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Full text of "Sturmflut; historischer roman"

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Sturmflut 


Henryk 
Sienkiewicz 


—IIIIIII 


HARVARD 
COLLEGE 
LIBRARY 





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Sturmflut 


Sturmflut 


Hiftorifcher Roman 


von 


benryk Sienkiewicz 


— 


Autorifierte Überfegung 
von 


Clara Hillebrand 


— — — 


— Zweiter Band — 


Zweite Auflage 


IB 
STILLE m ELLE 


Feipzig 
Derlag von ®. Gradlauer 
1900 


Slay 7123.1.7964.5 
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HARVARD 
UNIVERSITY 


LIBRARY 


z. er 8 





Niertes Buch. 
35 





l. Kapitel. 


Kmiziz und die drei Kiemlitjche eilten jo ſchnell jie fonnten 
der jchlefischen Grenze zu. Sie ritten dabei vorfichtig, um nicht 
einem jchwedischen Vortrabe zu begegnen, denn wenn auch die 
Kiemlitjche mit Päſſen von Kuklinowski und Miller wohl ver- 
jehen waren, jo wurden doch im jener Zeit jelbit folche Leute, 
die jich genügend ausweiſen fonnten, angehalten und auf das 
Strengite ausgeforjcht. Solches konnte aber für Herrn Andreas 
und jeine Gefährten einen jchlimmen Ausgang haben. So 
eilten jie denn über die Grenze, um ein Stüd in das Innere 
des deutjchen Kaijerreich® zu gelangen, denn jelbjt unweit der 
Grenze innerhalb desjelben war man vor jchwedijchen Streif- 
züglern noch nicht ficher. Es jtrichen oft ganze Reiterabteilungen 
bis in das Innere des Schlejierlandes, um diejenigen aufzu- 
fangen, welche zu Johann Kafimir wollten. Die Kiemlitjche 
aber hatten während der Zeit ihres Aufenthaltes bei Tſchen— 
ſtochau durch ihre Bejchäftigung, einzelnen Schweden aufzu= 
lauern, alle Grenzwege und Stege genau fennen gelernt, weil 
dort immer die reichite Beute zu finden war. Große Ber- 
änderungen waren num vorgegangen. Ueberall Hatten die 
Schweden Niederlagen erlitten; es war ein baldige® Ende der 
Schwedenherrichaft in Polen zu erwarten. Das polnijche Heer 
war der jchwedischen Stameradjchaft überdrüſſig. Diejenigen 
Regimenter, welche ihre Hetmane früher mit dem Tode be- 
drohten, wenn jte ſich micht mit den Schweden vereinigten, 
jandten jet Deputationen zu ihnen, mit der Bitte, die Nepublik 
aus der Gefahr zu retten, indem fie den Eid leilteten, bis zum 

Sienkiewicz, Sturmflut II. 1 


2 


Tode ihnen darin beizujtehen. Cinige Hauptleute hatten jogar 
allein mit der Auflehnung gegen das Schwedenregiment be⸗ 
onnen. Zuerſt waren es die Herren Zegozki, der Staroſt von 
omſt, und Herr Kuleſcha. Dieſe hatten in Großpolen einen 
Krieg im kleinen angefangen und den Schweden tüchtig zugeſetzt. 
Vom ſtehenden Heere war das Regiment, deſſen Führer Herr 
Woynillowitſch war, von den Schweden zuerſt abgefallen. 

Auch die Gebirgsbewohner lehnten ſich jetzt gegen den 
Feind auf. Von den ſchwediſchen Abteilungen, welche man 
ihnen in das Gebirge nachſandte, war nicht ein Mann zurück— 
efommen. Herr Woynillowitſch ſandte den armen Bauern 
Siffe: er jelbit war zum Marjchall Lubomirsfi gegangen und 
hatte ſich mit feinen Truppen vereinigt. 

Die Belagerung Tichenjtochaus hatte das ganze Neid) 
gegen die Schweden erbittert. Das Heer, der Adel jchlug jte 
Ichon, wo fie fich finden ließen, die Bauern rotteten jich zu— 
fammen und die Tartaren, der Chan in eigener Perſon an der 
Spite, famen in Eilmärjchen hergezogen. Nadziwill wurde von 
Sapieha bedrängt und allmählich unjchädlich gemacht. Bald war 
Kmiziz in Schlefien. Die Landitragen wimmelten von Reijenben, 
die Schenken und Wirtshäufer waren überall überfüllt. Die 
einen flohen aus den angrenzenden Landesteilen der Republik 
in das Innere des Nachbarlandes, die anderen zogen wieder 
der Grenze zu, um Nachrichten über den Stand der Dinge im 
DVaterlande einzuziehen. Von Zeit zu Zeit traf Kmiziz auch 
jolche, welche, der Schwedenherrichaft überdrüfjig, eilten, ihre 
Dienjte dem vertriebenen Könige anzubieten. Hier und da be- 
gegnete er jogar jchon ganzen Abteilungen Soldaten und ganzen 
Zügen Adliger, welche teils freiwillig, teil® auf Grund der mit 
den Schweden getroffenen Vereinbarungen die Grenze über- 
ſchritten hatten, wie z. B. die Abteilung des Herrn Kajtellan 
von Kijow. Sie zogen ſich jekt zujammen; die Nachrichten aus 
der Nepublif hatten den Mut diejer „Erilierten“ von neuem 
entfacht; jie trafen num eifrige Vorkehrungen zur Rückkehr unter 
die Waffen. In ganz Schlefien wogte es. Bejonders rege ging 
e3 in den Herzogtümern Natibor und Oppeln zu. Dort flogen 
die Kuriere hin und her. Es entwidelte jich ein lebhafter 
Briefverfehr zwischen dem Könige, dem Stajtellan von Kijow, 
dem Kardinal-Primas von Polen, dem Kanzler Koryzinsfi und 
dem Kaſtellan von Krakau, Herrn Warſchyzki, welcher feinem 
föniglichen Herrn nicht einen Mugenblid untreu gevorden war. 
Alle dieje Herren jegten jich untereinander in Verbindung. Im 


3 


Einvernehmen mit der großherzigen, im Unglüd an Mut un— 
erjchütterlichen Königin wurden Verhandlungen mit angejehenen 
Perjönlichfeiten im VBaterlande wieder angefnüpft, von deren 
Königstreue man überzeugt war. Auch der Kronen-Marichall, 
die Hetmane und viele vom hohen Adel beeilten jich, durch Eil- 
boten den König willen zu lafjen, daß auch fie die Erhebung 
gegen die Fremdherrſchaft vorbereiteten. 


Wieder jtand die Republik Polen am Borabende eines 
allgemeinen Krieges. Die Schweden unterdrücten zwar jtellen- 
weie die Flammen der Auflehnung gegen die Gewaltherrichaft 
noch, bald durch die Gewalt der Waffen, bald mit dem Henkers— 
ichwert, aber war e3 an einer Stelle gejchehen, da ſtiegen jie 
an anderer Stelle jchon wieder in die Höhe Ein jchrecdlicher 
Sturm bereitete ſich gegen die jfandinavischen Eindringlinge 
vor. Der Boden, obgleich jchneebededt, brannte ihnen ſozuſagen 
unter den Füßen. Drohungen und Nachegejchrei tönte ihnen 
rings entgegen, jchredte und ängjtigte fie. 

Wie betäubt jchlichen fie umher. Die Siegeshymnen, welche 
noch unlängjt von ihren stehlen erflangen, waren verjtummt, 
und verwundert frug einer den anderen: „Sit das denn das— 
jelbe Volk, welches noch vor wenigen Tagen jeinen eigenen 
Herrn verlafjen, um fampflos ji) uns zu ergeben?“ 


Waren doch thatjächlich die polnischen Herren, der Abel, 
das Heer mit im der Gejchichte der Völker ganz unerhörter 
Bereitwilligfeit in das Lager der Sieger übergegangen, hatten 
ihnen die Thore der Städte, der Velten und Burgen freiwillig 
geöffnet. Nie war wohl ein ganzes Land leichter unterworfen 
worden, als dieje Nepublif. - Ohne Blutvergießen, ohne An— 
jtrengung war jie den Schweden in den Schoß gefallen. Die 
Sieger jelbit, erjtaunt über die Leichtigfeit des errungenen 
Sieges, fonnten den Befiegten, welche beim erjten Erjcheinen 
des jchwedischen Banners ihren angeitammten König, das Vater- 
fand verleugnet hatten, um in geträumter Ruhe und Wohlleben 
ihr Dajein hinzubringen, ihre Verachtung nicht verbergen. Das, 
was jeiner Zeit Wrejtjchowitjch dem Kaiſerlichen Gejandten Lijola 
gejagt hatte, das wiederholten jpäter alle jchwedischen Generale, 
ja der König jelbit: „Diejes Volk bejit weder Mut, noch Treue, 
weder Glauben, noch Baterlandsliebe, noch Sinn für geordnete 
Verhältnifje; — es muß zu Grunde gehen!“ 


Man hatte nur eines vergejlen, man wußte nicht, daß 
ein Gefühl ihm inne wohnte, dejjen irdiſcher Ausdruck Tſchen— 
1* 


4 


jtochau, der heilige Berg war. Und diefem Gefühl entjprang 
die Wiedergeburt dieſes Volkes. 

Der Donner der Gejchüge bei Tichenjtochau hatte einen 
nachhaltigen Widerhall gefunden in den Herzen der Magnaten, 
des Adels, der Städter und Bauern. Ein Schrei der Ent- 
rüftung war ertönt von den Karpaten bis zum baltischen Meere, 
der Rieſe war aus feiner Erjtarrung erwacht! 

„Das ijt ein anderes Volk!“ — fagten jet verwundert die 
jchwedischen Generale. 

Und alle, von Arwid Wittenberg angefangen, bis zu den 
Kommandanten der Eleinjten Burgen, jandten fie Boten zu 
dem in Preußen befindlichen Karl Gujtav mit der Schredens- 
botjchaft. 

Der Boden jchwand ihnen unter den Füßen. An Stelle 
der früheren Freunde fanden fie überall nur Feinde, ftatt der 
Unterwerfung, Widerjtand, jtatt Furcht, wilden Mut, jtatt janfter 
Duldung, Barbarismus, jtatt Ergebung, Racheluft. 

Unterdejjen flog in der ganzen Republik von Hand zu 
Hand das Manifeit Johann Kafimirs, welches ſchon früher 
von Schlejien aus erlafjen, vor der Belagerung von Tſchen— 
jtochau gar feine Beachtung gefunden hatte. Seht fonnte man 
feine Abjchrift überall finden. Wo irgend der ſchwediſche Arm 
nicht Hinreichte, da jammelte jich der Adel, da rottete fich das 
Bolf zujammen, um den Worten des vertriebenen Königs zu 
laufchen, welche dem Volke alle jeine Sünden und Fehler vor- 
haltend, dennoch mahnten, Die Soffnung nicht aufzugeben und 
zur Rettung der jo gejunfenen Republik ſich aufzuraffen. 

„Es iſt noch Zeit,“ jchrieb Johann Kaſimir, „die ver- 
(orenen Provinzen und Städte zurüdzugewinnen, die Kirchen— 
Ihändungen durch Feindesblut zu rächen und Freiheit, Ordnung 
und Necht nach altpolnifcher Weiſe wieder herzujtellen, wenn 
ihr die alten polnischen Tugenden, die alte, unjeren Vorfahren 
eigene, jo herzgewinnende Königstreue und Waterlandsliebe 
wieder erweckt, durch welche unſere Ahnen ſich ſtets vor anderen 
Völkern auszeichneten. Eure Nusjchreitungen haben euren 
Tugendjinn abgejtumpft. Wem Gott und jein Glaube über 
alle irdiichen Güter wert it, der erhebe jich gegen den ſchwe— 
diſchen Feind. Wartet nicht, bis die Wojewoden und Feldherren 
nach alter Staatsordnung euch zur Erhebung aufrufen, denn 
eure Zuvorfommenheit und Bereitwilligfeit, dem Schwedenkönig 
den Treueeid zu leiten, haben die alte Ordnung über den 
Haufen geworfen. Sammelt euch zu Zweien, Dreien, Vieren, 


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Fünfen; verpflichtet euch gegenjeitig, daß ein jeder mit jeinem 
Geſinde fich einfinde, wo euer gutes Necht Widerjtand gegen 
den Feind erheijcht. Dann wählt einen Führer. Eine jolche 
Vereinigung ſchließe jich der anderen an, bis ein genügend 
großes Heer ſich gejammelt hat, über welches dann ein Komman— 
dierender zu wählen ijt. Wartet Unjere Ankunft ab, aber 
unterlaßt inzwijchen feine Gelegenheit, den Feind zu schädigen. 
Sobald Wir auch nur den geringiten Beweis von eurer Treue, 
eurem Entgegenfommen und eurer Zuneigung erfahren, werden 
Wir fogleich zu euch eilen und Unjer Gut und Leben freudig 
zur Wiederherjtellung der Ehre und des Ruhmes des Bater- 
landes darbieten!“ 

Dieſes Manifejt wurde überall verlejen, jogar im Haupt- 
quartier Karl Gujtavs, im Lager der Schweden und überall, 
wo nur ein polnisches Fähnlein bei den Feinden jtand. Die 
Herren und der Adel hörten mit Thränen jedes dieſer könig— 
lihen Worte, fie bedauerten ihren guten Herrn und jchwuren 
auf das Kruzifix und ihre Schwerter, jeinen Willen treulich 
zu erfüllen. 

Um aber von dieſer Willensbereitjchaft einen Beweis zu 
liefern und zu zeigen, wie groß die Begeijterung ſei, griff man, 
noch ehe die Thränen getrodnet waren, zur Waffe, ſchwang ſich 
aufs Pferd und jchlug auf die Schweden los. 

So kam es, dat Fleinere jchwedijche Abteilungen fait ſpur— 
[08 zu verjchwinden begannen. Alſo gejchah e8 in Litauen, in 
Smudz, Mafowien, in Groß» und Stleinpolen. Es ereignete jich 
häufiger, daß eine größere Anzahl Adlige, welche bei den Nach— 
barn zu einem Namensfeſte, einer Taufe, Hochzeit, oder einer 
geſelligen Zuſammenkunft, ohne jede kriegeriſche Abſicht ſich ver— 
ſammelt hatten, das Feſt damit beſchloſſen, daß ſie in einer 
Weinlaune plöglich zu den Schwertern griffen, auf die Pferde 
Iprangen und das nächte bejte jchwediiche Kommando nieder- 
meßelten. Einmal im Zuge, ritt dann die Gejellichaft unter 
Geſang und Bivatrufen nach vollbrachtem Werk weiter, unter- 
weg3 alle diejenigen, welche Luſt hatten mitzuziehen, aufgreifend, 
und jo zu einem Haufen blutgieriger Partifanen angewachjen, 
zogen jie dann durchs Land, überall Krieg anfachend. Die 
leibeigenen Bauern und das Geſinde ſtrömte haufenweiſe herzu, 
um ſich ihnen anzuſchließen. Sie brachten in der Regel die 
Nachricht mit, wo einzelne ſchwediſche Wachtpoſten oder kleinere 
feindliche Abteilungen unvorſichtig in Dörfern oder Meilern 
ſtationiert waren. Die Zahl dieſer ſogenannten Vergnügungs— 


6 


zügler mehrte ſich täglich. Die angeborene Heiterfeit und 
öantafie dieſes Volkes mijchte frohe Gelage und blutige 
Kämpfe untereinander. Man liebte es, ald Tartaren verkleidet 
im Lande umbherzuziehen, da man wußte, daß jchon der bloße 
Name „Zartar“ die Schweden zu jchreden vermochte. Es 
freijten im jchwedifchen Heere die wunderlichiten Gerüchte von 
der Graujamfeit und dem Barbarismus dieſer Söhne der 
Krimſchen Steppen, welche die Sfandinavier noch nie gejehen 
hatten. Da nun allgemein befannt war, daß der Chan mit 
hunderttaujend Mann jeiner Horden dem Könige Johann Kaſimir 
zu Hilfe eile und die Polen das Schlachtgejchrei der Tartaren 
nachahmten, wenn fie die Schweden überfielen, jo entitand eine 
wahre Panik unter ihnen. 

Die jchwedilchen Hauptleute und Slommandanten waren 
wirklich überzeugt, daß die Tartaren jchon da feien und be— 
annen fich eiligjt in die größeren Feſtungen und Lager zu 
onzentrieren, überall Hin die Schredensfunde von dem Heran— 
nahen der Tartaren verbreitend. Das war gut, denn es wurden 
dadurch ganze Länderjtriche frei, in welchen ſich nun die [oje 
umberziehenden — ſammeln und zu einem regelrechten 
Heere formieren konnten. 

Doch gefährlicher als die Freizügler und ſchreckhafter als 
ſelbſt die Tartaren, war für die Schweden der Bauern-Aufſtand. 
Längſt jchon, gleich vom erjten Tage der Belagerung von Tjchen- 
jtochau an, hatte es im Volke zu gähren begonnen. Die jtillen, 
geduldigen Acdersleute hatten angefangen, den Forderungen der 
Feinde Widerjtand zu leiften und hier und da ihre Senjen zu 
jchwingen, um fie zu föpfen. Die verjtändigeren Generale be— 
obachteten diejes heraufziehende Unwetter mit großer Bejorgnis; 
e3 konnte ſich plöglich, einer Sturmflut gleich, über das Land 
ergießen und die Eindringlinge verjchlingen. 

Als geeignetites Mittel, diefe Gefahr in ihrem Entitehen 
zu vernichten, jchien ihnen der Schreden. Sie bedrüdten die 
Bauern auf die jchredlichite Weije, um ihnen Furcht einzujagen. 
Karl Guftav war zwar ſehr gnädig und jchmeichelte den 
polnischen Fahnen, welche ihm nach Preußen gefolgt waren, in 
liebevolliter Weife. Er that auch fein Möglichites, um jich dem 
Herrn Fahnenträger Koniezpolsfi, dem berühmten General- 
Negimentar von Sbaraſch, angenehm zu machen. Diejer jtand 
mit jechstaufend Neitern ihm zur Seite, welche bei dem eriten 
feindlichen Zujammentreffen mit dem Kurfürjten eine folche 
Berheerung unter den Preußen angerichtet hatten, daß der 


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Kurfürft den Kampf aufgeben und den Weg der Verhandlungen 
bejchreiten mußte. 

Der König von Schweden hatte auch Briefe an die —* 
mane, den Adel und die Magnaten abgeſandt, welche ſehr 
nädig allerhand Verſprechungen und Aufmunterungen ent— 
— um ſie zum Halten der Treue zu bewegen. Gleichzeitig 
aber erteilte er Befehl an alle Generale und Kommandanten, 
alle Widerſpenſtigen und allen Widerſtand im Lande mit 
Feuer und Schwert zu unterdrücken, namentlich aber die 
Bauern auszurotten. Von da ab hörten die Schweden auf, 
den Schein der Freundſchaft aufrecht zu erhalten, ein eiſernes 
Regiment brach an. Das Feuer, das Schwert, Raub und 
Mord traten an die Stelle geheuchelten Wohlwollens. Die 
Feſtungen und befejtigten Schlöfjer jandten Reiterabteilungen 
zur Verfolgung der ;jreizügler aus. Ganze Dörfer wurden 
der Erde gleichgemacht; Höfe, Kirchen os Brobjteien ver- 
brannt, die gefangenen Adligen den Henfersfnechten überliefert, 
den gefangenen Bauern aber die rechte Hand abgehauen, worauf 
man fie entließ. 

Am graujamjten verfuhren die Schweden in Großpolen, 
welches jo, wie es ſich zuerjt ergeben, auch zuerjt wieder fich 
gegen die Fremdherrſchaft erhoben hatte. Dort ließ der General 
Stein eine® Tages Ddreihundert Bauern föpfen, welche man 
mit den Waffen in der Hand gefangen hatte. In den Städten 
wurden Galgen aufgerichtet, welche für immer jtehen blieben 
und täglich) mit neuen Opfern behangen wurden. Aehnlic) 
verfuhrt Magnus de la Gardie in Litauen und Smudz, wo 
zuerjt die Höfe, dann die Bauern zu den Waffen griffen. Da 
e3 num jchwierig war, zu unterjcheiden, wer den Schweden 
Freund, wer Feind war, jo wurde niemand gejchont. 

Doc) das Feuer, welches mit Blut gelöjcht werden follte, 
erlofch nicht. Es loderte immer heftiger, immer weiter, und 
erbitterter entbrannte der Krieg, in welchem es beiden Gegnern 
nicht mehr um den Gewinn von Ehre, Schlöfjern und Städten 
zu thun war. Es wurde ein Krieg auf Tod und Leben. Die 
ſchwediſche Graufamfeit hatte den Haß der Gegner entjacht, 
man fämpfte nicht mehr, jondern man jtrebte, ſich gegenjeitig 
zu vernichten ohne Erbarmen. 


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2. Rapite, 


Diejer Vernichtungsfrieg war eben in jeinen Anfängen 
ausgebrochen, als Herr Kmiziz mit dem alten Kiemlitſch und 
deſſen beiden Söhnen in Glogau anlangte. Der Weg war 
mühevoll und langjam gewejen, denn die Gejundheit des jungen 
Helden war jtarf erjchüttert. Sie famen nachts am Ziel ihrer 
Neife an. Die Stadt war jo überfüllt von Soldaten, Herren, 
Adligen, Föniglichen und anderen Bedienjteten, die Herbergen 
alle bejegt, jo daß der alte Kiemlitjch nur mit großer Mühe 
ein Unterfommen für feinen Seren bei einem Geiler fand, 
welcher jchon außerhalb der Stadt wohnte. 

Den eriten Tag verbrachte Herr Andreas auf jeinem Lager 
im beftigiten Wundfieber. Zuweilen dachte er, eine jchiwere 
Krankheit werde ihn befallen, jeine Fräftige Natur aber half 
ihm das Fieber bewältigen. Während der darauf folgenden 
Nacht bejjerte jich fein Zuſtand. Am nächjten Tage jtand er 
jchon früh auf und ging in die Pfarrfirche, um Gott für jeine 
wunderbare Rettung zu danfen. 

Der Morgen war grau und dämmerig; es jchneite. Die 
Stadt lag noch jtill im Schlummer, aber durch Die offene 
Kirchenthüre fonnte man die Lichter auf dem Altar brennen 
jehen und die vollen Klänge der Orgel hören. 

Kmiziz trat in das Innere der Kirche Am Altar 
zelebrierte der Geijtliche die Votive; nur wenige Betende noch 
befanden ich darin. In den Bänken fnieten einige Gejtalten, 
welche ihre Angefichter in den Händen verbargen. Außer diejen 
gewahrte Herr Andreas, als jein Auge fi) an das Dunkel 


9 


gewöhnt hatte, eine dicht vor den Kommunionbänfen zu Kreuz 
liegende Gejtalt. Hinter ihr mieten zwei halberwachjene Knaben 
mit rojigen, engelsjchönen Kindergefichtern. Der Mann, welcher 
dort lag, verharrte regungslos, nur einzelne jchwere Seufzer, 
welche jich feiner Bruſt entrangen, ließen erraten, daß er wache 
und mit voller Inbrunſt bete. Auch Kmiziz betete aus voller 
Seele, doch wider Willen zog die auf dem Boden ausgejtredte 
Gejtalt jeine Blide immer wieder an, zuleßt fonnte er jie gar 
nicht mehr von derjelben losreißen. Beim gelben Lichte der 
Kerzen konnte er nun auch allmählich deutlicher die Umriſſe 
erfennen. 

Die Kleidung des Mannes ließ auf eine Perſon von 
Nang Schließen, ebenjo der Umjtand, dat alle Anwejenden, den 
Geiftlichen nicht ausgenommen, ihre Blicke zuweilen voll Ehr- 
furcht auf ihn richteten. Der Unbekannte war ganz in jchwarzen 
Sammet gekleidet, welcher mit Zobelpelz gefüttert umd bejett 
war. Nur die Schultern wurden von einem breiten weißen 
Spigenfragen bededt, unter welchem die Glieder einer goldenen 
Kette hervorjchimmerten; ein jchwarzer Hut mit breiter Krämpe 
und mit jchwarzen Federn geſchmückt, lag neben ihm. Ciner 
der Hinter ihm fnieenden Pagen aber hielt jeine Handjchuhe 
und einen blaugejchmelzten Säbel. Das Gejicht des Un— 
befannten fonnte Kmiziz nicht jehen, es war halb in den 
alten des Fleinen Teppichs verborgen, auf welchem er lag, 
und die herabfallenden Loden einer üppigen Perücke verdeckten 
e3 vollends. 

Herr Andreas rüdte jo nahe als möglich, um, wenn der 
Unbefannte aufjtand, jein Geficht jehen zu können. Unterdeſſen 
näherte die Botive ji) ihrem Ende; der Geiftliche fang jchon 
dag pater noster. Die Kirche begann jich mit Menjchen zu 
füllen, welche der bald darauffolgenden zweiten Meſſe bewohnen 
wollten. Es wurde etwas Gedränge. Da jtieß Kmiziz einen 
neben ihm jtehenden Edelmann an und flüjterte: 

„Verzeiht, Ew. Liebden, wenn ich eure Andacht jtöre, aber 
meine Neugierde ilt zu groß. Wer ijt jener dort?“ Cr zeigte 
mit den Augen hinüber nad) dem auf dem Boden Liegenden. 

„Ihr müßt von jehr weit hergefommen jein, daß ihr das 
nicht wüßt,“ entgegnete der Edelmann. 

„Das ift es eben,“ jagte Kmiziz. „Deshalb frage ich, in 
der Hoffnung, daß meine Frage an einen Menjchenfreund ge— 
richtet ift, welcher mir die Antwort nicht jchuldig bleibt.“ 

„Es iſt der König!“ 


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„Beim lebendigen Gotte!“ rief Kmiziz. 

In diefem Augenblid erhob der König fich, denn der 
Geijtliche verlas das Evangelium. 

Herr Andreas erblidte ein hageres, leidend ausjehendes 
Antlig, jo gelb, wie das Wachs der Kerzen auf dem Altar. 
Die Augen des Königs waren feucht, die Lider geröte. Ein 
großer Schmerz, Leiden und Sorgen waren in dieſen Mugen, 
in diejen edlen Antlig ausgeprägt. Schlafloje Nächte, kummer⸗ 
volle Tage, Enttäuſchungen, die Trauer über die Demütigung 
und ey A der Majejtät, über die Undankbarfeit jeines 
Volfes, für welches er Blut und Leben jo gern geopfert hätte, 
waren in dieſen Zügen zu lejen, wie in einem Buche Bei 
alledem hatten jtille Refignation, Glaubenstreue und unendliche 
Güte das Haupt und das Antlig dieſes Gejalbten des Herrn 
mit einem Heiligenfchein umfloffen. Man mußte auf den erjten 
Blick jehen, daß es nur der Rückkehr der Abtrünnigen bedurfte, 
nur der Bitte, fie wieder an fein Herz zu nehmen, um den 
Strom der Liebe, welchen das Herz diefes Mannes barg, über- 
fliegen zu machen. 

Kmiziz war zu Mute, al3 prefje ihm eine eiferne Klammer 
das Herz. Schmerz und Neue, jein großes Schuldbewußtfein, 
Ehrfurcht umd tiefites Mitleid benahmen ihm fajt den Atem. 
Ein neues, früher nie gefanntes Gefühl zog in feine Bruft ein. 
Er fühlte fich zu diefem Manne hingezogen; er wußte plößlich, 
daß er die jchmerzvolle Lage diefer Majeſtät vollitändig begriff, 
daß er Gut und Leben a wolle, um ihr zu ihrem Rechte 
zu verhelfen. Er hätte ihr jett zu Fühen fallen, jie um Ver— 
gebung feiner Schuld anflehen mögen. Der freche Raufbold in 
ihn war volljtändig erjtorben, ein neuer Menjch war er beim 
Anblick jo jchmerzvollen Leides, jo unendlicher Güte geworden, 
ein jeinem Könige treuergebener Diener. 

„Das aljo it unſer Herr, unfer unglüdlicher Herr!“ 
flüfterte er. 

Wieder war Johann Kaſimir niedergefniet, wieder hatte 
er ſich mit gefalteten Händen ins Gebet verjenft. Der Geiitliche 
hatte die Kirche jchon verlafien, eine Bewegung war entitanden, 
aber der König betete noch). 

Da jtieß jener Edelmann, welchen vorher Kmiziz gefragt 
hatte, ihn an. 

„Wer ſeid ihr?“ frug er. 

Kmiziz veritand nicht fogleich die Frage und antwortete 


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auch nicht, jo jehr waren feine Gedanfen von dem, was er jah, 
eingenonmen. 
„Ver jeid ihr?“ frug der Edelmann noch einmal. 

‚Ein Edelmann, wie ihr!“ antwortete Kmiziz, wie aus 
einem Traume erwachend. 

„Wie nennt man euch ?“ 

„Wie man mich nennt? Ich Heike Babinitfch und bin 
aus Litauen, aus der Gegend von Witebsk.“ 

„Und ich bin Lugowsfi, ein Hofjchranze! Bitte, alſo 
aus Litauen, aus Witebsk jeid ihr hierher gefommen?“ 

„Rein! Ich komme aus Tichenjtochau.“ 

Herr Lugowski jah Herrn Andreas jtarr vor Staunen an. 

„Wenn das der Fall it, dann kommt jchleunigjt mit mir, 
denn ihr müßt erzählen, was ihr wißt. Seine Majejtät zehrt 
jih auf vor Kummer, daß jeit drei Tagen feine Nachricht von 
dort mehr hierher gelangt ilt. Seid ihr von der Fahne 
Shrojchefs, oder Kalinskis, oder Kuklinowskis bei Tſchen— 
ſtochau?“ 

„Ich komme nicht bei Tſchenſtochau her, ſondern von dort, 
direkt aus dem Kloſter ſelbſt!“ 

53 ſcherzt doch wohl? Wie ſteht es? Hält das Kloſter 
ſich no 

7— hält ſich und wird ſich halten. Die Schweden werden 
demnächſt abziehen müſſen.“ 

„Wahrhaftig? Der König wird euch in Gold faſſen für 
dieje Kunde! Aus dem Kloſter jelbit, jagt ihr? ... . Wie jeid 
ihr denn durch das Schwedenlager gekommen?“ 

„Sch Habe die Schweden um Erlaubnis zum Durchmarjch 
nicht gebeten. Aber entichuldigt, mein Herr; ich kann im der 
Kirche nähere Auskunft nicht erteilen.“ 

„Ihr habt —— Herr Lugowski. — 
herziger Gott! . Ihr kommt wie vom Himmel gejandt! . 

In der Kirche schickt ed ſich nicht, darüber zu ſprechen! .. 
Wartet ein wenig! Der König wird ſich gleich erheben, er wird 
vor dem Hochamt frühjtüden . . . Heute ijt Sonntag. 
Kommt mit mir. . Wir wollen uns beide an die Thüre 
itellen, jo fann ich) euch gleich beim Dinausgehen dem Könige 
vorjtellen. . . . Kommt, fommt, wir haben feine Zeit zu 
verlieren.‘ 

Inden er das jagte, eilte er fort und Kmiziz folgte ihm 
auf dem Fuße. Sie hatten fi faum an der Thüre auf- 


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gejtellt, da famen auch jchon die beiden Pagen, Hinter ihnen 
langjam der König gegangen. 

„Allerdurchlauchtigiter Herr!“ rief Lugomwsfi. „Wir haben 
Nachrichten aus Tſchenſtochau!“ 

Die bleichen Züge des Königs belebten jich plötzlich. 

„Wie? Wo? Wer bringt ſie?“ frug er haitig. 

„Diejer Edelmann hier! Er jagt, bar er aus dem Klojter 
jelbjt komme.“ 

„So iſt das Kloſter jchon genommen?“ rief der König aus. 

Da warf fi) Kmiziz dem Könige zu Füßen. 

Sohann Kajimir beugte ic herab und faßte ihn an den 
Schultern. 

„Laßt das!“ rief er. „Laßt das... Steht auf, um Gottes 
Willen und ſprecht ... Iſt das Ktlojter genommen ?* 

Die Augen voll Thränen, jprang Kmiziz auf und jagte 
begeijtert: 

„Es iſt nicht genommen, Majejtät, und wird auch nicht 
genommen werden! Die Schweden jind gejchlagen! Ihr größtes 
Geſchütz iſt zerjprengt! Panik, Schreden, Hunger und Not 
herrjchen unter ihnen! Sie find gezwungen, an den Rüdzug 
zu denfen ...“ 

„Selobt ſeiſt du, Königin der Engel!“ jagte der König. 

Er wandte jich um, dem Eingang der Kirche zu, entblößte 
jein Haupt, fniete nieder, lehnte den Kopf an Die jteinerne 
Einfajjung der Thüre und verharrte jchweigend. Nach einigen 
Augenbliden hörte man ihn leiſe jchluchzen, jein ganzer 
Körper bebte. 

Auch die anderen Anweſenden wurden von Nührung 
erfaßt. Herr Andreas weinte laut aus. 

Nach einer Weile jtand der König beruhigt auf. Sein 
Antlitz trug einen viel heitereren Ausdrud. Er frug Kmiziz 
jogleich nad) jeinem Namen und als dieſer ihm jeinen an— 
genommenen genannt hatte, jagte er: 

„Herr Lugowski wird euch in Unjer Quartier führen. 
Wir wollen Unſer Frühjtüd einnehmen, während ihr Uns von 
der Belagerung erzählt!“ 

Eine Bierteljtunde jpäter jtand Kmiziz in den föniglichen 
Gemächern vor einer äußerjt vornehmen Gejellichaft. Der 
König wartete nur noch auf die Ankunft der Königin. Maria 
Ludwika erjchien auch bald, worauf man jich ſetzte, um Die 
Morgenjuppe einzunehmen. Der König hatte faum feine Ge- 
mahlın erblickt, jo rief er ihr jchon entgegen: 


13 


„Zichenitochau Hat die Belagerung ausgehalten! Die 
Schweden müſſen fie aufgeben! Hier iſt Herr Babinitjch, welcher 
von dort fommt und uns die frohe Botjchaft gebracht hat!“ 

Die jchwarzen Augen der Königin ruhten eine Weile 
forjchend auf dem Antlig des Ritters. Der Eindrucd, welchen 
jein offenes Gejicht und jein grader Bli machten, jchien jie 
zu befriedigen, denn ihre Züge wurden heiter. Er verneigte 
fi tief vor ihr und begegnete ihrem Blid mit offenherziger 
Ehrlichkeit. 

„Bei der Allmacht Gottes!” jagte die Königin. „Ihr habt 
eine große Lajt von Unjeren Herzen genommen. Walte Gott, 
daß dies der Anfang eines Umſchwunges in Unjerem Gejchic jei. 
Ihr jeid direft von Tichenjtochau hierher gefommen ?“ 

„Er jagt, direft aus dem Kloſter jei er, einer der Ver— 
teidiger besjelben!“ rief der König „Das iſt ein teurer 
Gaſt! ... Wollte Gott, e8 kämen jolche täglich einer ... Aber 
laßt ihn doc) zu Worte fommen ... Erzählt, Bruderherz, wie 
habt ihr euch Dort des Feindes erwehrt, wie hat Gottes Hand 
euch beſchützt?“ 

„sa, lerdurdhlauchtigfte Herrichaften,“ jagte Kmiziz. „Es 
war wirklich nur Gottes Fürjorge und die Huld der wunder: 
thätigen Gottesmutter, daß wir den Sieg errungen haben.“ 

Schon wollte Kmiziz mit dem Erzählen der Einzelheiten 
ber Belagerung beginnen, da traten noch mehrere hohe Würden- 
träger in das Gemach. Es erjchienen zuerjt der päpitliche 
Nuntius mit dem Fürſt Primas Leichtichingki und dem Probſt 
Wydzga, einem berühmten Kanzelredner, welcher dazumal Kanzler 
der Königin, jpäter Bilchof von Kulm und zulegt Primas von 
Großpolen war. Bald nad) ihnen fam der Neichsfanzler, Herr 
Koryzinsfi, und der Franzoſe de Noyers, Kammerherr der 
Königin, etwas jpäter noch andere Herren vom Hofe, welche 
mit ihrem hohen Herrn die Verbannung teilten. 

Der König, welcher gern jchon näheres erfahren hätte, rief 
allen Eintretenden gleich entgegen: 

„Hört, hört, meine Herren! Wir haben einen Gajt vom 
heiligen Berge hier ... Er bringt gute Nachrichten!“ 

Die Mürdenträger blidten neugierig zu Kmiziz hinüber, 
welcher wie vor einem Gericht jtand halten mußte. Doch er, 
von Natur furchtlos und an den Verkehr mit VBornehmen ge= 
wöhnt, ließ ſich durch die jtaunenden Blicke jo vieler hoch— 
eitellter Perjonen nicht aus der Faſſung bringen. Sobald alle 
las genommen hatten, begann er jeine Erzählung. 


14 


Man merkte es jeiner Nede an, daß er die Wahrheit jagte, 
denn er jprach flar und mit Nachdrudt, wie jemand, der das 
alles jelbit erlebt hat. Er ſprach vom Prior Stordezfi wie von 
einem Heiligen, erhob die Heldenthaten Zamoyskis und Tſchar— 
niezfis bis in den Himmel, lobte das Verhalten der Ordens- 
brüder und ließ niemand aus, nur fich jelber erwähnte er nicht. 
Die Erhaltung des Kloſters aber jchrieb er nur den Wunder- 
thaten der Mutter Gottes zu. 

Mit andächtigem Staunen hörten ihm die Anwefenden zu. 
Der Fürſt Primas erhob die thränenfeuchten Augen zum 
Himmel, der Probſt Wydzga dolmetjchte das Erzählte eiligit 
dem Nuntius, die anderen Herren jtütten ihre Köpfe in Die 
Hände oder falteten Die Hände über der Bruft. 

Kmiziz war in jeinem Bericht eben bei den legten Stürmen 
angefommen. Als er erzählte, dag Miller die ſchweren Be— 
lagerumngsgeichüge von Krakau, unter denjelben die Rieſenkanone, 
welcher noch feine Mauer widerftanden hatte, herbeijchaffen ließ, 
da hingen aller Augen an jeinen Lippen und Totenjtille herrjchte 
im Gemad). 

Plötzlich brach) Kmiziz ab. Dunkle Nöte färbte jeine 
Wangen, jein Atem ging rajcher. Nun runzelte er die Stirn, 
hob den Kopf ein wenig und jagte barjc) in Furzen, abgerijjenen 
Yauten: 

„Jetzt muß ich von mir jprechen, obgleich ich lieber darüber 
gejchwiegen hätte . . . Wenn ich etwas jage, was mir zum Lobe 
gereicht, jo iſt Gott mein Zeuge, daß ich es nicht thue um 
irdijchen Lohnes willen, denn diejen brauche ich nit. Mein 
höchiter Lohn wäre der, daß ich mein Leben für die Majejtät 
einjegen dürfte . . .“ 

„Sprecht dreift, Wir glauben euch!" fagte der König. 
„Bas war es mit der Niejenfanone?“ 

„Dieje Kanone... Sch ſtahl mich nachts aus der Veſte 
und zerfprengte fie mit Bulver in taujend Splitter! . . .“ 

„Beim allmächtigen Gotte!* rief der König. 

Auf diefen Ausruf folgte wieder tiefe Stille. Die Er- 
zühlung des Herrn Andreas hatte einen bewältigenden Eindrud 
auf die Hörer gemacht. Aller Blicke hingen an der Geitalt 
des jungen Helden, welcher mit hoc) emporgerichtetem Haupte, 
glühenden Wangen und bligenden Augen dajtand. Im feiner 
Haltung lag jo viel männliches Selbitbewußtjein, ein jo hoher, 
unerjchütterlicher Mut drückte jich in feinen Zügen aus, daß 
unwillkürlich jich den Anweſenden die Ueberzeugung aufdrängen 


15 


mußte, dieſer Menjch ſei einer ſolchen Heldenthat wohl fähig. 

Diefer Ueberzeugung gab auch zuerſt der Fürſt Primas 
Ausdrud, indem er jagte: 

„Der Mann fieht ganz darnach aus, jo etwas vollbracht 
zu haben.“ 

„Wie habt ihr das angeſtellt?“ frug der König, 

Kmiziz erzählte. 

„Es iſt faum zu glauben!“ meinte der Kanzler Koryzinski. 

„Meine Herren!” jagte der König würdevoll. „Wir ahnten 
nicht, daß es jolche Helden unter ung giebt. Uns bleibt Die 
Hoffnung, daß die Nepublif nicht verloren iſt, jo lange jie 
jolche Männer gebiert, wie diejer hier.“ 

„Er fann von fich jagen: ‚Si fractus illabatur orbis 
impavidum ferient ruinae‘,* jagte der Probſt Wydzga, welcher 
bei jeder Gelegenheit mit Zitaten zur Hand war. 

„Es iſt fait unmöglich,“ machte fich der Herr Kanzler 
wieder bemerflich, „Erzählt doch, Herr Kavalier, wie jeid ihr 
denn mit dem Leben davongefommen und auf welche Weije 
gelangtet ihr aus dem Schwedenlager?* 

„Der Donner der Erplofion betäubte mich,“ jagte Kmiziz. 
„sch blieb Tiegen und erjt am folgenden Tage fanden mich die 
Schweden an der Schanze bewuhtlos daliegend. Sie jtellten 
mich auch jogleich vor das Striegsgericht und Miller verurteilte 
mich zum Tode.“ 

„Ihr jeid entflohen?“ 

„Ein gewiffer Kuklinowski bat mich bei Miller für fich 
aus, damit er jeinen Haß an mir auslaſſen fünne, denn ich 
hatte ihn beichimpft.“ 

„Er iſt ein berüchtigter Raufbold und Mörder; wir haben 
bier auch von ihm gehört,“ jagte der Herr Kaitellan von 
Kriewen. „Seine Abteilung jteht mit Miller bei Tſchenſtochau ... 
Es ijt wahr!” 

„Sener Kuflinowsfi war einmal als Gejandter Millers 
ins Kloſter gefommen und hatte mich privatim zum Werrat 
überreden wollen, als ich ihm bis zum Thore das Seleit gab... 
da ohrfeigte ich ihn und jtieß ihn den Berg hinunter. Dafür 
wollte er ſich num rächen.“ 

„Ihr jeid ja ein Edelmann vom reinjten Blut!“ jagte 
der König heiter. „Nun jo einen Kuklinowski beleidigt man 
nicht jtraflos!... Alfo Miller jchenkte euch dem Kuklinowski?“ 

„Er schenkte mich ihm, Majeſtät! ... Jener aber zog jich 
mit mir in eine einfame Scheune zurück . .. Es waren noch drei 


16 


jeiner Soldaten dabei... Dort ließ er mich mit Striden an 
einem Balfen in die Höhe ziehen und marterte mic), indem er 
mir die Seite mit glühendem Pech verbrannte.“ 

„Barmherziger Gott!“ 

„Da wurde er plöglic zu Miller abberufen und unter- 
dejien famen drei andere jeiner Soldaten vom Klein-Adel, 
welche früher in meinen Dienjten geitanden hatten. Die jchlugen 
die Wächter nieder und banden mich los.“ 

„Aha, ich veritehe!“ jagte der König. „Ihr entflohet 
dann ?“ 

„Nein, Majejtät! Wir warteten die Rückkehr Kuklinowskis 
ab. Dann ließ ich ihn an denjelben Balfen fejtbinden, an 
welchem ich vorher gehangen hatte und brannte ihn beſſer, als 
er mich.“ 

In der Erinnerung an diejes Ereignis hatten fich die 
Wangen des Kavaliers von neuem gerötet, feine Augen 
jprühten Feuer. 

Der König aber, welcher gern von der Trauer zur 
röhlichkeit, vom Ernſt zum Shen; überging, klatſchte vor 
Vergnügen in die Hände und rief lachend: 

„Das war recht! Das war recht! Diejer Verräter hat 
e3 nicht beſſer verdient.“ 

„sch Lie ihn lebend zurücd,* fuhr Kmiziz fort, „aber bis 
zum Morgen muß er erfroren fein.“ 

„Rache ijt ſüß! Wir fünnten viele jolche Tapfere brauchen, 
wie ihr jeid,“ ſprach der König. „Ihr jeid aljo allein mit 
den drei Soldaten hierhergefommen? Wie heißen fie denn?“ 

„Kiemlitich; es ijt der Vater mit zwei Söhnen.” 

„Mater mea de domo Kiemlitschowna est“ (Meine 
Mutter ift eine geborene Kiemlitſch), jagte würbdevoll der 
Kanzler der Königin, Probſt Wydzga. 

„Dann muß es zweierlei Kiemlitjch geben, vom großen 
und vom Stleinadel,“ entgegnete Kmiziz heiter, „Die, welche ich 
bei mir habe, find nicht nur vom Kleinadel, jondern jie jind 
von Grund aus Gejindel, jonit aber tapfere Männer und mir 
jehr ergeben.“ 

Unterdejien hatte der Neichsfanzler, Herr Koryzinski, jchon 
längere Zeit mit dem Erzbifchof von Gneſen geflüſtert. Setzt 
jagte er: 

„Es fommt mancher hier an, welcher, um jich im gutes 
Licht zu ſetzen, oder cine Belohnung zu erhalten, gern lügt 
und aufjchneidet. Sie bringen faljche Nachrichten, oder jolche, 


17 


welche ung irre führen, jind aud) wohl gar vom Feinde dazu 
gedungen.“ 

Dieje Bemerkung wirkte erfältend auf alle Anwejenden. 
Kmiziz färbte ſich dunfelrot. 

„sc fenne die Stellung nicht, welche Ew. Gnaden be— 
fleiden,“ jagte er. „Sie mag wohl eine jehr hohe jein und 
ic) will ihr nicht zu nahe treten. Aber ich denke, ſelbſt die 
höchite Stellung berechtigt niemanden, einen Edelmann grundlos 
der Lüge zu aeihen.“ 

„Menjch! Ihr jprecht zum Neichsfanzler!* jagte Herr 
Lugowski. 

Jetzt entbrannte in Kmiziz der Zorn lichterloh. 

„Wer mich der Lüge beſchuldigt,“ ſagte er, „dem ſage ich, 
gleichviel ob er Kanzler iſt oder nicht, daß es leichter iſt, 
jemanden Lügner zu nennen, als ſein Leben in die Schanze 
u ſchlagen, leichter ein Siegel in Wachs zu drücken, als ſein 
Brut hinzugeben.“ 

Herr Koryzinski hörte gelaſſen dieſen Zornesausbruch an. 
„sch ſagte nicht, daß ihr lügt,“ antwortete er. „Aber Herr 
Kavalier, wenn ihr die Wahrheit jprecht, jo muß eure Seite 
ja verbrannt jein.“ 

„Kommt mit mir, gnädiger Herr, ich will fie euch zeigen!“ 
itieß Kmiziz wütend hervor. 

„Das ijt nicht nötig,“ jagte der König, „Wir glauben 
euch auch jo!“ 

„sch fordere dieſe Unterfuchung als eine Gnade, Aller: 
gnädigite Majejtät! Niemand hier, jei er auch noch jo hoch- 
geitellt, joll mich einen Lügner jchimpfen! Die Qualen, welche 
ich ausgejtanden, werden durch diefes Mißtrauen jchlecht gelohnt. 
sch verlange feine andere Belohnung, als daß man mir glaubt; 
mögen die Ungläubigen meine Wunden unterjuchen!“ 

„Dei Mir findet ihr Glauben!“ jagte der König. 

„Seine Worte tragen den Stempel der Wahrheit,“ jebte 
die Königin hinzu, „Sch täujche mich nicht.“ 

Kmiziz aber faltete die Hände und bat: 

„Allergnädigite Herrichaften! Erlaubt, daß jemand mit 
mir zur Seite trete; ich könnte das Mihtrauen nicht ertragen.“ 

„sch werde mit euch gehen,“ jagte Herr Tyſenhaus, 
ein junger Höfling am Hofe des Königs. 

Während er Kmiziz in ein anliegendes Gemach führte, 
jagte er zu ihm: 

„sc gehe nicht deshalb mit euch, weil ich euch > glaube, 


Sientiewicza, Sturmflut II, 


18 


denn ich glaube alles, was ihr jagt, nur um mit euch zu 
jprechen. Wir find ung irgendwo in Litauen jchon begegnet. 
Auf euren Namen fann ich mich nicht erinnern, denn es ilt 
leicht möglich, daß wir uns gejehen haben, als wir beide noch 
erit halberwachjene Burſchen waren.“ 

Kmiziz wandte den Kopf ein wenig zur Seite, um feine 
Berlegenheit zu verbergen. 

„Dielleicht jahen wir uns auf irgend einem Landtage. 
Mein jeliger Vater nahm mich gern mit zu den öffentlichen 
Verhandlungen, damit ich frühzeitig einen Einblick in das poli- 
tische Leben und Treiben gewinne.“ 

„Das iſt möglih! ... Euer Geficht ijt mir beſtimmt nicht 
fremd, nur hattet ihr damals diefe Narben nicht. Aber, wenn 
ich nicht jehr irre, jo führtet ihr auc einen anderen Namen.“ 

„Die Zeit täufcht das Gedächtnis,“ entgegnete Herr 
Andreas. 

Sie befanden jich im Nebengemach. Nach einer Weile trat 
Tyſenhaus wieder vor den König. 

„Seine ganze Seite ijt verbrannt, wie auf dem Roſt ge- 
braten,“ berichtete er. 

AS nun auch Kmiziz zurücgefehrt war, jtand der König 
auf, nahın den Kopf des jungen Nitters in beide Hände und 
jagte: „Wir würden niemals an der Wahrheit eurer Angaben 
zweifeln, und euer Verdienſt, jorwie eure Schmerzen werden nad) 
Gebühr gewürdigt werden.“ 

„Wir bleiben eure Schuldner,“ ſetzte die Königin Hinzu, 
ihm die Hand reichend. 

Herr Andreas ließ jich auf ein Knie nieder und fühte 
ehrfurchtsvoll die Hand der Königin. Dieje aber jtreichelte fein 
Haar mit mütterlicher Zärtlichkeit. 

„Und nicht wahr, ihr zürnt auch dem Herren NReichsfanzler 
nicht mehr?“ frug der König. „ES iſt ja wahr, Verräter und 
Lügner drängten jich jchon oftmals Uns auf und es gehört 
doch zu den Funktionen des Neichsfanzlers, Wahrheit von Un— 
wahrheit zu jondern.“ 

„sch glaube, der Zorn meiner Wenigfeit würde eine jo hohe 
Perjönlichkeit wenig grämen,“ antwortete Herr Andreas. „Es 
ziemt mir auch gar nicht, einem Staat3manne auch nur einen 
Augenblick zu zürnen, welcher durch jeine Vaterlandsliebe und 
Treue allen ein jo nachahmenswertes Beiſpiel giebt.“ 

Der Kanzler lächelte gutmütig und reichte Kmiziz die Hand. 

„So jei aljo Friede unter und. Ihr Habt mir da mit 


19 


dem Siegel auf Wachs einen häßlichen Hieb verjegt, denn ihr 
jolltet wijjen, day die Koryzinskis ihre Königstreue auch ſchon 
mit Blut bejiegelt haben.“ 

Der König wurde jehr froh geitimmt. 

„Diejer Babinitjch gefällt Uns, wie jelten jemand,“ jagte 
er zu den Anwejenden. „Wir wollen ihn auch nicht mehr von 
Uns lafjen und hoffen, recht bald gemeinschaftlich in das Vater— 
land zurückzukehren.“ 

„O, Alergnädigiter Herr!“ jagte Kıniziz begeiitert, „obgleich 
ich in der Veſte mit eingejchlojjen war, jo weiß ich doch vom 
Adel, dem Heere, ja jogar von denjenigen, welche bei Tjchen> 
jtochau unter Shrofchef und Kalinski dienen, daß alle jehn- 
jüchtig des Tages der Rückkehr Ew. Majejtät harren. So— 
bald Em. Meajejtät im Lande erjcheinen, wird Litauen, 
Kongrekpolen und Neußen wie ein Mann fich erheben und zu 
Ew. Majejtät eilen. Alle, bis auf den legten Mann, denn felbit 
der geringjte leibeigene Bauer jehnt den Tag der Befreiung 
herbei. Die Hetmane jind bereit, die Schweden anzugreifen; ich 
weiß jogar, daß fie Deputationen an Kalinsfi, Shrojchef und 
Kuklinowsfi nach dem Lager bei Tſchenſtochau gejandt haben, 
um jie gegen die Schweden aufzuhegen. Sch bin ficher, daß 
einen Monat nad) dem Erjcheinen Ew. Majejtät fein Schwede 
mehr im Lande jein wird, denn das ganze Land harrt nur der 
Ankunft jeines Hirten, welcher die verirrten Schafe allein 
wieder um ſich zu jammeln vermag! ...“ 

Kmiziz hatte ſich in eine ſolche Begeifterung hinein- 
ejprochen, daß jeine Augen in leuchtendem Feuer erglänzten. 
& war in der Mitte des Gemaches auf ein Knie gejunfen, 
während er den König bejchwor, in das Land zurüczufehren. 
Auch die Königin, welche mutig und bejonnen oft im Die 
Negierungsgejchäfte eingriff und den König jchon wiederholt 
gemahnt hatte, in fein Land zurüdzufehren, war von der Be— 
geilterung des jungen Ritters ganz hingerijjen. 

Sie wandte jich aljo jegt an Johann Kaſimir und jagte 
energijch und feit: 

„sch Höre die Stimme des ganzen Volfes aus dem Munde 
diejes Mannes! ...“ 

„So iſt e8 auch, wirklich, jo it es! Allergnädigite 
— .... Allerdurchlauchtigſte Landesmutter! ....“ rief 

iziz aus. 

Auch der Kanzler und der König waren durch etliche 
Worte Kmiziz' betroffen gemacht worden. 

2* 


20 


„Wir find immer bereit, Unfer Leben dem Wohle Unjeres 
Bolfes zum Opfer zu bringen. Wir warteten nur auf ein 
Beichen der Bejjerung Unjerer Unterthanen.“ 

„Diefe Beſſerung iſt jchon eingetreten,“ jagte Maria 
Ludwika. 

„Majestas infracta malis!“ ſprach der Probſt Wydzga, 
ehrfurchtsvoll zu ihr aufblickend. 

„Es iſt von großer Wichtigkeit,“ unterbrach ihn der Erz— 
biſchof Leſchtſchinskti, „daß zwiſchen den Hetmanen und den 
Hauptleuten bei Tſchenſtochau Verhandlungen eingeleitet ſind. 
Iſt das aber auch wirklich geſchehen?“ 

„Es iſt mir von meinen Leuten, den Kiemlitſchs, erzählt 
worden!“ entgegnete Herr Andreas. „In den Abteilungen 
Sbroſcheks und Kalinskis iſt offen darüber geſprochen worden, 
ohne Rückſicht auf Miller und die Schweden. Die Kiemlitſch, 
welche nicht in der Veſte mit eingeſchloſſen waren, unterhielten 
Verbindungen mit der Welt, dem Adel, den Soldaten. Ich 
kann die Dreie Sr. Majeſtät und euch edlen Herren vorführen; 
ſie mögen ſelbſt erzählen, wie es im ganzen Lande gährt. Die 
Hetmane ſind doch nur aus Zwang zu den Schweden über— 
gegangen, das Heer will zu jeiner Pflicht zurüdfehren, denn 
ie Schweden maltraitieren die Geiftlichkeit, jie rauben, jengen 
und morden, jpotten über die frühere Freiheit des Volkes; jo 
fommt es, daß diejes mit geballten Fäuſten und zähnefnirjchend 
des Augenblids Harrt, wo es zum Schwert greifen fann.“ 

„Auch Wir hatten jchon geheime Botjchafter vom Heere 
bier,“ jagte der König, „welche Uns einen allgemeinen Um— 
jchwung der Dinge und den guten Willen Unjerer Unterthanen 
zur Umkehr Fund thaten ... .“ 

„Auch Hier jtimmen alſo die Nachrichten diejes Kavaliers 
mit den jchon eingelaufenen überein,“ jagte der Kanzler. „Es 
iſt aljo von Kan Wichtigkeit, daß die Negimenter bejtrebt 
find, untereinander Verbindungen anzufnüpfen, denn das it 
das untrügliche Zeichen, daß die Frucht reif it, unſere Be— 
mühungen nicht umjonft waren und die Arbeit beginnen 
fann . . .* 

„Und Stoniezpolsfi?“ warf der König dazwijchen. „Und 
die vielen anderen, welche noch immer dem Gindringling bei- 
jtehen, ihn ihrer Treue verjichern ?“ 

Diefe Bemerfung des Königs machte alle verjtummen. 
Der König jelbit wurde plöglic ernit. Wie die Wolfen, wenn 
die Sonne ich hinter ihnen birgt, die Welt in dunkle Schatten 


21 


büllen, jo warf der Gedanfe an jeine ungetreuen Edlen einen 
tiefen Schatten über des Königs Antlitz. 

Nach einer Weile jprach er weiter: 

„Bott weiß es, daß Wir jederzeit zur Nüdfehr ins Vater- 
fand bereit jind. Was Uns davon zurüdhält, iſt micht Die 
ſchwediſche Königsmacht, jondern allein der unglüdjelige Wantel- 
mut Unferes eigenen Volfes. Wer fann wiſſen, ob jeine Umfehr 
von Dauer fein wird, ob nicht gerade in der Schnelligkeit feiner 
Gerühlswandlungen eine große Gefahr liegt? Können Wir 
einem Volke trauen, welches unlängit erit jeinen Slönig, fein 
Vaterland und feine Freiheit aufgegeben hat, um dem Fremd— 
berrjcher fich zu eigen zu geben? Wir jchämen Uns Unſerer 
Unterthanen und namenlojer Schmerz über diefe Schande preft 
Uns das Herz. Wo findet man in der Gefchichte der Völker 
ähnliche Vorgänge, wo lebt ein König, welcher jo viel Mißgunſt, 
jo viel Verrat erfahren hat, welcher jo verlafien daſteht, ala 
ich? Erinnert ihr euch noch daran, meine Herren, daß Wir 
mitten unter Unjeren Soldaten, welche Uns doch Treue ge- 
Ichworen hatten, nicht mehr Unjeres Lebens ficher waren? Und 
wenn Wir das Vaterland verlafjen haben und in fremdem Lande 
Schug und Unterfommen juchten, fo gejchah das nicht aus 
Feigheit und aus Furcht vor den Schweden, jondern weil Wir 
Unjer Volf vor dem gräßlichen Verbrechen des Königsmordes 
bewahren wollten.“ 

„Majeſtät!“ rier Kmiziz. „Unjer Volk Hat fich jchwer 
verfündigt und das Elend, welches es jetzt erduldet, iſt eine ge- 
rechte Strafe Gottes, aber bei den Wunden Jeſu! e3 würde 
jich Steiner finden laſſen, weder jest noch in alle Ewigfeit, 
welcher jo verworfen wäre, die Mörderhand gegen feinen König 
zu erheben!“ 

„Ihr jeid zu ehrlich, um an jolche Schandthat zu glauben,“ 
antwortete der König, „Wir haben aber Beweije! Obgleich die 
undankfbaren Radziwills Uns alle Güte durch Verrat gelohnt 
haben, jo hatte doch Fürſt Boguslaw noch jo viel Gewiſſen, Uns 
vor dem Dolchſtoß des Mörders zu warnen. Er hat Uns ge- 
jchrieben . . .* 

„Er hat gejchrieben?* frug Kmiziz verwundert. 

„Er hat Uns mitgeteilt, daß jich ihm einer für hundert 
Goldgulden angeboten hat, ung entweder tot oder lebendig ben 
Schweden auszuliefern.” 

Die Berjammelten überlief ein Schauer des Entſetzens bei 


22 


diefen Worten des Königs, und Kmiziz vermochte faum die 
Frage zu jtammeln: 

„Ben fonnte er meinen, wen?“ 

„Einen gewiljen Kmiziz nannte er,“ antwortete der König. 

Da —— eine heiße Blutwelle dem Kavalier in den op. 
E3 wurde ihm dunkel vor den Augen; er griff mit beiden 
Armen nad) jeinem Kopfe und fchrie wie ein Irrſinniger: „Das 
it eine Lüge! Der Fürſt Boguslaw lügt wie ein Hund! 
Majeität, König, mein Herr! Glaubt diefem Verräter nicht! 
Er hat die Lüge erdacht, um feinen Feind unjchädlich zu machen, 
und Ew. Majettät in Schreden zu jegen. Herr, mein König! 

Er ift ein Verräter! ... Kmiziz würde eine jolche Handlung 
nie begehen ...“ 

Hier überwältigten die Aufregung, die Not und Bein der 
jüngjt vergangenen Tage, die gejchwächten Kräfte den jungen 
Ritter. Er drehte jich plöglich im Kreiſe herum und jtürzte 
leblos dem Könige zu Füßen. 

Man Hob ihn auf und trug ihn in ein Nebenzimmer. Der 
königliche Leibmedifus machte Wiederbelebungsverjuche. Seiner 
der Berjammelten aber fonnte fich erklären, warum die könig— 
fihen Worte eine jo erjchütternde Wirkung auf den Edelmann 
hervorgebracht hatten. 


„Entweder iſt er jo edlen Charakters, daß der bloße Ge— 
danke an jolche Greuelthat ihn ohmmächtig machte, oder er ilt 
ein Verwandter von Kmiziz,“ jagte der Herr Sajtellan von 
Krakau. 


„Bir werden das in Erfahrung zu bringen ſuchen müfjen,“ 
jagte der Neichsfanzler Koryzinski. „In Litauen ſind faſt alle 
unter einander verwandt, wie bei uns auch.“ 

„Majeſtät!“ fiel jetzt Tyſenhaus ein. „Gott bewahre 
mich, dat ich dDiefem Edelmanne etwas Böſes nachjagen wollte... 
aber... .. ich glaube, man darf ihm nicht allzufehr vertrauen. 
Daß er in Tſchenſtochau war, iſt wahr. Seine Seite ijt ver- 
brannt und das haben ihm die Mönche nicht gethan, denn dieje 
müfjen als Diener Gottes jelbjt an den Feinden Barmherzigkeit 
üben. Nur eines geht mir immerfort im Kopfe herum und 
läßt fein volles Vertrauen zu ihm bei mir auffommen ... 


Ich habe ihm jchon irgendwo in Litauen gejehen . . . als er 
noch ein Bürjchchen war, . . . gelegentlich eines Landtages oder 
Vergnügens, . . . ich fann mich nicht erinnern, wo ...“ 


„gun, und u: folgt daraus?“ frug der König. 


23 


„Und er... mir ift immer, .... dab er damals nicht 
Babinitjch hieß.“ 

„Sprecht feinen Unſinn!“ jagte der König. „Ihr jeid 
jung und zeritreut, da fommen leicht Verwechjelungen vor. Ob 
er Babinitjch heißt oder anders, — weshalb jollte ich ihm miß— 
trauen? Offenheit und Ehrlichkeit prägen jich in feinen Zügen 
aus, er hat ein treues Herz. Wenn ich auch ihm nicht trauen 
dürfte, der jein Leben für mich gewagt, dann müßte ich alles 
Selbitvertrauen verlieren.“ 

„Jedenfalls verdienen jeine Worte mehr Glauben, als der 
Inhalt des Briefes vom Fürſten Boguslam,“ mijchte fich die 
Königin ein. „Sch bitte die Herren, in Erwägung zu ziehen, 
daß wirklich fein Wort Wahrheit an dem zu fein braucht, was 
der Fürſt jchreibt. Den Radziwills der Birzer Linie muß that- 
tächlich viel daran liegen, Uns vollitändig mutlos zu machen, 
und es iſt leicht möglich, daß Boguslam auch einen feiner 
Gegner verderben und für den Fall, daß die Lage der Dinge 
ſich ändert, für jich durch die Warnung den Nüdzug offen 
halten wollte.“ 

„Denn ich nicht daran gewöhnt wäre, daß den Lippen 
unjerer Allergnädigiten Königin nur Worte der Weisheit ent- 
itrömen, jo müßte ich über die Kombinationsgabe Ew. Majeftät 
ſtaunen,“ jagte der Fürſt Primas. „Sie iſt des größten Staats— 
mannes würdig.“ 

„... curasque gerens, animosque viriles! ...* flüjterte 
der Probſt Wydzga vor ſich Hin. 

Durch diefe Anerkennung ermutigt, erhob ich die Königin 
von ihrem Sejjel und begann jo zu jprechen: 

„Es handelt jich hier weniger um die Birzer Radziwills, 
denn ſie jind den Einflüjterungen ihrer protejtantijchen 
Slaubensgenofjen gefolgt. Auch der Brief des Fürſten 
Boguslaw ijt Mir nicht viel Redens wert. Der ijt wohl der 
Ausflug irgend einer Privatangelegenheit desjelben. Was 
Mich mehr aufregt und jchmerzt als alles andere, das jind 
die verzweifelten Worte des Königs, Meines Herrn und Ge- 
mahls, das iſt das Urteil, welches er jelbjt über jein Volt 
fällt. Wer foll es in jeinem Falle aufhalten, wenn der eigene 
König es aufgeben will? Wenn Ich Umschau Halte unter den 
Völkern der Erde, da muß Ich dem Urteil des Königs folgen- 
des entgegenhalten: Wo findet jich ein Bol, in welchem die 
alten Weberlieferungen ſich jo fortpflanzen und vermehren, wie 
bei Unjerem Bolfe? Wo ijt noch ein Volk, welchem jo viel 


24 


Freimut inne wohnt? Zeigt, nennt Mir ein Königreich, in 
welchem jo wenige Verbrechen verübt werden wie bei Uns? 
Hier giebt es feine Meuchelmörder und Giftmijcher und feine 
Hinterlijt, wie 5.3. bei den Engländern. In Unjerem Vater- 
lande iſt bisher jeder Herrjcher eines natürlichen, ruhigen Todes 
geitorben, während in anderen Ländern der Königsmord an der 
Tagesordnung it... Es ijt wahr! ... Unjer Volk Hat fich 
jchwer verjündigt durch Uebermut und Leichtjinn . . . Aber 
welche Nation hätte das nicht auch jchon gethan und welche 
wäre wohl jo bald zur Einficht ihrer Schuld gelangt, welche 
jo jchnell bereit, Buße zu thun, wie die Unjrige?... Da jeht, 
Mein Herr und Gemahl! Sie fommen jchon, die Abtrünnigen, 
mit dem Schuldbefenntnis zu Ew. Majejtät! Sie wollen Euch) 
ihr Leben weihen, ihr Blut für Euch vergiefen. Wollt Ihr 
Euer Bolt von Euch jtoßen? Wollt Ihr den Neuigen nicht 
Verzeihung gewähren, den Bejjerung Berjprechenden nicht ver- 
trauen, den Stindern, welche an das Herz des Vaters flüchten, 
Eure Liebe nicht wieder zuwenden? ... O jchenft doch Euer 
Vertrauen denen, welche das väterliche Regiment der Jagiellonen 
zurüderjehnen . . . Gehen Wir zu Unferem Wolfe! ... Ich, 
ein Weib, fürchte Mich nicht vor Berrat. Sch jehe nur die 
Liebe und Reue Unjerer Unterthanen, die das Klönigreich wieder 
heritellen wollen, welches jich von Gejchlecht zu Gejchlecht ver- 
erbt. Es iſt ja auch unmöglich, daß Gott dieſes Herrliche 
Land, in welchem die Leuchte jeine® Glaubens ihr Licht in 
ferne Länder jendet, dem Untergange geweiht haben jollte. 
Gottes jtrafende Hand hat eine Weile auf Unjerem Wolfe 
geruht. Seine Güte wird es in furzem wieder zurücführen 
auf den Weg des Heild. So verachte es auch jein König nicht! 
Vertraut den Söhnen des Vaterlandes Euer Leben an, und auf 
diefe Weije fann das Böfe zum Guten, der Gram in Freude, 
das Elend in Glück ſich wandeln.“ 

Nachdem fie aljo gejprochen, ſetzte die Königin fich wieder 
nieder. Ihre Augen leuchteten, ihr Atem ging ſchnell. Mit 
Bewunderung blieten alle Anwejenden auf die hohe mutige 
Frau und der Probſt Wydzga fing feierlich zu zitieren an: 

„Nulla sors longa est, dolor et voluptas 
Invicens cedunt. 
Ima permutat brevis hora summis . . .“ 

Doch niemand hörte auf ihn. Die Begeiiterung der 
Königin hatte fich allen mitgeteilt. Selbjt des Königs Wangen 
waren von der Aufregung gerötet; er jprang auf und rief aus: 


25 


„Noch ijt mein Reich nicht verloren, jolange eine jolche 
Königin mir zur Seite jteht! Es jei denn! Ihr Wille gejchehe, 
denn prophetijch Elingen ihre Worte. Je eher wir aufbrechen 
und im Lande erjcheinen, deito beſſer ... .“ 

Da ſagte ernjt und wiürdevoll der Fürſt Primas: 

„sch möchte dem ausdrüclichen Wunſche der Allerhöchiten 
Herrichaften nicht zuwider jprechen. Doc) bleibt die Aus— 
führung desjelben immerhin ein Wagnis. Meine Anficht it 
die, daß die Vorficht gebietet, zuerjt noch nach Oppeln zu gehen, 
wo die Mehrzahl der Senatoren ſich aufhält, um diejelben zu 
einer Berfammlung zujammenzuberufen, ihre Meinung zu hören, 
da die Herren dort jedenfalls beſſer über alle politijchen Vor— 
gänge unterrichtet jein werden, als wir.“ 

„Auf denn nach Oppeln!“ rief der König, „und dann 
auf den Weg, den Gott Uns weijt!“ 

„Gott wird Uns zurüd ins Vaterland und zum Siege 
führen!” jagte zuverfichtlich die Königin. 

„men!“ jagte der Primas. 








3. Rapitet, 





Herr Andreas wütete wie ein verwundeter Stier in jeiner 
Herberge. Die teufliiche Nache Nadziwilld brachte ihn dem 
Wahnſinn nahe Nicht genug, dab der Fürſt fich feinen 
Händen entrifjen, ihn jelbit fait ums Leben gebracht und mehrere 
jeiner Leute getötet hatte, auch noch Schmach und Schande 
brachte er über ihn, jo große Schande, wie fie nie jemanden 
weder in jeiner Familie, noch in ganz Polen betroffen. 

Kmiziz war jo verzweifelt, daß er im Begriff jtand, allem 
zu entjagen, jogar der Ausficht auf einen Dienit am füniglichen 
Hofe, nur um hinaugzueilen in die Welt, die er faum verlafien 
hatte, und Nache zu üben an demjenigen, den er haßte über 
alle Maßen. 

Dann überlegte er doch, troß der überjchäumenden Wut, 
welche ihn befallen hatte, daß, jo lange der Fürſt am Leben 
war, er jeiner Nache nicht entgehen fonnte, die beſte Gelegenheit 
aber, die Lügen des Verleumders zu widerlegen, jeine ganze 
Ehrloſigkeit and Licht zu bringen, fich eben im Dienſte des 
Königs finden mußte. Er wollte der Welt beweifen, daß 
e3 ihm nicht nur fern gelegen hatte, den König meuchlings zu 
morden, jondern daß Johann Kaſimir unter dem ganzen Adel 
Polens feinen treueren Diener finden fonnte, als ihn, Kmiziz. 

Zähnefnirjchend, wutentbrannt zerriß er die Kleider auf 
jeinem Leibe und es dauerte lange, ehe er jich beruhigte. 

Dann vertiefte er ich in Nachegedanfen. Er ſchwur ſich 
beim Andenken an jeinen Vater, daß er den Fürjten in jeine 
Gewalt befommen müſſe und follten Tod und Höllenpein feiner 
dafür warten. Hätte der Fürſt Boguslam, diefer mächtige Herr, 
welcher nicht nur die Rache eines einfachen Adligen, jondern 


27 


jogar die des Königs verlachte, die Gedanken und die jchranfen- 
loſe Wut Kmiziz' gekannt, er Hätte nicht jo ruhig geichlafen, 
als er e8 that. 

Und dabei wußte Kmiziz nur, daß er ihm Ehre und den 
guten Namen hatte rauben wollen; er ahnte ja nicht, was der 
Fürſt mit Olenka vorhatte. 

Inzwiſchen ließ der König, welcher den jungen Edelmann 
jehr lieb gewonnen hatte, noch an demfelben Tage Kmiziz durch 
Herrn Lugowski zu ſich berufen. Am folgenden mußte er mit 
dem Hofe nach Oppeln aufbrechen, wo mit den Senatoren über 
die Nückehr des Königs ind Vaterland beraten werden jollte. 
Das war notwendig, denn jchon hatte der Kronenmarſchall eine 
neue Bitte um eilige Rückkehr dem Könige zugejandt, mit dem 
Bemerfen, dab alles zum allgemeinen Aufſtande bereit jei. 
Außerdem hatte ſich eine neue Verbindung zur Verteidigung 
des Königs und des Waterlandes im Weiche gebildet, welche 
ſchon lange vordem ing Leben gerufen werden jollte und welche 
nun unter dem Namen „Die SKonföderation von Tyſchowietz“ 
zufammengetreten war. 

Diefe Nachrichten bejchäftigten die Gedanken aller ganz 
außerordentlich. Mean verjammelte jich gleich nach der heiligen 
Mefle zu einer geheimen Konferenz, an welcher auf den Wunsch 
des Königs auch Kmiziz teilnehmen mußte. 

E3 wurde die Frage erörtert, ob die Nückfehr ins Vater— 
(and jogleich erfolgen jolle, oder ob man den Augenblid ab- 
warten jolle, wo das Kronenheer mit dem Abfall von Schweden 
vom guten Willen zur That übergehen werde. 

ohann Kaſimir machte der Debatte ein Ende, indem 
er jagte: 

„sch bitte die Herren, nicht über den Zeitpunkt Unjeres 
Aufbruches von Hier zu jtreiten. Darüber bin ich mit Mir 
einig. Hiermit erfläre Ich, daß Wir bejtimmt noch in dieſen 
Tagen abreifen, fomme, was da wolle. Cure Gedanfen jollen 
ſich von jett ab nur damit bejchäftigen, die ficherjten und 
Ichnelliten Wege zur Heimat aufzufinden.“ 

Darüber waren die Meinungen erjt recht verfchieden. Die " 
einen warnten, dem Herrn Kronenmarjchall nicht allzufehr zu 
trauen, da derjelbe jich jchon einmal wanfelmütig und unzu— 
verläffig gezeigt hatte, indem er die Reichskrone, anjtatt fie dem 
Kaifer in Verwahrung zu geben, diejelbe nach Lublin brachte. 
„Er jei ein maßlos jtolzer Mann,“ wurde gejagt. „Wenn er 
nun gar noch den König in feinem Schloſſe beherbergen dürfe, 


28 


wer weiß, was da gejchehen könne, was für einen Lohn er für 
jeine Dienjte beanfpruchen wolle. Es jei ihm zuzutrauen, daß 
er die Regierung an fich reißen und über den König ein Pro- 
teftorat ausüben werde.“ 

Dieſe Partei alſo riet dem Könige, den Nücdzug der 
Schweden abzuwarten und dann nach Tichenjtochau zu gehen, 
als an denjenigen Ort, von welchem die Wiedergeburt des 
Bolfes ausgegangen jei. 

Doch andere waren anderer Anficht. 

Die Schweden jeien noch bei Tſchenſtochau und wenn jie 
mit Gottes Hilfe das Kloſter auch nicht erobern werden, jo 
find die Wege dorthin doch nicht frei. Die ganze Gegend ſei 
von Schweden bejett. Kſchepitz, Wielun und Srafau fowie 
alle Grenzorte in den Händen der Feinde. In den Bergen 
an der umngarijchen Lehne entlang gäbe es aber feine anderen 
Coldaten, als das Negiment des Marjchalls, denn bis dorthin 
vorzudringen, dazu gebrach e3 den Schweden ſowohl an Mann- 
Ichaften, wie an Mut. Bon Lubow aus jei es auch näher 
nach) Reußen, welches jtet3 von feindlicher Beſatzung frei 
geblieben war, und nad) dem jtet3 fünigstreuen Lemberg. 
Bon dort aus erwarteten auc) die Tartaren den Entichluh 
des Könige. 

„Der Herr Marjchall,“ jagte der Bilchof von Krakau, 
„wird ſich mit der Ehre zufrieden geben, da Se. Majejtät 
zuerjt bei ihm in der Spijer Starojtei Einfehr hält und er 
als erjter den König verpflegen darf. Der König werde Die 
Negierung nicht aus den Händen geben und den Herrn Mar- 
jchall wird die ihm erwiejene Ehre zufrieden jtellen. Wenn er 
an Treue und Dienjteifer allen vorangehen will, gleichviel, ob 
diejes Verlangen jeinem Stolze, oder der Liebe zum Königs— 
hauſe entjtammt, immer wird jein Anerbieten der Meajejtät 
große Vorteile gewähren. 

Die Anfiht des an Erfahrungen reichen und edlen 
Biichofs erhielt die Zuftimmung der Mehrzahl. Es wurde 
aljo fejtgejtellt, da der König nach Lubow durch das Gebirge 
und von dort nach Lemberg, oder wo die Verhältniſſe jeine 
Anmwejenheit dringend erheiichten, gehen jolle. 

Auch der Tag der Abreije jollte jogleich feitgejegt werden, 
doch der Wojewode von Lentſchütz, welcher joeben vom Kaiſer 
zurüdgefehrt war, den er im Namen des Königs um Hilfe 
gebeten, riet, einen Tag nicht zu bejtimmen, die Beitimmung 
über den Zeitpunft der Abreije vielmehr dem Könige jelbit zu 


29 


überlafjen und zwar darum, um durch Verbreitung von Nach- 
richten über den Termin des Aufbruches, den * nicht zu 
warnen. Es wurde alſo nur der Beſchluß gefaßt, der König 
ſolle mit einer Eskorte, beſtehend aus dreihundert auserleſenen 
Dragonern unter der Leitung des Herrn Tyjenhaus, welcher, 
obgleich noc) jung, doch als tüchtiger Soldat galt, ausrüden. 

Der weitaus wichtigere Teil der Beratung folgte nun erit. 
Einmütig jollte bejchlofjen werden, daß nach der Rückkehr des 
Königs in jein Reich die Regierung allein in jeiner Hand ruhen 
jolle und daß alle Verfügungen der Majejtät, gleichviel was fie 
betrafen, von dem Adel, dem Heere und den Hetmanen rejpektiert 
werden müſſen. Man erörterte die Vergangenheit und die Ur- 
jachen des jo plöglich hereingebrochenen Unheils, welches in 
furzer Zeit das ganze Land wie eine Sturmflut überzogen 
hatte, und führte dasjelbe auf die Unregelmäßigfeiten und die 
Willfür Einzelner in der Verwaltung, den Mangel an Ge- 
horjam und die allzuleichtfertige Nichtachtung der Königswürde 
zurüd. 

Man hörte den Ausführungen des Fürjten Primas mit 
gejpanntejter Aufmerkſamkeit zu. Handelte es jich doch um noch nie 
dagewejene tief eingreifende Veränderungen in der Verwaltung 
des MNeiches, welche allein die Möglichkeit boten, die Nepublif 
zu ihrer früheren Macht zurüdzuführen. Dieje Veränderungen 
wünjchte ganz bejonders die kluge, ihr Land ſehr Liebende 
Königin. 

Der Kirchenfürit jprach jo eindringlich, jo klar und ver- 
jtändlich, daß den Hörern die Herzen dabei aufgingen, wie die 
Blumenfnojpen fich dem Lichte der wärmenden Sonne öffnen. 

„Es liegt mir fern, gegen die altherfömmlichen Freiheiten, 
die unjere Nation genießt, zu opponieren,” jagte der Primas, 
„nur jene übermütigen Auswüchſe derjelben a ich verdammen, 
welche einzig und allein jchuld find an dem Verfall der Re— 
publif. Wahrhaftig! Im diefem Neich verjteht man fein Map 
zu halten, feine Grenze zu ziehen zwijchen Freiheit und Ueber— 
mut, und jeht: „jo wie llebermaß in der Freude Schmerz be- 
reitet, jo führt zügelloje Freiheit zur Umnfreiheit. Bis zu welcher 
Berblendung jind die Bewohner diejes herrlichen Landes ge— 
langt, daß fie glauben fonnten, nur derjenige fei ein wirklicher 
VBaterlandsfreund, welcher der größte Yärmmacher iſt, die Land- 
tage jtört, dem Willen des Königs entgegen wirft gerade in 
Fällen, wo es fich um ernjte Negierungsangelegenheiten handelt. 
Unjere Schagfammer ijt leer, die Soldaten, welche ihren Sold 


30 


nicht mehr ausgezahlt erhalten fonnten, haben Dienjte beim 
Feinde gejucht, die Yandtage haben ihre Funktionen eingejtellt, 
denn ein einziger Uebelgejinnter, ein Uebermütiger genügte, um 
die größte Verwirrung in die Verhandlungen zu bringen, fie 
ganz aufzulöjen. Soll das ‚Freiheit genannt werden, wenn Die 
Stimme eines Einzigen, das Werk Bieler zu nichte machen darf? 
Sit denn dieſe jchranfenloje Freiheit eines Einzelnen nicht die 
Unfreiheit Vieler? Wohin hat jie uns denn geführt, dieje reis 
heit, was für Früchte hat fie getragen? Da jeht ihr! Ihr 
habt es erlebt, da der Feind, über welchen unfere Vorfahren 
jo oft glänzende Siege erfochten haben, jest unjer Vaterland 
vom Norden bis zum Süden beherrjcht. Niemand hat ihn in 
jeinem Borjchreiten aufgehalten, niemand ihn an der Beſitz— 
ergreifung des Landes, an der Schändung der Kirchen, am 
Morden, Rauben und jonjtigen Gewaltthaten gehindert! So 
weit iſt e8 Durch Die Freiheitsluſt der Brüder, durch ihre 
Zänkereien und zFeindjeligfeiten unter einander gefommen! Sie 
haben den angejtammten Bejchüter des VBaterlandes zuerjt macht- 
[08 gemacht, dann haben fie fich beflagt, daß er jie nicht be= 


ſchützte .... Sie verſchmähten ſeine Befehle, traten dieſelben 
mit Füßen, jetzt tragen ſie das Joch des Feindes! ... Wer 


anders aber, ſo frage ich, könnte die Republik retten, wenn 
nicht derjenige, der ihr ſein Leben geweiht? Er allein, der ſein 
unglückliches Land ſiegreich durch den Krieg mit den Koſaken 
geführt, der ſich unerhörten Gefahren ausgeſetzt hat, der bei 
Sbaraſch und Bereſchtez wie ein gemeiner Soldat gefochten 
und alle Beſchwerden mit ſeinen Kriegern geteilt hat, er allein 
kann ſein Reich wieder zum früheren Glanz zurückführen .... 
Ihm wollen wir allein vertrauen, ihm die Diktatur übergeben! 
Wir ſelbſt aber wollen Sorge tragen, daß die inneren Kämpfe, 
der Uebermut und die Privatangelegenheiten einzelner nicht 
ungejtraft bleiben und auf dieſe Weije der Regierung wieder 
zu ihrem Anjehen verhelfen.“ 

Aljo Hatte der Primas gejprochen. Das Unglück und die 
Erfahrungen der legten Zeit hatten die Hörer überzeugt, daß 
der Redner vollfommen Recht hatte. Eines von beiden nur 
fonnte gejchehen — entweder wurde das Königtum in Bolen 
wieder befejtigt, oder die Nepublif mußte untergehen. Es 
protejtierte daher auch niemand gegen die Ausführungen des 
Fürſten Primas, nur begann nach dem Schluß feiner Rede 
eine lebhafte Debatte über die Mittel, durch welche die Vor— 
jchläge des Primas am leichtejten und beiten zur Ausführung 


31 


gelangen konnten. Die Majeſtäten hörten mit freudiger 
Spannung zu, bejonders die Königin, welche jchon lange über 
einem Plane zur Seritellung der allgemeinen Ordnung im 
Reiche arbeitete, 

Der König war heiter und befriedigt nach Glogau zurüd- 
gekehrt. Er berief fogleich einige der vertrauteiten Offiziere, 
darunter Kmiziz, in jein Gemach und jagte ihnen folgendes: 

„E3 drängt Uns num lebhaft, diefes Land zu verlafjen, 
am liebjten möchten Wir gleich morgen aufbrechen. Deshalb 
haben Wir euch zu Uns berufen, damit ihr euch jo jchnell als 
möglich marfchbereit macht. Jeder Augenblick ift verloren, den 
Wir ohne Not länger hier verweilen. Das Vaterland ruft, 
deshalb heißt es eilen.“ 

„Sicherlich iſt es beſſer, die Abreife nicht hinauszuſchieben, 
jobald das mit dem Willen Ew. Majejtät übereinjtimmt,* jagte 
Herr Lugowski. „Se jchneller der Aufbruch jtattfindet, deſto 
bejjer!“ 

„Damit der Feind die Abjicht der Rückkehr nicht erfährt 
en jeine Wachjamfeit verdoppelt,” ergänzte der Hauptmann 

olff. 

„Der Feind it Schon aufmerkſam gemacht; er hat alle 
Wege bejeßt, jo gut er kann!“ jagte Kmiziz. 

„Woher wißt ihr das?“ frug der König. 

„Noch als ic in Tichenjtochau war, erhielten wir durch 
Bauern zuweilen Nachrichten über die Vorgänge in dem Reich, 
jo unter anderem auc), dal es Heike, Ew. Majejtät jeien unter- 
wegs nac dem Baterlande oder jchon innerhalb der Grenzen 
desjelben. Es muß deshalb Die größte Vorſicht beobachtet 
werden, der Nüdzug darf nur in aller Stille, durch die Eng- 
päfje gejchehen, denn auf den Landſtraßen lauern die Soldaten 
des Douglas ung auf.‘ 

„Der beite Schuß jind die dreihundert jcharfe Säbel,“ 
fagte Tyfenhaus, indem er Kmiziz feſt anblidte. „Wenn 
Se. Majejtät mir das Kommando über diejelben anvertrauen 
wollen, dann führe ich Euch glüdlich und gejund durch das 
ganze Schwedenheer.“ 

„Ihr könnt das, wenn ihr auf dem Zuge dreihundert, 
jagen wir jechshundert, oder meinetiwegen taufend Mann 
Schweden antreffl. Wie aber, wenn ihr auf noch größere 
Trupps jtoßt, was dann?“ 

„sch jagte dreihundert,“ entgegnete Tyſenhaus, „weil von 


32 


dreihundert Mann Begleitung die Rede war. Sollten dieſe 
nicht genügen, jo müjjen wir eine größere Anzahl bejorgen.“ 

„Um Gottes Willen nicht! Je größer die Esforte, dejto 
weniger fünnen wir unbemerkt bleiben!“ jagte Kmiziz. 

„Bah! Ich denfe doch, der Herr Marjchall wird Uns mit 
jeinen Truppen eine Wegitrede entgegenfommen?“ warf der 
König ein. 

„Das wird er nicht thun, denn er fennt ja den Zeitpunkt 
der Abreije Ew. Majeität nicht, und wüßte er ihn, fo fünnten 
ihn unterwegs immer noch Hindernijje vom rajchen Vordringen 
aufhalten. Es it jchwer, hier ficher etwas vorauszubejtimmen ... .“ 

„Das jagt ein Soldat, ein echter Soldat!“ jagte der König. 
„Man jieht, ihr jeid fein Neuling im Kriegshandwerk.“ 

Kmiziz lächelte. Er dachte an jeine Kämpfe mit Chowanski. 
Wer wußte wohl befjer Bejcheid in jolchen Dingen als er, 
wen fonnte der König jein Leben jicherer anvertrauen als ihm? 

Aber Herr Ayfenhaus jhien anderer Anficht als der 
König, Er wandte ſich jtirnrunzelnd an Kmiziz und fagte 
ironifih: „Wir warten begierig auf eure befjeren Natjchläge!“ 

Kmiziz hörte die Ironie aus diefen Worten wohl heraus. 
Er blickte Tyſenhaus jcharf an und antwortete: 

„Meine Anjicht ijt die, daß wir um jo leichter und uns 
bemerfter fortfommen, je Eleiner die Eskorte ijt.‘ 

„Wie ſoll man das verjtehen ?“ 

„Majejtät!” wandte ſich Kmiziz an den König. „Es bleibt 
Ew. Majeität überlaffen, zu thun, was Ew. Majejtät wollen. 
Mein Verſtand jagt mir aber das: „Mag Herr Tyjenhaus mit 
den Dragonern vorausgehen, indem er überall dag Gerücht ver- 
breitet, daß er den König geleitet, um die Aufmerkjamfeit des 
Feindes auf ich zu lenken. Seine Sache wird es fein, mit 
heiler Haut ſich durchzudrüden. Ew. Majejtät aber wollen mit 

anz Heiner E3forte einen oder zwei Tage nach) ihm ausrüden. 
enn des Feindes Augenmerk von uns abgelenft it, dann 
wird es uns leicht werden, nach Lubow zu gelangen.“ 

Der König Hatjchte diefem VBorjchlage Beifall. 

„Sott hat Uns diejen Krieger geſandt!“ rief er. „Salomon 
jelber konnte Uns nicht weijere NRatjchläge erteilen! So joll es 
jein, dabei joll es bleiben! Etwas Befjeres giebt e8 nicht! Man 
wird den König unter den Dragonern fjuchen, während Diejer 
dem Feinde ein Schnippchen jchlägt und ihm an der Naje vor- 
beizieht!“ 

„Meajejtät belieben zu jcherzen! . . .* jagte Tyjenhaus. 


33 


„sa, wie Soldaten jcherzen!“ antwortete der König. „Doch 
gleichviel, ob Scherz oder nicht, es bleibt dabei.“ 

Kmiziz leuchteten die Augen vor Freude, daß jeine Ansicht 
überwog. Tyjenhaus war heftig aufgeiprungen. 

„Allergnädigjter Herr!“ jagte er. „ch lege mein Kommando 
nieder. Ein anderer möge die Dragoner anführen!“ 

„Warum das?“ frug der König. 

„Wenn mein König jchußlos dem Zufall fich preisgiebt, 
ji allen nur denkbaren Gefahren ausjegt, dann will auch ich 
Dabei jein, um für jeine geheiligte Perſon nötigenfalls mit 
meinem Leben einzutreten.“ 

„Wir danken euch für euren guten Willen,“ entgegnete 
Sohann Kajimir, „Doch beruhigt euch, gerade die Art zu reifen, 
wie Babinitjch ſie vorjchlägt, wird Uns am beiten vor allen 
Gefahren bewahren.“ 

„Was der Herr Babinitjch, oder wie er jonjt heißen mag, 
im Schilde führt, das mag er auch verantworten. Vielleicht 
liegt ihm daran, daß Ew. Majeftät ji) im Gebirge verirren...... 
Sch nehme Gott und die hier anmwejenden Waffenbrüder zu 
Zeugen, daß ich aus voller Seele von diefer Art zu reifen 
abrate!‘ 

Er hatte jeine Rede kaum geendet, als Kmiziz dicht vor 
ihn Hintrat und ihm fejt in die Augen blidend fragte: 

„Bas wollt ihr mit euren Worten jagen?“ 

Tyfenhaus maß ihn mit einem hochmütigen Blid vom 
Kopf bis zu den Füßen. 

„Bemüht euch nicht, euch mir gleich zu jtellen, Kleines 
Herrchen! Ihr erreicht meine Höhe doch nicht,“ jagte er. 

Nun jchoffen wieder Zornesblige aus Kmiziz' Augen. 

„Wer weiß,“ entgegnete er, „wenn der Andere zu Hoc) 
jtände, um ihn zu erreichen, wenn . . .“ 

„Wenn was?“ frug Tyſenhaus, gejpannt und fejt dem 
Gegner ins Auge jehend. 

„Sch Habe mich mit Höheren gemejjen, als ihr es jeid!“ 

Tyſenhaus lachte höhniſch. 

„Ich wäre begierig, zu erfahren, wo ihr ſolche ſuchtet.“ 

„Schweigt!“ gebot jetzt der König mit gerunzelten Brauen. 
„sch verbiete euch, Hier Streitigkeiten anzufangen!“ 

Die Streitenden verjtummten jofort. Es war ihnen durch 
das Verbot erjt in Erinnerung zurüdgerufen worden, wo jie 
ji befanden. Der König aber fuhr fort: 

„Diejer Kavalier, welcher das größte Gejchüg der Schweden 


Sientiewicz;, Sturmflut II, 8 


34 


mit Einjegung jeines Lebens zeritört hat, joll und darf von 
Keinem hier durch Hochmut verlegt werden und wäre jein Vater 
auch nur ein leibeigener Bauer. Das er das aber nicht iſt, 
das haben Wir längjt erfannt, denn den Vogel erkennt man 
an jeinem Gefieder und die Abjtammung der Menjchen an 
ihren Handlungen. Laßt aljo das Streiten und Hadern.“ Zu 
Tyſenhaus gewendet, jprach der König weiter: „Ihr wollt bei 
Uns bleiben? Nun gut! Das jei euch gewährt! Wolff oder 
Denhof mögen die Dragoner führen, doc) Babinitjch bfeibt auch 
beit Uns und jein Rat wird befolgt, denn er behagt Uns jehr!“ 

„sch wajche meine Hände in Unjchuld!“ jagte Tyjenhaus. 

„Bewahrt nur das Geheimmis gut, meine Herren! Die 
Dragoner jollen noch heute nad) Ratibor ausrücen. Gleichzeitig 
ſoll die Nachricht, daß ich mich verkleidet unter ihnen befinde, 
auf das Weitejte verbreitet werden. Dann haltet euch jeden 
Augenblid zur Abreife bereit, dieſelbe kann ganz plötzlich er- 
folgen... . Tyfenhaus, geht jett, gebt Befehl, daß der Kapitän 
an die Spite der Dragoner trete und mit ihnen ausrüde.“ 

Tyſenhaus verließ händeringend und zornbebend das 
Gemach. Ihm folgten die anderen Offiziere. 

Noch an demjelben Tage erfuhr ganz Glogau, daß des 
Königs Majejtät mit den Dragonern die Stadt verlafjen habe, 
um in jein Neich, in die Nepublif zurüdzufehren. Viele der 
angejeheniten Bürger jogar waren jo fejt von der Abreije des 
Königs überzeugt, daß fie die Neuigkeit immer weiter ver- 
breiteten, jo daß jie bald nach Oppeln und weiter Hin ihren 
Weg fand. 

Obgleich nun Tyſenhaus erklärt hatte, daß er jeine Hände 
in Unjchuld wajche, gab er noch nicht alle Hoffnung auf. Da 
er als erjter Kammerherr des Königs zu jeder Zeit Zutritt zu 
der Perſon desjelben hatte, jo begab er jich noch an demjelben 
Tage, gleich nach dem Ausmarſch der Dragoner, in die könig— 
lichen Gemächer, wo er die Majejtäten beide antraf. 

„sch fomme, mir nähere Befehle über die Abreije einzue 
holen. Wann gedenfen Ew. Majeſtät aufzubrechen?“ jagte er. 
„Mebermorgen in aller Frühe,“ antivortete der König. 

„Wie groß foll die Esforte fein?“ 

„Ihr, Babinitſch und Lugowski begleitet Uns als mili— 
tärijche Esforte. Außerdem reilt der Herr Kaſtellan von 
Candomir auch mit Uns. Ich habe ihn gebeten, jo wenige jeiner 
Leute mitzunehmen als thunlich, aber ganz gering wird ihre 
Zahl doch wohl nicht jein; es find ja meist auch tapfere Kämpen. 


35 


Zum Ueberfluß will auch Se. Eminenz, der Herr Nuntius Uns 
begleiten, dejjen Anmwejenheit dem Unternehmen die rechte Weihe 
geben joll. Se. Eminenz wollen daher ihre Perſon den Ge- 
fahren der Reife ausjegen. Ihr aber jorgt dafür, daß nicht 
mehr al3 vierzig Roſſe allerhöchitens Unſer Geleit bilden, denn 
jo Hat Babinitich Uns geraten. 

„Allergnädigiter Herr!“ fagte Tyſenhaus. 

„Wollt ihr noch etwas?“ 

„sch bitte fußfällig um eine Gnade. Es ift gejchehen..... 
Die Dragoner find fort... . wir werden jchußlos die Neije 
antreten, der kleinſte feindliche Vortrab kann uns gefangen 
nehmen. Majejtät wollen meinem Flehen ein geneigtes Ohr 
leihen, Gott weiß, wie treu ich bin. Trauen Ew. Majejtät 
dieſem Menschen doch nicht jo blindlings. Wie gewandt er tt, 
das beweiſt der Umjtand, daß er in jabelhaft Furzer Zeit es 
* brachte, ſich in Gunſt bei den Majeſtäten zu ſetzen, 
aber 

„Mißgönnt ihr ihm Unſere Gunſt?“ frug der König. 

„sch mißgönne ihm nichts, Majeſtät! Ich will ihn auch 
nicht des offenbaren Verrats verdächtigen, aber ich möchte fait 
darauf jchwören, daß er nicht Babinitjch heißt. Warum ver- 
birgt er jeinen wahren Namen? Warum jpricht er nie von 
dem, was er war oder that, ehe er nach Tichenftochau ging? 
Warum drängte er jo fehr, daß die Dragoner vorausgehen und 
Ew. Majeität ohne Eskorte reifen jollen ?“ 

Der König dachte ein wenig nach, wobei er alter Gewohn- 
heit gemäß, die Baden wiederholt aufblies. 

„Wenn er wirklich im Einvernehmen mit den Schweden 
handelt,“ jagte er dann, „welchen Schub würden uns dann wohl 
dreihundert Dragoner bieten können? Babinitjch brauchte 
dann nur die Schweden zu benachrichtigen, dab jie mit etlichen 
Hunderten ihrer Füſiliere die Engpäffe bejegen; wir wären dann 
wie in einem Net gefangen. Ueberlegt doch nur ein wenig. 
Bon Verrat kann gar feine Rede fein. Er müßte dazu genau 
den Tag und die Stunde des Ausmarjches fennen, dann 
brauchte er Zeit, um die Schweden in Krakau in Kenntnis zu 
jegen und zulegt fonnte er gar micht willen, ob Wir feinem 
Nate folgen würden oder nicht. Da anfangs beitimmt war, 
da Wir zugleich mit den Dragonern ausmarjchieren jollten, 
jo müßte, wäre er mit den Schweden im Einvernehmen, diejes 
vereinzelte Abreifen nur jeine Pläne freuzen, da er jie von 
dieſer Veränderung von neuem in Kenntnis jegen mußte. Das 

8* 


36 


alles jind wichtige Folgerungen. Uebrigens drängte er Uns 
jeine Anficht durchaus nicht auf, wie ihr behauptet, jondern er 
jagte nur, wie jeder andere jeine Meinung. Nein! Nein! Aus 
jeinen Augen leuchtet Wahrheit und die verbrannte Seite legt 
Beugnis ab, daß er imjtande ilt, einen quälenden Schmerz 
klagelos zu tragen.“ 

„Seine Majejtät hat Recht,“ jagte nun plößlich die 
Königin... . „Das find alles ganz richtige Folgerungen und 
der Nat des Babinitſch war und bleibt gut.“ 

Tyjenhaus wußte aus Erfahrung, daß, wenn erjt Die 
Königin eine Anficht ausgejprochen hatte, eine Appellation an 
den König vergeblich war, denn Johann Kafimir vertraute 
ihrem Scharffinn und Verjtand unbedingt. Jetzt handelte es 
fih) nur darum, den König zur Beobachtung der äußerſten 
Vorſicht zu beivegen. 

„Es ziemt mir nicht, den Allerhöchiten Herrichaften zu 
opponieren. Wenn denn bejtimmt der Aufbruch auf über- 
morgen früh angejeßt jein joll, jo bitte ich, daß diefer Babinitjch 
nicht eher davon erfährt, als eine Stunde vorher.“ 

„Damit bin Sch einverjtanden!” jagte der König. 

„Unterwegs laſſe ich jelbjt ihm nicht aus den Augen und 
wehe ihm, wenn ein Unfall pajlieren jollte, dann fommt er 
mir nicht lebend davon !“ 

„Das iſt nicht nötig,” jagte die Königin. „Hört einmal, 
mein Herr! Sein anderer fann den König vor Verrat und 
Tüde bewahren, als Gott allein. Weder ihr, noch die Dra— 
goner, noch Babinitjch, Fünnt die Majejtät jchügen, wenn des 
Allmächtigen wachjames Auge nicht auf ihr ruht. Gott allein 
wird über dem Könige wachen und jollte ihm Unheil drohen, 
ihm unerwartet jeine Hilfstruppen jenden. Das jagen Wir euch, 
der ihr an himmlische Mächte nicht glaubt.“ 

„llerdurchlauchtigite Herrin!“ entgegnete Tyfenhaus, „auch 
ich glaube, daß ohne Gottes Willen niemandem ein Huar ges 
frümmt wird. Es it doch aber feine Sünde, wenn ich aus 
Bejorgnis um die Perſon Sr. Majejtät Verrat fürchte.“ 

Maria Ludwika lächelte Huldvoll. 

„Rein! das nicht! Aber ihr jeid ſehr jchnell fertig mit 
eurem Urteil über andere und bejchimpft dadurch Unſer ganzes 
Volt, Unfere Nation, welche, wie Babinitſch mit Necht jagt, 
feinen einzigen aufzuweijen hätte, der jich zum Königsmorde 
hergeben wollte. Es mag euch vielleicht wundern, day Wir 
nach allen den bitteren Erfahrungen der legten Zeiten, welche 


37 


Uns, Meinem königlichen Gemahl und Mir, widerfahren, jo jpreche. 
Ih habe trotdem das fejte Vertrauen zu Unjerem Volke nicht 
verloren und bin überzeugt, daß jelbjt unter denen, Die gegen- 
wärtig noch in ſchwediſchen Dienften ſtehen, fich nicht ein 
einziger Königsmörder finden würde.“ 

„Und der Brief des Fürſten Boguslaw, Majeſtät?“ 

„Der Brief lügt!“ ſagte die Königin beitimmt. „Wenn 
es einen gebe in der ganzen Republik Polen, welcher des 
Königsverrates fähig wäre, jo ijt diefer Eine ſicher der Fürſt 
EStallmeister, doch er gehört kaum noch dem Namen nad 
Unjerer Nation an.“ 

„Kurz und gut, verdächtigt den Babinitjch nicht mehr,“ 
jagte der König. „Das mit dem Namen muß eine Ver— 
wechjelung bei euch fein. Man fünnte ihn jchließlich desivegen 
in ein Berhör nehmen, aber jagt jelbit, wie joll man das be- 
werfitellign? . . . Sollen Wir etwa fragen: Wenn ihr nicht 
Babinitjch heit, wie nennt ihr euch dann? Dieje frage müßte 
ihn jchwer verlegen und Wir haften mit Unſerem Kopfe für 
feine Rechtlichkeit.“ 

„Um Ddiefen Preis, Majeität, möchte ich mich nicht von 
jeiner Nechtlichfeit überzeugen wollen.“ 

„But! Schon gut! Wir danfen euch für eure Bejorgnis. 
Der morgige Tag jei dem Gebet und Buhübungen geweiht. 
Uebermorgen mit Tagesanbruch wird ausgerückt.“ 

Tyſenhaus zog fich jeufzend zurüd und begann nod an 
demjelben Tage ganz im Geheimen die Vorbereitungen zur 
Abreife. Auch die höchjten Würdenträger hatten feine Ahnung 
davon. Die Dienerjchaft erhielt nur kurz den Befehl, Die 
Pferde jeden Augenblick marjchbereit zu halten, da der Befehl 
zum Aufbruch einmal ganz plößlic) gegeben werden könne. 

Am ganzen folgenden Tage blieb der König unfichtbar; 
er fam auch nicht in die Slirche. Dafür verrichtete er in jeinen 
Semächern Gebete und fromme Bubübungen. Er betete nicht 
für jich, nein, für jein unglücjeliges Reid). 

Auch die Königin mit ihrem Frauenzimmer verharrte 
im Gebet. 

Die darauffolgende Nacht jtärfte in tiefem gejunden 
Schlaf die Kräfte der Neifebereiten und als eben die Kirchen— 
* der Glogauer Stadtkirche zur Frühmette rief, da hatte 

ie SZ —— geſchlagen. 


— — 





4. Rapitet, 


Der König Hatte Ratibor pafjiert, ohne länger dort zu 
verweilen, al3 zum Füttern der Pferde nötig war. Niemand 
dort hatte ihn erfannt, niemand dem Neiterzuge bejondere Auf: 
merfjamfeit gejchenft, denn die ganze Stadt jprach von nichts, 
al3 von dem Durchzuge der Dragoner, unter welchen jich nach) 
aller Meinung auch der polnische Monarch befunden haben 
jollte. Die Esforte des Königs war dennoch zahlreicher, als 
er jelbjt e8 gewünjcht, da noch mehrere hohe Wiürdenträger, jo 
unter anderen allein fünf Biſchöfe fich im legten Augenblid 
entjchlofjen hatten, die Gefahren ihres Königlichen Herrn zu 
teilen. In den Grenzen des Saijerreiches bot allerdings Die 
Neije feine Gefahr. Im Oderberg, unweit der Mündung der 
Dlja in die Oder, wurde die mährische Grenze überjchritten. 

Der Tag war trübe. Dichter Schnee fiel in Mengen, jo 
daß man nur auf ganz furze Entfernungen den Weg zu er- 
fennen vermochte. Aber der König war heiter und guter Dinge, 
denn es war etwas gejchehen, was allen eine gute VBorbedeutung 
jchien und deſſen jogar die damaligen Gefchichtsjchreiber Er— 
wähnung thaten. Als der König eben das Weichbild der Stadt 
Glogau verließ, erjchien vor dem föniglichen Roſſe ein ſchnee— 
weißer Bogel und umflatterte das Haupt des Monarchen 
zwitjchernd und jingend. Es erinnerten jich viele aus der 
Umgebung des Königs, daß eim ähnlicher, aber kohlſchwarzer 
Vogel jeine Kreife über dem Monarchen gezogen hatte, als 
derjelbe Warjchau verließ, um den Schweden das Feld 
zu räumen. 


39 


Diejer weiße Vogel nun war an Gejtalt einer Schwalbe 
ähnlich. Sein Erjcheinen war um jo wunderbarer, da e3 doch 
mitten im Winter war, wo an eine Nüdfehr der Schwalben 
noc gar nicht zu denken war. So erfreute aljo das Erjcheinen 
des Vögelchens die Herzen aller; der König erblidte darin eine 
gute VBorbedeutung für jeine Fahrt umd dachte mehrere Tage 
an nichts anderes, als an den Vogel. Es zeigte ſich auch 
vom erjten NReijetage an, wie gut die Natjchläge Kmiziz' waren. 

Ueberall im Mähriſchen, wohin der Neiterzug fam, wurde 
von dem Durchmarjch der Dragoner mit dem Slönige von 
Polen erzählt. Manche behaupteten, ihn mit eigenen Augen 
gejehen zu haben, im PBanzerhemd, das Schwert in der Hand, 
die Krone auf dem Haupt. Es furjierten auch die ver- 
jchiedeniten Gerüchte über die Streitmacht, welche er mit fich 
führte, die Zahl der Dragoner wuchs im Volksmunde bis ins 
Märchenhafte. Es wurde erzählt, daß das Ende des Zuges 
gar nicht abzujehen war. 

„Sicher werden die Schweden den König angreifen,“ fagte 
man, „doch bezwingen werden jie jeine Heeresmacht nicht mehr.“ 

„Run?“ frug der König Tyſenhaus, „hatte Babinitjc) 
nicht Recht?“ 

„Wir find noch nicht in Lubow, Meajejtät,“ entgegnete der 
junge Magnat. 

Babinitjch aber war zufrieden mit ſich und mit dem Ber- 
lauf der Fahrt. Er Hielt ſich mit den drei Kiemlitſch meijt 
ganz vorn im Zuge, um die Wege zu erforjchen; zuweilen auch) 
ritt er zufammen mit den anderen und dann unterhielt er den 
König mit den Erzählungen verjchiedener Einzelheiten aus der 
Belagerung von Tſchenſtochau, an welchen derjelbe jich nie jatt 
hören fonnte. 

Bon Tag zu Tag gefiel der junge Held dem Könige beſſer. 
Die Zeit verging dem Monarchen mit frommen Betrachtungen, 
Gebet, Gejprächen über den Krieg, jowie bei den Erzählungen 
Kmiziz' angenehm. Auch Eleine Sriegsjpiele wurden unterwegs 
von den Offizieren aufgeführt, um die Neife durch Kurzweil zu 
fürzen. Es lag im Weſen Johann Kafimirs, daß er jchnell 
vom Ernjt zum Scherz, von fchwerer Arbeit zu luftigen Späßen 
überging. Immer aber gab er fich der jeweiligen Bejchäftigung 
mit voller Seele Hin. 

So mußte ein jeder nach Vermögen dazu beitragen,” den 
König zu zeritreuen. Die Kiemlitjch unterhielten ihn durch ihre 
ungejchlachten Bewegungen und mit Proben ihrer Mustelitärte, 


40 


indem fie eijerne Hufeifen zerbrachen, wie leichtes Nohr. Für 
jede jolche Leijtung ließ ihnen der Slönig einen blanfen Thaler 
auszahlen, obgleich der Geldjädel der Majeität gar jehr zu— 
jammengejchmolzen war, denn alles Gold, jelbit die Kleinodien 
und Staatsfleider der Königin waren zur Ausitattung der 
Soldaten veräußert worden. 

Herr Andreas zeigte eine große Fertigkeit im Werfen eines 
ichweren Beiles, welches er hoch in die Luft jchleuderte, um es 
im Serumnterfliegen auf jeinem Pferde am Stiel zu erfafjen. 
Diefem Kunſtſtück Hatjchte der König lebhaft Beifall. 

„Dasjelbe Kunſtſtück,“ jagte er, „jahen Wir von dem Herrn 
Slujchfa, dem Bruder der Frau Unterfanzlerin. Derjelbe warf 
das Beil aber nicht halb jo hoch.“ 

„Diejeg Spiel wird bei ung in Litauen allgemein geübt, 
und was man von Kindesbeinen an treibt, das geht einem ſo— 
zufagen in Fleiſch und Blut über,“ fagte Kmiziz. 

„Wie jeid ihr denn zu der Narbe im Gejicht gefommen ?“ 
frug einmal der König, indem er auf Kmiziz' Wange deutete, 
„E83 muß euch da einer mit dem Säbel tüchtig über das Geficht 
gefahren jein.“ 

„Das war fein Säbelhieb; die Narbe rührt von einem 
Schuß Her, welcher dicht vor meinem Gejicht auf mich abgefeuert 
wurde.“ 

„That das einer der Unfrigen oder ein Feind?“ 

„Einer der Unjrigen und dennoch ein Feind, welchem ich 
Rache geichworen, aber ehe dieje nicht vollbracht ift, jpreche ich 
nicht über die Sache.“ 

„So gehäjjig jeid ihr?“ 

„Ich bin nicht gehäffig, Majeftät. Auf meinem Kopfe 
trage ich eine Narbe von einem Säbelhieb. Durch die Flaffende 
Wunde dort oben wäre um ein Haar meine Seele entflohen 
und dennoch trage ich demjenigen, der fie mir gejchlagen, feinen 
Groll nach, weil er ein edler Mann ilt.“ 

Indem er das jagte, entblößte Kmiziz fein Haupt und 
wies dem Könige Die Harbe, deren weißliche Ränder deutlich 
zu erfennen waren, 

„Sch ſchäme mich diefer Narbe nicht,“ jagte Kıniziz, „denn 
ein FFechtmeiiter hat fie mir beigebracht, wie es feinen zweiten 
in der ganzen Republik giebt.“ 

„er war denn dieler Meiiter ? 

„Herr Wolodyjowski.“ 

„Er? Wir kennen ihn. Er hat Wunder der Tapferfeit bei 


41 


Sharajch verübt. Auch waren Wir auf der Hochzeit des Herrn 
Skrzetuski, welcher Uns die erjte Nachricht von den Belagerten 
in Sharajch überbrachte. Ach, das find große Männer! Es war 
aber noch ein dritter, welchen das ganze Heer als den Größten 
rühmte. Er war did, diejer Edelmann, und jo Furzweilig, daß 
Wir bei der Hochzeit vor Lachen fajt barjten.“ 

„sc errate! Das ijt Herr Sagloba!* jagte Amiziz. „Er 
it nicht nur tapfer, jondern auch voller luftiger Einfälle.“ 

„Wißt ihr vielleicht, was die Dreie jegt thun und wo jie 
ſich befinden ?* 

„Wolodyjowsfi hat die Dragoner de3 Fürſt-Wojewoden 
angeführt.“ 

Das Antlig des Königs verdüjterte jich. 

„Und er dient jet mit dem Fürſt-Wojewoden den 
Schweden ?* 

„Er? den Schweden? Er ijt bei Herrn Sapieha. Ich 
war zugegen, wie er nach dem Verrat des Fürſten-Wojewoden, 
ihm das zerbrochene Schwert vor die Füße warf.“ 

„O, das ijt ein braver Soldat!“ entgegnete der König. 
„Dir haben Nachrichten von Herrn Sapieha aus Tykozin, wo 
er den Fürſten belagert. Gott jegne ihn! Wenn alle wären 
wie er, dann hätten die Schweden längit das Weite gejucht.“ 

Hier frug Tyſenhaus, welcher die ganze Unterhaltung gehört 
hatte, ganz plöglich: 

„Sp waret ihr in Kiejdan bei Radziwill?“ 

Ein flein wenig wurde Kmiziz verlegen; er warf das Beil, 
welches er in der Hand hielt, leicht auf und nieder. 

„a, ich war dort!“ antwortete er kurz. 

„Laßt das Beil in Ruhe,“ ſprach Tyjenhaus weiter. „Was 
hattet ihr am fürjtlichen Hofe zu thun?“ 

„sch war Gajt dort,“ antwortete Kmiziz verdrofien. „Das 
fürftliche Brot ſchmeckte mir jedoch nicht mehr, als der Fürſt 
zum Verräter wurde.“ 

„Warum jeid ihr denn nicht mit den anderen zu Herrn 
Sapieha gegangen ?“ 

„Weil ich der heiligen Jungfrau gelobt hatte, nad) Tjchen- 
jtochau zu gehen, was ihr leicht begreiflich finden werdet, da 
unjer Djtra Brama durch die Septentrionare offupiert war.“ 

Herr Tyſenhaus jchüttelte den Kopf umd jchnaufte jo 
beitig, daß dadurch die Aufmerkfjamjeit des Königs rege ge— 
* wurde, ſo daß er ſelbſt forſchend den jungen Ritter 
anblickte. 


42 


Diejer wandte jich jchließlich ungeduldig an Tyſenhaus 
und jagte: 

„Mein Herr! Sch habe euch noch nicht gefragt, wo ihr 
waret und was ihr getrieben habt.“ 

„So fragt doch!“ antwortete Tyjenhaus. „Sch habe nichts 
zu verbergen.“ 

„Ich stehe vor feinem Gericht, und wäre das der Fall, 
dann wäret ihr nicht mein Richter. So laßt mich denn in 
Frieden, jonjt verliere ich einmal die Geduld.“ 

Indem er das jagte, warf er das Beil mit jolcher Gewalt 
in die Höhe, dab es, ein ganz Feiner Punkt, oben in der Luft 
jchwebte. Die Augen des Königs folgten ihm; er dachte augen= 
blieklich nichts anderes als das, ob Babinitſch es auffangen 
werde oder nicht . 

Babinitjch gab dem Pferde die Sporen, jeßte los umd fing 
das Beil auf. 

An demjelben Abende jagte Tyjenhaus zum Könige: 

„Majejtät! Diejer Edelmann gefällt mir immer weniger!...* 

„Und Mir immer mehr!“ erwiderte der König.“ 

„sch hörte heute zufällig, wie einer feiner Leute ihn „Herr 
Hauptmann“ anredete. Er aber gebot ihm mit einem drohenden 
Blide Schweigen. Dahinter jtedt etwas.“ 

„Auch Mir kommt es zuweilen jo vor, als ob er etwas 
verbergen wolle,“ jagte der König, „aber das ijt jeine Sache, 
das geht Uns nichts an.“ 

„Jawohl, Majeität! Das geht uns an, denn das Wohl 
und Wehe der ganzen Republit kann von jeinem Schweigen 
abhängen. Sit er ein Spion, welcher Ew. Majeität ins Ver— 
derben jtürzen will, jo find mit Ew. Majeität das Vaterland 
und alle Getreuen in demjelben verloren, da auf Ew. Majejtät 
allein die einzige Hoffnung auf Rettung beruht.“ 

„Ich werde ihn morgen früh jelbjt befragen.“ 

„Wolle Gott, ich wäre ein faljcher Prophet, aber er jchaut 
nicht gut aus. Er iſt zu eingebildet, zu frech und rejolut; 
ſolche Menjchen find zu allem fähig.“ 

Der König war verjtimmt. 

Am nächiten Morgen, gleich beim Aufbruch winfte er ihn 
an jeine Seite. 

„Wo waret ihr, Hauptmann?“ frug ihn der Klönig ganz 
unvermittelt. 

Kmiziz jchwieg. Er kämpfte einen harten Kampf. Der 
Wunſch, ſich dem Könige zu Füßen zu werfen und die Laft, 


43 


welche er mit jich herumjschleppte, abzuwälzen, die ganze Wahr: 
heit zu befennen, entbrannte auf das heftigite in ihm. 

Doc, mit Schreden dachte er daran, welchen grauenhaften 
Eindrud das Wort Kmiziz, im Zujammenhange mit dem Briefe 
des Fürſten Boguslaw, auf den König machen mußte. 

Womit fonnte er, der Helfershelfer des Wojewoden von 
Wilna, er, welcher allein durch jein Handeln, jeine Energie 
den Verrat desſelben gejtütt Hatte, er, der des jchändlichiten 
Verbrechens, des Königsmordes, verdächtigt war, beweijen, daß 
jich eine Wiedergeburt an ihm vollzogen, daß er jeine Schuld 
jchwer mit dem eigenen Blute gebüßt? Wie jollte er den 
König, die Bijchöfe, alle die Senatoren von der Ehrlichkeit 
jeiner Gefinnung überzeugen? 

„Meine Sünden verfolgen mich umerbittlich immer und 
überallhin,“ dachte er verzweifelt. 

Er bejchloß alfo, zu jchweigen. Gleichzeitig aber empfand 
er einen unausjprechlichen Widerwillen und Efel vor der Lüge. 
Mußte er diefen unglüdlichen Herrn, den er aus voller Seele 
liebte, belügen, ihm ein Märchen aufbinden? Ihm fehlte die 
Kraft dazu. 

Er begann aljo nach einer Weile: 

„lergnädigiter Herr! Die Zeit liegt nicht mehr fern, 
wo ich Ew. Majeität meine Seele, mein Herz ausjchütten 
werde, wie im Beichtjtuhl ... Aber ich will, daß für mic), 
für die Treue und Ehrlichkeit meiner Gefinnung nicht bloße 
Worte, jondern Thaten zeugen... Ich habe gefündigt, Majejtät, 
ichwer gefündigt gegen.das Vaterland, gegen Ew. Majejtät, und 
noch zu wenig gebüßt. Daher juchte ich nach einem Dienft, 
in welchem ich leicht Gelegenheit finden fann, meinem heißen 
Verlangen nach Befjerung, nach harter Buße Genüge zu 
feiiten . .. Wer hätte denn nicht auch jchon gejündigt, wer 
in dieſer ganzen Nepublif wäre ganz von Schuld frei. Vielleicht 
(ud ich größere Schuld auf mic), ale andere, aber ich fam auch 
ichneller al3 andere zur Befinnung . . . DO, Majejtät! Ich 
bitte nach nichts zu fragen, bis mein Dienjt mir Gelegenheit 
gegeben, meine Schuld zu tilgen; ich bitte mir zu glauben, 
denn ich darf nicht fprechen, weil ich mir den Weg zur Buße 
frei halten muß. Gott und feine gebenedeite Mutter find 
meine Zeugen, daß ich nicht lüge, daß ich mein Herzblut für 
Ew. Majejtät zu vergießen bereit bin... .“ 

Hier zitterte Kmiziz die Stimme, jeine Augen wurden 
feucht; der Ausdruck eines tiefen Schmerzes in jeinem Gejicht, 


44 


deugten bejjer für die Ehrlichkeit feiner Handlungen, als alle 
orte 

„Bott kennt die Neue meines Herzens; er wird fie mir 
am Zn e bes letzten Gerichts anrechnen,“ fuhr Kmiziz fort. 

Wenn Ew. Majeſtät mir aber nicht trauen, jo bitte ich, 
mich "fortzufchicen. Ich werde dann von ferne den Spuren 
Ew. Majejtät folgen, um im Augenblide höchſter Gefahr un— 
gerufen zur Hand zu jein und mein Leben für meinen Herrn 
und König einzufegen. Dann werden Ew. Majejtät hoffent— 
lich glauben, daß ic) fein Verräter, jondern ein treuer Diener 
bin, vielleicht treuer als diejenigen, welche gern andere ver= 
dächtigen.“ 

„Wir glauben euch jchon heute!“ jagte der König. „Bleibt 
nach wie vor bei Uns, der Verrat jpricht nicht aus euch.“ 

„Ich danke Ew. Majeſtät!“ jagte Kmiziz. 

Er hielt fein Pferd ein wenig zurüd, um in die legten 
Neihen des Zuges zu gelangen. 

Inzwiſchen hatte Tyſenhaus jeine Verdächtigungen nicht 
nur dem Slönige, jondern auch anderen mitgeteilt, was zur 
Folge hatte, dab alle begannen, Kmiziz jcheel anzubliden. Es 
verjtummten die Gejpräche, wo er Jich blicken ließ; man raunte 
einander allerhand zu, jede jeiner Bewegungen wurde beobachtet. 
Herr Andreas bemerkte das; es wurde ihm unbehaglich unter 
diejen Menjchen. 

Selbjt des Königs Antlig war erniter als früher, wenn 
er ihm auch fein Vertrauen nicht entzog. Der junge Ritter 
verlor jeinen Frohſinn, er wurde nachdenklich und Reue und 
Bitternis erfüllten jein Herz. Im Gegenſatz zu früher, wo er 
an der Spite des Zuges jein Roß getummelt, jchleppte er ſich 
immer mehrere Hundert Schritte Hinter der Kavalfade, mit 
rk Kopfe und düfteren Gedanfen drein. 

Endlich jchimmerten die jchneebededten Bergkuppen der 
Sarpaten zu den Meitern herüber. Wolfen breiteten ihre 
jchweren Flügel über die Gipfel und da der Abend fich auf: 
hellte, jo überzog die Abendröte den Fuß der Berge mit roſigem 
Schimmer, welcher das Auge jtarf blendete, bis die Schatten 
der Nacht ſich auf die Berge herniederjenkten. 

Kmiziz ſah diefes Naturwunder, welches er früher nie 
gefannt hatte, mit bewunderndem Staunen und vergaß darüber 
momentan jeinen Sram. 

Mit jedem Tage rüdten ihnen die Berge näher, immer 
riejenhaftere Dimenfionen annehmend, bis endlich der fünigliche 


45 


Reiterzug fie erreichte und in die Engpäfje einzog, welche ich 
wie Thore vor ihm öffneten. 

„Es fann nicht mehr weit bis zur Grenze jein,“ jagte 
der König bewegt. 

Da erblidten die Reiter einen Eleinen Wagen, welchem ein 
Pferd vorgejpannt war. Ein einzelner Mann jaß auf demjelben. 
Er wurde jogleich angehalten und Tyjenhaus frug: 

„Sagt einmal, Mann, befinden wir ung jchon in Polen?“ 

„Da, dort, hinter jenem Felſen und dem Flüßchen ijt noc) 
ur Land; hier jteht ihr jchon auf königlicher Erde.“ 

elangt man nach Sywiez?“ 
een eaus fommt ihr auf den Weg dorthin.“ 

Der Bergbewohner hieb auf fein Pferd ein, ITyjenhaus 
jprengte zu dem unweit haltenden Könige. 

„Majejtät!* rief er begeijtert, „Ew. Majejtät befinden jich 
ihon auf eigenem Grund und Boden, dort an jenem Flüßchen 
fängt Ew. Majeftät Neich an!“ 

Der König antwortete nicht; er winkte nur, daß man 
jein Pferd Halte, dann jtieg er ab, fniete nieder und faltete 
die Hände. 

Bei diefem Anblid folgten alle dem Beiſpiel ihres fünig- 
lichen Herrn. Diejer aber, der jo lange umbergeirrt, breitete 
die Arme aus, beugte jich hernieder und fühte die Erde, die er 
jo liebte und die jo undanfbar gewejen, in den Tagen der Not 
ihrem Könige ein Obdach zu verjagen. 


Die tiefite, andächtigite Stille herrjchte. Der Abend janf 
hernieder; er war frojtig aber hell. Die Berge und die Wipfel 
der Tannen in der Nähe waren mit Purpurlicht übergojjen, 
während die ferner liegenden jchon in dunkles Biolett getaucht 
waren. Der Streifen Landſtraße, wo der König eben jein 
Land begrüßte, glänzte wie ein rotgoldenes Band, ein gelblicher 
Schimmer fiel auf den König, die Bilchöfe und Würdenträger. 

Da fegte plöglich ein leichter Wind von den Bergen her— 
nieder und trieb loje Schneefloden vor ji) her. Er fuhr in 
die Wipfel der bejchneiten Tannen, jo daß dieje jich tief neigten 
und laut raujchten, als wollten jie ihrem Könige das uralte 
polnische Lied zum Willfommen in der Heimat fingen: 

„Sei ung gegrüßt, geliebter Herre!“ 

Es war jchon ganz dunfel, als der Zug endlich weiter 
jich bewegte. Hinter dem Engpaß dehnte ich ein etwas breiteres 
Thal, dejien Ende jich in der Ferne verlor. Ringsum herrichte 


46 


Dämmerung, nur an einer Stelle des Horizontes leuchtete es 
noc) rötlich. 

Der König begann das Ave Maria, die anderen beteten 
andächtig nach. Der Gedanke, im Baterlande zu fein, die in 
nächtliches Dunkel ſich hüllenden Berge, die langjam erlöjchende 
Abendröte, das Gebet, jtimmte die Herzen aller Reiſenden fo 
feierlich, daß fie nach beendetem Gebet ſchweigend weiterritten. 

Nun war es völlig Nacht geworden, nur im Djten dauerte 
die Nöte fort, ja fie wurde immer heller. 

„Wir reiten der Nöte nad), jagte der König. „Mich 
wundert, daß jte nicht erlischt.“ 

Ehen fam Kmiziz angejprengt: 

„Majejtät!“ rief er, „Dort ift eine Feuersbrunſt!“ 

Der Zug hielt an. 

„Eine Feuersbrunſt?“ frug der König. „Mir fcheint, es 
iſt die Abendröte?“ 

: En nein! Ich täuſche mich nicht; es iſt eine Feuers— 
runſt.“ 

Und wirklich, Kmiziz hatte recht. Es blieb kein Zweifel, 
denn bald türmte es ſich wie rote Wolken über dem Schein, 
welche bald heller, bald dunkler leuchteten. 

„Dort kann nur Sywiez liegen; der Ort muß brennen!“ 
rief der König. „Der Feind kann dort Feuer angelegt haben!“ 

Er Hatte noch nicht geendet, als die Laute menschlicher 
Stimmen und das Schnaufen von Pferden ertönte und einige 
dunkle Geitalten dicht vor dem Könige auftauchten. 

„alt! Halt!“ rief Tyſenhaus. 

Die Gejtalten hielten an, ungewiß, was fie zu thun hätten. 

„Ber jeid ihr?” frug jemand mitten aus dem Zuge heraus. 

„Sute Freunde!“ antivorteten ein paar Stimmen, „gute 
Freunde! Wir fommen aus Sywiez; wir find nur mit dem 
nadten Leben entflohen, denn die Schweden morden und 
brennen dort!“ 

„Halt! Um Gotteswillen! Was jagt ihr? Wie find fie 
denn dorthin gefommen ?“ 

„Sie haben, gnädiger Herr, unferem Könige aufgelauert. 
Es jind ihrer viele, jehr viele! Gott jei unjerem Herrn 
gnädig!“ 

Tyſenhaus war einen Augenblid ratlos. 

„Da haben wir es! Jetzt fünnen wir jehen, was es heikt, 
mit Fleiner Esforte reifen!” jchrie er miziz an. „Der Teufel 
hole eure guten Ratſchläge!“ 


47 


Aber Johann Kafimir ergriff jelbit das Wort. 

„Wo ilt der König?“ frug er die Leute, 

„Der König hat jich mit einem großen Heere in die Berge 
begeben. Er ijt vor zwei Tagen durch Sywiez gefommen, aber 
die Schweden haben ihn verfolgt und bei Sucha eingeholt. Es 
joll dort zu einer Schlacht gefommen ſein. . . . Wir willen 
nicht, ob jie ihn gefangen haben oder nicht. Heute gegen Abend 
find fie zurücdgefommen und morden und fengen jetzt ...“ 

„Ihr könnt weiter reiten, Leute!” jagte Johann Kaſimir. 

„Bott geleite euch!“ 

Die Flüchtenden eilten davon. 

„Da jeht ihr, was gejchehen wäre, wenn wir mit den 
Dragonern geritten wären,” jagte Kmiziz. 

„Majejtät!” begann der Herr Biſchof Gembizfi. „Der 
Feind iſt vor uns ... Was jollen wir thun?“ 

Alle umringten den König, als wollten fie ihn vur einer 
plöglichen Gefahr jchügen. Der König blicte nach dem Feuer— 
jchein, welcher fich in feinen Augen widerjpiegelte. Steiner 
wagte ein Wort zu jprechen, denn es war jchwer, einen Aus— 
weg zu finden. 

„Als Wir das Baterland verließen, beleuchteten brennende 
Ortichaften Meinen Weg‘, jagte der König endlich, „und jebt, 
wo Wir faum den Fuß auf heimatlichen Boden gejegt haben, jtehen 
Wir wieder vor einer Feueröbrunit . . .“ 

Wieder wurde es jtill nach diefen Worten, nur dauerte das 
Schweigen länger al3 zuvor. 

„Wer weiß einen Ausweg?“ frug plötzlich der Bijchof 
Gembizfi. 

Da ertönte die Stimme Tyſenhaus' voll Bitterfeit und Hohn. 

„Derjenige, welcher ſich nicht geicheut hat, die Perſon 
- umjeres geliebten Herrn Gefahren preiszugeben, möge nun auch 
einen Ausweg finden.“ 

Da Löfte jich ein Neiter aus dem Streije los; es war 
Kmiziz. 

„But!“ ſagte er. 

Er erhob ſich in den Steigbügeln und indem er fich nach 
der Seite zu wandte, wo die Dienerjchaft hielt, rief er aus 
vollem Halje: 

„Kiemlitſch! Mir nach!“ 

Sn demjelben Augenblid gab er dem Pferde die Sporen 
und jagte davon, was das gBierb ausgreifen konnte, hinter ihm 
drein die drei Kiemlitſch. 


48 


Ein fürchterlicher Schrei entrang fich der Bruft Tyjenhaus'. 

„Das iſt Verrat!“ jchrie er. „Die Verräter holen die 
Schweden hierher. Majejtät! Retten wir ung, jo lange es 
angeht. Der Engpaß wird bald vom Feinde bejet fein... . 
Zurüd, Majejtät! Zurück!“ 

„Kehren wir um!“ riefen einjtimmig die Kirchenfürjten und 
Staatd-Würdenträger. 

Da wurde Johann Kajimir migmutig. Er blidte zornig 
drein, zog den Säbel aus der Scheide und jagte: 

„Gott bewahre mich davor, daß ich freiwillig noch einmal 
das Land meiner Väter verlafje! Es gejchehe, was da wolle, 
ich bleibe.“ 

Er gab jeinem Pferde die Sporen, um vorwärts zu reiten, 
da fiel der päpjtliche Gejandte dem Pferde in die Zügel. 

„Majeſtät!“ jagte er ernit. „Die Geſchicke des Vaterlandes 
und der heiligen Kirche ruhen auf Eurer Perſon, folglich dürft 
Ihr diejelbe nicht in Gefahr bringen!“ 

„Rein, das darf nicht gejchehen!“ bejtätigten die Bijchöfe. 

„ber Ich fehre nicht nad) Schlefien zurück,“ rief der König, 
„sc will nicht zurüd, beim heiligen Kreuz, Ich will nicht!“ 

„Allerdurchlauchtigſter Herr! jo hört doch auf die Bitten 
Eurer Unterthanen!“ jagte, die Hände faltend, der Kajtellan von 
Sandomir. Wenn denn durchaus von einer Rückkehr in das 
Kaijerreich nicht die Rede jein joll, jo verlajjen wir wenigitens 
diefen Play und lenken wir der ungarischen Grenze unjere 
Schritte zu, oder ziehen wir uns wenigjtens in den Engpaß 
zurüd, damit uns der Rückzug nicht abgejchnitten wird. Dort 
fünnen wir die Dinge abwarten und im Falle eines Ueberfalles 
die Flucht juchen. Wenigſtens fünnen wir nicht eingejchlojien 
werden, wie in einer Maufjefalle. 

„So jei es denn,“ antwortete der König etwas befänftigt. 
„Einen veritändigen Nat verjchmähe Ich nicht, aber noch einmal 
zurüd in die Verbannung, nein, das gejchieht nicht! Können 
wir hier nicht weiter, nun dann ficher auf einer anderen Stelle. 
Ich bin aber überzeugt, daß ihr, meine Herren, euch umjonjt 
ängitigt. Daß die Schweden ung bei den Dragonern gejucht 
haben, beweiſt Mir, daß fie von unjerem Hierjein feine Ahnung 
haben, und daß von einem Verrat gar nicht die Nede jein Fann. 
Ihr jeid doch erfahrene Männer; jo überlegt doch nur. Die 
Schweden hätten jicher den Dragonern nicht aufgelauert, feinen 
einzigen Schuß auf fie abgefeuert, wenn jie wußten, daß wir 
erit hinterdrein fonımen. Babinitjch ijt mit jeinen Leuten aus— 


49 


geritten, um Kundſchaft einzuziehen und wird wohl bald zurück— 
fehren. Beruhigt euch aljo!“ 

Indem er das jagte, wandte der König jein Roß dem 
Engpaß zu. Er hielt auf der Stelle an, welche der Bauer 
als die Grenze bezeichnet hatte. 

Es verfloß eine Biertelitunde, eine halbe, eine ganze Stunde. 

„Benerfen Ew. Eminenz, daß der Feuerſchein Kleiner 
wird?“ frug der Wojewode von Yentjchüg den Herrn Primas 
von Polen: 

„Es jcheint, das Feuer erlijcht!“ riefen gleichzeitig mehrere 
Stimmen. 

„Das ijt ein gutes Zeichen!“ bemerkte der König. 

„sch möchte mit einigen Soldaten vorausreiten,“ mengte 
jich jest Tyjenhaus in das Geſpräch. „Ein Gewände weit von 
hier fünnten wir halten und wenn etiva die Schweden fommen, 
fie aufhalten, bis wir alle tot find. Jedenfalls wird Damit 
Zeit gewonnen, den König zu retten.“ 

„hr bleibt Hier; Ich verbiete euch fortzureiten!“ jagte 
der König. 

„And wenn Ew. Majejtät mich jpäter für meinen Un— 
gehorjam erjchiegen laſſen, jo reite ich dennoch jegt voraus, denn 
e3 handelt jich um Ew. Majejtät Rettung.“ 

Er rief einige Soldaten zujammen, die in der Treue er= 
probt waren, und eilte mit ihnen von dannen. 

Sie hielten am anderen Ende des Engpajies im Thale 
und verhielten fich ganz jtill mit der Büchje in der Hand, ge— 
jpannt horchend. 

Längere Zeit blieb alles till, endlich fam auf dem ge= 
frorenen Schnee Pferdegetrappel näher. 

„Sie fommen!“ flüjterte einer der Soldaten. 

„sa, aber es jind nur ein paar Reiter,“ antwortete der 
andere. „Herr Babinitjch kommt zurüc!“ 

Die Anfommenden hatten ſich inzwijchen bis auf wenige 
Schritte genähert. 

„Werda?“ rief Tyjenhaus. 

„But Freund! Nicht schießen, ihr dort!“ ertönte Die 
Donnerjtimme Kmiziz's. 

Im jelben Augenblict tauchte der Sprecher auch jchon dicht 
vor Tyjenhaus auf und frug: 

„Wo ijt der König?“ 

„Dort, hinter dem Felſen, am Ausgange des Engpajjes!“ 
antiwortete Tyjenhaus. 


Sienkiewicz, Sturmflut II. 4 


50 


„Wer ijt Hier? Ich kann euch in der Finſternis nicht 
erfennen.“ 

„Zyjenhaus! Was habt ihr da für einen großen Gegen- 
Itand vor euch auf dem Pferde?“ 

Indem er das jagte, wies er auf die dunfle Geitalt, welche 
vor Kmiziz quer über dem Sattel hing. 

Aber Herr Andreas antwortete nicht, jondern ritt jtumm 
vorüber. Als er im Zuge den König erfannt hatte, — e3 war 
jenjeitS des Engpafjes viel heller, — rief er: 

„Majejtät! Der Weg tft frei!“ 

„Sind die Schweden nicht mehr in Sywiez?“ 

„Sie jind nach Wadowig zu fortgezogen. Es war eine 
Abteilung deutjcher Söldlinge. Webrigens habe ich gleich einen 
mitgebracht, damit Ew. Majejtät ihn ſelbſt ausfragen fünnen.“ 

Bei diefen Worten warf Herr Andreas die Lajt, welche er 
vor jich hielt, herab, jo daß der Gefangene ächzte. 

„Was ift das?“ fragte der König verwundert. 

„Das? Ein Neiter! Gin Schwede!“ 

„Wahrhaftig, er hat gleich einen Gefangenen mitgebracht. 
Wie ging das zu? jprecht!“ 

„Allergnädigiter Herr! Wenn der Wolf nachts eine Herde 
Schafe bejchleicht, jo wird es ihm leicht gelingen, ein einzelnes 
zu erhajchen. In Wahrheit iſt das bei mir nicht das erite 
Mal, daß ich einen Feind einfange.“ 

Der König fuhr mit der Hand über jeinen Kopf. 

„Das iſt aber ein Soldat! Stellt euch vor ihr Herren, 
Wir hätten alles jolche Soldaten, dann fünnten Wir dreiſt 
mitten unter die Schweden gehen!“ 

Unterdejjen hatten viele ſich um den Weiter gedrängt, 
welcher wie tot am Boden lag. 

„ragen Ew. Majejtät ihn doch, obgleich er faum wird 
antworten fünnen, er ijt etwas gedrüct worden,“ jagte Kmiziz 
nicht ohne eine gewilje abjichtliche Großthuerei. 

„Gießt ihm etwas Branntwein ein,“ jagte der König. 

Und wirklich bewährte jich das Mittel, denn der Neiter 
gewann bald Sträfte und Sprache wieder. Als das gejchehen, 
jegte ihm Kmiziz feinen Dolch an die Kehle und befahl ihm, 
die Wahrheit zu jagen. 

Der Gefangene jagte aus, daß er zum Negiment des 
Hauptmann Irlehorn gehöre, day jie Kunde von der Durd)- 
reife der Dragoner mit dem Könige gehabt und infolgedejlen 
diejelben bei Sucha angegriffen haben. Sie hätten ich aber 


öl 


auf Sywiez zurüdziehen müſſen, weil fie eine gründliche Schlappe 
befommen. Von da jeien die Schweden nun nach Wadowitz 
und Krakau gezogen. 

„Befinden jich im dem Bergen noch andere Abteilungen 
jchwedischer Soldaten?“ frug Kmiziz, indem er den Mann leicht 
mit dem Dolche rigte, in deutjcher Sprache. 

Vielleicht,“ antwortete der Reiter in abgerifjenen Worten, 
„denn der General Douglas Hat verjchiedene Fleinere Ab- 
teilungen in die Berge geichidt. Sie fünnen ſich aber auch 
jchon zurücdgezogen haben, denn die Bauern lauern ihnen 
überall in den Engpäſſen auf.“ 

„Aber hier, in der Gegend von Sywiez, waret ihr die 
einzigen ?“ 

„Wir einzig und allein.“ 

„Und ihr wißt beitimmt, daß der König jchon weiter 
gereijt iſt?“ 

„Ja! Er war ja bei den Dragonern, mit welchen wir bei 
Sucha zujammentrafen; er ijt von vielen gejehen worden.“ 

„Warum habt ihr ihn denn nicht verfolgt?“ 

„Wir fürchteten uns vor den Bergbewohnern.“ 

Hier wandte fich Kmiziz wieder dem Könige zu, indem er 
in polnischer Sprache jagte: 

„Majeſtät, dev Weg ijt frei! Auch ein Nachtquartier 
finden wir in Sywiez, denn der Ort iſt nur zum Teil ab- 
gebrannt.“ 

Unterdejjen hatte der ungläubige Herr Tyjenhaus mit dem 
Herrn Kajtellan Wojnizfi ein Geſpräch geführt. 

„Entweder ijt der dort ein Soldat von feltener Größe und 
treu wie Gold, oder ein Durrchtriebener Intriguant . . . Bedenkt, 
Herr Kaſtellan; die ganze Gejchichte fann ſimuliert jein, von 
der Gefangennahme des Neiters an, bis zu deſſen Bekenntniſſen. 
Wie, wenn dahinter eine Abſicht tete? Wie, wenn Die 
Schweden in Sywiez bleiben und der König in eine ‚Falle ge— 
lodt würde?“ 

„Man müßte fich der Sicherheit wegen jelbit überzeugen,“ 
jagte der Kaſtellan Wojnizfi. 

Sogleic; wandte ſich Tyſenhaus dem Könige zu und 
jagte laut: 

„Erlauben Ew. Majeltät, daß ich vorausreite, um mich zu 
überzeugen, ob jener Kavalier und der Reiter die Wahrheit ſagten.“ 

„Auch ich bitte, daß es gejchehen darf; erlauben Ew. 
Majejtät, daß er ſich überzeuge!” bat Kmiziz. 

4* 


or 
DD 


„So reitet!“ jagte der König. „Doch aucd Wir wollen 
hier nicht jtehen bleiben, denn es ijt falt.“ 

Herr Tyjenhaus jprengte davon, was das Pferd laufen 
fonnte, während der König mit den anderen langjam folgte. 
Der König wurde immer heiterer gelaunt. Nach einer Weile 
jagte er zu Kmiziz: 

„Man fönnte mit euch wie mit einem Falken auf die 
Schwedenjagd ziehen, denn ihr jchießt wie der Falke auf den 
Feind herab.“ 

„Beinahe,“ entgegnete Herr Andreas. „Der alte ijt 
bereit, die Jagd kann beginnen, Majejtät!“ 

„Erzählt Uns, wie ihr ihn gefangen.“ 

„Das war nicht jchwer, Majejtät! Wenn eine Abteilung 
Soldaten im Aufbruch begriffen ilt, dann bleiben anfangs immer 
einer oder einzelne zurüd. Diejer bier blieb ungefähr ein 
halbes Gewände hinter den anderen; ich jagte ihm nach; er 
dachte, e3 wäre einer der Kameraden, da hatte ich ihn jchon 
— denn er jah ſich nicht um — und verjtopfte ihm den Mund, 
damit er nicht jchreien konnte.“ 

„Ihr ſagtet doch, daß ihr fein Neuling jeid in folchen 
Dingen ?“ 

Kmiziz lachte. 

„O, 0, Meajeität! ich Habe Beſſeres vollbracht als dieje 
Kleinigkeit. Ew. Majejtät wollen nur befehlen, dann hole ich 
die Schweden noch ein, fange jelbit noch einen und laſſe jeden 
meiner Kiemlitjch auch einen fangen.“ Nun ritten fie eine Weile 
jchweigend weiter. Plötzlich hörte man PBferdegetrappel und 
Tyſenhaus Fam herangejprengt. 

„Majeſtät!“ meldete er. „Der Weg ijt frei, das Nacht: 
quartier beitellt.“ 

„Sagten Wir's nicht?!“ rief Johann Kajimir. „Die Herren 
haben ſich ganz unnötig geängitigt . . . . Eilen wir nun aber, 
denn Wir jehnen Uns nach Ruhe.“ 

E3 kam plöglic) Leben in den Zug. Alles trabte hurtig 
und fröhlich der Nachtruhe entgegen. Eine Stunde jpäter 
ichlief der König feſt und janft zum eriten Male jeit langer 
Zeit auf eigenem Grund und Boden. 

Am jelben Abend aber war Tyſenhaus noch zu Kmiziz 
gefommen. 

„Berzeiht mir, mein Herr!“ hatte er gejagt. „Aus Liebe 
zu meinem Herrn habe ich euch verdächtigt.“ 

Kmiziz aber ſtieß die dargebotene Hand von ich. 


53 


„O nein, das kann ich nicht!“ antwortete er. „Ihr habt 
mich des Verrates, der Beſtechlichkeit beſchuldigt.“ 

„Ich hätte noch mehr gethan als das, wäre der König 
gefährdet worden; ich hätte euch eine Kugel in den Schädel 
gejagt,“ ſagte Tyſenhaus. „Da ich mich überzeugt habe, daß 
ihr ein edler Menſch ſeid und den König liebt, ſo bot ich euch 
die Hand zur Verſöhnung. Wollt ihr ſie nehmen, gut, wenn 
nicht, dann auch gut! en wollte lieber mit euch die Liebe 
zum Slönige teilen ... ., doch werde ich auch eine Auseinander- 
jegung anderer Art nicht jcheuen.“ 

„Meint ihr? .... Hm! vielleicht Habt ihr recht. Sch 
bin aber zu ergrimmt auf euch.“ 

„Dann laßt den Grimm... Ihr jeid ein tüchtiger 
Soldat! Nun?... Wollt ihr mir einen Kuß geben, damit 
wir unjeren Haß tilgen, ehe wir zur Ruhe gehen ?“ 

„So jei es denn!“ antwortete Kmiziz. 

Und jie umarmten jich brüderlid). 





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5. Rapitet, 





Der fünigliche Zug war fpät in der Nacht nach Sywiez 
gefommen und war von den Einwohnern fait gar nicht bemerft 
worden. Man nahm auch am nächiten Morgen feine Notiz 
von ihm, da das ganze Städtchen jich von dem geitrigen 
Schreden, in welchen e3 der Ueberfall der Schweden verjett, 
noch nicht erholt hatte Der König war nicht im Schloß ein- 
gefehrt, welches von den Schweden zum Teil zerjtört worden 
war, jondern in der Probjtei. Dort hatte Kmiziz erzählt, ein 
Gejandter des deutjchen Kaiſers komme von Schlejien und gehe 
nad Krakau. 

Der König jchlug am folgenden Tage auch jcheinbar den 
Weg nah Wadowig ein und bog erit weit Hinter der Stadt 
von diefem ab, um nad) Sucha zu gelangen. Won dort jollte 
die Neije über Kichetichonow nad) Jordanowo und Nowy-Targ 
gehen. In Nowy-Targ wollte man Erfundigungen einziehen, 
ob in der Gegend von Tſchorſchtyn ſchwediſche Truppen ſich 
hatten bliden laſſen. Wenn nicht, jo wollte man über 
Tſchorſchtyn, anderenfalle® an der ungarischen Grenze entlang 
nach Zubow zu kommen juchen. 

Der König Hoffte, daß der Herr Kronenmarjchall, welcher 
über ein Kriegsheer zu verfügen hatte, wie ein fleiner regieren- 
der Fürſt, die Wege fichern und alle Feinde fernhalten, jelbit 
aber feinem Könige entgegenfommen werde. Nur ein Umjtand 
fonnte ihn daran hindern, nämlich der, daß er nicht wußte, 
welchen Weg der Monarch eingejchlagen hatte. Es würde jich 
wohl aber unter den Bergbewohnern irgend ein zuverläjfiger 
Mann finden, welcher dem Marjchall Botjchaft bringen Fonnte. 


99 


Man brauchte Hierbei durchaus das Geheimnis, welches den 
König umgab, nicht preiszugeben; es genügte, zu jagen, dab es 
im Dienjte des Königs geichehe. Das Volk, welches hier 
wohnte, war jeinem Herrſcher treu ergeben, obgleich es jehr 
arm war, in der Wildnis aufgewachjen, halb wild, jich nur 
mit der Bearbeitung des äußerſt undankbaren Bodens und 
der Viehzucht abmühte. Es haßte den Feind bitter und Die 
Bergbauern waren die erjten, welche bei der Nachricht von der 
Belagerung Tſchenſtochaus und Krafaus zu ihren Beilen griffen 
und die Berge verließen. Zwar fonnten jie in der Ebene den 
Gejichügen und Säbeln des Grafen Douglas feinen Widerjtand 
feiften, da fie nicht gewohnt waren, in den Niederungen einen 
Kampf auszufechten. Dafür durften die Schweden nur mit 
Beobachtung der größten Vorjichtsmahregeln ſich zur Ver— 
folgung der Bauern in die Berge wagen, da diejenigen Fleineren 
Abteilungen, welche unnüger Weije jich in die Engpäfje gewagt 
hatten, nie wieder zum Vorſchein gefommen waren. 

Set hatte die bloße Nachricht von der Durchreije des 
Königs ſchon wie ein Zauber gewirkt. Was und wer eine 
Waffe tragen fonnte, eilte unter das königliche Banner. 

E3 hätte nur der Nennung feines Namens bedurft, um 
Taujende diejer halbwilden Gebirgsjöhne um Johann Kafimir 
zu jfammeln, doch der König war mit Necht der Anficht, daß 
dann die Kunde von jeiner Anwejenheit mit Sturmegeile durch 
die Lande fliegen würde und die Schweden dann jedenfalls 
ein größeres Heer jammeln und ihm entgegenführen würden. 
Er zog daher vor, unerfannt weiterzureijen. 

Ueberall fand man fichere Führer durch das Gebirge, welche 
nicht weiter fragten und jich zufrieden gaben, jobald man ihnen 
jagte, daß die Neifenden Fromme Bijchöfe und Herren jeien, 
welche jich vor den Schweden verbergen wollten. So wurde 
der Zug über befchneite Felſengipfel, Eisfelder und Schluchten 
unter wehenden Stürmen auf nur den Bergbewohnern befannten, 
fait unzugänglichen Pfaden weitergeführt. 

Oft wandelte der König mit jeinem Gefolge hoch auf ſteilen 
Felſen, während die Wolfen ihm zu Füßen jchiwebten, und teilten 
jich die Wolfen, jo fonnte jein Blick über große jchneebedecte 
eslächen jchweifen, deren Grenzen faum jichtbar, ſich häufig in 
dunkle Felsſchlünde verloren, welche, halb von überhängenden 
Felſen verdedt, höchſtens Raubtieren als Unterjchlupf dienen 
fonnten. Aber es wurden auf diejen bejchwerlichen Pfaden 
die dem Feinde zugänglichen Wege vermieden und der Weg be= 


56 


deutend abgefürzt. Cs fam wohl vor, daß eine Anjiedelung, 
welche jo fern daliegend, frühejtens in einem halben Tage er- 
reichbar gejchienen, plöglich dicht vor den Neijenden lag. Immer 
aber, auch in der ärmlichiten Hütte, wartete ihrer die gajtlichite 
Aufnahme. 

Der König blieb ftets gut gelaunt; er ſprach feinen Be— 
gleitern Mut zu, die Strapazen geduldig zu ertragen, da fie 
auf diefe Weife am jchnelliten und am ficheriten nach Lubow 
gelangen mußten. 

„Der Herr Marjchall wird ganz erjtaunt jein, wenn Wir 
eines jchönen Tages plötzlich dort erjcheinen!“ wiederholte 
er öfters. 

Und der Nuntius erwiderte darauf: 

„Was war die Rückkehr Xenophons im Vergleich zu diejem 
Nitt durch die Wolfen ?* 

„se höher Wir jteigen, dejto -tiefer finft das Glück der 
Schweden,“ bemerkte der König. 

Endlich war man in Nowy-Targ angekommen. Nun war 
allem Anjchein nach jede Gefahr vorüber, die Bergbauern aber 
meinten, daß bei Tſchorſchtyn bis hier in diefe Gegend fremde 
Soldaten gejehen worden jeien. Der König ließ die Annahme 
gelten, dal dieje Soldaten wohl die deutjchen Söldlinge des 
Herrn Stronenmarjchalls jein könnten, von denen er zwei Ab— 
teilungen bejaß, oder, daß feine eigenen, dem Künige entgegen- 
gejandten Dragoner für fremde Soldaten gehalten worden 
waren. Als man num Tichorjchtyn wirklich von Truppen des 
Biſchofs von Krakau bejegt fand, da wurde diefe Annahme zur 
Gewißheit, aber die Anſichten über den nunmehr einzuſchlagenden 
Weg teilten ſich. Die einen wollten über Tſchorſchtyn an der 
Grenze entlang die Spiſer Wojewodſchaft zu erreichen ſuchen, 
die anderen rieten, noch vor Tſchorſchtyn die ungariſche Grenze 
zu überſchreiten, welche hier wie ein Keil ſich bis dicht an 
Nowy-Targ in das polniſche Land zwängte, und weiter durch 
Engpäſſe und Klüfte unter Leitung bewährter Führer den Weg 
fortzuſetzen. 

Dieſe letztere Anſicht überwog, da auf dieſe Weiſe die 
Möglichkeit eines Zuſammentreffens mit den Schweden faſt ganz 
ausgeſchloſſen blieb und der König dieſen „Adlerzug“ über Ab— 
gründe und Wolken ſehr intereſſant fand. 

Man nahm daher den Weg von Nowy-Targ aus etwas ſüd— 
weſtlich, den weißen Don zur Rechten liegen laſſend. Anfangs 
führte der Weg durch eine ziemlich weite Ebene; je weiter man 


57 


aber fam, dejto näher rücdten die Berge zujammen, deſto enger 
wurden die Thäler. Man fam auf Wege, die von den Pferden 
nur mühjam bejchritten werden fonnten. Oft mußten die Reiter 
abjteigen, um ihre Roſſe am Zügel weiter zu führen — und 
auch das war jchwierig, denn die Tiere jchredten vor den ſich 
vor ihnen dehnenden Abgründen mit weit geöffneten Nüjtern 
und eingezogenen Ohren zurüd. 

Die Bergbauern, welche an das Klettern über die jteiliten 
Felſen an Abgründen entlang gewöhnt waren, wählten oft 
Pfade, auf denen die des Weges Ungewohnten Schwindel 
ergriff. Endlich gelangten fie in eine lange, grade Felsſpalte, 
welche jo jchmal war, daß jich faum drei Neiter nebeneinander 
fortbewegen konnten. 

Der Engpaß zog ſich lang Hin, wie ein endlojer Storridor. 
Zwei hohe Felſen jchlojien ihn von beiden Seiten ein; hier 
und da zeigten ſich in denjelben jchmale Riſſe, dann wieder 
etwas weniger jteil abjallende Lehnen, welche die! mit Schnee 
bededt und am oberen Rande mit dunklen Kiefern eingefaßt 
waren. Die Winterjtürme hatten den Grund des Engpajies jo 
vom Schnee reingefegt, daß die Hufeifen der Pferde überall auf 
den bloßen Felſenboden trafen und laut Elirrten. 

Gegenwärtig aber wehte fein Züftchen; es herrſchte jo tiefe 
Stille in der Natur, dal diejes Klirren wie Glodenton in den 
Ohren klang. Nur Hoch oben, wo zwijchen den Kiefern am 
oberen Rande der Schlucht ein blauer Streifen des Firmaments 
jichtbar war, ertönte von Zeit zu Zeit das Krächzen und der 
Flügelſchlag vorüberfliegender Krähen. 

Der königliche Zug hatte angehalten, um auszuruhen. 

Die Pferde dampften und die Menſchen waren ermüdet. 

„Sind wir hier auf polniſchem oder auf ungariſchem 
Terrain?“ frug nach einer Weile der Ruhe der König den 
Führer. 

„Wir befinden uns noch auf polniſchem Boden.“ 

„Warum haben wir nicht gleich die ungariſche Grenze 
überjchritten ?“ 

„Das war unmöglich,“ antwortete der Führer. „Dieſer 
Engpaß macht nicht weit von hier eine Biegung; durch dieſe 
gelangt man über einen Sturzbach, in einer Wendung nach 
rückwärts, in einen zweiten Engpaß und jenſeits dieſes liegt 
Ungarn.“ 

„Da wäre es ja beſſer geweſen, wir wären gleich der 
Landſtraße gefolgt,“ ſagte der König. 


98 


„Stille! . . .“ antwortete plöglich der Bergbauer. 

Aller Augen richteten fi auf ihn. Sein Geficht war 
plöglich verändert, als er gleid) darauf ſagte: 

„Hinter der Biegung, vom Sturzbach her, fommen Soldaten! 
Um Gottes Willen! Sind das etwa Schweden ?“ 

„Wie? Was?“ jtürmte man von allen Seiten auf ihn ein. 

„Man hört ja nichts!‘ 

„Dort liegt Schnee, da fann man nichts hören. Bei den 
Wunden Jeſu! Sie find jchon ganz nahe! ... Gleich werden 
fie hier jein!“ 

„DBielleicht jind e8 Leute des Kronenmarſchalls?“ ſagte 
der König. 

Kmiziz war auf fein Pferd geſprungen. 

„Ich werde nachjehen!“ fagte er. 

Die Kiemlitſch eilten — Herrn ſogleich nach; wie Jagd— 
hunde der Spur des Wildes, ſo folgten ſie ihrem Herrn. Doch 
kaum waren ſie ein Stücthen vorwärts gefommen, da tauchte 
etwa Hundert Schritte vor ihnen in der Biegung des Engpajjes 
eine dunkle Schar ſchwediſcher Reiter auf. 

Kwmiziz erſtarrte vor Schreck; es waren Schweden. 

Sie waren ſchon jo nahe, daß an einen Rückzug nicht mehr 
gedacht werden konnte, beſonders da die Pferde des königlichen 
Zuges ermüdet waren. Hier hieß es, entweder ſiegen oder 
ſterben. Das begriff auch der unerfchrodene König jofort; er 
griff Schnell zum Schwert und bejtieg fein Roß. 

„Beichügt den König und tretet den Rückzug an!“ jchrie 
Kmiziz. 

Tyſenhaus Hatte jich jchnell mit zwanzig Mann an Die 
Spitze des füniglichen Zuges geitellt, Kmiziz aber ritt, jtatt ſich 
ihnen anzufchließen, in furzem Trab dem Feinde entgegen. 

Da er jet zufällig wieder den jchiwedischen Rod trug, in 
welchem er jich aus dem Kloſter in das Schwedenlager ge— 
ichlichen, jo wuhßten die Schweden nicht gleich, mit wem jie es 
zu thun hatten. Als fie den jo angethanen Reiter erblidten, 
glaubten ſie offenbar einer jchwediichen Patrouille ich gegen— 
über zu befinden, denn jie verblieben in ihrer gemächlichen Ruhe, 
nur der anführende Kapitän ritt ein wenig vor. 

„Wer jeid ihr?“ frug er in jchwediicher Sprache, indem er 
dem finiter dreinjchauenden Ritter in das ernite Geficht blidte. 

Kmiziz jprengte jo dicht an ihn heran, daß ihre Kniee ſich 
fait berührten, und ohne ein Wort zu erwidern, jchoß er ihm 
eine Kugel in das Ohr. 


59 


Ein Schredengjchrei entriß ſich den Kehlen der Schwedischen 
Reiter, gleichzeitig aber fommandierte Kmiziz: 

„Schlagt zu!“ 

Und wie ein losgeriſſener Felsblock im alle alles mit fich 
fortreißt und zerjtört, was ihm im Wege liegt, jo jtürzte Kmiziz 
fih Tod und Verderben bringend auf die vorderjte Neihe der 
Feinde und die beiden Söhne des alten Kiemlitich jprangen 
ihm nach wie zwei wütende Bären, ein arges Getümmel ans 
richtend. Das Klirren der Schwerter auf die Helme und Banzer 
hallte in der engen Schlucht wieder wie Hammerjchläge, und 
bald folgten diejem Geräuſch Schmerzenslaute und Stühnen. 

Im erjten Augenblid glaubten die erjchredten Schweden 
nicht3 anderes, als daß drei Bergriefen jie überfallen hätten. 
Die eriten Reihen prallten entjegt vor diefem unerwarteten 
Angriff zurüd und ehe noch die letten um Die Biegung des 
Engpafjes herumgefommen waren, da war die Verwirrung jchon 
bis zur Mitte des Neiterzuges vorgedrungen. Die Pferde 
biſſen ſich gegenfeitig und jchlugen wild um fich; die folgenden 
Reihen fonnten weder jchiegen, noch ihren Kameraden zu Hilfe 
eilen und mußten fie den Schlägen der drei Rieſen er- 
liegen jehen. 

Umſonſt hielten jie ihnen ihre Lanzen entgegen, vergeblich 
juchten fie vorzudringen, jene drei zerbrachen die Zanzenjchäfte, 
ichlugen die Säbel aus den Händen der Schweden, warfen 
Menichen und Pferde über den Haufen. Kmiziz riß fein Pferd 
empor, daß die Hufe desjelben die Köpfe der feindlichen Pferde 
trafen; er jelbjt raſte, tobte, jchlug um jich und ſtach wie bejeflen. 
Sein Geficht war mit Blut bejprigt, feine Augen leuchteten wie im 
Wahnſinn, er Hatte nur den einen Gedanken: der Feind mußte 
aufgehalten werden um den Preis feines Lebens. Seine Kräfte 
jchienen fich zu verdoppeln, zu verdreifachen, jeine Bewegungen 
glichen denen eines Quchjes, bligesjchnell und tollfühn. ie 
der Blit die Bäume, jo trafen jeine Hiebe die Menjchen. Die 
beiden jungen Kiemlitſch hielten mit ihm gleichen Schritt, 
während der Alte etwas rüdwärts alle Augenblide mit feinem 
Schwert zwifchen den beiden Rieſenſöhnen durchfahrend, ver- 
juchte, einen Schweden zu erreichen. 

Unterdefjen herrjchte in der Umgebung des Königs heftige 
Bewegung. Der Nuntius hatte wieder wie bei Sywiez die 
Zügel des füniglichen Roſſes gefaßt und Hielt dasjelbe von 
einer Seite fejt, während der Biſchof von Krakau auf der 
anderen Seite fi) abmühte, den König mit jeinem Pferde rück— 


60 


wärts zu ziehen. Der König dagegen jpornte das Tier jo ge= 
waltig vorwärts, daß dasjelbe ferzengerade emporitieg. 

„Laßt Mich!“ rief der König, „lat Mich, um Gotteswillen! 
Wir müffen uns durchichlagen.“ 

„Herr, denft an das Vaterland!“ jagte der Biſchof von 
Krakau. 

Aber der Monarch konnte ich nicht losreigen, jo wurde 
er zurücgedrängt, da auch Tyfenhaus ihm von vorn den Weg 
verjtellte. Diejer gab Kmiziz preis, um den König zu retten. 

„Bei dem Leiden Seju! rief er verzweifelt, „jene dort 
müfjen gleich den Widerjtand aufgeben! ... Majejtät! Netten 
Ew. Majejtät jich, jo lange es noch Zeit!... Ich halte den 
Feind bier auf!“ 

Doc der Eigenfinn des Königs, einmal entfacht, war un: 
berechenbar. Anjtatt ſich rückwärts zu konzentrieren, jpornte er 
das Pferd nur heftiger und drängte er vor. 

Die Zeit verging. Jeder Augenblid fonnte das VBerderben 
bringen. 

„Soll es denn jein, jo jterbe Ich auf heimatlicher Erde! ... 
Laßt die Zügel los! ...“ rief der König. 

Zum Glüd konnten des engen Plabes wegen nur eine 
kleine Anzahl der Feinde gegen Kmiziz und die Kiemlitſch vor— 
dringen. Infolgedeſſen Eonnten dieje jich länger halten. All: 
mählich aber begannen ihre Kräfte doch nachzulaſſen. Kmiziz 
blutete jchon aus einigen leichten Wunden, ein nebelgleicher 
Schleier legte jic, über jeine Augen, der Atem begann ihm aus: 
zugehen. Er fühlte den Tod nahen, deshalb wollte er jein Leben 
jo teuer als möglich verfaufen. „Nur noch einen!“ murmelte 
er unaufhörlic) vor ich Hin, während er jeinen Säbel bald 
auf den Kopf, bald auf den Arm eines Feindes herabjaujen 
ließ, um jogleich jich wieder einem anderen zuzuwenden. Zuletzt 
aber jchienen e8 die Schweden wie eine Art Schande zu em— 
pfinden, jo lange von drei Neitern aufgehalten zu werden, denn 
jie drängten plöglich mit aller Gewalt vor, um diejelben durd) 
die Gewalt des Anpralles zurücdzudrängen. Da jtrauchelte das 
Pferd Kmiziz', es fam zu Falle und die jchwedifchen Reiter 
ftürmten über ihn fort. Noch leijteten die Kiemlitſch einige 
Augenblide Widerjtand, dann wurden auch fie überritten. . . . 

Wie ein Sturmwind jagten num die Schweden dem könig— 
lichen Zuge zu. 

Tyſenhaus stellte jich ihnen mit jeinen Leuten entgegen, 
fie prallten gegeneinander, daß das Klirren der Schwerter und 


61 


das Raſſeln der Panzer von den Bergen widerhallte. Was 
aber bedeutete dieſe Handvoll Soldaten gegenüber der drei— 
hundert Reiter zählenden ſchwediſchen Kolonne! 

Es blieb kein Zweifel! Der König und ſeine Begleitung 
mußten entweder fallen oder in Gefangenſchaft geraten. 

Der König, welcher das erjtere der Gefangenſchaft vorzog, 
hatte jich endlich den ihn zurüdhaltenden Händen zu entreißen 
vermocht und eilte an Tyſenhaus' Seite. 

Da gejchah etwas ganz Außerordentliches. Die Berge jelbit 
jchienen ihrem rechtmäßigen Könige und Herrn zu Hilfe zu 
fommen, denn die oberen Säume des Engpajjes erzitterten, als 
ob ein Erdbeben jie erjchütterte; der dort oben wachjende Wald 
ihien an dem Kampfe teilnehmen zu wollen. Baumjtämme, 
fleine Schneelawinen, Eisjtücde, Steine und Felſentrümmer be- 
gannen fich oben loszulöjen und jtürzten frachend und polternd 
auf die unten eingepferchten Neihen ſchwediſcher Reiter, gleich- 
zeitig aber ertönte zu beiden Seiten des Engpaſſes von oben 
ein wildes Geheul. 

Unten aber entjtand eine aller Bejchreibung jpottende Ver- 
wirrung. Die Schweden dachten, die Berge jtürzten ein, und 

laubten nichts anderes, al3 daß fie erdrückt würden unter der 

Laſt derjelben. Hergerreißendes Geſchrei und Klagerufe, ver— 
zweifelte Schreie nach Hilfe vermiſchten ſich mit dem Quieken 
der Pferde und dem Knirſchen und Klirren der die Panzer 
treffenden herabſtürzenden Felsſtücke. 

Bald bildeten Pferde und Menſchen dort unten nur noch 
einen ſich lonvulſiviſch krümmenden Haufen, welcher verzweifelte, 
gräßliche Schreie ausſtieß. 

Immer dichter flogen die Steine und Felsſtücke herunter; 
erbarmungslos die ſchwediſchen Reiter und Pferde nieder- 
jchmetternd. 

„Die Bergbauern! Die Bergbauern!” ertönte es endlich 
in den Reihen des füniglichen Zuges, welcher voll Entjegen 
diefem Ereignis zugejehen. 

„Schlagt fie mit den Aexten tot, die Bluthunde!“ hörte 
man jett oben rufen. 

In demjelben Augenblid tauchten über dem ande der 
‚seljen oben langhaarige, mit Fleinen Lederhüten bedecte Köpfe 
auf, denen gleich die dazugehörigen Körper folgten, umd mit 
Bligesjchnelle glitten einige Hundert jeltiame Gejtalten mit 
fagenartiger Behendigfeit an den jteilen Felſen herab in Die 
Tiefe des Engpaiies. 


Die Flügel ihrer hellen oder dunflen Mäntel, welche fich 
über ihre Schultern gejchoben Hatten, gaben ihnen das Anſehen 
einer Schar herabflatternder Naubvögel. Im Handumdrehen 
waren jie unten; ihre Aexte ſauſten auf die — hernieder 
und richteten ſchreckliche Verheerungen an. Der König wollte 
dem Gemetzel Einhalt thun. Ihn erſchütterte der Anblick und 
das Geſchrei der um ihr Leben flehenden Schweden gewaltig. 
Aber kein Befehl, kein Einſchreiten vermochte das Rachewerk 
der Bergbauern aufzuhalten und eine Viertelſtunde ſpäter 
befand ſich kein einziger lebender Schwede mehr im Engpaß. 

Endlich wandten die blutüberſtrömten Bergbauern ſich 
dem königlichen Zuge zu. 

Der Nuntius ſah mit Staunen dieſe ihm völlig fremden, 
groß und ſtark gewachſenen Männer, welche zum größten Teil 
in Schaffelle gekleidet, blutbefleckt, mit noch vom Kampfe 
dampfenden Aexten näher kamen. 

Beim Anblick der Biſchöfe entblößten ſie ihre Köpfe, viele 
von ihnen knieten nieder. 

Der Biſchof von Krakau erhob das thränenüberſtrömte 
Antlitz zum Himmel. 

„Das war Gottes Fürſorge, Gottes Auge, welches über 
der Majeſtät wachte!“ ſagte er. 

Dann wandte er ſich den Bergbauern zu und frug: 

„Woher ſeid ihr, Leute?“ 
‚Aus dieſer Gegend!” antwortete es aus der Menge. 

Wißt ihr, wem ihr Hilfe und Rettung gebracht habt? 
Seht, euer Herr und König iſt es!“ 

Dieſer Erklärung folgten ſeitens der Bergbauern lebhafte 
Freudenrufe: „Der König! Der König! Jeſus Maria, der 
König!“ tönte es von allen Seiten. Es entſtand ein Gedränge 
nach vorwärts. Ein jeder der treuen Bauern wollte ſeinen 
König ſehen. Weinend und ſchluchzend drängten ſie von allen 
Seiten herbei, um ſeine Hände, die Steigbügel, ja die Füße 
des Königs zu küſſen. Die Begeiſterung nahm ſo zu, daß die 
Biſchöfe aus Beſorgnis um die Perſon des Königs ihr zuletzt 
Einhalt thun mußten. 

Der König aber ſtand hoch zu Roß unter ſeinem Volke, 
wie der Hirt unter ſeiner Herde, und Thränen der Rührung 
perlten über ſeine Wangen herab. 

Dann wurde ſein Antlitz heiter; ein Gedanke ſchien ihn 
zu beſeelen und ganz zu erfüllen. Er erhob die Hand zum 
Zeichen, daß er ſprechen wolle und als die Menge ſich be— 


63 


ruhigt hatte, da jagte er mit erhobener Stimme, jo dab alle 
ihn hören fonnten: 

„O Gott! der du Mich durch die Hände diejer einfachen 
Bauern vom Tode errettet haft, bet dem Leiden und dem Tode 
deines Sohnes jchwöre Ich, daß Ich Meinem Volke immer ein 
Vater fein will!“ 

„men!“ ſchloſſen die Bijchöfe. 

Einen Augenblid herrſchte andächtige Stille, dann brad) 
fich) die Freude von neuem Bahn. Man frug die Bergbauern, 
wie fie in den Engpaß gefommen und jo zu rechter Zeit dem 
Könige Hilfe bringen konnten. 

Sie berichteten, dal größere jchwedtiche Truppenteile ic) 
jchon tagelang in der Nähe von Tſchorſchtyn umhergetrieben 
hätten, ohne doc, das Schloß anzugreifen; es hatte den An— 
jchein, als fuchten fie jemanden. Die Bauern hatten auch von 
einem Gefecht gehört, welches dieſe Abteilung jchwedischer Neiter 
mit polnifchen Soldaten geführt haben jollten, welche den König 
in fein Reich zurückbegleiteten. Da hatten fie bejchlofjen, die 
Schweden durch faljche Berichte irre zu leiten und in die Eng— 
päſſe zu lodenn. 

„Wir jahen,“ erzählten die Bergbauern, „daß jene vier 
Nitter die Bluthunde wütend angriffen und wären ihnen gern 
zu Hilfe geeilt, doch fürchteten wir, fie vorzeitig zu verjtreuen 
und dann nicht alle zu befommen.“ 

Hier fuhr der König empor. 

„Heilige Mutter Gottes!“ rief er. „Sucht Mir jofort den 
Babinitich! ... Laßt uns ihn wenigitens ehrenvoll begraben! ... 
Und diejer Mann, der als Erjter für Uns in den Tod ging, 
diejer Mann wurde des Verrat verdächtigt!” 

„Sch befenne mich schuldig, Majejtät!“ jagte Tyſen— 
haus betrübt. 

„Sucht ihn! Sucht ihn!“ rief der König. „Sch verlafie 
diefe Stelle nicht, bevor Sch fein Angeficht nicht gejehen und 
Abjchied von ihm genommen habe.“ 

Soldaten und Bergbauern jprangen fort, juchten den 
Platz, wo der Kampf begonnen, und zogen nach furzem Suchen 
den Körper des Herrn Andreas unter feinem Pferde hervor. 
Sein bleiches Geficht war mit Blut bejprigt; dicke Tropfen 
desjelben waren ihm im Barte geronnen, die Augen hatte 
er gejchlofien. Sein Panzer zeigte mehrfah Epuren von 
Schwerthieben und Pferdetritten, aber dieſer Panzer war es 
auch, welcher ihn vor dem HZerquetjchen durch die Laſt jeines 


64 


Pferdes behütet hatte, und dem Soldaten, welcher ihn emporhob, 
ichien es, als hätte er ein leijes Stöhnen vernommen: 

„Er lebt! Wahrhaftig, er lebt!“ rief er aus. 

„Nehmt ihm den Panzer ab!“ jchrieen andere. 

Die Riemen, welche dieſen zujammenhielten, waren bald 
durchichnitten. 

Kmiziz begann tiefer zu atmen. 

„Er atmet! Er atmet! Er lebt!“ rief es durcheinander. 

Eine Zeitlang lag der Totgeglaubte unbeweglich, dann 
öffnete er langjam die Augen. Ein Soldat flößte ihm etwas 
Branntwein ein, während mehrere andere jich bemühten, ihn 
aufzurichten. 

Da fam eben auch der König herzugeeilt. Die Rufe: „er 
febt* waren von Mund zu Mund geflogen und jo aud an 
das Ohr des Königs gedrungen. 

Die Soldaten trugen den Körper des Herrn Andreas dem 
Könige entgegen. Er laitete jchwer umd regungslos auf ihren 
Armen. Doc als die Stimme des Königs an jein Ohr jchlug, 
da fehrte jein Bewußtſein noch einmal zurüd, die Augen öffneten 
jih und die blaffen Lippen jprachen leife, aber ganz deutlich: 

„Mein Herr, mein König lebt... frei...“ 

Eine Thräne hing an feinen Wimpern. 

„Babinitjch, Babinitſch! Womit kann ch euch Tohnen?“ 
rief der König bewegt. 

„Ich bin nicht Ba—bi—nitfch, — ih — bin Kmi—ziz!“ 
flüjterte der Ritter. 

Dann hing er wieder leblos und jchwer in den Armen 
der Soldaten. 





6. Rapitet. 





Den Berficherungen der Bergbauern zufolge, daß auf dem 
Wege nach Tſchorſchtyn weitere Abteilungen jchwediicher Truppen 
jich nicht befänden, jchlug der Fünigliche Zug die Richtung nach 
diejem befejtigten Schlofie zu ein. Bald auch gelangte er nun 
auf eine Landſtraße, auf welcher er jich bequemer und weniger 
mühevoll fortbewegen fonnte. Fröhliche Gejänge und Vivatrufe 
der Bergbauern geleiteten ihn. Immer neue Haufen Volkes, 
mit Senjen, Drejchtlegeln, Mijtgabeln und alten Musfeten be- 
waffnet, jchlofjen fich dem Zuge an. Johann Kaſimir befaud 
fich im furzer Seit an der Spitze eines anjehnlichen Heeres, 
welches, wenn auch nicht durchweg aus regulären Truppen be— 
itehend, doch für ihn in den Tod oder zum Siege zu gehen 
freudig bereit war. Noch vor jeinem Einzuge in Tichorjchtyn 
fand er ſich von über eintaujend Freiwilligen umgeben, die zum 
gröpten Teile wilde Steppenjühne waren. 

Nun fing auch der Kleinadel aus der Umgegend von Neu— 
und Alt-Sontjch an herbeizujtrömen. Diejer brachte die frohe 
Kunde mit, daß an diefem Morgen eine polnische Fahne unter 
dem Kommando des Hauptmann Woynillowitjch einen größeren 
ſchwediſchen Vortrab gänzlich aufgerieben habe. Die Mehrzahl 
der Schweden jei entweder durch das Schwert der Polen ge- 
fallen, oder in der Kamienna ertrunfen. 

Etwas jpäter wurde dieje Nachricht beitätigt, denn bald 
darauf tauchten in der Ferne auf der Landſtraße polniſche 
Neiterfähnchen auf und Woynillowitich jelbjt jprengte mit einer 
Abteilung Reiter des Wojewoden von Brazlaw heran. 

Der König begrüßte die Ankunft des ihm längit befannten 
tapferen Nitters auf das Freudigſte. Unter lauten Yurufen 


Sientiewicez, Sturnflut II. 5 


66 


der Begeiiterung jeitens des Volfes und der Soldaten jegte er 
jeine Neije nach dem Spiſer Komitat an der Seite Woynillo— 
witich 8 fort. 

Man hatte inzwijchen Eilboten abgejandt, welche dem Herrn 
Marjchall das Kommen des Königs melden jollten, damit er 
die nötigen Vorbereitungen zum Empfange desjelben treffen fünne. 

Die Weiterreiſe fand fröhlich und unter munteren Ge— 
ſprächen ſtatt. Immer neue Zuzüge vergrößerten die Begleitung 
des Königs. Der päpitliche Nuntius, welcher voll Angſt und 
Sorge um fein und des Königs 2os Schlejien verlaſſen und 
deſſen Bejorgnis im Anfang der Reiſe jich noch geiteigert 
hatte, ſchwamm in Wonne, da er jegt ficher zu jein glaubte, 
daß die nächite Zukunft dem Könige und mit diefem auch der 
Kirche den Sieg über die Andersgläubigen bringen werde. Die 
Biichöfe teilten feine Zuverjicht und die weltlichen Würden: 
träger waren ebenfalls der Anficht, daß das Volf vom baltijchen 
Meere bis zu den Karpathen fich einmütig erheben werde, ja 
Wopnillowitjch behauptete, daß Dies jchon wenigjtens zum 
größten Teil gejchehen fei. 

Er erzählte, was er im Meiche gehört, wie die Schweden 
von Angjt und Schreden befallen, nicht mehr wagten, in 
geringerer Anzahl die Befeſtigungen zu verlafjen, wie fie jelbit 
kleinere Schlößchen aufgaben und dieſelben in Brand ſteckten, 
um in „gröberen Feſtungen Schug zu juchen. 

„Das Heer ſchlägt ſich jchuldbewurt mit der einen Fauſt 
an die Brut, mit dev anderen füngt es an auf die Schweden 
loszuſchlagen,“ jagte er. „Wiltjchfowsfi, dev Hauptmann der 
Hujaren Ew. Majeität, hat den ſchwediſchen Dienſt bereits 
quittiert und zwar in der Weife, daß er jie bei Zackſchewo, 
wo eine Abteilung unter dem Kommando des Hauptmann 
Attenberg ſtand, angriff und fait vollitändig aufrieb . . . Sch 
habe ſie mit Gottes Hilfe aus Nowy-Sontjch herausgedrängt, 
der Sieg war ein volljtändiger, denn faum einer ift mit dem 
Leben dDavongefommen . . . Herr Felizian Kochowsfi hat mir 
mit jeinem Fußvolk wader beigejtanden, jo dat wir wenigiteng 
die vor zwei Tagen von den Schweden angefallenen Dragoner 
rächen fonnten.“ 

„as für Dragoner?“ frug der König. 

„Nun, die, welche Ew. Majejtät von Schlefien aus voraus- 
jandte. Sie wurden plöglic” aus einem Hinterhalte von den 
Schweden überfallen, und wenn diefe auch nicht vermochten, die 
Dragoner zu zeriprengen, jo fügten fie ihnen Doch großen 


67 


Schaden zu, obgleich diejelben jich brav wehrten. Wir aber hätten 
uns vor Verzweiflung beinahe ein Leids anaethan, weil wir 
feit glaubten, Ew. Majejtät befinde jich bei den Dragonern 
und unjerem Könige fünne ein Unglück zugeitogen jein. Das 
hat Gott Em. Majejtät wohl eingegeben, die Dragoner voraus- 
zujchifen. Die Schweden hatten das bald ausgejpürt und 
hielten alle Wege beſetzt.“ 

„Hört ihr es, Tyſenhaus?“ frug der König. „Das jagt 
ein erfahrener Kriegsmann.“ 

„sch höre, Allergnädigiter Herr,“ antwortete Eleinlaut der 
junge Edelmann. 

Der König wandte fich wieder Woynillowitjch zu. 

„Und was weiter? Fahrt fort! Erzählt!“ 

„sch will nichts von dem verheimlichen, was ich weil. 
In Großpolen treiben Zegozfi und Kulejcha ihr Spiel mit 
den Schweden. Herr Warjchyzfi hat den Lindorm aus dem 
Schneidemühler Schloß verdrängt, Dankow wehrt jich tapfer, 
Krone iſt ſchon in unjeren Händen und in Podlachien wächjt 
die Macht Sapiehas bei Tykozin zujehende. Den Schweden 
dort im Schloſſe brennt der Boden jchon unter den Füßen, 
mehr aber noch als ihnen, dem Fürſt-Wojewoden von Wilna. 
Die Kronen-Hetmane find jchon auf dem Wege von Sandomir 
nad) Yublin und machen feinen Hehl daraus, dab fie die 
Schweden als Feinde betrachten. Der Wojewode von Tjcherni- 
how hat jich ihnen angejchlofien, und wer irgend in jener 
Gegend einen Säbel in der Fauſt halten fann, der eilt ihnen 
zu. Man jagt, es werde dort eine Verjchwörung gegen die 
Schweden ins Werk gejeßt, deren Leiter Herr Sapieha und 
der Herr Kaſtellan von Kijow find.“ 

„So befindet ſich alfo der Herr Kaſtellan von Kijow eben— 
fall3 im Lubliner Komitat?“ 

„sa, Majejtät! Aber er ijt bald hier, bald dort ... Auch 
ich Toll zu ihm stoßen; ich weiß aber noch nicht, wo ich ihn 
finden werde.“ 

„Sein Nufenthalt wird überall befannt jein,“ jagte der 
König. „Ihr werdet nicht nötig haben, ihn zu juchen.“ 

„Das hoffe ich, Allergnädigjter Herr!” antwortete Woy— 
nillowitjch. 

Unter jolchen Gejprächen war die Zeit vergangen. Das 
Wetter hatte jich aufgeklärt, der Himmel jtrahlte in ſchönſtem 
Blau, der Schnee gligerte im Scheine der leuchtenden Sonne. 
Die Spiſer Berge breiteten ſich majeſtätiſch und freundlich 


„ 


68 


vor den Neijenden aus, die ganze Natur jchien ihrem König 
entgegen zu lächeln. 

„Beliebtes Vaterland!“ rief der König aus. „Wäre es Mir 
doch vergönnt, dir Frieden und Nuhe wieder zu geben, ehe Meine 
Gebeine in deinen Schoß zur Ruhe gehen!“ 

Der Zug langte jegt eben auf einer hohen Bergfuppe an, 
von wo aus man eine weithin jich dehnende Ausjicht hatte. 
Zu Füßen derjelben breitete jich eine weite Ebene. Auf der- 
jelben bewegte ſich noch in großer Entfernung ein Saufen 
Menjchen dem Berge zu. 

„Sort fommen die Soldaten des Herrn Marjchall uns 
entgegen,“ jagte Woynillowitjch. 

„Bielleicht jind es Schweden?“ meinte der König. 

„Nein, Allergnädigiter Herr! Vom Süden, von Ungarn 
ber fünnen Schweden nicht kommen. Ich kann jchon Die 
Truppengattung erfennen; es jind Huſaren.“ 

Nach einer Weile tauchte in der Ferne auch jchon ein 
Wald von Speeren auf, bunte Fähnchen wehten wie vom 
Winde geichaufelte Blumen, darüber leuchteten die Spigen der 
Wurfſpieße, wie fleine Flämmchen, während die Strahlen der 
Sonne auf den Panzern und Helmen jpielten. 

Die Begleiter des Königs ließen Freudenrufe erjchallen. 
Diejelben mußten von den Entgegenfommenden gehört worden 
jein, denn die Kolonnen famen jet in immer jchneller werdenden 
Tempo herangeiprengt, jo daß man bald die einzelnen Weiter 
deutlich erkennen fonnte, f 

„Wir wollen hier auf diejer Anhöhe den Herrn Marjchall 
erwarten,“ ſagte der König. 

Der Zug hielt an. Die anderen dort unten eilten noch mehr. 
Zuweilen wurden jie den Blicken der oben Harrenden durch Kleine, 
in der Ebene veritreute Felsblöcke, Hügelchen oder durch eine 
Diegung des Weges entzogen. Dann wieder jchlängelte der 
Neiterzug ſich jichtbar dahin, wie eine große, buntgligernde 
Schlange. Endlich war er dicht bei der Anhöhe angelangt, 
er kam langjam herauf. Das Auge fonnte nun den ganzen 
Zug überjehen und fich an jeinem Anblick weiden. Im Border: 
grumde erichten Die Huſaren-Leibfahne des Herrn Kronen— 
marjchalls, reich geichmückt, jo daß jeder Monarch ſtolz darauf 
jein fonnte. In Diejer Fahne dienten ausnahmslos nur Herren 
von dem Bergadel, Männer von herrlichem Wuchs, welche 
Panzer von blauem Stahl trugen, die kupferne Beichläge hatten 
und im feiner Gravierung das Bildnis der heiligen Jungfrau 


69 


von Tichenitochau trugen. Den Kopf bededte ein runder Helm, 
welcher durch ein eifernes Schuppenbandelier feitgehalten wurde; 
auf den Schultern waren Adler und Geierfedern befeitigt und 
über dem Rücken fielen, nach damaliger Eitte, Tiger:, Leoparden— 
oder Wolfsfelle herab. 

Ein Wald jchwarzgrüner Fähnchen flatterte über ihren 
Häuptern. An der Spige des Zuges ritt der Hauptmann 
Wiktor, gleid) Hinter ihm die Janitſcharen-Kapelle, mit Glöckchen, 
Zimbeln, PBaufen und Pfeifen, dahinter dicht gedrängt Neiter 
an Reiter. 

Tas Herz des Königs jauchzte auf vor Wonne beim 
Anblick dieſer herrlichen Strieger. Den Hufaren folgte auf dem 
Fuße Die leichte Neiterei, die blanfen Schwerter in der Hand, 
den Köcher und Bogen auf dem Nüden. Dann famen drei 
Abteilungen Somenen, farbig wie bunter Mohn gekleidet und 
mit Spiegen und Musfeten bewaffnet. Hinter ihnen ritten 
zweihundert Dragoner in roten Kollets umd zulegt Die Mliet- 
joldaten der verfchiedenen adligen Herren, Diener, welche feitlich 
geichmücdt wie zu einem Sochzeitsfeite waren, Trabanten, 
Heiducken, Bagen, Ungarn und Sanitjcharen, die zum Gefolge 
des Marjchalls gehörten. 

Das alles fam nüher und näher in allen Farben des 
Negenbogens jchillernd, Iujtig plaudernd, geräufchvoll mit dem 
Klirren der Waffen und dem Wiehern der Pferde vermengt. 
Zwijchendrein wirbelten die Trommeln, tönten die Pauken, 
Pfeifen, das Glodenjpiel, dat die Berge rings davon wider- 
hallten. Ganz am Ende des Zuges jah man eine Reihe 
herrichaftlicher Wagen nahen, deren Inſaſſen weltliche und 
geistliche Würdenträger zu fein jchienen. 

Jetzt jtellten jich Die Truppen in zwei Neihen zu beiden 
Seiten auf, jo eine Gaſſe bildend, in welcher alsbald auf 
milchweißem Pferde der Herr Sironenmarjchall Georg von 
Lubomirski erjchten. Wie ein Wirbelwind fam er dahergejagt, 
hinter ihm zwei Stallmeijter, deren Livreen von Gold jtroßten. 
Auf der Anhöhe angelangt, jprang er vom Pferde, warf die 
die Zügel desjelben einem der Stallmeister zu und näherte jich 
zu Fuß dem Slönige Er Hatte die Müte abgenommen, jie 
auf den Griff jeines Säbels gejtügt und jchritt jo barhäuptig 
dem Monarchen entgegen. Der Marjchall trug den polnischen 
Kriegerrod; jeine Brut war von einem veich mit fojtbaren 
Steinen bejegten jilbernen Panzer bedeckt, welcher jo blanf 
poliert war und jo glänzte, dat es jchien, der Marjchall trage 


0 


die Sonne auf der Brujt. Ueber die linfe Schulter hatte er 
einen dunklen mit violettem venetianiichen Sammet ausgejchlagenen 
Oberrock geworfen. Derjelbe wurde an einer Schnur am Halſe 
mit brillantenen Agraffen fejtgehalten; jeine Knöpfe waren 
ebenfalls große Brillanten und ein ganzes Bündel gleicher 
Steine war in Form eines Fleinen Straußes an der Mütze 
angebracht, welcher im Hin- und Herwiegen einen fürmlichen 
Strahlenregen über die Gejtalt des Marjchalls ergo}. 

Georg Lubomirsfi war ein Mann in der vollen Kraft 
jeiner Jahre, von majejtätiichem Wuchſe. Der Hintere Teil 
jeines Kopfes war glatt gejchoren, während das jtarf gelichtete, 
von grauen Fäden durchzogene Vorderhaar gejcheitelt über der 
Stirn lag. Der rabenjchwarze Schnurrbart hing in dünnen 
Enden an beiden Seiten der Oberlippe herab. Die Schönheit 
der gewölbten Stirn und der römischen Naje wurde etwas 
beeinträchtigt durch die zu jehr hervorjtehenden Baden und die 
kleinen, rot umrandeten Augen. Ein tiefer Ernit, gepaart mit 
unendlichen Hochmut und Eitelfeit, prägten ſich in diejem Ge— 
jiht aus. Ein Blick auf diefen Mann mußte überzeugen, dal 
er ſtets bemüht war, das Augenmerf nicht nur des ganzen 
Landes, jondern Europas auf jich zu lenken. 

Wo Georg Lubomirsfi nicht vermochte, den erjten Platz 
zu behaupten, wo er das PVerdienjt mit einem anderen teilen 
jollte, da jcheute jein Stolz fein Mittel, da jchonte er niemanden, 
jelbit nicht das Wohl des VBaterlandes, um den andern zu ver- 
nichten und allein das Feld zu behaupten. 

Obgleich ein gewandter und vom Glück begünjtigter Feld— 
herr, hatte er doch Rivalen, welche ihn bei weitem übertrafen, 
denn jeine Fähigkeiten hielten nicht immer gleichen Schritt mit 
dem Stolz und der Herrjchlucht des Marjchalle. Eine dauernde 
Unruhe peinigte ihn, welche wiederum dem Mißtrauen und 
Neid entjprangen. Dieſe beiden legteren Eigenſchaften machten 
ihn jpäter zu dem Manne, welcher ein jchlimmerer Feind der 
Republit wurde, als selbit der gräßliche Januſch Radziwill. 
Der böſe Geiſt, welcher Januſch innewohnte, war ſo groß, daß 
er vor nichts und niemandem zurückſchreckte; er verlangte nach 
der Krone und ſchritt dieſem Ziele dreiſt und unerſchrocken zu, 
gleichviel ob der Weg über die Trümmer und das Grab des 
Vaterlandes führte. Auch Lubomirsfi hätte jich gern Die 
Krone auf das Haupt jegen lafien, wenn der Adel das hätte 
thun wollen; jie zu verlangen und jelbjt zu erringen, Dazu 
war er geijtig nicht Ttarf genug. Nadziwill war einer jener 


rl 


Männer, welche das Nichtgelingen eines Planes zu VBerbrechern, 
das Gelingen zu Halbgöttern macht. Lubomirsfi war ein 
großer Naufbold, der, wenn jein Stolz; verlegt fich fühlte, alles 
mit ‚süßen trat, was das Wohl des Vaterlandes aufrichten 
fonnte, ohne doc) aus jeinem Fall für fic) etwas zu gewinnen 
zu verjuchen. Nadziwill war der Schuldigere, Yubomirsfi der 
Gefährlichere von beiden. 

Zur Zeit, wo er in Gold und Edelſteinen jtrahlend dem 
Könige entgegenjchritt, war jein Hochmut vollfommen gejättigt. 
War er doch der erite der Adligen, welcher den König auf 
jeinem Grund und Boden begrüßen durfte, ihn gewiſſermaßen 
in jeinen Schuß nehmen, auf den Thron führen und den Feind 
aus dem Lande vertreiben ſollte. Grwartete doch jeßt der 
Monarch und mit ihm das ganze Neich alles von ihm, waren 
doch aller Augen auf ihn allein gerichtet. So entſprach es 
auch ganz feiner Eigenliebe, in dieſem Augenblick jeine Treue 
und jeinen Dieniteifer zu befunden, ja, feine Opferwillig— 
feit in Zeichen der Ehrerbietung und Demut darzuthun, die 
alles May weit überjchritten. Noch ein Stüd vom Könige 
entfernt, nahm er jeine Mütze vom Griff des Säbels, und ich 
fortwährend tief vermeigend, fegte er mit dem Diamantenen 
Strauß derjelben den Schnee. 

Der König ritt ein paar Schritte vorwärts, hielt dann 
jein Prerd an, um zur Begrüßung des Marjchall3 abzufigen. 
Als der Marjchall das bemerkte, ſprang er jchnell herbei, fahte 
den Steigbügel und indem er gleichzeitig mit einem fräftigen 
Ruck jeinen Oberrod am Halje löjte, breitete er, dem Beijpiele 
jenes englischen Höflings folgend, denjelben dem Monarchen 
unter die ‚Füße. 

Tief bewegt öffnete der König jeine Arme und umarmte 
den Marjchall wie einen Bruder. 


Eine Weile vermochte feiner von beiden ein Wort hervor- 
zubringen. Die Truppen aber riß der erhabene Anblid zu 
einer jtürmijchen Begeilterung fort. Der Adel und das Gefolge 
ses Königs, das Volk, welches ſich ihm in immer wachjender 
Zahl auf jeinem Zuge angejchlojjen, jie alle brachen in laute 
Subelrufe aus. Tauſende von Müten und Kalpaks flogen hod) 
in die Luft. Die Musfeten, Flinten und Biltolen wurden ab» 
gefeuert und von Lublow her jefundierten die dortigen Gejchüge 
mit leijen Bahtönen, jo da die Berge und Wälder von taujend- 
fältigem Echo widerhallten, dasjelbe auffingen und die frohen 


172 


Aufe: „der König iſt da!“ weitertrugen bis zu den ferniten 
Felſen und Thälern. 

„Herr Marſchall,“ ſagte endlich der König, „euch wird man 
die Wiederherſtellung des Königtums zu danken haben.“ 

„Allergnädigſter Herr!“ antwortete Lubomirski, „ich lege 
mein Leben, mein Hab und Gut, alles zu Füßen Ew. Majeſtät.“ 

„Vivat! Vivat Joannes Casimirus Rex! . . .“ donnerte 
es in den Reihen der Adligen. 

„Es lebe unjer König, unſer Vater!“ riefen die Bergbauern. 

Unterdejjen war auch das Gefolge des Königs herbeigeeilt, 
den Marjchall zu begrüßen. Doch diejer fümmerte fich um 
niemanden und wich nicht von der Seite des Monarchen. Nach 
der eriten „Begrüßung hatte der König jein Pferd wieder 
beitiegen. Der Marjchall, welcher ſich in Beweijen der Unter— 
würfigfeit und Gajtfreundjchaft gar nicht genug thun fonnte, 
hatte die Zügel des königlichen Roſſes erfaßt und führte, jelbit 
zu Fuß gehend, den König durch die Neihen der unaufhörlic) 
Vivat rufenden Truppen, bis zu der vergoldeten, mit acht 
Arabern bejpannten Karoſſe, in: welche der König mit dem 
päpitlichen Nuntius Widon ich ſetzte. Die Bijchöfe und 
Würdenträger fanden Pläge in den anderen Wagen, worauf 
der Zug ſich langjam nach Lubow zu in Bewegung jeßte. Der 
Herr Marjchall ritt neben dem Wagenjenjter, wo der König 
ſaß, jo ſtolz und jelbjtbewußt, als jei er allein der Vater der 
Nepublif. 

An beiden Seiten ritten in dichten Reihen die verjchiedenen 
Truppen, die folgenden Verſe jingend: 


Haut die Schweden, fehrt Duält die Schweden, quält 
Mit geihärftem Schwert. Und ja feinen fehlt. 
Schlagt die Schweden, ichlagt, Raubt der Schweden Gut 
Bald die Freiheit tagt. Und vergießt ihr Blut. 
Zieht den Schwed zur Qual Tilgt ſie alle aus, 
Auf den Marterpfahl. Alle, Mann und Maus. 


Schlagt die Feinde tot, 
Aus ift dann die Not. 


In dem allgemeinen Freudentaumel, der alle beherrichte, 
ahnte wohl fein einziger, daß dasjelbe Lied jpäter von dieſen 
ſelben Truppen Lubomirskis als Schandlied gegen den eigenen 
König und deſſen Hilfstruppen, die Franzoſen, geſungen werden 
ſollte. 

Doch bis dahin war es noch weit. In Lubow läuteten 
alle Glocken und donnerten alle Geſchütze dem Könige den 


13 


Willtommensgruß. Der Schloßhof, wo der König ausitieg, die 
Kreuzgänge und Treppen des Schlojjes, durch welche der Monarch 
jchritt, waren mit rotem Tuch belegt. Im italienischen Bajen 
brannten morgenländiiche Sträuter und jtrömten aromatische 
Düfte aus. Schon vorher hatte Yubomirsfi den größten Teil 
jeiner Schäge nach Lubow überführen laſſen, um jie vor der 
Habgier der Schweden zu retten. Da gab es jilberne und 
vergoldete Kredenztische, fojtbare Teppiche und Gobelins von 
funjtvolliter vlamländischer Handjtiderei, Statuen, Uhren, mit 
Edelſteinen bejegte Spinde, Schreibtiiche mit Perlmutter und 
Bernjtein ausgelegt. Das alles war jet verwendet worden, 
um die Nejidenz der Lubomirskis zu einem Zauberpalait um: 
zugejtalten. Der Herr Marſchall hatte dieſe Prachtentfaltung 
angeordnet, um den König zu zeigen, daß er, obgleich als Ver— 
triebener in größter Armut zurückkehrend, dennoch ein mächtiger 
Herrſcher jei, im Beſitz jo mächtiger und. dabei jo treuer Diener. 
Der König merfte diefe Abjicht wohl, das Herz jchwoll 
ihm vor Glück und Freude und danfbar ſchloß er den Marjchall 
wiederholt in feine Arme. Auch der Nuntius, an den aus— 
erlejenjten Luxus gewöhnt, jprach offen jeine Bewunderung 
dejien aus, was er jah und jagte zu dem Grafen Apotyngen, 
daß er bis jeßt feine Ahnung von der Macht und Größe des 
polnischen Königs gehabt habe und nun überzeugt fei, dal alles 
über Bolen hereingebrochene Unheil nur vorübergehend jein fünne. 
Bei dem Feſtmahl, welches jpäter folgte, nahm der König 
auf einer Erhöhung Platz: der Herr Mearjchall bediente ihn 
jelbjt und gejtattete nicht, daß ein anderer jeine Stelle über: 
nehme. Zur Nechten des Monarchen ſaß der Nuntins Widon, 
zur Linken der Fürſt Primas Lejchtichinsfi, dann zu beiden 
Seiten der Nangordnung mach die Bilchöfe von Krakau, von 
Poſen, der Erzbijchof von Lemberg und Luzf, von Pichemyst, 
Kulm, der Archidiafon von Krakau, ferner die Staatswürdenträger 
und Wojewoden, deren acht erjchienen waren, Saitellane und 
Neferendare. Won den Offizieren jpeiiten an der füntglichen 
Tafel Herr Woynillowitich, Herr Wiftor, Herr Stabfowsft und 
Herr Balduin Schursfi, der Kommandeur der Fahne Yubomirsfi. 
Im anitoßenden Saale war die Tafel für den Stleinadel 
und im Zeughaufe für das gewöhnliche Vol gededt, denn alle 
ohne Ausnahme jollten an dem Freudenfeſt der Nückfehr des 
Königs teilnehmen. 
Es wurde auch an allen Tifchen von nichts anderen ge= 
jprochen, al8 von der Nüdfehr des Königs und von den großen 


74 


Gefahren, die ihn bedroht, und aus weldyen nur Gottes Hand 
ihn zu vetten vermocht. Johann Kaſimir hatte dieſes Gejpräc 
jelbjt begonnen, indem er den Verlauf des Gefechtes im Engpaß 
jchilderte und die Thaten des jungen Ritters rühmte, welcher 
das Bordringen der Schweden jo lange aufgehalten hatte. 

„Wie geht es ihm denn?“ frug er den Marichall. 

„Der Medifus verläßt jein Lager nicht; er verjichert, daß 
er genejen wird. Außerdem haben die Frauen und Mädchen 
des Frauenzimmers ihn in ihre Obhut genommen. Dieje werden 
ja nicht leiden, daß die Seele jeinen Körper verläßt, denn 
dieſer Nörper iſt jung und jchön!" antwortete heiter Der 
Marjchall. 

„Selobt jei Gott!“ rief der König. „Sein Mund hat Mir 
etwas verraten, was ch dem Herren nicht wiederholen will, 
denn Mir iſt es, als hätte Ich ihn falſch verjtanden, oder er 
mus im Delirium gejprochen haben. Wenn er aber die Wahr- 
heit Sprach, dann werdet ihr ſtaunen.“ 

„Wenn er nur nichts gejagt hat, was Ew. Majeität be- 
trüben könnte?“ 

„Nein, nichts dergleichen!” jagte der König. „Es hat 
Mich vielmehr maßlos erfreut, denn nun weiß Sch, daß felbit 
diejenigen, welche Wir als Unjere jchlimmiten Feinde anzujehen 
berechtigt waren, in der Gefahr mit ihrem Blute für Uns 
eintreten.” 

