichter der in den Stühlen Sienden
und beleuchteten diejelben mit magiſchem Schimmer, fie flammten
auf in den goldenen, mit Edeljteinen bejegten Stetten, fielen
auf die bunten Sammetröde und jchienen ihre Leuchtkraft zu
verdoppeln. Ernſt und majeſtätiſch ſaßen die greifen Herren
mit den weißen Bärten, die Augen feſt auf den Altar gerichtet.
Von der anderen Seite der Stalla war die Kathedrale voll
gepfropft mit Menjchen, eine Kopf an Kopf gedrängte Menge,
und über allem eine Wolfe von Weihrauch.
Der Monarch) war niedergefniet und lag nun, jeiner
Gewohnheit gemäß, demütig zu Kreuze Während der Meſſe
entnahm der Nuntius dem Ciborium den Kelch und jchritt
mit demjelben dem Betjtuhl des Königs zu. Der König
richtete ich heiteren Antliges auf, der Nuntius Sprach laut
die Worte: „Ecce Agnus dei“ und der König empfing die
Kommunion.
Eine Weile verharrte er gebeugt, dann richtete er jich auf,
erhob die Augen und jtredte beide Arme empor.
Yautloje Stille herrichte in der Kathedrale; nicht ein Atem—
zug wurde laut. Es ahnte allen, daß jeßt der Augenblick ge-
fommen war, wo der König jein feierlicheg Gelübde ablegen
werde. Die Menge laujchte mit gejpanntejter Aufmerkjamfeit,
während der König mit bewegter, aber deutlich vernehmbarer
Stimme zu jprechen begann:
„Du große Mutter des Menſch gewordenen Gottes und
heilige Sungfrau! Ich, Johann Kaſimir, durch deines Sohnes,
des Königs der Könige und meines Herrn Gnade und Barme
herzigfeit Stönig, nahe den Stufen deines Thrones, um Ddiejes
Gelübde vor dir abzulegen.
„sch nehme dich vom heutigen Tage an zu Meiner und
Meines Reiches Schugpatronin und Königin. Mic, Mein
Königreich Wolen, die Großfürjtentümer Litauen, Reußen,
Preußen, Maſowien, Smudz, Lievland und Tſchernichow, die
Heere beider Nationen und Mein geſamtes Volk ſtelle Ich unter
deinen beſonderen Schutz. Deine Hilfe und Barmherzigkeit
flehe Ih an in der jetzigen kummervollen Lage Meines
Neiches . . .*
131
Hier fiel der König auf die Kniee nieder und ſchwieg eine
Meile. Die Totenjtille wurde durch nichts unterbrochen. Dann
itand er wieder auf und fuhr zu jprechen fort:
„Weberwältigt von deinen großen Wohlthaten, fühle Sch
Mich jamt Meinem polnischen Volke gedrungen, in ein neues
Dienjtverhältnis zu dir zu treten und gelobe dir in Meinem,
Meiner Minifter, Senatoren, Adligen und allen Bolfes Namen,
Deines Sohnes Jeju Ehrijti, unjeres Heilandes Lob und Ehre
zu verbreiten, jeinen Willen zu erfüllen, und wenn Ich durch
die Barmherzigkeit Deines Sohnes Sieger über die Schweden
werde, Mich zu bemühen, daß am Jahrestage diejes Creig-
nifjes in Meinem Weiche ein Dankfeſt gefeiert werden joll,
jedes Jahr, bis an das Ende der Tage, an welchem der
Gottesgnade und der deinigen, du reinjte Jungfrau, gedacht
werden joll!“
Hier hielt der König wieder inne und fniete nieder. Ein
leiſes Gemurmel wollte jich erheben, doch die vor Bewegung
zitternde Stimme des Königs übertönte es; er jprach noc)
lauter als vorher:
„Und da Ich mit tiefiter Betrübmis und reuigem Herzen
befenne, daß Sch die während fieben Jahren erlittenen lagen
und Sorgen und die jchweren Heimjuchungen, die Mein Neich
getroffen, als eine Strafe Gottes anjehe für die Unterdrücdung
des Ackerbau treibenden Teiles Meiner Unterthanen, jo ver—
pflichte ich Mich, dab nach eingetretenem Frieden ch jamt den
Ständen der Nepublif dafür jorgen will, daß der bisher jo
gequälte Bauernitand fernerhin von jeglicher Bedrüdung und
Sraujamfeit verjchont bleibe. Zu diefem Meinem Vorhaben
bitte ich dich, Mutter der Barmherzigkeit, Königin und Frau,
Mir durch Fürbitte bei deinem Sohne beizujtehen, damit Ich
erfüllen kann, was Sch jebt feierlich gelobe.“
Mit Andacht war die Geijtlichfeit, der Adel, die Senatoren
und das Volk den Worten des Königs gefolgt. Als er geendet,
währte die Totenjtille noch einen Moment fort, dann ertünte
aus der Tiefe der Kathedrale erit ein leiſes Schluchzen, welches
immer lauter wurde und ich zulegt zu einem allgemeinen
lauten Weinen steigerte. Mit Hoch zum Himmel erhobenen,
gefalteten Händen rief die Gemeine Amen! Amen! Amen! zum
Zeichen, day ihr Fühlen und ihr Denfen mit demjenigen
des Königs übereinjtimmte. Kein Auge war trocden geblieben,
die Begeiſterung leuchtete aus aller Augen, die ‚Flamme der
Liebe zum Vaterlande und der Gottesmutter loderte hoch empor.
9*
132
In diejer erhebenden Stunde war niemand mehr, welcher am
Siege über die Schweden gezweifelt hätte.
Nach beendetem Gottesdienite verließ der König unter dem
Subelgejchrei der begeiiterten Menge, unter dem Knallen der
Musfeten und den „Viktoria“-Rufen der Soldaten die Klathe-
drale und fuhr zum Schloß, wo er einen fchriftlichen Akt über
die Ablegung des Gelübdes aufnehmen ließ, welchen er dann
famt den Bertrage von Tyjchowieg durch feine Unterjchrift be-
glaubigte.
12. Rapitel.
Bald nach jenen Feitlichkeiten in Lemberg gelangten Die
verjchiedenjten Nachrichten in die Stadt. Neue gejellten ſich zu
den alten, die einen lauteten günjtiger, andere weniger gut,
doch alle waren geeignet, den Mut des Bolfes zu jtärfen.
Die Konföderation von Tyjchowieg fand immer mehr An-
bänger unter dem Adel wie unter dem Volke. Die Städte
jtellten Wagen und lieferten Waffen, Fußſoldaten aus allen
Ständen jammelten ich um die Fahnen, die Juden gaben Geld
ber, kurz, niemand entzog jich der Pflicht, dem Vaterlande
beizuftehen, wie feine Kräfte und Mittel es erlaubten.
Auf die Kunde des Zuſammentritts der Konföderation
hatte Wittemberg ein Manifejt gegen Diejelbe erlaſſen unter
Androhung der härtejten Strafen für diejenigen, welche ihr
beizutreten ſich unterfangen jollten. Diejelbe hatte jedoch nur
zur Folge, daß das Volk ſich noch inniger aneinander ſchloß.
Ob mit oder ohne Zuſtimmung des Königs wurde Diejes
Manifeit in Taujenden von Exemplaren in Lemberg verbreitet.
Das Volk beſchmutzte und zerriß dasjelbe und ließ die Fetzen
in alle Winde flattern. Die Gaufler benugten die Gelegenheit
jogleich zur Inſzenierung einer Schaujtellung, betitelt „Die
Konfufion Wittembergs“, wobei jie das folgende Spottlied
angen:
— Wittemberg, Aermſter, ſchere
Dich nur ſchnell hinter die Meere.
Wie ein Haſe entlaufe!
Denn bu befommit * Pe:
Laufe nur, fei nicht tr
Daß du verlierft bie Reithofen.
134
Und Wittenberg, ald wolle er die Worte des Liedes wahr
machen, legte jein Kommando in Krakau jchleunigjt in Die
Hände des vortrefflichen Wirk und eilte jelbjt nach Elbing,
wo der König von Schweden mit der Königin Hof hielt und
jeine Zeit mit Feitlichfeiten und Gaitmählern verbrachte, aus
Freude darüber, daß er der Herricher eines jo herrlichen
Königreiches geworden.
Auch die Kunde von dem Falle Tyfozins drang jchnell
nach Lemberg und erregte dort große Freude. Merfwürdiger-
weiſe hatte man jchon davon zu jprechen angefangen, noch ehe
ein Bote die Beitätigung des Gerüchtes gebracht. Nur darüber
war man noch im Ungewifjen, ob der Fürſt-Wojewode gejtorben
oder gefangen war, man nahın aber an, daß Herr Sapieha
mit feinem ganzen Heere bereit3 auf dem Marjche von Pod—
lahien nach der Wojewodjchaft Lublin jich befinde, um ſich
mit den FFeldhauptleuten zu vereinigen, und unterwegs jchon
manches erfolgreiche Scharmüßel mit den Schweden ausgefochten
habe, während fein Heer durch immer neue Zuzüge jich täglich)
vergrößere.
Endlich fam auch von ihm jelbjt Botjchaft, d. h. er jandte
gleich eine ganze Fahne zur Dispofition des Monarchen, mit
der unterthänigen Bitte, dieſelbe al3 Ehrenwache gnädigit an-
zunehmen, damit die Majeität vor jeder möglichen Gefahr
gejchügt werde.
Der Führer diefer Fahne war Herr Wolodyjowsfi. Dem
Könige bereit3 von früher her wohlbefannt, ließ der Monarch
ihn jogleich zu fich rufen und ihm den Kopf herzlich drüdend,
jprach er:
„Sei Uns gegrüßt, tapferer Krieger; es iſt viel Zeit
dahingejchwunden, jeit Wir di) aus den Augen verloren.
Irren Wir nicht, jo jahen Wir dich zum letztenmale in
Berejtetjch völlig im Blute ſchwimmend.“
Herr Wolodyjowsfi fiel dem Könige zu Füßen, während
er antwortete:
„Und jpäter in Warjchau, Allergnädigiter Herr. Sch
war damal3 mit dem jegigen Kajtellan von Kijow im Schlofje.“
„Dienjt du denn noch immer im Heere? Haft noch gar
nicht daran gedacht, einmal auszuruhen?“
„So lange die Republif voller Unruhe und in Nöten,
denfe ich nicht daran . . . Sch nenne fein Fleckchen Erde mein
eigen, wo id) die Glieder zum Ruhen hinjtreden fönnte, aber
135
ich jorge auch nicht darum, da ich es als erite Pflicht betrachte,
meinem Könige und dem Vaterlande zu dienen.“
„O, daß Wir viele folcher hätten!“ rief der König. „Der
u hätte niemals eine jolche Uebermacht gewinnen fünnen.
ill's Gott, jo fommt auch die Zeit des Lohnens für Uns.
Und nun erzähle, was ihr mit dem Wojewoden von Wilna
gemacht habt.“
„Der Wojewode jteht vor dem Throne Gottes, Er gab
jeinen Geift gerade auf, als wir dem legten Sturm auf Tyfozin
unternahmen.“
„Wie iſt das zugegangen ?“
„Hier tft der Bericht des Herrn Wojewoden von Witebsk,“
jagte Herr Michael, dem Könige einen Brief überreichend.
Der König nahm denjelben in Empfang, doch faum Hatte
er zu lejen begonnen, da unterbrach er fich jchon.
„Herr Sapieha irrt!” jagte er. „Er jchreibt Uns, daß
die Würde des Großfüriten von Litauen vafant iſt. Sie it
e3 nicht, denn Wir legen das Szepter in jeine Hände.“
„Dasjelbe kann in feine würdigeren kommen,“ jagte Herr
Michael. „Das ganze Heer wird Ew. Majejtät ewig dankbar
jein für diefe Ernennung.“
Der König belächelte die offenherzige Meinungsäußerung
des Soldaten und fuhr fort zu lejen.
Plötzlich ſeufzte er laut.
„Welch köftliche Perle in der Krone Polens hätte Nadzi-
will jein fönnen, wenn nicht Hochmut und Habgier jeine Seele
vergiftet hätten ... Es iſt geichehen ... Die Ratſchlüſſe Gottes
find unerforſchlich! . . . Radziwill und Opalinsfil . . . Beide
fajt zu gleicher Zeit... Herr, richte fie nicht nach ihren Thaten,
jondern nach deiner Barmherzigkeit.“
Nachdem der König eine Weile jchweigend weiter gelejen,
hub er von neuem zu jprechen an:
„Wir find dem Herrn Wojewoden dankbar,” jagte er, „daß
er Uns eine ganze Fahne und an ihrer Spige den größten
jeiner Slavaliere — wie er jchreibt — in Unjeren perjönlichen
Dienſt ftellt. Aber Ich befinde mich Hier in Sicherheit, während
draußen Leute wie ihr viel nötiger jind. Ruhe dich bei Uns
ein wenig aus, dann follt ihr dem Herrn Tjcharniezfi zu Hilfe
ziehen, denn Wir fürchten, daß der Hauptanprall jich gegen
ihn richten wird.“
„Wir haben Zeit genug gehabt, bei Tykozin auszuruhen,“
rief der kleine Nitter begeiltert, „mur den Pferden möchte ich
136
etwas Nuhe und ein paar Tage bejjeres Futter gönnen, Die
find arg mitgenommen. Dann wollen wir eilen, zu Herrn
Tſcharniezki zu fommen; das joll ein jröhlicher trieg werden ...
So groß das Glüd it, das Antlig Ew. Majejtät jchauen
zu dürfen, jo nötig ift es Doch, den Schweden auf den Leib
zu rücken.“
Das Antlig des Königs jtrahlte. Väterliche Güte malte
fih) in jeinen Zügen, wohlwollend maß er die Eleine Gejtalt
des Nitters, während er jagte:
„Du aljo, Kleiner Soldat, warjt es, der dem verjtorbenen
Fürſten zuerit den Dienjt gekündigt?“
„Nicht der erjte war ich, der es that, jondern das erite
Mal war es, hoffentlich auch das legte Mal, daß ich gegen Die
Disziplin fündigte.“
Hier jtocte Herr Michael, dann fuhr er fort:
„Es war nichts leichtes, wahrhaftig.“
„Sicherlich nicht!“ entgegnete der König. „ES war eine
jchwere Zeit für diejenigen, welche Soldatenpflicht kennen und
ehren, aber alles hat jeine Grenzen und e3 giebt einen Bunt,
wo die Pflicht zur Schuld werden kann. Sind denn viele von
den Hauptleuten bei Nadziwill geblieben ?“
„Bir haben in Tykozin nur Herrn Charlamp gefunden,
welcher, da er nicht gleichzeitig mit uns ſich vom Fürſten los—
gejagt, ihn im Elend nicht verlafjen wollte. Ihn hielt nur ein
faljches Mitleid dort zurück, denn die Baterlandsliebe fejjelte
jeine Seele an ung. Er war dem Hungertode nahe, troßdenm
hat er entbehrt, um den Fürſten zu jättigen. Ich habe ihn mit
hierher gebracht, denn er jehnt jich, Ew. Majejtät fupfällig um
Berzeihung zu flehen. Auch ich wage den Fußfall für ihn,
denn er ijt ein guter, braver Soldat.“
„Er ſoll kommen,“ jagte der König.
„Außerdem bittet er um Audienz in einer bochwichtigen
Angelegenheit. Er möchte Ew. Majejtät eine Mitteilung machen
über Dinge, die er aus dem eigenen Munde des verjtorbenen
Fürſten vernommen zu haben behauptet und die das Wohl:
befinden und die Sicherheit Ew. Majejtät angehen.“
„Betreffen diefe Dinge Kmiziz?“
„Jawohl, Allergnädigiter Herr!“
„Kannteſt du Kmiziz?“
„Ich kannte ihn und ſchlug mich mit ihm. Wo er ſich
jetzt befindet, weiß ich nicht.“
„Was hältſt du von ihm?“
137
„Wer ſich jolchen Verrates jchuldig gemacht, wie er, für
den jind feine Qualen groß genug, denn er gehört zum Aus—
wurf der Hölle.“
„Das ijt nicht wahr,” jagte der König. „Was der Fürft
über Kmiziz auch jagen mochte, es ijt alles Erfindung! ...
Doc) lajjen wir das. Erzähle Mir lieber, was dir aus früheren
Zeiten über dieſen Menjchen befannt it.“
„Er war immer ein großer Soldat und als Kommandeur
umerreichbar. So wie er den Chowansfi mit jeinen Taujenden
tartarifcher Horden an der Spitze einiger hundert Soldaten in
Schach hielt, wird feiner imjtande jein, ihm nachzumachen.
Wenn Kmiziz dem Chowansfi in die Hände fiele, würde er
viel mehr jubeln, al$ wenn man ihm den Großhetman zum
Geſchenk machte. Es ijt ein wahres Wunder, daß er ihn noch
nicht hat, da er doc) alle Lijt gebraucht, ihn zu befommen,
Wahr ijt es, dab Kmiziz mit dem Tiſchmeſſer Chowanskis
gegejien, daß er auf deſſen Lager geſchlafen, auf ſeinem Roſſe
geritten iſt. Dann aber wurde er übermütig; bis zur Grau—
ſamkeit quälte er die Menſchen, mit den Standesgenoſſen ver:
fuhr er nach Laune, bis er in Kiejdan allen feinen Unthaten
die Krone aufjelzte.“
Hier erzählte Herr Wolodyjowsfi ausführlich die Begeb—
nifje in Kiejdan, wie er fie als Augenzeuge mit erlebt.
Sohann Kafimir laujchte begierig den Worten Michaels,
und als diefer endlich dabei angelangt war, wie Herr Sagloba
zuerjt jich, dann die anderen aus der Nadziwillichen Gefangen
ku befreit hatte, lachte er, daß er ſich die Seiten halten
mußte.
„Vir incomparabilis! Vir incomparabilis!* rief der
Monarch wiederholt aus. „Halt du den auch mitgebracht?“
„Zu Befehl, Majeltät!“
„Diejer Edelmann übertrifft ja noch den Ulyſſes! Bringe
ihn Uns doc) auf eine fröhliche Stunde zur Tafel und Die
Herren Skrzetuski dazu. Aber nun weiter von Kmiziz.“
„Bir erfuhren dann erit aus den bei dem Rochus
Kowalsfi vorgefundenen Papieren, daß man uns nad) Birz
in den Tod hatte jenden wollen. Der Fürſt jagte ung noc)
nad; er wollte uns umgehen, aber wir entwijchten ihm.
Unweit Kiejdan wurden wir dann Kmiziz' habhaft. ch befahl
fogleich, ihn niederzuſchießen.“
„Do! O“! jagte der König. „Ihr jcheint in Litauen jchnell
zu richten.“
138
„Herr Sagloba aber ordnete an, daß erjt jeine Tajchen
durchjucht werden follten. Wir fanden einen Brief bei ihm,
aus deſſen Inhalt hervorging, daß wir ed nur ihm zu danfen
hatten, wenn wir micht ſchon jofort in Kiejdan erjchojjen,
jondern erjt nach) Birz erpediert worden waren.“
„Siehit du wohl?” bemerkte der König.
„Nachdem wir das erfahren, ziemte es uns nicht, nad)
feinem Leben zu trachten. Wir ließen ihn laufen!... Was
er weiter gethan, weiß ich nicht, nur das eine ijt mir befannt,
dag er den Nadziwill nicht verlafien hat. Gott weiß, was
man von dem Menjchen halten foll; es iſt leichter, ſich von
jedem anderen eine Meinung zu bilden, als von ihm...
Er blieb bei Nadziwill, als er davonritt .... Später warnte
er uns noch einmal brieflic; vor dem Fürſten, welcher auf
dem Zuge nach SKiejdan uns zu trennen und dann jede
einzelne Fahne niederzumetzeln beabjichtig. Es iſt micht zu
feugnen, daß der Dienft, den er uns damit leitete, ein ſehr
5* war, denn ohne ihn wäre dem Fürſten ſein Vorhaben
gelungen. Ich weiß ſelbſt nicht, was ich von ihm denken ſoll!
ee das, was der Fürſt gejagt, wirklich Verleumdung wäre,
— .“
„Das wird ich leicht fejtjtellen laſſen,“ ſagte der König.
Inden er das fagte, Elatjchte er in Die Hände.
„Rufe den Herrn Babinitfch Hierher,“ befahl er den Pagen,
welcher auf der Schwelle erjchien.
Der Page ging und eine Feine Weile nachher trat Herr
Andreas in das Gemach. Herr Wolodyjowski erfannte ihn
nicht jogleich, denn der junge Ritter war jehr bleich und ver-
ändert, da er ſich nach dem leßten Kampfe im Engpaß von
jeinen Wunden noch nicht erholt Hatte. Verwundert blidte
der kleine Ritter ihn jcharf an.
„Wunderbar!“ jprac) er endlih. „Wäre nicht dieſe große
Magerfeit und hätten Ew. Majeftät nicht einen anderen Namen
genannt, — ich fünnte glauben — Herr Kmiziz!“
Der König lächelte, indem er antwortete:
„Soeben hat diejer fleine Ritter hier Uns von einem
ungeheuren Qaugenichts Ddiejes Namens erzählt, aber Wir
haben ihm ganz flar bewiejen, daß er ſich arg getäufcht hat,
. find überzeugt, daß Herr Babinitſch Uns das bezeugen
wird.“
„Allergnädigſter Herr!“ entgegnete Herr Babinitjch hajtig.
139
„Ein Wort Ew. Majejtät vermag diefen QTaugenichts bejier zu
reinigen, ala meine heiligiten Eide.“
„Auch die Stimme it dieſelbe,“ jagte mit großer Be—
wegung der fleine Ritter, „nur die Narbe über das Geficht
war früher nicht da.“
„Der Schädel eines Edelmannes,“ antwortete Kmiziz, „it
eine Tafel, auf welche von verschiedener Hand Vermerke gemacht
werden... Hier iſt die Notiz, welche ihr darauf gejchrieben
habt. Erfennt ihr eure Handjchrift?“
Indem er das jagte, neigte er das gejchorene Haupt und
wies auf eine lange, weiße Narbe, welche fait quer über den
Schädel ging.
„Das it meine Hand!“ rief da Wolodyjowsfi aus. „Ihr
jeid Kmiziz.“
„ber Wir jagen dir, daß du den echten Amiziz gar nicht
kennſt,“ verjegte der König.
„Die das, Allergnädigiter Herr?“
Du fanntejt einen großen Soldaten, der grenzenlos
übermütig und ein Genoſſe der NRadziwillichen Werrätereien
war... Bor dir aber Iteht der Held von Tichenjtochau,
welchen nächſt dem Probſt Kordezki der heilige Berg jeine
Nettung zu danken hat. Hier jteht der Verteidiger des Vater—
landes und Unjer getreuer Diener, welcher jein Leben einjette,
um das Unſrige zu vetten, als Wir in einem Engpaß mitten
unter die Schweden gerieten, wie unter eine Herde Wölfe. Das
it der echte, der neue Kmiziz. Erfenne und liebe ihn, denn
er verdient es.“
Bei diefen Worten des Königs begann e3 um den Mund
Wolodyjowskis zu zuden.
Der König aber ſetzte noch Hinzu:
„Und wiſſe, daß er dem — Boguslaw nicht nur
nichts verſprochen hat, ſondern daß er der erſte war, der wegen
ihrer Verrätereien Rache an ihnen üben wollte, deun er nahm
Boguslaw gefangen und wollte ihn euch ausliefern.“
„Und uns warnte er vor dem Fürſt-Wojewoden,“ rief der
kleine Ritter ... „Welcher Engel hat euch jo bekehrt?“
„Umarmt euch!“ befahl der König.
„O, ich liebte euch gleich anfangs!“ ſagte Kmiziz.
Während fie ſich umarmten, verwandte der Monarch fein
Auge von den beiden und kniff, wie er immer bei freudigen
Anläfjen zu thun pflegte, wiederholt die Lippen ein. Kmiziz
preßte den kleinen Nitter jo herzhaft an die Bruft, daß er
140
ihn Hoch emporhob und erſt nach einer Weile wieder auf die
Füße jtellte.
Sept verließ der König das Gemach, um feine tägliche
Beichäftigung anzutreten; die Beratungen wurden um jo
dringender, da beide Ktronenhetmane in Lemberg angefommen
waren, wo fie zwei Armeen bilden wollten, um ſie nachher ala
Hilfstruppen dem Herrn Tſcharniezki und den Stonfüderierten
zuzuführen, die unter verjchiedenen SHeerführern im Lande
umberzogen.
Die Ritter blieben allein.
„Kommt mit in mein Quartier,“ ſagte Wolodyjowsfi. „Ihr
findet dort die Sfrzetugfis und Herrn Sagloba, welche gern
hören werden, was Se. Majejtät mir von euch erzählt Hat.
Auch Charlamp iſt bei ihnen.“
Kmiziz aber hielt ihn noch zurüd, indem er unruhig frug:
„Fandet ihr viele Menjchen beim Fürſten Radziwill?“
„ur Charlamp allein war bei ihm.“
„Sch Frage nicht nach Soldaten ... Um Gotteswillen! ...
Maren auch Frauen in Tykozin? ...“
‚sch errate, um wen es jich handelt,” jagte errötend der
Heine Ritter.
„Das ‚Fräulein Billewitjch hat der Fürſt Boguslaw mit
nad) Tauroggen genonmen.“
Kmiziz erbleichte, dann jtieg ihm das Blut zu Kopfe, um
einer noch größeren Bläſſe Pla zu machen. Er brachte zuerit
fein Wort hervor, plöglich griff er fi) an die Schläfen
und jchrie:
„Wehe! Wehe! die Aermſte!“
„Kommt mit mir, Gharlamp wird euch das Nähere er-
zählen,” jagte Herr Wolodyjowski.
FE
13. Rapitek,
Nachdem die beiden Ritter das Schloß verlaffen hatten,
gingen fie jchtweigend nebeneinander her. Wolodyjowsfi wollte
nicht ſprechen, Kmiziz konnte es nicht, denn Schmerz und Wut
Ichnürten ihm die Kehle zu. Cie drängten ſich jo gut fie
fonnten durch das Gewühl in den Straßen, wo fich auf die
Nachricht Hin, daß der erite Tartarenzuzug vor den Mauern
der Stadt angelangt jei und bald einziehen werde, eine noch)
größere Anzahl Menjchen eingefunden hatte, als das ſonſt ſchon
der Fall war. Der fleine Ritter war der Führer, Kmiziz ging
ihm nach, ohne ſich klar darüber zur fein, was er that und wo
er fich befand. Er Hatte die Mütze tief in die Stirn gedrüdt
und rannte bald Hier, bald dort mit den Menfchen zuſammen.
Erjt als fie ein wenig mehr Raum gewannen, faßte Herr
Michael Kmiziz am Ellenbogen und fprad):
„Faßt euch doch! . .. Mit der Berzweiflung jchafft man
nichts! ...“
„Ich verzweifle ja nicht,“ antwortete Kmiziz, „nur lechze
ich nach jeinem Blute.“
„Ihr könnt ficher fein, daß ihr ihn unter den Feinden des
Baterlandes irgendwo findet.“
„Um jo bejjer, wenn ich ihn auf dem Schlachtfelde finde!“
jagte Kmiziz mit fieberhafter Haft, „aber ſelbſt wenn ich ihn
vor dem Altar fände —“
„Um Gotteswillen, läſtert nicht,“ unterbrach ihn jchnell der
fleine Ritter.
„Diejer Verräter macht mid) zu einem Sünder!“
Sie jchwiegen wieder eine Weile, dann begann Kmiziz,
indem er frug:
„Wo mag er jett jein?“
„Bielleicht in Tauroggen, vielleicht auch nicht. Charlamp
wird es befier willen.“
„Eilen wir!“
„Bir haben nicht mehr weit. Unſere Fahne liegt außer:
halb der Stadt, wir wohnen hier und Charlamp iſt bei ung.“
Kmiziz feuchte, als ob er im Begriff ſtehe, einen hohen
Berg zu eriteigen.
„sch bin doch noch jehr ſchwach,“ jtammelte er.
„Um jo notwendiger ilt es, daß ihr euch beruhigt umd zu
Kräften zu fommen jucht, denn ihr befommt es mit einem
itarfen Gegner zu thun.“
„sch Hatte schon mit ihm zu thun, da jeht, das ijt mir
davon geblieben.“
Er zeigte auf eine Schmarte im Gejicht.
„Wie Fam das eigentlich? „Erzählt mir doch. Der König
berührte nur flüchtig die Sache.“
Kmiziz erzählte, und obgleich er zähnefnirfchend vor Wut
jeinen Bericht zumeilen unterbrach, jo erreichte Wolodyjowski
doch, was er wollte, der Ritter jprach jich aus und darüber
vergaß er etwas jein Unglüd und wurde ruhiger.
„Daß ihr ein Heißjporn jeid, wußte ich ja immer,“ jagte
der Fleine Nitter, „auch, daß ihr ſtets jchnell entſchloſſen jeid.
Doc, den Radziwill mitten aus feinem Seerlager heraus zu
entführen und gefangen zu nehmen, das hätte ich euch Doch
nicht Zugetraut.
Inzwiſchen waren ſie im Quartier angelangt. Die Skrze—
tusfis, Sagloba, der Pächter von Wonſotſch und Charlamp
waren eben dabei, Krimmerpelze auszuwählen, deren ein tartarijcher
Händler eine Anzahl zur Auswahl gebracht hatte. Charlanıp,
welcher den Nitter am beiten kannte, ließ bei jeinem Anblic
den Pelzrock, welchen er gerade in der Hand hielt, fallen und
ſchrie laut auf:
„Jeſus, Maria!“
„Der Name Gottes jei gepriejen!” rief der Pächter von
Wonjotjc).
Aber noch ehe jich die Anwejenden von ihrem Erjtaunen
erholt hatten, jagte Wolodyjowsfi:
„Hier bringe ich euch den Hektor von Tſchenſtochau, den
treuen Diener des Königs, der für jeinen Glauben und jeinen
Herrn das Leben eingejegt hat.“
Da das Staunen der anderen bei der Vorjtellung Wolo-
143
dyjowsfis noch wuchs, begann dieſer bald im beredten Worten
zu erzählen, was er vom Könige von den Werdieniten des
Nitters und von Herrn Andreas jelbjt über die Entführung
Boguslaws vernommen hatte. Er fchloß dann alſo:
„Es iſt alfo nicht nur nicht wahr, was der Fürſt Boguslaw
über diejen Kavalier gejagt hat, nein, im Gegenteil, er hat
feinen grimmigeren Feind als ihn, Kmiziz, und darum hat er
das Fräulein Billewitich nach Tauroggen geführt, um gewifjer-
maßen Nache an ihm zu nehmen.“
Jetzt Fonnte Sagloba, der Redeluſtige, nicht länger an ſich
halten.
„Er Hat ja auch ung vor dem Fürſt-Wojewoden ge-
warnt,“ rief er aus. „Angefichts ſolcher Verdienite jchwinden
frühere Sünden dahin! Wahrhaftig! es iſt gut, Michael, dal
er mit dir und nicht allein hierhergefommen it; es iſt aud)
gut, daß unjere Fahne außerhalb der Stadt Liegt, denn ihr
wißt ja, wie jehr die Laudaer ihn haſſen. Che er noch ver-
möchte, einen einzigen Yaut hervorzubringen, wäre er zu Brei
gehauen.“
„Seid ung von ganzem Herzen willfommen, als Freund und
Waffenbruder,” jagte Johann Sfrzetusfi.
Charlamp konnte aus feinem Staunen nicht herausfommen.
„So einer fommt nicht um!“ jagte er. „Von allen
Seiten jtrömen ihm Ehren zu und tragen ihn an ein jicheres
Ufer.“
„Sagte ich es euch nicht gleich, als ich ihn in Kiejdan
jah,“ verjegte Saaloba. „Sc dachte mir gleich: das ijt ein
rejoluter Soldat! Und wißt ihr noch, wie wir ung gleich be—
freundeten? Es ijt wahr, daß Nadziwill durch mich zu Grunde
ging, aber auch durd) ihn. Gott gab mir wohl ein, daß ich
ihn in Billewitjche damals nicht erjchießen ließ. . . . Meine
Herren, e8 ziemt ſich nicht, daß wir dieſen Kavalier jo troden
aufnehmen, er fönnte uns jonjt verdächtigen, dab wir nicht
aufrichtig ſind.“
Als Nzendzian das hörte, befürderte er den Tartaren
janıt jeinen Pelzröcden hinaus und machte ſich mit dem Knappen
jogleich daran, etwas Trinfbares herbeizujchaffen.
Kerr Kmiziz aber hatte feinen anderen Gedanfen als den,
von Charlamp recht viel über Olenfa zu hören.
„Waret ihr dabei, als man fie von Stiejdan fortbrachte?“
rug er.
„sch bin ja von Kiejdan gar nicht jortgefommen,“ ant—
144
wortete der Najenfönig. „Der Fürſt Boguslam kam zu unjerem
Fürſt-Wojewoden. Er ſchmückte jich zur Abendtafel, daß man
ganz geblendet wurde, und man merkte es ihm an, dab das
Fräulein Billewitich ihm jehr wohlgefiel. Er budelte um fie
herum, wie ein later, dem man das Fell jtreicht. Es heißt,
auch die Tiere loben den Herrn, der Fürſt Boguslar aber, der
fann doch wohl nur dem Teufel zu Maule reden; er jchmeichelte,
kratzfußte . . .“
2 „„altet ein!“ jagte Herr Wolodyjowski. „Ihr peinigt den
itter.“
„Im Gegenteil! Sprecht! jprecht!“ rief Kmiziz.
„Man jprach bei Tiſche auc) davon, daß es für einen
NRadziwill durchaus feine Unehre jei, ein adliges Fräulein zu
heiraten, daß er jelbjt viel eher geneigt wäre, ein folches zu
ehelichen, al3 eine jener Brinzejlinnen, mit denen man ihn im
Frankreich verfuppeln wolle. Er Hat jie aufgezählt, aber ich
habe mir die Namen nicht behalten, jie klangen alle ähnlich wie
die Namen unjerer Jagdhunde.“
„Das iſt ja Nebenjache!* unterbrach ihn Sagloba.
„Er jagte das alles nur, um das Fräulein zu gewinnen;
das haben wir jehr bald gemerkt. Wir jahen ung einer den
anderen an, zwinferten ung mit den Augen zu und erwarteten
bejtimmt, daß er ihr in unferer Gegenwart einen Heiratsantrag
machen werde.“
„Und fie?" frug Kmiziz lebhaft.
„Sie? Wie eine vornehme Dame mit feinen Manieren
benahm fie fi. Sie jah ihn gar nicht an und war anjcheinend
gar nicht zufrieden mit jeinem Benehmen. Erjt, als der Fürst
von euch zu jprechen anfing, heftete fie den Blick feſt auf fein
Antlitz. Es war jchredlich anzujehen, wie fie litt, als er ihr
erzählte, daß ihr ihm angeboten habt, für jo und jo viel Dufaten
den König lebend oder tot den Schweden auszuliefern. Wir
alle glaubten, fie würde ohnmächtig werden, aber ihr Zorn und
ihre Verachtung für euch muß jehr groß jein, denn fie über-
wand die Schwächeanwandlung, und als er großprahlerijch er-
zählte, wie er eure Anerbietungen abgewiejen, da lobte jie ihn,
jah ihn dankbar an und entzog ihm auch nicht mehr die Hand,
als er fie aus dem Saale führen wollte.“
Kmiziz bededte die Augen mit der Hand.
„Wer an Gott glaubt, der jchlage drein!“ jagte er
wiederholt.
Plöglich jprang er auf.
145
„Lebt wohl!“ rief er.
„Wohin wollt ihr?“ frug Sagloba, ihm den Weg vertretend.
„Der König wird mir Urlaub bewilligen; ich will mich
aufmachen, ihn zu juchen und werde ihn finden,“ antwortete
Kmiziz.
„Bei den Wunden Jeſu! Wartet noch! Ihr habt noch
lange nicht alles erfahren und noch viel Zeit, ihn zu ſuchen.
Wo wollt ihr ihn finden, wen wollt ihr mitnehmen?“
Kmiziz ſah und hörte aber nichts von dem, was der alte
Herr ſagte, denn die Kräfte verließen ihn plötzlich, er fiel auf
die Bank nieder, lehnte den Rücken an die Wand und ſchloß
die Augen.
Sagloba reichte ihm einen Humpen Wein, den er gierig
mit beiden Händen ergriff. Aber die Hände zitterten; ein Teil
des edlen Getränks ſchüttete er über Wams und Bart, den Reſt
trank er bis auf den letzten Tropfen aus.
„Es iſt ja noch nichts verloren,“ ſagte Johann Skrzetuski,
„nur Vorſicht, größte Vorſicht Habt ihr nötig. Ihr könnt durch
unüberlegtes Handeln nur die Sicherheit des Fräuleins gefährden
und euch jelbjt ind Verderben jtürzen.“
„Laßt euch duch erit zu Ende erzählen,“ warf Sagloba ein.
Kmiziz biß die Zähne aufeinander.
„sch will geduldig hören!”
„Ob das Fräulein ihm willig gefolgt it, vermag ich nicht
zu jagen, da ich bei der Abreije nicht zugegen war. Ich weiß
nur, daß der Herr Schwertträger von Reußen gegen die Ab—
reife protejtiert hat, daß man erjt verfucht hat, ihn von der
Notwendigkeit derjelben zu überzeugen und ihn zulegt, als er
ſich nicht überzeugen ließ, im Zeughaus einjperrte und ihn
nach der Abreife ungehindert nach Billewitiche abfahren Lie.
Das Fräulein befindet fich in jchlechten Händen, das iſt nicht
zu leugnen. Nach dem, was man jich von dem Fürſten erzählt,
it er Schlimmer wie ein Biffurmane auf die Weiber verjeflen,
ganz gleich, ob jie verheiratet oder unverheiratet jind.“
„Wehe! Wehe!“ jtöhnte Kmiziz.
„Der Schuft!” rief Sagloba.
„Mech wundert nur, daß der Fürjt-Wojewode fie jeinem
Better auslieferte,“ jagte Skrzetuski.
„Sch kann darüber nichts jagen, als was die Offiziere jich
damals erzählten, befonders Ganhof, der alle Pläne des Fürjten
fannte. Sch hörte mit eigenen Ohren wie einer derjelben ein-
mal laut ausrief: Kmiziz wird niemals der Nachtolger unjeres
Sientiewica, Sturmflut II. 10
146
jungen Fürjten werden wollen!" und Ganhof erwiderte darauf:
‚Die Entführung it mehr eine Handlung von politischer Be—
deutung als eine Liebesaffäre. Boguslam läßt feine in ‘Frieden;
wenn aber das Fräulein fejt bleibt und ihm Widerjtand leijtet,
dann ijt fie in Tauroggen ficherer als irgendwo. Eine Ver:
ewaltigung würde dort großen Skandal hervorrufen, denn Die
Fürftin-Wojewodin wohnt dort mit ihrer Tochter, und Boguslaw
iſt gezwungen, große Rüdjicht auf fie zu nehmen, da er doc
auf die Hand der Prinzeſſin jpekuliert.... ES wird ihm
fehr jchwer fallen, aber in Tauroggen muß er den Tugend—
haften jpielen.‘“
„Fällt euch nicht ein Stein vom Herzen?“ wandte jich
Sagloba an Kmiziz. „Ihr jeht doch, day dem Mädchen feine
Gefahr droht.“
„Wozu hat er fie dann aber mitgejchleppt?” polterte Kmiziz.
„Ihr thut wohl, euch mit diejer Frage an mich zu wenden,“
antwortete der Alte. „Sch begreife manches jchneller als andere
Menjchen, die ſich oft ein Jahr lang über einem Dinge den
Kopf zerbrechen. Warum er fie mitgenommen hat? Unjtreitig
efällt fie ihm jehr gut; doch hat er jedenfalls noch einen anderen
lan dabei verfolgt. Er glaubt dadurdy alle Billewitjche, die
insgeſamt jehr reich und auch jehr zahlreich find, von feind-
jeligen Schritten gegen die Radziwilld zurüdzuhalten.“
„Das ijt möglich,“ warf Charlamp ein. „Sicher ijt, daß
Boguslaw in Tauroggen jeine Gelüfte zügeln und jede Aus—
jchreitung vermeiden muß.“
„Wo befindet er jich gegenwärtig.“
„Der Fürſt-Wojewode war der Anficht, daß fein Vetter
beim Könige von Schweden in Elbing jein müjje, wohin er
ihn nach Hilfstruppen gejandt.“
„sn Zauroggen ijt er nicht, jonjt Hätten ihn die Send»
boten dort gefunden.“
Hier wandte ſich Charlamp an Kmiziz:
„Wenn ihr den Nat eines einfachen Soldaten nicht ver:
ſchmäht, jo will ich euch jagen, was ich denfe: Sollte dem
Fräulein, mit oder ohne ihren Willen, in Tauroggen ein Unfall
zugejtoßen jein, dann iſt eure Reiſe dorthin doch zwecklos. Sit
das nicht gejchehen, ijt fie bei der Fürſtin und reijt fie mit diejer
nach Kurland, dann könntet ihr in der ganzen kriegsbezogenen
Nepublif feinen ficherern Aufenthaltsort für jie finden.“
„Wenn ihr wirklich der Held jeid, für den man euch hält,
und für dem auch ich euch halte,“ warf Skrzetuski dazwijchen,
147
„ſo iſt es bejjer, ihr haltet euch zuvor an Boguslam. Habt
ihr den, dann habt ihr alles.“
„Wo iſt er demm eigentlich jet?“ wandte jich Kmiziz
wiederholt an Charlamp.
„Ich jagte es euch bereits,” entgegnete der Najenkönig.
„Ihr jeht und Hört ja aber nichts vor lauter Kummer. Wahr:
jcheinlich ijt er in Elbing und wird mit Karl Guſtav demnächit
gegen Tſcharniezki zu Felde ziehen.“
„Es wird das Beite fein, ihr jchließt euch uns an, wenn
wir bald unſere Truppen dem Herren Ticharniezfi zuführen.
Auf diefe Weije trefft ihr am eheiten mit Boguslaw zujammen,“
ihlug Herr Wolodyjowsfi vor.
„sch danfe euch herzlich für eure wohlgemeinten Ratjchläge,
meine Herren!“ rief Kmiziz.
Er nahm lebhaft Abjchted von allen, und fie verjuchten
nicht mehr, ihn zurückzuhalten, weil jie begriffen, daß ein be-
fümmertes Gemüt unfähig ijt, im Gejelljchaft heiter zu fein.
Herr Wolodyjowsfi jagte nur:
„sch bringe euch ins Erzbijchöfliche Palais, denn ihr jeid
jo Hinfällig, daß euch auf der Straße ein Unfall zujtogen fann.“
‚sch begleite euch,“ verjegte Johann Skrzetuski.
„Sehen wir doch alle mit,“ fügte Herr Sagloba Hinzu.
Sie gürteten ihre Säbel um, warfen ein jeder jeine Burfa
über und gingen hinaus. Das Sedränge in den Straßen war
fürchterlich. Alle paar Schritte jtießen die Herren auf berittene
Abteilungen Adliger, Soldaten, Diener, auf ganze Züge Armenier.
Juden, Italiener, Ruſſen u. j. w. Die Kaufleute jtanden vor
ihren Gewölben, alle Fenſter der Häufer waren mit Köpfen
Neugieriger bejegt. Alle dieſe Menjchen wollten die Tartaren
jehen, welche jeden Augenblid in der Stadt erwartet wurden,
um ſich dem Könige zu präjentieren. Es war nämlich etivas
jehr Seltenes, dieſe Menjchenrajje einmal in Ruhe anjehen zu
fönnen; Lemberg hatte fie ganz anders fennen gelernt. Wolfen-
chatten gleich waren die wilden Gäſte durch die Straßen
genogen, als lichten Hintergrund die brennenden Häuſer der
zorſtädte Hinter fich lafjend. Heute follten fie als Verbündete
gegen Die jchwediichen Gindringlinge einziehen. Da war es
fein Wunder, wenn unjere Ritter durch das Gedränge faum
einen Weg finden fonnten.
„Sie kommen! Sie fommen!“ Diejer Auf ertönte alle
Augenblide. Dann wurde das Gedränge noch größer.
„Ha!“ ſagte Sagloba, „bleiben wir ein wenig ſtehen. —
10*
148
Herr Michael! Vergangene Zeiten rüden uns näher. Wißt
ihr? Damals haben wir fie nicht von der Seite gejehen, jondern
diefen Halsabjchneidern Auge in Auge gegenüber geitanden. Sch
war jogar einmal ihr Gefangener. Man erzählt jich, daß der
zukünftige Chan mir ähnlich jei, wie ein Ei dem andern...
Doch wozu alte Unthaten aufwärmen!“
„Sie fommen! Sie fommen!“ hörte man wieder rufen.
„Sott hat die Herzen dieſer Bluthunde ums zugewendet,“
fuhr Sagloba fort. „Anjtatt die Fluren der Ufraine zu ver-
wüjten, wollen jie uns Suffurs bringen. Ein wahres Wunder!
Denn ihr müßt wiſſen! — Wenn mir für jeden diejer Heiden,
den dieje alte Hand in die Hölle gejchickt, nur eine Sünde er-
laſſen wird, mühte ich fanonifiert werden; ihr müßtet zu mir
faften, oder ich würde wie Elias im feurigen Wagen bei
(ebendigem Leibe in den Himmel befördert.“
„Wißt ihr noch, denkt ihr es noch, wie wir zu jener Zeit
von Raſchkow her an der Waladynfa lang nach Sbaraſch
zogen? .. ."
„ie jollten wir nicht! Ihr fielt in einen Hinterhalt, als
ich durch die und dünn die Hunde hetzte, bis ich die Landſtraße
erreichte. Wie wir euch dann juchten, waren wir nicht wenig
erftaunt, euch wohlauf zu finden, um euch herum aber lagen
bei jedem Strauche eine jolche Beitie.“
Herr Wolodyjowsfi fannte die Begebenheit von der um:
efehrten Seite. Das Erjtaunen über diejen Bericht Saglobas
ieß ihn zuerst veritummen und als er fich endlich jo weit
erholt hatte, um jprechen zu können, da ließen ihn die Rufe
nicht zu Worte fommen:
„Sie fommen! Sie fommen!“
Immer zahlreicher wurden die Rufe laut, dann trat plöß-
liche Stille ein, die Köpfe aller wandten jich nach der Seite, von
welcher eine lärmende Muſik das Herannahen der Erwarteten
verfündete. Bald auch wurden die eriten Weiter fichtbar.
„Ei, jeht doch!“ plauderte Sagloba weiter. „Sie haben
jogar eine Kapelle, das ijt bei den Tartaren etwas ganz Un—
gewöhnliches.“
„Sie wollen ſich auf das Beſte präſentieren,“ entgegnete
Johann Skrzetuski. „Einige Tſchambuls führen Muſikanten
mit ſich, welche ſpielen, wenn ſie längere Zeit an einem Orte
verweilen. Es muß aber eine auserleſene Geſellſchaft ſein —
das will ich meinen.“
Unterdeſſen waren die Reiter herangekommen. Voraus
149
ritt auf einem mächtigen Scheden ein Tartar, jo jchwarz, als
füme er direft aus dem Nauchfang; er hielt zwei Bicelpfeifen
im Munde, welchen er ſchrille, Ereiichende Töne entlocdte, wobei
er jo jchnell pfiff und auf den Pfeifen herumfingerte, daß
weder Arge noch Ohr zu folgen vermochten. Hinter ihm ritten
zwei Muftfanten, die in beiden Händen Stöcke hielten, deren
Spigen fupferne Schellen trugen, mit welchen fie durch fort:
währendes rajendes Schütteln ein gräßliches Geräuſch ver-
urjachten. Dazu tönten Bedenjchläge, Trommelwirbel, während
alles Ddiejes von einem fürchterlichen Gejange begleitet wurde,
der eher einem wilden Geheule glich. Die weißen Aühne bligten
in den jchwarzen Gefichtern und die Augen der Spielleute
rollten, daß viele der Frauen in den Straßen entjeßt auf:
jchrieen. Hinter diefer jchredlichen Kapelle trottete zu Vieren
in einer Weihe, eine ganze Abteilung von etwa vierhundert
Mann.
Es jchien in der That ein PBaradezug, den der Chan
dem Könige als Angeld auf jpätere Leitungen gejandt hatte.
Derjelbe jtand unter dem Kommando Afbah-Ulans aus der
Dobrudicha, der wegen jeiner Tapferkeit und Kriegskunſt, als
mächtigiter Tartarenfeldherr, von allen morgenländischen Völkern
hochgeichägt war. Er ritt jet zwijchen den Mujifanten und
der übrigen Abteilung. Seine Uniform bejtand in einem
rojenfarbenen, aber jehr verjchojjenen und für feine folofjale
Körperfülle viel zu engem Schnürenrod, dejjen Aufjchläge von
Marderpelz jchon viele fahle Stellen aufwiejen. Auf dem
Bauche befeitigt trug er ein Szepter, wie es gewöhnlich die
Kofakenhäuptlinge tragen. Sein Dickes rotes Gejicht war von
der Kälte blau angelaufen; er wiegte in dem etwas hohen Sattel
hin und her. Bon Zeit zu Zeit jchielte er nach beiden Seiten
hin, oder blickte rückwärts auf feine Tartaren, als traue er
ihnen nicht, daß fie beim Anbli der wogenden Menge, der
Weiber und Kinder und der offenen Gejchäfte mit den aus—
gelegten Kojtbarfeiten, imjtande jein würden, ihre wilden Be—
gierden zu zügeln. Doch fie verhielten ſich ruhig, wie Hunde,
welche die Seikel über jich jpüren, und nur die düjteren, lüjternen
Blicke verrieten, was in dem Innern diefer Barbaren vorging.
Aus dem Gewühl in den Straßen flogen neugierige, fait feind-
jelige Blicke hinüber zu ihnen, denn der Haß und das Mißtrauen
der Bewohner diejed Teiles der Republik gegen die Heiden waren
groß. Trogdem hörte man von Zeit zu Zeit den Willkommen—
ruf „Ahu! Ahu!“ aus dem Volke, da es auch jolche gab, die
150
fi) viel von der Hilfe diefer Horden verjprachen. Man konnte
Bemerkungen hören, die unter den Schauenden ausgetaujcht
wurden, welche darauf himviejen.
„Die Schweden haben eine fürchterliche Angjt vor den
Tartaren,“ jagten die einen. „Die Soldaten jollen ſich Wunder-
dinge von ihrer Grauſamkeit erzählen, was dazu beiträgt, Die
Angit der Schweden nur noch zu erhöhen.“
„Und mit Necht!“ entgegneten andere. „Wenn jchon
unfere leichte Neiterei oft faum imjtande ijt, den Tartaren
Widerſtand zu leijten, wie viel weniger die jchwere ſchwediſche.
Ehe jo ein Schwede fich’3 verfieht, Hat ihn der Tartar jchon
am Laſſo.“
„Es it jündhaft, dieſe Barbaren zu Hilfe zu rufen,“
ließen fich einzelne Stimmen vernehmen.
„ie man es nimmt,“ meinten andere.
„Es ift ein ganz anjtändiger Tſchambul,“ fjagte Herr
Sagloba.
Und wirklich! Die Leute waren gut gefleidet. Sie trugen
weiße, jchwarze und bunte Pelze mit der Wolle nach außen.
Schwarze Bogen und Köcher mit Pfeilen gefüllt jchaufelten
auf ihren Rüden, ein jeder von ihnen trug einen Säbel an
der Seite, was jelbjt in den größten Tſchambuls nicht immer
der Fall war, da die Mermeren jich einen jolchen Lurus nicht
erlauben fonnten und im Handgemenge an Stelle des Säbels
einen an einem Stocke befeitigten Pferdekiefer benußten. Aber
diefer hier war ja ein Parade-Tſchambul, darum hatten einzelne
jogar Selbjtzünder bei ſich und alle jagen auf guten Pferden,
die, wenn auch Elein, mager und langmähnig mit gejenkten
Köpfen daherjchritten, doch umvergleichlich jchnell liefen. In
der Mitte der Abteilung jchritten auc vier Kamele. Das
Bolt mutmahte, daß in dem Gepäd derjelben ich Gejchenfe
des Chans für den König befänden. Aber man ivrte; der Chan
nahm lieber Gejchenfe, als daß er welche austeiltee Er hatte
zwar Silfstruppen verjprochen, doch war er nicht gejonnen,
diefelben umſonſt herzugeben.
In diefem Sinne äußerte ſich auch Sagloba, als er jagte:
„Diefe Hilfe wird ung teuer zu jtehen fommen. Sind
die Tartaren auch Bundesgenofjen, jo werden fie doch das
Land arg verwülten. Wenn wir die Schweden und jie los
jein werden, wird in der ganzen Nepublif faum ein ganzes
Dach übrig geblieben jein.“
„Das iſt fiher! Sie find eine fürchterliche Bundes»
151
— ſeufzte Johann Skrzetuski, „das kennen wir
chon!“
„Ich habe unterwegs gehört,“ verſetzte Herr Michael, „daß
der König mit dem Chan einen Vertrag geſchloſſen hat, nach
welchem je fünfhundert Mann ſeiner Horden einer unſerer
Offiziere beigegeben werden ſoll, welcher das Kommando über—
nimmt und das Strafrecht erhält. Sonſt würden unſere ſo—
genannten Freunde zwiſchen Himmel und Erde nichts übrig laſſen.“
„Und dieſer Tſchambul hier? ... Was ſoll mit ihm
gejchehen ?“
„Derjelbe ijt dem Könige zur DPispofition geitellt, ſozu—
jagen ein Gejchent des Chang an den König, und wenn auch
diejer ihm nicht ganz umſonſt überlaflen bleibt, jo darf der
Monarch doch nach Belieben mit ihm jchalten und walten.
Ic glaube, er wird mit uns zu Herrn Ticharniezfi gejandt
werden.“
„Run, der wird die Banditen jchon im Zaume zu halten
verstehen . . .“
„Um das zu fönnen, müßte er jtet3 mit ihnen jein, denn
hinter jeinem Rüden würden fie dennoch jtehlen. Das glaube
ich nicht! Man wird den Tichambul auch dort gleich einem
Offizier unterjtellen.“
„Und ihr meint, daß der das Kommando befommt? Was
joll denn dann jener fette Aga thun?“
„Wenn der Offizier nicht auf den Kopf gefallen ijt, jo
wird diefer Aga ihm gehorchen.“
„Lebt wohl, meine Herren, lebt wohl! lebt mir wohl!“
rief Kmiziz plößlich.
„Wohin jo eilig?“
„Zum Monarchen, ihn um die Gnade zu bitten, daß er
diefem Tſchambul mich an die Spitze ftellt, daß er mir das
Kommando anvertraut.“
14. Rapitet,
Noch an demjelben Tage erhielt Akbah-Ulan Audienz bei
dem Könige. Er händigte dem Monarchen die Beglaubigungs-
jchreiben und den Brief des Chan aus. Der leptere enthielt
eine Wiederholung des Verjprechens, ihm Hunderttaujfend Mann
Hilfstruppen gegen die Schweden zu jtellen, jofern er auf der
Stelle vierzigtaufend Thaler ausgezahlt befomme und jobald
das erjte Gras auf den Feldern, Wiejen und Steppen groß
genug jein werde, eine jo große Menge Pferde zu ernähren.
Bezüglich des joeben angelangten Tſchambuls jchrieb der
Chan: „Diejen habe ich gejandt als Beweis meiner Liebe zu
dem „Liebiten Bruder“, damit die Kojafen, welche noch immer
widerjpenjtig find, mit eigenen Augen jehen, daß die Ver—
brüderung zwifchen uns wirklich bejteht. Jede Eleinite Aus—
jchreitung gegen den jchuldigen Gehorſam, die zu meiner
Kenntnis gelangt, bin ich gejonnen, auf das Grauſamſte an
den gejamten Koſakenſtämmen zu jtrafen.“
Der König empfing Akbah-Ulan jehr artig und jchenfte
ihm einen jchönen Dolch, indem er ihm erklärte, daß Afbah
unverzüglich mit jeinen Tartaren zu Herrn Tjeharniezfi in das
seldlager gejandt werden würde, da es jein, des Königs, Wunſch
jei, die Schweden zu überzeugen, daß der Chan ihm wirklid)
mit Hilfstruppen zur Seite jtehe. Die Mugen des Tartaren—
häuptlings erglänzten, als er hörte, daß er unter Herrn Tſchar—
niezfisS Oberbefehl gejtellt werden follte, denn er fannte ihn
aus der Zeit der Krimfriege und zollte ihm dieſelbe Hoch-
achtung, die alle die anderen Agad dem tapferen Polen ent—
gegentrugen.
153
Weniger gefiel dem Aga ein anderer Paſſus in dem Briefe
des Chan, worin der König gebeten wurde, den Tſchambul
unter das Kommando eines bewährten Offizier zu jtellen,
welcher das Land genau fannte und gleichzeitig imjtande war,
den Afbah-Ulan jamt jeinen Qartaren von Raub und Brand-
ihagungen zurüdzuhalten. Es hätte dem Aga viel mehr ge—
fallen, wenn er feinen Batron über ſich befommen hätte; da es
aber nun einmal Wunjch des Königs und ausdrüdlicher Befehl
de3 Chan war, jo verbarg er jorgfältig feinen Aerger darüber,
verneigte jich tief vor dem Könige und hoffte im Stillen, daß
nicht der Patron ſein Herr, ſondern er der Herr des Patrons
werden würde.
Kaum war der Tartar entlaſſen, kaum hatten ſich die
Senatoren entfernt, als Kmiziz, welcher während der ganzen
Audienz ſich im Gemach des Monarchen aufgehalten hatte, ſich
dieſem zu Füßen warf und flehte:
„Allergnädigſter Herr! Ich bin zwar der Gnade nicht
würdig, die ich für mich erbitten will, aber ſie iſt mir ſo teuer
als mein Leben. Beim Vater der Barmherzigkeit flehe ich um
das Kommando über dieſen Tſchambul und die Erlaubnis, ſo—
gleich mit demſelben ausrücken zu dürfen.“
„Wir wollen dir dieſe Bitte nicht verſagen,“ entgegnete
Johann Kaſimir etwas verwundert, „denn einen beſſeren Fuͤhrer
wüßten Wir nicht für denſelben zu finden! Um dieſe Banditen im
Zügel und Manneszucht zu halten, dazu bedarf es eines Mutes
und einer Energie, wie nur du ſie beſitzeſt. Nur das können
wir nicht zulaſſen, daß du ſogleich ausrückſt, denn deine Wunden
ſind noch nicht heil.“
„O, ich fühle mich geſund! Streicht mir erſt der Wind
draußen um das Geſicht, dann ſchwindet auch die Schwäche,
die Kraft kehrt wieder, und was die Tartaren betrifft — mit
denen werde ich jchon fertig, die werden in meinen Sünden
weich wie Wachs,“ antwortete Kmiziz.
„Warum aber haft du es denn jo eilig? Wohin willit
du?“ frug der König.
„gu den Schweden, Allergnädigiter Herr! .... Meine
Miſſion Hier ijt zu Ende, denn was ich jo jehnlich erjtrebt,
habe ich erreicht. Meine Sünden find von mir genommen ....
Ih will mit Wolodyjowsfi zu Tſcharniezki, doch möchte ich auch
auf eigene Fauſt nebenbei Strieg führen, d. h. den Feind heben
und beunruhigen, wie ich einjt den Chowansfi gehegt habe,
154
Ich vertraue auf Gott, daß er mein Vorhaben gelingen läßt,“
erklärte Kmiziz.
„Sprich! Dich zieht noch anderes ins Feld,“ befahl der
König.
Kmiziz ſenkte das Haupt.
„sch will Ew. Majejtät wie einem eigenen Vater meine
Seele offenbaren. Fürſt Boguslaw, nicht zufrieden damit, daß
er mich jchmählich verleumdet hat, entführte das Mädchen, das
ich liebe, von Ktiejdan nach Tauroggen, ja er thut Schlimmeres
als das, er jtellt ihrer Unschuld nach, er beabfichtigt, jie zu ent-
ehren, oder er hat es jchon gethan!... Allergnädigiter Herr! ...
Sch verliere den Verjtand bei dem bloßen Gedanfen, in weſſen
Händen die Unglückſelige jich befindet... Bei den Leiden
Ehrifti! Die Wundmale, die ich am Körper trage, jchmerzen
weniger als die Seelenpein, die ich leide... Er hat jie
glauben gemacht, daß ich ihm Ew. Majeſtät Leben verkaufen
wollte; er hat mich zum Königsmörder geſtempelt! ... Sch
ertrage das nicht länger, ic werde nicht ruhen, bis er in meinen
Händen iſt, bis ich fie von diefem Ungeheuer befreit habe....
Gebt mir, Allergnädigiter Herr, dieje Tartaren, und ich will
jchwören, daß ich nicht nur meine eigenen Intereſſen verfolgen,
jondern auch jo viel Schwedenföpfe Ew. Majejtät zu Füßen
legen will, daß dieſer Schloßhof mit ihren Schädeln gepflajtert
werden fünnte.“
„Beruhige dich!“ jagte der König.
„Wenn ich über meinen Privatjachen das wichtigite, Die
Berteidigung der Nepublif und der Majejtät je verjäumen
fönnte,“ fuhr Kmiziz fort, „würde ich nicht wagen, um Diejes
Glück zu bitten... Hier läßt fich beides vereinigen .
Wird ich Gelegenheit bieten, die Schweden zu jchlagen, jo will
ich an nicht® anderes denfen . . . . Finde ich aber den Ver—
räter, jo werde ich ihn verfolgen, jei es nad) Kurland, jei es
jogar bis über das Meer nach Schweden.“
„Wir empfingen heute Nachrichten, daß Boguslaw mit
Karolus im Begriff jtehen, Elbing zu verlafjen,“ erzählte
der König.
„So will ich ihnen entgegen ziehen!“ rief Kmiziz begeiftert.
„Mit dem Keinen Tſchambul? Du würdeſt gut zugedeckt
werden!“
„Showansfi hatte Achtzigtaujend bei ſich und vermochte mich
doch nicht zuzudecken.“
„Was Wir an treuen Männern Unjer nennen, das befindet
155
fih bei Tcharniezfi. Sie werden ante omnia gegen ihn
losziehen.“
„Um ſo nötiger braucht er Sukkurs, Allergnädigſter Herr;
ich will mich beeilen, zu ihm zu ſtoßen.“
„Wohl! zu Herrn Tſcharniezki ſollſt du ziehen. Doch ver—
biete Ich dir, mit ſo geringen Streitkräften den Verſuch zu
machen, nach Tauroggen vorzudringen. Der Fürſt hat alle
ſeine Schlöſſer in Smudz dem Feinde zur Verfügung geſtellt;
überall haben ſich dort ſchwediſche Kommandos eingeniſtet und
Tauroggen liegt, wenn Ich nicht irre, dicht an der preußiſchen
Grenze, unweit Tilſit,“ ſagte der König.
„Das iſt richtig,“ wagte Kmiziz einzuwerfen. „Ganz nahe
der Grenze, doch auf polniſchem Gebiet, vier Meilen von Tilſit.
Warum ſollte ich nicht dorthin gelangen können. Ich denke,
daß ich nicht nur nicht Leute verlieren werde, ſondern auf dem
Wege dahin eine Menge Zuzügler aufnehmen könnte. Auch
das bitte ich Ew. Majejtät in Betracht zu ziehen. Wo ich mic)
werde blicken laſſen, dort wird die ganze Gegend auffällig gegen
die Schweden werden. ch möchte der Erjte jein, der den Auf—
ruf zur Erhebung nach Smudz, mitten in das Nejt der Feinde
trägt; o, laßt mich gewähren, Allergnädigiter Herr! Ich bin
es gewöhnt, mich in Gefahren zu bewegen.“
„Du bedenkſt nicht, daß die Tartaren fich weigern fünnten,
dir jo weit zu folgen?“ j
„Sie jollten es nur wagen,“ jagte Kmiziz zähneknirſchend.
„Seien e3 ihrer auch Bierhundert, jo laſſe ich alle Vierhundert
aufhängen. Bäume giebt es genug! ... Sie jollen es nur
wagen, zu muckſen! ...“
„Androjch!“ jprach da der König gutgelaunt, während er mit
den Augen zwinferte, „wahrhaftig! einen befjeren Hirten konnte
Sch diejer Herde nicht geben. —* ſie nur und führe ſie,
wohin du Luſt haſt.“
„Sch danke, Allergnädigſter Herr, mein gütiger Vater!“
rief der Ritter, die Siniee de3 Monarchen —
„Wann willſt du ausrücken?“
„So Gott mir beiſteht, morgen!“
„Vielleicht wird das dem Aga noch zu früh ſein; möglicher—
weiſe will er die Pferde noch ſchonen.“
„Wenn es ihm leid um ſeinen Gaul ſein ſollte, dann
nehme ich ihn am Strick an den Sattelknopf, da kann er neben
mir hertraben.“
„Es ſcheint, du willſt ſehr ſtreng ins Zeug gehen. Verſuche
156
es mit Milde, jolange es angeht, laſſe Milde walten. . . . Und
nun... Android ... es iſt heute jchon jpät, Wir jehen
did; morgen noch vor deiner Abreije . . . Unterdefjen nimm
hier dieſen Ring. . . . Sage deiner Königstreuen, du habeſt ihn
von deinem Könige befommen; er ließe ihr befehlen, jeinen
treuen Diener jtandhaft und treu zu lieben... .“
„Das walte Gott!“ jagte Kmiziz, während jeine Augen ſich
vor Nührung mit Thränen füllten. „Helfe mir Gott, feines
anderen Todes zu jterben, al8 den Heldentod für König und
Vaterland!“
Der König zog fich in feine Gemächer zurüd. Kmiziz ging
in jein Quartier, um Neijevorbereitungen zu treffen und zu
überlegen, wohin zuerjt er jeine Schritte lenfen ſollte. Ihm
fiel der Nat Charlamps ein, Olenfa ruhig in Tauroggen unter
dem Schuge der Fürſtin zu belajjen, falls ſich herausitellen
jollte, daß Boguslaw fich nicht dort befand. Bei der großen
Nähe der Grenze konnte es nicht jchwer fallen, in der höchiten
Bedrängnis nach Tilfit zu entkommen. Uebrigens war anzu—
nehmen, daß die Schweden immerhin die Witwe Nadziwills
rejpeftieren würden, wenngleich jie auch ihren Bundesgenofjen
jchmählich verlaffen hatten. Reiſte aber die Fürjtin mit ihrem
Gefolge nad) Kurland, dann um jo bejjer. Nach Kurland aber
durfte Kmiziz feine Tartaren nicht führen, das war fchon
fremdes Gebiet.
Stunde um Stunde verrann unter diefen Vorbereitungen
und Ueberlegungen. Noch immer dachte Kmiziz nicht an ein
Ausruhen. Der Gedanke an den neuen Feldzug belebte ihn
jo jehr, daß er feine Müdigkeit jpürte, vielmehr die Elastizität
feines Körpers ich zu heben begann.
Endlich, gegen Morgen, waren die Knappen mit dem Ver-
jchnüren der Gepäckſtücke fertig; fie jchiekten jich joeben an, zur
Ruhe zu gehen, da fragte plöglich jemand an der Thüre herum.
„Wer ijt da?“ frug Kmiziz.
Da feine Antwort erfolgte, befahl er dem Pagen:
„Sieh nach, wer dort ijt!“
Der Page ging und nachdem man hinter der Thür einen
kurzen Wortwechjel vernommen, fehrte er zurüd:
„Es steht ein Soldat draußen,“ meldete er, „der Ew. Liebden
gleich zu jprechen wünjcht; er jagt, Sorofa jei jein Name.“
„Laß ihn eintreten, jchnell, jchnell!“ rief Kmiziz erregt.
Ehe noch der Page die Thür öffnen fonnte, hatte er Vefbit
fie jchon aufgerifjen und z0g den Draußenjtehenden herein.
157
„Sorofa! alter Sorofa! Herein!“
Der Soldat wollte, dem eriten Impulſe folgend, jeinem
zımın zu Füßen fallen und feine Kniee umklammern.
ar er ihm doch mehr Freund als Diener, ebenjo treu, wie
anhänglih. Doc das Subordinationsgefühl des Soldaten
überwog; jich jtramm in die Höhe richtend, ſprach er:
‚Sch melde mich gehorjamjt zum Dienjt!“
„Sei mir willfommen, lieber Waffenbruder!“ rief Kmiziz
mit vor ‚Freude bligenden Augen. „Ich dachte, fie hätten dich
bei Tichenitochau zu Mus gejtampft!“
Er preßte den Kopf des Alten in feinen Händen, fchüttelte
und tätjchelte ihn, was er jich wohl erlauben durfte, ohne jich
jelbjt zu nahe zu treten, da Sorofa von dem litauischen Klein—
adel abitammte.
Jetzt erſt wurde auch der alte Wachtmeifter zutraulich.
„Woher fommit du?“ frug Kmiziz.
„Aus Tichenjtochau, Ew. Liebden.“
„Und du haft mich gejucht ?“
Jawohl!“
„Wer hat euch dort denn geſagt, daß ich lebe?“
„Die Leute Kuklinowskis haben es erzählt. Der Herr
Probſt Kordezki hat einen Dankgottesdienſt für eure Errettung
abgehalten. Als ſpäter die Kunde zu uns drang, daß ein ge—
wiſſer Babinitſch den König im Engpaß vom Tode errettet hat,
da wußte ich gleich, daß niemand ſonſt als Ew. Liebden das
ſein konnte.“
„Wie geht es dem Herrn Probſt? Iſt er geſund ge—
blieben?“
„Er iſt geſund. Nur fürchten wir, daß eines Tages die
Engel vom Himmel herniederſteigen und ihn uns bei lebendigem
Leibe fortholen, denn er iſt ein wahrer Heiliger.“
„Das it er,“ jtimmte Kmiziz zu. „Wie haft du erfahren,
daß ich bei dem Könige in Lemberg bin?“
„sch dachte mir, dab, wenn Ew. Liebden den König über
die Berge geleitet haben, ihr auch hierher mitgegangen fein
werdet. Aber ich hatte jchon Furcht, zu jpät zu kommen.‘
„Morgen wäre e3 zu jpät gewejen. Wir rüden morgen
mit den Tartaren aus.“
„Das trifft ich gut, denn ich bringe Ew. Liebden zwei
Geldfagen; die eine, die ich tet tragen mußte, die andere, Die
ihr trugt. Sie jind beide noch gefüllt. Außerdem habe ich
jene glänzenden Steinchen mitgebracht, welche wir einmal den
158
Bojaren abgenommen, und auch diejenigen, welche wir der
Schagfammer Chowanskis entnommen haben,” jagte Sorofa.
„ech, das waren gute Zeiten,“ verjegte Kmiziz. „Doc
viel fann davon nicht mehr vorhanden fein, denn ich habe ein
paar Handvoll davon dem Brobjt Kordezfi für das Kloſter
dagelaſſen.“
„Sch weiß nicht, wie viel noch da iſt,“ entgegnete Soroka,
„aber der Herr Probſt jagte, man fünne gut noch zwei große
Güter dafür kaufen.“
Während er das jagte, näherte dev Wachtmeifter ſich dem
Tiſche und begann die Geldfagen abzujchnallen.
„Die Steinchen find in dieſer Blechflafche,” jegte er Hinzu,
indem er neben die beiden Lederjäde eine Blechbüchſe Itellte,
wie die Soldaten jie zur Aufbewahrung von Branntwein hatten.
Kmiziz ſprach nicht. Er fchüttete aus einem der Säde
eine Handvoll Goldgulden und reichte fie, ohne fie zu zählen,
dem Wachtmeijter hin.
„Da nimm!“
„sch lege mich Ew. Liebden zu Füßen!“ ſagte danfend
Sorofa. „Ach, wenn ich doch unterwegs nur einen einzigen
jolchen Dufaten gehabt hätte.“
„Was willft du damit jagen?” frug der Ritter.
„Ih bin vom Hungern ganz fchwac geworden. Man
wird im jeßiger Zeit jelten mit einem Biſſen Brot traftiert,
denn jeder fürchtet jelbit den Hunger. Da fonnte ich vor
Schwäche faum noch meine Beine erjchleppen.“
„ber Menfch! Du hattejt doch alles das bei dir,“ jagte
Kmiziz.
„Ohne Erlaubnis durfte ich nichts davon nehmen,“ ent—
gegnete Soroka barſch.
„Halt feſt!“ rief Herr Kmiziz, ihm noch eine Handvoll
reichend. Dann herrſchte er die Knappen an:
„Hurtig, ihr Schelme! Schafft Eſſen her! Seid ihr nicht
bald damit da? Ich reiße euch die Köpfe ab.“
Die Knappen rannten einander in der Eile fait um; in
wenigen Wugenbliden darauf ſtand vor Sorofa eine große
Schüſſel mit geräucherter Bratwurjt und eine Flaſche Branntwein.
Der Soldat verjchlang mit den Augen die begehrte Stärkung;
er wagte aber nicht, in Gegenwart des Hauptmanns ſich zu
jättigen.
„Setz' dich nieder! Iß!“ fommandierte Kmiziz.
Saum war das Kommando gejprochen, da knackte auch
159
schon die Wurjt zwijchen den Zähnen Sorofas. Verwundert
jchauten die Knappen ihm zu.
„Macht, daß ihr fortfommt,“ ſchnauzte Kmiziz fie an.
Die Jungen verjchwanden augenblidlich Hinter der Thür.
Kmiziz ging ſtillſchweigend in der Stube auf und nieder, denn
er wollte den treuen Diener nicht beim Eſſen ſtören. Dieſer
ſchielte jedesmal, wenn er einen Schluck aus der Flaſche nehmen
wollte, ſeitwärts nach dem Hauptmann, um zu ſehen, ob dieſer
auch nicht darüber zürne, zuletzt drehte er ſich der Wand zu und
leerte die Flaſche in einem Zuge.
Kmiziz wanderte unaufhörlich auf und nieder. Er ſchien
die Anweſenheit Sorokas ganz vergeſſen zu haben, denn er
begann im Selbſtgeſpräch zu reden:
„Es ie: nichts!“ munrmelte er. „Sch muß jenen Hin-
ſchicken . .. Ich werde ihr jagen laſſen . . . Das wird nichts
nüßen! ... Sie wird nicht glauben! ... Einen Brief wird
fie nicht leſen wollen, weil ſie mich für einen ſchlechten
hält... Er ſoll ihr nicht unter die Augen treten... nein,
nur ſehen ſoll er und mir berichten, was dort geichieht.“
Hier rief er plößlich:
„Sorofa!“
Der Soldat jprang jo Hajtig auf, dab er fait den Tiſch
umgeworfen hätte, und jtand jtramım.
„Su Befehl!“
„Du bijt eine treue Seele und zuverläjfig in der Not.
Du follit einen weiten Weg machen, doch nicht dabei hungern.“
„gu Befehl!“
„Du gehit nach Tauroggen an der preufiichen Grenze...
dort wohnt das Fräulein Billewitich... beim Fürſten Bogus-
law... Du wirjt ausfundjchaften, ob er jelbjt dort ijt und
alles genau jehen und behalten, was dort vorgeht... Dem
Fräulein wirjt du nicht unter die Augen treten, es jei denn,
daß der Zufall es fügt. Dann kannſt du ihr auf Eid ver:
fichern, daß ich es war, der den König durch das Gebirge
brachte, und daß ich bei der Perſon des Königs bin. Sie
wird dir zwar nicht glauben wollen, denn der Fürſt hat ihr
gejagt, daß ich dem Leben des Königs nachitelle, was eine
hundsföttiſche Lüge ijt.“
„gu Befehl!“
„Du trittit ihr nicht unter die Augen, denn fie wird bir
doch nicht glauben . . . Aber jollte der Zufall es fügen, da
fie dich fieht, dann jage ihr alles, was du weißt. Und habe
160
ein wachjames Auge und Ohr! Umd jet vorfichtig bezüglich
deiner, denn wenn der Fürſt dort iſt und er oder einer feiner
Hofichranzen dich erfennt, dann kannſt du ficher fein, daß fie
dich pfählen! ...“
„Zu Befehl!“
Ich hätte den alten Kiemlitſch geſchickt, doch der iſt in
jener Welt; er iſt im Engpaß tot geblieben und ſeine Söhne
ſind zu dumm zu ſolch einer Miſſion, die ſollen bei mir
bleiben. Warſt du ſchon einmal in Tauroggen?“
„Nein, Ew. Liebden!“
„Du gehſt alſo nach Schtſchutſchin, von dort immer die
Grenze entlang bis nad, Tilſit hinauf . .. Tauroggen wird
etwa vier Meilen davon, gradeüber liegen ... auf unſerer
Seite... Bleibe dort in Tauroggen, bis du alles qut aus-
gefundichaftet halt, dann fehre zu mir zurück ... Du wirft
mich finden, wo ich bin . . Frage nur nach den Tartaren
und nach dem Herrn Babinitſch . . Und nun mache, daß
du jchlafen kommſt; gehe zu den Kiemlitſch! ... Morgen
reiten wir!“
Nach diejen Worten entfernte jich Sorofa. Kmiziz konnte
noch lange nicht einjchlafen; endlich übermannte ihn die Müdig—
feit, er jchlief feit, wie ein Stein.
Am Morgen erwachte er erfriicht und gejtärkt; er fühlte
ſich fräftiger alg am Tage zuvor. Bei Hofe war jchon alles auf
den Beinen, die täglichen Beichäftigungen in vollem Gange.
Kmiziz lentie ſeine Schritte der Kanzlei zu, um ſich ſeine Er—
nennung zum Kommandanten des ———— ausfertigen und
den Geleitſchein aushändigen zu laſſen. Dann gin zu
Subaghaſi-Bei, dem Führer der Geſandſchaft des Chan in
Lemberg, mit welchem er eine lange Unterredung hatte.
Sm Berlaufe diefer Unterredung waren die Hände des
Herrn Andreas zweimal in die Tiefen jeiner Rocktaſche ver—
Ihwunden und gefüllt wieder daraus aufgetaucht. Dafür
tauchte der Gejandte beim Abjchied mit ihm den Helm und
händigte ihm ein Szepter mit grünem Federbuſch an der Spite
und etliche Ellen gleichfarbige jeidene Schnur ein.
Sp ausgejtattet lieg Kmiziz ſich beim Könige melden,
welcher jveben von der heiligen Meſſe aus der Slathedrale
zurücgefehrt war. Noch einmal dankte er jeinem Wohlthäter
jußfällig für die empfangenen Gnaden, jodann begab er fich
mit den beiden Kiemlitſch und jeinen Sinappen direkt zu Akbah-
Ulan, welcher mit jeinem Tſchambul außerhalb der Stadt lag.
161
Der alte Tartar legte bei jeinem Anblid die Hand an
Stirn, Lippen und Brujt, zum Zeichen der Ergebenheit. Als
er aber erfuhr, wer Kmiziz war und zu welchem Zweck er hier
erjchienen war, verdüjterte jich fein Angejicht und nahm den
Ausdruck hochmütigen Stolzes an.
„Da der König dich mir als Führer jendet,“ jagte er in
gebrochenem Reußiſch, „jo wirjt du mir die Wege weiſen, auf
denen wir dorthin gelangen, wohin wir gehen jollen, obgleich
ih auch ohne dich meinen Weg finden würde. Du jcheinjt mir
noch jung und unerjahren.“
„Er jchreibt mir die Stellung vor, die er mir zu geben
gedenkt,“ dachte Amiziz, „ich will politifch mit ihm verfahren,
jo lange es angeht.“
Dann jagte er laut:
„Höre Akbah-Ulan! Derftönig hat mich alsftommandierenden
und nicht als Wegweijer hierher gejandt . . . Ich jage dir, du
thätejt gut, dich dem Willen des Königs zu fügen.“
„Ueber die Tartaren hat der Chan, nicht der König das
Oberfommando!“ antwortete Afbah-Ulan.
„Albah— Ulan! merke dir!“ wiederholte Kmiziz mit Nach—
druck. „Der Chan hat dich dem Könige geſchenkt, ſo wie man
etwa einen Hund oder einen Falken verſchenkt, darum wider—
ſetze dich ihm nicht, ſonſt könnte geſchehen, daß man dich wie
einen Hund an den Strick nimmt.“
„Allah!“ ſchrie der Tartar empört auf.
„Mäßige dich und reize mich nicht!“ warnte Herr Andreas.
Die Augen Akbah-Ulans unterliefen mit Blut, die Adern
in jeinem Naden jchwollen an, daß fie wie dicke Stride hervor-
traten, jeine Hand fuhr nach dem Krummjäbel. Er fonnte
lange feinen Laut hervorbringen, endlich preßte er zwijchen den
Zähnen hervor:
„Ich morde dich!. Ich morde dich!“
Herr Andreas war als Hitzkopf befannt. Er hatte lange
genug politijiert; jeine Geduld war am Ende. Wie von einem
giftigen Inſekt geitochen fuhr er empor, faßte mit der Hand
den Kinnbart des Tartaren, riß ihm das Kinn in die Höhe, jo
dat das Geficht desjelben nach der Stubendede gerichtet war,
und rief zähnefnirjchend:
„Jetzt höre, du Hundejohn! Du möchteit niemanden über
dir willen, damit du brandichagen, rauben, morden fannit!...
Zum Wegweijer möchtejt du mich degradieren! Da, hier hajt
du den Wegweijer! hier haft du ihn!“
Sientiewicz, Sturmflut II. 11
162
Während er das jagte, jchlug Kmiziz den Kopf Akbah—
Ulans ein über das andere Mal an die Wand.
Endlich ließ er ihn Io. Der Aga war ganz; betäubt; er
griff nicht mehr nach der Waffe. Kmiziz Hatte, jeinem Impulſe
folgend, das rechte Mittel gefunden, den Morgenländer von
jeinem Abhängigfeitsverhältnis zu überzeugen. Sp konnte Afbah-
Ulan troß feiner Wut und feinem zerjchlagenen Kopfe doch
dem Gedanken nicht wehren, wie mächtig und jiegesgewohnt
diefer junge Ritter jein müfje, da er es wagte, mit ihm, dem
Akbah-Ulan, auf dieſe Weije umzufpringen. Seine bluttriefenden
Lippen abwijchend, wiederholte er dreimal das Wort:
„Bagadyr! Bagadyr! Bagadyr!“
Inzwiſchen hatte Kmiziz jich den Helm Subaghafis auf-
geitülpt und das grüne Szepter, das Abzeichen der tartarischen
Oberfeldherren, welches er bisher im Gürtel jeines Wamjes ver-
borgen gehalten hatte, hervorgezogen.
„Sieh' hier, Kanaille! und hier!“
„Allah!“ jchrie Ulan entjeßt.
„Und bier!“ feste Kmiziz hinzu, während er die grüne
Schnur aus der Tajche 309.
Aber Atbah-Ulan lag jchon zu den Füßen feines Herrn
und Meijters und berührte demütig den Boden mit feiner Stirn.
Eine Stunde jpäter bewegte ſich der Tichambul in langem
Zuge auf der Landſtraße, welche von Lemberg nach Groß-Otſchy
zu führt. Kmiziz jaß auf einem herrlichen Streitroß, welches
der König ihm beim Abjchted gejchenft, und umkreiſte den Zug,
wie ein Schäferhund feine Herde. Akbah-Ulan verwandte feinen
Blid von dem jungen Ritter; in jeinem Angejicht malte jich
ein Gemisch von Schreden und Bewunderung.
Die Tartaren, meijt große Kenner Friegstüchtiger Männer,
hatten auf den erjten Blick das Webergewicht des Helden er-
fannt; fie wuhten im voraus, daß ihnen unter jeiner Leitung
reiche Beute jicher jei, daher zogen fie fröhlich mit ihm, fingend
und pfeifend. Kmiziz aber fchwoll das Herz beim Anblid diejer
Geitalten vor Freude. Glichen jie doch den Tieren des Waldes,
da jie mit Belzen und Elefantenhäuten befleidet waren, deren
haarige Seite nach außen gefehrt war. Ein Meer zottiger
Köpfe wogte, den Bewegungen der Roſſe nad), vor ihm her.
Er zählte jie und überlegte dabei, was alles jich mit Diejen
Wilden unternehmen und erreichen lafjen würde.
„Ein jeltjames Kriegsheer,“ dachte er. „Mir tft als jtünde
163
ich an der Spitze einer Herde raubgieriger Wölfe. Aber gerade
jie brauche ich. Warte Boguslaw, warte!“
Er war jtet3 jehr jelbitbewußt. So famen ihm auch jetzt
Gedanken, die diejer Charaftereigenjchaft entjprangen.
„Sott hat mich mit Bejonnenheit und Entjchlofjenheit aus—
geitattet,” jagte er für fi — „auch mit Glüd! Gejtern noch
war ich nur Befehlshaber meiner beiden Kiemlitſch — heut bin
ich Kommandant über vierhundert berittene Leute... Wenn
erjt der Tanz beginnt, hoffe ich bald ein Tauſend oder zwei
ſolcher Vagabunden unter mir zu haben, die den früheren Ge—
nojjen gleich fommen . . . Warte nur, Boguslaw! Warte!“
Gleich darauf juchte er jein böjes Gewifjen zu beruhigen:
„Dabei joll das Baterland und die Majeität nicht zu furz
fommen; ich will ihnen redlich dienen.“
Seine gute Laune nahm zu, je länger er unterwegs war.
Es machte ihm Vergnügen, zu jehen, wie die Juden, die Bauern,
jelbjt Adlige und jogar größere Abteilungen der Mannjchaften
vom allgemeinen Aufgebot ſich beim Anblid feiner Soldatesfa
entjegten. Es war neblig, die Luft von feuchten Dünjten er=
füllt; da gejchah es, daß Entgegenfommende erjt ganz in der
Nähe erkannten, wen fie vor jich hatten. Schredensrufe wurden
alsdann laut:
„Das Wort it Fleiſch geworden!“
„Sejus, Maria, Joſef!“
„Die Tartaren! Eine Horde!“
Aber die Tartaren zogen friedlicd) an den Britjchfas, den
Frachtwagen, Pierdefoppeln und Vorüberziehenden vorbei. Ihr
Kommandant erteilte die Erlaubnis zum Nauben nicht; er hatte
e3 verboten und ihm Hatten jie zu gehorchen, denn jie hatten
mit eigenen Augen gejehen, wie Afbah-Ulan ihm beim Aufjteigen
auf das Pferd den Steigbügel gehalten hatte.
Lemberg lag jchon weit hinter ihnen im Nebel. Die Tar-
taren hatten aufgehört zu fingen. Site zogen jchweigend ihres
Weges, ganz eingehüllt in die Wolfen, die den dampfenden
Pferden entitiegen. Plötzlich ertünte lautes Pferdegetrappel
hinter ihnen.
Gleich darauf erjchienen zwei Reiter, welche jchnurjtrads
an dem Zuge vorüber auf Kmiziz zu ritten. Es war Herr
Wolodyjowsfi und der Bächter von Wonſotſch.
„Halt! Halt!“ rief der kleine Ritter.
Kmiziz hielt jein Pferd an.
„Ihr jeid es?“ frug er eritaunt.
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Wolodyjowsfi riß jein Pferd, daß es auf dem led
jtille ſtand.
„Meine Reverenz!“ jagte er. „Hier find Briefe vom
Könige. Einer an euch, einer an den Wojewoden von Witebsk.“
„Sch bin doch auf dem Wege zu Herrn Tſcharniezki und
nicht zu dem Herrn Sapieha.“
„Leit nur erit den Brief!“
Kmiziz erbrach das Siegel und las wie folgt:
„Wir erfahren joeben durch einen Eilboten vom Herrn
Wojervoden von Witebsk, daß der Herr Wojewode feinen Zug
nach Kleinpolen nicht fortiegen kann und nach Podlachien zus
rücfehren muß, weil Fürſt Boguslaw mit einer ungeheuren
Heeresmacht nicht beim Könige von Schweden geblieben it,
jondern gen Tykozin zieht, um den Herrn Sapieha zu über-
fallen. Da nun Herr Sapieha viele feiner Truppen auf
Stationen hat verteilen müſſen, jo befehlen Wir Dir, mit
Deinen Tartaren dem Herrn Wojewoden zu Hilfe zu eilen, und
da mit diefer Aenderung des Neijeplanes auch Deinem Wunjche
Genüge geichehen muß, jo brauchen Wir Dir Eile wohl nicht
erit anzuempfehlen. Der zweite Brief iit an den Herrn Woje-
woden gerichtet. Wir empfehlen in demjelben Unjeren treuen
Diener, den Herrn Babinitjch, dem Wohlwollen des Herrn
Wojewoden auf das Wärmſte und ftellen Euch beide unter den
Schu Gottes. Johann Kaſimir, König.“
„Beim allmächtigen Gott! Das iſt eine Nachricht für
mich!“ rief Amiziz aus. „Wie joll ich das meinem Herrn und
Könige danken!“
„Das dachte ich mir!“ entgegnete der Fleine Ritter.
„Darum babe ich mich erboten, euch jelbit die Nachricht zu
bringen, aus purer Liebe zu euch und aus Barmherzigkeit, denn
ich habe ja eure Verzweiflung mit angejehen und ich wollte die
Briefe ficher in euren Händen wiſſen.“
„Bann Fam der Bote des Wojewoden an?“
„Wir waren beim Könige zu Tiſche geladen; die beiden
Herren Sfrzetusfi, Herr Sagloba, Charlamp und ich. hr
fünnt euch nicht voritellen, was Sagloba dort aufgejchnitten hat;
wie er von der Unbeholfenheit Sapiehas jprach und jeine
eigenen Berdienjte hervorhob. Dem Könige rannte vor Lachen
das Wajler über die Wangen und die beiden Hetmane hielten
ji) unaufhörlich die Seiten. Da trat der Kammerdiener mit
einem Briefe in der Hand ein. Der König fuhr ihn an: Laßt
Mir doc) eine Stunde Ruhe, jcheer dich zum Henker jest mit
165
dem Briefe bis auf jpäter; vielleicht enthält er jchlimme Nach—
richten‘. Erjt als der Stammerdiener meldete, der Brief jei von
Herrn Sapieha durch einen Eilboten gejandt, las er ihn. Es
waren wirklich jchlechte Nachrichten, denn der Brief bejtätigte
das, was man jchon lange befürchtet hatte. Der Kurfürjt hat
jich, allen feinen Berjprechungen zum Trotz, mit den Schweden
verbunden.“
„Alſo ein neuer Feind!“ rief Kmiziz. „Als ob wir ihrer
nicht ohnehin genug hätten.“
Er faltete die Hände.
„Großer Gott!” jeufzte er. „Herr Sapieha joll mich nur
auf acht Tage nad) Kurpreußen ſchicken. Man jollte dort bis
ing zehnte Glied meiner und meiner Tartaren gedenfen!“
„Es ijt nicht unmöglich, dab es gejchteht,“ antwortete Herr
Wolodyjowsfi. „Doc zuvor müßt ihr Boguslaw aus dem
Wege räumen, der, durch furfürjtliche Truppen ſtark unterſtützt,
den Zug nad) Podlachien angetreten hat.“
„sch werde ihn treffen, jo wahr Gott im Himmel ijt!“
ſchwor Kmiziz mit leuchtenden Augen. „Hättet ihr mir Die
Ernennung zum Wojewoden von Wilna gebracht, eine größere
Freude wäre mir nicht dadurd, widerfahren, als durch den er-
haltenen Befehl!“
„Das jagte der König auch. Seine Majejtät meinte gleich:
‚Das iſt etwas für Android), dem wird dad Herz im Xeibe
hüpfen vor Vergnügen" Der Kammerdiener jollte jofort mit
der Botjchaft an euch fortreiten, doch ich erbot mich ſogleich
ih indem ich betonte, daß ich noch Abjchied von euch nehmen
müſſe.“
Kmiziz beugte ſich vom Pferde herab und küßte den
kleinen Ritter.
„Kein Bruder hätte das für mich gethan, was ihr mir
ihon Gutes erwiejen,“ jagte er gerührt. „Ich hoffe zu Gott,
daß ich euch einmal alles danken kann!“
„Bah!“ entgegnete Wolodyjowsti. „Ich wollte euch ja
einst erjchiegen laſſen!“
„Seil ich damals nichts Befleres wert war. Mir wäre
nur recht gejchehen! Gott ſoll mich gleich in der erjten
Schlaht umkommen laſſen, wenn ich unter allen Rittern einen
mehr liebe als euch!“
Sie herzten fich wieder. Beim Abjchiednehmen jagte
Wolodyjowski noch:
166
„Hütet euch vor Boguslaw! Hütet euch! Mit ihm ijt
nicht gut Kirjchen efjen !“
„Einer von uns beiden muß jterben!“
„But!“ ſprach Wolodyjowski.
„Ach, daß ihr mir doch etwas von eurer Fechtkunſt lehren
könntet!“ ſeufzte Kmiziz. „Ihr ſeid ein genialer Fechtmeiſter!
Doch dazu fehlt uns die Zeit! ... Aber die Engel im Himmel
werden mir beijtehen. Sein Blut muß ich jehen; e8 jet denn,
daß Gott vorher jchon meine Augen auf ewig jchließt.“
„Gott jtehe euch bei! ... Glückliche Fahrt! ... Und übt
gute Rache an den Feinden!“
„Das foll gejchehen!“ rief Kmiziz. „Lebt wohl!“
Herr Wolodyjowski winkte Rzendzian herbei, welcher jich
unterdejjen mit Afbah-Ulan über die Heldenthaten Kmiziz' und
jeinen Sieg über Chowansfi unterhalten hatte. Sie traten den
Nücweg nach Lemberg an, während Kmiziz auf dem Flecke feine
Tartaren jehwenfen ließ und mit ihnen dem Norden zuzog.
15. Kapitel.
Obgleich die Tartaren, beſonders die aus der Dobrudicha,
auch in der offenen Feldſchlacht tapfer ihren Mann jtanden, jo
führten fie doch viel lieber Krieg gegen Wehrloje, d. 5. gegen
alte Männer, gegen unfchuldige rauen, welche jie bejonders
gern in Gefangenschaft mit ſich nahmen, gegen Bauern, die fie
ihrer Habe beraubten. Darum war dem Tſchambul, welchen
Kmiziz führte, der Ritt durch das Land fein Eurzweiliger, weil
die umerbittliche Strenge ihres Kommandanten jie von jeder
Ausjchreitung zurüdhielt. Die Wölfe mußten ich in Lämmer
verwandeln, ihre Beile in den Scheiden Halten, die Sehnen
der Bogen loje jpannen und die Laſſos in den Tajchen auf-
bewahren. Anfangs murrten jie heftig.
In der Nähe von Tarnogrod blieben abjichtlic) einige von
ihnen zurüd, um den roten Hahn auf ein Dach zu jegen und
ein paar junge Dirnen einzufangen. Kmiziz war beim erjten
Aufleuchten der Flamme auf dem Wege nach Tomajchow zu
umgefehrt und hatte fie, immer einer den anderen, ſich aufzu—
hängen befohlen. Akbah-Ulan jah der Erefution nicht nur
ruhig zu, jondern feuerte die Mifjethäter an, das Aufhängen
zu bejchleunigen, da jonjt der „Bagadyr“ zornig werden möchte.
Seitdem gingen die übrigen wie die Yämmer im Zuge und
drängten jich in den Ortjchaften in dichte Haufen zujammen,
damit nicht etwa einen von ihnen der Verdacht einer Schuld
treffen fonnte. Trotz der großen Strenge, mit welcher die
Erefution ausgeführt worden war, erwecte jie nicht einmal
Haß bei ihnen gegen den Hauptmann. Kmiziz war immer fo
glücklich, von feinen Untergebenen geliebt zu werden.
168
Er ließ ihnen aber auch feine Not anfommen und fein
Unrecht widerfahren. Das Yand war zwar durch die Naubzüge
Ehmielnizfis und Scheremets arg venwüjtet, jo daß Die Be—
Ihaffung von Lebensmitteln ein jchweres Stüd Arbeit war.
Trotzdem jorgte er, daß die Yeute zur rechten Zeit ihre Nahrung
erhielten umd nicht Hunger zu leiden brauchten. Wo die Ein—
wohner widerjpenitig die ihmen zu Gebote jtehenden Lebens—
mittel vorenthalten wollten, da half er ihren Starrjinn mit
etlichen Stocdjchlägen überwinden.
Das nahm die Tartaren jehr für ihren Hauptmann ein.
Für ihre Ohren war das Gejchrei der Gejchlagenen Muſik.
Sie lobten ihn und jagten dann jtets: „Eh! unjer Stmita,
unjer Falke, läßt jeine Lämmer nicht Not leiden.“ So fam
es, daß die Leute nicht abmagerten, jondern eher an Körper—
fülle zunahmen. Der alte Ulan, dejjen Bäuchlein immer runder
wurde, betrachtete den jungen Ritter mit immer größerer Be—
wunderung.
„Wenn Allah mir einen Sohn gejchenft hätte, dann hätte
ih ihn mir gewünjcht wie Ddiejen; ich würde einjt im Alter
nicht Hungers zu jterben brauchen,“ jprach er oft für ich.
Kmiziz Elopfte ihm von Zeit zu Zeit den Schmerbauc)
und jagte jcherzend:
„Höre einmal, Eberchen! Wenn die Schweden dir nicht
etwa deinen Bauch aufichligen, dann jammeljt du mit der Zeit
alle Borratsfammern der Welt hier drinnen!“
„Die Schweden? Wo jollen die herfommen? Die Lajjos
faulen in unjeren Taſchen,“ jeufzte Ulan.
Seine Seele lechzte nach einer Schlacht. Zuerſt war der
Tſchambul durch eine Gegend gezogen, die von der jchwedijchen
Invaſion noc) unberührt geblieben war, weiterhin durch Yändereien,
wo die Schweden einzelne größere Trupps in Schlöfjern jtationiert
hatten, die aber bereits jämtlich von den Konföderierten ver-
trieben worden waren. Dafür begegneten fie häufig Eleineren
und größeren Abteilungen Adliger und Bauern, die nad) allen
Richtungen Hin das Land durchjchwärmten. Zuweilen gejchah
es, daß Ddiejelben jie aufhielten und eine drohende Haltung
gegen jie annahmen. Es bedurfte dann oft großer Mühe, Die
Angreifer zu überzeugen, dab fie es nicht mit Feinden, jondern
mit Verbündeten zu thun hatten.
Endlich langten fie in Samoſchtſch an. Wie jtaunten die
Tartaren über die Stärfe der Mauern diejer Feitung, und ihre
169
Bewunderung wuchs noch, als jie vernahmen, dab an diejen
Mauern die Macht EChmielnizfis gebrochen worden war.
Als ein Zeichen großer Gnade und Vertrauens, geitattete
ihnen Herr Samojsfi, der Kommandant der Feſtung, in diejelbe
einzutreten und die Stadt in Augenjchein zu nehmen. Man
öffnete ihnen das jogenannte Ziegelthor, weil es das jtattlichite
war, die anderen beiden Thore waren aus Steinen aufgeführt.
Kmiziz ſelbſt fonnte fein Staunen über die Schönheit der
breiten geradlinigen Straßen, der jchönen Häuſer, des Schlofies,
der Akademie und die Stärfe der mächtigen Feitungswerfe
nicht bemeiltern. So wenig, wie irgend ein anderer Magnat
mit dem Enfel des großen Stanzlers einen Vergleich aus—
zubalten vermochte, jo wenig fonnte das jede andere befejtigte
Stadt mit Samojchtjch.
Wahrhaftes Entzücden aber ergriff die Tartaren beim An—
blick desjenigen Teiles der Stadt, welcher den Armeniern ein—
geräumt war. Ihre Nüftern ſogen mit Behagen den Duft,
welchen die großen Lager Safftan ausjtrömten, welchen Die
Kunsthändler aus Saffa direkt bezogen, während die fojtbaren
Kleinigkeiten, N eu Teppiche, Gürtel, mit Edeljteinen
bejegte Säbel, Dolce, Bogen und Köcher, türfijche Lampen und
jonjtige jchönen Dinge, ihnen herrliche Augenweide boten.
Herr Samoöjski jelbjt gefiel Herrn Andreas ausnehmend
gut. Er war ein kleiner König in jeinem Samojchtich; ein
Mann in der Blüte der Jahre, obwohl etwas fränflich, da er
in früheſter Jugend feinen Leidenjchaften nicht genügend Zügel
angelegt hatte. Er liebte noch heute das zarte Gejchlecht, und
jeine Gejundheit war nicht jo jehr zerrüttet, daß der ihm an—
geborene Frohſinn darunter hätte leiden jollen. Er war noc)
unvermählt, denn — obgleich er überall in den höchiten Adels-
freifen mit offenen Armen empfangen worden wäre, — war er
doch der Anficht, daß fein Fräulein jchön genug für ihm jei.
Etwas jpäter dann fand er eine Frau nach jeinem Gejchmad
in der Perſon einer jungen Franzöfin, die, obgleich bis über
die Ohren in einen anderen verliebt, dennoch ohne Zaudern die
Hand Samojskis jeines Reichtums wegen annahm, nicht ahnend,
daß jener andere Verjchmähte dereinjt jein und damit auc)
ihr Haupt mit einer Krone zu jchmüden vom Schickſal be—
jtimmt war.
Der Herr von Samoſchtſch zeichnete jich nicht durch großen
Wit aus; er beſaß davon gerade jo viel, als er für fic brauchte.
Gr bemühte jich nicht um Memter und Würden, die ihm un—
170
verlangt zuflofjen, und wenn jeine Freunde ihn wegen jeines
Mangels an Ehrgeiz tadelten, dann widerlegte er jie, indem
er jagte:
das it nicht wahr! Mir fehlt der Ehrgeiz nicht; ich
befige mehr davon als diejenigen, welche aus Sucht nad) Er-
höhungen zu Schmeichlern werden. Wozu joll ich mich in den
Winfeln der großen adligen Hofhaltungen herumquetjchen? Hier
in Samojchtich bin ich nicht nur Sch, der Johann Samojsfi,
jondern vor allem der Selbitherr Samojgfi.“
Darum mannte man ihn allgemein den Selbitherrn,
worüber er jehr vergnügt war. Gern fehrte er den jchlichten
Mann heraus; wenngleich er eine ausgezeichnete Erziehung ge=
nofjen hatte und in jeiner Jugend viel gereiit war. Er nannte
jich jelbjt nur einen jchlichten Edelmann und betonte bei jeder
Gelegenheit die Mittelmäßigfeit jeines Standes; vielleicht wollte
er dadurch den Widerjpruch der anderen herausfordern, vielleicht
auch unter dieſer Bejcheidenheit jeine mittelmäßigen Geiltesgaben
verbergen. Im übrigen war er ein jehr geachteter Mann und
ein — Sohn der Republik, als viele andere.
Er war Kmiziz ſehr lieb geworden und auch Kmiziz gefiel
dem Herrn ſehr wohl. Deshalb lud er den Ritter in die Ge—
mächer ſeines Schloſſes, denn auch das liebte er, daß man ſeine
Gaſtfreundſchaft lobte.
Herr Andreas lernte im Schloſſe viele angeſehene Perſonen
kennen, beſonders die Fürſtin Griſeldis Wisniowiezka, welche
die Schweſter Herrn Samojskis und die Witwe des großen
Jeremias Wisniowiezki war, der jeinerzeit der größte Magnat
der Nepublif gewejen, aber jein ganzes ungeheure Vermögen
während der Invaſion der Koſaken verloren hatte, jo daß nun—
mehr die Fürjtin bei ihrem Bruder Johann das Gnadenbrot
aß. Sie war eine impofante, majejtätijche Erjcheinung, aus—
ejtattet mit den jchönjten weiblichen Tugenden, und ihr Bruder
— war der eifrigſte ihrer Verehrer, denn er fürchtete ihr
geiſtiges Uebergewicht wie das Feuer. Er that ihr allen Willen
und holte in jeder Angelegenheit von Wichtigkeit ihren Rat ein.
Man ſagte, die Fürſtin wäre eigentlich der Herr von Samoſchtſch,
die Gebieterin über alle Schätze, Wälle und Kanonen der Stadt,
ja ihres Eigentümers ſelbſt. Doch machte ſie nie Gebrauch von
ihrer Macht; ſie lebte ſtill dem Andenken ihres Mannes und
der Erziehung ihres Sohnes.
Dieſer Sohn war vor kurzem vom Wiener Hofe auf kurze
Zeit in die Heimat zurückgekehrt und weilte gegenwärtig bei
171
der Mutter. Er war noc) jehr jung, aber Kmiziz juchte ver-
gebens bei ihm nach Eigenjchaften, welche den Sohn eines jo
großen Mannes hätten auszeichnen jollen.
Die Gejtalt des jungen Fürjten war jchön, das Geficht
ungewöhnlich groß, aber die Züge desjelben verſchwommen, die
Augen hervortretend, der Blick jchen. Sein Mund war groß,
die Lippen ſtark entwidelt und immer feucht, wie bei Menjchen,
die die Freuden der Tafel lieben. Dichtes, rabenjchwarzes Haar
fiel ihm bis auf die Schultern herab. Diejes Haar und die hell-
bräunliche Hautfarbe waren fein Erbteil vom Water. .
Diejenigen, welche ihn näher fannten, verficherten Herrn
Kmiziz, daß dem jungen Fürſten eine edle Seele innewohne,
daß er ein jehr entwiceltes Begriffsvermögen, ein außerordent-
liches Gedächtnis bejite, vermöge deſſen er fait alle fremden
Sprachen jprechen gelernt, und daß nur jeine große körperliche
und geijtige Trägheit, jowie jeine große, an Gefräßigfeit
grenzende Eßluſt, diefem jonjt ungewöhnlichen Prinzen als
Fehler angerechnet werden fönnten.
Während einer längeren Unterhaltung mit dem Prinzen
überzeugte ſich Kmiziz auch, daß derjelbe viel Verſtand, ein
treffendes Urteil und außerdem die Gabe bejah, die Menjchen
für fich einzunehmen. Er gewann ihn bald Lieb, d. h. er
fühlte ein gewiſſes Mitleid mit ihm, ein Verlangen, diejer vater-
loſen Waije zu dem glänzenden Loſe zu verhelfen, auf welches
er durch jeine hohe Geburt ein Necht hatte.
Doch ſchon bei dem nächjten Mittagejien fonnte Kmiziz
jich überzeugen, wie Recht diejenigen hatten, die des Prinzen
Gefräßigfeit tadelten! Der Prinz jchien für nichts anderes
Sinn zu haben, als für das Eſſen. Seine hervorjtehenden
Augen folgten unaufhörlich den verjchiedenen Schüjjeln, ſie
ſchienen die Speifen zu verfchlingen, und wenn er jich vorlegte,
that er e& in ungeheuren Mengen, welche er Hajtig und mit
häßlichem Schnalzen der Lippen verjchlang. Das blafje Geficht
der Fürſtin erbleichte bei diefem Anblid noch mehr und NR
den Ausdrud tiefer Betrübnis an. Dem Herrn Andreas aber
wurde jo übel zu Mute, daß er den Prinzen nicht mehr anjah
und jeinen Blick dem Selbitherrn Samojzfi zuwandte.
Der Herr Starojt jah aber weder den Prinzen Michael,
noch jeinen Gajt, er jchien nur von einem Gegenjtande gefejjelt
zu fein, und als Kmiziz dem Blide des Gajtgebers folgte, er-
blidte er Hinter der Schulter der Fürjtin Grijeldis etwas ganz
Wunderbares, dem er bisher feine Beachtung gejchenft hatte.
172
Es war dies ein Fleiner Mädchenfopf, mit Haaren weiß
wie Milch, mit Wangen wie die Rofen, das Ganze lieblich,
wie ein jchönes Bild. Ganz fleine, natürliche Löckchen ringelten
fich über ihrer Stirn, die bligenden Augen flogen von einem
Offizier zum anderen, die neben dem Staroiten jahen, vermieden
auch ihn jelbit nicht und blieben zulegt an ihm, Kmiziz, jo feit
und voll verliebter Schelmerei haften, als wollten jie ihm bis
in das Herz dringen.
Doc Kmiziz war nicht jo leicht in Berlegenheit zu jeßen;
er erwiderte den Blick dreilt, während er dem neben ihm
figenden Herrn Schursfi einen leichten Rippenſtoß gab und
halblaut frug:
„Wer it die feurige Eljter dort ?
„Mein Herr!“ antwortete Herr Schursfi laut. „Sprecht
nicht jo leichtfertig; ihr wißt nicht, wen ihr vor euch habt. .
Das iſt feine feurige Elfter, jondern Fräulein Anufia Boricho-
bohata Kraſienska . . . Sch verbiete euch, fie anders zu nennen,
wenn ihr eure Grobheit micht bereuen follt!“
„Ihr wit wahrjcheinlich nicht, daß eine Eliter ein jehr
artiger Bogel tit, darum auch jein Name für ein Frauenzimmer
feine Beleidigung jein fann,“ entgegnete Kmiziz lachend. „Aber
nach eurer Heftigfeit zu urteilen, müßt ihr jchredfich in fie
verliebt ſein!“
„Wer wäre hier nicht verliebt in jie!* brummte Schursfi
umvirich. „Guckt ſich doch jelbjt der Herr Staroit die Augen
nach ihr aus. Seht ihr nicht? Er fit wie auf Nadeln.“
„Freilich jehe ich es!“
„Nichts jeht ihr! . . . Er, ich, Grabowski, Stolongiewitjch,
Konvjadzfi, Nubezfi von den Dragonern, Bietichynfa, alle hat
fie in ihrem Netze . . . Auch eud) wird das Gleiche geichehen,
falls ihr hier bleibt, jei es auch nur vierundzwanzig Stunden.“
„Ei, ihr täuscht euch! Bei mir würde fie in vierundzwanzig
Jahren nichts ausrichten.“
„Wie das?“ frug Herr Schursfi beleidigt. „Habt ihr denn
ein Herz von Schieferitein ?“
„Das nicht! Doch wenn man jemandem alle Tajchen
ausgeräumt hat, dann finden die Tajchendiebe nichts mehr
bei ihm . .
„Ach, io it es gemeint!“ erwiderte Schurski.
Kmiziz war plötzlich nachdenklich geworden. Der eigene
Kummer ließ ihn alles rings umher vergejien; er bemerfte auch
nicht, daß jene jchwarzen Meuglein immer hartnädiger ihren
173
Blick auf ihn befteten, als wollten jie ergründen: „wer bijt du?
wie heißejt du? und woher kommſt du? junger Ritter.“
Und Schursfi murmelte:
„Sie bohrt! Sie bohrt! So hat fie e8 auch mit mir
gemacht, bi8 mein Herz durchbohrt war! .... Nun fümmert
jie das nicht mehr!“
Kmiziz jchüttelte gewaltjam die Gedanken ab, die ſich ihm
aufdrängten.
„Warum heiratet einer oder der andere von euch jie nicht?“
„Beil einer dem anderen im Wege ijt.“
„Bad! auf dieje Weije kann das Mädchen ledig bleiben ...
Zwar hat es den Anjchein, daß dieje Birne noch weiße Kerne hat.“
Schursfi riß die Augen weit auf. Er neigte jich dicht an
das Ohr Kmiziz' und flüjterte geheimnisvoll da hinein:
„Man jagt, fie zählt fünfundzwanzig Jahre. Sie war
ihon vor dem Feldzug gegen Chmielnizfi bei der Fürjtin.“
„Wunderbar!“ verjegte Kmiziz. „Sch hätte jie für eine
Sechzehnjährige gehalten, höchitens!“
Unterdejjen hatte „die Elſter“ jedenfall® erraten, dab die
Rede drüben von ihr war; fie hatte die Lider gejenft und
jchielte nur von Zeit zu Zeit unter ihnen hervor nach dem
Ritter, vielleicht um zu erforjchen, wer er jei, woher er fomme.
Faſt wider Willen drehte Kmiziz verlegen an jeinem Barte.
Nach beendeter Tafel nahm der Starojt jeinen Gajt unter
den Arm. Er behandelte ihn mit Rückſicht auf jeine höfifchen
Manieren mit bejonderer Auszeichnung.
„Herr Babinitjch!” redete er ihn an. „Sagtet ihr nicht,
daß ihr aus Litauen fämet ?“
„So iſt es, Herr Starojt.“
„Kanntet oder fennt ihr in Litauen vielleicht eine Familie
Bodbipienta ?“
„Nein, ich fenne niemanden dieſes Gejchlechtes; fie leben
alle nicht mehr, wenigitens von derjenigen Linie nicht, welche
den Hutjchläger im Wappen führen. Der lebte von ihnen ilt
bei Sharajch gefallen; er war der tapferjte Nitter Litauens.
Wer wüßte das bei uns daheim nicht?“
„uch ich Habe von ihm gehört. Aber — warum ich)
nach ihm frage? Seht! es befindet jich unter dem Frauen—
zimmer meiner Schweiter eine Nejpeftsdame, welche Borjchobohata
Kraſienska heißt. . . . Sie jtammt aus edlem Gejchlecht. . . .
Das war die Verlobte jenes Bodbipienta, der bei Sharajch ge-
fallen it. Das Mädchen ijt vater und mutterloje Waiſe, aber
174
obgleich die Fürſtin Grijeldis fie jehr liebt, jo bevormunde ich
als natürlicher Bormund meiner Schweiter auch) jie ein wenig.“
„Eine angenehme Bormundjchaft,“ bemerkte Kmiziz.
Der Herr Starojt lächelte, blinzelte mit den Augen und
ſchnalzte mit der Zunge.
„Wie? Ein ſüßes Marzipänchen ?“
Doc) jchnell brach er ab, da er fürchtete, jich zu verraten;
er jteckte eine ernite Miene auf.
„Verräter, “ sagte er Halb jcherzend, Halb ernit. „Shr
wolltet mir eine Falle jtellen; faſt hätte ich mich verplaudert.“
„Womit?“ frug Kmiziz, ihn feſt anblidend.
Der Staroit merkte, daß er es in der Gewandtheit der
Rede mit dem Gajte nicht aufnehmen konnte. Cr fam jogleic)
zur Sache.
„Diefer Podbipienta,“ jagte er, „hat ihr verjchiedene Vor—
werfe in Litauen verjchrieben; — die Namen find fo jeltjam,
ich fann fie nicht recht behalten: Baltylup, Syrutich, Myſchy—
fiichti — kurz, alles war er befaß — fünf oder jech® Vorwerke.“
„Aber das find ja gar feine Vorwerke,“ wandte Kmiziz
ein. „Das jind lauter große NWittergüter! Wodbipienta war
jehr reich, und wenn das Fräulein einmal jeine jämtlichen
Herrichaften in Belig nimmt, jo iſt jie in der Yage, jich ein
eigenes Frauenzimmer zu halten und unter den Senatoren des
Reiches ihren Gatten zu wählen.“
„Meint ihr? Kennt ihr die Güter?“
„sch kenne nur Lubowite und Scheputy, da dieje an meine
Beligungen grenzen. Die Wälder und ‘Felder, die Dazu ges
hören, haben einen Umfang von etwa vier Quadratmeilen.”
„Wo liegen ſie?“
„Sn der Wojewodſchaft Witebsk.“
„Oho! das iſt ſehr weit. Die Sache lohnt nicht die Reiſe
in einen Landesteil, welcher von den Feinden okkupiert iſt.“
„Wenn wir die Feinde hinausgetrieben haben werden,
werden wir auch zu den Gütern gelangen. Doch die Podbipientas
haben auch noch Güter in Smudz und anderen Gegenden von
ſehr bedeutendem Flächeninhalt; ich weiß das, denn auch ich
beſitze in Smudz ein Stück Erde.“
„Ich merke ſchon, daß auch eure Subſtanz mehr ausmacht,
als einen Beutel voll Siede,“ ſagte der Staroſt.
„Die Güter bringen jetzt nichts ein,“ verſetzte Kmiziz.
„Dennoch brauche ich fremde Unterſtützung nicht.”
175
„Ratet mir doch, Ew. Liebden, wie ich dem Mädchen zu
ihrem Bejit verhelfen kann.“
Kmiziz lachte.
„Wenn jeder Rat jo leicht wäre ‚wie Ddiejer! Am beiten
wäre es, dieje Angelegenheit den Händen des Herrin Sapieha
anzuvertrauen. Wenn er fich die Sache angelegen jein läßt,
jo kann er viel dazu thun, denn als Wojewode von Witebsk
übt er eine große Macht in Litauen aus.“
„Er fönnte die Tribunale in Kenntnis jeßen, daß das
Vermögen Bodbipientas tejtamentarifch der Borjchobohata ver-
jchrieben ift, damit andere entfernte Verwandte nicht Bejit von
den Gütern ergreifen.“
„Das fünnte er; aber die Tribunale tagen jegt nicht und
der Herr Sapieha hat jetzt auch wichtigere Dinge zu thun.“
„Man könnte das Mädchen aud) unter feinen perjünlichen
Schuß jtellen, fie zu ihm ſchicken,“ jchlug der Starojt vor.
„Denn er fie unter den Augen hätte, würde er eher daran
denfen, etwas für fie zu thun.“
Herr Kmiziz ſtutzte und jah den Starojten forjchend an.
„Was fällt ihm ein?“ dachte er. „Was kann ihm daran
liegen, ſie los zu werden.“
Der Staroft fuhr fort:
„Es würde jich freilich jchlecht machen, daß jie im Lager
bei dem Wojewoden verbliebe, aber man fönnte fie zu den
Töchtern desjelben bringen.“
Kmiziz begriff noch immer nicht.
„Sollte Herr Samojsft wirklich nur ihr Vormund jein
wollen?“ dachte er wieder.
„Nur eine Schwierigkeit jtünde dem im Wege,“ ſprach
Sampjsfi weiter. „Wie könnte man das Mädchen in diejen
unruhigen Leiten zu ihm bringen? Es gehörten zu ihrem
Schuge mindeitens einige hundert Mann und ich kann
Samojchtich jett nicht jeiner Verteidiger entblößen. Wenn jich
jemand fände, unter deſſen Schuße fie reifen könnte... Wie
wäre es, wenn ihr fie mitnehmt, da ihr doch zu Herrn Sapieha
reiſt? . . Ich würde euch Briefe an den Wojewoden mitgeben;
ihr aber müßtet bei eurer Kavaliersehre veriprechen, fie jicher
und wohlbehalten hinzubringen.“
„Sch Toll das Fräulein zu Herrn Sapieha bringen?“ frug
Kmiziz jehr verwundert.
„Wäre das eine jo unangenehme Miſſion? ... Gejegt
den Fall, ihr entbrenntet in Liebe zu dem Mädchen . . .“
176
„ho!“ warf Kmiziz jchnell ein... Meine Liebe hat eine
ganz andere im Beſitz und wenn jie mir auch nicht mit Gegen
liebe lohnt, jo beabjichtige ich doch nicht, die Beligerin zu
wechjeln.“
„Um jo bejier! Sch kann fie euch alfo in Ruhe an-
vertrauen.‘
Es entitand eine Weile tiefiten Schweigens zwijchen beiden.
„Die aljo? Wollt ihr fie mitnehmen?“ frug dann der
Staroit.
„Sch führe doch einen Tſchambul Tartaren,“ antwortete
Kmiziz.
„Meine Leute haben mir gejagt, daß die Tartaren eud)
fürchten wie das Feuer. Nun? Wollt ihr?“
„Om! Warum nicht, wenn ich euch einen Gefallen damit
thun fann. Nur...“
„ha, ich errate. Ihr meint, die Fürſtin müſſe ihre Ein-
willigung erjt dazu geben ... Sie wird ſie geben, jo wahr ich
Gott liebe! Denn denkt euch, jie hat mich im Verdacht, dat
ic) dem Mädchen nachitelle.“
Hier flüjterte der Starojt jeinem Gaſte lange etwas in
das Ohr, endlich jagte er laut:
„Sie war jehr böje deshalb auf mic) und ich z0g Die
Ohren ein, denn wißt ihr! ... Kämpft erjt einmal mit den
Weibern ... Ah! man richtet nichts aus. Lieber ſehe ich die
Schweden vor den Mauern Samoſchtſchs. Ich kann ihr aljo
jegt den beiten Beweis liefern, daß ich nichts Schlimmes im
Schilde führe, wenn ich jelbjt darauf dringe, daß das Mädchen
von hier fort geht... Na! bei der eriten beiten Gelegenheit
will ich mit ihr darüber ſprechen.“
Nachdem er das gejagt, drehte der Starojt ſich auf dem
Abſatz herum umd ging davon. Kmiziz jah ihm lange nad) und
murmelte:
„Ihr stellt mir eine Schlinge, Herr Starojt, und wenn ich
auch noch nicht begreifen fann, was für eine, jo durchjchaue
ich euch doch; ihr jeid ein jehr ungejchickter Vogelſteller.“
Der Herr Starojt aber war jehr zufrieden mit jich jelber,
wenn er auch begriff, daß erſt die Hälfte jeiner Arbeit gethan
war, während die andere, bei weitem jchwerere Hälfte, noch zu
erledigen war. Ihm graute bei dem Gedanken daran; Zweifel
und Angſt, ob es ihm gelingen werde, was er vorhatte, befiel
ihn. Es galt die Einwilligung der Fürſtin Griſeldis zur Ab»
reife Anuſias zu erlangen und der Starojt fürchtete ihre
177
Strenge und ihren Scharjblid mehr, wie eine Belagerung
jeiner zeitung.
Da er einmal die Sache eingefädelt hatte, wollte er fie
auch jo schnell als möglich zu Ende führen. Am nächiten
Morgen alſo, nach der Meſſe, nachdem er gefrühitücdt und
jeine Kompagnie deutjcher Eöldlinge bejichtigt hatte, begab er
ji in die Gemächer der Fürſtin.
Der Staroft fand die Fürſtin allein, fleißig an einem
Ornate für das Kollegium ſtickend. Hinter ihr widelte Anufia
einen über zwei Stuhllehnen geipannten Seidenjträhn ab; einen
zweiten rojenfarbenen hatte jie um den Hals gelegt. Sie ging,
die Heinen Hände jchnell bewegend, dem Faden folgend immer
um die Stühle herum.
Bei diefem Anblick leuchteten die Augen des Staroften auf,
doch bemühte er fich jogleich unter einer erniten Miene die
verräterijchen Blige zu verbergen. Nachdem er die Fürſtin
begrüßt, bemerfte er wie beiläufig:
„Diejer Herr Babinitjch, welcher mit den Tartaren hier
durchreiit, it ein Litauer. Er muß ſehr viel Geld haben, it
ein artiger, hübjcher Menjch, dazu foll er ein tapferer Soldat
jein. Habt ihr ihn bemerkt, Frau Schweiter?“
„Du Haft ihn ja jelbjt zu mir gebracht,“ antwortete die
Fürſtin gleichgültig.
„Er Hat ein ehrliches Gejicht und jcheint ein guter Soldat
zu ſein.“
„Ich Habe ihn über die geerbten Güter des Fräulein
Borjchobohata ausgefragt. Er meint, diejelben feien jehr große
Rittergüter.*
„Bott wende fie der Anuſia zu. Sie würde weniger
fühlen, daß fie eine Waije iſt und fünnte dem Alter ruhig ent-
gegenſehen,“ jagte die Fürſtin.
„Es liegt aber die Gefahr vor, daß entfernte Verwandte
Ansprüche darauf erheben und Die Beligungen zerjtüdeln.
Babinitjch jagt, der Fürſt-Wojewode von Witebst fünnte, wenn
er wollte jich die Sache angelegen fein laſſen, viel für Anufia
thun. Er iſt ein edler Mann, unferer Familie zugethan; ich
würde ihm ohne Bedenken eine eigene Tochter anvertrauen ...
E3 würde genügen, wenn er bei den Tribunalen jeine Vor—
mundſchaft über Anufia anmeldete. Aber Babinitich jagt, dazu
bedürfte e8 der Anwejenheit des Fräuleins, fie müßte jelbjt
zum Fürſten reifen.“
„Wohin? Zu Herrn Sapieha?* frug die Fürſtin intereffiert.
Sienfiewicz, Sturmflut IL 12
178
„Oder zu deſſen PBrinzejjinnen Töchtern,“ antwortete der
Starojt. „Es iſt nur darum, daß jie pro forma dort ift, wenn
die Inſtallation erfolgt.“
Der Starojt jimulierte in diefem Augenblid, weil er
darauf rechnete, die Fürſtin werde die Initallation für bare
Münze halten.
Sie dachte ein Weilchen nad, dann jagte die edle Frau:
„Wie jollte jie jegt reifen, da die Schweden alle Wege
bejegt halten?“
„Ich Habe ſichere Nachrichten, daß der Feind Lublin ver-
lajien hat. Das ganze Land diesjeits der Weichjel ijt frei.“
„sa, aber wer jollte denn Anka begleiten?“ warf Die
Fürſtin ein.
„Babinitich hat ſich erboten, jie mitzunehmen, da er zu
Sapieha zieht.“
„Dit den Tartaren joll ich das Mädchen ziehen lafien?
Du bit von Sinnen, Herr Bruder! Mit dieſen wilden, un-
geichlachten Menjchen ?“
Die Fürjtin jagte das jehr indigniert.
„sch fürchte dieſe Menjchen gar nicht!” warf Fräulein
Kraſienska achjelzudend ein.
Die Fürſtin aber hatte bereits erraten, dal der Staroit
einen beitimmten Plan verfolgte. Sie jchidte das Fräulein
hinaus, während jie ihren Bruder forjchend anblidte.
Er aber jprad) leife, wie im Selbſtgeſpräch, vor jich hin:
„Die Tartaren friechen in den Staub vor Babinitjch; er
läßt jede geringjte Widerjeglichfeit mit dem Tode durch den
Strick beitrafen.“
„sch fann diefer Expedition nicht zujtimmen,“ entgegnete
die Fürſtin. „Das Mädchen iſt zwar aus edlem Gejchlecht,
aber jie liebt e8, den Männern die Köpfe zu verdrehen und ihre
Sinne zu entflammen ... Du weißt das am beiten...
Niemals werde ich Anufia einem unbefannten jungen Manne
anvertrauen.‘
„Unbekannt ijt er nicht; denn wer fennt die Babinitjch
nicht als ein altes erprobtes Gejchlecht! (Der Staroit hatte
den Namen Babinitjch geitern nämlich zum eriten Mal gehört.)
Uebrigens, fuhr er fort, könnteſt du ihr irgend eine ältere
rau als Anjtandsdame mitgeben, das decorum wäre Damit
gewahrt. Für die Ehrenhaftigfeit des Herrn Babinitjch garantiere
ich; du kannſt bezüglich feiner beruhigt jein, denn er jelbit hat
mir erzählt, dab er in Litauen eine Verlobte hat, in die er
179
jchredlich verliebt it... Wer aber gründlich in eine verliebt
it, dem fann eine andere nichts anhaben.... Doc) die Hauptjache
it, daß eine zweite günjtige Gelegenheit fich jchwerlich finden
dürfte. Unterdeſſen fünnen ihr die Güter verfallen oder von
anderen genommen werden umd dann bleibt das Mädchen im
Alter vermögens- und obdachlos.“
Die Fürjtin legte ihre Stickerei fort und indem fie lang-
jam das Haupt emporrichtete, heftete jie ihre dDurchdringenden
Augen feit auf des Bruders Gejicht.
„Was haft du, dal du das Mädchen durchaus fort haben
willſt?“ frug jie langjam Wort für Wort betonend.
„Was ich Habe? Was ich dabei haben jollte? Nichts!“
antivortete der Staroit, während er die Augen niederjchlug.
„Seitehe Johann! Du Haft mit dem Babinitjch einen
Anjchlag auf die Tugend Anuſias vor!“
„Da haben wirs! Wahrhaftig! Das hat nur gefehlt!“
rief der Starojt anjcheinend entrüfte. „Du jolljt den Brief
leſen, welchen ich an Herrn Sapieha jchreiben will, du jollit
jelbjt einen Hinzufügen . . . Sch verjpreche dir, daß ich
Samojchtjch nicht verlaſſe . . . Zudem faunjt du Babinitjch
jelbjt ausforjchen und ihn darum bitten, das Schußgeleit zu
übernehmen. Da du mich wieder verdächtigit, jo will ich nichts
weiter mit dieſer Angelegenheit zu thun haben.“
„Sa, aber warum dringjt du dann jo darauf, daß jie
fort ſoll?“
„Weil ich ihr Beites will und es jich um ein enormes
Vermögen für fie handelt. Endlich . .. . geitehe ich, da mir
auch darum jehr viel daran Liegt, fie von hier fortzubefommen,
weil ich es überdrüfjig bin, mich ihretwegen unaufhörlich von
dir hofmeiſtern zu laſſen . . . Sch denfe durch ihre Ent-
fernung deine häßlichen Verdächtigungen am bejten zu wider-
legen... Wahrhaftig, es iſt jo! Sch bin doch fein dummer
Schulbube, der nachts bei den Mädchen fenjterln geht... Noch
mehr! Meine Offiziere find ihretiwegen untereinander jchon ganz
verhett und fauchen einander an, wie die Kater. Weder Ordnung
noch Disziplin fann ich mehr aufrecht halten. Genug, ich bin
es überdrüjjig! Und da du noch nicht aufhörjt, mich mit den
Augen zu durchbohren, jo jage ich dir, — hüte dir deinen Sohn
jelbjt, Meichael gehört dir — num thue wie dur willjt!“
„Michael ?* jagte die Fürjtin gedehnt.
„sc kann jeinetwegen dem Mädchen nichts vorwerfen; fie
fofettiert mit ihm nicht mehr, wie mit allen anderen, aber wenn
12*
180
du, Schweiter, deines Sohnes verliebte Blicke und heiße Ge—
fühle für Anufia noch nicht bemerkt hajt, dann iſt es wahr,
dag Kupido nicht jo blind ijt, ala Mutterliebe.“
Die Fürjtin runzelte die Brauen; ihre Wangen wurden
um einen Ton bläfjer.
Der Starojt, welcher jogleich bemerkte, wie getroffen bie
Fürſtin jich fühlte, Elatjchte jich mit den Händen die Kiniee und
jprach weiter:
„Sieh' fo, ſieh' jo, liebe Schweiter! .. Was geht das
mih an!... Mag Michael meinetwegen ihr die Seide beim
Wideln halten, mag er lachen, wenn er jie jieht, mag er ver-
legen erröten, oder mag er durch das Schlüfjelloch fie betrachten ...
Was kümmert mid das!... Endlich ... jo unrecht wäre das
nicht... Die Herrichaft in Litauen joll fürftlich jein, fie ſelbſt
von altem Adel... ich jtelle mich nicht jo hoch über andere...
Wenn es dir recht ift, — gut! Sch finde nur, im Alter pajjen
fie nicht zujammen, doch das geht mic, wieder nichts an.“
Während der letten Worte hatte der Starojt fich erhoben
und ſchickte ſich an, hinauszugehen.
Der Fürſtin war das Blut nach dem Kopfe geſtiegen.
Der ſtolzen Frau war kein Adelsfräulein in der Republik gut
enug für einen Wisniowiezki; ſie wählte bereits unter den
ne Oeſterreichs für ihren Sohn. Die Worte des
Bruders trafen fie wie Dolchitiche.
„Warte noch, Johann, warte noch!“ jtammelte jie.
„sch wollte nur, pro primo! Dir beweijen, daß du mid)
fäljchlich verdächtigit, pro secundo! daß du ganz jemand
anderen zu hüten Urjache haſt als mich. Nun thue, was dir
beliebt; ich habe nichts mehr zu jagen.“
Bei diefen Worten verbeugte jich der Starojt tief vor der
Fürſtin und verließ das Gemach.
16. Rapitet,
Sp ganz unrecht hatte der Herr Starojt nicht bezüglich
der Affekte jeines Neffen; der junge Fürſt war gerade jo
verliebt in Anufia Borjchobohata, wie alle die anderen auch,
die Pagen der Fürjtin nicht ausgejchlojien. Aber dieje Liebe
war durchaus feine gewaltige und unternehmende, vielmehr ein
jüher, Kopf und Sinne beraujchender Trieb des Herzens, ohne
den Wunjch, den geliebten Gegenjtand für immer zu bejigen.
Einer jolchen jtarfen, alles bejtegenden Liebe war Fürſt Michael
nicht fähig; dazu war er zu emergielos.
Doc) darum war die Fürſtin Grijeldis nicht weniger be=
jorgt wegen des joeben Gehörten; da jie für ihren Sohn eine
glänzende Zukunft träumte, erjchredte ſie die drohende Gefahr.
Anfangs hatte jie der Wunsch des Starojten, Anufia fort-
zujchiden, jehr in Erjtaunen verjeßt, da er ihr jo überrafchend fam.
Dann erfüllte namenloje Angjt ihre Seele. Sie hatte eine
Unterredung mit dem Sohne gehabt, welcher bei der erjten
Anjpielung der Fürſtin auf ein mögliches Berhältnis zwijchen
ihm und Fräulein Borjchobohata erbleichte, am ganzen Körper
zitterte und zulegt, noch ehe er ein Belenntnis abgelegt, in
Thränen ausgebrochen war. Diejes Gebahren hatte ihre Angjt
vor der drohenden Gefahr noch veritärft.
Trotzdem fonnte fie jich nicht entjchliegen, das verwaiſte
Mädchen aus ihrer Nähe zu entfernen. Erſt als Anuſia jelbit
fußfällig bat, jie mit Herrn Kmiziz reifen zu lafjen, konnte die
gütige VBormünderin dem allgemeinen Drängen nicht länger
widerjtehen. Was das Fräulein zu der Neife bewog, konnte fie
nicht ergründen. Bielleicht war es der Wunsch, neue Gegenden,
182
neue Menjchen kennen zu lernen, vielleicht auch machte ihrem
Flatterſinn die Aussicht, den jungen Nitter in jich verliebt zu
jehen, an ihm eine neue Eroberung zu machen, Vergnügen.
Zwar zerfloß Anuſia in Thränen bei dem bloßen Ge-
danfen an eine Trennung von ihrer gütigen Wohlthäterin, das
fluge Mädchen aber war jich völlig Far darüber, daß, indem
ſie jelbit um Trennung bat, jie mit diefer Bitte von vorn—
herein dem Berdachte, zu dem jungen Fürſten in etiwelche
intimere Beziehungen getreten zu jein, jeden Grund entzog; fie
brach dadurch auch jenem Gerede, welches ein Ginveritändnis
zwijchen ihr und dem Starojten zum Gegenſtand machte, die
Spitze ab.
Um fich zu überzeugen, ob nicht dennoch ein Stomplott
zwiſchen dem Starojten und Kmiziz im Gange war, hatte Die
Fürſtin den Ritter zu ſich rufen laſſen. Das Verſprechen ihres
Bruders, Samoſchtſch nicht zu verlaſſen, hatte ſie zwar etwas
beruhigt, aber ſie wollte den Mann, deſſem Schutze ſie das
Fräulein anvertrauen ſollte, doch näher kennen lernen.
Die Unterredung mit ihm hatte ſie völlig zufrieden geſtellt.
Aus den grauen Augen des Edelmannes leuchtete ihr ſo viel
Offenheit und Ehrlichkeit entgegen, daß ſie unmöglich an ſeinem
Charakter zweifeln konnte. Er erklärte der Fürſtin rund
heraus, daß er eine andere liebe und ihm gar nicht einfallen
könne, einer anderen als ſeiner Angebeteten den Hof zu machen.
Außerdem verpfändete er ſein Ehrenwort, daß er ſeine Schutz—
befohlene mit Einſetzung des eigenen Lebens vor jeder Gefahr
bewahren wolle.
„Ich werde das Fräulein ſicher zu Herrn Sapieha bringen,“
verſicherte er der Fürſtin, „beſonders, da der Herr Staroſt Mil
daß die Gegend bis Hinter Zublin frei vom Feinde ilt.... Dann
aber fanı ich mich nicht mehr um ſie befümmern, . . . nicht
etwa, daß ich Ew. Fürſtlichen Durchlaucht ergebenjter Diener
nicht mehr jein wollte —, für die Witwe des größten Feldherrn
umjerer Nation wäre ich gern mit Gut und Blut jederzeit
zu dienen bereit, ...... jondern weil ich eine jehr jchwere An-
—— zu erledigen habe, bei welcher ich jehr leicht mein
eben verlieren kann.“
„Es ift auch nichts weiter nötig,” antwortete die Fürſtin,
„als das ihr das Fräulein glüdlich biS zum Herrn Sapieha
bringt —, nur, dah ihr ſie ihm perjönlich übergebt. Der Herr
Wojewode wird mir dann ihon den Gefallen thun, für ihr
Wohlergehen zu jorgen.”
183
Die Fürjtin reichte Kmiziz bei diefen Worten die Hand,
welche er jehr ehrerbietig füßtee Darauf jagte fie noch zum
Abjchied:
„Bewahrt das Mädchen gut, Herr Kavalier, jeid wachjam!
Gebt euch feinem Sicherheitsgerühl Hin, das Land fünnte dennoch
von Feinden nicht ganz frei jein.“
Dieje Worte machten Kmiziz jtugen. Man ließ ihm aber nicht
Zeit, darüber nachzudenken, denn faum hatte er die Gemächer
der Fürjtin verlaflen, jo griff ihn auch jchon der Starojt auf.
„un, Herr Rittersmann,“ jprach er fröhlich, „ihr werdet
aljo die jchönjte Zier der Stadt aus Samojchtich entführen ?“
Das wohl, jedoch mit eurer Bewilligung,“ verſetzte
Kmiziz.
„Behütet das Mädchen nur gut, ſie iſt ein rarer Artikel.
Daß ſie euch nicht etwa geraubt wird.“
„Das ſollte nur wer verſuchen! Wehe ihm! Ich gab der
durchlauchtigen Fürſtin mein Ehrenwort, das Fräulein ſicher
abzuliefern und mein Ehrenwort iſt mir heilig!“
„Nun, ich ſcherzte ja nur,“ ſagte Herr Samojski lachend.
„Ihr braucht euch nicht zu ängjtigen, auch nicht zu vorjichtig
zu jein, was jollte ihr auch begegnen.“
„So habe ich nur die eine Bitte. Gebt mir einen feiten,
gut mit Blech bejchlagenen Wagen für ſie.“
„Ihr jollt deren zweie haben! ... Aber ihr reift doch
nicht gleich ab?“
„Ei freilih! Ich Habe es eilig umd fige jchon viel zu
lange hier?“
„Dann jendet eure Tartaren nach Krasnoſtaw voraus.
Sch werde jofort einen Eilboten dorthin jenden, auf daß man
ihnen Fourage „bereit halten joll; euch will ich morgen ein
Geleit mitgeben . . . Ihr dürft nichts für eure Sicherheit
befürchten, denn hier ringsherum gehört das Land mir .
Ihr nehmet zwei tüchtige Yanzfnechte von den deutjchen Dra—
gonern mit, zuverläflige Leute, die die Wege fennen. Zudem
rührt die Landſtraße von hier nach Krasnoſtaw gradeaus, wie
aus der Piſtole geſchoſſen.“
„Und warum joll ich allein zurücbleiben?“
„Damit wir ung noch zujammen amüjieren; ihr jeid mir
ein lieber Gait, ich behielte eucd) am liebiten ganz hier. Auch
erwarte ich jeden Augenblid die Ankunft meiner Pferdekoppel
aus Peresz, vielleicht gefällt euch irgend ein Rößlein, das euch
fünftig gute Dienjte leiſten foll.“
184
Kmiziz ſah den Staroſten feit in die Augen. Dann, als
folge er einem plößlichen Entjchluffe, jagte er:
„But! ich danke! Sch werde bleiben und die Tartaren
vorausſchicken.“
Er ging ſogleich, Befehle auszugeben. Während die Vor—
bereitungen zum Abmarſch getroffen wurden, nahm Kmiziz den
Akbah-Ulan auf die Seite und ſprach zu ihm.
„Akbah-Ulan, merke, was ich dir ſage: „Du ſollſt mit den
Tartaren nach Krasnoſtaw vorausgehen. Der Weg führt
geradeaus dorthin, wie aus der Piſtole geſchoſſen. Ich bleibe
hier, komme aber morgen mit einer Eskorte des Staroſten nach.
Jetzt merke aber gut, was ich jage! Du wirſt die Tartaren
nicht nach Krasnoſtaw führen, jondern im nächjten Walde un—
weit von Samoſchtſch Verftede für euch juchen, jo gut und
vorjichtig, daß fein Menjch euer Hierjein ahnt. Wenn ihr auf
der Landſtraße einen Schuß fallen hört, jo eilt ihr mir augen-
blilich zu Hilfe Man will mir hier eine Falle jtellen. Haſt
du verjtanden ?*
„Dein Wille gejchehe, Herr!" antwortete Afbahelllan, indem
er die Hand auf Stimm, Lippen und Brujt legte.
Kmiziz aber dachte im Stillen:
„sch durchichaue euch, Herr Starojte! In Samofchtich
fürchtet ihr den Scharfblid eurer Schweiter, darum wollt ihr
das Mädchen rauben und irgendwo in der Gegend unterbringen.
Mich wollt ihr zum Werkzeug eurer böjen Gelüfte machen, im
Notfall mich ganz aus dem Wege jchaffen. Aber wartet! Ihr
habt euren Mann gefunden und jollt in eure eigene Falle
gehen !“
Abends Elopfte der Hauptmann Schursfi an die Zimmer:
thür bei Amiziz. Der Offizier jchien auch Ungeheuerliches zu
merfen und da er Anuſia aufrichtig liebte, wünjchte er, daß jie
lieber abreijen, als in die Hände des Staroſten fallen möchte.
Da er aber jeiner Sache doch nicht ganz jicher war, wagte er
nicht offen darüber zu Sprechen. Er mwunderte fi) nur, daß
Kmiziz auf die Vorausſchickung der Tartaren eingegangen war
und gab nun jeiner Berwunderung darüber Ausdrud.
„Die Wege jind micht ganz jo ficher, wie ihr meint,“
beteuerte er. „ES jtrolchen überall Haufen Bewaffneter umher,
die zu Gewaltthätigfeiten aufgelegt find.“
a Andreas war entſchloſſen zu thun, ala ob er nichts
merfe.
185
„Was jollte mir paſſieren,“ jagte er, „da der Herr Staroit
mir ein Geleit mitgeben will.“
„Bah! was will das jagen!“
„Sind es nicht zuverläflige Menjchen ?”
„Man darf Söldlingen niemals zu jehr trauen. Es tt
Ichon vorgefommen, daß fie unterwegs fich widerjegt haben und
zum Feinde übergegangen ſind . . .“
„Die Gegend diesjeits der Weichjel joll doch aber frei jein
von Schweden?”
„Slaubt das nicht! Sie Jind nicht fort. In Lublin jigen
fie feit. Ich rate Ew. Liebden, — jendet eure QTartaren nicht
voraus, man iſt unter der Begleitung einer größeren Esforte
immer jicherer.“
„Es thut mir leid, daß ihr mir das nicht eher jagtet. Sch
habe nur eine Zunge und nehme- einen einmal gegebenen Befehl
niemals zurück.“
Am nächiten Morgen in der Frühe rüdten die Tartaren
aus. Kmiziz wollte ihnen gegen Abend folgen, jo daß er noch
zum Nachtquartier in Krasnoſtaw eintreffen fonnte. Inzwiſchen
hatte man ihm zwei Briefe an Herrn Sapieha übergeben. Der
eine war von der Fürjtin, der andere vom Starojten.
Kmiziz hatte große Luft, den legteren zu öffnen; er wagte
ed doch nicht, aber als er ihn gegen das Licht hielt, jah er,
daß der Umschlag nur reines unbejchriebenes Papier barg.
Diefer Umstand beitärkte feinen Verdacht, day man ihm unter-
wegs das Mädchen und die Briefe wieder abnehmen wolle.
Unterdeflen war auch die Bierdefoppel aus Peresz ans
gelangt. Der Herr Starojt jchenfte dem jungen Ritter ein
außerordentlich jchönes junges Noß, welches Kmiziz dankbar
annahm, indem er dabei dachte, dab er Jicher auf Demjelben weiter
reiten würde, als der Herr Staroft vielleicht glaubt. Er mußte
auch daran denken, daß jeine Tartaren bereits im Hinterhalte
jeiner warteten und Ddiejer Gedanke machte ihn laut lachen.
Zuweilen auch überfiel ihn eine gelinde Wut über die Falſch—
heit der Menjchen; er beichloß, dem Staroſten eine derbe Lehre
zu geben.
Die Zeit der Mittagstafel war Herangefommen. Das
Eſſen verlief in düjterem Schweigen. Anufia hatte votgeweinte
Augen, die Offiziere jchwiegen jtill, nur der Herr Starojt war
uter Dinge Er ließ immer wieder die Becher füllen und
miziz tranf fleißig. Als endlich die Zeit der Wbreife ge—
fommen war, da waren zum Abjchiednehmen nicht viele Perjonen
186
mehr geblieben, denn der Starojt hatte immer einen der Offiziere
nach dem anderen in Dienst gejchidt.
Anufia fiel der Fürftin zu Füßen; man fonnte fie lange
nicht von Dderjelben losreiken und die Fürjtin jelbjt war jehr
bewegt. Wielleicht machte fie ſich im Stillen doch Vorwürfe,
daß jie in die Abreife dieſer treuen Dienerin gewilligt hatte,
zu einer Zeit, wo das ganze Land nicht die geringite Sicherheit
bot. Aber das laute Schluchzen des Prinzen Michael, der mit
beiden Fäuſten vor den Mugen weinte wie ein Schulbube,
befeitigte in der stolzen Frau Die MUeberzeugung, daß Die
Trennung zur Bejeitigung der Folgen einer jolchen Liebe
durchaus notwendig jei. Endlich beruhigte jie der Gedanke,
daß Anufia in der Familie des Fürjten eine Zuflucht finden
und durch die Erlangung der geerbten Güter eine geficherte
Zufunft erlangen werde, vollitändig.
„sc vertraue das Mädchen eurer Tugend, eurer Ehren-
baftigfeit und eurem Mut,“ jagte die Fürjtin noch einmal zu
Kmiziz, „und denft daran, daß ihr gejchworen, jie ungefährdet
zum Wojewoden zu geleiten.“
„Bas gejchehen fann, dem Fräulein die Reiſe bequem zu
machen, das ſoll gejchehen; jchlimmiten alles wicele ich ſie in
weiches Werg, und da ich mein Ehrenwort verpfändete, jo kann
mich höchitens der Tod verhindern, mein Verjprechen zu halten,“
antivortete der Nitter.
Er reichte dem Fräulein jeinen Arm. Anufia fühlte fich
gefränft, daß er fie jo obenhin behandelte; fie legte ihre Hand
nur loje auf den Arm und wandte mit einer hochmütigen Ge—
bärde ihren Kopf nach der anderen Seite.
Es war ihr jehr jchmerzlich, ihre Wohlthäterin zu ver—
lafien, dazu befiel jie jegt eine unnennbare Angjt; dennoch war
es zu jpät, ihren Entſchluß rücdgängig zu machen.
Der Augenblid der Abreije war da. Sie jtieg mit ihrer
alten Dienerin, Fräulein Suwalsfa, in die Kutjche, Kmiziz auf
das Pferd, die ‚sahrt begann. Zwölf Söldlinge umgaben die
Kutiche und die Britichfa mit dem Gepäd der Frauen. Als
das Gatter des Warjchauer Thores in den Angeln knarrte und
die Räder über die niedergelajjene Zugbrüde rajjelten, da weinte
Anufia laut auf.
Kmiziz beugte ſich zu dem Kutſchenſchlag nieder.
„Weint nicht, Fräulein,“ tröjtete er, „und fürchtet euch
nicht, ich beiße euch nicht an.“
„ter Grobian!“ dachte Anufia.
187
Sie fuhren eine Weile zwijchen den Häuſern der Vorjtadt
hin direft auf Alt-Samojchtich zu, worauf fie in freies Feld
famen und dann den Wald erreichten, welcher zu jener Zeit
das ganze Hügelland auf einer Seite bis Hin zum Bug und
noch weiter bedeckte, auf der anderen Seite von verjtreut liegenden
Dörfern bis nach Sawichosf unterbrochen war.
Die Nacht jenkte jich hernieder; jie war jehr Kar und hell.
Die Landitraße zog ſich wie ein jilberner Streifen hin, die
Stille wurde nur durch das Najjeln der Räder und das Ge-
trappel der Pferde unterbrochen.
„Hier müſſen meine Tartaren jchon irgendwo in der
Wildnis jteden,“ dachte Kmiziz. Da horihte er plöglich auf.
„Was iſt das?“ frug er den Offizier, welcher die Weiter:
abteilung führte.
„Es jcheint Pferdegetrappel zu jein; ein Reiter fommt
hinter uns hergejprengt,“ antwortete der Offizier.
Er hatte faum geendet, als auf jchaumbedectem Pferde ein
Koſak fie erreichte und rief:
„Herr Babinitjch! Herr Babinitich! Ein Brief vom Herrn
Staroſten!“
Der Zug hielt an. Der Koſak reichte Kmiziz den Brief
und dieſer las beim Licht der Wagenlaterne wie folgt:
„Lieber und mir ſehr werter Herr Babinitſch!
Bald nach der Abreije des Fräulein Borjchobohata Krafienzfa
erreichte mich die Nachricht, da die Schweden Lublin nicht nur
nicht verlaſſen haben, jondern jogar beabjichtigen, gegen mein
Samoſchtſch vorzurüden. Angeſichts deſſen iſt an eine Weiter—
reiſe des Fräuleins nicht zu denken. In Erwägung der bevor—
ſtehenden pericula, welchen das Weißköpfchen ausgeſetzt ſein
würde, wollen wir das Fräulein Borſchobohata zurück nach
Samoſchtſch haben. Die Reiter können ſie zurückbegleiten. Ihr
aber, der es ſo eilig hat, fortzukommen, ſollt dadurch nicht von
der Weiterreiſe abgehalten werden. Indem wir Ew. Liebden
dieſen unſeren Willen kund thun, bitten wir Euch, den Reitern
unſere Befehle kund zu geben.“
„Er iſt wenigſtens ſo ehrlich, nicht nach meinem Kopfe zu
trachten; er will nur einen Narren aus mir machen,“ dachte
Kmiziz. „Nun, es wird ſich ja bald zeigen, ob es auf einen
Ueberfall abgeſehen iſt oder nicht.“
Unterdeſſen war Fräulein Anuſia aufmerkſam geworden;
ſie ſteckte den Kopf zum Wagenfenſter heraus.
„Was giebt es?“ frug ſie.
188
„Nichts! Der Herr Starojt empfiehlt euch nochmals meiner
Nitterlichkeit. Sonſt nichts!“
„Auf! weiter des Weges!“ befahl er dem Offizier.
Doch der Offizier hielt jein Pferd feit am Zügel.
„Halt!“ rief er dem Kutjcher zu, welcher joeben die Pferde
am Wagen antrieb. Dann wandte er jich dem Nitter zu.
„Bas joll das heißen! Wir reiten nicht weiter.“
„Doch!“ erwiderte Kmiziz. „Wozu jollen wir noch länger
bier im Walde halten.“
Er jagte das ganz harmlos, ald wüßte er gar nicht, um
was es jich handelte.
„ber Ew. Liebden haben doch einen Befehl erhalten.“
„Eben darum! Was geht euch diejer Befehl an! Vor—
wärts!“
„Halt!“ rief der Offizier.
„Vorwärts!“ befahl Kmiziz noch einmal.
„Was giebt es denn eigentlich ?“ frug Anufia wieder.
„Bir rühren uns nicht von der Stelle, bevor ich den
Befehl nicht gelejen habe,” beharrte der Offizier feit.
„Der Befehl ijt an mich gerichtet, er geht euch nichts an.“
„Wenn ihr ihn doch nicht befolgen wollt, jo werde ich ihn
ausführen. Ew. Liebden fünnen aljo mit Gott nad) Krasnojtaw
weiterziehen; nur jeht zu, daß wir euch nicht eine Wegzehrung
mitgeben. Wir aber fehren mit dem Fräulein nach Samoſchtſch
zurück.“
Das hatte Kmiziz nur hören wollen. Er wollte ſich ver—
gewiljern, ob dem Offizier der Inhalt des Schreibens befannt
war. Nun wußte er, daß es fich um ein Komplott handelte,
dejjen Opfer das Fräulein werden jollte.
„Scheert euch fort!“ wiederholte der Offizier drohend.
Gleichzeitig zogen jämtliche Reiter wie auf Verabredung
die Säbel aus den Scheiden.
„O, ihr Hunde!“ rief da Kmiziz. „Nicht nach Samojchtich
zurüd wollt ihr das ‚Fräulein bringen, jondern jie irgendwohin
in einen Hinterhalt loden, damit der Starojt ungejtört jeine
Begierden an ihr jättigen fan. Doc, ihr Habt euch in mir
verrechnet!“
Bei diejen Worten jchoß er jeine Piſtole in die Luft ab.
Gleich darauf vernahm man im Walde ein ſeltſames Knacken
und Nafcheln; e8 war, als hätte der Knall der Piſtole ganze
Herden von Wölfen aufgejchredt, die nun mit entjelichem
Geheul durch die Zweige des Unterholzes brachen. Das Geheul
189
fam von vorn, von beiden Seiten und vom Nüden her. Pferde—
getrappel wurde auf der Landitraße laut und eine Menge Reiter
hatte bald die Neijegejellichaft umzingelt.
„Sejus! Maria! Joſef!“ jchrieen die erjchredten Frauen
im Wagen.
Die Tartaren waren eilends herangejauft. Kmiziz brachte
fie mit einem dreimaligen Kommandoruf zum Stilljtehen.
Darauf wandte er ſich an den Offizier, der vor Schred zur
Bildjäule eritarrt jchien, und begann ihn auszuhöhnen.
„Erkennt ihr nun, wen ihr vor euch habt?... Der Herr
Starojt wollte mich zum Hans Narr machen, mic, als Mittel
zum Zweck gebrauchen, und glaubte, ic würde blindlings folgen ...
Euch, Herr Offizier, hat er die Ausführung des jauberen
Streiches anvertraut und ihr wolltet um Herrengunjt ein Ver—
brechen begehen! . . . Grüßt den Herrn Starojten von Babi-
nitfch; er läßt ihm jagen, daß das ‚Fräulein unter ficherem Ge-
feit zu Herrn Sapieha gebracht werden joll.“
Der Offizier blidte erjchroden um fich, als er die jchwarzen
Gefichter der Tartaren jah, deren Augen gierigen Blickes ihn
und die Reiter anjtarrten. Es bedurfte nur eines einzigen
Lautes jeitens ihres Führers und jie waren alle Kinder
Todes.
„Ew, Liebden fünnen thun, was euc) beliebt,“ jtammelte er,
„aber der Herr Starojt verjteht Nache zu üben. Wir fünnen
gegen die Uebermacht nichts ausrichten.“
Kmiziz lachte laut auf.
„Möge jeine Rache euch treffen,“ rief er. „Hättet ihr euch
nicht vorzeitig verraten, hättet ihr eure Veitwiſſenſchaft an dem
Komplott vor mir verborgen gehalten, wer weiß — ohne euren
Proteſt gegen die Weiterreiſe hätte ich das Fräulein wahr—
jcheinlich von Srasnojtaw aus nad) Samoſchtſch zurückgeſandt.
Sagt auch das dem Herrn Staroſten; er möge ſich künftig
klügere Helfershelfer als euch ausſuchen.“
Der ruhige Ton, in welchem Kmiziz geſprochen hatte,
machte den Offizier Sicher. Er wußte nun, daß weder ihm noc)
den Reitfnechten Lebensgefahr drohte. Er atmete erleichtert auf
und frug:
„Wir jollen alfo mit leeren Händen nach Samojchtich
zurücfehren ?*
Und Kmiziz antwortete:
„O nein! Sch will euch ein Handjchreiben mitgeben, welches
ich auf eurer Haut niederjchreiben will.“
190
„Ew. Liebden!“
„Faßt zu!“ kommandierte Kmiziz, „während er jelbjt den
Offizier im Genid packte.“
Es entitand ein Getummel rings um die Kutſche herum,
welches jedoch nur ganz furz währt. Das Gejchrei der Tar-
taren übertönte die Hilfe- und Stlagerufe der Neiter und Die
Entjegensjchreie der beiden erjchredten Frauen. Bald lagen
die Neiter gebunden in einer Neihe auf der Landitraße aus»
geſtreckt. Kmiziz ließ ihnen Rutenhiebe austeilen, nicht zu viele,
damit fie zu Fuß nach Samoſchtſch zurückkehren konnten. jeder
Neiter erhielt hundert, der Offizier hundertundfünfzig, troß der
Nufe, Bitten und Bejchiwörungen Anufias, welche nicht begreifen
fonnte, um was es jich handelte und glaubte, jie jei im Die
Hände eines graujfamen Barbaren gefallen.
Weinend und die Hände faltend, flehte fie ein um das
andere Mal:
„Berzeiht doch, Ritter! Was habe ich euch denn gethan?
Erbarmt euch! Schont uns!“
„Seid jtille, Fräulein!“ fuhr er jie an.
„Bas habe ich denn gethan, daß ihr jo grauſam verfahret?“
„Bielleicht jeid auch ihr Mitwiſſerin des Komplotts?“
„Welchen Komplotts? Gott jei mir armen Sünderin
gnädig! . . .“
„Shr wißt aljo nicht, da der Starojt nur zum Schein
eure Abreije betrieben hat? Ihr wißt nicht, daß er euch nur
von der Fürjtin trennen, euch jegt aber entführen und in irgend
ein entlegenes Waldhaus bringen und dort eure Tugend zu
Falle bringen wollte?“
„Jeſus von Nazareth!“ jchrie Anufia.
Diejer Schrei, jo voll Angit und Entſetzen, überzeugte
Kmiziz von der Unjchuld des Mädchens.
„ie? hr wußtet wirklich nichts von dem Komplott?
Iſt das möglich?“ frug Kmiziz jchon viel milder.
Anuſia bedecte ihr Gejicht mit beiden Händen; fie fonnte
nicht antiworten, jondern rief nur immer:
„Jeſus, Maria! Jeſus, Maria!“
„Beruhigt euch doch,“ tröſtete Kmiziz janft. „Sch bringe
euch unverjehrt zu Herrn Sapieha, denn der Herr Starojt hat
nicht geahnt, daß ich ihm durchſchaute. Seht da, die Menschen,
denen ich Autenhiebe geben laſſe, jollten euch entführen. Sch
ichente ihnen das Leben, damit fie dem Herrn Starojten erzählen
fünnen, was jich zugetragen hat.“
191
„So habt ihr mich aljo vor der Schande bewahrt?“
„Das habe ich, obgleich ich nicht einmal wußte, ob ich euch
Damit einen Gefallen erwies.“
Ehe ic) Kmiziz dejien verjehen fonnte, ergriff das Fräu—
(ein jtatt aller Antwort die Hand des Nitters, und führte die—
jelbe an ihre erbleichten Lippen.
Er wurde rot im Geficht, wie ein Truthahn.
„Laßt doch jolchen Unjinn!* rief er, ihr die Hand ent—
ziehend. „Setzt euch in den Wagen, ihr erfältet euch jonjt Die
Füße! ... Und fürchtet nichts . . . Bei eurer Mutter fünntet
ihr nicht ficherer jein, als hier.“
„un vertraue ich mich eurem Schuße bis an das Ende
der Welt!” jprach Anujia Borjchobohata.
„Sprecht doch nicht jolche Worte,“ verjegte Kmiziz.
„Bott wird euch lohnen, daß ihr ein wehrlofes Mädchen
beſchützet.“
„Es iſt mir heute zum erſtenmale Gelegenheit dazu ge—
boten worden.“
Und leiſe murmelte er vor ſich hin:
„Bis jetzt habe ich ſie noch gar nicht in Schutz genommen,
im Gegenteil, ich hatte ſie mit im Verdacht.“
Unterdeſſen hatten die Reiter ihre Schläge wegbekommen.
Herr Andreas ließ ſie entblößt auf der Landſtraße nach
Samoſchtſch zu ein Stück forttreiben; ſie liefen weinend und
wehflagend davon. Ihre Pferde und Waffen jchenfte Kmiziz
den Tartaren, dann machte jich der Tſchambul mit dem Fräu—
lein eiligjt auf den Weg, denn die Zeit drängte.
Der Nitter fonnte jich nicht enthalten, unterwegs von Zeit
zu Zeit in den Wagen, vielmehr in die mumteren Aeugelein
des Fräuleins zu bliden und fie zu fragen, ob ihr etwas fehle,
ob der Wagen bequem jei und ob die jchnelle Fahrt fie nicht
zu jehr ermüde.
Anufia antwortete ihm, daß ſie fich nie beſſer befunden
habe. Sie hatte ſich von dem Schreden bald erholt, Ver—
trauen war an die Stelle der Angſt getreten und im Stillen
dachte fie:
„Er tit gar nicht jo uneben und grob, wie ich anfangs
dachte.“
Kmiziz Hingegen dachte auch etwas, aber anderes. Cr
jeufzte leife und murmelte vor ſich Hin:
„ech, Dlenfa, was leide ich um deinetwillen. Ob ich wohl
192
jemal3 Danf dafür von dir ernten werde? — Wie war das
früher anders.“
Seine toten Kumpane famen ihm in Erinnerung und
verjchiedene Schelmenjtüde, die er mit ihnen gemeinjchaftlich
verübt, und als wollte er dem Berjucher wehren, betete er ein
„Vater Unjer“ für den Frieden ihrer Seelen.
In Krasnojtaw angefommen, hielt Kmiziz e& für geraten,
Nachrichten aus Samoſchtſch nicht erit abzuwarten, aber
jogleich weiter zu reifen. Zuvor jedoch jchrieb er einen Brief
an den Staroiten, welchen er durch einen Boten aus Kras—
nojtaw ihm zujandte. Der Brief lautete:
„Srlauchter Herr Staroft und mir jehr werter Herr
und Wohlthäter!
Wem Gott ein hohes Amt und eine angejehene Stellung
in der Welt giebt, den jtattet er auch mit ganz bejonderen
Geiſtesgaben aus. Ich erfannte fofort, daß Ew. Erlaucht mich
auf die Probe jtellen wolltet, al& Ihr mir den Brief mit dem
Befehl der Nücdjendung des Fräulein Anuſia Borjchobohata
Kraſienska zuitellen ließet. Das leuchtete mir um jo mehr ein,
da die Reiter merfen liegen, daß ihnen der Inhalt des Schreibens
befannt jei, obgleich ich ihnen fein Wort davon gejagt und
Ew. Erlaucht mir jchriebet, daß erjt nach unjerer Abreije Euch
die Gefahr, welcher das Fräulein entgegenging, Elar geworden
it. Wie ich nun einerjeit3 die Umficht und Vorſicht Em.
Erlaucht aus vollitem Herzen bewundere, jo verjpreche ich
andererjeitS, mich des in mich gejegten Vertrauens würdig zu
zeigen und mich durch nichts der übernommenen Pflicht ab-
wendig machen zu lajien. Da nun die GEsfortereiter wahr
icheinlich in einem Irrtum befangen, ſich gegen meine PBerjon
jehr grob und ungebührlich benommen, ja jogar in Drohungen
ergangen umd mein Leben bedroht Haben, jo hätte ich ſicher
im Sinne Ew. Erlaucht gehandelt, wenn ich die Widerjeglichen
hätte aufhängen laſſen. Daß ich es nicht gethan, dafür habe
ih Ew. Erlaucht ergebenjt um Entjchuldigung zu bitten. Ich
habe ihnen nur einige Stocdjchläge applizieren lafjen, deren
Anzahl Ew. Erlaucht, falls Ihr die Strafe zu gering erachten
jolltet, nachträglich von Euch nad) Belieben multipliziert werden
kann. In der Hoffnung, daß ich immer im Genufje Ew. Erlaucht
größten Vertrauens verbleibe, jchreibe ich mich Ew. Erlaucht
ergebener Diener Babinitjch.“
Die Dragoner, welche erit jpät in der Nacht in Samojchtich
angefommen waren, hatten aus Angſt jich gar nicht vor dem
193
Starojten bliden laſſen; diefer erfuhr daher erjt am nächiten
Tage durch den Brief das Gejchehene. Nachdem er das Schreiben
gelejen, schloß er jich während drei Tagen im feinem Zimmer
ein, ohne jemand anderen vorzulaflen, als den Kammerdiener,
welcher ihm das Eſſen brachte. Man hörte ihn in dieſer Zeit
viel franzöſiſch Fluchen, was er nur that, wenn er jehr zornig war.
Allmählich jedoch ging das Unwetter vorüber. Am vierten
und fünften Tag war Herr Samojsfi noch etwas fchtweigjam;
er jchien etwas noch nicht ganz verdaut zu haben, denn er
zerrte viel an jeinem Schnurrbart herum. Nach acht Tagen
hatte er jeinen Humor wiedergefunden. Der Schnurrbart
wurde nicht mehr gezerrt, jondern flott in die Höhe gedreht,
endlich eines Tages jagte er zu der Fürſtin Grijeldis:
„Weißt du, liebe Schweiter, ich) bin doch immer ein
jehr umſichtiger Menjch. Vor einigen Tagen habe ich jenen
jungen Edelmann, unter dejjen Schu wir Anufia zu Herrn
Sapieha jchidten, auf eine harte Probe geftellt. Er hat diejelbe
glänzend beitanden, du kannſt jicher jein, daß er jeine Schutz—
bejohlene ungefährdet an ihren Beitimmungsort bringt.“
Einen Monat jpäter hatte das Herz des Staroiten einen
anderen liebenswerten Gegenitand gefunden. Er war feit über-
zeugt, daß alles, was gejchehen, auf jeine Anordnung und mit
jeiner Bewilligung gejchehen war.
Sientiewicz, Sturmflut II. 13
17. Rapitel.
Die ganze Wojewodjchaft Yublin und zum großen Teil
Podlachien waren in polnischer Hand, d. h. in der Hand der
Konföderierten unter dem Kommando Sapiehas. Da der König
von Schweden fich noch immer in Kurpreußen befand, um mit
dem Kurfürjten zu verhandeln, — die Schweden, angeſichts
des allgemeinen Aufſtandes der Republik, ſich nicht aus den
Schlöſſern heraus, wo ſie ihre Standquartiere hatten. Die
Meichjel zu überjchreiten, konnten jie ſich nicht entjchließen,
weil diesjeits derjelben jich die Hauptmacht der Konföderation
fonzentrierte. Dadurch gewann man Zeit ein bedeutendes
Heer regulärer Truppen zu jammeln und auszubilden, welches
wohl imjtande war, eine offene seldjchlacht mit den Schweden
aufzunehmen und feine Kraft an der jchwediichen zu mejjen.
In den Streisitädten drillte man die Fußjoldaten für den
Dienit; da die Bauern freiwillig in ganzen Haufen zu
den Waffen griffen, jo fehlte e8 an Männern nicht. Cs
galt nur, fie für den Dienjt auszubilden, damit fie, unter ein
reguläres Kommando gejtellt, vor Ausjchreitungen und Unter-
nehmungen gegen die eigenen Landesgenofien zurüdgehalten
würden.
Die Kreisrittmeiiter übernahmen diejes Werk. Außerdem
hatte der König eine große Anzahl Aufgebotsbriefe an ver:
jchiedene alte, erfahrene Soldaten verteilt. Die Aushebungen
gingen aljo in allen Provinzen ſchnell und glatt von jtatten,
und da es auch an Fampfbereiten Männern nirgends fehlte, jo
hatte man bald mehrere ausgezeichnete Neiterregimenter bei—
jammen. Einige davon überjchritten die Weichjel, um jenjeits
1
195
derjelben den Aufjtand zu jchüren, andere jtießen zu Seren
Tſcharniezki und wieder andere jchlofjen jich dem Herrn Sapieha
an. Die Erhebung war jo allgemein geworden, daß das Heer
Johann Kafimirs das ſchwediſche an Streitkräften bald übertraf.
Das Land, über dejjen Machtlofigfeit ganz Europa ge-
ſtaunt hatte, lieferte jegt Beweiſe von Kraft und Intelligenz,
welche nicht der Feind, noch diejenigen, deren Herzen über das
Elend des Vaterlandes vor Trauer geweint, noch der König
jelbjt jemals in dieſem Wolfe vermutet hatte. ES fand ich
Geld, Begeijterung, Mannesmut, und jelbit die zaghaftejten
Seelen gewannen immer mehr die Ueberzeugung, daß feine
Lage jo hoffnungslos ſei, daß nicht ein Ausweg daraus gefunden
werden fönnte und daß überall da, wo Kinder geboren werden,
auch die Zuverjicht nicht wanfen dürfe,
Kmiziz fam anfangs ohne Unterbrechung vorwärts, indem
er unterwegs alle jene unruhigen Geijter aufjammelte und
mitnahm, welche dem Tſchambul gern folgten, in der Hoffnung,
im Verein mit den Tartaren reiche Kriegsbeute zu gewinnen.
Er Hatte fie bald in gehorjame und geſchickte Soldaten ver-
wandelt, da er die jeltene Gabe bejaß, ich und jeinem Willen
die Menfchen unterzuordnen. Weberall begrüßte man ihn mit
Jubel, denn jeine Tartaren waren ja der beite Beweis, daß
der Chan thatſächlich der Republik zu Hilfe eilt. Cs hatte
fic) das Gerücht verbreitet, daß dem Herrn Sapieha vierzig-
taujfend Mann tartarijche Hilfstruppen zugeführt würden; man
fonnte nicht genug bie beicheidene Burüdhaltung dieſer Ver⸗
bündeten rühmen, ja, man ſtellte ſie den eigenen Soldaten als
Muſter auf.
Herr Sapieha hatte ſein Hauptquartier gegenwärtig in
Biala. Seine Heeresmacht bejtand nun jchon aus fait zehn:
taujend Mann „(egulärer Landestruppen, teils Neitern, teils
Fußſoldaten. Den Grundſtock diefer Macht bildeten die Neite
des litauiſchen Heeres, welches durch Zuzüge zu ſo großer
Stärke angewachſen war. Die Reiterregimenter, beſonders
einzelne Fahnen, übertrafen an Geſchicklichkeit und Vortrefflich—
keit bereits die ſchwediſchen, aber den Fußſoldaten mangelte es
noch an Ausbildung, es fehlten ihnen Waffen und Munition.
Ebenſo machte ſich der Mangel an Kanonen fühlbar. Der
Wojewode hatte gehofft, in Tykozin ſich mit Geſchützen ver—
ſehen zu können, doch die Schweden hatten, indem ſie ſich ſamt
dem Turme in die Luft jprengten, zugleich auch alle Kanonen
vernichtet.
13*
196
Neben den bereits erwähnten Streitkräften ſtanden unfern
von Biala gegen zwölftaufend Freiwillige, welche Litauen,
Majowien und Podlachien geitellt hatten, doch von diefen ver-
ſprach jich der Wojewode nicht viel Nuten, befonders, da ſie
eine Menge Wagen mit unnügem Gepäck mit jich führten, welche
jede freie Bewegung hinderten.
Kıniziz beunruhigte eines, während er in Biala einzog.
Bei Sapieha dienten jo viele Adlige Yitauens und jo viele
frühere Offiziere Nadziwills, daß er befürchten mußte, erfannt
zu werden. War das der Fall, jo wuhte er, was ihm bevor-
Itand; man würde über ihn herfallen und ihn töten, noch ehe
er den Namen Ieju und Maria anrufen konnt. War doc)
jein Name in ganz Litauen und auch im Lager Sapiehas ver-
fehmt und noch allen in zu friicher Erinnerung, daß er im
Dienste Radziwills jich gegen jene Fahnen vergriffen, die ſich da—
mals von dem Fürſten losgejagt hatten.
Doc) hoffte er viel für jich von der Veränderung, die mit
ihm vorgegangen war. Er war jehr abgemagert, dazu fam die
Narbe im Gejicht, welche ihm die Kugel Boguslaws Hinter-
lajien, und zulegt trug er jet einen langen Knebelbart, welcher
nach jchwedijcher Art an jeinem unteren Ende feit zuſammen—
gedreht war, und da er den Schnurrbart nach oben bürjtete,
jo jah er eher aus wie ein Nachkomme Eriks, als wie ein
polnijcher Edelmann.
„Wenn nicht gleich in der eriten Zeit eine Revolte gegen
mich losbricht, dann bin ich gerettet. Nach der eriten Schlacht
werden jie anders über mich denfen.“
So mit feinen Gedanfen bejchäftigt, ritt Kmiziz in Biala ein.
Es dämmerte bereits, als er am Thore jich meldete und
man ihn über das Woher und Wohin ausfragte. Er jagte
dem wachthabenden Offizier, daß er mit Briefen vom Könige
fomme und jofort um eine geheime Audienz bei dem Herrn
Wojewoden bitte.
Der Wojewode empfing ihn gnädig, weil der König ihn
warm befürwortete.
„Wir jenden euch Unjeren treuejten Diener,“ jchrieb der
König, „den Heftor von Tichenjtochau, wie er jeit der Be—
lagerung Tſchenſtochaus allgemein genannt wird, und der Netter
Unjeres Lebens aus höchjter Gefahr. Wir empfehlen ihn eurem
bejonderen Schuße, bejonders darum, damit ihm von jeiten der
Soldaten feine Unbill geichehe. Er trägt einen angenommenen
Namen, jein wahrer Name iſt Uns aber befannt; auch die Ur—
197
jachen, um derentwillen er den andern angenommen hat. Wir
befehlen auch, daß um diefeswillen niemand fich herausnehme
ihn zu verdächtigen oder ihm Schlechtes zuzutrauen!“
„Warum habt ihr denn einen anderen Namen angenommen?
Darf man das erfahren?“ frug der Wojewode.
„Weil ich ein Berfehmter bin und unter meinem eigenen
Namen ein Aufgebot der Truppen nicht führen dürfte...
Se. Majejtät der König aber hat mich mit einem Aufgebots-
briefe betraut, als Babinitfch darf ich Soldaten werben.“
„Wozu wollt ihr noch werben, da ihr doch den Tartaren-
tichambul habt?“
„Eine größere Truppenmacht fann nicht ſchaden.“
„Warum jeid ihr verfehmt?“
„Dem Manne, unter dejien Kommando ich treten, deſſen
Schutz ich anrufen will, bin ich verpflichtet, alles zu befennen,
wie eimem zweiten Vater Mein wahrer Name iſt —
Kmiziz!“
Der Wojewode trat entjegt ein paar Schritte zurück.
„Derjelbe Kmiziz, welcher den König an Boguslaw aus—
zuliefern verjprochen hat?“
Nun erzählte Kmiziz mit aller ihm zu Gebote jtehenden
Beredtiamfeit, wie Nadziwill ihn überrumpelt, wie er dann
Boguslaw, nachdem er aus dejjen eigenem Munde den Verrat
der beiden fürſtlichen Vettern bejtätigen gehört, mitten aus
dejjen Heerlager entführt und dadurch des Fuͤrſten unerjättlichen
Nachedurit auf jich gelenkt Hatte.
Der Wojewode mußte den Worten des Ritters umjomehr
Glauben jchenfen, da der König dejien Ausjagen betätigte,
Zudem war der Wojewode jo hocherfreut durch einen Abſatz
im Briefe des Königs, daß er heute wohl jelbjt feinen Tod-
feind an das Herz gedrüdt und ihm alle Sünden verziehen
hätte. Diejer Abjat lautete:
„Dieweilen nach dem Tode des Wojewoden von Wilna
die Wojewodichaft vafant ijt, nach dem allgemeinen Landrecht
aber die Wiederbejegung einer Wojewodjchaft nur von dem
ganzen Senat bejchlofien werden kann, jo beichließen Wir in
dieſem Falle, der erjchwerenden Umjtände während der jetigen
unruhigen Zeitläufe halber, ein Ertraordinarium und belehnen
euch, Unſeren Biellieben, für die Nepublif durch die unvergeß—
lichen Verdienite um das Vaterland unentbehrlich Gewordenen,
mit dem Szepter der Wojewodjchaft Wilna, im guten Glauben,
daß, falls Gott Frieden in Unjer Land einfehren läßt, feine
198
Stimme fich gegen diejes Ertraordinartum erheben wird und
Unjere jelbjtändige Handlung die allgemeine Approbation erhält.“
E3 war allgemein befannt, day Herr Sapieha jeinen legten
Oberrod und jeinen legten jilbernen Löffel verkauft hatte, um
Geld zur Armierung der Truppen zu erlangen; er hatte in
jelbjtlojejter Weife alles hergegebeu zur Rettung des VBaterlandes.
Aber auch der ſelbſtloſeſte Menfch freut ich, wenn er für jeine
Berdienjte Anerkennung findet. Darum leuchtete heute aus
jeinem ſonſt jo ernſten Gejicht eine jo reine Freude.
Diejer Aft des Königs ſchmückte das Gefchlecht der Sapiehas
mit einem neuen Ehrenkranze; dag war feinem der derzeitigen
Magnaten von fürjtlihem Geblüt gleichgültig. Es war ſehr
erfreulich, da es noch jolche gab, welche feine, alles Chrgefühl
Hintanjegenden Streber waren. So war denn Herr Sapieha
gewillt, für den König zu thun, was in feiner Macht lag.
„Da ich nun Hetman bin“, jagte Herr Sapieha zu Kmiziz,
„ſo tretet ihr unter meine Gerichtsbarkeit, die ſoll euch Schuß
gewähren. Da aber viele Bekannte von euc) jich in den Regi—
mentern bier befinden, jo haltet euch möglichjt verborgen, bis
ih die Soldaten vorbereitet und die Berleumdung von euch
genommen habe, die Boguslaw über euch ausgejprengt.“
Kmiziz dankte herzlichjt für die Güte des Wojewoden, dann
erzählte er von Anufia, weshalb er fie mit nach Biala gebracht.
Der Hetman hätte darüber am liebſten ernſtlich gejcholten,
doc; da er fröhlicher Laune war, jo ſchalt er auch nur
ſcherzhaft.
„Der Selbſtherr iſt verrückt geworden! Wahrhaftig!“
ſagte er.
„Da ſitzen nun beide, er mit ſeiner Schweſter, hinter den
ſicheren Mauern von Samoſchtſch, wie im Himmel und denkt,
es könne jeder wie er die Rockſchöße auseinanderfalten, ſich
mit dem Rücken gegen den Kamin wenden, um ihn auszuwärmen.
Ich kannte die Podbipientas wohl; ſie waren mit den Brſcho—
ſtowskis verwandt und die letzteren ſind meine Verwandten.
Die Güter ſind herrliche Bejigungen, da iſt nichts zu fagen.
Aber, wie jollte man gegemvärtig irgend ein Necht nachjuchen,
da es gar feine Gerichtsordnung An Wer jollte wohl die
Erbichaftsregulierung einleiten und die Bejigeriu injtallieren.
Sie find verrüdt, total verrüdt! Mir jigt Boguslaw auf den
— ich habe militäriſche Funktionen zu verrichten und keine
Zeit, mich mit alten Weibern zu befaſſen ...“
„Sie iſt aber fein altes Weib, fondern frifch wie eine
199
Kiriche,“ entgegnete Kmiziz. „Aber das it Nebenjache! ...
Man bat mir jie mitgegeben und ich bringe fie her, um fie
abzuliefern!“
Der alte Hetman faßte Kmiziz freundjchaftlih am Ohr-
läppchen und fagte:
„So, jo! Aber wer fann denn willen, in welchem Zujtande
ihr mir fie abliefert. Bewahre mich der Himmel vor übler
Nachrede! Man foll nicht jagen dürfen, die Bevormundung
des Sapieha habe ihr Koliken zugezogen, die ein anderer ver—
ſchuldet . . . Wie war es in den Futterquartieren? Habt ihr
bei euren Tartaren etwa biffurmanische Sitten gelernt?“
„sn den Futterguartieren?“ antwortete Kmiziz Fröhlich.
„sch lieg mich, jo oft wir einige Stunden die Tiere ruhen
lajjen mußten, von meinen Knappen geikeln, um die weniger
anftändigen Gelüjte zu unterdrüden, die jeder Menſch mit ſich
herumträgt, d. h. ich betete mit ihnen ein Konfiteor, weil das
weniger jchmerzt, als Geihelhiebe.“
„Aha! ... Sit fie denn ein anitändiges Mädchen ?“
„Ei, wie man's nimmt. Sie iſt gefalljüchtig wie eine Ziege
und jehr bethulich.“
„Da kommt ja der Biſſurmane doch noch zum Vorſchein!“
jagte der Hetman.
„ber tugendhaft wie eine Nonne, das muß ich ihr nach-
jagen. Und was die Stolifen betrifft, jo würde fie unter
Samojskis VBormundjchaft viel eher dazugekommen jein, als
irgend wo anders.‘
Hier erzählte Kmiziz ausführlich, was er erlebt Hatte.
Der Hetman lachte Herzlich und Elopfte ihn auf die Schulter.
„Ihr jeid ja ein ganz durchtriebener Schlaufopf,“ meinte
er. „Man jpricht nicht umfonjt jo viel von Kmiziz. Aber
fürchtet nichts! Herr Samojsfi ijt nicht rachjüchtig, dazu ijt er
mein Bertrauter. Wenn jein erjter Zorn verraucht fein wird,
jo wird er jich die Sache belachen und euch noch für euren
Uueritreich belohnen.“
„Dafür bedanke ich mich! ich brauche feinen Lohn,“ unter-
brach Kmiziz den Hetman.
„Auch das gefällt mir, daß ihr jtolz jeid und niemandes
Hilfe beanjprucht. Dient mir nur wader und helft mir den
Boguslaw befriegen, dann ſoll es jpäter auch nicht fehlen, dat
ih euch alte Verfchuldungen jühnen helfe . . .“
Sapieha hielt plöglich inne. Als er den Namen Bogus-
laws nannte, hatte das fröhliche, offene Gejicht des Soldaten
200
ſich plöglich verfinftert und verzerrt, twie die Freſſe eines Hundes,
wenn er beißen will.
„Möge diejer Verräter an jeinem eigenen Speichel ver-
enden, wenn ich ihn nur noch unter die Hände befomme, ehe
jein Leben ausliſcht!“ jagte Kmiziz düſter.
„Sch begreife euren Haß... Doc) jeht zu, daß der Haß
die Vorjicht nicht übermwuchert, ihr Habt es nicht mit einem
Kriegsfnecht zu thun. ES iſt gut, dal der König euch zu mir
gejchiekt, ihr jollt mir den Boguslaw ebenjo in Unraſt halten,
wie vordem den Chowansfi.“
„Sch werde noch anders mit ihm umjpringen, als mit
jenem!“ verjeßte Amiziz mit gepreßter Stimme.
Damit war die Unterredung zu Ende. Kmiziz ritt in fein
Uuartier, um auszuruhen, denn er war jehr müde,
Unterdejjen hatte jich im Heere die Nachricht von der Er—
nennung des geliebten Führers zum Wojewoden von Wilna
und der damit verbundenen Würde eines Großhetman von
Polen verbreitet. Cine große Freude flammte wie ein heiliges
euer in den Herzen der Taujende darüber auf.
Die Offiziere und Wachtmeijter der verjchtedenen Negimenter
und Fahnen eilten in das Quartier des Hetman, denjelben zu
beglüchvünjchen. Die bereits in Schlaf verfunfene Stadt er-
wachte wieder. Man entzündete ?reudenfeuer. Die Fahnen-
träger eilten mit den Fahnen herbei, Trompeten jchmetterten,
Trommeln wirbelten, Kanonendonner wechjelte mit dem Knattern
des Gewehrfeuers, und Herr Sapieha ließ in Eile ein herrliches
Mahl herrichten. Man verjubelte die ganze Nacht, die Gejund-
heit des Königs, des Hetmans immer von neuem ausbringend
und manchen Becher auf den fünftigen Sieg über Boguslaw
leerend.
Herr Andreas war ſelbſtverſtändlich nicht bei dem Gaſt—
mahle gegenwärtig.
Während die Speiſen herumgingen, brachte der Hetman
das Geſpräch auf Boguslaw, und während er vermied, zu er—
wähnen, wer der Offizier ſei, welcher die Tartaren hergebracht und
ihm das Ernennungsdekret des Königs überreicht, ſprach er im
allgemeinen über die Aufſchneidereien Boguslaws, der immer
gern von der Wahrheit abweiche.
„Beide Radziwills,“ ſagte er, „intriguierten gern, aber
Fürſt Boguslaw übertrifft den verſtorbenen Vetter noch. ...
Erinnert ihr Herren euch noch des Kmiziz? Wenn nicht, ſo
habt ihr doch wenigſtens von ihm gehört. Stellt euch vor,
201
alles das, was der Fürſt Boguslam über ihn verbreitet hat, iſt
nicht wahr. Es iſt eine Lüge, dat Kmiziz ihm den König aus-
zuliefern jich erboten hat!“
„Er hat doch aber dem Fürſten Sanujch beigeitanden, als
diejer jich mit den Schweden verbündete, und hat in Sliejdan
mitgeholfen, die aufitändischen Offiziere zu töten,“ bemerfte ein
Edelmann.
„Das ift richtig,” Sprach der Hetman weiter. „Aber auch
er fam hinter den Verrat und als er ihn erfuhr, da warf er
nicht allein dem Fürſten jeinen Säbel vor die Füße jondern,
verwegen wie er iſt, hat er auch an Boguslaw jich rächen
wollen. Es joll ſchon jehr jchlimm um den jungen Fürſten
bejtellt gewejen jein; er fam faum mit dem Leben davon.“
„Kmiziz war ein großer Soldat! Das muß man ihm
lafjen,* warfen mehrere Stimmen dazwiichen.
„Der Fürſt hat dann eine Rache an ihm erjonnen, jo
jchredlich, daß die Seele davor erjchauert,“ fuhr Sapieha fort.
„Der Teufel hätte nichts Schlimmeres erjinnen können!“
„Ihr müßt willen, daß ich Beweife in der Hand Habe,
Beweiſe jchwarz auf weiß, dag die Verleumdung nur ein
Nacheaft war.“
„ber eines Menschen Namen jo zu verunehren.“
„sch hörte,“ erzählte der Hetman weiter, „daß Kmiziz aus
Verzweiflung darüber, was er umwifjentlich gejündigt, dann
nach Tichenjtochau gegangen iſt und dort dem Kloſter jehr be—
deutende Dienite geleitet hat. Später hat er mit eigener
Lebensgefahr dem Könige das Leben gerettet.‘
Als die Anmwejenden das hörten, begannen diejenigen,
welche jeine erbittertiten ‚zeinde waren, milder über Kmiziz zu
urteilen.
„Kmiziz wird ihm das nie verzeihen,“ meinten einige.
„Er iſt ein zu eigen gearteter Menjch; der wird dem NRadziwill
ihon auszahlen.“
„Der Fürit-Stallmeifter hat den ganzen Soldatenjtand in
diefem einen entehrt!*
„Kmiziz war ein mutwilliger, oft graufamer Menſch, nie—
mals dennoch ein Abtrünniger!“
„Er wird jich rächen! O, er wird fich rächen!“
„Wir wollen ihn rächen!“
„Wenn Seine Gnaden der Herr Hetman für feine Ehre
eintritt, dann muß wahr fein, was er jagte.“
„So iſt es! Es ijt wahr!“
„Es lebe der Hetman! Es lebe der Hetman!“
Faſt Hätte nicht viel gefehlt, jo hätte man auch Kmiziz'
Wohl ausgebradht. Doch wurden zwijchendurch auch gewichtige
Stimmen laut, die gegen ihn auftraten, bejfonders unter den
Offizieren, die früher in Radziwillichen Dienjten gejtanden. Als
der Hetman das hörte, fagte er:
„sch will euch Herren jagen, wie mir dieſer Kmiziz jeßt
in den Sinn gefommen iſt. Babinitjch, der Eilbote des Königs
it ihm sehr ähnlich. Im eriten Augenblick glaubte ich ihn
jelbjt vor mir zu jehen.“
Herr Sapieha runzelte ein wenig die Stirn und jagte
mit Würde:
„Wenn aber auch Kmiziz in eigener Berjon hierherfäme,
würde ich ihn, nachdem er jich befehrt und den Heiligen Berg
Tichenftochaus durch feine Heldenthat bejchirmt hat, mittels
meiner Würde als Hetman vor allen Angriffen fügen. Ich
bitte alſo die Herren, daß anläßlich diefes Eilboten des Königs
feinerlei Streitigfeiten hier entitehen. Ich erinnere daran, dab
er als Beitallter Sr. Majeität und auch des Chan zu uns
gefommen. Bejonders aber lege ich jeine Sicherheit den Herren
Hauptleuten vom allgemeinen Aufgebot an das Herz, denn bei
ihnen ift die Disziplin etwas loder.”
Wenn Herr Sapieha jo jprad), wagte in der Negel Herr
Sagloba allein etwas unter der Naje zu brummen, alle anderen
Dffiziere ſaßen totenjtill. So auch jet hier, nur, daß Herr
Sagloba fehlte. Erſt als das Gejicht des Hetman jich wieder
aufbeiterte, wurden auch fie wieder lebhafter. Die Becher
freiiten oft und erhöhten die allgemeine Heiterkeit. Die ganze
Stadt braufte bis zum Morgen im Freudentaumel, daß die
Mauern der Häuſer in ihren Grundfejten bebten. Der
Rauch der abgefeuerten Gejchüge hüllte fie ein, wie nach einer
Schlacht.
Am anderen Morgen ſandte Herr Sapieha das Fräulein
Borſchobohata nach Grodno, unter dem Schutze des Herrn
Kotſchütz. In Grodno, welches Chowanski ſchon längſt ver—
laſſen hatte, reſidierte die Familie des Wojewoden.
Die arme Anuſia, deren Herz für den ſchönen Kmiziz doch
etwas Feuer gefangen hatte, nahm ſehr rührenden Abſchied von
ihm. Er aber blieb jehr ernit, und erjt als jie fchon im Wagen
ſaß, fagte er ihr:
203
„Wenn nicht die eine jich wie ein Dorn in meinem Herzen
feitgehajpelt hätte, wer weiß, ich hätte mich wahrjcheinlich auf
Tod und Leben in euc) verliebt.“
Anufia, als fie das hörte, dachte bei jich, daß fein Dorn
fo tief im Fleisch fit, der nicht mit Geduld und einer
Stednadel herausgebohrt werden fünnte. Sie fürchtete fich
aber etwas vor dieſem Herrn Babinitjch, deshalb jchwieg jie
lieber — jeufzte leife und fuhr von dannen.
18. Kapitel.
Nach der Abreije Anufias mit Herrn Kotſchütz blieb das
Heerlager Sapiehas noch acht Tage in Biala. Kmiziz, welcher
mit jeinen Tartaren nach dem nahen Rokitno abfommandiert
war, fonnte der Ruhe pflegen, denn es war notwendig, für Roß
und Mann neue Kräfte zu jammeln, da die Pferde bejonders
von der langen Reiſe jehr hHeruntergefommen waren. Bor
einigen Tagen war auch der Grundherr Bialas, der Fürſt—
Truchſeß Michael Kaſimir Nadziwill in Biala angefommen.
Er war ein mächtiger und jteinreicher Herr, von der Seiten:
linie Nieswierjch, von der man erzählte, day fie allein von den
Kiſchkows jiebzig Städte und vierhundert Dörfer geerbt hatten.
Diefer Fürſt Michael glich in nichts feinen Birzer Verwandten.
Er war nicht weniger jtolz als jene, aber anderen Glaubens.
Ein eifriger Patriot und Anhänger des rechtmäßigen Königs,
war er mit ganzer Seele der Tyſchowietzer Konföderation bei=
getreten und unterjtüßte Diejelbe nach Kräften. Obgleich jeine
ungeheuren Bejigungen durch den legten hyperborätjchen Krieg
Itarf mitgenommen waren, jo war ihm doch noch genug ge=
blieben, um den Hetman mit einer anjehnlichen Truppenzahl
zu unterjtügen.
Doc war es weniger die Zahl jeiner Soldaten, die hier
ing Gewicht fiel, wie die Thatſache, dal hier ein Radziwill
gegen den anderen jtand. Auf dieſe Weije wurde den Hand—
lungen Boguslaws jeder Anjchein von Nechtmäßigfeit entzogen
und ihnen der Stempel des VBaterlandsverrates aufgeprägt.
Darum begrüßte auch Herr Sapieha den Fürſt-Truch—
je mit Freuden in feinem Lager. Mit jeiner Ankunft war
auch dem Hetman die Zuverſicht gefommen, daß er über
Boguslam fiegen werde, da auch jeine Streitfräfte durch die
205
Truppen des Fürſten eine Verjtärfung erhalten Hatten.
Seiner alten Gewohnheit gemäß machte er langjam jeine Pläne,
überlegte hin und her und berief jeine Offiziere zu den
Beratungen.
Auch Kmiziz wohnte diefen Beratungen bei. Als er das
erjte Mal mit dem Fürſten Michael zufammentraf, pacte ihn
bei jeinem Anblid eine grenzenlojfe Wut; der Hab gegen den
Namen Radziwill war zu mächtig in ihm. Aber der Fürft
gewann durch den Ausdrud der Güte in jeinem jchönen Geficht
und durch jeine hervorragenden Charaftereigenjchaften die Herzen
der Menjchen. Die jchwere Zeit, die er joeben exit durch-
gemacht, indem er das Land gegen die Einfälle Soltarenfas
und Srebrnis gejchüßt hatte, jeine Liebe zum Könige und zum
Vaterlande, das alles machte ihn zu einem der hervorragenditen
Kavaliere jeiner Zeit. Seine Amwejenheit im Lager Sapiehas
allein genügte, um allen zu beweijen, wie diefer junge Fürſt
alle jeine PBrivatinterejjen auf dem Altar des Waterlandes
opferte. Wer ihn fannte, der mußte ihn hochachten und diejem
Gefühle konnte jelbjt Kmiziz, troß der tiefen Abneigung gegen
die Radziwills, nicht wehren.
Zulegt gewann der junge Fürſt das ganze Herz des
Nitters durch die Natjchläge, die er erteilte. Er riet zum
jchnellen Handeln, zum jchleunigen Ausrücen gegen die heran-
ziehende Macht Boguslaws, damit dieſer nicht Zeit gervinne,
die verlorenen Schlöjfer und Velten wieder zu bejegen. Man
jolle ihn angreifen, ihn nicht zu Atem kommen laſſen, ihn mit
jeinen eigenen Waffen jchlagen, und auf feinen Fall fich mit
ihm in Verträge irgendwelcher Art einlajfen. Nur im rejoluten,
jchnellen Handeln erblicte er einen jicheren, jchnellen Sieg.
„Es wird nicht fehlen,“ führte der Fürſt des weiteren aus,
„daß auch Karl Guſtav jich zu regen beginnt. Deshalb müſſen
wir uns freie Hand schaffen, um jo jchnell als möglich dem
Herrn Ticharniezfi Hilfe bringen zu können.“
Auch Kmiziz war diefer Anficht; es brannte ihn jchon
nach dreitägiger Ruhe, thätig in die Ereignijje eingreifen zu
dürfen. Am liebiten wäre er, ohne ein Kommando abzuwarten,
auf eigene Fauſt dem Feinde entgegen gezogen.
Aber Sapieha wollte jicher gehen; er fürchtete jeden
umüberlegten Schritt, er wollte erit bejtimmte Nachrichten
abwarten.
Und die Gründe des Hetman waren auch jtichhaltig. Der
Zug Boguslaws nach Podlachien konnte ebenjo gut nur unters
206
nommen worden fein, um die Konföderierten irre zu führen.
Vielleicht war das ganze Unternehmen nur ein fingiertes, viel-
leicht jandte man nur zum Schein eine Anzahl irgendwelchen
Ktriegsvolfes aus, um die Vereinigung des Sapiehafchen Heer:
lager mit dem Sronenheere zu verhindern. Verhielt es ſich
jo, dann würde Boguslaw vor Sapieha nur berumflanieren,
eine Schlacht aber auf alle Fälle vermeiden, das Heer unauf-
börlich durch Streifereien in Unruhe verjegen, während in-
zwifchen Karl Guftav mit dem Kurfürften gegen Herrn Tſchar—
niezfi anrüden, jein Heer mit ihrer Uebermacht erdrücden, dann
dem Kronenheere entgegenziehen und jo ungejtört das ganze
mühfelig durch das Beiſpiel Tſchenſtochaus aufgerichtete Ver—
teidigungswerf vernichten konnten.
Herr Sapieha war nicht nur ein waderer Feldherr, er war
auch ein Stratege. Er begründete jeine Anfichten in den Sigungen
jo Far und energiich, daß ſelbſt Kmiziz ihm zuftimmen Au
Man mußte umbedingt erſt Klarheit in die Sachlage bringen.
Erwies es ſich, daß Boguslaw nur zum Scheine den Kriegszug
unternommen, dann genügte e8, ein paar Fahnen unter Tchter
friegstüchtiger Leitung hier zurüdzulajjen, mit der ganzen Heeres—
macht aber in Eilmärjchen zu Herrn Tjcharniezfi zu jtoßen,
um der jchwedischen Hauptmacht erfolgreich entgegen zu treten.
Auf die paar Hier zurücbleibenden Fahnen konnte es hierbei
nicht ankommen, denn nicht alle Streitkräfte des Hetman waren
bei Biala jtationiert. Der junge Herr Kichyfchtof, Kſchyſchtofek
Sapieha genannt, jtand mit zwei Fahnen leichter Reiterei in
Jaworowo; Horotkiewitjch trieb jich noch in der Gegend von
Tyfozin mit einem halben Regiment Dragoner umher, denen
ſich mit der Zeit etwa fünfhundert Freiwillige angejchlofjen
hatten, außerdem mehrere Petyhor- Fahnen und in Bialyſtock
ein Negiment Fußſoldaten.
Wenn Boguslaws Heer, wie Sapieha mutmaßte, nur aus
etlichen Hunderten Neiter bejtand, dann genügte es, die leht-
genannten Truppen zujammenzuziehen, um Boguslaw in Schach
zu halten.
So begnügte ſich denn der Hetman vorläufig damit, nad)
allen Nichtungen Hin Kumdjchafter auszuſenden, und wartete
die erjehnten Nachrichten ab.
Und endlich trafen fie ein. Wie Keulenſchläge fuhren fie
in die Stille des Lagers, welche um jo jchwerer trafen, als die
ausgejandten Kundſchafter faſt gleichzeitig zurücfehrten.
Man hielt im Schloffe in Biala joeben wieder eine Sigung
207
ab, als ein Ordonnanz-Offizier eintrat und dem Hetman ein
Schreiben überreichte.
Kaum hatte diefer einen Blick in dasjelbe geworfen, als
er auch jchon ganz aufgeregt ausrief:
„Mein Berwandter in Jaworowo ijt volljtändig gejchlagen
und zwar durch Boguslaw jelbjt. Herr Kſchyſchtof jelbit it
faum mit dem Leben entronnen.“
Die Anwejenden verjtummten plößlich bei dieſer eben ver—
nommenen Kunde.
„Der Brief iſt auf der Flucht in Bransf gejchrieben,“
fuhr der Hetmann fort. „Wahrjcheinlich) war die Konfufion
groß, denn es jteht nichts in dem Briefe von der Stärfe der
Boguslawjchen Armee... Sch denke, jie muß jchon bedeutend
jein, da fie die zwei Fahnen nebit allen Fußſoldaten vollitändig
aufgerieben hat! ... Möglich iſt aber auch, daß Fürjt Bogus-
law jie unverjehens überrumpelt hat . . Man fann dem Briefe
gar nichts Sicheres entnehmen . . .“
„Herr Hetman!“ entgegnete der Fürſt Michael. „Ich bin
dejien gewiß, dab Boguslam ganz Podlachien für fich offupieren
will, um es dann mittel3 eines Bertrages, entweder als feites
Eigentum, oder als Lehen an jich zu bringen... Dazu aber
braucht er eine große Truppenmacht. Ich habe für meine
Behauptung zwar feinen anderen Beweis, als meine Kenntnis
der Charaftereigentümlichkeiten Boguslarıs, doc) das genügt mir.
Nicht um Schweden und Brandenburg it er bejorgt, jondern
um jeine eigene Habgier ... Er ift ein Feldherr von außer:
ordentlichen Fähigkeiten und vertraut dabei jeinem guten Stern.
Er will eine Provinz für fich erobern, den Tod Januſchs
rächen, Ruhm ernten; zu alle dem braucht er ein Heer, ein
großes Heer. Wir müſſen ihn fchleunigit überrumpeln, jonit
überrumpelt er ung.“
„gu allen Unternehmungen ijt Gottes Segen vonnöten,“
jagte Osfierfo, „und diejer Segen iſt bei uns!“
„Herr Hetmann!“ jagte Kmiziz. „Wir entbehren noch)
Jicherer Nachrichten, bitte jchict mich aus mit meinen Tartaren;
ich will bald bringen, was uns zu willen not thut.“
Osfierfo, welcher in das Geheimnis eingeweiht war und
wußte, wer Babinitjch war, unterjtügte dieſen Antrag lic
„Bei Gott! Das ijt ein ausgezeichneter Gedanke! Einen
ſolchen Kundſchafter und ſolche — Un dort am Platz.
Wenn nur die Pferde ausgeruht find .
208
Osfterfo ftodte . . . Wieder trat eine Urdonnanz in
das Gemad).
„So, Herr Hetman,“ jagte Sapieha, ſich mit den Händen
auf die Kniee jtügend, „nun befommen wir näheres zu hören.
... Laßt den Boten herein!“ rief er dem Offizier zu.
Gleich darauf betraten zwei Petyhor-Ulanen das Gemad).
Ihre Uniformen waren zerriffen und ganz bejchmußt.
„Bon Horotfiewitich?“ rief Sapieha ihnen fragend entgegen.
„Bon Sorotfiewitich! Zu Befehl!“
„Wo it er jebt?“
„Erichlagen! Und wenn nicht erichlagen, dann weiß Gott
allein, wo er jich befindet.“
Der Wojewode erhob fich, ſetzte ſich aber jogleid) wieder
nieder und forjchte anscheinend ruhig weiter.
„Wo befindet jid) die sahne?“
„Sie iſt vernichtet durch den Fürſten Boguslaw.“
„Sind viele von euch gefallen?“
„Es jind unjerer nicht viele übrig geblieben. Die wenigen,
die am Leben jind, gerieten in Gefangenjchaft. Einige wollen
behaupten, daß der Hauptmann auch entkommen je. Daß er
verwundet it, habe ich jelbjt gejehen. Wir find aus der Ge—
fangenjchaft entflohen.“
„Wo jeid ihr überfallen worden?“
„Bei Tykozin.“
„Warum Habt ihr euch nicht Hinter die Mauern des
Schlofies verjchauzt, da ihr in der Minderzahl waret?“
„Iyfozin ift in den Händen der Feinde.“
Der Hetman bededte einen Augenblid die Augen mit
der Hand. Dann rieb er ſich die Stirn.
„sit das Heer Boguslaws jtarf?“
„Etwa viertaufend Weiter, außer den Fußſoldaten und
den Gejchügen. Die Füſiliere find ganz marode; ſie blieben
zurüd. Die Neiter gehen vorwärts, die Gefangenen mit fic)
führend. Wir find ihnen glüdlicd) entwijcht.“
„Wo jeid ihr entflohen?“
„sn Drohotjchyn.“
Sapieha riß die Augen weit auf.
„Menich! du biſt betrunfen!“ rief er. „Wie jollte
Boguslam nach Drohotjchyn kommen. Wann hat er euch denn
aufgehoben?“
„Bor zwei Wochen.“
„Und er befindet jich in Drohotſchyn?“
209
„Seine Worjchübe jind dort; er jelbit it noch zurüd-
geblieben, Denn man hat einen Neifetransport aufgefangen,
welchen Herr Kotſchütz führte.“
„Kotſchütz mit Fräulein Borichobohata!” rief Kmiziz aus,
Das Stilljchweigen, welches nun eintrat, währte länger,
als zuvor, niemand wagte zu jprechen. Das rajche erfolgreiche
Vorgehen Boguslaws hatte alle Köpfe verwirrt. Gleichzeitig
juchten die Gedanfen eines jeden im Stillen im Hetman den
Schuldigen; hätte er nicht jo lange überlegt, jondern raſch ges
handelt, wie ihm geraten worden — doch niemand wagte jeine
Meinung laut zu äußern.
Sapieha aber war ſich bewußt, recht und vorjichtig gehandelt
zu haben. Er überwand auch zuerjt den niederdrüdenden Ein—
drud der erhaltenen Mitteilungen. Mit einer Dandbewegung
entließ er die beiden Ulanen, dann jprad) er:
„Das alles jind Unfälle, die jeder Strieg mit jich bringt,
die uns auch nicht entmutigen dürfen. Glaubt nur nicht, daß
wir jchon eine Niederlage erlitten haben, meine Herren. Schade,
jchade, um jene unglüdlichen Fahnen, das it wahr. Doch der
Schaden hätte größer werden fünnen, wenn Boguslav ums
liſtiger Weije in entfernte Provinzen gelocdt hätte. Er kommt
zu uns... Gut! als freigebige Wirte wollen wir ihm ent=
gegengehen.“
Hier wandte er jich an die Hauptleute.
„sch befehle aljo, alle Truppen marjchbereit zu halten.“
„Ste find e8 bereits,“ jagte Oskterfo, „die Pferde dürfen
nur aufgezäumt und zum Aufſitzen geblajen werden.“
„Noch heute Abend joll es geſchehen . . . Wir rüden
morgen mit dem erſten Tagesgrauen aus . . . Herr Babinitſch
kann mit den Tartaren voraus ſprengen, um möglichſt bald
und viel auszufundjchaften.“
Kaum hatte Kıniziz das gehört, jo war er auch ſchon Hinter
der Thür. Einige Augenblide nachher jprengte er in vollem
Galopp auf der Landſtraße Nofitno zur.
Auch Herr Sapieha zauderte nun nicht länger. Es war
noc) tiefe Nacht, als die Trompeten in langgezogenen Tönen
zum Aufjigen bliefen und gleich darauf Reiter umd Fußvolk in
langen Zügen aus der Stadt dem Schlachtfelde zu marjchierten.
Hinterdrein fuhren fnarrend eine ganze Neihe beladener Wagen.
Die eriten Morgenlichter jpiegelten fic) in den Läufen der Mus—
feten und in den Lanzenjchäften.
Ein Regiment nach dem anderen, eine Fahne nach der
Sienkiewicz, Sturmflut II. 14
210
anderen zogen zierlich und wohlgeordnet dahin. Die Weiter
jangen die Tagzeiten und die Pferde jchnauften in der Morgen-
fühle, was die Soldaten für eine gute Vorbedeutung fommenden
Sieges hielten. Die Zuverſicht auf beilere Tage erfüllte Die
Herzen der Krieger, denn jie wuhten, da Herr Sapieha, wenn
er auch lange fopfjchüttelnd zu erwägen liebte, doch ein großer
Feldherr war, wenn es galt, loszujchlagen.
In NRofitno waren inzwilchen die Lageritellen der Tar—
taren ſchon Falt geworden, die waren längjt über alle Berge.
Herr Sapieha wunderte ſich nur, daß er nichts über fie er-
fahren fonnte, troß vieler Nachfragen. Man wollte jie nirgends
gejehen haben, obgleich es eigentlich undenkbar war, daß eine
Abteilung von mehreren hundert Mann unbemerkt durch Die
Ortjchaften gefommen fein jollte.
Die erfahreneren Offiziere bewunderten die Geſchicklichkeit,
mit welcher Babinitjch einen jolchen Zug in lautlofer Disziplin
zu halten verjtand.
„Er ichleicht wie ein Wolf und beit wie ein Wolf,“
jagte man untereinander. „Er muß ein Ichlauer Praftifant jein.“
Und Herr Oskierko jagte heimlich zu Herrn Sapieha, da
er doch wußte, wer Babinitjch war:
„Showansfi hat nicht umſonſt einen Preis auf jeinen Kopf
ausgejegt. Wer kann wiſſen, wen Gott den Sieg zugedacht hat,
aber Boguslaw wird den Strieg mit uns bald überdrüfjig jein.“
„Schade nur, daß Babinitjch wie in einen Abgrund ver-
junfen jcheint,“ sagte der Hetman.
Sp waren drei Tage vergangen, ohne daß etwas neues
vorgefallen wäre. Die Hauptarmee Sapiehas hatte den Bug
überjchritten, Drohitichyn erreicht und noch immer war vom
Feinde feine Spur zu finden. Der Hetman fing an unruhig
zu werden. Nach den Berichten der Petyhors waren doch die
Vorpoſten Boguslaws jchon bis Drohitſchyn vorgedrungen. Da
man ſie nicht fand, mußte Boguslaw ſie wohl zurückgezogen
haben. Was aber hatte dieſer Rückzug zu bedeuten? Hatte
der Fürſt von der Llebermacht Sapiehas gehört und fürchtete
er diejelbe, oder wollte er den Hetman dennoch weit hinauf
nach dem Norden loden, um dem Stönige von Schweden den
Ueberfall Tjceharniezfis zu erleichtern? Babinitjch mußte jchon
einen Sumdjchafter haben, um den Hetman benachrichtigen zu
fünnen. Die Angaben der Tetyhors über die Stärfe der feind-
lichen Heeresmacht konnten irrige fein, es war durchaus not-
wendig, bald jichere Berichte zu empfangen. ’
211
Aber e3 vergingen weitere fünf Tage, ohne daß Babinitjch
ein Lebenszeichen gegeben hätte. Der Frühling war im Anzuge,
die Tage wurden immer wärmer. Der Schnee jchmolz. Die
Gegend jtand faſt ganz unter Wafler, das „‚umpfige Erdreich
erjchwerte ungeheuer Die weitere Bewegung. Der Hetman mußte
eine Anzahl Gejchüge nebſt einigen Wagen in Drohitſchyn zurüd-
lajjen, was fleine Unbequemlichkeiten zur ‚Folge hatte.
=» In Bransk wurden die Wege jo hlecht, daß auch die
Fußſoldaten nicht mehr weiter konnten. Der Hetman requirierte
unterwegs Pferde von den Bauern und lieg die Musketiere
aufjigen. Andere wurden von den Ulanen mitgenommen. An
ein Zurück war nicht zu denfen; der Hetman wußte, daß nur
eins zu thun blieb. „Vorwärts“ galt die Lojung.
Boguslaw wich immer weiter zurüd. Man traf jet bier
und da jchon Spuren feines Durchzuges, bald ein nieder-
gebranntes Dorf, bald einige arme Erhängte, deren Körper
noch an den Bäumen baumelten. Wohl brachte ber anjäjlige
Kleinadel Nachrichten über Boguslaw in das Lager Sapiehas,
aber jie mwiderjprachen fich und beruhten eben nur auf Er—
zählungen von Menschen, die vom Kriegshandwerf feine Ahnung
hatten. Manche von ihnen wollten auch Hier und da Tartaren
gejehen haben, aber gerade bezüglich ihrer lauteten die Berichte
am umwahrjcheinlichjten. Bald hatte man ſie Hinter, bald vor
dem fürjtlichen Deere gejehen.
Herr Sapieha war wütend, wenn jemand nur den Namen
Babinitjch nannte und fagte zu Oskierko:
„Ihr Habt ihn zu Früh gelobt! Ich habe Wolodyjowsfi
jehr zur Unzeit fortgejchickt, wenn ich ihn hier hätte, jo wüßte
ich lange, woran ich bin; dieſer hier üt ein Wirbehvind oder
Schlimmeres. . Wer weiß, vielleicht haben gar die Menjchen
recht, welche jeine Tartaven an der Spitze des feindlichen Heeres
gejehen haben wollen, vielleicht macht er mit Boguslaw gemein-
jchaftliche Sache.“
Oskierko wußte jelbjt nicht, was er denfen ſollte. Wieder
war eine Woche verjtrichen, das Heer war in Bialyjtod an—
gelangt.
Kun war um Mittag. Etwa zwei Stunden jpäter meldeten
die Vorpojten, da eine Abteilung Soldaten jich dem Orte
nähere.
„Vielleicht Babinitjch!“ vier der Hetman. „Er joll nur
fommen, ich habe jchon das pater noster für ihm bereit.“
Aber 8 war nicht Babinitjch jelbit. Im Lager entitand
14*
212
bei Anfunft jener Trupps ein jo großer Auflauf, daß Herr
Sapieha jelbit hinausging, um zu jehen, was gejchehen war.
Etliche Offiziere verjchiedener Abzeichen kamen ihm ent-
gegen geeilt.
„Bon Babinitjch!“ meldeten fie. „Gefangene! Eine große
Anzahl! Er muß viele Menjchen umgebracht haben.“
Bald jah auch der Hetman eine Anzahl Menjchen vor
fich, auf abgemagerten, jtruppigen Kleppern hodend. Sie um—
ringten etwa dreihundert an den Händen gefejjelte Gefangene,
welche jie mit ledernen Riemen peitjchten. Die Gefangenen
boten einen jchredlichen Anblid. Sie glichen eher Schatten,
denn lebenden Wejen. Abgerifiene Lumpen jchlotterten um die
halbnacten Leiber, die jo mager waren, daß die Knochen aus
der jtellenweije blutig gejchlagenen Haut hervorjahen. Kaum
noch imjtande, jich fortzujchleppen, liegen jie gleichgültig alles
über jich ergehen.
„Was jind das für Leute?“ frug der Hetman.
„Vom Heere Boguslaws,“ antwortete einer der Volontäre
Kmiziz', welcher mit den Tartaren die Gefangenen hergebracht.
„Wo habt ihr ihrer jo viele her?“
„O, fait die Hälfte davon ift vor Erjchöpfung unterwegs
liegen geblieben.“
Ein alter Tartar, der bei dem Tſchambul das Amt eines
Wachtmeijters befleidete, näherte ſich nun dem Hetman umd
nachdem er mit der Stirn den Boden berührt, überreichte er
ihm einen Brief Kmiziz'.
Ohne zu zaudern, erbrach der Hetman das Siegel und
begann laut zu lejen:
„Erlauchter Herr Hetman!
Dat ich bis jet feine Nachrichten und auch feinen Kund—
ichafter gejandt habe, liegt daran, dat ich anſtatt Hinter dem
Heere Boguslaws an der Spite desjelben ritt und lieber gleich
en einer größeren Anzahl Kundjchafter vor Euch erjcheinen
wollte...“
Der Hetman unterbrach das Xejen.
„Er iſt ein Teufel!” jagte er. „Anitatt ihm zu folgen,
hat er ihn umgangen und jeine Frontſtellung angegriffen!“
„Da Ichlage doc das Wetter drein! . . .* ſetzte Herr
Oskierko Hinzu.
Der Hetman las weiter:
„Denn, obgleicd) das eine jchiwierige Operation war, da die
Vorſchübe überall in breiter Linie gingen, quetjchte ich mich,
213
nachdem ich zwei derjelben volljtändig ausgehauen hatte, doch
nad) vorn durch und jtellte mich plöglich der ‘Front des feind-
lichen Heeres entgegen. Das verwirrte den Fürjten vollfommen;
er begriff jogleich, daß er umgangen worden und in eine Falle
geraten war. . . .“
„Daher der plögliche Rüdzug!“ rief der Hetman. . . „Er
it ein Teufel, der reine Teufel!“
Seine Neugier wuchs immer mehr; er las weiter:
„Der Fürſt, welcher fich jedenfalls nicht erflären fonnte,
wie Das zugegangen war, verlor ganz die Bejinnung. Er
jandte Patrouillen über Batrouillen aus, welche wir jtet3 ab-
fingen und dafür jorgten, daß jie vollzählig nie zu ihm zurüd-
fehrten.. Da id) dem Heere vorauseilte, nahm ich ihm Die
Fourage vorweg, zeritörte die Wälle und ließ die Zugbrücden
niederreißen, jo daß er nur mühjelig weiter marjchieren fonnte,
und ließ ihm Tag und Nacht weder Zeit zum Eſſen noch zum
Schlafen. Keiner wagte es, das Lager einen Augenblid zu ver:
lafien, denn die Unvorfichtigen wurden von meinen Qurtaren
jogleich aufgegriffen; wenn die miüden Soldaten endlich ein-
eichlafen waren, dann jtimmten meine Leute in ihren Ver—
Meden ein entjetliches Geheul an, ſodaß die Schläfer entjegt
emporfuhren, weil jte glaubten, eine große Armee rüde gegen
fie an. Sie hielten dann die ganze Nacht Wachtfeuer. Da—
durch ijt der Fürſt der Verzweiflung nahe gebracht; er weiß
nicht, wohin er fich wenden, wohin er fich begeben fol. Daher
it es notwendig, dab bald gegen ihn vorgegangen wird, damit
er nicht jeinen Irrtum erfennt und nicht zu Atem kommt. Er
hatte etwa jechstaujend Mann bei fich, aber nahezu ein Taujend
hat er jchon verloren. Die Pferde fallen ihm. Die Reiter:
regimenter jind jonit gut imjtande, die Fußſoldaten gut be—
waffnet. Doch half Gott den Haufen etwas jchmelzen; es
werden von Tag zu Tag weniger, und wenn unjere Armee
ihn nur bald erreicht, dann wird jein Heer beim erjten Anprall
zerjchellen. Die Karofjen des Fürſten, ſechs Kredenzwagen mit
verjchiedenen Koſtbarkeiten habe ich in Bialyjtod weggenommen,
jamt zwei Gejchügen, welche ich jedoch, weil jie zu ſchwer find,
ins Wajler verjenfen mußte. Der fürjtliche Verräter ilt vor
Aerger jchon bedenklich erkrankt; er kann ſich kaum mehr auf
dem Pferde halten, das Fieber verläßt ihn Tag und Nacht
nicht. Fräulein Borjchobohata wird im Lager fejtgehalten,
doch da der Fürſt Frank it, wird er ihrer Tugend nicht ges
fährlich werden. Dieje Nachrichten von der Berzweiflung des
214
Fürſten habe ich von den Gefangenen, welche meine Tartaren
durch Anjengen der Haut zum Sprechen zwangen. Sie werden
ihre Ausſagen wiederholen, wenn man das Experiment wieder
holen wollte. Damit empfehle ich Ew. Erlaucht meine unter—
thänigen Dienjte und bitte um Verzeihung, wenn ich in etwas
gejehlt haben jollte.e Die Tartaren find gute Jungen und
hauen, wenn ſie reiche Beute wittern, Fräftig zu.“
„Ew. Erlaucht bedauert wohl jet jchon weniger, den
Herrn Wolodyjowsfi fortgejchidt zu haben,“ jagte Oskierko.
„sch glaube, er hätte es diefem Teufel nicht gleichgethan.“
Es iſt zum Staunen!“ rief Sapieha, indem er fich den
Kopf hielt.
„Lügt er nicht etwa Doch?“
„O, er beſitzt zuviel Stolz dazu! Hat er doch jelbjt dem
Fürſt-Wojewoden in das Gejicht gejagt, was er über ihn dachte,
und nicht darnach gefragt, ob es ihm angenehm war oder nicht.
Er wiederholt Ddiejelbe Prozedur an Radziwill, die er an
Chowansfi erprobt, nur daß der letztere Fünfzehnmal mehr
Soldaten hatte, als Diejer,“ verteidigte Oskierko.
„Wenn er die Wahrheit jchreibt, dann iſt e3 notwendig,
jogleichh weiter zu marjchieren,“ überlegte der Hetman.
„Gewiß! Che der Fürſt zur Bejinnung fommt.“
„Auf alſo! Jener zerjtört ihm die Brüden, holen wir
ihn ein.“
Inzwiſchen waren die Gefangenen, al$ jie vernommen, der
Hetman jtehe vor ihnen, in Slagelaute ausgebrochen. Sie
jchilderten ihr Elend in den verjchiedenen Dialekten der litauijchen
Zunge unter Thränen und flehentlichen Bitten. Es befanden
ſich unter ihnen auch Schweden, Deutjche und Schotten von
der Leibgarde Boguslaws. Herr Sapieha befahl, ihnen Speiſe
und Tranf zu veichen, dann ohne Martern ein Verhör mit
ihnen vorzunehmen.
Ihre Ausjagen bejtätigten die Wahrheit des von Kmiziz
Gejagten. Sp marjchierte denn die Armee Sapiehas in Eil-
märjchen vorwärts.
Er
NIN/N/
*
8
*
‘
19. Rapitel,
Der nächite Bericht Kmiziz' fam von Sofolfi und lautete
furz: „Der Fürſt jimuliert, um unjere Armee irre zu führen,
einen Rückzug nach Schtichutjichin, wohin er einen Bortrab
gejandt hat. Seine Hauptmacht jteht bei Janowo. Er hat
dort einen Zuzug von Fußſoldaten unter dem Kommando
des Kapitän Kyrig erhalten. Wir fünnen die Lagerfeuer im
Lager des Fürjten leuchten jehen. In Janowo joll acht Tage
gerajtet werden. Die Gefangenen jagen aus, daß der Fürſt e8
auf eine Schlacht ankommen laſſen will. Das Fieber hat ihn
noch immer nicht verlajjen.“
Nach dem Empfange diejes Berichtes, ließ Herr Sapieha
den Reſt feiner Wagen und Stanonen zurüd und marjchierte
nah Eofolfi. Da endlich jtanden jich die beiden feindlichen
Heere gegenüber. Die Schlacht war nun unvermeidlich, da das
eine Heer nicht mehr entfliehen, das andere nicht mehr verfolgen
fonnte. Vorläufig jtanden fie, wie zwei nach langer Hebjagd
ermüdete Nüden fic gegenüber, den rechten Zeitpunkt des Angriffs
erwartend, verjchnaufend und Kräfte jammelnd.
Als der Hetman Kmiziz wiederjah, umarmte er ihn und
ſprach:
„Sch war ſehr zornig auf euch, als ihr jo lange nichts
von euch hören ließet; aber ich jehe, daß ihr mehr geleijtet
habt, als ich Hoffen durfte Wenn Gott uns den Sieg giebt,
jo wird das euer, nicht mein Verdienit jein. Ihr habt ja den
Boguslaw begleitet, als wolltet ihr jein Schußgeiit werden.“
Die Augen Kmiziz' leuchteten unheilverfündend auf.
„Wenn ich je jein Schußgeiit bin, dann muß ich in Der
Stunde jeines Todes bei ihm jein,“ jagte der Ritter.
216
„Das jteht in Gottes Hand,“ entgegnete der Hetman ernit.
„Soll Gott euch aber jeinen Segen verleihen, jo jeht allezeit
in Er den Feind des Waterlandes und nicht den perjönlichen
Feind.“
Kmiziz verbeugte fich zujtimmend, trogdem fonnte man
nicht wahrnehmen, daß die jchönen Worte des Hetman irgend-
welchen Eindrud auf ihn gemacht hätten; jein Gejicht hielt den
Ausdruck unauslöfchlichen Hafjes feſt und er trat um jo jchärfer
hervor, als während der großen Mühſale der legten Wochen
jein Körper noch mehr abgemagert war. Früher malte jich in
dieſem Gejicht nur der Widerjchein eines mutigen, verwegenen
Charakters, jest blickte Graufamfeit und Haß daraus. Man
gewann die Heberzeugung, daß derjenige, welchem diejer Menjch
Mache geſchworen hatte, verloren war, jei es auch gleich ein
Nadzimill.
Sein Rachewerf hatte jchon begonnen. Durch jein jchlaues
Vorgehen hatte er Boguslaws Berechnungen verwirrt; er hatte
ihm die Angſt eingeflößt, daß er fich vom Feinde umringt
wähnte Er hatte ihn zum Rückzug gezwungen, ihn Tag und
Nacht begleitet. Patrouillen aufgegriffen und die Gefangenen
graufam mißhandelt. Bei Siemiatyze, bei Bodi und Orla
hatte er mitten in der Nacht das ganze Lager aufgejtört. In
Wojihfi unweit Sabludowo, welches ein vechtmähiges, altes
Beligtum der Nadziwills war, hatte er wie ein Wirbelwind
das Hauptquartier des Fürjten überfallen, während Dderjelbe
beim Mittagstiich ja. Um ein Haar wäre der Fürſt damals
un Gefangenschaft geraten und nur dem Herrn Safowitjch, dem
Unterfämmerer von Orjchmian, hatte er es zu danfen, daß er
mit heiler Haut davonfam. Bei Bialyitod hatte Kmiziz die
Karoſſen und Kredenzwagen dem Fürjten weggenommen, jeine
Soldaten gehegt bis zur völligen Ermüdung Die jchöne
deutjche Fußſoldateska und die jchwediichen Reiter ſchwankten
einher, wie ausgehungerte Schatten, fortwährend geängitigt und
faft finnlos von den ſchlafloſen Nächten. Bon allen Seiten
ber hatte er durch das Geheul der Tartaren ihre Ruhe jtören
lajjen. Kaum hatte der müde Soldat die Augen zum Schlaf
geichlojien, da mußte er jchon wieder zur Waffe greifen. Se
länger, deſto toller hatte er es getrieben.
Der die Gegend bewohnende Kleinadel ſchloß ſich den Tar—
taren an, teils aus Haß gegen die Radziwills, teils aus Furcht
vor Kniziz, welcher die Widerjpenjtigen unbarmherzig jtrafte.
Dazu war Boguslaw thatjächlich erkrankt und wenn im
217
Herzen dieſes Menjchen die Sorge auch niemals jich ernſtlich
einzunijten vermochte und die Aitrologen, an die er blindlings
glaubte, ihm vor jeiner Abreije aus Preußen prophezeit hatten,
daß jeine Perſon von nichts Schlimmem betroffen werden würde,
jo litt fein Feldherrnſtolz doc, unfäglich unter diefen Zuitänden.
Er, dejjen Feldherrnruhm ganz Frankreich, die Nieder- und die
Nheinlande erfüllte, fonnte in dieſen vermaledeiten Wäldern
nicht8 gegen einen unbefannten und unjichtbaren Feind aus—
richten, der ihn täglich befriegte.
Die Verfolgung jeiner Armee überjtieg an Hartnädigfeit
das jonjt in Siriegen übliche Maß jo jehr, daß Boguslaw mittels
jeines angeborenen Scharfjinnes jchon nad) wenigen Tagen zu
vermuten begann, daß ein unerbittlicher periönlicher Feind ihn
derartig in Aufregung hielt. Den Namen desjelben erfuhr er
bald, denn die ganze Gegend fannte ihn, aber Babinitjch war
ihm fremd. Er hätte ihm jo gern Auge in Auge gegenüber
geitanden, doch wie jehr er jich auch Mühe gab, während der
Patrouillenritte, die er jelbit ohne Zahl unternahm, jeinen
Gegner einmal zu Gejicht zu befommen; es war alles umjonit!
Babinitjch verjtand jo vortrefflic; ihm auszuweichen und ihn
da zu treffen, wo Boguslaw es am wenigiten vermutete.
Jetzt endlich jtanden die Heere ich gegenüber. Boguslaw
hatte thatjächlich durch Herrn von Kyritz Zuzug erhalten, welcher,
nicht ahnend, wo der Fürſt fich befand, aus eigener Initiative
nach Janowo gekommen war. Hier jollte die Entjcheidung
fallen.
Kmiziz bejeßte forgfältig alle von Janowo führenden Wege
nah Sokolki, Korotſchin, Kujchniga und Sucdowola. In den
umliegenden Wäldern, Weiden und Dickicht erhielten die Tar-
taren ihre Standorte. Keine Botjchaft, fein Fouragewagen
wurde durchgelajien. Darum lag Boguslaw viel daran, eine
Entjcheidung herbeizuführen, noch ehe jeine Soldaten den leßten
Zwieback aufgegefien hatten. Aber als jcharfiinniger und in
allerlei Liiten erfahrener Mann wollte er erſt verjuchen, einen
für ſich günjtigen Vertrag zuftande zu bringen. Er wuhte noch
nicht, da Herr Sapieha ihm in ſolchen Fällen an Schlauheit
und Berjtand weit überlegen war.
Co fam denn eines Tages in Sofolfi ein Abgejandter
Nadziwills, Namens Sakowitich, an, welcher dem Gefolge des
Fürſten angehörend, dejjen intimer Freund war. Er brachte
Briefe von Boguslaw und die Vollmacht, Frieden zu jchließen.
Diefer Herr Safowitich war ein angejehener Mann, der
218
jpäter zur Senatorenwürde gelangte, da er Wojewode von
Smolensf und Schagmeijter des Großherzogtums wurde; er war
ſchon jett einer der berühmtejten Stavaliere Yitauens, ebenjo
jehr durch feinen perjönlichen Mut, wie durch jeine große
Schönheit befannt. Er war von mittlerer Größe, hatte raben-
jchwarzes Haar und ebenjolche Augenbrauen, während ein paar
hellblaue Augen mit einer unvergleichlichen Dreijtigfeit, kühn
und verwegen in die Welt blidten, jo daß der Fürſt von ihnen
zu jagen pflegte, jie jtechen wie Sforpione.
Er trug gerne ausländijche Kleider, welche er, gleich Bogus-
law, von jeinen Neijen mitgebracht hatte, jprac) fait alle fremden
Sprachen und warf jich mit fajt wahnjinniger Heftigfeit in das
Sclachtgetümmel, wo es einen Kampf gab. Deshalb nannte
man ihn den „Berderbenbringer“. Danf jeiner außerordent-
lichen Ktörperjtärfe und Geijtesgegenwart fam er immer mit
heiler Haut davon. Man erzählte von ihm, daß er eine in
voller Fahrt begriffene Karoſſe jofort zum Stehen bringen
fonnte, indem er ihre Hinterräder padte; er fonnte maßlos
trinfen, ein Quart in Spiritus eingelegte Pflaumen verjchlang
er, ohne davon betrunfen zu fein, als jei das nichts. Mit
den Untergebenen grauſam und unzugänglich, ſchmolz er in
Boguslaws Hand wie Wachs. Seine feinen Manieren, die ihn
befähigten, ſich jelbit in höchiter Gejellichaft zu bewegen, fonnten
doch nicht hindern, daß eine ungezügelte, wilde Leidenjchaftlich-
feit von Zeit zu Zeit zum Durchbruch kam.
Herr Safowitjch war eher ein Genojje, denn ein Diener
des Fürſten Boguslaw. Er, der Fürſt, welcher niemanden liebte
als ſich jelber, bejaß eine ungewöhnliche Schwäche für Diejen
Menjchen. Von Natur geizig, war er doch jtet3 freigebig gegen
Sakowitſch. Er hatte ihn durch jeinen Einfluß zum Unter:
fämmerer gemacht und ihm die Starojtei Orjchmian gejchentt.
Nach jedem Gefecht war des Fürſten erjte Frage die: „Wo iſt
Sakowitſch? Iſt ihm auch nichts zugeſtoßen?“ Es lag ihm viel
an dem Nate Sakowitſch's; er holte denjelben ein, überall da,
wo die Dreijtigfeit und Unverjchämtheit des Herrn Starojten
Nuten zu jchaffen verjprad).
Jetzt hatte er ihn zu Sapieha geſchickt. Die Mifjion war
eine äußerſt jchiwierige, erjtens, weil man im feindlichen Lager
leicht geneigt jein konnte, ihn für einen zu Halten, der ge=
fommen war, die Stellung der Sapieha’schen Truppen auszu—
fundjchaften, zweitens, weil er viel zu verlangen, Dagegen nichts
zu bieten hatte.
219
Glücklicherweiſe war Herr Sakowitſch nicht jo leicht ins
Bodshorn zu jagen. Er trat aljo bei Herrn Sapieha ein, als
ob er als Sieger füme, dem Bejiegten jeine Bedingungen zu
diftieren, und heftete jeine blajien Mugen ſogleich auf den
Hetman.
Als Herr Sapieha diejes Manöver bemerkte, lächelte er
mitleidig. Man fanıı mit einem dreiſten, unverjchämten Auf—
treten nur gewilien Menjchen imponieren. Der Hetman aber
war dem Abgejandten unendlich überlegen.
„Mein Gebieter, der Fürſt auf Birz und Dubinfi, Stall-
meijter des Großherzogtums und oberjter Feldherr der Armee
Seiner Herrlichkeit des Kurfürſten, jender mich, euch jeinen
Gruß zu entbieten und mich nach eurem Ergehen zu erkundigen, “
ſprach Safowitjch, während er auf den Hetman zujchritt.
„Bringt dem Fürſten meinen Danf und erzählt ihm, daß
ihr mich geſund gejehen.“
„sch habe auch ein Schreiben an Ew. Erlaucht abzugeben.“
Sapieha nahm den Brief in Empfang, öffnete ihn nach=
läjlig, las den Inhalt desjelben, dann jagte er gleichgültig:
„Mich reut die Zeit... . Ich kann nicht herausfinden,
was der Fürſt eigentlich mit dem Schreiben bezweckt. . . . Wollt
ihr euch freiwillig ergeben oder euer Kriegsglück verjuchen ?“
Safowitjch jpielte den Verwunderten.
„Bir uns ergeben?“ jprach er gedehnt. „Sch bin der
Meinung, daß der Fürſt eben in dieſem Briefe Ew. Erlaucht
proponiert, jich zu ergeben, . . . meine Inſtruktion wenigjtens ...“
„Eure Inſtruktionen auf ſpäter, mein Herr Sakowitſch!
Wir jagen nun ſchon die dreißig Meilen hinter euch her, wie
der Jagdhund Hinter dem Haſen. . . . Habt ihr jemals gehört,
daß der Haje dem Hunde den Borichlag macht, jich zu ergeben ?“
„Wir haben Berjtärfung befommen.“
„Von Kyrig mit achthundert Mann! . . . ich weiß! . .
Die anderen jind jo mürbe, daß jie ſich noch vor der Schlacht hin—
legen werden. . . . Ich will euch jagen, was Chmielnizfi zu
jagen pflegte: ... . jchade ums Maulen!“
„Der Kurfürſt jteht mit jeiner ganzen Macht Hinter uns.“
„Das fann mich nicht anfechten. MUebrigens! wenn ihr
euch jo jtarf fühlt, warum laßt ihr es nicht auf eine Ent-
Icheidungsschlacht ankommen?“
„Der Fürſt wäre Ichon längſt vorgegangen, wenn ihn nicht
das Blut der Landsleute dauerte.“
„Es hätte ihn jchon früher dauern jollen!“
220
„Den Fürjten wundert auch der Haß der Sapiehas auf
das Gejchlecht der Nadziwills und auch, day Em. Erlaucht fich
nicht entblöden, einer PBrivatrache wegen das Baterland mit
Bruderblut zu tränfen.“
Hier konnte Kmiziz, welcher Hinter dem Sejlel des Hetman
der Unterredung zugehört hatte, nicht länger an jich halten.
„Pfui!“ rief er.
Herr Sakowitſch jtand auf, jchritt bis dicht an Kmiziz
heran und jtarrte ihm frech in die Augen.
Er hatte jeinen Mann gefunden, aber eimen, der ihm
überlegen war. Der Starojt mußte vor dem Blick Kmiziz' den
jeinigen jenfen.
Der Hetman runzelte die Stirn.
„Sebt euch, Herr Safowitjch,“ jagte er barjch, „und ihr
da jeid ſtille“ Dann wandte er fich dem Abgejandten zu:
„Das Gewiſſen jagt wohl die Wahrheit, der Mund aber
zerfaut diejelbe und jpeit jie als Lüge in die Welt. Derjenige,
welcher mit fremdländijchem Heere das Baterland überfällt,
macht demjenigen Vorwürfe, der es verteidigt. Die Lüge fchreit
zu Gott und der himmlische Chroniſt jchreibt jie in das Buch
der ewigen ©erechtigfeit.“
„Die Veradhtung und der Hab der Sapiehas haben den
Fürjt:Wojewoden von Wilna zu Grunde gerichtet,“ verjeßte
Safowitich.
„sc verachtete niemals die Nadziwilld, jondern die Vater—
landsverräter. Der bejte Beweis dafür ift, daß der Fürſt—
Truchſeß Michael Radziwill ſich in meinem Lager befindet ...
Sprecht endlich, was wollt ihr?“
„Ew. Erlaucht jollen hören, was ich auf dem Herzen habe:
man verachtet denjenigen, welcher heimlicherweije Mörder gegen
jeinen Feind ſendet.“
Der Hetman ſchaute etwas verblüfft drein.
‚sch hätte Meuchelmörder gegen den Fürſten ausgeſchickt?“
rief er.
Sakowitſch heitete jeinen Skorpionblick wieder feit auf das
Gejicht des Hetman.
„So it es!“ jagte er.
„Ihr jeid von Sinnen, Menjch!“
„Man Hat vorgeitern unweit Janowo einen Menſchen
aufgegriffen, einen Totjchläger, welcher jchon einmal bei einem
Anjchlag auf das Leben des Fürſten hilfreiche Hand geletitet
221
hat. Wir werden ihn durch die Folter zwingen, auszuſagen,
wer ihn ausgejchidt hat.“
Es entitand eine Pauſe, während welcher Sapieha hörte,
wie Kmiziz leife ein paar Worte durch die zujammengepregten
Lippen zijchte.
„O, wehe! Wehe!“
„Sott allein joll mich richten!“ jagte der Hetman mit
erniter Würde.
„Sch bin nicht gejonnen, weder vor euch, noc) vor eurem
Fürſten mich zu rechtfertigen, denn ich erfenne euch als Richter
nicht an. Zum leßtenmal fordere ich euch auf — fommt zur
Sache! Wozu jeid ihr hergefommen und was für Vorſchläge
habt ihr zu machen?“
„Mein fürjtlicher Herr hat euren Rittmeister Horotftewitjch
vernichtet, Herrn Kichyichtof Sapieha gejchlagen, Tykozin bejeßt, er
fann jich aljo als Sieger betrachten und euch Friedensbedingungen
jtellen, die ihm großen Nuten bringen. Da er nun unnüßes
Vergießen von Chrijtenblut vermeiden will und den Wunjch
hat, in Frieden nach Preußen zurücziehen zu dürfen, verlangt
er nichts weiter, als daß ihm erlaubt wird, in alle Schlöfjer
Kommandos legen zu dürfen. Wir haben eine Menge Ge-
fangene gemacht, unter denen jich auch höhere Offiziere befinden,
das Fräulein Borjchobohata Krafiensfa, welche jchon nach Tau—
roggen gejchieft worden ijt, gar nicht zu erwähnen. Dieje alle
fünnen im Rummel ausgetaujcht werden.“
„Brüjtet euch nicht mit euren Siegen,“ unterbrach der
Hetman. „Meine Borhut hat unter dem Kommando des hier
anmwejenden Herrn Babinitjch euch dreißig Meilen weit gedrängt
. auf der Flucht vor ihr habt ihr zweimal jo viele Gefangene
verloren, als ihr vorher genommen. Ihr habt eure Wagen,
eure Kanonen und euer Kredenzgeſchirr verloren; eure Soldaten
fallen vor Müdigkeit und Hunger wie die Fliegen, ihr habt
weder etwas zu ejjen, noch fünnt ihr euch vom Fleck rühren.
Sch ließ euch abjichtlich mit unverbundenen Augen durch das
Lager führen, damit ihr erfennen jolltet, daß ihr euch mit ung
nicht mejjen fünnt. Was jenes Fräulein betrifft, jo jteht jie
nicht unter meinem Schuße, jondern unter demjenigen des Herrn
Samojsfi und jeiner Schweiter, der Fürjtin Grijeldis Wisnio-
wiezfa. Mit ihnen wird der Fürſt abzurechnen haben, falls ihr
ein Unfall zuſtoßen jollte. Ihr aber jagt, was ihr noch aus—
zurichten Habt, in verjtändiger Weiſe, jonjt gebe ich dem Herrn
Babinitjch Befehl, euch hinauszubringen.“
Anſtatt zu antworten, wandte ſich Sakowitjch an Kmiziz:
„Ihr eb aljo derjenige, welcher uns unterwegs jo zuge
ſetzt hat? Wahrhaftig, ihr müßt bei Kmiziz in die Lehre
gegangen ſein ...“
„An eurer eigenen Haut jollt ihr erfahren, ob ich meine
Sache verſtehe!“
Der Hetman runzelte wieder die Stirn.
„Ihr habt Hier nicht mehr zu juchen,“ jagte er zu Safo-
witich, „ihr fünnt gehen.“
„Sebt mir, GErlaucht, wenigitens einen Ausweis an den
Fürſten mit.“
„Den jollt ihr haben. Ihr könnt auf das Schreiben bei
Herrn Osfierfo warten.‘
Als Ostierfo das hörte, führte er Sakowitſch jogleich
hinaus. Der Hetman winfte ihn noch mit der Hand ab, dann
wandte er jich Kmiziz zu.
„Barum riefet ihr O weh! als von jenem eingefangenen
Menjchen die Nede war,“ frug er, während er dem Ritter
gerade und fejt in die Augen blickte. „Hat der Hab jo jehr das
Gewiſſen in euch ertötet, daß ihr wirklich den Fürſten meuch-
lings morden lajjen wolltet?“
„Bei der heiligen Jungfrau, deren Heiligtum ich fchüßte,
— nein!” antwortete Kmiziz. „Nicht durch fremde Hände
will ich feinen Tod.“
„Warum dann aljo riefet ihr ‚Wehe! Kennt ihr diejen
Menjchen ?“
„Jawohl, ich fenne ihn,“ antwortete Kmiziz, ganz bleich vor
Erregung und Zorn. „Sc jchidte ihn von Lemberg aus nad)
Tauroggen . . . Fürſt Boguslam hat das Fräulein Billewitſch
nach Tauroggen entführt, ... ich liebe das Fräulein! ... Wir
jollten uns ehelichen ... Ich jandte den Mann, damit er mir
Nachrichten über ſie einhole ... Sie befand jich in jolchen
jchlechten Händen . . .“
„Beruhigt euch,“ jagte der Hetman. „Gabt ihr ihm
Briefe mit?“
„Rein! Sie würde ſie doch nicht leſen.“
„Barum nicht?“
„Weil Boguslam ihr gejagt hat, dat ich den König an ihn
verraten wollte...
„O, ihr habt schwerwiegende Gründe, ihn zu haſſen. Ich
gebe das zu... .“
„Ach ja, Erlaucht, ach ja!“ ſeufzte Kmiziz.
„sennt der Fürſt den Mann?“
„Er kennt ihn. Es iſt mein Machtmeiiter Sorofa ...
Er war es, der mir half, den Fürſten entführen.‘
„Ich verstehe!“ jagte der Hetman. „Die Wache des
Fürſten wartet feiner.“
Site jchwiegen beide.
„Der Fürſt ſitzt im Netz,“ ſprach nach einer Weile der
Hetman. „Vielleicht läßt er jich bewegen, ihn auszuliefern.“
„Erlaucht!“ bat Kmiziz, „erlaubt mir zum Fürſten zu
gehen und behaltet Sakowitſch als Geißel. Vielleicht gelingt
es mir, Sorofa zu befreien.“
„Liegt euch jo viel an ihm?“
„Er iſt ein alter Soldat, ein alter Diener unjeres Hauſes,
der mich als Kind auf den Armen trug. Er hat mir oft das
Leben gerettet. Gott würde mich ſtrafen, wenn ich ihm jeßt
im Stiche ließe.“
Kmiziz bebte vor Schmerz und Unruhe und der Hetman jagte:
„sch wundere mich nicht mehr, dat die Soldaten euc)
lieben, denn auch ihr liebt fie. Ich will thun, was ich fann.
Ich will dem Fürſten jchreiben, daß ich ihn von unjeren Ge—
jangenen gebe, wen er will, für diefen Mann, der doch damals
nur als willenlojes Werkzeug jeines Herrn handelte.“
Kmiziz jtüßte den Kopf in die Hände,
„Was kümmern ihn unjere Gefangene. Nicht für dreißig
jeiner Leute giebt er ung den einen.“
„So wird er ihn euch erjt recht nicht ausliefern; er wird
auch euch noch nach dem Leben trachten.“
„Erlaucht!.... Er giebt ihn für einen her — für Safomitjch.“
„sch kann doch einen Gejandten nicht als Gefangenen bier
behalten,” rief der Fürſt.
„Behaltet ihn zurüd, Erlaucht; ich werde mit dem Briefe
zum Fürſten gehen. Vielleicht richte ich etwas aus... Bott
it mit ihm! Meinen Hab bringe ich zum Opfer, wenn er
mir diefen Soldaten herausgiebt.“
„Wartet!“ jagte der Hetman. „Sch darf den Sakowitſch
zurüdhalten. Außerdem will ich dem Fürſten jchreiben, dal er
einen unausgefüllten Geleitsbrief herjendet.“
Während der Hetman das fagte, fing er ſchon zu jchreiben
an. Eine Viertelitunde jpäter jprengte ein Koſak mit Dem
Briefe nach Janowo und gegen Abend fehrte er mit der
Antwort Boguslaws zurüd.
„Den Geleitsbrief jende ich auf Berlangen,* schrieb
224
Boguslam, „auf welchen jeder Vote jicher zurückkehrt, obgleich
ich mich wundere, daß Ew. Erlaucht einen Geleit3brief verlangt,
da Ihr doch als Geißel meinen Diener und Freund, den Herrn
Staroſten von Orſchmian bei Euch habt, einen Mann, den ich
ſo ſehr liebe, daß ich um ſeinetwillen alle Offiziere, die zur
Armee Em. Erlaucht gehören, herausgeben würde. Bekanntlich
werden Gejandte nicht getötet. Selbjt die wilden Qartaren,
welche Ew. Erlaucht gegen mein chriftliche® Heer ausjendet,
jind gewöhnt, fie zu ehren. Indem ich die ſichere Rückkehr
Eures Boten mit meinem fürjtlichen Worte verbürge, unter-
zeichne ich u. j. w.“
Noch an demjelben Abend nahm Kmiziz dem Geleitsbrief
und ritt mit den beiden Kiemlitjch davon. Herr Sakowitſch
aber blieb als Geikel in Sofolfi.
20. Kapite!.
Mitternacht war nicht weit, als Herr Kmiziz fich bei
den erſten Wachtpoiten des fürjtlichen Lagers meldete. Das
anze Lager war belebt, niemand jchlief, denn man fonnte jeden
Augenblid einen Angriff des Feindes erwarten und wollte den-
jelben nicht unvorbereitet empfangen. Die Armee des Fürſten
nahm ganz Janowo ein, jie beherrichte die Landſtraße nach)
Sokolki durch Gejchüge, welche von gut ausgebildeten Artille-
riiten des Hurfürjten bedient wurden. Zwar befanden jich nur
drei Kanonen dort, dafür aber reichlich) Pulver und Stugeln.
Zwiſchen den Birfengehölzen zu beiden Seiten Janowos hatte
der Fürſt kleine Schanzen aufwerfen laſſen und hinter ihnen
die Füſiliere und Eleine Mörjer aufgeitellt. Die Neiterei hielt
Janowo jelbit, die Landſtraße Hinter den Gejchügen und die
Lüden zwijchen den Schanzen bejegt. Die Bofition war jehr
gut; mit frischen Streitkräften hätte jie lange gehalten und nur
mit jchweren Blutverlujten erobert werden fünnen. Außer den
achthundert neu hinzugefommenen Füfilieren unter Kyritz aber
war die Armee bis zur Kampfunfähigfeit erjchöpft. Außerdem
hielt das Geheul der Tartaren, welches bis von Suchowola her
zu hören war, aljo im Nücden der Armee, die Soldaten fort-
während in Angit und Schreden. Boguslav war genötigt,
nach jener Seite hin alle jeine leichte Neiterei auszufenden,
welche, nachdem jie eine halbe Meile weit vorgerücdt war, weder
rüchvärts durfte, noch vorwärts wollte, da jie ſtets einen
Ueberfall aus der Tiefe der Wälder, aus welcher das Geheul
drang, gewärtigen mußte.
Boguslaw beaufjichtigte und ordnete jelbit alles an, ob—
Sienfiewicz, Sturmflut II, 15
226
gleich das Fieber ihm mehr zujegte als jonit. Da er das Pferd
aber nur mit Mühe bejteigen konnte, jo ließ er jich von vier
Trabanten in einer offenen Sänfte herumtragen. Auf dieſe
Weiſe befuchte er die Yanditraße, die Birfengehölze, und war
joeben nach Janowo zurüdgefehrt, als man ihm meldete, daß
ein Abgejandter des Fürſten Sapieha angekommen jei.
Er befand jich jchon in den Straßen Janowos. Bogus—
law fonnte Kmiziz nicht gleich erkennen, da das Dunfel der
Nacht und ein Beutel, welchen die wachthabenden Offiziere dem
Abgejandten vorsichtshalber über den Kopf geitülpt hatten, ihn da-
ran hinderten. Der Beutel hatte nur eine Oeffnung für den Mund.
Sobald der Fürſt den Beutel erblictt hatte, befahl er, den-
jelben abzunehmen, dann erjuchte ev Kmiziz, vom Pferde zu
jteigen und dicht neben ihn zu treten.
„Wir find bier in Janowo,“ jagte er, „und wir haben
nichtö zu verheimlichen.“
Darauf wandte er fich zu Herrn Kmiziz:
„Ihr fommt vom Herrn Sapieha?“
„Jawohl!“
„Was macht Herr Sakowitſch dort?“
„Herr Oskierko vertreibt ihm die Zeit.“
„Wozu habt ihr einen Geleitſchein verlangt, da ihr doch
den Sakowitſch Habt? Herr Sapieha iſt allzu vorfichtig; er
möge zujehen, dal jeine Superflugheit ihm nicht Schaden bringt.“
„Das iſt nicht meine Sache,“ entgegnete Kmiziz.
„sch merfe, der Herr Gejandte ift nicht jehr redjelig.”
„sch habe einen Brief abzugeben, meine Privatangelegen—
"heit möchte ich im Quartier vortragen.“
„Ihr habt alfo auch eine Brivatjache ?“
„Es findet jich wohl eine Bitte an Ew. fürjtliche Durch»
laucht.“
„Es joll mir Lieb jein, wenn ich diejelbe erfüllen kann.
Jetzt bitte, mir nach. Steigt, bitte, auf das Pferd. ch würde
euch gern in die Sänfte nehmen, Doch fie iſt zu eng.“
Der Zug jebte ji) in Bewegung. Kmiziz ritt neben der
Sänfte her. Ein jeder von ihnen juchte in der Dunfelheit die
Züge des anderen zu erfennen, ohne daß es gelang. Troß der
warmen WBelzhüllen jchüttelte den Fürſten der Fieberfroſt.
Kmiziz hörte, wie feine Zähne aufeinanderjchlugen. Endlich)
ſprach Boguslaw.
„Das Elend hat mich wieder befallen . . . Wäre das
nicht . . . brr! ... Sch wollte andere Bedingungen stellen.“
227
Kmiziz antwortete nicht. Er verjuchte, mit den Augen
das Dunfel zu durchbohren, doch er fonnte nur den Kopf des
Fürſten und die Form jeines Gejichtes in unsicheren, fahlen
Umriſſen erkennen. Ber dem lange der Stimme Boguslaws
und beim Anblick diefer Umriſſe waren alle llebelthaten dieſes
Mannes wieder in jeiner Erinnerung lebendig, der ganze Haß
und der Rachedurſt des Nitterd wieder in ihm erwacht und er:
füllten jein Herz bis zur Naferei ... Die Hand fuhr uns
willfürlich nach dem Schwert, welches man ihm abgenommen
hatte. An Stelle diejes fühlte er aber im Gürtel feinen Haupt—
mannjtab mit dem eifernen Knopf, das Abzeichen feiner Würde,
der genügte. Der Verſucher begann ihm den Verſtand zu
umnebeln:
„Schrei ihm ins Ohr,“ flüjterte er, „jage ihm, wer du bijt
und zerichmettere ihm den Schädel... Die Nacht it finiter...
Du kannſt entfommen ... Die Kliemlitjche find dir nahe...
Du jchlägit Doch nur einen Verräter tot, bezahlit ihm feinen
Sündenlohn ... Olenka wäre gerettet und Sorofa... Schlag
zu! Schlag zu!“
Kmiziz ritt ganz nahe an die Sänfte heran. Die zitternde
Hand nejtelte an den Falten des Gurtes, um das Mord—
initrument hervorzuholen.
„Schlag zu!“ flüſterte der Verſucher. „Du leijteit dem
VBaterlande einen Dienjt.“
Kmiziz hatte den Stab in der Hand. Er preßte ihn, als
wolle er ihn zerquetjchen.
„Eins, zwei, drei!” flüjterte der Verfucher.
In diefem Nugenblid bäumte jein Pferd und jette jich
jcharf auf die Hinterhufe. War es mit den Nüſtern dem Helm
eines der Trabanten zu nahe gefommen, oder jonjt vor etwas
erichroden? Als es wieder fejt im Zügel ging, war die Sünite
des Fürſten um einige Schritte voraus.
Kmiziz ſtanden die Haare zu Berge.
„Heilige Mutter!“ betete er leife. „Wahre meine Hand!
Heilige Mutter vette mich! Ich, ein Gefandter, vom Hetman
ausgejchieft, wollte ein Meuchelmörder werden... ch, ein
Edelmann, dein Diener! .... Führe ums nicht in Ber:
ſuchung!“
„Was habt ihr da zu brammeln?“ frug der Fürſt mit
unjicherer, von Fieberſchauern unterbrochener Stimme.
„sch bin Schon zur Stelle!“ antwortete Kmiziz noch ganz
veritört.
15*
228
„Hört ihr's? Die Hähne frähen in den Hintergaſſen. ...
Wir müſſen uns beeilen, denn ich bin franf und bedarf
der Ruhe.“
Kmiziz jteckte jeinen Stab wieder Hinter den Gürtel und
hielt fich) in der Nähe der Sänfte. Aber die Ruhe, die er zu
erzwingen jtrebte, wollte nicht fommen. Er fühlte nur zu gut,
daß die größte Kaltblütigfeit und Selbjtbeherrichung nötig war,
wenn er Sorofa befreien wollte Er legte ſich aljo genau die
Worte zurecht, mit welchen er dem Fürſten feine Bitte vor—
tragen wollte und die Herausgabe feines treuen Dienerd aus—
zuwirfen hoffte. Er jchwor ji zu, daß er nur Sorofa in
Gedanken haben wolle, nicht® anderes, am wenigjten Dlenfa.
Und er fühlte in der Dunfelheit, wie feine Wangen heiß
brannten jchon bei dem Gedanken, daß der Fürſt ſelbſt ihren
Namen ausjprechen könnte, in Verbindung mit etwas, das an—
zuhören oder zu ertragen jeine Kräfte überjteigen mußte.
„Mag er jich hüten, es zu thun,“ dachte er im Stillen.
„Es wäre fein und mein Tod. . . . Möge das Mitleid mit
ihm jelbjt ihn davor bewahren, wenn jein Schamgefühl nicht
ausreicht . . .“
Herr Andreas litt unendlih. Er rang nad) Atem. Der
Hals war ihm wie zugejchnürt und er fürchtete, daß er fein
Wort herausbringen werde, wenn die Zeit zum Sprechen für
ihn gefommen war.
In dieſer Seelennot begann er die Litanei zu beten.
Er fühlte allmählich den Alp weichen, der ihm auf der
Bruſt lajtete, das Blut begann ruhiger in den Adern zu freijen.
Man war unterdejjen am fürjtlichen Quartier angelangt.
Die Trabanten jegten die Sänfte nieder; zwei Höflinge faßten
den Fürſten unter den Armen. Er aber wandte ji) an Kmiziz
und jprach zähneklappernd:
„Sch bitte, mir zu folgen... . Der Paroxismus wird bald
vorübergehen. . . . Wir werden verhandeln fünnen.“
Bald darauf befanden fich beide in einem bejonderen Ge—
mad. In einem Kamin jtrömten glühende Kohlen eine fait
unerträgliche Hite aus. Die Höflinge betteten Boguslaw auf
ein bereitjtehendes 7zeldbett, dedten ihn mit Pelzen zu umd
brachten Licht. Nachdem jie jich entfernt hatten, lehnte der
Fürſt den Kopf zurüc, jchloß die Augen und verharrte jo eine
Zeitlang ganz regungslos.
Endlid) begann er zu jprechen:
„Blei! ... Laßt mich noch ein wenig ruhen!“
229
Kmiziz betrachtete den Fürſten. Er hatte jich wenig ver-
ändert, nur hatte das Fieber ihm einige Furchen durch das
Seficht gesogen.
Dasjelbe war, wie immer, gepudert, die Wangen rojig
bemalt. ben darum aber glich die ganze Gejtalt, wie jie mit
geichlofjenen Augen dalag, etwas einer Leiche, oder einer
Wachsfigur.
Herr Andreas jtand vor ihm im Scheine des brennenden
Lichtes. Träge hoben jich die Lider des Fürſten, plößlich
öffneten jich die Augen ganz und flammende Nöte überzog das
Gejicht desjelben. Doch das währte nur eine Sekunde, Die
Augen jchlojjen jich wieder.
„Biſt du ein Geijt, jo fürchte ich dich nicht,“ jagte Bogus—
law, „aber hebe dich weg!“
„sch bin mit einem Briefe vom Hetman hierher gefommen,“
antwortete Kmiziz.
Boguslam fuhr leicht zujammen. Er machte eine Be—
wequng, als wolle er etwas abjchütteln. Dann jah er Kmiziz
an und jprach wie vor jich Hin:
„Sollte euch meine Kugel gefehlt haben ?“
„Nicht ganz,“ entgegnete Kmiziz düjter, während er mit
dem Singer über die Narbe im Gejicht fuhr.
„Das it ſchon der zweite! ...“ murmelte der Fürſt für jich.
Laut ſetzte er Hinzu:
„Wo ijt der Brief?“
„Hier!“ antwortete Kmiziz, dag Schreiben überreichend.
Boguslaw lad. Es fladerte jeltjam in jeinen Augen, als
er geendet.
„But!“ rief er aus. „Genug der Nörgeleien!... Morgen
geht e3 zur Schlacht... . Sch freue mich darauf, denn morgen
in id) fieberfrei.“
: „Auch wir freuen ung auf die Entjcheidung,“ verjeßte
miziz.
Darauf entſtand eine Pauſe, während welcher die beiden
Todfeinde ſich mit dem Ausdruck ſchreckhafter Neugier gegen—
ſeitig maßen.
Der Fürſt ergriff zuerſt wieder das Wort:
„Ich errate, daß ihr es waret, der mich während der
letzten Wochen io hetzte. . ..“
„sh war ed... .“
„Hattet ihr denn feine Furcht, hierher zu kommen?“
Kmiziz antwortete nicht.
230
„Ihr habt wohl auf die Verwandtichaft mit den Kiſchkows
erechnet? . .. Wir haben noch abzurechnen miteinander. . ..
Ich fünnte euch jet }falpieren laſſen, ... wißt ihr das? ...“
„Es ſteht Ew. Durchlaucht frei, es zu thun.“
„Ihr fußet auf den Geleitſchein, nicht wahr? ... Ich
begreife nun, warum Sapieha ihn verlangte! ... Aber ihr
habt mir einſt nach dem Leben getrachtet . .. Sakowitſch iſt
zwar in euren Händen; gleichviel . . . der Herr Wojewode
hat fein Recht an Sakowitſch, ... aber ich Habe ein Recht an
euch, ... . Herr Vetter... .“
„sch komme mit einer Bitte zu Ew. Durchlaucht,“ unter-
brach Kmiziz den Fürſten ruhig ...
„Bitte! womit kann ich dienen? Rechnet darauf, daß ich
alles für euch thue.“
„Es iſt hier ein Soldat eingefangen worden, einer von
denen, die mir halfen, Ew. Durchlaucht zu entführen. Sch gab
damals den Befehl, er war mein willenlojes Werfzeug. Diejen
Soldaten erbitte ich von Ew. Durchlaucht Gnade.“
Boguslamw überlegte eine Weile.
„Herr Kavalier!“ jagte er dann. „Sch überlege joeben, ob
ihr ein bejjerer Soldat, oder ein befierer Bittjteller jeid. Eure
Bitte ijt umverichämt . . .“
„sch verlange die Herausgabe dieſes Menſchen nicht
umjonit.“
„Und was bietet ihr mir für ihn.“
„Deich jelbit, Durchlaucht!“
„ho! ein jo fojtbares Kleinod ijt der Mann? . . . Ihr
jeid freigebig, aber jeht zu, daß ihr euch nicht ganz verausgabt;
es fünnte jein, daß ihr noch für jemanden Yöjegeld bei mir
zahlen wolltet.“
Kmiziz trat bei Diefen Worten jo dicht am den Fürſten
eran umd wurde jo bleich, daß diejer unmwillfürlich nach der
hür blickte und troß feinem perjönlichen Mute den Gegen-
jtand wechjelte.
„Herr Sapieha wird einen jolchen Vergleich nicht annehmen
wollen,“ jagte er jchnell. „So gern ich euch nehmen möchte, aber
ic) habe mein Fürſtenwort für eure Sicherheit verpfändet.“
„sh will durd) diefen Soldaten dem Herrn Hetman
jchreiben, daß ich freiwillig geblieben bin.“
„Und er wird verlangen, daß ich euch gegen euren Willen
zurüdjchide .. . Er wird dann auch den Sakowitſch nicht frei
geben umd ich ſchätze ihn höher als euch.“
231
„So wollen Ew. Durchlaucht den Soldaten ohne das
freigeben. ch werde mid auf Ehrenwort dort jtellen, wo
Ew. Durchlaucht befehlen.“
„Was jollen mir Verträge für übermorgen, wenn ich doc)
morgen jchon ein toter Mann auf dem Schlachtfelde bleiben fann.“
„Durchlaucht! Sch flehe! Für diefen Mann opfere ich ...“
Kmiziz jtocte.
„Bas opfert ihr?“
„Meine Rache.“
„Seht, mein Herr Kmiziz,“ antwortete der Fürſt cyniſch.
„sch bin unzählige Male im Leben dem Bären nur mit einer
Lanze bewaffnet entgegen gegangen, nicht darum, weil ich mußte,
jondern darum, weil es mir Vergnügen machte. Sch liebe es,
wen Gefahren mich umgeben, das Leben ijt dann weniger
langweilig. Seht, eure Nache joll mir auch zu einer Freude
werden, die ich mir für die Zukunft aufjparen will, bejonders
da ihr zu den Bären gehört, die nicht warten, bis fie angegriffen
werden, jondern die den Gegner juchen.“
„Durchlaucht!” bat Kmiziz. „Gott vergiebt oft große Sünden
für leine Werfe der Barmherzigfeit. Kleiner von uns weiß, warn
er vor den Thron Gottes zu ſtehen fommt .. .“
„Genug!“ unterbrach ihn der Fürſt. „Wenn das Fieber
an mir zehrt, habe ich Zeit genug, mir jelber Bußpſalmen zu
fomponieren, um vor dem Herrn ein Verdienſt zu erringen;
und wenn ich dazu einen Prediger brauche, werde ich mir
einen meines Glaubens holen laſſen . . . Ihr veriteht nicht
demütig zu bitten und möchtet mich überliſten . . . Ich will
euch aber einen Vorſchlag machen: wenn morgen die Schlacht
entbrannt ijt, dann erhebt euer Schwert gegen Sapieha. Ueber—
morgen joll dann jener Gemeine freigelaffen und eure Schuld
an mich vergeben jein ... Einſt verrietet ihr die Radziwills,
auf! jest verratet den Sapieha! .. .“
„sit das Ew. Durchlaucht legtes Wort? ... Bei allem,
was heilig it, laßt ihr den Soldaten frei oder nicht,“
fnirjchte Kmiziz.
„Nein! Der Teufel packt euch? ... Ich jehe es! ...
Euer Geficht it verzerrt . . Kommt mir nicht zu nahe, denn,
wenn ich auch die Leute nicht rufe, da jeht! hier! Ihr jeid zu
heißſpornig!“
Während er ſprach, hatte Boguslaw aus der Taſche des
Pelzes, welcher ihn bedeckte, eine Piſtole gezogen und hielt ihm
mit ſprühenden Blicken den Lauf derſelben entgegen.
232
„Durchlaucht!“ Flehte Kmiziz, die Hände faltend wie zum
ee der Ausdrucd feines Gejichts höchite Empörung
fundgab.
„Ihr bittet und droht zugleich?” jagte Boguslaw. „Euer
Naden beugt fich, aber der Teufel blickt Hinter dem Kragen
hervor und fleticht mih an... Der Hochmut leuchtet aus
euren Augen, die Stimme grollt wie Donner! ... Wer von
einem Nadziwill etwas erbitten will, der muß ihm zu Füßen
liegen, demütig — die Stirn an der Erde! ... Dann will ich
euch antworten.“
Das Gejicht des Herrn Andreas war freideweiß; jeine
2 fuhr über die feuchte Stirn, die Augen und Wangen.
ein ganzer Körper bebte. Es war, als hätte das Fieber, welches
den Fürſten verlafjen zu haben jchien, ihn überfallen.
„Wenn Ew. Durchlaucht mir den alten Soldaten heraus:
gebt... dann... ja... dann... bin ich bereit... Em.
Durchlaucht . . . zu Füßen... . zu fallen.“
Eine Genugthuung ohne Gleichen leuchtete aus den Augen
des Fürſten. Er hatte den Todfeind re jeinen Naden
ae Das war jeinem Haß jühe Speife.
tmiziz Stand, nachdem er die inhaltjchweren Worte
hervorgeitammelt, an allen Gliedern zitternd vor feinem Peiniger.
Sein Haar jträubte ſich. Das Geficht, welches jchon im Zu—
jtande der Ruhe dem Profil eines Falken glich, ähnelte jetzt
vollitändig demjenigen eines gereizten Naubvogels. Man wußte
nicht, würde er im nächiten Augenblik jich dem Fürſten zu
süßen jtürzen oder ihn an der Kehle paden.
Und Boquslaw, der fein Auge von ihm verwandte, jagte:
„Bor Zeugen! Vor meinen Leuten!“
Und nad) der Thür gewendet, rief er laut:
„Zretet ein, wer da iſt!“
Durch die geöffnete Thür jchritten erjt einige Höflinge,
teil Polen, teils Ausländer, hinter ihnen mehrere Offiziere.
„Meine Herren!“ jagte der Fürſt. „Hier, dieſer Herr
Kmiziz, Fahnenträger von Orjchan und Gejandter des Fan
Sapieha, hat mir eine Bitte vorzutragen und will euch uls
Zeugen dabei haben!“
Kmiziz jtöhnte laut auf, wankte, dann janf er zu Bogus—
laws Füßen. Der Fürjt redte feine Beine abjichtlich jo lang
vom Laaer aus, daß die Spite feines Neiterjtiefeld die Stirn
des Nitters berührte.
Aufs Höchjte verwundert und tief jchweigend blidten Die
233
Eingetretenen auf den Mann, der mit jeinem berühmten Namen
und als Gejandter Sapiehas ſich einer jo demütigen Handlung
unterzog. Alle hatten die Empfindung, daß hier etwas ganz
Auferordentliches vorging.
Der Fürſt war inzwijchen aufgeitanden und ohne ein Wort
zu sprechen, winfte er zwei Höflingen, welche ihm in das an-
ſtoßende Gemach folgen mußten.
Auch Kmiziz hatte jich erhoben. Sein Geficht trug nicht
mehr den Ausdrud wilden Haſſes. Gleichgültig, faſt ſtumpf⸗
ſinnig ſchaute der Ritter drein, als wäre alle Energie von ihm
gewichen.
Es verſtrich eine halbe Stunde, eine Stunde. Draußen
vor dem Fenſter hörte man das Stampfen von Pferdehufen
und den gleichmäßigen Tritt der Wachen; er ſaß wie aus Stein
gemeißelt.
Plötzlich wurde die Thür vom Flur her geöffnet. Ein
Offizier trat ein, ein früherer Bekannter von Kmiziz, von Birz
her, mit acht Soldaten, von denen vier mit Musketen bewaffnet
waren, die anderen vier Säbel trugen.
„Herr Hauptmann, ſteht auf!“ ſagte der Offizier artig.
Kmiziz ſtarrte ihn wie geiſtesabweſend an.
„Glowbitſch! ...“ ſagte er, ihn endlich erkennend.
„sch habe Befehl, euch zu binden,“ ſprach Glowbitſch weiter,
„und euch aus dem Lager hinaus zu bringen. Ich werde euch
dann der Feſſeln entledigen, ihr dürft frei zu dem eurigen
zurücfehren. Deshalb bitte ich, jet mir feinen Wideritand
entgegen . . .“
„Bindet mich!“ verſetzte Kmiziz lakoniſch.
Ohne daß er Widerſtand geleiſtet hätte, wurden ihm die
Arme gebunden, die Füße ließ man ihm frei. Der Offizier
führte ihn aus dem Gemach und aus der Stadt. Sie waren
faſt eine Stunde gegangen; unterwegs hatten ſich ihnen etliche
Reiter angeſchloſſen. Kmiziz hörte, daß ſie ſich polniſch unter—
hielten.
Die Polen, welche noch unter Radziwill dienten, kannten
alle Kmiziz's Namen; ſie waren daher am neugierigſten, was
mit ihm geſchehen würde. Der Zug hatte das Birkengehölz
verlaſſen, man befand ſich jetzt auf freiem Felde Kmiziz ſah
dicht vor ſich eine Abteilung der leichten polniſchen Reiterei
Boguslaws.
Die Soldaten ſtanden im Quadrat Mann an Mann.
Der Raum, den ſie umſchloſſen, war leer, nur ein paar Männer
234
mit Fackeln und zwei züfiliere, welche ein Baar Pferde am
Baum hielten, befanden jich darin.
Beim Scheine der Fackeln erblidte Herr Andreas einen
friſch angejpigten Pfahl jchräg am Boden liegen, mit feinem
unteren Ende an einem dicken Wurzelitoc befeitigt.
Ummwillfürlich wurde Kmiziz von einem Schauer überlaufen.
„Der iſt mir beitimmt,“ dachte er. „Er will mich mit den
Pferden auf den Pfahl ziehen laſſen .. .. Er opfert jeiner
Rache jeinen Freund Safowitjch.“
Aber er irrt. Der Pfahl war für den armen Sorofa
beitimmt. Beim Flackern der Flammen jah er endlich den
Alten vor jih. Er ſaß dicht bei dem Wurzelitodf auf einem
Holzklotz, ohne Mütze, die Hände gefejjelt, von vier Musfetieren
bewacht. Ein Mann, mit einem Schafpelz ohne Aermel ans
gethan, reichte ihm im diefem Augenblick einen flachen Becher
mit Branntwein, welchen Sorofa gierig tranf. Nachdem er ge—
trunken, jpie er aus, und da man gerade jet Kmiziz zwiſchen
zwei Berittenen in die vorderjte Neihe führte, jo erblickte der
alte Soldat ihn. Er jprang von jeinem Site auf und jtand
ſtramm da, wie wenn es zur Parade ginge.
Eine Sekunde lang jtarrten jich beide wortlos au. Das
Geſicht Sorokas war ruhig, rejigniert, nur die Kinnbacken
zucten hin und her, als ob er faute.
„Soroka!“ jtöhnte Amiziz endlich.
„Zu Befehl!” antwortete der Soldat.
Wieder wurde es till. Was hätten fie auch in diejem
Augenblid zu sprechen gehabt? Da trat der Henkersknecht,
welcher dem Delinquenten zuvor den Branntwein gereicht hatte,
auf ihn zu.
„Es ijt Zeit mit div, Alter!“ ſprach er.
„Und zieht ihn gerade auf!“
„Fürchte dich nicht.“
Soprofa fürchtete jich nicht, aber als er den Arm Des
Henfers auf jeiner Schulter fühlte, begann er laut und jchnell
zu atmen, zulegt rief er:
„Mehr Branntwein! . . .“
„Es iſt nichts mehr da!“ verjegte der Henfer.
Da trat plöglich einer der Weiter aus der Neihe und
indem er eine Flaſche aus jeiner Rocktaſche hervorzog, rief er:
* gebt ihm!“
„Zurück!“ kommandierte Glopbitſch.
Doch der Mann im Pelze hatte die Flaſche bereits an
235
den Mund Sorofas gejeßt und diejer trank in vollen Zügen.
Als die Flaſche leer war, atmete er tief auf.
„Seht!” jagte er. „Das it Soldatenlos! Der Lohn für
dreißigjährige Dienite . . . Ich bin bereit!“
Der zweite Henfer näherte ji) ihm. Man begann ihn
auszufleiden. Ringsum herrſchte Totenſtille. Die Fackeln
flackerten unruhig in den zitternden Händen der Männer.
Entſetzen hatte alle gepackt.
Da plötzlich entſtand ein Gemurmel in den Reihen der
Krieger, erſt leiſe, dann immer lauter. Man konnte Worte
unterſcheiden: „Der Soldat iſt doch kein Henker! Er führt
wohl den Todesſtoß in der Schlacht, aber nicht ein Marter—
werfzeug.“
„Stillgeitanden! Schweigen!“ fkommandierte Glowbitjch.
Das Murmeln verwandelte fich in lautes Murren, aus
welchem einzelne Stimmen ganz laut riefen: „Bei allen
Tenfeln!“ „Donnerwetter!'“ „Das it ein Heidendienit! . . .“
Möglich ſchrie Kmiziz auf, als jollte er jelbit auf den
Pfahl gejogen werden:
„Halt!“ rief er.
Die Henferstnechte hielten unwillfürlich inne. Aller Augen
wandten jich ihm zu.
„Soldaten!“ jchrie Herr Andreas. „Der Fürſt Boguslaw
it ein Verräter am König und an der Nepublif! Ihr jeid
umzingelt und werdet morgen alle euren Tod finden! hr
dient einem VBaterlandsverräter! Eure Waffen jind gegen das
Vaterland gerichtet! Wer aber diejen Dienit, diejen Verräter
aufgiebt, dem iſt die Verzeihung des Königs, des Hetman
ſicher! . . Wählt! Morgen entweder Tod und Schande, oder
Verzeihung und Lohn! Ich gebe euch Angeld, einen Dufaten
der Kopf, auch zweie! ... Wählt! Es it nicht die Sache
ehrenwerter Soldaten, einem Verräter zu dienen. Es lebe der
König! Es lebe der Hetman!“
Das Murren ging in ein Lärmen über. Die Reihen
löjten jih. Etliche Stimmen jchrieen:
„Es lebe der König!“
„Genug diejes Dienjtes!“
„Tod dem Werräter!“
„Stillgeitanden! Stillgejtanden!” hörte man andere rufen.
„Morgen kommt ihr mit Schimpf und Schande um,“
brüllte Kmiziz.
„Die Tartaren heulen in Suchowola!“
236
„Der Fürſt, ein Verräter!“
„Wir fümpfen gegen den König!“
„Schlagt zu!“
„Zum Fürjten!“
„Halt!“
In dem Tumult hatte jemand die Feſſeln an Kmiziz'
Handgelenf mit einem Säbel durchjchnitten. Gleich darauf ſaß
er auf einem der Pferde, welche den Sorofa auf den Pfahl
ziehen jollten, und fommandierte jchon vom Pferde herab:
„Dir nad, zum Hetman!“
„sch gehe mit!“ rief Glowbitich. „Es lebe der König!“
„Er lebe!“ antworteten fünfzig Stimmen und fünfzig
Säbel blitzten in der Luft.
„Hebt den Sorofa aufs Pferd!“ fommandierte Kmiziz
wieder.
Es fanden jich einige, die ſich widerjeten wollten, jie ver-
jtummten aber beim Anblic der gezogenen Säbel. Einer wandte
dennoch jein Pferd und war den Bliden der anderen bald ent-
Ihwunden. Die Fackeln erlojchen, tiefes Dunfel umhüllte alle.
„Dir nach!“ ertönte die Stimme Kmiziz'.
Ein unförmlicher Haufen wälzte jich vom Plate, er ordnete
ji) aber bald zum langen Zuge. Etwa zwei bis drei Gewände
weiter trafen die Abziehenden auf die Wachen der Füſiliere,
deren größter Teil die linke Seite des Birfengebüjches einnahm.
„Wer da!” ertönte der Anruf.
„Slowbitjch mit einer Batrouille!“
„Die Loſung?“
„Trompeten!“
„Vorwärts!“
Und ſie ritten weiter, nicht zu eilig. Ein wenig ſpäter
ſetzten ſie die Pferde in Galopp.
„Soroka!“ rief während dem Ritt Kmiziz ſeinen Ge—
treuen an.
„Zu Befehl!“ antwortete die Stimme des Wachtmeiſters
neben ihm.
Herr Andreas ſagte nichts weiter, nur die Hand ſtreckte
er aus und betaſtete damit den Kopf des Alten, wie um ſich
zu überzeugen, daß er wirflich neben ihm reite.
Der Soldat preßte jtilljchweigend dieſe Hand an feine
Lippen.
Da ertönte von der anderen Seite des Nitterd die Stimme
Glowbitſch':
237
„Ew. Liebden,” jagte er. „Was ich jet thue, wollte ich
gern längjt thun.“
„Ihr werdet es niemals bereuen!“ entgegnete Kmiziz.
„Mein Leben lang will ich) Ew. Liebden dankbar jein!“
„Sagt einmal, Glowbitjch,“ frug Kmiziz. „Warum eigentlic)
hat der Fürjt nicht Leute von den fremden Regimentern zu
der Erefution geſchickt?“
„Weil er Ew. Liebden in Gegenwart der Polen jchänden
wollte. Ein fremder Soldat fennt euren Namen nicht.“
„Und meiner Perſon jollte nichts gejchehen ?“
„sch hatte den Befehl, Ew. Liebden nach der Erefution
die Feſſeln zu löſen. Für den Fall, da ihr etwas zur Ver—
teidigung Sorofas unternähmet, jollten wir euch zum Fürſten
zurückbringen, der euch dann jtrafen wollte.“
„Er hätte aljo jelbit den Sakowitſch geopfert,“ murmelte
Kmiziz.
Unterdejjen war in Janowo Fürſt Boguslam, vom Fieber
und den überjtandenen Mühjalen völlig erjchöpft, jchlafen ge-
gangen. Kin Lärmen vor dem Quartier und ein heftiges
Klopfen an der Thür wedten ihn aus dem erjiten Schlummer.
„Durchlaucht! Durchlaucht!“ jchrieen verjchiedene Stimmen
durcheinander.
„Er jchläft! Weckt ihn nicht!“ wehrten die Pagen.
Aber der Fürſt ja jchon aufrecht im Bett und rief
nach Licht.
Man brachte Licht. Gleichzeitig trat der Offizier vom
Dienit ein.
„Durchlaucht!“ meldete er. „Der Gejandte Sapiehas hat
Glowbitſch mit jeiner Fahne zum Verrat aufgewiegelt und jie
dem Hetman zugeführt.“
Einen Augenblid herrichte nach dieſer Meldung tiefe Stille.
„Laßt die Baufen und Trommeln rühren!“ befahl endlich
Boguslam. „Das Heer joll ſich kampfbereit halten.“
Der Offizier entfernte ſich; der Fürſt blieb allein.
„Das ijt ein jchredlicher Menſch!“ ſprach er für fich.
Er fühlte, daß der Fieberfroſt ihn wieder zu rütteln begann.
>
21 Rapitet,
Man kann ſich leicht vorjtellen, wie verwundert Herr
Sapieha dreinjchaute, als Kmiziz nicht nur jelbit unverjehrt
zurüdfehrte, jondern auch den alten Diener und außerdem eine
Anzahl Reiter mitbrachte. Kmiziz mußte wiederholt erzählen,
wie alles gefommen, was er erlebt, und der Hetman und Herr
Oskierko hörten aufmerkſam zu, vor VBerwunderung die Hände
faltend und den Kopf jchüttelnDd.
„Lernt aus diefen Vorgängen,“ jagte der Hetman, „daR
man nichts übertreiben darf, am wenigjten die Nache am Feinde.
Wer jie über die Maßen pflegt, dem entjchlüpft fie oft unter
den ‚Fingern. Fürſt Boguslaw wollte euch doppelt demütigen,
indem er die Polen zu Zeugen eurer Schmach und Qualen
machte, damit hat er das Maß überjchritten. Nun brüftet euch
aber nicht damit, denn es ijt alles doch nur Gottes Fügung
und ic) fann nicht unterlajfen, zu bemerken, daß der Fürſt
zwar ein Teufel it, daß aber auch in euch ein Stücd Teufel
jtecft. Der Fürſt hat übel gethan, daß er euch jo erniedrigt hat.“
„sch werde jelbit in der Nache Maß zu halten wiſſen,“
entgegnete Kmiziz, „und mit Gottes Hilfe dem Nachedurit Zügel
anzulegen verjtehen.“
„Rottet ihn ganz aus, gebt die Nache auf, wie Chriitus
jie aufgegeben hat, denn feiner Gottheit wäre es doch leicht ge—
wejen, mit einem einzigen Worte die Juden zu verderben.“
Kmiziz antwortete nicht darauf, denn man hatte nicht Zeit
zu disputieren, ja, man hatte nicht einmal Zeit zum Ausruhen.
Der Nitter Hatte bejchlofien, trogdem er totmüde war, jofort
zu jeinen Tartaren zu gehen, welche in den Wäldern und auf
239
den Landſtraßen, im Nücden der feindlichen Armee ftanden;
das war durchaus notwendig. Aber die Menſchen jener Zeit
waren gewöhnt, im Sattel gut zu schlafen. Herr Andreas
befahl aljo, ein friiches Prerd für ihm zu jattelr, indem er
hoffte, unterwegs ausichlafen zu können.
Als er eben aufjteigen wollte, trat Sorofa in dienjtlicher
Haltung an ihn heran.
„Erw. Liebden!“ jagte er.
„Was willit du, Alter?“ frug Kmiziz.
„sch wollte nur fragen, warn ich meine Reiſe fortjeten joll?“
„Wohin?“
„Nach Tauroggen.“
Kmiziz lachte ihn an:
„Du wirſt gar nicht nach Tauroggen gehen, ſondern bei
mir bleiben.“
„Zu Befehl,“ antwortete der Wachtmeiſter, indem er ſich
bemühte, die große Freude zu verbergen, welche ihm dieſer Be—
fehl machte.
Nun ritt er neben dem geliebten Herrn. Der Weg war
weit, denn ſie mußten das ganze Lager Boguslaws in weitem
Bogen umkreiſen, um dem Feinde nicht in die Hände zu fallen,
Doch dafür hatten ſie Zeit, ſich auszuſchlafen. So kamen ſie
ungefährdet bei den Tartaren an.
Akbah-Ulan meldete jich jogleich bei Kmiziz, um Bericht
über jeine TIhätigfeit zu eritatten. Herr Andreas war” zufrieden
damit. Alle Brüden zum Nüdzuge Boguslaws waren ab—
gebrochen, jede Erhöhung, die jeiner Armee zur Dedung dienen
fonnte, war zerjtört, und zum Weberfluß hatte die Frühjahrs—
näſſe alle ‚Felder, Wiejen und niedrig gelegenen Wege in Sümpfe
verwandelt.
Boguslaw blieb feine andere Wahl, als zu legen oder zu
tallen; an einen Nüczug war nicht mehr zu denfen.
„Gut!“ jagte Kmiziz. „Seine Meiterregimenter ind vor—
trefflich, aber zu jchtwer; bei dem aufgeweichten Boden fünnen fie
ihm nichts nützen.“
Dann wandte er jih an Afbah-Ulan:
„Du bilt mager geworden!” jagte er, — ihm mit der Fauſt
den Bauch klopfend — „aber warte nur, nach der Schlacht
wirst dur mit fürjtlichen Dufaten die Kaldaunen füllen können.“
„Bott hat die Feinde geichaffen, damit die Krieger jemanden
haben, dem fie Beute abjagen fönnen,“ antwortete der Tartar
wirdevoll.
240
„Die Neiterei Boguslaws jteht dir aljo gegenüber?“
„Es ind einige Hundert gut berittene Mann. Gejtern
hat man ihnen ein Negiment Füfiliere zugejellt; fie haben jich
verſchanzt.“
„Könnte man ſie nicht ins freie Feld locken?“
„Wir haben es ſchon verſucht; ſie kommen nicht.“
„Wie wäre es, wenn wir ſie umgehen und nach Janowo
vordringen wollten.“
„Sie haben uns die Wege verlegt.“
„Dann müſſen wir etwas anderes erſinnen.“
Er ſtrich ſich mit der Hand über das Haar.
„Habt ihr ſchon verſucht, ſie zu beſchleichen? Wie weit
fallen ſie denn aus?“
„Ein... bis zwei Gewände! ... weiter wagen ſie ſich
nicht vor.“
„Dann müſſen wir anderes verſuchen!“ wiederholte Kmiziz.
Aber in dieſer Nacht unternahm er nichts mehr. Dafür
nmfreijte er mit den Tartaren die Stellung des Feindes,
zwiichen Sucowola und Janowo; er erfannte, dat Afbah-
Ulan übertrieben hatte, als er behauptete, die ‚züfiliere hätten
ſich verjchanzt. Die aufgeworfenen Schußgwälle waren ganz
unbedeutend. Man fonnte ich wohl längere Zeit dahinter
halten, bejonders „gegen die Angriffe der Tartaren, welche jich
nicht gerne dem Feuer der Musfeten ausjegten, aber die dort
drinnen Fonnten nicht daran denken, eine längere Belagerung
auszuhalten.
„Wenn ich Füſiliere bei der Hand hätte,“ Dachte Kmiziz,
„würde ich flott darauf losgehen.“
Es war aber gar nicht daran zu denken, Füſiliere hierher
zu befommen. Zuerſt hatte Herr Sapieha jelbjt nicht zu viel
von Ddiejer Truppengattung, zu zweit, war der Marjch hierher
zu zeitraubend.
Kmiziz ritt jo dicht unter die Schanzen, daß die Infanterie
auf ihm zu feuern begann; er beachtete das nicht, ritt im
Kugelregen Hin umd her, betrachtete die Situation der Feinde
genau, und die Tartaren, welche jehr empfindlich gegen das
Snfanteriefeuer waren, mußten gleichen Schritt mit ihm halten.
Es währte nicht lange, jo machten die Dragoner ſeitwärts einen
Ausfall. Nun zog er ji) langjam mit jeiner Truppe etwa
auf dreitaufend Schritt zurüd und machte dann jchnell Front
gegen fie. Aber ſie hielten ihm nicht ſtand, jondern machten
Ichleunigit ehrt. Die Tartaren jandten ihnen eine ganze Wolfe
241
von Pfeilen nach; es fiel aber nur einer und auch dieſen nahmen jie
mit jich fort.
Auf dem Rückwege wandte jich Kmiziz, anitatt nad) Sucho—
wola zurüczufehren, gen Weiten nach Kamionka zu.
Die jumpfigen Ufer des Bobr waren weithin überflutet.
Kmiziz betrachtete das FFlußbett aufmerkjam, dann nahm er eine
Anzahl Kleine zerjtücelte Aejte und warf fie in den Strom,
um die Strömung zu prüfen, worauf er zu Ulan jagte:
„Wir werden fie von hier aus umgehen und ihnen in
den Rüden fallen.“
„Die Pferde werden gegen den Strom nicht fortfommen,“
entgegnete der Tartar.
„Die Strömung it Schwach. Ste werden gut jchwimmen!
Das Wafjer jteht ja fait.“
„Es tit kalt; die Pferde werden erjtarren und die Mann
ichaften nicht tragen.“
„Die Leute jollen ſich an die Schwänze der Pferde feit-
halten und ihnen nachichwimmen, das iſt Doch jo Tartaren-
brauch.“
„ber die Menjchen werden auc) eritarren.“
„Sie werden in der Hite der Schlacht wieder erwärmen.“
„Kismet!“ rief Akbah-Ulan.
Noch ehe die Abenddämmerung eingetreten war, hatte
Kmiziz ganze Haufen Flußgräſer, Schilfrohr und Binjen aus—
jchneiden und in Bündel binden laſſen, welche den Pferden zu
beiden Seiten fejtgebunden wurden. Als der erite Stern am
Himmel blinfte, tauchten etwa achthundert Pferde in das Waſſer
und begannen zu jchwimmen; er jelbit jchwamm voraus. Bald
aber bemerkte Kmiziz, dab jie zu langjam vorwärts famen und
wohl zwei Tage brauchen würden, um hinter die Schanzen zu
gelangen, wenn fie den Fluß itromaufwärts jchwammen. Gr
befahl daher, den Fluß zu durchqueren, um das entgegengejette
Ufer zu erreichen.
Das war ein gefährliches Unternehmen. Das andere Ufer
war jteil und bei der Näſſe aufgeweicht. Die Pferde, obgleich
leicht bepadt und freigelajjen, janfen bis unter die Bäuche ein,
doc famen ſie ohne Unfall, immer eines das andere nach jic)
ziehend, wenn auch langjam, vorwärts.
Auf diefe Weije wanderten jie ein paar Gewände fort.
Der Stand der Sterne wies auf Mitternadht. Da drang
plöglich vom Süden her jchwach, aber deutlich hörbar, Büchjen-
fnallen an ihr Ohr.
Sienkiewicz, Sturmflut II. 16
242
„Die Schlacht hat begonnen!“ rief Amiziz. „Vorwärts!“
„Wir werden verjinfen!“ entgegnete Akbah-Ulan.
„Mir nach!“ fommandierte der Nitter.
Die Tartaren jchwanften noch, was jie thun jollten, als
fie plöglich jahen, daß das Pferd Kmiziz' feiten Boden zu ges
winnen jchien. Sie waren auf eine Sandbank gefommen.
Ueber derfelben jtand das Wafjer den Pferden noch bis an die
Brujt, aber fie traten auf feiten Grund. Sie marjcjierten nun
mutig weiter. Zu ihrer linfen Seite jahen fie den Schein von
Lagerfeuern von fernher leuchten.
„Das find die Schanzen!“ jprach Kmiziz für ſich. „Wir
kommen vorbei! Wir werden jte umgehen!“
Rad) einer Weile lagen die Schanzen thatjächlich Hinter
ihnen. Da trieben ſie die Pferde wieder in den Fluß, um
Hinter den Schanzen zu landen.
Ueber hundert Pferde verfanfen dicht am Ufer im Schlamm,
aber die Mannjchaften famen alle an Land. Kmiziz hieß jie
bei den anderen aufiigen und lenkte den Schanzen zu. Zuvor
jedoch hatte er zwölf Mann zu dem Reſt feiner Truppen nach
Suchowola abgejandt mit dem Befehl, die Füſiliere nicht von
dort aus zu beunruhigen, während er ihnen in den Rüden
fiel. Als fie dem Lager näher kamen, hörte er erjt vereinzelt,
dann immer häufiger Gewehrfalven.
„Das ijt gut!“ jagte er, „sie gehen zur Attacke über.“
Und vorwärts ging es. In der Finſternis nahm man
von den Neitern nichts wahr, als eine Menge auf und nieder-
hüpfender Köpfe, genau den Bewegungen der Pferde folgend,
feine Waffe flirrte, fein Panzer blitzte. Die Tartaren und
Freiwilligen verjtanden es, lautlos wie die Wölfe einherzuziehen.
Von Janowo her wurde das Gewehrfener immer leb-
after. Herr Sapieha jchien auf der ganzen Linie vorgejchritten
zu jein und die Schlacht eröffnet zu haben.
Auf den Schanzen, welchen Kmiziz zujtrebte, wurden jett
auch Rufe laut. Einige brennende Holzitöße warfen ein grelles
Licht über diejelben. Bet diefem Lichte jah Herr Andreas, wie
die ‚züfiliere in Pauſen gerade vor jich Hin jchoffen, die Augen
dem Felde zugefehrt, wo die Freiwilligen mit den Dragonern
aneinander geraten waren. Man hatte jet auch ihn mit jeiner
Kolonne erblidt, aber anitatt auf fie zu jchießen, begrüßte man
ſie mit ‚sreudenrufen. Wahrjcheinlich waren jie der Ansicht,
daß es von Fürſt Boguslaw ausgejandte Hilfstruppen für jie
waren. Erſt als faum noch etwa Hundert Schritte die Heran—
243
nahenden von den Schanzen trennten, wurden die Füſiliere
unruhig und immer mehr von ihnen blidten, die Hand über
der Stirn, aus, zu jehen, wer ihnen eigentlich nahe.
Da plöglich erfüllte gräßliches Geheul die Luft; wie ein
Wirbelwind jaujten die Reiter daher, umzingelten die Füſiliere,
ichlofjen fie im Kreiſe ein und die Maſſe Menjchen mitten
drinnen zucdte krampfhaft im Todesgrauen, als wolle eine
Rieſenſchlange ſie in ihrer Umschlingung erſticken.
Herjzerreißende Rufe: „Allah! Herr Jeſus! Mein Gott!“
tönten durch die Nacht.
Bor den Schanzen wurde es nun auch laut, denn Die
Freiwilligen, welche bemerft hatten, daß Kmiziz bereit3 hinter
den Schanzen den Füfilieren in den Rücken gefommen war,
jtürmten nun von jenſeits darauf los. Der Himmel, welcher
ihon am Tage vorher bewölkt gewejen, begann, wie das im
Frühling oft der Fall iſt, leichte Negenjchauer zu entjenden. Die
Feuer erlofchen, der Kampf dauerte in der Finſternis fort.
Aber er währte nicht mehr lange. Die jo plößlich Ueber—
fallenen waren jchnell niedergemegelt. Die Dragoner, unter
denen viele Bolen ſich befanden, ſtreckten kampflos die Waffen.
Die ausländijchen Söldner wurden ausnahmslos getötet. Das
wiederum aus dem Gewölf hervorbrechende Mondlicht bejchten
einen formlofen Haufen ZQartaren, welche beutejuchend, Die
Toten ausraubten.
Da ertönte ein jchriller Pfiff. Die Tartaren und Frei—
willigen ließen alles im Stich und jaßen im nächjten Augen-
blick zu Pferde.
„Dir nach!” fommandierte Kmiziz.
Und wie die Windsbraut jaufte er voran, nach Janowo.
Eine Biertelitunde jpäter war die Ortjchaft an allen vier Ecken
angezündet und nach Verlauf einer Stunde bezeichnete ein
funfenjprühendes Slammenmeer die Stätte, wo Janowo einjt
geitanden.
Auf diefe Weiſe ſetzte Kmiziz den Hetman in Kenntnis,
da er im Rücken der feindlichen Armee operierte.
Wie ein Henker vom Blut bejchmugt, ordnete er in dem
Lichte der Flammen feine Tartaren zum weiteren Zuge auf
das Schlachtfeld. Der Zug hatte jich eben formiert und jollte
ſich in Bewegung jegen, da erblicte Kmiziz plöglich dicht vor
jich, taghell von den Flammen beleuchtet, eine Abteilung der
furfürftlichen Gardereiter. Mann und Roß von riejenhafter
Größe, jprengte fie in vollem Galopp daher.
16*
244
An ihrer Spitze ritt, weithin fichtbar, mit glänzendem
Silberpanzer angethan, auf weißem Roß, ein Ritter.
„Boguslaw!“ brüllte mit fajt übermenschlicher Straft Kmiziz
und jtürmte mit jeinem tartarischen Tſchambul ihm entgegen.
Wie von einer Windsbraut getriebene haushohe Wellen auf-
einander prallen und in Gicht zeritieben, jo jtießen die beiden
Heereshaufen im vollen Galopp der Pferde zujammen. Von
der einen Seite die Rieſenmenſchen in ihren bligenden Küraſſen,
das blanke Schwert hoch über jich jchwingend, von der anderen
die jchwarze Tartarenmwolfe.
In dem Nugenblid des Zuſammenſtoßes gejchah etwas
Schredliches. Wie ein reifes Aehrenfeld hingemäht, jtürzten
die Neihen der jchwarzen Krieger unter den Hufen der Niejen-
roſſe, welche über jie hinwegjagten, wie die wilde Jagd, hinter
ji) da8 Grauen zurüclafjend.
Doh nur furz währte der Schreden der Ueberrittenen.
Man konnte die Wilden überreiten, doch fie zermalmen nicht.
Bald hoben jich Hier und da einzelne, dann ganze Haufen aus
der dunklen Mafje; jchwangen ſich auf die Pferde, die eben jo
ichnell aufgejprungen waren und jegten den Davonjagenden
nach, ihre Laſſos mit jchrillem Saufen durch die Luft jchwingend.
Doh — an der Spite der Fliehenden jagte nach immer
weithin jichtbar der Neiter auf dem weißen Roſſe, während in
den Reihen der Verfolgenden Kmiziz fehlte.
Mit dem Morgengrauen fehrten die Tartaren auf das
Schlachtfeld zurüd. Faſt jeder von ihnen führte einen Kürajfier
am Lajjo mit jih. Bald fanden fie auch Kmiziz. Sie nahmen
den Ritter mit und brachten ihn noch bewußtlos zum Hetman.
Sapieha blieb jelbit an jeinem Lager jigen und pflegte
ihn. Gegen Mittag öffnete er endlich die Augen.
„Wo iſt Boguslaw?“ das war jein erjtes Wort.
„Seine Armee iſt vollitändig aufgelöft,“ antwortete Sapieha,
frob, daß es um Herrn Andreas nicht jo jchlimm jtand, wie er
geglaubt. „Zuerit begünitigte ihn Fortuna; das machte ihn
wagehaljig. Er verließ die gedecten Stellungen in den Birfen-
Ichonungen und griff die Füſiliere Herrn Oskierkos im offenen
Felde an, dort verlor er eine Menge Soldaten und wurde
beſiegt . . . Ich weiß nicht, ob im ganzen fünfdundert Mann
am Leben geblieben jind.“
„Und er jelbjt?“ frug Kmiziz.
„Er ilt uns entwijcht.“
Kmiziz verharrte eine Weile in tiefem Schweigen, dann jagte er:
245
„Roc war e8 mir nicht bejtimmt, mich mit ihm zu mejjen.
Er ſchlug mir mit dem Rapier nach dem Kopfe, aber mein
Viſier von reinem Stahl fing den Schlag auf; nur ohnmächtig
bin ich von dem ſtarken Anprall ‚geworben. —
„Ihr müßtet dieſes Viſier in eurer Patronatskirche auf—
hängen.“
„Wir werden ihn verfolgen, und ſei es bis an das Ende
der Welt!“ ſagte Kmiziz.
Statt aller Antwort hielt ihm der Hetman ein Schreiben hin.
„Da jeht, welche Nachricht ich heute nach der Schlacht
erhalten habe,” jagte Herr Sapieha, während er ihm den Brief
reichte.
Kmiziz las laut die folgenden Worte:
„Der König von Schweden hat Elbing verlaffen und geht
auf Samoſchtſch vor. Von dort beabſichtigt er der königlichen
Armee, welche in und bei Lemberg ſteht, entgegenzuziehen. Ich
bitte Ew. Erlaucht mit allen Euch zu Gebote jtehenden Streit-
fräften dem Könige und dem Vaterlande zu Hilfe zu fommen,
möglichit in Eilmärjchen. Ich allein kann den Anprall nicht
aufhalten... Tſcharniezki.“
Nieder war es jtill.
Nach einiger Zeit frug der Hetman:
„Und ihr? was werdet ihr thun? Kommt ihr mit uns,
oder geht ihr mit den Tartaren nad) Tauroggen ?“
Kmiziz Schloß die Augen. Er dachte an das, was der
Brobit Kordezki, an das, was Wolodyjowsfi ihm von Skrze—
tusfi erzählt hatte, und antwortete dann:
„Auf ſpäter die Nache! Jetzt will ich mein Leben und
Blut dem Vaterlande weihen!“
Der Hetman drücdte ihm den Kopf mit beiden Händen.
„Ihr jeid mir ein teurer Kampfgenoſſe,“ jprach er. „Und
da ich euer Vater jein Eönnte, jo empfanget meinen Segen...”
Fünftes Bud.
+
—
— —F ⸗ *
l. Kapitel.
Während in der Republik Polen alles, was atmete, ſich
gegen die Schwedenherrſchaft auflehnte und die Erhebung immer
weitere Kreiſe zog, weilte Karl Guſtav in Preußen, damit be—
ſchäftigt, die dortigen Städte zu erobern und mit dem Kur—
fürſten dann Verträge zu ſchließen.
Nach dem über alles Erwarten leichten Siege in Polen
war der kluge König recht bald zu der Einſicht gelangt, daß
der ſchwediſche Leu in ſeiner Gier mehr verſchlungen hatte, als
er zu verdauen vermochte. Seit der Rückkehr Johann Kaſimirs
in das Land, wußte er, daß er die ganze Republik nicht würde
halten können; er reſignierte daher von vornherein, wollte aber
verſuchen, einen möglichſt großen Teil der Beute für ſich zu
erhalten, vor allem das ſchöne Kronen-Preußen, welches, an
ſein bereits früher erobertes Pommerland grenzend, an ſchönen
Städten ſo reich war.
Die Provinz Preußen aber, welche zu allererſt ſich gegen
den Eroberer aufgelehnt hatte, hielt auch jeßt noch wacker zu
ihrem alten Herrn und König und zur Nepublif. Die Nüdkehr
Sohann Kaſimirs, der Zujammentritt der Tyſchowietzer Kon—
füderation, belebten den revolutionären Geiſt der Preußen und
jtügten ihre Königstreue, deshalb war Karl Gujtav rajch ent-
ichlojjen, den Aufitand in der Nepublif zu unterdrüden, das
Heer Johann Kaſimirs zu vernichten, um den Preußen die
Hoffnung auf Hilfe zu nehmen.
Da die Belagerung Marienburgs nur ſehr langſame Fort—
ſchritte machte, weil Weiher, der Kommandant der Feſtung, die—
ſelbe außerordentlich gut verteidigte, zog er mit einer bedeutenden
Armee in die Republik, um Johann Kaſimir zu erreichen, ſollte
250
er ihn auch an dem äußerjten Grenzen jeined Reiches juchen
müfjen. Der König handelte immer jehr rajch; er lieh jeinen
Entjchlüffen die Ausführung auf dem Fuße folgen. Mit einer
Schnelligfeit, die ihresgleichen juchte, hatte er auf jeinem Wege
nad) der NRepublif alle um die Städte Preußens liegenden
Truppen zufammengerafft, und ehe in der Nepublif noch jemand
ahnte, was vorging, hatte er Warjchau jchon im Rüden und
zog in Eilmärjchen dem füniglichen Heere entgegen.
Wie ein jchweres Unwetter brach er mit jeinen Soldaten
in das ohnehin jo zerrüttete Yand; wut- und rachejchnaubend
zog er daher. Zehntaujend Pferde jtampften mit ihren Hufen
den teilweife noch mit Schnee bededten Boden. Alle die kleinen
Kommandos, welche die Städte und Schlöfier der Republik
bejegt hielten, mußten ihm folgen; er riß alle mit fich fort
und führte jie auf Sturmesflügeln weit, weithin nach dem
Süden.
Unterwegs verbrannte er die Dörfer, die kleinen Städte;
er jchlug alles nieder, vernichtete alles, was ihm in den Weg
fam. Er war nicht mehr der Karl Guſtav von ehemals, der heitere,
menjchenfreundliche Herr, welcher den Soldaten jchmeichelte und
mit den polnischen Reitern liebäugelte.e Wo er fich jett blicken
ließ, da flo das adlige und plebejische Blut der Polen in
Strömen, da ließ er die Gefangenen aufhängen, da blieb nichts
am Leben, nichts wurde gejchont.
Aber wenn der Bär jeinen mächtigen, alles erdrücenden
ichweren Körper durch die Wälder jchleppt und im Vorwärts—
jchreiten das Strauchwerf und die niederen Aeſte mit der Laſt
feines Gewichtes bricht und fnidt, dann jchleichen die kleinen
Naubtiere, welche nicht wagen, ihn anzugreifen, hinter ihm drein
und juchen ihm hinterrüds zu jchaden. So auch hier. Der
Armee Karl Gujtavs nach zogen alle die Kleinen Häuflein Frei—
williger in immer kleineren Abjtänden und in immer größerer
Zahl. Sie begleiteten ihm wie jein Schatten, folgten ihm Tag
und Nacht, in Wind und Wetter.
Vor ihm her aber brach man alle Brüden ab, um jeinem
Bordringen Einhalt zu thun; man vernichtete alle Vorräte an
Lebensmitteln, um ihn auszuhungern, beraubte ihn der Mög-
lichkeit anderswo als unter freiem Himmel jeine Nachtruhe
zu halten.
So hatte der König nur zu bald einjehen gelernt, wie
ſchrecklich und gefahrvoll das Unternehmen war, zu dem er fi)
in der Uebereilung hatte hinreißen lafien. Krieg, Krieg, nichts
251
als Krieg weit und breit, foweit das Auge reichen fonnte nichts
als Mord und Brand, ein Meer von Flammen, Rauch und
Vernichtung. Preußen und Großpolen, welche zuerſt die
Schwedenherrjchaft angenommen, waren wiederum Die eriten,
welche das Joch abzufchütteln ſich bemühten, Stleinpolen, Reußen,
Litauen und Smudz waren ihnen gefolgt. Zwar hielten jich
in den Schlöfjern und größeren Städten die Schweden nod)
gut, aber fie ſaßen dort wie auf Imjeln, die Dörfer, Wälder,
die Flüſſe und das offene Land waren ſämtlich in polnijchen
Händen. Ueberall lauerte den Schweden die Gefahr auf; nicht
nur vereinzelte Soldaten oder fleinere Trupps, jondern jogar
größere Abteilungen des jchwedischen Heeres verjchwanden ſpur—
los, jobald jie eg wagten, jich nur auf furze Zeit vom Haupt-
quartier zu entfernen.
Umjonjt ließ Karl Gujtav in den Dörfern und Städten
befannt machen, daß jeder Bauer, welcher ihm einen Adligen
in Waffen, gleichviel ob tot oder lebend ausliefere, zum Lohne
dafür vollfommene Freiheit und ein Stück Land erhalten folle.
Die Bauern waren jämtlich mit den Adligen und Städtern
in die Wälder gezogen. Die Leute von den Bergen, aus den
Steppen, den Flußniederungen und Feldern, jie alle hatten jich
in den Wäldern feitgejegt und führten im Stillen und unficht-
bar den Krieg gegen die Unterdrüder mit feinen anderen Waffen,
als Drefchflegeln, Heugabeln und Senjen.
Die Wut Karl Gujtavs jteigerte ji) von Tag zu Tag.
Er fonnte nicht begreifen, dab das Land, welches vordem fich
ihm fajt von jelbit ergeben, plötzlich mit einer Energie fich auf-
lehnte, die ihres Gleichen juchte, und er jtaunte, woher es die
Se und Mittel nahm zu diefem Kampfe auf Tod und
eben.
Der König berief oft jeine Räte zufammen. Es befanden fich
bei ihm: jein Bruder Adolf, welcher das Hauptfommando über die
Armee hatte, Robert Douglas, Heinrich Horn, ein Bruder jenes
Horn, welcher bei Tſchenſtochau jein Leben durch den Senjen-
hieb eines Bauern verloren hatte, Waldemar Graf von Däne-
marf und jener Miller, welcher am Fuße des heiligen Berges
jeinen Kriegsruhm begraben hatte, Ajchemberg, der geichicteite
ſchwediſche Reitergeneral, Hammerjchild, welcher die Gejchüge
unter fich hatte, und der alte Nejtor der jchwedischen Armee,
der Marjchall Arfuid Wittenberg, dejjen Raubzüge ihm eine
traurige Berühmtheit eingetragen hatten. Diejer leßtere war
von einer unbeilbaren Krankheit befallen und zehrte an den
252
Neiten jeiner früheren Gejundheit. Dazu famen noch Forgell
und viele andere tüchtige Strieggmänner, welche in offener
Schlacht nur von dem mächtigen Genius ihres Königs über-
troffen wurden.
Sie alle fürchteten im Stillen, dab diejer ganze Feldzug
an der hartnädigen Wut des Ktleinfrieges und an dem Mangel
an Nahrung jcheitern würde Der alte Wittenberg riet dem
Könige entjchieden, von weiterem Vordringen Abjtand zu
nehmen.
„ie wollen Ew. Majejtät bis in das ferne Reußen einem
Feinde nachjegen, der für uns umjichtbar bleibt, während er
vor ung her alles vernichtet, was für unjeren Unterhalt not—
wendig it. Was joll dann gejchehen, wenn den Pferden nicht
nur Heu und Hafer, jondern auch die legte Zuflucht, die Dach-
Ichauben zum jatt füttern jehlen, und die Soldaten vor Müdig⸗
keit und Hunger nicht mehr fort können. Wo bleiben jene
Heere, welche uns zu Hilfe kommen ſollten? Wo ſind die
Schlöſſer, in denen wir uns ſtärken und die müden Glieder
ausſtrecken können? Ich kann mich weder mit Ew. Majeſtät
Klugheit, noch mit Ew. Majeſtät Krieggsßruhm meſſen. Wenn
ich aber Karl Guſtav wäre, würde ich eben dieſen ſo ſchwer
durch große Siege errungenen Kriegsruhm nicht dem wechſeln—
den Glücke dieſes Feldzuges ausſetzen.“
Darauf erwiderte der König:
„Wenn Ich Wittemberg wäre, dann würde Ich es ſicherlich
auch nicht thun.” Dann führte er das Beijpiel Aleranders von
Makedonien an, mit welchem er fich gern jelbit verglich, und
jagte weiter dem Herrn Ticharniezfi nach, welcher im Gefühl
der Ueberlegenheit des jchwedischen Heeres ihm mit der Liſt
eines Wolfes auswich, den glüdlichen, geeigneten Augenblid
herbeijehnend, wo er dem Feinde Die jcharfen Zähne würde
weijen fünnen. Tſcharniezki machte es ähnlich wie Kmiziz; er
war bald den Schweden voraus, bald jeitwärts von ihnen,
dann wieder ließ er ſie an jich vorüberziehen, wenn er in der
Tiefe der dunklen Wälder rajten wollte, jo dat, wenn fie glaubten,
ihm nachzujagen, er ſich in ihrem Rücken befand, und fie nie
wiſſen konnten, wo jie ihn zu fjuchen hatten. Hier und da
überrumpelte er eine £leinere Abteilung Neiter, griff die lang—
ſamer vorrücenden ‚Fußregimenter an, oder nahm dem Feinde
etliche ‚Kouragewagen fort. Es fam auch vor, day die Schweden
plöglic) nachts ein heftiges Kleingewehr- vder Kanonenfeuer
eröffneten und blindlings in die Wälder hineinſchoſſen, im
253
Glauben, die Polen müßten da drinnen jein. Sie machten fich
unendlid) müde auf den Märjchen in den falten Nächten, fie
zehrten jich auf vor Kummer und jteter Wachjamfeit und —
diejer vir molestissimus — jchwebte fortwährend mit jeinem
Schwerte über ihnen, wie die Hagelwolfe über einem Weizenacder.
Endlich itellte er ich) dem Schwedenheere bei Golembin,
unweit der Mündung des Wieprich in die Weichjel. Cinige
der polnischen Fahnen hatten ich dort kampfbereit aufgeitellt
und griffen den Feind mit jolcher Heftigfeit an, daß der Vor—
itoß desjelben jofort in Verwirrung und Schreden geriet.
Herr Wolodyjowsfi mit jeiner Laudaer ‘sahne begann das
Gefecht, indem er den dänijchen Prinzen Waldemar angriff;
ihm folgte Herr Samuel Kawezfi mit jeinem jüngeren Bruder
Sohann, welche die angeljächjiichen Söldlinge Wickilſohns in
wenigen Augenblicden total auseinander gejprengt hatten. Herr
Malawski traf jo Hart mit Adolf, dem Bruder des Königs,
zujammen, daß Mann und Noß zerjtiebten, wie eine Staub-
wolfe, welche ein friicher Wind in alle Himmelsgegenden zerteilt.
Ehe jie ſich's verjahen, waren die Schweden dicht an die Weichjel
gedrängt. Als Douglas das gewahrte, jprengte er mit jeinen
auserlejenen Neitern den Bedrängten zu Hilfe. Aber auch er
fonnte dem harten Anprall der Polen nicht Stand halten.
Seine Neiter mußten von den hohen Ufern hinab auf das Eis
flüchten, die Leichen bedecdten das weiße Schneefeld bald in
jchrecdenerregender Menge. Unter den Gefallenen befanden
ſich der Prinz Waldemar, Widiljohn; der Fürſt Adolf war
mit dem Pferde geitürzt und hatte einen Beinbruc) erlitten.
Aber auch die Polen hatten große Verluſte zu verzeichnen.
Die Herren Kawezki, Malawstı und Rudawski zählten zu den
Toten, während die Herren Nogowsfi, Tyminski, Choinsfi und
Porwaniezki mehr oder weniger jchwer verwundet waren. Nur
Herr Wolodyjowsfi war unverwundet geblieben, jeine fleine,
geichmeidige Gejtalt war überall geſchickt den ſchwediſchen Säbel-
hieben ausgewichen, während er um fich hieb wie ein gereizter
Tiger.
: Unterdejjen war Karl Gujtav mit der Hauptarmee und
den Gejchügen hHerangerüdt. Damit nahm der Verlauf des
Kampfes eine andere Gejtalt an. Die anderen Truppen
Tjeharniezfis, welche nicht zu den Stammjoldaten gehörten,
waren noch nie in einem Gefecht gewejen; jte wurden verwirrt.
Teild auch hatten ſie die Prerde nicht jchnell genug bei der
Hand, da viele von den Bolontären, entgegen dem Befehl, die
254
Pferde jtet3 gejattelt zu halten, diejelben im entfernteren Ort—
ichaften untergebracht hatten, während jie jelbit in den Hütten
der Ruhe pflegten. Dieje Abteilungen waren bald verjprengt
und vernichtet, der Neit floh dem Wieprich zu. Damit nun
die Elite jeiner Truppen nicht völlig dem Untergange preis-
gegeben werde, lieg Herr Ticeharniezfi zum Rückzug blafen. So
zogen jich denn Die einen auf das andere Ufer des Wieprich
zurüd, während die anderen nach Konskowola abmarjchierten,
dem Könige von Schweden das Feld und den Giegesruhm
überlajjend. Diejenigen polnischen Fahnen, welche fich jenjeits
des Wieprſch geflüchtet hatten, wurden noch weithin von den
Fahnen Shrojchef3 und Kalinsfis verfolgt, welche beide noch
zum Könige von Schweden hielten.
Die Freude über den Sieg war im jchwediichen Lager
grenzenlos. Zwar hatte derjelbe ihnen wenig genug Beute
eingebracht — ein paar Beutel Hafer und ein paar leere
Wagen, das war alles —, aber darum war es dem Könige
dDiejes Mal weniger zu thun. Ihm genügte, dat das Kriegsglück
ihn doch nicht verlajjen hatte, daß er ſiegte, wo er ſich bliden
ließ, hauptjächlich aber war feine Freude darum jo groß, weil
Tieharniezfi der Bejiegte war, Ticharniezti, auf dejien Tapfer—
feit, Klugheit und Mut gegenwärtig die Hoffnung der ganzen
Republik geitellt war. Er vermutete, daß die Nachricht von
der Niederlage Tjcharniezfis im ganzen Lande laut werden, daß
furchtfame Gemüter die Thatjachen entitellen, die Niederlage
als eine volljtändige bezeichnen würden, was jelbjt die Mutigiten
im Lande jchwer treffen und alle diejenigen, welche der Kon—
jüderation beigetreten waren, vor weiteren Unternehmungen
zurücijchreden mußte.
Als man daher dem Könige die eroberten Haferbeutel zu
‚süßen legte, und gleichzeitig die Leichname Wickilſohns und des
Prinzen Waldemar herbeitrug, wandte er jich an die befümmer-
ten Generale und ſprach:
„Schaut nicht jo trübe drein, ihr Herren! Es ijt dies der
glänzendite Sieg, den ch feit einem Jahre davongetragen; er
fann den ganzen Krieg beenden.“
„Majeität!“ antwortete Wittenberg, welcher, jeit er franf
war, "die Dinge jchwärzer jah, als ſonſt, bejonders heute, wo
er jich ganz unwohl fühlte. „Danfen wir Gott aud) dafür,
daß wir von nun an ruhiger weiterziehen fünnen, auch das tjt
jchon viel wert. Uebrigens glaube ich nicht, da wir lange
unbehelligt bleiben werden, denn jo jchnell die Fahnen
255
Tieharniezfis zeriprengt worden find, jo jchnell werden jie jich
wieder jammeln.“
Darauf erwiderte der König:
„Herr Marjchall, Ich Halte euch für feinen jchlechteren
Feldherrn als den Herrn Ticharniezfi. Sch glaube aber, daB,
wenn euch gejchähe wie ihm heute, jo brauchtet ihr wenigitens
zwei Monate, um euch zu erholen.“
Wittemberg verbeugte jich zuftimmend, der König aber
jprach weiter:
„Wir werden einen gejicherten Weitermarjch haben, denn
Ticharniezfi allein vermochte ihn aufzuhalten. Tſcharniezki ijt
vernichtet, das Hindernis entfernt.“
Die Generale waren von dieſer Ausficht jehr erfreut. Die
jiegestrunfene Armee zog im PBarademarjch am Könige vorüber;
das Schredgeipenit Ticharniegzfi Schritt nicht mehr neben ihr
ber, hatte aufgehört zu erijtieren. Angeſichts diefer Ihatjache
waren die herben Verluſte bald vergejien, die fommenden
Mühſale erichtenen leicht und angenehm. Da die Worte des
Königs bald im —55— Lager verbreitet wurden, war das
ganze Heer der Anſicht, daß dieſer Sieg eine ganz außer—
ordentliche Bedeutung für dasſelbe haben mußte, daß die
Zeit des Herrſchens und der Rache für die Schweden ge—
kommen war.
Der König gab dem Heere einige Stunden Ruhe. Von
Koſieniez her waren Laſtwagen mit Lebensmitteln heran—
gekommen. Die Armee ‚quartierte ſich in Golembin, Krowienifi
und Schyichyn ein. Die Reiter zündeten Die verlafjenen
Häuſer an, mehrere Bauern, welche man mit der Waffe in der
Hand gefangen, und ein paar Pferdejungen, die man auch für
Bauern hielt, wurden erhangen. Darauf folgte ein Gelage.
Die Soldaten aßen jich einmal wieder ſatt, dann legten fie jich
zum erjtenmale jeit Wochen zu traumlojem, ungejtörtem Schlaf
nieder.
Am nächſten Morgen erwachten jie neugeitärft. Das erite
Wort, welches jic aller Munde entrang, war:
„Tſcharniezki ijt fort!“
Einer rief e8 dem anderen zu, als wollten jie jich gegen-
jeitig die Wahrheit des Gejchehenen vergewiſſern. Der Morgen
war falt, aber heiter und troden. Der Weitermarjch wurde
fröhlich angetreten, die Nüjtern und Ohren der Pferde bedeckten
jih bald mit Rauhreif. Ein falter Wind hatte über Nacht
256
alle Prügen mit einer Eiskruſte bezogen, der Weg war gut.
Die Neihen der Krieger dehnten sich diesmal lang aus,
was jie bisher nie gewagt hatten; jie zogen jich fait eine
Meile lang.
Zwei Kolonnen Dragoner marjchierten unter Dubois,
einem franzöfiichen Hauptmann, über Konstowola, Markuſchew
und Grabow etwa eine Meile abjeit3 von der Hauptarmee.
Noch vor drei Tagen wären jie in diefer Marjchordnung dem
Tode verfallen gewejen, heute hatten jie ſich furchtlos und
jiegesficher von den anderen getrennt.
„Tſcharniezki iſt fort!”
Einer rief es dem anderen zu. Sie marſchierten auch
unbehelligt weiter, kein Kriegsruf aus dem Waldesdickicht, fein
Pfeilgeſchoß aus dem Hinterhalte ſtörte ihre Ruhe.
Gegen Abend langte Karl Guſtav in Grabow an. Er
war ſehr heiterer Laune und wollte ſich ſoeben zur Ruhe be—
geben, als Aſchemberg durch den dienſtthuenden Offizier behufs
einer wichtigen Meldung um Audienz bitten ließ.
Nach einer Weile trat er beim Könige ein, aber nicht
allein, ſondern in Begleitung eines Dragonerfapitäns. Der
Ktönig, welcher ein ia gutes Perjonengedächtnis
und ein jcharfes Auge hatte, erfannte jofort den Kapitän.
„Bas giebt es neues, Fred?“ frug er. „Sit Dubois
zurüd?“
„Dubois iſt erjchlagen!” antwortete Fred.
Der König erſchrak. Grit jet bemerfte er, dat der Kapitän
ausjah, al3 wäre er dem Grabe entitiegen. Seine Uniform
war zerfetzt und fledig.
„Und die Dragoner?* frug er hajtig weiter. „Jene
beiden Kolonnen?“
„Es iſt nichts mehr von ihnen übrig; ich war gefangen;
man ließ mich laufen!“
Das hagere Gejicht des Königs verfiniterte ſich; er jtrich
die dichten Haarwellen höher Hinter die Schläfen hinauf.
„Wer hat das gethan?“ rief er.
„Tſcharniezki!“ jagte Fred gelajjen.
Der König verjtummte und jtarrte entjegt Ajchemberg an,
welcher nur leicht mit dem Kopfe nidte, als wolle er bejtätigen:
„Tſcharniezki! Tſcharniezki!“
„Es iſt nicht zu glauben!“ ſprach der König nach einer
Weile. „Haſt du ihn ſelbſt geſehen?“
257
„Sch ſtand vor ihm, wie ich jegt vor Ew. Majeſtät ſtehe.
Er trug mir einen Gruß an Ew. Majejtät auf und ich möchte
ausrichten, daß er gegenwärtig jemjeitS der Weichjel gehe, aber
bald wieder unjerer Spur folgen werde.“
„Sch weiß nicht, ob er die Wahrheit ſprach.“
„Gut!“ rief der König. „Hat er ein jtarfes Heer bei ſich?“
„Genau fonnte ich das nicht feititellen; an viertaujend
Mann habe ich gejehen, Hinter dem Walde aber itanden auc)
noch) Neiter. Man umzingelte uns in der Nähe von Krafitichin,
wohin Herr Hauptmann Dubois abjichtlih vom Wege abbog,
da man ihn gewarnt hatte, auf der Landſtraße weiter zu ziehen.
Set kann id) mir vorjtellen, daß Ticharniezfi abjichtlicd) den
Warner aufgeitellt hat, um uns in den Hinterhalt zu loden.
Außer mir iſt feiner am Xeben geblieben, die Verwundeten
wurden von den Bauern vollends erjchlagen, ich entfam, wie
durch ein Wunder!“
„Der Menjch muß mit dem Teufel ein Bündnis gejchlofjen
haben,“ jagte der König, während er den Kopf in die Hand
jtügte. „ES muß übermenjchliche Anjtrengung erfordert haben,
nad) der gejtrigen Niederlage die Truppen wieder jo weit in
Ordnung zu bringen, daß der heutige Lleberfall gewagt werden
fonnte!”
„Es it jo gefommen, wie der Herr Marjchall Wittenberg
e3 vorausgejehen,“ warf Ajchemberg ein.
Darauf wurde der König jehr zornig.
„Shr alle fünnt immer alles vorausjehen, nur einen Nat
erteilen fünnt ihr nicht!“ herrichte er den General an.
Aſchemberg erbleichte und verftummte. Karl Guſtav jchien,
wenn er gut gelaunt war, aus purer Güte zujammengejeßt zu
jein. Sobald er aber nur die Stirn runzelte, bebte und zitterte
jeine Umgebung vor entjeglicher Angſt. In folchen Fällen
verfrochen ſich jelbit die älteſten und verdienteiten Generale
vor ihm, wie die kleinen Vögel jich vor dem mächtigen Adler
verſtecken.
Doch jetzt beſann ſich der König ſchnell. Er begann Fred
weiter auszuforſchen:
„Sind die berittenen Mannſchaften Tſcharniezkis gut im
Stande?“
„Sch jah einige umvergleichlich ſchön ausgerüjtete Fahnen,
wie überhaupt die Neiterei hier zu Lande alle jchön it.“
„Es müſſen diejelben fein, welche Uns bei Golembin ans
griffen. Es müſſen altgediente Soldaten jein; jte famen wie
Sientiewica, Sturmflut IL 17
258
die Furien auf Uns los. Und er jelbit, Ticharniezfi, it er
guter Dinge?“
„Er iſt jo heiter, al® wäre er der Sieger von Golembin,
nicht der Beſiegte. Das Herz muß ihnen dort umfomehr
jchwellen, als die Niederlage bei ihmen jchon fajt vergeſſen iſt
und fie Heute die Steger find. Majejtät! Was Ticharniezfi
mir zu jagen aufgetragen, das habe ich ausgerichtet, aber als
ich entlafien war und mich himwvegbegeben wollte, da trat ein
alter Offizier an mich heran und jagte mir, daß er derjenige
fei, welcher den umvergehlichen König Guſtav Adolf im Zwei—
fampf getötet. Er hat Em. Majeität jchändlich geläftert und
die anderen haben ihm geholfen. Ich verließ unter den tiefften
Demütigungen das Lager.“
„Das iſt Nebenjache!“ entgegnete Karl Gujtav. „Die
Hauptjache iſt für Mich, dat Ticharniezfi nicht vernichtet iſt
und feine Truppen jchon wieder gejammelt hat. Wir müffen
nun um jo jchneller vorwärts marjchieren, damit Wir diefen
polnischen Darius einholen. Ihr jeid entlaſſen, meine Herren.
Ihr werdet im Lager erzählen, Fred, dat die Dragoner von
herumziehendem Gejindel genarrt, ihnen in das Dickicht gefolgt
und dort umgefommen find. Wir müjjen vorwärts.“
Die Offiziere entfernten jich, Karl Guſtav blieb allein
zurüd, Eine Weile verharrte er im düjteres Grübeln verjunfen.
Sollte denn jein Sieg bei Golembin ihm gar feine Früchte
tragen, jeine Lage nicht verbeſſern, jondern die hartnädige
Verfolgung der Bewohner dieſes Landes ihn fortdauernd
begleiten ?
Karl, welcher in Gegenwart jeiner Generale und des
Heeres ſtets das größte Selbjtbewußtjein und die fejte Ueber—
zeugung des Gelingens feiner Unternehmungen zur Schau trug,
fonnte, wenn er allein war, über den Verlauf diejes Krieges,
der jo günjtig begonnen und je länger deſto ſchwieriger für
ihn wurde, ftundenlang grübeln, und oft jchon in den letzten
Tagen war er der Verzweiflung nahe gewejen. Alles, was
geichah, dünkte ihm jo wunderbar; oft wußte er nicht, was er
weiter beginnen jollte in einer Sache, von der das Ende nicht
abzufehen war. Er fam jich vor, wie einer, der das fichere
Ufer verlafjend, in die Fluten des Meeres ſteigt und bei jedem
Schritt vorwärts den Boden unter jich weichen fühlt und die
Flut ihn zu verichlingen droht.
Er glaubte aber an jeinen guten Stern. Auch jegt trat
er an das Fenſter; den Bli nach oben gerichtet, juchte er nad)
259
dem jeinigen, den ihm der Ajtrologe genannt. Es war der—
jenige, welcher im großen Wagen, genannt der große Bär, den
höchiten Pla einnimmt und am belliten leuchtet. Der Himmel
war klar; jo leuchtete auch jetzt das Gejtirn in ſchönſter gold-
roter Pracht — von ferne nur, fajt am ae des azur=
blauen Himmelsgewölbes jtand eine lange Wolkenwand, welche
langjam heraufitieg und ihre Arme, immer näher rücend, nach
dem Stern ausitredte.
2. Kapitel.
Am nächſten Morgen marjchierte der König weiter bis
Lublin. Dort wartete jeiner die Nachricht, daß Herr Sapieha,
nachdem er die Armee Boguslaws bejiegt und vernichtet, mit
einem ftarfen Heere heranziehe. Er gab daher der Stadt nur
eine feite Beſatzung und z0g weiter.
Sein nächjtes Ziel war nun Samojchtih. Wenn es ihm
elang, dieje mächtige Veſte zu bejegen, dann hatte er feiten
Fu gefaßt in der Nepublif, dann fonnte er von dort aus den
Krieg, die Bewegungen jeiner Truppen leiten, und auf Dieje
Weiſe ein Uebergewicht über den Feind gewinnen. Ueber
Samojchtjch Furfierten die verjchiedenjten Gerüchte. Die Polen,
welche bis jet noch zu Karl Gujtav jtanden, behaupteten, dat
es die jtärkjte Feitung der Nepublif ſei; das hätte ſich am
beiten daraus erwiejen, daß auch Chmielnizki ſie nicht einzu—
nehmen vermocht hatte.
Doc) der König wußte nur zu gut, dab die Bolen in Be-
zug auf die Befejtigung der Städte wenig Erfahrung hatten.
Was man hier für gewöhnlich eine jtarfe Feſtung nannte, das
war für die Begriffe anderer Völker höchjtens eine Feſtung
dritten Nanges. Karl Gujtav wuhte auch, daß feine Ddiefer
Feſtungen weder genügend mit Mauerwerk noch mit Wallgräben,
noch mit Waffen verjehen war. Er fürchtete daher von
Samoſchtſch feinen großen Wideritand. Er rechnete nicht zum
wenigiten dabei auf den Glanz jeine® Namens, auf den Ruhm,
der ihn begleitete, und die beiden jollten ihm helfen, Samojchtich
durch einen Vertrag in jeine Hände zu befommen. Hatte er
in diefem Lande bereits jo viel durch Verträge erreicht, da doch
261
feiner wie er verjtand, die Magnaten der Republik durch
Verheigungen für fich zu gewinnen. Er erfundigte ſich daher
mit der ihm eigenen Gewandtheit nach allen Neigungen, Sitten
und geiltigen wie Charaftereigenjchaften des Selbjtherrn von
Samojchtich.
Johann Sapieha, welcher zum großen Kummer de3 Woje-
woden von Witebsf noch immer bei dem Könige von Schweden
verblieb, konnte Karl Gujtav die bejte Auskunft über den Herrn
Starojten geben. Er fonnte jtundenlang mit ihm darüber
ſprechen. Sapieha war der Anficht, daß es gar nicht jo leicht
jein werde, Samojchtjch zu erringen.
„Mit Geld wird der Starojt nicht zu befommen fein,“
ſagte Johann, „denn er iſt jehr reich. Aus Würden und
Aemtern macht er jich nichts; er hat fich nie darum bemüht,
und fie auch dann verjchmäht, als man jie ihm antrug ...
Titel find ihm zuwider, denn ich hatte mit eigenen Ohren zu
hören Gelegenheit, wie er den Herrn de Noyers, den Sefretär
der Königin, jchalt, als er ihn „mon prince!“ anredete. ‚Sch
bin fein Prinz, hatte er ihm geantwortet, aber ich habe ſchon
Prinzen als Gefangene in meinem Samojchtjch bewirtet.‘
Eigentlich ift das nicht ganz richtig, denn nicht er, ſondern
jein Großvater war es, den unjere Nation Samojski den
Großen nennt.“
„Wenn er Mir die Thore jeiner Stadt öffnet, will Sch ihm
etwas geben, was fein König von Polen ihm zu geben ver-
mochte,“ jagte Karl Guſtav.
E3 fam dem Sapieha nicht zu, zu fragen, was der König
meinte; er blicte den König nur neugierig an und diejer, den
Blick veritehend, jprach weiter, während er jeiner Gewohn-
heit gemäß das Haar hinter die Ohren jtrid).
„Sch werde ihn zum MWojewoden von Yublin machen und
dDiejes zum unabhängigen Fürſtentum erheben. Die Krone
wird ihn locken. Seiner von euch würde Diejer Lockung wider⸗
ſtehen, Ebſt nicht der heutige Wojewode von Wilna.“
„Die Freigebigkeit Ew. Majeſtät kennt feine Grenzen,“
entgegnete nicht ohne eine gewiſſe Ironie Sapieha.
Und Karl erwiderte mit dem ihm eigenen Cynismus:
„Ich kann ja geben, denn es gehört nicht Mir.“
Sapieha ſchüttelte den Kopf.
„Der Mann iſt nicht verheiratet; er hat keine Söhne.
Nur der ſtrebt nach Kronen, der ſie zu vererben hat.“
„Zu welchen Mitteln ratet ihr Mir denn dann?“
262
„Sch glaube, mit Schmeicheleien wäre am ehejten etwas zu
erreichen. Der Mann ijt nicht bejonders Elug; er würde leicht
zu überlijten jein. Man muß ihm ausmalen, daß von ihm
einzig und allein das Wohl und der Friede der Republik ab-
hängt, daß er allein das Land vor ferneren Kriegen und Un—
glüd bewahren kann, wenn er die Thore von Samoſchtſch
öffnet. Wenn der Fisch darauf anbeißt, wird die Feſtung unjer,
ſonſt — niemals!“
„Es bleibt dann als letztes Mittel die Kanonade!“
„Hm!“ machte Sapieha. „Man wird darauf in Samojchtic)
die rechte Antwort finden. Es fehlt da drinnen nicht an guten
Gefchügen, während wir erjt welche fommen lafjen müßten.
Das wird aber, wenn die Wege aufweichen, unmöglich jein.“
„Sch hörte,“ ſprach der König, „daß die Bejagung der
Feſtung nur aus tüchtigen Füſilieren bejteht, aber die Reiterei
fehlt.“
„Berittene Soldaten werden nur im freien Felde gebraucht.
Uebrigens iſt es nicht unmöglich, daß Ticharniezfi, da er doch
nicht großen Schaden genommen zu haben jcheint, ihm einige
Fahnen zur Vervollitändigung der Bejagung gejchidt hat.“
„Ihr jeht nichts als Schwierigkeiten!“ jagte der König
ärgerlich).
„ber ich vertraue feit dem guten Stern Ew. Majejtät!“
verjeßte Sohann.
Sapieha hatte richtig vermutet, daß Ticharniezfi die Be—
jagung der Feſtung veritärfen würde Er hatte thatjächlich
einige Fahnen nach Samoſchtſch gejandt, weil diejelben zu
Heinen Ausfällen und zum Cinfangen von Kundſchaftern
durchaus notwendig waren. Zwar bedurfte Samojski ihrer nicht,
denn er hatte jelbjt genug, aber der Kajtellan von Kijow fandte
abjichtlich jene beiden Fahnen, welche bei dem Angriff bei
Golembin am meilten gelitten hatten, die Laudafche und Die
Schemberkiche, in Die zeitung, damit fie jich etwas erholen
jollten. Der Selbjtherr hatte fie gaftfreundlich aufgenommen
und als er erfahren Hatte, was für berühmte Krieger ſich bei
ihm zu Gaſte eingejtellt, da freute er fich über alle Mahen;
er bejchenfte und bewirtete die Herren auf das Freigebigſte.
Unbejchreiblich aber war die Freude der Fürſtin Grijeldig,
als jie Herrn Sfrzetusfi und Wolodyjowsfi wiederjah, fie, Die
beiden tapferjten Hauptleute und Waffengenofjen ihres großen
Mannes. Die beiden Ritter fielen der teuren früheren Herrin
zu Füßen, Thränen traten in ihre Augen und auch die Fürſtin
263
fonnte den Thränen nicht wehren. Wie viele gemeinſame Er-
lebnifje und Erinnerungen verbanden dieje drei Menjchen mit—
einander. Erinnerungen aus jenen zujammen in Lubniow ver=
lebten Tagen, da noch der Fürſt, diejer Held und Stolz des
Baterlandes, in der vollen Kraft feines Lebens mächtig in den
wilden Feldern regierte und, wie Jupiter mit jeinem Stirn
runzeln, die Barbaren erzittern machte. Noch war es nicht
allzulange her, aber wo waren die Jahre Hin entſchwunden?
Der Herrjcher war tot, in der Ufraine herrjchten die Barbaren
und jie, Die Witwe des großen Mannes, jaß auf den Trümmern
ihres Glüdes und zehrte an den Erinnerungen vergangener
Größe, das Herz von Trübjal erfüllt.
Als nun die Dreie jich zujammengefunden Hatten, flogen
ihre Gedanfen gemeinschaftlich zurüd in die Vergangenheit, und
troß aller Betrübnis und Bitternis hatten doch dieje Er-
innerungen etwas ungemein Süßes für ſie. So unterhielten
jie jich über das frühere Leben und Treiben, von den Plätzen,
die ihre Augen niemals wiederjehen würden, von den Feldzügen
und zulegt von den Ereignijjen der jüngjten Zeit, von dem
Elend, das über das Vaterland hereingebrochen, das man als
Strafe Gottes betrachten mußte,
„Denn unſer Fürſt noch lebte,“ jagte Sfrzetusfi, „wäre
das Geſchick der Nepublif ein ganz anderes. Die Koſaken
wären in ihre Schranfen zurücgedrängt, die Ländereien am
hinteren Dniepr gehörten der Nepublif und der Schwede hätte
längit jeinen Meijter gefunden.“
„Vielleicht läßt Gott in Herrn Tſcharniezki dem Vater:
ande einen neuen Netter erſtehen!“ jagte die Fürſtin Grifeldis.
„Er wird es werden!” rief Herr Wolodyjowsfi aus. „Wie
unjer Fürſt feiner Zeit alle anderen Herren um Stopfeslänge
überragte, jo ilt er ganz anders als die anderen Heerführer.
Kenne ich doch beide Stronenhetmane und Herrn Sapieha. Sie
alle jind große Krieger; dennoch steckt in Herrn Tſcharniezki
noch etwas anderes, höheres —, man fünnte jagen, er iſt der
Adler unter ihnen. Trog aller Milde, die er walten läßt,
rejpeftiert man ihn, jelbjt Herr Sagloba unterläßt oft in der
Gegenwart des Feldheren jeine jchlechten Scherz. Es jpottet
aller Bejchreibung, wie er alles einzurichten verjteht! Er wird
bejtimmt der erite Feldherr der Republik.“
„Mein Mann hat ihm jchon eine große Zufunft prophe=
zeit,“ jagte die Fürjtin, „er fannte ihn, als er noch Haupt-
mann war.“
264
„sch erinnere mich,“ verjegte Wolodyjowsti. „Man jprac)
davon, daß er an unjerem Hofe nach einer Braut fuchte.“
„Davon weiß ich nichts,” entgegnete die Fürstin.
Wie hätte fie aber auch etwas willen jollen von Dingen,
die gar nicht erijtiert hatten. Herr Wolodyjowsfi hatte das
nur lijtig erdacht, um das Geſpräch allmählich auf das Frauen—
zimmer der Fürſtin zu bringen und auf dieje Weiſe etwas über
Fräulein Borjchobohata zu erfahren, denn er erachtete es für
nicht ſchicklich und zu vertraulich einer jo hochgeitellten Dame
gegenüber, direft nach ihr zu fragen.
Aber die Lit war ihm nicht gelungen. Die Fürſtin lenkte
das Gejpräch zurüd auf den Fürſten und die Koſakenkriege, und
der fleine Ritter dachte: „Anuſia ijt wohl jeit Jahren nicht mehr
bei der Fürſtin!“ Er frug nicht mehr nach ihr. Die Üffiziere
hätten ihm wohl Auskunft geben fünnen, Doc es fam ihm
nicht in den Sinn, bei ihnen nach ihr zu forjchen, denn feine
Gedanken wurden bald auf andere Dinge gelenft.
Die Patrouillen, welche auf NRefognoszierung ausgefandt
worden waren, brachten die Nachricht, daß die Schweden jchnell
näher fämen. Mean jchiete ſich aljo zur Werteidigung an.
Sfrzetusfi und Wolodyjowski wurden als friegsfundige Männer
mit der Verteidigung der Mauern und Wälle betraut. Sagloba
jprach allen Mut zu, indem er demjenigen viel von den
Schweden erzählte, die noch feinen dieſer Fremdlinge gejehen
hatten, und es waren ihrer nicht wenige, da die Schweden noch
nie bis hierher vorgedrungen waren.
Sagloba hatte den Staroſten jogleich durchſchaut. Diejer
liebte den Alten bald jehr; er wandte jich in jeder Angelegen-
heit um Nat an ihn, bejonders jeit die Fürſtin ihm erzählt
hatte, daß auch fein Schwager, der Fürſt Jeremias, Herrn
Sagloba jeinerzeit jehr geichägt und ihm den Beinamen „vir
incomparabilis* gegeben hatte. Man hörte bei Tijche den
alten Herrn jehr gern von früheren und neueren Zeiten
erzählen, vom Verrate Radziwill® und von Herrn Sapieha
und man hörte ihm ſtets aufmerffam zu.
Mit Bezug auf den letteren jagte er einmal:
„sch riet ihm, jtets Hanfjamen in jeiner Tajche zu tragen
und ab und zu ein Hörnchen davon zu zerbeißen. ‚Er hat ſich
das jo ſchön angewöhnt, daß er Tag und Nacht die Körner
bei jich hat und jehr oft nach einem derjelben langt, es zerfaut
und die Hülfe ausjpeit. Und jeit er das thut, hat jein Ver:
265
ſtand fich jo fehr entwidelt, dat ältere Bekannte des Hetman
ihn faum wiedererfennen.“
„Wieſo?“ frug der Staroit.
„Wißt ihr denn nicht, daß der Hanfjamen Del enthält?“
frug Sagloba anjcheinend ganz harmlos. „Das Del dringt
ins Gehirn und verbejlert den Verstand.“
„Macht euch doch nicht lächerlich!“ warf einer der Haupt-
leute dazwijchen. „Das Oel kann doch nicht ins Gehirn, jondern
höchitens in den Magen fommen.“
„Est modus in rebus!* jagte Sagloba darauf. „Man
muß dabei nämlich viel Wein trinken. — Das Del fchwimmt,
weil es leichter ift, Itet3 oben. Der Wein aber, welcher immer
zu Kopfe jteigt, führt die an der Oberfläche jchwimmende Sub:
tanz mit ich hinauf. Dieſes Geheimmittel habe ich von
Lupullus dem Hospodar, zu dejjen Nachfolger mich, wie allen
befannt ijt, die Wallachen durchaus einjeßen wollten. Doch
der Sultan, welcher vorzieht, daß die Hospodare feine Nach-
fommen haben, jtellte mir Bedingungen, auf die ich nicht ein—
gehen konnte.“
„hr müßt diefes Mittel in jehr ausgiebiger Weife an
euch jelbit angewendet haben,” necte der Selbitherr jeinen Gaſt.
„sch Hatte es nicht nötig,“ entgegnete Sagloba. „Doch
Em. Erlaucht möchte ich e8 von ganzem Herzen empfehlen.“
Erſchrocken blickten einige Offiziere nach dem Starojten
hin, fürchtend, er würde über dieſe Dreijtigfeit zornig werden.
Doch der jchien die Anſpielung nicht zu veritehen, oder, er
wollte jie nicht veritehen. Lächelmd jtellte er die Frage:
„Können denn die Körner der Sonnenroje nicht die Hanf:
fürner erjegen ?“
„O ja!“ antwortete Sagloba. „Doc; da das Del der
Sonnenroſe jchwerer wiegt, als das des Hanfes, muß der Wein,
den man dazu trinkt, auch viel ſchwerer jein, als derjenige, den
wir jet trinfen.‘
Nun veritand der Starojt, wo hinaus Herr Sagloba wollte.
Er wurde fehr heiter, befahl, die beiten Weine feines Kellers
auf den Tijch zu jtellen und riß durch jeine Fröhlichkeit alle
anderen mit fich fort, jo daß man unaufhörlich auf das Wohl
des Königs, des Wirtes und Tſcharniezkis trank. Sagloba
wurde jo gut gelaunt, day er niemanden zu Worte fommen ließ.
Er erzählte lang und breit die Begebniſſe bei Golembin,
wo er übrigens tapfer jeinen Mann geitanden hatte, wie das
auch von einem, der in der Laudaer ‚Sahne itand, nicht anders
266
zu erwarten war. Da man von dem jchwedischen Gefangenen
aus den Kolonnen Dubois den Tod des Grafen Waldemar
erfahren hatte, jo nahm er, jeiner Neigung zum Aufjchneiden
folgend, den Tod desjelben auf jeine Rechnung.
„Die Schlacht hätte eine ganz andere Wendung genommen,
wenn ich nicht gerade an jenem Tage nad) Baranowo zu dem
dortigen Sanonifus gefahren wäre und Ticharniezfi, nicht
ahnend, wo ich jei, deshalb meinen Nat entbehren mußte,
Vielleicht Hatten die Schweden auch von meinem Beſuch dort
und von dem vortrefflichen Met, den der Kanonikus trinkt,
gehört, und ſind deshalb jchleunigit nach Golembin vorgegangen.
Als ich zurücdkehrte, war es zu jpät, die Schlacht bereits in
vollem Gange. Wir jchlugen drein, daß es rauchte, aber was
nügt das, wenn die Bauern nachher dem Feinde doch Lieber
den Rücken zeigten. Ich weiß nicht, wie Herr Tſcharniezki jetzt
ohne mich fertig werden mag.“
„Sorgt euch darum nicht,“ unterbrach Wolodyjowsfi den
Nedjeligen, „er wird fich zu helfen wijjen.“
„Ich weiß auch warum,“ fiel jchlagfertig der Alte cin.
„Beil der König von Schweden vorzieht, mir nach Samoſchtſch
zu folgen, jtatt ihm im Weidenholz der Weichjel zu juchen.
Sch ſpreche dem Herrn Tſcharniezki die Gigenjchaften eines
großen Feldherrn durchaus nicht ab, aber wenn er jeinen
Badenbart zu drehen anfängt und mit feinem durchdringenden
Blick vor ſich Hinfieht, dann fünnte man ihn für einen meiner
Dragoner halten... Er giebt zu wenig auf äußere Würde
und er ijt zu ſtreng in feinen Forderungen. Waret ihr nicht
jelbit zugegen, als er den Herin Schyrsfi mit einem Pferde
durch den Schloßhof jchleifen ließ, bloß darum, weil dieſer mit
jeinem Vortrab nicht jo weit vorgegangen war, als der Befehl
gelautet. Mit dem Adel mus man glimpflicher verfahren,
meine Herren, mehr väterlich, nicht wie mit gemeinen Dra—
gonern. — Sagt einem Adligen: Herr Bruder, jeid jo freund
lich und geht — Iprecht ihm von Waterlandsliebe und Ruhm,
macht ihn rührjelig und er wird euch weitergehen, wie ein
Dragoner, der um Sold dient.“
„Edelmann bleibt Edelmann und Strieg bleibt Krieg,“ be—
merkte der Staroft.
Ihr habt euch ſehr geſchickt ausgedrückt, Erlaucht!“ ver—
ſetzte Sagloba.
„ech was!“ ſprach Herr Wolodyjorwsft dazwiſchen. „Herr
Tieharniezfi wird auch ohne das dem Ktarolus den Beritand
267
verwirren. Darüber kann ich auch urteilen, ich habe ja ſchon
manchen ‚Feldzug mitgemacht.“
„Vorher aber toll jein Schädel an den Mauern von
Samojchtich zerjchellen!“ fauchte der Herr Starojt, welchem der
jtarfe Wein bereit3 zu Kopfe gejtiegen war, die Augen vollend,
die Arme in die Seiten geitemmt, jehr pathetiih. „Ba! fin!
Was mache ich mir daraus! He? Wen ich zu Gajte bitte,
den empfange ich auch nach Gebühr! Was? Hah!“
Er jchnaufte und lachte um die Wette, jchlug mit den
Knieen an den Tisch, ſchwankte vornüber, wadelte mit dem
Kopfe und rollte die Augen noch heftiger, während er mit einer
gewilien Herablaſſung weiter dozierte:
„Was mache ich mir daraus! Er iſt Herr in Schweden
und Samojsfi it Selbitherricher auf Samojchtih. Eques
polonus sum, nichtS weiter, wie? Aber ich bin zuhause, in
meinem Haufe. . . . Ih bin Samojsfi und er König von
Schweden... und Marimilian war Dejterreicher. . ... Was?
Er kommt? ... Lat ihn fommen! .. . Wir wollen zus
jehen! . . . Ihm iſt Schweden zu Klein, mir iſt Samoſchtſch
groß genug, aber ich gebe es nicht her. Was?“
„Es ijt nicht nur angenehm, eine jolche Rede zu hören,
meine Herren,“ rief Sagloba, „es iſt auch lehrreich.“
„Samojsfi bleibt Samojsfi!”" entgegnete, von Ddiejem Lob
erfreut, der Staroit. „Wir haben uns noch nicht gebeugt und
werden es auch nicht! Ich gebe Samoſchtſch nicht her.“
„Die Gejundheit unſeres Gajtgebers!” riefen die Offiziere.
„Bivat! Vivat!“ Klang es laut durch das Gemach.
„Herr Sagloba!“ rief der Starojt. „Der König von
Schweden fommt nicht herein, ihr aber nicht hinaus.“
„Schönen Dank, Herr Starojt, für die Güte, aber das
werdet ihr nicht thun. Denn jo jehr Karolus ſich über euren
eriten Entjchluß grämen würde, jo jehr würde ihn der zweite
freuen.”
„Gebt mir euer Ehremwort, dab ihr nad) dem Kriege zu
mir fommt.“
„Das will ich, mit Freuden !“
Man tafelte noch lange. Endlich ging man zur Nude, da
alle Ritter und Offiziere jehr ermüdet waren und voraus-
jichtlich bald jchlafloje Nächte erwartet werden fonnten. Die
Schweden waren nicht mehr fern und ihr Vortrab fonnte jeden
Augenblid eintreffen.
„Der wird fein Samoſchtſch gutwillig nicht hergeben,“
268
jagte Sagloba zu den Herren Skrzetusfi und Wolodyjowski,
während jie in ihre Quartiere zurücdgingen. — „Uebrigeng, habt
ihr bemerft, meine Herren, wie lieb wir uns gewonnen haben? ...
Es wird uns wohl jein in Samofchtich, mir und euch. Wir
ind zujammengefügt, der Herr Starojt und ich, jo feit, wie
fein Tijchler ein Ihürfutter verfugen kann. Er ift ein gutes
Herrchen... . Hm! Wenn ich ihn ald Sichel an meinem
Gürtel herumtragen dürfte, würde ich ihn von Zeit zu Zeit
über den Wetzſtein jtreichen, . . . er iſt etwas ſtumpf, ... aber
ein gutes Herrchen; er wird nicht auf Verrat jinnen, wie jene
Birzer Büffel... .. Habt ihr bemerkt, wie die Magnaten alle
am alten Sagloba hängen? ... Ich kann mich ihrer faum
erwehren. . . Kaum bin ich den Sapieha los, da hängt mir
jchon der andere am Aermel. . . . Den werde ich mir aber
zurechtitimmen, wie eine Bahgeige, auf der ich den Schweden
jo lange vorgeigen will, bis jie jich vor den Mauern der Stadt
zu Tode getanzt haben. . . . ch werde jie aufziehen, wie eine
Danziger Uhr.“
Ein lebhaftes Geräuſch von der Stadt her unterbrad)
Herrn Sagloba. Gleich) darauf rannte ein befannter Offizier
an den Herren vorüber.
„galt!“ rief Wolodyjowski. „Was giebt es?“
„Es ijt Feuer in der Gegend. Man jieht die Flammen
von den Wällen aus. Schtichebrejchin brennt! Die Schweden
jind da!“
„Kommt auf die Wälle, meine Herren,“ jagte Skrzetuski.
„Seht ihr, id) will ausschlafen, denn ich brauche Sträfte
für morgen“, jagte Sagloba.
3. Kapitel.
Noch in derſelben Nacht ritt Herr Wolodyjowsft auf
Nefognoszierung aus; er Ffehrte gegen Morgen zurüd und
brachte einige Kundjchafter mit. Dieje bejtätigten, dat der König
in eigener Perſon in Schtichebrejchin jich befinde und direft
auf Samojchtich losmarjchiere.