„lergnädigiter Herr!” rief der Herr Marichall. „Die 
Zeit der Umfehr und Beljerung iſt gefommen, aber unter diejem 
Dache befinden Ew. Majejtät fi) nur unter jolchen, welche 
auch micht einmal mit einem Gedanken gegen Ew. Majeität 
gelündigt haben.“ 

„Es iſt wahr, es iſt wahr!“ entgegnete der König. „Und 
ihr Herr Mearjchall jeid der Treueſte der Treuen!“ 

„sch bin nur ein armjeliger Diener Ew. Majejtät.“ 

Bei Tijche war es inzwijchen immer lebhafter geworden. 
Politische Debatten wurden geführt; man taujchte Meinungen 
aus über das Nusbleiben der bisher jo jehnlich erwarteten 
Hilfstruppen des deutjchen Kaiſers und der Tartaren und über 
die Entwidelung des bevorjtehenden Strieges mit den Schweden. 
Lebhafte Freudenausbrüche wurden laut, als der Marjchall 
berichtete, daß der von ihm zum Chan ausgejandte Bote vor ein 
paar Tagen zurücigefehrt jei mit der Nachricht, dab der Chan 
nit vierzigtaufend Horden bereit ſtehe, auf Wunjch jogar 
Hunderttauſend, und man nur der Ankunft des Königs in Lemberg 


15 


harre, um den Bund gegen die Schweden zu jchlieen. Der— 
jelbe Bote habe auch berichtet, daß die Stojafen unter den 
Drohungen der Tartaren jich zum Gehorjam gegen den König 
befehrt hätten. 

„Ihr denkt an alles, Herr Marjchall,“ jagte der König, 
„und handelt jo, wie Wir jelbjt nicht bejjer handeln konnten!“ 
Der Monarch griff nach dem Becher und denjelben erheben, 
agte er: 

„Bir trinken auf die Gejundheit des Herrn Kronen— 
Marichalls, Unjeres Wirtes und Freundes!“ 

„Das darf nicht gejchehen, Allergnädigiter Herr!“ fiel der 
Marjchall ein. „ES darf niemandes Gejundheit eher ausgebracht 
werden, als diejenige Ew. Majejtät!* 

Die jchon halb erhobenen Becher wurden wieder hingeitellt. 
Der vor Glücjeligfeit jtrahlende Lubomirski aber winfte jeinem 
Haushofmeilter. 

Auf dieſen Winf hin beeilte die im Saale umberjchwärmende 
Dienerjchaft jich, in vergoldete Kannen, aus filbernen Tonnen 
friichen Malvafier zu jchöpfen und die Vecher von neuem zu 
füllen. Die Stimmung wurde noch gehobener; alle erwarteten 
freudig angeregt den Toaſt des Herrn Marjchall. 

Der Kredenzmeilter hatte inzwijchen zwei Humpen aus 
venetianischem Kryitall, von jo wunderbar jchöner Arbeit herbei- 
gebracht, daß fie für das achte Weltwunder gelten fonnten. 
Der Kryitall, durch jahrelange Arbeit ausgehöhlt und gejchliffen 
bis zur feinjten Glajesjtärfe, warf dDiamantene Strahlen, während 
der Fuß desjelben von Meijterhand aus Gold Hergeitellt, in ganz 
Heinen Figuren den Einzug des jiegreichen Cäſaren auf das 
Kapitol darjtellte. Der Sieger fuhr in goldenem Wagen auf einem 
Wege, welcher aus kleinſten Perlen hergeitellt war. Hinter dem 
Wagen jchritten Die Gefangenen mit gefejjelten Händen; irgend 
ein König, deſſen Turban aus einem herrlichen Smaragd be- 
Itand, weiter die Legionäre mit ihren Abzeichen und den Adlern. 
Mehr als fünfzig jolch Kleiner Figuren waren auf dem Fuß 
eines jeden Bechers untergebracht; jie hatten jede Die Höhe 
einer Haſelnuß und waren jo wundervoll modelliert, daß man 
nicht nur die Gefichtszüge, jondern auch den Ausdruck des 
Stolzes in den Gejichtern der Sieger und der fummervollen 
Ergebung in denjenigen der Bejiegten erfennen fonnte. Die 
Verbindung zwijchen Fuß und Stelch bildeten goldene Filigran— 
Arbeiten, welche fein wie Haare, kunstvoll gebogene Weinranfen 
mit Blättern und Trauben und zwijchendurch geflochtenen 


76 


verjchtedenen Blumen zeigten. Dieſe Filigrane umzogen den 
Kryſtall bis an jeinen Rand, wo ihre Enden fich zu einem 
Kranz verbanden, welcher den Rand des Humpen bildete und 
mit Edeljteinen in fieben verjchiedenen Farben bejegt war. 

Der Kredenzmeilter reichte den einen dieſer Humpen dem 
König, den andern dem Marjchall; beide waren mit Malvafier 
gefüllt 

Da erhoben ſich alle Anweſenden von ihren Sitzen und 
der Herr Marſchall rief, ſeinen Humpen hoch emporhebend, mit 
laut ſchallender Stimme: 

„vivat Joannes Casimirus Rex!“ 

„vivat! Vivat! Vivat!“ 

In demjelben Moment dDonnerten Geſchützſalven, daß Die 
Mauern des Palajtes bebten. Die Adligen aus dem Nebenjaal 
jtürmten herein, um anzujtoßen; der Marjchall wollte Iprechen, 
kam jedoch nicht zu Worte in dem allgemeinen Aufruhr, denn von 
allen Zeiten rief e5 immerwährend: „Vivat! Vivat! Vivat!“ 

Es Hatte ſich des Marjchalls eine jolche Begeijterung be= 
mächtigt, daß jeine Mugen fait unheimlich leuchteten. Indem 
er jeinen Humpen bis auf den legten Tropfen leerte, überjchrie 
er die Menge mit Anitrengung aller Sträfte. Mit den Worten: 
„Ego ultimus!* jchlug er den Humpen von jo unjchäßbarem 
Werte jo heftig an jeinen Kopf, dab der Stryitall in Hunderten 
von Zplittern zeriprang, welche flirvend zu Boden fielen, 
während an der Schläfe des Marjchalld herab eine Blutrinne 
jich ergoß. 

Alle Anweſenden waren eriihrocden, der König aber jagte: 

„Ei, ei, Herr Marjchall! Wenn Wir auch jchon den Wert 
des Gefäßes gering achten wollten, jo dürfen Wir doch nicht 
dulden, daß ıhr euren Kopf, am welchem Uns jo viel gelegen 
iit, Verletzungen ausjett!“ 

„Bas fünnte mir wohl zu koſtbar ſein,“ rief der Marjchall, 
„da ih Doch die Ehre geniehe, Ew. Majeität ımter meinem 
Dache zu bewirten. Viyat Joannes Casimirus Rex!“ 

Der Kredenzmeijter reichte ihm einen anderen Becher. 

„Vivat! Vivat! Vivat!“ tönte es von neuem durch die 
Säle. * Klang zerbrochenen Glaſes miſchte ſich mit den 
Rufen. Nur die Biſchöfe folgten nicht dem Beiſpiel des Mar— 
ſchalls; ſie hatten die geiſtliche Würde zu wahren. 

Der päpjtliche Nuntins aber, welchem die Zitten des 
Landes fremd waren, meigte fich hinüber zu dem neben ihm 
jigenden Biſchof von Poſen und jagte: 


77 
di 


„Um Gotteswillen! Ich bin Starr vor Staunen. Cure 
Schakfammern find leer, jagt ihr? Für den Wert eines 
einzigen jolchen Humpens könntet ihr Doch jchon zwei ganz 
hübſche Negimenter Soldaten jtiften und fie unterhalten.“ 

„So geht es bei uns immer her,“ antwortete der Biſchof, 
mit dem Kopfe nidend. „Wenn Die Luft im Herzen jchwillt, 
da fennt jie weder Maß noch Ziel.“ 

Die Luſt war auch Hier noch im Zunehmen begriffen. 
Gegen das Ende des Mahles erhellte plöglich roter Feuerſchein 
die Fenſter des Palaſtes. 

„Bas bedeutet das?“ frug der König. 

„Nllergnädigiter Herr! Ich bitte zu den Ritterſpielen!“ 
fagte der Marjchall. 

Ein wenig taumelnd führte er den Monarchen zum Fenſter. 
Ein wunderjchöner Anblid bot jich ihren Mugen. Der Schloß— 
hof war taghell erleuchtet. Mehrere brennende Pechtonnen 
warfen hellgelbe Yichtreflere auf das vom Schnee gejäuberte 
und mit Tanmenzweigen überitreute Pflaiter Ddesjelben. Hier 
und da leuchteten hohe Spiritusflammen in bläulichem Licht; 
anderen hatte man Salz beigemijcht, damit jie rot leuchten 
jollten. 

Die Nitterfpiele begannen. Zuerſt hieben die Ritter 
Türfenföpfe ab, jprangen durch Neifen und fochten miteinander 
auf fcharfe Singen. Dann hetzten Wolfshunde einen Bären 
zu Tode; zulegt warf ein viejenhafter Bergbauer, ein zweiter 
Zamjon, einen Mühlſtein hoch in die Luft und fing denielben 
wieder auf. Die Mitternachtitunde jette endlich diejen Spielen 
ein Ziel. Alſo zeigte der Herr Marjchall jeine Macht, obgleich 
die Schweden noch im Lande hauiten. 





T. Kapitel. 


Der gute König vergaß aber über den Freuden der Gaſt— 
mähler und den Aufregungen und Unruhen, welche die Ankunft 
immer neuer hoher Gäſte mit jich brachte, nicht feinen treuen 
Diener, welcher im Engpaß jo unerjchroden jich den Schweden 
entgegengeworfen und für ihn jein Leben aufs Spiel geſetzt 
hatte. Am Tage nach jeiner Ankunft in Lubow bejuchte er 
den verwundeten Herrn Andreas. Gr fand ihn bei voller Be— 
jinnung und heiter geitimmt, trog feiner leichenhaften Bläſſe, 
denn der junge Held hatte glüclicherweije feine jchwere Ver— 
wundung erhalten, nur einen großen Blutverlujt erlitten. 

Beim Anblick des Monarchen jegte ſich Kmiziz jogar auf 
und legte ſich trog dem Drängen des Königs auch nicht mehr 
nieder. 

„sn wenigen Tagen, Allergnädigiter Herr!“ jagte er, 
„fann ich wieder zu Pferde ſitzen und mit Ew. Majejtät, wenn 
es gejtattet ijt, weiter veifen; ich fühle mich ganz wohl.“ 

„Du mußt ja aber tüchtig serhauen jein, ... .“ meinte der 
König, „es war doch eine unerhörte Waghalfigfeit von dir, als 
einzelner jich jo vielen entgegenzuitellen.* 

„Das habe ich jchon zu wiederholten Malen gethan, und 
immer fand ich die Bejtätigung meiner Annahme, dad; i in Augen- 
blicken höchiter Gefahr ein reſolutes Dreinjchlagen das einzig 
Nichtige iſt. . . . Er, Allergnädigiter Herr! die Narben, welche 
meine Haut trägt, jind nicht zu zählen, das iſt Kriegerlos!“ 

„lage nicht das Los allein an, denn du hajt bewiejen, 
daß du blindlings nicht nur dahin rennit, wo es Wunden zu holen 
giebt, jondern wo jicher der Tod gefunden werden kann. Wie 


9 


fange biit du denn jchon beim Kriegshandwert? Wo Haft du 
vorher gedient umd dich ausgezeichnet ? 

Ein heißes Rot überflog- das junge Geficht des Herrn 
tmiziz. 

„Allergnädigſter Herr!“ ſagte er zögernd. „Ich bin es, 
der die heranziehenden Horden Chowansfis immer noch aufhielt, 
als jchon alle anderen die Büchje ins Korn geworfen; ich bin 
e3, auf deſſen Kopf ein Preis ausgeſetzt it.“ 

„Höre einmal,“ jagte der König plöglih. „Du jprachit in 
jenem Engpaß ein jeltjames Wort aus; Ich dachte aber, Das 
Delirtum hätte dich gepadt und dir den Verſtand verwirrt. 
Jetzt Iprichit du wieder davon, daß du gegen Chowanski ge— 
jtritten haft. Wer bijt du eigentlich? Iſt wirflih Babinitich 
nicht dein wahrer Name? Wir willen recht gut, wer den 
Chowanski jo lange aufgehalten hat.“ 

Eine Weile Herrichte Totenitille im Gemach. Endlich 
richtete der junge Nitter das abgezehrte Antlig empor und 
jagte mit fejter Stimme: 

„Es iſt jo, Allergnädigiter Herr! . . . Es war nicht das 
Delirium, welches aus mir jprach .. . ich jagte die Wahrheit .. 
ich bin derjenige, welcher Chowansti aufhielt. Seit jener Zeit 
ijt mein Name in der ganzen Republik zuerjt befannt, dann 
berüchtigt geworden. . . Ich bin Kmiziz, der Fahnenträger von 
Orſchan . . .“ 

Hier ſchloß Kmiziz die Augen, ſein Geſicht wurde fahl. 
Als aber der König verwundert ſchwieg, ſprach er mühſam 
weiter: 

„Ich bin, Allergnädigſter Herr! dieſer von Gott Ver— 
dammte und von den Menſchen, den Gerichten für Mord— 
brennerei und Uebermut Verurteilte. Ich habe dem Radziwill 
gedient und mit ihm das Vaterland und Ew. Majeſtät ver: 
raten. Und jest, von Schwerthieben zerfegt, von Pferdehufen 
halbtot getreten, von Schwäche ans Lager gefejlelt, jchlage ich 
an meine Brujt und wiederhofe reuevoll: „mea culpa, mea 
culpa!* und flehe die väterliche Barınherzigfeit Ew. Majejtät 
an: „Berzeihung! Verzeihung! denn ich habe jelbit meine früheren 

Thaten verflucht und mich von ihnen abgewendet.“ 

Ihränen rannen an den Wangen des Reiters herab, Die 
bebenden Hände langten nach der Hand des Königs. Johann 
Kafimir zog die jeinige zwar nicht zurüd, aber ev war jehr ernit 
geworden, als er jagte: 

„Wer die Krone diejes Yandes auf dem Haupte trägt, der 


80 


muß von vornherein mit einer unerſchöpflichen Geduld und 
Barmherzigkeit von Gott ausgeſtattet ſein, ſonſt ſteht es ſchlimm 
um ihn und ſein Volk. Da du in Tſchenſtochau und hier Uns 
ſo treue und große Dienſte geleiſtet haſt und dein Leben für 
Uns in Gefahr brachteſt, ſo ſind Wir bereit, dir deine Schuld 
zu en — 

ſo darf ich Verzeihung und damit das Ende meiner 
El hoffen?“ rief Kmiziz aus, 

„Eines nur fünnen Wir dir miemals verzeihen,“ fuhr 
Johann Kaſimir fort, „und zwar dieſes, daß du gegen den 
Brauch Unjerer Nation und entgegen allen Gejegen der Menich- 
heit Dich dem Fürſten Boguslaw verpflichtet halt, die Hand 
gegen die Majeſtät zu erheben und Uns gefangen, tot vder 
lebendig, in die Hände der Schweden augzuliefern.“ 

Kmiziz, welcher noch kurz zuvor verjichert, daß Körper— 
ichwäche ihn an das Lager fejiele, war bei diejen Worten des 
Königs mit beiden Füßen zugleich aufgejprungen. Gr hatte 
nad) dem über dem Bette hängenden Kruzifix gegriffen und 
ſtand nun, dasjelbe in den Händen haltend, mit dunfelroten 
Flecken auf den Wangen und fieberhaft glänzenden Augen 
keuchend vor ihm: 

„Das iſt nicht wahr,“ ſchrie er auf. „Bei dem Seelenheil 
meiner Eltern und den Wunden des Gekreuzigten, das iſt nicht 
wahr! Wenn Gott mich dieſer Sünde ſchuldig weiß, jo möge 
er mich augenblids mit meinem plößlichen Tode und der 
ewigen Verdammnis jtrafen. Mein Herr und König! Wenn 
Ihr mir nicht glauben wollt, jo werde ich die Verbände von 
meinen Wunden reißen, dann möge der Nejt des Blutes, 
welches die Schwedenjchwerter noch in meinen Adern zurüd- 
gelaften, davonfliegen, dann will ich nicht mehr leben. Ich 
habe niemandem und nie ein ſolches Verſprechen gemacht, nie— 
mals iſt ein ſolcher Gedanke meinem Kopf entſprungen. 
Nicht für alle Königreiche der Welt würde ich mich einer ſolchen 
* ſchuldig machen. Amen! Amen! auf dieſes heilige Kreuz, 
Amen!“ 

Er zitterte am ganzen Leibe vor Aufregung und Fieber. 

„So hat der Fürſt gelogen?“ frug der König erſtaunt. 
„Aber warum? zu welchem Zweck?“ 

„Ja, Allergnädigſter Herr, er hat gelogen .. .“ ſagte 
Kmiziz. „Er wollte ſich mit der Lüge an mir rächen, für das, 
was ich ihm angethan.“ 

„Was haſt du ihm denn gethan?“ frug der König wieder. 


81 


„sch entführte ihn amgejichts eines ganzen Gefolges, 
mitten aus dem Heere heraus; ich wollte ihn gebunden 
Ew. Majejtät zu Füßen legen.“ 

Der König jtrich jich mit der —— Hand über die Stirn. 

„Seltſam!“ ſagte er, „ſeltſam! laube dir ja, aber 
Ich kann noch immer nicht begreifen. — hängt das zu— 
ſammen? Du dienteſt beim Fürſten Januſch und entführteſt 
den Fürſten Boguslaw, welcher doch weniger ſchuldig war, um 
deinen Gefangenen Mir zu bringen?“ 

Kmiziz wollte antworten. In dieſem Augenblick aber 
gewahrte der König ſeine Bläſſe und das Schlottern ſeiner 
Glieder, er wehrte ihm alſo, indem er ſagte: 

„Erhole dich erſt; ſpäter kannſt du Mir von Anfang an 
erzählen, Wir glauben dir. — Hier meine Hand!“ 

Der junge Ritter drückte dieſe Hand an ſeine Lippen und 
verharrte ruhig, bis er zu Atem gekommen. Er blickte dabei 
dem Könige unendlich liebevoll in die Augen, endlich nahm er 
alle Kraft zuſammen und begann: 

„sch will Ew. Majeſtät alles erzählen. Für Chowanski 
war ich ein Schredgejpenit, den Unſeren eine Laſt, denn alles, 
was ich brauchte, haben muhte, das mußte ich mit Gewalt 
nehmen. Zum Zeil trieb mich die zwingende Notwendigfeit 
dazu, zum Teil wilder Uebermut, denn ich bin jehr heihblütig. 
Sch Hatte eine Anzahl Kameraden — fie waren alle von gutem 
alten Adel, aber nicht beſſer als ich . . Hier und da wurde 
etwas marodiert, hier und da ein Feuer angeſteckt oder ein 
paar Menjchen durchgepeiticht. Man begann uns zu verfolgen. 
Wo der Feind noch nicht Beſitz ergriffen hatte vom Lande, 
dort bot man die Gerichte gegen mich auf — ich wurde in 
contumaciam verurteilt. Die Verurteilungen häuften ſich mit 
der Zeit, aber ic) machte mir nichts daraus, ja, ich hatte die 
verwegene Abficht, es darauf anfommen zu laſſen, der Teufel 
ritt mich, jozufagen, — es reizte mich, es zu machen wie Herr 
Laſchtſch, der mit dem Urteilsurkunden jein Wohnzimmer 
tapezieren lieg und trogdem ein geachteter Mann noch über 
den Tod hinaus iit.“ 

„Weil er Buße that und mit Gott verjöhnt jtarb,“ warf 
der König ein. 

Nachdem Kmiziz ein wenig gerubt, fuhr er fort: 

„Unterdejien war der Herr Hauptmann Billewitſch — die 
Billewitſch find ein altes, ehrwürdiges Geſchlecht in Snudz — 
aus dieſem Jammerthal in ein beſſeres Leben eingegangen und 

Stentiewicz, Sturmflut II. 6 


82 


hatte mir eim Gut und jeine einzige Tochter verjchrieben. 
Aus dem Gut mache ich mir nicht viel, denn ich habe bei den 
jteten Stämpeleien mit den Feinden Beute genug gemacht, um 
nicht nur das mir von den Feinden gänzlich offupierte Familien— 
erbe wieder zu erjegen, jondern noch etwas Ordentliches darüber. 

„Als aber meine Partijanen jehr heruntergefommen waren, 
benußte ich das mir zugefallene Erbe, weil ich gerade nahebei 
war, ihnen etwas Ruhe zu gönnen, und brachte fie in Die 
Laudaer Gegend in Winterquartiere. Dort verliebte ich mich 
jo jehr in meine Braut, daß ich bald die ganze Welt vergak. 
Das iſt ein Mädchen, jo brav und tugendhaft, daß ich mic) 
vor ihr meiner begangenen Thaten herzlich jchämte. Sie hat 
einen angeborenen Abſcheu vor Schlechtigkeit und Sünde; ſie 
jtürmte gleich auf mich ein, daß ich mein Leben ändern, das 
gethane Unvecht nah Kräften gutmachen und fünftig ein 
ordentliches Dajein führen jolle.“ 

„Bilt du ihrem Nate gefolgt?“ 

„ch bewahre, Allergnädigiter Herr! Ich wollte es von 
Herzen gern, das wei Gott... aber die alten Sünden ver- 
folgten mich überallhin. Auerft miphandelte man in Upit 
meine Soldaten; dafür jteckte ich die Stadt in Brand... .“ 

„Um Gotteswillen!“ rief der König aus, „das ijt ja ein 
Verbrechen.“ 

„Das iſt noch nicht das Schlimmite, Majejtät!“ ſprach 
Kmiziz weiter. „Nachher haben fie mir meine Kameraden ge: 
mordet, die adligen Ktavaliere, die, wenn fie auch wüjt waren, 
immerhin nicht verdient hatten, was man ihnen gethan. Der 
Laudaer Adel hat fie heimtückiſch überfallen und fie jämtlic) 
hingemordet. ch durfte jie nicht ungerächt laſſen, darum habe 
ich in jener Nacht die Anſiedelung der Butrym überfallen und 
jie mit ‚Feuer und Schwert geitraft. Es gehört aber ein 
ger Anhang zu diejen Grauröden; ich mußte fliehen. Meine 

raut wollte nichts mehr von mir willen — die Grauröde 
waren ihre im Teſtament des Vaters eingejegten VBormünder 
und hatten jomit das Necht, jie vor mir zu jchügen. Ach, und 
mein Herz zog mich zu ihr, daß Gott erbarm! ch konnte 
nicht ohne sie leben! Da jammelte ich eine Handvoll Leute 
und entführte ſie.“ 

„Du biit des Teufels, Menjch!“ rief der König. „Das 
war nach Tartaren Art um die Braut geworben.“ 

„Es war ein Bubenſtück, ich jehe es ein. Gott hat mic) 
daher auch durch die Hand des Herrn Wolodyjowski geitrait. 


83 


Der hat mic) zujammengehauen, daß es mich wundert, daß ich 
meine Seele nicht dazumal jchon ausgehaucht habe. Es wäre 
taujendmal bejler für mich gewejen, ich hätte mich dann nicht 
mit den Radziwills zum Verderben des Vaterlands verbinden 
fünnen. Was blieb mir aber zu thun übrig? Zu den alten 
Prozeſſen fam jegt ein meuer ... ., das Verbrechen, das ich 
nun begangen, hHeijchte Sühnung ... . ich wuhte nicht mehr 
aus noc) ein. Da fam mir plöglic) der Wojewode von Wilna 
zu Hilfe.“ 

„Er nahm dich in jeinen Schu?“ frug der König. 

„sa, er jandte mir durch Herrn Wolodyjowski einen Auf: 
gebotsberehl, dadurch Fam ic) unter jeine Gerichtsbarfeit und 
brauchte feine anderen Gerichte mehr zu fürchten. Sch griff 
nach dieſem Ausweg, wie der Ertrinfende nad) einem Stroh— 
halm. Ich Hatte bald eine Kompagnie beifammen, lauter 
rabiates Volk; jie war die bejte, in ganz Litauen fam feine 
ihr gleich. Ich führte fie nach Kiejdan. Dort empfing mic) 
Nadziwill wie einen Sohn, jagte mir, ich jei mütterlicherjeits 
mit ihm verwandt und versprach mich zu ſchützen. Er jchmeichelte 
meiner Tapferfeit und ich Dummkopf frod) mit Haut und Haar 
in die Falle. 

„Noch ehe er fi) mir ganz anvertraute, ließ er mich auf 
den Gefreuzigten jchwören, daß ich im jeder Lebenslage zu ihm 
jtehen würde, in jeder. Weil ich Dachte, es handle ſich um den 
Krieg mit den Schweden, legte ich den Eid gern ab, bis jenes 
gräßliche Gajtmahl, bei welchem der Vertrag von Kiejdan unter- 
jchrieben worden, mir die Augen öffnete. Die anderen Haupt- 
leute fonnten ſich von Radziwill losjagen, es hielt jie nichts 
davon zurüd, „ich war durch meinen Eid, wie der Hund an 
der Kette gefejlelt,“ ich mußte bleiben.“ 

„gaben denn Diejenigen, welche Uns abtrünnig geworden 
Jind, nicht auch den Eid der Treue geleistet?“ fragte der König 
traurig. 

„uch ich wollte mit dem offenbaren Verrat nicht noch mehr 
meine Seele befleden. Was ich damals gelitten, Allergnädigiter 
Herr, das weiß Gott allein. Ich wandt mich im Schmerz, wie 
der Wurm im Staube, mein Kopf brannte, als wäre leibhaftiges 
Feuer in ihm, denn — auch mein geliebtes Mädchen, die ine 
folge der Entführung ohnehin nicht mehr für mich zu haben 
war, auch fie hatte num das Recht, mid) als Waterlandsverräter 
zu verachten, wie ein efliges Gewürm. Und ich Elender hatte 
geſchworen den Nadziwill nicht zu verlaſſen . . . . Sie aber, 

6* 


84 


Majejtät! befist einen jtarfen Geilt und vermag Männer zu 
bejchämen durch ihren klaren Berjtand und ihre Königstreue.“ 

„Bott jegne fie dafür!“ jprach der König; „dag macht fie 
Mir lieb.“ 

„Anfangs glaubte fie, aus einem Parteigenofjen Radziwills 
einen treuen Anhänger des Königtums und des Vaterlandes 
aus mir zu machen, als fie aber einjah, daß ihre Mühe ver- 
eblic) war, da wandelte jich ihre große Liebe in ebenfo großen 
Sof Nadziwill Hatte mich rufen lafien und bemühte jich, 
mich zu überzeugen, daß nur auf dieſe Weije, das im Unter: 
ange begriffene Waterland zu retten jei. Sch vermag jeine 
usführungen nicht mehr wiederzugeben, aber er ſprach jo über- 
zeugend, wie jehr ihm das Glüd und Wohl des Vaterlandes 
am Herzen liege, daß er einen viel Klügeren als mich über- 
zeugt haben würde, mich, einen jo einfachen, vertrauensvollen 
Menjchen, er — der Künjtler in der Kunſt des Berjtellens. 
Sch flammerte mich an ihn mit der ganzen Kraft meines 
hoffenden Herzens, denn nun glaubte ich — alle anderen jeien 
blind, er allein heilfehend, alle anderen elende Sammergeitalten, 
er allein ein edler Heros. Damald wäre ich für ihn in dem 
Tod gegangen, wie jet für meinen Allergnädigiten König, weil 
ich —— bin, etwas halb zu thun. Ich kann weder halb 
lieben, noch halb haſſen!“ 

„Ich ſehe ein, daß du recht hatteſt,“ bemerkte der König. 

„Es waren unſchätzbare Dienſte, die ich ihm leiſtete,“ er— 
zählte Kmiziz weiter. „Leider muß ich ſagen, daß ohne meine 
Beihilfe ſeine verräteriſchen Thaten nicht ſo ſchlimme Früchte 
hätten tragen können, denn ſeine eigenen Leute drohten ihm 
den Gehorſam zu weigern. Schon drangen die Dragoner und 
ungariſchen Söldlinge auf die Schotten ein, da ſprengte ich mit 
meinen Leuten dazwischen und verhinderte Die Niederlage der— 
jelben, ebenjo wehrte ich dem Angriff der anderen Regimenter, 
indem ich jie zum größten Teil aufhob. Nur dem Herrn 
MWolodyjowsfi allein gelang es, ſich und jeine Laudaer Leute 
auf fait wunderbare Weife aus der Gefangenjchaft zu befreien 
und mit Sapieha zu vereinigen. Was noch übrig geblieben 
war, das juchte und fand Unterfommen bei jenem Feldherrn, 
aber Gott allein weit, welch zahllofe Menge braver Soldaten 
durch meine Schuld zu Grunde gegangen jind. Ich Ipreche die 
Wahrheit, wie in der Beichte. 

„Darauf hat Herr Wolodyjowsfi jelbit, auf jeinem Zuge 
nach Bodlachten, mich mit eigener Hand gefangen genommen 


85 


und mich erjchiegen lajjen wollen. Ich ſtand jchon auf der 
Kichtjtätte. Auf Grund von Briefen aber, welche man bei mir 
fand und welche auswiejen, daß ich durch mein energijches Ein— 
jchreiten verhinderte, dab der Fürſt in Kiejdan ihm nieder- 
ſchießen ließ, gab er mir die Freiheit wieder. Ich Fehrte zurück 
zu Nadziwill und diente ihm weiter, aber jchon erwachte in mir 
der Unwille über verjchiedene jeiner Handlungen. Ich erfannte 
bald genug, da er weder Glauben noch Ehre und Gewifjen 
bejigt und daß jeine Verjprechungen ebenjoviel oder ebenſowenig 
galten, wie die des Schwedenfönige. Ich fing an, ihm ins 
Geſicht offenherzig Vorwürfe und Ausjtellungen zu machen. 
Meine Dreiftigfeit erzürnte ihn; er begann mich zu fürchten. 
Zulegt wurde ich ihm unbequem, da jchickte er mich mit Briefen 
ſort 

„Du erzählſt wunderbare und äußerſt wichtige Dinge,“ 
ſagte der König. „Endlich erfahren Wir einmal von einem 
Augenzeugen, welcher pars magna fuit jagen kann, wie es dort 
zugegangen . ..“ 

„Es iſt wahr, pars magna fui,“ antwortete Kmiziz. „Ich 
eilte freudig mit den Briefen hinweg, da mir das Feuer ſozu— 
ſagen unter den Sohlen brannte, und ich hoffte endlich einmal 
zu wirklichen Thaten zu gelangen. In Pilwiſchki erreichte ich 
den Fürſten Boguslaw! O, daß doch Gott ihn mir in die 
Hände liefern möchte, damit er für ſeine Verleumdung Rede 
ſtehen müßte! Nicht die mindeſten Zugeſtändniſſe habe ich ihm 
gemacht, nein, gerade dort wurde mir das ganze Lügengewebe, 
die Niedertracht und Frechheit dieſer Heretiker klar.“ 

„Erzähle ſchnell, wie war das! Man ſagte Uns hier, daß 
Fürſt Boguslaw nur gezwungen ſeinem Vetter ſekundierte.“ 

„Er? Allerdurchlauchtigſter Herr!“ rief Kmiziz aufgeregt. 
„Er iſt ja viel ſchlechter als ſein Vetter Januſch. In ſeinem 
Kopfe iſt der Gedanke des Verrates entſprungen, er verlockte 
den Fürſt-Hetman, indem er ihm als Ziel und Lohn die 
Krone wies. Gott wird ihr Richter ſein. Jener gab wenigſtens 
vor, pro bono publico zu handeln. Boguslaw aber enthüllte 
mir, mich für einen Erzſchelm haltend, die ganze bodenloſe 
Schlechtigkeit ſeiner Seele. Ich ſchaudere, ſeine Worte zu 
wiederholen. . . . ‚Eure Republik muß der Teufel holen,‘ jagte 
er. ‚Stelle jie dir einmal vor in Gejtalt eines Stüdes roten 
Tuches, an welchen von allen Seiten herumgezerrt wird; wir 
denfen nicht daran, es zu retten — beileibe nicht! — Unjere 
Sorge wird nur jein, das möglichit größte Stüd davon für 


86 


ung zu gewinnen. Litauen,‘ jagte er, ‚muß uns bleiben. Sch 
werde als Nachfolger meines Vetters Januſch die Großherjogs- 
Krone mir auf das Haupt ſetzen, indem ich jeine Tochter heirate.‘ 

Hier bededte der König feine Augen mit der Hand. 

„Sroßer Gott!” jeufzte er. „Wie hätte da nicht gejchehen 
jollen, was gejchehen ift. Die Radziwills, Radziejowski, Opa— 
linsfi. Sie alle langten nach der Krone, und galt es jelbit 
das zu zeritören, was Gott zujammengefügt . . .“ 

„Auch mir graute vor jo viel Schlechtigfeit, Majeſtät. 
Ich rannte an die Pumpe und pumpte Wafjer auf meinen 
Schädel, um ihn abzufühlen, denn mir war zu Mute, als jollte 
ich den Verjtand verlieren. Bon diefem Augenblik an, war 
mein Entjchluß gefaßt. Sch war vor mir jelber erjchroden. 
Hatte ich mich nicht der Mitarbeiterjchaft an dem jchmachvollen 
Werke jchuldig gemacht? Was war zu thun. Sollte ich ihn 
oder mich jelbit niederjtechen? Ich brüllte wie ein Stier, den 
man mit dem Laſſo eingefangen. Mein Berlangen, mein 
einziger Wunjch war nur noch: „Rache an den Radziwille.“ 
Da gab mir Gott plöglich einen guten Gedanken. Unter dem 
Vorwande, ihn mein Pferd Probe reiten zu laſſen, welches ihm 
fehr gut gefiel, lockte ich mit mehreren meiner Leute den Fürſten 
Boguslaw aus der Stadt heraus, bemächtigte mich dann plöß- 
fi) der Zügel jeines Pferdes und wollte ihn in das Lager 
der Konföderierten ausliefern, um für den Preis ſeines Kopfes 
die Verzeifung Ew. Majejtät und der Nation für mich zu 
erfaufen.“ 

„Es jei dir alles verziehen für diefe That!“ rief der König. 
„Nur Kmiziz allein war imjtande, ein jolches Neiterjtüc zu 
unternehmen, niemand jonjt! Von ganzem Herzen verzeihe Sch 
dir! Aber erzähle weiter, wie fam es, daß er dir entjchlüpfte?‘ 

„Als wir das erjte Mal Halt machten,“ fuhr Kmiziz fort, 
„riß er mir unverjehens die Piſtole aus dem Gürtel und ſchoß 
mir den Schrot ins Gejicht . . . Hier dieſe Narben... Mit 
meinen Leuten wurde er ganz allein fertig ... er entfloh ... 
Niemand kann ihm jtreitig machen, daß er ein ausgezeichneter 
Kriegsheld iſt . . . aber ich finde ihn jchon noch und ſollte das 
BZujammentreffen mit ihm meine legte Stunde werden!“ 

Kmiziz riß an jeiner Dede herum, als wolle er jie in 
Stüde reißen, der König wehrte ihm jchnell und frug: 

„Und um fich zu rächen, hat er jenen Brief erdacht und 
geräljcht ?“ 

„Und aus Rache hat er ihn zu Händen Ew. Majejtät 


87 


niedergelegt! Ach, die Wunden meines Körpers jind geheilt, 


aber die Wunden meiner Seele nicht . . . Zu Wolodyjowsfi, 
zu den Slonföderierten konnte ich micht zurüd, die Laudaer 
hätten mich erjchlagen, wie einen Hund ... Da ich aber 


wußte, daß Nadziwill gegen fie zu Felde ziehen und fie über- 
fallen wollte, jo jchicfte ich ihnen einen Warner, damit fie ich 
jammeln fonnten, jonit hätte er jede einzelne ihrer ahnen 
zeritreut wie Spreu. Das war meine erite gute That, denn 
num halten jie ihm umzingelt wie ich höre, und laſſen ihn 
nicht mehr frei. Gott helfe ihnen dazu und jtrafe den Miſſe— 
thäter, Amen.“ 

„Das iſt vielleicht jchon gejchehen und wenn nicht, jo 
geichieht es wohl bald,“ jagte der König. „Was gejchah weiter 
mit dir?“ 

„Da ich bei den Konföderierten Ew. Majejtät nicht dienen 
durfte,“ berichtete Kıniziz weiter, „Jo bejchloß ich, zu meinem 
Allergnädigiten Herrn jelbit zu wandern und dort durch treue 
Dienjte meine Sünden abzubüßen. Aber wie fonnte ich zu ihm 
— Wer hätte wohl dem Kmiziz, deſſen ſchmachbedeckter 

dame in der ganzen Republik bekannt war, auch nur einen 
Biſſen Brot oder ein Nachtlager gewährt. So nahm ich meinen 
jetzigen Namen an; als Babinitſch zog ich nach Tſchenſtochau. 
Ob ich dort etwas für das Vaterland geleiſtet, kann der 
Prior Kordezki Ew. Majeſtät ſagen. Tag und Nacht war mein 
Denken nur darauf gerichtet, meine Schuld an das Vaterland 
abzutragen, ihm mein Leben zu opfern und Ehre und Ruhm 
wiederzuerlangen. Der Reſt meiner Geſchichte iſt Ew. Majeſtät 
befannt. Wenn mein Allergnädigſter Herr in ſeiner Herzens— 
aüte geneigt wäre, abzuwägen, ob meine neuen Verdienſte im— 
Itande jind, die alten Sünden auszugleichen, jo bitte ich innigit, 
möchten doch Em. Majeität mich gnädig an Ew. Herz nehmen, 
denn ich bin veritoßen von allen, ein Verbannter, ein Verräter 
und Meineidiger. Gott und Ew. Majeität allein kennen meine 
Neue, meine Thränen und mein Verlangen, ihm und Ew. Maje- 
jtät treu zu dienen.“ a 

Bei diefen Worten jtürzten Thränen aus den Mugen des 
jungen Mannes; er jchluchzte herzbrechend, während der gute 
König jeinen Kopf zwijchen beide Hände nahm, ihn auf die 
Stirn fühte und ihn zu tröjten begann: 

„Andreas!“ jprad er. „Du biſt Mir lieb geworden, wie 
ein Sohn. Sch weiß es nun, du Halt in der Verblendung 
gehandelt, wie viele aber jündigen mit Harem Bewußtſein? ... 


88 


Ic verzeihe dir aus vollem Herzen, denn du haſt deine Schuld 
getilgt. Beruhige dich, mein Sohn! Mand) einer wird Dich 
um deine DVerdienjte noch beneiden! ... Gott ſei mit dir! 
Sch verzeihe und das Baterland verzeiht. Wir bleiben zulett 
noch deine Schuldner! Höre auf, dich anzuflagen.“ 

„Bott lohne Ew. Majejtät dieſen Troſt!“ brachte Kmiziz 
ſchluchzend hervor. „Sch muß ohnehin doch noch in jener Welt 
büßen, für den Eidbrucd an Nadziwill, denn wenn ich auch 
nicht wußte, was ich bejchwor, jo bleibt Eid doch Eid.“ 

„Gott wird Dich dafür nicht verdammen,“ antwortete der 
König, „er mühte denn die halbe Republik als Eidbrüchige zur 
Hölle wandern laſſen.“ 

„Das denfe ich auch,“ meinte Amiziz. „Der Prior Kor— 
dezfi in Tſchenſtochau jagte auch, daß ich nicht brauchen werde 
zur Hölle zu jahren, nur wußte er nicht vecht, ob ich ohne 
das Fegefeuer davonkommen werde. Es iſt doch eine jchwere 
Sache, hundert Jahre dort zuzubringen. Aber jei es! Der 
Menſch kann viel ertragen, wenn die Hoffnung auf Erlöjung 
len und an Fürbitten wird es mir hoffentlich auch nicht 
ehlen.“ 

„Sorge nicht darum!” jagte Johann Kaſimir. „Ich jelbit 
will beim Nuntius einfommen, dab er für dein Seelenheil eine 
heilige Meſſe lejen läßt. Vertraue auf Gottes Barmherzigkeit.“ 

Kmiziz lächelte unter Thränen. 

„Vielleicht,“ jprach er, „schenkt Gott mir noch einmal 
meine Kräfte wieder, dann kann ich noch manchem Schweden 
das Yebenslicht ausblafen, was mir nicht nur zu himmliſchem 
Frieden, jondern auch zur Herjtellung der irdischen Reputation 
verhelfen würde.“ 

„Ser guten Mutes und gräme dich nicht um deine irdijche 
Reputation. ch werde dafür forgen, daß dir zufommt, was 
dir gebührt. Wenn ruhige Zeiten wiederkehren, werde Ich 
deine Verdienſte publizieren, deine bisherigen und die neuen, 
welche du Hinzufügen wirft. Dann jollen deine Privatitreitig- 
fetten auf dem Landtage zur Entjcheidung gebracht und dein 
guter Ruf wiederhergejtellt werden.“ 

„ech ja, Allerdurcjlauchtigiter Herr!“ bat Kmiziz. „Das 
iſt meine größte Sorge. Denn jobald nur der Friede im 
Lande leidlich hergeitellt jein wird, oder jchon vorher, werden 
die Gerichte alle meine Prozejje aufs neue revidieren, davor 
fann jelbit Ew. Majeität mich nicht jchügen. Aber darum 
geht es mir weniger. ch werde mich verteidigen, jolange ich 


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atmen und mein Arm ein Schwert führen fann ... Doc 
mein Mädchen! Olenka heißt jie, Allergnädigiter Herr! Ach, 
wie lange habe ich ſie nicht mehr gejehen, ach, wie viel habe 
ih um fie und durch fie gelitten. Wie oft ich mich aud) 
bemühe, jie mir aus dem Sinne zu jchlagen, weil fie mich doc) 
nicht mehr mag, — die Liebe läht mich nicht lös!“ 

Johann Kafimir lachte fröhlich und unendlich gutmütig. 

„Wie kann ich dir Armjeligen Hierin helfen?“ 

„Wer anders fünnte e8 wohl, wenn nicht Ew. Majeftät. 
Das Mädchen iſt treu Füniglich gefinnt; fie wird mir meine 
Kiejdaner Thaten niemals verzeihen, — es wäre denn, daß 
Ew. Majeſtät jelbjt für mich eintreten und mir ein Zeugnis 
ausjtellen wollen, daß ich mich volljtändig befehrt und mich 
frenvillig dem Dienjte des Königs und des Vaterlandes gejtellt 
habe, durch nichts verlodt und durch nichts gezwungen, als 
durch meine Reue und meinen Willen.“ 

„Wenn e8 nur das it, jo will Ich gern dein Fürſprecher 
jein. Und wenn jie jo fönigstreu gejinnt it, wie du jagit, jo 
fann Meine Fürſprache nicht fruchtlos bleiben.“ 

„Wenn das Mädchen nur auch frei bliebe oder nicht ein 
Unfall, wie jie zu Sriegszeiten jo häufig vorkommen, fie treffen 
wollte. Die Engel werden ſie bewahren!“ jagte Kmiziz mit 
Veberzeugung. 

„Sie iſt jolchen Schußes auch würdig,“ bemerfte der König. 
„Damit du gegenwärtig vor den Verfolgungen der Gerichte 
Ruhe haft, die — wie du jagft, wegen verbrecherischer Hand- 
lungen dich verfolgen werden, will Ich dir einen Aufgebotsbrief 
ausitellen, und weil Ich das auf den Namen Kmiziz nicht kann, 
jo joll er auf den Namen Babinitſch lauten. Du jollit dir 
wieder eine Fahne werben, was jedenfall zum Nuten des 
Baterlandes gereichen wird, da du ein erfahrener und tapferer 
Soldat bit... Du wirt unter dem Oberbefehl des Herrn 
Kajtellan von Kijow jtehen, denn bei ihm ijt es ebenjo leicht 
ji den Tod zu holen, als Lorbeeren zu erringen. Und wenn 
es notwendig werden jollte, jo wirft du auf eigene Fauſt 
Plänfeleien gegen die Schweden unternehmen und jo mit ihnen 
verfahren, wie du es mit Chowansfi gemacht haft. Deine Be— 
fehrung und guten Handlungen haben von der Zeit an be- 
gonnen, wo du den Namen Babinitich annahmit . . . Nenne 
did) weiter jo, dann wirft du auch vor den Gerichten Ruhe 
haben. Wenn dann die Sonne des Nuhmes wieder über dir 
jcheint, dann joll, wenn dein Ruhm durch die ganze Nepublif 


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widerhallt, befannt werden, wer diefer berühmte Kavalier iſt. 
Manch einer wird jich dann jchämen, einen jo großen Nitter 
anzuflagen, der Krieg wird manchen fortraffen, der dir Böjes 
finnt, andere wirft du vielleicht begütigen können . . . es werden 
im Wirrjal des Krieges auch eine Menge Akten verloren ge— 
gangen jein und — ch verjpreche dir noch einmal, deine 
Berdienite für dich jprechen zu laljen, das haſt du um Mich 
verdient.“ 

„Nllergnädigiter Herr!“ jagte Kmiziz mit vor NRührung 
bebender Stimme, „womit habe ich jo viel Gnade verdient?“ 

„Du haft fie mehr verdient als mancher, welcher ein Recht 
darauf zu haben glaubt,“ erwiderte der König Huldvoll. „Nun 
gräme dich aber nicht mehr; Ich hoffe, auch deine Braut wird 
jich verjühnen laſſen und ihr jorgt mir dann beide für ein 
neues königstreues Gejchlecht.“ 

MWahrjcheinlich wollte Amiziz dem Könige noch einmal für 
jo viel Gnade danken und ihm zu Füßen finfen. Er erhob 
fich hajtig vom Lager, aber von der langen Erzählung und der 
damit verbundenen Aufregung ſchwach geworden, fiel er mit 
der ganzen Länge jeines Körpers vor dem König zu Boden 
und blieb bejinnungslos liegen. 

„Um Gotteswillen! Was thuſt du?“ vief der König angjt- 
voll. „Er wird fich verbluten! Andreas!... Iſt denn niemand 
in der Nähe?“ 

Auf diefen Ruf eilte der Stronenmarjchall herbei, welcher 
ſchon lange den König gejucht und jetzt jeine Stimme ge- 
hört hatte. 

„Beim heiligen Georg, meinem Schugpatron! Was muß 
ich jehen,“ jchrie der Marjchall, als er jah, wie der König 
bemüht war, höchitjelbit den am Boden Liegenden auf jeine 
Arme zu nehmen, um ihn auf das Lager zu legen. 

„Helft Mir, Herr Marjchall,“ entgegnete hajtig der König. 

„Das hier iſt Babinitjch, mein liebiter Soldat und treuejter 
Diener; er hat mir das Leben gerettet, helft Mir.“ 


HRFZ 





8. Rapitet, 





Bon Lubow ging der König über Dufla, Krosno, Yanzut 
nach Lemberg. Sein Gefolge beitand außer dem Kronen— 
marjchall aus vielen Biſchöfen, Cdelleuten, Senatoren, dem 
Garderegiment und den Adjutanten. Wie ein mächtiger Strom 
in jeinem Laufe durch das Land alle Fleineren Gewäjler auf- 
nimmt und mit jich fortführt, jo jchloffen ſich dem königlichen 
Zuge immer neue Heerjcharen an; teil einzeln, teils in ge- 
ordnneten Haufen zogen Herren vom Model, bewaffnet, Soldaten, 
die von ihren Negimentern verjprengt waren, und Bauern, die 
der Haß gegen die Schweden zu wilden Thaten entflammte, 
herbei, um unter dem Schuße der Majeität weiter zu wandern. 

Der Aufitand war inzwijchen überall ausgebrochen. Man 
begann im ganzen Lande, Ordnung in die Bewegung zu bringen. 
Konſtantin Lubomirsfi, der Marjchall der Nitterf Ichaft, und 
Sohann Wielopolsfi, der Kajtellan von Wojnit, hatten von 
Sontſch aus datierte Proflamationen an den Adel der Kra— 
fauer Wojewodjchaft erlajjen umd zu den Waffen gerufen. Nun 
wuhte man, um wen man jich ſcharen konnte, und da nach dem 
allgemeinen Landrecht denjenigen Strafe drohte, welche dem 
Aufruf nicht Folge leisteten, jo jtrömte alles, was nur einen 
Arm rühren fonnte, zur Fahne. Das Aufgebot des Königs 
endlich trieb auch die Läſſigen aus ihrer Ruhe auf. 

Es bedurfte auch feiner Drohungen, denn ein wahrer 
Feuereifer hatte fich aller, ohne Unterjchied des Standes, be- 
mächtigt. reife wie finder jtiegen zu Pferde, die rauen 
opferten freudig ihre Kleinodien und Schmucjachen, einzelne 
unter ihnen griffen jogar zur Wehr. 


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In den Feldſchmieden hämmerten die Zigeuner Tag und 
Nacht, um Pflugſchare und anderes Wirtichaftsgerät in Waffen 
umzuarbeiten, Städte und Dörfer lagen öde und jtill da, weil 
die Männer in den Krieg zogen, und von den Karpathen her 
zogen ungezählte Scharen der wilden Bergbewohner heran. 
Die Ktriegsmacht des Königs wuchs von Stunde zu Stunde, 

Sein Zug durch das Yand glic einem Triumphzuge, denn 
überall fam dem Könige die hohe und miedere Geijtlichfeit mit 
Prozejjionen entgegen, jogar jüdische Deputationen mit ihren 
Rabbinern fanden fich ein und es jchten ihnen allen Freude zu 
machen, wenn ſie gute Nachrichten überbringen fonnten. 

In allen Teilen des Neiches, in den ferniten Provinzen, 
in der Steppe erhob die Racheluit dreiit ihr Haupt. Je tiefer 
das Volk gejunfen war, je jchmachvoller e3 feine Erniedrigung 
empfand, Deito höher richtete es ich nun empor und jcheute 
ih in jeinem Enthuſiasmus nicht, faum vernarbte Wunden 
aufzureißen, damit mit dem Blut auch die vergifteten Säfte 
der Verblendung und der Untreue davonfliegen konnten. 

Immer lauter verbreitete jich die Kunde von einem mäch- 
tigen Bündnis zwijchen Bolt und Adel. An die Spige der 
Truppen jollten geitellt werden: der alte Großhetman Reverenzius 
Potozki und der Landeshauptmann Lanzkoronski, der Wojewode 
von Neuen, Herr Paul Sapieha, der Wojewode von Witebst 
und der ‚zürit-Truchjeß von Litauen, Herr Michael Radziwill, 
welchen ſehnlichſt darnad) verlangte, die Schande, die Fürjt 
Januſch auf jein Gejchlecht gehäuft, wieder auszulöjchen; ferner 
noch Herr Krystof Tyſchkiewitſch, der Wojewode von Ticher- 
nichow, und viele andere Senatoren und Beamte von Abel. 

Zwijchen dieſen Herren herrſchte bereits ein lebhafter 
Briefwechiel, welcher vom Herrn Stronenmarjchall eingeleitet 
worden war, da Diejer einer jo bedeutungsreichen Bewegung 
nicht fern bleiben wollte. Mit immer größerer Sicherheit traten 
die Gerüchte von den Unterhandlungen diefer Herren auf, bis 
endlich durch das ganze Land die Kunde erjcholl, daß jämtliche 
Hetmane jamt ihren Truppen jich von den Schweden Losgejagt, 
und zum Schuß der Königlichen Majeität und des Baterlandes 
die Konföderation von Tyſchowietz zujtande gekommen jei. 

Dem Könige und der Königin waren die Bemühungen, 
diejelben ing Leben zu rufen, nicht verborgen geblieben. Sie 
hatten ſelbſt eifrig, wenn auch indirekt, an dem Zuitandefommen 
der Konföderation mitgearbeitet und erwarteten nun jehnlichit 
den Zuſammentritt derjelben, da ſie perjünlic) daran nicht teils 


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nehmen fonnten. Che der König noch Lemberg erreichen konnte, 
famen dann auch Herr Domajchewsft aus Domajchewitjche, der 
Oberrichter von Lukow und Herr Sluſchewski bei ihm an, und 
brachten im Namen der Ktonfüderierten das Gelöbnis der Dienit- 
willigfeit und Treue, nebit dem Vertrage der Konföderation, 
zur Beitätigung. 

Der König las den Vertrag der Verſammlung der Sena- 
toren und Bijchöfe, welche er zu diefem Zwed zujammenberufen, 
laut vor. Aller Herzen jubelten vor Freude und danften Gott, 
denn dieſe Konföderation, die in der Gejchichte der Polen für 
ewige Zeiten verzeichnet bleiben wird, jollte der jchlagendite 
Beweis dafür werden, daß das ganze Volf nicht nur jich aus 
feiner Berjumpfung aufzuraffen begann, jondern dat die Nation, 
von welcher man jagte, jie bejige weder Treue noch Glauben, 
nicht Vaterlandsliebe noch Gewijien, nicht Ausdauer noch Ord- 
nungsjinn, dennoch nicht vollitändig bar jei der Tugenden, welche 
Neichen und Nationen allein zum Schmude dienen. 

Das Zeugnis für dieſe Tugenden lag in der Form des 
Konföderationgvertrages im Original nun dem Könige vor. 
Die Kommiſſion der Honföderation erwog in dieſem Wertrage 
alle die widerrechtlichen Handlungen, deren jich Karl Guſtav 
jchuldig gemacht, und erklärte von num an gegen die jchwedijchen 
Eindringlinge zu fämpfen bis auf den legten Mann. Wie der 
Erzengel jeine Bojaune am Tage des leiten Gerichts erjchallen 
laſſen joll, jo jolle das allgemeine Aufgebot alle, die Ritter, 
Adligen und Standesherren, zum Bernichtungskriege gegen die 
Schweden auffordern. Doch nicht jie allein, jondern auch die 
Verbrecher und Verbannten jeien verpflichtet, dem Rufe des 
Vaterlandes Folge zu leilten. Die Ritter jollen zu Pferde 
jteigen, ihren Arm in den Dienjt des Baterlandes jtellen und 
von ihren Befigungen jo viele Fußſoldaten mit jich führen, als 
jeder nach jeinem Vermögen zu halten vermöge. 

Da in dieſem Lande Leiden und Freuden alle gleich treffen, 
jo find auch alle verpflichtet, die Gefahren dieſes Krieges zu 
teilen und feiner, der jich Edelmann nennt, jei er angejejlen 
oder nicht, darf ſich der Pflicht entziehen, ven Kampf. gegen 
den Feind der Republik mitzufämpfen. 

Da wir nun aber alle vom Stleinadel auch mehr oder 
minder verantivortungsvolle Aemter befleiden, jo werden jie, 
und mit ihnen wir, eingedenf der genojjenen Würden und 
Ehren in eigener Perſon uns dem Dienite des Baterlandes 
unteritellen. 


94 


Auf dieſe Weiſe proflamierte der Vertrag die Gleichheit 
des Adeld. Der König, die Biichöfe und Senatoren, welchen 
längit jchon eine Aufbejlerung der Zuftände in der Nepublif 
am Herzen lag, bemerften zu ihrer frohen Berwunderung, daß 
die Nation jet reif geworden, den neuen Weg zu bejchreiten, 
der das Weich in geordnete Geletje Führen fonnte, dab Die 
Zeit gefommen war, wo jeder wohlgelinnte Mann bemüht jein 
werde, den Roſt und Schimmel von den Waffen zu wijchen, 
ein neues Leben zu beginnen. 

Der Vertrag jchloß mit den Worten: 

„Es wird jomit einem jeden Gelegenheit geboten, durch 
dieſes Bündnis mit uns zu Ehren, Rechten und Auszeichnungen 
zu gelangen, die geeignet jind, den Stand der Adligen zu 
ſchmücken.“ 

Als dieſer letzte Abſatz des Vertrages vorgeleſen wurde, 
entſtand eine lautloſe Stille. Diejenigen, welche die Anſicht 
des Königs, daß das Recht der höheren Stände auch den 
niederen Ständen zugänglich gemacht werden müſſe, und ge— 
fürchtet hatten, daß noch Jahre ſchwerer Kämpfe bis zu dem 
Zeitpunkte vergehen würden, wo man wagen dürfte, mit dieſem 
Plane an die Oeffentlichkeit zu treten, ihn dem auf feine an— 
geborenen Rechte jo eiferjüchtigen hohen Adel vorzulegen, waren 
eritaunt, eben Ddiejen Adel mit weit geöffneten Armen dem 
grauröcdigen bäuerlichen Stleinadel entgegen fommen zu jehen. 

Nie von prophetijchemn Geiſte umweht, erhob ſich der Erz— 
biſchof und ſprach: 

„Darum, weil ihr dieſen letzten Punkt dem Vertrage ein— 
verleibt habt, wird dieſes Vertrages von allen kommenden Ge— 
ſchlechtern gedacht werden. Sofern aber jemandem einfallen 
ſollte, dieſe Zeit eine Zeit des Verfalles der alten polniſchen 
Tugenden zu nennen, den will ich im Hinweis auf dieſen Ver— 
trag eines Beſſeren belehren.“ 

Der Probſt Gembizki, welcher krank war, konnte nicht 
ſprechen; er ſtreckte nur ſeine zitternde Hand aus, um gerührt 
den Vertrag und die Geſandten zu ſegnen. 

„Ich ſehe den Feind ſchon mit Schimpf und Schande ab— 
ziehen,“ ſagte der König. 

„Gebe Gott, daß das ſehr bald geſchieht!“ riefen die beiden 
Geſandten. 

„Ihr begleitet Uns ſogleich nach Lemberg, Meine Herren,“ 
ſprach der König wieder. „Dort wollen Wir den Vertrag be— 


95 


glaubigen und noch einen anderen jchliegen, den jelbit die 
Mächte der Hölle nicht zu zeritören vermögen.“ 

Die Gejandten und Senatoren blidten jich verwundert an. 
Sie hätten gern erfahren, um welche Dinge es ſich noch handeln 
fönne. Doch der König jchwieg, nur jein Gejicht leuchtete und 
nahm einen immer froheren Ausdruck an, während er den Ver: 
trag in den Händen haltend, lächelnd fragte: 

„um, habt ihr viele Opponenten gehabt?“ 

„llergnädigiter Herr!“ antwortete Herr Domajchewsti, 
„Die Konföderation wurde durch die Herren Feldhauptlente, 
den Herrn Wojewoden von Witebsf und den Herrn Tieharniezfi 
eingeleitet und feiner der Herren vom Stleinadel hat auch nur 
ein Wort dagegen geredet; die Konföderation wurde einjtimmig 
proflamiert, die Liebe für das Vaterland und für Ew. Majeität 
iſt mächtig entflammt und der Haß gegen die Schweden groß 
und allgemein.“ 

„Wir haben von vornherein erklärt,“ fügte Herr Slu— 
ſchewski Hinzu, „daß wir feinen Neichstag abzuhalten gedenfen, 
jondern die ganze Nation aufgefordert jei, zu erjcheinen. So 
fonnte feine Oppofition laut werden; es hätte nur einer wagen 
jollen zu widerjprechen, man hätte ihn gemordet; denn darin 
find wir alle einig, daß dieſem Widerjpruchsgeiit ein Ende 
gemacht werden muß.“ 

„O, das iſt ein goldenes Wort, das Ew. Liebden da 
jprechen!* jagte der Erzbijchof. „Sit erit eine Beſſerung in der 
Gejinnung der Bevölferung eingetreten, jo fann uns fein Feind 
mehr jchreden.“ 

„Wo befindet jich jet der Wojewode von Witebsk,“ Trug 
der König. 

„Er it jogleich nach Unterzeichnung des Vertrages in jein 
Heerlager bei Tykozin abgereijt, wo er den Verräter, den 
Wojewoden von Wilna, belagert. Zu diejer Stunde muß er 
übrigens jeiner jchon habhaft geworden jein, jei es tot oder 
lebendig.“ 

„War er denn jeiner Sache jo gewiß?“ frug der König 
weiter. 

„Er war dejien jo jicher, wie daß auf die Nacht der Tag 
folgt. Der Verräter ijt bereits jogar von jeinen treuejten 
Dienern verlajjen. Er hat nur noch eine Handvoll Schweden 
zu jeinem Schutze bei ji. Zuzug oder Entjag für ihn laſſen 
wir nicht heran. Herr Sapieha auf Tyſchowietz jagte uns in 
der Verjammlung: ‚Sch hätte mich gern um einen Tag hierher 


96 


veripätet — bis zum Abend wäre ich mit Nadziwill fertig 
geworden — aber die Angelegenheit bier erjchten mir Doc) 
von größerer Wichtigfeit, denn ihn wird man auch ohne mid) 
befommen, eine einzige Fahne wird genügen, ihn gefangen zu 
nehmen.‘“ 

„Sott jei gepriefen!* rief der König. „Wo aber befindet 
fi) Herr Tſcharniezki?“ 

„Das vermögen wir nicht zu jagen. Es haben Jich jogleich 
eine Menge Männer freiwillig bei ihm gemeldet, jo dab er 
ſchon am zweiten Tage ein anjehnliches Regiment übernehmen 
fonnte. Mit dieſem iſt er gegen die Schweden ausgerüdt.“ 

„Und die Herren Feldhauptleute?“ 

„Die Herren FFeldhauptleute erwarten jehnlichit die Befehle 
Em. Majeität. Inzwiſchen beraten fie, wie der fommende Feld— 
zug am vorteilhaftejten einzuleiten jei, und bemühen jich, mit 
dem Herrn Starojten von Samojchtich abzurechnen. Sie führen 
ihre tompagnieen troß Eis und Schnee ihm entgegen.“ 

„fo fallen alle von den Schweden ab?“ 

„So iſt es, Mllergnädigiter Herr! Sogar der Herr 
Ktoniezpolsfi, welcher jeinerzeit zu Karl Guſtav übergegangen 
it und zur Leibgarde des Königs fommandiert wurde, jcheint 
nicht übel Luft zu haben, zu jeiner Pflicht zurüdzufehren, ob- 
gleich der König weder mit Schmeichelworten noch Verſprechungen 
fargt. Gr hat bereits wiederholt Abgejandte an die Feldhaupt— 
leute geſchickt. Dieje berichteten, dat fie ja nicht ſogleich den 
Nüdzug in unjer Lager antreten fünnten, doch die erjte beite 
Gelegenheit benügen wollten, e8 zu thun.“ 

„Das find ja überaus gute Neuigkeiten aus allen Gegenden, * 
jagte der König. „Die heiligite Jungfrau fei gelobt! Das it 
heute der glüclichite Tag Meines Lebens; der zweite kommt, 
wenn die Schweden bis auf den leiten Mann das Land ver- 
laſſen haben werden.“ 

Herr Domaſchewski griff bei diefen Worten des Königs 
an jeine Schärpe. 

„So Gott will, geſchieht das nicht!” ſprach er feierlich. 

„Was joll das heißen?“ frug mit Staunen der König. 

„Ew. Majeität jagen, wenn die legte Pluderhoje auf 
eigenen Füßen die Grenzen der Republik Hinter ſich haben 
wird? Das darf nicht geichehen, Allergnädigiter Herr! Wozu 
hätten wir denn unjere Säbel?“ 

„Ihr habt den Schelm im Naden,” erwiderte heiter der 
König. „Eine jolche Kriegsluſt laſſe Ih Mir gefallen!“ 


97 


Herr Sluſchewski, welcher nicht hinter dem Herrn Doma- 
ſchewski zurüchtehen wollte, rief num auch: 

„So wahr ich lebe, das darf nicht gejchehen. Wir wollen 
ung mit ihrem Davonlaufen nicht begnügen, wir wollen ihnen 
folgen!“ 

Der Erzbijchof jchüttelte das Haupt und jagte gutmütig: 

„Oo! D! Der Adel fitt hoch zu Roſſe und reitet und 
reitet! Nun, Gott jegne euren Ritt, nur reitet nicht zu jchnell! 
Immer langjam, langjam! Noch befindet jich der Feind inner- 
halb der Grenzen.“ 

„Er joll es nicht lange mehr fein!“ riefen Die beiden Ge- 
fandten. 

„Ein neuer Geiſt iſt bei ung eingezogen, der Erfolg wird 
fiher nicht ausbleiben!“ jagte der Probſt Gembizfi mit leiſer 
Stimme. 

„Bringt Wein!“ befahl der Hlönig. „Laßt Uns auf die 
vollzogene Wandlung trinken!“ 

Der Wein wurde gebracht. Zugleich mit den Edelknaben, 
welche ihn hereintrugen, trat der erite Kammerherr des Königs 
in das Gemach. 

„Allergnädigiter Herr,“ meldete er. „Soeben ift Herr 
Kſchystoporski aus Tichenitochau angefommen; er bittet Ew. 
Majeität um Audienz.“ 

„Führe ihn jchleunigit herein!“ befahl der König. 

Einen Augenblid jpäter trat ein hochgewachjener, magerer 
Mann ein, welcher die Verſammlung jehr von oben herab be- 
trachtete. Zuerſt verbeugte er Sich tief vor dem Könige, 
worauf er die übrigen Anwejenden herablafiend grüßte. Darauf 
jagte er: 

„Selobt ſei Jeſus Chriſtus!“ 

„In Ewigkeit, Amen!“ antwortete der König. „Was giebt 
es neues?“ 

„Es iſt fürchterlich kalt, Allergnädigſter Herr. Die Wimpern 
frieren einem an die Backen an.“ 

„Um Gotteswillen, ſprecht von den Schweden und nicht 
von »der Kälte!“ rief Johann Kaſimir ungeduldig. 

„Von denen giebt es nichts zu erzählen, jeit fie von 
Tichenjtochau vertrieben jind,“ erwiderte Herr Kſchystoporski 
barich. 

„Das wurde Uns bereits erzählt,“ ſprach der König erregt. 
„Doch willen Wir nicht, ob der Bericht nur bloßes Gerede tit, 
oder auf Wahrheit beruht. Wenn ihr aus Tichenttochan jelbit 


Sienkiewicz, Sturmflut IL J 


98 


fommt, dann waret ihr einer der Verteidiger und Augenzeugen 
der Kämpfe dort.“ 

„Jawohl, Allergnädigiter Herr! Ein Teilnehmer an den 
Kämpfen und ein Augenzeuge der Wunder, welche die heilige 
Sottesmutter gethan.‘ 

„Ihre Gnade iſt grenzenlos!“ jagte der König, indem er zum 
Himmel emporblidte, „Juchen Wir dieſelbe immer mehr zu verdienen.“ 

„sc habe viel erlebt,“ fuhr Ktichystoporsfi fort, „aber jo 
augenjcheinliche Wunder, wie die zu Tichenitochau gejchehenen, 
jah ich noch nie. Der Probit Kordezfi hat Ew. Majejtät in 
dieſem Schreiben ausführlich darüber berichtet.‘ 

Sohann Kajimir nahm Hajtig den Brief, welchen Kſchys— 
toporsfi ihm reichte, in Empfang und begann zu lejen. Won 
Zeit zu Zeit unterbrach er das Lejen, um ein Gebet zu murmeln, 
dann las er um jo eifriger weiter. Sein Geficht jpiegelte die 
freudigen Gefühle, die ihn erfüllten, wieder. Endlich richtete 
er den Blick wieder auf Kſchystoporski und ſprach: 

„Der Probſt Kordezki jchreibt Uns, daß ihr dort einen 
tapferen Ritter namens Babinitjch verloren Habt, welcher die 
große jchwedische Kolubrine in die Luft geiprengt hat.“ 

„Er hat jich für uns alle geopfert, Allergnädigiter Herr! 
E83 laufen zwar Gerüchte um, daß er lebt; man erzählt ich 
Gott weiß was über ihn. Da wir aber feine Gewißheit haben, 
jo beweinen wir ihn als Toten, denn ohne jeine Heldenthat 
wäre Tiehenitochau und wir mit ihm verloren gewejen.“ 

„Ihr dürft aufhören, ihn zu beweinen. Herr Babinitich 
lebt; er ijt bei Uns. Er war es, der Uns zuerit die Nachricht 
brachte, daß die Macht der Schweden an Tjchenitochau zerjchellte, 
daß fie Die Belagerung aufgeben mußten. Nachher hat er Uns 
jo wichtige Dienſte geleitet, day Wir faum Mittel befigen, fie 
ihm zu lohnen.“ 

„O, das wird den Probſt Stordezfi freuen!“ rief der Edel: 
mann, jelbit hocherfreut. „Wenn Herr Babinitjch lebt, jo muß 
er bei der allerheiligiten Jungfrau in ganz bejonderer Gunſt 
ſtehen. . . Das wird den Probit freuen! Kein Bater fann 
jeinen Sohn jo lieben, wie er dieſen Menjchen liebt. Ew. Majejtät 
erlauben mir doch, den Nitter zu begrüßen, den größten Hau— 
degen, den die Nepublif aufzuweiſen hat.“ 

Der König las indeijen weiter. 

„Bas erfahren Wir?“ rief er nach einer Weile. „Man hat 
nach dem Abzuge der Schweden noch einmal verjucht, das Kloſter 
zu umgehen?“ 


99 


„a, das hat man. Miller zwar hat jich nicht mehr dort 
blifen laſſen, aber Wrejtjchowitich erjchien ganz plößlich, 
wahrjcheinlich, weil er hoffte, die Thore offen zu finden. Das 
war auch der Fall, doc) die Bauern hieben gleich jo gewaltig 
auf die Soldaten ein, daß ihr Führer bald mit Schimpf und 
Schande abzog. Es war fabelhaft, wie die gewöhnlichen Männer 
im offenen Kampfe Stand hielten. Später fam dann Herr 
Peter Ticharniezfi mit Herrn Kuleſcha heran, welche jeine 
Kompagnie vollitändig aufhoben.“ 

Ter König wandte jich an die Senatoren: 

„Da jeht ihr, Meine Herren, welch jchwache Kräfte jelbit 
ji in den Dienſt des Vaterlandes jtellen.“ 

„Und wie jie herzueilen!* jprach Kichystoporsft weiter. 
„In der Gegend von Tichenitochau jtehen ganze Dörfer leer, 
weil die Bauern mit ihren Senjen zu Felde gezogen find. 
Die Schweden dürfen jich einzeln nicht bliden laſſen, nur in 
geichlofjenen Kolonnen wagen ſie jich noch hervor, jeit den Tagen 
von Tſchenſtochau.“ 

„Es joll von nun an in Ddiefem Lande niemand mehr 
unterdrücdt werden von allen denen, die ihr Leben dem Vater— 
lande weihen,“ jagte der König feierlich, „Das helfe Uns Gott 
vollbringen!“ 

„men!“ jegte der Erzbifchof Hinzu. 

Plötzlich jchlug ſich Kichystoporsfi an die Stirn: 

„Wahrhaftig!“ jagte er, „mein Gedächtnis jcheint eingefroren 
zu jein, daß ich vergejlen fonnte zu melden, der Wojewode von 
Poſen it plöglich gejtorben.“ 

Bei diejer Nachricht wandten jich aller Augen dem Könige 
zu. Diejer jchien davon nicht jonderlich berührt zu fein, jondern 
jagte ganz ruhig: 

„Herr Johann Leichtichinsft iſt Schon jeit langem für Die 
Wojewodjchaft Poſen beitimmt, jchon zu Lebzeiten Opalingfis. 
Möge er Ddiejes Amt würdiger vertreten, als jein Vorgänger. 
Gott jcheint Gericht halten zu wollen, über diejenigen, welche 
diejes arme Land zum Gegenitand gemeiner Spekulationen ge— 
macht haben... .“ 

Und zu den Senatoren gewendet fuhr er fort: 

„ber es wird Zeit! Laßt Uns ans Werf gehen! Sch 
brauche euren Rat und eure Hilfe!“ 


—æ 





9. Rapitel. 


Den Wojewoden von Wilna hatte ſein Schickſal jchneller 
erreicht, al$ man geglaubt. 

Als am fünfundzwanzigiten Dezember Herr Sapieha, der 
Wojewode von Witebsf, der Einnahme von Tykozin jo ſicher 
war, daß er nicht zögerte zu den Konföderierten nad) Tyjchowieg 
u eilen, um durch jeine Gegenwart das Zujtandefommen der 
Bu autclion zu bejchleunigen, jtellte er die Belagerungsarbeiten 
unter das Kommando Oskierkos. Er befahl, den legten Sturm 
auf die Veſte nicht eher zu unternehmen, als bis er zurüc jein 
würde. Zuleßt verjammelte er jeine Offiziere um jich und 
hielt folgende Anjprache an jie: 

„Es iſt mir zu Ohren gefommen, dal im Negiment die 
Abjicht beiteht, jogleich nach der Eroberung des Schlojjes den 
Fürſt-Wojewoden von Wilna niederzumegeln. Da es num nicht 
unmöglich wäre, daß während meiner Abwejenheit die Veite 
ſich von jelbjt ergiebt, jo befehle ich euch Hiermit unter An- 
Drohung der Todesitrafe, gegen den Fürſten nicht einen Finger 
zu erheben und ihn mir umverlegt auszuliefern. Es find mir 
zwar von Perſonen, von welchen ihr das am wenigiten erwarten 
würdet, Briefe zugegangen, mit dem Befehl, den Fürſten jo- 
fort bei Sefangennahme zu töten, doch ich werde dieſen Be— 
fehlen nicht Folge leisten, nicht etwa aus Barmberzigfeit mit 
dem Verräter, jondern weil mir nicht das Necht des Nichters 
über ihn zuiteht. Er gehört vor das Tribunal, damit der 
gegenwärtigen und allen fünftigen Generationen bewiejen wird, 
daß weder hohe Geburt, noc) hohe Nemter und Neichtümer 
einen Verräter vor der gerechten Strafe bewahren.“ 


101 


In diefem Sinne ſprach der Herr Wojewode noch eine Weile 
weiter, denn — umbejchadet jeiner vortrefflichen Eigenjchaften — 
er hielt jich für einen bedeutenden Nedner und liebte es, bei 
jeder Gelegenheit in jchön gejegten Worten Anjprachen zu halten, 
wobei er bei Nedewendungen, die ihm bejonders jchön deuchten, 
jelbitgefällig die Augen ſchloß. 

„2a werde ich meine rechte Hand aber recht bald in faltes 
Wafler legen müſſen, denn jie juckt mich gewaltig,“ fette Herr 
Sagloba den Worten des Herrn Wojeiwoden entgegen. „Sch 
bin überzeugt, daß Nadziwill, wenn er mich in jeine Gewalt 
befäme, meinen Kopf nicht bis zum Abend auf den Schultern 
jigen (iehe. Er weiß mur zu gut, wer die Veranlafjung war, 
daß das Heer von ihm abfiel, ja, daß jogar die Schweden mit 
ihm hadern. Eben deswegen aber fann ich nicht begreifen, 
warum ich nachfichtiger mit ihm verfahren joll, als er es mit 
mir thun würde.“ 

„Darum, weil ihr nicht zu fommandieren, jondern zu 
gehorchen habt!" antwortete der Wojewode mit Würde, 

„Es it wahr, gehorchen muß ich, aber zuweilen wäre es 
ganz gut, das zu hören und zu befolgen, was der Sagloba 
jagt . Sch behaupte dreift, daß Radziwill beſſer gefahren 
wäre, wenn er meinen Nat befolgt hätte, jich die Verteidigung 
des Naterlandes angelegen jein zu lajjen, anjtatt mit den 
Schweden zu paftieren. Er ſäße jett jicher nicht in Tykozin, 
un befände fi an der Spike des ganzen litauiſchen 
Heeres.” 

„Seid ihr vielleicht der Anficht, daß der Feldherrnſtab 
ſich jetzt in ſchlechten Händen befindet?“ 

„Das ziemt mir nicht zu ſagen, denn ich ſelbſt legte 
ihn in dieſe Hände. Unſerem Allergnädigſten Herrn, Johann 
Kaſimir, bleibt nur zu beſtätigen, was ich gethan, nichts weiter.“ 

Der Wojewode lächelte gutmütig, denn er war Herrn 
Sagloba gewogen und liebte ſeine Scherze. 

„Herr Bruder!“ ſagte er, „du haſt den Radziwill unter— 
gekriegt, du Haft mich zum Hetman kreiert ... alles das it 
dein Berdienft Erlaube, daß ich jet nach Tyſchowieh reiſe, 
damit der Sapieha wenigſtens etwas zur Ehre des Vaterlandes 
thun kann.“ 

Sagloba ſtemmte die Arme unter und dachte anſcheinend 
einen Augenblid nad, ob er die Erlaubnis geben jolle, oder 
nicht. Endlich zwinferte er liſtig mit dem Auge, nickte mit 
dem Kopfe und jagte würdevoll: 


102 


„Reifen Ew. Gnaden mit Gott und in Frieden.“ 

„Habt Danf für die Gewähr!“ antwortete der Wojewode 
(lachend. Die Anwejenden jtimmten in das Lachen ihres 
Heerführers ein. Er aber beeilte ſich nun, thatjächlich jeine 
Neije anzutreten, denn der Kutjchwagen wartete jchon angeſpannt 
jeines Herrn, der ſich bei allen verabjchiedend, noch verjchiedene 
Initruftionen erteilte für die Zeit jeiner Abwejenheit. Als er 
ji) von dem Herrn Wolodyjowsfi verabjchiedete, jagte er: 

„Hört! für den Fall der Uebergabe der Beite, mache ich 
euch für das Leben und Wohlbefinden des Wojetvoden ver- 
antwortlich; euch vertraue ich jeinen Kopf an.“ 

„Zu Befehl, Herr Hetman! Es joll ihm fein Haar ge- 
frümmt werden,“ antwortete der Fleine Nitter. 

„Herr Michael!“ jprach nad) der Abreife Sapiehas Sagloba 
zu ihm, „ich bin doch neugierig, was für hohe Perjonen das 
jein mögen, die unjeren Sapieha drängen, den Nadziwill zu 
töten.“ 

„Wie follte ich das wiſſen!“ entgegnete der kleine Nitter. 

„Wollt ihr damit jagen, daß euer Wi nicht imitande iſt, 
etwas zu erraten, was man euch nicht ins Ohr flüjtern mag? 
E3 mag ja wohl jo jein! Aber wer da vermag dem Herrn 
Wojewoden von Witebsf jolches Verlangen vorzutragen, der 
muß jchon eine jehr vornehme Perſönlichkeit jein.“ 

„Vielleicht der König ſelbſt?“ 

„Der König? DO nein! Des Königs Gutmütigfeit geht 
jo weit, daß er imitande ijt, dem Hunde, der ihn gebifien, 
noch ein Stüd Speck hinzumerfen.“ 

„Sch will nicht mit euch jtreiten,“ entgegnete der kleine 
Nitter, „aber man jagt doch, dal er den Nadziejowsfi ge— 
waltig haßt.“ 

„Vor allem müßt ihr wijjen,“ jprach Sagloba, „dah ein 
jeder jeine eigene Art zu hafjen hat. So ;. B. meine Art zu 
haſſen — o, wie ich den Nadziejowsfi hafje! ... Er haßt ihn 
in der Wetje, daß er jich jofort jeiner verlafienen Söhne an- 
genommen hat und fie erziehen läßt, damit jie nicht in Die 
Fußſtapfen des Vaters treten. Der König hat ein goldenes 
Herz! Sch vermute aber, daß die Königin dem Radziejowski 
ſchon eher den Strick wünjcht; jie ijt eine edle Frau zivar, 
aber wen Frauen einmal verfolgen, den finden jie; und wenn 
er fih in eine Mauerjpalte verberge, jo Flaubten jte ihn mit 
einer Stedinadel heraus.“ 

Herr Wolodyjowski jeufzte tief und antwortete: 


103 


„Daß mich doch auch einmal eine jo verfolgen wollte. 
Aber das it nicht gut möglich, da ſich noch niemals die Auf: 
merfjamfeit irgend einer auf mic) gelenft hat.“ 

„Nicht wahr, das wäre euch recht! O ja, das möchte 
euch gejallen, daß die eine euch nachliefe. Darum aljo jteigt 
ihr jo verzweifelt auf die Mauern Tyfozins los, weil ihr wißt, 
dab außer dem Nadziwill auch das Fräulein Billewitich hinter 
benjelben jigt. O man fennt euch, ihr Tugendjpiegel‘ Wie? 
Habt ihr fie euch noch immer nicht aus dem Sinn gejchlagen ?“ 

„Es war einmal; da habe ich fie zu vergeſſen gejucht und 
Kmiziz jelbit, wein er hier gegenwärtig wäre, fünnte bezeugen, 
dat ich meine Neigung zu ihr bezwang und wie ein Slavalier 
an ihr handelte. Nun aber, da ich weiß, daß jie Hier in 
Tyfozin iſt, mache ich fein Hehl daraus, daß ich Diejes Zu— 
jammentreffen mit ihr als einen FFingerzeig Gottes betrachte, 
und jo Gott uns Hilft die Veſte zu befommen, will ich aufs 
neue um jie werben. Auf Kmiziz brauche ich Feine Nückjicht 
mehr zu nehmen; wir find quitt. Sch Hoffe, daß fie ihn 
mittlerweile vergelien haben wird, da er jie doch freiwillig 
verlieg. Was mir früher mit ihr begegnet tit, wird jich nicht 
wiederholen.” 

Während ich die Herren in dieſer Weije unterhielten, 
waren ſie in ihr Quartier gelangt, wo jie die beiden Herren 
Skrzetusfi, den Herrn Rochus Kowalski und den Pächter von 
Wonſoſch antrafen. Da im Heere befannt war, zu welchem 
Zwed der Wojewode von Witebsf nach Tyſchowietz gereiit war, 
gaben die Nitter ihrer zsreude über den Zuſammentritt eines 
jo hehren Bundes zum Schutze des VBaterlandes in beredten 
Worten Ausdrud. 

„Sottlob, dag nun ein anderer Luftzug durch die Re— 
publif weht, der jich gegen die Schweden richtet,“ jagte Herr 
Stanislaus. 

„Er kommt von Tſchenſtochau her,“ entgegnete Herr Johann. 
„Wir hatten geſtern Nachrichten, daß das Kloſter ſich noch 
immer hält, obgleich es täglich neue Angriffe abzuwehren hat. 
Heilige Mutter! Laſſe nicht zu, daß deine auserwählte Stätte 
vom Feinde entweiht wird.“ 

Herr Rzendzian ſeufzte und ſagte: 

„Abgeſehen von der Schändung der Kirche, würden doch 
große Schätze in die Hände der Feinde fallen. Wenn man daran 
nur denkt, bleibt einem der Biſſen im Halſe ſtecken.“ 

„Ueberall ſoll das Heer zum Sturme drängen; es ſoll 


104 


jchwer fallen, die Menjchen zu zügeln,“ jagte Herr Michael. 
„Öeitern joll die sahne des Stankiewitſch ohne Kommando 
ausgerüct fein, denn die Leute meinten, jie müßten zum Ent— 
ſatz Tichenjtochaus eilen.“ 

„Wozu jtehen auch Hier unnützerweiſe jo viele Fahnen. 
Zur Einnahme Tykozins würde eine auch genügen,“ meinte 
Herr Sagloba. „Darin ijt Herr Sapieha eigenfinnig; er hört 
nicht auf das, was ich jage, als wollte er zeigen, daß er 
meinen Rat nicht gebraucht. Aber es muß doch jeder einjehen, 
daß wir einander hier nur im Wege herumitehen, denn alle 
fommen doch nicht in das Schloß.“ 

„Ihr Habt jo unrecht nicht,“ erwiderte Herr Stanislaus. 

„ha! Wie? Habe ich den Kopf auf dem rechten Fleck, 
oder nicht ?“ 

„Ihr Habt ihn auf dem rechten led, Ohm, daran fann 
niemand zweifeln!“ vief plößlich Herr Nochus, indem er von 
einem zum andern blidte, als wolle er ergründen, ob jemand 
zu zweifeln wage. 

„Aber auch der Herr Wojewode hat recht,“ warf Johann 
Sfrzetusfi ein. „Wenn er eine jo große Anzahl Soldaten hier 
hält, jo geſchieht das, weil er befürchtet, Fürit Boguslaw fünnte 
zum Entſatz des Vetter herbeieilen.“ 

„So jchide man ihm ein paar Fahnen nach Kurzreußen 
entgegen,“ jagte Sagloba. „Man möge zreiwillige Dazu 
aufrufen, ich ſelbſt Hätte micht übel Luft, preußifches Bier 
zu fojten.“ 

„Im Winter taugt Bier nicht,“ entgegnete Herr Michael, 
„höchſtens Warmbier.“ 

„So gebt Wein, oder Branntwein, oder Met!“ rief Sagloba. 

Dieſem Wunſche jtimmten noch andere bei; jo jchicte ſich 
denn Nzendzian, der Pächter von Wonſoſch, an ihn zu erfüllen. 
Es währte auch nicht lange, bis etliche dickbäuchige Flaſchen 
auf dem Tijche jtanden. Die Ritter erfreuten fi) an dem 
ichönen, wohljchmedenden Met und brachten jtet3 neue Gejund- 
heiten aus. 

„od und Verderben den Pluderhoſen,“ rief Herr Sagloba, 
„Nie jollen nicht länger unjer Land arm ejjen, fie müſſen nach 
Schweden zurück!“ 

„uf das Wohl jeiner Majeität des Königs und der 
Königin!” trank Skrzetuski. 

„And aller derjenigen, die treu zu den Majeitäten halten!“ 
jegte Wolodyjowsfi hinzu. 


105 


„Alſo unſer eigenes!“ 

„Das Wohl des Ohm!“ brüllte Rochus. 

„Gott bezahls! Ich komme dir nach, aber — austrinken 
bis zum legten Tropfen ... Noch it Sagloba nicht zu alt 
dazu. Meine Herren! Auf daß wir den Dachs hier recht bald 
ausräuchern, um dann gen Tchenjtochau ziehen zu können!“ 

„uf! nach Tichenftochau!“ rief Nochus, „der heiligen 
Sungfrau zum Entjaß.“ 

„Nach Tſchenſtochau!“ riefen auch die anderen. 

„Wir wollen die Schäge des blauen Berges vor den 
Räubern wahren.“ 

„Das wollen wir, jo wahr ich Rochus Kowalski heiße. 
Ich jelbjt werde bei eriter Gelegenheit mir den Schwedenfönig 
herausjuchen. Entweder er oder ich, joll es dann heißen. Ihr 
fönnt mic für einen Narren erklären, wenn ich das nicht thue. 
Aufſpießen will ich ihn!“ 

Bei diefen Worten holte er mit der geballten Fauſt aus, 
um jie auf den Tiſch zu hauen. Er Hätte dabei unfehlbar das 
jchwache Gerät jamt den darauf befindlichen Flaſchen und Gläſern 
ertrümmert. Glücklicherweiſe fiel Sagloba ihm rechtzeitig im 
en Arm, um es zu verhindern. 

„Setze dich, Rochus, und jei jtille!” jagte er. „Olaube 
mir, wir werden nicht dann erſt in dir den Narren jehen, 
wenn du dein Vorhaben nicht ausführit, jondern wir werden 
erit dann aufhören, dich für einen jolchen zu Halten. Wie willit 
du es denn fertig befommen, den König aufzujpießen, da du 
doch nie bei den Huſaren dienteit und nur mit dem Säbel zu 
hantieren verjtehit.‘ 

„sc will mich aber mit einer Lanze verjehen und zu 
des Knäſen Polubinski Fahne einjchreiben laſſen,“ erwiderte 
Rochus. 

„Jetzt aber halte Ruhe, ſonſt bin ich der erſte, der deinen 
Schädel bearbeitet... . Bon was jprachen wir Doch, meine 
Herren? ... Aha! von Tichenitochau. Die Ungeduld frißt an 
mir, wir fünnten dorthin zu jpät fommen, ich brenne vor Un— 
geduld, jage ich euch. Und alles das wegen dem verräterijchen 
Radziwill und der Philoſophie Sapiehas.“ 

„Sprecht nichts wider den Wojewoden! Der iſt ein Edel— 
mann durch und durch!“ unterbrach ihn der kleine Ritter. 

„Warum deckt er denn beide Rockzipfel über Radziwill, wenn 
einer dazu ausreicht. Da ſtehen und liegen nun nahezu zehn— 
taujend Mann um dieje Budife und werden nächitens am Ruß 


106 


aus den Schornjteinen ihren Hunger itillen, denn was darin 
gehangen hat, damit ſind fie bald fertig.“ 

„Es iſt nicht unjere Sache, die Beichlüfie der Vorgejegten 
zu kritiſieren wir haben zu gehorchen!“ 

„Das ziemt euch, Herr Michael, nicht mir, den die Hälfte 
des Radziwillſchen Heeres damals zum Regimentarius gewählt hat. 
Ich hätte den Carolus Guſtavus ſchon längſt über die Grenze ge— 
bracht, wenn nicht meine unſelige Beſcheidenheit mich geheißen 
hätte, den Feldherrnſtab in die Hände Sapiehas zu legen. Der 
ſoll aber mit ſeinen Kombinationen nicht lange mehr fackeln, 
ſonſt ſoll er zuſehen, daß ich ihm nicht wieder abnehme, was er 
von mir erhielt.“ 

„Ihr ſeid ja immer nur in trunkenem Zuſtande ſo reſolut!“ 
ſagte Herr Wolodyjowski. 

„So, meinſt du? Nun, du wirſt ja ſehen! Noch heute 
werde ich vor die einzelnen Fahnen treten und rufen: „Wer 
Luſt hat, mit mir nach Tſchenſtochau zu gehen, anſtatt am 
Tykoziner Mauerkalk die Ellenbogen und Kniee durchzureiben, 
der ſtehe zu mir! Wer mich zum Regimentar ernannt hat, 
wer mir die Macht, das Vertrauen geſchenkt, etwas zu thun, 
der trete neben mich. Es iſt eine ſchöne Sache, einen Verräter 
zu ſtrafen, aber tauſendmal ſchöner, die heilige Jungfrau zu 
ſchützen.“ 

Hier ſprang Herr Sagloba, dem der Widerſpruchsgeiſt 
ſchon lange aus den Augen blitzte, mit dampfendem Kopfe auf, 
ſtieg auf eine Bank und, als befände er ſich vor einer großen 
Verſammlung, begann er laut zu ſchreien: 

„Meine Herren! Wer Katholik, wer Pole iſt, wer die 
Mutter Gottes verehrt, der folge mir zum Entſatz von Tſchen— 
ſtochau!“ 

„sch kommel!“ rief Rochus aufſpringend. 

Sagloba blickte einen Augenblick in die Runde und als er 
die verwunderten Geſichter ſeiner ſchweigend ihn anſtarrenden 
Gefährten ſah, ſtieg er von der Bank herab und ſagte: 

„Ich will dem Sapieha ſchon Verſtand beibringen! Ein 
Schelm will ich ſein, wenn ich bis morgen nicht, die Hälfte des 
Heeres als Freiwillige um mich geſchart, nach Tſchenſtochau 
ausrücke!“ 

„Um Gotteswillen, Vater, kommt zu euch!“ rief Johann 
Skrzetuski. 

„Ein Schelm will ich ſein! Sage ich dir!“ wiederholte 
Sagloba. 


107 


Die Herren erjchrafen heftig, daß der Alte wahr machen 
fönnte, was er drohte Im Heere herrichte thatjächlich Unzu— 
friedenheit über den langen Aufenthalt bei Iyfozin, alles 
drängte mach Tiehenitochau; es bedurfte nur des zündenden 
Funkens, um die Flamme [odernd zum Ausbruch zu bringen, 
bejonders, wenn Diejer Fzunfe von einem Manne wie diejem 
hier Hingeiworfen wurde Dazu fam, dat das Heer Sapiehas 
zum großen Teile aus neugeworbenen Kräften beitand, die noch 
wenig an Disziplin, wohl aber mehr an eigemwilliges Handeln 
gewöhnt waren. 

E3 war daher fein Wunder, wenn die Herren in ernite 
Bejorgnis gerieten. Wolodyjowsfi jchalt daher: 

„Kaum, dat mit größter Mühe ein Heer zujammen- 
gebracht und wenigitens etwas zurechtgeitugt it, und jchon 
findet jich irgend ein Hergelaufener bereit, dasjelbe zum Un— 
gehorjam zu verführen. Dem Radziwill gejchähe damit freilich 
ein großer Dienjt, das wäre Wafjer auf feine Mühle Wie, 
Ichämt ihr euch denn nicht, jo etwas auch nur zu denfen?“ 

„Ein Schelm will ich fein, wenn ich es nicht thue!* ent- 
gegnete Zagloba. 

„Der Ohm thut es!“ jegte Rochus Hinzu. 

„Stille, du Döskopp!“ jchrie Herr Michael ihn an. 

i Sofort ſchloß Nochus den Mund und nahm mit glogenden 
Augen dienjtliche Stellung an. 

Noch einmal wandte ſich Wolodyjowsfi an Sagloba: 

„Und ich bin ein Schelm,“ jagte er, „wenn aus meiner 
Schwadron ein einziger Soldat mit euch geht. Und wenn ihr 
Unzufriedenheit im Deere jchüren wollt, jo wijjet, daß ich der 
erite jein werde, welcher euer ‚zreiwilligen-Chor in Grund und 
Boden reitet.“ 

„Heide! Türfe! der ihr jeid!“ rief Sagloba. „Die Ritter 
der heiligen Jungfrau wollt ihr angreifen? Gut: Man fennt 
euch! Ihr denkt, meine Herren, daß es ihm um die Disziplin 
zu thun it? Bewahre! Er hat nur hinter Tykozins Mauern 
das Fräulein Billewitjch erwittert. Seine Privatangelegenheiten 
halten ihn ab, meiner richtigen Anficht beizujtimmen. Nicht 
wahr, es ijt viel angenehmer wie ein Vogel das Gebauer zu 
umflattern, in welchem das Mädchen ſteckt. Aber daraus wird 
nichts! Meinen Kopf zum Pfande, dat andere euch dort zuvor— 
fommen, jei es Kmiziz jelbjt, der nicht jchlechter it, als ihr 
es jeid.“ 

Ganz verwirrt blicte Herr MWolodyjowsfi von einem der 


108 


Herren zum anderen, als wollte er jie zu Zeugen aufrufen, 
wie jchwer man ihn hier beleidigt. Dann rungelte er die 
Stirn; man glaubte einen Zornesausbruch an ihm zu erleben. 
Statt dejien verfiel er plöglich in eine an ihm ganz ungewohnte 
Nührjeligfeit, denn auch er hatte etwas viel getrunfen. 

„Da habe ich meinen Lohn weg!“ rief er. „Vom Schul— 
buben ber bis auf den heutigen Tag habe ich den Säbel nicht 
aus der Fauſt gelaflen. Sch diene dem VBaterlande treu, denn 
weder Haus, Hof noch Weib und Sind habe ich je über das 
Wohl desselben geitellt; allein wie ein Yanzenjchaft ſtehe ich in 
der Welt. Selbit die Edeliten des Neiches denfen an jich; ich 
habe außer den Wundenmalen auf meiner Haut nichts auf— 
zuweijen als Lohn, und jet werde ich beichuldigt, Privatinterejjen 
zu verfolgen — es fehlt nur noch, day man mid) einen Vater: 
(andsverräter nennt.“ 

Bei diefen Worten fugelten ihm die hellen Thränen über 
die Baden in den blonden Bart. Sagloba aber, als er das 
jah, wurde plößlich nüchtern und ganz weich. Seine Arme 
ausbreitend, rief er: 

„Herr Michael! Ich habe euch jchweres Unrecht gethan! Ich 
verdiene das Henfersbeil dafür, dat ich euch jo ſchmähen konnte.“ 

Dann fielen jie einander in die Arme, herzten und fühten 
ji, worauf fie Frieden mit einander ſchloſſen und Diejen 
Frieden mit Met begojien. Als die gemütliche Stimmung 
dann vollfommen wieder hergeitellt war, frug Wolodyjowsft: 

„Werdet ihr mun nicht mehr Unruhe im Heere jtiften ?“ 

„Nein, das werde ich nicht, um euretwillen nicht, Herr 
Michael.” 

„And wenn wir, jo Gott will, Tykozin in unjere Hände 
bekommen, jo geht das niemanden etwas an, was ich hinter 
jenen Mauern juche. Es hat niemand das Necht, mic zu ver— 
jpotten, nicht wahr?“ 

Herr Sagloba faute, von diejer Frage überrajcht, an jeinem 
Schnurrbart. Endlich jagte er: 

„Nein, Herr Michael! Ich Liebe euch, wie meinen Aug— 
apfel, aber diefe Billewitich jchlagt eud; aus dem Sinn.“ 

„Warum denn?“ frug Wolodyjowsfi verwundert. 

„Schön it fie, das ijt zweifellos!” jagte Sagloba. „Aber 
jie it eine zu vornehme Perſon, ihr jeid zu verschieden geartet. 
Sie iſt hochgewachjen, ihr jeid Flein. Ihr mühtet ihr denn auf 
den Arm hüpfen wie ein ea um Küſſe ſtatt Zucker 
von ihren Lippen zu nippen. Auch könnte ſie euch wie einen 


109 


Edelfalfen auf ihrem Handſchuh tragen und euch immer gleich 
gegen jeglichen ihrer Feinde loslaſſen, denn ſeid ihr gleich klein, 
ſo ſeid Ahr doch eine verdammt biſſige Krabbe.“ 

„Fangt ihr jchon wieder an zu jpotten ?“ unterbrad) ihn 
Wolodyjowski. 

„Wenn ich angefangen habe, ſo laßt mich auch zu Ende 
kommen: Für euch giebt es nur Eine, die zu euch paßt, als 
wäre ſie für euch geſchaffen; das iſt dieſer Kirſchkern . . . wie 
heißt fie doch? ... Ihr wißt doch, die, mit welcher der ſelige 
Bodbipienta jich verheiraten wollte.“ 

„Anuſia Vorjchobohata Kraſienska!“ rief Johann Skrze— 
tuski. „Wahrhaftig, das iſt ja eine alte Liebe Michaels!“ 

„Die iſt der reine Stechapfel, ein Weizenfern; ſie jticht 
bei jedem Wort, doch das Herz iſt Weizen und ihr Gejicht iſt 
glatt und bräumlich, wie ein friichgebadenes Brot, fernig und 

ejund. . 

® Da fing Herr Michael an zu jeufzen und nachdenklich 

immer bdiejelben Worte zu wiederholen, wie er es zu thun 

eg jedesmal, wenn jemand den Namen Anuſias nannte. 
Was mag mein armſeliges Würmchen jetzt thun? O, o, 

wenn” fie zu finden wäre!“ 

„Dann würdet ihr jie jicher nicht wieder aus den Fingern 
laſſen und das wäre das Nichtige, denn bei eurer Verliebtheit, 
Herr Michael, fünnte es eines jchönen Tages pajjieren, dab 
die erjte beite Ziege euch einfängt und zum Ziegenbod macht. 
Sch habe wahrhaftig noch feinen gejehen, der jo heißſpornig 
wäre wie ihr. Ihr hättet eigentlich als Hähnchen auf Die 
Welt fommen jollen, das fragend und jcharrend auf dem 
Semüllhaufen jeinen Lodruf Ko! Ko! Ko! ertönen läßt.“ 

„Anuſia! Anuſia!“ wiederholte Wolodyjowsfi noch immer 
träumerisch. „Dich hat Gott mir gejandt. Wer weil, ob jie 
noc) lebt, vielleicht auch Hat fie jich jchon verheiratet und führt 
Kinder jpazieren.“ 

„Bas wird fie nicht alles! Sie war noch eine grüne Rübe 
als ich jie fennen lernte, und wenn jie auch mit der Zeit reifer 
geworden iſt, deshalb braucht fie nicht jchon eine Frau zu fein. 
Einem jolchen wie Yonginus Bodbipienta giebt man nicht gleich 
den erjten beiten Nachfolger, Dazu denkt in diejen kriegeriſchen 
Zeiten niemand ans Heiraten.“ 

Darauf erwiderte Herr Michael: 

„Shr fennt fie nicht jo gut als ich. Sie iſt edel wie 
feine. Aber gerade darum Fonnte feiner ſie jehen, ohne ſich 


110 


bis über die Ohren in fie zu verlieben. Sogar Leute niederen 
Standes entgingen dieſem Schicjal nicht, wie zum Beiſpiel 
jener italienische Medikus der Fürſtin Grifeldis, der bis in 
den Tod in ſie verliebt war. Wer wei, vielleicht hat jie den 
geheiratet und iſt mit ihm nach Italien ausgewandert . 

„Plappert doch nicht ſolchen Unfinn!“ rief Sagloba ent- 
rüjtet. „Ein Medifus, ein Medifus! Als ob ein Edelfräulein 
von jo altem Blute ſich an einen Menſchen von ſo niedrigem 
Herkommen wegwerfen könnte. Das iſt unmöglich; ich wieder— 
hole es.“ 

„Auch ich war ſchon ärgerlich darüber, daß ſie allen die 
Köpfe verdrehte, ſogar dieſem Kurpfuſcher; es machte ihr ſicht— 
lich Spaß, und ſie vergaß darüber Maß und Ziel.“ 

„Ich prophezeihe euch, daß ihr ſie noch zu ſehen bekommt,“ 
ſagte Sagloba. 

Die weitere Unterhaltung wurde durch den Eintritt des 
Herrn Tokaſchewitſch unterbrochen, der früher im Regiment 
Radziwills gedient, nach dem Verrat des Hetman ihn aber 
zugleich mit den anderen Offizieren verlaſſen hatte und gegen— 
wärtig Fahnenträger in der Kompagnie Oskierkos war. 

„Herr Hauptmann,“ wandte er ſich an Wolodyjowski, 
„wir wollen die Petarde in die Luft ſprengen.“ 

„So iſt aljo Herr Oskierko ſchon fertig mit den Vor— 
bereitungen ?“ 

„Schon jeit heute Mittag ijt er fertig; er möchte nicht 
länger warten, denn Die Nacht verjpricht dunkel zu werden.“ 

„Das ijt recht,“ jagte Wolodyjowsfi. „Wir wollen gehen, 
uns die Arbeiten anjehen, auch unſere Leute bewaffnen, für 
den all, daß man aus der Veſte ausbricht. Will Herr Ostierfo 
jelbjt die Sprengung unternehmen ?“ | 

„Er jelbit, in eigener Perſon ... Es jchließen ſich ihm 
eine Menge Freiwilliger an.“ 

„sch werde auch mitgehen!” jagte Wolodyjowsfi. 

„Bir auch!“ riefen die beiden Skrzetuskis. 

„O! wie jchade, dab der alte Bater im Finjtern jo jchlecht 
jieht,“ warf Sagloba dazwijchen, „er ließe euch jicher nicht allein 
gehen. Was hilft's! Ich jehe abends nicht den Säbel vor den 
Augen. Am Tage! am Tage! beim Lichte der Sonne, da zieht 
auch der Alte noch gern zu Felde.“ 

„sch werde mitreiten,“ jagte nachdenklich der Herr Pächter 
aus Wonjojch. „Wenn die Thore gejprengt werden, wird Die 


111 


Soldatesfa zur Plünderung ſchreiten und dort im Schlofje ver> 
mute ich Kleinodien und Toftbare Geräte in Menge.“ 

Alle waren hinausgegangen, denn es dämmerte bereits 
draußen, nur Sagloba allein war zurücgeblieben. Er horchte 
erit eine Weile auf das Knirſchen des Schnees unter den 
Füßen der Davonjchreitenden, dann nahm er eine der Did- 
bäuchigen Flaſchen nach der andern in die Hand und hielt fie 
vor die Flamme des Kaminfeuers, um zu ſehen, ob ſie voll— 
ſtändig leer ſeien. 

Jene ſchritten durch das Dunkel dem Schloſſe zu. Ein 
Nordwind hatte ſich erhoben, der immer ſtärker wurde und 
heulend und pfeifend ganze Wolken trockenen Schnees empor— 
wirbelte. 

„Das wird eine gute Nacht für unſere Arbeit,“ ſagte 
Wolodyjowski. 

„Aber auch für einen Ausfall aus der Veſte,“ entgegnete 
Skrzetuskti. „Wir müſſen die Waffen im Bereitſchaft, und ein 
wachjames Auge halten.“ 

„Gäbe Gott, daß es bei Tſchenſtochau ebenjo jtöbert, wie 
bier, oder mehr noch,“ jagte Herr Tofajchewitich. „Die in den 
Mauern werden nicht allzuſehr frieren .. . aber... auf den 
Schanzen würden eine Menge Schweden erfrieren . . . Das 
Verderben fomme über fie!“ 

„Eine jchredliche Nacht!“ ſagte Herr Stanislaus. „Hört 
ihr, wie es heult und pfeift; es iſt als ob eine Horde Tartaren 
durch die Luft zur Attacke zöge.“ 

„oder,“ warf Wolodyjowsfi ein, „als wollten die Teufel 
dem Nadziwill ein Requiem fingen.“ 





10. Kapitel. 


Ein paar Tage jpäter ſaß der große Vaterlandsverräter 
oben im Schloß, jtarrte hinaus in den vom Himmel hernieder- 
fallenden Schneejchleier und lauſchte dem Heulen des Sturmes, 
der immer heftiger tobte. 

Die Lampe feines Lebens jchien im Erlöſchen begriffen. 
Zwei Stunden früher an demjelben Tage war er noch umher— 
gegangen, hatte noch vom Balfon des Schloſſes hernieder- 
geblickt auf die Zelte und Holzbaraden des Sapiehajchen Heer- 
fager3 und nun? „Er war plöglich jo ſchwach geworden, daß 
man ihn in ſeine "Semächer tragen mußte. Sein Ausjehen 
hatte ſich jeit jener Zeit, wo wir ihn in Kiejdan gejehen, jehr 
verändert; er war faum wiederzuerfennen. Damals jtand jein 
Begehren hoch; er langte nach einer Krone Heute war fein 
Haar gebleicht, um die Mugen hatten fich rote Ninge gebildet, 
das Gejicht war zerdunſen, die Baden hingen jchlaff herab und 
liegen dasjelbe noch größer erjcheinen, als es ohnehin war, es 
jah aus wie eine Totenmasfe, mit bläulich angelaufenen Flecken, 
jchredilich durch den Ausdrud des fait übermenjchlichen Leidens, 
der darüber gebreitet lag.“ 

Und obgleich jein Leben nur noch Stunden zählen fonnte, 
er lebte doch ſchon zu lange, oder noch zu lange, denn er hatte 
nicht nur den Glauben an ſich jelbit, an feinen guten Stern 
begraben müfjen, nicht nur alle Hoffnungen auf Glanz und 
Ruhm überlebt, jondern jein Fall drohte jo tief zu werden, 
dar Entjegen und Grauen ihn packte, wenn er in den Ab— 
grund zur blicken wagte, der fich zu feinen Füßen aufthat und 
dem er rettungslos zujtenerte. Alles hatte ihn betrogen, jeine 


113 


Berechnungen, die gejchichtlichen Ereigniſſe, jogar jeine Ver— 
biindeten. 

Er, dem es nicht genügt hatte, der mächtigite Fürit 
Polens, ein römijcher Großer, Großhetman und Wojewode 
von Wilna zu ſein, er, dem die Grenzen Litauens für ſeine 
Wünſche und Habgier zu eng geweſen waren, er ſaß jetzt in 
einem ſeiner kleinen Schlöſſer eingeſchloſſen, von wo ihn nur 
der Tod oder Gefangenſchaft befreien konnten, eines jo ſchlimm 
als das andere. Nengitlich hatte er jeit Tagen nach der Thür 
geblickt, welches dieſer Schredgejpenjter zuerſt Eintritt bei ihm 
verlangen würde. 

Koch vor furzem bildeten jeine Bejigungen in Polen ein 
kleines jelbjtändiges Königreich, heute war er nicht einmal mehr 
Herr in Tykozin, dem kleinſten jeiner befejtigten Schlöfjer. 

Vor wenigen Monaten faum noch Hatte er mit den 
benachbarten Künigen paftiert, heute empfing feine Befehle nur 
ein einziger ſchwediſcher Kapitän, von deſſen gutem Willen es 
abhing, ob er jie ausführen wollte oder nicht. 

Bon dem Augenblid an, wo fein Heer ihn verlafjen, wo 
er vom mächtigen Herrn und Magnaten zum machtlojen Manne 
herabgejunfen war, der jelbjt der Hilfe bedurfte, hatte Karl 
Gujtav ihm verachtet. Den mächtigen Helfer würde er bis in 
den Himmel erhoben haben, von dem Hilfsbedürftigen wandte 
er jich verächtlich ab. 

Sp wie jener Strauchdieb Kostet Naziersfi jeiner Zeit 
in Tichorjchtyn, jo war er jebt, er, Nadziwill, in Tykozin 
belagert, und von wem belagert? Bon Sapieha, jeinem größten 
perjönlichen Feinde. Wenn er im deſſen Hände fiele, jo würde 
man ihn vor die Gerichte jchleppen, jchlimmer würde man ihn 
behandeln wie einen Strauchdieb, denn er war ja ein Verräter. 

Verwandte, Freunde, Verbündete, alle hatten ihn verlajjen, 
jein Heer war zerſtreut, jeine Schätze zerſtoben, die Güter ver— 
wüſtet und der Herr, welcher mit der Pracht ſeiner Reichtümer 
und ſeines Glanzes einſt den franzöſiſchen Hof geblendet hatte, 
welcher Tauſende Adliger zu ſeinen Gaſtmählern lud, er — 
Radziwill — mußte jetzt entbehren, er hatte in den letzten 
Stunden ſeines Lebens nicht genug mehr, um ſeinen Hunger 
zu ſtillen. | 

Sm Schlojie herrichte jchon lange Mangel an Lebens— 
mitteln. Die fnappen Vorräte verteilte dev ſchwediſche 
Kommandant in fleinen Nationen, und Radziwill wollte nicht 
um mehr bitten. 


Sientiewicz, Sturmflut IL. 3 


114 


Sa, wenn das Fieber, das in feinen Adern tobte, ihm 
wenigitens die Bejinnung geraubt hätte! Seine Brujt arbeitete 
immer jchwerer, der Atem ging allmählich in ein Raſſeln über, 
die gejchwollenen Hände und Füße eritarrten ihm vor Kalte, 
aber der Verſtand, das Bewußtſein blieb, abgeſehen von einzelnen 
Momenten, wo Viſionen und Wahnideen ihn verfolgten, Kar. 
Der arme Fürſt jah jein ganzes Elend und jeine Erniedrigung 
beranfommen, er litt Qualen, die aller Bejchreibung jpotteten 
und die Größe feiner Schuld wett machten. 

Wie den Drejtes die Erynnien, jo verfolgten ihn Die 
Gewiſſensbiſſe. Wo in der weiten Welt gab es einen Ort, 
ein Heiligtum, wohin er vor ihmen hätte flüchten können. 
Zuweilen zerfleifchte er jich die eigene Brust, um durch den 
phyſiſchen Schmerz die Seelenqual zu betäuben. Deutlich und 
jtreng zeigte ihm nun der innere Richter das arme zerrijiene 
Vaterland, das unter den Schwerthieben der äußeren und 
inneren Feinde verblutete. Was hatte er gethan? Anjtatt 
Erbarmen mit jeinem Elend zu haben umd als jein Netter 
- aufzujtehen, anitatt bis zum legten Blutstropfen für jeine Be— 
freiung einzuitehen, hatte er, der Großhetman, jich mit jeinem 
jchlimmiten Feinde verbunden, um es vollends zu zerfleijchen. 
Sept jtand er vor der Abrechnung mit dem Vaterlande; wie 
würde diejelbe ausfallen, was wartete jeiner? 

Seine Haare ftiegen zu Berge, wenn er nur daran dachte. 
Nie fehrte jich alles gegen ihn. Gr war ſich jo groß vor: 
gefommen, als er die Hand gegen das Vaterland erhoben. Jetzt 
war er jo klein. Dafür wuchs die Nepublif aus dem Staube 
heraus, in den er fie getreten, immer größer, majejtätischer, 
während er in den Staub immer mehr hinabjanf, er, der Fürſt 
und Großhetman Radziwill. Er fonnte nicht begreifen, wie 
das zuging. Hatte er denn micht jchon früher das fommen 
jehen künnen? War er denn wahnjinnig damals, als er die 
Hand gegen ſie erhob? Furcht, entjegliche Furcht vor der 
Nemefis packte ihn, während jolche Gedanken jein Hirn zer— 
marterten. Sein Geiſt war gebrochen. Oft war ihm, als be- 
fände er jich in fremdem Lande, unter fremden Menſchen. 
Ueber die belagerten Mauern hinweg drang die Kunde von 
allem, was draußen geſchah, zu ihm herüber; es waren ſeltſame, 
grauſige Dinge, die ſich in der Republik vollzogen. Die Er— 
hebung gegen die Schweden, der Kampf auf Tod und Leben 
mit ihnen, dünkten ihm um ſo ſchreckenerregender, je weniger 
er ſie vorausgeſehen hatte. Die Republik begann ihr Straf— 


115 


gericht! Er hörte aus dem Brauſen des Kriegslärmes die zornige 
Stimme der beleidigten Majeität Gottes, 

ALS die Nachricht von der Belagerung Tchenjtochaus zu 
ihm gedrungen war, da hatte ihn, den Fürſten und Anhänger 
des Galvinismus, zum erjtenmale die Angjt gepadt; fie hatte 
ihn jeitdem nicht mehr verlafjen. Zum erjtenmale hatte er das 
Gefühl, als könne da die geheime Welle entipringen, welche 
zum reigenden Strom wachjend, den Schweden Verderben bringen 
konnte. Damals fing zum erjtenmale der Vorhang vor jeinen 
Augen an zu weichen; er begann im der jchwediichen Invaſion 
nicht nur die Invaſion mehr zu jehen, jondern einen heiligtum- 
Ichändenden Naubzug. 

Alle diejenigen, welche der Republik treugeblieben waren 
und ihr mit Herz und Hand dienten, wuchjen mit ihr empor; 
wer gegen jie die Hand erhoben, gegen jie gejündigt, der mußte 
untergehen. 

„Es joll niemand jich jelbit erhöhen wollen,“ dachte der 
Fürſt, „weder jich noch jein Gejchlecht, jondern alle jeine Kräfte, 
jein Fühlen und Denken in den Dienit des Allgemeinwejens 
ſtellen.“ 

Für ihn war es zu ſpät; er hatte nichts mehr, was er 
auf den Altar des Vaterlandes hätte legen fünnen, für ihn gab 
es feine Zukunft mehr, höchitens jenjeitS des Grabes, und vor 
diejer graute ihm. Seitdem er den Schrei der Verzweiflung, 
des Entjegend vernommen, den die ganze große Nepublif auf 
die Kunde von der Belagerung Tſchenſtochaus ausgeitoßen, und 
der jelbjt in jeine Vereinſamung gedrungen, jeitdem fonnte er 
die Schwarzen Gedanken nicht mehr bannen, ihm war, als müſſe 
ſich Gott nunmehr von ihm abwenden. 

Seine Verzweiflung wuchs; er begann „Zweifel in die 
Nichtigkeit jeiner Glaubenslehren zu jegen. Der Verfall irdijcher 
Macht und Größe, der Berfall innerlichen Friedens und 
Glaubens hatte jih an ihm vollzogen, was blieb ihm da noch) 
übrig? Nichts! Nur Dunkel und Finjternis, wohin er fic) 
wandte. 

Anfangs war er trogdem noch voll Hoffnung, als er von 
Kiejdan aus den Zug nach Podlacdhien unternahm. Sapieha 
war ein jchlechterer Heerführer als er. Zwar hatte diejer ihn 
in offener Feldſchlacht bejiegt, der Reſt feines eigenen Heeres 
hatte ihn treulos verlafjjen, aber damals noch hatte der Gedanfe 
ihn aufgerichtet, day Fürſt Boguslaw mit den in Preußen ge— 
worbenen Söldlingen bald heranziehen müſſe; dann wollten jie 

8* 


116 


es dem Sapieha heimzahlen, jeine sahne auflöjen, die Kon— 
füderation vernichten, ihre Tagen, raubgierigen Löwen gleich, über 
Litauen breiten und mit ihrem Gebrüll diejenigen verjcheuchen, 
welche e8 wagen wollten, ihnen ihre Beute zu entreigen. 

Doc die Zeit verging; die Macht des Fürjten Januſch 
ſchmolz immer mehr zujammen. Sogar jeine ausländijchen 
Söldlinge waren zu Sapieha übergegangen. Wochen, Monate 
waren verjtrichen, Boguslarv fam nicht. Dann begann die 
Belagerung von Tykozin. 

Die Handvoll Schweden, die noch bei Januſch geblieben 
war, wehrte ſich mannhaft; wußten fie doch zu gut, daß nad 
den von den Schweden vollbrachten Greuelthaten auch ihre frei- 
willige Unterwerfung feinen Bardon mehr bei der Rachewut der 
Litauer auswirken fünne Zu Anfang der Belagerung hoffte 
der Fürſt noch, daß im Falle der Not Karl Gujtav felbit, oder 
Jerr Koniezpolski, der jich beim Könige von Schweden be- 
finden mußte, zu jeiner Befreiung berbeieilen würden. Aber 
umſonſt! Man jchien ihn ganz vergeſſen zu haben. 

„Boguslaw! Boguslaw!“ Hatte der Fürſt jo oft gerufen, 
während er ruhelos in den Gemächern umberrannte „Wenn 
du den Verwandten nicht retten willit, jo rette wenigitens den 
Radziwill!“ ... 

Es blieb dem Fürſten noch ein letzter Rettungsanker. 
Seine ganze Seele ſträubte ſich zwar dawider, ihn auszuwerfen, 
zuletzt griff er doch nach dieſem Mittel. Er ſchrieb an den 
Fürſten Michael nach Nieswierſch und bat um Rettung. Der 
Bote, welcher dieſen Brief beförderte, war von den Leuten 
Sapiehas aufgefangen worden. Der Wojewode aber ſandte da— 
mals dem Fürſten einen Brief zu, welchen er etwa acht Tage 
früher von deſſen Vetter Michael erhalten hatte. 

Fürſt Januſch Hatte in diefem Briefe eine Stelle folgenden 
Wortlauts gefunden: 

„Sollte aber vielleicht meinem allergnädigjten Herren und 
König die Nachricht zugetragen werden, daß ich beabfichtige, 
meinem Verwandten, dem Fürſt-Wojewoden von Wilna zu 
Hilfe zu eilen, jo bitte ich Ew. Gnaden, Höchitdemjelben zu 
melden, daß ich Partiſane nur derjenigen bin und bleiben 
werde, welche im Glauben, in der Liebe zum Baterlande und 
zu Sr. Majejtät ausharren und bemüht find, die Republik mit 
allen ihren früheren Freiheiten wieder herzustellen. Es fällt 
mir gar nicht ein, Baterlandsverräter vor der ihnen zufommenden 
Strafe zu bewahren. Auf Suffurs von Seiten Boguslaws darf 


117 


er nicht vechnen, diejer geht viel zu jehr jeinem eigenen Vor— 
teil nad) und quod attinet „Koniezpolski“ dem it darum zu 
thun, die Witwe Januſch's zu freien, womit er doch deito eher 
zum ‚Ziele fommt, je jchneller der Fürſt zu Grunde geht!“ 

Dieſer, an Sapieha adrejjierte Brief, hatte dem Fürſten 
das letzte Nejtchen Hoffnung genommen. Er mußte offenen 
Auges der Vollendung jeines Geſchickes entgegenjehen. 

Die Belagerung nahte ihrem Ende. 

Am frühen Morgen heute war die Nachricht von der Ab- 
reije Sapiehas in das Schloß gedrungen, doch die Hoffnung, 
dat dieſe Abreije die Aufhebung des Belagerungszuftandes zur 
‚solge haben fünne, hatte jich nicht erfüllt. Im Gegenteil, die 
Agitation der Fußſoldaten wurde ungewöhnlich lebhaft. Ein 
paar Tage waren ruhig verflojjen, denn die Abjicht, die Thore 
zu jprengen, war mchreremale vereitelt worden. Sp war der 
heutige Tag herangefommen. Es war der einumddreißigite 
Dezember. Nur die niederjinfende jtocfinitere Nacht konnte 
möglicherweije verhindern, was die Belagerer im Schilde führten. 
Wollten fie die Veſte jtürmen, oder nur eine Brejche in die jchon 
mürbe gewordenen Mauern legen? Wer fonnte es wijjen? 

Der Fürjt lag auf dem Rüden lang ausgejtredt auf einem 
Nuhebett, welches man, um ihm mehr Luft zu jchaffen, in 
die Mitte des jogenannten „Geweiheſaales“ gejchoben hatte. 
Im großen Kamin brannten mächtige Stiefernjcheite, deren 
‚slammen einen hellen weißlichen Lichtjchein auf die fait fahlen 
Wände warfen. In der Nähe des Kamins lag auf einem 
fleinen Teppich ein Page, welcher jchlief. Neben dem Fürſten 
jagen müde und nicdend auf Stühlen, Frau Jakimowitjch, die 
frühere Vorjteherin des Frauenzimmers der Fürjtin in Kiejdan, 
ein zweiter Page, der Medifus und gleichzeitiger Ajtrologe des 
Fürſten und — Charlamp. 

Diejer letztere war das lebte Ueberbleibſel aus der mili- 
tärischen Glanzzeit des Fürſten. Als alle ihn verlaſſen Hatten, 
war er allein bei ihm zurücgeblieben. Es war ein bitterer 
Dienjt für ihn, denn das Herz und die Seele des Alten waren 
dort draußen vor den Mauern Tyfozins, im Lager Sapiehas 
bei den alten Waffenbrüdern, trogdem harrte er treu bei jeinem 
alten Heerführer aus. Der arme Soldat war von den erlittenen 
Entbehrungen zum Sfelett abgemagert. Bon jeinem Geficht 
war nur die Naſe übrig geblieben, der Schnurrbart ding ihm 
ichlaff an den Wangen herab. Er war in voller Uniform, mit 
dem Panzer und Viſier, welches ihm gegenwärtig am Hals— 


118 


riemen über die Schulter herabhing. Eifenjplitter und Mauer- 
brödeln lagen auf jeinen Schultern, denn er war vor einer 
Weile erit von den Wällen zurücgefehrt, wohin er mehrere- 
male tagsüber ging, um nachzujehen, was da draußen vorging, 
auf die Mauern, wo er hoffen fonnte, von einer tödlichen Kugel 
getroffen zu werden. Jetzt war er eingejchlummert vor über- 
großer Müdigkeit, obgleich der Fürſt ſchrecklich röchelte und der 
Sturm im Schorntein heulte. 

Plötzlich ging ein kurzes Zucken durch den Niejenförper 
Radziwills; er hörte auf zu röcheln. Seine Pfleger erwachten, 
blidten ihn zuerſt jcharf an, dann jah einer zum andern 
hinüber, 

Der Fürſt aber jagte: 

„Mir it, als jei der Alp von meiner Brust gewichen! 
Es wird mir leichter.“ 

Er wandte ein wenig den Kopf, blickte dann jehr aufmerk— 
ſam nach der Thür, endlich jagte er: 

„Charlamp!“ 

„Zu Befehl, Durchlaucht!“ 

„Was will denn Stachowitſch hier?“ 

Dem armen Charlamp zitterten alle Glieder, denn, obgleich 
ein erprobter Krieger, war er doch ſehr abergläubiſch. Er ſah 
ſich ſcheu um und antwortete dann mit gedämpfter Stimme: 

„Stachowitſch iſt ja nicht hier. Ew. Durchlaucht haben 
ihn ja in Kiejdan erſchießen laſſen.“ 

Der Fürſt ſchloß die Augen wieder und ſchwieg. Eine 
Zeitlang war nichts zu hören, als das melancholiſche Heulen 
des Sturmes. 

„Es iſt das Weinen und Wehklagen von Menſchen, welches 
den Sturm durchdringt,“ ſprach der Fürſt wieder, indem er die 
Augen weit öffnete. „Aber nicht ich habe die Schweden in das 
Land gebracht, ſondern Radziejowski.“ 

Als ihm niemand antwortete, ſetzte er nach einer Weile hinzu: 

„Er iſt ſchuld! Er trägt die größte Schuld.“ 

Es war, als ob dieſes Selbſtgeſpräch ihn beruhigte, als 
ſei der Gedanke ihm tröſtlich, daß er jemanden ausfindig gemacht, 
der noch ſchuldiger war, als er. 


Bald jedoch mußten wiederum ſchwere Gedanken ſeinen 
Kopf belaſten, denn ſein Geſicht nahm einen düſteren Aus— 
druck an; er wiederholte verſchiedenemale: 

„Jeſus! Jeſus! Jeſus!“ 


119 


Da fam die Atemnot wieder. Das Nöcheln Elang gräß- 
licher noch als früher. 

Unterdejfen drang von draußen das Knattern von Gewehr- 
feuer herein, zuerjt vereinzelt, dann immer häufiger. Das 
Schneetreiben und das Heulen des Windes dämpfte zwar den 
Schall jo, daß man glauben fonnte, es würden Schläge an die 
Thore geführt. 

„Sie fümpfen!” jagte der Medifus. 

„ie gewöhnlich!" antwortete Charlamp. „Die Leute 
frieren bei der Kälte, da wollen fie fich Bewegung machen.“ 

„Es tobt num jchon den jechiten Tag jo fort,“ meinte der 
Medifus. „ES bereiten ſich große Dinge im Neiche vor, Die 
Natur ſchickt ihre Vorboten!“ 

Darauf erwiderte Charlamp: 

„Wolle Gott, daß jie bald fommen. Schlimmer als «8 
iſt, kann es nicht werden.“ 

Hier unterbrach der Fürſt die Unterhaltung der beiden: 

„Eharlamp!* rief er. 

„Zu Befehl, Durchlaucht!“ 

„Zäuscht mich meine Schwäche, oder tit es wahr, daß vor 
einigen Tagen Oskierko verjucht hat, das Thor mittels einer 
Petarde zu jprengen ?“ 

„Er hat es verjucht, aber die Schweden haben die Betarde 
genommen, Oskierko iſt leicht verwundet, die Leute Sapiehas 
abgewehrt.” 

„Denn er nur leicht verwundet it, jo wird er wieder- 
fommen .. . Welchen Tag haben wir?“ 

„Den legten Dezember, Durchlaucht!“ 

„Bott jei meiner Seele gnädig! ... . Sch werde das neue 
Jahr nicht mehr erleben... Man hat mir immer gejagt, daß 
an jedem fünften Sylveiter der Tod neben mir jteht.“ 

„Bott iſt Ew. Durchlaucht gnädig!“ 

„Sott it dem Sapieha gnädig!“ ſagte der Fürſt dumpf. 

Plötzlich blickte er fich nach allen Seiten um und jagte: 

„Es weht mir falt von ihm entgegen; ich jehe ihn nicht, 
aber ich fühle jeine Nähe.“ 

„Wer iſt bier, Durcjlaucht?” frug Charlamp. 

„Der Tod!“ 

„sm Namen des Vaters, des Sohnes und des heiligen 
Geiſtes!“ 

Es folgte eine Weile tiefſten Schweigens; man hörte nur 
das Flüſtern der Betenden. 


120 


„Sagt mir,“ jtöhnte der Fürſt in Abjägen, „glaubt ihr 
wirflih, daß alle, die nicht eurem Glauben angehören, ver: 
dammt jind?“ 

„O, 88 fann jeder noch in der Todesitunde feine Sünden 
bereuen,“ antwortete Charlamp. 


Man hörte das Knattern der Gewehre jebt deutlicher. 
Plöglic erdröhnte Kanonendonner. Die Fenſterſcheiben Elirrten. 
Einen Augenblid horchte der Fürſt aufmerfjam, dann 
richtete er sich allmählich auf, jeine Augen weiteten jich und 
begannen zu leuchten. Nun jaß er aufrecht und jtüßte den 
Kopf in die Hände. Wlößlich jchrie er auf wie im Wahnfinn: 

„Boguslaw! Boguslaw! Boguslaw!“ 

Wie bejejjen rannte Charlamp hinaus aus dem Gemad). 

Das ganze Schloß erbebte vom Donner der Gejchüge. 
Dann hörte man Gejchrei, wie aus Tauſenden von Menſchen— 
fehlen, gleich) darauf wurden die Wände des Gemachs jo 
furchtbar erjchüttert, daß die Kohlen aus dem Kamin in den 
Saal hineinflogen. Gleichzeitig kehrte Charlamp atemlos zurüd. 

„Sie haben das Thor gejprengt!“ rief er. „Die Schweden 
haben jich in den Turm zurücdgezogen — der Feind tjt hier! 
Durchlaucht!“ 

Das Wort eritarb ihm auf den Lippen. Nadziwill ſaß 
aufgerichtet auf dem Nuhebett. Die Augen fchienen ihm aus 
dem Kopfe zu quellen, mit offenem Munde jchnappte er nad) 
Luft, die Zähne traten immer mehr hervor, jeine Hände rupften 
an dem Stillen des Bettes, und während er in die Dunkle 
Tiefe des Gemaches jtierte, entrangen jich jeiner Brust zwijchen 
den einzelnen Atemzügen mit röchelnder Stimme laute Worte: 

„Das war Nadziejowsfi .... Ich nicht . . . Rettung! ... 
Was wollt ihr? ... Nehmt doc) die Krone!... Es war 
Nadziejowsfi . . . Nettet, Menjchen! Jeſus! Jeſus! Maria!“ 

Das waren Radziwills legte Worte. in fürchterlicher 
Schluden befiel ihn, die Augen traten noch mehr aus ihren 
Höhlen, er jtredte fich, fiel zurück und blieb regungslos liegen. 

„Er hat vollendet!” jagte der Medikus. 

„Er hat Maria angerufen! Habt ihr es gehört, obgleich 
er ein Calviniſt it,“ ſprach Frau Jakimowitſch. 

„Werft Holz auf die Kohlen!“ befahl Charlamp den er— 
jchredten Pagen. Er jelbjt trat an die Leiche des Fürſten, 
drücte ihm die Augen zu, dann löjte er von der Stette feines 
Banzers ein Feines goldenes Bild der Gottesmutter und indem 


121 


er jchweigend die Hände Nadziwills faltete, drückte ev ihm das— 
jelbe zwiichen die ‚Finger. 

Die Flamme im Kamin fpiegelte fich auf dem goldenen 
Grunde des Bildes wieder. Das Bild jtrahlte im Licht des 
Feuers und ein Abglanz diejes Strahles fiel auf das Gejicht 
des Fürſten und ließ es freumdlicher ericheinen als es geweſen. 

Charlamp jette jich neben den toten Herrn und während 
er die Arme auf die Kniee jtüßte, verbarg er jein Geficht in 
den Händen. 

Das Schweigen im Saale wurde nur durch den Donner 
der Gejchüge unterbrochen. Plötzlich geſchah etwas Schredliches. 
Eine unheimliche Helle durchleuchtete den Saal, begleitet von 
einem furchtbaren Stracyen. Es war, als jtürzte der Boden 
unter dem Schlofje zufammen. Die Mauern Ihwanften, Die 
Dede befam unter gräßlichem Krachen breite Niffe, die Fenſter 
jtürzten mit großem Gepolter in das Innere des Saales, 
während zugleich die Scheiben in tauſende Splitter zerbrachen. 

Durch Die öden Fenſterhöhlen ſtürzten gewaltige Schnee- 
maſſen herein und der Sturm fuhr mit Ichauerlichem Saufen 
durch dag Gemach, alle Anwejenden fielen mit den Gefichtern 
zu Boden und waren vor Schred jprachlos. 

Der erite, welcher wieder auf den Füßen jtand, war 
Charlamp. Sein eriter Blick fiel auf die Leiche des Fürſten, 
doch dieſe lag still und unberührt, wie er jie zuvor gebettet 
hatte, nur das Bild der Gottesmutter in ihren Händen hatte 
ji) etwas verjchoben. 

Charlamp atmete auf. Er hatte geglaubt, eine Schar 
Teufel wäre hereingebrochen, um den Körper Radziwills 
zu holen. 

„Und das Wort it Fleiſch geworden!“ rief er aus. „Die 
Schweden müfjen jich jamt dem Turm in die Luft geiprengt 
haben.” 

Bon außen drang fein Laut herein. Die Truppen Sapiehas 
mußten vor Staunen über die That des Feindes verjtummt 
jein, oder fie befürchteten, das ganze Schloß ſei unterminiert 
und werde jtüchveife in die Luft geiprengt. 

Wieder befahl Charlamp den Bagen das Feuer zu ſchüren. 
Und wieder durchflammte das helle Licht das Gemach mit un— 
jicherem Schein, denn während der Totenjtille, die darin herrichte, 
trug der Sturm immer neue Schneemafjen zu den Fenſtern 
herein. 

Endlich vernahmen die im Gemach Befindlichen Stimmen- 


122 

gewirr, welches die Stiegen herauf näher fam, dann ertünte 
Sporenflirren, Fußtritte wurden laut, zulegt wurden die Saal- 
thüren aufgerifjen und Soldaten drängten herein. Schwerter 
bligten, in den Harnifchen und Viſierhelmen jpiegelten jich die 
Flammen des SKaminfeuers wieder. Immer mehr Soldaten 
betraten den Raum, welcher jchon bis zur Mitte gefüllt war. 
Etliche von ihnen trugen Laternen, und obgleich das Kamin— 
feuer den Saal hinreichend beleuchtete, jo leuchteten jie dennoch 
damit vorjichtig in jeden Winkel hinein. 

Segt machte jich der kleine Ritter, vom Kopf bis zum 
Fuß mit einem Stahlpanzer befleidet, Bahn durch die Menge. 

„Wo befindet ich der Wojewode von Wilna?“ Trug 
er laut. 

„Bier!“ antivortete Charlamp auf den Leichnam des Fürſten 
weiiend. Herr Wolodyjowsfi jah genauer hin. 

„Er lebt nicht mehr!“ jchrie er fait auf. 

„Er lebt nicht mehr! Gr lebt nicht mehr!” pflanzte ſich 
der Ruf fort. 

„Er lebt nicht mehr, der Verräter, der Makler!“ 

„ein, er lebt nicht mehr!“ jagte Charlamp ernjt. „Doc 
wenn ihr beablichtigt, jeinen Leichnam zu jchänden, oder den 
Toten in Stüde zu hauen, jo laßt euch jagen, dab ihr ein 
großes Unrecht begehen würdet, da er noch in jeiner Todes» 
ſtunde die Gottesmutter angerufen hat und ihr Bildnis in den 
Händen hält.“ 

Diefe Worte verfehlten ihren Eindrud nicht. Das Ge- 
jchrei hörte auf, die Soldaten näherten fich dem Ruhebett und 
hielten Totenſchau. Diejenigen, welche eine Laterne trugen, 
leuchteten ihm in das Geficht und jahen ihr genau an, wie er 
dalag, ein gefällter Rieje, im erfalteten Antlitz troß aller vor- 
aufgegangenen Leiden den Ausdruck der majejtätiichen Größe, die 
er im Leben vorgeitellt, und die Würde und den Ernit des Todes. 

Der Neihe nach famen die Soldaten und mit ihnen die 
Offiziere und Hauptleute. Allen voran Stanfiewitich, Die 
beiden Sfrzetusfis, Horotfiewitich, Jakob Kmiziz, Oskierko und 
Herr Sagloba. 

„Es iſt wahr!“ jagte Sagloba leife, als fürchte er den 
Fürſten zu weden. „Er hält das Bild feit; der Abglanz des- 
jelben wirft einen Schein über jein Geficht.“ 

Während er das jagte, nahm er den Helm vom Stopfe. 
Die anderen folgten jogleich jeinem Beiſpiel. Es trat eine 


123 


achtungsvolle Stille ein, welche endlich Herr Wolodyjorwsfi 
unterbrach. 

„ech!“ ſagte er ernit. „Diejer hier jteht jchon vor dem 
Kichterjtuhl Gottes, das irdiiche Tribunal hat fein Necht mehr 
an ihn.“ 

Zu Charlamp gewendet fuhr er fort: 

„Aber du Unglücjeliger! Warum hajt du jeinetwegen das 
Vaterland und deinen Herrn und König verlafien?* 

„sat ihn! Her mit ihm!“ fchrieen mehrere Stimmen 
durcheinander. 

Da jtand Charlamp auf, riß jeinen Säbel aus der Scheide 
und warf ihn Elirrend zu Boden. 

„Da habt ihr mich““ rief er. „Schlagt mich doch tot! 
Weil ich ihm nicht gleichzeitig mit euch verlieh, als er mächtig 
war, wie ein König, jo wäre es jchlecht von mir geweſen, hätte 
ich ihn im Elend verlajjen wollen, als jelbit jeine Freunde ihn 
im Stiche ließen. Mein Dienit hat. mich nicht, fett gemacht: 
jeit drei Tagen Habe ich nichts gegejjen, die Füße tragen mic) 
faum . . . Aber nehmt mich, jchlagt mich nieder, denn auch 
das befenne ich offen und ehrlich, hier zitterte die Stimme 
Charlamps, denn — ich habe ihn aufrichtig geliebt.“ 

Er ſchwankte und wäre hingefallen, hätte Sagloba ihn nicht 
in jeinen Armen aufgefangen und feitgehalten: 

„Beim lebendigen Gotte!“ rief er. „Gebt ihm zu ejjen.“ 

Mit diefen Worten hatte er die Herzen der Umijtehenden 
gewonnen. Man alte Charlamp unter den Armen und führte 
ihn aus dem Gemach. Darauf verließen auch die Soldaten 
dasjelbe der Reihe nach, jich Fromm befreuzend. 

Auf dem Wege zurüc nach den Uuartieren jchien Herr 
Sagloba etwas ernithaft zu erwägen. Er räuſperte jich, endlich 
faßte er den Nodzipfel des Herrn Wolodyjowski. 

„Herr Michael!“ jagte er. 

„Was giebt es?“ 

„Mein Haß gegen den Nadziwill ijt verraucht. Ein Toter 
ijt nun einmal ein Toter! ... ch verzeihe ihm von Her— 
zen, daß er mir einjt nach dem Leben getrachtet.“ 

„Er iteht vor dem himmlischen Tribunal!“ antwortete 
Wolodyjorwsft. 

„Das iſt es! Das iſt es eben!. Hm! Wenn ich 
wüßte, daß es ihm etwas müßte, würde ich auf eine heilige Meſſe 
für ihn geben; ich glaube jeine Sache jteht jchlecht dort oben!“ 

„Bott iſt barmherzig!“ 


124 


„sa, Gott iſt gerecht! Aber ein Waterlandsverräter iſt 
auch) ein ganz apartes Objeft. Doc da fällt mir etwas ein!“ 

Hier legte er den Kopf in den Naden zurüd und blidte 
nach oben. 

„sch fürchte nämlich,“ jagte er nach einer Weile, „es fönnte 
mir einer jener Schweden auf den Kopf fallen, die ſich mit dem 
Turme in die Luft gejprengt haben; denn daß die Einlaß in 
den Himmel finden, das bezweifle ich doch.“ 

„Es waren brave Jungen,“ jagte Wolodyjorwsfi anerfennend. 
Sie gingen lieber in den Tod, als day jie jich ergaben. Solche 
Soldaten giebt es nicht viele in der Welt!“ 

Stilljchweigend gingen jie weiter. Plötzlich blieb Herr 
Michael jtehen. " 

„Das Fräulein Billewitih war nicht im Schloß,“ 
jagte er. 

„Woher wißt ihr das?“ 

„sch Frug die Pagen nach ihr. Boguslaw Hat jie mit 
fih nach Tauroggen geführt.“ 

„Oo, o!“ ſprach Sagloba. „Da hat man die Ziege dem 
Wolf anvertraut. Aber das it nicht eure Sache; für euch iſt 
die fleine Kernige beitimmt.“ 








1. Kapitel. 





Seit dem Einzuge des Königs in Lemberg war Dieje 
Stadt die pauptitubt, der Sammelpunft der Republik. Mit dem 
Könige zugleich waren die größte Zahl der Bijchöfe des Neiches 
in Lemberg eingefehrt und alle diejenigen Senatoren, welche 
nicht zum Feinde hielten. Die ausgegebenen Befehle beriefen 
ebenfalls den Adel von Neuen und anderer benachvarten 
Provinzen, der um jo ungehinderter und zahlreicher erjchten, 
da jeme Gegend ganz frei von Schweden war. Es war 
wirklich herzerquidend zu jehen, wie freudig alles, was fähig 
war eine Waffe zu führen, herbeieilte, um jich der allgemeinen 
Erhebung anzuschließen. Und wie verjchieden war dieſe Er— 
hebung von derjenigen dazumal in Großpolen, die bei Uſchtz 
ein jo Elägliches Ende fand. Hier jammelte jich um den König 
ein Heer wacderer, friegstüchtiger Männer, die von Kindes— 
beinen an ein Leben im Sattel gewöhnt waren und Die im 
jteten SKampfe mit den Horden blutgieriger, brandjchagender 
Tartaren gelernt hatten mit dem Schwert, jtatt mit der Zunge 
zu echten. Noch waren ihnen die jieben Jahre währenden 
Meseleien Chmielnizfis zu frisch im Gedächtnis, als daß ſie 
die Führung der Waffen hätten verlernen jollen; es befand jich 
faum ein Mann darunter, der nicht jo viele Schlachten und 
Gefechte mitgemacht hatte, als er Jahre zählte. Die Zuzüge 
mehrten jich von Tag zu Tag. Sie famen aus allen Gegenden, 
von dem zerflüfteten Bieſchtſchadow die Einen, die Anderen vom 
Brut, und vom Seret her. Die Anfiedler aus den Niederungen 
des Dniepr mit jeinen reißenden Wajjern, diejenigen, die am 
glatt und breit dahinjtrömenden Bohem und den Lieblichen 
Ufern der Sieniucha ihre Hütten gebaut hatten, und aus dem 


126 


Inneren des Landes die Bauern, bis hinein in die tartarijchen 
Gebiete fie Alle, Alle, folgten dem Rufe des Königs. Auch 
aus Wolhymen und den ferner liegenden Wojewodſchaften 
eilten Adlige und Bauern herbei, denn die Nachricht, daß 
der Feind Tſchenſtochau belagert halte und die Kloſter— 
ſchätze mit dem Bilde der Gottesmutter in Gefahr ſeien, den 
Schweden in die Hände zur fallen, hatte die ganze Republik 
bis in die ferniten Winfel mit Entjegen erfüllt. Won den Ko— 
jafen brauchte man nichts zu befürchten, jelbit die roheiten Ge- 
müter wurden von dem Clend im Vaterlande ermweicht, auch fie 
lehnten jich gegen die Schwedenherrichaft auf und wer von 
ihnen nicht freiwillig gegen den Yandesfeind auszog, der wurde 
von den Tartaren gezwungen, dem König Sohann Kafimir zum 
jo und jovielten Male den Eid der Treue zu leisten. 

Unter der „Führung Subaghaji-Beis befand ſich auch 
bereits eine tartariiche Gejandtichaft in Lemberg, welche dem 
Lönige im Namen des Chan ein Heer von hunderttauſend 
Tartaren zur Vertreibung der Schweden zur Verfügung ſtellte, 
von welchem vierzigtauſend Mann in Kamienz bereits des 
Befehls harrten, abzumarſchieren. 

Außerdem fand ſich eine Deputation aus Siedmiogrod ein, 
— Einleitung der Verhandlungen, betreffend die Feititellung 
der Thronfolge Nakotichys. Ein Gejandter des Kaiſers, ein 
päpjtlicher Nuntius, der zugleich mit dem Könige eingetroffen 
war, verjchiedene Deputationen der litauischen Kronenheere, der 
verjchiedenen Wojewodichaften und Provinzen befanden jich 
ebenfalls bereits in Lemberg, um dem Könige ihre Gelöbnijie 
der Treue zu Füßen zu legen. 

Das Anjehen des Königs war in jtetem Steigen begriffen 
und die noch vor furzem tief in den Staub getretene Nepublif 
erhob jich langjam, aber jtetig, zur Verwunderung der Nationen 
und Zeitgenofien. Die Herzen der Menjchen entbrannten in 
Kriegs- und Nachelujt, trogdem waren alle frohgemut, denn 
eine neue Zeit war angebrochen. Wie der laue Frühlingsregen 
den Winterſchnee hinwegtaut, ſo verdrängte hier die mächtige 
Hoffnung die Verzweiflung. Man wollte nicht nur ſiegen, nein, 
man glaubte auch an den Sieg. Eine gute Nachricht drängte 
die andere und waren ſie auch oft erfunden, oder ihre Wahr- 
heit anzuzweifeln, jo erfüllten fie doch die bedrüdten Herzen 
mit Freude und jäeten überall die Saat guter Hoffnung. Wie 
verlautete, erhoben jich ganze Scharen Bauern und Köhler 
gegen den Feind, den fie von ihren Wäldern aus oft unver: 


127 


mutet überfielen. Der Name Stefan Ticharniezfis wurde immer 
häufiger genannt und lebte bald in aller Munde. 

Die Einzelheiten der Begebenheiten beruhten jelten auf 
Wahrheit, aber es genügte, daß jie überhaupt fich begaben, und 
alles in allem waren jie das beite Spiegelbild deſſen, was jich 
im ganzen Neiche regte und zutrug. 

In Lemberg war jtändig Feiertag. Als der König einzog, 
hatte ihn die Stadt feierlich begrüßt. Die Geiitlichfeit dreier 
Glaubensgenofienichaften, die Stadträte, die Handelskammer 
und Gewerfe, jie alle waren zu jeinem Empfang ausgezogen. 
Auf den öffentlichen Plätzen, in den Straßen wehten, jo weit 
das Auge reichte, weiße, blaue, purpurrote und goldgelbe 
Fahnen. Stolz liegen die Yemberger ihren goldenen Löwen im 
blauen ‚Felde flattern, während jie jelbitgefällig von den Leber- 
fällen der Koſaken und Tartaren erzählten, die fie ausgehalten 
und abgewehrt hatten. Ueberall, wo der König Tich blicken lieh, 
wurde er mit Jubel begrüßt. 

Die Einwohnerzahl Lembergs hatte jich in den legten zwei 
Tagen verdoppelt. Außer den Bifchöfen, Senatoren, dem Adel 
war eine Menge Bauern herzugeitrömt. Es Hatte fich jehr 
bald die Nachricht verbreitet, der König wolle das Los der 
armen Bauern verbejlern, und nun famen fie herbei in Stitteln 
und langem Tuchrod, die neben den gelben Gehröcen der Städter 
ein hübjches buntes Bild gaben. Die gewerbetreibenden Armenier 
mit ihren jchmalen Gejichtern jchlugen ihre Zelte auf und boten 
Waren und Waffen feil, die von dem anweſenden Noel gern 
gekauft wurden. 

Ber den Gejandtjchaften befanden ſich auch eine Menge 
vornehmer Tartaren, Ungarn, Italiener u. ſ. w, eine Unzahl 
Hofbediensteter, Pagen, Heiduden, Janitjcharen, Koſaken, Yäufer, 
die in den verjchiedeniten bunten Trachten und Uniformen in 
den Straßen umberwandelten. 

Vom Morgen bis zum Abend, ja bis jpät in die Nacht 
dauerte das Lärmen in den Straßen. Mit dem Geplauder und den 
Rufen der Menjchen mijchte jich das Pferdegetrappel der an— 
fommenden und durchreitenden Schwadronen, das Wiehern der 
Roſſe, das Rajjeln der Räder, Kommandorufe, ja jogar Lieder 
tönten durch die Straßen. 

Die Gloden aller Kirchen, der polnischen, reußiſchen und 
armentjchen, läuteten unaufhörlich, allen verfündend, daß der 
König in Lemberg jei und dal; Lemberg die erite feiner Nefi- 


128 


denzjtädte, in deren Mauern der vertriebene Monard) nach 
jeiner Rückkehr in das Land eingefehrt war. 

Man brannte jogar nachts auf den freien Plätzen Holz: 
feuer, an welchen diejenigen jich wärmen fonnten, welche aus 
Mangel an Uuartieren fein Obdach fanden. 

Der Monarch brachte ganze Tage mit Beratungen tm 
Kreiſe der Senatoren zu. Er empfing die auswärtigen Depu— 
tationen der Provinzen und des Stronenheeres, um zu beraten, 
auf welche Weife man die geleerte Reichskaſſe, die Schagfammern 
wieder füllen Fünnte, und wo der Aufjtand gegen den Feinden 
noc nicht entfacht war, dorthin brachten Boten die Kunde von 
der allgemeinen Erhebung. Bis weit nach dem fernen Preußen, 
nad) Smudz, nach) Tyjchowieg, zu den Hetmanen wurden Eil- 
boten gejchictt, auch zu Sapieha, welcher nach der Zeritörung 
von Tyfozin mit feinem Heere in Eilmärjchen dem Süden 
zuzog, jogar an Herrn Stoniezpolsfti, welcher noch bei den 
Schweden jich befand. Wo Geld nötig war, mußte die Schaß- 
fammer es hergeben, wo der Nationalgeijt noch jchlummerte, da 
wurde er durch Manifeſte gewvedt. 

Die Konföderation von Tyjchowieg wurde vom Könige an- 
erfannt und bejtätigt. Er trat ihr jelbit bei, indem er Die 
Leitung der fjämtlichen Gefchäfte in die Hand nahm und mit 
unermüdlichem Fleiße führte. Er arbeitete an dem Wohle 
und der Wiederheritellung der alten Nechte, ohne jeine Gejund- 
heit zu jchonen. Aber nicht genug damit! Er bejchloß für jich 
und im Namen aller Stände des Neiches noch einen Bund zu 
Ichließen, den feine menschliche Macht zu bewältigen imitande 
jein würde und der dazu dienen jollte, die Moral aller der 
Nepublif angehörenden Unterthanen zu heben. 

Der Augenblid war jebt gefommen, wo das Geheimnis 
diejes Bundes offenbar werden jollte.e Won den Senatoren 
zum Abel, vom Adel zum Volk drang die Kunde, daß während 
des heutigen Gottesdienites etwas Außergewöhnliches ſich zutragen 
werde. Es hieß, der König wolle ein feierliches Gelübde ab- 
legen. Man jprach von der Aufbeflerung der Verhältnifie der 
feibeigenen Bauern und einem Bündnis mit dem Himmel. 
Andere meinten, das wären Dinge, die in der Weltgejchichte 
noch nie dageweſen wären und auch nie vorfommen fünnten. 
Dennoch war die allgemeine Neugier erwedt und aufs höchſte 
geiteigert. 

Der Tag war froitig und far. Kleine Schneeflitterchen 
flogen umher und bligten wie Funken im Sommenlicht. Die 


129 


Lemberger Fußſoldaten und diejenigen aus dem Kreiſe Sydatjch- 
fow in goldverbrämten PBelzjaden und ein halbes Negiment 
Ungarn bildeten vor der Kathedrale Spalier mit den Musfeten 
bei Fuß. Offiziere mit Rohrſtöcken in der Hand jchritten die 
Neihen entlang. Zwiſchen diejen beiden Spalierreihen jtrömte 
eine buntfarbige Menge in die Kirche. Zuerſt fam der könig— 
lihe Zug, voran die Adligen und die Ritter, dann die Herren 
vom jtädtijchen Nat mit goldenen Ketten auf der Bruſt. Sie 
trugen brennende Wachsferzen und wurden vom Bürgermeiſter 
angeführt, der ein weithin berühmter Medifus war; er war mit 
einer jchwarzen Toga befleidet, auf dem Kopfe trug er ein 
Ichwarzes Barett. Hinter den Stadträten jchritten die Kauf— 
leute, darunter viele Armenier mit grünen, goldgeiticten Mützen 
und weiten morgenländiichen Gewändern. Wenngleich Die 
Letzteren nicht eigentlich zur Gemeinjchaft gehörten, jo gingen 
jte doch mit, um den Stand zu repräjentieren. Ihnen folgten 
die Innungen mit ahnen: die Fleiſcher, Bäder, Schuhmacher, 
Soldarbeiter, Tuchmacher, Teppichfnüpfer, Honigfüchler u. a. 
Jeder Innung voran jchritt der jtattlichite Mann derjelben mit 
der Fahne. Dann erſt famen die verjchiedenen Orden, Bruder- 
ichaften und zulett die große Menge. 

Endlich) fuhren auch die Kutjchwagen heran, doch Dieje 
fuhren an dem SHaupteingange vorüber und lenkten einem 
Seitenthor zu, durch welches der König, die Geijtlichkeit und 
Würdenträger jogleih in die Nähe des Hochaltares gelangten. 
Das Militär präfentierte das Gewehr, jo oft einer der hohen 
Herren vorüber fuhr; oft jtellten jie die Musfeten wieder 
an Fuß, nur um jchnell einmal in die eritarrten Hände 
zu hauchen. 

Der Monarch fam zujammen mit dem Nuntius Widon in 
einem Wagen. Dann folgte der Erzbifchof von Gnejen mit 
dem Biſchof Tiehartorysfi, dann die Bilchöfe von Krakau und 
Lemberg, der Ktronenfanzler, viele Wojewoden und Kajtellane. 
Sie alle traten durch die Seitenthüre in die Kathedrale, während 
ihre Wagen, Karofjen und Kutſchen vor derjelben einen dichten 
Wall bildeten. 

Der päpftliche Nuntius las die heilige Mejje in purpur= 
roter Soutane, über welche er ein weihes, reich mit Gold und 
Perlen gejticktes Ornat trug. 

Für den König war zwifchen dem Hochaltar und der 
Stalla ein Betituhl aufgejtellt, vor welchem ein türkijcher 
Teppich ausgebreitet lag. Die Sitzplätze der Domherren 


Sientiewica, Sturmflut II. 9 


130 


wurden von den Biſchöfen und den hohen Würdenträgern ein- 
genommen. 

Durch die buntgemalten Fenſter fielen farbige Lichtitreifen 
herein und vermijchten ſich mit dem Strahle der Kerzen; fie 
ergofjen fich über die Gejichter der in den Stühlen Sienden 
und beleuchteten diejelben mit magiſchem Schimmer, fie flammten 
auf in den goldenen, mit Edeljteinen bejegten Stetten, fielen 
auf die bunten Sammetröde und jchienen ihre Leuchtkraft zu 
verdoppeln. Ernſt und majeſtätiſch ſaßen die greifen Herren 
mit den weißen Bärten, die Augen feſt auf den Altar gerichtet. 
Von der anderen Seite der Stalla war die Kathedrale voll 
gepfropft mit Menjchen, eine Kopf an Kopf gedrängte Menge, 
und über allem eine Wolfe von Weihrauch. 


Der Monarch) war niedergefniet und lag nun, jeiner 
Gewohnheit gemäß, demütig zu Kreuze Während der Meſſe 
entnahm der Nuntius dem Ciborium den Kelch und jchritt 
mit demjelben dem Betjtuhl des Königs zu. Der König 
richtete ich heiteren Antliges auf, der Nuntius Sprach laut 
die Worte: „Ecce Agnus dei“ und der König empfing die 
Kommunion. 

Eine Weile verharrte er gebeugt, dann richtete er jich auf, 
erhob die Augen und jtredte beide Arme empor. 

Yautloje Stille herrichte in der Kathedrale; nicht ein Atem— 
zug wurde laut. Es ahnte allen, daß jeßt der Augenblick ge- 
fommen war, wo der König jein feierlicheg Gelübde ablegen 
werde. Die Menge laujchte mit gejpanntejter Aufmerkjamfeit, 
während der König mit bewegter, aber deutlich vernehmbarer 
Stimme zu jprechen begann: 

„Du große Mutter des Menſch gewordenen Gottes und 
heilige Sungfrau! Ich, Johann Kaſimir, durch deines Sohnes, 
des Königs der Könige und meines Herrn Gnade und Barme 
herzigfeit Stönig, nahe den Stufen deines Thrones, um Ddiejes 
Gelübde vor dir abzulegen. 

„sch nehme dich vom heutigen Tage an zu Meiner und 
Meines Reiches Schugpatronin und Königin. Mic, Mein 
Königreich Wolen, die Großfürjtentümer Litauen, Reußen, 
Preußen, Maſowien, Smudz, Lievland und Tſchernichow, die 
Heere beider Nationen und Mein geſamtes Volk ſtelle Ich unter 
deinen beſonderen Schutz. Deine Hilfe und Barmherzigkeit 
flehe Ih an in der jetzigen kummervollen Lage Meines 


Neiches . . .* 


131 


Hier fiel der König auf die Kniee nieder und ſchwieg eine 
Meile. Die Totenjtille wurde durch nichts unterbrochen. Dann 
itand er wieder auf und fuhr zu jprechen fort: 

„Weberwältigt von deinen großen Wohlthaten, fühle Sch 
Mich jamt Meinem polnischen Volke gedrungen, in ein neues 
Dienjtverhältnis zu dir zu treten und gelobe dir in Meinem, 
Meiner Minifter, Senatoren, Adligen und allen Bolfes Namen, 
Deines Sohnes Jeju Ehrijti, unjeres Heilandes Lob und Ehre 
zu verbreiten, jeinen Willen zu erfüllen, und wenn Ich durch 
die Barmherzigkeit Deines Sohnes Sieger über die Schweden 
werde, Mich zu bemühen, daß am Jahrestage diejes Creig- 
nifjes in Meinem Weiche ein Dankfeſt gefeiert werden joll, 
jedes Jahr, bis an das Ende der Tage, an welchem der 
Gottesgnade und der deinigen, du reinjte Jungfrau, gedacht 
werden joll!“ 

Hier hielt der König wieder inne und fniete nieder. Ein 
leiſes Gemurmel wollte jich erheben, doch die vor Bewegung 
zitternde Stimme des Königs übertönte es; er jprach noc) 
lauter als vorher: 

„Und da Ich mit tiefiter Betrübmis und reuigem Herzen 
befenne, daß Sch die während fieben Jahren erlittenen lagen 
und Sorgen und die jchweren Heimjuchungen, die Mein Neich 
getroffen, als eine Strafe Gottes anjehe für die Unterdrücdung 
des Ackerbau treibenden Teiles Meiner Unterthanen, jo ver— 
pflichte ich Mich, dab nach eingetretenem Frieden ch jamt den 
Ständen der Nepublif dafür jorgen will, daß der bisher jo 
gequälte Bauernitand fernerhin von jeglicher Bedrüdung und 
Sraujamfeit verjchont bleibe. Zu diefem Meinem Vorhaben 
bitte ich dich, Mutter der Barmherzigkeit, Königin und Frau, 
Mir durch Fürbitte bei deinem Sohne beizujtehen, damit Ich 
erfüllen kann, was Sch jebt feierlich gelobe.“ 

Mit Andacht war die Geijtlichfeit, der Adel, die Senatoren 
und das Volk den Worten des Königs gefolgt. Als er geendet, 
währte die Totenjtille noch einen Moment fort, dann ertünte 
aus der Tiefe der Kathedrale erit ein leiſes Schluchzen, welches 
immer lauter wurde und ich zulegt zu einem allgemeinen 
lauten Weinen steigerte. Mit Hoch zum Himmel erhobenen, 
gefalteten Händen rief die Gemeine Amen! Amen! Amen! zum 
Zeichen, day ihr Fühlen und ihr Denfen mit demjenigen 
des Königs übereinjtimmte. Kein Auge war trocden geblieben, 
die Begeiſterung leuchtete aus aller Augen, die ‚Flamme der 
Liebe zum Vaterlande und der Gottesmutter loderte hoch empor. 

9* 


132 


In diejer erhebenden Stunde war niemand mehr, welcher am 
Siege über die Schweden gezweifelt hätte. 

Nach beendetem Gottesdienite verließ der König unter dem 
Subelgejchrei der begeiiterten Menge, unter dem Knallen der 
Musfeten und den „Viktoria“-Rufen der Soldaten die Klathe- 
drale und fuhr zum Schloß, wo er einen fchriftlichen Akt über 
die Ablegung des Gelübdes aufnehmen ließ, welchen er dann 
famt den Bertrage von Tyjchowieg durch feine Unterjchrift be- 
glaubigte. 








12. Rapitel. 





Bald nach jenen Feitlichkeiten in Lemberg gelangten Die 
verjchiedenjten Nachrichten in die Stadt. Neue gejellten ſich zu 
den alten, die einen lauteten günjtiger, andere weniger gut, 
doch alle waren geeignet, den Mut des Bolfes zu jtärfen. 

Die Konföderation von Tyjchowieg fand immer mehr An- 
bänger unter dem Adel wie unter dem Volke. Die Städte 
jtellten Wagen und lieferten Waffen, Fußſoldaten aus allen 
Ständen jammelten ich um die Fahnen, die Juden gaben Geld 
ber, kurz, niemand entzog jich der Pflicht, dem Vaterlande 
beizuftehen, wie feine Kräfte und Mittel es erlaubten. 

Auf die Kunde des Zuſammentritts der Konföderation 
hatte Wittemberg ein Manifejt gegen Diejelbe erlaſſen unter 
Androhung der härtejten Strafen für diejenigen, welche ihr 
beizutreten ſich unterfangen jollten. Diejelbe hatte jedoch nur 
zur Folge, daß das Volk ſich noch inniger aneinander ſchloß. 
Ob mit oder ohne Zuſtimmung des Königs wurde Diejes 
Manifeit in Taujenden von Exemplaren in Lemberg verbreitet. 
Das Volk beſchmutzte und zerriß dasjelbe und ließ die Fetzen 
in alle Winde flattern. Die Gaufler benugten die Gelegenheit 
jogleich zur Inſzenierung einer Schaujtellung, betitelt „Die 
Konfufion Wittembergs“, wobei jie das folgende Spottlied 
angen: 

— Wittemberg, Aermſter, ſchere 


Dich nur ſchnell hinter die Meere. 
Wie ein Haſe entlaufe! 


Denn bu befommit * Pe: 
Laufe nur, fei nicht tr 
Daß du verlierft bie Reithofen. 


134 


Und Wittenberg, ald wolle er die Worte des Liedes wahr 
machen, legte jein Kommando in Krakau jchleunigjt in Die 
Hände des vortrefflichen Wirk und eilte jelbjt nach Elbing, 
wo der König von Schweden mit der Königin Hof hielt und 
jeine Zeit mit Feitlichfeiten und Gaitmählern verbrachte, aus 
Freude darüber, daß er der Herricher eines jo herrlichen 
Königreiches geworden. 

Auch die Kunde von dem Falle Tyfozins drang jchnell 
nach Lemberg und erregte dort große Freude. Merfwürdiger- 
weiſe hatte man jchon davon zu jprechen angefangen, noch ehe 
ein Bote die Beitätigung des Gerüchtes gebracht. Nur darüber 
war man noch im Ungewifjen, ob der Fürſt-Wojewode gejtorben 
oder gefangen war, man nahın aber an, daß Herr Sapieha 
mit feinem ganzen Heere bereit3 auf dem Marjche von Pod— 
lahien nach der Wojewodjchaft Lublin jich befinde, um ſich 
mit den FFeldhauptleuten zu vereinigen, und unterwegs jchon 
manches erfolgreiche Scharmüßel mit den Schweden ausgefochten 
habe, während fein Heer durch immer neue Zuzüge jich täglich) 
vergrößere. 

Endlich fam auch von ihm jelbjt Botjchaft, d. h. er jandte 
gleich eine ganze Fahne zur Dispofition des Monarchen, mit 
der unterthänigen Bitte, dieſelbe al3 Ehrenwache gnädigit an- 
zunehmen, damit die Majeität vor jeder möglichen Gefahr 
gejchügt werde. 

Der Führer diefer Fahne war Herr Wolodyjowsfi. Dem 
Könige bereit3 von früher her wohlbefannt, ließ der Monarch 
ihn jogleich zu fich rufen und ihm den Kopf herzlich drüdend, 
jprach er: 

„Sei Uns gegrüßt, tapferer Krieger; es iſt viel Zeit 
dahingejchwunden, jeit Wir di) aus den Augen verloren. 
Irren Wir nicht, jo jahen Wir dich zum letztenmale in 
Berejtetjch völlig im Blute ſchwimmend.“ 

Herr Wolodyjowsfi fiel dem Könige zu Füßen, während 
er antwortete: 

„Und jpäter in Warjchau, Allergnädigiter Herr. Sch 
war damal3 mit dem jegigen Kajtellan von Kijow im Schlofje.“ 

„Dienjt du denn noch immer im Heere? Haft noch gar 
nicht daran gedacht, einmal auszuruhen?“ 

„So lange die Republif voller Unruhe und in Nöten, 
denfe ich nicht daran . . . Sch nenne fein Fleckchen Erde mein 
eigen, wo id) die Glieder zum Ruhen hinjtreden fönnte, aber 


135 


ich jorge auch nicht darum, da ich es als erite Pflicht betrachte, 
meinem Könige und dem Vaterlande zu dienen.“ 

„O, daß Wir viele folcher hätten!“ rief der König. „Der 
u hätte niemals eine jolche Uebermacht gewinnen fünnen. 

ill's Gott, jo fommt auch die Zeit des Lohnens für Uns. 
Und nun erzähle, was ihr mit dem Wojewoden von Wilna 
gemacht habt.“ 

„Der Wojewode jteht vor dem Throne Gottes, Er gab 
jeinen Geift gerade auf, als wir dem legten Sturm auf Tyfozin 
unternahmen.“ 

„Wie iſt das zugegangen ?“ 

„Hier tft der Bericht des Herrn Wojewoden von Witebsk,“ 
jagte Herr Michael, dem Könige einen Brief überreichend. 

Der König nahm denjelben in Empfang, doch faum Hatte 
er zu lejen begonnen, da unterbrach er fich jchon. 

„Herr Sapieha irrt!” jagte er. „Er jchreibt Uns, daß 
die Würde des Großfüriten von Litauen vafant iſt. Sie it 
e3 nicht, denn Wir legen das Szepter in jeine Hände.“ 

„Dasjelbe kann in feine würdigeren kommen,“ jagte Herr 
Michael. „Das ganze Heer wird Ew. Majejtät ewig dankbar 
jein für diefe Ernennung.“ 

Der König belächelte die offenherzige Meinungsäußerung 
des Soldaten und fuhr fort zu lejen. 

Plötzlich ſeufzte er laut. 

„Welch köftliche Perle in der Krone Polens hätte Nadzi- 
will jein fönnen, wenn nicht Hochmut und Habgier jeine Seele 
vergiftet hätten ... Es iſt geichehen ... Die Ratſchlüſſe Gottes 
find unerforſchlich! . . . Radziwill und Opalinsfil . . . Beide 
fajt zu gleicher Zeit... Herr, richte fie nicht nach ihren Thaten, 
jondern nach deiner Barmherzigkeit.“ 

Nachdem der König eine Weile jchweigend weiter gelejen, 
hub er von neuem zu jprechen an: 

„Wir find dem Herrn Wojewoden dankbar,” jagte er, „daß 
er Uns eine ganze Fahne und an ihrer Spige den größten 
jeiner Slavaliere — wie er jchreibt — in Unjeren perjönlichen 
Dienſt ftellt. Aber Ich befinde mich Hier in Sicherheit, während 
draußen Leute wie ihr viel nötiger jind. Ruhe dich bei Uns 
ein wenig aus, dann follt ihr dem Herrn Tjcharniezfi zu Hilfe 
ziehen, denn Wir fürchten, daß der Hauptanprall jich gegen 
ihn richten wird.“ 

„Wir haben Zeit genug gehabt, bei Tykozin auszuruhen,“ 
rief der kleine Nitter begeiltert, „mur den Pferden möchte ich 


136 


etwas Nuhe und ein paar Tage bejjeres Futter gönnen, Die 
find arg mitgenommen. Dann wollen wir eilen, zu Herrn 
Tſcharniezki zu fommen; das joll ein jröhlicher trieg werden ... 
So groß das Glüd it, das Antlig Ew. Majejtät jchauen 
zu dürfen, jo nötig ift es Doch, den Schweden auf den Leib 
zu rücken.“ 

Das Antlig des Königs jtrahlte. Väterliche Güte malte 
fih) in jeinen Zügen, wohlwollend maß er die Eleine Gejtalt 
des Nitters, während er jagte: 

„Du aljo, Kleiner Soldat, warjt es, der dem verjtorbenen 
Fürſten zuerit den Dienjt gekündigt?“ 

„Nicht der erjte war ich, der es that, jondern das erite 
Mal war es, hoffentlich auch das legte Mal, daß ich gegen Die 
Disziplin fündigte.“ 

Hier jtocte Herr Michael, dann fuhr er fort: 

„Es war nichts leichtes, wahrhaftig.“ 

„Sicherlich nicht!“ entgegnete der König. „ES war eine 
jchwere Zeit für diejenigen, welche Soldatenpflicht kennen und 
ehren, aber alles hat jeine Grenzen und e3 giebt einen Bunt, 
wo die Pflicht zur Schuld werden kann. Sind denn viele von 
den Hauptleuten bei Nadziwill geblieben ?“ 

„Bir haben in Tykozin nur Herrn Charlamp gefunden, 
welcher, da er nicht gleichzeitig mit uns ſich vom Fürſten los— 
gejagt, ihn im Elend nicht verlafjen wollte. Ihn hielt nur ein 
faljches Mitleid dort zurück, denn die Baterlandsliebe fejjelte 
jeine Seele an ung. Er war dem Hungertode nahe, troßdenm 
hat er entbehrt, um den Fürſten zu jättigen. Ich habe ihn mit 
hierher gebracht, denn er jehnt jich, Ew. Majejtät fupfällig um 
Berzeihung zu flehen. Auch ich wage den Fußfall für ihn, 
denn er ijt ein guter, braver Soldat.“ 

„Er ſoll kommen,“ jagte der König. 

„Außerdem bittet er um Audienz in einer bochwichtigen 
Angelegenheit. Er möchte Ew. Majejtät eine Mitteilung machen 
über Dinge, die er aus dem eigenen Munde des verjtorbenen 
Fürſten vernommen zu haben behauptet und die das Wohl: 
befinden und die Sicherheit Ew. Majejtät angehen.“ 

„Betreffen diefe Dinge Kmiziz?“ 

„Jawohl, Allergnädigiter Herr!“ 

„Kannteſt du Kmiziz?“ 

„Ich kannte ihn und ſchlug mich mit ihm. Wo er ſich 
jetzt befindet, weiß ich nicht.“ 

„Was hältſt du von ihm?“ 


137 


„Wer ſich jolchen Verrates jchuldig gemacht, wie er, für 
den jind feine Qualen groß genug, denn er gehört zum Aus— 
wurf der Hölle.“ 

„Das ijt nicht wahr,” jagte der König. „Was der Fürft 
über Kmiziz auch jagen mochte, es ijt alles Erfindung! ... 
Doc) lajjen wir das. Erzähle Mir lieber, was dir aus früheren 
Zeiten über dieſen Menjchen befannt it.“ 

„Er war immer ein großer Soldat und als Kommandeur 
umerreichbar. So wie er den Chowansfi mit jeinen Taujenden 
tartarifcher Horden an der Spitze einiger hundert Soldaten in 
Schach hielt, wird feiner imjtande jein, ihm nachzumachen. 
Wenn Kmiziz dem Chowansfi in die Hände fiele, würde er 
viel mehr jubeln, al$ wenn man ihm den Großhetman zum 
Geſchenk machte. Es ijt ein wahres Wunder, daß er ihn noch 
nicht hat, da er doc) alle Lijt gebraucht, ihn zu befommen, 
Wahr ijt es, dab Kmiziz mit dem Tiſchmeſſer Chowanskis 
gegejien, daß er auf deſſen Lager geſchlafen, auf ſeinem Roſſe 
geritten iſt. Dann aber wurde er übermütig; bis zur Grau— 
ſamkeit quälte er die Menſchen, mit den Standesgenoſſen ver: 
fuhr er nach Laune, bis er in Kiejdan allen feinen Unthaten 
die Krone aufjelzte.“ 

Hier erzählte Herr Wolodyjowsfi ausführlich die Begeb— 
nifje in Kiejdan, wie er fie als Augenzeuge mit erlebt. 

Sohann Kafimir laujchte begierig den Worten Michaels, 
und als diefer endlich dabei angelangt war, wie Herr Sagloba 
zuerjt jich, dann die anderen aus der Nadziwillichen Gefangen 
ku befreit hatte, lachte er, daß er ſich die Seiten halten 
mußte. 

„Vir incomparabilis! Vir incomparabilis!* rief der 
Monarch wiederholt aus. „Halt du den auch mitgebracht?“ 

„Zu Befehl, Majeltät!“ 

„Diejer Edelmann übertrifft ja noch den Ulyſſes! Bringe 
ihn Uns doc) auf eine fröhliche Stunde zur Tafel und Die 
Herren Skrzetuski dazu. Aber nun weiter von Kmiziz.“ 

„Bir erfuhren dann erit aus den bei dem Rochus 
Kowalsfi vorgefundenen Papieren, daß man uns nad) Birz 
in den Tod hatte jenden wollen. Der Fürſt jagte ung noc) 
nad; er wollte uns umgehen, aber wir entwijchten ihm. 
Unweit Kiejdan wurden wir dann Kmiziz' habhaft. ch befahl 
fogleich, ihn niederzuſchießen.“ 

„Do! O“! jagte der König. „Ihr jcheint in Litauen jchnell 
zu richten.“ 


138 


„Herr Sagloba aber ordnete an, daß erjt jeine Tajchen 
durchjucht werden follten. Wir fanden einen Brief bei ihm, 
aus deſſen Inhalt hervorging, daß wir ed nur ihm zu danfen 
hatten, wenn wir micht ſchon jofort in Kiejdan erjchojjen, 
jondern erjt nach) Birz erpediert worden waren.“ 

„Siehit du wohl?” bemerkte der König. 

„Nachdem wir das erfahren, ziemte es uns nicht, nad) 
feinem Leben zu trachten. Wir ließen ihn laufen!... Was 
er weiter gethan, weiß ich nicht, nur das eine ijt mir befannt, 
dag er den Nadziwill nicht verlafien hat. Gott weiß, was 
man von dem Menjchen halten foll; es iſt leichter, ſich von 
jedem anderen eine Meinung zu bilden, als von ihm... 
Er blieb bei Nadziwill, als er davonritt .... Später warnte 
er uns noch einmal brieflic; vor dem Fürſten, welcher auf 
dem Zuge nach SKiejdan uns zu trennen und dann jede 
einzelne Fahne niederzumetzeln beabjichtig. Es iſt micht zu 
feugnen, daß der Dienft, den er uns damit leitete, ein ſehr 
5* war, denn ohne ihn wäre dem Fürſten ſein Vorhaben 
gelungen. Ich weiß ſelbſt nicht, was ich von ihm denken ſoll! 
ee das, was der Fürſt gejagt, wirklich Verleumdung wäre, 
— .“ 

„Das wird ich leicht fejtjtellen laſſen,“ ſagte der König. 
Inden er das fagte, Elatjchte er in Die Hände. 

„Rufe den Herrn Babinitfch Hierher,“ befahl er den Pagen, 
welcher auf der Schwelle erjchien. 

Der Page ging und eine Feine Weile nachher trat Herr 
Andreas in das Gemach. Herr Wolodyjowski erfannte ihn 
nicht jogleich, denn der junge Ritter war jehr bleich und ver- 
ändert, da er ſich nach dem leßten Kampfe im Engpaß von 
jeinen Wunden noch nicht erholt Hatte. Verwundert blidte 
der kleine Ritter ihn jcharf an. 

„Wunderbar!“ jprac) er endlih. „Wäre nicht dieſe große 
Magerfeit und hätten Ew. Majeftät nicht einen anderen Namen 
genannt, — ich fünnte glauben — Herr Kmiziz!“ 

Der König lächelte, indem er antwortete: 

„Soeben hat diejer fleine Ritter hier Uns von einem 
ungeheuren Qaugenichts Ddiejes Namens erzählt, aber Wir 
haben ihm ganz flar bewiejen, daß er ſich arg getäufcht hat, 
. find überzeugt, daß Herr Babinitſch Uns das bezeugen 
wird.“ 

„Allergnädigſter Herr!“ entgegnete Herr Babinitjch hajtig. 


139 


„Ein Wort Ew. Majejtät vermag diefen QTaugenichts bejier zu 
reinigen, ala meine heiligiten Eide.“ 

„Auch die Stimme it dieſelbe,“ jagte mit großer Be— 
wegung der fleine Ritter, „nur die Narbe über das Geficht 
war früher nicht da.“ 

„Der Schädel eines Edelmannes,“ antwortete Kmiziz, „it 
eine Tafel, auf welche von verschiedener Hand Vermerke gemacht 
werden... Hier iſt die Notiz, welche ihr darauf gejchrieben 
habt. Erfennt ihr eure Handjchrift?“ 

Indem er das jagte, neigte er das gejchorene Haupt und 
wies auf eine lange, weiße Narbe, welche fait quer über den 
Schädel ging. 

„Das it meine Hand!“ rief da Wolodyjowsfi aus. „Ihr 
jeid Kmiziz.“ 

„ber Wir jagen dir, daß du den echten Amiziz gar nicht 
kennſt,“ verjegte der König. 

„Die das, Allergnädigiter Herr?“ 

Du fanntejt einen großen Soldaten, der grenzenlos 
übermütig und ein Genoſſe der NRadziwillichen Werrätereien 
war... Bor dir aber Iteht der Held von Tichenjtochau, 
welchen nächſt dem Probſt Kordezki der heilige Berg jeine 
Nettung zu danken hat. Hier jteht der Verteidiger des Vater— 
landes und Unjer getreuer Diener, welcher jein Leben einjette, 
um das Unſrige zu vetten, als Wir in einem Engpaß mitten 
unter die Schweden gerieten, wie unter eine Herde Wölfe. Das 
it der echte, der neue Kmiziz. Erfenne und liebe ihn, denn 
er verdient es.“ 

Bei diefen Worten des Königs begann e3 um den Mund 
Wolodyjowskis zu zuden. 

Der König aber ſetzte noch Hinzu: 

„Und wiſſe, daß er dem — Boguslaw nicht nur 
nichts verſprochen hat, ſondern daß er der erſte war, der wegen 
ihrer Verrätereien Rache an ihnen üben wollte, deun er nahm 
Boguslaw gefangen und wollte ihn euch ausliefern.“ 

„Und uns warnte er vor dem Fürſt-Wojewoden,“ rief der 
kleine Ritter ... „Welcher Engel hat euch jo bekehrt?“ 

„Umarmt euch!“ befahl der König. 

„O, ich liebte euch gleich anfangs!“ ſagte Kmiziz. 

Während fie ſich umarmten, verwandte der Monarch fein 
Auge von den beiden und kniff, wie er immer bei freudigen 
Anläfjen zu thun pflegte, wiederholt die Lippen ein. Kmiziz 
preßte den kleinen Nitter jo herzhaft an die Bruft, daß er 


140 


ihn Hoch emporhob und erſt nach einer Weile wieder auf die 
Füße jtellte. 

Sept verließ der König das Gemach, um feine tägliche 
Beichäftigung anzutreten; die Beratungen wurden um jo 
dringender, da beide Ktronenhetmane in Lemberg angefommen 
waren, wo fie zwei Armeen bilden wollten, um ſie nachher ala 
Hilfstruppen dem Herrn Tſcharniezki und den Stonfüderierten 
zuzuführen, die unter verjchiedenen SHeerführern im Lande 
umberzogen. 

Die Ritter blieben allein. 

„Kommt mit in mein Quartier,“ ſagte Wolodyjowsfi. „Ihr 
findet dort die Sfrzetugfis und Herrn Sagloba, welche gern 
hören werden, was Se. Majejtät mir von euch erzählt Hat. 
Auch Charlamp iſt bei ihnen.“ 

Kmiziz aber hielt ihn noch zurüd, indem er unruhig frug: 

„Fandet ihr viele Menjchen beim Fürſten Radziwill?“ 

„ur Charlamp allein war bei ihm.“ 

„Sch Frage nicht nach Soldaten ... Um Gotteswillen! ... 
Maren auch Frauen in Tykozin? ...“ 

‚sch errate, um wen es jich handelt,” jagte errötend der 
Heine Ritter. 

„Das ‚Fräulein Billewitjch hat der Fürſt Boguslaw mit 
nad) Tauroggen genonmen.“ 

Kmiziz erbleichte, dann jtieg ihm das Blut zu Kopfe, um 
einer noch größeren Bläſſe Pla zu machen. Er brachte zuerit 
fein Wort hervor, plöglich griff er fi) an die Schläfen 
und jchrie: 

„Wehe! Wehe! die Aermſte!“ 

„Kommt mit mir, Gharlamp wird euch das Nähere er- 
zählen,” jagte Herr Wolodyjowski. 


FE 





13. Rapitek, 





Nachdem die beiden Ritter das Schloß verlaffen hatten, 
gingen fie jchtweigend nebeneinander her. Wolodyjowsfi wollte 
nicht ſprechen, Kmiziz konnte es nicht, denn Schmerz und Wut 
Ichnürten ihm die Kehle zu. Cie drängten ſich jo gut fie 
fonnten durch das Gewühl in den Straßen, wo fich auf die 
Nachricht Hin, daß der erite Tartarenzuzug vor den Mauern 
der Stadt angelangt jei und bald einziehen werde, eine noch) 
größere Anzahl Menjchen eingefunden hatte, als das ſonſt ſchon 
der Fall war. Der fleine Ritter war der Führer, Kmiziz ging 
ihm nach, ohne ſich klar darüber zur fein, was er that und wo 
er fich befand. Er Hatte die Mütze tief in die Stirn gedrüdt 
und rannte bald Hier, bald dort mit den Menfchen zuſammen. 

Erjt als fie ein wenig mehr Raum gewannen, faßte Herr 
Michael Kmiziz am Ellenbogen und fprad): 

„Faßt euch doch! . .. Mit der Berzweiflung jchafft man 
nichts! ...“ 

„Ich verzweifle ja nicht,“ antwortete Kmiziz, „nur lechze 
ich nach jeinem Blute.“ 

„Ihr könnt ficher fein, daß ihr ihn unter den Feinden des 
Baterlandes irgendwo findet.“ 

„Um jo bejjer, wenn ich ihn auf dem Schlachtfelde finde!“ 
jagte Kmiziz mit fieberhafter Haft, „aber ſelbſt wenn ich ihn 
vor dem Altar fände —“ 

„Um Gotteswillen, läſtert nicht,“ unterbrach ihn jchnell der 
fleine Ritter. 

„Diejer Verräter macht mid) zu einem Sünder!“ 

Sie jchwiegen wieder eine Weile, dann begann Kmiziz, 
indem er frug: 


„Wo mag er jett jein?“ 

„Bielleicht in Tauroggen, vielleicht auch nicht. Charlamp 
wird es befier willen.“ 

„Eilen wir!“ 

„Bir haben nicht mehr weit. Unſere Fahne liegt außer: 
halb der Stadt, wir wohnen hier und Charlamp iſt bei ung.“ 

Kmiziz feuchte, als ob er im Begriff ſtehe, einen hohen 
Berg zu eriteigen. 

„sch bin doch noch jehr ſchwach,“ jtammelte er. 

„Um jo notwendiger ilt es, daß ihr euch beruhigt umd zu 
Kräften zu fommen jucht, denn ihr befommt es mit einem 
itarfen Gegner zu thun.“ 

„sch Hatte schon mit ihm zu thun, da jeht, das ijt mir 
davon geblieben.“ 

Er zeigte auf eine Schmarte im Gejicht. 

„Wie Fam das eigentlich? „Erzählt mir doch. Der König 
berührte nur flüchtig die Sache.“ 

Kmiziz erzählte, und obgleich er zähnefnirfchend vor Wut 
jeinen Bericht zumeilen unterbrach, jo erreichte Wolodyjowski 
doch, was er wollte, der Ritter jprach jich aus und darüber 
vergaß er etwas jein Unglüd und wurde ruhiger. 

„Daß ihr ein Heißjporn jeid, wußte ich ja immer,“ jagte 
der Fleine Nitter, „auch, daß ihr ſtets jchnell entſchloſſen jeid. 
Doc, den Radziwill mitten aus feinem Seerlager heraus zu 
entführen und gefangen zu nehmen, das hätte ich euch Doch 
nicht Zugetraut. 

Inzwiſchen waren ſie im Quartier angelangt. Die Skrze— 
tusfis, Sagloba, der Pächter von Wonſotſch und Charlamp 
waren eben dabei, Krimmerpelze auszuwählen, deren ein tartarijcher 
Händler eine Anzahl zur Auswahl gebracht hatte. Charlanıp, 
welcher den Nitter am beiten kannte, ließ bei jeinem Anblic 
den Pelzrock, welchen er gerade in der Hand hielt, fallen und 
ſchrie laut auf: 

„Jeſus, Maria!“ 

„Der Name Gottes jei gepriejen!” rief der Pächter von 
Wonjotjc). 

Aber noch ehe jich die Anwejenden von ihrem Erjtaunen 
erholt hatten, jagte Wolodyjowsfi: 

„Hier bringe ich euch den Hektor von Tſchenſtochau, den 
treuen Diener des Königs, der für jeinen Glauben und jeinen 
Herrn das Leben eingejegt hat.“ 

Da das Staunen der anderen bei der Vorjtellung Wolo- 


143 


dyjowsfis noch wuchs, begann dieſer bald im beredten Worten 
zu erzählen, was er vom Könige von den Werdieniten des 
Nitters und von Herrn Andreas jelbjt über die Entführung 
Boguslaws vernommen hatte. Er fchloß dann alſo: 

„Es iſt alfo nicht nur nicht wahr, was der Fürſt Boguslaw 
über diejen Kavalier gejagt hat, nein, im Gegenteil, er hat 
feinen grimmigeren Feind als ihn, Kmiziz, und darum hat er 
das Fräulein Billewitich nach Tauroggen geführt, um gewifjer- 
maßen Nache an ihm zu nehmen.“ 

Jetzt Fonnte Sagloba, der Redeluſtige, nicht länger an ſich 
halten. 

„Er Hat ja auch ung vor dem Fürſt-Wojewoden ge- 
warnt,“ rief er aus. „Angefichts ſolcher Verdienite jchwinden 
frühere Sünden dahin! Wahrhaftig! es iſt gut, Michael, dal 
er mit dir und nicht allein hierhergefommen it; es iſt aud) 
gut, daß unjere Fahne außerhalb der Stadt Liegt, denn ihr 
wißt ja, wie jehr die Laudaer ihn haſſen. Che er noch ver- 
möchte, einen einzigen Yaut hervorzubringen, wäre er zu Brei 
gehauen.“ 

„Seid ung von ganzem Herzen willfommen, als Freund und 
Waffenbruder,” jagte Johann Sfrzetusfi. 

Charlamp konnte aus feinem Staunen nicht herausfommen. 

„So einer fommt nicht um!“ jagte er. „Von allen 
Seiten jtrömen ihm Ehren zu und tragen ihn an ein jicheres 
Ufer.“ 

„Sagte ich es euch nicht gleich, als ich ihn in Kiejdan 
jah,“ verjegte Saaloba. „Sc dachte mir gleich: das ijt ein 
rejoluter Soldat! Und wißt ihr noch, wie wir ung gleich be— 
freundeten? Es ijt wahr, daß Nadziwill durch mich zu Grunde 
ging, aber auch durd) ihn. Gott gab mir wohl ein, daß ich 
ihn in Billewitjche damals nicht erjchießen ließ. . . . Meine 
Herren, e8 ziemt ſich nicht, daß wir dieſen Kavalier jo troden 
aufnehmen, er fönnte uns jonjt verdächtigen, dab wir nicht 
aufrichtig ſind.“ 

Als Nzendzian das hörte, befürderte er den Tartaren 
janıt jeinen Pelzröcden hinaus und machte ſich mit dem Knappen 
jogleich daran, etwas Trinfbares herbeizujchaffen. 

Kerr Kmiziz aber hatte feinen anderen Gedanfen als den, 
von Charlamp recht viel über Olenfa zu hören. 

„Waret ihr dabei, als man fie von Stiejdan fortbrachte?“ 
rug er. 

„sch bin ja von Kiejdan gar nicht jortgefommen,“ ant— 


144 


wortete der Najenfönig. „Der Fürſt Boguslam kam zu unjerem 
Fürſt-Wojewoden. Er ſchmückte jich zur Abendtafel, daß man 
ganz geblendet wurde, und man merkte es ihm an, dab das 
Fräulein Billewitich ihm jehr wohlgefiel. Er budelte um fie 
herum, wie ein later, dem man das Fell jtreicht. Es heißt, 
auch die Tiere loben den Herrn, der Fürſt Boguslar aber, der 
fann doch wohl nur dem Teufel zu Maule reden; er jchmeichelte, 
kratzfußte . . .“ 

2 „„altet ein!“ jagte Herr Wolodyjowski. „Ihr peinigt den 

itter.“ 

„Im Gegenteil! Sprecht! jprecht!“ rief Kmiziz. 

„Man jprach bei Tiſche auc) davon, daß es für einen 
NRadziwill durchaus feine Unehre jei, ein adliges Fräulein zu 
heiraten, daß er jelbjt viel eher geneigt wäre, ein folches zu 
ehelichen, al3 eine jener Brinzejlinnen, mit denen man ihn im 
Frankreich verfuppeln wolle. Er Hat jie aufgezählt, aber ich 
habe mir die Namen nicht behalten, jie klangen alle ähnlich wie 
die Namen unjerer Jagdhunde.“ 

„Das iſt ja Nebenjache!* unterbrach ihn Sagloba. 

„Er jagte das alles nur, um das Fräulein zu gewinnen; 
das haben wir jehr bald gemerkt. Wir jahen ung einer den 
anderen an, zwinferten ung mit den Augen zu und erwarteten 
bejtimmt, daß er ihr in unferer Gegenwart einen Heiratsantrag 
machen werde.“ 

„Und fie?" frug Kmiziz lebhaft. 

„Sie? Wie eine vornehme Dame mit feinen Manieren 
benahm fie fi. Sie jah ihn gar nicht an und war anjcheinend 
gar nicht zufrieden mit jeinem Benehmen. Erjt, als der Fürst 
von euch zu jprechen anfing, heftete fie den Blick feſt auf fein 
Antlitz. Es war jchredlich anzujehen, wie fie litt, als er ihr 
erzählte, daß ihr ihm angeboten habt, für jo und jo viel Dufaten 
den König lebend oder tot den Schweden auszuliefern. Wir 
alle glaubten, fie würde ohnmächtig werden, aber ihr Zorn und 
ihre Verachtung für euch muß jehr groß jein, denn fie über- 
wand die Schwächeanwandlung, und als er großprahlerijch er- 
zählte, wie er eure Anerbietungen abgewiejen, da lobte jie ihn, 
jah ihn dankbar an und entzog ihm auch nicht mehr die Hand, 
als er fie aus dem Saale führen wollte.“ 

Kmiziz bededte die Augen mit der Hand. 

„Wer an Gott glaubt, der jchlage drein!“ jagte er 
wiederholt. 

Plöglich jprang er auf. 


145 


„Lebt wohl!“ rief er. 

„Wohin wollt ihr?“ frug Sagloba, ihm den Weg vertretend. 

„Der König wird mir Urlaub bewilligen; ich will mich 
aufmachen, ihn zu juchen und werde ihn finden,“ antwortete 
Kmiziz. 

„Bei den Wunden Jeſu! Wartet noch! Ihr habt noch 
lange nicht alles erfahren und noch viel Zeit, ihn zu ſuchen. 
Wo wollt ihr ihn finden, wen wollt ihr mitnehmen?“ 

Kmiziz ſah und hörte aber nichts von dem, was der alte 
Herr ſagte, denn die Kräfte verließen ihn plötzlich, er fiel auf 
die Bank nieder, lehnte den Rücken an die Wand und ſchloß 
die Augen. 

Sagloba reichte ihm einen Humpen Wein, den er gierig 
mit beiden Händen ergriff. Aber die Hände zitterten; ein Teil 
des edlen Getränks ſchüttete er über Wams und Bart, den Reſt 
trank er bis auf den letzten Tropfen aus. 

„Es iſt ja noch nichts verloren,“ ſagte Johann Skrzetuski, 
„nur Vorſicht, größte Vorſicht Habt ihr nötig. Ihr könnt durch 
unüberlegtes Handeln nur die Sicherheit des Fräuleins gefährden 
und euch jelbjt ind Verderben jtürzen.“ 

„Laßt euch duch erit zu Ende erzählen,“ warf Sagloba ein. 

Kmiziz biß die Zähne aufeinander. 

„sch will geduldig hören!” 

„Ob das Fräulein ihm willig gefolgt it, vermag ich nicht 
zu jagen, da ich bei der Abreije nicht zugegen war. Ich weiß 
nur, daß der Herr Schwertträger von Reußen gegen die Ab— 
reife protejtiert hat, daß man erjt verfucht hat, ihn von der 
Notwendigkeit derjelben zu überzeugen und ihn zulegt, als er 
ſich nicht überzeugen ließ, im Zeughaus einjperrte und ihn 
nach der Abreife ungehindert nach Billewitiche abfahren Lie. 
Das Fräulein befindet fich in jchlechten Händen, das iſt nicht 
zu leugnen. Nach dem, was man jich von dem Fürſten erzählt, 
it er Schlimmer wie ein Biffurmane auf die Weiber verjeflen, 
ganz gleich, ob jie verheiratet oder unverheiratet jind.“ 

„Wehe! Wehe!“ jtöhnte Kmiziz. 

„Der Schuft!” rief Sagloba. 

„Mech wundert nur, daß der Fürjt-Wojewode fie jeinem 
Better auslieferte,“ jagte Skrzetuski. 

„Sch kann darüber nichts jagen, als was die Offiziere jich 
damals erzählten, befonders Ganhof, der alle Pläne des Fürjten 
fannte. Sch hörte mit eigenen Ohren wie einer derjelben ein- 
mal laut ausrief: Kmiziz wird niemals der Nachtolger unjeres 


Sientiewica, Sturmflut II. 10 


146 


jungen Fürjten werden wollen!" und Ganhof erwiderte darauf: 
‚Die Entführung it mehr eine Handlung von politischer Be— 
deutung als eine Liebesaffäre. Boguslam läßt feine in ‘Frieden; 
wenn aber das Fräulein fejt bleibt und ihm Widerjtand leijtet, 
dann ijt fie in Tauroggen ficherer als irgendwo. Eine Ver: 
ewaltigung würde dort großen Skandal hervorrufen, denn Die 
Fürftin-Wojewodin wohnt dort mit ihrer Tochter, und Boguslaw 
iſt gezwungen, große Rüdjicht auf fie zu nehmen, da er doc 
auf die Hand der Prinzeſſin jpekuliert.... ES wird ihm 
fehr jchwer fallen, aber in Tauroggen muß er den Tugend— 
haften jpielen.‘“ 

„Fällt euch nicht ein Stein vom Herzen?“ wandte jich 
Sagloba an Kmiziz. „Ihr jeht doch, day dem Mädchen feine 
Gefahr droht.“ 

„Wozu hat er fie dann aber mitgejchleppt?” polterte Kmiziz. 

„Ihr thut wohl, euch mit diejer Frage an mich zu wenden,“ 
antwortete der Alte. „Sch begreife manches jchneller als andere 
Menjchen, die ſich oft ein Jahr lang über einem Dinge den 
Kopf zerbrechen. Warum er fie mitgenommen hat? Unjtreitig 

efällt fie ihm jehr gut; doch hat er jedenfalls noch einen anderen 
lan dabei verfolgt. Er glaubt dadurdy alle Billewitjche, die 
insgeſamt jehr reich und auch jehr zahlreich find, von feind- 
jeligen Schritten gegen die Radziwilld zurüdzuhalten.“ 

„Das ijt möglich,“ warf Charlamp ein. „Sicher ijt, daß 
Boguslaw in Tauroggen jeine Gelüfte zügeln und jede Aus— 
jchreitung vermeiden muß.“ 

„Wo befindet er jich gegenwärtig.“ 

„Der Fürſt-Wojewode war der Anficht, daß fein Vetter 
beim Könige von Schweden in Elbing jein müjje, wohin er 
ihn nach Hilfstruppen gejandt.“ 

„sn Zauroggen ijt er nicht, jonjt Hätten ihn die Send» 
boten dort gefunden.“ 

Hier wandte ſich Charlamp an Kmiziz: 

„Wenn ihr den Nat eines einfachen Soldaten nicht ver: 
ſchmäht, jo will ich euch jagen, was ich denfe: Sollte dem 
Fräulein, mit oder ohne ihren Willen, in Tauroggen ein Unfall 
zugejtoßen jein, dann iſt eure Reiſe dorthin doch zwecklos. Sit 
das nicht gejchehen, ijt fie bei der Fürſtin und reijt fie mit diejer 
nach Kurland, dann könntet ihr in der ganzen kriegsbezogenen 
Nepublif feinen ficherern Aufenthaltsort für jie finden.“ 

„Wenn ihr wirklich der Held jeid, für den man euch hält, 
und für dem auch ich euch halte,“ warf Skrzetuski dazwijchen, 


147 


„ſo iſt es bejjer, ihr haltet euch zuvor an Boguslam. Habt 
ihr den, dann habt ihr alles.“ 

„Wo iſt er demm eigentlich jet?“ wandte jich Kmiziz 
wiederholt an Charlamp. 

„Ich jagte es euch bereits,” entgegnete der Najenkönig. 
„Ihr jeht und Hört ja aber nichts vor lauter Kummer. Wahr: 
jcheinlich ijt er in Elbing und wird mit Karl Guſtav demnächit 
gegen Tſcharniezki zu Felde ziehen.“ 

„Es wird das Beite fein, ihr jchließt euch uns an, wenn 
wir bald unſere Truppen dem Herren Ticharniezfi zuführen. 
Auf diefe Weije trefft ihr am eheiten mit Boguslaw zujammen,“ 
ihlug Herr Wolodyjowsfi vor. 

„sch danfe euch herzlich für eure wohlgemeinten Ratjchläge, 
meine Herren!“ rief Kmiziz. 

Er nahm lebhaft Abjchted von allen, und fie verjuchten 
nicht mehr, ihn zurückzuhalten, weil jie begriffen, daß ein be- 
fümmertes Gemüt unfähig ijt, im Gejelljchaft heiter zu fein. 
Herr Wolodyjowsfi jagte nur: 

„sch bringe euch ins Erzbijchöfliche Palais, denn ihr jeid 
jo Hinfällig, daß euch auf der Straße ein Unfall zujtogen fann.“ 

‚sch begleite euch,“ verjegte Johann Skrzetuski. 

„Sehen wir doch alle mit,“ fügte Herr Sagloba Hinzu. 

Sie gürteten ihre Säbel um, warfen ein jeder jeine Burfa 
über und gingen hinaus. Das Sedränge in den Straßen war 
fürchterlich. Alle paar Schritte jtießen die Herren auf berittene 
Abteilungen Adliger, Soldaten, Diener, auf ganze Züge Armenier. 
Juden, Italiener, Ruſſen u. j. w. Die Kaufleute jtanden vor 
ihren Gewölben, alle Fenſter der Häufer waren mit Köpfen 
Neugieriger bejegt. Alle dieſe Menjchen wollten die Tartaren 
jehen, welche jeden Augenblid in der Stadt erwartet wurden, 
um ſich dem Könige zu präjentieren. Es war nämlich etivas 
jehr Seltenes, dieſe Menjchenrajje einmal in Ruhe anjehen zu 
fönnen; Lemberg hatte fie ganz anders fennen gelernt. Wolfen- 
chatten gleich waren die wilden Gäſte durch die Straßen 
genogen, als lichten Hintergrund die brennenden Häuſer der 

zorſtädte Hinter fich lafjend. Heute follten fie als Verbündete 

gegen Die jchwediichen Gindringlinge einziehen. Da war es 
fein Wunder, wenn unjere Ritter durch das Gedränge faum 
einen Weg finden fonnten. 

„Sie kommen! Sie fommen!“ Diejer Auf ertönte alle 
Augenblide. Dann wurde das Gedränge noch größer. 

„Ha!“ ſagte Sagloba, „bleiben wir ein wenig ſtehen. — 

10* 


148 


Herr Michael! Vergangene Zeiten rüden uns näher. Wißt 
ihr? Damals haben wir fie nicht von der Seite gejehen, jondern 
diefen Halsabjchneidern Auge in Auge gegenüber geitanden. Sch 
war jogar einmal ihr Gefangener. Man erzählt jich, daß der 
zukünftige Chan mir ähnlich jei, wie ein Ei dem andern... 
Doch wozu alte Unthaten aufwärmen!“ 

„Sie fommen! Sie fommen!“ hörte man wieder rufen. 

„Sott hat die Herzen dieſer Bluthunde ums zugewendet,“ 
fuhr Sagloba fort. „Anjtatt die Fluren der Ufraine zu ver- 
wüjten, wollen jie uns Suffurs bringen. Ein wahres Wunder! 
Denn ihr müßt wiſſen! — Wenn mir für jeden diejer Heiden, 
den dieje alte Hand in die Hölle gejchickt, nur eine Sünde er- 
laſſen wird, mühte ich fanonifiert werden; ihr müßtet zu mir 
faften, oder ich würde wie Elias im feurigen Wagen bei 
(ebendigem Leibe in den Himmel befördert.“ 

„Wißt ihr noch, denkt ihr es noch, wie wir zu jener Zeit 
von Raſchkow her an der Waladynfa lang nach Sbaraſch 
zogen? .. ." 

„ie jollten wir nicht! Ihr fielt in einen Hinterhalt, als 
ich durch die und dünn die Hunde hetzte, bis ich die Landſtraße 
erreichte. Wie wir euch dann juchten, waren wir nicht wenig 
erftaunt, euch wohlauf zu finden, um euch herum aber lagen 
bei jedem Strauche eine jolche Beitie.“ 

Herr Wolodyjowsfi fannte die Begebenheit von der um: 
efehrten Seite. Das Erjtaunen über diejen Bericht Saglobas 
ieß ihn zuerst veritummen und als er fich endlich jo weit 
erholt hatte, um jprechen zu können, da ließen ihn die Rufe 
nicht zu Worte fommen: 

„Sie fommen! Sie fommen!“ 

Immer zahlreicher wurden die Rufe laut, dann trat plöß- 
liche Stille ein, die Köpfe aller wandten jich nach der Seite, von 
welcher eine lärmende Muſik das Herannahen der Erwarteten 
verfündete. Bald auch wurden die eriten Weiter fichtbar. 

„Ei, jeht doch!“ plauderte Sagloba weiter. „Sie haben 
jogar eine Kapelle, das ijt bei den Tartaren etwas ganz Un— 
gewöhnliches.“ 

„Sie wollen ſich auf das Beſte präſentieren,“ entgegnete 
Johann Skrzetuski. „Einige Tſchambuls führen Muſikanten 
mit ſich, welche ſpielen, wenn ſie längere Zeit an einem Orte 
verweilen. Es muß aber eine auserleſene Geſellſchaft ſein — 
das will ich meinen.“ 

Unterdeſſen waren die Reiter herangekommen. Voraus 


149 


ritt auf einem mächtigen Scheden ein Tartar, jo jchwarz, als 
füme er direft aus dem Nauchfang; er hielt zwei Bicelpfeifen 
im Munde, welchen er ſchrille, Ereiichende Töne entlocdte, wobei 
er jo jchnell pfiff und auf den Pfeifen herumfingerte, daß 
weder Arge noch Ohr zu folgen vermochten. Hinter ihm ritten 
zwei Muftfanten, die in beiden Händen Stöcke hielten, deren 
Spigen fupferne Schellen trugen, mit welchen fie durch fort: 
währendes rajendes Schütteln ein gräßliches Geräuſch ver- 
urjachten. Dazu tönten Bedenjchläge, Trommelwirbel, während 
alles Ddiejes von einem fürchterlichen Gejange begleitet wurde, 
der eher einem wilden Geheule glich. Die weißen Aühne bligten 
in den jchwarzen Gefichtern und die Augen der Spielleute 
rollten, daß viele der Frauen in den Straßen entjeßt auf: 
jchrieen. Hinter diefer jchredlichen Kapelle trottete zu Vieren 
in einer Weihe, eine ganze Abteilung von etwa vierhundert 
Mann. 