Dieje Nachricht erfreute den Herrn Staroiten außerordent-
lich, denn er war ernitlich gewillt, jeine Gejchüge und Mauern
durch die Schweden auf ihre Feſtigkeit Hin prüfen zu lafjen.
Er falfulierte, daß ſelbſt im alle eines jpäteren jchlimmen
Ausganges die Feſtung den Feind mindeitens auf Monate zu
bejchäftigen und aufzuhalten vermochte, und das war ganz richtig
falfuliert. Dennoch hoffte er, daß Johann Kafimir fein in—
zwijchen verjtärftes Heer zur rechten Zeit zum Entſatz der
Feſtung herbeiführen werde, und hier, bei Samojchtich, die Ent-
jcheidungsschlacht jtattfinden müjje, welche dem Vaterlande die
Freiheit wiedergeben jollte.
„Endlich wird mir Gelegenheit geboten,“ jagte er mit
großer Emphaje im Striegsrat, „dem Vaterlande und dem
Könige einen bedeutenden Dienjt zu leilten. Ich erkläre euch,
meine Herren, daß ich gewillt bin, ung alle eher in die Luft
zu jprengen, als zu dulden, dal der Schwede jeinen Fuß in
meine Stadt jest. Wollen jie den Samojski mit Uebermacht
zwingen, jo mögen fie fommen! Wir wollen jehen, wer der
jtärfere it. Von euch, meine Herren, erwarte ich, daß ihr mir
aus vollem Herzen helfen werdet.‘
„Wir gehen mit Ew. Durchlaucht in den Tod!“ riefen
alle Offiziere wie aus einem Munde.
„Wenn fie nur zur Belagerung jchreiten wollten!“ jagte
Sagloba. „Sie find imftande, die zeitung zu umgehen... ..
270
Meine Herren! So wahr ic Sagloba Heiße, ich führe den
eriten Ausfall!“
„Ich gehe mit, Ohm!“ jagte Roch Kowalski. „Sch fuche
zuerjt den König auf!“
„Auf die Mauern!“ fommandierte der Staroit.
Die Offiziere entfernten jid) alle. Bald jahen die Mauern
mit den darauf befindlichen Mannschaften in den bunten Uni-
formen aus, wie wenn jie mit Blumen bewachſen wären. Die
Fußſoldaten, glänzend ausitaffiert wie feine anderen der Repub—
lit, Standen da oben in Neihe und Glied, einer neben dem
anderen, mit den Musfeten in der Hand, die Augen fejt in
das Freie gerichtet. Es dienten wenige Fremde unter ihnen,
nur einige Preußen und Franzoſen; es waren lauter Gut3-
und Bezirkö-Angehörige, Schöne, Fräftig gewachjene Menjchen,
die in bunten Ktollern und nach ausländijchem Zujchnitt aus—
gebildet, jich ebenjo tapfer jchlugen, wie die beiten Engländer
Cromwells. Ihre Gejchiedlichfeit war bejonders groß, wenn jie
nad) einer feindlichen Salve ſich dem Feinde Ddireft entgegen
werfen mußten.
Auch jebt erwarteten fie ungeduldig die Ankunft Der
Schweden, während jie der Triumphe gedachten, die jie über
Ehmielnizki dDavongetragen. Die Gejchüge, deren lange Rohre
wie neugierig aus den Schußlöchern der Wälle hervorblicdten,
wurden hauptjächlich von Flamländern bedient. Außerhalb der
Feſtung, jchon Hinter den Wallgräben, ritten einige Fahnen
leichte Neiterei unter dem Schuge der Kanonen und einer jicheren
Zuflucht fich bewußt, langjam hin und her, bereit, jofort davon—
zufprengen, wohin der Befehl des Kommandanten jie jenden
würde.
Der Starojt befichtigte zu Pferde die Feſtungswerke; er
trug einen jtählernen jchönen Panzer und in der Hand einen
vergoldeten Schild.
„Was giebt es? Iſt noch niemand zu jehen?“ frug er
immer von neuem. Und er murmelte einen Fluch, wenn man
ihm jagte, daß noch niemand zu erbliden jet.
Er ritt weiter und immer wieder frug er, ob noch niemand
von den Schweden der zeitung nahe Es war auch jchwer,
etwas zu erfennen, da der Nebel dicht auf den Häujern lag.
Gegen zehn Uhr Vormittag fing er an, fich zu lichten. Der
blaue Himmel fam zum VBorjchein, der Horizont wurde Klar
und bald darauf ertönten auch von der wejtlichen Seite der
Mauern die Rufe.
271
„Ste fonımen! Sie kommen!“
Der Herr Starojt, Sagloba und drei Offiziere vom perjön-
lichen Dienjt des Starojten, erjtiegen mit jchnellen Schritten
eine der Bajtionen, von welcher man einen weiten Fernblick
hatte und jahen durch Fernrohre hinaus, dem Feinde entgegen.
Etwas nebelig war die äußerſte SHorizontlinie noch. Die
jchwedische Armee, welche von Wielontjch her anrüdte, ſchien bis
über die Kiniee in Waflerdampf zu waten. Die näher gekommenen
Abteilungen waren jchon jo deutlich fichtbar, dag man mit
blogem Auge die Füſiliere von den Neitern umterjcheiden konnte.
Die Entfernteren dagegen tauchten erit allmählich aus den Nebel-
majien auf. Immer mehr und immer näher fonnte man jie
beranrüden jehen, Fußſoldaten, Kanonen und Neiter.
Der Anblid war jchön. Aus jedem Starree Fußſoldaten
jtarrte ein ebenjolches Karree Lanzen in die Höhe; zwiſchen—
durch wehten Fahnen im verjchiedenen Farben, zumetjt blaue
mit weihen Kreuzen, oder auf blauem Grunde der jchwedijche
gelbe Löwe. Jetzt waren jie ganz nahe. Auf den Mauern
herrjchte tiefjte Stille. Der leichte Wind trug aljo das Knarren
der Wagenräder, das Klirren der Waffen, den Huftritt der
Pferde und den Schall menschlicher Stimmen herüber. Etwa
zwei Bogenjchüfle weit von der Feſtung entfernt begannen fie
ſich auszubreiten. Die Vierecke der Füſiliere löjten ſich auf;
man jchidte jich an, Zelte aufzujchlagen und Kleine Erderhöhungen
aufzujchütten.
„Da haben wir fie alfo!* jagte der Herr Staroit.
„Da find die Hundeſöhne!“ echote Sagloba.
„Man könnte jie nach den Fingern aufzählen, jo deutlich
jieht man fie.“
„So alte Praktiker wie ich, brauchen nicht erſt zu zählen.
Mit einem Blick überjehe ich, wie viele ihrer find. Es jind
zehntaujend Neiter und mit der Artillerie achttaujend Füſiliere.
Wenn ich mich um einen Gemeinen oder um ein Pferd geirrt
haben jollte, jege ich mein Bermögen für den Irrtum ein,“
jagte Sagloba.
„Kann man denn das jo genau feititellen?“
„Hehntaujend Neiter und achttaufend Füſiliere, jo wahr ich
gejund bin! Wir wollen zu Gott hoffen, dab jie in bedeutend
geringerer Zahl abziehen werden.“
„Hört ihr's? Sie jpielen eine Arie!“
Eine Anzahl Reiter war an die Spige der NRegimenter
geritten und jpielte auf ihren Blechinjtrumenten einen Kriegs—
272
marjch. Unter dem Klange der Trompeten entwicelten jich
die herbeifommenden Mafjen und umringten die Stadt in an—
gemejjener Entfernung. Zuletzt löjten ich aus der Menge
einige Neiter und kamen auf die Stadt zugeritten. Auf halbem
Wege etwa jtedten fie an ihre Lanzenſpitzen weiße Tücher, welche
ſie hin und ber jchwenften.
„Eine Gejandtichaft!“ jagte Sagloba. „Ich jah damals in
Birz die Schweden ebenjo anfommen und — was entitand
dort daraus?“
„Samojchtich iſt nicht Birz und ich bin nicht der Woje-
wode von Wilna,“ entgegnete der Herr Staroit.
Unterdejjen war die Gejandtjchaft näher gefommen. Cine
Weile jpäter meldete der dienjtthuende Offizier, daß Herr
Sohann Sapieha im Namen des Königs von Schweden den
Herrn Starojten um eine Unterredung bitte.
Als Herr Samojski das hörte, ſtemmte er die Arme in
die Seite; er begann hin und her zu trippeln, zu jchnaufen
und die Lippen aufzuwerfen. Gndlich jagte er jtolz:
„Sagt dem Herrn Sapieha, dat ich mit Verrätern nicht
verhandle. Will der König von Schweden mit mir jprechen,
jo joll er mir einen eingeborenen Schweden berjchiden, feinen
Polen. Die Bolen, welche im jchwediichen Heere dienen, fünnen
ihre Gejandtichaft an meinen Hundejtall richten, das ijt der
rechte Ort für jie.“
„So wahr ich Gott liebe, das ijt die richtige Antwort!“
rief Sagloba in aufrichtiger Begeijterung.
„Der Teufel joll jie holen!“ fuhr Herr Samojski, von
jeiner eigenen Rede Hingerifien, fort. „Soll ich etwa den Herrn
mit Zeremonien empfangen? Was bildet er jich denn ein?“
„Erlaubt, Erlaucht, daß ich ihm eure Antwort bringe!“
jagte Sagloba.
Ohne die Antwort des Starojten abzuwarten, war er mit
dem Tffizier Davongeeilt. Er mußte aber außer der Antwort
des Herrn Samojsft noch etliche Artigkeiten von fich hinzugefügt
haben, denn Herr Sapieha hatte, jobald er ſie vernommen,
jein Pferd jcharf herumgeworfen und war im, Galopp davon=
geiprengt.
Von den Mauern aber und aus den Neihen derjenigen
Fahnen, welche vor den Wällen pojtiert waren, jchallten ihm
Rufe nad):
„ort! Fort mit euch Verrätern ... ihr fäuflichen
Subjefte ... ihr Schacherer! Huſch! Huſch!“
273
Man konnte noch jehen, wie er die Mütze tief über die
Ohren zog, um die Schimpfworte nicht zu hören.
Nun jtand Sapieha vor dem Könige Sein Geficht war
freideweiß, jeine Lippen feſt zujammengefniffen. Auch der
König war Wer Ne . . . Samojchtich hatte jeine Hoff-
nungen getäujcht . . . Um das Map jeiner Enttäuſchung voll
zu machen, hatte er Ihon von ferne in Samoſchtſch eine
Feſtung erfannt, welche jich wohl mit den beiten däniſchen und
niederländischen mejjen konnte. Ohne Gejchüge jchwerjten
Kalibers war gegen diefe Mauern nichts auszurichten. Nach
den Erzählungen Sapiehas hatte er, troß der gegenteiligen
Verſicherungen desjelben, hier eine befejtigte Stadt, wie Krakau,
Poſen und andere zu finden erwartet.
„Was giebt es?“ frug der König, ala er Sapieha erblidte,
„Nichts!“ antwortete dev Gefragte barſch. „Der Herr
Starojt will nicht mit Polen verhandeln, welche im Dienite
Em. Majeität Itehen. Er hat mir feinen Hofnarren mit der
Antwort gejchicdt, und diejer hat mich und Ew. Majejtät jo
ſchmählich beſchimpft, daß ich Die Worte nicht wiederholen fann.“
„Es ijt mir einerlei, mit wem er fprechen will, wenn er
nur spricht. In Ermangelung anderer Botjchafter habe ich
meine eijernen. Inzwiſchen werde ich ihm Forgell hinſchicken.“
Eine halbe Stunde jpäter ließ Forgell jich mit jeiner
durchweg jchwedischen Begleitung beim Starojten anmelden.
Die Zugbrüde wurde langjam heruntergelajjen, der General
ritt ernit und jchweigjam in die Feitung ein. Man hatte weder
ihm, noch jeinem Gefolge die Augen verbunden, der Starojt
wollte, daß er alles jehen und über den Stand der Dinge dem
Könige berichten jolle. Er empfing ihn mit einem Prunk wie
ein regierender Fürſt, jo daß er den General in großes Staunen
verjete, denn die schwedischen Herren beſaßen nicht den zwanzigiten
Teil der Neichtümer der Polen und der Herr Starojt war unter
diejen der Mächtigiten und Weichiten einer. Der gewandte
Schwede behandelte ihn auch von ‚vornherein wie einen regierenden
Fürſten, nannte ihn „princeps* und verharrte bei dieſer An—
rede, obgleich Herr Samojski ſich Ddiejelbe in feiner rauhen
Weile verbeten hatte.
„Nicht princeps, eques polonus, aber eben deshalb den
Fürſten im Range gleich.“
„Durchlaucht!“ jagte Forgell, indem er that, als höre er
die Bemerkung des Starojten nicht. „Se. Majeität der König
von Schweden (hier fügte er alle die anderen Titel des Königs
Sientiewicz, Sturmflut IL. 18
274
hinzu) iſt nicht als Feind hierher gefommen; er bittet um
Gaſtfreundſchaft, läßt fich durch mich anmelden in der gewiſſen
Hoffnung, dat Ew. Durchlaucht jeiner Perſon und jeiner Armee
die Thore der Zeitung gaſtfrei öffnen werden.“
„Es iſt ber uns nicht Sitte,“ antwortete Samojski, „Daß
man jemandem die Gaſtfreundſchaft weigert, auch nicht, wenn
der Gajt ungeladen erjcheinen jollte. Es findet ſich für Gäſte
immer ein freier Bla an meinem Tiſche, für eine ſo hohe
Perſon ſogar der erſte. Ew. Erlaucht möge daher Sr. Majeſtät
ausrichten, daß ich mich durch ſeinen Beſuch geehrt fühle,
beſonders darum, weil Se. Majeſtät der König Karl Guſtav
Selbjtherricher in Schweden it, wie ich Selbjtherrjcher von
Samojchtich bin. Aber, wie Ew. Erlaucht bemerkt haben werden,
giebt es der Diener bei uns jo viele, daß es vollitändig über-
flüfftg wäre, wenn Se. Majeität ein eigenes Gefolge mitbringen
wollten. Wollten Se. Majeität das dennoch thun, jo mühte
ich glauben, man wolle mic; als einen armfeligen Wicht be—
trachten, und ich mühte das als eine Beleidigung auffallen!“
„But! jehr gut!“ flüjterte Cagloba, welcher hinter dem
Staroiten jtand, dieſem zu.
Der Herr Staroft warf nach diejer langen Rede die Lippen
auf und jegte dann noch geipreizt Hinzu:
„At! Das ijt, was ıch zu antworten habe.“
Forgell faute an feinem Barte, jchwieg einen Augenblid,
dann begann er:
„Es wäre ein Beweis großen Mißtrauens gegen den
König, wenn Ew. Durchlaucht die Eskorte Sr. Majeität nicht
in die zeitung einlafjen wollte. Ich bin der Vertraute des
Königs; ich kenne jeine geheimjten Gedanken und habe den
Auftrag, Ew. Durchlaucht im Namen Sr. Majejtät auf Ehren-
wort zu verjichern, daß weder die Feſtung noch die Herrichaft
Samoſchtſch dauernd bejett bleiben fol. Da in Ddiejem un:
glücklichen Lande der Krieg von neuem entbrannt it md
Fohann Kafimir, ohne Rückſicht darauf, welche jchweren Folgen
jeine Wiederfehr in das Neich nach ſich ziehen fann, im Bunde
mit den Heiden gegen unjer chriftliches Heer heranzieht, iſt
mein unbejtegbarer Herr und König entjchlofjen, jei es auch
bis in Die Steppen und wilden Felder, vorzudringen, um dieſem
Lande Frieden, einen gerechten SHerricher, durch eine milde
Negierung das Glüd und den Bürgern diefer herrlichen Nepublif
die ‚Freiheit wiederzugeben.“
Der Staroit klatſchte mit der flachen Hand jein Knie,
275
aber er antwortete nicht. Nur Sagloba flüjterte hinter ſeinem
Nüden:
„Der Teufel hat jich ein Ornat angezogen und läutet mit
dem Schwanz zur Meſſe.“
„Se. Majeität hat mit jeiner Königlichen Gnade diejem
Lande Schon manche Wohlthat zugewendet,“ fuhr Forgell fort.
„Doc, ijt damit jeinen väterlichen Gefühlen noch nicht genug
geichehen; er hat jeine Provinz Preußen ihrer Bejagung ent-
blößt, um der Republik noch einmal Rettung zu bringen, welche
mit der Vernichtung Johann Kaſimirs ihre Vollendung erreicht
haben wird. Um aber ein jchnelles und glückliches Ende diejes
Feldzuges herbeiführen zu Eönnen, bedarf Se. Majejtät eines
Stüßpunftes, von wo aus die Verfolgung der Aufwiegler und
Enmpörer ausgeführt und geleitet werden fann. Als Diejer
Stüßpunft wäre Samojchtjch der geeignetite Ort. Da nun der
König Ew. Durchlaucht als einen jehr reichen, einem alten
Sejchlechte entitammenden, mit großem Verjtande, edler Ge-
jinnung und großer Baterlandsliebe ausgeitatteten Herrn
rühmen hörte, jo jagte mein Herr und Gebieter gleich zu mir:
‚Diefer wird mich veritehen, er wird meine gute Abjicht zu
ichägen willen und das Vertrauen, da ich in ihn jeße, nicht
täujchen, meine Hoffnungen unterjtügen und der erite jein, der
zur Nettung des Neiches jeine Hand bietet.‘ Bon Ew. Durch-
laucht hängt aljo das fünftige Gejchid der Republik ab.
Ew. Durchlaucht allein fünnen jie retten, .... . ich zweifle auch
nicht, daß das gejchieht. . . . Wer jo ruhmreiche Vorfahren
bejigt, der iſt verpflichtet, auch jeinerjeitS alles zu thun, um
den Ruhm zu vergrößern. Ew. Durchlaucht würden durch die
Ueberlajiung der ‚zeitung der Nepublif einen größeren Dienit
erweifen, als wenn ihr eine ganze Provinz opfertet. . . . Der
König vertraut, daß euer ausgezeichneter Verjtand im Verein
mit eurem vortrefflichen Herzen jich Ddiefem feinem Wunjche
geneigt zeigen werde, deshalb will er nicht befehlen, jondern
zieht vor, zu bitten! — Er bietet euch jeine Freundſchaft, nicht
wie der Monarch dem Unterthan, jondern wie der Mächtige
dem Mächtigen.“
Hier verneigte ſich Forgell vor dem Staroſten jo ehrfurchts-
voll, wie vor einem regierenden Fürſten. Im Saale herrichte
Totenjtille. Aller Augen wandten jic) dem Starojten zu.
Diejer drehte jich, jeiner Gewohnheit gemäß, auf dem ver-
goldeten Stuhle Hin und her, warf die Lippen auf, gab jeinem
Geficht einen finjteren Ausdrud, dann breitete er die Arme
18*
276
aus, endlich jtügte er die Ellenbogen auf die Kniee, warf den
Kopf in die Höhe wie ein mutige Roß und begann:
„Hört, was ic) antworte! Ich bin Sr. ſchwediſchen Herrlich-
feit jehr dankbar für die hohe Meinung, die fie von meinem
Veritande und meiner Vaterlandsliebe hat. Es ijt mir aud)
nicht3 jo wert, wie die angebotene Freundſchaft eines jo hohen
Potentaten. Aber ich denke, unſere gegenjeitige Wertichägung
fönnte eben jo groß jein, wenn der König in Stodholm bliebe
und ich in Samojchtich. — Wie? Denn Stodholm gehört ihm,
Samojchtich mir! Was jeine Liebe zur Republik betrifft —,
na, meinetwegen, ich will jie gelten (offen, — nur bin ich über-
zeugt, daß die Nepublif jich wohler befinden wird, wenn Die
Schweden fie ganz verlajien, als daß fie hereinfommen. Und
dann — alles, was Recht iſt! — Ich jelbit glaube aus vollem
Zersen, daß der Beſitz von Samoſchtſch Sr. Majejtät zum
Siege über Johann Stajimir verhelfen würde. Nun müfjen
Ew. Erlaucht aber wijjen, dat ich nicht dem Könige von Schweden,
jondern eben demjenigen, der bejiegt werden joll, Johann
Kafimir, Treue gelobt habe und demgemäß ihm den Sieg wünjche.
Darum gebe id; Samojchtih nicht Her! Da, nun Habt ihr
ehört!“
„Das nenne ich, ſich politiſch ausdrücken!“ donnerte
Sagloba.
Im Saale entſtand ein freudiges Gemurmel, aber der Herr
Staroſt beſchwichtigte dasſelbe, indem er laut mit den Händen
auf ſeine Kniee ſchlug.
Forgell wurde ſehr verlegen. Eine Weile ſchwieg er, dann
brachte er neue Argumente vor. Er drängte, bat, ſchmeichelte,
zuletzt drohte er leichthin. Mit einer Beredtſamkeit ohnegleichen
verſchwendete er ſeine beſten und letzten Vorſchläge; er erhielt
immer nur die eine Antwort:
Ich gebe Samoſchtſch nicht her!“
Die Audienz zog ſich über alle Maßen in die Länge; der
General wurde immer bekümmerter, Schweißtropfen ſtanden auf
jeiner Stirn, denn zuerſt vereinzelt, dann immer zahlreicher
wurden Spöttereien laut, die von dem Gelächter der anderen
begleitet waren. Endlich hielt Forgell die Zeit für gefommen,
jein letztes Angebot zu machen. Er entrollte eine Pergament—
rolle mit großen Siegeln, welche er bisher in der Hand ge=
halten Hatte. Niemand hatte bisher das Dofument beachtet,
jegt erregte e8 die Aufmerkjamfeit aller. Mit Elarer Stimme
ſprach Forgell feierlich:
277
„Für die Uebergabe der Feſtung bietet Se. Majeität u. j. w.
(hier folgten wieder alle Titel) Ew. Durdjlaucht die Wojewod—
ſchaft Lublin als erbliches Eigentum!“
Bon jtarrer Verwunderung ergriffen, jtanden die An-
wejenden da. Auch der Staroit jtugte einen Augenblid. Forgell
glaubte jchon gewonnenes Spiel zu haben; er ließ den Blid
triumpbhierend umberjchweijen, ala plöglich durch die Totenitille
im Saale die mit jonorer Stimme in polnischer Sprache ge-
jprochenen Worte Saglobas tünten:
„fferiert ala Gegengabe doch dem Könige von Schweden
das Königreich der Niederlande, Erlaucht.‘
Der Herr Staroft bejann ſich nicht lange, jchlug die Arme
unter umd wiederholte, daß es im ganzen Saale jchallte, in
lateinischer Sprache:
„Und ich offeriere Sr. Majejtät als Gegengabe Die
Niederlande.“
Ein jehallendes Gelächter erjchütterte die Wände des Saales.
Die Herren lachten, daß ihnen die Bäuche wacelten und die
Gürtel über denjelben ebenfalls. Welche von ihnen Eatjchten
in die Hände vor Vergnügen, andere taumelten wie betrunfen
oder lehnten jich an die neben ihnen Stehenden. Das Lachen
währte fort. Forgell war erbleicht; er hatte die Stirn drohend
gerunzelt, die Augen ſchienen Feuer zu jprühen. Mit jtolz
erhobenem Kopfe wartete er, bis das Lachen aufgehört hatte,
dann frug er barjch und kurz.
„Sit das euer letztes Wort, Erlaucht?“
Der Starojt drehte an jeinem Schnurrbart.
„Nein!“ antwortete er noch hochmütiger als zuvor. „Mein
legtes Wort werden die Kanonen auf den Mauern jprechen.“
Die Audienz war zu Ende.
Zwei Stunden jpäter donnerten die eriten Gejchüßjalven
von den in der Eile aufgeworfenen Schanzen der Schweden,
und die auf den Wällen von Samoſchtſch gaben kräftige Ant-
wort. Die ganze zeitung war in Rauchwolfen gehüllt, in denen
es in furzen Baujen aufbligte, während gewaltiger Donner die
Ebene erjchütterte. Bald überwog der Geihügdonner von Seiten
der zeitung. Die jchwedischen Kugeln fielen entweder in den
Wallgraben oder prallten an den mächtigen Mauerangeln ab.
Gegen Abend mußte der Feind ji) von den nächitliegenden
Schanzen zurücziehen, denn fie wurden von einem jo jtarfen
Kugelregen heimgejucht, daß fie aufgegeben werden mußten.
Der wutentbrannte König von Schweden ließ alle in der
278
Umgegend befindlichen Städtchen und Dörfer anbrennen. Die
ganze Gegend glich während der Nacht einem Flammenmeer,
doch auch das jchredte den Staroiten nicht.
„Laßt fie brennen!“ jagte er. „Das it gut. Wir haben
ein Dad) über dem Kopfe, während denen dort, bald das Waſſer
Hinter den Kragen laufen wird.“
Er war jo zufrieden mit ſich, daß er an diefem Tage
noch einmal ein Gajtmahl herrichten ließ, welches bis jpät in
die Nacht währte. Er ließ dazu jeine Mufifanten fo laut auf-
jpielen, daß die Schweden die Trompeten und Pauken ſelbſt
auf den entfernter gelegenen Schanzen hörten.
Doch die Schweden bejchofjen andauernd die Stadt; das
Feuern dauerte die ganze Nacht. Am nächiten Morgen famen
im jchwedifchen Lager mehrere neue Gejchüge an, welche jofort
das Feuer auf die zeitung begannen. Der König durfte zwar
nicht hoffen, damit eine Brejche in die Mauern zu fchießen; er
wollte dem Starojten nur beweijen, daß er gejonnen war, Die
Belagerung hartnädig und unerbittlic) zu betreiben. Er wünjchte
ihm Furcht einzujagen, aber da täufchte er fich. Der Starojt
wurde feinen Augenblick wanfend, während des Heftigiten
Kugelregens ging er auf den Wällen umher und jprach zu
den Mannjchaften.
„Wozu fie nur das Pulver verjchießen?“ ſagte er.
Herr Wolodyjowski und andere Offiziere baten um bie
Erlaubnis, einen Ausfall machen zu dürfen, doch Herr Samojski
verweigerte jie; er wolle durchaus unnüges Blutvergießen ver-
meiden. Er jah ein, daß ein Ausfall nicht angebracht war
und diejer bald zu einem allgemeinen Handgemenge führen
mußte, denn eine Armee, wie die Karl Guſtavs, ließ jich nicht
unbemerkt bejchleichen. Als Sagloba merkte, daß es dem
Starojten mit der Weigerung ernjt war, drängte er um jo mehr
zu einem Ausfall und erbot ſich, denjelben anzuführen.
„Ihr jeid zu blutgierig,“ antwortete Herr Samojski. „Uns
geht es gut, den Schweden jchlecht, wozu jollen wir zu ihnen
gehen? Ihr könntet umkommen und ich brauche euch als meinen
Rat, denn nur durch euch bin ich auf den Gedanken gefommen,
den Forgell mit den Niederlanden ablaufen zu laſſen.“
Herr Sagloba verficherte zwar, daß er es vor Sehnjucht
nach den Schweden nicht mehr auf den Mauern aushalten
fönne, aber er mußte gehorchen.
In Ermangelung anderer Bejchäftigung verbrachte er den
ganzen Tag auf den Mauern, indem er den Soldaten mit
279
großer Würde gute Ratjchläge gab oder fie verwarnte. Dieje
befolgten eifrig jede jeiner Anordnungen, da jie ihm für dem
tapferiten und erfahrenjten Krieger der Nepublif hielten. Er
aber freute jic) von ganzer Seele der Verteidigung und des
Mutes der Verteidiger.
„Herr Michael!” jagte er zu Herrn Wolodyjowsfi, „es iſt
ein neuer Geiſt eingefehrt in der Nepublif und beim Mdel;
eine neue Zeit bricht an. Von Verrat und Sichergeben will
feiner mehr etwas willen, hingegen möchte jeder aus purer
Liebe zum Vaterlande lieber zweimal feinen Kopf dem an—
gejtammten Könige zu Füßen legen, als auch nur einen Schritt
breit Landes freiwillig dem Feinde abtreten. Denkt ihr daran,
wie man noch vor einem Jahre von allen Seiten rufen hörte:
‚Der ijt ein Verräter, jener ein Verräter, diejer hat ein Pro—
teftorat angenommen, u. j. w.“ ©egenwärtig brauchen Die
Schweden jchon unjere Protektion, aber wenn nicht etwa der
Teufel jie protegiert, dann wird er fie jich bald holen. Wir
jigen bier mit vollen Bäuchen, jo voll, daß man auf ihnen
trommeln fünnte, während jenen der Hunger die Eingeweide
zu Striden dreht.“
Herr Sagloba Hatte recht. Die jchwedische Armee war
mit Vorräten an Lebensmitteln gar nicht verjehen; wo aud)
jollte fie diejelben für achtzehntaufend Mann, die Pferde nicht
gerechnet, hernehmen, da der Starojt noch vor Ankunft des
Feindes meilenweit in der Runde alles, was nur an Lebens-
mitteln und Futterbeſtänden vorhanden war, in die Feſtung
hatte bringen laſſen. Im den ferner gelegenen Landitrichen
aber wimmelte e8 von herumziehenden Haufen bewaffneten
Bauernvolfes. Man durfte alfo nicht wagen, auf Requifitionen
auszureiten, denn außerhalb des Lagers lauerte der Tod.
Dazu war Herr Ticharniezfi gar nicht nach dem jenjeitigen
Ufer der Weichjel gegangen; er freijte wie ein Raubtier um
das Lager der Feinde. Die nächtlichen Mlarmierungen hatten
wieder begonnen, auch waren jchon wieder ein paar ausgejandte
fleine Abteilungen jpurlos verjchwunden. Im der Gegend von
Krajchnif waren einige polnische Abteilungen aufgetaucht, welche
die Kommunikation nach der Weichjel zu abjchnitten. Zu guter-
(et war die Kunde in das Lager gedrungen, daß Herr Paul
Sapieha mit jeiner großen fitauifchen Armee vom Norden her
anrüde, daß diejelbe im Worübergehen das zurüdgelafjene
Kommando in Lublin aufgehoben, Zublin bejegt habe und auf
dem Marjche nad) Samojchtich begriffen fei.
280
Der erfahrenite aller jchwediichen Feldherren, der alte
Wittemberg allein, erfannte die ganze Größe der Gefahr und
jtellte fie dem Könige offen vor.
„sch weiß,“ jagte er, „daß der Genius Ew. Majejtät
Wunder zu leilten vermag. Nach menjchlichem Ermefjen wird
und aber der Hunger unjere Kräfte aufzehren, und wenn der
Feind die Ausgehungerten überfällt, dann entgeht fein Mann .
der Armee dem jicheren Tode.“
„Wenn Sch dieſe Feſtung in meinen Händen hätte,“ ent-
a der König, „dann wäre binnen zwei Monaten der Krieg
zu Ende.‘
„Um fie zu nehmen, brauchen wir mindeitens ein Jahr Zeit.“
Im Stillen gab der König dem alten General recht, nur
befennen wollte er ihm dieſes Zugeſtändnis nicht, auch nicht,
daß er fein Mittel mehr wußte, aus diefer verzweifelten Lage
heraus zu fommen, daß fein Genius total verjagte.
Er zählte trogdem noch immer auf irgend etwas Un—
vorhergejehenes, deshalb Tieß er die Kanonade Tag und Nacht
nicht unterbrechen.
„sch will ihren Mut zeritören, dann werden jie eher zu
Unterhandlungen geneigt jein.“
Nachdem die Beichiegung mehrere Tage mit wütender
Hartnädigfeit fortgejegt worden war, jo, daß die in der Feſtung
vor Pulverdampf nicht bis Hinter die Häujer jehen konnten,
jandte er Forgell noch einmal zum Starojten.
„Mein Herr und König,“ jagte der General, als er vor
dem Staroiten erjchien, „rechnet darauf, daß der Schaden,
welchen die Feſtung durch unjere Kugeln erlitten haben muß,
Ew. Durchlaucht zur Eingehung eines Vertrages geneigter
gemacht haben wird.’
Herr Samojski antwortete darauf:
„Gewiß! Freilich! ... Schaden habt ihr angerichtet... .
Warum auch niht?... Ihr Habt ein Schwein erjchojjen,
welches auf dem Marftplage umberlief. Ein Granatiplitter ift
ihm in das Hinterteil gefahren. Schießt noch acht Tage, viel-
leicht trefft ihr noch eins.“ |
Forgell überbrachte diefe Antwort dem Könige. Noch am
jelben Abend wurde Kriegsrat im Königlichen Quartier gehalten,
am nächiten Morgen pacten die Schweden ihre Zelte zujammen
und luden fie auf die Wagen; dann zogen ſie die Gejchüge
von den Schanzen ... umd in der folgenden Nacht zog das
Heer ab.
281
Samoſchtſch jandte ihm einen Abjchiedsgruß aus allen
Gejchügen nad. Als es den Bliden der Bejagung entjchwunden
war, verließen zwei Neiterfahnen durch das Südthor die Feitung
und ritten im Galopp davon. Es war die Laudaer und die
Schemberkiche Fahne.
Die Schweden zogen dem Süden zu. Zwar riet Wittem—
berg davon ab und mahnte dringend, nach Warjchau zurüc-
zufehren, indem er Elarlegte, daß dies der einzige Rettungsweg
jei, doch der ſchwediſche Alerander blieb feſt entſchloſſen, dem
polnifchen Darius bi8 an die äußerjten Grenzen des Reiches
zu folgen.
6. Rapitet.
Der Frühling Ddiejes Jahres nahm wunderliche Wege.
Während im Norden der Republif der Schnee jchon jchmolz,
die gefefjelten Flüſſe fließend zu werden begannen und das
ganze Land in Märzwaflern jchwamm, fegte im Süden noch
ein eiliger Wind über die Flüffe, Felder und Wälder vom
Gebirge her. In den Wäldern lagen hohe Schneewehen, die
bartgefrorenen Wege dröhnten unter den Hufen der Pferde,
die Tage waren klar, der Sonnenuntergang in der Regel rot,
die Nächte iternenhell und froſtig. Das Landvolf ſaß vergnügt
auf feinen lehmigen Medern, auf dem fruchtbaren Ph Br
und den Neuländereien in SKleinpolen und freute jich über die
Ausdauer diejes Winters, in der Meinung, daß der Froſt den
vielen Mäuſen in den Feldern und auch den Schweden den
Tod bringen werde.
Hatte der Frühling mit feinem Kommen über Gebühr ge-
zögert, jo trat er nun aber jo plötzlich ein, daß er jchnell wie
eine Neiterfahne den Feind, jeinen Feind, den Winter, aus dem
Felde jchlug. Die Sonne brannte heiß auf die Erde hernieder
und trodnete die Erde jo nachhaltig aus, daß fie in breite
Spalten ri. Von der ungarifchen Steppe her wehte ein
jtarfer, warmer Windhauch über die Wiefen, Felder und Neu-
länder. Es währte nicht lange, da tauchten hier und da, erjt
einzeln, dann jchnell zahlreicher, zwischen den leuchtenden Wafjer-
lachen ein dunkles Aderbeet, ein grüner Streifen Feldrain auf
* die Wälder trieften von den Tropfen der tauenden Eis—
kruſten.
283
Täglich fonnte man am jtet3 heiteren Himmel lange Züge
Kraniche, wilde Enten, Sonnenvögel und wilde Gänje hin—
jtreichen jehen. Die Störche famen, juchten die vorjährigen
Nejträder auf und unter den Dachjchauben zogen in die alten
Reiter die Schwalben ein. Das Gezwitjcher der Eleinen Vögel
tönte um die Dörfer in den Gärten, das Gelärme der großen
um die Wälder und Teiche und abends jchallte das ganze Land
von dem Gluckſen und Quaken der Fröſche wieder, die jich mit
Behagen im Wafjer dehnten.
Dann famen die feuchten Niederjchläge, die milde und lau,
Tag und Nacht die Luft durchtränften und die Erde feuchteten.
Die Felder wandelten ich in Seen, die Flüſſe jchwollen
an, die Fuhrten wurden unpajjierbar und Wege und Stege
aufgeweicht und lehmig, daß der Fuß darin jteden blieb.
Durch dieſe Waller, Sümpfe und Moore jchleppte jich
unaufhaltjam die jchwediiche Armee. Sie war recht zujammen=
gejchmolzen. Von der glänzenden Wittembergijchen Armee, Die
einjt jo jtolz in Großpolen eingezogen war, war nicht viel mehr
zu erfennen. Der Hunger hatte den Gejichtern der alten Strieger
jeine Spuren aufgeprägt; Schatten gleich jchlichen ſie einher,
mutlos, erjchöpft noch mehr von der Ruheloſigkeit der Nächte,
als vom Mangel an Nahrung Wuhten fie doch, daß am
Ende des täglichen Weges ihrer nichts wartete, feine Erquidung,
feine Stärkung, feine Ruhe, höchitens die Ruhe des Todes.
Geſpenſtern gleich jagen die in erzene Panzer geitedten,
zum Sfelett abgemagerten Weiter auf Roſſen, die ji faum
noch fortzujchleppen vermochten. Die Fußſoldaten befamen die
Füße fait nicht mehr aus dem lehmigen Boden heraus, Die
zitternden Arme fonnten die Musfeten faum mehr halten.
Ein Tag nad) dem anderen verging in gleicher Qual, immer
vorwärts, vorwärts. Die Wagenräder brachen, die Kanonen
blieben im Lehm jteden; man fam manchen Tag faum eine
Meile weit vorwärts. Um das Maß des Elends voll zu machen,
wurden viele der Soldaten vom Fieber befallen; viele legten
jih vor Schwäche auf den nafjen Boden und zogen vor, lieber
zu jterben, als weiter zu wanken.
Der jchwedische Alerander juchte und verfolgte unausgejegt
die Spur des polnijchen Darius.
Gleichzeitig aber wurde aud) er verfolgt. Wie die Schafale
dem kranken Büffel folgen, um im Augenblid, wo er ſich zum
Verenden niederlegt, über ihn Herzufallen, folgten dem ſchwe—
diſchen Heere die bewaffneten Rotten der Bauern und Des
284
Kleinadels, immer dreifter näher fommend, immer frecher be—
läftigend. Und wie der franfe Büffel mit einem Gefühl des
Grauens das Heulen der beutegierigen Naubtiere imıner näher
fommen Hört und weiß, daß er ihnen verfallen ift, jo zog
Karolus dahin, ahnend, daß auch er feinen Verfolgern ver:
fallen jet.
Zulegt war Ticharniezfi ihm immer dicht auf den Ferſen.
Der Nachtrab der Armee jah jtet? Schwärme von Reitern
hinter ji. Zuweilen weit entfernt am Horizont, bald nur
auf zwei Büchjenjchugweite entfernt, oft jogar dicht Hinter ſich.
Der Feind wollte die Entjcheidungsichlacht, aber vergebens
baten die Schweden den Herrn der Heerjcharen darum, Tſchar—
niezfi nahm fie nicht an, jo jehr die Schweden ihn aud) heraus-
forderten. Er zog e3 vor, die Zeit abzuwarten, bis der Sieg
ihm nicht mehr entgehen konnte; inzwijchen ängjtigte er das
feindliche Heer unausgejegt Durch Plänfeleien.
Zuweilen umging Tſcharniezki auch dasjelbe, eilte ihm
voraus, und indem er ihm den Weg verlegte, jimulierte er, daß
er den Kampf aufnehmen wolle. Dann jchien ein neuer Geiit
in die erjchöpften Reihen der Sfandinavier einzufehren. Die
franfen, abgemagerten Gejtalten traten mit geröteten Wangen
und bligenden Augen in Reih' und Glied und die jchweren
Lanzen und Musfeten wurden mit eijerner Willenskraft ge—
handhabt, während das Kriegsgeſchrei, die Schlachtrufe, mit
denen fie vorwärts eilten, aus fräftiger, gejunder Bruft zu
fommen jchienen.
Wenn dann Herr Tieharniezfi einige Vorſtöße gemacht
hatte, zog er plöglich, wenn die eriten jchwediichen Kanonen—
fugeln dahergeflogen famen, feine Schwadronen zurüd, und
überließ den Schweden das Feld und gab fie der Mutlojigfeit
preis, von der fie nach jedem dieſer gejchickt ausgeführten Manöver
von neuem befallen wurden.
Dagegen überfiel er fie plöglich in nächiter Nähe, wo die
Geſchütze nicht Anwendung finden fonnten, denn er wußte recht
gut, daß im Handgefecht die jchwediichen Neiter jelbit gegen
die minder gejchicten polnischen Freiwilligen nicht aufkommen
fonnten.
Wieder drängte Wittenberg den König zur Umfehr und
bat flehentlich, doc) ficy und das Heer nicht dem ficheren Ver—
derben preiszugeben. Doch Karl Gujtav wies mit zujammen-
gefniffenen Lippen immer nur nach dem Süden, jeine Augen
ſchoſſen Blige bei jeder Anspielung auf den Rückzug, denn dort
285
in der reußiichen Ebene mußte er ja jeinen Gegner Johann
Kajimir und ein freied Operationsfeld finden, Lebensmittel
und endlich Ruhe, Ruhe!
Nun verjagten, um das Unglüd zu vollenden, die polnischen
Ueberläufer, welche ihm bisher treu gedient und die einzigen
waren, welche Herrn Tſcharniezki allenfalls Widerſtand leiſten
konnten, den Dienſt. Der erſte, welcher ſich von ihm losſagte,
war Sbroſchek, welchen nicht Habgier, ſondern eine blinde Liebe
zur Fahne und Soldatentreue ſo lange bei Karolus feſtgehalten
hatte. Er nahm ſeinen Abſchied damit, daß er die Schwadron
Dragoner Millers zerſprengte, die Hälfte derſelben niederſchlug
und dann davonging. Ihm folgte Herr Kalinski, der mit einer
Abteilung Füſiliere ähnlich verfuhr wie Sbroſchek.
Sapieha wurde von Tag zu Tag ſchwermütiger; man
merkte ihm an, daß er mit ſich kämpfte. Er ſelbſt konnte ſich
zum Fortgehen noch nicht entſchließen, aber von ſeinen Leuten
flohen täglich einige aus der Fahne.
Karl Guſtav marſchierte über Narol, Tſchieſchanow und
Oleſchyze der San zu. Ihn hielt allein die Hoffnung aufrecht,
daß Johann Kaſimir ihm endlich eine Schlacht liefern werde.
Noch konnte ein Sieg das Los ſeiner Armee mit einemmale
verbeſſern, Fortuna ihm wieder gewogen werden. Es hatte ſich
das Gerücht verbreitet, daß Johann Kaſimir mit ſeinen Stamm—
ſoldaten und den Tartaren Lemberg bereits verlaſſen habe.
Aber ſeine Berechnungen ſchlugen fehl. Johann Kaſimir wartete
ruhig auf die Verſtärkung und Sammlung des Heeres, beſonders
aber auf die Ankunft der Litauer unter Sapieha.
Der Aufſchub war ſein beſter Bundesgenoſſe, denn ſein
Heer verſtärkte ſich mit jedem Tage, während jeder Tag ſeinem
Gegner Verluſte zufügte.
„Das ſchwediſche Heer iſt keine Kriegsarmee, ſondern ein
Leichenzug!“ erzählten alte Krieger in der Umgebung Johann
Kaſimirs.
Dieſe Anſicht teilten aber auch viele ſchwediſche Offiziere.
Karl Guſtav behauptete zwar immer noch, daß er nach Lemberg
wolle, aber er täuſchte ſich ſelbſt und ſeine Generale. Er war
jetzt nur noch auf ſeine Rettung bedacht. Auch war er ſeiner
Sache nicht ſicher, er wußte ja nicht, ob Johann Kaſimir wirk—
[ich noch in Lemberg war. Der König hatte Raum genug, ſich
rückwärts zu fonzentrieren; er fonnte bi8 Podolien den Feind
nach ſich loden, wo die Schweden dann rettungslos ver-
loren waren.
286
Douglas rückte mit jeinem Regiment bis Prſchemysl vor
und verfuchte, Dieje Feitung zu nehmen. Aber er fehrte mit
jchweren Verluiten unverrichteter Sache zurüd. Die Kataſtrophe
nahte langſam, aber jicher. Alle Nachrichten, welche in das
Lager der Schweden drangen, waren Vorboten ihres Nahens.
Sie lauteten immer drohender.
„Sapieha kommt, er iſt jchon in Tomaſchow!“ meldete
man dem Slönige eines Tages.
„Herr Yubomirsfi wälzt jich mit einem Heere von Pod—
gorjche her heran,“ hie es am nächiten Taae.
Und dann wieder:
„Der König fommt mit der Garde und Hunderttaujend
Tartaren! Er bat fich mit Sapieha vereinigt!“
Selbitveritändlich befand fich unter diefen Gerüchten viel
Unwahres, vieles war übertrieben, aber ſie machten die Gemüter
ängjtlich, Die Armee wurde mutlos. Wenn früher der König
jic) vor jeinen Schwadronen hatte bliden laſſen, war er mit
Freudenrufen begrüßt worden, jest ſtanden jie teilnahmslos
vor ihm. Dagegen ichwagten die an den Lagerfeuern halb
verhungert fauernden Soldaten im Flüſterton mehr von Tſchar—
niezfi, al$ vom eigenen Könige. Man war gewöhnt, überall
jeine Nähe zu jpüren. Wunderbarerweile aber war während
der leten Tage nichts mehr von ihm zu entdeden gewejen.
Das machte die Soldaten mißtrauiſch und unruhig.
„Zicharniezfi it fort, Gott weiß, was er vor hat!“
flüjterten jie einander zu.
Karl Guſtav hielt einige Tage in Jaroslaw Raſt; er über-
(egte, was zu thun war. Er ließ die Stranfen, deren es im
Lager eine große Anzahl gab, auf. die flachen Flußſchiffe der
San bringen und nach Sandomir, der nächiten befejtigten, noch
von Schweden bejegten Stadt überführen. Nachdem er Ddiejes
Werk vollbracht umd erfahren hatte, dat Johann Kaſimir
Lemberg wirklich verlaſſen hatte, bejchloß der König, zu erforjchen,
wo jein Gegner zu finden jei.
Zu dieſem BZwed ließ er den Hauptmann Kanneberg
mit taujend Meitern über die San jegen und nach Titen
vorrüden. |
„Es könnte fein,“ jprach der König beim Abjchied zu
Stanneberg, „daß Das fernere Gejchid der Armee und Die
Wendung des Feldzuges zum Guten für ums alle in eurer
Hand liegt.“
Ihatjächlich hing jehr viel vom Ausgange der Erpedition
287
für die Schweden ab. Schlimmitenfalles konnte Kanneberg der
Armee Proviant zuführen. Gelang es ihm aber, den Aufent-
halt des Polenfünigs ausfindig zu machen, dann mußte der
Schwedenfünig mit dem Hauptitabe der Armee Johann Kafimir
entgegengehen, jeine Heeresmacht zu vernichten, und, wenn mög—
lich, ihn jelbit gefangen zu nehmen verjuchen.
Karl Guſtav hatte daher die beiten Soldaten und die jtärfiten
Pferde zu diefer Expedition für Kanneberg ausgejucht.
Die Auswahl gejchah um jo jorgfältiger, da der Haupt—
mann weder Fußſoldaten noch Gejchüge mit ſich nehmen
fonnte. Er mußte daher über Soldaten verfügen fünnen, die
imjtande waren, den polnischen Neitern erfolgreich Widerjtand
zu leiten.
Am zwanzigiten März rücte Kanneberg aus. Als er die
Brücke pajjierte, jtanden viele Offiziere an dem Brücdenfopf, um
ihm und den Neitern Lebewohl zuzurufen. „Gott geleite euch!
Gott gebe euch den Sieg! Gott führe euch glüclich zurück!“
jo riefen die Zurücbleibenden den Davoneilenden nach. Diefe
ritten zu zweien über die neuerbaute Brücke, deren lettes Joch
noch nicht fertig, jondern nur mit Brettern überlegt war, damit
jie hinüber fonnten.
Neues Hoffen machte fie beiterer bliden, denn fie waren
ausnahmswetje jatt gegejjen. Man hatte die Nahrung anderen
entzogen, um jie zu jättigen und ihre Feldflaſchen mit Brannt-
wein zu füllen. So zogen fie denn mit fröhlichem Geplauder
von dannen und riefen als lebten Abjchiedsgruß den am
Brüdenfopf Stehenden zu:
„Bir wollen euch den Tſcharniezki am Ziride herbei—
geführt bringen!“
Die Armen! Sie ahnten nicht, daß fie wie eine Herde
Vieh der Schlachtbanf zuritten.
Es hatte jich alles zu ihrem Berderben vereint. Kaum
hatten jie die Brücke Hinter jich, als die jchwedischen Sappeure
ichon die Bretterlage herunternahmen, um die Brüce durch eine
feſte Balfenlage für die Gejchüge pajlierbar zu machen. Sie
lenften, leife fingend, ab nad) Wielfie-Ötjchy zu; noch ein paar
Mal jahen die Offiziere ihre Helme in der Sonne blinken, dann
nahm der dunkle Wald fie auf.
Eine halbe Meile hatten fie bereits zurückgelegt, ohne
irgend etwas Auffälliges zu bemerfen. Ringsum herrſchte tiefite
Stille, die Wälder jchienen gänzlich verödet. Sie ließen die
Pferde ein wenig verjchnaufen, dann ritten jie langjam weiter.
288
Endlich famen fie nach Wielfie-Ötjichy, fanden in dem Orte
aber feine lebende Seele vor.
Diefe Dede ſetzte Kanneberg in Staunen.
„Man Hat ung augenscheinlich Hier erwartet,“ jagte er zu
Major Smweno, „aber Ticeharniezfi muß wo anders fein, da er
ung bier feinen Hinterhalt gelegt hat.“
„Werdet ihr den Rückzug antreten, Erlaucht?“ frug Sweno.
„Rein, wir werden vorwärts gehen, jei es auch bis Lem—
berg,“ antwortete Kanneberg. „Wir müjjen doch irgend wen
herbeijchaffen, der ung Auskunft geben fann, wo Johann Kaſi—
mir jtedt. Ohne jichere Nachricht darüber, dürfen wir nicht
zum Könige zurücfehren.“
„Und wenn wir auf ein übermächtiges feindliches Heer
ſtoßen?“
„Wenn dieſer Fall einträte, jo würden Soldaten wie die
unjrigen doch ficherlich mit einigen Tauſenden diejes Gejindels,
welches ſich das allgemeine Aufgebot nennt, fertig werden,“
entgegnete Kanneberg.
„Wir fünnen aber auch reguläre Truppen treffen,“ mahnte
Sweno noch einmal. „Wir haben feine Kanonen und ohne
jolcje würde ihnen nicht beizufommen jein.“
„Dann werden wir rechtzeitig den Rückzug antreten und
dem Könige den Feind melden. Sollte ung der Rückzug ab»
gejchnitten werden, jo wollen wir uns durchjichlagen,“ erwiderte
Kanneberg.
„sch fürchte nur die Nacht!“ jagte Sweno.
„Wir wollen alle Vorjichtsmaßregeln treffen. Die Viktualien
für uns und die Pferde werden für zwei Tage vorhalten, wir
brauchen nicht zu eilen.“
Als jie wieder in das Dunkel des Waldes Hinter Wielfie-
Dtichy Hineinritten, jtrebten jie nur langjam vorwärt?. Kanne-
berg hatte fünfzig Mann vorausgejchiedt; jie ritten mit gejpannten
Musfeten in der Hand, deren Kolben feit auf die Schenfel
geitügt waren, jahen jich vorjichtig nach allen Seiten um, durch-
forjchten das Didicht und Horchten auf jedes leife Geräufch.
Zuweilen jogar ritt einer oder der andere weiter hinein in das
Geſtrüpp des Unterholzes, um nachzujehen, ob der Weg frei,
nirgends aber fanden ſie etwas VBerdächtiges.
Erjt eine Stunde jpäter, als der Weg plöglich eine Biegung
machte, erblidten zwei der vorderjten Neiter etwa vierzig Schritt
vor jich einen einzelnen Reiter.
Der Tag war flar, die Sonne jchien Hell, jie fonnten ihn
289
aljo ganz deutlich erfennen. Der Mann war nicht groß, aber
jehr anjtändig gekleidet; er jchien ein Ausländer zu fein und
jah vielleicht nur darum jo flein aus, weil er auf einem ſehr
großen Pferde ſaß, das von edler Rafje jein mußte.
Der Reiter ritt langjam, als ahnte er nicht, daß Hinter
ihm eine Anzahl Dragoner dreinfomme Die Frühjahrgüber-
ſchwemmungen hatten jtellenweije tiefe Gräben quer über den
Weg gerifjen, durch welche trübes Waſſer brauſte. Jener Reiter
riß vor jedem Ddiejer Gräben das Roß etwas in die Höhe,
diejes jeßte dann leicht wie ein Reh darüber und ging die
Mähne jchüttelmd und jchnaufend des Weges weiter.
Die beiden Reiter hielten ihre Pferde an und jahen jich
nad) dem Wachtmeijter um. Der fam in dieſem Augenblid
auch um die Ede getrottet, jtußte, als er den Reiter jah,
und jagte:
„Das ijt irgend ein Windhund aus einem polnischen
Hundeitall.“
„Soll ich ihn anrufen?“ frug der Reiter.
„Um Gotteswillen, nein! Es fönnen ihrer mehr in der
Nähe fein. Sprenge zum Hauptmann zurüd.“
Inzwijchen waren alle fünfzig Mann des VBortrabes um
die Ecke gebogen und jtanden jtill. Jetzt hielt der Eleine Reiter
auch jein Pferd an und machte Front gegen die Schweden.
Eine fleine Weile jahen jie ihn, er fie an.
„Dort ift ein Zweiter! Zweie! Dreie! Biere! ein ganzer
Haufen!“ rief es jet durch die Neihen der Schweden.
Bon beiden Seiten des Weges kamen nun Reiter herbei,
erit einzeln, dann zu zweien und dreien; ſie jammelten jich um
den einen, der zuerjt auf dem Wege gewejen.
Aber auch die Schweden waren jchon herbeigeeilt, zuerjt
der zweite Vortrab mit Sweno an der Spite, dann Kanneberg
mit der ganzen Abteilung. Kanneberg und Sweno jtellten ſich
jogleich an die Spite und ordneten den Zug.
Kaum hatte Smweno einen Blick auf die Neiter vor ihnen
geworfen, da rief er jchon:
„sch kenne die Leute! Es ijt diejelbe Fahne, welche bei
Golembin den Prinzen Waldemar angegriffen hat; es jind Leute
Ticharniezfis, er muß jelbjt hier fein!“
Dieje Worte machten auf die Schweden einen mächtigen
Eindrud. Kein Ton wurde laut, nur das Zaumzeug Der
Pferde klirrte leije.
„Sch vermute, dat wir in einen Hinterhalt geraten find,“
Sienkiewicz, Sturmflut II. 19
290
ſprach Sweno weiter. „Es find ihrer hier vor uns zu wenige,
als dab fie den Kampf mit uns aufnehmen könnten, die anderen
müſſen im Walde verjtedt liegen.“
„Srlaucht! treten wir den Rüdzug an,“ wandte er ſich an
Kanneberg.
„Ihr habt gut raten!“ entgegnete ſtirnrunzelnd der Haupt—
mann. „Das hätte ſich nun gelohnt, auszureiten, wenn wir beim
Anblick etlicher zehner Vagabunden davonlaufen wollten. Da
hätten wir lieber gleich beim Erſcheinen des erſten von ihnen
ausreißen ſollen. Vorwärts!“
Die Schweden rückten in ſchönſter Ordnung vor. Der Raum
zwiſchen den beiden Abteilungen verkleinerte ſich.
„Halt!“ kommandierte Kanneberg.
Die Musketen der Schweden bewegten ſich ganz gleich—
mäßig nach der Schulter der Soldaten zu, die Rohre richteten
ſich auf die polniſchen Reiter.
Aber ehe noch die Hähne derſelben knackten, Hatten die
polnischen Weiter die Pferde herumgeworfen und jagten in
größter Unordnung davon.
„Vorwärts!“ fommandierte Kanneberg.
Die Abteilung galoppierte den Fliehenden nach, daß die
Erde unter den Hufen der ſchweren Pferde dröhnte.
Der Wald ward erfüllt von dem Geſchrei der Fliehenden
und Verfolgenden. Nach einer viertelſtündigen Jagd wurde
der Zwiſchenraum, der die beiden Abteilungen trennte, wieder
kürzer; war es nun, daß die ſchwediſchen Pferde ſtärker, oder
die polniſchen ſchneller ermüdet waren, kurz, die Verfolgenden
waren den Fliehenden faſt auf den Ferſen.
Da aber geſchah etwas Wunderliches. Der anfangs in
Unordnung ſich auflöſende Haufe Polen hatte ſich nicht ver—
jprengen lafjen, ſondern ordnete fich während der Flucht, an—
jcheinend abſichtslos und mit einer Gejchidlichkeit ohmegleichen.
Als Sweno das bemerkte, ließ er jein Pferd ausgreifen,
und juchte Kanneberg zu erreichen.
„Erlaucht!“ ſagte er feuchend, als er ihm erreicht: „Das
find feine gewöhnlichen Leute vom allgemeinen Aufgebot, das
find reguläre Truppen, welche die Flucht fingieren, um uns
in einen Hinterhalt zu locken.“
„Es iſt mir einerlei, ob Teufel oder Menjchen im Dinter-
halt liegen!“ antwortete Kanneberg.
291
Der Weg führte jegt ein wenig bergan und wurde immer
breiter; der Wald lichtete jich, man fonnte durch die Bäume
ichon das blanke Feld, oder vielmehr eine große Lichtung er-
fennen, welche von allen Seiten von Ddichtem dunklen Walde
umſtanden war.
Die polniſche Fahne, welche ihre Bewegung anfangs ſo
beſchleunigt, dann plötzlich ſehr verlangſamt hatte, fing nun
wieder an zu galoppieren und entfernte ſich in wenigen Minuten
ſo weit, daß der ſchwediſche Heerführer einſah, daß er ſie nicht
mehr einholen könne.
Er war bis in die Mitte der Lichtung vorgedrungen, und
da er wahrnahm, daß der Feind ſchon die andere Seite derſelben
erreicht hatte, ließ er von der Verfolgung ab und verlangſamte
den Schritt.
Aber, o Wunder! Anſtatt im jenſeitigen Walde zu ver—
ſchwinden, beſchrieb der Feind dicht am Saume desſelben einen
Halbkreis und ſtand dann plötzlich mit einer ſchnellen Wendung
in prächtigſter Schlachtordnung den Schweden gegenüber. Selbſt
die Schweden konnten dieſem Manöver ihre Bewunderung nicht
verſagen.
„Jawohl!“ rief Kanneberg aus. „Das ſind Stammſoldaten!
Sie haben die Schwenkung muſterhaft ausgeführt. Aber bei
allen Teufeln, was wollen ſie damit?“
„Sie wollen uns angreifen!“ ſchrie Sweno.
Da ſprengten auch ſchon die Polen heran. Der kleine
Ritter auf dem großen Falben rief den Seinigen etwas zu,
ſprengte vor die Front, hielt einen Augenblick das Pferd an,
gab mit dem blanken Säbel ein Zeichen, worauf die Kolonne
zur Attacke ſchritt.
Er ſchien der Anführer der Polen zu ſein.
„Sie wollen wahrhaftig attadieren,“ ſagte Kanneberg, der
fi) noch immer nicht von jeiner Verwunderung erholt hatte.
Die kleinen polnischen Pferde famen in gejtredtem Galopp
dahergejauft. Die Ohren feit an den Kopf gelegt, jtrichen fie
mit den Bäuchen beinahe am Boden hin, während Die Neiter
bi3 dicht auf den Hälſen der Pferde liegend, ihren Kopf in
der buſchigen Mähne derjelben verbargen. Die Schweden in
der —* Reihe ſahen nur ein paar hundert aufgeſperrter
Pferdemäuler und doppelt ſoviel blitzende Augen.
„Gott mit uns! Schweden! Feuer!“ kommandierte Kanne—
berg, die Lanze ſchwingend.
Sämtliche Gewehre fnatterten, doch in demſelben Augen—
19*
292
blif prallten die polnischen Neiter mit folcher Gewalt auf die
Reihen der Schweden, daß die eriten Glieder derjelben nad)
recht3 und links geworfen wurden. Die Fleinen Pferde aber
drängten mitten in das Gewühl von Pferden und Menjchen;
wie ein Keil das Holz, jo preßten fie die Schweden auseinander.
Ein fürchterliches Gefchrei erfüllte die Luft, Panzer Elirrte
an Panzer, die Säbelklingen jchlugen aufeinander. Dazwiſchen
ertönte das Gequiefe der Pferde, die Jammerjchreie jtürzender
und jterbender Männer, der ganze Wald hallte von dem Lärm
der Schlacht wieder.
Der erite Anprall hatte die Schweden verwirrt, befonderg,
da eine bedeutende Anzahl gleich dabei geitürzt war. Bald
aber erholten jie ji) von dem Schreden und jchlugen nun
tapfer drein. Die Flügel der Schwadron vereinigten jich wieder.
Da die polnische Fahne ohnehin ſtark vorwärts gedrängt hatte,
als wollte jie die taujend jchwedischen Reiter mit einem Stich
durchbohren, jo war fie bald eingejchlofjen. Die Mitteljtellung
der Schweden wich zurüd, während die Flügel die Polen hart
bedrängten, ohne ihnen jedoch viel anhaben zu fünnen, da jie
mit jener unvergleichlichen Gewandtheit kämpften, welche die
polnische Neiterei zu einem jo jchredlichen Gegner im Hand
gemenge macht. Die Säbel arbeiteten mit den NRapieren um
die Wette, die Getöteten fielen dicht, der Sieg begann fich jchon
den Schweden zuzumeigen, da plöglicd) tauchte aus dem Walde
eine zweite Fahne auf und eilte mit lautem Gejchrei ihren
Landsleuten zu Hilfe.
Der ganze rechte Flügel der Schweden unter Sweno
wandte ſich jofort in jeiner ganzen ?Frontbreite dem neuen
Feinde zu, in welchem altgediente jchwedische Soldaten, polnifche
Huſaren erfannten.
Sie wurden von einem Manne geführt, der auf einem
jchwarz und weiß gejchedten Pferde ſaß, mit einer Burfa be=
fleidet war und auf dem Kopfe eine Hujarenmüge von Luchs—
pelz trug. Man fonnte ihn deutlich jehen, denn er ritt ſeit—
wärts, ein paar Schritte von den Soldaten entfernt.
„Tſcharniezki! Tſcharniezki!“ rief es in dem jchwedijchen
Gliedern.
Sweno warf einen verzweifelten Blick nach dem Himmel
hinauf, dann gab er ſeinem Pferde die Sporen und ſauſte mit
ſeinem Flügel dem Feinde entgegen.
Tſcharniezki brachte ſeine Huſaren bis auf etliche Schritte
293
Entfernung nahe, und als die Schweden ſich im volliten Galopp
befanden, machte er mit jeiner Fahne eine plögliche Wendung.
Setzt fam vom Walde her noch eine dritte Fahne. Tſchar—
niezfi jprengte derjelben entgegen und führte auch fie herbei,
dasjelbe gejchah mit einer vierten. Den Arm weit vorgejtredt,
wies er mit feinem Feldherrnſtabe einer jeden die Stellung an,
von welcher aus jie angreifen jollte; er verteilte die Arbeit,
wie der Landwirt, der jeine Schnitter in die Ernte führt.
Endlich, als auch die fünfte Fahne in das Treffen geführt
war, jtellte er ſich an die Spite derjelben und leitete jelbit
den Angriff.
Die Hujaren hatten den rechten Flügel bereit zurüd-
geichlagen und in wenigen Minuten verjprengt. Die folgenden
drei Fahnen hatten nach Tartarenart die jchwediiche Neiterei
umzingelt und jchlugen unter fürchterlichem Gejchrei mit den
Säbeln, jtachen mit den Yanzen auf die in Verwirrung Geratenen
drein, traten nieder, was von den Pferden jtürzte, und jagten
den Fliehenden nad).
Kanneberg hatte zu jpät eingejehen, daß er in eine Falle
geraten und dem Feinde direkt unter das Mejjer gerannt war.
An einen Sieg war nicht zu denken, darum ließ er zum Rück—
zug blajen, um von jeinen Leuten jo viele als möglich zu
retten. Im Karriere jagten die Schweden nach jenem Wege
zurüd, auf welchem jie von Wielfie-Otjchy hergefommen waren,
die Leute Tjcharniezfis immer jo dicht Hinter jich, daß der
Dampf der polnischen Pferde warm an die jchwedischen Rücken ſchlug.
Unter diefen Umständen fonnte ſich der Nüdzug nicht in
der nötigen Ordnung vollziehen. Die jtärferen Pferde drängten
die jchwächeren zurüd; binnen furzem war die Stannebergjche
Abteilung nur noch ein fliehender Knäuel Menjchen und Pferde,
welchen die Verfolger widerjtandslos lichteten.
Je länger die Verfolgung dauerte, deſto größer wurde die
Verwirrung, denn auch in den polnischen Fahnen Hatte fich Die
Ordnung aufgelöft. Jeder Neiter jpornte jein Pferd, da die
Nüjtern rauchten, und jchlug nieder, was in jeinen Bereich Fam.
So vermengten jich die Polen mit den Schweden. Etliche
polnische Soldaten überholten die legten jchwediichen Glieder;
es gejchah, dak, wenn ein Gemeiner eben ich im Steigbügel
erhob, um einen der Flüchtigen zu treffen, er jelbit mit dem
Napiere von hinten nmiedergejtochen wurde. Der Weg nad)
Wielkie-Otſchy war mit Leichen bejäet, aber noch nahm der
Kampf fein Ende. Einer oder der andere der Schweden bogen
294
vom Walde ab, die müden Pferde wollten nicht weiter, das
Gemetzel wurde noch grauenhafter. Diejenigen, welche von den
Pferden jprangen, um im Didicht des Waldes Schuß zu juchen,
wurden von den dort lauernden Bauern nmiedergeichlagen.
Andere wollten lieber den Tod durch das Schwert erleiden, als
die Qualen erdulden, welche das tollwütige Gejindel ihnen be=
reitete. Wieder andere flehten um Pardon, doch umſonſt, denn
die Verfolger zogen vor, den Feind gleich niederzufchlagen, als
ihn gefangen mit fich zu führen und zu bewachen. Man jorgte
dafür, daß feiner übrig bleibe, um die Kunde von der Nieder-
lage in das jchwediiche Hauptquartier zu bringen. Herr Wolo-
dyjowsfi war an der Spite der Verfolgung. Er war es auch,
der als Lodvogel jich den Schweden auf dem Wege zuerit
gezeigt hatte, er hatte jie nach der Lichtung gelodt, hatte die
erite Attade gegen jie ausgeführt und nun war er der jchlimmiten
Verfolger einer, denn er lechzte danach, die Niederlage bei
Solembin wieder wett zu machen; er jchonte feinen, fetbit die⸗
jenigen nicht, die, flehend die Hände zu ihm erhebend, um ihr
Leben baten.
Herr Wolodyjowski war, ohne ſich umzublicken, nur immer
vorwärts geeilt. Der tapfere Sweno hatte den ſchrecklichen
Schnitter kaum bemerkt, als er auch ſchon mehrere ſeiner beſten
Reiter zuſammenrief, um mit Einſetzung ſeines eigenen Lebens
das Leben ſeiner Leute zu ſchützen. Er warf ſein Pferd herum
und erwartete mit vorgeſtrecktem Rapier die Verfolger. Als
Herr Wolodyjowski das gewahrte, zögerte er feinen Augenblick,
gab feinem Pferde die Sporen und trieb es mitten in dag
Häuflein hinein, das fich ihm entgegenzujtellen wagte.
Ehe man es fich verjah, lagen zwei der Reiter unter den
ufen der Pferde. Mehr denn zehn Napiere richteten ihre
pigen auf die Bruft des Waghalfigen; in diefem Augenblid
— Gefahr ſprangen die Skrzetuskis, Jozwa Butrym, ge—
nannt Ohnefuß, Herr Sagloba und Rochus Kowalski ihm bei,
von welchem Sagloba zu erzählen pflegte, daß er noch mit ver—
ſchlafenen Augen zur Attacke vorgehe und dieſelben erſt ordentlich
öffne, wenn er Bruſt an Bruſt mit dem Feinde ſtehe.
Wolodyjowski hatte ſich mit Blitzesſchnelle unter den
Bauch ſeines Pferdes geſchwungen, ſo daß die auf ihn gezückten
Rapierſtöße die blanke Luft durchſchnitten. Er hatte dieſe
Fertigkeit bei den Tartaren in Bialogrod erworben und da er
klein von Statur und über alle Maßen gelenkig war, ſo hatte
er es darin unglaublich weit gebracht. Er entſchwand den
295
Augen der Feinde ganz nach Notwendigkeit und Belieben; bald
itecte fein Kopf in der Mähne des Pferdes, während der
Körper am Halje des Tieres zu Heben jchien, bald verjchtwand
er unter den Bauch desfelben.
So war es auch jett gejchehen. Ehe noch die verblüfften
Reiter verjtehen fonnten, was vor jich ging, ſaß er jchon wieder
im Sattel, wie der Wildeber, der fich unvermutet auf die er-
jchredte Meute jtürzt.
Auch die Gefährten halfen ihm Berwirrung und Tod
verbreiten. Einer der Reiter hatte dem Herrn Sagloba feine
Piſtole bereit3 dicht auf die Bruſt gejebt, da hieb Rochus
Kowalski, welcher ihn von der linfen Seite hatte, daher dem
Schweden mit dem Säbel nicht beikommen fonnte, jo gewaltig
mit jeiner geballten Fauſt auf deſſen Schläfe ein, daß der
Reiter wie vom Blig getroffen vom Pferde fiel. Sagloba aber
ſchlug mit einem Freudenſchrei auf den ihm gegenüberjtehenden
Sweno [08 und traf den Kopf des Tapferen jo gut, daß ihm
beide Hände jchlaff herabjanfen, das Schwert feiner Rechten
entfiel und er jelbjt mit der Stirn auf den Hals feines Pferdes
aufichlug. Als die Neiter das jahen, ergriffen fie die Flucht,
doch Wolodyjowsfi, Jozwa Ohnefuß und die beiden Skrzetuskis
hatten fie bald eingeholt und niedergeitredt.
Die Verfolgung dauerte fort. Die jchwediichen Pferde
feuchten und famen immer jchwerer fort. Viele von ihnen
jtürzten mit gejpreizten Beinen und verendeten jojort. Zuletzt
waren von den taufend glänzenden Neitern nur noch etwa
hundert und einige übrig geblieben, der Reit lag Hingejtrect
auf der Landſtraße. Aber auch diejes Häuflein verringerte ſich
er da das Schwert der Polen unausgeſetzt auf die
Inglüdlichen herabfiel.
Endlich hatte man den Wald hinter ji. Die Türme von
Jaroslaw hoben ſich deutlich vom blauen Himmel ab. Neue
Hoffnung erfüllte die Herzen der Flüchtlinge; wußten fie doch,
daß dort Rettung und Hilfe nahe war.
Sie hatten vergejien, daß gleich nach ihrem Auszuge das
legte Brücdenjoch abgebrochen worden war, um es feiter und
tragfähiger für die Geſchütze wieder herzuitellen.
Sei es nun, daß Herr Ticharniezfi durch jeine Spione
davon unterrichtet war, oder daß er unter den Augen des Königs
den Reit diejer Unglüdlichen vertilgen wollte, genug, er rief
die Verfolger nicht nur nicht zurüc, jondern drängte perſönlich
296
mit der Schemberf'jchen Fahne Hinter ihnen ber, jo heftig und
jchnell, ald wollte er Jaroslaw im Sturme nehmen.
So waren die Verfolgten und die Verfolger etwa ein Ge-
wände weit von der Brüde angelangt. Das Gejchrei derjelben
drang bis in das Lager der Schweden. Eine Menge Offiziere
und Soldaten eilten, als jie e8 hörten, aus der Stadt, um zu
jehen, was auf dem jenfeitigen Ufer des Fluſſes vor fich gehe.
Kaum hatten fie einen Blick hinüber geworfen, jo erfannten fie
die Neiter, welche am Morgen ausmarjchiert waren.
„Die Abteilung Kanneberg! Die Abteilung Sanneberg!“
jchrieen taujend Stimmen.
„Kur hundert Mann etwa find noch übrig!“
In diefem Augenblit kam der König in Begleitung
Wittembergs, Forgells, Miller® und anderer Generale an-
geiprengt Der König erbleichte.
„Kanneberg!* jchrie er auf.
„Bei den Wunden Chriſti!“ rief Wittenberg. „Die Brüde
iſt nicht fertig, fie werden alle niedergemegelt!*
Der König warf einen angjtvollen Blid auf den vom
Frühlingswafler angejchwollenen Fluß. Die gelben Waſſer—
maſſen braujten; es war nicht daran zu denfen, fie zu durch—
Ihwimmen. Ein Brahm war auch nicht zu benugen, denn Die
Feinde würden ihn nicht landen laſſen.
Die drüben famen immer näher. Das Gejchrei hatte von
neuem begonnen.
Einige nach Lebensmitteln ausgejfandte Wagen, in Be—
gleitung einer Abteilung Gardiiten, famen gerade jet einen
anderen Weg vom Walde her der Stadt zugefahren. Als man
dort wahrnahm, was jich zutrug, wurden die Pferde in Trab
gejegt. Die Esforte bemühte fi), in der Meinung, daß die
Brüde pajjierbar jei, die Wagen noch in die Stadt zu bringen,
ehe der Feind ihr Kommen bemerkt.
Aber es war zu jpät. Schon waren fie gejehen worden;
dreihundert Reiter hatten jich jofort dem Wagenzuge zugewendet.
An der Spige derjelben ritt der Pächter von Wonſoſch, Rzend-
zian. Er Hatte bisher noch feinen bejonderen Beweis von
Tapferfeit geliefert; beim Anblid der Wagen aber, die ihm
reiche Beute verhießen, jchwoll jein Herz plöglich jo jehr vom
Mute, daß er feinen Leuten immer ein paar Schritte voraus
war. Als die Eskorte der Wagen ſah, dak an ein Entrinnen
nicht mehr zu denfen war, jchlojfen fie ein Slarree. Hundert
Musfetenläufe zielten nad) der Bruft Nzendzians. Eine Salve
297
empfing ihn, aber noch ehe die Rauchwolfe, welche fie Hinter-
ließ, jich verzogen hatte, war das gejpornte Roß Rzendzians
ihon vor dem eriten Gliede des Karrees angelangt; es bäumte
hoch, fo daß die VBorderhufe desjelben fait die Köpfe der Gar-
diſten berührten und fiel dann mitten in das Karree hinein,
eine Anzahl der Soldaten unter jeine Hufe tretend.
Wie reißende Wölfe fielen die polnischen Weiter über die
Wagen her, jie rifjen alles auseinander, traten die Menjchen-
leiber in Stüde und eine Weile darauf war von dem Wagen:
zuge nichts übrig geblieben. Aus dem wirren Stnäuel, der ſich
an der Stelle, wo er gejtanden, auf der Erde wälzte, drangen
gräßliche Schmerzensjchreie bis zu den Ohren der Schweden in
der Stadt.
Unterdefjen waren die Reſte der Kanneberg'ſchen Reiter
immer dichter an das Ufer des Flufjes gedrängt worden. Alm
anderen Ufer auf der Seite der Stadt hatte fait die ganze
jchwedijche Armee die San entlang jich aufgeitellt, Füſiliere,
Neiter, Artillerie, alles in buntem Gemiſch durcheinander. —
Sie alle jahen, wie ehedem die Römer dem Kampfſpiel der
Sladiatoren, dem Schaujpiel zu, das ſich jenjeits ihren Blicken
bot, mit zujammengefniffenen Lippen und Verzweiflung im
Bid. Das Bewußtjein und Gefühl ihrer Machtlojigfeit entriß
dieſen umnfreiwilligen Zujchauern wiederholt Schreie des Ent-
ſetzens und der tiefen Ceelenpein. Waren doch die taufend
Mann, welche Kanneberg am Morgen hinaus in den Wald ge-
führt, die Elitetruppe des jchwedijchen Heeres gewejen, ſämtlich
ruhmbedecte Veteranen, die ihre Kriegslorbeeren in unzähligen
Schlachten erworben Hatten.
Wie irre gewordene Schafe rannten jie num am Ufer
des Fluſſes entlang und wie Schafe unter dem Mefjer des
Schlächters fielen fie unter den Schwertern der Feinde. Das
war feine Schlacht mehr, jondern ein Schlachten. Die gräß-
lichen feindlichen Reiter flogen wie ein Wirbehvind zwijchen
den Schweden umher, bald in Einzelverfolgung begriffen, bald
mehrere gleichzeitig hegend. Hier beugte ein müder Schwede
ſein Haupt, um den Todesſtreich zu empfangen, dort ſetzte ſich
ein anderer zur Wehr, ohne jedoch den Gegner zu treffen, da
keiner der Schweden ſich im Handgemenge mit dem in der
Fechtkunſt wohlerfahrenen polniſchen Adel meſſen konnte.
Der wütendſte unter allen Polen aber war der kleine
Ritter. Er geberdete ſich auf ſeinem ſchlanken, geſchmeidigen
298
Pferde wie ein Toller, jo daß die Aufmerfjamfeit aller fich
zulegt nur auf ihm richtete. Wer in jeine Nähe fam, der
war verloren, denn mit einer einzigen leichten Wendung
ſeines Säbels jchlug er den jchweriten Schwebifchen Reiter aus
dem Sattel.
Endlich erblidte er Kanneberg jelbit, der von einigen
gemeinen Soldaten verfolgt wurde. Er rief dieſe zurück und
jagte ihm ganz allein nad).
Den Schweden am anderen Ufer jtodte der Atem. Der
König ritt bis dicht an das Ufer und jah Elopfenden Herzens,
zwifchen Furcht und Hoffnung bebend, jcharf hinüber, denn
Kanneberg, eine hochgeitellte Berjönlichkeit und Verwandter des
Königs, war von Sindesbeinen an in allen Arten der Fecht—
kunſt durch italienifche Fechtmeiſter ausgebildet und hatte, jo
weit das blaue Banner reichte, in der jchwediichen Armee feinen
jeinesgleichen.
Aller Augen waren auf die beiden Kämpfer gerichtet. Man
wagte faum zu atmen. Kanneberg aber hatte, jobald er bemerkte,
daß die Verfolger von ihm abliegen, jein Roß herumgeworfen.
Ihn erfüllte in diefem Augenblid nur der eine Gedanke:
„Wehe mir, wenn ich jett, nachdem ich alles verloren, die
Schande nicht durch mein eigenes Blut tilge, oder durch das
Blut diejes gräßlichen Mannes auslöfche. ch dürfte ſonſt
feinen braven Schweden mehr offenen Blides entgegentreten,
wenn Gottes Hand mich ja glüdli an das nächite Ufer
hinübertrüge.“
Mit diefem Gedanken ritt er dem gelben Reiter entgegen.
Da nun Diejenigen Weiter, welche ihn bisher vom Ufer
getrennt hatten, eine andere Richtung einjchlugen, jo hoffte er,
wenn es ihm gelang, den Gegner zu töten, dennoch das andere
Ufer zu gewinnen. Er wollte verjuchen, den Strom zu durch—
ichwimmen, gejchehe, was da. wolle. Schlimmſtenfalls wollte er
jih vom Strome treiben laſſen, wenn er den Fluß nicht zu
durchqueren vermochte, die Waffenbrüder drüben würden ihm
icon zu Hilfe fommen.
Die beiden Feinde jprengten aljo aufeinander zu. Der
Schwede beabjichtigte im Vorſtoß dem Gegner fein Rapier
unter dem Arme in den Leib bis in den Hals hinein zu jagen,
doc) er, der Meiſter, erfannte gleich in dem anderen auch den
Meijter, denn jein Rapier glitt ſchlank an der Schneide des
polnischen Säbeld ab. Er hatte das Gefühl, als jchliefe ihm
299
plöglich der Arm ein, er fonnte faum den Stoß aufhalten, zu
dem der Ritter gleich darauf ausholte. Glüclicherweife rantıten
die beiden Pferde in dieſem Augenblid auseinander.
Sie bejchrieben beide einen Halbfreis und wandten die
Tiere einander wieder zu, aber langjam, um Zeit zu gewinnen.
Kanneberg zog den Kopf tief ein, jo daß er einem Vogel ähn-
(ic) jah, der nur den Schnabel aus dem Gefieder herausftredt.
Er fannte einen Stoß, welchen ein Florentiner Fechtmeijter ihn
gelehrt, der beſtimmt war, den Gegner irre zu führen, denn
während anjcheinend die Spite des Rapiers auf die Bruſt des
Gegners gerichtet war, jollte jie durch eine plößliche Seiten-
bewegung den Hals desjelben, am Anja des Viſiers treffen
und ihn bis in das Genick durchbohren. Diejen Stoß wollte
er jegt in Anwendung bringen.
Seiner Sache gewiß, hielt er das Pferd immer mehr
zurüd, während Herr Wolodyjowsfi in furzen Süßen daher-
fam. Diefer dachte joeben darüber nach, ob er jeine Bialo-
roder Taktif auch Hier anwenden und unter das Pferd ver-
N etvinben jollte. Plöglicdy) aber überfam ihn die Scham, daß
er angejicht® beider Heere, im Zweifampf, einem einzelnen Manne
gegenüber nicht ritterlich handeln wollte,
„Aha!“ dachte er. „Du willft mich, wie der Neiher den
(fen aufjpießen, aber warte! — ich will an dir die kleine
indmühle verjuchen, die ich) mir in Lubniow jchon vor
Jahren ausgedacht.“
Das jchien ihm in diefem Falle das Beſte. Es blitzte
plöglih um den kleinen Ritter, als wäre er ganz und gar in
einen in allen Farben jchillernden Panzer eingehüllt. Er gab
jeinem Roß die Sporen und flog auf Kanneberg zu.
Diejer hatte fich noch mehr geducdt; er lag fait ganz auf
dem Pferde Im nächiten Augenbli hatte er das Schwert
mit dem Rapier zufammengebunden, den Kopf mit der Schnellig-
feit einer Schlange emporgejchnellt und mit gewaltiger Kraft
zugeltoßen.
Doch zu gleicher Zeit ſauſte e8 ihm um die Ohren, das
Rapier in jeiner Hand fchwanfte, die Schneide desjelben fuhr
ins Leere, während das gebogene Ende des Säbels des kleinen
Ritters mit Bligesjchnelle auf den Kopf Kannebergs niederfuhr,
ihm einen Teil der Naje, den Mund und das Sinn fpaltete
und, durh den Hals fahrend, auf dem Schulterfnochen
figen blieb,
300
Das Rapier entfiel der Hand des Getroffenen, jeine Sinne
umnachteten ſich. Doch ehe er vom Pferde fallen konnte, lieh
Herr Wolodyjowski feinen Säbel an der Schnur herabfallen
und padte den Unglüdlichen an den Schultern.
Ein furchtbarer Schrei des Entjegens tünte aus den Kehlen
der Schweden drüben. Herr Sagloba fam jet zu Herrn
Wolodyjowsfi herangejprengt.
„Herr Michael!“ rief er. „Ich wußte, daß es jo fommen
würde, aber ich war entjchlojjen, euch zu rächen!“
„Der war ein Meijter,“ antwortete Wolodyjowsfi. „Nehmt
jein Pferd am Zügel, es it ein edles Rob.“
„Ha! wenn der Fluß uns nicht trennte, würde es ſich qut
mit jenen fcherzen! Ich wäre der erite!“
Hier unterbrah das Pfeifen einer Kugel die Rede des
Alten; er fam nicht zu Ende. Dagegen rief er:
„Kommt fort, Herr Michael! Die Verräter find imitande,
ung zu erjchießen!“
„shre Kugeln richten feinen Schaden mehr an,“ ſagte Wolo-
dyjowski ruhig. „ES iſt zu weit,“
Andere polnische Reiter traten hinzu, gratulierten dem
kleinen Ritter und betrachteten ihn mit Bewunderung. 8
I ihm freudig um den Mund, denn auch er war zufrieden
mit jich.
Am anderen Ufer der San jummte es unter den Schweden
wie im Bienenitod. Die Artilleriften hatten Kanonen herbei—
eführt. Das veranlaßte die Polen, zum Rückzug zu blajen.
Beim eriten Trompetenſtoß eilte jeder Soldat zu jeiner Fahne;
bald jtanden fie zum Abmarjch bereit. Nachdem die Polen ſich
bis an den Wald zurücdgezogen hatten, machten fie noch einmal
fehrt, als wollten jie die Schweden zur Verfolgung auffordern.
Vor die Front der Glieder ritt auf einem ſchwarz- und weiß-
gejcheckten Pferde ein Mann mit einer Burka befleidet und
mit einer Yuch3müge auf dem Kopfe. Er trug einen ver-
goldeten Stab in der Hand.
Die Schweden fonnten ihn deutlich jehen, denn ‚der Glanz
der untergehenden Sonne beleuchtete ihn hell. Ein Abglanz
Ichien auch von ihm auszujtrahlen und jeine Umgebung zu be-
leuchten.
Als die Schweden ihn jahen, riefen fie halb entjett, halb
drohend:
„Tſcharniezki! Tſcharniezki!“
Er ſchien ſeinen Hauptleuten etwas zu ſagen. Vor dem
301
Ritter, welcher den Kanneberg geichlagen, hielt er jich längere
Zeit auf. Er legte feine Hand auf den Arm des fleinen Ritters
und jprach eindringlich zu ihm. Dann erhob er den Arm mit
dem Feldherrnſtab, worauf eine Fahne nach der anderen lang—
jam —
Soeben ging die Sonne unter. In Jaroslaw läuteten die
Glocken zum Ave. Die polniſchen Fahnen fangen laut den
englijchen Gruß: „Der Engel des Herrn brachte Maria die
Botjchaft!“ und entichwanden langjam den Bliden der Schweden.
5. Rapitet,
An diefem Tage gingen die Schweden Hungrig jchlafen,
ohne zu wijjen, womit jie am nächiten Tage den Hunger jtillen
jollten. Das nagende Gefühl im Magen lie jie nicht jchlafen.
Noc ehe der Hahn zum zweitenmal gefräht hatte, hatten die
meijten jchon das Lager verlafjen, um einzeln oder in Haufen
auf den umliegenden Dörfern nad) Lebensmitteln zu juchen.
Nächtlichen Strauchdieben gleich fonnte man fie die Ortjchaften
Radzymno, Kantſchudz und Tytjchin bejchleichen jehen, wo fie
hoffen konnten, noch etwas zu finden. Es tröjtete fie, zu willen,
daß Tſcharniezki das jenjeitige Ufer der San bejeßt hielt, doc)
ſelbſt wenn er oder Fi Hauptleute hier herüberfämen, hätte
fie das nicht zurüdgejchredt, denn ſie fürchteten den Hunger
mehr, al3 den Tod. Die Disziplin im Lager mußte ſchon jehr
elodert jein, da über anderthalbtaujend Mann, entgegen dem
Strengiten Verbot, heimlich das Lager verlafjen hatten.
Sie begannen ihren Raubzug damit, daß fie die Häufer
in Brand jeßten und beim Lichte der Flammen alles aus-
raubten, was ihnen unter die Hände fam und alle totjchlugen,
die nicht freiwillig ihr Eigentum hergaben. Das war ihr Ver-
derben, denn auch auf dieſer Seite des Fluſſes jchwärmte
verjchiedene® Bauerngejindel haufenweife herum und ganze
„Parteien“ Adliger hielten jich in den Wäldern verborgen.
Eine der jtärkiten derjelben, dem Herrn Strſchalkowski gehörende,
beitand aus dem kriegeriſchen Kleinadel des Berglandes; Dieje
nun war zum Unglüdf für die Schweden heute Nacht bis
Pruchnid vorgerüdt.
303
Als Herr Strjchalfowsft den Feuerſchein jah und Die
Schüfje hörte, ritt er mit feinen Leuten dem Lärm nach und
überfiel plöglic) die mit Rauben Bejchäftigten. Sie wehrten
ji tapfer, aber Herr Strichalfowsfi verjprengte fie und ließ
feinen am Leben. In den anderen UOrtjchaften gejchah das
Gleiche. Die Verfolgenden jagten den Fliehenden bis dicht an
das Lager nad) und verjegten das ganze Lager in Schreden
damit, daß jie in tartarischer, wallachijcher, ungarijcher und
polnischer Sprache ein fürchterliches Gelärme anjtimmten und
auf diefe Weife die Schweden glauben machten, es rüde ein
großes Heer gegen fie an.
Es entjtand im Lager eine große Verwirrung und —
was bisher moch mie dagewejen, die Soldaten wurden von
einer entjeglichen Banif ergriffen, welche zu unterdrücen den
Dffizieren nur mit großer Mühe gelang. Dem Könige, welcher
den größten Teil der Nacht zu Pferde verbracht hatte, fonnte
das nicht verborgen bleiben; er war zu Flug, um die Folgen
diefer Nacht nicht vorausfehen zu können. Sobald der Tag
graute, berief er den Kriegsrat.
Die jehr ernite Sigung währte nur kurz. Es blieb fein
Ausweg, ald der Rückzug. Die Soldaten waren durch den
Hunger und die Mühjale der Märjche entmutigt, durch Die
Verlujte gejchwächt; das feindliche Heer nahm täglich an
Stärfe zu.
Der jchwedijche Alerander, welcher jich vorgenommen hatte,
den polnifchen Darius bis an die äußerſten Grenzen jeines
Neiches zu beten und ihn Hinauszutreiben, mußte die Ver—
folgung nicht nur aufgeben, jondern vor allem an die eigene
Nettung denken.
ir fünnen dem Laufe der San folgend nad) Sandomir
elangen, von da auf der Weichjel nach Warſchau und Preußen,“
Are Wittemberg. „Auf diefe Weije können wir dem völligen
Verderben noch entgehen.“
Douglas raufte fich die von
„So viel Siege, jo viele Mühen umjonjt!“ jagte er. „Ein
jo großes, eroberte Land jollen wir wieder hergeben?“
Und Wittemberg erwiderte darauf:
„gabt ihr bejjere Vorjchläge zu machen?“
„eider nein!“ antwortete Douglas.
Der König, welcher bisher nicht geiprochen Hatte, erhob
fi jeßt. Das war das Zeichen, daß die Sitzung gefchlofien
war. Er ſprach nur die wenigen Worte:
304
„Sch befehle den Rückzug!“
Dann ſprach er den ganzen Tag fein Wort mehr.
Im jchwediichen Lager jchmetterten die Trompeten Signale,
die Trommeln rajjelten. Die Kunde, daß der Nüdzug ans
getreten werden jolle, durchlief wie ein Lauffeuer das Lager.
Man begrükte jie mit Freudenausrufen. E3 befanden jich noch
genug Schlöffer und Feitungen in den Händen der Schweden,
dort würden fie Ruhe, Sättigung und Sicherheit finden.
Die Generale betrieben die Vorbereitungen zum Rückzuge
mit einer Eile, die, wie Douglas ironijierte, einer jchmachvollen
Flucht auf ein Haar glich.
Der König entjandte Douglas zuerjt mit der Vorhut.
Er jollte jchwierige Uebergänge beieitigen und den Wald vom
Sefindel jäubern. Kurze Zeit darauf folgte ihm in voller
Kriegsrüftung das Heer. Zuerſt famen die — die Reiter
nahmen die Mitte ein, an den Seiten ſchritten die Füſiliere
und die Wagenburg beſchloß den Zug. Die Zelte und das
Kriegsgerät ſchwammen auf großen Kähnen den Fluß hinab.
Alle dieſe Vorſichtsmaßregeln waren durchaus nicht über—
flüſſig, denn kaum hatte der Zug ſich in Bewegung geſetzt, als
die Nachhut der Schweden auch ſchon polniſche Reiter erblickte,
welche ſeiner Spur folgten und ihn unausgeſetzt im Auge
behielten.
Tſcharniezki ſammelte ſeine Fahnen, alle in der Gegend
befindlichen Parteigänger und Freiwillige, entſandte einen Eil—
boten zum Könige und folgte dem Schwedenheere.
Das erſte Nachtlager in Prſcheworsk brachte ihm ſchon den
erſten Alarm. Die Polen kamen den Schweden jo nahe auf
den Leib gerüdt, dat einige taufend Fußjoldaten und mehrere
Kanonen jich ihnen entgegenitellten.
Im erſten Augenblid glaubte der König von Schweden,
daß Ticharniezfi mit feiner Hauptmacht endlich zum Angriff
jchreite, doch bald überzeugte er fich, daß wieder nur einzelne
Abteilungen ausgejchidt waren, ihn zu beunruhigen. Sie hatten
einen Anfall fingiert und fich gleich) wieder zurücgezogen. Bis
um Morgen dauerten die Unruhen, die Schweden hatten die
lacht wieder jchlaflos verbracht.
Und die folgenden Tage und Nächte jollten diefer Nacht
ähnlich werden.
Ticharniezfi hatte inzwijchen wieder zwei Fahnen Zuzug
vom Könige erhalten und einen Brief, welcher ihm meldete,
daß die Feldhauptleute mit den Stammfoldaten in furzem zu
305
ihm ſtoßen würden, der König aber mit den Negimentern zu
Fuß und den Tartaren unverzüglich folgen wolle, jobald die
Unterhandlungen mit dem Chan, mit Rakotſchy und dem Kaiſer
ihren Abſchluß erreicht hatten.
Diefe Nachricht erfreute Herren Tſcharniezki jehr und als
am nächiten Morgen die Schweden weiter marjchierten, dem
Keile zwifchen San und Weichjel zu, da jagte der Herr Kaſtellan
zum Hauptmann Polanowski:
„Die Fiſche gehen in das Netz.“
„Und wir werden es machen wie jener Fiſcher, welcher
ihnen auf der Flöte aufjpielte, damit fie tanzen jollten,“ jagte
Sagloba. „Als jie aber nicht tanzen wollten, zog er fie aus
dem Waſſer und legte fie an das Ufer; da fingen fie an zu
jpringen, während er mit dem Stode auf fie einjchlug und rief:
„>, ihr Hallunfen! Warum Habt ihr nicht getanzt, jo
lange ich jpielte?“
Darauf jprach Herr Tſcharniezki:
„Bir wollen fie das Tanzen jchon lehren, fobald der
General Lubomirski mit jeinen fünftaujend Mann angefommen
jein wird.“
„Er muß jeden Augenblick bier fein,“ warf Herr Wolody-
jowsft ein.
„Es find heute ein paar adlige Herren aus den Bergen
angekommen,” bemerkte Sagloba, „welche erzählen, daß Lubomirski
in Eilmärjchen heranmarjchiert. Es frägt ſich nur, ob er zu
ung jtoßen, oder den Kampf auf eigene Hand eröffnen will.“
„Warum jollte er das?“ frug Tſcharniezki, indem er den
Alten forſchend anblidte.
„Weil er einen außerordentlichen Hochmut bejigt und ſehr
ehrgeizig ilt. Ich kenne ihn jeit vielen Jahren und war der
Vertraute jeiner Gedanken. ch lernte ihn kennen, als er, noch
ein Knabe am Hofe des Herrn Stanislaus Krakowski, bei den
franzöfifchen umd italienischen Fechtmeiſtern Unterricht nahm.
Damals Schon war er jehr beleidigt, als ich ihm jagte, Daß
dieje allefamt nur Narreteien trieben, daß feiner von ihnen
e3 mit mir aufnehmen fünne Wir gingen eine Wette ein,
ich legte, einen nach) dem andern, alle jieben auf die Erde,
Da zog er vor, ſich von mir, nicht nur im Fechten, jondern
auch in der Kriegskunſt unterweilen zu laſſen. Er ijt zwar,
was das Begriffsvermögen betrifft, von der Natur etwas jchlecht
ausgejtattet worden, aber, was er fann, das hat er von mir
gelernt.“
Sientiewicz;, Sturmflut II. 20
306
„Seid ihr ein jo großer Fechtmeiſter?“ Trug Polanowski.
„Exemplum! Wolodyjowsfi ijt mein zweiter Schüler. Der
macht mir wirklich Ehre.“
„Es ijt wahr, ihr habt ja den Sweno erjchlagen !“
„Den Sweno? Freilich, wenn das einem von euch Herren
pajjierte, jo würdet ihr euch das ganze Leben lang damit brüſten
und die Nachbaren einladen, um ihnen beim Glaje Wein immer
wieder davon zu erzählen. Mir it das jehr gleichgültig, denn
wenn ich die von meiner Hand gefallenen Feinde aufzählen
wollte, da könnte ich mit jolchen Swenos den Weg bis Sandomir
pflajtern.“
„Meint ihr etwa nicht? Sprecht, die ihr mich fennt!
Bezeugt es mir!“
„Ihr könntet es, Ohm!“ bejtätigte Rochus Kowalsfi.
Herr Ticeharniezfi hörte nicht mehr auf das, was Sagloba
ſagte. Er mußte ernftlich über die Worte des Alten, betreffend
Lubomirski, nachdenken. Auch er fannte den Hochmurt dieſes
Herrn und zweifelte nicht daran, daß Lubomirski ihm entweder
ſeinen Oberbefehl aufzwingen, oder auf eigene Hand handeln
wollen werde, ſelbſt wenn die Intereſſen der Republik dadurch
geſchädigt würden.
Sein ſtrenges Geſicht wurde noch ernſter; er drehte an
ſeinem Barte.
„ho!“ flüſterte Sagloba dem Herrn Johann Skrzetuski
in das Ohr. „Der Tſcharniezki käut ſchon etwas wieder, was
ihm bitter ſchmeckt. Er ſieht aus wie ein Adler, der jemandem
einen Dieb mit dem Schnabel verjegen will.“
In diefem Augenblid bemerkte Tſcharniezki:
„Es muß einer der Herren mit einem Briefe von mir zu
Herrn Lubomirsfi gehen.“
„Sch will die Botjchaft übernehmen, ich bin ihm befannt,“
jagte Johann Sfrzetusfi.
„But!“ entgegnete der Führer. „Je befannter der Bote
mit ihm iſt, deito beſſer. . . .“
Sagloba wandte jih an Wolodyjowski und flüjterte wieder:
„Er jpricht jchon durch die Naje. Das iſt bei ihm immer
ein Zeichen großer Erregung.“
Ihatjächlicd war die Urjache aber die, da Herr Tſchar—
niezli einen ſilbernen Gaumen trug. Eine Kugel hatte ihm
vor Jahren bei Buſcha den eigenen weggeriſſen. So oft er
num erregt, zornig oder beunruhigt war, klang jeine Stimme
jharf und näſelnd.
307
Plöglich wandte jich Tſcharniezti zu Sagloba:
„Wie wäre es, wenn ihr mit Skrzetuski ginget? Wollt ihr?“
„Bern!“ antwortete Sagloba. „Wenn ich nichts ausrichte,
richtet feiner etwas aus. Zudem jieht es anjtändiger aus, wenn
bei einem Manne von jo hoher Geburt zwei Perſonen als
Botjchafter erjcheinen.“
Tieharniezfi biß jich auf die Lippen, zauſte jeinen Bart
und brummte vor ſich hin:
„Hohe Geburt! Vornehme Herkunft! . . .*
„Die fann ihm niemand jtreitig machen!“ bemerkte Sagloba.
Ticharniezfi runzelte die Stirn.
„Die Nepublif it groß, das heißt von hoher Größe. Im
Verhältnis zu ihr iſt die Zahl der Hochgeborenen, das heißt
der Großen des Neiches, Hein, die Hochgeborenen jelbit find
winzig klein dem Ganzen gegenüber. Wehe denen, die das
vergeſſen.“
Dieſe Worte verfehlten ihre Wirkung nicht. Der tiefe
Ernſt derſelben machte die Anweſenden verſtummen. Nach einer
Weile ſagte Sagloba:
„Im Verhältnis zum ganzen Reiche wohl, das iſt richtig.“
„Ich bin auch nicht von Salz und Brot zuſammengeſetzt,“
bemerkte Tjeharniezfi, „eigentlich nur aus Schmerzen. Der
Gaumen, den mir die Kojafen vor Jahren herausgejchofjen,
jchmerzt mich noch heute, und jetzt jchmerzt mich der Schwede,
der das Vaterland zerrifien und mit Blut durchtränft bat, und
ich) werde dies böje Gejchwür, das mich quält, entweder mit
dem Säbel herausjchneiden oder daran zu Grunde gehen, jo
wahr mir Gott helfe!“
„Und wir wollen mit unjerem Blute dazu helfen!“ jagte
Polanowski.
Tſcharniezki brauchte noch eine Weile, ehe er die Bitternis,
die ihn erfüllte, verwunden hatte. Der Gedanke, daß der
Hochmut des Herren Marjchall der Rettung des Baterlandes
hinderlich jein könnte, machte ihn faſt rajend. Endlich beruhigte
er jich und ſprach:
„Es it Zeit, den Brief zu schreiben. Ich bitte die Herren,
mit mir,“
Johann Sfrzetusfi und Sagloba folgten ihm. Eine halbe
Stunde fpäter ſaßen jie auf den Pferden und ritten den Weg
zurüd, der nad) Nadymno führte. ingegangener Nachrichten
zufolge jollte der Marjchall jich dort befinden.
„Johann,“ jagte Sagloba, an jeinem Kolett herumtajtend,
20*
308
in deſſen Taſche der Brief jteckte, welchen Herr Tſcharniezki
ihm gegeben. „Thu' mir den Gefallen, laß mich allein zum
Marichall jprechen.“
„Habt ihr ihm wirklich vor Jahren kennen gelernt und
ihn fechten gelehrt, Vater?“
„Ich, woher! Man jpricht jo etwas hin, damit einem der
Mund nicht zufriert und die Zunge nicht fteif wird, was bei
zu langem Schweigen leicht pajjieren fann. Ich Fenne ihn nicht
und habe ihn — fechten gelehrt. Ich hatte Wichtigeres
zu thun, als der Bärenführer eines Prinzen zu ſein und ihn
zu lehren, wie er die Tatzen ſetzen ſoll. Das iſt ja auch Neben—
ſache. Ich kenne ihn zur Genüge aus dem, was man ſich von
ihm erzählt und werde ihn zu kneten verſtehen, wie der Koch
die Klöße. Nur das eine bitte ich mir aus: Sage nichts davon,
daß wir einen Brief von Herrn Tſcharniezki mit uns führen,
erwähne ja nichts davon, bis ich ſelbſt ihm denſelben gebe.“
„Wie? Ich ſollte meinen Auftrag nicht ausführen? Das
iſt mir noch nie im Leben paſſiert und wird auch nicht ge—
ſchehen. Das iſt unmöglich! Selbſt wenn Herr Tſcharniezki
mir verzeihen wollte. Nicht um alle Schätze der Welt.“
„Dann werde ich eigenhändig deinem Gaul die Sehnen
durchſchneiden, damit du nicht mitkommſt. Haſt du jemals
ehört, daß etwas mißlungen iſt, was ich ausgeſonnen? Rede!
Bi du jelbjt schlecht dabei fortgefommen, wenn Sagloba ſich
deiner Angelegenheiten annahm? Oder hat Michael oder deine
Haljchfa Schaden dabei genommen, oder wir alle, als ich uns
aus den Klauen Nadziwills befreite? Ich jage dir, der Brief
Tieharniezfis fann mehr Schaden anrichten, als fich wieder gut
machen läßt, denn der Kajtellan hat ihn in jo großer Erregung
geichrieben, daß er drei Federn dabei zerbrochen hat. Uebrigens
fannjt du ihn immer noch abgeben, wenn meine Redekunſt nicht
mehr ausreicht. Mein Wort darauf, dat ich ihn ſelbſt abgebe,
wenn es nötig tjt.“
„Wenn ich ihn nur aushändigen darf,“ jagte Skrzetusfi,
„wann, it Nebenjache.“
„Weiter verlange ich ja nichts von dir! Hajda! Vorwärts!
Unjer Weg ijt weit!“
Sie trieben die Pferde an und ritten im fchnellen Trab.
Sie brauchten aber nicht jo weit zu reiten, als fie gedacht.
Die Vorhut der Truppen des Marjchalld hatte Radymno bereits
weit zurücgelajien, jie befanden fich bereit3 Hinter Saroslaw.
Der Marjchall jelbjt ſtand in Jaroslaw; er hatte das Quartier
309
bezogen, welches der König von Schweden innegehabt. Cr ſaß
mit jeinen höheren Offizieren eben bei Tafel, al Sagloba mit
Skrzetuski anfamen, doch ließ er jie nach erfolgter Anmeldung
jofort eintreten, da er ihre Namen kannte. Waren dieſelben
doc) in der ganzen Nepublif berühmt.
Aller Augen wandten ich ihnen zu, als jie eintraten;
beſonders neugierig betrachtete man Skrzetusfi. Der Marjchall
begrüßte fie höflich und frug Iogteich:
„Habe ich den berühmten Nitter vor mir, welcher jeiner-
zeit aus dem belagerten Sbaraſch die Briefe an den König
brachte?“
„sch bin es!“ jagte Johann Skrzetuski.
„Bott gebe mir viele jolcher Helden! Ich fünnte Herrn
Ticharniezfi nur darum bemeiden, daß ihr unter feinem
Kommando geht, denn ſonſt hat er nicht vor mir voraus,
auch meine fleinen Verdienite werden der Nachwelt erhalten
bleiben.“
„Und ich bin Sagloba!* stellte jich der alte Nitter vor,
indem er vortrat.
Während er das jagte, ließ er den Blick über alle Ans
wejenden gleiten. Der Marjchall, welcher gern jeden für fich
einnehmen wollte, vier jogleich:
„Wer hätte nicht von dem Manne gehört, der Burlaj, den
Führer der Barbaren, getötet und in das Heer Radziwills die
Flamme der Empörung getragen hat .
„Und der dem Herrn Sapieha eine Armee zugeführt hat,
die in Wahrheit mich zu ihrem Führer auserwählt hatte,“ jette
Sagloba Hinzu.
„Daß ihr das thatet, da ihr doch eine jo Hervorragende
Charge befleiden fonntet! Warum entjagtet ihr und jtelltet
euch unter das Kommando Ticharniezkis?“
Sagloba blinzelte mit den Augen zu Sfrzetusfi hinüber,
dann antwortete er:
„Erlauchtejter Herr Marjchall! An Ew. Erlaucht hat jeder
gute Patriot ein herrliches Beijpiel, wie man dem Wohle des
Vaterlandes jeinen Stolz und alle perjönlichen Wünſche zum
Opfer bringt.“
Lubomirski itrahlte vor Befriedigung, und Sagloba fuhr
fort, indem er die Arme in die Seiten jtemmte:
„Herr Ticharniezfi hat uns hergeichidt. Er entbietet
Ew. Erlaucht jeinen und jeiner Armee Gruß und läßt euch
310
gleichzeitig jagen, daß Gott ung einen bedeutenden Steg über
Stanneberg verliehen hat.“
„Ich Habe jchon davon gehört,“ bemerkte der Marjchall
fühl, da der Neid ihn pacte. „Aber wir alle werden gern
den Bericht noch einmal von einem Augenzeugen hören.“
Herr Sagloba leistete dieſer Aufforderung mit Freuden
Folge. Er erzählte lebhaft, nur mit einigen Abänderungen,
denn die Abteilung Kannebergs verjtärfte jich in jeinem Munde
auf zweitaujend Mann. Er vergaß auch nicht, von Sweno
und jich zu berichten und jchilderte ſehr draitiich, wie unter
den Augen des Schwedenfünigs der Reſt der Abteilung Kanne—
bergs völlig erjchlagen worden, wie die Wagen mit dreihundert
Mann Bedelung in die Hände der glüdlichen Sieger gefallen,
und malte das alles jo gejchict aus, daß der Sieg der Polen
zu einer furchtbaren Niederlage der Schweden wurde,
Man hörte ihm jehr aufmerkffam zu, am aufmerfjamiten
der Marjchall. Der Ausdruck feines Gefichtes wurde immer
itarrer. Eiſige Kühle wehte aus jeinen Worten, als er jprad):
„sch verfenne nicht, daß Herr Ticharniezfi ein großer
Kriegsheld iſt, doch fann er allein die Schweden nicht aufejien,
er wird auch anderen etwas übrig laſſen müflen.“
Darauf erwiderte Sagloba:
„Erlaucht! Herr Ticharniezfi iſt ja gar nicht der Sieger.“
„er denn?“
„Der Sieger iſt Lubomirski!“
Alle Anmwejenden waren jtarr vor Verwunderung und
Staunen.
Der Marjchall riß den Mund weit auf, blinzelte mit den
Augen, jah jehr verwundert den Redner an, als wollte er jagen:
„Ihr jeid wohl nicht bei Sinnen?“
Aber Sagloba ließ ſich nicht beirren. Im Gegenteil! Er
warf die Lippen jtarf auf — er hatte dieje Gejte dem Herrn
Samojsfi abgejehen — und fuhr fort:
„sch hörte, wie Herr Ticharniezfi vor jeiner ganzen Armee
erklärte: ‚Nicht unjere Säbel haben den Sieg errungen, jondern,‘
jagte er, ‚der Name Lubomirsfi, denn als die Schweden er—
fuhren,‘ jagte er, ‚daß Lubomirsti ſchon ganz nahe heran—
gekommen, da ſank ihnen der Mut ſo ſehr, daß ſie in jedem
Soldaten die Armee des Marſchalls witterten und wie die Schafe
unter das Mejjer gingen.“
Das Geficht des Marjchalls erhellte jich, als wären warme
Sonnenjtrahlen darüber hingehuſcht.
311
Ste?“ rief er. „Herr Tſcharniezki ſelbſt hat das gejagt?“
„Jawohl! Und noch manches, von dem ich nicht weiß, ob
ich es wiederholen darf, da es nur vertrauliche Mitteilungen find.“
„Sprecht nur! Jedes Wort des Herrn Tſcharniezki iſt
wert, es hundertmal zu wiederholen. Er iſt ein außergewöhn⸗
licher Mann, das habe ich ſchon immer geſagt!“
Sagloba blinzelte mit den Augen und während er den
Marſchall betrachtete, murmelte er für ſich:
A „Der Fiſch hängt an der Angel, gleich werden wir ihn
aben.“
„Bas jagt ihr?“ frug der Marſchall.
„sch ſage, daß die Armee jo viele Hurrahs auf Ew. Erlaucht
ausgebracht hat, wie jte jolche nur Sr. Majejtät ausbringen
könnte, und in Prſcheworsk, two wir die Schweden die ganze Nacht
durch llopften, ſchrieen die Unſrigen, wo nur irgend eine Fahne
auftauchte, immer: Lubomirski! Yubomirsfi! Das hatte einen
bejieren Erfolg, als alle Allah“ und ‚Schlagt zu Hier, Herr
Sfrzetusfi, der Soldat ohnegleichen, der noch nie gelogen hat,
fann es bezeugen.“
Unwillkürlich blickte der Marjchall den Ritter an. Dieſer
wurde blutrot und murmelte verlegen etwas in den Bart.
Die Offiziere des Marſchalls ließen die Botichafter
hoch Leben.
„O, der Herr Ticharniezki Hat jehr fein gehandelt, als er
uns zwei jo artige Kavaliere jandte! Die beiden berühmtejten
Nitter! Und dem einen fließt Honig vom Munde!“ riefen fie
durcheinander.
‚sch Habe immer geglaubt, daß Herr Ticharniezfi mir
wohlgeiinnt tt,“ jagte der Marjchall. „ES giebt nichts, was
ich für ihn nicht mit Freuden thun möchte.“ Die Augen des
Marjchalls glänzten vor Freude.
Nun ſchien Sagloba ganz und gar begeiftert.
„Erlauchtejter Herr!“ begann er wieder. „Wer würde euch
nicht 'verehren und preifen, euch, das Vorbild aller bürgerlichen
Qugenden, welcher dem Ariſtides an Gerechtigfeit, dem Szipio
an Tapferfeit gleicht! Ich habe in meinem Leben eine Menge
Bücher gelejen, viel gejehen und viel gedacht; es that mir oft
in der Seele wehe, denn, was jah ich nicht alles in Ddiefer
Republif! Einen Opalinski, Radziejowski, die Nadziwills,
welche den eigenen Stolz, ihren Hochmut und ihren Eigennuß
über alles jtellten und das Vaterland ihren Laſtern opferten.
Dft dachte ich bei mir: die Republik it nur an den Sünden
312
der eigenen Söhne zu Grunde gegangen! ch ſprach mich
darüber auch zu Herrn Ticharniezfi aus, doch dieſer tröjtete
mich immer, indem er ſprach: ‚Wahrlich! — Das Baterland ijt
nicht verloren, da Lubomirski für dasjelbe eintritt. Jene —
jagte er — denfen nur am Sich, dieſer jieht und jucht nur alles
hervor, was er auf den Altar des Vaterlandes und der allge-
meinen Wohlfahrt tragen kann; er geht mit Dintanjegung
aller eigenen Intereſſen allen anderen als leuchtendes Beijpiel
voran. Auch jet — jagte er — zieht er mit einer großen Heeres—
macht heran und jchon — jagte er — hat man mir zugetragen,
daß er mir das Oberfommando desjelben abtreten will, nur
um andere zu belehren, wie man jelbjt den gerechteiten Stolz
dem Wohle des Baterlandes opfern muß. Gebt aljo Hin zu
ihm — jagte er — und erflärt ihm, daß ich diejes Opfer nicht
annehmen fann und will, da er ein bejierer Feldherr iſt als
ich e8 bin. Nicht nur zum Feldherrn, nein, jogar — Gott gebe
unjerem Kaſimir ein langes Leben! — jogar zum Könige ihn
dereinjt zu wählen jind wir bereit!‘“
Herr Sagloba hielt plöglich inne Er war jelbjt ein
wenig erjchroden über feine eigenen Worte und fürchtete, doch
zu weit gegangen zu fein. Doch er war nicht zu weit gegangen!
Der Magnat wechjelte wiederholt die Farbe, atmete jchwer und
nachdem ein kurzes Stilljchweigen eingetreten war, hub er an:
„Die Nepublif iſt und wird jtets die Herrin ihres Willens
bleiben, denn auf ihr ruhen die Fundamente unjerer Freiheit
jeit umdenklichen Zeiten... Doc ich bin nur der Diener
ihrer Diener und Gott iſt mein Zeuge, daß ich die Augen
nicht zu jenen Höhen erhebe, die für einen Bürger zu hoc)
zum Erflimmen find... Was das Oberfommando betrifft, jo
darf fein anderer es führen, als Herr Tſcharniezki. Es drängt
mich, denen, Die immer und bei jeder Gelegenheit auf ihre
hohe Geburt und ihren hohen Rang pochen, feine Oberhoheit
anerfennen, ein Beijpiel der Selbjtentäußerung zu geben und
zu zeigen, wie man zum Wohle des Vaterlandes jelbjt jeine
hohe Stellung aufgiebt. Obgleich ich im Grunde genommen
auch fein ganz jchlechter Feldherr bin, jtelle ich, Lubomirski,
mich unter den Oberbefehl Ticharniezfis, indem ich Gott nur
von Herzen bitte, daß er und zum Siege über den Feind ver-
helfen möge!“
„Ihr jeid wahrhaft ein Römer! Ein Vater des Vater—
landes!“ rief Sagloba, die Hand des Marjchalls an jeine Lippen
führend,
313
Gleichzeitig jchielte der Ddurchtriebene Alte zu Skrzetuski
hinüber und blinzelte ihm zu.
Donnernde Bivatrufe der Offiziere wurden im Gemache
laut, die ſich bald durch das ganze Hauptquartier fortpflanzten.
„Wein! Bringt Wein her!“ rief der Marjchall.
Und jobald die Becher gefüllt waren, brachte er dem erjten
dem Wohle des Königs, den zweiten dem Herren Tſcharniezki,
jeinem Oberbefehlshaber, wie er ihn nannte, und den dritten
den Gejandten. Sagloba blieb mit Toajten nicht hinter ihm
zurüd und wußte allen jo zu Herzen zu reden, daß der Mar:
jchall die Gäjte beim Abjchied bis Hinter die Schwelle begleitete,
die Ritter ihmen aber bis Hinter den Schlagbaum der Stadt
das Geleite gaben.
Endlich waren fie allein. Sagloba lenkte jein Pferd quer
vor das Pferd Skrzetusfis, jo daß diefer das jeinige anhalten
mußte. Dann jtemmte er die Arme in die Seiten und frug:
„Run, Johann? Was meinjt du jetzt?“
„Wahrhaftig!” antwortete Skrzetuski, „hätte ich micht mit
eigenen Ohren gehört und mit eigenen Augen gejehen, ich
würde es nicht glauben, jelbit wenn ein Engel es mir erzählte.“
„Ha! Wie? Ich möchte darauf jchwören, daß Ticharniezfi
in feinem Briefe den Lubomirski höchitens jchön gebeten hat,
mit ihm Hand in Hand zu gehen, was hätte er aber damit
ausgerichtet? Er hätte das herausgefordert, was er vermeiden
wollte! Denn wenn der Brief Bejchwörungen enthält, aus
Liebe zum VBaterlande u. j. w. jich ihm unterzuordnen, — und
ich bin jicher, daß er fie enthält — hätte der Herr Marjchall
gleich eine beleidigte Miene aufgeitect und gejagt: ‚Wie fommt
er dazu, fich zu meinem praeceptor aufzuwerfen und mich zu
(ehren, wie man das Vaterland lieben joll ... * Ich kenne die
Herren! . . . Zum Glück hat der alte Sagloba die Sache in
die Hand genommen, und faum hat er den Mund aufgethan,
jo will der Marjchall nicht nur mit Tjcharniezfi gehen, ſondern
ihn als Oberbefehlshaber anerkennen.‘
Tſcharniezki grämt jich jegt ficherlich um den Ausgang der
Sache; nun ich werde ihn bald tröſten . . . Wie, Johann?
Veriteht der Sagloba die Magnaten an der rechten Stelle zu
fajjen oder nicht?
„Sch muß geitehen, daß ich vor Erjtaunen faum zu atmen
wagte,“ verjegte Skrzetuski.
„O, id) fenne fie! Man braucht nur einem von ihnen
eine Krone vor die Augen zu halten oder mit dem Zipfel eines
314
Hermelinmantels zu winken, jo darf man ihn gegen den
Strich jtreicheln, wie einen jungen Winddund; er wird den
Buckel bald freiwillig frümmen und ihn dir unter die Dand
drängen. Steine Kate wird dir jo um die Beine jchnurren wie
er; und bielteit du ihr eine ganze Schnur Spedjchwarten hin.
Dem Ehrlichiten unter ihnen werden die Augen aus dem Kopfe
treten und der Speichel im Munde zufammenlaufen vor Gier,
und triffit du auf einen Schelm, wie der Wojewode von Wilna
einer war, jo fannit du ihn mit einem Werjprechen faufen.
Wie hohlföpfig die Menjchen doch jind. Herr Jeſu! Wenn
ich jo viele taujende Thaler oder Dufaten bejähe, wie du
Ihronfandidaten in dieſem Neiche geichaffen haft, jo fünnte ich
jelbit Kandidat werden. Denn wenn irgend einer denkt, ic)
halte mich für geringer als ſie, dann joll ihm vor Hochmut der
Wanſt beriten . . . Sagloba iſt jo gut wie Lubomirsfi, nur
das macht den Unterjchied, daß jener reich it und ich arm
bin! . . . Da, ja, Johann . . . Glaubit du etwa, ich hätte
ihm wirflich die Hand gefüht? Bewahre! Meinen Daumen
habe ich gefüht und mit der Najenjpige jeinen Handrüden ge-
drüdt. Es hat ihm jicherlich noch niemand jo an der Naje
herumgeführt, wie ich heute. Ich Strich ihn wie Butter auf die
warme Semmel für Herrn Ticharniezfi . . . Gott erhalte ung
unjeren König noch lange; aber für den Fall einer Königs:
wahl würde ich doch lieber mir die Stimme geben, als ihm...
Noch Kowalski würde mir jeine auch geben, und Herr Michael
würde die Opponenten totjchlagen . .. Bei Gott... ich
würde dich jogleich zum Großhetman der Krone ernennen, den
Wolodyjowsfi zum Nachfolger Sapiehas in Litauen machen...
den Nzendztan zum Schatzmeiſter einjegen; dev würde die Juden
mit Abgaben drücken! . . . Schliegli iſt das Nebenjache!
Die Hauptjache tt, daß ich den LYubomirsfi am Angelhafen
habe, die Schnur desjelben werde ich dem Ticharniezfi in die
Hand Ddrücden. Einer mus doch die Mühle drehen, die die
Schweden zermahlen joll! Diejer eine bin ich doch? Wie?
Einen anderen würden die Chronifenjchreiber verherrlichen; ich
aber habe nicht das Glück . . . Der Alte muß noch zufrieden
jein, wenn Ticharniezfi ihn nicht anjchnauzt, daß er den Brief
nicht abgegeben hat . . . jo dankbar jind die Menjchen ...
Ha! das pajjiert mir nicht zum eriten Mal... Andere jigen
auf Marmoriteinen und haben Schmeerbäuche wie die Maſt—
jchweine . . . ich Alter aber fann mir weiter die Eingeweide
auf dem Pferde ausichütteln . . . .“
315
Hier winfte Sagloba mit der Hand,
„ch was! ich niefe auf die Dankbarkeit der Menfchen!
Sterben muß man jo oder jo, und es iſt doch ein jchönes Ge—
fühl, dem Baterlande zu dienen. Der beite Lohn für einen
ehrlichen Soldaten jind treue Waffenbrüder. Sitt man erit
einmal zu Pferde, dann iſt es eine Luſt mit jolchen Kameraden
wie ihr, du und Wolodyjowsti, bis an das Ende der Welt zu
reiten... So jind wir Polen nun einmal geartet. Wenn
wir nur erit auf das Pferd fommen. Der Deutjche, der Fran—
zoje, der Engländer oder der jchlanfe Spanier jpringen jedem
gleich ins Geficht. Der Pole mit feiner angeborenen Geduld
fann jehr viel ertragen, läßt ſich jelbit von den Schweden viel
gefallen; erit wenn das Maß zum Ueberlaufen voll, reiht die
Geduld. Dann jchlägt er den PBeiniger mit der Kauft ins Ge-
ficht, daß der Schwede jich dreimal überkugelt . . . Denn der
Mut fehlt uns nicht, und jo fange der vorhält, wird auch die
Republik beitehen bleiben. Schreibe dir das Hinter die Ohren,
Johann . . .“
In dieſer Weije plauderte Sagloba noc) lange, denn er
war zufrieden mit jich, und wenn er das war, dann wurde er
ungemein redjelig und die Sentenzen jprudelten von feinen
Lippen.
6. Rapitel,
Teharniezfi wagte gar nicht zu hoffen, daß der Kronen—
marjchall fich ihm werde unterjtellen wollen; er wünjchte nur
ein Zufammenwirfen in Cinigfeit und er fürchtete, daß ein
jolches jelbit, bei der großen Eitelfeit und dem Hochmut des
Herrn, nicht zuftande fommen würde, denn der Marjchall hatte
jchon früher zu jeinen Offizieren geäußert, daß er lieber allein
gegen die Schweden operieren wolle, um wenigiteng etwas von
Ruhm für fich zu ernten, denn er jähe voraus, daß ein Zus
jammenwirfen mit Tjcharniezfi ihm nichts, jenem aber alles
eintragen würde. Diefe Aeußerung aber war dem Herrn
Kajtellan von Kijow zu Ohren gefommen, daher fürchtete er
nun eine Zerjplitterung der Kräfte.
Während nun feine Sendboten fern waren, quälte er ſich
mit Sorgen. Er hatte, jeit die beiden Herren fort waren, Die
Kopie jeines Briefe an Lubomirski wohl an zehnmal gelejen,
um ſich zu überzeugen, daß er nichts gejchrieben, was den
jtolgen Mann reizen fonnte. Dabei fand er, daß er einige Aus—
drüce und Nedewendungen doch Lieber hätte weglafjen jollen,
zulegt bereute er, den Brief überhaupt gejchrieben zu haben.
Nachdenklich, grübelnd und ärgerlich über fich jelbit, ſaß
er num in feinem Quartier, unruhig zum Fenſter hinaus:
blickend, ob die Sendboten noch nicht zurückehrten. Die vor:
übergehenden Offiziere jahen ihn am Fenſter jtehen und errieten,
was in jeinem Innern vorging, denn die Sorge jtand auf
feiner Stirn gejchrieben.
„Seht einmal,“ jagte Polanowsfi zu Wolodyjowsfi, „es
wird nichts gutes daraus, denn das Gejicht des Kajtellan ift
flecig, das it ein böjes Beichen.“
317
Das Gejicht Tſcharniezkis wies nämlich eine große Menge
Podennarben auf, welche in Stunden großer Erregung oder
innerer Unruhe ganz weiß leuchteten. Da überhaupt die Züge
feines Geſichts und die Form jeines Kopfes jehr ſcharf gejchnitten,
jeine übermäßig hohe Stirn durch dichte bufchige Brauen ver-
dunfelt, die Naje jcharf gebogen und der Blid durchdringend
war, jo trugen in jolchen Fällen die Pockennarben doppelt
dazu bei, daß er jchredlich anzufehen war. Die Kofafen pflegten
ihn nicht mit Unrecht den —— Hund“ zu nennen, denn
wenn er mit loſe flatternder Burka, die wie zwei ſchwarze
Flügel zu beiden Seiten ihn umwehte, ſeine Soldaten zur
Attade führte, war die Aehnlichkeit mit diefem Tier eine jehr
——— Darum ſchreckte ſein Erſcheinen auch die Feinde
o ſehr.
Seine Häßlichkeit war ſprichwörtlich geworden. Zur Zeit
der Koſakenkriege war er nicht allein durch ſeinen perſönlichen
Mut, ſondern auch durch ſein Ausſehen der Schrecken aller
Koſaken, ſelbſt Chmielnizki fürchtete ihn vor allem als Berater
des Königs. Er war es, welcher den Koſaken die fürchterliche
Niederlage bei Berestetſch bereitet hatte. Wie ein flammendes
Schwert war er zwiſchen die mächtigen Watahs gefahren, fo
daß jelbit die Bejonnenjten den Kopf verloren, wenn er im
Sturme die Städte der Ufraine nahm und die Schanzen der-
jelben auseinander fegte, daß die Erde davon in alle vier
Winde flog.
Mit derjelben Ausdauer verfolgte er jett die Schweden.
Karl Guſtav pflegte zu jagen: „Er jchlägt mir die Soldaten
nicht tot, jondern er jtiehlt jie mir.“ Aber eben diejer heim—
lichen Berfolgung war Tſcharniezki jegt überdrüſſig. Die Zeit
zum fräftigen Dreinjchlagen jchten ihm gefommen und da er
zur Eröffnung einer offenen Feldjchlacht Kanonen und vor
allem viel Fußvolk brauchte, jo wünschte er jehnlichit die An—
funft und das Zujammenwirfen mit Yubomirsfi herbei. Denn
wenn auch der Marjchall nur über eine geringe Anzahl Gejchüße
zu verfügen hatte, jo brachte er doch an Fußſoldaten mehrere
Negimenter mit, die jämtlich) aus den Bewohnern der Berge
refrutierten, welche die Feuerprobe längſt wiederholt beitanden
hatten und im Notfalle den jchwedischen Füfilteren jchon Stand
zu halten vermochten.
Tieharniezfi fieberte vor Aufregung. Er fonnte es im
Unartier nicht mehr aushalten und war eben vor die Thür
getreten, als Polanowski und Wolodyjowsfi daherfamen.
318
„Sind die Boten noch nicht zurüd?“ rief er fie an.
„Roc nicht,“ antwortete Wolodyjowsfi. „Man wird fie
gut aufgenommen haben.“
„Dan wird jich ihrer Gegenwart freuen, aber meine Vor:
jchläge verworfen haben, jonit hätte der Herr Marjchall mir
jchon die Antwort durch einen feiner Offiziere gejchiekt,“ meinte
Tſcharniezki.
„Herr Kaſtellan!“ ſagte Polanowski, welcher ein großes
Vertrauen ſeitens des Generals genoß. „Wozu ſich grämen!
Kommt der Marſchall, dann gut, wenn nicht, dann befolgen
wir unſere Taktik weiter. Es fließt auch ſo Blut aus den
ſchwediſchen Töpfen und es iſt doch eine bekannte Sache, daß
wenn ein Topf leck wird, der Inhalt, wenn auch langſam, doch
ſicher herausläuft.
„Aber auch die Republik muß bluten,“ verſetzte Tſchar—
niezki. „Wenn die Schweden jetzt entfommen, werden ſie ſich
ſtärken können. Sie werden Zuzüge aus Preußen erhalten, die
gute Gelegenheit iſt dann vorüber.“
Während er das ſagte, zupfte Tſcharniezki ungeduldig an
ſeinem Rocke herum.
Da hörte man Pferdegetrappel. Gleich darauf ertönte
Saglobas Baßſtimme; er ſang:
„In die Kammer Kafia ift gegangen
Und der Stach' ruft nad) ihr, mit Verlangen:
Laß mih Mädchen ein, fonft bin ich voller Sorgen.
Draußen beult der Sturm, es fällt der Schnee
Uud die Kälte thut jo wehe, ach jo weh!
Laß mich ein, daß ich nicht friere bis zum Morgen!“
„Ein gutes Zeichen!“ rief Polanowski. „Sie fehren fröh-
lich zurüd. Die Angefommenen waren beim Anblid des
Kajtellans aus den Satteln gejprungen. Sie übergaben die
Pferde den Stalljungen und jchritten lebhaft dem Gange zu.
Dicht vor dem General riß Sagloba plöglic die Mütze vom
Kopfe, warf fie hoch in die Luft und — indem er mit großem
Gejchie die Stimme des Marjchalld nachahmte, rief er:
„Vivat, Herr Tſcharniezki! Es lebe unjer Oberbefehlshaber!“
Der Kajtellan runzelte die Stirn und frug jchnell:
„Habt ihr einen Brief für mich?“
„Rein!“ antwortete Sagloba, „aber etwas bejjeres. Der
Marſchall jtellt ſich ſamt feinem Heere unter das Oberfommando
Ew. Erlaucht! Tſcharniezki jchten den Sprecher mit jeinem Blid
319
durchbohren zu wollen. Dann wandte er ſich an Skrzetuski,
als wollte er jagen:
„Redet ihr! Diejer hier iſt betrunfen!“
Sagloba hatte thatjächlich einen Fleinen Rauſch. Da aber
Skrzetusfi die Ausjage des Alten bejtätigte, malte fich hüchites
Staunen in den Zügen des Generals.
„Kommt mit mir!“ befahl er den Anweſenden. „Herr
Bolanowsfi, Herr Wolodyjowsft, ich bitte.“
Sie hatten noch feiner einen Platz eingenommen, als Tſchar—
miezfi jchon frug:
„Bas jagte der Marjchall zu meinem Briefe?“
„Er jagte gar nichts,“ antwortete Sagloba, „und warum
er nichts jagte, day wird aus meinem Bericht hervorgehen.
Sch beginne... . Und nun erzählte er, was und wie alles
gejchehen, auf welche Weije er den Marjchall zu dem Entichluß
gebracht. Tſcharniezki laujchte mit immer wachjendem Staunen,
Bolanowsfi jchlug vor Verwunderung ein über das andere
Mal die Hände zujammen und um den Bart Wolodyjowsfis
zuckte es jchelmijch.“
ch lerne euch wahrhaftig Heute erſt kennen!“ rief der
Stajtellan. „Ich traue meinen Ohren kaum.“
„Man nannte mich jchon immer den polniſchen Ulyſſes!“
erwiderte Sagloba bejcheiden.
„Wo ijt mein Brief?“
„Hier, bitte!“
„sch muß euch wohl verzeihen, daß ihr denjelben nicht ab-
gegenen habt! Ihr jeid ja auf alle viere bejchlagen! Der
eichsfanzler jollte von euch lernen, mit Klugheit und Politeſſe
etwas zu erreichen! Wahrhaftig! Ich, an des Königs Stelle,
würde euch zum Botjchafter in Honfiantinopet ernennen . . . .*
„Und er würde als jolcher bald Hunderttaufend Türfen
hierher jchaffen,“ warf Herr Michael dazwijchen.
Und Sagloba brüjtete ſich:
„gweihundert, nicht einhundert, jo wahr ich lebe!“
„Dat der Marjchall den Spott nicht gemerkt?“ frug
Tieharniezfi.
„Er, gemerkt? Er verjchlang alles, was ich jagte, wie ein
gieriger Gänjerich die Musfatnuß; es röchelte ihm in Der
Gurgel und die Augen gingen ihm vor Wonne über. Sc
fürchtete, er würde vor Gitelfeit plagen, wie eine jchmwedijche
Granate. Man könnte ihn mit Schmeicheleien in die Hölle
locken!“
320
„Wenn wir nur die Schweden befämen, wenn wir jie be-
fümen, und ich hoffe, daß wir fie nun bekommen,“ jagte Herr
Tſcharniezki hocherfreut. „Ihr jeid ja ein jehr gejcheiter Mann,
nur treibt, bitte, den Spott mit dem Marjchall nicht zu weit.
Ein anderer würde fich jo viel nicht erlaubt haben. Es hängt
zu Vieles und Großes von feinem guten Willen ab. Wir
haben bi Sandomir den Weg durch den Grundbeſitz Lubo—
mirskis. Der Marjchall kann mit einem Winf feine Bauern
veranlafjen, uns den Durchmarfc zu erſchweren. Ihr jeid meiner
Dankbarkeit jicher, fo fange ich lebe, aber auch dem Lubomirsfi
jchulde ich Dank, denn ich vermute, dat nicht Eitelfeit allein
die Triebfeder jeines Handelns ijt.“
Er Hatjchte in die Hände und befahl dem eintretenden
Stalljungen, jofort das Reitpferd zu jatteln.
„Wir wollen das Eiſen jchmieden, jo lange es heiß ijt.“
Und ſich an die Hauptleute wendend, jagte er:
„Ihr begleitet mich! Das Gefolge muß jo glänzend wie
möglich ſein.“
„Soll ich auch mitgehen?“ frug Sagloba.
„Ihr habt die Brüde zwijchen mir und dem Marjchall
gebaut, darum gehört es ſich, daß ihr zuerit mit Darüber reitet.
Ueberdies vermute ich, dat ihr drüben gern gejehen werdet...
Ich bitte, Herr Bruder, thut mir den Gefallen, ſonſt müßte ich
glauben, ihr wollt das Halb begonnene Werk im Stich lafjen“.
„Es Hilft alſo nichts; ich muß mit! Zuvor muß ich aber
meinen Gurt feiter jchnallen, ſonſt verwideln fich meine Ein—
geweide . . . Mir fehlt die Kraft zum Zuſammenhalten der
Därme, e8 wäre denn, daß ich mich erit itärfen fünnte.*
„Womit fann ich dienen?“
„Man bat mir viel von dem Met aus dem Seller
Ew. Erlaucht erzählt; ich hatte noch nicht Gelegenheit, ihn zu
fojten, möchte num aber gern willen, ob er fo qut tt, als der—
jenige des Marjchalls.“
„But! wir wollen alſo jchnell einen Bügeltrunf aus dem
‚seldbecher nehmen. Wenn wir zurüd find, joll das May nicht
farg bemejjen werden, ihr werdet dann auch ein paar Bauch—
flaichen voll in eurem Quartier vorfinden. . ..“
Während er das jagte, nahm der Herr Kaſtellan den Feld—
becher, füllte ihn und tranf den Herren zu. „Auf friſchen Mut
und gute Yaune!“
Der Marjchall empfing Herrn Tſcharniezki mit offenen
Armen, nahm ihn gaitfrei auf und hielt ihn bis zum Morgen:
321
grauen feit. Dann zogen beide Heere vereint unter dem Über:
befehl Tjcharniezfis den Schweden nad).
Bei Sieniawa stiegen fie auf die Nachhut der Armee,
töteten viele und richteten eine koloſſale Verwirrung an. Erſt
da es Tag wurde, zogen fich die Polen zurüd, weil die feind-
lihen Geichüge zu viel Schaden unter ihnen anzurichten
drohten. Auch bei Lejajsfo fielen viele Schweden, von Tſchar—
niezft hart bedrängt. Es waren in den aufgeweichten Wegen
eine Menge Schweden stecken geblieben und in die Hände der
Polen gefallen. Die Lage der Feinde wurde immer trauriger.
Viele von ihnen wurden ganz ausgehungert aufgefunden und
weigerten jich, Nahrung irgendwelcher Art zu ſich zu nehmen,
nur um den Todesitoß bittend. Wiele blieben tot in dem
Geſtrüpp am Wege zurüd, andere jahen irrjinnig geworden
am Wege und ftarrten die Polen gleichgültig an. Die Aus—
länder, von denen viele unter den Schweden dienten, wurden
fahmenflüchtig und gingen zu den Polen über, und nur der
unbeugſame Geijt, die feite Willenskraft Karl Guſtavs hielten
die im Erlöjchen begriftene Begetiterung in feiner Armee aufrecht.
Um die Schweden zu täuschen und fie glauben zu machen,
day die Hilfstruppen des Chan jchon mit ihnen jeien, ließen
die polnischen Heerführer den Nur „Allah!“ an allen Ecken
und Enden ertünen, Tag und Nacht wurden die Beunruhigungen
fortgefegt. Dazu befamen fie die Hand der Bauern jchiver
zu fühlen, denn alle Dörfer in dem Seile zwiichen der San
und der Weichjel gehörten dem Herren Lubomirsti oder jeinen
Verwandten, und der Marjchall hatte befannt machen laſſen,
dal jeder Bauer, welcher zu den Waffen greifen wolle, frei
von der Leibeigenjchaft werde. Kaum war das zur Kenntnis.
der Bauern gelangt, da wetten jie auch jchon die Senſen und
jammelten die damit abgeichlagenen Schwedenföpfe, um jie Dem
Marichall zu Füßen zu legen, jo daß diefer Mühe hatte, jte
zu belehren, daß das gegen Die Gebote des Chriſtentums
veritoße.
Nur wenige Bolen waren noch bei den Schweden ver-
blieben, täglich flüchteten ganze Scharen aus dem Lager, und
diejenigen, welche noch zurückblieben, tifteten im Lager Tumulte
an, jo daß der König etliche der Rebellen niederichiegen Lie,
um die anderen zu erichreden. Das war für fie das Zignal
zur allgemeinen Fahnenflucht, welche man mit dem Säbel in
der Hand bewerfitelligte; es blieb fein einziger Pole mehr im
Lager, jie gingen alle zu Tjeharniezfi über.
Sientiewicz, Sturmflut II, 21 2
322
Der Herr Marjchall blieb dem Oberbefehlshaber eine treue
Stüße. Sei es nun, daß die edleren Charaftereigenjchaften die
Eigenliebe und den Hochmut Lubomirsfis in der Zeit der
böchiten Not der Nepublif eindämmten, genug, er jcheute weder
Mühſale, noch Geldopfer, noch die Sicherheit der eigenen Perſon,
wo e3 galt, einzujchreiten, und da er auch jonjt ein tapferer
Krieger war, machte er jich jehr verdient um das Vaterland.
Dieje Berdienjte hätten ihm beitimmt einen tadellojen Nachruhm
gejichert, wenn nicht jene jchamloje Verjchwörung zum Schaden
der Republik gegen das Ende jeiner Yaufbahn alle dieje Ver—
dienjte zunichte gemacht hätte.
Zur Zeit aber that er, wie gejagt, alles, was ihm Lob
und Ruhm bringen mußte. Mit ihm wetteiferte der Stajtellan
von Sandomir, ein alter, erfahrener Krieger, welcher nur gar
zu gern den Herrn Ticharniezfi aus dem Sattel als Ober—
befehlshaber gedrängt hätte, obgleich) er ihm an Feldherrn—
talenten nicht gleichfam. Beiden jei e8 zu Ruhm und Ehre
nachgejagt, fie leiiteten treu zu jener Zeit das ihrige zum Schuße
des bedrängten Vaterlandes.
Da zu wiederholten Malen die Nachhut des jchwedijchen
Heeres von den Polen total vernichtet worden war, jo hatte
Karl Guſtav bejchlojjen, jelbit mit der Nachhut zu gehen, um
den geängjtigten Soldaten Mut einzuflögen. Dieſes Wagnis
hätte ihm gleich beim eriten Male um ein Haar das Yeben
gefojtet.
Eines Tages war er mit einer Schwadron jeiner beiten
Leibgardiiten, der Ausleje aus den tapferjten Regimentern der
Sfandinavier, im Dorfe Rudnik eingefehrt, um etwas auszu—
ruhen. Er ab im Pfarrhauſe zu Mittag und bejchloß, ein
paar Stunden zu jchlafen, da er während der ganzen ver=
gangenen Nacht fein Auge gejchlojjen hatte. Die Gardiiten
hatten das ganze Haus und Gehöft umjtellt und hielten Wache.
Zroßdem war es einem fleinen Stalljungen des Probſtes
gelungen, jich aus dem Hofe in das Geltütgehege der Pfarrei
zu jtehlen, welches ein Stüd davon im Felde jich befand,
Dort jprang er auf ein junges, kaum zugerittenes Pferd und
jagte dein Yager Ticharniezfis zu.
Aber es war weit, etiva zwei Meilen, bis zu ihm jelbit,
während die Vorhut der Armee, beitehend aus der Schwadron
des Fürſten Demetrius Wisniowiezfi unter dem Kommando
Schandarowsfis, nur etwa eine halbe Meile entfernt ſtand.
Herr Schandarowsfi unterhielt jich eben mit Nochus Kowalski,
323
der einen Befehl des Kaſtellans überbracht hatte, als beide
gleichzeitig den daherjagenden Stalljungen gewahrten.
„Was zum Teufel hat das zu bedeuten?“ vier Herr
Schandarowsfi. „Der Kerl reitet wie toll und dazu noch auf
einen ungejattelten Füllen?“
„Es iſt ein Bauernjunge,“ bemerkte Kowalski.
Der Junge war inzwiſchen bis dicht an die erſten Reiter
herangekommen; das Pferd desſelben wäre unfehlbar weiter—
geraſt, wenn es nicht plötzlich vor den Menſchen und Pferden
geſcheut und ſich auf die Hinterbeine geſetzt hätte. Der Junge
war ſchnell heruntergeſprungen, und während er das Tier feſt
an der Mähne packte, grüßte er die Ritter.
„Was bringſt du neues?“ frug Schandarowsfi näher—
tretend.
„Die Schweden jind bei uns in der Pfarrei; jie jagen,
der König jelber iſt unter ihnen!“ berichtete der Junge mit
leuchtenden Augen.
„Sind e8 viele?“
„Es werden nicht über zweihundert Pferde jein.“
Nun leuchteten die Augen Schandarowsfis auf. Doc er
fürchtete Verrat, deshalb herrichte er den Jungen an:
„Ber hat dich geſchickt?“
„Wer ſollte mich ſchicken? Ich bin von ſelbſt auf den
Einfall gefommen, das Füllen aus der Hürde zu nehmen, weil
fie mich ſonſt gejehen hätten. Ich bin dabei geitolpert und
habe die Mütze verloren.“
Die Wahrheit jprach aus den Augen des Jungen. Man
jah ihm an, wie er jich freute, den Schweden einen Schaden
zufügen zu fünnen. Die Wangen brannten ihm, mit der einen
Hand die Mähne des Pferdes haltend, blickte er den Offizieren
freimütig in die Augen, das Haar flatterte ihm im Winde und
unter dem weitgeöffneten Hemd jah man die Bruft ſich ſchnell
heben und jenfen.
„Und wo find die anderen Schweden?“ frug Schandarowstfi,
„Es graute faum, da wälzten jich ihrer jo viele durch
das Dorf, daß wir fie nicht zählen fonnten. Die find aber
weiter geritten, nur die zweihundert Neiter jind dageblieben;
einer jchläft beim Hochwürden. Sie jagen, es ijt der König.“
Darauf jagte Schandarowski:
„Sunge! Wenn du lügft, verlierjt du den Kopf; ſprichſt
du die Wahrheit, jo fannjt du bitten, um was du willit.‘“
Der Junge neigte ſich vor ihm bis auf den Steigbügel.
21*
324
„sch rede die Wahrheit, Herr Offizier, jo wahr ich geſund
bleiben will! Cine Belohnung mag ich nicht, nur — wenn
mir der Herr Offizier einen Säbel jchenfen wollte... .“
„Sebt ihm doch ein eijernes Hiebwerkzeug,“ rief Schan=
darowski jeinen Leuten zu. Gr war jetzt überzeugt, daß der
Junge nicht log.
Die anderen Offiziere frugen ihn noch, wo das Dorf
liege, wo der Herrenhof und die Pfarrei, was die Schweden
thäten.
„Die Hundejeelen bewachen ihn!“ antwortete der Junge.
„Wenn ihr geradewegs hinwolltet, könnten jie euch ſehen; ich
will euch aber hinter dem Erlenbuſch herumführen.“
Der Befehl zum Satteln wurde bald gegeben, die Fahne
marjchierte ab; fie ritten erit im Trab, dann im Galopp. Der
Junge ritt ohne Sattel, ohne Zaumzeug, die Hände in Die
Mähne vergraben auf jeinem ‚Füllen, vor dem eriten Gliede.
Er jpornte das Tier mit den blanfen Ferien und Tiebäugelte
glücitrahlend mit dem Kurzſäbel, den man ihm gejchentt.
Als das Dorf in Sicht fam, lenkte er von der Landſtraße
in einen Weidenweg, auf welchem er die Reiter in ein Erlen-
gebüjch führte, in welchem der Boden jehr aufgeweicht und naß
war. Sie famen hier nur langjam vorwärts.
„Stille! Stille!“ mahnte der Junge „Hinter den Erlen
liegen jie rechts, ein Viertelgewände weit fort.“
Die Neiter jchlichen jich auf dem schlechten Wege ganz
feife heran. Die Pferde verjanfen bis an Die Kniee im
Schlamm. Endlich wurden die Erlen lichter, jie waren am
Nande des Wäldchens.
Etwa dreihundert Schritte vor jich, erblichten ſie auf einer
kleinen Anhöhe einen geräumigen Hof, in dejjen Mitte das
Pfarrhaus, umgeben von Lindenbäumen, jtand. Zwiſchen den
Lindenbäumen jtanden die Strohbeuten eines Bienenjtandes.
Im Hofe jelbit bewegten jich gegen zweihundert Schweden in
Helmen und PBanzerı.
Die riejenhaften Neiter ſaßen auf riefigen Pferden, die
recht herunter gefommen waren. Sie hatten teil3 Säbel, teils
Musfeten in der Hand und blicten jehr aufmerkfjam nach dem
Hauptiwege Hin, woher nach ihrer Meinung allein Gefahr drohen
fonnte. Eine mächtige blaue Fahne mit dem gelben Leu wehte
über ihren Köpfen.
Weiter rings um das Haus jtanden Wachen zu je zwei
Mann. Die eine diefer Wachen jtand mit der Frontſeite nad)
325
den Erlen zu. Die Sonne jchien aber jehr hell und blendete,
während die Erlen, jchon im üppigen Blätterjchmud, ganz im
Dunkel lagen. Darum fonnte der Wachtpojten die Polen
nicht jehen.
In Schandarowsfi wallte es heiß auf, aber er bezwang Jich
und wartete, bis die Glieder fich geordnet. Unterdeſſen hatte
Rochus Kowalsfi dem Jungen die Hand auf die Schulter gelegt.
„Höre einmal, Bremje!“ jagte er. „Haſt du den König
gejehen ?“
„Sch habe ihn gejehen, gnädiger Herr!” flüjterte der Bengel.
„Wie jieht er aus? Woran fennt man ihn?“
„Er hat ein ganz jchwarzes Gejicht und trägt ein rotes
Band an der Seite.“
„Würdejt du jein Pferd erfennen ?“
„Das Pferd iſt auch ein Rappe mit einer Bläfje.“
„Junge, halte dich an meiner Seite und zeige mir ihn!”
„But, Herr! Rüden wir bald los? ...“
„Dalte das Maul!“
Ste verjtummten beide, Herr Noch betete zur heiligen
Jungfrau um die Gnade, den König im jeine Hände zu be-
fommen.
Einen Augenblid noch blieb alles jtil. Da jchnaufte das
Pferd Schandarowsfis. Der Wachtpoften blickte jcharf nach
diejer Seite hin, erbebte und gleich darauf feuerte er jeine
Piſtole ab.
„Allah! Allah! Borwärts! Schlagt zu!“ Hallte es in den
Erlen wieder. Und wie das böje Wetter jtürzte die polnifche
sahne hervor. Che noch die Schweden alle Front machen
konnten, hatte das Handgemenge, der Kampf auf Rapiere und
Säbel jchon begonnen, denn zum Schießen famen die Schweden
nicht. Im nächiten Augenblik waren jie an den Zaun ges
drängt, welcher dem Drud der jchweren jchwedischen Pferde
nachgab und in Stücke ging. Zweimal verjuchten e3 die Schweden,
jich wieder zu jammeln und eine Kolonne zu bilden, Doch immer
wurden jie wieder auseinander gejprengt.
Plötzlich riefen einige weinerliche Stimmen:
„Der König! Der König! Rettet den König!”
Rtarl Guſtav war gleich nach dem erſten Kriegsruf der
Polen aufgeſprungen, und mit der Piſtole in der Hand, den
Säbel zwiſchen den Zähnen, in die Thüre des Hauſes getreten.
Der Reiter, welcher ſein Pferd hielt, führte es gleich vor und
half dem Könige in den Sattel, worauf Karl Guſtav ſogleich
326
zwijchen den Linden und Bienenjtöden hindurch aus der Schuß—
linie der Bolen zu fommen juchte. Am Zaune angelangt, ſetzte
er über diejen hinweg und ſtieß zu den Neitern, welche ſich
wader gegen den rechten Flügel der Polen verteidigten, der das
Haus umgangen und die Schweden im Nüden überfallen hatte.
„Flieht!“ rief der König, während er mit einem fräftigen
Stoße jeines Schwertes den Polen niederjchlug, welcher jchon
die Waffe gegen ihn erhoben hatte und mit einem Sate jeines
Pferdes die Linie der Angreifer durchbrochen hatte. Seine
Neiter folgten ihm und fort ging es; wie ein Nudel von den
Windhunden verfolgter Rehe jagten jie davon, Hinter ihrem
Führer ber.
Die polnischen Reiter jegten ihnen nad) und nun begann
eine Heße. Die einen und die anderen waren auf die Land—
ftraße gefommen, die von Rudnik nad) Bojanowfa führt.
Man hatte jie vom Pfarrhofe aus gejehen und die dort Zurück—
gebliebenen hatten jet eben ausgerufen:
„Der König, der König! Rettet den König!“
Doch die Neiter auf dem vorderen Pfarrhofe waren durd)
Schandarowsfi jo jehr bedrängt, daß fie an die eigene Nettung
nicht mehr denken fonnten, gejchweige an die des Könige. So
war für Karl Guſtav feine andere Bededung geblieben, wie
etwa zwölf Reiter, während die Zahl der Verfolger nahezu die
dreißig erreichte, an deren Spite Rochus Kowalski ritt.
Der Stalljunge, welcher ihm den König zeigen follte, war
ihm im Gewühl des Gefechtes doch von der Seite gekommen,
aber Rochus hatte ihn jelbit jchon an der roten Schärpe er-
fannt. Er glaubte den Augenblid gefommen, wo unjterblichen
Ruhm zu erringen ihm bejtimmt war, deshalb jtürmte er, das
Pferd ſcharf jpornend, wie der Wirbelwind dem fliehenden
Monarchen nad).
Die Fliehenden jpannten die legte Kraft ihrer Pferde an,
jo dat jie Hinzujtürzen drohten. Die jchnellfühigen, leichteren
der Polen hatten fie fajt eingeholt. Allen voran war Rochus.
Er jtellte fi) im Bügel auf, um bejjer zufchlagen zu Fünnen.
Den erjten Neiter, den er erreichte, jchlug er mit einem mäch-
tigen Hiebe nieder, dann jagte er weiter, den König immer fejt
im Auge behaltend. Auch dem nächiten, dritten, vierten Reiter
jpaltete er den Kopf, die anderen überließ er jeinen Leuten,
während er unentwegt jeinem Ziele, dem Könige, zuiteuerte.
Der Raum, der ihn von Karl Gujtav trennte, wurde
immer fleiner; zwei Reiter und wenige Pferdelängen befanden
327
fich) noch zwijchen ihnen. Da jaujte ein Pfeil an dem Ohre
des ergrimmten Verfolger vorüber und blieb im Nücden des
ihm zumächit fliehenden Schweden ſtecken. Jener ſchwankte nad)
rechts, dann nach Links, jchlug Hinten über und fiel, einen
viehiichen Schrei ausſtoßend, aus dem Sattel.
Noch ein Neiter nur trennte ihn jegt vom Könige. Aber
diefer eine wollte erjichtlich mit Hingabe jeines Yebens den
Monarchen zu retten juchen, denn jtatt weiter zu fliehen, wandte
er plöglich jein Rot und bot dem Verfolger die Stirn. Als
Rochus ihn erreicht hatte, fiel auch diefer wie alle die anderen
mit einem Diebe hingeitredt vom Pferde.
Am liebjten hätte auch der König fein Pferd gewendet,
um jich den Todesjtreich zu holen, aber die anderen Verfolger
waren inzwilchen näher gefommen, Pfeile ſauſten ihm um die
Ohren; er war jeden Augenblid in höchſter Gefahr verwundet,
zu werden. So drüdte der König feinen Kopf feſt auf den
Hals des Pferdes und noch einmal fein braves Tier zur Ans
jpannung aller Kraft jpornend, flog er auf demjelben wie eine
Schwalbe dahin.
Nochus gab dem einigen nicht nur die Sporen zu fühlen,
jondern trieb es noch mit dem flachen Säbel zum Weitereilen
an. Und num flogen die beiden Reiter an Bäumen, Steinen,
Weidenbüfchen vorüber, daß der Wind ihnen um die Ohren
jaujte. Dem Könige flog der Hut vom Kopfe, er bemühte ich,
während des Nittes auch jeinen Uniformrod abzuwerfen, in der
Hoffnung, daß dem Verfolger nach Beute gefütten und er jich
mit den Sachen begnügen werde. Aber Kowalski würdigte fie
faum eines Blides; er ließ nur immer fräftiger den Säbel
auf die Flanken jeines Pferdes fallen, daß es laut jtöhnte, und
jchrie dabei aus vollem Halje halb drohend, halb bittend:
„galt! Beim barmherzigen Gotte, halt!“
Da itrauchelte das Roß des Königs jo heftig, daß es
gefallen wäre, wenn der Monarch es nicht feit im Zügel in
die Höhe gerijjen hätte.
Rochus brüllte vor Vergnügen. Er war dem Könige
durch diejen Zwijchenfall viel näher gekommen.
Nocd einmal Ätrauchelte das Pferd vor ihm und wieder
fam er näher, obgleich der König fein Tier noch einmal in die
Höhe riß.
Rochus richtete ich chen im Sattel auf, um zum Schlage
auszuholen, denn nur noch eine winzige Strede trennte ihn
von dem Berfolgten. Er jah jchredlich aus... Die Augen
328
waren ihm aus den Höhlen getreten, die Zähne bligten weiß
— dem rötlichen Barte . .. Noch ein Straucheln, ein
urzer Augenblick und das Los der Republik, Schwedens, des
ganzen Krieges war entſchieden.
Doch das Roß des Königs ſchien neue Kraft zu gewinnen,
es griff wieder ſchneller aus, der König aber wandte ſich um
und ſchoß aus den Läufen zweier Piſtolen ſchnell nacheinander
zwei Schüſſe ab.
Eine der Kugeln zerſchmetterte dem Pferde des Rochus
die Knieſcheibe des einen Vorderbeines; es ſtieg erſt kerzengerade
in die Höhe, dann fiel es auf den geſunden Vorderfuß zurück
und tauchte mit den Nüſtern in den Sand.
Jetzt hätte Karl Guſtav ſeinen Verfolger leicht töten
können, doch in der Entfernung von etwa zweihundert Schritt
famen die anderen Verfolger nad). Er drüdte daher jeinen
Kopf wieder in die Mähne des Pferdes und flog wie ein Pfeil
davon.
Rochus nejtelte jich unter dem gefallenen Tiere hervor...
Einen Augenblid jtarrte er dem Fliehenden wie blödfinnig nach,
dann fchwankte er wie ein Betrunfener, jegte fic) auf den Weg
nieder und brüllte wie ein wildes Tier.
Der König entjchwand immer mehr und mehr den Bliden
der Nachjegenden. Zuletzt jahen jie noch, wie er langjamer zu
reiten begann und im Dunkel des nächiten Stiefernwaldes ver-
ſchwand.
Unter Geſchrei und großem Lärm hatten die anderen
polnischen Weiter jegt ihren Gefährten erreicht. Es waren
etwa fünfzehn, denen die Pferde jtandgehalten hatten. Der
eine trug den Weberrod des Königs, ein anderer den Hut, auf
welchem die jchwarzen Straußenfedern mit einer Spange von
Diamanten befejtigt waren. Dieje beiden riefen jchon von ferne:
„Das it dein, das ijt dein, Waffenbruder! Das fommt
dir zu!“
Und andere jchrieen dazwijchen:
— du denn, wen du verfolgt haſt? Den Karolus
ſelbſt!“
„Er iſt ſein Lebenlang ſicher vor niemandem ſo ausgeriſſen,
wie dor dir, du kannſt dir etwas auf dieſen unſterblichen Ruhm
einbilden, Kavalier! . . .“
„Wie viel Reiter er noch u ‚umgebracht hat, ehe er dem
Könige jo hartnädig nachjegte! . .
329
„Um ein Haar hätte dein Schwert das Gejchid der Re—
publik gewendet!“
„Da nimm den Ueberrod!“
„Nimm den Hut!“
„Schade um den Gaul, aber du kannſt zehn jolcher für
die erbeuteten Schäße faufen!”
Während Nochus das alles ruhig über ſich ergehen lieh,
itarrte er wie blödjinnig vor fich Hin. Wlöglich brüllte er
jie an:
„sh bin Kowalski“, jagte er „und das hier (auf jeinen
Säbel jchlagend) ijt meine Frau Kowalska. Schert euch zu allen
Teufeln!!“
„Er hat den Verſtand verloren!“ riefen alle durcheinander.
„Ein Pferd, gebt mir ein Pferd! Vielleicht hole ich ihn
noch ein!“ rief Rochus.
Doch die Kameraden faßten ihn trotz ſeines Sträubens
unter den Armen und führten ihn nach Rudnik zurück, unter—
wegs bemüht, ihn zu tröſten und zu beruhigen.
„Du haſt es ihm eingetränkt!“ riefen ſie. „Wohin iſt es
nun mit ihm gekommen, mit ihm, dem Sieger, dem Vernichter
ſo vieler Städte, Reiche und Armeen!“
„Haha! Er Hat die polnischen Kavaliere kennen gelernt!“
„Er wird die Nepublif bald im Magen haben. Es wird
ihm bald zu enge bei uns werden!“
„Bivat Rochus Kowalski!“
„Bivat! Vivat dem tapferiten Ritter, dem Stolz der
Armee!“
Man trank ihm aus den Feldflaſchen zu. Er trank die
ihm dargereichte bis auf den legten Tropfen aus, darnach
jchien er etwas getröjtet.
Während jich das auf der Landſtraße begeben hatte, ver-
teidigten die anderen Reiter auf dem Pfarrhofe ihr Leben
mit der, einer jo ausgezeichneten Truppe würdigen Tapferkeit.
Obgleich durch den umvermuteten Weberfall überrumpelt und
augeinandergerijjen, hatten jie fich doch jchnell um ihre blaue
Fahne wieder zujammengefunden. Auch nicht einer bezeigte Luſt,
ji zu ergeben. Schulter an Schulter gedrängt, jtachen ſie
mit ihren NRapieren jo wütend um jich, daß eine Weile ihnen
der Sieg gewiß jchien. Man mußte fie wieder auseinander
zu bringen verjuchen, was faum möglich war, oder ſie bis auf
den legten Mann niederhauen. Schandarowsfi umſchloß das
Karree mit einem dichten Ringe und warf fich jelbit auf den
330
Feind, wie ein rufjischer Geierfalfe auf ein Volk langjchnäbe-
liger Kraniche. Es entitand ein entjegliches Handgemenge.
Die Säbelklingen Fflirrten mit den Rapieren zujammen, Die
Napiere zerbrachen an den Griffen der Säbel. Bon Zeit zu
Zeit bäumte ein Pferd und jtieg aus dem Getümmel Hoch
empor, wie ein Delphin, der ſich aus jchäumenden Wogen
erhebt. Das Gejchrei war verjtummt, man hörte nur das
Geklirr der Waffen, das Quieken der Pferde und das laute
Atmen der nach Luft ringenden Kämpfer. Die Barteien waren
mit ungewöhnlicher SHeftigfeit aufeinander gepralti. Mean
fämpfte jelbjt mit zerbrochener Waffe, riß ſich gegenjeitig die
Haare aus, raufte die Schnurrbärte, big mit den Zähnen um
jich, warf ji) aus den Sätteln. Diejenigen, welche von den
Pferden gejtürzt waren und jic noch auf den Beinen erhalten
fonnten, jtießen ihre Meſſer in die Bäuche der Pferde, in die
Waden der Reiter. Die Menjchen ſchienen jich zu Niejen
auszuwachjen in diefem Gebrodel von Dampf und Blut.
Noch immer jchwebte die blaue Fahne über dem Häuflein
Schweden, welches von Minute zu Minute Eleiner wurde.
Wie die Schnitter von zwei Seiten des Aehrenfeldes mit
dem Mähen beginnend der Mitte desjelben zuitreben und ſich
immer näher fommen, jo auch zog jich der Ning der Polen
immer enger um das Häuflein Feinde und ſchon fonnten die
Säbelenden einander erreichen.
Herr Schandarowsfi wütete und fraß jich förmlich in das
Karree der Schweden ein, aber einer übertraf ihn noch an Wut
und Graufamfeit. Diejer eine war der Stalljunge, welcher die
Nachricht von der Anweſenheit des Königs im Pfarrhofe den
Polen überbracht hatte. Das Füllen des Geijtlichen, welches
bisher lammfromm über den gefrorenen Boden gejchritten war,
ſchien, beengt und gequetjcht von dem Drängen der Menjchen
und Tiere, gleich jeinem jungen Reiter toll geworden zu jein.
Mit eingezogenen Ohren, geiträubter Mähne, hervor—
quellenden Augen und jchnaubenden Nüjtern, drängte es mitten
in das Getümmel hinein, big und jchlug um jich wie jein Herr.
Der Junge jchlug blindlings mit jeinem Säbel drein. Die
Hiebe trafen rechts und links. Seine hellblonden, langen Haare
flatterten ihm um Hals und Geficht, welches jchon mehrfache
Wunden aufzuweifen hatte, und trieften von Blut. Die Waden
und Arme waren von Napierjtichen zerfegt, aber gerade dieſe
Wunden jtachelten jeine Wut aufs äußerſte. Er focht wie einer,
331
der an der Erhaltung des Lebens verzweifelt und feinen Tod
noch bei den Lebzeiten an den Feinden rächen will.
E3 war zulegt nur ein kleines, winziges Häuflein um die
Standarte zurücdgeblieben. Einem Haufen Schnee gleich, welcher
mit fochendem Wafjer begojien wird, war das Karree zuſammen—
gefallen. Wie Ameijen frabbelten die Bolen auf den Trümmern
derjelben herum. Tapfer und mutig waren die Feinde in den
Tod gegangen, feiner hatte um Gnade gefleht.
„Nehmt die Fahne!“ wurden jegt Stimmen laut. „Nehmt
die Fahne!” Als der Stalljunge das hörte, jpornte er mit
einem Mefjerftich jein Füllen, dieſes jprang mit einem langen
Sate vorwärts, und da jeder der Schweden, der noch bei der
Standarte aushielt, e8 bereits mit zwei bi drei Feinden auf-
zunehmen hatte, verjegte er dem Fahnenträger mit dem Säbel
einen Hieb über das Geficht, daß er die Arme ausbreitend, die
sahne den Händen entgleiten ließ und mit dem Kopfe auf den
Hals jeines Pferdes fiel.
Die blaue Fahne jenkte fich und fiel langjam nieder.
Der nächititehende jchwedijche Reiter jchrie laut auf umd
griff nad) der Stange, der Junge aber packte das Leinentuch
derjelben und riß daran, bis die Nägel jich locderten und das
Tuch ihm in den Händen blieb. Er widelte es zu einem Knaul
zuſammen, preßte es feſt an die Bruſt und jchrie, was er aus
dem Halje bringen fonnte:
„Sch Habe fie, ich habe fie und gebe fie nicht her.“
Die noc lebenden legten Reiter warfen fich wutentbrannt
auf den Fahnenräuber. Er befam noch einen Stich, der auf
die Brujt gerichtet war, aber durch die Fahne geichwächt, nicht
mehr viel Schaden anrichtetee Im jelben Augenblid fielen
auch die lebten des tapferen Häufleins.
Eine Anzahl Arme jtrecdten jich nach dem Stalljungen aus.
„Die Fahne her! Gieb die Fahne,“ riefen mehrere Stimmen
gleichzeitig.
Man verjuchte jie ihm zu entreißen. Da jprang Schanda-
rowski ihm zu Hilfe.
„Laßt ihn zufrieden!“ befahl er. „Er hat fie vor meinen
Augen erobert, er foll jie auch jelbjt dem Kajtellan übergeben.“
„Da kommt der Kajtellan, da fommt der Kajtellan! . . .“
hörte man plöglich rufen.
Thatjächlich wurde Pferdegetrappel laut, eine Kriegsfanfare
wurde geblajen und von der Grudzer Seite her jah man eine
Fahne Reiter der Pfarrei zugeiprengt fommen. Es war die
332
Laudaer Fahne, von Tſcharniezki jelbjt angeführt. Als er wahr-
nahm, daß er zu jpät fam und alles vorüber war, hielt er
jein Pferd an.
Schandarowski jprang ihm gleich entgegen, um Bericht zu
erjtatten. Er war aber jo erjchöpft, daß er anfangs fein Wort
hervorbringen fonnte und bebte, wie vom Fieber geſchüttelt.
Endlich vermochte er zu jtammeln:
„Der König jelbit war hier... ich weiß nicht, ob er
entfommen tit ... .“
„Er iſt entflohen!“ meldeten diejenigen, welche die Ver—
folgung beobachtet hatten.
„Die Fahne ijt erobert! ... Eine Menge Gejallene! .. .“
Ticharniezfi ritt, ohne ein Wort zu jprechen, auf das
Schlachtfeld, welches einen entjeglih traurigen Anblid bot.
Weit über zweihundert Schweden und Polen lagen bier dicht
neben= und übereinander . . . Welche von ihnen hielten noch
frampfhaft die Haare, die jie gerauft, viele bifjen noch im
Todesfampfe auf die Feinde mit den Zähnen ein, andere lagen
in brüderlicher Umarmung, oder lagen mit dem Kopfe auf der
Bruſt des Todfeindes ... Viele waren bis zur Unfenntlichkeit
von den Huftritten der Pferde zermalmt. Die Luft war mit
dem Geruche des Menjchenblutes und dem Schwei der Pferde
durchtränft, daß man faum atmen konnte.
Der Kaitellan blickte auf dieſe Gräuel mit dem Auge des
Herrn, der die Getreidegarben zählt, die in den Banjen gebracht
werden jollen. Befriedigung leuchtete aus jeinem Geſicht. Er
umritt den ganzen Pfarrhof, bejah die Leichen, welche auf
der anderen Seite hinter dem Garten lagen, dann fehrte er
langjam zurüd.
„Ihr habt wader gearbeitet,“ jagte er. „Sch bin mit euch
zufrieden, meine Herren!“
Bon blutigen Händen geworfen, flogen die Müten aller
Anwejenden hoch in die Luft.
„Vivat Tſcharniezki,“ tönte es aus hundert Stehlen,
„Vivat!“
„Gott gebe uns bald wieder ein Treffen! ... Vivat!
Vivat!“
Und Tſcharniezki ſagte:
„Ihr werdet zur Nachhut gehen, damit ihr ausruhen könnt.
Wer hat die Fahne genommen, Schandarowski?“
„Bringt den Jungen her!“ befahl Schandarowsfi. „Wo
iſt er?“
333
Die Soldaten beeilten jich, ihn zu ſuchen und fanden ihn
in einem Winfel des Bferdejtalles neben feinem Füllen hockend,
welches joeben jeinen Wunden erlegen war. Im erjten Augen
blit konnte man glauben, auch der Junge werde bald jeinen
festen Atemzug aushauchen; er jaß regungslos, den Kopf an
die Wand gelehnt, mit beiden Händen hielt er die Fahne feſt
an die Bruſt gepreht.
Man hob ihn auf und die Soldaten trugen ihn vor den
Kajtellan, wo jie ihn auf die Füße jtellten. Barfuß, mit zer-
zauſtem Haar, die Brujt entblößt, das Hemd und der Sittel
in eben, blutbefledt jtand er vor Schwäche jchwanfend, kaum
einem menjchlichen Gejchöpf ähnlich vor dem General. Nur in
den Augen des Jungen war das Feuer der Begeiſterung noch
nicht erlojchen. Ueberraſcht von jeinem Anblid frug der
General eritaunt:
„ie, diefer? Der hier hat die Königsitandarte erobert?“
„Mit eigener Hand und mit dem eigenen Blut!“ ant—
wortete Schandarowsfi. „Er war es auc), der ums die Nach-
richt brachte, daß die Schweden jamt dem Könige hier find.
Dann hat er hier jo viel vollbracht, daß er uns alle über—
troffen hat!“
„Das ift wahr! Die reinite Wahrheit!“ riefen die Sol-
daten im Chor.
„Wie heißeſt du?“ frug Tieharniezfi den Jungen.
„Michalef!* lautete die Antwort.
„Wem gehörit du?“
„Ich gehöre zum Pfarrhofe.“
„Sut! Bisher warst du Stnecht im Pfarrhofe, von nun
an jollit dur dein eigener Herr jein!“ antwortete ihm der
Kaſtellan.
Aber Michalek hörte dieſe Worte nicht mehr. Er war
von dem Blutverluſte ſo ſchwach, daß er plötzlich ohn—
mächtig wurde und mit dem Kopfe an den Steigbügeln des
Kaſtellans ſchlug.
„Nehmt ihn auf, laßt ihm alle Sorgfalt angedeihen. Ich
werde dafür ſprechen, daß er in der nächſten Sitzung des
Reichsrates in den Adelſtand erhoben wird. Er werde euch gleich
an weltlichem Range, wie er euch an Seelenadel gleicht!“
„Das verdient er! Er verdient es!“ rief es durch—
einander.
Man legte ihn auf eine Tragbahre, die in der Eile her—
geitellt wurde, und trug ihn in das Pfarrhaus.
334
Ticharniezti nahm nun Die weiteren Berichte entgegen;
doch nicht mehr Schandarowski war Berichteritatter, jondern
jene, welche die Verfolgung des Königs durch Herrn Rochus
mit angejehen hatten. Der General war hocherfreut durch die
Erzählung der Leute, denn er war überzeugt, daß nach den
heutigen Borgängen der Mut der jchwediichen Armee voll:
jtändig gebrochen jein müſſe.
Nicht weniger erfreut war Herr Sagloba. Mit unter-
geitemmten Armen wandte er fi) an die Ritter umd
ſprach ſtolz:
„Ha! Der Raufbold! Wie? Wenn er den Karolus ein—
geholt hätte, hätte kein Teufel ihm ihn wieder abgejagt!
Mein Blut verleugnet ſich nicht, nein, es kann ſich nicht
verleugnen!“
Sagloba hatte im Laufe der Zeit ſich jo lange ſeine Ver—
wandtjchaft mit Rochus eingeredet, dab er jchließlich ſelbſt daran
glaubte.
Herr Ticharniezfi hatte den jungen Nitter juchen lafjen,
man fonnte ihn aber nirgends finden, denn Herr Rochus hatte
ji) aus Kummer über die ihm widerfahrene Enttäujchung und
aus Scham über das Mißlingen jeines Vorhabens in Die
Scheune verjtedt. Er war in den mit Stroh gefüllten Banjen
geitiegen, hatte ich in das Stroh eingewühlt und war jo feit
eingejchlafen, daß er erit am nächiten Morgen erwachte und
jeiner Fahne nacheilen mußte. Er jchämte ſich aber noch jo
jehr, daß er nicht wagte, dem Ohm unter die Augen zu treten.
Diefer mußte ihn ſelbſt auffuchen und tröjten.
„Sräme dich nicht Rochus!“ jagte er. „Du haſt ohnehin
große Ehre eingelegt. Ich habe mit eigenen Ohren gehört, wie
der Herr Kajtellan dich rühmte. Seht nur, jagte er, man dent,
der Dämlaf fann nicht bis drei zählen und nun entpuppt er
ſich als feuriger Kavalier, welcher die Reputation der ganzen
Armee gehoben hat!“
„Bott hat es mir nicht gejegnet,” jagte Nochus, „denn ich
hatte mich am Tage vorher betrunfen und abends nicht gebetet!“
„Verſuche niemals den Willen Gottes zu ergründen, damit
du nicht läjterjt. Nimm auf dich, was du auf dem Rüden fort-
tragen fannit, aber denfe über nichts nach, jonjt gerätit du auf
Irrwege.“
„Ach, ich war ſchon ſo nahe, daß der Schweiß ſeines
Pferdes mir in die Naſe fuhr. Ich hätte ihn bis auf den
335
CSattelfnopf gejpalten. Ihr denkt wohl, Ohm, dat ich gar feinen
Verſtand habe!“
Darauf erwiderte ihm Sagloba:
„sedes Vieh hat feinen eigenen Verſtand. Du biit ein
braver Sterl, Rochus, du wirjt mir noch manche Freude machen.
Gott gebe, daß deine Söhne einmal deinen Bauernverjtand
erben!“
„Sch brauche feine Söhne,“ jagte Roch. „Ich bin Noch
Kowalsfi und hier, das Schwert an meiner Seite, ijt Frau
Kowalsfa . . . .“
7. Rapitel,
Nach den Vorgängen in Rudnik 309 die ſchwediſche Armee
immer weiter hinein in dem Seil, welchen der Zujammenfluß
der San mit der Weichjel bildet. Der König befand jich von
da an immer bei der Nachhut, denn er war ein Mann von
unvergleichlihem Mute. Tſcharniezki, Lubomirski und Witowsfi
blieben ihr immer Dicht auf den ‚serien. Andere freiwillige
Barteien jchloffen jich der Jagd an, der jchmwediiche Löwe
lief freiwillig in das Neg, aus dem ein Entrinnen faum mög:
lich war.
Endfih waren jie dort angelangt, wo die San in die
Weichſel mündet; der König atmete auf und auch die Soldaten
ichöpften neuen Mut. Bon einer Seite bot ihnen die Weichjel,
von der anderen die breit ausgetretene San jicheren Schuß.
Die dritte Seite des Dreiecks befeitigte der König mit mächtigen
Schanzen, auf welchen die Gejchüge aufgepflanzt wurden.
Die Bojition war uneinnehmbar, höchitens der Hunger
fonnte der jchwedischen Armee jest noch etwas anhaben. Aber
auch in diejer Beziehung hatte jich ihre Lage verbeſſert, da die
Hoffnung nahe lag, daß man zu Waffer aus Strafau und
anderen an der Weichjel liegenden Städten leicht die notwendigen
Lebensmittel herbeischaffen Eonnte. Die nächite Diefer Städte
war Sandomir. Dort hatte der schwedische Hauptmann Schynkler
bedeutende Vorräte angehäuft. Er verjorgte auch bald das
Yager mit Speife und Trank für Mann und Roß; man aß
und trank jich einmal wieder jatt und die Schweden jangen
Dankpjalmen, um Gott für die Rettung aus jo jchweren Nöten
zu danken.