Es jchien in der That ein PBaradezug, den der Chan 
dem Könige als Angeld auf jpätere Leitungen gejandt hatte. 
Derjelbe jtand unter dem Kommando Afbah-Ulans aus der 
Dobrudicha, der wegen jeiner Tapferkeit und Kriegskunſt, als 
mächtigiter Tartarenfeldherr, von allen morgenländischen Völkern 
hochgeichägt war. Er ritt jet zwijchen den Mujifanten und 
der übrigen Abteilung. Seine Uniform bejtand in einem 
rojenfarbenen, aber jehr verjchojjenen und für feine folofjale 
Körperfülle viel zu engem Schnürenrod, dejjen Aufjchläge von 
Marderpelz jchon viele fahle Stellen aufwiejen. Auf dem 
Bauche befeitigt trug er ein Szepter, wie es gewöhnlich die 
Kofakenhäuptlinge tragen. Sein Dickes rotes Gejicht war von 
der Kälte blau angelaufen; er wiegte in dem etwas hohen Sattel 
hin und her. Bon Zeit zu Zeit jchielte er nach beiden Seiten 
hin, oder blickte rückwärts auf feine Tartaren, als traue er 
ihnen nicht, daß fie beim Anbli der wogenden Menge, der 
Weiber und Kinder und der offenen Gejchäfte mit den aus— 
gelegten Kojtbarfeiten, imjtande jein würden, ihre wilden Be— 
gierden zu zügeln. Doch fie verhielten ſich ruhig, wie Hunde, 
welche die Seikel über jich jpüren, und nur die düjteren, lüjternen 
Blicke verrieten, was in dem Innern diefer Barbaren vorging. 
Aus dem Gewühl in den Straßen flogen neugierige, fait feind- 
jelige Blicke hinüber zu ihnen, denn der Haß und das Mißtrauen 
der Bewohner diejed Teiles der Republik gegen die Heiden waren 
groß. Trogdem hörte man von Zeit zu Zeit den Willkommen— 
ruf „Ahu! Ahu!“ aus dem Volke, da es auch jolche gab, die 


150 


fi) viel von der Hilfe diefer Horden verjprachen. Man konnte 
Bemerkungen hören, die unter den Schauenden ausgetaujcht 
wurden, welche darauf himviejen. 

„Die Schweden haben eine fürchterliche Angjt vor den 
Tartaren,“ jagten die einen. „Die Soldaten jollen ſich Wunder- 
dinge von ihrer Grauſamkeit erzählen, was dazu beiträgt, Die 
Angit der Schweden nur noch zu erhöhen.“ 

„Und mit Necht!“ entgegneten andere. „Wenn jchon 
unfere leichte Neiterei oft faum imjtande ijt, den Tartaren 
Widerſtand zu leijten, wie viel weniger die jchwere ſchwediſche. 
Ehe jo ein Schwede fich’3 verfieht, Hat ihn der Tartar jchon 
am Laſſo.“ 

„Es it jündhaft, dieſe Barbaren zu Hilfe zu rufen,“ 
ließen fich einzelne Stimmen vernehmen. 

„ie man es nimmt,“ meinten andere. 

„Es ift ein ganz anjtändiger Tſchambul,“ fjagte Herr 
Sagloba. 

Und wirklich! Die Leute waren gut gefleidet. Sie trugen 
weiße, jchwarze und bunte Pelze mit der Wolle nach außen. 
Schwarze Bogen und Köcher mit Pfeilen gefüllt jchaufelten 
auf ihren Rüden, ein jeder von ihnen trug einen Säbel an 
der Seite, was jelbjt in den größten Tſchambuls nicht immer 
der Fall war, da die Mermeren jich einen jolchen Lurus nicht 
erlauben fonnten und im Handgemenge an Stelle des Säbels 
einen an einem Stocke befeitigten Pferdekiefer benußten. Aber 
diefer hier war ja ein Parade-Tſchambul, darum hatten einzelne 
jogar Selbjtzünder bei ſich und alle jagen auf guten Pferden, 
die, wenn auch Elein, mager und langmähnig mit gejenkten 
Köpfen daherjchritten, doch umvergleichlich jchnell liefen. In 
der Mitte der Abteilung jchritten auc vier Kamele. Das 
Bolt mutmahte, daß in dem Gepäd derjelben ich Gejchenfe 
des Chans für den König befänden. Aber man ivrte; der Chan 
nahm lieber Gejchenfe, als daß er welche austeiltee Er hatte 
zwar Silfstruppen verjprochen, doch war er nicht gejonnen, 
diefelben umſonſt herzugeben. 

In diefem Sinne äußerte ſich auch Sagloba, als er jagte: 

„Diefe Hilfe wird ung teuer zu jtehen fommen. Sind 
die Tartaren auch Bundesgenofjen, jo werden fie doch das 
Land arg verwülten. Wenn wir die Schweden und jie los 
jein werden, wird in der ganzen Nepublif faum ein ganzes 
Dach übrig geblieben jein.“ 

„Das iſt fiher! Sie find eine fürchterliche Bundes» 


151 


— ſeufzte Johann Skrzetuski, „das kennen wir 
chon!“ 

„Ich habe unterwegs gehört,“ verſetzte Herr Michael, „daß 
der König mit dem Chan einen Vertrag geſchloſſen hat, nach 
welchem je fünfhundert Mann ſeiner Horden einer unſerer 
Offiziere beigegeben werden ſoll, welcher das Kommando über— 
nimmt und das Strafrecht erhält. Sonſt würden unſere ſo— 
genannten Freunde zwiſchen Himmel und Erde nichts übrig laſſen.“ 

„Und dieſer Tſchambul hier? ... Was ſoll mit ihm 
gejchehen ?“ 

„Derjelbe ijt dem Könige zur DPispofition geitellt, ſozu— 
jagen ein Gejchent des Chang an den König, und wenn auch 
diejer ihm nicht ganz umſonſt überlaflen bleibt, jo darf der 
Monarch doch nach Belieben mit ihm jchalten und walten. 
Ic glaube, er wird mit uns zu Herrn Ticharniezfi gejandt 
werden.“ 

„Run, der wird die Banditen jchon im Zaume zu halten 
verstehen . . .“ 

„Um das zu fönnen, müßte er jtet3 mit ihnen jein, denn 
hinter jeinem Rüden würden fie dennoch jtehlen. Das glaube 
ich nicht! Man wird den Tichambul auch dort gleich einem 
Offizier unterjtellen.“ 

„Und ihr meint, daß der das Kommando befommt? Was 
joll denn dann jener fette Aga thun?“ 

„Wenn der Offizier nicht auf den Kopf gefallen ijt, jo 
wird diefer Aga ihm gehorchen.“ 

„Lebt wohl, meine Herren, lebt wohl! lebt mir wohl!“ 
rief Kmiziz plößlich. 

„Wohin jo eilig?“ 

„Zum Monarchen, ihn um die Gnade zu bitten, daß er 
diefem Tſchambul mich an die Spitze ftellt, daß er mir das 
Kommando anvertraut.“ 








14. Rapitet, 





Noch an demjelben Tage erhielt Akbah-Ulan Audienz bei 
dem Könige. Er händigte dem Monarchen die Beglaubigungs- 
jchreiben und den Brief des Chan aus. Der leptere enthielt 
eine Wiederholung des Verjprechens, ihm Hunderttaujfend Mann 
Hilfstruppen gegen die Schweden zu jtellen, jofern er auf der 
Stelle vierzigtaufend Thaler ausgezahlt befomme und jobald 
das erjte Gras auf den Feldern, Wiejen und Steppen groß 
genug jein werde, eine jo große Menge Pferde zu ernähren. 

Bezüglich des joeben angelangten Tſchambuls jchrieb der 
Chan: „Diejen habe ich gejandt als Beweis meiner Liebe zu 
dem „Liebiten Bruder“, damit die Kojafen, welche noch immer 
widerjpenjtig find, mit eigenen Augen jehen, daß die Ver— 
brüderung zwifchen uns wirklich bejteht. Jede Eleinite Aus— 
jchreitung gegen den jchuldigen Gehorſam, die zu meiner 
Kenntnis gelangt, bin ich gejonnen, auf das Grauſamſte an 
den gejamten Koſakenſtämmen zu jtrafen.“ 

Der König empfing Akbah-Ulan jehr artig und jchenfte 
ihm einen jchönen Dolch, indem er ihm erklärte, daß Afbah 
unverzüglich mit jeinen Tartaren zu Herrn Tjeharniezfi in das 
seldlager gejandt werden würde, da es jein, des Königs, Wunſch 
jei, die Schweden zu überzeugen, daß der Chan ihm wirklid) 
mit Hilfstruppen zur Seite jtehe. Die Mugen des Tartaren— 
häuptlings erglänzten, als er hörte, daß er unter Herrn Tſchar— 
niezfisS Oberbefehl gejtellt werden follte, denn er fannte ihn 
aus der Zeit der Krimfriege und zollte ihm dieſelbe Hoch- 
achtung, die alle die anderen Agad dem tapferen Polen ent— 
gegentrugen. 


153 


Weniger gefiel dem Aga ein anderer Paſſus in dem Briefe 
des Chan, worin der König gebeten wurde, den Tſchambul 
unter das Kommando eines bewährten Offizier zu jtellen, 
welcher das Land genau fannte und gleichzeitig imjtande war, 
den Afbah-Ulan jamt jeinen Qartaren von Raub und Brand- 
ihagungen zurüdzuhalten. Es hätte dem Aga viel mehr ge— 
fallen, wenn er feinen Batron über ſich befommen hätte; da es 
aber nun einmal Wunjch des Königs und ausdrüdlicher Befehl 
de3 Chan war, jo verbarg er jorgfältig feinen Aerger darüber, 
verneigte jich tief vor dem Könige und hoffte im Stillen, daß 
nicht der Patron ſein Herr, ſondern er der Herr des Patrons 
werden würde. 


Kaum war der Tartar entlaſſen, kaum hatten ſich die 
Senatoren entfernt, als Kmiziz, welcher während der ganzen 
Audienz ſich im Gemach des Monarchen aufgehalten hatte, ſich 
dieſem zu Füßen warf und flehte: 

„Allergnädigſter Herr! Ich bin zwar der Gnade nicht 
würdig, die ich für mich erbitten will, aber ſie iſt mir ſo teuer 
als mein Leben. Beim Vater der Barmherzigkeit flehe ich um 
das Kommando über dieſen Tſchambul und die Erlaubnis, ſo— 
gleich mit demſelben ausrücken zu dürfen.“ 


„Wir wollen dir dieſe Bitte nicht verſagen,“ entgegnete 
Johann Kaſimir etwas verwundert, „denn einen beſſeren Fuͤhrer 
wüßten Wir nicht für denſelben zu finden! Um dieſe Banditen im 
Zügel und Manneszucht zu halten, dazu bedarf es eines Mutes 
und einer Energie, wie nur du ſie beſitzeſt. Nur das können 
wir nicht zulaſſen, daß du ſogleich ausrückſt, denn deine Wunden 
ſind noch nicht heil.“ 

„O, ich fühle mich geſund! Streicht mir erſt der Wind 
draußen um das Geſicht, dann ſchwindet auch die Schwäche, 
die Kraft kehrt wieder, und was die Tartaren betrifft — mit 
denen werde ich jchon fertig, die werden in meinen Sünden 
weich wie Wachs,“ antwortete Kmiziz. 

„Warum aber haft du es denn jo eilig? Wohin willit 
du?“ frug der König. 

„gu den Schweden, Allergnädigiter Herr! .... Meine 
Miſſion Hier ijt zu Ende, denn was ich jo jehnlich erjtrebt, 
habe ich erreicht. Meine Sünden find von mir genommen .... 
Ih will mit Wolodyjowsfi zu Tſcharniezki, doch möchte ich auch 
auf eigene Fauſt nebenbei Strieg führen, d. h. den Feind heben 
und beunruhigen, wie ich einjt den Chowansfi gehegt habe, 


154 


Ich vertraue auf Gott, daß er mein Vorhaben gelingen läßt,“ 
erklärte Kmiziz. 

„Sprich! Dich zieht noch anderes ins Feld,“ befahl der 
König. 

Kmiziz ſenkte das Haupt. 

„sch will Ew. Majejtät wie einem eigenen Vater meine 
Seele offenbaren. Fürſt Boguslaw, nicht zufrieden damit, daß 
er mich jchmählich verleumdet hat, entführte das Mädchen, das 
ich liebe, von Ktiejdan nach Tauroggen, ja er thut Schlimmeres 
als das, er jtellt ihrer Unschuld nach, er beabfichtigt, jie zu ent- 
ehren, oder er hat es jchon gethan!... Allergnädigiter Herr! ... 
Sch verliere den Verjtand bei dem bloßen Gedanfen, in weſſen 
Händen die Unglückſelige jich befindet... Bei den Leiden 
Ehrifti! Die Wundmale, die ich am Körper trage, jchmerzen 


weniger als die Seelenpein, die ich leide... Er hat jie 
glauben gemacht, daß ich ihm Ew. Majeſtät Leben verkaufen 
wollte; er hat mich zum Königsmörder geſtempelt! ... Sch 


ertrage das nicht länger, ic werde nicht ruhen, bis er in meinen 
Händen iſt, bis ich fie von diefem Ungeheuer befreit habe.... 
Gebt mir, Allergnädigiter Herr, dieje Tartaren, und ich will 
jchwören, daß ich nicht nur meine eigenen Intereſſen verfolgen, 
jondern auch jo viel Schwedenföpfe Ew. Majejtät zu Füßen 
legen will, daß dieſer Schloßhof mit ihren Schädeln gepflajtert 
werden fünnte.“ 

„Beruhige dich!“ jagte der König. 

„Wenn ich über meinen Privatjachen das wichtigite, Die 
Berteidigung der Nepublif und der Majejtät je verjäumen 
fönnte,“ fuhr Kmiziz fort, „würde ich nicht wagen, um Diejes 
Glück zu bitten... Hier läßt fich beides vereinigen . 
Wird ich Gelegenheit bieten, die Schweden zu jchlagen, jo will 
ich an nicht® anderes denfen . . . . Finde ich aber den Ver— 
räter, jo werde ich ihn verfolgen, jei es nad) Kurland, jei es 
jogar bis über das Meer nach Schweden.“ 

„Wir empfingen heute Nachrichten, daß Boguslaw mit 
Karolus im Begriff jtehen, Elbing zu verlafjen,“ erzählte 
der König. 

„So will ich ihnen entgegen ziehen!“ rief Kmiziz begeiftert. 

„Mit dem Keinen Tſchambul? Du würdeſt gut zugedeckt 
werden!“ 

„Showansfi hatte Achtzigtaujend bei ſich und vermochte mich 
doch nicht zuzudecken.“ 

„Was Wir an treuen Männern Unjer nennen, das befindet 


155 


fih bei Tcharniezfi. Sie werden ante omnia gegen ihn 
losziehen.“ 

„Um ſo nötiger braucht er Sukkurs, Allergnädigſter Herr; 
ich will mich beeilen, zu ihm zu ſtoßen.“ 

„Wohl! zu Herrn Tſcharniezki ſollſt du ziehen. Doch ver— 
biete Ich dir, mit ſo geringen Streitkräften den Verſuch zu 
machen, nach Tauroggen vorzudringen. Der Fürſt hat alle 
ſeine Schlöſſer in Smudz dem Feinde zur Verfügung geſtellt; 
überall haben ſich dort ſchwediſche Kommandos eingeniſtet und 
Tauroggen liegt, wenn Ich nicht irre, dicht an der preußiſchen 
Grenze, unweit Tilſit,“ ſagte der König. 

„Das iſt richtig,“ wagte Kmiziz einzuwerfen. „Ganz nahe 
der Grenze, doch auf polniſchem Gebiet, vier Meilen von Tilſit. 
Warum ſollte ich nicht dorthin gelangen können. Ich denke, 
daß ich nicht nur nicht Leute verlieren werde, ſondern auf dem 
Wege dahin eine Menge Zuzügler aufnehmen könnte. Auch 
das bitte ich Ew. Majejtät in Betracht zu ziehen. Wo ich mic) 
werde blicken laſſen, dort wird die ganze Gegend auffällig gegen 
die Schweden werden. ch möchte der Erjte jein, der den Auf— 
ruf zur Erhebung nach Smudz, mitten in das Nejt der Feinde 
trägt; o, laßt mich gewähren, Allergnädigiter Herr! Ich bin 
es gewöhnt, mich in Gefahren zu bewegen.“ 

„Du bedenkſt nicht, daß die Tartaren fich weigern fünnten, 
dir jo weit zu folgen?“ j 

„Sie jollten es nur wagen,“ jagte Kmiziz zähneknirſchend. 
„Seien e3 ihrer auch Bierhundert, jo laſſe ich alle Vierhundert 
aufhängen. Bäume giebt es genug! ... Sie jollen es nur 
wagen, zu muckſen! ...“ 

„Androjch!“ jprach da der König gutgelaunt, während er mit 
den Augen zwinferte, „wahrhaftig! einen befjeren Hirten konnte 
Sch diejer Herde nicht geben. —* ſie nur und führe ſie, 
wohin du Luſt haſt.“ 

„Sch danke, Allergnädigſter Herr, mein gütiger Vater!“ 
rief der Ritter, die Siniee de3 Monarchen — 

„Wann willſt du ausrücken?“ 

„So Gott mir beiſteht, morgen!“ 

„Vielleicht wird das dem Aga noch zu früh ſein; möglicher— 
weiſe will er die Pferde noch ſchonen.“ 

„Wenn es ihm leid um ſeinen Gaul ſein ſollte, dann 
nehme ich ihn am Strick an den Sattelknopf, da kann er neben 
mir hertraben.“ 

„Es ſcheint, du willſt ſehr ſtreng ins Zeug gehen. Verſuche 


156 


es mit Milde, jolange es angeht, laſſe Milde walten. . . . Und 
nun... Android ... es iſt heute jchon jpät, Wir jehen 
did; morgen noch vor deiner Abreije . . . Unterdefjen nimm 


hier dieſen Ring. . . . Sage deiner Königstreuen, du habeſt ihn 
von deinem Könige befommen; er ließe ihr befehlen, jeinen 
treuen Diener jtandhaft und treu zu lieben... .“ 

„Das walte Gott!“ jagte Kmiziz, während jeine Augen ſich 
vor Nührung mit Thränen füllten. „Helfe mir Gott, feines 
anderen Todes zu jterben, al8 den Heldentod für König und 
Vaterland!“ 

Der König zog fich in feine Gemächer zurüd. Kmiziz ging 
in jein Quartier, um Neijevorbereitungen zu treffen und zu 
überlegen, wohin zuerjt er jeine Schritte lenfen ſollte. Ihm 
fiel der Nat Charlamps ein, Olenfa ruhig in Tauroggen unter 
dem Schuge der Fürſtin zu belajjen, falls ſich herausitellen 
jollte, daß Boguslaw fich nicht dort befand. Bei der großen 
Nähe der Grenze konnte es nicht jchwer fallen, in der höchiten 
Bedrängnis nach Tilfit zu entkommen. Uebrigens war anzu— 
nehmen, daß die Schweden immerhin die Witwe Nadziwills 
rejpeftieren würden, wenngleich jie auch ihren Bundesgenofjen 
jchmählich verlaffen hatten. Reiſte aber die Fürjtin mit ihrem 
Gefolge nad) Kurland, dann um jo bejjer. Nach Kurland aber 
durfte Kmiziz feine Tartaren nicht führen, das war fchon 
fremdes Gebiet. 

Stunde um Stunde verrann unter diefen Vorbereitungen 
und Ueberlegungen. Noch immer dachte Kmiziz nicht an ein 
Ausruhen. Der Gedanke an den neuen Feldzug belebte ihn 
jo jehr, daß er feine Müdigkeit jpürte, vielmehr die Elastizität 
feines Körpers ich zu heben begann. 

Endlich, gegen Morgen, waren die Knappen mit dem Ver- 
jchnüren der Gepäckſtücke fertig; fie jchiekten jich joeben an, zur 
Ruhe zu gehen, da fragte plöglich jemand an der Thüre herum. 

„Wer ijt da?“ frug Kmiziz. 

Da feine Antwort erfolgte, befahl er dem Pagen: 

„Sieh nach, wer dort ijt!“ 

Der Page ging und nachdem man hinter der Thür einen 
kurzen Wortwechjel vernommen, fehrte er zurüd: 

„Es steht ein Soldat draußen,“ meldete er, „der Ew. Liebden 
gleich zu jprechen wünjcht; er jagt, Sorofa jei jein Name.“ 

„Laß ihn eintreten, jchnell, jchnell!“ rief Kmiziz erregt. 

Ehe noch der Page die Thür öffnen fonnte, hatte er Vefbit 
fie jchon aufgerifjen und z0g den Draußenjtehenden herein. 


157 


„Sorofa! alter Sorofa! Herein!“ 

Der Soldat wollte, dem eriten Impulſe folgend, jeinem 
zımın zu Füßen fallen und feine Kniee umklammern. 

ar er ihm doch mehr Freund als Diener, ebenjo treu, wie 
anhänglih. Doc das Subordinationsgefühl des Soldaten 
überwog; jich jtramm in die Höhe richtend, ſprach er: 

‚Sch melde mich gehorjamjt zum Dienjt!“ 

„Sei mir willfommen, lieber Waffenbruder!“ rief Kmiziz 
mit vor ‚Freude bligenden Augen. „Ich dachte, fie hätten dich 
bei Tichenitochau zu Mus gejtampft!“ 

Er preßte den Kopf des Alten in feinen Händen, fchüttelte 
und tätjchelte ihn, was er jich wohl erlauben durfte, ohne jich 
jelbjt zu nahe zu treten, da Sorofa von dem litauischen Klein— 
adel abitammte. 

Jetzt erſt wurde auch der alte Wachtmeifter zutraulich. 

„Woher fommit du?“ frug Kmiziz. 

„Aus Tichenjtochau, Ew. Liebden.“ 

„Und du haft mich gejucht ?“ 

Jawohl!“ 

„Wer hat euch dort denn geſagt, daß ich lebe?“ 

„Die Leute Kuklinowskis haben es erzählt. Der Herr 
Probſt Kordezki hat einen Dankgottesdienſt für eure Errettung 
abgehalten. Als ſpäter die Kunde zu uns drang, daß ein ge— 
wiſſer Babinitſch den König im Engpaß vom Tode errettet hat, 
da wußte ich gleich, daß niemand ſonſt als Ew. Liebden das 
ſein konnte.“ 

„Wie geht es dem Herrn Probſt? Iſt er geſund ge— 
blieben?“ 

„Er iſt geſund. Nur fürchten wir, daß eines Tages die 
Engel vom Himmel herniederſteigen und ihn uns bei lebendigem 
Leibe fortholen, denn er iſt ein wahrer Heiliger.“ 

„Das it er,“ jtimmte Kmiziz zu. „Wie haft du erfahren, 
daß ich bei dem Könige in Lemberg bin?“ 

„sch dachte mir, dab, wenn Ew. Liebden den König über 
die Berge geleitet haben, ihr auch hierher mitgegangen fein 
werdet. Aber ich hatte jchon Furcht, zu jpät zu kommen.‘ 

„Morgen wäre e3 zu jpät gewejen. Wir rüden morgen 
mit den Tartaren aus.“ 

„Das trifft ich gut, denn ich bringe Ew. Liebden zwei 
Geldfagen; die eine, die ich tet tragen mußte, die andere, Die 
ihr trugt. Sie jind beide noch gefüllt. Außerdem habe ich 
jene glänzenden Steinchen mitgebracht, welche wir einmal den 


158 


Bojaren abgenommen, und auch diejenigen, welche wir der 
Schagfammer Chowanskis entnommen haben,” jagte Sorofa. 

„ech, das waren gute Zeiten,“ verjegte Kmiziz. „Doc 
viel fann davon nicht mehr vorhanden fein, denn ich habe ein 
paar Handvoll davon dem Brobjt Kordezfi für das Kloſter 
dagelaſſen.“ 

„Sch weiß nicht, wie viel noch da iſt,“ entgegnete Soroka, 
„aber der Herr Probſt jagte, man fünne gut noch zwei große 
Güter dafür kaufen.“ 

Während er das jagte, näherte dev Wachtmeifter ſich dem 
Tiſche und begann die Geldfagen abzujchnallen. 

„Die Steinchen find in dieſer Blechflafche,” jegte er Hinzu, 
indem er neben die beiden Lederjäde eine Blechbüchſe Itellte, 
wie die Soldaten jie zur Aufbewahrung von Branntwein hatten. 

Kmiziz ſprach nicht. Er fchüttete aus einem der Säde 
eine Handvoll Goldgulden und reichte fie, ohne fie zu zählen, 
dem Wachtmeijter hin. 

„Da nimm!“ 

„sch lege mich Ew. Liebden zu Füßen!“ ſagte danfend 
Sorofa. „Ach, wenn ich doch unterwegs nur einen einzigen 
jolchen Dufaten gehabt hätte.“ 

„Was willft du damit jagen?” frug der Ritter. 

„Ih bin vom Hungern ganz fchwac geworden. Man 
wird im jeßiger Zeit jelten mit einem Biſſen Brot traftiert, 
denn jeder fürchtet jelbit den Hunger. Da fonnte ich vor 
Schwäche faum noch meine Beine erjchleppen.“ 

„ber Menfch! Du hattejt doch alles das bei dir,“ jagte 
Kmiziz. 

„Ohne Erlaubnis durfte ich nichts davon nehmen,“ ent— 
gegnete Soroka barſch. 

„Halt feſt!“ rief Herr Kmiziz, ihm noch eine Handvoll 
reichend. Dann herrſchte er die Knappen an: 

„Hurtig, ihr Schelme! Schafft Eſſen her! Seid ihr nicht 
bald damit da? Ich reiße euch die Köpfe ab.“ 

Die Knappen rannten einander in der Eile fait um; in 
wenigen Wugenbliden darauf ſtand vor Sorofa eine große 
Schüſſel mit geräucherter Bratwurjt und eine Flaſche Branntwein. 

Der Soldat verjchlang mit den Augen die begehrte Stärkung; 
er wagte aber nicht, in Gegenwart des Hauptmanns ſich zu 
jättigen. 

„Setz' dich nieder! Iß!“ fommandierte Kmiziz. 

Saum war das Kommando gejprochen, da knackte auch 


159 


schon die Wurjt zwijchen den Zähnen Sorofas. Verwundert 
jchauten die Knappen ihm zu. 

„Macht, daß ihr fortfommt,“ ſchnauzte Kmiziz fie an. 

Die Jungen verjchwanden augenblidlich Hinter der Thür. 
Kmiziz ging ſtillſchweigend in der Stube auf und nieder, denn 
er wollte den treuen Diener nicht beim Eſſen ſtören. Dieſer 
ſchielte jedesmal, wenn er einen Schluck aus der Flaſche nehmen 
wollte, ſeitwärts nach dem Hauptmann, um zu ſehen, ob dieſer 
auch nicht darüber zürne, zuletzt drehte er ſich der Wand zu und 
leerte die Flaſche in einem Zuge. 

Kmiziz wanderte unaufhörlich auf und nieder. Er ſchien 
die Anweſenheit Sorokas ganz vergeſſen zu haben, denn er 
begann im Selbſtgeſpräch zu reden: 

„Es ie: nichts!“ munrmelte er. „Sch muß jenen Hin- 
ſchicken . .. Ich werde ihr jagen laſſen . . . Das wird nichts 
nüßen! ... Sie wird nicht glauben! ... Einen Brief wird 
fie nicht leſen wollen, weil ſie mich für einen ſchlechten 
hält... Er ſoll ihr nicht unter die Augen treten... nein, 
nur ſehen ſoll er und mir berichten, was dort geichieht.“ 

Hier rief er plößlich: 

„Sorofa!“ 

Der Soldat jprang jo Hajtig auf, dab er fait den Tiſch 
umgeworfen hätte, und jtand jtramım. 

„Su Befehl!“ 

„Du bijt eine treue Seele und zuverläjfig in der Not. 
Du follit einen weiten Weg machen, doch nicht dabei hungern.“ 

„gu Befehl!“ 

„Du gehit nach Tauroggen an der preufiichen Grenze... 
dort wohnt das Fräulein Billewitich... beim Fürſten Bogus- 
law... Du wirjt ausfundjchaften, ob er jelbjt dort ijt und 
alles genau jehen und behalten, was dort vorgeht... Dem 
Fräulein wirjt du nicht unter die Augen treten, es jei denn, 
daß der Zufall es fügt. Dann kannſt du ihr auf Eid ver: 
fichern, daß ich es war, der den König durch das Gebirge 
brachte, und daß ich bei der Perſon des Königs bin. Sie 
wird dir zwar nicht glauben wollen, denn der Fürſt hat ihr 
gejagt, daß ich dem Leben des Königs nachitelle, was eine 
hundsföttiſche Lüge ijt.“ 

„gu Befehl!“ 

„Du trittit ihr nicht unter die Augen, denn fie wird bir 
doch nicht glauben . . . Aber jollte der Zufall es fügen, da 
fie dich fieht, dann jage ihr alles, was du weißt. Und habe 


160 


ein wachjames Auge und Ohr! Umd jet vorfichtig bezüglich 
deiner, denn wenn der Fürſt dort iſt und er oder einer feiner 
Hofichranzen dich erfennt, dann kannſt du ficher fein, daß fie 
dich pfählen! ...“ 

„Zu Befehl!“ 

Ich hätte den alten Kiemlitſch geſchickt, doch der iſt in 
jener Welt; er iſt im Engpaß tot geblieben und ſeine Söhne 
ſind zu dumm zu ſolch einer Miſſion, die ſollen bei mir 
bleiben. Warſt du ſchon einmal in Tauroggen?“ 

„Nein, Ew. Liebden!“ 

„Du gehſt alſo nach Schtſchutſchin, von dort immer die 
Grenze entlang bis nad, Tilſit hinauf . .. Tauroggen wird 
etwa vier Meilen davon, gradeüber liegen ... auf unſerer 
Seite... Bleibe dort in Tauroggen, bis du alles qut aus- 
gefundichaftet halt, dann fehre zu mir zurück ... Du wirft 
mich finden, wo ich bin . . Frage nur nach den Tartaren 
und nach dem Herrn Babinitſch . . Und nun mache, daß 
du jchlafen kommſt; gehe zu den Kiemlitſch! ... Morgen 
reiten wir!“ 

Nach diejen Worten entfernte jich Sorofa. Kmiziz konnte 
noch lange nicht einjchlafen; endlich übermannte ihn die Müdig— 
feit, er jchlief feit, wie ein Stein. 

Am Morgen erwachte er erfriicht und gejtärkt; er fühlte 
ſich fräftiger alg am Tage zuvor. Bei Hofe war jchon alles auf 
den Beinen, die täglichen Beichäftigungen in vollem Gange. 
Kmiziz lentie ſeine Schritte der Kanzlei zu, um ſich ſeine Er— 
nennung zum Kommandanten des ———— ausfertigen und 
den Geleitſchein aushändigen zu laſſen. Dann gin zu 
Subaghaſi-Bei, dem Führer der Geſandſchaft des Chan in 
Lemberg, mit welchem er eine lange Unterredung hatte. 

Sm Berlaufe diefer Unterredung waren die Hände des 
Herrn Andreas zweimal in die Tiefen jeiner Rocktaſche ver— 
Ihwunden und gefüllt wieder daraus aufgetaucht. Dafür 
tauchte der Gejandte beim Abjchied mit ihm den Helm und 
händigte ihm ein Szepter mit grünem Federbuſch an der Spite 
und etliche Ellen gleichfarbige jeidene Schnur ein. 

Sp ausgejtattet lieg Kmiziz ſich beim Könige melden, 
welcher jveben von der heiligen Meſſe aus der Slathedrale 
zurücgefehrt war. Noch einmal dankte er jeinem Wohlthäter 
jußfällig für die empfangenen Gnaden, jodann begab er fich 
mit den beiden Kiemlitſch und jeinen Sinappen direkt zu Akbah- 
Ulan, welcher mit jeinem Tſchambul außerhalb der Stadt lag. 


161 


Der alte Tartar legte bei jeinem Anblid die Hand an 
Stirn, Lippen und Brujt, zum Zeichen der Ergebenheit. Als 
er aber erfuhr, wer Kmiziz war und zu welchem Zweck er hier 
erjchienen war, verdüjterte jich fein Angejicht und nahm den 
Ausdruck hochmütigen Stolzes an. 

„Da der König dich mir als Führer jendet,“ jagte er in 
gebrochenem Reußiſch, „jo wirjt du mir die Wege weiſen, auf 
denen wir dorthin gelangen, wohin wir gehen jollen, obgleich 
ih auch ohne dich meinen Weg finden würde. Du jcheinjt mir 
noch jung und unerjahren.“ 

„Er jchreibt mir die Stellung vor, die er mir zu geben 
gedenkt,“ dachte Amiziz, „ich will politifch mit ihm verfahren, 
jo lange es angeht.“ 

Dann jagte er laut: 

„Höre Akbah-Ulan! Derftönig hat mich alsftommandierenden 
und nicht als Wegweijer hierher gejandt . . . Ich jage dir, du 
thätejt gut, dich dem Willen des Königs zu fügen.“ 

„Ueber die Tartaren hat der Chan, nicht der König das 
Oberfommando!“ antwortete Afbah-Ulan. 

„Albah— Ulan! merke dir!“ wiederholte Kmiziz mit Nach— 
druck. „Der Chan hat dich dem Könige geſchenkt, ſo wie man 
etwa einen Hund oder einen Falken verſchenkt, darum wider— 
ſetze dich ihm nicht, ſonſt könnte geſchehen, daß man dich wie 
einen Hund an den Strick nimmt.“ 

„Allah!“ ſchrie der Tartar empört auf. 

„Mäßige dich und reize mich nicht!“ warnte Herr Andreas. 

Die Augen Akbah-Ulans unterliefen mit Blut, die Adern 
in jeinem Naden jchwollen an, daß fie wie dicke Stride hervor- 
traten, jeine Hand fuhr nach dem Krummjäbel. Er fonnte 
lange feinen Laut hervorbringen, endlich preßte er zwijchen den 
Zähnen hervor: 

„Ich morde dich!. Ich morde dich!“ 

Herr Andreas war als Hitzkopf befannt. Er hatte lange 
genug politijiert; jeine Geduld war am Ende. Wie von einem 
giftigen Inſekt geitochen fuhr er empor, faßte mit der Hand 
den Kinnbart des Tartaren, riß ihm das Kinn in die Höhe, jo 
dat das Geficht desjelben nach der Stubendede gerichtet war, 
und rief zähnefnirjchend: 

„Jetzt höre, du Hundejohn! Du möchteit niemanden über 
dir willen, damit du brandichagen, rauben, morden fannit!... 
Zum Wegweijer möchtejt du mich degradieren! Da, hier hajt 
du den Wegweijer! hier haft du ihn!“ 

Sientiewicz, Sturmflut II. 11 


162 


Während er das jagte, jchlug Kmiziz den Kopf Akbah— 
Ulans ein über das andere Mal an die Wand. 

Endlich ließ er ihn Io. Der Aga war ganz; betäubt; er 
griff nicht mehr nach der Waffe. Kmiziz Hatte, jeinem Impulſe 
folgend, das rechte Mittel gefunden, den Morgenländer von 
jeinem Abhängigfeitsverhältnis zu überzeugen. Sp konnte Afbah- 
Ulan troß feiner Wut und feinem zerjchlagenen Kopfe doch 
dem Gedanken nicht wehren, wie mächtig und jiegesgewohnt 
diefer junge Ritter jein müfje, da er es wagte, mit ihm, dem 
Akbah-Ulan, auf dieſe Weije umzufpringen. Seine bluttriefenden 
Lippen abwijchend, wiederholte er dreimal das Wort: 

„Bagadyr! Bagadyr! Bagadyr!“ 

Inzwiſchen hatte Kmiziz jich den Helm Subaghafis auf- 
geitülpt und das grüne Szepter, das Abzeichen der tartarischen 
Oberfeldherren, welches er bisher im Gürtel jeines Wamjes ver- 
borgen gehalten hatte, hervorgezogen. 

„Sieh' hier, Kanaille! und hier!“ 

„Allah!“ jchrie Ulan entjeßt. 

„Und bier!“ feste Kmiziz hinzu, während er die grüne 
Schnur aus der Tajche 309. 

Aber Atbah-Ulan lag jchon zu den Füßen feines Herrn 
und Meijters und berührte demütig den Boden mit feiner Stirn. 

Eine Stunde jpäter bewegte ſich der Tichambul in langem 
Zuge auf der Landſtraße, welche von Lemberg nach Groß-Otſchy 
zu führt. Kmiziz jaß auf einem herrlichen Streitroß, welches 
der König ihm beim Abjchted gejchenft, und umkreiſte den Zug, 
wie ein Schäferhund feine Herde. Akbah-Ulan verwandte feinen 
Blid von dem jungen Ritter; in jeinem Angejicht malte jich 
ein Gemisch von Schreden und Bewunderung. 

Die Tartaren, meijt große Kenner Friegstüchtiger Männer, 
hatten auf den erjten Blick das Webergewicht des Helden er- 
fannt; fie wuhten im voraus, daß ihnen unter jeiner Leitung 
reiche Beute jicher jei, daher zogen fie fröhlich mit ihm, fingend 
und pfeifend. Kmiziz aber fchwoll das Herz beim Anblid diejer 
Geitalten vor Freude. Glichen jie doch den Tieren des Waldes, 
da jie mit Belzen und Elefantenhäuten befleidet waren, deren 
haarige Seite nach außen gefehrt war. Ein Meer zottiger 
Köpfe wogte, den Bewegungen der Roſſe nad), vor ihm her. 
Er zählte jie und überlegte dabei, was alles jich mit Diejen 
Wilden unternehmen und erreichen lafjen würde. 

„Ein jeltjames Kriegsheer,“ dachte er. „Mir tft als jtünde 


163 


ich an der Spitze einer Herde raubgieriger Wölfe. Aber gerade 
jie brauche ich. Warte Boguslaw, warte!“ 

Er war jtet3 jehr jelbitbewußt. So famen ihm auch jetzt 
Gedanken, die diejer Charaftereigenjchaft entjprangen. 

„Sott hat mich mit Bejonnenheit und Entjchlofjenheit aus— 
geitattet,” jagte er für fi — „auch mit Glüd! Gejtern noch 
war ich nur Befehlshaber meiner beiden Kiemlitſch — heut bin 
ich Kommandant über vierhundert berittene Leute... Wenn 
erjt der Tanz beginnt, hoffe ich bald ein Tauſend oder zwei 
ſolcher Vagabunden unter mir zu haben, die den früheren Ge— 
nojjen gleich fommen . . . Warte nur, Boguslaw! Warte!“ 

Gleich darauf juchte er jein böjes Gewifjen zu beruhigen: 

„Dabei joll das Baterland und die Majeität nicht zu furz 
fommen; ich will ihnen redlich dienen.“ 

Seine gute Laune nahm zu, je länger er unterwegs war. 
Es machte ihm Vergnügen, zu jehen, wie die Juden, die Bauern, 
jelbjt Adlige und jogar größere Abteilungen der Mannjchaften 
vom allgemeinen Aufgebot ſich beim Anblid feiner Soldatesfa 
entjegten. Es war neblig, die Luft von feuchten Dünjten er= 
füllt; da gejchah es, daß Entgegenfommende erjt ganz in der 
Nähe erkannten, wen fie vor jich hatten. Schredensrufe wurden 
alsdann laut: 

„Das Wort it Fleiſch geworden!“ 

„Sejus, Maria, Joſef!“ 

„Die Tartaren! Eine Horde!“ 

Aber die Tartaren zogen friedlicd) an den Britjchfas, den 
Frachtwagen, Pierdefoppeln und Vorüberziehenden vorbei. Ihr 
Kommandant erteilte die Erlaubnis zum Nauben nicht; er hatte 
e3 verboten und ihm Hatten jie zu gehorchen, denn jie hatten 
mit eigenen Augen gejehen, wie Afbah-Ulan ihm beim Aufjteigen 
auf das Pferd den Steigbügel gehalten hatte. 

Lemberg lag jchon weit hinter ihnen im Nebel. Die Tar- 
taren hatten aufgehört zu fingen. Site zogen jchweigend ihres 
Weges, ganz eingehüllt in die Wolfen, die den dampfenden 
Pferden entitiegen. Plötzlich ertünte lautes Pferdegetrappel 
hinter ihnen. 

Gleich darauf erjchienen zwei Reiter, welche jchnurjtrads 
an dem Zuge vorüber auf Kmiziz zu ritten. Es war Herr 
Wolodyjowsfi und der Bächter von Wonſotſch. 

„Halt! Halt!“ rief der kleine Ritter. 

Kmiziz hielt jein Pferd an. 

„Ihr jeid es?“ frug er eritaunt. 

11* 


164 


Wolodyjowsfi riß jein Pferd, daß es auf dem led 
jtille ſtand. 

„Meine Reverenz!“ jagte er. „Hier find Briefe vom 
Könige. Einer an euch, einer an den Wojewoden von Witebsk.“ 

„Sch bin doch auf dem Wege zu Herrn Tſcharniezki und 
nicht zu dem Herrn Sapieha.“ 

„Leit nur erit den Brief!“ 

Kmiziz erbrach das Siegel und las wie folgt: 

„Wir erfahren joeben durch einen Eilboten vom Herrn 
Wojervoden von Witebsk, daß der Herr Wojewode feinen Zug 
nach Kleinpolen nicht fortiegen kann und nach Podlachien zus 
rücfehren muß, weil Fürſt Boguslaw mit einer ungeheuren 
Heeresmacht nicht beim Könige von Schweden geblieben it, 
jondern gen Tykozin zieht, um den Herrn Sapieha zu über- 
fallen. Da nun Herr Sapieha viele feiner Truppen auf 
Stationen hat verteilen müſſen, jo befehlen Wir Dir, mit 
Deinen Tartaren dem Herrn Wojewoden zu Hilfe zu eilen, und 
da mit diefer Aenderung des Neijeplanes auch Deinem Wunjche 
Genüge geichehen muß, jo brauchen Wir Dir Eile wohl nicht 
erit anzuempfehlen. Der zweite Brief iit an den Herrn Woje- 
woden gerichtet. Wir empfehlen in demjelben Unjeren treuen 
Diener, den Herrn Babinitjch, dem Wohlwollen des Herrn 
Wojewoden auf das Wärmſte und ftellen Euch beide unter den 
Schu Gottes. Johann Kaſimir, König.“ 

„Beim allmächtigen Gott! Das iſt eine Nachricht für 
mich!“ rief Amiziz aus. „Wie joll ich das meinem Herrn und 
Könige danken!“ 

„Das dachte ich mir!“ entgegnete der Fleine Ritter. 
„Darum babe ich mich erboten, euch jelbit die Nachricht zu 
bringen, aus purer Liebe zu euch und aus Barmherzigkeit, denn 
ich habe ja eure Verzweiflung mit angejehen und ich wollte die 
Briefe ficher in euren Händen wiſſen.“ 

„Bann Fam der Bote des Wojewoden an?“ 

„Wir waren beim Könige zu Tiſche geladen; die beiden 
Herren Sfrzetusfi, Herr Sagloba, Charlamp und ich. hr 
fünnt euch nicht voritellen, was Sagloba dort aufgejchnitten hat; 
wie er von der Unbeholfenheit Sapiehas jprach und jeine 
eigenen Berdienjte hervorhob. Dem Könige rannte vor Lachen 
das Wajler über die Wangen und die beiden Hetmane hielten 
ji) unaufhörlich die Seiten. Da trat der Kammerdiener mit 
einem Briefe in der Hand ein. Der König fuhr ihn an: Laßt 
Mir doc) eine Stunde Ruhe, jcheer dich zum Henker jest mit 


165 


dem Briefe bis auf jpäter; vielleicht enthält er jchlimme Nach— 
richten‘. Erjt als der Stammerdiener meldete, der Brief jei von 
Herrn Sapieha durch einen Eilboten gejandt, las er ihn. Es 
waren wirklich jchlechte Nachrichten, denn der Brief bejtätigte 
das, was man jchon lange befürchtet hatte. Der Kurfürjt hat 
jich, allen feinen Berjprechungen zum Trotz, mit den Schweden 
verbunden.“ 

„Alſo ein neuer Feind!“ rief Kmiziz. „Als ob wir ihrer 
nicht ohnehin genug hätten.“ 

Er faltete die Hände. 

„Großer Gott!” jeufzte er. „Herr Sapieha joll mich nur 
auf acht Tage nad) Kurpreußen ſchicken. Man jollte dort bis 
ing zehnte Glied meiner und meiner Tartaren gedenfen!“ 

„Es ijt nicht unmöglich, dab es gejchteht,“ antwortete Herr 
Wolodyjowsfi. „Doc zuvor müßt ihr Boguslaw aus dem 
Wege räumen, der, durch furfürjtliche Truppen ſtark unterſtützt, 
den Zug nad) Podlachien angetreten hat.“ 

„sch werde ihn treffen, jo wahr Gott im Himmel ijt!“ 
ſchwor Kmiziz mit leuchtenden Augen. „Hättet ihr mir Die 
Ernennung zum Wojewoden von Wilna gebracht, eine größere 
Freude wäre mir nicht dadurd, widerfahren, als durch den er- 
haltenen Befehl!“ 

„Das jagte der König auch. Seine Majejtät meinte gleich: 
‚Das iſt etwas für Android), dem wird dad Herz im Xeibe 
hüpfen vor Vergnügen" Der Kammerdiener jollte jofort mit 
der Botjchaft an euch fortreiten, doch ich erbot mich ſogleich 
ih indem ich betonte, daß ich noch Abjchied von euch nehmen 
müſſe.“ 

Kmiziz beugte ſich vom Pferde herab und küßte den 
kleinen Ritter. 

„Kein Bruder hätte das für mich gethan, was ihr mir 
ihon Gutes erwiejen,“ jagte er gerührt. „Ich hoffe zu Gott, 
daß ich euch einmal alles danken kann!“ 

„Bah!“ entgegnete Wolodyjowsti. „Ich wollte euch ja 
einst erjchiegen laſſen!“ 

„Seil ich damals nichts Befleres wert war. Mir wäre 
nur recht gejchehen! Gott ſoll mich gleich in der erjten 
Schlaht umkommen laſſen, wenn ich unter allen Rittern einen 
mehr liebe als euch!“ 

Sie herzten fich wieder. Beim Abjchiednehmen jagte 
Wolodyjowski noch: 


166 


„Hütet euch vor Boguslaw! Hütet euch! Mit ihm ijt 
nicht gut Kirjchen efjen !“ 

„Einer von uns beiden muß jterben!“ 

„But!“ ſprach Wolodyjowski. 

„Ach, daß ihr mir doch etwas von eurer Fechtkunſt lehren 
könntet!“ ſeufzte Kmiziz. „Ihr ſeid ein genialer Fechtmeiſter! 
Doch dazu fehlt uns die Zeit! ... Aber die Engel im Himmel 
werden mir beijtehen. Sein Blut muß ich jehen; e8 jet denn, 
daß Gott vorher jchon meine Augen auf ewig jchließt.“ 

„Gott jtehe euch bei! ... Glückliche Fahrt! ... Und übt 
gute Rache an den Feinden!“ 

„Das foll gejchehen!“ rief Kmiziz. „Lebt wohl!“ 

Herr Wolodyjowski winkte Rzendzian herbei, welcher jich 
unterdejjen mit Afbah-Ulan über die Heldenthaten Kmiziz' und 
jeinen Sieg über Chowansfi unterhalten hatte. Sie traten den 
Nücweg nach Lemberg an, während Kmiziz auf dem Flecke feine 
Tartaren jehwenfen ließ und mit ihnen dem Norden zuzog. 








15. Kapitel. 


Obgleich die Tartaren, beſonders die aus der Dobrudicha, 
auch in der offenen Feldſchlacht tapfer ihren Mann jtanden, jo 
führten fie doch viel lieber Krieg gegen Wehrloje, d. 5. gegen 
alte Männer, gegen unfchuldige rauen, welche jie bejonders 
gern in Gefangenschaft mit ſich nahmen, gegen Bauern, die fie 
ihrer Habe beraubten. Darum war dem Tſchambul, welchen 
Kmiziz führte, der Ritt durch das Land fein Eurzweiliger, weil 
die umerbittliche Strenge ihres Kommandanten jie von jeder 
Ausjchreitung zurüdhielt. Die Wölfe mußten ich in Lämmer 
verwandeln, ihre Beile in den Scheiden Halten, die Sehnen 
der Bogen loje jpannen und die Laſſos in den Tajchen auf- 
bewahren. Anfangs murrten jie heftig. 

In der Nähe von Tarnogrod blieben abjichtlic) einige von 
ihnen zurüd, um den roten Hahn auf ein Dach zu jegen und 
ein paar junge Dirnen einzufangen. Kmiziz war beim erjten 
Aufleuchten der Flamme auf dem Wege nach Tomajchow zu 
umgefehrt und hatte fie, immer einer den anderen, ſich aufzu— 
hängen befohlen. Akbah-Ulan jah der Erefution nicht nur 
ruhig zu, jondern feuerte die Mifjethäter an, das Aufhängen 
zu bejchleunigen, da jonjt der „Bagadyr“ zornig werden möchte. 
Seitdem gingen die übrigen wie die Yämmer im Zuge und 
drängten jich in den Ortjchaften in dichte Haufen zujammen, 
damit nicht etwa einen von ihnen der Verdacht einer Schuld 
treffen fonnte. Trotz der großen Strenge, mit welcher die 
Erefution ausgeführt worden war, erwecte jie nicht einmal 
Haß bei ihnen gegen den Hauptmann. Kmiziz war immer fo 
glücklich, von feinen Untergebenen geliebt zu werden. 


168 


Er ließ ihnen aber auch feine Not anfommen und fein 
Unrecht widerfahren. Das Yand war zwar durch die Naubzüge 
Ehmielnizfis und Scheremets arg venwüjtet, jo daß Die Be— 
Ihaffung von Lebensmitteln ein jchweres Stüd Arbeit war. 
Trotzdem jorgte er, daß die Yeute zur rechten Zeit ihre Nahrung 
erhielten umd nicht Hunger zu leiden brauchten. Wo die Ein— 
wohner widerjpenitig die ihmen zu Gebote jtehenden Lebens— 
mittel vorenthalten wollten, da half er ihren Starrjinn mit 
etlichen Stocdjchlägen überwinden. 

Das nahm die Tartaren jehr für ihren Hauptmann ein. 
Für ihre Ohren war das Gejchrei der Gejchlagenen Muſik. 
Sie lobten ihn und jagten dann jtets: „Eh! unjer Stmita, 
unjer Falke, läßt jeine Lämmer nicht Not leiden.“ So fam 
es, daß die Leute nicht abmagerten, jondern eher an Körper— 
fülle zunahmen. Der alte Ulan, dejjen Bäuchlein immer runder 
wurde, betrachtete den jungen Ritter mit immer größerer Be— 
wunderung. 

„Wenn Allah mir einen Sohn gejchenft hätte, dann hätte 
ih ihn mir gewünjcht wie Ddiejen; ich würde einjt im Alter 
nicht Hungers zu jterben brauchen,“ jprach er oft für ich. 

Kmiziz Elopfte ihm von Zeit zu Zeit den Schmerbauc) 
und jagte jcherzend: 

„Höre einmal, Eberchen! Wenn die Schweden dir nicht 
etwa deinen Bauch aufichligen, dann jammeljt du mit der Zeit 
alle Borratsfammern der Welt hier drinnen!“ 

„Die Schweden? Wo jollen die herfommen? Die Lajjos 
faulen in unjeren Taſchen,“ jeufzte Ulan. 

Seine Seele lechzte nach einer Schlacht. Zuerſt war der 
Tſchambul durch eine Gegend gezogen, die von der jchwedijchen 
Invaſion noc) unberührt geblieben war, weiterhin durch Yändereien, 
wo die Schweden einzelne größere Trupps in Schlöfjern jtationiert 
hatten, die aber bereits jämtlich von den Konföderierten ver- 
trieben worden waren. Dafür begegneten fie häufig Eleineren 
und größeren Abteilungen Adliger und Bauern, die nad) allen 
Richtungen Hin das Land durchjchwärmten. Zuweilen gejchah 
es, daß Ddiejelben jie aufhielten und eine drohende Haltung 
gegen jie annahmen. Es bedurfte dann oft großer Mühe, Die 
Angreifer zu überzeugen, dab fie es nicht mit Feinden, jondern 
mit Verbündeten zu thun hatten. 

Endlich langten fie in Samoſchtſch an. Wie jtaunten die 
Tartaren über die Stärfe der Mauern diejer Feitung, und ihre 


169 


Bewunderung wuchs noch, als jie vernahmen, dab an diejen 
Mauern die Macht EChmielnizfis gebrochen worden war. 

Als ein Zeichen großer Gnade und Vertrauens, geitattete 
ihnen Herr Samojsfi, der Kommandant der Feſtung, in diejelbe 
einzutreten und die Stadt in Augenjchein zu nehmen. Man 
öffnete ihnen das jogenannte Ziegelthor, weil es das jtattlichite 
war, die anderen beiden Thore waren aus Steinen aufgeführt. 
Kmiziz ſelbſt fonnte fein Staunen über die Schönheit der 
breiten geradlinigen Straßen, der jchönen Häuſer, des Schlofies, 
der Akademie und die Stärfe der mächtigen Feitungswerfe 
nicht bemeiltern. So wenig, wie irgend ein anderer Magnat 
mit dem Enfel des großen Stanzlers einen Vergleich aus— 
zubalten vermochte, jo wenig fonnte das jede andere befejtigte 
Stadt mit Samojchtjch. 

Wahrhaftes Entzücden aber ergriff die Tartaren beim An— 
blick desjenigen Teiles der Stadt, welcher den Armeniern ein— 
geräumt war. Ihre Nüftern ſogen mit Behagen den Duft, 
welchen die großen Lager Safftan ausjtrömten, welchen Die 
Kunsthändler aus Saffa direkt bezogen, während die fojtbaren 
Kleinigkeiten, N eu Teppiche, Gürtel, mit Edeljteinen 
bejegte Säbel, Dolce, Bogen und Köcher, türfijche Lampen und 
jonjtige jchönen Dinge, ihnen herrliche Augenweide boten. 

Herr Samoöjski jelbjt gefiel Herrn Andreas ausnehmend 
gut. Er war ein kleiner König in jeinem Samojchtich; ein 
Mann in der Blüte der Jahre, obwohl etwas fränflich, da er 
in früheſter Jugend feinen Leidenjchaften nicht genügend Zügel 
angelegt hatte. Er liebte noch heute das zarte Gejchlecht, und 
jeine Gejundheit war nicht jo jehr zerrüttet, daß der ihm an— 
geborene Frohſinn darunter hätte leiden jollen. Er war noc) 
unvermählt, denn — obgleich er überall in den höchiten Adels- 
freifen mit offenen Armen empfangen worden wäre, — war er 
doch der Anficht, daß fein Fräulein jchön genug für ihm jei. 
Etwas jpäter dann fand er eine Frau nach jeinem Gejchmad 
in der Perſon einer jungen Franzöfin, die, obgleich bis über 
die Ohren in einen anderen verliebt, dennoch ohne Zaudern die 
Hand Samojskis jeines Reichtums wegen annahm, nicht ahnend, 
daß jener andere Verjchmähte dereinjt jein und damit auc) 
ihr Haupt mit einer Krone zu jchmüden vom Schickſal be— 
jtimmt war. 

Der Herr von Samoſchtſch zeichnete jich nicht durch großen 
Wit aus; er beſaß davon gerade jo viel, als er für fic brauchte. 
Gr bemühte jich nicht um Memter und Würden, die ihm un— 


170 


verlangt zuflofjen, und wenn jeine Freunde ihn wegen jeines 
Mangels an Ehrgeiz tadelten, dann widerlegte er jie, indem 
er jagte: 

das it nicht wahr! Mir fehlt der Ehrgeiz nicht; ich 
befige mehr davon als diejenigen, welche aus Sucht nad) Er- 
höhungen zu Schmeichlern werden. Wozu joll ich mich in den 
Winfeln der großen adligen Hofhaltungen herumquetjchen? Hier 
in Samojchtich bin ich nicht nur Sch, der Johann Samojsfi, 
jondern vor allem der Selbitherr Samojgfi.“ 

Darum mannte man ihn allgemein den Selbitherrn, 
worüber er jehr vergnügt war. Gern fehrte er den jchlichten 
Mann heraus; wenngleich er eine ausgezeichnete Erziehung ge= 
nofjen hatte und in jeiner Jugend viel gereiit war. Er nannte 
jich jelbjt nur einen jchlichten Edelmann und betonte bei jeder 
Gelegenheit die Mittelmäßigfeit jeines Standes; vielleicht wollte 
er dadurch den Widerjpruch der anderen herausfordern, vielleicht 
auch unter dieſer Bejcheidenheit jeine mittelmäßigen Geiltesgaben 
verbergen. Im übrigen war er ein jehr geachteter Mann und 
ein — Sohn der Republik, als viele andere. 

Er war Kmiziz ſehr lieb geworden und auch Kmiziz gefiel 
dem Herrn ſehr wohl. Deshalb lud er den Ritter in die Ge— 
mächer ſeines Schloſſes, denn auch das liebte er, daß man ſeine 
Gaſtfreundſchaft lobte. 

Herr Andreas lernte im Schloſſe viele angeſehene Perſonen 
kennen, beſonders die Fürſtin Griſeldis Wisniowiezka, welche 
die Schweſter Herrn Samojskis und die Witwe des großen 
Jeremias Wisniowiezki war, der jeinerzeit der größte Magnat 
der Nepublif gewejen, aber jein ganzes ungeheure Vermögen 
während der Invaſion der Koſaken verloren hatte, jo daß nun— 
mehr die Fürjtin bei ihrem Bruder Johann das Gnadenbrot 
aß. Sie war eine impofante, majejtätijche Erjcheinung, aus— 
ejtattet mit den jchönjten weiblichen Tugenden, und ihr Bruder 
— war der eifrigſte ihrer Verehrer, denn er fürchtete ihr 
geiſtiges Uebergewicht wie das Feuer. Er that ihr allen Willen 
und holte in jeder Angelegenheit von Wichtigkeit ihren Rat ein. 
Man ſagte, die Fürſtin wäre eigentlich der Herr von Samoſchtſch, 
die Gebieterin über alle Schätze, Wälle und Kanonen der Stadt, 
ja ihres Eigentümers ſelbſt. Doch machte ſie nie Gebrauch von 
ihrer Macht; ſie lebte ſtill dem Andenken ihres Mannes und 
der Erziehung ihres Sohnes. 

Dieſer Sohn war vor kurzem vom Wiener Hofe auf kurze 
Zeit in die Heimat zurückgekehrt und weilte gegenwärtig bei 


171 


der Mutter. Er war noc) jehr jung, aber Kmiziz juchte ver- 
gebens bei ihm nach Eigenjchaften, welche den Sohn eines jo 
großen Mannes hätten auszeichnen jollen. 

Die Gejtalt des jungen Fürjten war jchön, das Geficht 
ungewöhnlich groß, aber die Züge desjelben verſchwommen, die 
Augen hervortretend, der Blick jchen. Sein Mund war groß, 
die Lippen ſtark entwidelt und immer feucht, wie bei Menjchen, 
die die Freuden der Tafel lieben. Dichtes, rabenjchwarzes Haar 
fiel ihm bis auf die Schultern herab. Diejes Haar und die hell- 
bräunliche Hautfarbe waren fein Erbteil vom Water. . 

Diejenigen, welche ihn näher fannten, verficherten Herrn 
Kmiziz, daß dem jungen Fürſten eine edle Seele innewohne, 
daß er ein jehr entwiceltes Begriffsvermögen, ein außerordent- 
liches Gedächtnis bejite, vermöge deſſen er fait alle fremden 
Sprachen jprechen gelernt, und daß nur jeine große körperliche 
und geijtige Trägheit, jowie jeine große, an Gefräßigfeit 
grenzende Eßluſt, diefem jonjt ungewöhnlichen Prinzen als 
Fehler angerechnet werden fönnten. 

Während einer längeren Unterhaltung mit dem Prinzen 
überzeugte ſich Kmiziz auch, daß derjelbe viel Verſtand, ein 
treffendes Urteil und außerdem die Gabe bejah, die Menjchen 
für fich einzunehmen. Er gewann ihn bald Lieb, d. h. er 
fühlte ein gewiſſes Mitleid mit ihm, ein Verlangen, diejer vater- 
loſen Waije zu dem glänzenden Loſe zu verhelfen, auf welches 
er durch jeine hohe Geburt ein Necht hatte. 

Doch ſchon bei dem nächjten Mittagejien fonnte Kmiziz 
jich überzeugen, wie Recht diejenigen hatten, die des Prinzen 
Gefräßigfeit tadelten! Der Prinz jchien für nichts anderes 
Sinn zu haben, als für das Eſſen. Seine hervorjtehenden 
Augen folgten unaufhörlich den verjchiedenen Schüjjeln, ſie 
ſchienen die Speifen zu verfchlingen, und wenn er jich vorlegte, 
that er e& in ungeheuren Mengen, welche er Hajtig und mit 
häßlichem Schnalzen der Lippen verjchlang. Das blafje Geficht 
der Fürſtin erbleichte bei diefem Anblid noch mehr und NR 
den Ausdrud tiefer Betrübnis an. Dem Herrn Andreas aber 
wurde jo übel zu Mute, daß er den Prinzen nicht mehr anjah 
und jeinen Blick dem Selbitherrn Samojzfi zuwandte. 

Der Herr Starojt jah aber weder den Prinzen Michael, 
noch jeinen Gajt, er jchien nur von einem Gegenjtande gefejjelt 
zu fein, und als Kmiziz dem Blide des Gajtgebers folgte, er- 
blidte er Hinter der Schulter der Fürjtin Grijeldis etwas ganz 
Wunderbares, dem er bisher feine Beachtung gejchenft hatte. 


172 


Es war dies ein Fleiner Mädchenfopf, mit Haaren weiß 
wie Milch, mit Wangen wie die Rofen, das Ganze lieblich, 
wie ein jchönes Bild. Ganz fleine, natürliche Löckchen ringelten 
fich über ihrer Stirn, die bligenden Augen flogen von einem 
Offizier zum anderen, die neben dem Staroiten jahen, vermieden 
auch ihn jelbit nicht und blieben zulegt an ihm, Kmiziz, jo feit 
und voll verliebter Schelmerei haften, als wollten jie ihm bis 
in das Herz dringen. 

Doc Kmiziz war nicht jo leicht in Berlegenheit zu jeßen; 
er erwiderte den Blick dreilt, während er dem neben ihm 
figenden Herrn Schursfi einen leichten Rippenſtoß gab und 
halblaut frug: 

„Wer it die feurige Eljter dort ? 

„Mein Herr!“ antwortete Herr Schursfi laut. „Sprecht 
nicht jo leichtfertig; ihr wißt nicht, wen ihr vor euch habt. . 
Das iſt feine feurige Elfter, jondern Fräulein Anufia Boricho- 
bohata Kraſienska . . . Sch verbiete euch, fie anders zu nennen, 
wenn ihr eure Grobheit micht bereuen follt!“ 

„Ihr wit wahrjcheinlich nicht, daß eine Eliter ein jehr 
artiger Bogel tit, darum auch jein Name für ein Frauenzimmer 
feine Beleidigung jein fann,“ entgegnete Kmiziz lachend. „Aber 
nach eurer Heftigfeit zu urteilen, müßt ihr jchredfich in fie 
verliebt ſein!“ 

„Wer wäre hier nicht verliebt in jie!* brummte Schursfi 
umvirich. „Guckt ſich doch jelbjt der Herr Staroit die Augen 
nach ihr aus. Seht ihr nicht? Er fit wie auf Nadeln.“ 

„Freilich jehe ich es!“ 


„Nichts jeht ihr! . . . Er, ich, Grabowski, Stolongiewitjch, 
Konvjadzfi, Nubezfi von den Dragonern, Bietichynfa, alle hat 
fie in ihrem Netze . . . Auch eud) wird das Gleiche geichehen, 


falls ihr hier bleibt, jei es auch nur vierundzwanzig Stunden.“ 

„Ei, ihr täuscht euch! Bei mir würde fie in vierundzwanzig 
Jahren nichts ausrichten.“ 

„Wie das?“ frug Herr Schursfi beleidigt. „Habt ihr denn 
ein Herz von Schieferitein ?“ 

„Das nicht! Doch wenn man jemandem alle Tajchen 
ausgeräumt hat, dann finden die Tajchendiebe nichts mehr 
bei ihm . . 

„Ach, io it es gemeint!“ erwiderte Schurski. 

Kmiziz war plötzlich nachdenklich geworden. Der eigene 
Kummer ließ ihn alles rings umher vergejien; er bemerfte auch 
nicht, daß jene jchwarzen Meuglein immer hartnädiger ihren 


173 


Blick auf ihn befteten, als wollten jie ergründen: „wer bijt du? 
wie heißejt du? und woher kommſt du? junger Ritter.“ 

Und Schursfi murmelte: 

„Sie bohrt! Sie bohrt! So hat fie e8 auch mit mir 
gemacht, bi8 mein Herz durchbohrt war! .... Nun fümmert 
jie das nicht mehr!“ 

Kmiziz jchüttelte gewaltjam die Gedanken ab, die ſich ihm 
aufdrängten. 

„Warum heiratet einer oder der andere von euch jie nicht?“ 

„Beil einer dem anderen im Wege ijt.“ 

„Bad! auf dieje Weije kann das Mädchen ledig bleiben ... 
Zwar hat es den Anjchein, daß dieje Birne noch weiße Kerne hat.“ 

Schursfi riß die Augen weit auf. Er neigte jich dicht an 
das Ohr Kmiziz' und flüjterte geheimnisvoll da hinein: 

„Man jagt, fie zählt fünfundzwanzig Jahre. Sie war 
ihon vor dem Feldzug gegen Chmielnizfi bei der Fürjtin.“ 

„Wunderbar!“ verjegte Kmiziz. „Sch hätte jie für eine 
Sechzehnjährige gehalten, höchitens!“ 

Unterdejjen hatte „die Elſter“ jedenfall® erraten, dab die 
Rede drüben von ihr war; fie hatte die Lider gejenft und 
jchielte nur von Zeit zu Zeit unter ihnen hervor nach dem 
Ritter, vielleicht um zu erforjchen, wer er jei, woher er fomme. 

Faſt wider Willen drehte Kmiziz verlegen an jeinem Barte. 

Nach beendeter Tafel nahm der Starojt jeinen Gajt unter 
den Arm. Er behandelte ihn mit Rückſicht auf jeine höfifchen 
Manieren mit bejonderer Auszeichnung. 

„Herr Babinitjch!” redete er ihn an. „Sagtet ihr nicht, 
daß ihr aus Litauen fämet ?“ 

„So iſt es, Herr Starojt.“ 

„Kanntet oder fennt ihr in Litauen vielleicht eine Familie 
Bodbipienta ?“ 

„Nein, ich fenne niemanden dieſes Gejchlechtes; fie leben 
alle nicht mehr, wenigitens von derjenigen Linie nicht, welche 
den Hutjchläger im Wappen führen. Der lebte von ihnen ilt 
bei Sharajch gefallen; er war der tapferjte Nitter Litauens. 
Wer wüßte das bei uns daheim nicht?“ 

„uch ich Habe von ihm gehört. Aber — warum ich) 
nach ihm frage? Seht! es befindet jich unter dem Frauen— 
zimmer meiner Schweiter eine Nejpeftsdame, welche Borjchobohata 
Kraſienska heißt. . . . Sie jtammt aus edlem Gejchlecht. . . . 
Das war die Verlobte jenes Bodbipienta, der bei Sharajch ge- 
fallen it. Das Mädchen ijt vater und mutterloje Waiſe, aber 


174 


obgleich die Fürſtin Grijeldis fie jehr liebt, jo bevormunde ich 
als natürlicher Bormund meiner Schweiter auch) jie ein wenig.“ 

„Eine angenehme Bormundjchaft,“ bemerkte Kmiziz. 

Der Herr Starojt lächelte, blinzelte mit den Augen und 
ſchnalzte mit der Zunge. 

„Wie? Ein ſüßes Marzipänchen ?“ 

Doc) jchnell brach er ab, da er fürchtete, jich zu verraten; 
er jteckte eine ernite Miene auf. 

„Verräter, “ sagte er Halb jcherzend, Halb ernit. „Shr 
wolltet mir eine Falle jtellen; faſt hätte ich mich verplaudert.“ 

„Womit?“ frug Kmiziz, ihn feſt anblidend. 

Der Staroit merkte, daß er es in der Gewandtheit der 
Rede mit dem Gajte nicht aufnehmen konnte. Cr fam jogleic) 
zur Sache. 

„Diefer Podbipienta,“ jagte er, „hat ihr verjchiedene Vor— 
werfe in Litauen verjchrieben; — die Namen find fo jeltjam, 
ich fann fie nicht recht behalten: Baltylup, Syrutich, Myſchy— 
fiichti — kurz, alles war er befaß — fünf oder jech® Vorwerke.“ 

„Aber das find ja gar feine Vorwerke,“ wandte Kmiziz 
ein. „Das jind lauter große NWittergüter! Wodbipienta war 
jehr reich, und wenn das Fräulein einmal jeine jämtlichen 
Herrichaften in Belig nimmt, jo iſt jie in der Yage, jich ein 
eigenes Frauenzimmer zu halten und unter den Senatoren des 
Reiches ihren Gatten zu wählen.“ 

„Meint ihr? Kennt ihr die Güter?“ 

„sch kenne nur Lubowite und Scheputy, da dieje an meine 
Beligungen grenzen. Die Wälder und ‘Felder, die Dazu ges 
hören, haben einen Umfang von etwa vier Quadratmeilen.” 

„Wo liegen ſie?“ 

„Sn der Wojewodſchaft Witebsk.“ 

„Oho! das iſt ſehr weit. Die Sache lohnt nicht die Reiſe 
in einen Landesteil, welcher von den Feinden okkupiert iſt.“ 

„Wenn wir die Feinde hinausgetrieben haben werden, 
werden wir auch zu den Gütern gelangen. Doch die Podbipientas 
haben auch noch Güter in Smudz und anderen Gegenden von 
ſehr bedeutendem Flächeninhalt; ich weiß das, denn auch ich 
beſitze in Smudz ein Stück Erde.“ 

„Ich merke ſchon, daß auch eure Subſtanz mehr ausmacht, 
als einen Beutel voll Siede,“ ſagte der Staroſt. 

„Die Güter bringen jetzt nichts ein,“ verſetzte Kmiziz. 
„Dennoch brauche ich fremde Unterſtützung nicht.” 


175 


„Ratet mir doch, Ew. Liebden, wie ich dem Mädchen zu 
ihrem Bejit verhelfen kann.“ 

Kmiziz lachte. 

„Wenn jeder Rat jo leicht wäre ‚wie Ddiejer! Am beiten 
wäre es, dieje Angelegenheit den Händen des Herrin Sapieha 
anzuvertrauen. Wenn er fich die Sache angelegen jein läßt, 
jo kann er viel dazu thun, denn als Wojewode von Witebsk 
übt er eine große Macht in Litauen aus.“ 

„Er fönnte die Tribunale in Kenntnis jeßen, daß das 
Vermögen Bodbipientas tejtamentarifch der Borjchobohata ver- 
jchrieben ift, damit andere entfernte Verwandte nicht Bejit von 
den Gütern ergreifen.“ 

„Das fünnte er; aber die Tribunale tagen jegt nicht und 
der Herr Sapieha hat jetzt auch wichtigere Dinge zu thun.“ 

„Man könnte das Mädchen aud) unter feinen perjünlichen 
Schuß jtellen, fie zu ihm ſchicken,“ jchlug der Starojt vor. 
„Denn er fie unter den Augen hätte, würde er eher daran 
denfen, etwas für fie zu thun.“ 

Herr Kmiziz ſtutzte und jah den Starojten forjchend an. 

„Was fällt ihm ein?“ dachte er. „Was kann ihm daran 
liegen, ſie los zu werden.“ 

Der Staroft fuhr fort: 

„Es würde jich freilich jchlecht machen, daß jie im Lager 
bei dem Wojewoden verbliebe, aber man fönnte fie zu den 
Töchtern desjelben bringen.“ 

Kmiziz begriff noch immer nicht. 

„Sollte Herr Samojsft wirklich nur ihr Vormund jein 
wollen?“ dachte er wieder. 

„Nur eine Schwierigkeit jtünde dem im Wege,“ ſprach 
Sampjsfi weiter. „Wie könnte man das Mädchen in diejen 
unruhigen Leiten zu ihm bringen? Es gehörten zu ihrem 
Schuge mindeitens einige hundert Mann und ich kann 
Samojchtich jett nicht jeiner Verteidiger entblößen. Wenn jich 
jemand fände, unter deſſen Schuße fie reifen könnte... Wie 
wäre es, wenn ihr fie mitnehmt, da ihr doch zu Herrn Sapieha 
reiſt? . . Ich würde euch Briefe an den Wojewoden mitgeben; 
ihr aber müßtet bei eurer Kavaliersehre veriprechen, fie jicher 
und wohlbehalten hinzubringen.“ 

„Sch Toll das Fräulein zu Herrn Sapieha bringen?“ frug 
Kmiziz jehr verwundert. 

„Wäre das eine jo unangenehme Miſſion? ... Gejegt 
den Fall, ihr entbrenntet in Liebe zu dem Mädchen . . .“ 


176 


„ho!“ warf Kmiziz jchnell ein... Meine Liebe hat eine 
ganz andere im Beſitz und wenn jie mir auch nicht mit Gegen 
liebe lohnt, jo beabjichtige ich doch nicht, die Beligerin zu 
wechjeln.“ 

„Um jo bejier! Sch kann fie euch alfo in Ruhe an- 
vertrauen.‘ 

Es entitand eine Weile tiefiten Schweigens zwijchen beiden. 

„Die aljo? Wollt ihr fie mitnehmen?“ frug dann der 
Staroit. 

„Sch führe doch einen Tſchambul Tartaren,“ antwortete 
Kmiziz. 

„Meine Leute haben mir gejagt, daß die Tartaren eud) 
fürchten wie das Feuer. Nun? Wollt ihr?“ 

„Om! Warum nicht, wenn ich euch einen Gefallen damit 
thun fann. Nur...“ 

„ha, ich errate. Ihr meint, die Fürſtin müſſe ihre Ein- 
willigung erjt dazu geben ... Sie wird ſie geben, jo wahr ich 
Gott liebe! Denn denkt euch, jie hat mich im Verdacht, dat 
ic) dem Mädchen nachitelle.“ 

Hier flüjterte der Starojt jeinem Gaſte lange etwas in 
das Ohr, endlich jagte er laut: 

„Sie war jehr böje deshalb auf mic) und ich z0g Die 
Ohren ein, denn wißt ihr! ... Kämpft erjt einmal mit den 
Weibern ... Ah! man richtet nichts aus. Lieber ſehe ich die 
Schweden vor den Mauern Samoſchtſchs. Ich kann ihr aljo 
jegt den beiten Beweis liefern, daß ich nichts Schlimmes im 
Schilde führe, wenn ich jelbjt darauf dringe, daß das Mädchen 
von hier fort geht... Na! bei der eriten beiten Gelegenheit 
will ich mit ihr darüber ſprechen.“ 

Nachdem er das gejagt, drehte der Starojt ſich auf dem 
Abſatz herum umd ging davon. Kmiziz jah ihm lange nad) und 
murmelte: 

„Ihr stellt mir eine Schlinge, Herr Starojt, und wenn ich 
auch noch nicht begreifen fann, was für eine, jo durchjchaue 
ich euch doch; ihr jeid ein jehr ungejchickter Vogelſteller.“ 

Der Herr Starojt aber war jehr zufrieden mit jich jelber, 
wenn er auch begriff, daß erſt die Hälfte jeiner Arbeit gethan 
war, während die andere, bei weitem jchwerere Hälfte, noch zu 
erledigen war. Ihm graute bei dem Gedanken daran; Zweifel 
und Angſt, ob es ihm gelingen werde, was er vorhatte, befiel 
ihn. Es galt die Einwilligung der Fürſtin Griſeldis zur Ab» 
reife Anuſias zu erlangen und der Starojt fürchtete ihre 


177 


Strenge und ihren Scharjblid mehr, wie eine Belagerung 
jeiner zeitung. 

Da er einmal die Sache eingefädelt hatte, wollte er fie 
auch jo schnell als möglich zu Ende führen. Am nächiten 
Morgen alſo, nach der Meſſe, nachdem er gefrühitücdt und 
jeine Kompagnie deutjcher Eöldlinge bejichtigt hatte, begab er 
ji in die Gemächer der Fürſtin. 

Der Staroft fand die Fürſtin allein, fleißig an einem 
Ornate für das Kollegium ſtickend. Hinter ihr widelte Anufia 
einen über zwei Stuhllehnen geipannten Seidenjträhn ab; einen 
zweiten rojenfarbenen hatte jie um den Hals gelegt. Sie ging, 
die Heinen Hände jchnell bewegend, dem Faden folgend immer 
um die Stühle herum. 

Bei diefem Anblick leuchteten die Augen des Staroften auf, 
doch bemühte er fich jogleich unter einer erniten Miene die 
verräterijchen Blige zu verbergen. Nachdem er die Fürſtin 
begrüßt, bemerfte er wie beiläufig: 

„Diejer Herr Babinitjch, welcher mit den Tartaren hier 
durchreiit, it ein Litauer. Er muß ſehr viel Geld haben, it 
ein artiger, hübjcher Menjch, dazu foll er ein tapferer Soldat 
jein. Habt ihr ihn bemerkt, Frau Schweiter?“ 

„Du Haft ihn ja jelbjt zu mir gebracht,“ antwortete die 
Fürſtin gleichgültig. 

„Er Hat ein ehrliches Gejicht und jcheint ein guter Soldat 
zu ſein.“ 

„Ich Habe ihn über die geerbten Güter des Fräulein 
Borjchobohata ausgefragt. Er meint, diejelben feien jehr große 
Rittergüter.* 

„Bott wende fie der Anuſia zu. Sie würde weniger 
fühlen, daß fie eine Waije iſt und fünnte dem Alter ruhig ent- 
gegenſehen,“ jagte die Fürſtin. 

„Es liegt aber die Gefahr vor, daß entfernte Verwandte 
Ansprüche darauf erheben und Die Beligungen zerjtüdeln. 
Babinitjch jagt, der Fürſt-Wojewode von Witebst fünnte, wenn 
er wollte jich die Sache angelegen fein laſſen, viel für Anufia 
thun. Er iſt ein edler Mann, unferer Familie zugethan; ich 
würde ihm ohne Bedenken eine eigene Tochter anvertrauen ... 
E3 würde genügen, wenn er bei den Tribunalen jeine Vor— 
mundſchaft über Anufia anmeldete. Aber Babinitich jagt, dazu 
bedürfte e8 der Anwejenheit des Fräuleins, fie müßte jelbjt 
zum Fürſten reifen.“ 

„Wohin? Zu Herrn Sapieha?* frug die Fürſtin intereffiert. 

Sienfiewicz, Sturmflut IL 12 


178 


„Oder zu deſſen PBrinzejjinnen Töchtern,“ antwortete der 
Starojt. „Es iſt nur darum, daß jie pro forma dort ift, wenn 
die Inſtallation erfolgt.“ 

Der Starojt jimulierte in diefem Augenblid, weil er 
darauf rechnete, die Fürſtin werde die Initallation für bare 
Münze halten. 

Sie dachte ein Weilchen nad, dann jagte die edle Frau: 

„Wie jollte jie jegt reifen, da die Schweden alle Wege 
bejegt halten?“ 

„Ich Habe ſichere Nachrichten, daß der Feind Lublin ver- 
lajien hat. Das ganze Land diesjeits der Weichjel ijt frei.“ 

„sa, aber wer jollte denn Anka begleiten?“ warf Die 
Fürſtin ein. 

„Babinitich hat ſich erboten, jie mitzunehmen, da er zu 
Sapieha zieht.“ 

„Dit den Tartaren joll ich das Mädchen ziehen lafien? 
Du bit von Sinnen, Herr Bruder! Mit dieſen wilden, un- 
geichlachten Menjchen ?“ 

Die Fürjtin jagte das jehr indigniert. 

„sch fürchte dieſe Menjchen gar nicht!” warf Fräulein 
Kraſienska achjelzudend ein. 

Die Fürſtin aber hatte bereits erraten, dal der Staroit 
einen beitimmten Plan verfolgte. Sie jchidte das Fräulein 
hinaus, während jie ihren Bruder forjchend anblidte. 

Er aber jprad) leife, wie im Selbſtgeſpräch, vor jich hin: 

„Die Tartaren friechen in den Staub vor Babinitjch; er 
läßt jede geringjte Widerjeglichfeit mit dem Tode durch den 
Strick beitrafen.“ 

„sch fann diefer Expedition nicht zujtimmen,“ entgegnete 
die Fürſtin. „Das Mädchen iſt zwar aus edlem Gejchlecht, 
aber jie liebt e8, den Männern die Köpfe zu verdrehen und ihre 
Sinne zu entflammen ... Du weißt das am beiten... 
Niemals werde ich Anufia einem unbefannten jungen Manne 
anvertrauen.‘ 

„Unbekannt ijt er nicht; denn wer fennt die Babinitjch 
nicht als ein altes erprobtes Gejchlecht! (Der Staroit hatte 
den Namen Babinitjch geitern nämlich zum eriten Mal gehört.) 
Uebrigens, fuhr er fort, könnteſt du ihr irgend eine ältere 
rau als Anjtandsdame mitgeben, das decorum wäre Damit 
gewahrt. Für die Ehrenhaftigfeit des Herrn Babinitjch garantiere 
ich; du kannſt bezüglich feiner beruhigt jein, denn er jelbit hat 
mir erzählt, dab er in Litauen eine Verlobte hat, in die er 


179 


jchredlich verliebt it... Wer aber gründlich in eine verliebt 
it, dem fann eine andere nichts anhaben.... Doc) die Hauptjache 
it, daß eine zweite günjtige Gelegenheit fich jchwerlich finden 
dürfte. Unterdeſſen fünnen ihr die Güter verfallen oder von 
anderen genommen werden umd dann bleibt das Mädchen im 
Alter vermögens- und obdachlos.“ 

Die Fürjtin legte ihre Stickerei fort und indem fie lang- 
jam das Haupt emporrichtete, heftete jie ihre dDurchdringenden 
Augen feit auf des Bruders Gejicht. 

„Was haft du, dal du das Mädchen durchaus fort haben 
willſt?“ frug jie langjam Wort für Wort betonend. 

„Was ich Habe? Was ich dabei haben jollte? Nichts!“ 
antivortete der Staroit, während er die Augen niederjchlug. 

„Seitehe Johann! Du Haft mit dem Babinitjch einen 
Anjchlag auf die Tugend Anuſias vor!“ 

„Da haben wirs! Wahrhaftig! Das hat nur gefehlt!“ 
rief der Starojt anjcheinend entrüfte. „Du jolljt den Brief 
leſen, welchen ich an Herrn Sapieha jchreiben will, du jollit 
jelbjt einen Hinzufügen . . . Sch verjpreche dir, daß ich 
Samojchtjch nicht verlaſſe . . . Zudem faunjt du Babinitjch 
jelbjt ausforjchen und ihn darum bitten, das Schußgeleit zu 
übernehmen. Da du mich wieder verdächtigit, jo will ich nichts 
weiter mit dieſer Angelegenheit zu thun haben.“ 

„Sa, aber warum dringjt du dann jo darauf, daß jie 
fort ſoll?“ 

„Weil ich ihr Beites will und es jich um ein enormes 
Vermögen für fie handelt. Endlich . .. . geitehe ich, da mir 
auch darum jehr viel daran Liegt, fie von hier fortzubefommen, 
weil ich es überdrüfjig bin, mich ihretwegen unaufhörlich von 
dir hofmeiſtern zu laſſen . . . Sch denfe durch ihre Ent- 
fernung deine häßlichen Verdächtigungen am bejten zu wider- 
legen... Wahrhaftig, es iſt jo! Sch bin doch fein dummer 
Schulbube, der nachts bei den Mädchen fenjterln geht... Noch 
mehr! Meine Offiziere find ihretiwegen untereinander jchon ganz 
verhett und fauchen einander an, wie die Kater. Weder Ordnung 
noch Disziplin fann ich mehr aufrecht halten. Genug, ich bin 
es überdrüjjig! Und da du noch nicht aufhörjt, mich mit den 
Augen zu durchbohren, jo jage ich dir, — hüte dir deinen Sohn 
jelbjt, Meichael gehört dir — num thue wie dur willjt!“ 

„Michael ?* jagte die Fürjtin gedehnt. 

„sc kann jeinetwegen dem Mädchen nichts vorwerfen; fie 
fofettiert mit ihm nicht mehr, wie mit allen anderen, aber wenn 

12* 


180 


du, Schweiter, deines Sohnes verliebte Blicke und heiße Ge— 
fühle für Anufia noch nicht bemerkt hajt, dann iſt es wahr, 
dag Kupido nicht jo blind ijt, ala Mutterliebe.“ 

Die Fürjtin runzelte die Brauen; ihre Wangen wurden 
um einen Ton bläfjer. 

Der Starojt, welcher jogleich bemerkte, wie getroffen bie 
Fürſtin jich fühlte, Elatjchte jich mit den Händen die Kiniee und 
jprach weiter: 

„Sieh' fo, ſieh' jo, liebe Schweiter! .. Was geht das 
mih an!... Mag Michael meinetwegen ihr die Seide beim 
Wideln halten, mag er lachen, wenn er jie jieht, mag er ver- 
legen erröten, oder mag er durch das Schlüfjelloch fie betrachten ... 
Was kümmert mid das!... Endlich ... jo unrecht wäre das 
nicht... Die Herrichaft in Litauen joll fürftlich jein, fie ſelbſt 
von altem Adel... ich jtelle mich nicht jo hoch über andere... 
Wenn es dir recht ift, — gut! Sch finde nur, im Alter pajjen 
fie nicht zujammen, doch das geht mic, wieder nichts an.“ 

Während der letten Worte hatte der Starojt fich erhoben 
und ſchickte ſich an, hinauszugehen. 

Der Fürſtin war das Blut nach dem Kopfe geſtiegen. 
Der ſtolzen Frau war kein Adelsfräulein in der Republik gut 
enug für einen Wisniowiezki; ſie wählte bereits unter den 
ne Oeſterreichs für ihren Sohn. Die Worte des 
Bruders trafen fie wie Dolchitiche. 

„Warte noch, Johann, warte noch!“ jtammelte jie. 

„sch wollte nur, pro primo! Dir beweijen, daß du mid) 
fäljchlich verdächtigit, pro secundo! daß du ganz jemand 
anderen zu hüten Urjache haſt als mich. Nun thue, was dir 
beliebt; ich habe nichts mehr zu jagen.“ 

Bei diefen Worten verbeugte jich der Starojt tief vor der 
Fürſtin und verließ das Gemach. 








16. Rapitet, 





Sp ganz unrecht hatte der Herr Starojt nicht bezüglich 
der Affekte jeines Neffen; der junge Fürſt war gerade jo 
verliebt in Anufia Borjchobohata, wie alle die anderen auch, 
die Pagen der Fürjtin nicht ausgejchlojien. Aber dieje Liebe 
war durchaus feine gewaltige und unternehmende, vielmehr ein 
jüher, Kopf und Sinne beraujchender Trieb des Herzens, ohne 
den Wunjch, den geliebten Gegenjtand für immer zu bejigen. 
Einer jolchen jtarfen, alles bejtegenden Liebe war Fürſt Michael 
nicht fähig; dazu war er zu emergielos. 

Doc) darum war die Fürſtin Grijeldis nicht weniger be= 
jorgt wegen des joeben Gehörten; da jie für ihren Sohn eine 
glänzende Zukunft träumte, erjchredte ſie die drohende Gefahr. 

Anfangs hatte jie der Wunsch des Starojten, Anufia fort- 
zujchiden, jehr in Erjtaunen verjeßt, da er ihr jo überrafchend fam. 
Dann erfüllte namenloje Angjt ihre Seele. Sie hatte eine 
Unterredung mit dem Sohne gehabt, welcher bei der erjten 
Anjpielung der Fürſtin auf ein mögliches Berhältnis zwijchen 
ihm und Fräulein Borjchobohata erbleichte, am ganzen Körper 
zitterte und zulegt, noch ehe er ein Belenntnis abgelegt, in 
Thränen ausgebrochen war. Diejes Gebahren hatte ihre Angjt 
vor der drohenden Gefahr noch veritärft. 

Trotzdem fonnte fie jich nicht entjchliegen, das verwaiſte 
Mädchen aus ihrer Nähe zu entfernen. Erſt als Anuſia jelbit 
fußfällig bat, jie mit Herrn Kmiziz reifen zu lafjen, konnte die 
gütige VBormünderin dem allgemeinen Drängen nicht länger 
widerjtehen. Was das Fräulein zu der Neife bewog, konnte fie 
nicht ergründen. Bielleicht war es der Wunsch, neue Gegenden, 


182 


neue Menjchen kennen zu lernen, vielleicht auch machte ihrem 
Flatterſinn die Aussicht, den jungen Nitter in jich verliebt zu 
jehen, an ihm eine neue Eroberung zu machen, Vergnügen. 

Zwar zerfloß Anuſia in Thränen bei dem bloßen Ge- 
danfen an eine Trennung von ihrer gütigen Wohlthäterin, das 
fluge Mädchen aber war jich völlig Far darüber, daß, indem 
ſie jelbit um Trennung bat, jie mit diefer Bitte von vorn— 
herein dem Berdachte, zu dem jungen Fürſten in etiwelche 
intimere Beziehungen getreten zu jein, jeden Grund entzog; fie 
brach dadurch auch jenem Gerede, welches ein Ginveritändnis 
zwijchen ihr und dem Starojten zum Gegenſtand machte, die 
Spitze ab. 

Um fich zu überzeugen, ob nicht dennoch ein Stomplott 
zwiſchen dem Starojten und Kmiziz im Gange war, hatte Die 
Fürſtin den Ritter zu ſich rufen laſſen. Das Verſprechen ihres 
Bruders, Samoſchtſch nicht zu verlaſſen, hatte ſie zwar etwas 
beruhigt, aber ſie wollte den Mann, deſſem Schutze ſie das 
Fräulein anvertrauen ſollte, doch näher kennen lernen. 

Die Unterredung mit ihm hatte ſie völlig zufrieden geſtellt. 
Aus den grauen Augen des Edelmannes leuchtete ihr ſo viel 
Offenheit und Ehrlichkeit entgegen, daß ſie unmöglich an ſeinem 
Charakter zweifeln konnte. Er erklärte der Fürſtin rund 
heraus, daß er eine andere liebe und ihm gar nicht einfallen 
könne, einer anderen als ſeiner Angebeteten den Hof zu machen. 
Außerdem verpfändete er ſein Ehrenwort, daß er ſeine Schutz— 
befohlene mit Einſetzung des eigenen Lebens vor jeder Gefahr 
bewahren wolle. 

„Ich werde das Fräulein ſicher zu Herrn Sapieha bringen,“ 
verſicherte er der Fürſtin, „beſonders, da der Herr Staroſt Mil 
daß die Gegend bis Hinter Zublin frei vom Feinde ilt.... Dann 
aber fanı ich mich nicht mehr um ſie befümmern, . . . nicht 
etwa, daß ich Ew. Fürſtlichen Durchlaucht ergebenjter Diener 
nicht mehr jein wollte —, für die Witwe des größten Feldherrn 
umjerer Nation wäre ich gern mit Gut und Blut jederzeit 
zu dienen bereit, ...... jondern weil ich eine jehr jchwere An- 
—— zu erledigen habe, bei welcher ich jehr leicht mein 

eben verlieren kann.“ 

„Es ift auch nichts weiter nötig,” antwortete die Fürſtin, 
„als das ihr das Fräulein glüdlich biS zum Herrn Sapieha 
bringt —, nur, dah ihr ſie ihm perjönlich übergebt. Der Herr 
Wojewode wird mir dann ihon den Gefallen thun, für ihr 
Wohlergehen zu jorgen.” 


183 


Die Fürjtin reichte Kmiziz bei diefen Worten die Hand, 
welche er jehr ehrerbietig füßtee Darauf jagte fie noch zum 
Abjchied: 

„Bewahrt das Mädchen gut, Herr Kavalier, jeid wachjam! 
Gebt euch feinem Sicherheitsgerühl Hin, das Land fünnte dennoch 
von Feinden nicht ganz frei jein.“ 

Dieje Worte machten Kmiziz jtugen. Man ließ ihm aber nicht 
Zeit, darüber nachzudenken, denn faum hatte er die Gemächer 
der Fürjtin verlaflen, jo griff ihn auch jchon der Starojt auf. 

„un, Herr Rittersmann,“ jprach er fröhlich, „ihr werdet 
aljo die jchönjte Zier der Stadt aus Samojchtich entführen ?“ 
Das wohl, jedoch mit eurer Bewilligung,“ verſetzte 
Kmiziz. 

„Behütet das Mädchen nur gut, ſie iſt ein rarer Artikel. 
Daß ſie euch nicht etwa geraubt wird.“ 

„Das ſollte nur wer verſuchen! Wehe ihm! Ich gab der 
durchlauchtigen Fürſtin mein Ehrenwort, das Fräulein ſicher 
abzuliefern und mein Ehrenwort iſt mir heilig!“ 

„Nun, ich ſcherzte ja nur,“ ſagte Herr Samojski lachend. 
„Ihr braucht euch nicht zu ängjtigen, auch nicht zu vorjichtig 
zu jein, was jollte ihr auch begegnen.“ 

„So habe ich nur die eine Bitte. Gebt mir einen feiten, 
gut mit Blech bejchlagenen Wagen für ſie.“ 

„Ihr jollt deren zweie haben! ... Aber ihr reift doch 
nicht gleich ab?“ 

„Ei freilih! Ich Habe es eilig umd fige jchon viel zu 
lange hier?“ 

„Dann jendet eure Tartaren nach Krasnoſtaw voraus. 
Sch werde jofort einen Eilboten dorthin jenden, auf daß man 
ihnen Fourage „bereit halten joll; euch will ich morgen ein 
Geleit mitgeben . . . Ihr dürft nichts für eure Sicherheit 
befürchten, denn hier ringsherum gehört das Land mir . 
Ihr nehmet zwei tüchtige Yanzfnechte von den deutjchen Dra— 
gonern mit, zuverläflige Leute, die die Wege fennen. Zudem 
rührt die Landſtraße von hier nach Krasnoſtaw gradeaus, wie 
aus der Piſtole geſchoſſen.“ 

„Und warum joll ich allein zurücbleiben?“ 

„Damit wir ung noch zujammen amüjieren; ihr jeid mir 
ein lieber Gait, ich behielte eucd) am liebiten ganz hier. Auch 
erwarte ich jeden Augenblid die Ankunft meiner Pferdekoppel 
aus Peresz, vielleicht gefällt euch irgend ein Rößlein, das euch 
fünftig gute Dienjte leiſten foll.“ 


184 


Kmiziz ſah den Staroſten feit in die Augen. Dann, als 
folge er einem plößlichen Entjchluffe, jagte er: 

„But! ich danke! Sch werde bleiben und die Tartaren 
vorausſchicken.“ 

Er ging ſogleich, Befehle auszugeben. Während die Vor— 
bereitungen zum Abmarſch getroffen wurden, nahm Kmiziz den 
Akbah-Ulan auf die Seite und ſprach zu ihm. 


„Akbah-Ulan, merke, was ich dir ſage: „Du ſollſt mit den 
Tartaren nach Krasnoſtaw vorausgehen. Der Weg führt 
geradeaus dorthin, wie aus der Piſtole geſchoſſen. Ich bleibe 
hier, komme aber morgen mit einer Eskorte des Staroſten nach. 
Jetzt merke aber gut, was ich jage! Du wirſt die Tartaren 
nicht nach Krasnoſtaw führen, jondern im nächjten Walde un— 
weit von Samoſchtſch Verftede für euch juchen, jo gut und 
vorjichtig, daß fein Menjch euer Hierjein ahnt. Wenn ihr auf 
der Landſtraße einen Schuß fallen hört, jo eilt ihr mir augen- 
blilich zu Hilfe Man will mir hier eine Falle jtellen. Haſt 
du verjtanden ?* 

„Dein Wille gejchehe, Herr!" antwortete Afbahelllan, indem 
er die Hand auf Stimm, Lippen und Brujt legte. 

Kmiziz aber dachte im Stillen: 

„sch durchichaue euch, Herr Starojte! In Samofchtich 
fürchtet ihr den Scharfblid eurer Schweiter, darum wollt ihr 
das Mädchen rauben und irgendwo in der Gegend unterbringen. 
Mich wollt ihr zum Werkzeug eurer böjen Gelüfte machen, im 
Notfall mich ganz aus dem Wege jchaffen. Aber wartet! Ihr 
habt euren Mann gefunden und jollt in eure eigene Falle 
gehen !“ 

Abends Elopfte der Hauptmann Schursfi an die Zimmer: 
thür bei Amiziz. Der Offizier jchien auch Ungeheuerliches zu 
merfen und da er Anuſia aufrichtig liebte, wünjchte er, daß jie 
lieber abreijen, als in die Hände des Staroſten fallen möchte. 
Da er aber jeiner Sache doch nicht ganz jicher war, wagte er 
nicht offen darüber zu Sprechen. Er mwunderte fi) nur, daß 
Kmiziz auf die Vorausſchickung der Tartaren eingegangen war 
und gab nun jeiner Berwunderung darüber Ausdrud. 

„Die Wege jind micht ganz jo ficher, wie ihr meint,“ 
beteuerte er. „ES jtrolchen überall Haufen Bewaffneter umher, 
die zu Gewaltthätigfeiten aufgelegt find.“ 

a Andreas war entſchloſſen zu thun, ala ob er nichts 
merfe. 


185 


„Was jollte mir paſſieren,“ jagte er, „da der Herr Staroit 
mir ein Geleit mitgeben will.“ 

„Bah! was will das jagen!“ 

„Sind es nicht zuverläflige Menjchen ?” 

„Man darf Söldlingen niemals zu jehr trauen. Es tt 
Ichon vorgefommen, daß fie unterwegs fich widerjegt haben und 
zum Feinde übergegangen ſind . . .“ 

„Die Gegend diesjeits der Weichjel joll doch aber frei jein 
von Schweden?” 

„Slaubt das nicht! Sie Jind nicht fort. In Lublin jigen 
fie feit. Ich rate Ew. Liebden, — jendet eure QTartaren nicht 
voraus, man iſt unter der Begleitung einer größeren Esforte 
immer jicherer.“ 

„Es thut mir leid, daß ihr mir das nicht eher jagtet. Sch 
habe nur eine Zunge und nehme- einen einmal gegebenen Befehl 
niemals zurück.“ 

Am nächiten Morgen in der Frühe rüdten die Tartaren 
aus. Kmiziz wollte ihnen gegen Abend folgen, jo daß er noch 
zum Nachtquartier in Krasnoſtaw eintreffen fonnte. Inzwiſchen 
hatte man ihm zwei Briefe an Herrn Sapieha übergeben. Der 
eine war von der Fürjtin, der andere vom Starojten. 

Kmiziz hatte große Luft, den legteren zu öffnen; er wagte 
ed doch nicht, aber als er ihn gegen das Licht hielt, jah er, 
daß der Umschlag nur reines unbejchriebenes Papier barg. 
Diefer Umstand beitärkte feinen Verdacht, day man ihm unter- 
wegs das Mädchen und die Briefe wieder abnehmen wolle. 

Unterdeflen war auch die Bierdefoppel aus Peresz ans 
gelangt. Der Herr Starojt jchenfte dem jungen Ritter ein 
außerordentlich jchönes junges Noß, welches Kmiziz dankbar 
annahm, indem er dabei dachte, dab er Jicher auf Demjelben weiter 
reiten würde, als der Herr Staroft vielleicht glaubt. Er mußte 
auch daran denken, daß jeine Tartaren bereits im Hinterhalte 
jeiner warteten und Ddiejer Gedanke machte ihn laut lachen. 
Zuweilen auch überfiel ihn eine gelinde Wut über die Falſch— 
heit der Menjchen; er beichloß, dem Staroſten eine derbe Lehre 
zu geben. 

Die Zeit der Mittagstafel war Herangefommen. Das 
Eſſen verlief in düjterem Schweigen. Anufia hatte votgeweinte 
Augen, die Offiziere jchwiegen jtill, nur der Herr Starojt war 

uter Dinge Er ließ immer wieder die Becher füllen und 
miziz tranf fleißig. Als endlich die Zeit der Wbreife ge— 
fommen war, da waren zum Abjchiednehmen nicht viele Perjonen 


186 


mehr geblieben, denn der Starojt hatte immer einen der Offiziere 
nach dem anderen in Dienst gejchidt. 

Anufia fiel der Fürftin zu Füßen; man fonnte fie lange 
nicht von Dderjelben losreiken und die Fürjtin jelbjt war jehr 
bewegt. Wielleicht machte fie ſich im Stillen doch Vorwürfe, 
daß jie in die Abreife dieſer treuen Dienerin gewilligt hatte, 
zu einer Zeit, wo das ganze Land nicht die geringite Sicherheit 
bot. Aber das laute Schluchzen des Prinzen Michael, der mit 
beiden Fäuſten vor den Mugen weinte wie ein Schulbube, 
befeitigte in der stolzen Frau Die MUeberzeugung, daß Die 
Trennung zur Bejeitigung der Folgen einer jolchen Liebe 
durchaus notwendig jei. Endlich beruhigte jie der Gedanke, 
daß Anufia in der Familie des Fürjten eine Zuflucht finden 
und durch die Erlangung der geerbten Güter eine geficherte 
Zufunft erlangen werde, vollitändig. 

„sc vertraue das Mädchen eurer Tugend, eurer Ehren- 
baftigfeit und eurem Mut,“ jagte die Fürjtin noch einmal zu 
Kmiziz, „und denft daran, daß ihr gejchworen, jie ungefährdet 
zum Wojewoden zu geleiten.“ 

„Bas gejchehen fann, dem Fräulein die Reiſe bequem zu 
machen, das ſoll gejchehen; jchlimmiten alles wicele ich ſie in 
weiches Werg, und da ich mein Ehrenwort verpfändete, jo kann 
mich höchitens der Tod verhindern, mein Verjprechen zu halten,“ 
antivortete der Nitter. 

Er reichte dem Fräulein jeinen Arm. Anufia fühlte fich 
gefränft, daß er fie jo obenhin behandelte; fie legte ihre Hand 
nur loje auf den Arm und wandte mit einer hochmütigen Ge— 
bärde ihren Kopf nach der anderen Seite. 

Es war ihr jehr jchmerzlich, ihre Wohlthäterin zu ver— 
lafien, dazu befiel jie jegt eine unnennbare Angjt; dennoch war 
es zu jpät, ihren Entſchluß rücdgängig zu machen. 

Der Augenblid der Abreije war da. Sie jtieg mit ihrer 
alten Dienerin, Fräulein Suwalsfa, in die Kutjche, Kmiziz auf 
das Pferd, die ‚sahrt begann. Zwölf Söldlinge umgaben die 
Kutiche und die Britichfa mit dem Gepäd der Frauen. Als 
das Gatter des Warjchauer Thores in den Angeln knarrte und 
die Räder über die niedergelajjene Zugbrüde rajjelten, da weinte 
Anufia laut auf. 

Kmiziz beugte ſich zu dem Kutſchenſchlag nieder. 

„Weint nicht, Fräulein,“ tröjtete er, „und fürchtet euch 
nicht, ich beiße euch nicht an.“ 

„ter Grobian!“ dachte Anufia. 


187 


Sie fuhren eine Weile zwijchen den Häuſern der Vorjtadt 
hin direft auf Alt-Samojchtich zu, worauf fie in freies Feld 
famen und dann den Wald erreichten, welcher zu jener Zeit 
das ganze Hügelland auf einer Seite bis Hin zum Bug und 
noch weiter bedeckte, auf der anderen Seite von verjtreut liegenden 
Dörfern bis nach Sawichosf unterbrochen war. 

Die Nacht jenkte jich hernieder; jie war jehr Kar und hell. 
Die Landitraße zog ſich wie ein jilberner Streifen hin, die 
Stille wurde nur durch das Najjeln der Räder und das Ge- 
trappel der Pferde unterbrochen. 

„Hier müſſen meine Tartaren jchon irgendwo in der 
Wildnis jteden,“ dachte Kmiziz. Da horihte er plöglich auf. 

„Was iſt das?“ frug er den Offizier, welcher die Weiter: 
abteilung führte. 

„Es jcheint Pferdegetrappel zu jein; ein Reiter fommt 
hinter uns hergejprengt,“ antwortete der Offizier. 

Er hatte faum geendet, als auf jchaumbedectem Pferde ein 
Koſak fie erreichte und rief: 

„Herr Babinitjch! Herr Babinitich! Ein Brief vom Herrn 
Staroſten!“ 

Der Zug hielt an. Der Koſak reichte Kmiziz den Brief 
und dieſer las beim Licht der Wagenlaterne wie folgt: 

„Lieber und mir ſehr werter Herr Babinitſch! 

Bald nach der Abreije des Fräulein Borjchobohata Krafienzfa 
erreichte mich die Nachricht, da die Schweden Lublin nicht nur 
nicht verlaſſen haben, jondern jogar beabjichtigen, gegen mein 
Samoſchtſch vorzurüden. Angeſichts deſſen iſt an eine Weiter— 
reiſe des Fräuleins nicht zu denken. In Erwägung der bevor— 
ſtehenden pericula, welchen das Weißköpfchen ausgeſetzt ſein 
würde, wollen wir das Fräulein Borſchobohata zurück nach 
Samoſchtſch haben. Die Reiter können ſie zurückbegleiten. Ihr 
aber, der es ſo eilig hat, fortzukommen, ſollt dadurch nicht von 
der Weiterreiſe abgehalten werden. Indem wir Ew. Liebden 
dieſen unſeren Willen kund thun, bitten wir Euch, den Reitern 
unſere Befehle kund zu geben.“ 

„Er iſt wenigſtens ſo ehrlich, nicht nach meinem Kopfe zu 
trachten; er will nur einen Narren aus mir machen,“ dachte 
Kmiziz. „Nun, es wird ſich ja bald zeigen, ob es auf einen 
Ueberfall abgeſehen iſt oder nicht.“ 

Unterdeſſen war Fräulein Anuſia aufmerkſam geworden; 
ſie ſteckte den Kopf zum Wagenfenſter heraus. 

„Was giebt es?“ frug ſie. 


188 


„Nichts! Der Herr Starojt empfiehlt euch nochmals meiner 
Nitterlichkeit. Sonſt nichts!“ 

„Auf! weiter des Weges!“ befahl er dem Offizier. 

Doch der Offizier hielt jein Pferd feit am Zügel. 

„Halt!“ rief er dem Kutjcher zu, welcher joeben die Pferde 
am Wagen antrieb. Dann wandte er jich dem Nitter zu. 

„Bas joll das heißen! Wir reiten nicht weiter.“ 

„Doch!“ erwiderte Kmiziz. „Wozu jollen wir noch länger 
bier im Walde halten.“ 

Er jagte das ganz harmlos, ald wüßte er gar nicht, um 
was es jich handelte. 

„ber Ew. Liebden haben doch einen Befehl erhalten.“ 

„Eben darum! Was geht euch diejer Befehl an! Vor— 
wärts!“ 

„Halt!“ rief der Offizier. 

„Vorwärts!“ befahl Kmiziz noch einmal. 

„Was giebt es denn eigentlich ?“ frug Anufia wieder. 

„Bir rühren uns nicht von der Stelle, bevor ich den 
Befehl nicht gelejen habe,” beharrte der Offizier feit. 

„Der Befehl ijt an mich gerichtet, er geht euch nichts an.“ 

„Wenn ihr ihn doch nicht befolgen wollt, jo werde ich ihn 
ausführen. Ew. Liebden fünnen aljo mit Gott nad) Krasnojtaw 
weiterziehen; nur jeht zu, daß wir euch nicht eine Wegzehrung 
mitgeben. Wir aber fehren mit dem Fräulein nach Samoſchtſch 
zurück.“ 

Das hatte Kmiziz nur hören wollen. Er wollte ſich ver— 
gewiljern, ob dem Offizier der Inhalt des Schreibens befannt 
war. Nun wußte er, daß es fich um ein Komplott handelte, 
dejjen Opfer das Fräulein werden jollte. 

„Scheert euch fort!“ wiederholte der Offizier drohend. 

Gleichzeitig zogen jämtliche Reiter wie auf Verabredung 
die Säbel aus den Scheiden. 

„O, ihr Hunde!“ rief da Kmiziz. „Nicht nach Samojchtich 
zurüd wollt ihr das ‚Fräulein bringen, jondern jie irgendwohin 
in einen Hinterhalt loden, damit der Starojt ungejtört jeine 
Begierden an ihr jättigen fan. Doc, ihr Habt euch in mir 
verrechnet!“ 

Bei diejen Worten jchoß er jeine Piſtole in die Luft ab. 
Gleich darauf vernahm man im Walde ein ſeltſames Knacken 
und Nafcheln; e8 war, als hätte der Knall der Piſtole ganze 
Herden von Wölfen aufgejchredt, die nun mit entjelichem 
Geheul durch die Zweige des Unterholzes brachen. Das Geheul 


189 


fam von vorn, von beiden Seiten und vom Nüden her. Pferde— 
getrappel wurde auf der Landitraße laut und eine Menge Reiter 
hatte bald die Neijegejellichaft umzingelt. 

„Sejus! Maria! Joſef!“ jchrieen die erjchredten Frauen 
im Wagen. 

Die Tartaren waren eilends herangejauft. Kmiziz brachte 
fie mit einem dreimaligen Kommandoruf zum Stilljtehen. 
Darauf wandte er ſich an den Offizier, der vor Schred zur 
Bildjäule eritarrt jchien, und begann ihn auszuhöhnen. 

„Erkennt ihr nun, wen ihr vor euch habt?... Der Herr 
Starojt wollte mich zum Hans Narr machen, mic, als Mittel 
zum Zweck gebrauchen, und glaubte, ic würde blindlings folgen ... 
Euch, Herr Offizier, hat er die Ausführung des jauberen 
Streiches anvertraut und ihr wolltet um Herrengunjt ein Ver— 
brechen begehen! . . . Grüßt den Herrn Starojten von Babi- 
nitfch; er läßt ihm jagen, daß das ‚Fräulein unter ficherem Ge- 
feit zu Herrn Sapieha gebracht werden joll.“ 

Der Offizier blidte erjchroden um fich, als er die jchwarzen 
Gefichter der Tartaren jah, deren Augen gierigen Blickes ihn 
und die Reiter anjtarrten. Es bedurfte nur eines einzigen 
Lautes jeitens ihres Führers und jie waren alle Kinder 
Todes. 

„Ew, Liebden fünnen thun, was euc) beliebt,“ jtammelte er, 
„aber der Herr Starojt verjteht Nache zu üben. Wir fünnen 
gegen die Uebermacht nichts ausrichten.“ 

Kmiziz lachte laut auf. 

„Möge jeine Rache euch treffen,“ rief er. „Hättet ihr euch 
nicht vorzeitig verraten, hättet ihr eure Veitwiſſenſchaft an dem 
Komplott vor mir verborgen gehalten, wer weiß — ohne euren 
Proteſt gegen die Weiterreiſe hätte ich das Fräulein wahr— 
jcheinlich von Srasnojtaw aus nad) Samoſchtſch zurückgeſandt. 
Sagt auch das dem Herrn Staroſten; er möge ſich künftig 
klügere Helfershelfer als euch ausſuchen.“ 

Der ruhige Ton, in welchem Kmiziz geſprochen hatte, 
machte den Offizier Sicher. Er wußte nun, daß weder ihm noc) 
den Reitfnechten Lebensgefahr drohte. Er atmete erleichtert auf 
und frug: 

„Wir jollen alfo mit leeren Händen nach Samojchtich 
zurücfehren ?* 

Und Kmiziz antwortete: 

„O nein! Sch will euch ein Handjchreiben mitgeben, welches 
ich auf eurer Haut niederjchreiben will.“ 


190 


„Ew. Liebden!“ 

„Faßt zu!“ kommandierte Kmiziz, „während er jelbjt den 
Offizier im Genid packte.“ 

Es entitand ein Getummel rings um die Kutſche herum, 
welches jedoch nur ganz furz währt. Das Gejchrei der Tar- 
taren übertönte die Hilfe- und Stlagerufe der Neiter und Die 
Entjegensjchreie der beiden erjchredten Frauen. Bald lagen 
die Neiter gebunden in einer Neihe auf der Landitraße aus» 
geſtreckt. Kmiziz ließ ihnen Rutenhiebe austeilen, nicht zu viele, 
damit fie zu Fuß nach Samoſchtſch zurückkehren konnten. jeder 
Neiter erhielt hundert, der Offizier hundertundfünfzig, troß der 
Nufe, Bitten und Bejchiwörungen Anufias, welche nicht begreifen 
fonnte, um was es jich handelte und glaubte, jie jei im Die 
Hände eines graujfamen Barbaren gefallen. 

Weinend und die Hände faltend, flehte fie ein um das 
andere Mal: 

„Berzeiht doch, Ritter! Was habe ich euch denn gethan? 
Erbarmt euch! Schont uns!“ 

„Seid jtille, Fräulein!“ fuhr er jie an. 

„Bas habe ich denn gethan, daß ihr jo grauſam verfahret?“ 

„Bielleicht jeid auch ihr Mitwiſſerin des Komplotts?“ 

„Welchen Komplotts? Gott jei mir armen Sünderin 
gnädig! . . .“ 

„Shr wißt aljo nicht, da der Starojt nur zum Schein 
eure Abreije betrieben hat? Ihr wißt nicht, daß er euch nur 
von der Fürjtin trennen, euch jegt aber entführen und in irgend 
ein entlegenes Waldhaus bringen und dort eure Tugend zu 
Falle bringen wollte?“ 

„Jeſus von Nazareth!“ jchrie Anufia. 

Diejer Schrei, jo voll Angit und Entſetzen, überzeugte 
Kmiziz von der Unjchuld des Mädchens. 

„ie? hr wußtet wirklich nichts von dem Komplott? 
Iſt das möglich?“ frug Kmiziz jchon viel milder. 

Anuſia bedecte ihr Gejicht mit beiden Händen; fie fonnte 
nicht antiworten, jondern rief nur immer: 

„Jeſus, Maria! Jeſus, Maria!“ 

„Beruhigt euch doch,“ tröſtete Kmiziz janft. „Sch bringe 
euch unverjehrt zu Herrn Sapieha, denn der Herr Starojt hat 
nicht geahnt, daß ich ihm durchſchaute. Seht da, die Menschen, 
denen ich Autenhiebe geben laſſe, jollten euch entführen. Sch 
ichente ihnen das Leben, damit fie dem Herrn Starojten erzählen 
fünnen, was jich zugetragen hat.“ 


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„So habt ihr mich aljo vor der Schande bewahrt?“ 

„Das habe ich, obgleich ich nicht einmal wußte, ob ich euch 
Damit einen Gefallen erwies.“ 

Ehe ic) Kmiziz dejien verjehen fonnte, ergriff das Fräu— 
(ein jtatt aller Antwort die Hand des Nitters, und führte die— 
jelbe an ihre erbleichten Lippen. 

Er wurde rot im Geficht, wie ein Truthahn. 

„Laßt doch jolchen Unjinn!* rief er, ihr die Hand ent— 
ziehend. „Setzt euch in den Wagen, ihr erfältet euch jonjt Die 
Füße! ... Und fürchtet nichts . . . Bei eurer Mutter fünntet 
ihr nicht ficherer jein, als hier.“ 

„un vertraue ich mich eurem Schuße bis an das Ende 
der Welt!” jprach Anujia Borjchobohata. 

„Sprecht doch nicht jolche Worte,“ verjegte Kmiziz. 

„Bott wird euch lohnen, daß ihr ein wehrlofes Mädchen 
beſchützet.“ 

„Es iſt mir heute zum erſtenmale Gelegenheit dazu ge— 
boten worden.“ 

Und leiſe murmelte er vor ſich hin: 

„Bis jetzt habe ich ſie noch gar nicht in Schutz genommen, 
im Gegenteil, ich hatte ſie mit im Verdacht.“ 


Unterdeſſen hatten die Reiter ihre Schläge wegbekommen. 
Herr Andreas ließ ſie entblößt auf der Landſtraße nach 
Samoſchtſch zu ein Stück forttreiben; ſie liefen weinend und 
wehflagend davon. Ihre Pferde und Waffen jchenfte Kmiziz 
den Tartaren, dann machte jich der Tſchambul mit dem Fräu— 
lein eiligjt auf den Weg, denn die Zeit drängte. 

Der Nitter fonnte jich nicht enthalten, unterwegs von Zeit 
zu Zeit in den Wagen, vielmehr in die mumteren Aeugelein 
des Fräuleins zu bliden und fie zu fragen, ob ihr etwas fehle, 
ob der Wagen bequem jei und ob die jchnelle Fahrt fie nicht 
zu jehr ermüde. 

Anufia antwortete ihm, daß ſie fich nie beſſer befunden 
habe. Sie hatte ſich von dem Schreden bald erholt, Ver— 
trauen war an die Stelle der Angſt getreten und im Stillen 
dachte fie: 

„Er tit gar nicht jo uneben und grob, wie ich anfangs 
dachte.“ 

Kmiziz Hingegen dachte auch etwas, aber anderes. Cr 
jeufzte leife und murmelte vor ſich Hin: 

„ech, Dlenfa, was leide ich um deinetwillen. Ob ich wohl 


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jemal3 Danf dafür von dir ernten werde? — Wie war das 
früher anders.“ 

Seine toten Kumpane famen ihm in Erinnerung und 
verjchiedene Schelmenjtüde, die er mit ihnen gemeinjchaftlich 
verübt, und als wollte er dem Berjucher wehren, betete er ein 
„Vater Unjer“ für den Frieden ihrer Seelen. 

In Krasnojtaw angefommen, hielt Kmiziz e& für geraten, 
Nachrichten aus Samoſchtſch nicht erit abzuwarten, aber 
jogleich weiter zu reifen. Zuvor jedoch jchrieb er einen Brief 
an den Staroiten, welchen er durch einen Boten aus Kras— 
nojtaw ihm zujandte. Der Brief lautete: 

„Srlauchter Herr Staroft und mir jehr werter Herr 
und Wohlthäter! 

Wem Gott ein hohes Amt und eine angejehene Stellung 
in der Welt giebt, den jtattet er auch mit ganz bejonderen 
Geiſtesgaben aus. Ich erfannte fofort, daß Ew. Erlaucht mich 
auf die Probe jtellen wolltet, al& Ihr mir den Brief mit dem 
Befehl der Nücdjendung des Fräulein Anuſia Borjchobohata 
Kraſienska zuitellen ließet. Das leuchtete mir um jo mehr ein, 
da die Reiter merfen liegen, daß ihnen der Inhalt des Schreibens 
befannt jei, obgleich ich ihnen fein Wort davon gejagt und 
Ew. Erlaucht mir jchriebet, daß erjt nach unjerer Abreije Euch 
die Gefahr, welcher das Fräulein entgegenging, Elar geworden 
it. Wie ich nun einerjeit3 die Umficht und Vorſicht Em. 
Erlaucht aus vollitem Herzen bewundere, jo verjpreche ich 
andererjeitS, mich des in mich gejegten Vertrauens würdig zu 
zeigen und mich durch nichts der übernommenen Pflicht ab- 
wendig machen zu lajien. Da nun die GEsfortereiter wahr 
icheinlich in einem Irrtum befangen, ſich gegen meine PBerjon 
jehr grob und ungebührlich benommen, ja jogar in Drohungen 
ergangen umd mein Leben bedroht Haben, jo hätte ich ſicher 
im Sinne Ew. Erlaucht gehandelt, wenn ich die Widerjeglichen 
hätte aufhängen laſſen. Daß ich es nicht gethan, dafür habe 
ih Ew. Erlaucht ergebenjt um Entjchuldigung zu bitten. Ich 
habe ihnen nur einige Stocdjchläge applizieren lafjen, deren 
Anzahl Ew. Erlaucht, falls Ihr die Strafe zu gering erachten 
jolltet, nachträglich von Euch nad) Belieben multipliziert werden 
kann. In der Hoffnung, daß ich immer im Genufje Ew. Erlaucht 
größten Vertrauens verbleibe, jchreibe ich mich Ew. Erlaucht 

ergebener Diener Babinitjch.“ 

Die Dragoner, welche erit jpät in der Nacht in Samojchtich 
angefommen waren, hatten aus Angſt jich gar nicht vor dem 


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Starojten bliden laſſen; diefer erfuhr daher erjt am nächiten 
Tage durch den Brief das Gejchehene. Nachdem er das Schreiben 
gelejen, schloß er jich während drei Tagen im feinem Zimmer 
ein, ohne jemand anderen vorzulaflen, als den Kammerdiener, 
welcher ihm das Eſſen brachte. Man hörte ihn in dieſer Zeit 
viel franzöſiſch Fluchen, was er nur that, wenn er jehr zornig war. 

Allmählich jedoch ging das Unwetter vorüber. Am vierten 
und fünften Tag war Herr Samojsfi noch etwas fchtweigjam; 
er jchien etwas noch nicht ganz verdaut zu haben, denn er 
zerrte viel an jeinem Schnurrbart herum. Nach acht Tagen 
hatte er jeinen Humor wiedergefunden. Der Schnurrbart 
wurde nicht mehr gezerrt, jondern flott in die Höhe gedreht, 
endlich eines Tages jagte er zu der Fürſtin Grijeldis: 

„Weißt du, liebe Schweiter, ich) bin doch immer ein 
jehr umſichtiger Menjch. Vor einigen Tagen habe ich jenen 
jungen Edelmann, unter dejjen Schu wir Anufia zu Herrn 
Sapieha jchidten, auf eine harte Probe geftellt. Er hat diejelbe 
glänzend beitanden, du kannſt jicher jein, daß er jeine Schutz— 
bejohlene ungefährdet an ihren Beitimmungsort bringt.“ 

Einen Monat jpäter hatte das Herz des Staroiten einen 
anderen liebenswerten Gegenitand gefunden. Er war feit über- 
zeugt, daß alles, was gejchehen, auf jeine Anordnung und mit 
jeiner Bewilligung gejchehen war. 


Sientiewicz, Sturmflut II. 13 





17. Rapitel. 





Die ganze Wojewodjchaft Yublin und zum großen Teil 
Podlachien waren in polnischer Hand, d. h. in der Hand der 
Konföderierten unter dem Kommando Sapiehas. Da der König 
von Schweden fich noch immer in Kurpreußen befand, um mit 
dem Kurfürjten zu verhandeln, — die Schweden, angeſichts 
des allgemeinen Aufſtandes der Republik, ſich nicht aus den 
Schlöſſern heraus, wo ſie ihre Standquartiere hatten. Die 
Meichjel zu überjchreiten, konnten jie ſich nicht entjchließen, 
weil diesjeits derjelben jich die Hauptmacht der Konföderation 
fonzentrierte. Dadurch gewann man Zeit ein bedeutendes 
Heer regulärer Truppen zu jammeln und auszubilden, welches 
wohl imjtande war, eine offene seldjchlacht mit den Schweden 
aufzunehmen und feine Kraft an der jchwediichen zu mejjen. 
In den Streisitädten drillte man die Fußjoldaten für den 
Dienit; da die Bauern freiwillig in ganzen Haufen zu 
den Waffen griffen, jo fehlte e8 an Männern nicht. Cs 
galt nur, fie für den Dienjt auszubilden, damit fie, unter ein 
reguläres Kommando gejtellt, vor Ausjchreitungen und Unter- 
nehmungen gegen die eigenen Landesgenofien zurüdgehalten 
würden. 

Die Kreisrittmeiiter übernahmen diejes Werk. Außerdem 
hatte der König eine große Anzahl Aufgebotsbriefe an ver: 
jchiedene alte, erfahrene Soldaten verteilt. Die Aushebungen 
gingen aljo in allen Provinzen ſchnell und glatt von jtatten, 
und da es auch an Fampfbereiten Männern nirgends fehlte, jo 
hatte man bald mehrere ausgezeichnete Neiterregimenter bei— 
jammen. Einige davon überjchritten die Weichjel, um jenjeits 


1 


195 


derjelben den Aufjtand zu jchüren, andere jtießen zu Seren 
Tſcharniezki und wieder andere jchlofjen jich dem Herrn Sapieha 
an. Die Erhebung war jo allgemein geworden, daß das Heer 
Johann Kafimirs das ſchwediſche an Streitkräften bald übertraf. 

Das Land, über dejjen Machtlofigfeit ganz Europa ge- 
ſtaunt hatte, lieferte jegt Beweiſe von Kraft und Intelligenz, 
welche nicht der Feind, noch diejenigen, deren Herzen über das 
Elend des Vaterlandes vor Trauer geweint, noch der König 
jelbjt jemals in dieſem Wolfe vermutet hatte. ES fand ich 
Geld, Begeijterung, Mannesmut, und jelbit die zaghaftejten 
Seelen gewannen immer mehr die Ueberzeugung, daß feine 
Lage jo hoffnungslos ſei, daß nicht ein Ausweg daraus gefunden 
werden fönnte und daß überall da, wo Kinder geboren werden, 
auch die Zuverjicht nicht wanfen dürfe, 

Kmiziz fam anfangs ohne Unterbrechung vorwärts, indem 
er unterwegs alle jene unruhigen Geijter aufjammelte und 
mitnahm, welche dem Tſchambul gern folgten, in der Hoffnung, 
im Verein mit den Tartaren reiche Kriegsbeute zu gewinnen. 
Er Hatte fie bald in gehorjame und geſchickte Soldaten ver- 
wandelt, da er die jeltene Gabe bejaß, ich und jeinem Willen 
die Menfchen unterzuordnen. Weberall begrüßte man ihn mit 
Jubel, denn jeine Tartaren waren ja der beite Beweis, daß 
der Chan thatſächlich der Republik zu Hilfe eilt. Cs hatte 
fic) das Gerücht verbreitet, daß dem Herrn Sapieha vierzig- 
taujfend Mann tartarijche Hilfstruppen zugeführt würden; man 
fonnte nicht genug bie beicheidene Burüdhaltung dieſer Ver⸗ 
bündeten rühmen, ja, man ſtellte ſie den eigenen Soldaten als 
Muſter auf. 

Herr Sapieha hatte ſein Hauptquartier gegenwärtig in 
Biala. Seine Heeresmacht bejtand nun jchon aus fait zehn: 
taujend Mann „(egulärer Landestruppen, teils Neitern, teils 
Fußſoldaten. Den Grundſtock diefer Macht bildeten die Neite 
des litauiſchen Heeres, welches durch Zuzüge zu ſo großer 
Stärke angewachſen war. Die Reiterregimenter, beſonders 
einzelne Fahnen, übertrafen an Geſchicklichkeit und Vortrefflich— 
keit bereits die ſchwediſchen, aber den Fußſoldaten mangelte es 
noch an Ausbildung, es fehlten ihnen Waffen und Munition. 
Ebenſo machte ſich der Mangel an Kanonen fühlbar. Der 
Wojewode hatte gehofft, in Tykozin ſich mit Geſchützen ver— 
ſehen zu können, doch die Schweden hatten, indem ſie ſich ſamt 
dem Turme in die Luft jprengten, zugleich auch alle Kanonen 
vernichtet. 

13* 


196 


Neben den bereits erwähnten Streitkräften ſtanden unfern 
von Biala gegen zwölftaufend Freiwillige, welche Litauen, 
Majowien und Podlachien geitellt hatten, doch von diefen ver- 
ſprach jich der Wojewode nicht viel Nuten, befonders, da ſie 
eine Menge Wagen mit unnügem Gepäck mit jich führten, welche 
jede freie Bewegung hinderten. 

Kıniziz beunruhigte eines, während er in Biala einzog. 
Bei Sapieha dienten jo viele Adlige Yitauens und jo viele 
frühere Offiziere Nadziwills, daß er befürchten mußte, erfannt 
zu werden. War das der Fall, jo wuhte er, was ihm bevor- 
Itand; man würde über ihn herfallen und ihn töten, noch ehe 
er den Namen Ieju und Maria anrufen konnt. War doc) 
jein Name in ganz Litauen und auch im Lager Sapiehas ver- 
fehmt und noch allen in zu friicher Erinnerung, daß er im 
Dienste Radziwills jich gegen jene Fahnen vergriffen, die ſich da— 
mals von dem Fürſten losgejagt hatten. 

Doc) hoffte er viel für jich von der Veränderung, die mit 
ihm vorgegangen war. Er war jehr abgemagert, dazu fam die 
Narbe im Gejicht, welche ihm die Kugel Boguslaws Hinter- 
lajien, und zulegt trug er jet einen langen Knebelbart, welcher 
nach jchwedijcher Art an jeinem unteren Ende feit zuſammen— 
gedreht war, und da er den Schnurrbart nach oben bürjtete, 
jo jah er eher aus wie ein Nachkomme Eriks, als wie ein 
polnijcher Edelmann. 

„Wenn nicht gleich in der eriten Zeit eine Revolte gegen 
mich losbricht, dann bin ich gerettet. Nach der eriten Schlacht 
werden jie anders über mich denfen.“ 

So mit feinen Gedanfen bejchäftigt, ritt Kmiziz in Biala ein. 

Es dämmerte bereits, als er am Thore jich meldete und 
man ihn über das Woher und Wohin ausfragte. Er jagte 
dem wachthabenden Offizier, daß er mit Briefen vom Könige 
fomme und jofort um eine geheime Audienz bei dem Herrn 
Wojewoden bitte. 

Der Wojewode empfing ihn gnädig, weil der König ihn 
warm befürwortete. 

„Wir jenden euch Unjeren treuejten Diener,“ jchrieb der 
König, „den Heftor von Tichenjtochau, wie er jeit der Be— 
lagerung Tſchenſtochaus allgemein genannt wird, und der Netter 
Unjeres Lebens aus höchjter Gefahr. Wir empfehlen ihn eurem 
bejonderen Schuße, bejonders darum, damit ihm von jeiten der 
Soldaten feine Unbill geichehe. Er trägt einen angenommenen 
Namen, jein wahrer Name iſt Uns aber befannt; auch die Ur— 


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jachen, um derentwillen er den andern angenommen hat. Wir 
befehlen auch, daß um diefeswillen niemand fich herausnehme 
ihn zu verdächtigen oder ihm Schlechtes zuzutrauen!“ 

„Warum habt ihr denn einen anderen Namen angenommen? 
Darf man das erfahren?“ frug der Wojewode. 

„Weil ich ein Berfehmter bin und unter meinem eigenen 
Namen ein Aufgebot der Truppen nicht führen dürfte... 
Se. Majejtät der König aber hat mich mit einem Aufgebots- 
briefe betraut, als Babinitfch darf ich Soldaten werben.“ 

„Wozu wollt ihr noch werben, da ihr doch den Tartaren- 
tichambul habt?“ 

„Eine größere Truppenmacht fann nicht ſchaden.“ 

„Warum jeid ihr verfehmt?“ 

„Dem Manne, unter dejien Kommando ich treten, deſſen 
Schutz ich anrufen will, bin ich verpflichtet, alles zu befennen, 
wie eimem zweiten Vater Mein wahrer Name iſt — 
Kmiziz!“ 

Der Wojewode trat entjegt ein paar Schritte zurück. 

„Derjelbe Kmiziz, welcher den König an Boguslaw aus— 
zuliefern verjprochen hat?“ 

Nun erzählte Kmiziz mit aller ihm zu Gebote jtehenden 
Beredtiamfeit, wie Nadziwill ihn überrumpelt, wie er dann 
Boguslaw, nachdem er aus dejjen eigenem Munde den Verrat 
der beiden fürſtlichen Vettern bejtätigen gehört, mitten aus 
dejjen Heerlager entführt und dadurch des Fuͤrſten unerjättlichen 
Nachedurit auf jich gelenkt Hatte. 

Der Wojewode mußte den Worten des Ritters umjomehr 
Glauben jchenfen, da der König dejien Ausjagen betätigte, 
Zudem war der Wojewode jo hocherfreut durch einen Abſatz 
im Briefe des Königs, daß er heute wohl jelbjt feinen Tod- 
feind an das Herz gedrüdt und ihm alle Sünden verziehen 
hätte. Diejer Abjat lautete: 

„Dieweilen nach dem Tode des Wojewoden von Wilna 
die Wojewodichaft vafant ijt, nach dem allgemeinen Landrecht 
aber die Wiederbejegung einer Wojewodjchaft nur von dem 
ganzen Senat bejchlofien werden kann, jo beichließen Wir in 
dieſem Falle, der erjchwerenden Umjtände während der jetigen 
unruhigen Zeitläufe halber, ein Ertraordinarium und belehnen 
euch, Unſeren Biellieben, für die Nepublif durch die unvergeß— 
lichen Verdienite um das Vaterland unentbehrlich Gewordenen, 
mit dem Szepter der Wojewodjchaft Wilna, im guten Glauben, 
daß, falls Gott Frieden in Unjer Land einfehren läßt, feine 


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Stimme fich gegen diejes Ertraordinartum erheben wird und 
Unjere jelbjtändige Handlung die allgemeine Approbation erhält.“ 

E3 war allgemein befannt, day Herr Sapieha jeinen legten 
Oberrod und jeinen legten jilbernen Löffel verkauft hatte, um 
Geld zur Armierung der Truppen zu erlangen; er hatte in 
jelbjtlojejter Weife alles hergegebeu zur Rettung des VBaterlandes. 
Aber auch der ſelbſtloſeſte Menfch freut ich, wenn er für jeine 
Berdienjte Anerkennung findet. Darum leuchtete heute aus 
jeinem ſonſt jo ernſten Gejicht eine jo reine Freude. 

Diejer Aft des Königs ſchmückte das Gefchlecht der Sapiehas 
mit einem neuen Ehrenkranze; dag war feinem der derzeitigen 
Magnaten von fürjtlihem Geblüt gleichgültig. Es war ſehr 
erfreulich, da es noch jolche gab, welche feine, alles Chrgefühl 
Hintanjegenden Streber waren. So war denn Herr Sapieha 
gewillt, für den König zu thun, was in feiner Macht lag. 

„Da ich nun Hetman bin“, jagte Herr Sapieha zu Kmiziz, 
„ſo tretet ihr unter meine Gerichtsbarkeit, die ſoll euch Schuß 
gewähren. Da aber viele Bekannte von euc) jich in den Regi— 
mentern bier befinden, jo haltet euch möglichjt verborgen, bis 
ih die Soldaten vorbereitet und die Berleumdung von euch 
genommen habe, die Boguslaw über euch ausgejprengt.“ 

Kmiziz dankte herzlichjt für die Güte des Wojewoden, dann 
erzählte er von Anufia, weshalb er fie mit nach Biala gebracht. 
Der Hetman hätte darüber am liebſten ernſtlich gejcholten, 
doc; da er fröhlicher Laune war, jo ſchalt er auch nur 
ſcherzhaft. 

„Der Selbſtherr iſt verrückt geworden! Wahrhaftig!“ 
ſagte er. 

„Da ſitzen nun beide, er mit ſeiner Schweſter, hinter den 
ſicheren Mauern von Samoſchtſch, wie im Himmel und denkt, 
es könne jeder wie er die Rockſchöße auseinanderfalten, ſich 
mit dem Rücken gegen den Kamin wenden, um ihn auszuwärmen. 
Ich kannte die Podbipientas wohl; ſie waren mit den Brſcho— 
ſtowskis verwandt und die letzteren ſind meine Verwandten. 
Die Güter ſind herrliche Bejigungen, da iſt nichts zu fagen. 
Aber, wie jollte man gegemvärtig irgend ein Necht nachjuchen, 
da es gar feine Gerichtsordnung An Wer jollte wohl die 
Erbichaftsregulierung einleiten und die Bejigeriu injtallieren. 
Sie find verrüdt, total verrüdt! Mir jigt Boguslaw auf den 
— ich habe militäriſche Funktionen zu verrichten und keine 
Zeit, mich mit alten Weibern zu befaſſen ...“ 

„Sie iſt aber fein altes Weib, fondern frifch wie eine 


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Kiriche,“ entgegnete Kmiziz. „Aber das it Nebenjache! ... 
Man bat mir jie mitgegeben und ich bringe fie her, um fie 
abzuliefern!“ 

Der alte Hetman faßte Kmiziz freundjchaftlih am Ohr- 
läppchen und fagte: 

„So, jo! Aber wer fann denn willen, in welchem Zujtande 
ihr mir fie abliefert. Bewahre mich der Himmel vor übler 
Nachrede! Man foll nicht jagen dürfen, die Bevormundung 
des Sapieha habe ihr Koliken zugezogen, die ein anderer ver— 
ſchuldet . . . Wie war es in den Futterquartieren? Habt ihr 
bei euren Tartaren etwa biffurmanische Sitten gelernt?“ 

„sn den Futterguartieren?“ antwortete Kmiziz Fröhlich. 
„sch lieg mich, jo oft wir einige Stunden die Tiere ruhen 
lajjen mußten, von meinen Knappen geikeln, um die weniger 
anftändigen Gelüjte zu unterdrüden, die jeder Menſch mit ſich 
herumträgt, d. h. ich betete mit ihnen ein Konfiteor, weil das 
weniger jchmerzt, als Geihelhiebe.“ 

„Aha! ... Sit fie denn ein anitändiges Mädchen ?“ 

„Ei, wie man's nimmt. Sie iſt gefalljüchtig wie eine Ziege 
und jehr bethulich.“ 

„Da kommt ja der Biſſurmane doch noch zum Vorſchein!“ 
jagte der Hetman. 

„ber tugendhaft wie eine Nonne, das muß ich ihr nach- 
jagen. Und was die Stolifen betrifft, jo würde fie unter 
Samojskis VBormundjchaft viel eher dazugekommen jein, als 
irgend wo anders.‘ 

Hier erzählte Kmiziz ausführlich, was er erlebt Hatte. 
Der Hetman lachte Herzlich und Elopfte ihn auf die Schulter. 

„Ihr jeid ja ein ganz durchtriebener Schlaufopf,“ meinte 
er. „Man jpricht nicht umfonjt jo viel von Kmiziz. Aber 
fürchtet nichts! Herr Samojsfi ijt nicht rachjüchtig, dazu ijt er 
mein Bertrauter. Wenn jein erjter Zorn verraucht fein wird, 
jo wird er jich die Sache belachen und euch noch für euren 
Uueritreich belohnen.“ 

„Dafür bedanke ich mich! ich brauche feinen Lohn,“ unter- 
brach Kmiziz den Hetman. 

„Auch das gefällt mir, daß ihr jtolz jeid und niemandes 
Hilfe beanjprucht. Dient mir nur wader und helft mir den 
Boguslaw befriegen, dann ſoll es jpäter auch nicht fehlen, dat 
ih euch alte Verfchuldungen jühnen helfe . . .“ 

Sapieha hielt plöglich inne. Als er den Namen Bogus- 
laws nannte, hatte das fröhliche, offene Gejicht des Soldaten 


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ſich plöglich verfinftert und verzerrt, twie die Freſſe eines Hundes, 
wenn er beißen will. 

„Möge diejer Verräter an jeinem eigenen Speichel ver- 
enden, wenn ich ihn nur noch unter die Hände befomme, ehe 
jein Leben ausliſcht!“ jagte Kmiziz düſter. 

„Sch begreife euren Haß... Doc) jeht zu, daß der Haß 
die Vorjicht nicht übermwuchert, ihr Habt es nicht mit einem 
Kriegsfnecht zu thun. ES iſt gut, dal der König euch zu mir 
gejchiekt, ihr jollt mir den Boguslaw ebenjo in Unraſt halten, 
wie vordem den Chowansfi.“ 

„Sch werde noch anders mit ihm umjpringen, als mit 
jenem!“ verjeßte Amiziz mit gepreßter Stimme. 

Damit war die Unterredung zu Ende. Kmiziz ritt in fein 
Uuartier, um auszuruhen, denn er war jehr müde, 

Unterdejjen hatte jich im Heere die Nachricht von der Er— 
nennung des geliebten Führers zum Wojewoden von Wilna 
und der damit verbundenen Würde eines Großhetman von 
Polen verbreitet. Cine große Freude flammte wie ein heiliges 
euer in den Herzen der Taujende darüber auf. 

Die Offiziere und Wachtmeijter der verjchtedenen Negimenter 
und Fahnen eilten in das Quartier des Hetman, denjelben zu 
beglüchvünjchen. Die bereits in Schlaf verfunfene Stadt er- 
wachte wieder. Man entzündete ?reudenfeuer. Die Fahnen- 
träger eilten mit den Fahnen herbei, Trompeten jchmetterten, 
Trommeln wirbelten, Kanonendonner wechjelte mit dem Knattern 
des Gewehrfeuers, und Herr Sapieha ließ in Eile ein herrliches 
Mahl herrichten. Man verjubelte die ganze Nacht, die Gejund- 
heit des Königs, des Hetmans immer von neuem ausbringend 
und manchen Becher auf den fünftigen Sieg über Boguslaw 
leerend. 

Herr Andreas war ſelbſtverſtändlich nicht bei dem Gaſt— 
mahle gegenwärtig. 

Während die Speiſen herumgingen, brachte der Hetman 
das Geſpräch auf Boguslaw, und während er vermied, zu er— 
wähnen, wer der Offizier ſei, welcher die Tartaren hergebracht und 
ihm das Ernennungsdekret des Königs überreicht, ſprach er im 
allgemeinen über die Aufſchneidereien Boguslaws, der immer 
gern von der Wahrheit abweiche. 

„Beide Radziwills,“ ſagte er, „intriguierten gern, aber 
Fürſt Boguslaw übertrifft den verſtorbenen Vetter noch. ... 
Erinnert ihr Herren euch noch des Kmiziz? Wenn nicht, ſo 
habt ihr doch wenigſtens von ihm gehört. Stellt euch vor, 


201 


alles das, was der Fürſt Boguslam über ihn verbreitet hat, iſt 
nicht wahr. Es iſt eine Lüge, dat Kmiziz ihm den König aus- 
zuliefern jich erboten hat!“ 

„Er hat doch aber dem Fürſten Sanujch beigeitanden, als 
diejer jich mit den Schweden verbündete, und hat in Sliejdan 
mitgeholfen, die aufitändischen Offiziere zu töten,“ bemerfte ein 
Edelmann. 

„Das ift richtig,” Sprach der Hetman weiter. „Aber auch 
er fam hinter den Verrat und als er ihn erfuhr, da warf er 
nicht allein dem Fürſten jeinen Säbel vor die Füße jondern, 
verwegen wie er iſt, hat er auch an Boguslaw jich rächen 
wollen. Es joll ſchon jehr jchlimm um den jungen Fürſten 
bejtellt gewejen jein; er fam faum mit dem Leben davon.“ 

„Kmiziz war ein großer Soldat! Das muß man ihm 
lafjen,* warfen mehrere Stimmen dazwiichen. 

„Der Fürſt hat dann eine Rache an ihm erjonnen, jo 
jchredlich, daß die Seele davor erjchauert,“ fuhr Sapieha fort. 

„Der Teufel hätte nichts Schlimmeres erjinnen können!“ 

„Ihr müßt willen, daß ich Beweife in der Hand Habe, 
Beweiſe jchwarz auf weiß, dag die Verleumdung nur ein 
Nacheaft war.“ 

„ber eines Menschen Namen jo zu verunehren.“ 

„sch hörte,“ erzählte der Hetman weiter, „daß Kmiziz aus 
Verzweiflung darüber, was er umwifjentlich gejündigt, dann 
nach Tichenjtochau gegangen iſt und dort dem Kloſter jehr be— 
deutende Dienite geleitet hat. Später hat er mit eigener 
Lebensgefahr dem Könige das Leben gerettet.‘ 

Als die Anmwejenden das hörten, begannen diejenigen, 
welche jeine erbittertiten ‚zeinde waren, milder über Kmiziz zu 
urteilen. 

„Kmiziz wird ihm das nie verzeihen,“ meinten einige. 
„Er iſt ein zu eigen gearteter Menjch; der wird dem NRadziwill 
ihon auszahlen.“ 

„Der Fürit-Stallmeifter hat den ganzen Soldatenjtand in 
diefem einen entehrt!* 

„Kmiziz war ein mutwilliger, oft graufamer Menſch, nie— 
mals dennoch ein Abtrünniger!“ 

„Er wird jich rächen! O, er wird fich rächen!“ 

„Wir wollen ihn rächen!“ 

„Wenn Seine Gnaden der Herr Hetman für feine Ehre 
eintritt, dann muß wahr fein, was er jagte.“ 


„So iſt es! Es ijt wahr!“ 

„Es lebe der Hetman! Es lebe der Hetman!“ 

Faſt Hätte nicht viel gefehlt, jo hätte man auch Kmiziz' 
Wohl ausgebradht. Doch wurden zwijchendurch auch gewichtige 
Stimmen laut, die gegen ihn auftraten, bejfonders unter den 
Offizieren, die früher in Radziwillichen Dienjten gejtanden. Als 
der Hetman das hörte, fagte er: 

„sch will euch Herren jagen, wie mir dieſer Kmiziz jeßt 
in den Sinn gefommen iſt. Babinitjch, der Eilbote des Königs 
it ihm sehr ähnlich. Im eriten Augenblick glaubte ich ihn 
jelbjt vor mir zu jehen.“ 

Herr Sapieha runzelte ein wenig die Stirn und jagte 
mit Würde: 

„Wenn aber auch Kmiziz in eigener Berjon hierherfäme, 
würde ich ihn, nachdem er jich befehrt und den Heiligen Berg 
Tichenftochaus durch feine Heldenthat bejchirmt hat, mittels 
meiner Würde als Hetman vor allen Angriffen fügen. Ich 
bitte alſo die Herren, daß anläßlich diefes Eilboten des Königs 
feinerlei Streitigfeiten hier entitehen. Ich erinnere daran, dab 
er als Beitallter Sr. Majeität und auch des Chan zu uns 
gefommen. Bejonders aber lege ich jeine Sicherheit den Herren 
Hauptleuten vom allgemeinen Aufgebot an das Herz, denn bei 
ihnen ift die Disziplin etwas loder.” 

Wenn Herr Sapieha jo jprad), wagte in der Negel Herr 
Sagloba allein etwas unter der Naje zu brummen, alle anderen 
Dffiziere ſaßen totenjtill. So auch jet hier, nur, daß Herr 
Sagloba fehlte. Erſt als das Gejicht des Hetman jich wieder 
aufbeiterte, wurden auch fie wieder lebhafter. Die Becher 
freiiten oft und erhöhten die allgemeine Heiterkeit. Die ganze 
Stadt braufte bis zum Morgen im Freudentaumel, daß die 
Mauern der Häuſer in ihren Grundfejten bebten. Der 
Rauch der abgefeuerten Gejchüge hüllte fie ein, wie nach einer 
Schlacht. 

Am anderen Morgen ſandte Herr Sapieha das Fräulein 
Borſchobohata nach Grodno, unter dem Schutze des Herrn 
Kotſchütz. In Grodno, welches Chowanski ſchon längſt ver— 
laſſen hatte, reſidierte die Familie des Wojewoden. 

Die arme Anuſia, deren Herz für den ſchönen Kmiziz doch 
etwas Feuer gefangen hatte, nahm ſehr rührenden Abſchied von 
ihm. Er aber blieb jehr ernit, und erjt als jie fchon im Wagen 
ſaß, fagte er ihr: 


203 


„Wenn nicht die eine jich wie ein Dorn in meinem Herzen 
feitgehajpelt hätte, wer weiß, ich hätte mich wahrjcheinlich auf 
Tod und Leben in euc) verliebt.“ 

Anufia, als fie das hörte, dachte bei jich, daß fein Dorn 
fo tief im Fleisch fit, der nicht mit Geduld und einer 
Stednadel herausgebohrt werden fünnte. Sie fürchtete fich 
aber etwas vor dieſem Herrn Babinitjch, deshalb jchwieg jie 
lieber — jeufzte leife und fuhr von dannen. 








18. Kapitel. 





Nach der Abreije Anufias mit Herrn Kotſchütz blieb das 
Heerlager Sapiehas noch acht Tage in Biala. Kmiziz, welcher 
mit jeinen Tartaren nach dem nahen Rokitno abfommandiert 
war, fonnte der Ruhe pflegen, denn es war notwendig, für Roß 
und Mann neue Kräfte zu jammeln, da die Pferde bejonders 
von der langen Reiſe jehr hHeruntergefommen waren. Bor 
einigen Tagen war auch der Grundherr Bialas, der Fürſt— 
Truchſeß Michael Kaſimir Nadziwill in Biala angefommen. 
Er war ein mächtiger und jteinreicher Herr, von der Seiten: 
linie Nieswierjch, von der man erzählte, day fie allein von den 
Kiſchkows jiebzig Städte und vierhundert Dörfer geerbt hatten. 
Diefer Fürſt Michael glich in nichts feinen Birzer Verwandten. 
Er war nicht weniger jtolz als jene, aber anderen Glaubens. 
Ein eifriger Patriot und Anhänger des rechtmäßigen Königs, 
war er mit ganzer Seele der Tyſchowietzer Konföderation bei= 
getreten und unterjtüßte Diejelbe nach Kräften. Obgleich jeine 
ungeheuren Bejigungen durch den legten hyperborätjchen Krieg 
Itarf mitgenommen waren, jo war ihm doch noch genug ge= 
blieben, um den Hetman mit einer anjehnlichen Truppenzahl 
zu unterjtügen. 

Doc war es weniger die Zahl jeiner Soldaten, die hier 
ing Gewicht fiel, wie die Thatſache, dal hier ein Radziwill 
gegen den anderen jtand. Auf dieſe Weije wurde den Hand— 
lungen Boguslaws jeder Anjchein von Nechtmäßigfeit entzogen 
und ihnen der Stempel des VBaterlandsverrates aufgeprägt. 

Darum begrüßte auch Herr Sapieha den Fürſt-Truch— 
je mit Freuden in feinem Lager. Mit jeiner Ankunft war 
auch dem Hetman die Zuverſicht gefommen, daß er über 
Boguslam fiegen werde, da auch jeine Streitfräfte durch die 


205 


Truppen des Fürſten eine Verjtärfung erhalten Hatten. 
Seiner alten Gewohnheit gemäß machte er langjam jeine Pläne, 
überlegte hin und her und berief jeine Offiziere zu den 
Beratungen. 

Auch Kmiziz wohnte diefen Beratungen bei. Als er das 
erjte Mal mit dem Fürſten Michael zufammentraf, pacte ihn 
bei jeinem Anblid eine grenzenlojfe Wut; der Hab gegen den 
Namen Radziwill war zu mächtig in ihm. Aber der Fürft 
gewann durch den Ausdrud der Güte in jeinem jchönen Geficht 
und durch jeine hervorragenden Charaftereigenjchaften die Herzen 
der Menjchen. Die jchwere Zeit, die er joeben exit durch- 
gemacht, indem er das Land gegen die Einfälle Soltarenfas 
und Srebrnis gejchüßt hatte, jeine Liebe zum Könige und zum 
Vaterlande, das alles machte ihn zu einem der hervorragenditen 
Kavaliere jeiner Zeit. Seine Amwejenheit im Lager Sapiehas 
allein genügte, um allen zu beweijen, wie diefer junge Fürſt 
alle jeine PBrivatinterejjen auf dem Altar des Waterlandes 
opferte. Wer ihn fannte, der mußte ihn hochachten und diejem 
Gefühle konnte jelbjt Kmiziz, troß der tiefen Abneigung gegen 
die Radziwills, nicht wehren. 

Zulegt gewann der junge Fürſt das ganze Herz des 
Nitters durch die Natjchläge, die er erteilte. Er riet zum 
jchnellen Handeln, zum jchleunigen Ausrücen gegen die heran- 
ziehende Macht Boguslaws, damit dieſer nicht Zeit gervinne, 
die verlorenen Schlöjfer und Velten wieder zu bejegen. Man 
jolle ihn angreifen, ihn nicht zu Atem kommen laſſen, ihn mit 
jeinen eigenen Waffen jchlagen, und auf feinen Fall fich mit 
ihm in Verträge irgendwelcher Art einlajfen. Nur im rejoluten, 
jchnellen Handeln erblicte er einen jicheren, jchnellen Sieg. 

„Es wird nicht fehlen,“ führte der Fürſt des weiteren aus, 
„daß auch Karl Guſtav jich zu regen beginnt. Deshalb müſſen 
wir uns freie Hand schaffen, um jo jchnell als möglich dem 
Herrn Ticharniezfi Hilfe bringen zu können.“ 

Auch Kmiziz war diefer Anficht; es brannte ihn jchon 
nach dreitägiger Ruhe, thätig in die Ereignijje eingreifen zu 
dürfen. Am liebiten wäre er, ohne ein Kommando abzuwarten, 
auf eigene Fauſt dem Feinde entgegen gezogen. 

Aber Sapieha wollte jicher gehen; er fürchtete jeden 
umüberlegten Schritt, er wollte erit bejtimmte Nachrichten 
abwarten. 

Und die Gründe des Hetman waren auch jtichhaltig. Der 
Zug Boguslaws nach Podlachien konnte ebenjo gut nur unters 


206 


nommen worden fein, um die Konföderierten irre zu führen. 
Vielleicht war das ganze Unternehmen nur ein fingiertes, viel- 
leicht jandte man nur zum Schein eine Anzahl irgendwelchen 
Ktriegsvolfes aus, um die Vereinigung des Sapiehafchen Heer: 
lager mit dem Sronenheere zu verhindern. Verhielt es ſich 
jo, dann würde Boguslaw vor Sapieha nur berumflanieren, 
eine Schlacht aber auf alle Fälle vermeiden, das Heer unauf- 
börlich durch Streifereien in Unruhe verjegen, während in- 
zwifchen Karl Guftav mit dem Kurfürften gegen Herrn Tſchar— 
niezfi anrüden, jein Heer mit ihrer Uebermacht erdrücden, dann 
dem Kronenheere entgegenziehen und jo ungejtört das ganze 
mühfelig durch das Beiſpiel Tſchenſtochaus aufgerichtete Ver— 
teidigungswerf vernichten konnten. 

Herr Sapieha war nicht nur ein waderer Feldherr, er war 
auch ein Stratege. Er begründete jeine Anfichten in den Sigungen 
jo Far und energiich, daß ſelbſt Kmiziz ihm zuftimmen Au 
Man mußte umbedingt erſt Klarheit in die Sachlage bringen. 
Erwies es ſich, daß Boguslaw nur zum Scheine den Kriegszug 
unternommen, dann genügte e8, ein paar Fahnen unter Tchter 
friegstüchtiger Leitung hier zurüdzulajjen, mit der ganzen Heeres— 
macht aber in Eilmärjchen zu Herrn Tjcharniezfi zu jtoßen, 
um der jchwedischen Hauptmacht erfolgreich entgegen zu treten. 
Auf die paar Hier zurücbleibenden Fahnen konnte es hierbei 
nicht ankommen, denn nicht alle Streitkräfte des Hetman waren 
bei Biala jtationiert. Der junge Herr Kichyfchtof, Kſchyſchtofek 
Sapieha genannt, jtand mit zwei Fahnen leichter Reiterei in 
Jaworowo; Horotkiewitjch trieb jich noch in der Gegend von 
Tyfozin mit einem halben Regiment Dragoner umher, denen 
ſich mit der Zeit etwa fünfhundert Freiwillige angejchlofjen 
hatten, außerdem mehrere Petyhor- Fahnen und in Bialyſtock 
ein Negiment Fußſoldaten. 

Wenn Boguslaws Heer, wie Sapieha mutmaßte, nur aus 
etlichen Hunderten Neiter bejtand, dann genügte es, die leht- 
genannten Truppen zujammenzuziehen, um Boguslaw in Schach 
zu halten. 

So begnügte ſich denn der Hetman vorläufig damit, nad) 
allen Nichtungen Hin Kumdjchafter auszuſenden, und wartete 
die erjehnten Nachrichten ab. 

Und endlich trafen fie ein. Wie Keulenſchläge fuhren fie 
in die Stille des Lagers, welche um jo jchwerer trafen, als die 
ausgejandten Kundſchafter faſt gleichzeitig zurücfehrten. 

Man hielt im Schloffe in Biala joeben wieder eine Sigung 


207 


ab, als ein Ordonnanz-Offizier eintrat und dem Hetman ein 
Schreiben überreichte. 

Kaum hatte diefer einen Blick in dasjelbe geworfen, als 
er auch jchon ganz aufgeregt ausrief: 


„Mein Berwandter in Jaworowo ijt volljtändig gejchlagen 
und zwar durch Boguslaw jelbjt. Herr Kſchyſchtof jelbit it 
faum mit dem Leben entronnen.“ 

Die Anwejenden verjtummten plößlich bei dieſer eben ver— 
nommenen Kunde. 

„Der Brief iſt auf der Flucht in Bransf gejchrieben,“ 
fuhr der Hetmann fort. „Wahrjcheinlich) war die Konfufion 
groß, denn es jteht nichts in dem Briefe von der Stärfe der 
Boguslawjchen Armee... Sch denke, jie muß jchon bedeutend 
jein, da fie die zwei Fahnen nebit allen Fußſoldaten vollitändig 
aufgerieben hat! ... Möglich iſt aber auch, daß Fürjt Bogus- 
law jie unverjehens überrumpelt hat . . Man fann dem Briefe 
gar nichts Sicheres entnehmen . . .“ 

„Herr Hetman!“ entgegnete der Fürſt Michael. „Ich bin 
dejien gewiß, dab Boguslam ganz Podlachien für fich offupieren 
will, um es dann mittel3 eines Bertrages, entweder als feites 
Eigentum, oder als Lehen an jich zu bringen... Dazu aber 
braucht er eine große Truppenmacht. Ich habe für meine 
Behauptung zwar feinen anderen Beweis, als meine Kenntnis 
der Charaftereigentümlichkeiten Boguslarıs, doc) das genügt mir. 
Nicht um Schweden und Brandenburg it er bejorgt, jondern 
um jeine eigene Habgier ... Er ift ein Feldherr von außer: 
ordentlichen Fähigkeiten und vertraut dabei jeinem guten Stern. 
Er will eine Provinz für fich erobern, den Tod Januſchs 
rächen, Ruhm ernten; zu alle dem braucht er ein Heer, ein 
großes Heer. Wir müſſen ihn fchleunigit überrumpeln, jonit 
überrumpelt er ung.“ 

„gu allen Unternehmungen ijt Gottes Segen vonnöten,“ 
jagte Osfierfo, „und diejer Segen iſt bei uns!“ 

„Herr Hetmann!“ jagte Kmiziz. „Wir entbehren noch) 
Jicherer Nachrichten, bitte jchict mich aus mit meinen Tartaren; 
ich will bald bringen, was uns zu willen not thut.“ 


Osfierfo, welcher in das Geheimnis eingeweiht war und 
wußte, wer Babinitjch war, unterjtügte dieſen Antrag lic 

„Bei Gott! Das ijt ein ausgezeichneter Gedanke! Einen 
ſolchen Kundſchafter und ſolche — Un dort am Platz. 
Wenn nur die Pferde ausgeruht find . 


208 


Osfterfo ftodte . . . Wieder trat eine Urdonnanz in 
das Gemad). 

„So, Herr Hetman,“ jagte Sapieha, ſich mit den Händen 
auf die Kniee jtügend, „nun befommen wir näheres zu hören. 
... Laßt den Boten herein!“ rief er dem Offizier zu. 

Gleich darauf betraten zwei Petyhor-Ulanen das Gemad). 
Ihre Uniformen waren zerriffen und ganz bejchmußt. 

„Bon Horotfiewitich?“ rief Sapieha ihnen fragend entgegen. 

„Bon Sorotfiewitich! Zu Befehl!“ 

„Wo it er jebt?“ 

„Erichlagen! Und wenn nicht erichlagen, dann weiß Gott 
allein, wo er jich befindet.“ 

Der Wojewode erhob fich, ſetzte ſich aber jogleid) wieder 
nieder und forjchte anscheinend ruhig weiter. 

„Wo befindet jid) die sahne?“ 

„Sie iſt vernichtet durch den Fürſten Boguslaw.“ 

„Sind viele von euch gefallen?“ 

„Es jind unjerer nicht viele übrig geblieben. Die wenigen, 
die am Leben jind, gerieten in Gefangenjchaft. Einige wollen 
behaupten, daß der Hauptmann auch entkommen je. Daß er 
verwundet it, habe ich jelbjt gejehen. Wir find aus der Ge— 
fangenjchaft entflohen.“ 

„Wo jeid ihr überfallen worden?“ 

„Bei Tykozin.“ 

„Warum Habt ihr euch nicht Hinter die Mauern des 
Schlofies verjchauzt, da ihr in der Minderzahl waret?“ 

„Iyfozin ift in den Händen der Feinde.“ 

Der Hetman bededte einen Augenblid die Augen mit 
der Hand. Dann rieb er ſich die Stirn. 

„sit das Heer Boguslaws jtarf?“ 

„Etwa viertaufend Weiter, außer den Fußſoldaten und 
den Gejchügen. Die Füſiliere find ganz marode; ſie blieben 
zurüd. Die Neiter gehen vorwärts, die Gefangenen mit fic) 
führend. Wir find ihnen glüdlicd) entwijcht.“ 

„Wo jeid ihr entflohen?“ 

„sn Drohotjchyn.“ 

Sapieha riß die Augen weit auf. 

„Menich! du biſt betrunfen!“ rief er. „Wie jollte 
Boguslam nach Drohotjchyn kommen. Wann hat er euch denn 
aufgehoben?“ 

„Bor zwei Wochen.“ 

„Und er befindet jich in Drohotſchyn?“ 


209 


„Seine Worjchübe jind dort; er jelbit it noch zurüd- 
geblieben, Denn man hat einen Neifetransport aufgefangen, 
welchen Herr Kotſchütz führte.“ 

„Kotſchütz mit Fräulein Borichobohata!” rief Kmiziz aus, 

Das Stilljchweigen, welches nun eintrat, währte länger, 
als zuvor, niemand wagte zu jprechen. Das rajche erfolgreiche 
Vorgehen Boguslaws hatte alle Köpfe verwirrt. Gleichzeitig 
juchten die Gedanfen eines jeden im Stillen im Hetman den 
Schuldigen; hätte er nicht jo lange überlegt, jondern raſch ges 
handelt, wie ihm geraten worden — doch niemand wagte jeine 
Meinung laut zu äußern. 

Sapieha aber war ſich bewußt, recht und vorjichtig gehandelt 
zu haben. Er überwand auch zuerjt den niederdrüdenden Ein— 
drud der erhaltenen Mitteilungen. Mit einer Dandbewegung 
entließ er die beiden Ulanen, dann jprad) er: 

„Das alles jind Unfälle, die jeder Strieg mit jich bringt, 
die uns auch nicht entmutigen dürfen. Glaubt nur nicht, daß 
wir jchon eine Niederlage erlitten haben, meine Herren. Schade, 
jchade, um jene unglüdlichen Fahnen, das it wahr. Doch der 
Schaden hätte größer werden fünnen, wenn Boguslav ums 
liſtiger Weije in entfernte Provinzen gelocdt hätte. Er kommt 
zu uns... Gut! als freigebige Wirte wollen wir ihm ent= 
gegengehen.“ 

Hier wandte er jich an die Hauptleute. 

„sch befehle aljo, alle Truppen marjchbereit zu halten.“ 

„Ste find e8 bereits,“ jagte Oskterfo, „die Pferde dürfen 
nur aufgezäumt und zum Aufſitzen geblajen werden.“ 

„Noch heute Abend joll es geſchehen . . . Wir rüden 
morgen mit dem erſten Tagesgrauen aus . . . Herr Babinitſch 
kann mit den Tartaren voraus ſprengen, um möglichſt bald 
und viel auszufundjchaften.“ 

Kaum hatte Kıniziz das gehört, jo war er auch ſchon Hinter 
der Thür. Einige Augenblide nachher jprengte er in vollem 
Galopp auf der Landſtraße Nofitno zur. 

Auch Herr Sapieha zauderte nun nicht länger. Es war 
noc) tiefe Nacht, als die Trompeten in langgezogenen Tönen 
zum Aufjigen bliefen und gleich darauf Reiter umd Fußvolk in 
langen Zügen aus der Stadt dem Schlachtfelde zu marjchierten. 
Hinterdrein fuhren fnarrend eine ganze Neihe beladener Wagen. 
Die eriten Morgenlichter jpiegelten fic) in den Läufen der Mus— 
feten und in den Lanzenjchäften. 

Ein Regiment nach dem anderen, eine Fahne nach der 

Sienkiewicz, Sturmflut II. 14 


210 


anderen zogen zierlich und wohlgeordnet dahin. Die Weiter 
jangen die Tagzeiten und die Pferde jchnauften in der Morgen- 
fühle, was die Soldaten für eine gute Vorbedeutung fommenden 
Sieges hielten. Die Zuverſicht auf beilere Tage erfüllte Die 
Herzen der Krieger, denn jie wuhten, da Herr Sapieha, wenn 
er auch lange fopfjchüttelnd zu erwägen liebte, doch ein großer 
Feldherr war, wenn es galt, loszujchlagen. 

In NRofitno waren inzwilchen die Lageritellen der Tar— 
taren ſchon Falt geworden, die waren längjt über alle Berge. 
Herr Sapieha wunderte ſich nur, daß er nichts über fie er- 
fahren fonnte, troß vieler Nachfragen. Man wollte jie nirgends 
gejehen haben, obgleich es eigentlich undenkbar war, daß eine 
Abteilung von mehreren hundert Mann unbemerkt durch Die 
Ortjchaften gefommen fein jollte. 

Die erfahreneren Offiziere bewunderten die Geſchicklichkeit, 
mit welcher Babinitjch einen jolchen Zug in lautlofer Disziplin 
zu halten verjtand. 

„Er ichleicht wie ein Wolf und beit wie ein Wolf,“ 
jagte man untereinander. „Er muß ein Ichlauer Praftifant jein.“ 

Und Herr Oskierko jagte heimlich zu Herrn Sapieha, da 
er doch wußte, wer Babinitjch war: 

„Showansfi hat nicht umſonſt einen Preis auf jeinen Kopf 
ausgejegt. Wer kann wiſſen, wen Gott den Sieg zugedacht hat, 
aber Boguslaw wird den Strieg mit uns bald überdrüfjig jein.“ 

„Schade nur, daß Babinitjch wie in einen Abgrund ver- 
junfen jcheint,“ sagte der Hetman. 

Sp waren drei Tage vergangen, ohne daß etwas neues 
vorgefallen wäre. Die Hauptarmee Sapiehas hatte den Bug 
überjchritten, Drohitichyn erreicht und noch immer war vom 
Feinde feine Spur zu finden. Der Hetman fing an unruhig 
zu werden. Nach den Berichten der Petyhors waren doch die 
Vorpoſten Boguslaws jchon bis Drohitſchyn vorgedrungen. Da 
man ſie nicht fand, mußte Boguslaw ſie wohl zurückgezogen 
haben. Was aber hatte dieſer Rückzug zu bedeuten? Hatte 
der Fürſt von der Llebermacht Sapiehas gehört und fürchtete 
er diejelbe, oder wollte er den Hetman dennoch weit hinauf 
nach dem Norden loden, um dem Stönige von Schweden den 
Ueberfall Tjceharniezfis zu erleichtern? Babinitjch mußte jchon 
einen Sumdjchafter haben, um den Hetman benachrichtigen zu 
fünnen. Die Angaben der Tetyhors über die Stärfe der feind- 
lichen Heeresmacht konnten irrige fein, es war durchaus not- 
wendig, bald jichere Berichte zu empfangen. ’ 


211 


Aber e3 vergingen weitere fünf Tage, ohne daß Babinitjch 
ein Lebenszeichen gegeben hätte. Der Frühling war im Anzuge, 
die Tage wurden immer wärmer. Der Schnee jchmolz. Die 
Gegend jtand faſt ganz unter Wafler, das „‚umpfige Erdreich 
erjchwerte ungeheuer Die weitere Bewegung. Der Hetman mußte 
eine Anzahl Gejchüge nebſt einigen Wagen in Drohitſchyn zurüd- 
lajjen, was fleine Unbequemlichkeiten zur ‚Folge hatte. 
=» In Bransk wurden die Wege jo hlecht, daß auch die 
Fußſoldaten nicht mehr weiter konnten. Der Hetman requirierte 
unterwegs Pferde von den Bauern und lieg die Musketiere 
aufjigen. Andere wurden von den Ulanen mitgenommen. An 
ein Zurück war nicht zu denfen; der Hetman wußte, daß nur 
eins zu thun blieb. „Vorwärts“ galt die Lojung. 

Boguslaw wich immer weiter zurüd. Man traf jet bier 
und da jchon Spuren feines Durchzuges, bald ein nieder- 
gebranntes Dorf, bald einige arme Erhängte, deren Körper 
noch an den Bäumen baumelten. Wohl brachte ber  anjäjlige 
Kleinadel Nachrichten über Boguslaw in das Lager Sapiehas, 
aber jie mwiderjprachen fich und beruhten eben nur auf Er— 
zählungen von Menschen, die vom Kriegshandwerf feine Ahnung 
hatten. Manche von ihnen wollten auch Hier und da Tartaren 
gejehen haben, aber gerade bezüglich ihrer lauteten die Berichte 
am umwahrjcheinlichjten. Bald hatte man ſie Hinter, bald vor 
dem fürjtlichen Deere gejehen. 

Herr Sapieha war wütend, wenn jemand nur den Namen 
Babinitjch nannte und fagte zu Oskierko: 

„Ihr Habt ihn zu Früh gelobt! Ich habe Wolodyjowsfi 
jehr zur Unzeit fortgejchickt, wenn ich ihn hier hätte, jo wüßte 
ich lange, woran ich bin; dieſer hier üt ein Wirbehvind oder 
Schlimmeres. . Wer weiß, vielleicht haben gar die Menjchen 
recht, welche jeine Tartaven an der Spitze des feindlichen Heeres 
gejehen haben wollen, vielleicht macht er mit Boguslaw gemein- 
jchaftliche Sache.“ 

Oskierko wußte jelbjt nicht, was er denfen ſollte. Wieder 
war eine Woche verjtrichen, das Heer war in Bialyjtod an— 
gelangt. 

Kun war um Mittag. Etwa zwei Stunden jpäter meldeten 
die Vorpojten, da eine Abteilung Soldaten jich dem Orte 
nähere. 

„Vielleicht Babinitjch!“ vier der Hetman. „Er joll nur 
fommen, ich habe jchon das pater noster für ihm bereit.“ 

Aber 8 war nicht Babinitjch jelbit. Im Lager entitand 

14* 


212 


bei Anfunft jener Trupps ein jo großer Auflauf, daß Herr 
Sapieha jelbit hinausging, um zu jehen, was gejchehen war. 

Etliche Offiziere verjchiedener Abzeichen kamen ihm ent- 
gegen geeilt. 

„Bon Babinitjch!“ meldeten fie. „Gefangene! Eine große 
Anzahl! Er muß viele Menjchen umgebracht haben.“ 

Bald jah auch der Hetman eine Anzahl Menjchen vor 
fich, auf abgemagerten, jtruppigen Kleppern hodend. Sie um— 
ringten etwa dreihundert an den Händen gefejjelte Gefangene, 
welche jie mit ledernen Riemen peitjchten. Die Gefangenen 
boten einen jchredlichen Anblid. Sie glichen eher Schatten, 
denn lebenden Wejen. Abgerifiene Lumpen jchlotterten um die 
halbnacten Leiber, die jo mager waren, daß die Knochen aus 
der jtellenweije blutig gejchlagenen Haut hervorjahen. Kaum 
noch imjtande, jich fortzujchleppen, liegen jie gleichgültig alles 
über jich ergehen. 

„Was jind das für Leute?“ frug der Hetman. 

„Vom Heere Boguslaws,“ antwortete einer der Volontäre 
Kmiziz', welcher mit den Tartaren die Gefangenen hergebracht. 

„Wo habt ihr ihrer jo viele her?“ 

„O, fait die Hälfte davon ift vor Erjchöpfung unterwegs 
liegen geblieben.“ 

Ein alter Tartar, der bei dem Tſchambul das Amt eines 
Wachtmeijters befleidete, näherte ſich nun dem Hetman umd 
nachdem er mit der Stirn den Boden berührt, überreichte er 
ihm einen Brief Kmiziz'. 

Ohne zu zaudern, erbrach der Hetman das Siegel und 
begann laut zu lejen: 

„Erlauchter Herr Hetman! 

Dat ich bis jet feine Nachrichten und auch feinen Kund— 
ichafter gejandt habe, liegt daran, dat ich anſtatt Hinter dem 
Heere Boguslaws an der Spite desjelben ritt und lieber gleich 
en einer größeren Anzahl Kundjchafter vor Euch erjcheinen 
wollte...“ 

Der Hetman unterbrach das Xejen. 

„Er iſt ein Teufel!” jagte er. „Anitatt ihm zu folgen, 
hat er ihn umgangen und jeine Frontſtellung angegriffen!“ 

„Da Ichlage doc das Wetter drein! . . .* ſetzte Herr 
Oskierko Hinzu. 

Der Hetman las weiter: 

„Denn, obgleicd) das eine jchiwierige Operation war, da die 
Vorſchübe überall in breiter Linie gingen, quetjchte ich mich, 


213 


nachdem ich zwei derjelben volljtändig ausgehauen hatte, doch 
nad) vorn durch und jtellte mich plöglich der ‘Front des feind- 
lichen Heeres entgegen. Das verwirrte den Fürjten vollfommen; 
er begriff jogleich, daß er umgangen worden und in eine Falle 
geraten war. . . .“ 

„Daher der plögliche Rüdzug!“ rief der Hetman. . . „Er 
it ein Teufel, der reine Teufel!“ 

Seine Neugier wuchs immer mehr; er las weiter: 

„Der Fürſt, welcher fich jedenfalls nicht erflären fonnte, 
wie Das zugegangen war, verlor ganz die Bejinnung. Er 
jandte Patrouillen über Batrouillen aus, welche wir jtet3 ab- 
fingen und dafür jorgten, daß jie vollzählig nie zu ihm zurüd- 
fehrten.. Da id) dem Heere vorauseilte, nahm ich ihm Die 
Fourage vorweg, zeritörte die Wälle und ließ die Zugbrücden 
niederreißen, jo daß er nur mühjelig weiter marjchieren fonnte, 
und ließ ihm Tag und Nacht weder Zeit zum Eſſen noch zum 
Schlafen. Keiner wagte es, das Lager einen Augenblid zu ver: 
lafien, denn die Unvorfichtigen wurden von meinen Qurtaren 
jogleich aufgegriffen; wenn die miüden Soldaten endlich ein- 
eichlafen waren, dann jtimmten meine Leute in ihren Ver— 
Meden ein entjetliches Geheul an, ſodaß die Schläfer entjegt 
emporfuhren, weil jte glaubten, eine große Armee rüde gegen 
fie an. Sie hielten dann die ganze Nacht Wachtfeuer. Da— 
durch ijt der Fürſt der Verzweiflung nahe gebracht; er weiß 
nicht, wohin er fich wenden, wohin er fich begeben fol. Daher 
it es notwendig, dab bald gegen ihn vorgegangen wird, damit 
er nicht jeinen Irrtum erfennt und nicht zu Atem kommt. Er 
hatte etwa jechstaujend Mann bei fich, aber nahezu ein Taujend 
hat er jchon verloren. Die Pferde fallen ihm. Die Reiter: 
regimenter jind jonit gut imjtande, die Fußſoldaten gut be— 
waffnet. Doch half Gott den Haufen etwas jchmelzen; es 
werden von Tag zu Tag weniger, und wenn unjere Armee 
ihn nur bald erreicht, dann wird jein Heer beim erjten Anprall 
zerjchellen. Die Karofjen des Fürſten, ſechs Kredenzwagen mit 
verjchiedenen Koſtbarkeiten habe ich in Bialyjtod weggenommen, 
jamt zwei Gejchügen, welche ich jedoch, weil jie zu ſchwer find, 
ins Wajler verjenfen mußte. Der fürjtliche Verräter ilt vor 
Aerger jchon bedenklich erkrankt; er kann ſich kaum mehr auf 
dem Pferde halten, das Fieber verläßt ihn Tag und Nacht 
nicht. Fräulein Borjchobohata wird im Lager fejtgehalten, 
doch da der Fürſt Frank it, wird er ihrer Tugend nicht ges 
fährlich werden. Dieje Nachrichten von der Berzweiflung des 


214 


Fürſten habe ich von den Gefangenen, welche meine Tartaren 
durch Anjengen der Haut zum Sprechen zwangen. Sie werden 
ihre Ausſagen wiederholen, wenn man das Experiment wieder 
holen wollte. Damit empfehle ich Ew. Erlaucht meine unter— 
thänigen Dienjte und bitte um Verzeihung, wenn ich in etwas 
gejehlt haben jollte.e Die Tartaren find gute Jungen und 
hauen, wenn ſie reiche Beute wittern, Fräftig zu.“ 

„Ew. Erlaucht bedauert wohl jet jchon weniger, den 
Herrn Wolodyjowsfi fortgejchidt zu haben,“ jagte Oskierko. 
„sch glaube, er hätte es diefem Teufel nicht gleichgethan.“ 
Es iſt zum Staunen!“ rief Sapieha, indem er fich den 
Kopf hielt. 

„Lügt er nicht etwa Doch?“ 

„O, er beſitzt zuviel Stolz dazu! Hat er doch jelbjt dem 
Fürſt-Wojewoden in das Gejicht gejagt, was er über ihn dachte, 
und nicht darnach gefragt, ob es ihm angenehm war oder nicht. 
Er wiederholt Ddiejelbe Prozedur an Radziwill, die er an 
Chowansfi erprobt, nur daß der letztere Fünfzehnmal mehr 
Soldaten hatte, als Diejer,“ verteidigte Oskierko. 

„Wenn er die Wahrheit jchreibt, dann iſt e3 notwendig, 
jogleichh weiter zu marjchieren,“ überlegte der Hetman. 

„Gewiß! Che der Fürſt zur Bejinnung fommt.“ 

„Auf alſo! Jener zerjtört ihm die Brüden, holen wir 
ihn ein.“ 

Inzwiſchen waren die Gefangenen, al$ jie vernommen, der 
Hetman jtehe vor ihnen, in Slagelaute ausgebrochen. Sie 
jchilderten ihr Elend in den verjchiedenen Dialekten der litauijchen 
Zunge unter Thränen und flehentlichen Bitten. Es befanden 
ſich unter ihnen auch Schweden, Deutjche und Schotten von 
der Leibgarde Boguslaws. Herr Sapieha befahl, ihnen Speiſe 
und Tranf zu veichen, dann ohne Martern ein Verhör mit 
ihnen vorzunehmen. 

Ihre Ausjagen bejtätigten die Wahrheit des von Kmiziz 
Gejagten. Sp marjchierte denn die Armee Sapiehas in Eil- 
märjchen vorwärts. 


Er 


NIN/N/ 
* 
8 


* 
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19. Rapitel, 





Der nächite Bericht Kmiziz' fam von Sofolfi und lautete 
furz: „Der Fürſt jimuliert, um unjere Armee irre zu führen, 
einen Rückzug nach Schtichutjichin, wohin er einen Bortrab 
gejandt hat. Seine Hauptmacht jteht bei Janowo. Er hat 
dort einen Zuzug von Fußſoldaten unter dem Kommando 
des Kapitän Kyrig erhalten. Wir fünnen die Lagerfeuer im 
Lager des Fürjten leuchten jehen. In Janowo joll acht Tage 
gerajtet werden. Die Gefangenen jagen aus, daß der Fürſt e8 
auf eine Schlacht ankommen laſſen will. Das Fieber hat ihn 
noch immer nicht verlajjen.“ 

Nach dem Empfange diejes Berichtes, ließ Herr Sapieha 
den Reſt feiner Wagen und Stanonen zurüd und marjchierte 
nah Eofolfi. Da endlich jtanden jich die beiden feindlichen 
Heere gegenüber. Die Schlacht war nun unvermeidlich, da das 
eine Heer nicht mehr entfliehen, das andere nicht mehr verfolgen 
fonnte. Vorläufig jtanden fie, wie zwei nach langer Hebjagd 
ermüdete Nüden fic gegenüber, den rechten Zeitpunkt des Angriffs 
erwartend, verjchnaufend und Kräfte jammelnd. 

Als der Hetman Kmiziz wiederjah, umarmte er ihn und 
ſprach: 

„Sch war ſehr zornig auf euch, als ihr jo lange nichts 
von euch hören ließet; aber ich jehe, daß ihr mehr geleijtet 
habt, als ich Hoffen durfte Wenn Gott uns den Sieg giebt, 
jo wird das euer, nicht mein Verdienit jein. Ihr habt ja den 
Boguslaw begleitet, als wolltet ihr jein Schußgeiit werden.“ 

Die Augen Kmiziz' leuchteten unheilverfündend auf. 

„Wenn ich je jein Schußgeiit bin, dann muß ich in Der 
Stunde jeines Todes bei ihm jein,“ jagte der Ritter. 


216 


„Das jteht in Gottes Hand,“ entgegnete der Hetman ernit. 
„Soll Gott euch aber jeinen Segen verleihen, jo jeht allezeit 
in Er den Feind des Waterlandes und nicht den perjönlichen 
Feind.“ 

Kmiziz verbeugte fich zujtimmend, trogdem fonnte man 
nicht wahrnehmen, daß die jchönen Worte des Hetman irgend- 
welchen Eindrud auf ihn gemacht hätten; jein Gejicht hielt den 
Ausdruck unauslöfchlichen Hafjes feſt und er trat um jo jchärfer 
hervor, als während der großen Mühſale der legten Wochen 
jein Körper noch mehr abgemagert war. Früher malte jich in 
dieſem Gejicht nur der Widerjchein eines mutigen, verwegenen 
Charakters, jest blickte Graufamfeit und Haß daraus. Man 
gewann die Heberzeugung, daß derjenige, welchem diejer Menjch 
Mache geſchworen hatte, verloren war, jei es auch gleich ein 
Nadzimill. 

Sein Rachewerf hatte jchon begonnen. Durch jein jchlaues 
Vorgehen hatte er Boguslaws Berechnungen verwirrt; er hatte 
ihm die Angſt eingeflößt, daß er fich vom Feinde umringt 
wähnte Er hatte ihn zum Rückzug gezwungen, ihn Tag und 
Nacht begleitet. Patrouillen aufgegriffen und die Gefangenen 
graufam mißhandelt. Bei Siemiatyze, bei Bodi und Orla 
hatte er mitten in der Nacht das ganze Lager aufgejtört. In 
Wojihfi unweit Sabludowo, welches ein vechtmähiges, altes 
Beligtum der Nadziwills war, hatte er wie ein Wirbelwind 
das Hauptquartier des Fürjten überfallen, während Dderjelbe 
beim Mittagstiich ja. Um ein Haar wäre der Fürſt damals 
un Gefangenschaft geraten und nur dem Herrn Safowitjch, dem 
Unterfämmerer von Orjchmian, hatte er es zu danfen, daß er 
mit heiler Haut davonfam. Bei Bialyitod hatte Kmiziz die 
Karoſſen und Kredenzwagen dem Fürjten weggenommen, jeine 
Soldaten gehegt bis zur völligen Ermüdung Die jchöne 
deutjche Fußſoldateska und die jchwediichen Reiter ſchwankten 
einher, wie ausgehungerte Schatten, fortwährend geängitigt und 
faft finnlos von den ſchlafloſen Nächten. Bon allen Seiten 
ber hatte er durch das Geheul der Tartaren ihre Ruhe jtören 
lajjen. Kaum hatte der müde Soldat die Augen zum Schlaf 
geichlojien, da mußte er jchon wieder zur Waffe greifen. Se 
länger, deſto toller hatte er es getrieben. 

Der die Gegend bewohnende Kleinadel ſchloß ſich den Tar— 
taren an, teils aus Haß gegen die Radziwills, teils aus Furcht 
vor Kniziz, welcher die Widerjpenjtigen unbarmherzig jtrafte. 

Dazu war Boguslaw thatjächlich erkrankt und wenn im 


217 


Herzen dieſes Menjchen die Sorge auch niemals jich ernſtlich 
einzunijten vermochte und die Aitrologen, an die er blindlings 
glaubte, ihm vor jeiner Abreije aus Preußen prophezeit hatten, 
daß jeine Perſon von nichts Schlimmem betroffen werden würde, 
jo litt fein Feldherrnſtolz doc, unfäglich unter diefen Zuitänden. 
Er, dejjen Feldherrnruhm ganz Frankreich, die Nieder- und die 
Nheinlande erfüllte, fonnte in dieſen vermaledeiten Wäldern 
nicht8 gegen einen unbefannten und unjichtbaren Feind aus— 
richten, der ihn täglich befriegte. 

Die Verfolgung jeiner Armee überjtieg an Hartnädigfeit 
das jonjt in Siriegen übliche Maß jo jehr, daß Boguslaw mittels 
jeines angeborenen Scharfjinnes jchon nad) wenigen Tagen zu 
vermuten begann, daß ein unerbittlicher periönlicher Feind ihn 
derartig in Aufregung hielt. Den Namen desjelben erfuhr er 
bald, denn die ganze Gegend fannte ihn, aber Babinitjch war 
ihm fremd. Er hätte ihm jo gern Auge in Auge gegenüber 
geitanden, doch wie jehr er jich auch Mühe gab, während der 
Patrouillenritte, die er jelbit ohne Zahl unternahm, jeinen 
Gegner einmal zu Gejicht zu befommen; es war alles umjonit! 
Babinitjch verjtand jo vortrefflic; ihm auszuweichen und ihn 
da zu treffen, wo Boguslaw es am wenigiten vermutete. 

Jetzt endlich jtanden die Heere ich gegenüber. Boguslaw 
hatte thatjächlich durch Herrn von Kyritz Zuzug erhalten, welcher, 
nicht ahnend, wo der Fürſt fich befand, aus eigener Initiative 
nach Janowo gekommen war. Hier jollte die Entjcheidung 
fallen. 

Kmiziz bejeßte forgfältig alle von Janowo führenden Wege 
nah Sokolki, Korotſchin, Kujchniga und Sucdowola. In den 
umliegenden Wäldern, Weiden und Dickicht erhielten die Tar- 
taren ihre Standorte. Keine Botjchaft, fein Fouragewagen 
wurde durchgelajien. Darum lag Boguslaw viel daran, eine 
Entjcheidung herbeizuführen, noch ehe jeine Soldaten den leßten 
Zwieback aufgegefien hatten. Aber als jcharfiinniger und in 
allerlei Liiten erfahrener Mann wollte er erſt verjuchen, einen 
für ſich günjtigen Vertrag zuftande zu bringen. Er wuhte noch 
nicht, da Herr Sapieha ihm in ſolchen Fällen an Schlauheit 
und Berjtand weit überlegen war. 

Co fam denn eines Tages in Sofolfi ein Abgejandter 
Nadziwills, Namens Sakowitich, an, welcher dem Gefolge des 
Fürſten angehörend, dejjen intimer Freund war. Er brachte 
Briefe von Boguslaw und die Vollmacht, Frieden zu jchließen. 

Diefer Herr Safowitich war ein angejehener Mann, der 


218 


jpäter zur Senatorenwürde gelangte, da er Wojewode von 
Smolensf und Schagmeijter des Großherzogtums wurde; er war 
ſchon jett einer der berühmtejten Stavaliere Yitauens, ebenjo 
jehr durch feinen perjönlichen Mut, wie durch jeine große 
Schönheit befannt. Er war von mittlerer Größe, hatte raben- 
jchwarzes Haar und ebenjolche Augenbrauen, während ein paar 
hellblaue Augen mit einer unvergleichlichen Dreijtigfeit, kühn 
und verwegen in die Welt blidten, jo daß der Fürſt von ihnen 
zu jagen pflegte, jie jtechen wie Sforpione. 

Er trug gerne ausländijche Kleider, welche er, gleich Bogus- 
law, von jeinen Neijen mitgebracht hatte, jprac) fait alle fremden 
Sprachen und warf jich mit fajt wahnjinniger Heftigfeit in das 
Sclachtgetümmel, wo es einen Kampf gab. Deshalb nannte 
man ihn den „Berderbenbringer“. Danf jeiner außerordent- 
lichen Ktörperjtärfe und Geijtesgegenwart fam er immer mit 
heiler Haut davon. Man erzählte von ihm, daß er eine in 
voller Fahrt begriffene Karoſſe jofort zum Stehen bringen 
fonnte, indem er ihre Hinterräder padte; er fonnte maßlos 
trinfen, ein Quart in Spiritus eingelegte Pflaumen verjchlang 
er, ohne davon betrunfen zu fein, als jei das nichts. Mit 
den Untergebenen grauſam und unzugänglich, ſchmolz er in 
Boguslaws Hand wie Wachs. Seine feinen Manieren, die ihn 
befähigten, ſich jelbit in höchiter Gejellichaft zu bewegen, fonnten 
doch nicht hindern, daß eine ungezügelte, wilde Leidenjchaftlich- 
feit von Zeit zu Zeit zum Durchbruch kam. 

Herr Safowitjch war eher ein Genojje, denn ein Diener 
des Fürſten Boguslaw. Er, der Fürſt, welcher niemanden liebte 
als ſich jelber, bejaß eine ungewöhnliche Schwäche für Diejen 
Menjchen. Von Natur geizig, war er doch jtet3 freigebig gegen 
Sakowitſch. Er hatte ihn durch jeinen Einfluß zum Unter: 
fämmerer gemacht und ihm die Starojtei Orjchmian gejchentt. 
Nach jedem Gefecht war des Fürſten erjte Frage die: „Wo iſt 
Sakowitſch? Iſt ihm auch nichts zugeſtoßen?“ Es lag ihm viel 
an dem Nate Sakowitſch's; er holte denjelben ein, überall da, 
wo die Dreijtigfeit und Unverjchämtheit des Herrn Starojten 
Nuten zu jchaffen verjprad). 

Jetzt hatte er ihn zu Sapieha geſchickt. Die Mifjion war 
eine äußerſt jchiwierige, erjtens, weil man im feindlichen Lager 
leicht geneigt jein konnte, ihn für einen zu Halten, der ge= 
fommen war, die Stellung der Sapieha’schen Truppen auszu— 
fundjchaften, zweitens, weil er viel zu verlangen, Dagegen nichts 
zu bieten hatte. 


219 


Glücklicherweiſe war Herr Sakowitſch nicht jo leicht ins 
Bodshorn zu jagen. Er trat aljo bei Herrn Sapieha ein, als 
ob er als Sieger füme, dem Bejiegten jeine Bedingungen zu 
diftieren, und heftete jeine blajien Mugen ſogleich auf den 
Hetman. 

Als Herr Sapieha diejes Manöver bemerkte, lächelte er 
mitleidig. Man fanıı mit einem dreiſten, unverjchämten Auf— 
treten nur gewilien Menjchen imponieren. Der Hetman aber 
war dem Abgejandten unendlich überlegen. 

„Mein Gebieter, der Fürſt auf Birz und Dubinfi, Stall- 
meijter des Großherzogtums und oberjter Feldherr der Armee 
Seiner Herrlichkeit des Kurfürſten, jender mich, euch jeinen 
Gruß zu entbieten und mich nach eurem Ergehen zu erkundigen, “ 
ſprach Safowitjch, während er auf den Hetman zujchritt. 

„Bringt dem Fürſten meinen Danf und erzählt ihm, daß 
ihr mich geſund gejehen.“ 

„sch habe auch ein Schreiben an Ew. Erlaucht abzugeben.“ 

Sapieha nahm den Brief in Empfang, öffnete ihn nach= 
läjlig, las den Inhalt desjelben, dann jagte er gleichgültig: 


„Mich reut die Zeit... . Ich kann nicht herausfinden, 
was der Fürſt eigentlich mit dem Schreiben bezweckt. . . . Wollt 


ihr euch freiwillig ergeben oder euer Kriegsglück verjuchen ?“ 

Safowitjch jpielte den Verwunderten. 

„Bir uns ergeben?“ jprach er gedehnt. „Sch bin der 
Meinung, daß der Fürſt eben in dieſem Briefe Ew. Erlaucht 
proponiert, jich zu ergeben, . . . meine Inſtruktion wenigjtens ...“ 

„Eure Inſtruktionen auf ſpäter, mein Herr Sakowitſch! 
Wir jagen nun ſchon die dreißig Meilen hinter euch her, wie 
der Jagdhund Hinter dem Haſen. . . . Habt ihr jemals gehört, 
daß der Haje dem Hunde den Borichlag macht, jich zu ergeben ?“ 

„Wir haben Berjtärfung befommen.“ 

„Von Kyrig mit achthundert Mann! . . . ich weiß! . . 
Die anderen jind jo mürbe, daß jie ſich noch vor der Schlacht hin— 
legen werden. . . . Ich will euch jagen, was Chmielnizfi zu 
jagen pflegte: ... . jchade ums Maulen!“ 

„Der Kurfürſt jteht mit jeiner ganzen Macht Hinter uns.“ 

„Das fann mich nicht anfechten. MUebrigens! wenn ihr 
euch jo jtarf fühlt, warum laßt ihr es nicht auf eine Ent- 
Icheidungsschlacht ankommen?“ 

„Der Fürſt wäre Ichon längſt vorgegangen, wenn ihn nicht 
das Blut der Landsleute dauerte.“ 

„Es hätte ihn jchon früher dauern jollen!“ 


220 


„Den Fürjten wundert auch der Haß der Sapiehas auf 
das Gejchlecht der Nadziwills und auch, day Em. Erlaucht fich 
nicht entblöden, einer PBrivatrache wegen das Baterland mit 
Bruderblut zu tränfen.“ 

Hier konnte Kmiziz, welcher Hinter dem Sejlel des Hetman 
der Unterredung zugehört hatte, nicht länger an jich halten. 

„Pfui!“ rief er. 

Herr Sakowitſch jtand auf, jchritt bis dicht an Kmiziz 
heran und jtarrte ihm frech in die Augen. 

Er hatte jeinen Mann gefunden, aber eimen, der ihm 
überlegen war. Der Starojt mußte vor dem Blick Kmiziz' den 
jeinigen jenfen. 


Der Hetman runzelte die Stirn. 

„Sebt euch, Herr Safowitjch,“ jagte er barjch, „und ihr 
da jeid ſtille“ Dann wandte er fich dem Abgejandten zu: 

„Das Gewiſſen jagt wohl die Wahrheit, der Mund aber 
zerfaut diejelbe und jpeit jie als Lüge in die Welt. Derjenige, 
welcher mit fremdländijchem Heere das Baterland überfällt, 
macht demjenigen Vorwürfe, der es verteidigt. Die Lüge fchreit 
zu Gott und der himmlische Chroniſt jchreibt jie in das Buch 
der ewigen ©erechtigfeit.“ 

„Die Veradhtung und der Hab der Sapiehas haben den 
Fürjt:Wojewoden von Wilna zu Grunde gerichtet,“ verjeßte 
Safowitich. 

„sc verachtete niemals die Nadziwilld, jondern die Vater— 
landsverräter. Der bejte Beweis dafür ift, daß der Fürſt— 
Truchſeß Michael Radziwill ſich in meinem Lager befindet ... 
Sprecht endlich, was wollt ihr?“ 

„Ew. Erlaucht jollen hören, was ich auf dem Herzen habe: 
man verachtet denjenigen, welcher heimlicherweije Mörder gegen 
jeinen Feind ſendet.“ 

Der Hetman ſchaute etwas verblüfft drein. 

‚sch hätte Meuchelmörder gegen den Fürſten ausgeſchickt?“ 
rief er. 

Sakowitſch heitete jeinen Skorpionblick wieder feit auf das 
Gejicht des Hetman. 

„So it es!“ jagte er. 

„Ihr jeid von Sinnen, Menjch!“ 

„Man Hat vorgeitern unweit Janowo einen Menſchen 
aufgegriffen, einen Totjchläger, welcher jchon einmal bei einem 
Anjchlag auf das Leben des Fürſten hilfreiche Hand geletitet 


221 


hat. Wir werden ihn durch die Folter zwingen, auszuſagen, 
wer ihn ausgejchidt hat.“ 

Es entitand eine Pauſe, während welcher Sapieha hörte, 
wie Kmiziz leife ein paar Worte durch die zujammengepregten 
Lippen zijchte. 

„O, wehe! Wehe!“ 

„Sott allein joll mich richten!“ jagte der Hetman mit 
erniter Würde. 

„Sch bin nicht gejonnen, weder vor euch, noc) vor eurem 
Fürſten mich zu rechtfertigen, denn ich erfenne euch als Richter 
nicht an. Zum leßtenmal fordere ich euch auf — fommt zur 
Sache! Wozu jeid ihr hergefommen und was für Vorſchläge 
habt ihr zu machen?“ 

„Mein fürjtlicher Herr hat euren Rittmeister Horotftewitjch 
vernichtet, Herrn Kichyichtof Sapieha gejchlagen, Tykozin bejeßt, er 
fann jich aljo als Sieger betrachten und euch Friedensbedingungen 
jtellen, die ihm großen Nuten bringen. Da er nun unnüßes 
Vergießen von Chrijtenblut vermeiden will und den Wunjch 
hat, in Frieden nach Preußen zurücziehen zu dürfen, verlangt 
er nichts weiter, als daß ihm erlaubt wird, in alle Schlöfjer 
Kommandos legen zu dürfen. Wir haben eine Menge Ge- 
fangene gemacht, unter denen jich auch höhere Offiziere befinden, 
das Fräulein Borjchobohata Krafiensfa, welche jchon nach Tau— 
roggen gejchieft worden ijt, gar nicht zu erwähnen. Dieje alle 
fünnen im Rummel ausgetaujcht werden.“ 

„Brüjtet euch nicht mit euren Siegen,“ unterbrach der 
Hetman. „Meine Borhut hat unter dem Kommando des hier 
anmwejenden Herrn Babinitjch euch dreißig Meilen weit gedrängt 

. auf der Flucht vor ihr habt ihr zweimal jo viele Gefangene 
verloren, als ihr vorher genommen. Ihr habt eure Wagen, 
eure Kanonen und euer Kredenzgeſchirr verloren; eure Soldaten 
fallen vor Müdigkeit und Hunger wie die Fliegen, ihr habt 
weder etwas zu ejjen, noch fünnt ihr euch vom Fleck rühren. 
Sch ließ euch abjichtlich mit unverbundenen Augen durch das 
Lager führen, damit ihr erfennen jolltet, daß ihr euch mit ung 
nicht mejjen fünnt. Was jenes Fräulein betrifft, jo jteht jie 
nicht unter meinem Schuße, jondern unter demjenigen des Herrn 
Samojsfi und jeiner Schweiter, der Fürjtin Grijeldis Wisnio- 
wiezfa. Mit ihnen wird der Fürſt abzurechnen haben, falls ihr 
ein Unfall zuſtoßen jollte. Ihr aber jagt, was ihr noch aus— 
zurichten Habt, in verjtändiger Weiſe, jonjt gebe ich dem Herrn 
Babinitjch Befehl, euch hinauszubringen.“ 


Anſtatt zu antworten, wandte ſich Sakowitjch an Kmiziz: 

„Ihr eb aljo derjenige, welcher uns unterwegs jo zuge 
ſetzt hat? Wahrhaftig, ihr müßt bei Kmiziz in die Lehre 
gegangen ſein ...“ 

„An eurer eigenen Haut jollt ihr erfahren, ob ich meine 
Sache verſtehe!“ 

Der Hetman runzelte wieder die Stirn. 

„Ihr habt Hier nicht mehr zu juchen,“ jagte er zu Safo- 
witich, „ihr fünnt gehen.“ 

„Sebt mir, GErlaucht, wenigitens einen Ausweis an den 
Fürſten mit.“ 

„Den jollt ihr haben. Ihr könnt auf das Schreiben bei 
Herrn Osfierfo warten.‘ 

Als Ostierfo das hörte, führte er Sakowitſch jogleich 
hinaus. Der Hetman winfte ihn noch mit der Hand ab, dann 
wandte er jich Kmiziz zu. 

„Barum riefet ihr O weh! als von jenem eingefangenen 
Menjchen die Nede war,“ frug er, während er dem Ritter 
gerade und fejt in die Augen blickte. „Hat der Hab jo jehr das 
Gewiſſen in euch ertötet, daß ihr wirklich den Fürſten meuch- 
lings morden lajjen wolltet?“ 

„Bei der heiligen Jungfrau, deren Heiligtum ich fchüßte, 
— nein!” antwortete Kmiziz. „Nicht durch fremde Hände 
will ich feinen Tod.“ 

„Warum dann aljo riefet ihr ‚Wehe! Kennt ihr diejen 
Menjchen ?“ 

„Jawohl, ich fenne ihn,“ antwortete Kmiziz, ganz bleich vor 
Erregung und Zorn. „Sc jchidte ihn von Lemberg aus nad) 
Tauroggen . . . Fürſt Boguslam hat das Fräulein Billewitſch 
nach Tauroggen entführt, ... ich liebe das Fräulein! ... Wir 
jollten uns ehelichen ... Ich jandte den Mann, damit er mir 
Nachrichten über ſie einhole ... Sie befand jich in jolchen 
jchlechten Händen . . .“ 

„Beruhigt euch,“ jagte der Hetman. „Gabt ihr ihm 
Briefe mit?“ 

„Rein! Sie würde ſie doch nicht leſen.“ 

„Barum nicht?“ 

„Weil Boguslam ihr gejagt hat, dat ich den König an ihn 
verraten wollte... 

„O, ihr habt schwerwiegende Gründe, ihn zu haſſen. Ich 
gebe das zu... .“ 

„Ach ja, Erlaucht, ach ja!“ ſeufzte Kmiziz. 


„sennt der Fürſt den Mann?“ 

„Er kennt ihn. Es iſt mein Machtmeiiter Sorofa ... 
Er war es, der mir half, den Fürſten entführen.‘ 

„Ich verstehe!“ jagte der Hetman. „Die Wache des 
Fürſten wartet feiner.“ 

Site jchwiegen beide. 

„Der Fürſt ſitzt im Netz,“ ſprach nach einer Weile der 
Hetman. „Vielleicht läßt er jich bewegen, ihn auszuliefern.“ 

„Erlaucht!“ bat Kmiziz, „erlaubt mir zum Fürſten zu 
gehen und behaltet Sakowitſch als Geißel. Vielleicht gelingt 
es mir, Sorofa zu befreien.“ 

„Liegt euch jo viel an ihm?“ 

„Er iſt ein alter Soldat, ein alter Diener unjeres Hauſes, 
der mich als Kind auf den Armen trug. Er hat mir oft das 
Leben gerettet. Gott würde mich ſtrafen, wenn ich ihm jeßt 
im Stiche ließe.“ 

Kmiziz bebte vor Schmerz und Unruhe und der Hetman jagte: 

„sch wundere mich nicht mehr, dat die Soldaten euc) 
lieben, denn auch ihr liebt fie. Ich will thun, was ich fann. 
Ich will dem Fürſten jchreiben, daß ich ihn von unjeren Ge— 
jangenen gebe, wen er will, für diefen Mann, der doch damals 
nur als willenlojes Werkzeug jeines Herrn handelte.“ 

Kmiziz jtüßte den Kopf in die Hände, 

„Was kümmern ihn unjere Gefangene. Nicht für dreißig 
jeiner Leute giebt er ung den einen.“ 

„So wird er ihn euch erjt recht nicht ausliefern; er wird 
auch euch noch nach dem Leben trachten.“ 

„Erlaucht!.... Er giebt ihn für einen her — für Safomitjch.“ 

„sch kann doch einen Gejandten nicht als Gefangenen bier 
behalten,” rief der Fürſt. 