337
Herr Ticharniezfi aber jann auf neue Plagen für die
Schweden. Sandomir mußte den Schweden wieder entrifjen
werden. Dieje Feſtung durfte nicht länger in den Händen der
Feinde bleiben, damit diejen die Nahrungszufuhr abgejchnitten
wurde.
„Wir werden ihnen ein fürchterliches Schaufpiel bereiten,“
jagte Ticharniezfi im Kriegsrat, „denn fie werden unthätig zu-
jehen müfjen, wie wir die Stadt belagern und einnehmen,
während der reißende Fluß fie hindern wird, ihr zu Hilfe zu
fommen. Haben wir aber Sandomir wieder gewonnen, dann
fchneiden wir ihnen die Zufuhr von Lebensmitteln ab, indem
Kon die Kähne, die Wirk von Krafau aus jchieft, nicht pajfteren
lajien.“
Herr Lubomirski, Witowsft und andere alte Strieger wider-
rieten diejem Unternehmen.
„Es wäre ja jehr gut,“ jagten die Herren, „wenn wir
Herren dieſer bedeutenden Stadt werden fünnten, denn von
dort aus würden wir den Schweden viel jchaden. Wie aber
wollen wir jie in unjere Hände befommen? Wir haben weder
Fußſoldaten, noch große Gejchüge, und die Weiter fünnen doch
feine Mauern jtürmen !“
„Sind denn unjere Bauern etwa schlechte Fußſoldaten?
Mit einem paar Taujend jolcher Michalef3 würde ich nicht
allein Sandomir, jondern jogar Warjchau zu erobern mich
getrauen!“ entgegnete darauf Tjcharniezfi.
Er achtete auch nicht weiter auf die Einwendungen der
Herren, jondern überjchritt die Weichiel. Kaum war die Nach:
richt davon im die Gegenden jemjeits des Fluſſes gedrungen,
jo jtrömten gleich etliche Taufende Männer, teils mit Senjen,
teil3 mit Gewehren oder Musfeten bewaffnet, herbei und zogen
mit gen Sandomir.
Sie überfielen die Stadt ganz plöglich und unvermutet.
In den Straßen entbrannte ein wütender Kampf. Die Schweden
verteidigten ich mit dem Mute der Verzweiflung von den
Fenſtern und Dächern der Häufer aus, fonnten den Anprall
aber nicht aushalten. Sie wurden erdrücdt und zertreten, wie
elendes Gewürm, der Nejt aus der Stadt gedrängt. Schynfler
zog Sich mit demjelben in die Veſte zurüd, doch die Polen
folgten ihm ohne zu zögern auc) dorthin.
Der Sturm auf die Mauern und Thore begann. Schynkler
erkannte, daß er fich auch hier nicht würde halten fünnen. Er
raffte zujammen, was er an Menjchen, Borräten und Sachen
Sienkiewicz, Sturmflut IL, 22
338
noch jein nannte, verlud es auf Kähne und Schuten und jeßte
über die Weichjel, um zum Könige zu ſtoßen, der, Berzweiflung
im Herzen, vom anderen Ufer aus den ‚Fall jeiner Stadt mit
angejehen hatte, ohme zu ihrer Nettung berbeieilen zu fünnen.
Das Schlo war demnach auch im die Hände der Bolen
gefallen.
Der liſtige Schynfler aber hatte, ehe er fortging, in allen
Kellern des Schloſſes gefüllte Pulverfäſſer mit angezündeten
Lunten zurücgelaflen. Als er vor dem Könige erjchien, erzählte
er diefem zum Troſte jogleich, was er gethan.
„Das Schlo wird mit allem, was darin tt, in die Luft
fliegen,“ jagte er. „Vielleicht it dann Tſcharniezki auch unter
den Getöteten.“
„Das muß ich mit anjehen,“ antwortete der König darauf.
„Es muß ergößlich jein, zu jehen, wie Die frommen Polen
in den Himmel fliegen.“
Und der König blieb am Ufer stehen.
Unterdejlen hatte Ticharniezfi durch Erfahrung und die
Flucht Schynflers vorfichtig gemacht, den Befehl ergehen laſſen,
daß niemand den Schloßhor und das Schloß betreten folle.
Diefem Befehl zuwider waren jedoch eine ganze Menge Volon—
täre und Bauern jofort auf den Schloßberg geeilt, um den
Hof und das Schloß nach veritedten Schweden zu Durchjuchen.
Herr Ticharniezki lieh Alarm blajen, um die Ungehorjamen zur
Rückkehr zur mahnen, doch vergebens.
Ein fürchterlicher Donner ertönte, Die Erde erbebte und
das Schloß flog, einer ungeheuren Feuergarbe gleich in Die
Luft, Erde und Mauerwerk mit fich reißend. Die einſtürzenden
Dächer und Mauern begruben über fünfhundert Menjchen-
feiber, die dem Schredlichen fich durch rechtzeitige Flucht nicht
entziehen fonnten.
Karl Guſtav freute ſich unendlich über das gelungene
Attentat. Mit untergeitemmten Armen rief er ein über das
andere Mal lachend:
„Zum Himmel mit euch, ihr Bolen, auf zum Simmel,
zum Himmel!“
Seine Freude war aber verfrüht, denn Sandomir verblieb
doch in den Händen der Wolen und die Dauptarmee der
Schweden fonnte nicht mehr von dort aus mit Lebensmitteln
verjehen werden. Ste ging trüben Tagen in dem Flußdelta
entgegen.
Herr Ticharniezfi ließ das Yager jenjeit3 der Weichjel
339
abbrechen und überwachte die Ueberführung desjelben nach
Sandomir.
Unterdejien kam Herr Sapieha, der Großhetman von
Litauen, mit jeinen Litauern von der anderen Seite der San
immer näher.
Die Schweden waren num vollfommen eingejchlofien; fie
befanden jich in der ungünstigen Yage, wie in einer Maufefalle.
„Die Falle it zugeflappt!* fprachen die polnischen Sol—
daten zu einander.
Selbit die Neulinge im Kriegshandwerk erfannten, daß das
Verderben wie eine drohende Wetterwolfe über den Eindring-
lingen jich jammelte ... Die einzige Rettung der Armee beruhte
auf einem rechtzeitigen Anmarjch von Hilfstruppen.
Das wußten auch die Schweden jelbit jehr genau. Mit
verzweifelten Blicken betrachteten Offiziere und Mannjchaften
täglich von neuem die jchwarze Reitermaſſe Tſcharniezkis; und
ſich von dieſen abwendend, erblicten jte auch jenjeits der San
nichts Tröitliches, denn dort hatte Herr Sapieha nun jchon
jein Yager aufgejchlagen und bewachte mit Argusaugen jede
ihrer Bewegungen.
So lange die beiden Heere ihre Poſitionen nicht aufgaben,
war weder an die Lleberichreitung der Weichjel, noch der San
zu denfen. Sie fonnten höchſtens auf demjelben Wege nad)
Saroslaw zurücdfehren, auf welchem jie hierher gefommen, doch
das jagte ſich jeder von ihnen, traten jie dieſen Nüchveg an,
dann jah feiner jein ſchwediſches Vaterland wieder.
So vergingen ihnen die Tage in ſchweren Sorgen, die
Nächte voll Unruhen... Die Lebensmittel fingen bereits
an wieder knapp zu werden...
Inzwiſchen hatte Herr Ticharniezfi das Kommando über
die Armee dem Herrn Yubomirsfi auf kurze Zeit übergeben.
Er jelbit jegte, unter der Aijiitenz der Yaudaer Fahne, oberhalb
der Mündung der San über die Weichjel, um den Herrn
Sapieha zu begrüßen und mit ihm die weiteren Verhaltungs—
maßregeln zu beraten.
Es bedurfte dieſes Mal nicht der VBermittelung Saglobas,
um die beiden Heerführer eimander näher zu bringen. Sie
liebten beide das Waterland über alles, jederzeit bereit, ihr
Teuerjtes und Beites ihm zum Opfer zu bringen.
Einer neidete dem anderen nicht den wohlverdienten Ruhm;
fie jchägten jich gegemjeitig jehr, deshalb war auch das Wieder:
22*
340
jeden der beiden Tapferen ein jo freudiges, daß jelbjt den ver-
härtetiten Soldaten die Thränen in den Augen jtanden.
„Die Republik quillt auf, das Vaterland jubelt, | wenn zivei
jolhe Helden einander in die Arme fallen,“ jagte Sagloba zu
Wolodyjowsfi und den Sfrzetusfis. „Tſcharniezki ijt —*—
im Kampfe, aber eine biedere, treue Seele im Frieden, und
Sapieha ein jo gutmütiger Menſch, daß er niemanden zu nahe
treten fann, dabei aber auch ein tapferer Held. Die find beide
nicht im Bett geboren. Die Schweden mühten eine Gänjehaut
befommen, wenn jie jehen würden, wie dieje zwei edlen Männer
jich lieben. Womit haben denn die Feinde bis jet über ung
geliegt? Doc nicht etwa durch ihre Stärke und Tapferfeit?
ein, einzig und allein durch den Neid, den Haß und die Un—
einigfeit unjerer Adligen. Die Seele wird einem warm beim
Anblid eines jolchen Wiederjehens. ch garantiere, daß euch
heute die Kehle nicht trocken bleibt, der Sapieha liebt reiche
ale und wird einem jolchen Verbündeten mit nichts
argen.“
„Bott iſt guädig! Das Böſe unterliegt! Gott Hilft!“
jagte Johann Skrzetuski.
„Siehe zu, daß du nicht läſterſt,“ verjegte Sagloba. „Alles
Böſe muß unterliegen, denn wenn es ewig währte, wäre das
ein Beweis, daß nicht der Herr Jeſus mit jeiner unbegrenzten
Barmherzigkeit, jondern der Teufel die Welt regiert.“
Weiter fam er nicht, denn in dieſem Augenblid jahen
die Freunde die hohe Geſtalt Babinitjchs in der Nähe auf-
tauchen. Sie überragte die Umitehenden fait um Kopfeshöhe.
Herr Sagloba und Wolodyjowsfi winkten ihm jogleich, doc)
er war jo jehr in den Anblick Tſcharniezkis verjunfen, daß er
fie nicht jogleich bemerkte.
„Seht einmal,“ bemerkte Sagloba, „wie der Aermſte elend
ausjieht.“
„Er muß nicht viel gegen den Fürſten Boguslaw aus-
gerichtet haben, jagte Wolodyjowski, „Jonit jähe er heiterer aus.‘
„Gar nichts wird er ausgerichtet haben,“ meinte Sfrzetusfi.
„Es iſt ja befannt, day Boguslaw mit Stenbod vor Marien—
burg liegt und die ‚zeitung bejchießt.‘
„Hoffen wir zu Gott, daß fie dort nichts ausrichten.“
Darauf entgegnete Sagloba:
„Und wenn jie auch die ‚zeitung einnähmen! Wir nehmen
inzwijchen den Karolus Gujtavus ne ‚gefangen und tauschen
die Feſtung gegen den König aus .
341
„Da jeht! Babinitjch hat uns bemerkt, er fommt auf ung
zu!“ unterbrach Skrzetusfi.
Er Hatte die Herren wirklich gejehen, und teilte nun mit
beiden Armen die Menge, um zu ihnen zu gelangen, während
er lebhaft mit dem Kopfe nickte und ihnen zulachte. Sie be-
grüßten fich wie gute Bekannte und ‘Freunde.
„Was giebt e3 neues? Was habt ihr mit dem Fürſten
gemacht, Kavalier?“ frug Sagloba.
„Es steht jchlimm! ſehr ſchlimm!“ antwortete Kmiziz.
„Aber zum Erzählen giebt es jegt nicht Zeit. Wir wollen zu
Tiſche gehen; die Herren bleiben zur Nacht hier. Kommt nad)
dem effen zu mir ind Quartier, zu meinen QTartaren. Ich
habe eine geräumige Barade, da fünnen wir beim Glaſe die
Nacht verplaudern.
„Einen jolchen gejcheiten Borjchlag weiſt man nicht von
der Hand,“ entgegnete Sagloba. „Sagt mir nur, wie fommt
es, daß ihr jo jchlecht ausſeht?“
„Der Teufelswicht Hat mich in der Schlacht zugleich mit
dem Pferde niedergejtredt. Seitdem klappere ich wie ein irdener
Topf, der einen Sprung hat und jpeie Blut. Ich kann mich
gar nicht erholen. Dennoch vertraue ich der Barmherzigkeit
Gottes, daß ich ihm noch fein Blut abzapfen darf. Doc) gehen
wir jeßt; ich jehe, die Herren Sapieha und Ticharniezfi be—
Sin bereits, ſich Komplimente zu jchneiden und um den
ortritt zu ſtreiten. Das iſt das Zeichen, daß die Tijche ge-
deckt find. Mit offenen Armen und Herzen haben wir eurer
gewartet, denn auch ihr habt eine Menge Schwedenblut ver-
goſſen.“
„Mögen andere erzählen, was ich geleiſtet,“ ſagte Sagloba.
„Mir * kommt es nicht zu.“
Die ganze Menge bewegte ſich nun dem freien Platze zu,
auf welchem zwiſchen Zelten die Tiſche aufgeſtellt waren. Herr
Sapieha hatte ſeinem alten Freunde zu Ehren einen fürſtlichen
Aufwand entfaltet. Der Tiſch, an welchem der Kaſtellan ſeinen
Platz finden ſollte, war mit eroberten ſchwediſchen Fahnen
gedeckt. Wein und Met floſſen in Strömen aus den Kannen,
ſo daß gegen das Ende des Mahles die beiden Heerführer
etwas angeheitert waren. Man war ſehr luſtig, lachte und
ſcherzte viel, und da das Wetter ſonnig und heiter war, blieb
man lange beiſammen. Endlich trieb die Abendkühle die
Fröhlichen in die Zelte.
Zu dieſer Zeit nahm Kmiziz ſeine Gäſte mit zu ſeinem
342
Tartarentihambul. Sie jegten jich in jeinem Zelt auf lauter
Wagenplanen, die mit allerhand Beuteſtücken vollgepfropft
waren, und ließen ſich von Kmiziz über feine Erlebnifje er-
zählen.“
„Boguslaw foll nach der Anficht der einen bei Marien-
burg jein,“ erzählte er, „während andere behaupten, daß er ſich
beim Kurfürsten befindet und beabjichtigt, mit dieſem gemein-
jchaftlich zum Entjat des Königs herbeizueilen.“
„Um jo beijer!“ jagte Sagloba. „Das giebt ein Zu:
jammentreffen! Ihr Iungen könnt ihn nicht unterfriegen, wir
wollen jehen, was der Alte ausrichten kann! Er hat e8 ja
Ihon mit Berjchiedenen verjucht, nur mit Sagloba nicht. Ich
will e8 mit ihm aufnehmen, es jei denn, daß der Fürſt Januſch
ihn teitamentarifch aufgefordert hat, mich zu meiden; das wäre
nicht unmöglich!“
„Das iſt ja Nebenjache!“ rief Wolodyjowsfi. „Laßt das
beijeite. Erzählt lieber von euren Erlebniſſen, Babinitjch.“
„Wir jind begierig!“ bat Skrzetuski.
Nachdem Kmiziz ein Weilchen geruht hatte, holte er tief
Atem und begann dann von dem legten Feldzuge Sapiehas
gegen Boguslaw, von der Niederlage desjelben bei Janowo,
endlich, wie der Fürſt ſeine Tartaren überritten und ihn ſo
hart getroffen hatte, daß er kaum mit dem Leben davon—
gekommen war.
„sch denke, ihr wolltet ihn mit euren Tartaren bis au
das Ufer des Baltijchen Meeres verfolgen?“ unterbrach ihn
Skrzetuski.
„Erzähltet ihr mir nicht, daß ſeinerzeit auch ihr, der hier
anweſende Johann Skrzetuski, eure Rache für ſpätere Zeiten
aufgeſchoben habt, um der Not des Vaterlandes willen, als
Bohun euch das geliebte Mädchen entführte? Mit wem man
umgeht, deſſen Eigenſchaften nimmt man an. Ich habe mich
euch Herren mit ganzem Herzen in Freundſchaft ergeben und
will dem Beiſpiel der Edlen folgen.“
„Die Mutter Gottes lohne euch dieſe That ſo, wie einſt
dem Skrzetuski,“ verſetzte Sagloba. „Dennoch wünſchte ich,
daß euer Mädchen lieber in der Wildnis wäre, als in den
Händen Boguslaws.“
„Das macht nichts!“ rief Wolodyjowski aus. „Ihr gewinnt
ſie noch zurück!“
„Ich habe leider nicht nur ihre Perſon, ſondern auch ihre
Achtung und Liebe wiederzugewinnen,“ ſeufzte Kmiziz.
343
„Eines wird das andere mac) jich ziehen,“ tröjtete Herr
Michael, „ſolltet ihr ihre Perſon auch mit Gewalt nehmen
müfjen, wie einſtmals. Wißt ihr noch?“
„Das würde ich nie wieder thun.“
Kmiziz atmete jchwer. Die Erinnerung regte ihn jehr auf.
Nach einer Weile fuhr er fort:
„sch habe nicht nur die eine wieder zu erringen, Bogus-
law hat mir auch die andere geraubt.“
„Der reine Türfe! So wahr ich Gott Liebe!“ jchrie
Sagloba.
Und Herr Michael frug Haltig:
„Welche andere?“
„ch, das iſt eine lange Geſchichte,“ antwortete Kmiziz.
„Es war in Samojchtih ein bildhübjches Mädchen, welches
dem Herrn Starojten zu jehr gefiel. Da er aber jeiner
Schweiter, der Fürjtin Wisniowiezfa, Zorn fürchtete, jo wagte
er nicht, in ihrer Gegenwart das Fräulein zu beläjtigen; er
fam daher auf den Einfall, fie unter meinem Schuß zu dem
Herrn Sapieha auf die Neife zu ſchicken, jcheinbar, damit der
Hetman eine Erbichaftsangelegenheit für fie führen jollte, in
Wirklichkeit aber, um fie mir eine halbe Meile von Samojchtich
wieder abjagen und fie in einem abgelegenen Waldhauſe ein-
jperren zu lafjen. Sch aber merkte, wo hinaus der Herr Starojt
wollte ‚Ei, willit du mich zu deinem Helfershelfer machen ?'
dachte ich mir. ‚Warte nur!“ Ich ließ jeine Leute Durchpeitjchen
und brachte das Fräulein im Vollbeſitz ihrer Tugend zu Herrn
Sapieha. ch jage euch, war das ein Mädchen! Glatt wie ein
Stieglig — und fo edel... Ich bin auch nicht mehr, wie ich
früher war und meine Kameraden von ehedem, — Gott habe
fie ſelig! — die find auch längit vermodert!“
„Wer war das Mädchen?“ frug Sagloba.
„Sie war von edler Herkunft, die Reſpektsdame der Fürftin
Wisniowiezka. Sie war mit dem Litauer Podbipienta verlobt,
den ihr ja auch gefannt haben müßt.“
„Anufia Borſchobohata!!“ ſchrie Wolodyjowsft auf, indem
er aufjprang.
Auch Sagloba Hatte ſich jchnell erhoben.
„Herr Michael,“ rief er, „ abt euch!“
Doc; Wolodyjowsfi war wie eine Kate mit einem Satze
neben Kmiziz.
„Und ihr habt fie euch von Boguslaw rauben laſſen?
Ihr Verräter!“
344
„Beſchimpft mich nicht!“ wehrte Amiziz. „Ich habe das
Fräulein glücklich zum Hetman gebracht, habe für fie gejorgt
wie ein Bruder für jeine Schweiter, und Boguslaw hat ſie
nicht mir, jondern einem anderen Offizier geraubt, Namens
Glowbitſch, welcher den Auftrag hatte, jie zu den Töchtern des
Hetman nach Grodno zu bringen.“
„Wo ijt der Offizier?“
„Er lebt nicht mehr; er ſoll bei der Verteidigung des
Fräuleins gefallen jein. So jagten wenigjtens die Offiziere
Sapiehas. Ich jelbit war zu jener Zeit vom Hetman aus-
gejandt, gegen Boguslaw zu jcharmußieren, weiß aljo nichts
genaues über den Vorgang. Aus eurer Alteration aber erjehe
ich, daß uns gleicher Kummer getroffen hat, deshalb jchlage ich
vor, daß wir ung verbinden, gemeinjchaftlid) Rache an dem
Mädchenräuber zu nehmen. Obgleich er ein großer Nitter
und vornehmer Herr it, jo meine ich, joll ihm doch bald
die Nepublif zu enge werden, wenn er zwei jolche Gegner hat,
wie wir es jind.
„Meine Hand darauf!“ erwiderte Wolodyjowsfi. „Brüder,
auf Tod und Leben. Wen der Tod zuerjt trifft, den hat der
Ueberlebende zu rächen und den Fürſten doppelt auszuzahlen.
Gott möge ihn mir zuerjt unter den Säbel führen; ich
will ihm den Garaus machen, jo wahr das Amen in der
Kirche Klingt.“
Bei diejen Worten griff Herr Michael an fein Schwert
und zudte jo gewaltig mit dem Barte, daß Sagloba ganz
ängstlich zu Mute wurde, denn er wußte, daß der kleine Ritter
nicht mit fich jcherzen lieh.
„Sch wollte jegt nicht in Boguslaws Haut jteden,“ jagte
er nac) einer Weile, „und wenn man mid) zum Fürſten von
ganz Livland machte. Es genügt, daß man einen jolchen Eijen-
frejjer wie der Kmiziz ift, zum Feinde hat, man braucht nicht
noch den Herrn Michael als zweiten im Bunde gegen jich zu
haben! Bah! Es fehlt nicht viel, jo jchließe ich mich eurer
Fehde an. Mein Berjtand! Mein Schwert! Das jind zwei
Dinge, die jchwer in das Gewicht fallen. Wer zitterte nicht
vor diejen beiden. Dazu wird fein Glüdsjtern doch endlich
einmal ihn verlafien, denn Gott fann unmöglich diejen Ver—
räter und Abtrünnigen ungejtraft einhergehen lajjen. Kmiziz
hat ihn ohnedies jchon nicht Schlecht in Hige gebracht.“
„Es iſt nicht zu leugnen, daß er von mir jchon manche
Kontufion erhalten hat,“ antwortete Herr Andreas.
345
Er ließ die Becher von neuem füllen und erzählte dann,
wie er jeinen alten Sorofa vom Pfahltode befreit hatte. Nur
den Fußfall verjchwieg er; denn bei der Erinnerung daran
allein jchon, jtieg ihm alles Blut zu Kopf.
Herr Michael wurde ganz heiter bei der Erzählung, zulett
jagte er:
„Möge Gott dir immer beijtehen, Androjh! Man kann
im Kampfe mit ſolch einem ebenjogut zur Hölle jahren. Es
ijt nur zu bedauern, daß wir nicht immer zujammen bleiben
fönnen, denn Dienjt bleibt Dienſt. Es kann gejchehen, daß
man mid) an ein Ende der Republik jchicdt, dich an das
andere. Man weiß nicht, wer von uns beiden zuerit mit ihm
zujammentrifft.“
Kmiziz verjtummte eine Zeitlang.
„Wenn e3 gerecht zugeht, jo gehört er mir... Wenn ich
nur nicht wieder den Slürzeren ziehe, denn ... ich jchäme mic),
e3 einzugeſtehen, . . . meine Hand ijt für den Arm Ddiejes
Niefenteufels zu Schwach.“
„So werde id) dir alle meine Kniffe lehren!“ rief Wolo-
dyjowski.
„Oder ich!“ ſagte Sagloba.
„Nein! Berzeiht! Aber Michael iſt mir als Fechtmeiſter
lieber,“ entgegnete Kmiziz haltig.
„Obgleich er ein jo tapferer Ritter iſt, fürchten weder ich,
noch mein Schwert, meine Frau Kowalsfa, den Fürjten, wenn
ich nur ausgejchlafen bin,“ warf Rochus ein.
„Sei jtille, Noch!“ verjegte Sagloba, „möge dich Gott
nicht durch feine Hand für deine Prahlerei jtrafen.“
„ech wo! Mir gejchieht nichts!“
Der arme Rochus war fein glüdlicher Prophet; in dieſem
Augenblid rauchte ihm der Schopf; er hätte am liebjten die
ganze Welt herausfordern mögen. Auch die anderen tranfen
gegenjeitig zu ihrem Wohle, dem Boguslaw und der Republik
zum Berderben.
„Ich habe gehört,“ jagte Kmiziz, „daß, ſobald wir hier
mit den Schweden fertig jind und den König haben, wir gleich
nach Warjchau aufbrechen. Dann iſt der Krieg zu Ende, Die
Sicherheit hergejtellt. Dann fommt der Kurfürjt an die Reihe.“
„O, ja, ja, ja!“ ſprach Sagloba.
„sch hörte, wie Herr Sapieha einmal jagte: ‚Mit den
Schweden jind wir bald fertia! Die Septentrionäre jind ſchon
untergefriegt; mit dem Kurfürſten aber dürfen wir uns in
340
Unterhandlungen nicht einlaffen. Herr Ticharniezfi und Herr
Lubomirski werden nad) Brandenburg geichiedt, ich gehe mit dem
Herren Unterfämmerer von Litauen nach Kurpreußen, und wenn
wir dann Preußen nicht für alle Zeiten der Nepublif einverleiben,
dann giebt e3 in der Neichsfanzlei nicht einen einzigen jo elugen
Kopf wie der des Herrn Sagloba, welcher einjt unaufgefordert
auf eigene Verantwortung dem Kurfürſten Drohbriefe ſchrieb.“
„Das hat der Sapio wirklich gejagt?“ frug Sagloba vor
Freude errötend.
„Es haben das alle gehört. Und ich war hocherfreut über
das Gehörte, denn ich kann dann mit einer Klappe zwei liegen
— Wenn nicht eher, dann muß mir Boguslamw ſtille
alten.“
„Wenn wir nur mit diefen Schweden jchon fertig wären!“
jagte Sagloba. „Der Kuckuck hole fie. Mögen fie uns Xiv-
land geben und ihre Millionen, dann laſſen wir fie in ‚Frieden
ziehen.“
„Da Habt ihr mit dem Koſaken den Tartaren erwijcht und
der Tartar hält den Kojafen am Schopfe, Vater!“ verjeßte
lachend Johann Sfrzetusfi. „Noch it Karolus in Polen, nod)
jind Krafau, Warjchau, Poſen und andere größere Städte in
Feindeshand und ihr jprecht jchon vom Xöjegeld. Ci, Ci,
Vater! Es wird noch ein tüchtig Stück Arbeit geben, che wir
an Kurpreußen und Brandenburg denken fünnen.“
„Und noch leben Stenbock und Wirk und noch liegen
jchwedijche Kommandos in allen Städten.“
„Und wir figen hier mit gefalteten Händen? Auf was
warten wir eigentlich?“ frug Rochus plöglich.
„Können wir nicht ſchon den Schweden jchlagen?” Seine
Augen glogten dabei dumm und jchlaftrunfen die anderen an.
„Rede nicht jo dumm, Nochus!* jchalt Sagloba.
„Bei euch dreht jich immer alles nur um das eine, Ohm.
Sch habe wahrhaftig Kähne am Ufer geiehen. Wir fünnten gut
. hinüber jchwimmen und wenigitens die Uferwache aufheben.
Es ijt finfter, daß man die Fauſt vor den Augen nicht jieht.
Ehe jie es merken, jind wir wieder zurüd und haben den beiden
‚seldherren gezeigt, da wir Mut haben. Wie, meine Herren,
ihr wollt nicht? Dann gehe ich allein.“
„Das tote Kalb hat noch mit dem Schwanze gewackelt,
Wunder über Wunder!“ rief Sagloba zorn
Doch Kmiziz zuckte es bereits in den eenflugeln.
„Das iſt kein ſchlechter Gedanke!“ ſagte er.
347
„Kein schlechter Gedanfe für einen, der nur Handlanger ist,“
erwiderte Sagloba, „aber nicht für jemanden, welcher die ernite
Seite der Sache im Auge hat. Menjchen! wahrt eure Selbjt-
achtung! Ihr jeid Hauptleute und dürft feine Jungenitreiche
verüben.“
„Es iſt wahr, es jchieft jich nicht recht für uns!“ jagte
Wolodyjowski. „Laßt ung lieber jchlafen gehen; es iſt jpät.“
Sie waren alle einveritanden und fnieten jogleich nieder,
um gemeinjchaftlich das Abendgebet zu jprechen. Darauf jtredten
fie ji auf die Wagenplanen hin, jo gut es ging und jchliefen
bald den Schlaf der Gerechten.
Aber faum eine Stunde jpäter jprangen jie mit beiden
Füßen zugleich jchon wieder auf. Im Schwedenlager drüben
hatte man eine Gewehrjalve abgegeben. Diesjeits im Lager
entitand Lärmen und Schreien.
„Jeſus, Maria! Die Schweden rüden an!“ jchrie Sagloba.
„Was jagt ihr? Redet nicht Unfinn!“ rief Wolodyjowsfi
nach dem Säbel greifend.
„Rochus! Rochus! zu mir,“ fuhr Sagloba fort zu jchreien.
Er Hatte in unvorgejehenen Füllen den Verwandten gern
in jeiner Nähe. Aber Rochus war nicht im Zelte. Die Nitter
eilten auf den freien Pla, wo fie getafelt hatten. Vor den
Selten hatte jich eine Menge Soldaten eingefunden, die alle
nach) dem Ufer drängten. Am gegenüberliegenden Ufer der
San jah man von neuem Gewehrfeuer aufleuchten, ein heftiges
Kuattern wurde immer deutlicher vernehmbar.
„Was ift denn gejchehen?“ frug man die Wachen, welche
zahlreich am Ufer entlang jtanden.
Aber die Wachen verjicherten, nichts bemerkt zu haben.
Nur ein Soldat erzählte, daß er etwas gehört, wie einen
Nuderjchlag; da aber der Nebel dicht über dem Waller Hing,
hatte er nichts erfennen fünnen. Er wollte auch nicht gleic)
das Lager alarmieren, denn das Geräuſch war bald wieder
verjtummmt.
Als Sagloba das hörte, raufte er fich die Haare vor
Schmerz und Verzweiflung.
„Rochus ift zu den Schweden gejchwommen,“ jchrie er wie
wahnfinnig. „Er wollte die Uferwache aufheben.“
„Um Gotteswillen! Sollte er das wirklich gethan haben?“
rief Kmiziz.
„Sie werden ihn mir totjchießen, jo wahr Gott lebt!“
lamentierte Sagloba.
348
„Giebt es denn feine Rettung für ihn, meine Herren?
Herr Jeſus! Der Junge ijt treu wie Gold. Es giebt feinen,
der befier wäre als er! Was ijt dem Dummkopf nur einge-
fallen?!... Mutter Gottes, jtehe ihm bei in diefer Not! ...“
„Vielleicht fommt er unbemerkt zurüd, der Nebel ijt dicht!
Vielleicht haben fie ihn gar nicht gejehen.“
„Sch werde hier auf ihn warten, ſei e8 auch bis zum
Morgen! Heilige Mutter! Heilige Mutter!“
Inzwijchen war das Schiegen drüben eingejtellt worden,
die Lichter erlojchen allmählich, eine Stunde darauf lag das
Lager wieder in tiefem Schlaf.
Sagloba lief am Ufer Hin und her, wie eine Gluckhenne,
welche Enten auögebrütet hat; er raufte ſich die Reſte jeiner
Haare vom Kopfe, aber er wartete vergebens, er verzweifelte
umfonft. Das Waſſer des Fluſſes jchimmerte jchon grau durch
die Morgendämmerung, dann ging die Sonne auf, aber Rochus
fam nicht wieder.
2—
*
OR
®
8. Rapitel,
Am nächiten Morgen begab ſich Sagloba noch ganz ver-
zweifelt zu Herrn Ticharniezfi mit der Bitte, ihn zu den
Schweden gehen zu lafjen, damit er erforjche, was mit Rochus
geichehen jei, ob er noch lebe, oder als Gefangener zurück—
gehalten, oder jchon tot jei.
Tſcharniezki gab jeine Einwilligung ohne Bedenken, denn
der alte Herr war ihm jehr wert. Er juchte ihn zu tröjten,
indem er bemerfte:
„Sch denfe, euer Verwandter lebt, jonjt hätte ihn das
Waſſer ausgeworfen.“
„Wolle es Gott!“ antwortete Sagloba betrübt. „Aber ſo
einen wie den, wirft das Waſſer nicht leicht aus. Er hatte
nicht nur eine ſchwere Hand, ſondern auch ſein Verſtand war
ſchwer, wie Blei; das hat er jetzt wieder einmal bewieſen.“
„Ihr Habt recht!” jagte Tſcharniezti. „Wenn er lebt,
müßte ich ihn von Nechtswegen zu Tode jchleifen laſſen, wegen
Verlegung der Disziplin. Es iſt wohl erlaubt, nachts Den
Feind zu alarmieren, er aber hat beide Heerlager alarmiert
und zudem ohne Erlaubnis. Das wäre jo etwas! Bejonders
wenn die VBolontäre und Bauern ein Beifpiel daran nehmen
wollten. Wenn jeder auf eigene Hand regieren wollte, da hörte
jedes verjtändige Negiment auf.“
„Er hat jich jchwer vergangen, das ijt wahr! ch will
ihn hart betrafen, wenn ich ihn nur erjt wieder hätte.‘
„Und ich werde ihm verzeihen im Gedenfen an jeine That
von Rudnif. Wir haben eine Menge Gefangene, Offiziere von
350
höherem Range wie Rochus. Sept aljo über zu den Schweden
und jprecht mit ihnen wegen dem Austaujch; ich gebe gern
zwei auch drei Mann für ihn, um euch zu beruhigen. Bolt
euch bei mir ein Schreiben an den König von Schweden und
eilt mit der Abreije.“
Zagloba hüpfte wie ein Jüngling in das Zelt Kmiziz'
und erzählte den Waffenbrüdern, was er vor hatte. Herr
Andreas und Wolodyjowski erboten jich gleich freudigit, mit
ihm zu gehen, denn beide brannten vor Neugier, die Schweden
in der Nähe zu jehen. Außerdem fonnte Kmiziz bei den Unter-
handlungen von Nuten fein, da er fließend deutſch jprach.
Die Vorbereitungen waren schnell beendet. Herr Tichar-
niezki hatte die Rückkehr Zaglobas nicht abgewartet, ſondern
ihm den Brief zugeſchickt. Sie nahmen nur einen Trompeter
und eine weiße Fahne mit, ſetzten ſich in einen Kahn und
fuhren ab.
Anfangs verbarrten jie jchweigend. Man hörte nur das
Knarren der Nuder, wenn jte jich an den Zeiten des Kahnes
rieben. Endlich wurde Sagloba unruhig.
„Laßt nur den Trompeter rechtzeitig die Meldung blajen.
Die Schelme befommen es fertig, ums troß der weißen Fahne
anzuſchießen!“
„Was ihr nun wieder redet!“ ſchalt Wolodyjowski. „Auch
die Barbaren ehren Abgeſandte, und wir haben es doch mit
einem kultivierten Volke zu thun.“
„Ich ſage euch, laßt blaſen! Der erſte beſte Gemeine
kann Feuer geben, das Bot durchlöchern, und wir ſinken unter.
Das Waſſer iſt kalt! Ich habe nicht Luſt, mich einweichen zu
laſſen.“
„Da, dort ſieht man die Wachen!“ jagte Kmiziz.
Der Trompeter gab das Signal. Der Kahn flog pfeil—
ſchnell dahin. Am anderen Ufer wurde es lebendig, bald darauf
erſchien am Waſſer ein Offizier zu Pferde, welcher einen gelben
Schlapphut auf dem Kopfe hatte. Er hielt die Hand über die
Augen, um beſſer ſehen zu können, da die Sonne grell auf
das Waſſer ſchien und blendete.
Einige Schritte vom Ufer entfernt, nahm Kmiziz zum
Gruß ſeine Mütze ab; der Offizier erwiderte denſelben
freundlich.
„Ein Schreiben von Herrn Tſcharniezki an Se. Majeſtät
den König!“ meldete Herr Andreas, den Brief hoch in die
Höhe haltend.
351
Sept jtieß der Kahn an das Land.
Die Wache am Ufer präjentierte das Gewehr. Herr
Sagloba war nun vollitändig beruhigt, ſteckte eine würdevolle
Miene auf und ſprach in lateinischer Sprache:
„Es it in vergangener Nacht ein Navalier an dieſem
Ufer eingefangen worden; ich bin gefommen, ihn zurück zu
verlangen.“
„ch verstehe fein Latein,“ antwortete der Offizier.
„ter Grobian!“ murmelte Sagloba.
Der Offizier wandte ſich an Herrn Andreas,
„Der König it am Ende des Lagers,“ jagte er. „Wenn
die Herren hier warten wollen, werde ich euch anmelden.“
Damit wandte er das Pferd.
Site aber jahen jich aufmerfjam um. Das Lager dehnte
jich weit hin: es bededte das ganze Delta zwijchen San und
Weichjel. An der Spite desjelben lag Pniow, als Endpunfte der
unteren Breitjeite einerjeitS Tarnogrod, andererjeits Rozwadow.
Man konnte den Umfang des ganzen Lagers unmöglich mit
einem Blick umfaſſen. Sp weit das Auge reichte, jah man
Schanzen, Laufgräben, Erdarbeiten, Faſchinen, Kanonen und
Menjchen. Im Mettelpunfte des Lagers in Gorjchyza befand
ji) das Hauptquartier und die Elitetruppe der Armee.
„Wenn der Hunger jie nicht von hier vertreibt, dürften
wir faum mit ihnen fertig werden,“ jagte Amiziz. „Die ganze
Gegend iſt gut verſchanzt; es befinden ſich ſogar Weidepläge
für die Pferde mitten im Lager.“
„Aber die Fiſche werden für ſo viele Mäuler nicht aus—
reichen,“ verſetzte Sagloba. „Uebrigens habe ich gehört, daß
die Lutheraner Faſtenſpeiſen nicht lieben ſollen. Noch unlängſt
beherrſchten ſie ganz Polen, jetzt haben ſie ſich auf dieſen
kleinen Raum eingekeilt. Mögen ſie geſund hier bleiben oder
nach Jaroslaw zurückkehren.
„Die Schanzen ſind außerordentlich geſchickt aufgebaut,“
ſagte Wolodyjowski, welcher die Befeſtigungswerke mit Kenner—
augen betrachtet hatte. „Wir haben mehr gemeine Soldaten,
aber weniger tüchtige Offiziere als ſie; und was die Kriegs—
taktik betrifft, ſind ſie uns weit überlegen.“
„Wieſo?“ frug Sagloba.
„Wieſo? Aus dem Munde eines Reitersmannes, welcher
ſein Leben lang auf dem Pferde geſeſſen hat, mag es vielleicht
ſeltſam klingen, wenn ich ſage: ‚Die Fußſoldaten und Die
Artillerie bilden das Fundament einer Armee, auf welchem die
352
anderen Truppengattungen erſt mit Erfolg zu operieren ver—
mögen. Um ein gründlich durchgebildeter Offizier zu fein, muß
man eine Menge Bücher über die Kriegstaktik gelefen, und eine
Menge römische Autoren verichlungen haben. Das iſt bei uns
nicht gebräuchlih. Noch immer rennen unjere Weiter zur
Attade, daß es hinter ihnen raucht, und wenn fie den Feind
nicht überrennen, dann überrennt er uns... .“
„Seid doc vernünftig, Herr Michael! Welche Nation hat
denn jo viele glänzende Stege dDavongetragen, als die unjrige ?“
„Weil bisher alle Nationen diejelbe Taktik übten und der
Erfolg dem Stärferen und Mutigeren zufiel. Aber man iſt
mit der Zeit Flüger geworden; da jeht hier!“
„Wir wollen das Ende abwarten. Stellen wir den ge—
jcheitejten ſchwediſchen Ingenieur, oder den erfahreniten
Deutjchen unjerem Rochus gegenüber, der nie ein Buch in die
Hand genommen hat, und jehen wir zu, wer Sieger bleibt.“
„Wenn ihr ihn nur erjt zum Hinzuſtellen hättet,“ mijchte
ji) Kmiziz in das Gejpräd.
„sa, ja! Mir thut der Kerl furchtbar leid. Sprecht doch
ein wenig euer deutſches Kauderwelich, lieber Herr Andreas,
mit diefen Pluderhojen und fragt jie aus, was mit ihm ges
ſchehen iſt.“
„Ihr kennt nicht die Disziplin einer regulären Heeres—
macht. Hier ſteht euch kein Mann Rede, wenn er nicht Befehl
dazu hat; es iſt ſchade um jedes Wort, das man an ſie richtet.“
„Ich weiß ſchon, daß ſie ungefällige Schelme ſind. Wenn
zu unſerem Adel eine Geſandtſchaft kommt und mit den Ge—
meinen ſprechen will, da geht es gleich Paperlapapp und die
Branntweinflaſche kreiſt, ſie trinken einander zu, laſſen ſich in
politiſche Auseinanderſetzungen mit den Geſandten ein —, aber
dieſe hier ſtehen wie die Holzböcke und ſtieren uns nur an. Daß
ſie das nicht überdrüſſig bekommen?“
Immer mehr Soldaten kamen herzu und ſtellten ſich im
Kreiſe um die Geſandten, ſie mit neugierigen Blicken muſternd.
Dieſelben ſchienen ihnen durch ihre ſchöne, faſt feſtliche Kleidung
zu imponieren. Beſonders war es Sagloba, der die allgemeinſte
Aufmerkſamkeit auf ſich lenkte durch das ernſte, würdevolle
Weſen, das er zur Schau trug. Am wenigſten fiel Wolody—
jowski auf, ſeines kleinen Wuchſes wegen.
Endlich war der Offizier, welcher ſie am Ufer empfangen
hatte, in Begleitung eines anderen höher chargiertem zurück—
gefehrt. Sie führten gejattelte und aufgezäumte Bferde lofe am
353
Zügel mit ſich. Jener Chargierte verneigte ji) vor ihnen und
jagte in polnischer Sprache:
„Se. Majejtät der König bittet euch in jein Quartier, und
da es ziemlich weit bis dahin iſt, fo bringen wir NReitpferde mit.“
„Ihr jeid Pole?“ frug Sagloba.
„Rein, Herr! ch heiße Sadowski, bin Tjcheche und ftehe
in jchwedischen Dienjten.“
Als Kmiziz das hörte, war er mit einem Sate neben ihm.
„Erkennt ihr mich wieder, Herr?“
Sadowski blicte ihm jcharf in die Augen.
„Wie jollte ich nicht? Ihr jeid es, der bei Tſchenſtochau
unfere große Kanone vernichtet hat, und den Miller dem Kufli-
nowsft jchenfte. Seid mir von Herzen gegrüßt, tapferer Ritter!‘
„Was treibt Kuklinowski?“ frug Kmiziz weiter.
„Wißt ihr nicht, was mit ihm gejchehen ?“
„sch weiß nur, daß ich ihm Gleiches mit Gleichem vergalt,
doch verließ ich ihn lebend.“
„Er iſt erfroren!“
„sch dachte mir eigentlich, daß es jo fommen würde,“ jagte
Kmiziz, indem er mit der Hand eine bezeichnende Bewegung
machte, al3 wollte er die Erinnerung davon forticheuchen.
„Herr Hauptmann!“ unterbrach jegt Sagloba. „Befindet
jih ein gewiſſer Rochus Kowalski im Lager?“
Sadowski lachte über das ganze Geficht.
„Natürlich! Er iſt hier!“
„Selobt jet Gott und die heilige Jungfrau! Er Iebt!
Dann befomme ich ihn auch raus! Gott ſei Danf!“
„sch weiß nicht, ob der König ihn herausgiebt,“ jagte
Sadowski.
„O, warum nicht?“
„Weil er ein großes Wohlgefallen an ihm hat. Der König
erkannte in ihm gleich ſeinen grimmigen Verfolger von Rudnick
wieder. Wir hielten uns die Seiten vor Lachen bei dem Ver—
hör des Gefangenen. Der König frug: „Warum haſt du es
gerade auf Mich abgeſehen?“ und er antwortete: „Ich habe es
mir gelobt, den König zu töten!“ Und der König frug weiter:
„So willſt du auch fernerhin auf der Verfolgung beſtehen?“
„Selbſtverſtändlich“!““ war die Antwort. Der König lachte:
„Sieb dein Gelöbnis auf, dann laſſe Ich dich mit heilen Gliedern
in Freiheit ſetzen!“ „Das geht nicht!“ ſagte der Edelmann.
„Warum nicht?“ „Weil mein Ohm mic) einen Narren jchimpfen
würde!” „Und bift du jo jicher, mid) im Zweikampf zu bes
Sientiewicz;, Sturmflut II. 23
354
ſiegen?“ „Ich würde es mit Fünfen glei) Euch aufnehmen!“
Da frug der König noch: „Aber wie fannjt du es wagen, Die
Hand gegen die Majejtät zu erheben?“ „Euer Glaube gefällt
mir nicht!” Wir überjegten dem Könige wortgetreu, was
Rochus gejprochen und der König wurde immer heiterer, während
er ein über das andere Mal rief: „Der Mann gefällt mir!“ Aber
er wollte jich überzeugen, ob der Gefangene wirklich jo jtarf jei;
er juchte zwölf der jtärkiten Gardiſten aus und befahl ihnen,
einer nac) dem andern mit ihm zu kämpfen. Aber der jcheint
Sehnen von Stahl zu haben. Als ich fortritt, hatte er zehne
von ihnen jchon jo über den Haufen geworfen, dab fte nicht
mehr aufzujtehen vermochten. Inzwiſchen wird er wohl mit den
letzten beiden auch fertig geworden ſein.
„Daran erfenne ich meinen Rochus! Cr fann die Bluts-
verwandtjchaft mit mir nicht verleugnen,“ rief Sagloba. „Wir
haben zwei bis drei höhere Offiziere für ihn zu bieten,‘
„Ihr trefft den König bei guter Yaune, was jegt jelten
der Fall iſt,“ antwortete Sadowski.
„Das will ich glauben,“ verſetzte der kleine Ritter.
Unterdeſſen hatte ſich Sadowski wieder zu Kmiziz gewandt
und ihn gefragt, auf welche Weiſe es ihm gelungen, zu ent—
kommen und den Kuklinowski an ſeine Stelle zu bringen. Er
hörte mit immer ſteigender Bewunderung den Bericht des
Ritters und als dieſer geendet, drückte er ihm noch einmal
kräftig die Hand, während er ſagte:
„Glaubt mir! Wenn ich auch den Schweden diene, ſo
freut ſich doch das Herz eines wackeren Soldaten, wenn ein
echter Kavalier einen Schuft überliſtet oder niederſchmettert.
Ich bekenne euch gerne, daß man einen Tapferen wie ihr, zum
zweiten Mal im Weltall kaum finden würde.“
„Ihr verſteht Artigkeiten zu ſagen!“ ſagte Sagloba.
„Ein berühmter Soldat ſeid ihr!“ warf Wolodyjowski da—
zwiſchen.
„Ich habe Artigkeit und Tapferkeit bei euch gelernt!“ ent—
gegnete Sagloba, artig ſalutierend.
Unter ſolchen Geſprächen, immer einer den anderen an
Artigfeit übertreffend, waren jie in Gorſchytz, dem Quartier des
Königs, angelangt. Das Dorf war mit Soldaten aller Truppen
gattungen angefüllt. Neugierig betrachteten unjere Freunde die
Haufen Soldaten, welche hinter dem Dorfe in den Obitgärten
umber lagen. Der Tag war jonnig und warm. Daher lagen
viele, die den Hunger etwas verichlafen wollten, in den Waſſer—
355
furchen, andere würfelten auf den als Tijch dienenden Trommeln,
während jie Dünnbier dabei tranfen, wieder andere hingen ihre
Uniformen in die Sonne oder pußten mit Ziegelmehl ihre
Helme und Panzer, jfandinavische Lieder dazu jingend.
An anderen Stellen wurden Pferde umhergeführt, gewajchen
und geitriegelt, kurz, es wogte und lärmte im Lager überall
unter freiem Himmel. Zwar hatten Hunger und Entbehrungen
vielen der Gejichter ihre Spuren aufgedrüdt, doch die Sonne
vergoldete das Elend und die bevorjtehenden Tage der Ruhe
flößten neuen Mut ein.
Herr Wolodyjowsfi bewunderte im Stillen diefe Männer,
bejonders die Fußſoldaten, welche durch ihre Ausdauer und
ihre unerreichbare Tapferkeit fich einen Weltruf erworben hatten.
„Das iſt das ſamländiſche Garderegiment. Diejes Die
dalefarliichen Füſiliere, Die beiten, die wir Haben,“ erflärte
Sadowski.
„Ums Himmelswillen! was ſind das für monſtröſe Ge—
ſtalten,“ rief plötzlich Sagloba, auf ein Häuflein kleiner Menſch—
lein mit olivfarbener Haut und lang herabhängenden Haaren
deutend.
„Das ſind Lappländer, welche den im höchſten Norden
wohnenden Hyperboräern entſtammen.“
„Sind ſie denn in der Schlacht zu verwenden? Ich
glaube, ich könnte immer ihrer dreie mit einem Handgriff
faſſen, ihre ſechs Köpfe dann zuſammenſchlagen, bis mir der
Atem ausginge.“
„Gewiß bekämt ihr das fertig, Herr! Aber ſie kommen
gar nicht in das Feld. Die Schweden führen ſie teils zur
Bedienung im Lager, teils als Kurioſum mit ſich. Dafür find
jie erquifite Zauberer und jeder von ihnen hat wenigſtens einen,
mancher bis fünf Teufel im Leibe.“
„Wie fommen ſie denn zu Diejer Gemeinschaft mit den
böjen Geiſtern?“ frug Kmiziz, Jich befreuzend.
„Weil fie fait unaufhörlich in Finſternis und Nacht leben,
der größte Teil des Jahres bei ihnen zu Lande iit Nacht, und
e3 iſt ja bekannt, daß die Nacht des Böjen Freund.“
„Haben fie denn eine Seele?“
„Das hat noch niemand ergründen können; aber ich denfe,
fie jtehen den Tieren näher, als den Menjchen.”
Kmiziz ritt nahe an das Häuflein heran, büdte jich und
einen der Heinen Männer am Stragen faflend, hob er ihn hoch
28*
356
in die Höhe und betrachtete ihn von allen Seiten genau.
Dann jegte er ihn nieder und jagte:
„Wenn der König mir ein ſolches Männlein jchenfen
wollte, würde ich es räuchern laſſen und als Rarität in der
Orſchaner Kirche aufhängen, wo unter anderen Sehenswürdig-
feiten bereit3 ein Paar Straußeneier ſich befinden.“
„Und in Lubitſch befindet fich in der Pfarrkirche der Kinn—
badenfnochen eines Walfiſches oder eines Riefenmenjchen,“ fette
Wolodyjowski Hinzu.
„Reiten wir weiter,“ jagte Sagloba, „jonit lefen wir zuleßt
hier noch etwas Läjtiges auf.‘
„Borwärts!" wiederholte Sadowski. „Eigentlich hätte
ich den Herren die Augen verbinden lafjen jollen, wie es üblich
ift; aber wir haben nichts zu verbergen und dab ihr unjere
Schanzen gejehen, fann für uns nur von Nuten fein.“
Sie waren num im Herrenhofe von Gorſchytz, dem Haupt—
quartier, angelangt. Bor dem Thore jtiegen jie von den
Pferden und jchritten entblößten Hauptes dem Haufe zu, vor
deſſen Thüre der König jah.
Eine große Anzahl Generale in großer Uniform befand
fich bei ihm. Da war der alte Wittenberg, Douglas, Loewen—
haupt, Miller, Erickſon und viele andere. Sie alle faßen im
Zaubengange des Haufes, etwas zurüd hinter dem Könige,
deſſen Stuhl weit vorgejchoben war, und jahen zu, wie der
Gefangene eben den zwölften Gardijten bezwang. Jetzt hatte
er ihn zu Boden geworfen und ſtand, feuchend von der An—
jtrengung mit zerfegtem Wamſe vor dem Könige. Als er
plöglich den Ohm in Begleitung der Herren Kmiziz und Wolo-
dDyjowsfi anfommen jah, glaubte er nicht anders, als jie jeien
ebenfall3 in Gefangenjchaft geraten. Mit glogenden Augen
und offenem Munde wollte er auf fie zueilen, doch Sagloba
winfte ihm mit der Hand, jtille zu Stehen, während er mit den
Gefährten auf den König zufchritt.
Sadowsfi präjentierte die Gejandten, fie verbeugten jich
tief, wie gute Sitte und die Etifette es vorjchrieben, Darauf
händigte Sagloba das Schreiben Tſcharniezkis aus.
Der König nahm den Brief und las. Währenddeſſen
betrachteten ihn die Gejandten genau, denn feiner von ihnen
hatte ihn vorher gejehen. Er war ein Mann in den beiten
Jahren; jein Geficht jo braun, als wäre er nicht in Nordland,
fondern in Italien oder in Spanten geboren. Dichtes, raben=
jchwarzes Haar hing Hinter den Ohren lang bis auf Die
357
Schultern herab. Der Glanz und die Farbe, auch der Aus—
drud jeiner Augen erinnerte an Jeremias Wisniowiezfi, nur
die Brauen hatte er mehr in die Höhe gezogen, wie vom an—
gejtrengten Denfen. An der Stelle aber, wo die Brauen
zujammenzutreffen pflegen, war die Stirn frei und jehr Hoch
gewölbt. Das gab dem Geficht einen bedeutenden Ausdrud;
eine Längsfalte über die Nafe, welche jich ſelbſt dann nicht
glättete, wenn er lachte, ließ ihn ernjt und jtrenge erjcheinen.
Die Unterlippe war weit vorgejchoben, wie bei Johann Kajimir,
nur war das Gejicht Karl Guitavs voller, das Kinn Fräftiger
entwicelt, wie bei jenem, der jchmale Schnurrbart lief an den
Enden etwas breiter aus. Der ganze Kopf war der eines
Mannes von außergewöhnlichen Eigenjchaften, einer von denen,
die eine Welt unter ihre Füße treten und dem Erdboden blutige
Spuren aufdrüden. Großmut, Fürſtenſtolz, jtrogende Kraft
und ein hochitrebendes Genie, das alles fonnte man in dieſem
Königsantlig jchauen, nur, troß des gnädigen Lächelns nicht
jene Güte des Herzens, welche von innen heraus das Menjchen-
antlig durchglüht, wie die Lampe die Alabajterurne, in deren
Innerem fie jteht.
Der Monarch ſaß mit übereinandergejchlagenen Beinen im
Lehnſtuhle. Die Form der mächtigen Waden trat deutlich aus
den eng anliegenden jchwarzen Strümpfen hervor. Gewohn—
Heitömähig mit den Augen blinzelnd, las er lächelnd den Brief
Tſcharniezkis. Plötzlich jchlug er die Augen auf, beftete den
Blick jet auf Wolodyjowsfi und ſprach:
„sch erfannte euch auf den erjten Blid. Ihr jeid es, der
Kanneberg getötet hat.‘
Aller Augen wandten jich dem Kleinen Ritter zu, der mit
der Oberlippe zucend, jich tief verneigte und antwortete:
„Zu dienen, Majejtät!“
„Welchen ang befleidet ihr?“
„Hauptmann der Zaudaer Fahne.“
„Unter wejjen Kommando früher?“
„Unter dem Wojervoden von Wilna.“
„Ihr habt ihn mit den anderen verlajien? Ein Verräter
aljo an ihm und mir.“
„Sb war nur meinem Könige verpflichtet, nicht Ew.
Majeſtät.“ |
Der König erwiderte nichts; die Augen der Generäle
jchienen Herrn Michael durchbohren zu wollen, doch er blieb
vollfommen ruhig.
358
Plöglich jagte der König:
„Es iſt Mir angenehm, einen jo ausgezeichneten Kavalier
fennen zu lernen. Kanneberg galt unter Uns für unbefiegbar
im Zweifampf. Ihr müßt in diefem Neiche das jchneidigite
Schwert haben . . .“
„In universo!* jagte Sagloba.
„Nicht das jtumpfite,“ verbejlerte Wolodyjowski bejcheiden
das Lob des Monarchen.
„sch heiße die Herren höflich willflommen!“ wandte ich
der König an die anderen beiden Gejandten. „Für Herrn
Ticharniezfi hege Ich aufrichtige Hochachtung; Ich jchäge in ihm
den großen Feldherrn, obgleich er Mir jein Wort nicht gehalten
hat. Er hatte Mir verjprochen, jich in Siewierjch ruhig zu
verhalten.“
„Majejtät!“ entgegnete Kmiziz. „Nicht Herr Tſcharniezki,
jondern General Miller it wortbrüchig geworden, indem er
das Wolfiche Regiment, Königliche Stammjoldaten, aufhob.“
General Miller trat einen Schritt vor und flüjterte dem
Könige etwas zu. Diejer hörte immer mit den Augen blinzelnd
aufmerfjam zu, von Zeit zu Zeit dem Herrn Andreas einen
Blick zuwerfend. Endlich jprad) er:
„Wie ich jehe, hat Herr Tjcharniezfi Mir die auserlejenjten
jeiner Kavaliere hergefandt. O Sch weiß feit langem, daß es
bei euch an entjchlojjenen Männern nicht fehlt. Nur die Treue
fehlt euch; der Mangel an Mut, geleitete Schwüre und gegebene
Berjprechen zu halten, haftet euch an.“
„O Majeität! Das jind Worte heiligiter Wahrheit!” rief
Sagloba aus.
„Wie joll ich das verjtehen ?“
„Wenn unjere Nation dieſen Charafterjehler nicht hätte,
dann wären Em. Majejtät nicht bei ung!“
Wieder jchwieg der König eine Weile, die Generale runzelten
die Stirn über die Dreiftigfeit der Geſandten.
„Johann Kafimir Hat euch jelbjt eures Eides entbunden,
als er flüchtig die Grenzen feines Waterlandes verlieh.
„Bon einem Eide fann und nur der Statthalter Chriſti
in Rom löjen, der aber hat es nicht gethan.“
„Das iſt Mir einerlei!“ jagte der König, indem er auf
jein Schwert jchlug. „Da hier! Damit habe Ich Mir diejes
Königreich erobert, damit werde Sch es Mir erhalten. Ich
brauche weder eure Bischöfe, noch eure Statthalter und
Eide. Ihr wollt den Krieg, darum follt ihr ihn haben. Ach
359
— Herr Tſcharniezki hat alle Urſache, noch an die Schlacht
ei Golembin zu denken.“
„Er hat ſie auf dem Wege nach Jaroslaw ſchon wieder
vergeſſen,“ antwortete Sagloba.
Statt zu zürnen, lachte der König.
„Ich werde ſie ihm wieder in Erinnerung bringen.“
„Gott regiert die Welt.“
„sc laſſe bitten, er ſoll Mich beſuchen. ch werde ihn
freundlich aufnehmen, aber er muß ſich beeilen, denn jobald fich
die Pferde etwas erholt haben, will ch weiterziehen.‘
„Dann werden wir die Ehre haben, Ew. Majejtät zu em:
pfangen!* jaate Sagloba, indem er wie von ungefähr mit der
Hand den Säbelgriff berührte.
Darauf der König:
„sch merfe, Herr Tjceharniezfi hat nicht nur jeine beiten
Kämpen, ſondern auch ſeinen gewandteſten Redner hergeſchickt,
Ihr pariert ſchlagfertig jede Anſpielung. Schade, daß der Krieg
nicht mit Worten ausgefochten werden kann, ihr wäret Mir
ein würdiger Gegner. Aber zur Sache! Herr Tſcharniezki
ſchreibt Mir, Ich möchte jenen Gefangenen dort entlaſſen; er
offeriert Mir für ihn ein paar höhere Offiziere. Ich jchäge
Meine Offiziere nicht jo gering, wie ihr zu glauben jcheint, und
will jie nicht für jo billiges Löjegeld zurüdfaufen, das würde
weder Mein, noch ihr Ehrgefühl gejtatten. Da Ich aber außer
Stande bin, Herrn Ticharniezfi etwas zu verjagen, jo mache
Ich ihm jenen Kavalier zum Gejchenf.“
„Majeität!“ antwortete Herr Sagloba. „Herr Tſchar—
niezfi wollte den ſchwediſchen Offizieren durchaus feine Demütigung
bereiten, jondern mir eine Bitte erfüllen, denn diefer Mann ijt
mir verwandt und id — ih bin, Ew. Majejtät zu dienen,
der vertraute Ratgeber Herrn Tjcharniezfis.“
„Eigentlich jollte Sch ihm nicht freigeben,“ jagte der
König lachend „denn er hat Mir den Tod gejchivoren, es
wäre denn, daß er dieſem Schwur entjagt.”
Er winfte dem vor dem Gange jtehenden Rochus mit der
Hand, näher zu treten.
„Komme einmal her, du Kraftmenjch!“ rief er ihn an.
Rochus trat ein paar Schritte näher und richtete ic)
gerade auf.
„Sadowski!“ jagte der König, „ragt ihn doch, ob er jeine
Rache preisgiebt, wenn ich ihn frei laſſe.“
Sadowsfi wiederholte die Worte des Monarchen.
360
„Das fann ich nicht!“ rief Rochus.
„Wie, aljo nicht?” Sprach Karl Guftav, welcher auch ohne
Dolmetjch den Sinn der Antwort veritanden hatte. „Wie joll
Ich ihm dann die Freiheit wiedergeben, wenn er auf jeinem
Schwure beharrt? Zwölf Meiner Leute hat er zu Boden ge-
ſtreckt, Mich hat er als dreizehnten auserjehen. Der Mann ge-
fällt Mir! Sit er etwa aud) ein Ratgeber Tjeharniezfis? In
diefem alle würde Ich ihn noch lieber freigeben.“
„Halt's Maul!“ murmelte Sagloba.
„Senug der Scherze,“ ſagte der König plöglich ernit.
„Nehmt ihn als neuen Beweis meiner Achtung. Als König
diejes Landes fann Sc wohl verzeihen, wenn Ich gnädig jein
will, doch in Unterhandlungen mit aufitändischen Unterthanen
werde Ich mich niemals einlafjen.“
Das Gejicht des Königs hatte jich während der letzten
Worte ganz verfinitert.
„Ber gegen Mid) die Hand erhebt,“ fuhr er fort, „der iſt
ein Gmpörer gegen jeinen rechtmäßigen Herrn. Nur aus
Barmherzigkeit bin ch bis jet milde gegen euch verfahren; Sch
wollte euch Zeit lajjen zu Beritande zu kommen. Doch die
Beit naht, wo Meine Barmberzigfeit ihr Ende erreicht haben
wird und die Strafe euch ereilt. Euer Uebermut bat die
Kriegsflamme im Meiche entjacht, eure Wortbrüchigkeit das Blut-
vergießen verjchuldet. Aber Ich jage euch: „noch wenige Tage
und ſtatt väterlicher Ermahnungen, jtatt milder Gejete, ſoll
euch die ganze Wucht meines Schwertes und der Tod am
Galgen treffen.“
Die Augen des Königs ſchoſſen Blitze. Sagloba blidte
den Zürnenden eritaunt an; er fonnte nicht begreifen, woher
plöglich nach heiterem Wetter dieſes Gewitter heraufgezogen
war. Endlich faßte er jich ein Herz und ſich tief verneigend
jtammelte er die Worte:
„Bir danken Ew. Majeſtät!“
Darauf wandte er jich zum Gehen und verließ mit Kmiziz,
Wolodyjowsfi und Noch Kowalski das Hauptquartier.
„Bnädig! Gnädig!” brummte Sagloba im Fortgehen, „und
ehe du dich's verſiehſt, brüllt dir der Yöwe in das Ohr. Das
it ein Schöner Abſchluß der Unterhaltung! Andere jegen einen
Becher Wein vor und laden zum Siken ein, er verheiht den
Galgen! Mag er nur jeine Hände darauf hängen, die polnijchen
Adligen find jo leicht nicht zu haben. Mein Gott! wie fchwer
hat Polen an jeinem Könige gejündigt, der uns ein Vater war,
361
it und bleiben wird, denn das Herz der Jagiellonen jchlägt
in feiner Bruft. Einen jolchen Herrn haben die Verräter ver-
lajjen, um ſich mit den Ungeheuern jenjeit3 des Meeres zu
verbrüdern. Es iſt uns jchon recht. Wir verdienen nichts
Beſſeres. Den Galgen! den Galgen!.... Er fit jo im Ges
dränge; wie der Quark im Sade wird er von uns gequetjcht,
und der will noch mit dem Galgen drohen! Warte! Der
Kojaf padt den Tartaren am Schopf, doch der Tartar den
Kojafen am Kopf. Ihr fommt bald noch mehr ins Gedränge.
Rochus! Ich Hatte dir für deinen Ungehorjam eigentlich ein
paar derbe Mauljchellen und fünfzig Stochiebe auf die Rück—
jeite deines Körpers zugedacht; ich verzeihe Dir aber, weil du
dich tapfer gehalten und die Rache gegen ihn nicht abgejchworen
hajt. Laß dic) umarmen; ich freue mich über dich.“
„Salgen und Schwert!” jagte Sagloba nad) einer Weile.
„Und er hat es gewagt, mir das ins Geficht zu jagen. Das
nennt er Protektion? . . . Ebenjo gut kann der Wolf von
Proteftion und Barmderzigfeit reden, wenn er im Begriff jteht,
das Schaf zu zerreißen. ... Und dieje Redensarten zu einer
Zeit, wo ihm bereits das Fell über die Ohren gezogen werden
jol. Mag er nur jeine Yappländer protegieren! Uns aber
wird die heilige Jungfrau jchügen und uns helfen wie dem
Bobele in Sandomir, dejjen Korpus jie jamt dem Pferde, das
er ritt, über die ‚zluten der Weichjel trug, ohne daß er den
mindejten Schaden litt. Als er jich umblidte, wo er jei, da
fand er ſich im Pfarrhofe des nächjten Dorfes und brauchte
ji) nur an den Tiſch zu jegen, der bereits für ihm gedeckt
Itand. Mit jolcher Hilfe werden auch wir fie alle hier wie Die
Aale aus dem Nee ziehen.“
9. Rapitel.
Mehrere Tage waren jeit den vorjtehenden Ereigniſſen
verflofien. Noch immer ſaß der König in jeinem Lager zwijchen
den beiden Flüſſen, ſandte Eilboten in alle Städte und Feſtungen
in der Richtung nad) Warjchau und Krakau mit Befehlen, ihm
Hülfstruppen zu jenden. Much Nahrungsmittel waren den
Schweden auf der Weichjel zugeführt worden, doch nicht in zu=
reichender Menge. Nach zehn Tagen war man gezwungen, die
eriten Pferde zu jchlachten. Verzweiflung padte den König
und die Generale bei dem Gedanken, was werden folle, wenn
die Aeiter ihrer Tiere beraubt, und die Kanonen ohne Vor—
jpann bleiben würden. Von allen Seiten drangen entmutigende
Nachrichten in das Lager. Das ganze Land war im Aufruhr
entbrannt, als hätten Pechfackeln e8 an allen Enden zugleich
entzündet. Deshalb blieben die Hilfstruppen aus, denn die
Stadtfommandanten und Eleineren Präſidien wagten fich nicht
hinaus. Litauen, wo Pontus de la Gardie den Aufitand bis—
her mit eijerner Hand niedergehalten, hatte jich plöglich wie
ein Mann gegen die Schwedenherrjchaft erhoben. Großpolen,
welches jich zuerit dem ‘Feinde unterworfen Hatte, ging allen
anderen Provinzen in Ausdauer, Haß und Begeilterung voran,
jegt, wo es galt, jich für das Vaterland zu begeijtern und den
Feind zu haſſen. Die Bolontäre und Bauern griffen Die
Schweden nicht mehr blos in den Dörfern, jondern auch in den
Städten an. Umſonſt rächten jich die Eindringlinge ſchrecklich
an Haus und Hof der Empörer, umſonſt hadten ſie den
einzelnen Gefangenen die Hände ab, umſonſt hingen fie fie
haufenweiſe an Bäume und Galgen und jpannten viele auf
363
die Folter. Die Polen waren nicht mehr unterzufriegen, ihr
Nationalgefühl war erwacht. Ob taujende der Empörung zum
Opfer fielen, was fümmerte jie das? Der Edelmann fiel mit
dem Schwert, der Bauer mit der Senje in der Hand. Das
Schwedenblut durchtränfte die Erde Großpolens, die Polen
zogen ſich in die Wälder zurüd und bauten jich dort Hütten,
jelbjt Frauen griffen zu den Waffen und zogen gegen den Feind
ins Feld. Die Strafgerichte der Schweden vertieften nur den
Haß, vergrößerten nur die Rache.
Kuleſcha, Krystof Schegozfi und der Wojewode von Pod—
lachten fuhren mit flammenden Schwertern in der Provinz
umher. Die Aeder blieben unbejtellt, Hungersnot im ganzen
Yande, Hungersnot und Elend aber bedrüdten die Schweden
mehr noch als die Polen, da diejelben Hinter den gejchlojjenen
Thoren der Städte fich viel weniger und jchwieriger ver—
proviantieren fonnten, als die Bolen draußen in den Wäldern.
Und zulegt war ihnen jozuiagen der Atem ausgegangen.
Ebenjo ging es in Maſowien zu. Dort famen die Kohlen—
brenner und Teerjieder aus den Wäldern herbei, zeritörten die
Wege und Landſtraßen, fingen die Fouragetransporte und Eil-
boten auf. In Podlachien jammelte jich der Kleinadel und
z0g in großen Scharen zu Herrn Sapieha oder nach Litauen.
Die Wojewodichaft Yublin war in den Händen der Konföderier—
ten. Bon Reußen her famen die Tartaren und gezwungener-
weije mit ihnen die Koſaken.
Die Polen waren jo jtegesjicher; wenn auch nicht bald,
jo doch vielleicht in Tagen, Wochen, Monaten mußte Karolus
Guſtavus mit jeinem Heere ſich den vereinten polnischen Armeen
itellen und der Ausgang des Krieges jchien ihnen jo gewiß,
daß einige jehr janguinische Naturen bereit3 Liefland der
Nepublif als Provinz einverleibt jahen.
Da plöglich verbejjerten jich die Ausfichten Karl Gujtavs.
Am 20. März ergab jich Marienburg, das bisher der Belage-
rung durch Stenbod tapferen Wideritand geleijtet hatte. Seine
ftarfe, tapfere Armee fonnte nun, da es in Preußen für fie
nicht3 mehr zu thun gab, dem Könige zu Hilfe eilen. Von
der anderen Seite fam der Markgraf von Baden, welcher jett
die Formierung jeiner Truppen beendigt hatte, mit noch frijchen
ungejchwächten Kräften gegen die Weichjel heran.
Beide feindlichen Heere fegten daher alles, was jie auf
ihrem Wege antrafen, marodierend, brennend, verwüjtend. Alle
Eleineren jchwedijchen Kommandos und PBräjidien wurden den
364
Armeen ald Zuwachs einverleibt, deren Stärke zunahm, wie
ein Fluß, der in jeinem Laufe immer neue Zuflüſſe auf-
nimmt.
Die Nachricht von dem Anmarſch der beiden Armeen
gelangte jehr bald an die Ufer der Weichjel und San. Sie
hatte eine ganz verjchiedene Wirkung. Den Schweden jchwoll
das Herz von Hoffnung und neuem Mut, die Polen wurden
von großer Sorge befallen. Noch war Stenbod weit entfernt,
aber der Markgraf von Baden, welcher in Eilmärjchen anrüdte,
fonnte jehr bald angelangt jein und die Geſtaltung der Dinge
bei Sandomir bedenklich verändern.
Die polnischen Heerführer fanden ſich zu einer Beratung
zujammen, am welcher ſich Herr Tjcharniezfi, der, Hetman von
Litauen, Herr Michael Radziwill der Truchſeß, Herr Witowski,
ein alter Krieger mit großen Erfahrungen, und Herr Lubo—
mirski, der fich jenjeits der Weichjel ſchon langweilte, teilnahmen.
Es wurde bejchlojjen, daß Herr Sapieha mit jeiner litauijchen
Armee hier verbleiben jolle, um die Bewegungen Karl Guitavs
zu überwachen und zu verhindern, dab er das Delta verlajie.
Herr Tieharniezfi jollte dem Markgrafen entgegenziehen und
ihm jo bald als möglich eine Schlacht liefern. Wenn Gott
den Sieg verlieh, dann follte er hierher zurückehren.
Die diesbezüglichen Befehle waren jchnell ausgegeben. Am
nächiten Morgen wurden in aller Stille die Signale zum Auf—
bruch gegeben, denn Ticharniezti wollte jeinen Abmarjch vor
den Schweden verheimlichen. Das Lagerterrain wurde jofort
mit einigen lojen Fahnen Freiwilliger und etlichen Bauern—
parteien belegt, welche die Yagerfeuer nachts brennend erhielten
und das Geräufch, welches im Lagerleben unvermeidlich ilt,
tagsüber ebenfalls fortjegen follten, damit die Schweden Feine
Veränderung merften.
Dann verließen die Fahnen einzeln das Lager. Zuerſt
die Yaudaer, welche eigentlich bei Herrn Sapieha hätte bleiben
jollen. Da aber Ticharniezfi fie nicht entbehren wollte, jo
mochte der Großhetman fie ihm nicht vorenthalten. Ihr folgten
Wonjowitichs auserlefene Krieger unter ihrem bewährten Führer,
der jeit einem halben Jahrhundert an den Schlachtenlärm ge=
wöhnt war, dann die Fahne Demetrius Wisniowiezfis unter
Schandarowsfi, diejelbe, welche bei Rudnick jich mit unjterb-
lihem Ruhme bededt, ferner die zwei Pragonerregimenter
Witowsfis, die beiden Jaworowskis, deren eine der berühmte
Stazkowski anführte, die Leibfahne Ticharniezfis, die Stamme
365
fahne unter Polanowski und die ganze Armee Lubomirskis.
Man nahm weder Wagen noch Fußſoldaten mit, da dieje den
Marſch auf Feldwegen nur aufgehalten hätten.
Bei Sawada vereinigten fie ſich wieder. Es war ein
jtattliches Heer voller Kraft und friſchem Mute. Herr Tichar-
niezft ritt num an die Spige, ordnete die Reihenfolge der
Regimenter und Fahnen an und ließ fie dann im Parademarjch
an jich vorüberziehen. Das Pferd unter ihm jchnaufte, warf
den Kopf in die Höhe und tänzelte, als wolle es die VBorüber-
ziehenden grüßen, und dem Sajtellan jelbit jchwoll das Herz
bei dem herrlichen Anblid, der fich ihm bot. Der General
wurde in ihm wach, der Feldherr tarierte mit kundigem Blid
die Kraft und das Gejchie feiner Truppen, und die Sieges-
freudigfeit, welche aus den Augen der Mannjchaften blitzte,
teilte jich auch ihm mit.
„Mit Gott zu Kampf und Sieg!” rief er aus, das Schwert
Ichwingend.
„Mit Gott! Wir wollen jiegen!* antworteten ihm die
fräftigen Männerjtimmen.
Mit Gott! Der Ruf pflanzte jich durch alle Glieder, bis
an das Ende des Zuges fort.
Tieharniezfi jpornte, al er vorüber war, das Pferd, um
die an der Spitie des Zuges reitende Laudaer Fahne einzuholen.
Und fort ging es! Nicht wie Menfchen zogen fie, jondern
wie ein Zug Bögel flogen jie durch das Land. Flüſſe, Wälder,
Dörfer, Städte flogen an ihnen vorüber. Die Soldaten jchliefen,
aßen, tranfen in den Sätteln, die Pferde wurden aus der Hand
gefüttert, in den Flüſſen getränft.
Wenn fie durch Dörfer famen, jtürzten die Menjchen vor
die Thüren der Häufer, doch ehe fie ſich recht bejinnen konnten,
war die wilde Jagd ihren Blicken wieder entſchwunden.
Endlich bei Kofieniza trafen fte auf acht ſchwediſche Fahnen
unter Torneskild. Die Yaudaer hatten den Feind zuerit erblidt
und waren ohne Belinnen auf ihn losgeſtürmt. Schandarowski
und Wonſowitſch folgten, als Vierter jchloß ſich ihnen Staz-
fowsfi an.
Die Schweden nahmen, im guten Glauben, daß fie es mur
mit einer der im Lande umbherjchwärmenden Barteien zu thun
hätten, den offenen Kampf auf. Zwei Stunden jpäter war
nicht ein Mann mehr übrig, der dem Mearfgrafen hätte Die
Nachricht bringen fünnen, daß Tſcharniezki gegen ihn im Anzuge
jet. Dann ging es weiter, wie der Sturm, der über die Felder
366
jagt, nah Magnujchewo zu, da die ausgejandten Kundjchafter
mit der Nachricht zurüdgefommen waren, daß der Markgraf jich
mit feiner ganzen Armee bei Warfa befinde.
Herr Wolodyjowsfi wurde auf die Nacht mit einem Vor—
trab ausgejchict, um zu erforjchen, wie das Heer verteilt war
und wie jtarf es jein fonnte.
Herr Sagloba beklagte jich jehr über die Expedition, er
meinte, daß jelbjt der berühmte Wisniowiezfi niemals in Ddiejer
Weije vorgegangen war. Trogdem zog er ed vor, mit Wolody-
jowsfi auf die Nacht weiterzureiten, als beim Heere zu bleiben.
„Es war doc eine goldene Zeit bei Sandomir“, jagte er,
ji im Sattel dehnend. „Man konnte ruhig ejjen, jchlafen und
tagsüber von weitem das Schwedenlager objervieren. Jetzt
iſt nicht joviel Zeit, um einen Schlud aus der Feldflaſche zu
nehmen. Ich kenne die Kriegskunſt nach altem Brauch, in
antifer Weije nad) dem Muſter des großen Pompejus und
Cäſars; Herr Tieharniezfi erfindet eine neue Mode. Das ilt
gegen alle Negeln der Menschlichkeit, Durch jo viele Tage und
Nächte den Bauch zu Ddurchjchütteln. Mein Verſtand jcheint
jid) vor Hunger ganz zu verwirren, denn es fommt vor, daß ich
einen Stern für einen Graupenforn und den Mond für eine
Spedjcheibe Halte. Ein Hundeleben das! Ihr könnt mir’
glauben! Jch bin zumeilen verjucht, meinem Pferde die Ohren
abzubeigen — jo hungert mich!“
„Laßt gut jein! Morgen! Wenn wir die Schweden ge-
ichlagen haben, dann ruhen wir aus,“ tröjtete Wolodyjowstfi.
„sch will jchon lieber die Schweden nicht mehr jehen, als
jolche Bein ausjtehen! Herr! Herr! Wann wirjt du diejem
Lande den Frieden wiedergeben und dem alten Sagloba einen
warmen Winfel hinter dem Ofen und einen Becher Warmbier
... jei es aud ohne Fettrahm . . . Schaufele dich, Alter,
im Sattel, jchaufele dich, bis du in die Grube fährit! .
Hat jemand von euch eine Prije Tabaf? Vielleicht niefe ich
mir die Schläfrigfeit aus den Augen... Sch muß ja gähnen,
dag mir das Maul offen jtehen bleibt und der Vollmond in
meinen Magen jcheint. Wei Gott, was er dort juchen mag,
denn e3 ijt nichts drinnen. Ein Hundeleben! Wahrhaftig!“
„Wenn ihr glaubt, Ohm, dat der Mond eine Spedjcheibe
it, dann verjchlingt ihn doch,“ jagte Nochus.
„Wenn ich dich verjchlingen wollte, fünnte ich jagen, daß
ich mich am Rindfleisch jattgegejien habe, aber ich fürchte, daß
367
der Genuß eines jolchen Bratens mich um das lette bischen
Beritand bringen würde.“
„Wenn ich ein Ochje bin und ihr ſeid mein Ohm, für
was haltet ihr euch dann, Ohm ?*
‚sch glaube gar, du Narr denkſt, day Alten ihre Söhne
hinter dem Ofen empfangen hat?“
„Bas geht das mid) an?“
„Das geht dich jo viel an, daß, wenn du ein Ochs bift,
Du zuvor fragen mußt, wer dein Erzeuger ijt, ehe du nach der
Verwandtichaft mit dem Ohm forjcheit. Der Stier raubte Die
Europa und zeugte mit ihr die Rinder, während ihr Bruder,
der Ohm dieſer Nachfommenjchaft, deshalb doch ein Menſch
blieb, verjtehjt du mich?“
„Die Wahrheit zu jagen, verjtehe ich euch nicht. Aber
ejien möchte ich auch.“
„Meinetwegen iß dich am deiner Dummheit jatt. Lak
mich jett schlafen! Was giebt es, Herr Michael? Warum
reiten wir nicht weiter?“
„Warfa iſt in Sicht!“ ſagte Wolodyjowski. -„Da jeht!
Der Kirchturm glänzt im Mondenlicht.“
„Haben wir Magnujchewo denn jchon Hinter uns?“
„Wir ließen Magnufcherwo rechts liegen. Es jollte mich
wundern, wenn auf dieſer Seite des Flüßchens feine Vorpoiten
ausgejtellt wären. Wir wollen im jener Schonung dort uns
auf die Lauer legen; vielleicht fangen wir etwas.“
Während er das jagte, führte Herr Michael jeine Abteilung
der Schonung zu und jtellte diejelbe zu beiden Seiten, etwa
hundert Schritte vom Wege entfernt auf. Er befahl, die Pferde
Itraff am Zügel zu halten, damit feines durch Schnaufen fie
verrate.
„Stillgeitanden!* befahl er dann. „Wir wollen horchen,
ob wir etwas vom anderen Ufer drüben hören oder auch jehen
fünnen.“
Eine Zeitlang blieb alles jtil. Die müden Soldaten
fingen an in den Sätteln zu niden. Herr Sagloba hatte ſich
auf den Hals des Pferdes hingejtredt und war feſt eingejchlafen,
jelbit die Pferde jchlummerten.
Sp mochte etwa eine Stunde verflojjen jein, da hörte
das wachjame Ohr Wolodyjowsfis etwas wie fernes Hufeklappern
auf dem Wege.
„Aufgepaßt!“ rief er leije dem zunächjtitehenden Soldaten
zu. Der Soldat gab den Befehl eben jo leije weiter. Er jelbit
368
ritt big dicht an den Rand der Schonung, um den Weg über-
jehen zu fünnen. Der Weg leuchtete im Mondjchein wie ein
jilbernes Band. Zu jehen war nichts, aber dag Geräuſch von
Pferdehufen fam deutlich näher.
„Man fommt!* jagte Wolodyjorwsfi.
Die Soldaten Fakten die Zügel feiter und laufchten mit
angehaltenem Atem.
Auf dem Wege fam eine Abteilung Schweden näher. Sie
fonnte etwa dreißig Neiter jtarf fein. Die Neiter ritten lofe,
nicht in Reihen und liegen die Zügel läjjig hängen. Die einen
plauderten mit einander, andere jummten leije ein Lied, denn
die Nacht war lau, wie eine Mainacht und wirkte erheiternd
jelbit auf die Herzen der Strieger. Sie ritten ahnungslos jo
nahe an dem am Rande der Schonung haltenden Herrn
Michael vorbei, daß der Rauch aus den kurzen QTabafspfeifen
der Schweden ihm in die Naje 309.
Endlih war der Neiterzug vorüber und Hinter einer
Biegung des Weges verjchwunden. Wolodyjowsfi wartete bis
nichtö mehr von ihnen zu jehen und zu hören war, dann erit
ritt er zu den beiden Skrzetuskis und jagte:
„Wir wollen fie jet wie die Gänſe in das Lager des
Herrn Kajtellan treiben. Es darf feiner entkommen, damit feine
Nachricht von unferer Anmwejenheit zum Marfgrafen getragen
wird.“
„Wenn dann aber Herr Tieharniezfi uns nicht Zeit zum
Eſſen und Schlafen läßt,“ jagte Sagloba, „dann fündige ich
ihm den Dienjt und gehe zurük zu Sapteha. Ber Sapieha
heit es: „wenn jchlagen, dann jchlagen, wenn aber ausgeruht
wird, dann giebt e8 auch zu eſſen, jo viel, daß man vier
Mäuler jatt füttern könnte. Das nenne ich einen Feldherrn!
Und jagt mir einmal, warum find wir eigentlich nicht bei
Sapieha geblieben, wenn doch dieſe Fahne unter jein Kommando
ehört?“
„Läſtert nicht den größten Feldherrn der Republik, Vater,“
ſagte Johann Skrzetuski.
„Ich läſtere ja nicht, nur meine Eingeweide, die in allen
Tönen pfeifen, empören ſich.“
„Dann laßt die Schweden nach dieſer Pfeife tanzen!“
unterbrach) ihn Wolodyjowsfi. „Set, meine Herren, hurtig!
Ich möchte jie gern bei jener Schenfe im Walde, die wir liegen
jahen, einholen.“
Sie ritten auf dem Wege, den fie gefommen zurüd, doc)
369
nicht zu ſchnell. Wolodyjowsfi ließ jeine Reiter im Walde
reiten, ber jie in tiefe Dunkelheit hüllte. Die Waldjchenfe lag
nicht allzuweit ab. Als jie jich derjelben näherten, ritten jie
im Schritt, vorjichtig ausjpähend, um nicht vorzeitig die Auf-
merfjamfeit auf jich zu lenken. Auf Kanonenjchußweite von
der Schenke entfernt vernahmen jie Laute menschlicher Stimmen.
„Sie find da und machen Lärmen!“ ſagte Wolodyjowski.
Die Schweden waren zum größten Teil abgeſtiegen. Sie
ſuchten und riefen, ob jemand da ſei, den ſie um Auskunft
fragen konnten. Aber die Schenke war öde und leer. Die
einen durchſuchten das Wohngebäude, andere die Stallungen,
wieder andere hoben die Strohſchauben von den Dächern, die
Uebrigen ſtanden im Hofe und vor dem Hauſe umher, die Pferde
an den Zügeln haltend.
Wolodyjowski führte ſeine Abteilung bis auf etwa hundert
Schritte heran und umzingelte die Schenke.
Die im Hofe haltenden Schweden hörten und ſahen das
Heranfommen der Neiter ganz gut, doch da diejelben jich im
Walde hielten, fonnten fie im Dunkel nicht erfennen, was für
einer Truppengattung jie angehörten. Sie alarmierten auc)
die anderen durchaus nicht, in der Meinung, es jeien ebenfalls
ſchwediſche Neiter, denn wer anders hätte auch aus bderjelben
Richtung fommen können wie jie? Erit, als die Neiter die
Halbkreisſchwenkung machten, wurden fie jtugig und riefen die
in den Gebäuden Beritreuten an.
Da plöglich ertönte das Gejchrei „Allah! Allah!“ Gleich—
zeitig fielen mehrere Schüſſe, dunkle Gejtalten tauchten überall
auf, Säbelklirren, Flüche, unterdrücdte Schreie wurden laut.
Das alles aber währte faum zwei pater noster lang.
Bor der Waldjchenfe blieben einige Menjchen und Pferde—
förper liegen, die Abteilung Wolodyjowsfis aber zog weiter,
fünfundzwanzig Gefangene mit jich führend.
Sie ritten jet in geitredtem Galopp. Die Polen feuerten
die jchwedischen Pferde durch Hiebe mit der flachen Klinge an,
gleichen Schritt mit ihnen zu halten. Mit dem Morgengrauen
langten jie in Magnujchewo an. Im Lager war es jchon lebendig;
Tſcharniezki Hatte die ganze Nacht nicht gejchlafen. Er jelbit
fan Wolodyjowsfi entgegen. Auf den Griff jeines Degens ge—
jtügt, erwartete er ihn, bleich und abgemagert von den über-
itandenen Anjtrengungen.
„Bas giebt es draußen?“ frug er den fleinen Ritter jchon
von weiten. „Bringt ihr viele Neuigfeiten ?“
Sientiewicz, Sturmflut II. 24
370
„Ich bringe fünfundzwanzig Gefangene,“ antwortete Wolody=
jowski.
„Sind viele entkommen?“
„Nec nuntius cladis! Wir bringen alle mit!“
„But! Soldatchen! Euch braucht man nur auszujchiden,
geld hat man, was man braucht. Wir wollen jie glei) in's
erhör nehmen. Ich werde jie jelbjt ausfragen!“
Er wandte ſich zum Gehen, doch jchon im Fortſchreiten,
jagte er noch:
„Haltet euch bereit, e$ wäre möglich, daß wir unverzüglich
aufbrechen.”
„Warum denn?“ fragte Sagloba.
„Schweigt!“ gebot ihm Wolodyjowski.
Man hatte nicht nötig, die Tortur anzumenden. Die
jchwedischen Gefangenen befannten freiwillig, was jie über Die
Heeresitärfe des Markgrafen wußten, wie viel Kanonen, wie viel
sußjoldaten und Reiter er mit ich führte Der General
wurde nachdenklich, denn er erfuhr, daß die feindliche Armee,
obgleich erjt neu organijiert, aus lauter alten Soldaten bejtand,
welche die verjchiedenjten Feldzüge mitgemacht hatten. Es be-
fanden ſich bei ihr eine Menge Deutjche und eine jtarfe Ab-
teilung Franzoſen. Sie zählte mehrere hundert Köpfe mehr
als die polnijche. Dafür Klang die Ausjage tröftlicher, daß der
Markgraf feine Ahnung davon hatte, day Ticharniezfi ihm jo
nahe jei; er glaubte den General bei Sandomir, wo die Polen
den König belagerten.
Kaum hatte Tjcharniezfi das gehört, als er aufjprang und
jeinem Adjutanten zurief:
„Witowski, laßt zum Aufjigen blajen!“
Eine halbe Stunde jpäter war die Armee Tſcharniezkis
unterwegd. Sie marjchierte in der Morgenfühle durch die
tautriefenden Wälder und Felder. Endlich erjchten Warka,
oder vielmehr der Trümmerhaufen der Stadt, vor ihren Bliden,
denn fie war vor jech® Jahren niedergebrannt und nicht wieder
aufgebaut worden.
Die Armee mußte von hier aus durch die offene Ebene
marjchieren, fie konnte fich nicht mehr den Bliden der Schweden
entziehen. Es währte auch nicht lange, jo wurden die Heran—
ziehenden von den feindlichen Vorpojten bemerkt und dem Mark—
grafen die Thatjache gemeldet. Doch diejer glaubte, daß nur
größere Haufen des Kleinadeld und der Bauern das Lager in
Alarm jegen wollten.
371
Erjt ald immer neue Schwadronen aus dem Walde auf-
tauchten und im Trabe heranritten, griff eine fieberhafte Un-
ruhe im Lager Platz. Von der Ebene aus konnten die Polen jehen,
wie fleinere Abteilungen mit einzelnen Offizieren das Lager
verließen und Hin und her jprengten. Die buntgefleideten
ſchwediſchen Füjiliere formierten fic) vor den Augen der Bolen;
fie fahen aus wie Züge bunter Vögel. Ueber ihren Köpfen
erhoben ſich glänzend im Strahl der Sonne die Karrees der
mächtigen Speere, mit welchen die Fußjoldaten den Anprall der
Reiterattaden parierten. Hinter ihnen konnte man die Menge
der ſchwediſchen Banzerreiter jehen, wie ſie im Trab ihre
Flügelſtellungen einnahmen und zulegt die über Hals und Kopf
in das Vordertreffen eilenden Kanonen.
Alle diefe Vorbereitungen waren deutlich wahrnehmbar,
denn die Morgenjonne goß ihren lichten Schein über die ganze
Gegend aus.
Die Piliza trennte die beiden Armeen.
Auf der Seite der Schweden wurden die Trompeten ge-
blajen, die Kejjelpaufen und Trommeln gejchlagen, während
die eiligjt herbeieilenden Soldaten einen wüjten Lärm erhoben.
Auch Herr Ticharniezfi ließ die Kriegsfanfaren jchmettern
und rücdte im Eiljchritt mit allen Fahnen dem Fluſſe zu.
Er jelbjt jprengte auf feinem Scheden, daß ihm der
Atem ausging, zu Wonjowitjch, welcher mit feiner Fahne der
Nächte am Flujje war.
„Alter! Tapferer!“ rief er ihm zu. „Beſetzet die Brüde.
Laßt abjigen und die Musfeten in Schußbereitichaft halten.
Die ganze Armee dort wird fich euch zuwenden. Auf, Marjch!“
Wonſowitſch errötete vor Vergnügen, ſenkte zum Beichen
des Gehorjams feinen Säbel, und wie der Wind flog er jeinen
Leuten voran, der Brüde zu.
Etwa dreihundert Schritte davon hielten fie an. Zwei
Drittel der Reiter jprangen von den Pferden und eilten, Die
Musfeten in der Hand, im Sturmfchritt der Brüde zu.
Auch die Schweden gingen nun vor. Bald fnallten die
Schüſſe erjt vereinzelt, dann immer jchneller aufeinander.
Rauchwolken zogen den Fluß entlang. Zurufe der Ermutigung
tönten von beiden Seiten. Die Aufmerkjamfeit beider Armeen
fonzentrierte fich auf die Brüde, welche jchwer zu nehmen, aber
feicht zu verteidigen war. Dennoch! — Man fonnte nur über
fie zu den Schweden gelangen.
24*
372
Eine Viertelitunde jpäter jchidte Tjceharniezfi die Dragoner
Lubomirsfis dem Wonſowitſch zu Hilfe.
Aber Schon Hatten die Schweden die Kanonen zur Stelle.
Immer neue Gejchüge wurden aufgefahren; die Gejchojle flogen
pfeifend über die Köpfe der Stürmenden, jchlugen in die Wieje
und wühlten den loderen Boden, daß Raſen und Schmuß
umberflogen.
Der Markgraf von Baden jtand im Hintertreffen der
Armee; er beobachtete durch ein Fernglas das Gefecht. Bon
Zeit zu Zeit jehte er das Glas ab und blidte jtaunend auf
jeine Staböoffiziere.
„Sie find wahnfinnig,” jagte er. „Sie wollen die Er-
jtürmung der Brüde erzwingen. Zwei bis drei Fahnen und
ein paar Kanonen genügen, diefelbe zu halten.“
Je wütender Wonſowitſch angriff, deſto wütender ward die
Verteidigung. Die Brüde wurde zum Müttelpunfte der Schlacht,
welchem jich allmählich die ganze Linie der Schweden zumwandte.
Eine halbe Stunde darauf hatte die ganze Armee ihre Stellung
verändert, jie war feine Frontitellung mehr, jondern eine jeit
liche. Die Brüde wurde unaufhörlich mit einem Stugelregen
überfchüttet. Die Mannschaften des Wonjowitjch fielen haufen
weile; trogdem fam Befehl über Befehl, die Brüde weiter zu
ftürmen.
„Zicharniezfi hat es auf unſer Verderben abgejehen,“ jchrie
plöglich der Stronenmarjchall.
Witowsfi, als erfahrener Soldat, erfannte die Unhaltbarfeit
der Position und die Gefahr, die jeine Mannschaften bedrohte.
Er bebte vor Zorn und Ungeduld, und da er das nicht länger
mehr mit anjehen fonnte, wandte er fein Pferd und jprengte,
was es ausgreifen fonnte, zu Tjceharniezfi, welcher während der
ganzen Zeit zur VBerwunderung aller jeine Leute dem Fluſſe
zu drängte,
„Erw. Erlaucht!“ jchrie Witowski, „das dort it unnüßes
Blutvergießen, wir befommen die Brüde nicht!“
„sch will fie auch gar nicht haben!“ antwortete Tſcharniezki.
„Was aljo wollen Ew. Erlaucht denn? Was jollen
wir thun?“
„Macht, daß ihr zu eurer Fahne fommt und die Brücde
jtürmt! Fort mit euch!“
Die Augen Tjeharniezkis jprühten Feuer, Witowsft prallte
por dem Ausdruck in dieſen Augen zurüd und machte Kehrt,
ohne ein Wort zu erwidern. |
373
Unterdejien hatte der General jämtliche Fahnen bis auf
zwanzig Schritt dem Fluſſe nahe gebracht und dieſelben in
langer Linie am Bett der Piliza aufgejtellt. Niemand fonnte
ſich erflären, was er damit bezwedte.
Plöglich jtellte er jich vor die ‚sront der Fahnen; jein
Geficht glühte, die Augen jchofien Blige. Ein heftiger Wind
hatte jich erhoben, die Flügel feiner Burka flatterten um ihn,
wie die Flügel des Adlers, das Pferd unter ihm bäumte jich
unter den Sporen des Reiterd und riß die Nüjtern weit auf.
Ticharniezfi ließ den Säbel jinfen, riß die Müte vom Kopfe;
das dichte Haar flog im Winde um die jchweißtriefende Stirn.
„Meine Herren!“ fchrie er der Divijion zu. „Der Feind
glaubt jich jenſeits des Fluſſes ficher; er jpottet unſer! Er iſt
über das Meer zu uns gekommen, unjer Vaterland zu zeritören
und er denkt, daß wir zögern werden, zur Rettung Ddesjelben
dieſes Flüßchen zu durchſchwimmen!“
Er warf die Mütze zu Boden, riß den Säbel in die Höhe
und, flammende Begeiſterung in ſeiner ganzen machtvollen
Perſönlichkeit, ſchrie er noch ——
„Wer Gott liebt und ſeinen Glauben! Wer das Vater—
land liebt! Mir nach!“
Er gab dem Pferde die Sporen, daß es hoch in die Luft
jprang und mit einem mächtigen Satze in die Fluten der Piliza
tauchte. Hoch auf braujten die Wogen; einen Augenblid lang
waren Noß und Reiter in dem Schaum und Gijcht ver-
ſchwunden, tauchten aber bald wieder auf.
„Meinem Herrn nach!” rief Michalek, derjelbe, welcher bei
Rudnick feine erſten Lorbeeren verdient, und ſprang ebenfalls
in den Fluß.
„Mir nach!“ ertönte die dünne Stimme Wolodyjowsfis.
Auch er war in der nächiten Sekunde im Waſſer.
„Jeſus, Maria!“ brüllte Sagloba, jein Pferd zum Sprunge
ſpornend.
Und nun ſtürzten ſie alle hinterdrein, die Laudaer Fahne
zuerſt, dann die Wisniowiezkiſche, die von Witowski, Stazkowski
und alle die anderen. Nach dem erſten Staunen war eine
Begeiſterung — über dieſe Reiter gekommen. Eine
—* drängte die andere; das Waſſer des Fluſſes trat aus
den Ufern und verwandelte ſich ſchnell in eine dicke milchige
Flüſſigkeit. Zuerſt ſchien es, daß das Waſſer die Laſt der
Tiere und Menſchen nicht tragen wolle, bald aber ſchwammen
die Pferde ruhig und dicht bei einander durch die wogende Flut,
374
wie eine unabſehbare Schar Delphine, eine Brücke bildend, auf
welcher ein Mann ruhig hätte hinüberjchreiten können.
Tieharniezfi war der erjte, welcher das jenjeitige Ufer
gewann. Noch ehe er das Wafjer etwas aus den Kleidern
gejchüttelt hatte, waren die Yaudaer ihm gefolgt und Schan-
darowski führte foeben jeine Fahne das Ufer herauf.
„Auf! Sclagt zu! Vorwärts!” Fommandierte der General.
Er ließ eine Fahne nach der anderen an jich vorüber,
der legten jtellte er jich an die Spite und vorwärts ging es,
den anderen nad).
Die erjten zwei Abteilungen jchwediicher Weiter, welche
dem Fluſſe zunächjt jtanden, bemerften zwar, was gejchah; Die
Verwegenheit der Polen verblüffte jie jedoch jo jehr, daß fie
wie angewurzelt jtanden und ehe noch ihre Offiziere recht zur
Belinnung kamen, braujten die Yaudaer jchon jo — daher,
daß die Schweden, unvorbereitet wie ſie waren, dem Anprall
nicht Stand zu halten vermochten und die erſte Fahne im nächſten
Augenblick vom Erdboden verſchwunden war.
Inzwiſchen war auch Schandarowski herangeſauſt. Ein
kurzer verzweifelter Kampf begann, die Glieder der Schweden
wurden durchbrochen, in regelloſer Flucht ohne Deckung eilten
ſie zur Hauptarmee zurück, von den Fahnen Tſcharniezkis un—
barmherzig verfolgt und niedergehauen.
Endlich war allen klar geworden, warum Tſcharniezki ſo
feſt auf der Einnahme der Brücke beharrt hatte, obgleich er ſie
nicht zum Uebergange benutzen wollte. Er hatte nur die ganze
Aufmerkſamkeit der feindlichen Armee von ſich ab, dem einen
Punkte zulenken wollen, um ſich den ungeſtörten Uebergang
durch das Flußbett zu ſichern. Zudem hatte er erreicht, was
er gewünſcht, nämlich, daß die Stellung der Geſchütze eine für
ihn günſtige geworden, er beim erſten Anſturm auf das feind—
liche Heer von ihnen unbehelligt blieb, und Zeit gewann, indem
eine ganz neue Formierung der Schlachtlinie am Fluſſe nach
rückwärts ſtattfinden mußte.
Was der Feldherr vorausgehofft, geſchah. Ein entſetzliches
Getümmel entſtand bei der Brücke. Bei der Wendung der
Füſiliere und Reiter nach rückwärts löſten ſich die Glieder der
einzelnen Abteilungen; im Lärmen des Durcheinander wurden
die Kommandorufe überhört oder falſch verſtanden. Umſonſt
ſuchten die Offiziere mit faſt übermenſchlicher Anſtrengung die
Ordnung wieder herzuſtellen, umſonſt entſandte der Markgraf
Hilfstruppen — noch ehe die Füſilierbataillone ihre Lanzen—
375
ichäfte befejtigt, um fie der Attade der Feinde entgegenrichten
zu fünnen, war die Zaudaer Fahne mit gejpenjterhafter Eile
bis in die Mitte derjelben vorgedrungen, Tod und Berderben
füend. Die zweite, dritte, vierte Fahne der Polen war der
eriten gefolgt. Pulverdampf verhüllte das Schlachtfeld, aus
der grauen Wolfe, die alles den Bliden entzog, flang nur das
Geklirr der Säbel, die VBerzweiflungsichreie der Gefallenen,
Triumphgejchrei der Sieger. Nur zuweilen ja man im Glanz
der leuchtenden Sonne einen Zanzenjchaft oder den Knauf eines
Schwertes durch die Dampfwolfen bligen.
Jetzt fiel von der Brüde her Wonſowitſch mit den Ueber-
bleibjeln jeiner Fahne dem Feinde in die Flanke; er Hatte die
Brüde überjchritten und fein Einjchreiten entichied den voll-
jtändigen Sieg über die ?Füftliere des Markgrafen.
Es Löten jich ganze Haufen Fliehender aus den zerrijjenen
Gliedern und juchten in wilder ‚Flucht den Wald zu erreichen,
wo der Markgraf mit der Hauptarmee hielt. Planlos, ohne
Kopfbedelung und Waffen rannten fie umher, den Schwert-
hieben der Verfolger zum Opfer fallend. Artillerie, Füſiliere
und Reiter, alles in buntem Gemifch durcheinander, jtrebte dem
rettenden Walde zu, die polnischen Reiter immer dicht auf den
Ferſen, zu beiden Seiten, mitten zwijchen ihnen, ja jogar vor
ihnen, die Flucht abjchneidend. Keiner wehrte jich mehr, die
ganze Ebene dröhnte vom Gejtampf der Pferde, ohne Barm-
berzigfeit fielen die Schwertitreiche, die Schlacht war zum
Gemetzel geworden.
Bon dem Teil der Armee, die am Fluſſe geitanden und
dem Walde zu floh, blieb nichts übrig, al3 ein paar vereinzelte
Neiterhäuflein, welche den Wald erreichten. Doch wie überall,
jo auch Hier, vollendeten die im Dicicht verborgenen Bauern
das Werf der Vernichtung.
Und nun begann die jchredliche, regelloje Flucht und Ver—
folgung der Hauptarmee auf der Warſchauer Landſtraße. Der
jüngere Marfgraf Adolf verjuchte zweimal die Flüchtigen zum
Stehen zu bringen, doch beide Male wurde jein Vorhaben ver-
eitelt, zulett geriet er jelbjt in Gefangenjchaft.
Die Abteilung feiner franzöfischen Leibgarde in der Stärfe
von vierhundert Mann jtredte freiwillig die Waffen. Drei-
taujfend der auserlejenjten Musketiere und Reiter flohen bis
nad; Mniſchewo. Die Musketiere wurden in Mnijchewo ein=
geholt und ausgerottet, die Reiter wurden big Tſcherſtkow ver-
folgt, jo lange, bis diejelben volljtändig verjprengt, einzelne in
376
den Wäldern, dem Röhricht und Unterholz Schuß juchten, wo
fie am nächiten Tage von den herumziehenden Bauern aufs
gejtöbert und aufgehängt wurden.
Noch ehe die Sonne unterging, hatte die Armee des Marf-
grafen Friedrich von Baden aufgehört zu eriltieren.
Auf dem Plate des erjten Treffens waren nur die Fähn—
riche mit den blanfen Fahnen zurücgeblieben, alles, was zur
polnischen Armee gehörte und noch lebte, jagte den Feinden
nach. Die Sonne jtand jchon tief am Himmel, als die erjten
Abteilungen vom Walde her, und aus Minifchewo zurückkehrten.
Sie nahten jingend und lärmend, warfen jubelnd ihre Mützen
in die Luft und feuerten Freudenjchüffe ab. Faſt alle führten
Gefangene mit fich, welche neben den Pferden herlaufen mußten,
ohne Kopfbedeckung, blutbefledt, mit zerfegten Kleidern, durch
die Bewegungen der Pferde oft aneinander gejchleudert. Das
Schlachtfeld bot einen entjeglichen Anblid. & der Kampf am
ärgiten gewütet hatte, lagen die Leichen haufenweije übereinander ;
viele von ihnen hielten noch die Lanzen feit in den eritarrten
Händen. Halb oder ganz zerbrochene Lanzen, Trommeln, Trom—
peten, Gürtel und DBlechgerät lagen überall umher. Arme und
Beine der übereinander gehäuften Toten jtarrten in die Höbe,
ein wirre® Durcheinander, jo daß es jchredlich anzujehen war.
In der Nähe des Fluſſes lagen die nun erfalteten Ge—
jchüge, teil umgejtürzt von dem Andrange der Menjchen, teils
icyußbereit, nur des Abbrennens harrend; neben ihnen, im tiefen
Todesjchlaf die Kanoniere. Der Glanz der Abendjonne jpiegelte
ji in den Blutlachen, die überall jich angejammelt hatten und
die, verbunden mit dem Duft des verbrannten PBulvers, über
das ganze Schlachtfeld einen jcharfen Geruch ausjtrömten.
Zicharniezfi fam mit den Stammjoldaten zurüd, noch
bevor die Sonne ganz untergegangen war. Die Truppen be-
grüßten ihn mit donnernden Sochrufen. Die Begrüßungen
und Beglüdwünjchungen wollten fein Ende nehmen. Der General
hielt auf feinem Scheden mitten auf dem Schlachtfelde, er jah
unendlich erjchöpft, aber jtrahlend im Bewußtſein des Sieges
aus, Das Haar auf dem entblößten — wurde von der
Luft leiſe hin und her bewegt, das Abendrot goß einen roſigen
Schimmer über die müden Züge und ſpiegelte ſich in dem Knauf
des Säbels, während er auf alle die Vivatrufe nur die eine
Antwort hatte: „Nicht mir, meine Herren, gebührt der Dank
und die Ehre, fondern dem Namen des allmächtigen Gottes.“
Neben ihm hielten Witowski und Lubomirski, der lehtere
377
jtrahlend wie die Sonne, denn jein vergoldeter Panzer leuchtete
weithin, jein Geficht und die Hände rot gefärbt vom angetrod-
neten Blute der Feinde, die er eigenhändig, wie ein gemeiner
Soldat, getötet hatte. Doch jeine Züge nahmen einen immer
unzufriedeneren Ausdrud an, als ſelbſt jeine eigenen Leibjoldaten
zu rufen begannen:
„Vivat Tſcharniezki, dux et vietor!”
Der Neid begann jchon an der Seele des Marjchalld zu
nagen.
Unterdeſſen waren von allen Seiten her die verjtreuten,
noch fehlenden Fahnenabteilungen zurüdgefehrt; eine jede von
ihnen legte dem General eine eroberte Feindesfahne zu Füßen.
Bei diefem Anbli erhoben jich immer mehr Jubelrufe, man
ließ den Feldherrn immer von neuem hochleben.
Die Sonne war untergegangen. Da läutete in der einzigen
nach jenem Brande wieder aufgebauten Kirche in Warfa die
Abendglode. Alle Häupter entblößten jich, eine feierliche Stille
trat ein; der Feldprediger Piekarski intonierte den englijchen
Gruß und taujend rauhe Männeritimmen fielen in den Gejang
ein, dab der Hymnus mächtig über das Schlachtfeld hinaus
ertönte.
Die Augen all der bluttriefenden Krieger waren dem
Himmel zugewendet, der im Weſten von der Abendröte tief rot
gefärbt, ein Widerſchein dieſes blutigen Schlachtfeldes zu ſein
ſchien, während das fromme Lied ſich erhob zu dem immer
dunkler werdenden Gewölbe des Zenithes.
Eben als man den Geſang beendet, ſprengte die Laudaer
Fahne heran, die im Eifer des Gefechtes am weiteſten hinter
dem Feinde hergeſetzt war. Auch ſie brachte dem Feldherrn
ein paar eroberte Fahnen und Herr Tſcharniezki, welcher ſich
über dieſe Fahne ſtets am meiſten freute, ſprengte dem Herrn
Wolodyjowski lebhaft entgegen.
„Sind euch viele entkommen?“ frug er.
Herr Wolodyjowski ſchüttelte nur den Kopf zum Zeichen
der Verneinung. Er war ſo außer Atem, daß er kein Wort
hervorzubringen vermochte und nur nach Luft ſchnappte. Er
wies mit der Hand nach dem Munde, um anzudeuten, daß er
nicht reden könne, und Tſcharniezki verſtand ihn; er nahm den
Kopf des kleinen Ritters zwiſchen ſeine Hände und indem er
ihn faſt zärtlich preßte, ſagte er:
„Der hat ſich müde gearbeitet.“
378
Sagloba, der etwas eher zu Atem fam, beganı nun zähne-
flappernd mit unterbrochener Stimme:
„Mech friert! Wahrhaftig! Es zieht über den erhigten
Körper! Ein Schlagfluß wird mich treffen! Zieht einem diden
Schweden den Heberrod aus, damit ich ihn anziehen fann, denn
ich bin ganz nah. Ich kann fait nicht mehr unterjcheiden, was
an mir Wafler, Schweiß oder Schwedenblut iit.... Wenn
ich je gedacht habe, dak ich im Leben noch eine jolche Menge
diefer Schelme hinjchlachten würde, dann bin ich feinen Pferde—
jchwanz wert... Der heutige Sieg iſt der größte dieſes
Krieges... Aber ins Waſſer gehe ich nicht wieder... .
Nicht eſſen, nicht trinken, nicht jchlafen und dann ein Bad...
Das ijt zu viel für mein Alter... Die Hand erlahmt mir...
Der Schlagfluß padt mih! ... Branntwein her... um
Gottesmwillen! . . .*
Als Ticharniezki das hörte und den alten Mann ſah, er—
griff ihm tiefes Mitleid; er reichte ihm feine Feldflaſche.
Sagloba jegte fie an die Lippen und leerte jie auf einen
Zug. AS er fie dem General zurüdgab, jagte er:
„Sch habe jo viel Waſſer der Piliza verfchludt, daß ich
fürchten muß, nächjtens den Magen voll Fiſche zu haben Ach!
Das Getränk hat jet aber wohlgethan.“ ı
„Und zieht euch jchnell um, wechjelt die Kleider, im Not-
fall nehmt fie von den Schweden,“ jagte Herr Ticharniezfi.
„sch werde einen dicken Schweden juchen, von dem euch
die Kleider paſſen fünnten, Ohm,“ ſagte Rochus.
„Wozu von einem Toten die blutigen Sachen abnehmen,“
antwortete Sagloba. „Ziehe jchnell den dicken General aus,
den ich gefangen genommen.“
„Wie? hr habt einen General gefangen?“ frug Tichar-
niezki lebhaft.
„Ben hätte ich nicht gefangen, was hätte ich nicht voll-
bracht!” brüjtete jich der Alte.
Setzt hatte jich auch Wolodyjowsfi jo weit erholt, daß er
berichten konnte:
„Wir haben den jüngeren Markgrafen Adolf, den Grafen
Falfenftein, die Generale Weger, Poter, Benzy und andere
Offiziere in Gefangenjchaft genommen.“
„Und der Markgraf Friedrich?” frug Tſcharniezki Haitig.
„Wenn er nicht etwa hier auf dem Schlachtfelde geblieben
it, jo muß er in die Wälder entfommen jein; dort aber ift er
den Bauern rettungslos verfallen!“
379
Hierin täufchte Wolodyjowski fih. Der Markgraf Friedrich
hatte, nachdem er zuerjt in den Wäldern umbergeirrt war, noch
in der Nacht mit den Generalen Ehrensheim und Schlipenbad)
Tſchersk erreicht, dort in der alten Schloßruine drei Tage und
Nächte bei Hunger und Kälte heimlich zugebracht, dann waren
ſie nachts ebenjo heimlich nad) Warjchau geflüchtet. Das jchüßte
fie zwar nicht vor jpäterer Gefangenschaft, doch waren fie vor-
läufig geborgen.
Die Nacht war angebrochen, als Tjceharniezfi das Schlacht-
feld verließ und nad Warfa aufbrach. Es war die fröhlichite
und glücdlichjte jeines Lebens, denn jeit Beginn der Erhebung
hatten die Schweden eine jo große Niederlage nicht erlitten.
Außer dem Generalfeldmarjchall jelbft waren alle Generale
und Offiziere, alle Fahnen, alle Geſchütze in ihre Hände gefallen,
die Armee des Markgrafen war vernichtet. E3 war nun er—
wiejen, daß die Schweden, welche fich in offener Feldſchlacht für
unbejiegbar gehalten hatten, der Taktik des polnijchen Generals
und dem feurigen Angriff der Reiter unterlegen waren. Außer—
dem mußte diejer Sieg die beiten Folgen nach fich ziehen. Der
Mut der anderen polnifchen Armeen mußte dadurch gehoben,
zur flammenden Begeifterung angefacht werden. Ticharniezfi
jah im nicht zu langer Zeit die ganze Nepublif von dem Drud
der Schwedenherrjchaft befreit, triumphierend als Siegerin...
vielleicht auch jchwebte feiner Seele ganz in der Ferne das
goldene Szepter des Großhetman des polnischen Reiches vor.
Es war fein Unrecht, wenn er auch ein wenig daran
dachte, denn er jtrebte dieſem Biele mit der Kraft und dem
Mute eines ehrlichen Soldaten zu; er war der Bejten einer,
die ſich um das Vaterland verdient machten, einer der wenigen,
deren Größe aus bitterem Leid, aus Schmerz und Seelenqual
eritanden war.
Faſt konnte er die Fülle des Glüdes und der Freude, Die
nad) diefem Siege jeine Bruſt jchwellte, nicht ertragen; er mußte
ihr Worte leihen. Darum wandte er fich dem neben ihm
reitenden Marjchall zu und jagte:
„Set auf nad) Sandomir! nach Sandomir! fo jchnell als
möglich. Das Heer Hat heute die Feuerprobe beitanden; es
fann uns weder die San noch die Weichjel mehr chreden!“
Der Marjchall erwiderte fein Wort darauf. Dafür fonnte
Sagloba ſich nicht enthalten, laut zu jagen:
„Geht, wohin ihr wollt, aber ohne mich; denn ich bin
380
feine Wetterfahne, die Tag und Nacht weder Speije, noch
Trank, noch Schlaf braucht.”
Ticharniezfi war jo fröhlich geitimmt, dat er dieſen Aus-
bruch der Unzufriedenheit nicht nur nicht übel nahm, fondern
den Alten noch nedte:
„Ihr gleicht eher einem Glodenturm, wie einem Wetter-
bahn, denn ihr habt Spaten im Kopfe. Aber, — alles, was
wahr iſt, Schlaf und Nahrung benötigen wir alle.“
Darauf murmelte Sagloba nur noch vor fich Hin:
„Die Spaten jpufen einem im Sopfe herum, weil Die
Zunge am Gaumen Flebt.‘“
10. Kapitel.
Nach jenem Siege gönnte Ticharniezfi jeinem Heere die
wohlverdiente Ruhe Die Menjchen durften jich ausjchlafen
und jattefjen, die eben jo müden Pferde wurden abgefüttert.
Darnach jollte der Rückmarſch nad) Sandomir in Eilmärjchen
fortgejeßt werden.
Da, eines Abends fam Charlamp mit Nachrichten von
Sapieha in da3 Lager. Tcharniezfi befand jich zu jener Zeit
gerade in Tichersf, wo er die Mannjchaften des allgemeinen
Aufgebotes, welches fich bei jener Stadt zujammengezogen hatte,
einer Mujterung unterziehen wollte.
Da Charlamp den General nicht antraf, begab er ji)
jogleich zu Wolodyjowsfi, um nach dem langen Ritt bei ihm
auszuruhen. Die Freunde begrüßten ihn freudig, doch jein
Geſicht nahm einen traurigen Ausdrud an, während er jagte:
„Sch habe von eurem Siege jchon gehört. Hier hat ung
das Glück gelächelt, bei Sandomir hat es ung verlajjen.
Karolus figt nicht mehr im Sad; er hat ſich herausgehauen
und wir mußten ihn, nachdem das litauifche Heer großen
Schaden erlitten, ziehen lafjen.“
„Nicht möglich!” rief Wolodyjowsfi, ſich in die Haare
fahrend.
Die beiden Skrzetuski und Sagloba blieben wie verjteinert
itehen.
„Wie ift das zugegangen? Erzählt, beim lebendigen Gotte!
Wir brennen, zu hören, was gejchehen.“
382
„Sch bin zu erjchöpft,“ antwortete Charlamp. „Tag und
Nacht bin ich geritten, ich bin entjeglich müde. Wenn Herr
Ticharniezfi zurücgefehrt jein wird, dann will ich in jeiner
Gegenwart alles erzählen. Laßt mid) jet ein Wenig ausruhen.“
„Alſo Karolus ift entwichen!“ jagte Sagloba. „Sch habe
das kommen jehen! Nicht wahr? Oder habt ihr vergejien,
daß ich das prophezeite? Kowalski kann e8 mir bezeugen!“
„Der Ohm hat e8 prophezeit,“ echote Rochus.
— wo hat ſich Karolus hingewendet?“ frug Wolody—
jowski.
„Die Füſiliere ſind auf Flößen ſtromabwärts geſchwommen,
die Reiter ritten durch die Weichſelniederung gen Warſchau.“
„Gab es eine Schlacht?“
„Ja und nein! Ach laßt mich ruhen; ich bin außerſtande
zu ſprechen!“
„Nur eines ſagt uns noch. Iſt Sapieha vollſtändig ge—
ſchlagen?“
„Ach, woher denn? Er jagt jetzt dem Könige nach, aber
Herr Sapieha wird in ſeinem Leben niemanden einholen.“
„Der und etwas einholen. Der paßt zur Jagd, wie die
Schnecke zum Wettrennen!“ ſagte Sagloba.
„Gott ſei Dank, daß wenigſtens das Heer heil geblieben
iſt!“ verſetzte Wolodyjowski.
„Heer! Sie haben uns genarrt, die Baltiker!“ rief Sagloba.
„Was hilft es! Wir müſſen nun das Loch in der Republik
wieder flicken helfen!“
„Sprecht nichts Böſes auf das litauiſche Heer,“ entgegnete
Charlamp. „Karolus iſt ein großer Krieger und es bedarf
feiner bejonderen Ungejchidlichkeit, da8 Spiel mit ihm zu ver-
fieren. Habt ihr vom Kronenheere, bei Uſchtſch, bei Wolborſch,
Sulejowo und anderen Städten euch etwa nicht foppen laſſen?
Hat nicht ger Tſcharniezki bei Golembin auch eine Niederlage
erlitten? Warum ſoll da nicht auch Herr Sapieha einmal
eine Schlacht verlieren? Beſonders da ihr ihn ganz verwatiit
zurückgelaſſen habt.“
„Sind wir etiva zum Iuftigen Tanze nad) Warka marjchiert?“
jagte Sagloba entrüjtet.
„sch weiß, ihr zoget in die blutige Schlacht und Habt den
Sieg errungen. Aber wer kann wiljen, ob es nicht befjer ge-
wejen wäre, uns nicht zu verlafjen? Man fagt bei uns, daß
die beiden Armeen, jede für jich, leicht vernichtet werden können,
während jie vereint ſelbſt den Teufel bejiegen würden.“
383
„Das wäre nicht unmöglich!” jagte Wolodyjowsfi. „Was
aber die Feldherren beratjchlagt haben, dagegen fünnen wir ung
nicht auflehnen. Uebrigens jeid ihr jedenfalls nicht von jeder
Schuld freizufprechen.“
„Sapieha muß auf jeinem Pojten eingenidt jein, ich fenne
ihn ſchon!“ jagte Sagloba.
„sh kann das nicht bejtreiten!“ murmelte Charlamp
für ſich.
Sie verjtummten eine Weile, warfen fich von Zeit zu Zeit
düjtere Blicke zu, denn fie fürchteten, da das Glück wiederum
von der Nepublif zu weichen beginne. Und doch waren jie
noch vor furzem jo voll froher Hoffnungen gewejen.
Da jagte Wolodyjowsft:
„Der Herr Kajtellan fehrt zurück!‘
Mit diefen Worten eilte er zur Thür hinaus.
Tſcharniezki war wirklich zurücgefehrt. Wolodyjowsfi, der
ihm entgegenlief, rief ihn jchon von weiten zu:
„Erlaucht! Der König von Schweden hat das litanijche
Heer bewältigt und ift entflohen. Es ijt ein Bote vom Herrn
Wojewoden von Wilna angekommen.“
„Bringt ihn zu mir!“ befahl Tſcharniezki. „Wo ift er?“
„Bei mir! Sch führe ihn gleich her.“
Aber Herr Ticharniezfi war jo betroffen von diejer Nach»
richt, daß er nicht warten wollte, bi3 Charlamp zu ihm fam,
jondern vom Pferde jprang und in das Quartier Wolody-
jowsfis eilte.
Die Anwejenden jprangen von ihren Siten auf, als der
General eintrat und grüßten, doch er nidte ihnen faum zu, er
rief gleich:
„sch bitte um die Briefe!“
Charlamp reichte ihm ein verjiegelte® Schreiben. Der
General trat damit an das Fenſter, denn in der Stube war
e3 bunfel, und begann mit gerungelter Stirn und Sorge im
Antlig zu lejen. Bon Zeit zu Zeit bligte es zornig in Alu
Augen.
„Der Kajtellan ift aufgeregt,“ flüjterte Sagloba dem Skrze—
tusfi zu, „jieh nur, wie ihn die Pockennarben rot hervortreten;
er wird auch gleich anfangen zu lifpeln, wie er immer thut,
wenn der Zorn ihn padt.“
Ticharniezfi war mit dem Lejen zu Ende gefommen; er
drehte mit der Fauft an feinem Sinnbart und fann nad).
384
Endlich wandte er fich mit Hanglojen undeutlichen Worten an
Charlamp:
„Tretet näher, Soldat!“
„Zu Befehl, Erlaucht!“
„Sprecht die Wahrheit, “ſagte der Kaſtellan mit Nachdruck.
„Dieſer Bericht iſt ſo fein und geheimnisvoll verfaßt, daß ich
nicht auf den Grund der Dinge kommen fann ... Aber die
Wahrheit ... . nichts bejchönigen .... ijt Die Armee auf-
gelöſt?“
„Sie iſt nicht aufgelöſt, Erlaucht.
„Wieviel Tage werden nötig ſein, ſie wieder zu ſammeln?“
Hier flüſterte Sagloba wieder Skrzetuski zu:
„Er will ihn, wie man das nennt, aufs Glatteis führen.“
Doch Charlamp antwortete, ohne zu zögern:
Wenn das Heer nicht aufgelöft üt, braucht es doch nicht
gejammelt zu werden. Es ijt ja wahr, daß wir noch etwa fünf-
hundert Bauern mit ihren Pferden vermißten, als ich fortritt,
die wir unter den Gefallenen nicht entdeden fonnten, aber das
fommt nad) jeder Sclacht vor, darunter leidet die Ordnung
des Heeres nicht. Der Herr Hetman folgt in guter Ordnung
der Spur des Könige.“
„Kanonen habt ihr feine verloren? Steine?“
„Doch! Vier! Die Schweden haben jie, da fie diejelben
nicht mitnehmen fonnten, vernagelt.“
„sch glaube, ihr jprecht die Wahrheit. Erzählt nacheinander,
wie e3 gefommen.“
Ineipiam!* jagte Charlamp. „Nachdem wir allein
zurüdgeblieben waren, bemerkte der Feind doch bald, daß das
Heer jenjeits der Weichiel nicht mehr im Lager war, jondern
nur regelloje Barteien und Haufen aufjtändijcher Bauern. Wir
dachten, oder, um forreft zu jprechen, Herr Sapieha dachte, daß
die Schweden jene überfallen fünnten, deshalb jandte er ihnen
Suffurs, aber nur Fleinen, um nicht ſich jelbjt zu ſchwächen.
Im Schwedenlager war ein Leben und Summen, wie in einem
Bienenſtock. Gegen Abend drängten ganze Haufen an die San.
Wir waren im Quartier des Wojewoden. Da läßt fich diejer
Herr Kmiziz, welcher jest Babinitjch eilt, melden. Herr Sapieha
will fich gerade zu Tiſche jegen; er hatte eine ganze Menge
adliger Damen bis von Krajchnif und Janowo Her zu einem
Gajtmahl geladen, ... es iſt ja befannt, daß der Herr Woje—
wode das weibliche Gejchlecht liebt.“
„But zu ejjen liebt!“ unterbrach ihn Tſcharniezki.
385
„sa, ja, ich fehle ihm! es ijt niemand da, der ihn zur
Mäßigkeit anhält!“ warf Sagloba ein.
Darauf Herr Ticharniezfi:
„Ihr werdet wieder eher bei ihm jein, als ihr denkt, dann
fönnt ihr euch gegemjeitig Mäßigfeit empfehlen.“
Und zu Charlamp gewendet:
„Sprecht weiter.“
„Babinitjch meldet aljo die Bewegung im Schwedenlager,
der Wojewode antwortet darauf: ‚Sie jimulieren nur den Ans
griff! Sie werden nichts unternehmen! her, jagte er,
werden ſie Die Weichjel überjchreiten. Aber ich habe ein wach-
ſames Auge und werde rechtzeitig einjchreiten. Unterdeſſen
wollen wir uns unjer Vergnügen nicht jtören laflen. Auf
daB es uns wohl jet Wir aßen und tranfen. Die
Stapelle jpielte nachher, der Wojewode jelbit bat zuerjt zum
Tanz . . .“
„sch werde ihm das Tanzen anjftreichen!“ unterbrach
Sagloba.
„Schweigt!“ befahl Tſcharniezki.
„Da kommen von neuem Boten mit der Meldung, daß
das Getümmel und Gelärme an der San ganz entſetzlich ſei.
Es nützt nichts! Der Wojewode flüſtert dem Pagen zu: ‚Du
ſollſt mich nicht immerzu ſtören! Wir tanzten bis zum Morgen
und ſchliefen bis zum nächſten Mittag. Als wir endlich auf—
wachen, da ſehen wir drüben mächtige Schanzen, wie aus der
Erde gewachſen, und auf ihnen die ſchweren ſchwediſchen Kar—
taunen. Von Zeit zu Zeit wird eine abgefeuert und wo ſie hin—
ſchlägt, fällt ſie ſchwer auf. Aber eine einzige der geladenen Frauen
genügte, um den Hetman völlig blind für alles das zu machen!“
„Laßt die Bemerkungen,“ unterbrach ihn Tſcharniezki. „Ihr
ſeid hier nicht beim Hetman!“ |
Charlamp wurde jehr verlegen und fuhr fort:
„Nachmittag ritt dev Wojewode jelbjt an den Fluß. Die
Schweden hatten unter dem Schuge der Schanzen bereit3 an—
gefangen eine Brüde zu bauen. Sie arbeiteten bis zum Abend
zu unjerer großen VBerwunderung, denn wir waren der Meinung,
da fie die Brücke bauten, aber nicht herüber fommen fünnten.
Am folgenden Tage bauten jie weiter. Der Wojewode fängt
num auch am bejorgt zu werden; er bereitete ſich auf eine
Schlacht vor.“
„Die Brüde wurde doch nur zum Schein gebaut, Die
Stenkiewicz, Sturmflut II. 25
336
Schweden gingen weiter unterhalb über den Fluß, nicht wahr?“
jagte Tſcharniezki.
Charlamp jchwieg eine Weile mit weit aufgerifjenen Augen
und offenem Munde, endlich frug er:
„Ew. Erlaucht wijjen bereits?“
„Das muß man jagen,“ flüfterte Sagloba, „alles, was den
Krieg betrifft, das überjieht unjer Alter im Fluge.“
„Weiter!“ befahl Tſcharniezki.
„E83 wurde Abend. Das Heer jtand in Erwartung der
Schlacht fampfbereit da. Mit dem eriten Sternblinfen begann
bei ung wieder ein Gajtmahl. Unterdeſſen hatten die Schweden
auf jener anderen Brüde, unterhalb, die San überjchritten.
Dort Itand am Rande unjeres Lagers die Fahne des Herrn
Kojchüg, eines braven Soldaten. Der zieht los auf fie! Die
zunächitliegenden Haufen des allgemeinen Aufgebots eilen ihm
zu Hilfe, doch beim eriten Donner der jchwedischen Kanonen
fliehen jie. Herr Kojchüt it gefallen, von jeinen Leuten find
nur wenige übrig geblieben. Erſt als das allgemeine Aufgebot
im Sturm dad Schwedenlager überfiel, brachten jie einige Ber-
wirrung in den Uebergang; alles, was in der Nähe der zweiten
Brüde an Soldaten zu haben war, jtellte jich den Schweden
entgegen, aber wir richteten nichts aus, im Segenteil, wir ver-
Ioren noch unjere Kanonen, und e8 war ein Glück, daß der
rößte Teil der jchwediichen Fußjoldaten mit ihren Kanonen
* in der Nacht auf Flößen die Weichſel hinab geſchwommen
waren, wovon wir auch nichts bemerkt hatten, ſonſt wäre unſere
Niederlage eine ſchreckliche geworden.“
„Sapieha hat einen ordentlichen Bock geſchoſſen; ich wußte
das im voraus!” rief Sagloba.
„Wir haben die KKorrejpondenz des Königs aufgefangen,“
jagte Charlamıp. „Die Soldaten haben daraus erjehen, daß der
König nach Preußen gehen will, um mit einem furfürftlichen
Heere von dort zurüczufehren, da er allein hier nichts aus—
richten kann.“
„Das weiß ich!” antwortete Tſcharniezti. „Herr Sapieha
hat mir den Brief mitgejchidt.“
Dann murmelte er für fich:
„Wir müjjen ihm nach Preußen folgen.“
„Das iſt längjt meine Meinung!“ jagte Sagloba.
Herr Ticharniezfi jah ihn eine Weile gedanfenvoll aıt.
„Es iſt ein Unglüd!“ jagte er endlich laut. „Hätte ich
387
rechtzeitig nad) Sandomir zurüdfehren fünnen, jo hätten wir
mit vereinten Kräften die Schweden vollitändig gejichlagen; der
Krieg wäre beendet. Ha! was gejchehen, läßt fich nicht ändern...
Der Krieg wird in die Länge gezogen, aber den Eindringlingen
blüht doc) der Tod.“
„So muß es jein!...“ riefen die Ritter wie aus einem
Munde.
Neue Hoffnung z0g in ihre Herzen ein; die Zweifel, Die
fie eine Weile befallen hatten, mußten weichen.
Sagloba Hatte unterdejjen dem Pächter von Wonſotſch
etwas in das Ohr geflüftert. Diejer verfchwand einen Augen
blid, fehrte aber bald mit einem Gonfchior Wein wieder. Als
Wolodyjowsfi das jah, verneigte er ſich tief vor Tſcharniezki
und bat:
„Es wäre für uns einfache Soldaten eine außerordentliche
Auszeichnung, wenn Ew. Erlaucht einen Becher Wein mit uns
trinfen wollten... .“
„Sewiß! Gern will ich mit euch einen Trunf einnehmen,“
antwortete Tſcharniezti. „Wißt ihr auch warum? ... Wir
müſſen uns trennen.“
„Wie? Trennen?“ rief Wolodyjowski verwundert.
„Herr Sapieha jchreibt mir, daß die Laudaer Fahne zum
fitauifchen Heere gehört und er jie nur für furze Zeit zur
Aſſiſtenz des Königs abgejandt hätte. Da er jie aber jett, be-
jonders ihre Offiziere, jehr nötig brauchen wird, jo befiehlt er
ihre Rüdfehr unter jein Kommando. Mein lieber Wolodyjowski!
Ihr wit, wie lieb ich euch Habe und wie jchwer mir die
Trennung von euch wird, aber — hier ijt der Befehl für eud).
Zwar hat der Herr Hetman aus Artigfeit den Befehl durd)
mic) an euch gelangen lajjen; ich Hätte denjelben euch vor—
enthalten fünnen... Mir ift, als ob der Herr Hetman mir
mein teuerſtes Schlachtjchwert zerbrochen hätte, ... aber gerade
darum, weil der Befehl durch meine Hand geht, darf ich ihn
nicht unterjchlagen . . . Da, nehmt ihn! ... Und thut eure
Pflicht! . . . Eure Gejundheit, mein liebes Soldatchen! ...“
Mieder verneigte ſich Wolodyjowski tief vor dem Kaſtellan,
aber er fonnte vor Betrübnis fein Wort hervorbringen, und
als Ticharniezfi ihn in feine Arme jchloß, da floſſen ihm die
Thränen in Strömen in den gelben Schnurrbart.
„sch wollte, ich wäre gefallen! ſprach er traurig. „Es
war jo herrlich unter eurem Oberbefehl zu jtehen, verehrter
General...“
25*
388
„Herr Michael, beachtet doch den Befehl nicht!“ jagte
Sagloba gerührt. „Sch werde jelbit an Sapieha jchreiben und
ihm tüchtig die Leviten leſen.“
Aber Herr Michael war vor allen Dingen Soldat, er
drehte jich zu Sagloba um und jagte barich:
„Ihr bfeibt doch ewig nur der alte Freiwillige! . . . Ihr
würdet bejler thun, zu jchweigen, da ihr doch nicht verjteht,
was das Wort ‚Dienit‘ bedeutet.“
„Da Habt ihr es!“ jagte Tjcharniezfi.
1. Kapitel.
AS Sagloba wieder vor dem Hetman jtand, ging er gar
nicht auf die freudige Begrüßung desjelben ein. Er legte die
Arme quer über den Rüden, jchob die Unterlippe vor und
blidte ihn an, wie ein jtrenger aber gerechter Richter einen
Schuldigen anfieht. Der Hetman wurde jehr heiter, als er
dieje Miene Saglobas jah, denn er vermutete hinter derjelben
irgend einen Scherz. Deshalb begann er auch jogleich:
„Ra! Wie geht es euch, alter Schal? Warum fchnüffelt
ihr mit eurer Naje herum, als figelte diejelbe ein unangenehmer
Geruch?“
„Im ganzen Lager Sapiehas riecht es nach Bigos,“ war
die prompte Antwort.
„Warum gerade nach Bigos? Sprecht!“
„Weil die Schweden die Krautköpfe dazu gehobelt haben!“
„Da haben wir's! Er fängt ſchon an zu ſticheln! Schade,
daß man euch nicht geköpft hat.“
„Das wäre nicht gut gegangen, denn ich diente unter
einem Feldherrn, der ſelber köpfte und nicht zuließ, daß wir
geköpft wurden.“
„Der Teufel ſoll euch holen! Hätte man euch wenigſtens
die Zunge gekürzt.“
„Das wäre erſt recht nicht gegangen, wer hätte dann den
Sieg Sapiehas verkündigen ſollen?“
Der Hetman wurde ſehr traurig:
„Herr Bruder,“ antwortete er, „laßt die Vorwürfe! Es
giebt mehr jolcher, die meine dem Waterlande ſchon geleifteten
Dienjte bereits vergejien haben und mich verpönen; ich weiß
e8, dat gegen weine Perjon noch viel Yärm erhoben werden
390
wird, dennoch bin ich überzeugt, daß die ganze Sache anders
gefommen wäre, ohne dieſes Gelichter des allgemeinen Auf—
gebotes. Man jpricht darüber, daß ic, über Gajtmählern die
Beobachtung des Feindes verabjäumt habe, aber man vergißt,
daß die ganze Mepublif Ddiefem Feinde nicht wideritehen
fonnte!“
Dieje Worte des Hetman jtimmten den Alten etwas milder.
„Es ijt einmal bei uns zu Lande Sitte, daß immer den
Führer die Schuld trifft, wenn etwas verjehen wird. ch bin
der legte, welcher euch die Gajtmähler zum Vorwurf macht, denn
je länger der Tag, deſto notwendiger wird eine Stärkung. Herr
Tſcharniezki ijt ein ausgezeichneter ?Feldherr; er hat in meinen
Augen nur den einen Fehler, daß er zum Frühſtück, Meittag-
brot und Abendejjen jeine Leute nur mit Schwedenblut regaliert;
er iit ein beſſerer Feldherr als Koch; das iſt aber nicht gut,
denn bei dieſer Art Krieg zu führen, müſſen die beiten und
tapferiten Nitter erlahmen.“
„War Herr Ticharniezfi jehr zornig auf mich?“
„Ei, woher! Anfangs war er jehr niedergejchlagen, als
er aber erfuhr, daß das Heer nicht aufgelöjt it, jagte er gleich:
‚Es war Gottes Wille! Dagegen kommt Menjchenfraft nicht
auf! Das macht nichts! — jagte er. Es fann jedem pajjieren,
dat er eine Schlacht verliert. Wenn wir mehr jolche Männer
hätten wie der Sapieha — jaate er — jo wäre Polen das Vater-
land der Ariſtideſſe.“
„sch würde für Herrn Tſcharniezki den legten Blutstropfen
hingeben,“ erwiderte der Hetman. „Jeder andere hätte mich
ermiedrigt, um jich um jo höher jtellen zu können, bejonders
nach jeinem eben erfochtenen glorreichen Stege.“
„Ich habe auch nichts gegen ihn einzuwenden, nur bin ich
zu alt für Dienſte, wie er ſie von einem Soldaten verlangt,
und ganz beſonders für die Sorte Bäder, die er der Armee
bereitet.“
„So ſeid ihr froh, daß ihr wieder bei mir ſeid?“
„ie man es nimmt! Froh und auch nicht froh! Seit
einer Stunde höre ich von Leibesjtärfungen reden, nur zu jehen
befomme ich nichts davon.“
„Wir werden gleich zu Tijche gehen. Was wird Herr
Tieharniezfi jet unternehmen ?“
„Er will nach Großpolen gehen, um den Armjeligen dort
zu helfen. Won dort will er gegen Stenbod ziehen und nad)
391
Preußen bis Danzig vordringen, um, wenn möglich, Kanonen
und Füſiliere dort zu holen.“
„Die Danziger find edle Bürger; jie fünnen der ganzen
Republik als leuchtendes Beijpiel dienen. Da treffen wir ja
bei Warjchau mit Herrn Tſcharniezki zufammen, denn auch ich
gehe nach Warjchau, nur muß ich mid) zuvor in Lublin etwas
aufhalten.“
„sit Lublin wieder von den Schweden bejett?“
„Die unglücliche Stadt it jchon zum wer weiß wievielten
Male in Feindeshand. Es ijt eine Deputation vom Lubliner
Adel eingetroffen, die ich gleich empfangen werde, mit der Bitte,
die Stadt zu retten. Da ich aber Briefe an den König und
die Hetmane zu erpedieren habe, muß ich mit dem Abmarjch
noch ein wenig warten.”
„Nach Yublin werde ich euch gern folgen, denn dort jind
die Weiber maßlos jchön.“
„oO, ihr Türke!“
„Ew. Erlaucht kann Sich als Nelterer jchon einen fleinen
Spott mit mir erlauben.‘
„ber ihr jeid doch älter als ich!“
„sa und nein! Es hat mich jchon mand) einer darum
beneidet, daß ich mich jo gut fonjerviere. Wollt ihr mir er-
lauben, die Deputation zu empfangen, jo will ich den Leuten
verjprechen, day wir recht bald zu ihnen fommen; wir wollen
erit die Männer tröften und dann die Frauen.“
„But!“ jagte der Hetman, „dann werde ich die Briefe
erpedieren.“
Damit ging er hinaus,
Gleich darauf trat die Deputation ein, welche von Sagloba
jehr ernit und würdevoll empfangen wurde. Er jicherte ihr die
erbetene Hilfe zu unter der Bedingung, daß das Heer gut mit
Proviant, namentlich mit Getränfen verjorgt werde. Dann [ud
er fie im Namen des Wojewoden zum Abendejien ein. Die
Herren Deputierten waren hocherfreut, denn man brach noch in
derjelben Nacht nach Yublin auf. Der Hetman jelbit trieb dazu;
es lag ihm viel daran, mit irgend einer rühmlichen That das
Andenken an die Niederlage bei Zandomir auszulöjchen.
Die Belagerung begann, machte aber nur langjame Fort—
ichritte. Während der ganzen Zeit nahm Kmiziz Unterricht im
‚sechten bei Wolodyjowsfi; er beqriff überrajchend jchnell. Da
Wolodyjowsfi wuhte, dab Diejer Unterricht dem Verderben
Boguslaws galt, jo verheimlichte er ihm feines feiner Kunſt—
392
jtücfchen. Oft praftizierten beide aber nicht nur unter jich.
Dann gingen fie unter die Mauern des Schlofies und forderten
die Schweden zum Zweifampf heraus. Auf dieje Weije machten
jie viele fampfunfähig. Bald war Kmiziz jo weit, daß er es mit
Johann Skrzetuski aufnehmen fonnte, von allen anderen Nittern
in der Armee Sapiehas fonnte es wiederum niemand mit ihm
aufnehmen. Da padte ihn eine fait unüberwindliche Luſt, ſich
mit Boguslaw im Zweilampf zu mejjen; er fonnte es faum
bei Lublin aushalten, bejonders, da das Frühjahr ihm auch
Geſundheit und Kraft wiederbracdhte. Seine Wunden waren
alle geheilt, das Blutjpeien hatte aufgehört, das verlorene Blut
jich erjegt und die Augen hatten den früheren Glanz wieder
erhalten. Die Laudaer hatten ihn anfangs jehr mißtrauiſch
betrachtet und Wolodyjowski mußte jie alle jeine Strenge fühlen
lajien, um jie von Gewaltthätigfeiten gegen ihn zurüdzuhalten;
erit jpäter, als te jeinen Wandel und jeine Handlungen jchart
beobachtet hatten, wurde jelbjt jein erbittertiter Feind Jozwa
Butrym mit ihm ausgejöhnt. Diejer pflegte jet oft zu jagen:
„Kmiziz iſt tot! Babinitſch lebt und der joll leben!“
Zur großen Freude der Armee fapitulierte die Bejagung
von Lublin endlich, Sapieha brach unverweilt auf und mar—
ichierte auf Warjchau zu. Unterwegs erreichte ihn die Nach:
richt, dat Johann Kaſimir mit den Hetmanen und den neu—
gebildeten Negimentern ihm zu Hilfe eile. Auch Tſcharniezki
ließ ihn willen, daß er von Grohpolen her gen Warjchau
ziehe. So hatte es den Anjchein, daß die im ganzen Lande
verjtreuten Kämpen jich bei Warjchau zujammenfinden, und der
Hauptfriegsichauplag hierher verlegt werden würde. Es jammelte
jich wie ein jchweres Unwetter um die Hauptitadt, das dräuend
über den Häuptern der Feinde hing.
Sapieha ging über Schelechow, Garwolin und Minst nach
der Siedlezer Yandjtrage zu, um in Minsk mit den Freiwilligen
aus Podlachien zujammenzutreffen. Johann Sfrzetusfi hatte
über dieje loje Truppe das Kommando übernommen, denn ob-
gleich in der Wojewodjchaft Yublin anfällig, war er doch den
angrenzenden Podlachiern rühmlichit befannt umd als einer der
größten Helden der Nepublif von ihnen jehr geehrt. Es war ihm
auch gelungen, aus dem rohen zänkiſchen Stleinadel binnen kurzem
ein gut organifiertes Heer zu formieren.
Don Minsk aus beeilte ſich Sapieha, in einem Tage die
Vorſtadt Warfchaus, Praga, zu erreichen. Das Wetter war den
Marjchierenden günſtig. Bon Zeit zu Zeit fiel eim leichter
393
Sprühregen hernieder, den Staub löjchend und Kühlung ver-
breitend, die Temperatur war herrlich, nicht zu heiß und nicht
zu falt. Die Luft war Elar, der Blick fonnte weit in die ‚Ferne
jchweifen. Das Heer marjchierte auf Feldwegen, denn Die
Wagen und Gejchüge jollten erſt am mächiten Tage nach-
fommen, Mut und Lebensluft herrichte unter den Mannjchaften.
Der Wald hallte wider von den Eoldatenliedern, die Pferde
ichnauften zum guten Zeichen. Cine Fahne nach der anderen,
zogen jie in jchöniter Ordnung dahin, wie ein blinfender in
verjchiedenen Biegungen dahinfließender Strom, denn zwölf—
taujend Mann waren es, die Sapteha der Hauptitadt zuführte.
Die Rittmeijter, welche die Schwadronen in Ordnung zu halten
hatten, glänzten weithin jichtbar in ihren blanf polierten
Banzerhemden, die bunten Abzeichen der Ritter flatterten lujtig
über den Köpfen derjelben, wie bunte Blumen.
Die Sonne war im Sinfen begriffen, als die an der Spike
des Zuges reitende Laudaer Fahne die Türme der Hauptitadt
erblidte. Bei ihrem Anblick entriß fich ein lauter Freudenruf
der Brujt der Strieger:
„Warſchau! Warjchau!“
Diejfer Ruf zog donnernd von Glied zu Glied bi zur
legten Fahne. Man konnte eine halbe Meile lang immer wieder
das unabläffig wiederholte Wort „Warjchau“ hören.
Viele von den Rittern in der Armee Sapiehas waren nod)
nie in Warjchau gewejen, ja die Meiſten von ihnen hatten Die
Stadt nicht einmal von ferne gejehen. So war denn der Ein-
drud, den fie empfingen, ein außerordentlicher. Unwillfürlich
hielten die Neiter die Pferde an; einige entblößten den Kopf,
andere befreuzten jich, wieder andere wurden von NRührung
befallen und blieben thränenden Auges wie angewurzelt jtehen.
Plötzlich erjchien Herr Sagloba auf jeinem Pferde bei einer
der legten Fahnen, jprengte heran bis zu der Laudaer Fahne
und rief mit weithin jchallender Stimme:
„Meine Herren! Wir find die eriten hier! Wir haben das
Süd, die Ehre! ... Wir wollen die Schweden aus der Haupt—
ſtadt jagen!! .. .“
„Wir wollen jie fortjagen!“ riefen jo viel taujend Stimmen.
„Hinaus! Hinaus! Hinaus! ...“
Es entitand ein entjeliches Getöje. Während Die einen
noch fortwährend riefen: „Sagt fie fort!“ jchrieen andere jchon:
„Schlagt fie tot!“ und wieder andere: „Fort mit den Hunde—
ſeelen!“
394
Mit diefem Gejchrei mijchte jich das Klirren der Säbel,
die Augen ſchoſſen Blige und zwijchen den halbgeöffneten Lippen
glänzten die weißen Zähne.
Sapieha jelbit glühte vor Begeiiterung; er bob jeinen
‚seldherrnitab hoch in die Höhe und rief:
„Mer nach!“
Unmweit Braga hielt der Wojewode an und gebot, ein
langjames Tempo einzujchlagen. Immer deutlicher tauchte die
Hauptitadt aus dem bläulichen Aether hervor. Die hohen
Linien der Türme zeichneten ſich ſcharff am Firmament ab.
Die hochgegiebelten Dächer der Häujer, die mit roten Dach-
jteinen gedeckt waren, glühten im Abendrot. Die Litauer hatten
niemals in ihrem Leben etwas Grofartigeres geſehen, als dieſe
weipen, bohen Mauern, von einer Menge jchmaler Fenſter
durchbrochen, übereinander hängend und flebend, wie Felſen über
einem Wafler. Die Häuſer jchienen eines über das andere
hinaus zu wachten, hoch, höher und noch höher; über diejer
engen, dichtgedrängten Malle aber ragten die jchlanfen Türme
hoch hinauf bis an den Himmel, Diejenigen Soldaten, welche
ſchon einmal in der Dauptitadt waren, jei es bei der Königs—
wahl oder im Brivatangelegenheiten, erklärten den anderen, was
für ein Gebäude dieſes oder jenes war und welchen Namen e3
führte. Bejonders ımterrichtete Sagloba jeine Yaudaer, die mit
Bewunderung ihm aufmerfam zubörten.
„Seht euch einmal jenen Turm in der Mitte der Stadt
an,“ jagte er. „Das ijt die arx regia — das Regierungs—
gebäude! Wenn ich jo viele Jahre alt werden dürfte, wie ich
da drinnen am füniglichen Tiſche Meittagbrote gegejien habe,
jo müßte ich Methuialems Alter erreichen; dem Könige jtand
niemand näher als tch; ich war jein Vertrauter. Unter den
Staroiteien hätte ich wählen fünnen, wie unter Wallnüfjen und
ſie verjchenfen, wie Hufnägel. Sch habe einer Menge Menjchen
zu Beförderungen verholfen, und wenn ich in das Schloß trat,
dann verneigten ſich die Zenatoren vor mir, bis zum Gürtel
nach Nojafenmanter. Auch Zweikämpfe mußte ich in Gegen
wart des Königs ausfechten; der König liebte es, mich bei der
Arbeit zu jehen.“
„Es iſt ein mächtiges Gebäude,“ jagte Rochus Kowalski. „Lid
zu denfen, das alles Das in den Händen der Feinde it!“
„And day ſie alles mitnehmen, was nicht niet und nagel-
jeit it,“ jegte Sagloba Hinzu. „Wie man jagt, reißen jie jogar
die Marmorjäulen aus den Mauern, um Ddiejelben mit nad)
395
Schweden zu jchleppen, nebſt anderen fojtbaren Steinarten.
Sch werde wohl die liebgewordenen Winfel faum wieder er—
fennen. Die Chronifenjchreiber nennen das Schloß das achte
Wunder der Welt; außer dieſem hat nur der König von
Frankreich ein ähnliches, doch iſt es mit dieſem hier micht zu
vergleichen.”
„Bas it das für ein Turm rechts in der Nähe Des
Schloſſes?“
„Das iſt die heilige Johanneskathedrale; ſie iſt mit dem
Schloſſe durch einen Kreuzgang verbunden. In dieſer Kirche
hatte ich eine Offenbarung. Als ich einmal nach der Veſper
drinnen noch ein halbes Stündchen zurückblieb, hörte ich vom
Gewölbe her eine Stimme, welche mir zurief: „Sagloba, es wird
Krieg werden mit Schweden, welcher große Not und Elend in
das Land bringen wird.” Ich lief ſchnell zum Könige und er—
zählte, was ich gehört hatte. Du gab mir der Fürſt Erz—
biichof einen Klaps mit dem Paitorale in den Nacen und
jprach: „Redet nicht Unſinn, ihr waret betrunfen.“ Die zweite
Kirche unweit davon it das Jejuitenfollegium, der dritte Turm
gehört zur Kurie, der vierte zum Marjchallamt und jenes grüne
Dach it das Dach der Domtnifanerfirche. Alle Gebäude zu
nennen bin ich auferitande, jelbit wenn meine Junge wie
ein Mühlrad ginge.“
„Es giebt wohl feine zweite jo jchöne Stadt wie dieſe im
der Welt?” jagte einer der Zoldaten.
„Deshalb beneiden uns auch alle Nationen um fie.“
„Bas it das für ein herrliches Gebäude linfs vom Schloſſe?“
„Dinter dem Bernadinerklojter?“
„Ja!“
„Das iſt der Palaſt Radziejowski, früher gehörte er den
Kaſanowskis. Man betrachtet ihn als neuntes Wunder der
Welt, aber — die Veit über ihn! In jeinen Mauern fing
das Unglück der Nepublif an.”
„Wieſo?“ frugen mehrere Stimmen.
„US der Herr Kanzler Radziejowski anfıng mit jeiner
Frau zu zanfen und zu Itreiten, da nahm der König die Kanz—
lerin in Schuß. Ihr müßt wifjen, day die Leute davon jprachen
und der Stanzler jelbit es Dachte, dab ſeine Frau in den Nönig
verliebt jet umd der König in ſie. Der Streit wurde immer
heftiger, bi der Kanzler durd) Intriguen Dazu getrieben, zu den
Schweden entfloh und den Krieg jchürte. Ich ſaß damals still
auf dem Yande und erfuhr nicht mehr das Ende jener Angelegenheit.
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Soviel aber weiß ich beitimmt, daß die Kanzlerin nicht dem
Könige, jondern einem anderen jühe Augen machte und verliebte
Blicke zuwarf.“
„er war der andere?“
Sagloba drehte an jeinem Schnurrbart.
„Der andere war einer, welchem alle zujtrömten, wie die
Ametjen zum Honig; nur den Namen fann ich aus Bejcheiden-
heit nicht nennen, denn ich haſſe die Sucht, jich zu rühmen....
Man iſt alt geworden, alt und unanjehnlich im Dienite des Vater-
landes, wie ein verbrauchter Bejen beim Fegen der Feinde.
Früher gab es feinen glatteren Höfling als ich e8 war, das
fann Rochus Kowalski beichei . . .“
Hier fiel dem alten Ritter ein, daß Rochus auf feinen
Fall die Vorgänge jener Zeiten fennen fonnte. Er winfte aljo
mit der Hand und jegte Hinzu:
„Webrigens, was fann der davon willen!“
Darauf zeigte er den Waffenbrüdern noch die Paläſte der
Dfiolinsfi und Koniezpolsfi, welche an Umfang dem Palais
Radziejowski gleichfamen, endlich die großartige Villa regia.
Die Sonne war unterdejjen untergegangen, das nächtliche
Dunfel umhüllte die Gegend. Auf den Wällen Warjchaus gaben
Stanonenjchüfle und Trompetenjignale das Zeichen, daß man
das Nahen des Feindes bemerft.
Herr Sapieha meldete jeine Ankunft ebenfalls durch Mörſer—
ichüjle, um den Bewohnern der Stadt Mut zu machen. Darauf
überjchritt er noch in derjelben Nacht mit jeiner Armee die
Weichjel; zuerit die Yaudaer, dann Kotwitſch mit jeiner Fahne,
dann Kmiziz mit jeinen Tartaren und Wanfowitjch, zulett der
Reſt von achttaufend Mann. Auf dieje Weije waren die Schweden
nicht nur jamt ihrer aufgejtapelten Beute eingejchloffen, jondern
ihnen auch jede Zufuhr von Nahrungsmitteln abgejchnitten. Dem
Herrn Sapieha jelbit blieb nichts weiter zu thun übrig, als ab-
zuwarten, bis von der einen Seite Tſcharniezki, von der anderen
Seite der König mit dem Kronenhetman heranfam, und nur
darüber zu wachen, daß feine Hilfstruppen oder Lebensmittel
in die Stadt geichmuggelt würden.
Die eriten Nachrichten famen von Tſcharniezki; fie lauteten
nicht jehr befriedigend. Der Kaſtellan berichtete, dat feine Leute
und Pferde jo erjchöpft jeien, daß er jich augenblicklich gar nicht
an der Belagerung beteiligen fünne. Seit jener Schlacht bei
Warka waren ſie täglich im Gefecht gewejen und jeit Beginn
des Jahres hatten ſie in einumdzwanzig größeren Schlachten
397
über die Schweden gejiegt, ungerechnet die vielen kleinen Schar-
mügel mit verjtreuten Abteilungen. Er hatte nicht bis Danzig
vordringen fünnen und jomit auch feine Verjtärfungen feiner
Truppen erlangt. Er fonnte vor der Hand nur verjprechen,
dafür zu jorgen, daß die jchwedische Armee, welche unter Bogus-
law Nadziwill mit dem Bruder des Königs und Douglas bei
Narva jtand und den Belagerten zu Hilfe eilen wollte, in ihrem
Zuge aufgehalten werde.
Die Schweden aber trafen mit allem Mut und aller an
ihnen befannten Gejchidlichkeit, Anftalten zur Verteidigung der
Stadt. Noch ehe Herr Sapieha Braga erreicht hatte, war dieſe
Vorſtadt niedergebrannt worden. Gegenwärtig waren ſie be-
müht, alle anderen VBorjtädte anzuzünden. Zu dieſem Zwecke
jchleuderten jie Brandgejchojle in die höheren Gebäude der
Krafauer Vorjtadt, der neuen Welt einer-, in die Kirche des
heiligen Georg und in die Marienkirche andererjeits. Häuſer
und Kirchen gingen in Flammen auf. Tagsüber waren die
Borjtädte im dichte graue Nauchwolfen gehüllt, während in der
Nacht dieſe Wolfen rot durchleuchtet und von Funkenſprühregen
erfüllt waren. Außerhalb der Mauern irrten die Bewohner
der verbrannten Häuſer obdachlos und hungrig umher; Weiber
umringten das Lager Sapiehas und bettelten um Barmherzig-
feit. Man fand Menjchen, die aus Mangel an Nahrung zum
Skelett abgemagert, Kinder, die in den Armen der abgezehrten
Mütter aus Mangel an Nahrung jtarben. Die ganze Gegend
um Warjchau verwandelte ich in ein Thal des Jammers und
der Thränen.
Herr Sapieha, welcher noch immer auf die Ankunft des
Königs wartete, fonnte aus Mangel an Fußſoldaten und Ge—
ihügen nichts unternehmen. Er fam daher den Armen zu
Hilfe, jo gut es anging, ließ fie haufenweife nach Gegenden
ichaffen, die von der Ktriegsnot noch nicht jo viel zu leiden
gehabt, wo jte jich ernähren fonnten. Er jorgte jich auch ſehr
bei dem Gedanken an die Schwierigfeiten der Belagerung, Die
von Tag zu Tag wuchjen, da die gelehrten jchwedischen In—
genieure im Laufe der Zeit die Stadt in eine jtarfe Feſtung ver-
wandelt hatten. Hinter ihren Mauern jagen dreitaujend vorzüg-
liche Soldaten, von erfahrenen und friegsgeübten Generalen
befehligt, während ohnehin im allgemeinen die Schweden im
Belagern und Berteidigen jeglicher Arten von Feitungen als
Meiiter galten.
Um dieſe Sorgen etwas abzulenken, jtärfte jich Herr
398
Sapieha alltäglid” an auserlefjenen Speifen und Getränken,
wobei die Pokale eifrig die Runde machten, denn es war
befannt, daß ihm das Klingen der Gläfer und eine heitere
Sejellichaft jo jehr über alles ging, daß er darüber zuweilen
jogar feine Pflicht vergejlen fonnte.
Glücklicherweife veritand er am Tage immer wieder gut
zu machen, was er am Abend verjäumt. Bis zum Sonnen-
untergang arbeitete er ehrlich, aber, jobald der erſte Stern am
Himmel erjchien, erflang auch der erſte Fidelton in jeinem
Quartier. War er dann erit in heiterer Stimmung, dann
geitattete er alle Freiheiten, lieg die Offiziere holen, jelbit die-
jenigen von den Wachtfommandos, und war jehr ungnädig,
wenn einer von ihnen nicht erjchien, denn es gab für ihn Feine
Freude ohne große Gejellichaft.
Herr Sagloba machte ihm morgens oft ſchwere Vorwürfe
deswegen, obgleid; er mit der beite Gaſt Sapiehas war und
man ihn oft befinnungslos nach dem Quartier Wolodyjowsfis
tragen lajjen mußte.
„Der Sapieha würde einen Heiligen zu Falle bringen,
gejchweige denn mich,“ pflegte er jih am Morgen dann zu
entjchuldigen, „mich, der ich immer ein Freund der Gejelligfeit
bin. — Dazu hat er noch eine fürmliche Leidenschaft, mich zum
Trinfen zu zwingen, jo daß ich direft grob werden müßte, um
e3 abzulehnen, das aber läuft der guten Sitte ganz entgegen.
Sch Habe mir aber jelbit gelobt, daß ich im nächiten Advent
mir den Nücen ordentlich geißeln laſſen werde, denn das jteht
feit, diefe Ausjchweifungen verlangen eine Sühne. Inzwiſchen
muß ich ihm ſchon Folge leisten, jchon aus Sorge, daß er in
ichlechtere Gejellichaft geraten könnte, als die meinige, und er
dann vollitändig alles Maß verliert.“
Nun befanden fich bei der Armee ja Offiziere, welche aud)
ohne Aufjicht ihren Dienſt wahrnahmen, aber es gab aud)
jolche, die den Dienit, abends bejonders, wo ſie ſich unbeobachtet
wußten, jehr vernachläſſigten. Das wußte der Feind auszu—
nüßen.
Einmal — es war wenige Tage vor der Ankunft des
Königs mit den Hetmanen, — gab ſich Sapieha, wahrjcheinlich
aus Freude über die nahende Hilfe, den Freuden des Lufullus
mehr denn je Hin. Er Hatte alle Offiziere zu dem Mahle
geladen unter dem Vorwande, daß es zu Ehren des Königs
geichehe. Zu den Herren Skrzetuskis, Amiziz, Sagloba, Wolo-
dyjowski und Charlamp fandte er einen erprejien Boten mit
399
der Bitte, zu erjcheinen, da der Hetman jie, als bejonders ver-
diente Männer, auc) bejonders auszeichnen wolle. Herr Andreas
war jveben auf das Pferd geitiegen, um mit einer Patronille
auszureiten, jo daß die Ordonnanz des Großhetman ihn bei
jeinen Tartaren aufjuchen mußte.
„Ew. Liebden dürft dem Herrn Hetman die Einladung
nicht ausichlagen und jein gutes Herz mit Undanf lohnen,“
jagte der Offizier.
Kmiziz jtieg vom Pferde und ging jich mit den Freunden
beraten.
„Es iſt mir jehr unlieb und paßt mir gar nicht!“ fagte
er. „Sch habe gehört, dat eine größere Abteilung Schweden
fi) in der Gegend von Babig gezeigt hat. Der Großhetman
jelbjt hat mir befohlen, auf jeden Fall nachzuforjchen, was für
Soldaten das jind, und nun ladet er mich zum Gaftmahl. Was
joll ich thun ?“
„Der Herr Hetman jendet durch mich den Befehl,
dag Akbah-Ulan die PBatrouille führen joll,“ entgegnete Die
Ordonnanz.
„Befehl iſt Befehl!“ ſagte Sagloba, „und wer Soldat iſt,
hat zu gehorchen. Hütet euch, böſes Beiſpiel zu geben, zudem
wäre es nicht gut für euch, beim Hetman in Ungnade zu
fallen.“
„Meldet aljo, daß ich erjcheinen werde!” jagte Amiziz zu
dem Offizier. Die Ordonnanz ging hinaus. Akbah-Ulan ritt
mit feinen QTartaren davon und Kmiziz begann jich ein wenig
fejtlich zu jchmüden, während er zu den Freunden jagte:
„Heut ijt ein Gajtmahl zu Ehren des Königs; morgen
wird eines zu Ehren der Hetmane jtattfinden u. j. w. bis ans
Ende der Belagerung.“
„Laßt nur den König erjt hier fein, dann hat alles ein
Ende,” jagte Wolodyiowsfi, „denn wenn unjer Allergnädigjter
— auch gern einen Sorgenbrecher nimmt, ſo muß doch der
ienſt ſtrenger werden, weil jeder und Herr Sapieha vor allen,
doch ſeinen Eifer wird bekunden wollen.“
„Es iſt zu viel deſſen, viel zu viel, ohne Widerrede!“ ſagte
Johann Skrzetuski. „Es iſt unbegreiflich, wie ein ſo überlegter,
arbeitſamer und tugendhafter Menſch, ein ſo ausgezeichneter
Staatsbürger eine ſolche Schwäche haben kann.“
„Sobald der Abend kommt, wird aus dem Großhetman
ein Trunkenbold; es iſt, als wäre er nicht derſelbe Menſch mehr,“
ſprachen die Herren untereinander.
400
„Wißt ihr, warum bejonders mir die Gajtmähler jo ſehr
zuwider ſind?“ jagte Kmiziz. „Weil auch Januſch Radziwill
die Angewohnheit hatte, jie auszurichten, jobald der Abend fam;
und denft euch, immer traf es ſich, daß, wenn wir bei Tiſche
jaßen, ein unglückliches Ereignis eintrat oder ein neuer Verrat
des Füriten zu Tage fam. War es nun Zufall oder Gottes»
fügung, das Böje fam immer während des Eſſens. Zuletzt
überfiel ung alle jtets ein Grauen, jchon wenn die Tijche ge—
decft wurden.‘
„Das iſt wahr,“ jagte Charlamp. „Aber e8 fam auch da—
ber, daß der Fürſt die Zeit während des Eſſens immer zu
Ausjprachen mit den ‚Feinden des Vaterlandes auserjah.“
„Run!“ bemerkte Sagloba. „Das wenigitens brauchen
wir von Sapieha nicht zu befürchten. Wenn der jemals im-
itande iſt, einen Verrat zu begehen, jo bin ich feinen Stiefel-
jchaft wert.“
„Davon fann feine Nede jein,“ jagte Wolodyjorwsfi. „Er
ijt rein, wie das Brot ohne Wajfjeritreifen.“
„Und was er abends verjäumt, das macht er am Tage
wieder gut,“ verjegte Charlamp.
„Sp gehen wir endlich,“ jagte Sagloba, „denn wahrhaftig,
ich fühle eine große Leere in meinen Eingeweiden.“
„Sie jeßten jich auf die Pferde und ritten dem Quartier
Sapiehas zu. Dort fanden jie auf dem Hofe jchon eine Menge
Pferde und ein dichtes Gedränge der Diejelben am Bügel
haltenden Pferdejungen, für welche ebenfall3 eine Tonne Bier
aufgeitellt war. Die Jungen hatten ſich jchon vollgetrunfen
und fingen, wie das immer der Fall ift, bereits an, jich zu
neden und jtreiten. Beim Herannahen der Ritter verjtummten
fie jedoch, bejonders, da Sagloba diejenigen, welche ihm zu
nahe famen, mit dem flachen Säbel zur Ordnung brachte.
Dabei rief er mit Stentorjtimme:
„gu den Pferden, Schelme! zu den Pferden! Nicht ihr
jeid zum Gajtmahl geladen!“
Herr Sapieha empfing die Ritter wie immer mit offenen
Armen und da er jchon etwas angeheitert war, begann er jo-
gleich Sagloba zu neden.
„Willkommen, Herr NRegimentarius!“ titulierte er ihn.
„Willkommen, Herr Küfer!“ war die jchlagfertige Entgegnung
des Alten.
„Senn ihr mich einen Küfer nennt, jo will ich euch einen
Wein vorjegen, der noch im Gähren begriffen iſt.“
401
„Einverjtanden!“ antwortete Sagloba, „wenn nur der Wein
von der Corte ift, der bei der Gährung aus dem Hetman
einen Saufbold macht.“
Einige der Anweſenden erjchrafen heftig über die Dreijtig-
feit des Scherzes, doch Sagloba wuhte, daß der Hetman, wenn
er heiter war, nichts übel nahm. Auch jest lachte Sapieha,
daß er ſich die Seiten hielt, indem er betonte, was alles ihm
von diejem Edelmanne angehängt werde.
Das Mahl begann heiter und geräufchvoll. Immer von
neuem tranf Sapieha jeinen Gäjten zu, brachte die Gejundheit
des Königs, der Hetmane, Tſcharniezkis und der ganzen Republik
aus. Die Heiterkeit nahm zu, man begann zu jingen. Die
Stube war angefüllt mit dem Dunjt der erhitten Köpfe, mit
dem Geruch der Weine und des Met.
Doc auch draußen ging es lärmend zu, jogar Waffen-
flirten wurde hörbar. Das Gejinde mußte Streit untereinander
befommen haben. Einige von der Tafelrunde gingen hinaus, um
die Ruhe wieder herzujtellen, doch die Verwirrung wurde von
Minute zu Minute größer, ohne daß ſich die Urjache derjelben
ausfindig machen lieh
Plöglich ertönte ein jo durchdringendes Gejchrei, daß die
Schmaufenden vor Schred veritummten.
„Bas fann das jein?“ frug einer der Hauptleute. „Die
Jungen allein können unmöglich einen joldhen Lärm machen.“
„Stille doch, ihr Herren!“ jagte der Hetman, während er
beunruhigt aufhorchte.
„Das find feine gewöhnlichen Streitrufe!“
Da erzitterten plöglich alle FFeniterjcheiben vom Donner
der Kanonen und einer gleichzeitigen Gewehrſalve.
„Ein Ausfall! Sie machen einen Ausfall!“ fchrie Wolo-
dyjowski, „der Feind ijt im Lager!“
„Auf die Pferde! Zu den Waffen!“
Alle jprangen entjegt auf, ein fürchterliches Gedränge ent—
itand, die Offiziere jtürzten in den Hof und jchrieen ihre Jungen
an, ihnen die Pferde vorzuführen.
Doc war es dem einzelnen nicht leicht, in dem Wirrwarr
jogleich das jeinige zu finden. Aengſtliche Stimmen riefen in
den Hof hinein:
„Der Feind iſt da! Herr Kotwitich ijt Hart bedrängt!“
Jeder Offizier eilte, jo jchnell er konnte, zu feiner Fahne.
Ueber Zäune und Gräben ging e3 auf Tod und Leben. Im
Sienfiewicz, Sturmflut IL 26
402
Lager wurde jchon Alarm geblajen; nicht alle Fahnen hatten
die Pferde bei der Hand, die Soldaten rannten in der Eile
einer wider den anderen, fie konnten in der Angit nicht mehr
unterjcheiden, wer Freund, wer Feind. Einzelne Stimmen
jchrieen jchon aus, der König von Schweden jei mit feiner
ganzen Heeresmacht in das Lager eingebrochen.
Glücklicherweiſe war Kotwitjch, der fich etwas unwohl ge-
fühlt Hatte, nicht der Einladung Sapiehas gefolgt. Cr war
bei jeiner Fahne, als der erjte heftige Anprall der ſchwediſchen
Abteilung erfolgte und er hielt ihn tapfer auf, obgleich die
Schweden ihm in großer Ueberzahl gegenüber itanden.
Der erite, welcher ihm zu Hilfe fam, war Oskierko mit
jeinen Dragonern. Den Schüſſen der Schweden fonnte nun
erwidert werden, aber auch dieje Hilfe reichte nicht aus; Die
Dragoner wurden bei jedem Angriff, den fie machten, zurüd-
geichlagen. Zweimal verjuchte Oskierko jeine Reiter wieder in
Reihe und Glied zu bringen, zweimal mißlang diejes Bemühen,
er mußte fie zurücziehen und nun jtürmten die Schweden ihnen
nach), dem Quartier des Hetman zu. Immer neue Schwadronen
zogen aus der Stadt dem Lager zu; Füſiliere, Neiter, ja jogar
‚seldgejchüge wurden herausgefahren. Es Hatte den Anjchein,
als wolle der Feind eine Entjcheidungsjchlacht herbeiführen.
Unterdejien hatte Wolodyjowsti, als er in Eile das Quartier
des Hetman verließ, jchon auf halbem Wege jeine Laudaer
angetroffen. Sie waren, jobald fie die Nlarmjignale vernommen,
unverzüglich dem Quartier Sapiehas zugeeilt, was um jo jchneller
von jtatten ging, da fie immer wachjam und fampfbereit waren.
Sie wurde ihm von Koch Kowalsfi zugeführt, der wie Kotwitſch
zu Haufe geblieben war, nur, — daß er nicht wie jener zum
Gajtmahle geladen war.
Wolodyjorwsfi befahl jogleich einige zumächit befindliche
Schuppen in Brand zu jteden, dann flog er dem Kampfplatze
zu. Auf dem Wege dorthin ſchloß ſich ihm Kmiziz mit jeinen
Volontariern und der Hälfte feiner Tartaren an, da die andere
Hälfte unter Akbah-Ulan noch nicht von ihrem Patrouillenritt
zurüd war.
Beide famen gerade zu rechter Zeit an, um Kotwitjch und
Dsfierfo vor der gänzlichen Niederlage zu bewahren. Die
(ichterloh brennenden Schuppen verbreiteten Tageshelle Bei
dem Schein des Feuers ftürzten die Yaudaer und Kmiziz auf
eine Abteilung jchwedischer Füfiliere und das Gewehrfeuer der-
403
jelben nicht achtend, jchlugen fie mit den Säbeln drein. Da jprengte
eine Schwadron Reiter ihren bedrängten Landsleuten zu Hilfe.
Sie prallte mit den Laudaern jcharf zufammen. Eine Zeitlang
fümpften fie Schulter an Schulter jo dicht miteinander, wie
a Fauſtkämpfer, die abwechjelnd einer den anderen unterzu-
riegen juchen; bald aber lichteten fich die Reihen der Schweden,
fie gerieten in Unordnung. Kmiziz trug mit feinen Totjchlägern
das jeinige dazu bei, die Verwirrung zu vergrößern, Wolo-
dyjowsfi ruhte nicht, bis er freien Spielraum gewann. Neben
ihn arbeiteten wacder die riejigen Gejtalten der Skrzetuskis,
Charlamp und Kowalski. Die Laudaer wetteiferten mit den
Tartaren Kmiziz', die einen, indem jie durch ihr wüjtes Gefchrei
die Schweden in Schreden jegten, die anderen, wie zum
Beijpiel Jozwa Butrym, indem fie jchiveigend gewaltig drein—
ichlugen.
Die gelichteten Reihen der Schweden wurden immer durch
friiche Kämpfer ergänzt, während Wankowitſch, welcher jein
Quartier dicht nebenbei hatte, den polnischen ahnen Wolo—
Dyjowsfis und Kmiziz' zu Hilfe fam. Endlich führte der
Hetman das ganze Heer in das Gefecht und nun entbrannte
auf der ganzen Linie von Mokotow bis an die Weichjel die
Schlacht auf das heftigſte.
Da jprengte Akbah-Ulan, welcher mit der Batrouille
auggeritten war, auf jchweißtriefendem Pferde an den Het—
man heran.
„Effendi!“ jchrie er. „Von Babig her zieht ein Zug Reiter
und Wagen der Stadt zu; jie juchen die Mauern der Stadt
jchnell zu erreichen.“
Nun begriff Sapieha mit einemmale, welchen Zweck der
Ausfall nach) der Seite von Mofotow Hin haben ſollte. Der
Feind wollte die Aufmerkſamkeit der Heeresabteilung, welche an
der nach Blonie führenden Landſtraße lag, von dieſer ab—
lenfen, damit die FFourage-Wagen in den Bereich der Mauern
gelangen Eonnten.
„Neite zu Wolodyjowski!“ rief er den Akbah-Ulan zu.
„Die Yaudaer Fahne, Kmiziz und Wankowitich jollen ihnen den
Weg abjchneiden; ich jende ihnen jojort Sukkurs!“
Akbah-Ulan gab jeinem Pferde die Sporen, drei Ordon—
nanzen folgten ihm. Sie alle famen gleichzeitig bei Wolodyjowski
an und überbrachten ihm den Befehl des Hetman.
Wolodyjowsfi ließ feine Fahne ſofort jchwenfen und
26*
404
galoppierte mit ihr der angegebenen Richtung zu; Kmiziz holte
ihn mit den Tartaren ein und Wankowitſch folgte beiden.
Doc fie famen zu jpät. Mehr als zweihundert Wagen
hatten die Thore der Stadt jchon paſſiert. Die denjelben
folgende jtattliche Bedeckung jchwerer Reiter aber befand fich
ſchon im Bereiche der Feitungsgejchüge, nur etwa hundert Mann
hatten die Dedungslinie noch nicht erreicht, aber auch fie
galoppierten der Stadt eiligjt zu. Der legte Offizier trieb fie
durch jein Gejchrei zu vermehrter Eile an.
Als Kmiziz beim Scheine der brennenden Schuppen die
Reiter gewahrte, jtieß er einen durchdringenden gräßlichen Schrei
aus; er hatte Boguslaws Reiter erkannt, diefelben, welche ihn
und jeine Tartaren bei Janowo überritten hatten.
Nichts mehr achtend, jagte er wie wahnjinnig ihnen zu.
Seine Leute hinter jich zurüdlafjend, erreichte er fie zuerſt und
Iprengte blindlings in ihre Reihen. Glücdlicherweije folgten
ihm die beiden Kiemlitich, Kosma und Damian, welche ihn nie
aus den Augen ließen, auf dem Fuße. In diefem Augenblid
durchichnitt Wolodyjowski die Linte in fchräger Richtung und
trennte damit den Nachtrab von der Hauptabteilung mit
Bligesfchnelle.
Die Gejchüge von den Mauern dröhnten jet. Die Haupt-
abteilung ließ ihren Nachtrab im Stich und barg fich ſchleunigſt
hinter den Thoren der Feſtung. Die Zurüdgelafjenen wurden
nun umringt. Die Laudaer und Kmiziz begannen die Schlachterei
ohne Barmherzigkeit.
Nur kurz dauerte der Kampf. Die Reiter Boguslaws
jtrediten Die fien, als fie jahen, wie jchmählih man fie
preisgegeben. Sie jprangen von den Pferden und jchrieen aus
vollem Halje, um ſich in dem Lärm und Gedränge Gehör zu
verjchaffen.
Doch weder die Volontarier noch die Tartaren achteten
darauf und hieben weiter zu. Da ertönte laut und drohend
die Stimme Wolodyjomwsfis, welchem es darum zu thun war,
einen Kundſchafter zu erhalten:
„Nehmt fie lebendig! Gaß! Gaß! Lebendig nehmen!“
„Lebendig nehmen!“ jchrie auch Kmiziz.
Das Knirfchen der Eiſen verſtummte. Man befahl den
Tartaren, die Gefangenen an die Leine zu nehmen, was dieſe
mit der ihnen eigenen Gejchidlichfeit im Augenblick fertig
brachten, dann entzogen jich die Fahnen eiligft dem Teuer der
Geſchütze.
405
Die Hauptleute Ienften den Schuppen zu. Boran ging
die Laudaer Fahne, Wankowitſch bildete mit der jeinigen dem
Nachtrab und Kmiziz nahm mit den Gefangenen die Mitte ein.
Sie zogen fich vorjichtig und in voller Kampfbereitichaft zurüd,
jtet3 eines Ueberfalles gewärtig. Die Tartaren führten zum
Teil die Gefangenen an der Leine, teild lenkten fie die er—
beuteten Pferde. Als fie ſich den noch immer brennenden
Schuppen näherten, blicte Kmiziz den Gefangenen aufmerfjam
in die Gefichter, ob nicht etwa dasjenige Boguslaws darunter
jei, denn obgleich bereits einer der Reiter unter Bedrohung mit
dem Mejjer gejchworen Hatte, daß der Fürſt jich nicht in der
Abteilung befinde, traute er dennoch nicht, daß er ihn abjichtlich
getäuscht.
Da tönte unter dem Steigbügel eines Tartaren hervor eine
Stimme:
„Herr Kmiziz! * Hauptmann! Errettet einen Be—
kannten! Befehlt, daß man mich von der Leine laſſe, bei
Ehrenwort!“
„Haßling!“ rief Kmiziz.
aßling war ein Offizier von der ſchottiſchen Leibgarde
des Wojewoden von Wilna, welchen Kmiziz in Kiejdan kennen
gelernt und ſehr lieb gewonnen hatte.
„Laß den Gefangenen frei!“ befahl Kmiziz dem Tartaren
und gieb ihm dein —38*
Der Tartar verſchwand vom Rücken des Pferdes, als hätte
ihn der Wind fortgeblaſen; er wußte nur zu gut, wie gefährlich
es war, zu zögern, wenn der „bagadyr“ befahl.
Stöhnend kletterte Haßling in den hohen Sattel des
Tartaren.
Da packte Kmiziz oberhalb des Handgelenkes ſeinen Arm
und preßte ihn, als wolle er denſelben zermalmen, während er
eindringlich fragte:
„Woher kommt ihr? Gleich ſagt mir, woher? Um Gottes—
willen beeilt euch!“
„Aus Tauroggen,“ entgegnete der Offizier.
Kmiziz's Hand umflammerte den Arm Haßlings nod)
eiter.
„Und. das Fräulein Billewitich . . . ift fie dort?“
„Sie ift dort!! —
Das Sprechen wurde Kmiziz immer ſchwerer, ſeine Zähne
waren krampfhaft auf einander gepreßt.
406
„And... was hat der Fürſt aus ihr gemadt? ...“
var es fich mit übermäßiger Anſtrengung von den Lippen des
itters.
„Er hat nichts bei ihr ausgerichtet!“
Kmiziz verjtummte. Nach einer Weile nahm er die Luchs-
müge vom Kopf, fuhr ſich mit der Hand über die Stirn und
jagte leije:
„Man hat mich im Gefecht geftoßen, das Blut zeigt ſich
wieder... . ich bin jchwach geworden!“
12. Rapitet.
Der Ausfall der Schweden hatte nur zum Teil feinen
Zwed erreicht, und zwar den, daß die Abteilung Boguslaws
die Stadt erreicht hatte, ſonſt war nicht viel ausgerichtet worden.
Zwar hatten die Fahnen Oskierkos und Kotwitſchs nicht un—
bedeutenden Schaden genommen, doch auch die Schweden hatten
große Verluſte zu verzeichnen, da die Abteilung Füſiliere,
weiche Herr Wolodyjowsfi und Wankowitſch gleich im Anfange
auf das Korn genommen hatten, fajt vollitändig vernichtet war.
Die Litauer brüfteten jich jogar, dem Feinde mehr Schaden
zugefügt zu haben, als jie erlitten, nur Sapieha härmte ſich
heimlich über die Niederlage, die er von neuem gehabt und die
jeinen Ruhm jehr jchädigen mußte. Die befreundeten Haupt-
leute tröjteten ihn, jo gut jie fonnten, und zu ihrer Freude
Hatte die gemachte Erfahrung doch einen Nuten, denn von da
ab wurden Trinfgelage nicht mehr abgehalten und hatte Sapieha
wirklich einmal wieder ein Verlangen darnach, dann wurde die
Vorſicht und Wachſamkeit während ihrer Dauer verdoppelt.
Schon am nächſten QTage wiederholten die Schweden den
Ausfall in der Meinung, daß der Hetman nach jo kurzer Friſt
unvorbereitet jein werde, doch kräftig zurücgejchlagen, fehrten
fie unter Zurücklaſſung mehrerer Toten bald wieder hinter ihre
Mauern zurüd.
Unterdejjen unterzog man im Quartier des Hetman
Hakling einem Berhör, dejjen Dauer Herrn Andreas in die
größte Ungeduld verjette, da er den Gefangenen am liebjten
jogleidh) in fein Quartier genommen hätte, um jich von ihm
408
von Tauroggen erzählen zu lafjen. Er umjchlich den ganzen
Tag das Quartier, ging zuweilen hinein, um die Befenntnifje
ahlings mit anzuhören und jprang jedesmal, wenn der Name
oguslam genannt wurde, wieder von der Bank auf.
Gegen Abend erhielt er Befehl, mit einer Patrouille aus-
zureiten; er jprach fein Wort, verbiß feinen Aerger und folgte
dem Befehl, denn er Hatte jchon jehr gut gelernt, den Dienit
des Vaterlandes über feine Privatinterejjen zu jtellen. Aber
jeine Tartaren hatten e3 jchlimm; bei der geringiten Ver—
anlafjung loderte jein Zorn auf und der Streitfolben fiel auf
ihre Rüden, daß die Knochen fnadten. Und die armen
Schwarzen flüjterten einander zu: „Der bagadyr ilt toll ge-
worden“, und wagten faum zu atmen; fie hefteten nur ihre
Augen feit auf das Geficht ihres Führers, um feine geheimjten
Wünſche und Gedanken zu erraten.
In jein Quartier zurüdgefehrt, fand er Hakling zwar
dort vor, aber jo franf, daß er ihn nicht Sprechen fonntee Man
hatte ihn bei der Gefangennahme jtarf gequeticht und verleßt,
das lange Verhör hatte ihn vollends ermattet; er fieberte ſtark
und vertan nicht einmal mehr die an ihn gerichteten Fragen.
So mußte denn Kmiziz ich mit dem begnügen, was
Sagloba ihm von dem Verhör erzählte, doch betrafen die Aus-
jagen Haßlings nur öffentliche Angelegenheiten. Von Bogus-
law hatte er nur jo viel gejagt, daß er nach der Niederlage
bei Janowo fchwer erfranft war. Die Wut und Trauer hatten
ihn vollends elend gemacht, er verfiel in ein jchweres Fieber,
aber jobald er ein wenig zu Kräften gefommen, hatte er gleich
den Fi: nad; Bommern unternommen, wohin Stenbod und
der Kurfürſt ihn eiligit berufen hatten.
„Und wo ift er jet?“ frug Kmiziz.
„Nach dem, was Haßling jagt, befindet er ſich mit dem
Bruder des Königs in dem befejtigten Lager zwijchen der
Narew und dem Bug; er hat das Oberfommando über die
Neiterregimenter,“ antwortete Sagloba. „Haßling hat wohl
die Wahrheit gejprochen, denn wozu foll er auch lügen.“
„ga! Ste denken zum Entjag der Stadt Warjchau zır
fommen. Wir werden uns aljo begegnen. So wahr Gott im
Himmel ijt, ich muß ihn finden und follte ich in Verkleidung
zu ihm gehen!“
„Macht feine unnügen Pläne! Sie möchten wohl gern
nad Warjchau kommen, wenn ihnen nur Ticharniezki nicht den
Weg verlegt hätte. Und num begiebt ſich etwas Eigentümliches
409
dort. Er, Ticharniezfi, kann das Lager nicht angreifen, weil er
feine ?Füfiliere hat, fie aber haben Angjt, einen Ausfall gegen
ihn zu unternehmen, weil jie jich überzeugt haben, daß im
offenen Kampfe ihre Soldaten gegen die Neiter Tſcharniezkis
nicht auffommen fünnen. Sie wijjen nun auch, daß jelbjt der
Fluß feinen Schuß mehr bietet, jeit Tſcharniezki mit feiner
Armee die Piliza durchſchwommen hat. Sa, wenn der König
jelbjt im Lager wäre, da würde er den Kampf mit ihm auf-
nehmen, denn der Soldat jchlägt ſich tapferer unter jeinem
Kommando, im Bertrauen auf die Unüberwindlichfeit des
Monarchen, aber weder Douglas, noch der Bruder des Königs,
noch Boguslaw haben den Mut, ihn anzugreifen.“
„Und wo weilt der König?“
„Er ijt nach Preußen gegangen. Der König glaubt nicht,
daß wir jchon jegt Warjchau und Wittenberg angreifen werden.
Uebrigens ijt es gleichgültig, was er glaubt; er mußte aus zwei
Gründen nad) Preußen gehen. Einmal, weil er endlich den
Kurfürjten ganz zu jeinem Verbündeten haben muß, jei es auch
um den Preis ganz Großpolens; zweitens aber braucht die
Armee, welche mit ihm zwiſchen San und Weichjel ein-
gejchlojjen war, durchaus der Ruhe und Erholung, ſonſt ift fie
völlig untauglich geworden. Die ausgejtandenen Mühjale und
die unausgejegten Beunruhigungen haben ihre Kräfte jo auf:
gezehrt, daß jie nicht mehr imjtande find, die Musfete in der
Hand zu erhalten. Und doch waren fie dereinjt die Auserlejenen
der ganzen jchwedischen Armee, die die glänzenditen Siege in
allen deutjchen und dänischen Ländern errungen haben.“
Weiter fam Sagloba nicht, denn Wolodyjowsfi trat ein.
„Wie geht es Haßling?“ frug er noch auf der Schwelle.
„Er iſt franf und fiebert jo Hark, daß er nicht drei von
drei unterjcheiden kann,“ antivortete Kmiziz.
„Was wollt ihr denn von Hakling, Herr Michael!“ mijchte
ih Sagloba ein.
„hut doch nicht, als wühtet ihr es nicht.“
„Das jollte ich meinen! Nur zu gut weiß ich, daß ihr
recht viel von der Kirjche Hören möchtet, die Fürſt Boguslaw
in feinen Garten verpflanzt hat. Fürchtet nichts! Er iſt ein
gar eifriger Gärtner und unter feiner Pflege bringt jeder Baum
noch vor Ablauf eines Jahres Früchte,“ tröftete Sagloba.
„Der Teufel lohne euch ſolchen Trojt!“ rief der Eleine
Ritter zornig.
„Seht nur, jeht!* lachte Sagloba. „Man braucht nur den
410
unjchuldigiten Scherz zu machen, da gebärdet er ſich wie ein
toller Maikäfer. Was fann ich dafür! An Boguslam nehmt
Nache, nicht an mir!“
„Sp wahr mir Gott helfe, ich werde fie juchen und finden.“
„Genau dasjelbe hat auch Babinitjch gejagt! Ich jehe es
fommen, dab das ganze Heer ſich wider ihn verjchwört; aber
hütet euch, ohne meine Beihilfe richtet ihr nichts aus.“
Beide Ritter jprangen zugleich auf.
„Habt ihr irgend einen guten Einfall?“ frugen ſie fait
wie aus einem Munde.
„Ihr denkt wohl, man zieht die Einfälle jo leicht aus dem
Kopfe, wie das Schwert aus der Scheide? Wenn Boguslam
bier in der Nähe wäre, fiele mir möglicherweije etwas ein, aber
auf jolche Entfernung trägt jelbit eine Kanone nicht. Herr
Andreas gebt mir einen Becher Met; es iſt heiß heute.“
„Eine ganze Tonne follt ihr haben, wenn ihr etwas für
uns ausdenft!“
„Wozu wartet ihr eigentlich auf diefen Haßling, wie der
Henker auf einen armen Sünder? Sind denn nicht mehr Ge-
fangene da, die ihr befragen könnt?“
„sch Habe ſie alle ſchon ausgehorcht,“ jagte Kmiziz, „aber
jie jind Gemeine und wiljen nichts, während er Offizier ift
und Zutritt bei Hofe hat.“
„Das iſt wahr!“ antwortete Sagloba. „Auch ich muß mit
ihm jprechen, denn aus dem, was er uns etwa vom Leben des
Fürſten und feinen Gewohnheiten erzählt, fann jich leicht etwas
für umjere Pläne ergeben. Die Hauptſache it, daß wir mit
der Belagerung zu Ende fommen, denn dann gehen wir gegen
jene Armee vor. Aber unfer allergnädigjter König läßt lange
auf jich warten.“
„te?“ erwiderte der kleine Ritter. „Soeben fomme id)
vom Hetman, welcher eben die Nachricht erhalten hat, daß
der König noch heute Abend mit feiner Garde hier eintrifft,
während die Hetmane mit den Stammjoldaten erjt morgen nach—
fommen. Sie fommen ohne Ruhetage in Eilmärjchen von Sofola
her. Uebrigens ijt es jchon ſeit einigen Tagen befannt, daß jie
jeden Augenblid eintreffen können.“
„Bringen fie ein großes Heer mit?“
„Nahezu fünfmal joviel Mann, als wir bier in der Armee
Sapiehas find. Es kommen auserlejene reußiſche und ungarijche
Negimenter zu Fuß; aud) jechstaufend Tartaren unter Supan—
hazy. Doch die legteren jollen jo roh und gewaltthätig jein,
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daß man fie nicht aus den Augen lafien darf; jie verwüſten
jonit alles.“
„Dan müßte ihnen den Kmiziz zum Oberhaupt geben!“
jagte Sagloba.
„Bah!“ entgegnete Kmiziz. „Sch würde fie gleich von Warſchau
fortbringen, denn zur Belagerung taugen fie gar nichts; an Die
Narew und den Bug würde ich jie führen, Dort wären jie am
Plate.“
„Das würde nicht3 nügen, gar nichts!“ entgegnete Wolody-
jowski. „Niemand ijt wie jie imjtande, zu verhüten, das Lebens—
mittel in die Stadt gelangen.”
„Ra! e3 wird dem Wittenberg warm werden! Warte,
alter Spigbube!” rief Sagloba aus. „Du Haft wader gekämpft,
das ijt nicht zu bejtreiten, aber geitohlen und geraubt haſt du
noch waderer. Zwei Mäuler Haft du: das eine zum Falſch—
jchwören, das andere zum Brechen von Eiden, aber alle beide
werden nichts nüßen, dich aus der Gefangenschaft herauszubetteln.
Did juckt die Haut von der galliichen Krankheit, dein Medikus
fraut fie dir, aber wir wollen ſie dir gerben, jo wahr ich Sag—
loba heiße!“
„Bah! er wird fich dem Könige auf Gnade und Ungnade
ergeben, wer jollte ihm da etwas anhaben,“ antwortete Herr
Michael. „Wir werden ihm dann auch noch militärische Ehren
erweijen müſſen.“
„Auf Gnade und Ungnade ergeben? Ja!“ fchrie Sagloba
außer ſich. „But! Wir wollen jehen!“
Hier jchlug er mit der Fauſt wiederholt jo heftig auf den
Tiſch, daß ſelbſt Noch Kowalski, welcher joeben eintrat, er—
ichroden zujammenfuhr und wie gebannt jtehen blieb.
„sch will nicht Sagloba jein, wenn ich dieſen Sirchen-
ichänder, Mordbrenner, diejen beutegierigen Henfer frei aus
Warſchau ziehen laſſe. Der König wird ihm auf Ehrenmwort
trauen, die Hetmane vielleicht auch, aber ich, jo wahr ich Sag—
loba heiße, jo wahr ich auf Erden glüdlich und im Himmel
jelig zu werden hoffe, ich) werde einen Tumult erheben, wie
man ihn in dieſer Republik noch nicht erlebt hat; einen Tumult
will ich gegen ihn anitiften.... wehret mir nicht mit der Hand,
Michael... ich) wiederhole es . . einen Tumult erhebe ich...“
„Der Ohm erhebt einen Tumult!“ donnerte Noch Kowalski
dazwijchen.
Da erjchien das tierische Geficht Afbah-Ulans im Rahmen
der Thüre.
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„Effendi!“ rief er Kmiziz zu. „Die Armee des Königs
jteht jenſeits der Weichſel.“
Die Anwejenden jprangen auf und eilten vor die Thür.
Der König war thatfächlih angefommen. Woran zogen
die Tartarenhorden unter Supanhazy, aber nicht in jo a
Zahl, wie man gemeldet hatte. Hinter ihnen kam das Kronen-
heer jehr gut bewaffnet und was das Bejte war, mit dem Feuer
der Begeijterung in den Blicken. Bid zum Abend hatte Die
ganze Armee die neu von Herrn Osfierfo hergeitellte Brüde
uͤberſchritten. Sapieha erwartete den Monarchen mit fämtlichen
Fahnen in Paradeordnung. Sie jtanden alle in langer Linie,
eine neben der anderen, jo daß das Ende faum abzujehen war.
Die Nittmeijter hielten jeder vor jeiner Schwadron, neben
ihnen die Fähnriche mit gejenkten Fahnen. Die Trompeten,
Uuerpfeifen, Trommeln und Triangeln machten einen un
befchreiblichen Lärm. Die Kronenfahnen jtellten jich, wie fie
der Reihe nad) marjchierten, geradeüber den Soldaten Sapiehas
in ebenjolcher Ordnung auf, jo, daß zwijchen beiden Armeen
die ganze Linie entlang ein Zwifchenraum von etwa Hundert
Schritten blieb.
Auf diefem Raume fam Sapieha, jeinen Marjchallitab in
der Hand, zu Fuß daher. — ihm ſchritten etliche Zivil—
und Militär-Würdenträger. Von Seiten des Kronenheeres ritt
auf einem herrlichen Goldfuchs, welcher noch ein Geſchenk Lubo—
mirskis, gelegentlich des Aufenthaltes des Königs in Lublin,
war, der König dem Hetman zu. Der König war wie zur Schlacht
gerüſtet, er trug einen leichten Panzer von bläulichem Stahl mit
goldenen Sternen verziert, unter welchem ein Slaftan von
jchwarzen Sammet mit breiter, bis auf dem Panzer herab—
fallender Spigenfraife zu jehen war. Statt des Helmes trug
er aber einen fchwedijchen breiten Schlapphut mit jchwarzen
Federn, —— bedeckten ſeine Hände und Arme und
— ederſtiefeln reichten ihm bis hoch über die Kniee
hinauf.
Dem Könige folgten der Erzbiſchof von Lemberg, der
Biſchof von Kamieniez, die Pröbſte von Luzk und Zieziſchowski,
der — Wojewode von Krakau und derjenige von Reußen,
der Baron Liſola, Graf Pöttingen, Herr v. Kamieniezki, der
Moskauer Geſandte, Herr v. Grodzizki, der General der Artillerie,
Tyſenhaus und viele andere. Sapieha beeilte ſich, dem Könige,
wie ehemals der Kronenmarſchall, den Steigbügel zu halten,
doch der Monarch kam ihm zuvor; er ſprang leicht aus dem
413
Sattel, lief dem Hetman entgegen und ohne ein Wort zu jprechen,
umarmte er denjelben.
Er hielt ihm angejicht3 der beiden Armeen lange um—
ſchlungen. Zange konnte er fein Wort hervorbringen, die Thränen
flofjen ihm an den Baden herab, denn hier an feiner Bruft
hielt er feinen und der Republik treuejten ‘Freund, der, wenn
auch an Geijt von anderen übertroffen und nicht von Fehlern
frei, doch) an braver, ehrlicher Denkungsart ſie weit überragte,
an Treue und Aufopferung der Edeljten einer, der nicht einen
Augenblick gezögert hatte, Kin ganzes Hab und Gut, jowie fein
Leben dem PVaterlande zur Verfügung zu jtellen.
Als die Litauer, welche für die Schuld an dem Entjchlüpfen
Karl Guſtavs bei Sandomir und für die legte Unvorjichtigfeit
bei Warjchau, einen jcharfen Tadel, mindeſtens aber ein fühles
Entgegenfommen jeitens des Königs erwartet hatten, dieje gütige
Begrüikung jahen, brachen fie in laute Freudenrufe aus, in
welche das Kronenheer jogleich begeijtert einftimmte. Das Spiel
der Kapelle laut übertönend, hörte man die Rufe:
„Bivat Joannes Kasimirus!“
„Bivat die Kronenheere!“
„Vivat die Litauer!“
Sp fand die Begrüßung bei Warjchau jtatt. Die Mauern
der Stadt erbebten bei dem Gedröhn der Vivatrufe und Hinter
den Mauern zitterten die Schweden.
„sh muß heulen! So wahr Gott Iebt, ich heule laut
aus!“ rief Sagloba gerührt. „Ich Halte e8 nicht länger aus!
Sehet da, unjer Herr, unjer Vater! — meine Herren! ic)
Ichluchze jchon! — Vater! Unſer König, unlängjt nod ein
Bertriebener, von allen Berlajjener, und jet ... und jeßt...
jtehen ihm Hunderttaujend Säbel zu Dienften!... O barm-
berziger Gott! ... ich kann nicht mehr vor Thränen....
Gehtern ein Flüchtling, heut . . . der deutjche Kaiſer Hat fein
jolches Heer! ...“
Die Thränenjchleufen Saglobas öffneten jich; er jchluchzte
und jchnaufte ein über das andere Mal. PBlöglich wandte er
fih an Rochus:
„Sei ſtille!“ jagte er, „warum heuljt du?“
„Heult ihr etwa nicht, Ohm?“ entgegnete Rochus.
„Es iſt ja wahr, es iſt ja wahr! ... Ich jchämte mich
für die Nepublif ... .. aber jet möchte ich mit feiner Nation
taufchen ... Hunderttaufend Säbel ... Das follen ung
414
andere nachmachen... Gott hat uns zur Vernunft gebracht...
Gott! Gott!“
Herr Sagloba irrte nicht zu jehr, denn thatjächlich jtand
hier, ohne die Divilion Tſcharniezkis ein nahezu fiebenmal
hunderttaujend Mann ſtarkes Heer bei Warjchau, ungerechnet
die Bedienungsmannjchaften beider Armeen.
Nach der Begrüßung und der Bejichtigung des Heeres
dankte der König den Truppen Sapiehag, unter den begeijterten
Zurufen der Soldaten, für ihre treuen Dienjte und brach dann
nad) Ujazdowo auf, während den verjchiedenen NRegimentern
ihre Bojitionen angewiejen wurden. Ctliche Fahnen biieben
auf Praga, die anderen wurden rings um die Stadt plaziert.
Ein unabjehbarer Wagenzug jette noch bis zum folgenden
Mittag über die Weichjel.
Am anderen Morgen war die Ebene um Warjchau dicht
mit jchneeweißen Zelten bededt. Unzählige Pferde wieherten
auf den angrenzenden Auen. Die dem Seere nachziehenden
armenijchen, türkiſchen und tartarischen Handelsleute bildeten
eine zweite Stadt, in welcher es lebhafter und fröhlicher herging,
al3 in der belagerten.
Die Schweden erjchrafen über die Ankunft der Heeres-
macht des Polenfönigs, wagten in den erjten Tagen gar feinen
Ausfall, jo daß Herr Grodzizfi in aller Ruhe die Stadt um—
reiten und einen Belagerungsplan anfertigen fonnt. Es
wurden nach jeiner Anordnung bier und da kleine Schanzen
aufgeworfen und Fleinere Gejchüge aufgepflanzt; die großen
fonnten erit in einigen Wochen nachfommen.
Der König jandte eine Botjchaft an den alten General
Wittemberg mit der Aufforderung, die Waffen zu jtreden und
die Stadt zu übergeben. Die Bedingungen, die er hierbei
jtellte, waren jo gnädige, daß fie die Unzufriedenheit des
ganzen Heeres hervorriefen, als ihr Wortlaut allgemein befannt
wurde. Die Unzufriedenheit ward von Sagloba gejchürt, welcher
Wittenberg haßte.
Wie man vorausgejehen, verwarf Wittenberg die Bedingungen
und erklärte, die Stadt bis zum legten Blutstropfen halten zu
wollen. Lieber wollte er unter ihren Trümmern begraben
werden, als jie dem Könige ausliefern. Die große Zahl der
Belagerer jchredte ihn nicht, denn er wußte aus Erfahrung, dat
ein „Zuviel eher Hinderlich jei, als nügen fünne Man hatte
ihm zudem bald Hinterbracht, daß die königliche Armee nicht ein
einziges Belagerungsgejchüg bejaß, während die Stadt eine ganze
415
Anzahl der beiten Kanonen und unerjchöpfliche Vorräte an
Munition hatte.
Es war um jo gewiljer, daß die Schweden ſich bis zur
Verzweiflung wehren würden, da Warjchau der Yagerplag für
alle die fojtbare Kriegsbeute war, die fie im Laufe der Zeit
angejammelt hatten. Alle die unermehlichen Schäte, den vielen
Schlöjjern, Kirchen und Städten der Republik geraubt, waren
in die Hauptjtadt gebracht, von wo jie auf der Weichjel nad)
Preußen und von dort nad) Schweden transportiert wurden.
Bejonders aber hatte man in der letten Zeit des Aufjtandes
im ganzen Lande zujammengerafft, was mitzunehmen ging und
in Warjchau aufgeitapelt, da die Eleineren Städte und Schlöfjer
feine Sicherheit mehr für die Beute boten. Die Schweden aber
ließen eher das Leben als ihre Beute. Dem gemeinen Soldaten
war beim Anblick der Schäte dieſes Landes eine unermeßliche
Habgier erwacht; Schweden war ein armes Land und nie hatte
einer von ihnen jolche Neichtümer gejehen, wie hier. Daher
war die Beutegier jelbjt der Generale und des Königs, bis auf
den gemeinen Soldaten, jo groß, daß alle, ihre Würde vergefjend,
zu gemeinen Räubern wurden, deren größter jedoch, Wittemberg
war. Wo es jih um ein Beutejtüd handelte, da vergaß der
‚zeldmarjchall alles andere, Rang, Ehre, nichts vermochte ihn
vom gemeinen Diebjtahl zurüd zu Halten; er nahm alles, was
zu nehmen ging. In Warjchau jelbit entblödeten jich die
jchwedischen Hauptleute und Offiziere nicht, öffentlic; Branntwein
und Tabak zu verfaufen, nur, um am Solde des Gemeinen
einen Gewinn zu erzielen.
Auch darum mußte Warjchau bis aufs Lebte verteidigt
werden, da zu jener Zeit die vornehmiten Schweden ſich in der
Stadt befanden. Zuerſt aljo Wittenberg, der bedeutendite
Kriegsheld nach) dem Könige von Schweden, derjenige, welcher
als erjter den Fuß auf den Boden der Republik gejegt und
der als Triumphator in Schweden auf einen großen Empfang
zu rechnen hatte. Außerdem befand jich Orenjtjerna, der Kanzler,
in Warjchau, der als größter Staatsmann der Welt galt und
in ganz Europa unter dem Namen „die Minerva des Königs“
gefürchtet war. Ihm hatte Karl Gujtav alle jene Vorteile zu
danfen, welche ihm beim Schließen von Verträgen erwuchjen,
denn, obgleich jelbjt bei den Feinden als der Ehrlichite und
Uneigennügigite der Schweden hochgeehrt, veritand er den
jeweiligen Vorteil jeines Vaterlandes zu wahren, ohne fich einer
unehrenhaften Handlung jchuldig zu machen. Von Generalen
416
waren noc in der Stadt: Wrangel der Jüngere, General Horn,
Eridjen, der zweite Yoewenhaupt und eine Menge jchwedijcher
Damen aus altadeligen Gefchlechtern, welche ihren Männern
hierher gefolgt waren, um die Bejigergreifung diejes Landes voll-
jtändig zu machen.
& hatten die Schweden alle Urjache, die Verteidigung
Warſchaus nicht aufzugeben. Johann Kajimir begriff ſamt jeinen
Hetmanen und Hauptleuten recht gut, daß bei dem Mangel an
Belagerungsgejchügen die Belagerung eine jehr langwierige und
blutige werden mußte, aber das Heer mochte oder konnte die
Lage der Dinge nicht begreifen. Kaum hatte Grodzizfi einige
kleine Schanzen aufwerfen lafjen, faum waren fie den Mauern
etwas näher gerüdt, da famen jchon von allen Fahnen Depu-
tationen mit der Bitte einer großen Schar Freiwilliger, den Sturm
auf die Stadtmauern zu erlauben. Lange mußte der König mit
Bitten und Vorjtellungen den Deputierten flar machen, daß
feine noch jo große Anzahl Reiter mit dem blanfen Säbel in der
Hand eine Feitung jtürmen könne, ehe die Begeijterung ſich legte.
Man bejchleunigte die Belagerungsarbeiten jo viel als
möglid. Da ein Sturm nicht gewagt werden fonnte, nahm
das ganze Heer lebhaften Anteil an diejen Arbeiten. Selbſt
die Offiziere der vornehmiten Garderegimenter farrten Erde
und jchleppten Faſchinenkörbe herbei. Die Schweden verjuchten
oft diefe Arbeiten eritören; es verging fein Tag ohne
größere und Eleinere [usfälle, die fie machten, aber faum hatten
die schwedischen Musketiere die Thore verlafien, da warfen die
Polen bei den Schanzen ihr Arbeitszeug Hin, griffen nach den
Säbeln und hieben jo tollwütig auf die Feinde ein, daß Dieje
jchleunigit Kehrt machten. Dabei ging es freilich nicht ohne
Tote ab und die Laufgräben und freien Pläße zwijchen den
Schanzen und den Feitungsmauern füllten ſich mit Grabhügeln,
da hier die Gefallenen, während der furzen Dauer des zu dieſem
Bwede gewährten Waffenjtilljtandes begraben wurben.
Trog großer Gefahren und Schwierigkeiten jchlichen jich
täglich Bewohner der Stadt in das Fönigliche Lager, um zu
berichten, was in der Stadt vorging, a flehentlich um Be—
ichleunigung der Erjtürmung zu bitten. Die Schweden hatten
wohl noch Vorräte an Lebensmitteln für jich, das Volk aber
lebte im Elend und jtarb in den Straßen vor Hunger. Täg—
(ih) wurden Bürger der Stadt, welche man des Einvernehmens
mit den Belagerern überführt hatte, erſchoſſen. Kranke Frauen,
Neugeborene, Greije, Kinder, lagen in den Straßen umber, da
417
man jie ihrer Wohnung beraubt hatte, welche die Bejagung
bezog; jie waren Wind und Wetter preisgegeben, litten tags—
über von den heißen Strahlen der Sonne und nacht3 von der
Kälte. Es war ihnen nicht erlaubt, ein Feuer anzuzünden, Sie
fonnten und durften fich nichts Warmes zum Ejjen bereiten,
Stranfheiten verjchiedener Art rafften Taujende dahin.
Wenn die aus der Stadt Entfommenen im Lager von
diejen Gräuelthaten erzählten, dann blutete dem Könige das
Herz. Er jandte Boten um Boten, um die Ankunft der Ge—
jchüge zu bejchleunigen. Auf diefe Weije vergingen Tage und
Wochen, ohne daß etwas ernithaftes vorgenommen werden fonnte;
die Belagerer tröjtete nur der eine Gedanke, daß der Beſatzung
endlich auch die Lebensmittel fehlen müßten, da ihnen jede
Zufuhr abgeichnitten war. So ſchwand auch wirklich den Be—
lagerten von Tag zu Tag der Mut und die Hoffnung auf
Entjag durch die jo nahe liegende Armee unter Douglas, da
Die große Uebermacht der polnijchen Truppen ſie bei einem Ver—
juch, die Feitung zu befreien, zermalmen mußte.
Man hatte endlich begonnen, noch vor Ankunft der großen
Gejchüge die Feſtung mit den Ffleinen zu bejchiegen. Herr
Grodzizki hatte jich von der Weichjel her, mit der Gejchicklich-
feit eines Maulwurf unaufhörlich Erderhöhungen vor ſich auf:
werfend, bis auf ſechs Schritt vom Laufgraben entfernt durch—
gearbeitet und bejchog von hier aus die unglüdliche Stadt
unaufhörlich. Das jchöne Palais der Kaſanowski wurde voll
jtändig demoliert. Man bedauerte das auch feineswegs, da es
Eigentum des Verräters NRadziejowsfi war. Seine Mauern
mit den leeren Fenſterhöhlen hielten faum noch zujammen;
Tag und Nacht fielen die Kugeln auf die wunderjchönen
Zerrafien, in Die herrlichen Gärten, die Fontainen, Brücken,
Altane und Marmorfiguren in Trümmer legend. Mit Flüge
lichem Geſchrei verfündigten die aufgejcheuchten Pfaue das trau—
rige Geſchick diejes ſchönſten der Paläſte.
Doch auch der Glodenturm der Bernhardinerfirche wurde
ſtark bejchoffen, denn an dieſer Stelle follte nach Grodzizfis
Meinung der erite Sturm jtattfinden.
Unterdejjen hatten die Troßfnechte des füniglichen Lagers
nicht aufgehört zu bitten, daß der König ihnen erlauben jollte,
die Stadt anzugreifen. Ihr Verlangen, als die eriten zu ven
ſchwediſchen Schägen zu gelangen, war zu groß. Nach längerem
Zaudern gab der König endlich nad. Einige höhere Offiziere
beichlojjen, das Kommando diefer Freiwilligen zu übernehmen,
Sienfiewicz;, Sturmflut II. 27
418
unter ihnen auch Kmiziz, welchem die langdauernde Unthätig-
feit läjtiger wurde als allen anderen und der außerdem von
innerer Unruhe fait aufgezehrt wurde, da Haßling jeit jenen Tage
jeiner Gefangennahme noch immer in jchweren Fieberphan—
tajien Darniederlag und er bis jetzt fein Wort mit ihm hatte
jprechen fünnen.
Man rief ſich alfo untereinander, ohne Aufjehen zu machen,
zum Sturm auf. Herr Grodzizfi wehrte bis zulegt heftig dem
Unternehmen, da er der Anficht war, daß die Stadt nicht zu
nehmen jei, jelbjt von den regulären Füſilieren nicht, gejchweige
denn von diejen Troßfnechten, bevor nicht die Feltungsmauer
eine Brejche erhalten. Da aber der König bereits jeine Erlaub-
nis dazu gegeben hatte, mußte er nachgeben.
Am fünfzehnten Juni traten aljo etwa jechstaujend dieſer
Troßknechte zufammen. Mean bereitete Leitern, Bündel trodenen
Reiſigs, Sandjäde und Feuerhaken vor und gegen Abend zog
die nur mit Säbeln bewaffnete Menge nach jener Stelle, wo
die Erderhöhungen und Schugwälle am nächiten zu den Lauf:
gräben Hinreichten. Sobald die Finſternis vollitändig ein-
getreten war, rannten die Knechte auf ein gegebenes Beichen
dem Laufgraben zu und begannen ihn zuzufchütten. Sie er:
hoben dabei ein fürchterliches Gejchrei, jo daß die ohnehin
wachjamen Schweden jie mit einem mörderischen Musfetenfeuer
empfingen. Auch die Kanonen eröffneten ein mächtiges Feuer,
die ganze öjtliche Seite der Stadt jchien in heftigem Kampfe
entbramnt.
Im Schuße der Dunkelheit hatten die Troßfnechte im Nu
den Laufgraben verjchüttet und jtürmten, eine ordnungsloje
Maſſe, den Mauern zu. Herr Kmiziz warf fich mit gegen zwei
Taufenden der Knechte auf das „Salte Fort,“ welches in der
Nähe des Krakauer Thores gelegen und von den Polen „Der
Maulwurfshaufen” benannt worden war, und nahm es troß
der verzweifelten Abwehr im erjten - Anlauf. Die Bejagung
wurde niedergehauen, niemand gejchont. Kmiziz befahl, die
Gejchüge zum Teil dem Strafauer Thor zuzuwenden, zum Teil
den Mauern, wo die anderen Polen die Leitern anlegen wollten,
um ihnen zu Hilfe zu fommen und Schuß zu geben.
E3 ging jenen nicht jo gut wie ihm, bei der Erjtürmung
der Bajtion. Obgleich die Knechte bereit die Leitern angelegt
hatten und, ohne ich von irgend einem Hindernis zurücjchreden
zu lafien, fejt darauf losjtürmten, richteten die Schweden großen
Schaden unter ihnen an, denn jie rijjen die Planken aus der
419
Erde und jchlugen von oben auf ie ein, jchütteten ihnen
fliegendes Pech in die Gefichter und warfen jchwere Steine
und Holzkloben auf die Leitern herab, daß fie frachend zer-
brachen, endlich jtießen jie die Stürmenden mit langen Lanzen
hinab, gegen die ihre Schwerter nichts auszurichten vermochten.
Ueber fünfhundert der beiten Troßfnechte blieben unter
den Mauern, die anderen zogen jich unter dem unumnterbrochenen
Feuer der Musketen und Gejchüge hinter den Zaufgraben und
die Schugmwälle zurück.
Der Sturm war abgejchlagen, aber die Bajtion war im
polnischen Händen geblieben. Umjonjt wurde fie während der
ganzen Nacht von den Schweden mit ihren ſchwerſten Gejchügen
beſchoſſen, Kmiziz erwiderte dieſes Feuer energijch mit den
eroberten Gejchügen. Erjt gegen Morgen, als es jchon licht
eworden war, zertrümmerten ihm die Schweden diejelben voll-
Ständig, Wittenberg, welchem jehr viel an jener Bajtion
gelegen war, jandte nun eine Abteilung Füfiliere dorthin ab,
mit dem Befehl, daß feiner fich unterjtehen jolle, zurüczufehren,
ohne den Verluſt wieder wett gemacht zu haben. Herr Grod-
zizfi aber hatte inzwijchen Hilfsmannjchaften abgejandt, welche
bei Herrn Kmiziz zu rechter Zeit eintrafen. Er warf aljo die
jchwedischen Angreifer nicht nur zurüd, jondern verfolgte jie
bis an das Krafauer Thor.
Herr Grodzizfi war jo erfreut über den Ausgang der
Sache, daß er perjünlich dem Könige Bericht zu erjtatten eilte.
„Allergnädigiter Herr!“ jagte er. „Sch war gejtern gegen
den Angriff auf die Mauern, heute jehe ic) ein, wie viel Nuten
er ung brachte. So lange jene Bajtion in Feindeshand war,
fonnte ich nichts gegen das Thor hin unternehmen. Wenn jetzt
nur bald die jchweren Gejchüge ankommen, dann wird jchnell
eine Brejche in die Mauer gemacht jein.
Der König, welcher jehr befümmert um den Verluſt jo
vieler guter Burfchen war, wurde durch den Bericht Grodzizfis
jehr erfreut. Er frug eilig:
„Welcher der Offiziere führte das Kommando bei dem Sturm
auf die Bajtion?“
„Herr Babinitjch!" antworteten ein paar Stimmen zugleich.
Der Monarch jchlug die Hände zujammen.
„Der muß überall der Erjte jein!“ rief er aus. „Herr
General, den fenne ich! Der läßt jich dort nicht ausräuchern.“
„ES wäre eine umverzeihliche Schuld, wenn wir es dazu
fommen ließen. Ich habe ihm jchon Suffurs an Mannjchaften
27*
420
und ein paar Eleine Gejchüge hinübergejchidt. Man wird es
an Verjuchen nicht fehlen laſſen, ihn auszuräuchern; es handelt
fih um Warjchau, Meajeität! Doch der Kavalier iſt Goldes
wert, mindejtens jo viel, als er jelbit wiegt.“ |
„Do, er iſt viel, viel mehr wert!“ jagte der König. „Es
iſt dies hier nicht feine erjte, nein, nicht jeine zehnte That.“
Der König befahl, jofort jein Pferd vorzuführen, nahm
das Fernrohr und ritt fort, die Baition zu bejichtigen. Man
fonnte jie gar nicht jehen, jo jehr war fie in Nauchwolfen ges
hüllt, denn mehrere Kartaunen fjchleuderten unaufhörlich Feuer,
Sranaten, Bomben und Eifenjtüde auf fie hernieder. Die
Baition (ag jo nahe dem Thor, daß ein Musketenſchuß fie
von dort aus erreichen fonnte. Man jah genau, wie die Granaten
in Gejtalt Kleiner Wölfchen in die Höhe jtiegen, einen jehr
ſcharfen Bogen bejchrieben und in die große Rauchwolke fielen,
die die Bajtion umhüllte, und dort donnernd plaßten. Viele von
ihnen fielen bis weit hinter die Bajtion und dieje verhinderten,
daß fernere Hilfstruppen an Kmiziz gejandt werden fonnten.
„sm Namen des Vaters, des Sohnes und des heiligen
Geijtes!* rief der König. „Tyſenhaus! Seht doch!“
„Es iſt nichts zu jehen wie Nauch, Majeſtät!“
„Ein Häuflein aufgewühlter Erde wird von der Bajtion
übrig bleiben! Tyſenhaus! Wißt ihr, wer dort drinnen jigt?“
„sch weiß es, Meajeität! Es iſt Babinitjch! Wenn der
lebend von dort wiederfehrt, jo kann er mit Recht jagen, daß
er bei lebendigem Leibe in der Hölle war.“
„Man muß ihm frijche Streitkräfte jenden, Herr General!“
„Der Befehl iſt jchon ausgegeben, aber es wird jchwer jein,
hinzufommen, denn die Granaten überholen die Bajtion und
fallen dicht nach dieſer Seite zu.“
„Laßt von allen Seiten, aus allen Gejchügen auf die
Mauern feuern, damit ihre Aufmerfjamfeit geteilt wird.“
Grodzizki gab dem Pferde die Sporen und jprengte zu
den Schanzen zurüd. Bald darauf dröhnte der Kanonendonner
auf der ganzen Linie. Gleichzeitig jah man eine Abteilung
majuriiche Fußſoldaten die Schugwälle verlajjen und im Lauf—
jchritt der Bajtion zueilen.
Der König beobachtete unausgejeßt den Kampf um Die
Baition. Wlöglich rief er:
„Es iſt Plicht, den Babinitjch im Kommando abzulöjen.
Wer von euch, meine Herren, will freiwillig die Ablöjung über-
nehmen ?“
421
Von Kmiziz' näheren Freunden befand ich feiner in der
Nähe, weder Wolodyjowsft noch die Sfrzetusfis, Es blieb
einen Augenblick jtill nad) diejer Frage des Königs.
„Sch“ hörte man endlich die Stimme des Herrn Topor
Grylewsfi melden. Er war Offizier bei den leichten Reitern
des Erzbischofs.
„sch!“ jagte nun auch Tyjenhaus.
„sch! Sch! Ich!“ rief es nun von verjchiedenen Seiten.
„Der erjte, welcher ſich erboten hat, joll gehen!“ entjchied
der König.
Herr Topor Grylewski befreuzte jich, nahm einen Fräftigen
Schlud aus der Feldflaſche und ritt davon.
Der König blickte unverwandt auf die Rauchwolfen, welche
noch immer die Bajtion verhüllten und jich Hoch über ihr in
langen Streifen, von der Luft getraaen, wie eine Brücke hin-
überzogen bi8 zu den Mauern. Da die Baition nahe der
Weichjel lag, jo überragten die Mauern diejelbe, daher wirfte
das Feuer jo jchredlicd).
Plöglich veritummte der Donner der Gejchüge etwas, nur
die Öranaten zogen noch ihre jcharfen Bogen, dafür ertönte
ein fürchterliches Knattern unzähliger Musfetenschüffe; es war
anzuhören, als ob Taujende von Bauern mit Drejchtlegeln auf
die Tenne jchlagen.
„Sie gehen wieder zum Sturm über,“ jagte Tyſenhaus.
„Wenn der Rauch nicht jo dicht wäre, fünnten wir die ſchwe—
diichen Füſiliere ſehen.“
„Reiten wir etwas vor,“ ſagte der König, ſein Pferd in
Bewegung ſetzend.
Andere folgten ihm. Die kleine Karawane gelangte von
Ujazdowo her am Ufer der Weichſel entlang faſt bis Solez,
und da die Obſtgärten der Paläſte und Klöſter, die bis an die
Weichſel herabreichten, noch im Winter von den Schweden kahl
geſchoren worden waren, jo war der Ausblick frei. Man
fonnte hier ohne Fernrohr jehen, wie die Schweden jich an—
ſchickten, die Baſtion von neuem zu jtürmen,
„sch wollte lieber dieje Position aufgeben, al3 daß Babi—
nitſch mir verloren geht!” jagte plößlich der König.
„Bott wird ihn beichügen!” ſagte der Probſt Tſchiezi—
ſchowski.
„Und Herr Grodzizki wird nicht verfehlen, ihn zu unter—
ſtützen,“ ſetzte Tyſenhaus hinzu.
Da unterbrach die Unterredung ein Reiter, welcher im
42 2
geſtreckten Galopp von der Stadt her geritten kam. Bei ſeinem
Anblick rief Tyſenhaus, welcher ein ſehr ſcharfes Auge hatte,
erſchrocken aus:
„Srylewsti! Da kommt Grylewski! Babinitſch muß tot,
die Baition gefallen jein!“
Der König bededte die Augen mit der Hand, während
Grylewsfi dicht vor ihm fein Pferd parierte und fajt außer
Atem meldete:
„Allergnädigiter Herr!“
„Was it? Sit er tot?“ unterbrach ihn der König haſtig.
„Herr Babinitich fagte zu mir: ‚Mir iſt jehr wohl zu
Mute, ich brauche feine Ablöjung, nur etwas zu ejjen möchte
eh haben, denn jeit geitern Abend habe ich nichts im Munde
gehabt‘“.
„So lebt er alſo?“ frug der König freudig.
„Er jagt, es geht ihm gut!“ wiederholte Herr Grylewski.
Das Gefolge des Königs erholte ſich langjam von jeinem
Staunen.
„Das iſt Rittermut!“ riefen die einen.
„Welch' ein Soldat!“ jprachen andere.
Und jpäterhin jagten welche zu Herrn Grylewski:
„Es wäre aber doch gut, wenn er abgelöjt würde. Habt
ihr euch nicht geſchämt, zurüdzufommen? Hat euch die Angit
befallen? Ihr hättet euch lieber gar nicht melden follen.“
Darauf wandte ſich Grylewsft an den König:
„Allergnädigjter Herr!“ bat er. „Venjenigen, die mich
einen Feigling nennen, will ich jederzeit beweifen, daß ich es
nicht bin. Bor Ew. Majeität aber muß ich mid) rechtfertigen.
Ich war mitten in dem ‚Maulwurfshaufen‘, was mancher von
diefen Herren hier nicht zuſtande gebracht haben würde.
Babinitjch jprang mir wie eine bifjige Kate entgegen, als ich
ihm den Befehl brachte, ich ablöfen zu lajien. ‚Seht zum
Kuckuck,‘ jchrie er mich an. Ich arbeite hier, daß der Schweiß
an mir herunterrennt,‘ jagte er, zum Plaudern habe ich Feine
Zeit, und feine Zujt, mit irgend jemanden meinen Ruhm und
mein Kommando zu teilen. Ich befinde mich wohl,‘ jagte er,
‚ich bleibe Hier, und euch werde ich von der Bajtion werfen
laſſen! Schert euch fort!“ fagte er. „Hunger haben wir, aber
anjtatt etwas zu freſſen, jchieft man uns einen Kommandanten!
Was blieb mir zu thun, Allergnädigiter Herr! Ich kann mich
über feine Laune auch nicht wundern; fie müjfen arbeiten dort
oben, daß ihnen die Hände abfallen möchten!“
423
„Meint ihr,“ frug der König, „daß er jich dort wird halten
fönnen ?“
„Welche Stellung würde der wohl aufgeben! ch vergaß
noch zu berichten, was er mir nachjchrie: ‚Sch bleibe Hier, und
jet es eine ganze Woche; ich ergebe mich nicht! — nur jchickt
uns etwas zu ejjen!“
„sit e8 denn dort wirklich auszuhalten?“ frug der König
wieder.
„Man glaubt den Tag des letzten Gerichtes gekommen da
oben! Granate fällt auf Granate, Eijenjtüde jaufen um die
Ohren und wühlen jich tief in die Erde ein, der Rauch be=
nimmt einem den Atem, man fann nicht sprechen! Die Kugeln
wirbeln Sand und Erde in die Höhe, die man fortwährend
abjcehütteln muß, um nicht Augen und Ohren voll zu haben.
Es ind viele der Unſrigen gefallen, doch diejenigen, welche
(eben, liegen in Furchen und machen aus Kanonenrädern Zäune,
die jie mit Erde und Sand befejtigen, als Schußvorrichtung
gegen die Anpralle der Stürmenden. Die Schweden haben die
Baition jehr jorgfältig befejtigt, nun dienen ihre Maßregeln
gegen lie jelbit. Jet fümpfen die oben wieder mit den Schweden.
„Da man nicht auf die Mauern fommen fann, ohne zuvor
eine Brejche gemacht zu haben,“ jagte der König, „jo werben
wir nech heute die Paläfte in der Krakauer Vorjtadt angreifen,
das wird der bejte Entjaß jein.“
„Die Paläſte jind aber auch ſtark befeitigt, fait in fleine
Feitungen umgewandelt,“ bemerkte Tyjenhaus.
„Man wird die Bejagung dort aber von der Stadt aus
gar nicht oder wenig unterjtügen, denn ihre ganze Wut iit dem
Babinitjch zugewendet,“ jagte der König. - „sch werde gleich
den Befehl zum Stürmen geben, nur will ich zuvor Babinitſch
meinen Segen hinterlaſſen. u
Indem er das jagte, nahm Johann Kafimiv aus der Hand
des Probites das fleine Kruzifir, welches dieſer jtet3 bei ſich
trug und in welches Splitter des heiligen Kreuzes eingefaht
waren. Während er fich Hoch emporrichtete, machte er Das
Beichen des Kreuzes nach der Bajtion Hin und betete:
„Du Gott Abrahams, Iſaaks und Jakobs, erbarme dich
deines Volkes und errette diefe hier aus der großen Gefahr.
Amen! Amen! Amen!“
— —
13. Rapitel,
Der Sturm auf die Krakauer Vorjtadt, nach der Seite
der neuen Welt zu, war blutig und nicht jehr erfolgreich, aber
injofern doch von Nußen, daß er die Aufmerkſamſeit der Schweden
etwas von Kmiziz ablenfte und Ddiefem eine Eleine Pauſe zur
Erholung bot. Die Polen drangen bis zum Palaſt Kafimirowsfi
vor, ohne jedoch die Poſition behaupten zu fönnen.
Aehnlich erging es ihnen beim Palais Danillowsfi und
beim Danziger Haufe. Es fielen wieder ein paar Hundert
Mann. Doch machte der König zu feiner Freude die Wahr-
nehmung, daß jelbit die Mannschaften des allgemeinen Aufgebots
mit flammender Begeijterung in den Kampf gingen und durch
das Mihlingen des Angriffs durchaus nicht entmutigt wurden,
jfondern vielmehr die Luſt zu neuen Kämpfen in ihnen entfacht
worden \var.
Das größte Ereignis jener Tage war aber die Ankunft
Sohann Samojsfis und Herrn Tſcharniezkis. Der erjtere führte
dem Heere ein Negiment auserlejeniter Füfiliere und etliche
ſchwere Gejchüge zu, der andere war gefommen, um Anteil an
der Belagerung Warjchaus zu nehmen, nachdem er im Ein-
verjtändmis mit Herrn Sapieha einen Teil des litauiſchen Heeres
jamt den Podlachiſchen Freiwilligen unter das Oberfommando
Johann Skrzetusfis geitellt, und diefem die Ueberwachung der
Bewegungen Douglas’ übertragen hatte. Man hoffte nun all-
gemein, und auch Ticharniezfi teilte diefe Hoffnung, daß man
zum legten erfolgreichen Sturm auf die Stadt jchreiten fönne.
Man pflanzte die angefommenen jchiweren Gejchüge auf
die von Kmiziz eroberte Baltion und brachte in kurzer Zeit
425
die jchwedischen Granatjchleudern zum Schweigen. Bon da ab
übernahm das Kommando auf der Bajtion der General Grodzizki,
Kmiziz fehrte zu jeinen Tartaren zurüd. Doch ehe er noch
jein Quartier erreichen fonnte, erreichte ihn der Befehl, nad)
Ujazdowo zu fommen.
In Gegenwart des ganzen Generalitabes erteilte der König
ihm eine große Belobigung, in welche die Herren Tſcharniezki,
Sapieha und Lubomirski, jowie die Kronenhetmane auf das
Lebhafteite einitimmten. Er aber jtand jtrahlenden Angejichts
in zerrijjenen, beſchmutzten Kleidern vor den Herren, hocherfreut,
daß es ihm gelungen war, die Baſtion zu halten und den
Ruhm der Einnahme derjelben für fich errungen zu haben.
Unter den vielen Glückwünſchen, die er empfing, freuten ihn be-
jonders die von Wolodyjowsft und Sagloba.
„Du kannſt dir gar nicht vorjtellen, Andrujch,“ ſagte der
kleine Nitter, „welch großes Wohlgefallen der König an dir hat.
Sch war gejtern im Kriegsrat zugegen, Herr Tſcharniezki hat
mich mitgenommen; man jprach von der GEritürmung War:
jchaus, dann über die Nachrichten von den Gräuelthaten, welche
Bontus und die Schweden in Litauen verüben. Es wurde
beraten, wie man diefem Unheil abhelfen fünnte. Herr Sapieha
war der Anficht, das Beite jei, ein paar Neiterfahnen unter
dem Kommando eines Mannes dorthin zu fchiefen, der für
Litauen das werden fünnte, was Tſcharniezki für Kronpolen
geworden ijt. Da jagte der König gleich: ‚Sch fenne nur einen,
der das zu vollbringen imjtande ijt, — Babinitjch!! Die anderen
gaben ihre Zuſtimmung.“
„Sch würde jehr gern nach Litauen und bejonders nach Smudz
gehen,“ erwiderte Kmiziz; „wollte jelbit den König darum bitten,
nur wollte ich erit die Einnahme Warjchaus abwarten.“
„Morgen joll Generalſturm fein,“ jagte nähertretend Sagloba.
„Sch weiß es; wie geht es Kletling?
„Ber iſt das? Ihr meint wohl Haßling?“ verbejjerte der
alte Ritter.
„Er it es! Das ijt auch ganz gleich, denn er hat, wie
die meijten Engländer und Schotten, zwei Namen. Das fommt
in fait allen anderen Nationen vor.“
„Es iſt wahr!“ ſagte Sagloba. Der Spanier hat für jeden
Tag der Woche einen anderen Namen. Euer Troßbube hat
mir gejagt, daß jener Hakling oder Ketling gejund iſt; er hat
ſchon gejprochen, geht umher, das Fieber jcheint ihn verlafjen
zu haben.‘
426
„Wart ihr nicht bei ihm?“ frug Kmiziz.
„Sch Hatte feine Zeit,“ antwortete Wolodyjowsfi. „Wer
hätte auch vor der Einnahme der Feitung Sinn für anderes.“
„Sehen wir jett zu ihm.“
„Legt euch lieber jchlafen,“ ſagte Sagloba.
„Es iſt wahr; ich möchte wohl, denn ich kann faum noch)
aufrecht Itehen.“
In feinem Quartier angefommen, befolgte Herr Andreas
den Rat Saglobas um jo lieber, als er Haßling jchlafend vor-
fand. Dafür famen abends die beiden Freunde nach ihm zu
jehen; fie festen fich alle dreie in die luftige Sommerlaube,
welche die QTartaren ihrem „bagadyr“ errichtet hatten. Die
beiden Kiemlitjch bedienten die Herren und jchenften den alten
hundertjährigen Met ein, welchen der König Kmiziz geſandt. Der
Abend war warm. Haßling, jehr bleich und abgemagert, jchien Leben
und Kraft aus dem fojtbaren Getränf zu jchlürfen. Sagloba jchnalzte
mit der Zunge und wijchte jich den Schweiß von der Stirn.
„Ha! wie dort die Kanonen donnern,“ jagte hinaushorchend
der junge Schotte. „Morgen wollt ihr zum Sturme vorgehen
.. wohl euch Gefunden! ... Gott jegne euch! Ich bin ein
Fremdling und diente, wo die Pflicht mic) band, doch euch
wünſche ich alles Bejte. Ach, ijt das ein Met! Ich fühle mic)
nenbelebt.“
Während er jo jprach, warf er fein langes goldiges Haar
zurüd in den Naden und richtete die blauen Augen zum Simmel
empor. Sein Geficht war wunderjchön; es trug einen noch faſt
findlichen Ausdrud. Sagloba blidte ihn ganz gerührt an.
„Ihr jprecht jo gut polnisch, Herr Kavalier, wie jeder von
uns. Bleibt bei uns, lernt unjer Vaterland lieben; ihr thut
damit ein gutes Werk und der Met wird euch nie fehlen. Für
eine ehrenvolle Anjtellung für den braven Soldaten wird auch
gejorgt werden.“
„Bejonders, da ich auch von Adel bin. Mein voller Name
lautet nämlich Haßling-Ketling of Elgin. Meine Familie jtammt
aus England, wenn fie auch in Schottland anfällig tft.“
„Es iſt jo weit in euer Vaterland, weit über das Meer
und wir leben bei uns ganz anjtändig,“ verjegte Sagloba.
„sch fühle mich auch ganz wohl Hier!“
„Aber uns ift nicht wohl jegt; wir figen wie auf Nadeln,“
warf Kmiziz ein, der fchon lange ungeduldig auf dem Stuhle
hin- und herrückte. „Wir brennen vor Begierde zu hören,
427
was ſich in Tauroggen zugetragen, und ihr unterhaltet euch über
Stammbäume.‘
„ragt mich und ich werde antworten,“ jagte Haßling.
„Habt ihr das Fräulein Billewitich oft gejehen ?“
Das blafje Geficht Haßlings überzog ſich mit einer
feinen Nöte.
„Ich jah fie alle Tage.“
Kmiziz blickte ihm jcharf in das Geficht.
„Wart ihr demm jo vertraut mit ihr? Warum errötet ihr?
Wie fam es, daß ihr alle Tage bei ihr waret?“
„sch hatte ihr einige Kleine Dienjte geleiftet; fie wußte,
daß ich ihr ergeben war. Ihr werdet das im Verlaufe des
Geſpräches erfahren, jegt lat mich erzählen.“
„Die Herren wijjen wohl nicht, daß ich mich nicht in Kiejdan
befand, als der Fürſt-Stallmeiſter dorthin fam und das Fräulein
nach Tauroggen entführte Zu welchem Zwecke er das that,
weiß ich nicht zu jagen; man jprach jo verjchieden davon.
Kaum waren fie in Tauroggen angefommen, da merkte aber
jogleich ein jeder, daß er bis über die Ohren verliebt in fie war.“
„Bott jtrafe ihn dafür,“ rief Kmiziz.
„Er gab Feitlichkeiten, wie fie früher dort niemand gejehen.
Ningjtechen und QTurniere; man fonnte glauben, daß tiefiter
Friede im Lande herrſche. Dazwijchen jagte ein Brief, ein
Bote den anderen, vom Kurfürjten und vom Fürjten Janujch.
Wir Hatten gehört, daß der lettere von Sapieha und den Kon—
förderierten hart bedrängt jei, doch wir blieben ruhig in Tau—
roggen. An der Grenze wartete das Heer des Kurfürſten, zum
Zuge nach Litauen bereit, wir aber blieben ruhig jiten, denn
der Fürſt konnte fich nicht von dem Fräulein trennen.“
„Darum aljo fam Boguslaw dem Better nicht zu Hilfe?“
jagte Sagloba.
„So iſt es! Paterſon und andere ihm nahejtehende Ber-
jonen jagten dasjelbe. Einige waren ungehalten, andere freuten
jich, daß die Nadziwill® zu Grunde gehen jollten. Safowitjch
vertrat den Fürſten in allen öffentlichen Angelegenheiten; er
empfing die Briefe und beantwortete diejelben, beratjchlagte mit
den Gejandten, der Fürſt jelbjt jann nur darauf, wie er neue
Vergnügungen jchaffen folltee Er! diejer Geizyammel — warf
das Geld mit vollen Händen fort; er ließ auf eine halbe Meile
im Umfreife den ganzen Wald niederlegen, damit das Fräulein
eine bejjere Ausjicht haben jollte, kurz, fie wandelte auf Blumen
und wurde jo fein behandelt, wie eine Prinzejlin von Geblüt.
428
Das Fräulein wurde von vielen bedauert, denn man jagte:
‚Die ganzen Bergnügungen find nur zu ihrem Verderben er-
jonnen. Heiraten wird der Fürſt fie Doch nicht, aber wenn er
imjtande it, ihr Herz zu gewinnen, dann hat er feinen Zweck
erreicht.‘ Es zeigte ſich aber bald, daß das Fräulein nicht zu
denjenigen gehörte, welche durch Glanz und Schimmer auf Ab-
wege zu führen waren.“
„Das weiß id) bejjer, al8 alle anderen!“ rief Kmiziz auf:
jpringend,
„Wie nahm denn das Fräulein Billewitjch die Huldigungen
auf?“ frug Wolodyjorwsfi.
„Anfangs mit artiger Miene, obgleich) man ihr dennoch au—
merkte, daß ein geheimer Summer an ihr nagte; jie mochte wohl
auc) der Meinung fein, daß alle die Masferaden, Kavalfaden
und Turniere zu dem alltäglichen Gewohnheiten des Füriten
gehören. Endlich merkte fie doch, da alles nur ihretwegen
veranjtaltet worden. Der Fürſt hatte eines Tages, weil er gar
nicht mehr wußte, was er zum Ergötzen des Fräuleins aus-
findig machen follte, ein Kriegsſchauſpiel veranftaltet; er ließ
eine in der Nähe Tauroggens befindliche Anjiedelung in Brand
jeßen und die Brandjtätte von jeinen Füſilieren verteidigen,
während er mit einigen Neitern fie zu ftürmen bemüht war,
jelbjtverjtändlich auch Steger blieb. Siegestrunfen und Liebes-
trunfen zurücdgefehrt, joll er dem Fräulein zu Füßen gefallen
jein und fie um Gegenliebe angefleht haben. Es iſt nicht be-
fannt geworden, was alles für Verjprechungen er ihr gemacht
haben mag, genug, von diefem Tage an war ihre Freundjchaft
zu Ende Sie verſchanzte jich Hinter ihren Oheim, den Herrn
Schwertträger von Reußen und ließ ihn Tag und Nacht nicht
von ihrer Seite, der Fürſt aber... .“
„Fing ihr an zu drohen, nicht wahr?“ unterbrady ihn
Kmiziz.
„Ei, woher denn! Er verkleidete ſich als griechiſcher Hirte;
er ſpielte den Philemon. Eilboten mußten ihm aus Königs—
berg die Koſtümvorlagen holen, die Schleifen und Perücken
beſchaffen. Er ſpielte den Verzweifelten, ging mit der Laute
unter ihren Fenſtern umher und jpielte Liebeslieder. Er iſt
mit einem Wort ein fchlauer Verführer; man jagt von ihm,
daß feine ihm widerjtehen fünne, obgleich er mit allen nur fein
Spiel treibe. Diejesmal aber liebt er mit wahnjinniger Leiden—
Ichaft, worüber ich mich gar nicht wundere, denn das Fräulein
429
gleicht mehr einer überirdiichen Göttin, denn einem irdischen
Weſen.“
Haßling errötete wieder, aber Herr Andreas bemerkte das
jetzt nicht, denn Freude und ein gewiſſer Stolz erfüllten ihn,
als er mit untergeſtemmten Armen Sagloba und Wolodyjowski
anblickte.
„Wir kennen ſie, nicht wahr? Sie iſt die leibhaftige
Diana!“ ſagte Wolodyjowski.
„Ach was! Diana reicht ihr nicht das Waſſer,“ rief
Kmiziz.
„Darum ſagte ich: ‚Es iſt fein Wunder““ verſetzte Haßling.
„Das iſt alles gut, nur daß ich ihm für ſeine Liebesglut
die Haut ein wenig mit glühenden Zangen zwicken und Huf—
eiſen unter ſeine Sohlen bringen möchte ...“
„Unterbrecht doch nicht alle Augenblicke,“ ſagte Sagloba.
„Wenn ihr ihn in euren Händen habt, dann könnt ihr Folter—
qualen für ihn erjinnen, jet laßt einmal Haßling ausreden.“
„sc hatte oftmals die Wache vor der Thür feines Schlaf-
zimmers,“ fuhr Haßling fort. „Wie oft hörte ich, wie er jich
auf dem Lager wälzte, ohne Schlaf finden zu können, jtöhnend
und Selbitgejpräche haltend. Er hat ſich jehr verändert, ab—
gezehrt ijt er; vielleicht jteckte jchon damals die Krankheit in
ihm, der er jpäter verfiel. Plötzlich verbreitete ſich im Schlojie
das Gerücht, daß der Liebeswahn des Fürſten jo weit gebe,
daß er das Fräulein ehelichen wolle. Als der Fürjtin Januſch
Radziwill das zu Ohren kam, entitand viel Mergernis zwiſchen
ihr und Boguslaw, denn wie ihr wißt, jollte laut früherem
Vertrage Boguslaw die Prinzeſſin Januſch ehelichen, jobald ſie
ihre Volljährigkeit erreicht haben würde. Er aber wollte nichts
mehr davon willen. Die Fürſtin Grijeldis entbrannte in
heftigem Zorn, reiſte mit ihrer Tochter nach Kurland ab, und
noch am Tage ihrer Abreife hielt er um die Hand Des
Fräuleins an.“
„Was? er wollte fie wirklich ehelichen ?“ riefen die Nitter
wie aus einem Munde,
„sa! Zuerſt hielt er bei dem Schwertträger um jie an,
der nicht weniger darüber erjtaunt war, als ihr Herren, und
nicht an die Ernithaftigfeit des Antrages glauben wollte Als
er endlich überzeugt war, da geriet er vor Freude außer ich,
denn die Ehre mit den Nadziwill3 in verwandtjchaftliche Be—
ziehungen zu treten, dünfte ihm unbändig groß. Paterſon be=
hauptet zwar, daß die beiden Gejchlechter ohnehin miteinander
430
verwandt jeien, daß die Berwandtjchaft nur von den Radziwills
niemals anerkannt worden war.“
„Weiter! weiter!“ drängte Kmiziz ungeduldig.
„Beide begaben ſich nun zu dem Fräulein mit jener
Ditentation, wie jie bei jo feierlichen Gelegenheiten üblich ift.
Der ganze Hof war in gremzenlojer Aufregung. Die Nach-
richten, die von dem Fürſten Januſch eingingen, lauteten jehr
ſchlimm, doch nur Sakowitſch allein las die Briefe, der Fürſt
beachtete weder die ihm vorgelegten Schriftitüde noch Safowitjch
jelbjt, der in Ungnade gefallen war, weil er von der Heirat
mit dem Fräulein ernjthaft abriet. Die einen bei Hofe er-
zählten fich, daß nicht zum erjtenmal ein Radziwill eine gewöhn-
liche Adlige heirate, day jchlieglich aller Adel gleiche Nechte
habe, dal die Ahnen der Billewitich bis in die römischen Zeiten
reichten. Das jagten alle diejenigen, welche fich jchon im voraus
die Gunst der fünftigen Herrin fichern wollten. Andere waren
der Anjicht, der Antrag jei nur eine Lilt des Fürjten. Er
wolle dadurch dem Fräulein näher treten, um, wie das bei
Verlobten jo genau nicht genommen wird, fie gelegentlich ihrer
Tugend zu berauben.“
„So wird es auch gewejen jein! Nicht anders!“ be—
merkte Sagloba.
„uch ich glaube das lettere,” jagte Haßling. „Doch hört
weiter, was jich zutrug. Während die Meinungsverjchieden-
heiten bei Hofe noch ausgefochten wurden, hatte das Fräulein
alle Zweifel bereit3 gelöft, fie hatte den Antrag des Fürjten
rundweg abgelehnt.“
„Bott jegne fie dafür!” jagte Kmiziz.
„Sie hatte aljo die Ehre abgelehnt!“ fuhr Hakling fort.
E3 genügte, den Fürjten zu jehen, um es jogleich zu erraten.
Die Höflinge waren wie vom Donner gerührt. Er, der von
PBrinzejlinnen ummorben worden, dem feine widerjtand, er
fonnte den Widerjtand der einen nicht ertragen. Es war ge=
fährlich ihm jegt unter die Augen zu treten. Wir alle waren
überzeugt, daß er nicht länger zögern würde, fie zu ver-
gewaltigen.”
„Am folgenden Tage wurde der Schwertträger von Reußen
nach Tilſit gebracht, das jchon in Kurpreußen liegt. An dem=
jelben Tage bat das Fräulein den vor ihrer Thüre wacht-
habenden Offizier, ihr eine geladene Pijtole zu geben. Der
Offizier verjagte ihr die Bitte nicht, denn er fühlte als
Edelmann und als Mann von Ehre tiefes Mitleid mit dem
431
unglüclichen Mädchen und eine hohe Bewunderung für ihre
Schönheit und Standhaftigfeit.“
„Wer war jener Offizier?“ frug Kmiziz.
„Ich!“ antwortete Haßling troden.
Herr Andreas umarmte ihn jo jtürmifch, daß der junge
Schotte, welcher noch jchwach war, vor Schmerz aufjchrie.
„Das thut nichts!“ rief Kmiziz. „Ihr jeid mir lieb wie
ein Freund, ein Bruder. Fordert von mir, was ihr wollt, es
joll euch gewährt jein.“
„sh möchte nur eine Weile ruhen,“ bat Haßling
jchwer atmend.
Man lieg ihn still figen, er drückte nur ſchweigend Die
Hände, welche Wolodyjowsti, Sagloba und Kmiziz ihm reichten.
Endlic) hatte er jich etwas erholt und da er ſah, wie jie alle
vor Neugier brannten, begann er von neuem:
„sch warnte fie auch vor betäubenden Getränfen. Man
wußte allgemein, daß der fürjtliche Medikus betäubende und
jinnberaujchende Tinkturen zu bereiten verjtand. Aber umnjere
Befürchtungen waren überflüfjige, denn Gott nahm fie in jeinen
Schutz. Er warf den FFürjten auf das Kranfenlager und zwar
ganz plöglich in dem Augenblid, wo er fich anjchickte, fie mit
Gewalt zu zwingen. Es brach über ihn herein wie der Blit
und hielt ihn einen Monat lang fejt gebannt. ‚Ein Finger:
zeig Gottes! jagten alle. ‚Ein Fingerzeig Gottes! mochte auch
er auf jeinem Schmerzenslager denken; vielleicht hatte die Krank—
heit die böjen Gelüjte in ihm ertötet, vielleicht wollte er fie
Jicher machen und die Wiederfehr jeiner Kräfte abwarten, furz,
er ließ fie in Ruhe, als er fich zu erholen begann, ja er lieh
jogar den Schwertträger wieder aus Tilſit holen. Gejund ijt
er aber nicht mehr geworden, denn das kalte Fieber plagt ihn
bis auf den heutigen Tag. Endlich mußte er dann doch den
Feldzug zum Entjage Tykozins antreten, welcher ihm die Nieder-
lage von Janowo brachte. Nach feiner Rückkehr befiel ihn das
Sieber heftiger denn je, zudem berief ihn der Kurfürft zu Sich.
Unterdejjen vollzog ich in Tauroggen etwas Wunderbares, bei-
nahe Lächerliches, denn der Fürſt kann ſich jeitdem nicht mehr
auf die Treue auch mur eines einzigen feiner Offiziere oder
Höflinge verlaſſen, es jei denn auf diejenige der Greije, welche
jchlecht jehen oder jchwerhörig find.“
„Was ift denn geſchehen?“ frug Sagloba.
„Während des Feldzuges nad) Tykozin, noch vor der
Niederlage bei Janowo, hatte man ein Fräulein Anna Bojcho-
432
bohata au auf ihrer Neife nad) Grodno aufgefangen
und nach Tauroggen gejandt.“
„2a haben wir den Kuchen!“ rief Sagloba.
Und um das Bärtchen Wolodyjowsfis zuckte es zornig,
endlich jagte er:
„Herr Kavalıer, berichtet mir nur nichts Schlechtes von
ihr, oder ihr würdet es nach eurer Wiederherjtellung mit mir
zu thun bekommen.“
„Das könnte ich nicht, auch wenn ich wollte, denn ſie thut
nichts Schlimmes. Laßt euch aber ſagen: Wenn das Fräulein
eure Verlobte iſt, ſo ſorgt ihr ſchlecht für ſie; iſt ſie eure Ver—
wandte, dann müßt ihr ſie genau genug kennen, um mich nötigen-
fall3 zu widerlegen. Genug! es währte faum eine Woche, da
waren alle Männer bei Hofe, alte und junge, fo verliebt in jie,
daß jie für nichts anderes mehr Sinn hatten, als für fie. Und
fie hat es ihnen nur mit dem vätjelhaften Blick ihrer Augen
und ihrer bezaubernden Anmut angethan.“
„Sie iſt es! Wie fie leibt und lebt!” murmelte Wolodyjowski.
„Seltſam!“ jagte Haßling. „Das Fräulein Billewitjch it
ihr an Schönheit doch gleich, dennoch, es geht von Diejer
eine jo große unnahbare Würde aus, wie von einer regierenden
Fürſtin; man liebt fie und betet jie an, aber man wagt nicht,
die Augen zu ihr zu erheben, sei hweige denn auf eine Er—
widerung jeiner Liebe zu hoffen. Ihr werdet jelbit jchon Die
Erfahrung gemacht haben, da es zweierlei Frauen giebt, Veſta—
linnen und jolche, Die man nur anzujehen braucht, um ſchon
Verlangen nach ihnen zu haben .. .“
„Mein Herr!“ rief Wolodyjonwsti drohend.
„Habt euch doch nicht, Herr Michael!“ ſagte Sagloba.
„Er ſpricht die Wahrheit. Habt ihr euch nicht ſelbſt wie ein
junger Hahn die Beine um ſie verrenkt und die Augen verdreht,
daß man nur das Weiße von ihnen ſah? Und iſt es etwa
nicht wahr, daß ſie gern kokettiert? Habt ihr es nicht an die
hundertmal ſelbſt von ihr geſagt?“
„Laſſen wir das Thema,“ ſagte Haßling. „Ich wollte
nur erklären, wie es kommt, daß das Fräulein Billewitſch nur
von einigen geliebt wird, die ihre wirklich unerreichbare Voll—
kommenheit zu ſchätzen verftehen — hier errötete er wieder —
und dem Fräulein Borjchobohata alle Herzen zufliegen. Ihr
könnt glauben, wahrhaftig, es tft zum Lachen! Wie eine an—
iteddende Krankheit hat die Liebe alle Männer befallen; Zänfereien,
Duelle waren an der Tagesordnung und um was? Um ein
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Nichts! denn feiner konnte jich einer Gunſtbezeigung des Fräu—
(eins rühmen, jeder dachte nur, daß es ihm mit der Zeit ge-
lingen müſſe, fie für jich zu gewinnen.‘
„Daran erfenne ich jie!“ murmelte Wolodyjorwsfi wieder.
„Dafür haben beide Mädchen einander jehr lieb gewonnen,“
fuhr Haßling fort. „Eine folgt der anderen auf Schritt und
Tritt und da das Fräulein Borjchobahata in Tauroggen unums
ichränfte Herrin ...“
„Bas jagt ihr?* fuhr der Eleine Ritter auf.
„Unumjchränfte Herrin ift — oder tit fie es etwa nicht?
Sie regiert alle, denn auch Safowitjch iſt jo verliebt in jie,
dag er vorzog, als Kommandant von Tauroggen zurückzu—
bleiben, amjtatt mit ins Feld zu ziehen. Sakowitſch aber ijt
abjoluter Herrjcher auf allen Beligungen des ‚Fürjten, Durch
ihn regiert das Fräulein Anna.“
„So jehr liebt er ſie?“ jagte der Fleine Ritter gedehnt.
„Und er hofft am metiten, ſie zu gewinnen, denn er iſt
aus ſich jelbit zu Macht und Reichtum gelangt.“
„Und Sakowitſch heißt er?“
„Dir jcheint, ihr wollt euch jeinen Namen gehörig ein-
prägen ?“
„Ei... gewiß!“ jagte Wolodyjowsfi jcheinbar gleich-
gültig, während es jo zornig in jeinem Geſicht zuckte, daß es
Sagloba falt überlief.
„sch Habe nur noch hinzuzufügen, daß, wenn Fräulein
Borfchobohata dem Safowitjch befehlen würde, den Fürſten zu
verraten umd ihr und dem Fräulein Billewitſch zur Flucht zu
verhelfen, er e8 ohne Bedenken thun würde. So viel ich aber
weiß, zieht jie vor, dem Fluchtverſuch hinter jeinem Rücken zu
machen, ihm zum Troß ... wer kann willen ... ein Offizier,
ein Landsmann von mir — aber nicht Katholit — hat mir
anvertraut, daß der ganze Fluchtplan von dem Schwertträger
und den beiden Fräulein jchon entworfen, jämtliche Offiziere
un die Verſchwörung verwicdelt jind . . . daß er binnen furzem
ins Werk gejegt werden joll ... .*
Hier hielt Haßling erjchöpft inne, die Kräfte drohten ihn
zu verlaffen. Er beeilte jich, noch ſchnell Hinzuzujegen:
„Und das war das MWichtigite, was ich euch zu
jagen hatte.“
Wolodyjowsfi und Kmiziz jchlugen die Hände über dem
Kopfe zujfammen.
„Wohin wollen ſie denn fliehen ?“
Sientiewicz, Sturmflut IL 28
434
„sn die Steppe und durch die Steppe nad) Bialowierjc)
. Mir fehlt der Atem! . .
In diefem Augenblid trat eine Ordonnanz von Herrn
Sapieha ein, welche den Herren Wolodyjowsfi und Kmiziz ein
vieredfig gefaltetes Papier überreichte. Kaum hatte Wolody-
jowsfi einen Blick hineingeworfen, da jagte er:
„Es iſt ein Befehl des Königs, jchon jegt unjere Stellungen
für die morgige Schlacht einzunehmen.“
„Hört ihrs. wie die Kartaunen donnern?“ rief Sagloba.
„Morgen! Morgen!“ jprach Kmiziz.
„ufl! es iſt heiß!“ ſagte Sagloba. „Es wird ein böſer
Tag zum Stürmen. Der Kuckuck hole dieſe Hitze. Heilige
Mutter... es wird mand) einer trotz der Hitze kalt werden ...
bewahre du alle diejenigen, welche ihre Patronin anrufen...
Ah! wie das brüllt!... ch bin zu alt, um mit zum Sturme
zu gehen, in offener Schlacht, das iſt etwas anderes.“
Da trat wieder eine Ordonnanz ein.
„Dit Herr Sagloba hier?“ frug der Soldat.
„Bier bin ih! Was joll es?“
„Se. Majejtät der König befiehlt, daß Erw. Liebden morgen
bei Sr. Allerhöchſten Perſon bleiben jollen.“
„Da!“ rief da der Alte „Sie wollen mich von der
Schlacht zurüdhalten, denn fie wiflen, daß ich der F auf
den Mauern wäre beim Klange der Sturmtrompete. Der gute
Herr! Ich möchte ihn nicht kränken, da er meiner ſo gedenkt;
doch ich weiß nicht, ob ich es aushalte. Sobald ich Pulver
rieche, kann ich der Luſt nicht widerſtehen, dreinzuhauen. Der
gute König! Hört ihr's? Man start jhon zum Sammeln!
Auf morgen denn, auf morgen! Der heilige Petrus befommt
Arbeit; er — heute auch ſchon ſein Himmelsbuch bereit legen
müffen! ... uf! uf! Morgen!“
—V
DR
EEE
RER
14. Rapitel,
E3 war der erite Juli. Zwijchen Powonski und der An—
jiedelung, welche jpäter Marymont genannt wurde, wurde eine
feierliche Feldmeſſe gelejen, welcher dreigigtaujend Stammjoldaten
in andächtiger Sammlung beiwohnten. Der König gelobte, dat
er im Falle des Sieges der heiligen Mutter eine Kirche jtiften
wolle. Seinem Beijpiele folgend gelobte ein jeder der Würden-
träger, die Hetmane und Nitterjchaft ein Opfer, je nach den
Kräften und dem Bermögen des einzelnen. Heute jollte War-
jchau wieder in die Hände der Polen zurücderobert werden, oder
die polnische Armee war zu Grunde gerichtet.
Nach Beendigung des Gottesdienjtes ging jeder der Offiziere
zu jeinem Kommando. Herr Sapieha hatte gegenüber der
Kirche zum heiligen Geiſt Stellung genommen, welche zu jener
Zeit noch außerhalb der Stadtmauern lag, aber von den
Schweden bejegt und in eine Eleine Feſtung umgewandelt war,
da jie den Polen jonjt einen wichtigen Stützpunkt geboten hätte.
Herr Tſcharniezki jollte da8 Danziger Haus erobern, dejjen
Nückjeite einen Teil der Feſtungsmauer bildete, die, wenn jie
durchbrochen werden fonnte, den direkten Eintritt in die Stadt
vermittelte. Peter Opalinski, Wojewode von PBodlachien, war
mit den Großpolen und Maſuren vor dem Strafauer Thor und
der Weichjel aufgeitellt. Die Stammjoldaten nahmen die
Fläche vor dem Neuftädtiichen Thore ein. Es lagen jo viele
Menjchen vor Warjchau, daß e8 unmöglich war, alle an Die
Mauern heranzuziehen. Die ganze Ebene, alle benachbarten
Dörfer und Auen glichen einem Meere von Menjchen. So
weit das Auge reichte, nichts als Zelte und Menjchen, dahinter
28*
436
die Wagenburg bis weit, weit hin. Der Blid verlor fich in der
grauen Ferne und fonnte das Ende davon nicht finden.
Sene, welche nicht bis Dicht unter die Mauern heran
fonnten, Harrten dennoch kampfbereit des Augenblids, wo fie
den Stürmenden in die Mauerbreichen folgen durften. Der
Donner der Gejchüge veritummte nicht einen Augenblid. Man
wollte nur noch die Antwort Wittembergs auf das Schreiben
Johann Kafimirs abwarten, welches zur Uebergabe der Stadt
nochmals aufforderte; fiel dieje verneinend aus, dann follte der
Sturm beginnen. Wittemberg hatte die Uebergabe wieder ab-
gelehnt, und num ertönte rings um die Stadt das unbeil-
verfündende Sturmjignal, der Sturm begann gleichzeitig von
allen Seiten.
Bon den Mauern jtiegen weiße Nauchwölfchen in langen
Linien auf, Funken jprühten zwijchendurch, mächtiger Donner
erjchütterte die Luft und machte die Erde erbeben. Die Kugeln
rifjen ganze Neihen der Stürmenden nieder, Doch die Yüden
füllten fich immer wieder, die Polen drängten vorwärts, nicht
Tod, nicht Verderben achtend. Die jchwarzen Wolfen Pulver
dampfes verhüllten die Sonne; es wurde dunfel. Jeder der
seldherren griff die Mauern da an, wo fie ihm zunächit lagen.
Den Großpolen und Mafuren fiel der jchwerite Teil der
Arbeit zu, denn die Paläſte und Häufer längs der Krakauer
Borjtadt waren alle befejtigt und wurden von den Schweden
verteidigt. Die Majuren waren aber jo voll wütender Kampfes—
(uft, daß ihrem Anprall nichts zu widerjtehen vermochte. Sie
nahmen ein Haus nach dem anderen in rascher Aufeinander-
folge, auch die Paläſte fielen jchnell in ihre Hände, obgleich ihnen
aus allen Fenſterhöhlen Musfetenfugeln entgegenflogen. Die
Bejagung war vollitändig vernichtet.
Der Stleinadel wetteiferte mit den Bauern in Mut und
Begeilterung. Man hatte befohlen, Bündel unreifen Getreides
mit ſich zu nehmen, jie zum Schutze gegen die Kugeln vor-
zuhalten. Im Eifer warfen ſie diejelben fort und jtürmten
mit bloßer Bruſt vorwärts. Nach blutigem Kampfe hatten jie
die Kapelle der Schujsfis und den jtolzen Palaſt der Koniez—
polsfis genommen. Won den in den anliegenden Banlichkeiten
verborgenen Schweden wurde feiner am Xeben gelaſſen. In
der Nähe des Palais Kaſanowski verjuchten die ſchwediſchen
Füfiliere in der Straße feiten Fuß zu fallen, um unter dem
Schutze der Mauern des Schloſſes, der Bernhardinerfirche und
des Glockenturmes derjelben, die Angreifer zurüdzujchlagen.
437
Aber der Dichte Kugelvegen vermochte nicht, diejelben zu
ichreden. Mit dem Rufe „Vorwärts, Majuren!* stürzten die
Offiziere vor und ihnen nach die Mannschaften, das Viereck
der Schweden im Augenblick zeriprengend. Feind und Freund,
in dichtem Klumpen zujammengeballt, wälzten jich zwiichen dem
Balait Kaſanowski, der Bernhardinerfirche und dem Strafauer
Thor im Blute. Immer neue Streitfräfte rückten von beiden
Seiten an, bis endlich die Polen das ‚Feld behaupteten umd
nun jene berühmte Erſtürmung des Kaſanowskiſchen Palais
und der Bernhardinerfirche begann, welche hauptſächlich das
Los der Schlacht entichied.
Herr Sagloba war im Irrtum befangen gewejen, als er
am Abend zuvor geglaubt hatte, der König wolle ihn zu jeiner
Aſſiſtenz bei ich behalten. Im Gegenteil! Der Monard) ver-
traute ihm, als einem berühmten und erfahrenen Krieger, das
Kommando über die Troßfnechte, welche als Freiwillige durchaus
die Erjtürmung des Krakauer Thores mitmachen wollten. Zwar
hatte er die Abficht, mit feinem Kommando Hinterdrein zu
ziehen und jich mit der Bejegung der eroberten Schlöfjer zu
begnügen. Doc) die Verwirrung und das Handgemenge war
buld jo groß, daß auch er mit feinen Leuten vom Strome
fortgerifjen wurde. Obgleich von Natur etwas ängitlich und
darauf bedacht, wo irgend möglich das eigene Leben zu jchüten
und zu erhalten, war er Doch im Laufe der Jahre umd ange-
jichtS der vielen blutigen Kämpfe, die er oft unfreiwillig mit-
gemacht, jo daran gewöhnt, daß er im Notfalle auch jeinen
Mann jtellte, wie jeder andere oder noch bejjer, da Verzweiflung
und Wut ihm den rechten Kampfesmut finden ließen.
So befand er jich auch gegenwärtig, ohne es zu wollen,
unter dem Thorbogen de3 Kaſanowskiſchen Palais, oder beſſer
gejagt, in der Hölle, welche unter jenem bradelte, alſo mitten
im heißeſten Kampfgewühl, verdedt von Nauc und Dampf,
umtojt vom Gejchrei und dem Geitöhn der Kümpfenden.
Tauſende von Aexten, Spishaden und Beilen jchlugen auf das
Thor los; taujende Männerarme ftemmten und rüttelten daran.
Die einen fielen wie vom Blig getroffen von den Kugeln, die
von oben auf fie abgefeuert wurden, während die anderen jchon
nachdrängend ihre Stelle ausfüllten, auf ihren Leibern herum
tretend in das Innere zu gelangen juchten, als ob jte abjicht-
lich den Tod juchten.
Einen hartnädigeren Kampf und eine verzweifeltere Ver—
teidigung hatte der Alte nie gejehen. Aus den höher gelegenen
438
Stocwerfen regnete es Kugeln hernieder; glühendes Pech wurde
auf die Untenjtehenden gegojjen, welche nicht ausweichen konnten,
da jie von außen her von den Ihrigen gedrängt wurden.
Man Ffonnte einzelne wahrnehmen, die jchweißtriefend,
pulvergejchwärzt, mit zujammengebifjenen Zähnen und ftierem
Blide Balken jchwangen, jo lang und groß, daß unter gewöhn-
lichen Berhältnifjen drei Männer daran zu tragen gehabt
hätten. So verdreifachte die Begeiſterung die Kräfte. Gleich—
zeitig wurde auch von den Belagerern nach allen Fenſtern ge—
ichofien, Leitern wurden von außen angejegt, Löcher in die
Mauern gejchlagen; die Löcher wurden jofort durch Musfeten-
läufe von innen heraus bejett, es dampfte und rauchte, daß
trog des hellen Tages Dämmerung bier eingebrochen war.
Doc) das alles Hinderte nicht die Fortſetzung des Kampfes, der
von jeiten der Stürmenden nur um jo heftiger entbrannte, je
mehr Hindernijje fich ihnen entgegentürmten, während Kriegs—
gejchrei von der Bernhardinerfirche her verkündete, daß aud)
dort mit gleicher Wut gefämpft wurde.
Plöglich ertönte die Stimme Saglobas mit jolcher Macht,
daß fie den ganzen Lärm durchdrang:
„zegt Pulver unter das Thor!“
Im Nu war ein Fäßchen mit Bulver gefüllt herbeigejchafft.
Er befahl nun gleich, in die dicken Bohlen dicht unter den
Angeln ein Zoch zu hauen, gerade groß genug, um das Fäßchen
darin unterzubringen. Als es darinnen —* zündete Sagloba
ſelbſt den Schwefelfaden an, der es in Brand ſtecken ſollte und
kommandierte gleichzeitig:
„Zur Seite! Fort!“
Die Nächſtſtehenden ſprangen ſchleunigſt bei Seite, ſoweit
das bei dem Gedränge möglich war, dann trat eine Weile
ſchweigenden Erwartens ein.
Da — ein furchtbarer Knall erſchütterte die Luft, neue
Rauchwolken ſtiegen in die Höhe. Herr Sagloba und ſeine
Leute ſpringen wieder vor, um die Wirkung der Sprengung zu
prüfen. Zwar hatte der Druck das Thor nicht ganz zerſchmettert,
doch war es auf der rechten Seite aus den Angeln gehoben,
ein paar Querbalken, die ſchon durch die Axthiebe angebrochen,
waren vollends losgeſprungen, das Schloß ausgedreht und der
eine Thorflügel ſo weit in den Flur hineingedrückt, daß ein
Mann bequem hindurchſchlüpfen konnte.
Wieder dröhnten Axtſchläge gewaltig an den angebrochenen
Turm, hundert Schultern ſtemmten gegen den hängenden Thor—
439
flügel, der gleich) darauf unter entjeglichem Gepolter in das
Innere des dunklen Flures fiel, den Eingang bloßlegend. Cs
fielen noch einige Schüfje in dem Dunkel des Ganges, der vom
Flur aus in das Innere führte, doch der Strom der Stürmen-
den drängte mit ummwiderjtehlicher Gewalt in das Innere des
Haujes, — das Palais war genommen!
Sleichzeitig Eletterten die Stürmenden auf den Leitern durch
die bloßgelegten Fenſterhöhlen in die Zimmer und Säle, ein
gräßliches Handgemenge entitand. Gemach nach Gemach mußte
erobert, jeder Korridor, jedes Stockwerk mußte einzeln erfämpft
werden. Stellenweije barjten die jchon Halb eingejchlagenen
Mauern vollends, die Deden jtürzten ein und begruben unter
ihren Trümmern Schweden und Polen. Doch Die Maſuren
drangen überall durch, verſchafften ſich überall Eingang. In
den Korridoren hatten ſich ſtellenweiſe die Gefallenen ſo ange—
häuft, daß die Schweden ihre Leiber als Barrikaden benutzten.
Keiner verlangte Pardon, keinem wurde er freiwillig gewährt,
das Blut floß in Strömen die Treppe hinunter. Nur vereinzelte
Häuflein Schweden waren noch übrig geblieben und kämpften
blutüberſtrömt, oft nur noch knieend, um ihr Leben. Von allen
Seiten bedrängt, durch die Ueberzahl faſt erdrückt, ſtarben die
tapferen Schweden den Heldentod ohne andere Zeugen ihres
Endes, als die blutbeſpritzten Steinfiguren der mythologiſchen
Götter, welche die Wände des Palajtes zierten.
Rochus Kowalski wütete in den oberen Gemächern, während
Herr Sagloba mit jeiner Abteilung auf die Terraſſe geeilt war,
um die dort fich verteidigenden jchwedischen Füfiliere anzugreifen.
Nachdem jie teils getötet, teils unschädlich gemacht waren,
durcheilte er die herrlichen, in ganz Europa berühmten Kaſa—
nowsfijchen Gärten.
Die Bäume waren dort jchon umgehauen, die jeltenen Ge—
Iträuche durch die polnischen Kugeln vernichtet, die Wafjerwerfe
zerjchmettert, der Najen von den Granaten aufgewühlt, überall
Vernichtung und Zeritörung, obgleich die Schweden nicht? an—
gerührt hatten aus Rückſicht auf die Perſon Radziejowskis.
Auch hier tobte ein kurzer graujamer Kampf, dann waren
die Schweden unter der Anführung Saglobas vollitändig ge—
Ichlagen, die Soldaten zeritreuten jich in den Gärten und im
Palaſt, nach Beute juchend.
Sagloba ging durch die Gärten bis an das Ende derjelben,
wo die Mauern einen mächtigen Vorjprung bildeten. Dort war
es jchattig, dort wollte der Ritter ein wenig ausruhen und den
440
Schweiß von der müden Stirn trodnen. Wlöglich jtand er vor
einem Käfig, der in den Vorjprung der Mauern eingelafien
war und hinter dejjen Gitter jich monjtröje Gejchöpfe bewegten,
welche den Herannahenden mißtrauiſch betrachteten.
Die Lage des Käfigs war eine jo gejchügte, dat die Kugeln,
welche von außen her eingedrungen waren, ihm nichts anhaben
fonnten. Die Thür desjelben jtand weit offen, doch machten
jene häßlichen, abgemagerten Gejchöpfe feinen Gebrauch von
ihrer Freiheit, jie jchienen vor dem Donner der Gejchüge und
dem Lärmen der Schlacht hierher geflohen zu jein und drückten
ſich beim Anblick Saglobas ängſtlich fnurrend in eine Ede.
„Es find entweder Affen oder Teufel,“ jagte Sagloba jtill
für fih. Und noch entflammt vom SZornesmut des Kampfes,
bob er jein Schwert, trat in den Käfig und jchlug auf Die
Affen, denn jolche waren es, ein. Beim eriten Schlage padte
die Tiere eine große Panik. Bon den Schweden an eine qute
Behandlung gewöhnt, — dieje hatten ihre Nationen jtets mit
den Affen geteilt, weil die drolligen Gejchöpfe ihnen Spaß
machten — jprangen fie bei den Schlägen, die Sagloba jchnell
nach einander auf jie führte, wie rajend in langen Sprüngen
umber, und da Zagloba ihnen den Ausgang verjtellte, jo
klammerten jie jich an die Stäbe des Käfige, bis endlich einer
der Affen in der Angit ihrem Peiniger auf den Rüden jprang
und mit den Armen den Kopf desjelben fajlend, ihn feit an
ſich drüdte. Ein anderer hing ſich an feinen Arm, ein dritter
vorn an die Brust, ein vierter verwidelte jich in die lang—
geichligten Aermel jeines Schnürenrodes, welche über dem Rüden
zujammengebunden waren, um im Stampfe nicht hinderlich zu jein.
So arg bedrängt und gewürgt, day er faum noch atmen
fonnte, ‚schrie der Alte, jo laut er Fonnte:
Zu Hilfe, meine Herren, zu Hilfe! Rettet!“
Das Geſchrei lockte einige Soldaten herbei, welche mit
geſchwungenen Säbeln herzuſpringend, im erſten Augenblick nicht
erfennen konnten, was bier vor ſich ging. Wie von einem
gewaltigen Zauber gefejjelt, blieben fie regungslos jtehen. End»
lich brachen fie jämtlich in ein jchallendes Gelächter aus. Es
famen immer mehr Soldaten dazu und jo anſteckend wirfte das
Lachen, dal die Dinzugefommenen jogleich mit einitimmten und
lachten, bis jie jich die Seiten halten mußten. Grit als Rochus
Stowalsfi ebenfalls angerannt fam, weil er die Stimme des
Ohms erfannt hatte, befreite er den Armen aus den Um—
armungen der Affen.
441
„Ihr Schelme!* schrie Sagloba noch ganz atemlos, „it
das etwas Jo Lächerliches, wenn ein Menjch von diejen afrifa-
nischen Ungeheuern fajt erdrücdt wird? Hätte man euch doch
totgejchlagen! Wäre ich nicht, jo fünntet ihr jetzt noch eure
Köpfe am Thore da draußen einrennen; bejjeres jeid ihr nicht
wert! Ich hätte euch totjchlagen lajjen jollen, die ihr dDümmer
jeid, wie dieſe Affen hier!“
„Beſſer ihr wäret tot, ihr Affenkönig!“ jchrie einer der
zunächit ſtehenden Waffenfnechte.
„Simiarum destructor! Der von den Affen Bejtegte!”
ein anderer.
„Der Affen-Sieger!“ ſetzte ein Dritter hinzu.
„ec was, Sieger! Doch der Beſiegte!“ vief es durch—
einander.
Hier machte Rochus den Spöttereien ein Ende, indem er
dem erſten der Maulhelden einen Stoß vor die Brujt verjeßte,
daß diejer fang hinfiel. Einige wichen vor der Wut des jtarfen
Mannes zurüd, andere griffen nach ihren Säbeln, da wurde
der Ausbruch eines blutigen Streites durch das erneute heftige
Schießen und Kampfgeſchrei am Bernhardinerklojter verhindert.
„Aufl Zum Kloſter! zum Kloſter! zu Hilfe den Unſrigen!“
fommandierte Sagloba.
Ber dieſen Morten lief er voraus, Hinauf in die oberen
Stodwerfe des Palais, von dejjen rechtem Flügel aus man die
Kirche überjehen fonnte. Diejelbe jchien Feuer zu jprühen. Die
Menge der Stürmenden unten bemühte fich frampfhaft, in das
Innere der Kirche zu dringen, doc) erfolglos. Unter dem Kreuz—
feuer der Belagerten fielen Hunderte von Polen ganz nutzlos,
denn auch vom Srafauer Thor her Hagelten die Kugeln auf
jie nieder wie Stiejeliteinchen.
„Kanonen her!” jchrie Sagloba.
Es fanden fich größere und kleinere Gejchüge genug im
Palais, die man, wenn auch mit Mühe, an die Fenſterhöhlen
der oberen Stockwerfe jchleppte. Aus den Trümmern kojtbarer
Geräte, den Sockeln zerjchlagener Marmorjtatuen und anderen
Gegenitänden wurden Lafetten hergeitellt, und noch vor Ablauf
einer halben Stunde jtarrten aus allen der Kirche zugewendeten
Fenſtern des Palais Kanonenrohre.
„Rochus!“ jprach der ungewöhnlich erregte alte Ritter zu
jeinem Verwandten. „Sch muß etwas ganz Auberordentliches
vollbringen, ſonſt it mein Ruhm dahin! Durch dieje Affen:
brut komme ich in den Mund des ganzen Heeres und wenn ich
442
auch nicht auf den Mund gefallen bin, jo kann ich doch nicht
alle böjen Mäuler jtopfen. Ich muB den lächerlichen Eindrud,
den meine Lage gemacht hat, verwifchen, jonjt bleibe ich, jo lange
ich lebe, im Munde der ganzen Nepublif der Affenkönig.“
„Ihr Habt recht, Ohm! Der Eindrud muß verwijcht
werden.“
„Die beite Gelegenheit dazu bietet jich jetzt; denn jo wie
ih) das Palais Kajanowsfi erobert habe ... wer dürfte
wagen, mir das abzujprechen . . . wer hat es erobert, wenn
nicht ich! .
„Es ſoll nur einer wagen, zu ſagen, ihr hättet es nicht!“
bekräftigte Rochus.
„+. Sp will ich auch dieſe Kirche erobern, jo wahr Gott
mir helfe, Amen!“ endete Sagloba.
Dann wandte er fich feinen Leuten zu, welche jchon an
den Kanonen jtanden und fommandierte:
„seuer!“
Die Schweden, welche die Kirche mit verziweifelter An—
jtrengung verteidigten, überfiel ein gewaltiger Schreden, als
plöglich die eine Seitenwand derjelben ins Schwanken geriet.
Diejenigen, welche an den Fenſtern, den Schießlöchern, den
Fluglöchern der im Gemäuer niſtenden Tauben und in den
inneren Vertiefungen der Simſe ſich befanden, von wo aus ſie
auf die Belagerer ſchoſſen, wurden von Ziegeln, Mauergeröll
und Kalk überſchüttet. Der ſchreckliche Staub, welcher auf—
gewirbelt wurde, erfüllte vereint mit dem Pulverdampf das
Innere der Kirche und benahm den darin Befindlichen den
Atem. Es wurde dunkel, ſo dunkel darin, daß einer den anderen
nicht mehr jehen fonnt. Die Rufe: „wir erſticken! wir er—
jtiden!“ vergrößerten die Panik. Die ganze Kirche geriet ins
Schwanfen. Die Mauern rifjen unter großem Getöje, Ziegeln
jtürzten polternd hernieder, Kugeln jaujten pfeifend durch die
‚senjter, Elirrend rafjelten die Bleieinfafjungen der Scheiben
auf den Boden, Hitze verbreitete jich von den Ausjtrömungen
der Menjchen. Alles das verwandelte das Innere des Gottes-
haujes in eine irdijche Hölle, Die erſchreckten Verteidiger
Iprangen von dem Thor, den Fenſtern und Schieglöchern fort;
der Schrecken ward zum wahnjinnigen Entjegen. Wieder riefen
durchdringende Stimmen: „Wir erjtiden! wir erjtiden!“ bis
plöglich) au8 Hunderten von Kehlen der Schrei ertönte:
„Die weiße Fahne! Steckt die weiße Fahne aus!“
Der Kommandant, General Erskin, greift ſelbſt nad) ihr,
443
um fie auszuſtecken. In diefem Augenblid wird das Thor ge-
jprengt. Wie ein Lavajtrom wälzt ſich die Menge der Be-
lagerer herein; eine tiefe Stille tritt ein, welche nur durch das
Klirren der aufeinanderjchlagenden Säbel unterbrochen wird,
zuweilen ein umartifulierter Yaut, ein Nöcheln, ein Flehen um
Gnade. Eine Stunde hat das Gemetzel gedauert; da dringt
aus der Höhe des Glockenturmes feierliches Geläute durch die
Luft; es iſt die große Glode der Bernhardinerfirche, welche
den Mafuren zum Siege, den Schweden das Grabgeläute
läutet.
Der Palajt Kajanowsfi, die Bernhardinerfirche mit dem
Slodenturm find in den Händen der Polen. Herr Peter Opa=
(insfi, der Wojewode von Podlachien erjcheint unter der blut-
triefenden Menge zu Pferde vor dem Balajt.
„Wer ift uns vom Palaſt aus zu Hilfe gefommen ?“ jchrie
er jo laut, daß er den Lärm übertüönte,
„Derjenige, welcher den Palaſt erjtürmt hat!“ antwortet
ihm ein jtarfer Mann, der plöglic) vor dem Wojewoden aufs
getaucht it. „Sch!“
„Wie nennt ihr euch?“
„Sagloba!“
„Vivat Sagloba!“ ſchrie es aus tauſend Kehlen.
Doch der ſchreckliche Sagloba achtet nicht darauf, ſondern
mit der Spitze ſeines Krummſäbels nach dem Krakauer Thore
zeigend, ruft er laut:
„Wir ſind noch nicht fertig! Richtet die Kanonenläufe
auf die Mauern und das Thor! Vorwärts! Mir nach!
Zum Thore.“
Die entfeſſelte Menge iſt eben im Begriff, den Sturm auf
das Thor zu beginnen, da, o Wunder! Statt ſich zu kräftigen,
wird das Feuer der Schweden ſchwächer. Gleichzeitig ruft eine
laute Stimme vom Glockenturm herab:
„Herr Tſcharniezki iſt ſchon in der Stadt! Ich ſehe unſere
Fahnen!“
Das Feuern der Schweden wird noch ſchwächer.
„Halt! Halt!“ kommandiert der Wojewode.
Doch die Menge hört nicht, ſie rennt blindlings dem Thore
zu. Da wird die weiße Fahne oben aufgezogen!..
Herr Zicharniegfi war wirklich jchon innerhalb der Stadt.
Nachdem er das Danziger Haus mit Leichtigfeit genommen,
jtürzte er jic) mit feinen Leuten wie die wilde Jagd in Die
Straßen der Stadt. Er fand den Palaſt Danillowitjch eben-
444
falls jchon in den Händen der Polen, und als eine Weile nach—
her auch die Abzeichen der litauischen Negimenter bei der Kirche
vom heiligen Geift auf den Mauern aufgepflanzt wurden, da
erfannte Wittenberg, daß jeder weitere Widerjtand Wahnjinn
jein mußte. Zwar verteidigten jich die Schweden noch in den
hohen Gebäuden der Alt- und der Neujtadt, doch, da auch die
Einwohner der Stadt nun zu den Waffen griffen, fonnte Die
weitere Verteidigung nur zu unnügem Blutvergießen führen,
ohne Hoffnung auf endlichen Sieg.
Co bliefen denn die Trompeten zum Rückzuge, auf den
Mauern wehten die weißen Fahnen. Als das die polnijchen
Stommandeure jahen, jtellten jie den Kampf überall ein, worauf
der jchwedische General Loewenhaupt in Begleitung einiger
polnischer Hauptleute zum Neuftädtiichen Thor hinaus, dem
Hauptquartier des feindlichen Lagers zuritt.
Sohann Kafimir, in den Wiederbejig Warjchaus gelangt,
blieb auf den, von ihm jelbit, dem General Wittenberg geitellten
Bedingungen beitehen. Das gute Herz des Königs wollte
ferneres Blutvergießen vermeiden. Die Stadt follte mit allen
Beutegegenftänden, die ſich darin befanden, den Polen aus—
geliefert werden. Jedem jchwedischen Soldaten jollte nur mit-
zunehmen erlaubt jein, was er als Eigentum aus Schweden
mitgebracht hatte. Die Bejagung ſollte jamt allen Generalen
freien Abzug mit der Waffe haben, unter Mitnahme der
Kranken, VBerwundeten und aller jchwedischen Damen, deren eine
große Anzahl in Warjchau lebte. Den Polen, welche noch im
Ichwedischen Deere dienten, jollte im Hinblick darauf, daß wohl
feiner freiwillig mehr dort diente, Ammnejtie erteilt werden.
Ausgeichloffen von Ddiefer Amneſtie war einzig und alleın
Boguslaw Nadziwill und feine Armee. Wittemberg wurde es
um jo leichter, auf dieſen Paſſus einzugehen, da der Fürſt
gegenwärtig mit Douglas am Bug jtand.
Die Rapitulationäbedingungen wurden jogleich unter-
jchrieben. Die Gloden aller Stirchen verfündeten mit jröhlichem
Geläute, daß die Hauptitadt wieder auf ihren rechtmäßigen
Herrn über: gegangen war. ine Stunde jpäter wälzte ſich eine
Menge der ärmſten Einwohner der Stadt aus den Thoren,
um im Lager Obdach und Nahrung zu juchen. Der Hunger
hatte fie jehr mitgenommen. Der König befahl zu geben, was
man entbehren fonnte; er jelbjt ritt fort, jich den Auszug der
Schweden anzujehen.
Umgeben von feinem weltlichen und geiftlichen Stabe bot
445
Johann Kaſimir ein Bild edler, Ihöner Männlichfeit. Das
Kronenheer mit den Hetmanen an der Spite, Tſcharniezki mit
jeiner Divijion, die Litauer unter Sapieha, die Stammfoldaten
des allgemeinen Aufgebots, jie alle waren um ihren Herrn ge-
chart, denn alle waren begierig, die Schweden zu jehen, mit
denen jie noch vor wenigen Stunden im gräßlichen Kampfe
gelegen. Sämtliche Thore waren bereits vom Moment der
Uebergabe ab von polnischen Wachtpojten bejegt. Kommifjarien
hatten die Aufjicht über den Auszug; ihnen war die Reviſion
der Ausziehenden anvertraut, auch daß feiner ein Beutejtüc
mit jich führe. Eine bejondere Kommiſſion war mit der Lleber-
nahme jämtlicher Beutejtüce in der Stadt bejchäftigt.
Zuerſt famen die Neiter, deren nicht viele waren, da Die
Neiter Boguslaws vom Ausmarſch ausgejchlojien wurden.
Ihnen folgte die Artillerie mit den leichten Feldgeſchützen, die
jchweren Feitungsgejchüge jollten den Polen ausgeliefert werden.
Neben ihnen jchritten die Feuerwerker mit angejteckten unten,
über ihnen flatterten die Fahnen, welche beim Vorüberziehen
vor dem Könige gejenft wurden. Die Artilleriiten jchritten
ſtolz einher und blictten den Polen dreiit in die Augen, als
wollten jie jagen: „Wir treffen uns noch!“ und die Polen
zollten ihren jtämmigen Gejtalten und dem durch das Unglücd
ungejchwächten Mute aufrichtige Bewunderung. Dann famen
die Wagen mit den VBerwundeten; in dem eriten derjelben lag
Benedikt Orenjtjerna, der Kanzler, vor welchem der König das
Gewehr präjentieren ließ, zum Zeichen, daß er auch im Feinde
die Tugend zu ehren wilje.
Mit dem Schall der Trommeln und Paufen und ebenfalls
wehenden Fahnen zogen jet die jo berühmten, unvergleichlichen
Füſiliere der schwedischen Armee daher, deren jpeeritarrende
Karrees Supanhazy mit wandelnden Schlöffern verglich. Dicht
hinter ihnen jah man eine glänzende Abteilung Neiter, von
Kopf bis zu Fuß im Panzer; in ihrer Mitte die blaue Fahne
mit dem goldenen Löwen. Dieje Neiter umgaben den Stab.
Ber ihrem Anblid ging ein Gemurmel durch) die Neihen des
polnischen Heeres:
„Wittenberg fommt! Wittenberg!“
Da war er, der Feldmarjchall, in Begleitung Wrangels
des Jüngeren, Horns, Ersfins, Loewenhaupts und Forgells.
Gierig wandten jich die Augen der Polen diejen Magnaten zu,
gan bejonders juchten jie das Geficht Wittembergd. Das
Antlig des Feldmarjchalls ließ durchaus nicht den großen
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Krieger erraten, der er war. Es war jtarf gealtert und trug
die Spuren der jchweren Krankheit, an der er litt. Seine
Züge waren fcharf, die Oberlippe deckte ein fchwaches Bärtchen,
deſſen Enden Hoch in die Höhe gedreht waren. Die zujammen-
gepregten Lippen, die lange ſpitze Naſe gaben ihm dag Aus:
jehen eines habgierigen Geizhaljes. Er trug einen Koller von
ichwarzem Sammet, einen jchwarzen Schlapphut und jah eher
aus wie ein Aitrologe oder Medifus; nur die jchiwere goldene
Kette mit dem Brillantitern daran und der Feldmarjchallitab
in der Hand ließen die hohe Würde erraten, die er befleidete.
Während er vorüber ritt, jchweiften feine Blicke unruhig
hin zu dem Könige, jeinem Stabe und den Gliedern der Fahnen,
worauf er an der Menge der Stammjoldaten und Der
zahllofen ungeregelten Majje der Volontarier und Bauern
hängen blieb.
Ein ironisches Lächeln umjpielte feine bleichen Lippen.
Aber durch diefe Menge z0g mit immer lauter werdenden
Gemurmel der eine Name: „Wittemberg, Wittenberg!“
Mit jeder Minute Elang dieſes Gemurmel lauter und
drohender, wie das Grollen des Donner vor dem Ausbrud)
des Gewitterd. Von Zeit zu Zeit verhallte es; dann fonnte
man weit, weit hinten in den Reihen eine laute Stimme hören,
welche etwas vorzutragen jchien. Diejer Stimme antworteten
andere, fielen erſt einzeln, dann immer zahlreicher ein und
pflanzten die Worte fort; der Schall trug fie weiter und weiter,
bis jie endlic laut ausgrollten, wie der herannahende Sturm.
Die Würdenträger blickten bejorgt auf den Monarchen.
„Was joll das? Was bedeutet das?“ frug Johann Kafimir.
Da wurde aus dem Grollen plöglich ein donnerndes Ge-
brüll; die Menge des allgemeinen Aufgebotes bewegte ſich vor—
wärts, wie ein Öetreidefeld, wenn der Sturm mit feinen Niejen-
flügeln darüber hinweht. Plöglich bligten ein paar taujend
Säbel in der Sonne.
„Was iſt das? Was foll das?“ frug der König wieder.
Niemand konnte Bejcheid geben.
Da rief Herr Wolodyjowsfi, welcher in der Nähe
Sapiehas jtand:
„Das fann nur Herr Sagloba jein!“
Er Hatte das Richtige erraten. Kaum waren Die Kapi—
tulationsbedingungen befannt gemacht und zu Saglobas Ohren
gedrungen, da verfiel der alte Edelmann in einen folchen Zorn,
daß er eine Zeitlang die Sprache verlor. Als er fich erholt
447
hatte, war fein Erites, unter den Stammjoldaten und den
Bauern des allgemeinen Aufgebotes Aufruhr zu ſäen. Man
hörte ihn gern an, denn es erjchien allen nur gerecht, wenn
nach jo viel Tapferfeit, jo vielen Mühen und jo vielem Blut-
vergießen dem Feinde der Abzug nicht unter jo leichten Be—
dingungen erlaubt worden wäre. Co hatten jich denn große
Kreiſe von Hörern um Sagloba gejammelt und Diejer jtreute
mit vollen Händen die Funken in das zum Feuerfangen jo
leicht bereite Material, und fachte durch die Macht jeiner Beredt-
jamfeit das Flämmchen der Empörung zur Flamme, die bald
[odernd emporjchlagen mußte.
„Meine Herren!“ jagte er. „Seht, dieſe alten Hände
haben während voller fünfzig Jahre an allen Enden und Eden
der Nepublif zum Wohle des Baterlandes das ihrige beigetragen.
Jetzt eben noch — ic habe Zeugen zur Stelle — haben fie
den Palaſt Kaſanowski und die Bernhardinerfirche erobern
helfen. Diefe Eroberung war hauptjächlich die Urjache, daß
die Schweden ich zur Kapitulation entſchloſſen. Erſt als ich
die Kanonenrohre auf die Mauern der Kirche richten ließ, ver-
ließ fie der Mut. Man jchonte uns nicht, Brüder! Unſer
Blut floß in Strömen bei der Erjtürmung, dennoch hat man
für ung feinen Yaut des Bedauern, jondern man zeigt dem
ausziehenden Feinde ein Mitgefühl, das er nicht verdient. Wir,
"Brüder! haben unjere Wirtjchaften verlajjen, die Knechte ohne
Aufficht, unjere Frauen ohne Männer und unjere Kinder ohne
den Schuß der Väter gelajjen . . . — o meine Slinderchen, wie
mag es euch jett gehen! — find hierher gefommen, haben unjere
Brujt den feindlichen Kugeln preisgegeben und nun? welchen
Lohn erhalten wir dafür? Da jeht! Dort zieht Wittenberg
frei aus, die Waffen in der Hand, während man ihn noch mit
friegerijchen Ehren verabjchiedet, ihn, Wittemberg, den Henfers-
fnecht, der unjer Vaterland gefnechtet, den Gotteslälterer, den
Mordbrenner und Mädchenjchänder, der uns alles geraubt, was
uns heilig und teuer war... Wehe dir, du Vaterland!
Schande auf euch, ihr Adligen! und wehe euch, ihr Gotteshäufer,
dir Tichenftochau! Das Blut und die Thränen, die um euc)
geflojien, fie find umjonjt vergofien, denn — Wittenberg zieht
frei hinaus, er wird bald wiederfehren, um neues Blut und
neue Thränen zu erprejien, vollends totzujchlagen, was noc)
am Leben geblieben, zu verbrennen, was noch jteht und zu jchänden,
was etwa noch zu jchänden blieb. Weine Bolen, weine Yitauen,
weint alle ihr Stände, wie ich alter Soldat weine, der mit
448
einem Fuße im Grabe jteht und mit anjehen muß, wie man
den Feind entläßt, ohne Entjchädigung zu fordern für Die
Schäden, die er angerichtet. Wehe dir, Ilium! Du Stadt des
PBriamus! Wehe! Wehe! Wehe!“
In diejer Weije ſprach Sagloba und Taufende hörten ihn.
Zornig jträubte jich das Haar auf den Köpfen der Zuhörer,
während er fortfuhr zu jammern umd jich die Stleider vom
Leibe zu reißen. Seine Stimme drang bis herüber zu dem
Kronenheere und jeine Worte fielen auch dort auf fruchtbaren
Boden, denn der Haß gegen Wittemberg loderte thatjächlich in
aller Herzen. Der Tumult wäre unjtreitig jogleich losgebrochen,
wenn Sagloba ihn micht abjichtlich zurückgehalten hätte aus
Furcht, Wittenberg künne ihn benugen, um neues Unheil zu
itiften. Aber jet, bei dem Auszuge des Verhaßten, jebt,
wenn er vor den Augen der Entrüjteten der Freiheit zuzog, war
der Augenblid gekommen, ihn der Wut der Bauern preis-
zugeben.
Seine Berechnung hatte ihm nicht getäufcht. Beim An—
bli des Tyrannen befiel die jiegestrunfene Menge eine Wut
ohnegleichen, das Unwetter brach los. Tauſende Säbel bligten,
aus taujenden von Kehlen jcholl es: „Nieder mit Wittenberg!
er mit ihm! Schlagt ihn tot! Schlagt ihn tot!“ Die
Schar der Troßfnechte schloß ich johlend und brüllend dem
Tumult an, jelbjt die regulären Truppen begannen gegen den
Bedrüder zu murren und Diejes Murren pflanzte ich fort bis
in die mächjte Umgebung des Königs.
Im erjten Augenblid entitand im Stabe große Verlegen-
heit. Man veritand recht gut, um was es fich handelte, aber
— was war zu thun? Im der mächiten Umgebung des
Königs wurden vereinzelte Stimmen laut: „Barmherziger Gott!
Netten! Bejchügen! Es iſt eine Schande, einen Vertrag zu
brechen!“
Schon brachen die Bauern durch die Reihen der am Wege
aufgeltellten Fahnen, die dem Andrange nicht widerjtanden und
in Unordnung gerieten. Ningsum nichts als blitende Säbel-
flingen, erhigte Gejichter, zornjprühende Augen und brüllende
Kehlen. Das Gejchrei und Geheule pflanzte ſich mit raſender
Eile fort. Allen voran jtürzten die Troßfnechte hervor, aller-
hand Gejindel folgte ihnen, in Ausjehen und Gebahren wilden
Tieren ähnlicher denn Menſchen.
Auch Wittenberg erriet, was jich hier vorbereitete. Sein
Geficht wurde freideweih, Falter Schweiß trat ihm auf die Stirn
449
und — der FFeldmarjchall, welcher noch furz zuvor Die halbe
Welt in Schreden gejeßt, der bisher unüberwindliche Sieger
— er fühlte zum erjten Male Furcht vor dieſer johlenden
Menge, jo große Furcht, dal er darüber die Bejinnung verlor.
Er bebte am ganzen Leibe, die Arme janfen ihm ſchlaff herab,
jo daß ihm der Feldherrnitab entjanf und der Speichel ihm
aus dem Munde auf die goldene Fette herab lief. Immer
näher rüdte die tobende Menge; jchon hatte fie die Generäle
Wittembergd umringt, jchon zudten die Säbel nach ihnen.
Die Generäle hatten ebenfalls ihre Degen gezogen; fie wollten
wenigſtens, während der Feldmarſchall vor Angſt bebte, wie
Männer mit der Waffe in der Hand jterben. Da eilte Wolody-
jowsfi dem Stabe Wittembergs zu Hilfe Er durchbrach mit
jeiner Fahne die Menge und umijtellte die Generäle ringsum
wie mit einer Mauer. Das wütende Gebrüll der Menge mijchte
ſich mit den abwehrenden Rufen der Laudaer.
„Zum Könige!“ fommandierte der kleine Ritter.
Und vorwärts ging es, dem Könige zu. Doch die Menge
lieh nicht ab, umringte jie von allen Seiten, drohte mit Säbeln
und Stangen, aber Wolodyjowsfi drängte vorwärts, von Zeit
zu Zeit die flache Klinge brauchend, um die Zudringlichiten
abzuwehren.
Jetzt Famen auch andere Fahnen herzu; Woynillowitich,
Wiltſchkowski und der Knäs Polubinski. Sie alle zuſammen
wehrten den Bauern und führten Wittenberg jamt jeinem Stabe
vor das Angeficht Johann Kaſimirs.
Aber jtatt jich dadurch zu beruhigen, wurde der Tumult
nur größer. Einen Augenblid hatte es den Anjchein, als wolle
die entjejjelte Menge troß der Anwejenheit der Majejtät die
Generäle mit Gewalt nehmen. Wittenberg fahte jich angejichts
des gewährleifteten Schutes etwas, doc, das Angitgefühl verließ
ihn nicht. Er jprang vom Pferde, und wie der von Wölfen
oder Hunden verfolgte Haje in der Todesangit bis unter die
Wagenräder der Fuhrwerke flüchtet, jo rannte er, troß dem
Bodagra, an dem er litt, zum Könige. Dort janf er in Die
Kniee und den Steigbügel des Sattels faſſend, fchrie er aus
vollem Halſe:
„Rettet mich, Allergnädigiter Herr, rettet mich! Ihr gabt
mir euer Königswort, der Vertrag ijt unterjchrieben! Nettet!,
Nettet! Erbarmt euch unfer! Laßt mich nicht ermorden!“
Von Widerwillen und Efel über jolche Feigheit und Er—
niedrigung erfüllt, wandte der König ſich ab, während er jagte:
Sienkiemwica, Sturmflut II. 29
450
„Beruhigt euch, Herr Feldmarſchall.“
Doch der König war jehr befümmert. Obgleich die Reiter-
fahnen der Ritter die Generäle zu jchügen bereit jtanden und
die Fußfoldaten Samojskis einen Kordon um fie gejchlofjen
hatten, wurde das Gedränge von außen her immer größer.
Was für ein Ende jollte das nehmen.
Der König blickte hilfefuchend auf Herrn Ticharniezfi. Doc)
diefer fprach nicht; er drehte nur wütend an jeinem Bart. Die
Zügellojigfeit des gemeinen Volkes empörte ihn.
Endlid) jagte der Kanzler Koryzinski:
„Allergnädigiter Herr! Der Vertrag muß gehalten werden.“
„Jawohl!“ entgegnete der König.
„Wittemberg, welcher die Züge des Königs aufmerkſam
betrachtete, atmete auf.“
„Sch glaube an Ew. Majejtät Wort, wie an Gottes Wort!“
„Warum habt ihr dann jo viele Treubrüche begangen,
wenn ihr an Gott glaubt?” fagte der alte Kronenhetman
Potozki. „Ihr Habt Verträge und Kapitulationen für nichts
geachtet, oder habt ihr etwa nicht gegen alles Völferrecht das
Negiment des Königs jamt feinem General Wolff vernichtet?
Worin der Menjch jündigt, Damit wird er geftraft.“
„Das hat Miller, nicht ich!“ antwortete Wittemberg.
Der Hetman warf ihm einen verächtlichen Bli zu, dann
wandte er jich an den König.
„sch möchte Ew. Majejtät nicht auch zum Treubruch ver-
leiten, denn die Polen jchäten jich jelbit zu Hoch, um ſich auf
gleiche Stufe mit diefem hier zu jtellen.
„Was aber fünnen wir thun?“ frug der König.
„Wenn wir Wittemmberg jet nach Preußen zurückſchicken,
jo wird er in kurzem von taujenden Mdliger eingeholt, und
ehe er Pultusf erreicht, nicht® mehr von ihm übrig fein; es
jei denn, daß unjere ganze Armee ihn begleitet und das iſt
unmöglih ... Hören Ew. Majejtät, wie fie johlen? ...
Fürwahr . ., fie find im Rechte, wenn jie fein Blut fordern! ...
Wir müjjen für jet feine Perſon in Sicherheit bringen, bis
die Wut des Volkes ſich gelegt haben wird.“
„Das wird das Beſte fein!“ meinte auch der Kanzler
Koryzinski.
„Aber wie jollen wir das thun, wohin ihn bringen?“
verjegte der Wojewode von Reußen. „Wir fünnen ihn zum
Kuckuck doch nicht Hier behalten, ſonſt haben wir die ſchönſte
Revolution im Heere.“
451
Da trat der Herr Samojsfi vor, der Selbitherr von
Samoſchtſch, und indem er die Lippen in gewohnter Weije auf-
warf, jagte er wie immer jehr pathetiſch:
„Wie wäre es, Allergnädigiter Herr!? Ich nehme ihn zu
mir nad) Samojchtich, bis ‚Friede gejchlofjen iſt. Ich will ihn
dort jchon vor der Nachjucht des Adels bewahren... man
joll e8 nur wagen, mir ihn zu entreißen.‘
„Aber wie wollt ihr ihn unterwegs bejchügen?“ frug der
Kanzler.
„Da, ich Habe Leute genug. Füfiliere, Kanonen, Troß-
fnechte! Wie? Man fjoll nur mit dem Samojsfi anbandeln,
wir wollen jehen!“
Bei dieſen Worten jtemmte er die Arme in die Seiten,
ie mit den Waden das Pferd und jchaufelte fich im
attel.
„sch weiß feinen bejjeren Rat!“ jagte der Kanzler.
„uch ich nicht!“ ſetzte Herr Lanzkoronski hinzu.
„So nehmt jie, Herr Starojt!“ ſprach der König zu Samojsft.
Doch Wittenberg, welcher jich überzeugt hielt, daß jein
Leben nicht bedroht war, hielt es für angezeigt, dagegen zu
protejtieren.
„Das hätten wir nicht für möglich gehalten,“ ſagte er.
„Einjperren lajjen wir uns nicht.“
Herr Potozfi machte eine Bewegung mit der Hand. In die
Ferne weijend, jagte er:
„Dann bitte ich, eurem Abzug jteht nichts entgegen, wir
halten euch nicht auf.“
Wittenberg verjtummte.
Sofort jandte der Kanzler eine Anzahl Offiziere aus, der
empörten Menge zu erflären, dat Wittemberg nicht freigelafjen,
jondern nach Samojchtich abgeführt werden ſollte. Wenn dieſe
Nachricht den Tumult auch nicht ganz beilegte, jo bejchwichtigte
fie ihn doch. Ehe der Abend einbrach, war die allgemeine Auf-
merfjamfeit anderem zugelenft. Der König ergriff Befig von
der wiedereroberten Hauptitadt und Ddiejer Umstand erfüllte
Aller Herzen mit Freude.
Die Freude des Königs wurde ein wenig durch den
Gedanken getrübt, daß er die Vertragsbedingungen nicht voll:
jtändig hatte einhalten können. Er härmte fic darüber ebenjo»
jehr, wie über die Zügellofigfeit des Kleinadels und der Bauern.
Ticharniezfi wütete innerlich.
„Man kann mit ſolch einem Heere gar nichts Sicheres
29*
452
unternehmen,“ jagte er zum Könige. „Bald mangelt es ihm
an Mut, bald kämpft jeder einzelne Mann wie ein Held. Alles
hängt von feiner Laune ab und ein leifer Anitoß kann e8 zum
Auftande bringen.“
„Sorgen wir nur troß allem, daß wir es zufammenhalten,
denn wir brauchen es noch nötig,“ verjegte der König. „Es
hat den Anjchein, daß verjchiedene Adlige heimzufehren gedenken,
weil fie glauben, mit der Einnahme Warjchaus ſei der ganze
Krieg zu Ende.“
„Der Anftifter des Tumultes,“ fuhr Tſcharniezki fort,
„müßte ohne Anjehen der Perſon und der Berdienfte an Die
Schleife gelegt werden.“
Man lieg auch Herrn Sagloba überall auf das Eifrigite
fuchen; man wußte ganz gut, daß er der Veranſtalter des
Aufruhrs gewejen, aber Herr Sagloba war wie vom Erdboden
verjcehwunden. Es wurde in der Stadt, in den Belten, in der
MWagenburg, ja jogar unter den Tartaren nad) feinem Verbleib
geforjcht, alles umjonft. Tyjenhaus, welcher die Güte und das
liebevolle Gemüt des Königs bejjer noch kannte, als jeder andere,
meinte jogar, das Nichtauffinden des alten Ritters jei dem
Könige gar nicht unlieb; er habe jogar eine novene (neun
tägiges Gebet) für die Sicherheit des Verſchwundenen abgehalten.
Acht Tage nad) der Einnahme Warjchaus, als der König
einmal bei Tiſche recht heiterer Laune war, hörte jeine Um—
gebung ihn die folgenden Worte aussprechen:
„Macht doch überall befannt, daß Herr Sagloba jich nicht
länger verborgen halten joll, denn wir ſehnen ung nach jeinen
Scherzen!”
Als der Herr Kaftellan von Kijow ein ſehr böjes Gejicht
dazu machte, jette dev Monarch Hinzu:
„Wollte man in diefer Republik nur Gerechtigfeit an Stelle
der Barmberzigfeit üben, jo müßte man jtatt des Herzens
ein Beil in der Brut tragen, denn nirgend findet man mehr
Schuldige als bei ung, aber auch nirgend jo vollfommene Reue
und Beſſerung als in dieſem Lande.“
Bei dieſen Worten dachte der Monarch mehr noch an
Babinitſch, als an Sagloba, umſomehr, als der junge Held am
vorigen Tage einen Fußfall vor dem Könige gethan hatte, mit
der Bitte, ihn nach Litauen zu ſenden. Er hatte dieſe Bitte
damit begründet, daß er dort die Erhebung ſchüren, die Schweden
mit Hilfe der dortigen Freiſchärler nach Möglichkeit austilgen
wolle. Da der König ohnedies die Abſicht hatte, einen erfahrenen
453
und zuverläfiigen Soldaten zu demjelben Zweck dorthin zu jenden,
jo gab er jeine Einwilligung, jtattete ihn aus, gab ihm feinen
Segen und flüjterte ihm beim Abjchied noch einen guten Wunſch
ins Obr, bei welchem Kmiziz tief errötete und dem gütigen Herrn
danfend zu Füßen fiel.
Heute am frühen Morgen war er abgereiit. Supanhazy
hatte ihm, durch ein reiches Gejchenf bewogen, erlaubt, andert=
halb taujend Kojafen aus der Dobrudjcha mitzunehmen, eine
Streitfraft, mit der jich jchon etwas unternehmen ließ. Kampfes—
mut und Thatendrang erfüllte das Herz des jungen Helden, Hoff-
nung lachte ihm freundlich entgegen; er träumte von Ruhm und
Ehre, von Xobpreifungen, die ganz Litauen ihm zollen würde und
die dann auch zu den Ohren der einzigen Einen dringen mußten,
die ihre Lippen dann vielleicht wiederholten! . . . O, feine
Seele befam Flügel.
Auch der Gedanke Hatte ihn zur bejchleunigten Abreije
getrieben, daß er der Erſte jein werde, der die Nachricht von
der glücklichen Einnahme Warjchaus in die Provinzen trug.
Ueberall, wo die Hufe jeiner Pferde Hintraten, wollte er den
Sieg verkünden, jeine Worte jollten in alle Gegenden hinaus—
getragen werden von denen, welchen er jie zuerit verfündet.
Und jo war es auch. Wo er Hinfam, da flojjen Thränen der
Freude und des Dankes, da wurden bei der frohen Nachricht,
die er brachte, die Gloden in den Slirchen geläutet, das „Te
deum laudamus“ angejtimmt. Selbjt in den jtillen Wäldern,
durch die er ritt, jchtenen die Bäume fich zuzuflüjtern, die Aehren
in den Feldern vom Winde beivegt, fchienen jich zuzuraunen:
„Die Schweden jind gejchlagen! Warſchau iſt unfer!“
Sechſtes Buch.
DS
l, Rapitel,
Obgleich Ketling fait immer um die Perjon des Fürften
Boguslaw gewejen war, wußte er doc nicht alles und fonnte
daher auch nicht alles erzählen, was ſich in Tauroggen zus
getragen hatte, denn er jah und hörte manches nicht, weil er
jelbit das Fräulein Billewitjch zu jehr liebte, um ein unpartei—
iicher Beobachter jein zu fünnen.
Boguslaw hatte nur einen einzigen Vertrauten und Diejer
war Satowitich, der Staroit von Orjchmian; der allein wußte,
wie tief der Fürſt im die Liebe zu jeiner schönen Gefangenen
verjunfen war und welche Mittel er in Anwendung brachte,
um ihr Herz und ihre Perſon zu erringen.
Da Boguslam edlerer Gefühle nicht fähig war, jo wurde
dieje Liebe zur brennend heißen Begehrlichkeit, die bei ihm jo
ausartete, daß er die Vernunft darüber verlor. Zuweilen,
wenn er mit Sakowitſch abends allein war, jtügte Boguslaw
den Kopf in die Hände, indem er ausrief:
„sch verbrenne, Sakowitſch, ich verbrenne!“
Dann tröftete Satowitich und jann auf Mittel, feinem
Herrn zu helfen.
„Wer Honig eſſen will,“ jagte er, „muß die Bienen be-
täuben, wenn er dazu gelangen will. Hat denn Ew. Durch:
laucht Medikus fein Betäubungsmittel für das Fräulein? Es
bedarf doch nur eines Wortes Ew. Durchlaucht und die Ans
gelegenheit ijt erledigt.“
Doch der Fürſt mochte diejen Nat jeines Vertrauten nicht
befolgen, weil verichtedene Urjachen ihn davon zurüchielten.
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Zuerjt war ihm eines Nachts der alte Hauptmann Bille-
witjch, der Großvater Dlenfas, im Traum erjchienen; er hatte
am Kopfende jeined Lagers geitanden und ihn mit drohenden
Blicken angejehen, von Mitternacht bis zum erjten Hahnenjchrei.
Boguslaw konnte diejes Traumgeficht nicht mehr loswerden,
und diefer Ritter ohne Furcht und Tadel war jo abergläubtich,
er legte jo viel Wert auf Träume, betrachtete fie als Warner,
und fürchtete jo jehr die Miederfehr des Hauptmannes im
Traume, daß der bloße Gedanfe daran ihn zittern machte.
Deshalb wagte er aus Furcht nicht, auf den Vorſchlag Sako—
witjchs einzugehen und diejer jelbit, al3 er von dem Traume
des Fürſten hörte, wurde vorfichtiger im Erteilen jeiner Rat—
ichläge, weil er ebenfalls abergläubifch und furchtjam war.
Die zweite Urjache, weshalb der Fürſt nicht zu Gewalt-
maßregeln greifen wollte, war die, daß die „Wallachin“ mit
ihrer Stieftochter in Tauroggen wohnte. Mean nannte die Ge—
mahlin des Fürſten Januſch, welche eine wallachische Fürſten—
tochter war, jo. Aus einem Lande jtammend, wo die Sitten
der Weiber jehr freie waren, war jie ſelbſt zwar nicht allzu
jtreng, wo es ſich um den Verfehr der Stavaliere ihres Hofes
mit ihrem Frauenzimmer handelte, dennoch würde jie nie ge=
duldet haben, dag ein Mann aus fürjtlichem Gejchlecht, der
ihre Stieftochter ehelichen follte, jich einer jo himmeljchreienden
Sünde jchuldig machte.
Aber auch dann noch, als infolge verjchiedener Intriguen
jeitens des Safowitjch, die er mit Willen und Willen des
Fürſten ausgeführt, die „Wallachin“ mit Erlaubnis ihres Ge-
mahls, jamt der Prinzeſſin nach Kurland abgereiit war, wagte
es Boguslaw nicht, einen Gewaltjtreich zu vollführen. Er
fürchtete den Lärm, der über ſolche Unthat in Litauen erhoben
werden würde, denn die Billewitjch waren dort ein mächtiges
und hochangejehenes Gejchlecht; jie würden nicht verfäumt haben,
ihm den Prozeß zu machen, und das Geſetz beſtrafte ſolche
Verbrechen mit dem Verluſt des Vermögens, der Ehre, ja ſogar
mit dem Tode.
Nun waren die Radziwills zwar mächtig genug, um ſelbſt
das Recht mit Füßen treten zu dürfen und ſich eigene Geſetze
zu ſchaffen. Neigte ſich aber in dieſem erbitterten Befreiungs⸗
kampfe die Schale des Sieges dem Könige zu, ſo konnten für
den jungen Fürſten die übelſten Folgen aus einer Handlung
erwachſen, zu der ihn ſeine Leidenſchaft nur zu gewaltig drängte,
denn dann fehlte ihm der Schutz ſeiner Freunde und Genoſſen.
459
So leidenschaftlich beanlagt der junge Fürſt auch war, fo
jehr rechnete er dennoch mit den Verhältnijien, denn er war
ein großer Wolitifer. Es jtürmten gegenwärtig zu viele Er—
eigniffe und Erregungen auf ihn ein, als daß jeine jonjt
fräftige Gefundheit ihnen auf die Dauer hätte Stand zu halten
vermögen. Einerſeits zehrte dieje leidenjchaftliche Liebe an ihm,
andererjeit3 riet der Verſtand Enthaltjamfeit; abergläubijche
Furcht zügelte jein wildes Berlangen, Krankheit befiel ihn zu
einer Zeit, wo die wichtigiten Neichsangelegenheiten jeine volle
Kraft und Energie beanspruchten; alles dies zufammengenommen
quälte jeine Seele und machte den Körper müde bi auf
den Tod.
Wer weiß, welches Ende dieſe Seelenfämpfe genommen
hätten, wenn die große Eigenliebe des Fürjten ihnen nicht ein
Segengewicht geboten hätte. Er war ungemein von jich ein-
genommen, hielt fich für den größten Staatsmann, den größten
‚seldherrn und Nitter und den gejchieteiten Eroberer der F Frauen—
herzen. Sollte er, der Sieger über ſo viele Mädchen und
Frauen, für deren Liebesbriefe er eigens eine beſonders große
Truhe Hatte anfertigen laſſen müſſen, zu Mitteln greifen, die
ihm nur Unehre bringen fonnten, um das Herz diejer einen
zu befiegen? Sollten jeine Neichtümer, jeine Titel und Macht,
jein jtolzer Name, jeine Schönheit und Liebenswürdigfeit nicht
ausreichen, dieſe Widerjpenitige gefügig zu machen?
Wie viel größer mußte fein Triumph, fein Lohn jein, wenn
er durch den Eindrucd jeiner Perjönlichkeit ihren jtarren Sinn
beugen fonnte, wenn fie ihm freiwillig ihre Liebe bot.
Es überlief ihn heiß bei jolchen Gedanken; er fjehnte die
Stunde des Sieges über Dlenfa faſt ebenjojehr herbei, als er
ſich nach ihrer Gegenwart jehnte, wenn er einmal nicht bei ihr
jein fonnte. Bald glaubte er jich jeinem Ziele näher gefommen,
bald ferner als je.
Er umgab das Mädchen, um ihre Dankbarkeit rege zu
machen, mit einer zarten Fürjorge und Sorgfalt, denn er
wußte wohl, daß Dankbarkeit Freundſchaft erzeugt und daß
beide Gefühle ein warmes ſanftes Flämmchen im Mtenjchen-
herzen jind, Die, wenn gebührend unterhalten und gepflegt, zur
lodernden Flamme der Liebe fich entfachen ließen. Sie jollte
ihn als einen gütigen Freund jchägen lernen; um fie nicht zu
erjchreden und einzujchüchtern, enthielt er ſich während ihres
häufigen Beiſammenſeins jeder Zudringlichkeit.
Jeder ſeiner Blicke, jedes ſeiner Worte, jede Berührung
460
ihrer Hand war berechnet, jie zu reizen, ihre Sinne zu weden;
wie der jtete Tropfen den Stein höhlt, jo jollte jeine gleich-
mäßige jorgfältige Freundlichkeit jie endlich bewältigen und die
Heißgeliebte in ſeine Arme führen. Alles, was er that, ſollte
für Olenka nur den Schein der auserleſenſten Gaſtfreundſchaft
haben; er verſtand die Grenze zwiſchen dieſer Freundſchaft und
ſeiner Liebe ſo zu verwiſchen, daß ſie mit der Zeit faſt völlig
unmerkbar das Mädchen täuſchen und ſie ſelbſt zum Ueber—
ſchreiten der geſellſchaftlichen Form, der Grenze der Freund—
ſchaft verleiten, und ſie in das Bereich der Liebe führen ſollte.
Dieſes Spiel ſtand zwar nicht im Einklang mit der Leiden—
ſchaftlichkeit des Fürſten, doch bezwang er ſich, weil er wußte,
daß er nur auf dieſe Weiſe den Weg zum Herzen Olenkas
finden konnte. Zudem machte es ihm Vergnügen, gleich der
Spinne das Netz zu jpinnen, in welchem jich jpäter das
Bögelchen fangen mußte. Ihn belujtigte es, alle die feinen
Künjte, die Gewandtheit und Schlaubeit, die er am franzöjtichen
Hofe gelernt, einmal an einer polnischen Adligen probieren
zu fünnen.
Gleichzeitig räumte er ihr in jeinem Hauje die Stellung
einer Prinzeſſin aus regierendem Hauje ein, indem er fie
wieder in Zweifel verjegte, ob die Huldigungen, die er ihr dar-
brachte, ihrer Perjönlichkeit galten, oder nur ein Ausflug ange-
borener Galanterie gegen das weibliche Gejchlecht waren.
Er machte jie zum Mittelpunkt aller VBergnügungen, Schau—
jtellungen, Ausflüge und Sagdgejellichaften, doch verjtand er
diefem Thun wiederum den Schein des Natürlichen, Selbjt-
verjtändlichen zu geben, da nad) der Abreije der Fürſtin Grifeldig,
Olenka wirklicd) die vornehmite der Frauen in Tauroggen war.
Es hatten ich eine Menge adliger Damen aus Smudz
nad) Tauroggen geflüchtet, weil der Ort, dicht an der Grenze
gelegen, ihnen Gelegenheit bot, ſich unter dem Schutze des
Fürſten, der Zudringlichkeiten der Schweden zu erwehren. Sie
alle Hatten unbeanjtandet dem Fräulein Billavitjch, als der
Tochter des mächtigiten Gefchlechtes der Smudz, den Vortritt
eingeräumt. Während num die ganze Nepublif in Blut ſchwamm,
nahmen Die Feſtlichkeiten hier kein Ende; es war, als ſei der
königliche Hof mit großem Gefolge auf das Land gezogen, um
ſich den Beluſtigungen des Landlebens hinzugeben.
Boguslaw war in Tauroggen und dem angrenzenden
Preußen regierender Fürſt. Die preußiſchen Städte, wo er
häufig zu Gaſte war, gaben ihr Geld und ihre Soldaten her
461
und der preußiiche Adel folgte mit Freuden zu Pferd und zu
Wagen den Einladungen des Fürjten zu den Gajtmählern und
beteiligte jich an den Jagden und Karufjelfahrten mit Vergnügen.
Der Fürſt führte Olenfa zu Ehren auch die jeit vielen Jahren
vernachläffigten Turniere ein.
Eines Tages beteiligte jich der Fürst jelbit an folch einem
Turnier. Im jilbernen Banzerhemd, gejchmüct mit dem blauen
Bande feiner Dame, welches Olenka ihm jelbit umbinden mußte,
hatte er die vier tapferiten Ritter aus dem Sattel geworfen,
Ketling folgte als fünfter und Safowitjch, diefer Stärfite von
allen, als jechiter. Ein wahrer Sturm der Begeijterung war
losgebrochen, als der jilberne Ritter dann fnieend aus der Hand
jeiner Dame den Lorbeerfranz empfing. Beifallsrufe erjchallten,
jchöne Frauen jchwenkten ihre Tücher, die Fahnen wurden zu
Ehren des Sieger gejenkt, er jelbit Hatte jein Viſier zurüc-
geichlagen, in ihr errötendes Geficht geblidt und ihre Hände
mit Küflen bedeckt.
Ein anderesmal, als im Planfenzaun ein Bär im Kampfe
mit Hunden immer einen nach dem anderen hingejtrect hatte,
war der Fürjt, nur mit einem leichten ſpaniſchen Wamſe be—
fleidet und nur mit einem Spieß bewaffnet, hinzugejprungen,
und hatte nicht nur die graufige Beitie, jondern auch einen
Trabanten, welcher, die Gefahr, in die der Fürſt ſich begeben,
erfennend, ihn zu ſchützen herbeieilte, niedergejtochen.
Fräulein Alerandra, die Enfeltochter eines alten Kriegers,
in den Traditionen ihres ruhmbedecten Gejchlechtes erzogen,
fonnte beim Anblick jolcher SHeldenthaten ihren Beifall dem
Fürſten nicht verfagen. Hatte man fie doch von frühejter
Kindheit an daran gewöhnt, Tapferkeit und NRitterlichfeit als
die Haupttugenden des Mannes zu jchägen.
Dadurch angejpornt, bemühte jich der Fürſt, täglich neue
Beweije jeiner faſt übermenjchlichen Kraft und Tapferkeit zu
liefern und immer neue ?Fejtlichfeiten zu Ehren Olenkas zu
veranjtalten. Die geladenen Gäfte, welche ſich in Lobes—
erhebungen und Ausrufen der Begeijterung für den Fürſten
gar nicht genugthun fonnten, waren unwillkürlich gezwungen,
den Namen Dlenfas im Verein mit demjenigen des Fürſten
zu nennen. Er jchwieg dazu, jeine — ſollten ihr nur
jagen, was der Mund verſchweigen mußte ... ſie fam ſich oft
vor, wie verzaubert.
So vereinte fich alles, um die beiden einander näher zu
bringen, fie von der Menge auszuſchließen. Die Namen beider
462
wurden nur noch zufammen genannt und Boguslaw that alles,
um den Zauber, den er um jie zu jpinnen jich abmühte, mit
jedem Tage zu verjtärfen.
Abends, wenn die Schaujtellungen vorüber waren, ließ er
in den Gemächern buntfarbige Yampen anzünden, welche ein
wonniges, geheimnisvolles Licht verbreiteten. Süßer, be:
raufchender Duft erfüllte die Luft, zauberische Klänge, unficht-
baren Harfen entlodt, tönten durch die Räume und mitten in
diefem PBaradiefe von Licht, Wohlgeruch und Harfenflang jchritt
er einher, wie ein Märchenprinz, jung, jchön, ritterlich, jtrahlend
im Glanze der Edeliteine, die er an fich trug, verliebt wie ein
Hirtenfnabe.
Welches Mädchen hätte jolchem Zauber wohl widerjtanden,
welche tugendhafte Jungfrau wäre nicht jchwach geworden bei
jolcher Werbung? Den Fürjten zu meiden wäre unmöglich
geweſen, da Dlenfa unter einem Dache mit ihm wohnen mußte
und er feine, ihr aufgeziwungene —— in einer ſo
ritterlichen, anſcheinend ſelbſtloſen Weiſe übte. Dazu kam, daß
Olenka dem Fürſten nicht ungern nach Tauroggen gefolgt war;
der Aufenthalt in dem verräteriſchen Kiejdan war ihr voll-
jtändig verleidet worden, und der ritterliche Boguslaw, der jo
meijterlich veritand, vor ihr den fünigstreuen Unterthan und
Sohn der Nepublif zu fpielen, war ihr naturgemäß ein viel
lieberer Gejellichafter und Gaftfreund, als der offen jeinen Vers
rat zur Schau tragende Januſch. Sie hegte in den erſten
Wochen ihres Aufenthaltes i in Tauroggen jogar eine Art freund-
Ichaftlicher Geſinnung für den jungen Fürſten, und ſie benußte
den Einfluß, den jie auf ihn ausübte dazu, verjchiedene gute
Werke zu verrichten.
Im dritten Monat ihrer Anwejenheit war ein Offizier,
ein Freund Ketlings, wegen irgend eines Verſehens von Bogus—
law zum Tode durch Erjchießen verurteilt worden. Als das
Fräulein davon durch Setling zu willen befam, bat fie den
jungen Mann Los.
„Die Göttin hat zu befehlen, nicht zu bitten,“ antwortete
ihr der Fürſt, indem er das Todesurteil zerrig und ihr vor
die Füße legte. „Regieret, bejehlet! Wüpte ich eurem lieben
Munde ein Lächeln damit abzuloden, jo würde ich ohne Be—
denken Tauroggen verbrennen, wenn ihr zu bejehlen geruht.
Könnte ich euch doch vergejien machen, was einitmals war, ein
Lächeln, einen freundlichen Blid in euer Antlig zaubern, das
wäre mir höchiter Lohn!“
463
Doc wie hätte ſie fröhlich jein jollen mit diejem nagenden
Kummer im Herzen, dieſer unjäglichen Verachtung gegen den
Menjchen, den fie geliebt mit der ganzen Macht einer erjten
Liebe, der in ihren Augen dann herabgejunfen war zu einem
Verbrecher, den fie geringer achtete als einen Batermörder.
Jener Kmiziz, welcher für etliche Goldgulden, wie Judas, feinen
Herrn und König verfaufen wollte, war ihr immer unverjtänd-
licher geworden, bis er als ein Auswurf der Menjchheit vor
ihr erjchien. Sie konnte fich nicht verzeihen, daß fie ihn jemals
geliebt hatte, troß aller Verachtung aber vermochte fie nicht
jein Bild aus ihrem Herzen zu reißen.
Mit jolchen widerjtreitenden Gefühlen im Herzen, war es
ihr unmöglich, auch nur fröhlich zu jcheinen. Sie war aber
dem Fürſten dankbar, daß er jeine Hand zu dem von Kmiziz
geplanten DBerbrechen nicht geboten hatte und für alles, was
er jegt an ihr that. Eines nur wunderte fie jehr und zwar
das, wie e8 möglich war, daß ein jo tapferer und edler Ritter
jih an den Kämpfen um die Befreiung des Vaterlandes nicht
beteiligte, obgleich er die Handlungen jeines Vetters zu ver-
pönen jchien. Doch fagte ſie jich, dab ein Mann wie Bogus-
law nichts thue, ohne einen bejonderen Zweck mit feinen Hand-
lungen zu verbinden. Das leuchtete ihr umjomehr ein, als der
Fürſt einmal wie beiläufig bemerkte — er reife nur darum fo
oft nach Tilfit, um zwijchen Johann Kaſimir und dem Slönige
von Schweden Friedensverhandlungen einzuleiten; feine Kräfte
jeien durch zahlloje Kämpfe allzujehr erjchöpft, ala daß er fich
noch an dem Kriege beteiligen fönne, er wolle auf dieje Weije
dem Baterlande helfen, jich aus der Erniedrigung empor-
zuraffen.
„Richt um Lohn und Hohe Würden zu erlangen, thue ic)
das — nicht darum gebe ich meinen Vetter Januſch preis,“
jagte er, „ihn, der mir ein zweiter Vater war, jondern ich thue
nur, was mein Gewijjen und meine WVaterlandsliebe mir ge-
bieten. Wer weiß, ob das alles imjtande jein wird, das Leben
des Fürſten Sanujch dem Haß der Königin Ludovifa abzubitten.“
Als er jo ſprach und die traurigen Augen zur Dede empor-
gerichtet hielt, erjchien er ihr wie einer jener Helden des Alter-
tums, von denen der alte Hauptmann Billewitjch ihr foviel
erzählt und aus dem Cornelius Nepos vorgelejen hatte. Im
dieſem Augenblid jchwoll ihr Herz von Bewunderung und Ver-
ehrung. Allmählich gelangte fie dann auch zu dem Standpunfte,
daß, wenn die Gedanken an den verhaßten Amiziz fie zu jehr
464
quälten, fie mit Gewalt all ihr Denken auf Boguslaw richtete,
um jene zu vericheuchen. Jener verkörperte ihr die gräßliche,
düftere Vergangenheit, während diejer das Licht war, in welchem
jede befümmerte Seele ſich gern jonnte,
Der Herr Schwertträger von Reußen und das Fräulein
Kulwiez, welche man ebenfalls aus Wododt hierher geholt hatte,
drängten Dlenfa umvermerft immer mehr jenem abjchüfjigen
Bade zu, indem jie unaufhörlich das Lob Boguslaws fangen.
Dem Fürſten waren die Beiden in Tauroggen eine rechte
Laſt; er jann fortwährend darauf, wie er fie auf artige Weiſe
(03 werden follte. Aber er hatte bald ihre unit, bejonders
diejenige des Schwertträgers, gewonnen, welcher anfangs feind-
lich gegen ihn aufgetreten war, doc) je länger, deſto weniger
der Liebenswürdigfeit Nadziwill® zu widerjtehen vermocht hatte.
Wäre Boguslaw nur ein Mdliger aus vornehmem Gejchlecht,
nicht Radziwill, Fürjt und Magnat von fat föniglicher Macht
geweſen, wer weiß, vielleicht hätte das Fräulein ſich dem Teſta—
ment des alten Hauptmannes zum Trog auf Tod und Leben
in ihn verliebt, gleichviel, ob ihr nur die Wahl zwiſchen Kmiziz
und dem Stlojter gelafjen war. Olenka war aber in den jtrengiten
Sitten erzogen, ihre Seele war rein und ihr Herz gerecht.
Darum fam.ihr nicht einmal der Gedanke an eine tiefere
Neigung für den Fürjten; fie fühlte für ihn nichts als Dank
und Bewunderung.
Die Rangſtufe, welche ihre Familie unter den Adligen
Polens einnahmen, war nicht hoch genug, als daß jie Die
Gemahlin eines Füriten hätte werden fünnen, andererſeits
dünkte fie jich viel zu Hoch, um Boguslaws Geliebte zu werden;
fie jah in ihm nur den SHerricher, an deſſen Hofe fie weilte,
Umſonſt juchte er fie eines anderen zu belehren, umſonſt ver-
ficherte er ihr im der Weberjchwenglichkeit jeiner Gefühle, daß
die Nadziwills jich schon verjchiedene Male mit Mädchen von
einfachem Adel vermählt hatten. Alles umjonjt! Klein unreiner
Gedanke blieb an ihr haften; wie das Waſſer von dem Gefieder
des Schwanes, jo glitt von ihr alles ab, womit eitle Weber:
redungsfunit jich bemühte, fie zu befleden. Dankbar gedachte
fie des Fürſten; aber jie blieb fich ſtets gleich in ihrem Weſen,
voll Freundlichkeit und Ruhe.
Er aber verfing ſich immer mehr in der Schönheit und
Nuhe ihres Wejens und glaubte jich oft jchon jeinem Ziele
nahe. Dann wieder ertappte er jich zu feinem eigenen Aerger
und feiner Scham auf einer Unficherheit und Schüchternbeit,
465
wie er jie niemals den vornehmiten Damen in Paris, Brüffel
und Amjterdam gegenüber gefühlt Hatte Wielleiht war es
darum, weil er jie wirklich liebte, oder vielleicht, weil in ihren
janften Zügen jo viel Achtunggebietendes lag. Einzig und
allein Kmiziz Hatte fich feiner Zeit nicht durch dieſen Ernſt
abjchreden lajjen; er hatte fie dreijt in jeine Arme genommen,
ihre Augen und ihre jtolzen Lippen gefüßt, aber Kmiziz war
auch ihr Verlobter.
Alle Kavaliere, angefangen bei Herrn Wolodyjowsfi bis
zu den rauhen Kriegern Preußens in Tauroggen begegneten
ihr mit der größten Achtung und verjtanden mit ihr umzugehen
nicht wie mit anderen Mädchen. Den Fürjten trieb feine
Leidenschaft, der Sache ein jchnelle® Ende zu machen, doch als
er einmal im Kutjchwagen ihren Fuß berührte, während er
gleichzeitig ihr zuflüſterte: „Fürchtet nichts ...“ und jie darauf
eantwortet Hatte: „Gewiß fürchte ich, daß ich das in
Sw. Durchlaucht gejegte Vertrauen bereuen muß,“ da wurde
Boguslaw jehr verlegen und 309 vor, nad) wie vor um ihre
Liebe zu werben.
Doc, endlich Hatte jeine Geduld ein Ende. Der Eindrud,
den jener jchredliche Traum auf ihn gemacht, begann jich all
mählich zu verwijchen. Immer öfterer dachte er an das, was
Safowitjch ihm geraten hatte, die Hoffnung, der Krieg werde
die Berwandten und den Anhang Dienfas ausrotten, ihn ihrer
Nache entziehen, griff immer mehr Plag in jeinem Herzen.
Da ereignete jich plößlic) etwas, was dem Gange der
Dinge in Tauroggen eine ganz andere Wendung gab.
Wie ein Donnerjchlag fiel eines Tages die Nachricht in
das Schloß, daß Tyfozin von dem Heere Sapiehas eingenommen
worden und der Großhetman unter den Trümmern der Bejte
begraben jei.
Dieje Nachricht beunruhigte alle diejenigen, die in Tauroggen
lebten; jelbjt der Fürſt jchrecte aus jeinem QTaumel auf und
begab fich unverzüglich nach Königsberg, wo er mit den Miniſtern
und Räten des Königs von Schweden und des Kurfürjten zu=
jammentreffen jollte.
Sein Aufenthalt dort verlängerte jich über die feſtgeſetzte
Beit. Inzwijchen famen in Tauroggen Abteilungen preußiicher
und jchwedischer Soldaten an. Man begann laut von einem
Feldzuge gegen Sapieha zu fprechen; nun wurde es offenbar,
dab Boguslam ein Parteigänger der Schweden war und Dies
jelben Ziele verfolgte wie jein Better Januſch.
Sienkiewicz, Sturmflut IL 30
466
Gleichzeitig erhielt der Herr Schwertträger die Nachricht,
dab das Stammgut der Billawitich durch die Truppen Loewen—
haupts niedergebrannt worden, und daß Diejelben, nachdem ſie
die Smudzer Aufftändischen bei Schamle niedergemegelt, das ganze
Land mit Feuer und Schwert vermüjteten.
Da hielt e8 den alten Herrn nicht länger; er wollte den
Schaden mit eigenen Augen bejehen und retten, was noch zu
retten war. Fürſt Boguslam verjuchte auch nicht ihn zurück—
zuhalten, er ließ ihn gern ziehen, während er ihm zum Abjchied
noch die Worte jagte:
„Shr werdet nun verjtehen, warum ich euch nach Tau—
roggen brachte; im Grunde genommen verdankt ihr mir das
Leben.“
Dienfa war mit dem alten Fräulein Kulwiez allein zurüd-
geblieben. Sie zog Jich nach der Abreife ihres Oheims voll-
jtändig in ihre Gemächer zurüd und nahm niemanden an, als
einige Damen, welche fte täglich bejuchten. Als Dlenfa durch
dieje erfuhr, dab der Fürſt einen Feldzug gegen Die Polen vor-
bereite, wollte jie dieſen Gerüchten feinen Glauben jchenfen.
Da diejelben ihr aber immer häufiger zu Ohren famen, lieh
fie, um fich zu vergewiflern, was etwa Wahred daran jei, eines
Tages Ketling zu fich bitten, von dem fie wußte, daß er ihr
nichts verheimlichte.
Er erichien fofort, glüdjelig darüber, daß er gerufen worden,
daß er einen Augenblick mit ihr, die er über alles liebte,
jprechen durfte. Dlenfa begann jogleich damit, ihn auszufragen.
„Herr Kavalier,” fagte fie. „Es wird fo vielerlei in Tau—
roggen gejprochen, daß man ganz irre werden fann. Die einen
behaupten, der Fürjt-Wojewode jei eines natürlichen Todes ge-
jtorben, andere wieder jagen, er jei unter den Säbeln der
Polen gefallen. Sagt mir, wißt ihr, welches die Urfache feines
Todes iſt?“
Ketling zögerte einen Augenblid; er kämpfte fichtlich mit
der ihm angeborenen Schüchternheit, endlich jtammelte er unter
heftigem Erröten:
„Die Urfache des Unterganges und Todes des Fürſt-Woje—
woden jeid ihr, Herrin!“
„Ich? ...“ frug Dlenfa verwundert.
„a, ihr! Der Fürſt 309 vor, in QTauroggen zu bleiben,
anstatt dem Vetter zu Hilfe zu eilen. Er hat alles vergejien
und unterlafien . . „, um euretwillen.“
Jetzt überzog Burpurröte ihr Geficht. Einen Augenblid
467
lang vermochte feines von beiden ein Wort zu jprechen. Der
junge Schotte jtand gejenkten Hauptes, mit niedergejchlagenen
Augen, den Hut in der Hand, vor ihr. Die Haltung feiner
ganzen Gejtalt drücdte Ehrerbietung und Hochachtung aus.
ndlich jchüttelte er die blonden Haarwellen aus der Stirn,
richtete jich auf und ſagte:
„Wenn meine Worte euch beleidigt haben, jo erlaubt, daß
ich euch fußfällig um Verzeihung bitte.“
Er beugte jein Knie, doch Dlenfa wehrte ihm, indem fie
Schnell ſprach:
„Lat das! Herr Kavalier! Was ihr jagtet, fam aus der
Tiefe eines ehrlichen Herzens. ch habe längjt bemerkt, daß ihr
mir wohlwollet.“
„Oder iſt es nicht jo? Wünſcht ihr mir nicht nur
Gutes? ...“
Der Offizier richtete den Blick feiner engelöguten Augen
nach oben, legte jeine Hand aufs Herz und flüjterte fo leife,
dab es wie ein trauriges Seufzen Hang:
„DO Herrin! Herrin! . . .“
Doc jchon war er erjchroden über die eigene Dreijtigfeit;
er fürchtete, bereit zu viel gejagt zu haben, ſenkte den Kopf
wieder und nahm wieder die Haltung eines ergebenen Dieners
an, welcher der Befehle der geliebten Herrin harrt.
„sch bin fremd hier und ohne Schuß,“ jagte Olenka, „denn
obgleich ich imjtande bin, mich jelbit zu bejchügen und ich
hoffe, daß Gott mic) gnädig vor Unheil bewahren wird, jo fann
ich doch der menjchlichen Hilfe nicht entraten. Wollt ihr wie
ein Bruder über mir wachen? Wollt ihr mich im Notfalle
warnen, Damit ich nicht unvorbereitet in die mir gejtellten
Netze falle?“
Bei diefen Worten reichte fie ihm ihre Nechte, welche er
nun knieend an den Fingerjpigen ergriff und ehrfurchtsvoll an
jeine Lippen 309.
„Sprecht! Was geht um mich her vor?“
„Der Fürſt liebt euch! Habt ihr denn das nicht bemerft,
Herrin?“ Olenka bededte die Augen mit der Hand.
„Ich jah es und fah es doc nicht! Zuweilen wollte es
mir jcheinen, daß all jein Thun nur einer großen Herzensgüte
entjprang.“
„Herzensgüte! . . .„“ wiederholte der Offizier.
„Das dachte ich," fuhr Dlenfa fort. „YZumeilen wieder,
wenn ich denfen mußte, dab ich Unglückſelige jeine Begehrlich-
30*
468
feit erregt haben könnte, beruhigte ich mic) damit, daß ich mich
jelbjt glauben machte, eine Gefahr für mich jei dabei ganz aus-
gejchlojien. Ich war ihm dankbar für alles, was er mir Freund—
liches gethan, aber Gott iſt mein Zeuge — ic) begehrte Feine
neuen Gunjtbezeigungen von ihm, denn ich fürchtete jchon zuviel
von ihm angenommen zu haben.“
Ketling atmete tief.
„Darf ich offen Sprechen?“ frug er nach kurzem Still»
jchweigen.
„sch bitte darum.“
„Der Fürſt hat nur zwei Vertraute; die Herren Sakowitſch
und Paterſon. Der Lettere ijt mir jehr wohlgefinnt, weil wir
Landsleute find und er mich von Klindesbeinen auf fennt. Was
ich aljo weiß, das weiß ich von ihm. Der Fürſt liebt euch,
Herrin! Seine Leidenjchaft glüht und lodert wie eine Pech—
fadel. Alle Feſtlichkeiten, die er veranjtaltet, find nur euret=
wegen, um eure Sinne zu bethören. Der Fürſt liebt euch
finnlos, aber feine Liebe ijt eine unlautere, denn fie gefährdet
eure Ehre. Während er wohl niemals eine würdigere Gemahlin
finden dürfte, denkt er doch nicht daran euch zu ehelichen, denn
ihm ijt eine andere beitimmt — die reiche Brinzeffin Anna.
Ich weiß das von Paterjon, und Gott ift mein Zeuge, daß ich
die Wahrheit rede. Traut dem Fürjten nicht, Herrin! Lat
euch durch feine jcheinbare Gutmütigfeit, durch jeine bejcheidene
Burüdhaltung nicht in Sicherheit wiegen, denn Verrat lauert
bier auf Schritt und Tritt. Der Mund fträubt fich zu jagen,
was Paterſon mir erzählt hat. Einen größeren Schuft als
Sakowitſch giebt e8 nicht . . . Ich kann es nicht ausjprechen!
Wäre ich nicht durch einen heiligen Eid verpflichtet, des Fürjten
Perſon und Leben zu jchügen, jo würde dieje Hand und diejer
Säbel euch, Herrin, unverzüglich von der jtet3 drohenden Gefahr
befreien... Der Erjte, den ich töten wollte, wäre Sako—
witſch ... . ja er wäre der Erjte, denn ihn haſſe ich mehr als
die jchamlojen Räuber, welche meinen Vater töteten, unjer Ver-
mögen raubten und mich zum Heimatloſen, zum Lohndiener in
fremden Ländern machten . . .“
Bei diefen Worten zitterte Ketling am ganzen Leibe; er
preßte den Knauf feines Säbels und jchien an etwas zu würgen.
Plötzlich raffte er ji) zufammen und erzählte jchnell, fait in
einem Atem alles, was Sakowitſch dem Fürſten geraten.
Zu jeiner großen Verwunderung blieb Fräulein Alerandra
jehr ruhig, angejichts des Abgrundes, welcher jich vor ihr öffnete.
469
Sie jchien aus ſich herauszuwachſen, noch unnahbarer zu werden.
— kühne Entſchloſſenheit blickte aus ihren finſter blickenden
lugen.
„sch werde mich zu ſchützen wiſſen!“ ſagte ſie, „jo wahr
der gefreuzigte Heiland mir helfe!“
„Der Fürſt hat bisher gezögert, die Ratjchläge feines Ver-
trauten zu befolgen,“ jette Ketling Hinzu „doch wenn er ein-
jehen lernt, daß der Weg, den er eingejchlagen, nicht zum Ziele
führt... .*
Und nun erzählte er, was den Fürſten bewog, immer noch
den Weg der jcheinbaren Güte zu wandeln.
Das Fräulein hörte etwas zeritreut zu, denn ihre Ge—
danfen bejchäftigten ſich ſchon mit einem Plane, welcher ihr
dazu verhelfen jollte, fie aus ihrem glänzenden Stäfige zu be=
freien. Die Gedanken drängten jich ihr zwar noch unklar auf,
da im ganzen Reiche kaum ein jicherer Zufluchtsort zu finden
war, deshalb wollte fie jegt noch nicht davon jprechen.
„Herr Kavalier,“ jagte jie endlich, „beantwortet mir, bitte,
eine Frage. Zu wem hält eigentlich der Fürſt Boguslaw, zu
unjerem Könige Sohann Kaſimir oder zu den Schweden?“
„Es wird uns allen fein Hehl daraus gemacht, daß unfer
Fürſt bemüht ijt, eine Teilung der Nepublif herbeizuführen,
um Litauen für jich als jouveränes Fürftentum zu beanjpruchen!“
Er hielt plöglich inne; e8 war, als ob er dem Gedanfen-
fluge Olenkas folge, denn er jeßte plößlich Hinzu:
„Ein ficheres Pläschen wird ſich für euch faum finden
lajien, denn die ganze Nepublif iſt von den Schweden offupiert.”
Dlenfa antwortete nicht auf diefe Bemerkung.
Ketling wartete noch ein wenig, ob jie vielleicht noch eine
Frage an ihn zu richten hatte, da fie aber in Gedanken ver-
junfen jchweigend verharrte, jchien e8 ihm geraten, das ‚Fräulein
nicht länger zu jtören. Er verneigte ich tief vor ihr, indem
er mit den Federn ſeines Hutes den Boden fegte, und wollte
hinausgehen, da hielt ihn Olenka zurüd:
„sch danfe euch, Herr Kavalier,“ fagte fie, ihm die Hand
reichend.
Der Offizier zog ſich rüchwärtsgehend nad) der Thür zurück.
Plötzlich errötete Dienfa leicht, zauderte noch einen Augen—
blid, dann frug jie jchnell:
„Kanntet ihr den Herrn . . . den Herrn Andreas
Kmiziz? ...“
470
„ob ih ihn kannte! ... Er war in Kiejdan ... Als
wir aus Podlachien hierher zogen, jah ich ihn zum lettenmal
in Pilwiſchki.“
„Dit es wahr?... Hat der Fürft die Wahrheit ge-
jprochen, als er jagte, daß Herr Kmiziz jich erboten hat, ihm
den König auszuliefern ?“
„Das weiß ich nicht, Herrin... Ich weiß nur, daß der
Fürſt in Pilwifchkt eine lange Unterredung mit ihm hatte, und
daß beide zufammen in den Wald ritten, von wo fie jo lange
nicht zurückehrten, daß Paterfon dadurch beunruhigt, mich mit
einer Abteilung Reiter ausjchiete, den Fürften zu juchen. Wir
fanden ihm jchon auf dem Rückwege. Sch bemerfte, daß der
Fürſt jehr alteriert war, als hätte er eine gewaltige Aufregung
durchgemacht. Herr Kmiziz war nicht mehr bei ihm. Er führte
damals Selbitgejpräche, was jonjt nie jeine Gewohnheit ilt.
Sch hörte, wie er einmal laut jagte: ‚Er muß den Teufel im
Leibe haben! ... Weiter weiß ich nichts... Später aber,
al3 der Fürſt erzählte, da Herr Kmiziz jich erboten, ihm den
König auszuliefern, da dachte ich mir: wenn das wahr iſt
und der Fürſt nicht Lügt, jo fann es nur an jenem Tage
gejchehen jein.“
Das Fräulein Billewitjch preßte die Lippen aufeinander.
„Ich danke!“ fagte fie kurz.
Im nächiten Augenblid war jie allein.
Bon da ab bejchäftigte der Gedanke an ‚Flucht fie unabläſſig.
Sie beſchloß, auf jeden Fall diejen jchändlichen Ort zu verlajien
und der Gewalt diejes verräteriichen Mannes zu entfliehen.
Wohin aber jollte fie fi) wenden? Die Städte und
Dörfer befanden jich in den Händen der Schweden, die Klöſter
waren zerjtört, die Schlöffer und Burgen der Erde gleich-
gemacht, das ganze Land wimmelte von Soldaten und was
noch jchlimmer, von MWeberläufern und Gefindel jeder Art.
Welches Los konnte ihrer warten, wenn fie fich hinauswagte?
Wer jollte jie begleiten, jchügen? Die Muhme Kulwiez, der
alte Ohm und ein paar Diener und Pienerinnen, das waren
alle; doch die waren nicht imjtande, Tod und VBerderben von
ihr und jich abzuwenden ... Bielleicht entjchloß fich Ketling,
vielleicht auch noch einige andere Soldaten, ihm zu liebe jie
zu begleiten. Aber Ketling liebte fie zu jehr; er machte gar
fein Hehl aus dieſer Liebe, er trug jie zu offen zur Schau,
als daß fie hätte wagen dürfen, eine Schuld der Dankbarkeit
auf fich zu laden, für die fein Preis zu hoch gewejen wäre.
471
Wie hätte fie endlich das Schiejal diejes Jünglings mit
dem ihrigen verknüpfen jollen, wie durfte jie nur daran denfen,
ihn, der faum den Knabenſchuhen entwachjen war, allen Ge—
fahren einer Flucht auszujegen, da jie ihm für eine jolche Auf-
opjerung doch nichts zu bieten hatte, als Freundſchaft. Was
jollte fie thun? Ueberall, wohin jie die Augen auch wenden
mochte, jah jie nichts wie Gefahr und Schande.