„Behaltet ihn zurüd, Erlaucht; ich werde mit dem Briefe 
zum Fürſten gehen. Vielleicht richte ich etwas aus... Bott 
it mit ihm! Meinen Hab bringe ich zum Opfer, wenn er 
mir diefen Soldaten herausgiebt.“ 

„Wartet!“ jagte der Hetman. „Sch darf den Sakowitſch 
zurüdhalten. Außerdem will ich dem Fürſten jchreiben, dal er 
einen unausgefüllten Geleitsbrief herjendet.“ 

Während der Hetman das fagte, fing er ſchon zu jchreiben 
an. Eine Viertelitunde jpäter jprengte ein Koſak mit Dem 
Briefe nach Janowo und gegen Abend fehrte er mit der 
Antwort Boguslaws zurüd. 

„Den Geleitsbrief jende ich auf Berlangen,* schrieb 


224 


Boguslam, „auf welchen jeder Vote jicher zurückkehrt, obgleich 
ich mich wundere, daß Ew. Erlaucht einen Geleit3brief verlangt, 
da Ihr doch als Geißel meinen Diener und Freund, den Herrn 
Staroſten von Orſchmian bei Euch habt, einen Mann, den ich 
ſo ſehr liebe, daß ich um ſeinetwillen alle Offiziere, die zur 
Armee Em. Erlaucht gehören, herausgeben würde. Bekanntlich 
werden Gejandte nicht getötet. Selbjt die wilden Qartaren, 
welche Ew. Erlaucht gegen mein chriftliche® Heer ausjendet, 
jind gewöhnt, fie zu ehren. Indem ich die ſichere Rückkehr 
Eures Boten mit meinem fürjtlichen Worte verbürge, unter- 
zeichne ich u. j. w.“ 

Noch an demjelben Abend nahm Kmiziz dem Geleitsbrief 
und ritt mit den beiden Kiemlitjch davon. Herr Sakowitſch 
aber blieb als Geikel in Sofolfi. 








20. Kapite!. 





Mitternacht war nicht weit, als Herr Kmiziz fich bei 
den erſten Wachtpoiten des fürjtlichen Lagers meldete. Das 
anze Lager war belebt, niemand jchlief, denn man fonnte jeden 
Augenblid einen Angriff des Feindes erwarten und wollte den- 
jelben nicht unvorbereitet empfangen. Die Armee des Fürſten 
nahm ganz Janowo ein, jie beherrichte die Landſtraße nach) 
Sokolki durch Gejchüge, welche von gut ausgebildeten Artille- 
riiten des Hurfürjten bedient wurden. Zwar befanden jich nur 
drei Kanonen dort, dafür aber reichlich) Pulver und Stugeln. 
Zwiſchen den Birfengehölzen zu beiden Seiten Janowos hatte 
der Fürſt kleine Schanzen aufwerfen laſſen und hinter ihnen 
die Füſiliere und Eleine Mörjer aufgeitellt. Die Neiterei hielt 
Janowo jelbit, die Landſtraße Hinter den Gejchügen und die 
Lüden zwijchen den Schanzen bejegt. Die Bofition war jehr 
gut; mit frischen Streitkräften hätte jie lange gehalten und nur 
mit jchweren Blutverlujten erobert werden fünnen. Außer den 
achthundert neu hinzugefommenen Füfilieren unter Kyritz aber 
war die Armee bis zur Kampfunfähigfeit erjchöpft. Außerdem 
hielt das Geheul der Tartaren, welches bis von Suchowola her 
zu hören war, aljo im Nücden der Armee, die Soldaten fort- 
während in Angit und Schreden. Boguslav war genötigt, 
nach jener Seite hin alle jeine leichte Neiterei auszufenden, 
welche, nachdem jie eine halbe Meile weit vorgerücdt war, weder 
rüchvärts durfte, noch vorwärts wollte, da jie ſtets einen 
Ueberfall aus der Tiefe der Wälder, aus welcher das Geheul 
drang, gewärtigen mußte. 

Boguslaw beaufjichtigte und ordnete jelbit alles an, ob— 


Sienfiewicz, Sturmflut II, 15 











226 


gleich das Fieber ihm mehr zujegte als jonit. Da er das Pferd 
aber nur mit Mühe bejteigen konnte, jo ließ er jich von vier 
Trabanten in einer offenen Sänfte herumtragen. Auf dieſe 
Weiſe befuchte er die Yanditraße, die Birfengehölze, und war 
joeben nach Janowo zurüdgefehrt, als man ihm meldete, daß 
ein Abgejandter des Fürſten Sapieha angekommen jei. 

Er befand jich jchon in den Straßen Janowos. Bogus— 
law fonnte Kmiziz nicht gleich erkennen, da das Dunfel der 
Nacht und ein Beutel, welchen die wachthabenden Offiziere dem 
Abgejandten vorsichtshalber über den Kopf geitülpt hatten, ihn da- 
ran hinderten. Der Beutel hatte nur eine Oeffnung für den Mund. 

Sobald der Fürſt den Beutel erblictt hatte, befahl er, den- 
jelben abzunehmen, dann erjuchte ev Kmiziz, vom Pferde zu 
jteigen und dicht neben ihn zu treten. 

„Wir find bier in Janowo,“ jagte er, „und wir haben 
nichtö zu verheimlichen.“ 

Darauf wandte er fich zu Herrn Kmiziz: 

„Ihr fommt vom Herrn Sapieha?“ 

„Jawohl!“ 

„Was macht Herr Sakowitſch dort?“ 

„Herr Oskierko vertreibt ihm die Zeit.“ 

„Wozu habt ihr einen Geleitſchein verlangt, da ihr doch 
den Sakowitſch Habt? Herr Sapieha iſt allzu vorfichtig; er 
möge zujehen, dal jeine Superflugheit ihm nicht Schaden bringt.“ 

„Das iſt nicht meine Sache,“ entgegnete Kmiziz. 

„sch merfe, der Herr Gejandte ift nicht jehr redjelig.” 

„sch habe einen Brief abzugeben, meine Privatangelegen— 
"heit möchte ich im Quartier vortragen.“ 

„Ihr habt alfo auch eine Brivatjache ?“ 

„Es findet jich wohl eine Bitte an Ew. fürjtliche Durch» 
laucht.“ 

„Es joll mir Lieb jein, wenn ich diejelbe erfüllen kann. 
Jetzt bitte, mir nach. Steigt, bitte, auf das Pferd. ch würde 
euch gern in die Sänfte nehmen, Doch fie iſt zu eng.“ 

Der Zug jebte ji) in Bewegung. Kmiziz ritt neben der 
Sänfte her. Ein jeder von ihnen juchte in der Dunfelheit die 
Züge des anderen zu erfennen, ohne daß es gelang. Troß der 
warmen WBelzhüllen jchüttelte den Fürſten der Fieberfroſt. 
Kmiziz hörte, wie feine Zähne aufeinanderjchlugen. Endlich) 
ſprach Boguslaw. 

„Das Elend hat mich wieder befallen . . . Wäre das 
nicht . . . brr! ... Sch wollte andere Bedingungen stellen.“ 


227 


Kmiziz antwortete nicht. Er verjuchte, mit den Augen 
das Dunfel zu durchbohren, doch er fonnte nur den Kopf des 
Fürſten und die Form jeines Gejichtes in unsicheren, fahlen 
Umriſſen erkennen. Ber dem lange der Stimme Boguslaws 
und beim Anblick diefer Umriſſe waren alle llebelthaten dieſes 
Mannes wieder in jeiner Erinnerung lebendig, der ganze Haß 
und der Rachedurſt des Nitterd wieder in ihm erwacht und er: 
füllten jein Herz bis zur Naferei ... Die Hand fuhr uns 
willfürlich nach dem Schwert, welches man ihm abgenommen 
hatte. An Stelle diejes fühlte er aber im Gürtel feinen Haupt— 
mannjtab mit dem eifernen Knopf, das Abzeichen feiner Würde, 
der genügte. Der Verſucher begann ihm den Verſtand zu 
umnebeln: 

„Schrei ihm ins Ohr,“ flüjterte er, „jage ihm, wer du bijt 
und zerichmettere ihm den Schädel... Die Nacht it finiter... 
Du kannſt entfommen ... Die Kliemlitjche find dir nahe... 
Du jchlägit Doch nur einen Verräter tot, bezahlit ihm feinen 
Sündenlohn ... Olenka wäre gerettet und Sorofa... Schlag 
zu! Schlag zu!“ 

Kmiziz ritt ganz nahe an die Sänfte heran. Die zitternde 
Hand nejtelte an den Falten des Gurtes, um das Mord— 
initrument hervorzuholen. 

„Schlag zu!“ flüſterte der Verſucher. „Du leijteit dem 
VBaterlande einen Dienjt.“ 

Kmiziz hatte den Stab in der Hand. Er preßte ihn, als 
wolle er ihn zerquetjchen. 

„Eins, zwei, drei!” flüjterte der Verfucher. 

In diefem Nugenblid bäumte jein Pferd und jette jich 
jcharf auf die Hinterhufe. War es mit den Nüſtern dem Helm 
eines der Trabanten zu nahe gefommen, oder jonjt vor etwas 
erichroden? Als es wieder fejt im Zügel ging, war die Sünite 
des Fürſten um einige Schritte voraus. 

Kmiziz ſtanden die Haare zu Berge. 

„Heilige Mutter!“ betete er leife. „Wahre meine Hand! 
Heilige Mutter vette mich! Ich, ein Gefandter, vom Hetman 


ausgejchieft, wollte ein Meuchelmörder werden... ch, ein 
Edelmann, dein Diener! .... Führe ums nicht in Ber: 
ſuchung!“ 


„Was habt ihr da zu brammeln?“ frug der Fürſt mit 
unjicherer, von Fieberſchauern unterbrochener Stimme. 
„sch bin Schon zur Stelle!“ antwortete Kmiziz noch ganz 
veritört. 
15* 


228 


„Hört ihr's? Die Hähne frähen in den Hintergaſſen. ... 
Wir müſſen uns beeilen, denn ich bin franf und bedarf 
der Ruhe.“ 

Kmiziz jteckte jeinen Stab wieder Hinter den Gürtel und 
hielt fich) in der Nähe der Sänfte. Aber die Ruhe, die er zu 
erzwingen jtrebte, wollte nicht fommen. Er fühlte nur zu gut, 
daß die größte Kaltblütigfeit und Selbjtbeherrichung nötig war, 
wenn er Sorofa befreien wollte Er legte ſich aljo genau die 
Worte zurecht, mit welchen er dem Fürſten feine Bitte vor— 
tragen wollte und die Herausgabe feines treuen Dienerd aus— 
zuwirfen hoffte. Er jchwor ji zu, daß er nur Sorofa in 
Gedanken haben wolle, nicht® anderes, am wenigjten Dlenfa. 

Und er fühlte in der Dunfelheit, wie feine Wangen heiß 
brannten jchon bei dem Gedanken, daß der Fürſt ſelbſt ihren 
Namen ausjprechen könnte, in Verbindung mit etwas, das an— 
zuhören oder zu ertragen jeine Kräfte überjteigen mußte. 

„Mag er jich hüten, es zu thun,“ dachte er im Stillen. 
„Es wäre fein und mein Tod. . . . Möge das Mitleid mit 
ihm jelbjt ihn davor bewahren, wenn jein Schamgefühl nicht 
ausreicht . . .“ 

Herr Andreas litt unendlih. Er rang nad) Atem. Der 
Hals war ihm wie zugejchnürt und er fürchtete, daß er fein 
Wort herausbringen werde, wenn die Zeit zum Sprechen für 
ihn gefommen war. 

In dieſer Seelennot begann er die Litanei zu beten. 

Er fühlte allmählich den Alp weichen, der ihm auf der 
Bruſt lajtete, das Blut begann ruhiger in den Adern zu freijen. 

Man war unterdejjen am fürjtlichen Quartier angelangt. 
Die Trabanten jegten die Sänfte nieder; zwei Höflinge faßten 
den Fürſten unter den Armen. Er aber wandte ji) an Kmiziz 
und jprach zähneklappernd: 


„Sch bitte, mir zu folgen... . Der Paroxismus wird bald 
vorübergehen. . . . Wir werden verhandeln fünnen.“ 


Bald darauf befanden fich beide in einem bejonderen Ge— 
mad. In einem Kamin jtrömten glühende Kohlen eine fait 
unerträgliche Hite aus. Die Höflinge betteten Boguslaw auf 
ein bereitjtehendes 7zeldbett, dedten ihn mit Pelzen zu umd 
brachten Licht. Nachdem jie jich entfernt hatten, lehnte der 
Fürſt den Kopf zurüc, jchloß die Augen und verharrte jo eine 
Zeitlang ganz regungslos. 

Endlid) begann er zu jprechen: 

„Blei! ... Laßt mich noch ein wenig ruhen!“ 


229 


Kmiziz betrachtete den Fürſten. Er hatte jich wenig ver- 
ändert, nur hatte das Fieber ihm einige Furchen durch das 
Seficht gesogen. 

Dasjelbe war, wie immer, gepudert, die Wangen rojig 
bemalt. ben darum aber glich die ganze Gejtalt, wie jie mit 
geichlofjenen Augen dalag, etwas einer Leiche, oder einer 
Wachsfigur. 

Herr Andreas jtand vor ihm im Scheine des brennenden 
Lichtes. Träge hoben jich die Lider des Fürſten, plößlich 
öffneten jich die Augen ganz und flammende Nöte überzog das 
Gejicht desjelben. Doch das währte nur eine Sekunde, Die 
Augen jchlojjen jich wieder. 

„Biſt du ein Geijt, jo fürchte ich dich nicht,“ jagte Bogus— 
law, „aber hebe dich weg!“ 

„sch bin mit einem Briefe vom Hetman hierher gefommen,“ 
antwortete Kmiziz. 

Boguslam fuhr leicht zujammen. Er machte eine Be— 
wequng, als wolle er etwas abjchütteln. Dann jah er Kmiziz 
an und jprach wie vor jich Hin: 

„Sollte euch meine Kugel gefehlt haben ?“ 

„Nicht ganz,“ entgegnete Kmiziz düjter, während er mit 
dem Singer über die Narbe im Gejicht fuhr. 

„Das it ſchon der zweite! ...“ murmelte der Fürſt für jich. 

Laut ſetzte er Hinzu: 

„Wo ijt der Brief?“ 

„Hier!“ antwortete Kmiziz, dag Schreiben überreichend. 

Boguslaw lad. Es fladerte jeltjam in jeinen Augen, als 
er geendet. 

„But!“ rief er aus. „Genug der Nörgeleien!... Morgen 
geht e3 zur Schlacht... . Sch freue mich darauf, denn morgen 
in id) fieberfrei.“ 

: „Auch wir freuen ung auf die Entjcheidung,“ verjeßte 
miziz. 

Darauf entſtand eine Pauſe, während welcher die beiden 
Todfeinde ſich mit dem Ausdruck ſchreckhafter Neugier gegen— 
ſeitig maßen. 

Der Fürſt ergriff zuerſt wieder das Wort: 

„Ich errate, daß ihr es waret, der mich während der 
letzten Wochen io hetzte. . ..“ 

„sh war ed... .“ 

„Hattet ihr denn feine Furcht, hierher zu kommen?“ 

Kmiziz antwortete nicht. 


230 


„Ihr habt wohl auf die Verwandtichaft mit den Kiſchkows 
erechnet? . .. Wir haben noch abzurechnen miteinander. . .. 
Ich fünnte euch jet }falpieren laſſen, ... wißt ihr das? ...“ 

„Es ſteht Ew. Durchlaucht frei, es zu thun.“ 

„Ihr fußet auf den Geleitſchein, nicht wahr? ... Ich 


begreife nun, warum Sapieha ihn verlangte! ... Aber ihr 
habt mir einſt nach dem Leben getrachtet . .. Sakowitſch iſt 
zwar in euren Händen; gleichviel . . . der Herr Wojewode 


hat fein Recht an Sakowitſch, ... aber ich Habe ein Recht an 
euch, ... . Herr Vetter... .“ 

„sch komme mit einer Bitte zu Ew. Durchlaucht,“ unter- 
brach Kmiziz den Fürſten ruhig ... 

„Bitte! womit kann ich dienen? Rechnet darauf, daß ich 
alles für euch thue.“ 

„Es iſt hier ein Soldat eingefangen worden, einer von 
denen, die mir halfen, Ew. Durchlaucht zu entführen. Sch gab 
damals den Befehl, er war mein willenlojes Werfzeug. Diejen 

Soldaten erbitte ich von Ew. Durchlaucht Gnade.“ 

Boguslamw überlegte eine Weile. 

„Herr Kavalier!“ jagte er dann. „Sch überlege joeben, ob 
ihr ein bejjerer Soldat, oder ein befierer Bittjteller jeid. Eure 
Bitte ijt umverichämt . . .“ 

„sch verlange die Herausgabe dieſes Menſchen nicht 
umjonit.“ 

„Und was bietet ihr mir für ihn.“ 

„Deich jelbit, Durchlaucht!“ 

„ho! ein jo fojtbares Kleinod ijt der Mann? . . . Ihr 
jeid freigebig, aber jeht zu, daß ihr euch nicht ganz verausgabt; 
es fünnte jein, daß ihr noch für jemanden Yöjegeld bei mir 
zahlen wolltet.“ 

Kmiziz trat bei Diefen Worten jo dicht am den Fürſten 
eran umd wurde jo bleich, daß diejer unmwillfürlich nach der 

hür blickte und troß feinem perjönlichen Mute den Gegen- 
jtand wechjelte. 

„Herr Sapieha wird einen jolchen Vergleich nicht annehmen 
wollen,“ jagte er jchnell. „So gern ich euch nehmen möchte, aber 
ic) habe mein Fürſtenwort für eure Sicherheit verpfändet.“ 

„sh will durd) diefen Soldaten dem Herrn Hetman 
jchreiben, daß ich freiwillig geblieben bin.“ 

„Und er wird verlangen, daß ich euch gegen euren Willen 
zurüdjchide .. . Er wird dann auch den Sakowitſch nicht frei 
geben umd ich ſchätze ihn höher als euch.“ 


231 


„So wollen Ew. Durchlaucht den Soldaten ohne das 
freigeben. ch werde mid auf Ehrenwort dort jtellen, wo 
Ew. Durchlaucht befehlen.“ 

„Was jollen mir Verträge für übermorgen, wenn ich doc) 
morgen jchon ein toter Mann auf dem Schlachtfelde bleiben fann.“ 

„Durchlaucht! Sch flehe! Für diefen Mann opfere ich ...“ 

Kmiziz jtocte. 

„Bas opfert ihr?“ 

„Meine Rache.“ 

„Seht, mein Herr Kmiziz,“ antwortete der Fürſt cyniſch. 
„sch bin unzählige Male im Leben dem Bären nur mit einer 
Lanze bewaffnet entgegen gegangen, nicht darum, weil ich mußte, 
jondern darum, weil es mir Vergnügen machte. Sch liebe es, 
wen Gefahren mich umgeben, das Leben ijt dann weniger 
langweilig. Seht, eure Nache joll mir auch zu einer Freude 
werden, die ich mir für die Zukunft aufjparen will, bejonders 
da ihr zu den Bären gehört, die nicht warten, bis fie angegriffen 
werden, jondern die den Gegner juchen.“ 

„Durchlaucht!” bat Kmiziz. „Gott vergiebt oft große Sünden 
für leine Werfe der Barmherzigfeit. Kleiner von uns weiß, warn 
er vor den Thron Gottes zu ſtehen fommt .. .“ 

„Genug!“ unterbrach ihn der Fürſt. „Wenn das Fieber 
an mir zehrt, habe ich Zeit genug, mir jelber Bußpſalmen zu 
fomponieren, um vor dem Herrn ein Verdienſt zu erringen; 
und wenn ich dazu einen Prediger brauche, werde ich mir 


einen meines Glaubens holen laſſen . . . Ihr veriteht nicht 
demütig zu bitten und möchtet mich überliſten . . . Ich will 


euch aber einen Vorſchlag machen: wenn morgen die Schlacht 
entbrannt ijt, dann erhebt euer Schwert gegen Sapieha. Ueber— 
morgen joll dann jener Gemeine freigelaffen und eure Schuld 


an mich vergeben jein ... Einſt verrietet ihr die Radziwills, 
auf! jest verratet den Sapieha! .. .“ 
„sit das Ew. Durchlaucht legtes Wort? ... Bei allem, 


was heilig it, laßt ihr den Soldaten frei oder nicht,“ 
fnirjchte Kmiziz. 

„Nein! Der Teufel packt euch? ... Ich jehe es! ... 
Euer Geficht it verzerrt . . Kommt mir nicht zu nahe, denn, 
wenn ich auch die Leute nicht rufe, da jeht! hier! Ihr jeid zu 
heißſpornig!“ 

Während er ſprach, hatte Boguslaw aus der Taſche des 
Pelzes, welcher ihn bedeckte, eine Piſtole gezogen und hielt ihm 
mit ſprühenden Blicken den Lauf derſelben entgegen. 


232 


„Durchlaucht!“ Flehte Kmiziz, die Hände faltend wie zum 
ee der Ausdrucd feines Gejichts höchite Empörung 
fundgab. 

„Ihr bittet und droht zugleich?” jagte Boguslaw. „Euer 
Naden beugt fich, aber der Teufel blickt Hinter dem Kragen 
hervor und fleticht mih an... Der Hochmut leuchtet aus 
euren Augen, die Stimme grollt wie Donner! ... Wer von 
einem Nadziwill etwas erbitten will, der muß ihm zu Füßen 
liegen, demütig — die Stirn an der Erde! ... Dann will ich 
euch antworten.“ 

Das Gejicht des Herrn Andreas war freideweiß; jeine 
2 fuhr über die feuchte Stirn, die Augen und Wangen. 

ein ganzer Körper bebte. Es war, als hätte das Fieber, welches 
den Fürſten verlafjen zu haben jchien, ihn überfallen. 

„Wenn Ew. Durchlaucht mir den alten Soldaten heraus: 
gebt... dann... ja... dann... bin ich bereit... Em. 
Durchlaucht . . . zu Füßen... . zu fallen.“ 

Eine Genugthuung ohne Gleichen leuchtete aus den Augen 
des Fürſten. Er hatte den Todfeind re jeinen Naden 
ae Das war jeinem Haß jühe Speife. 

tmiziz Stand, nachdem er die inhaltjchweren Worte 
hervorgeitammelt, an allen Gliedern zitternd vor feinem Peiniger. 
Sein Haar jträubte ſich. Das Geficht, welches jchon im Zu— 
jtande der Ruhe dem Profil eines Falken glich, ähnelte jetzt 
vollitändig demjenigen eines gereizten Naubvogels. Man wußte 
nicht, würde er im nächiten Augenblik jich dem Fürſten zu 
süßen jtürzen oder ihn an der Kehle paden. 

Und Boquslaw, der fein Auge von ihm verwandte, jagte: 

„Bor Zeugen! Vor meinen Leuten!“ 

Und nad) der Thür gewendet, rief er laut: 

„Zretet ein, wer da iſt!“ 

Durch die geöffnete Thür jchritten erjt einige Höflinge, 
teil Polen, teils Ausländer, hinter ihnen mehrere Offiziere. 

„Meine Herren!“ jagte der Fürſt. „Hier, dieſer Herr 
Kmiziz, Fahnenträger von Orjchan und Gejandter des Fan 
Sapieha, hat mir eine Bitte vorzutragen und will euch uls 
Zeugen dabei haben!“ 

Kmiziz jtöhnte laut auf, wankte, dann janf er zu Bogus— 
laws Füßen. Der Fürjt redte feine Beine abjichtlich jo lang 
vom Laaer aus, daß die Spite feines Neiterjtiefeld die Stirn 
des Nitters berührte. 

Aufs Höchjte verwundert und tief jchweigend blidten Die 


233 


Eingetretenen auf den Mann, der mit jeinem berühmten Namen 
und als Gejandter Sapiehas ſich einer jo demütigen Handlung 
unterzog. Alle hatten die Empfindung, daß hier etwas ganz 
Auferordentliches vorging. 

Der Fürſt war inzwijchen aufgeitanden und ohne ein Wort 
zu sprechen, winfte er zwei Höflingen, welche ihm in das an- 
ſtoßende Gemach folgen mußten. 

Auch Kmiziz hatte jich erhoben. Sein Geficht trug nicht 
mehr den Ausdrud wilden Haſſes. Gleichgültig, faſt ſtumpf⸗ 
ſinnig ſchaute der Ritter drein, als wäre alle Energie von ihm 
gewichen. 

Es verſtrich eine halbe Stunde, eine Stunde. Draußen 
vor dem Fenſter hörte man das Stampfen von Pferdehufen 
und den gleichmäßigen Tritt der Wachen; er ſaß wie aus Stein 
gemeißelt. 

Plötzlich wurde die Thür vom Flur her geöffnet. Ein 
Offizier trat ein, ein früherer Bekannter von Kmiziz, von Birz 
her, mit acht Soldaten, von denen vier mit Musketen bewaffnet 
waren, die anderen vier Säbel trugen. 

„Herr Hauptmann, ſteht auf!“ ſagte der Offizier artig. 

Kmiziz ſtarrte ihn wie geiſtesabweſend an. 

„Glowbitſch! ...“ ſagte er, ihn endlich erkennend. 

„sch habe Befehl, euch zu binden,“ ſprach Glowbitſch weiter, 
„und euch aus dem Lager hinaus zu bringen. Ich werde euch 
dann der Feſſeln entledigen, ihr dürft frei zu dem eurigen 
zurücfehren. Deshalb bitte ich, jet mir feinen Wideritand 
entgegen . . .“ 

„Bindet mich!“ verſetzte Kmiziz lakoniſch. 

Ohne daß er Widerſtand geleiſtet hätte, wurden ihm die 
Arme gebunden, die Füße ließ man ihm frei. Der Offizier 
führte ihn aus dem Gemach und aus der Stadt. Sie waren 
faſt eine Stunde gegangen; unterwegs hatten ſich ihnen etliche 
Reiter angeſchloſſen. Kmiziz hörte, daß ſie ſich polniſch unter— 
hielten. 

Die Polen, welche noch unter Radziwill dienten, kannten 
alle Kmiziz's Namen; ſie waren daher am neugierigſten, was 
mit ihm geſchehen würde. Der Zug hatte das Birkengehölz 
verlaſſen, man befand ſich jetzt auf freiem Felde Kmiziz ſah 
dicht vor ſich eine Abteilung der leichten polniſchen Reiterei 
Boguslaws. 

Die Soldaten ſtanden im Quadrat Mann an Mann. 
Der Raum, den ſie umſchloſſen, war leer, nur ein paar Männer 


234 


mit Fackeln und zwei züfiliere, welche ein Baar Pferde am 
Baum hielten, befanden jich darin. 

Beim Scheine der Fackeln erblidte Herr Andreas einen 
friſch angejpigten Pfahl jchräg am Boden liegen, mit feinem 
unteren Ende an einem dicken Wurzelitoc befeitigt. 

Ummwillfürlich wurde Kmiziz von einem Schauer überlaufen. 

„Der iſt mir beitimmt,“ dachte er. „Er will mich mit den 
Pferden auf den Pfahl ziehen laſſen .. .. Er opfert jeiner 
Rache jeinen Freund Safowitjch.“ 

Aber er irrt. Der Pfahl war für den armen Sorofa 
beitimmt. Beim Flackern der Flammen jah er endlich den 
Alten vor jih. Er ſaß dicht bei dem Wurzelitodf auf einem 
Holzklotz, ohne Mütze, die Hände gefejjelt, von vier Musfetieren 
bewacht. Ein Mann, mit einem Schafpelz ohne Aermel ans 
gethan, reichte ihm im diefem Augenblick einen flachen Becher 
mit Branntwein, welchen Sorofa gierig tranf. Nachdem er ge— 
trunken, jpie er aus, und da man gerade jet Kmiziz zwiſchen 
zwei Berittenen in die vorderjte Neihe führte, jo erblickte der 
alte Soldat ihn. Er jprang von jeinem Site auf und jtand 
ſtramm da, wie wenn es zur Parade ginge. 

Eine Sekunde lang jtarrten jich beide wortlos au. Das 
Geſicht Sorokas war ruhig, rejigniert, nur die Kinnbacken 
zucten hin und her, als ob er faute. 

„Soroka!“ jtöhnte Amiziz endlich. 

„Zu Befehl!” antwortete der Soldat. 

Wieder wurde es till. Was hätten fie auch in diejem 
Augenblid zu sprechen gehabt? Da trat der Henkersknecht, 
welcher dem Delinquenten zuvor den Branntwein gereicht hatte, 
auf ihn zu. 

„Es ijt Zeit mit div, Alter!“ ſprach er. 

„Und zieht ihn gerade auf!“ 

„Fürchte dich nicht.“ 

Soprofa fürchtete jich nicht, aber als er den Arm Des 
Henfers auf jeiner Schulter fühlte, begann er laut und jchnell 
zu atmen, zulegt rief er: 

„Mehr Branntwein! . . .“ 

„Es iſt nichts mehr da!“ verjegte der Henfer. 

Da trat plöglich einer der Weiter aus der Neihe und 
indem er eine Flaſche aus jeiner Rocktaſche hervorzog, rief er: 

* gebt ihm!“ 

„Zurück!“ kommandierte Glopbitſch. 

Doch der Mann im Pelze hatte die Flaſche bereits an 


235 


den Mund Sorofas gejeßt und diejer trank in vollen Zügen. 
Als die Flaſche leer war, atmete er tief auf. 

„Seht!” jagte er. „Das it Soldatenlos! Der Lohn für 
dreißigjährige Dienite . . . Ich bin bereit!“ 

Der zweite Henfer näherte ji) ihm. Man begann ihn 
auszufleiden. Ringsum herrſchte Totenſtille. Die Fackeln 
flackerten unruhig in den zitternden Händen der Männer. 
Entſetzen hatte alle gepackt. 

Da plötzlich entſtand ein Gemurmel in den Reihen der 
Krieger, erſt leiſe, dann immer lauter. Man konnte Worte 
unterſcheiden: „Der Soldat iſt doch kein Henker! Er führt 
wohl den Todesſtoß in der Schlacht, aber nicht ein Marter— 
werfzeug.“ 

„Stillgeitanden! Schweigen!“ fkommandierte Glowbitjch. 

Das Murmeln verwandelte fich in lautes Murren, aus 
welchem einzelne Stimmen ganz laut riefen: „Bei allen 
Tenfeln!“ „Donnerwetter!'“ „Das it ein Heidendienit! . . .“ 

Möglich ſchrie Kmiziz auf, als jollte er jelbit auf den 
Pfahl gejogen werden: 

„Halt!“ rief er. 

Die Henferstnechte hielten unwillfürlich inne. Aller Augen 
wandten jich ihm zu. 

„Soldaten!“ jchrie Herr Andreas. „Der Fürſt Boguslaw 
it ein Verräter am König und an der Nepublif! Ihr jeid 
umzingelt und werdet morgen alle euren Tod finden! hr 
dient einem VBaterlandsverräter! Eure Waffen jind gegen das 
Vaterland gerichtet! Wer aber diejen Dienit, diejen Verräter 
aufgiebt, dem iſt die Verzeihung des Königs, des Hetman 
ſicher! . . Wählt! Morgen entweder Tod und Schande, oder 
Verzeihung und Lohn! Ich gebe euch Angeld, einen Dufaten 
der Kopf, auch zweie! ... Wählt! Es it nicht die Sache 
ehrenwerter Soldaten, einem Verräter zu dienen. Es lebe der 
König! Es lebe der Hetman!“ 

Das Murren ging in ein Lärmen über. Die Reihen 
löjten jih. Etliche Stimmen jchrieen: 

„Es lebe der König!“ 

„Genug diejes Dienjtes!“ 

„Tod dem Werräter!“ 

„Stillgeitanden! Stillgejtanden!” hörte man andere rufen. 

„Morgen kommt ihr mit Schimpf und Schande um,“ 
brüllte Kmiziz. 

„Die Tartaren heulen in Suchowola!“ 


236 


„Der Fürſt, ein Verräter!“ 

„Wir fümpfen gegen den König!“ 

„Schlagt zu!“ 

„Zum Fürjten!“ 

„Halt!“ 

In dem Tumult hatte jemand die Feſſeln an Kmiziz' 
Handgelenf mit einem Säbel durchjchnitten. Gleich darauf ſaß 
er auf einem der Pferde, welche den Sorofa auf den Pfahl 
ziehen jollten, und fommandierte jchon vom Pferde herab: 

„Dir nad, zum Hetman!“ 

„sch gehe mit!“ rief Glowbitich. „Es lebe der König!“ 

„Er lebe!“ antworteten fünfzig Stimmen und fünfzig 
Säbel blitzten in der Luft. 

„Hebt den Sorofa aufs Pferd!“ fommandierte Kmiziz 
wieder. 

Es fanden jich einige, die ſich widerjeten wollten, jie ver- 
jtummten aber beim Anblic der gezogenen Säbel. Einer wandte 
dennoch jein Pferd und war den Bliden der anderen bald ent- 
Ihwunden. Die Fackeln erlojchen, tiefes Dunfel umhüllte alle. 

„Dir nach!“ ertönte die Stimme Kmiziz'. 

Ein unförmlicher Haufen wälzte jich vom Plate, er ordnete 
ji) aber bald zum langen Zuge. Etwa zwei bis drei Gewände 
weiter trafen die Abziehenden auf die Wachen der Füſiliere, 
deren größter Teil die linke Seite des Birfengebüjches einnahm. 

„Wer da!” ertönte der Anruf. 

„Slowbitjch mit einer Batrouille!“ 

„Die Loſung?“ 

„Trompeten!“ 

„Vorwärts!“ 

Und ſie ritten weiter, nicht zu eilig. Ein wenig ſpäter 
ſetzten ſie die Pferde in Galopp. 

„Soroka!“ rief während dem Ritt Kmiziz ſeinen Ge— 
treuen an. 

„Zu Befehl!“ antwortete die Stimme des Wachtmeiſters 
neben ihm. 

Herr Andreas ſagte nichts weiter, nur die Hand ſtreckte 
er aus und betaſtete damit den Kopf des Alten, wie um ſich 
zu überzeugen, daß er wirflich neben ihm reite. 

Der Soldat preßte jtilljchweigend dieſe Hand an feine 
Lippen. 

Da ertönte von der anderen Seite des Nitterd die Stimme 
Glowbitſch': 


237 


„Ew. Liebden,” jagte er. „Was ich jet thue, wollte ich 
gern längjt thun.“ 

„Ihr werdet es niemals bereuen!“ entgegnete Kmiziz. 

„Mein Leben lang will ich) Ew. Liebden dankbar jein!“ 

„Sagt einmal, Glowbitjch,“ frug Kmiziz. „Warum eigentlic) 
hat der Fürjt nicht Leute von den fremden Regimentern zu 
der Erefution geſchickt?“ 

„Weil er Ew. Liebden in Gegenwart der Polen jchänden 
wollte. Ein fremder Soldat fennt euren Namen nicht.“ 

„Und meiner Perſon jollte nichts gejchehen ?“ 

„sch hatte den Befehl, Ew. Liebden nach der Erefution 
die Feſſeln zu löſen. Für den Fall, da ihr etwas zur Ver— 
teidigung Sorofas unternähmet, jollten wir euch zum Fürſten 
zurückbringen, der euch dann jtrafen wollte.“ 

„Er hätte aljo jelbit den Sakowitſch geopfert,“ murmelte 
Kmiziz. 

Unterdejjen war in Janowo Fürſt Boguslam, vom Fieber 
und den überjtandenen Mühjalen völlig erjchöpft, jchlafen ge- 
gangen. Kin Lärmen vor dem Quartier und ein heftiges 
Klopfen an der Thür wedten ihn aus dem erjiten Schlummer. 

„Durchlaucht! Durchlaucht!“ jchrieen verjchiedene Stimmen 
durcheinander. 

„Er jchläft! Weckt ihn nicht!“ wehrten die Pagen. 

Aber der Fürſt ja jchon aufrecht im Bett und rief 
nach Licht. 

Man brachte Licht. Gleichzeitig trat der Offizier vom 
Dienit ein. 

„Durchlaucht!“ meldete er. „Der Gejandte Sapiehas hat 
Glowbitſch mit jeiner Fahne zum Verrat aufgewiegelt und jie 
dem Hetman zugeführt.“ 

Einen Augenblid herrichte nach dieſer Meldung tiefe Stille. 

„Laßt die Baufen und Trommeln rühren!“ befahl endlich 
Boguslam. „Das Heer joll ſich kampfbereit halten.“ 

Der Offizier entfernte ſich; der Fürſt blieb allein. 

„Das ijt ein jchredlicher Menſch!“ ſprach er für fich. 

Er fühlte, daß der Fieberfroſt ihn wieder zu rütteln begann. 


> 





21 Rapitet, 





Man kann ſich leicht vorjtellen, wie verwundert Herr 
Sapieha dreinjchaute, als Kmiziz nicht nur jelbit unverjehrt 
zurüdfehrte, jondern auch den alten Diener und außerdem eine 
Anzahl Reiter mitbrachte. Kmiziz mußte wiederholt erzählen, 
wie alles gefommen, was er erlebt, und der Hetman und Herr 
Oskierko hörten aufmerkſam zu, vor VBerwunderung die Hände 
faltend und den Kopf jchüttelnDd. 

„Lernt aus diefen Vorgängen,“ jagte der Hetman, „daR 
man nichts übertreiben darf, am wenigjten die Nache am Feinde. 
Wer jie über die Maßen pflegt, dem entjchlüpft fie oft unter 
den ‚Fingern. Fürſt Boguslaw wollte euch doppelt demütigen, 
indem er die Polen zu Zeugen eurer Schmach und Qualen 
machte, damit hat er das Maß überjchritten. Nun brüftet euch 
aber nicht damit, denn es ijt alles doch nur Gottes Fügung 
und ic) fann nicht unterlajfen, zu bemerken, daß der Fürſt 
zwar ein Teufel it, daß aber auch in euch ein Stücd Teufel 
jtecft. Der Fürſt hat übel gethan, daß er euch jo erniedrigt hat.“ 

„sch werde jelbit in der Nache Maß zu halten wiſſen,“ 
entgegnete Kmiziz, „und mit Gottes Hilfe dem Nachedurit Zügel 
anzulegen verjtehen.“ 

„Rottet ihn ganz aus, gebt die Nache auf, wie Chriitus 
jie aufgegeben hat, denn feiner Gottheit wäre es doch leicht ge— 
wejen, mit einem einzigen Worte die Juden zu verderben.“ 

Kmiziz antwortete nicht darauf, denn man hatte nicht Zeit 
zu disputieren, ja, man hatte nicht einmal Zeit zum Ausruhen. 
Der Nitter Hatte bejchlofien, trogdem er totmüde war, jofort 
zu jeinen Tartaren zu gehen, welche in den Wäldern und auf 


239 


den Landſtraßen, im Nücden der feindlichen Armee ftanden; 
das war durchaus notwendig. Aber die Menſchen jener Zeit 
waren gewöhnt, im Sattel gut zu schlafen. Herr Andreas 
befahl aljo, ein friiches Prerd für ihm zu jattelr, indem er 
hoffte, unterwegs ausichlafen zu können. 

Als er eben aufjteigen wollte, trat Sorofa in dienjtlicher 
Haltung an ihn heran. 

„Erw. Liebden!“ jagte er. 

„Was willit du, Alter?“ frug Kmiziz. 

„sch wollte nur fragen, warn ich meine Reiſe fortjeten joll?“ 

„Wohin?“ 

„Nach Tauroggen.“ 

Kmiziz lachte ihn an: 

„Du wirſt gar nicht nach Tauroggen gehen, ſondern bei 
mir bleiben.“ 

„Zu Befehl,“ antwortete der Wachtmeiſter, indem er ſich 
bemühte, die große Freude zu verbergen, welche ihm dieſer Be— 
fehl machte. 

Nun ritt er neben dem geliebten Herrn. Der Weg war 
weit, denn ſie mußten das ganze Lager Boguslaws in weitem 
Bogen umkreiſen, um dem Feinde nicht in die Hände zu fallen, 
Doch dafür hatten ſie Zeit, ſich auszuſchlafen. So kamen ſie 
ungefährdet bei den Tartaren an. 

Akbah-Ulan meldete jich jogleich bei Kmiziz, um Bericht 
über jeine TIhätigfeit zu eritatten. Herr Andreas war” zufrieden 
damit. Alle Brüden zum Nüdzuge Boguslaws waren ab— 
gebrochen, jede Erhöhung, die jeiner Armee zur Dedung dienen 
fonnte, war zerjtört, und zum Weberfluß hatte die Frühjahrs— 
näſſe alle ‚Felder, Wiejen und niedrig gelegenen Wege in Sümpfe 
verwandelt. 

Boguslaw blieb feine andere Wahl, als zu legen oder zu 
tallen; an einen Nüczug war nicht mehr zu denfen. 

„Gut!“ jagte Kmiziz. „Seine Meiterregimenter ind vor— 
trefflich, aber zu jchtwer; bei dem aufgeweichten Boden fünnen fie 
ihm nichts nützen.“ 

Dann wandte er jih an Afbah-Ulan: 

„Du bilt mager geworden!” jagte er, — ihm mit der Fauſt 
den Bauch klopfend — „aber warte nur, nach der Schlacht 
wirst dur mit fürjtlichen Dufaten die Kaldaunen füllen können.“ 

„Bott hat die Feinde geichaffen, damit die Krieger jemanden 
haben, dem fie Beute abjagen fönnen,“ antwortete der Tartar 
wirdevoll. 


240 


„Die Neiterei Boguslaws jteht dir aljo gegenüber?“ 

„Es ind einige Hundert gut berittene Mann. Gejtern 
hat man ihnen ein Negiment Füfiliere zugejellt; fie haben jich 
verſchanzt.“ 

„Könnte man ſie nicht ins freie Feld locken?“ 

„Wir haben es ſchon verſucht; ſie kommen nicht.“ 

„Wie wäre es, wenn wir ſie umgehen und nach Janowo 
vordringen wollten.“ 

„Sie haben uns die Wege verlegt.“ 

„Dann müſſen wir etwas anderes erſinnen.“ 

Er ſtrich ſich mit der Hand über das Haar. 

„Habt ihr ſchon verſucht, ſie zu beſchleichen? Wie weit 
fallen ſie denn aus?“ 

„Ein... bis zwei Gewände! ... weiter wagen ſie ſich 
nicht vor.“ 

„Dann müſſen wir anderes verſuchen!“ wiederholte Kmiziz. 

Aber in dieſer Nacht unternahm er nichts mehr. Dafür 
nmfreijte er mit den Tartaren die Stellung des Feindes, 
zwiichen Sucowola und Janowo; er erfannte, dat Afbah- 
Ulan übertrieben hatte, als er behauptete, die ‚züfiliere hätten 
ſich verjchanzt. Die aufgeworfenen Schußgwälle waren ganz 
unbedeutend. Man fonnte ich wohl längere Zeit dahinter 
halten, bejonders „gegen die Angriffe der Tartaren, welche jich 
nicht gerne dem Feuer der Musfeten ausjegten, aber die dort 
drinnen Fonnten nicht daran denken, eine längere Belagerung 
auszuhalten. 

„Wenn ich Füſiliere bei der Hand hätte,“ Dachte Kmiziz, 
„würde ich flott darauf losgehen.“ 

Es war aber gar nicht daran zu denken, Füſiliere hierher 
zu befommen. Zuerſt hatte Herr Sapieha jelbjt nicht zu viel 
von Ddiejer Truppengattung, zu zweit, war der Marjch hierher 
zu zeitraubend. 

Kmiziz ritt jo dicht unter die Schanzen, daß die Infanterie 
auf ihm zu feuern begann; er beachtete das nicht, ritt im 
Kugelregen Hin umd her, betrachtete die Situation der Feinde 
genau, und die Tartaren, welche jehr empfindlich gegen das 
Snfanteriefeuer waren, mußten gleichen Schritt mit ihm halten. 
Es währte nicht lange, jo machten die Dragoner ſeitwärts einen 
Ausfall. Nun zog er ji) langjam mit jeiner Truppe etwa 
auf dreitaufend Schritt zurüd und machte dann jchnell Front 
gegen fie. Aber ſie hielten ihm nicht ſtand, jondern machten 
Ichleunigit ehrt. Die Tartaren jandten ihnen eine ganze Wolfe 


241 


von Pfeilen nach; es fiel aber nur einer und auch dieſen nahmen jie 
mit jich fort. 

Auf dem Rückwege wandte jich Kmiziz, anitatt nad) Sucho— 
wola zurüczufehren, gen Weiten nach Kamionka zu. 

Die jumpfigen Ufer des Bobr waren weithin überflutet. 
Kmiziz betrachtete das FFlußbett aufmerkjam, dann nahm er eine 
Anzahl Kleine zerjtücelte Aejte und warf fie in den Strom, 
um die Strömung zu prüfen, worauf er zu Ulan jagte: 

„Wir werden fie von hier aus umgehen und ihnen in 
den Rüden fallen.“ 

„Die Pferde werden gegen den Strom nicht fortfommen,“ 
entgegnete der Tartar. 

„Die Strömung it Schwach. Ste werden gut jchwimmen! 
Das Wafjer jteht ja fait.“ 

„Es tit kalt; die Pferde werden erjtarren und die Mann 
ichaften nicht tragen.“ 

„Die Leute jollen ſich an die Schwänze der Pferde feit- 
halten und ihnen nachichwimmen, das iſt Doch jo Tartaren- 
brauch.“ 

„ber die Menjchen werden auc) eritarren.“ 

„Sie werden in der Hite der Schlacht wieder erwärmen.“ 

„Kismet!“ rief Akbah-Ulan. 

Noch ehe die Abenddämmerung eingetreten war, hatte 
Kmiziz ganze Haufen Flußgräſer, Schilfrohr und Binjen aus— 
jchneiden und in Bündel binden laſſen, welche den Pferden zu 
beiden Seiten fejtgebunden wurden. Als der erite Stern am 
Himmel blinfte, tauchten etwa achthundert Pferde in das Waſſer 
und begannen zu jchwimmen; er jelbit jchwamm voraus. Bald 
aber bemerkte Kmiziz, dab jie zu langjam vorwärts famen und 
wohl zwei Tage brauchen würden, um hinter die Schanzen zu 
gelangen, wenn fie den Fluß itromaufwärts jchwammen. Gr 
befahl daher, den Fluß zu durchqueren, um das entgegengejette 
Ufer zu erreichen. 

Das war ein gefährliches Unternehmen. Das andere Ufer 
war jteil und bei der Näſſe aufgeweicht. Die Pferde, obgleich 
leicht bepadt und freigelajjen, janfen bis unter die Bäuche ein, 
doc famen ſie ohne Unfall, immer eines das andere nach jic) 
ziehend, wenn auch langjam, vorwärts. 

Auf diefe Weije wanderten jie ein paar Gewände fort. 

Der Stand der Sterne wies auf Mitternadht. Da drang 
plöglich vom Süden her jchwach, aber deutlich hörbar, Büchjen- 
fnallen an ihr Ohr. 


Sienkiewicz, Sturmflut II. 16 


242 


„Die Schlacht hat begonnen!“ rief Amiziz. „Vorwärts!“ 

„Wir werden verjinfen!“ entgegnete Akbah-Ulan. 

„Mir nach!“ fommandierte der Nitter. 

Die Tartaren jchwanften noch, was jie thun jollten, als 
fie plöglich jahen, daß das Pferd Kmiziz' feiten Boden zu ges 
winnen jchien. Sie waren auf eine Sandbank gefommen. 
Ueber derfelben jtand das Wafjer den Pferden noch bis an die 
Brujt, aber fie traten auf feiten Grund. Sie marjcjierten nun 
mutig weiter. Zu ihrer linfen Seite jahen fie den Schein von 
Lagerfeuern von fernher leuchten. 

„Das find die Schanzen!“ jprach Kmiziz für ſich. „Wir 
kommen vorbei! Wir werden jte umgehen!“ 

Rad) einer Weile lagen die Schanzen thatjächlich Hinter 
ihnen. Da trieben ſie die Pferde wieder in den Fluß, um 
Hinter den Schanzen zu landen. 

Ueber hundert Pferde verfanfen dicht am Ufer im Schlamm, 
aber die Mannjchaften famen alle an Land. Kmiziz hieß jie 
bei den anderen aufiigen und lenkte den Schanzen zu. Zuvor 
jedoch hatte er zwölf Mann zu dem Reſt feiner Truppen nach 
Suchowola abgejandt mit dem Befehl, die Füſiliere nicht von 
dort aus zu beunruhigen, während er ihnen in den Rüden 
fiel. Als fie dem Lager näher kamen, hörte er erjt vereinzelt, 
dann immer häufiger Gewehrfalven. 

„Das ijt gut!“ jagte er, „sie gehen zur Attacke über.“ 

Und vorwärts ging es. In der Finſternis nahm man 
von den Neitern nichts wahr, als eine Menge auf und nieder- 
hüpfender Köpfe, genau den Bewegungen der Pferde folgend, 
feine Waffe flirrte, fein Panzer blitzte. Die Tartaren und 
Freiwilligen verjtanden es, lautlos wie die Wölfe einherzuziehen. 

Von Janowo her wurde das Gewehrfener immer leb- 
after. Herr Sapieha jchien auf der ganzen Linie vorgejchritten 
zu jein und die Schlacht eröffnet zu haben. 

Auf den Schanzen, welchen Kmiziz zujtrebte, wurden jett 
auch Rufe laut. Einige brennende Holzitöße warfen ein grelles 
Licht über diejelben. Bet diefem Lichte jah Herr Andreas, wie 
die ‚züfiliere in Pauſen gerade vor jich Hin jchoffen, die Augen 
dem Felde zugefehrt, wo die Freiwilligen mit den Dragonern 
aneinander geraten waren. Man hatte jet auch ihn mit jeiner 
Kolonne erblidt, aber anitatt auf fie zu jchießen, begrüßte man 
ſie mit ‚sreudenrufen. Wahrjcheinlich waren jie der Ansicht, 
daß es von Fürſt Boguslaw ausgejandte Hilfstruppen für jie 
waren. Erſt als faum noch etwa Hundert Schritte die Heran— 


243 


nahenden von den Schanzen trennten, wurden die Füſiliere 
unruhig und immer mehr von ihnen blidten, die Hand über 
der Stirn, aus, zu jehen, wer ihnen eigentlich nahe. 

Da plöglich erfüllte gräßliches Geheul die Luft; wie ein 
Wirbelwind jaujten die Reiter daher, umzingelten die Füſiliere, 
ichlofjen fie im Kreiſe ein und die Maſſe Menjchen mitten 
drinnen zucdte krampfhaft im Todesgrauen, als wolle eine 
Rieſenſchlange ſie in ihrer Umschlingung erſticken. 

Herjzerreißende Rufe: „Allah! Herr Jeſus! Mein Gott!“ 
tönten durch die Nacht. 

Bor den Schanzen wurde es nun auch laut, denn Die 
Freiwilligen, welche bemerft hatten, daß Kmiziz bereit3 hinter 
den Schanzen den Füfilieren in den Rücken gefommen war, 
jtürmten nun von jenſeits darauf los. Der Himmel, welcher 
ihon am Tage vorher bewölkt gewejen, begann, wie das im 
Frühling oft der Fall iſt, leichte Negenjchauer zu entjenden. Die 
Feuer erlofchen, der Kampf dauerte in der Finſternis fort. 

Aber er währte nicht mehr lange. Die jo plößlich Ueber— 
fallenen waren jchnell niedergemegelt. Die Dragoner, unter 
denen viele Bolen ſich befanden, ſtreckten kampflos die Waffen. 
Die ausländijchen Söldner wurden ausnahmslos getötet. Das 
wiederum aus dem Gewölf hervorbrechende Mondlicht bejchten 
einen formlofen Haufen ZQartaren, welche beutejuchend, Die 
Toten ausraubten. 

Da ertönte ein jchriller Pfiff. Die Tartaren und Frei— 
willigen ließen alles im Stich und jaßen im nächjten Augen- 
blick zu Pferde. 

„Dir nach!” fommandierte Kmiziz. 

Und wie die Windsbraut jaufte er voran, nach Janowo. 
Eine Biertelitunde jpäter war die Ortjchaft an allen vier Ecken 
angezündet und nach Verlauf einer Stunde bezeichnete ein 
funfenjprühendes Slammenmeer die Stätte, wo Janowo einjt 
geitanden. 

Auf diefe Weiſe ſetzte Kmiziz den Hetman in Kenntnis, 
da er im Rücken der feindlichen Armee operierte. 

Wie ein Henker vom Blut bejchmugt, ordnete er in dem 
Lichte der Flammen feine Tartaren zum weiteren Zuge auf 
das Schlachtfeld. Der Zug hatte jich eben formiert und jollte 
ſich in Bewegung jegen, da erblicte Kmiziz plöglich dicht vor 
jich, taghell von den Flammen beleuchtet, eine Abteilung der 
furfürftlichen Gardereiter. Mann und Roß von riejenhafter 
Größe, jprengte fie in vollem Galopp daher. 

16* 


244 


An ihrer Spitze ritt, weithin fichtbar, mit glänzendem 
Silberpanzer angethan, auf weißem Roß, ein Ritter. 

„Boguslaw!“ brüllte mit fajt übermenschlicher Straft Kmiziz 
und jtürmte mit jeinem tartarischen Tſchambul ihm entgegen. 
Wie von einer Windsbraut getriebene haushohe Wellen auf- 
einander prallen und in Gicht zeritieben, jo jtießen die beiden 
Heereshaufen im vollen Galopp der Pferde zujammen. Von 
der einen Seite die Rieſenmenſchen in ihren bligenden Küraſſen, 
das blanke Schwert hoch über jich jchwingend, von der anderen 
die jchwarze Tartarenmwolfe. 

In dem Nugenblid des Zuſammenſtoßes gejchah etwas 
Schredliches. Wie ein reifes Aehrenfeld hingemäht, jtürzten 
die Neihen der jchwarzen Krieger unter den Hufen der Niejen- 
roſſe, welche über jie hinwegjagten, wie die wilde Jagd, hinter 
ji) da8 Grauen zurüclafjend. 

Doh nur furz währte der Schreden der Ueberrittenen. 
Man konnte die Wilden überreiten, doch fie zermalmen nicht. 
Bald hoben jich Hier und da einzelne, dann ganze Haufen aus 
der dunklen Mafje; jchwangen ſich auf die Pferde, die eben jo 
ichnell aufgejprungen waren und jegten den Davonjagenden 
nach, ihre Laſſos mit jchrillem Saufen durch die Luft jchwingend. 

Doh — an der Spite der Fliehenden jagte nach immer 
weithin jichtbar der Neiter auf dem weißen Roſſe, während in 
den Reihen der Verfolgenden Kmiziz fehlte. 

Mit dem Morgengrauen fehrten die Tartaren auf das 
Schlachtfeld zurüd. Faſt jeder von ihnen führte einen Kürajfier 
am Lajjo mit jih. Bald fanden fie auch Kmiziz. Sie nahmen 
den Ritter mit und brachten ihn noch bewußtlos zum Hetman. 

Sapieha blieb jelbit an jeinem Lager jigen und pflegte 
ihn. Gegen Mittag öffnete er endlich die Augen. 

„Wo iſt Boguslaw?“ das war jein erjtes Wort. 

„Seine Armee iſt vollitändig aufgelöft,“ antwortete Sapieha, 
frob, daß es um Herrn Andreas nicht jo jchlimm jtand, wie er 
geglaubt. „Zuerit begünitigte ihn Fortuna; das machte ihn 
wagehaljig. Er verließ die gedecten Stellungen in den Birfen- 
Ichonungen und griff die Füſiliere Herrn Oskierkos im offenen 
Felde an, dort verlor er eine Menge Soldaten und wurde 
beſiegt . . . Ich weiß nicht, ob im ganzen fünfdundert Mann 
am Leben geblieben jind.“ 

„Und er jelbjt?“ frug Kmiziz. 

„Er ilt uns entwijcht.“ 

Kmiziz verharrte eine Weile in tiefem Schweigen, dann jagte er: 


245 


„Roc war e8 mir nicht bejtimmt, mich mit ihm zu mejjen. 
Er ſchlug mir mit dem Rapier nach dem Kopfe, aber mein 
Viſier von reinem Stahl fing den Schlag auf; nur ohnmächtig 
bin ich von dem ſtarken Anprall ‚geworben. — 

„Ihr müßtet dieſes Viſier in eurer Patronatskirche auf— 
hängen.“ 

„Wir werden ihn verfolgen, und ſei es bis an das Ende 
der Welt!“ ſagte Kmiziz. 

Statt aller Antwort hielt ihm der Hetman ein Schreiben hin. 

„Da jeht, welche Nachricht ich heute nach der Schlacht 
erhalten habe,” jagte Herr Sapieha, während er ihm den Brief 
reichte. 

Kmiziz las laut die folgenden Worte: 

„Der König von Schweden hat Elbing verlaffen und geht 
auf Samoſchtſch vor. Von dort beabſichtigt er der königlichen 
Armee, welche in und bei Lemberg ſteht, entgegenzuziehen. Ich 
bitte Ew. Erlaucht mit allen Euch zu Gebote jtehenden Streit- 
fräften dem Könige und dem Vaterlande zu Hilfe zu fommen, 
möglichit in Eilmärjchen. Ich allein kann den Anprall nicht 
aufhalten... Tſcharniezki.“ 

Nieder war es jtill. 

Nach einiger Zeit frug der Hetman: 

„Und ihr? was werdet ihr thun? Kommt ihr mit uns, 
oder geht ihr mit den Tartaren nad) Tauroggen ?“ 

Kmiziz Schloß die Augen. Er dachte an das, was der 
Brobit Kordezki, an das, was Wolodyjowsfi ihm von Skrze— 
tusfi erzählt hatte, und antwortete dann: 

„Auf ſpäter die Nache! Jetzt will ich mein Leben und 
Blut dem Vaterlande weihen!“ 

Der Hetman drücdte ihm den Kopf mit beiden Händen. 

„Ihr jeid mir ein teurer Kampfgenoſſe,“ jprach er. „Und 
da ich euer Vater jein Eönnte, jo empfanget meinen Segen...” 





Fünftes Bud. 


+ 





— 
— —F ⸗ * 





l. Kapitel. 





Während in der Republik Polen alles, was atmete, ſich 
gegen die Schwedenherrſchaft auflehnte und die Erhebung immer 
weitere Kreiſe zog, weilte Karl Guſtav in Preußen, damit be— 
ſchäftigt, die dortigen Städte zu erobern und mit dem Kur— 
fürſten dann Verträge zu ſchließen. 

Nach dem über alles Erwarten leichten Siege in Polen 
war der kluge König recht bald zu der Einſicht gelangt, daß 
der ſchwediſche Leu in ſeiner Gier mehr verſchlungen hatte, als 
er zu verdauen vermochte. Seit der Rückkehr Johann Kaſimirs 
in das Land, wußte er, daß er die ganze Republik nicht würde 
halten können; er reſignierte daher von vornherein, wollte aber 
verſuchen, einen möglichſt großen Teil der Beute für ſich zu 
erhalten, vor allem das ſchöne Kronen-Preußen, welches, an 
ſein bereits früher erobertes Pommerland grenzend, an ſchönen 
Städten ſo reich war. 

Die Provinz Preußen aber, welche zu allererſt ſich gegen 
den Eroberer aufgelehnt hatte, hielt auch jeßt noch wacker zu 
ihrem alten Herrn und König und zur Nepublif. Die Nüdkehr 
Sohann Kaſimirs, der Zujammentritt der Tyſchowietzer Kon— 
füderation, belebten den revolutionären Geiſt der Preußen und 
jtügten ihre Königstreue, deshalb war Karl Gujtav rajch ent- 
ichlojjen, den Aufitand in der Nepublif zu unterdrüden, das 
Heer Johann Kaſimirs zu vernichten, um den Preußen die 
Hoffnung auf Hilfe zu nehmen. 

Da die Belagerung Marienburgs nur ſehr langſame Fort— 
ſchritte machte, weil Weiher, der Kommandant der Feſtung, die— 
ſelbe außerordentlich gut verteidigte, zog er mit einer bedeutenden 
Armee in die Republik, um Johann Kaſimir zu erreichen, ſollte 


250 


er ihn auch an dem äußerjten Grenzen jeined Reiches juchen 
müfjen. Der König handelte immer jehr rajch; er lieh jeinen 
Entjchlüffen die Ausführung auf dem Fuße folgen. Mit einer 
Schnelligfeit, die ihresgleichen juchte, hatte er auf jeinem Wege 
nad) der NRepublif alle um die Städte Preußens liegenden 
Truppen zufammengerafft, und ehe in der Nepublif noch jemand 
ahnte, was vorging, hatte er Warjchau jchon im Rüden und 
zog in Eilmärjchen dem füniglichen Heere entgegen. 

Wie ein jchweres Unwetter brach er mit jeinen Soldaten 
in das ohnehin jo zerrüttete Yand; wut- und rachejchnaubend 
zog er daher. Zehntaujend Pferde jtampften mit ihren Hufen 
den teilweife noch mit Schnee bededten Boden. Alle die kleinen 
Kommandos, welche die Städte und Schlöfier der Republik 
bejegt hielten, mußten ihm folgen; er riß alle mit fich fort 
und führte jie auf Sturmesflügeln weit, weithin nach dem 
Süden. 

Unterwegs verbrannte er die Dörfer, die kleinen Städte; 
er jchlug alles nieder, vernichtete alles, was ihm in den Weg 
fam. Er war nicht mehr der Karl Guſtav von ehemals, der heitere, 
menjchenfreundliche Herr, welcher den Soldaten jchmeichelte und 
mit den polnischen Reitern liebäugelte.e Wo er fich jett blicken 
ließ, da flo das adlige und plebejische Blut der Polen in 
Strömen, da ließ er die Gefangenen aufhängen, da blieb nichts 
am Leben, nichts wurde gejchont. 

Aber wenn der Bär jeinen mächtigen, alles erdrücenden 
ichweren Körper durch die Wälder jchleppt und im Vorwärts— 
jchreiten das Strauchwerf und die niederen Aeſte mit der Laſt 
feines Gewichtes bricht und fnidt, dann jchleichen die kleinen 
Naubtiere, welche nicht wagen, ihn anzugreifen, hinter ihm drein 
und juchen ihm hinterrüds zu jchaden. So auch hier. Der 
Armee Karl Gujtavs nach zogen alle die Kleinen Häuflein Frei— 
williger in immer kleineren Abjtänden und in immer größerer 
Zahl. Sie begleiteten ihm wie jein Schatten, folgten ihm Tag 
und Nacht, in Wind und Wetter. 

Vor ihm her aber brach man alle Brüden ab, um jeinem 
Bordringen Einhalt zu thun; man vernichtete alle Vorräte an 
Lebensmitteln, um ihn auszuhungern, beraubte ihn der Mög- 
lichkeit anderswo als unter freiem Himmel jeine Nachtruhe 
zu halten. 

So hatte der König nur zu bald einjehen gelernt, wie 
ſchrecklich und gefahrvoll das Unternehmen war, zu dem er fi) 
in der Uebereilung hatte hinreißen lafien. Krieg, Krieg, nichts 


251 


als Krieg weit und breit, foweit das Auge reichen fonnte nichts 
als Mord und Brand, ein Meer von Flammen, Rauch und 
Vernichtung. Preußen und Großpolen, welche zuerſt die 
Schwedenherrjchaft angenommen, waren wiederum Die eriten, 
welche das Joch abzufchütteln ſich bemühten, Stleinpolen, Reußen, 
Litauen und Smudz waren ihnen gefolgt. Zwar hielten jich 
in den Schlöfjern und größeren Städten die Schweden nod) 
gut, aber fie ſaßen dort wie auf Imjeln, die Dörfer, Wälder, 
die Flüſſe und das offene Land waren ſämtlich in polnijchen 
Händen. Ueberall lauerte den Schweden die Gefahr auf; nicht 
nur vereinzelte Soldaten oder fleinere Trupps, jondern jogar 
größere Abteilungen des jchwedischen Heeres verjchwanden ſpur— 
los, jobald jie eg wagten, jich nur auf furze Zeit vom Haupt- 
quartier zu entfernen. 

Umjonjt ließ Karl Gujtav in den Dörfern und Städten 
befannt machen, daß jeder Bauer, welcher ihm einen Adligen 
in Waffen, gleichviel ob tot oder lebend ausliefere, zum Lohne 
dafür vollfommene Freiheit und ein Stück Land erhalten folle. 
Die Bauern waren jämtlich mit den Adligen und Städtern 
in die Wälder gezogen. Die Leute von den Bergen, aus den 
Steppen, den Flußniederungen und Feldern, jie alle hatten jich 
in den Wäldern feitgejegt und führten im Stillen und unficht- 
bar den Krieg gegen die Unterdrüder mit feinen anderen Waffen, 
als Drefchflegeln, Heugabeln und Senjen. 

Die Wut Karl Gujtavs jteigerte ji) von Tag zu Tag. 
Er fonnte nicht begreifen, dab das Land, welches vordem fich 
ihm fajt von jelbit ergeben, plötzlich mit einer Energie fich auf- 
lehnte, die ihres Gleichen juchte, und er jtaunte, woher es die 
Se und Mittel nahm zu diefem Kampfe auf Tod und 

eben. 

Der König berief oft jeine Räte zufammen. Es befanden fich 
bei ihm: jein Bruder Adolf, welcher das Hauptfommando über die 
Armee hatte, Robert Douglas, Heinrich Horn, ein Bruder jenes 
Horn, welcher bei Tſchenſtochau jein Leben durch den Senjen- 
hieb eines Bauern verloren hatte, Waldemar Graf von Däne- 
marf und jener Miller, welcher am Fuße des heiligen Berges 
jeinen Kriegsruhm begraben hatte, Ajchemberg, der geichicteite 
ſchwediſche Reitergeneral, Hammerjchild, welcher die Gejchüge 
unter fich hatte, und der alte Nejtor der jchwedischen Armee, 
der Marjchall Arfuid Wittenberg, dejjen Raubzüge ihm eine 
traurige Berühmtheit eingetragen hatten. Diejer leßtere war 
von einer unbeilbaren Krankheit befallen und zehrte an den 


252 


Neiten jeiner früheren Gejundheit. Dazu famen noch Forgell 
und viele andere tüchtige Strieggmänner, welche in offener 
Schlacht nur von dem mächtigen Genius ihres Königs über- 
troffen wurden. 

Sie alle fürchteten im Stillen, dab diejer ganze Feldzug 
an der hartnädigen Wut des Ktleinfrieges und an dem Mangel 
an Nahrung jcheitern würde Der alte Wittenberg riet dem 
Könige entjchieden, von weiterem Vordringen Abjtand zu 
nehmen. 

„ie wollen Ew. Majejtät bis in das ferne Reußen einem 
Feinde nachjegen, der für uns umjichtbar bleibt, während er 
vor ung her alles vernichtet, was für unjeren Unterhalt not— 
wendig it. Was joll dann gejchehen, wenn den Pferden nicht 
nur Heu und Hafer, jondern auch die legte Zuflucht, die Dach- 
Ichauben zum jatt füttern jehlen, und die Soldaten vor Müdig⸗ 
keit und Hunger nicht mehr fort können. Wo bleiben jene 
Heere, welche uns zu Hilfe kommen ſollten? Wo ſind die 
Schlöſſer, in denen wir uns ſtärken und die müden Glieder 
ausſtrecken können? Ich kann mich weder mit Ew. Majeſtät 
Klugheit, noch mit Ew. Majeſtät Krieggsßruhm meſſen. Wenn 
ich aber Karl Guſtav wäre, würde ich eben dieſen ſo ſchwer 
durch große Siege errungenen Kriegsruhm nicht dem wechſeln— 
den Glücke dieſes Feldzuges ausſetzen.“ 

Darauf erwiderte der König: 

„Wenn Ich Wittemberg wäre, dann würde Ich es ſicherlich 
auch nicht thun.” Dann führte er das Beijpiel Aleranders von 
Makedonien an, mit welchem er fich gern jelbit verglich, und 
jagte weiter dem Herrn Ticharniezfi nach, welcher im Gefühl 
der Ueberlegenheit des jchwedischen Heeres ihm mit der Liſt 
eines Wolfes auswich, den glüdlichen, geeigneten Augenblid 
herbeijehnend, wo er dem Feinde Die jcharfen Zähne würde 
weijen fünnen. Tſcharniezki machte es ähnlich wie Kmiziz; er 
war bald den Schweden voraus, bald jeitwärts von ihnen, 
dann wieder ließ er ſie an jich vorüberziehen, wenn er in der 
Tiefe der dunklen Wälder rajten wollte, jo dat, wenn fie glaubten, 
ihm nachzujagen, er ſich in ihrem Rücken befand, und fie nie 
wiſſen konnten, wo jie ihn zu fjuchen hatten. Hier und da 
überrumpelte er eine £leinere Abteilung Neiter, griff die lang— 
ſamer vorrücenden ‚Fußregimenter an, oder nahm dem Feinde 
etliche ‚Kouragewagen fort. Es fam auch vor, day die Schweden 
plöglic) nachts ein heftiges Kleingewehr- vder Kanonenfeuer 
eröffneten und blindlings in die Wälder hineinſchoſſen, im 


253 


Glauben, die Polen müßten da drinnen jein. Sie machten fich 
unendlid) müde auf den Märjchen in den falten Nächten, fie 
zehrten jich auf vor Kummer und jteter Wachjamfeit und — 
diejer vir molestissimus — jchwebte fortwährend mit jeinem 
Schwerte über ihnen, wie die Hagelwolfe über einem Weizenacder. 

Endlich itellte er ich) dem Schwedenheere bei Golembin, 
unweit der Mündung des Wieprich in die Weichjel. Cinige 
der polnischen Fahnen hatten ich dort kampfbereit aufgeitellt 
und griffen den Feind mit jolcher Heftigfeit an, daß der Vor— 
itoß desjelben jofort in Verwirrung und Schreden geriet. 
Herr Wolodyjowsfi mit jeiner Laudaer ‘sahne begann das 
Gefecht, indem er den dänijchen Prinzen Waldemar angriff; 
ihm folgte Herr Samuel Kawezfi mit jeinem jüngeren Bruder 
Sohann, welche die angeljächjiichen Söldlinge Wickilſohns in 
wenigen Augenblicden total auseinander gejprengt hatten. Herr 
Malawski traf jo Hart mit Adolf, dem Bruder des Königs, 
zujammen, daß Mann und Noß zerjtiebten, wie eine Staub- 
wolfe, welche ein friicher Wind in alle Himmelsgegenden zerteilt. 
Ehe jie ſich's verjahen, waren die Schweden dicht an die Weichjel 
gedrängt. Als Douglas das gewahrte, jprengte er mit jeinen 
auserlejenen Neitern den Bedrängten zu Hilfe. Aber auch er 
fonnte dem harten Anprall der Polen nicht Stand halten. 
Seine Neiter mußten von den hohen Ufern hinab auf das Eis 
flüchten, die Leichen bedecdten das weiße Schneefeld bald in 
jchrecdenerregender Menge. Unter den Gefallenen befanden 
ſich der Prinz Waldemar, Widiljohn; der Fürſt Adolf war 
mit dem Pferde geitürzt und hatte einen Beinbruc) erlitten. 
Aber auch die Polen hatten große Verluſte zu verzeichnen. 
Die Herren Kawezki, Malawstı und Rudawski zählten zu den 
Toten, während die Herren Nogowsfi, Tyminski, Choinsfi und 
Porwaniezki mehr oder weniger jchwer verwundet waren. Nur 
Herr Wolodyjowsfi war unverwundet geblieben, jeine fleine, 
geichmeidige Gejtalt war überall geſchickt den ſchwediſchen Säbel- 
hieben ausgewichen, während er um fich hieb wie ein gereizter 
Tiger. 

: Unterdejjen war Karl Gujtav mit der Hauptarmee und 
den Gejchügen hHerangerüdt. Damit nahm der Verlauf des 
Kampfes eine andere Gejtalt an. Die anderen Truppen 
Tjeharniezfis, welche nicht zu den Stammjoldaten gehörten, 
waren noch nie in einem Gefecht gewejen; jte wurden verwirrt. 
Teild auch hatten ſie die Prerde nicht jchnell genug bei der 
Hand, da viele von den Bolontären, entgegen dem Befehl, die 


254 


Pferde jtet3 gejattelt zu halten, diejelben im entfernteren Ort— 
ichaften untergebracht hatten, während jie jelbit in den Hütten 
der Ruhe pflegten. Dieje Abteilungen waren bald verjprengt 
und vernichtet, der Neit floh dem Wieprich zu. Damit nun 
die Elite jeiner Truppen nicht völlig dem Untergange preis- 
gegeben werde, lieg Herr Ticeharniezfi zum Rückzug blafen. So 
zogen jich denn Die einen auf das andere Ufer des Wieprich 
zurüd, während die anderen nach Konskowola abmarjchierten, 
dem Könige von Schweden das Feld und den Giegesruhm 
überlajjend. Diejenigen polnischen Fahnen, welche fich jenjeits 
des Wieprſch geflüchtet hatten, wurden noch weithin von den 
Fahnen Shrojchef3 und Kalinsfis verfolgt, welche beide noch 
zum Könige von Schweden hielten. 

Die Freude über den Sieg war im jchwediichen Lager 
grenzenlos. Zwar hatte derjelbe ihnen wenig genug Beute 
eingebracht — ein paar Beutel Hafer und ein paar leere 
Wagen, das war alles —, aber darum war es dem Könige 
dDiejes Mal weniger zu thun. Ihm genügte, dat das Kriegsglück 
ihn doch nicht verlajjen hatte, daß er ſiegte, wo er ſich bliden 
ließ, hauptjächlich aber war feine Freude darum jo groß, weil 
Tieharniezfi der Bejiegte war, Ticharniezti, auf dejien Tapfer— 
feit, Klugheit und Mut gegenwärtig die Hoffnung der ganzen 
Republik geitellt war. Er vermutete, daß die Nachricht von 
der Niederlage Tjcharniezfis im ganzen Lande laut werden, daß 
furchtfame Gemüter die Thatjachen entitellen, die Niederlage 
als eine volljtändige bezeichnen würden, was jelbjt die Mutigiten 
im Lande jchwer treffen und alle diejenigen, welche der Kon— 
jüderation beigetreten waren, vor weiteren Unternehmungen 
zurücijchreden mußte. 

Als man daher dem Könige die eroberten Haferbeutel zu 
‚süßen legte, und gleichzeitig die Leichname Wickilſohns und des 
Prinzen Waldemar herbeitrug, wandte er jich an die befümmer- 
ten Generale und ſprach: 

„Schaut nicht jo trübe drein, ihr Herren! Es ijt dies der 
glänzendite Sieg, den ch feit einem Jahre davongetragen; er 
fann den ganzen Krieg beenden.“ 

„Majeität!“ antwortete Wittenberg, welcher, jeit er franf 
war, "die Dinge jchwärzer jah, als ſonſt, bejonders heute, wo 
er jich ganz unwohl fühlte. „Danfen wir Gott aud) dafür, 
daß wir von nun an ruhiger weiterziehen fünnen, auch das tjt 
jchon viel wert. Uebrigens glaube ich nicht, da wir lange 
unbehelligt bleiben werden, denn jo jchnell die Fahnen 


255 


Tieharniezfis zeriprengt worden find, jo jchnell werden jie jich 
wieder jammeln.“ 

Darauf erwiderte der König: 

„Herr Marjchall, Ich Halte euch für feinen jchlechteren 
Feldherrn als den Herrn Ticharniezfi. Sch glaube aber, daB, 
wenn euch gejchähe wie ihm heute, jo brauchtet ihr wenigitens 
zwei Monate, um euch zu erholen.“ 

Wittemberg verbeugte jich zuftimmend, der König aber 
jprach weiter: 

„Wir werden einen gejicherten Weitermarjch haben, denn 
Ticharniezfi allein vermochte ihn aufzuhalten. Tſcharniezki ijt 
vernichtet, das Hindernis entfernt.“ 

Die Generale waren von dieſer Ausficht jehr erfreut. Die 
jiegestrunfene Armee zog im PBarademarjch am Könige vorüber; 
das Schredgeipenit Ticharniegzfi Schritt nicht mehr neben ihr 
ber, hatte aufgehört zu erijtieren. Angeſichts diefer Ihatjache 
waren die herben Verluſte bald vergejien, die fommenden 
Mühſale erichtenen leicht und angenehm. Da die Worte des 
Königs bald im —55— Lager verbreitet wurden, war das 
ganze Heer der Anſicht, daß dieſer Sieg eine ganz außer— 
ordentliche Bedeutung für dasſelbe haben mußte, daß die 
Zeit des Herrſchens und der Rache für die Schweden ge— 
kommen war. 

Der König gab dem Heere einige Stunden Ruhe. Von 
Koſieniez her waren Laſtwagen mit Lebensmitteln heran— 
gekommen. Die Armee ‚quartierte ſich in Golembin, Krowienifi 
und Schyichyn ein. Die Reiter zündeten Die verlafjenen 
Häuſer an, mehrere Bauern, welche man mit der Waffe in der 
Hand gefangen, und ein paar Pferdejungen, die man auch für 
Bauern hielt, wurden erhangen. Darauf folgte ein Gelage. 
Die Soldaten aßen jich einmal wieder ſatt, dann legten fie jich 
zum erjtenmale jeit Wochen zu traumlojem, ungejtörtem Schlaf 
nieder. 

Am nächſten Morgen erwachten jie neugeitärft. Das erite 
Wort, welches jic aller Munde entrang, war: 

„Tſcharniezki ijt fort!“ 

Einer rief e8 dem anderen zu, als wollten jie jich gegen- 
jeitig die Wahrheit des Gejchehenen vergewiſſern. Der Morgen 
war falt, aber heiter und troden. Der Weitermarjch wurde 
fröhlich angetreten, die Nüjtern und Ohren der Pferde bedeckten 
jih bald mit Rauhreif. Ein falter Wind hatte über Nacht 


256 


alle Prügen mit einer Eiskruſte bezogen, der Weg war gut. 
Die Neihen der Krieger dehnten sich diesmal lang aus, 
was jie bisher nie gewagt hatten; jie zogen jich fait eine 
Meile lang. 

Zwei Kolonnen Dragoner marjchierten unter Dubois, 
einem franzöfiichen Hauptmann, über Konstowola, Markuſchew 
und Grabow etwa eine Meile abjeit3 von der Hauptarmee. 
Noch vor drei Tagen wären jie in diefer Marjchordnung dem 
Tode verfallen gewejen, heute hatten jie ſich furchtlos und 
jiegesficher von den anderen getrennt. 

„Tſcharniezki iſt fort!” 

Einer rief es dem anderen zu. Sie marſchierten auch 
unbehelligt weiter, kein Kriegsruf aus dem Waldesdickicht, fein 
Pfeilgeſchoß aus dem Hinterhalte ſtörte ihre Ruhe. 

Gegen Abend langte Karl Guſtav in Grabow an. Er 
war ſehr heiterer Laune und wollte ſich ſoeben zur Ruhe be— 
geben, als Aſchemberg durch den dienſtthuenden Offizier behufs 
einer wichtigen Meldung um Audienz bitten ließ. 

Nach einer Weile trat er beim Könige ein, aber nicht 
allein, ſondern in Begleitung eines Dragonerfapitäns. Der 
Ktönig, welcher ein ia gutes Perjonengedächtnis 
und ein jcharfes Auge hatte, erfannte jofort den Kapitän. 

„Bas giebt es neues, Fred?“ frug er. „Sit Dubois 
zurüd?“ 

„Dubois iſt erjchlagen!” antwortete Fred. 

Der König erſchrak. Grit jet bemerfte er, dat der Kapitän 
ausjah, al3 wäre er dem Grabe entitiegen. Seine Uniform 
war zerfetzt und fledig. 

„Und die Dragoner?* frug er hajtig weiter. „Jene 
beiden Kolonnen?“ 

„Es iſt nichts mehr von ihnen übrig; ich war gefangen; 
man ließ mich laufen!“ 

Das hagere Gejicht des Königs verfiniterte ſich; er jtrich 
die dichten Haarwellen höher Hinter die Schläfen hinauf. 

„Wer hat das gethan?“ rief er. 

„Tſcharniezki!“ jagte Fred gelajjen. 

Der König verjtummte und jtarrte entjegt Ajchemberg an, 
welcher nur leicht mit dem Kopfe nidte, als wolle er bejtätigen: 

„Tſcharniezki! Tſcharniezki!“ 

„Es iſt nicht zu glauben!“ ſprach der König nach einer 
Weile. „Haſt du ihn ſelbſt geſehen?“ 


257 


„Sch ſtand vor ihm, wie ich jegt vor Ew. Majeſtät ſtehe. 
Er trug mir einen Gruß an Ew. Majejtät auf und ich möchte 
ausrichten, daß er gegenwärtig jemjeitS der Weichjel gehe, aber 
bald wieder unjerer Spur folgen werde.“ 

„Sch weiß nicht, ob er die Wahrheit ſprach.“ 

„Gut!“ rief der König. „Hat er ein jtarfes Heer bei ſich?“ 

„Genau fonnte ich das nicht feititellen; an viertaujend 
Mann habe ich gejehen, Hinter dem Walde aber itanden auc) 
noch) Neiter. Man umzingelte uns in der Nähe von Krafitichin, 
wohin Herr Hauptmann Dubois abjichtlih vom Wege abbog, 
da man ihn gewarnt hatte, auf der Landſtraße weiter zu ziehen. 
Set kann id) mir vorjtellen, daß Ticharniezfi abjichtlicd) den 
Warner aufgeitellt hat, um uns in den Hinterhalt zu loden. 
Außer mir iſt feiner am Xeben geblieben, die Verwundeten 
wurden von den Bauern vollends erjchlagen, ich entfam, wie 
durch ein Wunder!“ 

„Der Menjch muß mit dem Teufel ein Bündnis gejchlofjen 
haben,“ jagte der König, während er den Kopf in die Hand 
jtügte. „ES muß übermenjchliche Anjtrengung erfordert haben, 
nad) der gejtrigen Niederlage die Truppen wieder jo weit in 
Ordnung zu bringen, daß der heutige Lleberfall gewagt werden 
fonnte!” 

„Es it jo gefommen, wie der Herr Marjchall Wittenberg 
e3 vorausgejehen,“ warf Ajchemberg ein. 

Darauf wurde der König jehr zornig. 

„Shr alle fünnt immer alles vorausjehen, nur einen Nat 
erteilen fünnt ihr nicht!“ herrichte er den General an. 

Aſchemberg erbleichte und verftummte. Karl Guſtav jchien, 
wenn er gut gelaunt war, aus purer Güte zujammengejeßt zu 
jein. Sobald er aber nur die Stirn runzelte, bebte und zitterte 
jeine Umgebung vor entjeglicher Angſt. In folchen Fällen 
verfrochen ſich jelbit die älteſten und verdienteiten Generale 
vor ihm, wie die kleinen Vögel jich vor dem mächtigen Adler 
verſtecken. 

Doch jetzt beſann ſich der König ſchnell. Er begann Fred 
weiter auszuforſchen: 

„Sind die berittenen Mannſchaften Tſcharniezkis gut im 
Stande?“ 

„Sch jah einige umvergleichlich ſchön ausgerüjtete Fahnen, 
wie überhaupt die Neiterei hier zu Lande alle jchön it.“ 

„Es müſſen diejelben fein, welche Uns bei Golembin ans 
griffen. Es müſſen altgediente Soldaten jein; jte famen wie 


Sientiewica, Sturmflut IL 17 


258 


die Furien auf Uns los. Und er jelbit, Ticharniezfi, it er 
guter Dinge?“ 

„Er iſt jo heiter, al® wäre er der Sieger von Golembin, 
nicht der Beſiegte. Das Herz muß ihnen dort umfomehr 
jchwellen, als die Niederlage bei ihmen jchon fajt vergeſſen iſt 
und fie Heute die Steger find. Majejtät! Was Ticharniezfi 
mir zu jagen aufgetragen, das habe ich ausgerichtet, aber als 
ich entlafien war und mich himwvegbegeben wollte, da trat ein 
alter Offizier an mich heran und jagte mir, daß er derjenige 
fei, welcher den umvergehlichen König Guſtav Adolf im Zwei— 
fampf getötet. Er hat Em. Majeität jchändlich geläftert und 
die anderen haben ihm geholfen. Ich verließ unter den tiefften 
Demütigungen das Lager.“ 

„Das iſt Nebenjache!“ entgegnete Karl Gujtav. „Die 
Hauptjache iſt für Mich, dat Ticharniezfi nicht vernichtet iſt 
und feine Truppen jchon wieder gejammelt hat. Wir müffen 
nun um jo jchneller vorwärts marjchieren, damit Wir diefen 
polnischen Darius einholen. Ihr jeid entlaſſen, meine Herren. 
Ihr werdet im Lager erzählen, Fred, dat die Dragoner von 
herumziehendem Gejindel genarrt, ihnen in das Dickicht gefolgt 
und dort umgefommen find. Wir müjjen vorwärts.“ 

Die Offiziere entfernten jich, Karl Guſtav blieb allein 
zurüd, Eine Weile verharrte er im düjteres Grübeln verjunfen. 
Sollte denn jein Sieg bei Golembin ihm gar feine Früchte 
tragen, jeine Lage nicht verbeſſern, jondern die hartnädige 
Verfolgung der Bewohner dieſes Landes ihn fortdauernd 
begleiten ? 

Karl, welcher in Gegenwart jeiner Generale und des 
Heeres ſtets das größte Selbjtbewußtjein und die fejte Ueber— 
zeugung des Gelingens feiner Unternehmungen zur Schau trug, 
fonnte, wenn er allein war, über den Verlauf diejes Krieges, 
der jo günjtig begonnen und je länger deſto ſchwieriger für 
ihn wurde, ftundenlang grübeln, und oft jchon in den letzten 
Tagen war er der Verzweiflung nahe gewejen. Alles, was 
geichah, dünkte ihm jo wunderbar; oft wußte er nicht, was er 
weiter beginnen jollte in einer Sache, von der das Ende nicht 
abzufehen war. Er fam jich vor, wie einer, der das fichere 
Ufer verlafjend, in die Fluten des Meeres ſteigt und bei jedem 
Schritt vorwärts den Boden unter jich weichen fühlt und die 
Flut ihn zu verichlingen droht. 

Er glaubte aber an jeinen guten Stern. Auch jegt trat 
er an das Fenſter; den Bli nach oben gerichtet, juchte er nad) 


259 


dem jeinigen, den ihm der Ajtrologe genannt. Es war der— 
jenige, welcher im großen Wagen, genannt der große Bär, den 
höchiten Pla einnimmt und am belliten leuchtet. Der Himmel 
war klar; jo leuchtete auch jetzt das Gejtirn in ſchönſter gold- 
roter Pracht — von ferne nur, fajt am ae des azur= 
blauen Himmelsgewölbes jtand eine lange Wolkenwand, welche 
langjam heraufitieg und ihre Arme, immer näher rücend, nach 
dem Stern ausitredte. 








2. Kapitel. 


Am nächſten Morgen marjchierte der König weiter bis 
Lublin. Dort wartete jeiner die Nachricht, daß Herr Sapieha, 
nachdem er die Armee Boguslaws bejiegt und vernichtet, mit 
einem ftarfen Heere heranziehe. Er gab daher der Stadt nur 
eine feite Beſatzung und z0g weiter. 

Sein nächjtes Ziel war nun Samojchtih. Wenn es ihm 
elang, dieje mächtige Veſte zu bejegen, dann hatte er feiten 
Fu gefaßt in der Nepublif, dann fonnte er von dort aus den 
Krieg, die Bewegungen jeiner Truppen leiten, und auf Dieje 
Weiſe ein Uebergewicht über den Feind gewinnen. Ueber 
Samojchtjch Furfierten die verjchiedenjten Gerüchte. Die Polen, 
welche bis jet noch zu Karl Gujtav jtanden, behaupteten, dat 
es die jtärkjte Feitung der Nepublif ſei; das hätte ſich am 
beiten daraus erwiejen, daß auch Chmielnizki ſie nicht einzu— 
nehmen vermocht hatte. 

Doc) der König wußte nur zu gut, dab die Bolen in Be- 
zug auf die Befejtigung der Städte wenig Erfahrung hatten. 
Was man hier für gewöhnlich eine jtarfe Feſtung nannte, das 
war für die Begriffe anderer Völker höchjtens eine Feſtung 
dritten Nanges. Karl Gujtav wuhte auch, daß feine Ddiefer 
Feſtungen weder genügend mit Mauerwerk noch mit Wallgräben, 
noch mit Waffen verjehen war. Er fürchtete daher von 
Samoſchtſch feinen großen Wideritand. Er rechnete nicht zum 
wenigiten dabei auf den Glanz jeine® Namens, auf den Ruhm, 
der ihn begleitete, und die beiden jollten ihm helfen, Samojchtich 
durch einen Vertrag in jeine Hände zu befommen. Hatte er 
in diefem Lande bereits jo viel durch Verträge erreicht, da doch 


261 


feiner wie er verjtand, die Magnaten der Republik durch 
Verheigungen für fich zu gewinnen. Er erfundigte ſich daher 
mit der ihm eigenen Gewandtheit nach allen Neigungen, Sitten 
und geiltigen wie Charaftereigenjchaften des Selbjtherrn von 
Samojchtich. 

Johann Sapieha, welcher zum großen Kummer de3 Woje- 
woden von Witebsf noch immer bei dem Könige von Schweden 
verblieb, konnte Karl Gujtav die bejte Auskunft über den Herrn 
Starojten geben. Er fonnte jtundenlang mit ihm darüber 
ſprechen. Sapieha war der Anficht, daß es gar nicht jo leicht 
jein werde, Samojchtjch zu erringen. 

„Mit Geld wird der Starojt nicht zu befommen fein,“ 
ſagte Johann, „denn er iſt jehr reich. Aus Würden und 
Aemtern macht er jich nichts; er hat fich nie darum bemüht, 
und fie auch dann verjchmäht, als man jie ihm antrug ... 
Titel find ihm zuwider, denn ich hatte mit eigenen Ohren zu 
hören Gelegenheit, wie er den Herrn de Noyers, den Sefretär 
der Königin, jchalt, als er ihn „mon prince!“ anredete. ‚Sch 
bin fein Prinz, hatte er ihm geantwortet, aber ich habe ſchon 
Prinzen als Gefangene in meinem Samojchtjch bewirtet.‘ 
Eigentlich ift das nicht ganz richtig, denn nicht er, ſondern 
jein Großvater war es, den unjere Nation Samojski den 
Großen nennt.“ 

„Wenn er Mir die Thore jeiner Stadt öffnet, will Sch ihm 
etwas geben, was fein König von Polen ihm zu geben ver- 
mochte,“ jagte Karl Guſtav. 

E3 fam dem Sapieha nicht zu, zu fragen, was der König 
meinte; er blicte den König nur neugierig an und diejer, den 
Blick veritehend, jprach weiter, während er jeiner Gewohn- 
heit gemäß das Haar hinter die Ohren jtrid). 

„Sch werde ihn zum MWojewoden von Yublin machen und 
dDiejes zum unabhängigen Fürſtentum erheben. Die Krone 
wird ihn locken. Seiner von euch würde Diejer Lockung wider⸗ 
ſtehen, Ebſt nicht der heutige Wojewode von Wilna.“ 

„Die Freigebigkeit Ew. Majeſtät kennt feine Grenzen,“ 
entgegnete nicht ohne eine gewiſſe Ironie Sapieha. 

Und Karl erwiderte mit dem ihm eigenen Cynismus: 

„Ich kann ja geben, denn es gehört nicht Mir.“ 

Sapieha ſchüttelte den Kopf. 

„Der Mann iſt nicht verheiratet; er hat keine Söhne. 
Nur der ſtrebt nach Kronen, der ſie zu vererben hat.“ 

„Zu welchen Mitteln ratet ihr Mir denn dann?“ 


262 


„Sch glaube, mit Schmeicheleien wäre am ehejten etwas zu 
erreichen. Der Mann ijt nicht bejonders Elug; er würde leicht 
zu überlijten jein. Man muß ihm ausmalen, daß von ihm 
einzig und allein das Wohl und der Friede der Republik ab- 
hängt, daß er allein das Land vor ferneren Kriegen und Un— 
glüd bewahren kann, wenn er die Thore von Samoſchtſch 
öffnet. Wenn der Fisch darauf anbeißt, wird die Feſtung unjer, 
ſonſt — niemals!“ 

„Es bleibt dann als letztes Mittel die Kanonade!“ 

„Hm!“ machte Sapieha. „Man wird darauf in Samojchtic) 
die rechte Antwort finden. Es fehlt da drinnen nicht an guten 
Gefchügen, während wir erjt welche fommen lafjen müßten. 
Das wird aber, wenn die Wege aufweichen, unmöglich jein.“ 

„Sch hörte,“ ſprach der König, „daß die Bejagung der 
Feſtung nur aus tüchtigen Füſilieren bejteht, aber die Reiterei 
fehlt.“ 

„Berittene Soldaten werden nur im freien Felde gebraucht. 
Uebrigens iſt es nicht unmöglich, daß Ticharniezfi, da er doch 
nicht großen Schaden genommen zu haben jcheint, ihm einige 
Fahnen zur Vervollitändigung der Bejagung gejchidt hat.“ 

„Ihr jeht nichts als Schwierigkeiten!“ jagte der König 
ärgerlich). 

„ber ich vertraue feit dem guten Stern Ew. Majejtät!“ 
verjeßte Sohann. 

Sapieha hatte richtig vermutet, daß Ticharniezfi die Be— 
jagung der Feſtung veritärfen würde Er hatte thatjächlich 
einige Fahnen nach Samoſchtſch gejandt, weil diejelben zu 
Heinen Ausfällen und zum Cinfangen von Kundſchaftern 
durchaus notwendig waren. Zwar bedurfte Samojski ihrer nicht, 
denn er hatte jelbjt genug, aber der Kajtellan von Kijow fandte 
abjichtlich jene beiden Fahnen, welche bei dem Angriff bei 
Golembin am meilten gelitten hatten, die Laudafche und Die 
Schemberkiche, in Die zeitung, damit fie jich etwas erholen 
jollten. Der Selbjtherr hatte fie gaftfreundlich aufgenommen 
und als er erfahren Hatte, was für berühmte Krieger ſich bei 
ihm zu Gaſte eingejtellt, da freute er fich über alle Mahen; 
er bejchenfte und bewirtete die Herren auf das Freigebigſte. 

Unbejchreiblich aber war die Freude der Fürſtin Grijeldig, 
als jie Herrn Sfrzetusfi und Wolodyjowsfi wiederjah, fie, Die 
beiden tapferjten Hauptleute und Waffengenofjen ihres großen 
Mannes. Die beiden Ritter fielen der teuren früheren Herrin 
zu Füßen, Thränen traten in ihre Augen und auch die Fürſtin 


263 


fonnte den Thränen nicht wehren. Wie viele gemeinſame Er- 
lebnifje und Erinnerungen verbanden dieje drei Menjchen mit— 
einander. Erinnerungen aus jenen zujammen in Lubniow ver= 
lebten Tagen, da noch der Fürſt, diejer Held und Stolz des 
Baterlandes, in der vollen Kraft feines Lebens mächtig in den 
wilden Feldern regierte und, wie Jupiter mit jeinem Stirn 
runzeln, die Barbaren erzittern machte. Noch war es nicht 
allzulange her, aber wo waren die Jahre Hin entſchwunden? 
Der Herrjcher war tot, in der Ufraine herrjchten die Barbaren 
und jie, Die Witwe des großen Mannes, jaß auf den Trümmern 
ihres Glüdes und zehrte an den Erinnerungen vergangener 
Größe, das Herz von Trübjal erfüllt. 

Als nun die Dreie jich zujammengefunden Hatten, flogen 
ihre Gedanfen gemeinschaftlich zurüd in die Vergangenheit, und 
troß aller Betrübnis und Bitternis hatten doch dieje Er- 
innerungen etwas ungemein Süßes für ſie. So unterhielten 
jie jich über das frühere Leben und Treiben, von den Plätzen, 
die ihre Augen niemals wiederjehen würden, von den Feldzügen 
und zulegt von den Ereignijjen der jüngjten Zeit, von dem 
Elend, das über das Vaterland hereingebrochen, das man als 
Strafe Gottes betrachten mußte, 

„Denn unſer Fürſt noch lebte,“ jagte Sfrzetusfi, „wäre 
das Geſchick der Nepublif ein ganz anderes. Die Koſaken 
wären in ihre Schranfen zurücgedrängt, die Ländereien am 
hinteren Dniepr gehörten der Nepublif und der Schwede hätte 
längit jeinen Meijter gefunden.“ 

„Vielleicht läßt Gott in Herrn Tſcharniezki dem Vater: 
ande einen neuen Netter erſtehen!“ jagte die Fürſtin Grifeldis. 

„Er wird es werden!” rief Herr Wolodyjowsfi aus. „Wie 
unjer Fürſt feiner Zeit alle anderen Herren um Stopfeslänge 
überragte, jo ilt er ganz anders als die anderen Heerführer. 
Kenne ich doch beide Stronenhetmane und Herrn Sapieha. Sie 
alle jind große Krieger; dennoch steckt in Herrn Tſcharniezki 
noch etwas anderes, höheres —, man fünnte jagen, er iſt der 
Adler unter ihnen. Trog aller Milde, die er walten läßt, 
rejpeftiert man ihn, jelbjt Herr Sagloba unterläßt oft in der 
Gegenwart des Feldheren jeine jchlechten Scherz. Es jpottet 
aller Bejchreibung, wie er alles einzurichten verjteht! Er wird 
bejtimmt der erite Feldherr der Republik.“ 

„Mein Mann hat ihm jchon eine große Zufunft prophe= 
zeit,“ jagte die Fürjtin, „er fannte ihn, als er noch Haupt- 
mann war.“ 


264 


„sch erinnere mich,“ verjegte Wolodyjowsti. „Man jprac) 
davon, daß er an unjerem Hofe nach einer Braut fuchte.“ 

„Davon weiß ich nichts,” entgegnete die Fürstin. 

Wie hätte fie aber auch etwas willen jollen von Dingen, 
die gar nicht erijtiert hatten. Herr Wolodyjowsfi hatte das 
nur lijtig erdacht, um das Geſpräch allmählich auf das Frauen— 
zimmer der Fürſtin zu bringen und auf dieje Weiſe etwas über 
Fräulein Borjchobohata zu erfahren, denn er erachtete es für 
nicht ſchicklich und zu vertraulich einer jo hochgeitellten Dame 
gegenüber, direft nach ihr zu fragen. 

Aber die Lit war ihm nicht gelungen. Die Fürſtin lenkte 
das Gejpräch zurüd auf den Fürſten und die Koſakenkriege, und 
der fleine Ritter dachte: „Anuſia ijt wohl jeit Jahren nicht mehr 
bei der Fürſtin!“ Er frug nicht mehr nach ihr. Die Üffiziere 
hätten ihm wohl Auskunft geben fünnen, Doc es fam ihm 
nicht in den Sinn, bei ihnen nach ihr zu forjchen, denn feine 
Gedanken wurden bald auf andere Dinge gelenft. 

Die Patrouillen, welche auf NRefognoszierung ausgefandt 
worden waren, brachten die Nachricht, daß die Schweden jchnell 
näher fämen. Mean jchiete ſich aljo zur Werteidigung an. 
Sfrzetusfi und Wolodyjowski wurden als friegsfundige Männer 
mit der Verteidigung der Mauern und Wälle betraut. Sagloba 
jprach allen Mut zu, indem er demjenigen viel von den 
Schweden erzählte, die noch feinen dieſer Fremdlinge gejehen 
hatten, und es waren ihrer nicht wenige, da die Schweden noch 
nie bis hierher vorgedrungen waren. 

Sagloba hatte den Staroſten jogleich durchſchaut. Diejer 
liebte den Alten bald jehr; er wandte jich in jeder Angelegen- 
heit um Nat an ihn, bejonders jeit die Fürſtin ihm erzählt 
hatte, daß auch fein Schwager, der Fürſt Jeremias, Herrn 
Sagloba jeinerzeit jehr geichägt und ihm den Beinamen „vir 
incomparabilis* gegeben hatte. Man hörte bei Tijche den 
alten Herrn jehr gern von früheren und neueren Zeiten 
erzählen, vom Verrate Radziwill® und von Herrn Sapieha 
und man hörte ihm ſtets aufmerffam zu. 

Mit Bezug auf den letteren jagte er einmal: 

„sch riet ihm, jtets Hanfjamen in jeiner Tajche zu tragen 
und ab und zu ein Hörnchen davon zu zerbeißen. ‚Er hat ſich 
das jo ſchön angewöhnt, daß er Tag und Nacht die Körner 
bei jich hat und jehr oft nach einem derjelben langt, es zerfaut 
und die Hülfe ausjpeit. Und jeit er das thut, hat jein Ver: 


265 


ſtand fich jo fehr entwidelt, dat ältere Bekannte des Hetman 
ihn faum wiedererfennen.“ 

„Wieſo?“ frug der Staroit. 

„Wißt ihr denn nicht, daß der Hanfjamen Del enthält?“ 
frug Sagloba anjcheinend ganz harmlos. „Das Del dringt 
ins Gehirn und verbejlert den Verstand.“ 

„Macht euch doch nicht lächerlich!“ warf einer der Haupt- 
leute dazwijchen. „Das Oel kann doch nicht ins Gehirn, jondern 
höchitens in den Magen fommen.“ 

„Est modus in rebus!* jagte Sagloba darauf. „Man 
muß dabei nämlich viel Wein trinken. — Das Del fchwimmt, 
weil es leichter ift, Itet3 oben. Der Wein aber, welcher immer 
zu Kopfe jteigt, führt die an der Oberfläche jchwimmende Sub: 
tanz mit ich hinauf. Dieſes Geheimmittel habe ich von 
Lupullus dem Hospodar, zu dejjen Nachfolger mich, wie allen 
befannt ijt, die Wallachen durchaus einjeßen wollten. Doch 
der Sultan, welcher vorzieht, daß die Hospodare feine Nach- 
fommen haben, jtellte mir Bedingungen, auf die ich nicht ein— 
gehen konnte.“ 

„hr müßt diefes Mittel in jehr ausgiebiger Weife an 
euch jelbit angewendet haben,” necte der Selbitherr jeinen Gaſt. 

„sch Hatte es nicht nötig,“ entgegnete Sagloba. „Doch 
Em. Erlaucht möchte ich e8 von ganzem Herzen empfehlen.“ 

Erſchrocken blickten einige Offiziere nach dem Starojten 
hin, fürchtend, er würde über dieſe Dreijtigfeit zornig werden. 
Doch der jchien die Anſpielung nicht zu veritehen, oder, er 
wollte jie nicht veritehen. Lächelmd jtellte er die Frage: 
„Können denn die Körner der Sonnenroje nicht die Hanf: 
fürner erjegen ?“ 

„O ja!“ antwortete Sagloba. „Doc; da das Del der 
Sonnenroſe jchwerer wiegt, als das des Hanfes, muß der Wein, 
den man dazu trinkt, auch viel ſchwerer jein, als derjenige, den 
wir jet trinfen.‘ 

Nun veritand der Starojt, wo hinaus Herr Sagloba wollte. 
Er wurde fehr heiter, befahl, die beiten Weine feines Kellers 
auf den Tijch zu jtellen und riß durch jeine Fröhlichkeit alle 
anderen mit fich fort, jo daß man unaufhörlich auf das Wohl 
des Königs, des Wirtes und Tſcharniezkis trank. Sagloba 
wurde jo gut gelaunt, day er niemanden zu Worte fommen ließ. 

Er erzählte lang und breit die Begebniſſe bei Golembin, 
wo er übrigens tapfer jeinen Mann geitanden hatte, wie das 
auch von einem, der in der Laudaer ‚Sahne itand, nicht anders 


266 


zu erwarten war. Da man von dem jchwedischen Gefangenen 
aus den Kolonnen Dubois den Tod des Grafen Waldemar 
erfahren hatte, jo nahm er, jeiner Neigung zum Aufjchneiden 
folgend, den Tod desjelben auf jeine Rechnung. 

„Die Schlacht hätte eine ganz andere Wendung genommen, 
wenn ich nicht gerade an jenem Tage nad) Baranowo zu dem 
dortigen Sanonifus gefahren wäre und Ticharniezfi, nicht 
ahnend, wo ich jei, deshalb meinen Nat entbehren mußte, 
Vielleicht Hatten die Schweden auch von meinem Beſuch dort 
und von dem vortrefflichen Met, den der Kanonikus trinkt, 
gehört, und ſind deshalb jchleunigit nach Golembin vorgegangen. 
Als ich zurücdkehrte, war es zu jpät, die Schlacht bereits in 
vollem Gange. Wir jchlugen drein, daß es rauchte, aber was 
nügt das, wenn die Bauern nachher dem Feinde doch Lieber 
den Rücken zeigten. Ich weiß nicht, wie Herr Tſcharniezki jetzt 
ohne mich fertig werden mag.“ 

„Sorgt euch darum nicht,“ unterbrach Wolodyjowsfi den 
Nedjeligen, „er wird fich zu helfen wijjen.“ 

„Ich weiß auch warum,“ fiel jchlagfertig der Alte cin. 
„Beil der König von Schweden vorzieht, mir nach Samoſchtſch 
zu folgen, jtatt ihm im Weidenholz der Weichjel zu juchen. 
Sch ſpreche dem Herrn Tſcharniezki die Gigenjchaften eines 
großen Feldherrn durchaus nicht ab, aber wenn er jeinen 
Badenbart zu drehen anfängt und mit feinem durchdringenden 
Blick vor ſich Hinfieht, dann fünnte man ihn für einen meiner 
Dragoner halten... Er giebt zu wenig auf äußere Würde 
und er ijt zu ſtreng in feinen Forderungen. Waret ihr nicht 
jelbit zugegen, als er den Herin Schyrsfi mit einem Pferde 
durch den Schloßhof jchleifen ließ, bloß darum, weil dieſer mit 
jeinem Vortrab nicht jo weit vorgegangen war, als der Befehl 
gelautet. Mit dem Adel mus man glimpflicher verfahren, 
meine Herren, mehr väterlich, nicht wie mit gemeinen Dra— 
gonern. — Sagt einem Adligen: Herr Bruder, jeid jo freund 
lich und geht — Iprecht ihm von Waterlandsliebe und Ruhm, 
macht ihn rührjelig und er wird euch weitergehen, wie ein 
Dragoner, der um Sold dient.“ 

„Edelmann bleibt Edelmann und Strieg bleibt Krieg,“ be— 
merkte der Staroft. 

Ihr habt euch ſehr geſchickt ausgedrückt, Erlaucht!“ ver— 
ſetzte Sagloba. 

„ech was!“ ſprach Herr Wolodyjorwsft dazwiſchen. „Herr 
Tieharniezfi wird auch ohne das dem Ktarolus den Beritand 


267 


verwirren. Darüber kann ich auch urteilen, ich habe ja ſchon 
manchen ‚Feldzug mitgemacht.“ 

„Vorher aber toll jein Schädel an den Mauern von 
Samojchtich zerjchellen!“ fauchte der Herr Starojt, welchem der 
jtarfe Wein bereit3 zu Kopfe gejtiegen war, die Augen vollend, 
die Arme in die Seiten geitemmt, jehr pathetiih. „Ba! fin! 
Was mache ich mir daraus! He? Wen ich zu Gajte bitte, 
den empfange ich auch nach Gebühr! Was? Hah!“ 

Er jchnaufte und lachte um die Wette, jchlug mit den 
Knieen an den Tisch, ſchwankte vornüber, wadelte mit dem 
Kopfe und rollte die Augen noch heftiger, während er mit einer 
gewilien Herablaſſung weiter dozierte: 

„Was mache ich mir daraus! Er iſt Herr in Schweden 
und Samojsfi it Selbitherricher auf Samojchtih. Eques 
polonus sum, nichtS weiter, wie? Aber ich bin zuhause, in 
meinem Haufe. . . . Ih bin Samojsfi und er König von 
Schweden... und Marimilian war Dejterreicher. . ... Was? 
Er kommt? ... Lat ihn fommen! .. . Wir wollen zus 
jehen! . . . Ihm iſt Schweden zu Klein, mir iſt Samoſchtſch 
groß genug, aber ich gebe es nicht her. Was?“ 

„Es ijt nicht nur angenehm, eine jolche Rede zu hören, 
meine Herren,“ rief Sagloba, „es iſt auch lehrreich.“ 

„Samojsfi bleibt Samojsfi!”" entgegnete, von Ddiejem Lob 
erfreut, der Staroit. „Wir haben uns noch nicht gebeugt und 
werden es auch nicht! Ich gebe Samoſchtſch nicht her.“ 

„Die Gejundheit unſeres Gajtgebers!” riefen die Offiziere. 

„Bivat! Vivat!“ Klang es laut durch das Gemach. 

„Herr Sagloba!“ rief der Starojt. „Der König von 
Schweden fommt nicht herein, ihr aber nicht hinaus.“ 

„Schönen Dank, Herr Starojt, für die Güte, aber das 
werdet ihr nicht thun. Denn jo jehr Karolus ſich über euren 
eriten Entjchluß grämen würde, jo jehr würde ihn der zweite 
freuen.” 

„Gebt mir euer Ehremwort, dab ihr nad) dem Kriege zu 
mir fommt.“ 

„Das will ich, mit Freuden !“ 

Man tafelte noch lange. Endlich ging man zur Nude, da 
alle Ritter und Offiziere jehr ermüdet waren und voraus- 
jichtlich bald jchlafloje Nächte erwartet werden fonnten. Die 
Schweden waren nicht mehr fern und ihr Vortrab fonnte jeden 
Augenblid eintreffen. 

„Der wird fein Samoſchtſch gutwillig nicht hergeben,“ 


268 


jagte Sagloba zu den Herren Skrzetusfi und Wolodyjowski, 
während jie in ihre Quartiere zurücdgingen. — „Uebrigeng, habt 
ihr bemerft, meine Herren, wie lieb wir uns gewonnen haben? ... 
Es wird uns wohl jein in Samofchtich, mir und euch. Wir 
ind zujammengefügt, der Herr Starojt und ich, jo feit, wie 
fein Tijchler ein Ihürfutter verfugen kann. Er ift ein gutes 
Herrchen... . Hm! Wenn ich ihn ald Sichel an meinem 
Gürtel herumtragen dürfte, würde ich ihn von Zeit zu Zeit 
über den Wetzſtein jtreichen, . . . er iſt etwas ſtumpf, ... aber 
ein gutes Herrchen; er wird nicht auf Verrat jinnen, wie jene 
Birzer Büffel... .. Habt ihr bemerkt, wie die Magnaten alle 
am alten Sagloba hängen? ... Ich kann mich ihrer faum 
erwehren. . . Kaum bin ich den Sapieha los, da hängt mir 
jchon der andere am Aermel. . . . Den werde ich mir aber 
zurechtitimmen, wie eine Bahgeige, auf der ich den Schweden 
jo lange vorgeigen will, bis jie jich vor den Mauern der Stadt 
zu Tode getanzt haben. . . . ch werde jie aufziehen, wie eine 
Danziger Uhr.“ 

Ein lebhaftes Geräuſch von der Stadt her unterbrad) 
Herrn Sagloba. Gleich) darauf rannte ein befannter Offizier 
an den Herren vorüber. 

„galt!“ rief Wolodyjowski. „Was giebt es?“ 

„Es ijt Feuer in der Gegend. Man jieht die Flammen 
von den Wällen aus. Schtichebrejchin brennt! Die Schweden 
jind da!“ 

„Kommt auf die Wälle, meine Herren,“ jagte Skrzetuski. 

„Seht ihr, id) will ausschlafen, denn ich brauche Sträfte 
für morgen“, jagte Sagloba. 





3. Kapitel. 





Noch in derſelben Nacht ritt Herr Wolodyjowsft auf 
Nefognoszierung aus; er Ffehrte gegen Morgen zurüd und 
brachte einige Kundjchafter mit. Dieje bejtätigten, dat der König 
in eigener Perſon in Schtichebrejchin jich befinde und direft 
auf Samojchtich losmarjchiere. 

Dieje Nachricht erfreute den Herrn Staroiten außerordent- 
lich, denn er war ernitlich gewillt, jeine Gejchüge und Mauern 
durch die Schweden auf ihre Feſtigkeit Hin prüfen zu lafjen. 
Er falfulierte, daß ſelbſt im alle eines jpäteren jchlimmen 
Ausganges die Feſtung den Feind mindeitens auf Monate zu 
bejchäftigen und aufzuhalten vermochte, und das war ganz richtig 
falfuliert. Dennoch hoffte er, daß Johann Kafimir fein in— 
zwijchen verjtärftes Heer zur rechten Zeit zum Entſatz der 
Feſtung herbeiführen werde, und hier, bei Samojchtich, die Ent- 
jcheidungsschlacht jtattfinden müjje, welche dem Vaterlande die 
Freiheit wiedergeben jollte. 

„Endlich wird mir Gelegenheit geboten,“ jagte er mit 
großer Emphaje im Striegsrat, „dem Vaterlande und dem 
Könige einen bedeutenden Dienjt zu leilten. Ich erkläre euch, 
meine Herren, daß ich gewillt bin, ung alle eher in die Luft 
zu jprengen, als zu dulden, dal der Schwede jeinen Fuß in 
meine Stadt jest. Wollen jie den Samojski mit Uebermacht 
zwingen, jo mögen fie fommen! Wir wollen jehen, wer der 
jtärfere it. Von euch, meine Herren, erwarte ich, daß ihr mir 
aus vollem Herzen helfen werdet.‘ 

„Wir gehen mit Ew. Durchlaucht in den Tod!“ riefen 
alle Offiziere wie aus einem Munde. 

„Wenn fie nur zur Belagerung jchreiten wollten!“ jagte 
Sagloba. „Sie find imftande, die zeitung zu umgehen... .. 


270 


Meine Herren! So wahr ic Sagloba Heiße, ich führe den 
eriten Ausfall!“ 

„Ich gehe mit, Ohm!“ jagte Roch Kowalski. „Sch fuche 
zuerjt den König auf!“ 

„Auf die Mauern!“ fommandierte der Staroit. 

Die Offiziere entfernten jid) alle. Bald jahen die Mauern 
mit den darauf befindlichen Mannschaften in den bunten Uni- 
formen aus, wie wenn jie mit Blumen bewachſen wären. Die 
Fußſoldaten, glänzend ausitaffiert wie feine anderen der Repub— 
lit, Standen da oben in Neihe und Glied, einer neben dem 
anderen, mit den Musfeten in der Hand, die Augen fejt in 
das Freie gerichtet. Es dienten wenige Fremde unter ihnen, 
nur einige Preußen und Franzoſen; es waren lauter Gut3- 
und Bezirkö-Angehörige, Schöne, Fräftig gewachjene Menjchen, 
die in bunten Ktollern und nach ausländijchem Zujchnitt aus— 
gebildet, jich ebenjo tapfer jchlugen, wie die beiten Engländer 
Cromwells. Ihre Gejchiedlichfeit war bejonders groß, wenn jie 
nad) einer feindlichen Salve ſich dem Feinde Ddireft entgegen 
werfen mußten. 

Auch jebt erwarteten fie ungeduldig die Ankunft Der 
Schweden, während jie der Triumphe gedachten, die jie über 
Ehmielnizki dDavongetragen. Die Gejchüge, deren lange Rohre 
wie neugierig aus den Schußlöchern der Wälle hervorblicdten, 
wurden hauptjächlich von Flamländern bedient. Außerhalb der 
Feſtung, jchon Hinter den Wallgräben, ritten einige Fahnen 
leichte Neiterei unter dem Schuge der Kanonen und einer jicheren 
Zuflucht fich bewußt, langjam hin und her, bereit, jofort davon— 
zufprengen, wohin der Befehl des Kommandanten jie jenden 
würde. 

Der Starojt befichtigte zu Pferde die Feſtungswerke; er 
trug einen jtählernen jchönen Panzer und in der Hand einen 
vergoldeten Schild. 

„Was giebt es? Iſt noch niemand zu jehen?“ frug er 
immer von neuem. Und er murmelte einen Fluch, wenn man 
ihm jagte, daß noch niemand zu erbliden jet. 

Er ritt weiter und immer wieder frug er, ob noch niemand 
von den Schweden der zeitung nahe Es war auch jchwer, 
etwas zu erfennen, da der Nebel dicht auf den Häujern lag. 
Gegen zehn Uhr Vormittag fing er an, fich zu lichten. Der 
blaue Himmel fam zum VBorjchein, der Horizont wurde Klar 
und bald darauf ertönten auch von der wejtlichen Seite der 
Mauern die Rufe. 


271 


„Ste fonımen! Sie kommen!“ 

Der Herr Starojt, Sagloba und drei Offiziere vom perjön- 
lichen Dienjt des Starojten, erjtiegen mit jchnellen Schritten 
eine der Bajtionen, von welcher man einen weiten Fernblick 
hatte und jahen durch Fernrohre hinaus, dem Feinde entgegen. 
Etwas nebelig war die äußerſte SHorizontlinie noch. Die 
jchwedische Armee, welche von Wielontjch her anrüdte, ſchien bis 
über die Kiniee in Waflerdampf zu waten. Die näher gekommenen 
Abteilungen waren jchon jo deutlich fichtbar, dag man mit 
blogem Auge die Füſiliere von den Neitern umterjcheiden konnte. 
Die Entfernteren dagegen tauchten erit allmählich aus den Nebel- 
majien auf. Immer mehr und immer näher fonnte man jie 
beranrüden jehen, Fußſoldaten, Kanonen und Neiter. 

Der Anblid war jchön. Aus jedem Starree Fußſoldaten 
jtarrte ein ebenjolches Karree Lanzen in die Höhe; zwiſchen— 
durch wehten Fahnen im verjchiedenen Farben, zumetjt blaue 
mit weihen Kreuzen, oder auf blauem Grunde der jchwedijche 
gelbe Löwe. Jetzt waren jie ganz nahe. Auf den Mauern 
herrjchte tiefjte Stille. Der leichte Wind trug aljo das Knarren 
der Wagenräder, das Klirren der Waffen, den Huftritt der 
Pferde und den Schall menschlicher Stimmen herüber. Etwa 
zwei Bogenjchüfle weit von der Feſtung entfernt begannen fie 
ſich auszubreiten. Die Vierecke der Füſiliere löjten ſich auf; 
man jchidte jich an, Zelte aufzujchlagen und Kleine Erderhöhungen 
aufzujchütten. 

„Da haben wir fie alfo!* jagte der Herr Staroit. 

„Da find die Hundeſöhne!“ echote Sagloba. 

„Man könnte jie nach den Fingern aufzählen, jo deutlich 
jieht man fie.“ 

„So alte Praktiker wie ich, brauchen nicht erſt zu zählen. 
Mit einem Blick überjehe ich, wie viele ihrer find. Es jind 
zehntaujend Neiter und mit der Artillerie achttaujend Füſiliere. 
Wenn ich mich um einen Gemeinen oder um ein Pferd geirrt 
haben jollte, jege ich mein Bermögen für den Irrtum ein,“ 
jagte Sagloba. 

„Kann man denn das jo genau feititellen?“ 

„Hehntaujend Neiter und achttaufend Füſiliere, jo wahr ich 
gejund bin! Wir wollen zu Gott hoffen, dab jie in bedeutend 
geringerer Zahl abziehen werden.“ 

„Hört ihr's? Sie jpielen eine Arie!“ 

Eine Anzahl Reiter war an die Spige der NRegimenter 
geritten und jpielte auf ihren Blechinjtrumenten einen Kriegs— 


272 


marjch. Unter dem Klange der Trompeten entwicelten jich 
die herbeifommenden Mafjen und umringten die Stadt in an— 
gemejjener Entfernung. Zuletzt löjten ich aus der Menge 
einige Neiter und kamen auf die Stadt zugeritten. Auf halbem 
Wege etwa jtedten fie an ihre Lanzenſpitzen weiße Tücher, welche 
ſie hin und ber jchwenften. 

„Eine Gejandtichaft!“ jagte Sagloba. „Ich jah damals in 
Birz die Schweden ebenjo anfommen und — was entitand 
dort daraus?“ 

„Samojchtich iſt nicht Birz und ich bin nicht der Woje- 
wode von Wilna,“ entgegnete der Herr Staroit. 

Unterdejjen war die Gejandtjchaft näher gefommen. Cine 
Weile jpäter meldete der dienjtthuende Offizier, daß Herr 
Sohann Sapieha im Namen des Königs von Schweden den 
Herrn Starojten um eine Unterredung bitte. 

Als Herr Samojski das hörte, ſtemmte er die Arme in 
die Seite; er begann hin und her zu trippeln, zu jchnaufen 
und die Lippen aufzuwerfen. Gndlich jagte er jtolz: 

„Sagt dem Herrn Sapieha, dat ich mit Verrätern nicht 
verhandle. Will der König von Schweden mit mir jprechen, 
jo joll er mir einen eingeborenen Schweden berjchiden, feinen 
Polen. Die Bolen, welche im jchwediichen Heere dienen, fünnen 
ihre Gejandtichaft an meinen Hundejtall richten, das ijt der 
rechte Ort für jie.“ 

„So wahr ich Gott liebe, das ijt die richtige Antwort!“ 
rief Sagloba in aufrichtiger Begeijterung. 

„Der Teufel joll jie holen!“ fuhr Herr Samojski, von 
jeiner eigenen Rede Hingerifien, fort. „Soll ich etwa den Herrn 
mit Zeremonien empfangen? Was bildet er jich denn ein?“ 

„Erlaubt, Erlaucht, daß ich ihm eure Antwort bringe!“ 
jagte Sagloba. 

Ohne die Antwort des Starojten abzuwarten, war er mit 
dem Tffizier Davongeeilt. Er mußte aber außer der Antwort 
des Herrn Samojsft noch etliche Artigkeiten von fich hinzugefügt 
haben, denn Herr Sapieha hatte, jobald er ſie vernommen, 
jein Pferd jcharf herumgeworfen und war im, Galopp davon= 
geiprengt. 

Von den Mauern aber und aus den Neihen derjenigen 
Fahnen, welche vor den Wällen pojtiert waren, jchallten ihm 
Rufe nad): 

„ort! Fort mit euch Verrätern ... ihr fäuflichen 
Subjefte ... ihr Schacherer! Huſch! Huſch!“ 


273 


Man konnte noch jehen, wie er die Mütze tief über die 
Ohren zog, um die Schimpfworte nicht zu hören. 

Nun jtand Sapieha vor dem Könige Sein Geficht war 
freideweiß, jeine Lippen feſt zujammengefniffen. Auch der 
König war Wer Ne . . . Samojchtich hatte jeine Hoff- 
nungen getäujcht . . . Um das Map jeiner Enttäuſchung voll 
zu machen, hatte er Ihon von ferne in Samoſchtſch eine 
Feſtung erfannt, welche jich wohl mit den beiten däniſchen und 
niederländischen mejjen konnte. Ohne Gejchüge jchwerjten 
Kalibers war gegen diefe Mauern nichts auszurichten. Nach 
den Erzählungen Sapiehas hatte er, troß der gegenteiligen 
Verſicherungen desjelben, hier eine befejtigte Stadt, wie Krakau, 
Poſen und andere zu finden erwartet. 

„Was giebt es?“ frug der König, ala er Sapieha erblidte, 

„Nichts!“ antwortete dev Gefragte barſch. „Der Herr 
Starojt will nicht mit Polen verhandeln, welche im Dienite 
Em. Majeität Itehen. Er hat mir feinen Hofnarren mit der 
Antwort gejchicdt, und diejer hat mich und Ew. Majejtät jo 
ſchmählich beſchimpft, daß ich Die Worte nicht wiederholen fann.“ 

„Es ijt mir einerlei, mit wem er fprechen will, wenn er 
nur spricht. In Ermangelung anderer Botjchafter habe ich 
meine eijernen. Inzwiſchen werde ich ihm Forgell hinſchicken.“ 

Eine halbe Stunde jpäter ließ Forgell jich mit jeiner 
durchweg jchwedischen Begleitung beim Starojten anmelden. 
Die Zugbrüde wurde langjam heruntergelajjen, der General 
ritt ernit und jchweigjam in die Feitung ein. Man hatte weder 
ihm, noch jeinem Gefolge die Augen verbunden, der Starojt 
wollte, daß er alles jehen und über den Stand der Dinge dem 
Könige berichten jolle. Er empfing ihn mit einem Prunk wie 
ein regierender Fürſt, jo daß er den General in großes Staunen 
verjete, denn die schwedischen Herren beſaßen nicht den zwanzigiten 
Teil der Neichtümer der Polen und der Herr Starojt war unter 
diejen der Mächtigiten und Weichiten einer. Der gewandte 
Schwede behandelte ihn auch von ‚vornherein wie einen regierenden 
Fürſten, nannte ihn „princeps* und verharrte bei dieſer An— 
rede, obgleich Herr Samojski ſich Ddiejelbe in feiner rauhen 
Weile verbeten hatte. 

„Nicht princeps, eques polonus, aber eben deshalb den 
Fürſten im Range gleich.“ 

„Durchlaucht!“ jagte Forgell, indem er that, als höre er 
die Bemerkung des Starojten nicht. „Se. Majeität der König 
von Schweden (hier fügte er alle die anderen Titel des Königs 

Sientiewicz, Sturmflut IL. 18 


274 


hinzu) iſt nicht als Feind hierher gefommen; er bittet um 
Gaſtfreundſchaft, läßt fich durch mich anmelden in der gewiſſen 
Hoffnung, dat Ew. Durchlaucht jeiner Perſon und jeiner Armee 
die Thore der Zeitung gaſtfrei öffnen werden.“ 

„Es iſt ber uns nicht Sitte,“ antwortete Samojski, „Daß 
man jemandem die Gaſtfreundſchaft weigert, auch nicht, wenn 
der Gajt ungeladen erjcheinen jollte. Es findet ſich für Gäſte 
immer ein freier Bla an meinem Tiſche, für eine ſo hohe 
Perſon ſogar der erſte. Ew. Erlaucht möge daher Sr. Majeſtät 
ausrichten, daß ich mich durch ſeinen Beſuch geehrt fühle, 
beſonders darum, weil Se. Majeſtät der König Karl Guſtav 
Selbjtherricher in Schweden it, wie ich Selbjtherrjcher von 
Samojchtich bin. Aber, wie Ew. Erlaucht bemerkt haben werden, 
giebt es der Diener bei uns jo viele, daß es vollitändig über- 
flüfftg wäre, wenn Se. Majeität ein eigenes Gefolge mitbringen 
wollten. Wollten Se. Majeität das dennoch thun, jo mühte 
ich glauben, man wolle mic; als einen armfeligen Wicht be— 
trachten, und ich mühte das als eine Beleidigung auffallen!“ 

„But! jehr gut!“ flüjterte Cagloba, welcher hinter dem 
Staroiten jtand, dieſem zu. 

Der Herr Staroft warf nach diejer langen Rede die Lippen 
auf und jegte dann noch geipreizt Hinzu: 

„At! Das ijt, was ıch zu antworten habe.“ 

Forgell faute an feinem Barte, jchwieg einen Augenblid, 
dann begann er: 

„Es wäre ein Beweis großen Mißtrauens gegen den 

König, wenn Ew. Durchlaucht die Eskorte Sr. Majeität nicht 
in die zeitung einlafjen wollte. Ich bin der Vertraute des 
Königs; ich kenne jeine geheimjten Gedanken und habe den 
Auftrag, Ew. Durchlaucht im Namen Sr. Majejtät auf Ehren- 
wort zu verjichern, daß weder die Feſtung noch die Herrichaft 
Samoſchtſch dauernd bejett bleiben fol. Da in Ddiejem un: 
glücklichen Lande der Krieg von neuem entbrannt it md 
Fohann Kafimir, ohne Rückſicht darauf, welche jchweren Folgen 
jeine Wiederfehr in das Neich nach ſich ziehen fann, im Bunde 
mit den Heiden gegen unjer chriftliches Heer heranzieht, iſt 
mein unbejtegbarer Herr und König entjchlofjen, jei es auch 
bis in Die Steppen und wilden Felder, vorzudringen, um dieſem 
Lande Frieden, einen gerechten SHerricher, durch eine milde 
Negierung das Glüd und den Bürgern diefer herrlichen Nepublif 
die ‚Freiheit wiederzugeben.“ 

Der Staroit klatſchte mit der flachen Hand jein Knie, 


275 


aber er antwortete nicht. Nur Sagloba flüjterte hinter ſeinem 
Nüden: 

„Der Teufel hat jich ein Ornat angezogen und läutet mit 
dem Schwanz zur Meſſe.“ 

„Se. Majeität hat mit jeiner Königlichen Gnade diejem 
Lande Schon manche Wohlthat zugewendet,“ fuhr Forgell fort. 
„Doc, ijt damit jeinen väterlichen Gefühlen noch nicht genug 
geichehen; er hat jeine Provinz Preußen ihrer Bejagung ent- 
blößt, um der Republik noch einmal Rettung zu bringen, welche 
mit der Vernichtung Johann Kaſimirs ihre Vollendung erreicht 
haben wird. Um aber ein jchnelles und glückliches Ende diejes 
Feldzuges herbeiführen zu Eönnen, bedarf Se. Majejtät eines 
Stüßpunftes, von wo aus die Verfolgung der Aufwiegler und 
Enmpörer ausgeführt und geleitet werden fann. Als Diejer 
Stüßpunft wäre Samojchtjch der geeignetite Ort. Da nun der 
König Ew. Durchlaucht als einen jehr reichen, einem alten 
Sejchlechte entitammenden, mit großem Verjtande, edler Ge- 
jinnung und großer Baterlandsliebe ausgeitatteten Herrn 
rühmen hörte, jo jagte mein Herr und Gebieter gleich zu mir: 
‚Diefer wird mich veritehen, er wird meine gute Abjicht zu 
ichägen willen und das Vertrauen, da ich in ihn jeße, nicht 
täujchen, meine Hoffnungen unterjtügen und der erite jein, der 
zur Nettung des Neiches jeine Hand bietet.‘ Bon Ew. Durch- 
laucht hängt aljo das fünftige Gejchid der Republik ab. 
Ew. Durchlaucht allein fünnen jie retten, .... . ich zweifle auch 
nicht, daß das gejchieht. . . . Wer jo ruhmreiche Vorfahren 
bejigt, der iſt verpflichtet, auch jeinerjeitS alles zu thun, um 
den Ruhm zu vergrößern. Ew. Durchlaucht würden durch die 
Ueberlajiung der ‚zeitung der Nepublif einen größeren Dienit 
erweifen, als wenn ihr eine ganze Provinz opfertet. . . . Der 
König vertraut, daß euer ausgezeichneter Verjtand im Verein 
mit eurem vortrefflichen Herzen jich Ddiefem feinem Wunjche 
geneigt zeigen werde, deshalb will er nicht befehlen, jondern 
zieht vor, zu bitten! — Er bietet euch jeine Freundſchaft, nicht 
wie der Monarch dem Unterthan, jondern wie der Mächtige 
dem Mächtigen.“ 

Hier verneigte ſich Forgell vor dem Staroſten jo ehrfurchts- 
voll, wie vor einem regierenden Fürſten. Im Saale herrichte 
Totenjtille. Aller Augen wandten jic) dem Starojten zu. 

Diejer drehte jich, jeiner Gewohnheit gemäß, auf dem ver- 
goldeten Stuhle Hin und her, warf die Lippen auf, gab jeinem 
Geficht einen finjteren Ausdrud, dann breitete er die Arme 

18* 


276 


aus, endlich jtügte er die Ellenbogen auf die Kniee, warf den 
Kopf in die Höhe wie ein mutige Roß und begann: 

„Hört, was ic) antworte! Ich bin Sr. ſchwediſchen Herrlich- 
feit jehr dankbar für die hohe Meinung, die fie von meinem 
Veritande und meiner Vaterlandsliebe hat. Es ijt mir aud) 
nicht3 jo wert, wie die angebotene Freundſchaft eines jo hohen 
Potentaten. Aber ich denke, unſere gegenjeitige Wertichägung 
fönnte eben jo groß jein, wenn der König in Stodholm bliebe 
und ich in Samojchtich. — Wie? Denn Stodholm gehört ihm, 
Samojchtich mir! Was jeine Liebe zur Republik betrifft —, 
na, meinetwegen, ich will jie gelten (offen, — nur bin ich über- 
zeugt, daß die Nepublif jich wohler befinden wird, wenn Die 
Schweden fie ganz verlajien, als daß fie hereinfommen. Und 
dann — alles, was Recht iſt! — Ich jelbit glaube aus vollem 
Zersen, daß der Beſitz von Samoſchtſch Sr. Majejtät zum 
Siege über Johann Stajimir verhelfen würde. Nun müfjen 
Ew. Erlaucht aber wijjen, dat ich nicht dem Könige von Schweden, 
jondern eben demjenigen, der bejiegt werden joll, Johann 
Kafimir, Treue gelobt habe und demgemäß ihm den Sieg wünjche. 
Darum gebe id; Samojchtih nicht Her! Da, nun Habt ihr 
ehört!“ 

„Das nenne ich, ſich politiſch ausdrücken!“ donnerte 
Sagloba. 

Im Saale entſtand ein freudiges Gemurmel, aber der Herr 
Staroſt beſchwichtigte dasſelbe, indem er laut mit den Händen 
auf ſeine Kniee ſchlug. 

Forgell wurde ſehr verlegen. Eine Weile ſchwieg er, dann 
brachte er neue Argumente vor. Er drängte, bat, ſchmeichelte, 
zuletzt drohte er leichthin. Mit einer Beredtſamkeit ohnegleichen 
verſchwendete er ſeine beſten und letzten Vorſchläge; er erhielt 
immer nur die eine Antwort: 

Ich gebe Samoſchtſch nicht her!“ 

Die Audienz zog ſich über alle Maßen in die Länge; der 
General wurde immer bekümmerter, Schweißtropfen ſtanden auf 
jeiner Stirn, denn zuerſt vereinzelt, dann immer zahlreicher 
wurden Spöttereien laut, die von dem Gelächter der anderen 
begleitet waren. Endlich hielt Forgell die Zeit für gefommen, 
jein letztes Angebot zu machen. Er entrollte eine Pergament— 
rolle mit großen Siegeln, welche er bisher in der Hand ge= 
halten Hatte. Niemand hatte bisher das Dofument beachtet, 
jegt erregte e8 die Aufmerkjamfeit aller. Mit Elarer Stimme 
ſprach Forgell feierlich: 


277 


„Für die Uebergabe der Feſtung bietet Se. Majeität u. j. w. 
(hier folgten wieder alle Titel) Ew. Durdjlaucht die Wojewod— 
ſchaft Lublin als erbliches Eigentum!“ 

Bon jtarrer Verwunderung ergriffen, jtanden die An- 
wejenden da. Auch der Staroit jtugte einen Augenblid. Forgell 
glaubte jchon gewonnenes Spiel zu haben; er ließ den Blid 
triumpbhierend umberjchweijen, ala plöglich durch die Totenitille 
im Saale die mit jonorer Stimme in polnischer Sprache ge- 
jprochenen Worte Saglobas tünten: 

„fferiert ala Gegengabe doch dem Könige von Schweden 
das Königreich der Niederlande, Erlaucht.‘ 

Der Herr Staroft bejann ſich nicht lange, jchlug die Arme 
unter umd wiederholte, daß es im ganzen Saale jchallte, in 
lateinischer Sprache: 

„Und ich offeriere Sr. Majejtät als Gegengabe Die 
Niederlande.“ 

Ein jehallendes Gelächter erjchütterte die Wände des Saales. 
Die Herren lachten, daß ihnen die Bäuche wacelten und die 
Gürtel über denjelben ebenfalls. Welche von ihnen Eatjchten 
in die Hände vor Vergnügen, andere taumelten wie betrunfen 
oder lehnten jich an die neben ihnen Stehenden. Das Lachen 
währte fort. Forgell war erbleicht; er hatte die Stirn drohend 
gerunzelt, die Augen ſchienen Feuer zu jprühen. Mit jtolz 
erhobenem Kopfe wartete er, bis das Lachen aufgehört hatte, 
dann frug er barjch und kurz. 

„Sit das euer letztes Wort, Erlaucht?“ 

Der Starojt drehte an jeinem Schnurrbart. 

„Nein!“ antwortete er noch hochmütiger als zuvor. „Mein 
legtes Wort werden die Kanonen auf den Mauern jprechen.“ 

Die Audienz war zu Ende. 

Zwei Stunden jpäter donnerten die eriten Gejchüßjalven 
von den in der Eile aufgeworfenen Schanzen der Schweden, 
und die auf den Wällen von Samoſchtſch gaben kräftige Ant- 
wort. Die ganze zeitung war in Rauchwolfen gehüllt, in denen 
es in furzen Baujen aufbligte, während gewaltiger Donner die 
Ebene erjchütterte. Bald überwog der Geihügdonner von Seiten 
der zeitung. Die jchwedischen Kugeln fielen entweder in den 
Wallgraben oder prallten an den mächtigen Mauerangeln ab. 
Gegen Abend mußte der Feind ji) von den nächitliegenden 
Schanzen zurücziehen, denn fie wurden von einem jo jtarfen 
Kugelregen heimgejucht, daß fie aufgegeben werden mußten. 

Der wutentbrannte König von Schweden ließ alle in der 


278 


Umgegend befindlichen Städtchen und Dörfer anbrennen. Die 
ganze Gegend glich während der Nacht einem Flammenmeer, 
doch auch das jchredte den Staroiten nicht. 

„Laßt fie brennen!“ jagte er. „Das it gut. Wir haben 
ein Dad) über dem Kopfe, während denen dort, bald das Waſſer 
Hinter den Kragen laufen wird.“ 

Er war jo zufrieden mit ſich, daß er an diefem Tage 
noch einmal ein Gajtmahl herrichten ließ, welches bis jpät in 
die Nacht währte. Er ließ dazu jeine Mufifanten fo laut auf- 
jpielen, daß die Schweden die Trompeten und Pauken ſelbſt 
auf den entfernter gelegenen Schanzen hörten. 

Doch die Schweden bejchofjen andauernd die Stadt; das 
Feuern dauerte die ganze Nacht. Am nächiten Morgen famen 
im jchwedifchen Lager mehrere neue Gejchüge an, welche jofort 
das Feuer auf die zeitung begannen. Der König durfte zwar 
nicht hoffen, damit eine Brejche in die Mauern zu fchießen; er 
wollte dem Starojten nur beweijen, daß er gejonnen war, Die 
Belagerung hartnädig und unerbittlic) zu betreiben. Er wünjchte 
ihm Furcht einzujagen, aber da täufchte er fich. Der Starojt 
wurde feinen Augenblick wanfend, während des Heftigiten 
Kugelregens ging er auf den Wällen umher und jprach zu 
den Mannjchaften. 

„Wozu fie nur das Pulver verjchießen?“ ſagte er. 

Herr Wolodyjowski und andere Offiziere baten um bie 
Erlaubnis, einen Ausfall machen zu dürfen, doch Herr Samojski 
verweigerte jie; er wolle durchaus unnüges Blutvergießen ver- 
meiden. Er jah ein, daß ein Ausfall nicht angebracht war 
und diejer bald zu einem allgemeinen Handgemenge führen 
mußte, denn eine Armee, wie die Karl Guſtavs, ließ jich nicht 
unbemerkt bejchleichen. Als Sagloba merkte, daß es dem 
Starojten mit der Weigerung ernjt war, drängte er um jo mehr 
zu einem Ausfall und erbot ſich, denjelben anzuführen. 

„Ihr jeid zu blutgierig,“ antwortete Herr Samojski. „Uns 
geht es gut, den Schweden jchlecht, wozu jollen wir zu ihnen 
gehen? Ihr könntet umkommen und ich brauche euch als meinen 
Rat, denn nur durch euch bin ich auf den Gedanken gefommen, 
den Forgell mit den Niederlanden ablaufen zu laſſen.“ 

Herr Sagloba verficherte zwar, daß er es vor Sehnjucht 
nach den Schweden nicht mehr auf den Mauern aushalten 
fönne, aber er mußte gehorchen. 

In Ermangelung anderer Bejchäftigung verbrachte er den 
ganzen Tag auf den Mauern, indem er den Soldaten mit 


279 


großer Würde gute Ratjchläge gab oder fie verwarnte. Dieje 
befolgten eifrig jede jeiner Anordnungen, da jie ihm für dem 
tapferiten und erfahrenjten Krieger der Nepublif hielten. Er 
aber freute jic) von ganzer Seele der Verteidigung und des 
Mutes der Verteidiger. 

„Herr Michael!” jagte er zu Herrn Wolodyjowsfi, „es iſt 
ein neuer Geiſt eingefehrt in der Nepublif und beim Mdel; 
eine neue Zeit bricht an. Von Verrat und Sichergeben will 
feiner mehr etwas willen, hingegen möchte jeder aus purer 
Liebe zum Vaterlande lieber zweimal feinen Kopf dem an— 
gejtammten Könige zu Füßen legen, als auch nur einen Schritt 
breit Landes freiwillig dem Feinde abtreten. Denkt ihr daran, 
wie man noch vor einem Jahre von allen Seiten rufen hörte: 
‚Der ijt ein Verräter, jener ein Verräter, diejer hat ein Pro— 
teftorat angenommen, u. j. w.“ ©egenwärtig brauchen Die 
Schweden jchon unjere Protektion, aber wenn nicht etwa der 
Teufel jie protegiert, dann wird er fie jich bald holen. Wir 
jigen bier mit vollen Bäuchen, jo voll, daß man auf ihnen 
trommeln fünnte, während jenen der Hunger die Eingeweide 
zu Striden dreht.“ 

Herr Sagloba Hatte recht. Die jchwedische Armee war 
mit Vorräten an Lebensmitteln gar nicht verjehen; wo aud) 
jollte fie diejelben für achtzehntaufend Mann, die Pferde nicht 
gerechnet, hernehmen, da der Starojt noch vor Ankunft des 
Feindes meilenweit in der Runde alles, was nur an Lebens- 
mitteln und Futterbeſtänden vorhanden war, in die Feſtung 
hatte bringen laſſen. Im den ferner gelegenen Landitrichen 
aber wimmelte e8 von herumziehenden Haufen bewaffneten 
Bauernvolfes. Man durfte alfo nicht wagen, auf Requifitionen 
auszureiten, denn außerhalb des Lagers lauerte der Tod. 

Dazu war Herr Ticharniezfi gar nicht nach dem jenjeitigen 
Ufer der Weichjel gegangen; er freijte wie ein Raubtier um 
das Lager der Feinde. Die nächtlichen Mlarmierungen hatten 
wieder begonnen, auch waren jchon wieder ein paar ausgejandte 
fleine Abteilungen jpurlos verjchwunden. Im der Gegend von 
Krajchnif waren einige polnische Abteilungen aufgetaucht, welche 
die Kommunikation nach der Weichjel zu abjchnitten. Zu guter- 
(et war die Kunde in das Lager gedrungen, daß Herr Paul 
Sapieha mit jeiner großen fitauifchen Armee vom Norden her 
anrüde, daß diejelbe im Worübergehen das zurüdgelafjene 
Kommando in Lublin aufgehoben, Zublin bejegt habe und auf 
dem Marjche nad) Samojchtich begriffen fei. 


280 


Der erfahrenite aller jchwediichen Feldherren, der alte 
Wittemberg allein, erfannte die ganze Größe der Gefahr und 
jtellte fie dem Könige offen vor. 

„sch weiß,“ jagte er, „daß der Genius Ew. Majejtät 
Wunder zu leilten vermag. Nach menjchlichem Ermefjen wird 
und aber der Hunger unjere Kräfte aufzehren, und wenn der 
Feind die Ausgehungerten überfällt, dann entgeht fein Mann . 
der Armee dem jicheren Tode.“ 

„Wenn Sch dieſe Feſtung in meinen Händen hätte,“ ent- 
a der König, „dann wäre binnen zwei Monaten der Krieg 
zu Ende.‘ 

„Um fie zu nehmen, brauchen wir mindeitens ein Jahr Zeit.“ 

Im Stillen gab der König dem alten General recht, nur 
befennen wollte er ihm dieſes Zugeſtändnis nicht, auch nicht, 
daß er fein Mittel mehr wußte, aus diefer verzweifelten Lage 
heraus zu fommen, daß fein Genius total verjagte. 

Er zählte trogdem noch immer auf irgend etwas Un— 
vorhergejehenes, deshalb Tieß er die Kanonade Tag und Nacht 
nicht unterbrechen. 

„sch will ihren Mut zeritören, dann werden jie eher zu 
Unterhandlungen geneigt jein.“ 

Nachdem die Beichiegung mehrere Tage mit wütender 
Hartnädigfeit fortgejegt worden war, jo, daß die in der Feſtung 
vor Pulverdampf nicht bis Hinter die Häujer jehen konnten, 
jandte er Forgell noch einmal zum Starojten. 

„Mein Herr und König,“ jagte der General, als er vor 
dem Staroiten erjchien, „rechnet darauf, daß der Schaden, 
welchen die Feſtung durch unjere Kugeln erlitten haben muß, 
Ew. Durchlaucht zur Eingehung eines Vertrages geneigter 
gemacht haben wird.’ 

Herr Samojski antwortete darauf: 

„Gewiß! Freilich! ... Schaden habt ihr angerichtet... . 
Warum auch niht?... Ihr Habt ein Schwein erjchojjen, 
welches auf dem Marftplage umberlief. Ein Granatiplitter ift 
ihm in das Hinterteil gefahren. Schießt noch acht Tage, viel- 
leicht trefft ihr noch eins.“ | 

Forgell überbrachte diefe Antwort dem Könige. Noch am 
jelben Abend wurde Kriegsrat im Königlichen Quartier gehalten, 
am nächiten Morgen pacten die Schweden ihre Zelte zujammen 
und luden fie auf die Wagen; dann zogen ſie die Gejchüge 
von den Schanzen ... umd in der folgenden Nacht zog das 
Heer ab. 


281 


Samoſchtſch jandte ihm einen Abjchiedsgruß aus allen 
Gejchügen nad. Als es den Bliden der Bejagung entjchwunden 
war, verließen zwei Neiterfahnen durch das Südthor die Feitung 
und ritten im Galopp davon. Es war die Laudaer und die 
Schemberkiche Fahne. 

Die Schweden zogen dem Süden zu. Zwar riet Wittem— 
berg davon ab und mahnte dringend, nach Warjchau zurüc- 
zufehren, indem er Elarlegte, daß dies der einzige Rettungsweg 
jei, doch der ſchwediſche Alerander blieb feſt entſchloſſen, dem 
polnifchen Darius bi8 an die äußerjten Grenzen des Reiches 
zu folgen. 








6. Rapitet. 





Der Frühling Ddiejes Jahres nahm wunderliche Wege. 
Während im Norden der Republif der Schnee jchon jchmolz, 
die gefefjelten Flüſſe fließend zu werden begannen und das 
ganze Land in Märzwaflern jchwamm, fegte im Süden noch 
ein eiliger Wind über die Flüffe, Felder und Wälder vom 
Gebirge her. In den Wäldern lagen hohe Schneewehen, die 
bartgefrorenen Wege dröhnten unter den Hufen der Pferde, 
die Tage waren klar, der Sonnenuntergang in der Regel rot, 
die Nächte iternenhell und froſtig. Das Landvolf ſaß vergnügt 
auf feinen lehmigen Medern, auf dem fruchtbaren Ph Br 
und den Neuländereien in SKleinpolen und freute jich über die 
Ausdauer diejes Winters, in der Meinung, daß der Froſt den 
vielen Mäuſen in den Feldern und auch den Schweden den 
Tod bringen werde. 

Hatte der Frühling mit feinem Kommen über Gebühr ge- 
zögert, jo trat er nun aber jo plötzlich ein, daß er jchnell wie 
eine Neiterfahne den Feind, jeinen Feind, den Winter, aus dem 
Felde jchlug. Die Sonne brannte heiß auf die Erde hernieder 
und trodnete die Erde jo nachhaltig aus, daß fie in breite 
Spalten ri. Von der ungarifchen Steppe her wehte ein 
jtarfer, warmer Windhauch über die Wiefen, Felder und Neu- 
länder. Es währte nicht lange, da tauchten hier und da, erjt 
einzeln, dann jchnell zahlreicher, zwischen den leuchtenden Wafjer- 
lachen ein dunkles Aderbeet, ein grüner Streifen Feldrain auf 
* die Wälder trieften von den Tropfen der tauenden Eis— 
kruſten. 


283 


Täglich fonnte man am jtet3 heiteren Himmel lange Züge 
Kraniche, wilde Enten, Sonnenvögel und wilde Gänje hin— 
jtreichen jehen. Die Störche famen, juchten die vorjährigen 
Nejträder auf und unter den Dachjchauben zogen in die alten 
Reiter die Schwalben ein. Das Gezwitjcher der Eleinen Vögel 
tönte um die Dörfer in den Gärten, das Gelärme der großen 
um die Wälder und Teiche und abends jchallte das ganze Land 
von dem Gluckſen und Quaken der Fröſche wieder, die jich mit 
Behagen im Wafjer dehnten. 

Dann famen die feuchten Niederjchläge, die milde und lau, 
Tag und Nacht die Luft durchtränften und die Erde feuchteten. 

Die Felder wandelten ich in Seen, die Flüſſe jchwollen 
an, die Fuhrten wurden unpajjierbar und Wege und Stege 
aufgeweicht und lehmig, daß der Fuß darin jteden blieb. 

Durch dieſe Waller, Sümpfe und Moore jchleppte jich 
unaufhaltjam die jchwediiche Armee. Sie war recht zujammen= 
gejchmolzen. Von der glänzenden Wittembergijchen Armee, Die 
einjt jo jtolz in Großpolen eingezogen war, war nicht viel mehr 
zu erfennen. Der Hunger hatte den Gejichtern der alten Strieger 
jeine Spuren aufgeprägt; Schatten gleich jchlichen ſie einher, 
mutlos, erjchöpft noch mehr von der Ruheloſigkeit der Nächte, 
als vom Mangel an Nahrung Wuhten fie doch, daß am 
Ende des täglichen Weges ihrer nichts wartete, feine Erquidung, 
feine Stärkung, feine Ruhe, höchitens die Ruhe des Todes. 

Geſpenſtern gleich jagen die in erzene Panzer geitedten, 
zum Sfelett abgemagerten Weiter auf Roſſen, die ji faum 
noch fortzujchleppen vermochten. Die Fußſoldaten befamen die 
Füße fait nicht mehr aus dem lehmigen Boden heraus, Die 
zitternden Arme fonnten die Musfeten faum mehr halten. 
Ein Tag nad) dem anderen verging in gleicher Qual, immer 
vorwärts, vorwärts. Die Wagenräder brachen, die Kanonen 
blieben im Lehm jteden; man fam manchen Tag faum eine 
Meile weit vorwärts. Um das Maß des Elends voll zu machen, 
wurden viele der Soldaten vom Fieber befallen; viele legten 
jih vor Schwäche auf den nafjen Boden und zogen vor, lieber 
zu jterben, als weiter zu wanken. 

Der jchwedische Alerander juchte und verfolgte unausgejegt 
die Spur des polnijchen Darius. 

Gleichzeitig aber wurde aud) er verfolgt. Wie die Schafale 
dem kranken Büffel folgen, um im Augenblid, wo er ſich zum 
Verenden niederlegt, über ihn Herzufallen, folgten dem ſchwe— 
diſchen Heere die bewaffneten Rotten der Bauern und Des 


284 


Kleinadels, immer dreifter näher fommend, immer frecher be— 
läftigend. Und wie der franfe Büffel mit einem Gefühl des 
Grauens das Heulen der beutegierigen Naubtiere imıner näher 
fommen Hört und weiß, daß er ihnen verfallen ift, jo zog 
Karolus dahin, ahnend, daß auch er feinen Verfolgern ver: 
fallen jet. 

Zulegt war Ticharniezfi ihm immer dicht auf den Ferſen. 
Der Nachtrab der Armee jah jtet? Schwärme von Reitern 
hinter ji. Zuweilen weit entfernt am Horizont, bald nur 
auf zwei Büchjenjchugweite entfernt, oft jogar dicht Hinter ſich. 

Der Feind wollte die Entjcheidungsichlacht, aber vergebens 
baten die Schweden den Herrn der Heerjcharen darum, Tſchar— 
niezfi nahm fie nicht an, jo jehr die Schweden ihn aud) heraus- 
forderten. Er zog e3 vor, die Zeit abzuwarten, bis der Sieg 
ihm nicht mehr entgehen konnte; inzwijchen ängjtigte er das 
feindliche Heer unausgejegt Durch Plänfeleien. 

Zuweilen umging Tſcharniezki auch dasjelbe, eilte ihm 
voraus, und indem er ihm den Weg verlegte, jimulierte er, daß 
er den Kampf aufnehmen wolle. Dann jchien ein neuer Geiit 
in die erjchöpften Reihen der Sfandinavier einzufehren. Die 
franfen, abgemagerten Gejtalten traten mit geröteten Wangen 
und bligenden Augen in Reih' und Glied und die jchweren 
Lanzen und Musfeten wurden mit eijerner Willenskraft ge— 
handhabt, während das Kriegsgeſchrei, die Schlachtrufe, mit 
denen fie vorwärts eilten, aus fräftiger, gejunder Bruft zu 
fommen jchienen. 

Wenn dann Herr Tieharniezfi einige Vorſtöße gemacht 
hatte, zog er plöglich, wenn die eriten jchwediichen Kanonen— 
fugeln dahergeflogen famen, feine Schwadronen zurüd, und 
überließ den Schweden das Feld und gab fie der Mutlojigfeit 
preis, von der fie nach jedem dieſer gejchickt ausgeführten Manöver 
von neuem befallen wurden. 

Dagegen überfiel er fie plöglich in nächiter Nähe, wo die 
Geſchütze nicht Anwendung finden fonnten, denn er wußte recht 
gut, daß im Handgefecht die jchwediichen Neiter jelbit gegen 
die minder gejchicten polnischen Freiwilligen nicht aufkommen 
fonnten. 

Wieder drängte Wittenberg den König zur Umfehr und 
bat flehentlich, doc) ficy und das Heer nicht dem ficheren Ver— 
derben preiszugeben. Doch Karl Gujtav wies mit zujammen- 
gefniffenen Lippen immer nur nach dem Süden, jeine Augen 
ſchoſſen Blige bei jeder Anspielung auf den Rückzug, denn dort 


285 


in der reußiichen Ebene mußte er ja jeinen Gegner Johann 
Kajimir und ein freied Operationsfeld finden, Lebensmittel 
und endlich Ruhe, Ruhe! 

Nun verjagten, um das Unglüd zu vollenden, die polnischen 
Ueberläufer, welche ihm bisher treu gedient und die einzigen 
waren, welche Herrn Tſcharniezki allenfalls Widerſtand leiſten 
konnten, den Dienſt. Der erſte, welcher ſich von ihm losſagte, 
war Sbroſchek, welchen nicht Habgier, ſondern eine blinde Liebe 
zur Fahne und Soldatentreue ſo lange bei Karolus feſtgehalten 
hatte. Er nahm ſeinen Abſchied damit, daß er die Schwadron 
Dragoner Millers zerſprengte, die Hälfte derſelben niederſchlug 
und dann davonging. Ihm folgte Herr Kalinski, der mit einer 
Abteilung Füſiliere ähnlich verfuhr wie Sbroſchek. 

Sapieha wurde von Tag zu Tag ſchwermütiger; man 
merkte ihm an, daß er mit ſich kämpfte. Er ſelbſt konnte ſich 
zum Fortgehen noch nicht entſchließen, aber von ſeinen Leuten 
flohen täglich einige aus der Fahne. 

Karl Guſtav marſchierte über Narol, Tſchieſchanow und 
Oleſchyze der San zu. Ihn hielt allein die Hoffnung aufrecht, 
daß Johann Kaſimir ihm endlich eine Schlacht liefern werde. 
Noch konnte ein Sieg das Los ſeiner Armee mit einemmale 
verbeſſern, Fortuna ihm wieder gewogen werden. Es hatte ſich 
das Gerücht verbreitet, daß Johann Kaſimir mit ſeinen Stamm— 
ſoldaten und den Tartaren Lemberg bereits verlaſſen habe. 
Aber ſeine Berechnungen ſchlugen fehl. Johann Kaſimir wartete 
ruhig auf die Verſtärkung und Sammlung des Heeres, beſonders 
aber auf die Ankunft der Litauer unter Sapieha. 

Der Aufſchub war ſein beſter Bundesgenoſſe, denn ſein 
Heer verſtärkte ſich mit jedem Tage, während jeder Tag ſeinem 
Gegner Verluſte zufügte. 

„Das ſchwediſche Heer iſt keine Kriegsarmee, ſondern ein 
Leichenzug!“ erzählten alte Krieger in der Umgebung Johann 
Kaſimirs. 

Dieſe Anſicht teilten aber auch viele ſchwediſche Offiziere. 
Karl Guſtav behauptete zwar immer noch, daß er nach Lemberg 
wolle, aber er täuſchte ſich ſelbſt und ſeine Generale. Er war 
jetzt nur noch auf ſeine Rettung bedacht. Auch war er ſeiner 
Sache nicht ſicher, er wußte ja nicht, ob Johann Kaſimir wirk— 
[ich noch in Lemberg war. Der König hatte Raum genug, ſich 
rückwärts zu fonzentrieren; er fonnte bi8 Podolien den Feind 
nach ſich loden, wo die Schweden dann rettungslos ver- 
loren waren. 


286 


Douglas rückte mit jeinem Regiment bis Prſchemysl vor 
und verfuchte, Dieje Feitung zu nehmen. Aber er fehrte mit 
jchweren Verluiten unverrichteter Sache zurüd. Die Kataſtrophe 
nahte langſam, aber jicher. Alle Nachrichten, welche in das 
Lager der Schweden drangen, waren Vorboten ihres Nahens. 
Sie lauteten immer drohender. 

„Sapieha kommt, er iſt jchon in Tomaſchow!“ meldete 
man dem Slönige eines Tages. 

„Herr Yubomirsfi wälzt jich mit einem Heere von Pod— 
gorjche her heran,“ hie es am nächiten Taae. 

Und dann wieder: 

„Der König fommt mit der Garde und Hunderttaujend 
Tartaren! Er bat fich mit Sapieha vereinigt!“ 

Selbitveritändlich befand fich unter diefen Gerüchten viel 
Unwahres, vieles war übertrieben, aber ſie machten die Gemüter 
ängjtlich, Die Armee wurde mutlos. Wenn früher der König 
jic) vor jeinen Schwadronen hatte bliden laſſen, war er mit 
Freudenrufen begrüßt worden, jest ſtanden jie teilnahmslos 
vor ihm. Dagegen ichwagten die an den Lagerfeuern halb 
verhungert fauernden Soldaten im Flüſterton mehr von Tſchar— 
niezfi, al$ vom eigenen Könige. Man war gewöhnt, überall 
jeine Nähe zu jpüren. Wunderbarerweile aber war während 
der leten Tage nichts mehr von ihm zu entdeden gewejen. 
Das machte die Soldaten mißtrauiſch und unruhig. 

„Zicharniezfi it fort, Gott weiß, was er vor hat!“ 
flüjterten jie einander zu. 

Karl Guſtav hielt einige Tage in Jaroslaw Raſt; er über- 
(egte, was zu thun war. Er ließ die Stranfen, deren es im 
Lager eine große Anzahl gab, auf. die flachen Flußſchiffe der 
San bringen und nach Sandomir, der nächiten befejtigten, noch 
von Schweden bejegten Stadt überführen. Nachdem er Ddiejes 
Werk vollbracht umd erfahren hatte, dat Johann Kaſimir 
Lemberg wirklich verlaſſen hatte, bejchloß der König, zu erforjchen, 
wo jein Gegner zu finden jei. 

Zu dieſem BZwed ließ er den Hauptmann Kanneberg 
mit taujend Meitern über die San jegen und nach Titen 
vorrüden. | 

„Es könnte fein,“ jprach der König beim Abjchied zu 
Stanneberg, „daß Das fernere Gejchid der Armee und Die 
Wendung des Feldzuges zum Guten für ums alle in eurer 
Hand liegt.“ 

Ihatjächlich hing jehr viel vom Ausgange der Erpedition 


287 


für die Schweden ab. Schlimmitenfalles konnte Kanneberg der 
Armee Proviant zuführen. Gelang es ihm aber, den Aufent- 
halt des Polenfünigs ausfindig zu machen, dann mußte der 
Schwedenfünig mit dem Hauptitabe der Armee Johann Kafimir 
entgegengehen, jeine Heeresmacht zu vernichten, und, wenn mög— 
lich, ihn jelbit gefangen zu nehmen verjuchen. 

Karl Guſtav hatte daher die beiten Soldaten und die jtärfiten 
Pferde zu diefer Expedition für Kanneberg ausgejucht. 

Die Auswahl gejchah um jo jorgfältiger, da der Haupt— 
mann weder Fußſoldaten noch Gejchüge mit ſich nehmen 
fonnte. Er mußte daher über Soldaten verfügen fünnen, die 
imjtande waren, den polnischen Neitern erfolgreich Widerjtand 
zu leiten. 

Am zwanzigiten März rücte Kanneberg aus. Als er die 
Brücke pajjierte, jtanden viele Offiziere an dem Brücdenfopf, um 
ihm und den Neitern Lebewohl zuzurufen. „Gott geleite euch! 
Gott gebe euch den Sieg! Gott führe euch glüclich zurück!“ 
jo riefen die Zurücbleibenden den Davoneilenden nach. Diefe 
ritten zu zweien über die neuerbaute Brücke, deren lettes Joch 
noch nicht fertig, jondern nur mit Brettern überlegt war, damit 
jie hinüber fonnten. 

Neues Hoffen machte fie beiterer bliden, denn fie waren 
ausnahmswetje jatt gegejjen. Man hatte die Nahrung anderen 
entzogen, um jie zu jättigen und ihre Feldflaſchen mit Brannt- 
wein zu füllen. So zogen fie denn mit fröhlichem Geplauder 
von dannen und riefen als lebten Abjchiedsgruß den am 
Brüdenfopf Stehenden zu: 

„Bir wollen euch den Tſcharniezki am Ziride herbei— 
geführt bringen!“ 

Die Armen! Sie ahnten nicht, daß fie wie eine Herde 
Vieh der Schlachtbanf zuritten. 

Es hatte jich alles zu ihrem Berderben vereint. Kaum 
hatten jie die Brücke Hinter jich, als die jchwedischen Sappeure 
ichon die Bretterlage herunternahmen, um die Brüce durch eine 
feſte Balfenlage für die Gejchüge pajlierbar zu machen. Sie 
lenften, leife fingend, ab nad) Wielfie-Ötjchy zu; noch ein paar 
Mal jahen die Offiziere ihre Helme in der Sonne blinken, dann 
nahm der dunkle Wald fie auf. 

Eine halbe Meile hatten fie bereits zurückgelegt, ohne 
irgend etwas Auffälliges zu bemerfen. Ringsum herrſchte tiefite 
Stille, die Wälder jchienen gänzlich verödet. Sie ließen die 
Pferde ein wenig verjchnaufen, dann ritten jie langjam weiter. 


288 


Endlich famen fie nach Wielfie-Ötjichy, fanden in dem Orte 
aber feine lebende Seele vor. 

Diefe Dede ſetzte Kanneberg in Staunen. 

„Man Hat ung augenscheinlich Hier erwartet,“ jagte er zu 
Major Smweno, „aber Ticeharniezfi muß wo anders fein, da er 
ung bier feinen Hinterhalt gelegt hat.“ 

„Werdet ihr den Rückzug antreten, Erlaucht?“ frug Sweno. 

„Rein, wir werden vorwärts gehen, jei es auch bis Lem— 
berg,“ antwortete Kanneberg. „Wir müjjen doch irgend wen 
herbeijchaffen, der ung Auskunft geben fann, wo Johann Kaſi— 
mir jtedt. Ohne jichere Nachricht darüber, dürfen wir nicht 
zum Könige zurücfehren.“ 

„Und wenn wir auf ein übermächtiges feindliches Heer 
ſtoßen?“ 

„Wenn dieſer Fall einträte, jo würden Soldaten wie die 
unjrigen doch ficherlich mit einigen Tauſenden diejes Gejindels, 
welches ſich das allgemeine Aufgebot nennt, fertig werden,“ 
entgegnete Kanneberg. 

„Wir fünnen aber auch reguläre Truppen treffen,“ mahnte 
Sweno noch einmal. „Wir haben feine Kanonen und ohne 
jolcje würde ihnen nicht beizufommen jein.“ 

„Dann werden wir rechtzeitig den Rückzug antreten und 
dem Könige den Feind melden. Sollte ung der Rückzug ab» 
gejchnitten werden, jo wollen wir uns durchjichlagen,“ erwiderte 
Kanneberg. 

„sch fürchte nur die Nacht!“ jagte Sweno. 

„Wir wollen alle Vorjichtsmaßregeln treffen. Die Viktualien 
für uns und die Pferde werden für zwei Tage vorhalten, wir 
brauchen nicht zu eilen.“ 

Als jie wieder in das Dunkel des Waldes Hinter Wielfie- 
Dtichy Hineinritten, jtrebten jie nur langjam vorwärt?. Kanne- 
berg hatte fünfzig Mann vorausgejchiedt; jie ritten mit gejpannten 
Musfeten in der Hand, deren Kolben feit auf die Schenfel 
geitügt waren, jahen jich vorjichtig nach allen Seiten um, durch- 
forjchten das Didicht und Horchten auf jedes leife Geräufch. 
Zuweilen jogar ritt einer oder der andere weiter hinein in das 
Geſtrüpp des Unterholzes, um nachzujehen, ob der Weg frei, 
nirgends aber fanden ſie etwas VBerdächtiges. 

Erjt eine Stunde jpäter, als der Weg plöglich eine Biegung 
machte, erblidten zwei der vorderjten Neiter etwa vierzig Schritt 
vor jich einen einzelnen Reiter. 

Der Tag war flar, die Sonne jchien Hell, jie fonnten ihn 


289 


aljo ganz deutlich erfennen. Der Mann war nicht groß, aber 
jehr anjtändig gekleidet; er jchien ein Ausländer zu fein und 
jah vielleicht nur darum jo flein aus, weil er auf einem ſehr 
großen Pferde ſaß, das von edler Rafje jein mußte. 

Der Reiter ritt langjam, als ahnte er nicht, daß Hinter 
ihm eine Anzahl Dragoner dreinfomme Die Frühjahrgüber- 
ſchwemmungen hatten jtellenweije tiefe Gräben quer über den 
Weg gerifjen, durch welche trübes Waſſer brauſte. Jener Reiter 
riß vor jedem Ddiejer Gräben das Roß etwas in die Höhe, 
diejes jeßte dann leicht wie ein Reh darüber und ging die 
Mähne jchüttelmd und jchnaufend des Weges weiter. 

Die beiden Reiter hielten ihre Pferde an und jahen jich 
nad) dem Wachtmeijter um. Der fam in dieſem Augenblid 
auch um die Ede getrottet, jtußte, als er den Reiter jah, 
und jagte: 

„Das ijt irgend ein Windhund aus einem polnischen 
Hundeitall.“ 

„Soll ich ihn anrufen?“ frug der Reiter. 

„Um Gotteswillen, nein! Es fönnen ihrer mehr in der 
Nähe fein. Sprenge zum Hauptmann zurüd.“ 

Inzwijchen waren alle fünfzig Mann des VBortrabes um 
die Ecke gebogen und jtanden jtill. Jetzt hielt der Eleine Reiter 
auch jein Pferd an und machte Front gegen die Schweden. 

Eine fleine Weile jahen jie ihn, er fie an. 

„Dort ift ein Zweiter! Zweie! Dreie! Biere! ein ganzer 
Haufen!“ rief es jet durch die Neihen der Schweden. 

Bon beiden Seiten des Weges kamen nun Reiter herbei, 
erit einzeln, dann zu zweien und dreien; ſie jammelten jich um 
den einen, der zuerjt auf dem Wege gewejen. 

Aber auch die Schweden waren jchon herbeigeeilt, zuerjt 
der zweite Vortrab mit Sweno an der Spite, dann Kanneberg 
mit der ganzen Abteilung. Kanneberg und Sweno jtellten ſich 
jogleich an die Spite und ordneten den Zug. 

Kaum hatte Smweno einen Blick auf die Neiter vor ihnen 
geworfen, da rief er jchon: 

„sch kenne die Leute! Es ijt diejelbe Fahne, welche bei 
Golembin den Prinzen Waldemar angegriffen hat; es jind Leute 
Ticharniezfis, er muß jelbjt hier fein!“ 

Dieje Worte machten auf die Schweden einen mächtigen 
Eindrud. Kein Ton wurde laut, nur das Zaumzeug Der 
Pferde klirrte leije. 

„Sch vermute, dat wir in einen Hinterhalt geraten find,“ 

Sienkiewicz, Sturmflut II. 19 


290 


ſprach Sweno weiter. „Es find ihrer hier vor uns zu wenige, 
als dab fie den Kampf mit uns aufnehmen könnten, die anderen 
müſſen im Walde verjtedt liegen.“ 

„Srlaucht! treten wir den Rüdzug an,“ wandte er ſich an 
Kanneberg. 

„Ihr habt gut raten!“ entgegnete ſtirnrunzelnd der Haupt— 
mann. „Das hätte ſich nun gelohnt, auszureiten, wenn wir beim 
Anblick etlicher zehner Vagabunden davonlaufen wollten. Da 
hätten wir lieber gleich beim Erſcheinen des erſten von ihnen 
ausreißen ſollen. Vorwärts!“ 

Die Schweden rückten in ſchönſter Ordnung vor. Der Raum 
zwiſchen den beiden Abteilungen verkleinerte ſich. 

„Halt!“ kommandierte Kanneberg. 

Die Musketen der Schweden bewegten ſich ganz gleich— 
mäßig nach der Schulter der Soldaten zu, die Rohre richteten 
ſich auf die polniſchen Reiter. 

Aber ehe noch die Hähne derſelben knackten, Hatten die 
polnischen Weiter die Pferde herumgeworfen und jagten in 
größter Unordnung davon. 

„Vorwärts!“ fommandierte Kanneberg. 

Die Abteilung galoppierte den Fliehenden nach, daß die 
Erde unter den Hufen der ſchweren Pferde dröhnte. 

Der Wald ward erfüllt von dem Geſchrei der Fliehenden 
und Verfolgenden. Nach einer viertelſtündigen Jagd wurde 
der Zwiſchenraum, der die beiden Abteilungen trennte, wieder 
kürzer; war es nun, daß die ſchwediſchen Pferde ſtärker, oder 
die polniſchen ſchneller ermüdet waren, kurz, die Verfolgenden 
waren den Fliehenden faſt auf den Ferſen. 

Da aber geſchah etwas Wunderliches. Der anfangs in 
Unordnung ſich auflöſende Haufe Polen hatte ſich nicht ver— 
jprengen lafjen, ſondern ordnete fich während der Flucht, an— 
jcheinend abſichtslos und mit einer Gejchidlichkeit ohmegleichen. 

Als Sweno das bemerkte, ließ er jein Pferd ausgreifen, 
und juchte Kanneberg zu erreichen. 

„Erlaucht!“ ſagte er feuchend, als er ihm erreicht: „Das 
find feine gewöhnlichen Leute vom allgemeinen Aufgebot, das 
find reguläre Truppen, welche die Flucht fingieren, um uns 
in einen Hinterhalt zu locken.“ 

„Es iſt mir einerlei, ob Teufel oder Menjchen im Dinter- 
halt liegen!“ antwortete Kanneberg. 


291 


Der Weg führte jegt ein wenig bergan und wurde immer 
breiter; der Wald lichtete jich, man fonnte durch die Bäume 
ichon das blanke Feld, oder vielmehr eine große Lichtung er- 
fennen, welche von allen Seiten von Ddichtem dunklen Walde 
umſtanden war. 

Die polniſche Fahne, welche ihre Bewegung anfangs ſo 
beſchleunigt, dann plötzlich ſehr verlangſamt hatte, fing nun 
wieder an zu galoppieren und entfernte ſich in wenigen Minuten 
ſo weit, daß der ſchwediſche Heerführer einſah, daß er ſie nicht 
mehr einholen könne. 

Er war bis in die Mitte der Lichtung vorgedrungen, und 
da er wahrnahm, daß der Feind ſchon die andere Seite derſelben 
erreicht hatte, ließ er von der Verfolgung ab und verlangſamte 
den Schritt. 

Aber, o Wunder! Anſtatt im jenſeitigen Walde zu ver— 
ſchwinden, beſchrieb der Feind dicht am Saume desſelben einen 
Halbkreis und ſtand dann plötzlich mit einer ſchnellen Wendung 
in prächtigſter Schlachtordnung den Schweden gegenüber. Selbſt 
die Schweden konnten dieſem Manöver ihre Bewunderung nicht 
verſagen. 

„Jawohl!“ rief Kanneberg aus. „Das ſind Stammſoldaten! 
Sie haben die Schwenkung muſterhaft ausgeführt. Aber bei 
allen Teufeln, was wollen ſie damit?“ 

„Sie wollen uns angreifen!“ ſchrie Sweno. 

Da ſprengten auch ſchon die Polen heran. Der kleine 
Ritter auf dem großen Falben rief den Seinigen etwas zu, 
ſprengte vor die Front, hielt einen Augenblick das Pferd an, 
gab mit dem blanken Säbel ein Zeichen, worauf die Kolonne 
zur Attacke ſchritt. 

Er ſchien der Anführer der Polen zu ſein. 

„Sie wollen wahrhaftig attadieren,“ ſagte Kanneberg, der 
fi) noch immer nicht von jeiner Verwunderung erholt hatte. 

Die kleinen polnischen Pferde famen in gejtredtem Galopp 
dahergejauft. Die Ohren feit an den Kopf gelegt, jtrichen fie 
mit den Bäuchen beinahe am Boden hin, während Die Neiter 
bi3 dicht auf den Hälſen der Pferde liegend, ihren Kopf in 
der buſchigen Mähne derjelben verbargen. Die Schweden in 
der —* Reihe ſahen nur ein paar hundert aufgeſperrter 
Pferdemäuler und doppelt ſoviel blitzende Augen. 

„Gott mit uns! Schweden! Feuer!“ kommandierte Kanne— 
berg, die Lanze ſchwingend. 

Sämtliche Gewehre fnatterten, doch in demſelben Augen— 

19* 


292 


blif prallten die polnischen Neiter mit folcher Gewalt auf die 
Reihen der Schweden, daß die eriten Glieder derjelben nad) 
recht3 und links geworfen wurden. Die Fleinen Pferde aber 
drängten mitten in das Gewühl von Pferden und Menjchen; 
wie ein Keil das Holz, jo preßten fie die Schweden auseinander. 

Ein fürchterliches Gefchrei erfüllte die Luft, Panzer Elirrte 
an Panzer, die Säbelklingen jchlugen aufeinander. Dazwiſchen 
ertönte das Gequiefe der Pferde, die Jammerjchreie jtürzender 
und jterbender Männer, der ganze Wald hallte von dem Lärm 
der Schlacht wieder. 

Der erite Anprall hatte die Schweden verwirrt, befonderg, 
da eine bedeutende Anzahl gleich dabei geitürzt war. Bald 
aber erholten jie ji) von dem Schreden und jchlugen nun 
tapfer drein. Die Flügel der Schwadron vereinigten jich wieder. 
Da die polnische Fahne ohnehin ſtark vorwärts gedrängt hatte, 
als wollte jie die taujend jchwedischen Reiter mit einem Stich 
durchbohren, jo war fie bald eingejchlofjen. Die Mitteljtellung 
der Schweden wich zurüd, während die Flügel die Polen hart 
bedrängten, ohne ihnen jedoch viel anhaben zu fünnen, da jie 
mit jener unvergleichlichen Gewandtheit kämpften, welche die 
polnische Neiterei zu einem jo jchredlichen Gegner im Hand 
gemenge macht. Die Säbel arbeiteten mit den NRapieren um 
die Wette, die Getöteten fielen dicht, der Sieg begann fich jchon 
den Schweden zuzumeigen, da plöglicd) tauchte aus dem Walde 
eine zweite Fahne auf und eilte mit lautem Gejchrei ihren 
Landsleuten zu Hilfe. 

Der ganze rechte Flügel der Schweden unter Sweno 
wandte ſich jofort in jeiner ganzen ?Frontbreite dem neuen 
Feinde zu, in welchem altgediente jchwedische Soldaten, polnifche 
Huſaren erfannten. 

Sie wurden von einem Manne geführt, der auf einem 
jchwarz und weiß gejchedten Pferde ſaß, mit einer Burfa be= 
fleidet war und auf dem Kopfe eine Hujarenmüge von Luchs— 
pelz trug. Man fonnte ihn deutlich jehen, denn er ritt ſeit— 
wärts, ein paar Schritte von den Soldaten entfernt. 

„Tſcharniezki! Tſcharniezki!“ rief es in dem jchwedijchen 
Gliedern. 

Sweno warf einen verzweifelten Blick nach dem Himmel 
hinauf, dann gab er ſeinem Pferde die Sporen und ſauſte mit 
ſeinem Flügel dem Feinde entgegen. 

Tſcharniezki brachte ſeine Huſaren bis auf etliche Schritte 


293 


Entfernung nahe, und als die Schweden ſich im volliten Galopp 
befanden, machte er mit jeiner Fahne eine plögliche Wendung. 

Setzt fam vom Walde her noch eine dritte Fahne. Tſchar— 
niezfi jprengte derjelben entgegen und führte auch fie herbei, 
dasjelbe gejchah mit einer vierten. Den Arm weit vorgejtredt, 
wies er mit feinem Feldherrnſtabe einer jeden die Stellung an, 
von welcher aus jie angreifen jollte; er verteilte die Arbeit, 
wie der Landwirt, der jeine Schnitter in die Ernte führt. 

Endlich, als auch die fünfte Fahne in das Treffen geführt 
war, jtellte er ſich an die Spite derjelben und leitete jelbit 
den Angriff. 

Die Hujaren hatten den rechten Flügel bereit zurüd- 
geichlagen und in wenigen Minuten verjprengt. Die folgenden 
drei Fahnen hatten nach Tartarenart die jchwediiche Neiterei 
umzingelt und jchlugen unter fürchterlichem Gejchrei mit den 
Säbeln, jtachen mit den Yanzen auf die in Verwirrung Geratenen 
drein, traten nieder, was von den Pferden jtürzte, und jagten 
den Fliehenden nad). 

Kanneberg hatte zu jpät eingejehen, daß er in eine Falle 
geraten und dem Feinde direkt unter das Mejjer gerannt war. 
An einen Sieg war nicht zu denken, darum ließ er zum Rück— 
zug blajen, um von jeinen Leuten jo viele als möglich zu 
retten. Im Karriere jagten die Schweden nach jenem Wege 
zurüd, auf welchem jie von Wielfie-Otjchy hergefommen waren, 
die Leute Tjcharniezfis immer jo dicht Hinter jich, daß der 
Dampf der polnischen Pferde warm an die jchwedischen Rücken ſchlug. 

Unter diefen Umständen fonnte ſich der Nüdzug nicht in 
der nötigen Ordnung vollziehen. Die jtärferen Pferde drängten 
die jchwächeren zurüd; binnen furzem war die Stannebergjche 
Abteilung nur noch ein fliehender Knäuel Menjchen und Pferde, 
welchen die Verfolger widerjtandslos lichteten. 

Je länger die Verfolgung dauerte, deſto größer wurde die 
Verwirrung, denn auch in den polnischen Fahnen Hatte fich Die 
Ordnung aufgelöft. Jeder Neiter jpornte jein Pferd, da die 
Nüjtern rauchten, und jchlug nieder, was in jeinen Bereich Fam. 

So vermengten jich die Polen mit den Schweden. Etliche 
polnische Soldaten überholten die legten jchwediichen Glieder; 
es gejchah, dak, wenn ein Gemeiner eben ich im Steigbügel 
erhob, um einen der Flüchtigen zu treffen, er jelbit mit dem 
Napiere von hinten nmiedergejtochen wurde. Der Weg nad) 
Wielkie-Otſchy war mit Leichen bejäet, aber noch nahm der 
Kampf fein Ende. Einer oder der andere der Schweden bogen 


294 


vom Walde ab, die müden Pferde wollten nicht weiter, das 
Gemetzel wurde noch grauenhafter. Diejenigen, welche von den 
Pferden jprangen, um im Didicht des Waldes Schuß zu juchen, 
wurden von den dort lauernden Bauern nmiedergeichlagen. 
Andere wollten lieber den Tod durch das Schwert erleiden, als 
die Qualen erdulden, welche das tollwütige Gejindel ihnen be= 
reitete. Wieder andere flehten um Pardon, doch umſonſt, denn 
die Verfolger zogen vor, den Feind gleich niederzufchlagen, als 
ihn gefangen mit fich zu führen und zu bewachen. Man jorgte 
dafür, daß feiner übrig bleibe, um die Kunde von der Nieder- 
lage in das jchwediiche Hauptquartier zu bringen. Herr Wolo- 
dyjowsfi war an der Spite der Verfolgung. Er war es auch, 
der als Lodvogel jich den Schweden auf dem Wege zuerit 
gezeigt hatte, er hatte jie nach der Lichtung gelodt, hatte die 
erite Attade gegen jie ausgeführt und nun war er der jchlimmiten 
Verfolger einer, denn er lechzte danach, die Niederlage bei 
Solembin wieder wett zu machen; er jchonte feinen, fetbit die⸗ 
jenigen nicht, die, flehend die Hände zu ihm erhebend, um ihr 
Leben baten. 

Herr Wolodyjowski war, ohne ſich umzublicken, nur immer 
vorwärts geeilt. Der tapfere Sweno hatte den ſchrecklichen 
Schnitter kaum bemerkt, als er auch ſchon mehrere ſeiner beſten 
Reiter zuſammenrief, um mit Einſetzung ſeines eigenen Lebens 
das Leben ſeiner Leute zu ſchützen. Er warf ſein Pferd herum 
und erwartete mit vorgeſtrecktem Rapier die Verfolger. Als 
Herr Wolodyjowski das gewahrte, zögerte er feinen Augenblick, 
gab feinem Pferde die Sporen und trieb es mitten in dag 
Häuflein hinein, das fich ihm entgegenzujtellen wagte. 

Ehe man es fich verjah, lagen zwei der Reiter unter den 
ufen der Pferde. Mehr denn zehn Napiere richteten ihre 
pigen auf die Bruft des Waghalfigen; in diefem Augenblid 

— Gefahr ſprangen die Skrzetuskis, Jozwa Butrym, ge— 
nannt Ohnefuß, Herr Sagloba und Rochus Kowalski ihm bei, 
von welchem Sagloba zu erzählen pflegte, daß er noch mit ver— 
ſchlafenen Augen zur Attacke vorgehe und dieſelben erſt ordentlich 
öffne, wenn er Bruſt an Bruſt mit dem Feinde ſtehe. 

Wolodyjowski hatte ſich mit Blitzesſchnelle unter den 
Bauch ſeines Pferdes geſchwungen, ſo daß die auf ihn gezückten 
Rapierſtöße die blanke Luft durchſchnitten. Er hatte dieſe 
Fertigkeit bei den Tartaren in Bialogrod erworben und da er 
klein von Statur und über alle Maßen gelenkig war, ſo hatte 
er es darin unglaublich weit gebracht. Er entſchwand den 


295 


Augen der Feinde ganz nach Notwendigkeit und Belieben; bald 
itecte fein Kopf in der Mähne des Pferdes, während der 
Körper am Halje des Tieres zu Heben jchien, bald verjchtwand 
er unter den Bauch desfelben. 

So war es auch jett gejchehen. Ehe noch die verblüfften 
Reiter verjtehen fonnten, was vor jich ging, ſaß er jchon wieder 
im Sattel, wie der Wildeber, der fich unvermutet auf die er- 
jchredte Meute jtürzt. 

Auch die Gefährten halfen ihm Berwirrung und Tod 
verbreiten. Einer der Reiter hatte dem Herrn Sagloba feine 
Piſtole bereit3 dicht auf die Bruſt gejebt, da hieb Rochus 
Kowalski, welcher ihn von der linfen Seite hatte, daher dem 
Schweden mit dem Säbel nicht beikommen fonnte, jo gewaltig 
mit jeiner geballten Fauſt auf deſſen Schläfe ein, daß der 
Reiter wie vom Blig getroffen vom Pferde fiel. Sagloba aber 
ſchlug mit einem Freudenſchrei auf den ihm gegenüberjtehenden 
Sweno [08 und traf den Kopf des Tapferen jo gut, daß ihm 
beide Hände jchlaff herabjanfen, das Schwert feiner Rechten 
entfiel und er jelbjt mit der Stirn auf den Hals feines Pferdes 
aufichlug. Als die Neiter das jahen, ergriffen fie die Flucht, 
doch Wolodyjowsfi, Jozwa Ohnefuß und die beiden Skrzetuskis 
hatten fie bald eingeholt und niedergeitredt. 

Die Verfolgung dauerte fort. Die jchwediichen Pferde 
feuchten und famen immer jchwerer fort. Viele von ihnen 
jtürzten mit gejpreizten Beinen und verendeten jojort. Zuletzt 
waren von den taufend glänzenden Neitern nur noch etwa 
hundert und einige übrig geblieben, der Reit lag Hingejtrect 
auf der Landſtraße. Aber auch diejes Häuflein verringerte ſich 
er da das Schwert der Polen unausgeſetzt auf die 
Inglüdlichen herabfiel. 

Endlich hatte man den Wald hinter ji. Die Türme von 
Jaroslaw hoben ſich deutlich vom blauen Himmel ab. Neue 
Hoffnung erfüllte die Herzen der Flüchtlinge; wußten fie doch, 
daß dort Rettung und Hilfe nahe war. 

Sie hatten vergejien, daß gleich nach ihrem Auszuge das 
legte Brücdenjoch abgebrochen worden war, um es feiter und 
tragfähiger für die Geſchütze wieder herzuitellen. 

Sei es nun, daß Herr Ticharniezfi durch jeine Spione 
davon unterrichtet war, oder daß er unter den Augen des Königs 
den Reit diejer Unglüdlichen vertilgen wollte, genug, er rief 
die Verfolger nicht nur nicht zurüc, jondern drängte perſönlich 


296 


mit der Schemberf'jchen Fahne Hinter ihnen ber, jo heftig und 
jchnell, ald wollte er Jaroslaw im Sturme nehmen. 

So waren die Verfolgten und die Verfolger etwa ein Ge- 
wände weit von der Brüde angelangt. Das Gejchrei derjelben 
drang bis in das Lager der Schweden. Eine Menge Offiziere 
und Soldaten eilten, als jie e8 hörten, aus der Stadt, um zu 
jehen, was auf dem jenfeitigen Ufer des Fluſſes vor fich gehe. 
Kaum hatten fie einen Blick hinüber geworfen, jo erfannten fie 
die Neiter, welche am Morgen ausmarjchiert waren. 

„Die Abteilung Kanneberg! Die Abteilung Sanneberg!“ 
jchrieen taujend Stimmen. 

„Kur hundert Mann etwa find noch übrig!“ 

In diefem Augenblit kam der König in Begleitung 
Wittembergs, Forgells, Miller® und anderer Generale an- 
geiprengt Der König erbleichte. 

„Kanneberg!* jchrie er auf. 

„Bei den Wunden Chriſti!“ rief Wittenberg. „Die Brüde 
iſt nicht fertig, fie werden alle niedergemegelt!* 

Der König warf einen angjtvollen Blid auf den vom 
Frühlingswafler angejchwollenen Fluß. Die gelben Waſſer— 
maſſen braujten; es war nicht daran zu denfen, fie zu durch— 
Ihwimmen. Ein Brahm war auch nicht zu benugen, denn Die 
Feinde würden ihn nicht landen laſſen. 

Die drüben famen immer näher. Das Gejchrei hatte von 
neuem begonnen. 

Einige nach Lebensmitteln ausgejfandte Wagen, in Be— 
gleitung einer Abteilung Gardiiten, famen gerade jet einen 
anderen Weg vom Walde her der Stadt zugefahren. Als man 
dort wahrnahm, was jich zutrug, wurden die Pferde in Trab 
gejegt. Die Esforte bemühte fi), in der Meinung, daß die 
Brüde pajjierbar jei, die Wagen noch in die Stadt zu bringen, 
ehe der Feind ihr Kommen bemerkt. 

Aber es war zu jpät. Schon waren fie gejehen worden; 
dreihundert Reiter hatten jich jofort dem Wagenzuge zugewendet. 
An der Spige derjelben ritt der Pächter von Wonſoſch, Rzend- 
zian. Er Hatte bisher noch feinen bejonderen Beweis von 
Tapferfeit geliefert; beim Anblid der Wagen aber, die ihm 
reiche Beute verhießen, jchwoll jein Herz plöglich jo jehr vom 
Mute, daß er feinen Leuten immer ein paar Schritte voraus 
war. Als die Eskorte der Wagen ſah, dak an ein Entrinnen 
nicht mehr zu denfen war, jchlojfen fie ein Slarree. Hundert 
Musfetenläufe zielten nad) der Bruft Nzendzians. Eine Salve 


297 


empfing ihn, aber noch ehe die Rauchwolfe, welche fie Hinter- 
ließ, jich verzogen hatte, war das gejpornte Roß Rzendzians 
ihon vor dem eriten Gliede des Karrees angelangt; es bäumte 
hoch, fo daß die VBorderhufe desjelben fait die Köpfe der Gar- 
diſten berührten und fiel dann mitten in das Karree hinein, 
eine Anzahl der Soldaten unter jeine Hufe tretend. 

Wie reißende Wölfe fielen die polnischen Weiter über die 
Wagen her, jie rifjen alles auseinander, traten die Menjchen- 
leiber in Stüde und eine Weile darauf war von dem Wagen: 
zuge nichts übrig geblieben. Aus dem wirren Stnäuel, der ſich 
an der Stelle, wo er gejtanden, auf der Erde wälzte, drangen 
gräßliche Schmerzensjchreie bis zu den Ohren der Schweden in 
der Stadt. 

Unterdefjen waren die Reſte der Kanneberg'ſchen Reiter 
immer dichter an das Ufer des Flufjes gedrängt worden. Alm 
anderen Ufer auf der Seite der Stadt hatte fait die ganze 
jchwedijche Armee die San entlang jich aufgeitellt, Füſiliere, 
Neiter, Artillerie, alles in buntem Gemiſch durcheinander. — 
Sie alle jahen, wie ehedem die Römer dem Kampfſpiel der 
Sladiatoren, dem Schaujpiel zu, das ſich jenjeits ihren Blicken 
bot, mit zujammengefniffenen Lippen und Verzweiflung im 
Bid. Das Bewußtjein und Gefühl ihrer Machtlojigfeit entriß 
dieſen umnfreiwilligen Zujchauern wiederholt Schreie des Ent- 
ſetzens und der tiefen Ceelenpein. Waren doch die taufend 
Mann, welche Kanneberg am Morgen hinaus in den Wald ge- 
führt, die Elitetruppe des jchwedijchen Heeres gewejen, ſämtlich 
ruhmbedecte Veteranen, die ihre Kriegslorbeeren in unzähligen 
Schlachten erworben Hatten. 


Wie irre gewordene Schafe rannten jie num am Ufer 
des Fluſſes entlang und wie Schafe unter dem Mefjer des 
Schlächters fielen fie unter den Schwertern der Feinde. Das 
war feine Schlacht mehr, jondern ein Schlachten. Die gräß- 
lichen feindlichen Reiter flogen wie ein Wirbehvind zwijchen 
den Schweden umher, bald in Einzelverfolgung begriffen, bald 
mehrere gleichzeitig hegend. Hier beugte ein müder Schwede 
ſein Haupt, um den Todesſtreich zu empfangen, dort ſetzte ſich 
ein anderer zur Wehr, ohne jedoch den Gegner zu treffen, da 
keiner der Schweden ſich im Handgemenge mit dem in der 
Fechtkunſt wohlerfahrenen polniſchen Adel meſſen konnte. 


Der wütendſte unter allen Polen aber war der kleine 
Ritter. Er geberdete ſich auf ſeinem ſchlanken, geſchmeidigen 


298 


Pferde wie ein Toller, jo daß die Aufmerfjamfeit aller fich 
zulegt nur auf ihm richtete. Wer in jeine Nähe fam, der 
war verloren, denn mit einer einzigen leichten Wendung 
ſeines Säbels jchlug er den jchweriten Schwebifchen Reiter aus 
dem Sattel. 


Endlich erblidte er Kanneberg jelbit, der von einigen 
gemeinen Soldaten verfolgt wurde. Er rief dieſe zurück und 
jagte ihm ganz allein nad). 

Den Schweden am anderen Ufer jtodte der Atem. Der 
König ritt bis dicht an das Ufer und jah Elopfenden Herzens, 
zwifchen Furcht und Hoffnung bebend, jcharf hinüber, denn 
Kanneberg, eine hochgeitellte Berjönlichkeit und Verwandter des 
Königs, war von Sindesbeinen an in allen Arten der Fecht— 
kunſt durch italienifche Fechtmeiſter ausgebildet und hatte, jo 
weit das blaue Banner reichte, in der jchwediichen Armee feinen 
jeinesgleichen. 

Aller Augen waren auf die beiden Kämpfer gerichtet. Man 
wagte faum zu atmen. Kanneberg aber hatte, jobald er bemerkte, 
daß die Verfolger von ihm abliegen, jein Roß herumgeworfen. 
Ihn erfüllte in diefem Augenblid nur der eine Gedanke: 

„Wehe mir, wenn ich jett, nachdem ich alles verloren, die 
Schande nicht durch mein eigenes Blut tilge, oder durch das 
Blut diejes gräßlichen Mannes auslöfche. ch dürfte ſonſt 
feinen braven Schweden mehr offenen Blides entgegentreten, 
wenn Gottes Hand mich ja glüdli an das nächite Ufer 
hinübertrüge.“ 

Mit diefem Gedanken ritt er dem gelben Reiter entgegen. 

Da nun Diejenigen Weiter, welche ihn bisher vom Ufer 
getrennt hatten, eine andere Richtung einjchlugen, jo hoffte er, 
wenn es ihm gelang, den Gegner zu töten, dennoch das andere 
Ufer zu gewinnen. Er wollte verjuchen, den Strom zu durch— 
ichwimmen, gejchehe, was da. wolle. Schlimmſtenfalls wollte er 
jih vom Strome treiben laſſen, wenn er den Fluß nicht zu 
durchqueren vermochte, die Waffenbrüder drüben würden ihm 
icon zu Hilfe fommen. 

Die beiden Feinde jprengten aljo aufeinander zu. Der 
Schwede beabjichtigte im Vorſtoß dem Gegner fein Rapier 
unter dem Arme in den Leib bis in den Hals hinein zu jagen, 
doc) er, der Meiſter, erfannte gleich in dem anderen auch den 
Meijter, denn jein Rapier glitt ſchlank an der Schneide des 
polnischen Säbeld ab. Er hatte das Gefühl, als jchliefe ihm 


299 


plöglich der Arm ein, er fonnte faum den Stoß aufhalten, zu 
dem der Ritter gleich darauf ausholte. Glüclicherweife rantıten 
die beiden Pferde in dieſem Augenblid auseinander. 


Sie bejchrieben beide einen Halbfreis und wandten die 
Tiere einander wieder zu, aber langjam, um Zeit zu gewinnen. 
Kanneberg zog den Kopf tief ein, jo daß er einem Vogel ähn- 
(ic) jah, der nur den Schnabel aus dem Gefieder herausftredt. 
Er fannte einen Stoß, welchen ein Florentiner Fechtmeijter ihn 
gelehrt, der beſtimmt war, den Gegner irre zu führen, denn 
während anjcheinend die Spite des Rapiers auf die Bruſt des 
Gegners gerichtet war, jollte jie durch eine plößliche Seiten- 
bewegung den Hals desjelben, am Anja des Viſiers treffen 
und ihn bis in das Genick durchbohren. Diejen Stoß wollte 
er jegt in Anwendung bringen. 

Seiner Sache gewiß, hielt er das Pferd immer mehr 
zurüd, während Herr Wolodyjowsfi in furzen Süßen daher- 
fam. Diefer dachte joeben darüber nach, ob er jeine Bialo- 
roder Taktif auch Hier anwenden und unter das Pferd ver- 
N etvinben jollte. Plöglicdy) aber überfam ihn die Scham, daß 
er angejicht® beider Heere, im Zweifampf, einem einzelnen Manne 
gegenüber nicht ritterlich handeln wollte, 

„Aha!“ dachte er. „Du willft mich, wie der Neiher den 

(fen aufjpießen, aber warte! — ich will an dir die kleine 
indmühle verjuchen, die ich) mir in Lubniow jchon vor 
Jahren ausgedacht.“ 

Das jchien ihm in diefem Falle das Beſte. Es blitzte 
plöglih um den kleinen Ritter, als wäre er ganz und gar in 
einen in allen Farben jchillernden Panzer eingehüllt. Er gab 
jeinem Roß die Sporen und flog auf Kanneberg zu. 

Diejer hatte fich noch mehr geducdt; er lag fait ganz auf 
dem Pferde Im nächiten Augenbli hatte er das Schwert 
mit dem Rapier zufammengebunden, den Kopf mit der Schnellig- 
feit einer Schlange emporgejchnellt und mit gewaltiger Kraft 
zugeltoßen. 

Doch zu gleicher Zeit ſauſte e8 ihm um die Ohren, das 
Rapier in jeiner Hand fchwanfte, die Schneide desjelben fuhr 
ins Leere, während das gebogene Ende des Säbels des kleinen 
Ritters mit Bligesjchnelle auf den Kopf Kannebergs niederfuhr, 
ihm einen Teil der Naje, den Mund und das Sinn fpaltete 
und, durh den Hals fahrend, auf dem Schulterfnochen 
figen blieb, 


300 


Das Rapier entfiel der Hand des Getroffenen, jeine Sinne 
umnachteten ſich. Doch ehe er vom Pferde fallen konnte, lieh 
Herr Wolodyjowski feinen Säbel an der Schnur herabfallen 
und padte den Unglüdlichen an den Schultern. 

Ein furchtbarer Schrei des Entjegens tünte aus den Kehlen 
der Schweden drüben. Herr Sagloba fam jet zu Herrn 
Wolodyjowsfi herangejprengt. 

„Herr Michael!“ rief er. „Ich wußte, daß es jo fommen 
würde, aber ich war entjchlojjen, euch zu rächen!“ 

„Der war ein Meijter,“ antwortete Wolodyjowsfi. „Nehmt 
jein Pferd am Zügel, es it ein edles Rob.“ 

„Ha! wenn der Fluß uns nicht trennte, würde es ſich qut 
mit jenen fcherzen! Ich wäre der erite!“ 

Hier unterbrah das Pfeifen einer Kugel die Rede des 
Alten; er fam nicht zu Ende. Dagegen rief er: 

„Kommt fort, Herr Michael! Die Verräter find imitande, 
ung zu erjchießen!“ 

„shre Kugeln richten feinen Schaden mehr an,“ ſagte Wolo- 
dyjowski ruhig. „ES iſt zu weit,“ 

Andere polnische Reiter traten hinzu, gratulierten dem 
kleinen Ritter und betrachteten ihn mit Bewunderung. 8 
I ihm freudig um den Mund, denn auch er war zufrieden 
mit jich. 

Am anderen Ufer der San jummte es unter den Schweden 

wie im Bienenitod. Die Artilleriften hatten Kanonen herbei— 
eführt. Das veranlaßte die Polen, zum Rückzug zu blajen. 
Beim eriten Trompetenſtoß eilte jeder Soldat zu jeiner Fahne; 
bald jtanden fie zum Abmarjch bereit. Nachdem die Polen ſich 
bis an den Wald zurücdgezogen hatten, machten fie noch einmal 
fehrt, als wollten jie die Schweden zur Verfolgung auffordern. 
Vor die Front der Glieder ritt auf einem ſchwarz- und weiß- 
gejcheckten Pferde ein Mann mit einer Burka befleidet und 
mit einer Yuch3müge auf dem Kopfe. Er trug einen ver- 
goldeten Stab in der Hand. 

Die Schweden fonnten ihn deutlich jehen, denn ‚der Glanz 
der untergehenden Sonne beleuchtete ihn hell. Ein Abglanz 
Ichien auch von ihm auszujtrahlen und jeine Umgebung zu be- 
leuchten. 

Als die Schweden ihn jahen, riefen fie halb entjett, halb 
drohend: 

„Tſcharniezki! Tſcharniezki!“ 

Er ſchien ſeinen Hauptleuten etwas zu ſagen. Vor dem 


301 


Ritter, welcher den Kanneberg geichlagen, hielt er jich längere 
Zeit auf. Er legte feine Hand auf den Arm des fleinen Ritters 
und jprach eindringlich zu ihm. Dann erhob er den Arm mit 
dem Feldherrnſtab, worauf eine Fahne nach der anderen lang— 
jam — 

Soeben ging die Sonne unter. In Jaroslaw läuteten die 
Glocken zum Ave. Die polniſchen Fahnen fangen laut den 
englijchen Gruß: „Der Engel des Herrn brachte Maria die 
Botjchaft!“ und entichwanden langjam den Bliden der Schweden. 








5. Rapitet, 


An diefem Tage gingen die Schweden Hungrig jchlafen, 
ohne zu wijjen, womit jie am nächiten Tage den Hunger jtillen 
jollten. Das nagende Gefühl im Magen lie jie nicht jchlafen. 
Noc ehe der Hahn zum zweitenmal gefräht hatte, hatten die 
meijten jchon das Lager verlafjen, um einzeln oder in Haufen 
auf den umliegenden Dörfern nad) Lebensmitteln zu juchen. 
Nächtlichen Strauchdieben gleich fonnte man fie die Ortjchaften 
Radzymno, Kantſchudz und Tytjchin bejchleichen jehen, wo fie 
hoffen konnten, noch etwas zu finden. Es tröjtete fie, zu willen, 
daß Tſcharniezki das jenjeitige Ufer der San bejeßt hielt, doc) 
ſelbſt wenn er oder Fi Hauptleute hier herüberfämen, hätte 
fie das nicht zurüdgejchredt, denn ſie fürchteten den Hunger 
mehr, al3 den Tod. Die Disziplin im Lager mußte ſchon jehr 

elodert jein, da über anderthalbtaujend Mann, entgegen dem 
Strengiten Verbot, heimlich das Lager verlafjen hatten. 