In ihrer Seelenpein nahm jie ihre Zuflucht zu heißem,
innigem Gebet; bejonders wiederholte fie oft ein Kleines Gebet,
welches jeiner Zeit der alte Hauptmann, ihr Großvater, in
Gefahr und Not zu beten pflegte und welches mit den Worten
begann:
„Als Herodes in Aegyptens Lande
Zornig wütet’, zu der Menfchheit Schande,
at der Herr, dich und das Sindlein zu bewahren,
Sicher euch geführt durch Trübfal und Gefahren.“
Während Dlenfa im Gebet verjunfen noch auf den Knieen
lag, hatte fich draußen ein heftiger Wirbelwind erhoben.
Das Rauſchen in den Baumfronen rüttelte fie aus ihrer
Berjunfenheit auf. Im ihrer Erinnerung tauchte plößlich die
Waldeinjamfeit, das Heideland auf, wo ſie die eriten Jahre
ihres Lebens zugebracht, und mit einemmale ward ihr klar,
daß dies der einzige Zufluchtsort jei, der ihr jicheren Schuß
bieten konnte.
Sie atmete erleichtert auf. Endlich hatte fie gefunden,
was jie grübelnd gejucht. Das war der rechte Ort. Im die
Sielonfa, in die Rogowoer Heide wollte fie fliehen. Dorthin
fam fein Feind, Fein räuberischer Schelm juchte dort Beute,
denn dort fonnten jelbjt die Köhler und Hirten tagelang in
der Irre umberlaufen, wenn jie die Wegezeichen nicht beachteten.
Ein Fremder, der die Wege nicht fannte, war rettungslos ver-
loren. Dort würde fie bei den Jägern, den Domajchewitjch
und den Kohlenbrennern, den Stajfanows den beiten Schuß
finden. Und follte feiner von ihnen daheim geblieben, follten
jie alle mit Herrn Wolodyjowsfi fortgezogen jein, jo fonnte fie
doch ungehindert durch die Heide weiterziehen, weit fort in ferne
Wojewodjchaften, um Ruhe und Frieden zu finden.
Auch der Gedanfe an Wolodyjowski ftirımte jie heiter.
Ihn hätte fie jegt brauchen fünnen; er wäre der rechte Beſchützer
für fie in Ddiejer trüben Zeit. Er war ein echter Soldat, der
es mit Kmiziz und Nadziwill wohl aufnehmen fonnte. Nun
fiel ihr auch ein, daß er es war, der ihr in jener Zeit, wo er
472
Kmiziz in Billewitjche gefangen genommen hatte, den Nat gegeben,
in der — von Bialowierſch Schutz zu ſuchen.
Und er hatte Recht! Die Sielonka- und Rogowo-Heide
lagen den Befigungen Radzimwills noch zu nahe. In der Gegend
von Bialowierjch aber jtand das Kriegsheer Sapiehas, welches
joeben erſt den jchredlichiten der Radziwills vom Erdboden
vertilgt hatte.
Alſo auf nach Bialowierjch! Je eher, je lieber! Heute,
morgen! Sobald der Schwertträger von Reußen zurüdgefehrt
jein würde, wollte jie die heimliche Abreife nicht länger
aufjchieben!
Die dunklen Wälder von Bialowierfch würden ihr Schuß
bieten, bis der Kriegsſturm vorübergeraufcht war, dann ins
Klojter! Dort allein iſt Friede, wahres Glüd, Vergeſſen und
Heilung für alle Wunden, die Liebe, Haß und Verachtung
geichlagen . .
2. Rapitet,
Einige Tage darauf fehrte der Herr Schwertträger von
Reußen von jeinem Ausfluge zurüd. Obgleich er mit einen
Geleitjchein vom Fürſten Boguslaw ausgejtattet war, hatte er
dennoch nur bis Roſchen vordringen fünnen. Nach Billewitjch
jelbjt zu gelangen, war unmöglich und auch zwecklos, denn der
Gutshof jamt dem Schlojje und das ganze Dorf waren ein
Raub der Flammen geworden an jenem Tage, wo der Probjt
Strajchewitich, ein Jejuit, an der Spige einer von ihm gebildeten
Schugtruppe eine Schlacht gegen den ſchwediſchen Kapitän Rojja
verloren hatte. Die Einwohner des Gutshofes und des Dorfes
waren zum Zeil in die Wälder geflüchtet, zum Teil hatten jie
jih) den aufjtändischen WBarteien angejchlojien. An Stelle
des wohlhabenden Ortes war nichts mehr zu jehen, als Erde
und Wajler.
Dazu wurden die Wege durch allerhand NRaubgejindel,
d. 5. durch Dejerteure und Ueberläufer aus den verjchiedenen
Heerlagern unficher gemacht. Sie trieben jich jo zahlreich in
größeren Haufen auf allen Landitraßen umher, daß fie fich
nicht entblödeten, jogar größere Truppenfommandos3 anzugreifen.
Auf diefe Weife war es ihm nicht einmal gelungen, jich zu
überzeugen, ob die Tonnen mit dem Silberzeug und dem Bar-
Be der Familie, welche er im Garten vergraben, noch un—
erührt geblieben, oder von den ‘Feinden geraubt waren. Der
Herr Schwertträger war aljo jehr befümmert nac) Tauroggen
zurücgefehrt und eine fürchterliche Wut gegen Die Verwütter
des Vaterlandes erfüllte jeine Brut.
474
Nun hatte er faum den Fuß vom Wagen gejet, da z0g
Olenka ihn auch jchon in ihre Kemenate und erzählte ihın alles,
was jie von Stetling erfahren hatte.
Der alte Edelmann, kinderlos wie er war, liebte Dlenfa
wie eine eigene Tochter. Er bebte vor Zorn, jchnappte eine
Weile nac) Luft, während er fich auf den Griff jeines Säbels
jtügte und vor fich hin murmelte. Endlich fuhr er jich mit der
Hand an die Stirn und jprad):
„Sclage zu, wer Tugend hat! Mea culpa, mea maxima
culpa! Sch jelbit war ja verblendet, ich jelbit glaubte zuweilen,
dal dieſer Satan wirklich jo verliebt in dich it, daß er Dich
ehelichen wird. Diejer und jener bejtärfte mich darin; man
wies mich auf unjere Berwandtjchaft mit den Goſiewskis und
die Tyſenhaus hin. Ich begann mich jtolz in dem Gedanken
zu jonnen, daß wir auch mit den Nadziwills verwandt werden
fünnten. Für diejen Stolz jtraft mich Gott jeßt ... Das
it freilich eine SER Verwandtichaft, die der Verräter uns
zugedacht hat! ... Er wollte ſich mit ung vergevattern wie
der Stammbulle vom Edelhof mit der Kalbe vom Dorfe! .
Daß dich der Tod hole! Aber warte! her joll dieſe Hand
und dieſer Säbel vermodern, ehe... .“
„Bir müſſen auf Rettung finnen,“ unterbrach ihn Olenka.
Und gleich begann fie ihm ihren Fluchtplan zu erklären.
Der Herr Schwertträger hörte ihr aufmerfjam zu, und
nachdem er ich ein wenig von feiner Aufregung erholt hatte,
jagte er:
„Sch will Lieber meine Unterthanen jammeln, eine eigene
Iruppenabteilung bilden und mit Diefer die Schweden be=
unruhigen wie andere es thun und wie Kmiziz mit Chomwansfi
gethan. Du wirft in den Wäldern ficherer jein, als hier am
Hofe dieſes Fürjten.“
„But!“ antwortete das Fräulein.
„sc Habe nicht nur nichts gegen dieſen Fluchtplan ein=
zuwenden,“ jagte er begeiitert, „jondern ich bin auch dafür, dab
er jobald als möglich zur Ausführung gelangt. Um meine
Unterthanen iſt mir nicht bange; auch an Senjen wird es nicht
fehlen. Haben fie mir die Nefidenz verbrannt, jei eg drum!...
Sch werde in anderen Dörfern Bauern werben... Alle
unjere Verwandten, die jchon in das Feld gezogen find, werden
zu ung jtehen. Warte nur, Herrchen, wir wollen dir jchon
unjere Verwandtjchaft eintränfen ... . wir wollen zeigen, was
e8 heißt, der Ehre einer Billewitich nachzuſtellen ... Biit
475
du auch ein Radziwill! Das macht nichts aus! Haben die
Billewitjch auch feinen Hetman aufzuweiien, jo giebt es auch
feine Verräter in ihrem Gejchlecht! . . . Wir werden jehen,
auf wejlen Seite ganz Smudz jich jtellen wird! . . .“
Dann wandte er ſich an Dlentfa:
„sch will dich nach Bialowierſch bringen und dann hierher
zurückehren! So joll es gejchehen! Er joll mir dieſe Be—
leidigung büßen, denn was er thut, beleidigt nicht nur ung,
jondern den gejamten Adel. Wer das nicht einfieht, oder nicht
mit und hält, der ijt ein Infamer! Gott wird helfen, Die
Brüder werden helfen, der Kleinadel auch, dann ziehen wir mit
Feuer und Schwert gegen ihn los. Die Billewitich nehmen es
noch mit den Nadziwilld auf. Wir werden die ganze Nepublik,
den König, und den Reichstag für uns haben.
Der alte Herr jchlug bei diefen Worten mit der Fauſt
auf den Tiſch; jein Antlit war rot vor Erregung, jein Haar
fträubte fih. Seine Aufregung steigerte jich von Minute zu
Minute, jo daß Olenka verfuchte, ihn zu beruhigen. Er hatte
alles jchweigend mit angejehen, das Elend der Nepublif, den
Niedergang des Baterlandes, nun aber, da das Gejchlecht der
Billewitſch in Olenka beleidigt war, erblicdte er in diejer That—
jache den Untergang Bolens und brüllte wie ein Löwe um
Rache.
Endlich gelang es dem Fräulein, welches einen großen
Einfluß auf ihn auszuüben vermochte, den Herrn Schwertträger
zu beruhigen. Sie verſuchte ihm klar zu machen, daß es durch—
aus notwendig ſei, die Angelegenheit ſo geheimnisvoll als möglich
zu betreiben, um den Fürſten nichts von ihrem Vorhaben merken
zu laſſen, ſollte die Flucht gelingen. Er mußte ihr feſt ver—
ſprechen, nichts ohne ihr Wiſſen zu unternehmen, und nur das
zu thun, was ſie anordnen werde. Dann berieten ſie gemein—
ſchaftlich die Flucht. Es ſchien ihnen gar nicht ſchwer, ihren
Plan durchzuführen, da man ſie anſcheinend nicht bewachte.
Herr Billewitſch beſchloß daher, einen Boten mit Briefen an
die Oekonomen auf ſeinen Gütern abzuſenden, mit dem Auf—
trage, die Bauern aller Dörfer aufzubieten, ebenſolche Auf—
forderungen erließ er an alle, die mit den Billewitſch verwandt
und verſchwägert waren.
Das Nächſte, was zu thun blieb, war die Ausfertigung
von ſechs Vertrauensmännern nach dem Stammgute Billewitſche.
Sie ſollten dort die Fäſſer mit dem Silbergerät und dem Gelde
ausgraben, dieſelben nebſt Nahrungsmitteln, Gepäck und Pferden
476
in die Wälder von Girlafol bringen und dort die Herrjchaft
erwarten.
Sie jelbjt wollten zu geeigneter Zeit mit zwei Bediensteten
im Schlitten von Tauroggen nad) dem nahen Gawna fahren,
dort Neitpferde bejteigen und eiligjt dDavonreiten. Nach Gawna
fuhren jie öfters, um das Ehepaar Kutſchukow-Olbrotowski zu
bejuchen. Sie blieben zuweilen über die Nacht dort, durften aljo
hoffen, daß ihre Abreife nicht bemerkt und eine Verfolgung erit
nach Ablauf mehrerer Tage veranstaltet werden würde, wenn
fie bereit3 in der Tiefe der Wälder bei ihren Leuten angelangt
waren. Die Abwejenheit des Fürſten befeitigte fie in dieſer
Hoffnung.
Herr Thomas bejchäftigte jich bald eifrig mit den Vor—
bereitungen. Zwei Tage nachher ritt der Bote mit den Briefen
davon. Am dritten Tage begann der Herr Schwertträger eine jich
jehr in die Länge dehnende Unterhaltung mit Baterjon. Er
erzählte ihm von jeinen vergrabenen Schägen und von der
Notwendigkeit, jie von Billewitjche nad) dem jicheren Tauroggen
überzuführen, da der Wert derjelben die Hunderttaujend Gulden
weit überjteige. Paterſon jchenkte den Worten des alten Herrn
gern Glauben, da derjelbe allgemein für jehr reich galt.
„Laßt fie nur recht bald herbringen,“ jagte der Schotte.
„Wenn es nötig jein ſollte, will ich gern eine Esforte mitgeben.“
Herr Billewitich dankte für die Bereitwilligfeit.
„Je weniger Menjchen darum wijjen, deito beſſer iſt es,“
jagte er. „Meine Diener find treu; fie werden die Fäßchen
unter Stocdholz auf den Wagen verbergen, welches von uns in
großen Mengen nach Preußen geliefert wird, oder noch befjer,
unter und zwijchen Schindelbündel, nad) welchen Niemand ge-
lüften wird, oder unter Hanf.“
„Die Schindeln jind bejjer,“ riet Baterjon, „denn der Hanf
it leicht mit Lanzen zu durchitechen oder mit dem Säbel zu
durchhauen. Man könnte leicht entdeden, daß etwas darunter
verborgen liegt. ch weiß auch, daß man hier nötig Geld braucht,
denn die Zinjen und Außenſtände gehen jchlecht ein.“
„Sch möchte dem Fürjten gern meine Schäge anbieten,
damit er nicht in Berlegenheit gerät,“ verjegte der Edelmann.
Damit war die Unterredung beendet. Alles jchien nad)
Wunjch zu gehen, die Diener des Herrn Schwertträgers reijten
bald darauf ab, er jelbjt wollte mit Olenka am nächiten QTage
jeine Bejuchsreije antreten.
Da traf ganz unerwartet gegen Abend Fürſt Boguslam
477
mit zwei Negimentern preußifcher Reiter ein. Seine Angelegen-
heiten mußten feinen günjtigen Verlauf genommen haben, denn
er jah zornig und vergrämt aus,
Noch an demjelben Tage berief er den Kriegsrat ein,
welcher aus dem Bevollmächtigten des Kurfüriten, dem Grafen
Seydewig, Paterſon, Sakowitſch und dem Reiterhauptmann
Kyrig zujammengejegt war. Die Beratungen dauerten bis gegen
drei Uhr morgens und Hatten zum Gegenjtand den Feldzug
gegen Sapieha.
„Der Kurfürjt und der König von Schweden haben mich mit
Streitkräften wohlverjehen,“ fagte der Fürſt. „Eines von beiden
fann nur jtattfinden: — entweder finden wir den Sapieha
noch in Bodlachien; in diefem Falle werden wir ihn jamt feiner
Armee vernichten — oder er ijt nicht mehr dort; dann nehmen
wir Podlachien ohne Widerjtand. Zu Beiden gehört aber Geld
und das hat mir weder der Kurfürjt noch der König von Schweden
gegeben, denn fie haben jelbjt Feines.“
„Bo, bei wem jollte man wohl Geld juchen, wenn nicht
bei Ew. Durchlaucht,“ verjegte Graf Seydewitz. „Man fpricht
in der ganzen Welt von den unerjchöpflichen Neichtümern der
Radziwills.“
„Herr Graf!“ erwiderte Boguslaw darauf, „wenn ich ein—
bekommen könnte, was mir aus meinen anererbten Gütern zu—
kommt, ſo hätte ich gewiß mehr Geld, als fünf deutſche Fürſten
zuſammengenommen. Aber der Krieg hat das Land verwüſtet,
die Pachtzinſe gehen nicht ein, denn ſie werden meiſt von den
Rebellen abgefangen. Man könnte wohl gegen Schuld—
verſchreibungen von den preußiſchen Städten Gelder requirieren,
aber ihr wißt ja am beſten, wie es gegenwärtig dort zugeht.
Sie würden allenfalls nur für Johann Kaſimir allein ihre
Säckel öffnen.“
„Und wie ſteht es mit Königsberg?“
„Was dort zu nehmen war, das habe ich mitgenommen,
aber es war wenig genug.“
„Ich ſchätze mich ſehr glücklich, daß ich Ew. Durchlaucht
mit einem guten Rate dienen kann,“ ſagte Paterſon.
„Bares Geld wäre mir lieber, als ein guter Rat,“ verſetzte
der Fürſt.
„Doch, mein Nat iſt Goldes wert. Erſt geſtern Abend
erzählte mir Herr Billewitſch, daß er bedeutende Summen im
Garten in Billewitſche vergraben hat, die er ſoeben im Begriff
478
Iteht, hierher in Sicherheit zu bringen, um fie Ew. Durdjlaucht
zur Verfügung zu jtellen.“
„oO, das fommt mir wie vom Himmel gefallen,“ vief
Boguslaw. „Ob die Summe groß jein mag?“
„Ueber Hunderttaujend Gulden, ungerechnet das Silberzeug
und die Stleinodien, die fait eben jo viel wert find.“
„Silber und Ktleinodien fett der Edelmann nicht gern im
bares Geld um, man fünnte ſie höchitens verjegen. Sch danke
euch, Baterjon, ihr kamt zur rechten Zeit. Ich werde gleic)
morgen mit Billewitjch jprechen.“
„Dann will ich ihn noch heute veritändigen, denn er
beabjichtigt morgen einen Bejuch in Gawna bei den Herrjchaften
Kutſchukow-Olbrotowski zu machen.“
„Benachrichtige ihn; er darf nicht abreifen, bevor ic) ihn
gejprochen,“ befahl Boguslaw.
„Die Diener ſind jchon fortgejchict, ich bin nur in Sorge,
daß fie auch ficher hier anlangen.“
„Man fönnte ihnen ein ganzes Regiment nachichiden.
Doc) darüber jprechen wir noch. O, das fommt zur rechten
Zeit! Das Spahhafte an der Sache aber it, daß ich Pod—
lachien mit dem Gelde diejes Fünigstreuen Edelmannes erobern
werde.”
Indem er das jagte, verabjchiedete der Fürst den Kriegsrat,
denn er mußte ſich vor dem YZubettgehen noch den Händen
feiner Kammerdiener anvertrauen, deren Aufgabe es war, ihn
allabendlich mit einem Bade zu erqguiden und jeine außer:
ordentliche Schönheit durch Einreibungen mit verjchiedenen
Salben und Mirturen zu erhalten, was immer eine bis zwei
Stunden Zeit beanſpruchte. Heute war der Fürſt überdies
müde vom Wege und der langen Situng.
Am nächſten Morgen hielt Paterſon den Herrn Billewitſch
und Dienfa von der Abreije zurüd, indem er ihnen meldete,
daß der Fürſt fie zuvor zu fprechen wünſche. Die Abreije
mußte Daher aufgejchoben werden, jie machten ſich aber feine
weiteren Gedanken darüber, da Baterfon ihnen gejagt Hatte,
um was e3 jich handelte.
Eine Stunde jpäter erjchten der Fürſt. Obgleich Olenka
und Herr Thomas jich Heilig gelobt Hatten, ihn jo freundlich
wie ehedem zu empfangen, jo brachten fie es doc) troß aller
Anjtrengung nicht fertig.
Sie wechjelte Die Farbe, als fie den jungen Fürſten ein=
treten jah, während Herr Thomas rot bis Hinter die Ohren
479
wurde. Wider Willen wurden beide verlegen, jie bemühten ich,
vergeblich ihre Faſſung zu bewahren.
Der Fürſt dagegen war vollfommen heiter, nur jein
Seficht Hatte etwas weniger frijche Farbe, um die Augen
zogen fich bläuliche Ränder, aber gerade diejes leidende Aus-
jehen kleidete ihn vortrefflihh und Harmonierte gut mit dem
perlenfarbenen, jilberdurchwirkten Morgengewande. Er bemerkte
jogleich, daß man ihm anders empfing als gewöhnlich und
dachte jich, daß diefe beiden während jeiner Abwejenheit erfahren
haben mußten, in wie freundjchaftlichem Verhältnis er zu den
Schweden jtand. Nur jo fonnte er jich den fühlen Empfang,
der ihm wurde, erklären.
Boguslaw bejchloß, ihnen ſogleich Sand in die Augen zu
jtreuen; er begann nach den gewöhnlichen Phrajen und Kom—
plimenten ſogleich:
„Herr Schwertträger, mein lieber Wohlthäter, ihr werdet
jicherlich jchon erfahren haben, welches Unglück mic), betroffen
hat . . .“
„Ew. Durchlaucht meinen den Tod des Fürſt Wojewoden?“
entgegnete Herr Billewitſch.
„Nicht das allein. Der Tod meines Verwandten iſt ein
harter Schickſalsſchlag, doch habe ich mich dem Willen Gottes
ergeben, der, wie ich feſt glaube, meinem Vetter im Himmel
alles das Unrecht vergelten wird, welches ihm die Menſchen zu—
gefügt haben. Mir aber iſt eine neue drückende Laſt auferlegt
worden, denn ich bin gezwungen, einen Bruderkrieg zu führen,
was für einen Staatsbürger, der ſein Vaterland liebt, ein ent—
jegliches Unglüd iſt . ..“
Der Herr Schwertträger antwortete nicht auf dieſe Aus—
einanderſetzung.
Der Fürſt fuhr fort:
„Mit großer Mühe, vieler Anſtrengung, und Gott allein
weiß, mit was für großen Geldopfern ich endlich den Frieden
zuſtande gebracht hatte. Die Traktate waren ausgefertigt;
e3 bedurfte nur noch der Unterjchriften. Die Schweden jollten
Polen räumen, ohne eine Kriegskontribution zu beanfpruchen,
außer, daß der König und die Stände Polens ihre Einwilligung
dazu geben follten, daß nach dem Tode Johann Kaſimirs,
Karolus von Schweden zum Könige von Polen gewählt wird.
Ein jo mächtiger und grober Kriegsheld wäre für unjere
Nepublif eine Erlöfung. Noch mehr, er follte uns jogleich ein
Heer zurüclafjen zur endlichen Beendigung des Bürgerfrieges
480
in der Ufraine und mit Moskau; wir hätten unjere Grenzen
erweitern fünnen, aber das paßte dem Herren Sapieha nicht,
denn er hätte dann jeine eingebildete Nache gegen die Radzi—
will aufgeben müſſen. Alle anderen Heerführer waren ein-
verjtanden, er allein widerjegt jich mit den Waffen in der Hand.
Ihm gehen jeine Privatintereffen über das Wohl des Vater—
landes. Er hat es jo weit getrieben, daß man bejchlojjen hat,
ihn mit Gewalt zum Einverjtändnis mit den anderen zu zwingen.
Im heimlichen Auftrage Johann Kaſimirs und Karolus foll
ich dieje Funktion übernehmen. Was fann ich anderes thun,
als gehorchen. Ich Habe mich niemals irgend einem Dienit
entzogen, muß mich auch jet den höheren he fügen,
obgleich manch einer mich faljch beurteilen und denken wird,
daß ich den Bruderfrieg nur zur Befriedigung meiner Rache
beginne.“
„Wer Ew. Durchlaucht jo gut fennt, wie wir, den wird
der Schein nicht irre führen, der wird immer die edlen Beweg—
ründe Ew. Durchlaucht Handlungen verjtehen,“ verſetzte Herr
Pillervitich
Er fonnte jich jedoch nicht enthalten, bei diefen Worten,
entzüct von der eigenen Schlauheit, jo ungeſchickt dem Fräulein
zuzublinzeln, daß dieje heftig erjchraf, weil fie fürchtete, der Fürjt
fünnte es gejehen haben.
Und er hatte es gejehen.
„Sie glauben mir nicht,“ Dachte er.
Doc) ließ er nichts von dem Zorn merfen, der ihn bei
dDiefer Wahrnehmung gepadt hatte; er betrachtete e8 als eine
perjönliche Beleidigung, nicht zu glauben, was ein Radziwill
fagte, jelbjt dann, wenn es diejem gefiel, zu jimulieren.
„Paterſon erzählte mir,“ fuhr er nad) kurzer Pauſe fort, „daß
Emw. Liebden mir euer Barvermögen zur Berfügung jtellen
wollt. ch nehme diejeg Anerbieten gern an, denn offen ge-
Itanden, fommt es mir gerade jet jehr gelegen. Wenn der
Friede gejchlojjen jein wird, könnt ihr entweder die Summe
urüderhalten, oder ich verpfände euch ein paar meiner Güter.
Sedenfalls jollt ihr eher einen Nuten, als einen Schaden
davon haben.“
Hier wendete fich der Fürſt zu dem Fräulein:
„Berzeiht, mein Fräulein,” fagte er artig, „daß ich in
Gegenwart eines jo vollflommenen Gejchöpfes nicht von idealen
Dingen jpreche. Es ijt nicht recht, daß ich euch mit jo trivialen
Sachen behellige, die Friegerifchen Zeiten erlauben aber nicht,
481
meiner Verehrung für euch jo Ausdruck zu geben, wie es fich
gebührt.“
Olenka jchlug die Augen nieder, faßte mit den Fingerſpitzen
ihr Kleid und machte einen tiefen Hoffnir; eine andere Antwort
vermochte ſie micht zu geben.
Unterdejien hatte Herr Billewitjch fi) in der Eile einen
Plan zurechtgelegt, der unglaublich plump war, ihm jelbit aber
außerordentlich liſtig erſchien.
„Ich werde mit dem Mädchen entfliehen und ihm das Geld
nicht borgen,“ dachte er.
Er räuſperte ſich und nachdem er einigemale mit der
Hand über den Scheitel gefahren war, begann er:
„Es wird mir angenehm ſein, Ew. Durchlaucht dienen zu
können. Ich habe Paterſon noch nicht von allem unterrichtet;
es befindet ſich in meinem Garten noch ein Tönnchen mit roten
Goldgulden beſonders vergraben, damit nicht ein böſer Zufall
mich meines ganzen Vermögens beraubt. Außerdem haben ver—
ſchiedene Verwandte ebenfalls ihr Vermögen in Tonnen in
meinem Garten vergraben, das geſchah während meiner Ab—
weſenheit unter der Leitung dieſes Fräuleins hier. Sie allein
kennt den Platz und nur ſie kann ihn wiederfinden, denn der
Mann, welcher ihr beim Vergraben der Schätze geholfen hat,
iſt geſtorben. Mit der Erlaubnis Ew. Durchlaucht würden wir
beide die verborgenen Schätze holen.“
Boguslaw blickte den alten Herrn durchdringend an.
„Wie?“ ſprach er. „Paterſon hat mir doch geſagt, daß
ihr eure Diener ſchon darnach ausgeſchickt habt, und wenn das
wahr iſt, dann müſſen ſie doch wiſſen, wo die Tonnen ver—
graben ſind.“
„sa, die meinigen. Von den anderen kennt Olenka allein
den Platz.“
„Sie müfjen dod) aber an einer näher zu bezeichnenden Stelle
liegen, welche mündlich oder durch eine Zeichnung auf dem
Papiere bejchrieben werden kann.“
„Worte find in den Wind gejprochen,“ antivortete der
Schwertträger, „und Zeichnungen veriteht feiner der Diener zu
entziffern. Wir werden jie jelbit holen! Baſta!“
„Mein Gott! hr müht in euren Gärten Doc) jeden
(ef Erde fennen, jo fahrt doch allein. Wozu joll Fräulein
lerandra mitfahren?“
„Allein fahre ich nicht!“ entgegnete Herr Billewitjch
energiſch.
Sienkiewicz, Sturmflut II. 81
482
Boguslaw fchien den alten Herrn mit jeinen Bliden durch-
bohren zu wollen. Er fette fich bequem zurecht und jchlug
mit dem Rohrſtöckchen, das er in der Hand hielt, an den
Stiefeljchaft.
„Muß es durchaus jein?“ frug er. „Gut! Aber in diefem
Falle werde ich euch zwei Neiterregimenter als Eskorte mit-
eben.“
B „Wir bedürfen feiner Eskorte. Wir werden allein fort-
reifen und allein wiederfehren. Wir fommen in unjere Heimat,
dort droht uns fein Unheil.“
„Als aufmerkjamer Wirt, der verpflichtet ijt, für das Wohl
feiner Gäjte zu forgen, werde ich niemals zugeben, daß Fräulein
Alerandra ſchutzlos durch das Land reift. Ihr habt zu wählen:
entweder reijt ihr allein, oder — ihr reilt beide unter
Eskorte.“
Der Herr Schwertträger merkte endlich, daß er erraten
und in jeinem eigenen Nee gefangen je. Das verjegte ihn
in jo heftigen Born, daß er, alle Vorſicht vergejjend, außrief:
„So ſtelle ich Ew. Durdjlaucht ebenfall® vor die Wahl:
entiveder wir reifen beide ohne Esforte — oder — ich gebe
fein Geld!“
Fräulein Alerandra blickte ihn flehend an. Doch der Zorn
war zu gewaltig in ihm geworden. Bon Natur jchüchtern und
geneigt, alle Streitigkeiten in Güte beizulegen, fonnte er ſich
nicht mehr mäßigen, wenn er einmal wirklich zornig gemacht
war, was jedesmal gejchah, wenn er die Ehre der Billewitjch
angegriffen glaubte. Dann wurde er ganz desperat, dann trat
er fühn dem mächtigiten Feinde entgegen.
So jtemmte er auc) jet feinen linfen Arm in die Seite,
und während er mit der echten auf den Säbelgriff fchlug,
fchrie er aus vollem Halfe:
„Sind wir denn Gefangene? Will man denn einem
freien Bürger Feſſeln anlegen, angeerbte Rechte mit Füßen
treten ?“
Boguslaw Iehnte feinen Rüden feiter an die Lehne jeines
Stuhles. Er betrachtete ohne ein Zeichen der Erregung den
alten Herrn aufmerkfjam; nur jein Blid wurde von Minute zu
Minute fühler und das Nohr in feiner Hand flog haltiger auf
und nieder. Hätte der Herr Schwertträger den Sürften beſſer
gekannt, ſo hätte er gewußt, daß er in dieſem Augenblick eine
große Gefahr auf ſein Haupt heraufbeſchwor.
483
Mer in irgend einer perjönlichen Beziehung zu Boguslaw
jtand, befand jich immer in einer bedrohlichen Xage, denn man
wußte nie, wann und wo bei ihm der wilde ungezügelte Stolz
des Magnaten, der graujfame morgenländijche Despotismus des
berzlojen Egoijten die Herrichaft über den feinen Hofmann und
Diplomaten antrat. Unter den Blüten einer glänzenden Er—
ziehung, einer glatten Cleganz, die er ſich im Verkehr mit den
Perſonen der verjchiedenen Höfe Europas angeeignet, einer
Ueberlegenheit des Geijtes durch Erfahrung gewonnen, barg
fic) das wilde, zügellofe Temperament des raubgierigen Tieres.
Doc) der Herr Schwertträger wußte nichts davon, deshalb
fuhr er in blindem Zorn fort:
„Ew. Durchlaucht jollten ſich nicht länger verjtellen, man
hat euch erfannt! .„.. Merft, daß weder der Slönig von
Schweden, dem ihr eure Dienjte weiht, noch eure jonjtigen
fchönen Eigenjchaften, noch eure Fürjtenfrone euch vor dem
Richterfpruch des Obertribunal8 zu jchügen vermögen. Die
Säbel der Adligen werden euch mores lehren — ihr Grün—
jchnabel!“
Da jtand Boguslaw auf. Das Rohr frachte unter dem
Drude jeiner eijernen Hand, zerjplittert fiel e8 zu den Füßen
des Schwertträgers nieder, während der Fürſt ziichend rief:
„Da! So viel find mir eure Nechte, eure Tribunale wert!“
„Sewalt! Fürchterliche Gewalt!“ jchrie Herr Billewitjch.
„Schweigt, ihr adliges Männchen!“ knirſchte der Fürſt,
„jonjt zermalme ich euch zu Staub!“
Er ſchritt auf ihn zu und wollte den Erjchrodenen an der
Bruft paden, um ihn an die Wand zu prejien. Doc) ehe er
ihn noch erreicht Hatte, jtand Dlenfa zwijchen ihnen.
„Bas wollt ihr thun, Durchlaucht?* jagte jie.
Der Fürſt jtußte.
Sie jtand vor ihm wie die zürnende Minerva; ihr Geficht
war von der Erregung gerötet, die Najenflügel weit aufgebläht,
ihr Bujen wogte und die Augen jprühten euer. Sie war jo
Ihön in ihrem Zorn, dab Boguslam jie anjtarrte wie ein
Wunderbild. Er fonnte fich von ihrem Anblick nicht losreißen
und während er fie mit den Bliden zu verjchlingen jchien,
malte jich in feinen Zügen die ganze Begehrlichkeit jeiner un—
reinen Seele.
Nach einer Weile raffte er ſich auf; der Born war ver-
raujcht, er fam zur Befinnung. Dann jah er noch lange in
31*
484
das Antlitz des Mädchens, während jeine Züge ſich allmählich
glätteten, endlich ſenkte er bejchämt den Kopf und bat:
„Verzeihung, du Engelsmädchen! .... Meine Seele
ift voll Gram und Schmerz... . ic weiß nicht mehr, was
ich thue.“
Nachdem er das gejagt, ging er hinaus.
Dienfa rang die Hände und der Schwertträger, der end-
(ich zum Bewußtjein feiner verkehrten Handlungsweije gefommen
war, raufte fich die Haare und rief:
„Sch Habe alles verdorben, ich bin die Urſache deines
Berderbens!“
Der Fürjt ließ fich den ganzen Tag nicht bliden. Er
jpeifte jogar in jeinem Gemach allein mit Safowitih. Bis in
die tiefite Tiefe jeiner Seele erregt, vermochte er nicht jo Far
zu denfen, wie ſonſt. Iede Fiber feines Herzens, jeder Nerv
an ihm bebte. Diejer Zuftand war der Vorbote des jchweren
Fiebers, welches ihn bald darauf jo mächtig befiel, daß während
der Anfälle der ganze Körper jteif wurde, jo daß man ihn
durch Neiben wieder fügſam machen mußte. Er jchrieb aber
denjelben der außerordentlichen Macht der Liebe zu und behauptete,
fterben zu müfjen, wenn jie nicht Erwiderung fand.
Nachdem er jeinem Vertrauten den ganzen Verlauf der
Unterredung erzählt hatte, jegte er hinzu:
„Die Hände und Füße brennen mir, während es falt
über meinen Rüden läuft. Die Lippen find heiß und im
Munde Habe ich einen bitteren Gejchmad ... Bei allen
gehörnten Teufeln, was fann das jein?... So etwas ijt mir
noch nicht vorgefommen! . . .“
„Ihr feid mit Sfrupeln gefüllt, wie der gebratene Kapaun
mit Grüße... O, Durchlaucht! Durchlaucht!* lachte Sakowitſch.
„Du biſt dumm!“
„Auch gut!“
„Sch brauche deine Konzepte nicht!“
„Nehmt die Laute, Durchlaucht, geht unter das Fenſter
des Mädchens und jpielt; vielleicht . . zeigt euch der Schwert-
träger eine Fauſt ... Pfui! Zum Kudud, Durchlaucht!
Seit wann iſt Boguslaw Nadziwill ein jo unentjchlojfener
Mann?“
„Du bit ein Narr!“
„But! Sch merke, day Ew. Durchlaucht Selbitgejpräche
führt und ich jelbit die Wahrheit jagt. Immer tapfer! Tapfer!
Und ohne NRücjicht auf Nang und Würde!“
485
„Merfe dir, Safowitijh! Wenn mein Kaftor zu vertrau-
[ich zu mir wird, dann gebe ich ihm einige Fußtritte zwiſchen
die Rippen. Es könnte jein, daß dic etwas Schlimmeres
trifft.“
j Sakowitſch jprang mit beiden Beinen zugleich auf, Halb
zornig wie vor furzem der Schwertträger, und da er ein außer-
ordentliches Nachahmungstalent beſaß, begann er mit einer dem
Herrn Billewitich jo Ähnlichen Stimme, dab ſie faum von
derjelben zu unterjcheiden war, zu jchreien:
„Sind wir denn Gefangene? Will man einen freien
Bürger fejleln, Kardinalrechte mit Füßen treten?“
„Laß das! Lak das!” jagte der Fürſt in fieberhafter Eile,
„Jenen dort hat jie durch ihre eigene Perſon bejchügt. Sie iſt
nicht Hier, um auch dich zu jchügen.“
„Wenn jie ihn gejchügt Hat, jo hättet ihr jie gleich für
euch nehmen follen! ... .“
„Ein heimlicher Zauber muß um fie jeinen Schuß weben
— id) wüßte font nicht, was mich hätte zurüdhalten fünnen;
jie muß mir etwas eingegeben haben, oder es ſteht mir in den
Sternen gejchrieben . .. ich verliere noch den Verſtand ...
Hätteft du fie gejehen, wie jie diejen reudigen Alten ver-
teidigte ... . Aber, du bit ja ein Narr! Es wirbelt mir im
Kopfe! Sieh’ Her, wie meine Hände brennen! Ein jolches
Mädchen lieben dürfen, fie an ſich ziehen, mit ihr... .“
„Rachtommenjchaft zeugen!“ jegte Sakowitſch hinzu.
„sa, ja! Als wühtejt du, was ich meine. Das muß ich
erreichen, jonjt zeriprengt mich die Flamme wie eine Granate.
Um Gotteswillen! Was geht mit mir vor... Sch muß fie
heiraten, oder ſonſt was — bei allen Teufeln der Hölle und
der Erde!“
Sakowitſch wurde ernit.
„Daran dürfen Ew. Durchlaucht nicht denfen!“
„Aber ich denfe daran; ich will und werde daran denfen
und jtände ein ganzes Regiment Safowitjche Hinter mir und
wiederholte mir in einemfort: ‚Daran dürfen Ew. Durchlaucht
nicht denfen!‘“
„Ei, ich jehe, das iſt Ernit!“
„Krank bin ich, verzaubert! E3 kann nichts anderes fein!“
„Warum folgen Durchlaucht nicht endlich) meinem Rate?“
„sch will ihm folgen! Die Belt über alle Träume, über
alle Billewitich, über ganz Litauen mit feinen Tribunalen und
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Sohann Kafimir dazu. Anders richte ich nicht? aus... Ich
ſehe das ein! . . Genug des Harrens! ... Wie? Eine große
Sache! Eine große Sache! Und ich Narr ſchwankte noch
immer. Sch fürchtete mich vor den Billewitich, dem Prozeß,
mic ängjtigte ein Traum, die Nachgier des Adels und das
Kriegsglüd Johann Kafimird. Sage mir doch, daß ich ein
Narr bin! Hörjt du, ich bejehle dir, es zu jagen!“
„Und ich werde mich hüten, zu gehorchen, denn ihr jeid
eben ein Nadziwill und fein Pfarrvifar. Doc, frank müßt ihr
fein, Durchlaucht, jo aufgeregt jah ich euch noch nie.“
„Es iſt wahr! Aha! Ich Scheuchte jonit mit einer Hand—
bewegung die jchweriten Sorgen fort, jet fühle ich mich von
ihnen gefejielt.“
„Seltſam,“ jagte Safowitih. „Wenn das Mädchen euch
wirklich einen Zaubertranf gereicht hat, jo fann es doch nicht
darum gejchehen fein, um nachher vor euch zu fliehen. Nach
dem aber, was Durchlaucht mir gejagt haben, hatten doc) beide
die Abficht, heimlich zu entfliehen.“
„Ryff ſagte mir, daß ich unter dem Einflufje des Saturnus
zu leiden habe, welchem in diefem Monat glühende Ausdünjtungen
entſtrömen.“
„Durchlaucht! Nehmt doch lieber den Jupiter zu eurem
Patron; dieſem glückte alles ohne beſondere Gelübde. Es kann
noch alles gut werden, nur denkt nicht an eine Ehe, höchſtens
eine Scheinehe ...“
Hier ſchlug Sakowitſch ſich plöglich vor die Stirn.
„Wartet einmal, Durchlaucht! ... Mir fällt eben ein...
Sch hörte in Preußen von einem ähnlichen Falle... .“
„Flüſtert der Teufel dir etwas ins Ohr? Sprich!“
Aber Herr Sakowitſch ſprach lange nicht; endlich hellte
jein Gejicht fich auf und er jagte:
„Danft eurem guten Stern, Durchlaucht, daß Sakowitſch
euer Freund ijt.‘
„Was giebt es neues? Was giebt es neues?“
„Zreibe feine Narreteien, ſprich jchnell!“
„sn Tilfit lebt ein gewiſſer Plasfa, oder wie er ſonſt
heißt, der war feiner Zeit Probſt in Nieworany.“
„Was geht mich das an? Langweile mich nicht.”
„Wohl geht es euch an, Durchlaucht! Der ift der Mann,
welcher euch umd das Fräulein zufammennähen wird, wie ein
Schujter dag Oberleder mit der Sohle. Berjteht ihr, Durch-
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faucht? Er iſt ein jchlechter Meijter, der feiner Innung an—
pebört, weil er jich verheiratet hat, deshalb wird feine Naht
eicht aufzutrennen jein. Die Innungsmeilter werden die Echt-
heit der Ehe nicht amerfennen; fie wird ohne Lärm, ohne
Gewaltſtreich zu löjen jein. Dem jchlechten Meiſter fann man
gelegentlich das Genid umdrehen. Ew. Durchlaucht aber werdet
euch offen in lauten Klagen ergehen, daß ihr betrogen worden
jeid. Vorher aber: erescite et multipli camini. Sch bin der
erite, der jeinen Segen giebt.“
„sch verjtehe und verjtehe auch nicht,“ jagte der Fürſt.
„Zum Teufel, nun verjtehe ich erit ganz! Safowitih! Du
mußt jchon mit Zähnen auf die Welt gefommen fein. Du bijt
dem — verfallen! O, Herr Staroſt! ... Aber jo lange
ich lebe, joll dir fein Haar gekrümmt werden und ein ans
ſtändiger Lohn foll dir nicht entgehen... Ich will... .“
„Ihr müßt feierlichit um die Hand des Fräulein Bille—
witjch anhalten; bei beiden, dem Schwertträger und bei ihr.
Sch laſſe meine Haut zu Riemen jchneiden, um Sandalen damit
an meinen Sohlen zu befejtigen und will gern zur Buße eine
Bilgerfahrt antreten nach . . . nun, jei e8 nach Nom, wenn
der Blan nicht gelingt. Dem NRadziwill tritt man zornig ent=
gegen, wenn es ihm beliebt, jich zu verlieben; wenn er aber jich
verehelichen will, dann braucht er feinem Edelmann das Sinn
zu jtreicheln. Durchlaucht müßt nur dem Schwertträger und
dem Fräulein jagen, daß vor der Hand die Ehe eine heimliche
bleiben muß, weil der König von Schweden euch mit einer
bipontischen Prinzeſſin verehelichen will. Uebrigens jtellt Be—
dingungen, welche und wie ihr fie wollt. Die Che wird doch
von der fatholischen, wie von der [utherifchen Kirche nicht an-
erfannt . . . Wie nun?“
Boguslaw verharrte eine Weile jchweigend; auf feinem
Geſicht erjchienen unter der Fieberröte dunkle Flecke. Zuletzt
ſprach er:
„Die Zeit drängt. In drei Tagen muß ich den Feldzug
gegen Sapieha antreten.“
„Eben darum!“ verjegte Sakowitſch jchnell. Hätten wir
mehr Zeit, jo wäre e8 unmöglich, den Schein zu wahren. Sit
es nicht jo? Nur der Mangel an Zeit fann der Grund fein,
warum der erjte beite Geiftliche geholt werden muß, nur Mangel
an Zeit fann entjchuldigen, daß alles jo eilig geht, wie es in
wichtigen Fällen zu gehen pflegt. Sie werden jelbjt denfen: „Nur
schnell, weil e3 jchnell jein muß!” Das Mädchen hat ritterliche
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Tugenden, deshalb fünnt ihr, Durchlaucht, fie mit in das Feld
nehmen... Mein König, jelbjt wenn Sapieha euch fchlägt,
bleibt ihr doch zur Hälfte Sieger.“
„But, gut!“ jagte der Fürſt.
Aber in dieſem Augenblick padte ihn der erjte heftige
Scüttelfrojt. Die Zähne fchlugen ihm aufeinander, er fonnte
fein Wort mehr hervorbringen. Der Störper wurde fteif und
flog hin ımd her, vom Krampfe geworfen. Doch ehe der er-
jchrodene Sakowitſch noch mit dem jchnell herbeigeholten Medikus
zurüdfommen fonnte, war der Anfall jchon vorüber.
3. Rapitet,
Am Tage nach der Unterredung mit Safowitjch begab
jich der Zürft direft zu dem Herrn Schwertträger von Reußen.
„Herr Schwertträger, mein Wohlthäter!“ jagte er gleich
beim Eintreten, „ich habe mich gejtern jchwer verjündigt, denn
ich bin als Gajtgeber heftig gegen den Gajt geworden. Meine
Schuld iſt um jo größer, da ich einen Mann beleidigt habe,
dejjen vornehmes Gejchleht mit den Radziwills jeit ewigen
Zeiten befreundet ijt. Sch flehe euch an, verzeiht mir. Möge
die Anerkennung meines Unrechts eine Genugthuung für euch,
eine Buße für mic) jein. Ihr fennt die Radziwills jeit langem
und wißt, dab fie zur Abbitte nicht leicht geneigt find; da ich
aber einen Aelteren beleidigt und die jchuldige Achtung verlegt
babe, komme ich, ohne Rückſicht darauf, wer ich bin, euch die
Hand zur Verföhnung zu bieten. Ich hoffe, daß ihr als alter
Freund unjeres Haujes Verzeihung gewährt.“
Indem er das jagte, jtredte er dem Schwertträger Die
Hand Hin und diejer ergriff Diejelbe, da jein größter Zorn auch
bereit3 verraucht var, wenn auch zögernd, indem er jprad):
„Gebt uns die Freiheit, zu gehen, Durchlaucht, das wäre
ung die bejte Genugthuung.“
„Ihr jeid frei und könnt jchon Heute gehen, wohin euch
beliebt.“
„Ich danke, Durchlaucht!“ erwiderte der Schwertträger
verwundert.
„Kur eine Bedinaung jtelle ich noch, die ihr, jo Gott will,
nicht verwerfen werdet.“
„Und welche wäre das?“ frug Herr Billewitjch bejorgt.
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„Daß ihr geduldig anhören möchtet, was ich euch zu
jagen habe.“
„Wenn es nur das it, jo will ich gern bis zum Abend
zuhören.“
„Ihr ſollt mir auch nicht gleich Antwort geben, ſondern
eine oder zwer Stunden Zeit zum Weberlegen haben.“
„Bott weiß, dab ich den Frieden herbeifehne, wenn wir
nur frei abziehen dürfen.“
„Die Freiheit erhaltet ihr auf alle Fälle, nur weiß ich
nicht, ob ihr von derjelben Gebraucd; machen werdet, ob ihr
nachher noch werdet eilen wollen, von hier fortzufommen. Ich
wünjche, daß ihr Tauroggen nebſt allen meinen Beligungen
al3 euer Eigentum betrachten möchtet, und num hört: Wißt ihr,
warum ich dem Fräulein Billewitich die Abreife verjagte? Weil
ich erriet, daß ihr entfliehen wolltet, ich liebe aber eure Ver—
wandte jo jehr, dab ich, nur um jie zu jehen, täglich den Helles-
— durchſchwimmen könnte, wie weiland Leander, um Hera zu
ſehen . ..“
Der alte Herr errötete aufs neue einen Augenblick.
„Ihr wagt mir das zur ſagen, Durchlaucht? ...“
„Gerade euch, weil ihr mein beſonderer Wohlthäter werden
önnt.“
„Durchlaucht! Sucht euer Liebesglück bei den Mägden
eures Hofes, nicht bei den Jungfrauen des Adels. Dieſe hier
könnt ihr gefangen halten, in das tiefſte Burgverließ ſperren,
aber entehren dürft ihr fie nicht!“
„Entehren darf ich jie nicht!“ antwortete der Fürſt. „Aber
ic kann vor den alten Billewitich Hintreten und jagen: Hört,
Bater! gebt mir Dlenfa zur Gemahlin, denn ich kann ohne fie
nicht leben!“
Der Schwertträger war jprachlos vor Staunen. Mit
zudenden Lippen und hervorquellenden Augen jtand er da.
Dann rieb er jich die Augen mit den Fäuſten, wie um bejjer
jehen zu fünnen, und blictte zulegt bald auf den Fürften, bald
im Gemach umher.
„Zräume ich, oder wache ich?“ rief er endlich.
„Ihr träumt nicht, und damit ich euch vollends überzeuge,
wiederhole ich cum omnibus titulis: Ich Boguslam, Fürit
Radziwill, Stallmeiiter des Großfürjtentums Litauen, bitte euch,
den Herrn Thomas Billewitich, Schwertträger von Reußen, um
die Hand eurer Verwandten, des Fräulein Alerandra, Jagd—
meijterstochter.“
491
„sit e8 möglich? Wahrhaftig? Habt ihr das auch wohl-
überlegt, Durchlaucht?“
„sch habe es mir überlegt, jett jeid ihr daran, zu überlegen,
ob der Freier des Mädchens würdig it.“
„Mer fehlt der Atem vor Verwunderung . . .“
„Erkennt nun, daß ich niemals unreine Gedanken hatte.“
„Und Ew. Durcjlaucht wolltet wirklich unjeren niederen
Stand nicht zu gering achten?“
„Schäßt ihr euch jo gering, hat das Kleinod eures Adels
und das Alter eure Gejchlechtes jo wenig Wert in euren
Augen? Kann ein Billewitich jo ſprechen?“
„Durchlaucht! Sch weiß, daß unfere Ahnen bis im Die
Zeiten der Nömer hinaufreichen, aber . . .*
„Aber,“ unterbrach ihn der Fürft, „ihr habt weder Hetmane
noch Kanzler in eurem Gejchlecht aufzuweiien. Das macht
nichts! Ihr jeid ebenjogut von fürftlichem Geblüt, wie mein
Ohm, der Kurfürſt von Brandenburg; denn wenn in unjerer
Republik jeder Edelmann als Kandidat zur Königswahl auf-
geitellt werden fann, jo ijt feine Schwelle zu hoch für feine
süße. Ich, mein Herr Schwertträger, Hoffentlich bald mein
Oheim, bin der Sohn eines alten Gejchlechtes, doch meine Ahnen
waren mütterlicherjeit3 die Sobeds und meint ihr, daß ein
Sobeck mehr wert jei, als ein Billewitih? Nun?..
Bei diefen Worten Elopfte der Fürſt dem alten Herrn ver—
traulich auf die Schulter und diefer wurde unter der Hand des
hohen Herrn weich wie Wachs.
„Bott Lohne Ew. Durchlaucht die edle Abſicht,“ jagte er.
„Mir Fällt ein Stein vom Herzen! Aber — Durchlaucht!
Der Unterjchied des Glaubens . . .“
„Ein katholischer Prieiter wird ung trauen, anders will
ich es gar nicht.“
‚Bir werden euch unſer LZebenlang dankbar fein, denn
e3 handelt fich doc) um Gottes Segen . . .“
„Und was die Nachfommenjchaft betrifft, jo werde ich
nicht darauf beitehen, daß jie meinen Glauben annimmt, denn
es giebt nicht in der Welt, das ich nicht für die Süße, Lieb-
liche thäte.“
Das Geficht des Schwertträgers erglänzte bei dieſen Worten,
als jei ein Sonnenjtrahl — gefallen.
„Gott hat ihr mit der Schönheit nicht gegeizt ...“ ſagte
er. „Das iſt wahr!”
Boguslaw Flopfte ihn wieder auf die Schulter und indem
492
er fich tief zu ihm hHerabneigte, flüjterte er ihm in das Ohr:
„Daß der Erjtgeborene ein Junge jein wird, dafür jtehe
ich ein, ein Bild von einem Jungen!“
Do Diss”
„Eine Billewitjch darf nur Jungen zur Welt bringen...“
„Eine Billewitjch mit einem Radziwill,“ jegte der Schwert-
träger Hinzu, während jein Ohr im Zuſammenklang diejer
beiden Namen jchwelgte. „Hi! Hi! Das wird ein Gerede
in ganz Smudz geben... Und was werden die Sizingfis
dazu jagen, daß die Billewitjch jo in die Höhe ſchießen? Sie
ließen nicht einmal den alten Hauptmann in Frieden, der doc)
ein Mann nach altem römijchen Zujchnitt und von der ganzen
Republik verehrt war.“
„Wir wollen fie in Smudz ausitechen, nicht wahr?“ jagte
der Fürſt.
„Sroßer, barmherziger Gott, deine Wege jind unerforjch-
lich! — Sollte e8 aber in deinem Willen jtehen, daß Die
Sizinski alle vor Neid plagen — dann — dein Wille gejchehe!“
„Amen!“ jegte Boguslam Hinzu.
„Durchlaucht!” bat der alte Herr, „nehmt es nicht für
übel, daß ich die Ehre, welche ihr uns erweilt, nicht würdevoller
aufnehme und meiner Freude zu lebhaften Ausdrud gebe...
aber wir leben jo in Kummer, während die Ungewißheit ung
peinigte, was unjer warte, und wir uns das Schlimmſte aus—
malten. E3 iſt jo weit gefommen, daß wir Ew. Durchlaucht
nur Böfes zutrauten und nun erfahren wir, daß wir unrecht
hatten. Wir dürfen unjere frühere Verehrung wieder aufrecht
halten. Damit ijt — ich geitehe es gern — eine große Laſt
von uns genommen.‘
„Hat Fräulein Alerandra eine jo Schlechte Meinung von mir?“
„Sie? Ach wäre ich Cicero felbit, jo wäre ich nicht im:
itande, ihre vorherige Verehrung für Ew. Durchlaucht zu be=
jchreiben. Ich denke nur ihre Tugend und eine angeborene
Schüchternheit verhinderten, daß die Verehrung sich in Liebe
verwandelte... Wenn fie num erfährt, daß Ew. Durchlaucht
Abfichten ernithafte und ehrliche find, wird fie ihrem Herzen
feine Zügel mehr anlegen.“
„Sicero hätte nicht vermocht, das jchöner auszudrüden,“
jchmeichelte der Fürſt.
„sm Glück findet fich auch der Ausdrucd wieder. Doc),
wenn Ew. Durchlaucht jo gütig auf das zu hören geruht, was
ich jage, jo möchte ich gern ganz offen und ehrlich ſprechen.“
493
„So jprecht doch ehrlich! . . .“
„Obgleich das Mädchen noch jung ift, jo hat fie doc
binfichtlic der Männer einen bewundernswerten Verſtand und
Charakter. In Fällen, wo mancher erfahrene Mann zaudert
und ſchwankt, greift fie ohne Bedenken mit feiter Hand ein.
Was böje ift, das läßt fie unbarmherzig links liegen, was gut
iſt fommt nad) rechts. Sie jelbit thut immer das Rechte...
Sp lieblih und ſüß fie fein kann, jo beharrt fie mit einer
Feſtigkeit ohnegleichen auf dem einmal für recht erkannten
Wege; nichts vermag jie davon abzubringen. Sie iſt nad)
ihrem Großvater und nach mir geraten. Ihr Vater war ein
berühmter Soldat... als Menſch aber nachgiebig .. . Die
Mutter, eine geborene Woynillowitich, die Baſe der Kulwiezowna,
war auch charaktervoll.“
„Das ijt mir lieb zu hören, Herr Schwertträger!“
„Kun kann jich niemand voritellen, wie verhaßt ihr die
Schweden, jowie alle Feinde des Vaterlandes find. Sit ihr
jemand auch nur des Eleinjten Berrates verdächtig, jo wird jie
ihn haſſen, jei der Menjch auch ſonſt ein Engel an Güte...
Verzeiht einem alten Manne, Durchlaucht, der, wenn auc) nicht
dem Nange, jo doch den Jahren nac) euer Vater jein fünnte
... Laßt die Schweden fahren! ... Sie find größere Bedrücker
des Vaterlandes als die Tartaren! . .. Wendet eure Armee
gegen ſie, anjtatt mit ihnen zu gehen, und nicht nur ich,
jondern auch jie, Dlenfa, wird freudig mit euch zu ‘Felde
ziehen... O verzeiht, Durchlaucht, verzeiht! ... Ich mußte
jagen, was ich denfe!“
Boguslaw kämpfte jeinen Aerger hinunter, nad) einer
Weile erwiderte er:
„Ihr hattet gejtern das Recht, Herr Schwertträger, Ver:
mutungen Raum zu geben; heute thut ihr Unrecht, noch zu
denfen, ich wollte euch Sand in die Augen jtreuen, wenn ich
behaupte, dennoch auf Seiten des Königs und des VBaterlandes
zu stehen. Sch jchwöre euch als fünftigem Verwandten zu, daß
das, was ich von FFriedenstraftaten und Zugeitändniflen ſprach,
die heilige Wahrheit war. Auch ich würde vorziehen, mit dem
Säbel in der Hand unſer Necht zu wahren, denn meine
friegerifche Natur verlangt darnach, aber da ich jah, daß ich
jo nicht zum Ziele fam, griff ich aus Liebe zu dem anderen
Mittel... Und ich kann jagen: Unerhörtes habe ich erreicht,
das bisher unmöglich Scheinende, daß die jiegende Macht den
Befiegten noch ihre Dienjte bot, nachdem der Friede geſchloſſen.
494
Eine jolche That zu vollbringen war der liitigite aller Liſtigen,
war jelbjit Mazarin zu vollbringen nicht imjtande ... Nicht
Fräulein Alexandra allein, nein, auch ich fühle einen Abjcheu
gegen die ‚zeinde. Was aber bleibt mir zu thun übrig? Wie
joll man das Baterland retten? Nec Hercules, contra plures!
Da dachte ich mir: Anstatt e8 verderben zu lajien, was leichter
und für mich nüßlicher wäre, will ich es lieber zu retten ver-
fuchen. Und da ich bei großen Staatsmännern aller Länder
in Die Lehre gegangen bin und ein hohes Anjehen auch bei
den Schweden, meines Betters Januſch wegen genieße, leitete
ich die Unterhandlungen ein und was war das Nejultat? Ahr
Habt e3 geitern gehört. Der Strieg jollte ein Ende haben, Die
Nepublif, eure Kirchen, die Geiitlichfeit, der Adel von dem
Drude befreit werden und noch dazu folltet ihr in der Unter:
drücung der Ukrainiſchen Aufitändiichen und in der Erweiterung
der Landesgrenzen unterjtügt werden... Das alles unter der
einen einzigen Bedingung, daß Karl Guſtav dereinjt König
von Polen werden jollte Wer da behauptet, mehr für das
Vaterland in jeiner Bedrängnis gethan zu haben, der trete mir
unter die Augen!“
„Es ijt wahr, was ihr jagt... ein Blinder muß das
jehen .. . Nur wird es den Ständen, befonder den Adels—
jtänden ſehr unangenehm fein, daß die freie Königswahl dann
aufhören muß.“
„Was ijt wertvoller, das Waterland oder das Wahlrecht?“
„Das iſt einerlei, Durchlaucht!“ Das Wahlrecht it das
Stardinalrecht der Republik von jeher ... Was hat das Vater—
land zu bedeuten ohne die Sammlung der Gejeße, ohne Die
Privilegien und Freiheiten, die den Adelsitänden zufommen?...
Herren findet man auch unter fremder Regierung.“
Born und Langeweile malte jich in den Zügen Boguslaws,
aber nur einen Augenblid.
„Karolus,* jagte er, „wird die pacta conventa unter-
jchreiben, wie jeine Vorgänger unterjchrieben haben. Nach jeinem
Tode wählen wir, wen wir wollen... jei e8 auch nur den
NRadziwill, der von der Billewitjch geboren werden joll.“
Der Schwertträger war eine Weile ganz benommen von
der Größe diejes Gedanfens, dann erhob er den Arm und rief
begetitert:
„Consentior! . . .*
„sa, auch ich denke, dat ihr nun einverjtanden fein werdet
auf die Gefahr hin, daß die erbliche Thronfolge bei unjerem
495
Geſchlecht bleibt,“ verjette der Fürſt mit boshaftem Lächeln.
„So jeid ihr nun alle! Doc das auf fpäter! Jetzt thut Not,
daß die Unterhandlungen zujtande fommen . . . Berjteht ihr,
mein Herr Oheim?“
„Sch verjtehe! Wahrhaftig! Es thut Not!“ wiederholte
aus tiefiter Ueberzeugung der Schwertträger.“
„Sie künnen zujtande kommen, weil ich der jchwedijchen
Majejtät ein willfommener Vermittler bin, und wißt ihr warum?
... Seht! Karolus hat eine Schweiter, welche mit Pontus de
la Gardie vermählt iſt und eine noch unvermählte, die er gern
mir geben möchte, um mit unjerem Haufe in Verwandtjchaft
zu treten und auf diefe Weije in Litauen eine ihm freundjchaftlic)
gefinnte Partei zu haben. Daher jtammt fein Wohlwollen
für mich.“
„Wie das?“ frug beunruhigt Herr Billewitſch.
„Das foll heißen, daß ich für euer Täubchen alle bipontijchen
Prinzeſſinnen und alle Fürſtentümer der Welt hingebe. Nur
darf ich die jchwedische Majeſtät nicht reizen, jo lange Die
Unterhandlungen dauern; doch jobald der Vertrag unterjchrieben
iſt, wollen wir ſehen!“
„Bah! Sie find imjtande, nicht zu unterjchreiben, ſobald
jie erfahren, daß Em. Durchlaucht vermählt jind!“
„Herr Schwertträger,“ jagte Boguslaw ernjt. „Ihr habt
mich der Unehrlichfeit gegen das Vaterland geziehen ... Ich
frage euch num als echter Bürger: Habe ich das Recht, meiner
Brivatangelegenheit wegen das Wohl der Republif in Frage
zu jtellen ?“
Herr Thomas Horchte auf.
„Was foll aljo werden?“ frug er.
„Denkt einmal nach: was joll werden?“
„Bei Gott, ich jehe jchon, die Trauung muß aufgejchoben
werden und das Sprichwort jagt: ‚Aufgejchoben, aufgehoben.“
„Meine Liebe bleibt unverändert, denn ich liebe für das
ganze Leben. Ihr müßt willen, daß ich in der Treue noch die
geduldige Penelope bejchämen könnte.“
Herr Thomas erjchraf heftig, denn gerade in Bezug auf
die Treue des Fürſten war ihm das Gegenteil befannt und Die
Öffentliche Meinung bejtätigte feine perfönliche Anficht. Als
hätte er die Gedanken des alten Herrn erraten, jegte der Fürit
jchnell Hinzu:
„Aber ihr habt Neht! Man iſt des Morgen niemals
fiher; man fann von Krankheit heimgejucht werden. Mir jcheint,
496
es bereitet jich eine Niederlage bei mir vor, denn gejtern bin
ich jo fteif an allen Gliedern geworden, dat Safowitjch mich
faum zu mir brachte. Ich kann jterben, auf dem Feldzuge
gegen den Sapieha umfommen; es wird Mühjale und Sorgen
zu überjtehen geben, die auf feine Kuhhaut zu jchreiben find.“
„Bei den Wunden Gottes, Durchlaucht, was ratet ihr?“
„Was joll ich raten,“ antwortete der Fürſt betrübt. „Sch
wollte, das Schloß wäre jchon Hinter ung zugefallen.“
„Dann laßt e8 doc) zufallen... Laßt euch trauen, dann
geichehe, was wolle... .“
Boguslaw jprang auf.
„Beim heiligen Evangelium! Ihr jolltet mit eurem Ver—
jtande zum Kanzler von Litauen ernannt werden. Ein anderer
würde nicht in drei Tagen mit dem zuftande fommen, was euch
im Fluge einfällt. Ihr habt Recht! Sich trauen lafjen, dann
jtille figen. Das nenne ich einen Kopf. In zwei Tagen muß
ich jo wie jo gegen den Sapieha ziehen, das iſt ein bitteres
Muß. Unterdejien richten wir den geheimen Zugang zu der
Kemenate des Fräuleins her. Wir ziehen zwei oder drei Ver—
traute in das Geheimnis, Damit die Trauung in aller Form
Nechtens vollzogen wird. Der Ehevertrag joll jogleich aufgejegt,
das Kranzgeld fejtgeitellt werden; mein Vermächtnis jchließe ich
den Akten bei und jpäter! — Herr Schwertträger, ich Dante,
danfe von Herzen! Kommt in’ meine Arme und dann fort zu
meiner Schönjten! ... ch werde ihrer Antwort harren, wie
auf glühenden Kohlen! Unterdejien will ich den Safowitjch
nad) einem Geiftlichen ſchicken! Lebt wohl, Bäterchen; jo Gott
will, jeid ihr bald Ahne.“
Nach diefen Worten ließ der Fürſt den erjtaunten Edel—
mann aus jeinen Armen und jtürmte hinaus.
„Bei Gott!“ jprach der Schwertträger für fich, nachdem
er jich etwas erholt hatte. „Sch Habe einen jo veritändigen
Nat erteilt, daß Salomon ſich vor mir fchämen muß und doch,
ich wollte, es ließe jich) ohne das machen. Geheimnis bleibt
Geheimnis . . . Aber zerbrich dir den Kopf, jo viel du willft,
jchlage das Gehirn an die Wand, Alter, e8 geht nicht anders.
Hm! ein Blinder muß jehen, daß es nicht anders geht. Wenn
doch der Froſt die Schweden alle erwürgen wollte... Wäre
e3 nicht um die Unterhandlungen zu thun, jo fünnte die Hoch-
zeit mit allen Zeremonien gehalten und ganz Smudz zu Gajte
geladen werden. Und nun muß der Bräutigam die Braut faſt
im Alltagsgewand zum Altar führen, um feinen Lärm zu
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ihlagen . . . Pfui! zum Kudud! Die Sizinsfis werden noch
jo bald nicht das Platzen kriegen, wenn ſie auch jpäter nicht
verjchont bleiben werden . . .“
Indem er das jagte, begab er fich zu Dlenfa.
Unterdefien beriet ſich der Fürſt des weiteren mit Safowitich.
„Der Alte tanzte wie ein Bär auf den Vorderpfoten,” er-
zählte er dem Bertrauten, „aber gequält hat er mich auch! Uff!
Doch ic) habe ihn dafür an die Brujt gedrüdt, daß ihm die
Rippen fnadten, und gejchüttelt habe ich ihn, daß ich dachte, die
Stiefeln mühten ihn jamt den Strohmwifchen von den Beinen
fliegen... . Und als ich ihn Oheim nannte, da quoll er in den
Augen auf, als hätte er ein ganzes Faß Bigos verjchlungen.
Tu! Tu! Warte! Ich will dich jchon zum Oheim machen,
doch jolcher Ohme Habe ich fchocktweije in der Welt... Safo-
witjch! ich jehe fie jchon meiner in der Stemenate harren, mit
niedergejchlagenen Augen und über die Brust gefreuzten Händen...
O, warte du nur! .. wie will ich dieje Meugelein küſſen ...
Safowitih! Du erhältit von mir das Gut Prudy bei Orjchmian
in lebenslängliche Baht! . . . Wann fann Plaska hier fein?“
„Segen Abend! Ich danke Ew. Durchlaucht für Prudy.“
„richt doch! Gegen Abend? Das heit, er fann jeden
Augenblid da ſein . . . Könnte doch die Trauung noch heute,
jei e8 auch um Mitternacht Itattfinden . .. Iſt der Ehevertrag
fertig ?“
„Jawohl! Ich war freigebig im Namen Ew. Durchlaucht.
Das Fräulein erhält die Herrichaft Birz als Brautichag . . .
Der Schwertträger wird heulen wie ein Hund, wenn wir es
ihm jpäter wieder abnehmen.“
„Er wird zur Beruhigung in den Kerker gejtecft werden.“
„Das wird nicht nötig jein, denn jobald die Ehe ungültig
erflärt wird, ijt auch der Vertrag ungültig. Sagte ic) Ew. Durch—
laucht nicht, daß fie einverjtanden jein werden ?“
„Er machte feine Schwierigfeiten ... . ich bin neugierig,
was jie jagen wird... er läßt lange auf fich warten!“
„Sie werden fich in den Armen liegen und mit Thränen
Em. Durchlaucht jegnen und eure Güte und Schönheit preijen.“
„sch zweifle an der Schönheit, denn ich jehe elend aus.
Sch fühle mich noch nicht wohl, und fürchte, daß der gejtrige
Anfall zurückkehrt.“
„Ei nein! Ew. Durcjlaucht müßte nur etwas warm werden.“
Der Fürſt trat vor den Spiegel.
„Meine Augen jind bläulich unterlaufen und Fouret, der
Sienfiewicz, Sturmflut IL 32
498
Narr, hat mir die Brauen heute jchief geichwärzt. Sieh ein-
mal ber, find fie nicht jchief? Ich werde ihm die Daumjchraube
anlegen lajjen dafür und einen Affen an jeiner Stelle zum
Ktammerdiener machen... Was joll das heiten, dat der Schwert-
träger jo lange nicht fommt? ... Ich möchte gern zu ihr!
Sie wird mir doch erlauben, jie vor der Trauung einmal zu
küſſen! . . . Wie jchnell es heute dunfel wird! Man möchte
die Kneipzange in die Kohlen legen für Plaska, für jein langes
Ausbleiben . . .“
„Das würde ihm nicht berühren, er wird nicht einmal
uden, denn er it ein Sohn der Finſternis, der Schelme
——
„Und die Trauung iſt ein Schelmenſtück!“
„Ein Schelm wird den andern Schelm durch ein Schelmen—
ſtück verehelichen,“ ſagte Sakowitſch.
Der Fürſt wurde gut gelaunt.
„Wo ein Kuppler der Brautführer it, da fann nur ein
Schelm der Prieſter fein!“ jagte er.
Eine Weile jchiwiegen fie jtill. Dann fingen plößlich beide
an zu lachen, aber das Gelächter hallte jeltfjam unheimlich von
den Wänden wieder. Die Nacht ſank immer tiefer herab.
Der Fürſt begann auf und ab zu gehen; er jtampfte dabei
fräftig mit dem Stödchen auf, auf welches er ſich ftügte, da
ihm die Beine von dem überitandenen Anfall noch etwas
jteif waren.
Die Pagen trugen Armleuchter mit Wachslichtern herein
und entfernten jich wieder. Die Zugluft machte die Flammen
hin und her fladern, jo dab jie lange nicht gerade brennen
fonnten und das jchmelzende Wachs reichlich herniedertropite.
„Sieh, wie die Lichter brennen,“ jagte der Fürit. „Wie
deutejt du das?“
„Das bedeutet, daß die Tugend noch heute jchmelzen wird,
wie Wachs.“
„Wunderlich! Das Flackern dauert jo lange.“
„Bielleicht flattert die Seele des alten Billewitjch über
den Lichtern.“
„Dummkopf!“ jagte der Fürſt heftig. „Unbejchreiblicher
Dummkopf! Iſt das jegt Die geeignete Zeit, mich an Gejpeniter
zu erinnern?“
Sie veritummten eine Weile.
„sn England jagt man,“ begann der Fürſt wieder, „daß
die Flamme jedes Lichtes bläulich flar brennt, jobald ein Geiit
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im Gemache ilt. Sieh’ her! Dieje hier brennen gelb wie
immer.“
„Unfinn! .. .“ verjegtez Safowitih. „In Moskau giebt
es Menjchen . . .*
„Stille doch!“ unterbrach ihn Boguslaw. „Der Schwert-
träger naht... Nein! Es ijt der Wind, der mit dem Fenſter—
laden Elappert. Die Teufel haben das Mädchen mit jolch einer
Muhme ausgejtattet ... Kulwiez Hippocentaurus! Hat jchon
jemand jo etwas gehört? Sie ſieht auch aus wie eine
Chimäre.“
„Befehlen Ew. Durchlaucht, daß ich mich mit ihr vermähle.
Das könnte nicht jchaden. Plaska lötet ung im Augenblid
zujammen.“
„Meinetwegen! Ich gebe ihr einen Spaten aus Ahorn-
holz zum Brautgejfchent und Dir eine Laterne, um ihr zu
leuchten.“
„Sch will lieber nicht dein Ohm werden, Bogufd) .
„Denke an Kaſtor!“ entgegnete der Fürſt.
„Fahre dem Kajtor nicht gegen den Strich in die Haare,
mein Rolluz, er fünnte leicht beißen!“
In diefem Augenblid trat der Schwertträger in Begleitung
des Fräulein Kulwiez in das Gemach. Die Unterhaltung wurde
unterbrochen. Der Fürſt jchritt raſch auf beide zu, indem er
jih auf das Stöckchen ſtützte. Sakowitſch erhob jich.
„Run, fann ich Olenka ſehen?“ frug der Fürft.
Doc der Schwertträger ließ die Arme jchlaff herabfinfen
und der Kopf fiel ihm auf die Bruft, während er jprad):
„Mein Fürſt! Meine Bruderstochter erflärt, daß das
Tejtament des Hauptmann Billewitjch ihr verbietet, jelbjt über
ihr Los zu entjcheiden. Aber auch wenn Died nicht der Fall
wäre, fönnte jie fich zu einem Ehebündnis mit Ew. Durchlaucht
nicht entjchließen, da jie feine Liebe für euch fühlt.“
„Satowitih! Hörjt du?“ rief der Fürſt mit heijerer
Stimme.
„sch wußte von dem Zejtament, * sagte Billewitjch, „aber
ich dachte nicht, daß jein Inhalt ein unbefiegbares Hindernis
jein könnte.“
„Ich jpotte eurer adligen Tejtamente!” jagte der Fürit.
„Ich ſpeie auf eure adligen Teſtamente! Verſteht ihr?! ...“
„Aber wir ſpotten ihrer nicht!“ entgegnete Herr Thomas
ärgerlich, „und laut Teſtament hat das Mädchen zwiſchen dem
Kloſter oder Kmiziz zu wählen.“
82*
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„Wem jagit du, Graurod? Kmiziz? ... Ich will euch
die Kmiziz zeigen... . Sch will euch lehren! . . .“
„Dich nennt ihr einen Graurod, fürjtliche Durchlaucht?
Mich, einen Billewitſch?“
In höchiter Entrüjtung trat der Schwertträger dem Fürſten
einen Schritt entgegen, doch Boguslaw jtieß ihn jo heftig mit
der Fauſt vor die Brujt, daß der Edelmann jtöhnend zujammen=
brach, und den am Boden Liegenden noch mit dem Fuße fort-
jtoßend, um Pla zu gewinnen, jtürmte er barhäuptig aus dem
Gemad).
„sejus, Maria und Joſef!“ jchrie das Fräulein Kulwiez.
Doch jchon Hatte Sakowitſch fie am Arm gefaßt und den
Dold ihr auf die Brust jegend, jagte er:
„Stille, mein Kleinod! Stille, liebliches QTurteltäubchen,
ſonſt jchneide ich dir dein ſüßes Kehlchen durch, wie einer lahmen
Henne. Hier jtillegejeilen und nicht fortgegangen, denn oben
feiert jet deine Schweitertochter Hochzeit.“
Doch auch in den Adern des alten Fräuleins jtrömte
adliges Blut; kaum hatte fie die Worte Safowitjch® vernommen,
jo verwandelte ſich ihr Schreden in ritterlichen Mut und weib-
liche Entrüftung.
„Schuft! Mörder! Heide!“ jchrie fie aus vollem Halſe.
„Töte mich, ſonſt jchreie ic) die ganze Republik zur Rache auf.
Mein Better iſt erjchlagen! Meine Schweitertochter gejchändet!
Ich will auch nicht leben! Stich’ zu! Mörder! Schneide!
Leute her! Kommt herbei! Seht! ...“
Weitere Ausrufe eritidte Sakowitſch, indem er ihr jeine
große Hand auf den Mund prefte.
„Stille, du jchiefe Spindel! Stille, du verwelfter Rauten—
zweig,“ jagte er. „Ich will dich ja nicht töten. Wozu vor-
zeitig dem Teufel das geben, was ihm doch gehört. Aber,
damit du nicht wie ein Pfau fortwährend jchreien fannjt, will
ich zu deiner Beruhigung dein liebliches Mäulchen mit deinem
Sadtuche verbinden. Sch werde dann den ‚Schmachtenden‘
jpielen und dir zur Laute Liebeslieder fingen. Was gilt Die
Wette, du verliebit dich in mich.“
Während er jo jprach, Hatte der Herr Staroſt von
Orſchmian mit der Gejchielichfeit eines Henferfnechtes den Kopf
des Fräuleins mit einem Tuch ummwidelt, im Augenblid ihre
Hände und Füße mit Riemen gefejlelt und fie auf das Kanapee
geworfen.
Dann jegte er fich neben fie und während er feine Glieder
501
vecfte, jprach er jo ruhig, als ob er eine gewöhnliche Unter—
haltung führen wollte:
„Wie denkt ihr darüber, mein Fräulein? ch mutmaße,
daß auch Boguſch ebenjo leicht mit dem ‘Fräulein fertig
geworden tjt.“
In demjelben Augenblick aber jprang er auch jchon entjegt
auf, denn die Thüre wurde jchnell aufgerifien und Fräulein
Alerandra erjchien auf der Schwelle.
Ihr Antlig war totenbleich, das Haar etwas in Unord—
nung geraten, ihre Brauen waren gerunzelt und aus den Augen
leuchtete es drohend.
Als jie den am Boden liegenden Schwertträger erblidte,
fniete jie neben ihm nieder und betajtete jeine Brujt und
jeinen Kopf.
Der Edelmann jeufzte tief, jchlug langjam die Augen auf,
dann richtete er fich Halb empor und jah ſich in dem Gemach
um, al3 wäre er aus tiefem Schlaf erwacht. Darauf verjuchte
er, die Hand als Stütze benußend, aufzujtehen, was ihm mit
Hilfe des Fräuleins endlich gelang, Sie führte ihn noch
Iichwanfend zu einem Stuhl, auf den fie ihn niederließ.
Jetzt erit jah Dlenfa das auf dem Stanapee liegende
alte Fräulein.
„Habt ihr fie getötet?“ frug fie, zu Sakowitſch gewendet.
„Bewahre mich) Gott!" antwortete der Starojt von
Orſchmian.
„sch befehle euch, ihre Feſſeln zu löſen!“
Es lag jo viel gebietendes in dem Befehle, day Safo-
witſch nicht zu widerſprechen wagte, ſondern, als hätte eine
Fürſtin Radziwill zu ihm geſprochen, unverzüglich das Fräulein
befreite.
„Und jetzt,“ befahl Fräulein Alexandra, „geht zu eurem
Herrn, welcher oben liegt.“
„Was iſt geſchehen?“ ſchrie Sakowitſch, der wieder zur
Beſinnung gekommen war. „Ihr werdet mir Rede ſtehen!“
„Nicht euch, Bedientenſeele! Fort mit euch!“
Und Sakowitſch ſtürzte wie beſeſſen davon.
a
4. Rapitel,
Der Anfall, welchen der Fürſt zu überitehen hatte, war
viel jchwerer, als der am vorhergegangenen Tage. Der Krampf
preßte die Kinnladen jo feit zujammen, daß man diejelben mit
Gewalt aufbrechen mußte, um dem Kranken Arznei einzuflößen.
Er fam bald darauf zwar zur Bejinnung, doch nun jchüttelte
der Krampf den ganzen Körper derartig, daß er auf dem
Lager Hin und her flog, wie ein jchwer verwundetes Tier.
Safowitich verließ feinen Herrn zwei Tage und Nächte lang
nicht. Als dann der Paroxismus vorüber war, folgte eine
große Schwäche; der Kranke jtierte unaufhörlich nach der Decke
ohne ein Wort zu jprechen, endlich fiel er in tiefen feiten
Schlaf, aus dem er erit gegen Mittag des dritten Tages er-
wachte, ganz in Schweiß gebadet.
„Wie befinden ſich Ew. Durchlaucht?* frug Sakowitſch.
„sch fühle mich wohler. Sind Briefe eingelaufen?“
„sa, vom Kurfürſten und von Stenbod; fie liegen hier
auf dem Tijche, doch muß das Leſen auf jpäter verjchoben werden,
denn Durchlaucht jeid noch zu ſchwach dazu.
„Sieb her, gleich ... . Hörjt du?“
Der Starojt von Orſchmian reichte die Briefe dem Fürſten
hin. Nachdem derjelbe fie wiederholt gelejen und eine Weile
überlegt hatte, ſprach er:
„Morgen brechen wir nad) Podlachien auf.“
„Morgen, mein Fürjt, werdet ihr auf dem Lager liegen,
wie heute.“
„Morgen werde ich jamt dir zu Pferde ſitzen ... Schweig,
widerjprich nicht!“
03
Der Starojt verftummte, tiefe Stille herrſchte im Gemach,
welche nur durch das einförmige Tid=- Taf der Danziger Uhr
unterbrochen wurde.
„Der Gedanfe war dumm, der Rat war dumm,“ ſprach
plößlich der Fürjt, „und ich war jo dumm, ihm zu folgen... .“
„Das dachte ich mir,“ verſetzte Sakowitſch. „Sch wußte
gleich, daß, wenn die Sache mihlang, die Schuld mid) treffen
würde.‘
„Beil dein Verſtand deiner ſpottete.“
„Mein Vorjchlag war wohlüberlegt. Ich kann nicht dafür,
daß jenen ein Teufel zur Seite jteht, der fie alles erraten läßt
oder jie warnt.“
Der Fürſt richtete fich auf.
„Slaubit du? ...“ frug er, feinen Vertrauten jcharf
anblidend,
„Kennt ihr denn die Papiſten jo wenig, Durchlaucht?“
„D ich fenne fie! Much ich dachte Schon oft an Zauberei.
Seit ehegeitern bin ich ihrer Anwendung gewiß. Du hajt den»
jelben Gedanfen wie ich, deshalb frug ich, ob du im Ernite
daran glaubjt. Welcher von ihnen aber fünnte wohl die Ver—
bindung mit dem Böſen unterhalten? ... Sie nicht, denn fie
it tugendhaft . . . Der Schwertträger auch nicht, der iſt zu
dumm dazu... .“
„Bleibt nur noch die alte Muhme . . .“
„Die fünnte es wohl fein... .“
„Der Veberzeugung wegen band ich jie ehegeitern kreuz—
weiſe zujammen, nachdem ich ihr zuvor das Meſſer an die Kehle
geſetzt Hatte... Stellt euch vor, Durchlaucht ... wie ich
heute mein Meſſer gebrauchen will, ift die Klinge vollitändig
geichmolzen, als hätte fie im Feuer gelegen.“
„Zeig ber.“
„sch Habe das Meſſer ins Waſſer geworfen, obgleich Die
Schale mit einem fojtbaren Türkis eingelegt war.“
„Dann will ich dir erzählen, was mir gejchehen iſt ...
Ich jtürmte wie von Sinnen in ihr Gemach. Was ich zu ihr
jprach, weiß ich nicht mehr... .. nur das vergejje ich niemehr,
dat das Mädchen rief: ‚Lieber Springe ich in das Kaminfeuer!
Du weißt, wie ungeheuer groß dort der Kamin iſt. Kaum
hatte fie es gejagt, da war fie auch jchon drinnen, ich hinter
drein! Ich umfaßte fie; ihre Kleider fingen jchon an zu brennen,
ich hatte Mühe, fie zurüdzuhalten und gleichzeitig die Flanımen
zu löjchen. Da packte mich der Krampf. Die Kinnladen Happten
504
aufeinander — mir war, al® ob meine SHalsjehnen gezerrt
würden . . . dabei jchienen die Flammen, welche ung umzucten,
fi) in Bienen zu verwandeln, die unjere Ohren umjummten
... So wahr du mich hier fiehit; es iſt wahr!“
„Und was weiter?“
„sch weiß nicht, was weiter gejchah. Eine fürchterliche
Angit befiel mich — mir war, als jinfe ic) in eine unergründ-
liche Tiefe, in einen Brunnen. O dieje Angit! Ich jage Dir,
dDiefe Angſt! Mir ſtehen noch jegt die Haare zu Berge davon! ...
Ach, und es war nicht die Angjt allein ... . ich weiß nicht, wie
ich jagen joll . . . eine Leere, Ernüchterung, eine unbegreifliche
Ktraftlofigkeit hatte mich befallen... . Glüclicherweije behüteten
mich die himmlischen Mächte, ſonſt wäre ic) nicht mehr unter
den Lebenden.“
„Der Paroxysmus Hatte euch erfaßt, Durchlaucht . . .
Die Krankheit jpiegelt uns oft jeltfame Dinge vor. Dennoch
jollte man der Sicherheit wegen ein Loch in das Eis jchlagen
und die Alte ſchwemmen.“
„Laß fie ungejchoren! Morgen rücden wir aus, dann
fommt der Frühling, mit ihm andere Sterne, furze Nächte, die
alles Böje entfräften.“
„Wenn wir morgen augrüden wollen, muß Ew. Durchlaucht
das Mädchen doch fahren lafjen.“
„Das muß ich, jelbjt wenn ich nicht wollte... Ich bin
bezüglich ihrer heute ganz wunſchlos.“
„Laßt fie frei. Laßt jie zum Teufel fahren!“
„Das kann ich nicht!“
„Warum nicht?“
„Weil der Edelmann mir befannt hat, dat in Billewitjche
große Schäte vergraben find. Laſſe ich fie nun reifen, dann
werden fie diejelben holen und in die Wälder gehen. Es iſt
aljo bejjer, ich laſſe fie hier und nehme die Schäte in Nequifition.
In Kriegszeiten ijt das erlaubt. Zudem hat er fie mir freis
willig angeboten. Wir werden die Gärten in Billewitjche Stich
für Stich umgraben, wir müfjen die Tonnen finden. Hier fann
der Schwertträger wenigjteng feinen Lärm jchlagen und in ganz
Litauen ausjchreien, daß ich ihn beraube. Mich überfällt die
größte Wut bei dem Gedanken, wie viel Geld ich hier jo nuß-
[08 verjchwendet habe und was habe ich damit erreicht? Nichts!“
„sch bin jchon lange wütend auf das Mädchen. Ich ſage
euch, Durchlaucht — als ſie legthin vor mir jtand und —
als wäre ich irgend ein Hofknecht — mir befahl: „Fort,
505
Bedientenjeele! Oben liegt dein Herr!“ — da hätte ich ihr
am liebſten den Hals umgedreht, weil ich nicht anders glaubte,
als daß fie Ew. Durchlaucht erjtochen oder erſchoſſen habe.“
„Du weißt, daß ich nicht Dulde, dal in meinem Haufe
jemand anderer regiert, als ich ſelbſt . . . Es iſt gut, daß du
nichts derartiges gethan haft, ſonſt hätteit du die Zangen zu
fühlen befommen, die für den Blasfa bejtimmt waren... Wage
es nicht, ſie anzurühren!“ ...
„Ich habe den Plaska ſchon zurückgeſchickt,“ lenkte Sako—
witſch das Geſpräch auf einen anderen Gegenſtand. „Er war
ſehr verwundert, nicht erfahren zu können, wozu man ihn her—
gebracht und gleich wieder fortgeſchickt hatte. Er verlangte
etwas für die Mühe und den Schaden, den ihm der Zeitverluft
verurjacht hat —, ich aber jagte ihm, daß er froh fein jolle,
jeine Haut ganz wieder fortzutragen!... Soll morgen wirklich
der Aufbruch nad) Podlachien jtattfinden ?“
„So wahr Gott im Himmel it! Sind die Truppen
meinen Befehlen gemäß ausgerüjtet?“
„Die Neiter jind nach Kiejdan gejandt, von wo aus fie
bis Kowno vorrüden und dort weitere Befehle erwarten jollen.
Unjere polnischen Fahnen habe ich noch zurücbehalten, denn es
erſchien mir bejjer, fie nicht vorauszujchiden. Obgleich ich die
Leute für treu halte, fünnten ſie jich doch von den Konföderierten
verleiten lajjen, zu dem Mebellen zu gehen. Glowbitich wird
mit uns gehen, ebenjo Wrotynski mit jeinen Samländern,
Karlsſtröm bildet mit den Schweden den Vortrab . . . Er hat
Befehl, unterwegs die Nebellen niederzujchlagen, wo er jie
antrifft.‘
„But!“
„Kierig joll mit den Füſilieren langſam folgen, damit wir
im Notfalle eine Stüge haben. Wenn wir jchnell marjchieren
jollen und unjer Erfolg von der Schnelligkeit unjerer Be—
wegungen abhängen joll, jo fürchte ich, daß die ſchwediſche und
preußijche Neiterei uns nur hinderlich fein wird. Schade, daß
ung nicht genügend polnische Truppen zur Verfügung jtehen,
denn unter uns gejagt, es geht nichts über unjere Reiter... .“
„Iſt die Artillerie fort?“
a.”
„Wie? Und Baterjon ?*
„Der iſt noch hier! er pflegt den Ketling, welcher jich mit
dem eigenen Degen jchiwer verwundet hat. Ihr wißt, er liebt
den Jungen ſehr. Wenn ich nicht wühte, daß SKetling ein
506
mutiger Offizier ift, würde id) falt vermuten, daß er ſich ab-
jichtlich verlegt hat, um zurücbleiben zu können.“
„Wir werden an die hundert Mann hier zurüclafjen müfjen,
teils in Roſchen, teild in Kiejdan. Die jchwedischen Bejagungen
jind fnapp und de la Gardie verlangt ohnedies täglich Leute
von Loewenhaupt. Wenn wir nun auch nocd) ausrücden, werden
die Nebellen bald die Niederlage bei Schawel vergejien haben
und jie werden das Haupt wieder erheben.“
„Sie jchiegen ohnehin überall wie die Pilze empor. Ich
hörte, dat die Schweden bei Taljcha gejchlagen worden jind.“
„Waren es Adlige oder Bauern ?“
„Es waren Bauern unter der Anführung ihres Probites.
Aber auch der Kleinadel in der Laudaer Gegend rebelliert.“
„Die Laudaer jind unter Wolodyjowsfi im Felde.“
„ber e3 jind eine Menge Jünglinge und Greije daheim
geblieben. Dieje greifen nun zu den Waffen; jie find ein gar
friegerisches Volk.“
„ohne Geld fann die Rebellion nichts machen.“
„Wir aber wollen uns in Billewitiche den Geldjad füllen.
Man muß eben ein Genie fein, wie Ew. Durchlaucht, um fich
jo Rat zu wijjen.“
Boguslaw lachte bitter.
„Man jchägt in diefem Lande diejenigen am höchjten, welche
der Königin und dem Adel zu jchmeicheln veritehen. Weder
das Genie noch die Tugend gelten etwas. Es it ein Glüd,
dat ich ein Fürſt bin, das verhindert jie, mir Feſſeln anzulegen.
Wenn nur die Einkünfte aus meinen Gütern nicht ausbleiben,
dann fümmere ich mich um die ganze Nepublif nicht.“
„Wenn man nur die Güter nicht fonfiszieren wollte!“
„Erjt wollen wir Podlachien fonfiszieren, wenn nicht ganz
Litauen. Jetzt rufe mir Baterjon.“
Safowitjch ging hinaus und fehrte nach einer Weile mit
PBaterjon zurüd. Am Lager des Fürſten wurde nun eine
Natsfigung abgehalten, deren Nejultat der Beichluß war, am
nächiten Morgen aufzubrechen und in GEilmärjchen nad) Pod-
lachien zu gehen. Der Fürſt befand jich bald bedeutend wohler;
er nahm jeine Abendmahlzeit mit den Offizieren zujammen und
laufchte unter fröhlichen Scherzen frohgemut dem Wiehern
und Schnaufen der Roſſe und dem Klirren der Waffen im
Schloßhofe.
Zuweilen atmete er tief auf und dehnte ſich im Stuhle.
„Der Feldzug wird mich wieder geſund machen,“ ſagte er
507
zu den Offizieren. „Sch bin von dem Nachdenfen über die
‚sriedensverträge und über den vielen Lujtbarfeiten faul ge-
worden. Nun, ich Hoffe zu Gott, die Konföderierten follen
meine Fauſt zu fühlen befommen, fie und unjer Exkardinal
mit der Krone.“
Paterſon wagte, bei der heiteren Laune feines Herrn,
ebenfalld einen Scherz.
„Es it ein Glück,“ jagte er, „daß Delila dem Samſon
nicht das Haar verjchnitten hat.“
Darauf jah Boguslaw ihn eine Weile mit jeltiamem Aus-
drud in jeinen Augen an, jo daß ber Schotte ſchon anfing,
ängſtlich zu werden. Nachher aber flog ein unmatürliches
Lachen über die Züge des Fürſten, und als hätte er nicht
gehört, was PBaterjon gejagt, fuhr er fort:
„Wenn Sapieha ihre Stüge iſt, jo werde ich ihn jo rütteln,
daß die ganze Nepublif über ihn zujammenjtürzt.“
Da die Unterhaltung in deutjcher Sprache geführt wurde,
jo wurde diejelbe von den ausländiſchen Soldoffizieren ver-
Itanden und laut belacht. Die Unterhaltung wurde mit einem
einjtimmigen „Amen“ gejchlojien.
Am nächſten Morgen rückte der Fürſt an der Spitze ſeiner
Truppen aus. Der Adel aus Preußen, welchen die glänzenden
Feſtlichkeiten des fürſtlichen Hofes hierher gelockt hatten, ſchickte
ſich zur Abreiſe an.
Iuhnen folgten diejenigen, welche vor den Schreckniſſen des
Krieges in Tauroggen Zuflucht gejucht hatten, denen aber Tiljit
nun doch jicherer erjchien. So blieben denn nur der Schwertträger,
das Fräulein Kulwiez und Dlenfa zurüd, außerdem Ketling
und ein alter Offizier Namens Braun, welcher über die kleine
Bejagung das Kommando hatte.
Der Schwertträger war nach dem Stoß, welchen der Fürjt
ihm verjegt hatte, mehrere Tage frank; er mußte zuweilen Blut
jpeien, da aber ein Knochenbruch nicht jtattgefunden hatte, jo
erholte er fich allmählich und begann ſich mit einem Flucht-
plane zu bejchäftigen.
YWährendbeffen war ein Expreßbote aus Billewitjche ein-
getroffen, welcher einen Brief von Boguslaws Hand brachte.
Der Schwertträger wollte denjelben erjt nicht lejen, doch bejann
er jich, dem Rate Dlenfas folgend, welche der Anficht war, daß
es bejjer jei, alle Pläne und Abjichten des Feindes zu fennen.
„Mein jehr lieber Herr Billewitfch!“ jchrieb der Fürft.
„Concordia res parvae crescent, discordia maximae dilla-
508
buntur! Das Schidjal wollte nicht, dab wir fo im Frieden
auseinandergingen, wie meine Gefühle für Euch und Eure jchöne
Verwandte das gewünscht hatten, aber das iſt wahrhaftig nicht
meine Schuld. Ihr wißt am beiten, wie Ihr meine beiten
Abfichten mit Undank gelohnt Habt. Was jedoch der Zorn
verbrochen, das joll die Freundſchaft nicht machtragen, ich hoffe
aljo, daß meine Heftigfeit durch das Unrecht, welches Ihr mir
zugefügt, genügend entjchuldigt wird und Ihr mir verzeiht, wie
ih Euch von Herzen verzeihe. Denn das gebietet mir Die
chrijtliche Liebe und ich wünjche Frieden mit Euch zu jchließen.
Um Euch) nun den Beweis zu geben, daß jede Bitterfeit in
meinem Herzen ausgetilgt it, jo betrachte ich es als eine Pflicht,
Euch heute die Gefälligfeit zu thun, die Ihr von mir verlangtet,
und dag mir angebotene Geld anzunehmen . . .*
Hier hörte der Schwertträger zu lejen auf und jchlug mit
der Fauſt auf den Tijch, während er zornig ausrief:
„Er joll mid) eher auf der Bahre jehen, als einen Schilling
aus meiner Schatulle! . . .“
„zeit doch zu Ende,” jagte Olenka.
Der er nahm den Brief wieder auf.
Da ich Euch nicht mit der Ausgrabung der Bar
schaft "bemühen und Eure Gejundheit den Gefahren einer Reife
in dieſen friegerifchen Zeiten nicht ausjegen wollte, jo ließ ich
diejelbe jelbjt ausgraben und zählen... .“
Hier verjagte dem Schwertträger die Stimme, der Brief
entglitt jeinen Händen und fiel zu Boden. Er fonnte eine
Zeitlang die Sprache nicht wiederfinden, er jtedte nur die Finger
in jeine Haare und zaufte diejelben mit aller Gewalt.
„Schlag zu, wer an Gott glaubt!“ jchrie er endlich.
Da juchte Olenka ihn zu bejchwichtigen:
„Eine Schuld mehr,“ jagte jie, „das Strafgericht Gottes
naht, denn das Maß ilt gefüllt. . .“
5. Rapitet.
Die Verzweiflung des Schwertträger8 war groß. Dlenfa
mußte ihn fortwährend tröften. Sie jtellte ihm vor, daß man
das Geraubte nicht als verloren betrachten dürfe, da der Brief
Boguslaws ja einer Schuldverjchreibung gleichtommen und feine
Güter groß genug jeien, um genügende Deckung zu geben.
Umjomehr war Dlenfa in Sorge, was ihnen beiden noch
bevorjtehen fünne, befonders wenn es Boguslaw bejchieden jei,
als Sieger nach Tauroggen zurüdzufehren. Sie jannen deshalb
eifrig auf Flucht.
Dennoch riet Dlenfa, dieſelbe aufzujchieben, bis Ketling
wieder genejen jein würde, denn Braun war ein ungefälliger,
mürrifcher Gejelle, der nur Sinn für jeinen Dienſt hatte.
Es wäre unmöglich gewejen, jich diejen geneigt zu machen.
Bezüglich Ketlings war Olenka feſt überzeugt, daß er fich
jeine Verwundung abjichtlich beigebracht hatte, um in ihrer
Nähe bleiben zu können. Sie gab deshalb der Hoffnung Raum,
daß er alles für fie thun würde, jie zu retten. Zwar be=
unruhigte fie ihr Gewiſſen unabläſſig; ſie frug jich oft, ob fie
wohl das Necht habe, ihretwegen das Geſchick eines ‘Fremden
zu gefährden, doch die Gefahr, die ihnen bei längerem Auf—
enthalt in Tauroggen drohte, war jo groß, daß fie bei weiten
die Unannehmlichkeiten übertraf, welche jein Beiltand über
Ketling heraufbeſchwören fonnte. Als ausgezeichneter Offizier
fand jchlieglich Ketling überall einen befjeren und würdigeren
Dienjt als hier. Die Protektion Sapiehas, Tſcharniezkis fonnte
ihn beim Könige empfehlen; er fonnte einer edleren Sache
dienen und würde dereinit dem Lande dankbar jein, welches
ihn wie einen Sohn aufnehmen wollte Sein Leben war nur
510
für den Fall bedroht, wenn er in die Hände Boguslaws fiel,
aber Boguslam regierte ja noch nicht in der Republik.
Das Fräulein jchwanfte micht länger. Als der junge
Offizier wieder jo weit hergejtellt war, daß er feinen Dienit
verjehen fonnte, da ließ fie ihm zu ſich bitten.
Nun ſtand er vor ihr bleich und elend. Aus dem An—
geficht jchien jeder Tropfen Blutes entwichen, ehrfurchtsvoll und
demütig blidte er zu ihr auf.
Bei jeinem Anblick füllten jich die Augen Olenkas mit
Thränen; war doc) diejer hier die einzige Seele in Tauroggen,
welche ihr wohlwollte. Dabei rührte jie jein franfes Ausjehen,
und als jie ihn nach jeinem Befinden fragte, antwortete Der
junge Offizier mit jchwacher Stimme:
„Leider fange ic) an, mich zu erholen; ach und ich wäre
jo gern geitorben ...“
„Ihr folltet euren Dienſt aufgeben,“ jagte das Mädchen,
während fie ihn mitleidig anblidte. „Eure edle Seele bedarf
der Gewißheit, daß ihr einer edlen Sache und einem edlen
Herrn dient.“
„Leider!“ wiederholte der Offizier.
„Wann geht eure Dienjtzeit hier zu Ende?“
„Sn einem halben Jahre.“
Sie jchwieg ein Weilchen, dann erhob ſie ihre wunder-
ſchönen Augen, welche in diefem Augenblid ihren jtrengen Aus—
drud verloren Hatten, und jagte:
„Hört mich, Herr Kavalier. Laßt mich zu euch, wie zu
einem Bruder jprechen, wie zu einem teuren Freunde: Ihr
fönnt und müßt euch frei machen!“
Sie befannte ihm nun ihren ganzen Fluchtplan und jagte
ihm, daß jie dabei auf feinen Beiltand rechne. Sie jtellte ihm
vor, wie er einen jchönen, ehrenvollen Dienjt finden folle, feiner
jchönen Seele würdig, wie er beſtimmt jei, ein Ritter zu werden,
und endete jchließlich mit den Worten:
„Ich will euch bis zum Tode dankbar bleiben. Es iſt mir
beſtimmt, mich in Gottes Schuß, in ein Kloſter zu flüchten und
das Gelübde der Keujchheit abzulegen. Aber wo ihr auch weilen
mögt, ob fern, ob nah, ob in Krieg oder Frieden, immer will
ic) für euch beten, will Gott bitten, daß er meinem lieben
Bruder und Wohlthäter Frieden und Glüd verleihen möge, da
ich außerſtande bin, ihm etwas anderes zu geben, ald Dant-
barfeit und frommes Gebet... .“
Ihre Stimme bebte und Ketling wurde, während fie ſprach
511
immer bleicher. Als ſie geendet hatte, kniete er nieder, ſchlug
beide Hände vor die Augen und antwortete mit klagender
Stimme:
„Sch darf nicht, Herrin! ich darf nicht! . . .“
Ihr jchlagt mir meine Bitte ab?“ frug Olenka erſchrocken.
Statt zu antworten, begann er zu beten:
„Sroßer, barmberziger Gott!“ ſprach er. „Nie ijt jeit
meiner Kindheit eine Lüge über meine Lippen gefommen, nie
hat eine jchlechte That mich befledt. Als ich noch ein Knabe
war, jchügte ich mit jchwacher Hand meinen König und mein
Vaterland. Herr! warum jtrafjt du mic) jo hart, warum legt
du mir Qualen zu tragen auf, für die meine Kräfte nicht
ausreichen!“
Und fid) an Dlenfa wendend fuhr er fort:
„Herrin! Shr wißt wohl nicht, daß der Gehorjan für den
vereideten Soldaten nicht nur feine Pflicht, jondern auch jein
Ruhm und feine Ehre bedeuten. Mich bindet mein Fahneneid,
ja mehr noch mein Nitterwort, diefen Dienſt nicht vor Ablauf
der fejtgejegten Friit zu verlaffen und blindlings zu thun, was
derjelbe von mir fordert. Ich bin Soldat und Edelmann und
jo wahr Gott mir helfe, — ich werde niemals zu denjenigen
Söldlingen zählen, welche ihren Eid und ihr Ritterwort brechen.
Auch euer Befehl, auch eure Bitte, Herrin, vermag nicht, mich
meiner Pflicht abwendig zu machen, obgleich mein Herz vor
Qual und Bein zu brechen droht. Sch würde, wenn ich bie
Thorwache beziehe und ihr, Herrin, in eigener Perjon das
Schloß verlaſſen wolltet, euch den Weg nur über meinen Leic)-
nam binweg freigeben, da ich Befehl habe, niemanden aus
Tauroggen fortziehen zu lafien. Ihr kennt mich nicht, Herrin,
ihr habt euch in mir getäufcht ..... Aber habt Erbarmen mit
mir und jucht zu verjtehen, daß ich euch zur Flucht nicht ver—
helfen fann, ja nicht einmal hören darf, daß ihr fliehen wollt,
denn der Befehl, euch hier feitzuhalten, lautet bejtimmt und
Har und nicht ich allein, jondern auch Braun und die anderen
vier zurücdgebliebenen Offiziere haben ihn erhalten. O Gott! wenn
ic) das hätte vorausjehen fünnen, jo wäre id) lieber ins Feld
gezogen... Ich werde euch nicht überzeugen können, ihr
werdet mir feinen Glauben jchenfen wollen und dennoch —
Gott weiß es, Gott wird mich richten, es tjt heilige Wahrpeit,
mein Leben würde ich freudig für euch geben — meine Ehre
fann ich nicht geben!“
Während er die legten Worte ſprach, rang Ketling die
912
Hände, dann verjtummte er. Er war vollitändig erjchöpft und
atmete nur jchwer.
Olenka hatte jich noch nicht von ihrem fchmerzlichen Staunen
erholt. Sie war aufßeritande, darüber nachzudenfen, wie hohe
Achtung die edle Denkungsart diejes außergewöhnlichen, jungen
Offiziers verdiente; jie fühlte nur, daß der legte Nettungsanfer
jchwand, die legte Hoffnung auf Befreiung aus diejer verhakten
Gefangenſchaft.
Noch einmal verſuchte ſie Ketling zu überreden.
„sch bin die Enkelin und Tochter eines alten tapferen
Soldaten,“ jagte jie nach einer Weile. „Mein Vater und mein
Großvater jtellten auch ihre Ehre über ihr Leben, aber gerade
darum hätten jie jich nicht blindlings jedem Befehl gefügt .. .“
Ketling zog mit zitternder Hand ein Schreiben aus den
Falten jeines Kollets, reichte e8 Olenka und jagte:
„Weberzeugt euch, Herrin, daß der Befehl — dienſtlich
gehalten iſt.“
Olenka überflog die Zeilen und las folgendes:
„Da zu Unſerer Kenntnis gelangt iſt, daß der geborene
Billewitſch, Schwertträger von Reußen, beabſichtigt, Unſere
Reſidenz zu verlaſſen, um in Uns feindlicherweiſe ſeine Be—
kannten, Verwandten, Standesgenoſſen und Unterthanen um ſich
zu verſammeln und zur Rebellion gegen Seine Schwediſche
Majeſtät und Uns anzuſtiften, ſo befehlen Wir den in Tau—
roggen zurückgebliebenen Offizieren, dieſen geborenen Billewitſch
ſamt ſeiner Bruderstochter als Geiſeln und Kriegsgefangene
zurückzuhalten und ihre Flucht zu verhindern, bei Verluſt der
Ehre und Beſtrafung durch das Kriegsgericht . . . u. ſ. w.“
„Der Befehl iſt im erſten Standquartier ausgegeben,“ ſagte
Ketling, „daher iſt er uns ſchriftlich zugegangen.“
„So geſchehe denn Gottes Wille!“ ſagte Olenka nach einer
Weile des Stillſchweigens. „Es iſt geſchehen!“
Ketling fühlte, daß es an der Zeit ſei, ſich hinauszubegeben,
dennoch vermochte er nicht, ſich von der Stelle zu rühren.
Seine blaſſen Lippen zuckten, als wolle er noch etwas ſagen,
doch die Stimme verſagte ihm.
Ein heftiges Verlangen bemächtigte ſich ſeiner immer mehr,
das Verlangen, ihr zu Füßen zu ſtürzen, ihre Verzeihung an—
zuflehen. Andererſeits fühlte er, wie ſchwer ſie an dem eigenen
Unglück zu tragen hatte, und empfand es wie eine Wonne, daß
auch er um ſie und mit ihr leiden durfte.
Endlich verneigte er ſich ſchweigend, aber gleich im Korridor
513
riß er den Verband von jeiner Wunde und fiel ohnmächtig Hin.
Als nach etwa einer Stunde die Schlogwache ihn dicht au der
Treppe liegend fand, war er noch leblos. Er wurde nad) dem
Zeughauje gebracht, wo er während der nächiten zwei Wochen
totfranf das Lager nicht verlaſſen konnte.
Olenka blieb, nachdem Ketling jie verlajien, lange in tiefer
Betäubung allein. Sie hätte eher den Tod erwartet, als jeine
Weigerung. Daher verließen jie, troß ihrer durch das Unglück
gejtählten Seele und ihrer außergewöhnlichen Energie, in diefem
Augenblic die Kräfte; jie wurde jchwach, wie jedes andere Weib
und — obgleich jie, ohne es jelbit zu willen, fortwährend die
Worte wiederholte: „Gottes Wille gejchehe!” — gewann doc)
der Schmerz die Oberhand über die Nejignation und heiße
Thränen rannen an ihren Wangen herab.
Da trat der Schwertträger zu ihr in das Gemach. Als
er jie jo fajlungslos dafigen jah, erriet er jogleich, daß fie ihm
etwas Schlimmes mitzuteilen hatte; er frug daher eilig.
„Um Gotteswillen! Was giebt es wieder?“
„Ketling verweigert jeinen Beiltand,“ jagte das Mädchen.
„Sind denn die Menjchen hier alle Schufte, Schelme,
Höllendunde? Wie, auch der?“
„Er will uns nicht nur nicht helfen,“ antivortete jie
flagend, wie ein Fleines Kind, „jondern uns jogar mit eigener
Lebensgefahr an der Flucht hindern.“
„Barum denn? Bei den Wunden des Herrn! Warum?“
„Beil es unſer Gejchie jo will! Ketling ijt Fein jchlechter
Menjch, nur unſer Schidjal hat es jo bejtimmt, denn wir find
die unglüclichiten Meenjchen in der ganzen Welt.“
„Der Teufel hole alle dieſe Wichte!“ rief der Schwert-
träger. „Mädchenjäger! Räuber! Diebe! zuletzt Kerkermeiſter!
Der Erdboden möge jich öffnen und fie verjchlingen! Beſſer
tot jein, als. in diejen verruchten Zeiten leben.“
Der alte Edelmann trabte im Gemach Hin und her, ballte
die Fäuſte, endlich ſprach er zähnefnirjchend:
„Der Wojewode von Wilna war mir lieber, Kmiziz taujend-
mal lieber, als diejer parfümierte Schelm.“
Und da Olenka nicht antwortete, jondern noch) heftiger zu
weinen begann, wurde der alte Herr weich, und tröjtete nach
einer Weile:
„Weine nicht! Kmiziz fam mir nur in den Sinn, weil
er der einzige ijt, der imjtande wäre, uns aus diejer babylonijchen
GSefangenjchaft zu befreien. Der würde mit allen Braunen,
Sientiewicz, Sturmflut IL 33
514
Ketlingen, Paterſons und mit Boguslaw ſelbſt ſchnell fertig
werden! Aber — die Verräter ſtecken alle unter einer Decke!
Weine nicht! Mit Weinen iſt nichts ausgerichtet; hier muß
Nat geſchafft werden. Will Ketling nicht ... daß er doch
ſchief werde! . . . jo werden wir ohne ihn fertig ... Sit das
dein berühmter Mannesmut, wenn du in der Stunde ſchwerer
Sorge nur weinen kannſt? ... Was ſagte Ketling?“
„Er ſagte, daß der Fürſt befohlen hat, uns als Kriegs—
gefangene zu behandeln, weil er fürchtet, ihr würdet eine Partei
Freiwillige um euch ſammeln und zu den Konföderierten gehen.“
Der Schwertträger ſtemmte die Arme unter.
„Ah! Er fürchtet mich! . . . Und er hat recht, denn jo
wahr Gott lebt, dag will ich thun!“
„Da der Befehl an Ketling jtreng dienjtlich lautet, jo muß
er ihn vollziehen bei Berlujt der Ehre und Beitrafung von
dem Kriegsgericht.“
„But! ... So wollen wir uns ohne ihn behelfen.“
Olenka trocdnete die Thränen ab.
„Slaubt ihr, Oheim, da das möglich jein wird?“
„sch denfe, daß es notwendig fein muß, und was jein
muß, das it auch möglih. Wir müfjen fort von hier und
follten wir an Striden aus den Fenſtern herabrutjchen.“
Und das Fräulein rief jchon getröjtet:
„Es ijt thöricht von mir, zu weinen... Beraten wir
lieber gemeinschaftlich!“
Die legten Thränen wurden jchnell abgewijcht, die Brauen
zogen jich zujammen, das jchöne Gejicht Olenkas nahm wieder
den Ausdrud der Entjchlojienheit an.
Es erwies ſich nun, daß der Schwertträger gar feinen
Nat wußte und daß das Fräulein viel erfinderijcher in den zu
ergreifenden Maßregeln war. Aber auch ihr wurde jchwer, das
Nechte zu finden, da jie nun wußte, wie ängitlich jie bewacht
wurden.
Sie bejchlofien daher, nicht eher einen Fluchtverjuch zu
wagen, bis die eriten Nachrichten von Boguslaw eingetroffen
waren. Ihre ganze Hoffnung beruhte darauf, daß das Gericht
Gottes ihren ‚Feind erreichen werde. Er fonnte fallen oder
von einer jchweren Krankheit heimgejucht werden. In jedem
alle würde doch in Tauroggen eine Aufregung entitehen,
während welcher die Wachjamfeit feine jo jtrenge jein würde.
„sch kenne den Sapieha,“ jagte der Schwertträger, Olenka
und jich zum Troſte. „Er ijt etwas umentjchlojjen und über-
»15
legt lange, dafür ijt er jehr orönungsliebend und jteht treu
zu König und Baterland. Er hat alles, jein ganzes Hab und
Hut verjegt und verkauft, um eim Heer zu formieren, gegen
welches dasjenige Boguslaws ein Spielzeug iſt. Jener dort iſt
der ernite Senator, die perjonifizierte Ueberlegung, diejer hier
ein eitler Fant und Hitfopf. Kann denn diejer über jenen
jiegen? Es müßte feine Gerechtigkeit mehr in der Welt geben!
... Warten wir nur die nächjten Nachrichten ab, unterdefien
wollen wir beten und Gott bitten, dal er dem Sapieha zum
Siege verhelfe.“
Unter jolchem Sorgen und Warten verging ein Monat,
ein langer, für die bedrücdten Herzen jchwer zu ertragender
Monat, ehe der erite Eilbote anfam. Er brachte nicht nad)
Tauroggen, jondern an Stenbod Briefe vom Fürjten. Doc)
erfuhr auch die Tauroggener Bejagung durch ihn den Stand
der Dinge.
Ktetling, welcher jeit dem Tage der Unterredung mit Olenka
nicht gewagt hatte, dem ‚Fräulein wieder unter die Augen zu
treten, jandte ihr jogleic) einen Zettel mit der Nachricht des
Geſchehenen:
„Fürſt Boguslaw hat den Herrn Krystof Sapieha bei
Bransk geſchlagen; mehrere Fahnen Reiter und Füſiliere ſind
getötet. Er iſt im Begriff, nach Tykozin zu gehen, wo Horot—
kiewitſch ſteht.“
Das war ein harter Schlag für Olenka. Die Größe und
Stärke ritterlicher Tapferkeit war für ihren Mädchenverſtand
das einzige Erfordernis, um überall zu ſiegen. Da ſie dieſe
Eigenſchaften nun durch den Augenſchein an Boguslaw kannte,
und ſelbſt zugegen war, wie er mit Leichtigkeit einen Gegner
zu werfen verſtand, ſo wurde nach der ſoeben erhaltenen Nach—
richt für ſie zur Gewißheit, daß Boguslaw mit ſeinem Heere
eine zwar böſe, aber unbezwingliche Macht repräſentiere.
Die Hoffnung, der Fürſt werde beſiegt werden, war nun
mit einem Schlage vollſtändig vernichtet. Umſonſt erklärte ihr
der alte Ohm, daß der junge Fürſt ſich gar nicht mit dem
alten Feldherrn meſſen könne, umſonſt verſicherte er ihr, daß
ſchon die Würde eines Großhetman, welche der König dem
Herrn Sapieha unlängſt verliehen, demſelben ein gewiſſes Ueber—
gewicht über Boguslaw verleihen müſſe. Sie wagte an nichts
mehr zu glauben, nichts mehr zu hoffen.
„Wer könnte ihn bezwingen, ihm gleichkommen?“ wieder—
holte ſie unabläſſig.
33*
916
Weitere Nachrichten fchienen ihre Befürchtungen zu be=
jtätigen.
Wenige Tage jpäter jandte Ketling wieder einen Zettel
mit der Nachricht, daß Horotfiewitich geichlagen und Tykozin
genommen jei. „Ganz Bodlachien,“ jchrieb er, „iſt Schon in den
Händen des Fürſten, welcher nicht warten will, bis Herr Sapieha
ihm entgegen fommt, jondern ihn in Eilmärjchen je eher deito
lieber zu erreichen ſucht.“
„Auch Herr Sapieha wird bejiegt werden,“ dachte Dlenfa.
Inzwiichen gelangte aber auch noch aus einer anderen
Gegend eine Nachricht nach Tauroggen. Sie fam, wie die
Nachtigall im Frühling, etwas ſpät aus dem Süden an die
nördlichite Grenze der Nepublif geflogen. Dafür war fie aus-
geitattet mit allen leuchtenden Farben einer Legende der Heiligen,
den ältejten Zeiten des Chrijtentums eıttitammend, aus jener
Beit, wo die Heiligen noch auf Erden wandelten, um Zeugnis
abzulegen für Necht und Wahrheit.
„Zichenitochau! Tſchenſtochau!“ tünte e8 aus aller Mund.
Das Eis taute von den Herzen, gleic) Frühlingsblumen
vom Licht der wärmenden Sonne erwedt, blühte die Hoffnung
darin auf. Tichenjtochau hatte dem Feinde widerjtanden, man
hatte jie jelbit gejehen, fie die Königin Polens, wie fie ihren
blauen Mantel über die bedrohten Mauern gebreitet. Die
mörderijchen Granaten waren vor ihren heiligen Füßen nieder-
gefallen, hatten jich vor ihr gewälzt, wie jchmeichelnde Haus—
hunde. Den Schweden waren die Hände vertrodnet, die Mus—
feten an das Geficht angewachjen, bis Scham und Entjegen jie
zum Abzug getrieben.
Menjchen, die jich bisher fremd geblieben waren, fielen ich
in die Arme als fie Die Kunde vernahmen und weinten vor
Freude. Andere Elagten, daß ſie die frohe Botjchaft erjt jet
erfuhren.
„Und wir figen hier in Thränen,“ jagten fie, „wir haben
in Harm und Qual jo lange Zeit verbracht, während welcher
wir uns jchon hätten freuen können!“
Und nun erit wußte es die ganze Nepublif. Nun aber
rollten auch die gewaltigen Donner der Erhebung vom Pontus
Eurynius bis zu den Ufern des Baltijchen Meeres. Die Wellen
der Empörung gegen die Unterdrüder gingen hoch; das treue
Volk jtand wie ein Mann auf, jet, wo alle fich unter dem
Schutze der Gottesmutter wußten. Troſt war eingefehrt in die
Herzen, Begeilterung machte die Augen leuchten und Die
>17
Schredniffe der vergangenen Tage erjchienen weniger be—
ängitigend.
„Wer ihn bejiegen wird?“ jagte der Herr Schwertträger zu
Olenka, „wer ihm gleichfommt? Weißt du's nun? Es iſt Die
heilige Jungfrau, an der jeine Macht zerjchellt.“
Beide, er und Dlenfa, brachten Tage lang zu Kreuze
liegend zu, um Gott für jeine Barmherzigkeit mit dem Vater—
lande zu danken; ſie zweifelten num auch nicht länger an der
eigenen Nettung.
Bon Boguslaw hörte man jet lange nichts mehr. Es
war, als jei er mit jeiner ganzen Armee im Wajler verſunken.
Die Offiziere in Tauroggen wurden unruhig und begannen
ſich vor einer unficheren Zukunft zu ängjtigen. Die Kunde
einer Niederlage wäre ihnen lieber gewejen, als dieje Ungewiß—
heit. Aber gerade zu dieſer Zeit war es, wo der jchredliche
Babinitich mit jeinen Tartaren die jürjtliche Arınee überholt
hatte und alle Boten auffing. Deshalb konnte feiner von ihnen
nach) Tauroggen gelangen.
6. Rapitel,
Eines Tages traf in Begleitung einer kleinen Abteilung
Soldaten Fräulein Anna Borjchobohata Krajiensfa in Tau—
roggen ein.
Braun empfing fie jehr zuvorfommend, denn er mußte das
thun, weil Sakowitſch ihm einen diesbezüglichen, vom Fürſten
eigenhändig unterjchriebenen Befehl zugejandt hatte. Es hieß
darin, daß der Nefpeftsdame der Fürſtin Grifeldis Wijchnio-
wiezfa mit aller ihr zufommenden Ehrerbietung zu begegnen jet.
Das Fräulein war aber auch eine außerordentliche Er-
jcheinung, denn vom erjten Augenblid ihrer Ankunft an ergriff
fie das Kommando, und ehe fie e3 jich verjahen, waren Die
Dffiziere ihre ergebenen Diener und Anufia die Herrin der—
jelben. Selbjt der alte Braun, diejer mürrijche deutjche Gejell
ſchmolz unter dem bohrenden, durchdringenden Blid ihrer
Aeugelein und jprang um fie herum, als hätte er Feuer unter
den Sohlen. Noch an demjelben Tage wurde fie mit Olenka
befannt, welche den Ankömmling —— mit Mißtrauen be—
trachtete, obwohl ſie das Fräulein freundlich empfing, in der
Hoffnung, Neuigkeiten von ihr zu hören.
Anuſia brachte auch eine Menge davon mit. Das Ge—
ſpräch fing mit der Erwähnung Tſchenſtochaus an, denn die
Tauroggener Gefangenen begehrten recht viel von der Belage—
rung des heiligen Berges zu hören. Beſonders aufmerkſam
horchte der Schwertträger der Erzählung Anuſias zu, beide
Hände gleich Hörrohren hinter die Ohren geſtellt, um ja nicht
ein Wort davon zu verlieren. Nur zuweilen unterbrach er
519
das Fräulein durch einen Ausruf der Bewunderung oder
Freude:
„Ehre ſei Gott in der Höhe!“
„Mich nimmt nur Wunder,“ ſagte endlich das angekommene
Fräulein, „daß die Herrſchaften erſt jetzt zur Kenntnis der Wunder
der heiligſten Mutter gelangt ſind, das ſind ja längſt geſchehene
Dinge; ich war damals noch in Samoſchtſch und Herr Babinitſch
kam von dorther und nahm mich mit und da war es ſchon
viele Wochen früher geſchehen . . Seitdem werden die Schweden
verfolgt. In Großpolen hat man zuerjt damit angefangen, bei
uns fährt man fort, befonders Herr Tſcharniezki, dejien Name
von den Schweden jehr gefürchtet iſt.“
„AH! Herr Tſcharniezki!“ rief der Schwertträger hände—
reibend aus, „der wird ſie jchon pfeffern. Ich hörte ihn jchon
al3 großen Helden preifen, als er noch in der Ufraine war.“
Anufia knipſte ein Stäubchen von dem Rocke ihres Kleides,
und als handele es jich nur um eine Stleinigfeit, jagte fie jo
obenhin:
„ho! Mit den Schweden it es vorbei!“
Der alte Herr Thomas hielt es num nicht länger aus.
Er ergriff ihr Heines Händchen und indem er dasjelbe tief in
jeinem ungeheuren Schnurrbart vergrub, küßte er es mit Inbrunit,
worauf er ausrief:
„oO, mein allerſchönſtes Fräulein! Bon euren Lippen flieht
Honig, jo wahr ich Gott liebe! ... Es iſt nicht anders, ein
Engel ift nach Tauroggen gekommen.“
Anujia widelte die Enden ihrer mit roja Schleifen ge—
bundenen Zöpfchen um ihre Finger, und indem jie den alten
Herrn von unten herauf anjchielte, entgegnete fie:
„Ei, zum Engel fehlt mir noch viel! Auch die Kronen»
hetmane jind jchon gegen die Schweden ausgezogen und alle
Stammjoldaten und alle Ritter mit ihnen, und eine Konföde—
ration haben jie gegründet und der König iſt ihr beigetreten, und
Aufrufe haben jie erlaffen und die Bauern rotten ſich zufammen
. und die heilige Jungfrau jegnet fie... .“
Ste jprach das alles jchnell bintereinander, wobei ihr
ſüßes Stimmchen Elang wie Vogelgezwitjcher. Der Herr Schwert-
träger wurde weich wie Wache. Zwar fannte er einige der
Neuigfeiten bereits, dennoch brüllte er vor ‚Freude wie ein Bijon.
An den Wangen Dlenfas liefen die Thränen riejelnden Bäch-
lein gleich herab.
Als Anuſia das jah, ſprang fie, deren Herz ein jehr gutes
920
war, auf die Weinende zu, legte ihre Arme um den Hals
Dienfas und begann jchnell zu tröften:
Meint doch nicht . . . Ihr thut mir jo leid, ich- kann
es nicht jehen ... Warum weint ihr eigentlich? ...“
Es lag jo viel aufrichtige Teilnahme in den Worten Anufias,
daß das Gefühl des Mißtrauens in Olenkas Herzen ſchwand.
Doch fie vermochte den Thränen nicht Halt zu gebieten; im
Gegenteil, jie mußte bei den milden Worten des Fräuleins nur
heftiger jchluchzen.
„Ihr jeid jo wunderichön . . .“ verjuchte Anuſia von neuem
zu tröjten, „warum weint ihr denn?“
„sch weine vor Freude,“ antwortete Dlenfa, „aber auch
vor Hummer, denn wir befinden uns hier in jchredlicher Ge—
fangenschaft und jind Tag und Nacht bedroht .
„Wie? Hier beim Fürsten Boguslaw?“
EA hier!“ donnerte Herr Thomas.
Darauf erwiderte Anutia:
„Dasjelbe Los hat mich doch betroffen, aber deshalb weine
ich nicht. Ich kann micht beitreiten, dal; der Fürſt ein Verräter
und Ungläubiger it, aber er it ein galanter Kavalier und er
rejpeftiert das weibliche Gejchlecht.“
„sch wünsche, daß man ihn in der Hölle jo rejpeftiert,
wie er das weibliche Gejchlecht rejpeftiert!” jagte der Schwert-
träger. „Ihr kennt ihn moch nicht, denn er hat euch nicht das
angethan, was er dieſem Mädchen that. Er iſt der erjte Erz
jchelm, Safowitjch der zweite! Wolle Gott, daß der Herr Het-
man Sapieha beide bejiege!“
„Das iſt ſicher! Beſiegt werden ſie! .... Der Fürſt
Boguslaw iſt ſehr krank, ſeine Heeresmacht iſt nicht groß. Er
iſt zwar ſehr ſchnell vorgegangen und hat ein paar Fahnen
vernichtet, aber mit Sapieha ſich zu meſſen, das vermag er
nicht . Bei der Armee Sapiehas befinden jich die größten
Stavaliere des Heeres, die jehr bald mit dem Fürſten Boguslaw
fertig jein werden.“
„Ah! ſiehſt du? Was jagte ich dir?“ wandte ich Herr
Thomas an Dlenfa.
„sch kenne den Fürſten Boguslaw jchon lange,“ fuhr
Anufia fort. „Er ilt ein Verwandter der fürftlichen Herr=
ihaften Wisniowiezfi und Samojsfis; er fam einmal zu uns
nach Zubnie, damals, als der Fürſt Jeremias den Feldzug nach
Lubnie unternahm. Deshalb hat er auch jet befohlen, mich
zu rvejpeftieren, denn er hat mich erkannt und weiß, dab ich
521
dort zum Haufe gehörte und der Fürſtin am nächiten itand.
D! fo, jo, jo flein war ich damals noch, nicht das, was ich
heute bin! . . . Mein Gott! wer hätte damals gedacht, daß er
zum VBaterlandsverräter werden würde, Aber härmt euch nur
nicht, Liebe Herrichatten, Denn entweder fehrt er nicht mehr
hierher zurüd, oder wir finden einen Ausweg, von hier fort—
aufommten.“
„Bir haben auch jchon den Verſuch gemacht, zu entfliehen,“
jprach Dlenfa.
„st er euch mißglückt?“
„Wie hätte er auch glüden jollen,“ verjegte der Schwert-
träger. „Wir vertrauten unjer Geheimnis einem Uffizier, von
welchem wir glaubten, dat er uns freundlich gejinnt jei; es
zeigte jich aber, daß er gewillt it, uns eher zu jchaden, als zu
nügen. Der älteite von ihnen iſt Braun und den fünnte wohl
der Satan jelber nicht von jeiner Pflicht abwendig machen.“
Anuſia jenfte ihre Yider.
„Ber weiß, ob es mir nicht gelingt. Es ift nur nötig,
daß Herr Sapieha hier in Dieje Gegend fommt, damit wir eine
Zuflucht in der Nähe haben.“
„Sott führe ihm recht bald her,“ entgegnete Herr Thomas.
„Bir haben in jeiner Armee auch eine Menge Bekannte, Ver—
wandte umd Freunde . . . Bah! wie mir jcheint, ſind auch Die
früheren Waffenbrüder aus der Zeit des großen Jeremias bei
ihm, Wolodyjowsti, Skrzetuski und Sagloba.“
„Die kenne ich auch,” jagte Anuſia erjtaunt, „aber die jind
nicht bei Herrn Sapieha. O, wenn jie nur da wären, und
bejonders Herr Wolodyjowsfi — denn Herr Sfrzetusfi iſt
verheiratet — dann wäre ich nicht hier, weil Herr Wolo-
dyjowski ſich nicht Hätte jo einschließen laſſen, wie Herr
Kotſchütz.“
„Er it ein echter Kavalier!“ rief der Schwertträger.
„Die Zierde des ganzen Heeres!” jegte Olenka Hinzu.
„Mein Gott! Sie find doch nicht etwa gar gefallen, da
ihr fie nicht gejehen habt?“
„Ei, woher denn!“ antwortete Anufia. „Der Tod jolcher
Nitter wäre nicht umbefannt geblieben; man hat mir nichts
Davon erzählt... Da fennt ihr fie jchlecht . . . denen fommt
niemand bei... höchitens, es müßte fie eine Stugel töten,
denn fein Menjch zwingt fie, weder Herrn Skrzetuski, noch den
Herrn Sagloba und Wolodyjowsfi. Wenngleich auch der Herr
Michael Elein tft, jo erinnere ich mich doch, day Fürst Jeremias
22
von ihm jagte: ‚Wenn das Los der ganzen Republik durch
einen Zweikampf entjchieden werden fünnte, jo würde er nie=
manden dazu auserjehen, als Herrn Michael‘ Er hat ja auch
den Bohun bejiegt ... . O nein! Herr Michael weiß jich
immer zu helfen.“
Der Schwertträger, welcher froh war, mit jemanden plaudern
zu fünnen, ging mit langen Schritten im Gemach auf und
nieder. Nun frug er:
„Seht einmal! Bitte, fennt ihr denn den Herrn Wolo-
dyjowski jo genau?“
„Wir waren ja jo viele Jahre beijammen . . .“
„Bitte! . . . Da it e8 wohl ohne eine Liebeserklärung
nicht abgegangen?“
„Ich kann nichts dafür, daß er ſich in mich verliebt hat,“
jagte Anufia, während ihre Gejtalt eine demütige Stellung
annahm. „Aber Herr Michael iſt jet jicherlich ſchon ver—
heiratet.“
„Nein, das ijt er nicht!“
„Wenn er e8 auch wäre... es wäre mir Doch einerlei!.. .“
„Möge euch Gott zuſammenführen . . . Das eine nur
macht mich bejorgt, daß ſie nicht bei dem Herrn Hetman find,
denn mit jolchen Helden wird der Sieg leichter.“
„Dafür it einer dort, der jie alle erjegt.“
„Wer fünnte das jein?“
& it Herr Babinitſch aus der Wojewodſchaft Witebsk ...
Habt ihr noch nichts von ihm gehört?“
„Nein, und das wundert mich.“
Anuſia fing nun an, die Geſchichte ihrer Abreiſe aus
Samoſchtſch zu erzählen, mit allen Einzelheiten, die ihr begegnet
waren. Herr Babinitſch wuchs während ihrer Erzählung zu
einem ſo großen Helden heran, daß Herr Billewitſch ſich immer—
während den Kopf zerbrach, wer das ſein könnte.
„Sch kenne doch ganz Litauen,“ ſagte er. „ES leben hier
zwar viele Familien, welche jich ähnlich nennen, wie z. B.
Babinaub, Babilli, Babinowski, Babinski und Babski, aber den
Namen Babinitjch fenne ich nicht... . und ich vermute, daß es
ein angenommener Name it, denn es find ihrer viele unter
den PBarteigängern, welche einen faljchen Namen führen, um
nicht den Hat und die Nachjucht der Feinde auf ihre ‚Familien
und ihre Güter zu lenken. Hm! Babinitih!.... Er muß
ein feuriger Stavalier fein, wenn er den Herrn Samojsfi jo
abgeführt hat.“
923
„O, wie feurig, ach!” vief Anufia.
Der Schwertträger wurde gut gelaunt.
„Steht e3 jo um euch?” frug er, vor Anuſia Hintretend
und die Arme in die Seite jtemmend.
„hr reimt euch aber auch gleich weis Gott was zujammen.“
„Sott bewahre! ich reime gar nichts!“
„Und Herr Babinitjch hat mir, als wir Samojchtich kaum
verlajjen hatten, gejagt, daß fein Herz von einer anderen in
Beſitz genommen iſt und dab er nicht gefonnen ſei, die Beſitzerin
zu ändern, obgleich dieje jeine Neigung nicht erwidert . . .“
„Und ihr glaubt das?“
„Gewiß glaube ich es“ erwiderte Anufia lebhaft. „Er muß
bis über die Ohren verliebt fein, wenn er während jo langer
Zeit... wenn er... wenn er...“
„Oho! Ihr findet euch nicht aus,“ jagte der Herr Schwerts
träger lachend.
„Und ich bleibe dabei,“ troßte jie mit dem N aufs
itampfend, „wenn er bald von jich hören läßt .
„Das walte Gott!“
„Ich will euch auch jagen, warum ... Seht! jo oft Herr
Babinitjc) den Namen Boguslaws hörte, oder nannte, wurde
er freideweiß und fnirjchte mit den Zähnen, daß es krachte.“
„Dann iſt er unjer Freund,“ ſagte Herr Thomas.
„Sicherlich! ... Wir wollen ung unter feinen Schuß
jtellen, jobald er hier im diefe Gegend kommt.“
„Wenn es uns gelingt, von hier zu entkommen, dann habe
ich bald eine eigene Partei beifammen und dann jollt ihr jehen,
daß auch ich fein Neuling in der Kriegsfunjt bin, und daß
meine alte Hand noc etwas taugt.“
„Dann Ttellt euch doch unter das Kommando des Herrn
Babinitjch.“
„Mir fcheint, ihr habt es ſehr eilig, unter jein Kommando
zu fommen.“
Sie necten einander noch lange Hin und her und wurden
jo lujtig dabei, daß jelbit Olenka ihren Kummer vergaß und
mitlachte. Da Anuſia gut ausgeruht war — fie hatte im legten
Nachtquartier in Rojchen jehr gut geichlafen —, jo ging fie erſt
jpät in der Nacht in ihre Kemenate.“
„Das iſt ein goldiges Gejchöpf!” jagte Herr Thomas, nach—
dem fie fort war.
„Sie scheint ein aufrichtiges Herz zu haben ... ich denfe,
wir werden bald gute Freundinnen werden,“ antwortete Olenka.
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„And du haft ihr anfangs ein fo ermites Geficht gezeigt.“
„Beil ich vermutete, man Habe ums eine Spionin gejchidt.
Kann man denn willen, ob es nicht wirklich jo it? Bier fann
man vom Fürſten alles geivärtigen!“
„Sie eine Spionin? Allenfalls eine von guten Geiit!...
Sejchmeidig it jie, wie ein Wieſel . . . Wer weiß, was ge-
ichehen könnte, wenn ich jünger wäre, obgleich ich auch jet noch
leicht ‚Feuer fange... .“
Dlenfa wurde nun vollends heiter. Sie ſtützte die Arme
auf ihre Kniee, bog das Köpfchen etwas zur Seite und indem
ſie ſich bemühte im Aufblick Anuſia nachzuahmen, jagte jie
ſchelmiſch:
„Das glaube ich, Oheim! Es könnte euch gefallen, aus
dieſem Mehl eine Muhme für mich zu backen?“
„Na, na, jei stille, Mädchen!” erwiderte der Schwertträger.
Er lachte dabei und drehte die Enden jeines Schnurrbartes
mit beiden Fäuſten mächtig in die Höhe.
Nach einer fleinen Weile ſetzte er hinzu:
„Hat ſie doch jelbjt dich, Gelehrte, nit fortgeriften. Sch
bin ficher, daß ich zwijchen euch eine große Freundſchaft an—
fnüpfen wird,“
Herr Thomas hatte fich nicht getrrt, denn bald entwicelte
fic) zwiichen den beiden Mädchen ein jehr lebhafter Verkehr,
welcher allmählich zur feiten Freundſchaft wurde, vielleicht gerade
darum, weil fie jo ungleichartig waren. Die eine war FElug,
ernst, mit tiefem Gefühl und unbeugjamem Willen; Die andere
bei aller Neinheit dev Gedanken und einem guten Herzen, ein
Iujtiger Vogel. Die eine glich mit ihren itillen Zügen, den
blonden Zöpfen, mit ihrer unvergleichlichen Ruhe und der An—
mut ihrer jchlanfen Gejtalt der Piyche des Mltertums, Die
andere, ganz jchwarz, erinnerte eher am einen Kobold, der die
Menjchen gern irre führt und nedt, um jie dann auszulachen.
Die Offiziere, welche Gelegenheit hatten, beide täglich zu jehen,
waren verjucht, dem Fräulein Billewitich zu Füßen zu fallen,
dagegen Anufias Lippen zu küſſen.
Ketling, welcher als Schotte die melancholijche Gefühlstiefe
diejer Bergbetvohner bejaß, vergötterte Olenfa und hatte von
Anfang an einen Widerwillen gegen Anuſia, welche demjelben
mit gleicher Münze heimzahlte, während ſie ſich an der Ver—
ehrung Brauns und der anderen Offiziere jchadlos dafür hielt,
den Herrn Schwertträger nicht ausgejchlojien.
Dlenfa gewann binnen kurzem ein großes Webergewicht
925
über ihre Freundin, welche mit volliter Aufrichtigfeit zum
Herrn Thomas zu jagen pflegte:
„Sie jagt in zwei Worten mehr, als ich den ganzen Tag
hervorbalwere.“
Einen Fehler nur fonnte die ernite Dlenfa der Freundin
nicht abgewöhnen, das war ihre SKofetterie und Verliebtheit.
Sie brauchte nur das leijeite Sporenflirren zu vernehmen, jo
jchlüpfte jie unter dem Vorwande, etwas vergejjen zu haben,
oder nachzujehen, ob jemand Neuigfeiten von Sapieha bringe,
hinaus, rannte den Korridor entlang wie ein Wirbelwind und
prallte anjcheinend furchtbar erjchredt zurüd, wenn jie den
Offizier, der daher fam, erreicht hatte, während fie rief:
„ech! wie habt ihr mich erjchredt!“
Darauf begann jogleich die Unterhaltung, eingeleitet Damit,
daß jie verjchämt die Schürzenzipfel drehte, und fortgejegt mit
Augenblinzeln und verjchiedenen Mienen, denen fein noch jo
hartes Kriegerherz widerjtehen konnte.
Olenka verübelte ihr dieje Kofetterie um jo mehr, da fie
ihr einige Tage nach ihrer angefnüpften Befanntjchaft heimlich
ihre jtille Liebe für Babinitjch eingejtanden hatte. Sie unter-
hielten jich jeitdem öfter von ihm.
„Andere betteln um ein freundliches Wörtchen von mir,”
pflegte Anufia zuweilen zu jagen. „Dieſer Drache zog vor,
jeine Tartaren anzujehen, als mir einen Blick zu jchenfen; er
jprach nichts anderes mit mir, wie: ‚Et doch! Trinkt doch!
Steigt ein! Steigt aus!“ Das alles Flang nicht unfreundlic)
oder grob, mein durchaus nicht. Er jorgte auch auf das Beite
für mid. In Krasnyſtaw jagte ich mir: ‚Du willſt mich nicht
anjehen? Gut! Warte" Da, in Lontjchna jah er mid) ein-
mal einen Augenblid an, aber, als ic) in jeine grauen Augen
ſah, ich jage dir, und wie er mich anlachte, da war ich jo be=
glüct, al8 wäre ich jeine Sklavin... .“
Olenka ließ den Kopf ſinken, auch ihr kamen ein paar
graue Augen in Erinnerung. Auch er würde ſo geſprochen, ſo
kommandiert haben wie dieſer, auch ihm leuchtete die Tüchtig-
feit, Die Energie aus den Augen, nur zwei Dinge fehlten ihm,
Gewifien und Gottesfurdt.
Anufta, ihrem Gedanfengange folgend, fuhr fort:
„Wenn er mit jeinem ÖStreitfolben über die Felder jagte,
fonnte man ihn für einen Adler oder für einen Hetman halten.
Die Tartaren fürchteten ihn wie das Feuer. Wohin er Fam,
fand er Gehör und gute Aufnahme, und galt es einen Kampf
926
mit dem Feinde, dann flammte er vor Begeiiterung. Ich habe
in Lubnie viele edle Kavaltere fennen gelernt, doc) Feiner hat
mir wie er Angit eingeflößt.“
„Wenn Gott ihn dir bejtimmt hat, dann befommit du ihn,
* ich kann mir nicht vorſtellen, daß er dich nicht lieb haben
ollte ...“
„O, gern gehabt hat er mich ... jo ein klein wenig...
aber die andere mehr. Er Hat mir beim Abjchied gejagt: ‚Es
ist ein Glück, daß ich weder vergejlen noch aufhören kann zu
lieben, jonit wäre es bejier gewejen, man hätte dem Wolf be=
fohlen, die Ziege zu hüten, als ein jolches Mädchen mir.“
„Bas haft du darauf geantwortet?“
„sch ſagte: Was hättet ihr thun wollen, wenn ich euch)
nicht hätte leiden mögen? Darauf antwortete er: ‚Darnad)
hätte ich nicht gefragt! Was joll man mit jo einem Menſchen
machen? ... Die andere iſt dumm, daß ſie ihn nicht liebt; fie
muß ein Herz von Stein haben. Ich frug ihn nach ihrem
Namen; er wollte ihn mir nicht jagen. ‚Es iſt bejjer, jprach
er, nicht daran zu rühren, das üt eine wunde Stelle, die
zweite wunde Stelle jind die Radziwills . . . d. 5. die beiden
Landesverräter!' Sein Geficht nahm jogleich einen jo jchred-
lichen Ausdrud an, daß ich am liebiten gleich in ein Mauje-
loch gefrochen wäre. Ich fürchtete mic geradezu vor ihm!...
Aber, was da! Er it nicht für mic), nicht für mich!“
„Bitte den heiligen Nikolaus um ihn; ich hörte von der
Tante, daß diejer der beite Vermittler it. Sieh dich nur vor,
daß du den Heiligen nicht beleidigit, indem du anderen Die
Köpfe verdrehit.“
„Sch werde es nicht mehr thun, nur ein Bischen, jo ein
Hein wenig.“
Hier zeigte Anufia am Finger, wie viel jie jich erlauben
wolle, es war höchitens jo viel, als auf dem halben Finger-
nagel Raum hatte.
„sch thue es doch nicht aus Uebermut,“ erflärte ſie dem
Herrn Schwertträger, welcher fie ebenfalls ob ihrer Flatterhaftig—
feit tadelte, „aber ich mul doch, denn wer jollte uns wohl von
bier forthelfen, wenn nicht die Offiziere hier?“
„Bah! Braun thut es niemals.“
„Braun ijt gewonnen!“ entgegnete jie mit leiter Stimme,
während jie die Augen niederjchlug.
„Und Fit-Gregory ?“
„Auch!“ antwortete jie noch leiler.
ot
LO
-]
„Und Ottenhagen?“
„Ebenfalls!“
„Und Streben?“
„Gehört zum Bunde!“
„Ihr jeid imjtande gewejen, fie alle zu bethören? ...
Doc ich merfe, mit Ketling allein ſeid ihr micht fertig ge-
worden . . .“
„Der iſt mir zuwider! Doch ihn wird eine andere für
unjeren Plan gewinnen. Schließlich behelfen wir uns ohne
jeine Erlaubnis.“
„Slaubt ihr, daß er uns gutwillig ziehen läßt?“
„Die anderen gehen mit uns! ...“ antivortete fie, den
Kopf vorstredend und mit den Augen zwinfernd.
„Aber, mein Gott! Warum figen wir dann noch hier?
Ich wünſche, wir wären jchon weit fort.”
Aus der Beratung, die nun folgte, ergab jich, daß man
warten müſſe, bi8 das Schidjal Boguslaws entjchieden jei und
bis der Herr Unterfämmerer oder Herr Sapieha näher fommen
werde. Im anderen Falle drohte ihnen die größte Gefahr
nicht nur von den Feinden, jondern auch von den eigenen
Landsleuten, da die Begleitung der jchwediichen Offiziere Die
Gefahr noch vergrößere. Das Bolt war fo jehr gegen Die
fremden Unterdrüder aufgebracht, daß es einen jeden, welcher
nicht polnische Kleider trug, unbarmherzig niederichlug. Die
polnischen Würdenträger, Die aus irgend einem Grunde aus:
ländische Kleider trugen, die öjterreichiichen und franzöfiichen
Diplomaten fonnten nur unter dem Schuge einer großen
militärischen Esforte reifen.
„Ihr könnt es mir glauben, Herrichaften,“ jagte Anuſia,
„ich habe das ganze Land durchreiit. Im eriten beiten Dorf,
im eriten beiten Wald ermorden uns die Bauernrotten, ohne
zu fragen, wer oder was wir find Wir finden nur Zuflucht
bei der Armee.”
„Bah! Ich ſtoße zu meiner Partei,“ verjegte Herr Thomas.
„Ehe ihr jie jammelt, noch ehe ihr in eim euch befanntes
Dorf gelangt, habt ihr das Leben verloren.“
Es müfjen doch bald Nachrichten vom Fürften Boguslaw
eintreffen,“ bemerkte der Schwertträger ärgerlic).
„sc Habe Herrn Braun beauftragt, mich ſogleich in
Kenntnis zu jeßen.“
Braun ließ aber lange Zeit auf fich warten. Dafür be-
juchte jett Ketling Olenka zumeilen, denn fie hatte ihm eines
928
Tages bei einer Begegnung die Hand gereicht. Der junge
Offizier deutete das tiefe Schweigen des ‚züriten jchlimm. Nach
jeiner Anjicht mußte derjelbe aus Rückſicht auf den Kurfürsten
und die Schweden jelbit die unbedeutenditen Siege nach Tilfit
melden, ja, er würde diejelben eher übertreiben, als jie gänzlich
verheimlichen, denn Verluſte würden jein Anſehen ſchwächen.
„sch will der Vermutung nicht Raum geben, daß feine
Armee gänzlich vernichtet it,“ ſagte der junge Offizier, „Doch
muß jich der Fürſt in großer Bedrängnis befinden, aus welcher
er feinen Ausweg findet.“
„Man erfährt hier alles jo jpät,“ Elagte Olenka. „Der beite
Beweis hierfür it die Nachricht von Tſchenſtochau, deſſen
wunderbare Befreiung wir erit jet durch Fräulein Borjcho-
bohata erfahren haben.“
„sch wußte es längjt, Herrin, da ich aber als Ausländer
nicht wußte, welche Bedeutung diejer Ort für die Polen hat,
erwähnte ich nichts davon. Es gejchieht ja häufig in Kriegs—
zeiten, daß irgend ein Feines Schloß oder eine Burg ich eine
Zeitlang hält und etliche Stürme abjchlägt, man legt für
gewöhnlich jolchen Ereignifjen fein großes Gewicht bei.“
„Mir wäre Ddieje Nachricht das liebjte gewejen, was ihr
mir bringen fonntet!“
„Leider jehe ich zu jpät ein, daß ich unrecht gethan habe,
denn nach dem zu Schließen, was ich jet hörte, ift Die Befreiung
des Kloſters eine überaus wichtige Sache, welche den Verlauf
des ganzen Feldzuges beeinfluffen fann. Um nun auf die
Erpedition des Fürjten nach Podlachien zurüdzufommen, jo
liegt die Sache ganz anders. Tichenjtochau ijt weit, Bodlachien
nahe. Wißt ihr noch, Herrin, wie jchnell die Nachrichten zu
ung gelangten, als es dem Fürſten anfangs gut ging?...
Glaubt mir, Herrin! Ich bin ein junger Menjch, aber jeit
meinem vierzehnten Jahre bin ich Soldat und meine Erfahrung
jagt mir, daß diejes Schweigen Unheil verfündet.‘
„Bielmehr Gutes!“ entgegnete das Fräulein.
„Sei e8 denn, Gutes! ... In einem halben Jahre endet
meine Dienitpflicht, in einem halben Jahre bin ich von meinem
Eide erlöit!.. . .“
Ein paar Tage nach dieſer Unterredung lief endlich Die
erite Kunde aus Podlachien ein.
Ein Herr Bies vom Wappen der Kornia brachte fie; er
wurde am Hofe des Fürſten Kornutus genannt. Polniſcher
Edelmann von Geburt, war er doch vollitändig Ausländer
29
geworden, weil er von Kindesbeinen an in den benachbarten Ländern
als Soldat gedient hatte. So hatte er jeine Mutterjprache fait
ganz vergeſſen und ſprach jie jegt mit deutjchem Accent. Sein
Herz war dem Vaterlande ebenfalls entfremdet, deshalb war er
dem Fürſten jehr zugeneigt. Er reijte jegt in wichtiger Mifjion
nach) Königsberg und war in Tauroggen nur zur Naft eingefehrt.
Braun und Ketling führten ihn jogleich zu Olenka und Anufia,
welche gegenwärtig ein und dasjelbe Gemach bewohnten.
Braun machte Front vor Anujia, dann wandte er Jich
an Herrn Bies und jagte:
„Dies iſt eine Verwandte des Herrn Samojsfi, des
Starojten von Kalusf, folgedejlen auch Sr. Durchlaucht des
Fürſten, welcher befohlen hat, ihr alle Ehren zu erweifen. Das
Fräulein wünjcht die Nachrichten aus PBodlachien von einem
Augenzeugen zu hören.“
Herr Bies nahm jofort eine unterwürfige Stellung an und
erwartete die Fragen des Fräuleins.
Anufia wollte die Blutsverwandtichaft mit Boguslaw
nicht verleugnen; die dargebrachten Huldigungen machten ihr
Vergnügen. Sie wies mit der Hand auf einen Stuhl, dann
ald Herr Bies Platz genommen, frug jie:
„Wo befindet jich der Fürſt gegenwärtig?“
„Auf dem Rückzuge nach Sofolfa, welcher mit Gottes Hilfe
glücklich von ftatten gehen möge.“
„Sprecht die Wahrheit! wie befindet jich der Fürſt?“
„sch will die reine Wahrheit jagen und nichts verheim-
lichen,“ antwortete der Offizier, „in der Hoffnung, dag Em.
Hochwohlgeboren in der eigenen Seele Mut genug findet, minder
gute Neuigkeiten anzuhören.“
„sch werde ihn finden!“ jagte Anufia, während jie die
Abjäge ihrer Stiefelchen zujammenflappte vor I era,
über die Titulatur, die man ihr gab, und vor Freude darüber,
daß die Neuigkeiten ‚minder gute‘ waren.‘
„Anfangs ging alles gut,“ jagte Herr Bied. „Wir zer-
jtreuten und verjprengten unterwegs einige Nebellenrotten, jchlugen
den Herrn Krystof Sapieha und ließen von zwei Neiterfahnen
und einem Regiment Füfilieren feinen Mann übrig... Dann
jchlugen wir den Herrn Horotfiewitjch, welcher unter den Ge-
töteten jein ſoll . . . und bejegten die Nuinen von Tyfozin.“
„Das willen wir jchon alles,“ unterbrah ihn Anufia
plöglich, „erzählt weiter.“
„Habt die Gnade, mich geduldig anzuhören. Wir famen
Sientiewicz, Sturmflut II. 34
530
bis Drohitichyn; dort wendete jich das Blatt plöglih. Wir
hatten gehört, daß Herr Sapieha noch weit zurüd jei. Da,
plöglich verjchwanden zwei unjerer Streifpatrouillen jpurlos.
Es fam nicht ein Mann zurüd. Dann bemerften wir, dab
irgend eine fremde Truppe vor uns her marjchierte; dieje Ent-
deckung machte uns ganz irre. Se. Durcjlaucht begann zu
vermuten, daß alle früheren Berichte faljch waren, dat Sapieha
nicht nur weiter vorgejchritten war ala wir dachten, jondern
daß er uns den Weg verlegt hatte. Wir fonzentrierten uns
nun rücdwärts, um den Feind uns nachzuloden und ihn zu
zwingen, uns eine Schlacht zu liefern, was Se. Durchlaucht
durchaus erzwingen wollte... Aber der Feind that uns den
Willen nicht; er überfiel uns ohne Unterlaß bald hier, bald da.
Bon da ab jchmolz uns das Glück unter den Fingern; man
lieg uns Tag und Nacht nicht Ruhe, man zerjtörte uns die
Wege, die Brüden und Uebergänge und nahm uns den Proviant
weg. Es verbreitete ſich das Gerücht, daß Herr Tcharniezfi
Fefbit uns umjchwärme Man ließ die Soldaten nicht in Ruhe
ejien, nicht jchlafen, der Mut verließ fie, im Lager jelbjt famen
uns die Mannjchaften abhanden; jie waren immer ſpurlos ver-
jchwunden. In Bialyitod fing der Feind wieder dem ganzen
Vortrab mit dem Kredenzwagen und den Karoſſen des Fürſten
ab. Sp etwas hatte ich noch micht erlebt. Der Fürſt war
furchtbar aufgeregt; er wollte eine Schlacht erzwingen und
mußte täglich) an die zehn Gefechte liefern... .. und verlieren.
Die Ordnung löjte jih auf. Wer aber bejchreibt unjer Ent-
jegen, als wir erfuhren, daß Herr Sapieha noch gar nicht in
unjerer Nähe jei, jondern nur ein jtarfer Bortrab jeiner Armee
uns alle die unausjprechlichen Qualen und Niederlagen bereitete
. .. Der Vortrab beitand aus Tartaren . . .“
Die weiteren Worte des Offiziers unterbrach ein Aufjchrei
Anufias, welche jich plöglich an die Brust Olenkas werfend ausrief:
„Herr Babinitjch!“
Der Offizier jtaunte, als er den Namen hörte, doch er glaubte,
daß Schreden und Entjegen dem hochgeborenen Fräulein diejen
Schrei entrijjen, deshalb fuhr er erit nach einer Pauſe fort:
„em Gott einen hohen Rang verliehen hat, dem giebt er auch
die Kraft, Schweres zu ertragen. Beruhigt euch Ew. Hochgeboren!
Dieſer Höllenjohn, der das Schidjal des ganzen Feldzuges zer-
ftört und uns jo endlojen Schaden bereitet hat, heit wirflich jo.
Sein Name, welchen Ew. Hochgeboren jo jcharfiinnig zu erraten
geruhten, iſt in unjerem Lager der Schreden und die Wut aller.“
— — ie
531
„Ich habe dieſen Herrn Babinitſch in Samoſchtſch geſehen,“
verſetzte Anuſia haſtig, „und hätte ich geahnt .
Hier verjtummte ſie. Niemand erfuhr, was in Diejem
Falle gejchehen wäre.
Nach einer Pauſe erzählte der Offizier weiter:
„Dann fam Tauwetter und jchöne Tage; während, wie
wir hörten, ganz gegen die Ordnung der Natur, im Süden der
Nepublif noch Falter, jtrenger Winter herrjchte, wateten wir
im aufgeweichten Boden, welcher unjere jchwere Neiterei feſt—
hielt, daß fie nicht weiter fonntee Gr aber hatte leichte
Neiter und jeßte und um jo mehr zu. Alle paar Schritte
blieben die Wagen und Gejchüge ſtecken, wir famen fait nicht
von der Stelle. Die Landleute mit ihrer blinden Gehäjlig-
feit jtanden im Einvernehmen mit den Verfolgern. Es gejchehe
Gottes Wille, aber ich habe das Lager und Se. Durchlaucht
jelbjt in einer verzweifelten Lage zurüdgelajjen. Das heftige
Fieber verläßt den Fürſten faum; es hält ihn tagelang feit und
entfräftet ihn zujehends. Die entjcheidende Schlaht muß in
furzen fallen, aber wie e8 jich wenden wird . . . Gott weiß e3
und wird es lenken . . . E83 müßten denn Wunder gejchehen.“
„Bo habt ihr den Fürſten verlajien?“
„Etwa eine Tagereije weit von Sofolfa. Se. Durchlaucht
hat die Abjicht, ji) in Suchowola oder Janowo zu verjchanzen
und den Angriff abzuwarten. Herr Sapieha ijt zwei Tagereijen
entfernt vom Lager. Als ich abreijte, war gerade eine Ruhe—
pauje für ung eingetreten, denn ein aufgefangener Kundjchafter
jagte uns, daß Babinitjch jelbit in das Hauptquartier zurüd-
gefehrt ijt und jeine Tartaren ohne ihn nichts unternehmen
dürfen, als höchitens Batrouillen aufheben. Se. Durchlaucht
ilt ein berühmter Feldherr; er erwartet alles Gute von einer
Entjcheidungsichlacht, Doch nur, wenn er jich gejund fühlt. it
er krank, jchüttelt ihn das Fieber, dann denkt er anders, jonit
würde er mich nicht nach Preußen geſchickt haben.“
„Bas jollt ihr dort ausrichten?“
„Entweder gewinnt oder verliert der Fürſt die Schlacht.
Berliert er, jo bleibt ganz Preußen ſchutzlos dem Feinde preis-
gegeben; es fünnte leicht gejchehen, daß Sapieha die Grenzen
der Provinz überſchreitet . . . Alſo — ich jage es offen, weil
e3 fein Geheimnis iſt — ich gehe dorthin, um zu warnen.“
Mit diefen Worten jchloß der Offizier feinen Bericht.
Anufia legte ihm noch eine Menge ragen vor, indem fie
jih Gewalt anthat, um die nötige Würde zu wahren. Als er
34*
932
hinausgegangen war, legte jie fich feinen Zwang mehr auf; jie
hüpfte umber, Elopfte mit den Händen ihr Jäckchen, drehte jich
auf dem Abſatz, küßte Olenka die Augenlider und zupfte den
Herrn Schwertträger an den Lleberärmeln jeines Schnürenrodes
und plauderte zwiſchendurch:
„Run, was habe ich gejagt? Wer hat dem Fürſten Bogus-
law jo zugejegt? Etwa Herr Sapieha? ... Ia, bat jich was!
Wer macht es mit den Schweden ebenjo? Wer tilgt die Unter-
drüder aus? Wer ijt der größte Kavalier, der tapferite Ritter?
Herr Andreas! Herr Andreas ...“
„Wer? Herr Andreas?“ frug plöglich Olenka, weiß wie
ein Leinentuch.
„gabe ich dir denn nicht gejagt, daß er Andreas heikt?
Er erzählte e8 mir einmal jelbjt. Herr Babinitſch! Es lebe
Herr Babinitich! . . . Herr Wolodyjowski fünnte es auch nicht
befier machen! ... Was fehlt dir, Olenka?“
Das Fräulein Billewitjch jchüttelte ſich, als wolle fie eine
jchwere Laſt von ihren Schultern werfen.
„Nichts,“ jagte fie. „Sch dachte nur, dat alle, die diejen
Namen tragen, Verräter jein müßten. Es war einmal einer,
der hat jich erboten, den König von Polen tot oder lebendig
den Schweden oder dem Fürſten Boguslaw auszuliefern und
der hieß auch ... . Andreas!“
„Bott verdamme ihn!“ rief der Schwertträger. „Wozu jeßt
Nachts alte Erinnerungen auffrifchen. Laßt uns lieber freuen,
da wir Urjache haben, es zu tun.“
„Wenn erjt Herr Babinitjch angezogen Fommt!“ ſetzte
Anufia Hinzu. „Alſo fol Sch werde abjichtlich den Herrn
Braun noch verrüdter machen und ihn veranlafien, die ganze
Beſatzung rebellifch) zu machen und jamt den Leuten und
Pferden zu Herrn Babinitjch überzugehen.“
„hut das! Thut das!“ rief der Schwertträger heiter.
„Und dann blafe ich auf alle Schweden und jonjtigen
Feinde. Vielleicht vergißt er unterdeſſen jene Unwürdige und
nimmt mid) .
Wieder liſpelte ſie mit feiner Stimme und bedeckte die
Augen mit den Händen. Plötzlich ſchien ſie der Unwille zu
faſſen, denn ſie ſchlug eine Fauſt in die andere und ſagte:
„Wenn nicht, dann heirate ich den Herrn Wolodyjowski!“
— —
T. Kapitel.
Zwei Wochen jpäter wurde es lebendig in Tauroggen.
Eines Tages zogen ungeordnete Haufen der Truppen Bogus—
laws heran; es waren meijt nur dreißig bis vierzig Pferde,
die jamt den Neitern elend, abgeriſſen und abgemagert zum
Skelett waren. Sie brachten die Nachricht von der Niederlage
des Fürſten bei Janowo. Er hatte alles verloren, die Armee
war teils erjchlagen, teil verjprengt, die Geſchütze, Pferde,
Zelte, alle8 war fort. Bon den jechstaujend Mann, die aus:
gezogen waren, hatte Boguslaw nur etwa vierhundert Neiter
gerettet, diejelben, welche er jelbjt angeführt.
Bon den Polen, die mit ihm waren, fehrte außer Sako—
witjch nicht eine lebende Seele wieder; was von ihnen noch
übrig geblieben, das war zu Herrn Sapieha übergegangen,
jogar viele der fremden Söldlinge hatten vorgezogen, jic dem
Sieger auf Gnade und Ungnade zu ergeben, jtatt mit dem
Befiegten zu fliehen, und in dem Maße, in welchem die höfijche
Schmeichelet vorher die FFeldherrntugenden Boguslaws gerühmt,
in demjelben Made klagten und jchalten nun alle die Schmeichler
über die Unzulänglichfeit derjelben. Die Webriggebliebenen
waren jo erzürnt und empört gegen den Fürjten, daß jie nicht
mehr zujfammenhielten, jondern in ungeordneten Haufen aus—
einanderliefen, jo daß der Fürſt zu jeiner perjönlichen Sicher:
heit vorgezogen hatte, etwas zurück zu bleiben.
Beide, Sakowitſch und er, befanden jich gegemvärtig in
Nojchen. Vanling begab ich, als er das erfuhr, jogleich zu
Dlenfa, um ihr Mitteilung davon zu machen.
934
Nachdem das Fräulein den Bericht angehört, jagte fie
u ihm:
„Die Hauptjache iſt nun die, ob Herr Sapieha und Babi—
nitſch den ‚züriten verfolgen und den Ktriegsichauplag hierher
verlegen wollen ?
„Man kann aus den Berichten der Flüchtlinge nicht Klug
werden,“ antwortete der Offizier. „Der Schreden läht fie vieles
übertreiben. So behaupten die Aengitlichiten von ihnen, daß
Babinitjch ihnen dicht auf den serien iſt. Da aber der Fürjt
mit Safowitjch zurückgeblieben it, jo vermute ich, daß die Ver—
folgung feine jo hajtige jein kann.“
„Aber fie muß doch eintreten; es iſt gar nicht anders
anzımehmen. Wer würde nach einem Siege den Bejiegten
nicht verfolgen ?“
„Das wird die Zeit uns lehren. Sch wollte mit euch,
Herrin, von anderem reden. Der Fürſt muß infolge jeines
Mißgeſchickes und jeiner Erfranfung jehr gereizt jein; er wird
in der Verzweiflung noch mehr zu Gewaltthaten geneigt jein,
als früher... . Trennt euch daher nicht von der Muhme und
von dem Fräulein Borjchobohata; laßt auch nicht zu, daß der
Herr Schwertträger nach Tilfit gejchieft wird, wie dag vorige Mal.“
Dlenfa antwortete nichts. Der Schwertträger war gar
nicht nach Tilfit gebracht worden, nur hatte der Fürſt, um vor
jeinen Leuten jeine graujige That zu verbergen, durch Safowitjch
das Gerücht verbreiten laſſen, der Alte ſei nach Tilfit gereiit,
während er thatjächlic) infolge des Stoßes, welchen ihm der
Fürſt verjegt, frank darmiederlag. Dlenfa wollte darüber nicht
jprechen; jie war zu ſtolz, um jelbit Stetling gegenüber einzu—
geitehen, daß ein Billewitich von jemandem wie ein Hund
mißhandelt worden war.
„Sch danke euch für die Warnung,“ ſagte fie nad
einer Pauſe.
„sch hielt es für meine Pflicht . . .“
Da wurde Dlenfa plößlich wieder von Bitterfeit gegen Ketling
erfüllt. War er doch nur allein ſchuld daran, daß dieſe neue
Gefahr über ihrem Haupte ſchwebte; hätte er damals in ihre
Flucht gewilligt, jo wäre fie jegt längſt in Sicherheit.
„Herr Kavalier,“ jagte fie, „es iſt wahrhaft ein Glück,
daß Ddiefe Warnung nicht gegen die Ehre und eure Dienit-
pflicht verstößt, indem der Fürſt euch nicht befohlen hat, mich
nicht zu warnen.“
930
Ketling verstand den Norwurf jehr gut. Mit einer Würde,
die jie ihm nie zugetraut Hätte, erwiderte er:
„sch erfülle das, was meine Dienjtpflicht und meine Ehre
mir gebieten, entweder ganz, oder ich ziehe vor zu jterben, che
ich fie verjäume Mir bleibt nur zwiichen diefem beiden die
Wahl. Außerhalb meines Dienjtes darf ich Nichtstvürdigfeiten
zu verhüten juchen. Als Privatmann alſo laſſe ich euch dieſe
Piſtole zurück mit der Bitte: wehrt euch, wenn die Gefahr
nahet, im Notfalle — tötet euch! Gejchieht das, dann bin ich
meiner Pflicht ledig und kann zu eurer Rettung berbeieilen.‘
Während er das ſagte, verneigte er ſich und wandte Jich
der Thüre zu, Olenka aber hielt ihm zurüd,
„Herr Kavalier,“ bat fie, „macht euch frei von diefem Dienit,
verteidigt die gute Sache, ſchützt die Unterdrückten; es ift fchade
um euch.”
Ketling unterbrad) jie:
„sch hätte mich längit frei gemacht und mein Gejuch um
Entlajjung eingereicht, wenn ich nicht gedacht hätte, euch, Herrin,
hier nügen zu fünnen. Heute iſt es zu jpät dazu. Wäre der
Fürſt als Sieger heimgekehrt, jo hätte ich nicht einen Augen—
blick gezaudert; da er aber der Bejiegte iit, da der Feind ihm
auf den Ferien it, jo wäre es Feigheit, eher gehen zu wollen,
als der Plichttermin abgelaufen iſt. Ihr werdet zu eurer
Genugthuung jehen, wie viele jeiner früheren Bewunderer den
Beliegten feige verlafien; mich werdet ihr nicht unter ihnen
finden... . Lebt wohl, Herrin! Die Piltole iſt gut; fie zer—
jchmettert leicht jogar einen Panzer.“
Mit Ddiefen Worten entfernte jich Setling, die Waffe
zurücklaſſend.
Olenka verwahrte dieſelbe ſogleich. Glücklicherweiſe gingen
ihre und des jungen Offiziers Befürchtungen nicht in Erfüllung.
Der Fürſt kam gegen Abend in Begleitung Sakowitſchs
und PBaterjons an; er war jo frauf, dab er faum zu jtehen
vermochte. Er wußte jelbit nicht mit Gewißheit, ob Herr
Sapieha jelbit die Verfolgung aufgenommen oder Babinitſch
mit der leichten Neiterei damit betraut haben mochte.
Boguslaw war fich zwar bewußt, den leßteren janıt jeinem
Pferde bei der Attacke überrannt zu haben, doch wagte er nicht
zu hoffen, daß er ihn dabei getötet, da ihm jchien, als wäre
jein Napier an dem Bilier des Verhaßten abgeprallt. War er
doch jelbit damals mit dem Leben davongefommen, als er ihm
die Piſtole direkt in das Geficht abgejchofien hatte.
930
Der Gedanke, wie Babinitjch und feine Tartaren in den
fürjtlichen Gütern haufen würden, wenn er zu denjelben gelangte,
peinigte den Fürſten entjeglich. Und er hatte nichts mehr, fie zu
verteidigen, ja er wußte noch nicht einmal, wie er jeine Perjon
in Sicherheit bringen follte, da e8 nicht viele jolcher Söld-
linge gab, wie Ketling, und anzunehmen war, daß bei der
eriten Kunde vom Herannahen des Feindes auch, dieje ihn ver—
laſſen würden.
Der Fürjt Hatte die Abjicht, nicht länger als zwei bis
drei Tage in Tauroggen zu bleiben; er mußte jobald wie
möglich zum Kurfürften und zu Stenbocd zu gelangen juchen,
um neue Streitfräfte zu jammeln und Dieje entweder zur Ver—
teidigung der Städte Preußens zu verwenden, oder fie dem
Könige nachzujenden, welcher einen Feldzug in das Innere der
Nepublif plante.
Er wollte in Tauroggen nur einen Offizier zurücklaſſen,
welcher Ordnung in die verjprengten Neite der Armee bringen,
die bäuerlichen und adligen Batrioten im Zaune halten, Die
Güter beider NRadziwills bejchügen und die Verbindung mit
der Armee Loewenhaupts, der Hauptmacht in Smudz, wieder
heritellen jollte.
Zu dieſem Zwed ließ der Fürſt nach der erjten guten
Nachtruhe Sakorwitid zu ſich rufen, welcher der einzige war,
dem er volles Vertrauen jchentte.
Es war ein jeltjamer „guter Morgen,“ den die beiden
Freunde jich nach der verunglücdten Erpedition in QTauroggen
wünjchten. Sie jtarrten jich wortlos eine Zeitlang an. Endlich
ergriff der Fürft zuerſt das Wort.
„Ah! was nun! Die Teufel haben alles genommen!“
„Ste haben es!“ wiederholte Sakowitſch.
„Es konnte nicht anders fommen. Hätte ich mehr leichte
Neiterei gehabt, oder hätte der Henker nicht dieſen Babinitſch
in meinen Weg geführt . . . zum zweiten Male! Er hat einen
anderen Namen angenommen, der Galgenhund. Erzähle das
niemandem, damit ſein Ruhm nicht noch größer werde.“
„Ich werde nicht davon ſprechen . . . aber ich garantiere
nicht, daß die anderen Offiziere es auspojaumen, denn ihr habt
ihn damals zu euren Füßen ja jelbit als den Fahnenträger
von Orſchan präjentiert.“
„Die Offiziere und die Deutjchen verjtehen die polniſchen
Namen nicht. Ihnen it es gleich, ob Kmiziz oder Babinitic).
AH! bei den Hörnern des Luzifer, wenn ich ihn hätte! Aber
537
ich hatte ihn ja... und da hat mir der Schelm die eigenen
Leute zu Rebellen gemacht und die ganze Abteilung Glowbitjch
weggeführt! ..... Er muß ein Baſtard umjeres Gejchlechtes jein,
anders iſt es nicht! . . . Und ich Hatte ihn ... hatte ihn...
und er iſt entfommen! ... Das frißt mehr an mir, wie die
ganze verunglüdte Expedition.“
„Ihr hattet ihn, Durchlaucht, für den Preis meines Kopfes.“
„Jaſchu! ich will ehrlich fein. Ich hätte dir ruhig das
sell über die Ohren ziehen laſſen, wenn ich Kmiziz's Fell hätte
gerben laſſen können!“
„sch danke, Bogujch! Mehr durfte ich von deiner Freund—
ſchaft nicht erwarten.“
Boguslaw lachte auf:
„Du hättejt Schön auf dem Roſt Sapiehas gebraten; ich
hätte dich jehen mögen. Alle deine Schelmenitüde wären da
ausgejchmort.“
„Und ich wollte dich in Kmiziz's Händen jehen, in den
Händen deines lieben Verwandten. Deine Gejichtszüge ind
anders, aber in der Geſtalt jeid ihr euch gleich, eure Stiefeln
haben das gleiche Maß, ihr Ichmachtet nach demjelben Mädchen,
nur daß fie in ihrer Unerfahrenheit initinftiv errät, Daß jener
beſſer und tapferer iſt als du.“
„Zweie jolcher, wie du, würde er wohl zwingen, doch mir
fommt er nicht gleich... Hätte ich auf der Flucht zwei Minuten
Zeit gehabt, jo Könnte ich dir auf Ehremvort verjichern, dal
mein Verwandter tot it. Du warit immer ehivas dumm, gerade
darum liebte ich dich, aber in der legten Zeit iſt dein Wit
ganz abhanden gekommen.“
„Du hattejt deinen Wit in den Ferſen, deshalb biſt du jo
vor dem Sapieha entlaufen. Dadurch bijt du mir ordentlich zu—
wider geworden, jo, daß ich am liebiten jelbit zu Sapieha ginge.“
„Um aufgehängt zu werden!“
„Wohl mit demjelben Strid, mit dem man den Radziwill
feſſelt.“
„Genug!“ ſagte der Fürſt.
„Ew. Durchlaucht ergebenſter Diener!“
„Es wird notwendig ſein, einige der Reiteroffiziere zu er—
ſchießen, die am meiſten Lärm ſchlagen.“
„Ich habe heute Morgen bereits ſechſe erhängen laſſen.
Sie ſind ſchon kalt geſtellt, aber ſie tanzen noch an den Stricken,
denn es iſt ſehr windig draußen.“
998
„Das iſt qut! Höre einmal! Ich muß jemanden in Tau—
roggen zurüclaffen, willit du hier bleiben ?“
„Sch will, und bitte darum. Es fünnte niemand bejier
hier zurecht fommen als ich. Der Soldat fürchtet mich mehr
al3 die anderen; er weiß, daß ich nicht mit mir jcherzen lajie.
Auch mit Nückjicht auf Yoewenhaupt iſt es beifer, daß einer da—
bleibt, der angejehener iſt als Baterjon.“
„Wirſt du mit den Rebellen fertig werden?“
„Sch verfichere Ew. Durchlaucht, da die Tannen der
Smudz in diefem Jahre ſchwerere Früchte tragen werden, als
Zapfen. Aus den Bauern werde ich zwei Negimenter Fuß—
joldaten formieren und fie nach meiner Art ausbilden. Auf
die Güter werde ich ein wachjames Auge haben und jo eines
derjelben von den Nebellen überfallen werden jollte, dann werde
ich einen der reichen Edelleute dafür verantwortlich machen und
ihn ausquetichen wie Quark. Zum Anfang brauche ich nur jo
viel Geld, als nötig tt, die Löhnung auszuzahlen und die Füſi—
liere einzufleiden.‘
„Was ich entbehren kann, will ich Hier laſſen.“
„Von dev Mitgift?“
„Von was?“
„Nun, ich meine von der Mitgift der Billewitjch, die ihr
euch jelbit im Voraus auszahltet.“
„Wenn du den Alten auf manterliche Weiſe unjchädlich
machen fünnteit, wäre es gut, denn er hat ein Handjchreiben
von mir.“
„Ich will mir Mühe geben, es zurücd zu erlangen. Es iſt
nur die Frage, ob er das Handjchreiben der Sicherheit wegen
nicht fortgeichictt hat, oder ob es nicht irgendiwo eingenäht iſt.
Ew. Durchlaucht möchten die Schuld nicht tilgen wollen? ...“
„Es wird wohl jo fommen, dat ich es nicht fanı. Doc)
jegt muß ich fort. Diejes vermaledeite Fieber hat mic meiner
ganzen Kräfte beraubt.“
„Beneidet ihr mich nicht, daß ich in Tauroggen bleibe,
Durchlaucht
„Du haft wohl ein bejonderes Interejie dabei? Nur...
jollteft du etwa Luſt haben? ... Ich ließe dich mit Hafen
zerreigen . . . Warum drängit du jo, hier zu bleiben?“
„Weil ich heiraten will!“
„en?“ frug der Fürſt, jich vom Lager aufrichtend.
„Das Fräulein Borjchobohata Kraſienska.“
„Das iſt ein quter Gedanfe, ein ausgezeichneter Gedanke!“
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jagte der Fürſt nach einer Pauſe. „Ich babe etiwas von einer
Verichreibung gehört . . .“
„Es iſt jo; ein Vermächtnis des Herren Longinus Podbi-
pienta. Ihr wißt, Durchlaucht, was für ein reiches Gejchlecht
das iſt. Die Güter jenes Longinus liegen in mehreren Kreijen
verteilt. Zwar iſt ein Teil derjelben von entfernten Verwandten
in Beſitz genommen, ein anderer Teil it von mosfanifchen
Truppen bejegt; es wird Prozeſſe, Schlägereien, Zanf und
Streitigfeiten ohne Ende geben, aber ich werde jchon Nat fchaffen.
Nicht einen Baumwipfel trete ich ab. Das Mädchen gerällt
mir ausnehmend gut, denn jie it verlodend jchön. Sch be=
merfte jchon, als wir fie gefangen nahmen, daß ſie Angjt
heuchelte und mit den Augen nach mir jchielte.e Wenn ich als
Kommandant hier zurückbleibe, wird jich aus purer Langeweile
ichon ein Liebesverhältnis anſpinnen lafjen.“
„Eines nur will ich dir jagen. ch verwehre dir nicht,
zu heiraten, aber merfe wohl, feine Exzeſſe, du verſtehſt mich?
Das Mädchen gehört zu den Wifchniowiezfis, ſie iſt die Vertrante
der Fürſtin Griſeldis jelbjt, und ich will die Fürſtin aus Hoch»
achtung vor ihr nicht beleidigen, ebenjowenig den Herrn Staroiten
von Kalusk.“
„Es bedarf der Warnung nicht,“ entgegnete Sakowitſch.
„Wenn ich mich erjt wirflich verheiraten will, jo muß ich mich
auch ernithaft bewerben.“
„sch wollte, fie weilt dic) ab.“
„sch fenne jemanden, der abgewiejen worden, obgleich er
ein Fürſt ift, aber ich denfe, mir fann jo etwas nicht begegnen.
Ihr Augenblinfern giebt mir guten Mut.“
„Mache dem Abgewiejenen feine Vorwürfe; es könnte ges
jchehen, daß er dich zum Bock macht. Ich will deinem Wappen
die Hörner zufügen oder dir den Beinamen auswirken: Sako—
witſch der Gehörnte. Sie iſt eine Borjchobohata von Gejchlecht;
d. 5. eine Gottreiche; er ein Bardjorogaty, d. h. ein jehr Ge—
hörnter! Ihr jeid ein pafiendes Paar. Heirate nur, Jaſchu,
heirate du, laß mich auch wifjen, wann die Hochzeit fein wird,
ich will dein Brautführer fein.“
Gräßlicher Zorn malte ſich in den Zügen Safowitich® und
verunftaltete das ohnehin häßliche Gejicht noch mehr. Die
Augen waren verjchleiert, als wenn eine Nauchichicht darüber
liege. Doch bezwang er jich bald und indem er den Worten
des Fürſten eine jcherzhafte Wendung gab, antwortete er:
„Du Hermiter! Kannjt aus eigener Kraft nicht die Treppe
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hinauf und willit drohen? Du hajt hier ja deine Olenfa und
wirjt noch das Vergnügen haben, bei den Kindern des Babinitich
Wartefrau zu jpielen!“
„Daß dir die Zunge zerbreche! So fannjt du über Die
Krankheit jpotten, die mich um ein Haar zum Tode gebracht?
Ich wünsche, daß auch du einem Zauber unterliegen mögelt.“
„Ach, Zauber Hin! Zauber her! Oft, wenn ich jehe, wie
alles jich auf natürlichem Wege abwidelt, denfe ich, daß Zauberei
ein Unſinn ijt.“
„Du bijt jelbit ein Unfinn! Ser ſtille, rufe das Elend
nicht hervor! Du efelit mich an!“
„Sehet zu, daß ich nicht der lette Pole bin, der euch
treu bleibt. Meine Treue wird jchlecht gelohnt. Ich werde in
meine jtille Häuslichkeit zurüdfehren und dort das Ende des
Krieges abwarten.“
„ech, la das fein! Du weißt, wie lieb du mir bit.“
„Es wird mir jcehwer, das zu erraten. Der Teufel Hat
mir wohl diefe Schwäche für Ew. Durchlaucht in das Herz
gepflanzt. Wenn es wirflih Zauber giebt, jo iſt es bier
der Fall.“
Safowitich ſprach die Wahrheit, denn er liebte Boguslaw
wirklich) und der Fzürjt wußte dad. Darım war er ihm, went
auch nicht tiefer zugeneigt, jo Doch wirflich dankbar und erwies
ihm Dankbarfeit in der Weiſe, wie eitle Menſchen das gegenüber
denjenigen thun, von denen fie jich verehrt willen.
Der Fürſt war deshalb auch mit dem SHeiratsprojeft mit
Anufia Borjchobohata vollfommen einverjtanden; er beichloß,
perjönlich für Safowitich bei ihr zu werben.
Gegen Mittag, als er fich wohler fühlte, ließ er jich an-
fleiden und begab ſich zu Anuſia.
„sch fomme als alter Bekannter, mich zu erfundigen, wie
es euch geht,“ jagte er, „und zu fragen, ob euch der Aufent—
halt in Tauroggen gefällt?“
„Wer in Öefangenjchaft lebt, dem muß alles gefallen,“
jeufzte Anuſia.
Der Fürſt lachte.
„Ihr jeid doch nicht gefangen. Man bat euch zujammen
mit den Leuten Sapiehas aufgefangen und ich jandte euch mit
ihnen hierher, aber doch nur zu euret Sicherheit. Es joll euch
hier fein Haar gekrümmt werden. Ihr müßt nämlich willen,
daß ich jelten jemanden jo hoch jchäte, wie die Fürſtin Griſeldis,
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deren Herzen ihr nahe jteht. Die Wisniowiezfis und Samojskis
aber jind mir verwandt. hr jollt hier jede Freiheit und alle
Sorgfalt genießen; ich bin als wohlmeinender Freund gefommen
euch zu jagen, daß ich euch gern eine Esforte zur Lerfügung
jtelle, falls ihr fort wollt, obgleich ich gerade jet wenig Leute
habe. Aber ich rate euch, Hier zu bleiben. Man hat euch, wie
ich hörte, ausgejandt, um ein ererbte® Vermögen zu erlangen.
Doch wifjet, dazu it jegt nicht Die geeignete Zeit. Selbſt in
‚sriedenszeiten würde euch die Proteftion des Herrn Sapieha
nichts nüßen, denn jeine Macht erjtredt fich nur auf das Gu—
bernium Witebst, hier Schafft er michts. Außerdem fann er
dieje Angelegenheit nur durch Kommiſſarien erledigen laſſen ...
Shr braucht einen wohlmeinenden Freund, der jich Nat weiß,
weicher Nejpeft und Achtung bei den Menjchen genießt. Wenn
ein jolcher fi) eurer Sache annehmen wollte, der ließe ich
jiher nicht Stroh jtatt Korn in die Fauſt ſtecken.“
„Wo werde ich Waife jo einen Bormund finden?“
„Serade hier in Tauroggen.“
„Wie, Eure Durchlaucht wolltet jelbit jo gnädig jein?“
Anufia faltete die Händchen und blidte den Fürſten mit
einem jo lieblichen Ausdrud an, daß derjelbe, wenn er nicht
jo ſchwach und elend jich gefühlt hätte, ſich weniger ehrlich
der Sache Sakowitſchs angenommen hätte. Aber Liebezgedanfen
lagen ihm jeßt fern, deshalb jagte er schnell:
„Wenn ich nur dürfte, dann würde ich niemandem dieſe
danfbare Funktion anvertrauen. Leider muß ich abreifen. An
meiner Stelle wird Herr Safowitjch Kommandant in Tauroggen
bleiben; er iſt ein großer Stavalier, ein bewährter Soldat und
geichickt, wie fein anderer in ganz Litauen. ch wiederhole
daher: Bleibt in Tauroggen, es giebt fein jichereres Pläschen
weit und breit, denn überall haufen die Rebellen, alle Wege
jind von ihnen bejegt. Sakowitſch wird euch bier bejchügen
und ſich umſehen, was jich in der Erbjchaftsangelegenheit thun
läßt, und was er einmal unternimmt, das führt er auch zum
glüclichen Ende, wie fein anderer. Er ijt mein ‘Freund, ich
fenne ihn aljo; das eine nur muß ich euch aber jagen: Wenn
ich jelbit die Erbjchaft für euch erheben jollte und Sakowitſch
jtände gegen mich, jo würde ich gutwillig darauf verzichten,
denn es iſt gefährlich, mit ihm zu jtreiten.“
„Wenn nur Herr Sakowitſch der Waiſe auch beiftehen
wollte... .“
„Seid nur nicht unfreundlich mit ihm, jo wird er alles
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für euch thun. Eure Schönheit hat jein Herz entflammt; er
geht umher und jeufzt .. .“
„Wie fönnte ich jemanden entflammen,“ jagte Anufia.
„Sie ijt ein Kobold!“ dachte der Fürit.
Und laut jeßte er Hinzu:
„Das mag Safowitjch euch erflären; er muß willen, wie
e3 gejchehen. Seid nur nicht unfreundlich mit ihm, denn er iſt
ein edler Menjch, von altem Adel, ich wünjche, daß er nicht
verichmäht wird.“
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*2*2
8. Kapitel.
Am nächſten Morgen in der Frühe erhielt der Fürſt die
Aufforderung, ſofort nach Königsberg zu kommen, um das
Kommando über die neueingezogenen Truppen zu übernehmen,
die nach Danzig oder Marienburg abgehen ſollten. Der Brief
enthielt auch Nachrichten über den waghaljigen Feldzug Karl
Guſtavs in das Innere der Nepublif. Der Kurfürſt jah das
jchlimme Ende desjelben voraus und wollte desiwegen eine größere
Truppenmacht fampfbereit halten, um im Notfalle der einen
oder anderen Partei beijpringen zu können. Er empfahl dem
Fürſten die größte Eile und fchien es jo dringend zu haben,
dat dem erjten nach zwölf Stunden jchon ein zweiter Bote folgte.
Der Fürſt hatte aljo feine Zeit zu verlieren und Fonnte
jich auch nicht Zeit nehmen, jich von dem jchweren Anfall zu
erholen, welchen er in der Nacht wieder gehabt hatte. Er mußte
fort. So übergab er denn dem Safowitjc) das Kommando,
indem er jagte:
„Bielleicht wird es notiwendig, den Schwertträger und das
Mädchen nach Königsberg zu bringen. Dort wird es leichter
jein, mit dem eigenfinnigen Alten fertig zu werden. Das Mädchen
aber werde ich mit in das Feldlager nehmen, denn ich bin es
müde, mic) von ihr meijtern zu lafjen.“
„But,“ jagte Sakowitjch, „dann fann das Heer gleich ver—
mehrt werden.“
Eine halbe Stunde jpäter war der Fürſt nicht mehr in
Tauroggen. Sakowitſch blieb als allein Herrjchender zurüd
und erfannte nur eine Macht über ji) an und das war Die
Macht Anufia Borjchobohatad. Und es wiederholte ſich jetzt
44
dasjelbe Spiel bei ihm und ihr, wie ehedem mit dem Fürſten
und Dlenfa. Er bezähmte jeine wilde Natur und war höflich,
juchte jeden ihrer Wünjche zu erraten, behandelte fie mit
Hochachtung, wie ein feiner Mann das thut, wenn er fich um
die Hand eines Mädchens bewirbt.
Ihr aber gefiel diejes Negieren auf Tauroggen; es war
für jie ein angenehmes Gefühl, zu wiſſen, daß, wenn der Abend
fam, durch die unteren Säle und Korridore des Schlofjes und
Zeughaujes und durch den noch vom Winterfrojt bereiften
Garten das jehnjuchtsvolle Seufzen und Schmachten der ver—
liebten jungen und alten Offiziere ging, den Aitrologen nicht
ausgejchlojjen, welcher von jeinem Turme aus die Seufzer gen
Himmel jandte, und den alten Herrn Thomas, der jein Rojen-
franzgebet unterbrach, um jchnell einmal an fie zu denfen.
Obgleich fie das gutmütigite Gejchöpf war, freute fie jich
doc), bar alle dieje Liebesjeufzer fich nicht Dlenfa zumandten,
auch ſchon im Hinblic auf Babinitjch, da ſie ich hier wiederum
zur Genüge überzeugen fonnte, wie groß die Macht war, welche
jie über die Männer ausübte. Sie jagte jich, wenn hier feiner
ihr widerjtitand, dann fonnte es nicht fehlen, daß fie auch
ihm mit dem Blick ihrer Neugelein das Herz verjengte.
„Er wird jene vergejlen, da er feine Gegenliebe findet,
und wenn das gejchehen ijt, dann wird er mich juchen und
finden ..... der Böjewicht, der einzige!“
Gleich darauf jagte jie drohend:
„Warte! erjt will ich dich auszahlen, ehe ich dich erhöre!“
Den Sakowitſch behandelte jie inzwijchen wie einen, den
man gern um fich jieht, wenn man auch feine bejondere Vor—
liebe für ihn hat. Er hatte verjtanden, feinen Verrat in der—
jelben Weiſe vor ihr zu rechtfertigen, wie der Fürſt vor Dlenfa
ſich gerechtfertigt hatte, und auch er jprach ihr davon, wie der
Friede mit Schweden bereits jo gut wie gejchloffen war, wie
die Nepublif nun hätte aufatmen fünnen, wenn nicht Sapieha
durch jeine Selbjtjucht und feinen Hab alles verdorben hätte.
Anuſia, welche wenig von allen diejen Dingen veritand,
lie die Worte des Bewerbers zu einem Ohre herein, zum anderen
hinaus. Dafür erwedte etwas anderes in den Reden des
Staroiten von Orjchmian ihr lebhaftes Intereſſe.
„Die Billewitich,“ jagte er, „jchreien zum Himmel wegen
des Unrechts und der Beraubung der ‚Freiheit, die ihnen wider-
fährt. Es iſt wahr, der Fürſt hält fie in Tauroggen feit, aber
doch nur zu ihrem Bejten, denn jie werden feine drei Gewände
945
weit vom Schlofje fommen, ohne von Näuberbanden überfallen
zu werden. Es iſt ja auch wahr, daß er jie zurüdhält, weil er
das Fräulein jehr liebt; wer aber würde das nicht entjchuldigen,
der jelbjt jchon mit liebendem Herzen um ein Mädchen ge—
worben? Wenn der Fürſt weniger edle Abſichten hätte, ſo
brauchte er doch nur ſeine Gewalt zu gebrauchen, doch er wollte
ſie ehelichen, er wollte dieſes widerſpenſtige Fräulein zu ſich in
den Fürſtenſtand erheben, ſie mit Glück überhäufen, die Krone
der Radziwills auf ihr Haupt ſetzen, und für alles das erheben
dieſe undankbaren Menſchen ihr Klagegeſchrei ...
Anuſia ſchenkte dieſer Erzählung nicht viel Glauben, darum
forſchte ſie noch am ſelben Tage bei Olenka nach der Wahrheit
dieſer Sache, beſonders, ob es wirklich wahr ſei, daß der Fürſt
ſie habe ehelichen wollen? Olenka konnte das nur beſtätigen.
Da ſie mit Anuſia ſchon recht vertraut war, brachte ſie auch
ihre Gründe für die Ablehnung vor. Dieſelben erſchienen ihr
auch gerechtfertigt, andererſeits aber dachte ſie im Stillen, daß
der Billewitſch doch kein ſolches Unrecht hier widerfahre und
weder Sakowitſch, noch der Fürſt, ſo große Verbrecher ſeien,
wie der Herr Schwertträger aus ihnen machte.
Als nun die Nachricht eintraf, daß Herr Sapieha mit
Babinitſch nicht nach Tauroggen kommen wolle, ſondern in Eilmär—
ſchen dem Könige von Schweden nachziehe, bis weit, weit nach
Lemberg zu, da überfiel zuerjt eine grenzenloje Wut das fleine Fräu⸗
lein, dann aber kam ſie zu der Ueberzeugung, daß es mit der
Flucht aus Tauroggen nun keine Eile habe, da man hier ſicherer
war, als irgend ſonſt wo, und nur die Unvernunft die Gefahren
außerhalb dieſer Mauern, der Sicherheit innerhalb derſelben
vorziehen konnte.
Es kam deswegen zu manchen Streitigfeiten zwiſchen Olenka
und dem Schwertträger und ihr, bis endlich auch ſie zugeben
mußten, daß die Entfernung Sapiehas die Flucht ſehr erſchwerte,
wenn nicht unmöglich machte, da in dieſem Lande voll Unruhe
und Kampf niemand des morgigen Tages ſicher war. Aber
ſelbſt, wenn ſie Anuſias Gründe nicht ſtichhaltig gefunden hätten,
ſo war es auch unmöglich, ohne deren Hilfe bei der Wachſam—
keit des Kommandanten und der übrigen Offiziere von hier zu
entkommen. Ketling war der einzige, der ihnen ergeben war,
doch dieſer war jeiner Pflicht nicht abwendig zu machen; er
war auch viel abwejend, da Safowitjch ihn als erfahrenen,
brauchbaren Offizier gern gegen die umherjtreifenden Nebellen
und Konföderierten ausjchidte.
Sientiewicz, Sturmilut II. 85
546
Und Anufia fühlte ſich immer wohler hier.
Etwa einen Monat nad) der Abreije des Fürſten hatte
Sakowitſch um fie angehalten. Die Liſtige hatte ihm eine aus-
weichende Antwort gegeben. Sie hatte gejagt, daß fie ihn noc)
zu wenig fenne, daß man verjchiedenes über ihn jpreche, dem
fie auf den Grund gehen müſſe, daß ihre Bekanntſchaft zu kurz
jei, um ihn jchon lieben zu fünnen, und daß fie ohne die Zu—
jtimmung der Fürjtin Grifeldis ein Chebündnis nicht eingehen
fünne. Nach einem Probejahre würde jie die Entjcheidung gern
nach jeinem Wunjche treffen.
Der Starojt jchlucdte den Aerger hinunter, ließ für irgend
ein kleines Verſehen einem Reiter dreitaujend Nutenhiebe geben,
nach welchen der arme Soldat begraben werden mußte, aber er
mußte fic in die Entjcheidung Anufias fügen. Sie fachte feine
Hoffnung mit dem Berjprechen an, nad) einjährigen treuen
Dienjten ihm den jühen Lohn nicht zu verjagen.
In diefer Weije jpielte jie mit dem Bären, welchen jie
jedoch jchon jo gut im Zaume Hatte, dab er das Brummen
unterdrücte und nur zu ihr jagte
„Ihr könnt alles von mir verlangen, jelbjt, daß ich auf
den Knieen vor euch rutjche, nur nicht, daß ich meinen Fürſten
verrate.“
Vielleicht hätte Anuſia ihren Verehrer nicht ſo gereizt,
wenn ſie erfahren hätte, zu welch ſchrecklichen Unthaten ſich
Sakowitſch durch ſeine Ungeduld hinreißen ließ und die über
der ganzen Umgegend wie ein Verhängnis ſchwebten. Die
Soldaten und Einwohner Tauroggens zitterten vor ihm und
die Gefangenen verhungerten in ihren Ketten oder erlagen den
ihnen beigebrachten Brandwunden.
Es war, als müſſe der wilde Staroſt ſeine heiße, liebe—
dürſtende Seele in Menſchenblut kühlen und baden, er ſprang
oft plötzlich auf und warf ſich auf das Pferd, um ſelbſt einen
Ausfall gegen die Rebellen zu machen. Und der Sieg war
meiſt auf ſeiner Seite. Haufenweiſe tötete er die Ueberfallenen,
den Gefangenen ließ er die rechte Hand abſchlagen und ſchickte
ſie nach Hauſe.
Der Schrecken, der ſich an ſeine Perſon und an ſeinen
Namen knüpfte, war grenzenlos, ſo daß ſelbſt größere Parteien
ſich nicht weiter wie bis nach Roſchen vorwagten.
Die Gegend wurde ſtill und menſchenleer und er formierte
aus all dem heimatloſen Geſindel und Raufbolden immer neue
Abteilungen, die er mit dem erpreßten Gelde der benachbarten
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Adligen und Bürger befleidete und bewaffnete, um für den Fall
der Not dem Fürſten eine Hilfstruppe jtellen zu können.
Boguslaw fonnte feinen treueren und zugleich jchreclicheren
Diener finden, als ihn.
Dabei vertiefte er jich mit jeinen häßlichen wafjerblauen
Augen in die dunklen Anuſias und jang ihr Liebeslieder zu
der Laute,
So flo das Leben in Tauroggen für Anufia fröhlich und
vergnüglich, für Olenka trübe und einförmig dahin. Die eine
Itrahlte Freude und Frohſinn aus, wie das Glühwürmchen in
der Sohannisnacht, während das Antlig der anderen immer
blafier, ihre Züge immer erniter und jtrenger wurden; Die
Brauen zogen fich immer mehr zujammen, man nannte fie nur
noch) die Nonne. Sie hatte auch etwas von einer Kloſterfrau
in ihrem Wejen; jie fing an, jich mit dem Gedanken vertraut
zu machen, daß Gott fie duch Schmerz und Enttäufchung zum
Frieden und der Ruhe des Kloſters führen wolle.
Sie war nicht mehr das Mädchen mit den Roſen auf den
Wangen, mit den glücitrahlenden Augen, das einjt, mit dem
Verlobten im Schlitten durch die Wälder jagend, voll Luft und
Wonne ausgerufen hatte: „Dej! Hej!“
Es wurde Frühling draußen. Ein ſtarker lauer Wind
löſte zuerjt die Fluten des Baltifchen Meeres von den Feſſeln
des Eiſes, dann blühten die Bäume, Blumenfnojpen trieben
unter der rauhen Hülle der Blätter, dann jchien die Sonne
warm befruchtend auf die Erde hernieder und noch immer harrte
dad arme Mädchen auf endliche Befreiung aus diefer Gefangen-
jchaft. Anuſia wollte weniger denn je von einem Fluchtplane
etwas hören, denn draußen in der Nepublif ging es immer
ſchredtiver zu.
Die Barmherzigkeit Gottes ſchien ganz von ihr gewichen. Wer
im Winter nicht zu Schwert und Lanze gegriffen hatte, der
that es jeßt. Der Schnee hatte die Pfade verjchüttet. Jetzt
bot der Wald bejjeren Schuß, das warme Wetter erleichterte
das Leben.
Mit den Schwalben flogen die Nachrichten nad) Tauroggen,
zuweilen drohend, zuweilen tröjtend. Die einen wie die anderen
jegnete das fromme Mädchen mit Gebet und begoß jie mit
Thränen der Trauer oder der Freude.
Zuerſt drang die Kunde von der allgemeinen Erhebung
in Ddieje entlegene Beite. Es hieß: So viel Bäume im den
Wäldern der Nepublif, jo viele Aehren in den Feldern vom
35*
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Winde geweht, jo viele Sterne zwiichen dem Baltijchen Meere
und der Heimat der Tartaren nachts am Himmel leuchten, jo
viele adlige und edle Männer find aufgeitanden und haben
nad) Gottes Willen das Schwert ergriffen zum Kampfe gegen
die Schweden; alle diejenigen, welche mit dem Pfluge die Ader-
furche jchnitten, Die, welche Handel und Handwerk in den
Städten trieben, die in der Heide von Bienenzucht, Theerkochen,
Kohlenbrennen, von der Arbeit mit der Art oder dem Schieh-
gewehr lebten; die, welche an den Flüſſen Fiſchfang trieben, im
der Steppe die Herden weideten, jie alle, alle haben zu den
Waffen gegriffen, um die Unterdrüder aus dem Lande zu treiben.
Der Schwede fing bereit3 an zu jinfen in der Flut, die
über ihn Hinbrauite.
Zum Staunen der ganzen Welt hatte die anjcheinend jo
fraftloje Nepublif mehr Arme zu ihrer Verteidigung gefunden,
als fie andere Neiche zur Verfügung hatten.
Dann famen Nachrichten über Karl Gujtav, wie er immer
weiter vordrang, im Blute watend, brennend und jengend.
Man konnte jeden Augenblik jeinen Tod und den Untergang
des jchwedischen Heeres erwarten.
Der Name Tjcharniezfis wurde immer lauter genannt; er
fand lebhaften Wiederhall bis an alle Grenzen des Neiches; Die
Herzen der Feinde mit Angjt und Entiegen erfüllend.
„Er hat fie bei Kofchenize geſchlagen!“ hieß es den einen
Tag, „bei Jaroslaw,“ einen anderen Tag — und mehrere
Wochen darauf, „er hat bei Sandomir die Schlacht gewonnen!“
So tünte es fort durch alle Provinzen; man Ttaumte nur, daß
e3 noch Schweden im Lande gab. Zuletzt verbreitete ſich das
Gerücht von der Einjchliegung des Königs mit feiner ganzen
Armee im Gabelgebiet der Flüſſe. Es ſchien, das Ende war
gefommen.
Safowitjch hörte auf, Ausfälle zu machen; er jchrieb nachts
Briefe und ſchickte fie fort.
Der Schwertträger war wie von Sinnen. Allabendlich
brachte er Dlenfa neue Nachrichten. Er bi jich die Nägel ab
bei dem Gedanken, daß er hier feitjigen mußte, während draußen
der Kampf wogte. Die Seele des alten Soldaten verlangte
nach dem Kampf. Zuletzt Schloß er fich in fein Gemach ein;
er schien stundenlang über etwas zu grübeln. Eines Tages
umarmte er Olenka ganz plöglicd und unvermittelt, jchluchzte
laut auf und ſprach:
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„Du biſt mir lieb, Mädchen, einzigites Töchterchen, „aber
das Vaterland ijt mir noch lieber.“
Am nächſten Morgen war er jpurlos verjchwunden. Dlenfa
fand nur einen Brief vor, folgenden Inhalts:
„Bott jegne Dich, geliebtes Kind! Ich Habe jchon recht
veritanden, daß man Did) feitzuhalten jtrebt, nicht mich. Die
Flucht wird mir allein leichter werden als mit Dir zujammen.
Gott joll mich jtrafen, wenn ich Dich verlafle aus Hartherzig-
feit oder aus Lieblojigfeit gegen Dich arme Waije; ich gehe nur
aus Liebe zum Vaterlande. Die Qual der Umnfreiheit jiegte
zulegt über die Geduld; ich jchwöre Dir bei den Wunden Chrüti,
daß ich es nicht länger aushalten fonnte. Wenn ich daran
dachte, daß das treueite polnische Blut dort in Strömen vers
gojien wird pro patria et libertate, und nicht ein Tropfen
des meinigen mit in dieſen Strom fließen follte, da war mir,
als müßten die Engel im Himmel mich deswegen verdammen ...
Ich müßte nicht in unjerer heiligen Smudz, wo Tapferfeit und
amor pro patria in mir von Slindesbeinen an genährt wurden,
geboren, ich mühte nicht ein Billewitich und Edelmann fein,
wenn ich bei Dir hätte bleiben, Dich behüten ſollen. Wäreit
Du ein Mann, jo würdeit Du ebenjo handeln und mich, wie
ih Dich, einen Daniel in der Höhle der Löwen zurücdlafjen.
Sch hoffe zu Gott, daß er in jeiner unendlichen Barmherzigfeit
auch Dich bewahren wird, wie er den Daniel bewahrt hat und
daß die allerheiligjte Jungfrau, unjere Königin, Dir bejjeren
Schutz gewähren wird, als ich es fann!“
Olenka benette diejes Schreiben mit heigen Thränen, aber
der Oheim ward ihr nur noch lieber durch dieje That, welche
ihr Herz mit Stolz erfüllte. Das Verſchwinden desjelben ver-
urjachte in Tauroggen große Aufregung. Safowitjch jtürmte
wutjchäumend in das Gemach Dlenfas, ohne vorher jeine Müte
abzulegen, und frug:
„Wo ijt euer Ohm?“
„Dort, wo alle find, die das Vaterland nicht verraten! ...
Im Felde!“
„Habt ihr von der Flucht gewußt?“ brüllte der Staroit.
Dienfa trat ohne Bedenken ein paar Schritte vor und ihn
mit einem Blick voll Verachtung mejjend, antwortete jie:
„Sa, ich wuhte darum — was weiter?”
„Fräulein! . . Ei, wäre e8 nicht um des Fürſten Willen! ...
Ihr werdet euch vor dem Fürften zu verantworten haben!“
990
„Weder vor dem Fürſten, noch vor euch, jeinem Stnecht.
Sch bitte jegt!“
Sie wies mit dem Finger nad) der Thür.
Er fnirjchte vor Wut, aber er ging hinaus.
Der nächſte Tag brachte die Nachricht von der Niederlage
des Großherzog! bei Warka. Wie ein Donnerfchlag traf die-
jelbe die Verbündeten der Schweden. Sakowitſch jelbit ward
von folcher Furcht gepadt, daß er nicht wagte, die Priejter zu
beitrafen, welche in den benachbarten Kirchen das Te deum
laudamus anjtimmten.
Eine Zentnerlait aber fiel ihm vom Herzen, als ein paar
Wochen jpäter Fürſt Boguslam von Marienburg aus ihm
ichrieb, daß der König aus jeiner Sackfalle entkommen jei.
Andere Neuigkeiten lauteten weniger ermutigend. Der Fürjt
verlangte Hilfstruppen und befahl, nur foviel Mann in Tau—
voggen zurüdzulaflen, als unbedingt zur Beſatzung notwendig
waren.
Die Reiter zogen jchon am folgenden Tage ab, mit ihnen Ket—
ling, Dettingen, Fitz-Gregory, furz alle Offiziere, ausgenommen
Braun, welchen Safowitjch notwendig brauchte.
Sn Tauroggen wurde es noch einjamer.
Anufia Borjchobohata fing an ſich zu langweilen und
jegte dem Starojten noch mehr zu. Diefer aber dachte daran,
nach Preußen zu fliehen, denn die durch den Abzug der Neiter
ermutigten Notten drangen wieder vor, jie liegen ſich jchon
wieder in der an Tauroggens bliden. Die Billewitjch allein
hatten gegen fünfhundert Seiter zujammengebracht. Diejelben
waren aus dem Stleinadel, den Bauern und Bürgern rekrutiert;
jie hatten den Hauptmann Bützow, welcher jich ihnen entgegen
gejtellt Hatte, gejchlagen und plünderten nun unbarmberzig alle
Güter Nadziwills.
Ihr Anhang vergrößerte jich zujehends, denn fein anderes
Sejchlecht, jelbjt die Hlebowitſch nicht, erfreuten ſich im Volke
eines ſo großen Anſehens und ſo großer Achtung wie ſie. Dem
Staroſten that es leid, Tauroggen den Feinden preiszugeben;
er wußte auch, daß er in Preußen nur ſchwer Geld und Hilfs—
truppen finden werde Während er hier Herrjchte, mußte er
dort dienen, dennoch verlor er immer mehr die Hoffnung, fich
hier halten zu können.
Der bejiegte Bügow flüchtete unter feinen Schub und das,
was er von der Macht und dem Wachstum der Rebellion er-
zählte, bejtimmte Sakowitjch endlich, nach Preußen zu fliehen.
551
Einmal entſchloſſen und gewöhnt, ſeine Entſchlüſſe ſchnell
auszuführen, beendete er in zehn Tagen die ſchon getroffenen
Vorbereitungen und erteilte den Befehl zum Ausmarſch.
Da traf er auf hartnäckigen Widerſtand von einer Seite,
wo er ihn am wenigſten vermutet hatte und zwar, von ſeiten
Anuſia Borſchobohatas.
Sie dachte gar nicht daran, nach Preußen zu gehen, ſie
befand ſich in Tauroggen ſehr wohl. Das Vorgehen der kon—
föderierten Parteien ſchreckte ſie nicht im mindeſten und wenn
die Billewitſch nur Tauroggen ſelbſt angreifen wollten, das
wäre ihr gerade recht geweſen. Sie dachte auch daran, daß
ſie in der Fremde vollſtändig von der Gnade Sakowitſchs ab—
hängig und viel eher zur Eingehung von Verpflichtungen ge—
drängt werden könnte, durch welche ſich binden zu laſſen ſie
durchaus keine Luſt verſpürte. Sie beſchloß alſo, ſich der Ab—
reiſe zu widerſetzen.
Olenka, welcher ſie ihre Gründe mitteilte, ſtimmte ihr nicht
nur bei, ſondern flehte ſie mit thränenfeuchten Augen an, nicht
von hier fortzugehen.
„Hier können wir noch Erlöſung finden, wenn nicht heute,
ſo vielleicht morgen,“ ſagte ſie. „Dort ſind wir verloren.“
Anuſia aber antwortete darauf:
„Siehſt du! Faſt hätteſt du mich geſcholten, daß ich auch
dem Staroſten den Kopf verdrehen wollte, obgleich ich ſelbſt
keine Ahnung von meinem Thun hatte, ſo wahr ich die Fürſtin
Griſeldis liebe. Das muß ſo von ſelbſt gekommen ſein. Und
nun? Würde er wohl auf meinen Widerſpruch etwas geben,
wenn er nicht in mich verliebt wäre?“
„Du haſt recht, Anuſia, du haſt recht?“ erwiderte Olenka.
„Aengſtige dich nur nicht, mein ſchönſtes Blümchen! Unſer
Fuß verläßt Tauroggen nicht; ich werde nur den Sakowitſch
zum Abſchied etwas quälen.“
„Gott helfe dir, daß du etwas ausrichteſt.“
„Warum jollte ich nicht? . . . Erjtens it es ihm jehr
um mich, zweitens, wie ich vermute, um meine Erbjichaft. Es
wäre ihm ein Leichtes, fich mit mir zu erzürnen und mit dem
Säbel in der Hand die Abreije zu erzwingen, dann aber wäre
für ihn beides verloren. Das weiß er.“
Wie recht Anufia hatte, jollten die Mädchen bald erfahren.
Als Sakowitſch Fröhlich und voll Selbjtbewußtjein bei ihr ein-
trat, empfing jie ihn mit etwas verächtlicher Miene.
we
wu
—X
„Iſt es wahr,“ frug fie, „daß ihr aus Furcht vor den
Herren Billewitjch nach Preußen fliehen wollt?“
„Richt vor den Herren Billewitjch,“ antwortete er jtirn-
runzelnd, „auch nicht aus Furcht, nur vorjichtshalber, um von
dort aus mit veritärften Kräften gegen Diefe Räuber vor—
zugehen.“
„Dann — glüdliche Reife!”
„Was ſoll das heigen? Glaubt ihr, ich würde ohne euch,
meine jüßejte Hoffnung, gehen?“
„Wer von der Feigheit befallen ift, der juche feine Hoff-
nung anderswo, nicht bei mir. Ihr werdet zu vertraulich; ich
aber, wenn ich einen Bertrauten überhaupt brauchen wollte,
würde nicht euch dazu auserjehen.“
Safowitjch erbleichtee DO, er wollte es ihr jchon ein—
tränfen, wenn jte nicht Anuſia Borichobohata wäre. Doc er
befann fich jchnell, vor wem er jtand, jo jteckte er denn jeine
ſüßeſte Miene auf, als er jcherzend jagte:
„Ei, ich frage nicht darnach! Ich trage euch in den Kutich-
wagen und fahre euch hinweg.“
„So? ſprach Anufia gedehnt. „Dann bin ich alſo doc,
entgegen ben Abſichten des Fürſten, hier eine Gefangene?
Wiſſet, wenn ihr das thut, fpreche ich mein ganzes Leben lang
fein Wort mehr zu euch, jo wahr mir Gott helfe! Ich bin in
Lubnie erzogen und habe für Feiglinge nichts übrig als die
größte Verachtung! O, daß ich doch nie in folche Hände ge-
raten wäre! ... Hätte mich Herr Babinitjch doch bis zum
legten Gericht in Litauen behalten, der fürchtet niemanden.”
„Um Gotteswillen ! fchrie Safowitich. „Sagt mir wenigitens,
warum ihr nicht nach Preußen wollt.“
Anufia jimulierte Statt einer Antwort die größte Verzweif—
lung; fie weinte:
„Wie eine Tartarin werde ich behandelt und gefangen ge-
halten, während ich doc) eine Pflegetochter der Fürſtin Grijeldis
bin und niemand als fie ein Necht an mich hat. Gefangen
haben fie mich und gefangen werde ich gehalten, über das Meer
will man mich bringen, in die Verbannung jchleppen, wer
weiß, wie bald unter die Folterzange bringen! O Gott!
D Gott!“
„Bei dem Gotte, den ihr anruft!“ rief der Staroſt. „Wer
will euch foltern ?“
„Rettet mich alle Heiligen!“ fagte Anuſia jchluchzend.
Sakowitſch wußte nicht aus noch ein. Wut und Zorn
553
drohte ihn zu erſticken; er wußte nicht recht, war er von Sinnen
oder war es Anuſia. Endlich fiel er ihr zu Füßen und ver—
ſprach, in Tauroggen zu bleiben. Da flehte ſie ihn an, doch
fortzugehen, wenn er ſich fürchte, was ihn vollends zur Ver—
zweiflung brachte, ſo daß er aufſprang und im Hinaus—
eilen ſagte:
„Gut! wir bleiben in Tauroggen und ob ich mich vor
den Billewitſch fürchte, das wird ſich in kurzem zeigen.
An demſelben Tage noch ſammelte er die Reſte der
Bützowſchen Truppe zu ſeinen Leuten und zog hinaus, aber
nicht nach Preußen, ſondern nach Roſchen zu, wo die Herren
Billewitſch in den Wäldern von Girlakol ein Feldlager bezogen
hatten. Dieſe erwarteten einen Angriff nicht mehr, da die
Nachricht von dem beabſichtigten Auszuge der Truppen aus
Tauroggen ſchon ſeit mehreren Tagen in der Gegend ver—
breitet war.
Die jo unerwartet Ueberfallenen wurden von dem Staroſten
arg zugededt. Zwar gelang es dem Schwertträger, unter dejien
Kommando die Abteilung jtand, fich zu retten, doch zwei andere
Billewitfch von einer Seitenlinie fielen und mit ihnen fait
der dritte Teil der Soldaten. Einige Gefangene wurden nach
Tauroggen gebracht und dort getötet, noch ehe Anuſia für fie
eintreten konnte.
E3 war num nicht mehr die Nede von einer Abreije aus
Tauroggen. Sie war aud) nicht mehr notwendig, denn durch
den Sieg des Herrn Starojten waren die anderen Parteien
zurüdgejchredt und wagten fich nicht mehr heran.
Safowitjch brüjtete jich ungeheuer damit und erklärte, der
ganzen Nebellion der Smudz in kurzer Zeit Herr zu werden,
wenn Loewenhaupt ihm taujend tüchtige Neiter zur Verfügung
jtellen wolle. Aber Loewenhaupt war gar micht mehr in der
Nähe und Anufia nahm die PBrahlerei des Staroiten übel auf.
„sch glaube, day es ein Leichte war, mit Dem Herrn
Schwertträger fertig zu werden,“ jagte fie. „Wäre nur derjenige
euch gegenüber gejtanden, vor welchem ihr mit ſamt dem Fürſten
Reißaus genommen, jo wäret ihr auch ohme mich über das
Meer nach Preußen gegangen.”
Dieje Worte fränften den Staroiten tief.
„Bor allen Dingen stellt euch nicht vor, daß Preußen
jenjeitS des Meeres liegt, denn dort liegt Schweden, und dann,
vor wem bin ich mit dem Fürſten ausgeriſſen?“
554
„Vor Herrn Babinitſch!“ antwortete Anuſia, indem ſie
zeremoniös knickſte.
„Wenn ich dieſen doch nur auf Säbellänge vor mir hätte!“
„Dann würdet ihr ſicher auf Säbeltiefe in den Erdboden
ſinken . . . Ruft den Wolf nicht aus dem Walde!“
E3 war dem Starojten auch gar nicht Ernit, diefen Wolf
wiederzujehen, denn wenn er auc) ein unvergleichlich mutiger
Mann war, jo hatte er vor Babinitjch doch eine fait aber-
gläubische Furcht, geweckt durch die Erinnerung an den leßten
gräßlichen Feldzug. Cr ahnte nicht, wie bald diefer jchredliche
Name wieder an fein Ohr flingen werde.
Ehe derjelbe jedoch noch durch ganz Smudz ertönte, ver-
lautete eine für die einen die jreudigite der freudigen, für Safo-
witjch die jchredlichite aller Nachrichten, welche in drei Worten
die ganze Nepublif durchflog:
„Warjchau ijt genommen!“
Unter den Füßen der Berräter jchien der Erdboden zu
entweichen; der Himmel jchien einzufallen über den Schweden,
jamt den großen Striegshelden, deren Namen wie glänzende
Sterne bisher geleuchtet hatten und vergöttert worden waren.
Man wollte den eigenen Ohren nicht trauen als man hörte,
der Stanzler Oxenſtjerna jet gefangen, Ersfin, Loewenhaupt,
Wrangel und Wittenberg, der große Wittemberg, welcher Die
ganze Republik in Blut gebadet hatte, jie alle jeien in Gefangen:
chart! Johann Stafimir trinmphierte und werde nach Beendi-
gung des Krieges über die Sünder Gericht halten.
Dieje Kunde flog mit Windeseile durch die Republik und
fiel wie eine Bombe ın die Dörfer, wo ein Bauer dem anderen
jie hajtig erzählte; der Wind trug fie über die Aehrenfelder,
die Wälder, die Aehren, die Bäume raunten fie einander zu,
die Adler Ffrächzten fie durch die Luft und — das Volk griff
mit immer wachjendem Mute zur Waffe.
Die Niederlage der Billewitich in den Wäldern von Gir-
lakol war im Augenblick vergeſſen. Der jchredliche Sakowitſch
wurde in den Augen der Rebellen, ja jogar in jeinen eigenen,
ganz Klein. Die Rotten überfielen wieder ſchwediſche Abteilungen,
die Billewitich, welche jich jchnell wieder erholt hatten, über:
jchritten von neuem die Dubija an der Epite ihrer Bauern
und des daheim gebliebenen Yaudaer Kleinadels.
Safowitich wußte nicht mehr, was er thun, wo er Nettung
finden jollte. Er hatte jchon lange feine Nachricht mehr vom
Fürſten Boguslaw und grübelte vergebens darüber nach, wo,
990
bei welcher Armee er zu finden jein fünnte. Zuweilen befiel ihn
die gräßliche Bejorgnis, daß auch er gefangen jei.
Mit Schreden erinnerte er jich, daß der Fürſt gejagt hatte,
daß er fich nach Warjchau zu wenden wolle. Wenn man ihm
zum Kommandanten der Beſatzung der Hauptitadt ernennen
wolle, jo wäre ihm das lieber als alles, da er von dort aus
nach allen Seiten ſich frei bewegen lonnte. Manche behaupteten
ſogar mit Beſtimmtheit, daß der Fürſt in die Hände des Königs
Johann Kaſimir gefallen ſei.
Wenn der Fürſt nicht in Warſchau war, ſagte man, warum
hätte ihn dann der allergnädigſte Herr von der Amneſtie, die
er allen Polen, welche bei den Schweden gedient, erteilt hat,
ausgeſchloſſen? Er mußte alſo gefangen ſein und da bekannt
war, daß das Haupt des Fürſten Januſch unter dem Henker—
beil hatte fallen ſollen, ſo nahm man an, daß mit Boguslaw
das Gleiche geſchehen werde.
Bei längerem Nachdenken gelangte Sakowitſch auch zu
dieſer Ueberzeugung und tobte vor Verzweiflung, denn erſtens
liebte er den Fürſten, zweitens wußte er nur zu gut, daß im
Falle des Todes ſeines mächtigen Protektors eher das wildeſte
Naubtier Schutz und Zuflucht finden würde als er, die rechte
Hand des Fürſten.
Ihm schien die Flucht nach Preußen noch der einzige
Nettungsanfer; er durfte der Weigerung Anuſias fein Gehör
mehr jchenfen, er mußte fort, Dienit und Brot zu juchen.
„Wie aber,‘ fragte der Staroſt oft jich jelbit, „wenn nac)
Friedensſchluß der Kurfürſt die Ueberläufer auslieferte?“
Er fand nur einen einzigen Ausweg, — die Flucht über
das Meer nach Schweden.
Zum Glück für ihn traf nach einer Woche peinvollſter
Ungewißheit ein Eilbote vom Fürſten Boguslaw mit einem
langen eigenhändigen Schreiben desſelben für ihn ein.
„Warſchau iſt den Schweden genommen,“ ſchrieb der Fürſt.
„Mein Zeltlager und meine Sachen ſind verloren. Zurück kann
ich nicht mehr, denn der Haß gegen mich iſt ſo groß, daß ich
von der Amneſtie ausgeſchloſſen bin. Meine Leute hat Babi—
nitſch dicht unter den Thoren Warjchan⸗ niedergehauen. Ketling
iſt in Gefangenſchaft geraten. Der König von Schweden, der
Kurfürſt und ich, mit Stenbock rücken mit allen zu Gebote
ſtehenden Streitkräften der Hauptſtadt zu, wo unverzüglich die
Entſcheidungsſchlacht geliefert werden ſoll. Karolus verſchwört
ſich, daß ſie gewonnen werden muß, obgleich die Geſchicklichkeit,
996
mit welcher Johann Kaſimir operiert, ihn nicht wenig jtußig
macht. Wer hätte auch gedacht, da in diefem Erjejuiten ein
jo großer Stratege jtedt? Ich habe dieje Entdedung jchon bei
Berestetjch gemacht, wo der ganze Plan von ihm und Wijch-
niowiezfi ausgedacht war. Wir jegen unjere Hoffnung darauf,
daß das allgemeine Aufgebot, welches Taujende zu Johann
Kafimir geführt hat, fich wieder nach Haufe zerjtreut, oder daß
die erjte Begeiiterung verraucht jein wird und jie nicht mehr
jo tapfer dreinjchlagen. Wolle Gott mit einem Schreden in
dieje Bande fahren, denn nur jo fann Karolus über fie jiegen,
obgleich nicht abzuſehen ift, was nachher gejchehen joll, da jelbit
die Generale fich der Thatjache nicht verfchließen fünnen, daß
diefe Nebellion einer Hydra gleicht, welcher an Stelle eines
abgejchlagenen, gleich zehn neue Köpfe wachſen. Man jagt jo
leicht: ‚Warjchau zurückerobern“ Als ic) diefe Worte aus dem
Munde des Königs hörte, frug ich: ‚was dann?" Er antwortete
mir nichts. Unjere Kräfte werden mürbe, die ihrigen eritarfen.
Wie wollen wir da den Kampf von neuem aufnehmen? Auch
die Begeijterung iſt nicht mehr diejelbe und von den unjrigen
wird feiner mehr mit den Schweden halten wollen. Es wird
ung nichts übrig bleiben, als demütig die Gnade Johann
Kafimirs nachzujuchen. Gott gäbe, dat ich unbejchädigt davon—
fomme, daß man mich zu Gnaden aufnimmt und ich nicht aller
Güter verluftig werde. Ich hoffe zu Gott, aber der Furcht
fann man jich nicht erwehren, daß das Schlimmite bevorjteht.“
„Darum verjuche alles, was von dem Grundbejit irgend
zu verfaufen geht, entweder gegen bares Geld zu verpfänden
oder zu verfaufen, follteit Du jelbit heimlicherweije mit den
Konföderierten deswegen in Verbindung treten müſſen. Du
jelbjt gehe mit dem ganzen Lager nad) Birz, von wo aus
Kurland leichter zu erreichen ift. Ich würde Dir raten nad)
Preußen zu gehen, aber dort wird binnen furzem Feuer und
Schwert den Aufenthalt unjicher machen, denn gleich nad) der
Einnahme von Warjchau it dem Babinitjch der Auftrag ge-
worden, durch Preußen nach Litauen zu ziehen, um dort den
Aufitand zu jchüren und alles mit Feuer und Schwert zu ver-
nichten, und Du weißt, daß er das verjteht. Wir wollten ihn
am Bug auffangen; Stenbod ſchickte eine jtarfe Abteilung gegen
ihn aus, von welcher nicht ein Mann zurückkehrte. Denke nicht
etwa daran, Did) mit Babinitjch zu meſſen, denn Du zwingit
ihn nicht, jondern eile, nach Birz zu entkommen.
„Das Fieber hat mich volljtändig verlafien, da hier eine
257
ichöne, trocdene Hochebene ijt, nicht jolche Sümpfe wie in der
Smudz. Gott befohlen n. j. w.“
So jehr erfreut der Starojt war, daß der Fürſt lebte und
gejund war, jo jehr bejorgt machten ihn die erhaltenen Nach-
richten. Wennjchon der Fürſt vorausjah, daß jelbjt ein großer
Sieg das jchwanfende Kriegsglück der Schweden nicht wieder
herzujtellen vermochte, was war da noch von der Zukunft zu
hoffen. Es war wohl möglich, daß der Fürſt fein Leben retten
und bei jeinem Kurfürftlichen Oheim Schu finden fonnte und
er, Safowitjch, mit ihm, was aber war inzwijchen zu thun?
Sollte er nach Preußen gehen?
Herr Sakowitſch bedurfte des fürftlichen Rates in Bezug
auf Babinitjch nicht. Ihm fehlte jchon von jelbit die Kraft
und der Mut, diefem entgegenzutreten. Als letzte Zuflucht
blieb noch Birz übrig; doch dorthin zu gelangen war es zu jpät.
Auf dem Wege dorthin lag die Partei der Billewitjich, ein Schod
andere Parteien, die ſich alle vereinigen würden, ihn zu ver-
nichten, oder wenn ſie ſich nicht vereinten, in jedem Dorfe, in
jedem Sumpfe, Walde, Felde ihm ſtets neue Gefechte liefern
würden. Wie viele Mannjchaften waren da nötig, um wenigjtens
dreißig Mann heil nach Birz zu bringen. Sollte er aljo in
Tauroggen bleiben? Auch das war gefährlich, da der gräßliche
Babinitjch auf dem Wege hierher war. Alle Parteien, die er
unterwegs antraf, würden jich jeiner Tartarenhorde anjchliegen
und wie Nachegeiiter über Tauroggen berfallen, wie die Sturm:
flut hereinbrechen.
Zum erjtenmal in jeinem Leben fühlte der vermwegene
Starojt ſich ratlos der Entjcheidung eines Unternehmens,
machtlos der Gefahr gegenüber.
Am nächiten Tage berief er Bützow und Braun zur Be-
ratung. Man bejchloß, in Tauroggen zu bleiben und weitere
Nachrichten von Warjchau her abzuwarten.
Doch Braun begab jich von diejer Beratung geradenmwegs
zu einer anderen, das heißt zu Anufia Borjchobohata.
Die Unterredung währte lange, lange. Endlich verließ
Braun das Gemac) mit jehr bewegten Gejichtszügen. Anuſia
aber jtürmte wie ein Wetter zu Olenka.
„Dlenfa! Die Zeit ift gefommen!“ rief fie noch auf der
Schwelle. „Wir müfjen fliehen!“
„Dann?“ frug, etwas erbleichend, das tapfere Mädchen,
indem jie jich zum Zeichen jofortiger Bereitwilligfeit erhob.
„Morgen! Morgen! Braun hat das Kommando, Safo-
958
witjch wird in der Stadt jchlafen, wohin Herr Dzieſchuck ihn
zum Gajtmahl bitten wird. Herr Dziejchud iſt längſt mit im
Komplott; er wird ihm etwas in den Wein mijchen. Braun
will jelbit mitgehen und fünfzig Neiter mitnehmen. O, Dlenfa,
Olenka, wie glüclich bin ich! wie glücklich!“
Anufia umhalſte die Freundin und herzte jie mit einer jo
jtürmijchen Freude, daß Olenka ganz verwundert fragte:
„Was fehlt dir, Mädchen? Es lag doch längjt in deiner
Macht, Braun zu bejtimmen.“
„Sch ihn beitimmen? Ja, ich fonnte es! Aber habe ich
e3 Dir denn noch nicht gejagt? O Gott! Gott! Weißt du es
noch) nicht? Babinitjch it auf dem Wege hierher! Sakowitſch,
fie alle bier jterben vor Angjt! ... Herr Babinitſch fommt!
Er brennt, er jengt! Einen Vortrab der Schweden hat er
ganz vernichtet, Stenbod ijt verwundet und mun kommt er in
Eilmärjchen, als hätte er jelbjt große Eile hierher zu kommen!
Und wem fönnte er hier jo entgegeneilen? Sprich Olenka, bin
ic) von Sinnen oder nicht?“
An den Wimpern Anufias bligten Thränenperlen, Olenka
faltete die Hände zum Gebet, blickte zum Himmel auf und jagte:
„Wer es auch jei, dem er entgegemeilt, Gott lenfe jeine
Wege, jegne und behüte ihn!“
9. Rapitel,
Kmiziz war feine leichte Aufgabe geworden, als der König
ihm aufgetragen hatte, durch Preußen nach Litauen vorzu—
dringen, denn jchon bei Sierozf jtand die jchwedische Haupt—
macht. Karl Gujtav Hatte ihr abjichtlich jeiner Zeit jene
Stellung angewiejen, um eine Belagerung Warfjchaus zu ver-
hindern, doch da inzwiichen die Hauptitadt bereits eingenommen
war, jo hatte die Armee augenblicklich nichts anderes zu thun,
als die Abteilungen, welche Johann Kafimir etwa nach Litauen
oder Preußen auszuſchicken gejonnen war, aufzuhalten. An
ihrer Spike jtanden Douglas, ein gewandter Strieger, welcher
e3 wie feiner der anderen jchwediichen Generale verstand, im
Stleinfrieg zu operieren, und die zwei polnischen Weberläufer
Nadziejowsfi und Nadziwill. Sie führten zweitaufend aus»
erlejene Fußſoldaten, ebenjoviele Reiter und Artillerie bei jich.
Als diefe Führer von der Expedition nach Litauen hörten, an
deren Spite Kmiziz Stand, jtellten fie, um ihn zu fangen, ein
weites Net, bejonders, da es ihnen nötig jchien, jelbit wieder
der litauiſchen Grenze näher zu fommen, um das aufs neue
von den Majuren und Podlachiern belagerte Tyfozin zu retten.
Diefes Net umfaßte das Dreied zwijchen dem Bug und der
Narew, demnach zwiſchen Sierozf einerjeits, Slotorya anderer-
jeit3 mit Dftrolenfa an der Spike,
Sie wuhten, dal Kmiziz durch diefes Dreieck fommen mußte,
da er e3 eilig hatte, nach Litauen zu fommen und der nächite
Weg hier durchführte. Kmiziz bemerkte auch bald, daß man
ihm eine Falle geitellt hatte, doch gewöhnt, auf dieſe Art Krieg
560
zu führen, jchredte ihn Ddiefe Wahrnehmung nicht allzujehr.
Er tarierte, dal das Neb zu jehr ausgedehnt worden war und
rechnete darauf, daß er in der höchiten Not durch eine der
weiten Majchen derjelben würde entjchlüpfen fünnen. Noch
mehr: Sp jorgfältig man auch Jagd auf ihn machte, jo
verjtand er nicht nur immer gejchickt zu entjchlüpfen, jondern
er jagte jelbit mit. Zuerſt überjchritt er den Bug Hinter
Sierozf, zog ji) am Ufer desjelben bis Wyjchfowo. In
Bromſchtſchyk jchlug er dreihundert Weiter, welche man als
Vortrab ausgejendet, jo vollitändig, daß, wie der Fürſt an
Safowitjch gejchrieben hatte, nicht ein Mann übrig geblieben
war. In Dlugojchodle überfiel ihn Douglas jelbit plößlich,
aber er verjprengte die Abteilung, fam ihr in den Rüden, und
anjtatt zu fliehen, ging er vor ihren Augen bis an die Narew,
welche er mit jeinen Leuten durchſchwamm. Douglas blieb am
Ufer zurüd und wartete auf die Prahme, welche man berbei-
ichaffen jollte, doc) ehe diejelbe zur Stelle war, hatte Kmiziz
im Dunfel der Nacht an einer anderen Stelle den Fluß
wieder durchſchwommen, die ſchwediſchen Wachpojten angegriffen
und Panik und Verwirrung in die ganze Divifion Douglas
gebracht.
Diejes Vorgehen verjegte den alten General in unaus-
jprechlicheg Staunen; jein Staunen aber wurde noch größer,
als er am Morgen erfuhr, dab Kmiziz die Armee umgangen
hatte, zu der Stelle zurüdgefehrt war, wo man ihn überfallen
und in Bromjchtichyf die dem ſchwediſchen Heere folgenden
Wagen ſamt den Beuteſtücken und der Kriegskaſſe mitge—
nommen hatte.
Darauf vergingen zuweilen ganze Tage, an welchen die
Schweden ſeine Tartaren am Horizont ſich tummeln ſahen,
ohne daß ſie dieſelben hätten erreichen können. Dafür rupfte
Herr Andreas den Feind bald hier, bald dort. Die ſchwediſchen
Soldaten ermüdeten und den polniſchen Fahnen, welche noch
zu Radziejowski hielten oder aus Diſſidenten zuſammengeſtellt
waren, konnte man nicht mehr recht trauen. Dagegen diente
die Bevölferung mit Begeifterung dem berühmten Bartijanen.
Er fannte durch fie jede Bewegung des Feindes, erfuhr von
jedem noch jo Kleinen Vortrab, der ausgejandt werden jollte,
wußte von jedem Wagen, der vorausgejchickt wurde oder zurück—
bleiben mußte. Es war, als trieb er mit den Schweden ein
Spiel, aber es war das Spiel eines Tigers mit jeinem Opfer.
Die Gefangenen wurden gleich getötet; er ließ jie von den
561
Tartaren aufhängen, da die Schweden mit den Polen ein
Gleiches thaten. Zuweilen ſchien ihn eine unbezähmbare Wut
zu befallen, denn er ſtürzte ſich blindlings auf die Uebermacht
einer Truppe.
„Ein Wahnſinniger kommandiert die Abteilung,“ ſprach
Douglas.
„Oder ein tollwütiger Hund!“ entgegnete Radziejowski.
Boguslaw war der Anſicht, daß er beides ſei, dabei aber
ein ausgezeichneter Soldat. Mit Genugthuung erzählte er auch
den Generälen, daß er dieſen Kavalier mit eigener Hand zweimal
niedergeſchlagen hätte.
Augenblicklich hatte es Kmiziz beſonders auf ihn ab—
gelehen: er juchte ihn und jchien der Werfolger, nicht der
erfolgte.
Douglas erriet, daß hier eine Brivatangelegenheit im Spiele
jei, ein grenzenlofer Haß.
Der Fürſt verneinte nicht, obgleich er nähere Aufklärung
nicht geben wollte. Er wollte den Babinitſch mit gleicher
Münze heimzahlen, denn dem Beijpiele Chowansfi folgend, fette
er einen Preis auf feinen Kopf, und als das nicht half, ihn
in die Hände zu befommen, wollte er verjuchen, eben dieſen
Haß Babinitjchs als Waffe gegen ihn zu benugen.
„Es it eine Schande für ung, daß wir uns jo lange mit
dieſem Räuber herumzerren,” jagte der Fürſt eines Tages zu
Douglas und NRadziejowätt.
„Er friecht um uns herum, wie der Wolf um den Schaf:
ſtall und entjchlüpft uns immer. Sch will mit einer Kleinen
Abteilung mich ihm als Lodvogel jtellen und ihn, wenn er
mich angreift, jo lange binhalten, bis Ew. Durchlaucht Herbei-
fommen, dann lafjen wir den Fiſch nicht mehr aus dem Ne.“
Douglas, welcher der gegenfeitigen Jagd längſt überdrüjjig
war, jegte dem VBorjchlage nur geringen Widerjtand entgegen,
indem er anführte, daß er das Leben eines jo hohen Würden-
trägerd und Verwandten von Königen nicht auf das Spiel
jegen fünne. Doch da der Fürſt darauf bejtand, war er ſchließ—
lich einverjtanden.
Man beichloß aljo, daß der Fürſt mit einer Abteilung von
nur fünfhundert Neitern ausrüden follte; jeder Reiter aber
jollte einen Füfilier mit der Musfete hinter jih auf das
Pierd nehmen. Dieje Liſt jollte dazu dienen, Babinitjch irre
zu führen.
„Er wird es nicht aushalten können; wenn er hört, daß
Sienkiewicz, Sturmflut IL 86
502
ic) nur fünfhundert Reiter bei mir habe, wird er mich angreifen,‘
jagte der Fürjt. „Wenn ihnen nun plöglich die Füſiliere in
das Geficht jpringen, werden die Tartaren auseinanderitieben
wie Sand... er wird entweder fallen oder wir nehmen ihn
lebendig . . .“ |
Diejer Plan wurde jchnell und mit Sorgfalt durchgeführt.
Zweit Tage vorher verbreitete man abjichtlich die Nachricht, daß
ein Vortrab von fünfhundert Neitern unter Boguslaw aus—
rüden werde. Die Generäle rechneten mit Bejtimmtheit darauf,
daß die Yandbevölferung dieje Neuigfeit dem Babinitjch gleich
zutragen werde, was auch geſchah.
Der Fürft rüdte mitten in der finjteren Nacht nach Won—
jowo und Jelon zu aus, überjchritt bei Tſcherwin den Fluß, und
während er die Reiter im blanfen Felde ließ, veritedte er die
Füfiliere in den anjtoßenden Schonungen, damit jie unverjeheng
hervorbrechen fonnten. Unterdeſſen follte Douglas am Ufer
der Narew entlang ziehen und vorgeben, daß er auf Djtrolenfa
zu marjchiere. Radziejowski jollte mit den leichten Fahnen von
Kſchenſchopol her anrüden.
Alle drei Führer Eonnten nicht in Erfahrung bringen, wo
Babinitjch fich gegenwärtig aufhalte, denn aus den Bauern war
nicht3 herauszubringen und Die jchweren Reiter verjtanden nicht,
einen Tartaren einzufangen. Douglas vermutete nur, daß
Babinitjch mit dem größten Teil feiner Truppe in Schniadowo
ftand; dort wollte er ihn einjchließen, um ihm, wenn Babinitich
den Fürſten angriff, von der Grenze Litauend her den Weg
zu verlegen.
Alles jchien gut zu gehen. Kmiziz befand ſich thatjächlich
in Schniadowo, und jobald er vernommen, daß Boguslam mit
einem Vortrab unterwegs nach Ticherwin jei, jchlug er Sich
fofort in die Wälder, um plöglich unerwartet in Tſcherwin zu
erjcheinen.
Douglas, welcher etwas von der Narew abgelenkt hatte,
jtieß nach einigen Tagen auf Spuren des Tartarenzuges und
folgte diejer Spur, befand ſich alfo im Rüden derjelben. Die
Sonnenhige quälte die mit Gijenblech bepanzerten Menjchen
und Pferde entjeglich, aber der General drängte vorwärts
ungeachtet diejer Hindernifje, vollfommen überzeugt davon, daß
er die Tartarenhorde unverjehens im Augenblid des Zufammen-
ſtoßes mit Boguslam erreichen werde.
Endlich, nach weiteren zwei Tagen war er fo nahe an
Ticherwin gefommen, daß man den Rauch aus den Hütten auf:
563
jteigen jehen fonnte. Da hielt er an. Er bejegte alle Ueber—
gänge, auch die jchmaljten Fußwege, und wartete.
Einige Offiziere wollten freiwillig auf Nefognoszierung
augreiten, doch er hielt jie zurüc, indem er jagte:
„Babinitjch muß nach dem Zuſammenſtoß mit dem Fürſten,
wenn er erfannt haben wird, daß er es nicht nur mit Reitern,
jondern mit Fußjoldaten zu thun Hat, jich zurüdziehen ...
Er fann nur auf dem Wege zurüd, auf dem er gefommen it.
. Dann muß er uns in die Arme laufen.“
E3 blieb alfo nur übrig, zu horchen, wann das erite
Tartarengeheul und die erjten Musfetenjchüjje ertönen würden.
Aber es verfloß ein ganzer Tag, ohne daß die Stille in
den Wäldern unterbrochen worden wäre; es war, als hätte nie
ein Soldatenfuß diefen Boden betreten.
Douglas wurde ungeduldig, gegen Abend jchickte er eine
Batrouille aus, welche den Befehl Hatte, die größte Vorficht
zu gebrauchen.
Die Patrouille fehrte tief in der Nacht zurüd; jie hatte
nichts gejehen noch gehört. Mit dem Morgengrauen zog Douglas
mit allen jeinen Leuten weiter.
Nachdem jie einige Stunden marjchiert waren, famen jie
an ein Feld, auf welchem eine Menge Spuren eines Biwaks
fi befanden. Man fand Ueberreſte von Zwieback, zerichlagenes
Glas, Fetzen von einem Alnzuge, einen Gurt mit Munition
gefüllt, wie ihn die ſchwediſchen Infanterijten zu tragen pflegten.
Zweifellos hatten hier die Füſiliere Boguslaws gerajtet, ſie jelbit
waren nirgends zu jehen. Etwas weiter entdeckte auf einer
naflen Wieje der VBortrab Douglas’ eine Menge Hufjpuren
jchwerer Pferde, am Rande derielben Spuren der leichten
Tartarenflepper, etwas weiter lag der Kadaver eines Pferdes,
aus welchem die Wölfe joeben die Eingeweide gezogen hatten.
Ein Gewände weit davon fand man dem abgebrochenen Pfeil
eines QTartaren, doch mit ganzem Bolzen.
Boguslam mußte alfo den Rückzug angetreten haben und
Babinitjch ihm folgen.
Douglas begriff, day etwas Außergewöhnliches vorliegen
mußte. Aber was? Er wußte feine Erflärung dafür und
verjanf in Nachdenken. Plöglich wurde jein Grübeln durch)
einen Offizier der vorderen Wache unterbrochen.
„Erlaucht!“ jagte er. „Zwiſchen dem Buſchwerk dort jteht
ein Häuflein Männer. Es jcheinen Wachtpojten zu fein, denn
36*
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fie bewegen fich nicht. Ich habe den Vortrab aufgehalten, um
Erlaucht das zu melden.“
„Sind es Neiter oder Fußſoldaten?“
„Es find Füfiltere, vier oder fünf auf einem Haufen; man
fann fie nicht genau zählen, die Aeſte find zu dicht. Es leuchtet
aber gelb durch die Zweige, wie die Uniformen umjerer
Musketiere.“
Douglas ſpornte ſein Pferd, ritt vor bis zum Vortrab,
ſtellte ſich an die Spitze desſelben und trabte vorwärts. Bald
erblickte er durch die lichter werdenden Aeſte der Schonung eine
unbewegliche Gruppe Soldaten, welche vor einem Baume zu
ſtehen ſchienen.
„Es ſind die Unſrigen!“ ſagte Douglas. „Der Fürſt muß
in der Nähe ſein.“
„Wunderbar!“ bemerkte nach einer Weile der Offizier.
„Sie ſtehen Wache, doch keiner ruft uns an, obgleich wir doch
ziemlich geräuſchvoll vorgehen.“
Jetzt kamen ſie an das Ende der Schonung, der Wald
hatte dort kein Unterholz mehr. Die Herannahenden ſahen
vier dicht nebeneinander ſtehende Musketiere, welche etwas am
Boden zu ſuchen ſchienen. Vom Halſe aus zog ſich bei jedem
von ihnen ein ſchwarzer Streifen gerade in die Höhe.
„Erlaucht!“ rief plötzlich der Offizier. „Jene dort hängen.“
„Es iſt ſo!“ erwiderte Douglas.
Sie trieben die Pferde zur Eile an und befanden ſich
bald neben den Leichen. Vier Füſiliere hingen beiſammen wie
ein Bündel Droſſeln, kaum einen Zoll breit über der Erde, da
die Aeſte niedrig waren.
Douglas ließ den Blick gleichgültig über ſie hinſchweifen;
dabei murmelte er vor ſich hin:
„Nun wiſſen wir beſtimmt, daß der Fürſt und Babinitſch
hier vorüber gezogen ſind.“
Er wurde nachdenklich. Sollte er dieſen Waldweg weiter
verfolgen, oder die Landſtraße nach Oſtrolenka einſchlagen. Er
wußte ſelbſt nicht, was zu thun war. Eine halbe Stunde ſpäter
entdeckten ſie wieder zwei Leichen. Dieſe ſchienen Marodeure
oder zurückgebliebene Kranke zu ſein, welche die Tartaren des
Babinitſch aufgegriffen haben mußten.
Aber warum hatte der Fürſt ſich zurückgezogen?
Douglas kannte ihn, d. h. ſeinen Wagemut wie ſeine Er—
fahrung in Ausübung ſeiner Kriegsführung, zu gut, um nicht
965
anzunehmen, daß nur wichtige Gründe ihn dazu veranlaßt
haben mußten. Was fonnte aljo vorgefallen jein?
Am folgenden Tage erjt Elärte jich die Angelegenheit auf.
Herr Bies-Kornia, fam mit einem Vortrab von dreißig Pferden
mit der Nachricht, daß der König Johann Kafimir den Feld—
hauptmann Gojchewsft mit jechstaujend litauifchen und Tartaren—
reitern über den Bug gejchidt habe, um Douglas anzugreifen.
„Wir haben davon erfahren, noch ehe Babinitjch ung ein-
holte,“ jagte Herr Bies, „denn er bewegte jich vorjichtig vor—
wärts und hielt oft Raſt, daher folgte er uns langjam. Herr
Goſchewski jteht vier oder fünf Meilen von hier. Als der Fürſt
die Nachricht empfing, mußte er jich eiligit zurückziehen, um jich
mit Herrn Radziejowsfi zu vereinigen, welcher jonjt leicht hätte
überfallen werden fünnen. Es gelang uns auch, uns glüclic)
mit ihm zu vereinigen. Der Fürſt hat dann jogleich Vorjchübe
nac) allen Seiten hin ausgejchict, um Ew. Erlaucht in Kennt—
nis zu ſetzen. Es wird mancher von ihnen den Tartaren in
die Hände gefallen fein, das hilft aber nichts.“
„Wo befinden ſich jet der Fürſt und Herr Radziejowski?“
„Zwei Meilen von hier, am Ufer des Fluſſes.“
„Hat der Fürſt alle jeine Truppen durchgebracht?“
„Er mußte die Füfiliere zurücklaſſen; diefelben müſſen ich
durch das Didicht der Wälder Hindurchitehlen, um ſich vor den
Tartaren zu jchügen.“
„Eine Truppe, wie die Tartaren, verjteht mit ihren Pferden
auch durch das dichtejte Waldesdicicht zu dringen. Ich fürchte,
daß wir feinen Mann der Füſiliere wiederjehen werden. Es
fann niemanden die Schuld treffen; der Fürſt hat gehandelt
wie ein erfahrener Kriegsmann.“
„Der Fürjt hat einen jtarfen Vortrab nach Djtrolenfa
ausgeſchickt, um den Herrn Unterfämmerer von Litauen irre zu
führen. Derjelbe marjchiert jedenfalls unverzüglich dorthin, im
Glauben, daß unſere ganze Armee die Richtung nad) Ojtrolenfa
eingejchlagen hat.“
„Das iſt gut!“ ſagte Douglas erfreut. „Auf diefe Weije
werden wir den Herrn Unterfämmerer jchon bezwingen.
Ohne länger zu zaudern, befahl er den Aufbruch, um jich
mit dem Fürften und Herrn Nadziejowsfi zu vereinigen. Das
Bujammentreffen erfolgte auch noch an demjelben Tage zur
großen Freude Nadziejowsfis, welcher jeine Gefangennahme mehr
fürchtete al3 den Tod. Wußte er doch jehr gut, daß man über
ihn, den Verräter und den Veranlajier alles Unglüds, welches
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die Nepublif betroffen hatte, die jchweriten Strafen ver-
hängen werde.
Nun jedoch, nach der Bereinigung mit Douglas, betrug
die ſchwediſche Armee über viertaujend Mann, mit welchen man
e3 mit dem Herrn Feldhauptmann wohl aufnehmen konnte.
Derjelbe verfügte zwar über jechstaujend Reiter, doc) die Tartaren,
ausgenommen Diejenigen des Herrn Babinitjch, Fonnten als
Angriffstruppe feine Berwendung finden, und Herr Gojchewsft
jelbjt, obgleich ein geſchickter General, verjtand nicht wie Tſchar—
niezki, die Truppen zu jener Begeilterung zu entflammen, die
alles mit fich fortreigt.
Douglas grübelte darüber, zu welchem Zwed Johann Kafimir
den Feldhauptmann über den Fluß gefandt hatte. Der König
von Schweden z0g mit dem Kturfürjten nad) Warjchau zu; die
Entjcheidungsichlacht mußte dort früher oder jpäter fallen und
wenngleic) Johann Kajimir über eine Macht verfügte, welche
die Schwedische und brandenburgijche an Zahl bei weitem über-
traf, jo bildeten doch jechstaujend tapfere Neiter eine große
Stüße, deren man fich freiwillig nicht ohne zwingende Gründe
entäußerte.
E3 mochte immerhin jein, daß Gojchewsfi den Herrn Babi-
nitjch aus der Klemme helfen jollte, dazu bedurfte es doc) aber
feiner ganzen Divifion. Es mußte daher mit diefem Feldzuge
irgend eine verſteckte Abjicht verbunden jein, welche er troß
allem Scharfiinn nicht zu erraten vermochte.
In dem Briefe, welchen eine Woche jpäter der König von
Schweden an ihm richtete, jprach fich eine große Unruhe und
Aengitlichfeit in Bezug auf diejen Feldzug aus. Nach der An-
fiht Karl Gujtavs war der Feldhauptmann nicht ins Feld
gejchiclt worden, um Douglas anzugreifen oder um Litauen zu
Ichügen, welches ohnehin von den Schweden nicht mehr gehalten
werden fonnte, jondern, um in das von allen Truppen ent»
blößte Preußen einzufallen.
Der Brief jchloß mit dem Auftrage, mit Aufwand aller
Kräfte den Eintritt des Feldhauptmanns in Preußen zu ver—
hindern, da, wenn Dderjelbe binnen einer Woche die Grenze
noch nicht überjchritten habe, er zweifellos nad; Warjchau zurück—
fehren müſſe.
Douglas jagte ſich, dat die Aufgabe, welche ihm gejtellt
worden, jeine Kräfte nicht überjtieg. Hatte er doch noch un
längjt mit einem gewijjen Erfolge dem Herrn Tſcharniezki die
Stirn geboten. Daher fürchtete er Gojchewsft nicht. Wenn
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er auch nicht erwarten fonnte, die ganze Diviſion zu bejiegen,
jo durfte er doch hoffen, fie fejtzulegen und ihre Bewegungen
zu hindern.
Nun begann ein jehr gejchicttes Manöverieren der beiden
Armeen gegeneinander, welche ſich bemühten, einander zu ums
geden, dabei aber den offenen Angriff jorgfältigjt vermieden.
eide Führer wetteiferten miteinander an Liſt und Gejchid-
lichfeitt, doch blieb Douglas injofern der Ueberlegene, weil
er den Herrn Feldhauptmann nicht über Djtrolenfa hinaus
fommen lieh.
Der von dem Angriff durch Boguslaw nunmehr behütete
Babinitjch hatte es gar nicht eilig, mit der litauifchen Divifion
zufammenzujtoßen; er bejchäftigte jich eifrig mit den Füſilieren,
welche Boguslaw bei jeinem eiligen Abmarjch zurücklaſſen mußte.
Seine Tartaren jchlichen, geführt von den Waldläufern, ihnen
unabläjfig nad) und töteten jie, wo fie nur irgend Unvorfichtige
‚antrafen. Mangel an Yebensmitteln zwang die Schweden
zulegt, jich in fleinere Abteilungen zu trennen, weil jie jo
leichter fich ernähren fonnten, und darauf hatte Kmiziz nur
gewartet.
Nachdem er jeine Horde in drei Kolonnen geteilt hatte,
unter Akbah-Ulan, Sorofa und ihm jelbit, begann er eine
förmliche Treibjagd auf die Armee. Unter Musfetenknallen,
Lärmen, Zurufen und Krachen der Büjche, war bald das ganze
Regiment dem Tode geweiht.
Weit und breit wurde der Name Babinitjch unter den
Majuren genannt umd geehrt. Die drei Kolonnen vereinigten
jih erit dann mit Herrn Gojchewsft dicht bei Djtrolenfa, als
der Herr TFeldhauptmann, dejjen ganze Manipulation nur eine
Demonftration gewejen war, jchon den Befehl des Königs hatte,
wieder nad) Warſchau zurüdzufehren. Nur kurz war die Freude
des Wiederjehens mit den Bekannten, beſonders mit Herrn
Sagloba und Wolodyjowski, welche mit der Laudaer Fahne den
Feldhauptmann begleitet hatten. Sie begrüßten jich jehr herz.
lich, denn es hatte jich bereits eine große freundjchaftliche Ver—
traulichfeit zwiſchen Ahnen entwidelt. Beide junge Hauptleute
beklagten jehr, daß jie für dieſes Mal nichts gegen Boguslaw
hatten unternehmen fönnen, doch Sagloba verjuchte fie zu
tröften, und während er ihnen die Gläfer von neuem füllte,
jagte er:
„Das macht nichts! Mein Gehirn arbeitet jchon feit dem
Mat unaufhörlich über einem Plan, ihm beizufommen und es
68
hat noch nie umjonjt gearbeitet. Ich habe jchon etwas fertig,
nur fann man jeßt nicht an die Ausführung denfen, wir müjjen
das bis Warjchau lajjen, wohin wir alle zujammen gehen.“
„sch muß nad) Preußen!“ entgegnete Babinitjch, „und kann
deshalb die Schlacht bei Warſchau nicht mitmachen.“
„Wirſt du denn hinübergelangen können ?“ frug Wolodyjowski.
„Das werde ich mit Gottes Hilfe. Ich verjpreche e8 euch
heilig, daß ich da drüben einen Bigos für meine Tartaren her—
richten will, der nicht fchlecht jein joll. ‚Schwelge, Seele! Sie
lauern jchon lange auf eine ordentliche Beute, ich halte jie nur
immer zu feſt im Zügel. Dort aber jollen fie freies Feld
haben, denn wir find dort in Feindesland! Warum jollte ich
nicht hinüber gelangen? Bei euch war es etwas anderes; denn
e3 ijt leichter, eine große Armee aufzuhalten, als ein Fleimes
Kommando, mit welchem man leicht einen Unterjchlupf findet.
Wir haben oft im Möhricht geitect, während Dougla® mit
jeinen Truppen Dicht an uns vorüberzog, ohne es zu willen.
Douglas wird übrigens euch folgen müjjen, dann habe ich bier
freies Feld.“
„Du haft ihn, wie ich hörte, tüchtig abgehetzt!“ ſagte Wolo-
dyjoweli mit Genugthuung.
„Der Schelm!“ ſetzte Herr Sagloba hinzu. „Er ſchwitzte
ſo, daß er täglich ein friſches Hemd anziehen mußte. Ihr
konntet es mit Chowanski auch nicht beſſer gemacht haben und
ich bekenne gern, daß ich an eurer Stelle es auch nicht beſſer
könnte, obgleich ſchon Herr Koniezpolski gejagt bat, dab einen
Streifzug zu führen feiner bejjer veriteht als Sagloba.“
„Sch glaube, daß Douglas, wenn er zurüd muß, den Nad-
ziwill hierlafien wird, damit er dir den Weg verlegt,“ ſagte
Wolodyjowski zu Kmzig
„O, wenn das wahr wäre! Ich will es hoffen,“ entgegnete
Kmiziz lebhafi
„Wenn wir uns gegenſeitig ſuchen, müſſen wir uns doch
endlich finden. Ein drittes Mal kriegt er mich nicht unter und
thut er es dennoch, dann bleibe ich für immer liegen. Ich bin
deiner Lehren noch eingedenk und alle deine Lubniower Kunſt—
griffe find mir noch geläufig. Ich übe fie täglich) mit Sorofa,
um die Hand ficher zu machen.
„Was nüten die Kunftgriffe,“ rief Wolodyjowsfi. „Der
Säbel ijt doch die Hauptſache.“
Herr Sagloba fühlte jich) etwas durch dieſe Marime be=
troffen, deshalb jagte er jchnell:
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„Sede Windmühle denkt, daß die Hauptjache die ift, die
Flügel zu drehen, und wißt ihr warum, Michalef? Denn fie
hat Spreu unter dem Dache, das heit Spreu im Kopfe. Die
Kriegskunſt beruht ebenfalls auf Kunſtgriffen; wäre dem nicht
jo, dann fünnte Nochus Großhetman jein, während du es nur
zum Feldhauptmann brächtejt.“
„Wie befindet ſich Herr Kowalski?” frug Kmiziz.
„Herr Kowalski? Der trägt jchon den eifernen Helm auf
dem Kopfe und das mit Necht, denn der Kohl jchmedt immer
am beiten aus dem Tiegel. Er hat ji in Warjchau ein edles
Gefolge angejchafft, denn er ijt zu den Hujaren übergegangen,
dient unter dem Knäs Bolubinsfi und das alles darum, damit
er mit gejenfter Lanze auf den König Karolus losziehen fann.
Er fommt alle Tage unter unjer Zelt und jchmeißt mit den
Augen umher, ob nicht irgendwo unter dem Stroh der dide
Bauch einer Weinflajche hervorlugt. Ich kann dem Jungen
das Saufen nicht abgewüöhnen. Bei dem Hilft das gute Bei-
jpiel nichts. Ich Habe ihm ſchon prophezeit, daß die Untreue,
mit der er die Laudaer Fahne verlajjen hat, ihm nichts qutes
bringen wird. Der undanfbare Schelm! Für jo viele Wohl-
thaten, die ich ihm erwiejen, lohnt er mir damit, daß er mich
verläßt um einer Lanze willen!“
„Ihr habt ihn aljo erzogen ?“
„Macht mich nicht zum Bärenführer, Ew. Herrlichkeit!
Dem Herrn Sapieha, welcher mir diejelbe Frage vorlegte, habe
ich gejagt, day Rochus und er, denjelben Bräzeptor gehabt hat,
welcher ich jedoch nicht war; denn ich war im meinen jungen
Jahren Böttcher und verjtand ausgezeichnet die Faßdauben
zuſammenzuſetzen.“
„Erſtens, ihr würdet gar nicht wagen, dem Herrn Sapieha
jo etwas zu jagen,” warf Herr Wolodyjowsfi ein. „Zweitens
jcheltet ihr den Kowalski und dennoch iſt er euer Augapfel.“
„Das ijt wahr! Ich liebe ihn mehr als euch, Herr Michael,
da ich Maikäfer niemals gelitten habe, ebenſowenig wie verliebte
Gelbjchnäbel, die beim Anblick des eriten beiten Mädchens gleich
Purzelbäume jchießen.“
„Oder wie jene Affen im Palais Kajanowsfi in Warjchau,
mit denen ihr kämpfen mußtet.“
„Lacht nur, lacht! Ein anderes Mal fünnt ihr Warjchau
allein einnehmen!“
„Alſo habt ihr es etwa eingenommen ?
„Wer jonjt hat das Strafauer Thor erobert? Wer hat
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den Gedanken gefaßt, die Generale in Gefangenschaft zu jegen ?
Site figen jet bei Waſſer und Brot in Samojchtich und jo
oft Wittemberg den Wrangel anſieht, jagt er: ‚Sagloba hat
uns hierher geſetzt“ — und dann brechen beide in Thränen
aus. Wenn Herr Sagloba nicht franf wäre, wollte er euch
Ihon jagen, wer den Schweden aus Warjchau getrieben hat.“
„Um Gotteswillen! Thut mir den Gefallen und gebt mir
Nachricht über die Schlacht, welche fich jest bei Warjchau vor—
bereitet. Ich werde die Tage und Nächte zählen und nicht
eher Ruhe finden, bis ich etwas Beſtimmtes weiß,“ bat Kmiziz.
Sagloba legte den Zeigefinger an die Stirn.
„Hört einmal, was ich für eine Idee habe,“ ſagte er.
„Das, was ich jagen werde, wird jo gewiß in Erfüllung gehen,
wie es gewiß iſt, daß dieſes Glas hier vor mir ſteht ...
Oder jteht es etwa nicht? Wie?“
„Es ſteht da! Sprecht nur!“
„Dieje Entjcheidungsichlacht werden wir entweder gewinnen
oder verlieren . . .“
„Das willen wir alle!“ verjegte Wolodyjowski.
„Ihr thätet bejier, zu jchweigen und zu lernen, Herr Michael.
— Angenommen, wir verlieren die Schlacht, was dann? Seht ihr,
dag wißt ihr jchon nicht, denn ihr zuckt mit euren Barthaaren
bin und her, wie ein Haje . . . Alſo! ich jage euch — nichts
wird jein!“
Kmiziz, welcher immer jehr lebhaft war, jprang auf, jtieß
mit dem Glaſe auf den Tiſch und rief ungeduldig:
„Ihr fajelt!“
„sh ſage nur, dat nichts fein wird!“ entgegnete Sagloba.
„Ihr Jungen verjteht das nicht, daß, wie jeßt die Sachen liegen,
unjer König, unſere Armee, unjer liebes Vaterland, fünfzig
Schlachten nach einander liefern können, ohne Schaden zu leiden ...
Denn wie ehedem wird der Krieg fortgeführt werden, der Adel
wird zujammentreten und die niederen Stände ... . umd fiegen
wir einmal nicht, dann jiegen wir ein anderes Mal, folange
bis die feindliche Macht zufammenjchmilzt. Wenn aber Die
Schweden verlieren, dann find jie rettungslos verloren.“
Hier wurde Sagloba lebhaft; er trank jein Glas aus, ſtieß
es auf den Tiſch auf, daß es klirrte und fuhr fort:
„Hört mich an! ES fpricht nicht irgend einer zu euch,
denn micht jeder verjteht die Dinge richtig zu jehen. Mand)
einer denkt: Was alles wartet unjer noch? Wie viele Schlachten,
wie viel Elend und Thränen? wie viel Blut wird noch fließen?
971
Und manch einer zweifelt an der Barmherzigkeit Gotte8 und
Läftert die heilige Jungfrau . . . Aber ich jage euch: Wißt ihr,
was Ddiejer feindlichen VBandalen wartet? — die Niederlage!
Wißt ihr, was unjer wartet? — der Sieg! Yaht fie uns nod)
hundertinal bejiegen, gut . . . wir aber werden die Hundertund-
erite Schlacht liefern, dann tft das Ende des Krieges.“
Während der letten Worte hatte Herr Sagloba die Augen
geichloffen, num öffnete er fie wieder, jah leuchtenden Blickes
vor ſich Hin, und rief dann aus voller Brut:
„Sieg! Sieg!“
Kmiziz errötete vor Feude.
„Wahrhaftig er hat Recht! Wahrhaftig, es iſt wahr, was
er ſagt! So muß, ſo wird das Ende ſein!“
„Man muß ſchon eingeſtehen, daß es euch hier nicht fehlt!“
ſagte Wolodyjowski, ſich an die Stirn ſchlagend. „Man kann
die Republik wohl einnehmen, doch ſie feſtzuhalten iſt nicht
leicht . .. zuletzt müſſen fie ſich hinausſcheren.“
„Ha! Was? Es fehlt mir nicht!“ rief Sagloba von dem
Lobe erfreut.
„Wenn ihr das meint, will ich euch weiter prophezeien.
Gott iſt mit den Gerechten! Ihr — hier wandte er ſich an
Kmiziz — werdet den Radziwill überwinden, ihr werdet nach
Tauroggen gehen, euer Mädchen holen, ſie ehelichen und Nach—
kommenſchaft groß ziehen . . . Meine Zunge ſoll den Pips
bekommen, wenn ſich das nicht erfüllt, was ich jage... Um
Gotteswillen erdrüdt mich nur micht!“
Herr Sagloba Hatte Urfache, jich zu wehren, denn Kmiziz
hatte den Alten in die Arme genommen, emporgehoben und
preßte ihn nun jo an jich, daß ıhm die Augen aus dem Kopfe
traten. Doch faum Hatte diejer ihn niedergejtellt, faum hatte
er nad) Luft gejchnappt, faßte ihn Wolodyjowsfi an der Hand
und rief luſtig:
„set ift die Neihe an mir! Sprecht, was jteht mir bevor?“
„Bott jegnet euch, Herr Michael! ... Eure zarte Lerche
führt euch ein ganzes Volk aus dem Neſte ... aber fürchtet
euch nicht. Uff!“
„Vivat!“ jchrie Wolodyjowski.
„Doch zuvor treiben wir die Schweden hinaus!“ ſetzte
Saglebo hinzu.
„Das wollen wir thun! Das wollen wir thun!“ riefen die
beiden Hauptleute, mit den Säbeln klirrend.
„wat! Der Sieg!“
10. Kapitel.
Eine Woche nachher hatte Kmiziz die Grenze Preußens
überjchritten. Es war ihm das gar nicht jchwer geworden,
denn er war furz vor dem Abmarſch des Herrn TFeldhaupt-
mann jo heimlich und geräujchlos in die Wälder getaucht, dab
Douglas mit Bejtimmtheit glaubte, er jei mit der ganzen Diviſion
nach Warjchau zurüdgezogen und habe nur fleine Bejagungen
zum Schuß in den fleinen Schlöffern hier gelaſſen.
Douglas folgte nun der Spur Goſchewskis, mit ihm Radzie—
jowski und Radzuvill.
Kmiziz erfuhr das noch vor dem Weberjchreiten der Grenze
und fränfte fich graufig, daß er feinem Todfeinde nicht Auge
in Auge werde gegemüberjtehen fünnen umd daß die verdiente
Strafe vielleicht den Fürjten von einer anderen Hand als der
jeinigen, 3. B. von der Hand Wolodyjowsfi treffen könnte,
welcher ihm ebenfall® Nache geſchworen hatte.
Da er nun an der Perſon des Vaterlandsverräters für
das Unglück, das durch feine Schuld über die Nepublif ge-
fommen war, und für die eigene ihm zugefügte Not nicht
Nache nehmen konnte, jo übte er diejelbe auf gräßliche Weije
an den Beſitzungen desjelben. Noch in derjelben Nacht, in
welcher die Tartaren den Grenzpfahl Hinter ſich ließen, rötete
fic) der Himmel von den angezündeten Dörfern. Schreien und
Wehklagen füllte die Luft. Wer im polnischer Sprache um
Barmherzigkeit flehte, der wurde auf Befehl des Führers ge-
ichont, dafür wurden die deutjchen Anjiedelungen, Kolonieen,
Dörfer und Städte Preußens in ein Flammenmeer verwandelt.
978
Wie ein Strom brennenden Deles ergoß jich die Tartaren-
horde über die jonjt jo itillen und friedlichen Fluren. Man
hätte denfen künnen, daß jeder Tartar ſich verdoppele und ver-
dreifache, um gleichzeitig an mehreren Stellen brandichagen zu
können. Nicht die Getreidefelder, nicht die Objtbäume in den
Gärten wurden gejchont.
Kmiziz jelbit, von Natur wild und graujfam, freute fich
der Zerftörung, wenn er auch nicht thätig an dem Zerſtörungs—
werfe mit arbeitete. Er erinnerte jich jegt oft jener Zeiten,
wo er auf feinen Streifzügen den Chowanski jo gequält hatte,
und jeine Kumpane traten ihm dabei leibhaftig vor Augen.
Kokoſinski, der Rieſe Hippocentaurus Kulwiez, Ranizki der
Weiſe, Uhlick der Spielmann, Rekutſch, der fein Menjchenblut
auf dem Gewifjen Hatte, und Zend, welcher jo vortrefflich ver-
Itanden hatte, die Stimmen der Vögel nachzuahmen.
Das hHinderte ihn nicht, beim Leuchten der brennenden
Dörfer allabendlic) den Roſenkranz zu beten; denn auch weh-
mütige und jehnjüchtige Gedanken famen zu ihm zu Gaſte.
Alle jene, deren Andenken ihm jo lieb war, brieten, ausgenommen
den Netutich, jicherlich in der Hölle Jetzt, ja jetzt hätten jie
Gelegenheit gehabt, jich im Blute zu baden, ohne die Blutjchuld
auf ihr Gewifjen zu laden, zum Heile des VBaterlandes . . .“
Herr Andreas jeufzte jchmerzlich bei dem Gedanken, welc)
ein verderbenbringendes Ding die Zügellofigfeit ijt, wenn fie
im Uebermut der Jugend fo weit getrieben wird, daß nichts
mehr die daraus entjtandenen Berjchuldungen gut zu machen
vermag.
Am wehmütigiten jtimmte ihn aber die Erinnerung an
Olenka. Se weiter er in Preußen vordrang, dejto heißer brannte
die Wunde jeines Herzens; wie die Flammen, die er in den
Hütten der Dörfer und Städte anfachen ließ. Er ſprach im
Stillen oft mit fich felbit und jeufzte zu feinem Mädchen:
„Mein geliebtes Täubchen, du Haft mich ficherlich jchon
vergejjen, und wenn du meiner gedenkit, dann muß Zorn dein
Herz erfüllen, während ich fern von dir, Tag und Nacht, im
Kampf und während der Ruhe nur an dich denfe und meine
Seele über Flüffe und Wälder dir zufliegt, um zu Deinen
Füßen zu liegen. Der Republik und dir ijt mein Blut und
Leben geweiht, aber wehe mir, wenn dein Herz mich auf ewig
verdammen jollte.“
Auf diefe Weife drang er die Grenze entlang immer
weiter nach Norden vor. Die Sehnjucht padte ihn immer
574
heftiger. Am liebſten wäre er jchon in Tauroggen gewejen,
aber der Weg dorthin war noch weit und voller Gefahren,
denn endlich) begann man jich zu wehren. Alles, was lebte,
griff zu den Waffen, um den Verwüjtungen, durch die Tartaren
verübt, Einhalt zu thun. Die Bejagungen jelbjt ganz entfernt
gelegener Städte eilten herbei, formierten ein Regiment, ein
zweites wurde aus den Jünglingen der Städte gebildet und
bald war ein jo anjehnliches Heer beijammen, daß immer zwanzig
Mann auf einen Tartaren kamen.
Kmiziz griff diefe Kommandos an, überfiel fie wie der
Blitz, verjprengte fie, wich ihnen aus, juchte fie zu umgehen,
verjchwand in den Wäldern, um plöglich wieder aufzutauchen,
aber er fam nicht mehr jo jchnell vorwärts. Er war gezwungen,
ji) tage- ja wochenlang im Didicht des Waldes oder im
Nöhricht an den Ufern der Seen zu verbergen. Das Volk
jammelte jich immer zahlreicher zu feiner Abwehr, er wurde
gehett wie ein Wolf und big um fich, wie ein Wolf.
Da er es liebte, gründlich zu arbeiten, jo blieb er troß der
DVerfolgungen zuweilen jo lange in einer Gegend, bis Diejelbe
volljtändig verwüjtet war. Irgend ein Zufall Hatte jeinen
Namen befannt gemacht, welcher nunmehr bis zum Baltijchen
Meere mit Schrecken und Entjegen genannt wurde.
Zwar hätte Herr Babinitjch jich wieder in die Grenzen
der Republik zurüdziehen und an den kleinen Kommandos
vorüber nach Tauroggen gelangen fünnen, doch das wollte er
nicht. Er wollte nicht nur jich jelbjt, jondern vor allem dem
Baterlande dienen.
Unterdejjen waren Nachrichten nah Preußen gelangt,
welche den Bewohnern neuen Mut einflöhten, das Herz Kmiziz's
aber mit unausjprechlichem Schmerz erfüllten. Das Gerücht,
daß der König von Polen eine große Schlacht bei Warjchau
verloren hatte, fahte immer mehr fejten Fuß. „Karl Gujtav
und der Kurfürſt haben das ganze Heer Johann Kafimirs ge-
ſchlagen,“ hörte man immer wieder freudig ausrufen. „Warjchau
it wieder genommen! Es iſt der größte Sieg während des
ganzen Krieges, die Nepublif iſt verloren!“ tönte es Kmiziz
überall entgegen. Konnte man diejen Gerüchten Glauben jchenten,
jo war freilich alles verloren, denn ihnen zufolge waren die
polnischen Armeen jämtlich vernichtet, die Hetmane alle gefallen
und der König in Gefangenschaft geraten.
So jollte denn mit einem Schlage alles vorüber, alles ver—
nichtet jein? Die ganze, jich aufraffende, fiegende Republik nur
575
eine Ausgeburt der Phantajie gewejen jein? Alles, die ganze
Macht Polens, das ganze Heer, jo viele große Männer und
Krieger, das alles jollte vom Erdboden getilgt und verweht
jein wie Rauch? Es jollte feine anderen Vaterlandsverteidiger
mehr geben, wie die loſen Barteien der Aufjtändischen, welche
auf die Nachricht von der Niederlage des Heeres auseinander:
jtieben würden wie der Wind?!
Kmiziz rang die Hände, raufte das Haar und raffte Die
najje Erde mit den Händen auf, um den brennenden Kopf da-
mit zu fühlen.
„Auch ich werde fallen!“ jagte er ſich, „zuerit aber richte
id) ein Blutbad an.“
Wie ein Verzweifelter begann er fich num zu wehren. Er
juchte feine Verjtede mehr auf; den erjehnten Tod zu finden
jtürzte er fi auf dreimal ftärfere Truppenabteilungen der
Feinde und bejiegte ſie. Der Reſt jedes Menjchlichfeitsgefühls
eritarb in den Tartaren; fie verwandelten ſich in eine Horde
Naubtiere. Diejes raubgierige, früher zu einem Kampf im
offenen Felde ganz eh Volk Hatte jich, unbejchadet
jeiner Fähigkeit und Gejchiclichfeit in Wlänfeleien, durch die
andauernden Kämpfe und die Uebung zu jo tüchtigen Kriegern
herausgebildet, daß es jedem Angriff einer regulären Truppe
Stand zu halten vermochte und jich nicht gejcheut hätte, ein
Karree der jchweren dalefarlifchen Garde anzugreifen.
Kmiziz hatte ihnen abgewöhnt, fich mit Beuteſtücken zu belaiten.
Sie nahmen nur noch Geld, bejonders Gold, welches fie in die
Sättel einnähten. Daher fam e3 auch, daß, wenn einer von
ihnen fiel, die anderen ſich mit wahrer Wut um jein Pferd
und jeinen Sattel jchlugen. Indem fie ſich auf dieſe Weije
bereicherten, verloren jie nichts von ihrer fajt übermenjchlichen
Beweglichkeit. Nachdem fie erfannt hatten, daß unter feinem
Führer der Welt ihnen jo reiche Beute werden fonnte, wie
unter ıhm, Hatten jie die Zuneigung eines Jagdhundes zum
Säger gefaßt, und mit wahrhaft muhamedanischer Nechtlichkeit
legten fie nach jeder Schlacht den Löwenanteil der Beute in
— Sorokas und der Kiemlitſch für den „bagadyr“
nieder.
„Allah!“ pflegte Atbah-Ulan zu ſagen. „Wenige von
ihnen werden Bacdtjchir-Seraj wiederjehen, Diejenigen aber,
welche es wiederjehen, werden alle Mohren werden.‘
Babinitjch, welcher von jeher von Kriegsbeute gelebt hatte,
976
gelangte hier zu großen Schägen, das aber, was er juchte, den
Tod, fand er nicht.
Sp verfloß wieder ein Monat mit Hegen und Jagen.
Obgleich die Klepper gut genährt waren, da es ihnen an Gerſte
und Weizen nicht fehlte, jo waren ihnen doc ein paar Ruhe⸗
tage dringend nötig. Deshalb zog der junge Hauptmann eines
Tages bei Dospada über die Grenze in die Republik zurück,
um die Klepper ruhen zu laſſen, um durch neue Aushebungen
De die entitandenen Lücken wieder zu füllen, und um
achrichten über den Zuſtand der Nepublif einzuziehen.
Die Nachrichten liefen denn auch bald ein. Sie lauteten
jo freudig, daß Kmiziz fait von Sinnen fam. Es war aljo
Thatjache, daß der ebenjo tapfere, wie unglüdjelige Sohann
Kafimir die große Schlacht bei Warjchau, welche drei Tage
gedauert, verloren hatte. Aber was war die Urjache?
Das allgemeine Aufgebot war in großen Mengen in die
Heimat zurücgefehrt und was davon dageblieben war, Fämpfte
nicht mehr mit jener Begeijterung, wie bei der Einnahme von
Warjchau und hatte am dritten Tage der Schlacht Verwirrung
in das Heer gebracht. Während der eriten beiden Tage hatte
ji) die Wagichale des Sieges den Polen zugeneigt. Die
regulären Stammtruppen hatten zur Verwunderung der ſchwe—
dischen und brandenburgijchen Generäle gezeigt, daß fie nicht
nur bei fleineren Gefechten, jondern auch in der großen Schlacht
den geübtejten und tapferiten Krieger an Ausdauer und Geſchick—
lichkeit gleichfamen.
Sohann Kafimir Hatte ſich uniterblichen Ruhm erworben.
Man ſprach davon, daß er fich als Feldherr wohl mit Karl
Guſtav mejjen fünne, und daß er unſtreitig die Schlacht ge=
wonnen hätte, wenn man allen jeinen Befehlen genau nach=
gekommen wäre.
Es währte nicht lange, jo erhielt Kmiziz auch Nachrichten
von Augenzeugen der Schladt. Er traf mit Edelleuten zu—
jammen, welche zum allgemeinen Aufgebot gehörten, dennoch
aber an der Schlacht teilgenommen hatten. Der eine derjelben
berichtete ihm über den glänzenden Angriff der Huſaren, während
welchem Karl Guitav, der trog der Bejchwörungen der Generäle
ſich nicht zum Rückzuge entjchließen fonnte, fait das Leben ver-
loren hätte. Allefamt aber bejtritten, daß das Heer aufgelöjt
und die Hetmane gefallen jeien. Die ganze Armee, aus-
genommen das allgemeine Aufgebot, war unberührt geblieben
977
und zog jich in guter Ordnung in das Innere des Landes
zurüd.
Auf der Warjchauer Brüce, welche eingejtürzt war, hatte
man zwar Slanonen verloren, dafür war aber „der Mut und
die Begeilterung wieder über die Weichjel gebracht worden“.
Das Heer jchwor bei allem, was heilig, daß die nächite Schlacht
unter ſolchem Feldherrn wie Johann Kaſimir gewonnen werden
müſſe, dieſe hier verlorene ſei nur eine Probe, wenn auch eine
verunglückte, welche nur geeignet jei, Trojt und Beruhigung zu
verbreiten.
Kmiziz zerbrach jich den Kopf, wer denn jene erſte Schreckens—
botjchaft verbreitet haben mochte. Man erklärte ihm, daß nur
Karl Guſtav jelbjt dieſe übertriebenen Gerüchte in Umlauf ge—
jebt haben könne, da er völlig ratlos jei. Einige jchwedijche
Offiziere, welche er eingefangen hatte, bejtätigten dieſe Anficht.
Kmiziz erfuhr von ihnen auch, daß der Kurfürſt in großer
Befümmernis jet und immer mehr an einen Rückzug denfe; daß
jeine Hauptmacht bei Warjchau jtehe, ein großer Teil feiner
Truppen gefallen jei, ein anderer einer gräßlichen Krankheit
zum Opfer falle. Unterdeſſen hätten die Großpolen fich feine
Abwejenheit zu Nutze gemacht; fie jeien in die Marf Branden-
burg eingebrochen und richteten dort große Verwüſtungen an.
Die Zeit fünne nicht mehr fern fein, da der Kurfürſt fich von
den Schweden losmachen werde.
„Man muß ihm alſo zuſetzen,“ dachte Kmiziz, „damit er
zu einem ſchnelleren Entſchluſſe gedrängt wird.“
Da die Klepper ausgeruht und die Lücken im Heere gefüllt
waren, überſchritt er wieder die Grenze Preußens und zog wie
ein Rachegeiſt über die deutſchen Fluren.
Verſchiedene „Parteien“ folgten ſeinem Beiſpiel. Der Wider—
ſtand drüben wurde ſchon ſchwächer und die Botſchaften, die
ihnen folgten, lauteten immer freudiger, ja ſo freudig, daß man
kaum wagte, ihnen Glauben beizumeſſen.
Zuerſt erzählte man ſich, daß Karl Guſtav, welcher nach
der Schlacht bei Warſchau ſich bis Radom zurückgezogen hatte,
in Eilmärſchen nach Preußen zu marſchierte. Was war ge—
ſchehen? Warum trat er den Rückzug an? Eine Zeitlang
konnte niemand dieſe Fragen beantworten, bis plötzlich wieder der
Name Tſcharniezki damit in Verbindung gebracht wurde. Er
hatte die Nachhut des Königlichen Heeres bei Lipiez, bei Strſche—
meſchno und dicht bei Rawa geſchlagen, und als er in Erfahrung
gebracht, dab zweitaujend Reiter von Krakau Her ſich zurüczogen,
Sientiewica, Sturmflut IL 87
978
griff er diejelben an und ließ feinen am Leben. Der Haupt-
mann Forgell, der Bruder des Generals, geriet mit dreizehn
Nittmeiitern und vierundzwanzig Offizieren in Gefangenſchaft.
Andere verdoppelten die Zahl der Gefangenen und wieder
andere behaupteten jchon voll Begeijterung, day Johann Kaſimir
gar feine Niederlage bei Warjchau erlitten hatte, jondern jein
Nüdzug nach dem Süden nur eine Liſt war, um den Feind
zu loden.
Kmiziz jelbit dachte jo, denn feit jeinem Knabenalter Soldat,
verjtand er das Ktriegshandmwerf, und noch niemals hatte er ge=
hört, daß der Sieger nach einem Siege jich jchlechter befinden
jollte, wie vordem. Und nad) allem, was man hörte, ging es
den Schweden ſchlecht und das ſeit der Warſchauer Schlacht.
Da fielen dem Herrn Andreas die prophetiſchen Worte
Saglobas ein, welche er bei ihrem letzten Zuſammenſein geſprochen
hatte, nämlich, daß ein Sieg der ſchwediſchen Sache gar nichts
nützen würde, eine einzige Niederlage aber das Verderben für
ſie bedeuten mußte.
„Er iſt doch ein kluger Kopf!“ dachte Kmiziz. Es war,
als hätte er im Buche der Zukunft geleſen.
Hier fielen ihm auch die anderen Prophezeiungen Sag—
lobas ein. Er, Kmiziz alias Babinitſch, ſollte darnach nach
Tauroggen gelangen, ſeine Olenka finden, verſöhnen, ſie heiraten
und Nachkommenſchaft zur Ehre des Landes mit ihr großziehen.
Als er daran dachte, ſtrömte Feuer durch ſeine Adern; er be—
ſchloß, keinen Augenblick mehr zu zaudern, für eine Zeitlang
Preußen und ſeine Rache zu laſſen und nach Tauroggen
zu fliegen.
Am Vorabend ſeiner Abreiſe dorthin kam ein Laudaer
Edelmann aus der Fahne Wolodyjowskis bei ihm an; er brachte
ihm einen Brief von dem kleinen Ritter.
„Wir folgen mit dem Heere des Feldhauptmanns von
Litauen und dem Fürſt-Truchſeß der Spur Boguslaws und
Waldecks,“ ſchrieb Herr Michael. „Schlage dich zu uns, denn
die Zeit der Rache iſt gekommen.“
Herr Andreas wollte ſeinen Augen nicht trauen. Einen
Augenblick hatte er den Boten im Verdacht, daß er von irgend
einem preußiſchen Kommandanten ausgeſchickt ſei, um ihn mit
ſeinem ganzen Tſchambul in einen Hinterhalt zu locken. Sollte
Goſchewski wirklich noch einmal nach Preußen ziehen wollen?
Es war unmöglich, das nicht zu glauben. Das war die Hand—
ſchrift, das, das Wappen Wolodyjowskis, auch des Edelmannes
579
erinnerte er ſich jet. Er begann ihn auszufragen, wo Herr
Goſchewski ſei und wohin er zu marjchieren gedachte.
Der Edelmann war etwas bejchränft. Er meinte: es fei
nicht jeine Sache, zu wiflen, wohin der Herr Hetman wolle; er
wiſſe nur, daß derjelbe mit feiner litauifchetartarischen Divifion
zwei QTagereifen von hier entfernt jet und daß die Laudaer
Sahne ihn begleite. Herr Ticharniezfi hatte jich diejelbe eine
Zeitlang von ihm geliehen gehabt, aber jie jchon lange zurüd-
gejchickt; jet gehe jie dahin, wohin er jie führt.
„Dan jagt,“ jchloß der Edelmann, „dat wir nad) Preußen
gehen; die Soldaten freuen jich jchredlich darauf... Es iſt
unjere Pflicht, zu gehorchen und zuzuſchlagen.“
Nachdem Kmiziz den Bericht angehört, befann er jich nicht
lange, jchlug mit jeinem Tſchambul die entgegengejegte Richtung
ein und ritt im Eilmarſch dem Herrn Hetman entgegen.
Zwei Tage jpäter, jchon jpät abends, fiel er dem Herrn Wolo-
dyjowski in die Arme, welcher, nachdem er ihn abgeherzt hatte,
gleich rief:
„Graf Walded und Boguslaw find in Prostki; fie bauen
Schanzen, ſie wollen ihr Lager befejtigen. Wir wollen jie
dort angreifen.“
„Heute?“ frug Kmiziz.
„Morgen mit dem NAllerfrüheiten, aljo in zwei bis Drei
Stunden.“
Sie umarmten jich wieder.
„Ein Etwas flüjtert mir zu, daß Gott ihn mir ausliefert!“
rief Kmiziz tiefbewegt.
„Auch ich denfe das.“
„sch Habe mir gelobt, jedes Jahr an dem Tage zu fajten,
an welchem ich mit ihm zujammentreffe.‘
„Sottes Beiltand fann nicht jchaden,“ entgegnete Herr
Michael. „Sch will auch nicht neidisch jein, wenn du ihn triffit,
denn deine Not ijt die größere.”
„Michael! Ich jah nie einen edleren und großherzigeren
Stavalier als dich!“
„Laß Dich einmal betrachten, Andrujh. Du bit vom
Winde ganz braun geworden; aber du haft dich wacker geführt.
Die ganze Divifion betrachtet mit Achtung deine Arbeit. Du
(äßt nichts Hinter dir, wie Trümmer und Kadaver. Du bijt
ein berühmter Soldat. Selbjt Herrn Sagloba, wenn er hier
wäre, würde es jchwer fallen, etwas Befleres an ſich zu finden.“
Um Gotteswillen! Wo iſt Herr Sagloba?“
87*
580
„Er iſt beim Herrn Sapieha geblieben, weil er ganz ver-
ihwollen it vom Weinen und vor Berzweiflung über den
Tod des Nochus Kowalski . . .“
„Iſt Herr Kowalski gefallen?“
Wolodyjowski preßte die Lippen aufeinander.
„Weißt du, wer ihn erjchlagen hat?“ jagte er dann.
„Wie ſoll ich das wiſſen? ... Erzähle!“
„Der Fürſt Boguslaw!“
Kmiziz drehte ſich auf dem Abſatz herum als hätte er
einen Stich bekommen und ſog ziſchend zwiſchen den Zähnen
die Luft ein, wie wenn er einen großen Schmerz ſpürte, dann
fiel er zähneknirſchend auf eine Bank und ſtützte ſchweigend den
Kopf in die Hände.
Herr Wolodyjowski klatſchte in die Hände und befahl dem
herbeigeeilten Diener, Wein zu bringen, worauf er ſich dicht
neben Kmiziz ſetzte, die Becher füllte und erſt dann ſagte:
„Rochus Kowalski iſt den Heldentod geſtorben. Wolle
Gott, daß wir ein ebenſo ſchönes Ende finden. Genug, wenn
ich dir ſage, daß Karolus ſelbſt, nachdem er das Feld behauptet
hatte, ihm das Begräbnis ausrichtete und ein ganzes Garde—
regiment dazu kommandierte, die Ehrenſalve über ſeinem Sarge
abzugeben.“
„Wenn nur nicht gerade dieſe Hände, dieſe verruchten
Hände ihn getötet hätten,“ rief Kmiziz.
„Ja, es waren die Hände Boguslaws; ich weiß es von
den Huſaren, welche mit eigenen Augen diefe jämmerliche That
mit angejehen haben.“
„Warſt dur nicht dabei?“
„Während der Schlacht kann man den Pla nicht wählen,
da muß man jtehen, wo man bingejtellt wird. Wäre id) dort
gewejen, jo würde entweder ich nicht hierligen oder Boguslaw
dort feine Schanzen bauen.“
„Sprich, wie it das alles gefommen? Mein Haß wird
immer größer.”
Wolodyjowski trank, wijchte fein gelbes Schnurrbärtchen
ab und begann:
„Du wirt wohl Berichte über die Schlacht bei Warjchau
ihon gehört haben, denn alle Welt jpricht davon, darum will
ich mich nicht dabei aufhalten. Unjer Allergnädigiter Herr...
Gott gebe ihm Gejundheit und ein langes Leben... denn
unter einem anderen Herrn würde das Baterland in jeinem
Elend zu Grumde gehen... er hat ſich als ausgezeichneter
581
Feldherr erwiejen. Wenn der Gehorjam jo ausgezeichnet ge-
wejen wäre wie der Befehlshaber, jo hätten die Chronifen-
jchreiber über einen großen Sieg der Polen über die Schweden
zu berichten, einen Sieg, demjenigen bei Grunwald und Beres—
tetjch gleich. Kurz aljo, am erjten Tage jchlugen wir die
Schweden, am zweiten jchwanfte das Glück, doch wir behielten
die Oberhand. Da gingen die litauijchen Huſaren, bei welchen
Nohus Kowalski diente, unter dem Knäs Polubinski, einem
großen Soldaten, zur Attafe vor. Sch jah fie, als fie [o8-
gingen, jo wie ich dich jett jehe, denn ich jtand mit den Laudaern
auf einer Anhöhe unter einer Schanze. Es waren eintaujend«
zweihundert Dann, jo herrlich man Mann und Roß je gejehen.
Sie jagten ein halbes Gewände vor uns vorüber, dat der Erd-
boden dröhnte. Wir jahen, wie die Brandenburger Füfiliere
ihre Bilen in den Boden jtemmten, um den eriten Anlauf auf:
zuhalten. Andere feuerten ihre Musfeten ab, daß jie ganz in
Nauchwolfen gehüllt waren. Wir jehen: die Hujaren laſſen
die Zügel locker. Gott, mit welcher Gewalt jtürmten ſie [o8!
Sie verjchwanden im Nauche. Meine Soldaten fangen an zu
jchreien: ‚Sie brechen durch! Sie brechen durch" Einen Augen
blick ſah man nichts, nur ein Donner, ein Klingen folgte, als
würden in taujend Schmieden die Hämmer gejchwwungen. Endlich
jehen wir: Jejus, Maria! Die Brandenburger liegen da wie
ein Mehrenfeld, über welches der Sturm hinweggefegt ijt, Die
Hufaren find jchon Hinter ihnen, nur die Lanzen jieht man
noch blinfen. Sie fliegen auf die Schweden zu, jie überrennen
die Weiter, dal jie daliegen wie hingemäht. Sie nehmen ein
zweites Negiment — ein Donner — die Kanonen werden ab—
gefeuert... Wir fehen fie weiterfliegen wie die Nauchwolfe
vor dem Winde... Sie durchbrechen die jchwedische Infanterie.
... Alles flieht, jtiebt auseinander, jie jagen durch eine Gaſſe
von Menjchen; um ein Stleines hätten ſie Die ganze Armee
überritten! ... Jetzt ſtoßen jie mit der berittenen Garde zu—
jammen, inmitten welcher Karolus hält... und auch die Garde
jtiebt auseinander! . . .*
Hier unterbrach Wolodyjowsft jeine Erzählung, denn
Kmiziz ballte die Fäuſte und preßte mit ihnen die Augen,
während er jchrie:
„Mutter Gottes! einmal jo etwas jehen, dann fallen!“
„Eine jolche Attacke werde ich niemals mehr jehen,“ fuhr
der fleine Nitter fort. Dann jchiekte man auch ung zur Attace
. .. Gejehen habe ich dann micht3 weiter, und was ich dir jeßt
982
erzähle, weil ich aus dem Munde eines jchwedijchen Offiziers,
welcher an der Seite Karl Guſtavs den Anſturm ausgehalten
und den Berlauf der Mttade mit eigenen Mugen angejehen
hatte. Als die Huſaren jich den Weg durch die Garde bahnten,
fahte Forgiel, derjelbe, welcher jpäter bei Rawa in unjere Hände
fiel, den König an dem Arm. ‚Majejtät, rettet Schweden, rettet
euch jelbjt‘, jchrie er. ‚Entflieht! Entflieht! Sie find nicht auf-
zubalten‘ Und Karolus erwiderte darauf: ‚Es iſt zu Spät —
jetzt heißt es fiegen oder jterben“ Andere Generale fommen
herbei, jie flehen und bitten, es nußt nichts! Der König drängte
vorwärts? ... da prallten jie aufeinander, Die Garde war zer-
jprengt, ehe man bis zehn zählen fonnte. Wer jtürzte, Der
wurde überritten, die anderen fugelten auseinander wie Erben.
Der König allein wehrte fich; Kowalski erfannte ihn, denn er
hatte ihn jchon zweimal gejehen. Ein Reiter jprengte vor, den
König zu jchügen . . . aber diejenigen, welche es gejehen, jagten,
daß der Blitz nicht jchneller niederfahren fann, wie das Schwert
des Nochus; er fpaltete dem Neiter den Kopf. Da warf der
König jelbit fich ihm entgegen . . .*
Wolodyjowsfi jegte wieder ab und jeufzte jchwer. Doc)
Kmiziz rief gleich:
„Mache ein Ende, mir jtoct der Atem!“
„Sie fümpften nun Bruft an Brujt, die Pferde rieben
ſich aneinander, die Säbel klirrten! Da jehe ich, jagt der Offizier,
den König jchon mit dem Pferde am Boden! Er rafft jich auf,
zieht die Piſtole, fchießt ab und fehlt. Da faßt ihn Nochus
am Schopfe, denn der Hut war ihm herabgefallen; er hat das
Schwert ſchon erhoben, ſchon überfällt eine Ohnmacht die
Schweden, der Schreden lähmt ihre Glieder, denn alles war jo
Schnell gegangen, daß Rettung unmöglich war. Plötzlich erjcheint
Boguslaw wie aus dem Boden gewachlen und jchießt dem
Nochus eine Schrotladung in das Ohr, die ihm den Kopf jamt
den Helm zerjchmettert.“
„Um Gotteswillen! Blieb ihm feine Zeit zur Abwehr?“
jchrie Herr Andreas, feine Haare raufend.
„Sott gewährte ihm dieſe Gnade nicht,“ antwortete Herr
Michael. „Wir errieten mit Sagloba fogleich, wie das geſchah.
Der arme Wicht hatte von Kleinauf bei den Nadziwills gedient.
Beim Anblick feines früheren Herrn erfchraf er. Vielleicht war
es ıhm niemals in den Sinn gefommen, daß man die Hand
gegen einen Radziwill erheben könne. Das pflegt zuweilen der
all zu fein. Er hat feinen Mut mit dem Leben bezahlt.
983
Herr Sagloba iſt ein jeltfamer Menjch. Nochus war ihm gar
nicht verwandt, troßdem trauert er um ihn wie um einen
Sohn... Im Grunde genommen ilt da nichts zu trauern,
denn man könnte den Kowalski um jeinen Tod beneiden.“
Der Edelmann wird dazu geboren, auf daß er jeden
Augenblick bereit ijt, jein Leben für das Vaterland hinzugeben,
aber — von Kowalski werden die Gejchichtsjchreiber erzählen,
fommende Gejchlechter werden jeinen Namen preijen.
Herr Wolodyjowski jchwieg jtill. Nach einer Weile be=
freuzte er jich und betete:
„Herr, gieb ihm den ewigen Frieden und das ewige Licht
leuchte ihm ...“
„In Ewigkeit, Amen!“ ſchloß Kmiziz.
Beide beteten noch eine Zeitlang, vielleicht um einen gleichen
Heldentod, nur, daß er jie nicht von der Hand Boguslaw
treffen möge. Endlich jagte Michael:
„Der Probſt Piekarski hat ung verfichert, daß Rochus Direkt
in den Himmel fam.“
„So wird es jein! Dann braucht er aber unjere Gebete nicht.“
„Die Gebete find immer nötig, denn jie fommen den anderen
Seelen zu gute, vielleicht jogar ung ſſelbſt.“
Kmiziz jeufzte.
„Unjere Hoffnung beruht auf der Barmherzigkeit Gottes,“
jagte er. „Sch denfe, daß für das, was ich in Preußen voll
bracht Habe, mir Gott ein paar Jahre Fegefeuer erläßt.‘
„Es wird alles dort oben angejchrieben. Was der Säbel
hier auf Erden verrichtet, das trägt der himmlische Sekretär in
das Himmelsbuch ein.“
„Auch ich habe bei Radziwill gedient, aber ich werde mich
durch den Anblick Boguslaws nicht aus der Faſſung bringen
lajien. Gott! Gott! Prostfi liegt jo nahe. Gedenfe, o Herr,
daß er auch dein Feind it.
„Und der Feind des Vaterlandes!“ jagte Herr Michael.
„Hoffen wir, daß jeine Zeit fommt. Herr Sagloba hat nad)
jener Attacte dasjelbe prophezeit, er jprach es im größten
Schmerze aus, das Gejicht mit Thränen überflutet, wie in Er—
leuchtung. Er fluchte dem Boguslaw, daß den Zuhörern die
Haare zu Berge ſtanden. Der Fürſt Kaſimir Michael Radziwill,
welcher mit uns gegen ihn zieht, ſah im Traume die zwei Trom—
peten, welche die Radziwills im Wappen haben, durch einen
Bären zerfreſſen, und ſagte am folgenden Tage: ‚Es trifft ent—
weder mich oder einen anderen Nadzuvill ein Unglück.“
984
„Durch einen Bären?“ frug Kmiziz erbleichend.
„sa, durch einen Bären!“
Das Gejicht des Herrn Andreas erhellte jich, ald wäre ein
Strahl der Morgenröte darüber geglitten. Er erhob die Augen
zum Himmel und jagte:
„sch Führe ja den Bären im Wappen. Gelobt jei Gott
in der Höhe! Und du, o heilige Mutter Gottes! Herr! Herr!
Ich bin nicht würdig diejer Gnade!“
Als Wolodyjowsfi das hörte, wurde er jehr gerührt. Cr
erfannte in diejem Zujammentreffen ein Zeichen des Himmels.
„Andruſch!“ rief er. „Zur Sicherheit küſſe vor Beginn
der Schlacht dem Jejufindlein die Füße; ich will für mid) um
den Safowitjch bitten.“
„Prostti! Prostki!“ wiederholte Kmiziz fieberhaft. „Wann
rüden wir aus?“
„Mit Tagesanbruch. Sieh, e8 fängt ſchon an zu dämmern.“
Kmiziz näherte ſich dem zerſchlagenen Fenſter der Hütte,
blickte hinauf nad) dem Himmel und jagte:
„Die Sterne bleichen jchon. Ave Maria! .. .“
In diefem Augenblid ertönte von ferne ein Hahnenjchrei
und gleichzeitig das leife Blajen einer Trompete. Cine halbe
Stunde jpäter befand ji) das ganze Dorf in Bewegung. Man
hörte Waffenklirren und das Schnaufen von Pferden. Schwarze
Neitermafjen jammelten ich auf der Landitraße.
Die Luft ward vom Xichte durchtränkt. Ein bleicher
Schimmer verſilberte die Schäfte der Speere, gaukelte über die
blanken Schwertſcheiden. Dunkle, bärtige, ernſt dreinblickende
Geſichter, Helme, Käppis, Kapuzen, Tartarenmützen aus Schaf—
fell tauchten aus der Dämmerung auf. Endlich ſetzte ſich der
Zug, mit Herrn Kmiziz im Vortrab, in Bewegung nach Prostfi.
Das Heer z0g in langer, jchnell sich fortbewegender Schlangen
linie dahin.
Die Pferde in den erjten Neihen jchnauften, die anderen
thaten es ihnen nad).
Weite Nebelwolken lagen noch über Feldern und Wieſen.
Rings herrichte tiefe Stille, nur der Wachtelfünig lie feinen
Nuf in den tauigen Gräſern erjchallen.
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ME 7 MEI
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N. Kapitel.
Es war der ſechſte September, als die polniſche Armee in
Wonſotſch anlangte, um Raſt zu halten. Die Menſchen und
Pferde ſollten für die bevorſtehenden ſchweren Tage Kräfte
jammeln. Der Herr Unterfämmerer hatte bejchlojien, vier bis
fünf Tage dort zu bleiben, aber die Ereignifje warfen diejen Plan
über den Haufen.
Man hatte den Herren Babinitjch, welcher die Grenzlande
Preußens bereit3 gut fannte, auf einen Streifzug ausgejchict
und ihm zwei leichte, litauische Fahnen und einen ausgeruhten
Tſchambul Tartaren mitgegeben, da feine eigenen zu ermüdet waren.
Der Herr Unterfämmerer hatte ihm vor dem Auszuge
dringend anempfohlen, einen Kundjchafter einzufangen und auf
feinen Fall ohne einen jolchen zurüczufehren. Babinitjch hatte
dazu nur gelächelt und für fich gedacht, dal es einer Aufmunte—
rung nicht bedürfe, da er ohnehin entjchlojfen war, nicht ohne
Gefangene zurüczufehren und jollte er diejelben direft von den
Schanzen in Prostki holen.
Er kehrte denn auch nach zwei Tagen zurüd, brachte
etliche Preußen und Schweden mit, unter welchen jich ein
höherer Offizier Namens v. Nöjjel, Kapitän im preußiſchen
Negiment Boguslaws, befand.
Man empfing den Zurüdgefehrten mit lebhafter Freude.
Man hatte nicht mehr nötig, den Offizier zu verhören, Babi—
nitjch hatte das bereit unterwegs gethan, indem er ihm das
Meier an die Stehle fette. Aus jeinen Ausjagen ging hervor,
daß nicht nur die preußischen Negimenter Graf Waldecks in
Prostki lagen, fondern auch einige jchwedische Negimenter unter
980
dem Oberbefehl des Generalmajors von Israel. Von diejen
waren vier Neiterregimenter unter dem Kommando Peterjeng,
Fritjofſtons, Taubenes und Ammerjteins und zwei Regimenter
zu Fuß, angeführt von den Brüdern Engel. Von den preußijchen
Negimentern, die jehr ſtark armiert waren, jtanden dort außer
dem Grafen Walde, noch der Fürſt Mismar, Brunzel, Kanne-
berg und General Walrat und Die vier Fahnen Boguslaws,
zwei preußiiche und zwei jeiner eigenen.
Den Oberbefehl über alle Truppen führte Graf Waldeck,
welcher indeß immer nur die Natjchläge des Fürſten Boqus-
law befolgte, dejjem Einfluß auch der jchwedijche General Israel
Jane
Das Wichtigite jedoch, was man von Röſſel erfuhr, war
die Mitteilung, daß von Elbing her zweitaujend Mann der
beiten pommerjchen Infanterie im Anzuge jeien, um den in
Prostfi jtehenden Truppen zu Hilfe zu eilen. Da Graf Walde
fürchte, daß jene Abteilungen von den Qartaren aufgehoben
werden fünnten, jo beabjichtige er das befejtigte Lager zu ver-
laſſen und erit nach der Vereinigung mit denſelben ſich dauernd
wieder in Prostki feſtzuſetzen. Nach der Ausſage Röſſels war
Boguslam der Ausführung diejes Planes jehr entgegen gewejen,
erit jeit den legten Tagen zeige er ſich demjelben geneigt.
Als Herr Goſchewski das hörte, war er hocherfreut. Er
glaubte nun des Sieges ſicher zu ſein. Der Feind konnte
ſich in dem verſchanzten Lager lange halten, weder aber die
preußiſche, noch die ſchwediſche Neiterei konnte den Polen in
offener Schlacht jtandhalten.
Der Fürſt Boguslaw wußte das jedenfalls ebenjogut, wie
der Herr Unterfämmerer, darum war er nicht für den Plan
Waldecks. Doch war er zu eitel, um auch nur den Borwurf
allzugroßer Vorficht ertragen zu fünnen. Zudem gehörte die
Geduld nicht zu jeinen Kardinaltugenden. Man konnte mit
Sicherheit darauf rechnen, daß er einen offenen Kampf dem
Liegen und Abwarten hinter den Schanzen vorziehen werde.
Es galt nun, den rechten Zeitpunkt zu erfafjen und den Feind
in dem Augenblick zu überfallen, wo er das Lager verlieh.
So dachte der Herr Unterfämmerer, jo dachten auch andere
Offiziere, wie Haſſun-Bey, welcher die Horden führte, Herr Woy—
nillowitjch vom Stammbheere, Herr Korjad vom Betyhor-Negiment,
die Herren Wolodyjowsfi, Kotwitjch und Babinitſch. Alle
jtimmten darin überein, daß man die Raſttage auf ſpäter ver⸗
legen und in einigen Stunden aufbrechen müſſe. Inzwiſchen
87
Ichiefte Herr Korſack unverzüglich feinen Fähnrich Biergomsfi
voraus, damit er jtündlich Nachricht geben jollte, was im feind-
lichen Lager vorging. Wolodyjowsfi und Babinitjch nahmen
Röſſel mit in ihr Quartier, um von ihm noch einiges über
Boguslaw zu erfahren.
Der Kapitän war darüber anfangs heftig erjchroden, denn
er fühlte noch die Dolchipige Kmiziz' am Halſe, doch bald Löjte
ihm der Wein die Zunge. Und da er früher einmal als Söld-
[ing in einem ausländischen Negimente der Nepublif gedient
hatte, veritand er polnisch und fonnte die ragen des Eleinen
Nitters, welcher das Deutjche nicht verjtand, beantworten.
„Dient ihr jchon lange beim Fürjten Boguslaw?“ frug
Herr Wolodyjowsfi.
„sh diene nicht bei der Leibtruppe des Fürjten,“ ant-
wortete Röjjel, „nur in der preußijchen Fahne, die unter feinem
Kommando jteht.“
„Dann fennt ihr wohl auch den Herrn Sakowitich nicht?“
„Den habe ich in Königsberg gejehen.“
„Wißt ihr vielleicht, ob er beim Fürſten iſt.“
„Er it nicht bei ihm; er iſt in Tauroggen zurücgeblieben.“
Der fleine Ritter jeufzte und zuckte mit dem Bärtchen.
„Ich habe wie immer fein Glück!“ jagte er.
„Sräme dich nicht, Michalef,” jagte Babinitjch. „Du findeft
ihn noch und wenn du nicht, dann finde ich ihn.“
Darauf wandte er fih an Röſſel:
„Ihr jeid ein alter Soldat, habt beide Armeen gejehen
und fennt unjere Weiter von früher her. Was meint ihr,
welcher Seite wird der Sieg werden?
„Wenn jene euch die Schlacht außerhalb der Schanzen
liefern, dann bleibt ihr Sieger, ohne Infanterie und Kanonen
werdet ihr das Lager nicht einnehmen, bejonders, da dort alles
nad) dem Kopfe Radziwills geht.“
„Daltet ihr ihn für einen jo begabten Feldherrn?“
„Nicht nur ich, Tondern beide Herren thuen das. Man jagt,
daß bei Warjchau Serenifjimus Rex Sueciae in allem jeinem
Rate folgte und darum die Schlacht gewann. Der Fürit als
Pole, fennt eure Art zu kämpfen, deshalb ijt jein Rat immer
gut. Sch Habe jelbit gejehen, wie der König am dritten Tage
nach der Schlacht vor der ganzen Front den Fürjten umarmte
und fühte Es it ja wahr, er hat ihm ja das Leben zu ver-
danken, denn wäre nicht im legten Augenblid der Schuß ge=
fallen... br! ... es it ſchrecklich auszudenken! ... zudem
988
it er ein Ritter von jo unvergleichlicher Größe, daß feiner fich
mit ihm meſſen fann.“
„Ei!“ jagte Herr Wolodyjowsfi, „vielleicht fände jich doc)
EIER 5°
Während er das jagte, zucte jein Bärtchen drohend.
Röſſel blickte ihn an und errötete plöglich. Einen Augenblid
jchien es, als werde der Kapitän einen Schlaganfall haben oder
vor Lachen beriten. Doch er fam bald zur Bejinnung, da er
an jeine Gefangenschaft dachte.
Kmiziz maß ihn mit einem durchdringenden Blick feiner
itahlblauen Augen, dann jagte er etwas gepreßt:
„Morgen wollen wir jehen .. .“
„st Boguslaw jet gejund?“ frug Herr Wolodyjowsfi.
„Das Fieber hat ihn lange geichüttelt, it er micht jehr
geichwächt ?“
„Er iſt längit gefund wie ein Fiſch; er nimmt auch feine
Arzneien. Der Medifus wollte ihm nach dem erjten Anfall
verjchiedene Präſervativmittel geben, aber jchon nach dem erjten
Mittel erneuerte jich der Anfall. Der Fürst ließ darauf den
Medikus in ein Lafen legen und ihn darin hin und her jchleudern
und das half, denn der Medikus befam vor Angjt auch das
Fieber.“
„sm Laken jchleudern?“ frug Herr Wolodyjowski.
„sch Habe es ſelbſt gefehen,“ verjicherte Nöjie. „Es
wurden zwei Zafen übereinander gelegt, in die Mitte zwijchen
beide hinein der Medikus. Nun fahten vier jtarfe Trabanten
die Zipfel der Lafen und begannen den Mermiten zu werfen —
ich jage den Herren, daß einem jchwindelig vom Zufehen wurde,
jo flog er in die Höhe, um immer wieder aufgefangen und
wieder in die Höhe geworfen zu werden. Der General Israel,
Graf Walde und der Fürjt hielten jich die Seiten vor Lachen.
Viele von unjeren Offizieren ſahen auch der Komödie zu, welche
jo lange fortgejegt wurde, bis der Medifus ohnmächtig war.
Seitdem ijt der Fürſt gejund, wie wenn jener ihm die Krank—
heit abgenommen hätte.“
So jehr Wolodyjowsfi und Babinitjch den Fürſten ver-
achteten, konnten Doch auch fie fich des Lachens nicht erwehren.
Herr Babinitjch Eatjchte mit den Händen auf die Kniee
und rief:
„Ha! der Schelm, wie er fich zu helfen wußte.“
„Das müſſen wir dem Herrn Sagloba erzählen,“ jagte der
kleine Ritter.
589
„Dom Fieber hat das Mittel dem Fürjten geholfen, ſprach
Röſſel, „aber ſonſt — der Fürſt iſt zu maßlos in der Befriedigung
feiner Gelüjte, darum wird er fein hohes Alter erreichen.“
„Das denfe ich auch,“ murmelte Babinitjch zwijchen den
Zähnen. „Menjchen wie er leben nicht lange.“
„St er denn im Lager auch jo zügellos?“ frug
Wolodyjowski.
„Wie ſollte er nicht?” antwortete Röſſel. „Graf Waldeck
hat ihn oft ausgelacht, und behauptet, Se. fürſtliche Durch-
laucht führe ein Frauenzimmer mit fih.... Sch jelbit jah
einmal zwei hübjche Mädchen, von denen die Höflinge mir er—
zählten, daß fie dem Fürſten zum Graderichten des Kreuzes
dienten . . . ber, wer weiß das!“
Als Babinitjch das hörte, wurde er erit dDunfelrot im Ge—
ficht, dann freideweiß. Er jprang auf, padte den Kapitän an
den Schultern und rüttelte ihn gewaltig.
„Sind die Mädchen Polinnen? Sprecht!”
„Rein,“ entgegnete der erjchrodene Röſſel. „Die eine iſt
eine Preußin, die andere eine Schwedin, welche beide früher
bei der Gemahlin des Generals Israel gedient haben.“
Babinitich blickte hinüber zu Wolodyjowsfi und atmete
tief auf; aucd) Wolodyjowsfi wurde es nun leichter um Das
Herz, er hörte auf mit dem Bärtchen zu zucen.
„Wollt ihr Herren mir erlauben, mic) zur Ruhe zu be-
geben,“ bat Röſſel. „Sch bin jehr müde, denn zwei Meilen
weit haben mich die Tartaren am Laſſo geführt.“
Kmiziz Elatjchte in die Hände und vertraute dem eine
tretenden Sorofa den Gefangenen an. Dann trat er rajchen
Schrittes auf Wolodyjowski zu.
„Sch ertrage es nicht länger!“ ſagte er. „Sch will Lieber
taujend Tode jterben, als ftündlich diefe Angjt und Ungewiß—
heit tragen. Als Röſſel die beiden Mädchen erwähnte, war
mir, als hätte ich einen Schlag vor den Kopf befommen.“
Herr Wolodyjowski flirrte mit dem Rapiere.
„Es iſt Zeit, ein Ende zu machen,“ jagte er.
Da wurde vor dem Quartier des Hetman das Nlarmfignal
geblajen und von Fahne zu Fahne weitergegeben. Ueberall
ertönten die Trompeten und in den Tichambuls die Pfeifen.
Die Soldaten eilten zu den Sammelplägen und eine halbe
Stunde darauf wurde der Ausmarjc angetreten.
Noch ehe die Armee eine Meile zurücgelegt hatte, ſprengte
ihnen schon ein Bote von der Korſack'ſchen Fahne entgegen,
590
welchen Herr Bieganski jchidte. Er jollte den Hetman benad)-
richtigen, daß man einige Reiter gefangen habe, die einer größeren
Truppe angehörten, welche auf dem jenjeitigen Ufer des Fluſſes
den dortigen Bauern alle Wagen und Pferde fortzunehmen im
Begriff jtanden. Man hatte fie auf der Stelle verhört und jie
hatten ausgejagt, daß die ganze Armee jamt dem Lager morgen
früh um act Uhr Prostki verlafjen ſolle. Die Befehle jeien
ſchon ausgegeben.
„Loben wir Gott, und laſſen wir die Pferde ausgreifen,“
rief der Herr Unterfämmerer. „Bis zum Abend foll nichts
mehr von diejer Armee übrig fein!“
Die Tartarenhorden wurden vorausgejchickt, um fich zwiſchen
die Armee Waldeds und jene preußiſche Infanterie zu jchieben,
welche ihr zu Hilfe fommen follte. Ihnen folgten die litauischen
Fahnen im Trabe, und da fie meijt der leichten Neiterei an—
gehörten, jo kamen jie jchnell vorwärts und blieben immer
dicht Hinter den Tartaren.
Kmiziz ging an der Spite des Tartarenvortrabes. Er
drängte vorwärts, daß Die Pferde rauchten. Im Dahinjagen
ſtreckte er ſich vornüber, daß ſeine Stirn den Hals des Pferdes
ſchlug und betete aus vollſter Seele:
„Chriſti Jeſu! Nicht für die mir angethane Schmach laß
mich Rächer ſein, nur für die Beleidigungen, die dem Vater—
lande widerfahren ſind. Ich armer Sünder bin deiner Gnade
nicht würdig, aber erbarme dich meiner, laß mich jein Blut
vergießen, dann will ich zu deiner Ehre mich geißeln in jeder
Woche, an dem Tage, an welchen es geflojien, mein ganzes
Leben lang!“
Dann empfahl er noch feine Seele der Allerheiligiten
Jungfrau von Tjchenitochau, für die er jein Blut vergojjen,
und jeinem Batrone, dem heiligen Andreas. Nachdem er diejer
Pflicht genügt hatte, fühlte er ich leichter und ſtärker. Cine
ungewöhnliche Kraft fchien jeine Adern zu durchjtrömen. Ihm
jchten, als hätte er Flügel, eine große Freudigkeit überkam ihn,
er flog dahin an der Spitze der Tartaren, daß die Funken
unter den Hufen ſeines Pferdes ſprühten, taufend wilde Krieger
jagten ihm nach, die Köpfe tief gejenft.
Eine Woge jpiger Mützen wiegte jich) im Takte der Be-
wegungen der Pferde, die Bogen jchaufelten auf dem Rüden
der Männer, Hufichlag dröhnte, das leije Rajcheln der von der
Luft gejchwellten Litauischen Fahnen drang bis zu den Boraus-
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eilenden herüber gleich wie das leiſe Brauſen eines im Anjchwellen
begriffenen Fluſſes.
Sie flogen durch die herrliche Nacht, welche mit ihrem
Sternenmantel Felder und Raine bededte, gleich Raubvögeln, die
Leichengeruch in der Ferne lockt.
An üppigen Feldern vorüber, vorbei an Eichwäldern und
Wiejen ging es, bis die Mondjichel zu bleichen begann und fich
gen Weiten neigte.
Da hielten jie an, um den Stleppern das lebte Futter vor
der Schlacht zu reichen. Ste waren nur noch eine halbe Meile
von Prostki entfernt.
Die Tartaren reichten den Tieren die Gerjte aus der Hand;
fie jollten jich zum Kampfe jtärfen. Kmiziz aber ruhte nicht;
er warf fich auf ein fattgefüttertes Pferd und ritt weiter, um
einen Blick auf das feindliche Lager zu werfen.
Nach halbitündigem Ritt traf er am Flüßchen unter Wafjer-
weiden den Vortrab der Petyhors an, welchen Korſack aus—
geſchickt Hatte.
„Run?“ frug Kmiziz den Fähnrich. „Giebt es etwas neues?“
„Sie ſchlafen nicht mehr; es ſummt im Lager, wie im
Bienenſtock,“ antwortete der Fähnrich.
„Kann man von hier aus in der. Nähe das Lager jehen?“
„sa, von jener Anhöhe aus, welche mit Strauchwerf be-
det it. Das Lager liegt dort drüben in der Flußniederung.
Wollen Ew. Liebden es ſehen?“
„Zeigt mir den Weg.“
Der Fähnrich jpornte jein Pferd, fie ritten der Anhöhe
zu. Das Morgenrot leuchtete jchon fern im Oſten und durch»
flutete die Luft mit einem rofigen Schimmer, jenjeit3 des
Fluſſes aber, am niederen Ufer hingen noch die Nebel tief über
der Erde. Verborgen im Strauchwerf blidten die Beiden in
dieje Nebel, welche allmählich zu zerfließen begannen.
Endlich tauchte, etwa zwei Gewände von ihnen entfernt,
eine Erderhöhung auf. Kmiziz beftete jeinen Blick mit ſehnen—
dem Berlangen auf diefen Hügel. Im eriten Augenblid konnte
er nur die Umrifje von Zelten und Wagen erfennen, welche
längs der aufgejchütteten Wälle jtanden. Die Flammen der
Lagerfeuer waren bereits erlojchen, kleine Rauchwölkchen jtiegen
noc) von den Feuerſtellen empor und zogen hoch hinauf in den
Hether, ein Zeichen, daß die Witterung jchön bleiben werde,
Aber in dem Maße wie der Nebel jchwand, konnte Babinitjch
mit Hilfe des Fernrohres immer deutlicher die auf den Wällen
592
aufgepflanzten Banner unterfcheiden. Es jtanden die blauen
ichwediichen neben den gelben preußiſchen, dahinter die Maſſen
der Soldaten, Pferde und Gejchüte.
Ningsum hHerrjchte tiefe Stille, welche nur unterbrochen
wurde von dem Nafcheln der Blätter an den Bäumen und dem
Gezwiticher des grauen Gevögeld. Aber auch vom Lager her
drang jetzt leifes Geräuſch zu ihnen herüber.
Man konnte daran erfennen, daß niemand mehr dort jchlief,
daß zum Aufbruch gerüjtet wurde, denn im Meittelpunft der
Schanze herrjchte lebhafte Bewegung. Ganze Abteilungen jchritten
hin und ber; welche von ihnen jchritten vor die Wälle, um die
Wagen herum wogte es, auch die Gejchüge wurden von den
Wällen gezogen.
„Sie ſchicken fich zum Ausmarjch an, wirklich!“ jagte Kmiziz.
„Das erzählten alle Gefangenen. Sie wollen jich mit den
Fußſoldaten vereinigen und ahnen nicht, daß der Herr Hetman
fie vor dem Abend erreichen fünnte. Außerdem nehmen fie lieber
einen offenen Kampf auf, als daß fte ihre Infanterie unter das
Meſſer liefern.“
„Sn zwei Stunden ungefähr fünnen fie ausmarjchieren; in
zwei Stunden fann der Herr Unterfämmerer hier jein.“
„Bott jei Dank!“ jagte der Fähnrich.
„Schickt noch ein paar Leute zu ihm hin; jie Dürfen nicht
zu lange füttern.“
„Su Befehl!“
„gaben die drüben denn feinen Streifzug an Ddiejes Ufer
des Fluſſes geſchickt?
„Nein! Hierher kam keine Patrouille, dafür ritten um—
ſomehr nach jener Seite, von welcher ſie den Zuzug erwarten.“
„Gut!“ ſagte Kmiziz.
Er ritt die Anhöhe hinunter. Nachdem er dem Vortrab
größte Vorſicht und Geräuſchloſigkeit empfohlen hatte, ſprengte
er im Galopp zu ſeinen Tartaren zurück.
Herr Goſchewski ſprang gerade auf ſein Pferd, als Babi—
nitſch anlangte. Der junge Ritter erzählte ihm ſchnell, was er
geſehen und erklärte ihm die Stellung des Feindes. Der Herr
Hetman hörte den Bericht mit großer Befriedigung und gab
unverzüglich das Zeichen zum Aufbruch.
Jetzt aber ging nicht die ganze Horde mit Babinitſch im
Vordertreffen. Woynillowitſch, die Laudaer und die Fahne des
Hetman folgten ihm auf dem Fuße, während die Horde im
Hintertreffen blieb. Haſſun-Bey hatte dringend darum gebeten,
993
denn er fürchtete, daß jein Volt dem Anprall der jchweren
Neiter nicht würde jtandhalten fünnen. Er rechnete auch noch
auf etwas anderes dabei.
Während die Litauer nämlich die Frontitellung des Feindes
angriffen, wollte er das Lager überfallen, wo er gute Beute
zu finden hoffte. Der Hetman erlaubte das gern, da er jelbit
mit Necht dasjelbe fürchtete, doch war er überzeugt, daß fie wie
wahnjinnig über das Lager herjtürzen und dort eine entjeßliche
Panik hervorrufen würden, umfomehr, als die preußifchen Pferde
an das fürchterliche Geheul, welches die Tartaren zu erheben
pflegten, noch nicht gewöhnt waren.
Wie Kmiziz vorausgejagt, Itanden jie nad) zwei Stunden
vor derjelben Anhöhe, von welcher aus er das Lager in Augen
jchein genommen hatte und welche jegt den Anmarſch der
Polen verdedte. Kaum Hatte der Fähnrich das Herannahen
der Truppen bemerft, jo jprengte er wie der Blitz heran, um
zu berichten, daß der Feind die Wachen eingezogen habe, jchon
aufgebrochen ſei und joeben im Begriff jtehe, die legten Mann—
ichaften aus dem Lager zu ziehen.
Als Goſchewski das hörte, zug er jeinen Feldherrnſtab aus
der Tille am Sattel und jagte:
„set iſt ihnen der Rüdzug verlegt, denn die Wagen ver-
jperren den Weg. Im Namen des Baterd, des Sohnes und
des heiligen Geijtes! Es hat feinen Zwed, ung noch länger zu
verſtecken!“
Er winkte dem Roßſchweifträger und dieſer erhob den
Roßſchweif und ſchwenkte ihn nach allen Seiten hin. Auf
dieſes Zeichen wurden alle Roßſchweife geſchwenkt, die Trompeten
und Hörner ſetzten ein, die Pfeifen der Tartaren quiekten da—
zwiſchen, ſechstauſend Säbel En in der Luft und jechstaufend
Stimmen jchrieen:
„Jeſus! Maria!“
„Allah il Allah!“
Gleichzeitig tauchte eine Fahne nach der anderen Hinter
der jchügenden Anhöhe hervor. In dem Lager Waldeds hatte
man jo frühe Gäjte nicht erwartet; eine fieberhafte Bewegung
entitand unter den Truppen. Die Trommeln rafjelten unauf-
hörlich, die Negimenter machten Front gegen den Fluß. Man
fonnte jchon mit dem bloßen Auge jehen, wie die Generale
zwijchen den Negimentern Hin und her jagten. In der Mitte
juchte man jchleunigit für die Gejchüge Pla zu machen, um ſie
dem Fluffe zuzumenden.
Sienfiewicz, Sturmflut IL, 38
594
Es währte nicht lange, jo ftanden ſich beide Heere auf
faum noch taujend Schritte Entfernung gegenüber. Sie waren
nur durch die Aue getrennt, in deren Mitte das Flüßchen floß.
Noch ein Augenblick, — da zog die erſte weiße Rauchwolke
auf der preußiſchen Seite gegen die Polen auf.
Die Schlacht war eröffnet.
Der Hetman ritt ſelbſt an Kmiziz heran mit dem Befehl:
„Schreitet vor, Herr Babinitſch! Schreitet vor! Im
Namen Gottes! Seht dort, gegen dieſe Wand!“
Damit wies er mit dem Feldherrnſtab auf ein bligendes
Neiterregiment.
„Mir nach!” fommandierte Herr Andreas.
Und dem Pferde die Sporen gebend, galoppierte er dem
Fluſſe zu, Hinter ihm her im geitredten Galopp jeine Tartaren,
die Stlepper mit eingezogenen Ohren, langgedehnten Klörpern,
die Neiter vornübergebeugt, daß die Körper faſt auf den Häljen
der Tiere lagen.
Eo, im vollen Jagen nahmen fie die Furt des Fluſſes,
der hier ganz jeicht war, erreichten jie das andere Ufer und
galoppierten weiter.
Als die Banzerreiter das jahen, famen fie ihnen entgegen,
erjt im Schritt, dann im Trab, bis etwa auf zwanzig Schritt.
Dann ertönte das Kommando „Feuer!“ und taujend Arme mit
Piſtolenläufen streiten fich den Daherjagenden entgegen.
Eine Kauchwolfe zog die Neihe der Neiter entlang, dann
jtiegen die beiden Weiterregimenter mit fürchterlichem Getöje
aufeinander. Die Pferde bäumten hoc auf, über den Köpfen
der Soldaten bligten die ganze Linie entlang die Säbel und
zucten wie eine eherne Schlange über den Selmen Der
Kämpfenden. Ein unheimliches Klirren der Säbelklingen auf
die eifernen Panzer und Helme wurde bis auf dem anderen
Ufer des Fluſſes hörbar; es war, als befände man jich in
einer Waffenjchmiede.
Die Linie nahm bald die Form eines Halbmondes an,
denn während das Zentrum durch die ungeheure Kraft des
Anpralls zurücgedrängt worden war, Hatten die ‘Flügel, wo
der Anprall mit verminderter Heftigfeit jtattgefunden hatte,
ihre Stellung unverändert beibehalten. Aber auch das Zentrum
ließ fich nicht gleich aus feiner Stellung verdrängen, es begann
eine jchredliche Metzelei. Auf der einen Seite ſtemmten Die
riejengroßen Menjchen in fchweren Wanzerhemden, mit der
ganzen Wucht ihrer mächtigen Streitrojfe, auf der anderen
9095
drängten die dunklen Tartarenmafjen Babinitjch mit der Gewalt
der entfejjelten Wut, während ihre Krummſäbel mit der unglaub-
lichen Schnelligkeit auf und niederfuhren, welche nur durch die
Leichtigkeit der Bewegungen und fortwährenden Uebung erreicht
werden kann. Wie wenn eine Schar Holzfäller jich an die
Arbeit begiebt und mit der Art auf die hohen Kiefern los—
jchlägt, jo auch hier. Man Hört nur den Schlag der Aexte,
ab und zu jtürzt einer der Baumriejen unter are Gekrach
in den Grund. Auch hier hörte man nur das Klirren der
Säbel, während zuerſt vereinzelt, dann immer häufiger, einer
der Reiter den Kopf ſenkte und unter das Pferd glitt. Die
Säbel der Tartaren blendeten die Panzerreiter, wenn ſie blitzend
vor ihren Augen herumfuchtelten; ſie ſahen nichts vor ſich, wie
ein Blinkern und Blitzen, ſie hörten es um die Ohren ſauſen,
ſie fühlten ihre Arme gelähmt. Umſonſt erhoben die mächtigen
Männer mit ſtarker Hand den ſchweren Säbel, denn noch ehe
derſelbe niederſauſen konnte, hatte der tötende Stahl des Gegners
jeinen Leib durchbohrt, das Schwert entfiel jeiner Hand und
er jelbjt janf blutend auf den Hals feines Roſſes.
Und wieder! Wie ein Bolt Wespen über die Menjchen
herfällt, welche in ihren Gärten das reife Objt von den Bäumen
löſen wollen, und deſto heftiger jtechen, je mehr dieje jich ihrer
eriwehren wollen, wie ſie gejchict, troß der Abwehr, veritehen,
Hals und Gejicht der Angegriffenen zu bejegen, um jchnell den
jcharfen Stachel Hineinzudrüden, jo verjtand jenes wilde, in
hundert Kämpfen gejtählte und geübte ſchwarze Bolf, blindlings
zu ftechen, zu jchlagen, den Tod zu ſäen, indem es den Gegner
in demjelben Verhältnis überragte, wie der jchwächliche, in
jeinem Handwerk wohlerfahrene Meijter den zwar Fräftigen,
aber weniger gejchiekten Gehilfen überragt.
Sp begannen denn im Zentrum die Neihen lichter zu
werden und Kmiziz, welcher dort kämpfte, jchlug wader zu, um
endlich die Linie zu durchbrechen. Die Rufe der Offiziere,
welche Erſatz für die Gefallenen herbeiriefen, verhallten ungehört
in dem Lärmen und Getöſe, und Kmiziz, angethan mit dem
jtählernen NRingelpanzer, welcher ein Gejchenf des Herrn Sapieha
war, fämpfte wie ein gemeiner Soldat, die beiden jungen Kiem—
litſch und Sorofa dicht neben ſich. Dieje jollten das Leben
ihres Herrn bewachen, fonnten es jich aber micht verjagen,
zwiſchendurch rechts und links Diebe auszuteilen, während er
jelbjt im dichteiten Gewühle alle die Kniffe und Kunſtgriffe
ausprobierte, welche er von Herrn Wolodyjowski gelernt hatte.
38*
596
Endlich traf ein Schwertitreich des Herrn Andreas den
Fahnenträger. Diejer jchrie auf wie ein junger Hahn, welchem
man die Gurgel durchjchneidet, und ließ die Fahne fallen. In
diefem Augenblid war die Linie durchbrochen. Die getrennten
Flügel gerieten in Verwirrung und traten jchleunig den Rück—
marjch zu den übrigen Truppen an.
Kmiziz blickte durch die entjtandene Lücke hindurch in die
Tiefe der Aue. Da jah er ein Regiment rote Dragoner den
bedrängten Kameraden zu Hilfe eilen.
„Das macht nichts!“ dachte er. „Wolodyjowski muß mir
gleich folgen... .“
Aber da fiel auch der erite Kanonenjchuß, andere folgten,
die Erde erbebte. Von der Schanze her fielen Musfetenjchüffe,
fie trafen die entfernter jtehenden Reihen der Feinde. Das
anze Schlachtfeld begann zu dampfen, zu rauchen, und in diejem
Darıpf prallten die Bolontarier und die Tartaren Kmiziz's mit
den Dragonern zujammen.
Doc, die erwartete Hilfe von jemfeit3 des Fluſſes blieb
aus. Der Feind hatte nur die Abteilung Kmiziz's über den Fluß
jegen lajjen, gleich darauf überjchüttete er denjelben fo gewaltig
— Musketen- und Kanonenkugeln, daß keiner mehr hinüber
onnte.
Die erſten, welche es verſuchten, hinüber zu kommen, waren
die Mannſchaften des Herrn Korſack; ſie gerieten in Unordnung
und famen zurüd. Darauf drang die Schwadron des Herrn
Woynillowitſch bis zur Mitte des Flußbettes vor, mußte ſich
aber, wenn auch nur langjam, mit Verluſt von zwanzig Mann
zurüdziehen. Das Waller in der Furt plätjcherte und ſpritzte
von dem Kugelregen, wie bei einem heftigen Gewitterregen. Die
Kanonenkugeln flogen hinüber an das 5 Ufer und wirbelten
Staubwolken auf.
Der Herr Unterkämmerer kam herbeigeeilt, um ſich durch
den Augenſchein zu überzeugen, mußte aber ſelbſt zugeſtehen,
daß das Ueberſchreiten des Fluſſes unmöglich war.
Dieſer Umſtand aber konnte entſcheidend ſein für den
Ausgang der Schlacht. Die Stirn des Hetman umwöllkte ſich.
Er betrachtete durch das Fernrohr eine Weile genau die ganze
Aufſtellung der feindlichen Armee, dann ſchrie er der Ordonnanz zu:
„Reitet ſchnell zu Haſſun-Bey. Seine Horden ſollen augen—
blicklich hinter der Furt durch das tiefe Waſſer den Fluß über—
ſchreiten und in die Verſchanzungen einbrechen, was ſie in den
Wagen vorfinden, ſoll gute Beute für ſie ſein. Sie ſind dort
597
nicht bedroht und werden es nur mit dem Waffer zu thun
haben.“
Der Offizier ritt davon, was das Pferd ausgreifen konnte,
der Hetman jchob ſich weiter vor bis dahin, wo unter den
Weiden auf der Wieje die Laudaer Fahne ſtand. Er hielt dicht
vor ihr.
Wolodyjowski jtand an ihrer Spike; ernft und ſchweigend
blidte er den Hetman an. Um das Bärtchen zudte e8 ihm
wehmütig.
„Wie denft ihr darüber?” jprach der Hetman. „Werden
die Tartaren über den Fluß kommen?“
„Sie werden hinüber fommen, aber Kmiziz ift verloren!“
antwortete Wolodyjowsfi.
„Bei Gott!” rief der Hetman. „Wenn Kmiziz den Kopf
auf dem rechten Fleck hat, jo muß er die Schlacht gewinnen,
nicht fie verloren geben!“
Wolodyjowski jagte nichts, er dachte nur:
„Man hätte entweder gar feine oder fünf Fahnen hinüber—
ſchicken ſollen ... .*
Eine Weile betrachtete der Hetman wieder die Stellung
des Feindes durch das Fernrohr und die Unordnung, welche
Kmiziz in die ganze Linie gebracht hatte; da unterbrach der
fleine Ritter, welcher e3 nicht mehr ertragen fonnte, unthätig
zuzufehen, dieje Betrachtung. Er näherte jich, die Spite des
Säbels nach oben gefehrt, dem Hetman und jagte:
„Wenn Ew. Erlaucht befehlen, jo will ich verfuchen die
Furt zu nehmen.“
„Stillgejtanden!“ antwortete der Hetman jehr barich. „Es
genügt, daß jene dort fallen werden.“
„Sie fallen Schon!“ jagte Wolodyjowski.
Thatſächlich wurde das Gefchrei und das Geflirr der
Waffen immer größer. Es jchien, daß Kmiziz den Rückzug an—
getreten habe.
„Bei Gott! So wollte ich e8 haben!“ jchrie der Hetman
plöglih. Im nächiten Augenblick jtand er bei Woynillowitfch.
Kmiziz zog fic wirklich zurüd. Nach dem Zuſammenprall
mit den Dragonern jchlugen ſich feine Leute aus Leibesfräften;
zulegt ging ihnen der Atem aus. Die müden Arme fanfen
herab, die Kämpfenden fielen immer dichter und nur die Hoff-
nung, daß man ihnen zu Hilfe fommen werde, hielt fie noch
aufrecht.
Eine halbe Stunde verging, ohne daß das erlöjende Wort
598
„Schlagt zu“ ihnen im Nüden ertönte. Dagegen fam eine
Schwadron der jchweren Reiter Boguslaws den Dragonern
zu Hilfe.
„Der Tod naht!“ dachte Kmiziz, als er jie von der Seite
ber anjprengen jah.
Aber er war mutig und verzweifelte bis zum legten Augen
blick nicht; nicht an feiner Rettung, noch an dem Siege. Die
langjährige Erfahrung und oft erprobte Waghalfigfeit halfen
ihm über manche Gefahr hinweg. So fuhr ihm auch jet ein
rettender Gedanke wie ein Wetterleuchten durch den Kopf.
„Sie könnten jedenfalls nur durch die Furt zum Feinde
gelangen, und da fie es nicht zu können jcheinen, jo will ich
die Aufmerkjamfeit desjelben von ihnen ablenken... .*
Als nun die Schwadron Boguslaws bis auf etwa hundert
Schritte herangefommen war und jeden Augenblid jeine Tar—
taren niederreiten mußte, griff Kmiziz jchnell nach feiner Pfeife
und ließ einen fjchrillen Pfiff ertönen. Sofort fetten fich
die zumächititehenden Klepper auf die Hinterbeine.
Der Briff wurde durch die Aelteſten des Tſchambul weiter-
gegeben und noch ehe man auszudenfen vermochte, was gejchehen
jolle, hatten fich die Pferde des ganzen Tſchambul zur Flucht
gewendet.
Die noch lebenden der jchweren Weiter, die Dragoner und
die Schwadron Boguslaws jetten ihnen nad).
Die Rufe der Offiziere: „Vorwärts!“ „Gott mit uns!“ er-
ichollen wie Donnergebraufe, und nun erjchloß fich den Zu—
jchauenden ein wunderbarer Anblid. Wie auf Windesflügeln
ſauſte der aufgelöjte Tſchambul über die weite Aue im wirrem
Durcheinander direft auf die von Kugeln überjchüttete Furt
zu. Die Tartaren lagen Hingeitredt auf den Kleppern, den
Kopf in die Mähnen derjelben vergraben, als wären jie mit
ihnen verwachjen, jo, daß man fait glauben konnte, daß reiter-
loje ‘Pferde Dahergejagt fümen. Ihnen nach jprengten mit
Gejchrei und entjelichem Getöje die Niejfenreiter mit den hoch—
erhobenen Schwertern in der Nechten.
Sie famen der Furt immer näher. Noch ein Gewände,
ein halbes. Jetzt jchienen die Tartarenpferde zu erlahmen; der
Zwijchenraum zwijchen den Werfolgten und den Berfolgern
wurde jchnell kleiner. Gin paar Augenblide jpäter begannen
die vorderften Reiter jchon mit den Säbeln auf die lebten
Tartaren einzubauen. Die Furt war erreicht. Es jchien, die
‚slüchtenden mußten fie eben erreichen.
399
Da geichah plöglich etwas Wunderbares.
Sn demjelden Augenblid, da die Pferde in den Fluß
bineinjpringen jollten, ertönte wieder jene jchrille Pfiff, und
anstatt in den Fluß zu treiben, teilte ſich der Tſchambul in
zwei Hälften und flog mit der Eile der Schwalben nach rechts
und links am Ufer entlang.
Die Berfolger, deren Roſſe in vollem Galopp daherjagten,
rannten statt ihrer in die Furt des Fluſſes und waren erit
dann imjtande, den Lauf ihrer Tiere zu hemmen, als jie jich
mitten im Flußbett befanden.
Die Artillerie, welche bisher das Flußbett mit Kugeln
überjchüttet hatte, jtellte jofort das Schießen ein, um nicht die
eigenen Leute zu verlegen, und diejen Augenblick hatte Goſchewski
nur abgewartet, um handelnd einzugreifen.
Kaum waren die erjten Weiter in den Fluß gejeßt, jo
jtürmte die Stronenfahne unter Woynillowitjch auf jie los, die
Laudaer, diejenige Korjadows, die zwei Fahnen der Hetmane
und die Banzerreiter des Fürſt-Truchſeß, Michael Radziwill, fie
alle ftürzten fich auf den Feind, den Uebergang zu erzwingen.
Ein gräßliches Gejchrei „Schlagt zu!“ „Schlagt tot!“ erhob
ſich und noch ehe die preußischen Neiter ihre Roſſe recht zum
Stehen gebracht Hatten, jtürmte die Flut der Angreifer über
jie herein, jtürzte über fie hinweg, ritt die Dragoner nieder,
verjprengte die Schwadron Boguslaws und wandte ich der
Hauptarmee zu.
Der Fluß färbte fich rot vom Blute der Gefallenen, Die
Kanonen begannen ihr mörderisches Spiel wieder, aber zu jpät,
denn die acht litauischen Fahnen ſauſten jchon über die Aue,
und der Schauplag der Schlacht war auf das jenjeitige Ufer
des Fluſſes verlegt.
Der Herr Unterfämmerer führte eine ſeiner Fahnen. Sein
Geſicht jtrahlte, feine Augen glänzten vor Genugthuung und
Glück, denn jegt, wo die Truppen den Fluß überjchritten hatten,
war er des Sieges ficher. Die Soldaten hieben und jchlugen
um die Wette und jagten die Reſte der Dragoner und Neiter
vor ſich her. Diejelben jtürzten haufenweije, weil die ſchweren
Roſſe nicht jchnell genug fort fonnten, und ſchützten die Verfolger
Durch ihre Körper vor den ihnen nachgejandten Schüſſen.
Walded, Boguslaw und Israel trieben ihnen alle ihre
heiter entgegen, um den Anprall aufzuhalten. Sie jelbit
ordneten ihre Infanterie jo jchnell jie vermochten. Regiment
um Regiment fam aus den Berjchanzungen zum Vorſchein und
600
faßte Poſto auf der Aue. Die jchweren Lanzen wurden mit
ihren unteren Enden in die Erde gepflanzt, die Spigen wie
eine jtachelige Wand dem Feinde zugefehrt. Die zweite Reihe
wurde von den Musfetieren eingenommen, welche die Rohre
ihrer Musfeten vorgejtredt hielten. Zwiſchen die Karrees der
Negimenter jchob man Hals über Kopf die Gejchüge. Weder
Walde noch Boguslaw noc Israel gaben jich der Täujchung
bin, daß die Reiter imjtande fein würden, den Feind lange
aufzuhalten.
Der Anprall hatte inzwijchen jtattgefunden und jchneller
noch als gefürchtet, trat die atajtrophe ein, denn unaufhaltjam
wie eine Lawine jtürzte die Flut der polnischen Negimenter die
Neiterlinie durchbrechend, ohne dabei eine Lanze zu verlieren,
auf die Infanterie log. Immer näher famen die Yanzenreiter,
jegt tauchten fie Dicht vor den Karrees aus den legten Neihen
der Preußen auf.
„Achtung!“ jchrieen die Offiziere, welche den Füfilieren zur
Seite” itanden.
Auf diejes Kommando jtügten ſich die Landsfnechte noch
feiter auf ihre Beine und jtredten die Arme mit den Lanzen
feft aus. Die Herzen pochten ihnen gewaltig, denn jchon
jagten die polnischen Huſaren direkt auf fie los.
„euer!“ erjcholl das Kommando.
Die Musfeten fnallten in der zweiten und dritten Reihe
des Karrees. Die Menjchen waren in Rauch gehüllt. Noch
ein Augenblid: Das Gedröhne der heranbraujenden Fahnen iſt
ganz .. jeßt jind fie Dal...
Eingehüllt in Pulverdampf erblidt die erjte Reihe der
Füſiliere dicht über jich, fait auf den Köpfen, taufend Pferde—
hufe, aufgeblähte Nüjtern, feuerjprühende Augen. Ein Strachen
von zerbrochenen Lanzen, fürchterliche Schreie trennen die Luft;
die Polen jchreien: „Schlagt zu!" — die Deutjchen: „Gott er=
barme dich meiner!“
Das Karree iſt erdrüct, zeriprengt. Doch jet fangen die
Gejchüge an zu donnern. Andere Fahnen fprengen heran.
Sede jtürmt auf einen Wald von Lanzen los, doch nicht jede
durchbricht den Wald, nicht jede hat die entjegliche Kraft der
ahne des Herrn Woynillowitih. Das Gejchrei auf dem
hlachtfelde wird jtärfer. Man kann nichts jehen vor Pulver—
dampf, Doch aus der Maſſe der Kämpfenden flüchten wieder
kleine Häuflein gelbrödiger Landsknechte! Graue Neiter ver—
tolgen, treten fie nieder mit dem Gejchrei:
601
„Lauda! Lauda!“
Herr Wolodyjowsfi jchlug jich mit einem anderen Karree
herum. Andere jtanden noch feſt wie die Mauern. Noch, noch
fann die Schale des Steges jich der feindlichen Seite zuneigen,
bejonders da in der Nähe des Lagers noch zwei Negimenter
Infanterie unberührt jtehen, welche, da das Lager noch im
Frieden gelajjen wird, jeden Augenblick herbeigerufen werden
fünnen.
Waldeck hat zwar jchon den Kopf verloren, Israel ist nicht zur
Stelle, er ijt mit einem NReiterregiment fortgejchiedt, aber Bogus-
law hat ein wachjames Auge, ordnet an und lenft die ganze
Schlacht, und jendet jet, wo er die Gefahr wachjen jieht, Herrn
Bies nach jenen beiden Negimentern.
Herr Bies läßt jein Roß wader ausgreifen. Etwa eine
halbe Stunde nachher fommt er zurüd; jein Haupt iſt entblößt,
Verzweiflung und Entjegen malen ſich in jeinem Geficht.
„Die Tartaren find im Lager!” ruft er jchon von weiten.
Da hört man auch jehon auf dem rechten Flügel ein
viehifches Geheul, welches näher und näher fommt.
Plöglich jieht man von ferne her einen Haufen ſchwediſcher
Neiter in wilder Flucht daher fommen, hinterdrein erjcheinen,
ohne Waffen und Hüte, Landsknechte, Hinter welchen man in
größter Unordnung eine Reihe Wagen erblidt, von jcheu ge-
machten Pferden hin und her gezerrt. Alles das fommt in
wildejter Flucht auf eigene Fauſt vom Lager her. Gleich darauf
haben die Verfolger jie erreicht, da fie von vorn von den
litauiſchen Fahnen aufgehalten werden.
„Haſſun-Bey ift in das Lager gedrungen!“ ruft Herr
Goſchewski in heller Begeifterung und jendet jeine beiden Leib—
fahnen in das Schlachtgetümmel. Sie fliegen davon, wie zwei
Edelfafen vom Szepter.
Und in demfelben Augenblid, wo jene beiden Fahnen die
Infanterie von der Front angreifen, rennen die eigenen Wagen
ihr in Die Seite. Die legten Karees jplittern auseinander,
wie Eifen unter den Schlägen des Hammers. Das ganze
jchwedisch-preußijche Heer bildet nunmehr nur noch eine forms
[oje Mafje, Infanterie und Neiterei in buntem Gemijch durch—
einander. Die Menjchen treten ſich gegenjeitig nieder, Fugeln
auf der Erde, quetjchen jich, ziehen fich die leider ab und ver-
wunden ſich. Das it feine verlorene Schlacht mehr, das ift
die furchtbarite Niederlage diejes ganzen Krieges.
602
Da Boguslaw ſieht, daß alles verloren iſt, will er wenigitens
ſich und etliche Reiter aus dem Elend retten.
Mit fait übermenjchlicher Anstrengung jammelt er ein paar
hundert Neiter um fich und flieht mit diejen den linken Flügel
entlang dem Ufer des Fluſſes zu.
Schon hat er das Hauptgetümmel hinter jich, da fällt ein
anderer Nadziwill, der Fürſt Michael, ihn in die Flanke und
veriprengt in einem Anlauf mit jeinen Leibhuſaren die ganze
Abterlung.
Die Verjprengten fliehen einzeln oder in Eleinen Häuflein,
nur die Schnelligfeit ihrer Pferde kann jie retten.
Aber die Hujaren verfolgen ſie nicht, fte rennen gegen Die
Hanptabteilung der Fußſoldaten, welche alle anderen Fahnen
auch in Anfpruch nimmt, — nichts hindert ihre Flucht, fie
fliehen, wie ein Nudel aufgejchrecter Rehe.
Boguslaw flieht auf dem braunen Nenner, den er von
Bilhwischht her noch von Kmiziz hat, wie ein Wirbelwind Er
bemüht ſich umſonſt, durch Zurufe eine kleine Esforte um fich
zu jammeln. Niemand hört ihn, jeder flieht auf eigene Hand,
zufrieden, feinen Feind mehr vor ſich zu haben.
Doc) die Freude war umfonjt. Sie waren noch nicht
taujend Schritte weit gefommen, da ertönt das Geheul der
Tartaren dicht vor ihnen und die graue Schar fommt ihnen vom
Fluſſe her entgegen, wo fie fich bis jegt veriteckt gehalten hatte.
Das war Herr Kmiziz mit feiner Horde. Er hatte jich
vom Schlachtfelde entfernt, nachdem er den Feind an Die Furt
gebracht, und kehrte num zurüd, um den ‚Sliehenden den Ausweg
zu verjperren.
Als die Tartaren die verjprengten Weiter erblidten, zer-
jtreuten auch jte jich, um bejler auf fie Jagd machen zu können.
Zwei, drei Tartaren stellten jich immer einem Neiter entgegen;
dieſe verteidigten fich jelten, meiit flehten fie um Gnade, indem
jie das Rapier an der Spige fahten und den Griff dem Gegner
reichten. Doch die Tartaren, welche wuhten, dat fie die Ge-
fangenen nicht mit in die Heimat führen durften, gaben nur
den Offizieren Pardon, die gemeinen Soldaten wurden getötet,
noch ehe jie ihre Seelen Gott befehlen fonnten. Diejenigen,
welche bis zulegt flohen, tötete man mit Mefteritichen, die, unter
welchen die Pferde nicht zujammenbrachen, wurden mit dem
Laſſo gefangen.
Kmiziz tummelte jein Noß ein Weilchen auf dem Schlacht=
felde, während jeine Augen Boguslaw juchten. Endlich erblidte er
603
ihn. Er erfannte ihn am Pferde, an dem himmelblauen Bande
und an dem ;Federhut.
Ein weißes Nauchwölfchen umgab den Fürjten, denn foeben
war er von zwei Tartaren angefallen worden. Den einen hatte
er mit einem Piſtolenſchuß niedergeſtreckt, den anderen mit jeinem
Rapier erjtochen. Jetzt jah er eine größere Anzahl der wilden
Horde von der einen, Kmiziz von der anderen Seite her auf
ſich zugeltürzt fommen. Er gab dem Roß die Sporen und
jprengte davon, wie der von Hunden verfolgte Hirsch. Mehr
denn fünfzig Mann jegten ihm im gejchlofener Kolonne nad).
Da aber nicht alle Prerde gleich gut liefen, jo wurde aus der
Kolonne bald eine lang fich binziehende Schlange, deren Kopf
Kmiziz war. Der Fürſt jtredte fich im Sattel nach vorn; es
war, als berühre das Roß den Boden faum. Es jah aus, wie
eine jchwarze Schwalbe, welche über die grüne Aue ftreicht.
Schlanf, wie es war, jtredte es den Hals vor wie ein Kranich,
die Ohren an dem Kopf gedrückt, fchien es fliegen zu wollen.
Sie flogen an Weidengeftrüpp, an Erlenjchonungen und Buſch—
werf vorüber. Die Tartaren waren einer nach dem anderen
zurücgeblieben, fie jagten dahin, ohne Aufhören. Kmiziz warf
die Piltolen aus den Halftern, um das Pferd zu erleichtern,
während er jelbjt die Augen feit auf Boguslaw gerichtet, mit
zujammengebifienen Zähnen, faſt auf dem Halſe des Tieres lag
und dasjelbe jo jchart jpornte, daß die Schweihfloden, welche
von dem Pferde zur Erde herabfielen, ſich rojig färbten.