Sie begannen ihren Raubzug damit, daß fie die Häufer 
in Brand jeßten und beim Lichte der Flammen alles aus- 
raubten, was ihnen unter die Hände fam und alle totjchlugen, 
die nicht freiwillig ihr Eigentum hergaben. Das war ihr Ver- 
derben, denn auch auf dieſer Seite des Fluſſes jchwärmte 
verjchiedene® Bauerngejindel haufenweife herum und ganze 
„Parteien“ Adliger hielten jich in den Wäldern verborgen. 
Eine der jtärkiten derjelben, dem Herrn Strſchalkowski gehörende, 
beitand aus dem kriegeriſchen Kleinadel des Berglandes; Dieje 
nun war zum Unglüdf für die Schweden heute Nacht bis 
Pruchnid vorgerüdt. 


303 


Als Herr Strjchalfowsft den Feuerſchein jah und Die 
Schüfje hörte, ritt er mit feinen Leuten dem Lärm nach und 
überfiel plöglic) die mit Rauben Bejchäftigten. Sie wehrten 
ji tapfer, aber Herr Strichalfowsfi verjprengte fie und ließ 
feinen am Leben. In den anderen UOrtjchaften gejchah das 
Gleiche. Die Verfolgenden jagten den Fliehenden bis dicht an 
das Lager nad) und verjegten das ganze Lager in Schreden 
damit, daß jie in tartarischer, wallachijcher, ungarijcher und 
polnischer Sprache ein fürchterliches Gelärme anjtimmten und 
auf diefe Weife die Schweden glauben machten, es rüde ein 
großes Heer gegen fie an. 

Es entjtand im Lager eine große Verwirrung und — 
was bisher moch mie dagewejen, die Soldaten wurden von 
einer entjeglichen Banif ergriffen, welche zu unterdrücen den 
Dffizieren nur mit großer Mühe gelang. Dem Könige, welcher 
den größten Teil der Nacht zu Pferde verbracht hatte, fonnte 
das nicht verborgen bleiben; er war zu Flug, um die Folgen 
diefer Nacht nicht vorausfehen zu können. Sobald der Tag 
graute, berief er den Kriegsrat. 

Die jehr ernite Sigung währte nur kurz. Es blieb fein 
Ausweg, ald der Rückzug. Die Soldaten waren durch den 
Hunger und die Mühjale der Märjche entmutigt, durch Die 
Verlujte gejchwächt; das feindliche Heer nahm täglich an 
Stärfe zu. 

Der jchwedijche Alerander, welcher jich vorgenommen hatte, 
den polnifchen Darius bis an die äußerſten Grenzen jeines 
Neiches zu beten und ihn Hinauszutreiben, mußte die Ver— 
folgung nicht nur aufgeben, jondern vor allem an die eigene 
Nettung denken. 

ir fünnen dem Laufe der San folgend nad) Sandomir 
elangen, von da auf der Weichjel nach Warſchau und Preußen,“ 
Are Wittemberg. „Auf diefe Weije können wir dem völligen 
Verderben noch entgehen.“ 

Douglas raufte fich die von 

„So viel Siege, jo viele Mühen umjonjt!“ jagte er. „Ein 
jo großes, eroberte Land jollen wir wieder hergeben?“ 

Und Wittemberg erwiderte darauf: 

„gabt ihr bejjere Vorjchläge zu machen?“ 

„eider nein!“ antwortete Douglas. 

Der König, welcher bisher nicht geiprochen Hatte, erhob 
fi jeßt. Das war das Zeichen, daß die Sitzung gefchlofien 
war. Er ſprach nur die wenigen Worte: 


304 


„Sch befehle den Rückzug!“ 

Dann ſprach er den ganzen Tag fein Wort mehr. 

Im jchwediichen Lager jchmetterten die Trompeten Signale, 
die Trommeln rajjelten. Die Kunde, daß der Nüdzug ans 
getreten werden jolle, durchlief wie ein Lauffeuer das Lager. 
Man begrükte jie mit Freudenausrufen. E3 befanden jich noch 
genug Schlöffer und Feitungen in den Händen der Schweden, 
dort würden fie Ruhe, Sättigung und Sicherheit finden. 

Die Generale betrieben die Vorbereitungen zum Rückzuge 
mit einer Eile, die, wie Douglas ironijierte, einer jchmachvollen 
Flucht auf ein Haar glich. 

Der König entjandte Douglas zuerjt mit der Vorhut. 
Er jollte jchwierige Uebergänge beieitigen und den Wald vom 
Sefindel jäubern. Kurze Zeit darauf folgte ihm in voller 
Kriegsrüftung das Heer. Zuerſt famen die — die Reiter 
nahmen die Mitte ein, an den Seiten ſchritten die Füſiliere 
und die Wagenburg beſchloß den Zug. Die Zelte und das 
Kriegsgerät ſchwammen auf großen Kähnen den Fluß hinab. 

Alle dieſe Vorſichtsmaßregeln waren durchaus nicht über— 
flüſſig, denn kaum hatte der Zug ſich in Bewegung geſetzt, als 
die Nachhut der Schweden auch ſchon polniſche Reiter erblickte, 
welche ſeiner Spur folgten und ihn unausgeſetzt im Auge 
behielten. 

Tſcharniezki ſammelte ſeine Fahnen, alle in der Gegend 
befindlichen Parteigänger und Freiwillige, entſandte einen Eil— 
boten zum Könige und folgte dem Schwedenheere. 

Das erſte Nachtlager in Prſcheworsk brachte ihm ſchon den 
erſten Alarm. Die Polen kamen den Schweden jo nahe auf 
den Leib gerüdt, dat einige taufend Fußjoldaten und mehrere 
Kanonen jich ihnen entgegenitellten. 

Im erſten Augenblid glaubte der König von Schweden, 
daß Ticharniezfi mit feiner Hauptmacht endlich zum Angriff 
jchreite, doch bald überzeugte er fich, daß wieder nur einzelne 
Abteilungen ausgejchidt waren, ihn zu beunruhigen. Sie hatten 
einen Anfall fingiert und fich gleich) wieder zurücgezogen. Bis 
um Morgen dauerten die Unruhen, die Schweden hatten die 
lacht wieder jchlaflos verbracht. 

Und die folgenden Tage und Nächte jollten diefer Nacht 
ähnlich werden. 

Ticharniezfi hatte inzwijchen wieder zwei Fahnen Zuzug 
vom Könige erhalten und einen Brief, welcher ihm meldete, 
daß die Feldhauptleute mit den Stammfoldaten in furzem zu 


305 


ihm ſtoßen würden, der König aber mit den Negimentern zu 
Fuß und den Tartaren unverzüglich folgen wolle, jobald die 
Unterhandlungen mit dem Chan, mit Rakotſchy und dem Kaiſer 
ihren Abſchluß erreicht hatten. 

Diefe Nachricht erfreute Herren Tſcharniezki jehr und als 
am nächiten Morgen die Schweden weiter marjchierten, dem 
Keile zwifchen San und Weichjel zu, da jagte der Herr Kaſtellan 
zum Hauptmann Polanowski: 

„Die Fiſche gehen in das Netz.“ 

„Und wir werden es machen wie jener Fiſcher, welcher 
ihnen auf der Flöte aufjpielte, damit fie tanzen jollten,“ jagte 
Sagloba. „Als jie aber nicht tanzen wollten, zog er fie aus 
dem Waſſer und legte fie an das Ufer; da fingen fie an zu 
jpringen, während er mit dem Stode auf fie einjchlug und rief: 

„>, ihr Hallunfen! Warum Habt ihr nicht getanzt, jo 
lange ich jpielte?“ 

Darauf jprach Herr Tſcharniezki: 

„Bir wollen fie das Tanzen jchon lehren, fobald der 
General Lubomirski mit jeinen fünftaujend Mann angefommen 
jein wird.“ 

„Er muß jeden Augenblick bier fein,“ warf Herr Wolody- 
jowsft ein. 

„Es find heute ein paar adlige Herren aus den Bergen 
angekommen,” bemerkte Sagloba, „welche erzählen, daß Lubomirski 
in Eilmärjchen heranmarjchiert. Es frägt ſich nur, ob er zu 
ung jtoßen, oder den Kampf auf eigene Hand eröffnen will.“ 

„Warum jollte er das?“ frug Tſcharniezki, indem er den 
Alten forſchend anblidte. 

„Weil er einen außerordentlichen Hochmut bejigt und ſehr 
ehrgeizig ilt. Ich kenne ihn jeit vielen Jahren und war der 
Vertraute jeiner Gedanken. ch lernte ihn kennen, als er, noch 
ein Knabe am Hofe des Herrn Stanislaus Krakowski, bei den 
franzöfifchen umd italienischen Fechtmeiſtern Unterricht nahm. 
Damals Schon war er jehr beleidigt, als ich ihm jagte, Daß 
dieje allefamt nur Narreteien trieben, daß feiner von ihnen 
e3 mit mir aufnehmen fünne Wir gingen eine Wette ein, 
ich legte, einen nach) dem andern, alle jieben auf die Erde, 
Da zog er vor, ſich von mir, nicht nur im Fechten, jondern 
auch in der Kriegskunſt unterweilen zu laſſen. Er ijt zwar, 
was das Begriffsvermögen betrifft, von der Natur etwas jchlecht 
ausgejtattet worden, aber, was er fann, das hat er von mir 
gelernt.“ 


Sientiewicz;, Sturmflut II. 20 


306 


„Seid ihr ein jo großer Fechtmeiſter?“ Trug Polanowski. 

„Exemplum! Wolodyjowsfi ijt mein zweiter Schüler. Der 
macht mir wirklich Ehre.“ 

„Es ijt wahr, ihr habt ja den Sweno erjchlagen !“ 

„Den Sweno? Freilich, wenn das einem von euch Herren 
pajjierte, jo würdet ihr euch das ganze Leben lang damit brüſten 
und die Nachbaren einladen, um ihnen beim Glaje Wein immer 
wieder davon zu erzählen. Mir it das jehr gleichgültig, denn 
wenn ich die von meiner Hand gefallenen Feinde aufzählen 
wollte, da könnte ich mit jolchen Swenos den Weg bis Sandomir 
pflajtern.“ 

„Meint ihr etwa nicht? Sprecht, die ihr mich fennt! 
Bezeugt es mir!“ 

„Ihr könntet es, Ohm!“ bejtätigte Rochus Kowalsfi. 

Herr Ticeharniezfi hörte nicht mehr auf das, was Sagloba 
ſagte. Er mußte ernftlich über die Worte des Alten, betreffend 
Lubomirski, nachdenken. Auch er fannte den Hochmurt dieſes 
Herrn und zweifelte nicht daran, daß Lubomirski ihm entweder 
ſeinen Oberbefehl aufzwingen, oder auf eigene Hand handeln 
wollen werde, ſelbſt wenn die Intereſſen der Republik dadurch 
geſchädigt würden. 

Sein ſtrenges Geſicht wurde noch ernſter; er drehte an 
ſeinem Barte. 

„ho!“ flüſterte Sagloba dem Herrn Johann Skrzetuski 
in das Ohr. „Der Tſcharniezki käut ſchon etwas wieder, was 
ihm bitter ſchmeckt. Er ſieht aus wie ein Adler, der jemandem 
einen Dieb mit dem Schnabel verjegen will.“ 

In diefem Augenblid bemerkte Tſcharniezki: 

„Es muß einer der Herren mit einem Briefe von mir zu 
Herrn Lubomirsfi gehen.“ 

„Sch will die Botjchaft übernehmen, ich bin ihm befannt,“ 
jagte Johann Sfrzetusfi. 

„But!“ entgegnete der Führer. „Je befannter der Bote 
mit ihm iſt, deito beſſer. . . .“ 

Sagloba wandte jih an Wolodyjowski und flüjterte wieder: 

„Er jpricht jchon durch die Naje. Das iſt bei ihm immer 
ein Zeichen großer Erregung.“ 

Ihatjächlicd war die Urjache aber die, da Herr Tſchar— 
niezli einen ſilbernen Gaumen trug. Eine Kugel hatte ihm 
vor Jahren bei Buſcha den eigenen weggeriſſen. So oft er 
num erregt, zornig oder beunruhigt war, klang jeine Stimme 
jharf und näſelnd. 


307 


Plöglich wandte jich Tſcharniezti zu Sagloba: 

„Wie wäre es, wenn ihr mit Skrzetuski ginget? Wollt ihr?“ 

„Bern!“ antwortete Sagloba. „Wenn ich nichts ausrichte, 
richtet feiner etwas aus. Zudem jieht es anjtändiger aus, wenn 
bei einem Manne von jo hoher Geburt zwei Perſonen als 
Botjchafter erjcheinen.“ 

Tieharniezfi biß jich auf die Lippen, zauſte jeinen Bart 
und brummte vor ſich hin: 

„Hohe Geburt! Vornehme Herkunft! . . .* 

„Die fann ihm niemand jtreitig machen!“ bemerkte Sagloba. 

Ticharniezfi runzelte die Stirn. 

„Die Nepublif it groß, das heißt von hoher Größe. Im 
Verhältnis zu ihr iſt die Zahl der Hochgeborenen, das heißt 
der Großen des Neiches, Hein, die Hochgeborenen jelbit find 
winzig klein dem Ganzen gegenüber. Wehe denen, die das 
vergeſſen.“ 

Dieſe Worte verfehlten ihre Wirkung nicht. Der tiefe 
Ernſt derſelben machte die Anweſenden verſtummen. Nach einer 
Weile ſagte Sagloba: 

„Im Verhältnis zum ganzen Reiche wohl, das iſt richtig.“ 

„Ich bin auch nicht von Salz und Brot zuſammengeſetzt,“ 
bemerkte Tjeharniezfi, „eigentlich nur aus Schmerzen. Der 
Gaumen, den mir die Kojafen vor Jahren herausgejchofjen, 
jchmerzt mich noch heute, und jetzt jchmerzt mich der Schwede, 
der das Vaterland zerrifien und mit Blut durchtränft bat, und 
ich) werde dies böje Gejchwür, das mich quält, entweder mit 
dem Säbel herausjchneiden oder daran zu Grunde gehen, jo 
wahr mir Gott helfe!“ 

„Und wir wollen mit unjerem Blute dazu helfen!“ jagte 
Polanowski. 

Tſcharniezki brauchte noch eine Weile, ehe er die Bitternis, 
die ihn erfüllte, verwunden hatte. Der Gedanke, daß der 
Hochmut des Herren Marjchall der Rettung des Baterlandes 
hinderlich jein könnte, machte ihn faſt rajend. Endlich beruhigte 
er jich und ſprach: 

„Es it Zeit, den Brief zu schreiben. Ich bitte die Herren, 
mit mir,“ 

Johann Sfrzetusfi und Sagloba folgten ihm. Eine halbe 
Stunde fpäter ſaßen jie auf den Pferden und ritten den Weg 
zurüd, der nad) Nadymno führte. ingegangener Nachrichten 
zufolge jollte der Marjchall jich dort befinden. 

„Johann,“ jagte Sagloba, an jeinem Kolett herumtajtend, 

20* 


308 


in deſſen Taſche der Brief jteckte, welchen Herr Tſcharniezki 
ihm gegeben. „Thu' mir den Gefallen, laß mich allein zum 
Marichall jprechen.“ 

„Habt ihr ihm wirklich vor Jahren kennen gelernt und 
ihn fechten gelehrt, Vater?“ 

„Ich, woher! Man jpricht jo etwas hin, damit einem der 
Mund nicht zufriert und die Zunge nicht fteif wird, was bei 
zu langem Schweigen leicht pajjieren fann. Ich Fenne ihn nicht 
und habe ihn — fechten gelehrt. Ich hatte Wichtigeres 
zu thun, als der Bärenführer eines Prinzen zu ſein und ihn 
zu lehren, wie er die Tatzen ſetzen ſoll. Das iſt ja auch Neben— 
ſache. Ich kenne ihn zur Genüge aus dem, was man ſich von 
ihm erzählt und werde ihn zu kneten verſtehen, wie der Koch 
die Klöße. Nur das eine bitte ich mir aus: Sage nichts davon, 
daß wir einen Brief von Herrn Tſcharniezki mit uns führen, 
erwähne ja nichts davon, bis ich ſelbſt ihm denſelben gebe.“ 

„Wie? Ich ſollte meinen Auftrag nicht ausführen? Das 
iſt mir noch nie im Leben paſſiert und wird auch nicht ge— 
ſchehen. Das iſt unmöglich! Selbſt wenn Herr Tſcharniezki 
mir verzeihen wollte. Nicht um alle Schätze der Welt.“ 

„Dann werde ich eigenhändig deinem Gaul die Sehnen 
durchſchneiden, damit du nicht mitkommſt. Haſt du jemals 

ehört, daß etwas mißlungen iſt, was ich ausgeſonnen? Rede! 

Bi du jelbjt schlecht dabei fortgefommen, wenn Sagloba ſich 
deiner Angelegenheiten annahm? Oder hat Michael oder deine 
Haljchfa Schaden dabei genommen, oder wir alle, als ich uns 
aus den Klauen Nadziwills befreite? Ich jage dir, der Brief 
Tieharniezfis fann mehr Schaden anrichten, als fich wieder gut 
machen läßt, denn der Kajtellan hat ihn in jo großer Erregung 
geichrieben, daß er drei Federn dabei zerbrochen hat. Uebrigens 
fannjt du ihn immer noch abgeben, wenn meine Redekunſt nicht 
mehr ausreicht. Mein Wort darauf, dat ich ihn ſelbſt abgebe, 
wenn es nötig tjt.“ 

„Wenn ich ihn nur aushändigen darf,“ jagte Skrzetusfi, 
„wann, it Nebenjache.“ 

„Weiter verlange ich ja nichts von dir! Hajda! Vorwärts! 
Unjer Weg ijt weit!“ 

Sie trieben die Pferde an und ritten im fchnellen Trab. 
Sie brauchten aber nicht jo weit zu reiten, als fie gedacht. 
Die Vorhut der Truppen des Marjchalld hatte Radymno bereits 
weit zurücgelajien, jie befanden fich bereit3 Hinter Saroslaw. 
Der Marjchall jelbjt ſtand in Jaroslaw; er hatte das Quartier 


309 


bezogen, welches der König von Schweden innegehabt. Cr ſaß 
mit jeinen höheren Offizieren eben bei Tafel, al Sagloba mit 
Skrzetuski anfamen, doch ließ er jie nach erfolgter Anmeldung 
jofort eintreten, da er ihre Namen kannte. Waren dieſelben 
doc) in der ganzen Nepublif berühmt. 

Aller Augen wandten ich ihnen zu, als jie eintraten; 
beſonders neugierig betrachtete man Skrzetusfi. Der Marjchall 
begrüßte fie höflich und frug Iogteich: 

„Habe ich den berühmten Nitter vor mir, welcher jeiner- 
zeit aus dem belagerten Sbaraſch die Briefe an den König 
brachte?“ 

„sch bin es!“ jagte Johann Skrzetuski. 

„Bott gebe mir viele jolcher Helden! Ich fünnte Herrn 
Ticharniezfi nur darum bemeiden, daß ihr unter feinem 
Kommando geht, denn ſonſt hat er nicht vor mir voraus, 
auch meine fleinen Verdienite werden der Nachwelt erhalten 
bleiben.“ 

„Und ich bin Sagloba!* stellte jich der alte Nitter vor, 
indem er vortrat. 

Während er das jagte, ließ er den Blick über alle Ans 
wejenden gleiten. Der Marjchall, welcher gern jeden für fich 
einnehmen wollte, vier jogleich: 

„Wer hätte nicht von dem Manne gehört, der Burlaj, den 
Führer der Barbaren, getötet und in das Heer Radziwills die 
Flamme der Empörung getragen hat . 

„Und der dem Herrn Sapieha eine Armee zugeführt hat, 
die in Wahrheit mich zu ihrem Führer auserwählt hatte,“ jette 
Sagloba Hinzu. 

„Daß ihr das thatet, da ihr doch eine jo Hervorragende 
Charge befleiden fonntet! Warum entjagtet ihr und jtelltet 
euch unter das Kommando Ticharniezkis?“ 

Sagloba blinzelte mit den Augen zu Sfrzetusfi hinüber, 
dann antwortete er: 

„Erlauchtejter Herr Marjchall! An Ew. Erlaucht hat jeder 
gute Patriot ein herrliches Beijpiel, wie man dem Wohle des 
Vaterlandes jeinen Stolz und alle perjönlichen Wünſche zum 
Opfer bringt.“ 

Lubomirski itrahlte vor Befriedigung, und Sagloba fuhr 
fort, indem er die Arme in die Seiten jtemmte: 

„Herr Ticharniezfi hat uns hergeichidt. Er entbietet 
Ew. Erlaucht jeinen und jeiner Armee Gruß und läßt euch 


310 


gleichzeitig jagen, daß Gott ung einen bedeutenden Steg über 
Stanneberg verliehen hat.“ 

„Ich Habe jchon davon gehört,“ bemerkte der Marjchall 
fühl, da der Neid ihn pacte. „Aber wir alle werden gern 
den Bericht noch einmal von einem Augenzeugen hören.“ 

Herr Sagloba leistete dieſer Aufforderung mit Freuden 
Folge. Er erzählte lebhaft, nur mit einigen Abänderungen, 
denn die Abteilung Kannebergs verjtärfte jich in jeinem Munde 
auf zweitaujend Mann. Er vergaß auch nicht, von Sweno 
und jich zu berichten und jchilderte ſehr draitiich, wie unter 
den Augen des Schwedenfünigs der Reſt der Abteilung Kanne— 
bergs völlig erjchlagen worden, wie die Wagen mit dreihundert 
Mann Bedelung in die Hände der glüdlichen Sieger gefallen, 
und malte das alles jo gejchict aus, daß der Sieg der Polen 
zu einer furchtbaren Niederlage der Schweden wurde, 

Man hörte ihm jehr aufmerkffam zu, am aufmerfjamiten 
der Marjchall. Der Ausdruck feines Gefichtes wurde immer 
itarrer. Eiſige Kühle wehte aus jeinen Worten, als er jprad): 

„sch verfenne nicht, daß Herr Ticharniezfi ein großer 
Kriegsheld iſt, doch fann er allein die Schweden nicht aufejien, 
er wird auch anderen etwas übrig laſſen müflen.“ 

Darauf erwiderte Sagloba: 

„Erlaucht! Herr Ticharniezfi iſt ja gar nicht der Sieger.“ 

„er denn?“ 

„Der Sieger iſt Lubomirski!“ 

Alle Anmwejenden waren jtarr vor Verwunderung und 
Staunen. 

Der Marjchall riß den Mund weit auf, blinzelte mit den 
Augen, jah jehr verwundert den Redner an, als wollte er jagen: 

„Ihr jeid wohl nicht bei Sinnen?“ 

Aber Sagloba ließ ſich nicht beirren. Im Gegenteil! Er 
warf die Lippen jtarf auf — er hatte dieje Gejte dem Herrn 
Samojsfi abgejehen — und fuhr fort: 

„sch hörte, wie Herr Ticharniezfi vor jeiner ganzen Armee 
erklärte: ‚Nicht unjere Säbel haben den Sieg errungen, jondern,‘ 
jagte er, ‚der Name Lubomirsfi, denn als die Schweden er— 
fuhren,‘ jagte er, ‚daß Lubomirsti ſchon ganz nahe heran— 
gekommen, da ſank ihnen der Mut ſo ſehr, daß ſie in jedem 
Soldaten die Armee des Marſchalls witterten und wie die Schafe 
unter das Mejjer gingen.“ 

Das Geficht des Marjchalls erhellte jich, als wären warme 
Sonnenjtrahlen darüber hingehuſcht. 


311 


Ste?“ rief er. „Herr Tſcharniezki ſelbſt hat das gejagt?“ 

„Jawohl! Und noch manches, von dem ich nicht weiß, ob 

ich es wiederholen darf, da es nur vertrauliche Mitteilungen find.“ 

„Sprecht nur! Jedes Wort des Herrn Tſcharniezki iſt 

wert, es hundertmal zu wiederholen. Er iſt ein außergewöhn⸗ 
licher Mann, das habe ich ſchon immer geſagt!“ 

Sagloba blinzelte mit den Augen und während er den 
Marſchall betrachtete, murmelte er für ſich: 

A „Der Fiſch hängt an der Angel, gleich werden wir ihn 
aben.“ 

„Bas jagt ihr?“ frug der Marſchall. 

„sch ſage, daß die Armee jo viele Hurrahs auf Ew. Erlaucht 
ausgebracht hat, wie jte jolche nur Sr. Majejtät ausbringen 
könnte, und in Prſcheworsk, two wir die Schweden die ganze Nacht 
durch llopften, ſchrieen die Unſrigen, wo nur irgend eine Fahne 
auftauchte, immer: Lubomirski! Yubomirsfi! Das hatte einen 
bejieren Erfolg, als alle Allah“ und ‚Schlagt zu Hier, Herr 
Sfrzetusfi, der Soldat ohnegleichen, der noch nie gelogen hat, 
fann es bezeugen.“ 

Unwillkürlich blickte der Marjchall den Ritter an. Dieſer 
wurde blutrot und murmelte verlegen etwas in den Bart. 

Die Offiziere des Marſchalls ließen die Botichafter 
hoch Leben. 

„O, der Herr Ticharniezki Hat jehr fein gehandelt, als er 
uns zwei jo artige Kavaliere jandte! Die beiden berühmtejten 
Nitter! Und dem einen fließt Honig vom Munde!“ riefen fie 
durcheinander. 

‚sch Habe immer geglaubt, daß Herr Ticharniezfi mir 
wohlgeiinnt tt,“ jagte der Marjchall. „ES giebt nichts, was 
ich für ihn nicht mit Freuden thun möchte.“ Die Augen des 
Marjchalls glänzten vor Freude. 

Nun ſchien Sagloba ganz und gar begeiftert. 

„Erlauchtejter Herr!“ begann er wieder. „Wer würde euch 
nicht 'verehren und preifen, euch, das Vorbild aller bürgerlichen 
Qugenden, welcher dem Ariſtides an Gerechtigfeit, dem Szipio 
an Tapferfeit gleicht! Ich habe in meinem Leben eine Menge 
Bücher gelejen, viel gejehen und viel gedacht; es that mir oft 
in der Seele wehe, denn, was jah ich nicht alles in Ddiefer 
Republif! Einen Opalinski, Radziejowski, die Nadziwills, 
welche den eigenen Stolz, ihren Hochmut und ihren Eigennuß 
über alles jtellten und das Vaterland ihren Laſtern opferten. 
Dft dachte ich bei mir: die Republik it nur an den Sünden 


312 


der eigenen Söhne zu Grunde gegangen! ch ſprach mich 
darüber auch zu Herrn Ticharniezfi aus, doch dieſer tröjtete 
mich immer, indem er ſprach: ‚Wahrlich! — Das Baterland ijt 
nicht verloren, da Lubomirski für dasjelbe eintritt. Jene — 
jagte er — denfen nur am Sich, dieſer jieht und jucht nur alles 
hervor, was er auf den Altar des Vaterlandes und der allge- 
meinen Wohlfahrt tragen kann; er geht mit Dintanjegung 
aller eigenen Intereſſen allen anderen als leuchtendes Beijpiel 
voran. Auch jet — jagte er — zieht er mit einer großen Heeres— 
macht heran und jchon — jagte er — hat man mir zugetragen, 
daß er mir das Oberfommando desjelben abtreten will, nur 
um andere zu belehren, wie man jelbjt den gerechteiten Stolz 
dem Wohle des Baterlandes opfern muß. Gebt aljo Hin zu 
ihm — jagte er — und erflärt ihm, daß ich diejes Opfer nicht 
annehmen fann und will, da er ein bejierer Feldherr iſt als 
ich e8 bin. Nicht nur zum Feldherrn, nein, jogar — Gott gebe 
unjerem Kaſimir ein langes Leben! — jogar zum Könige ihn 
dereinjt zu wählen jind wir bereit!‘“ 

Herr Sagloba hielt plöglich inne Er war jelbjt ein 
wenig erjchroden über feine eigenen Worte und fürchtete, doch 
zu weit gegangen zu fein. Doch er war nicht zu weit gegangen! 
Der Magnat wechjelte wiederholt die Farbe, atmete jchwer und 
nachdem ein kurzes Stilljchweigen eingetreten war, hub er an: 

„Die Nepublif iſt und wird jtets die Herrin ihres Willens 
bleiben, denn auf ihr ruhen die Fundamente unjerer Freiheit 
jeit umdenklichen Zeiten... Doc ich bin nur der Diener 
ihrer Diener und Gott iſt mein Zeuge, daß ich die Augen 
nicht zu jenen Höhen erhebe, die für einen Bürger zu hoc) 
zum Erflimmen find... Was das Oberfommando betrifft, jo 
darf fein anderer es führen, als Herr Tſcharniezki. Es drängt 
mich, denen, Die immer und bei jeder Gelegenheit auf ihre 
hohe Geburt und ihren hohen Rang pochen, feine Oberhoheit 
anerfennen, ein Beijpiel der Selbjtentäußerung zu geben und 
zu zeigen, wie man zum Wohle des Vaterlandes jelbjt jeine 
hohe Stellung aufgiebt. Obgleich ich im Grunde genommen 
auch fein ganz jchlechter Feldherr bin, jtelle ich, Lubomirski, 
mich unter den Oberbefehl Ticharniezfis, indem ich Gott nur 
von Herzen bitte, daß er und zum Siege über den Feind ver- 
helfen möge!“ 

„Ihr jeid wahrhaft ein Römer! Ein Vater des Vater— 
landes!“ rief Sagloba, die Hand des Marjchalls an jeine Lippen 
führend, 


313 


Gleichzeitig jchielte der Ddurchtriebene Alte zu Skrzetuski 
hinüber und blinzelte ihm zu. 

Donnernde Bivatrufe der Offiziere wurden im Gemache 
laut, die ſich bald durch das ganze Hauptquartier fortpflanzten. 

„Wein! Bringt Wein her!“ rief der Marjchall. 

Und jobald die Becher gefüllt waren, brachte er dem erjten 
dem Wohle des Königs, den zweiten dem Herren Tſcharniezki, 
jeinem Oberbefehlshaber, wie er ihn nannte, und den dritten 
den Gejandten. Sagloba blieb mit Toajten nicht hinter ihm 
zurüd und wußte allen jo zu Herzen zu reden, daß der Mar: 
jchall die Gäjte beim Abjchied bis Hinter die Schwelle begleitete, 
die Ritter ihmen aber bis Hinter den Schlagbaum der Stadt 
das Geleite gaben. 

Endlich waren fie allein. Sagloba lenkte jein Pferd quer 
vor das Pferd Skrzetusfis, jo daß diefer das jeinige anhalten 
mußte. Dann jtemmte er die Arme in die Seiten und frug: 

„Run, Johann? Was meinjt du jetzt?“ 

„Wahrhaftig!” antwortete Skrzetuski, „hätte ich micht mit 
eigenen Ohren gehört und mit eigenen Augen gejehen, ich 
würde es nicht glauben, jelbit wenn ein Engel es mir erzählte.“ 

„Ha! Wie? Ich möchte darauf jchwören, daß Ticharniezfi 
in feinem Briefe den Lubomirski höchitens jchön gebeten hat, 
mit ihm Hand in Hand zu gehen, was hätte er aber damit 
ausgerichtet? Er hätte das herausgefordert, was er vermeiden 
wollte! Denn wenn der Brief Bejchwörungen enthält, aus 
Liebe zum VBaterlande u. j. w. jich ihm unterzuordnen, — und 
ich bin jicher, daß er fie enthält — hätte der Herr Marjchall 
gleich eine beleidigte Miene aufgeitect und gejagt: ‚Wie fommt 
er dazu, fich zu meinem praeceptor aufzuwerfen und mich zu 


(ehren, wie man das Vaterland lieben joll ... * Ich kenne die 
Herren! . . . Zum Glück hat der alte Sagloba die Sache in 


die Hand genommen, und faum hat er den Mund aufgethan, 
jo will der Marjchall nicht nur mit Tjcharniezfi gehen, ſondern 
ihn als Oberbefehlshaber anerkennen.‘ 

Tſcharniezki grämt jich jegt ficherlich um den Ausgang der 
Sache; nun ich werde ihn bald tröſten . . . Wie, Johann? 
Veriteht der Sagloba die Magnaten an der rechten Stelle zu 
fajjen oder nicht? 

„Sch muß geitehen, daß ich vor Erjtaunen faum zu atmen 
wagte,“ verjegte Skrzetuski. 

„O, id) fenne fie! Man braucht nur einem von ihnen 
eine Krone vor die Augen zu halten oder mit dem Zipfel eines 


314 


Hermelinmantels zu winken, jo darf man ihn gegen den 
Strich jtreicheln, wie einen jungen Winddund; er wird den 
Buckel bald freiwillig frümmen und ihn dir unter die Dand 
drängen. Steine Kate wird dir jo um die Beine jchnurren wie 
er; und bielteit du ihr eine ganze Schnur Spedjchwarten hin. 
Dem Ehrlichiten unter ihnen werden die Augen aus dem Kopfe 
treten und der Speichel im Munde zufammenlaufen vor Gier, 
und triffit du auf einen Schelm, wie der Wojewode von Wilna 
einer war, jo fannit du ihn mit einem Werjprechen faufen. 
Wie hohlföpfig die Menjchen doch jind. Herr Jeſu! Wenn 
ich jo viele taujende Thaler oder Dufaten bejähe, wie du 
Ihronfandidaten in dieſem Neiche geichaffen haft, jo fünnte ich 
jelbit Kandidat werden. Denn wenn irgend einer denkt, ic) 
halte mich für geringer als ſie, dann joll ihm vor Hochmut der 
Wanſt beriten . . . Sagloba iſt jo gut wie Lubomirsfi, nur 
das macht den Unterjchied, daß jener reich it und ich arm 
bin! . . . Da, ja, Johann . . . Glaubit du etwa, ich hätte 
ihm wirflich die Hand gefüht? Bewahre! Meinen Daumen 
habe ich gefüht und mit der Najenjpige jeinen Handrüden ge- 
drüdt. Es hat ihm jicherlich noch niemand jo an der Naje 
herumgeführt, wie ich heute. Ich Strich ihn wie Butter auf die 
warme Semmel für Herrn Ticharniezfi . . . Gott erhalte ung 
unjeren König noch lange; aber für den Fall einer Königs: 
wahl würde ich doch lieber mir die Stimme geben, als ihm... 
Noch Kowalski würde mir jeine auch geben, und Herr Michael 
würde die Opponenten totjchlagen . .. Bei Gott... ich 
würde dich jogleich zum Großhetman der Krone ernennen, den 
Wolodyjowsfi zum Nachfolger Sapiehas in Litauen machen... 
den Nzendztan zum Schatzmeiſter einjegen; dev würde die Juden 
mit Abgaben drücken! . . . Schliegli iſt das Nebenjache! 
Die Hauptjache tt, daß ich den LYubomirsfi am Angelhafen 
habe, die Schnur desjelben werde ich dem Ticharniezfi in die 
Hand Ddrücden. Einer mus doch die Mühle drehen, die die 
Schweden zermahlen joll! Diejer eine bin ich doch? Wie? 
Einen anderen würden die Chronifenjchreiber verherrlichen; ich 
aber habe nicht das Glück . . . Der Alte muß noch zufrieden 
jein, wenn Ticharniezfi ihn nicht anjchnauzt, daß er den Brief 
nicht abgegeben hat . . . jo dankbar jind die Menjchen ... 
Ha! das pajjiert mir nicht zum eriten Mal... Andere jigen 
auf Marmoriteinen und haben Schmeerbäuche wie die Maſt— 
jchweine . . . ich Alter aber fann mir weiter die Eingeweide 
auf dem Pferde ausichütteln . . . .“ 


315 


Hier winfte Sagloba mit der Hand, 

„ch was! ich niefe auf die Dankbarkeit der Menfchen! 
Sterben muß man jo oder jo, und es iſt doch ein jchönes Ge— 
fühl, dem Baterlande zu dienen. Der beite Lohn für einen 
ehrlichen Soldaten jind treue Waffenbrüder. Sitt man erit 
einmal zu Pferde, dann iſt es eine Luſt mit jolchen Kameraden 
wie ihr, du und Wolodyjowsti, bis an das Ende der Welt zu 
reiten... So jind wir Polen nun einmal geartet. Wenn 
wir nur erit auf das Pferd fommen. Der Deutjche, der Fran— 
zoje, der Engländer oder der jchlanfe Spanier jpringen jedem 
gleich ins Geficht. Der Pole mit feiner angeborenen Geduld 
fann jehr viel ertragen, läßt ſich jelbit von den Schweden viel 
gefallen; erit wenn das Maß zum Ueberlaufen voll, reiht die 
Geduld. Dann jchlägt er den PBeiniger mit der Kauft ins Ge- 
ficht, daß der Schwede jich dreimal überkugelt . . . Denn der 
Mut fehlt uns nicht, und jo fange der vorhält, wird auch die 
Republik beitehen bleiben. Schreibe dir das Hinter die Ohren, 
Johann . . .“ 

In dieſer Weije plauderte Sagloba noc) lange, denn er 
war zufrieden mit jich, und wenn er das war, dann wurde er 
ungemein redjelig und die Sentenzen jprudelten von feinen 
Lippen. 





6. Rapitel, 





Teharniezfi wagte gar nicht zu hoffen, daß der Kronen— 
marjchall fich ihm werde unterjtellen wollen; er wünjchte nur 
ein Zufammenwirfen in Cinigfeit und er fürchtete, daß ein 
jolches jelbit, bei der großen Eitelfeit und dem Hochmut des 
Herrn, nicht zuftande fommen würde, denn der Marjchall hatte 
jchon früher zu jeinen Offizieren geäußert, daß er lieber allein 
gegen die Schweden operieren wolle, um wenigiteng etwas von 
Ruhm für fich zu ernten, denn er jähe voraus, daß ein Zus 
jammenwirfen mit Tjcharniezfi ihm nichts, jenem aber alles 
eintragen würde. Diefe Aeußerung aber war dem Herrn 
Kajtellan von Kijow zu Ohren gefommen, daher fürchtete er 
nun eine Zerjplitterung der Kräfte. 

Während nun feine Sendboten fern waren, quälte er ſich 
mit Sorgen. Er hatte, jeit die beiden Herren fort waren, Die 
Kopie jeines Briefe an Lubomirski wohl an zehnmal gelejen, 
um ſich zu überzeugen, daß er nichts gejchrieben, was den 
jtolgen Mann reizen fonnte. Dabei fand er, daß er einige Aus— 
drüce und Nedewendungen doch Lieber hätte weglafjen jollen, 
zulegt bereute er, den Brief überhaupt gejchrieben zu haben. 

Nachdenklich, grübelnd und ärgerlich über fich jelbit, ſaß 
er num in feinem Quartier, unruhig zum Fenſter hinaus: 
blickend, ob die Sendboten noch nicht zurückehrten. Die vor: 
übergehenden Offiziere jahen ihn am Fenſter jtehen und errieten, 
was in jeinem Innern vorging, denn die Sorge jtand auf 
feiner Stirn gejchrieben. 

„Seht einmal,“ jagte Polanowsfi zu Wolodyjowsfi, „es 
wird nichts gutes daraus, denn das Gejicht des Kajtellan ift 
flecig, das it ein böjes Beichen.“ 


317 


Das Gejicht Tſcharniezkis wies nämlich eine große Menge 
Podennarben auf, welche in Stunden großer Erregung oder 
innerer Unruhe ganz weiß leuchteten. Da überhaupt die Züge 
feines Geſichts und die Form jeines Kopfes jehr ſcharf gejchnitten, 
jeine übermäßig hohe Stirn durch dichte bufchige Brauen ver- 
dunfelt, die Naje jcharf gebogen und der Blid durchdringend 
war, jo trugen in jolchen Fällen die Pockennarben doppelt 
dazu bei, daß er jchredlich anzufehen war. Die Kofafen pflegten 
ihn nicht mit Unrecht den —— Hund“ zu nennen, denn 
wenn er mit loſe flatternder Burka, die wie zwei ſchwarze 
Flügel zu beiden Seiten ihn umwehte, ſeine Soldaten zur 
Attade führte, war die Aehnlichkeit mit diefem Tier eine jehr 
——— Darum ſchreckte ſein Erſcheinen auch die Feinde 
o ſehr. 

Seine Häßlichkeit war ſprichwörtlich geworden. Zur Zeit 
der Koſakenkriege war er nicht allein durch ſeinen perſönlichen 
Mut, ſondern auch durch ſein Ausſehen der Schrecken aller 
Koſaken, ſelbſt Chmielnizki fürchtete ihn vor allem als Berater 
des Königs. Er war es, welcher den Koſaken die fürchterliche 
Niederlage bei Berestetſch bereitet hatte. Wie ein flammendes 
Schwert war er zwiſchen die mächtigen Watahs gefahren, fo 
daß jelbit die Bejonnenjten den Kopf verloren, wenn er im 
Sturme die Städte der Ufraine nahm und die Schanzen der- 
jelben auseinander fegte, daß die Erde davon in alle vier 
Winde flog. 

Mit derjelben Ausdauer verfolgte er jett die Schweden. 
Karl Guſtav pflegte zu jagen: „Er jchlägt mir die Soldaten 
nicht tot, jondern er jtiehlt jie mir.“ Aber eben diejer heim— 
lichen Berfolgung war Tſcharniezki jegt überdrüſſig. Die Zeit 
zum fräftigen Dreinjchlagen jchten ihm gefommen und da er 
zur Eröffnung einer offenen Feldjchlacht Kanonen und vor 
allem viel Fußvolk brauchte, jo wünschte er jehnlichit die An— 
funft und das Zujammenwirfen mit Yubomirsfi herbei. Denn 
wenn auch der Marjchall nur über eine geringe Anzahl Gejchüße 
zu verfügen hatte, jo brachte er doch an Fußſoldaten mehrere 
Negimenter mit, die jämtlich) aus den Bewohnern der Berge 
refrutierten, welche die Feuerprobe längſt wiederholt beitanden 
hatten und im Notfalle den jchwedischen Füfilteren jchon Stand 
zu halten vermochten. 

Tieharniezfi fieberte vor Aufregung. Er fonnte es im 
Unartier nicht mehr aushalten und war eben vor die Thür 
getreten, als Polanowski und Wolodyjowsfi daherfamen. 


318 


„Sind die Boten noch nicht zurüd?“ rief er fie an. 

„Roc nicht,“ antwortete Wolodyjowsfi. „Man wird fie 
gut aufgenommen haben.“ 

„Dan wird jich ihrer Gegenwart freuen, aber meine Vor: 
jchläge verworfen haben, jonit hätte der Herr Marjchall mir 
jchon die Antwort durch einen feiner Offiziere gejchiekt,“ meinte 
Tſcharniezki. 

„Herr Kaſtellan!“ ſagte Polanowski, welcher ein großes 
Vertrauen ſeitens des Generals genoß. „Wozu ſich grämen! 
Kommt der Marſchall, dann gut, wenn nicht, dann befolgen 
wir unſere Taktik weiter. Es fließt auch ſo Blut aus den 
ſchwediſchen Töpfen und es iſt doch eine bekannte Sache, daß 
wenn ein Topf leck wird, der Inhalt, wenn auch langſam, doch 
ſicher herausläuft. 

„Aber auch die Republik muß bluten,“ verſetzte Tſchar— 
niezki. „Wenn die Schweden jetzt entfommen, werden ſie ſich 
ſtärken können. Sie werden Zuzüge aus Preußen erhalten, die 
gute Gelegenheit iſt dann vorüber.“ 

Während er das ſagte, zupfte Tſcharniezki ungeduldig an 
ſeinem Rocke herum. 

Da hörte man Pferdegetrappel. Gleich darauf ertönte 
Saglobas Baßſtimme; er ſang: 


„In die Kammer Kafia ift gegangen 
Und der Stach' ruft nad) ihr, mit Verlangen: 
Laß mih Mädchen ein, fonft bin ich voller Sorgen. 


Draußen beult der Sturm, es fällt der Schnee 
Uud die Kälte thut jo wehe, ach jo weh! 
Laß mich ein, daß ich nicht friere bis zum Morgen!“ 


„Ein gutes Zeichen!“ rief Polanowski. „Sie fehren fröh- 
lich zurüd. Die Angefommenen waren beim Anblid des 
Kajtellans aus den Satteln gejprungen. Sie übergaben die 
Pferde den Stalljungen und jchritten lebhaft dem Gange zu. 
Dicht vor dem General riß Sagloba plöglic die Mütze vom 
Kopfe, warf fie hoch in die Luft und — indem er mit großem 
Gejchie die Stimme des Marjchalld nachahmte, rief er: 

„Vivat, Herr Tſcharniezki! Es lebe unjer Oberbefehlshaber!“ 

Der Kajtellan runzelte die Stirn und frug jchnell: 

„Habt ihr einen Brief für mich?“ 

„Rein!“ antwortete Sagloba, „aber etwas bejjeres. Der 
Marſchall jtellt ſich ſamt feinem Heere unter das Oberfommando 
Ew. Erlaucht! Tſcharniezki jchten den Sprecher mit jeinem Blid 


319 


durchbohren zu wollen. Dann wandte er ſich an Skrzetuski, 
als wollte er jagen: 

„Redet ihr! Diejer hier iſt betrunfen!“ 

Sagloba hatte thatjächlich einen Fleinen Rauſch. Da aber 
Skrzetusfi die Ausjage des Alten bejtätigte, malte fich hüchites 
Staunen in den Zügen des Generals. 

„Kommt mit mir!“ befahl er den Anweſenden. „Herr 
Bolanowsfi, Herr Wolodyjowsft, ich bitte.“ 

Sie hatten noch feiner einen Platz eingenommen, als Tſchar— 
miezfi jchon frug: 

„Bas jagte der Marjchall zu meinem Briefe?“ 

„Er jagte gar nichts,“ antwortete Sagloba, „und warum 
er nichts jagte, day wird aus meinem Bericht hervorgehen. 
Sch beginne... . Und nun erzählte er, was und wie alles 
gejchehen, auf welche Weije er den Marjchall zu dem Entichluß 
gebracht. Tſcharniezki laujchte mit immer wachjendem Staunen, 
Bolanowsfi jchlug vor Verwunderung ein über das andere 
Mal die Hände zujammen und um den Bart Wolodyjowsfis 
zuckte es jchelmijch.“ 
ch lerne euch wahrhaftig Heute erſt kennen!“ rief der 
Stajtellan. „Ich traue meinen Ohren kaum.“ 

„Man nannte mich jchon immer den polniſchen Ulyſſes!“ 
erwiderte Sagloba bejcheiden. 

„Wo ijt mein Brief?“ 

„Hier, bitte!“ 

„sch muß euch wohl verzeihen, daß ihr denjelben nicht ab- 
gegenen habt! Ihr jeid ja auf alle viere bejchlagen! Der 

eichsfanzler jollte von euch lernen, mit Klugheit und Politeſſe 
etwas zu erreichen! Wahrhaftig! Ich, an des Königs Stelle, 
würde euch zum Botjchafter in Honfiantinopet ernennen . . . .* 

„Und er würde als jolcher bald Hunderttaufend Türfen 
hierher jchaffen,“ warf Herr Michael dazwijchen. 

Und Sagloba brüjtete ſich: 

„gweihundert, nicht einhundert, jo wahr ich lebe!“ 

„Dat der Marjchall den Spott nicht gemerkt?“ frug 
Tieharniezfi. 

„Er, gemerkt? Er verjchlang alles, was ich jagte, wie ein 
gieriger Gänjerich die Musfatnuß; es röchelte ihm in Der 
Gurgel und die Augen gingen ihm vor Wonne über. Sc 
fürchtete, er würde vor Gitelfeit plagen, wie eine jchmwedijche 
Granate. Man könnte ihn mit Schmeicheleien in die Hölle 
locken!“ 


320 


„Wenn wir nur die Schweden befämen, wenn wir jie be- 
fümen, und ich hoffe, daß wir fie nun bekommen,“ jagte Herr 
Tſcharniezki hocherfreut. „Ihr jeid ja ein jehr gejcheiter Mann, 
nur treibt, bitte, den Spott mit dem Marjchall nicht zu weit. 
Ein anderer würde fich jo viel nicht erlaubt haben. Es hängt 
zu Vieles und Großes von feinem guten Willen ab. Wir 
haben bi Sandomir den Weg durch den Grundbeſitz Lubo— 
mirskis. Der Marjchall kann mit einem Winf feine Bauern 
veranlafjen, uns den Durchmarfc zu erſchweren. Ihr jeid meiner 
Dankbarkeit jicher, fo fange ich lebe, aber auch dem Lubomirsfi 
jchulde ich Dank, denn ich vermute, dat nicht Eitelfeit allein 
die Triebfeder jeines Handelns ijt.“ 

Er Hatjchte in die Hände und befahl dem eintretenden 
Stalljungen, jofort das Reitpferd zu jatteln. 

„Wir wollen das Eiſen jchmieden, jo lange es heiß ijt.“ 

Und ſich an die Hauptleute wendend, jagte er: 

„Ihr begleitet mich! Das Gefolge muß jo glänzend wie 
möglich ſein.“ 

„Soll ich auch mitgehen?“ frug Sagloba. 

„Ihr habt die Brüde zwijchen mir und dem Marjchall 
gebaut, darum gehört es ſich, daß ihr zuerit mit Darüber reitet. 
Ueberdies vermute ich, dat ihr drüben gern gejehen werdet... 
Ich bitte, Herr Bruder, thut mir den Gefallen, ſonſt müßte ich 
glauben, ihr wollt das Halb begonnene Werk im Stich lafjen“. 

„Es Hilft alſo nichts; ich muß mit! Zuvor muß ich aber 
meinen Gurt feiter jchnallen, ſonſt verwideln fich meine Ein— 
geweide . . . Mir fehlt die Kraft zum Zuſammenhalten der 
Därme, e8 wäre denn, daß ich mich erit itärfen fünnte.* 

„Womit fann ich dienen?“ 

„Man bat mir viel von dem Met aus dem Seller 
Ew. Erlaucht erzählt; ich hatte noch nicht Gelegenheit, ihn zu 
fojten, möchte num aber gern willen, ob er fo qut tt, als der— 
jenige des Marjchalls.“ 

„But! wir wollen alſo jchnell einen Bügeltrunf aus dem 
‚seldbecher nehmen. Wenn wir zurüd find, joll das May nicht 
farg bemejjen werden, ihr werdet dann auch ein paar Bauch— 
flaichen voll in eurem Quartier vorfinden. . ..“ 

Während er das jagte, nahm der Herr Kaſtellan den Feld— 
becher, füllte ihn und tranf den Herren zu. „Auf friſchen Mut 
und gute Yaune!“ 

Der Marjchall empfing Herrn Tſcharniezki mit offenen 
Armen, nahm ihn gaitfrei auf und hielt ihn bis zum Morgen: 


321 


grauen feit. Dann zogen beide Heere vereint unter dem Über: 
befehl Tjcharniezfis den Schweden nad). 

Bei Sieniawa stiegen fie auf die Nachhut der Armee, 
töteten viele und richteten eine koloſſale Verwirrung an. Erſt 
da es Tag wurde, zogen fich die Polen zurüd, weil die feind- 
lihen Geichüge zu viel Schaden unter ihnen anzurichten 
drohten. Auch bei Lejajsfo fielen viele Schweden, von Tſchar— 
niezft hart bedrängt. Es waren in den aufgeweichten Wegen 
eine Menge Schweden stecken geblieben und in die Hände der 
Polen gefallen. Die Lage der Feinde wurde immer trauriger. 
Viele von ihnen wurden ganz ausgehungert aufgefunden und 
weigerten jich, Nahrung irgendwelcher Art zu ſich zu nehmen, 
nur um den Todesitoß bittend. Wiele blieben tot in dem 
Geſtrüpp am Wege zurüd, andere jahen irrjinnig geworden 
am Wege und ftarrten die Polen gleichgültig an. Die Aus— 
länder, von denen viele unter den Schweden dienten, wurden 
fahmenflüchtig und gingen zu den Polen über, und nur der 
unbeugſame Geijt, die feite Willenskraft Karl Guſtavs hielten 
die im Erlöjchen begriftene Begetiterung in feiner Armee aufrecht. 

Um die Schweden zu täuschen und fie glauben zu machen, 
day die Hilfstruppen des Chan jchon mit ihnen jeien, ließen 
die polnischen Heerführer den Nur „Allah!“ an allen Ecken 
und Enden ertünen, Tag und Nacht wurden die Beunruhigungen 
fortgefegt. Dazu befamen fie die Hand der Bauern jchiver 
zu fühlen, denn alle Dörfer in dem Seile zwiichen der San 
und der Weichjel gehörten dem Herren Lubomirsti oder jeinen 
Verwandten, und der Marjchall hatte befannt machen laſſen, 
dal jeder Bauer, welcher zu den Waffen greifen wolle, frei 
von der Leibeigenjchaft werde. Kaum war das zur Kenntnis. 
der Bauern gelangt, da wetten jie auch jchon die Senſen und 
jammelten die damit abgeichlagenen Schwedenföpfe, um jie Dem 
Marichall zu Füßen zu legen, jo daß diefer Mühe hatte, jte 
zu belehren, daß das gegen Die Gebote des Chriſtentums 
veritoße. 

Nur wenige Bolen waren noch bei den Schweden ver- 
blieben, täglich flüchteten ganze Scharen aus dem Lager, und 
diejenigen, welche noch zurückblieben, tifteten im Lager Tumulte 
an, jo daß der König etliche der Rebellen niederichiegen Lie, 
um die anderen zu erichreden. Das war für fie das Zignal 
zur allgemeinen Fahnenflucht, welche man mit dem Säbel in 
der Hand bewerfitelligte; es blieb fein einziger Pole mehr im 
Lager, jie gingen alle zu Tjeharniezfi über. 

Sientiewicz, Sturmflut II, 21 2 


322 


Der Herr Marjchall blieb dem Oberbefehlshaber eine treue 
Stüße. Sei es nun, daß die edleren Charaftereigenjchaften die 
Eigenliebe und den Hochmut Lubomirsfis in der Zeit der 
böchiten Not der Nepublif eindämmten, genug, er jcheute weder 
Mühſale, noch Geldopfer, noch die Sicherheit der eigenen Perſon, 
wo e3 galt, einzujchreiten, und da er auch jonjt ein tapferer 
Krieger war, machte er jich jehr verdient um das Vaterland. 
Dieje Berdienjte hätten ihm beitimmt einen tadellojen Nachruhm 
gejichert, wenn nicht jene jchamloje Verjchwörung zum Schaden 
der Republik gegen das Ende jeiner Yaufbahn alle dieje Ver— 
dienjte zunichte gemacht hätte. 

Zur Zeit aber that er, wie gejagt, alles, was ihm Lob 
und Ruhm bringen mußte. Mit ihm wetteiferte der Stajtellan 
von Sandomir, ein alter, erfahrener Krieger, welcher nur gar 
zu gern den Herrn Ticharniezfi aus dem Sattel als Ober— 
befehlshaber gedrängt hätte, obgleich) er ihm an Feldherrn— 
talenten nicht gleichfam. Beiden jei e8 zu Ruhm und Ehre 
nachgejagt, fie leiiteten treu zu jener Zeit das ihrige zum Schuße 
des bedrängten Vaterlandes. 

Da zu wiederholten Malen die Nachhut des jchwedijchen 
Heeres von den Polen total vernichtet worden war, jo hatte 
Karl Guſtav bejchlojjen, jelbit mit der Nachhut zu gehen, um 
den geängjtigten Soldaten Mut einzuflögen. Dieſes Wagnis 
hätte ihm gleich beim eriten Male um ein Haar das Yeben 
gefojtet. 

Eines Tages war er mit einer Schwadron jeiner beiten 
Leibgardiiten, der Ausleje aus den tapferjten Regimentern der 
Sfandinavier, im Dorfe Rudnik eingefehrt, um etwas auszu— 
ruhen. Er ab im Pfarrhauſe zu Mittag und bejchloß, ein 
paar Stunden zu jchlafen, da er während der ganzen ver= 
gangenen Nacht fein Auge gejchlojjen hatte. Die Gardiiten 
hatten das ganze Haus und Gehöft umjtellt und hielten Wache. 
Zroßdem war es einem fleinen Stalljungen des Probſtes 
gelungen, jich aus dem Hofe in das Geltütgehege der Pfarrei 
zu jtehlen, welches ein Stüd davon im Felde jich befand, 
Dort jprang er auf ein junges, kaum zugerittenes Pferd und 
jagte dein Yager Ticharniezfis zu. 

Aber es war weit, etiva zwei Meilen, bis zu ihm jelbit, 
während die Vorhut der Armee, beitehend aus der Schwadron 
des Fürſten Demetrius Wisniowiezfi unter dem Kommando 
Schandarowsfis, nur etwa eine halbe Meile entfernt ſtand. 
Herr Schandarowsfi unterhielt jich eben mit Nochus Kowalski, 


323 


der einen Befehl des Kaſtellans überbracht hatte, als beide 
gleichzeitig den daherjagenden Stalljungen gewahrten. 

„Was zum Teufel hat das zu bedeuten?“ vier Herr 
Schandarowsfi. „Der Kerl reitet wie toll und dazu noch auf 
einen ungejattelten Füllen?“ 

„Es iſt ein Bauernjunge,“ bemerkte Kowalski. 

Der Junge war inzwiſchen bis dicht an die erſten Reiter 
herangekommen; das Pferd desſelben wäre unfehlbar weiter— 
geraſt, wenn es nicht plötzlich vor den Menſchen und Pferden 
geſcheut und ſich auf die Hinterbeine geſetzt hätte. Der Junge 
war ſchnell heruntergeſprungen, und während er das Tier feſt 
an der Mähne packte, grüßte er die Ritter. 

„Was bringſt du neues?“ frug Schandarowsfi näher— 
tretend. 

„Die Schweden jind bei uns in der Pfarrei; jie jagen, 
der König jelber iſt unter ihnen!“ berichtete der Junge mit 
leuchtenden Augen. 

„Sind e8 viele?“ 

„Es werden nicht über zweihundert Pferde jein.“ 

Nun leuchteten die Augen Schandarowsfis auf. Doc er 
fürchtete Verrat, deshalb herrichte er den Jungen an: 

„Ber hat dich geſchickt?“ 

„Wer ſollte mich ſchicken? Ich bin von ſelbſt auf den 
Einfall gefommen, das Füllen aus der Hürde zu nehmen, weil 
fie mich ſonſt gejehen hätten. Ich bin dabei geitolpert und 
habe die Mütze verloren.“ 

Die Wahrheit jprach aus den Augen des Jungen. Man 
jah ihm an, wie er jich freute, den Schweden einen Schaden 
zufügen zu fünnen. Die Wangen brannten ihm, mit der einen 
Hand die Mähne des Pferdes haltend, blickte er den Offizieren 
freimütig in die Augen, das Haar flatterte ihm im Winde und 
unter dem weitgeöffneten Hemd jah man die Bruft ſich ſchnell 
heben und jenfen. 

„Und wo find die anderen Schweden?“ frug Schandarowstfi, 

„Es graute faum, da wälzten jich ihrer jo viele durch 
das Dorf, daß wir fie nicht zählen fonnten. Die find aber 
weiter geritten, nur die zweihundert Neiter jind dageblieben; 
einer jchläft beim Hochwürden. Sie jagen, es ijt der König.“ 

Darauf jagte Schandarowski: 

„Sunge! Wenn du lügft, verlierjt du den Kopf; ſprichſt 
du die Wahrheit, jo fannjt du bitten, um was du willit.‘“ 

Der Junge neigte ſich vor ihm bis auf den Steigbügel. 

21* 


324 


„sch rede die Wahrheit, Herr Offizier, jo wahr ich geſund 
bleiben will! Cine Belohnung mag ich nicht, nur — wenn 
mir der Herr Offizier einen Säbel jchenfen wollte... .“ 

„Sebt ihm doch ein eijernes Hiebwerkzeug,“ rief Schan= 
darowski jeinen Leuten zu. Gr war jetzt überzeugt, daß der 
Junge nicht log. 

Die anderen Offiziere frugen ihn noch, wo das Dorf 
liege, wo der Herrenhof und die Pfarrei, was die Schweden 
thäten. 

„Die Hundejeelen bewachen ihn!“ antwortete der Junge. 
„Wenn ihr geradewegs hinwolltet, könnten jie euch ſehen; ich 
will euch aber hinter dem Erlenbuſch herumführen.“ 

Der Befehl zum Satteln wurde bald gegeben, die Fahne 
marjchierte ab; fie ritten erit im Trab, dann im Galopp. Der 
Junge ritt ohne Sattel, ohne Zaumzeug, die Hände in Die 
Mähne vergraben auf jeinem ‚Füllen, vor dem eriten Gliede. 
Er jpornte das Tier mit den blanfen Ferien und Tiebäugelte 
glücitrahlend mit dem Kurzſäbel, den man ihm gejchentt. 

Als das Dorf in Sicht fam, lenkte er von der Landſtraße 
in einen Weidenweg, auf welchem er die Reiter in ein Erlen- 
gebüjch führte, in welchem der Boden jehr aufgeweicht und naß 
war. Sie famen hier nur langjam vorwärts. 

„Stille! Stille!“ mahnte der Junge „Hinter den Erlen 
liegen jie rechts, ein Viertelgewände weit fort.“ 

Die Neiter jchlichen jich auf dem schlechten Wege ganz 
feife heran. Die Pferde verjanfen bis an Die Kniee im 
Schlamm. Endlich wurden die Erlen lichter, jie waren am 
Nande des Wäldchens. 

Etwa dreihundert Schritte vor jich, erblichten ſie auf einer 
kleinen Anhöhe einen geräumigen Hof, in dejjen Mitte das 
Pfarrhaus, umgeben von Lindenbäumen, jtand. Zwiſchen den 
Lindenbäumen jtanden die Strohbeuten eines Bienenjtandes. 
Im Hofe jelbit bewegten jich gegen zweihundert Schweden in 
Helmen und PBanzerı. 

Die riejenhaften Neiter ſaßen auf riefigen Pferden, die 
recht herunter gefommen waren. Sie hatten teil3 Säbel, teils 
Musfeten in der Hand und blicten jehr aufmerkfjam nach dem 
Hauptiwege Hin, woher nach ihrer Meinung allein Gefahr drohen 
fonnte. Eine mächtige blaue Fahne mit dem gelben Leu wehte 
über ihren Köpfen. 

Weiter rings um das Haus jtanden Wachen zu je zwei 
Mann. Die eine diefer Wachen jtand mit der Frontſeite nad) 


325 


den Erlen zu. Die Sonne jchien aber jehr hell und blendete, 
während die Erlen, jchon im üppigen Blätterjchmud, ganz im 
Dunkel lagen. Darum fonnte der Wachtpojten die Polen 
nicht jehen. 

In Schandarowsfi wallte es heiß auf, aber er bezwang Jich 
und wartete, bis die Glieder fich geordnet. Unterdeſſen hatte 
Rochus Kowalsfi dem Jungen die Hand auf die Schulter gelegt. 

„Höre einmal, Bremje!“ jagte er. „Haſt du den König 
gejehen ?“ 

„Sch habe ihn gejehen, gnädiger Herr!” flüjterte der Bengel. 

„Wie jieht er aus? Woran fennt man ihn?“ 

„Er hat ein ganz jchwarzes Gejicht und trägt ein rotes 
Band an der Seite.“ 

„Würdejt du jein Pferd erfennen ?“ 

„Das Pferd iſt auch ein Rappe mit einer Bläfje.“ 

„Junge, halte dich an meiner Seite und zeige mir ihn!” 

„But, Herr! Rüden wir bald los? ...“ 

„Dalte das Maul!“ 

Ste verjtummten beide, Herr Noch betete zur heiligen 
Jungfrau um die Gnade, den König im jeine Hände zu be- 
fommen. 

Einen Augenblid noch blieb alles jtil. Da jchnaufte das 
Pferd Schandarowsfis. Der Wachtpoften blickte jcharf nach 
diejer Seite hin, erbebte und gleich darauf feuerte er jeine 
Piſtole ab. 

„Allah! Allah! Borwärts! Schlagt zu!“ Hallte es in den 
Erlen wieder. Und wie das böje Wetter jtürzte die polnifche 
sahne hervor. Che noch die Schweden alle Front machen 
konnten, hatte das Handgemenge, der Kampf auf Rapiere und 
Säbel jchon begonnen, denn zum Schießen famen die Schweden 
nicht. Im nächiten Augenblik waren jie an den Zaun ges 
drängt, welcher dem Drud der jchweren jchwedischen Pferde 
nachgab und in Stücke ging. Zweimal verjuchten e3 die Schweden, 
jich wieder zu jammeln und eine Kolonne zu bilden, Doch immer 
wurden jie wieder auseinander gejprengt. 

Plötzlich riefen einige weinerliche Stimmen: 

„Der König! Der König! Rettet den König!” 

Rtarl Guſtav war gleich nach dem erſten Kriegsruf der 
Polen aufgeſprungen, und mit der Piſtole in der Hand, den 
Säbel zwiſchen den Zähnen, in die Thüre des Hauſes getreten. 
Der Reiter, welcher ſein Pferd hielt, führte es gleich vor und 
half dem Könige in den Sattel, worauf Karl Guſtav ſogleich 


326 


zwijchen den Linden und Bienenjtöden hindurch aus der Schuß— 
linie der Bolen zu fommen juchte. Am Zaune angelangt, ſetzte 
er über diejen hinweg und ſtieß zu den Neitern, welche ſich 
wader gegen den rechten Flügel der Polen verteidigten, der das 
Haus umgangen und die Schweden im Nüden überfallen hatte. 

„Flieht!“ rief der König, während er mit einem fräftigen 
Stoße jeines Schwertes den Polen niederjchlug, welcher jchon 
die Waffe gegen ihn erhoben hatte und mit einem Sate jeines 
Pferdes die Linie der Angreifer durchbrochen hatte. Seine 
Neiter folgten ihm und fort ging es; wie ein Nudel von den 
Windhunden verfolgter Rehe jagten jie davon, Hinter ihrem 
Führer ber. 

Die polnischen Reiter jegten ihnen nad) und nun begann 
eine Heße. Die einen und die anderen waren auf die Land— 
ftraße gefommen, die von Rudnik nad) Bojanowfa führt. 
Man hatte jie vom Pfarrhofe aus gejehen und die dort Zurück— 
gebliebenen hatten jet eben ausgerufen: 

„Der König, der König! Rettet den König!“ 

Doch die Neiter auf dem vorderen Pfarrhofe waren durd) 
Schandarowsfi jo jehr bedrängt, daß fie an die eigene Nettung 
nicht mehr denken fonnten, gejchweige an die des Könige. So 
war für Karl Guſtav feine andere Bededung geblieben, wie 
etwa zwölf Reiter, während die Zahl der Verfolger nahezu die 
dreißig erreichte, an deren Spite Rochus Kowalski ritt. 

Der Stalljunge, welcher ihm den König zeigen follte, war 
ihm im Gewühl des Gefechtes doch von der Seite gekommen, 
aber Rochus hatte ihn jelbit jchon an der roten Schärpe er- 
fannt. Er glaubte den Augenblid gefommen, wo unjterblichen 
Ruhm zu erringen ihm bejtimmt war, deshalb jtürmte er, das 
Pferd ſcharf jpornend, wie der Wirbelwind dem fliehenden 
Monarchen nad). 

Die Fliehenden jpannten die legte Kraft ihrer Pferde an, 
jo dat jie Hinzujtürzen drohten. Die jchnellfühigen, leichteren 
der Polen hatten fie fajt eingeholt. Allen voran war Rochus. 
Er jtellte fi) im Bügel auf, um bejjer zufchlagen zu Fünnen. 
Den erjten Neiter, den er erreichte, jchlug er mit einem mäch- 
tigen Hiebe nieder, dann jagte er weiter, den König immer fejt 
im Auge behaltend. Auch dem nächiten, dritten, vierten Reiter 
jpaltete er den Kopf, die anderen überließ er jeinen Leuten, 
während er unentwegt jeinem Ziele, dem Könige, zuiteuerte. 

Der Raum, der ihn von Karl Gujtav trennte, wurde 
immer fleiner; zwei Reiter und wenige Pferdelängen befanden 


327 


fich) noch zwijchen ihnen. Da jaujte ein Pfeil an dem Ohre 
des ergrimmten Verfolger vorüber und blieb im Nücden des 
ihm zumächit fliehenden Schweden ſtecken. Jener ſchwankte nad) 
rechts, dann nach Links, jchlug Hinten über und fiel, einen 
viehiichen Schrei ausſtoßend, aus dem Sattel. 

Noch ein Neiter nur trennte ihn jegt vom Könige. Aber 
diefer eine wollte erjichtlich mit Hingabe jeines Yebens den 
Monarchen zu retten juchen, denn jtatt weiter zu fliehen, wandte 
er plöglich jein Rot und bot dem Verfolger die Stirn. Als 
Rochus ihn erreicht hatte, fiel auch diefer wie alle die anderen 
mit einem Diebe hingeitredt vom Pferde. 

Am liebjten hätte auch der König fein Pferd gewendet, 
um jich den Todesjtreich zu holen, aber die anderen Verfolger 
waren inzwilchen näher gefommen, Pfeile ſauſten ihm um die 
Ohren; er war jeden Augenblid in höchſter Gefahr verwundet, 
zu werden. So drüdte der König feinen Kopf feſt auf den 
Hals des Pferdes und noch einmal fein braves Tier zur Ans 
jpannung aller Kraft jpornend, flog er auf demjelben wie eine 
Schwalbe dahin. 

Nochus gab dem einigen nicht nur die Sporen zu fühlen, 
jondern trieb es noch mit dem flachen Säbel zum Weitereilen 
an. Und num flogen die beiden Reiter an Bäumen, Steinen, 
Weidenbüfchen vorüber, daß der Wind ihnen um die Ohren 
jaujte. Dem Könige flog der Hut vom Kopfe, er bemühte ich, 
während des Nittes auch jeinen Uniformrod abzuwerfen, in der 
Hoffnung, daß dem Verfolger nach Beute gefütten und er jich 
mit den Sachen begnügen werde. Aber Kowalski würdigte fie 
faum eines Blides; er ließ nur immer fräftiger den Säbel 
auf die Flanken jeines Pferdes fallen, daß es laut jtöhnte, und 
jchrie dabei aus vollem Halje halb drohend, halb bittend: 

„galt! Beim barmherzigen Gotte, halt!“ 

Da itrauchelte das Roß des Königs jo heftig, daß es 
gefallen wäre, wenn der Monarch es nicht feit im Zügel in 
die Höhe gerijjen hätte. 

Rochus brüllte vor Vergnügen. Er war dem Könige 
durch diejen Zwijchenfall viel näher gekommen. 

Nocd einmal Ätrauchelte das Pferd vor ihm und wieder 
fam er näher, obgleich der König fein Tier noch einmal in die 
Höhe riß. 

Rochus richtete ich chen im Sattel auf, um zum Schlage 
auszuholen, denn nur noch eine winzige Strede trennte ihn 
von dem Berfolgten. Er jah jchredlich aus... Die Augen 


328 


waren ihm aus den Höhlen getreten, die Zähne bligten weiß 
— dem rötlichen Barte . .. Noch ein Straucheln, ein 
urzer Augenblick und das Los der Republik, Schwedens, des 
ganzen Krieges war entſchieden. 

Doch das Roß des Königs ſchien neue Kraft zu gewinnen, 
es griff wieder ſchneller aus, der König aber wandte ſich um 
und ſchoß aus den Läufen zweier Piſtolen ſchnell nacheinander 
zwei Schüſſe ab. 

Eine der Kugeln zerſchmetterte dem Pferde des Rochus 
die Knieſcheibe des einen Vorderbeines; es ſtieg erſt kerzengerade 
in die Höhe, dann fiel es auf den geſunden Vorderfuß zurück 
und tauchte mit den Nüſtern in den Sand. 

Jetzt hätte Karl Guſtav ſeinen Verfolger leicht töten 
können, doch in der Entfernung von etwa zweihundert Schritt 
famen die anderen Verfolger nad). Er drüdte daher jeinen 
Kopf wieder in die Mähne des Pferdes und flog wie ein Pfeil 
davon. 

Rochus nejtelte jich unter dem gefallenen Tiere hervor... 
Einen Augenblid jtarrte er dem Fliehenden wie blödfinnig nach, 
dann fchwankte er wie ein Betrunfener, jegte fic) auf den Weg 
nieder und brüllte wie ein wildes Tier. 

Der König entjchwand immer mehr und mehr den Bliden 
der Nachjegenden. Zuletzt jahen jie noch, wie er langjamer zu 
reiten begann und im Dunkel des nächiten Stiefernwaldes ver- 
ſchwand. 


Unter Geſchrei und großem Lärm hatten die anderen 
polnischen Weiter jegt ihren Gefährten erreicht. Es waren 
etwa fünfzehn, denen die Pferde jtandgehalten hatten. Der 
eine trug den Weberrod des Königs, ein anderer den Hut, auf 
welchem die jchwarzen Straußenfedern mit einer Spange von 
Diamanten befejtigt waren. Dieje beiden riefen jchon von ferne: 

„Das it dein, das ijt dein, Waffenbruder! Das fommt 
dir zu!“ 

Und andere jchrieen dazwijchen: 

— du denn, wen du verfolgt haſt? Den Karolus 
ſelbſt!“ 

„Er iſt ſein Lebenlang ſicher vor niemandem ſo ausgeriſſen, 
wie dor dir, du kannſt dir etwas auf dieſen unſterblichen Ruhm 
einbilden, Kavalier! . . .“ 

„Wie viel Reiter er noch u ‚umgebracht hat, ehe er dem 
Könige jo hartnädig nachjegte! . . 


329 


„Um ein Haar hätte dein Schwert das Gejchid der Re— 
publik gewendet!“ 

„Da nimm den Ueberrod!“ 

„Nimm den Hut!“ 

„Schade um den Gaul, aber du kannſt zehn jolcher für 
die erbeuteten Schäße faufen!” 

Während Nochus das alles ruhig über ſich ergehen lieh, 
itarrte er wie blödjinnig vor fich Hin. Wlöglich brüllte er 
jie an: 

„sh bin Kowalski“, jagte er „und das hier (auf jeinen 
Säbel jchlagend) ijt meine Frau Kowalska. Schert euch zu allen 
Teufeln!!“ 

„Er hat den Verſtand verloren!“ riefen alle durcheinander. 

„Ein Pferd, gebt mir ein Pferd! Vielleicht hole ich ihn 
noch ein!“ rief Rochus. 

Doch die Kameraden faßten ihn trotz ſeines Sträubens 
unter den Armen und führten ihn nach Rudnik zurück, unter— 
wegs bemüht, ihn zu tröſten und zu beruhigen. 

„Du haſt es ihm eingetränkt!“ riefen ſie. „Wohin iſt es 
nun mit ihm gekommen, mit ihm, dem Sieger, dem Vernichter 
ſo vieler Städte, Reiche und Armeen!“ 

„Haha! Er Hat die polnischen Kavaliere kennen gelernt!“ 

„Er wird die Nepublif bald im Magen haben. Es wird 
ihm bald zu enge bei uns werden!“ 

„Bivat Rochus Kowalski!“ 

„Bivat! Vivat dem tapferiten Ritter, dem Stolz der 
Armee!“ 

Man trank ihm aus den Feldflaſchen zu. Er trank die 
ihm dargereichte bis auf den legten Tropfen aus, darnach 
jchien er etwas getröjtet. 

Während jich das auf der Landſtraße begeben hatte, ver- 
teidigten die anderen Reiter auf dem Pfarrhofe ihr Leben 
mit der, einer jo ausgezeichneten Truppe würdigen Tapferkeit. 
Obgleich durch den umvermuteten Weberfall überrumpelt und 
augeinandergerijjen, hatten jie fich doch jchnell um ihre blaue 
Fahne wieder zujammengefunden. Auch nicht einer bezeigte Luſt, 
ji zu ergeben. Schulter an Schulter gedrängt, jtachen ſie 
mit ihren NRapieren jo wütend um jich, daß eine Weile ihnen 
der Sieg gewiß jchien. Man mußte fie wieder auseinander 
zu bringen verjuchen, was faum möglich war, oder ſie bis auf 
den legten Mann niederhauen. Schandarowsfi umſchloß das 
Karree mit einem dichten Ringe und warf fich jelbit auf den 


330 


Feind, wie ein rufjischer Geierfalfe auf ein Volk langjchnäbe- 
liger Kraniche. Es entitand ein entjegliches Handgemenge. 
Die Säbelklingen Fflirrten mit den Rapieren zujammen, Die 
Napiere zerbrachen an den Griffen der Säbel. Bon Zeit zu 
Zeit bäumte ein Pferd und jtieg aus dem Getümmel Hoch 
empor, wie ein Delphin, der ſich aus jchäumenden Wogen 
erhebt. Das Gejchrei war verjtummt, man hörte nur das 
Geklirr der Waffen, das Quieken der Pferde und das laute 
Atmen der nach Luft ringenden Kämpfer. Die Barteien waren 
mit ungewöhnlicher SHeftigfeit aufeinander gepralti. Mean 
fämpfte jelbjt mit zerbrochener Waffe, riß ſich gegenjeitig die 
Haare aus, raufte die Schnurrbärte, big mit den Zähnen um 
jich, warf ji) aus den Sätteln. Diejenigen, welche von den 
Pferden gejtürzt waren und jic noch auf den Beinen erhalten 
fonnten, jtießen ihre Meſſer in die Bäuche der Pferde, in die 
Waden der Reiter. Die Menjchen ſchienen jich zu Niejen 
auszuwachjen in diefem Gebrodel von Dampf und Blut. 

Noch immer jchwebte die blaue Fahne über dem Häuflein 
Schweden, welches von Minute zu Minute Eleiner wurde. 


Wie die Schnitter von zwei Seiten des Aehrenfeldes mit 
dem Mähen beginnend der Mitte desjelben zuitreben und ſich 
immer näher fommen, jo auch zog jich der Ning der Polen 
immer enger um das Häuflein Feinde und ſchon fonnten die 
Säbelenden einander erreichen. 


Herr Schandarowsfi wütete und fraß jich förmlich in das 
Karree der Schweden ein, aber einer übertraf ihn noch an Wut 
und Graufamfeit. Diejer eine war der Stalljunge, welcher die 
Nachricht von der Anweſenheit des Königs im Pfarrhofe den 
Polen überbracht hatte. Das Füllen des Geijtlichen, welches 
bisher lammfromm über den gefrorenen Boden gejchritten war, 
ſchien, beengt und gequetjcht von dem Drängen der Menjchen 
und Tiere, gleich jeinem jungen Reiter toll geworden zu jein. 


Mit eingezogenen Ohren, geiträubter Mähne, hervor— 
quellenden Augen und jchnaubenden Nüjtern, drängte es mitten 
in das Getümmel hinein, big und jchlug um jich wie jein Herr. 
Der Junge jchlug blindlings mit jeinem Säbel drein. Die 
Hiebe trafen rechts und links. Seine hellblonden, langen Haare 
flatterten ihm um Hals und Geficht, welches jchon mehrfache 
Wunden aufzuweifen hatte, und trieften von Blut. Die Waden 
und Arme waren von Napierjtichen zerfegt, aber gerade dieſe 
Wunden jtachelten jeine Wut aufs äußerſte. Er focht wie einer, 


331 


der an der Erhaltung des Lebens verzweifelt und feinen Tod 
noch bei den Lebzeiten an den Feinden rächen will. 

E3 war zulegt nur ein kleines, winziges Häuflein um die 
Standarte zurücdgeblieben. Einem Haufen Schnee gleich, welcher 
mit fochendem Wafjer begojien wird, war das Karree zuſammen— 
gefallen. Wie Ameijen frabbelten die Bolen auf den Trümmern 
derjelben herum. Tapfer und mutig waren die Feinde in den 
Tod gegangen, feiner hatte um Gnade gefleht. 

„Nehmt die Fahne!“ wurden jegt Stimmen laut. „Nehmt 
die Fahne!” Als der Stalljunge das hörte, jpornte er mit 
einem Mefjerftich jein Füllen, dieſes jprang mit einem langen 
Sate vorwärts, und da jeder der Schweden, der noch bei der 
Standarte aushielt, e8 bereits mit zwei bi drei Feinden auf- 
zunehmen hatte, verjegte er dem Fahnenträger mit dem Säbel 
einen Hieb über das Geficht, daß er die Arme ausbreitend, die 
sahne den Händen entgleiten ließ und mit dem Kopfe auf den 
Hals jeines Pferdes fiel. 

Die blaue Fahne jenkte fich und fiel langjam nieder. 

Der nächititehende jchwedijche Reiter jchrie laut auf umd 
griff nad) der Stange, der Junge aber packte das Leinentuch 
derjelben und riß daran, bis die Nägel jich locderten und das 
Tuch ihm in den Händen blieb. Er widelte es zu einem Knaul 
zuſammen, preßte es feſt an die Bruſt und jchrie, was er aus 
dem Halje bringen fonnte: 

„Sch Habe fie, ich habe fie und gebe fie nicht her.“ 

Die noc lebenden legten Reiter warfen fich wutentbrannt 
auf den Fahnenräuber. Er befam noch einen Stich, der auf 
die Brujt gerichtet war, aber durch die Fahne geichwächt, nicht 
mehr viel Schaden anrichtetee Im jelben Augenblid fielen 
auch die lebten des tapferen Häufleins. 

Eine Anzahl Arme jtrecdten jich nach dem Stalljungen aus. 

„Die Fahne her! Gieb die Fahne,“ riefen mehrere Stimmen 
gleichzeitig. 

Man verjuchte jie ihm zu entreißen. Da jprang Schanda- 
rowski ihm zu Hilfe. 

„Laßt ihn zufrieden!“ befahl er. „Er hat fie vor meinen 
Augen erobert, er foll jie auch jelbjt dem Kajtellan übergeben.“ 

„Da kommt der Kajtellan, da fommt der Kajtellan! . . .“ 
hörte man plöglich rufen. 

Thatjächlich wurde Pferdegetrappel laut, eine Kriegsfanfare 
wurde geblajen und von der Grudzer Seite her jah man eine 
Fahne Reiter der Pfarrei zugeiprengt fommen. Es war die 


332 


Laudaer Fahne, von Tſcharniezki jelbjt angeführt. Als er wahr- 
nahm, daß er zu jpät fam und alles vorüber war, hielt er 
jein Pferd an. 

Schandarowski jprang ihm gleich entgegen, um Bericht zu 
erjtatten. Er war aber jo erjchöpft, daß er anfangs fein Wort 
hervorbringen fonnte und bebte, wie vom Fieber geſchüttelt. 

Endlich vermochte er zu jtammeln: 

„Der König jelbit war hier... ich weiß nicht, ob er 
entfommen tit ... .“ 

„Er iſt entflohen!“ meldeten diejenigen, welche die Ver— 
folgung beobachtet hatten. 

„Die Fahne ijt erobert! ... Eine Menge Gejallene! .. .“ 

Ticharniezfi ritt, ohne ein Wort zu jprechen, auf das 
Schlachtfeld, welches einen entjeglih traurigen Anblid bot. 
Weit über zweihundert Schweden und Polen lagen bier dicht 
neben= und übereinander . . . Welche von ihnen hielten noch 
frampfhaft die Haare, die jie gerauft, viele bifjen noch im 
Todesfampfe auf die Feinde mit den Zähnen ein, andere lagen 
in brüderlicher Umarmung, oder lagen mit dem Kopfe auf der 
Bruſt des Todfeindes ... Viele waren bis zur Unfenntlichkeit 
von den Huftritten der Pferde zermalmt. Die Luft war mit 
dem Geruche des Menjchenblutes und dem Schwei der Pferde 
durchtränft, daß man faum atmen konnte. 

Der Kaitellan blickte auf dieſe Gräuel mit dem Auge des 
Herrn, der die Getreidegarben zählt, die in den Banjen gebracht 
werden jollen. Befriedigung leuchtete aus jeinem Geſicht. Er 
umritt den ganzen Pfarrhof, bejah die Leichen, welche auf 
der anderen Seite hinter dem Garten lagen, dann fehrte er 
langjam zurüd. 

„Ihr habt wader gearbeitet,“ jagte er. „Sch bin mit euch 
zufrieden, meine Herren!“ 

Bon blutigen Händen geworfen, flogen die Müten aller 
Anwejenden hoch in die Luft. 

„Vivat Tſcharniezki,“ tönte es aus hundert Stehlen, 
„Vivat!“ 

„Gott gebe uns bald wieder ein Treffen! ... Vivat! 
Vivat!“ 

Und Tſcharniezki ſagte: 

„Ihr werdet zur Nachhut gehen, damit ihr ausruhen könnt. 
Wer hat die Fahne genommen, Schandarowski?“ 

„Bringt den Jungen her!“ befahl Schandarowsfi. „Wo 
iſt er?“ 


333 


Die Soldaten beeilten jich, ihn zu ſuchen und fanden ihn 
in einem Winfel des Bferdejtalles neben feinem Füllen hockend, 
welches joeben jeinen Wunden erlegen war. Im erjten Augen 
blit konnte man glauben, auch der Junge werde bald jeinen 
festen Atemzug aushauchen; er jaß regungslos, den Kopf an 
die Wand gelehnt, mit beiden Händen hielt er die Fahne feſt 
an die Bruſt gepreht. 

Man hob ihn auf und die Soldaten trugen ihn vor den 
Kajtellan, wo jie ihn auf die Füße jtellten. Barfuß, mit zer- 
zauſtem Haar, die Brujt entblößt, das Hemd und der Sittel 
in eben, blutbefledt jtand er vor Schwäche jchwanfend, kaum 
einem menjchlichen Gejchöpf ähnlich vor dem General. Nur in 
den Augen des Jungen war das Feuer der Begeiſterung noch 
nicht erlojchen. Ueberraſcht von jeinem Anblid frug der 
General eritaunt: 

„ie, diefer? Der hier hat die Königsitandarte erobert?“ 

„Mit eigener Hand und mit dem eigenen Blut!“ ant— 
wortete Schandarowsfi. „Er war es auc), der ums die Nach- 
richt brachte, daß die Schweden jamt dem Könige hier find. 
Dann hat er hier jo viel vollbracht, daß er uns alle über— 
troffen hat!“ 

„Das ift wahr! Die reinite Wahrheit!“ riefen die Sol- 
daten im Chor. 

„Wie heißeſt du?“ frug Tieharniezfi den Jungen. 

„Michalef!* lautete die Antwort. 

„Wem gehörit du?“ 

„Ich gehöre zum Pfarrhofe.“ 

„Sut! Bisher warst du Stnecht im Pfarrhofe, von nun 
an jollit dur dein eigener Herr jein!“ antwortete ihm der 
Kaſtellan. 

Aber Michalek hörte dieſe Worte nicht mehr. Er war 
von dem Blutverluſte ſo ſchwach, daß er plötzlich ohn— 
mächtig wurde und mit dem Kopfe an den Steigbügeln des 
Kaſtellans ſchlug. 

„Nehmt ihn auf, laßt ihm alle Sorgfalt angedeihen. Ich 
werde dafür ſprechen, daß er in der nächſten Sitzung des 
Reichsrates in den Adelſtand erhoben wird. Er werde euch gleich 
an weltlichem Range, wie er euch an Seelenadel gleicht!“ 

„Das verdient er! Er verdient es!“ rief es durch— 
einander. 

Man legte ihn auf eine Tragbahre, die in der Eile her— 
geitellt wurde, und trug ihn in das Pfarrhaus. 


334 


Ticharniezti nahm nun Die weiteren Berichte entgegen; 
doch nicht mehr Schandarowski war Berichteritatter, jondern 
jene, welche die Verfolgung des Königs durch Herrn Rochus 
mit angejehen hatten. Der General war hocherfreut durch die 
Erzählung der Leute, denn er war überzeugt, daß nach den 
heutigen Borgängen der Mut der jchwediichen Armee voll: 
jtändig gebrochen jein müſſe. 

Nicht weniger erfreut war Herr Sagloba. Mit unter- 
geitemmten Armen wandte er fi) an die Ritter umd 
ſprach ſtolz: 

„Ha! Der Raufbold! Wie? Wenn er den Karolus ein— 
geholt hätte, hätte kein Teufel ihm ihn wieder abgejagt! 
Mein Blut verleugnet ſich nicht, nein, es kann ſich nicht 
verleugnen!“ 

Sagloba hatte im Laufe der Zeit ſich jo lange ſeine Ver— 
wandtjchaft mit Rochus eingeredet, dab er jchließlich ſelbſt daran 
glaubte. 

Herr Ticharniezfi hatte den jungen Nitter juchen lafjen, 
man fonnte ihn aber nirgends finden, denn Herr Rochus hatte 
ji) aus Kummer über die ihm widerfahrene Enttäujchung und 
aus Scham über das Mißlingen jeines Vorhabens in Die 
Scheune verjtedt. Er war in den mit Stroh gefüllten Banjen 
geitiegen, hatte ich in das Stroh eingewühlt und war jo feit 
eingejchlafen, daß er erit am nächiten Morgen erwachte und 
jeiner Fahne nacheilen mußte. Er jchämte ſich aber noch jo 
jehr, daß er nicht wagte, dem Ohm unter die Augen zu treten. 
Diefer mußte ihn ſelbſt auffuchen und tröjten. 

„Sräme dich nicht Rochus!“ jagte er. „Du haſt ohnehin 
große Ehre eingelegt. Ich habe mit eigenen Ohren gehört, wie 
der Herr Kajtellan dich rühmte. Seht nur, jagte er, man dent, 
der Dämlaf fann nicht bis drei zählen und nun entpuppt er 
ſich als feuriger Kavalier, welcher die Reputation der ganzen 
Armee gehoben hat!“ 

„Bott hat es mir nicht gejegnet,” jagte Nochus, „denn ich 
hatte mich am Tage vorher betrunfen und abends nicht gebetet!“ 

„Verſuche niemals den Willen Gottes zu ergründen, damit 
du nicht läjterjt. Nimm auf dich, was du auf dem Rüden fort- 
tragen fannit, aber denfe über nichts nach, jonjt gerätit du auf 
Irrwege.“ 

„Ach, ich war ſchon ſo nahe, daß der Schweiß ſeines 
Pferdes mir in die Naſe fuhr. Ich hätte ihn bis auf den 


335 


CSattelfnopf gejpalten. Ihr denkt wohl, Ohm, dat ich gar feinen 
Verſtand habe!“ 

Darauf erwiderte ihm Sagloba: 

„sedes Vieh hat feinen eigenen Verſtand. Du biit ein 
braver Sterl, Rochus, du wirjt mir noch manche Freude machen. 
Gott gebe, daß deine Söhne einmal deinen Bauernverjtand 
erben!“ 

„Sch brauche feine Söhne,“ jagte Roch. „Ich bin Noch 
Kowalsfi und hier, das Schwert an meiner Seite, ijt Frau 
Kowalsfa . . . .“ 








7. Rapitel, 


Nach den Vorgängen in Rudnik 309 die ſchwediſche Armee 
immer weiter hinein in dem Seil, welchen der Zujammenfluß 
der San mit der Weichjel bildet. Der König befand jich von 
da an immer bei der Nachhut, denn er war ein Mann von 
unvergleichlihem Mute. Tſcharniezki, Lubomirski und Witowsfi 
blieben ihr immer Dicht auf den ‚serien. Andere freiwillige 
Barteien jchloffen jich der Jagd an, der jchmwediiche Löwe 
lief freiwillig in das Neg, aus dem ein Entrinnen faum mög: 
lich war. 

Endfih waren jie dort angelangt, wo die San in die 
Weichſel mündet; der König atmete auf und auch die Soldaten 
ichöpften neuen Mut. Bon einer Seite bot ihnen die Weichjel, 
von der anderen die breit ausgetretene San jicheren Schuß. 
Die dritte Seite des Dreiecks befeitigte der König mit mächtigen 
Schanzen, auf welchen die Gejchüge aufgepflanzt wurden. 

Die Bojition war uneinnehmbar, höchitens der Hunger 
fonnte der jchwedischen Armee jest noch etwas anhaben. Aber 
auch in diejer Beziehung hatte jich ihre Lage verbeſſert, da die 
Hoffnung nahe lag, daß man zu Waffer aus Strafau und 
anderen an der Weichjel liegenden Städten leicht die notwendigen 
Lebensmittel herbeischaffen Eonnte. Die nächite Diefer Städte 
war Sandomir. Dort hatte der schwedische Hauptmann Schynkler 
bedeutende Vorräte angehäuft. Er verjorgte auch bald das 
Yager mit Speife und Trank für Mann und Roß; man aß 
und trank jich einmal wieder jatt und die Schweden jangen 
Dankpjalmen, um Gott für die Rettung aus jo jchweren Nöten 
zu danken. 


337 


Herr Ticharniezfi aber jann auf neue Plagen für die 
Schweden. Sandomir mußte den Schweden wieder entrifjen 
werden. Dieje Feſtung durfte nicht länger in den Händen der 
Feinde bleiben, damit diejen die Nahrungszufuhr abgejchnitten 
wurde. 

„Wir werden ihnen ein fürchterliches Schaufpiel bereiten,“ 
jagte Ticharniezfi im Kriegsrat, „denn fie werden unthätig zu- 
jehen müfjen, wie wir die Stadt belagern und einnehmen, 
während der reißende Fluß fie hindern wird, ihr zu Hilfe zu 
fommen. Haben wir aber Sandomir wieder gewonnen, dann 
fchneiden wir ihnen die Zufuhr von Lebensmitteln ab, indem 
Kon die Kähne, die Wirk von Krafau aus jchieft, nicht pajfteren 
lajien.“ 

Herr Lubomirski, Witowsft und andere alte Strieger wider- 
rieten diejem Unternehmen. 

„Es wäre ja jehr gut,“ jagten die Herren, „wenn wir 
Herren dieſer bedeutenden Stadt werden fünnten, denn von 
dort aus würden wir den Schweden viel jchaden. Wie aber 
wollen wir jie in unjere Hände befommen? Wir haben weder 
Fußſoldaten, noch große Gejchüge, und die Weiter fünnen doch 
feine Mauern jtürmen !“ 

„Sind denn unjere Bauern etwa schlechte Fußſoldaten? 
Mit einem paar Taujend jolcher Michalef3 würde ich nicht 
allein Sandomir, jondern jogar Warjchau zu erobern mich 
getrauen!“ entgegnete darauf Tjcharniezfi. 

Er achtete auch nicht weiter auf die Einwendungen der 
Herren, jondern überjchritt die Weichiel. Kaum war die Nach: 
richt davon im die Gegenden jemjeits des Fluſſes gedrungen, 
jo jtrömten gleich etliche Taufende Männer, teils mit Senjen, 
teil3 mit Gewehren oder Musfeten bewaffnet, herbei und zogen 
mit gen Sandomir. 

Sie überfielen die Stadt ganz plöglich und unvermutet. 
In den Straßen entbrannte ein wütender Kampf. Die Schweden 
verteidigten ich mit dem Mute der Verzweiflung von den 
Fenſtern und Dächern der Häufer aus, fonnten den Anprall 
aber nicht aushalten. Sie wurden erdrücdt und zertreten, wie 
elendes Gewürm, der Nejt aus der Stadt gedrängt. Schynfler 
zog Sich mit demjelben in die Veſte zurüd, doch die Polen 
folgten ihm ohne zu zögern auc) dorthin. 

Der Sturm auf die Mauern und Thore begann. Schynkler 
erkannte, daß er fich auch hier nicht würde halten fünnen. Er 
raffte zujammen, was er an Menjchen, Borräten und Sachen 


Sienkiewicz, Sturmflut IL, 22 


338 


noch jein nannte, verlud es auf Kähne und Schuten und jeßte 
über die Weichjel, um zum Könige zu ſtoßen, der, Berzweiflung 
im Herzen, vom anderen Ufer aus den ‚Fall jeiner Stadt mit 
angejehen hatte, ohme zu ihrer Nettung berbeieilen zu fünnen. 

Das Schlo war demnach auch im die Hände der Bolen 
gefallen. 

Der liſtige Schynfler aber hatte, ehe er fortging, in allen 
Kellern des Schloſſes gefüllte Pulverfäſſer mit angezündeten 
Lunten zurücgelaflen. Als er vor dem Könige erjchien, erzählte 
er diefem zum Troſte jogleich, was er gethan. 

„Das Schlo wird mit allem, was darin tt, in die Luft 
fliegen,“ jagte er. „Vielleicht it dann Tſcharniezki auch unter 
den Getöteten.“ 

„Das muß ich mit anjehen,“ antwortete der König darauf. 
„Es muß ergößlich jein, zu jehen, wie Die frommen Polen 
in den Himmel fliegen.“ 

Und der König blieb am Ufer stehen. 

Unterdejlen hatte Ticharniezfi durch Erfahrung und die 
Flucht Schynflers vorfichtig gemacht, den Befehl ergehen laſſen, 
daß niemand den Schloßhor und das Schloß betreten folle. 
Diefem Befehl zuwider waren jedoch eine ganze Menge Volon— 
täre und Bauern jofort auf den Schloßberg geeilt, um den 
Hof und das Schloß nach veritedten Schweden zu Durchjuchen. 
Herr Ticharniezki lieh Alarm blajen, um die Ungehorjamen zur 
Rückkehr zur mahnen, doch vergebens. 

Ein fürchterlicher Donner ertönte, Die Erde erbebte und 
das Schloß flog, einer ungeheuren Feuergarbe gleich in Die 
Luft, Erde und Mauerwerk mit fich reißend. Die einſtürzenden 
Dächer und Mauern begruben über fünfhundert Menjchen- 
feiber, die dem Schredlichen fich durch rechtzeitige Flucht nicht 
entziehen fonnten. 

Karl Guſtav freute ſich unendlich über das gelungene 
Attentat. Mit untergeitemmten Armen rief er ein über das 
andere Mal lachend: 

„Zum Himmel mit euch, ihr Bolen, auf zum Simmel, 
zum Himmel!“ 

Seine Freude war aber verfrüht, denn Sandomir verblieb 
doch in den Händen der Wolen und die Dauptarmee der 
Schweden fonnte nicht mehr von dort aus mit Lebensmitteln 
verjehen werden. Ste ging trüben Tagen in dem Flußdelta 
entgegen. 

Herr Ticharniezfi ließ das Yager jenjeit3 der Weichjel 


339 


abbrechen und überwachte die Ueberführung desjelben nach 
Sandomir. 

Unterdejien kam Herr Sapieha, der Großhetman von 
Litauen, mit jeinen Litauern von der anderen Seite der San 
immer näher. 

Die Schweden waren num vollfommen eingejchlofien; fie 
befanden jich in der ungünstigen Yage, wie in einer Maufefalle. 

„Die Falle it zugeflappt!* fprachen die polnischen Sol— 
daten zu einander. 

Selbit die Neulinge im Kriegshandwerk erfannten, daß das 
Verderben wie eine drohende Wetterwolfe über den Eindring- 
lingen jich jammelte ... Die einzige Rettung der Armee beruhte 
auf einem rechtzeitigen Anmarjch von Hilfstruppen. 

Das wußten auch die Schweden jelbit jehr genau. Mit 
verzweifelten Blicken betrachteten Offiziere und Mannjchaften 
täglich von neuem die jchwarze Reitermaſſe Tſcharniezkis; und 
ſich von dieſen abwendend, erblicten jte auch jenjeits der San 
nichts Tröitliches, denn dort hatte Herr Sapieha nun jchon 
jein Yager aufgejchlagen und bewachte mit Argusaugen jede 
ihrer Bewegungen. 

So lange die beiden Heere ihre Poſitionen nicht aufgaben, 
war weder an die Lleberichreitung der Weichjel, noch der San 
zu denfen. Sie fonnten höchſtens auf demjelben Wege nad) 
Saroslaw zurücdfehren, auf welchem jie hierher gefommen, doch 
das jagte ſich jeder von ihnen, traten jie dieſen Nüchveg an, 
dann jah feiner jein ſchwediſches Vaterland wieder. 

So vergingen ihnen die Tage in ſchweren Sorgen, die 
Nächte voll Unruhen... Die Lebensmittel fingen bereits 
an wieder knapp zu werden... 

Inzwiſchen hatte Herr Ticharniezfi das Kommando über 
die Armee dem Herrn Yubomirsfi auf kurze Zeit übergeben. 
Er jelbit jegte, unter der Aijiitenz der Yaudaer Fahne, oberhalb 
der Mündung der San über die Weichjel, um den Herrn 
Sapieha zu begrüßen und mit ihm die weiteren Verhaltungs— 
maßregeln zu beraten. 

Es bedurfte dieſes Mal nicht der VBermittelung Saglobas, 
um die beiden Heerführer eimander näher zu bringen. Sie 
liebten beide das Waterland über alles, jederzeit bereit, ihr 
Teuerjtes und Beites ihm zum Opfer zu bringen. 

Einer neidete dem anderen nicht den wohlverdienten Ruhm; 
fie jchägten jich gegemjeitig jehr, deshalb war auch das Wieder: 

22* 


340 


jeden der beiden Tapferen ein jo freudiges, daß jelbjt den ver- 
härtetiten Soldaten die Thränen in den Augen jtanden. 

„Die Republik quillt auf, das Vaterland jubelt, | wenn zivei 
jolhe Helden einander in die Arme fallen,“ jagte Sagloba zu 
Wolodyjowsfi und den Sfrzetusfis. „Tſcharniezki ijt —*— 
im Kampfe, aber eine biedere, treue Seele im Frieden, und 
Sapieha ein jo gutmütiger Menſch, daß er niemanden zu nahe 
treten fann, dabei aber auch ein tapferer Held. Die find beide 
nicht im Bett geboren. Die Schweden mühten eine Gänjehaut 
befommen, wenn jie jehen würden, wie dieje zwei edlen Männer 
jich lieben. Womit haben denn die Feinde bis jet über ung 
geliegt? Doc nicht etwa durch ihre Stärke und Tapferfeit? 

ein, einzig und allein durch den Neid, den Haß und die Un— 
einigfeit unjerer Adligen. Die Seele wird einem warm beim 
Anblid eines jolchen Wiederjehens. ch garantiere, daß euch 
heute die Kehle nicht trocken bleibt, der Sapieha liebt reiche 
ale und wird einem jolchen Verbündeten mit nichts 
argen.“ 

„Bott iſt guädig! Das Böſe unterliegt! Gott Hilft!“ 
jagte Johann Skrzetuski. 

„Siehe zu, daß du nicht läſterſt,“ verjegte Sagloba. „Alles 
Böſe muß unterliegen, denn wenn es ewig währte, wäre das 
ein Beweis, daß nicht der Herr Jeſus mit jeiner unbegrenzten 
Barmherzigkeit, jondern der Teufel die Welt regiert.“ 

Weiter fam er nicht, denn in dieſem Augenblid jahen 
die Freunde die hohe Geſtalt Babinitjchs in der Nähe auf- 
tauchen. Sie überragte die Umitehenden fait um Kopfeshöhe. 
Herr Sagloba und Wolodyjowsfi winkten ihm jogleich, doc) 
er war jo jehr in den Anblick Tſcharniezkis verjunfen, daß er 
fie nicht jogleich bemerkte. 

„Seht einmal,“ bemerkte Sagloba, „wie der Aermſte elend 
ausjieht.“ 

„Er muß nicht viel gegen den Fürſten Boguslaw aus- 
gerichtet haben, jagte Wolodyjowski, „Jonit jähe er heiterer aus.‘ 

„Gar nichts wird er ausgerichtet haben,“ meinte Sfrzetusfi. 
„Es iſt ja befannt, day Boguslaw mit Stenbod vor Marien— 
burg liegt und die ‚zeitung bejchießt.‘ 

„Hoffen wir zu Gott, daß fie dort nichts ausrichten.“ 

Darauf entgegnete Sagloba: 

„Und wenn jie auch die ‚zeitung einnähmen! Wir nehmen 
inzwijchen den Karolus Gujtavus ne ‚gefangen und tauschen 
die Feſtung gegen den König aus . 


341 


„Da jeht! Babinitjch hat uns bemerkt, er fommt auf ung 
zu!“ unterbrach Skrzetusfi. 

Er Hatte die Herren wirklich gejehen, und teilte nun mit 
beiden Armen die Menge, um zu ihnen zu gelangen, während 
er lebhaft mit dem Kopfe nickte und ihnen zulachte. Sie be- 
grüßten fich wie gute Bekannte und ‘Freunde. 

„Was giebt e3 neues? Was habt ihr mit dem Fürſten 
gemacht, Kavalier?“ frug Sagloba. 

„Es steht jchlimm! ſehr ſchlimm!“ antwortete Kmiziz. 
„Aber zum Erzählen giebt es jegt nicht Zeit. Wir wollen zu 
Tiſche gehen; die Herren bleiben zur Nacht hier. Kommt nad) 
dem effen zu mir ind Quartier, zu meinen QTartaren. Ich 
habe eine geräumige Barade, da fünnen wir beim Glaſe die 
Nacht verplaudern. 

„Einen jolchen gejcheiten Borjchlag weiſt man nicht von 
der Hand,“ entgegnete Sagloba. „Sagt mir nur, wie fommt 
es, daß ihr jo jchlecht ausſeht?“ 

„Der Teufelswicht Hat mich in der Schlacht zugleich mit 
dem Pferde niedergejtredt. Seitdem klappere ich wie ein irdener 
Topf, der einen Sprung hat und jpeie Blut. Ich kann mich 
gar nicht erholen. Dennoch vertraue ich der Barmherzigkeit 
Gottes, daß ich ihm noch fein Blut abzapfen darf. Doc) gehen 
wir jeßt; ich jehe, die Herren Sapieha und Ticharniezfi be— 
Sin bereits, ſich Komplimente zu jchneiden und um den 

ortritt zu ſtreiten. Das iſt das Zeichen, daß die Tijche ge- 
deckt find. Mit offenen Armen und Herzen haben wir eurer 
gewartet, denn auch ihr habt eine Menge Schwedenblut ver- 
goſſen.“ 

„Mögen andere erzählen, was ich geleiſtet,“ ſagte Sagloba. 
„Mir * kommt es nicht zu.“ 

Die ganze Menge bewegte ſich nun dem freien Platze zu, 
auf welchem zwiſchen Zelten die Tiſche aufgeſtellt waren. Herr 
Sapieha hatte ſeinem alten Freunde zu Ehren einen fürſtlichen 
Aufwand entfaltet. Der Tiſch, an welchem der Kaſtellan ſeinen 
Platz finden ſollte, war mit eroberten ſchwediſchen Fahnen 
gedeckt. Wein und Met floſſen in Strömen aus den Kannen, 
ſo daß gegen das Ende des Mahles die beiden Heerführer 
etwas angeheitert waren. Man war ſehr luſtig, lachte und 
ſcherzte viel, und da das Wetter ſonnig und heiter war, blieb 
man lange beiſammen. Endlich trieb die Abendkühle die 
Fröhlichen in die Zelte. 

Zu dieſer Zeit nahm Kmiziz ſeine Gäſte mit zu ſeinem 


342 


Tartarentihambul. Sie jegten jich in jeinem Zelt auf lauter 
Wagenplanen, die mit allerhand Beuteſtücken vollgepfropft 
waren, und ließen ſich von Kmiziz über feine Erlebnifje er- 
zählen.“ 

„Boguslaw foll nach der Anficht der einen bei Marien- 
burg jein,“ erzählte er, „während andere behaupten, daß er ſich 
beim Kurfürsten befindet und beabjichtigt, mit dieſem gemein- 
jchaftlich zum Entjat des Königs herbeizueilen.“ 

„Um jo beijer!“ jagte Sagloba. „Das giebt ein Zu: 
jammentreffen! Ihr Iungen könnt ihn nicht unterfriegen, wir 
wollen jehen, was der Alte ausrichten kann! Er hat e8 ja 
Ihon mit Berjchiedenen verjucht, nur mit Sagloba nicht. Ich 
will e8 mit ihm aufnehmen, es jei denn, daß der Fürſt Januſch 
ihn teitamentarifch aufgefordert hat, mich zu meiden; das wäre 
nicht unmöglich!“ 

„Das iſt ja Nebenjache!“ rief Wolodyjowsfi. „Laßt das 
beijeite. Erzählt lieber von euren Erlebniſſen, Babinitjch.“ 

„Wir jind begierig!“ bat Skrzetuski. 

Nachdem Kmiziz ein Weilchen geruht hatte, holte er tief 
Atem und begann dann von dem legten Feldzuge Sapiehas 
gegen Boguslaw, von der Niederlage desjelben bei Janowo, 
endlich, wie der Fürſt ſeine Tartaren überritten und ihn ſo 
hart getroffen hatte, daß er kaum mit dem Leben davon— 
gekommen war. 

„sch denke, ihr wolltet ihn mit euren Tartaren bis au 
das Ufer des Baltijchen Meeres verfolgen?“ unterbrach ihn 
Skrzetuski. 

„Erzähltet ihr mir nicht, daß ſeinerzeit auch ihr, der hier 
anweſende Johann Skrzetuski, eure Rache für ſpätere Zeiten 
aufgeſchoben habt, um der Not des Vaterlandes willen, als 
Bohun euch das geliebte Mädchen entführte? Mit wem man 
umgeht, deſſen Eigenſchaften nimmt man an. Ich habe mich 
euch Herren mit ganzem Herzen in Freundſchaft ergeben und 
will dem Beiſpiel der Edlen folgen.“ 

„Die Mutter Gottes lohne euch dieſe That ſo, wie einſt 
dem Skrzetuski,“ verſetzte Sagloba. „Dennoch wünſchte ich, 
daß euer Mädchen lieber in der Wildnis wäre, als in den 
Händen Boguslaws.“ 

„Das macht nichts!“ rief Wolodyjowski aus. „Ihr gewinnt 
ſie noch zurück!“ 

„Ich habe leider nicht nur ihre Perſon, ſondern auch ihre 
Achtung und Liebe wiederzugewinnen,“ ſeufzte Kmiziz. 


343 


„Eines wird das andere mac) jich ziehen,“ tröjtete Herr 
Michael, „ſolltet ihr ihre Perſon auch mit Gewalt nehmen 
müfjen, wie einſtmals. Wißt ihr noch?“ 

„Das würde ich nie wieder thun.“ 

Kmiziz atmete jchwer. Die Erinnerung regte ihn jehr auf. 
Nach einer Weile fuhr er fort: 

„sch habe nicht nur die eine wieder zu erringen, Bogus- 
law hat mir auch die andere geraubt.“ 

„Der reine Türfe! So wahr ich Gott Liebe!“ jchrie 
Sagloba. 

Und Herr Michael frug Haltig: 

„Welche andere?“ 

„ch, das iſt eine lange Geſchichte,“ antwortete Kmiziz. 
„Es war in Samojchtih ein bildhübjches Mädchen, welches 
dem Herrn Starojten zu jehr gefiel. Da er aber jeiner 
Schweiter, der Fürjtin Wisniowiezfa, Zorn fürchtete, jo wagte 
er nicht, in ihrer Gegenwart das Fräulein zu beläjtigen; er 
fam daher auf den Einfall, fie unter meinem Schuß zu dem 
Herrn Sapieha auf die Neife zu ſchicken, jcheinbar, damit der 
Hetman eine Erbichaftsangelegenheit für fie führen jollte, in 
Wirklichkeit aber, um fie mir eine halbe Meile von Samojchtich 
wieder abjagen und fie in einem abgelegenen Waldhauſe ein- 
jperren zu lafjen. Sch aber merkte, wo hinaus der Herr Starojt 
wollte ‚Ei, willit du mich zu deinem Helfershelfer machen ?' 
dachte ich mir. ‚Warte nur!“ Ich ließ jeine Leute Durchpeitjchen 
und brachte das Fräulein im Vollbeſitz ihrer Tugend zu Herrn 
Sapieha. ch jage euch, war das ein Mädchen! Glatt wie ein 
Stieglig — und fo edel... Ich bin auch nicht mehr, wie ich 
früher war und meine Kameraden von ehedem, — Gott habe 
fie ſelig! — die find auch längit vermodert!“ 

„Wer war das Mädchen?“ frug Sagloba. 

„Sie war von edler Herkunft, die Reſpektsdame der Fürftin 
Wisniowiezka. Sie war mit dem Litauer Podbipienta verlobt, 
den ihr ja auch gefannt haben müßt.“ 

„Anufia Borſchobohata!!“ ſchrie Wolodyjowsft auf, indem 
er aufjprang. 

Auch Sagloba Hatte ſich jchnell erhoben. 

„Herr Michael,“ rief er, „ abt euch!“ 

Doc; Wolodyjowsfi war wie eine Kate mit einem Satze 
neben Kmiziz. 

„Und ihr habt fie euch von Boguslaw rauben laſſen? 
Ihr Verräter!“ 


344 


„Beſchimpft mich nicht!“ wehrte Amiziz. „Ich habe das 
Fräulein glücklich zum Hetman gebracht, habe für fie gejorgt 
wie ein Bruder für jeine Schweiter, und Boguslaw hat ſie 
nicht mir, jondern einem anderen Offizier geraubt, Namens 
Glowbitſch, welcher den Auftrag hatte, jie zu den Töchtern des 
Hetman nach Grodno zu bringen.“ 

„Wo ijt der Offizier?“ 

„Er lebt nicht mehr; er ſoll bei der Verteidigung des 
Fräuleins gefallen jein. So jagten wenigjtens die Offiziere 
Sapiehas. Ich jelbit war zu jener Zeit vom Hetman aus- 
gejandt, gegen Boguslaw zu jcharmußieren, weiß aljo nichts 
genaues über den Vorgang. Aus eurer Alteration aber erjehe 
ich, daß uns gleicher Kummer getroffen hat, deshalb jchlage ich 
vor, daß wir ung verbinden, gemeinjchaftlid) Rache an dem 
Mädchenräuber zu nehmen. Obgleich er ein großer Nitter 
und vornehmer Herr it, jo meine ich, joll ihm doch bald 
die Nepublif zu enge werden, wenn er zwei jolche Gegner hat, 
wie wir es jind. 

„Meine Hand darauf!“ erwiderte Wolodyjowsfi. „Brüder, 
auf Tod und Leben. Wen der Tod zuerjt trifft, den hat der 
Ueberlebende zu rächen und den Fürſten doppelt auszuzahlen. 
Gott möge ihn mir zuerjt unter den Säbel führen; ich 
will ihm den Garaus machen, jo wahr das Amen in der 
Kirche Klingt.“ 

Bei diejen Worten griff Herr Michael an fein Schwert 
und zudte jo gewaltig mit dem Barte, daß Sagloba ganz 
ängstlich zu Mute wurde, denn er wußte, daß der kleine Ritter 
nicht mit fich jcherzen lieh. 

„Sch wollte jegt nicht in Boguslaws Haut jteden,“ jagte 
er nac) einer Weile, „und wenn man mid) zum Fürſten von 
ganz Livland machte. Es genügt, daß man einen jolchen Eijen- 
frejjer wie der Kmiziz ift, zum Feinde hat, man braucht nicht 
noch den Herrn Michael als zweiten im Bunde gegen jich zu 
haben! Bah! Es fehlt nicht viel, jo jchließe ich mich eurer 
Fehde an. Mein Berjtand! Mein Schwert! Das jind zwei 
Dinge, die jchwer in das Gewicht fallen. Wer zitterte nicht 
vor diejen beiden. Dazu wird fein Glüdsjtern doch endlich 
einmal ihn verlafien, denn Gott fann unmöglich diejen Ver— 
räter und Abtrünnigen ungejtraft einhergehen lajjen. Kmiziz 
hat ihn ohnedies jchon nicht Schlecht in Hige gebracht.“ 

„Es iſt nicht zu leugnen, daß er von mir jchon manche 
Kontufion erhalten hat,“ antwortete Herr Andreas. 


345 


Er ließ die Becher von neuem füllen und erzählte dann, 
wie er jeinen alten Sorofa vom Pfahltode befreit hatte. Nur 
den Fußfall verjchwieg er; denn bei der Erinnerung daran 
allein jchon, jtieg ihm alles Blut zu Kopf. 

Herr Michael wurde ganz heiter bei der Erzählung, zulett 
jagte er: 

„Möge Gott dir immer beijtehen, Androjh! Man kann 
im Kampfe mit ſolch einem ebenjogut zur Hölle jahren. Es 
ijt nur zu bedauern, daß wir nicht immer zujammen bleiben 
fönnen, denn Dienjt bleibt Dienſt. Es kann gejchehen, daß 
man mid) an ein Ende der Republik jchicdt, dich an das 
andere. Man weiß nicht, wer von uns beiden zuerit mit ihm 
zujammentrifft.“ 

Kmiziz verjtummte eine Zeitlang. 

„Wenn e3 gerecht zugeht, jo gehört er mir... Wenn ich 
nur nicht wieder den Slürzeren ziehe, denn ... ich jchäme mic), 
e3 einzugeſtehen, . . . meine Hand ijt für den Arm Ddiejes 
Niefenteufels zu Schwach.“ 

„So werde id) dir alle meine Kniffe lehren!“ rief Wolo- 
dyjowski. 

„Oder ich!“ ſagte Sagloba. 

„Nein! Berzeiht! Aber Michael iſt mir als Fechtmeiſter 
lieber,“ entgegnete Kmiziz haltig. 

„Obgleich er ein jo tapferer Ritter iſt, fürchten weder ich, 
noch mein Schwert, meine Frau Kowalsfa, den Fürjten, wenn 
ich nur ausgejchlafen bin,“ warf Rochus ein. 

„Sei jtille, Noch!“ verjegte Sagloba, „möge dich Gott 
nicht durch feine Hand für deine Prahlerei jtrafen.“ 

„ech wo! Mir gejchieht nichts!“ 

Der arme Rochus war fein glüdlicher Prophet; in dieſem 
Augenblid rauchte ihm der Schopf; er hätte am liebjten die 
ganze Welt herausfordern mögen. Auch die anderen tranfen 
gegenjeitig zu ihrem Wohle, dem Boguslaw und der Republik 
zum Berderben. 

„Ich habe gehört,“ jagte Kmiziz, „daß, ſobald wir hier 
mit den Schweden fertig jind und den König haben, wir gleich 
nach Warjchau aufbrechen. Dann iſt der Krieg zu Ende, Die 
Sicherheit hergejtellt. Dann fommt der Kurfürjt an die Reihe.“ 

„O, ja, ja, ja!“ ſprach Sagloba. 

„sch hörte, wie Herr Sapieha einmal jagte: ‚Mit den 
Schweden jind wir bald fertia! Die Septentrionäre jind ſchon 
untergefriegt; mit dem Kurfürſten aber dürfen wir uns in 


340 


Unterhandlungen nicht einlaffen. Herr Ticharniezfi und Herr 
Lubomirski werden nad) Brandenburg geichiedt, ich gehe mit dem 
Herren Unterfämmerer von Litauen nach Kurpreußen, und wenn 
wir dann Preußen nicht für alle Zeiten der Nepublif einverleiben, 
dann giebt e3 in der Neichsfanzlei nicht einen einzigen jo elugen 
Kopf wie der des Herrn Sagloba, welcher einjt unaufgefordert 
auf eigene Verantwortung dem Kurfürſten Drohbriefe ſchrieb.“ 

„Das hat der Sapio wirklich gejagt?“ frug Sagloba vor 
Freude errötend. 

„Es haben das alle gehört. Und ich war hocherfreut über 
das Gehörte, denn ich kann dann mit einer Klappe zwei liegen 
— Wenn nicht eher, dann muß mir Boguslamw ſtille 
alten.“ 

„Wenn wir nur mit diefen Schweden jchon fertig wären!“ 
jagte Sagloba. „Der Kuckuck hole fie. Mögen fie uns Xiv- 
land geben und ihre Millionen, dann laſſen wir fie in ‚Frieden 
ziehen.“ 

„Da Habt ihr mit dem Koſaken den Tartaren erwijcht und 
der Tartar hält den Kojafen am Schopfe, Vater!“ verjeßte 
lachend Johann Sfrzetusfi. „Noch it Karolus in Polen, nod) 
jind Krafau, Warjchau, Poſen und andere größere Städte in 
Feindeshand und ihr jprecht jchon vom Xöjegeld. Ci, Ci, 
Vater! Es wird noch ein tüchtig Stück Arbeit geben, che wir 
an Kurpreußen und Brandenburg denken fünnen.“ 

„Und noch leben Stenbock und Wirk und noch liegen 
jchwedijche Kommandos in allen Städten.“ 

„Und wir figen hier mit gefalteten Händen? Auf was 
warten wir eigentlich?“ frug Rochus plöglich. 

„Können wir nicht ſchon den Schweden jchlagen?” Seine 
Augen glogten dabei dumm und jchlaftrunfen die anderen an. 

„Rede nicht jo dumm, Nochus!* jchalt Sagloba. 

„Bei euch dreht jich immer alles nur um das eine, Ohm. 
Sch habe wahrhaftig Kähne am Ufer geiehen. Wir fünnten gut 
. hinüber jchwimmen und wenigitens die Uferwache aufheben. 
Es ijt finfter, daß man die Fauſt vor den Augen nicht jieht. 
Ehe jie es merken, jind wir wieder zurüd und haben den beiden 
‚seldherren gezeigt, da wir Mut haben. Wie, meine Herren, 
ihr wollt nicht? Dann gehe ich allein.“ 

„Das tote Kalb hat noch mit dem Schwanze gewackelt, 
Wunder über Wunder!“ rief Sagloba zorn 

Doch Kmiziz zuckte es bereits in den eenflugeln. 

„Das iſt kein ſchlechter Gedanke!“ ſagte er. 


347 


„Kein schlechter Gedanfe für einen, der nur Handlanger ist,“ 
erwiderte Sagloba, „aber nicht für jemanden, welcher die ernite 
Seite der Sache im Auge hat. Menjchen! wahrt eure Selbjt- 
achtung! Ihr jeid Hauptleute und dürft feine Jungenitreiche 
verüben.“ 

„Es iſt wahr, es jchieft jich nicht recht für uns!“ jagte 
Wolodyjowski. „Laßt ung lieber jchlafen gehen; es iſt jpät.“ 

Sie waren alle einveritanden und fnieten jogleich nieder, 
um gemeinjchaftlich das Abendgebet zu jprechen. Darauf jtredten 
fie ji auf die Wagenplanen hin, jo gut es ging und jchliefen 
bald den Schlaf der Gerechten. 

Aber faum eine Stunde jpäter jprangen jie mit beiden 
Füßen zugleich jchon wieder auf. Im Schwedenlager drüben 
hatte man eine Gewehrjalve abgegeben. Diesjeits im Lager 
entitand Lärmen und Schreien. 

„Jeſus, Maria! Die Schweden rüden an!“ jchrie Sagloba. 

„Was jagt ihr? Redet nicht Unfinn!“ rief Wolodyjowsfi 
nach dem Säbel greifend. 

„Rochus! Rochus! zu mir,“ fuhr Sagloba fort zu jchreien. 

Er Hatte in unvorgejehenen Füllen den Verwandten gern 
in jeiner Nähe. Aber Rochus war nicht im Zelte. Die Nitter 
eilten auf den freien Pla, wo fie getafelt hatten. Vor den 
Selten hatte jich eine Menge Soldaten eingefunden, die alle 
nach) dem Ufer drängten. Am gegenüberliegenden Ufer der 
San jah man von neuem Gewehrfeuer aufleuchten, ein heftiges 
Kuattern wurde immer deutlicher vernehmbar. 

„Was ift denn gejchehen?“ frug man die Wachen, welche 
zahlreich am Ufer entlang jtanden. 

Aber die Wachen verjicherten, nichts bemerkt zu haben. 
Nur ein Soldat erzählte, daß er etwas gehört, wie einen 
Nuderjchlag; da aber der Nebel dicht über dem Waller Hing, 
hatte er nichts erfennen fünnen. Er wollte auch nicht gleic) 
das Lager alarmieren, denn das Geräuſch war bald wieder 
verjtummmt. 

Als Sagloba das hörte, raufte er fich die Haare vor 
Schmerz und Verzweiflung. 

„Rochus ift zu den Schweden gejchwommen,“ jchrie er wie 
wahnfinnig. „Er wollte die Uferwache aufheben.“ 

„Um Gotteswillen! Sollte er das wirklich gethan haben?“ 
rief Kmiziz. 

„Sie werden ihn mir totjchießen, jo wahr Gott lebt!“ 
lamentierte Sagloba. 


348 


„Giebt es denn feine Rettung für ihn, meine Herren? 
Herr Jeſus! Der Junge ijt treu wie Gold. Es giebt feinen, 
der befier wäre als er! Was ijt dem Dummkopf nur einge- 
fallen?!... Mutter Gottes, jtehe ihm bei in diefer Not! ...“ 

„Vielleicht fommt er unbemerkt zurüd, der Nebel ijt dicht! 
Vielleicht haben fie ihn gar nicht gejehen.“ 

„Sch werde hier auf ihn warten, ſei e8 auch bis zum 
Morgen! Heilige Mutter! Heilige Mutter!“ 

Inzwijchen war das Schiegen drüben eingejtellt worden, 
die Lichter erlojchen allmählich, eine Stunde darauf lag das 
Lager wieder in tiefem Schlaf. 

Sagloba lief am Ufer Hin und her, wie eine Gluckhenne, 
welche Enten auögebrütet hat; er raufte ſich die Reſte jeiner 
Haare vom Kopfe, aber er wartete vergebens, er verzweifelte 
umfonft. Das Waſſer des Fluſſes jchimmerte jchon grau durch 
die Morgendämmerung, dann ging die Sonne auf, aber Rochus 
fam nicht wieder. 


2— 


* 


OR 


® 





8. Rapitel, 





Am nächiten Morgen begab ſich Sagloba noch ganz ver- 
zweifelt zu Herrn Ticharniezfi mit der Bitte, ihn zu den 
Schweden gehen zu lafjen, damit er erforjche, was mit Rochus 
geichehen jei, ob er noch lebe, oder als Gefangener zurück— 
gehalten, oder jchon tot jei. 

Tſcharniezki gab jeine Einwilligung ohne Bedenken, denn 
der alte Herr war ihm jehr wert. Er juchte ihn zu tröjten, 
indem er bemerfte: 

„Sch denfe, euer Verwandter lebt, jonjt hätte ihn das 
Waſſer ausgeworfen.“ 

„Wolle es Gott!“ antwortete Sagloba betrübt. „Aber ſo 
einen wie den, wirft das Waſſer nicht leicht aus. Er hatte 
nicht nur eine ſchwere Hand, ſondern auch ſein Verſtand war 
ſchwer, wie Blei; das hat er jetzt wieder einmal bewieſen.“ 

„Ihr Habt recht!” jagte Tſcharniezti. „Wenn er lebt, 
müßte ich ihn von Nechtswegen zu Tode jchleifen laſſen, wegen 
Verlegung der Disziplin. Es iſt wohl erlaubt, nachts Den 
Feind zu alarmieren, er aber hat beide Heerlager alarmiert 
und zudem ohne Erlaubnis. Das wäre jo etwas! Bejonders 
wenn die VBolontäre und Bauern ein Beifpiel daran nehmen 
wollten. Wenn jeder auf eigene Hand regieren wollte, da hörte 
jedes verjtändige Negiment auf.“ 

„Er hat jich jchwer vergangen, das ijt wahr! ch will 
ihn hart betrafen, wenn ich ihn nur erjt wieder hätte.‘ 

„Und ich werde ihm verzeihen im Gedenfen an jeine That 
von Rudnif. Wir haben eine Menge Gefangene, Offiziere von 


350 


höherem Range wie Rochus. Sept aljo über zu den Schweden 
und jprecht mit ihnen wegen dem Austaujch; ich gebe gern 
zwei auch drei Mann für ihn, um euch zu beruhigen. Bolt 
euch bei mir ein Schreiben an den König von Schweden und 
eilt mit der Abreije.“ 

Zagloba hüpfte wie ein Jüngling in das Zelt Kmiziz' 
und erzählte den Waffenbrüdern, was er vor hatte. Herr 
Andreas und Wolodyjowski erboten jich gleich freudigit, mit 
ihm zu gehen, denn beide brannten vor Neugier, die Schweden 
in der Nähe zu jehen. Außerdem fonnte Kmiziz bei den Unter- 
handlungen von Nuten fein, da er fließend deutſch jprach. 

Die Vorbereitungen waren schnell beendet. Herr Tichar- 
niezki hatte die Rückkehr Zaglobas nicht abgewartet, ſondern 
ihm den Brief zugeſchickt. Sie nahmen nur einen Trompeter 
und eine weiße Fahne mit, ſetzten ſich in einen Kahn und 
fuhren ab. 

Anfangs verbarrten jie jchweigend. Man hörte nur das 
Knarren der Nuder, wenn jte jich an den Zeiten des Kahnes 
rieben. Endlich wurde Sagloba unruhig. 

„Laßt nur den Trompeter rechtzeitig die Meldung blajen. 
Die Schelme befommen es fertig, ums troß der weißen Fahne 
anzuſchießen!“ 

„Was ihr nun wieder redet!“ ſchalt Wolodyjowski. „Auch 
die Barbaren ehren Abgeſandte, und wir haben es doch mit 
einem kultivierten Volke zu thun.“ 

„Ich ſage euch, laßt blaſen! Der erſte beſte Gemeine 
kann Feuer geben, das Bot durchlöchern, und wir ſinken unter. 
Das Waſſer iſt kalt! Ich habe nicht Luſt, mich einweichen zu 
laſſen.“ 

„Da, dort ſieht man die Wachen!“ jagte Kmiziz. 

Der Trompeter gab das Signal. Der Kahn flog pfeil— 
ſchnell dahin. Am anderen Ufer wurde es lebendig, bald darauf 
erſchien am Waſſer ein Offizier zu Pferde, welcher einen gelben 
Schlapphut auf dem Kopfe hatte. Er hielt die Hand über die 
Augen, um beſſer ſehen zu können, da die Sonne grell auf 
das Waſſer ſchien und blendete. 

Einige Schritte vom Ufer entfernt, nahm Kmiziz zum 
Gruß ſeine Mütze ab; der Offizier erwiderte denſelben 
freundlich. 

„Ein Schreiben von Herrn Tſcharniezki an Se. Majeſtät 
den König!“ meldete Herr Andreas, den Brief hoch in die 
Höhe haltend. 


351 


Sept jtieß der Kahn an das Land. 

Die Wache am Ufer präjentierte das Gewehr. Herr 
Sagloba war nun vollitändig beruhigt, ſteckte eine würdevolle 
Miene auf und ſprach in lateinischer Sprache: 

„Es it in vergangener Nacht ein Navalier an dieſem 
Ufer eingefangen worden; ich bin gefommen, ihn zurück zu 
verlangen.“ 

„ch verstehe fein Latein,“ antwortete der Offizier. 

„ter Grobian!“ murmelte Sagloba. 

Der Offizier wandte ſich an Herrn Andreas, 

„Der König it am Ende des Lagers,“ jagte er. „Wenn 
die Herren hier warten wollen, werde ich euch anmelden.“ 

Damit wandte er das Pferd. 

Site aber jahen jich aufmerfjam um. Das Lager dehnte 
jich weit hin: es bededte das ganze Delta zwijchen San und 
Weichjel. An der Spite desjelben lag Pniow, als Endpunfte der 
unteren Breitjeite einerjeitS Tarnogrod, andererjeits Rozwadow. 
Man konnte den Umfang des ganzen Lagers unmöglich mit 
einem Blick umfaſſen. Sp weit das Auge reichte, jah man 
Schanzen, Laufgräben, Erdarbeiten, Faſchinen, Kanonen und 
Menjchen. Im Mettelpunfte des Lagers in Gorjchyza befand 
ji) das Hauptquartier und die Elitetruppe der Armee. 

„Wenn der Hunger jie nicht von hier vertreibt, dürften 
wir faum mit ihnen fertig werden,“ jagte Amiziz. „Die ganze 
Gegend iſt gut verſchanzt; es befinden ſich ſogar Weidepläge 
für die Pferde mitten im Lager.“ 

„Aber die Fiſche werden für ſo viele Mäuler nicht aus— 
reichen,“ verſetzte Sagloba. „Uebrigens habe ich gehört, daß 
die Lutheraner Faſtenſpeiſen nicht lieben ſollen. Noch unlängſt 
beherrſchten ſie ganz Polen, jetzt haben ſie ſich auf dieſen 
kleinen Raum eingekeilt. Mögen ſie geſund hier bleiben oder 
nach Jaroslaw zurückkehren. 

„Die Schanzen ſind außerordentlich geſchickt aufgebaut,“ 
ſagte Wolodyjowski, welcher die Befeſtigungswerke mit Kenner— 
augen betrachtet hatte. „Wir haben mehr gemeine Soldaten, 
aber weniger tüchtige Offiziere als ſie; und was die Kriegs— 
taktik betrifft, ſind ſie uns weit überlegen.“ 

„Wieſo?“ frug Sagloba. 

„Wieſo? Aus dem Munde eines Reitersmannes, welcher 
ſein Leben lang auf dem Pferde geſeſſen hat, mag es vielleicht 
ſeltſam klingen, wenn ich ſage: ‚Die Fußſoldaten und Die 
Artillerie bilden das Fundament einer Armee, auf welchem die 


352 


anderen Truppengattungen erſt mit Erfolg zu operieren ver— 
mögen. Um ein gründlich durchgebildeter Offizier zu fein, muß 
man eine Menge Bücher über die Kriegstaktik gelefen, und eine 
Menge römische Autoren verichlungen haben. Das iſt bei uns 
nicht gebräuchlih. Noch immer rennen unjere Weiter zur 
Attade, daß es hinter ihnen raucht, und wenn fie den Feind 
nicht überrennen, dann überrennt er uns... .“ 

„Seid doc vernünftig, Herr Michael! Welche Nation hat 
denn jo viele glänzende Stege dDavongetragen, als die unjrige ?“ 

„Weil bisher alle Nationen diejelbe Taktik übten und der 
Erfolg dem Stärferen und Mutigeren zufiel. Aber man iſt 
mit der Zeit Flüger geworden; da jeht hier!“ 

„Wir wollen das Ende abwarten. Stellen wir den ge— 
jcheitejten ſchwediſchen Ingenieur, oder den  erfahreniten 
Deutjchen unjerem Rochus gegenüber, der nie ein Buch in die 
Hand genommen hat, und jehen wir zu, wer Sieger bleibt.“ 

„Wenn ihr ihn nur erjt zum Hinzuſtellen hättet,“ mijchte 
ji) Kmiziz in das Gejpräd. 

„sa, ja! Mir thut der Kerl furchtbar leid. Sprecht doch 
ein wenig euer deutſches Kauderwelich, lieber Herr Andreas, 
mit diefen Pluderhojen und fragt jie aus, was mit ihm ges 
ſchehen iſt.“ 

„Ihr kennt nicht die Disziplin einer regulären Heeres— 
macht. Hier ſteht euch kein Mann Rede, wenn er nicht Befehl 
dazu hat; es iſt ſchade um jedes Wort, das man an ſie richtet.“ 

„Ich weiß ſchon, daß ſie ungefällige Schelme ſind. Wenn 
zu unſerem Adel eine Geſandtſchaft kommt und mit den Ge— 
meinen ſprechen will, da geht es gleich Paperlapapp und die 
Branntweinflaſche kreiſt, ſie trinken einander zu, laſſen ſich in 
politiſche Auseinanderſetzungen mit den Geſandten ein —, aber 
dieſe hier ſtehen wie die Holzböcke und ſtieren uns nur an. Daß 
ſie das nicht überdrüſſig bekommen?“ 

Immer mehr Soldaten kamen herzu und ſtellten ſich im 
Kreiſe um die Geſandten, ſie mit neugierigen Blicken muſternd. 
Dieſelben ſchienen ihnen durch ihre ſchöne, faſt feſtliche Kleidung 
zu imponieren. Beſonders war es Sagloba, der die allgemeinſte 
Aufmerkſamkeit auf ſich lenkte durch das ernſte, würdevolle 
Weſen, das er zur Schau trug. Am wenigſten fiel Wolody— 
jowski auf, ſeines kleinen Wuchſes wegen. 

Endlich war der Offizier, welcher ſie am Ufer empfangen 
hatte, in Begleitung eines anderen höher chargiertem zurück— 
gefehrt. Sie führten gejattelte und aufgezäumte Bferde lofe am 


353 


Zügel mit ſich. Jener Chargierte verneigte ji) vor ihnen und 
jagte in polnischer Sprache: 

„Se. Majejtät der König bittet euch in jein Quartier, und 
da es ziemlich weit bis dahin iſt, fo bringen wir NReitpferde mit.“ 

„Ihr jeid Pole?“ frug Sagloba. 

„Rein, Herr! ch heiße Sadowski, bin Tjcheche und ftehe 
in jchwedischen Dienjten.“ 

Als Kmiziz das hörte, war er mit einem Sate neben ihm. 

„Erkennt ihr mich wieder, Herr?“ 

Sadowski blicte ihm jcharf in die Augen. 

„Wie jollte ich nicht? Ihr jeid es, der bei Tſchenſtochau 
unfere große Kanone vernichtet hat, und den Miller dem Kufli- 
nowsft jchenfte. Seid mir von Herzen gegrüßt, tapferer Ritter!‘ 

„Was treibt Kuklinowski?“ frug Kmiziz weiter. 

„Wißt ihr nicht, was mit ihm gejchehen ?“ 

„sch weiß nur, daß ich ihm Gleiches mit Gleichem vergalt, 
doch verließ ich ihn lebend.“ 

„Er iſt erfroren!“ 

„sch dachte mir eigentlich, daß es jo fommen würde,“ jagte 
Kmiziz, indem er mit der Hand eine bezeichnende Bewegung 
machte, al3 wollte er die Erinnerung davon forticheuchen. 

„Herr Hauptmann!“ unterbrach jegt Sagloba. „Befindet 
jih ein gewiſſer Rochus Kowalski im Lager?“ 

Sadowski lachte über das ganze Geficht. 

„Natürlich! Er iſt hier!“ 

„Selobt jet Gott und die heilige Jungfrau! Er Iebt! 
Dann befomme ich ihn auch raus! Gott ſei Danf!“ 

„sch weiß nicht, ob der König ihn herausgiebt,“ jagte 
Sadowski. 

„O, warum nicht?“ 

„Weil er ein großes Wohlgefallen an ihm hat. Der König 
erkannte in ihm gleich ſeinen grimmigen Verfolger von Rudnick 
wieder. Wir hielten uns die Seiten vor Lachen bei dem Ver— 
hör des Gefangenen. Der König frug: „Warum haſt du es 
gerade auf Mich abgeſehen?“ und er antwortete: „Ich habe es 
mir gelobt, den König zu töten!“ Und der König frug weiter: 
„So willſt du auch fernerhin auf der Verfolgung beſtehen?“ 
„Selbſtverſtändlich“!““ war die Antwort. Der König lachte: 
„Sieb dein Gelöbnis auf, dann laſſe Ich dich mit heilen Gliedern 
in Freiheit ſetzen!“ „Das geht nicht!“ ſagte der Edelmann. 
„Warum nicht?“ „Weil mein Ohm mic) einen Narren jchimpfen 
würde!” „Und bift du jo jicher, mid) im Zweikampf zu bes 


Sientiewicz;, Sturmflut II. 23 


354 


ſiegen?“ „Ich würde es mit Fünfen glei) Euch aufnehmen!“ 
Da frug der König noch: „Aber wie fannjt du es wagen, Die 
Hand gegen die Majejtät zu erheben?“ „Euer Glaube gefällt 
mir nicht!” Wir überjegten dem Könige wortgetreu, was 
Rochus gejprochen und der König wurde immer heiterer, während 
er ein über das andere Mal rief: „Der Mann gefällt mir!“ Aber 
er wollte jich überzeugen, ob der Gefangene wirklich jo jtarf jei; 
er juchte zwölf der jtärkiten Gardiſten aus und befahl ihnen, 
einer nac) dem andern mit ihm zu kämpfen. Aber der jcheint 
Sehnen von Stahl zu haben. Als ich fortritt, hatte er zehne 
von ihnen jchon jo über den Haufen geworfen, dab fte nicht 
mehr aufzujtehen vermochten. Inzwiſchen wird er wohl mit den 
letzten beiden auch fertig geworden ſein. 

„Daran erfenne ich meinen Rochus! Cr fann die Bluts- 
verwandtjchaft mit mir nicht verleugnen,“ rief Sagloba. „Wir 
haben zwei bis drei höhere Offiziere für ihn zu bieten,‘ 

„Ihr trefft den König bei guter Yaune, was jegt jelten 
der Fall iſt,“ antwortete Sadowski. 

„Das will ich glauben,“ verſetzte der kleine Ritter. 

Unterdeſſen hatte ſich Sadowski wieder zu Kmiziz gewandt 
und ihn gefragt, auf welche Weiſe es ihm gelungen, zu ent— 
kommen und den Kuklinowski an ſeine Stelle zu bringen. Er 
hörte mit immer ſteigender Bewunderung den Bericht des 
Ritters und als dieſer geendet, drückte er ihm noch einmal 
kräftig die Hand, während er ſagte: 

„Glaubt mir! Wenn ich auch den Schweden diene, ſo 
freut ſich doch das Herz eines wackeren Soldaten, wenn ein 
echter Kavalier einen Schuft überliſtet oder niederſchmettert. 
Ich bekenne euch gerne, daß man einen Tapferen wie ihr, zum 
zweiten Mal im Weltall kaum finden würde.“ 

„Ihr verſteht Artigkeiten zu ſagen!“ ſagte Sagloba. 

„Ein berühmter Soldat ſeid ihr!“ warf Wolodyjowski da— 
zwiſchen. 

„Ich habe Artigkeit und Tapferkeit bei euch gelernt!“ ent— 
gegnete Sagloba, artig ſalutierend. 

Unter ſolchen Geſprächen, immer einer den anderen an 
Artigfeit übertreffend, waren jie in Gorſchytz, dem Quartier des 
Königs, angelangt. Das Dorf war mit Soldaten aller Truppen 
gattungen angefüllt. Neugierig betrachteten unjere Freunde die 
Haufen Soldaten, welche hinter dem Dorfe in den Obitgärten 
umber lagen. Der Tag war jonnig und warm. Daher lagen 
viele, die den Hunger etwas verichlafen wollten, in den Waſſer— 


355 


furchen, andere würfelten auf den als Tijch dienenden Trommeln, 
während jie Dünnbier dabei tranfen, wieder andere hingen ihre 
Uniformen in die Sonne oder pußten mit Ziegelmehl ihre 
Helme und Panzer, jfandinavische Lieder dazu jingend. 

An anderen Stellen wurden Pferde umhergeführt, gewajchen 
und geitriegelt, kurz, es wogte und lärmte im Lager überall 
unter freiem Himmel. Zwar hatten Hunger und Entbehrungen 
vielen der Gejichter ihre Spuren aufgedrüdt, doch die Sonne 
vergoldete das Elend und die bevorjtehenden Tage der Ruhe 
flößten neuen Mut ein. 

Herr Wolodyjowsfi bewunderte im Stillen diefe Männer, 
bejonders die Fußſoldaten, welche durch ihre Ausdauer und 
ihre unerreichbare Tapferkeit fich einen Weltruf erworben hatten. 

„Das iſt das ſamländiſche Garderegiment. Diejes Die 
dalefarliichen Füſiliere, Die beiten, die wir Haben,“ erflärte 
Sadowski. 

„Ums Himmelswillen! was ſind das für monſtröſe Ge— 
ſtalten,“ rief plötzlich Sagloba, auf ein Häuflein kleiner Menſch— 
lein mit olivfarbener Haut und lang herabhängenden Haaren 
deutend. 

„Das ſind Lappländer, welche den im höchſten Norden 
wohnenden Hyperboräern entſtammen.“ 

„Sind ſie denn in der Schlacht zu verwenden? Ich 
glaube, ich könnte immer ihrer dreie mit einem Handgriff 
faſſen, ihre ſechs Köpfe dann zuſammenſchlagen, bis mir der 
Atem ausginge.“ 

„Gewiß bekämt ihr das fertig, Herr! Aber ſie kommen 
gar nicht in das Feld. Die Schweden führen ſie teils zur 
Bedienung im Lager, teils als Kurioſum mit ſich. Dafür find 
jie erquifite Zauberer und jeder von ihnen hat wenigſtens einen, 
mancher bis fünf Teufel im Leibe.“ 

„Wie fommen ſie denn zu Diejer Gemeinschaft mit den 
böjen Geiſtern?“ frug Kmiziz, Jich befreuzend. 

„Weil fie fait unaufhörlich in Finſternis und Nacht leben, 
der größte Teil des Jahres bei ihnen zu Lande iit Nacht, und 
e3 iſt ja bekannt, daß die Nacht des Böjen Freund.“ 

„Haben fie denn eine Seele?“ 

„Das hat noch niemand ergründen können; aber ich denfe, 
fie jtehen den Tieren näher, als den Menjchen.” 

Kmiziz ritt nahe an das Häuflein heran, büdte jich und 
einen der Heinen Männer am Stragen faflend, hob er ihn hoch 


28* 


356 


in die Höhe und betrachtete ihn von allen Seiten genau. 
Dann jegte er ihn nieder und jagte: 

„Wenn der König mir ein ſolches Männlein jchenfen 
wollte, würde ich es räuchern laſſen und als Rarität in der 
Orſchaner Kirche aufhängen, wo unter anderen Sehenswürdig- 
feiten bereit3 ein Paar Straußeneier ſich befinden.“ 

„Und in Lubitſch befindet fich in der Pfarrkirche der Kinn— 
badenfnochen eines Walfiſches oder eines Riefenmenjchen,“ fette 
Wolodyjowski Hinzu. 

„Reiten wir weiter,“ jagte Sagloba, „jonit lefen wir zuleßt 
hier noch etwas Läjtiges auf.‘ 

„Borwärts!" wiederholte Sadowski. „Eigentlich hätte 
ich den Herren die Augen verbinden lafjen jollen, wie es üblich 
ift; aber wir haben nichts zu verbergen und dab ihr unjere 
Schanzen gejehen, fann für uns nur von Nuten fein.“ 

Sie waren num im Herrenhofe von Gorſchytz, dem Haupt— 
quartier, angelangt. Bor dem Thore jtiegen jie von den 
Pferden und jchritten entblößten Hauptes dem Haufe zu, vor 
deſſen Thüre der König jah. 

Eine große Anzahl Generale in großer Uniform befand 
fich bei ihm. Da war der alte Wittenberg, Douglas, Loewen— 
haupt, Miller, Erickſon und viele andere. Sie alle faßen im 
Zaubengange des Haufes, etwas zurüd hinter dem Könige, 
deſſen Stuhl weit vorgejchoben war, und jahen zu, wie der 
Gefangene eben den zwölften Gardijten bezwang. Jetzt hatte 
er ihn zu Boden geworfen und ſtand, feuchend von der An— 
jtrengung mit zerfegtem Wamſe vor dem Könige. Als er 
plöglich den Ohm in Begleitung der Herren Kmiziz und Wolo- 
dDyjowsfi anfommen jah, glaubte er nicht anders, als jie jeien 
ebenfall3 in Gefangenjchaft geraten. Mit glogenden Augen 
und offenem Munde wollte er auf fie zueilen, doch Sagloba 
winfte ihm mit der Hand, jtille zu Stehen, während er mit den 
Gefährten auf den König zufchritt. 

Sadowsfi präjentierte die Gejandten, fie verbeugten jich 
tief, wie gute Sitte und die Etifette es vorjchrieben, Darauf 
händigte Sagloba das Schreiben Tſcharniezkis aus. 

Der König nahm den Brief und las. Währenddeſſen 
betrachteten ihn die Gejandten genau, denn feiner von ihnen 
hatte ihn vorher gejehen. Er war ein Mann in den beiten 
Jahren; jein Geficht jo braun, als wäre er nicht in Nordland, 
fondern in Italien oder in Spanten geboren. Dichtes, raben= 
jchwarzes Haar hing Hinter den Ohren lang bis auf Die 


357 


Schultern herab. Der Glanz und die Farbe, auch der Aus— 
drud jeiner Augen erinnerte an Jeremias Wisniowiezfi, nur 
die Brauen hatte er mehr in die Höhe gezogen, wie vom an— 
gejtrengten Denfen. An der Stelle aber, wo die Brauen 
zujammenzutreffen pflegen, war die Stirn frei und jehr Hoch 
gewölbt. Das gab dem Geficht einen bedeutenden Ausdrud; 
eine Längsfalte über die Nafe, welche jich ſelbſt dann nicht 
glättete, wenn er lachte, ließ ihn ernjt und jtrenge erjcheinen. 
Die Unterlippe war weit vorgejchoben, wie bei Johann Kajimir, 
nur war das Gejicht Karl Guitavs voller, das Kinn Fräftiger 
entwicelt, wie bei jenem, der jchmale Schnurrbart lief an den 
Enden etwas breiter aus. Der ganze Kopf war der eines 
Mannes von außergewöhnlichen Eigenjchaften, einer von denen, 
die eine Welt unter ihre Füße treten und dem Erdboden blutige 
Spuren aufdrüden. Großmut, Fürſtenſtolz, jtrogende Kraft 
und ein hochitrebendes Genie, das alles fonnte man in dieſem 
Königsantlig jchauen, nur, troß des gnädigen Lächelns nicht 
jene Güte des Herzens, welche von innen heraus das Menjchen- 
antlig durchglüht, wie die Lampe die Alabajterurne, in deren 
Innerem fie jteht. 

Der Monarch ſaß mit übereinandergejchlagenen Beinen im 
Lehnſtuhle. Die Form der mächtigen Waden trat deutlich aus 
den eng anliegenden jchwarzen Strümpfen hervor. Gewohn— 
Heitömähig mit den Augen blinzelnd, las er lächelnd den Brief 
Tſcharniezkis. Plötzlich jchlug er die Augen auf, beftete den 
Blick jet auf Wolodyjowsfi und ſprach: 

„sch erfannte euch auf den erjten Blid. Ihr jeid es, der 
Kanneberg getötet hat.‘ 

Aller Augen wandten jich dem Kleinen Ritter zu, der mit 
der Oberlippe zucend, jich tief verneigte und antwortete: 

„Zu dienen, Majejtät!“ 

„Welchen ang befleidet ihr?“ 

„Hauptmann der Zaudaer Fahne.“ 

„Unter wejjen Kommando früher?“ 

„Unter dem Wojervoden von Wilna.“ 

„Ihr habt ihn mit den anderen verlajien? Ein Verräter 
aljo an ihm und mir.“ 

„Sb war nur meinem Könige verpflichtet, nicht Ew. 
Majeſtät.“ | 

Der König erwiderte nichts; die Augen der Generäle 
jchienen Herrn Michael durchbohren zu wollen, doch er blieb 
vollfommen ruhig. 


358 


Plöglich jagte der König: 

„Es iſt Mir angenehm, einen jo ausgezeichneten Kavalier 
fennen zu lernen. Kanneberg galt unter Uns für unbefiegbar 
im Zweifampf. Ihr müßt in diefem Neiche das jchneidigite 
Schwert haben . . .“ 

„In universo!* jagte Sagloba. 

„Nicht das jtumpfite,“ verbejlerte Wolodyjowski bejcheiden 
das Lob des Monarchen. 

„sch heiße die Herren höflich willflommen!“ wandte ich 
der König an die anderen beiden Gejandten. „Für Herrn 
Ticharniezfi hege Ich aufrichtige Hochachtung; Ich jchäge in ihm 
den großen Feldherrn, obgleich er Mir jein Wort nicht gehalten 
hat. Er hatte Mir verjprochen, jich in Siewierjch ruhig zu 
verhalten.“ 

„Majejtät!“ entgegnete Kmiziz. „Nicht Herr Tſcharniezki, 
jondern General Miller it wortbrüchig geworden, indem er 
das Wolfiche Regiment, Königliche Stammjoldaten, aufhob.“ 

General Miller trat einen Schritt vor und flüjterte dem 
Könige etwas zu. Diejer hörte immer mit den Augen blinzelnd 
aufmerfjam zu, von Zeit zu Zeit dem Herrn Andreas einen 
Blick zuwerfend. Endlich jprad) er: 

„Wie ich jehe, hat Herr Tjcharniezfi Mir die auserlejenjten 
jeiner Kavaliere hergefandt. O Sch weiß feit langem, daß es 
bei euch an entjchlojjenen Männern nicht fehlt. Nur die Treue 
fehlt euch; der Mangel an Mut, geleitete Schwüre und gegebene 
Berjprechen zu halten, haftet euch an.“ 

„O Majeität! Das jind Worte heiligiter Wahrheit!” rief 
Sagloba aus. 

„Wie joll ich das verjtehen ?“ 

„Wenn unjere Nation dieſen Charafterjehler nicht hätte, 
dann wären Em. Majejtät nicht bei ung!“ 

Wieder jchwieg der König eine Weile, die Generale runzelten 
die Stirn über die Dreiftigfeit der Geſandten. 

„Johann Kafimir Hat euch jelbjt eures Eides entbunden, 
als er flüchtig die Grenzen feines Waterlandes verlieh. 

„Bon einem Eide fann und nur der Statthalter Chriſti 
in Rom löjen, der aber hat es nicht gethan.“ 

„Das iſt Mir einerlei!“ jagte der König, indem er auf 
jein Schwert jchlug. „Da hier! Damit habe Ich Mir diejes 
Königreich erobert, damit werde Sch es Mir erhalten. Ich 
brauche weder eure Bischöfe, noch eure Statthalter und 
Eide. Ihr wollt den Krieg, darum follt ihr ihn haben. Ach 


359 


— Herr Tſcharniezki hat alle Urſache, noch an die Schlacht 
ei Golembin zu denken.“ 

„Er hat ſie auf dem Wege nach Jaroslaw ſchon wieder 
vergeſſen,“ antwortete Sagloba. 

Statt zu zürnen, lachte der König. 

„Ich werde ſie ihm wieder in Erinnerung bringen.“ 

„Gott regiert die Welt.“ 

„sc laſſe bitten, er ſoll Mich beſuchen. ch werde ihn 
freundlich aufnehmen, aber er muß ſich beeilen, denn jobald fich 
die Pferde etwas erholt haben, will ch weiterziehen.‘ 

„Dann werden wir die Ehre haben, Ew. Majejtät zu em: 
pfangen!* jaate Sagloba, indem er wie von ungefähr mit der 
Hand den Säbelgriff berührte. 

Darauf der König: 

„sch merfe, Herr Tjceharniezfi hat nicht nur jeine beiten 
Kämpen, ſondern auch ſeinen gewandteſten Redner hergeſchickt, 
Ihr pariert ſchlagfertig jede Anſpielung. Schade, daß der Krieg 
nicht mit Worten ausgefochten werden kann, ihr wäret Mir 
ein würdiger Gegner. Aber zur Sache! Herr Tſcharniezki 
ſchreibt Mir, Ich möchte jenen Gefangenen dort entlaſſen; er 
offeriert Mir für ihn ein paar höhere Offiziere. Ich jchäge 
Meine Offiziere nicht jo gering, wie ihr zu glauben jcheint, und 
will jie nicht für jo billiges Löjegeld zurüdfaufen, das würde 
weder Mein, noch ihr Ehrgefühl gejtatten. Da Ich aber außer 
Stande bin, Herrn Ticharniezfi etwas zu verjagen, jo mache 
Ich ihm jenen Kavalier zum Gejchenf.“ 

„Majeität!“ antwortete Herr Sagloba. „Herr Tſchar— 
niezfi wollte den ſchwediſchen Offizieren durchaus feine Demütigung 
bereiten, jondern mir eine Bitte erfüllen, denn diefer Mann ijt 
mir verwandt und id — ih bin, Ew. Majejtät zu dienen, 
der vertraute Ratgeber Herrn Tjcharniezfis.“ 

„Eigentlich jollte Sch ihm nicht freigeben,“ jagte der 
König lachend „denn er hat Mir den Tod gejchivoren, es 
wäre denn, daß er dieſem Schwur entjagt.” 

Er winfte dem vor dem Gange jtehenden Rochus mit der 
Hand, näher zu treten. 

„Komme einmal her, du Kraftmenjch!“ rief er ihn an. 

Rochus trat ein paar Schritte näher und richtete ic) 
gerade auf. 

„Sadowski!“ jagte der König, „ragt ihn doch, ob er jeine 
Rache preisgiebt, wenn ich ihn frei laſſe.“ 

Sadowsfi wiederholte die Worte des Monarchen. 


360 


„Das fann ich nicht!“ rief Rochus. 

„Wie, aljo nicht?” Sprach Karl Guftav, welcher auch ohne 
Dolmetjch den Sinn der Antwort veritanden hatte. „Wie joll 
Ich ihm dann die Freiheit wiedergeben, wenn er auf jeinem 
Schwure beharrt? Zwölf Meiner Leute hat er zu Boden ge- 
ſtreckt, Mich hat er als dreizehnten auserjehen. Der Mann ge- 
fällt Mir! Sit er etwa aud) ein Ratgeber Tjeharniezfis? In 
diefem alle würde Ich ihn noch lieber freigeben.“ 

„Halt's Maul!“ murmelte Sagloba. 

„Senug der Scherze,“ ſagte der König plöglich ernit. 
„Nehmt ihn als neuen Beweis meiner Achtung. Als König 
diejes Landes fann Sc wohl verzeihen, wenn Ich gnädig jein 
will, doch in Unterhandlungen mit aufitändischen Unterthanen 
werde Ich mich niemals einlafjen.“ 

Das Gejicht des Königs hatte jich während der letzten 
Worte ganz verfinitert. 

„Ber gegen Mid) die Hand erhebt,“ fuhr er fort, „der iſt 
ein Gmpörer gegen jeinen rechtmäßigen Herrn. Nur aus 
Barmherzigkeit bin ch bis jet milde gegen euch verfahren; Sch 
wollte euch Zeit lajjen zu Beritande zu kommen. Doch die 
Beit naht, wo Meine Barmberzigfeit ihr Ende erreicht haben 
wird und die Strafe euch ereilt. Euer Uebermut bat die 
Kriegsflamme im Meiche entjacht, eure Wortbrüchigkeit das Blut- 
vergießen verjchuldet. Aber Ich jage euch: „noch wenige Tage 
und ſtatt väterlicher Ermahnungen, jtatt milder Gejete, ſoll 
euch die ganze Wucht meines Schwertes und der Tod am 
Galgen treffen.“ 

Die Augen des Königs ſchoſſen Blitze. Sagloba blidte 
den Zürnenden eritaunt an; er fonnte nicht begreifen, woher 
plöglich nach heiterem Wetter dieſes Gewitter heraufgezogen 
war. Endlich faßte er jich ein Herz und ſich tief verneigend 
jtammelte er die Worte: 

„Bir danken Ew. Majeſtät!“ 

Darauf wandte er jich zum Gehen und verließ mit Kmiziz, 
Wolodyjowsfi und Noch Kowalski das Hauptquartier. 

„Bnädig! Gnädig!” brummte Sagloba im Fortgehen, „und 
ehe du dich's verſiehſt, brüllt dir der Yöwe in das Ohr. Das 
it ein Schöner Abſchluß der Unterhaltung! Andere jegen einen 
Becher Wein vor und laden zum Siken ein, er verheiht den 
Galgen! Mag er nur jeine Hände darauf hängen, die polnijchen 
Adligen find jo leicht nicht zu haben. Mein Gott! wie fchwer 
hat Polen an jeinem Könige gejündigt, der uns ein Vater war, 


361 


it und bleiben wird, denn das Herz der Jagiellonen jchlägt 
in feiner Bruft. Einen jolchen Herrn haben die Verräter ver- 
lajjen, um ſich mit den Ungeheuern jenjeit3 des Meeres zu 
verbrüdern. Es iſt uns jchon recht. Wir verdienen nichts 
Beſſeres. Den Galgen! den Galgen!.... Er fit jo im Ges 
dränge; wie der Quark im Sade wird er von uns gequetjcht, 
und der will noch mit dem Galgen drohen! Warte! Der 
Kojaf padt den Tartaren am Schopf, doch der Tartar den 
Kojafen am Kopf. Ihr fommt bald noch mehr ins Gedränge. 
Rochus! Ich Hatte dir für deinen Ungehorjam eigentlich ein 
paar derbe Mauljchellen und fünfzig Stochiebe auf die Rück— 
jeite deines Körpers zugedacht; ich verzeihe Dir aber, weil du 
dich tapfer gehalten und die Rache gegen ihn nicht abgejchworen 
hajt. Laß dic) umarmen; ich freue mich über dich.“ 

„Salgen und Schwert!” jagte Sagloba nad) einer Weile. 
„Und er hat es gewagt, mir das ins Geficht zu jagen. Das 
nennt er Protektion? . . . Ebenjo gut kann der Wolf von 
Proteftion und Barmderzigfeit reden, wenn er im Begriff jteht, 
das Schaf zu zerreißen. ... Und dieje Redensarten zu einer 
Zeit, wo ihm bereits das Fell über die Ohren gezogen werden 
jol. Mag er nur jeine Yappländer protegieren! Uns aber 
wird die heilige Jungfrau jchügen und uns helfen wie dem 
Bobele in Sandomir, dejjen Korpus jie jamt dem Pferde, das 
er ritt, über die ‚zluten der Weichjel trug, ohne daß er den 
mindejten Schaden litt. Als er jich umblidte, wo er jei, da 
fand er ſich im Pfarrhofe des nächjten Dorfes und brauchte 
ji) nur an den Tiſch zu jegen, der bereits für ihm gedeckt 
Itand. Mit jolcher Hilfe werden auch wir fie alle hier wie Die 
Aale aus dem Nee ziehen.“ 








9. Rapitel. 





Mehrere Tage waren jeit den vorjtehenden Ereigniſſen 
verflofien. Noch immer ſaß der König in jeinem Lager zwijchen 
den beiden Flüſſen, ſandte Eilboten in alle Städte und Feſtungen 
in der Richtung nad) Warjchau und Krakau mit Befehlen, ihm 
Hülfstruppen zu jenden. Much Nahrungsmittel waren den 
Schweden auf der Weichjel zugeführt worden, doch nicht in zu= 
reichender Menge. Nach zehn Tagen war man gezwungen, die 
eriten Pferde zu jchlachten. Verzweiflung padte den König 
und die Generale bei dem Gedanken, was werden folle, wenn 
die Aeiter ihrer Tiere beraubt, und die Kanonen ohne Vor— 
jpann bleiben würden. Von allen Seiten drangen entmutigende 
Nachrichten in das Lager. Das ganze Land war im Aufruhr 
entbrannt, als hätten Pechfackeln e8 an allen Enden zugleich 
entzündet. Deshalb blieben die Hilfstruppen aus, denn die 
Stadtfommandanten und Eleineren Präſidien wagten fich nicht 
hinaus. Litauen, wo Pontus de la Gardie den Aufitand bis— 
her mit eijerner Hand niedergehalten, hatte jich plöglich wie 
ein Mann gegen die Schwedenherrjchaft erhoben. Großpolen, 
welches jich zuerit dem ‘Feinde unterworfen Hatte, ging allen 
anderen Provinzen in Ausdauer, Haß und Begeilterung voran, 
jegt, wo es galt, jich für das Vaterland zu begeijtern und den 
Feind zu haſſen. Die Bolontäre und Bauern griffen Die 
Schweden nicht mehr blos in den Dörfern, jondern auch in den 
Städten an. Umſonſt rächten jich die Eindringlinge ſchrecklich 
an Haus und Hof der Empörer, umſonſt hadten ſie den 
einzelnen Gefangenen die Hände ab, umſonſt hingen fie fie 
haufenweiſe an Bäume und Galgen und jpannten viele auf 


363 


die Folter. Die Polen waren nicht mehr unterzufriegen, ihr 
Nationalgefühl war erwacht. Ob taujende der Empörung zum 
Opfer fielen, was fümmerte jie das? Der Edelmann fiel mit 
dem Schwert, der Bauer mit der Senje in der Hand. Das 
Schwedenblut durchtränfte die Erde Großpolens, die Polen 
zogen ſich in die Wälder zurüd und bauten jich dort Hütten, 
jelbjt Frauen griffen zu den Waffen und zogen gegen den Feind 
ins Feld. Die Strafgerichte der Schweden vertieften nur den 
Haß, vergrößerten nur die Rache. 

Kuleſcha, Krystof Schegozfi und der Wojewode von Pod— 
lachten fuhren mit flammenden Schwertern in der Provinz 
umher. Die Aeder blieben unbejtellt, Hungersnot im ganzen 
Yande, Hungersnot und Elend aber bedrüdten die Schweden 
mehr noch als die Polen, da diejelben Hinter den gejchlojjenen 
Thoren der Städte fich viel weniger und jchwieriger ver— 
proviantieren fonnten, als die Bolen draußen in den Wäldern. 

Und zulegt war ihnen jozuiagen der Atem ausgegangen. 

Ebenjo ging es in Maſowien zu. Dort famen die Kohlen— 
brenner und Teerjieder aus den Wäldern herbei, zeritörten die 
Wege und Landſtraßen, fingen die Fouragetransporte und Eil- 
boten auf. In Podlachien jammelte jich der Kleinadel und 
z0g in großen Scharen zu Herrn Sapieha oder nach Litauen. 
Die Wojewodichaft Yublin war in den Händen der Konföderier— 
ten. Bon Reußen her famen die Tartaren und gezwungener- 
weije mit ihnen die Koſaken. 

Die Polen waren jo jtegesjicher; wenn auch nicht bald, 
jo doch vielleicht in Tagen, Wochen, Monaten mußte Karolus 
Guſtavus mit jeinem Heere ſich den vereinten polnischen Armeen 
itellen und der Ausgang des Krieges jchien ihnen jo gewiß, 
daß einige jehr janguinische Naturen bereit3 Liefland der 
Nepublif als Provinz einverleibt jahen. 

Da plöglich verbejjerten jich die Ausfichten Karl Gujtavs. 
Am 20. März ergab jich Marienburg, das bisher der Belage- 
rung durch Stenbod tapferen Wideritand geleijtet hatte. Seine 
ftarfe, tapfere Armee fonnte nun, da es in Preußen für fie 
nicht3 mehr zu thun gab, dem Könige zu Hilfe eilen. Von 
der anderen Seite fam der Markgraf von Baden, welcher jett 
die Formierung jeiner Truppen beendigt hatte, mit noch frijchen 
ungejchwächten Kräften gegen die Weichjel heran. 

Beide feindlichen Heere fegten daher alles, was jie auf 
ihrem Wege antrafen, marodierend, brennend, verwüjtend. Alle 
Eleineren jchwedijchen Kommandos und PBräjidien wurden den 


364 


Armeen ald Zuwachs einverleibt, deren Stärke zunahm, wie 
ein Fluß, der in jeinem Laufe immer neue Zuflüſſe auf- 
nimmt. 

Die Nachricht von dem Anmarſch der beiden Armeen 
gelangte jehr bald an die Ufer der Weichjel und San. Sie 
hatte eine ganz verjchiedene Wirkung. Den Schweden jchwoll 
das Herz von Hoffnung und neuem Mut, die Polen wurden 
von großer Sorge befallen. Noch war Stenbod weit entfernt, 
aber der Markgraf von Baden, welcher in Eilmärjchen anrüdte, 
fonnte jehr bald angelangt jein und die Geſtaltung der Dinge 
bei Sandomir bedenklich verändern. 

Die polnischen Heerführer fanden ſich zu einer Beratung 
zujammen, am welcher ſich Herr Tjcharniezfi, der, Hetman von 
Litauen, Herr Michael Radziwill der Truchſeß, Herr Witowski, 
ein alter Krieger mit großen Erfahrungen, und Herr Lubo— 
mirski, der fich jenjeits der Weichjel ſchon langweilte, teilnahmen. 
Es wurde bejchlojjen, daß Herr Sapieha mit jeiner litauijchen 
Armee hier verbleiben jolle, um die Bewegungen Karl Guitavs 
zu überwachen und zu verhindern, dab er das Delta verlajie. 
Herr Tieharniezfi jollte dem Markgrafen entgegenziehen und 
ihm jo bald als möglich eine Schlacht liefern. Wenn Gott 
den Sieg verlieh, dann follte er hierher zurückehren. 

Die diesbezüglichen Befehle waren jchnell ausgegeben. Am 
nächiten Morgen wurden in aller Stille die Signale zum Auf— 
bruch gegeben, denn Ticharniezti wollte jeinen Abmarjch vor 
den Schweden verheimlichen. Das Lagerterrain wurde jofort 
mit einigen lojen Fahnen Freiwilliger und etlichen Bauern— 
parteien belegt, welche die Yagerfeuer nachts brennend erhielten 
und das Geräufch, welches im Lagerleben unvermeidlich ilt, 
tagsüber ebenfalls fortjegen follten, damit die Schweden Feine 
Veränderung merften. 

Dann verließen die Fahnen einzeln das Lager. Zuerſt 
die Yaudaer, welche eigentlich bei Herrn Sapieha hätte bleiben 
jollen. Da aber Ticharniezfi fie nicht entbehren wollte, jo 
mochte der Großhetman fie ihm nicht vorenthalten. Ihr folgten 
Wonjowitichs auserlefene Krieger unter ihrem bewährten Führer, 
der jeit einem halben Jahrhundert an den Schlachtenlärm ge= 
wöhnt war, dann die Fahne Demetrius Wisniowiezfis unter 
Schandarowsfi, diejelbe, welche bei Rudnick jich mit unjterb- 
lihem Ruhme bededt, ferner die zwei Pragonerregimenter 
Witowsfis, die beiden Jaworowskis, deren eine der berühmte 
Stazkowski anführte, die Leibfahne Ticharniezfis, die Stamme 


365 


fahne unter Polanowski und die ganze Armee Lubomirskis. 
Man nahm weder Wagen noch Fußſoldaten mit, da dieje den 
Marſch auf Feldwegen nur aufgehalten hätten. 

Bei Sawada vereinigten fie ſich wieder. Es war ein 
jtattliches Heer voller Kraft und friſchem Mute. Herr Tichar- 
niezft ritt num an die Spige, ordnete die Reihenfolge der 
Regimenter und Fahnen an und ließ fie dann im Parademarjch 
an jich vorüberziehen. Das Pferd unter ihm jchnaufte, warf 
den Kopf in die Höhe und tänzelte, als wolle es die VBorüber- 
ziehenden grüßen, und dem Sajtellan jelbit jchwoll das Herz 
bei dem herrlichen Anblid, der fich ihm bot. Der General 
wurde in ihm wach, der Feldherr tarierte mit kundigem Blid 
die Kraft und das Gejchie feiner Truppen, und die Sieges- 
freudigfeit, welche aus den Augen der Mannjchaften blitzte, 
teilte jich auch ihm mit. 

„Mit Gott zu Kampf und Sieg!” rief er aus, das Schwert 
Ichwingend. 

„Mit Gott! Wir wollen jiegen!* antworteten ihm die 
fräftigen Männerjtimmen. 

Mit Gott! Der Ruf pflanzte jich durch alle Glieder, bis 
an das Ende des Zuges fort. 

Tieharniezfi jpornte, al er vorüber war, das Pferd, um 
die an der Spitie des Zuges reitende Laudaer Fahne einzuholen. 

Und fort ging es! Nicht wie Menfchen zogen fie, jondern 
wie ein Zug Bögel flogen jie durch das Land. Flüſſe, Wälder, 
Dörfer, Städte flogen an ihnen vorüber. Die Soldaten jchliefen, 
aßen, tranfen in den Sätteln, die Pferde wurden aus der Hand 
gefüttert, in den Flüſſen getränft. 

Wenn fie durch Dörfer famen, jtürzten die Menjchen vor 
die Thüren der Häufer, doch ehe fie ſich recht bejinnen konnten, 
war die wilde Jagd ihren Blicken wieder entſchwunden. 

Endlich bei Kofieniza trafen fte auf acht ſchwediſche Fahnen 
unter Torneskild. Die Yaudaer hatten den Feind zuerit erblidt 
und waren ohne Belinnen auf ihn losgeſtürmt. Schandarowski 
und Wonſowitſch folgten, als Vierter jchloß ſich ihnen Staz- 
fowsfi an. 

Die Schweden nahmen, im guten Glauben, daß fie es mur 
mit einer der im Lande umbherjchwärmenden Barteien zu thun 
hätten, den offenen Kampf auf. Zwei Stunden jpäter war 
nicht ein Mann mehr übrig, der dem Mearfgrafen hätte Die 
Nachricht bringen fünnen, daß Tſcharniezki gegen ihn im Anzuge 
jet. Dann ging es weiter, wie der Sturm, der über die Felder 


366 


jagt, nah Magnujchewo zu, da die ausgejandten Kundjchafter 
mit der Nachricht zurüdgefommen waren, daß der Markgraf jich 
mit feiner ganzen Armee bei Warfa befinde. 


Herr Wolodyjowsfi wurde auf die Nacht mit einem Vor— 
trab ausgejchict, um zu erforjchen, wie das Heer verteilt war 
und wie jtarf es jein fonnte. 

Herr Sagloba beklagte jich jehr über die Expedition, er 
meinte, daß jelbjt der berühmte Wisniowiezfi niemals in Ddiejer 
Weije vorgegangen war. Trogdem zog er ed vor, mit Wolody- 
jowsfi auf die Nacht weiterzureiten, als beim Heere zu bleiben. 


„Es war doc eine goldene Zeit bei Sandomir“, jagte er, 
ji im Sattel dehnend. „Man konnte ruhig ejjen, jchlafen und 
tagsüber von weitem das Schwedenlager objervieren. Jetzt 
iſt nicht joviel Zeit, um einen Schlud aus der Feldflaſche zu 
nehmen. Ich kenne die Kriegskunſt nach altem Brauch, in 
antifer Weije nad) dem Muſter des großen Pompejus und 
Cäſars; Herr Tieharniezfi erfindet eine neue Mode. Das ilt 
gegen alle Negeln der Menschlichkeit, Durch jo viele Tage und 
Nächte den Bauch zu Ddurchjchütteln. Mein Verſtand jcheint 
jid) vor Hunger ganz zu verwirren, denn es fommt vor, daß ich 
einen Stern für einen Graupenforn und den Mond für eine 
Spedjcheibe Halte. Ein Hundeleben das! Ihr könnt mir’ 
glauben! Jch bin zumeilen verjucht, meinem Pferde die Ohren 
abzubeigen — jo hungert mich!“ 

„Laßt gut jein! Morgen! Wenn wir die Schweden ge- 
ichlagen haben, dann ruhen wir aus,“ tröjtete Wolodyjowstfi. 

„sch will jchon lieber die Schweden nicht mehr jehen, als 

jolche Bein ausjtehen! Herr! Herr! Wann wirjt du diejem 
Lande den Frieden wiedergeben und dem alten Sagloba einen 
warmen Winfel hinter dem Ofen und einen Becher Warmbier 
... jei es aud ohne Fettrahm . . . Schaufele dich, Alter, 
im Sattel, jchaufele dich, bis du in die Grube fährit! . 
Hat jemand von euch eine Prije Tabaf? Vielleicht niefe ich 
mir die Schläfrigfeit aus den Augen... Sch muß ja gähnen, 
dag mir das Maul offen jtehen bleibt und der Vollmond in 
meinen Magen jcheint. Wei Gott, was er dort juchen mag, 
denn e3 ijt nichts drinnen. Ein Hundeleben! Wahrhaftig!“ 

„Wenn ihr glaubt, Ohm, dat der Mond eine Spedjcheibe 
it, dann verjchlingt ihn doch,“ jagte Nochus. 

„Wenn ich dich verjchlingen wollte, fünnte ich jagen, daß 
ich mich am Rindfleisch jattgegejien habe, aber ich fürchte, daß 


367 


der Genuß eines jolchen Bratens mich um das lette bischen 
Beritand bringen würde.“ 

„Wenn ich ein Ochje bin und ihr ſeid mein Ohm, für 
was haltet ihr euch dann, Ohm ?* 

‚sch glaube gar, du Narr denkſt, day Alten ihre Söhne 
hinter dem Ofen empfangen hat?“ 

„Bas geht das mid) an?“ 

„Das geht dich jo viel an, daß, wenn du ein Ochs bift, 
Du zuvor fragen mußt, wer dein Erzeuger ijt, ehe du nach der 
Verwandtichaft mit dem Ohm forjcheit. Der Stier raubte Die 
Europa und zeugte mit ihr die Rinder, während ihr Bruder, 
der Ohm dieſer Nachfommenjchaft, deshalb doch ein Menſch 
blieb, verjtehjt du mich?“ 

„Die Wahrheit zu jagen, verjtehe ich euch nicht. Aber 
ejien möchte ich auch.“ 

„Meinetwegen iß dich am deiner Dummheit jatt. Lak 
mich jett schlafen! Was giebt es, Herr Michael? Warum 
reiten wir nicht weiter?“ 

„Warfa iſt in Sicht!“ ſagte Wolodyjowski. -„Da jeht! 
Der Kirchturm glänzt im Mondenlicht.“ 

„Haben wir Magnujchewo denn jchon Hinter uns?“ 

„Wir ließen Magnufcherwo rechts liegen. Es jollte mich 
wundern, wenn auf dieſer Seite des Flüßchens feine Vorpoiten 
ausgejtellt wären. Wir wollen im jener Schonung dort uns 
auf die Lauer legen; vielleicht fangen wir etwas.“ 

Während er das jagte, führte Herr Michael jeine Abteilung 
der Schonung zu und jtellte diejelbe zu beiden Seiten, etwa 
hundert Schritte vom Wege entfernt auf. Er befahl, die Pferde 
Itraff am Zügel zu halten, damit feines durch Schnaufen fie 
verrate. 

„Stillgeitanden!* befahl er dann. „Wir wollen horchen, 
ob wir etwas vom anderen Ufer drüben hören oder auch jehen 
fünnen.“ 

Eine Zeitlang blieb alles jtil. Die müden Soldaten 
fingen an in den Sätteln zu niden. Herr Sagloba hatte ſich 
auf den Hals des Pferdes hingejtredt und war feſt eingejchlafen, 
jelbit die Pferde jchlummerten. 

Sp mochte etwa eine Stunde verflojjen jein, da hörte 
das wachjame Ohr Wolodyjowsfis etwas wie fernes Hufeklappern 
auf dem Wege. 

„Aufgepaßt!“ rief er leije dem zunächjtitehenden Soldaten 
zu. Der Soldat gab den Befehl eben jo leije weiter. Er jelbit 


368 


ritt big dicht an den Rand der Schonung, um den Weg über- 
jehen zu fünnen. Der Weg leuchtete im Mondjchein wie ein 
jilbernes Band. Zu jehen war nichts, aber dag Geräuſch von 
Pferdehufen fam deutlich näher. 

„Man fommt!* jagte Wolodyjorwsfi. 

Die Soldaten Fakten die Zügel feiter und laufchten mit 
angehaltenem Atem. 

Auf dem Wege fam eine Abteilung Schweden näher. Sie 
fonnte etwa dreißig Neiter jtarf fein. Die Neiter ritten lofe, 
nicht in Reihen und liegen die Zügel läjjig hängen. Die einen 
plauderten mit einander, andere jummten leije ein Lied, denn 
die Nacht war lau, wie eine Mainacht und wirkte erheiternd 
jelbit auf die Herzen der Strieger. Sie ritten ahnungslos jo 
nahe an dem am Rande der Schonung haltenden Herrn 
Michael vorbei, daß der Rauch aus den kurzen QTabafspfeifen 
der Schweden ihm in die Naje 309. 

Endlih war der Neiterzug vorüber und Hinter einer 
Biegung des Weges verjchwunden. Wolodyjowsfi wartete bis 
nichtö mehr von ihnen zu jehen und zu hören war, dann erit 
ritt er zu den beiden Skrzetuskis und jagte: 

„Wir wollen fie jet wie die Gänſe in das Lager des 
Herrn Kajtellan treiben. Es darf feiner entkommen, damit feine 
Nachricht von unferer Anmwejenheit zum Marfgrafen getragen 
wird.“ 

„Wenn dann aber Herr Tieharniezfi uns nicht Zeit zum 
Eſſen und Schlafen läßt,“ jagte Sagloba, „dann fündige ich 
ihm den Dienjt und gehe zurük zu Sapteha. Ber Sapieha 
heit es: „wenn jchlagen, dann jchlagen, wenn aber ausgeruht 
wird, dann giebt e8 auch zu eſſen, jo viel, daß man vier 
Mäuler jatt füttern könnte. Das nenne ich einen Feldherrn! 
Und jagt mir einmal, warum find wir eigentlich nicht bei 
Sapieha geblieben, wenn doch dieſe Fahne unter jein Kommando 
ehört?“ 

„Läſtert nicht den größten Feldherrn der Republik, Vater,“ 
ſagte Johann Skrzetuski. 

„Ich läſtere ja nicht, nur meine Eingeweide, die in allen 
Tönen pfeifen, empören ſich.“ 

„Dann laßt die Schweden nach dieſer Pfeife tanzen!“ 
unterbrach) ihn Wolodyjowsfi. „Set, meine Herren, hurtig! 
Ich möchte jie gern bei jener Schenfe im Walde, die wir liegen 
jahen, einholen.“ 

Sie ritten auf dem Wege, den fie gefommen zurüd, doc) 


369 


nicht zu ſchnell. Wolodyjowsfi ließ jeine Reiter im Walde 
reiten, ber jie in tiefe Dunkelheit hüllte. Die Waldjchenfe lag 
nicht allzuweit ab. Als jie jich derjelben näherten, ritten jie 
im Schritt, vorjichtig ausjpähend, um nicht vorzeitig die Auf- 
merfjamfeit auf jich zu lenken. Auf Kanonenjchußweite von 
der Schenke entfernt vernahmen jie Laute menschlicher Stimmen. 

„Sie find da und machen Lärmen!“ ſagte Wolodyjowski. 

Die Schweden waren zum größten Teil abgeſtiegen. Sie 
ſuchten und riefen, ob jemand da ſei, den ſie um Auskunft 
fragen konnten. Aber die Schenke war öde und leer. Die 
einen durchſuchten das Wohngebäude, andere die Stallungen, 
wieder andere hoben die Strohſchauben von den Dächern, die 
Uebrigen ſtanden im Hofe und vor dem Hauſe umher, die Pferde 
an den Zügeln haltend. 

Wolodyjowski führte ſeine Abteilung bis auf etwa hundert 
Schritte heran und umzingelte die Schenke. 

Die im Hofe haltenden Schweden hörten und ſahen das 
Heranfommen der Neiter ganz gut, doch da diejelben jich im 
Walde hielten, fonnten fie im Dunkel nicht erfennen, was für 
einer Truppengattung jie angehörten. Sie alarmierten auc) 
die anderen durchaus nicht, in der Meinung, es jeien ebenfalls 
ſchwediſche Neiter, denn wer anders hätte auch aus bderjelben 
Richtung fommen können wie jie? Erit, als die Neiter die 
Halbkreisſchwenkung machten, wurden fie jtugig und riefen die 
in den Gebäuden Beritreuten an. 

Da plöglich ertönte das Gejchrei „Allah! Allah!“ Gleich— 
zeitig fielen mehrere Schüſſe, dunkle Gejtalten tauchten überall 
auf, Säbelklirren, Flüche, unterdrücdte Schreie wurden laut. 
Das alles aber währte faum zwei pater noster lang. 

Bor der Waldjchenfe blieben einige Menjchen und Pferde— 
förper liegen, die Abteilung Wolodyjowsfis aber zog weiter, 
fünfundzwanzig Gefangene mit jich führend. 

Sie ritten jet in geitredtem Galopp. Die Polen feuerten 
die jchwedischen Pferde durch Hiebe mit der flachen Klinge an, 
gleichen Schritt mit ihnen zu halten. Mit dem Morgengrauen 
langten jie in Magnujchewo an. Im Lager war es jchon lebendig; 
Tſcharniezki Hatte die ganze Nacht nicht gejchlafen. Er jelbit 
fan Wolodyjowsfi entgegen. Auf den Griff jeines Degens ge— 
jtügt, erwartete er ihn, bleich und abgemagert von den über- 
itandenen Anjtrengungen. 

„Bas giebt es draußen?“ frug er den fleinen Ritter jchon 
von weiten. „Bringt ihr viele Neuigfeiten ?“ 


Sientiewicz, Sturmflut II. 24 


370 


„Ich bringe fünfundzwanzig Gefangene,“ antwortete Wolody= 
jowski. 

„Sind viele entkommen?“ 

„Nec nuntius cladis! Wir bringen alle mit!“ 

„But! Soldatchen! Euch braucht man nur auszujchiden, 
geld hat man, was man braucht. Wir wollen jie glei) in's 

erhör nehmen. Ich werde jie jelbjt ausfragen!“ 

Er wandte ſich zum Gehen, doch jchon im Fortſchreiten, 
jagte er noch: 

„Haltet euch bereit, e$ wäre möglich, daß wir unverzüglich 
aufbrechen.” 

„Warum denn?“ fragte Sagloba. 

„Schweigt!“ gebot ihm Wolodyjowski. 

Man hatte nicht nötig, die Tortur anzumenden. Die 
jchwedischen Gefangenen befannten freiwillig, was jie über Die 
Heeresitärfe des Markgrafen wußten, wie viel Kanonen, wie viel 
sußjoldaten und Reiter er mit ich führte Der General 
wurde nachdenklich, denn er erfuhr, daß die feindliche Armee, 
obgleich erjt neu organijiert, aus lauter alten Soldaten bejtand, 
welche die verjchiedenjten Feldzüge mitgemacht hatten. Es be- 
fanden ſich bei ihr eine Menge Deutjche und eine jtarfe Ab- 
teilung Franzoſen. Sie zählte mehrere hundert Köpfe mehr 
als die polnijche. Dafür Klang die Ausjage tröftlicher, daß der 
Markgraf feine Ahnung davon hatte, day Ticharniezfi ihm jo 
nahe jei; er glaubte den General bei Sandomir, wo die Polen 
den König belagerten. 

Kaum hatte Tjcharniezfi das gehört, als er aufjprang und 
jeinem Adjutanten zurief: 

„Witowski, laßt zum Aufjigen blajen!“ 

Eine halbe Stunde jpäter war die Armee Tſcharniezkis 
unterwegd. Sie marjchierte in der Morgenfühle durch die 
tautriefenden Wälder und Felder. Endlich erjchten Warka, 
oder vielmehr der Trümmerhaufen der Stadt, vor ihren Bliden, 
denn fie war vor jech® Jahren niedergebrannt und nicht wieder 
aufgebaut worden. 

Die Armee mußte von hier aus durch die offene Ebene 
marjchieren, fie konnte fich nicht mehr den Bliden der Schweden 
entziehen. Es währte auch nicht lange, jo wurden die Heran— 
ziehenden von den feindlichen Vorpojten bemerkt und dem Mark— 
grafen die Thatjache gemeldet. Doch diejer glaubte, daß nur 
größere Haufen des Kleinadeld und der Bauern das Lager in 
Alarm jegen wollten. 


371 


Erjt ald immer neue Schwadronen aus dem Walde auf- 
tauchten und im Trabe heranritten, griff eine fieberhafte Un- 
ruhe im Lager Platz. Von der Ebene aus konnten die Polen jehen, 
wie fleinere Abteilungen mit einzelnen Offizieren das Lager 
verließen und Hin und her jprengten. Die buntgefleideten 
ſchwediſchen Füjiliere formierten fic) vor den Augen der Bolen; 
fie fahen aus wie Züge bunter Vögel. Ueber ihren Köpfen 
erhoben ſich glänzend im Strahl der Sonne die Karrees der 
mächtigen Speere, mit welchen die Fußjoldaten den Anprall der 
Reiterattaden parierten. Hinter ihnen konnte man die Menge 
der ſchwediſchen Banzerreiter jehen, wie ſie im Trab ihre 
Flügelſtellungen einnahmen und zulegt die über Hals und Kopf 
in das Vordertreffen eilenden Kanonen. 

Alle diefe Vorbereitungen waren deutlich wahrnehmbar, 
denn die Morgenjonne goß ihren lichten Schein über die ganze 
Gegend aus. 

Die Piliza trennte die beiden Armeen. 

Auf der Seite der Schweden wurden die Trompeten ge- 
blajen, die Kejjelpaufen und Trommeln gejchlagen, während 
die eiligjt herbeieilenden Soldaten einen wüjten Lärm erhoben. 

Auch Herr Ticharniezfi ließ die Kriegsfanfaren jchmettern 
und rücdte im Eiljchritt mit allen Fahnen dem Fluſſe zu. 

Er jelbjt jprengte auf feinem Scheden, daß ihm der 
Atem ausging, zu Wonjowitjch, welcher mit feiner Fahne der 
Nächte am Flujje war. 

„Alter! Tapferer!“ rief er ihm zu. „Beſetzet die Brüde. 
Laßt abjigen und die Musfeten in Schußbereitichaft halten. 
Die ganze Armee dort wird fich euch zuwenden. Auf, Marjch!“ 

Wonſowitſch errötete vor Vergnügen, ſenkte zum Beichen 
des Gehorjams feinen Säbel, und wie der Wind flog er jeinen 
Leuten voran, der Brüde zu. 

Etwa dreihundert Schritte davon hielten fie an. Zwei 
Drittel der Reiter jprangen von den Pferden und eilten, Die 
Musfeten in der Hand, im Sturmfchritt der Brüde zu. 

Auch die Schweden gingen nun vor. Bald fnallten die 
Schüſſe erjt vereinzelt, dann immer jchneller aufeinander. 
Rauchwolken zogen den Fluß entlang. Zurufe der Ermutigung 
tönten von beiden Seiten. Die Aufmerkjamfeit beider Armeen 
fonzentrierte fich auf die Brüde, welche jchwer zu nehmen, aber 
feicht zu verteidigen war. Dennoch! — Man fonnte nur über 
fie zu den Schweden gelangen. 

24* 


372 


Eine Viertelitunde jpäter jchidte Tjceharniezfi die Dragoner 
Lubomirsfis dem Wonſowitſch zu Hilfe. 

Aber Schon Hatten die Schweden die Kanonen zur Stelle. 
Immer neue Gejchüge wurden aufgefahren; die Gejchojle flogen 
pfeifend über die Köpfe der Stürmenden, jchlugen in die Wieje 
und wühlten den loderen Boden, daß Raſen und Schmuß 
umberflogen. 

Der Markgraf von Baden jtand im Hintertreffen der 
Armee; er beobachtete durch ein Fernglas das Gefecht. Bon 
Zeit zu Zeit jehte er das Glas ab und blidte jtaunend auf 
jeine Staböoffiziere. 

„Sie find wahnfinnig,” jagte er. „Sie wollen die Er- 
jtürmung der Brüde erzwingen. Zwei bis drei Fahnen und 
ein paar Kanonen genügen, diefelbe zu halten.“ 

Je wütender Wonſowitſch angriff, deſto wütender ward die 
Verteidigung. Die Brüde wurde zum Müttelpunfte der Schlacht, 
welchem jich allmählich die ganze Linie der Schweden zumwandte. 
Eine halbe Stunde darauf hatte die ganze Armee ihre Stellung 
verändert, jie war feine Frontitellung mehr, jondern eine jeit 
liche. Die Brüde wurde unaufhörlich mit einem Stugelregen 
überfchüttet. Die Mannschaften des Wonjowitjch fielen haufen 
weile; trogdem fam Befehl über Befehl, die Brüde weiter zu 
ftürmen. 

„Zicharniezfi hat es auf unſer Verderben abgejehen,“ jchrie 
plöglich der Stronenmarjchall. 

Witowsfi, als erfahrener Soldat, erfannte die Unhaltbarfeit 
der Position und die Gefahr, die jeine Mannschaften bedrohte. 
Er bebte vor Zorn und Ungeduld, und da er das nicht länger 
mehr mit anjehen fonnte, wandte er fein Pferd und jprengte, 
was es ausgreifen fonnte, zu Tjceharniezfi, welcher während der 
ganzen Zeit zur VBerwunderung aller jeine Leute dem Fluſſe 
zu drängte, 

„Erw. Erlaucht!“ jchrie Witowski, „das dort it unnüßes 
Blutvergießen, wir befommen die Brüde nicht!“ 

„sch will fie auch gar nicht haben!“ antwortete Tſcharniezki. 

„Was aljo wollen Ew. Erlaucht denn? Was jollen 
wir thun?“ 

„Macht, daß ihr zu eurer Fahne fommt und die Brücde 
jtürmt! Fort mit euch!“ 

Die Augen Tjeharniezkis jprühten Feuer, Witowsft prallte 
por dem Ausdruck in dieſen Augen zurüd und machte Kehrt, 
ohne ein Wort zu erwidern. | 


373 


Unterdejien hatte der General jämtliche Fahnen bis auf 
zwanzig Schritt dem Fluſſe nahe gebracht und dieſelben in 
langer Linie am Bett der Piliza aufgejtellt. Niemand fonnte 
ſich erflären, was er damit bezwedte. 

Plöglich jtellte er jich vor die ‚sront der Fahnen; jein 
Geficht glühte, die Augen jchofien Blige. Ein heftiger Wind 
hatte jich erhoben, die Flügel feiner Burka flatterten um ihn, 
wie die Flügel des Adlers, das Pferd unter ihm bäumte jich 
unter den Sporen des Reiterd und riß die Nüjtern weit auf. 
Ticharniezfi ließ den Säbel jinfen, riß die Müte vom Kopfe; 
das dichte Haar flog im Winde um die jchweißtriefende Stirn. 

„Meine Herren!“ fchrie er der Divijion zu. „Der Feind 
glaubt jich jenſeits des Fluſſes ficher; er jpottet unſer! Er iſt 
über das Meer zu uns gekommen, unjer Vaterland zu zeritören 
und er denkt, daß wir zögern werden, zur Rettung Ddesjelben 
dieſes Flüßchen zu durchſchwimmen!“ 

Er warf die Mütze zu Boden, riß den Säbel in die Höhe 
und, flammende Begeiſterung in ſeiner ganzen machtvollen 
Perſönlichkeit, ſchrie er noch —— 

„Wer Gott liebt und ſeinen Glauben! Wer das Vater— 
land liebt! Mir nach!“ 

Er gab dem Pferde die Sporen, daß es hoch in die Luft 
jprang und mit einem mächtigen Satze in die Fluten der Piliza 
tauchte. Hoch auf braujten die Wogen; einen Augenblid lang 
waren Noß und Reiter in dem Schaum und Gijcht ver- 
ſchwunden, tauchten aber bald wieder auf. 

„Meinem Herrn nach!” rief Michalek, derjelbe, welcher bei 
Rudnick feine erſten Lorbeeren verdient, und ſprang ebenfalls 
in den Fluß. 

„Mir nach!“ ertönte die dünne Stimme Wolodyjowsfis. 
Auch er war in der nächiten Sekunde im Waſſer. 

„Jeſus, Maria!“ brüllte Sagloba, jein Pferd zum Sprunge 
ſpornend. 

Und nun ſtürzten ſie alle hinterdrein, die Laudaer Fahne 
zuerſt, dann die Wisniowiezkiſche, die von Witowski, Stazkowski 
und alle die anderen. Nach dem erſten Staunen war eine 
Begeiſterung — über dieſe Reiter gekommen. Eine 
—* drängte die andere; das Waſſer des Fluſſes trat aus 
den Ufern und verwandelte ſich ſchnell in eine dicke milchige 
Flüſſigkeit. Zuerſt ſchien es, daß das Waſſer die Laſt der 
Tiere und Menſchen nicht tragen wolle, bald aber ſchwammen 
die Pferde ruhig und dicht bei einander durch die wogende Flut, 


374 


wie eine unabſehbare Schar Delphine, eine Brücke bildend, auf 
welcher ein Mann ruhig hätte hinüberjchreiten können. 

Tieharniezfi war der erjte, welcher das jenjeitige Ufer 
gewann. Noch ehe er das Wafjer etwas aus den Kleidern 
gejchüttelt hatte, waren die Yaudaer ihm gefolgt und Schan- 
darowski führte foeben jeine Fahne das Ufer herauf. 

„Auf! Sclagt zu! Vorwärts!” Fommandierte der General. 

Er ließ eine Fahne nach der anderen an jich vorüber, 
der legten jtellte er jich an die Spite und vorwärts ging es, 
den anderen nad). 

Die erjten zwei Abteilungen jchwediicher Weiter, welche 
dem Fluſſe zunächjt jtanden, bemerften zwar, was gejchah; Die 
Verwegenheit der Polen verblüffte jie jedoch jo jehr, daß fie 
wie angewurzelt jtanden und ehe noch ihre Offiziere recht zur 
Belinnung kamen, braujten die Yaudaer jchon jo — daher, 
daß die Schweden, unvorbereitet wie ſie waren, dem Anprall 
nicht Stand zu halten vermochten und die erſte Fahne im nächſten 
Augenblick vom Erdboden verſchwunden war. 

Inzwiſchen war auch Schandarowski herangeſauſt. Ein 
kurzer verzweifelter Kampf begann, die Glieder der Schweden 
wurden durchbrochen, in regelloſer Flucht ohne Deckung eilten 
ſie zur Hauptarmee zurück, von den Fahnen Tſcharniezkis un— 
barmherzig verfolgt und niedergehauen. 

Endlich war allen klar geworden, warum Tſcharniezki ſo 
feſt auf der Einnahme der Brücke beharrt hatte, obgleich er ſie 
nicht zum Uebergange benutzen wollte. Er hatte nur die ganze 
Aufmerkſamkeit der feindlichen Armee von ſich ab, dem einen 
Punkte zulenken wollen, um ſich den ungeſtörten Uebergang 
durch das Flußbett zu ſichern. Zudem hatte er erreicht, was 
er gewünſcht, nämlich, daß die Stellung der Geſchütze eine für 
ihn günſtige geworden, er beim erſten Anſturm auf das feind— 
liche Heer von ihnen unbehelligt blieb, und Zeit gewann, indem 
eine ganz neue Formierung der Schlachtlinie am Fluſſe nach 
rückwärts ſtattfinden mußte. 

Was der Feldherr vorausgehofft, geſchah. Ein entſetzliches 
Getümmel entſtand bei der Brücke. Bei der Wendung der 
Füſiliere und Reiter nach rückwärts löſten ſich die Glieder der 
einzelnen Abteilungen; im Lärmen des Durcheinander wurden 
die Kommandorufe überhört oder falſch verſtanden. Umſonſt 
ſuchten die Offiziere mit faſt übermenſchlicher Anſtrengung die 
Ordnung wieder herzuſtellen, umſonſt entſandte der Markgraf 
Hilfstruppen — noch ehe die Füſilierbataillone ihre Lanzen— 


375 


ichäfte befejtigt, um fie der Attade der Feinde entgegenrichten 
zu fünnen, war die Zaudaer Fahne mit gejpenjterhafter Eile 
bis in die Mitte derjelben vorgedrungen, Tod und Berderben 
füend. Die zweite, dritte, vierte Fahne der Polen war der 
eriten gefolgt. Pulverdampf verhüllte das Schlachtfeld, aus 
der grauen Wolfe, die alles den Bliden entzog, flang nur das 
Geklirr der Säbel, die VBerzweiflungsichreie der Gefallenen, 
Triumphgejchrei der Sieger. Nur zuweilen ja man im Glanz 
der leuchtenden Sonne einen Zanzenjchaft oder den Knauf eines 
Schwertes durch die Dampfwolfen bligen. 

Jetzt fiel von der Brüde her Wonſowitſch mit den Ueber- 
bleibjeln jeiner Fahne dem Feinde in die Flanke; er Hatte die 
Brüde überjchritten und fein Einjchreiten entichied den voll- 
jtändigen Sieg über die ?Füftliere des Markgrafen. 

Es Löten jich ganze Haufen Fliehender aus den zerrijjenen 
Gliedern und juchten in wilder ‚Flucht den Wald zu erreichen, 
wo der Markgraf mit der Hauptarmee hielt. Planlos, ohne 
Kopfbedelung und Waffen rannten fie umher, den Schwert- 
hieben der Verfolger zum Opfer fallend. Artillerie, Füſiliere 
und Reiter, alles in buntem Gemifch durcheinander, jtrebte dem 
rettenden Walde zu, die polnischen Reiter immer dicht auf den 
Ferſen, zu beiden Seiten, mitten zwijchen ihnen, ja jogar vor 
ihnen, die Flucht abjchneidend. Keiner wehrte jich mehr, die 
ganze Ebene dröhnte vom Gejtampf der Pferde, ohne Barm- 
berzigfeit fielen die Schwertitreiche, die Schlacht war zum 
Gemetzel geworden. 

Bon dem Teil der Armee, die am Fluſſe geitanden und 
dem Walde zu floh, blieb nichts übrig, al3 ein paar vereinzelte 
Neiterhäuflein, welche den Wald erreichten. Doch wie überall, 
jo auch Hier, vollendeten die im Dicicht verborgenen Bauern 
das Werf der Vernichtung. 

Und nun begann die jchredliche, regelloje Flucht und Ver— 
folgung der Hauptarmee auf der Warſchauer Landſtraße. Der 
jüngere Marfgraf Adolf verjuchte zweimal die Flüchtigen zum 
Stehen zu bringen, doch beide Male wurde jein Vorhaben ver- 
eitelt, zulett geriet er jelbjt in Gefangenjchaft. 

Die Abteilung feiner franzöfischen Leibgarde in der Stärfe 
von vierhundert Mann jtredte freiwillig die Waffen. Drei- 
taujfend der auserlejenjten Musketiere und Reiter flohen bis 
nad; Mniſchewo. Die Musketiere wurden in Mnijchewo ein= 
geholt und ausgerottet, die Reiter wurden big Tſcherſtkow ver- 
folgt, jo lange, bis diejelben volljtändig verjprengt, einzelne in 


376 


den Wäldern, dem Röhricht und Unterholz Schuß juchten, wo 
fie am nächiten Tage von den herumziehenden Bauern aufs 
gejtöbert und aufgehängt wurden. 

Noch ehe die Sonne unterging, hatte die Armee des Marf- 
grafen Friedrich von Baden aufgehört zu eriltieren. 

Auf dem Plate des erjten Treffens waren nur die Fähn— 
riche mit den blanfen Fahnen zurücgeblieben, alles, was zur 
polnischen Armee gehörte und noch lebte, jagte den Feinden 
nach. Die Sonne jtand jchon tief am Himmel, als die erjten 
Abteilungen vom Walde her, und aus Minifchewo zurückkehrten. 
Sie nahten jingend und lärmend, warfen jubelnd ihre Mützen 
in die Luft und feuerten Freudenjchüffe ab. Faſt alle führten 
Gefangene mit fich, welche neben den Pferden herlaufen mußten, 
ohne Kopfbedeckung, blutbefledt, mit zerfegten Kleidern, durch 
die Bewegungen der Pferde oft aneinander gejchleudert. Das 
Schlachtfeld bot einen entjeglichen Anblid. & der Kampf am 
ärgiten gewütet hatte, lagen die Leichen haufenweije übereinander ; 
viele von ihnen hielten noch die Lanzen feit in den eritarrten 
Händen. Halb oder ganz zerbrochene Lanzen, Trommeln, Trom— 
peten, Gürtel und DBlechgerät lagen überall umher. Arme und 
Beine der übereinander gehäuften Toten jtarrten in die Höbe, 
ein wirre® Durcheinander, jo daß es jchredlich anzujehen war. 

In der Nähe des Fluſſes lagen die nun erfalteten Ge— 
jchüge, teil umgejtürzt von dem Andrange der Menjchen, teils 
icyußbereit, nur des Abbrennens harrend; neben ihnen, im tiefen 
Todesjchlaf die Kanoniere. Der Glanz der Abendjonne jpiegelte 
ji in den Blutlachen, die überall jich angejammelt hatten und 
die, verbunden mit dem Duft des verbrannten PBulvers, über 
das ganze Schlachtfeld einen jcharfen Geruch ausjtrömten. 