Aber die Entfernung zwischen ihm und dem Fürjten nahm
eher zu als ab.
„Weh mir!“ dachte Kmiziz, „dieſes Roß wird von feinem
anderen eingeholt.”
Und da nad) nochmaliger gewaltiger Anſtrengung die Ent-
fernung ſich noch vergrößerte, richtete er jich Hoch im Sattel
empor, lieg den Säbel hängen, und indem er die Hände tuten-
fürmig vor den Mumd itellte, jchrie er aus vollem Halſe:
„ziehe, Verräter vor Kmiziz! Ich friege dich doch!”
Kaum waren diefe Worte verflungen, jo blickte ſich der
Fürſt, welcher fie gehört haben mußte, um, und da er jah, daß
Kmiziz allein ihm folgte, floh er nicht weiter, jondern warf
jein Roß herum und rannte mit dem Rapier in der Hand
auf ihn los.
Herr Andreas jtieß einen Freudenſchrei aus. Er lieh
im Jagen nicht nach und zucdte den Säbel auf den Fürſten.
„200! Tod!“ rief der Fürſt.
604
Und um jicherer zu treffen, begann er das Pferd zu
zügeln.
Auch Kmiziz riß jein Pferd in die Höhe, daß es die Hufe
fejt aufjegte, und jchlug das Rapier des Fürſten mit dem Säbel
zur Seite.
Die Reiter waren jo dicht aneinander, daß fie ein Ganzes
zu bilden jchienen. Die Waffen klirrten mit erjchredender
Schnelligfeit aneinander. Man vermochte nicht mehr zu unter—
jcheiden, was Säbel, was Rapier, welches der Fürſt, welches
Kmiziz jei. Buweilen ſah man nur bald den Hut des Fürſten,
bald das Viſier Kmiziz's. Die Pferde gingen im Kreiſe herum.
Das Klirren wurde immer gräßlicher.
Boguslaw hatte nach den eriten Stüßen aufgehört, den
Gegner leicht zu nehmen. Alle die Meiſterſtöße, die er von
jeinen franzöfiichen Lehrern gelernt hatte, waren abgejchlagen
worden. Der Schweiß rannte ihm von der Stirn und wijchte
ihm den Puder und die Schminke von den Wangen; er fühlte
bereit3 jeine Nechte erlahmen . . . Er begann den Gegner zu
bewundern, dann pacdte ihn Ungeduld, zulegt heftiger Zorn.
Da beichloß er, dem Kampfe ein Ende zu machen; er holte zu
au jchredlichen Stoße aus, dabei fiel ihm der Hut vom
opfe.
Kmiziz parierte den Stoß mit jo gewaltiger Kraft, da
das Rapier weit zur Seite gejchlagen wurde, und ehe noch der
Fürſt imſtande war, dasſelbe von neuem aufzunehmen, ſchlug
Kmiziz ihm die Spitze ſeines Säbels in die Stirn.
„Chriſt!“ ſchrie der Fürſt auf.
Er jtürzte rücklings vom Pferde.
Herr Andreas hielt einen Augenblid betäubt jtille, doch
bald befann er jich darauf, was geichehen. Cr ließ den Säbel
in das Gehänge fallen, befreuzigte jich, jprang vom Pferde und
nachdem er den Säbelgriff von neuem gefaßt hatte, trat er an
den Fürſten heran.
Derjelbe war jchredlich anzujehen, bleich wie eine Leiche,
die Lippen aufeinander gepreßt, Hab und Wut im Gejicht.
Kmiziz überfam ein Gefühl höchiter Befriedigung. Da lag
der mächtige Feind, tödlich verwundet und blutend zu jeinen Füßen,
noch lebend und bei voller Bejinnung, aber bejiegt und nicht
von anderer Hand bejiegt, nur von jeiner eigenen.
Boguslam blidte ihn mit weitgeöffneten Augen an; er
verfolgte jede Bewegung des Siegers, und als nun Kmiziz dicht,
ganz dicht bei ihm jtand, bat er jchnell:
605
„Tötet mich nicht, fordert Löſegeld!“
Ohne zu antworten, jegte Kmiziz jeinen Fuß auf die Bruft
des Fürſten und trat fejt darauf, dann jeßte er ihm die Spitze
jeines Säbels auf den Hals, jo, daß die Haut ſich darumter
einbog und es nur eines leifen Drudes bedurfte, um ihn zu
töten, aber er tötete ihm noch nicht, er wollte jih am Anblick
des Feindes ergögen und ihm das Sterben jchwer machen. Er
blidte dem Fürſten fejt in die Augen und jtand feſt auf ihm,
wie der Löwe auf dem erlegten Büffel.
Der Fürſt, welcher aus feiner Kopfwunde jo jehr blutete,
daß der ganze Kopf in einer Blutlache lag, ſprach wieder, aber
jchon mit ſchwächerer Stimme, denn der Fuß des Herrn Andreas
quetichte ihm die Bruft:
„Das Mädchen... hört... .“
Kaum Hatte Kmiziz das Wort gehört, jo nahm er den Fuß
von der Bruft und den Säbel vom Halje des Fürſten.
„Sprecht!“ jagte er.
Doc der Fürjt atmete jchwer, es währte ein Weilchen,
ehe er jagte:
„Das Mädchen iſt verloren, wenn ihr mich tötet... Der
Befehl ijt ausgefertigt!*
„Was Habt ihr mit ihr gethan?“ frug Kmiziz.
„Laßt ab von mir, dann will ich fie euch geben, ich
jhwöre . . . auf das Evangelium . . .*
Herr Andreas jchlug mit der Fauſt an die Stirn. Man
fonnte jehen, wie er mit jich fämpfte. Dann jagte er:
„Höre, Verräter! Ich gäbe Hundert jolcher Ausgeburten
bin, für ein Haar von ihrem Kopfe ... . Aber ich glaube dir
nicht, Meeineidiger!“
„Sch ſchwöre beim Evangelium!” wiederholte der Fürft.
„sch gebe euch dem Geleitjchein und den Befehl jchriftlich.“
„Sei es denn! Ich ſchenke euch dag Leben, aber ich halte
euch gefangen. Ihr gebt es mir jchriftlih ... Unterdejjen
jeid ihr ein Gefangener der Tartaren.“
„Einverjtanden!* jagte Boguslaw.
„Gedenket!“ antwortete Herr Andreas. „Nicht eurem
Fürftenhut, nicht eurer Armee und eurer Fechtkunſt habt ihr
euer Leben zu danken . .. Und wijlet! Sofern ihr euch ein-
fallen laßt, noch einmal meine Wege zu freuzen, oder falls ihr
euer Wort nicht haltet, dann foll euch nichts vor mir jchügen,
und jolltet ihr inzwijchen deutjcher Kaiſer geworden jein ..
Shr kennt mid) nun! Einmal wart ihr jchon in meinen
606
ae jet lieget ihr hier zu meinen Füßen! Gin drittes
1
„Die Bejinnung verläßt mich,“ jagte der Fürſt. „Herr
Kmiziz, der Fluß it in der Nähe... gebt mir einen Trumt
und gießt Waſſer auf meine Wunde.“
„Stirb, Baria!“ rief Kmiziz.
Doch der Fürſt, feines Lebens jchon gewiß, hatte trog der
jchweren Wunde auch jeine Sicherheit wiedergewonnen.
„Ihr jeid dumm, Herr Kmiziz!“ jagte er. „Wenn ich
iterbe, ſtirbt . . .“ Hier wurden ihm die Lippen blap.
Kmiziz jprang davon, um Wajjer zu fuchen.
Der Fürſt war ohnmächtig, doch nur einen Augenblid; er
erwachte glücklicherweije in dem Augenblid, wo der erjte Tartar,
Selim, der Sohn Gaza-Agis, Fähnrich bei der Horde Kmiziz',
ihn erreichte. Als er den im Blute jchwinmenden Feind
dDaliegen jah, wollte er ihn mit der ſcharfen Spiße der Fahnen—
jtange an den Boden jpießen. In diefem Augenblick höchiter
Gefahr fand der Fürſt noch jo viel Kraft, daß er die Spike
mit der Hand faßte. Dieje war jchlecht befeftigt und fiel los.
Der Schall diejes furzen Kampfes zug Kmiziz zurüd.
„Halt! Hundeſohn!“ jchrie er, eilends herbeilaufend.
Beim Klange diejer wohlbefannten Stimme duckte ſich der
Tartar feſt auf dag Pferd nieder. Kmiziz schickte ihn fort,
Waſſer zu juchen, er jelbit blieb beim Fürſten, denn jchon
nahten im Galopp Die beiden Kiemlitſch, Sorofa und hinter
ihnen der ganze Tſchambul, welche den Hauptmann fuchten,
nachdem fie mit der Jagd auf die Neiter fertig geworden.
Als fie Herrn Andreas erblidten, warfen die treuen Ein—
brecher mit einem Freudenſchrei ihre Mützen in die Höhe.
Akbah-Ulan jprang vom Pferde und neigte ſich vor ihm,
indem er mit den Händen Mund, Stirn und Brujt berührte.
Andere jchnalzten nach Tartarenart mit den Lippen, während
ſie raubgierige Blide auf den Beftegten warfen. Einige waren
im Begriff, die beiden Pferde einzufangen, welche in der Nähe
mit fliegenden Mähnen umhberliefen.
„Akbah-Ulan!“ jagte Kmiziz. „Diejer hier ijt der Führer
der Armee, welche wir gejchlagen haben, der Fürſt Boguslaw
Nadziwill. Ich Ichenfe ihn euch. Bewacht ihn gut, denn ob
lebend oder tot, man wird euch reich für ihn zahlen. Set
verjeht ihm die Wunde, nehmt ihn an den Lafjo und führt ihn
in das Lager.“
2 607
„Allah! Allah! Dank dem Führer, Dank dem Sieger!“
riefen die Tartaren einjtimmig.
Und wieder jchnalzgten fie mit den Lippen.
Kmiziz ließ ich jein Pferd vorführen und begab jich mit
einem Teil der Tartaren auf das Schlachtfeld.
Schon von weitem jah er die Fähnriche mit ihren Feld—
zeichen aufgeitellt, aber nur wenige Soldaten befanden jich bei
ihnen, denn die Mehrzahl war noch auf der Berfolgung des
Feindes begriffen. Haufen von Troßfnechten trieben fich auf
dem Schlachtfelde umher, um die Gefallenen zu berauben; fie
gerieten dabei oft mit den Tartaren in Streit, welche dasjelbe
thaten. Jene letteren jahen jchredlich aus. Die Aermel auf:
gejtreift, die Klinge in der Hand, glichen jie Naben, die auf
dem Schlachtfelde umberflogen; ihr wildes Gelächter und ihr
wüſtes Geſchrei ſchallten über das ganze Feld.
Kmiziz ritt zuerſt über den Teil der Aue, wo er den erſten
Angriff auf die Reiter gemacht hatte. Menſchen und Pferde—
leichen lagen bier ſchrecklich verſtümmelt umher. Dort, wo Die
ahnen mit den Füſilieren zujfammengetroffen waren, lagen jie
jtoßweije; hier watete jein Pferd im Blute.
E3 war jchwer, einen Weg durch die Neite der Lanzen,
Musketen, Leichen zu finden, fich zwijchen den umgeitürzten
Laſtwagen und den herumjchwärmenden Tartaren hindurch-
aumwinden.
Herr Goſchewski jtand weiter zurück auf einer Schanze
des befeitigten Lagers. Bei ihm befanden ſich der Fürſt—
Truchſeß Nadziwill, Woynillowitich, Wolodyjowsfi, Korſack und
einige andere Offiziere. Bon der Höhe der Schanze aus
fonnten fie das ganze Schlachtfeld überbliden und den ganzen
Umfang ihres Sieges, wie die Größe der Niederlage des
Feindes ermejjen.
As Kmiziz die Herren erblidte, schlug er ein jchnelleres
Tempo ein. Herr Gojchewsfi war nicht nur ein jehr glück—
licher Sieger; er war auch ein edler Menſch, ohne einen
Schatten von Neid im Herzen. Sobald er den Ritter erblickt
hatte, rief er ihm auch ſchon entgegen:
„Da kommt der wirkliche Sieger! Nur ihm haben wir
den Sieg zu danken; ich bin der erſte, der das öffentlich erklärt.
Meine Herren, ſprecht dem Herrn Babinitſch euren Dank aus,
denn ohne feine gejchiefte Operation hätten wir den Fluß nicht
überjchreiten können!“
„Bivat Babinitjch!“ riefen alle Anwejenden. „Vivat! Vivat!“
608 R
„Wo habt ihr eure Kriegsfunjt erlernt, Soldat?“ frug der
Hetman enthufiasmiert. „Wie habt ihr jogleich begriffen, was
zu thun war?“
Kmiziz antwortete nicht; er war zu müde dazu. Er ver-
neigte fi) nur nach allen Seiten hin und fuhr fich mit der
Hand über das von Staub und Pulverdampf gejchwärzte Ge—
ſicht. In jeinen Augen lag ein ungewöhnlicher Ölany, während
die Bivatrufe fortdauerten. Eine Abteilung nad) der anderen
z0g vom Schlachtfelde heran und eine jede jtimmte im Die
braufenden Vivatrufe zu Ehren Kmiziz's aus voller Bruft ein.
Die Mützen flogen in die Höhe und wer noch einen Schuß
im Gewehrlaufe hatte, der jchoß ihn in die Luft.
Plöglich ftand Herr Andreas im Sattel hochaufgerichtet;
er erhob beide Hände zum Himmel und rief mit Donneritimme:
„Bivat Johann Kajimir, unjer Herr und lieber Vater!“
Darauf erhob fich ein jolches Gejchrei, als jollte eine neue
Schlacht beginnen. Cine unbejchreibliche Begeijterung hatte
alle erfaßt.
Der Fürſt Michael gürtete feinen Säbel ab, deſſen Scheide
mit Diamanten bejegt war, und überreichte ihn Kmiziz, des—
gleichen warf ihm der Hetman jeinen koſtbaren Oberrod als
Geſchenk über die Schultern und wieder erhob Kmiziz die Augen
und Hände zum Simmel und:
„Vivat unjer Hetman, unjer Führer und Sieger!” rief er.
„Crescat! floreat!* erjcholl es im Chore.
Darauf fing man an, die eroberten Fahnen zu jammeln;
jie wurden auf dem Walle zu Füßen der Führer aufgepflanzt.
Der Feind hatte feine einzige gerettet. Da waren preußijche
Fahnen, Fahnen der Adelsgejchlechter, jolche des preußijchen
allgemeinen Aufgebots, Fahnen der Stammfoldaten, ſchwediſche
und auch Fahnen der Leibjchwadronen Boguslaws.
„Diejer Sieg ift einer der größten Stege diejes Krieges!“
rief der Hetman. „Israel und Walde jind gefangen, die
Hauptlente teil$ gefangen, teils tot, das Heer vernichtet . . .“
Hier wandte er ſich an Kmiziz:
„Herr Babinitjch, ihr müßt doc drüben auf jener Seite
mit Boguslaw zujammengetroffen ſein ... Was iſt aus ihm
geworden ?“
Sept blickte auch MWolodyjowsfi aufmerkfjam in die Augen
Kmiziz's, dieſer aber jprach jchnell:
„Den Füriten Boguslam hat Gott durch dieſe Hand ge-
traft!“
609
Indem er das jagte, itredte er jeine Nechte aus. In
Augenblid aber warf ſich der kleine Ritter in feine
Irme,
„Andrufch,“ rief er. „Ich meide es dir nicht! Gott
jegne dich!”
„Du haft mir ja die Hand zum Siege geformt!” antwortete
Herr Andreas voll Innigkeit.
Doch weitere Herzensergießungen verhinderte der Fürſt—
Truchjeß, indem er jchnell frug:
„sit mein Vetter tot?“
„Rein, er iſt nicht tot,“ entgegnete Kmiziz. „Sch habe ihm
das Leben geichentt, aber er ift verwundet und gefangen genommen,
Da, dort führen ihn meine Tartaren!“
Bei diefen Worten malte ſich Staunen in dem Geficht
Wolodyjowskis und die Augen der Ritter wandten fich der
Ebene zu, auf welcher joeben eine Abteilung Tartaren erjchien
und langjam näher fam. Endlich, als diejelbe fich zwifchen den
umgejtürzten Wagen durchgejchlängelt hatte, fam fie jchneller bis
dicht unter die Schanze.
Da erit ſah man, daß der vorderite der Tartaren einen
Gefangenen führte und dal diefer Gefangene Boguslaw war.
Wie anders aber erjchien er jegt dem Auge! ...
Er, einer der mächtigsten Herren der Republik, geitern noch
einer der jelbitändigen Fürſten, welcher noch eben erjt von der
Königsfrone geträumt hatte, jtand er hier zu Fuß am Laſſo,
zur Seite eines Tartarenfleppers, barhäuptig, die blutige Stirn
mit einem jchmugigen Fetzen umwunden. Der Haß und die Ver-
achtung der Ritter gegen dieſen Magnaten war jo groß, daß
die jchredliche Demütigung, welche er jegt erlitt, feinen Mit-
feidsfunfen in ihren Herzen entzündetee So rief es denn jet
wie aus einem Munde:
„Tod dem Verräter! Tod! Tod!“
Der Fürſt Michael bededte jeine Augen mit den Händen.
War es doch ein Nadziwill, den er hier vor jich in diejer Er—
niedrigung ſah. Plögfich wurde er dunkelrot im Geſicht und
ſchrie vor Schmer; auf:
„Meine Herren! Er ift mein Vetter, von meinem Blut.
Und ich habe weder Gut noch Blut gefpart fürs Vaterland!
Der ijt mein Feind, der gegen diejen Unglücjeligen die Hand
erhebt.“
Die Nitter verftummten.
Der Fürſt Michael war allgemein geliebt und geehrt wegen
Sienkiewicz, Sturmflut IL 39
610
feines Mutes, feiner Freigebigfeit und feiner Baterlandsliebe.
Hatte er allein jich doch noch in Nieswierjch tapfer gehalten,
al3 ganz Litauen bereits in den Händen der Hyperboräer war;
hatte er doch den Zureden des Fürjten Januſch nur Verachtung
entgegengejegt und war er doch der Erjte gewejen, welcher der
söderation von Tyſchowietz beigetreten war. So fanden jeine
Worte aljo auch jetzt Gehör; vielleicht auch wollte feiner den
Born eines jo mächtigen Herrn heraufbeſchwören, kurz, die Säbel
flogen fogleich in die Scheiden zurüd, einige Offiziere, die den
Radziwilld lange Jahre gedient, riefen jogar:
„Nehmt ihn den Tartaren fort! Die Republit möge ihr
Urteil über ihn fällen, doch gebt nicht zu, daß Heiden jo edles
Blut peinigen.“
„sa, nehmt ihn den Tartaren fort!“ wiederholte der Fürſt.
„Wir werden eine Geijel finden; er wird das Löſegeld jelbit
bezahlen! Herr Woynillowitjch geht mit euren Leuten vor und
nehmt ihn mit Gewalt, wenn fie ihn freiwillig micht geben.“
„Sch stelle mich den Tartaren als Geijel!“ rief Herr
Gnoinsfi.
Unterdejjen war Wolodyjowsfi zu Kmiziz Hingejchlüpft.
„Andrufch,“ jagte er. „Was haft du nun vollbracht? Er
wird heil aus der ganzen Angelegenheit hervorgehen!“
Kmiziz ſprang auf wie ein verwundeter Stier.
„Mit Verlaub, Durchlaucht!” jchrie er. „Der Gefangene
gehört mir! Ich habe ihm das Leben gejchenft, aber nur be-
dingungsweife. Er hat mir auf das Evangelium feines Glaubens
geichworen, die Bedingungen einzulöfen, und nur über meinen
Leichnam hinweg fommt er aus den Händen frei, denen ich ihn
übergeben habe.“
Während er das jagte, faßte er jein Pferd im Zaun, ver-
trat den Weg und machte ſich fampfbereit.
Woynillowitſch juchte ihn mit feinem Pferde bei Seite
zu Drängen.
„Sebt den Weg frei, Herr Babinitjch!* rief er dabei.
„Weg da, zur Seite!“ ſchrie Herr Andreas, indem er mit
dem Sübelgriff auf das Pferd des Herrn Woynillowitſch ein-
bieb, daß es in den Beinen zu zittern begann, wie von einer
Kugel getroffen, mit dem Huf den Boden wühlte.
Da entjtand ein lautes Murren unter der anmejenden
Nitterjchaft, jo daß Herr Goſchewski ein Stück vorritt.
„Schweigt till, ihr Herren,“ gebot er. „Durchlaucht! Kraft
meiner Würde als Hetman erkläre ich, daß Herr Babinitjch ein
611
Recht an den Gefangenen hat und daß derjenige, welcher den
Fürſten Boguslaw aus den Händen der Tartaren befreien will,
dieſe Befreiung nur bei dem Sieger auswirken kann.
Fürſt Michael bezwang ſeinen Unmut, beruhigte ſich etwas,
dann wandte er ſich an Kmiziz und frug:
„Was verlangt ihr aljo? Sprecht!“
„Er joll die Bedingungen erfüllen, ehe er in Freiheit
gejegt wird.”
„Er wird fie euch halten, wenn er frei fein wird.“
„Das geht nicht an! Ich glaube ihm nicht!“
„sch Ichwöre für ihn, bei der Allerheiligiten Mutter, an
die ich glaube, und verpfände euch mein Nitterwort, daß euch
alles gehalten werden joll. Im anderen Falle dürft ihr euch
an meinem Vermögen und an meiner Ehre jchadlos halten.“
„Genug!“ jagte Kmiziz. „Möge Herr Gnoinsfi ſich als
Geiſel jtellen, damit die Tartaren nicht Widerjtand leijten. Ich
halte mich an euer Wort.“
„sch danfe euch, Kavalier!“ antwortete der Fürſt-Truchſeß.
„Fürchtet nicht, daß er jogleich freigelafjen wird. ch übergebe
den Fürſten Boguslaw von Rechtswegen dem Herrn Hetman;
er ſoll Gefangener bleiben bis nach dem Urteilsjpruch des
Königs.“
„So joll es jein!“ fagte der Hetman.
Und indem er dem Herrn Woynillowitjch befahl, ein
friiches Pferd zu bejteigen, da das jeinige kaum mehr jtehen
fonnte, jandte er ihn zujammen mit dem Herrn Gnoinsfi nach)
dem Fürſten.
Die Uebergabe verlief aber jo leicht nicht. Man mußte
den Gefangenen mit Gewalt nehmen, denn Haſſun-Bey wider-
jeßte jich der Auslieferung. Erſt der Anblid des Herrn
Gnoinski und das feitgejegte Löfegeld von Hunderttaufend
Thalern beruhigte ihn etwas,
Am Abend befand ſich Fürſt Boguslaw jchon unter den
Zelten des Herrn Goſchewski. Man pflegte ihn jorgfältig, zwei
Mediker blieben immerwährend bei ihm und beide waren für
jeine Herſtellung verantivortlich, welche voraussichtlich ſchnell
von jtatten gehen follte, da die nur mit der Spite des Säbels
beigebrachte Wunde eine leichte war.
Herr Wolodyjowsfi fonnte e8 dem Herrn Andreas nicht
verzeihen, daß er dem Fürjten das Leben gejchenft hatte. Aus
Sram darüber vermied er es während des ganzen Tages, ihm
zu begegnen. Erſt abends fam Kmiziz jelbit in fein Zelt.
89*
612
„Bei den Wunden Jeſu!“ fchrie bei jeinem Anblick der
kleine Ritter auf. „Eher hätte ich jedem anderen eine jolche
That zugetrant, als dir. Wie fonnteit du diefen Verräter am
Leben laſſen! . . .“
„Höre mic an, ehe du mich verdammit, Michael,“ ent-
gegnete Kmiziz düfter. „Sch hielt ihn fchon unter dem Fuße
und hatte ihm die Säbeljpige auf den Hals gejeßt . .. . Weißt
du, was dieſer Verräter mir da ſagte? ... Er fagte, daß der
Befehl ausgegeben jei, Dlenfa in Tauroggen zu töten, wenn er
fallen ſollte . . . Was jollte ich Unfeliger thun? Ich erfaufte
ihr Leben mit feinem Leben... Was follte ich thun? ...
Beim Kreuze Ehrijti, was follte ich tun? ...“
Er raufte jein Haar, ſtampfte mit den Füßen vor Er-
regung, während Herr Wolodyjowsfi nachdenklich wurde. Nach
einer Weile jagte diejer:
„Ich veritehe deine Verzweiflung... Aber immerhin ...
Du haft einem Baterlandsverräter das Leben geſchenkt, welcher
in Zukunft fchwere Verhängnifje über die Republik berauf-
bejchwören kann . . . Daran iſt micht® zu ändern, Andrufch!
Du haſt dich heute jehr verdient gemacht um das Vaterland,
aber am Ende hast du doch das öffentliche Wohl deinem perjün=
lichen Intereſſe geopfert.”
„Und du, du jelbit, was hätteſt du gethan, wenn man dir
gejagt hätte, daß man das Meſſer an den Hals des Fräuleins
Anufia Borſchobohata fett?”
Wolodyjowski zucdte mit dem Bärtchen.
„sch gebe mich zu einem Vergleich nicht her. Hm! Was
ich gethan hätte?... Skrzetuski, welcher die Denfungsart eines
Nömers hat, hätte ihm nicht am Leben gelaflen; zudem bin ich
jicher, daß Gott nicht zugelaſſen hätte, daß darum unjchuldiges
Blut vergofien würde.“
„So laßt mich dafür büßen. Strafe mic) Gott, nicht nach
der Schwere meiner Schuld, jondern nach deiner Barmherzig-
feit . .. Sch konnte das Todesurteil dieſer Taube nicht unter-
jchreiben . . .“
Kmiziz hielt fich die Augen zu.
„Helft mir, alle heiligen Engel! Niemals! Niemals!“
„Es iſt einmal gejchehen!” jagte Wolodyjowsti.
Darauf zog Herr Andreas aus der Brujttafche etliche
Papiere hervor.
„Sieh' einmal her, Michael,“ jagte er. „Da ift, was ich
gewonnen habe. Diejes hier ijt der Befehl an Sakowitſch,
613
diefeg an alle Offiziere Radziwills und an alle jchwedijchen
Kommandanten... Er mußte unterjchreiben, war es au
feich die linfe Hand, mit der er jchrieb... Der Süri-Erucfeh
*— hat Obacht gegeben ... Hier, ihre Freiheit, ihre Sicher—
heit! Bei Gott! Ich will ein ganzes Jahr lang täglich eine
Stunde zu Kreuze liegen, mit dem Kantjchu will ich mic) geißeln
lajjen, eine neue Kirche jtiften, aber ihr Leben konnte ich nicht
opfern! Sch bin Fein Römer! ... Gut! Sch bin fein Kato,
wie Skrzetuski. Gut! Aber fie opfern?! Nein, zum Donner»
wetter, nein; und follte ich in der Hölle braten ...“
Kmiziz konnte feine Rede nicht beenden, denn Wolodyjowski
jprang herzu, hielt ihm den Mund mit der Hand zu und rief
mit durchdringender Stimme:
„Läſtere nicht! Du rufſt die Strafe Gottes auf fie herab!
Schlage an deine Bruft! Schnell, jchnell!“
Und Kmiziz ſchlug ih an die Brujt und jprach: „mea
culpa, mea culpa, mea maxima culpa!“ Zuletzt brach der
arme gequälte Soldat in lautes Weinen aus; er fonnte nicht
mehr an ſich halten.
Wolodyjowski ließ ihn fich ausweinen. Als er jich beruhigt
hatte, frug er ihn:
„Was willit du nun unternehmen ?“
„sc werde mit meiner Horde dahin gehen, wohin man
mich jchiefen wird, ſei es auch bis Birz. Meine Leute umd
Pferde jollen nur etwas ausruhen. Unterwegs fann ich viel-
leicht noch eine oder die andere Echwedenabteilung aufheben.“
„Und wirit dafür Gotteslohn ernten. Berliere den Mut
nicht, Andrujch! Gott iſt barmherzig!“
„sch werde direft nach Birz gehen fünnen. Ganz Preußen
ijt jet offen. Höchitens einige Keine Bejagungen werden auf-
zubeben ſein.
Herr Michael jeufzte:
„Ei, wie gern ginge ich mit dir; es wäre ein Ritt ins Para-
dies! Aber ich muß das Kommando halten. Du bift glücklich, weil
du Volontarier haſt . . . Andrufch! Brüderchen höre! Wenn
du fie beide findeſt . . . nimm dich der anderen auch an, da—
mit es ihr nicht jchlecht geht... .„, wer weiß, vielleicht it fie
mir doch beitimmt ...
Indem er das jagte, fiel der kleine Ritter in die Arme
des Freundes.
— —
12. Rapitet.
Dienfa und Anufia waren unter dem Schutze Brauns
glücklich aus Tauroggen entfommen und zu der Partei des
Herrn Schwertträgers gelangt, welche zu jener Zeit bei Olſcha
jtand, alfo nicht allzuweit von QTauroggen.
Als der alte Edelmann die beiden Mädchen gejund und
wohlbehalten erblicte, wollte er erjt feinen Augen nicht trauen,
dann brach er in Freudenthränen aus, und zuleßt überfiel ihn
eine jo friegerijche Stimmung, daß er behauptete, e8 nicht nur
mit Boguslaw, jondern mit der ganzen jchwedischen Armee auf-
nehmen zu wollen. Er wollte jeine beiden Mädchen vor jedem
Feinde jchügen.
„sch will Lieber fallen, ehe ich euch ein Haar Frümmen
lajie. Ich bin nicht mehr der Mann, den ihr in Tauroggen
gefannt habt; ich denke, die Schweden werden noch lange an die
Wälder von Girlafol, an Jaswojna und an die Schwielen
denken, die ich ihnen bei Rojchen beigebracht habe. Es iſt ja
wahr, daß der Verräter Sakowitſch uns unvermutet überfallen
und verjprengt hat, aber ihr jeht, daß wir wieder ein paar
hundert Säbel beifammen find.“
Der Herr Schwertträger übertrieb nicht; man fonnte that=
ſächlich in ihm micht mehr den verzagten Gefangenen von Tau—
roggen wiedererfennen. Er war ein ganz anderer geworden.
Die alte Energie war in ihm wieder erwacht. Im Felde, zu
Prerde, da befand er fich in jeinem Clement, und da er ein
guter Soldat var, jo hatte er im der That den Schweden jchon
einige Schlappen beigebracht.
Da er in der ganzen Gegend in großem Anjehen ftand,
jo fam von allen Seiten her der Ktleinadel gern zu ihm, um
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ſich ihm anzuschließen, auch die Bauern und Waldläufer kamen
herbei und von den Herren Billewitjch brachte ihm ab und zu
auch einer etliche Leute oder Pferde zugeführt.
Die Partei des Herrn Schwertträgers bejtand aus Ddrei-
hundert polnifchen Füjilieren, die aus den Bauern zujammen-
geitellt waren, und aus etwa fünfhundert Mann zu Pferde.
Bon den Füfilieren hatten nur wenige eine Musfete, die große
Mehrzahl war mit Senjen und Mijtgabeln bewaffnet, die Reiter
bejtanden aus zujammengelaufenem begüterten Stleinadel, welcher
mit jeinem Gejinde in die Wälder geflüchtet war, und jolchen,
die die Armut in den Hütten zurüdgehalten hatte. Ihre
Armierung war etwas bejjer, als diejenige der Füſiliere, aber
jehr verjchiedenartig. Hopfenjtangen dienten vielen als Lanzen,
andere trugen ihre angeerbten Familienwaffen, deren Anfertigung
vor Jahrhunderten gejchehen jein mochte; die Pferde waren
von jo verjchiedener Größe und Güte, daß fie fich ſchwer ein-
reihen ließen.
Der Schwertträger fonnte mit ſolch einer Truppe wohl
jchwedischen Patrouillen den Weg verlegen, größere Abteilungen
angreifen und verjprengen, die Wälder und Dörfer von Räuber:
banden frei halten, aber er fonnte feine Stadt damit belagern.
Die Schweden waren mit der Zeit flug geworden. Die Polen
hatten gleich nach dem Ausbruch des Aufitandes alle diejenigen
jchwedijchen Eleineren Bejagungen vernichtet, welche verjtreut in
Quartieren in den Dörfern lagen; jet hatten ich diejenigen,
welche übrig geblieben waren, in den Städten fejtgejegt und
diefelben befejtigt, von wo aus fie fi) nur zu Sriegszügen in
die nächite Umgebung herauswagten. So war es allmählich
gefommen, daß alle Kleinen Städtchen, die Dörfer und Wälder
ji in den Händen der Polen befanden, während alle größeren
Städte von den Schweden eingenommen waren. Sie daraus
zu vertreiben, war bisher unmöglich gewejen.
Die Partei des Schwertträgerd war eine der beiten, andere
fonnten weit weniger ausrichten. An der Grenze Lieflands
hatten ich die Aufitändischen zwar jo weit hervorgewagt, daß
jie zweimal die Veſte Birz belagert und bei der zweiten Be—
lagerung die Uebergabe derjelben erzwungen hatten, doch diefen
Sieg hatten fie nur dem Umjtande zu verdanfen, daß de la Garbdie,
zur Verteidigung Nigas gegen die Heeresmacht des Zaren, alle
Truppen aus ben an Liefland grenzenden Provinzen ein—
gezogen hatte,
Die glänzenden Siege jedoch, welche diejer General er»
616
rungen hatte, gaben der Befürchtung Raum, dab der Feldzug
in Liefland bald beendet jein mußte, und dann die Smudz von
neuem von den fiegestrunfenen Schweden überzogen werden würde.
Unterdejien waren alle die zahlreichen Parteien der Aufjtändischen
in den Wäldern wohl geborgen und wenn fie auch zu größeren
Unternehmungen nicht jtarf genug waren, jo fonnten jie doch)
ficher fein, in ihren Berjteden von den Feinden nicht aufgejucht
zu werden.
Aus diefem Grunde verwarf der Herr Schwertträger den
Gedanken, in der Heide von Bialowierjch Schuß zu juchen. Der
Meg dahin war jehr weit und man mußte unterwegs an zahl»
reichen Städten vorüber, welche jtarfe jchwedijche Bejagungen
hatten.
„Bott hat uns einen trodenen Herbit gegeben,“ jagte er
zu feinen Mädchen, „es lebt jich darum leichter unter Gottes
freiem Himmel. Sch werde euch eim zierliches Zelt zurecht-
zimmern laſſen, ein altes Weib zur Bedienung wird fich auch
finden laffen, ihr bleibt Hübfch im Lager. Es giebt in Diejen
Beiten feine ficherere Zuflucht, al8 die Wälder. Mein Bille-
witjche it bi auf den Grund niedergebrannt, die Gutshöfe
werden von Naubgefindel heimgejucht, zuweilen auch von jchwe-
diichen Streifzüglern. Wo fünntet ihr eure Häupter jicherer
zur Ruhe legen, als bei mir, dem einige hundert Säbel zur
Verfügung stehen? Wenn jpäter die Herbſtregen kommen,
dann wird ſich auch eine jtill verborgene Hütte in der Wild-
nis finden.
Diejer Vorjchlag gefiel dem Fräulein Borjchobohata gar
jehr, denn bei der Partei befanden jich ein paar junge Bille-
witjch, jehr artige avaliere und — man jprad) unaufhörlich
davon, daß Herr Babinitjch in diefe Gegend fommen werde.
Anufia hoffte im Stillen, daß er dann im Nu die Schweden
alle Hinaustreiben würde, und dann — dann fonnte fommen,
was Gott wolle. Olenka glaubte ſich auch joweit in den
Wäldern ficher, fie wäre nur gern weiter von QTauroggen ent=
fernt gewejen, denn im Stillen fürchtete fie noch immer Die
Verfolgung des Herrn Safowitjch.
„Laßt uns doc, nach Wodockt ziehen,“ jagte ji. „Wir
jind dort zu Haufe. Sollte Wododt auch niedergebrannt jein,
jo find doch Mitrun und alle die Hufländereien des Klein—
adels in der Nähe; es iſt doch nicht möglich, daß die ganze
Gegend dort ein Schutthaufen it. Im Falle der Gefahr werden
die Yaudaer ung jchügen.
617
„Bah, die Laudaer jind alle mit Wolodyjowsfi ausgezogen,“
verjeßte der junge Herr Jurek Billewitich.
„Die Alten und die inaben find aber doc) dort geblieben,“
warf Dlenfa ein. „Im Notfalle greifen da auch die Weiber
zur Waffe. Die Heide iſt dort auch größer als hier; die Jäger—
Domajchewitich, die Rauch-Gojtjchtewitjch werden uns in die
Nogowoer Heide bringen, wo uns fein ‘Feind ausfindig
machen kann.“
„Und ich werde euch ein ficheres Lager aufbauen, werde
Ausfälle gegen die Schweden machen und alle diejenigen fern
halten, welche e8 wagen jollten, bis an die Grenze der Heide
vorzudringen,“ jagte der Herr Schwertträger. „Das ijt ein
vortrefflicher Gedanke, Dlenkta! Fort mit uns! Dort fünnen
wir mehr nügen als hier. Wer weiß, ob der Herr Schwert-
träger nicht auch darum den Gedanken Fräulein Alerandras
jo jchnell aufgriff, weil auch er im Stillen ein wenig die Nache
des Herrn Safowitjch fürchtete, welcher in der Wut zu allem
Möglichen fühig war.
Der Natjchlag war aber auch an und für fich ein Fluger;
er wurde von allen gleich freudig angenommen. Der Herr
Schwertträger jchiete noch an demjelben Tage unter dem Be—
fehl des Herrn Jurek die Füſiliere voraus, damit fie im der
Richtung nach Krafinow zu einen Weg durch die Wälder bahnten.
Er jelbjt brach mit den Neitern erjt zwei Tage jpäter auf, nach-
dem er zuvor genaue Nachrichten eingezogen hatte, dab von
Kiejdan oder von Roſchen aus, zwijchen welchen beiden Orten
der Weg durchrührte, feine größere Streifpatrouille ausgezogen war.
Ste marſchierten langjam und mit Vorficht. Die beiden
Fräuleins fuhren auf Bauernwagen, zuweilen ritten fie auf
Kleppern, welche der Schwertträger ihnen bejorgte.
Anufia Hatte von Jurek einen Kleinen leichten Säbel als
Geſchenk erhalten. Sie trug denjelben an einer jeidenen Säbel-
jchnur übergehängt und eine Eleine Soldatenmüte keck nach der
Seite auf dem Kopfe. Sie jah jo ganz allerliebit aus, wie ein
Fahnenrittmeiſter. Der Zug mit den in der Sonne bligenden
Säbeln und nachts die Lagerfeuer bereiteten ihr viel Vergnügen.
Sie warf ihre flaren Meugelein nach allen Seiten hin, die
Zöpfe hingen ihr lang am Rüden herunter, nur damit jie Die-
jelben mindeſtens dreimal täglich Flechten konnte, wobei ihr die
Bächlein und Seen, an denen fie vorüberfamen, als Spiegel
dienen mußten. Die jungen Offiziere waren entzücdt von ihr.
Dft verlangte fie, eine Schlacht mitzumachen, um durch ihre
618
Tapferfeit zu glänzen; aber dag war nur leeres Gerede, um
alle die Offiziere zu bejtriden, denn im Grunde ihres Herzens
fürchtete fie jich vor einer Schlacht.
Dienfa lebte aufs neue auf, nachdem jie Tauroggen ver—
laſſen hatte. Dort Hatte fie die Unficherheit ihres Gejchides
faſt zu Tode geängjtiget, hier fühlte fie fich geborgen. Die frifche,
gejunde Luft jtärfte ihre gejchwächten Kräfte. . Der Anblid der
Krieger, das Geflirr der Waffen, das Treiben im Lager, das
alles war Baljam für ihre franfe Seele. Auch ihr machte das
Marjchieren Freude; die mögliche Gefahr jchredte jie nicht, denn
es floß Nitterblut in ihren Adern. Sie ließ fich weniger vor den
Soldaten jehen, machte feine übermütigen Kunſtſtückchen auf
dem Stlepper, wenn jie vor dem Gliede ritt, deshalb zog jie
weniger die Augen auf fi. Dafür wurde fie mit der größten
Hochachtung behandelt.
Die bärtigen Gejichter der Soldaten überzog ein Lachen
beim Anblid Knufios, wenn aber Olenka fich den Lagerjeuern
nahte, da flogen die Mützen von den Köpfen. Dieje Hochach-
tung verwandelte jich jpäter in Bewunderung. Es gab feinen,
dejjen Herz nicht für fie gejchlagen hätte, nur wagte feiner, fie
jo dreiit anzubliden, wie die eine Schwarzbeere aus der Ukraine.
Während fie durch die Wälder und Schonungen kamen,
jandte der Schwertträger oft Kundſchafter aus, um die Sicher-
heit des Weges zu prüfen. Endlich am jiebenten Tage langten
jie jpät in der Nacht in Lubitſch an, welches an einem Ein—
jchnitt der Yaudaer Grenze lag, gleichlam das Thor zu diejem
Zandesteile bildend. An diefem Tage waren durch den über-
mäßig langen Marjch die Pferde jo ermüdet, daß den Vor—
itellungen Olenkas ungeachtet, der Schwertträger hier über-
achten wollte. Der alte Herr wurde ärgerlich, verbot dem
Mädchen ihre Launenhaftigfeit umd befahl den Parteien, ſich für
die Nacht einzurichten.
Seltjamerweije war der Gutshof nicht niedergebrannt.
Mahrjcheinlich hatte der Feind denjelben infolge eines Befehls
des Fürſten Januſch Nadzuvill verjchont, weil er Kmiziz gehörte.
Später nad) dem Abfall Kmiziz' mochte der Fürſt vergefjen
oder nicht Zeit gehabt haben, den Befehl aufzuheben.
Die Aufitändiichen dagegen betrachteten die ganze Gegend
als Eigentum der Billewitjch und duldeten nicht, daß Raub»
gejindel jich an den Grenzen der Lauda umhertrieb. Es hatte
ich aljo hier nichts verändert. Olenka überjchritt mit einem
ſchrecklichen Schmerz und Bitterfeitsgefühl im Herzen Die
619
Schwelle diefes Hauſes. Sie fannte jeden Winkel desjelben
und an jeden Winfel knüpfte fich für fie die Uebelthat Kmiziz'.
Da, hier, der Eßſaal mit den Ahnenbildern und den Schädeln
der Waldtiere. Lebtere hingen noch Halbzerjchmettert an den
Wänden, die erjteren, die alten von den Säbelhieben verun—
Italteten Gejichter blickten düjter herunter, als wollten jie jagen:
„Sieh, Mädchen, jieh, unjere Enkelin, jo hat er mit jchändlicher
Hand die Bildnifje unjerer leiblichen Gejtalten, die ſchon längjt
im Grabe modern, zugerichtet!“
Dienfa fühlte, daß ſie in diefem befledten Haufe fein Auge
würde jchließen fünnen. Aus jedem Winfel jchienen die jchred-
lichen Gejtalten der Kumpane Kmiziz' hervorzufriechen, wie
Höllenteufel, Feuer jchnaubend.
D, wie jchnell war der von ihr fo geliebte Mann gejunfen;
von Uebelthat zu UWebelthat, zu immer jchiwereren Verbrechen,
vom Zerjtören diejer Bilder bis zur Verbrennung Upits, zum
Mädchenraube, als er fie jelbjt geraubt, weiter — zum Dienjt
bei den Nadziwills, bis zum geplanten Königsmörder ...
Die Nacht verrann, der Schlaf floh den Augen Olenkas.
Alle Wunden ihrer Seele wurden aufs neue geöffnet, von neuem
brannte die Scham auf ihren Wangen, flojjen die Augen von
Thränen über und ihr Herz wurde von joldher Trauer erfüllt,
daß dasjelbe zu jpringen drohte...
Um was trauerte fie eigentlich? Um das, was anders
hätte jein fünnen, wenn ev anders gewejen wäre? Ach, wenn
er bei allen Leidenschaften, aller Wildheit und allem Uebermut
nur die Ehre, die Reinheit des Herzens bewahrt hätte! Wenn
er doch Maß gehalten hätte im Verbrechen, wenn doch eine
Grenze für ihn dagewejen wäre, die er zu überjchreiten nicht
gewagt hätte. Ihr Herz hatte ja jo viel verziehen ...
Anufia fonnte die Dual der Genojjin nicht entgehen. Der
alte Schwertträger hatte ihr die Gejchichte in allen Tonarten
vorgejungen. Da jie num ein gutes Herz hatte, jchlich fie ſich
zu Dlenfa hin, legte ihre Arme um den Hals der Freundin
und jagte:
„Dlenfa! Du windeft di) im Schmerz in dieſem
Hauſe ...“
Zuerſt konnte und wollte Olenka gar nicht ſprechen; ſie
bebte am ganzen Körper wie Espenlaub, zuletzt brach ſie in
lautes, verzweifeltes Schluchzen aus. Sie faßte krampfhaft die
Hand Anuſias, ſtützte ihr blondes Haupt auf den Arm der Freundin
und ſchüttelte ſich, wie der Sturm den Strauch rüttelt.
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Anufia mußte lange warten, bi8 der Weinframpf vor=
über war.
Als Olenka fich endlich zu beruhigen begann, da flüjterte
fie leiſe:
„Wir wollen für ihn beten, Olenka ...“
Doc dieje verdeckte ihr Gejicht mit beiden Armen.
„Rein! ... Ich kann nicht! ...“ rief fie fait entſetzt.
Nach einer Weile ftrich jie mit fieberhafter Eile die Haare
zurüc, welche ihr auf die Stirn gefallen waren, dann jagte jie
mit müder Stimme:
„Siehit du... ich kann nicht ... du Glückliche ...
Dein Babinitſch iſt edel, berühmt . . . vor Gott... und dem
Baterlande . . . du Glückliche! ... Ich darf nicht einmal
beten ... . Ueberall jehe ich Menjchenblut . . . Trümmerjftätten!
Wenn er wenigitens das Vaterland nicht verraten hätte, wenn
gegangene hatte ich jchon verziehen... . denn ich dachte... .
in Kiejdan . . . denn ich liebte ihn... von ganzem Herzen!
... Aber jetzt kann ich nicht . . . barmberziger Gott! ich fann
nicht! . .. Sch wollte, ich wäre tot... . und er wäre tot!“
„Es it erlaubt, für jede Seele zu beten, denn Gott iſt
barmherziger als die Menjchen. Er kennt die Urjachen unjerer
Handlungen, wie die Menjchen jie oft nicht erfennen können.
Während fie das jagte, fniete Anufia zum Gebet nieder,
Dienfa warf fich zu Kreuze und verharrte jo biß zum Morgen.
Am Morgen verbreitete fich jchnell die Nachricht, daß der
Herr Billewitich, Schwertträger von Reußen, in die Lauda ein-
gezogen jei. Was da lebte, jtrömte zu jeiner Begrüßung herbei.
Greiſe und Weiber mit Eleinen Kindern famen aus ihren Wald-
veritecfen hervor. Zwei lange Jahre hatte niemand mehr in
den Hufeländern den Acer bebaut und gejäet. Die Ortichaften
waren teilweife verbrannt und verödet. Die fräftigen Männer
waren mit Wolodyjorwsfi fortgezogen, nur halbwüchjige Jüng-
linge behüteten und verteidigten den Reſt der Habe im
Schutze der Heide.
Man begrüßte daher den Schwertträger als „Befreier“ mit
Freudenthränen, denn die einfachen Menfchen dachten, daß, wenn
der alte Herr und das „Fräulein“ wieder in Das alte Nejt
zurücdfehrten, der Strieg zu Ende fein müſſe. Sie begannen nun
auch gleich ihre halb verwilderten Viehherden aus dem Walde
herbeizutreiben und in die noch übrig gebliebenen Hütten zurück—
zufommen.
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Die Schweden jahen zwar noch in der Nähe, in dem gut
befeitigten Poniewierſch, aber angefichts der Streitfraft des
Herrn Thomas und anderer benachbarten Parteien, welche im
Ile der Not jchnell herbeizurufen waren, fürchteten fich die
eute nicht mehr vor ihnen.
Herr Thomas hatte jogar die Abjicht, Poniewierjch an-
zugreifen, um den Kreis gänzlich zu jäubern; er wartete nur
noch auf neuen Zuzug von Freiwilligen, beſonders aber darauf,
daß jeine Füſiliere mit Gewehren ausgejtattet werden jollten,
welche die Jagd-Domajchewitich im Walde verborgen hielten.
LEN bejichtigte er die Gegend, indem er von Ort zu
rt ritt.
Ach, es war eine traurige Bejichtigung. In Wododt war
der Gutshof und das halbe Dorf abgebrannt; ebenjo Mitrun.
Wolmontowitſch und Butrymow, welche jeiner Zeit Kmiziz
niedergebrannt hatte, waren nad) dem Brande wieder aufgebaut
und merhvürdigerweije auch erhalten worden. Dafür waren
Drojchejtidnyg und Morgi, welche den Domajchewitich gehörten,
total, Bazunel zur Hälfte, Morezy ganz niedergebrannt. Das
ſchrecklichſte Los war dem Orte Goſchtſchuny widerfahren, denn
auch die Menſchen waren zum größten Teil totgejchlagen, und
allen Männern, von den Greifen angefangen bis zu den kleinen
Knaben herab, auf Befehl des Hauptmann Roßy, die Hände
abgehauen.
Sp hatte der Krieg mit graufamem Fuß Diefe Gegend
zertreten, das war die Folge des Verrat des Fürſten Januſch
Nadziwill.
Doch ehe noch der Schwertträger jeine Belichtigung be=
endet und feine Füjiltere bewaffnet hatte, kamen wieder Nach—
richten freudiger Art und dennoch gräßlich in dieſe Gegend,
welche jchnell von Hütte zu Hütte getragen wurden.
Jurek Billewitjch, welcher mit einer Abteilung Berittener
einen Streifzug nad) Poniewierſch zu unternommen und
einige Schweden aufgefangen hatte, vernahm zuerjt die Kunde
von der Schlacht bei Prostki. Darauf jagte eine Neuigfeit Die
andere; man hörte nach und nach Einzelheiten, welche jo wunder—
bar Elangen, daß man fie für Märchen halten Eonnte.
„Herr Goſchewski,“ jo hieß es, „hat den Grafen Walded,
Israel und den Fürſten Boguslaw gejchlagen. Das Heer jollte
vernichtet, die Generale gefangen, ganz Preußen ein Flammen—
meer jein!“
622
a Wochen jpäter flog noch ein Name von Mund zu
Mund. ES war der Name Babinitjch.
„Babinitſch ift eigentlich der Sieger von Prostki,“ ſprach
man in ganz Smudz. „Babinitjch hat den Fürſten Boguslam
mit eigener Hand gejchlagen und gefangen genommen.“
Und weiter:
„Babinitjch trägt den Brand nach Preußen, fommt wie
der Tod der Grenze Smudz's zu, und verwüjtet alles, was
a und Erde ijt.“
„Babinitſch Hat Tauroggen verbrannt. Sakowitſch ift ent-
flohen und hat ſich in den Wäldern verjtedt.
Der legte Vorfall hatte jich jo nahe vollzogen, daß man
über die Wahrheit des DVerichtes nicht lange in Zweifel bleiben
fonnte. Er erwies jic als volljtändig wahr.
Anufia Borjchobohata war während der ganzen Beit, wo
dieſe Nachrichten furjierten, wie im Traume befangen. Sie
lachte und weinte abwechjelnd, jtampfte zornig mit den Füßen,
wenn jemand einer Neuigfeit feinen Glauben jchenfen wollte;
jie erzählte, was ſie wußte, immer wieder, gleichviel, ob einer
zubörte oder nicht.
„sch kenne den Herrn Babinitfh! Er hat mich von
Samojchtich zum — Sapieha gebracht. Er iſt der größte
Krieger der Welt. Ich weiß nicht, ob Herr Tſcharniezki ihm
gleichfommt. Er war e8, welcher unter dem Herrn Hetman
dienend, den Fürſten Boguslan bedrängt hat. Sch bin gewiß,
daß fein anderer als er den Fürſten bei Prostki niedergejchlagne
hat. Er wird es dem Safowitjich, ja zehn jolchen Safowitjchen
heimleuchten . . In einem Monat wird er die Schwedne
hinausgefegt haben.“
Die Berjicherungen Anuſias bewahrheiteten jich jchnell.
Es blieb fein Zweifel mehr, der große Krieger, genannt Babi-
nitjch, rückte thatjächlich von Tauroggen her in das Innere des
Landes vor.
Bei Koltyn jchlug er den Hauptmann Baldon und ver-
nichtete dejjen Abteilung vollkommen. Bei Warna befriegte er
die jchwedische Infanterie, welche jich vor ihm bis nach Teljch
zurüdzog. Bei Telſch lieferte er eine größere jiegreiche Schlacht
den beiden Hauptleuten Normann und Hudenskjöld, in welcher
Hudenskjöld fiel und Normann mit den Uebriggebliebenen
flüchtete, bi8 nach Sagorjche, dicht an der Grenze von Smubdz.
Bon Telſch aus zog Babinitſch gen Kurjchan, Fleinere
623
ſchwediſche Abteilungen vor jich hertreibend. Sie fuchten mit
aller Gewalt in größere jchwedische Lagerpläge zu entkommen.
Bon Tauroggen und Polongi nach Birz und Wilfomierjch
jcholl jein fiegreicher Name Man erzählte fich auch von den
Greuelthaten, die er fich gegen die Schweden zu jchulden
fommen ließ. Es hieß, daß jein Heer, welches anfangs nur
aus zinem Tſchambul Tartaren und einer Fahne Bolontarier
beitanden hatte, von Tag zu Tag wuchs; denn wer da lebte
lief ihm zu, alle Parteien vereinigten ſich mit ihm und er
umfaßte fie mit eiferner Hand und führte fie gegen den Feind.
Die Sinne aller waren jo ſehr mit jeinen Siegen bejchäftigt,
daß die Kunde von der Niederlage, welche Goſchewski gegen
Stenbod erlitten hatte, lautlos verhallte. Babinitjch war näher,
mit Babinitjch bejchäftigte man ſich unaufhörlich.
Anufia flehte täglich den Schwertträger an, er möge doch
eifen, ji) mit dem berühmten Krieger zu vereinigen. Auch
Dienfa drängte dazu, die Offiziere, der Adel, alle baten, denn
die Neugier jpornte alle dazu an.
Das war aber feine leichte Sache. Erſtens war Babinitjch
in einer anderen Gegend; zweitens war er oft wochenlang jpur=
los verjchwunden. Niemand wußte dann, wo er zu finden war.
Drittens lagen alle jchwediichen Abteilungen und Bejagungen
in den Städtchen und Städten, welche am Wege zu ihm lagen.
Endlich hatte man erfahren, daß Hinter Roſchen Safowitjch mit
einer größeren Abteilung das Land unficher machte. Er jollte,
(aut den furjierenden Gerüchten, alles töten, was ihm in den Weg
fam, die Menſchen entjetlich quälen und fie über den Verbleib
der Billewitjchen Partei ausforjchen.
Der Schwertträger fonnte alfo nicht nur nicht dem Heere
Babinitfch entgegenziehen, jondern er mußte auch fürchten, daß
ihm die Lauda zu enge werden könnte.
Sp im Hin- und Herjchwanfen begriffen, vertraute er eines
Tages dem Herrn Jurek Billewitjch an, daß er die Abficht habe,
nach Diten zu gehen und in den Wäldern der Rogowoer Heide
Schuß zu juchen. Jurek plauderte diefe Neuigfeit jogleich an
Anufia aus, dieje aber lief jchnurjtrads zum Schwertträger.
„Liebjter Oheim,“ jagte jie zu ihm — denn jo pflegte jie
ihn zu nennen, wenn fie etwas von ihm herausichlagen wollte —
„ich Habe gehört, daß wir fliehen jollen. Sit das nicht eine
Schande für einen jo berühmten Soldaten, wenn er die Flucht
ergreifen will beim Herannahen des Feindes?“
„Daß ihr doch euer Näschen überall dabei haben müßt,“
624
entgegnete der Schwertträger verdrojien. „Das geht euch gar
nicht3 an.“
„But! — Dann zieht ihr euch zurüd; ich bleibe hier.“
„Damit Safowitjch euch einfängt? Ihr werdet ja jehen.”
„Safowitjch wird mich nicht einfangen, denn Herr Babi-
nitjch wird mich bejchügen.“
„Der wird gerade willen, wo ihr jeid. Sch Habe jchon
einmal gejagt, daß wir nicht zu ihm können.“
„Aber er fann zu uns fommen. Sch bin feine Belannte;
wenn ich nur einen Brief an ihn abfenden könnte, dann wäre
ich ficher, daß er hierher fommt, indem er unterwegs den Safo-
witjch befriegt. Er war mir ein wenig gewogen, deshalb würde
er die Hilfe nicht verjagen.“
„Und wer würde e8 unternehmen, ihm den Brief zu bringen ?“
„Dan kann den eriten beiten Bauern damit fortjchiden . . .“
„Schaden fünnte das auf feinen Fall, nein, nein. Olenka
hat einen jcharfen Verſtand, ich jehe, daß er euch auch nicht
fehlt. Selbſt wenn wir ung augenblidlich vor der Uebermacht
in den Wald flüchten müſſen, jo wäre es immerhin gut, wenn
Herr Babinitjch jeinen Weg hierher nähme, wir fämen dann
— Verſucht es, Fräulein! Ein Bote wird ſich
inden.“
Die erfreute Anuſia machte ſich ſogleich an das Werk; ſie
fand nicht nur einen, ſondern zwei Boten. Der eine war Jurek
Billewitſch, der andere war Braun. Ein jeder ſollte einen gleich—
lautenden Brief mitnehmen, damit, wenn nicht der eine, ſo
doch der andere in die Hände Babinitſchs käme. Der Brief
ſelbſt machte Anuſia weit mehr Kopfzerbrechen. Endlich brachte
ſie ihn zu Stande, wie folgt:
„In der höchſten Not ſchreibe ich Euch, wenn Ihr Euch
meiner erinnert, (was ich bezweifle, denn, wie ſolltet Ihr Euch
erinnern!) denn Ihr ſollt mir zu Hilfe kommen. Nur weil
Ihr Euch mir geneigt gezeigt habt, auf dem Wege von Samoſchtſch,
wage ich es zu Hoffen, day Ihr mid) im Unglück nicht verlafien
werdet. Sch bin bei der Partei des Herrn Billewitjch, des
Schwertträgerd von Reußen, der mir Schuß gewährt; denn ich
habe jeine Verwandte, das Fräulein Billewitich, aus der Ges
fangenjchaft in Tauroggen befreit. Ihn und uns beide um—
giebt überall der Feind, befonders die Schweden und ein gewifjer
Safowitjch, vor deſſen jündhafter Zudringlichkeit ich fliehen und
im Feldlager Schuß juchen mußte. Sch weiß, daß Ihr mich
nicht leiden mochtet, obgleich ich, Gott weiß es, nichts Böfes
625
gethan habe und Euch immer nur Gutes wünjchte und noch
wünjche. Aber auch wenn Ihr mich nicht leiden mögt, jo be=
ihügt eine arme Waiſe und befreit fie aus den Händen der
Feinde, Gott wird e8 Euch taufendfach lohnen und ich werde
für den beten, welchen ich heute noch meinen gütigen Bormund,
— aber, bis zu meinem Tode, meinen Retter nennen
werde ...“
Nachdem die Boten das Lager verlaſſen hatten, fiel es
Anuſia erſt ſchwer aufs Herz, welchen Gefahren beide ſich aus—
ſetzten; ſie ſchrak vor dem Unternehmen zurück, nur von dem
einen Wunſche beſeelt, die Boten zurückzuhalten. Mit Thränen
in den Augen bat ſie den Herrn Schwertträger, dieſelben nicht
fort zu (offen, da die Briefe eben jo gut von Bauern bejorgt
werden fünnten und die Bauern leichter durchjchlüpften.
Doch Braun und Juref Billewitich widerjegten ſich dem
fo jehr, daß feine Vorftellungen fie zurückzuhalten vermochten.
Einer wollte den anderen an Dienjtwilligfeit übertreffen. Hätten
fie doch nur geahnt, welchem Schidjal fie entgegen gingen.
Eine Woche jpäter fiel Braun in Die Sünde des Safo-
witjch, welcher ihn zu Tode peinigte. Der arme Juref wurde von
einer ſchwediſchen Streifpatrouille bei Poniewierſch erjchoffen.
Beide Briefe fielen in die Hände der Feinde.
Sienfiewicz, Sturmflut [. 40
r — F r (dk i EL ’
GEBÄUDEN WESTERN
—
u ON) e
13. Rapitet,
Nach der Gefangennahme und Tötung Brauns verjtändigte
ſich Sakowitſch gleich mit dem Oberjt Hamilton, einem Eng»
länder in jchwedijchen Dienjten, welcher Kommandant von Ponie-
wierjch war. Site bejchloffen einen gemeinjchaftlichen Feldzug
gegen die Partei des Schwertträger® von Reußen, Herrn
illewitjch.
Zu jener Zeit war Babinitjch gerade wieder einmal ver-
ſchollen. Man hatte jchon jeit einigen Tagen nicht3 mehr von
ihm gehört. Sakowitſch machte ſich auch nichts mehr aus der
Nähe diejes von ihm jo gefürchteten Kriegers; er wollte um
jeden Preis Nache üben. Seit der Flucht Anufias war er toll
vor Wut. Berfehlte Spekulation und verlegte Liebe hatten ihn
fait um den Verſtand gebracht; dabei litt er unter der Wunde
an jeinem Herzen. Anfangs hatte er Anufia nur deshalb zur
rau begehrt, weil fie die Erbin des großen Nachlajies ihres
früheren Verlobten, Herrn Podbipienta, war, jpäter verliebte
er jich blindlings, zum Sterben, wie eben nur ein jolcher Menjch
fich verlieben fann. Seine Leidenjchaft führte ihn dahin, daß
er, der jelbit jeinen Herrn und jonjt niemanden in der Welt
fürchtete, er, deſſen böjer Blick ſchon die Menjchen erbleichen
machte, mit hündiſcher Ergebenheit ihr unterlag, ihre Launen
ertrug und ihre Gedanfen zu erraten juchte.
Sie hatte ihren Einflug über alle Maßen ausgenußt, hatte
ihn fi mit Worten und Bliden dienitbar gemacht wie einen
Sklaven, zulegt hatte fie ihn verlafjen.
Sakowitſch gehörte zu jenen Menjchen, welche anderen das
als Tugend anrechnen, was ihnen jelbit Nuten bringt, als
627
Schuld das, was ihnen Schaden zugefügt. So betrachtete er
denn auch Anufia als die größte Verbrecherin, für die feine
Strafe zu jchwer war. Wäre ein anderer von dem gleichen
Geſchick betroffen worden wie er, jo Hätte er ihn ausgelacht
und verjpottet; doch er jelbjt brüllte wie ein verwundeter Stier
und dürjtete nach Rache. Er mußte die Verbrecherin in feine
Gewalt befommen, tot oder lebendig. Lieber wäre fie ihm
lebend, denn dann fünnte er erſt Kavaliersrache an ihr üben,
bevor er fie tötete, doch war es ihm auch recht, wenn jie bei
dem geplanten Ueberfall zu Grunde ging, wenn fie nur feinem
anderen mehr gehören konnte.
Um ganz jicher zu gehen, jandte er einen beitochenen Boten
mit einem Briefe an den Schwertträger, welcher angeblich von
Babinitjch war. Der Brief brachte die Nachricht im Namen
des letteren, dal er innerhalb acht Tagen in Wolmontowitjch
eintreffen werde.
Der leichtgläubige Schwertträger glaubte dieſem Schreiben
und da er auf die unbejiegbare Gewalt des Herrn Babinitſch
vertraute und fein Geheimnis aus der erhaltenen Nachricht
machte, jo quartierte er fich nicht nur jelbit in Wolmontowitjch
ein, jondern das ganze Zaudaer Land geriet in Aufregung und
Bewegung. Wer nicht jchon aus den Wäldern heimgefehrt war,
der zog jeßt herbei, einmal, weil die Nächte jchon kalt wurden,
dann aber auch aus Neugier auf den berühmten Strieger.
Währenddeſſen famen von Boniewierjch her, nach Wolmonto-
witjch zu, die Schweden unter Hamilton, von Kiejdan jchlich
ſich Safowitjch wie ein Wolf heran.
Der Lestere hatte feine Ahnung, daß gleichzeitig mit ihm,
ihm dicht auf den Ferien, ein Dritter auch wie ein Wolf nach
Wolmontowitjch zu ſchlich. Er Hatte zwar feine Aufforderung
dazu erhalten, aber es war jo jeine Art, immer da zu erjcheinen,
wo er am wenigjten erwartet wurde.
Kmiziz ahnte gar nicht, dat Dlenfa jich bei der Partei
des Herrn Billewitjch befand. In QTauroggen, welches er ge=
plündert und miedergebrannt hatte, war ihm auf jeine ein—
gezogenen Erfundigungen gejagt worden, daß fie jamt dem
Fräulein Borjchobohata geflohen jei; er hatte dann angenommen,
daß die Beiden nach Bialowierjch in die Heide gegangen waren,
wohin auch die Frau Sfrzetusfa umd andere Edelfrauen ſich
geflüchtet Hatten. Er war um jo mehr zu diefer Annahme be=
rechtigt, da er wußte, daß der alte Schwertträger jchon lange
die Abficht gehabt hatte, jeine Brudertochter dorthin zu bringen.
40*
628
E3 war fein kleiner Kummer für ihn gewejen, als er fie nicht
in Tauroggen gefunden hatte, andererjeitS freute er fich, daß
fie den Händen des Safowitjch entwichen war, und bis zum
Ende des Krieges ſich in einem ficheren Verſteck befand.
Da er ihr nicht fogleich in die Heide folgen fonnte, hatte
er bejchlofien, dem Feind in Smudz unterdejjen auszurotten, fo
lange bis fein Schwede mehr zu finden war. Das Glüd be-
günstigte ihn dabei. Seit ein und einem halben Monat hatte
er Sieg auf Sieg errungen, das bewaffnete Volk ſtrömte ihm
in Maſſen zu, binnen kurzer Zeit bildete fein Tſchambul nur
noch den vierten Teil jeines Heeres. Endlich war er mit
den Feinden in der weltlichen Smudz fertig geworden; da
er von dem Zuge Safowitjch® gehört und mit ihm noch ab-
zurechnen hatte, jo zog er nun der ihm bekannten Lauda zu
und ging dicht hinter ihm ber.
ur dieje Weije waren beide bis in die Nähe von Wolmonto-
witſch vorgedrungen.
Der Schwertträger rejidierte nun dort ſchon jeit einer
Woche, ahnungslos, welch jchredliche Gäſte er bald zu empfangen
gezwungen jein werde.
Eines Abends jandten die Hirtenfnaben der Butryms, welche
hinter Wolmontowitjch die Pferde weideten, einen Boten dort-
hin und ließen fagen, daß fremde Soldaten aus dem Walde
berausfämen und jich dem Gute von Süden her näbherten.
Der Schwertträger war doch zu jehr alter, erfahrener Soldat,
als daß er jede Vorſichtsmaßregel verabjäumt hätte. Seine
üfiliere, welche zum Zeil von den Domajchewitich ſchon mit
Waffen ausgejtattet waren, hatte er teils in unlängſt erbauten
Häufern untergebracht, teils mußten fie das Drehrad am Ein
gange des Dorfes bewachen. Er jelbjt hatte mit den Reitern
auf dem großen Weideplan Hinter den Gartenzäumen, welcher
auf einer Seite an den Fluß jtieß, Stellung genommen. Der
Schwertträger hatte diefe Vorrichtungen meiſt darum getroffen,
um ein Lob des Herrn Babinitjch zu ernten, welcher fich auf
gute Anordnungen ja veritehen mußte. Seine Stellung war
aber auch wirklich eine gute und gejchüßte.
Die — waren nach dem Brande, welchen Kmiziz
in jener Zeit aus Wut über die Ermordung ſeiner Kumpane
angeſteckt hatte, allmählich wieder aufgebaut worden. Als aber
ſpäter der Schwedenkrieg die Arbeit unterbrochen hatte, da hatten
ji) in der Hauptjtraße des Ortes eine Menge Balfen, Bretter
und Uuerhölzer angefammelt, die in wilder Unordnung dort
629
umberlagen. Bejonders lagen ganze Haufen Bauholz vor dem
Drehrade des Thoreinganges, und die Füſiliere fonnten im Not-
falle denjelben ziemlich lange verteidigen.
Auf jeden Fall waren die Neiter vor einem plößlichen
Ueberfall gejichert. Der Schwertträger wollte jeine Kenntnis
der Kriegskunſt vor dem Herrn Babinitjch auch dadurch beweijen,
daß er eine fleine Streifpatrouille ausjchidte.
Wie groß aber war fein Staunen, im eriten Augenblic
auch jein Schred, als er plöglic) von der Waldjeite her Mus—
fetenjchüffe hörte. Gleich darauf jah er jeine Patrouille auf
dem Wege dahergejagt fommen, eine Wolfe Feinde hinter ich.
Der Schwertträger trabte jchleunigit zu jeinen Füſilieren,
um noch die legten Defehle zu erteilen, während aus dem Walde
immer mehr Feinde hervorbrachen und wie Heujchreden mit in
der untergehenden Sonne bligenden Waffen auf Wolmontowitſch
zujtürmten. Das Wäldchen war nahe; als daher die feindlichen
Neiter etwas näher an das Drehrad herangefommen waren,
nahmen jie einen tüchtigen Anlauf, um dasjelbe mit einem An—
ſturm zu nehmen. Da empfing fie eine Gewehrjalve, welche
jie veranlaßte, plöglich ftille zu ftehen. Die erjten Neihen ge—
rieten jogar in Unordnung und nur einige wenige drangen auf
den Pferden bis dicht an die Anjiedelung vor.
Der Schwertträger war inzwijchen zu feinen Neitern ge-
jprengt und befahl denjenigen, welche im Beſitze von Piſtolen
waren, den Füſilieren zu Dilfe zu eilen.
Doch der Feind jchien ebenfalls mit Musfeten bewaffnet
zu fein, denn auch er eröffnete num ein heftiges, aber unregel-
mäßiges Teuer, welches von beiden bald jchneller, bald mit
Unterbrechungen fortgeführt wurde. Die pfeifenden Kugeln
flogen hinüber bis zu den Neitern, polterten an die Häufer,
ichlugen in die Zäune und Balfen. Wolmontowitjch war in
Nauch gehüllt, Pulverdampf und Dunjt erfüllte die Straße.
Nun hatte Anufia, was fie gewollt — eine Schlacht!
Beide Fräuleins hatten auf Befehl des Schwertträgers
jofort ihre Klepper beitiegen, damit fie, wenn die Uebermacht
des Feindes fich zu groß erweiſen jollte, zugleich mit den anderen
entfliehen konnten. Man hatte jie in den hinteren Reihen bei
den Neitern untergebracht.
Obgleich) Anufia ihr Säbelchen an der Seite hatte und
das Luchsmützchen ihr keck auf dem Kopfe ſaß, bebte jie dennoch
vor Angit. Sie, die jo gut veritand, im Gemach mit den
Offizieren umzugehen, fand nicht eine Spur von Energie, jet,
630
wo fie den Söhnen‘ Bellas Auge in Auge gegenüber jtand.
Das Pfeifen und Poltern der Kugeln flößten ihr Furcht ein;
die Berwirrung, das Hinundherrennen der Ordonnanzen, das
Snallen der Büchlen und das Stöhnen der Verwundeten
betäubte jie und der PBulverdanıpf raubte ihr den Atem. Ihr
wurde übel und jchwach; ihr Geficht war Freideweiß und fie
wand jich und pipite wie ein Kind. Einer der Soldaten, der
junge Herr DOlejcha aus Kiemnar, mußte fie zulegt in feine
Arme nehmen. Er hielt fie fejter ala wohl nötig war und
hätte jie jo halten mögen bis ans Ende der Welt.
Da fingen die Soldaten rings umher an zu lachen.
„Ein Ritter im Unterrod!* riefen mehrere Stimmen.
„Set die Henne aufs Neſt!“ riefen andere, „rupft ihr die
Federn,“ wieder andere.
Dann tönte es:
„Herr Dlejcha! Ihr habt eine Scheibe vor die Bruſt ge—
nommen, Doch wahrt euch — denn Kupidos Pfeil findet deſto
leichter den Weg in euer Herz! .
Diefe Soldaten waren gut gelaunt,
Andere wieder blickten voll Bewunderung auf Dlenfa,
welche ſich ganz anders verhielt. Anfangs war auch fie er-
bleicht, auch fie fonnte fich nicht enthalten, den Kopf zu Duden
und die Augen zu jchliegen, als die eriten Kugeln um ihre
Ohren jauiten. Doch bald erwachte ihr Rittermut; ihr Geficht
rötete jich, sie glühte wie eine Roſe. Mit erhobenem Kopfe
blickte fie vor fich) hin. Ihre Nüſtern weiteten ſich und jchienen
mit Wonne den Geruch des Pulvers einzufaugen. Als dann
der Nauch und Dampf am Drehrade immer größer wurde und
die Ausjicht verjperrte, jchob das mutige Meädchen ihr Pferd
mit denen der Offiziere vorwärts, um den Verlauf des Gefechtes
beſſer zu verfolgen, ohne recht zu willen, was fie that.
Ein lobendes Gemurmel entitand im Gedränge der Weiter.
„Ah, das iſt Heldenblut! Das it ein Soldatemweib! Ein
herrlicher Volontarier!“
„Vivat das Fräulein Billewitich!“
„Eilen wir vorwärts! Vor jolchen Augen lohnt es ich
zu kämpfen.“
„uch die Amazonen konnten dem Stugelregen nicht mutiger
entgegengehen!* jchrie ein junger Soldat, im Eifer der Bes
geiiterung vergeflend, daß die Amazonen noch vor der Erfindung
des Pulvers lebten.
631
„Es wäre Zeit, ein Ende zu machen! Die Füfiliere haben
fi) tapfer benommen und die Feinde find ermüdet!“
Wirklich fonnten die feindlichen Weiter nichts gegen die
Verteidiger ausrichten. So oft fie einen Anlauf nahmen,
wurden fie mit einer Musfetenjalve zurüdgejchlagen; fie gerieten
immer aufs neue in Unordnung. Und wie die Meereswelle,
wenn jie nach der Flut zur Ebbe zurückkehrt, Mufcheln, kleine
Steinchen, ja jelbjt tote Fische zurücläßt, jo blieben auch hier
nach jeder Attacke einige Menjchen oder Pferdekörper zurüd.
Endlich hörten Die Attaden ganz auf. Nur vereinzelt noch
fielen Piſtolen- und Musfetenjchüffe, wie um die Aufmerkſam—
feit der Billewitjch'jchen zu fejleln. Dagegen nahm der Herr
Schwertträger, welcher auf den Mauereden bis unter die Dach-
rinne des Gutshaujes geflettert war, eine Bewegung in den
hinteren Gliedern des Feindes, nach den Feldern und dem Ge—
jtrüpp zu, wahr, welche ſich linfswärts von Wolmontowitjc)
hinzogen.
„Von dort aus wollen ſie uns angreifen!“ ſchrie er und
ſchickte ſofort einen Teil der Reiter zwiſchen die Häuſer, damit
ſie von den Obſtgärten aus dem Feinde Widerſtand leiſteten.
Eine halbe Stunde darauf hatte das Gefecht von neuem
begonnen, die Musketenſalven kamen vom linken Flügel der
Partei.
Die umzäunten Gärten verhinderten zwar ein Handgemenge,
ſie erſchwerten aber den Kampf auf beiden Seiten. Dazu hatte
der Feind jetzt Platz, ſich zu einer langen Linie zu entwickeln,
und war daher auch weniger den Kugeln ausgejegt.
Allmählich wurde der Kampf immer erbitterter und müh-
jamer. Man hatte den Anlauf gegen das Drehrad nicht auf:
gegeben und jegte die Attacken dort eifrig fort.
Der Schwertträger wurde bejorgt.
Nechts blieb ihm noch die weite, freie Aue, an welche ſich
das fchmale, aber tiefe und ſumpfige Flüßchen anſchloß. Ein
Ueberjchreiten desjelben fonnte, in der Eile ausgeführt, gefähr-
lich werden. Nur an einer einzigen Stelle war amı flachen
Ufer eine Furt ausgetreten, durch welche das Vieh in den Wald
getrieben wurde.
Herr Thomas jchielte immer öfter dort hinüber.
Plötzlich entdeckte er zwijchen den Weidenbüjchen im Abend»
rot glänzende Waffen und eine jchwarze Heeresmaſſe.
„Babinitjch kommt!“ dachte er.
632
In diefem Augenblid ritt Herr Chrſchonſtowski, welcher das
Kommando bei den Neitern hatte, jchnell an ihn heran.
„Vom Fluſſe her kommen jchwedische Füſiliere!“ jchrie er
entjeßt.
„Das iſt Verrat!“ rief Herr Thomas! „Macht, daß ihr
mit eurer Schwadron diejen Füfilieren entgegen kommt, jonit
fallen jie uns in die Flanke.“
„Es find ihrer zu viele!“ antwortete Chrſchonſtowski.
„Sucht fie wenigſtens jo lange aufzuhalten, bis wir ung
in den Wald gerettet haben.“
Chrſchonſtowski galoppierte davon und trabte in kurzem
mit feiner Schwadron von zweihundert Mann über die Aue.
Als die feindliche Infanterie das jah, formierte fie ſich fchnell
im Didicht der Weiden, um den Feind zu empfangen. Gleich
darauf ſchickten fich die Neiter zur Attade an und aus den
Meidenbüjchen jtieg der Nauch der erjten Musfetenjalve auf.
Der Schwertträger zweifelte jegt nicht nur am Giege,
jondern auch an der Errettung durch Flucht.
Er fonnte mit einem Teil der Weiter vielleicht noch den
Rückzug in den Wald antreten, um die beiden Mädchen in
Sicherheit zu bringen. Doch diejer Rückzug glich einer voll—
ftändigen Niederlage, denn er mußte dann jeine Füſiliere und
alle die Laudaer Menjchen, welche herbeigeeilt waren, Herrn
Babinitjch zu jehen, unter das Meſſer der Feinde liefern. Wol—
montowitjch würde dann der Erde gleichgemacht werden.
E3 blieb nur die eine Hoffnung, daß es Chrſchonſtowski
gelang, die Reihen der Füſiliere zu durchbrechen.
Unterdejjen war es dunfel geworden, doch das Dunkel
wurde bald genug erhellt, denn die Spähne und Splitter des
Bauholzes am Drehrade waren in Brand geraten, fie entzün—
deten die nebenjtehende Hütte und bald jtieg die rote Lohe zum
Himmel empor und leuchtete über das Dorf.
Bei ihrem Schein jah der Herr Schwertträger, wie Die
Neiter Chrſchonſtowskis in regellofer Flucht über die Aue zurück—
fehrten und die jchwedilche Infanterie aus den Büjchen hervor
im Eiljchritt gegen das Dorf vorrüdte.
Nun galt es, eiligit den Nüczug anzutreten auf dem ein—
zigen Auswege nach dem Walde zu.
Er eilte zu dem Reſt jeiner Reiter und den Säbel jchwingend,
jchrie er jchon von weiten: „Zurüd, meine Herren! Aber in
Drdnung! in Ordnung!“
633
Da fnallten plöglich Hinter ihm Schüſſe, untermijcht mit
dem Gejchrei der Soldaten.
Der Schwertträger erfannte jet, daß er umzüngelt war,
eingejchlojjen in einer Falle, aus welcher es feinen Ausweg, feine
Rettung mehr gab.
E3 blieb ihnen nichts übrig, ald in Ehren zu fallen. Er
jprengte alfo vor die Front und rief feinen Reitern zu:
„Wir wollen fallen wie Männer! Wir wollen unjer Leben
teuer verfaufen, für Gott und Vaterland!”
Das Feuern jeiner züfiliere, welche dad Drehrad ver:
teidigten, war jchwächer geworden, auch auf der linken Seite
hinter den Gärten hatte das Knallen der Musketenſchüſſe auf:
gehbrt; das immer jtärfer werdende Gejchrei der Feinde ver-
indigte ihren nahen Triumph.
Was aber konnte das heifere Gequife der Uuerpfeifen in
Sakowitſchs Abteilung und der Trommelwirbel in den Reihen
der Schwedischen Infanterie bedeuten ?
Das Getöje wurde immer größer, ſeltſamer. Das Fflang
nicht mehr wie Triumph- jondern wie Schredensjchreie.
Plöglic veritummte das Schießen ganz. Die Neiter Safo-
witſch's verlajien ihre Bojition Hinter den Gärten und eilen
Hals über Kopf dem Hauptwege zu. Auf der Aue bleibt die
Infanterie jtille jtehen; anſtatt vorwärts zu dringen, zieht fie
ſich plöglic) nach den Weidenbüjchen zurüd.
„Was joll das jein?... Bei den Wunden Ehrifti! Was
fann das bedeuten?!“ jchreit der Schwertträger.
Er braucht nicht lange auf Antwort zu warten; fie fommt
von der Seite des Wäldchens, aus welchem Safowitjch nach dem
Gutshofe zu vorgedrungen iſt. Menichen, Pferde, Fahnen,
Roßſchweife fommen, nein! jtürmen daraus hervor, wie ein
Wirbehvind, nein, wie der Erzengel mit der Pojaune, die zum
legten Gericht ruft. Man fann fie deutlich daher fliegen jehen,
in der Beleuchtung der blutroten Flamme des brennenden
Hauſes. Tauſende fommen aus dem Walde hervor, fie jcheinen
faum den Boden zu berühren, in gedrängten Reihen fliegen jie
heran. wie ein Drachen, der über Feld und Aue jeine jchwarzen
Flügel breiten will. Angſt und Entjegen fliegen ihm voraus
... Da, da! Schon iſt er über ihnen! Jetzt fällt er über
Sakowitſch Her!
„Bott! Großer Gott!“ jchreit der Schwertträger wie von
Sinnen. Das find die umjrigen, das iſt Babinitſch.“
634
„Babinitſch!“ tönt es aus allen Kehlen.
„Babinitjch!* jchreit es entjegt in der Abteilung des
Sakowitſch.
Die ganze feindliche Schar macht eine Wendung nach rechts;
ſie will zu den ſchwediſchen Füſilieren hinüber.
Die Zäune brechen unter dem gewaltigen Anprall der
Pferde, die Gärten füllen ſich mit Flüchtenden, doch jene folgen
ihnen auf dem Fuße, jtechend, jchlagend, ohne Erbarmen alles
vor ſich vernichtend. Angitrufe, Stöhnen, das Saufen der
Säbelflingen erfüllt die Luft. Die einen und die anderen
binterdrein jtürzgen in die Reihen der Infanterie; die einen
flüchtend, wollen Raum zur Flucht, die anderen, die Verfolger,
treten alles nieder. Wie die wilde Jagd ſauſen fie dahın.
Noch jieht man fie, noch hört man das Stampfen der Hufe,
das Klirren der Säbel, doch jie entfernen jich mehr und mehr,
verjchwinden im Weidengebüfch, in der ‘Ferne, im Dunkel.
Die Füſiliere des Schwertträgers ziehen jich von dem Dreh—
rade zurücd, jie fommen aus den Häujern, die man nicht mehr
zu verteidigen braucht. Die Reiter verharren eine Zeitlang
in jtummem Staunen, andachtsvolles Schweigen herrjcht in den
Neihen, und erit als das brennende Haus frachend zuſammen—
jtürzt, jpricht plößlich eine Stimme:
„sm Namen des Vaters, des Sohnes und des heiligen
Geiſtes! Ein Wetter iſt vorübergezogen!“
„Diejen Berfolgern entrinnt feine lebende Seele!“ ſetzte
eine andere Stimme hinzu.
„Meine Herren!“ rief plößlich der Schwertträger. „Wollen
wir nicht auch denen nachjegen, die uns hinterrüds überfallen
haben? Sie find auf der Flucht, aber wir holen fie noch ein.“
„Los! Auf! Schlagt zu!“ tönte es im Chor.
Und davon jprangen fie, dem fliehenden Feinde nad). In
Wolmontowitjch bleiben nur Greife und ‚frauen zurüd, und
Kinder, und „das Fräulein“ mit ihrer Gefährtin.
Das brennende Haus war in furzer Zeit gelöjcht. Freude,
unendliche Freude zieht in die Herzen der Zurückgebliebenen
ein. Die Frauen erheben jchluchzend die Hände zum Simmel.
Sie wenden fich der Seite zu, nach welcher Babinitjch davon
gejagt tt, und rufen:
„Bott jegne dich, du unbejiegbarer Held, Erlöfer, der uns
und unjere Kinder vor der Vernichtung errettet hat!“
Die Greife der Butryms wiederholen im Chore:
635
„Bott jegne dich, Gott jegne dich! Ohne dich war Wol-
montowitjch verloren.‘
Ach! wenn diefe Menjchen gewußt hätten, daß diejelbe Hand
jet Menjchen und Wohnungen vor Tod und Verderben gerettet,
welche vor zwei Jahren in dasjelbe Dörflein Tod und Ver—
derben getragen hatte! ...
Nachdem das Feuer gelöjcht war, machten fich alle daran,
die Verwundeten aufzulejen. Die Knaben liefen auf dem
Schlachtfelde umher und jchlugen mit Knütteln die noch lebenden
Schweden vollends tot.
Olenka nahm das Kommando über die Unterbringung der
Verwundeten in die Hand. Geiitesgegenwärtig, voll Kraft und
Energie, wie jie immer war, hörte ſie nicht eher auf zu arbeiten,
bis jeder Verwundete mit verbundenen Wunden in einer Hütte
untergebracht war. ;
Darauf folgte die ganze Bevölferung ihrem Beifpiel. Sie
fielen zur Kreuze und beteten die Litanei für die Verjtorbenen.
Während der ganzen Nacht ſchloß fein Menjch in Wolmonto-
witjch ein Auge. Alle warteten auf die Rückkehr Babinitjchs
und bejchäftigten jich damit, den Siegern einen geziemenden
Empfang zu bereiten. Man jchlachtete die im Walde groß ge-
zugenen Ochjen und Schafböde, die Herdfeuer wurden angezündet
und bis zum Morgen brennend gehalten.
Anufia vermochte nicht, ſich an irgend etwas zu beteiligen.
Zuerjt hatte ihr die Angit die Kräfte benommen, dann war jie
fait wahnjinnig vor Freude. Dlenfa mußte auch um jie Sorge
tragen, denn jie weinte und lachte abwechjelnd, dann wieder
fiel jie der Freundin in die Arme, während ſie durcheinander
ſchwatzte:
„Wie alſo? Wer hat uns behütet und gerettet? Vor
wem floh Sakowitſch? Wer hat ihn und die Schweden ver—
nichtet? Herr Babinitſch! Wie? Habe ich es nicht gewußt,
daß er kommen wird; ich habe ihm ja geſchrieben! Ach, er hat
mich nicht vergeſſen! Sch wußte ja, daß er fommen würde...
Ich Habe ihn herbeigerufen! Olenka! Olenka! Ich bin glüclich!
Habe ich es nicht gejagt? Ihn bejiegt niemand! Auch Tichar-
niezfi kann ſich mit ihm nicht mejjen! O Gott! D Gott!
Sit es wahr, daß er hierher fommt? Heute noch? Denn
wenn er nicht herfommen wollte, dann wäre er überhaupt nicht
gefommen, nicht wahr? Hörſt du's, Olenka? Das ijt fernes
Pferdegetrappel . . .
Aber es war doch nichts. Erjt gegen Morgen hörte man
636
Pferdegetrappel, Freudenrufe und Geſang. Der Herr Schwert-
träger fehrte zurüd. Die Reiter auf J——— Pferden,
Mann und Roß von der Verfolgung müde. Dennoch hallten
die Hufenländer noch lange von den Freudenrufen und den
Siegesliedern der Zurückgekehrten wider.
Der Schwertträger, blutbefleckt, atemlos, aber in freudigſter
Stimmung, erzählte noch bis zum Sonnenaufgang, wie er die
feindlichen Reiter zwei Meilen weit verfolgt us volljtändig
vernichtet Hatte.
Er jowie jeine Truppen waren vollitändig davon überzeugt,
daß auch Babinitjch jeden Augenblid zurückkehren müfje.
Doc) e8 wurde Mittag, auch die andere Hälfte des Tages
verfloß, die Sonne ſank, aber Babinitſch fam nicht.
Gegen Abend befam Anufia rote Flecken auf den Wangen
vor Aufregung.
„Sollte e8 ihm nur um die Schweden und nicht um mich
zu thun gewejen jein?“ dachte fie jtilljchweigend. „Er muß doch
meinen Brief befommen haben, wenn er hergefommen it... .“
Die Nermjte! Hätte fie geahnt, daß die Seelen Brauns
und Jureks längit diefer Welt entrüdt waren und daß Babi-
nitjch gar feinen Brief erhalten hatte.
Wäre einer von beiden in jeine Hände gelangt, danıı —
ja dann wäre er mit Bligesjchnelle nach) Wolmontowitjch geeilt
. aber nicht zu dir, Anufia!
Wieder verging ein Tag; der Schwertträger gab die Hoff-
nung noch nicht auf und blieb im Dörfchen.
Anuſia hüllte jich in tiefes Schweigen.
„Er hat mich jchändlich verlafjen,“ ſagte fie jtill für fich.
„Es gejchieht mir jchon recht. Das iſt die Strafe für meine
slatterhaftigfeit und meine Sünden!“
Am dritten Tage jandte Herr Thomas etliche Kundſchafter
aus. Dieje fehrten am vierten Tage zurüd und berichteten,
daß Herr Babinitich bis nach Poniewierſch vorgedrungen jei,
dort alle Schweden getötet habe, die noch vorhanden waren.
Seitdem war er jpurlos verjchwunden, niemand wuhte, wohin
er ſich begeben.
„Dann finden wir ihn auch nicht, bis er von jelbjt wieder
auftaucht,“ jagte der Berichteritatter zu dem Herren Schwertträger.
Anufia verwandelte ſich in eine Brennefiel. Wer von den
jüngeren Offizieren oder dem jungen Adel ihr zu nahe fam,
der verbrannte jich an ihr.
Am fünften Tage jagte jie zu Olenka:
637
„Der Herr Wolodyjowsfi iſt ein ebenjo guter Soldat, aber
fein jolcher Grobian, wie er.“
„Es iſt möglich!“ antwortete Olenka gedanfenvoll. „Viel—
leicht will Herr Babinitjch doch jener die Treue halten, von
welcher er dir auf dem Wege von Samojchtic erzählt Hat.“
Darauf jagte Anufia:
„But! Es iſt mir alles einerlei .. .*
Aber fie ſprach nicht die Wahrheit, denn noch war ihr
nicht alles einerlei.
14. Kapitel.
Safowitjch war jo volljtändig gejchlagen, daß es ihm jelbit
faum gelungen war, zu entfommen und jich in die Wälder bei
Poniewierſch zu flüchten. Er jchlug ſich in der Verkleidung
eine Bauern monatelang herum und wagte jich nicht daraus
ervor.
j Babinitjch richtete jeinen Weg nach Poniewierſch, mordete
dort die ſchwediſche Bejayung und begab ſich dann auf die Ver-
folgung Hamiltons, welcher die Flucht nach dem Djten ergriffen
hatte, da er wegen der bedeutenden polniſchen Streitkräfte die
bei Schale und Birz itanden, nicht nach Liefland entfommen
fonnte, indem er hoffte, jich bis Wilkomierjch durchzujchlagen.
Er hatte die Hoffnung, jein Regiment zu retten, bereit3 auf-
gegeben, nur wollte er verhüten, daß dasſelbe in die Hände
Babinitjch geriet, da diejer mit unerbittlicher Graujamfeit alle
Gefangenen töten ließ, um jich jeine Freiheit der Bewegungen
nicht durch das Mitjchleppen derjelben einengen zu lafjen.
Der unglücdjelige Engländer floh aljo, wie ein von Wölfen
verfolgter Hirjch, und Babinitjch verfolgte ihn um jo hartnädiger.
Daher fam es, da er nicht nach Wolmontowitjch zurüdgefehrt
war und gar nicht einmal wuhte, welcher Partei er Rettung
gebracht hatte.
Der erſte Neif bedeckte jet morgens jchon die Erde, daher
wurde das Entfommen jchiwerer, weil jich die Hufjpuren darauf
im Waldboden abdrüdten. Futter gab es nicht mehr in den
Feldern, die Pferde litten großen Hunger.
Die Neiter wagten nicht, ſich längere Zeit in einem Dorfe
639
aufzuhalten, aus Angſt, dat der hartnädige Verfolger fie ein-
holen könnte.
Zulegt überitieg das Elend alle Begriffe; die Neiter nährten
ſich nur noch mit Rinde, Blättern und dem Fleiſch der eigenen
Pferde, welche vor Ermattung jtürzten.
Noch eine Woche! Da flehten jie jelbit ihren Hauptmann
an, doch dem Verfolger die Stirn zu bieten. Sie wollten lieber
unter den Schwertitreichen des gefürchteten Babinitjch enden, ala
fich langjam zu Tode hungern.
Hamilton gab diejen Bitten Gehör und jtellte ſich bei
Androniichfi den Polen entgegen. Die Zahl der Schweden
war jo gering im Vergleich zu der Heeresmacht Babinitjchs,
daß er von vornherein die Möglichkeit eines Sieges ausſchloß.
Aber er war jelbjt jo lebensmüde, daß er zu jterben begehrte.
Die Schlacht, welche bei Androniſchki begonnen hatte, fand
ihr Ende bei Trupiow, wo die legten Schweden fielen.
Hamilton jtarb den Heldentod, als er jich an einem Kreuze
wege gegen etliche QTartaren verteidigte, welche ihn zuerit ge—
fangen nehmen wollten, dann aber, durch jeinen Widerjtand
gereizt, ihn tüteten.
Aber auch die Truppen Babinitſchs waren jo ermüdet,
daß fie nicht mehr Luſt hatten, nach dem nahen Trupiow ins
Nachtquartier zu gehen, jondern nach beendeter Schlacht zwiſchen
den Leichen der Feinde niederjanfen, wo fie gingen und jtanden,
um zu Schlafen.
Nach einer Eleinen Stärkung verfielen fie in einen bleiernen
Schlaf. Selbſt die Tartaren verjagten fich das Abjuchen der
Toten bis zum nächiten Morgen.
Kmiziz, dem es auch um die Pferde zu thun war, wehrte
ihnen dieſe Ruhe nicht.
Am Morgen aber erhob er jich frühzeitig, um die eigenen
Berlujte nach dem heißen Treffen zu überzählen und die Beute
gleichmäßig zu verteilen. Gleich nach dem Morgenimbiß jtand
er an demjelben Kreuzwege, an welchem Hamilton gefallen war.
Seine Offiziere und die Aelteſten der Tartaren famen einer
nach dem anderen, um die an Stäben eingezeichneten Zahlen
ihrer Toten umd Bermißten anzugeben und Bericht zu eritatten.
Er hörte ihnen zu, jo wie der Yandwirt im Sommer dem Bericht
feiner Vögte laujcht, voll Freude über den Sieg, wie jener voll
Freude über die reiche Ernte,
Da trat Akbah-Ulan herzu. Er glich mehr einem Un—
getüm,- denn einem Menjchen, denn in der Schlacht bei Wol—
640.
montowitjch hatte ihm ein Schwede mit dem Säbelgriff die Nafe
eingejchlagen. Er verneigte jich, reichte dem Herrn Babinitjch
einige blutbefledte Papiere und jagte:
„Eifendi, man hat dieje Papiere bei dem ſchwediſchen
Führer gefunden, welche ich laut Befehl abliefere.“
Kmiziz hatte nämlich Befehl erteilt, alle bei den Leichen
vorgefundenen Papiere ſogleich nach) der Schlacht abzuliefern,
denn es fam vor, dab er aus denjelben den Schlacht- oder Marſch—
plan der Feinde erjah und demgemäß handeln fonnte.
In dieſem Augenblid hatte er es aber nicht eilig, Die
Papiere durchzujehen; er winkte dem Akbah ab und jtedte die
Papiere in die Tajche. Den Akbah jandte er zu jeinem Tſchambul
und befahl ihm, jofort mit demjelben nad) Trupiow zu gehen,
wo ſie längere Zeit der Ruhe pflegen jollten.
So zogen bald darauf zwei Fahnen, eine nach der anderen,
an ihm vorüber. Wornweg marjchierte der Tartaren-Tjchambul,
welcher gegenwärtig nicht ganz fünfhundert Köpfe zählte; der
Neit hatte ſich während der vielen Schlachten allmählich ver-
frümelt. Aber jeder Tartar hatte im Sattelfutter, im Oberrod
und in der Mütze jo viele jchwedische Neichsthaler, preußijche
Thaler und Dufaten eingenäht, daß man ihn hätte auf die
Silberwage nehmen können. Diejer Tſchambul glich nicht den
gewöhnlichen Tartarentichambuls. Alle Schwächlinge waren
den Mühjalen des Krieges erlegen; e8 waren nur die Starfen
übrig geblieben, Männer mit breiten Schultern und eijerner
Ausdauer, biffig, wie die Weipen. Durch die fortwährende
Uebung waren ſie vortrefflich gejchult, jo daß jie im Hand—
gemenge den polnischen Stammreitern gleichfamen und über die
jchwedtschen Reiter und die preußischen Dragoner wie die
Wölfe herfielen. Während der Schlacht verteidigten fie mit
wütendem Eifer die Körper ihrer Kameraden, um die Schäße
derjelben zu teilen.
Gegenwärtig zogen jie mit ihren Pfeifen, Zimbeln und den
wehenden Roßſchweifen jo jtramm vor Kmiziz vorüber, dat jelbit
die Stammjoldaten es nicht beſſer gemacht hätten. Ihnen nach
famen die Dragoner, die Herr Andreas mit vieler Mühe aus
allerhand Freiwilligen zujammengejtellt und mit Rapieren und
Musfeten bewaffnet hatte. Sie wurden von dem alten Wacht-
meilter Sorofa angeführt, welcher jich zur Würde eines Kapitäns
emporgejchwungen hatte. Die Schwadron war gleichmäßig mit
eroberten Uniformen befleidet, die man den gefallenen Preußen
ausgezogen hatte; fie beitand in der Mehrzahl aus Leuten
641
niederen Standes. Aber gerade diefe Gattung Menjchen waren
dem Herrn Kmiziz lieb, denn fie gehorchten blindlings und er-
trugen die größten Anftrengungen ohne Murren.
In den beiden folgenden Fahnen dienten höhere und
geringere adlige Volontarier. Dieje waren unruhige und auf-
wieglerische Geijter, die unter jedem anderen (Führer ein Haufen
Räuber geworden wären, in den Händen Kmiziz's aber jich zu
regulären Soldaten herangebildet hatten, die jich ſelbſt mit Vor—
liebe die „Petyhors“ nannten. Sie hielten zwar weniger im
euer aus, wie die Dragoner, dafür waren jie im erjten An-
lauf feuriger und überragten im Sandgemenge die anderen
Truppen, da jeder von ihnen ein Fechtmeiiter war.
Hinter diejen endlich famen noch gegen taujend Volontarier,
gute Menjchen, welche jedoch noch einer mühevollen Ausbildung
bedurften, um geſchickte Soldaten zu werden.
Jede diejer ‚Fahnen erhob, wenn jie an der Kreuzwegfigur
vorüberfam, ein Subelgejchrei und jalutierten vor dem Herrn
Kmiziz. Er freute jich jehr darüber. War das hier doch feine
zu verachtende Heeresmacht. Er hatte jchon viel mit ihr
ausgerichtet, manchen Tropfen Feindesblut vergofien, und
wer weiß, was ihm noch bevoritand mit Ddiejen Treuen zu
vollbringen.
Seine alten Schulden waren groß, aber auch jeine neuen
Verdienite waren feine geringen. Er hatte jich von jeinem
alle erhoben, er war gegangen zu büßen, aber nicht in Die
Safrijtei, jondern auf das Schlachtfeld; er hatte jein Haupt
nicht mit Ajche bejtreut, jondern die Hände in Feindesblut ge=
taucht. Er hatte gekämpft für die heilige Jungfrau, für das
Baterland und den König, umd num fühlte er jeine Seele leicht
und fröhlich; ja ſogar ein wenig Stolz jcehwellte jeine Helden—
brujt, denn nicht jeder hatte das geleitet und vollbracht, was
er vollbracht hatte!
Es gab doch jo viele feurige Adlige in dieſer Nepublif.
Warum hatte feiner jich eine eigene Partei gegründet, warum
itand feiner an der Spite einer jo anjehnlichen Heeresmacht
wie dieſe hier, jelbit Skrzetuskt und Wolodyjowsfi nicht?
Hatte einer von ihmen Tſchenſtochau verteidigt oder dem Könige
das Leben gerettet? Wer hatte den Fürſten Boguslaw bejiegt?
Welcher von ihnen war bis nach Breußen vorgedrungen? Und
hatte er nicht auch hier die Smudz von den Feinden gejäubert?
Herr Andreas fühlte ſich wohlig wie ein Falke, welcher
höher und höher in die Luft jteigt! Die vorüberziehenden ‚zahnen
Stentjewicz, Sturmflut IL 41
642
grüßten ihm mit lauten Zurufen, während er den Kopf empor-
richtete und ich jelbit frug: „Wohin noch?“
Sein Geficht jtrahlte, denn in dieſem Augenblick fühlte
er fic als Hetman. Der Feldherrnſtab war errungen mit bluten-
den Wunden, auf dem Felde der Ehre. Das Bild des Vater—
landsverräterd jchwand aus dem Gedächtnis der Menjchen
wohl bald. Nicht mit verräterifcher Hand wird er, wie jeiner-
zeit ein Radziwill, ihn jchwingen, denn das dankbare Vaterland
wird ihm den Stab in die Hand legen, durch den Willen des
Könige. Es war nicht feine Sorge mehr, wann das gejchehen
follte; jeine Pflicht war, weiter zu kämpfen, wie er bisher ge-
fämpft, heute und morgen, in Zufunft, wie gejtern.
Hier fehrte die entfejjelte Einbildungsfraft zurüd zur Wirk—
lichkeit. Wohin follte er von Trupiow aus ſich wenden, wo
von neuem die Schweden aufjuchen? Dieje Frage begann ihn
zu bejchäftigen.
Da erinnerte er fich der Papiere, welche Akbah-Ulan ihm
gebracht hatte und welche in der Bruittajche Hamiltong gefunden
jein jollten. Er langte fie aljo hervor, doch jchon nach dem
eriten Blick, den er darauf warf, malte jich höchſtes Staunen
auf feinem Geficht.
Bon weiblicher Hand gejchrieben, jtand auf dem oberiten
Briefe deutlic) zu lefen: „An Sr. Hocwohlgeboren Babinitjch,
Hauptmann der Tartaren und Volontarier.“
„An mich? ...“ jagte Andreas.
Das Siegel war bereit3 erbrochen; er öffnete jchnell das
Schreiben, jchlug mit dem Rüden der Hand darauf und begann
zu lejen.
Er war noch nicht zu Ende damit, aber die Hände zitterten
ihm und jein Geficht nahm einen ganz veränderten Ausdrud
an, während er ausrief:
„Gelobt jei der Name des Herrn! Barmberziger Gott!
jet fommt mir der Lohn aus deiner Hand.“
Er umfaßte den Kreuzitod, an welchem er jtand, und jchlug
den hellblonden Kopf an denjelben. In anderer Weiſe vermochte
er jet Gott nicht zu danken, er fonnte fein Wort hervorbringen,
denn die Freude war übermächtig in ihm, fie führte jeine Seele
in den Simmel,
Der Brief, welchen er gelejen, war derjenige, welchen Anufia
Borſchobohata gejchrieben hatte. Die Schweden hatten ihn bei
Jurek Billewitjch gefunden, jest erit war er über eine zweite
643
Leiche Hinweg in Kmizizs Hände gelangt. Qaujenderlei Ge-
danfen freuzten jich mit Bligesichnelle in feinem Kopf.
Olenka war aljo nicht in der Heide, jondern bei der Partei
des Herrn Billewitich? Und jie war es, die er gerettet, jamt
dem Wolmontowitich, welches er feiner Zeit in Brand geitect
hatte? Die Hand Gottes hatte jichtbarlich jeine Schritte gelenkt,
damit er mit einem Schlage das Unrecht gut mache, welches er
an Dlenfa und der Lauda verübt. Seine Schuld war num
getilgt. Würde fie oder würden die Laudaer Grauröde ihm
auch jet noch nicht verzeihen können? Würden fie ihm noc)
immer ihren Segen verweigern? Ach, was würde das geliebte
Mädchen jagen, wenn jie erfuhr, daß er, den fie für einen Ver—
räter gehalten, der Babinitjch war, welcher den Radziwill be—
fiegt, daß — welcher ſich im Feindesblut gewälzt und
die Eindringlinge und Unterdrücker zum Lande hinausgetrieben
hatte, nicht an jondern er, Kmiziz war, aber nicht mehr
Kmiziz, der —— der Verbannie, der Verräter, ſondern
Kmiziz, der Beſchützer des Glaubens, des Königs und des
Vaterlandes!
Er hätte ja ſogleich nach Ueberſchreitung der Grenze von
Smudz nach allen Seiten hin bekannt machen können, daß er
dieſer berühmte Babinitſch war. Wenn er es nicht gethan hatte,
ſo war es nur darum, weil er fürchtete, daß bei Nennung ſeines
wahren Namens ſich alle von ihm wenden, alle ihm mißtrauen,
ihm ihre Hilfe und ihr Vertrauen entziehen würden. Waren
doc faum zwei Jahre verfloffen, jeit er zujammen mit Radzi—
will die Fahnen vernichtet hatte, welche jich dem Verrat gegen
König und Vaterland widerjegen gewollt. Noch vor zwei Jahren
war er die rechte Hand NRadziwills geweſen.
Das alles war nun vorüber. So mit Ruhm bedeckt, durfte
er wohl vor ſie hintreten und jagen: „Hier bin ich, Kmiziz,
dein Erretter!“ Er hatte jet das Necht, dem ganzen Lande zu—
zurufen: „Ich bin Kmiziz, euer Erlöjer!“
Darauf dachte er: „Der Weg nad) Wolmontowitich ijt nicht
weit. Ich, Babinitjch, habe eine Woche gebraucht, um den
Hamilton einzuholen, aber ich, Kmiziz, werde feine Woche
brauchen, um zu Dlenfa zu gelangen und mich ihr zu Füßen
zu werfen.“
Er erhob jich, bleich vor Aufregung, mit leuchtenden Augen.
„Mein Pferd! Sofort!“ rief er dem Pferdejungen zu.
„Schnell!“
Der Junge führte den Rappen vor, jprang jelbjt vom Pferde,
41*
644
um jeinem Herrn den Steigbügel zu halten, als er aber auf
dem Boden jtand, zögerte er noch und ſprach:
„Ew. Liebden! Bon Trupiow her fommen mit dem Herrn
Sorofa zwei fremde Weiter im Galopp an.
„Was fümmern mich die!” antwortete Kmiziz.
Während Kmiziz auf das Pferd jtieg, hatten jich die Reiter
bis auf wenige Schritte genähert. Einer der beiden Fremden
jprengte in Begleitung Sorokas vor, bis dicht zu ihm Hin.
Er nahm die Luchspelzmütze von jeinem mit jeuerrotem Haar
bededten Kopfe, worauf er jich tief verneigte.
„sch glaube, daß ich Herrn Babinitjch vor mir ehe!“
jagte er. „Sch bin froh, daß ich euch endlich gefunden habe.“
„Mit wen habe ich die Ehre?“ frug Kmiziz ungeduldig.
„Sch bin Wierfchull, ehemals Rittmeister der Tartarenfahne
des Fürſten Jaromir Wisniowiezfi, und fomme nun in meine
Heimat, um Aushebungen für den neuen Krieg zu machen.
Außerdem bringe ich einen Brief für euch vom Großhetman,
von Herrn Sapieha.
„Für den neuen Krieg?“ frug Kmiziz jtirnrungelnd.“
„Was jagt ihr?“
„Diejer Brief wird euch bejjere Auskunft geben, als ich es
könnte,“ jagte Wierjchull, indem er den Brief überreichte.
Kmiziz erbrach mit fieberhafter Eile das Siegel. Der
Brief Sapiehas lautete wie folgt:
„Mein jehr werter Herr Babinitjh! Eine neue Sturm:
flut bricht über das Baterland herein. Zwijchen Rakotſchy und
den Schweden iſt eine Liga geichlojien worden, laut welcher die
Teilung der Republik jtattfinden joll. Achtzigtaufend Ungarn,
Siebenbürger und Wallachen wollen die Südgrenzen der Nepublif
überjchreiten; man fann jie jeden Augenblicf erwarten. Da in
diejer uns aufs neue drohenden Gefahr nötig wird, daß wir
alle unjere Streitfräfte jammeln, damit, wenn von unjerer
Nation nichts mehr übrig bleiben follte, wenigitens der Ruhm
der Tapferfeit an unjeren Namen haften bleibt und Diejer
fommenden Gejchlechtern vererbt werde, jo jende ich Ew. Er-
laucht diefe Ordonnanz, laut welcher Ihr jofort Eure Schritte
dem Süden zulenfen und in Eilmärjchen zu uns jtoßen follt.
Shr werdet uns in Bereſtetſch finden, doch werdet Ihr von
bier aus unverzüglich weiter gejandt werden. Unterdeſſen denkt
daran: periculum in mora! Der Fürſt Boguslaw hat Tid)
aus der Gefangenschaft ausgelöjt, aber Herr Goſchewski joll auf
Preußen und die Smudz ein wachlames Auge haben. Indem
045
ich Euch nochmals größte Eile empfehle, hoffe ich, daß die Liebe
zum Vaterlande, welchem Untergang droht, der beite Sporn für
Euch jein wird.“
Als Kmiziz zu Ende gelefen, ließ er den Brief zur Erde
fallen. Er fuhr ſich erit mit beiden Händen über das feucht
ewordene Gejicht, dann blickte er wie geiitesabwejend den Send-
oten an und jagte leife mit gepreßter Stimme:
„Warum joll denn Herr Gojchewsfi in der Smudz bleiben
und ich nach dem Süden marjchieren?
Wierſchull zucdte die Achjeln.
„Das müßt ihr den Herrn Großhetman fragen; ich weiß
es nicht.“
Plöglich erfaßte eine gräßliche Wut den Herrn Andreas.
In feinen Augen blitte es zornig auf, jein Gejicht wurde blau—
rot, während er mit Durchdringender Stimme jchrie:
„Und ich werde nicht von hier fortgehen! Werjteht ihr
mich?“
„So?“ entgegnete Wierjchull. „Es war meine Pflicht,
euch die Botjchaft zu überbringen, das andere ijt eure Sache!
Lebt wohl! Lebt wohl! Ich hatte die Abjicht, auf ein paar
Stunden eure Gaitfreundjchaft in Anjpruch zu nehmen, nad)
dem aber, was ich joveben gehört, ziehe ich vor, andere Gejell-
jchaft zu ſuchen.“
Nachdem er das gejagt hatte, wandte er jein Pferd umd
ritt davon.
Herr Andreas jegte jich wieder an dem Streuzbilde des
Kreuzweges nieder und blickte fich verſtändnislos nach allen
Himmelsrichtungen um, wie einer, der das Wetter erfunden
will. Der Stalljunge zog ſich mit den Pferden jeitwärts zurüd;
e3 herrſchte ringsum tiefite Stille.
Der Morgen war heiter, die Sonne jchien blaß, halb
herbitlich, Halb winterlih. Es wehte fein Lüftchen und von
den Birken, welche neben dem Streuzbilde jtanden, fielen die
legten welfen, von der Kälte zujammengejchrumpften Blätter
lautlos hernieder. Unzählige Krähen und Raben jchwebten über
dem Walde. Sie erfüllten mit ihrem Gefrächze die Luft; einzelne
derjelben fielen mit lautem Flügeljchlag neben dem Kreuzbild
nieder, denn auf dem Felde und Wege lagen noch eine Menge
unbeerdigter Leichname. Herr Andreas ſah mit blinzelnden
Wimpern und leerem Blick dem Treiben der Vögel zu; man
hätte denken fünnen, er wolle fie zählen. Dann jchloß er die
Lider und blieb lange regungslos figen. Endlich jchüttelte er
646
ſich wie im Fieber und runzelte die Stirn; die Befinnung fehrte
ihm wieder, jeine Geſichtszüge belebten jich, er begann vor ſich
hin zu ſprechen:
„So joll es jein! Im zwei Wochen will ich fort, jet nicht.
Mag geichehen, was da will. Ich bin doch nicht jchuld, daß
Rakotſchy die Grenze überjchreiten will. Nein, ich kann nicht!
Was zu viel ift, ijt zu viel!... Habe ich mid) denn micht
ſchon genug herumgejchlagen, die Nächte jchlaflos im Sattel
verbracht, mein und fremdes Blut vergojien? Sollte das nun
mein Lohn ſein? ... Ja, wenn id) jenen Brief nicht gelejen
hätte, dann ginge ich unverzüglich; aber, daß beide Briefe zur
gleichen Stunde gelommen jind, das macht mir jo großen
Summer, das betrübt mich tief... Und wenn die Welt zu
Grunde geht; ich gehe nicht fort. Das Vaterland wird inner-
halb zweier Wochen nicht zu Grunde gehen und übrigens, der
Zorn Gottes ruht erjichtlid) auf dem Waterlande, und gegen
ihn fommt Menjchenmacht nicht auf. Gott, o Gott! Hyperboräer,
Schweden, Preußen, Ungarn, Siebenbürger, Wallachen, Koſaken,
alle, zu derjelben Zeit! Wer vermöchte diefe Flut einzubämmen ?
D Herr! Was hat das arme Land verbrocdyhen, da du es jo
deine Hand fühlen läfjeit? Was diefer fromme König verjchuldet,
daß du dein Antlig von ihm wendejt, unbarmherzig immer neue
Plagen jendeit? Soll e8 noch nicht genug des Blutvergieheng,
der Thränen jein? Haben die Menjchen doch jchon verlernt
zu lachen! Die Luft weht jchwül und jchwer ... Der Wind
in diejem Lande bläjt nicht, er wimmert; der Nebel Fällt nicht,
er weint herunter vom Himmel und du Hört nicht auf, zu
ichlagen! Barmherzigkeit, Herr! Nettung, Bater! ... Es iſt
wahr, wir haben gejündigt . . . aber wir find doch auf dem
Wege der Beljerung! ... Haben wir denn nicht unſere Glücks—
güter geopfert und das Schlachtroß bejteigend ohne Unterlaß
die Feinde gejchlagen? Wir haben jeder Freude entjagt, alle
Privatinterefien aufgegeben... Warum läfjeft du nicht ab
mit Strafen? Warum fendejt du uns feinen Tröjter?“
Hier padte ihn das Gewiſſen. Er jchrie auf. Wieder
jchüttelte e8 ihn wie ?Fieberfrojt; denn ihm war plößlich, als
höre er eine umbefannte Stimme von oben herab jprechen:
„Wie? Ihr Habt alle Privatinterejjen aufgegeben? Und
du Unglücjeliger, was bijt du im Begriff zu tun? Du erhebjt
deine Verdienite jo hoch und willit jchon bei der erjten Probe,
die du bejtehen jolljt, der Verſuchung unterliegen, willjt wie
ein jtörrifches Pferd dich auf die Hinterbeine jegen und jchreien:
647
Sch will nicht fort!?? Die Mutter Erde blutet von den Wunden
der Schwerter, mit denen fie durchbohrt wird, und du wendeſt
dich ab von ihr, willit fie nicht mit jtarfen Arme fchüßen,
jondern dem eigenen Glüde nachjagen? Du rufit: Sch will
nicht helfen, während das Vaterland die bluttriefenden Arme
augjtredend, im Sinfen begriffen, fleht: Kinder rettet mich!
Wehe euch! Wehe jolcher Nation! Wehe der Republik!“
Kmiziz jtiegen die Haare zu Berge, eine gräßliche ingit
hatte ihm befallen; er zitterte am ganzen Leibe ... Er fiel
mit dem Gejicht auf den Erdboden und jchrie im Höchiten
Entjeßen:
„Jeſus ftrafe nicht! Jeſus erbarme dich! Dein Wille
geſchehe! Ich will fort, ich will gehen.“
Dann verharrte er eine Weile jchweigend, nur jein Schluchzen
war zu hören. Als er ſich emdlich erhob, lagen Ruhe und jtille
Rejignation über jeine Züge gebreitet. Er fuhr fort zu beten:
„Wundere dich nicht, o Herr, über meinen Schmerz, denn
ich ſtand am Vorabende meiner Glückſeligkeit. Geſchehe denn,
wie du befiehlſt! Ich begreife nun, daß du mich prüfen wollteſt
und mich deshalb an dieſen Kreuzweg ſtellteſt. Noch einmal,
dein Wille geſchehe. Ich will nicht rückwärts blicken! Dir,
Herr Gott, opfere ich meinen Schmerz, meinen ſchweren Gram,
dafür und als Buße, daß ich den Fürjten Boguslam zum
Schaden des Vaterlandes gejchont Habe. Du jiehit jet, Herr,
daß dieſe That meine fette jelbitfüchtige war . .. Nie mehr
will ich e8 thun, Vater der Barmherzigkeit! Noch einmal will
ich diefe heilige Erde füfjen, noch einmal diejes Kreuzbild um-
flammern, dann ... ich gehe, EHrijti! ich gehe! .. .“
Und er ging.
Im himmlischen Regijter, wo alle böjen wie guten Thaten
der Menjchen eingetragen jtehen, wurde in diefem Augenblid
jede Schuld Kmiziz' ausgelöfcht, denn er war ein vollitändig
gebejjerter Menſch.
15. Kapitel.
In feinem Gejchichtsbuche steht verzeichnet, wie viele
Schlachten noch die fünigliche Armee, der Adel und das Volt
der Republik mit den verjchiedenen Feinden gejchlagen haben.
Man kämpfte überall; in den Wäldern und ‚Feldern, in Dörfern,
Städtchen und Städten. Man fämpfte in Kurpreußen und in
den preußiichen Lehnslanden, in Majowien, in Großpolen und
Kleinpolen, in Reußen, Litauen und der Smudz, ohne Ruhe—
pauje Tag und Nacht.
Jede Eleine Erdjcholle war vom Blute durchtränft. Die
Namen der Ritter, ihre glänzenden Thaten, die großen Opfer,
welche in jener Zeit auf den Altar des Waterlandes gelegt
worden, jind im Gedächtnis der Menjchen erlojchen, denn fein
Chronifenjchreiber Hat fie verzeichnet, fein Lautenſchläger hat
ihr Lob gejungen. Aber die Kraft und der Widerjtand der
Feinde mußte endlich an der Macht diefer gemeinfamen Be—
mühungen zerjchellen.
Und wie die Jäger erzitternd und erbleichend den Fuß zur
Flucht wenden, wenn der majejtätijche Löwe, von ihren Pfeilen
icheinbar zum Tode dahingejtrecdt, plößlich noch einmal jein
Haupt erhebt, die königliche Mähne jchüttelt und jein gewaltiges
Gebrüll erjchallen läßt, jo Hatte ſich die Republik erhoben,
immer drohender, immer gewaltiger, voll des göttlichen Zornes,
bereit, der ganzen Welt die Stirn zu bieten, während Angit
und Schreden die Glieder der Feinde befiel. Sie dachten nicht
mehr daran, das Yand zu befriegen oder Beute zu gewinnen;
all ihr Trachten und Sinnen mußte nunmehr darauf gerichtet
649
jein, dem Nachen des Löwen zu entfliehen, die heimatlichen
Stätten glücklic) wieder zu erreichen.
E3 half nicht?, dal eine Liga nach der anderen gejchlofien
wurde, daß neue Heere der Ungarn, Siebenbürger und Wallachen
in die Grenzen des Neiches brachen. Einmal noch zog ein böjes
Unwetter über das Land, zwijchen Krakau, Warjchau und
Bereitetjch, Doch jeine Gewalt zerjchellte an den polniſchen
Banzern und Schilden, jo daß es zeritiebte und in alle vier
Winde verrwehte.
Der König von Schweden, welcher zuerjt an jeiner Sache
verzweifelte, eilte nach Dünemarf, um dort den Eroberungszug
zu beginnen, der Kurfürst, zuerit Verbündeter der Schweden,
begann an dem Joch zu rütteln, welches er ſich jelbit auferlegt
und jchlug auf die Schweden los, die mörderijchen Scharen
Nakotichys flohen zurück in ihre jiebenbürgische Heimat, die Herr
Lubomirsfi inzwifchen mit ‚euer und Schwert verwüjtet hatte.
Doc) es war ihnen leichter geworden in Die Nepublif ein-
zufallen, als aus ihr hinauszufommen. Als ſie auf dem Rück—
zuge beim Ueberjchreiten der Grenze von den Polen überfallen
und aufgehalten wurden, da baten die Siebenbürger Grafen die
Herren Botozfi, Lubomirsfi und Tſcharniezki fußfällig um
Erbarmen.
„Wir wollen die Waffen niederlegen, unſere Millionen
hergeben,“ riefen fie, „uur laßt uns abziehen.“
Und die Hetmane nahmen das Löjegeld an; jie hatten
Erbarmen mit den Elenden und ließen fie ziehen. Aber jie
fielen den Tartarenhorden dicht an der Schwelle ihrer Heimat
in die Hände und nur wenige retteten ihr Leben.
Allmählich Fehrte der Friede in die polnischen Ebenen
zurüd. Der König jtand noch im Begriff, die preußijchen
Feſtungen zurüdzunehmen, während Herr Ticharniezfi die pol-
nischen Schwerter bis nach Dänemark zu tragen beauftragt war,
da ſich die Republik nicht mehr dabei bejcheiden wollte, Die
Feinde nur hinauszutreiben, jondern ſie auch bis in Die Ferne
zu verfolgen.
Städte und Dörfer begannen fich aus den Trümmern zu
erheben, das Wolf kam aus den Waldveriteden zu ihren alten
Wohnitätten zurück und der Pflug durchfurchte wieder die blut-
gedüngten Weder.
Es war im Herbit des Jahres 1657, gleich nach der Be—
endigung des ungarischen Feldzuges: in dem größten Teil der
650
Republik war die Ordnung und Ruhe wiederhergeitellt, bejonders
jtill ging es in der Smudz ber.
Diejenigen der Laudaer, welche mit Herrn Wolodyjowsft
ausgezogen waren, weilten noch weit, weit in der Ferne, im
‚Felde; aber man erwartete jet ihre Rückkehr.
Unterdejien waren die Greiſe, Weiber und die heran-
wachjende Jugend beiderlei Gejchlechts in Morozy, Wolmonto-
witjch, Droichejfi, Moſozi, Gojchtichung und Pazunel mit dem
Umadern der Weder und dem Ausjtreuen der Winterjaaten
bejchäftigt. Gleichzeitig bemühten fie jich mit vereinten Kräften,
die in den Hufenländern niedergebrannten Hütten und Stallungen
wieder aufzubauen, damit die zurückfehrenden Krieger ein Obdach
fänden und nicht zu hungern brauchten.
Olenka befand jich jchon geraume Zeit mit Anuſia Borjcho-
bohata und dem Schwertträger in Wododt. Herr Thomas
hatte es nicht eilig, auf jein Stammgut Billewitiche zu fommen,
einmal, weil es niedergebrannt war, zweitens, weil er jich in
der Gejellichaft der Mädchen wohler befand, als allein. Er
richtete mit Dlenfa zujammen in Wodoct die Wirtjchaft wieder
ein und half jomit die alte Ordnung wieder heritellen.
Das Fräulein wollte Wodocdt auf das Beite wieder heritellen,
denn diejes Stammgut jollte zujammen mit Mitrun ihre Mit-
gift ausmachen, wenn jie in das Kloſter eintrat, d. h. als Eigen—
tum an den Orden der Benediktinerinnen übergehen, in welchen
fie einzutreten gedachte. Sie hatte die Abjicht, vom nächjten
Neujahr ab ihr Noviziat anzutreten.
Wenn jie alles überdachte, was ihr begegnet war und wie
wechjelvoll das Leben ihr mitgejpielt hatte, welch harte Ent—
täufchungen fie erlitten, jo war fie je länger deſto mehr zu der
Ueberzeugung gelangt, daß es Gottes Wille jei. Ihr war, als
ſtoße eine unfichtbare Hand fie hin zur jtillen Zelle, als jpreche
eine Stimme zu ihr:
„Dort findejt du Frieden und das Ende aller weltlichen
Sorgen!”
So hatte fie bejchlofjen, der Stimme zu folgen. Da jie
jedoch im Inneriten ihrer Seele ſich noch zu jehr an die Erde
und die Welt gefejjelt fühlte, jo wünjchte fie jich durch Frömmig—
feit, gute Werfe und heiße Arbeit für die Flöfterliche Stille vor-
zubereiten. In Ddiefen Bemühungen wurde jie oft Durch
Stimmen aus der Ferne geitört, die verworrene Stunde zu
ihr trugen.
Sp begannen die Menjchen ich zu erzählen, daß dieſer
651
berühmte Babinitich, von deſſen Thaten die ganze Republik
widerhallte, und Kmiziz, ein und diejelbe Berjon jei. Die einen
widerjprachen dem, andere beharrten um jo feiter auf dieſer Be-
hauptung.
Dlenfa wollte jolcher Nachricht feinen Glauben ſchenken.
Ihrem Gedächtnis waren nur allzujehr alle Unthaten Kmiziz's
gegenwärtig, jie gedachte jeiner den Radziwill geleijteten Dienite,
und gegenüber diefen Gedanken konnte fie nicht annehmen, daß
er der Bejieger des Fürſten Boguslaw, ein treuer Diener des
Königs, ein jo eifriger Patriot geworden jein ſollte. Dennoch
wurde ihr Friede Durch jolche Gerüchte gejtört; Schmerz und
Sram wollten jich von neuem im ihrem Herzen einnijten.
Vielleicht wäre dem allem durch den bejchleunigten Eintritt
in das Kloſter abzuhelfen gewejen, doch die Nonnen waren ver-
itreut, die Kloſter verlaſſen. Diejenigen Nonnen, welche dem
Uebermut und der Naubjucht der Soldaten während des Strieges
entronnen waren, begannen erjt jetzt allmählich ſich wieder ein—
zufinden und zu ſammeln.
Dazu war das allgemeine Elend jo groß, daß Diejenigen,
welche die Abficht Hatten, ich Hinter die Kloſtermauern zu
flüchten, nicht nur Lebensmittel für ich jelbit, jondern für den
ganzen Konvent mitbringen mußten.
Dienfa wollte ja num mit vollen Händen geben, jie wollte
nicht nur eine Klojterjchweiter werden, ſondern die Ernährerin
der Schweitern.
Der Schwertträger, welcher wußte, daß jeine Arbeit der
Ehre Gottes geweiht fein jollte, arbeitete mit großem Eifer.
Beide, Dlenfa und er, bejuchten zujammen fleißig die Voriwerfe,
beauflichtigten die Herbitarbeiten, welche dann im nächſten Früh—
jahre ihren Segen bringen follten. Zuweilen wurden fie auf
diefen Wegen von Anuſia Borjchobohata begleitet, welche Die
ihr von Kmiziz widerfahrene Beleidigung nicht vergefjen konnte
und num täglich drohte, auch in das Klofter einzutreten. Sie
wollte nur noch auf die Wiederfehr des Herrn Wolodyjowski
warten, der jeine Yaudaer Fahne zurückbringen mußte, um 9
von dieſem alten Freunde zu verabſchieden. Meiſt jedoch blie
der Schwertträger mit Olenka allein, weil Anuſia die Wirtſchafts—
arbeiten langweilig fand,
Eines Tages ritten fie wieder auf den kleinen Neitpferden
nach Mitrun, wo gerade jet über dem Aufbau der während
des a niedergebrannten Scheuern und Ställe gearbeitet
wurde.
652
Sie wollten auf dem Wege dorthin in die Kirche eintreten,
da heute der Jahrestag der Schlacht bei Wolmontowitich war,
wo Babinitſch in der höchiten Not als Netter erjchienen war.
Der ganze Tag war ihnen unter allerlei Bejchäftigungen
jchnell vergangen, jo daß ſie erjt gegen Abend aus Mitrun
fortfonnten.
Auf der Hinfahrt hatten fie den Kirchweg benußt, Die
Rückfahrt mußten fie durchaus über Lubitjh und Wolmonto-
witjch machen. Kaum hatte das Fräulein die eriten Rauch—
wölfchen aus den Schorniteinen des Dorfes Lubitſch gejehen,
als jie auch jchon mit abgewandtem Gejicht jchnell zu beten
anfıng, um die traurigen Gedanken zu bannen, welche ihr
famen, während der Schwertträger jchweigend neben ihr dahın
ritt und nur eifrig Umſchau hielt.
Endlich, als jie das Drehrad der Dorfitraße Hinter jich
hatten, jagte er:
„Es iſt doch ein herrlicher Bett, dieſes Lubitſch. Es ift
doppelt joviel wert als Mitrun.“
Dienfa betete weiter.
In dem Schwertträger erwachte der alte Oekonom, vielleicht
auch der Edelmann, welcher fich gern fprechen hört, denn nach
einer Weile jpracd) er, wie zu jich jelbit:
„Bon Nechtöwegen gehört es doch uns... Es it ſeit
ewigen Zeiten Eigentum der Billewitich, durch Mühjal und
Schweiß erworben. Jener Unglücjelige muß längit tot jein, da
er fich bisher nicht gemeldet hat; aber jelbit wenn er fich melden
jollte, ijt das Necht mit ung.“
Hier wandte er ſich an Dlenfa:
„ie denfit du darüber? Bitte!“
: „Diefer Ort iſt verflucht. Mag mit ihm gejchehen, was
a will.“
„Aber er gehört uns von Nechtöwegen. Denfe, der Ort
war verflucht in böjer Hand; er wird zum Segen werden in
guter Hand. Das Necht it unjer!“
„Niemals! ch will nichts davon hören! Der Großvater
bat die Verjchreibung bedingungslos gemacht, mögen denn jeine
Verwandten es nehmen.“
Mit diefen Worten trieb fie ihr Pferd zur Eile an, der
Schwertträger mußte ihr nach und fie ritten im Trab bis weit
hinaus auf der offenen Landſtraße. Erit draußen im offenen
* verlangſamte Olenka das Tempo. Unterdeſſen war die
acht hereingebrochen, aber es war nicht finſter, denn der Voll—
653
mond jtieg rot hinter dem Walde von Wolmontowitjch herauf
und leuchtete über der ganzen Gegend mit blaſſem Schimmer.
„AH: welch jchöne Nacht hat Gott uns gegeben,“ jagte der
Schwertträger, während er lange in die volle Mondjcheibe blickte.
— „Wie weit man doc, Wolmontowitſch leuchten ſieht!“ ſagte
lenka.
„Weil die Schindeln auf den Dächern noch nicht ſchwarz
geworden ſind,“ verſetzte der Schwertträger.
Weiter kamen ſie mit ihrer Unterredung nicht. Von Ferne
drang das Knarren von Wagenrädern an ihr Ohr. Zu ſehen
war anfangs nichts, denn der Weg war hier hügelig; doch es
währte nicht lange, da tauchten hinter dem Hügel erſt ein Paar
Pferde auf, die vor die Deichſel eines Wagens geſpannt waren,
dahinter noch ein Paar, welche in der Deichſel gingen und
zulegt ein gewöhnlicher Leiterwagen, von mehreren Neitern
umgeben.
„Was mögen das für Leute jein?“ jagte der Schwertträger.
Er hielt jein Pferd an, Dlenfa blieb neben ihm.
Der Wagen fam näher; jegt war er dicht bei ihnen.
„Halt!“ rief der Schwertträger. „Wen habt ihr da?“
Einer der Neiter wandte jich ihnen zu:
„Wir bringen Herrn Kmiziz, welcher von den Ungarn bei
Magierow jchwer verwundet worden ijt.“
„Und das Wort ift Fleisch geworden!“ jchrie der Schwert—
träger.
Dienfa fam plöglich ein Schwindel an, der Herzichlag ſtockte,
der Atem ging ihr aus. In ihrem Innern tünte es fort und
fort: „Jeſus, Maria! Er iſt es!” Dann verließ jie die Be—
jinnung; jie wußte nicht mehr, wo fie war, was mit ihr geſchah.
Aber jie fiel nicht vom Pferde, denn mechaniſch hatte jie
nach der Leiter des Wagens gegriffen und fich frampfhaft daran
teitgehalten. In dem Augenblid, wo fie wieder zu ſich fam,
fiel ihr Blid auf eine unbewegliche Menfchengeitalt, welche auf
dem Wagen ausgeitredt lag. Ja, das war er, Herr Andreas
Kmiziz, der Fahnenträger von Orjchan. Er lag auf dem Nücen;
jein Kopf war mit QTüchern umwickelt, aber in dem blafjen
Mondjchein fonnte man genau das blafje, ruhige Geficht erfennen.
Es jah aus, als wäre es aus Marmor gemeißelt oder im Eijes-
hauche des Todes eritarrt. Die gejchlojlenen Augen waren tief
eingejunfen, feine noch jo leiſe Bewegung verriet, ob er noch lebte.
„Mit Gott! . . .“ jagte der Herr Schwertträger, während
er die Mütze abnahm md das Pferd zum Weiterreiten jpornte.
654
„Halt!“ rief Dlenta.
Und fie frug leife mit fieberhafter Halt:
„Lebt er noch oder iſt er tot?“
„Er lebt, aber der Tod jchwebt über ihm.“
Der Schwertträger, welcher fich wieder über das Geficht
des Daliegenden gebeugt hatte, jagte noch einmal:
„shr bringt ihn nicht mehr lebend nach Lubitich.“
„Er befahl, ihn unter allen Umständen hierher zu bringen,
weil er hier jterben will,“ jagte der Reiter.
„Mit Gott! Eilt euch!“ jprach der Schwertträger.
„Bott befohlen!“ antworteten die Leute.
Der Wagen jebte fich wieder in Bewegung und Dlenfa
ritt mit dem Schwertträger, was die Pferde ausgreifen fonnten,
nach der entgegengejegten Richtung. Sie flogen durch Wol-
montowitjch wie zwei Nachtgejpeniter; ohne ein Wort zu jprechen,
langten fie in Wodockt an. Erjt als fie von den Pferden
jtiegen, wandte fich Dlenfa an den Oheim:
„Dan muß ihm einen Geistlichen ſchicken!“ ſagte fie, mit
vor Erjchöpfung müder Stimme „Es muß jogleich ein Bote
nach Upit abgehen!“
Der Schwertträger beeilte jich, den Auftrag Dlenfas aus—
zuführen. Sie aber ging direft im ihr Gemach und fiel vor
dem Bilde der Gottesmutter auf die Kniee.
Einige Stunden darauf, jchon jpät in der Nacht, hörte
man vor dem Thore des Gutshofes ein Glöcklein vorüberklingeln.
Es war der Geiftliche, welcher mit den Sterbejaframenten nach
Lubitſch zu eilte.
Fräulein Alerandra kniete noch immer. Ihre Lippen
murmelten die Yitanei für die Sterbenden. Und als fie diejelbe
zu Ende gebetet, berührte fie mit der Stirn den Boden und
wiederholte unabläſſig:
„Bert, rechne es ihm an, daß er von der Hand der Feinde
ſtirbt! . . . Herr, verzeihe ihm feine Schuld! Herr, erbarme
dich feiner!“
Darüber verging Die ganze Nacht. Der Geijtliche blieb
bis zum Morgen in Lubitſch, auf dem Rückwege trat er in
Wodockt ein. Dlenfa lief ihm eilends entgegen.
„sit er tot?“ frug Sie.
Mehr konnte jie nicht jprechen; der Atem ging ihr aus,
„Er lebt noch,“ antwortete der Geijtliche.
In den folgenden Tagen flogen täglich; mehreremale Boten
655
von Wodockt nach Lubitſch und jeder derjelben fehrte mit der
Nachricht zurüd: „der Herr Fahnenträger lebt noch.“ Endlich
brachte einer die Nachricht, daß der ;Feldjcheer, welchen man bis
von Kiejdan hergeholt, feitgeitellt habe, Herr Kmiziz werde
nicht nur nicht jterben, jondern von jeinen Wunden genejen.
Diejelben heilen glüdlih und die Kräfte beginnen zurüd-
zukehren.
Fräulein Alexandra ſandte reiche Geſchenke auf Dankmeſſen
nach Upit, aber ſie ſandte keinen Boten mehr nach Lubitſch
und — ſeltſam! mit der Beruhigung zugleich zog der frühere,
ſchon überwunden geglaubte Schmerz über die Vergehen des
Herrn Andreas in das Herz des Mädchens ein. Seine größte
Schuld war ihr wieder in ihrer vollen Schändlichkeit gegen—
wärtig, jo groß und ſchwer, daß ſie nie verziehen werden konnte.
Nur der Tod hätte vermocht, das Andenken daran auszulöjchen ...
Seßt, da er gejund wurde, lajtete diejelbe wieder auf ihm...
Und dennoch, — alles, was irgend zu jeiner Entjehuldigung
dienen fonnte, jagte fie jich unaufhörlich vor, um das Gefühl
der Verachtung gegen ihn nicht zu mächtig werden zu laflen.
Sie härmte ſich in diefen Tagen jo jehr, ihre Seele litt
unter den Widerjprüchen ihrer Gedanfen jo fürchterlich, daß
ihre Gejundheit jchwanfend wurde.
Das machte Herrn Thomas jehr bejorgt. Als er aljo eines
Abends allein mit ihr blieb, frug er jie:
„Sage mir aufrichtig, Dlenfa, was denfjt du über den
Fahnenträger von Orſchan?“
„Gott allein weiß, daß ich gar nicht an ihn denken will!“
antwortete Olenka.
„Denn ſiehe! . . Du magerſt ab . .. Hm! ... Es könnte
ja ſein, daß du noch ... Sch will dich nicht quälen, aber ich
möchte doch gerne willen, was in Dir vorgeht... Meinſt du
nicht auch, dat der Wunsch und Wille deines Großvaters noch
in Erfüllung gehen fünnte?“
„Niemals!“ antwortete Dlenfa. „Der Großvater hat mir
die Pforte offen gelajjen, durch welche ic zum Frieden gelangen
fann und nächites Neujahr will ich dort anflopfen. Damit er—
fülle ich jeinen Willen.“
„sch habe ja auch nicht geglaubt,“ verjegte der Schwert-
träger, „was einige hier verlauten ließen, nämlich, daß der Herr
Babinitich und Amiziz ein und diejelbe Perſon jei; aber er hat
doch bei Magierow auf Seiten des Vaterlandes geitanden, gegen
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die Feinde gekämpft und fein Blut vergojien. Es ijt dies eine
jpäte Beljerung, aber doch eine Befjerung!“
„Jawohl!“ antwortete das Mädchen mit vom Schmerz
bebender Stimme. „Dient denn etwa der Fürſt Boguslam nicht
jetzt auch im Heere des Königs? — Möge Gott beiden verzeihen,
bejonders diefem hier, dejien Blut für das Vaterland gefloſſen
it... Die Menjchen werden aber immer das Necht behalten,
zu Sprechen, dal beide im Augenblick höchiter Gefahr, im höchiten
Elend und Niedergange des Baterlandes, dasjelbe nicht nur
verließen, jondern zu den Feinden jich gejellten und erjt dann
wieder zu ihm zu halten begannen, als das Kriegsglüd die
Feinde verließ, ihr Fuß auf dem blutgetränften Boden auszu-
gleiten begann und ihr eigener Vorteil gebot, jich dem Sieger
anzujchliegen. Seht, das it ihre Schuld! Es giebt feine
Verräter mehr, weil der Verrat feinen Nuten mehr bringt.
Soll das ein Verdienit jein?... Iſt das nicht ein neuer
Beweis, dat ſolche Menjchen immer nur bereitwillig dem
Stärferen dienen? Wollte Gott! Wollte Gott, daß es anders
wäre; aber jolche Schuld kann nicht durch die Schlacht bei
Magierow getilgt werden . . .“ ’
„Es iſt wahr! Ich kann das nicht bejtreiten,“ jagte der
Schwertträger.
„Sie iſt ſchwer zu ertragen, dieſe Wahrheit, doch bleibt es
wahr! Alle früheren Verräter jind in das Lager des Königs
übergegangen.
„Auf dem Fahnenträger lajtet eine noch größere Schuld,
wie auf dem Fürſten Boguslaw, denn Herr Kmiziz hat jich er:
boten, den König auszuliefern, eine That, vor welcher ſelbſt der
Fürſt zurücjchredte. Kann eine zufällig erhaltene Schußwunde
jolche Schuld tilgen? . . . Ich wollte mir gern meine rechte
Hand abjchlagen laſſen, wenn ich glauben dürfte, das tit nicht
geichehen . . . aber es ijt einmal gejchehen und fann nie wieder
ungejchehen gemacht werden. Gott hat ihm wohl das Leben
erhalten, um ihm Zeit zur Buße zu laſſen . . . Nein, Lieber
Oheim! Wir werden uns jelber betrügen, wenn wir und ein—
reden wollten, — jeine Schuld jei gejühnt. Was könnte uns
das nügen? Läßt jich das Gewiſſen betrügen? Nein! Gottes
Wille geichehe. Was einmal zerrifien iſt, läßt fich nicht mehr
ganz machen; es wäre nur Flickwerk! Ich bin glücdlich darüber,
daß der Herr Fahnenträger leben bleibt . . . ich geitehe das
gern, denn ich betrachte es als ein Zeichen, daß Gott noch nicht
ganz jeine Hand von ihm genommen hat... Aber das muß
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mir genügen! Es wird mid) glücklich machen, einjt zu erfahren,
dat feine Schuld getilgt iſt; weiter wünjche, weiter verlange
ich nichts und jollte meine Seele unter der Laſt der Bein er-
biegen... Gott helfe mir..."
Weiter fam Dlenfa nicht. Sie brach in lautes, heftiges
Weinen aus. Es waren ihre legten Thränen! Sie hatte ſich
leicht gejprochen, alles gejagt, was jie tief verborgen im Herzen
getragen; von da ab kehrten Ruhe und Friede wieder bei
ihr ein.
Sienfiewicz, Sturmflut IL 42
16. Rapitel.
Die Enorrige Seele des Helden wollte in der That nicht
ihre irdiſche Hülle verlafjen und verließ jie auch nicht. Einen
Monat nad) der Rückkehr des Herrn Andreas nad) Yubitjch be-
gannen jeine Wunden zu heilen. Doch jchon viel früher hatte
er jeine Bejinnung wieder erlangt, und nachdem er zum eriten
Male um jich geblidt, Hatte er jofort erraten, daß er ich in
Lubitſch befand.
Dann hatte er den treuen Sorofa gerufen.
„Sorofa! Hatte er gejagt, „die Barmberzigfeit Gottes
waltet über mir. Sch fühle, daß ich nicht jterben werde!“
„Zu Befehl!“ antwortete der alte Soldat, indem er eine
Thräne im Auge zerdrüdte und mit dem Aermel fortwijchte.
Kmiziz fuhr fort, wie zu jich jelbit:
„Die Buße ift vollbracht .. . ich jehe es jeßt Har. Die
Barmherzigkeit Gottes waltet über mir!“
Dann jchwieg er eine Weile, nur jeine Lippen bewegten
fi) im Gebet.
„Soroka!“ jagte er nach einer Weile.
„Zu Befehl Ew. Liebden.“
„Wer it denn in Wodockt?“
„Das Fräulein und der Herr Schwertträger.“
„Der Name des Herrn ſei gepriefen! War jemand von
ihnen hier, nach mir zu fragen?“
„Dan hat aus Wodockt hergejchieft, um über Ew. Liebden
Befinden Erfundigungen einzuziehen, jo lange, bis wir jagten,
daß es Ew. Liebden beſſer gehe.“
„Dann alſo ſchickten jie nicht mehr?“
„Dann nicht mehr.“
Darauf jagte Kmiziz.
„Sie willen noch nichts, fie werden es aber von mir jelbit
erfahren. Haſt du jemandem hier erzählt, daß ich unter dem
Namen Babinitjch hier gekämpft habe?“
„Ich hatte nicht Befehl, es zu thun,“ antwortete der
Soldat.
„Sind die Laudaer mit dem Herrn Wolodyjowsfi jchon
zurück.“
„Noch nicht, aber man erwartet ſie jeden Tag.“
Damit war die Unterredung für dieſen Tag beendet.
wei Wochen nachher fonnte Herr Kmiziz ſchon das Lager
verlajjen und auf Krücken umbergehen. Am nächitfolgenden
Sonntag bejtand er darauf, im die Kirche zu fahren.
Sorofa wagte nicht zu widerjprechen; er ließ den Fleinen
Wagen gut mit Heu auspoljtern, Herr Andreas jchmücte ſich
fejttäglich und fort ging es.
„Wir wollen nach Upit,“ jagte Herr Andreas. „Mit
Gott wollen wir anfangen; nach der Mejje jahren wir nad)
Wodockt.“
Sie kamen früh in Upit an; es waren erſt nur wenige
Menſchen in der Kirche. Herr Andreas ſchritt, auf den Arm
Sorokas geſtützt, bis an die Stufen des Hochaltars und kniete
dann in der Patronatsbank nieder. Sein Geſicht war blaß und
außerordentlich mager, dazu trug er einen langen Backenbart,
welcher ihn während des letzten Krieges und ſeines Kranken—
lagers gewachjen war. Wer ihn jah, fonnte glauben, daß eine
vornehme Perjönlichkeit auf der Durchreife in die Kirche ein-
getreten war, um die Meſſe zu hören. Es befanden jich jet
überall Edelleute auf der Neije, die vom Schlachtfelde auf ihre
Güter zurückehrten.
Allmählich füllte fich die Kirche mit Leuten aus dem Volfe
und dem Stleinadel der Umgegend. Dann kamen auch die Be—
figer aus der weiteren Umgebung, denn die Kirchen waren an
vielen Orten niedergebrannt. Wer eine Mejje hören wollte,
der mußte bis nach Upit kommen.
Kmiziz war ganz in jein Gebet verjunfen; er jah niemanden
der Anfommenden; ein leijes Kniſtern, von den Zußtritten in
die Bank zu ihm tretender Berjonen, weckte ihn erſt aus jeiner
Verjunfenheit. Er bob den Kopf und blidte auf. Da jah er
Dicht über fich das ſüße, traurige Geficht Olenkas.
Auch fie hatte ihn erblickt und, wie es jchien, jofort erfannt,
42*
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denn jie zucte zufammen und trat einen Schritt zurüd. Dunkle
Nöte färbte ihr Geficht, welche dann plöglich einer tiefen Bläſſe
Pla machte. Doch beherrjchte fie ſich mit aller ihr zu Gebote
jtehenden Kraft und kniete dicht neben ihm nieder, während der
Schwertträger den dritten Platz einnahm.
Nun ſenkten beide die Köpfe und verhüllten die Gefichter
mit ihren Händen; jchweigend fnieten jie nebeneinander, ihre
Herzen schlugen jo laut, daß einer den Schlag des anderen
hörte. Endlich ermannte fich Herr Andreas jo weit, daß er
den Gruß jprechen konnte:
„Selobt ſei Jeſus Chriſtus!“
„In Ewigkeit Amen ...“ antwortete Olenka halblaut.
Dann beſtieg der Geiſtliche die Kanzel. Kmiziz hörte ihn
ſprechen; aber trotz aller Anſtrengung konnte er den Sinn der
Predigt nicht erfaſſen, denn die ſo heiß Erſehnte, deren Gedenken
immer, zu allen Zeiten ſeine Gedanken und ſein Herz erfüllt,
kniete hier, dicht neben ihm. Er fühlte ihre Nähe und wagte
doch nicht, den Blick zu ihr zu erheben, weil ſie in der Kirche
waren, aber er ſchloß die Augen und lauſchte auf ihren Atem.
„Olenka! Olenka neben mir!“ ſagte er ſich. „Gott hat
uns nach der langen Trennung im Gotteshauſe zuſammen—
geführt ...“
Seine Gedanken und ſein Herz wiederholten unaufhörlich
den Namen:
„Olenka! Olenka! Olenka!“
Ein Freudentaumel faßte ihn, Thränen ſtürzten ihm aus
den Augen; er hätte laut aufſchluchzen mögen, und heiße Gebete
ſtiegen mit ſolcher Innigkeit aus ſeinem Herzen empor, daß er
vergaß, was um ihn geſchah.
Sie hielt noch immer die Hände vor das Antlig gedrüdt.
Der Geistliche hatte die Predigt beendet und verließ die
Kanzel.
Plötzlich ertönte Pferdegetrappel und Waffengeflirr vor
der Kirche. Bon der Kirchenthür her rief einer in die Kirche
hinein: „Die Laudaer find zurücd, die Zaudaer find da!“ und
bald ging durch die Kirche ein Surren von Stimmen, welches
immer lauter wurde, bis laute Rufe den Raum durchtönten:
„Die Yaudaer find da!“
Die Menge der Kivchenbefucher begann Hin und her zu
wogen, die Köpfe wandten jid) dem Thore zu, wo es von Waffen
flimmerte, jich drängte, bis die bewaffnete Schar das Gotteshaus
betrat. Die Menge teilte fi, um den Gang frei zu machen.
661
An der Spitze der Yaudaer Krieger jchritten Herr Wolodyjowski
und Sagloba. Sie durcdjichritten die ganze Kirche bis zum
Hochaltar, Fnieten dort nieder und beteten ein Weilchen jtill,
worauf fie in die Safrijtet gingen, während die Soldaten in
der Mitte des Kirchenjchiffes jtehen blieben. Sie begrüßten
niemanden und wurden von niemandem begrüßt, aus Ehrfurcht
vor dem Drt, an welchem fie fich befanden.
Ach! welc ein Anblick bot jich hier dem Auge. Die erniten
Sejichter waren von der Sonne gebräunt, von den Stürmen
und den Kriegsmühen veriwittert und mit Narben von Schwert-
jtreichen bededt. Die Schweden, die Deutjchen, die Ungarn
und Wallachen; fie alle hatten ihre Runenſchrift in dieje bärtigen
Geſichter gezeichnet. Die ganze Gejchichte des vergangenen
Krieges, der ganze Ruhm, den die Zaudaer erworben, fie jtanden
in diejen Gejichtern gejchrieben. Da waren die düſter Drein-
blidenden Butryms, die Stajfanows, Domaſchewitſch' und
Sojtichtewitich", von jedem diefer Stämme etliche, denn faum
der vierte Teil derer, welche mit Wolodyjowsfi ausgezogen waren,
war hier zurücgefehrt.
Viele Frauen juchten vergebens ihre Männer, viele Greije
jahen ſich umſonſt nad ihren Söhnen um. Weinen, erit leije,
dann lauter und lauter, wurde hörbar, denn auch diejenigen,
deren Angehörige zurücgefehrt waren, weinten vor Freude.
Lautes Schluchzen, zuweilen der Anruf eines geliebten Namens,
dann wieder ein Berjtummen, während die Angefommenen auf
ihre Schwerter gejtügt, ftumm daftanden und auch ihnen Die
Thränen an den Wangen herabliefen und den Bart naß machten.
Da wurde das Glödchen an der Thür der Safriftei ge-
zogen, daß es laut jchallte. Das beruhigte die Gemüter etivas.
Alle Anwejenden fnieten nieder; der Geijtliche erjchten im Meß—
gewande, neben ihm Herr Wolodyjowsfi und Herr Sagloba als
Minitranten. Das heilige Mehopfer beganı.
Auch der Geijtliche war tief bewegt. Als er fich das erite
Mal zum Bolfe wendete mit den Worten: Dominus vobiscum!
da zitterte ihm die Stimme, und als er das Evangelium jang
und alle Säbel der Krieger aus ihren Scheiden flogen, fie
jalutierend zum Zeichen, daß die Yaudaer jtet3 bereit jeien, für
ihren Glauben zu fämpfen, da vermochte er vor Rührung faum
zu fingen.
Dann wurden mit tiefer Ergriffenheit von der geſamten
Gemeinde die Rejponjorien gefungen, die Meſſe war zu Ende.
Nachdem aber der Geijtliche das Saframent im Zimborium auf-
662
bewahrt hatte, wandte er fich noch einmal an das Volk, zum
Zeichen, daß er noch etwas zu jagen habe.
Totenitille trat ein. Der Geiftliche begrüßte zuerſt mit
herzlichen Worten die zurücgefehrten Strieger, dann machte er
befannt, daß er einen Brief Sr. Majeität des Königs vorlefen
werde, welchen der Hauptmann der Yaudaer sahne mitge-
bracht habe.
Die Menjchen in der Kirche laufchten atemlos, während
vom Altar ber laut und vernehmlich die Worte zu hören waren:
„Wir, Sohann Kafimir, König von Polen, Großherzog von
Litauen, Majowien, Preußen u. ſ. w. thuen fund und zu willen,
* Namen des Vaters, des Sohnes und des heiligen Geiſtes:
men.“
„So es gerecht iſt, daß böſe Menſchen für ihre an der
Majeſtät und dem Vaterlande begangenen Verbrechen auf Erden
beſtraft werden, ehe ſie vor den Stuhl des höchſten, himmliſchen
Vaters treten, ſo gerecht iſt es auch, daß die Tugend ihren
Lohn auf Erden ſchon empfängt; einmal, um der Tugend ſelbſt
willen, dann aber auch, um die Nachwelt zur Nachfolge auf dem
Wege der Tugend anzujpornen.“
„Deshalb thuen Wir befannt und zu willen dem ganzen
Nitterjtande, insbejondere aber dem ganzen Volke, Kriegern und
Bivilperfonen, welche öffentliche Aemter befleiden, cujus vis
dignitatis et praeminentiae, jowie allen Bürgern des Groß⸗
herzogtums Litauens und unjerer Staroftei Smudz, da —
welcher Art auch die Vergehen fein mögen, welche auf dem Uns
jehr lieben Herrn Andreas Kmiziz, dem Fahnenträger von
Drichan, laften, dieſelben angefichts feiner nachfolgenden großen
Berdienite und ruhmvollen Thaten vergefien, aus dem Gedächt-
nis der Menjchen vollfommen ausgelöfcht fein, und die Ehre
des obengenannten, geborenen Kmiziz nicht jchmälern jollen.“
Hier hielt der Geiftliche einen Augenblid inne und wandte
den Blick der Banf zu, in welcher Herr Andreas ſaß. Diejer
hatte jich erhoben, fich aber gleich darauf wieder Hingejeßt, dem
ar an den Pfeiler gelehnt, wie wenn plößliche Schwäche ihn
befiele.
Aller Augen hatten ſich auf ihn gerichtet, aller Lippen
flüfterten:
„dert Kmiziz! Kmiziz! Kmiziz! Dort, neben den Billewitjch!“
Der Geijtliche winkte und fuhr fort zu lejen, während wieder
tiefite Stille eintrat:
„Welcher Fahnenträger von Orſchan, obgleich er bei jener
663
unglücjeligen ſchwediſchen Invajion anfangs jich auf die Seite
des Fürſt-Wojewoden gejtellt, daS aber nicht aus eigennüßigen
Gründen, jondern aus reiner Liebe zum VBaterlande, auf die
Augeinanderjegungen des Fürſten gethan hat, in ber Meinung,
daß ein anderer Weg zur Nettung der Republik nicht offen jtehe,
al3 der, den der Fürſt eingejchlagen.“
„Und welcher, als er zum Fürſten Boguslaw fam, der, ihn
für einen Bundesgenofjen haltend, ihm offen die verräterijchen
Pläne gegen das Vaterland Earlegte, nicht nur nicht Unſere
Perſon auszuliefern verjprach, jondern den Fürjten mit bewaff-
neter Hand entführte, um Uns und das gepeinigte Baterland
zu rächen... .“
„Bott jei mir Sünderin barmherzig!* hörte man eine Frauen—
jtimme dicht neben dem Herrin Andreas rufen.
Darauf wurde die Kirche wieder von lautem Murmeln
erfüllt. Der Geijtliche las weiter:
„Durch diejen jelben Fürſten jchwer verwundet, begab fich
der geborene Herr Kmiziz, nachdem er feine Gejundheit wieder
erlangt, nach Tſchenſtochau, um, allen ein Beijpiel der Tapfer—
feit und Ausdauer gebend, das Heiligtum der Allerheiligiten
Jungfrau zu verteidigen. Mit Gefahr jeines Lebens umd
Hintanjegung jeiner Gejundheit die größte Kanone der Feinde
in die Luft jprengend, bei welchem gefährlichen Unternehmen
er gefangen genommen und von den jchredlichen Feinden zum
Tode verurteilt wurde, ertrug er jtandhaft die bei der Sprengung
ihm beigebrachten Brandmale.“
Hier wurde die Vorlefung des Königlichen Schreibens
durch lautes Weinen der Gemeinde unterbrochen. Olenka bebte
am ganzen Leibe wie vom Fieber gejchüttelt.
„ber aus diejer aräßlichen Gefahr durch die Macht der
Engelskönigin errettet, begab ſich der geborene Fahnenträger
von Orjchan zu Uns nach Schlejien und bei Unjerem Rückzuge
in das geliebte Vaterland, als der Feind Uns einen Hinterhalt
gelegt, ich allein der ganzen Macht desjelben entgegenjtellend,
um Unjere Berjon zu retten, von den Feindesſäbeln zerfegt und
den feindlichen Napieren zerjtochen, wurde jelbiger für tot vom
Schlachtfelde fortgetragen .. .“
Dlenfa griff mit beiden Händen nach den Schläfen und
während jie mit erhobenem Haupte nach Luft rang, rief fie
jtöhnend:
„Mein Gott! Mein Gott!“
604
Und wieder tönte die Stimme des Getjtlichen, doch immer
abgebrochener von der ihm fajt überwältigenden Rührung:
„Als er aber, durch Unjere Bemühungen wieder Hergeftelt
ohne zu ruhen, von neuem in den Krieg ziehend, in jeder Not-
(age gegenwärtig, bis zur glüclichen Einnahme Warjchaus, von
beiden Tefdhauptfeuten als Muſter aller Ritterlichfeit bezeichnet
war, da wurde jelbiger Herr Kmiziz unter jeinem angenommenen
Namen „Babinitjch“ von Uns nad) Preußen geichidt .
Als die Gemeinde diefen Namen hörte, jteigerte ſich das
zeitweilige Murmeln zum gewaltigen Brauſen der Meeres—
brandung. Er alſo hier war Babinitſch? Der Beſieger der
Schweden, der Retter bei Wolmontowitſch, der Sieger in ſo
vielen Schlachten, das war Kmiziz?
Das Getöſe wurde immer lauter, die Menſchen drängten
nad) dem Altar vor, um ihn bejjer jehen zu können.
„Bott jegne ihn! Gott jegne ihn!“ rief es aus Hunderten
von stehlen.
Der Geijtliche wandte jich dem Plage zu, auf welchem
Kmiziz jaß und jprad) den Segen über ihn. Herr Andreas
lehnte noch immer mit dem Kopf an der Säule; er jah einem
Toten ähnlicher, denn einem Lebenden. Seine Seele jchien
der Erde entrüdt und den Regionen der Glücjeligfeit zuzu—
jchweben.
Dann fuhr der Geiitliche fort:
„Bis zum Siege von Prostfi, das Feindesland mit ‚Feuer
und Schwert verwültend, zu dieſem Siege das meiste beitragend,
hat er den Fürſten Boguslaw mit eigener Hand gejchlagen und
gelangen genommen. Darauf in Unjere Smudzer Staroitei
erufen, hat jelbiger Herr Kmiziz viele Städte und Dörfer vor
dem Berderben bewahrt, von welchem Umſtande die dortigen
Einwohner (incolae) am beiten unterrichtet jein müjjen.“
„Wir willen es! Wir wiſſen es!“ riefen die Kirchen-
gänger laut.
„Beruhigt euch,“ jagte der Geijtliche, indem er das
Schreiben des Königs in die Höhe hielt.
„Darum haben Wir — las er weiter — in Anbetracht
aller diejer unermeßlichen Berdienjte, die er dem Könige und
dem Vaterlande geleitet, Werdienjte, wie fie ein Sohn feinen
Eltern zu Liebe nicht größer ſich erwerben fann, beichlojien,
diejelben in dieſem Briefe aufzuzählen, und öffentlich befannt
zu machen, damit Neid und menschliche Mißgunſt aufhören
möge, einen jo vornehmen SKavalier, des Glaubens und der
665
Majeität Behüter, zu verfolgen, ihm vielmehr den wohlverdienten
Danf, das Lob, den Ruhm und die allgemeine Verehrung nicht
länger vorenthalte. Da Wir aber die Beitätigung dieſer Unjerer
Willensäußerung, jowie die Tilgung feiner Schulden und Die
Ernennung des Herrn Fahnenträgers zum Starojten von Upit
durch die nächjte Landtagsfigung erjt jpäter folgen lafjen können,
jo wünjchen Wir, daß die Uns jo lieben Bürger Unſerer
Starojtei Smudz dieſe Unjere Worte beherzigen und ihrer ein-
gedenf bleiben jollen, denn die Gerechtigkeit, welche das Funda—
ment Unſerer Regierung jein joll, gebietet Uns, diefen Wunſch
auszusprechen.“
Hiermit war der Brief zu Ende. Der Geiltliche wandte
jich dem Altar zu und begann zu beten. Herr Andreas fühlte
plöglich, daß eine weiche Frauenhand jeine Hand ergriff; er
blidte auf. Es war Dlenfa, die feine Hand in die ihrige ge—
nommen hatte, und ehe er ſichs verjah, ehe er noch jeine Hand
zurüdzuziehen vermochte, hatte das Mädchen diejelbe angejichts
des Altare8 und der Menjchen an ihre Xippen gezogen und
geküßt.
„Olenka!“ ſchrie Kmiziz erſtaunt auf.
Sie aber war ſchon aufgeſtanden, hatte ihren Schleier über
das Geficht gezogen und dem Schwertträger zugerufen:
„heim! fomm wir wollen jchnell fort von hier!“
Und fie entfernten fich beide durch die Thür zur Safrijtei.
Herr Andreas verjuchte aufzuftehen, ihr nachzueilen, doc)
er vermochte es nicht... . feine Kräfte Hatten ihn vollitändig
verlajjen.
Eine PViertelitunde jpäter fand er fich vor der Kirchenthür
in den Armen des Herrin Wolodyjowsfi und Sagloba wieder.
Die Bürger, der Kleinadel und das Volk umjtanden fie in
dichtem Gedränge; felbit die Frauen, welche jich kaum von der
Bruſt ihrer eben zurücgefehrten Männer zu trennen vermochten,
liefen, von der den rauen eigenen Neugier getrieben, herbei,
den einit jo gräßlichen, gefürchteten Kmiziz zu jehen, den heute
als Netter der Lauda und als fünftigen Starojten namhaft ge—
machten Ritter. Zulegt mußten die Yaudaer einen Kreis um
ie jchliegen, damit er in dem Gedränge nicht zu Schaden
omme.
„Herr Andreas!” rief Sagloba, „seht doch, ihr habt Gäſte
befommen. Das Habt ihr gewißlich Heute nicht erwartet!
Auf jegt nach Wododt, nach Wododt zur Berlobung, zur
Hochzeit . . .*
666
Die legten Worte des alten Kavalierd verhallten in dem
donnernden Vivatrufen, welches die Laudaer anhoben:
„Es lebe Herr Kmiziz!“
„Er lebe!“ wiederholte die Menge. „Unjer Starojt von
Upit joll leben; er joll leben!“
„Auf nach Wodocdt, alle!“ jchrie Herr Sagloba noch einmal.
„Nach Wododt! Nach Wododt!” tönte es aus taufend
stehlen. „Wir alle wollen Freiwerber für Herrn Kmiziz, unjerem
Netter, bei dem Fräulein fein. Auf nach Wododt, zum Fräulein!“
Es entitand eine große Bewegung. Die Laudaer bejtiegen
die Pferde, die Kleinadligen, Bürger und Bauern jtritten jich
um die Wagen, Britjchken, Leiterwagen und Reitpferde. Wer
feinen Pla auf den Wagen oder fein Neitpferd fand, der lief
zu Fuß durch die Felder und Heide, was er laufen fonnte.
„Nach Wodockt!“ rief e8 im ganzen Städtchen und bald wimmelten
Wege und Stege von buntfarbigen Gejtalten.
Herr Kmiziz fuhr im Kutſchwagen zwijchen Wolodyjowski
und Sagloba; er umarmte bald dieſen, bald jenen, jprechen
fonnte ev noch nicht, dazu war er zu jehr gerührt. Sie fuhren
übrigens zu, als hätten die Tartaren Upit überfallen und
jegten ihmen nach. Alle anderen Wagen jagten ihnen eben-
jo nach.
Sie waren jchon ein Stüc hinter der Stadt, als plößlich
Herr Wolodyjowsfi jich zum Ohre Kmiziz's neigte.
„Andruſch “frug er, „weißt du nicht, wo jene andere iſt?
„sn Wodockt!“ antivortete der Nitter.
Hatte ein Wind plöglich die Barthaare des Herrn Wolody-
jowsfi gejträubt, oder hatte die Nührung das heftige Zuden
jeiner Oberlippe verurjacht? Wer vermöchte das zu jagen?
Thatſache it, daß fie vorgejchoben blieb und hin und her zudte,
während die Haare des Schnurrbartes flogen wie Riemernadeln.
Herr Sagloba begann zu fingen. Sein tiefer Baß dröhnte, daß
die Pferde jcheu wurden.
„Wir waren zu Zweien Kaſchinka, zu Zweien auf Erden;
Doch ahnt mir, mir ahnt, es wird ein Drittes werden!”
Anufia war an dieſem Sonntag nicht mit zur Kirche ges
fahren; jie war an der Weihe, bei der alten Muhme Kulwiez
zu bleiben, welche jehr jchwächlich war und der Pflege bedurfte.
In dieſer Pflege löften jie fi) Tag um Tag mit Dlenfa ab.
Sie war den ganzen Morgen mit der Verjorgung der
alten Muhme bejchäftigt gewejen und deswegen erſt jehr jpät
zum Beten der Meigebete gekommen.
667
Kaum hatte jie das letzte Amen gejprochen, als ein Wagen
vor das Haus rafjelte und Olenka in das Gemach jtürmte.
„Jeſus, Maria! Was ijt gejchehen ?!“ jchrie Anuſia Borjcho-
bohata bei ihrem Anbli auf.
„Anuſia! Weißt du, wer der Herr Babinitjch iſt? ...
Er ijt der Herr Kmiziz.“
Fräulein Borjchobohata jprang mit beiden Beinen zu—
gleich auf.
„Wer bat dir das gejagt?“
„Es iſt ein fönigliches Handjchreiben verlejen worden ...
Herr Wolodyjowgfi hat e8 gebracht... Die Laudaer . . .“
„So tit Herr Wolodyjowsfi zurüdgefehrt? . . .“ rief Anufia.
Und plöglic) lag fie in den Armen Olenkas.
Dlenfa nahm diejen Gefühlsausbruch als einen Beweis
der Liebe Anuſias zu ihr wie jelbitveritändlich Hin. Zudem war
fie fieberhaft erregt, jie wußte faum, was fie that. Ihre Wangen
hatten ſcharf abgegrenzte rote Flede und ihre Bruſt hob und
ſenkte ſich ſchwer, wie von großer Ermüdung.
Sie begann in kurzen abgeriſſenen Sätzen, in wirrem Durch—
einander zu erzählen, was ſie in der Kirche gehört, indem ſie
wie wahnſinnig dabei hin- und herrannte und alle Augenblicke
wiederholte: „Sch bin ja jeiner nicht wert!" Sie machte fich
die bitteriten Vorwürfe, dab jie von allen ihm das größte Un—
recht gethan, weil jie nicht einmal mehr Hatte für ihn beten
wollen, während er jein Blut für die heilige Sungfrau, das
Vaterland und den König vergojien hatte.
Umſonſt fuchte Anufia fie zu beruhigen, zu tröften; fie
blieb dabei, daß fie feiner nicht würdig jei, daß fie ihm nicht
unter die Augen treten fünne. Dann fing fie wieder an, von
den Heldenthaten des Herrn Babinitjch zu jprechen, wie er den
Fürjten Boguslaw entführt, von deſſen Nache, von der Errettung
des Königs, von den Siegen bei Prostfi, Wolmontowitich
und Tſchenſtochau; von ihrem Hafje, ihrer Schuld, für welche
jie num im Klofier büßen müſſe.
Endlich wurden ihre Lamentationen durch den Herrn Schwert—
träger unterbrochen. Derſelbe ſtürzte wie eine Bombe in das
Gemach und rief:
„Um Gotteswillen! Ganz Upit kommt zu uns! Sie ſind
ſchon im Dorfe und Herr Babinitjch iſt jedenfalld mit ihnen.“
Gleich darauf verfündeten noch ferne VBivatrufe das Nahen
der Menge. Der Schwertträger fahte Dlenfa unter dem Arm
und führte fie hinaus auf den Gang. Anufia folgte ihnen,
668
Soweit man die Dorfitraße hinauf und hinab bliden fonnte,
war diejelbe dicht gedrängt mit Wagen, Pferden und Menjchen
angefüllt. Endlich) famen fie zu dem Schloßhof. Diejenigen,
welche zu Fuß famen, nahmen den Wallgraben im Sturmjchritt.
Die Wagen rafjelten über die Brücke, alle jchrieen und warfen
die Mützen hoch.
Endlich jah man die Schar Yaudaer, welche den Wagen
in ihrer Mitte hatten, auf welchem die drei Ritter ſaßen.
Der Wagen mußte ein wenig jeitwärts jtehen bleiben, denn
es hatten jich vor dem Gange jchon jo viel Menjchen angejammelt,
daß er nicht vorgefahren werden konnte. Herr Sagloba und
Wolodyjorwsfi jtiegen zuerit ab und halfen dann dem Herrn
Kmiziz herunter. Nachdem er abgejtiegen war, faßten jie ihn
unter den Armen, um ihn in das Haus zu führen.
„Tretet auseinander!“ rief Saglobe.
„Macht Platz!“ befahlen die Laudaer.
Die Menſchen wichen auseinander, eine Gaſſe bildend,
durch welche die beiden Nitter den Herrn Andreas bis zum
Gange führten. Er jchwanfte und war jehr bleich, aber er hielt
den Kopf erhoben, aus jeinen Gejichtszügen blickte eine gewiſſe
Schüchternheit vermijcht mit großer Glückjeligkeit.
Dienfa jtand an das Thürfutter gelehnt. Ihre Arme
hingen jchlaff am Körper herab; doch als die Ritter näher traten
und fie diefen Armjeligen, der nach jahrelanger Trennung wie
ein Lazarus, mit jajt biutleerem Geficht auf jich zutreten jah,
da zerriß der Schmerz ihr das Herz umd fie jchluchzte
laut auf.
Er wußte vor Schwäche, vor Glück und Berlegenheit nicht,
was er jagen jollte, und als er den Gang betrat, da jtammelte
er nur mit jtoctender Stimme:
„Nun, Dlenfa, was nun?“
Da lag jie plöglich zu jeinen Füßen und hielt jeine Kniee
umfaßt.
„Andruſch!“ jagte fie jchluchzend. „Sch bin nicht wert,
deine Wundmale zu füllen.“
Da jchien jeine erlojchene Kraft plöglich wiederzufehren.
Wie eine jeder hob der Nitter das Fräulein in die Höhe und
preßte fie an jeine Brujt.
Ein mächtiger donnernder Ruf aus den hunderten Kehlen
ringsumher machten die Mauern des Hauſes erbeben und dröhnte
ohrenbetäubend durch die Luft. Die Laudaer ſchoſſen ihre
Musketen ab, die Mützen flogen nochmals in die Höhe, Die
669
Gejichter aller erjtrahlten in heller Freude, die Augen glänzten
und die stehlen jchrieen:
„Vivat Kmiziz! Bivat das Fräulein Billewitich! Vivat
dem jungen Paare!”
„Vivat zwei Paaren!“ brüllte Sagloba.
Aber jeine Stimme verhallte in dem allgemeinen Tumulte.
Wodockt war in ein Heerlager verwandelt. Man jchlachtete
auf Befehl des Herrn Schwertträgerd den ganzen Tag Ochjen
und Hammel; aus der Erde wurden die vor den Feinden ver-
rabenen Fäſſer voll Met und Bier herausgeholt. Am Abend
en jic) alle zum Gajtmahle nieder; die Aelteren und An—
gejeheneren in den Gemächern, die Jungen mit den Bauern
in fröhlichiter Yaume um die Lagerfeuer im Hofe.
An der Haupttafel freijten die Becher auf das Wohl der
beiden glüclichen jungen Paare. Als die Freude ihren Höhe-
punft erreicht hatte, brachte Herr Sagloba noch den folgenden
Toajt aus:
„sch wende mich an euch, edler Herr Andreas, und an
euch, alter Waffenbruder, Herr Michael! Nachdem ihr euer
Leben und euer Blut dem Vaterlande geopfert und die Feinde
desjelben getötet habt, ijt eure Mitwirkung am Wiederaufbau
der Nepublif noch nicht vollendet. Es ſind im Verlaufe diejes
gräßlichen Krieges eine Unzahl Menjchen gefallen, deshalb iſt
e3 eure Pflicht, diefer uns jo lieben Nepublif zu neuen Ge—
jchlechtern und BVerteidigern zu verhelfen, wozu euch hoffentlich
der Wille und die Kraft nicht fehlt. Meine Herren! Ich trinke
auf das Wohl diefer fommenden Gejchlechter! Möge Gott fie
jegnen und ihnen vergönnen, das Erbe zu behüten und zu er-
halten, welches wir ihnen mit unferem Schweiße und unjerem
Blute aufgebaut, hinterlaſſen. Mögen diejelben, wenn jchwere
Zeiten dereinſt auch über fie hHereinbrechen, unſerer gedenken
und ſtets eingedenf fein, daß man nicht verzweifeln joll, daß es
feine noch jo unerträgliche Lage giebt, aus welcher jich tapfere
Männer mit Hilfe Gottes nicht zu befreien vermöchten.“
* *
*
Herr Andreas mußte bald nach jeiner Hochzeit mit Olenka
aufs neue in den Krieg ziehen, welcher vom Oſten her aus—
brach. Aber die glänzenden Siege, welche Tſcharniezki und
Sapieha über Chowanski und Dolgorudi, und die Stronenhetmane
über Scheremet davontrugen, machten ihm bald ein Ende.
670
Zu jener Zeit fehrte Kmiziz mit neuem Ruhme bededt
zurück und jegte fich dauernd in Wododt feit. Die Fahnen—
herrjchaft Orjchan übernahm nach ihm der Bruderjohn jeines
Vaters, Jakob Kmiziz, welcher jpäter jener unglücheligen Kon—
föderation des Heeres beitrat. Herr Andreas blieb mit Herz
und Seele ein treuer Anhänger des Könige. Mit der Staroitei
Upit belohnt, lebte er lange in beijpiellojer Eintracht und Liebe
mit der Yauda und ihren Eimvohnern, von allgemeiner Hoch»
achtung umgeben. Seine Widerjacher — wer hätte feine Wider-
jacher — jagten zwar, daß er in allem zu jehr dem Willen
jeiner Gemahlin unterliege, aber er jchämte ſich dejien nicht,
jondern gejtand gern ein, daß er in jeder wichtigen Angelegen-
heit den Nat jeiner Gemahlin einhole.
Ende des zweiten Bandes.
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Druck von Richard Stöhr, Leipjig ·R.
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