Zicharniezfi fam mit den Stammjoldaten zurüd, noch 
bevor die Sonne ganz untergegangen war. Die Truppen be- 
grüßten ihn mit donnernden Sochrufen. Die Begrüßungen 
und Beglüdwünjchungen wollten fein Ende nehmen. Der General 
hielt auf feinem Scheden mitten auf dem Schlachtfelde, er jah 
unendlich erjchöpft, aber jtrahlend im Bewußtſein des Sieges 
aus, Das Haar auf dem entblößten — wurde von der 
Luft leiſe hin und her bewegt, das Abendrot goß einen roſigen 
Schimmer über die müden Züge und ſpiegelte ſich in dem Knauf 
des Säbels, während er auf alle die Vivatrufe nur die eine 
Antwort hatte: „Nicht mir, meine Herren, gebührt der Dank 
und die Ehre, fondern dem Namen des allmächtigen Gottes.“ 

Neben ihm hielten Witowski und Lubomirski, der lehtere 


377 


jtrahlend wie die Sonne, denn jein vergoldeter Panzer leuchtete 
weithin, jein Geficht und die Hände rot gefärbt vom angetrod- 
neten Blute der Feinde, die er eigenhändig, wie ein gemeiner 
Soldat, getötet hatte. Doch jeine Züge nahmen einen immer 
unzufriedeneren Ausdrud an, als ſelbſt jeine eigenen Leibjoldaten 
zu rufen begannen: 

„Vivat Tſcharniezki, dux et vietor!” 

Der Neid begann jchon an der Seele des Marjchalld zu 
nagen. 

Unterdeſſen waren von allen Seiten her die verjtreuten, 
noch fehlenden Fahnenabteilungen zurüdgefehrt; eine jede von 
ihnen legte dem General eine eroberte Feindesfahne zu Füßen. 
Bei diefem Anbli erhoben jich immer mehr Jubelrufe, man 
ließ den Feldherrn immer von neuem hochleben. 

Die Sonne war untergegangen. Da läutete in der einzigen 
nach jenem Brande wieder aufgebauten Kirche in Warfa die 
Abendglode. Alle Häupter entblößten jich, eine feierliche Stille 
trat ein; der Feldprediger Piekarski intonierte den englijchen 
Gruß und taujend rauhe Männeritimmen fielen in den Gejang 
ein, dab der Hymnus mächtig über das Schlachtfeld hinaus 
ertönte. 

Die Augen all der bluttriefenden Krieger waren dem 
Himmel zugewendet, der im Weſten von der Abendröte tief rot 
gefärbt, ein Widerſchein dieſes blutigen Schlachtfeldes zu ſein 
ſchien, während das fromme Lied ſich erhob zu dem immer 
dunkler werdenden Gewölbe des Zenithes. 

Eben als man den Geſang beendet, ſprengte die Laudaer 
Fahne heran, die im Eifer des Gefechtes am weiteſten hinter 
dem Feinde hergeſetzt war. Auch ſie brachte dem Feldherrn 
ein paar eroberte Fahnen und Herr Tſcharniezki, welcher ſich 
über dieſe Fahne ſtets am meiſten freute, ſprengte dem Herrn 
Wolodyjowski lebhaft entgegen. 

„Sind euch viele entkommen?“ frug er. 

Herr Wolodyjowski ſchüttelte nur den Kopf zum Zeichen 
der Verneinung. Er war ſo außer Atem, daß er kein Wort 
hervorzubringen vermochte und nur nach Luft ſchnappte. Er 
wies mit der Hand nach dem Munde, um anzudeuten, daß er 
nicht reden könne, und Tſcharniezki verſtand ihn; er nahm den 
Kopf des kleinen Ritters zwiſchen ſeine Hände und indem er 
ihn faſt zärtlich preßte, ſagte er: 

„Der hat ſich müde gearbeitet.“ 


378 


Sagloba, der etwas eher zu Atem fam, beganı nun zähne- 
flappernd mit unterbrochener Stimme: 

„Mech friert! Wahrhaftig! Es zieht über den erhigten 
Körper! Ein Schlagfluß wird mich treffen! Zieht einem diden 
Schweden den Heberrod aus, damit ich ihn anziehen fann, denn 
ich bin ganz nah. Ich kann fait nicht mehr unterjcheiden, was 
an mir Wafler, Schweiß oder Schwedenblut iit.... Wenn 
ich je gedacht habe, dak ich im Leben noch eine jolche Menge 
diefer Schelme hinjchlachten würde, dann bin ich feinen Pferde— 
jchwanz wert... Der heutige Sieg iſt der größte dieſes 
Krieges... Aber ins Waſſer gehe ich nicht wieder... . 
Nicht eſſen, nicht trinken, nicht jchlafen und dann ein Bad... 
Das ijt zu viel für mein Alter... Die Hand erlahmt mir... 
Der Schlagfluß padt mih! ... Branntwein her... um 
Gottesmwillen! . . .* 

Als Ticharniezki das hörte und den alten Mann ſah, er— 
griff ihm tiefes Mitleid; er reichte ihm feine Feldflaſche. 

Sagloba jegte fie an die Lippen und leerte jie auf einen 
Zug. AS er fie dem General zurüdgab, jagte er: 

„Sch habe jo viel Waſſer der Piliza verfchludt, daß ich 
fürchten muß, nächjtens den Magen voll Fiſche zu haben Ach! 
Das Getränk hat jet aber wohlgethan.“ ı 

„Und zieht euch jchnell um, wechjelt die Kleider, im Not- 
fall nehmt fie von den Schweden,“ jagte Herr Ticharniezfi. 

„sch werde einen dicken Schweden juchen, von dem euch 
die Kleider paſſen fünnten, Ohm,“ ſagte Rochus. 

„Wozu von einem Toten die blutigen Sachen abnehmen,“ 
antwortete Sagloba. „Ziehe jchnell den dicken General aus, 
den ich gefangen genommen.“ 

„Wie? hr habt einen General gefangen?“ frug Tichar- 
niezki lebhaft. 

„Ben hätte ich nicht gefangen, was hätte ich nicht voll- 
bracht!” brüjtete jich der Alte. 

Setzt hatte jich auch Wolodyjowsfi jo weit erholt, daß er 
berichten konnte: 

„Wir haben den jüngeren Markgrafen Adolf, den Grafen 
Falfenftein, die Generale Weger, Poter, Benzy und andere 
Offiziere in Gefangenjchaft genommen.“ 

„Und der Markgraf Friedrich?” frug Tſcharniezki Haitig. 

„Wenn er nicht etwa hier auf dem Schlachtfelde geblieben 
it, jo muß er in die Wälder entfommen jein; dort aber ift er 
den Bauern rettungslos verfallen!“ 


379 


Hierin täufchte Wolodyjowski fih. Der Markgraf Friedrich 
hatte, nachdem er zuerjt in den Wäldern umbergeirrt war, noch 
in der Nacht mit den Generalen Ehrensheim und Schlipenbad) 
Tſchersk erreicht, dort in der alten Schloßruine drei Tage und 
Nächte bei Hunger und Kälte heimlich zugebracht, dann waren 
ſie nachts ebenjo heimlich nad) Warjchau geflüchtet. Das jchüßte 
fie zwar nicht vor jpäterer Gefangenschaft, doch waren fie vor- 
läufig geborgen. 

Die Nacht war angebrochen, als Tjceharniezfi das Schlacht- 
feld verließ und nad Warfa aufbrach. Es war die fröhlichite 
und glücdlichjte jeines Lebens, denn jeit Beginn der Erhebung 
hatten die Schweden eine jo große Niederlage nicht erlitten. 
Außer dem Generalfeldmarjchall jelbft waren alle Generale 
und Offiziere, alle Fahnen, alle Geſchütze in ihre Hände gefallen, 
die Armee des Markgrafen war vernichtet. E3 war nun er— 
wiejen, daß die Schweden, welche fich in offener Feldſchlacht für 
unbejiegbar gehalten hatten, der Taktik des polnijchen Generals 
und dem feurigen Angriff der Reiter unterlegen waren. Außer— 
dem mußte diejer Sieg die beiten Folgen nach fich ziehen. Der 
Mut der anderen polnifchen Armeen mußte dadurch gehoben, 
zur flammenden Begeifterung angefacht werden. Ticharniezfi 
jah im nicht zu langer Zeit die ganze Nepublif von dem Drud 
der Schwedenherrjchaft befreit, triumphierend als Siegerin... 
vielleicht auch jchwebte feiner Seele ganz in der Ferne das 
goldene Szepter des Großhetman des polnischen Reiches vor. 

Es war fein Unrecht, wenn er auch ein wenig daran 
dachte, denn er jtrebte dieſem Biele mit der Kraft und dem 
Mute eines ehrlichen Soldaten zu; er war der Bejten einer, 
die ſich um das Vaterland verdient machten, einer der wenigen, 
deren Größe aus bitterem Leid, aus Schmerz und Seelenqual 
eritanden war. 

Faſt konnte er die Fülle des Glüdes und der Freude, Die 
nad) diefem Siege jeine Bruſt jchwellte, nicht ertragen; er mußte 
ihr Worte leihen. Darum wandte er fich dem neben ihm 
reitenden Marjchall zu und jagte: 

„Set auf nad) Sandomir! nach Sandomir! fo jchnell als 
möglich. Das Heer Hat heute die Feuerprobe beitanden; es 
fann uns weder die San noch die Weichjel mehr chreden!“ 

Der Marjchall erwiderte fein Wort darauf. Dafür fonnte 
Sagloba ſich nicht enthalten, laut zu jagen: 

„Geht, wohin ihr wollt, aber ohne mich; denn ich bin 


380 


feine Wetterfahne, die Tag und Nacht weder Speije, noch 
Trank, noch Schlaf braucht.” 

Ticharniezfi war jo fröhlich geitimmt, dat er dieſen Aus- 
bruch der Unzufriedenheit nicht nur nicht übel nahm, fondern 
den Alten noch nedte: 

„Ihr gleicht eher einem Glodenturm, wie einem Wetter- 
bahn, denn ihr habt Spaten im Kopfe. Aber, — alles, was 
wahr iſt, Schlaf und Nahrung benötigen wir alle.“ 

Darauf murmelte Sagloba nur noch vor fich Hin: 

„Die Spaten jpufen einem im Sopfe herum, weil Die 
Zunge am Gaumen Flebt.‘“ 








10. Kapitel. 





Nach jenem Siege gönnte Ticharniezfi jeinem Heere die 
wohlverdiente Ruhe Die Menjchen durften jich ausjchlafen 
und jattefjen, die eben jo müden Pferde wurden abgefüttert. 
Darnach jollte der Rückmarſch nad) Sandomir in Eilmärjchen 
fortgejeßt werden. 

Da, eines Abends fam Charlamp mit Nachrichten von 
Sapieha in da3 Lager. Tcharniezfi befand jich zu jener Zeit 
gerade in Tichersf, wo er die Mannjchaften des allgemeinen 
Aufgebotes, welches fich bei jener Stadt zujammengezogen hatte, 
einer Mujterung unterziehen wollte. 

Da Charlamp den General nicht antraf, begab er ji) 
jogleich zu Wolodyjowsfi, um nach dem langen Ritt bei ihm 
auszuruhen. Die Freunde begrüßten ihn freudig, doch jein 
Geſicht nahm einen traurigen Ausdrud an, während er jagte: 

„Sch habe von eurem Siege jchon gehört. Hier hat ung 
das Glück gelächelt, bei Sandomir hat es ung verlajjen. 
Karolus figt nicht mehr im Sad; er hat ſich herausgehauen 
und wir mußten ihn, nachdem das litauifche Heer großen 
Schaden erlitten, ziehen lafjen.“ 

„Nicht möglich!” rief Wolodyjowsfi, ſich in die Haare 
fahrend. 

Die beiden Skrzetuski und Sagloba blieben wie verjteinert 
itehen. 

„Wie ift das zugegangen? Erzählt, beim lebendigen Gotte! 
Wir brennen, zu hören, was gejchehen.“ 


382 


„Sch bin zu erjchöpft,“ antwortete Charlamp. „Tag und 
Nacht bin ich geritten, ich bin entjeglich müde. Wenn Herr 
Ticharniezfi zurücgefehrt jein wird, dann will ich in jeiner 
Gegenwart alles erzählen. Laßt mid) jet ein Wenig ausruhen.“ 

„Alſo Karolus ift entwichen!“ jagte Sagloba. „Sch habe 
das kommen jehen! Nicht wahr? Oder habt ihr vergejien, 
daß ich das prophezeite? Kowalski kann e8 mir bezeugen!“ 

„Der Ohm hat e8 prophezeit,“ echote Rochus. 

— wo hat ſich Karolus hingewendet?“ frug Wolody— 
jowski. 

„Die Füſiliere ſind auf Flößen ſtromabwärts geſchwommen, 
die Reiter ritten durch die Weichſelniederung gen Warſchau.“ 

„Gab es eine Schlacht?“ 

„Ja und nein! Ach laßt mich ruhen; ich bin außerſtande 
zu ſprechen!“ 

„Nur eines ſagt uns noch. Iſt Sapieha vollſtändig ge— 
ſchlagen?“ 

„Ach, woher denn? Er jagt jetzt dem Könige nach, aber 
Herr Sapieha wird in ſeinem Leben niemanden einholen.“ 

„Der und etwas einholen. Der paßt zur Jagd, wie die 
Schnecke zum Wettrennen!“ ſagte Sagloba. 

„Gott ſei Dank, daß wenigſtens das Heer heil geblieben 
iſt!“ verſetzte Wolodyjowski. 

„Heer! Sie haben uns genarrt, die Baltiker!“ rief Sagloba. 
„Was hilft es! Wir müſſen nun das Loch in der Republik 
wieder flicken helfen!“ 

„Sprecht nichts Böſes auf das litauiſche Heer,“ entgegnete 
Charlamp. „Karolus iſt ein großer Krieger und es bedarf 
feiner bejonderen Ungejchidlichkeit, da8 Spiel mit ihm zu ver- 
fieren. Habt ihr vom Kronenheere, bei Uſchtſch, bei Wolborſch, 
Sulejowo und anderen Städten euch etwa nicht foppen laſſen? 
Hat nicht ger Tſcharniezki bei Golembin auch eine Niederlage 
erlitten? Warum ſoll da nicht auch Herr Sapieha einmal 
eine Schlacht verlieren? Beſonders da ihr ihn ganz verwatiit 
zurückgelaſſen habt.“ 

„Sind wir etiva zum Iuftigen Tanze nad) Warka marjchiert?“ 
jagte Sagloba entrüjtet. 

„sch weiß, ihr zoget in die blutige Schlacht und Habt den 
Sieg errungen. Aber wer kann wiljen, ob es nicht befjer ge- 
wejen wäre, uns nicht zu verlafjen? Man fagt bei uns, daß 
die beiden Armeen, jede für jich, leicht vernichtet werden können, 
während jie vereint ſelbſt den Teufel bejiegen würden.“ 


383 


„Das wäre nicht unmöglich!” jagte Wolodyjowsfi. „Was 
aber die Feldherren beratjchlagt haben, dagegen fünnen wir ung 
nicht auflehnen. Uebrigens jeid ihr jedenfalls nicht von jeder 
Schuld freizufprechen.“ 

„Sapieha muß auf jeinem Pojten eingenidt jein, ich fenne 
ihn ſchon!“ jagte Sagloba. 

„sh kann das nicht bejtreiten!“ murmelte Charlamp 
für ſich. 

Sie verjtummten eine Weile, warfen fich von Zeit zu Zeit 
düjtere Blicke zu, denn fie fürchteten, da das Glück wiederum 
von der Nepublif zu weichen beginne. Und doch waren jie 
noch vor furzem jo voll froher Hoffnungen gewejen. 

Da jagte Wolodyjowsft: 

„Der Herr Kajtellan fehrt zurück!‘ 

Mit diefen Worten eilte er zur Thür hinaus. 

Tſcharniezki war wirklich zurücgefehrt. Wolodyjowsfi, der 
ihm entgegenlief, rief ihn jchon von weiten zu: 

„Erlaucht! Der König von Schweden hat das litanijche 
Heer bewältigt und ift entflohen. Es ijt ein Bote vom Herrn 
Wojewoden von Wilna angekommen.“ 

„Bringt ihn zu mir!“ befahl Tſcharniezki. „Wo ift er?“ 

„Bei mir! Sch führe ihn gleich her.“ 

Aber Herr Ticharniezfi war jo betroffen von diejer Nach» 
richt, daß er nicht warten wollte, bi3 Charlamp zu ihm fam, 
jondern vom Pferde jprang und in das Quartier Wolody- 
jowsfis eilte. 

Die Anwejenden jprangen von ihren Siten auf, als der 
General eintrat und grüßten, doch er nidte ihnen faum zu, er 
rief gleich: 

„sch bitte um die Briefe!“ 

Charlamp reichte ihm ein verjiegelte® Schreiben. Der 
General trat damit an das Fenſter, denn in der Stube war 
e3 bunfel, und begann mit gerungelter Stirn und Sorge im 
Antlig zu lejen. Bon Zeit zu Zeit bligte es zornig in Alu 
Augen. 

„Der Kajtellan ift aufgeregt,“ flüjterte Sagloba dem Skrze— 
tusfi zu, „jieh nur, wie ihn die Pockennarben rot hervortreten; 
er wird auch gleich anfangen zu lifpeln, wie er immer thut, 
wenn der Zorn ihn padt.“ 

Ticharniezfi war mit dem Lejen zu Ende gefommen; er 
drehte mit der Fauft an feinem Sinnbart und fann nad). 


384 


Endlich wandte er fich mit Hanglojen undeutlichen Worten an 
Charlamp: 

„Tretet näher, Soldat!“ 

„Zu Befehl, Erlaucht!“ 

„Sprecht die Wahrheit, “ſagte der Kaſtellan mit Nachdruck. 
„Dieſer Bericht iſt ſo fein und geheimnisvoll verfaßt, daß ich 


nicht auf den Grund der Dinge kommen fann ... Aber die 
Wahrheit ... . nichts bejchönigen .... ijt Die Armee auf- 
gelöſt?“ 


„Sie iſt nicht aufgelöſt, Erlaucht. 

„Wieviel Tage werden nötig ſein, ſie wieder zu ſammeln?“ 
Hier flüſterte Sagloba wieder Skrzetuski zu: 

„Er will ihn, wie man das nennt, aufs Glatteis führen.“ 
Doch Charlamp antwortete, ohne zu zögern: 

Wenn das Heer nicht aufgelöft üt, braucht es doch nicht 
gejammelt zu werden. Es ijt ja wahr, daß wir noch etwa fünf- 
hundert Bauern mit ihren Pferden vermißten, als ich fortritt, 
die wir unter den Gefallenen nicht entdeden fonnten, aber das 
fommt nad) jeder Sclacht vor, darunter leidet die Ordnung 
des Heeres nicht. Der Herr Hetman folgt in guter Ordnung 
der Spur des Könige.“ 

„Kanonen habt ihr feine verloren? Steine?“ 

„Doch! Vier! Die Schweden haben jie, da fie diejelben 
nicht mitnehmen fonnten, vernagelt.“ 

„sch glaube, ihr jprecht die Wahrheit. Erzählt nacheinander, 
wie e3 gefommen.“ 

Ineipiam!* jagte Charlamp. „Nachdem wir allein 
zurüdgeblieben waren, bemerkte der Feind doch bald, daß das 
Heer jenjeits der Weichiel nicht mehr im Lager war, jondern 
nur regelloje Barteien und Haufen aufjtändijcher Bauern. Wir 
dachten, oder, um forreft zu jprechen, Herr Sapieha dachte, daß 
die Schweden jene überfallen fünnten, deshalb jandte er ihnen 
Suffurs, aber nur Fleinen, um nicht ſich jelbjt zu ſchwächen. 
Im Schwedenlager war ein Leben und Summen, wie in einem 
Bienenſtock. Gegen Abend drängten ganze Haufen an die San. 
Wir waren im Quartier des Wojewoden. Da läßt fich diejer 
Herr Kmiziz, welcher jest Babinitjch eilt, melden. Herr Sapieha 
will fich gerade zu Tiſche jegen; er hatte eine ganze Menge 
adliger Damen bis von Krajchnif und Janowo Her zu einem 
Gajtmahl geladen, ... es iſt ja befannt, daß der Herr Woje— 
wode das weibliche Gejchlecht liebt.“ 

„But zu ejjen liebt!“ unterbrach ihn Tſcharniezki. 


385 


„sa, ja, ich fehle ihm! es ijt niemand da, der ihn zur 
Mäßigkeit anhält!“ warf Sagloba ein. 

Darauf Herr Ticharniezfi: 

„Ihr werdet wieder eher bei ihm jein, als ihr denkt, dann 
fönnt ihr euch gegemjeitig Mäßigfeit empfehlen.“ 

Und zu Charlamp gewendet: 

„Sprecht weiter.“ 

„Babinitjch meldet aljo die Bewegung im Schwedenlager, 
der Wojewode antwortet darauf: ‚Sie jimulieren nur den Ans 
griff! Sie werden nichts unternehmen! her, jagte er, 
werden ſie Die Weichjel überjchreiten. Aber ich habe ein wach- 
ſames Auge und werde rechtzeitig einjchreiten. Unterdeſſen 
wollen wir uns unjer Vergnügen nicht jtören laflen. Auf 
daB es uns wohl jet Wir aßen und tranfen. Die 
Stapelle jpielte nachher, der Wojewode jelbit bat zuerjt zum 
Tanz . . .“ 

„sch werde ihm das Tanzen anjftreichen!“ unterbrach 
Sagloba. 

„Schweigt!“ befahl Tſcharniezki. 

„Da kommen von neuem Boten mit der Meldung, daß 
das Getümmel und Gelärme an der San ganz entſetzlich ſei. 
Es nützt nichts! Der Wojewode flüſtert dem Pagen zu: ‚Du 
ſollſt mich nicht immerzu ſtören! Wir tanzten bis zum Morgen 
und ſchliefen bis zum nächſten Mittag. Als wir endlich auf— 
wachen, da ſehen wir drüben mächtige Schanzen, wie aus der 
Erde gewachſen, und auf ihnen die ſchweren ſchwediſchen Kar— 
taunen. Von Zeit zu Zeit wird eine abgefeuert und wo ſie hin— 
ſchlägt, fällt ſie ſchwer auf. Aber eine einzige der geladenen Frauen 
genügte, um den Hetman völlig blind für alles das zu machen!“ 

„Laßt die Bemerkungen,“ unterbrach ihn Tſcharniezki. „Ihr 
ſeid hier nicht beim Hetman!“ | 

Charlamp wurde jehr verlegen und fuhr fort: 

„Nachmittag ritt dev Wojewode jelbjt an den Fluß. Die 
Schweden hatten unter dem Schuge der Schanzen bereit3 an— 
gefangen eine Brüde zu bauen. Sie arbeiteten bis zum Abend 
zu unjerer großen VBerwunderung, denn wir waren der Meinung, 
da fie die Brücke bauten, aber nicht herüber fommen fünnten. 
Am folgenden Tage bauten jie weiter. Der Wojewode fängt 
num auch am bejorgt zu werden; er bereitete ſich auf eine 
Schlacht vor.“ 

„Die Brüde wurde doch nur zum Schein gebaut, Die 

Stenkiewicz, Sturmflut II. 25 


336 


Schweden gingen weiter unterhalb über den Fluß, nicht wahr?“ 
jagte Tſcharniezki. 

Charlamp jchwieg eine Weile mit weit aufgerifjenen Augen 
und offenem Munde, endlich frug er: 

„Ew. Erlaucht wijjen bereits?“ 

„Das muß man jagen,“ flüfterte Sagloba, „alles, was den 
Krieg betrifft, das überjieht unjer Alter im Fluge.“ 

„Weiter!“ befahl Tſcharniezki. 

„E83 wurde Abend. Das Heer jtand in Erwartung der 
Schlacht fampfbereit da. Mit dem eriten Sternblinfen begann 
bei ung wieder ein Gajtmahl. Unterdeſſen hatten die Schweden 
auf jener anderen Brüde, unterhalb, die San überjchritten. 
Dort Itand am Rande unjeres Lagers die Fahne des Herrn 
Kojchüg, eines braven Soldaten. Der zieht los auf fie! Die 
zunächitliegenden Haufen des allgemeinen Aufgebots eilen ihm 
zu Hilfe, doch beim eriten Donner der jchwedischen Kanonen 
fliehen jie. Herr Kojchüt it gefallen, von jeinen Leuten find 
nur wenige übrig geblieben. Erſt als das allgemeine Aufgebot 
im Sturm dad Schwedenlager überfiel, brachten jie einige Ber- 
wirrung in den Uebergang; alles, was in der Nähe der zweiten 
Brüde an Soldaten zu haben war, jtellte jich den Schweden 
entgegen, aber wir richteten nichts aus, im Segenteil, wir ver- 
Ioren noch unjere Kanonen, und e8 war ein Glück, daß der 
rößte Teil der jchwediichen Fußjoldaten mit ihren Kanonen 
* in der Nacht auf Flößen die Weichſel hinab geſchwommen 
waren, wovon wir auch nichts bemerkt hatten, ſonſt wäre unſere 
Niederlage eine ſchreckliche geworden.“ 

„Sapieha hat einen ordentlichen Bock geſchoſſen; ich wußte 
das im voraus!” rief Sagloba. 

„Wir haben die KKorrejpondenz des Königs aufgefangen,“ 
jagte Charlamıp. „Die Soldaten haben daraus erjehen, daß der 
König nach Preußen gehen will, um mit einem furfürftlichen 
Heere von dort zurüczufehren, da er allein hier nichts aus— 
richten kann.“ 

„Das weiß ich!” antwortete Tſcharniezti. „Herr Sapieha 
hat mir den Brief mitgejchidt.“ 

Dann murmelte er für fich: 

„Wir müjjen ihm nach Preußen folgen.“ 

„Das iſt längjt meine Meinung!“ jagte Sagloba. 

Herr Ticharniezfi jah ihn eine Weile gedanfenvoll aıt. 

„Es iſt ein Unglüd!“ jagte er endlich laut. „Hätte ich 


387 


rechtzeitig nad) Sandomir zurüdfehren fünnen, jo hätten wir 
mit vereinten Kräften die Schweden vollitändig gejichlagen; der 
Krieg wäre beendet. Ha! was gejchehen, läßt fich nicht ändern... 
Der Krieg wird in die Länge gezogen, aber den Eindringlingen 
blüht doc) der Tod.“ 

„So muß es jein!...“ riefen die Ritter wie aus einem 
Munde. 

Neue Hoffnung z0g in ihre Herzen ein; die Zweifel, Die 
fie eine Weile befallen hatten, mußten weichen. 

Sagloba Hatte unterdejjen dem Pächter von Wonſotſch 
etwas in das Ohr geflüftert. Diejer verfchwand einen Augen 
blid, fehrte aber bald mit einem Gonfchior Wein wieder. Als 
Wolodyjowsfi das jah, verneigte er ſich tief vor Tſcharniezki 
und bat: 

„Es wäre für uns einfache Soldaten eine außerordentliche 
Auszeichnung, wenn Ew. Erlaucht einen Becher Wein mit uns 
trinfen wollten... .“ 

„Sewiß! Gern will ich mit euch einen Trunf einnehmen,“ 
antwortete Tſcharniezti. „Wißt ihr auch warum? ... Wir 
müſſen uns trennen.“ 

„Wie? Trennen?“ rief Wolodyjowski verwundert. 

„Herr Sapieha jchreibt mir, daß die Laudaer Fahne zum 
fitauifchen Heere gehört und er jie nur für furze Zeit zur 
Aſſiſtenz des Königs abgejandt hätte. Da er jie aber jett, be- 
jonders ihre Offiziere, jehr nötig brauchen wird, jo befiehlt er 
ihre Rüdfehr unter jein Kommando. Mein lieber Wolodyjowski! 
Ihr wit, wie lieb ich euch Habe und wie jchwer mir die 
Trennung von euch wird, aber — hier ijt der Befehl für eud). 
Zwar hat der Herr Hetman aus Artigfeit den Befehl durd) 
mic) an euch gelangen lajjen; ich Hätte denjelben euch vor— 
enthalten fünnen... Mir ift, als ob der Herr Hetman mir 
mein teuerſtes Schlachtjchwert zerbrochen hätte, ... aber gerade 
darum, weil der Befehl durch meine Hand geht, darf ich ihn 
nicht unterjchlagen . . . Da, nehmt ihn! ... Und thut eure 
Pflicht! . . . Eure Gejundheit, mein liebes Soldatchen! ...“ 

Mieder verneigte ſich Wolodyjowski tief vor dem Kaſtellan, 
aber er fonnte vor Betrübnis fein Wort hervorbringen, und 
als Ticharniezfi ihn in feine Arme jchloß, da floſſen ihm die 
Thränen in Strömen in den gelben Schnurrbart. 

„sch wollte, ich wäre gefallen! ſprach er traurig. „Es 
war jo herrlich unter eurem Oberbefehl zu jtehen, verehrter 
General...“ 

25* 


388 


„Herr Michael, beachtet doch den Befehl nicht!“ jagte 
Sagloba gerührt. „Sch werde jelbit an Sapieha jchreiben und 
ihm tüchtig die Leviten leſen.“ 

Aber Herr Michael war vor allen Dingen Soldat, er 
drehte jich zu Sagloba um und jagte barich: 

„Ihr bfeibt doch ewig nur der alte Freiwillige! . . . Ihr 
würdet bejler thun, zu jchweigen, da ihr doch nicht verjteht, 
was das Wort ‚Dienit‘ bedeutet.“ 

„Da Habt ihr es!“ jagte Tjcharniezfi. 








1. Kapitel. 





AS Sagloba wieder vor dem Hetman jtand, ging er gar 
nicht auf die freudige Begrüßung desjelben ein. Er legte die 
Arme quer über den Rüden, jchob die Unterlippe vor und 
blidte ihn an, wie ein jtrenger aber gerechter Richter einen 
Schuldigen anfieht. Der Hetman wurde jehr heiter, als er 
dieje Miene Saglobas jah, denn er vermutete hinter derjelben 
irgend einen Scherz. Deshalb begann er auch jogleich: 

„Ra! Wie geht es euch, alter Schal? Warum fchnüffelt 
ihr mit eurer Naje herum, als figelte diejelbe ein unangenehmer 
Geruch?“ 

„Im ganzen Lager Sapiehas riecht es nach Bigos,“ war 
die prompte Antwort. 

„Warum gerade nach Bigos? Sprecht!“ 

„Weil die Schweden die Krautköpfe dazu gehobelt haben!“ 

„Da haben wir's! Er fängt ſchon an zu ſticheln! Schade, 
daß man euch nicht geköpft hat.“ 

„Das wäre nicht gut gegangen, denn ich diente unter 
einem Feldherrn, der ſelber köpfte und nicht zuließ, daß wir 
geköpft wurden.“ 

„Der Teufel ſoll euch holen! Hätte man euch wenigſtens 
die Zunge gekürzt.“ 

„Das wäre erſt recht nicht gegangen, wer hätte dann den 
Sieg Sapiehas verkündigen ſollen?“ 

Der Hetman wurde ſehr traurig: 

„Herr Bruder,“ antwortete er, „laßt die Vorwürfe! Es 
giebt mehr jolcher, die meine dem Waterlande ſchon geleifteten 
Dienjte bereits vergejien haben und mich verpönen; ich weiß 
e8, dat gegen weine Perjon noch viel Yärm erhoben werden 


390 


wird, dennoch bin ich überzeugt, daß die ganze Sache anders 
gefommen wäre, ohne dieſes Gelichter des allgemeinen Auf— 
gebotes. Man jpricht darüber, daß ic, über Gajtmählern die 
Beobachtung des Feindes verabjäumt habe, aber man vergißt, 
daß die ganze Mepublif Ddiefem Feinde nicht wideritehen 
fonnte!“ 

Dieje Worte des Hetman jtimmten den Alten etwas milder. 

„Es ijt einmal bei uns zu Lande Sitte, daß immer den 
Führer die Schuld trifft, wenn etwas verjehen wird. ch bin 
der legte, welcher euch die Gajtmähler zum Vorwurf macht, denn 
je länger der Tag, deſto notwendiger wird eine Stärkung. Herr 
Tſcharniezki ijt ein ausgezeichneter ?Feldherr; er hat in meinen 
Augen nur den einen Fehler, daß er zum Frühſtück, Meittag- 
brot und Abendejjen jeine Leute nur mit Schwedenblut regaliert; 
er iit ein beſſerer Feldherr als Koch; das iſt aber nicht gut, 
denn bei dieſer Art Krieg zu führen, müſſen die beiten und 
tapferiten Nitter erlahmen.“ 

„War Herr Ticharniezfi jehr zornig auf mich?“ 

„Ei, woher! Anfangs war er jehr niedergejchlagen, als 
er aber erfuhr, daß das Heer nicht aufgelöjt it, jagte er gleich: 
‚Es war Gottes Wille! Dagegen kommt Menjchenfraft nicht 
auf! Das macht nichts! — jagte er. Es fann jedem pajjieren, 
dat er eine Schlacht verliert. Wenn wir mehr jolche Männer 
hätten wie der Sapieha — jaate er — jo wäre Polen das Vater- 
land der Ariſtideſſe.“ 

„sch würde für Herrn Tſcharniezki den legten Blutstropfen 
hingeben,“ erwiderte der Hetman. „Jeder andere hätte mich 
ermiedrigt, um jich um jo höher jtellen zu können, bejonders 
nach jeinem eben erfochtenen glorreichen Stege.“ 

„Ich habe auch nichts gegen ihn einzuwenden, nur bin ich 
zu alt für Dienſte, wie er ſie von einem Soldaten verlangt, 
und ganz beſonders für die Sorte Bäder, die er der Armee 
bereitet.“ 

„So ſeid ihr froh, daß ihr wieder bei mir ſeid?“ 

„ie man es nimmt! Froh und auch nicht froh! Seit 
einer Stunde höre ich von Leibesjtärfungen reden, nur zu jehen 
befomme ich nichts davon.“ 

„Wir werden gleich zu Tijche gehen. Was wird Herr 
Tieharniezfi jet unternehmen ?“ 

„Er will nach Großpolen gehen, um den Armjeligen dort 
zu helfen. Won dort will er gegen Stenbod ziehen und nad) 


391 


Preußen bis Danzig vordringen, um, wenn möglich, Kanonen 
und Füſiliere dort zu holen.“ 

„Die Danziger find edle Bürger; jie fünnen der ganzen 
Republik als leuchtendes Beijpiel dienen. Da treffen wir ja 
bei Warjchau mit Herrn Tſcharniezki zufammen, denn auch ich 
gehe nach Warjchau, nur muß ich mid) zuvor in Lublin etwas 
aufhalten.“ 

„sit Lublin wieder von den Schweden bejett?“ 

„Die unglücliche Stadt it jchon zum wer weiß wievielten 
Male in Feindeshand. Es ijt eine Deputation vom Lubliner 
Adel eingetroffen, die ich gleich empfangen werde, mit der Bitte, 
die Stadt zu retten. Da ich aber Briefe an den König und 
die Hetmane zu erpedieren habe, muß ich mit dem Abmarjch 
noch ein wenig warten.” 

„Nach Yublin werde ich euch gern folgen, denn dort jind 
die Weiber maßlos jchön.“ 

„oO, ihr Türke!“ 

„Ew. Erlaucht kann Sich als Nelterer jchon einen fleinen 
Spott mit mir erlauben.‘ 

„ber ihr jeid doch älter als ich!“ 

„sa und nein! Es hat mich jchon mand) einer darum 
beneidet, daß ich mich jo gut fonjerviere. Wollt ihr mir er- 
lauben, die Deputation zu empfangen, jo will ich den Leuten 
verjprechen, day wir recht bald zu ihnen fommen; wir wollen 
erit die Männer tröften und dann die Frauen.“ 

„But!“ jagte der Hetman, „dann werde ich die Briefe 
erpedieren.“ 

Damit ging er hinaus, 

Gleich darauf trat die Deputation ein, welche von Sagloba 
jehr ernit und würdevoll empfangen wurde. Er jicherte ihr die 
erbetene Hilfe zu unter der Bedingung, daß das Heer gut mit 
Proviant, namentlich mit Getränfen verjorgt werde. Dann [ud 
er fie im Namen des Wojewoden zum Abendejien ein. Die 
Herren Deputierten waren hocherfreut, denn man brach noch in 
derjelben Nacht nach Yublin auf. Der Hetman jelbit trieb dazu; 
es lag ihm viel daran, mit irgend einer rühmlichen That das 
Andenken an die Niederlage bei Zandomir auszulöjchen. 

Die Belagerung begann, machte aber nur langjame Fort— 
ichritte. Während der ganzen Zeit nahm Kmiziz Unterricht im 
‚sechten bei Wolodyjowsfi; er beqriff überrajchend jchnell. Da 
Wolodyjowsfi wuhte, dab Diejer Unterricht dem Verderben 
Boguslaws galt, jo verheimlichte er ihm feines feiner Kunſt— 


392 


jtücfchen. Oft praftizierten beide aber nicht nur unter jich. 
Dann gingen fie unter die Mauern des Schlofies und forderten 
die Schweden zum Zweifampf heraus. Auf dieje Weije machten 
jie viele fampfunfähig. Bald war Kmiziz jo weit, daß er es mit 
Johann Skrzetuski aufnehmen fonnte, von allen anderen Nittern 
in der Armee Sapiehas fonnte es wiederum niemand mit ihm 
aufnehmen. Da padte ihn eine fait unüberwindliche Luſt, ſich 
mit Boguslaw im Zweilampf zu mejjen; er fonnte es faum 
bei Lublin aushalten, bejonders, da das Frühjahr ihm auch 
Geſundheit und Kraft wiederbracdhte. Seine Wunden waren 
alle geheilt, das Blutjpeien hatte aufgehört, das verlorene Blut 
jich erjegt und die Augen hatten den früheren Glanz wieder 
erhalten. Die Laudaer hatten ihn anfangs jehr mißtrauiſch 
betrachtet und Wolodyjowski mußte jie alle jeine Strenge fühlen 
lajien, um jie von Gewaltthätigfeiten gegen ihn zurüdzuhalten; 
erit jpäter, als te jeinen Wandel und jeine Handlungen jchart 
beobachtet hatten, wurde jelbjt jein erbittertiter Feind Jozwa 
Butrym mit ihm ausgejöhnt. Diejer pflegte jet oft zu jagen: 

„Kmiziz iſt tot! Babinitſch lebt und der joll leben!“ 

Zur großen Freude der Armee fapitulierte die Bejagung 
von Lublin endlich, Sapieha brach unverweilt auf und mar— 
ichierte auf Warjchau zu. Unterwegs erreichte ihn die Nach: 
richt, dat Johann Kaſimir mit den Hetmanen und den neu— 
gebildeten Negimentern ihm zu Hilfe eile. Auch Tſcharniezki 
ließ ihn willen, daß er von Grohpolen her gen Warjchau 
ziehe. So hatte es den Anjchein, daß die im ganzen Lande 
verjtreuten Kämpen jich bei Warjchau zujammenfinden, und der 
Hauptfriegsichauplag hierher verlegt werden würde. Es jammelte 
jich wie ein jchweres Unwetter um die Hauptitadt, das dräuend 
über den Häuptern der Feinde hing. 

Sapieha ging über Schelechow, Garwolin und Minst nach 
der Siedlezer Yandjtrage zu, um in Minsk mit den Freiwilligen 
aus Podlachien zujammenzutreffen. Johann Sfrzetusfi hatte 
über dieje loje Truppe das Kommando übernommen, denn ob- 
gleich in der Wojewodjchaft Yublin anfällig, war er doch den 
angrenzenden Podlachiern rühmlichit befannt umd als einer der 
größten Helden der Nepublif von ihnen jehr geehrt. Es war ihm 
auch gelungen, aus dem rohen zänkiſchen Stleinadel binnen kurzem 
ein gut organifiertes Heer zu formieren. 

Don Minsk aus beeilte ſich Sapieha, in einem Tage die 
Vorſtadt Warfchaus, Praga, zu erreichen. Das Wetter war den 
Marjchierenden günſtig. Bon Zeit zu Zeit fiel eim leichter 


393 


Sprühregen hernieder, den Staub löjchend und Kühlung ver- 
breitend, die Temperatur war herrlich, nicht zu heiß und nicht 
zu falt. Die Luft war Elar, der Blick fonnte weit in die ‚Ferne 
jchweifen. Das Heer marjchierte auf Feldwegen, denn Die 
Wagen und Gejchüge jollten erſt am mächiten Tage nach- 
fommen, Mut und Lebensluft herrichte unter den Mannjchaften. 
Der Wald hallte wider von den Eoldatenliedern, die Pferde 
ichnauften zum guten Zeichen. Cine Fahne nach der anderen, 
zogen jie in jchöniter Ordnung dahin, wie ein blinfender in 
verjchiedenen Biegungen dahinfließender Strom, denn zwölf— 
taujend Mann waren es, die Sapteha der Hauptitadt zuführte. 
Die Rittmeijter, welche die Schwadronen in Ordnung zu halten 
hatten, glänzten weithin jichtbar in ihren blanf polierten 
Banzerhemden, die bunten Abzeichen der Ritter flatterten lujtig 
über den Köpfen derjelben, wie bunte Blumen. 

Die Sonne war im Sinfen begriffen, als die an der Spike 
des Zuges reitende Laudaer Fahne die Türme der Hauptitadt 
erblidte. Bei ihrem Anblick entriß fich ein lauter Freudenruf 
der Brujt der Strieger: 

„Warſchau! Warjchau!“ 

Diejfer Ruf zog donnernd von Glied zu Glied bi zur 
legten Fahne. Man konnte eine halbe Meile lang immer wieder 
das unabläffig wiederholte Wort „Warjchau“ hören. 

Viele von den Rittern in der Armee Sapiehas waren nod) 
nie in Warjchau gewejen, ja die Meiſten von ihnen hatten Die 
Stadt nicht einmal von ferne gejehen. So war denn der Ein- 
drud, den fie empfingen, ein außerordentlicher. Unwillfürlich 
hielten die Neiter die Pferde an; einige entblößten den Kopf, 
andere befreuzten jich, wieder andere wurden von NRührung 
befallen und blieben thränenden Auges wie angewurzelt jtehen. 
Plötzlich erjchien Herr Sagloba auf jeinem Pferde bei einer 
der legten Fahnen, jprengte heran bis zu der Laudaer Fahne 
und rief mit weithin jchallender Stimme: 

„Meine Herren! Wir find die eriten hier! Wir haben das 
Süd, die Ehre! ... Wir wollen die Schweden aus der Haupt— 
ſtadt jagen!! .. .“ 

„Wir wollen jie fortjagen!“ riefen jo viel taujend Stimmen. 
„Hinaus! Hinaus! Hinaus! ...“ 

Es entitand ein entjeliches Getöje. Während Die einen 
noch fortwährend riefen: „Sagt fie fort!“ jchrieen andere jchon: 
„Schlagt fie tot!“ und wieder andere: „Fort mit den Hunde— 
ſeelen!“ 


394 


Mit diefem Gejchrei mijchte jich das Klirren der Säbel, 
die Augen ſchoſſen Blige und zwijchen den halbgeöffneten Lippen 
glänzten die weißen Zähne. 

Sapieha jelbit glühte vor Begeiiterung; er bob jeinen 
‚seldherrnitab hoch in die Höhe und rief: 

„Mer nach!“ 

Unmweit Braga hielt der Wojewode an und gebot, ein 
langjames Tempo einzujchlagen. Immer deutlicher tauchte die 
Hauptitadt aus dem bläulichen Aether hervor. Die hohen 
Linien der Türme zeichneten ſich ſcharff am Firmament ab. 
Die hochgegiebelten Dächer der Häujer, die mit roten Dach- 
jteinen gedeckt waren, glühten im Abendrot. Die Litauer hatten 
niemals in ihrem Leben etwas Grofartigeres geſehen, als dieſe 
weipen, bohen Mauern, von einer Menge jchmaler Fenſter 
durchbrochen, übereinander hängend und flebend, wie Felſen über 
einem Wafler. Die Häuſer jchienen eines über das andere 
hinaus zu wachten, hoch, höher und noch höher; über diejer 
engen, dichtgedrängten Malle aber ragten die jchlanfen Türme 
hoch hinauf bis an den Himmel, Diejenigen Soldaten, welche 
ſchon einmal in der Dauptitadt waren, jei es bei der Königs— 
wahl oder im Brivatangelegenheiten, erklärten den anderen, was 
für ein Gebäude dieſes oder jenes war und welchen Namen e3 
führte. Bejonders ımterrichtete Sagloba jeine Yaudaer, die mit 
Bewunderung ihm aufmerfam zubörten. 

„Seht euch einmal jenen Turm in der Mitte der Stadt 
an,“ jagte er. „Das ijt die arx regia — das Regierungs— 
gebäude! Wenn ich jo viele Jahre alt werden dürfte, wie ich 
da drinnen am füniglichen Tiſche Meittagbrote gegejien habe, 
jo müßte ich Methuialems Alter erreichen; dem Könige jtand 
niemand näher als tch; ich war jein Vertrauter. Unter den 
Staroiteien hätte ich wählen fünnen, wie unter Wallnüfjen und 
ſie verjchenfen, wie Hufnägel. Sch habe einer Menge Menjchen 
zu Beförderungen verholfen, und wenn ich in das Schloß trat, 
dann verneigten ſich die Zenatoren vor mir, bis zum Gürtel 
nach Nojafenmanter. Auch Zweikämpfe mußte ich in Gegen 
wart des Königs ausfechten; der König liebte es, mich bei der 
Arbeit zu jehen.“ 

„Es iſt ein mächtiges Gebäude,“ jagte Rochus Kowalski. „Lid 
zu denfen, das alles Das in den Händen der Feinde it!“ 

„And day ſie alles mitnehmen, was nicht niet und nagel- 
jeit it,“ jegte Sagloba Hinzu. „Wie man jagt, reißen jie jogar 
die Marmorjäulen aus den Mauern, um Ddiejelben mit nad) 


395 


Schweden zu jchleppen, nebſt anderen fojtbaren Steinarten. 
Sch werde wohl die liebgewordenen Winfel faum wieder er— 
fennen. Die Chronifenjchreiber nennen das Schloß das achte 
Wunder der Welt; außer dieſem hat nur der König von 
Frankreich ein ähnliches, doch iſt es mit dieſem hier micht zu 
vergleichen.” 

„Bas it das für ein Turm rechts in der Nähe Des 
Schloſſes?“ 

„Das iſt die heilige Johanneskathedrale; ſie iſt mit dem 
Schloſſe durch einen Kreuzgang verbunden. In dieſer Kirche 
hatte ich eine Offenbarung. Als ich einmal nach der Veſper 
drinnen noch ein halbes Stündchen zurückblieb, hörte ich vom 
Gewölbe her eine Stimme, welche mir zurief: „Sagloba, es wird 
Krieg werden mit Schweden, welcher große Not und Elend in 
das Land bringen wird.” Ich lief ſchnell zum Könige und er— 
zählte, was ich gehört hatte. Du gab mir der Fürſt Erz— 
biichof einen Klaps mit dem Paitorale in den Nacen und 
jprach: „Redet nicht Unſinn, ihr waret betrunfen.“ Die zweite 
Kirche unweit davon it das Jejuitenfollegium, der dritte Turm 
gehört zur Kurie, der vierte zum Marjchallamt und jenes grüne 
Dach it das Dach der Domtnifanerfirche. Alle Gebäude zu 
nennen bin ich auferitande, jelbit wenn meine Junge wie 
ein Mühlrad ginge.“ 

„Es giebt wohl feine zweite jo jchöne Stadt wie dieſe im 
der Welt?” jagte einer der Zoldaten. 

„Deshalb beneiden uns auch alle Nationen um fie.“ 

„Bas it das für ein herrliches Gebäude linfs vom Schloſſe?“ 

„Dinter dem Bernadinerklojter?“ 

„Ja!“ 

„Das iſt der Palaſt Radziejowski, früher gehörte er den 
Kaſanowskis. Man betrachtet ihn als neuntes Wunder der 
Welt, aber — die Veit über ihn! In jeinen Mauern fing 
das Unglück der Nepublif an.” 

„Wieſo?“ frugen mehrere Stimmen. 

„US der Herr Kanzler Radziejowski anfıng mit jeiner 
Frau zu zanfen und zu Itreiten, da nahm der König die Kanz— 
lerin in Schuß. Ihr müßt wifjen, day die Leute davon jprachen 
und der Stanzler jelbit es Dachte, dab ſeine Frau in den Nönig 
verliebt jet umd der König in ſie. Der Streit wurde immer 
heftiger, bi der Kanzler durd) Intriguen Dazu getrieben, zu den 
Schweden entfloh und den Krieg jchürte. Ich ſaß damals still 
auf dem Yande und erfuhr nicht mehr das Ende jener Angelegenheit. 


396 


Soviel aber weiß ich beitimmt, daß die Kanzlerin nicht dem 
Könige, jondern einem anderen jühe Augen machte und verliebte 
Blicke zuwarf.“ 

„er war der andere?“ 

Sagloba drehte an jeinem Schnurrbart. 

„Der andere war einer, welchem alle zujtrömten, wie die 
Ametjen zum Honig; nur den Namen fann ich aus Bejcheiden- 
heit nicht nennen, denn ich haſſe die Sucht, jich zu rühmen.... 
Man iſt alt geworden, alt und unanjehnlich im Dienite des Vater- 
landes, wie ein verbrauchter Bejen beim Fegen der Feinde. 
Früher gab es feinen glatteren Höfling als ich e8 war, das 
fann Rochus Kowalski beichei . . .“ 

Hier fiel dem alten Ritter ein, daß Rochus auf feinen 
Fall die Vorgänge jener Zeiten fennen fonnte. Er winfte aljo 
mit der Hand und jegte Hinzu: 

„Webrigens, was fann der davon willen!“ 

Darauf zeigte er den Waffenbrüdern noch die Paläſte der 
Dfiolinsfi und Koniezpolsfi, welche an Umfang dem Palais 
Radziejowski gleichfamen, endlich die großartige Villa regia. 

Die Sonne war unterdejjen untergegangen, das nächtliche 
Dunfel umhüllte die Gegend. Auf den Wällen Warjchaus gaben 
Stanonenjchüfle und Trompetenjignale das Zeichen, daß man 
das Nahen des Feindes bemerft. 

Herr Sapieha meldete jeine Ankunft ebenfalls durch Mörſer— 
ichüjle, um den Bewohnern der Stadt Mut zu machen. Darauf 
überjchritt er noch in derjelben Nacht mit jeiner Armee die 
Weichjel; zuerit die Yaudaer, dann Kotwitſch mit jeiner Fahne, 
dann Kmiziz mit jeinen Tartaren und Wanfowitjch, zulett der 
Reſt von achttaufend Mann. Auf dieje Weije waren die Schweden 
nicht nur jamt ihrer aufgejtapelten Beute eingejchloffen, jondern 
ihnen auch jede Zufuhr von Nahrungsmitteln abgejchnitten. Dem 
Herrn Sapieha jelbit blieb nichts weiter zu thun übrig, als ab- 
zuwarten, bis von der einen Seite Tſcharniezki, von der anderen 
Seite der König mit dem Kronenhetman heranfam, und nur 
darüber zu wachen, daß feine Hilfstruppen oder Lebensmittel 
in die Stadt geichmuggelt würden. 

Die eriten Nachrichten famen von Tſcharniezki; fie lauteten 
nicht jehr befriedigend. Der Kaſtellan berichtete, dat feine Leute 
und Pferde jo erjchöpft jeien, daß er jich augenblicklich gar nicht 
an der Belagerung beteiligen fünne. Seit jener Schlacht bei 
Warka waren ſie täglich im Gefecht gewejen und jeit Beginn 
des Jahres hatten ſie in einumdzwanzig größeren Schlachten 


397 


über die Schweden gejiegt, ungerechnet die vielen kleinen Schar- 
mügel mit verjtreuten Abteilungen. Er hatte nicht bis Danzig 
vordringen fünnen und jomit auch feine Verjtärfungen feiner 
Truppen erlangt. Er fonnte vor der Hand nur verjprechen, 
dafür zu jorgen, daß die jchwedische Armee, welche unter Bogus- 
law Nadziwill mit dem Bruder des Königs und Douglas bei 
Narva jtand und den Belagerten zu Hilfe eilen wollte, in ihrem 
Zuge aufgehalten werde. 

Die Schweden aber trafen mit allem Mut und aller an 
ihnen befannten Gejchidlichkeit, Anftalten zur Verteidigung der 
Stadt. Noch ehe Herr Sapieha Braga erreicht hatte, war dieſe 
Vorſtadt niedergebrannt worden. Gegenwärtig waren ſie be- 
müht, alle anderen VBorjtädte anzuzünden. Zu dieſem Zwecke 
jchleuderten jie Brandgejchojle in die höheren Gebäude der 
Krafauer Vorjtadt, der neuen Welt einer-, in die Kirche des 
heiligen Georg und in die Marienkirche andererjeits. Häuſer 
und Kirchen gingen in Flammen auf. Tagsüber waren die 
Borjtädte im dichte graue Nauchwolfen gehüllt, während in der 
Nacht dieſe Wolfen rot durchleuchtet und von Funkenſprühregen 
erfüllt waren. Außerhalb der Mauern irrten die Bewohner 
der verbrannten Häuſer obdachlos und hungrig umher; Weiber 
umringten das Lager Sapiehas und bettelten um Barmherzig- 
feit. Man fand Menjchen, die aus Mangel an Nahrung zum 
Skelett abgemagert, Kinder, die in den Armen der abgezehrten 
Mütter aus Mangel an Nahrung jtarben. Die ganze Gegend 
um Warjchau verwandelte ich in ein Thal des Jammers und 
der Thränen. 

Herr Sapieha, welcher noch immer auf die Ankunft des 
Königs wartete, fonnte aus Mangel an Fußſoldaten und Ge— 
ihügen nichts unternehmen. Er fam daher den Armen zu 
Hilfe, jo gut es anging, ließ fie haufenweife nach Gegenden 
ichaffen, die von der Ktriegsnot noch nicht jo viel zu leiden 
gehabt, wo jte jich ernähren fonnten. Er jorgte jich auch ſehr 
bei dem Gedanken an die Schwierigfeiten der Belagerung, Die 
von Tag zu Tag wuchjen, da die gelehrten jchwedischen In— 
genieure im Laufe der Zeit die Stadt in eine jtarfe Feſtung ver- 
wandelt hatten. Hinter ihren Mauern jagen dreitaujend vorzüg- 
liche Soldaten, von erfahrenen und friegsgeübten Generalen 
befehligt, während ohnehin im allgemeinen die Schweden im 
Belagern und Berteidigen jeglicher Arten von Feitungen als 
Meiiter galten. 

Um dieſe Sorgen etwas abzulenken, jtärfte jich Herr 


398 


Sapieha alltäglid” an auserlefjenen Speifen und Getränken, 
wobei die Pokale eifrig die Runde machten, denn es war 
befannt, daß ihm das Klingen der Gläfer und eine heitere 
Sejellichaft jo jehr über alles ging, daß er darüber zuweilen 
jogar feine Pflicht vergejlen fonnte. 

Glücklicherweife veritand er am Tage immer wieder gut 
zu machen, was er am Abend verjäumt. Bis zum Sonnen- 
untergang arbeitete er ehrlich, aber, jobald der erſte Stern am 
Himmel erjchien, erflang auch der erſte Fidelton in jeinem 
Quartier. War er dann erit in heiterer Stimmung, dann 
geitattete er alle Freiheiten, lieg die Offiziere holen, jelbit die- 
jenigen von den Wachtfommandos, und war jehr ungnädig, 
wenn einer von ihnen nicht erjchien, denn es gab für ihn Feine 
Freude ohne große Gejellichaft. 

Herr Sagloba machte ihm morgens oft ſchwere Vorwürfe 
deswegen, obgleid; er mit der beite Gaſt Sapiehas war und 
man ihn oft befinnungslos nach dem Quartier Wolodyjowsfis 
tragen lajjen mußte. 

„Der Sapieha würde einen Heiligen zu Falle bringen, 
gejchweige denn mich,“ pflegte er jih am Morgen dann zu 
entjchuldigen, „mich, der ich immer ein Freund der Gejelligfeit 
bin. — Dazu hat er noch eine fürmliche Leidenschaft, mich zum 
Trinfen zu zwingen, jo daß ich direft grob werden müßte, um 
e3 abzulehnen, das aber läuft der guten Sitte ganz entgegen. 
Sch Habe mir aber jelbit gelobt, daß ich im nächiten Advent 
mir den Nücen ordentlich geißeln laſſen werde, denn das jteht 
feit, diefe Ausjchweifungen verlangen eine Sühne. Inzwiſchen 
muß ich ihm ſchon Folge leisten, jchon aus Sorge, daß er in 
ichlechtere Gejellichaft geraten könnte, als die meinige, und er 
dann vollitändig alles Maß verliert.“ 

Nun befanden fich bei der Armee ja Offiziere, welche aud) 
ohne Aufjicht ihren Dienſt wahrnahmen, aber es gab aud) 
jolche, die den Dienit, abends bejonders, wo ſie ſich unbeobachtet 
wußten, jehr vernachläſſigten. Das wußte der Feind auszu— 
nüßen. 

Einmal — es war wenige Tage vor der Ankunft des 
Königs mit den Hetmanen, — gab ſich Sapieha, wahrjcheinlich 
aus Freude über die nahende Hilfe, den Freuden des Lufullus 
mehr denn je Hin. Er Hatte alle Offiziere zu dem Mahle 
geladen unter dem Vorwande, daß es zu Ehren des Königs 
geichehe. Zu den Herren Skrzetuskis, Amiziz, Sagloba, Wolo- 
dyjowski und Charlamp fandte er einen erprejien Boten mit 


399 


der Bitte, zu erjcheinen, da der Hetman jie, als bejonders ver- 
diente Männer, auc) bejonders auszeichnen wolle. Herr Andreas 
war jveben auf das Pferd geitiegen, um mit einer Patronille 
auszureiten, jo daß die Ordonnanz des Großhetman ihn bei 
jeinen Tartaren aufjuchen mußte. 

„Ew. Liebden dürft dem Herrn Hetman die Einladung 
nicht ausichlagen und jein gutes Herz mit Undanf lohnen,“ 
jagte der Offizier. 

Kmiziz jtieg vom Pferde und ging jich mit den Freunden 
beraten. 

„Es iſt mir jehr unlieb und paßt mir gar nicht!“ fagte 
er. „Sch habe gehört, dat eine größere Abteilung Schweden 
fi) in der Gegend von Babig gezeigt hat. Der Großhetman 
jelbjt hat mir befohlen, auf jeden Fall nachzuforjchen, was für 
Soldaten das jind, und nun ladet er mich zum Gaftmahl. Was 
joll ich thun ?“ 

„Der Herr Hetman jendet durch mich den Befehl, 
dag Akbah-Ulan die PBatrouille führen joll,“ entgegnete Die 
Ordonnanz. 

„Befehl iſt Befehl!“ ſagte Sagloba, „und wer Soldat iſt, 
hat zu gehorchen. Hütet euch, böſes Beiſpiel zu geben, zudem 
wäre es nicht gut für euch, beim Hetman in Ungnade zu 
fallen.“ 

„Meldet aljo, daß ich erjcheinen werde!” jagte Amiziz zu 
dem Offizier. Die Ordonnanz ging hinaus. Akbah-Ulan ritt 
mit feinen QTartaren davon und Kmiziz begann jich ein wenig 
fejtlich zu jchmüden, während er zu den Freunden jagte: 

„Heut ijt ein Gajtmahl zu Ehren des Königs; morgen 
wird eines zu Ehren der Hetmane jtattfinden u. j. w. bis ans 
Ende der Belagerung.“ 

„Laßt nur den König erjt hier fein, dann hat alles ein 
Ende,” jagte Wolodyiowsfi, „denn wenn unjer Allergnädigjter 
— auch gern einen Sorgenbrecher nimmt, ſo muß doch der 

ienſt ſtrenger werden, weil jeder und Herr Sapieha vor allen, 
doch ſeinen Eifer wird bekunden wollen.“ 

„Es iſt zu viel deſſen, viel zu viel, ohne Widerrede!“ ſagte 
Johann Skrzetuski. „Es iſt unbegreiflich, wie ein ſo überlegter, 
arbeitſamer und tugendhafter Menſch, ein ſo ausgezeichneter 
Staatsbürger eine ſolche Schwäche haben kann.“ 

„Sobald der Abend kommt, wird aus dem Großhetman 
ein Trunkenbold; es iſt, als wäre er nicht derſelbe Menſch mehr,“ 
ſprachen die Herren untereinander. 


400 


„Wißt ihr, warum bejonders mir die Gajtmähler jo ſehr 
zuwider ſind?“ jagte Kmiziz. „Weil auch Januſch Radziwill 
die Angewohnheit hatte, jie auszurichten, jobald der Abend fam; 
und denft euch, immer traf es ſich, daß, wenn wir bei Tiſche 
jaßen, ein unglückliches Ereignis eintrat oder ein neuer Verrat 
des Füriten zu Tage fam. War es nun Zufall oder Gottes» 
fügung, das Böje fam immer während des Eſſens. Zuletzt 
überfiel ung alle jtets ein Grauen, jchon wenn die Tijche ge— 
decft wurden.‘ 

„Das iſt wahr,“ jagte Charlamp. „Aber e8 fam auch da— 
ber, daß der Fürſt die Zeit während des Eſſens immer zu 
Ausjprachen mit den ‚Feinden des Vaterlandes auserjah.“ 

„Run!“ bemerkte Sagloba. „Das wenigitens brauchen 
wir von Sapieha nicht zu befürchten. Wenn der jemals im- 
itande iſt, einen Verrat zu begehen, jo bin ich feinen Stiefel- 
jchaft wert.“ 

„Davon fann feine Nede jein,“ jagte Wolodyjorwsfi. „Er 
ijt rein, wie das Brot ohne Wajfjeritreifen.“ 

„Und was er abends verjäumt, das macht er am Tage 
wieder gut,“ verjegte Charlamp. 

„Sp gehen wir endlich,“ jagte Sagloba, „denn wahrhaftig, 
ich fühle eine große Leere in meinen Eingeweiden.“ 

„Sie jeßten jich auf die Pferde und ritten dem Quartier 
Sapiehas zu. Dort fanden jie auf dem Hofe jchon eine Menge 
Pferde und ein dichtes Gedränge der Diejelben am Bügel 
haltenden Pferdejungen, für welche ebenfall3 eine Tonne Bier 
aufgeitellt war. Die Jungen hatten ſich jchon vollgetrunfen 
und fingen, wie das immer der Fall ift, bereits an, jich zu 
neden und jtreiten. Beim Herannahen der Ritter verjtummten 
fie jedoch, bejonders, da Sagloba diejenigen, welche ihm zu 
nahe famen, mit dem flachen Säbel zur Ordnung brachte. 
Dabei rief er mit Stentorjtimme: 

„gu den Pferden, Schelme! zu den Pferden! Nicht ihr 
jeid zum Gajtmahl geladen!“ 

Herr Sapieha empfing die Ritter wie immer mit offenen 
Armen und da er jchon etwas angeheitert war, begann er jo- 
gleich Sagloba zu neden. 

„Willkommen, Herr NRegimentarius!“ titulierte er ihn. 

„Willkommen, Herr Küfer!“ war die jchlagfertige Entgegnung 
des Alten. 

„Senn ihr mich einen Küfer nennt, jo will ich euch einen 
Wein vorjegen, der noch im Gähren begriffen iſt.“ 


401 


„Einverjtanden!“ antwortete Sagloba, „wenn nur der Wein 
von der Corte ift, der bei der Gährung aus dem Hetman 
einen Saufbold macht.“ 

Einige der Anweſenden erjchrafen heftig über die Dreijtig- 
feit des Scherzes, doch Sagloba wuhte, daß der Hetman, wenn 
er heiter war, nichts übel nahm. Auch jest lachte Sapieha, 
daß er ſich die Seiten hielt, indem er betonte, was alles ihm 
von diejem Edelmanne angehängt werde. 


Das Mahl begann heiter und geräufchvoll. Immer von 
neuem tranf Sapieha jeinen Gäjten zu, brachte die Gejundheit 
des Königs, der Hetmane, Tſcharniezkis und der ganzen Republik 
aus. Die Heiterkeit nahm zu, man begann zu jingen. Die 
Stube war angefüllt mit dem Dunjt der erhitten Köpfe, mit 
dem Geruch der Weine und des Met. 

Doc auch draußen ging es lärmend zu, jogar Waffen- 
flirten wurde hörbar. Das Gejinde mußte Streit untereinander 
befommen haben. Einige von der Tafelrunde gingen hinaus, um 
die Ruhe wieder herzujtellen, doch die Verwirrung wurde von 
Minute zu Minute größer, ohne daß ſich die Urjache derjelben 
ausfindig machen lieh 

Plöglich ertönte ein jo durchdringendes Gejchrei, daß die 
Schmaufenden vor Schred veritummten. 

„Bas fann das jein?“ frug einer der Hauptleute. „Die 
Jungen allein können unmöglich einen joldhen Lärm machen.“ 

„Stille doch, ihr Herren!“ jagte der Hetman, während er 
beunruhigt aufhorchte. 

„Das find feine gewöhnlichen Streitrufe!“ 

Da erzitterten plöglich alle FFeniterjcheiben vom Donner 
der Kanonen und einer gleichzeitigen Gewehrſalve. 

„Ein Ausfall! Sie machen einen Ausfall!“ fchrie Wolo- 
dyjowski, „der Feind ijt im Lager!“ 

„Auf die Pferde! Zu den Waffen!“ 

Alle jprangen entjegt auf, ein fürchterliches Gedränge ent— 
itand, die Offiziere jtürzten in den Hof und jchrieen ihre Jungen 
an, ihnen die Pferde vorzuführen. 

Doc war es dem einzelnen nicht leicht, in dem Wirrwarr 
jogleich das jeinige zu finden. Aengſtliche Stimmen riefen in 
den Hof hinein: 

„Der Feind iſt da! Herr Kotwitich ijt Hart bedrängt!“ 

Jeder Offizier eilte, jo jchnell er konnte, zu feiner Fahne. 
Ueber Zäune und Gräben ging e3 auf Tod und Leben. Im 

Sienfiewicz, Sturmflut IL 26 


402 


Lager wurde jchon Alarm geblajen; nicht alle Fahnen hatten 
die Pferde bei der Hand, die Soldaten rannten in der Eile 
einer wider den anderen, fie konnten in der Angit nicht mehr 
unterjcheiden, wer Freund, wer Feind. Einzelne Stimmen 
jchrieen jchon aus, der König von Schweden jei mit feiner 
ganzen Heeresmacht in das Lager eingebrochen. 


Glücklicherweiſe war Kotwitjch, der fich etwas unwohl ge- 
fühlt Hatte, nicht der Einladung Sapiehas gefolgt. Cr war 
bei jeiner Fahne, als der erjte heftige Anprall der ſchwediſchen 
Abteilung erfolgte und er hielt ihn tapfer auf, obgleich die 
Schweden ihm in großer Ueberzahl gegenüber itanden. 


Der erite, welcher ihm zu Hilfe fam, war Oskierko mit 
jeinen Dragonern. Den Schüſſen der Schweden fonnte nun 
erwidert werden, aber auch dieje Hilfe reichte nicht aus; Die 
Dragoner wurden bei jedem Angriff, den fie machten, zurüd- 
geichlagen. Zweimal verjuchte Oskierko jeine Reiter wieder in 
Reihe und Glied zu bringen, zweimal mißlang diejes Bemühen, 
er mußte fie zurücziehen und nun jtürmten die Schweden ihnen 
nach), dem Quartier des Hetman zu. Immer neue Schwadronen 
zogen aus der Stadt dem Lager zu; Füſiliere, Neiter, ja jogar 
‚seldgejchüge wurden herausgefahren. Es Hatte den Anjchein, 
als wolle der Feind eine Entjcheidungsjchlacht herbeiführen. 

Unterdejien hatte Wolodyjowsti, als er in Eile das Quartier 
des Hetman verließ, jchon auf halbem Wege jeine Laudaer 
angetroffen. Sie waren, jobald fie die Nlarmjignale vernommen, 
unverzüglich dem Quartier Sapiehas zugeeilt, was um jo jchneller 
von jtatten ging, da fie immer wachjam und fampfbereit waren. 
Sie wurde ihm von Koch Kowalsfi zugeführt, der wie Kotwitſch 
zu Haufe geblieben war, nur, — daß er nicht wie jener zum 
Gajtmahle geladen war. 

Wolodyjorwsfi befahl jogleich einige zumächit befindliche 
Schuppen in Brand zu jteden, dann flog er dem Kampfplatze 
zu. Auf dem Wege dorthin ſchloß ſich ihm Kmiziz mit jeinen 
Volontariern und der Hälfte feiner Tartaren an, da die andere 
Hälfte unter Akbah-Ulan noch nicht von ihrem Patrouillenritt 
zurüd war. 


Beide famen gerade zu rechter Zeit an, um Kotwitjch und 
Dsfierfo vor der gänzlichen Niederlage zu bewahren. Die 
(ichterloh brennenden Schuppen verbreiteten Tageshelle Bei 
dem Schein des Feuers ftürzten die Yaudaer und Kmiziz auf 
eine Abteilung jchwedischer Füfiliere und das Gewehrfeuer der- 


403 


jelben nicht achtend, jchlugen fie mit den Säbeln drein. Da jprengte 
eine Schwadron Reiter ihren bedrängten Landsleuten zu Hilfe. 
Sie prallte mit den Laudaern jcharf zufammen. Eine Zeitlang 
fümpften fie Schulter an Schulter jo dicht miteinander, wie 
a Fauſtkämpfer, die abwechjelnd einer den anderen unterzu- 
riegen juchen; bald aber lichteten fich die Reihen der Schweden, 
fie gerieten in Unordnung. Kmiziz trug mit feinen Totjchlägern 
das jeinige dazu bei, die Verwirrung zu vergrößern, Wolo- 
dyjowsfi ruhte nicht, bis er freien Spielraum gewann. Neben 
ihn arbeiteten wacder die riejigen Gejtalten der Skrzetuskis, 
Charlamp und Kowalski. Die Laudaer wetteiferten mit den 
Tartaren Kmiziz', die einen, indem jie durch ihr wüjtes Gefchrei 
die Schweden in Schreden jegten, die anderen, wie zum 
Beijpiel Jozwa Butrym, indem fie jchiveigend gewaltig drein— 
ichlugen. 

Die gelichteten Reihen der Schweden wurden immer durch 
friiche Kämpfer ergänzt, während Wankowitſch, welcher jein 
Quartier dicht nebenbei hatte, den polnischen ahnen Wolo— 
Dyjowsfis und Kmiziz' zu Hilfe fam. Endlich führte der 
Hetman das ganze Heer in das Gefecht und nun entbrannte 
auf der ganzen Linie von Mokotow bis an die Weichjel die 
Schlacht auf das heftigſte. 

Da jprengte Akbah-Ulan, welcher mit der Batrouille 
auggeritten war, auf jchweißtriefendem Pferde an den Het— 
man heran. 

„Effendi!“ jchrie er. „Von Babig her zieht ein Zug Reiter 
und Wagen der Stadt zu; jie juchen die Mauern der Stadt 
jchnell zu erreichen.“ 

Nun begriff Sapieha mit einemmale, welchen Zweck der 
Ausfall nach) der Seite von Mofotow Hin haben ſollte. Der 
Feind wollte die Aufmerkſamkeit der Heeresabteilung, welche an 
der nach Blonie führenden Landſtraße lag, von dieſer ab— 
lenfen, damit die FFourage-Wagen in den Bereich der Mauern 
gelangen Eonnten. 

„Neite zu Wolodyjowski!“ rief er den Akbah-Ulan zu. 
„Die Yaudaer Fahne, Kmiziz und Wankowitich jollen ihnen den 
Weg abjchneiden; ich jende ihnen jojort Sukkurs!“ 

Akbah-Ulan gab jeinem Pferde die Sporen, drei Ordon— 
nanzen folgten ihm. Sie alle famen gleichzeitig bei Wolodyjowski 
an und überbrachten ihm den Befehl des Hetman. 

Wolodyjowsfi ließ feine Fahne ſofort jchwenfen und 

26* 


404 


galoppierte mit ihr der angegebenen Richtung zu; Kmiziz holte 
ihn mit den Tartaren ein und Wankowitſch folgte beiden. 

Doc fie famen zu jpät. Mehr als zweihundert Wagen 
hatten die Thore der Stadt jchon paſſiert. Die denjelben 
folgende jtattliche Bedeckung jchwerer Reiter aber befand fich 
ſchon im Bereiche der Feitungsgejchüge, nur etwa hundert Mann 
hatten die Dedungslinie noch nicht erreicht, aber auch fie 
galoppierten der Stadt eiligjt zu. Der legte Offizier trieb fie 
durch jein Gejchrei zu vermehrter Eile an. 

Als Kmiziz beim Scheine der brennenden Schuppen die 
Reiter gewahrte, jtieß er einen durchdringenden gräßlichen Schrei 
aus; er hatte Boguslaws Reiter erkannt, diefelben, welche ihn 
und jeine Tartaren bei Janowo überritten hatten. 

Nichts mehr achtend, jagte er wie wahnjinnig ihnen zu. 
Seine Leute hinter jich zurüdlafjend, erreichte er fie zuerſt und 
Iprengte blindlings in ihre Reihen. Glücdlicherweije folgten 
ihm die beiden Kiemlitich, Kosma und Damian, welche ihn nie 
aus den Augen ließen, auf dem Fuße. In diefem Augenblid 
durchichnitt Wolodyjowski die Linte in fchräger Richtung und 
trennte damit den Nachtrab von der Hauptabteilung mit 
Bligesfchnelle. 

Die Gejchüge von den Mauern dröhnten jet. Die Haupt- 
abteilung ließ ihren Nachtrab im Stich und barg fich ſchleunigſt 
hinter den Thoren der Feſtung. Die Zurüdgelafjenen wurden 
nun umringt. Die Laudaer und Kmiziz begannen die Schlachterei 
ohne Barmherzigkeit. 

Nur kurz dauerte der Kampf. Die Reiter Boguslaws 
jtrediten Die fien, als fie jahen, wie jchmählih man fie 
preisgegeben. Sie jprangen von den Pferden und jchrieen aus 
vollem Halje, um ſich in dem Lärm und Gedränge Gehör zu 
verjchaffen. 

Doch weder die Volontarier noch die Tartaren achteten 
darauf und hieben weiter zu. Da ertönte laut und drohend 
die Stimme Wolodyjomwsfis, welchem es darum zu thun war, 
einen Kundſchafter zu erhalten: 

„Nehmt fie lebendig! Gaß! Gaß! Lebendig nehmen!“ 

„Lebendig nehmen!“ jchrie auch Kmiziz. 

Das Knirfchen der Eiſen verſtummte. Man befahl den 
Tartaren, die Gefangenen an die Leine zu nehmen, was dieſe 
mit der ihnen eigenen Gejchidlichfeit im Augenblick fertig 
brachten, dann entzogen jich die Fahnen eiligft dem Teuer der 
Geſchütze. 


405 


Die Hauptleute Ienften den Schuppen zu. Boran ging 
die Laudaer Fahne, Wankowitſch bildete mit der jeinigen dem 
Nachtrab und Kmiziz nahm mit den Gefangenen die Mitte ein. 
Sie zogen fich vorjichtig und in voller Kampfbereitichaft zurüd, 
jtet3 eines Ueberfalles gewärtig. Die Tartaren führten zum 
Teil die Gefangenen an der Leine, teild lenkten fie die er— 
beuteten Pferde. Als fie ſich den noch immer brennenden 
Schuppen näherten, blicte Kmiziz den Gefangenen aufmerfjam 
in die Gefichter, ob nicht etwa dasjenige Boguslaws darunter 
jei, denn obgleich bereits einer der Reiter unter Bedrohung mit 
dem Mejjer gejchworen Hatte, daß der Fürſt jich nicht in der 
Abteilung befinde, traute er dennoch nicht, daß er ihn abjichtlich 
getäuscht. 

Da tönte unter dem Steigbügel eines Tartaren hervor eine 
Stimme: 

„Herr Kmiziz! * Hauptmann! Errettet einen Be— 
kannten! Befehlt, daß man mich von der Leine laſſe, bei 
Ehrenwort!“ 

„Haßling!“ rief Kmiziz. 

aßling war ein Offizier von der ſchottiſchen Leibgarde 
des Wojewoden von Wilna, welchen Kmiziz in Kiejdan kennen 
gelernt und ſehr lieb gewonnen hatte. 

„Laß den Gefangenen frei!“ befahl Kmiziz dem Tartaren 
und gieb ihm dein —38* 

Der Tartar verſchwand vom Rücken des Pferdes, als hätte 
ihn der Wind fortgeblaſen; er wußte nur zu gut, wie gefährlich 
es war, zu zögern, wenn der „bagadyr“ befahl. 

Stöhnend kletterte Haßling in den hohen Sattel des 
Tartaren. 

Da packte Kmiziz oberhalb des Handgelenkes ſeinen Arm 
und preßte ihn, als wolle er denſelben zermalmen, während er 
eindringlich fragte: 

„Woher kommt ihr? Gleich ſagt mir, woher? Um Gottes— 
willen beeilt euch!“ 

„Aus Tauroggen,“ entgegnete der Offizier. 
Kmiziz's Hand umflammerte den Arm Haßlings nod) 
eiter. 

„Und. das Fräulein Billewitich . . . ift fie dort?“ 

„Sie ift dort!! — 

Das Sprechen wurde Kmiziz immer ſchwerer, ſeine Zähne 
waren krampfhaft auf einander gepreßt. 


406 


„And... was hat der Fürſt aus ihr gemadt? ...“ 
var es fich mit übermäßiger Anſtrengung von den Lippen des 

itters. 

„Er hat nichts bei ihr ausgerichtet!“ 

Kmiziz verjtummte. Nach einer Weile nahm er die Luchs- 
müge vom Kopf, fuhr ſich mit der Hand über die Stirn und 
jagte leije: 

„Man hat mich im Gefecht geftoßen, das Blut zeigt ſich 
wieder... . ich bin jchwach geworden!“ 








12. Rapitet. 


Der Ausfall der Schweden hatte nur zum Teil feinen 
Zwed erreicht, und zwar den, daß die Abteilung Boguslaws 
die Stadt erreicht hatte, ſonſt war nicht viel ausgerichtet worden. 
Zwar hatten die Fahnen Oskierkos und Kotwitſchs nicht un— 
bedeutenden Schaden genommen, doch auch die Schweden hatten 
große Verluſte zu verzeichnen, da die Abteilung Füſiliere, 
weiche Herr Wolodyjowsfi und Wankowitſch gleich im Anfange 
auf das Korn genommen hatten, fajt vollitändig vernichtet war. 

Die Litauer brüfteten jich jogar, dem Feinde mehr Schaden 
zugefügt zu haben, als jie erlitten, nur Sapieha härmte ſich 
heimlich über die Niederlage, die er von neuem gehabt und die 
jeinen Ruhm jehr jchädigen mußte. Die befreundeten Haupt- 
leute tröjteten ihn, jo gut jie fonnten, und zu ihrer Freude 
Hatte die gemachte Erfahrung doch einen Nuten, denn von da 
ab wurden Trinfgelage nicht mehr abgehalten und hatte Sapieha 
wirklich einmal wieder ein Verlangen darnach, dann wurde die 
Vorſicht und Wachſamkeit während ihrer Dauer verdoppelt. 

Schon am nächſten QTage wiederholten die Schweden den 
Ausfall in der Meinung, daß der Hetman nach jo kurzer Friſt 
unvorbereitet jein werde, doch kräftig zurücgejchlagen, fehrten 
fie unter Zurücklaſſung mehrerer Toten bald wieder hinter ihre 
Mauern zurüd. 

Unterdejjen unterzog man im Quartier des Hetman 
Hakling einem Berhör, dejjen Dauer Herrn Andreas in die 
größte Ungeduld verjette, da er den Gefangenen am liebjten 
jogleidh) in fein Quartier genommen hätte, um jich von ihm 


408 


von Tauroggen erzählen zu lafjen. Er umjchlich den ganzen 

Tag das Quartier, ging zuweilen hinein, um die Befenntnifje 
ahlings mit anzuhören und jprang jedesmal, wenn der Name 
oguslam genannt wurde, wieder von der Bank auf. 

Gegen Abend erhielt er Befehl, mit einer Patrouille aus- 
zureiten; er jprach fein Wort, verbiß feinen Aerger und folgte 
dem Befehl, denn er Hatte jchon jehr gut gelernt, den Dienit 
des Vaterlandes über feine Privatinterejjen zu jtellen. Aber 
jeine Tartaren hatten e3 jchlimm; bei der geringiten Ver— 
anlafjung loderte jein Zorn auf und der Streitfolben fiel auf 
ihre Rüden, daß die Knochen fnadten. Und die armen 
Schwarzen flüjterten einander zu: „Der bagadyr ilt toll ge- 
worden“, und wagten faum zu atmen; fie hefteten nur ihre 
Augen feit auf das Geficht ihres Führers, um feine geheimjten 
Wünſche und Gedanken zu erraten. 

In jein Quartier zurüdgefehrt, fand er Hakling zwar 
dort vor, aber jo franf, daß er ihn nicht Sprechen fonntee Man 
hatte ihn bei der Gefangennahme jtarf gequeticht und verleßt, 
das lange Verhör hatte ihn vollends ermattet; er fieberte ſtark 
und vertan nicht einmal mehr die an ihn gerichteten Fragen. 

So mußte denn Kmiziz ich mit dem begnügen, was 
Sagloba ihm von dem Verhör erzählte, doch betrafen die Aus- 
jagen Haßlings nur öffentliche Angelegenheiten. Von Bogus- 
law hatte er nur jo viel gejagt, daß er nach der Niederlage 
bei Janowo fchwer erfranft war. Die Wut und Trauer hatten 
ihn vollends elend gemacht, er verfiel in ein jchweres Fieber, 
aber jobald er ein wenig zu Kräften gefommen, hatte er gleich 
den Fi: nad; Bommern unternommen, wohin Stenbod und 
der Kurfürſt ihn eiligit berufen hatten. 

„Und wo ift er jet?“ frug Kmiziz. 

„Nach dem, was Haßling jagt, befindet er ſich mit dem 
Bruder des Königs in dem befejtigten Lager zwijchen der 
Narew und dem Bug; er hat das Oberfommando über die 
Neiterregimenter,“ antwortete Sagloba. „Haßling hat wohl 
die Wahrheit gejprochen, denn wozu foll er auch lügen.“ 

„ga! Ste denken zum Entjag der Stadt Warjchau zır 
fommen. Wir werden uns aljo begegnen. So wahr Gott im 
Himmel ijt, ich muß ihn finden und follte ich in Verkleidung 
zu ihm gehen!“ 

„Macht feine unnügen Pläne! Sie möchten wohl gern 
nad Warjchau kommen, wenn ihnen nur Ticharniezki nicht den 
Weg verlegt hätte. Und num begiebt ſich etwas Eigentümliches 


409 


dort. Er, Ticharniezfi, kann das Lager nicht angreifen, weil er 
feine ?Füfiliere hat, fie aber haben Angjt, einen Ausfall gegen 
ihn zu unternehmen, weil jie jich überzeugt haben, daß im 
offenen Kampfe ihre Soldaten gegen die Neiter Tſcharniezkis 
nicht auffommen fünnen. Sie wijjen nun auch, daß jelbjt der 
Fluß feinen Schuß mehr bietet, jeit Tſcharniezki mit feiner 
Armee die Piliza durchſchwommen hat. Sa, wenn der König 
jelbjt im Lager wäre, da würde er den Kampf mit ihm auf- 
nehmen, denn der Soldat jchlägt ſich tapferer unter jeinem 
Kommando, im Bertrauen auf die Unüberwindlichfeit des 
Monarchen, aber weder Douglas, noch der Bruder des Königs, 
noch Boguslaw haben den Mut, ihn anzugreifen.“ 

„Und wo weilt der König?“ 

„Er ijt nach Preußen gegangen. Der König glaubt nicht, 
daß wir jchon jegt Warjchau und Wittenberg angreifen werden. 
Uebrigens ijt es gleichgültig, was er glaubt; er mußte aus zwei 
Gründen nad) Preußen gehen. Einmal, weil er endlich den 
Kurfürjten ganz zu jeinem Verbündeten haben muß, jei es auch 
um den Preis ganz Großpolens; zweitens aber braucht die 
Armee, welche mit ihm zwiſchen San und Weichjel ein- 
gejchlojjen war, durchaus der Ruhe und Erholung, ſonſt ift fie 
völlig untauglich geworden. Die ausgejtandenen Mühjale und 
die unausgejegten Beunruhigungen haben ihre Kräfte jo auf: 
gezehrt, daß jie nicht mehr imjtande find, die Musfete in der 
Hand zu erhalten. Und doch waren fie dereinjt die Auserlejenen 
der ganzen jchwedischen Armee, die die glänzenditen Siege in 
allen deutjchen und dänischen Ländern errungen haben.“ 

Weiter fam Sagloba nicht, denn Wolodyjowsfi trat ein. 

„Wie geht es Haßling?“ frug er noch auf der Schwelle. 

„Er iſt franf und fiebert jo Hark, daß er nicht drei von 
drei unterjcheiden kann,“ antivortete Kmiziz. 

„Was wollt ihr denn von Hakling, Herr Michael!“ mijchte 
ih Sagloba ein. 

„hut doch nicht, als wühtet ihr es nicht.“ 

„Das jollte ich meinen! Nur zu gut weiß ich, daß ihr 
recht viel von der Kirjche Hören möchtet, die Fürſt Boguslaw 
in feinen Garten verpflanzt hat. Fürchtet nichts! Er iſt ein 
gar eifriger Gärtner und unter feiner Pflege bringt jeder Baum 
noch vor Ablauf eines Jahres Früchte,“ tröftete Sagloba. 

„Der Teufel lohne euch ſolchen Trojt!“ rief der Eleine 
Ritter zornig. 

„Seht nur, jeht!* lachte Sagloba. „Man braucht nur den 


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unjchuldigiten Scherz zu machen, da gebärdet er ſich wie ein 
toller Maikäfer. Was fann ich dafür! An Boguslam nehmt 
Nache, nicht an mir!“ 

„Sp wahr mir Gott helfe, ich werde fie juchen und finden.“ 

„Genau dasjelbe hat auch Babinitjch gejagt! Ich jehe es 
fommen, dab das ganze Heer ſich wider ihn verjchwört; aber 
hütet euch, ohne meine Beihilfe richtet ihr nichts aus.“ 

Beide Ritter jprangen zugleich auf. 

„Habt ihr irgend einen guten Einfall?“ frugen ſie fait 
wie aus einem Munde. 

„Ihr denkt wohl, man zieht die Einfälle jo leicht aus dem 
Kopfe, wie das Schwert aus der Scheide? Wenn Boguslam 
bier in der Nähe wäre, fiele mir möglicherweije etwas ein, aber 
auf jolche Entfernung trägt jelbit eine Kanone nicht. Herr 
Andreas gebt mir einen Becher Met; es iſt heiß heute.“ 

„Eine ganze Tonne follt ihr haben, wenn ihr etwas für 
uns ausdenft!“ 

„Wozu wartet ihr eigentlich auf diefen Haßling, wie der 
Henker auf einen armen Sünder? Sind denn nicht mehr Ge- 
fangene da, die ihr befragen könnt?“ 

„sch Habe ſie alle ſchon ausgehorcht,“ jagte Kmiziz, „aber 
jie jind Gemeine und wiljen nichts, während er Offizier ift 
und Zutritt bei Hofe hat.“ 

„Das iſt wahr!“ antwortete Sagloba. „Auch ich muß mit 
ihm jprechen, denn aus dem, was er uns etwa vom Leben des 
Fürſten und feinen Gewohnheiten erzählt, fann jich leicht etwas 
für umjere Pläne ergeben. Die Hauptſache it, daß wir mit 
der Belagerung zu Ende fommen, denn dann gehen wir gegen 
jene Armee vor. Aber unfer allergnädigjter König läßt lange 
auf jich warten.“ 

„te?“ erwiderte der kleine Ritter. „Soeben fomme id) 
vom Hetman, welcher eben die Nachricht erhalten hat, daß 
der König noch heute Abend mit feiner Garde hier eintrifft, 
während die Hetmane mit den Stammjoldaten erjt morgen nach— 
fommen. Sie fommen ohne Ruhetage in Eilmärjchen von Sofola 
her. Uebrigens ijt es jchon ſeit einigen Tagen befannt, daß jie 
jeden Augenblid eintreffen können.“ 

„Bringen fie ein großes Heer mit?“ 

„Nahezu fünfmal joviel Mann, als wir bier in der Armee 
Sapiehas find. Es kommen auserlejene reußiſche und ungarijche 
Negimenter zu Fuß; aud) jechstaufend Tartaren unter Supan— 
hazy. Doch die legteren jollen jo roh und gewaltthätig jein, 


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daß man fie nicht aus den Augen lafien darf; jie verwüſten 
jonit alles.“ 

„Dan müßte ihnen den Kmiziz zum Oberhaupt geben!“ 
jagte Sagloba. 

„Bah!“ entgegnete Kmiziz. „Sch würde fie gleich von Warſchau 
fortbringen, denn zur Belagerung taugen fie gar nichts; an Die 
Narew und den Bug würde ich jie führen, Dort wären jie am 
Plate.“ 

„Das würde nicht3 nügen, gar nichts!“ entgegnete Wolody- 
jowski. „Niemand ijt wie jie imjtande, zu verhüten, das Lebens— 
mittel in die Stadt gelangen.” 

„Ra! e3 wird dem Wittenberg warm werden! Warte, 
alter Spigbube!” rief Sagloba aus. „Du Haft wader gekämpft, 
das ijt nicht zu bejtreiten, aber geitohlen und geraubt haſt du 
noch waderer. Zwei Mäuler Haft du: das eine zum Falſch— 
jchwören, das andere zum Brechen von Eiden, aber alle beide 
werden nichts nüßen, dich aus der Gefangenschaft herauszubetteln. 
Did juckt die Haut von der galliichen Krankheit, dein Medikus 
fraut fie dir, aber wir wollen ſie dir gerben, jo wahr ich Sag— 
loba heiße!“ 

„Bah! er wird fich dem Könige auf Gnade und Ungnade 
ergeben, wer jollte ihm da etwas anhaben,“ antwortete Herr 
Michael. „Wir werden ihm dann auch noch militärische Ehren 
erweijen müſſen.“ 

„Auf Gnade und Ungnade ergeben? Ja!“ fchrie Sagloba 
außer ſich. „But! Wir wollen jehen!“ 

Hier jchlug er mit der Fauſt wiederholt jo heftig auf den 
Tiſch, daß ſelbſt Noch Kowalski, welcher joeben eintrat, er— 
ichroden zujammenfuhr und wie gebannt jtehen blieb. 

„sch will nicht Sagloba jein, wenn ich dieſen Sirchen- 
ichänder, Mordbrenner, diejen beutegierigen Henfer frei aus 
Warſchau ziehen laſſe. Der König wird ihm auf Ehrenmwort 
trauen, die Hetmane vielleicht auch, aber ich, jo wahr ich Sag— 
loba heiße, jo wahr ich auf Erden glüdlich und im Himmel 
jelig zu werden hoffe, ich) werde einen Tumult erheben, wie 
man ihn in dieſer Republik noch nicht erlebt hat; einen Tumult 
will ich gegen ihn anitiften.... wehret mir nicht mit der Hand, 
Michael... ich) wiederhole es . . einen Tumult erhebe ich...“ 

„Der Ohm erhebt einen Tumult!“ donnerte Noch Kowalski 
dazwijchen. 

Da erjchien das tierische Geficht Afbah-Ulans im Rahmen 
der Thüre. 


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„Effendi!“ rief er Kmiziz zu. „Die Armee des Königs 
jteht jenſeits der Weichſel.“ 

Die Anwejenden jprangen auf und eilten vor die Thür. 

Der König war thatfächlih angefommen. Woran zogen 
die Tartarenhorden unter Supanhazy, aber nicht in jo a 
Zahl, wie man gemeldet hatte. Hinter ihnen kam das Kronen- 
heer jehr gut bewaffnet und was das Bejte war, mit dem Feuer 
der Begeijterung in den Blicken. Bid zum Abend hatte Die 
ganze Armee die neu von Herrn Osfierfo hergeitellte Brüde 
uͤberſchritten. Sapieha erwartete den Monarchen mit fämtlichen 
Fahnen in Paradeordnung. Sie jtanden alle in langer Linie, 
eine neben der anderen, jo daß das Ende faum abzujehen war. 
Die Nittmeijter hielten jeder vor jeiner Schwadron, neben 
ihnen die Fähnriche mit gejenkten Fahnen. Die Trompeten, 
Uuerpfeifen, Trommeln und Triangeln machten einen un 
befchreiblichen Lärm. Die Kronenfahnen jtellten jich, wie fie 
der Reihe nad) marjchierten, geradeüber den Soldaten Sapiehas 
in ebenjolcher Ordnung auf, jo, daß zwijchen beiden Armeen 
die ganze Linie entlang ein Zwifchenraum von etwa Hundert 
Schritten blieb. 

Auf diefem Raume fam Sapieha, jeinen Marjchallitab in 
der Hand, zu Fuß daher. — ihm ſchritten etliche Zivil— 
und Militär-Würdenträger. Von Seiten des Kronenheeres ritt 
auf einem herrlichen Goldfuchs, welcher noch ein Geſchenk Lubo— 
mirskis, gelegentlich des Aufenthaltes des Königs in Lublin, 
war, der König dem Hetman zu. Der König war wie zur Schlacht 
gerüſtet, er trug einen leichten Panzer von bläulichem Stahl mit 
goldenen Sternen verziert, unter welchem ein Slaftan von 
jchwarzen Sammet mit breiter, bis auf dem Panzer herab— 
fallender Spigenfraife zu jehen war. Statt des Helmes trug 
er aber einen fchwedijchen breiten Schlapphut mit jchwarzen 
Federn, —— bedeckten ſeine Hände und Arme und 
— ederſtiefeln reichten ihm bis hoch über die Kniee 
hinauf. 

Dem Könige folgten der Erzbiſchof von Lemberg, der 
Biſchof von Kamieniez, die Pröbſte von Luzk und Zieziſchowski, 
der — Wojewode von Krakau und derjenige von Reußen, 
der Baron Liſola, Graf Pöttingen, Herr v. Kamieniezki, der 
Moskauer Geſandte, Herr v. Grodzizki, der General der Artillerie, 
Tyſenhaus und viele andere. Sapieha beeilte ſich, dem Könige, 
wie ehemals der Kronenmarſchall, den Steigbügel zu halten, 
doch der Monarch kam ihm zuvor; er ſprang leicht aus dem 


413 


Sattel, lief dem Hetman entgegen und ohne ein Wort zu jprechen, 
umarmte er denjelben. 

Er hielt ihm angejicht3 der beiden Armeen lange um— 
ſchlungen. Zange konnte er fein Wort hervorbringen, die Thränen 
flofjen ihm an den Baden herab, denn hier an feiner Bruft 
hielt er feinen und der Republik treuejten ‘Freund, der, wenn 
auch an Geijt von anderen übertroffen und nicht von Fehlern 
frei, doch) an braver, ehrlicher Denkungsart ſie weit überragte, 
an Treue und Aufopferung der Edeljten einer, der nicht einen 
Augenblick gezögert hatte, Kin ganzes Hab und Gut, jowie fein 
Leben dem PVaterlande zur Verfügung zu jtellen. 

Als die Litauer, welche für die Schuld an dem Entjchlüpfen 
Karl Guſtavs bei Sandomir und für die legte Unvorjichtigfeit 
bei Warjchau, einen jcharfen Tadel, mindeſtens aber ein fühles 
Entgegenfommen jeitens des Königs erwartet hatten, dieje gütige 
Begrüikung jahen, brachen fie in laute Freudenrufe aus, in 
welche das Kronenheer jogleich begeijtert einftimmte. Das Spiel 
der Kapelle laut übertönend, hörte man die Rufe: 

„Bivat Joannes Kasimirus!“ 

„Bivat die Kronenheere!“ 

„Vivat die Litauer!“ 

Sp fand die Begrüßung bei Warjchau jtatt. Die Mauern 
der Stadt erbebten bei dem Gedröhn der Vivatrufe und Hinter 
den Mauern zitterten die Schweden. 


„sh muß heulen! So wahr Gott Iebt, ich heule laut 
aus!“ rief Sagloba gerührt. „Ich Halte e8 nicht länger aus! 
Sehet da, unjer Herr, unjer Vater! — meine Herren! ic) 
Ichluchze jchon! — Vater! Unſer König, unlängjt nod ein 
Bertriebener, von allen Berlajjener, und jet ... und jeßt... 
jtehen ihm Hunderttaujend Säbel zu Dienften!... O barm- 
berziger Gott! ... ich kann nicht mehr vor Thränen.... 
Gehtern ein Flüchtling, heut . . . der deutjche Kaiſer Hat fein 
jolches Heer! ...“ 

Die Thränenjchleufen Saglobas öffneten jich; er jchluchzte 
und jchnaufte ein über das andere Mal. PBlöglich wandte er 
fih an Rochus: 

„Sei ſtille!“ jagte er, „warum heuljt du?“ 

„Heult ihr etwa nicht, Ohm?“ entgegnete Rochus. 

„Es iſt ja wahr, es iſt ja wahr! ... Ich jchämte mich 
für die Nepublif ... .. aber jet möchte ich mit feiner Nation 
taufchen ... Hunderttaufend Säbel ... Das follen ung 


414 


andere nachmachen... Gott hat uns zur Vernunft gebracht... 
Gott! Gott!“ 

Herr Sagloba irrte nicht zu jehr, denn thatjächlich jtand 
hier, ohne die Divilion Tſcharniezkis ein nahezu fiebenmal 
hunderttaujend Mann ſtarkes Heer bei Warjchau, ungerechnet 
die Bedienungsmannjchaften beider Armeen. 

Nach der Begrüßung und der Bejichtigung des Heeres 
dankte der König den Truppen Sapiehag, unter den begeijterten 
Zurufen der Soldaten, für ihre treuen Dienjte und brach dann 
nad) Ujazdowo auf, während den verjchiedenen NRegimentern 
ihre Bojitionen angewiejen wurden. Ctliche Fahnen biieben 
auf Praga, die anderen wurden rings um die Stadt plaziert. 
Ein unabjehbarer Wagenzug jette noch bis zum folgenden 
Mittag über die Weichjel. 

Am anderen Morgen war die Ebene um Warjchau dicht 
mit jchneeweißen Zelten bededt. Unzählige Pferde wieherten 
auf den angrenzenden Auen. Die dem Seere nachziehenden 
armenijchen, türkiſchen und tartarischen Handelsleute bildeten 
eine zweite Stadt, in welcher es lebhafter und fröhlicher herging, 
al3 in der belagerten. 

Die Schweden erjchrafen über die Ankunft der Heeres- 
macht des Polenfönigs, wagten in den erjten Tagen gar feinen 
Ausfall, jo daß Herr Grodzizfi in aller Ruhe die Stadt um— 
reiten und einen Belagerungsplan anfertigen fonnt. Es 
wurden nach jeiner Anordnung bier und da kleine Schanzen 
aufgeworfen und Fleinere Gejchüge aufgepflanzt; die großen 
fonnten erit in einigen Wochen nachfommen. 

Der König jandte eine Botjchaft an den alten General 
Wittemberg mit der Aufforderung, die Waffen zu jtreden und 
die Stadt zu übergeben. Die Bedingungen, die er hierbei 
jtellte, waren jo gnädige, daß fie die Unzufriedenheit des 
ganzen Heeres hervorriefen, als ihr Wortlaut allgemein befannt 
wurde. Die Unzufriedenheit ward von Sagloba gejchürt, welcher 
Wittenberg haßte. 

Wie man vorausgejehen, verwarf Wittenberg die Bedingungen 
und erklärte, die Stadt bis zum legten Blutstropfen halten zu 
wollen. Lieber wollte er unter ihren Trümmern begraben 
werden, als jie dem Könige ausliefern. Die große Zahl der 
Belagerer jchredte ihn nicht, denn er wußte aus Erfahrung, dat 
ein „Zuviel eher Hinderlich jei, als nügen fünne Man hatte 
ihm zudem bald Hinterbracht, daß die königliche Armee nicht ein 
einziges Belagerungsgejchüg bejaß, während die Stadt eine ganze 


415 


Anzahl der beiten Kanonen und unerjchöpfliche Vorräte an 
Munition hatte. 

Es war um jo gewiljer, daß die Schweden ſich bis zur 
Verzweiflung wehren würden, da Warjchau der Yagerplag für 
alle die fojtbare Kriegsbeute war, die fie im Laufe der Zeit 
angejammelt hatten. Alle die unermehlichen Schäte, den vielen 
Schlöjjern, Kirchen und Städten der Republik geraubt, waren 
in die Hauptjtadt gebracht, von wo jie auf der Weichjel nad) 
Preußen und von dort nad) Schweden transportiert wurden. 
Bejonders aber hatte man in der letten Zeit des Aufjtandes 
im ganzen Lande zujammengerafft, was mitzunehmen ging und 
in Warjchau aufgeitapelt, da die Eleineren Städte und Schlöfjer 
feine Sicherheit mehr für die Beute boten. Die Schweden aber 
ließen eher das Leben als ihre Beute. Dem gemeinen Soldaten 
war beim Anblick der Schäte dieſes Landes eine unermeßliche 
Habgier erwacht; Schweden war ein armes Land und nie hatte 
einer von ihnen jolche Neichtümer gejehen, wie hier. Daher 
war die Beutegier jelbjt der Generale und des Königs, bis auf 
den gemeinen Soldaten, jo groß, daß alle, ihre Würde vergefjend, 
zu gemeinen Räubern wurden, deren größter jedoch, Wittemberg 
war. Wo es jih um ein Beutejtüd handelte, da vergaß der 
‚zeldmarjchall alles andere, Rang, Ehre, nichts vermochte ihn 
vom gemeinen Diebjtahl zurüd zu Halten; er nahm alles, was 
zu nehmen ging. In Warjchau jelbit entblödeten jich die 
jchwedischen Hauptleute und Offiziere nicht, öffentlic; Branntwein 
und Tabak zu verfaufen, nur, um am Solde des Gemeinen 
einen Gewinn zu erzielen. 

Auch darum mußte Warjchau bis aufs Lebte verteidigt 
werden, da zu jener Zeit die vornehmiten Schweden ſich in der 
Stadt befanden. Zuerſt aljo Wittenberg, der bedeutendite 
Kriegsheld nach) dem Könige von Schweden, derjenige, welcher 
als erjter den Fuß auf den Boden der Republik gejegt und 
der als Triumphator in Schweden auf einen großen Empfang 
zu rechnen hatte. Außerdem befand jich Orenjtjerna, der Kanzler, 
in Warjchau, der als größter Staatsmann der Welt galt und 
in ganz Europa unter dem Namen „die Minerva des Königs“ 
gefürchtet war. Ihm hatte Karl Gujtav alle jene Vorteile zu 
danfen, welche ihm beim Schließen von Verträgen erwuchjen, 
denn, obgleich jelbjt bei den Feinden als der Ehrlichite und 
Uneigennügigite der Schweden hochgeehrt, veritand er den 
jeweiligen Vorteil jeines Vaterlandes zu wahren, ohne fich einer 
unehrenhaften Handlung jchuldig zu machen. Von Generalen 


416 


waren noc in der Stadt: Wrangel der Jüngere, General Horn, 
Eridjen, der zweite Yoewenhaupt und eine Menge jchwedijcher 
Damen aus altadeligen Gefchlechtern, welche ihren Männern 
hierher gefolgt waren, um die Bejigergreifung diejes Landes voll- 
jtändig zu machen. 

& hatten die Schweden alle Urjache, die Verteidigung 
Warſchaus nicht aufzugeben. Johann Kajimir begriff ſamt jeinen 
Hetmanen und Hauptleuten recht gut, daß bei dem Mangel an 
Belagerungsgejchügen die Belagerung eine jehr langwierige und 
blutige werden mußte, aber das Heer mochte oder konnte die 
Lage der Dinge nicht begreifen. Kaum hatte Grodzizfi einige 
kleine Schanzen aufwerfen lafjen, faum waren fie den Mauern 
etwas näher gerüdt, da famen jchon von allen Fahnen Depu- 
tationen mit der Bitte einer großen Schar Freiwilliger, den Sturm 
auf die Stadtmauern zu erlauben. Lange mußte der König mit 
Bitten und Vorjtellungen den Deputierten flar machen, daß 
feine noch jo große Anzahl Reiter mit dem blanfen Säbel in der 
Hand eine Feitung jtürmen könne, ehe die Begeijterung ſich legte. 

Man bejchleunigte die Belagerungsarbeiten jo viel als 
möglid. Da ein Sturm nicht gewagt werden fonnte, nahm 
das ganze Heer lebhaften Anteil an diejen Arbeiten. Selbſt 
die Offiziere der vornehmiten Garderegimenter farrten Erde 
und jchleppten Faſchinenkörbe herbei. Die Schweden verjuchten 
oft diefe Arbeiten eritören; es verging fein Tag ohne 
größere und Eleinere [usfälle, die fie machten, aber faum hatten 
die schwedischen Musketiere die Thore verlafien, da warfen die 
Polen bei den Schanzen ihr Arbeitszeug Hin, griffen nach den 
Säbeln und hieben jo tollwütig auf die Feinde ein, daß Dieje 
jchleunigit Kehrt machten. Dabei ging es freilich nicht ohne 
Tote ab und die Laufgräben und freien Pläße zwijchen den 
Schanzen und den Feitungsmauern füllten ſich mit Grabhügeln, 
da hier die Gefallenen, während der furzen Dauer des zu dieſem 
Bwede gewährten Waffenjtilljtandes begraben wurben. 

Trog großer Gefahren und Schwierigkeiten jchlichen jich 
täglich Bewohner der Stadt in das Fönigliche Lager, um zu 
berichten, was in der Stadt vorging, a flehentlich um Be— 
ichleunigung der Erjtürmung zu bitten. Die Schweden hatten 
wohl noch Vorräte an Lebensmitteln für jich, das Volk aber 
lebte im Elend und jtarb in den Straßen vor Hunger. Täg— 
(ih) wurden Bürger der Stadt, welche man des Einvernehmens 
mit den Belagerern überführt hatte, erſchoſſen. Kranke Frauen, 
Neugeborene, Greije, Kinder, lagen in den Straßen umber, da 


417 


man jie ihrer Wohnung beraubt hatte, welche die Bejagung 
bezog; jie waren Wind und Wetter preisgegeben, litten tags— 
über von den heißen Strahlen der Sonne und nacht3 von der 
Kälte. Es war ihnen nicht erlaubt, ein Feuer anzuzünden, Sie 
fonnten und durften fich nichts Warmes zum Ejjen bereiten, 
Stranfheiten verjchiedener Art rafften Taujende dahin. 

Wenn die aus der Stadt Entfommenen im Lager von 
diejen Gräuelthaten erzählten, dann blutete dem Könige das 
Herz. Er jandte Boten um Boten, um die Ankunft der Ge— 
jchüge zu bejchleunigen. Auf diefe Weije vergingen Tage und 
Wochen, ohne daß etwas ernithaftes vorgenommen werden fonnte; 
die Belagerer tröjtete nur der eine Gedanke, daß der Beſatzung 
endlich auch die Lebensmittel fehlen müßten, da ihnen jede 
Zufuhr abgeichnitten war. So ſchwand auch wirklich den Be— 
lagerten von Tag zu Tag der Mut und die Hoffnung auf 
Entjag durch die jo nahe liegende Armee unter Douglas, da 
Die große Uebermacht der polnijchen Truppen ſie bei einem Ver— 
juch, die Feitung zu befreien, zermalmen mußte. 

Man hatte endlich begonnen, noch vor Ankunft der großen 
Gejchüge die Feſtung mit den Ffleinen zu bejchiegen. Herr 
Grodzizki hatte jich von der Weichjel her, mit der Gejchicklich- 
feit eines Maulwurf unaufhörlich Erderhöhungen vor ſich auf: 
werfend, bis auf ſechs Schritt vom Laufgraben entfernt durch— 
gearbeitet und bejchog von hier aus die unglüdliche Stadt 
unaufhörlich. Das jchöne Palais der Kaſanowski wurde voll 
jtändig demoliert. Man bedauerte das auch feineswegs, da es 
Eigentum des Verräters NRadziejowsfi war. Seine Mauern 
mit den leeren Fenſterhöhlen hielten faum noch zujammen; 
Tag und Nacht fielen die Kugeln auf die wunderjchönen 
Zerrafien, in Die herrlichen Gärten, die Fontainen, Brücken, 
Altane und Marmorfiguren in Trümmer legend. Mit Flüge 
lichem Geſchrei verfündigten die aufgejcheuchten Pfaue das trau— 
rige Geſchick diejes ſchönſten der Paläſte. 

Doch auch der Glodenturm der Bernhardinerfirche wurde 
ſtark bejchoffen, denn an dieſer Stelle follte nach Grodzizfis 
Meinung der erite Sturm jtattfinden. 

Unterdejjen hatten die Troßfnechte des füniglichen Lagers 
nicht aufgehört zu bitten, daß der König ihnen erlauben jollte, 
die Stadt anzugreifen. Ihr Verlangen, als die eriten zu ven 
ſchwediſchen Schägen zu gelangen, war zu groß. Nach längerem 
Zaudern gab der König endlich nad. Einige höhere Offiziere 
beichlojjen, das Kommando diefer Freiwilligen zu übernehmen, 

Sienfiewicz;, Sturmflut II. 27 


418 


unter ihnen auch Kmiziz, welchem die langdauernde Unthätig- 
feit läjtiger wurde als allen anderen und der außerdem von 
innerer Unruhe fait aufgezehrt wurde, da Haßling jeit jenen Tage 
jeiner Gefangennahme noch immer in jchweren Fieberphan— 
tajien Darniederlag und er bis jetzt fein Wort mit ihm hatte 
jprechen fünnen. 

Man rief ſich alfo untereinander, ohne Aufjehen zu machen, 
zum Sturm auf. Herr Grodzizfi wehrte bis zulegt heftig dem 
Unternehmen, da er der Anficht war, daß die Stadt nicht zu 
nehmen jei, jelbjt von den regulären Füſilieren nicht, gejchweige 
denn von diejen Troßfnechten, bevor nicht die Feltungsmauer 
eine Brejche erhalten. Da aber der König bereits jeine Erlaub- 
nis dazu gegeben hatte, mußte er nachgeben. 

Am fünfzehnten Juni traten aljo etwa jechstaujend dieſer 
Troßknechte zufammen. Mean bereitete Leitern, Bündel trodenen 
Reiſigs, Sandjäde und Feuerhaken vor und gegen Abend zog 
die nur mit Säbeln bewaffnete Menge nach jener Stelle, wo 
die Erderhöhungen und Schugwälle am nächiten zu den Lauf: 
gräben Hinreichten. Sobald die Finſternis vollitändig ein- 
getreten war, rannten die Knechte auf ein gegebenes Beichen 
dem Laufgraben zu und begannen ihn zuzufchütten. Sie er: 
hoben dabei ein fürchterliches Gejchrei, jo daß die ohnehin 
wachjamen Schweden jie mit einem mörderischen Musfetenfeuer 
empfingen. Auch die Kanonen eröffneten ein mächtiges Feuer, 
die ganze öjtliche Seite der Stadt jchien in heftigem Kampfe 
entbramnt. 

Im Schuße der Dunkelheit hatten die Troßfnechte im Nu 
den Laufgraben verjchüttet und jtürmten, eine ordnungsloje 
Maſſe, den Mauern zu. Herr Kmiziz warf fich mit gegen zwei 
Taufenden der Knechte auf das „Salte Fort,“ welches in der 
Nähe des Krakauer Thores gelegen und von den Polen „Der 
Maulwurfshaufen” benannt worden war, und nahm es troß 
der verzweifelten Abwehr im erjten - Anlauf. Die Bejagung 
wurde niedergehauen, niemand gejchont. Kmiziz befahl, die 
Gejchüge zum Teil dem Strafauer Thor zuzuwenden, zum Teil 
den Mauern, wo die anderen Polen die Leitern anlegen wollten, 
um ihnen zu Hilfe zu fommen und Schuß zu geben. 

E3 ging jenen nicht jo gut wie ihm, bei der Erjtürmung 
der Bajtion. Obgleich die Knechte bereit die Leitern angelegt 
hatten und, ohne ich von irgend einem Hindernis zurücjchreden 
zu lafien, fejt darauf losjtürmten, richteten die Schweden großen 
Schaden unter ihnen an, denn jie rijjen die Planken aus der 


419 


Erde und jchlugen von oben auf ie ein, jchütteten ihnen 
fliegendes Pech in die Gefichter und warfen jchwere Steine 
und Holzkloben auf die Leitern herab, daß fie frachend zer- 
brachen, endlich jtießen jie die Stürmenden mit langen Lanzen 
hinab, gegen die ihre Schwerter nichts auszurichten vermochten. 

Ueber fünfhundert der beiten Troßfnechte blieben unter 
den Mauern, die anderen zogen jich unter dem unumnterbrochenen 
Feuer der Musketen und Gejchüge hinter den Zaufgraben und 
die Schugmwälle zurück. 

Der Sturm war abgejchlagen, aber die Bajtion war im 
polnischen Händen geblieben. Umjonjt wurde fie während der 
ganzen Nacht von den Schweden mit ihren ſchwerſten Gejchügen 
beſchoſſen, Kmiziz erwiderte dieſes Feuer energijch mit den 
eroberten Gejchügen. Erjt gegen Morgen, als es jchon licht 
eworden war, zertrümmerten ihm die Schweden diejelben voll- 
Ständig, Wittenberg, welchem jehr viel an jener Bajtion 
gelegen war, jandte nun eine Abteilung Füfiliere dorthin ab, 
mit dem Befehl, daß feiner fich unterjtehen jolle, zurüczufehren, 
ohne den Verluſt wieder wett gemacht zu haben. Herr Grod- 
zizfi aber hatte inzwijchen Hilfsmannjchaften abgejandt, welche 
bei Herrn Kmiziz zu rechter Zeit eintrafen. Er warf aljo die 
jchwedischen Angreifer nicht nur zurüd, jondern verfolgte jie 
bis an das Krafauer Thor. 

Herr Grodzizfi war jo erfreut über den Ausgang der 
Sache, daß er perjünlich dem Könige Bericht zu erjtatten eilte. 

„Allergnädigiter Herr!“ jagte er. „Sch war gejtern gegen 
den Angriff auf die Mauern, heute jehe ic) ein, wie viel Nuten 
er ung brachte. So lange jene Bajtion in Feindeshand war, 
fonnte ich nichts gegen das Thor hin unternehmen. Wenn jetzt 
nur bald die jchweren Gejchüge ankommen, dann wird jchnell 
eine Brejche in die Mauer gemacht jein. 

Der König, welcher jehr befümmert um den Verluſt jo 
vieler guter Burfchen war, wurde durch den Bericht Grodzizfis 
jehr erfreut. Er frug eilig: 

„Welcher der Offiziere führte das Kommando bei dem Sturm 
auf die Bajtion?“ 

„Herr Babinitjch!" antworteten ein paar Stimmen zugleich. 

Der Monarch jchlug die Hände zujammen. 

„Der muß überall der Erjte jein!“ rief er aus. „Herr 
General, den fenne ich! Der läßt jich dort nicht ausräuchern.“ 

„ES wäre eine umverzeihliche Schuld, wenn wir es dazu 
fommen ließen. Ich habe ihm jchon Suffurs an Mannjchaften 

27* 


420 


und ein paar Eleine Gejchüge hinübergejchidt. Man wird es 
an Verjuchen nicht fehlen laſſen, ihn auszuräuchern; es handelt 
fih um Warjchau, Meajeität! Doch der Kavalier iſt Goldes 
wert, mindejtens jo viel, als er jelbit wiegt.“ | 

„Do, er iſt viel, viel mehr wert!“ jagte der König. „Es 
iſt dies hier nicht feine erjte, nein, nicht jeine zehnte That.“ 

Der König befahl, jofort jein Pferd vorzuführen, nahm 
das Fernrohr und ritt fort, die Baition zu bejichtigen. Man 
fonnte jie gar nicht jehen, jo jehr war fie in Nauchwolfen ges 
hüllt, denn mehrere Kartaunen fjchleuderten unaufhörlich Feuer, 
Sranaten, Bomben und Eifenjtüde auf fie hernieder. Die 
Baition (ag jo nahe dem Thor, daß ein Musketenſchuß fie 
von dort aus erreichen fonnte. Man jah genau, wie die Granaten 
in Gejtalt Kleiner Wölfchen in die Höhe jtiegen, einen jehr 
ſcharfen Bogen bejchrieben und in die große Rauchwolke fielen, 
die die Bajtion umhüllte, und dort donnernd plaßten. Viele von 
ihnen fielen bis weit hinter die Bajtion und dieje verhinderten, 
daß fernere Hilfstruppen an Kmiziz gejandt werden fonnten. 

„sm Namen des Vaters, des Sohnes und des heiligen 
Geijtes!* rief der König. „Tyſenhaus! Seht doch!“ 

„Es iſt nichts zu jehen wie Nauch, Majeſtät!“ 

„Ein Häuflein aufgewühlter Erde wird von der Bajtion 
übrig bleiben! Tyſenhaus! Wißt ihr, wer dort drinnen jigt?“ 

„sch weiß es, Meajeität! Es iſt Babinitjch! Wenn der 
lebend von dort wiederfehrt, jo kann er mit Recht jagen, daß 
er bei lebendigem Leibe in der Hölle war.“ 

„Man muß ihm frijche Streitkräfte jenden, Herr General!“ 

„Der Befehl iſt jchon ausgegeben, aber es wird jchwer jein, 
hinzufommen, denn die Granaten überholen die Bajtion und 
fallen dicht nach dieſer Seite zu.“ 

„Laßt von allen Seiten, aus allen Gejchügen auf die 
Mauern feuern, damit ihre Aufmerfjamfeit geteilt wird.“ 

Grodzizki gab dem Pferde die Sporen und jprengte zu 
den Schanzen zurüd. Bald darauf dröhnte der Kanonendonner 
auf der ganzen Linie. Gleichzeitig jah man eine Abteilung 
majuriiche Fußſoldaten die Schugwälle verlajjen und im Lauf— 
jchritt der Bajtion zueilen. 

Der König beobachtete unausgejeßt den Kampf um Die 
Baition. Wlöglich rief er: 

„Es iſt Plicht, den Babinitjch im Kommando abzulöjen. 
Wer von euch, meine Herren, will freiwillig die Ablöjung über- 
nehmen ?“ 


421 


Von Kmiziz' näheren Freunden befand ich feiner in der 
Nähe, weder Wolodyjowsft noch die Sfrzetusfis, Es blieb 
einen Augenblick jtill nad) diejer Frage des Königs. 

„Sch“ hörte man endlich die Stimme des Herrn Topor 
Grylewsfi melden. Er war Offizier bei den leichten Reitern 
des Erzbischofs. 

„sch!“ jagte nun auch Tyjenhaus. 

„sch! Sch! Ich!“ rief es nun von verjchiedenen Seiten. 

„Der erjte, welcher ſich erboten hat, joll gehen!“ entjchied 
der König. 

Herr Topor Grylewski befreuzte jich, nahm einen Fräftigen 
Schlud aus der Feldflaſche und ritt davon. 

Der König blickte unverwandt auf die Rauchwolfen, welche 
noch immer die Bajtion verhüllten und jich Hoch über ihr in 
langen Streifen, von der Luft getraaen, wie eine Brücke hin- 
überzogen bi8 zu den Mauern. Da die Baition nahe der 
Weichjel lag, jo überragten die Mauern diejelbe, daher wirfte 
das Feuer jo jchredlicd). 

Plöglich veritummte der Donner der Gejchüge etwas, nur 
die Öranaten zogen noch ihre jcharfen Bogen, dafür ertönte 
ein fürchterliches Knattern unzähliger Musfetenschüffe; es war 
anzuhören, als ob Taujende von Bauern mit Drejchtlegeln auf 
die Tenne jchlagen. 

„Sie gehen wieder zum Sturm über,“ jagte Tyſenhaus. 
„Wenn der Rauch nicht jo dicht wäre, fünnten wir die ſchwe— 
diichen Füſiliere ſehen.“ 

„Reiten wir etwas vor,“ ſagte der König, ſein Pferd in 
Bewegung ſetzend. 

Andere folgten ihm. Die kleine Karawane gelangte von 
Ujazdowo her am Ufer der Weichſel entlang faſt bis Solez, 
und da die Obſtgärten der Paläſte und Klöſter, die bis an die 
Weichſel herabreichten, noch im Winter von den Schweden kahl 
geſchoren worden waren, jo war der Ausblick frei. Man 
fonnte hier ohne Fernrohr jehen, wie die Schweden jich an— 
ſchickten, die Baſtion von neuem zu jtürmen, 

„sch wollte lieber dieje Position aufgeben, al3 daß Babi— 
nitſch mir verloren geht!” jagte plößlich der König. 

„Bott wird ihn beichügen!” ſagte der Probſt Tſchiezi— 
ſchowski. 

„Und Herr Grodzizki wird nicht verfehlen, ihn zu unter— 
ſtützen,“ ſetzte Tyſenhaus hinzu. 

Da unterbrach die Unterredung ein Reiter, welcher im 


42 2 


geſtreckten Galopp von der Stadt her geritten kam. Bei ſeinem 
Anblick rief Tyſenhaus, welcher ein ſehr ſcharfes Auge hatte, 
erſchrocken aus: 

„Srylewsti! Da kommt Grylewski! Babinitſch muß tot, 
die Baition gefallen jein!“ 

Der König bededte die Augen mit der Hand, während 
Grylewsfi dicht vor ihm fein Pferd parierte und fajt außer 
Atem meldete: 

„Allergnädigiter Herr!“ 

„Was it? Sit er tot?“ unterbrach ihn der König haſtig. 

„Herr Babinitich fagte zu mir: ‚Mir iſt jehr wohl zu 
Mute, ich brauche feine Ablöjung, nur etwas zu ejjen möchte 
eh haben, denn jeit geitern Abend habe ich nichts im Munde 
gehabt‘“. 

„So lebt er alſo?“ frug der König freudig. 

„Er jagt, es geht ihm gut!“ wiederholte Herr Grylewski. 

Das Gefolge des Königs erholte ſich langjam von jeinem 
Staunen. 

„Das iſt Rittermut!“ riefen die einen. 

„Welch' ein Soldat!“ jprachen andere. 

Und jpäterhin jagten welche zu Herrn Grylewski: 

„Es wäre aber doch gut, wenn er abgelöjt würde. Habt 
ihr euch nicht geſchämt, zurüdzufommen? Hat euch die Angit 
befallen? Ihr hättet euch lieber gar nicht melden follen.“ 

Darauf wandte ſich Grylewsft an den König: 

„Allergnädigjter Herr!“ bat er. „Venjenigen, die mich 
einen Feigling nennen, will ich jederzeit beweifen, daß ich es 
nicht bin. Bor Ew. Majeität aber muß ich mid) rechtfertigen. 
Ich war mitten in dem ‚Maulwurfshaufen‘, was mancher von 
diefen Herren hier nicht zuſtande gebracht haben würde. 
Babinitjch jprang mir wie eine bifjige Kate entgegen, als ich 
ihm den Befehl brachte, ich ablöfen zu lajien. ‚Seht zum 
Kuckuck,‘ jchrie er mich an. Ich arbeite hier, daß der Schweiß 
an mir herunterrennt,‘ jagte er, zum Plaudern habe ich Feine 
Zeit, und feine Zujt, mit irgend jemanden meinen Ruhm und 
mein Kommando zu teilen. Ich befinde mich wohl,‘ jagte er, 
‚ich bleibe Hier, und euch werde ich von der Bajtion werfen 
laſſen! Schert euch fort!“ fagte er. „Hunger haben wir, aber 
anjtatt etwas zu freſſen, jchieft man uns einen Kommandanten! 
Was blieb mir zu thun, Allergnädigiter Herr! Ich kann mich 
über feine Laune auch nicht wundern; fie müjfen arbeiten dort 
oben, daß ihnen die Hände abfallen möchten!“ 


423 


„Meint ihr,“ frug der König, „daß er jich dort wird halten 
fönnen ?“ 

„Welche Stellung würde der wohl aufgeben! ch vergaß 
noch zu berichten, was er mir nachjchrie: ‚Sch bleibe Hier, und 
jet es eine ganze Woche; ich ergebe mich nicht! — nur jchickt 
uns etwas zu ejjen!“ 

„sit e8 denn dort wirklich auszuhalten?“ frug der König 
wieder. 

„Man glaubt den Tag des letzten Gerichtes gekommen da 
oben! Granate fällt auf Granate, Eijenjtüde jaufen um die 
Ohren und wühlen jich tief in die Erde ein, der Rauch be= 
nimmt einem den Atem, man fann nicht sprechen! Die Kugeln 
wirbeln Sand und Erde in die Höhe, die man fortwährend 
abjcehütteln muß, um nicht Augen und Ohren voll zu haben. 
Es ind viele der Unſrigen gefallen, doch diejenigen, welche 
(eben, liegen in Furchen und machen aus Kanonenrädern Zäune, 
die jie mit Erde und Sand befejtigen, als Schußvorrichtung 
gegen die Anpralle der Stürmenden. Die Schweden haben die 
Baition jehr jorgfältig befejtigt, nun dienen ihre Maßregeln 
gegen lie jelbit. Jet fümpfen die oben wieder mit den Schweden. 

„Da man nicht auf die Mauern fommen fann, ohne zuvor 
eine Brejche gemacht zu haben,“ jagte der König, „jo werben 
wir nech heute die Paläfte in der Krakauer Vorjtadt angreifen, 
das wird der bejte Entjaß jein.“ 

„Die Paläſte jind aber auch ſtark befeitigt, fait in fleine 
Feitungen umgewandelt,“ bemerkte Tyjenhaus. 

„Man wird die Bejagung dort aber von der Stadt aus 
gar nicht oder wenig unterjtügen, denn ihre ganze Wut iit dem 
Babinitjch zugewendet,“ jagte der König. - „sch werde gleich 
den Befehl zum Stürmen geben, nur will ich zuvor Babinitſch 
meinen Segen hinterlaſſen. u 

Indem er das jagte, nahm Johann Kafimiv aus der Hand 
des Probites das fleine Kruzifir, welches dieſer jtet3 bei ſich 
trug und in welches Splitter des heiligen Kreuzes eingefaht 
waren. Während er fich Hoch emporrichtete, machte er Das 
Beichen des Kreuzes nach der Bajtion Hin und betete: 

„Du Gott Abrahams, Iſaaks und Jakobs, erbarme dich 
deines Volkes und errette diefe hier aus der großen Gefahr. 
Amen! Amen! Amen!“ 


— — 





13. Rapitel, 





Der Sturm auf die Krakauer Vorjtadt, nach der Seite 
der neuen Welt zu, war blutig und nicht jehr erfolgreich, aber 
injofern doch von Nußen, daß er die Aufmerkſamſeit der Schweden 
etwas von Kmiziz ablenfte und Ddiefem eine Eleine Pauſe zur 
Erholung bot. Die Polen drangen bis zum Palaſt Kafimirowsfi 
vor, ohne jedoch die Poſition behaupten zu fönnen. 

Aehnlich erging es ihnen beim Palais Danillowsfi und 
beim Danziger Haufe. Es fielen wieder ein paar Hundert 
Mann. Doch machte der König zu feiner Freude die Wahr- 
nehmung, daß jelbit die Mannschaften des allgemeinen Aufgebots 
mit flammender Begeijterung in den Kampf gingen und durch 
das Mihlingen des Angriffs durchaus nicht entmutigt wurden, 
jfondern vielmehr die Luſt zu neuen Kämpfen in ihnen entfacht 
worden \var. 

Das größte Ereignis jener Tage war aber die Ankunft 
Sohann Samojsfis und Herrn Tſcharniezkis. Der erjtere führte 
dem Heere ein Negiment auserlejeniter Füfiliere und etliche 
ſchwere Gejchüge zu, der andere war gefommen, um Anteil an 
der Belagerung Warjchaus zu nehmen, nachdem er im Ein- 
verjtändmis mit Herrn Sapieha einen Teil des litauiſchen Heeres 
jamt den Podlachiſchen Freiwilligen unter das Oberfommando 
Johann Skrzetusfis geitellt, und diefem die Ueberwachung der 
Bewegungen Douglas’ übertragen hatte. Man hoffte nun all- 
gemein, und auch Ticharniezfi teilte diefe Hoffnung, daß man 
zum legten erfolgreichen Sturm auf die Stadt jchreiten fönne. 

Man pflanzte die angefommenen jchiweren Gejchüge auf 
die von Kmiziz eroberte Baltion und brachte in kurzer Zeit 


425 


die jchwedischen Granatjchleudern zum Schweigen. Bon da ab 
übernahm das Kommando auf der Bajtion der General Grodzizki, 
Kmiziz fehrte zu jeinen Tartaren zurüd. Doch ehe er noch 
jein Quartier erreichen fonnte, erreichte ihn der Befehl, nad) 
Ujazdowo zu fommen. 

In Gegenwart des ganzen Generalitabes erteilte der König 
ihm eine große Belobigung, in welche die Herren Tſcharniezki, 
Sapieha und Lubomirski, jowie die Kronenhetmane auf das 
Lebhafteite einitimmten. Er aber jtand jtrahlenden Angejichts 
in zerrijjenen, beſchmutzten Kleidern vor den Herren, hocherfreut, 
daß es ihm gelungen war, die Baſtion zu halten und den 
Ruhm der Einnahme derjelben für fich errungen zu haben. 
Unter den vielen Glückwünſchen, die er empfing, freuten ihn be- 
jonders die von Wolodyjowsft und Sagloba. 

„Du kannſt dir gar nicht vorjtellen, Andrujch,“ ſagte der 
kleine Nitter, „welch großes Wohlgefallen der König an dir hat. 
Sch war gejtern im Kriegsrat zugegen, Herr Tſcharniezki hat 
mich mitgenommen; man jprach von der GEritürmung War: 
jchaus, dann über die Nachrichten von den Gräuelthaten, welche 
Bontus und die Schweden in Litauen verüben. Es wurde 
beraten, wie man diefem Unheil abhelfen fünnte. Herr Sapieha 
war der Anficht, das Beite jei, ein paar Neiterfahnen unter 
dem Kommando eines Mannes dorthin zu fchiefen, der für 
Litauen das werden fünnte, was Tſcharniezki für Kronpolen 
geworden ijt. Da jagte der König gleich: ‚Sch fenne nur einen, 
der das zu vollbringen imjtande ijt, — Babinitjch!! Die anderen 
gaben ihre Zuſtimmung.“ 

„Sch würde jehr gern nach Litauen und bejonders nach Smudz 
gehen,“ erwiderte Kmiziz; „wollte jelbit den König darum bitten, 
nur wollte ich erit die Einnahme Warjchaus abwarten.“ 

„Morgen joll Generalſturm fein,“ jagte nähertretend Sagloba. 

„Sch weiß es; wie geht es Kletling? 

„Ber iſt das? Ihr meint wohl Haßling?“ verbejjerte der 
alte Ritter. 

„Er it es! Das ijt auch ganz gleich, denn er hat, wie 
die meijten Engländer und Schotten, zwei Namen. Das fommt 
in fait allen anderen Nationen vor.“ 

„Es iſt wahr!“ ſagte Sagloba. Der Spanier hat für jeden 
Tag der Woche einen anderen Namen. Euer Troßbube hat 
mir gejagt, daß jener Hakling oder Ketling gejund iſt; er hat 
ſchon gejprochen, geht umher, das Fieber jcheint ihn verlafjen 
zu haben.‘ 


426 


„Wart ihr nicht bei ihm?“ frug Kmiziz. 

„Sch Hatte feine Zeit,“ antwortete Wolodyjowsfi. „Wer 
hätte auch vor der Einnahme der Feitung Sinn für anderes.“ 

„Sehen wir jett zu ihm.“ 

„Legt euch lieber jchlafen,“ ſagte Sagloba. 

„Es iſt wahr; ich möchte wohl, denn ich kann faum noch) 
aufrecht Itehen.“ 

In feinem Quartier angefommen, befolgte Herr Andreas 
den Rat Saglobas um jo lieber, als er Haßling jchlafend vor- 
fand. Dafür famen abends die beiden Freunde nach ihm zu 
jehen; fie festen fich alle dreie in die luftige Sommerlaube, 
welche die QTartaren ihrem „bagadyr“ errichtet hatten. Die 
beiden Kiemlitjch bedienten die Herren und jchenften den alten 
hundertjährigen Met ein, welchen der König Kmiziz geſandt. Der 
Abend war warm. Haßling, jehr bleich und abgemagert, jchien Leben 
und Kraft aus dem fojtbaren Getränf zu jchlürfen. Sagloba jchnalzte 
mit der Zunge und wijchte jich den Schweiß von der Stirn. 

„Ha! wie dort die Kanonen donnern,“ jagte hinaushorchend 
der junge Schotte. „Morgen wollt ihr zum Sturme vorgehen 

.. wohl euch Gefunden! ... Gott jegne euch! Ich bin ein 
Fremdling und diente, wo die Pflicht mic) band, doch euch 
wünſche ich alles Bejte. Ach, ijt das ein Met! Ich fühle mic) 
nenbelebt.“ 

Während er jo jprach, warf er fein langes goldiges Haar 
zurüd in den Naden und richtete die blauen Augen zum Simmel 
empor. Sein Geficht war wunderjchön; es trug einen noch faſt 
findlichen Ausdrud. Sagloba blidte ihn ganz gerührt an. 

„Ihr jprecht jo gut polnisch, Herr Kavalier, wie jeder von 
uns. Bleibt bei uns, lernt unjer Vaterland lieben; ihr thut 
damit ein gutes Werk und der Met wird euch nie fehlen. Für 
eine ehrenvolle Anjtellung für den braven Soldaten wird auch 
gejorgt werden.“ 

„Bejonders, da ich auch von Adel bin. Mein voller Name 
lautet nämlich Haßling-Ketling of Elgin. Meine Familie jtammt 
aus England, wenn fie auch in Schottland anfällig tft.“ 

„Es iſt jo weit in euer Vaterland, weit über das Meer 
und wir leben bei uns ganz anjtändig,“ verjegte Sagloba. 

„sch fühle mich auch ganz wohl Hier!“ 

„Aber uns ift nicht wohl jegt; wir figen wie auf Nadeln,“ 
warf Kmiziz ein, der fchon lange ungeduldig auf dem Stuhle 
hin- und herrückte. „Wir brennen vor Begierde zu hören, 


427 


was ſich in Tauroggen zugetragen, und ihr unterhaltet euch über 
Stammbäume.‘ 

„ragt mich und ich werde antworten,“ jagte Haßling. 

„Habt ihr das Fräulein Billewitich oft gejehen ?“ 

Das blafje Geficht Haßlings überzog ſich mit einer 
feinen Nöte. 

„Ich jah fie alle Tage.“ 

Kmiziz blickte ihm jcharf in das Geficht. 

„Wart ihr demm jo vertraut mit ihr? Warum errötet ihr? 
Wie fam es, daß ihr alle Tage bei ihr waret?“ 

„sch hatte ihr einige Kleine Dienjte geleiftet; fie wußte, 
daß ich ihr ergeben war. Ihr werdet das im Verlaufe des 
Geſpräches erfahren, jegt lat mich erzählen.“ 

„Die Herren wijjen wohl nicht, daß ich mich nicht in Kiejdan 
befand, als der Fürſt-Stallmeiſter dorthin fam und das Fräulein 
nach Tauroggen entführte Zu welchem Zwecke er das that, 
weiß ich nicht zu jagen; man jprach jo verjchieden davon. 
Kaum waren fie in Tauroggen angefommen, da merkte aber 
jogleich ein jeder, daß er bis über die Ohren verliebt in fie war.“ 

„Bott jtrafe ihn dafür,“ rief Kmiziz. 

„Er gab Feitlichkeiten, wie fie früher dort niemand gejehen. 
Ningjtechen und QTurniere; man fonnte glauben, daß tiefiter 
Friede im Lande herrſche. Dazwijchen jagte ein Brief, ein 
Bote den anderen, vom Kurfürjten und vom Fürjten Janujch. 
Wir Hatten gehört, daß der lettere von Sapieha und den Kon— 
förderierten hart bedrängt jei, doch wir blieben ruhig in Tau— 
roggen. An der Grenze wartete das Heer des Kurfürſten, zum 
Zuge nach Litauen bereit, wir aber blieben ruhig jiten, denn 
der Fürſt konnte fich nicht von dem Fräulein trennen.“ 

„Darum aljo fam Boguslaw dem Better nicht zu Hilfe?“ 
jagte Sagloba. 

„So iſt es! Paterſon und andere ihm nahejtehende Ber- 
jonen jagten dasjelbe. Einige waren ungehalten, andere freuten 
jich, daß die Nadziwill® zu Grunde gehen jollten. Safowitjch 
vertrat den Fürſten in allen öffentlichen Angelegenheiten; er 
empfing die Briefe und beantwortete diejelben, beratjchlagte mit 
den Gejandten, der Fürſt jelbjt jann nur darauf, wie er neue 
Vergnügungen jchaffen folltee Er! diejer Geizyammel — warf 
das Geld mit vollen Händen fort; er ließ auf eine halbe Meile 
im Umfreife den ganzen Wald niederlegen, damit das Fräulein 
eine bejjere Ausjicht haben jollte, kurz, fie wandelte auf Blumen 
und wurde jo fein behandelt, wie eine Prinzejlin von Geblüt. 


428 


Das Fräulein wurde von vielen bedauert, denn man jagte: 
‚Die ganzen Bergnügungen find nur zu ihrem Verderben er- 
jonnen. Heiraten wird der Fürſt fie Doch nicht, aber wenn er 
imjtande it, ihr Herz zu gewinnen, dann hat er feinen Zweck 
erreicht.‘ Es zeigte ſich aber bald, daß das Fräulein nicht zu 
denjenigen gehörte, welche durch Glanz und Schimmer auf Ab- 
wege zu führen waren.“ 

„Das weiß id) bejjer, al8 alle anderen!“ rief Kmiziz auf: 
jpringend, 

„Wie nahm denn das Fräulein Billewitjch die Huldigungen 
auf?“ frug Wolodyjorwsfi. 

„Anfangs mit artiger Miene, obgleich) man ihr dennoch au— 
merkte, daß ein geheimer Summer an ihr nagte; jie mochte wohl 
auc) der Meinung fein, daß alle die Masferaden, Kavalfaden 
und Turniere zu dem alltäglichen Gewohnheiten des Füriten 
gehören. Endlich merkte fie doch, da alles nur ihretwegen 
veranjtaltet worden. Der Fürſt hatte eines Tages, weil er gar 
nicht mehr wußte, was er zum Ergötzen des Fräuleins aus- 
findig machen follte, ein Kriegsſchauſpiel veranftaltet; er ließ 
eine in der Nähe Tauroggens befindliche Anjiedelung in Brand 
jeßen und die Brandjtätte von jeinen Füſilieren verteidigen, 
während er mit einigen Neitern fie zu ftürmen bemüht war, 
jelbjtverjtändlich auch Steger blieb. Siegestrunfen und Liebes- 
trunfen zurücdgefehrt, joll er dem Fräulein zu Füßen gefallen 
jein und fie um Gegenliebe angefleht haben. Es iſt nicht be- 
fannt geworden, was alles für Verjprechungen er ihr gemacht 
haben mag, genug, von diefem Tage an war ihre Freundjchaft 
zu Ende Sie verſchanzte jich Hinter ihren Oheim, den Herrn 
Schwertträger von Reußen und ließ ihn Tag und Nacht nicht 
von ihrer Seite, der Fürſt aber... .“ 

„Fing ihr an zu drohen, nicht wahr?“ unterbrady ihn 
Kmiziz. 

„Ei, woher denn! Er verkleidete ſich als griechiſcher Hirte; 
er ſpielte den Philemon. Eilboten mußten ihm aus Königs— 
berg die Koſtümvorlagen holen, die Schleifen und Perücken 
beſchaffen. Er ſpielte den Verzweifelten, ging mit der Laute 
unter ihren Fenſtern umher und jpielte Liebeslieder. Er iſt 
mit einem Wort ein fchlauer Verführer; man jagt von ihm, 
daß feine ihm widerjtehen fünne, obgleich er mit allen nur fein 
Spiel treibe. Diejesmal aber liebt er mit wahnjinniger Leiden— 
Ichaft, worüber ich mich gar nicht wundere, denn das Fräulein 


429 


gleicht mehr einer überirdiichen Göttin, denn einem irdischen 
Weſen.“ 

Haßling errötete wieder, aber Herr Andreas bemerkte das 
jetzt nicht, denn Freude und ein gewiſſer Stolz erfüllten ihn, 
als er mit untergeſtemmten Armen Sagloba und Wolodyjowski 
anblickte. 

„Wir kennen ſie, nicht wahr? Sie iſt die leibhaftige 
Diana!“ ſagte Wolodyjowski. 

„Ach was! Diana reicht ihr nicht das Waſſer,“ rief 
Kmiziz. 

„Darum ſagte ich: ‚Es iſt fein Wunder““ verſetzte Haßling. 

„Das iſt alles gut, nur daß ich ihm für ſeine Liebesglut 
die Haut ein wenig mit glühenden Zangen zwicken und Huf— 
eiſen unter ſeine Sohlen bringen möchte ...“ 

„Unterbrecht doch nicht alle Augenblicke,“ ſagte Sagloba. 
„Wenn ihr ihn in euren Händen habt, dann könnt ihr Folter— 
qualen für ihn erjinnen, jet laßt einmal Haßling ausreden.“ 

„sc hatte oftmals die Wache vor der Thür feines Schlaf- 
zimmers,“ fuhr Haßling fort. „Wie oft hörte ich, wie er jich 
auf dem Lager wälzte, ohne Schlaf finden zu können, jtöhnend 
und Selbitgejpräche haltend. Er hat ſich jehr verändert, ab— 
gezehrt ijt er; vielleicht jteckte jchon damals die Krankheit in 
ihm, der er jpäter verfiel. Plötzlich verbreitete ſich im Schlojie 
das Gerücht, daß der Liebeswahn des Fürſten jo weit gebe, 
daß er das Fräulein ehelichen wolle. Als der Fürjtin Januſch 
Radziwill das zu Ohren kam, entitand viel Mergernis zwiſchen 
ihr und Boguslaw, denn wie ihr wißt, jollte laut früherem 
Vertrage Boguslaw die Prinzeſſin Januſch ehelichen, jobald ſie 
ihre Volljährigkeit erreicht haben würde. Er aber wollte nichts 
mehr davon willen. Die Fürſtin Grijeldis entbrannte in 
heftigem Zorn, reiſte mit ihrer Tochter nach Kurland ab, und 
noch am Tage ihrer Abreife hielt er um die Hand Des 
Fräuleins an.“ 

„Was? er wollte fie wirklich ehelichen ?“ riefen die Nitter 
wie aus einem Munde, 

„sa! Zuerſt hielt er bei dem Schwertträger um jie an, 
der nicht weniger darüber erjtaunt war, als ihr Herren, und 
nicht an die Ernithaftigfeit des Antrages glauben wollte Als 
er endlich überzeugt war, da geriet er vor Freude außer ich, 
denn die Ehre mit den Nadziwill3 in verwandtjchaftliche Be— 
ziehungen zu treten, dünfte ihm unbändig groß. Paterſon be= 
hauptet zwar, daß die beiden Gejchlechter ohnehin miteinander 


430 


verwandt jeien, daß die Berwandtjchaft nur von den Radziwills 
niemals anerkannt worden war.“ 

„Weiter! weiter!“ drängte Kmiziz ungeduldig. 

„Beide begaben ſich nun zu dem Fräulein mit jener 
Ditentation, wie jie bei jo feierlichen Gelegenheiten üblich ift. 
Der ganze Hof war in gremzenlojer Aufregung. Die Nach- 
richten, die von dem Fürſten Januſch eingingen, lauteten jehr 
ſchlimm, doch nur Sakowitſch allein las die Briefe, der Fürſt 
beachtete weder die ihm vorgelegten Schriftitüde noch Safowitjch 
jelbjt, der in Ungnade gefallen war, weil er von der Heirat 
mit dem Fräulein ernjthaft abriet. Die einen bei Hofe er- 
zählten fich, daß nicht zum erjtenmal ein Radziwill eine gewöhn- 
liche Adlige heirate, day jchlieglich aller Adel gleiche Nechte 
habe, dal die Ahnen der Billewitich bis in die römischen Zeiten 
reichten. Das jagten alle diejenigen, welche fich jchon im voraus 
die Gunst der fünftigen Herrin fichern wollten. Andere waren 
der Anjicht, der Antrag jei nur eine Lilt des Fürjten. Er 
wolle dadurch dem Fräulein näher treten, um, wie das bei 
Verlobten jo genau nicht genommen wird, fie gelegentlich ihrer 
Tugend zu berauben.“ 

„So wird es auch gewejen jein! Nicht anders!“ be— 
merkte Sagloba. 

„uch ich glaube das lettere,” jagte Haßling. „Doch hört 
weiter, was jich zutrug. Während die Meinungsverjchieden- 
heiten bei Hofe noch ausgefochten wurden, hatte das Fräulein 
alle Zweifel bereit3 gelöft, fie hatte den Antrag des Fürjten 
rundweg abgelehnt.“ 

„Bott jegne fie dafür!” jagte Kmiziz. 

„Sie hatte aljo die Ehre abgelehnt!“ fuhr Hakling fort. 
E3 genügte, den Fürjten zu jehen, um es jogleich zu erraten. 
Die Höflinge waren wie vom Donner gerührt. Er, der von 
PBrinzejlinnen ummorben worden, dem feine widerjtand, er 
fonnte den Widerjtand der einen nicht ertragen. Es war ge= 
fährlich ihm jegt unter die Augen zu treten. Wir alle waren 
überzeugt, daß er nicht länger zögern würde, fie zu ver- 
gewaltigen.” 

„Am folgenden Tage wurde der Schwertträger von Reußen 
nach Tilſit gebracht, das jchon in Kurpreußen liegt. An dem= 
jelben Tage bat das Fräulein den vor ihrer Thüre wacht- 
habenden Offizier, ihr eine geladene Pijtole zu geben. Der 
Offizier verjagte ihr die Bitte nicht, denn er fühlte als 
Edelmann und als Mann von Ehre tiefes Mitleid mit dem 


431 


unglüclichen Mädchen und eine hohe Bewunderung für ihre 
Schönheit und Standhaftigfeit.“ 

„Wer war jener Offizier?“ frug Kmiziz. 

„Ich!“ antwortete Haßling troden. 

Herr Andreas umarmte ihn jo jtürmifch, daß der junge 
Schotte, welcher noch jchwach war, vor Schmerz aufjchrie. 

„Das thut nichts!“ rief Kmiziz. „Ihr jeid mir lieb wie 
ein Freund, ein Bruder. Fordert von mir, was ihr wollt, es 
joll euch gewährt jein.“ 

„sh möchte nur eine Weile ruhen,“ bat Haßling 
jchwer atmend. 

Man lieg ihn still figen, er drückte nur ſchweigend Die 
Hände, welche Wolodyjowsti, Sagloba und Kmiziz ihm reichten. 
Endlic) hatte er jich etwas erholt und da er ſah, wie jie alle 
vor Neugier brannten, begann er von neuem: 

„sch warnte fie auch vor betäubenden Getränfen. Man 
wußte allgemein, daß der fürjtliche Medikus betäubende und 
jinnberaujchende Tinkturen zu bereiten verjtand. Aber umnjere 
Befürchtungen waren überflüfjige, denn Gott nahm fie in jeinen 
Schutz. Er warf den FFürjten auf das Kranfenlager und zwar 
ganz plöglich in dem Augenblid, wo er fich anjchickte, fie mit 
Gewalt zu zwingen. Es brach über ihn herein wie der Blit 
und hielt ihn einen Monat lang fejt gebannt. ‚Ein Finger: 
zeig Gottes! jagten alle. ‚Ein Fingerzeig Gottes! mochte auch 
er auf jeinem Schmerzenslager denken; vielleicht hatte die Krank— 
heit die böjen Gelüjte in ihm ertötet, vielleicht wollte er fie 
Jicher machen und die Wiederfehr jeiner Kräfte abwarten, furz, 
er ließ fie in Ruhe, als er fich zu erholen begann, ja er lieh 
jogar den Schwertträger wieder aus Tilſit holen. Gejund ijt 
er aber nicht mehr geworden, denn das kalte Fieber plagt ihn 
bis auf den heutigen Tag. Endlich mußte er dann doch den 
Feldzug zum Entjage Tykozins antreten, welcher ihm die Nieder- 
lage von Janowo brachte. Nach feiner Rückkehr befiel ihn das 
Sieber heftiger denn je, zudem berief ihn der Kurfürft zu Sich. 
Unterdejjen vollzog ich in Tauroggen etwas Wunderbares, bei- 
nahe Lächerliches, denn der Fürſt kann ſich jeitdem nicht mehr 
auf die Treue auch mur eines einzigen feiner Offiziere oder 
Höflinge verlaſſen, es jei denn auf diejenige der Greije, welche 
jchlecht jehen oder jchwerhörig find.“ 

„Was ift denn geſchehen?“ frug Sagloba. 

„Während des Feldzuges nad) Tykozin, noch vor der 
Niederlage bei Janowo, hatte man ein Fräulein Anna Bojcho- 


432 


bohata au auf ihrer Neife nad) Grodno aufgefangen 
und nach Tauroggen gejandt.“ 

„2a haben wir den Kuchen!“ rief Sagloba. 

Und um das Bärtchen Wolodyjowsfis zuckte es zornig, 
endlich jagte er: 

„Herr Kavalıer, berichtet mir nur nichts Schlechtes von 
ihr, oder ihr würdet es nach eurer Wiederherjtellung mit mir 
zu thun bekommen.“ 

„Das könnte ich nicht, auch wenn ich wollte, denn ſie thut 
nichts Schlimmes. Laßt euch aber ſagen: Wenn das Fräulein 
eure Verlobte iſt, ſo ſorgt ihr ſchlecht für ſie; iſt ſie eure Ver— 
wandte, dann müßt ihr ſie genau genug kennen, um mich nötigen- 
fall3 zu widerlegen. Genug! es währte faum eine Woche, da 
waren alle Männer bei Hofe, alte und junge, fo verliebt in jie, 
daß jie für nichts anderes mehr Sinn hatten, als für fie. Und 
fie hat es ihnen nur mit dem vätjelhaften Blick ihrer Augen 
und ihrer bezaubernden Anmut angethan.“ 

„Sie iſt es! Wie fie leibt und lebt!” murmelte Wolodyjowski. 

„Seltſam!“ jagte Haßling. „Das Fräulein Billewitjch it 
ihr an Schönheit doch gleich, dennoch, es geht von Diejer 
eine jo große unnahbare Würde aus, wie von einer regierenden 
Fürſtin; man liebt fie und betet jie an, aber man wagt nicht, 
die Augen zu ihr zu erheben, sei hweige denn auf eine Er— 
widerung jeiner Liebe zu hoffen. Ihr werdet jelbit jchon Die 
Erfahrung gemacht haben, da es zweierlei Frauen giebt, Veſta— 
linnen und jolche, Die man nur anzujehen braucht, um ſchon 
Verlangen nach ihnen zu haben .. .“ 

„Mein Herr!“ rief Wolodyjonwsti drohend. 

„Habt euch doch nicht, Herr Michael!“ ſagte Sagloba. 
„Er ſpricht die Wahrheit. Habt ihr euch nicht ſelbſt wie ein 
junger Hahn die Beine um ſie verrenkt und die Augen verdreht, 
daß man nur das Weiße von ihnen ſah? Und iſt es etwa 
nicht wahr, daß ſie gern kokettiert? Habt ihr es nicht an die 
hundertmal ſelbſt von ihr geſagt?“ 

„Laſſen wir das Thema,“ ſagte Haßling. „Ich wollte 
nur erklären, wie es kommt, daß das Fräulein Billewitſch nur 
von einigen geliebt wird, die ihre wirklich unerreichbare Voll— 
kommenheit zu ſchätzen verftehen — hier errötete er wieder — 
und dem Fräulein Borjchobohata alle Herzen zufliegen. Ihr 
könnt glauben, wahrhaftig, es tft zum Lachen! Wie eine an— 
iteddende Krankheit hat die Liebe alle Männer befallen; Zänfereien, 
Duelle waren an der Tagesordnung und um was? Um ein 


433 


Nichts! denn feiner konnte jich einer Gunſtbezeigung des Fräu— 
(eins rühmen, jeder dachte nur, daß es ihm mit der Zeit ge- 
lingen müſſe, fie für jich zu gewinnen.‘ 

„Daran erfenne ich jie!“ murmelte Wolodyjorwsfi wieder. 

„Dafür haben beide Mädchen einander jehr lieb gewonnen,“ 
fuhr Haßling fort. „Eine folgt der anderen auf Schritt und 
Tritt und da das Fräulein Borjchobahata in Tauroggen unums 
ichränfte Herrin ...“ 

„Bas jagt ihr?* fuhr der Eleine Ritter auf. 

„Unumjchränfte Herrin ift — oder tit fie es etwa nicht? 
Sie regiert alle, denn auch Safowitjch iſt jo verliebt in jie, 
dag er vorzog, als Kommandant von Tauroggen zurückzu— 
bleiben, amjtatt mit ins Feld zu ziehen. Sakowitſch aber ijt 
abjoluter Herrjcher auf allen Beligungen des ‚Fürjten, Durch 
ihn regiert das Fräulein Anna.“ 

„So jehr liebt er ſie?“ jagte der Fleine Ritter gedehnt. 

„Und er hofft am metiten, ſie zu gewinnen, denn er iſt 
aus ſich jelbit zu Macht und Reichtum gelangt.“ 

„Und Sakowitſch heißt er?“ 

„Dir jcheint, ihr wollt euch jeinen Namen gehörig ein- 
prägen ?“ 

„Ei... gewiß!“ jagte Wolodyjowsfi jcheinbar gleich- 
gültig, während es jo zornig in jeinem Geſicht zuckte, daß es 
Sagloba falt überlief. 

„sch Habe nur noch hinzuzufügen, daß, wenn Fräulein 
Borfchobohata dem Safowitjch befehlen würde, den Fürſten zu 
verraten umd ihr und dem Fräulein Billewitſch zur Flucht zu 
verhelfen, er e8 ohne Bedenken thun würde. So viel ich aber 
weiß, zieht jie vor, dem Fluchtverſuch hinter jeinem Rücken zu 
machen, ihm zum Troß ... wer kann willen ... ein Offizier, 
ein Landsmann von mir — aber nicht Katholit — hat mir 
anvertraut, daß der ganze Fluchtplan von dem Schwertträger 
und den beiden Fräulein jchon entworfen, jämtliche Offiziere 
un die Verſchwörung verwicdelt jind . . . daß er binnen furzem 
ins Werk gejegt werden joll ... .* 

Hier hielt Haßling erjchöpft inne, die Kräfte drohten ihn 
zu verlaffen. Er beeilte jich, noch ſchnell Hinzuzujegen: 

„Und das war das MWichtigite, was ich euch zu 
jagen hatte.“ 

Wolodyjowsfi und Kmiziz jchlugen die Hände über dem 
Kopfe zujfammen. 

„Wohin wollen ſie denn fliehen ?“ 

Sientiewicz, Sturmflut IL 28 


434 


„sn die Steppe und durch die Steppe nad) Bialowierjc) 

. Mir fehlt der Atem! . . 

In diefem Augenblid trat eine Ordonnanz von Herrn 
Sapieha ein, welche den Herren Wolodyjowsfi und Kmiziz ein 
vieredfig gefaltetes Papier überreichte. Kaum hatte Wolody- 
jowsfi einen Blick hineingeworfen, da jagte er: 

„Es iſt ein Befehl des Königs, jchon jegt unjere Stellungen 
für die morgige Schlacht einzunehmen.“ 

„Hört ihrs. wie die Kartaunen donnern?“ rief Sagloba. 

„Morgen! Morgen!“ jprach Kmiziz. 

„ufl! es iſt heiß!“ ſagte Sagloba. „Es wird ein böſer 
Tag zum Stürmen. Der Kuckuck hole dieſe Hitze. Heilige 
Mutter... es wird mand) einer trotz der Hitze kalt werden ... 
bewahre du alle diejenigen, welche ihre Patronin anrufen... 
Ah! wie das brüllt!... ch bin zu alt, um mit zum Sturme 
zu gehen, in offener Schlacht, das iſt etwas anderes.“ 

Da trat wieder eine Ordonnanz ein. 

„Dit Herr Sagloba hier?“ frug der Soldat. 

„Bier bin ih! Was joll es?“ 

„Se. Majejtät der König befiehlt, daß Erw. Liebden morgen 
bei Sr. Allerhöchſten Perſon bleiben jollen.“ 

„Da!“ rief da der Alte „Sie wollen mich von der 
Schlacht zurüdhalten, denn fie wiflen, daß ich der F auf 
den Mauern wäre beim Klange der Sturmtrompete. Der gute 
Herr! Ich möchte ihn nicht kränken, da er meiner ſo gedenkt; 
doch ich weiß nicht, ob ich es aushalte. Sobald ich Pulver 
rieche, kann ich der Luſt nicht widerſtehen, dreinzuhauen. Der 
gute König! Hört ihr's? Man start jhon zum Sammeln! 
Auf morgen denn, auf morgen! Der heilige Petrus befommt 
Arbeit; er — heute auch ſchon ſein Himmelsbuch bereit legen 
müffen! ... uf! uf! Morgen!“ 





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14. Rapitel, 





E3 war der erite Juli. Zwijchen Powonski und der An— 
jiedelung, welche jpäter Marymont genannt wurde, wurde eine 
feierliche Feldmeſſe gelejen, welcher dreigigtaujend Stammjoldaten 
in andächtiger Sammlung beiwohnten. Der König gelobte, dat 
er im Falle des Sieges der heiligen Mutter eine Kirche jtiften 
wolle. Seinem Beijpiele folgend gelobte ein jeder der Würden- 
träger, die Hetmane und Nitterjchaft ein Opfer, je nach den 
Kräften und dem Bermögen des einzelnen. Heute jollte War- 
jchau wieder in die Hände der Polen zurücderobert werden, oder 
die polnische Armee war zu Grunde gerichtet. 

Nach Beendigung des Gottesdienjtes ging jeder der Offiziere 
zu jeinem Kommando. Herr Sapieha hatte gegenüber der 
Kirche zum heiligen Geiſt Stellung genommen, welche zu jener 
Zeit noch außerhalb der Stadtmauern lag, aber von den 
Schweden bejegt und in eine Eleine Feſtung umgewandelt war, 
da jie den Polen jonjt einen wichtigen Stützpunkt geboten hätte. 
Herr Tſcharniezki jollte da8 Danziger Haus erobern, dejjen 
Nückjeite einen Teil der Feſtungsmauer bildete, die, wenn jie 
durchbrochen werden fonnte, den direkten Eintritt in die Stadt 
vermittelte. Peter Opalinski, Wojewode von PBodlachien, war 
mit den Großpolen und Maſuren vor dem Strafauer Thor und 
der Weichjel aufgeitellt. Die Stammjoldaten nahmen die 
Fläche vor dem Neuftädtiichen Thore ein. Es lagen jo viele 
Menjchen vor Warjchau, daß e8 unmöglich war, alle an Die 
Mauern heranzuziehen. Die ganze Ebene, alle benachbarten 
Dörfer und Auen glichen einem Meere von Menjchen. So 
weit das Auge reichte, nichts als Zelte und Menjchen, dahinter 

28* 


436 


die Wagenburg bis weit, weit hin. Der Blid verlor fich in der 
grauen Ferne und fonnte das Ende davon nicht finden. 

Sene, welche nicht bis Dicht unter die Mauern heran 
fonnten, Harrten dennoch kampfbereit des Augenblids, wo fie 
den Stürmenden in die Mauerbreichen folgen durften. Der 
Donner der Gejchüge veritummte nicht einen Augenblid. Man 
wollte nur noch die Antwort Wittembergs auf das Schreiben 
Johann Kafimirs abwarten, welches zur Uebergabe der Stadt 
nochmals aufforderte; fiel dieje verneinend aus, dann follte der 
Sturm beginnen. Wittemberg hatte die Uebergabe wieder ab- 
gelehnt, und num ertönte rings um die Stadt das unbeil- 
verfündende Sturmjignal, der Sturm begann gleichzeitig von 
allen Seiten. 

Bon den Mauern jtiegen weiße Nauchwölfchen in langen 
Linien auf, Funken jprühten zwijchendurch, mächtiger Donner 
erjchütterte die Luft und machte die Erde erbeben. Die Kugeln 
rifjen ganze Neihen der Stürmenden nieder, Doch die Yüden 
füllten fich immer wieder, die Polen drängten vorwärts, nicht 
Tod, nicht Verderben achtend. Die jchwarzen Wolfen Pulver 
dampfes verhüllten die Sonne; es wurde dunfel. Jeder der 
seldherren griff die Mauern da an, wo fie ihm zunächit lagen. 

Den Großpolen und Mafuren fiel der jchwerite Teil der 
Arbeit zu, denn die Paläſte und Häufer längs der Krakauer 
Borjtadt waren alle befejtigt und wurden von den Schweden 
verteidigt. Die Majuren waren aber jo voll wütender Kampfes— 
(uft, daß ihrem Anprall nichts zu widerjtehen vermochte. Sie 
nahmen ein Haus nach dem anderen in rascher Aufeinander- 
folge, auch die Paläſte fielen jchnell in ihre Hände, obgleich ihnen 
aus allen Fenſterhöhlen Musfetenfugeln entgegenflogen. Die 
Bejagung war vollitändig vernichtet. 

Der Stleinadel wetteiferte mit den Bauern in Mut und 
Begeilterung. Man hatte befohlen, Bündel unreifen Getreides 
mit ſich zu nehmen, jie zum Schutze gegen die Kugeln vor- 
zuhalten. Im Eifer warfen ſie diejelben fort und jtürmten 
mit bloßer Bruſt vorwärts. Nach blutigem Kampfe hatten jie 
die Kapelle der Schujsfis und den jtolzen Palaſt der Koniez— 
polsfis genommen. Won den in den anliegenden Banlichkeiten 
verborgenen Schweden wurde feiner am Xeben gelaſſen. In 
der Nähe des Palais Kaſanowski verjuchten die ſchwediſchen 
Füfiliere in der Straße feiten Fuß zu fallen, um unter dem 
Schutze der Mauern des Schloſſes, der Bernhardinerfirche und 
des Glockenturmes derjelben, die Angreifer zurüdzujchlagen. 


437 


Aber der Dichte Kugelvegen vermochte nicht, diejelben zu 
ichreden. Mit dem Rufe „Vorwärts, Majuren!* stürzten die 
Offiziere vor und ihnen nach die Mannschaften, das Viereck 
der Schweden im Augenblick zeriprengend. Feind und Freund, 
in dichtem Klumpen zujammengeballt, wälzten jich zwiichen dem 
Balait Kaſanowski, der Bernhardinerfirche und dem Strafauer 
Thor im Blute. Immer neue Streitfräfte rückten von beiden 
Seiten an, bis endlich die Polen das ‚Feld behaupteten umd 
nun jene berühmte Erſtürmung des Kaſanowskiſchen Palais 
und der Bernhardinerfirche begann, welche hauptſächlich das 
Los der Schlacht entichied. 

Herr Sagloba war im Irrtum befangen gewejen, als er 
am Abend zuvor geglaubt hatte, der König wolle ihn zu jeiner 
Aſſiſtenz bei ich behalten. Im Gegenteil! Der Monard) ver- 
traute ihm, als einem berühmten und erfahrenen Krieger, das 
Kommando über die Troßfnechte, welche als Freiwillige durchaus 
die Erjtürmung des Krakauer Thores mitmachen wollten. Zwar 
hatte er die Abficht, mit feinem Kommando Hinterdrein zu 
ziehen und jich mit der Bejegung der eroberten Schlöfjer zu 
begnügen. Doc) die Verwirrung und das Handgemenge war 
buld jo groß, daß auch er mit feinen Leuten vom Strome 
fortgerifjen wurde. Obgleich von Natur etwas ängitlich und 
darauf bedacht, wo irgend möglich das eigene Leben zu jchüten 
und zu erhalten, war er Doch im Laufe der Jahre umd ange- 
jichtS der vielen blutigen Kämpfe, die er oft unfreiwillig mit- 
gemacht, jo daran gewöhnt, daß er im Notfalle auch jeinen 
Mann jtellte, wie jeder andere oder noch bejjer, da Verzweiflung 
und Wut ihm den rechten Kampfesmut finden ließen. 

So befand er jich auch gegenwärtig, ohne es zu wollen, 
unter dem Thorbogen de3 Kaſanowskiſchen Palais, oder beſſer 
gejagt, in der Hölle, welche unter jenem bradelte, alſo mitten 
im heißeſten Kampfgewühl, verdedt von Nauc und Dampf, 
umtojt vom Gejchrei und dem Geitöhn der Kümpfenden. 
Tauſende von Aexten, Spishaden und Beilen jchlugen auf das 
Thor los; taujende Männerarme ftemmten und rüttelten daran. 
Die einen fielen wie vom Blig getroffen von den Kugeln, die 
von oben auf fie abgefeuert wurden, während die anderen jchon 
nachdrängend ihre Stelle ausfüllten, auf ihren Leibern herum 
tretend in das Innere zu gelangen juchten, als ob jte abjicht- 
lich den Tod juchten. 

Einen hartnädigeren Kampf und eine verzweifeltere Ver— 
teidigung hatte der Alte nie gejehen. Aus den höher gelegenen 


438 


Stocwerfen regnete es Kugeln hernieder; glühendes Pech wurde 
auf die Untenjtehenden gegojjen, welche nicht ausweichen konnten, 
da jie von außen her von den Ihrigen gedrängt wurden. 

Man Ffonnte einzelne wahrnehmen, die jchweißtriefend, 
pulvergejchwärzt, mit zujammengebifjenen Zähnen und ftierem 
Blide Balken jchwangen, jo lang und groß, daß unter gewöhn- 
lichen Berhältnifjen drei Männer daran zu tragen gehabt 
hätten. So verdreifachte die Begeiſterung die Kräfte. Gleich— 
zeitig wurde auch von den Belagerern nach allen Fenſtern ge— 
ichofien, Leitern wurden von außen angejegt, Löcher in die 
Mauern gejchlagen; die Löcher wurden jofort durch Musfeten- 
läufe von innen heraus bejett, es dampfte und rauchte, daß 
trog des hellen Tages Dämmerung bier eingebrochen war. 
Doc) das alles Hinderte nicht die Fortſetzung des Kampfes, der 
von jeiten der Stürmenden nur um jo heftiger entbrannte, je 
mehr Hindernijje fich ihnen entgegentürmten, während Kriegs— 
gejchrei von der Bernhardinerfirche her verkündete, daß aud) 
dort mit gleicher Wut gefämpft wurde. 

Plöglich ertönte die Stimme Saglobas mit jolcher Macht, 
daß fie den ganzen Lärm durchdrang: 

„zegt Pulver unter das Thor!“ 

Im Nu war ein Fäßchen mit Bulver gefüllt herbeigejchafft. 
Er befahl nun gleich, in die dicken Bohlen dicht unter den 
Angeln ein Zoch zu hauen, gerade groß genug, um das Fäßchen 
darin unterzubringen. Als es darinnen —* zündete Sagloba 
ſelbſt den Schwefelfaden an, der es in Brand ſtecken ſollte und 
kommandierte gleichzeitig: 

„Zur Seite! Fort!“ 

Die Nächſtſtehenden ſprangen ſchleunigſt bei Seite, ſoweit 
das bei dem Gedränge möglich war, dann trat eine Weile 
ſchweigenden Erwartens ein. 

Da — ein furchtbarer Knall erſchütterte die Luft, neue 
Rauchwolken ſtiegen in die Höhe. Herr Sagloba und ſeine 
Leute ſpringen wieder vor, um die Wirkung der Sprengung zu 
prüfen. Zwar hatte der Druck das Thor nicht ganz zerſchmettert, 
doch war es auf der rechten Seite aus den Angeln gehoben, 
ein paar Querbalken, die ſchon durch die Axthiebe angebrochen, 
waren vollends losgeſprungen, das Schloß ausgedreht und der 
eine Thorflügel ſo weit in den Flur hineingedrückt, daß ein 
Mann bequem hindurchſchlüpfen konnte. 

Wieder dröhnten Axtſchläge gewaltig an den angebrochenen 
Turm, hundert Schultern ſtemmten gegen den hängenden Thor— 


439 


flügel, der gleich) darauf unter entjeglichem Gepolter in das 
Innere des dunklen Flures fiel, den Eingang bloßlegend. Cs 
fielen noch einige Schüfje in dem Dunkel des Ganges, der vom 
Flur aus in das Innere führte, doch der Strom der Stürmen- 
den drängte mit ummwiderjtehlicher Gewalt in das Innere des 
Haujes, — das Palais war genommen! 

Sleichzeitig Eletterten die Stürmenden auf den Leitern durch 
die bloßgelegten Fenſterhöhlen in die Zimmer und Säle, ein 
gräßliches Handgemenge entitand. Gemach nach Gemach mußte 
erobert, jeder Korridor, jedes Stockwerk mußte einzeln erfämpft 
werden. Stellenweije barjten die jchon Halb eingejchlagenen 
Mauern vollends, die Deden jtürzten ein und begruben unter 
ihren Trümmern Schweden und Polen. Doch Die Maſuren 
drangen überall durch, verſchafften ſich überall Eingang. In 
den Korridoren hatten ſich ſtellenweiſe die Gefallenen ſo ange— 
häuft, daß die Schweden ihre Leiber als Barrikaden benutzten. 
Keiner verlangte Pardon, keinem wurde er freiwillig gewährt, 
das Blut floß in Strömen die Treppe hinunter. Nur vereinzelte 
Häuflein Schweden waren noch übrig geblieben und kämpften 
blutüberſtrömt, oft nur noch knieend, um ihr Leben. Von allen 
Seiten bedrängt, durch die Ueberzahl faſt erdrückt, ſtarben die 
tapferen Schweden den Heldentod ohne andere Zeugen ihres 
Endes, als die blutbeſpritzten Steinfiguren der mythologiſchen 
Götter, welche die Wände des Palajtes zierten. 

Rochus Kowalski wütete in den oberen Gemächern, während 
Herr Sagloba mit jeiner Abteilung auf die Terraſſe geeilt war, 
um die dort fich verteidigenden jchwedischen Füfiliere anzugreifen. 
Nachdem jie teils getötet, teils unschädlich gemacht waren, 
durcheilte er die herrlichen, in ganz Europa berühmten Kaſa— 
nowsfijchen Gärten. 

Die Bäume waren dort jchon umgehauen, die jeltenen Ge— 
Iträuche durch die polnischen Kugeln vernichtet, die Wafjerwerfe 
zerjchmettert, der Najen von den Granaten aufgewühlt, überall 
Vernichtung und Zeritörung, obgleich die Schweden nicht? an— 
gerührt hatten aus Rückſicht auf die Perſon Radziejowskis. 

Auch hier tobte ein kurzer graujamer Kampf, dann waren 
die Schweden unter der Anführung Saglobas vollitändig ge— 
Ichlagen, die Soldaten zeritreuten jich in den Gärten und im 
Palaſt, nach Beute juchend. 

Sagloba ging durch die Gärten bis an das Ende derjelben, 
wo die Mauern einen mächtigen Vorjprung bildeten. Dort war 
es jchattig, dort wollte der Ritter ein wenig ausruhen und den 


440 


Schweiß von der müden Stirn trodnen. Wlöglich jtand er vor 
einem Käfig, der in den Vorjprung der Mauern eingelafien 
war und hinter dejjen Gitter jich monjtröje Gejchöpfe bewegten, 
welche den Herannahenden mißtrauiſch betrachteten. 

Die Lage des Käfigs war eine jo gejchügte, dat die Kugeln, 
welche von außen her eingedrungen waren, ihm nichts anhaben 
fonnten. Die Thür desjelben jtand weit offen, doch machten 
jene häßlichen, abgemagerten Gejchöpfe feinen Gebrauch von 
ihrer Freiheit, jie jchienen vor dem Donner der Gejchüge und 
dem Lärmen der Schlacht hierher geflohen zu jein und drückten 
ſich beim Anblick Saglobas ängſtlich fnurrend in eine Ede. 

„Es find entweder Affen oder Teufel,“ jagte Sagloba jtill 
für fih. Und noch entflammt vom SZornesmut des Kampfes, 
bob er jein Schwert, trat in den Käfig und jchlug auf Die 
Affen, denn jolche waren es, ein. Beim eriten Schlage padte 
die Tiere eine große Panik. Bon den Schweden an eine qute 
Behandlung gewöhnt, — dieje hatten ihre Nationen jtets mit 
den Affen geteilt, weil die drolligen Gejchöpfe ihnen Spaß 
machten — jprangen fie bei den Schlägen, die Sagloba jchnell 
nach einander auf jie führte, wie rajend in langen Sprüngen 
umber, und da Zagloba ihnen den Ausgang verjtellte, jo 
klammerten jie jich an die Stäbe des Käfige, bis endlich einer 
der Affen in der Angit ihrem Peiniger auf den Rüden jprang 
und mit den Armen den Kopf desjelben fajlend, ihn feit an 
ſich drüdte. Ein anderer hing ſich an feinen Arm, ein dritter 
vorn an die Brust, ein vierter verwidelte jich in die lang— 
geichligten Aermel jeines Schnürenrodes, welche über dem Rüden 
zujammengebunden waren, um im Stampfe nicht hinderlich zu jein. 

So arg bedrängt und gewürgt, day er faum noch atmen 
fonnte, ‚schrie der Alte, jo laut er Fonnte: 

Zu Hilfe, meine Herren, zu Hilfe! Rettet!“ 

Das Geſchrei lockte einige Soldaten herbei, welche mit 
geſchwungenen Säbeln herzuſpringend, im erſten Augenblick nicht 
erfennen konnten, was bier vor ſich ging. Wie von einem 
gewaltigen Zauber gefejjelt, blieben fie regungslos jtehen. End» 
lich brachen fie jämtlich in ein jchallendes Gelächter aus. Es 
famen immer mehr Soldaten dazu und jo anſteckend wirfte das 
Lachen, dal die Dinzugefommenen jogleich mit einitimmten und 
lachten, bis jie jich die Seiten halten mußten. Grit als Rochus 
Stowalsfi ebenfalls angerannt fam, weil er die Stimme des 
Ohms erfannt hatte, befreite er den Armen aus den Um— 
armungen der Affen. 


441 


„Ihr Schelme!* schrie Sagloba noch ganz atemlos, „it 
das etwas Jo Lächerliches, wenn ein Menjch von diejen afrifa- 
nischen Ungeheuern fajt erdrücdt wird? Hätte man euch doch 
totgejchlagen! Wäre ich nicht, jo fünntet ihr jetzt noch eure 
Köpfe am Thore da draußen einrennen; bejjeres jeid ihr nicht 
wert! Ich hätte euch totjchlagen lajjen jollen, die ihr dDümmer 
jeid, wie dieſe Affen hier!“ 

„Beſſer ihr wäret tot, ihr Affenkönig!“ jchrie einer der 
zunächit ſtehenden Waffenfnechte. 

„Simiarum destructor! Der von den Affen Bejtegte!” 
ein anderer. 

„Der Affen-Sieger!“ ſetzte ein Dritter hinzu. 

„ec was, Sieger! Doch der Beſiegte!“ vief es durch— 
einander. 

Hier machte Rochus den Spöttereien ein Ende, indem er 
dem erſten der Maulhelden einen Stoß vor die Brujt verjeßte, 
daß diejer fang hinfiel. Einige wichen vor der Wut des jtarfen 
Mannes zurüd, andere griffen nach ihren Säbeln, da wurde 
der Ausbruch eines blutigen Streites durch das erneute heftige 
Schießen und Kampfgeſchrei am Bernhardinerklojter verhindert. 

„Aufl Zum Kloſter! zum Kloſter! zu Hilfe den Unſrigen!“ 
fommandierte Sagloba. 

Ber dieſen Morten lief er voraus, Hinauf in die oberen 
Stodwerfe des Palais, von dejjen rechtem Flügel aus man die 
Kirche überjehen fonnte. Diejelbe jchien Feuer zu jprühen. Die 
Menge der Stürmenden unten bemühte fich frampfhaft, in das 
Innere der Kirche zu dringen, doc) erfolglos. Unter dem Kreuz— 
feuer der Belagerten fielen Hunderte von Polen ganz nutzlos, 
denn auch vom Srafauer Thor her Hagelten die Kugeln auf 
jie nieder wie Stiejeliteinchen. 

„Kanonen her!” jchrie Sagloba. 

Es fanden fich größere und kleinere Gejchüge genug im 
Palais, die man, wenn auch mit Mühe, an die Fenſterhöhlen 
der oberen Stockwerfe jchleppte. Aus den Trümmern kojtbarer 
Geräte, den Sockeln zerjchlagener Marmorjtatuen und anderen 
Gegenitänden wurden Lafetten hergeitellt, und noch vor Ablauf 
einer halben Stunde jtarrten aus allen der Kirche zugewendeten 
Fenſtern des Palais Kanonenrohre. 

„Rochus!“ jprach der ungewöhnlich erregte alte Ritter zu 
jeinem Verwandten. „Sch muß etwas ganz Auberordentliches 
vollbringen, ſonſt it mein Ruhm dahin! Durch dieje Affen: 
brut komme ich in den Mund des ganzen Heeres und wenn ich 


442 


auch nicht auf den Mund gefallen bin, jo kann ich doch nicht 
alle böjen Mäuler jtopfen. Ich muB den lächerlichen Eindrud, 
den meine Lage gemacht hat, verwifchen, jonjt bleibe ich, jo lange 
ich lebe, im Munde der ganzen Nepublif der Affenkönig.“ 

„Ihr Habt recht, Ohm! Der Eindrud muß verwijcht 
werden.“ 

„Die beite Gelegenheit dazu bietet jich jetzt; denn jo wie 
ih) das Palais Kajanowsfi erobert habe ... wer dürfte 
wagen, mir das abzujprechen . . . wer hat es erobert, wenn 
nicht ich! . 

„Es ſoll nur einer wagen, zu ſagen, ihr hättet es nicht!“ 
bekräftigte Rochus. 

„+. Sp will ich auch dieſe Kirche erobern, jo wahr Gott 
mir helfe, Amen!“ endete Sagloba. 

Dann wandte er fich feinen Leuten zu, welche jchon an 
den Kanonen jtanden und fommandierte: 

„seuer!“ 

Die Schweden, welche die Kirche mit verziweifelter An— 
jtrengung verteidigten, überfiel ein gewaltiger Schreden, als 
plöglich die eine Seitenwand derjelben ins Schwanken geriet. 
Diejenigen, welche an den Fenſtern, den Schießlöchern, den 
Fluglöchern der im Gemäuer niſtenden Tauben und in den 
inneren Vertiefungen der Simſe ſich befanden, von wo aus ſie 
auf die Belagerer ſchoſſen, wurden von Ziegeln, Mauergeröll 
und Kalk überſchüttet. Der ſchreckliche Staub, welcher auf— 
gewirbelt wurde, erfüllte vereint mit dem Pulverdampf das 
Innere der Kirche und benahm den darin Befindlichen den 
Atem. Es wurde dunkel, ſo dunkel darin, daß einer den anderen 
nicht mehr jehen fonnt. Die Rufe: „wir erſticken! wir er— 
jtiden!“ vergrößerten die Panik. Die ganze Kirche geriet ins 
Schwanfen. Die Mauern rifjen unter großem Getöje, Ziegeln 
jtürzten polternd hernieder, Kugeln jaujten pfeifend durch die 
‚senjter, Elirrend rafjelten die Bleieinfafjungen der Scheiben 
auf den Boden, Hitze verbreitete jich von den Ausjtrömungen 
der Menjchen. Alles das verwandelte das Innere des Gottes- 
haujes in eine irdijche Hölle, Die erſchreckten Verteidiger 
Iprangen von dem Thor, den Fenſtern und Schieglöchern fort; 
der Schrecken ward zum wahnjinnigen Entjegen. Wieder riefen 
durchdringende Stimmen: „Wir erjtiden! wir erjtiden!“ bis 
plöglich) au8 Hunderten von Kehlen der Schrei ertönte: 

„Die weiße Fahne! Steckt die weiße Fahne aus!“ 

Der Kommandant, General Erskin, greift ſelbſt nad) ihr, 


443 


um fie auszuſtecken. In diefem Augenblid wird das Thor ge- 
jprengt. Wie ein Lavajtrom wälzt ſich die Menge der Be- 
lagerer herein; eine tiefe Stille tritt ein, welche nur durch das 
Klirren der aufeinanderjchlagenden Säbel unterbrochen wird, 
zuweilen ein umartifulierter Yaut, ein Nöcheln, ein Flehen um 
Gnade. Eine Stunde hat das Gemetzel gedauert; da dringt 
aus der Höhe des Glockenturmes feierliches Geläute durch die 
Luft; es iſt die große Glode der Bernhardinerfirche, welche 
den Mafuren zum Siege, den Schweden das Grabgeläute 
läutet. 

Der Palajt Kajanowsfi, die Bernhardinerfirche mit dem 
Slodenturm find in den Händen der Polen. Herr Peter Opa= 
(insfi, der Wojewode von Podlachien erjcheint unter der blut- 
triefenden Menge zu Pferde vor dem Balajt. 

„Wer ift uns vom Palaſt aus zu Hilfe gefommen ?“ jchrie 
er jo laut, daß er den Lärm übertüönte, 

„Derjenige, welcher den Palaſt erjtürmt hat!“ antwortet 
ihm ein jtarfer Mann, der plöglic) vor dem Wojewoden aufs 
getaucht it. „Sch!“ 

„Wie nennt ihr euch?“ 

„Sagloba!“ 

„Vivat Sagloba!“ ſchrie es aus tauſend Kehlen. 

Doch der ſchreckliche Sagloba achtet nicht darauf, ſondern 
mit der Spitze ſeines Krummſäbels nach dem Krakauer Thore 
zeigend, ruft er laut: 

„Wir ſind noch nicht fertig! Richtet die Kanonenläufe 
auf die Mauern und das Thor! Vorwärts! Mir nach! 
Zum Thore.“ 

Die entfeſſelte Menge iſt eben im Begriff, den Sturm auf 
das Thor zu beginnen, da, o Wunder! Statt ſich zu kräftigen, 
wird das Feuer der Schweden ſchwächer. Gleichzeitig ruft eine 
laute Stimme vom Glockenturm herab: 

„Herr Tſcharniezki iſt ſchon in der Stadt! Ich ſehe unſere 
Fahnen!“ 

Das Feuern der Schweden wird noch ſchwächer. 

„Halt! Halt!“ kommandiert der Wojewode. 

Doch die Menge hört nicht, ſie rennt blindlings dem Thore 
zu. Da wird die weiße Fahne oben aufgezogen!.. 

Herr Zicharniegfi war wirklich jchon innerhalb der Stadt. 
Nachdem er das Danziger Haus mit Leichtigfeit genommen, 
jtürzte er jic) mit feinen Leuten wie die wilde Jagd in Die 
Straßen der Stadt. Er fand den Palaſt Danillowitjch eben- 


444 


falls jchon in den Händen der Polen, und als eine Weile nach— 
her auch die Abzeichen der litauischen Negimenter bei der Kirche 
vom heiligen Geift auf den Mauern aufgepflanzt wurden, da 
erfannte Wittenberg, daß jeder weitere Widerjtand Wahnjinn 
jein mußte. Zwar verteidigten jich die Schweden noch in den 
hohen Gebäuden der Alt- und der Neujtadt, doch, da auch die 
Einwohner der Stadt nun zu den Waffen griffen, fonnte Die 
weitere Verteidigung nur zu unnügem Blutvergießen führen, 
ohne Hoffnung auf endlichen Sieg. 

Co bliefen denn die Trompeten zum Rückzuge, auf den 
Mauern wehten die weißen Fahnen. Als das die polnijchen 
Stommandeure jahen, jtellten jie den Kampf überall ein, worauf 
der jchwedische General Loewenhaupt in Begleitung einiger 
polnischer Hauptleute zum Neuftädtiichen Thor hinaus, dem 
Hauptquartier des feindlichen Lagers zuritt. 

Sohann Kafimir, in den Wiederbejig Warjchaus gelangt, 
blieb auf den, von ihm jelbit, dem General Wittenberg geitellten 
Bedingungen beitehen. Das gute Herz des Königs wollte 
ferneres Blutvergießen vermeiden. Die Stadt follte mit allen 
Beutegegenftänden, die ſich darin befanden, den Polen aus— 
geliefert werden. Jedem jchwedischen Soldaten jollte nur mit- 
zunehmen erlaubt jein, was er als Eigentum aus Schweden 
mitgebracht hatte. Die Bejagung ſollte jamt allen Generalen 
freien Abzug mit der Waffe haben, unter Mitnahme der 
Kranken, VBerwundeten und aller jchwedischen Damen, deren eine 
große Anzahl in Warjchau lebte. Den Polen, welche noch im 
Ichwedischen Deere dienten, jollte im Hinblick darauf, daß wohl 
feiner freiwillig mehr dort diente, Ammnejtie erteilt werden. 
Ausgeichloffen von Ddiefer Amneſtie war einzig und alleın 
Boguslaw Nadziwill und feine Armee. Wittemberg wurde es 
um jo leichter, auf dieſen Paſſus einzugehen, da der Fürſt 
gegenwärtig mit Douglas am Bug jtand. 

Die Rapitulationäbedingungen wurden jogleich unter- 
jchrieben. Die Gloden aller Stirchen verfündeten mit jröhlichem 
Geläute, daß die Hauptitadt wieder auf ihren rechtmäßigen 
Herrn über: gegangen war. ine Stunde jpäter wälzte ſich eine 
Menge der ärmſten Einwohner der Stadt aus den Thoren, 
um im Lager Obdach und Nahrung zu juchen. Der Hunger 
hatte fie jehr mitgenommen. Der König befahl zu geben, was 
man entbehren fonnte; er jelbjt ritt fort, jich den Auszug der 
Schweden anzujehen. 

Umgeben von feinem weltlichen und geiftlichen Stabe bot 


445 


Johann Kaſimir ein Bild edler, Ihöner Männlichfeit. Das 
Kronenheer mit den Hetmanen an der Spite, Tſcharniezki mit 
jeiner Divijion, die Litauer unter Sapieha, die Stammfoldaten 
des allgemeinen Aufgebots, jie alle waren um ihren Herrn ge- 
chart, denn alle waren begierig, die Schweden zu jehen, mit 
denen jie noch vor wenigen Stunden im gräßlichen Kampfe 
gelegen. Sämtliche Thore waren bereits vom Moment der 
Uebergabe ab von polnischen Wachtpojten bejegt. Kommifjarien 
hatten die Aufjicht über den Auszug; ihnen war die Reviſion 
der Ausziehenden anvertraut, auch daß feiner ein Beutejtüc 
mit jich führe. Eine bejondere Kommiſſion war mit der Lleber- 
nahme jämtlicher Beutejtüce in der Stadt bejchäftigt. 

Zuerſt famen die Neiter, deren nicht viele waren, da Die 
Neiter Boguslaws vom Ausmarſch ausgejchlojien wurden. 
Ihnen folgte die Artillerie mit den leichten Feldgeſchützen, die 
jchweren Feitungsgejchüge jollten den Polen ausgeliefert werden. 
Neben ihnen jchritten die Feuerwerker mit angejteckten unten, 
über ihnen flatterten die Fahnen, welche beim Vorüberziehen 
vor dem Könige gejenft wurden. Die Artilleriiten jchritten 
ſtolz einher und blictten den Polen dreiit in die Augen, als 
wollten jie jagen: „Wir treffen uns noch!“ und die Polen 
zollten ihren jtämmigen Gejtalten und dem durch das Unglücd 
ungejchwächten Mute aufrichtige Bewunderung. Dann famen 
die Wagen mit den VBerwundeten; in dem eriten derjelben lag 
Benedikt Orenjtjerna, der Kanzler, vor welchem der König das 
Gewehr präjentieren ließ, zum Zeichen, daß er auch im Feinde 
die Tugend zu ehren wilje. 

Mit dem Schall der Trommeln und Paufen und ebenfalls 
wehenden Fahnen zogen jet die jo berühmten, unvergleichlichen 
Füſiliere der schwedischen Armee daher, deren jpeeritarrende 
Karrees Supanhazy mit wandelnden Schlöffern verglich. Dicht 
hinter ihnen jah man eine glänzende Abteilung Neiter, von 
Kopf bis zu Fuß im Panzer; in ihrer Mitte die blaue Fahne 
mit dem goldenen Löwen. Dieje Neiter umgaben den Stab. 
Ber ihrem Anblid ging ein Gemurmel durch) die Neihen des 
polnischen Heeres: 

„Wittenberg fommt! Wittenberg!“ 

Da war er, der Feldmarjchall, in Begleitung Wrangels 
des Jüngeren, Horns, Ersfins, Loewenhaupts und Forgells. 
Gierig wandten jich die Augen der Polen diejen Magnaten zu, 
gan bejonders juchten jie das Geficht Wittembergd. Das 

Antlig des Feldmarjchalls ließ durchaus nicht den großen 


446 


Krieger erraten, der er war. Es war jtarf gealtert und trug 
die Spuren der jchweren Krankheit, an der er litt. Seine 
Züge waren fcharf, die Oberlippe deckte ein fchwaches Bärtchen, 
deſſen Enden Hoch in die Höhe gedreht waren. Die zujammen- 
gepregten Lippen, die lange ſpitze Naſe gaben ihm dag Aus: 
jehen eines habgierigen Geizhaljes. Er trug einen Koller von 
ichwarzem Sammet, einen jchwarzen Schlapphut und jah eher 
aus wie ein Aitrologe oder Medifus; nur die jchiwere goldene 
Kette mit dem Brillantitern daran und der Feldmarjchallitab 
in der Hand ließen die hohe Würde erraten, die er befleidete. 

Während er vorüber ritt, jchweiften feine Blicke unruhig 
hin zu dem Könige, jeinem Stabe und den Gliedern der Fahnen, 
worauf er an der Menge der Stammjoldaten und Der 
zahllofen ungeregelten Majje der Volontarier und Bauern 
hängen blieb. 

Ein ironisches Lächeln umjpielte feine bleichen Lippen. 

Aber durch diefe Menge z0g mit immer lauter werdenden 
Gemurmel der eine Name: „Wittemberg, Wittenberg!“ 

Mit jeder Minute Elang dieſes Gemurmel lauter und 
drohender, wie das Grollen des Donner vor dem Ausbrud) 
des Gewitterd. Von Zeit zu Zeit verhallte es; dann fonnte 
man weit, weit hinten in den Reihen eine laute Stimme hören, 
welche etwas vorzutragen jchien. Diejer Stimme antworteten 
andere, fielen erſt einzeln, dann immer zahlreicher ein und 
pflanzten die Worte fort; der Schall trug fie weiter und weiter, 
bis jie endlic laut ausgrollten, wie der herannahende Sturm. 

Die Würdenträger blickten bejorgt auf den Monarchen. 

„Was joll das? Was bedeutet das?“ frug Johann Kafimir. 

Da wurde aus dem Grollen plöglich ein donnerndes Ge- 
brüll; die Menge des allgemeinen Aufgebotes bewegte ſich vor— 
wärts, wie ein Öetreidefeld, wenn der Sturm mit feinen Niejen- 
flügeln darüber hinweht. Plöglich bligten ein paar taujend 
Säbel in der Sonne. 

„Was iſt das? Was foll das?“ frug der König wieder. 

Niemand konnte Bejcheid geben. 

Da rief Herr Wolodyjowsfi, welcher in der Nähe 
Sapiehas jtand: 

„Das fann nur Herr Sagloba jein!“ 

Er Hatte das Richtige erraten. Kaum waren Die Kapi— 
tulationsbedingungen befannt gemacht und zu Saglobas Ohren 
gedrungen, da verfiel der alte Edelmann in einen folchen Zorn, 
daß er eine Zeitlang die Sprache verlor. Als er fich erholt 


447 


hatte, war fein Erites, unter den Stammjoldaten und den 
Bauern des allgemeinen Aufgebotes Aufruhr zu ſäen. Man 
hörte ihn gern an, denn es erjchien allen nur gerecht, wenn 
nach jo viel Tapferfeit, jo vielen Mühen und jo vielem Blut- 
vergießen dem Feinde der Abzug nicht unter jo leichten Be— 
dingungen erlaubt worden wäre. Co hatten jich denn große 
Kreiſe von Hörern um Sagloba gejammelt und Diejer jtreute 
mit vollen Händen die Funken in das zum Feuerfangen jo 
leicht bereite Material, und fachte durch die Macht jeiner Beredt- 
jamfeit das Flämmchen der Empörung zur Flamme, die bald 
[odernd emporjchlagen mußte. 

„Meine Herren!“ jagte er. „Seht, dieſe alten Hände 
haben während voller fünfzig Jahre an allen Enden und Eden 
der Nepublif zum Wohle des Baterlandes das ihrige beigetragen. 
Jetzt eben noch — ic habe Zeugen zur Stelle — haben fie 
den Palaſt Kaſanowski und die Bernhardinerfirche erobern 
helfen. Diefe Eroberung war hauptjächlich die Urjache, daß 
die Schweden ich zur Kapitulation entſchloſſen. Erſt als ich 
die Kanonenrohre auf die Mauern der Kirche richten ließ, ver- 
ließ fie der Mut. Man jchonte uns nicht, Brüder! Unſer 
Blut floß in Strömen bei der Erjtürmung, dennoch hat man 
für ung feinen Yaut des Bedauern, jondern man zeigt dem 
ausziehenden Feinde ein Mitgefühl, das er nicht verdient. Wir, 
"Brüder! haben unjere Wirtjchaften verlajjen, die Knechte ohne 
Aufficht, unjere Frauen ohne Männer und unjere Kinder ohne 
den Schuß der Väter gelajjen . . . — o meine Slinderchen, wie 
mag es euch jett gehen! — find hierher gefommen, haben unjere 
Brujt den feindlichen Kugeln preisgegeben und nun? welchen 
Lohn erhalten wir dafür? Da jeht! Dort zieht Wittenberg 
frei aus, die Waffen in der Hand, während man ihn noch mit 
friegerijchen Ehren verabjchiedet, ihn, Wittemberg, den Henfers- 
fnecht, der unjer Vaterland gefnechtet, den Gotteslälterer, den 
Mordbrenner und Mädchenjchänder, der uns alles geraubt, was 
uns heilig und teuer war... Wehe dir, du Vaterland! 
Schande auf euch, ihr Adligen! und wehe euch, ihr Gotteshäufer, 
dir Tichenftochau! Das Blut und die Thränen, die um euc) 
geflojien, fie find umjonjt vergofien, denn — Wittenberg zieht 
frei hinaus, er wird bald wiederfehren, um neues Blut und 
neue Thränen zu erprejien, vollends totzujchlagen, was noc) 
am Leben geblieben, zu verbrennen, was noch jteht und zu jchänden, 
was etwa noch zu jchänden blieb. Weine Bolen, weine Yitauen, 
weint alle ihr Stände, wie ich alter Soldat weine, der mit 


448 


einem Fuße im Grabe jteht und mit anjehen muß, wie man 
den Feind entläßt, ohne Entjchädigung zu fordern für Die 
Schäden, die er angerichtet. Wehe dir, Ilium! Du Stadt des 
PBriamus! Wehe! Wehe! Wehe!“ 

In diejer Weije ſprach Sagloba und Taufende hörten ihn. 
Zornig jträubte jich das Haar auf den Köpfen der Zuhörer, 
während er fortfuhr zu jammern umd jich die Stleider vom 
Leibe zu reißen. Seine Stimme drang bis herüber zu dem 
Kronenheere und jeine Worte fielen auch dort auf fruchtbaren 
Boden, denn der Haß gegen Wittemberg loderte thatjächlich in 
aller Herzen. Der Tumult wäre unjtreitig jogleich losgebrochen, 
wenn Sagloba ihn micht abjichtlich zurückgehalten hätte aus 
Furcht, Wittenberg künne ihn benugen, um neues Unheil zu 
itiften. Aber jet, bei dem Auszuge des Verhaßten, jebt, 
wenn er vor den Augen der Entrüjteten der Freiheit zuzog, war 
der Augenblid gekommen, ihn der Wut der Bauern preis- 
zugeben. 

Seine Berechnung hatte ihm nicht getäufcht. Beim An— 
bli des Tyrannen befiel die jiegestrunfene Menge eine Wut 
ohnegleichen, das Unwetter brach los. Tauſende Säbel bligten, 
aus taujenden von Kehlen jcholl es: „Nieder mit Wittenberg! 

er mit ihm! Schlagt ihn tot! Schlagt ihn tot!“ Die 
Schar der Troßfnechte schloß ich johlend und brüllend dem 
Tumult an, jelbjt die regulären Truppen begannen gegen den 
Bedrüder zu murren und Diejes Murren pflanzte ich fort bis 
in die mächjte Umgebung des Königs. 

Im erjten Augenblid entitand im Stabe große Verlegen- 
heit. Man veritand recht gut, um was es fich handelte, aber 
— was war zu thun? Im der mächiten Umgebung des 
Königs wurden vereinzelte Stimmen laut: „Barmherziger Gott! 
Netten! Bejchügen! Es iſt eine Schande, einen Vertrag zu 
brechen!“ 

Schon brachen die Bauern durch die Reihen der am Wege 
aufgeltellten Fahnen, die dem Andrange nicht widerjtanden und 
in Unordnung gerieten. Ningsum nichts als blitende Säbel- 
flingen, erhigte Gejichter, zornjprühende Augen und brüllende 
Kehlen. Das Gejchrei und Geheule pflanzte ſich mit raſender 
Eile fort. Allen voran jtürzten die Troßfnechte hervor, aller- 
hand Gejindel folgte ihnen, in Ausjehen und Gebahren wilden 
Tieren ähnlicher denn Menſchen. 

Auch Wittenberg erriet, was jich hier vorbereitete. Sein 
Geficht wurde freideweih, Falter Schweiß trat ihm auf die Stirn 


449 


und — der FFeldmarjchall, welcher noch furz zuvor Die halbe 
Welt in Schreden gejeßt, der bisher unüberwindliche Sieger 
— er fühlte zum erjten Male Furcht vor dieſer johlenden 
Menge, jo große Furcht, dal er darüber die Bejinnung verlor. 
Er bebte am ganzen Leibe, die Arme janfen ihm ſchlaff herab, 
jo daß ihm der Feldherrnitab entjanf und der Speichel ihm 
aus dem Munde auf die goldene Fette herab lief. Immer 
näher rüdte die tobende Menge; jchon hatte fie die Generäle 
Wittembergd umringt, jchon zudten die Säbel nach ihnen. 
Die Generäle hatten ebenfalls ihre Degen gezogen; fie wollten 
wenigſtens, während der Feldmarſchall vor Angſt bebte, wie 
Männer mit der Waffe in der Hand jterben. Da eilte Wolody- 
jowsfi dem Stabe Wittembergs zu Hilfe Er durchbrach mit 
jeiner Fahne die Menge und umijtellte die Generäle ringsum 
wie mit einer Mauer. Das wütende Gebrüll der Menge mijchte 
ſich mit den abwehrenden Rufen der Laudaer. 

„Zum Könige!“ fommandierte der kleine Ritter. 

Und vorwärts ging es, dem Könige zu. Doch die Menge 
lieh nicht ab, umringte jie von allen Seiten, drohte mit Säbeln 
und Stangen, aber Wolodyjowsfi drängte vorwärts, von Zeit 
zu Zeit die flache Klinge brauchend, um die Zudringlichiten 
abzuwehren. 

Jetzt Famen auch andere Fahnen herzu; Woynillowitich, 
Wiltſchkowski und der Knäs Polubinski. Sie alle zuſammen 
wehrten den Bauern und führten Wittenberg jamt jeinem Stabe 
vor das Angeficht Johann Kaſimirs. 

Aber jtatt jich dadurch zu beruhigen, wurde der Tumult 
nur größer. Einen Augenblid hatte es den Anjchein, als wolle 
die entjejjelte Menge troß der Anwejenheit der Majejtät die 
Generäle mit Gewalt nehmen. Wittenberg fahte jich angejichts 
des gewährleifteten Schutes etwas, doc, das Angitgefühl verließ 
ihn nicht. Er jprang vom Pferde, und wie der von Wölfen 
oder Hunden verfolgte Haje in der Todesangit bis unter die 
Wagenräder der Fuhrwerke flüchtet, jo rannte er, troß dem 
Bodagra, an dem er litt, zum Könige. Dort janf er in Die 
Kniee und den Steigbügel des Sattels faſſend, fchrie er aus 
vollem Halſe: 

„Rettet mich, Allergnädigiter Herr, rettet mich! Ihr gabt 
mir euer Königswort, der Vertrag ijt unterjchrieben! Nettet!, 
Nettet! Erbarmt euch unfer! Laßt mich nicht ermorden!“ 

Von Widerwillen und Efel über jolche Feigheit und Er— 
niedrigung erfüllt, wandte der König ſich ab, während er jagte: 

Sienkiemwica, Sturmflut II. 29 


450 


„Beruhigt euch, Herr Feldmarſchall.“ 

Doch der König war jehr befümmert. Obgleich die Reiter- 
fahnen der Ritter die Generäle zu jchügen bereit jtanden und 
die Fußfoldaten Samojskis einen Kordon um fie gejchlofjen 
hatten, wurde das Gedränge von außen her immer größer. 
Was für ein Ende jollte das nehmen. 

Der König blickte hilfefuchend auf Herrn Ticharniezfi. Doc) 
diefer fprach nicht; er drehte nur wütend an jeinem Bart. Die 
Zügellojigfeit des gemeinen Volkes empörte ihn. 

Endlid) jagte der Kanzler Koryzinski: 

„Allergnädigiter Herr! Der Vertrag muß gehalten werden.“ 

„Jawohl!“ entgegnete der König. 

„Wittemberg, welcher die Züge des Königs aufmerkſam 
betrachtete, atmete auf.“ 

„Sch glaube an Ew. Majejtät Wort, wie an Gottes Wort!“ 

„Warum habt ihr dann jo viele Treubrüche begangen, 
wenn ihr an Gott glaubt?” fagte der alte Kronenhetman 
Potozki. „Ihr Habt Verträge und Kapitulationen für nichts 
geachtet, oder habt ihr etwa nicht gegen alles Völferrecht das 
Negiment des Königs jamt feinem General Wolff vernichtet? 
Worin der Menjch jündigt, Damit wird er geftraft.“ 

„Das hat Miller, nicht ich!“ antwortete Wittemberg. 

Der Hetman warf ihm einen verächtlichen Bli zu, dann 
wandte er jich an den König. 

„sch möchte Ew. Majejtät nicht auch zum Treubruch ver- 
leiten, denn die Polen jchäten jich jelbit zu Hoch, um ſich auf 
gleiche Stufe mit diefem hier zu jtellen. 

„Was aber fünnen wir thun?“ frug der König. 

„Wenn wir Wittemmberg jet nach Preußen zurückſchicken, 
jo wird er in kurzem von taujenden Mdliger eingeholt, und 
ehe er Pultusf erreicht, nicht® mehr von ihm übrig fein; es 
jei denn, daß unjere ganze Armee ihn begleitet und das iſt 
unmöglih ... Hören Ew. Majejtät, wie fie johlen? ... 
Fürwahr . ., fie find im Rechte, wenn jie fein Blut fordern! ... 
Wir müjjen für jet feine Perſon in Sicherheit bringen, bis 
die Wut des Volkes ſich gelegt haben wird.“ 

„Das wird das Beſte fein!“ meinte auch der Kanzler 
Koryzinski. 

„Aber wie jollen wir das thun, wohin ihn bringen?“ 
verjegte der Wojewode von Reußen. „Wir fünnen ihn zum 
Kuckuck doch nicht Hier behalten, ſonſt haben wir die ſchönſte 
Revolution im Heere.“ 


451 


Da trat der Herr Samojsfi vor, der Selbitherr von 
Samoſchtſch, und indem er die Lippen in gewohnter Weije auf- 
warf, jagte er wie immer jehr pathetiſch: 

„Wie wäre es, Allergnädigiter Herr!? Ich nehme ihn zu 
mir nad) Samojchtich, bis ‚Friede gejchlofjen iſt. Ich will ihn 
dort jchon vor der Nachjucht des Adels bewahren... man 
joll e8 nur wagen, mir ihn zu entreißen.‘ 

„Aber wie wollt ihr ihn unterwegs bejchügen?“ frug der 
Kanzler. 

„Da, ich Habe Leute genug. Füfiliere, Kanonen, Troß- 
fnechte! Wie? Man fjoll nur mit dem Samojsfi anbandeln, 
wir wollen jehen!“ 

Bei dieſen Worten jtemmte er die Arme in die Seiten, 
ie mit den Waden das Pferd und jchaufelte fich im 

attel. 

„sch weiß feinen bejjeren Rat!“ jagte der Kanzler. 

„uch ich nicht!“ ſetzte Herr Lanzkoronski hinzu. 

„So nehmt jie, Herr Starojt!“ ſprach der König zu Samojsft. 

Doch Wittenberg, welcher jich überzeugt hielt, daß jein 
Leben nicht bedroht war, hielt es für angezeigt, dagegen zu 
protejtieren. 

„Das hätten wir nicht für möglich gehalten,“ ſagte er. 
„Einjperren lajjen wir uns nicht.“ 

Herr Potozfi machte eine Bewegung mit der Hand. In die 
Ferne weijend, jagte er: 

„Dann bitte ich, eurem Abzug jteht nichts entgegen, wir 
halten euch nicht auf.“ 

Wittenberg verjtummte. 

Sofort jandte der Kanzler eine Anzahl Offiziere aus, der 
empörten Menge zu erflären, dat Wittemberg nicht freigelafjen, 
jondern nach Samojchtich abgeführt werden ſollte. Wenn dieſe 
Nachricht den Tumult auch nicht ganz beilegte, jo bejchwichtigte 
fie ihn doch. Ehe der Abend einbrach, war die allgemeine Auf- 
merfjamfeit anderem zugelenft. Der König ergriff Befig von 
der wiedereroberten Hauptitadt und Ddiejer Umstand erfüllte 
Aller Herzen mit Freude. 

Die Freude des Königs wurde ein wenig durch den 
Gedanken getrübt, daß er die Vertragsbedingungen nicht voll: 
jtändig hatte einhalten können. Er härmte fic darüber ebenjo» 
jehr, wie über die Zügellofigfeit des Kleinadels und der Bauern. 

Ticharniezfi wütete innerlich. 

„Man kann mit ſolch einem Heere gar nichts Sicheres 

29* 


452 


unternehmen,“ jagte er zum Könige. „Bald mangelt es ihm 
an Mut, bald kämpft jeder einzelne Mann wie ein Held. Alles 
hängt von feiner Laune ab und ein leifer Anitoß kann e8 zum 
Auftande bringen.“ 

„Sorgen wir nur troß allem, daß wir es zufammenhalten, 
denn wir brauchen es noch nötig,“ verjegte der König. „Es 
hat den Anjchein, daß verjchiedene Adlige heimzufehren gedenken, 
weil fie glauben, mit der Einnahme Warjchaus ſei der ganze 
Krieg zu Ende.“ 

„Der Anftifter des Tumultes,“ fuhr Tſcharniezki fort, 
„müßte ohne Anjehen der Perſon und der Berdienfte an Die 
Schleife gelegt werden.“ 

Man lieg auch Herrn Sagloba überall auf das Eifrigite 
fuchen; man wußte ganz gut, daß er der Veranſtalter des 
Aufruhrs gewejen, aber Herr Sagloba war wie vom Erdboden 
verjcehwunden. Es wurde in der Stadt, in den Belten, in der 
MWagenburg, ja jogar unter den Tartaren nad) feinem Verbleib 
geforjcht, alles umjonft. Tyjenhaus, welcher die Güte und das 
liebevolle Gemüt des Königs bejjer noch kannte, als jeder andere, 
meinte jogar, das Nichtauffinden des alten Ritters jei dem 
Könige gar nicht unlieb; er habe jogar eine novene (neun 
tägiges Gebet) für die Sicherheit des Verſchwundenen abgehalten. 

Acht Tage nad) der Einnahme Warjchaus, als der König 
einmal bei Tiſche recht heiterer Laune war, hörte jeine Um— 
gebung ihn die folgenden Worte aussprechen: 

„Macht doch überall befannt, daß Herr Sagloba jich nicht 
länger verborgen halten joll, denn wir ſehnen ung nach jeinen 
Scherzen!” 

Als der Herr Kaftellan von Kijow ein ſehr böjes Gejicht 
dazu machte, jette dev Monarch Hinzu: 

„Wollte man in diefer Republik nur Gerechtigfeit an Stelle 
der Barmberzigfeit üben, jo müßte man jtatt des Herzens 
ein Beil in der Brut tragen, denn nirgend findet man mehr 
Schuldige als bei ung, aber auch nirgend jo vollfommene Reue 
und Beſſerung als in dieſem Lande.“ 

Bei dieſen Worten dachte der Monarch mehr noch an 
Babinitſch, als an Sagloba, umſomehr, als der junge Held am 
vorigen Tage einen Fußfall vor dem Könige gethan hatte, mit 
der Bitte, ihn nach Litauen zu ſenden. Er hatte dieſe Bitte 
damit begründet, daß er dort die Erhebung ſchüren, die Schweden 
mit Hilfe der dortigen Freiſchärler nach Möglichkeit austilgen 
wolle. Da der König ohnedies die Abſicht hatte, einen erfahrenen 


453 


und zuverläfiigen Soldaten zu demjelben Zweck dorthin zu jenden, 
jo gab er jeine Einwilligung, jtattete ihn aus, gab ihm feinen 
Segen und flüjterte ihm beim Abjchied noch einen guten Wunſch 
ins Obr, bei welchem Kmiziz tief errötete und dem gütigen Herrn 
danfend zu Füßen fiel. 

Heute am frühen Morgen war er abgereiit. Supanhazy 
hatte ihm, durch ein reiches Gejchenf bewogen, erlaubt, andert= 
halb taujend Kojafen aus der Dobrudjcha mitzunehmen, eine 
Streitfraft, mit der jich jchon etwas unternehmen ließ. Kampfes— 
mut und Thatendrang erfüllte das Herz des jungen Helden, Hoff- 
nung lachte ihm freundlich entgegen; er träumte von Ruhm und 
Ehre, von Xobpreifungen, die ganz Litauen ihm zollen würde und 
die dann auch zu den Ohren der einzigen Einen dringen mußten, 
die ihre Lippen dann vielleicht wiederholten! . . . O, feine 
Seele befam Flügel. 

Auch der Gedanke Hatte ihn zur bejchleunigten Abreije 
getrieben, daß er der Erſte jein werde, der die Nachricht von 
der glücklichen Einnahme Warjchaus in die Provinzen trug. 
Ueberall, wo die Hufe jeiner Pferde Hintraten, wollte er den 
Sieg verkünden, jeine Worte jollten in alle Gegenden hinaus— 
getragen werden von denen, welchen er jie zuerit verfündet. 
Und jo war es auch. Wo er Hinfam, da flojjen Thränen der 
Freude und des Dankes, da wurden bei der frohen Nachricht, 
die er brachte, die Gloden in den Slirchen geläutet, das „Te 
deum laudamus“ angejtimmt. Selbjt in den jtillen Wäldern, 
durch die er ritt, jchtenen die Bäume fich zuzuflüjtern, die Aehren 
in den Feldern vom Winde beivegt, fchienen jich zuzuraunen: 

„Die Schweden jind gejchlagen! Warſchau iſt unfer!“ 





Sechſtes Buch. 


DS 














l, Rapitel, 





Obgleich Ketling fait immer um die Perjon des Fürften 
Boguslaw gewejen war, wußte er doc nicht alles und fonnte 
daher auch nicht alles erzählen, was ſich in Tauroggen zus 
getragen hatte, denn er jah und hörte manches nicht, weil er 
jelbit das Fräulein Billewitjch zu jehr liebte, um ein unpartei— 
iicher Beobachter jein zu fünnen. 

Boguslaw hatte nur einen einzigen Vertrauten und Diejer 
war Satowitich, der Staroit von Orjchmian; der allein wußte, 
wie tief der Fürſt im die Liebe zu jeiner schönen Gefangenen 
verjunfen war und welche Mittel er in Anwendung brachte, 
um ihr Herz und ihre Perſon zu erringen. 

Da Boguslam edlerer Gefühle nicht fähig war, jo wurde 
dieje Liebe zur brennend heißen Begehrlichkeit, die bei ihm jo 
ausartete, daß er die Vernunft darüber verlor. Zuweilen, 
wenn er mit Sakowitſch abends allein war, jtügte Boguslaw 
den Kopf in die Hände, indem er ausrief: 

„sch verbrenne, Sakowitſch, ich verbrenne!“ 

Dann tröftete Satowitich und jann auf Mittel, feinem 
Herrn zu helfen. 

„Wer Honig eſſen will,“ jagte er, „muß die Bienen be- 
täuben, wenn er dazu gelangen will. Hat denn Ew. Durch: 
laucht Medikus fein Betäubungsmittel für das Fräulein? Es 
bedarf doch nur eines Wortes Ew. Durchlaucht und die Ans 
gelegenheit ijt erledigt.“ 

Doch der Fürſt mochte diejen Nat jeines Vertrauten nicht 
befolgen, weil verichtedene Urjachen ihn davon zurüchielten. 


458 


Zuerjt war ihm eines Nachts der alte Hauptmann Bille- 
witjch, der Großvater Dlenfas, im Traum erjchienen; er hatte 
am Kopfende jeined Lagers geitanden und ihn mit drohenden 
Blicken angejehen, von Mitternacht bis zum erjten Hahnenjchrei. 
Boguslaw konnte diejes Traumgeficht nicht mehr loswerden, 
und diefer Ritter ohne Furcht und Tadel war jo abergläubtich, 
er legte jo viel Wert auf Träume, betrachtete fie als Warner, 
und fürchtete jo jehr die Miederfehr des Hauptmannes im 
Traume, daß der bloße Gedanfe daran ihn zittern machte. 
Deshalb wagte er aus Furcht nicht, auf den Vorſchlag Sako— 
witjchs einzugehen und diejer jelbit, al3 er von dem Traume 
des Fürſten hörte, wurde vorfichtiger im Erteilen jeiner Rat— 
ichläge, weil er ebenfalls abergläubifch und furchtjam war. 

Die zweite Urjache, weshalb der Fürſt nicht zu Gewalt- 
maßregeln greifen wollte, war die, daß die „Wallachin“ mit 
ihrer Stieftochter in Tauroggen wohnte. Mean nannte die Ge— 
mahlin des Fürſten Januſch, welche eine wallachische Fürſten— 
tochter war, jo. Aus einem Lande jtammend, wo die Sitten 
der Weiber jehr freie waren, war jie ſelbſt zwar nicht allzu 
jtreng, wo es ſich um den Verfehr der Stavaliere ihres Hofes 
mit ihrem Frauenzimmer handelte, dennoch würde jie nie ge= 
duldet haben, dag ein Mann aus fürjtlichem Gejchlecht, der 
ihre Stieftochter ehelichen follte, jich einer jo himmeljchreienden 
Sünde jchuldig machte. 

Aber auch dann noch, als infolge verjchiedener Intriguen 
jeitens des Safowitjch, die er mit Willen und Willen des 
Fürſten ausgeführt, die „Wallachin“ mit Erlaubnis ihres Ge- 
mahls, jamt der Prinzeſſin nach Kurland abgereiit war, wagte 
es Boguslaw nicht, einen Gewaltjtreich zu vollführen. Er 
fürchtete den Lärm, der über ſolche Unthat in Litauen erhoben 
werden würde, denn die Billewitjch waren dort ein mächtiges 
und hochangejehenes Gejchlecht; jie würden nicht verfäumt haben, 
ihm den Prozeß zu machen, und das Geſetz beſtrafte ſolche 
Verbrechen mit dem Verluſt des Vermögens, der Ehre, ja ſogar 
mit dem Tode. 

Nun waren die Radziwills zwar mächtig genug, um ſelbſt 
das Recht mit Füßen treten zu dürfen und ſich eigene Geſetze 
zu ſchaffen. Neigte ſich aber in dieſem erbitterten Befreiungs⸗ 
kampfe die Schale des Sieges dem Könige zu, ſo konnten für 
den jungen Fürſten die übelſten Folgen aus einer Handlung 
erwachſen, zu der ihn ſeine Leidenſchaft nur zu gewaltig drängte, 
denn dann fehlte ihm der Schutz ſeiner Freunde und Genoſſen. 


459 


So leidenschaftlich beanlagt der junge Fürſt auch war, fo 
jehr rechnete er dennoch mit den Verhältnijien, denn er war 
ein großer Wolitifer. Es jtürmten gegenwärtig zu viele Er— 
eigniffe und Erregungen auf ihn ein, als daß jeine jonjt 
fräftige Gefundheit ihnen auf die Dauer hätte Stand zu halten 
vermögen. Einerſeits zehrte dieje leidenjchaftliche Liebe an ihm, 
andererjeit3 riet der Verſtand Enthaltjamfeit; abergläubijche 
Furcht zügelte jein wildes Berlangen, Krankheit befiel ihn zu 
einer Zeit, wo die wichtigiten Neichsangelegenheiten jeine volle 
Kraft und Energie beanspruchten; alles dies zufammengenommen 
quälte jeine Seele und machte den Körper müde bi auf 
den Tod. 

Wer weiß, welches Ende dieſe Seelenfämpfe genommen 
hätten, wenn die große Eigenliebe des Fürjten ihnen nicht ein 
Segengewicht geboten hätte. Er war ungemein von jich ein- 
genommen, hielt fich für den größten Staatsmann, den größten 
‚seldherrn und Nitter und den gejchieteiten Eroberer der F Frauen— 
herzen. Sollte er, der Sieger über ſo viele Mädchen und 
Frauen, für deren Liebesbriefe er eigens eine beſonders große 
Truhe Hatte anfertigen laſſen müſſen, zu Mitteln greifen, die 
ihm nur Unehre bringen fonnten, um das Herz diejer einen 
zu befiegen? Sollten jeine Neichtümer, jeine Titel und Macht, 
jein jtolzer Name, jeine Schönheit und Liebenswürdigfeit nicht 
ausreichen, dieſe Widerjpenitige gefügig zu machen? 

Wie viel größer mußte fein Triumph, fein Lohn jein, wenn 
er durch den Eindrucd jeiner Perjönlichkeit ihren jtarren Sinn 
beugen fonnte, wenn fie ihm freiwillig ihre Liebe bot. 

Es überlief ihn heiß bei jolchen Gedanken; er fjehnte die 
Stunde des Sieges über Dlenfa faſt ebenjojehr herbei, als er 
ſich nach ihrer Gegenwart jehnte, wenn er einmal nicht bei ihr 
jein fonnte. Bald glaubte er jich jeinem Ziele näher gefommen, 
bald ferner als je. 

Er umgab das Mädchen, um ihre Dankbarkeit rege zu 
machen, mit einer zarten Fürjorge und Sorgfalt, denn er 
wußte wohl, daß Dankbarkeit Freundſchaft erzeugt und daß 
beide Gefühle ein warmes ſanftes Flämmchen im Mtenjchen- 
herzen jind, Die, wenn gebührend unterhalten und gepflegt, zur 
lodernden Flamme der Liebe fich entfachen ließen. Sie jollte 
ihn als einen gütigen Freund jchägen lernen; um fie nicht zu 
erjchreden und einzujchüchtern, enthielt er ſich während ihres 
häufigen Beiſammenſeins jeder Zudringlichkeit. 

Jeder ſeiner Blicke, jedes ſeiner Worte, jede Berührung 


460 


ihrer Hand war berechnet, jie zu reizen, ihre Sinne zu weden; 
wie der jtete Tropfen den Stein höhlt, jo jollte jeine gleich- 
mäßige jorgfältige Freundlichkeit jie endlich bewältigen und die 
Heißgeliebte in ſeine Arme führen. Alles, was er that, ſollte 
für Olenka nur den Schein der auserleſenſten Gaſtfreundſchaft 
haben; er verſtand die Grenze zwiſchen dieſer Freundſchaft und 
ſeiner Liebe ſo zu verwiſchen, daß ſie mit der Zeit faſt völlig 
unmerkbar das Mädchen täuſchen und ſie ſelbſt zum Ueber— 
ſchreiten der geſellſchaftlichen Form, der Grenze der Freund— 
ſchaft verleiten, und ſie in das Bereich der Liebe führen ſollte. 
Dieſes Spiel ſtand zwar nicht im Einklang mit der Leiden— 
ſchaftlichkeit des Fürſten, doch bezwang er ſich, weil er wußte, 
daß er nur auf dieſe Weiſe den Weg zum Herzen Olenkas 
finden konnte. Zudem machte es ihm Vergnügen, gleich der 
Spinne das Netz zu jpinnen, in welchem jich jpäter das 
Bögelchen fangen mußte. Ihn belujtigte es, alle die feinen 
Künjte, die Gewandtheit und Schlaubeit, die er am franzöjtichen 
Hofe gelernt, einmal an einer polnischen Adligen probieren 
zu fünnen. 

Gleichzeitig räumte er ihr in jeinem Hauje die Stellung 
einer Prinzeſſin aus regierendem Hauje ein, indem er fie 
wieder in Zweifel verjegte, ob die Huldigungen, die er ihr dar- 
brachte, ihrer Perjönlichkeit galten, oder nur ein Ausflug ange- 
borener Galanterie gegen das weibliche Gejchlecht waren. 

Er machte jie zum Mittelpunkt aller VBergnügungen, Schau— 
jtellungen, Ausflüge und Sagdgejellichaften, doch verjtand er 
diefem Thun wiederum den Schein des Natürlichen, Selbjt- 
verjtändlichen zu geben, da nad) der Abreije der Fürſtin Grifeldig, 
Olenka wirklicd) die vornehmite der Frauen in Tauroggen war. 

Es hatten ich eine Menge adliger Damen aus Smudz 
nad) Tauroggen geflüchtet, weil der Ort, dicht an der Grenze 
gelegen, ihnen Gelegenheit bot, ſich unter dem Schutze des 
Fürſten, der Zudringlichkeiten der Schweden zu erwehren. Sie 
alle Hatten unbeanjtandet dem Fräulein Billavitjch, als der 
Tochter des mächtigiten Gefchlechtes der Smudz, den Vortritt 
eingeräumt. Während num die ganze Nepublif in Blut ſchwamm, 
nahmen Die Feſtlichkeiten hier kein Ende; es war, als ſei der 
königliche Hof mit großem Gefolge auf das Land gezogen, um 
ſich den Beluſtigungen des Landlebens hinzugeben. 

Boguslaw war in Tauroggen und dem angrenzenden 
Preußen regierender Fürſt. Die preußiſchen Städte, wo er 
häufig zu Gaſte war, gaben ihr Geld und ihre Soldaten her 


461 


und der preußiiche Adel folgte mit Freuden zu Pferd und zu 
Wagen den Einladungen des Fürjten zu den Gajtmählern und 
beteiligte jich an den Jagden und Karufjelfahrten mit Vergnügen. 
Der Fürſt führte Olenfa zu Ehren auch die jeit vielen Jahren 
vernachläffigten Turniere ein. 

Eines Tages beteiligte jich der Fürst jelbit an folch einem 
Turnier. Im jilbernen Banzerhemd, gejchmüct mit dem blauen 
Bande feiner Dame, welches Olenka ihm jelbit umbinden mußte, 
hatte er die vier tapferiten Ritter aus dem Sattel geworfen, 
Ketling folgte als fünfter und Safowitjch, diefer Stärfite von 
allen, als jechiter. Ein wahrer Sturm der Begeijterung war 
losgebrochen, als der jilberne Ritter dann fnieend aus der Hand 
jeiner Dame den Lorbeerfranz empfing. Beifallsrufe erjchallten, 
jchöne Frauen jchwenkten ihre Tücher, die Fahnen wurden zu 
Ehren des Sieger gejenkt, er jelbit Hatte jein Viſier zurüc- 
geichlagen, in ihr errötendes Geficht geblidt und ihre Hände 
mit Küflen bedeckt. 

Ein anderesmal, als im Planfenzaun ein Bär im Kampfe 
mit Hunden immer einen nach dem anderen hingejtrect hatte, 
war der Fürjt, nur mit einem leichten ſpaniſchen Wamſe be— 
fleidet und nur mit einem Spieß bewaffnet, hinzugejprungen, 
und hatte nicht nur die graufige Beitie, jondern auch einen 
Trabanten, welcher, die Gefahr, in die der Fürſt ſich begeben, 
erfennend, ihn zu ſchützen herbeieilte, niedergejtochen. 

Fräulein Alerandra, die Enfeltochter eines alten Kriegers, 
in den Traditionen ihres ruhmbedecten Gejchlechtes erzogen, 
fonnte beim Anblick jolcher SHeldenthaten ihren Beifall dem 
Fürſten nicht verfagen. Hatte man fie doch von frühejter 
Kindheit an daran gewöhnt, Tapferkeit und NRitterlichfeit als 
die Haupttugenden des Mannes zu jchägen. 

Dadurch angejpornt, bemühte jich der Fürſt, täglich neue 
Beweije jeiner faſt übermenjchlichen Kraft und Tapferkeit zu 
liefern und immer neue ?Fejtlichfeiten zu Ehren Olenkas zu 
veranjtalten. Die geladenen Gäfte, welche ſich in Lobes— 
erhebungen und Ausrufen der Begeijterung für den Fürſten 
gar nicht genugthun fonnten, waren unwillkürlich gezwungen, 
den Namen Dlenfas im Verein mit demjenigen des Fürſten 
zu nennen. Er jchwieg dazu, jeine — ſollten ihr nur 
jagen, was der Mund verſchweigen mußte ... ſie fam ſich oft 
vor, wie verzaubert. 

So vereinte fich alles, um die beiden einander näher zu 
bringen, fie von der Menge auszuſchließen. Die Namen beider 


462 


wurden nur noch zufammen genannt und Boguslaw that alles, 
um den Zauber, den er um jie zu jpinnen jich abmühte, mit 
jedem Tage zu verjtärfen. 

Abends, wenn die Schaujtellungen vorüber waren, ließ er 
in den Gemächern buntfarbige Yampen anzünden, welche ein 
wonniges, geheimnisvolles Licht verbreiteten. Süßer, be: 
raufchender Duft erfüllte die Luft, zauberische Klänge, unficht- 
baren Harfen entlodt, tönten durch die Räume und mitten in 
diefem PBaradiefe von Licht, Wohlgeruch und Harfenflang jchritt 
er einher, wie ein Märchenprinz, jung, jchön, ritterlich, jtrahlend 
im Glanze der Edeliteine, die er an fich trug, verliebt wie ein 
Hirtenfnabe. 

Welches Mädchen hätte jolchem Zauber wohl widerjtanden, 
welche tugendhafte Jungfrau wäre nicht jchwach geworden bei 
jolcher Werbung? Den Fürjten zu meiden wäre unmöglich 
geweſen, da Dlenfa unter einem Dache mit ihm wohnen mußte 
und er feine, ihr aufgeziwungene —— in einer ſo 
ritterlichen, anſcheinend ſelbſtloſen Weiſe übte. Dazu kam, daß 
Olenka dem Fürſten nicht ungern nach Tauroggen gefolgt war; 
der Aufenthalt in dem verräteriſchen Kiejdan war ihr voll- 
jtändig verleidet worden, und der ritterliche Boguslaw, der jo 
meijterlich veritand, vor ihr den fünigstreuen Unterthan und 
Sohn der Nepublif zu fpielen, war ihr naturgemäß ein viel 
lieberer Gejellichafter und Gaftfreund, als der offen jeinen Vers 
rat zur Schau tragende Januſch. Sie hegte in den erſten 
Wochen ihres Aufenthaltes i in Tauroggen jogar eine Art freund- 
Ichaftlicher Geſinnung für den jungen Fürſten, und ſie benußte 
den Einfluß, den jie auf ihn ausübte dazu, verjchiedene gute 
Werke zu verrichten. 

Im dritten Monat ihrer Anwejenheit war ein Offizier, 
ein Freund Ketlings, wegen irgend eines Verſehens von Bogus— 
law zum Tode durch Erjchießen verurteilt worden. Als das 
Fräulein davon durch Setling zu willen befam, bat fie den 
jungen Mann Los. 

„Die Göttin hat zu befehlen, nicht zu bitten,“ antwortete 
ihr der Fürſt, indem er das Todesurteil zerrig und ihr vor 
die Füße legte. „Regieret, bejehlet! Wüpte ich eurem lieben 
Munde ein Lächeln damit abzuloden, jo würde ich ohne Be— 
denken Tauroggen verbrennen, wenn ihr zu bejehlen geruht. 
Könnte ich euch doch vergejien machen, was einitmals war, ein 
Lächeln, einen freundlichen Blid in euer Antlig zaubern, das 
wäre mir höchiter Lohn!“ 


463 


Doc wie hätte ſie fröhlich jein jollen mit diejem nagenden 
Kummer im Herzen, dieſer unjäglichen Verachtung gegen den 
Menjchen, den fie geliebt mit der ganzen Macht einer erjten 
Liebe, der in ihren Augen dann herabgejunfen war zu einem 
Verbrecher, den fie geringer achtete als einen Batermörder. 
Jener Kmiziz, welcher für etliche Goldgulden, wie Judas, feinen 
Herrn und König verfaufen wollte, war ihr immer unverjtänd- 
licher geworden, bis er als ein Auswurf der Menjchheit vor 
ihr erjchien. Sie konnte fich nicht verzeihen, daß fie ihn jemals 
geliebt hatte, troß aller Verachtung aber vermochte fie nicht 
jein Bild aus ihrem Herzen zu reißen. 

Mit jolchen widerjtreitenden Gefühlen im Herzen, war es 
ihr unmöglich, auch nur fröhlich zu jcheinen. Sie war aber 
dem Fürſten dankbar, daß er jeine Hand zu dem von Kmiziz 
geplanten DBerbrechen nicht geboten hatte und für alles, was 
er jegt an ihr that. Eines nur wunderte fie jehr und zwar 
das, wie e8 möglich war, daß ein jo tapferer und edler Ritter 
jih an den Kämpfen um die Befreiung des Vaterlandes nicht 
beteiligte, obgleich er die Handlungen jeines Vetters zu ver- 
pönen jchien. Doch fagte ſie jich, dab ein Mann wie Bogus- 
law nichts thue, ohne einen bejonderen Zweck mit feinen Hand- 
lungen zu verbinden. Das leuchtete ihr umjomehr ein, als der 
Fürſt einmal wie beiläufig bemerkte — er reife nur darum fo 
oft nach Tilfit, um zwijchen Johann Kaſimir und dem Slönige 
von Schweden Friedensverhandlungen einzuleiten; feine Kräfte 
jeien durch zahlloje Kämpfe allzujehr erjchöpft, ala daß er fich 
noch an dem Kriege beteiligen fönne, er wolle auf dieje Weije 
dem Baterlande helfen, jich aus der Erniedrigung empor- 
zuraffen. 

„Richt um Lohn und Hohe Würden zu erlangen, thue ic) 
das — nicht darum gebe ich meinen Vetter Januſch preis,“ 
jagte er, „ihn, der mir ein zweiter Vater war, jondern ich thue 
nur, was mein Gewijjen und meine WVaterlandsliebe mir ge- 
bieten. Wer weiß, ob das alles imjtande jein wird, das Leben 
des Fürſten Sanujch dem Haß der Königin Ludovifa abzubitten.“ 

Als er jo ſprach und die traurigen Augen zur Dede empor- 
gerichtet hielt, erjchien er ihr wie einer jener Helden des Alter- 
tums, von denen der alte Hauptmann Billewitjch ihr foviel 
erzählt und aus dem Cornelius Nepos vorgelejen hatte. Im 
dieſem Augenblid jchwoll ihr Herz von Bewunderung und Ver- 
ehrung. Allmählich gelangte fie dann auch zu dem Standpunfte, 
daß, wenn die Gedanken an den verhaßten Amiziz fie zu jehr 


464 


quälten, fie mit Gewalt all ihr Denken auf Boguslaw richtete, 
um jene zu vericheuchen. Jener verkörperte ihr die gräßliche, 
düftere Vergangenheit, während diejer das Licht war, in welchem 
jede befümmerte Seele ſich gern jonnte, 

Der Herr Schwertträger von Reußen und das Fräulein 
Kulwiez, welche man ebenfalls aus Wododt hierher geholt hatte, 
drängten Dlenfa umvermerft immer mehr jenem abjchüfjigen 
Bade zu, indem jie unaufhörlich das Lob Boguslaws fangen. 

Dem Fürſten waren die Beiden in Tauroggen eine rechte 
Laſt; er jann fortwährend darauf, wie er fie auf artige Weiſe 
(03 werden follte. Aber er hatte bald ihre unit, bejonders 
diejenige des Schwertträgers, gewonnen, welcher anfangs feind- 
lich gegen ihn aufgetreten war, doc) je länger, deſto weniger 
der Liebenswürdigfeit Nadziwill® zu widerjtehen vermocht hatte. 

Wäre Boguslaw nur ein Mdliger aus vornehmem Gejchlecht, 
nicht Radziwill, Fürjt und Magnat von fat föniglicher Macht 
geweſen, wer weiß, vielleicht hätte das Fräulein ſich dem Teſta— 
ment des alten Hauptmannes zum Trog auf Tod und Leben 
in ihn verliebt, gleichviel, ob ihr nur die Wahl zwiſchen Kmiziz 
und dem Stlojter gelafjen war. Olenka war aber in den jtrengiten 
Sitten erzogen, ihre Seele war rein und ihr Herz gerecht. 
Darum fam.ihr nicht einmal der Gedanke an eine tiefere 
Neigung für den Fürjten; fie fühlte für ihn nichts als Dank 
und Bewunderung. 

Die Rangſtufe, welche ihre Familie unter den Adligen 
Polens einnahmen, war nicht hoch genug, als daß jie Die 
Gemahlin eines Füriten hätte werden fünnen, andererſeits 
dünkte fie jich viel zu Hoch, um Boguslaws Geliebte zu werden; 
fie jah in ihm nur den SHerricher, an deſſen Hofe fie weilte, 
Umſonſt juchte er fie eines anderen zu belehren, umſonſt ver- 
ficherte er ihr im der Weberjchwenglichkeit jeiner Gefühle, daß 
die Nadziwills jich schon verjchiedene Male mit Mädchen von 
einfachem Adel vermählt hatten. Alles umjonjt! Klein unreiner 
Gedanke blieb an ihr haften; wie das Waſſer von dem Gefieder 
des Schwanes, jo glitt von ihr alles ab, womit eitle Weber: 
redungsfunit jich bemühte, fie zu befleden. Dankbar gedachte 
fie des Fürſten; aber jie blieb fich ſtets gleich in ihrem Weſen, 
voll Freundlichkeit und Ruhe. 

Er aber verfing ſich immer mehr in der Schönheit und 
Nuhe ihres Wejens und glaubte jich oft jchon jeinem Ziele 
nahe. Dann wieder ertappte er jich zu feinem eigenen Aerger 
und feiner Scham auf einer Unficherheit und Schüchternbeit, 


465 


wie er jie niemals den vornehmiten Damen in Paris, Brüffel 
und Amjterdam gegenüber gefühlt Hatte Wielleiht war es 
darum, weil er jie wirklich liebte, oder vielleicht, weil in ihren 
janften Zügen jo viel Achtunggebietendes lag. Einzig und 
allein Kmiziz Hatte fich feiner Zeit nicht durch dieſen Ernſt 
abjchreden lajjen; er hatte fie dreijt in jeine Arme genommen, 
ihre Augen und ihre jtolzen Lippen gefüßt, aber Kmiziz war 
auch ihr Verlobter. 

Alle Kavaliere, angefangen bei Herrn Wolodyjowsfi bis 
zu den rauhen Kriegern Preußens in Tauroggen begegneten 
ihr mit der größten Achtung und verjtanden mit ihr umzugehen 
nicht wie mit anderen Mädchen. Den Fürjten trieb feine 
Leidenschaft, der Sache ein jchnelle® Ende zu machen, doch als 
er einmal im Kutjchwagen ihren Fuß berührte, während er 
gleichzeitig ihr zuflüſterte: „Fürchtet nichts ...“ und jie darauf 
eantwortet Hatte: „Gewiß fürchte ich, daß ich das in 
Sw. Durchlaucht gejegte Vertrauen bereuen muß,“ da wurde 
Boguslaw jehr verlegen und 309 vor, nad) wie vor um ihre 
Liebe zu werben. 

Doc, endlich Hatte jeine Geduld ein Ende. Der Eindrud, 
den jener jchredliche Traum auf ihn gemacht, begann jich all 
mählich zu verwijchen. Immer öfterer dachte er an das, was 
Safowitjch ihm geraten hatte, die Hoffnung, der Krieg werde 
die Berwandten und den Anhang Dienfas ausrotten, ihn ihrer 
Nache entziehen, griff immer mehr Plag in jeinem Herzen. 

Da ereignete jich plößlic) etwas, was dem Gange der 
Dinge in Tauroggen eine ganz andere Wendung gab. 

Wie ein Donnerjchlag fiel eines Tages die Nachricht in 
das Schloß, daß Tyfozin von dem Heere Sapiehas eingenommen 
worden und der Großhetman unter den Trümmern der Bejte 
begraben jei. 

Dieje Nachricht beunruhigte alle diejenigen, die in Tauroggen 
lebten; jelbjt der Fürſt jchrecte aus jeinem QTaumel auf und 
begab fich unverzüglich nach Königsberg, wo er mit den Miniſtern 
und Räten des Königs von Schweden und des Kurfürjten zu= 
jammentreffen jollte. 

Sein Aufenthalt dort verlängerte jich über die feſtgeſetzte 
Beit. Inzwijchen famen in Tauroggen Abteilungen preußiicher 
und jchwedischer Soldaten an. Man begann laut von einem 
Feldzuge gegen Sapieha zu fprechen; nun wurde es offenbar, 
dab Boguslam ein Parteigänger der Schweden war und Dies 
jelben Ziele verfolgte wie jein Better Januſch. 


Sienkiewicz, Sturmflut IL 30 


466 


Gleichzeitig erhielt der Herr Schwertträger die Nachricht, 
dab das Stammgut der Billawitich durch die Truppen Loewen— 
haupts niedergebrannt worden, und daß Diejelben, nachdem ſie 
die Smudzer Aufftändischen bei Schamle niedergemegelt, das ganze 
Land mit Feuer und Schwert vermüjteten. 

Da hielt e8 den alten Herrn nicht länger; er wollte den 
Schaden mit eigenen Augen bejehen und retten, was noch zu 
retten war. Fürſt Boguslam verjuchte auch nicht ihn zurück— 
zuhalten, er ließ ihn gern ziehen, während er ihm zum Abjchied 
noch die Worte jagte: 

„Shr werdet nun verjtehen, warum ich euch nach Tau— 
roggen brachte; im Grunde genommen verdankt ihr mir das 
Leben.“ 

Dienfa war mit dem alten Fräulein Kulwiez allein zurüd- 
geblieben. Sie zog Jich nach der Abreife ihres Oheims voll- 
jtändig in ihre Gemächer zurüd und nahm niemanden an, als 
einige Damen, welche fte täglich bejuchten. Als Dlenfa durch 
dieje erfuhr, dab der Fürſt einen Feldzug gegen Die Polen vor- 
bereite, wollte jie dieſen Gerüchten feinen Glauben jchenfen. 
Da diejelben ihr aber immer häufiger zu Ohren famen, lieh 
fie, um fich zu vergewiflern, was etwa Wahred daran jei, eines 
Tages Ketling zu fich bitten, von dem fie wußte, daß er ihr 
nichts verheimlichte. 

Er erichien fofort, glüdjelig darüber, daß er gerufen worden, 
daß er einen Augenblick mit ihr, die er über alles liebte, 
jprechen durfte. Dlenfa begann jogleich damit, ihn auszufragen. 

„Herr Kavalier,” fagte fie. „Es wird fo vielerlei in Tau— 
roggen gejprochen, daß man ganz irre werden fann. Die einen 
behaupten, der Fürjt-Wojewode jei eines natürlichen Todes ge- 
jtorben, andere wieder jagen, er jei unter den Säbeln der 
Polen gefallen. Sagt mir, wißt ihr, welches die Urfache feines 
Todes iſt?“ 

Ketling zögerte einen Augenblid; er kämpfte fichtlich mit 
der ihm angeborenen Schüchternheit, endlich jtammelte er unter 
heftigem Erröten: 

„Die Urfache des Unterganges und Todes des Fürſt-Woje— 
woden jeid ihr, Herrin!“ 

„Ich? ...“ frug Dlenfa verwundert. 

„a, ihr! Der Fürſt 309 vor, in QTauroggen zu bleiben, 
anstatt dem Vetter zu Hilfe zu eilen. Er hat alles vergejien 
und unterlafien . . „, um euretwillen.“ 

Jetzt überzog Burpurröte ihr Geficht. Einen Augenblid 


467 


lang vermochte feines von beiden ein Wort zu jprechen. Der 
junge Schotte jtand gejenkten Hauptes, mit niedergejchlagenen 
Augen, den Hut in der Hand, vor ihr. Die Haltung feiner 
ganzen Gejtalt drücdte Ehrerbietung und Hochachtung aus. 

ndlich jchüttelte er die blonden Haarwellen aus der Stirn, 
richtete jich auf und ſagte: 

„Wenn meine Worte euch beleidigt haben, jo erlaubt, daß 
ich euch fußfällig um Verzeihung bitte.“ 

Er beugte jein Knie, doch Dlenfa wehrte ihm, indem fie 
Schnell ſprach: 

„Lat das! Herr Kavalier! Was ihr jagtet, fam aus der 
Tiefe eines ehrlichen Herzens. ch habe längjt bemerkt, daß ihr 
mir wohlwollet.“ 

„Oder iſt es nicht jo? Wünſcht ihr mir nicht nur 
Gutes? ...“ 

Der Offizier richtete den Blick feiner engelöguten Augen 
nach oben, legte jeine Hand aufs Herz und flüjterte fo leife, 
dab es wie ein trauriges Seufzen Hang: 

„DO Herrin! Herrin! . . .“ 

Doc jchon war er erjchroden über die eigene Dreijtigfeit; 
er fürchtete, bereit zu viel gejagt zu haben, ſenkte den Kopf 
wieder und nahm wieder die Haltung eines ergebenen Dieners 
an, welcher der Befehle der geliebten Herrin harrt. 

„sch bin fremd hier und ohne Schuß,“ jagte Olenka, „denn 
obgleich ich imjtande bin, mich jelbit zu bejchügen und ich 
hoffe, daß Gott mic) gnädig vor Unheil bewahren wird, jo fann 
ich doch der menjchlichen Hilfe nicht entraten. Wollt ihr wie 
ein Bruder über mir wachen? Wollt ihr mich im Notfalle 
warnen, Damit ich nicht unvorbereitet in die mir gejtellten 
Netze falle?“ 

Bei diefen Worten reichte fie ihm ihre Nechte, welche er 
nun knieend an den Fingerjpigen ergriff und ehrfurchtsvoll an 
jeine Lippen 309. 

„Sprecht! Was geht um mich her vor?“ 

„Der Fürſt liebt euch! Habt ihr denn das nicht bemerft, 
Herrin?“ Olenka bededte die Augen mit der Hand. 

„Ich jah es und fah es doc nicht! Zuweilen wollte es 
mir jcheinen, daß all jein Thun nur einer großen Herzensgüte 
entjprang.“ 

„Herzensgüte! . . .„“ wiederholte der Offizier. 

„Das dachte ich," fuhr Dlenfa fort. „YZumeilen wieder, 
wenn ich denfen mußte, dab ich Unglückſelige jeine Begehrlich- 

30* 


468 


feit erregt haben könnte, beruhigte ich mic) damit, daß ich mich 
jelbjt glauben machte, eine Gefahr für mich jei dabei ganz aus- 
gejchlojien. Ich war ihm dankbar für alles, was er mir Freund— 
liches gethan, aber Gott iſt mein Zeuge — ic) begehrte Feine 
neuen Gunjtbezeigungen von ihm, denn ich fürchtete jchon zuviel 
von ihm angenommen zu haben.“ 

Ketling atmete tief. 

„Darf ich offen Sprechen?“ frug er nach kurzem Still» 
jchweigen. 

„sch bitte darum.“ 

„Der Fürſt hat nur zwei Vertraute; die Herren Sakowitſch 
und Paterſon. Der Lettere ijt mir jehr wohlgefinnt, weil wir 
Landsleute find und er mich von Klindesbeinen auf fennt. Was 
ich aljo weiß, das weiß ich von ihm. Der Fürſt liebt euch, 
Herrin! Seine Leidenjchaft glüht und lodert wie eine Pech— 
fadel. Alle Feſtlichkeiten, die er veranjtaltet, find nur euret= 
wegen, um eure Sinne zu bethören. Der Fürſt liebt euch 
finnlos, aber feine Liebe ijt eine unlautere, denn fie gefährdet 
eure Ehre. Während er wohl niemals eine würdigere Gemahlin 
finden dürfte, denkt er doch nicht daran euch zu ehelichen, denn 
ihm ijt eine andere beitimmt — die reiche Brinzeffin Anna. 
Ich weiß das von Paterjon, und Gott ift mein Zeuge, daß ich 
die Wahrheit rede. Traut dem Fürjten nicht, Herrin! Lat 
euch durch feine jcheinbare Gutmütigfeit, durch jeine bejcheidene 
Burüdhaltung nicht in Sicherheit wiegen, denn Verrat lauert 
bier auf Schritt und Tritt. Der Mund fträubt fich zu jagen, 
was Paterſon mir erzählt hat. Einen größeren Schuft als 
Sakowitſch giebt e8 nicht . . . Ich kann es nicht ausjprechen! 
Wäre ich nicht durch einen heiligen Eid verpflichtet, des Fürjten 
Perſon und Leben zu jchügen, jo würde dieje Hand und diejer 
Säbel euch, Herrin, unverzüglich von der jtet3 drohenden Gefahr 
befreien... Der Erjte, den ich töten wollte, wäre Sako— 
witſch ... . ja er wäre der Erjte, denn ihn haſſe ich mehr als 
die jchamlojen Räuber, welche meinen Vater töteten, unjer Ver- 
mögen raubten und mich zum Heimatloſen, zum Lohndiener in 
fremden Ländern machten . . .“ 

Bei diefen Worten zitterte Ketling am ganzen Leibe; er 
preßte den Knauf feines Säbels und jchien an etwas zu würgen. 
Plötzlich raffte er ji) zufammen und erzählte jchnell, fait in 
einem Atem alles, was Sakowitſch dem Fürſten geraten. 

Zu jeiner großen Verwunderung blieb Fräulein Alerandra 
jehr ruhig, angejichts des Abgrundes, welcher jich vor ihr öffnete. 


469 


Sie jchien aus ſich herauszuwachſen, noch unnahbarer zu werden. 
— kühne Entſchloſſenheit blickte aus ihren finſter blickenden 
lugen. 

„sch werde mich zu ſchützen wiſſen!“ ſagte ſie, „jo wahr 
der gefreuzigte Heiland mir helfe!“ 

„Der Fürſt hat bisher gezögert, die Ratjchläge feines Ver- 
trauten zu befolgen,“ jette Ketling Hinzu „doch wenn er ein- 
jehen lernt, daß der Weg, den er eingejchlagen, nicht zum Ziele 
führt... .* 

Und nun erzählte er, was den Fürſten bewog, immer noch 
den Weg der jcheinbaren Güte zu wandeln. 

Das Fräulein hörte etwas zeritreut zu, denn ihre Ge— 
danfen bejchäftigten ſich ſchon mit einem Plane, welcher ihr 
dazu verhelfen jollte, fie aus ihrem glänzenden Stäfige zu be= 
freien. Die Gedanken drängten jich ihr zwar noch unklar auf, 
da im ganzen Reiche kaum ein jicherer Zufluchtsort zu finden 
war, deshalb wollte fie jegt noch nicht davon jprechen. 

„Herr Kavalier,“ jagte jie endlich, „beantwortet mir, bitte, 
eine Frage. Zu wem hält eigentlich der Fürſt Boguslaw, zu 
unjerem Könige Sohann Kaſimir oder zu den Schweden?“ 

„Es wird uns allen fein Hehl daraus gemacht, daß unfer 
Fürſt bemüht ijt, eine Teilung der Nepublif herbeizuführen, 
um Litauen für jich als jouveränes Fürftentum zu beanjpruchen!“ 

Er hielt plöglich inne; e8 war, als ob er dem Gedanfen- 
fluge Olenkas folge, denn er jeßte plößlich Hinzu: 

„Ein ficheres Pläschen wird ſich für euch faum finden 
lajien, denn die ganze Nepublif iſt von den Schweden offupiert.” 

Dlenfa antwortete nicht auf diefe Bemerkung. 

Ketling wartete noch ein wenig, ob jie vielleicht noch eine 
Frage an ihn zu richten hatte, da fie aber in Gedanken ver- 
junfen jchweigend verharrte, jchien e8 ihm geraten, das ‚Fräulein 
nicht länger zu jtören. Er verneigte ich tief vor ihr, indem 
er mit den Federn ſeines Hutes den Boden fegte, und wollte 
hinausgehen, da hielt ihn Olenka zurüd: 

„sch danfe euch, Herr Kavalier,“ fagte fie, ihm die Hand 
reichend. 

Der Offizier zog ſich rüchwärtsgehend nad) der Thür zurück. 

Plötzlich errötete Dienfa leicht, zauderte noch einen Augen— 
blid, dann frug jie jchnell: 

„Kanntet ihr den Herrn . . . den Herrn Andreas 
Kmiziz? ...“ 


470 


„ob ih ihn kannte! ... Er war in Kiejdan ... Als 
wir aus Podlachien hierher zogen, jah ich ihn zum lettenmal 
in Pilwiſchki.“ 

„Dit es wahr?... Hat der Fürft die Wahrheit ge- 
jprochen, als er jagte, daß Herr Kmiziz jich erboten hat, ihm 
den König auszuliefern ?“ 

„Das weiß ich nicht, Herrin... Ich weiß nur, daß der 
Fürſt in Pilwifchkt eine lange Unterredung mit ihm hatte, und 
daß beide zufammen in den Wald ritten, von wo fie jo lange 
nicht zurückehrten, daß Paterfon dadurch beunruhigt, mich mit 
einer Abteilung Reiter ausjchiete, den Fürften zu juchen. Wir 
fanden ihm jchon auf dem Rückwege. Sch bemerfte, daß der 
Fürſt jehr alteriert war, als hätte er eine gewaltige Aufregung 
durchgemacht. Herr Kmiziz war nicht mehr bei ihm. Er führte 
damals Selbitgejpräche, was jonjt nie jeine Gewohnheit ilt. 
Sch hörte, wie er einmal laut jagte: ‚Er muß den Teufel im 
Leibe haben! ... Weiter weiß ich nichts... Später aber, 
al3 der Fürſt erzählte, da Herr Kmiziz jich erboten, ihm den 
König auszuliefern, da dachte ich mir: wenn das wahr iſt 
und der Fürſt nicht Lügt, jo fann es nur an jenem Tage 
gejchehen jein.“ 

Das Fräulein Billewitjch preßte die Lippen aufeinander. 

„Ich danke!“ fagte fie kurz. 

Im nächiten Augenblid war jie allein. 

Bon da ab bejchäftigte der Gedanke an ‚Flucht fie unabläſſig. 
Sie beſchloß, auf jeden Fall diejen jchändlichen Ort zu verlajien 
und der Gewalt diejes verräteriichen Mannes zu entfliehen. 

Wohin aber jollte fie fi) wenden? Die Städte und 
Dörfer befanden jich in den Händen der Schweden, die Klöſter 
waren zerjtört, die Schlöffer und Burgen der Erde gleich- 
gemacht, das ganze Land wimmelte von Soldaten und was 
noch jchlimmer, von MWeberläufern und Gefindel jeder Art. 
Welches Los konnte ihrer warten, wenn fie fich hinauswagte? 
Wer jollte jie begleiten, jchügen? Die Muhme Kulwiez, der 
alte Ohm und ein paar Diener und Pienerinnen, das waren 
alle; doch die waren nicht imjtande, Tod und VBerderben von 
ihr und jich abzuwenden ... Bielleicht entjchloß fich Ketling, 
vielleicht auch noch einige andere Soldaten, ihm zu liebe jie 
zu begleiten. Aber Ketling liebte fie zu jehr; er machte gar 
fein Hehl aus dieſer Liebe, er trug jie zu offen zur Schau, 
als daß fie hätte wagen dürfen, eine Schuld der Dankbarkeit 
auf fich zu laden, für die fein Preis zu hoch gewejen wäre. 


471 


Wie hätte fie endlich das Schiejal diejes Jünglings mit 
dem ihrigen verknüpfen jollen, wie durfte jie nur daran denfen, 
ihn, der faum den Knabenſchuhen entwachjen war, allen Ge— 
fahren einer Flucht auszujegen, da jie ihm für eine jolche Auf- 
opjerung doch nichts zu bieten hatte, als Freundſchaft. Was 
jollte fie thun? Ueberall, wohin jie die Augen auch wenden 
mochte, jah jie nichts wie Gefahr und Schande. 

In ihrer Seelenpein nahm jie ihre Zuflucht zu heißem, 
innigem Gebet; bejonders wiederholte fie oft ein Kleines Gebet, 
welches jeiner Zeit der alte Hauptmann, ihr Großvater, in 
Gefahr und Not zu beten pflegte und welches mit den Worten 
begann: 

„Als Herodes in Aegyptens Lande 
Zornig wütet’, zu der Menfchheit Schande, 

at der Herr, dich und das Sindlein zu bewahren, 
Sicher euch geführt durch Trübfal und Gefahren.“ 


Während Dlenfa im Gebet verjunfen noch auf den Knieen 
lag, hatte fich draußen ein heftiger Wirbelwind erhoben. 

Das Rauſchen in den Baumfronen rüttelte fie aus ihrer 
Berjunfenheit auf. Im ihrer Erinnerung tauchte plößlich die 
Waldeinjamfeit, das Heideland auf, wo ſie die eriten Jahre 
ihres Lebens zugebracht, und mit einemmale ward ihr klar, 
daß dies der einzige Zufluchtsort jei, der ihr jicheren Schuß 
bieten konnte. 

Sie atmete erleichtert auf. Endlich hatte fie gefunden, 
was jie grübelnd gejucht. Das war der rechte Ort. Im die 
Sielonfa, in die Rogowoer Heide wollte fie fliehen. Dorthin 
fam fein Feind, Fein räuberischer Schelm juchte dort Beute, 
denn dort fonnten jelbjt die Köhler und Hirten tagelang in 
der Irre umberlaufen, wenn jie die Wegezeichen nicht beachteten. 
Ein Fremder, der die Wege nicht fannte, war rettungslos ver- 
loren. Dort würde fie bei den Jägern, den Domajchewitjch 
und den Kohlenbrennern, den Stajfanows den beiten Schuß 
finden. Und follte feiner von ihnen daheim geblieben, follten 
jie alle mit Herrn Wolodyjowsfi fortgezogen jein, jo fonnte fie 
doch ungehindert durch die Heide weiterziehen, weit fort in ferne 
Wojewodjchaften, um Ruhe und Frieden zu finden. 

Auch der Gedanfe an Wolodyjowski ftirımte jie heiter. 
Ihn hätte fie jegt brauchen fünnen; er wäre der rechte Beſchützer 
für fie in Ddiejer trüben Zeit. Er war ein echter Soldat, der 
es mit Kmiziz und Nadziwill wohl aufnehmen fonnte. Nun 
fiel ihr auch ein, daß er es war, der ihr in jener Zeit, wo er 


472 


Kmiziz in Billewitjche gefangen genommen hatte, den Nat gegeben, 
in der — von Bialowierſch Schutz zu ſuchen. 

Und er hatte Recht! Die Sielonka- und Rogowo-Heide 
lagen den Befigungen Radzimwills noch zu nahe. In der Gegend 
von Bialowierjch aber jtand das Kriegsheer Sapiehas, welches 
joeben erſt den jchredlichiten der Radziwills vom Erdboden 
vertilgt hatte. 

Alſo auf nach Bialowierjch! Je eher, je lieber! Heute, 
morgen! Sobald der Schwertträger von Reußen zurüdgefehrt 
jein würde, wollte jie die heimliche Abreife nicht länger 
aufjchieben! 

Die dunklen Wälder von Bialowierfch würden ihr Schuß 
bieten, bis der Kriegsſturm vorübergeraufcht war, dann ins 
Klojter! Dort allein iſt Friede, wahres Glüd, Vergeſſen und 
Heilung für alle Wunden, die Liebe, Haß und Verachtung 
geichlagen . . 








2. Rapitet, 





Einige Tage darauf fehrte der Herr Schwertträger von 
Reußen von jeinem Ausfluge zurüd. Obgleich er mit einen 
Geleitjchein vom Fürſten Boguslaw ausgejtattet war, hatte er 
dennoch nur bis Roſchen vordringen fünnen. Nach Billewitjch 
jelbjt zu gelangen, war unmöglich und auch zwecklos, denn der 
Gutshof jamt dem Schlojje und das ganze Dorf waren ein 
Raub der Flammen geworden an jenem Tage, wo der Probjt 
Strajchewitich, ein Jejuit, an der Spige einer von ihm gebildeten 
Schugtruppe eine Schlacht gegen den ſchwediſchen Kapitän Rojja 
verloren hatte. Die Einwohner des Gutshofes und des Dorfes 
waren zum Zeil in die Wälder geflüchtet, zum Teil hatten jie 
jih) den aufjtändischen WBarteien angejchlojien. An Stelle 
des wohlhabenden Ortes war nichts mehr zu jehen, als Erde 
und Wajler. 

Dazu wurden die Wege durch allerhand NRaubgejindel, 
d. 5. durch Dejerteure und Ueberläufer aus den verjchiedenen 
Heerlagern unficher gemacht. Sie trieben jich jo zahlreich in 
größeren Haufen auf allen Landitraßen umher, daß fie fich 
nicht entblödeten, jogar größere Truppenfommandos3 anzugreifen. 
Auf diefe Weife war es ihm nicht einmal gelungen, jich zu 
überzeugen, ob die Tonnen mit dem Silberzeug und dem Bar- 
Be der Familie, welche er im Garten vergraben, noch un— 

erührt geblieben, oder von den ‘Feinden geraubt waren. Der 

Herr Schwertträger war aljo jehr befümmert nac) Tauroggen 
zurücgefehrt und eine fürchterliche Wut gegen Die Verwütter 
des Vaterlandes erfüllte jeine Brut. 


474 


Nun hatte er faum den Fuß vom Wagen gejet, da z0g 
Olenka ihn auch jchon in ihre Kemenate und erzählte ihın alles, 
was jie von Stetling erfahren hatte. 

Der alte Edelmann, kinderlos wie er war, liebte Dlenfa 
wie eine eigene Tochter. Er bebte vor Zorn, jchnappte eine 
Weile nac) Luft, während er fich auf den Griff jeines Säbels 
jtügte und vor fich hin murmelte. Endlich fuhr er jich mit der 
Hand an die Stirn und jprad): 

„Sclage zu, wer Tugend hat! Mea culpa, mea maxima 
culpa! Sch jelbit war ja verblendet, ich jelbit glaubte zuweilen, 
dal dieſer Satan wirklich jo verliebt in dich it, daß er Dich 
ehelichen wird. Diejer und jener bejtärfte mich darin; man 
wies mich auf unjere Berwandtjchaft mit den Goſiewskis und 
die Tyſenhaus hin. Ich begann mich jtolz in dem Gedanken 
zu jonnen, daß wir auch mit den Nadziwills verwandt werden 
fünnten. Für diejen Stolz jtraft mich Gott jeßt ... Das 
it freilich eine SER Verwandtichaft, die der Verräter uns 
zugedacht hat! ... Er wollte ſich mit ung vergevattern wie 
der Stammbulle vom Edelhof mit der Kalbe vom Dorfe! . 
Daß dich der Tod hole! Aber warte! her joll dieſe Hand 
und dieſer Säbel vermodern, ehe... .“ 

„Bir müſſen auf Rettung finnen,“ unterbrach ihn Olenka. 

Und gleich begann fie ihm ihren Fluchtplan zu erklären. 

Der Herr Schwertträger hörte ihr aufmerfjam zu, und 
nachdem er ich ein wenig von feiner Aufregung erholt hatte, 
jagte er: 

„Sch will Lieber meine Unterthanen jammeln, eine eigene 
Iruppenabteilung bilden und mit Diefer die Schweden be= 
unruhigen wie andere es thun und wie Kmiziz mit Chomwansfi 
gethan. Du wirft in den Wäldern ficherer jein, als hier am 
Hofe dieſes Fürjten.“ 

„But!“ antwortete das Fräulein. 

„sc Habe nicht nur nichts gegen dieſen Fluchtplan ein= 
zuwenden,“ jagte er begeiitert, „jondern ich bin auch dafür, dab 
er jobald als möglich zur Ausführung gelangt. Um meine 
Unterthanen iſt mir nicht bange; auch an Senjen wird es nicht 
fehlen. Haben fie mir die Nefidenz verbrannt, jei eg drum!... 
Sch werde in anderen Dörfern Bauern werben... Alle 
unjere Verwandten, die jchon in das Feld gezogen find, werden 
zu ung jtehen. Warte nur, Herrchen, wir wollen dir jchon 
unjere Verwandtjchaft eintränfen ... . wir wollen zeigen, was 
e8 heißt, der Ehre einer Billewitich nachzuſtellen ... Biit 


475 


du auch ein Radziwill! Das macht nichts aus! Haben die 
Billewitjch auch feinen Hetman aufzuweiien, jo giebt es auch 
feine Verräter in ihrem Gejchlecht! . . . Wir werden jehen, 
auf wejlen Seite ganz Smudz jich jtellen wird! . . .“ 

Dann wandte er ſich an Dlentfa: 

„sch will dich nach Bialowierſch bringen und dann hierher 
zurückehren! So joll es gejchehen! Er joll mir dieſe Be— 
leidigung büßen, denn was er thut, beleidigt nicht nur ung, 
jondern den gejamten Adel. Wer das nicht einfieht, oder nicht 
mit und hält, der ijt ein Infamer! Gott wird helfen, Die 
Brüder werden helfen, der Kleinadel auch, dann ziehen wir mit 
Feuer und Schwert gegen ihn los. Die Billewitich nehmen es 
noch mit den Nadziwilld auf. Wir werden die ganze Nepublik, 
den König, und den Reichstag für uns haben. 

Der alte Herr jchlug bei diefen Worten mit der Fauſt 
auf den Tiſch; jein Antlit war rot vor Erregung, jein Haar 
fträubte fih. Seine Aufregung steigerte jich von Minute zu 
Minute, jo daß Olenka verfuchte, ihn zu beruhigen. Er hatte 
alles jchweigend mit angejehen, das Elend der Nepublif, den 
Niedergang des Baterlandes, nun aber, da das Gejchlecht der 
Billewitſch in Olenka beleidigt war, erblicdte er in diejer That— 
jache den Untergang Bolens und brüllte wie ein Löwe um 
Rache. 

Endlich gelang es dem Fräulein, welches einen großen 
Einfluß auf ihn auszuüben vermochte, den Herrn Schwertträger 
zu beruhigen. Sie verſuchte ihm klar zu machen, daß es durch— 
aus notwendig ſei, die Angelegenheit ſo geheimnisvoll als möglich 
zu betreiben, um den Fürſten nichts von ihrem Vorhaben merken 
zu laſſen, ſollte die Flucht gelingen. Er mußte ihr feſt ver— 
ſprechen, nichts ohne ihr Wiſſen zu unternehmen, und nur das 
zu thun, was ſie anordnen werde. Dann berieten ſie gemein— 
ſchaftlich die Flucht. Es ſchien ihnen gar nicht ſchwer, ihren 
Plan durchzuführen, da man ſie anſcheinend nicht bewachte. 
Herr Billewitſch beſchloß daher, einen Boten mit Briefen an 
die Oekonomen auf ſeinen Gütern abzuſenden, mit dem Auf— 
trage, die Bauern aller Dörfer aufzubieten, ebenſolche Auf— 
forderungen erließ er an alle, die mit den Billewitſch verwandt 
und verſchwägert waren. 

Das Nächſte, was zu thun blieb, war die Ausfertigung 
von ſechs Vertrauensmännern nach dem Stammgute Billewitſche. 
Sie ſollten dort die Fäſſer mit dem Silbergerät und dem Gelde 
ausgraben, dieſelben nebſt Nahrungsmitteln, Gepäck und Pferden 


476 


in die Wälder von Girlafol bringen und dort die Herrjchaft 
erwarten. 

Sie jelbjt wollten zu geeigneter Zeit mit zwei Bediensteten 
im Schlitten von Tauroggen nad) dem nahen Gawna fahren, 
dort Neitpferde bejteigen und eiligjt dDavonreiten. Nach Gawna 
fuhren jie öfters, um das Ehepaar Kutſchukow-Olbrotowski zu 
bejuchen. Sie blieben zuweilen über die Nacht dort, durften aljo 
hoffen, daß ihre Abreife nicht bemerkt und eine Verfolgung erit 
nach Ablauf mehrerer Tage veranstaltet werden würde, wenn 
fie bereit3 in der Tiefe der Wälder bei ihren Leuten angelangt 
waren. Die Abwejenheit des Fürſten befeitigte fie in dieſer 
Hoffnung. 

Herr Thomas bejchäftigte jich bald eifrig mit den Vor— 
bereitungen. Zwei Tage nachher ritt der Bote mit den Briefen 
davon. Am dritten Tage begann der Herr Schwertträger eine jich 
jehr in die Länge dehnende Unterhaltung mit Baterjon. Er 
erzählte ihm von jeinen vergrabenen Schägen und von der 
Notwendigkeit, jie von Billewitjche nad) dem jicheren Tauroggen 
überzuführen, da der Wert derjelben die Hunderttaujend Gulden 
weit überjteige. Paterſon jchenkte den Worten des alten Herrn 
gern Glauben, da derjelbe allgemein für jehr reich galt. 

„Laßt fie nur recht bald herbringen,“ jagte der Schotte. 
„Wenn es nötig jein ſollte, will ich gern eine Esforte mitgeben.“ 

Herr Billewitich dankte für die Bereitwilligfeit. 

„Je weniger Menjchen darum wijjen, deito beſſer iſt es,“ 
jagte er. „Meine Diener find treu; fie werden die Fäßchen 
unter Stocdholz auf den Wagen verbergen, welches von uns in 
großen Mengen nach Preußen geliefert wird, oder noch befjer, 
unter und zwijchen Schindelbündel, nad) welchen Niemand ge- 
lüften wird, oder unter Hanf.“ 

„Die Schindeln jind bejjer,“ riet Baterjon, „denn der Hanf 
it leicht mit Lanzen zu durchitechen oder mit dem Säbel zu 
durchhauen. Man könnte leicht entdeden, daß etwas darunter 
verborgen liegt. ch weiß auch, daß man hier nötig Geld braucht, 
denn die Zinjen und Außenſtände gehen jchlecht ein.“ 

„Sch möchte dem Fürjten gern meine Schäge anbieten, 
damit er nicht in Berlegenheit gerät,“ verjegte der Edelmann. 

Damit war die Unterredung beendet. Alles jchien nad) 
Wunjch zu gehen, die Diener des Herrn Schwertträgers reijten 
bald darauf ab, er jelbjt wollte mit Olenka am nächiten QTage 
jeine Bejuchsreije antreten. 

Da traf ganz unerwartet gegen Abend Fürſt Boguslam 


477 


mit zwei Negimentern preußifcher Reiter ein. Seine Angelegen- 
heiten mußten feinen günjtigen Verlauf genommen haben, denn 
er jah zornig und vergrämt aus, 


Noch an demjelben Tage berief er den Kriegsrat ein, 
welcher aus dem Bevollmächtigten des Kurfüriten, dem Grafen 
Seydewig, Paterſon, Sakowitſch und dem Reiterhauptmann 
Kyrig zujammengejegt war. Die Beratungen dauerten bis gegen 
drei Uhr morgens und Hatten zum Gegenjtand den Feldzug 
gegen Sapieha. 

„Der Kurfürjt und der König von Schweden haben mich mit 
Streitkräften wohlverjehen,“ fagte der Fürſt. „Eines von beiden 
fann nur jtattfinden: — entweder finden wir den Sapieha 
noch in Bodlachien; in diefem Falle werden wir ihn jamt feiner 
Armee vernichten — oder er ijt nicht mehr dort; dann nehmen 
wir Podlachien ohne Widerjtand. Zu Beiden gehört aber Geld 
und das hat mir weder der Kurfürjt noch der König von Schweden 
gegeben, denn fie haben jelbjt Feines.“ 

„Bo, bei wem jollte man wohl Geld juchen, wenn nicht 
bei Ew. Durchlaucht,“ verjegte Graf Seydewitz. „Man fpricht 
in der ganzen Welt von den unerjchöpflichen Neichtümern der 
Radziwills.“ 

„Herr Graf!“ erwiderte Boguslaw darauf, „wenn ich ein— 
bekommen könnte, was mir aus meinen anererbten Gütern zu— 
kommt, ſo hätte ich gewiß mehr Geld, als fünf deutſche Fürſten 
zuſammengenommen. Aber der Krieg hat das Land verwüſtet, 
die Pachtzinſe gehen nicht ein, denn ſie werden meiſt von den 
Rebellen abgefangen. Man könnte wohl gegen Schuld— 
verſchreibungen von den preußiſchen Städten Gelder requirieren, 
aber ihr wißt ja am beſten, wie es gegenwärtig dort zugeht. 
Sie würden allenfalls nur für Johann Kaſimir allein ihre 
Säckel öffnen.“ 

„Und wie ſteht es mit Königsberg?“ 

„Was dort zu nehmen war, das habe ich mitgenommen, 
aber es war wenig genug.“ 

„Ich ſchätze mich ſehr glücklich, daß ich Ew. Durchlaucht 
mit einem guten Rate dienen kann,“ ſagte Paterſon. 

„Bares Geld wäre mir lieber, als ein guter Rat,“ verſetzte 
der Fürſt. 

„Doch, mein Nat iſt Goldes wert. Erſt geſtern Abend 
erzählte mir Herr Billewitſch, daß er bedeutende Summen im 
Garten in Billewitſche vergraben hat, die er ſoeben im Begriff 


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Iteht, hierher in Sicherheit zu bringen, um fie Ew. Durdjlaucht 
zur Verfügung zu jtellen.“ 

„oO, das fommt mir wie vom Himmel gefallen,“ vief 
Boguslaw. „Ob die Summe groß jein mag?“ 

„Ueber Hunderttaujend Gulden, ungerechnet das Silberzeug 
und die Stleinodien, die fait eben jo viel wert find.“ 

„Silber und Ktleinodien fett der Edelmann nicht gern im 
bares Geld um, man fünnte ſie höchitens verjegen. Sch danke 
euch, Baterjon, ihr kamt zur rechten Zeit. Ich werde gleic) 
morgen mit Billewitjch jprechen.“ 

„Dann will ich ihn noch heute veritändigen, denn er 
beabjichtigt morgen einen Bejuch in Gawna bei den Herrjchaften 
Kutſchukow-Olbrotowski zu machen.“ 

„Benachrichtige ihn; er darf nicht abreifen, bevor ic) ihn 
gejprochen,“ befahl Boguslaw. 

„Die Diener ſind jchon fortgejchict, ich bin nur in Sorge, 
daß fie auch ficher hier anlangen.“ 

„Man fönnte ihnen ein ganzes Regiment nachichiden. 
Doc) darüber jprechen wir noch. O, das fommt zur rechten 
Zeit! Das Spahhafte an der Sache aber it, daß ich Pod— 
lachien mit dem Gelde diejes Fünigstreuen Edelmannes erobern 
werde.” 

Indem er das jagte, verabjchiedete der Fürst den Kriegsrat, 
denn er mußte ſich vor dem YZubettgehen noch den Händen 
feiner Kammerdiener anvertrauen, deren Aufgabe es war, ihn 
allabendlich mit einem Bade zu erqguiden und jeine außer: 
ordentliche Schönheit durch Einreibungen mit verjchiedenen 
Salben und Mirturen zu erhalten, was immer eine bis zwei 
Stunden Zeit beanſpruchte. Heute war der Fürſt überdies 
müde vom Wege und der langen Situng. 

Am nächſten Morgen hielt Paterſon den Herrn Billewitſch 
und Dienfa von der Abreije zurüd, indem er ihnen meldete, 
daß der Fürſt fie zuvor zu fprechen wünſche. Die Abreije 
mußte Daher aufgejchoben werden, jie machten ſich aber feine 
weiteren Gedanken darüber, da Baterfon ihnen gejagt Hatte, 
um was e3 jich handelte. 

Eine Stunde jpäter erjchten der Fürſt. Obgleich Olenka 
und Herr Thomas jich Heilig gelobt Hatten, ihn jo freundlich 
wie ehedem zu empfangen, jo brachten fie es doc) troß aller 
Anjtrengung nicht fertig. 

Sie wechjelte Die Farbe, als fie den jungen Fürſten ein= 
treten jah, während Herr Thomas rot bis Hinter die Ohren 


479 


wurde. Wider Willen wurden beide verlegen, jie bemühten ich, 
vergeblich ihre Faſſung zu bewahren. 

Der Fürſt dagegen war vollfommen heiter, nur jein 
Seficht Hatte etwas weniger frijche Farbe, um die Augen 
zogen fich bläuliche Ränder, aber gerade diejes leidende Aus- 
jehen kleidete ihn vortrefflihh und Harmonierte gut mit dem 
perlenfarbenen, jilberdurchwirkten Morgengewande. Er bemerkte 
jogleich, daß man ihm anders empfing als gewöhnlich und 
dachte jich, daß diefe beiden während jeiner Abwejenheit erfahren 
haben mußten, in wie freundjchaftlichem Verhältnis er zu den 
Schweden jtand. Nur jo fonnte er jich den fühlen Empfang, 
der ihm wurde, erklären. 

Boguslaw bejchloß, ihnen ſogleich Sand in die Augen zu 
jtreuen; er begann nach den gewöhnlichen Phrajen und Kom— 
plimenten ſogleich: 

„Herr Schwertträger, mein lieber Wohlthäter, ihr werdet 
jicherlich jchon erfahren haben, welches Unglück mic), betroffen 
hat . . .“ 
„Ew. Durchlaucht meinen den Tod des Fürſt Wojewoden?“ 
entgegnete Herr Billewitſch. 

„Nicht das allein. Der Tod meines Verwandten iſt ein 
harter Schickſalsſchlag, doch habe ich mich dem Willen Gottes 
ergeben, der, wie ich feſt glaube, meinem Vetter im Himmel 
alles das Unrecht vergelten wird, welches ihm die Menſchen zu— 
gefügt haben. Mir aber iſt eine neue drückende Laſt auferlegt 
worden, denn ich bin gezwungen, einen Bruderkrieg zu führen, 
was für einen Staatsbürger, der ſein Vaterland liebt, ein ent— 
jegliches Unglüd iſt . ..“ 

Der Herr Schwertträger antwortete nicht auf dieſe Aus— 
einanderſetzung. 

Der Fürſt fuhr fort: 

„Mit großer Mühe, vieler Anſtrengung, und Gott allein 
weiß, mit was für großen Geldopfern ich endlich den Frieden 
zuſtande gebracht hatte. Die Traktate waren ausgefertigt; 
e3 bedurfte nur noch der Unterjchriften. Die Schweden jollten 
Polen räumen, ohne eine Kriegskontribution zu beanfpruchen, 
außer, daß der König und die Stände Polens ihre Einwilligung 
dazu geben follten, daß nach dem Tode Johann Kaſimirs, 
Karolus von Schweden zum Könige von Polen gewählt wird. 
Ein jo mächtiger und grober Kriegsheld wäre für unjere 
Nepublif eine Erlöfung. Noch mehr, er follte uns jogleich ein 
Heer zurüclafjen zur endlichen Beendigung des Bürgerfrieges 


480 


in der Ufraine und mit Moskau; wir hätten unjere Grenzen 
erweitern fünnen, aber das paßte dem Herren Sapieha nicht, 
denn er hätte dann jeine eingebildete Nache gegen die Radzi— 
will aufgeben müſſen. Alle anderen Heerführer waren ein- 
verjtanden, er allein widerjegt jich mit den Waffen in der Hand. 
Ihm gehen jeine Privatintereffen über das Wohl des Vater— 
landes. Er hat es jo weit getrieben, daß man bejchlojjen hat, 
ihn mit Gewalt zum Einverjtändnis mit den anderen zu zwingen. 
Im heimlichen Auftrage Johann Kaſimirs und Karolus foll 
ich dieje Funktion übernehmen. Was fann ich anderes thun, 
als gehorchen. Ich Habe mich niemals irgend einem Dienit 
entzogen, muß mich auch jet den höheren he fügen, 
obgleich manch einer mich faljch beurteilen und denken wird, 
daß ich den Bruderfrieg nur zur Befriedigung meiner Rache 
beginne.“ 

„Wer Ew. Durchlaucht jo gut fennt, wie wir, den wird 
der Schein nicht irre führen, der wird immer die edlen Beweg— 
ründe Ew. Durchlaucht Handlungen verjtehen,“ verſetzte Herr 
Pillervitich 

Er fonnte jich jedoch nicht enthalten, bei diefen Worten, 
entzüct von der eigenen Schlauheit, jo ungeſchickt dem Fräulein 
zuzublinzeln, daß dieje heftig erjchraf, weil fie fürchtete, der Fürjt 
fünnte es gejehen haben. 

Und er hatte es gejehen. 

„Sie glauben mir nicht,“ Dachte er. 

Doc) ließ er nichts von dem Zorn merfen, der ihn bei 
dDiefer Wahrnehmung gepadt hatte; er betrachtete e8 als eine 
perjönliche Beleidigung, nicht zu glauben, was ein Radziwill 
fagte, jelbjt dann, wenn es diejem gefiel, zu jimulieren. 

„Paterſon erzählte mir,“ fuhr er nad) kurzer Pauſe fort, „daß 
Emw. Liebden mir euer Barvermögen zur Berfügung jtellen 
wollt. ch nehme diejeg Anerbieten gern an, denn offen ge- 
Itanden, fommt es mir gerade jet jehr gelegen. Wenn der 
Friede gejchlojjen jein wird, könnt ihr entweder die Summe 
urüderhalten, oder ich verpfände euch ein paar meiner Güter. 
Sedenfalls jollt ihr eher einen Nuten, als einen Schaden 
davon haben.“ 

Hier wendete fich der Fürſt zu dem Fräulein: 

„Berzeiht, mein Fräulein,” fagte er artig, „daß ich in 
Gegenwart eines jo vollflommenen Gejchöpfes nicht von idealen 
Dingen jpreche. Es ijt nicht recht, daß ich euch mit jo trivialen 
Sachen behellige, die Friegerifchen Zeiten erlauben aber nicht, 


481 


meiner Verehrung für euch jo Ausdruck zu geben, wie es fich 
gebührt.“ 

Olenka jchlug die Augen nieder, faßte mit den Fingerſpitzen 
ihr Kleid und machte einen tiefen Hoffnir; eine andere Antwort 
vermochte ſie micht zu geben. 

Unterdejien hatte Herr Billewitjch fi) in der Eile einen 
Plan zurechtgelegt, der unglaublich plump war, ihm jelbit aber 
außerordentlich liſtig erſchien. 

„Ich werde mit dem Mädchen entfliehen und ihm das Geld 
nicht borgen,“ dachte er. 

Er räuſperte ſich und nachdem er einigemale mit der 
Hand über den Scheitel gefahren war, begann er: 

„Es wird mir angenehm ſein, Ew. Durchlaucht dienen zu 
können. Ich habe Paterſon noch nicht von allem unterrichtet; 
es befindet ſich in meinem Garten noch ein Tönnchen mit roten 
Goldgulden beſonders vergraben, damit nicht ein böſer Zufall 
mich meines ganzen Vermögens beraubt. Außerdem haben ver— 
ſchiedene Verwandte ebenfalls ihr Vermögen in Tonnen in 
meinem Garten vergraben, das geſchah während meiner Ab— 
weſenheit unter der Leitung dieſes Fräuleins hier. Sie allein 
kennt den Platz und nur ſie kann ihn wiederfinden, denn der 
Mann, welcher ihr beim Vergraben der Schätze geholfen hat, 
iſt geſtorben. Mit der Erlaubnis Ew. Durchlaucht würden wir 
beide die verborgenen Schätze holen.“ 

Boguslaw blickte den alten Herrn durchdringend an. 

„Wie?“ ſprach er. „Paterſon hat mir doch geſagt, daß 
ihr eure Diener ſchon darnach ausgeſchickt habt, und wenn das 
wahr iſt, dann müſſen ſie doch wiſſen, wo die Tonnen ver— 
graben ſind.“ 

„sa, die meinigen. Von den anderen kennt Olenka allein 
den Platz.“ 

„Sie müfjen dod) aber an einer näher zu bezeichnenden Stelle 
liegen, welche mündlich oder durch eine Zeichnung auf dem 
Papiere bejchrieben werden kann.“ 

„Worte find in den Wind gejprochen,“ antivortete der 
Schwertträger, „und Zeichnungen veriteht feiner der Diener zu 
entziffern. Wir werden jie jelbit holen! Baſta!“ 

„Mein Gott! hr müht in euren Gärten Doc) jeden 

(ef Erde fennen, jo fahrt doch allein. Wozu joll Fräulein 
lerandra mitfahren?“ 

„Allein fahre ich nicht!“ entgegnete Herr Billewitjch 
energiſch. 


Sienkiewicz, Sturmflut II. 81 


482 


Boguslaw fchien den alten Herrn mit jeinen Bliden durch- 
bohren zu wollen. Er fette fich bequem zurecht und jchlug 
mit dem Rohrſtöckchen, das er in der Hand hielt, an den 
Stiefeljchaft. 

„Muß es durchaus jein?“ frug er. „Gut! Aber in diefem 
Falle werde ich euch zwei Neiterregimenter als Eskorte mit- 
eben.“ 

B „Wir bedürfen feiner Eskorte. Wir werden allein fort- 
reifen und allein wiederfehren. Wir fommen in unjere Heimat, 
dort droht uns fein Unheil.“ 


„Als aufmerkjamer Wirt, der verpflichtet ijt, für das Wohl 
feiner Gäjte zu forgen, werde ich niemals zugeben, daß Fräulein 
Alerandra ſchutzlos durch das Land reift. Ihr habt zu wählen: 
entweder reijt ihr allein, oder — ihr reilt beide unter 
Eskorte.“ 

Der Herr Schwertträger merkte endlich, daß er erraten 
und in jeinem eigenen Nee gefangen je. Das verjegte ihn 
in jo heftigen Born, daß er, alle Vorſicht vergejjend, außrief: 

„So ſtelle ich Ew. Durdjlaucht ebenfall® vor die Wahl: 
entiveder wir reifen beide ohne Esforte — oder — ich gebe 
fein Geld!“ 


Fräulein Alerandra blickte ihn flehend an. Doch der Zorn 
war zu gewaltig in ihm geworden. Bon Natur jchüchtern und 
geneigt, alle Streitigkeiten in Güte beizulegen, fonnte er ſich 
nicht mehr mäßigen, wenn er einmal wirklich zornig gemacht 
war, was jedesmal gejchah, wenn er die Ehre der Billewitjch 
angegriffen glaubte. Dann wurde er ganz desperat, dann trat 
er fühn dem mächtigiten Feinde entgegen. 

So jtemmte er auc) jet feinen linfen Arm in die Seite, 
und während er mit der echten auf den Säbelgriff fchlug, 
fchrie er aus vollem Halfe: 

„Sind wir denn Gefangene? Will man denn einem 
freien Bürger Feſſeln anlegen, angeerbte Rechte mit Füßen 
treten ?“ 

Boguslaw Iehnte feinen Rüden feiter an die Lehne jeines 
Stuhles. Er betrachtete ohne ein Zeichen der Erregung den 
alten Herrn aufmerkfjam; nur jein Blid wurde von Minute zu 
Minute fühler und das Nohr in feiner Hand flog haltiger auf 
und nieder. Hätte der Herr Schwertträger den Sürften beſſer 
gekannt, ſo hätte er gewußt, daß er in dieſem Augenblick eine 
große Gefahr auf ſein Haupt heraufbeſchwor. 


483 


Mer in irgend einer perjönlichen Beziehung zu Boguslaw 
jtand, befand jich immer in einer bedrohlichen Xage, denn man 
wußte nie, wann und wo bei ihm der wilde ungezügelte Stolz 
des Magnaten, der graujfame morgenländijche Despotismus des 
berzlojen Egoijten die Herrichaft über den feinen Hofmann und 
Diplomaten antrat. Unter den Blüten einer glänzenden Er— 
ziehung, einer glatten Cleganz, die er ſich im Verkehr mit den 
Perſonen der verjchiedenen Höfe Europas angeeignet, einer 
Ueberlegenheit des Geijtes durch Erfahrung gewonnen, barg 
fic) das wilde, zügellofe Temperament des raubgierigen Tieres. 

Doc) der Herr Schwertträger wußte nichts davon, deshalb 
fuhr er in blindem Zorn fort: 

„Ew. Durchlaucht jollten ſich nicht länger verjtellen, man 
hat euch erfannt! .„.. Merft, daß weder der Slönig von 
Schweden, dem ihr eure Dienjte weiht, noch eure jonjtigen 
fchönen Eigenjchaften, noch eure Fürjtenfrone euch vor dem 
Richterfpruch des Obertribunal8 zu jchügen vermögen. Die 
Säbel der Adligen werden euch mores lehren — ihr Grün— 
jchnabel!“ 

Da jtand Boguslaw auf. Das Rohr frachte unter dem 
Drude jeiner eijernen Hand, zerjplittert fiel e8 zu den Füßen 
des Schwertträgers nieder, während der Fürſt ziichend rief: 

„Da! So viel find mir eure Nechte, eure Tribunale wert!“ 

„Sewalt! Fürchterliche Gewalt!“ jchrie Herr Billewitjch. 

„Schweigt, ihr adliges Männchen!“ knirſchte der Fürſt, 
„jonjt zermalme ich euch zu Staub!“ 

Er ſchritt auf ihn zu und wollte den Erjchrodenen an der 
Bruft paden, um ihn an die Wand zu prejien. Doc) ehe er 
ihn noch erreicht Hatte, jtand Dlenfa zwijchen ihnen. 

„Bas wollt ihr thun, Durchlaucht?* jagte jie. 

Der Fürſt jtußte. 

Sie jtand vor ihm wie die zürnende Minerva; ihr Geficht 
war von der Erregung gerötet, die Najenflügel weit aufgebläht, 
ihr Bujen wogte und die Augen jprühten euer. Sie war jo 
Ihön in ihrem Zorn, dab Boguslam jie anjtarrte wie ein 
Wunderbild. Er fonnte fich von ihrem Anblick nicht losreißen 
und während er fie mit den Bliden zu verjchlingen jchien, 
malte jich in feinen Zügen die ganze Begehrlichkeit jeiner un— 
reinen Seele. 

Nach einer Weile raffte er ſich auf; der Born war ver- 
raujcht, er fam zur Befinnung. Dann jah er noch lange in 

31* 


484 


das Antlitz des Mädchens, während jeine Züge ſich allmählich 
glätteten, endlich ſenkte er bejchämt den Kopf und bat: 

„Verzeihung, du Engelsmädchen! .... Meine Seele 
ift voll Gram und Schmerz... . ic weiß nicht mehr, was 
ich thue.“ 

Nachdem er das gejagt, ging er hinaus. 

Dienfa rang die Hände und der Schwertträger, der end- 
(ich zum Bewußtjein feiner verkehrten Handlungsweije gefommen 
war, raufte fich die Haare und rief: 

„Sch Habe alles verdorben, ich bin die Urſache deines 
Berderbens!“ 

Der Fürjt ließ fich den ganzen Tag nicht bliden. Er 
jpeifte jogar in jeinem Gemach allein mit Safowitih. Bis in 
die tiefite Tiefe jeiner Seele erregt, vermochte er nicht jo Far 
zu denfen, wie ſonſt. Iede Fiber feines Herzens, jeder Nerv 
an ihm bebte. Diejer Zuftand war der Vorbote des jchweren 
Fiebers, welches ihn bald darauf jo mächtig befiel, daß während 
der Anfälle der ganze Körper jteif wurde, jo daß man ihn 
durch Neiben wieder fügſam machen mußte. Er jchrieb aber 
denjelben der außerordentlichen Macht der Liebe zu und behauptete, 
fterben zu müfjen, wenn jie nicht Erwiderung fand. 

Nachdem er jeinem Vertrauten den ganzen Verlauf der 
Unterredung erzählt hatte, jegte er hinzu: 

„Die Hände und Füße brennen mir, während es falt 
über meinen Rüden läuft. Die Lippen find heiß und im 
Munde Habe ich einen bitteren Gejchmad ... Bei allen 
gehörnten Teufeln, was fann das jein?... So etwas ijt mir 
noch nicht vorgefommen! . . .“ 

„Ihr feid mit Sfrupeln gefüllt, wie der gebratene Kapaun 
mit Grüße... O, Durchlaucht! Durchlaucht!* lachte Sakowitſch. 

„Du biſt dumm!“ 

„Auch gut!“ 

„Sch brauche deine Konzepte nicht!“ 

„Nehmt die Laute, Durchlaucht, geht unter das Fenſter 
des Mädchens und jpielt; vielleicht . . zeigt euch der Schwert- 
träger eine Fauſt ... Pfui! Zum Kudud, Durchlaucht! 
Seit wann iſt Boguslaw Nadziwill ein jo unentjchlojfener 
Mann?“ 

„Du bit ein Narr!“ 

„But! Sch merke, day Ew. Durchlaucht Selbitgejpräche 
führt und ich jelbit die Wahrheit jagt. Immer tapfer! Tapfer! 
Und ohne NRücjicht auf Nang und Würde!“ 


485 


„Merfe dir, Safowitijh! Wenn mein Kaftor zu vertrau- 
[ich zu mir wird, dann gebe ich ihm einige Fußtritte zwiſchen 
die Rippen. Es könnte jein, daß dic etwas Schlimmeres 
trifft.“ 

j Sakowitſch jprang mit beiden Beinen zugleich auf, Halb 
zornig wie vor furzem der Schwertträger, und da er ein außer- 
ordentliches Nachahmungstalent beſaß, begann er mit einer dem 
Herrn Billewitich jo Ähnlichen Stimme, dab ſie faum von 
derjelben zu unterjcheiden war, zu jchreien: 

„Sind wir denn Gefangene? Will man einen freien 
Bürger fejleln, Kardinalrechte mit Füßen treten?“ 

„Laß das! Lak das!” jagte der Fürſt in fieberhafter Eile, 
„Jenen dort hat jie durch ihre eigene Perſon bejchügt. Sie iſt 
nicht Hier, um auch dich zu jchügen.“ 

„Wenn jie ihn gejchügt Hat, jo hättet ihr jie gleich für 
euch nehmen follen! ... .“ 

„Ein heimlicher Zauber muß um fie jeinen Schuß weben 
— id) wüßte font nicht, was mich hätte zurüdhalten fünnen; 
jie muß mir etwas eingegeben haben, oder es ſteht mir in den 
Sternen gejchrieben . .. ich verliere noch den Verſtand ... 
Hätteft du fie gejehen, wie jie diejen reudigen Alten ver- 
teidigte ... . Aber, du bit ja ein Narr! Es wirbelt mir im 
Kopfe! Sieh’ Her, wie meine Hände brennen! Ein jolches 
Mädchen lieben dürfen, fie an ſich ziehen, mit ihr... .“ 

„Rachtommenjchaft zeugen!“ jegte Sakowitſch hinzu. 

„sa, ja! Als wühtejt du, was ich meine. Das muß ich 
erreichen, jonjt zeriprengt mich die Flamme wie eine Granate. 
Um Gotteswillen! Was geht mit mir vor... Sch muß fie 
heiraten, oder ſonſt was — bei allen Teufeln der Hölle und 
der Erde!“ 

Sakowitſch wurde ernit. 

„Daran dürfen Ew. Durchlaucht nicht denfen!“ 

„Aber ich denfe daran; ich will und werde daran denfen 
und jtände ein ganzes Regiment Safowitjche Hinter mir und 
wiederholte mir in einemfort: ‚Daran dürfen Ew. Durchlaucht 
nicht denfen!‘“ 

„Ei, ich jehe, das iſt Ernit!“ 

„Krank bin ich, verzaubert! E3 kann nichts anderes fein!“ 

„Warum folgen Durchlaucht nicht endlich) meinem Rate?“ 

„sch will ihm folgen! Die Belt über alle Träume, über 
alle Billewitich, über ganz Litauen mit feinen Tribunalen und 


486 


Sohann Kafimir dazu. Anders richte ich nicht? aus... Ich 
ſehe das ein! . . Genug des Harrens! ... Wie? Eine große 
Sache! Eine große Sache! Und ich Narr ſchwankte noch 
immer. Sch fürchtete mich vor den Billewitich, dem Prozeß, 
mic ängjtigte ein Traum, die Nachgier des Adels und das 
Kriegsglüd Johann Kafimird. Sage mir doch, daß ich ein 
Narr bin! Hörjt du, ich bejehle dir, es zu jagen!“ 

„Und ich werde mich hüten, zu gehorchen, denn ihr jeid 
eben ein Nadziwill und fein Pfarrvifar. Doc, frank müßt ihr 
fein, Durchlaucht, jo aufgeregt jah ich euch noch nie.“ 

„Es iſt wahr! Aha! Ich Scheuchte jonit mit einer Hand— 
bewegung die jchweriten Sorgen fort, jet fühle ich mich von 
ihnen gefejielt.“ 

„Seltſam,“ jagte Safowitih. „Wenn das Mädchen euch 
wirklich einen Zaubertranf gereicht hat, jo fann es doch nicht 
darum gejchehen fein, um nachher vor euch zu fliehen. Nach 
dem aber, was Durchlaucht mir gejagt haben, hatten doc) beide 
die Abficht, heimlich zu entfliehen.“ 

„Ryff ſagte mir, daß ich unter dem Einflufje des Saturnus 
zu leiden habe, welchem in diefem Monat glühende Ausdünjtungen 
entſtrömen.“ 

„Durchlaucht! Nehmt doch lieber den Jupiter zu eurem 
Patron; dieſem glückte alles ohne beſondere Gelübde. Es kann 
noch alles gut werden, nur denkt nicht an eine Ehe, höchſtens 
eine Scheinehe ...“ 

Hier ſchlug Sakowitſch ſich plöglich vor die Stirn. 

„Wartet einmal, Durchlaucht! ... Mir fällt eben ein... 
Sch hörte in Preußen von einem ähnlichen Falle... .“ 

„Flüſtert der Teufel dir etwas ins Ohr? Sprich!“ 

Aber Herr Sakowitſch ſprach lange nicht; endlich hellte 
jein Gejicht fich auf und er jagte: 

„Danft eurem guten Stern, Durchlaucht, daß Sakowitſch 
euer Freund ijt.‘ 

„Was giebt es neues? Was giebt es neues?“ 

„Zreibe feine Narreteien, ſprich jchnell!“ 

„sn Tilfit lebt ein gewiſſer Plasfa, oder wie er ſonſt 
heißt, der war feiner Zeit Probſt in Nieworany.“ 

„Was geht mich das an? Langweile mich nicht.” 

„Wohl geht es euch an, Durchlaucht! Der ift der Mann, 
welcher euch umd das Fräulein zufammennähen wird, wie ein 
Schujter dag Oberleder mit der Sohle. Berjteht ihr, Durch- 


487 


faucht? Er iſt ein jchlechter Meijter, der feiner Innung an— 
pebört, weil er jich verheiratet hat, deshalb wird feine Naht 
eicht aufzutrennen jein. Die Innungsmeilter werden die Echt- 
heit der Ehe nicht amerfennen; fie wird ohne Lärm, ohne 
Gewaltſtreich zu löjen jein. Dem jchlechten Meiſter fann man 
gelegentlich das Genid umdrehen. Ew. Durchlaucht aber werdet 
euch offen in lauten Klagen ergehen, daß ihr betrogen worden 
jeid. Vorher aber: erescite et multipli camini. Sch bin der 
erite, der jeinen Segen giebt.“ 

„sch verjtehe und verjtehe auch nicht,“ jagte der Fürſt. 
„Zum Teufel, nun verjtehe ich erit ganz! Safowitih! Du 
mußt jchon mit Zähnen auf die Welt gefommen fein. Du bijt 
dem — verfallen! O, Herr Staroſt! ... Aber jo lange 
ich lebe, joll dir fein Haar gekrümmt werden und ein ans 
ſtändiger Lohn foll dir nicht entgehen... Ich will... .“ 

„Ihr müßt feierlichit um die Hand des Fräulein Bille— 
witjch anhalten; bei beiden, dem Schwertträger und bei ihr. 
Sch laſſe meine Haut zu Riemen jchneiden, um Sandalen damit 
an meinen Sohlen zu befejtigen und will gern zur Buße eine 
Bilgerfahrt antreten nach . . . nun, jei e8 nach Nom, wenn 
der Blan nicht gelingt. Dem NRadziwill tritt man zornig ent= 
gegen, wenn es ihm beliebt, jich zu verlieben; wenn er aber jich 
verehelichen will, dann braucht er feinem Edelmann das Sinn 
zu jtreicheln. Durchlaucht müßt nur dem Schwertträger und 
dem Fräulein jagen, daß vor der Hand die Ehe eine heimliche 
bleiben muß, weil der König von Schweden euch mit einer 
bipontischen Prinzeſſin verehelichen will. Uebrigens jtellt Be— 
dingungen, welche und wie ihr fie wollt. Die Che wird doch 
von der fatholischen, wie von der [utherifchen Kirche nicht an- 
erfannt . . . Wie nun?“ 

Boguslaw verharrte eine Weile jchweigend; auf feinem 
Geſicht erjchienen unter der Fieberröte dunkle Flecke. Zuletzt 
ſprach er: 

„Die Zeit drängt. In drei Tagen muß ich den Feldzug 
gegen Sapieha antreten.“ 

„Eben darum!“ verjegte Sakowitſch jchnell. Hätten wir 
mehr Zeit, jo wäre e8 unmöglich, den Schein zu wahren. Sit 
es nicht jo? Nur der Mangel an Zeit fann der Grund fein, 
warum der erjte beite Geiftliche geholt werden muß, nur Mangel 
an Zeit fann entjchuldigen, daß alles jo eilig geht, wie es in 
wichtigen Fällen zu gehen pflegt. Sie werden jelbjt denfen: „Nur 
schnell, weil e3 jchnell jein muß!” Das Mädchen hat ritterliche 


458 


Tugenden, deshalb fünnt ihr, Durchlaucht, fie mit in das Feld 
nehmen... Mein König, jelbjt wenn Sapieha euch fchlägt, 
bleibt ihr doch zur Hälfte Sieger.“ 

„But, gut!“ jagte der Fürſt. 

Aber in dieſem Augenblick padte ihn der erjte heftige 
Scüttelfrojt. Die Zähne fchlugen ihm aufeinander, er fonnte 
fein Wort mehr hervorbringen. Der Störper wurde fteif und 
flog hin ımd her, vom Krampfe geworfen. Doch ehe der er- 
jchrodene Sakowitſch noch mit dem jchnell herbeigeholten Medikus 
zurüdfommen fonnte, war der Anfall jchon vorüber. 








3. Rapitet, 


Am Tage nach der Unterredung mit Safowitjch begab 
jich der Zürft direft zu dem Herrn Schwertträger von Reußen. 

„Herr Schwertträger, mein Wohlthäter!“ jagte er gleich 
beim Eintreten, „ich habe mich gejtern jchwer verjündigt, denn 
ich bin als Gajtgeber heftig gegen den Gajt geworden. Meine 
Schuld iſt um jo größer, da ich einen Mann beleidigt habe, 
dejjen vornehmes Gejchleht mit den Radziwills jeit ewigen 
Zeiten befreundet ijt. Sch flehe euch an, verzeiht mir. Möge 
die Anerkennung meines Unrechts eine Genugthuung für euch, 
eine Buße für mic) jein. Ihr fennt die Radziwills jeit langem 
und wißt, dab fie zur Abbitte nicht leicht geneigt find; da ich 
aber einen Aelteren beleidigt und die jchuldige Achtung verlegt 
babe, komme ich, ohne Rückſicht darauf, wer ich bin, euch die 
Hand zur Verföhnung zu bieten. Ich hoffe, daß ihr als alter 
Freund unjeres Haujes Verzeihung gewährt.“ 

Indem er das jagte, jtredte er dem Schwertträger Die 
Hand Hin und diejer ergriff Diejelbe, da jein größter Zorn auch 
bereit3 verraucht var, wenn auch zögernd, indem er jprad): 

„Gebt uns die Freiheit, zu gehen, Durchlaucht, das wäre 
ung die bejte Genugthuung.“ 

„Ihr jeid frei und könnt jchon Heute gehen, wohin euch 
beliebt.“ 

„Ich danke, Durchlaucht!“ erwiderte der Schwertträger 
verwundert. 

„Kur eine Bedinaung jtelle ich noch, die ihr, jo Gott will, 
nicht verwerfen werdet.“ 

„Und welche wäre das?“ frug Herr Billewitjch bejorgt. 


490 


„Daß ihr geduldig anhören möchtet, was ich euch zu 
jagen habe.“ 

„Wenn es nur das it, jo will ich gern bis zum Abend 
zuhören.“ 

„Ihr ſollt mir auch nicht gleich Antwort geben, ſondern 
eine oder zwer Stunden Zeit zum Weberlegen haben.“ 

„Bott weiß, dab ich den Frieden herbeifehne, wenn wir 
nur frei abziehen dürfen.“ 

„Die Freiheit erhaltet ihr auf alle Fälle, nur weiß ich 
nicht, ob ihr von derjelben Gebraucd; machen werdet, ob ihr 
nachher noch werdet eilen wollen, von hier fortzufommen. Ich 
wünjche, daß ihr Tauroggen nebſt allen meinen Beligungen 
al3 euer Eigentum betrachten möchtet, und num hört: Wißt ihr, 
warum ich dem Fräulein Billewitich die Abreife verjagte? Weil 
ich erriet, daß ihr entfliehen wolltet, ich liebe aber eure Ver— 
wandte jo jehr, dab ich, nur um jie zu jehen, täglich den Helles- 
— durchſchwimmen könnte, wie weiland Leander, um Hera zu 
ſehen . ..“ 

Der alte Herr errötete aufs neue einen Augenblick. 

„Ihr wagt mir das zur ſagen, Durchlaucht? ...“ 
„Gerade euch, weil ihr mein beſonderer Wohlthäter werden 
önnt.“ 

„Durchlaucht! Sucht euer Liebesglück bei den Mägden 
eures Hofes, nicht bei den Jungfrauen des Adels. Dieſe hier 
könnt ihr gefangen halten, in das tiefſte Burgverließ ſperren, 
aber entehren dürft ihr fie nicht!“ 

„Entehren darf ich jie nicht!“ antwortete der Fürſt. „Aber 
ic kann vor den alten Billewitich Hintreten und jagen: Hört, 
Bater! gebt mir Dlenfa zur Gemahlin, denn ich kann ohne fie 
nicht leben!“ 

Der Schwertträger war jprachlos vor Staunen. Mit 
zudenden Lippen und hervorquellenden Augen jtand er da. 
Dann rieb er jich die Augen mit den Fäuſten, wie um bejjer 
jehen zu fünnen, und blictte zulegt bald auf den Fürften, bald 
im Gemach umher. 

„Zräume ich, oder wache ich?“ rief er endlich. 

„Ihr träumt nicht, und damit ich euch vollends überzeuge, 
wiederhole ich cum omnibus titulis: Ich Boguslam, Fürit 
Radziwill, Stallmeiiter des Großfürjtentums Litauen, bitte euch, 
den Herrn Thomas Billewitich, Schwertträger von Reußen, um 
die Hand eurer Verwandten, des Fräulein Alerandra, Jagd— 
meijterstochter.“ 


491 


„sit e8 möglich? Wahrhaftig? Habt ihr das auch wohl- 
überlegt, Durchlaucht?“ 

„sch habe es mir überlegt, jett jeid ihr daran, zu überlegen, 
ob der Freier des Mädchens würdig it.“ 

„Mer fehlt der Atem vor Verwunderung . . .“ 

„Erkennt nun, daß ich niemals unreine Gedanken hatte.“ 

„Und Ew. Durcjlaucht wolltet wirklich unjeren niederen 
Stand nicht zu gering achten?“ 

„Schäßt ihr euch jo gering, hat das Kleinod eures Adels 
und das Alter eure Gejchlechtes jo wenig Wert in euren 
Augen? Kann ein Billewitich jo ſprechen?“ 

„Durchlaucht! Sch weiß, daß unfere Ahnen bis im Die 
Zeiten der Nömer hinaufreichen, aber . . .* 

„Aber,“ unterbrach ihn der Fürft, „ihr habt weder Hetmane 
noch Kanzler in eurem Gejchlecht aufzuweiien. Das macht 
nichts! Ihr jeid ebenjogut von fürftlichem Geblüt, wie mein 
Ohm, der Kurfürſt von Brandenburg; denn wenn in unjerer 
Republik jeder Edelmann als Kandidat zur Königswahl auf- 
geitellt werden fann, jo ijt feine Schwelle zu hoch für feine 
süße. Ich, mein Herr Schwertträger, Hoffentlich bald mein 
Oheim, bin der Sohn eines alten Gejchlechtes, doch meine Ahnen 
waren mütterlicherjeit3 die Sobeds und meint ihr, daß ein 
Sobeck mehr wert jei, als ein Billewitih? Nun?.. 

Bei diefen Worten Elopfte der Fürſt dem alten Herrn ver— 
traulich auf die Schulter und diefer wurde unter der Hand des 
hohen Herrn weich wie Wachs. 

„Bott Lohne Ew. Durchlaucht die edle Abſicht,“ jagte er. 
„Mir Fällt ein Stein vom Herzen! Aber — Durchlaucht! 
Der Unterjchied des Glaubens . . .“ 

„Ein katholischer Prieiter wird ung trauen, anders will 
ich es gar nicht.“ 

‚Bir werden euch unſer LZebenlang dankbar fein, denn 
e3 handelt fich doc) um Gottes Segen . . .“ 

„Und was die Nachfommenjchaft betrifft, jo werde ich 
nicht darauf beitehen, daß jie meinen Glauben annimmt, denn 
es giebt nicht in der Welt, das ich nicht für die Süße, Lieb- 
liche thäte.“ 

Das Geficht des Schwertträgers erglänzte bei dieſen Worten, 
als jei ein Sonnenjtrahl — gefallen. 

„Gott hat ihr mit der Schönheit nicht gegeizt ...“ ſagte 
er. „Das iſt wahr!” 

Boguslaw Flopfte ihn wieder auf die Schulter und indem 


492 


er fich tief zu ihm hHerabneigte, flüjterte er ihm in das Ohr: 

„Daß der Erjtgeborene ein Junge jein wird, dafür jtehe 
ich ein, ein Bild von einem Jungen!“ 

Do Diss” 

„Eine Billewitjch darf nur Jungen zur Welt bringen...“ 

„Eine Billewitjch mit einem Radziwill,“ jegte der Schwert- 
träger Hinzu, während jein Ohr im Zuſammenklang diejer 
beiden Namen jchwelgte. „Hi! Hi! Das wird ein Gerede 
in ganz Smudz geben... Und was werden die Sizingfis 
dazu jagen, daß die Billewitjch jo in die Höhe ſchießen? Sie 
ließen nicht einmal den alten Hauptmann in Frieden, der doc) 
ein Mann nach altem römijchen Zujchnitt und von der ganzen 
Republik verehrt war.“ 

„Wir wollen fie in Smudz ausitechen, nicht wahr?“ jagte 
der Fürſt. 

„Sroßer, barmherziger Gott, deine Wege jind unerforjch- 
lich! — Sollte e8 aber in deinem Willen jtehen, daß Die 
Sizinski alle vor Neid plagen — dann — dein Wille gejchehe!“ 

„Amen!“ jegte Boguslam Hinzu. 

„Durchlaucht!” bat der alte Herr, „nehmt es nicht für 
übel, daß ich die Ehre, welche ihr uns erweilt, nicht würdevoller 
aufnehme und meiner Freude zu lebhaften Ausdrud gebe... 
aber wir leben jo in Kummer, während die Ungewißheit ung 
peinigte, was unjer warte, und wir uns das Schlimmſte aus— 
malten. E3 iſt jo weit gefommen, daß wir Ew. Durchlaucht 
nur Böfes zutrauten und nun erfahren wir, daß wir unrecht 
hatten. Wir dürfen unjere frühere Verehrung wieder aufrecht 
halten. Damit ijt — ich geitehe es gern — eine große Laſt 
von uns genommen.‘ 

„Hat Fräulein Alerandra eine jo Schlechte Meinung von mir?“ 

„Sie? Ach wäre ich Cicero felbit, jo wäre ich nicht im: 
itande, ihre vorherige Verehrung für Ew. Durchlaucht zu be= 
jchreiben. Ich denke nur ihre Tugend und eine angeborene 
Schüchternheit verhinderten, daß die Verehrung sich in Liebe 
verwandelte... Wenn fie num erfährt, daß Ew. Durchlaucht 
Abfichten ernithafte und ehrliche find, wird fie ihrem Herzen 
feine Zügel mehr anlegen.“ 

„Sicero hätte nicht vermocht, das jchöner auszudrüden,“ 
jchmeichelte der Fürſt. 

„sm Glück findet fich auch der Ausdrucd wieder. Doc), 
wenn Ew. Durchlaucht jo gütig auf das zu hören geruht, was 
ich jage, jo möchte ich gern ganz offen und ehrlich ſprechen.“ 


493 


„So jprecht doch ehrlich! . . .“ 

„Obgleich das Mädchen noch jung ift, jo hat fie doc 
binfichtlic der Männer einen bewundernswerten Verſtand und 
Charakter. In Fällen, wo mancher erfahrene Mann zaudert 
und ſchwankt, greift fie ohne Bedenken mit feiter Hand ein. 
Was böje ift, das läßt fie unbarmherzig links liegen, was gut 
iſt fommt nad) rechts. Sie jelbit thut immer das Rechte... 
Sp lieblih und ſüß fie fein kann, jo beharrt fie mit einer 
Feſtigkeit ohnegleichen auf dem einmal für recht erkannten 
Wege; nichts vermag jie davon abzubringen. Sie iſt nad) 
ihrem Großvater und nach mir geraten. Ihr Vater war ein 
berühmter Soldat... als Menſch aber nachgiebig .. . Die 
Mutter, eine geborene Woynillowitich, die Baſe der Kulwiezowna, 
war auch charaktervoll.“ 

„Das ijt mir lieb zu hören, Herr Schwertträger!“ 

„Kun kann jich niemand voritellen, wie verhaßt ihr die 
Schweden, jowie alle Feinde des Vaterlandes find. Sit ihr 
jemand auch nur des Eleinjten Berrates verdächtig, jo wird jie 
ihn haſſen, jei der Menjch auch ſonſt ein Engel an Güte... 
Verzeiht einem alten Manne, Durchlaucht, der, wenn auc) nicht 
dem Nange, jo doch den Jahren nac) euer Vater jein fünnte 
... Laßt die Schweden fahren! ... Sie find größere Bedrücker 
des Vaterlandes als die Tartaren! . .. Wendet eure Armee 
gegen ſie, anjtatt mit ihnen zu gehen, und nicht nur ich, 
jondern auch jie, Dlenfa, wird freudig mit euch zu ‘Felde 
ziehen... O verzeiht, Durchlaucht, verzeiht! ... Ich mußte 
jagen, was ich denfe!“ 

Boguslaw kämpfte jeinen Aerger hinunter, nad) einer 
Weile erwiderte er: 

„Ihr hattet gejtern das Recht, Herr Schwertträger, Ver: 
mutungen Raum zu geben; heute thut ihr Unrecht, noch zu 
denfen, ich wollte euch Sand in die Augen jtreuen, wenn ich 
behaupte, dennoch auf Seiten des Königs und des VBaterlandes 
zu stehen. Sch jchwöre euch als fünftigem Verwandten zu, daß 
das, was ich von FFriedenstraftaten und Zugeitändniflen ſprach, 
die heilige Wahrheit war. Auch ich würde vorziehen, mit dem 
Säbel in der Hand unſer Necht zu wahren, denn meine 
friegerifche Natur verlangt darnach, aber da ich jah, daß ich 
jo nicht zum Ziele fam, griff ich aus Liebe zu dem anderen 
Mittel... Und ich kann jagen: Unerhörtes habe ich erreicht, 
das bisher unmöglich Scheinende, daß die jiegende Macht den 
Befiegten noch ihre Dienjte bot, nachdem der Friede geſchloſſen. 


494 


Eine jolche That zu vollbringen war der liitigite aller Liſtigen, 
war jelbjit Mazarin zu vollbringen nicht imjtande ... Nicht 
Fräulein Alexandra allein, nein, auch ich fühle einen Abjcheu 
gegen die ‚zeinde. Was aber bleibt mir zu thun übrig? Wie 
joll man das Baterland retten? Nec Hercules, contra plures! 
Da dachte ich mir: Anstatt e8 verderben zu lajien, was leichter 
und für mich nüßlicher wäre, will ich es lieber zu retten ver- 
fuchen. Und da ich bei großen Staatsmännern aller Länder 
in Die Lehre gegangen bin und ein hohes Anjehen auch bei 
den Schweden, meines Betters Januſch wegen genieße, leitete 
ich die Unterhandlungen ein und was war das Nejultat? Ahr 
Habt e3 geitern gehört. Der Strieg jollte ein Ende haben, Die 
Nepublif, eure Kirchen, die Geiitlichfeit, der Adel von dem 
Drude befreit werden und noch dazu folltet ihr in der Unter: 
drücung der Ukrainiſchen Aufitändiichen und in der Erweiterung 
der Landesgrenzen unterjtügt werden... Das alles unter der 
einen einzigen Bedingung, daß Karl Guſtav dereinjt König 
von Polen werden jollte Wer da behauptet, mehr für das 
Vaterland in jeiner Bedrängnis gethan zu haben, der trete mir 
unter die Augen!“ 

„Es ijt wahr, was ihr jagt... ein Blinder muß das 
jehen .. . Nur wird es den Ständen, befonder den Adels— 
jtänden ſehr unangenehm fein, daß die freie Königswahl dann 
aufhören muß.“ 

„Was ijt wertvoller, das Waterland oder das Wahlrecht?“ 

„Das iſt einerlei, Durchlaucht!“ Das Wahlrecht it das 
Stardinalrecht der Republik von jeher ... Was hat das Vater— 
land zu bedeuten ohne die Sammlung der Gejeße, ohne Die 
Privilegien und Freiheiten, die den Adelsitänden zufommen?... 
Herren findet man auch unter fremder Regierung.“ 

Born und Langeweile malte jich in den Zügen Boguslaws, 
aber nur einen Augenblid. 

„Karolus,* jagte er, „wird die pacta conventa unter- 
jchreiben, wie jeine Vorgänger unterjchrieben haben. Nach jeinem 
Tode wählen wir, wen wir wollen... jei e8 auch nur den 
NRadziwill, der von der Billewitjch geboren werden joll.“ 

Der Schwertträger war eine Weile ganz benommen von 
der Größe diejes Gedanfens, dann erhob er den Arm und rief 
begetitert: 

„Consentior! . . .* 

„sa, auch ich denke, dat ihr nun einverjtanden fein werdet 
auf die Gefahr hin, daß die erbliche Thronfolge bei unjerem 


495 


Geſchlecht bleibt,“ verjette der Fürſt mit boshaftem Lächeln. 
„So jeid ihr nun alle! Doc das auf fpäter! Jetzt thut Not, 
daß die Unterhandlungen zujtande fommen . . . Berjteht ihr, 
mein Herr Oheim?“ 

„Sch verjtehe! Wahrhaftig! Es thut Not!“ wiederholte 
aus tiefiter Ueberzeugung der Schwertträger.“ 

„Sie künnen zujtande kommen, weil ich der jchwedijchen 
Majejtät ein willfommener Vermittler bin, und wißt ihr warum? 
... Seht! Karolus hat eine Schweiter, welche mit Pontus de 
la Gardie vermählt iſt und eine noch unvermählte, die er gern 
mir geben möchte, um mit unjerem Haufe in Verwandtjchaft 
zu treten und auf diefe Weije in Litauen eine ihm freundjchaftlic) 
gefinnte Partei zu haben. Daher jtammt fein Wohlwollen 
für mich.“ 

„Wie das?“ frug beunruhigt Herr Billewitſch. 

„Das foll heißen, daß ich für euer Täubchen alle bipontijchen 
Prinzeſſinnen und alle Fürſtentümer der Welt hingebe. Nur 
darf ich die jchwedische Majeſtät nicht reizen, jo lange Die 
Unterhandlungen dauern; doch jobald der Vertrag unterjchrieben 
iſt, wollen wir ſehen!“ 

„Bah! Sie find imjtande, nicht zu unterjchreiben, ſobald 
jie erfahren, daß Em. Durchlaucht vermählt jind!“ 

„Herr Schwertträger,“ jagte Boguslaw ernjt. „Ihr habt 
mich der Unehrlichfeit gegen das Vaterland geziehen ... Ich 
frage euch num als echter Bürger: Habe ich das Recht, meiner 
Brivatangelegenheit wegen das Wohl der Republif in Frage 
zu jtellen ?“ 

Herr Thomas Horchte auf. 

„Was foll aljo werden?“ frug er. 

„Denkt einmal nach: was joll werden?“ 

„Bei Gott, ich jehe jchon, die Trauung muß aufgejchoben 
werden und das Sprichwort jagt: ‚Aufgejchoben, aufgehoben.“ 

„Meine Liebe bleibt unverändert, denn ich liebe für das 
ganze Leben. Ihr müßt willen, daß ich in der Treue noch die 
geduldige Penelope bejchämen könnte.“ 

Herr Thomas erjchraf heftig, denn gerade in Bezug auf 
die Treue des Fürſten war ihm das Gegenteil befannt und Die 
Öffentliche Meinung bejtätigte feine perfönliche Anficht. Als 
hätte er die Gedanken des alten Herrn erraten, jegte der Fürit 
jchnell Hinzu: 

„Aber ihr habt Neht! Man iſt des Morgen niemals 
fiher; man fann von Krankheit heimgejucht werden. Mir jcheint, 


496 


es bereitet jich eine Niederlage bei mir vor, denn gejtern bin 
ich jo fteif an allen Gliedern geworden, dat Safowitjch mich 
faum zu mir brachte. Ich kann jterben, auf dem Feldzuge 
gegen den Sapieha umfommen; es wird Mühjale und Sorgen 
zu überjtehen geben, die auf feine Kuhhaut zu jchreiben find.“ 

„Bei den Wunden Gottes, Durchlaucht, was ratet ihr?“ 

„Was joll ich raten,“ antwortete der Fürſt betrübt. „Sch 
wollte, das Schloß wäre jchon Hinter ung zugefallen.“ 

„Dann laßt e8 doc) zufallen... Laßt euch trauen, dann 
geichehe, was wolle... .“ 

Boguslaw jprang auf. 

„Beim heiligen Evangelium! Ihr jolltet mit eurem Ver— 
jtande zum Kanzler von Litauen ernannt werden. Ein anderer 
würde nicht in drei Tagen mit dem zuftande fommen, was euch 
im Fluge einfällt. Ihr habt Recht! Sich trauen lafjen, dann 
jtille figen. Das nenne ich einen Kopf. In zwei Tagen muß 
ich jo wie jo gegen den Sapieha ziehen, das iſt ein bitteres 
Muß. Unterdejien richten wir den geheimen Zugang zu der 
Kemenate des Fräuleins her. Wir ziehen zwei oder drei Ver— 
traute in das Geheimnis, Damit die Trauung in aller Form 
Nechtens vollzogen wird. Der Ehevertrag joll jogleich aufgejegt, 
das Kranzgeld fejtgeitellt werden; mein Vermächtnis jchließe ich 
den Akten bei und jpäter! — Herr Schwertträger, ich Dante, 
danfe von Herzen! Kommt in’ meine Arme und dann fort zu 
meiner Schönjten! ... ch werde ihrer Antwort harren, wie 
auf glühenden Kohlen! Unterdejien will ich den Safowitjch 
nad) einem Geiftlichen ſchicken! Lebt wohl, Bäterchen; jo Gott 
will, jeid ihr bald Ahne.“ 

Nach diefen Worten ließ der Fürſt den erjtaunten Edel— 
mann aus jeinen Armen und jtürmte hinaus. 

„Bei Gott!“ jprach der Schwertträger für fich, nachdem 
er jich etwas erholt hatte. „Sch Habe einen jo veritändigen 
Nat erteilt, daß Salomon ſich vor mir fchämen muß und doch, 
ich wollte, es ließe jich) ohne das machen. Geheimnis bleibt 
Geheimnis . . . Aber zerbrich dir den Kopf, jo viel du willft, 
jchlage das Gehirn an die Wand, Alter, e8 geht nicht anders. 
Hm! ein Blinder muß jehen, daß es nicht anders geht. Wenn 
doch der Froſt die Schweden alle erwürgen wollte... Wäre 
e3 nicht um die Unterhandlungen zu thun, jo fünnte die Hoch- 
zeit mit allen Zeremonien gehalten und ganz Smudz zu Gajte 
geladen werden. Und nun muß der Bräutigam die Braut faſt 
im Alltagsgewand zum Altar führen, um feinen Lärm zu 


497 


ihlagen . . . Pfui! zum Kudud! Die Sizinsfis werden noch 
jo bald nicht das Platzen kriegen, wenn ſie auch jpäter nicht 
verjchont bleiben werden . . .“ 

Indem er das jagte, begab er fich zu Dlenfa. 

Unterdefien beriet ſich der Fürſt des weiteren mit Safowitich. 

„Der Alte tanzte wie ein Bär auf den Vorderpfoten,” er- 
zählte er dem Bertrauten, „aber gequält hat er mich auch! Uff! 
Doch ic) habe ihn dafür an die Brujt gedrüdt, daß ihm die 
Rippen fnadten, und gejchüttelt habe ich ihn, daß ich dachte, die 
Stiefeln mühten ihn jamt den Strohmwifchen von den Beinen 
fliegen... . Und als ich ihn Oheim nannte, da quoll er in den 
Augen auf, als hätte er ein ganzes Faß Bigos verjchlungen. 
Tu! Tu! Warte! Ich will dich jchon zum Oheim machen, 
doch jolcher Ohme Habe ich fchocktweije in der Welt... Safo- 
witjch! ich jehe fie jchon meiner in der Stemenate harren, mit 
niedergejchlagenen Augen und über die Brust gefreuzten Händen... 
O, warte du nur! .. wie will ich dieje Meugelein küſſen ... 
Safowitih! Du erhältit von mir das Gut Prudy bei Orjchmian 
in lebenslängliche Baht! . . . Wann fann Plaska hier fein?“ 

„Segen Abend! Ich danke Ew. Durchlaucht für Prudy.“ 

„richt doch! Gegen Abend? Das heit, er fann jeden 
Augenblid da ſein . . . Könnte doch die Trauung noch heute, 
jei e8 auch um Mitternacht Itattfinden . .. Iſt der Ehevertrag 
fertig ?“ 

„Jawohl! Ich war freigebig im Namen Ew. Durchlaucht. 
Das Fräulein erhält die Herrichaft Birz als Brautichag . . . 
Der Schwertträger wird heulen wie ein Hund, wenn wir es 
ihm jpäter wieder abnehmen.“ 

„Er wird zur Beruhigung in den Kerker gejtecft werden.“ 

„Das wird nicht nötig jein, denn jobald die Ehe ungültig 
erflärt wird, ijt auch der Vertrag ungültig. Sagte ic) Ew. Durch— 
laucht nicht, daß fie einverjtanden jein werden ?“ 

„Er machte feine Schwierigfeiten ... . ich bin neugierig, 
was jie jagen wird... er läßt lange auf fich warten!“ 

„Sie werden fich in den Armen liegen und mit Thränen 
Em. Durchlaucht jegnen und eure Güte und Schönheit preijen.“ 

„sch zweifle an der Schönheit, denn ich jehe elend aus. 
Sch fühle mich noch nicht wohl, und fürchte, daß der gejtrige 
Anfall zurückkehrt.“ 

„Ei nein! Ew. Durcjlaucht müßte nur etwas warm werden.“ 

Der Fürſt trat vor den Spiegel. 

„Meine Augen jind bläulich unterlaufen und Fouret, der 

Sienfiewicz, Sturmflut IL 32 


498 


Narr, hat mir die Brauen heute jchief geichwärzt. Sieh ein- 
mal ber, find fie nicht jchief? Ich werde ihm die Daumjchraube 
anlegen lajjen dafür und einen Affen an jeiner Stelle zum 
Ktammerdiener machen... Was joll das heiten, dat der Schwert- 
träger jo lange nicht fommt? ... Ich möchte gern zu ihr! 
Sie wird mir doch erlauben, jie vor der Trauung einmal zu 
küſſen! . . . Wie jchnell es heute dunfel wird! Man möchte 
die Kneipzange in die Kohlen legen für Plaska, für jein langes 
Ausbleiben . . .“ 

„Das würde ihm nicht berühren, er wird nicht einmal 
uden, denn er it ein Sohn der Finſternis, der Schelme 
—— 

„Und die Trauung iſt ein Schelmenſtück!“ 

„Ein Schelm wird den andern Schelm durch ein Schelmen— 
ſtück verehelichen,“ ſagte Sakowitſch. 

Der Fürſt wurde gut gelaunt. 

„Wo ein Kuppler der Brautführer it, da fann nur ein 
Schelm der Prieſter fein!“ jagte er. 

Eine Weile jchiwiegen fie jtill. Dann fingen plößlich beide 
an zu lachen, aber das Gelächter hallte jeltfjam unheimlich von 
den Wänden wieder. Die Nacht ſank immer tiefer herab. 

Der Fürſt begann auf und ab zu gehen; er jtampfte dabei 
fräftig mit dem Stödchen auf, auf welches er ſich ftügte, da 
ihm die Beine von dem überitandenen Anfall noch etwas 
jteif waren. 

Die Pagen trugen Armleuchter mit Wachslichtern herein 
und entfernten jich wieder. Die Zugluft machte die Flammen 
hin und her fladern, jo dab jie lange nicht gerade brennen 
fonnten und das jchmelzende Wachs reichlich herniedertropite. 

„Sieh, wie die Lichter brennen,“ jagte der Fürit. „Wie 
deutejt du das?“ 

„Das bedeutet, daß die Tugend noch heute jchmelzen wird, 
wie Wachs.“ 

„Wunderlich! Das Flackern dauert jo lange.“ 

„Bielleicht flattert die Seele des alten Billewitjch über 
den Lichtern.“ 

„Dummkopf!“ jagte der Fürſt heftig. „Unbejchreiblicher 
Dummkopf! Iſt das jegt Die geeignete Zeit, mich an Gejpeniter 
zu erinnern?“ 

Sie veritummten eine Weile. 

„sn England jagt man,“ begann der Fürſt wieder, „daß 
die Flamme jedes Lichtes bläulich flar brennt, jobald ein Geiit 


499 


im Gemache ilt. Sieh’ her! Dieje hier brennen gelb wie 
immer.“ 

„Unfinn! .. .“ verjegtez Safowitih. „In Moskau giebt 
es Menjchen . . .* 

„Stille doch!“ unterbrach ihn Boguslaw. „Der Schwert- 
träger naht... Nein! Es ijt der Wind, der mit dem Fenſter— 
laden Elappert. Die Teufel haben das Mädchen mit jolch einer 
Muhme ausgejtattet ... Kulwiez Hippocentaurus! Hat jchon 
jemand jo etwas gehört? Sie ſieht auch aus wie eine 
Chimäre.“ 

„Befehlen Ew. Durchlaucht, daß ich mich mit ihr vermähle. 
Das könnte nicht jchaden. Plaska lötet ung im Augenblid 
zujammen.“ 

„Meinetwegen! Ich gebe ihr einen Spaten aus Ahorn- 
holz zum Brautgejfchent und Dir eine Laterne, um ihr zu 
leuchten.“ 

„Sch will lieber nicht dein Ohm werden, Bogufd) . 

„Denke an Kaſtor!“ entgegnete der Fürſt. 

„Fahre dem Kajtor nicht gegen den Strich in die Haare, 
mein Rolluz, er fünnte leicht beißen!“ 

In diefem Augenblid trat der Schwertträger in Begleitung 
des Fräulein Kulwiez in das Gemach. Die Unterhaltung wurde 
unterbrochen. Der Fürſt jchritt raſch auf beide zu, indem er 
jih auf das Stöckchen ſtützte. Sakowitſch erhob jich. 

„Run, fann ich Olenka ſehen?“ frug der Fürft. 

Doc der Schwertträger ließ die Arme jchlaff herabfinfen 
und der Kopf fiel ihm auf die Bruft, während er jprad): 

„Mein Fürſt! Meine Bruderstochter erflärt, daß das 
Tejtament des Hauptmann Billewitjch ihr verbietet, jelbjt über 
ihr Los zu entjcheiden. Aber auch wenn Died nicht der Fall 
wäre, fönnte jie fich zu einem Ehebündnis mit Ew. Durchlaucht 
nicht entjchließen, da jie feine Liebe für euch fühlt.“ 

„Satowitih! Hörjt du?“ rief der Fürſt mit heijerer 
Stimme. 

„sch wußte von dem Zejtament, * sagte Billewitjch, „aber 
ich dachte nicht, daß jein Inhalt ein unbefiegbares Hindernis 
jein könnte.“ 

„Ich jpotte eurer adligen Tejtamente!” jagte der Fürit. 
„Ich ſpeie auf eure adligen Teſtamente! Verſteht ihr?! ...“ 

„Aber wir ſpotten ihrer nicht!“ entgegnete Herr Thomas 
ärgerlich, „und laut Teſtament hat das Mädchen zwiſchen dem 
Kloſter oder Kmiziz zu wählen.“ 

82* 


300 


„Wem jagit du, Graurod? Kmiziz? ... Ich will euch 
die Kmiziz zeigen... . Sch will euch lehren! . . .“ 

„Dich nennt ihr einen Graurod, fürjtliche Durchlaucht? 
Mich, einen Billewitſch?“ 

In höchiter Entrüjtung trat der Schwertträger dem Fürſten 
einen Schritt entgegen, doch Boguslaw jtieß ihn jo heftig mit 
der Fauſt vor die Brujt, daß der Edelmann jtöhnend zujammen= 
brach, und den am Boden Liegenden noch mit dem Fuße fort- 
jtoßend, um Pla zu gewinnen, jtürmte er barhäuptig aus dem 
Gemad). 

„sejus, Maria und Joſef!“ jchrie das Fräulein Kulwiez. 

Doch jchon Hatte Sakowitſch fie am Arm gefaßt und den 
Dold ihr auf die Brust jegend, jagte er: 

„Stille, mein Kleinod! Stille, liebliches QTurteltäubchen, 
ſonſt jchneide ich dir dein ſüßes Kehlchen durch, wie einer lahmen 
Henne. Hier jtillegejeilen und nicht fortgegangen, denn oben 
feiert jet deine Schweitertochter Hochzeit.“ 

Doch auch in den Adern des alten Fräuleins jtrömte 
adliges Blut; kaum hatte fie die Worte Safowitjch® vernommen, 
jo verwandelte ſich ihr Schreden in ritterlichen Mut und weib- 
liche Entrüftung. 

„Schuft! Mörder! Heide!“ jchrie fie aus vollem Halſe. 
„Töte mich, ſonſt jchreie ic) die ganze Republik zur Rache auf. 
Mein Better iſt erjchlagen! Meine Schweitertochter gejchändet! 
Ich will auch nicht leben! Stich’ zu! Mörder! Schneide! 
Leute her! Kommt herbei! Seht! ...“ 

Weitere Ausrufe eritidte Sakowitſch, indem er ihr jeine 
große Hand auf den Mund prefte. 

„Stille, du jchiefe Spindel! Stille, du verwelfter Rauten— 
zweig,“ jagte er. „Ich will dich ja nicht töten. Wozu vor- 
zeitig dem Teufel das geben, was ihm doch gehört. Aber, 
damit du nicht wie ein Pfau fortwährend jchreien fannjt, will 
ich zu deiner Beruhigung dein liebliches Mäulchen mit deinem 
Sadtuche verbinden. Sch werde dann den ‚Schmachtenden‘ 
jpielen und dir zur Laute Liebeslieder fingen. Was gilt Die 
Wette, du verliebit dich in mich.“ 

Während er jo jprach, Hatte der Herr Staroſt von 
Orſchmian mit der Gejchielichfeit eines Henferfnechtes den Kopf 
des Fräuleins mit einem Tuch ummwidelt, im Augenblid ihre 
Hände und Füße mit Riemen gefejlelt und fie auf das Kanapee 
geworfen. 

Dann jegte er fich neben fie und während er feine Glieder 


501 


vecfte, jprach er jo ruhig, als ob er eine gewöhnliche Unter— 
haltung führen wollte: 

„Wie denkt ihr darüber, mein Fräulein? ch mutmaße, 
daß auch Boguſch ebenjo leicht mit dem ‘Fräulein fertig 
geworden tjt.“ 

In demjelben Augenblick aber jprang er auch jchon entjegt 
auf, denn die Thüre wurde jchnell aufgerifien und Fräulein 
Alerandra erjchien auf der Schwelle. 

Ihr Antlig war totenbleich, das Haar etwas in Unord— 
nung geraten, ihre Brauen waren gerunzelt und aus den Augen 
leuchtete es drohend. 

Als jie den am Boden liegenden Schwertträger erblidte, 
fniete jie neben ihm nieder und betajtete jeine Brujt und 
jeinen Kopf. 

Der Edelmann jeufzte tief, jchlug langjam die Augen auf, 
dann richtete er fich Halb empor und jah ſich in dem Gemach 
um, al3 wäre er aus tiefem Schlaf erwacht. Darauf verjuchte 
er, die Hand als Stütze benußend, aufzujtehen, was ihm mit 
Hilfe des Fräuleins endlich gelang, Sie führte ihn noch 
Iichwanfend zu einem Stuhl, auf den fie ihn niederließ. 

Jetzt erit jah Dlenfa das auf dem Stanapee liegende 
alte Fräulein. 

„Habt ihr fie getötet?“ frug fie, zu Sakowitſch gewendet. 

„Bewahre mich) Gott!" antwortete der Starojt von 
Orſchmian. 

„sch befehle euch, ihre Feſſeln zu löſen!“ 

Es lag jo viel gebietendes in dem Befehle, day Safo- 
witſch nicht zu widerſprechen wagte, ſondern, als hätte eine 

Fürſtin Radziwill zu ihm geſprochen, unverzüglich das Fräulein 
befreite. 

„Und jetzt,“ befahl Fräulein Alexandra, „geht zu eurem 
Herrn, welcher oben liegt.“ 

„Was iſt geſchehen?“ ſchrie Sakowitſch, der wieder zur 
Beſinnung gekommen war. „Ihr werdet mir Rede ſtehen!“ 

„Nicht euch, Bedientenſeele! Fort mit euch!“ 

Und Sakowitſch ſtürzte wie beſeſſen davon. 


a 





4. Rapitel, 





Der Anfall, welchen der Fürſt zu überitehen hatte, war 
viel jchwerer, als der am vorhergegangenen Tage. Der Krampf 
preßte die Kinnladen jo feit zujammen, daß man diejelben mit 
Gewalt aufbrechen mußte, um dem Kranken Arznei einzuflößen. 
Er fam bald darauf zwar zur Bejinnung, doch nun jchüttelte 
der Krampf den ganzen Körper derartig, daß er auf dem 
Lager Hin und her flog, wie ein jchwer verwundetes Tier. 
Safowitich verließ feinen Herrn zwei Tage und Nächte lang 
nicht. Als dann der Paroxismus vorüber war, folgte eine 
große Schwäche; der Kranke jtierte unaufhörlich nach der Decke 
ohne ein Wort zu jprechen, endlich fiel er in tiefen feiten 
Schlaf, aus dem er erit gegen Mittag des dritten Tages er- 
wachte, ganz in Schweiß gebadet. 

„Wie befinden ſich Ew. Durchlaucht?* frug Sakowitſch. 

„sch fühle mich wohler. Sind Briefe eingelaufen?“ 

„sa, vom Kurfürſten und von Stenbod; fie liegen hier 
auf dem Tijche, doch muß das Leſen auf jpäter verjchoben werden, 
denn Durchlaucht jeid noch zu ſchwach dazu. 

„Sieb her, gleich ... . Hörjt du?“ 

Der Starojt von Orſchmian reichte die Briefe dem Fürſten 
hin. Nachdem derjelbe fie wiederholt gelejen und eine Weile 
überlegt hatte, ſprach er: 

„Morgen brechen wir nad) Podlachien auf.“ 

„Morgen, mein Fürjt, werdet ihr auf dem Lager liegen, 
wie heute.“ 

„Morgen werde ich jamt dir zu Pferde ſitzen ... Schweig, 
widerjprich nicht!“ 


03 


Der Starojt verftummte, tiefe Stille herrſchte im Gemach, 
welche nur durch das einförmige Tid=- Taf der Danziger Uhr 
unterbrochen wurde. 

„Der Gedanfe war dumm, der Rat war dumm,“ ſprach 
plößlich der Fürjt, „und ich war jo dumm, ihm zu folgen... .“ 

„Das dachte ich mir,“ verſetzte Sakowitſch. „Sch wußte 
gleich, daß, wenn die Sache mihlang, die Schuld mid) treffen 
würde.‘ 

„Beil dein Verſtand deiner ſpottete.“ 

„Mein Vorjchlag war wohlüberlegt. Ich kann nicht dafür, 
daß jenen ein Teufel zur Seite jteht, der fie alles erraten läßt 
oder jie warnt.“ 

Der Fürſt richtete fich auf. 

„Slaubit du? ...“ frug er, feinen Vertrauten jcharf 
anblidend, 

„Kennt ihr denn die Papiſten jo wenig, Durchlaucht?“ 

„D ich fenne fie! Much ich dachte Schon oft an Zauberei. 
Seit ehegeitern bin ich ihrer Anwendung gewiß. Du hajt den» 
jelben Gedanfen wie ich, deshalb frug ich, ob du im Ernite 
daran glaubjt. Welcher von ihnen aber fünnte wohl die Ver— 
bindung mit dem Böſen unterhalten? ... Sie nicht, denn fie 
it tugendhaft . . . Der Schwertträger auch nicht, der iſt zu 
dumm dazu... .“ 

„Bleibt nur noch die alte Muhme . . .“ 

„Die fünnte es wohl fein... .“ 

„Der Veberzeugung wegen band ich jie ehegeitern kreuz— 
weiſe zujammen, nachdem ich ihr zuvor das Meſſer an die Kehle 
geſetzt Hatte... Stellt euch vor, Durchlaucht ... wie ich 
heute mein Meſſer gebrauchen will, ift die Klinge vollitändig 
geichmolzen, als hätte fie im Feuer gelegen.“ 

„Zeig ber.“ 

„sch Habe das Meſſer ins Waſſer geworfen, obgleich Die 
Schale mit einem fojtbaren Türkis eingelegt war.“ 

„Dann will ich dir erzählen, was mir gejchehen iſt ... 
Ich jtürmte wie von Sinnen in ihr Gemach. Was ich zu ihr 
jprach, weiß ich nicht mehr... .. nur das vergejje ich niemehr, 
dat das Mädchen rief: ‚Lieber Springe ich in das Kaminfeuer! 
Du weißt, wie ungeheuer groß dort der Kamin iſt. Kaum 
hatte fie es gejagt, da war fie auch jchon drinnen, ich hinter 
drein! Ich umfaßte fie; ihre Kleider fingen jchon an zu brennen, 
ich hatte Mühe, fie zurüdzuhalten und gleichzeitig die Flanımen 
zu löjchen. Da packte mich der Krampf. Die Kinnladen Happten 


504 


aufeinander — mir war, al® ob meine SHalsjehnen gezerrt 
würden . . . dabei jchienen die Flammen, welche ung umzucten, 
fi) in Bienen zu verwandeln, die unjere Ohren umjummten 
... So wahr du mich hier fiehit; es iſt wahr!“ 

„Und was weiter?“ 

„sch weiß nicht, was weiter gejchah. Eine fürchterliche 
Angit befiel mich — mir war, als jinfe ic) in eine unergründ- 
liche Tiefe, in einen Brunnen. O dieje Angit! Ich jage Dir, 
dDiefe Angſt! Mir ſtehen noch jegt die Haare zu Berge davon! ... 
Ach, und es war nicht die Angjt allein ... . ich weiß nicht, wie 
ich jagen joll . . . eine Leere, Ernüchterung, eine unbegreifliche 
Ktraftlofigkeit hatte mich befallen... . Glüclicherweije behüteten 
mich die himmlischen Mächte, ſonſt wäre ic) nicht mehr unter 
den Lebenden.“ 

„Der Paroxysmus Hatte euch erfaßt, Durchlaucht . . . 
Die Krankheit jpiegelt uns oft jeltfame Dinge vor. Dennoch 
jollte man der Sicherheit wegen ein Loch in das Eis jchlagen 
und die Alte ſchwemmen.“ 

„Laß fie ungejchoren! Morgen rücden wir aus, dann 
fommt der Frühling, mit ihm andere Sterne, furze Nächte, die 
alles Böje entfräften.“ 

„Wenn wir morgen augrüden wollen, muß Ew. Durchlaucht 
das Mädchen doch fahren lafjen.“ 

„Das muß ich, jelbjt wenn ich nicht wollte... Ich bin 
bezüglich ihrer heute ganz wunſchlos.“ 

„Laßt fie frei. Laßt jie zum Teufel fahren!“ 

„Das kann ich nicht!“ 

„Warum nicht?“ 

„Weil der Edelmann mir befannt hat, dat in Billewitjche 
große Schäte vergraben find. Laſſe ich fie nun reifen, dann 
werden fie diejelben holen und in die Wälder gehen. Es iſt 
aljo bejjer, ich laſſe fie hier und nehme die Schäte in Nequifition. 
In Kriegszeiten ijt das erlaubt. Zudem hat er fie mir freis 
willig angeboten. Wir werden die Gärten in Billewitjche Stich 
für Stich umgraben, wir müfjen die Tonnen finden. Hier fann 
der Schwertträger wenigjteng feinen Lärm jchlagen und in ganz 
Litauen ausjchreien, daß ich ihn beraube. Mich überfällt die 
größte Wut bei dem Gedanken, wie viel Geld ich hier jo nuß- 
[08 verjchwendet habe und was habe ich damit erreicht? Nichts!“ 

„sch bin jchon lange wütend auf das Mädchen. Ich ſage 
euch, Durchlaucht — als ſie legthin vor mir jtand und — 
als wäre ich irgend ein Hofknecht — mir befahl: „Fort, 


505 


Bedientenjeele! Oben liegt dein Herr!“ — da hätte ich ihr 
am liebſten den Hals umgedreht, weil ich nicht anders glaubte, 
als daß fie Ew. Durchlaucht erjtochen oder erſchoſſen habe.“ 

„Du weißt, daß ich nicht Dulde, dal in meinem Haufe 
jemand anderer regiert, als ich ſelbſt . . . Es iſt gut, daß du 
nichts derartiges gethan haft, ſonſt hätteit du die Zangen zu 
fühlen befommen, die für den Blasfa bejtimmt waren... Wage 
es nicht, ſie anzurühren!“ ... 

„Ich habe den Plaska ſchon zurückgeſchickt,“ lenkte Sako— 
witſch das Geſpräch auf einen anderen Gegenſtand. „Er war 
ſehr verwundert, nicht erfahren zu können, wozu man ihn her— 
gebracht und gleich wieder fortgeſchickt hatte. Er verlangte 
etwas für die Mühe und den Schaden, den ihm der Zeitverluft 
verurjacht hat —, ich aber jagte ihm, daß er froh fein jolle, 
jeine Haut ganz wieder fortzutragen!... Soll morgen wirklich 
der Aufbruch nad) Podlachien jtattfinden ?“ 

„So wahr Gott im Himmel it! Sind die Truppen 
meinen Befehlen gemäß ausgerüjtet?“ 

„Die Neiter jind nach Kiejdan gejandt, von wo aus fie 
bis Kowno vorrüden und dort weitere Befehle erwarten jollen. 
Unjere polnischen Fahnen habe ich noch zurücbehalten, denn es 
erſchien mir bejjer, fie nicht vorauszujchiden. Obgleich ich die 
Leute für treu halte, fünnten ſie jich doch von den Konföderierten 
verleiten lajjen, zu dem Mebellen zu gehen. Glowbitich wird 
mit uns gehen, ebenjo Wrotynski mit jeinen Samländern, 
Karlsſtröm bildet mit den Schweden den Vortrab . . . Er hat 
Befehl, unterwegs die Nebellen niederzujchlagen, wo er jie 
antrifft.‘ 

„But!“ 

„Kierig joll mit den Füſilieren langſam folgen, damit wir 
im Notfalle eine Stüge haben. Wenn wir jchnell marjchieren 
jollen und unjer Erfolg von der Schnelligkeit unjerer Be— 
wegungen abhängen joll, jo fürchte ich, daß die ſchwediſche und 
preußijche Neiterei uns nur hinderlich fein wird. Schade, daß 
ung nicht genügend polnische Truppen zur Verfügung jtehen, 
denn unter uns gejagt, es geht nichts über unjere Reiter... .“ 

„Iſt die Artillerie fort?“ 

a.” 


„Wie? Und Baterjon ?* 

„Der iſt noch hier! er pflegt den Ketling, welcher jich mit 
dem eigenen Degen jchiwer verwundet hat. Ihr wißt, er liebt 
den Jungen ſehr. Wenn ich nicht wühte, daß SKetling ein 


506 


mutiger Offizier ift, würde id) falt vermuten, daß er ſich ab- 
jichtlich verlegt hat, um zurücbleiben zu können.“ 

„Wir werden an die hundert Mann hier zurüclafjen müfjen, 
teils in Roſchen, teild in Kiejdan. Die jchwedischen Bejagungen 
jind fnapp und de la Gardie verlangt ohnedies täglich Leute 
von Loewenhaupt. Wenn wir nun auch nocd) ausrücden, werden 
die Nebellen bald die Niederlage bei Schawel vergejien haben 
und jie werden das Haupt wieder erheben.“ 

„Sie jchiegen ohnehin überall wie die Pilze empor. Ich 
hörte, dat die Schweden bei Taljcha gejchlagen worden jind.“ 

„Waren es Adlige oder Bauern ?“ 

„Es waren Bauern unter der Anführung ihres Probites. 
Aber auch der Kleinadel in der Laudaer Gegend rebelliert.“ 

„Die Laudaer jind unter Wolodyjowsfi im Felde.“ 

„ber e3 jind eine Menge Jünglinge und Greije daheim 
geblieben. Dieje greifen nun zu den Waffen; jie find ein gar 
friegerisches Volk.“ 

„ohne Geld fann die Rebellion nichts machen.“ 

„Wir aber wollen uns in Billewitiche den Geldjad füllen. 
Man muß eben ein Genie fein, wie Ew. Durchlaucht, um fich 
jo Rat zu wijjen.“ 

Boguslaw lachte bitter. 

„Man jchägt in diefem Lande diejenigen am höchjten, welche 
der Königin und dem Adel zu jchmeicheln veritehen. Weder 
das Genie noch die Tugend gelten etwas. Es it ein Glüd, 
dat ich ein Fürſt bin, das verhindert jie, mir Feſſeln anzulegen. 
Wenn nur die Einkünfte aus meinen Gütern nicht ausbleiben, 
dann fümmere ich mich um die ganze Nepublif nicht.“ 

„Wenn man nur die Güter nicht fonfiszieren wollte!“ 

„Erjt wollen wir Podlachien fonfiszieren, wenn nicht ganz 
Litauen. Jetzt rufe mir Baterjon.“ 

Safowitjch ging hinaus und fehrte nach einer Weile mit 
PBaterjon zurüd. Am Lager des Fürſten wurde nun eine 
Natsfigung abgehalten, deren Nejultat der Beichluß war, am 
nächiten Morgen aufzubrechen und in GEilmärjchen nad) Pod- 
lachien zu gehen. Der Fürſt befand jich bald bedeutend wohler; 
er nahm jeine Abendmahlzeit mit den Offizieren zujammen und 
laufchte unter fröhlichen Scherzen frohgemut dem Wiehern 
und Schnaufen der Roſſe und dem Klirren der Waffen im 
Schloßhofe. 

Zuweilen atmete er tief auf und dehnte ſich im Stuhle. 

„Der Feldzug wird mich wieder geſund machen,“ ſagte er 


507 


zu den Offizieren. „Sch bin von dem Nachdenfen über die 
‚sriedensverträge und über den vielen Lujtbarfeiten faul ge- 
worden. Nun, ich Hoffe zu Gott, die Konföderierten follen 
meine Fauſt zu fühlen befommen, fie und unjer Exkardinal 
mit der Krone.“ 

Paterſon wagte, bei der heiteren Laune feines Herrn, 
ebenfalld einen Scherz. 

„Es it ein Glück,“ jagte er, „daß Delila dem Samſon 
nicht das Haar verjchnitten hat.“ 

Darauf jah Boguslaw ihn eine Weile mit jeltiamem Aus- 
drud in jeinen Augen an, jo daß ber Schotte ſchon anfing, 
ängſtlich zu werden. Nachher aber flog ein unmatürliches 
Lachen über die Züge des Fürſten, und als hätte er nicht 
gehört, was PBaterjon gejagt, fuhr er fort: 

„Wenn Sapieha ihre Stüge iſt, jo werde ich ihn jo rütteln, 
daß die ganze Nepublif über ihn zujammenjtürzt.“ 

Da die Unterhaltung in deutjcher Sprache geführt wurde, 
jo wurde diejelbe von den ausländiſchen Soldoffizieren ver- 
Itanden und laut belacht. Die Unterhaltung wurde mit einem 
einjtimmigen „Amen“ gejchlojien. 

Am nächſten Morgen rückte der Fürſt an der Spitze ſeiner 

Truppen aus. Der Adel aus Preußen, welchen die glänzenden 
Feſtlichkeiten des fürſtlichen Hofes hierher gelockt hatten, ſchickte 
ſich zur Abreiſe an. 
Iuhnen folgten diejenigen, welche vor den Schreckniſſen des 
Krieges in Tauroggen Zuflucht gejucht hatten, denen aber Tiljit 
nun doch jicherer erjchien. So blieben denn nur der Schwertträger, 
das Fräulein Kulwiez und Dlenfa zurüd, außerdem Ketling 
und ein alter Offizier Namens Braun, welcher über die kleine 
Bejagung das Kommando hatte. 

Der Schwertträger war nach dem Stoß, welchen der Fürjt 
ihm verjegt hatte, mehrere Tage frank; er mußte zuweilen Blut 
jpeien, da aber ein Knochenbruch nicht jtattgefunden hatte, jo 
erholte er fich allmählich und begann ſich mit einem Flucht- 
plane zu bejchäftigen. 

YWährendbeffen war ein Expreßbote aus Billewitjche ein- 
getroffen, welcher einen Brief von Boguslaws Hand brachte. 
Der Schwertträger wollte denjelben erjt nicht lejen, doch bejann 
er jich, dem Rate Dlenfas folgend, welche der Anficht war, daß 
es bejjer jei, alle Pläne und Abjichten des Feindes zu fennen. 

„Mein jehr lieber Herr Billewitfch!“ jchrieb der Fürft. 
„Concordia res parvae crescent, discordia maximae dilla- 


508 


buntur! Das Schidjal wollte nicht, dab wir fo im Frieden 
auseinandergingen, wie meine Gefühle für Euch und Eure jchöne 
Verwandte das gewünscht hatten, aber das iſt wahrhaftig nicht 
meine Schuld. Ihr wißt am beiten, wie Ihr meine beiten 
Abfichten mit Undank gelohnt Habt. Was jedoch der Zorn 
verbrochen, das joll die Freundſchaft nicht machtragen, ich hoffe 
aljo, daß meine Heftigfeit durch das Unrecht, welches Ihr mir 
zugefügt, genügend entjchuldigt wird und Ihr mir verzeiht, wie 
ih Euch von Herzen verzeihe. Denn das gebietet mir Die 
chrijtliche Liebe und ich wünjche Frieden mit Euch zu jchließen. 
Um Euch) nun den Beweis zu geben, daß jede Bitterfeit in 
meinem Herzen ausgetilgt it, jo betrachte ich es als eine Pflicht, 
Euch heute die Gefälligfeit zu thun, die Ihr von mir verlangtet, 
und dag mir angebotene Geld anzunehmen . . .* 

Hier hörte der Schwertträger zu lejen auf und jchlug mit 
der Fauſt auf den Tijch, während er zornig ausrief: 

„Er joll mid) eher auf der Bahre jehen, als einen Schilling 
aus meiner Schatulle! . . .“ 

„zeit doch zu Ende,” jagte Olenka. 

Der er nahm den Brief wieder auf. 

Da ich Euch nicht mit der Ausgrabung der Bar 
schaft "bemühen und Eure Gejundheit den Gefahren einer Reife 
in dieſen friegerifchen Zeiten nicht ausjegen wollte, jo ließ ich 
diejelbe jelbjt ausgraben und zählen... .“ 

Hier verjagte dem Schwertträger die Stimme, der Brief 
entglitt jeinen Händen und fiel zu Boden. Er fonnte eine 
Zeitlang die Sprache nicht wiederfinden, er jtedte nur die Finger 
in jeine Haare und zaufte diejelben mit aller Gewalt. 

„Schlag zu, wer an Gott glaubt!“ jchrie er endlich. 

Da juchte Olenka ihn zu bejchwichtigen: 

„Eine Schuld mehr,“ jagte jie, „das Strafgericht Gottes 
naht, denn das Maß ilt gefüllt. . .“ 





5. Rapitet. 


Die Verzweiflung des Schwertträger8 war groß. Dlenfa 
mußte ihn fortwährend tröften. Sie jtellte ihm vor, daß man 
das Geraubte nicht als verloren betrachten dürfe, da der Brief 
Boguslaws ja einer Schuldverjchreibung gleichtommen und feine 
Güter groß genug jeien, um genügende Deckung zu geben. 

Umjomehr war Dlenfa in Sorge, was ihnen beiden noch 
bevorjtehen fünne, befonders wenn es Boguslaw bejchieden jei, 
als Sieger nach Tauroggen zurüdzufehren. Sie jannen deshalb 
eifrig auf Flucht. 

Dennoch riet Dlenfa, dieſelbe aufzujchieben, bis Ketling 
wieder genejen jein würde, denn Braun war ein ungefälliger, 
mürrifcher Gejelle, der nur Sinn für jeinen Dienſt hatte. 
Es wäre unmöglich gewejen, jich diejen geneigt zu machen. 

Bezüglich Ketlings war Olenka feſt überzeugt, daß er fich 
jeine Verwundung abjichtlich beigebracht hatte, um in ihrer 
Nähe bleiben zu können. Sie gab deshalb der Hoffnung Raum, 
daß er alles für fie thun würde, jie zu retten. Zwar be= 
unruhigte fie ihr Gewiſſen unabläſſig; ſie frug jich oft, ob fie 
wohl das Necht habe, ihretwegen das Geſchick eines ‘Fremden 
zu gefährden, doch die Gefahr, die ihnen bei längerem Auf— 
enthalt in Tauroggen drohte, war jo groß, daß fie bei weiten 
die Unannehmlichkeiten übertraf, welche jein Beiltand über 
Ketling heraufbeſchwören fonnte. Als ausgezeichneter Offizier 
fand jchlieglich Ketling überall einen befjeren und würdigeren 
Dienjt als hier. Die Protektion Sapiehas, Tſcharniezkis fonnte 
ihn beim Könige empfehlen; er fonnte einer edleren Sache 
dienen und würde dereinit dem Lande dankbar jein, welches 
ihn wie einen Sohn aufnehmen wollte Sein Leben war nur 


510 


für den Fall bedroht, wenn er in die Hände Boguslaws fiel, 
aber Boguslam regierte ja noch nicht in der Republik. 

Das Fräulein jchwanfte micht länger. Als der junge 
Offizier wieder jo weit hergejtellt war, daß er feinen Dienit 
verjehen fonnte, da ließ fie ihm zu ſich bitten. 

Nun ſtand er vor ihr bleich und elend. Aus dem An— 
geficht jchien jeder Tropfen Blutes entwichen, ehrfurchtsvoll und 
demütig blidte er zu ihr auf. 

Bei jeinem Anblick füllten jich die Augen Olenkas mit 
Thränen; war doc) diejer hier die einzige Seele in Tauroggen, 
welche ihr wohlwollte. Dabei rührte jie jein franfes Ausjehen, 
und als jie ihn nach jeinem Befinden fragte, antwortete Der 
junge Offizier mit jchwacher Stimme: 

„Leider fange ic) an, mich zu erholen; ach und ich wäre 
jo gern geitorben ...“ 

„Ihr folltet euren Dienſt aufgeben,“ jagte das Mädchen, 
während fie ihn mitleidig anblidte. „Eure edle Seele bedarf 
der Gewißheit, daß ihr einer edlen Sache und einem edlen 
Herrn dient.“ 

„Leider!“ wiederholte der Offizier. 

„Wann geht eure Dienjtzeit hier zu Ende?“ 

„Sn einem halben Jahre.“ 

Sie jchwieg ein Weilchen, dann erhob ſie ihre wunder- 
ſchönen Augen, welche in diefem Augenblid ihren jtrengen Aus— 
drud verloren Hatten, und jagte: 

„Hört mich, Herr Kavalier. Laßt mich zu euch, wie zu 
einem Bruder jprechen, wie zu einem teuren Freunde: Ihr 
fönnt und müßt euch frei machen!“ 

Sie befannte ihm nun ihren ganzen Fluchtplan und jagte 
ihm, daß jie dabei auf feinen Beiltand rechne. Sie jtellte ihm 
vor, wie er einen jchönen, ehrenvollen Dienjt finden folle, feiner 
jchönen Seele würdig, wie er beſtimmt jei, ein Ritter zu werden, 
und endete jchließlich mit den Worten: 

„Ich will euch bis zum Tode dankbar bleiben. Es iſt mir 
beſtimmt, mich in Gottes Schuß, in ein Kloſter zu flüchten und 
das Gelübde der Keujchheit abzulegen. Aber wo ihr auch weilen 
mögt, ob fern, ob nah, ob in Krieg oder Frieden, immer will 
ic) für euch beten, will Gott bitten, daß er meinem lieben 
Bruder und Wohlthäter Frieden und Glüd verleihen möge, da 
ich außerſtande bin, ihm etwas anderes zu geben, ald Dant- 
barfeit und frommes Gebet... .“ 

Ihre Stimme bebte und Ketling wurde, während fie ſprach 


511 


immer bleicher. Als ſie geendet hatte, kniete er nieder, ſchlug 
beide Hände vor die Augen und antwortete mit klagender 
Stimme: 

„Sch darf nicht, Herrin! ich darf nicht! . . .“ 

Ihr jchlagt mir meine Bitte ab?“ frug Olenka erſchrocken. 

Statt zu antworten, begann er zu beten: 

„Sroßer, barmberziger Gott!“ ſprach er. „Nie ijt jeit 
meiner Kindheit eine Lüge über meine Lippen gefommen, nie 
hat eine jchlechte That mich befledt. Als ich noch ein Knabe 
war, jchügte ich mit jchwacher Hand meinen König und mein 
Vaterland. Herr! warum jtrafjt du mic) jo hart, warum legt 
du mir Qualen zu tragen auf, für die meine Kräfte nicht 
ausreichen!“ 

Und fid) an Dlenfa wendend fuhr er fort: 

„Herrin! Shr wißt wohl nicht, daß der Gehorjan für den 
vereideten Soldaten nicht nur feine Pflicht, jondern auch jein 
Ruhm und feine Ehre bedeuten. Mich bindet mein Fahneneid, 
ja mehr noch mein Nitterwort, diefen Dienſt nicht vor Ablauf 
der fejtgejegten Friit zu verlaffen und blindlings zu thun, was 
derjelbe von mir fordert. Ich bin Soldat und Edelmann und 
jo wahr Gott mir helfe, — ich werde niemals zu denjenigen 
Söldlingen zählen, welche ihren Eid und ihr Ritterwort brechen. 
Auch euer Befehl, auch eure Bitte, Herrin, vermag nicht, mich 
meiner Pflicht abwendig zu machen, obgleich mein Herz vor 
Qual und Bein zu brechen droht. Sch würde, wenn ich bie 
Thorwache beziehe und ihr, Herrin, in eigener Perjon das 
Schloß verlaſſen wolltet, euch den Weg nur über meinen Leic)- 
nam binweg freigeben, da ich Befehl habe, niemanden aus 
Tauroggen fortziehen zu lafien. Ihr kennt mich nicht, Herrin, 
ihr habt euch in mir getäufcht ..... Aber habt Erbarmen mit 
mir und jucht zu verjtehen, daß ich euch zur Flucht nicht ver— 
helfen fann, ja nicht einmal hören darf, daß ihr fliehen wollt, 
denn der Befehl, euch hier feitzuhalten, lautet bejtimmt und 
Har und nicht ich allein, jondern auch Braun und die anderen 
vier zurücdgebliebenen Offiziere haben ihn erhalten. O Gott! wenn 
ic) das hätte vorausjehen fünnen, jo wäre id) lieber ins Feld 
gezogen... Ich werde euch nicht überzeugen können, ihr 
werdet mir feinen Glauben jchenfen wollen und dennoch — 
Gott weiß es, Gott wird mich richten, es tjt heilige Wahrpeit, 
mein Leben würde ich freudig für euch geben — meine Ehre 
fann ich nicht geben!“ 

Während er die legten Worte ſprach, rang Ketling die 


912 


Hände, dann verjtummte er. Er war vollitändig erjchöpft und 
atmete nur jchwer. 

Olenka hatte jich noch nicht von ihrem fchmerzlichen Staunen 
erholt. Sie war aufßeritande, darüber nachzudenfen, wie hohe 
Achtung die edle Denkungsart diejes außergewöhnlichen, jungen 
Offiziers verdiente; jie fühlte nur, daß der legte Nettungsanfer 
jchwand, die legte Hoffnung auf Befreiung aus diejer verhakten 
Gefangenſchaft. 

Noch einmal verſuchte ſie Ketling zu überreden. 

„sch bin die Enkelin und Tochter eines alten tapferen 
Soldaten,“ jagte jie nach einer Weile. „Mein Vater und mein 
Großvater jtellten auch ihre Ehre über ihr Leben, aber gerade 
darum hätten jie jich nicht blindlings jedem Befehl gefügt .. .“ 

Ketling zog mit zitternder Hand ein Schreiben aus den 
Falten jeines Kollets, reichte e8 Olenka und jagte: 

„Weberzeugt euch, Herrin, daß der Befehl — dienſtlich 
gehalten iſt.“ 

Olenka überflog die Zeilen und las folgendes: 

„Da zu Unſerer Kenntnis gelangt iſt, daß der geborene 
Billewitſch, Schwertträger von Reußen, beabſichtigt, Unſere 
Reſidenz zu verlaſſen, um in Uns feindlicherweiſe ſeine Be— 
kannten, Verwandten, Standesgenoſſen und Unterthanen um ſich 
zu verſammeln und zur Rebellion gegen Seine Schwediſche 
Majeſtät und Uns anzuſtiften, ſo befehlen Wir den in Tau— 
roggen zurückgebliebenen Offizieren, dieſen geborenen Billewitſch 
ſamt ſeiner Bruderstochter als Geiſeln und Kriegsgefangene 
zurückzuhalten und ihre Flucht zu verhindern, bei Verluſt der 
Ehre und Beſtrafung durch das Kriegsgericht . . . u. ſ. w.“ 

„Der Befehl iſt im erſten Standquartier ausgegeben,“ ſagte 
Ketling, „daher iſt er uns ſchriftlich zugegangen.“ 

„So geſchehe denn Gottes Wille!“ ſagte Olenka nach einer 
Weile des Stillſchweigens. „Es iſt geſchehen!“ 

Ketling fühlte, daß es an der Zeit ſei, ſich hinauszubegeben, 
dennoch vermochte er nicht, ſich von der Stelle zu rühren. 
Seine blaſſen Lippen zuckten, als wolle er noch etwas ſagen, 
doch die Stimme verſagte ihm. 

Ein heftiges Verlangen bemächtigte ſich ſeiner immer mehr, 
das Verlangen, ihr zu Füßen zu ſtürzen, ihre Verzeihung an— 
zuflehen. Andererſeits fühlte er, wie ſchwer ſie an dem eigenen 
Unglück zu tragen hatte, und empfand es wie eine Wonne, daß 
auch er um ſie und mit ihr leiden durfte. 

Endlich verneigte er ſich ſchweigend, aber gleich im Korridor 


513 


riß er den Verband von jeiner Wunde und fiel ohnmächtig Hin. 
Als nach etwa einer Stunde die Schlogwache ihn dicht au der 
Treppe liegend fand, war er noch leblos. Er wurde nad) dem 
Zeughauje gebracht, wo er während der nächiten zwei Wochen 
totfranf das Lager nicht verlaſſen konnte. 

Olenka blieb, nachdem Ketling jie verlajien, lange in tiefer 
Betäubung allein. Sie hätte eher den Tod erwartet, als jeine 
Weigerung. Daher verließen jie, troß ihrer durch das Unglück 
gejtählten Seele und ihrer außergewöhnlichen Energie, in diefem 
Augenblic die Kräfte; jie wurde jchwach, wie jedes andere Weib 
und — obgleich jie, ohne es jelbit zu willen, fortwährend die 
Worte wiederholte: „Gottes Wille gejchehe!” — gewann doc) 
der Schmerz die Oberhand über die Nejignation und heiße 
Thränen rannen an ihren Wangen herab. 

Da trat der Schwertträger zu ihr in das Gemach. Als 
er jie jo fajlungslos dafigen jah, erriet er jogleich, daß fie ihm 
etwas Schlimmes mitzuteilen hatte; er frug daher eilig. 

„Um Gotteswillen! Was giebt es wieder?“ 

„Ketling verweigert jeinen Beiltand,“ jagte das Mädchen. 

„Sind denn die Menjchen hier alle Schufte, Schelme, 
Höllendunde? Wie, auch der?“ 

„Er will uns nicht nur nicht helfen,“ antivortete jie 
flagend, wie ein Fleines Kind, „jondern uns jogar mit eigener 
Lebensgefahr an der Flucht hindern.“ 

„Barum denn? Bei den Wunden des Herrn! Warum?“ 

„Beil es unſer Gejchie jo will! Ketling ijt Fein jchlechter 
Menjch, nur unſer Schidjal hat es jo bejtimmt, denn wir find 
die unglüclichiten Meenjchen in der ganzen Welt.“ 

„Der Teufel hole alle dieſe Wichte!“ rief der Schwert- 
träger. „Mädchenjäger! Räuber! Diebe! zuletzt Kerkermeiſter! 
Der Erdboden möge jich öffnen und fie verjchlingen! Beſſer 
tot jein, als. in diejen verruchten Zeiten leben.“ 

Der alte Edelmann trabte im Gemach Hin und her, ballte 
die Fäuſte, endlich ſprach er zähnefnirjchend: 

„Der Wojewode von Wilna war mir lieber, Kmiziz taujend- 
mal lieber, als diejer parfümierte Schelm.“ 

Und da Olenka nicht antwortete, jondern noch) heftiger zu 
weinen begann, wurde der alte Herr weich, und tröjtete nach 
einer Weile: 

„Weine nicht! Kmiziz fam mir nur in den Sinn, weil 
er der einzige ijt, der imjtande wäre, uns aus diejer babylonijchen 
GSefangenjchaft zu befreien. Der würde mit allen Braunen, 

Sientiewicz, Sturmflut IL 33 


514 


Ketlingen, Paterſons und mit Boguslaw ſelbſt ſchnell fertig 
werden! Aber — die Verräter ſtecken alle unter einer Decke! 
Weine nicht! Mit Weinen iſt nichts ausgerichtet; hier muß 
Nat geſchafft werden. Will Ketling nicht ... daß er doch 
ſchief werde! . . . jo werden wir ohne ihn fertig ... Sit das 
dein berühmter Mannesmut, wenn du in der Stunde ſchwerer 
Sorge nur weinen kannſt? ... Was ſagte Ketling?“ 

„Er ſagte, daß der Fürſt befohlen hat, uns als Kriegs— 
gefangene zu behandeln, weil er fürchtet, ihr würdet eine Partei 
Freiwillige um euch ſammeln und zu den Konföderierten gehen.“ 

Der Schwertträger ſtemmte die Arme unter. 

„Ah! Er fürchtet mich! . . . Und er hat recht, denn jo 
wahr Gott lebt, dag will ich thun!“ 

„Da der Befehl an Ketling jtreng dienjtlich lautet, jo muß 
er ihn vollziehen bei Berlujt der Ehre und Beitrafung von 
dem Kriegsgericht.“ 

„But! ... So wollen wir uns ohne ihn behelfen.“ 

Olenka trocdnete die Thränen ab. 

„Slaubt ihr, Oheim, da das möglich jein wird?“ 

„sch denfe, daß es notwendig fein muß, und was jein 
muß, das it auch möglih. Wir müfjen fort von hier und 
follten wir an Striden aus den Fenſtern herabrutjchen.“ 

Und das Fräulein rief jchon getröjtet: 

„Es ijt thöricht von mir, zu weinen... Beraten wir 
lieber gemeinschaftlich!“ 

Die legten Thränen wurden jchnell abgewijcht, die Brauen 
zogen jich zujammen, das jchöne Gejicht Olenkas nahm wieder 
den Ausdrud der Entjchlojienheit an. 

Es erwies ſich nun, daß der Schwertträger gar feinen 
Nat wußte und daß das Fräulein viel erfinderijcher in den zu 
ergreifenden Maßregeln war. Aber auch ihr wurde jchwer, das 
Nechte zu finden, da jie nun wußte, wie ängitlich jie bewacht 
wurden. 

Sie bejchlofien daher, nicht eher einen Fluchtverjuch zu 
wagen, bis die eriten Nachrichten von Boguslaw eingetroffen 
waren. Ihre ganze Hoffnung beruhte darauf, daß das Gericht 
Gottes ihren ‚Feind erreichen werde. Er fonnte fallen oder 
von einer jchweren Krankheit heimgejucht werden. In jedem 
alle würde doch in Tauroggen eine Aufregung entitehen, 
während welcher die Wachjamfeit feine jo jtrenge jein würde. 

„sch kenne den Sapieha,“ jagte der Schwertträger, Olenka 
und jich zum Troſte. „Er ijt etwas umentjchlojjen und über- 


»15 


legt lange, dafür ijt er jehr orönungsliebend und jteht treu 
zu König und Baterland. Er hat alles, jein ganzes Hab und 
Hut verjegt und verkauft, um eim Heer zu formieren, gegen 
welches dasjenige Boguslaws ein Spielzeug iſt. Jener dort iſt 
der ernite Senator, die perjonifizierte Ueberlegung, diejer hier 
ein eitler Fant und Hitfopf. Kann denn diejer über jenen 
jiegen? Es müßte feine Gerechtigkeit mehr in der Welt geben! 
... Warten wir nur die nächjten Nachrichten ab, unterdefien 
wollen wir beten und Gott bitten, dal er dem Sapieha zum 
Siege verhelfe.“ 

Unter jolchem Sorgen und Warten verging ein Monat, 
ein langer, für die bedrücdten Herzen jchwer zu ertragender 
Monat, ehe der erite Eilbote anfam. Er brachte nicht nad) 
Tauroggen, jondern an Stenbod Briefe vom Fürjten. Doc) 
erfuhr auch die Tauroggener Bejagung durch ihn den Stand 
der Dinge. 

Ktetling, welcher jeit dem Tage der Unterredung mit Olenka 
nicht gewagt hatte, dem ‚Fräulein wieder unter die Augen zu 
treten, jandte ihr jogleic) einen Zettel mit der Nachricht des 
Geſchehenen: 

„Fürſt Boguslaw hat den Herrn Krystof Sapieha bei 
Bransk geſchlagen; mehrere Fahnen Reiter und Füſiliere ſind 
getötet. Er iſt im Begriff, nach Tykozin zu gehen, wo Horot— 
kiewitſch ſteht.“ 

Das war ein harter Schlag für Olenka. Die Größe und 
Stärke ritterlicher Tapferkeit war für ihren Mädchenverſtand 
das einzige Erfordernis, um überall zu ſiegen. Da ſie dieſe 
Eigenſchaften nun durch den Augenſchein an Boguslaw kannte, 
und ſelbſt zugegen war, wie er mit Leichtigkeit einen Gegner 
zu werfen verſtand, ſo wurde nach der ſoeben erhaltenen Nach— 
richt für ſie zur Gewißheit, daß Boguslaw mit ſeinem Heere 
eine zwar böſe, aber unbezwingliche Macht repräſentiere. 

Die Hoffnung, der Fürſt werde beſiegt werden, war nun 
mit einem Schlage vollſtändig vernichtet. Umſonſt erklärte ihr 
der alte Ohm, daß der junge Fürſt ſich gar nicht mit dem 
alten Feldherrn meſſen könne, umſonſt verſicherte er ihr, daß 
ſchon die Würde eines Großhetman, welche der König dem 
Herrn Sapieha unlängſt verliehen, demſelben ein gewiſſes Ueber— 
gewicht über Boguslaw verleihen müſſe. Sie wagte an nichts 
mehr zu glauben, nichts mehr zu hoffen. 

„Wer könnte ihn bezwingen, ihm gleichkommen?“ wieder— 
holte ſie unabläſſig. 


33* 


916 


Weitere Nachrichten fchienen ihre Befürchtungen zu be= 
jtätigen. 

Wenige Tage jpäter jandte Ketling wieder einen Zettel 
mit der Nachricht, daß Horotfiewitich geichlagen und Tykozin 
genommen jei. „Ganz Bodlachien,“ jchrieb er, „iſt Schon in den 
Händen des Fürſten, welcher nicht warten will, bis Herr Sapieha 
ihm entgegen fommt, jondern ihn in Eilmärjchen je eher deito 
lieber zu erreichen ſucht.“ 

„Auch Herr Sapieha wird bejiegt werden,“ dachte Dlenfa. 

Inzwiichen gelangte aber auch noch aus einer anderen 
Gegend eine Nachricht nach Tauroggen. Sie fam, wie die 
Nachtigall im Frühling, etwas ſpät aus dem Süden an die 
nördlichite Grenze der Nepublif geflogen. Dafür war fie aus- 
geitattet mit allen leuchtenden Farben einer Legende der Heiligen, 
den ältejten Zeiten des Chrijtentums eıttitammend, aus jener 
Beit, wo die Heiligen noch auf Erden wandelten, um Zeugnis 
abzulegen für Necht und Wahrheit. 

„Zichenitochau! Tſchenſtochau!“ tünte e8 aus aller Mund. 

Das Eis taute von den Herzen, gleic) Frühlingsblumen 
vom Licht der wärmenden Sonne erwedt, blühte die Hoffnung 
darin auf. Tichenjtochau hatte dem Feinde widerjtanden, man 
hatte jie jelbit gejehen, fie die Königin Polens, wie fie ihren 
blauen Mantel über die bedrohten Mauern gebreitet. Die 
mörderijchen Granaten waren vor ihren heiligen Füßen nieder- 
gefallen, hatten jich vor ihr gewälzt, wie jchmeichelnde Haus— 
hunde. Den Schweden waren die Hände vertrodnet, die Mus— 
feten an das Geficht angewachjen, bis Scham und Entjegen jie 
zum Abzug getrieben. 

Menjchen, die jich bisher fremd geblieben waren, fielen ich 
in die Arme als fie Die Kunde vernahmen und weinten vor 
Freude. Andere Elagten, daß ſie die frohe Botjchaft erjt jet 
erfuhren. 

„Und wir figen hier in Thränen,“ jagten fie, „wir haben 
in Harm und Qual jo lange Zeit verbracht, während welcher 
wir uns jchon hätten freuen können!“ 

Und nun erit wußte es die ganze Nepublif. Nun aber 
rollten auch die gewaltigen Donner der Erhebung vom Pontus 
Eurynius bis zu den Ufern des Baltijchen Meeres. Die Wellen 
der Empörung gegen die Unterdrüder gingen hoch; das treue 
Volk jtand wie ein Mann auf, jet, wo alle fich unter dem 
Schutze der Gottesmutter wußten. Troſt war eingefehrt in die 
Herzen, Begeilterung machte die Augen leuchten und Die 


>17 


Schredniffe der vergangenen Tage erjchienen weniger be— 
ängitigend. 

„Wer ihn bejiegen wird?“ jagte der Herr Schwertträger zu 
Olenka, „wer ihm gleichfommt? Weißt du's nun? Es iſt Die 
heilige Jungfrau, an der jeine Macht zerjchellt.“ 

Beide, er und Dlenfa, brachten Tage lang zu Kreuze 
liegend zu, um Gott für jeine Barmherzigkeit mit dem Vater— 
lande zu danken; ſie zweifelten num auch nicht länger an der 
eigenen Nettung. 

Bon Boguslaw hörte man jet lange nichts mehr. Es 
war, als jei er mit jeiner ganzen Armee im Wajler verſunken. 
Die Offiziere in Tauroggen wurden unruhig und begannen 
ſich vor einer unficheren Zukunft zu ängjtigen. Die Kunde 
einer Niederlage wäre ihnen lieber gewejen, als dieje Ungewiß— 
heit. Aber gerade zu dieſer Zeit war es, wo der jchredliche 
Babinitich mit jeinen Tartaren die jürjtliche Arınee überholt 
hatte und alle Boten auffing. Deshalb konnte feiner von ihnen 
nach) Tauroggen gelangen. 





6. Rapitel, 





Eines Tages traf in Begleitung einer kleinen Abteilung 
Soldaten Fräulein Anna Borjchobohata Krajiensfa in Tau— 
roggen ein. 

Braun empfing fie jehr zuvorfommend, denn er mußte das 
thun, weil Sakowitſch ihm einen diesbezüglichen, vom Fürſten 
eigenhändig unterjchriebenen Befehl zugejandt hatte. Es hieß 
darin, daß der Nefpeftsdame der Fürſtin Grifeldis Wijchnio- 
wiezfa mit aller ihr zufommenden Ehrerbietung zu begegnen jet. 

Das Fräulein war aber auch eine außerordentliche Er- 
jcheinung, denn vom erjten Augenblid ihrer Ankunft an ergriff 
fie das Kommando, und ehe fie e3 jich verjahen, waren Die 
Dffiziere ihre ergebenen Diener und Anufia die Herrin der— 
jelben. Selbjt der alte Braun, diejer mürrijche deutjche Gejell 
ſchmolz unter dem bohrenden, durchdringenden Blid ihrer 
Aeugelein und jprang um fie herum, als hätte er Feuer unter 
den Sohlen. Noch an demjelben Tage wurde fie mit Olenka 
befannt, welche den Ankömmling —— mit Mißtrauen be— 
trachtete, obwohl ſie das Fräulein freundlich empfing, in der 
Hoffnung, Neuigkeiten von ihr zu hören. 

Anuſia brachte auch eine Menge davon mit. Das Ge— 
ſpräch fing mit der Erwähnung Tſchenſtochaus an, denn die 
Tauroggener Gefangenen begehrten recht viel von der Belage— 
rung des heiligen Berges zu hören. Beſonders aufmerkſam 
horchte der Schwertträger der Erzählung Anuſias zu, beide 
Hände gleich Hörrohren hinter die Ohren geſtellt, um ja nicht 
ein Wort davon zu verlieren. Nur zuweilen unterbrach er 


519 


das Fräulein durch einen Ausruf der Bewunderung oder 
Freude: 

„Ehre ſei Gott in der Höhe!“ 

„Mich nimmt nur Wunder,“ ſagte endlich das angekommene 
Fräulein, „daß die Herrſchaften erſt jetzt zur Kenntnis der Wunder 
der heiligſten Mutter gelangt ſind, das ſind ja längſt geſchehene 
Dinge; ich war damals noch in Samoſchtſch und Herr Babinitſch 
kam von dorther und nahm mich mit und da war es ſchon 
viele Wochen früher geſchehen . . Seitdem werden die Schweden 
verfolgt. In Großpolen hat man zuerjt damit angefangen, bei 
uns fährt man fort, befonders Herr Tſcharniezki, dejien Name 
von den Schweden jehr gefürchtet iſt.“ 

„AH! Herr Tſcharniezki!“ rief der Schwertträger hände— 
reibend aus, „der wird ſie jchon pfeffern. Ich hörte ihn jchon 
al3 großen Helden preifen, als er noch in der Ufraine war.“ 

Anufia knipſte ein Stäubchen von dem Rocke ihres Kleides, 
und als handele es jich nur um eine Stleinigfeit, jagte fie jo 
obenhin: 

„ho! Mit den Schweden it es vorbei!“ 

Der alte Herr Thomas hielt es num nicht länger aus. 
Er ergriff ihr Heines Händchen und indem er dasjelbe tief in 
jeinem ungeheuren Schnurrbart vergrub, küßte er es mit Inbrunit, 
worauf er ausrief: 

„oO, mein allerſchönſtes Fräulein! Bon euren Lippen flieht 
Honig, jo wahr ich Gott liebe! ... Es iſt nicht anders, ein 
Engel ift nach Tauroggen gekommen.“ 

Anujia widelte die Enden ihrer mit roja Schleifen ge— 
bundenen Zöpfchen um ihre Finger, und indem jie den alten 
Herrn von unten herauf anjchielte, entgegnete fie: 

„Ei, zum Engel fehlt mir noch viel! Auch die Kronen» 
hetmane jind jchon gegen die Schweden ausgezogen und alle 
Stammjoldaten und alle Ritter mit ihnen, und eine Konföde— 
ration haben jie gegründet und der König iſt ihr beigetreten, und 
Aufrufe haben jie erlaffen und die Bauern rotten ſich zufammen 

. und die heilige Jungfrau jegnet fie... .“ 

Ste jprach das alles jchnell bintereinander, wobei ihr 
ſüßes Stimmchen Elang wie Vogelgezwitjcher. Der Herr Schwert- 
träger wurde weich wie Wache. Zwar fannte er einige der 
Neuigfeiten bereits, dennoch brüllte er vor ‚Freude wie ein Bijon. 
An den Wangen Dlenfas liefen die Thränen riejelnden Bäch- 
lein gleich herab. 

Als Anuſia das jah, ſprang fie, deren Herz ein jehr gutes 


920 


war, auf die Weinende zu, legte ihre Arme um den Hals 
Dienfas und begann jchnell zu tröften: 

Meint doch nicht . . . Ihr thut mir jo leid, ich- kann 
es nicht jehen ... Warum weint ihr eigentlich? ...“ 

Es lag jo viel aufrichtige Teilnahme in den Worten Anufias, 
daß das Gefühl des Mißtrauens in Olenkas Herzen ſchwand. 
Doch fie vermochte den Thränen nicht Halt zu gebieten; im 
Gegenteil, jie mußte bei den milden Worten des Fräuleins nur 
heftiger jchluchzen. 

„Ihr jeid jo wunderichön . . .“ verjuchte Anuſia von neuem 
zu tröjten, „warum weint ihr denn?“ 

„sch weine vor Freude,“ antwortete Dlenfa, „aber auch 
vor Hummer, denn wir befinden uns hier in jchredlicher Ge— 
fangenschaft und jind Tag und Nacht bedroht . 

„Wie? Hier beim Fürsten Boguslaw?“ 

EA hier!“ donnerte Herr Thomas. 

Darauf erwiderte Anutia: 

„Dasjelbe Los hat mich doch betroffen, aber deshalb weine 
ich nicht. Ich kann micht beitreiten, dal; der Fürſt ein Verräter 
und Ungläubiger it, aber er it ein galanter Kavalier und er 
rejpeftiert das weibliche Gejchlecht.“ 

„sch wünsche, daß man ihn in der Hölle jo rejpeftiert, 
wie er das weibliche Gejchlecht rejpeftiert!” jagte der Schwert- 
träger. „Ihr kennt ihn moch nicht, denn er hat euch nicht das 
angethan, was er dieſem Mädchen that. Er iſt der erjte Erz 
jchelm, Safowitjch der zweite! Wolle Gott, daß der Herr Het- 
man Sapieha beide bejiege!“ 

„Das iſt ſicher! Beſiegt werden ſie! .... Der Fürſt 
Boguslaw iſt ſehr krank, ſeine Heeresmacht iſt nicht groß. Er 
iſt zwar ſehr ſchnell vorgegangen und hat ein paar Fahnen 
vernichtet, aber mit Sapieha ſich zu meſſen, das vermag er 
nicht . Bei der Armee Sapiehas befinden jich die größten 
Stavaliere des Heeres, die jehr bald mit dem Fürſten Boguslaw 
fertig jein werden.“ 

„Ah! ſiehſt du? Was jagte ich dir?“ wandte ich Herr 
Thomas an Dlenfa. 

„sch kenne den Fürſten Boguslaw jchon lange,“ fuhr 
Anufia fort. „Er ilt ein Verwandter der fürftlichen Herr= 
ihaften Wisniowiezfi und Samojsfis; er fam einmal zu uns 
nach Zubnie, damals, als der Fürſt Jeremias den Feldzug nach 
Lubnie unternahm. Deshalb hat er auch jet befohlen, mich 
zu rvejpeftieren, denn er hat mich erkannt und weiß, dab ich 


521 


dort zum Haufe gehörte und der Fürſtin am nächiten itand. 
D! fo, jo, jo flein war ich damals noch, nicht das, was ich 
heute bin! . . . Mein Gott! wer hätte damals gedacht, daß er 
zum VBaterlandsverräter werden würde, Aber härmt euch nur 
nicht, Liebe Herrichatten, Denn entweder fehrt er nicht mehr 
hierher zurüd, oder wir finden einen Ausweg, von hier fort— 
aufommten.“ 

„Bir haben auch jchon den Verſuch gemacht, zu entfliehen,“ 
jprach Dlenfa. 

„st er euch mißglückt?“ 

„Wie hätte er auch glüden jollen,“ verjegte der Schwert- 
träger. „Wir vertrauten unjer Geheimnis einem Uffizier, von 
welchem wir glaubten, dat er uns freundlich gejinnt jei; es 
zeigte jich aber, daß er gewillt it, uns eher zu jchaden, als zu 
nügen. Der älteite von ihnen iſt Braun und den fünnte wohl 
der Satan jelber nicht von jeiner Pflicht abwendig machen.“ 

Anuſia jenfte ihre Yider. 

„Ber weiß, ob es mir nicht gelingt. Es ift nur nötig, 
daß Herr Sapieha hier in Dieje Gegend fommt, damit wir eine 
Zuflucht in der Nähe haben.“ 

„Sott führe ihm recht bald her,“ entgegnete Herr Thomas. 
„Bir haben in jeiner Armee auch eine Menge Bekannte, Ver— 
wandte umd Freunde . . . Bah! wie mir jcheint, ſind auch Die 
früheren Waffenbrüder aus der Zeit des großen Jeremias bei 
ihm, Wolodyjowsti, Skrzetuski und Sagloba.“ 

„Die kenne ich auch,” jagte Anuſia erjtaunt, „aber die jind 
nicht bei Herrn Sapieha. O, wenn jie nur da wären, und 


bejonders Herr Wolodyjowsfi — denn Herr Sfrzetusfi iſt 
verheiratet — dann wäre ich nicht hier, weil Herr Wolo- 


dyjowski ſich nicht Hätte jo einschließen laſſen, wie Herr 
Kotſchütz.“ 

„Er it ein echter Kavalier!“ rief der Schwertträger. 

„Die Zierde des ganzen Heeres!” jegte Olenka Hinzu. 

„Mein Gott! Sie find doch nicht etwa gar gefallen, da 
ihr fie nicht gejehen habt?“ 

„Ei, woher denn!“ antwortete Anufia. „Der Tod jolcher 
Nitter wäre nicht umbefannt geblieben; man hat mir nichts 
Davon erzählt... Da fennt ihr fie jchlecht . . . denen fommt 
niemand bei... höchitens, es müßte fie eine Stugel töten, 
denn fein Menjch zwingt fie, weder Herrn Skrzetuski, noch den 
Herrn Sagloba und Wolodyjowsfi. Wenngleich auch der Herr 
Michael Elein tft, jo erinnere ich mich doch, day Fürst Jeremias 


22 

von ihm jagte: ‚Wenn das Los der ganzen Republik durch 
einen Zweikampf entjchieden werden fünnte, jo würde er nie= 
manden dazu auserjehen, als Herrn Michael‘ Er hat ja auch 
den Bohun bejiegt ... . O nein! Herr Michael weiß jich 
immer zu helfen.“ 

Der Schwertträger, welcher froh war, mit jemanden plaudern 
zu fünnen, ging mit langen Schritten im Gemach auf und 
nieder. Nun frug er: 

„Seht einmal! Bitte, fennt ihr denn den Herrn Wolo- 
dyjowski jo genau?“ 

„Wir waren ja jo viele Jahre beijammen . . .“ 

„Bitte! . . . Da it e8 wohl ohne eine Liebeserklärung 
nicht abgegangen?“ 

„Ich kann nichts dafür, daß er ſich in mich verliebt hat,“ 
jagte Anufia, während ihre Gejtalt eine demütige Stellung 
annahm. „Aber Herr Michael iſt jet jicherlich ſchon ver— 
heiratet.“ 

„Nein, das ijt er nicht!“ 

„Wenn er e8 auch wäre... es wäre mir Doch einerlei!.. .“ 

„Möge euch Gott zuſammenführen . . . Das eine nur 
macht mich bejorgt, daß ſie nicht bei dem Herrn Hetman find, 
denn mit jolchen Helden wird der Sieg leichter.“ 

„Dafür it einer dort, der jie alle erjegt.“ 

„Wer fünnte das jein?“ 

& it Herr Babinitſch aus der Wojewodſchaft Witebsk ... 
Habt ihr noch nichts von ihm gehört?“ 

„Nein, und das wundert mich.“ 

Anuſia fing nun an, die Geſchichte ihrer Abreiſe aus 
Samoſchtſch zu erzählen, mit allen Einzelheiten, die ihr begegnet 
waren. Herr Babinitſch wuchs während ihrer Erzählung zu 
einem ſo großen Helden heran, daß Herr Billewitſch ſich immer— 
während den Kopf zerbrach, wer das ſein könnte. 

„Sch kenne doch ganz Litauen,“ ſagte er. „ES leben hier 
zwar viele Familien, welche jich ähnlich nennen, wie z. B. 
Babinaub, Babilli, Babinowski, Babinski und Babski, aber den 
Namen Babinitjch fenne ich nicht... . und ich vermute, daß es 
ein angenommener Name it, denn es find ihrer viele unter 
den PBarteigängern, welche einen faljchen Namen führen, um 
nicht den Hat und die Nachjucht der Feinde auf ihre ‚Familien 
und ihre Güter zu lenken. Hm! Babinitih!.... Er muß 
ein feuriger Stavalier fein, wenn er den Herrn Samojsfi jo 
abgeführt hat.“ 


923 


„O, wie feurig, ach!” vief Anufia. 

Der Schwertträger wurde gut gelaunt. 

„Steht e3 jo um euch?” frug er, vor Anuſia Hintretend 
und die Arme in die Seite jtemmend. 

„hr reimt euch aber auch gleich weis Gott was zujammen.“ 

„Sott bewahre! ich reime gar nichts!“ 

„Und Herr Babinitjch hat mir, als wir Samojchtich kaum 
verlajjen hatten, gejagt, daß fein Herz von einer anderen in 
Beſitz genommen iſt und dab er nicht gefonnen ſei, die Beſitzerin 
zu ändern, obgleich dieje jeine Neigung nicht erwidert . . .“ 

„Und ihr glaubt das?“ 

„Gewiß glaube ich es“ erwiderte Anufia lebhaft. „Er muß 
bis über die Ohren verliebt fein, wenn er während jo langer 
Zeit... wenn er... wenn er...“ 

„Oho! Ihr findet euch nicht aus,“ jagte der Herr Schwerts 
träger lachend. 

„Und ich bleibe dabei,“ troßte jie mit dem N aufs 
itampfend, „wenn er bald von jich hören läßt . 

„Das walte Gott!“ 

„Ich will euch auch jagen, warum ... Seht! jo oft Herr 
Babinitjc) den Namen Boguslaws hörte, oder nannte, wurde 
er freideweiß und fnirjchte mit den Zähnen, daß es krachte.“ 

„Dann iſt er unjer Freund,“ ſagte Herr Thomas. 

„Sicherlich! ... Wir wollen ung unter feinen Schuß 
jtellen, jobald er hier im diefe Gegend kommt.“ 

„Wenn es uns gelingt, von hier zu entkommen, dann habe 
ich bald eine eigene Partei beifammen und dann jollt ihr jehen, 
daß auch ich fein Neuling in der Kriegsfunjt bin, und daß 
meine alte Hand noc etwas taugt.“ 

„Dann Ttellt euch doch unter das Kommando des Herrn 
Babinitjch.“ 

„Mir fcheint, ihr habt es ſehr eilig, unter jein Kommando 
zu fommen.“ 

Sie necten einander noch lange Hin und her und wurden 
jo lujtig dabei, daß jelbit Olenka ihren Kummer vergaß und 
mitlachte. Da Anuſia gut ausgeruht war — fie hatte im legten 
Nachtquartier in Rojchen jehr gut geichlafen —, jo ging fie erſt 
jpät in der Nacht in ihre Kemenate.“ 

„Das iſt ein goldiges Gejchöpf!” jagte Herr Thomas, nach— 
dem fie fort war. 

„Sie scheint ein aufrichtiges Herz zu haben ... ich denfe, 
wir werden bald gute Freundinnen werden,“ antwortete Olenka. 


924 


„And du haft ihr anfangs ein fo ermites Geficht gezeigt.“ 

„Beil ich vermutete, man Habe ums eine Spionin gejchidt. 
Kann man denn willen, ob es nicht wirklich jo it? Bier fann 
man vom Fürſten alles geivärtigen!“ 

„Sie eine Spionin? Allenfalls eine von guten Geiit!... 
Sejchmeidig it jie, wie ein Wieſel . . . Wer weiß, was ge- 
ichehen könnte, wenn ich jünger wäre, obgleich ich auch jet noch 
leicht ‚Feuer fange... .“ 

Dlenfa wurde nun vollends heiter. Sie ſtützte die Arme 
auf ihre Kniee, bog das Köpfchen etwas zur Seite und indem 
ſie ſich bemühte im Aufblick Anuſia nachzuahmen, jagte jie 
ſchelmiſch: 

„Das glaube ich, Oheim! Es könnte euch gefallen, aus 
dieſem Mehl eine Muhme für mich zu backen?“ 

„Na, na, jei stille, Mädchen!” erwiderte der Schwertträger. 

Er lachte dabei und drehte die Enden jeines Schnurrbartes 
mit beiden Fäuſten mächtig in die Höhe. 

Nach einer fleinen Weile ſetzte er hinzu: 

„Hat ſie doch jelbjt dich, Gelehrte, nit fortgeriften. Sch 
bin ficher, daß ich zwijchen euch eine große Freundſchaft an— 
fnüpfen wird,“ 

Herr Thomas hatte fich nicht getrrt, denn bald entwicelte 
fic) zwiichen den beiden Mädchen ein jehr lebhafter Verkehr, 
welcher allmählich zur feiten Freundſchaft wurde, vielleicht gerade 
darum, weil fie jo ungleichartig waren. Die eine war FElug, 
ernst, mit tiefem Gefühl und unbeugjamem Willen; Die andere 
bei aller Neinheit dev Gedanken und einem guten Herzen, ein 
Iujtiger Vogel. Die eine glich mit ihren itillen Zügen, den 
blonden Zöpfen, mit ihrer unvergleichlichen Ruhe und der An— 
mut ihrer jchlanfen Gejtalt der Piyche des Mltertums, Die 
andere, ganz jchwarz, erinnerte eher am einen Kobold, der die 
Menjchen gern irre führt und nedt, um jie dann auszulachen. 
Die Offiziere, welche Gelegenheit hatten, beide täglich zu jehen, 
waren verjucht, dem Fräulein Billewitich zu Füßen zu fallen, 
dagegen Anufias Lippen zu küſſen. 

Ketling, welcher als Schotte die melancholijche Gefühlstiefe 
diejer Bergbetvohner bejaß, vergötterte Olenfa und hatte von 
Anfang an einen Widerwillen gegen Anuſia, welche demjelben 
mit gleicher Münze heimzahlte, während ſie ſich an der Ver— 
ehrung Brauns und der anderen Offiziere jchadlos dafür hielt, 
den Herrn Schwertträger nicht ausgejchlojien. 

Dlenfa gewann binnen kurzem ein großes Webergewicht 


925 


über ihre Freundin, welche mit volliter Aufrichtigfeit zum 
Herrn Thomas zu jagen pflegte: 

„Sie jagt in zwei Worten mehr, als ich den ganzen Tag 
hervorbalwere.“ 

Einen Fehler nur fonnte die ernite Dlenfa der Freundin 
nicht abgewöhnen, das war ihre SKofetterie und Verliebtheit. 
Sie brauchte nur das leijeite Sporenflirren zu vernehmen, jo 
jchlüpfte jie unter dem Vorwande, etwas vergejjen zu haben, 
oder nachzujehen, ob jemand Neuigfeiten von Sapieha bringe, 
hinaus, rannte den Korridor entlang wie ein Wirbelwind und 
prallte anjcheinend furchtbar erjchredt zurüd, wenn jie den 
Offizier, der daher fam, erreicht hatte, während fie rief: 

„ech! wie habt ihr mich erjchredt!“ 

Darauf begann jogleich die Unterhaltung, eingeleitet Damit, 
daß jie verjchämt die Schürzenzipfel drehte, und fortgejegt mit 
Augenblinzeln und verjchiedenen Mienen, denen fein noch jo 
hartes Kriegerherz widerjtehen konnte. 

Olenka verübelte ihr dieje Kofetterie um jo mehr, da fie 
ihr einige Tage nach ihrer angefnüpften Befanntjchaft heimlich 
ihre jtille Liebe für Babinitjch eingejtanden hatte. Sie unter- 
hielten jich jeitdem öfter von ihm. 

„Andere betteln um ein freundliches Wörtchen von mir,” 
pflegte Anufia zuweilen zu jagen. „Dieſer Drache zog vor, 
jeine Tartaren anzujehen, als mir einen Blick zu jchenfen; er 
jprach nichts anderes mit mir, wie: ‚Et doch! Trinkt doch! 
Steigt ein! Steigt aus!“ Das alles Flang nicht unfreundlic) 
oder grob, mein durchaus nicht. Er jorgte auch auf das Beite 
für mid. In Krasnyſtaw jagte ich mir: ‚Du willſt mich nicht 
anjehen? Gut! Warte" Da, in Lontjchna jah er mid) ein- 
mal einen Augenblid an, aber, als ic) in jeine grauen Augen 
ſah, ich jage dir, und wie er mich anlachte, da war ich jo be= 
glüct, al8 wäre ich jeine Sklavin... .“ 

Olenka ließ den Kopf ſinken, auch ihr kamen ein paar 
graue Augen in Erinnerung. Auch er würde ſo geſprochen, ſo 
kommandiert haben wie dieſer, auch ihm leuchtete die Tüchtig- 
feit, Die Energie aus den Augen, nur zwei Dinge fehlten ihm, 
Gewifien und Gottesfurdt. 

Anufta, ihrem Gedanfengange folgend, fuhr fort: 

„Wenn er mit jeinem ÖStreitfolben über die Felder jagte, 
fonnte man ihn für einen Adler oder für einen Hetman halten. 
Die Tartaren fürchteten ihn wie das Feuer. Wohin er Fam, 
fand er Gehör und gute Aufnahme, und galt es einen Kampf 


926 


mit dem Feinde, dann flammte er vor Begeiiterung. Ich habe 
in Lubnie viele edle Kavaltere fennen gelernt, doc) Feiner hat 
mir wie er Angit eingeflößt.“ 

„Wenn Gott ihn dir bejtimmt hat, dann befommit du ihn, 
* ich kann mir nicht vorſtellen, daß er dich nicht lieb haben 
ollte ...“ 

„O, gern gehabt hat er mich ... jo ein klein wenig... 
aber die andere mehr. Er Hat mir beim Abjchied gejagt: ‚Es 
ist ein Glück, daß ich weder vergejlen noch aufhören kann zu 
lieben, jonit wäre es bejier gewejen, man hätte dem Wolf be= 
fohlen, die Ziege zu hüten, als ein jolches Mädchen mir.“ 

„Bas haft du darauf geantwortet?“ 

„sch ſagte: Was hättet ihr thun wollen, wenn ich euch) 
nicht hätte leiden mögen? Darauf antwortete er: ‚Darnad) 
hätte ich nicht gefragt! Was joll man mit jo einem Menſchen 
machen? ... Die andere iſt dumm, daß ſie ihn nicht liebt; fie 
muß ein Herz von Stein haben. Ich frug ihn nach ihrem 
Namen; er wollte ihn mir nicht jagen. ‚Es iſt bejjer, jprach 
er, nicht daran zu rühren, das üt eine wunde Stelle, die 
zweite wunde Stelle jind die Radziwills . . . d. 5. die beiden 
Landesverräter!' Sein Geficht nahm jogleich einen jo jchred- 
lichen Ausdrud an, daß ich am liebiten gleich in ein Mauje- 
loch gefrochen wäre. Ich fürchtete mic geradezu vor ihm!... 
Aber, was da! Er it nicht für mic), nicht für mich!“ 

„Bitte den heiligen Nikolaus um ihn; ich hörte von der 
Tante, daß diejer der beite Vermittler it. Sieh dich nur vor, 
daß du den Heiligen nicht beleidigit, indem du anderen Die 
Köpfe verdrehit.“ 

„Sch werde es nicht mehr thun, nur ein Bischen, jo ein 
Hein wenig.“ 

Hier zeigte Anufia am Finger, wie viel jie jich erlauben 
wolle, es war höchitens jo viel, als auf dem halben Finger- 
nagel Raum hatte. 

„sch thue es doch nicht aus Uebermut,“ erflärte ſie dem 
Herrn Schwertträger, welcher fie ebenfalls ob ihrer Flatterhaftig— 
feit tadelte, „aber ich mul doch, denn wer jollte uns wohl von 
bier forthelfen, wenn nicht die Offiziere hier?“ 

„Bah! Braun thut es niemals.“ 

„Braun ijt gewonnen!“ entgegnete jie mit leiter Stimme, 
während jie die Augen niederjchlug. 

„Und Fit-Gregory ?“ 

„Auch!“ antwortete jie noch leiler. 


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„Und Ottenhagen?“ 

„Ebenfalls!“ 

„Und Streben?“ 

„Gehört zum Bunde!“ 

„Ihr jeid imjtande gewejen, fie alle zu bethören? ... 
Doc ich merfe, mit Ketling allein ſeid ihr micht fertig ge- 
worden . . .“ 

„Der iſt mir zuwider! Doch ihn wird eine andere für 
unjeren Plan gewinnen. Schließlich behelfen wir uns ohne 
jeine Erlaubnis.“ 

„Slaubt ihr, daß er uns gutwillig ziehen läßt?“ 

„Die anderen gehen mit uns! ...“ antivortete fie, den 
Kopf vorstredend und mit den Augen zwinfernd. 

„Aber, mein Gott! Warum figen wir dann noch hier? 
Ich wünſche, wir wären jchon weit fort.” 

Aus der Beratung, die nun folgte, ergab jich, daß man 
warten müſſe, bi8 das Schidjal Boguslaws entjchieden jei und 
bis der Herr Unterfämmerer oder Herr Sapieha näher fommen 
werde. Im anderen Falle drohte ihnen die größte Gefahr 
nicht nur von den Feinden, jondern auch von den eigenen 
Landsleuten, da die Begleitung der jchwediichen Offiziere Die 
Gefahr noch vergrößere. Das Bolt war fo jehr gegen Die 
fremden Unterdrüder aufgebracht, daß es einen jeden, welcher 
nicht polnische Kleider trug, unbarmherzig niederichlug. Die 
polnischen Würdenträger, Die aus irgend einem Grunde aus: 
ländische Kleider trugen, die öjterreichiichen und franzöfiichen 
Diplomaten fonnten nur unter dem Schuge einer großen 
militärischen Esforte reifen. 

„Ihr könnt es mir glauben, Herrichaften,“ jagte Anuſia, 
„ich habe das ganze Land durchreiit. Im eriten beiten Dorf, 
im eriten beiten Wald ermorden uns die Bauernrotten, ohne 
zu fragen, wer oder was wir find Wir finden nur Zuflucht 
bei der Armee.” 

„Bah! Ich ſtoße zu meiner Partei,“ verjegte Herr Thomas. 

„Ehe ihr jie jammelt, noch ehe ihr in eim euch befanntes 
Dorf gelangt, habt ihr das Leben verloren.“ 

Es müfjen doch bald Nachrichten vom Fürften Boguslaw 
eintreffen,“ bemerkte der Schwertträger ärgerlic). 

„sc Habe Herrn Braun beauftragt, mich ſogleich in 
Kenntnis zu jeßen.“ 

Braun ließ aber lange Zeit auf fich warten. Dafür be- 
juchte jett Ketling Olenka zumeilen, denn fie hatte ihm eines 


928 


Tages bei einer Begegnung die Hand gereicht. Der junge 
Offizier deutete das tiefe Schweigen des ‚züriten jchlimm. Nach 
jeiner Anjicht mußte derjelbe aus Rückſicht auf den Kurfürsten 
und die Schweden jelbit die unbedeutenditen Siege nach Tilfit 
melden, ja, er würde diejelben eher übertreiben, als jie gänzlich 
verheimlichen, denn Verluſte würden jein Anſehen ſchwächen. 

„sch will der Vermutung nicht Raum geben, daß feine 
Armee gänzlich vernichtet it,“ ſagte der junge Offizier, „Doch 
muß jich der Fürſt in großer Bedrängnis befinden, aus welcher 
er feinen Ausweg findet.“ 

„Man erfährt hier alles jo jpät,“ Elagte Olenka. „Der beite 
Beweis hierfür it die Nachricht von Tſchenſtochau, deſſen 
wunderbare Befreiung wir erit jet durch Fräulein Borjcho- 
bohata erfahren haben.“ 

„sch wußte es längjt, Herrin, da ich aber als Ausländer 
nicht wußte, welche Bedeutung diejer Ort für die Polen hat, 
erwähnte ich nichts davon. Es gejchieht ja häufig in Kriegs— 
zeiten, daß irgend ein Feines Schloß oder eine Burg ich eine 
Zeitlang hält und etliche Stürme abjchlägt, man legt für 
gewöhnlich jolchen Ereignifjen fein großes Gewicht bei.“ 

„Mir wäre Ddieje Nachricht das liebjte gewejen, was ihr 
mir bringen fonntet!“ 

„Leider jehe ich zu jpät ein, daß ich unrecht gethan habe, 
denn nach dem zu Schließen, was ich jet hörte, ift Die Befreiung 
des Kloſters eine überaus wichtige Sache, welche den Verlauf 
des ganzen Feldzuges beeinfluffen fann. Um nun auf die 
Erpedition des Fürjten nach Podlachien zurüdzufommen, jo 
liegt die Sache ganz anders. Tichenjtochau ijt weit, Bodlachien 
nahe. Wißt ihr noch, Herrin, wie jchnell die Nachrichten zu 
ung gelangten, als es dem Fürſten anfangs gut ging?... 
Glaubt mir, Herrin! Ich bin ein junger Menjch, aber jeit 
meinem vierzehnten Jahre bin ich Soldat und meine Erfahrung 
jagt mir, daß diejes Schweigen Unheil verfündet.‘ 

„Bielmehr Gutes!“ entgegnete das Fräulein. 

„Sei e8 denn, Gutes! ... In einem halben Jahre endet 
meine Dienitpflicht, in einem halben Jahre bin ich von meinem 
Eide erlöit!.. . .“ 

Ein paar Tage nach dieſer Unterredung lief endlich Die 
erite Kunde aus Podlachien ein. 

Ein Herr Bies vom Wappen der Kornia brachte fie; er 
wurde am Hofe des Fürſten Kornutus genannt. Polniſcher 
Edelmann von Geburt, war er doch vollitändig Ausländer 


29 


geworden, weil er von Kindesbeinen an in den benachbarten Ländern 
als Soldat gedient hatte. So hatte er jeine Mutterjprache fait 
ganz vergeſſen und ſprach jie jegt mit deutjchem Accent. Sein 
Herz war dem Vaterlande ebenfalls entfremdet, deshalb war er 
dem Fürſten jehr zugeneigt. Er reijte jegt in wichtiger Mifjion 
nach) Königsberg und war in Tauroggen nur zur Naft eingefehrt. 

Braun und Ketling führten ihn jogleich zu Olenka und Anufia, 
welche gegenwärtig ein und dasjelbe Gemach bewohnten. 

Braun machte Front vor Anujia, dann wandte er Jich 
an Herrn Bies und jagte: 

„Dies iſt eine Verwandte des Herrn Samojsfi, des 
Starojten von Kalusf, folgedejlen auch Sr. Durchlaucht des 
Fürſten, welcher befohlen hat, ihr alle Ehren zu erweifen. Das 
Fräulein wünjcht die Nachrichten aus PBodlachien von einem 
Augenzeugen zu hören.“ 

Herr Bies nahm jofort eine unterwürfige Stellung an und 
erwartete die Fragen des Fräuleins. 

Anufia wollte die Blutsverwandtichaft mit Boguslaw 
nicht verleugnen; die dargebrachten Huldigungen machten ihr 
Vergnügen. Sie wies mit der Hand auf einen Stuhl, dann 
ald Herr Bies Platz genommen, frug jie: 

„Wo befindet jich der Fürſt gegenwärtig?“ 

„Auf dem Rückzuge nach Sofolfa, welcher mit Gottes Hilfe 
glücklich von ftatten gehen möge.“ 

„Sprecht die Wahrheit! wie befindet jich der Fürſt?“ 

„sch will die reine Wahrheit jagen und nichts verheim- 
lichen,“ antwortete der Offizier, „in der Hoffnung, dag Em. 
Hochwohlgeboren in der eigenen Seele Mut genug findet, minder 
gute Neuigkeiten anzuhören.“ 

„sch werde ihn finden!“ jagte Anufia, während jie die 
Abjäge ihrer Stiefelchen zujammenflappte vor I era, 
über die Titulatur, die man ihr gab, und vor Freude darüber, 
daß die Neuigkeiten ‚minder gute‘ waren.‘ 

„Anfangs ging alles gut,“ jagte Herr Bied. „Wir zer- 
jtreuten und verjprengten unterwegs einige Nebellenrotten, jchlugen 
den Herrn Krystof Sapieha und ließen von zwei Neiterfahnen 
und einem Regiment Füfilieren feinen Mann übrig... Dann 
jchlugen wir den Herrn Horotfiewitjch, welcher unter den Ge- 
töteten jein ſoll . . . und bejegten die Nuinen von Tyfozin.“ 

„Das willen wir jchon alles,“ unterbrah ihn Anufia 
plöglich, „erzählt weiter.“ 

„Habt die Gnade, mich geduldig anzuhören. Wir famen 


Sientiewicz, Sturmflut II. 34 


530 


bis Drohitichyn; dort wendete jich das Blatt plöglih. Wir 
hatten gehört, daß Herr Sapieha noch weit zurüd jei. Da, 
plöglich verjchwanden zwei unjerer Streifpatrouillen jpurlos. 
Es fam nicht ein Mann zurüd. Dann bemerften wir, dab 
irgend eine fremde Truppe vor uns her marjchierte; dieje Ent- 
deckung machte uns ganz irre. Se. Durcjlaucht begann zu 
vermuten, daß alle früheren Berichte faljch waren, dat Sapieha 
nicht nur weiter vorgejchritten war ala wir dachten, jondern 
daß er uns den Weg verlegt hatte. Wir fonzentrierten uns 
nun rücdwärts, um den Feind uns nachzuloden und ihn zu 
zwingen, uns eine Schlacht zu liefern, was Se. Durchlaucht 
durchaus erzwingen wollte... Aber der Feind that uns den 
Willen nicht; er überfiel uns ohne Unterlaß bald hier, bald da. 
Bon da ab jchmolz uns das Glück unter den Fingern; man 
lieg uns Tag und Nacht nicht Ruhe, man zerjtörte uns die 
Wege, die Brüden und Uebergänge und nahm uns den Proviant 
weg. Es verbreitete ſich das Gerücht, daß Herr Tcharniezfi 
Fefbit uns umjchwärme Man ließ die Soldaten nicht in Ruhe 
ejien, nicht jchlafen, der Mut verließ fie, im Lager jelbjt famen 
uns die Mannjchaften abhanden; jie waren immer ſpurlos ver- 
jchwunden. In Bialyitod fing der Feind wieder dem ganzen 
Vortrab mit dem Kredenzwagen und den Karoſſen des Fürſten 
ab. Sp etwas hatte ich noch micht erlebt. Der Fürſt war 
furchtbar aufgeregt; er wollte eine Schlacht erzwingen und 
mußte täglich) an die zehn Gefechte liefern... .. und verlieren. 
Die Ordnung löjte jih auf. Wer aber bejchreibt unjer Ent- 
jegen, als wir erfuhren, daß Herr Sapieha noch gar nicht in 
unjerer Nähe jei, jondern nur ein jtarfer Bortrab jeiner Armee 
uns alle die unausjprechlichen Qualen und Niederlagen bereitete 
. .. Der Vortrab beitand aus Tartaren . . .“ 

Die weiteren Worte des Offiziers unterbrach ein Aufjchrei 
Anufias, welche jich plöglich an die Brust Olenkas werfend ausrief: 

„Herr Babinitjch!“ 

Der Offizier jtaunte, als er den Namen hörte, doch er glaubte, 
daß Schreden und Entjegen dem hochgeborenen Fräulein diejen 
Schrei entrijjen, deshalb fuhr er erit nach einer Pauſe fort: 

„em Gott einen hohen Rang verliehen hat, dem giebt er auch 
die Kraft, Schweres zu ertragen. Beruhigt euch Ew. Hochgeboren! 
Dieſer Höllenjohn, der das Schidjal des ganzen Feldzuges zer- 
ftört und uns jo endlojen Schaden bereitet hat, heit wirflich jo. 
Sein Name, welchen Ew. Hochgeboren jo jcharfiinnig zu erraten 
geruhten, iſt in unjerem Lager der Schreden und die Wut aller.“ 


— — ie 


531 


„Ich habe dieſen Herrn Babinitſch in Samoſchtſch geſehen,“ 
verſetzte Anuſia haſtig, „und hätte ich geahnt . 

Hier verjtummte ſie. Niemand erfuhr, was in Diejem 
Falle gejchehen wäre. 

Nach einer Pauſe erzählte der Offizier weiter: 

„Dann fam Tauwetter und jchöne Tage; während, wie 
wir hörten, ganz gegen die Ordnung der Natur, im Süden der 
Nepublif noch Falter, jtrenger Winter herrjchte, wateten wir 
im aufgeweichten Boden, welcher unjere jchwere Neiterei feſt— 
hielt, daß fie nicht weiter fonntee Gr aber hatte leichte 
Neiter und jeßte und um jo mehr zu. Alle paar Schritte 
blieben die Wagen und Gejchüge ſtecken, wir famen fait nicht 
von der Stelle. Die Landleute mit ihrer blinden Gehäjlig- 
feit jtanden im Einvernehmen mit den Verfolgern. Es gejchehe 
Gottes Wille, aber ich habe das Lager und Se. Durchlaucht 
jelbjt in einer verzweifelten Lage zurüdgelajjen. Das heftige 
Fieber verläßt den Fürſten faum; es hält ihn tagelang feit und 
entfräftet ihn zujehends. Die entjcheidende Schlaht muß in 
furzen fallen, aber wie e8 jich wenden wird . . . Gott weiß e3 
und wird es lenken . . . E83 müßten denn Wunder gejchehen.“ 

„Bo habt ihr den Fürſten verlajien?“ 

„Etwa eine Tagereije weit von Sofolfa. Se. Durchlaucht 
hat die Abjicht, ji) in Suchowola oder Janowo zu verjchanzen 
und den Angriff abzuwarten. Herr Sapieha ijt zwei Tagereijen 
entfernt vom Lager. Als ich abreijte, war gerade eine Ruhe— 
pauje für ung eingetreten, denn ein aufgefangener Kundjchafter 
jagte uns, daß Babinitjch jelbit in das Hauptquartier zurüd- 
gefehrt ijt und jeine Tartaren ohne ihn nichts unternehmen 
dürfen, als höchitens Batrouillen aufheben. Se. Durchlaucht 
ilt ein berühmter Feldherr; er erwartet alles Gute von einer 
Entjcheidungsichlacht, Doch nur, wenn er jich gejund fühlt. it 
er krank, jchüttelt ihn das Fieber, dann denkt er anders, jonit 
würde er mich nicht nach Preußen geſchickt haben.“ 

„Bas jollt ihr dort ausrichten?“ 

„Entweder gewinnt oder verliert der Fürſt die Schlacht. 
Berliert er, jo bleibt ganz Preußen ſchutzlos dem Feinde preis- 
gegeben; es fünnte leicht gejchehen, daß Sapieha die Grenzen 
der Provinz überſchreitet . . . Alſo — ich jage es offen, weil 
e3 fein Geheimnis iſt — ich gehe dorthin, um zu warnen.“ 

Mit diefen Worten jchloß der Offizier feinen Bericht. 

Anufia legte ihm noch eine Menge ragen vor, indem fie 
jih Gewalt anthat, um die nötige Würde zu wahren. Als er 

34* 


932 


hinausgegangen war, legte jie fich feinen Zwang mehr auf; jie 
hüpfte umber, Elopfte mit den Händen ihr Jäckchen, drehte jich 
auf dem Abſatz, küßte Olenka die Augenlider und zupfte den 
Herrn Schwertträger an den Lleberärmeln jeines Schnürenrodes 
und plauderte zwiſchendurch: 

„Run, was habe ich gejagt? Wer hat dem Fürſten Bogus- 
law jo zugejegt? Etwa Herr Sapieha? ... Ia, bat jich was! 
Wer macht es mit den Schweden ebenjo? Wer tilgt die Unter- 
drüder aus? Wer ijt der größte Kavalier, der tapferite Ritter? 
Herr Andreas! Herr Andreas ...“ 

„Wer? Herr Andreas?“ frug plöglich Olenka, weiß wie 
ein Leinentuch. 

„gabe ich dir denn nicht gejagt, daß er Andreas heikt? 
Er erzählte e8 mir einmal jelbjt. Herr Babinitſch! Es lebe 
Herr Babinitich! . . . Herr Wolodyjowski fünnte es auch nicht 
befier machen! ... Was fehlt dir, Olenka?“ 

Das Fräulein Billewitjch jchüttelte ſich, als wolle fie eine 
jchwere Laſt von ihren Schultern werfen. 

„Nichts,“ jagte fie. „Sch dachte nur, dat alle, die diejen 
Namen tragen, Verräter jein müßten. Es war einmal einer, 
der hat jich erboten, den König von Polen tot oder lebendig 
den Schweden oder dem Fürſten Boguslaw auszuliefern und 
der hieß auch ... . Andreas!“ 

„Bott verdamme ihn!“ rief der Schwertträger. „Wozu jeßt 
Nachts alte Erinnerungen auffrifchen. Laßt uns lieber freuen, 
da wir Urjache haben, es zu tun.“ 

„Wenn erjt Herr Babinitjch angezogen Fommt!“ ſetzte 
Anufia Hinzu. „Alſo fol Sch werde abjichtlich den Herrn 
Braun noch verrüdter machen und ihn veranlafien, die ganze 
Beſatzung rebellifch) zu machen und jamt den Leuten und 
Pferden zu Herrn Babinitjch überzugehen.“ 

„hut das! Thut das!“ rief der Schwertträger heiter. 

„Und dann blafe ich auf alle Schweden und jonjtigen 
Feinde. Vielleicht vergißt er unterdeſſen jene Unwürdige und 
nimmt mid) . 

Wieder liſpelte ſie mit feiner Stimme und bedeckte die 
Augen mit den Händen. Plötzlich ſchien ſie der Unwille zu 
faſſen, denn ſie ſchlug eine Fauſt in die andere und ſagte: 

„Wenn nicht, dann heirate ich den Herrn Wolodyjowski!“ 


— — 





T. Kapitel. 





Zwei Wochen jpäter wurde es lebendig in Tauroggen. 
Eines Tages zogen ungeordnete Haufen der Truppen Bogus— 
laws heran; es waren meijt nur dreißig bis vierzig Pferde, 
die jamt den Neitern elend, abgeriſſen und abgemagert zum 
Skelett waren. Sie brachten die Nachricht von der Niederlage 
des Fürſten bei Janowo. Er hatte alles verloren, die Armee 
war teils erjchlagen, teil verjprengt, die Geſchütze, Pferde, 
Zelte, alle8 war fort. Bon den jechstaujend Mann, die aus: 
gezogen waren, hatte Boguslaw nur etwa vierhundert Neiter 
gerettet, diejelben, welche er jelbjt angeführt. 

Bon den Polen, die mit ihm waren, fehrte außer Sako— 
witjch nicht eine lebende Seele wieder; was von ihnen noch 
übrig geblieben, das war zu Herrn Sapieha übergegangen, 
jogar viele der fremden Söldlinge hatten vorgezogen, jic dem 
Sieger auf Gnade und Ungnade zu ergeben, jtatt mit dem 
Befiegten zu fliehen, und in dem Maße, in welchem die höfijche 
Schmeichelet vorher die FFeldherrntugenden Boguslaws gerühmt, 
in demjelben Made klagten und jchalten nun alle die Schmeichler 
über die Unzulänglichfeit derjelben. Die Webriggebliebenen 
waren jo erzürnt und empört gegen den Fürjten, daß jie nicht 
mehr zujfammenhielten, jondern in ungeordneten Haufen aus— 
einanderliefen, jo daß der Fürſt zu jeiner perjönlichen Sicher: 
heit vorgezogen hatte, etwas zurück zu bleiben. 

Beide, Sakowitſch und er, befanden jich gegemvärtig in 
Nojchen. Vanling begab ich, als er das erfuhr, jogleich zu 
Dlenfa, um ihr Mitteilung davon zu machen. 


934 


Nachdem das Fräulein den Bericht angehört, jagte fie 
u ihm: 

„Die Hauptjache iſt nun die, ob Herr Sapieha und Babi— 
nitſch den ‚züriten verfolgen und den Ktriegsichauplag hierher 
verlegen wollen ? 

„Man kann aus den Berichten der Flüchtlinge nicht Klug 
werden,“ antwortete der Offizier. „Der Schreden läht fie vieles 
übertreiben. So behaupten die Aengitlichiten von ihnen, daß 
Babinitjch ihnen dicht auf den serien iſt. Da aber der Fürjt 
mit Safowitjch zurückgeblieben it, jo vermute ich, daß die Ver— 
folgung feine jo hajtige jein kann.“ 

„Aber fie muß doch eintreten; es iſt gar nicht anders 
anzımehmen. Wer würde nach einem Siege den Bejiegten 
nicht verfolgen ?“ 

„Das wird die Zeit uns lehren. Sch wollte mit euch, 
Herrin, von anderem reden. Der Fürſt muß infolge jeines 
Mißgeſchickes und jeiner Erfranfung jehr gereizt jein; er wird 
in der Verzweiflung noch mehr zu Gewaltthaten geneigt jein, 
als früher... . Trennt euch daher nicht von der Muhme und 
von dem Fräulein Borjchobohata; laßt auch nicht zu, daß der 
Herr Schwertträger nach Tilfit gejchieft wird, wie dag vorige Mal.“ 

Dlenfa antwortete nichts. Der Schwertträger war gar 
nicht nach Tilfit gebracht worden, nur hatte der Fürſt, um vor 
jeinen Leuten jeine graujige That zu verbergen, durch Safowitjch 
das Gerücht verbreiten laſſen, der Alte ſei nach Tilfit gereiit, 
während er thatjächlic) infolge des Stoßes, welchen ihm der 
Fürſt verjegt, frank darmiederlag. Dlenfa wollte darüber nicht 
jprechen; jie war zu ſtolz, um jelbit Stetling gegenüber einzu— 
geitehen, daß ein Billewitich von jemandem wie ein Hund 
mißhandelt worden war. 

„Sch danke euch für die Warnung,“ ſagte fie nad 
einer Pauſe. 

„sch hielt es für meine Pflicht . . .“ 

Da wurde Dlenfa plößlich wieder von Bitterfeit gegen Ketling 
erfüllt. War er doch nur allein ſchuld daran, daß dieſe neue 
Gefahr über ihrem Haupte ſchwebte; hätte er damals in ihre 
Flucht gewilligt, jo wäre fie jegt längſt in Sicherheit. 

„Herr Kavalier,“ jagte fie, „es iſt wahrhaft ein Glück, 
daß Ddiefe Warnung nicht gegen die Ehre und eure Dienit- 
pflicht verstößt, indem der Fürſt euch nicht befohlen hat, mich 
nicht zu warnen.“ 


930 


Ketling verstand den Norwurf jehr gut. Mit einer Würde, 
die jie ihm nie zugetraut Hätte, erwiderte er: 

„sch erfülle das, was meine Dienjtpflicht und meine Ehre 
mir gebieten, entweder ganz, oder ich ziehe vor zu jterben, che 
ich fie verjäume Mir bleibt nur zwiichen diefem beiden die 
Wahl. Außerhalb meines Dienjtes darf ich Nichtstvürdigfeiten 
zu verhüten juchen. Als Privatmann alſo laſſe ich euch dieſe 
Piſtole zurück mit der Bitte: wehrt euch, wenn die Gefahr 
nahet, im Notfalle — tötet euch! Gejchieht das, dann bin ich 
meiner Pflicht ledig und kann zu eurer Rettung berbeieilen.‘ 

Während er das ſagte, verneigte er ſich und wandte Jich 
der Thüre zu, Olenka aber hielt ihm zurüd, 

„Herr Kavalier,“ bat fie, „macht euch frei von diefem Dienit, 
verteidigt die gute Sache, ſchützt die Unterdrückten; es ift fchade 
um euch.” 

Ketling unterbrad) jie: 

„sch hätte mich längit frei gemacht und mein Gejuch um 
Entlajjung eingereicht, wenn ich nicht gedacht hätte, euch, Herrin, 
hier nügen zu fünnen. Heute iſt es zu jpät dazu. Wäre der 
Fürſt als Sieger heimgekehrt, jo hätte ich nicht einen Augen— 
blick gezaudert; da er aber der Bejiegte iit, da der Feind ihm 
auf den Ferien it, jo wäre es Feigheit, eher gehen zu wollen, 
als der Plichttermin abgelaufen iſt. Ihr werdet zu eurer 
Genugthuung jehen, wie viele jeiner früheren Bewunderer den 
Beliegten feige verlafien; mich werdet ihr nicht unter ihnen 
finden... . Lebt wohl, Herrin! Die Piltole iſt gut; fie zer— 
jchmettert leicht jogar einen Panzer.“ 

Mit Ddiefen Worten entfernte jich Setling, die Waffe 
zurücklaſſend. 

Olenka verwahrte dieſelbe ſogleich. Glücklicherweiſe gingen 
ihre und des jungen Offiziers Befürchtungen nicht in Erfüllung. 

Der Fürſt kam gegen Abend in Begleitung Sakowitſchs 
und PBaterjons an; er war jo frauf, dab er faum zu jtehen 
vermochte. Er wußte jelbit nicht mit Gewißheit, ob Herr 
Sapieha jelbit die Verfolgung aufgenommen oder Babinitſch 
mit der leichten Neiterei damit betraut haben mochte. 

Boguslaw war fich zwar bewußt, den leßteren janıt jeinem 
Pferde bei der Attacke überrannt zu haben, doch wagte er nicht 
zu hoffen, daß er ihn dabei getötet, da ihm jchien, als wäre 
jein Napier an dem Bilier des Verhaßten abgeprallt. War er 
doch jelbit damals mit dem Leben davongefommen, als er ihm 
die Piſtole direkt in das Geficht abgejchofien hatte. 


930 


Der Gedanke, wie Babinitjch und feine Tartaren in den 
fürjtlichen Gütern haufen würden, wenn er zu denjelben gelangte, 
peinigte den Fürſten entjeglich. Und er hatte nichts mehr, fie zu 
verteidigen, ja er wußte noch nicht einmal, wie er jeine Perjon 
in Sicherheit bringen follte, da e8 nicht viele jolcher Söld- 
linge gab, wie Ketling, und anzunehmen war, daß bei der 
eriten Kunde vom Herannahen des Feindes auch, dieje ihn ver— 
laſſen würden. 

Der Fürjt Hatte die Abjicht, nicht länger als zwei bis 
drei Tage in Tauroggen zu bleiben; er mußte jobald wie 
möglich zum Kurfürften und zu Stenbocd zu gelangen juchen, 
um neue Streitfräfte zu jammeln und Dieje entweder zur Ver— 
teidigung der Städte Preußens zu verwenden, oder fie dem 
Könige nachzujenden, welcher einen Feldzug in das Innere der 
Nepublif plante. 

Er wollte in Tauroggen nur einen Offizier zurücklaſſen, 
welcher Ordnung in die verjprengten Neite der Armee bringen, 
die bäuerlichen und adligen Batrioten im Zaune halten, Die 
Güter beider NRadziwills bejchügen und die Verbindung mit 
der Armee Loewenhaupts, der Hauptmacht in Smudz, wieder 
heritellen jollte. 

Zu dieſem Zwed ließ der Fürſt nach der erjten guten 
Nachtruhe Sakorwitid zu ſich rufen, welcher der einzige war, 
dem er volles Vertrauen jchentte. 

Es war ein jeltjamer „guter Morgen,“ den die beiden 
Freunde jich nach der verunglücdten Erpedition in QTauroggen 
wünjchten. Sie jtarrten jich wortlos eine Zeitlang an. Endlich 
ergriff der Fürft zuerſt das Wort. 

„Ah! was nun! Die Teufel haben alles genommen!“ 

„Ste haben es!“ wiederholte Sakowitſch. 

„Es konnte nicht anders fommen. Hätte ich mehr leichte 
Neiterei gehabt, oder hätte der Henker nicht dieſen Babinitſch 
in meinen Weg geführt . . . zum zweiten Male! Er hat einen 
anderen Namen angenommen, der Galgenhund. Erzähle das 
niemandem, damit ſein Ruhm nicht noch größer werde.“ 

„Ich werde nicht davon ſprechen . . . aber ich garantiere 
nicht, daß die anderen Offiziere es auspojaumen, denn ihr habt 
ihn damals zu euren Füßen ja jelbit als den Fahnenträger 
von Orſchan präjentiert.“ 

„Die Offiziere und die Deutjchen verjtehen die polniſchen 
Namen nicht. Ihnen it es gleich, ob Kmiziz oder Babinitic). 
AH! bei den Hörnern des Luzifer, wenn ich ihn hätte! Aber 


537 


ich hatte ihn ja... und da hat mir der Schelm die eigenen 
Leute zu Rebellen gemacht und die ganze Abteilung Glowbitjch 
weggeführt! ..... Er muß ein Baſtard umjeres Gejchlechtes jein, 
anders iſt es nicht! . . . Und ich Hatte ihn ... hatte ihn... 
und er iſt entfommen! ... Das frißt mehr an mir, wie die 
ganze verunglüdte Expedition.“ 

„Ihr hattet ihn, Durchlaucht, für den Preis meines Kopfes.“ 

„Jaſchu! ich will ehrlich fein. Ich hätte dir ruhig das 
sell über die Ohren ziehen laſſen, wenn ich Kmiziz's Fell hätte 
gerben laſſen können!“ 

„sch danke, Bogujch! Mehr durfte ich von deiner Freund— 
ſchaft nicht erwarten.“ 

Boguslaw lachte auf: 

„Du hättejt Schön auf dem Roſt Sapiehas gebraten; ich 
hätte dich jehen mögen. Alle deine Schelmenitüde wären da 
ausgejchmort.“ 

„Und ich wollte dich in Kmiziz's Händen jehen, in den 
Händen deines lieben Verwandten. Deine Gejichtszüge ind 
anders, aber in der Geſtalt jeid ihr euch gleich, eure Stiefeln 
haben das gleiche Maß, ihr Ichmachtet nach demjelben Mädchen, 
nur daß fie in ihrer Unerfahrenheit initinftiv errät, Daß jener 
beſſer und tapferer iſt als du.“ 

„Zweie jolcher, wie du, würde er wohl zwingen, doch mir 
fommt er nicht gleich... Hätte ich auf der Flucht zwei Minuten 
Zeit gehabt, jo Könnte ich dir auf Ehremvort verjichern, dal 
mein Verwandter tot it. Du warit immer ehivas dumm, gerade 
darum liebte ich dich, aber in der legten Zeit iſt dein Wit 
ganz abhanden gekommen.“ 

„Du hattejt deinen Wit in den Ferſen, deshalb biſt du jo 
vor dem Sapieha entlaufen. Dadurch bijt du mir ordentlich zu— 
wider geworden, jo, daß ich am liebiten jelbit zu Sapieha ginge.“ 

„Um aufgehängt zu werden!“ 

„Wohl mit demjelben Strid, mit dem man den Radziwill 
feſſelt.“ 

„Genug!“ ſagte der Fürſt. 

„Ew. Durchlaucht ergebenſter Diener!“ 

„Es wird notwendig ſein, einige der Reiteroffiziere zu er— 
ſchießen, die am meiſten Lärm ſchlagen.“ 

„Ich habe heute Morgen bereits ſechſe erhängen laſſen. 
Sie ſind ſchon kalt geſtellt, aber ſie tanzen noch an den Stricken, 
denn es iſt ſehr windig draußen.“ 


998 


„Das iſt qut! Höre einmal! Ich muß jemanden in Tau— 
roggen zurüclaffen, willit du hier bleiben ?“ 

„Sch will, und bitte darum. Es fünnte niemand bejier 
hier zurecht fommen als ich. Der Soldat fürchtet mich mehr 
al3 die anderen; er weiß, daß ich nicht mit mir jcherzen lajie. 
Auch mit Nückjicht auf Yoewenhaupt iſt es beifer, daß einer da— 
bleibt, der angejehener iſt als Baterjon.“ 

„Wirſt du mit den Rebellen fertig werden?“ 

„Sch verfichere Ew. Durchlaucht, da die Tannen der 
Smudz in diefem Jahre ſchwerere Früchte tragen werden, als 
Zapfen. Aus den Bauern werde ich zwei Negimenter Fuß— 
joldaten formieren und fie nach meiner Art ausbilden. Auf 
die Güter werde ich ein wachjames Auge haben und jo eines 
derjelben von den Nebellen überfallen werden jollte, dann werde 
ich einen der reichen Edelleute dafür verantwortlich machen und 
ihn ausquetichen wie Quark. Zum Anfang brauche ich nur jo 
viel Geld, als nötig tt, die Löhnung auszuzahlen und die Füſi— 
liere einzufleiden.‘ 

„Was ich entbehren kann, will ich Hier laſſen.“ 

„Von dev Mitgift?“ 

„Von was?“ 

„Nun, ich meine von der Mitgift der Billewitjch, die ihr 
euch jelbit im Voraus auszahltet.“ 

„Wenn du den Alten auf manterliche Weiſe unjchädlich 
machen fünnteit, wäre es gut, denn er hat ein Handjchreiben 
von mir.“ 

„Ich will mir Mühe geben, es zurücd zu erlangen. Es iſt 
nur die Frage, ob er das Handjchreiben der Sicherheit wegen 
nicht fortgeichictt hat, oder ob es nicht irgendiwo eingenäht iſt. 
Ew. Durchlaucht möchten die Schuld nicht tilgen wollen? ...“ 

„Es wird wohl jo fommen, dat ich es nicht fanı. Doc) 
jegt muß ich fort. Diejes vermaledeite Fieber hat mic meiner 
ganzen Kräfte beraubt.“ 

„Beneidet ihr mich nicht, daß ich in Tauroggen bleibe, 
Durchlaucht 

„Du haft wohl ein bejonderes Interejie dabei? Nur... 
jollteft du etwa Luſt haben? ... Ich ließe dich mit Hafen 
zerreigen . . . Warum drängit du jo, hier zu bleiben?“ 

„Weil ich heiraten will!“ 

„en?“ frug der Fürſt, jich vom Lager aufrichtend. 

„Das Fräulein Borjchobohata Kraſienska.“ 

„Das iſt ein quter Gedanfe, ein ausgezeichneter Gedanke!“ 


939 


jagte der Fürſt nach einer Pauſe. „Ich babe etiwas von einer 
Verichreibung gehört . . .“ 

„Es iſt jo; ein Vermächtnis des Herren Longinus Podbi- 
pienta. Ihr wißt, Durchlaucht, was für ein reiches Gejchlecht 
das iſt. Die Güter jenes Longinus liegen in mehreren Kreijen 
verteilt. Zwar iſt ein Teil derjelben von entfernten Verwandten 
in Beſitz genommen, ein anderer Teil it von mosfanifchen 
Truppen bejegt; es wird Prozeſſe, Schlägereien, Zanf und 
Streitigfeiten ohne Ende geben, aber ich werde jchon Nat fchaffen. 
Nicht einen Baumwipfel trete ich ab. Das Mädchen gerällt 
mir ausnehmend gut, denn jie it verlodend jchön. Sch be= 
merfte jchon, als wir fie gefangen nahmen, daß ſie Angjt 
heuchelte und mit den Augen nach mir jchielte.e Wenn ich als 
Kommandant hier zurückbleibe, wird jich aus purer Langeweile 
ichon ein Liebesverhältnis anſpinnen lafjen.“ 

„Eines nur will ich dir jagen. ch verwehre dir nicht, 
zu heiraten, aber merfe wohl, feine Exzeſſe, du verſtehſt mich? 
Das Mädchen gehört zu den Wifchniowiezfis, ſie iſt die Vertrante 
der Fürſtin Griſeldis jelbjt, und ich will die Fürſtin aus Hoch» 
achtung vor ihr nicht beleidigen, ebenjowenig den Herrn Staroiten 
von Kalusk.“ 

„Es bedarf der Warnung nicht,“ entgegnete Sakowitſch. 
„Wenn ich mich erjt wirflich verheiraten will, jo muß ich mich 
auch ernithaft bewerben.“ 

„sch wollte, fie weilt dic) ab.“ 

„sch fenne jemanden, der abgewiejen worden, obgleich er 
ein Fürſt ift, aber ich denfe, mir fann jo etwas nicht begegnen. 
Ihr Augenblinfern giebt mir guten Mut.“ 

„Mache dem Abgewiejenen feine Vorwürfe; es könnte ges 
jchehen, daß er dich zum Bock macht. Ich will deinem Wappen 
die Hörner zufügen oder dir den Beinamen auswirken: Sako— 
witſch der Gehörnte. Sie iſt eine Borjchobohata von Gejchlecht; 
d. 5. eine Gottreiche; er ein Bardjorogaty, d. h. ein jehr Ge— 
hörnter! Ihr jeid ein pafiendes Paar. Heirate nur, Jaſchu, 
heirate du, laß mich auch wifjen, wann die Hochzeit fein wird, 
ich will dein Brautführer fein.“ 

Gräßlicher Zorn malte ſich in den Zügen Safowitich® und 
verunftaltete das ohnehin häßliche Gejicht noch mehr. Die 
Augen waren verjchleiert, als wenn eine Nauchichicht darüber 
liege. Doch bezwang er jich bald und indem er den Worten 
des Fürſten eine jcherzhafte Wendung gab, antwortete er: 

„Du Hermiter! Kannjt aus eigener Kraft nicht die Treppe 


540 


hinauf und willit drohen? Du hajt hier ja deine Olenfa und 
wirjt noch das Vergnügen haben, bei den Kindern des Babinitich 
Wartefrau zu jpielen!“ 

„Daß dir die Zunge zerbreche! So fannjt du über Die 
Krankheit jpotten, die mich um ein Haar zum Tode gebracht? 
Ich wünsche, daß auch du einem Zauber unterliegen mögelt.“ 

„Ach, Zauber Hin! Zauber her! Oft, wenn ich jehe, wie 
alles jich auf natürlichem Wege abwidelt, denfe ich, daß Zauberei 
ein Unſinn ijt.“ 

„Du bijt jelbit ein Unfinn! Ser ſtille, rufe das Elend 
nicht hervor! Du efelit mich an!“ 

„Sehet zu, daß ich nicht der lette Pole bin, der euch 
treu bleibt. Meine Treue wird jchlecht gelohnt. Ich werde in 
meine jtille Häuslichkeit zurüdfehren und dort das Ende des 
Krieges abwarten.“ 

„ech, la das fein! Du weißt, wie lieb du mir bit.“ 

„Es wird mir jcehwer, das zu erraten. Der Teufel Hat 
mir wohl diefe Schwäche für Ew. Durchlaucht in das Herz 
gepflanzt. Wenn es wirflih Zauber giebt, jo iſt es bier 
der Fall.“ 

Safowitich ſprach die Wahrheit, denn er liebte Boguslaw 
wirklich) und der Fzürjt wußte dad. Darım war er ihm, went 
auch nicht tiefer zugeneigt, jo Doch wirflich dankbar und erwies 
ihm Dankbarfeit in der Weiſe, wie eitle Menſchen das gegenüber 
denjenigen thun, von denen fie jich verehrt willen. 

Der Fürſt war deshalb auch mit dem SHeiratsprojeft mit 
Anufia Borjchobohata vollfommen einverjtanden; er beichloß, 
perjönlich für Safowitich bei ihr zu werben. 

Gegen Mittag, als er fich wohler fühlte, ließ er jich an- 
fleiden und begab ſich zu Anuſia. 

„sch fomme als alter Bekannter, mich zu erfundigen, wie 
es euch geht,“ jagte er, „und zu fragen, ob euch der Aufent— 
halt in Tauroggen gefällt?“ 

„Wer in Öefangenjchaft lebt, dem muß alles gefallen,“ 
jeufzte Anuſia. 

Der Fürſt lachte. 

„Ihr jeid doch nicht gefangen. Man bat euch zujammen 
mit den Leuten Sapiehas aufgefangen und ich jandte euch mit 
ihnen hierher, aber doch nur zu euret Sicherheit. Es joll euch 
hier fein Haar gekrümmt werden. Ihr müßt nämlich willen, 
daß ich jelten jemanden jo hoch jchäte, wie die Fürſtin Griſeldis, 


>41 


deren Herzen ihr nahe jteht. Die Wisniowiezfis und Samojskis 
aber jind mir verwandt. hr jollt hier jede Freiheit und alle 
Sorgfalt genießen; ich bin als wohlmeinender Freund gefommen 
euch zu jagen, daß ich euch gern eine Esforte zur Lerfügung 
jtelle, falls ihr fort wollt, obgleich ich gerade jet wenig Leute 
habe. Aber ich rate euch, Hier zu bleiben. Man hat euch, wie 
ich hörte, ausgejandt, um ein ererbte® Vermögen zu erlangen. 
Doch wifjet, dazu it jegt nicht Die geeignete Zeit. Selbſt in 
‚sriedenszeiten würde euch die Proteftion des Herrn Sapieha 
nichts nüßen, denn jeine Macht erjtredt fich nur auf das Gu— 
bernium Witebst, hier Schafft er michts. Außerdem fann er 
dieje Angelegenheit nur durch Kommiſſarien erledigen laſſen ... 
Shr braucht einen wohlmeinenden Freund, der jich Nat weiß, 
weicher Nejpeft und Achtung bei den Menjchen genießt. Wenn 
ein jolcher fi) eurer Sache annehmen wollte, der ließe ich 
jiher nicht Stroh jtatt Korn in die Fauſt ſtecken.“ 

„Wo werde ich Waife jo einen Bormund finden?“ 

„Serade hier in Tauroggen.“ 

„Wie, Eure Durchlaucht wolltet jelbit jo gnädig jein?“ 

Anufia faltete die Händchen und blidte den Fürſten mit 
einem jo lieblichen Ausdrud an, daß derjelbe, wenn er nicht 
jo ſchwach und elend jich gefühlt hätte, ſich weniger ehrlich 
der Sache Sakowitſchs angenommen hätte. Aber Liebezgedanfen 
lagen ihm jeßt fern, deshalb jagte er schnell: 

„Wenn ich nur dürfte, dann würde ich niemandem dieſe 
danfbare Funktion anvertrauen. Leider muß ich abreifen. An 
meiner Stelle wird Herr Safowitjch Kommandant in Tauroggen 
bleiben; er iſt ein großer Stavalier, ein bewährter Soldat und 
geichickt, wie fein anderer in ganz Litauen. ch wiederhole 
daher: Bleibt in Tauroggen, es giebt fein jichereres Pläschen 
weit und breit, denn überall haufen die Rebellen, alle Wege 
jind von ihnen bejegt. Sakowitſch wird euch bier bejchügen 
und ſich umſehen, was jich in der Erbjchaftsangelegenheit thun 
läßt, und was er einmal unternimmt, das führt er auch zum 
glüclichen Ende, wie fein anderer. Er ijt mein ‘Freund, ich 
fenne ihn aljo; das eine nur muß ich euch aber jagen: Wenn 
ich jelbit die Erbjchaft für euch erheben jollte und Sakowitſch 
jtände gegen mich, jo würde ich gutwillig darauf verzichten, 
denn es iſt gefährlich, mit ihm zu jtreiten.“ 

„Wenn nur Herr Sakowitſch der Waiſe auch beiftehen 
wollte... .“ 

„Seid nur nicht unfreundlich mit ihm, jo wird er alles 


542 


für euch thun. Eure Schönheit hat jein Herz entflammt; er 
geht umher und jeufzt .. .“ 

„Wie fönnte ich jemanden entflammen,“ jagte Anufia. 

„Sie ijt ein Kobold!“ dachte der Fürit. 

Und laut jeßte er Hinzu: 

„Das mag Safowitjch euch erflären; er muß willen, wie 
e3 gejchehen. Seid nur nicht unfreundlich mit ihm, denn er iſt 
ein edler Menjch, von altem Adel, ich wünjche, daß er nicht 
verichmäht wird.“ 





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8. Kapitel. 


Am nächſten Morgen in der Frühe erhielt der Fürſt die 
Aufforderung, ſofort nach Königsberg zu kommen, um das 
Kommando über die neueingezogenen Truppen zu übernehmen, 
die nach Danzig oder Marienburg abgehen ſollten. Der Brief 
enthielt auch Nachrichten über den waghaljigen Feldzug Karl 
Guſtavs in das Innere der Nepublif. Der Kurfürſt jah das 
jchlimme Ende desjelben voraus und wollte desiwegen eine größere 
Truppenmacht fampfbereit halten, um im Notfalle der einen 
oder anderen Partei beijpringen zu können. Er empfahl dem 
Fürſten die größte Eile und fchien es jo dringend zu haben, 
dat dem erjten nach zwölf Stunden jchon ein zweiter Bote folgte. 

Der Fürſt hatte aljo feine Zeit zu verlieren und Fonnte 
jich auch nicht Zeit nehmen, jich von dem jchweren Anfall zu 
erholen, welchen er in der Nacht wieder gehabt hatte. Er mußte 
fort. So übergab er denn dem Safowitjc) das Kommando, 
indem er jagte: 

„Bielleicht wird es notiwendig, den Schwertträger und das 
Mädchen nach Königsberg zu bringen. Dort wird es leichter 
jein, mit dem eigenfinnigen Alten fertig zu werden. Das Mädchen 
aber werde ich mit in das Feldlager nehmen, denn ich bin es 
müde, mic) von ihr meijtern zu lafjen.“ 

„But,“ jagte Sakowitjch, „dann fann das Heer gleich ver— 
mehrt werden.“ 

Eine halbe Stunde jpäter war der Fürſt nicht mehr in 
Tauroggen. Sakowitſch blieb als allein Herrjchender zurüd 
und erfannte nur eine Macht über ji) an und das war Die 
Macht Anufia Borjchobohatad. Und es wiederholte ſich jetzt 


44 


dasjelbe Spiel bei ihm und ihr, wie ehedem mit dem Fürſten 
und Dlenfa. Er bezähmte jeine wilde Natur und war höflich, 
juchte jeden ihrer Wünjche zu erraten, behandelte fie mit 
Hochachtung, wie ein feiner Mann das thut, wenn er fich um 
die Hand eines Mädchens bewirbt. 

Ihr aber gefiel diejes Negieren auf Tauroggen; es war 
für jie ein angenehmes Gefühl, zu wiſſen, daß, wenn der Abend 
fam, durch die unteren Säle und Korridore des Schlofjes und 
Zeughaujes und durch den noch vom Winterfrojt bereiften 
Garten das jehnjuchtsvolle Seufzen und Schmachten der ver— 
liebten jungen und alten Offiziere ging, den Aitrologen nicht 
ausgejchlojjen, welcher von jeinem Turme aus die Seufzer gen 
Himmel jandte, und den alten Herrn Thomas, der jein Rojen- 
franzgebet unterbrach, um jchnell einmal an fie zu denfen. 

Obgleich fie das gutmütigite Gejchöpf war, freute fie jich 
doc), bar alle dieje Liebesjeufzer fich nicht Dlenfa zumandten, 
auch ſchon im Hinblic auf Babinitjch, da ſie ich hier wiederum 
zur Genüge überzeugen fonnte, wie groß die Macht war, welche 
jie über die Männer ausübte. Sie jagte jich, wenn hier feiner 
ihr widerjtitand, dann fonnte es nicht fehlen, daß fie auch 
ihm mit dem Blick ihrer Neugelein das Herz verjengte. 

„Er wird jene vergejlen, da er feine Gegenliebe findet, 
und wenn das gejchehen ijt, dann wird er mich juchen und 
finden ..... der Böjewicht, der einzige!“ 

Gleich darauf jagte jie drohend: 

„Warte! erjt will ich dich auszahlen, ehe ich dich erhöre!“ 

Den Sakowitſch behandelte jie inzwijchen wie einen, den 
man gern um fich jieht, wenn man auch feine bejondere Vor— 
liebe für ihn hat. Er hatte verjtanden, feinen Verrat in der— 
jelben Weiſe vor ihr zu rechtfertigen, wie der Fürſt vor Dlenfa 
ſich gerechtfertigt hatte, und auch er jprach ihr davon, wie der 
Friede mit Schweden bereits jo gut wie gejchloffen war, wie 
die Nepublif nun hätte aufatmen fünnen, wenn nicht Sapieha 
durch jeine Selbjtjucht und feinen Hab alles verdorben hätte. 

Anuſia, welche wenig von allen diejen Dingen veritand, 
lie die Worte des Bewerbers zu einem Ohre herein, zum anderen 
hinaus. Dafür erwedte etwas anderes in den Reden des 
Staroiten von Orjchmian ihr lebhaftes Intereſſe. 

„Die Billewitich,“ jagte er, „jchreien zum Himmel wegen 
des Unrechts und der Beraubung der ‚Freiheit, die ihnen wider- 
fährt. Es iſt wahr, der Fürſt hält fie in Tauroggen feit, aber 
doch nur zu ihrem Bejten, denn jie werden feine drei Gewände 


945 


weit vom Schlofje fommen, ohne von Näuberbanden überfallen 
zu werden. Es iſt ja auch wahr, daß er jie zurüdhält, weil er 
das Fräulein jehr liebt; wer aber würde das nicht entjchuldigen, 
der jelbjt jchon mit liebendem Herzen um ein Mädchen ge— 
worben? Wenn der Fürſt weniger edle Abſichten hätte, ſo 
brauchte er doch nur ſeine Gewalt zu gebrauchen, doch er wollte 
ſie ehelichen, er wollte dieſes widerſpenſtige Fräulein zu ſich in 
den Fürſtenſtand erheben, ſie mit Glück überhäufen, die Krone 
der Radziwills auf ihr Haupt ſetzen, und für alles das erheben 
dieſe undankbaren Menſchen ihr Klagegeſchrei ... 

Anuſia ſchenkte dieſer Erzählung nicht viel Glauben, darum 
forſchte ſie noch am ſelben Tage bei Olenka nach der Wahrheit 
dieſer Sache, beſonders, ob es wirklich wahr ſei, daß der Fürſt 
ſie habe ehelichen wollen? Olenka konnte das nur beſtätigen. 
Da ſie mit Anuſia ſchon recht vertraut war, brachte ſie auch 
ihre Gründe für die Ablehnung vor. Dieſelben erſchienen ihr 
auch gerechtfertigt, andererſeits aber dachte ſie im Stillen, daß 
der Billewitſch doch kein ſolches Unrecht hier widerfahre und 
weder Sakowitſch, noch der Fürſt, ſo große Verbrecher ſeien, 
wie der Herr Schwertträger aus ihnen machte. 

Als nun die Nachricht eintraf, daß Herr Sapieha mit 
Babinitſch nicht nach Tauroggen kommen wolle, ſondern in Eilmär— 
ſchen dem Könige von Schweden nachziehe, bis weit, weit nach 
Lemberg zu, da überfiel zuerjt eine grenzenloje Wut das fleine Fräu⸗ 
lein, dann aber kam ſie zu der Ueberzeugung, daß es mit der 
Flucht aus Tauroggen nun keine Eile habe, da man hier ſicherer 
war, als irgend ſonſt wo, und nur die Unvernunft die Gefahren 
außerhalb dieſer Mauern, der Sicherheit innerhalb derſelben 
vorziehen konnte. 

Es kam deswegen zu manchen Streitigfeiten zwiſchen Olenka 
und dem Schwertträger und ihr, bis endlich auch ſie zugeben 
mußten, daß die Entfernung Sapiehas die Flucht ſehr erſchwerte, 
wenn nicht unmöglich machte, da in dieſem Lande voll Unruhe 
und Kampf niemand des morgigen Tages ſicher war. Aber 
ſelbſt, wenn ſie Anuſias Gründe nicht ſtichhaltig gefunden hätten, 
ſo war es auch unmöglich, ohne deren Hilfe bei der Wachſam— 
keit des Kommandanten und der übrigen Offiziere von hier zu 
entkommen. Ketling war der einzige, der ihnen ergeben war, 
doch dieſer war jeiner Pflicht nicht abwendig zu machen; er 
war auch viel abwejend, da Safowitjch ihn als erfahrenen, 
brauchbaren Offizier gern gegen die umherjtreifenden Nebellen 
und Konföderierten ausjchidte. 


Sientiewicz, Sturmilut II. 85 


546 


Und Anufia fühlte ſich immer wohler hier. 

Etwa einen Monat nad) der Abreije des Fürſten hatte 
Sakowitſch um fie angehalten. Die Liſtige hatte ihm eine aus- 
weichende Antwort gegeben. Sie hatte gejagt, daß fie ihn noc) 
zu wenig fenne, daß man verjchiedenes über ihn jpreche, dem 
fie auf den Grund gehen müſſe, daß ihre Bekanntſchaft zu kurz 
jei, um ihn jchon lieben zu fünnen, und daß fie ohne die Zu— 
jtimmung der Fürjtin Grifeldis ein Chebündnis nicht eingehen 
fünne. Nach einem Probejahre würde jie die Entjcheidung gern 
nach jeinem Wunjche treffen. 

Der Starojt jchlucdte den Aerger hinunter, ließ für irgend 
ein kleines Verſehen einem Reiter dreitaujend Nutenhiebe geben, 
nach welchen der arme Soldat begraben werden mußte, aber er 
mußte fic in die Entjcheidung Anufias fügen. Sie fachte feine 
Hoffnung mit dem Berjprechen an, nad) einjährigen treuen 
Dienjten ihm den jühen Lohn nicht zu verjagen. 

In diefer Weije jpielte jie mit dem Bären, welchen jie 
jedoch jchon jo gut im Zaume Hatte, dab er das Brummen 
unterdrücte und nur zu ihr jagte 

„Ihr könnt alles von mir verlangen, jelbjt, daß ich auf 
den Knieen vor euch rutjche, nur nicht, daß ich meinen Fürſten 
verrate.“ 

Vielleicht hätte Anuſia ihren Verehrer nicht ſo gereizt, 
wenn ſie erfahren hätte, zu welch ſchrecklichen Unthaten ſich 
Sakowitſch durch ſeine Ungeduld hinreißen ließ und die über 
der ganzen Umgegend wie ein Verhängnis ſchwebten. Die 
Soldaten und Einwohner Tauroggens zitterten vor ihm und 
die Gefangenen verhungerten in ihren Ketten oder erlagen den 
ihnen beigebrachten Brandwunden. 

Es war, als müſſe der wilde Staroſt ſeine heiße, liebe— 
dürſtende Seele in Menſchenblut kühlen und baden, er ſprang 
oft plötzlich auf und warf ſich auf das Pferd, um ſelbſt einen 
Ausfall gegen die Rebellen zu machen. Und der Sieg war 
meiſt auf ſeiner Seite. Haufenweiſe tötete er die Ueberfallenen, 
den Gefangenen ließ er die rechte Hand abſchlagen und ſchickte 
ſie nach Hauſe. 

Der Schrecken, der ſich an ſeine Perſon und an ſeinen 
Namen knüpfte, war grenzenlos, ſo daß ſelbſt größere Parteien 
ſich nicht weiter wie bis nach Roſchen vorwagten. 

Die Gegend wurde ſtill und menſchenleer und er formierte 
aus all dem heimatloſen Geſindel und Raufbolden immer neue 
Abteilungen, die er mit dem erpreßten Gelde der benachbarten 


947 


Adligen und Bürger befleidete und bewaffnete, um für den Fall 
der Not dem Fürſten eine Hilfstruppe jtellen zu können. 

Boguslaw fonnte feinen treueren und zugleich jchreclicheren 
Diener finden, als ihn. 

Dabei vertiefte er jich mit jeinen häßlichen wafjerblauen 
Augen in die dunklen Anuſias und jang ihr Liebeslieder zu 
der Laute, 

So flo das Leben in Tauroggen für Anufia fröhlich und 
vergnüglich, für Olenka trübe und einförmig dahin. Die eine 
Itrahlte Freude und Frohſinn aus, wie das Glühwürmchen in 
der Sohannisnacht, während das Antlig der anderen immer 
blafier, ihre Züge immer erniter und jtrenger wurden; Die 
Brauen zogen fich immer mehr zujammen, man nannte fie nur 
noch) die Nonne. Sie hatte auch etwas von einer Kloſterfrau 
in ihrem Wejen; jie fing an, jich mit dem Gedanken vertraut 
zu machen, daß Gott fie duch Schmerz und Enttäufchung zum 
Frieden und der Ruhe des Kloſters führen wolle. 

Sie war nicht mehr das Mädchen mit den Roſen auf den 
Wangen, mit den glücitrahlenden Augen, das einjt, mit dem 
Verlobten im Schlitten durch die Wälder jagend, voll Luft und 
Wonne ausgerufen hatte: „Dej! Hej!“ 

Es wurde Frühling draußen. Ein ſtarker lauer Wind 
löſte zuerjt die Fluten des Baltifchen Meeres von den Feſſeln 
des Eiſes, dann blühten die Bäume, Blumenfnojpen trieben 
unter der rauhen Hülle der Blätter, dann jchien die Sonne 
warm befruchtend auf die Erde hernieder und noch immer harrte 
dad arme Mädchen auf endliche Befreiung aus diefer Gefangen- 
jchaft. Anuſia wollte weniger denn je von einem Fluchtplane 
etwas hören, denn draußen in der Nepublif ging es immer 
ſchredtiver zu. 

Die Barmherzigkeit Gottes ſchien ganz von ihr gewichen. Wer 
im Winter nicht zu Schwert und Lanze gegriffen hatte, der 
that es jeßt. Der Schnee hatte die Pfade verjchüttet. Jetzt 
bot der Wald bejjeren Schuß, das warme Wetter erleichterte 
das Leben. 

Mit den Schwalben flogen die Nachrichten nad) Tauroggen, 
zuweilen drohend, zuweilen tröjtend. Die einen wie die anderen 
jegnete das fromme Mädchen mit Gebet und begoß jie mit 
Thränen der Trauer oder der Freude. 

Zuerſt drang die Kunde von der allgemeinen Erhebung 
in Ddieje entlegene Beite. Es hieß: So viel Bäume im den 
Wäldern der Nepublif, jo viele Aehren in den Feldern vom 

35* 


>48 


Winde geweht, jo viele Sterne zwiichen dem Baltijchen Meere 
und der Heimat der Tartaren nachts am Himmel leuchten, jo 
viele adlige und edle Männer find aufgeitanden und haben 
nad) Gottes Willen das Schwert ergriffen zum Kampfe gegen 
die Schweden; alle diejenigen, welche mit dem Pfluge die Ader- 
furche jchnitten, Die, welche Handel und Handwerk in den 
Städten trieben, die in der Heide von Bienenzucht, Theerkochen, 
Kohlenbrennen, von der Arbeit mit der Art oder dem Schieh- 
gewehr lebten; die, welche an den Flüſſen Fiſchfang trieben, im 
der Steppe die Herden weideten, jie alle, alle haben zu den 
Waffen gegriffen, um die Unterdrüder aus dem Lande zu treiben. 

Der Schwede fing bereit3 an zu jinfen in der Flut, die 
über ihn Hinbrauite. 

Zum Staunen der ganzen Welt hatte die anjcheinend jo 
fraftloje Nepublif mehr Arme zu ihrer Verteidigung gefunden, 
als fie andere Neiche zur Verfügung hatten. 

Dann famen Nachrichten über Karl Gujtav, wie er immer 
weiter vordrang, im Blute watend, brennend und jengend. 
Man konnte jeden Augenblik jeinen Tod und den Untergang 
des jchwedischen Heeres erwarten. 

Der Name Tjcharniezfis wurde immer lauter genannt; er 
fand lebhaften Wiederhall bis an alle Grenzen des Neiches; Die 
Herzen der Feinde mit Angjt und Entiegen erfüllend. 

„Er hat fie bei Kofchenize geſchlagen!“ hieß es den einen 
Tag, „bei Jaroslaw,“ einen anderen Tag — und mehrere 
Wochen darauf, „er hat bei Sandomir die Schlacht gewonnen!“ 
So tünte es fort durch alle Provinzen; man Ttaumte nur, daß 
e3 noch Schweden im Lande gab. Zuletzt verbreitete ſich das 
Gerücht von der Einjchliegung des Königs mit feiner ganzen 
Armee im Gabelgebiet der Flüſſe. Es ſchien, das Ende war 
gefommen. 

Safowitjch hörte auf, Ausfälle zu machen; er jchrieb nachts 
Briefe und ſchickte fie fort. 

Der Schwertträger war wie von Sinnen. Allabendlich 
brachte er Dlenfa neue Nachrichten. Er bi jich die Nägel ab 
bei dem Gedanken, daß er hier feitjigen mußte, während draußen 
der Kampf wogte. Die Seele des alten Soldaten verlangte 
nach dem Kampf. Zuletzt Schloß er fich in fein Gemach ein; 
er schien stundenlang über etwas zu grübeln. Eines Tages 
umarmte er Olenka ganz plöglicd und unvermittelt, jchluchzte 
laut auf und ſprach: 


49 


„Du biſt mir lieb, Mädchen, einzigites Töchterchen, „aber 
das Vaterland ijt mir noch lieber.“ 

Am nächſten Morgen war er jpurlos verjchwunden. Dlenfa 
fand nur einen Brief vor, folgenden Inhalts: 

„Bott jegne Dich, geliebtes Kind! Ich Habe jchon recht 
veritanden, daß man Did) feitzuhalten jtrebt, nicht mich. Die 
Flucht wird mir allein leichter werden als mit Dir zujammen. 
Gott joll mich jtrafen, wenn ich Dich verlafle aus Hartherzig- 
feit oder aus Lieblojigfeit gegen Dich arme Waije; ich gehe nur 
aus Liebe zum Vaterlande. Die Qual der Umnfreiheit jiegte 
zulegt über die Geduld; ich jchwöre Dir bei den Wunden Chrüti, 
daß ich es nicht länger aushalten fonnte. Wenn ich daran 
dachte, daß das treueite polnische Blut dort in Strömen vers 
gojien wird pro patria et libertate, und nicht ein Tropfen 
des meinigen mit in dieſen Strom fließen follte, da war mir, 
als müßten die Engel im Himmel mich deswegen verdammen ... 
Ich müßte nicht in unjerer heiligen Smudz, wo Tapferfeit und 
amor pro patria in mir von Slindesbeinen an genährt wurden, 
geboren, ich mühte nicht ein Billewitich und Edelmann fein, 
wenn ich bei Dir hätte bleiben, Dich behüten ſollen. Wäreit 
Du ein Mann, jo würdeit Du ebenjo handeln und mich, wie 
ih Dich, einen Daniel in der Höhle der Löwen zurücdlafjen. 
Sch hoffe zu Gott, daß er in jeiner unendlichen Barmherzigfeit 
auch Dich bewahren wird, wie er den Daniel bewahrt hat und 
daß die allerheiligjte Jungfrau, unjere Königin, Dir bejjeren 
Schutz gewähren wird, als ich es fann!“ 

Olenka benette diejes Schreiben mit heigen Thränen, aber 
der Oheim ward ihr nur noch lieber durch dieje That, welche 
ihr Herz mit Stolz erfüllte. Das Verſchwinden desjelben ver- 
urjachte in Tauroggen große Aufregung. Safowitjch jtürmte 
wutjchäumend in das Gemach Dlenfas, ohne vorher jeine Müte 
abzulegen, und frug: 

„Wo ijt euer Ohm?“ 

„Dort, wo alle find, die das Vaterland nicht verraten! ... 
Im Felde!“ 

„Habt ihr von der Flucht gewußt?“ brüllte der Staroit. 

Dienfa trat ohne Bedenken ein paar Schritte vor und ihn 
mit einem Blick voll Verachtung mejjend, antwortete jie: 

„Sa, ich wuhte darum — was weiter?” 

„Fräulein! . . Ei, wäre e8 nicht um des Fürſten Willen! ... 
Ihr werdet euch vor dem Fürften zu verantworten haben!“ 


990 


„Weder vor dem Fürſten, noch vor euch, jeinem Stnecht. 
Sch bitte jegt!“ 

Sie wies mit dem Finger nad) der Thür. 

Er fnirjchte vor Wut, aber er ging hinaus. 

Der nächſte Tag brachte die Nachricht von der Niederlage 
des Großherzog! bei Warka. Wie ein Donnerfchlag traf die- 
jelbe die Verbündeten der Schweden. Sakowitſch jelbit ward 
von folcher Furcht gepadt, daß er nicht wagte, die Priejter zu 
beitrafen, welche in den benachbarten Kirchen das Te deum 
laudamus anjtimmten. 

Eine Zentnerlait aber fiel ihm vom Herzen, als ein paar 
Wochen jpäter Fürſt Boguslam von Marienburg aus ihm 
ichrieb, daß der König aus jeiner Sackfalle entkommen jei. 
Andere Neuigkeiten lauteten weniger ermutigend. Der Fürjt 
verlangte Hilfstruppen und befahl, nur foviel Mann in Tau— 
voggen zurüdzulaflen, als unbedingt zur Beſatzung notwendig 
waren. 

Die Reiter zogen jchon am folgenden Tage ab, mit ihnen Ket— 
ling, Dettingen, Fitz-Gregory, furz alle Offiziere, ausgenommen 
Braun, welchen Safowitjch notwendig brauchte. 

Sn Tauroggen wurde es noch einjamer. 

Anufia Borjchobohata fing an ſich zu langweilen und 
jegte dem Starojten noch mehr zu. Diefer aber dachte daran, 
nach Preußen zu fliehen, denn die durch den Abzug der Neiter 
ermutigten Notten drangen wieder vor, jie liegen ſich jchon 
wieder in der an Tauroggens bliden. Die Billewitjch allein 
hatten gegen fünfhundert Seiter zujammengebracht. Diejelben 
waren aus dem Stleinadel, den Bauern und Bürgern rekrutiert; 
jie hatten den Hauptmann Bützow, welcher jich ihnen entgegen 
gejtellt Hatte, gejchlagen und plünderten nun unbarmberzig alle 
Güter Nadziwills. 

Ihr Anhang vergrößerte jich zujehends, denn fein anderes 
Sejchlecht, jelbjt die Hlebowitſch nicht, erfreuten ſich im Volke 
eines ſo großen Anſehens und ſo großer Achtung wie ſie. Dem 
Staroſten that es leid, Tauroggen den Feinden preiszugeben; 
er wußte auch, daß er in Preußen nur ſchwer Geld und Hilfs— 
truppen finden werde Während er hier Herrjchte, mußte er 
dort dienen, dennoch verlor er immer mehr die Hoffnung, fich 
hier halten zu können. 

Der bejiegte Bügow flüchtete unter feinen Schub und das, 
was er von der Macht und dem Wachstum der Rebellion er- 
zählte, bejtimmte Sakowitjch endlich, nach Preußen zu fliehen. 


551 


Einmal entſchloſſen und gewöhnt, ſeine Entſchlüſſe ſchnell 
auszuführen, beendete er in zehn Tagen die ſchon getroffenen 
Vorbereitungen und erteilte den Befehl zum Ausmarſch. 

Da traf er auf hartnäckigen Widerſtand von einer Seite, 
wo er ihn am wenigſten vermutet hatte und zwar, von ſeiten 
Anuſia Borſchobohatas. 

Sie dachte gar nicht daran, nach Preußen zu gehen, ſie 
befand ſich in Tauroggen ſehr wohl. Das Vorgehen der kon— 
föderierten Parteien ſchreckte ſie nicht im mindeſten und wenn 
die Billewitſch nur Tauroggen ſelbſt angreifen wollten, das 
wäre ihr gerade recht geweſen. Sie dachte auch daran, daß 
ſie in der Fremde vollſtändig von der Gnade Sakowitſchs ab— 
hängig und viel eher zur Eingehung von Verpflichtungen ge— 
drängt werden könnte, durch welche ſich binden zu laſſen ſie 
durchaus keine Luſt verſpürte. Sie beſchloß alſo, ſich der Ab— 
reiſe zu widerſetzen. 

Olenka, welcher ſie ihre Gründe mitteilte, ſtimmte ihr nicht 
nur bei, ſondern flehte ſie mit thränenfeuchten Augen an, nicht 
von hier fortzugehen. 

„Hier können wir noch Erlöſung finden, wenn nicht heute, 
ſo vielleicht morgen,“ ſagte ſie. „Dort ſind wir verloren.“ 

Anuſia aber antwortete darauf: 

„Siehſt du! Faſt hätteſt du mich geſcholten, daß ich auch 
dem Staroſten den Kopf verdrehen wollte, obgleich ich ſelbſt 
keine Ahnung von meinem Thun hatte, ſo wahr ich die Fürſtin 
Griſeldis liebe. Das muß ſo von ſelbſt gekommen ſein. Und 
nun? Würde er wohl auf meinen Widerſpruch etwas geben, 
wenn er nicht in mich verliebt wäre?“ 

„Du haſt recht, Anuſia, du haſt recht?“ erwiderte Olenka. 

„Aengſtige dich nur nicht, mein ſchönſtes Blümchen! Unſer 
Fuß verläßt Tauroggen nicht; ich werde nur den Sakowitſch 
zum Abſchied etwas quälen.“ 

„Gott helfe dir, daß du etwas ausrichteſt.“ 

„Warum jollte ich nicht? . . . Erjtens it es ihm jehr 
um mich, zweitens, wie ich vermute, um meine Erbjichaft. Es 
wäre ihm ein Leichtes, fich mit mir zu erzürnen und mit dem 
Säbel in der Hand die Abreije zu erzwingen, dann aber wäre 
für ihn beides verloren. Das weiß er.“ 

Wie recht Anufia hatte, jollten die Mädchen bald erfahren. 
Als Sakowitſch Fröhlich und voll Selbjtbewußtjein bei ihr ein- 
trat, empfing jie ihn mit etwas verächtlicher Miene. 


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„Iſt es wahr,“ frug fie, „daß ihr aus Furcht vor den 
Herren Billewitjch nach Preußen fliehen wollt?“ 

„Richt vor den Herren Billewitjch,“ antwortete er jtirn- 
runzelnd, „auch nicht aus Furcht, nur vorjichtshalber, um von 
dort aus mit veritärften Kräften gegen Diefe Räuber vor— 
zugehen.“ 

„Dann — glüdliche Reife!” 

„Was ſoll das heigen? Glaubt ihr, ich würde ohne euch, 
meine jüßejte Hoffnung, gehen?“ 

„Wer von der Feigheit befallen ift, der juche feine Hoff- 
nung anderswo, nicht bei mir. Ihr werdet zu vertraulich; ich 
aber, wenn ich einen Bertrauten überhaupt brauchen wollte, 
würde nicht euch dazu auserjehen.“ 

Safowitjch erbleichtee DO, er wollte es ihr jchon ein— 
tränfen, wenn jte nicht Anuſia Borichobohata wäre. Doc er 
befann fich jchnell, vor wem er jtand, jo jteckte er denn jeine 
ſüßeſte Miene auf, als er jcherzend jagte: 

„Ei, ich frage nicht darnach! Ich trage euch in den Kutich- 
wagen und fahre euch hinweg.“ 

„So? ſprach Anufia gedehnt. „Dann bin ich alſo doc, 
entgegen ben Abſichten des Fürſten, hier eine Gefangene? 
Wiſſet, wenn ihr das thut, fpreche ich mein ganzes Leben lang 
fein Wort mehr zu euch, jo wahr mir Gott helfe! Ich bin in 
Lubnie erzogen und habe für Feiglinge nichts übrig als die 
größte Verachtung! O, daß ich doch nie in folche Hände ge- 
raten wäre! ... Hätte mich Herr Babinitjch doch bis zum 
legten Gericht in Litauen behalten, der fürchtet niemanden.” 

„Um Gotteswillen ! fchrie Safowitich. „Sagt mir wenigitens, 
warum ihr nicht nach Preußen wollt.“ 

Anufia jimulierte Statt einer Antwort die größte Verzweif— 
lung; fie weinte: 

„Wie eine Tartarin werde ich behandelt und gefangen ge- 
halten, während ich doc) eine Pflegetochter der Fürſtin Grijeldis 
bin und niemand als fie ein Necht an mich hat. Gefangen 
haben fie mich und gefangen werde ich gehalten, über das Meer 
will man mich bringen, in die Verbannung jchleppen, wer 
weiß, wie bald unter die Folterzange bringen! O Gott! 
D Gott!“ 

„Bei dem Gotte, den ihr anruft!“ rief der Staroſt. „Wer 
will euch foltern ?“ 

„Rettet mich alle Heiligen!“ fagte Anuſia jchluchzend. 

Sakowitſch wußte nicht aus noch ein. Wut und Zorn 


553 


drohte ihn zu erſticken; er wußte nicht recht, war er von Sinnen 
oder war es Anuſia. Endlich fiel er ihr zu Füßen und ver— 
ſprach, in Tauroggen zu bleiben. Da flehte ſie ihn an, doch 
fortzugehen, wenn er ſich fürchte, was ihn vollends zur Ver— 
zweiflung brachte, ſo daß er aufſprang und im Hinaus— 
eilen ſagte: 

„Gut! wir bleiben in Tauroggen und ob ich mich vor 
den Billewitſch fürchte, das wird ſich in kurzem zeigen. 

An demſelben Tage noch ſammelte er die Reſte der 
Bützowſchen Truppe zu ſeinen Leuten und zog hinaus, aber 
nicht nach Preußen, ſondern nach Roſchen zu, wo die Herren 
Billewitſch in den Wäldern von Girlakol ein Feldlager bezogen 
hatten. Dieſe erwarteten einen Angriff nicht mehr, da die 
Nachricht von dem beabſichtigten Auszuge der Truppen aus 
Tauroggen ſchon ſeit mehreren Tagen in der Gegend ver— 
breitet war. 


Die jo unerwartet Ueberfallenen wurden von dem Staroſten 
arg zugededt. Zwar gelang es dem Schwertträger, unter dejien 
Kommando die Abteilung jtand, fich zu retten, doch zwei andere 
Billewitfch von einer Seitenlinie fielen und mit ihnen fait 
der dritte Teil der Soldaten. Einige Gefangene wurden nach 
Tauroggen gebracht und dort getötet, noch ehe Anuſia für fie 
eintreten konnte. 

E3 war num nicht mehr die Nede von einer Abreije aus 
Tauroggen. Sie war aud) nicht mehr notwendig, denn durch 
den Sieg des Herrn Starojten waren die anderen Parteien 
zurüdgejchredt und wagten fich nicht mehr heran. 

Safowitjch brüjtete jich ungeheuer damit und erklärte, der 
ganzen Nebellion der Smudz in kurzer Zeit Herr zu werden, 
wenn Loewenhaupt ihm taujend tüchtige Neiter zur Verfügung 
jtellen wolle. Aber Loewenhaupt war gar micht mehr in der 
Nähe und Anufia nahm die PBrahlerei des Staroiten übel auf. 

„sch glaube, day es ein Leichte war, mit Dem Herrn 
Schwertträger fertig zu werden,“ jagte fie. „Wäre nur derjenige 
euch gegenüber gejtanden, vor welchem ihr mit ſamt dem Fürſten 
Reißaus genommen, jo wäret ihr auch ohme mich über das 
Meer nach Preußen gegangen.” 

Dieje Worte fränften den Staroiten tief. 

„Bor allen Dingen stellt euch nicht vor, daß Preußen 
jenjeitS des Meeres liegt, denn dort liegt Schweden, und dann, 
vor wem bin ich mit dem Fürſten ausgeriſſen?“ 


554 


„Vor Herrn Babinitſch!“ antwortete Anuſia, indem ſie 
zeremoniös knickſte. 

„Wenn ich dieſen doch nur auf Säbellänge vor mir hätte!“ 

„Dann würdet ihr ſicher auf Säbeltiefe in den Erdboden 
ſinken . . . Ruft den Wolf nicht aus dem Walde!“ 

E3 war dem Starojten auch gar nicht Ernit, diefen Wolf 
wiederzujehen, denn wenn er auc) ein unvergleichlich mutiger 
Mann war, jo hatte er vor Babinitjch doch eine fait aber- 
gläubische Furcht, geweckt durch die Erinnerung an den leßten 
gräßlichen Feldzug. Cr ahnte nicht, wie bald diefer jchredliche 
Name wieder an fein Ohr flingen werde. 

Ehe derjelbe jedoch noch durch ganz Smudz ertönte, ver- 
lautete eine für die einen die jreudigite der freudigen, für Safo- 
witjch die jchredlichite aller Nachrichten, welche in drei Worten 
die ganze Nepublif durchflog: 

„Warjchau ijt genommen!“ 

Unter den Füßen der Berräter jchien der Erdboden zu 
entweichen; der Himmel jchien einzufallen über den Schweden, 
jamt den großen Striegshelden, deren Namen wie glänzende 
Sterne bisher geleuchtet hatten und vergöttert worden waren. 
Man wollte den eigenen Ohren nicht trauen als man hörte, 
der Stanzler Oxenſtjerna jet gefangen, Ersfin, Loewenhaupt, 
Wrangel und Wittenberg, der große Wittemberg, welcher Die 
ganze Republik in Blut gebadet hatte, jie alle jeien in Gefangen: 
chart! Johann Stafimir trinmphierte und werde nach Beendi- 
gung des Krieges über die Sünder Gericht halten. 

Dieje Kunde flog mit Windeseile durch die Republik und 
fiel wie eine Bombe ın die Dörfer, wo ein Bauer dem anderen 
jie hajtig erzählte; der Wind trug fie über die Aehrenfelder, 
die Wälder, die Aehren, die Bäume raunten fie einander zu, 
die Adler Ffrächzten fie durch die Luft und — das Volk griff 
mit immer wachjendem Mute zur Waffe. 

Die Niederlage der Billewitich in den Wäldern von Gir- 
lakol war im Augenblick vergeſſen. Der jchredliche Sakowitſch 
wurde in den Augen der Rebellen, ja jogar in jeinen eigenen, 
ganz Klein. Die Rotten überfielen wieder ſchwediſche Abteilungen, 
die Billewitich, welche jich jchnell wieder erholt hatten, über: 
jchritten von neuem die Dubija an der Epite ihrer Bauern 
und des daheim gebliebenen Yaudaer Kleinadels. 

Safowitich wußte nicht mehr, was er thun, wo er Nettung 
finden jollte. Er hatte jchon lange feine Nachricht mehr vom 
Fürſten Boguslaw und grübelte vergebens darüber nach, wo, 


990 


bei welcher Armee er zu finden jein fünnte. Zuweilen befiel ihn 
die gräßliche Bejorgnis, daß auch er gefangen jei. 

Mit Schreden erinnerte er jich, daß der Fürſt gejagt hatte, 
daß er fich nach Warjchau zu wenden wolle. Wenn man ihm 
zum Kommandanten der Beſatzung der Hauptitadt ernennen 
wolle, jo wäre ihm das lieber als alles, da er von dort aus 
nach allen Seiten ſich frei bewegen lonnte. Manche behaupteten 
ſogar mit Beſtimmtheit, daß der Fürſt in die Hände des Königs 
Johann Kaſimir gefallen ſei. 

Wenn der Fürſt nicht in Warſchau war, ſagte man, warum 
hätte ihn dann der allergnädigſte Herr von der Amneſtie, die 
er allen Polen, welche bei den Schweden gedient, erteilt hat, 
ausgeſchloſſen? Er mußte alſo gefangen ſein und da bekannt 
war, daß das Haupt des Fürſten Januſch unter dem Henker— 
beil hatte fallen ſollen, ſo nahm man an, daß mit Boguslaw 
das Gleiche geſchehen werde. 

Bei längerem Nachdenken gelangte Sakowitſch auch zu 
dieſer Ueberzeugung und tobte vor Verzweiflung, denn erſtens 
liebte er den Fürſten, zweitens wußte er nur zu gut, daß im 
Falle des Todes ſeines mächtigen Protektors eher das wildeſte 
Naubtier Schutz und Zuflucht finden würde als er, die rechte 
Hand des Fürſten. 

Ihm schien die Flucht nach Preußen noch der einzige 
Nettungsanfer; er durfte der Weigerung Anuſias fein Gehör 
mehr jchenfen, er mußte fort, Dienit und Brot zu juchen. 

„Wie aber,‘ fragte der Staroſt oft jich jelbit, „wenn nac) 
Friedensſchluß der Kurfürſt die Ueberläufer auslieferte?“ 

Er fand nur einen einzigen Ausweg, — die Flucht über 
das Meer nach Schweden. 

Zum Glück für ihn traf nach einer Woche peinvollſter 
Ungewißheit ein Eilbote vom Fürſten Boguslaw mit einem 
langen eigenhändigen Schreiben desſelben für ihn ein. 

„Warſchau iſt den Schweden genommen,“ ſchrieb der Fürſt. 
„Mein Zeltlager und meine Sachen ſind verloren. Zurück kann 
ich nicht mehr, denn der Haß gegen mich iſt ſo groß, daß ich 
von der Amneſtie ausgeſchloſſen bin. Meine Leute hat Babi— 
nitſch dicht unter den Thoren Warjchan⸗ niedergehauen. Ketling 
iſt in Gefangenſchaft geraten. Der König von Schweden, der 
Kurfürſt und ich, mit Stenbock rücken mit allen zu Gebote 
ſtehenden Streitkräften der Hauptſtadt zu, wo unverzüglich die 
Entſcheidungsſchlacht geliefert werden ſoll. Karolus verſchwört 
ſich, daß ſie gewonnen werden muß, obgleich die Geſchicklichkeit, 


996 


mit welcher Johann Kaſimir operiert, ihn nicht wenig jtußig 
macht. Wer hätte auch gedacht, da in diefem Erjejuiten ein 
jo großer Stratege jtedt? Ich habe dieje Entdedung jchon bei 
Berestetjch gemacht, wo der ganze Plan von ihm und Wijch- 
niowiezfi ausgedacht war. Wir jegen unjere Hoffnung darauf, 
daß das allgemeine Aufgebot, welches Taujende zu Johann 
Kafimir geführt hat, fich wieder nach Haufe zerjtreut, oder daß 
die erjte Begeiiterung verraucht jein wird und jie nicht mehr 
jo tapfer dreinjchlagen. Wolle Gott mit einem Schreden in 
dieje Bande fahren, denn nur jo fann Karolus über fie jiegen, 
obgleich nicht abzuſehen ift, was nachher gejchehen joll, da jelbit 
die Generale fich der Thatjache nicht verfchließen fünnen, daß 
diefe Nebellion einer Hydra gleicht, welcher an Stelle eines 
abgejchlagenen, gleich zehn neue Köpfe wachſen. Man jagt jo 
leicht: ‚Warjchau zurückerobern“ Als ic) diefe Worte aus dem 
Munde des Königs hörte, frug ich: ‚was dann?" Er antwortete 
mir nichts. Unjere Kräfte werden mürbe, die ihrigen eritarfen. 
Wie wollen wir da den Kampf von neuem aufnehmen? Auch 
die Begeijterung iſt nicht mehr diejelbe und von den unjrigen 
wird feiner mehr mit den Schweden halten wollen. Es wird 
ung nichts übrig bleiben, als demütig die Gnade Johann 
Kafimirs nachzujuchen. Gott gäbe, dat ich unbejchädigt davon— 
fomme, daß man mich zu Gnaden aufnimmt und ich nicht aller 
Güter verluftig werde. Ich hoffe zu Gott, aber der Furcht 
fann man jich nicht erwehren, daß das Schlimmite bevorjteht.“ 

„Darum verjuche alles, was von dem Grundbejit irgend 
zu verfaufen geht, entweder gegen bares Geld zu verpfänden 
oder zu verfaufen, follteit Du jelbit heimlicherweije mit den 
Konföderierten deswegen in Verbindung treten müſſen. Du 
jelbjt gehe mit dem ganzen Lager nad) Birz, von wo aus 
Kurland leichter zu erreichen ift. Ich würde Dir raten nad) 
Preußen zu gehen, aber dort wird binnen furzem Feuer und 
Schwert den Aufenthalt unjicher machen, denn gleich nad) der 
Einnahme von Warjchau it dem Babinitjch der Auftrag ge- 
worden, durch Preußen nach Litauen zu ziehen, um dort den 
Aufitand zu jchüren und alles mit Feuer und Schwert zu ver- 
nichten, und Du weißt, daß er das verjteht. Wir wollten ihn 
am Bug auffangen; Stenbod ſchickte eine jtarfe Abteilung gegen 
ihn aus, von welcher nicht ein Mann zurückkehrte. Denke nicht 
etwa daran, Did) mit Babinitjch zu meſſen, denn Du zwingit 
ihn nicht, jondern eile, nach Birz zu entkommen. 

„Das Fieber hat mich volljtändig verlafien, da hier eine 





257 


ichöne, trocdene Hochebene ijt, nicht jolche Sümpfe wie in der 
Smudz. Gott befohlen n. j. w.“ 

So jehr erfreut der Starojt war, daß der Fürſt lebte und 
gejund war, jo jehr bejorgt machten ihn die erhaltenen Nach- 
richten. Wennjchon der Fürſt vorausjah, daß jelbjt ein großer 
Sieg das jchwanfende Kriegsglück der Schweden nicht wieder 
herzujtellen vermochte, was war da noch von der Zukunft zu 
hoffen. Es war wohl möglich, daß der Fürſt fein Leben retten 
und bei jeinem Kurfürftlichen Oheim Schu finden fonnte und 
er, Safowitjch, mit ihm, was aber war inzwijchen zu thun? 
Sollte er nach Preußen gehen? 

Herr Sakowitſch bedurfte des fürftlichen Rates in Bezug 
auf Babinitjch nicht. Ihm fehlte jchon von jelbit die Kraft 
und der Mut, diefem entgegenzutreten. Als letzte Zuflucht 
blieb noch Birz übrig; doch dorthin zu gelangen war es zu jpät. 
Auf dem Wege dorthin lag die Partei der Billewitjich, ein Schod 
andere Parteien, die ſich alle vereinigen würden, ihn zu ver- 
nichten, oder wenn ſie ſich nicht vereinten, in jedem Dorfe, in 
jedem Sumpfe, Walde, Felde ihm ſtets neue Gefechte liefern 
würden. Wie viele Mannjchaften waren da nötig, um wenigjtens 
dreißig Mann heil nach Birz zu bringen. Sollte er aljo in 
Tauroggen bleiben? Auch das war gefährlich, da der gräßliche 
Babinitjch auf dem Wege hierher war. Alle Parteien, die er 
unterwegs antraf, würden jich jeiner Tartarenhorde anjchliegen 
und wie Nachegeiiter über Tauroggen berfallen, wie die Sturm: 
flut hereinbrechen. 

Zum erjtenmal in jeinem Leben fühlte der vermwegene 
Starojt ſich ratlos der Entjcheidung eines Unternehmens, 
machtlos der Gefahr gegenüber. 

Am nächiten Tage berief er Bützow und Braun zur Be- 
ratung. Man bejchloß, in Tauroggen zu bleiben und weitere 
Nachrichten von Warjchau her abzuwarten. 

Doch Braun begab jich von diejer Beratung geradenmwegs 
zu einer anderen, das heißt zu Anufia Borjchobohata. 

Die Unterredung währte lange, lange. Endlich verließ 
Braun das Gemac) mit jehr bewegten Gejichtszügen. Anuſia 
aber jtürmte wie ein Wetter zu Olenka. 

„Dlenfa! Die Zeit ift gefommen!“ rief fie noch auf der 
Schwelle. „Wir müfjen fliehen!“ 

„Dann?“ frug, etwas erbleichend, das tapfere Mädchen, 
indem jie jich zum Zeichen jofortiger Bereitwilligfeit erhob. 

„Morgen! Morgen! Braun hat das Kommando, Safo- 


958 


witjch wird in der Stadt jchlafen, wohin Herr Dzieſchuck ihn 
zum Gajtmahl bitten wird. Herr Dziejchud iſt längſt mit im 
Komplott; er wird ihm etwas in den Wein mijchen. Braun 
will jelbit mitgehen und fünfzig Neiter mitnehmen. O, Dlenfa, 
Olenka, wie glüclich bin ich! wie glücklich!“ 

Anufia umhalſte die Freundin und herzte jie mit einer jo 
jtürmijchen Freude, daß Olenka ganz verwundert fragte: 

„Was fehlt dir, Mädchen? Es lag doch längjt in deiner 
Macht, Braun zu bejtimmen.“ 

„Sch ihn beitimmen? Ja, ich fonnte es! Aber habe ich 
e3 Dir denn noch nicht gejagt? O Gott! Gott! Weißt du es 
noch) nicht? Babinitjch it auf dem Wege hierher! Sakowitſch, 
fie alle bier jterben vor Angjt! ... Herr Babinitſch fommt! 
Er brennt, er jengt! Einen Vortrab der Schweden hat er 
ganz vernichtet, Stenbod ijt verwundet und mun kommt er in 
Eilmärjchen, als hätte er jelbjt große Eile hierher zu kommen! 
Und wem fönnte er hier jo entgegeneilen? Sprich Olenka, bin 
ic) von Sinnen oder nicht?“ 

An den Wimpern Anufias bligten Thränenperlen, Olenka 
faltete die Hände zum Gebet, blickte zum Himmel auf und jagte: 

„Wer es auch jei, dem er entgegemeilt, Gott lenfe jeine 
Wege, jegne und behüte ihn!“ 














9. Rapitel, 





Kmiziz war feine leichte Aufgabe geworden, als der König 
ihm aufgetragen hatte, durch Preußen nach Litauen vorzu— 
dringen, denn jchon bei Sierozf jtand die jchwedische Haupt— 
macht. Karl Gujtav Hatte ihr abjichtlich jeiner Zeit jene 
Stellung angewiejen, um eine Belagerung Warfjchaus zu ver- 
hindern, doch da inzwiichen die Hauptitadt bereits eingenommen 
war, jo hatte die Armee augenblicklich nichts anderes zu thun, 
als die Abteilungen, welche Johann Kafimir etwa nach Litauen 
oder Preußen auszuſchicken gejonnen war, aufzuhalten. An 
ihrer Spike jtanden Douglas, ein gewandter Strieger, welcher 
e3 wie feiner der anderen jchwediichen Generale verstand, im 
Stleinfrieg zu operieren, und die zwei polnischen Weberläufer 
Nadziejowsfi und Nadziwill. Sie führten zweitaufend aus» 
erlejene Fußſoldaten, ebenjoviele Reiter und Artillerie bei jich. 
Als diefe Führer von der Expedition nach Litauen hörten, an 
deren Spite Kmiziz Stand, jtellten fie, um ihn zu fangen, ein 
weites Net, bejonders, da es ihnen nötig jchien, jelbit wieder 
der litauiſchen Grenze näher zu fommen, um das aufs neue 
von den Majuren und Podlachiern belagerte Tyfozin zu retten. 
Diefes Net umfaßte das Dreied zwijchen dem Bug und der 
Narew, demnach zwiſchen Sierozf einerjeits, Slotorya anderer- 
jeit3 mit Dftrolenfa an der Spike, 

Sie wuhten, dal Kmiziz durch diefes Dreieck fommen mußte, 
da er e3 eilig hatte, nach Litauen zu fommen und der nächite 
Weg hier durchführte. Kmiziz bemerkte auch bald, daß man 
ihm eine Falle geitellt hatte, doch gewöhnt, auf dieſe Art Krieg 


560 


zu führen, jchredte ihn Ddiefe Wahrnehmung nicht allzujehr. 
Er tarierte, dal das Neb zu jehr ausgedehnt worden war und 
rechnete darauf, daß er in der höchiten Not durch eine der 
weiten Majchen derjelben würde entjchlüpfen fünnen. Noch 
mehr: Sp jorgfältig man auch Jagd auf ihn machte, jo 
verjtand er nicht nur immer gejchickt zu entjchlüpfen, jondern 
er jagte jelbit mit. Zuerſt überjchritt er den Bug Hinter 
Sierozf, zog ji) am Ufer desjelben bis Wyjchfowo. In 
Bromſchtſchyk jchlug er dreihundert Weiter, welche man als 
Vortrab ausgejendet, jo vollitändig, daß, wie der Fürſt an 
Safowitjch gejchrieben hatte, nicht ein Mann übrig geblieben 
war. In Dlugojchodle überfiel ihn Douglas jelbit plößlich, 
aber er verjprengte die Abteilung, fam ihr in den Rüden, und 
anjtatt zu fliehen, ging er vor ihren Augen bis an die Narew, 
welche er mit jeinen Leuten durchſchwamm. Douglas blieb am 
Ufer zurüd und wartete auf die Prahme, welche man berbei- 
ichaffen jollte, doc) ehe diejelbe zur Stelle war, hatte Kmiziz 
im Dunfel der Nacht an einer anderen Stelle den Fluß 
wieder durchſchwommen, die ſchwediſchen Wachpojten angegriffen 
und Panik und Verwirrung in die ganze Divifion Douglas 
gebracht. 

Diejes Vorgehen verjegte den alten General in unaus- 
jprechlicheg Staunen; jein Staunen aber wurde noch größer, 
als er am Morgen erfuhr, dab Kmiziz die Armee umgangen 
hatte, zu der Stelle zurüdgefehrt war, wo man ihn überfallen 
und in Bromjchtichyf die dem ſchwediſchen Heere folgenden 
Wagen ſamt den Beuteſtücken und der Kriegskaſſe mitge— 
nommen hatte. 

Darauf vergingen zuweilen ganze Tage, an welchen die 
Schweden ſeine Tartaren am Horizont ſich tummeln ſahen, 
ohne daß ſie dieſelben hätten erreichen können. Dafür rupfte 
Herr Andreas den Feind bald hier, bald dort. Die ſchwediſchen 
Soldaten ermüdeten und den polniſchen Fahnen, welche noch 
zu Radziejowski hielten oder aus Diſſidenten zuſammengeſtellt 
waren, konnte man nicht mehr recht trauen. Dagegen diente 
die Bevölferung mit Begeifterung dem berühmten Bartijanen. 
Er fannte durch fie jede Bewegung des Feindes, erfuhr von 
jedem noch jo Kleinen Vortrab, der ausgejandt werden jollte, 
wußte von jedem Wagen, der vorausgejchickt wurde oder zurück— 
bleiben mußte. Es war, als trieb er mit den Schweden ein 
Spiel, aber es war das Spiel eines Tigers mit jeinem Opfer. 
Die Gefangenen wurden gleich getötet; er ließ jie von den 


561 


Tartaren aufhängen, da die Schweden mit den Polen ein 
Gleiches thaten. Zuweilen ſchien ihn eine unbezähmbare Wut 
zu befallen, denn er ſtürzte ſich blindlings auf die Uebermacht 
einer Truppe. 

„Ein Wahnſinniger kommandiert die Abteilung,“ ſprach 
Douglas. 

„Oder ein tollwütiger Hund!“ entgegnete Radziejowski. 

Boguslaw war der Anſicht, daß er beides ſei, dabei aber 
ein ausgezeichneter Soldat. Mit Genugthuung erzählte er auch 
den Generälen, daß er dieſen Kavalier mit eigener Hand zweimal 
niedergeſchlagen hätte. 

Augenblicklich hatte es Kmiziz beſonders auf ihn ab— 
gelehen: er juchte ihn und jchien der Werfolger, nicht der 

erfolgte. 

Douglas erriet, daß hier eine Brivatangelegenheit im Spiele 
jei, ein grenzenlofer Haß. 

Der Fürſt verneinte nicht, obgleich er nähere Aufklärung 
nicht geben wollte. Er wollte den Babinitſch mit gleicher 
Münze heimzahlen, denn dem Beijpiele Chowansfi folgend, fette 
er einen Preis auf feinen Kopf, und als das nicht half, ihn 
in die Hände zu befommen, wollte er verjuchen, eben dieſen 
Haß Babinitjchs als Waffe gegen ihn zu benugen. 

„Es it eine Schande für ung, daß wir uns jo lange mit 
dieſem Räuber herumzerren,” jagte der Fürſt eines Tages zu 
Douglas und NRadziejowätt. 

„Er friecht um uns herum, wie der Wolf um den Schaf: 
ſtall und entjchlüpft uns immer. Sch will mit einer Kleinen 
Abteilung mich ihm als Lodvogel jtellen und ihn, wenn er 
mich angreift, jo lange binhalten, bis Ew. Durchlaucht Herbei- 
fommen, dann lafjen wir den Fiſch nicht mehr aus dem Ne.“ 

Douglas, welcher der gegenfeitigen Jagd längſt überdrüjjig 
war, jegte dem VBorjchlage nur geringen Widerjtand entgegen, 
indem er anführte, daß er das Leben eines jo hohen Würden- 
trägerd und Verwandten von Königen nicht auf das Spiel 
jegen fünne. Doch da der Fürſt darauf bejtand, war er ſchließ— 
lich einverjtanden. 

Man beichloß aljo, daß der Fürſt mit einer Abteilung von 
nur fünfhundert Neitern ausrüden follte; jeder Reiter aber 
jollte einen Füfilier mit der Musfete hinter jih auf das 
Pierd nehmen. Dieje Liſt jollte dazu dienen, Babinitjch irre 
zu führen. 

„Er wird es nicht aushalten können; wenn er hört, daß 

Sienkiewicz, Sturmflut IL 86 


502 


ic) nur fünfhundert Reiter bei mir habe, wird er mich angreifen,‘ 
jagte der Fürjt. „Wenn ihnen nun plöglich die Füſiliere in 
das Geficht jpringen, werden die Tartaren auseinanderitieben 
wie Sand... er wird entweder fallen oder wir nehmen ihn 
lebendig . . .“ | 

Diejer Plan wurde jchnell und mit Sorgfalt durchgeführt. 
Zweit Tage vorher verbreitete man abjichtlich die Nachricht, daß 
ein Vortrab von fünfhundert Neitern unter Boguslaw aus— 
rüden werde. Die Generäle rechneten mit Bejtimmtheit darauf, 
daß die Yandbevölferung dieje Neuigfeit dem Babinitjch gleich 
zutragen werde, was auch geſchah. 

Der Fürft rüdte mitten in der finjteren Nacht nach Won— 
jowo und Jelon zu aus, überjchritt bei Tſcherwin den Fluß, und 
während er die Reiter im blanfen Felde ließ, veritedte er die 
Füfiliere in den anjtoßenden Schonungen, damit jie unverjeheng 
hervorbrechen fonnten. Unterdeſſen follte Douglas am Ufer 
der Narew entlang ziehen und vorgeben, daß er auf Djtrolenfa 
zu marjchiere. Radziejowski jollte mit den leichten Fahnen von 
Kſchenſchopol her anrüden. 

Alle drei Führer Eonnten nicht in Erfahrung bringen, wo 
Babinitjch fich gegenwärtig aufhalte, denn aus den Bauern war 
nicht3 herauszubringen und Die jchweren Reiter verjtanden nicht, 
einen Tartaren einzufangen. Douglas vermutete nur, daß 
Babinitjch mit dem größten Teil feiner Truppe in Schniadowo 
ftand; dort wollte er ihn einjchließen, um ihm, wenn Babinitich 
den Fürſten angriff, von der Grenze Litauend her den Weg 
zu verlegen. 

Alles jchien gut zu gehen. Kmiziz befand ſich thatjächlich 
in Schniadowo, und jobald er vernommen, daß Boguslam mit 
einem Vortrab unterwegs nach Ticherwin jei, jchlug er Sich 
fofort in die Wälder, um plöglich unerwartet in Tſcherwin zu 
erjcheinen. 

Douglas, welcher etwas von der Narew abgelenkt hatte, 
jtieß nach einigen Tagen auf Spuren des Tartarenzuges und 
folgte diejer Spur, befand ſich alfo im Rüden derjelben. Die 
Sonnenhige quälte die mit Gijenblech bepanzerten Menjchen 
und Pferde entjeglich, aber der General drängte vorwärts 
ungeachtet diejer Hindernifje, vollfommen überzeugt davon, daß 
er die Tartarenhorde unverjehens im Augenblid des Zufammen- 
ſtoßes mit Boguslam erreichen werde. 

Endlich, nach weiteren zwei Tagen war er fo nahe an 
Ticherwin gefommen, daß man den Rauch aus den Hütten auf: 


563 


jteigen jehen fonnte. Da hielt er an. Er bejegte alle Ueber— 
gänge, auch die jchmaljten Fußwege, und wartete. 

Einige Offiziere wollten freiwillig auf Nefognoszierung 
augreiten, doch er hielt jie zurüc, indem er jagte: 

„Babinitjch muß nach dem Zuſammenſtoß mit dem Fürſten, 
wenn er erfannt haben wird, daß er es nicht nur mit Reitern, 
jondern mit Fußjoldaten zu thun Hat, jich zurüdziehen ... 
Er fann nur auf dem Wege zurüd, auf dem er gefommen it. 

. Dann muß er uns in die Arme laufen.“ 


E3 blieb alfo nur übrig, zu horchen, wann das erite 
Tartarengeheul und die erjten Musfetenjchüjje ertönen würden. 

Aber es verfloß ein ganzer Tag, ohne daß die Stille in 
den Wäldern unterbrochen worden wäre; es war, als hätte nie 
ein Soldatenfuß diefen Boden betreten. 


Douglas wurde ungeduldig, gegen Abend jchickte er eine 
Batrouille aus, welche den Befehl Hatte, die größte Vorficht 
zu gebrauchen. 

Die Patrouille fehrte tief in der Nacht zurüd; jie hatte 
nichts gejehen noch gehört. Mit dem Morgengrauen zog Douglas 
mit allen jeinen Leuten weiter. 

Nachdem jie einige Stunden marjchiert waren, famen jie 
an ein Feld, auf welchem eine Menge Spuren eines Biwaks 
fi befanden. Man fand Ueberreſte von Zwieback, zerichlagenes 
Glas, Fetzen von einem Alnzuge, einen Gurt mit Munition 
gefüllt, wie ihn die ſchwediſchen Infanterijten zu tragen pflegten. 
Zweifellos hatten hier die Füſiliere Boguslaws gerajtet, ſie jelbit 
waren nirgends zu jehen. Etwas weiter entdeckte auf einer 
naflen Wieje der VBortrab Douglas’ eine Menge Hufjpuren 
jchwerer Pferde, am Rande derielben Spuren der leichten 
Tartarenflepper, etwas weiter lag der Kadaver eines Pferdes, 
aus welchem die Wölfe joeben die Eingeweide gezogen hatten. 
Ein Gewände weit davon fand man dem abgebrochenen Pfeil 
eines QTartaren, doch mit ganzem Bolzen. 

Boguslam mußte alfo den Rückzug angetreten haben und 
Babinitjch ihm folgen. 

Douglas begriff, day etwas Außergewöhnliches vorliegen 
mußte. Aber was? Er wußte feine Erflärung dafür und 
verjanf in Nachdenken. Plöglich wurde jein Grübeln durch) 
einen Offizier der vorderen Wache unterbrochen. 

„Erlaucht!“ jagte er. „Zwiſchen dem Buſchwerk dort jteht 
ein Häuflein Männer. Es jcheinen Wachtpojten zu fein, denn 

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fie bewegen fich nicht. Ich habe den Vortrab aufgehalten, um 
Erlaucht das zu melden.“ 

„Sind es Neiter oder Fußſoldaten?“ 

„Es find Füfiltere, vier oder fünf auf einem Haufen; man 
fann fie nicht genau zählen, die Aeſte find zu dicht. Es leuchtet 
aber gelb durch die Zweige, wie die Uniformen umjerer 
Musketiere.“ 

Douglas ſpornte ſein Pferd, ritt vor bis zum Vortrab, 
ſtellte ſich an die Spitze desſelben und trabte vorwärts. Bald 
erblickte er durch die lichter werdenden Aeſte der Schonung eine 
unbewegliche Gruppe Soldaten, welche vor einem Baume zu 
ſtehen ſchienen. 

„Es ſind die Unſrigen!“ ſagte Douglas. „Der Fürſt muß 
in der Nähe ſein.“ 

„Wunderbar!“ bemerkte nach einer Weile der Offizier. 
„Sie ſtehen Wache, doch keiner ruft uns an, obgleich wir doch 
ziemlich geräuſchvoll vorgehen.“ 

Jetzt kamen ſie an das Ende der Schonung, der Wald 
hatte dort kein Unterholz mehr. Die Herannahenden ſahen 
vier dicht nebeneinander ſtehende Musketiere, welche etwas am 
Boden zu ſuchen ſchienen. Vom Halſe aus zog ſich bei jedem 
von ihnen ein ſchwarzer Streifen gerade in die Höhe. 

„Erlaucht!“ rief plötzlich der Offizier. „Jene dort hängen.“ 

„Es iſt ſo!“ erwiderte Douglas. 

Sie trieben die Pferde zur Eile an und befanden ſich 
bald neben den Leichen. Vier Füſiliere hingen beiſammen wie 
ein Bündel Droſſeln, kaum einen Zoll breit über der Erde, da 
die Aeſte niedrig waren. 

Douglas ließ den Blick gleichgültig über ſie hinſchweifen; 
dabei murmelte er vor ſich hin: 

„Nun wiſſen wir beſtimmt, daß der Fürſt und Babinitſch 
hier vorüber gezogen ſind.“ 

Er wurde nachdenklich. Sollte er dieſen Waldweg weiter 
verfolgen, oder die Landſtraße nach Oſtrolenka einſchlagen. Er 
wußte ſelbſt nicht, was zu thun war. Eine halbe Stunde ſpäter 
entdeckten ſie wieder zwei Leichen. Dieſe ſchienen Marodeure 
oder zurückgebliebene Kranke zu ſein, welche die Tartaren des 
Babinitſch aufgegriffen haben mußten. 

Aber warum hatte der Fürſt ſich zurückgezogen? 

Douglas kannte ihn, d. h. ſeinen Wagemut wie ſeine Er— 
fahrung in Ausübung ſeiner Kriegsführung, zu gut, um nicht 


965 


anzunehmen, daß nur wichtige Gründe ihn dazu veranlaßt 
haben mußten. Was fonnte aljo vorgefallen jein? 

Am folgenden Tage erjt Elärte jich die Angelegenheit auf. 
Herr Bies-Kornia, fam mit einem Vortrab von dreißig Pferden 
mit der Nachricht, daß der König Johann Kafimir den Feld— 
hauptmann Gojchewsft mit jechstaujend litauifchen und Tartaren— 
reitern über den Bug gejchidt habe, um Douglas anzugreifen. 

„Wir haben davon erfahren, noch ehe Babinitjch ung ein- 
holte,“ jagte Herr Bies, „denn er bewegte jich vorjichtig vor— 
wärts und hielt oft Raſt, daher folgte er uns langjam. Herr 
Goſchewski jteht vier oder fünf Meilen von hier. Als der Fürſt 
die Nachricht empfing, mußte er jich eiligit zurückziehen, um jich 
mit Herrn Radziejowsfi zu vereinigen, welcher jonjt leicht hätte 
überfallen werden fünnen. Es gelang uns auch, uns glüclic) 
mit ihm zu vereinigen. Der Fürſt hat dann jogleich Vorjchübe 
nac) allen Seiten hin ausgejchict, um Ew. Erlaucht in Kennt— 
nis zu ſetzen. Es wird mancher von ihnen den Tartaren in 
die Hände gefallen fein, das hilft aber nichts.“ 

„Wo befinden ſich jet der Fürſt und Herr Radziejowski?“ 

„Zwei Meilen von hier, am Ufer des Fluſſes.“ 

„Hat der Fürſt alle jeine Truppen durchgebracht?“ 

„Er mußte die Füfiliere zurücklaſſen; diefelben müſſen ich 
durch das Didicht der Wälder Hindurchitehlen, um ſich vor den 
Tartaren zu jchügen.“ 

„Eine Truppe, wie die Tartaren, verjteht mit ihren Pferden 
auch durch das dichtejte Waldesdicicht zu dringen. Ich fürchte, 
daß wir feinen Mann der Füſiliere wiederjehen werden. Es 
fann niemanden die Schuld treffen; der Fürſt hat gehandelt 
wie ein erfahrener Kriegsmann.“ 

„Der Fürjt hat einen jtarfen Vortrab nach Djtrolenfa 
ausgeſchickt, um den Herrn Unterfämmerer von Litauen irre zu 
führen. Derjelbe marjchiert jedenfalls unverzüglich dorthin, im 
Glauben, daß unſere ganze Armee die Richtung nad) Ojtrolenfa 
eingejchlagen hat.“ 

„Das iſt gut!“ ſagte Douglas erfreut. „Auf diefe Weije 
werden wir den Herrn Unterfämmerer jchon bezwingen. 

Ohne länger zu zaudern, befahl er den Aufbruch, um jich 
mit dem Fürften und Herrn Nadziejowsfi zu vereinigen. Das 
Bujammentreffen erfolgte auch noch an demjelben Tage zur 
großen Freude Nadziejowsfis, welcher jeine Gefangennahme mehr 
fürchtete al3 den Tod. Wußte er doch jehr gut, daß man über 
ihn, den Verräter und den Veranlajier alles Unglüds, welches 


566 


die Nepublif betroffen hatte, die jchweriten Strafen ver- 
hängen werde. 

Nun jedoch, nach der Bereinigung mit Douglas, betrug 
die ſchwediſche Armee über viertaujend Mann, mit welchen man 
e3 mit dem Herrn Feldhauptmann wohl aufnehmen konnte. 
Derjelbe verfügte zwar über jechstaujend Reiter, doc) die Tartaren, 
ausgenommen Diejenigen des Herrn Babinitjch, Fonnten als 
Angriffstruppe feine Berwendung finden, und Herr Gojchewsft 
jelbjt, obgleich ein geſchickter General, verjtand nicht wie Tſchar— 
niezki, die Truppen zu jener Begeilterung zu entflammen, die 
alles mit fich fortreigt. 

Douglas grübelte darüber, zu welchem Zwed Johann Kafimir 
den Feldhauptmann über den Fluß gefandt hatte. Der König 
von Schweden z0g mit dem Kturfürjten nad) Warjchau zu; die 
Entjcheidungsichlacht mußte dort früher oder jpäter fallen und 
wenngleic) Johann Kajimir über eine Macht verfügte, welche 
die Schwedische und brandenburgijche an Zahl bei weitem über- 
traf, jo bildeten doch jechstaujend tapfere Neiter eine große 
Stüße, deren man fich freiwillig nicht ohne zwingende Gründe 
entäußerte. 

E3 mochte immerhin jein, daß Gojchewsfi den Herrn Babi- 
nitjch aus der Klemme helfen jollte, dazu bedurfte es doc) aber 
feiner ganzen Divifion. Es mußte daher mit diefem Feldzuge 
irgend eine verſteckte Abjicht verbunden jein, welche er troß 
allem Scharfiinn nicht zu erraten vermochte. 

In dem Briefe, welchen eine Woche jpäter der König von 
Schweden an ihm richtete, jprach fich eine große Unruhe und 
Aengitlichfeit in Bezug auf diejen Feldzug aus. Nach der An- 
fiht Karl Gujtavs war der Feldhauptmann nicht ins Feld 
gejchiclt worden, um Douglas anzugreifen oder um Litauen zu 
Ichügen, welches ohnehin von den Schweden nicht mehr gehalten 
werden fonnte, jondern, um in das von allen Truppen ent» 
blößte Preußen einzufallen. 

Der Brief jchloß mit dem Auftrage, mit Aufwand aller 
Kräfte den Eintritt des Feldhauptmanns in Preußen zu ver— 
hindern, da, wenn Dderjelbe binnen einer Woche die Grenze 
noch nicht überjchritten habe, er zweifellos nad; Warjchau zurück— 
fehren müſſe. 

Douglas jagte ſich, dat die Aufgabe, welche ihm gejtellt 
worden, jeine Kräfte nicht überjtieg. Hatte er doch noch un 
längjt mit einem gewijjen Erfolge dem Herrn Tſcharniezki die 
Stirn geboten. Daher fürchtete er Gojchewsft nicht. Wenn 


567 


er auch nicht erwarten fonnte, die ganze Diviſion zu bejiegen, 
jo durfte er doch hoffen, fie fejtzulegen und ihre Bewegungen 
zu hindern. 

Nun begann ein jehr gejchicttes Manöverieren der beiden 
Armeen gegeneinander, welche ſich bemühten, einander zu ums 
geden, dabei aber den offenen Angriff jorgfältigjt vermieden. 

eide Führer wetteiferten miteinander an Liſt und Gejchid- 
lichfeitt, doch blieb Douglas injofern der Ueberlegene, weil 
er den Herrn Feldhauptmann nicht über Djtrolenfa hinaus 
fommen lieh. 

Der von dem Angriff durch Boguslaw nunmehr behütete 
Babinitjch hatte es gar nicht eilig, mit der litauifchen Divifion 
zufammenzujtoßen; er bejchäftigte jich eifrig mit den Füſilieren, 
welche Boguslaw bei jeinem eiligen Abmarjch zurücklaſſen mußte. 
Seine Tartaren jchlichen, geführt von den Waldläufern, ihnen 
unabläjfig nad) und töteten jie, wo fie nur irgend Unvorfichtige 
‚antrafen. Mangel an Yebensmitteln zwang die Schweden 
zulegt, jich in fleinere Abteilungen zu trennen, weil jie jo 
leichter fich ernähren fonnten, und darauf hatte Kmiziz nur 
gewartet. 

Nachdem er jeine Horde in drei Kolonnen geteilt hatte, 
unter Akbah-Ulan, Sorofa und ihm jelbit, begann er eine 
förmliche Treibjagd auf die Armee. Unter Musfetenknallen, 
Lärmen, Zurufen und Krachen der Büjche, war bald das ganze 
Regiment dem Tode geweiht. 

Weit und breit wurde der Name Babinitjch unter den 
Majuren genannt umd geehrt. Die drei Kolonnen vereinigten 
jih erit dann mit Herrn Gojchewsft dicht bei Djtrolenfa, als 
der Herr TFeldhauptmann, dejjen ganze Manipulation nur eine 
Demonftration gewejen war, jchon den Befehl des Königs hatte, 
wieder nad) Warſchau zurüdzufehren. Nur kurz war die Freude 
des Wiederjehens mit den Bekannten, beſonders mit Herrn 
Sagloba und Wolodyjowski, welche mit der Laudaer Fahne den 
Feldhauptmann begleitet hatten. Sie begrüßten jich jehr herz. 
lich, denn es hatte jich bereits eine große freundjchaftliche Ver— 
traulichfeit zwiſchen Ahnen entwidelt. Beide junge Hauptleute 
beklagten jehr, daß jie für dieſes Mal nichts gegen Boguslaw 
hatten unternehmen fönnen, doch Sagloba verjuchte fie zu 
tröften, und während er ihnen die Gläfer von neuem füllte, 
jagte er: 

„Das macht nichts! Mein Gehirn arbeitet jchon feit dem 
Mat unaufhörlich über einem Plan, ihm beizufommen und es 


68 


hat noch nie umjonjt gearbeitet. Ich habe jchon etwas fertig, 
nur fann man jeßt nicht an die Ausführung denfen, wir müjjen 
das bis Warjchau lajjen, wohin wir alle zujammen gehen.“ 

„sch muß nad) Preußen!“ entgegnete Babinitjch, „und kann 
deshalb die Schlacht bei Warſchau nicht mitmachen.“ 

„Wirſt du denn hinübergelangen können ?“ frug Wolodyjowski. 

„Das werde ich mit Gottes Hilfe. Ich verjpreche e8 euch 
heilig, daß ich da drüben einen Bigos für meine Tartaren her— 
richten will, der nicht fchlecht jein joll. ‚Schwelge, Seele! Sie 
lauern jchon lange auf eine ordentliche Beute, ich halte jie nur 
immer zu feſt im Zügel. Dort aber jollen fie freies Feld 
haben, denn wir find dort in Feindesland! Warum jollte ich 
nicht hinüber gelangen? Bei euch war es etwas anderes; denn 
e3 ijt leichter, eine große Armee aufzuhalten, als ein Fleimes 
Kommando, mit welchem man leicht einen Unterjchlupf findet. 
Wir haben oft im Möhricht geitect, während Dougla® mit 
jeinen Truppen Dicht an uns vorüberzog, ohne es zu willen. 
Douglas wird übrigens euch folgen müjjen, dann habe ich bier 
freies Feld.“ 

„Du haft ihn, wie ich hörte, tüchtig abgehetzt!“ ſagte Wolo- 
dyjoweli mit Genugthuung. 

„Der Schelm!“ ſetzte Herr Sagloba hinzu. „Er ſchwitzte 
ſo, daß er täglich ein friſches Hemd anziehen mußte. Ihr 
konntet es mit Chowanski auch nicht beſſer gemacht haben und 
ich bekenne gern, daß ich an eurer Stelle es auch nicht beſſer 
könnte, obgleich ſchon Herr Koniezpolski gejagt bat, dab einen 
Streifzug zu führen feiner bejjer veriteht als Sagloba.“ 

„Sch glaube, daß Douglas, wenn er zurüd muß, den Nad- 
ziwill hierlafien wird, damit er dir den Weg verlegt,“ ſagte 
Wolodyjowski zu Kmzig 

„O, wenn das wahr wäre! Ich will es hoffen,“ entgegnete 
Kmiziz lebhafi 

„Wenn wir uns gegenſeitig ſuchen, müſſen wir uns doch 
endlich finden. Ein drittes Mal kriegt er mich nicht unter und 
thut er es dennoch, dann bleibe ich für immer liegen. Ich bin 
deiner Lehren noch eingedenk und alle deine Lubniower Kunſt— 
griffe find mir noch geläufig. Ich übe fie täglich) mit Sorofa, 
um die Hand ficher zu machen. 

„Was nüten die Kunftgriffe,“ rief Wolodyjowsfi. „Der 
Säbel ijt doch die Hauptſache.“ 

Herr Sagloba fühlte jich) etwas durch dieſe Marime be= 
troffen, deshalb jagte er jchnell: 


569 


„Sede Windmühle denkt, daß die Hauptjache die ift, die 
Flügel zu drehen, und wißt ihr warum, Michalef? Denn fie 
hat Spreu unter dem Dache, das heit Spreu im Kopfe. Die 
Kriegskunſt beruht ebenfalls auf Kunſtgriffen; wäre dem nicht 
jo, dann fünnte Nochus Großhetman jein, während du es nur 
zum Feldhauptmann brächtejt.“ 

„Wie befindet ſich Herr Kowalski?” frug Kmiziz. 

„Herr Kowalski? Der trägt jchon den eifernen Helm auf 
dem Kopfe und das mit Necht, denn der Kohl jchmedt immer 
am beiten aus dem Tiegel. Er hat ji in Warjchau ein edles 
Gefolge angejchafft, denn er ijt zu den Hujaren übergegangen, 
dient unter dem Knäs Bolubinsfi und das alles darum, damit 
er mit gejenfter Lanze auf den König Karolus losziehen fann. 
Er fommt alle Tage unter unjer Zelt und jchmeißt mit den 
Augen umher, ob nicht irgendwo unter dem Stroh der dide 
Bauch einer Weinflajche hervorlugt. Ich kann dem Jungen 
das Saufen nicht abgewüöhnen. Bei dem Hilft das gute Bei- 
jpiel nichts. Ich Habe ihm ſchon prophezeit, daß die Untreue, 
mit der er die Laudaer Fahne verlajjen hat, ihm nichts qutes 
bringen wird. Der undanfbare Schelm! Für jo viele Wohl- 
thaten, die ich ihm erwiejen, lohnt er mir damit, daß er mich 
verläßt um einer Lanze willen!“ 

„Ihr habt ihn aljo erzogen ?“ 

„Macht mich nicht zum Bärenführer, Ew. Herrlichkeit! 
Dem Herrn Sapieha, welcher mir diejelbe Frage vorlegte, habe 
ich gejagt, day Rochus und er, denjelben Bräzeptor gehabt hat, 
welcher ich jedoch nicht war; denn ich war im meinen jungen 
Jahren Böttcher und verjtand ausgezeichnet die Faßdauben 
zuſammenzuſetzen.“ 

„Erſtens, ihr würdet gar nicht wagen, dem Herrn Sapieha 
jo etwas zu jagen,” warf Herr Wolodyjowsfi ein. „Zweitens 
jcheltet ihr den Kowalski und dennoch iſt er euer Augapfel.“ 

„Das ijt wahr! Ich liebe ihn mehr als euch, Herr Michael, 
da ich Maikäfer niemals gelitten habe, ebenſowenig wie verliebte 
Gelbjchnäbel, die beim Anblick des eriten beiten Mädchens gleich 
Purzelbäume jchießen.“ 

„Oder wie jene Affen im Palais Kajanowsfi in Warjchau, 
mit denen ihr kämpfen mußtet.“ 

„Lacht nur, lacht! Ein anderes Mal fünnt ihr Warjchau 
allein einnehmen!“ 

„Alſo habt ihr es etwa eingenommen ? 

„Wer jonjt hat das Strafauer Thor erobert? Wer hat 


570 


den Gedanken gefaßt, die Generale in Gefangenschaft zu jegen ? 
Site figen jet bei Waſſer und Brot in Samojchtich und jo 
oft Wittemberg den Wrangel anſieht, jagt er: ‚Sagloba hat 
uns hierher geſetzt“ — und dann brechen beide in Thränen 
aus. Wenn Herr Sagloba nicht franf wäre, wollte er euch 
Ihon jagen, wer den Schweden aus Warjchau getrieben hat.“ 

„Um Gotteswillen! Thut mir den Gefallen und gebt mir 
Nachricht über die Schlacht, welche fich jest bei Warjchau vor— 
bereitet. Ich werde die Tage und Nächte zählen und nicht 
eher Ruhe finden, bis ich etwas Beſtimmtes weiß,“ bat Kmiziz. 

Sagloba legte den Zeigefinger an die Stirn. 

„Hört einmal, was ich für eine Idee habe,“ ſagte er. 
„Das, was ich jagen werde, wird jo gewiß in Erfüllung gehen, 
wie es gewiß iſt, daß dieſes Glas hier vor mir ſteht ... 
Oder jteht es etwa nicht? Wie?“ 

„Es ſteht da! Sprecht nur!“ 

„Dieje Entjcheidungsichlacht werden wir entweder gewinnen 
oder verlieren . . .“ 

„Das willen wir alle!“ verjegte Wolodyjowski. 

„Ihr thätet bejier, zu jchweigen und zu lernen, Herr Michael. 
— Angenommen, wir verlieren die Schlacht, was dann? Seht ihr, 
dag wißt ihr jchon nicht, denn ihr zuckt mit euren Barthaaren 
bin und her, wie ein Haje . . . Alſo! ich jage euch — nichts 
wird jein!“ 

Kmiziz, welcher immer jehr lebhaft war, jprang auf, jtieß 
mit dem Glaſe auf den Tiſch und rief ungeduldig: 

„Ihr fajelt!“ 

„sh ſage nur, dat nichts fein wird!“ entgegnete Sagloba. 
„Ihr Jungen verjteht das nicht, daß, wie jeßt die Sachen liegen, 
unjer König, unſere Armee, unjer liebes Vaterland, fünfzig 
Schlachten nach einander liefern können, ohne Schaden zu leiden ... 
Denn wie ehedem wird der Krieg fortgeführt werden, der Adel 
wird zujammentreten und die niederen Stände ... . umd fiegen 
wir einmal nicht, dann jiegen wir ein anderes Mal, folange 
bis die feindliche Macht zufammenjchmilzt. Wenn aber Die 
Schweden verlieren, dann find jie rettungslos verloren.“ 

Hier wurde Sagloba lebhaft; er trank jein Glas aus, ſtieß 
es auf den Tiſch auf, daß es klirrte und fuhr fort: 

„Hört mich an! ES fpricht nicht irgend einer zu euch, 
denn micht jeder verjteht die Dinge richtig zu jehen. Mand) 
einer denkt: Was alles wartet unjer noch? Wie viele Schlachten, 
wie viel Elend und Thränen? wie viel Blut wird noch fließen? 


971 


Und manch einer zweifelt an der Barmherzigkeit Gotte8 und 
Läftert die heilige Jungfrau . . . Aber ich jage euch: Wißt ihr, 
was Ddiejer feindlichen VBandalen wartet? — die Niederlage! 
Wißt ihr, was unjer wartet? — der Sieg! Yaht fie uns nod) 
hundertinal bejiegen, gut . . . wir aber werden die Hundertund- 
erite Schlacht liefern, dann tft das Ende des Krieges.“ 

Während der letten Worte hatte Herr Sagloba die Augen 
geichloffen, num öffnete er fie wieder, jah leuchtenden Blickes 
vor ſich Hin, und rief dann aus voller Brut: 

„Sieg! Sieg!“ 

Kmiziz errötete vor Feude. 

„Wahrhaftig er hat Recht! Wahrhaftig, es iſt wahr, was 
er ſagt! So muß, ſo wird das Ende ſein!“ 

„Man muß ſchon eingeſtehen, daß es euch hier nicht fehlt!“ 
ſagte Wolodyjowski, ſich an die Stirn ſchlagend. „Man kann 
die Republik wohl einnehmen, doch ſie feſtzuhalten iſt nicht 
leicht . .. zuletzt müſſen fie ſich hinausſcheren.“ 

„Ha! Was? Es fehlt mir nicht!“ rief Sagloba von dem 
Lobe erfreut. 

„Wenn ihr das meint, will ich euch weiter prophezeien. 
Gott iſt mit den Gerechten! Ihr — hier wandte er ſich an 
Kmiziz — werdet den Radziwill überwinden, ihr werdet nach 
Tauroggen gehen, euer Mädchen holen, ſie ehelichen und Nach— 
kommenſchaft groß ziehen . . . Meine Zunge ſoll den Pips 
bekommen, wenn ſich das nicht erfüllt, was ich jage... Um 
Gotteswillen erdrüdt mich nur micht!“ 

Herr Sagloba Hatte Urfache, jich zu wehren, denn Kmiziz 
hatte den Alten in die Arme genommen, emporgehoben und 
preßte ihn nun jo an jich, daß ıhm die Augen aus dem Kopfe 
traten. Doch faum Hatte diejer ihn niedergejtellt, faum hatte 
er nad) Luft gejchnappt, faßte ihn Wolodyjowsfi an der Hand 
und rief luſtig: 

„set ift die Neihe an mir! Sprecht, was jteht mir bevor?“ 

„Bott jegnet euch, Herr Michael! ... Eure zarte Lerche 
führt euch ein ganzes Volk aus dem Neſte ... aber fürchtet 
euch nicht. Uff!“ 

„Vivat!“ jchrie Wolodyjowski. 

„Doch zuvor treiben wir die Schweden hinaus!“ ſetzte 
Saglebo hinzu. 

„Das wollen wir thun! Das wollen wir thun!“ riefen die 
beiden Hauptleute, mit den Säbeln klirrend. 

„wat! Der Sieg!“ 





10. Kapitel. 





Eine Woche nachher hatte Kmiziz die Grenze Preußens 
überjchritten. Es war ihm das gar nicht jchwer geworden, 
denn er war furz vor dem Abmarſch des Herrn TFeldhaupt- 
mann jo heimlich und geräujchlos in die Wälder getaucht, dab 
Douglas mit Bejtimmtheit glaubte, er jei mit der ganzen Diviſion 
nach Warjchau zurüdgezogen und habe nur fleine Bejagungen 
zum Schuß in den fleinen Schlöffern hier gelaſſen. 

Douglas folgte nun der Spur Goſchewskis, mit ihm Radzie— 
jowski und Radzuvill. 

Kmiziz erfuhr das noch vor dem Weberjchreiten der Grenze 
und fränfte fich graufig, daß er feinem Todfeinde nicht Auge 
in Auge werde gegemüberjtehen fünnen umd daß die verdiente 
Strafe vielleicht den Fürjten von einer anderen Hand als der 
jeinigen, 3. B. von der Hand Wolodyjowsfi treffen könnte, 
welcher ihm ebenfall® Nache geſchworen hatte. 

Da er nun an der Perſon des Vaterlandsverräters für 
das Unglück, das durch feine Schuld über die Nepublif ge- 
fommen war, und für die eigene ihm zugefügte Not nicht 
Nache nehmen konnte, jo übte er diejelbe auf gräßliche Weije 
an den Beſitzungen desjelben. Noch in derjelben Nacht, in 
welcher die Tartaren den Grenzpfahl Hinter ſich ließen, rötete 
fic) der Himmel von den angezündeten Dörfern. Schreien und 
Wehklagen füllte die Luft. Wer im polnischer Sprache um 
Barmherzigkeit flehte, der wurde auf Befehl des Führers ge- 
ichont, dafür wurden die deutjchen Anjiedelungen, Kolonieen, 
Dörfer und Städte Preußens in ein Flammenmeer verwandelt. 


978 


Wie ein Strom brennenden Deles ergoß jich die Tartaren- 
horde über die jonjt jo itillen und friedlichen Fluren. Man 
hätte denfen künnen, daß jeder Tartar ſich verdoppele und ver- 
dreifache, um gleichzeitig an mehreren Stellen brandichagen zu 
können. Nicht die Getreidefelder, nicht die Objtbäume in den 
Gärten wurden gejchont. 

Kmiziz jelbit, von Natur wild und graujfam, freute fich 
der Zerftörung, wenn er auch nicht thätig an dem Zerſtörungs— 
werfe mit arbeitete. Er erinnerte jich jegt oft jener Zeiten, 
wo er auf feinen Streifzügen den Chowanski jo gequält hatte, 
und jeine Kumpane traten ihm dabei leibhaftig vor Augen. 
Kokoſinski, der Rieſe Hippocentaurus Kulwiez, Ranizki der 
Weiſe, Uhlick der Spielmann, Rekutſch, der fein Menjchenblut 
auf dem Gewifjen Hatte, und Zend, welcher jo vortrefflich ver- 
Itanden hatte, die Stimmen der Vögel nachzuahmen. 

Das hHinderte ihn nicht, beim Leuchten der brennenden 
Dörfer allabendlic) den Roſenkranz zu beten; denn auch weh- 
mütige und jehnjüchtige Gedanken famen zu ihm zu Gaſte. 
Alle jene, deren Andenken ihm jo lieb war, brieten, ausgenommen 
den Netutich, jicherlich in der Hölle Jetzt, ja jetzt hätten jie 
Gelegenheit gehabt, jich im Blute zu baden, ohne die Blutjchuld 
auf ihr Gewifjen zu laden, zum Heile des VBaterlandes . . .“ 

Herr Andreas jeufzte jchmerzlich bei dem Gedanken, welc) 
ein verderbenbringendes Ding die Zügellofigfeit ijt, wenn fie 
im Uebermut der Jugend fo weit getrieben wird, daß nichts 
mehr die daraus entjtandenen Berjchuldungen gut zu machen 
vermag. 

Am wehmütigiten jtimmte ihn aber die Erinnerung an 
Olenka. Se weiter er in Preußen vordrang, dejto heißer brannte 
die Wunde jeines Herzens; wie die Flammen, die er in den 
Hütten der Dörfer und Städte anfachen ließ. Er ſprach im 
Stillen oft mit fich felbit und jeufzte zu feinem Mädchen: 

„Mein geliebtes Täubchen, du Haft mich ficherlich jchon 
vergejjen, und wenn du meiner gedenkit, dann muß Zorn dein 
Herz erfüllen, während ich fern von dir, Tag und Nacht, im 
Kampf und während der Ruhe nur an dich denfe und meine 
Seele über Flüffe und Wälder dir zufliegt, um zu Deinen 
Füßen zu liegen. Der Republik und dir ijt mein Blut und 
Leben geweiht, aber wehe mir, wenn dein Herz mich auf ewig 
verdammen jollte.“ 

Auf diefe Weife drang er die Grenze entlang immer 
weiter nach Norden vor. Die Sehnjucht padte ihn immer 


574 


heftiger. Am liebſten wäre er jchon in Tauroggen gewejen, 
aber der Weg dorthin war noch weit und voller Gefahren, 
denn endlich) begann man jich zu wehren. Alles, was lebte, 
griff zu den Waffen, um den Verwüjtungen, durch die Tartaren 
verübt, Einhalt zu thun. Die Bejagungen jelbjt ganz entfernt 
gelegener Städte eilten herbei, formierten ein Regiment, ein 
zweites wurde aus den Jünglingen der Städte gebildet und 
bald war ein jo anjehnliches Heer beijammen, daß immer zwanzig 
Mann auf einen Tartaren kamen. 

Kmiziz griff diefe Kommandos an, überfiel fie wie der 
Blitz, verjprengte fie, wich ihnen aus, juchte fie zu umgehen, 
verjchwand in den Wäldern, um plöglich wieder aufzutauchen, 
aber er fam nicht mehr jo jchnell vorwärts. Er war gezwungen, 
ji) tage- ja wochenlang im Didicht des Waldes oder im 
Nöhricht an den Ufern der Seen zu verbergen. Das Volk 
jammelte jich immer zahlreicher zu feiner Abwehr, er wurde 
gehett wie ein Wolf und big um fich, wie ein Wolf. 

Da er es liebte, gründlich zu arbeiten, jo blieb er troß der 
DVerfolgungen zuweilen jo lange in einer Gegend, bis Diejelbe 
volljtändig verwüjtet war. Irgend ein Zufall Hatte jeinen 
Namen befannt gemacht, welcher nunmehr bis zum Baltijchen 
Meere mit Schrecken und Entjegen genannt wurde. 

Zwar hätte Herr Babinitjch jich wieder in die Grenzen 
der Republik zurüdziehen und an den kleinen Kommandos 
vorüber nach Tauroggen gelangen fünnen, doch das wollte er 
nicht. Er wollte nicht nur jich jelbjt, jondern vor allem dem 
Baterlande dienen. 

Unterdejjen waren Nachrichten nah Preußen gelangt, 
welche den Bewohnern neuen Mut einflöhten, das Herz Kmiziz's 
aber mit unausjprechlichem Schmerz erfüllten. Das Gerücht, 
daß der König von Polen eine große Schlacht bei Warjchau 
verloren hatte, fahte immer mehr fejten Fuß. „Karl Gujtav 
und der Kurfürſt haben das ganze Heer Johann Kafimirs ge- 
ſchlagen,“ hörte man immer wieder freudig ausrufen. „Warjchau 
it wieder genommen! Es iſt der größte Sieg während des 
ganzen Krieges, die Nepublif iſt verloren!“ tönte es Kmiziz 
überall entgegen. Konnte man diejen Gerüchten Glauben jchenten, 
jo war freilich alles verloren, denn ihnen zufolge waren die 
polnischen Armeen jämtlich vernichtet, die Hetmane alle gefallen 
und der König in Gefangenschaft geraten. 

So jollte denn mit einem Schlage alles vorüber, alles ver— 
nichtet jein? Die ganze, jich aufraffende, fiegende Republik nur 


575 


eine Ausgeburt der Phantajie gewejen jein? Alles, die ganze 
Macht Polens, das ganze Heer, jo viele große Männer und 
Krieger, das alles jollte vom Erdboden getilgt und verweht 
jein wie Rauch? Es jollte feine anderen Vaterlandsverteidiger 
mehr geben, wie die loſen Barteien der Aufjtändischen, welche 
auf die Nachricht von der Niederlage des Heeres auseinander: 
jtieben würden wie der Wind?! 

Kmiziz rang die Hände, raufte das Haar und raffte Die 
najje Erde mit den Händen auf, um den brennenden Kopf da- 
mit zu fühlen. 

„Auch ich werde fallen!“ jagte er ſich, „zuerit aber richte 
id) ein Blutbad an.“ 

Wie ein Verzweifelter begann er fich num zu wehren. Er 
juchte feine Verjtede mehr auf; den erjehnten Tod zu finden 
jtürzte er fi auf dreimal ftärfere Truppenabteilungen der 
Feinde und bejiegte ſie. Der Reſt jedes Menjchlichfeitsgefühls 
eritarb in den Tartaren; fie verwandelten ſich in eine Horde 
Naubtiere. Diejes raubgierige, früher zu einem Kampf im 
offenen Felde ganz eh Volk Hatte jich, unbejchadet 
jeiner Fähigkeit und Gejchiclichfeit in Wlänfeleien, durch die 
andauernden Kämpfe und die Uebung zu jo tüchtigen Kriegern 
herausgebildet, daß es jedem Angriff einer regulären Truppe 
Stand zu halten vermochte und jich nicht gejcheut hätte, ein 
Karree der jchweren dalefarlifchen Garde anzugreifen. 

Kmiziz hatte ihnen abgewöhnt, fich mit Beuteſtücken zu belaiten. 
Sie nahmen nur noch Geld, bejonders Gold, welches fie in die 
Sättel einnähten. Daher fam e3 auch, daß, wenn einer von 
ihnen fiel, die anderen ſich mit wahrer Wut um jein Pferd 
und jeinen Sattel jchlugen. Indem fie ſich auf dieſe Weije 
bereicherten, verloren jie nichts von ihrer fajt übermenjchlichen 
Beweglichkeit. Nachdem fie erfannt hatten, daß unter feinem 
Führer der Welt ihnen jo reiche Beute werden fonnte, wie 
unter ıhm, Hatten jie die Zuneigung eines Jagdhundes zum 
Säger gefaßt, und mit wahrhaft muhamedanischer Nechtlichkeit 
legten fie nach jeder Schlacht den Löwenanteil der Beute in 
— Sorokas und der Kiemlitſch für den „bagadyr“ 
nieder. 

„Allah!“ pflegte Atbah-Ulan zu ſagen. „Wenige von 
ihnen werden Bacdtjchir-Seraj wiederjehen, Diejenigen aber, 
welche es wiederjehen, werden alle Mohren werden.‘ 

Babinitjch, welcher von jeher von Kriegsbeute gelebt hatte, 


976 


gelangte hier zu großen Schägen, das aber, was er juchte, den 
Tod, fand er nicht. 

Sp verfloß wieder ein Monat mit Hegen und Jagen. 
Obgleich die Klepper gut genährt waren, da es ihnen an Gerſte 
und Weizen nicht fehlte, jo waren ihnen doc ein paar Ruhe⸗ 
tage dringend nötig. Deshalb zog der junge Hauptmann eines 
Tages bei Dospada über die Grenze in die Republik zurück, 
um die Klepper ruhen zu laſſen, um durch neue Aushebungen 
De die entitandenen Lücken wieder zu füllen, und um 

achrichten über den Zuſtand der Nepublif einzuziehen. 


Die Nachrichten liefen denn auch bald ein. Sie lauteten 
jo freudig, daß Kmiziz fait von Sinnen fam. Es war aljo 
Thatjache, daß der ebenjo tapfere, wie unglüdjelige Sohann 
Kafimir die große Schlacht bei Warjchau, welche drei Tage 
gedauert, verloren hatte. Aber was war die Urjache? 


Das allgemeine Aufgebot war in großen Mengen in die 
Heimat zurücgefehrt und was davon dageblieben war, Fämpfte 
nicht mehr mit jener Begeijterung, wie bei der Einnahme von 
Warjchau und hatte am dritten Tage der Schlacht Verwirrung 
in das Heer gebracht. Während der eriten beiden Tage hatte 
ji) die Wagichale des Sieges den Polen zugeneigt. Die 
regulären Stammtruppen hatten zur Verwunderung der ſchwe— 
dischen und brandenburgijchen Generäle gezeigt, daß fie nicht 
nur bei fleineren Gefechten, jondern auch in der großen Schlacht 
den geübtejten und tapferiten Krieger an Ausdauer und Geſchick— 
lichkeit gleichfamen. 


Sohann Kafimir Hatte ſich uniterblichen Ruhm erworben. 
Man ſprach davon, daß er fich als Feldherr wohl mit Karl 
Guſtav mejjen fünne, und daß er unſtreitig die Schlacht ge= 
wonnen hätte, wenn man allen jeinen Befehlen genau nach= 
gekommen wäre. 

Es währte nicht lange, jo erhielt Kmiziz auch Nachrichten 
von Augenzeugen der Schladt. Er traf mit Edelleuten zu— 
jammen, welche zum allgemeinen Aufgebot gehörten, dennoch 
aber an der Schlacht teilgenommen hatten. Der eine derjelben 
berichtete ihm über den glänzenden Angriff der Huſaren, während 
welchem Karl Guitav, der trog der Bejchwörungen der Generäle 
ſich nicht zum Rückzuge entjchließen fonnte, fait das Leben ver- 
loren hätte. Allefamt aber bejtritten, daß das Heer aufgelöjt 
und die Hetmane gefallen jeien. Die ganze Armee, aus- 
genommen das allgemeine Aufgebot, war unberührt geblieben 


977 


und zog jich in guter Ordnung in das Innere des Landes 
zurüd. 

Auf der Warjchauer Brüce, welche eingejtürzt war, hatte 
man zwar Slanonen verloren, dafür war aber „der Mut und 
die Begeilterung wieder über die Weichjel gebracht worden“. 
Das Heer jchwor bei allem, was heilig, daß die nächite Schlacht 
unter ſolchem Feldherrn wie Johann Kaſimir gewonnen werden 
müſſe, dieſe hier verlorene ſei nur eine Probe, wenn auch eine 
verunglückte, welche nur geeignet jei, Trojt und Beruhigung zu 
verbreiten. 

Kmiziz zerbrach jich den Kopf, wer denn jene erſte Schreckens— 
botjchaft verbreitet haben mochte. Man erklärte ihm, daß nur 
Karl Guſtav jelbjt dieſe übertriebenen Gerüchte in Umlauf ge— 
jebt haben könne, da er völlig ratlos jei. Einige jchwedijche 
Offiziere, welche er eingefangen hatte, bejtätigten dieſe Anficht. 

Kmiziz erfuhr von ihnen auch, daß der Kurfürſt in großer 
Befümmernis jet und immer mehr an einen Rückzug denfe; daß 
jeine Hauptmacht bei Warjchau jtehe, ein großer Teil feiner 
Truppen gefallen jei, ein anderer einer gräßlichen Krankheit 
zum Opfer falle. Unterdeſſen hätten die Großpolen fich feine 
Abwejenheit zu Nutze gemacht; fie jeien in die Marf Branden- 
burg eingebrochen und richteten dort große Verwüſtungen an. 
Die Zeit fünne nicht mehr fern fein, da der Kurfürſt fich von 
den Schweden losmachen werde. 

„Man muß ihm alſo zuſetzen,“ dachte Kmiziz, „damit er 
zu einem ſchnelleren Entſchluſſe gedrängt wird.“ 

Da die Klepper ausgeruht und die Lücken im Heere gefüllt 
waren, überſchritt er wieder die Grenze Preußens und zog wie 
ein Rachegeiſt über die deutſchen Fluren. 

Verſchiedene „Parteien“ folgten ſeinem Beiſpiel. Der Wider— 
ſtand drüben wurde ſchon ſchwächer und die Botſchaften, die 
ihnen folgten, lauteten immer freudiger, ja ſo freudig, daß man 
kaum wagte, ihnen Glauben beizumeſſen. 

Zuerſt erzählte man ſich, daß Karl Guſtav, welcher nach 
der Schlacht bei Warſchau ſich bis Radom zurückgezogen hatte, 
in Eilmärſchen nach Preußen zu marſchierte. Was war ge— 
ſchehen? Warum trat er den Rückzug an? Eine Zeitlang 
konnte niemand dieſe Fragen beantworten, bis plötzlich wieder der 
Name Tſcharniezki damit in Verbindung gebracht wurde. Er 
hatte die Nachhut des Königlichen Heeres bei Lipiez, bei Strſche— 
meſchno und dicht bei Rawa geſchlagen, und als er in Erfahrung 
gebracht, dab zweitaujend Reiter von Krakau Her ſich zurüczogen, 

Sientiewica, Sturmflut IL 87 


978 


griff er diejelben an und ließ feinen am Leben. Der Haupt- 
mann Forgell, der Bruder des Generals, geriet mit dreizehn 
Nittmeiitern und vierundzwanzig Offizieren in Gefangenſchaft. 
Andere verdoppelten die Zahl der Gefangenen und wieder 
andere behaupteten jchon voll Begeijterung, day Johann Kaſimir 
gar feine Niederlage bei Warjchau erlitten hatte, jondern jein 
Nüdzug nach dem Süden nur eine Liſt war, um den Feind 
zu loden. 

Kmiziz jelbit dachte jo, denn feit jeinem Knabenalter Soldat, 
verjtand er das Ktriegshandmwerf, und noch niemals hatte er ge= 
hört, daß der Sieger nach einem Siege jich jchlechter befinden 
jollte, wie vordem. Und nad) allem, was man hörte, ging es 
den Schweden ſchlecht und das ſeit der Warſchauer Schlacht. 

Da fielen dem Herrn Andreas die prophetiſchen Worte 
Saglobas ein, welche er bei ihrem letzten Zuſammenſein geſprochen 
hatte, nämlich, daß ein Sieg der ſchwediſchen Sache gar nichts 
nützen würde, eine einzige Niederlage aber das Verderben für 
ſie bedeuten mußte. 

„Er iſt doch ein kluger Kopf!“ dachte Kmiziz. Es war, 
als hätte er im Buche der Zukunft geleſen. 

Hier fielen ihm auch die anderen Prophezeiungen Sag— 
lobas ein. Er, Kmiziz alias Babinitſch, ſollte darnach nach 
Tauroggen gelangen, ſeine Olenka finden, verſöhnen, ſie heiraten 
und Nachkommenſchaft zur Ehre des Landes mit ihr großziehen. 
Als er daran dachte, ſtrömte Feuer durch ſeine Adern; er be— 
ſchloß, keinen Augenblick mehr zu zaudern, für eine Zeitlang 
Preußen und ſeine Rache zu laſſen und nach Tauroggen 
zu fliegen. 

Am Vorabend ſeiner Abreiſe dorthin kam ein Laudaer 
Edelmann aus der Fahne Wolodyjowskis bei ihm an; er brachte 
ihm einen Brief von dem kleinen Ritter. 

„Wir folgen mit dem Heere des Feldhauptmanns von 
Litauen und dem Fürſt-Truchſeß der Spur Boguslaws und 
Waldecks,“ ſchrieb Herr Michael. „Schlage dich zu uns, denn 
die Zeit der Rache iſt gekommen.“ 

Herr Andreas wollte ſeinen Augen nicht trauen. Einen 
Augenblick hatte er den Boten im Verdacht, daß er von irgend 
einem preußiſchen Kommandanten ausgeſchickt ſei, um ihn mit 
ſeinem ganzen Tſchambul in einen Hinterhalt zu locken. Sollte 
Goſchewski wirklich noch einmal nach Preußen ziehen wollen? 
Es war unmöglich, das nicht zu glauben. Das war die Hand— 
ſchrift, das, das Wappen Wolodyjowskis, auch des Edelmannes 


579 


erinnerte er ſich jet. Er begann ihn auszufragen, wo Herr 
Goſchewski ſei und wohin er zu marjchieren gedachte. 

Der Edelmann war etwas bejchränft. Er meinte: es fei 
nicht jeine Sache, zu wiflen, wohin der Herr Hetman wolle; er 
wiſſe nur, daß derjelbe mit feiner litauifchetartarischen Divifion 
zwei QTagereifen von hier entfernt jet und daß die Laudaer 
Sahne ihn begleite. Herr Ticharniezfi hatte jich diejelbe eine 
Zeitlang von ihm geliehen gehabt, aber jie jchon lange zurüd- 
gejchickt; jet gehe jie dahin, wohin er jie führt. 

„Dan jagt,“ jchloß der Edelmann, „dat wir nad) Preußen 
gehen; die Soldaten freuen jich jchredlich darauf... Es iſt 
unjere Pflicht, zu gehorchen und zuzuſchlagen.“ 

Nachdem Kmiziz den Bericht angehört, befann er jich nicht 
lange, jchlug mit jeinem Tſchambul die entgegengejegte Richtung 
ein und ritt im Eilmarſch dem Herrn Hetman entgegen. 
Zwei Tage jpäter, jchon jpät abends, fiel er dem Herrn Wolo- 
dyjowski in die Arme, welcher, nachdem er ihn abgeherzt hatte, 
gleich rief: 

„Graf Walded und Boguslaw find in Prostki; fie bauen 
Schanzen, ſie wollen ihr Lager befejtigen. Wir wollen jie 
dort angreifen.“ 

„Heute?“ frug Kmiziz. 

„Morgen mit dem NAllerfrüheiten, aljo in zwei bis Drei 
Stunden.“ 

Sie umarmten jich wieder. 

„Ein Etwas flüjtert mir zu, daß Gott ihn mir ausliefert!“ 
rief Kmiziz tiefbewegt. 

„Auch ich denfe das.“ 

„sch Habe mir gelobt, jedes Jahr an dem Tage zu fajten, 
an welchem ich mit ihm zujammentreffe.‘ 

„Sottes Beiltand fann nicht jchaden,“ entgegnete Herr 
Michael. „Sch will auch nicht neidisch jein, wenn du ihn triffit, 
denn deine Not ijt die größere.” 

„Michael! Ich jah nie einen edleren und großherzigeren 
Stavalier als dich!“ 

„Laß Dich einmal betrachten, Andrujh. Du bit vom 
Winde ganz braun geworden; aber du haft dich wacker geführt. 
Die ganze Divifion betrachtet mit Achtung deine Arbeit. Du 
(äßt nichts Hinter dir, wie Trümmer und Kadaver. Du bijt 
ein berühmter Soldat. Selbjt Herrn Sagloba, wenn er hier 
wäre, würde es jchwer fallen, etwas Befleres an ſich zu finden.“ 

Um Gotteswillen! Wo iſt Herr Sagloba?“ 

87* 


580 


„Er iſt beim Herrn Sapieha geblieben, weil er ganz ver- 
ihwollen it vom Weinen und vor Berzweiflung über den 
Tod des Nochus Kowalski . . .“ 

„Iſt Herr Kowalski gefallen?“ 

Wolodyjowski preßte die Lippen aufeinander. 

„Weißt du, wer ihn erjchlagen hat?“ jagte er dann. 

„Wie ſoll ich das wiſſen? ... Erzähle!“ 

„Der Fürſt Boguslaw!“ 

Kmiziz drehte ſich auf dem Abſatz herum als hätte er 
einen Stich bekommen und ſog ziſchend zwiſchen den Zähnen 
die Luft ein, wie wenn er einen großen Schmerz ſpürte, dann 
fiel er zähneknirſchend auf eine Bank und ſtützte ſchweigend den 
Kopf in die Hände. 

Herr Wolodyjowski klatſchte in die Hände und befahl dem 
herbeigeeilten Diener, Wein zu bringen, worauf er ſich dicht 
neben Kmiziz ſetzte, die Becher füllte und erſt dann ſagte: 

„Rochus Kowalski iſt den Heldentod geſtorben. Wolle 
Gott, daß wir ein ebenſo ſchönes Ende finden. Genug, wenn 
ich dir ſage, daß Karolus ſelbſt, nachdem er das Feld behauptet 
hatte, ihm das Begräbnis ausrichtete und ein ganzes Garde— 
regiment dazu kommandierte, die Ehrenſalve über ſeinem Sarge 
abzugeben.“ 

„Wenn nur nicht gerade dieſe Hände, dieſe verruchten 
Hände ihn getötet hätten,“ rief Kmiziz. 

„Ja, es waren die Hände Boguslaws; ich weiß es von 
den Huſaren, welche mit eigenen Augen diefe jämmerliche That 
mit angejehen haben.“ 

„Warſt dur nicht dabei?“ 

„Während der Schlacht kann man den Pla nicht wählen, 
da muß man jtehen, wo man bingejtellt wird. Wäre id) dort 
gewejen, jo würde entweder ich nicht hierligen oder Boguslaw 
dort feine Schanzen bauen.“ 

„Sprich, wie it das alles gefommen? Mein Haß wird 
immer größer.” 

Wolodyjowski trank, wijchte fein gelbes Schnurrbärtchen 
ab und begann: 

„Du wirt wohl Berichte über die Schlacht bei Warjchau 
ihon gehört haben, denn alle Welt jpricht davon, darum will 
ich mich nicht dabei aufhalten. Unjer Allergnädigiter Herr... 
Gott gebe ihm Gejundheit und ein langes Leben... denn 
unter einem anderen Herrn würde das Baterland in jeinem 
Elend zu Grumde gehen... er hat ſich als ausgezeichneter 


581 


Feldherr erwiejen. Wenn der Gehorjam jo ausgezeichnet ge- 
wejen wäre wie der Befehlshaber, jo hätten die Chronifen- 
jchreiber über einen großen Sieg der Polen über die Schweden 
zu berichten, einen Sieg, demjenigen bei Grunwald und Beres— 
tetjch gleich. Kurz aljo, am erjten Tage jchlugen wir die 
Schweden, am zweiten jchwanfte das Glück, doch wir behielten 
die Oberhand. Da gingen die litauijchen Huſaren, bei welchen 
Nohus Kowalski diente, unter dem Knäs Polubinski, einem 
großen Soldaten, zur Attafe vor. Sch jah fie, als fie [o8- 
gingen, jo wie ich dich jett jehe, denn ich jtand mit den Laudaern 
auf einer Anhöhe unter einer Schanze. Es waren eintaujend« 
zweihundert Dann, jo herrlich man Mann und Roß je gejehen. 
Sie jagten ein halbes Gewände vor uns vorüber, dat der Erd- 
boden dröhnte. Wir jahen, wie die Brandenburger Füfiliere 
ihre Bilen in den Boden jtemmten, um den eriten Anlauf auf: 
zuhalten. Andere feuerten ihre Musfeten ab, daß jie ganz in 
Nauchwolfen gehüllt waren. Wir jehen: die Hujaren laſſen 
die Zügel locker. Gott, mit welcher Gewalt jtürmten ſie [o8! 
Sie verjchwanden im Nauche. Meine Soldaten fangen an zu 
jchreien: ‚Sie brechen durch! Sie brechen durch" Einen Augen 
blick ſah man nichts, nur ein Donner, ein Klingen folgte, als 
würden in taujend Schmieden die Hämmer gejchwwungen. Endlich 
jehen wir: Jejus, Maria! Die Brandenburger liegen da wie 
ein Mehrenfeld, über welches der Sturm hinweggefegt ijt, Die 
Hufaren find jchon Hinter ihnen, nur die Lanzen jieht man 
noch blinfen. Sie fliegen auf die Schweden zu, jie überrennen 
die Weiter, dal jie daliegen wie hingemäht. Sie nehmen ein 
zweites Negiment — ein Donner — die Kanonen werden ab— 
gefeuert... Wir fehen fie weiterfliegen wie die Nauchwolfe 
vor dem Winde... Sie durchbrechen die jchwedische Infanterie. 
... Alles flieht, jtiebt auseinander, jie jagen durch eine Gaſſe 
von Menjchen; um ein Stleines hätten ſie Die ganze Armee 


überritten! ... Jetzt ſtoßen jie mit der berittenen Garde zu— 
jammen, inmitten welcher Karolus hält... und auch die Garde 
jtiebt auseinander! . . .* 


Hier unterbrach Wolodyjowsft jeine Erzählung, denn 
Kmiziz ballte die Fäuſte und preßte mit ihnen die Augen, 
während er jchrie: 

„Mutter Gottes! einmal jo etwas jehen, dann fallen!“ 

„Eine jolche Attacke werde ich niemals mehr jehen,“ fuhr 
der fleine Nitter fort. Dann jchiekte man auch ung zur Attace 
. .. Gejehen habe ich dann micht3 weiter, und was ich dir jeßt 


982 


erzähle, weil ich aus dem Munde eines jchwedijchen Offiziers, 
welcher an der Seite Karl Guſtavs den Anſturm ausgehalten 
und den Berlauf der Mttade mit eigenen Mugen angejehen 
hatte. Als die Huſaren jich den Weg durch die Garde bahnten, 
fahte Forgiel, derjelbe, welcher jpäter bei Rawa in unjere Hände 
fiel, den König an dem Arm. ‚Majejtät, rettet Schweden, rettet 
euch jelbjt‘, jchrie er. ‚Entflieht! Entflieht! Sie find nicht auf- 
zubalten‘ Und Karolus erwiderte darauf: ‚Es iſt zu Spät — 
jetzt heißt es fiegen oder jterben“ Andere Generale fommen 
herbei, jie flehen und bitten, es nußt nichts! Der König drängte 
vorwärts? ... da prallten jie aufeinander, Die Garde war zer- 
jprengt, ehe man bis zehn zählen fonnte. Wer jtürzte, Der 
wurde überritten, die anderen fugelten auseinander wie Erben. 
Der König allein wehrte fich; Kowalski erfannte ihn, denn er 
hatte ihn jchon zweimal gejehen. Ein Reiter jprengte vor, den 
König zu jchügen . . . aber diejenigen, welche es gejehen, jagten, 
daß der Blitz nicht jchneller niederfahren fann, wie das Schwert 
des Nochus; er fpaltete dem Neiter den Kopf. Da warf der 
König jelbit fich ihm entgegen . . .* 

Wolodyjowsfi jegte wieder ab und jeufzte jchwer. Doc) 
Kmiziz rief gleich: 

„Mache ein Ende, mir jtoct der Atem!“ 

„Sie fümpften nun Bruft an Brujt, die Pferde rieben 
ſich aneinander, die Säbel klirrten! Da jehe ich, jagt der Offizier, 
den König jchon mit dem Pferde am Boden! Er rafft jich auf, 
zieht die Piſtole, fchießt ab und fehlt. Da faßt ihn Nochus 
am Schopfe, denn der Hut war ihm herabgefallen; er hat das 
Schwert ſchon erhoben, ſchon überfällt eine Ohnmacht die 
Schweden, der Schreden lähmt ihre Glieder, denn alles war jo 
Schnell gegangen, daß Rettung unmöglich war. Plötzlich erjcheint 
Boguslaw wie aus dem Boden gewachlen und jchießt dem 
Nochus eine Schrotladung in das Ohr, die ihm den Kopf jamt 
den Helm zerjchmettert.“ 

„Um Gotteswillen! Blieb ihm feine Zeit zur Abwehr?“ 
jchrie Herr Andreas, feine Haare raufend. 

„Sott gewährte ihm dieſe Gnade nicht,“ antwortete Herr 
Michael. „Wir errieten mit Sagloba fogleich, wie das geſchah. 
Der arme Wicht hatte von Kleinauf bei den Nadziwills gedient. 
Beim Anblick feines früheren Herrn erfchraf er. Vielleicht war 
es ıhm niemals in den Sinn gefommen, daß man die Hand 
gegen einen Radziwill erheben könne. Das pflegt zuweilen der 
all zu fein. Er hat feinen Mut mit dem Leben bezahlt. 


983 


Herr Sagloba iſt ein jeltfamer Menjch. Nochus war ihm gar 
nicht verwandt, troßdem trauert er um ihn wie um einen 
Sohn... Im Grunde genommen ilt da nichts zu trauern, 
denn man könnte den Kowalski um jeinen Tod beneiden.“ 

Der Edelmann wird dazu geboren, auf daß er jeden 
Augenblick bereit ijt, jein Leben für das Vaterland hinzugeben, 
aber — von Kowalski werden die Gejchichtsjchreiber erzählen, 
fommende Gejchlechter werden jeinen Namen preijen. 

Herr Wolodyjowski jchwieg jtill. Nach einer Weile be= 
freuzte er jich und betete: 

„Herr, gieb ihm den ewigen Frieden und das ewige Licht 
leuchte ihm ...“ 

„In Ewigkeit, Amen!“ ſchloß Kmiziz. 

Beide beteten noch eine Zeitlang, vielleicht um einen gleichen 
Heldentod, nur, daß er jie nicht von der Hand Boguslaw 
treffen möge. Endlich jagte Michael: 

„Der Probſt Piekarski hat ung verfichert, daß Rochus Direkt 
in den Himmel fam.“ 

„So wird es jein! Dann braucht er aber unjere Gebete nicht.“ 

„Die Gebete find immer nötig, denn jie fommen den anderen 
Seelen zu gute, vielleicht jogar ung ſſelbſt.“ 

Kmiziz jeufzte. 

„Unjere Hoffnung beruht auf der Barmherzigkeit Gottes,“ 
jagte er. „Sch denfe, daß für das, was ich in Preußen voll 
bracht Habe, mir Gott ein paar Jahre Fegefeuer erläßt.‘ 

„Es wird alles dort oben angejchrieben. Was der Säbel 
hier auf Erden verrichtet, das trägt der himmlische Sekretär in 
das Himmelsbuch ein.“ 

„Auch ich habe bei Radziwill gedient, aber ich werde mich 
durch den Anblick Boguslaws nicht aus der Faſſung bringen 
lajien. Gott! Gott! Prostfi liegt jo nahe. Gedenfe, o Herr, 
daß er auch dein Feind it. 

„Und der Feind des Vaterlandes!“ jagte Herr Michael. 
„Hoffen wir, daß jeine Zeit fommt. Herr Sagloba hat nad) 
jener Attacte dasjelbe prophezeit, er jprach es im größten 
Schmerze aus, das Gejicht mit Thränen überflutet, wie in Er— 
leuchtung. Er fluchte dem Boguslaw, daß den Zuhörern die 
Haare zu Berge ſtanden. Der Fürſt Kaſimir Michael Radziwill, 
welcher mit uns gegen ihn zieht, ſah im Traume die zwei Trom— 
peten, welche die Radziwills im Wappen haben, durch einen 
Bären zerfreſſen, und ſagte am folgenden Tage: ‚Es trifft ent— 
weder mich oder einen anderen Nadzuvill ein Unglück.“ 


984 


„Durch einen Bären?“ frug Kmiziz erbleichend. 

„sa, durch einen Bären!“ 

Das Gejicht des Herrn Andreas erhellte jich, ald wäre ein 
Strahl der Morgenröte darüber geglitten. Er erhob die Augen 
zum Himmel und jagte: 

„sch Führe ja den Bären im Wappen. Gelobt jei Gott 
in der Höhe! Und du, o heilige Mutter Gottes! Herr! Herr! 
Ich bin nicht würdig diejer Gnade!“ 

Als Wolodyjowsfi das hörte, wurde er jehr gerührt. Cr 
erfannte in diejem Zujammentreffen ein Zeichen des Himmels. 

„Andruſch!“ rief er. „Zur Sicherheit küſſe vor Beginn 
der Schlacht dem Jejufindlein die Füße; ich will für mid) um 
den Safowitjch bitten.“ 

„Prostti! Prostki!“ wiederholte Kmiziz fieberhaft. „Wann 
rüden wir aus?“ 

„Mit Tagesanbruch. Sieh, e8 fängt ſchon an zu dämmern.“ 

Kmiziz näherte ſich dem zerſchlagenen Fenſter der Hütte, 
blickte hinauf nad) dem Himmel und jagte: 

„Die Sterne bleichen jchon. Ave Maria! .. .“ 

In diefem Augenblid ertönte von ferne ein Hahnenjchrei 
und gleichzeitig das leife Blajen einer Trompete. Cine halbe 
Stunde jpäter befand ji) das ganze Dorf in Bewegung. Man 
hörte Waffenklirren und das Schnaufen von Pferden. Schwarze 
Neitermafjen jammelten ich auf der Landitraße. 

Die Luft ward vom Xichte durchtränkt. Ein bleicher 
Schimmer verſilberte die Schäfte der Speere, gaukelte über die 
blanken Schwertſcheiden. Dunkle, bärtige, ernſt dreinblickende 
Geſichter, Helme, Käppis, Kapuzen, Tartarenmützen aus Schaf— 
fell tauchten aus der Dämmerung auf. Endlich ſetzte ſich der 
Zug, mit Herrn Kmiziz im Vortrab, in Bewegung nach Prostfi. 
Das Heer z0g in langer, jchnell sich fortbewegender Schlangen 
linie dahin. 

Die Pferde in den erjten Neihen jchnauften, die anderen 
thaten es ihnen nad). 

Weite Nebelwolken lagen noch über Feldern und Wieſen. 

Rings herrichte tiefe Stille, nur der Wachtelfünig lie feinen 
Nuf in den tauigen Gräſern erjchallen. 


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N. Kapitel. 





Es war der ſechſte September, als die polniſche Armee in 
Wonſotſch anlangte, um Raſt zu halten. Die Menſchen und 
Pferde ſollten für die bevorſtehenden ſchweren Tage Kräfte 
jammeln. Der Herr Unterfämmerer hatte bejchlojien, vier bis 
fünf Tage dort zu bleiben, aber die Ereignifje warfen diejen Plan 
über den Haufen. 

Man hatte den Herren Babinitjch, welcher die Grenzlande 
Preußens bereit3 gut fannte, auf einen Streifzug ausgejchict 
und ihm zwei leichte, litauische Fahnen und einen ausgeruhten 
Tſchambul Tartaren mitgegeben, da feine eigenen zu ermüdet waren. 

Der Herr Unterfämmerer hatte ihm vor dem Auszuge 
dringend anempfohlen, einen Kundjchafter einzufangen und auf 
feinen Fall ohne einen jolchen zurüczufehren. Babinitjch hatte 
dazu nur gelächelt und für fich gedacht, dal es einer Aufmunte— 
rung nicht bedürfe, da er ohnehin entjchlojfen war, nicht ohne 
Gefangene zurüczufehren und jollte er diejelben direft von den 
Schanzen in Prostki holen. 

Er kehrte denn auch nach zwei Tagen zurüd, brachte 
etliche Preußen und Schweden mit, unter welchen jich ein 
höherer Offizier Namens v. Nöjjel, Kapitän im preußiſchen 
Negiment Boguslaws, befand. 

Man empfing den Zurüdgefehrten mit lebhafter Freude. 
Man hatte nicht mehr nötig, den Offizier zu verhören, Babi— 
nitjch hatte das bereit unterwegs gethan, indem er ihm das 
Meier an die Stehle fette. Aus jeinen Ausjagen ging hervor, 
daß nicht nur die preußischen Negimenter Graf Waldecks in 
Prostki lagen, fondern auch einige jchwedische Negimenter unter 


980 


dem Oberbefehl des Generalmajors von Israel. Von diejen 
waren vier Neiterregimenter unter dem Kommando Peterjeng, 
Fritjofſtons, Taubenes und Ammerjteins und zwei Regimenter 
zu Fuß, angeführt von den Brüdern Engel. Von den preußijchen 
Negimentern, die jehr ſtark armiert waren, jtanden dort außer 
dem Grafen Walde, noch der Fürſt Mismar, Brunzel, Kanne- 
berg und General Walrat und Die vier Fahnen Boguslaws, 
zwei preußiiche und zwei jeiner eigenen. 

Den Oberbefehl über alle Truppen führte Graf Waldeck, 
welcher indeß immer nur die Natjchläge des Fürſten Boqus- 
law befolgte, dejjem Einfluß auch der jchwedijche General Israel 
Jane 

Das Wichtigite jedoch, was man von Röſſel erfuhr, war 
die Mitteilung, daß von Elbing her zweitaujend Mann der 
beiten pommerjchen Infanterie im Anzuge jeien, um den in 
Prostfi jtehenden Truppen zu Hilfe zu eilen. Da Graf Walde 
fürchte, daß jene Abteilungen von den Qartaren aufgehoben 
werden fünnten, jo beabjichtige er das befejtigte Lager zu ver- 
laſſen und erit nach der Vereinigung mit denſelben ſich dauernd 
wieder in Prostki feſtzuſetzen. Nach der Ausſage Röſſels war 
Boguslam der Ausführung diejes Planes jehr entgegen gewejen, 
erit jeit den legten Tagen zeige er ſich demjelben geneigt. 

Als Herr Goſchewski das hörte, war er hocherfreut. Er 
glaubte nun des Sieges ſicher zu ſein. Der Feind konnte 
ſich in dem verſchanzten Lager lange halten, weder aber die 
preußiſche, noch die ſchwediſche Neiterei konnte den Polen in 
offener Schlacht jtandhalten. 

Der Fürſt Boguslaw wußte das jedenfalls ebenjogut, wie 
der Herr Unterfämmerer, darum war er nicht für den Plan 
Waldecks. Doch war er zu eitel, um auch nur den Borwurf 
allzugroßer Vorficht ertragen zu fünnen. Zudem gehörte die 
Geduld nicht zu jeinen Kardinaltugenden. Man konnte mit 
Sicherheit darauf rechnen, daß er einen offenen Kampf dem 
Liegen und Abwarten hinter den Schanzen vorziehen werde. 
Es galt nun, den rechten Zeitpunkt zu erfafjen und den Feind 
in dem Augenblick zu überfallen, wo er das Lager verlieh. 

So dachte der Herr Unterfämmerer, jo dachten auch andere 
Offiziere, wie Haſſun-Bey, welcher die Horden führte, Herr Woy— 
nillowitjch vom Stammbheere, Herr Korjad vom Betyhor-Negiment, 
die Herren Wolodyjowsfi, Kotwitjch und Babinitſch. Alle 
jtimmten darin überein, daß man die Raſttage auf ſpäter ver⸗ 
legen und in einigen Stunden aufbrechen müſſe. Inzwiſchen 


87 


Ichiefte Herr Korſack unverzüglich feinen Fähnrich Biergomsfi 
voraus, damit er jtündlich Nachricht geben jollte, was im feind- 
lichen Lager vorging. Wolodyjowsfi und Babinitjch nahmen 
Röſſel mit in ihr Quartier, um von ihm noch einiges über 
Boguslaw zu erfahren. 

Der Kapitän war darüber anfangs heftig erjchroden, denn 
er fühlte noch die Dolchipige Kmiziz' am Halſe, doch bald Löjte 
ihm der Wein die Zunge. Und da er früher einmal als Söld- 
[ing in einem ausländischen Negimente der Nepublif gedient 
hatte, veritand er polnisch und fonnte die ragen des Eleinen 
Nitters, welcher das Deutjche nicht verjtand, beantworten. 

„Dient ihr jchon lange beim Fürjten Boguslaw?“ frug 
Herr Wolodyjowsfi. 

„sh diene nicht bei der Leibtruppe des Fürjten,“ ant- 
wortete Röjjel, „nur in der preußijchen Fahne, die unter feinem 
Kommando jteht.“ 

„Dann fennt ihr wohl auch den Herrn Sakowitich nicht?“ 

„Den habe ich in Königsberg gejehen.“ 

„Wißt ihr vielleicht, ob er beim Fürſten iſt.“ 

„Er it nicht bei ihm; er iſt in Tauroggen zurücgeblieben.“ 

Der fleine Ritter jeufzte und zuckte mit dem Bärtchen. 

„Ich habe wie immer fein Glück!“ jagte er. 

„Sräme dich nicht, Michalef,” jagte Babinitjch. „Du findeft 
ihn noch und wenn du nicht, dann finde ich ihn.“ 

Darauf wandte er fih an Röſſel: 

„Ihr jeid ein alter Soldat, habt beide Armeen gejehen 
und fennt unjere Weiter von früher her. Was meint ihr, 
welcher Seite wird der Sieg werden? 

„Wenn jene euch die Schlacht außerhalb der Schanzen 
liefern, dann bleibt ihr Sieger, ohne Infanterie und Kanonen 
werdet ihr das Lager nicht einnehmen, bejonders, da dort alles 
nad) dem Kopfe Radziwills geht.“ 

„Daltet ihr ihn für einen jo begabten Feldherrn?“ 

„Nicht nur ich, Tondern beide Herren thuen das. Man jagt, 
daß bei Warjchau Serenifjimus Rex Sueciae in allem jeinem 
Rate folgte und darum die Schlacht gewann. Der Fürit als 
Pole, fennt eure Art zu kämpfen, deshalb ijt jein Rat immer 
gut. Sch Habe jelbit gejehen, wie der König am dritten Tage 
nach der Schlacht vor der ganzen Front den Fürjten umarmte 
und fühte Es it ja wahr, er hat ihm ja das Leben zu ver- 
danken, denn wäre nicht im legten Augenblid der Schuß ge= 
fallen... br! ... es it ſchrecklich auszudenken! ... zudem 


988 


it er ein Ritter von jo unvergleichlicher Größe, daß feiner fich 
mit ihm meſſen fann.“ 

„Ei!“ jagte Herr Wolodyjowsfi, „vielleicht fände jich doc) 
EIER 5° 

Während er das jagte, zucte jein Bärtchen drohend. 
Röſſel blickte ihn an und errötete plöglich. Einen Augenblid 
jchien es, als werde der Kapitän einen Schlaganfall haben oder 
vor Lachen beriten. Doch er fam bald zur Bejinnung, da er 
an jeine Gefangenschaft dachte. 

Kmiziz maß ihn mit einem durchdringenden Blick feiner 
itahlblauen Augen, dann jagte er etwas gepreßt: 

„Morgen wollen wir jehen .. .“ 

„st Boguslaw jet gejund?“ frug Herr Wolodyjowsfi. 
„Das Fieber hat ihn lange geichüttelt, it er micht jehr 
geichwächt ?“ 

„Er iſt längit gefund wie ein Fiſch; er nimmt auch feine 
Arzneien. Der Medifus wollte ihm nach dem erjten Anfall 
verjchiedene Präſervativmittel geben, aber jchon nach dem erjten 
Mittel erneuerte jich der Anfall. Der Fürst ließ darauf den 
Medikus in ein Lafen legen und ihn darin hin und her jchleudern 
und das half, denn der Medikus befam vor Angjt auch das 
Fieber.“ 

„sm Laken jchleudern?“ frug Herr Wolodyjowski. 

„sch Habe es ſelbſt gefehen,“ verjicherte Nöjie. „Es 
wurden zwei Zafen übereinander gelegt, in die Mitte zwijchen 
beide hinein der Medikus. Nun fahten vier jtarfe Trabanten 
die Zipfel der Lafen und begannen den Mermiten zu werfen — 
ich jage den Herren, daß einem jchwindelig vom Zufehen wurde, 
jo flog er in die Höhe, um immer wieder aufgefangen und 
wieder in die Höhe geworfen zu werden. Der General Israel, 
Graf Walde und der Fürjt hielten jich die Seiten vor Lachen. 
Viele von unjeren Offizieren ſahen auch der Komödie zu, welche 
jo lange fortgejegt wurde, bis der Medifus ohnmächtig war. 
Seitdem ijt der Fürſt gejund, wie wenn jener ihm die Krank— 
heit abgenommen hätte.“ 

So jehr Wolodyjowsfi und Babinitjch den Fürſten ver- 
achteten, konnten Doch auch fie fich des Lachens nicht erwehren. 
Herr Babinitjch Eatjchte mit den Händen auf die Kniee 
und rief: 

„Ha! der Schelm, wie er fich zu helfen wußte.“ 

„Das müſſen wir dem Herrn Sagloba erzählen,“ jagte der 
kleine Ritter. 


589 


„Dom Fieber hat das Mittel dem Fürjten geholfen, ſprach 
Röſſel, „aber ſonſt — der Fürſt iſt zu maßlos in der Befriedigung 
feiner Gelüjte, darum wird er fein hohes Alter erreichen.“ 

„Das denfe ich auch,“ murmelte Babinitjch zwijchen den 
Zähnen. „Menjchen wie er leben nicht lange.“ 

„St er denn im Lager auch jo zügellos?“ frug 
Wolodyjowski. 

„Wie ſollte er nicht?” antwortete Röſſel. „Graf Waldeck 
hat ihn oft ausgelacht, und behauptet, Se. fürſtliche Durch- 
laucht führe ein Frauenzimmer mit fih.... Sch jelbit jah 
einmal zwei hübjche Mädchen, von denen die Höflinge mir er— 
zählten, daß fie dem Fürſten zum Graderichten des Kreuzes 
dienten . . . ber, wer weiß das!“ 

Als Babinitjch das hörte, wurde er erit dDunfelrot im Ge— 
ficht, dann freideweiß. Er jprang auf, padte den Kapitän an 
den Schultern und rüttelte ihn gewaltig. 

„Sind die Mädchen Polinnen? Sprecht!” 

„Rein,“ entgegnete der erjchrodene Röſſel. „Die eine iſt 
eine Preußin, die andere eine Schwedin, welche beide früher 
bei der Gemahlin des Generals Israel gedient haben.“ 

Babinitich blickte hinüber zu Wolodyjowsfi und atmete 
tief auf; aucd) Wolodyjowsfi wurde es nun leichter um Das 
Herz, er hörte auf mit dem Bärtchen zu zucen. 

„Wollt ihr Herren mir erlauben, mic) zur Ruhe zu be- 
geben,“ bat Röſſel. „Sch bin jehr müde, denn zwei Meilen 
weit haben mich die Tartaren am Laſſo geführt.“ 

Kmiziz Elatjchte in die Hände und vertraute dem eine 
tretenden Sorofa den Gefangenen an. Dann trat er rajchen 
Schrittes auf Wolodyjowski zu. 

„Sch ertrage es nicht länger!“ ſagte er. „Sch will Lieber 
taujend Tode jterben, als ftündlich diefe Angjt und Ungewiß— 
heit tragen. Als Röſſel die beiden Mädchen erwähnte, war 
mir, als hätte ich einen Schlag vor den Kopf befommen.“ 

Herr Wolodyjowski flirrte mit dem Rapiere. 

„Es iſt Zeit, ein Ende zu machen,“ jagte er. 

Da wurde vor dem Quartier des Hetman das Nlarmfignal 
geblajen und von Fahne zu Fahne weitergegeben. Ueberall 
ertönten die Trompeten und in den Tichambuls die Pfeifen. 

Die Soldaten eilten zu den Sammelplägen und eine halbe 
Stunde darauf wurde der Ausmarjc angetreten. 

Noch ehe die Armee eine Meile zurücgelegt hatte, ſprengte 
ihnen schon ein Bote von der Korſack'ſchen Fahne entgegen, 


590 


welchen Herr Bieganski jchidte. Er jollte den Hetman benad)- 
richtigen, daß man einige Reiter gefangen habe, die einer größeren 
Truppe angehörten, welche auf dem jenjeitigen Ufer des Fluſſes 
den dortigen Bauern alle Wagen und Pferde fortzunehmen im 
Begriff jtanden. Man hatte fie auf der Stelle verhört und jie 
hatten ausgejagt, daß die ganze Armee jamt dem Lager morgen 
früh um act Uhr Prostki verlafjen ſolle. Die Befehle jeien 
ſchon ausgegeben. 

„Loben wir Gott, und laſſen wir die Pferde ausgreifen,“ 
rief der Herr Unterfämmerer. „Bis zum Abend foll nichts 
mehr von diejer Armee übrig fein!“ 

Die Tartarenhorden wurden vorausgejchickt, um fich zwiſchen 
die Armee Waldeds und jene preußiſche Infanterie zu jchieben, 
welche ihr zu Hilfe fommen follte. Ihnen folgten die litauischen 
Fahnen im Trabe, und da fie meijt der leichten Neiterei an— 
gehörten, jo kamen jie jchnell vorwärts und blieben immer 
dicht Hinter den Tartaren. 


Kmiziz ging an der Spite des Tartarenvortrabes. Er 
drängte vorwärts, daß Die Pferde rauchten. Im Dahinjagen 
ſtreckte er ſich vornüber, daß ſeine Stirn den Hals des Pferdes 
ſchlug und betete aus vollſter Seele: 

„Chriſti Jeſu! Nicht für die mir angethane Schmach laß 
mich Rächer ſein, nur für die Beleidigungen, die dem Vater— 
lande widerfahren ſind. Ich armer Sünder bin deiner Gnade 
nicht würdig, aber erbarme dich meiner, laß mich jein Blut 
vergießen, dann will ich zu deiner Ehre mich geißeln in jeder 
Woche, an dem Tage, an welchen es geflojien, mein ganzes 
Leben lang!“ 

Dann empfahl er noch feine Seele der Allerheiligiten 
Jungfrau von Tjchenitochau, für die er jein Blut vergojjen, 
und jeinem Batrone, dem heiligen Andreas. Nachdem er diejer 
Pflicht genügt hatte, fühlte er ich leichter und ſtärker. Cine 
ungewöhnliche Kraft fchien jeine Adern zu durchjtrömen. Ihm 
jchten, als hätte er Flügel, eine große Freudigkeit überkam ihn, 
er flog dahin an der Spitze der Tartaren, daß die Funken 
unter den Hufen ſeines Pferdes ſprühten, taufend wilde Krieger 
jagten ihm nach, die Köpfe tief gejenft. 

Eine Woge jpiger Mützen wiegte jich) im Takte der Be- 
wegungen der Pferde, die Bogen jchaufelten auf dem Rüden 
der Männer, Hufichlag dröhnte, das leije Rajcheln der von der 
Luft gejchwellten Litauischen Fahnen drang bis zu den Boraus- 


>91 


eilenden herüber gleich wie das leiſe Brauſen eines im Anjchwellen 
begriffenen Fluſſes. 

Sie flogen durch die herrliche Nacht, welche mit ihrem 
Sternenmantel Felder und Raine bededte, gleich Raubvögeln, die 
Leichengeruch in der Ferne lockt. 

An üppigen Feldern vorüber, vorbei an Eichwäldern und 
Wiejen ging es, bis die Mondjichel zu bleichen begann und fich 
gen Weiten neigte. 

Da hielten jie an, um den Stleppern das lebte Futter vor 
der Schlacht zu reichen. Ste waren nur noch eine halbe Meile 
von Prostki entfernt. 

Die Tartaren reichten den Tieren die Gerjte aus der Hand; 
fie jollten jich zum Kampfe jtärfen. Kmiziz aber ruhte nicht; 
er warf fich auf ein fattgefüttertes Pferd und ritt weiter, um 
einen Blick auf das feindliche Lager zu werfen. 

Nach halbitündigem Ritt traf er am Flüßchen unter Wafjer- 
weiden den Vortrab der Petyhors an, welchen Korſack aus— 
geſchickt Hatte. 

„Run?“ frug Kmiziz den Fähnrich. „Giebt es etwas neues?“ 

„Sie ſchlafen nicht mehr; es ſummt im Lager, wie im 
Bienenſtock,“ antwortete der Fähnrich. 

„Kann man von hier aus in der. Nähe das Lager jehen?“ 

„sa, von jener Anhöhe aus, welche mit Strauchwerf be- 
det it. Das Lager liegt dort drüben in der Flußniederung. 
Wollen Ew. Liebden es ſehen?“ 

„Zeigt mir den Weg.“ 

Der Fähnrich jpornte jein Pferd, fie ritten der Anhöhe 
zu. Das Morgenrot leuchtete jchon fern im Oſten und durch» 
flutete die Luft mit einem rofigen Schimmer, jenjeit3 des 
Fluſſes aber, am niederen Ufer hingen noch die Nebel tief über 
der Erde. Verborgen im Strauchwerf blidten die Beiden in 
dieje Nebel, welche allmählich zu zerfließen begannen. 

Endlich tauchte, etwa zwei Gewände von ihnen entfernt, 
eine Erderhöhung auf. Kmiziz beftete jeinen Blick mit ſehnen— 
dem Berlangen auf diefen Hügel. Im eriten Augenblid konnte 
er nur die Umrifje von Zelten und Wagen erfennen, welche 
längs der aufgejchütteten Wälle jtanden. Die Flammen der 
Lagerfeuer waren bereits erlojchen, kleine Rauchwölkchen jtiegen 
noc) von den Feuerſtellen empor und zogen hoch hinauf in den 
Hether, ein Zeichen, daß die Witterung jchön bleiben werde, 
Aber in dem Maße wie der Nebel jchwand, konnte Babinitjch 
mit Hilfe des Fernrohres immer deutlicher die auf den Wällen 


592 


aufgepflanzten Banner unterfcheiden. Es jtanden die blauen 
ichwediichen neben den gelben preußiſchen, dahinter die Maſſen 
der Soldaten, Pferde und Gejchüte. 

Ningsum hHerrjchte tiefe Stille, welche nur unterbrochen 
wurde von dem Nafcheln der Blätter an den Bäumen und dem 
Gezwiticher des grauen Gevögeld. Aber auch vom Lager her 
drang jetzt leifes Geräuſch zu ihnen herüber. 

Man konnte daran erfennen, daß niemand mehr dort jchlief, 
daß zum Aufbruch gerüjtet wurde, denn im Meittelpunft der 
Schanze herrjchte lebhafte Bewegung. Ganze Abteilungen jchritten 
hin und ber; welche von ihnen jchritten vor die Wälle, um die 
Wagen herum wogte es, auch die Gejchüge wurden von den 
Wällen gezogen. 

„Sie ſchicken fich zum Ausmarjch an, wirklich!“ jagte Kmiziz. 

„Das erzählten alle Gefangenen. Sie wollen jich mit den 
Fußſoldaten vereinigen und ahnen nicht, daß der Herr Hetman 
fie vor dem Abend erreichen fünnte. Außerdem nehmen fie lieber 
einen offenen Kampf auf, als daß fte ihre Infanterie unter das 
Meſſer liefern.“ 

„Sn zwei Stunden ungefähr fünnen fie ausmarjchieren; in 
zwei Stunden fann der Herr Unterfämmerer hier jein.“ 

„Bott jei Dank!“ jagte der Fähnrich. 

„Schickt noch ein paar Leute zu ihm hin; jie Dürfen nicht 
zu lange füttern.“ 

„Su Befehl!“ 

„gaben die drüben denn feinen Streifzug an Ddiejes Ufer 
des Fluſſes geſchickt? 

„Nein! Hierher kam keine Patrouille, dafür ritten um— 
ſomehr nach jener Seite, von welcher ſie den Zuzug erwarten.“ 

„Gut!“ ſagte Kmiziz. 

Er ritt die Anhöhe hinunter. Nachdem er dem Vortrab 
größte Vorſicht und Geräuſchloſigkeit empfohlen hatte, ſprengte 
er im Galopp zu ſeinen Tartaren zurück. 

Herr Goſchewski ſprang gerade auf ſein Pferd, als Babi— 
nitſch anlangte. Der junge Ritter erzählte ihm ſchnell, was er 
geſehen und erklärte ihm die Stellung des Feindes. Der Herr 
Hetman hörte den Bericht mit großer Befriedigung und gab 
unverzüglich das Zeichen zum Aufbruch. 

Jetzt aber ging nicht die ganze Horde mit Babinitſch im 
Vordertreffen. Woynillowitſch, die Laudaer und die Fahne des 
Hetman folgten ihm auf dem Fuße, während die Horde im 
Hintertreffen blieb. Haſſun-Bey hatte dringend darum gebeten, 


993 


denn er fürchtete, daß jein Volt dem Anprall der jchweren 
Neiter nicht würde jtandhalten fünnen. Er rechnete auch noch 
auf etwas anderes dabei. 

Während die Litauer nämlich die Frontitellung des Feindes 
angriffen, wollte er das Lager überfallen, wo er gute Beute 
zu finden hoffte. Der Hetman erlaubte das gern, da er jelbit 
mit Necht dasjelbe fürchtete, doch war er überzeugt, daß fie wie 
wahnjinnig über das Lager herjtürzen und dort eine entjeßliche 
Panik hervorrufen würden, umfomehr, als die preußifchen Pferde 
an das fürchterliche Geheul, welches die Tartaren zu erheben 
pflegten, noch nicht gewöhnt waren. 

Wie Kmiziz vorausgejagt, Itanden jie nad) zwei Stunden 
vor derjelben Anhöhe, von welcher aus er das Lager in Augen 
jchein genommen hatte und welche jegt den Anmarſch der 
Polen verdedte. Kaum Hatte der Fähnrich das Herannahen 
der Truppen bemerft, jo jprengte er wie der Blitz heran, um 
zu berichten, daß der Feind die Wachen eingezogen habe, jchon 
aufgebrochen ſei und joeben im Begriff jtehe, die legten Mann— 
ichaften aus dem Lager zu ziehen. 

Als Goſchewski das hörte, zug er jeinen Feldherrnſtab aus 
der Tille am Sattel und jagte: 

„set iſt ihnen der Rüdzug verlegt, denn die Wagen ver- 
jperren den Weg. Im Namen des Baterd, des Sohnes und 
des heiligen Geijtes! Es hat feinen Zwed, ung noch länger zu 
verſtecken!“ 

Er winkte dem Roßſchweifträger und dieſer erhob den 
Roßſchweif und ſchwenkte ihn nach allen Seiten hin. Auf 
dieſes Zeichen wurden alle Roßſchweife geſchwenkt, die Trompeten 
und Hörner ſetzten ein, die Pfeifen der Tartaren quiekten da— 
zwiſchen, ſechstauſend Säbel En in der Luft und jechstaufend 
Stimmen jchrieen: 

„Jeſus! Maria!“ 

„Allah il Allah!“ 

Gleichzeitig tauchte eine Fahne nach der anderen Hinter 
der jchügenden Anhöhe hervor. In dem Lager Waldeds hatte 
man jo frühe Gäjte nicht erwartet; eine fieberhafte Bewegung 
entitand unter den Truppen. Die Trommeln rafjelten unauf- 
hörlich, die Negimenter machten Front gegen den Fluß. Man 
fonnte jchon mit dem bloßen Auge jehen, wie die Generale 
zwijchen den Negimentern Hin und her jagten. In der Mitte 
juchte man jchleunigit für die Gejchüge Pla zu machen, um ſie 
dem Fluffe zuzumenden. 

Sienfiewicz, Sturmflut IL, 38 


594 


Es währte nicht lange, jo ftanden ſich beide Heere auf 
faum noch taujend Schritte Entfernung gegenüber. Sie waren 
nur durch die Aue getrennt, in deren Mitte das Flüßchen floß. 

Noch ein Augenblick, — da zog die erſte weiße Rauchwolke 
auf der preußiſchen Seite gegen die Polen auf. 

Die Schlacht war eröffnet. 

Der Hetman ritt ſelbſt an Kmiziz heran mit dem Befehl: 

„Schreitet vor, Herr Babinitſch! Schreitet vor! Im 
Namen Gottes! Seht dort, gegen dieſe Wand!“ 

Damit wies er mit dem Feldherrnſtab auf ein bligendes 
Neiterregiment. 

„Mir nach!” fommandierte Herr Andreas. 

Und dem Pferde die Sporen gebend, galoppierte er dem 
Fluſſe zu, Hinter ihm her im geitredten Galopp jeine Tartaren, 
die Stlepper mit eingezogenen Ohren, langgedehnten Klörpern, 
die Neiter vornübergebeugt, daß die Körper faſt auf den Häljen 
der Tiere lagen. 

Eo, im vollen Jagen nahmen fie die Furt des Fluſſes, 
der hier ganz jeicht war, erreichten jie das andere Ufer und 
galoppierten weiter. 

Als die Banzerreiter das jahen, famen fie ihnen entgegen, 
erjt im Schritt, dann im Trab, bis etwa auf zwanzig Schritt. 
Dann ertönte das Kommando „Feuer!“ und taujend Arme mit 
Piſtolenläufen streiten fich den Daherjagenden entgegen. 

Eine Kauchwolfe zog die Neihe der Neiter entlang, dann 
jtiegen die beiden Weiterregimenter mit fürchterlichem Getöje 
aufeinander. Die Pferde bäumten hoc auf, über den Köpfen 
der Soldaten bligten die ganze Linie entlang die Säbel und 
zucten wie eine eherne Schlange über den Selmen Der 
Kämpfenden. Ein unheimliches Klirren der Säbelklingen auf 
die eifernen Panzer und Helme wurde bis auf dem anderen 
Ufer des Fluſſes hörbar; es war, als befände man jich in 
einer Waffenjchmiede. 

Die Linie nahm bald die Form eines Halbmondes an, 
denn während das Zentrum durch die ungeheure Kraft des 
Anpralls zurücgedrängt worden war, Hatten die ‘Flügel, wo 
der Anprall mit verminderter Heftigfeit jtattgefunden hatte, 
ihre Stellung unverändert beibehalten. Aber auch das Zentrum 
ließ fich nicht gleich aus feiner Stellung verdrängen, es begann 
eine jchredliche Metzelei. Auf der einen Seite ſtemmten Die 
riejengroßen Menjchen in fchweren Wanzerhemden, mit der 
ganzen Wucht ihrer mächtigen Streitrojfe, auf der anderen 


9095 


drängten die dunklen Tartarenmafjen Babinitjch mit der Gewalt 
der entfejjelten Wut, während ihre Krummſäbel mit der unglaub- 
lichen Schnelligkeit auf und niederfuhren, welche nur durch die 
Leichtigkeit der Bewegungen und fortwährenden Uebung erreicht 
werden kann. Wie wenn eine Schar Holzfäller jich an die 
Arbeit begiebt und mit der Art auf die hohen Kiefern los— 
jchlägt, jo auch hier. Man Hört nur den Schlag der Aexte, 
ab und zu jtürzt einer der Baumriejen unter are Gekrach 
in den Grund. Auch hier hörte man nur das Klirren der 
Säbel, während zuerſt vereinzelt, dann immer häufiger, einer 
der Reiter den Kopf ſenkte und unter das Pferd glitt. Die 
Säbel der Tartaren blendeten die Panzerreiter, wenn ſie blitzend 
vor ihren Augen herumfuchtelten; ſie ſahen nichts vor ſich, wie 
ein Blinkern und Blitzen, ſie hörten es um die Ohren ſauſen, 
ſie fühlten ihre Arme gelähmt. Umſonſt erhoben die mächtigen 
Männer mit ſtarker Hand den ſchweren Säbel, denn noch ehe 
derſelbe niederſauſen konnte, hatte der tötende Stahl des Gegners 
jeinen Leib durchbohrt, das Schwert entfiel jeiner Hand und 
er jelbjt janf blutend auf den Hals feines Roſſes. 

Und wieder! Wie ein Bolt Wespen über die Menjchen 
herfällt, welche in ihren Gärten das reife Objt von den Bäumen 
löſen wollen, und deſto heftiger jtechen, je mehr dieje jich ihrer 
eriwehren wollen, wie ſie gejchict, troß der Abwehr, veritehen, 
Hals und Gejicht der Angegriffenen zu bejegen, um jchnell den 
jcharfen Stachel Hineinzudrüden, jo verjtand jenes wilde, in 
hundert Kämpfen gejtählte und geübte ſchwarze Bolf, blindlings 
zu ftechen, zu jchlagen, den Tod zu ſäen, indem es den Gegner 
in demjelben Verhältnis überragte, wie der jchwächliche, in 
jeinem Handwerk wohlerfahrene Meijter den zwar Fräftigen, 
aber weniger gejchiekten Gehilfen überragt. 

Sp begannen denn im Zentrum die Neihen lichter zu 
werden und Kmiziz, welcher dort kämpfte, jchlug wader zu, um 
endlich die Linie zu durchbrechen. Die Rufe der Offiziere, 
welche Erſatz für die Gefallenen herbeiriefen, verhallten ungehört 
in dem Lärmen und Getöſe, und Kmiziz, angethan mit dem 
jtählernen NRingelpanzer, welcher ein Gejchenf des Herrn Sapieha 
war, fämpfte wie ein gemeiner Soldat, die beiden jungen Kiem— 
litſch und Sorofa dicht neben ſich. Dieje jollten das Leben 
ihres Herrn bewachen, fonnten es jich aber micht verjagen, 
zwiſchendurch rechts und links Diebe auszuteilen, während er 
jelbjt im dichteiten Gewühle alle die Kniffe und Kunſtgriffe 
ausprobierte, welche er von Herrn Wolodyjowski gelernt hatte. 

38* 


596 


Endlich traf ein Schwertitreich des Herrn Andreas den 
Fahnenträger. Diejer jchrie auf wie ein junger Hahn, welchem 
man die Gurgel durchjchneidet, und ließ die Fahne fallen. In 
diefem Augenblid war die Linie durchbrochen. Die getrennten 
Flügel gerieten in Verwirrung und traten jchleunig den Rück— 
marjch zu den übrigen Truppen an. 

Kmiziz blickte durch die entjtandene Lücke hindurch in die 
Tiefe der Aue. Da jah er ein Regiment rote Dragoner den 
bedrängten Kameraden zu Hilfe eilen. 

„Das macht nichts!“ dachte er. „Wolodyjowski muß mir 
gleich folgen... .“ 

Aber da fiel auch der erite Kanonenjchuß, andere folgten, 
die Erde erbebte. Von der Schanze her fielen Musfetenjchüffe, 
fie trafen die entfernter jtehenden Reihen der Feinde. Das 

anze Schlachtfeld begann zu dampfen, zu rauchen, und in diejem 
Darıpf prallten die Bolontarier und die Tartaren Kmiziz's mit 
den Dragonern zujammen. 

Doc, die erwartete Hilfe von jemfeit3 des Fluſſes blieb 
aus. Der Feind hatte nur die Abteilung Kmiziz's über den Fluß 
jegen lajjen, gleich darauf überjchüttete er denjelben fo gewaltig 
— Musketen- und Kanonenkugeln, daß keiner mehr hinüber 
onnte. 

Die erſten, welche es verſuchten, hinüber zu kommen, waren 
die Mannſchaften des Herrn Korſack; ſie gerieten in Unordnung 
und famen zurüd. Darauf drang die Schwadron des Herrn 
Woynillowitſch bis zur Mitte des Flußbettes vor, mußte ſich 
aber, wenn auch nur langjam, mit Verluſt von zwanzig Mann 
zurüdziehen. Das Waller in der Furt plätjcherte und ſpritzte 
von dem Kugelregen, wie bei einem heftigen Gewitterregen. Die 
Kanonenkugeln flogen hinüber an das 5 Ufer und wirbelten 
Staubwolken auf. 

Der Herr Unterkämmerer kam herbeigeeilt, um ſich durch 
den Augenſchein zu überzeugen, mußte aber ſelbſt zugeſtehen, 
daß das Ueberſchreiten des Fluſſes unmöglich war. 

Dieſer Umſtand aber konnte entſcheidend ſein für den 
Ausgang der Schlacht. Die Stirn des Hetman umwöllkte ſich. 
Er betrachtete durch das Fernrohr eine Weile genau die ganze 
Aufſtellung der feindlichen Armee, dann ſchrie er der Ordonnanz zu: 

„Reitet ſchnell zu Haſſun-Bey. Seine Horden ſollen augen— 
blicklich hinter der Furt durch das tiefe Waſſer den Fluß über— 
ſchreiten und in die Verſchanzungen einbrechen, was ſie in den 
Wagen vorfinden, ſoll gute Beute für ſie ſein. Sie ſind dort 


597 


nicht bedroht und werden es nur mit dem Waffer zu thun 
haben.“ 

Der Offizier ritt davon, was das Pferd ausgreifen konnte, 
der Hetman jchob ſich weiter vor bis dahin, wo unter den 
Weiden auf der Wieje die Laudaer Fahne ſtand. Er hielt dicht 
vor ihr. 

Wolodyjowski jtand an ihrer Spike; ernft und ſchweigend 
blidte er den Hetman an. Um das Bärtchen zudte e8 ihm 
wehmütig. 

„Wie denft ihr darüber?” jprach der Hetman. „Werden 
die Tartaren über den Fluß kommen?“ 

„Sie werden hinüber fommen, aber Kmiziz ift verloren!“ 
antwortete Wolodyjowsfi. 

„Bei Gott!” rief der Hetman. „Wenn Kmiziz den Kopf 
auf dem rechten Fleck hat, jo muß er die Schlacht gewinnen, 
nicht fie verloren geben!“ 

Wolodyjowski jagte nichts, er dachte nur: 

„Man hätte entweder gar feine oder fünf Fahnen hinüber— 
ſchicken ſollen ... .* 

Eine Weile betrachtete der Hetman wieder die Stellung 
des Feindes durch das Fernrohr und die Unordnung, welche 
Kmiziz in die ganze Linie gebracht hatte; da unterbrach der 
fleine Ritter, welcher e3 nicht mehr ertragen fonnte, unthätig 
zuzufehen, dieje Betrachtung. Er näherte jich, die Spite des 
Säbels nach oben gefehrt, dem Hetman und jagte: 

„Wenn Ew. Erlaucht befehlen, jo will ich verfuchen die 
Furt zu nehmen.“ 

„Stillgejtanden!“ antwortete der Hetman jehr barich. „Es 
genügt, daß jene dort fallen werden.“ 

„Sie fallen Schon!“ jagte Wolodyjowski. 

Thatſächlich wurde das Gefchrei und das Geflirr der 
Waffen immer größer. Es jchien, daß Kmiziz den Rückzug an— 
getreten habe. 

„Bei Gott! So wollte ich e8 haben!“ jchrie der Hetman 
plöglih. Im nächiten Augenblick jtand er bei Woynillowitfch. 

Kmiziz zog fic wirklich zurüd. Nach dem Zuſammenprall 
mit den Dragonern jchlugen ſich feine Leute aus Leibesfräften; 
zulegt ging ihnen der Atem aus. Die müden Arme fanfen 
herab, die Kämpfenden fielen immer dichter und nur die Hoff- 
nung, daß man ihnen zu Hilfe fommen werde, hielt fie noch 
aufrecht. 

Eine halbe Stunde verging, ohne daß das erlöjende Wort 


598 


„Schlagt zu“ ihnen im Nüden ertönte. Dagegen fam eine 
Schwadron der jchweren Reiter Boguslaws den Dragonern 
zu Hilfe. 

„Der Tod naht!“ dachte Kmiziz, als er jie von der Seite 
ber anjprengen jah. 

Aber er war mutig und verzweifelte bis zum legten Augen 
blick nicht; nicht an feiner Rettung, noch an dem Siege. Die 
langjährige Erfahrung und oft erprobte Waghalfigfeit halfen 
ihm über manche Gefahr hinweg. So fuhr ihm auch jet ein 
rettender Gedanke wie ein Wetterleuchten durch den Kopf. 

„Sie könnten jedenfalls nur durch die Furt zum Feinde 
gelangen, und da fie es nicht zu können jcheinen, jo will ich 
die Aufmerkjamfeit desjelben von ihnen ablenken... .* 

Als nun die Schwadron Boguslaws bis auf etwa hundert 
Schritte herangefommen war und jeden Augenblid jeine Tar— 
taren niederreiten mußte, griff Kmiziz jchnell nach feiner Pfeife 
und ließ einen fjchrillen Pfiff ertönen. Sofort fetten fich 
die zumächititehenden Klepper auf die Hinterbeine. 

Der Briff wurde durch die Aelteſten des Tſchambul weiter- 
gegeben und noch ehe man auszudenfen vermochte, was gejchehen 
jolle, hatten fich die Pferde des ganzen Tſchambul zur Flucht 
gewendet. 

Die noch lebenden der jchweren Weiter, die Dragoner und 
die Schwadron Boguslaws jetten ihnen nad). 

Die Rufe der Offiziere: „Vorwärts!“ „Gott mit uns!“ er- 
ichollen wie Donnergebraufe, und nun erjchloß fich den Zu— 
jchauenden ein wunderbarer Anblid. Wie auf Windesflügeln 
ſauſte der aufgelöjte Tſchambul über die weite Aue im wirrem 
Durcheinander direft auf die von Kugeln überjchüttete Furt 
zu. Die Tartaren lagen Hingeitredt auf den Kleppern, den 
Kopf in die Mähnen derjelben vergraben, als wären jie mit 
ihnen verwachjen, jo, daß man fait glauben konnte, daß reiter- 
loje ‘Pferde Dahergejagt fümen. Ihnen nach jprengten mit 
Gejchrei und entjelichem Getöje die Niejfenreiter mit den hoch— 
erhobenen Schwertern in der Nechten. 

Sie famen der Furt immer näher. Noch ein Gewände, 
ein halbes. Jetzt jchienen die Tartarenpferde zu erlahmen; der 
Zwijchenraum zwijchen den Werfolgten und den Berfolgern 
wurde jchnell kleiner. Gin paar Augenblide jpäter begannen 
die vorderften Reiter jchon mit den Säbeln auf die lebten 
Tartaren einzubauen. Die Furt war erreicht. Es jchien, die 
‚slüchtenden mußten fie eben erreichen. 


399 


Da geichah plöglich etwas Wunderbares. 

Sn demjelden Augenblid, da die Pferde in den Fluß 
bineinjpringen jollten, ertönte wieder jene jchrille Pfiff, und 
anstatt in den Fluß zu treiben, teilte ſich der Tſchambul in 
zwei Hälften und flog mit der Eile der Schwalben nach rechts 
und links am Ufer entlang. 

Die Berfolger, deren Roſſe in vollem Galopp daherjagten, 
rannten statt ihrer in die Furt des Fluſſes und waren erit 
dann imjtande, den Lauf ihrer Tiere zu hemmen, als jie jich 
mitten im Flußbett befanden. 

Die Artillerie, welche bisher das Flußbett mit Kugeln 
überjchüttet hatte, jtellte jofort das Schießen ein, um nicht die 
eigenen Leute zu verlegen, und diejen Augenblick hatte Goſchewski 
nur abgewartet, um handelnd einzugreifen. 

Kaum waren die erjten Weiter in den Fluß gejeßt, jo 
jtürmte die Stronenfahne unter Woynillowitjch auf jie los, die 
Laudaer, diejenige Korjadows, die zwei Fahnen der Hetmane 
und die Banzerreiter des Fürſt-Truchſeß, Michael Radziwill, fie 
alle ftürzten fich auf den Feind, den Uebergang zu erzwingen. 

Ein gräßliches Gejchrei „Schlagt zu!“ „Schlagt tot!“ erhob 
ſich und noch ehe die preußischen Neiter ihre Roſſe recht zum 
Stehen gebracht Hatten, jtürmte die Flut der Angreifer über 
jie herein, jtürzte über fie hinweg, ritt die Dragoner nieder, 
verjprengte die Schwadron Boguslaws und wandte ich der 
Hauptarmee zu. 

Der Fluß färbte fich rot vom Blute der Gefallenen, Die 
Kanonen begannen ihr mörderisches Spiel wieder, aber zu jpät, 
denn die acht litauischen Fahnen ſauſten jchon über die Aue, 
und der Schauplag der Schlacht war auf das jenjeitige Ufer 
des Fluſſes verlegt. 

Der Herr Unterfämmerer führte eine ſeiner Fahnen. Sein 
Geſicht jtrahlte, feine Augen glänzten vor Genugthuung und 
Glück, denn jegt, wo die Truppen den Fluß überjchritten hatten, 
war er des Sieges ficher. Die Soldaten hieben und jchlugen 
um die Wette und jagten die Reſte der Dragoner und Neiter 
vor ſich her. Diejelben jtürzten haufenweije, weil die ſchweren 
Roſſe nicht jchnell genug fort fonnten, und ſchützten die Verfolger 
Durch ihre Körper vor den ihnen nachgejandten Schüſſen. 

Walded, Boguslaw und Israel trieben ihnen alle ihre 
heiter entgegen, um den Anprall aufzuhalten. Sie jelbit 
ordneten ihre Infanterie jo jchnell jie vermochten. Regiment 
um Regiment fam aus den Berjchanzungen zum Vorſchein und 


600 


faßte Poſto auf der Aue. Die jchweren Lanzen wurden mit 
ihren unteren Enden in die Erde gepflanzt, die Spigen wie 
eine jtachelige Wand dem Feinde zugefehrt. Die zweite Reihe 
wurde von den Musfetieren eingenommen, welche die Rohre 
ihrer Musfeten vorgejtredt hielten. Zwiſchen die Karrees der 
Negimenter jchob man Hals über Kopf die Gejchüge. Weder 
Walde noch Boguslaw noc Israel gaben jich der Täujchung 
bin, daß die Reiter imjtande fein würden, den Feind lange 
aufzuhalten. 

Der Anprall hatte inzwijchen jtattgefunden und jchneller 
noch als gefürchtet, trat die atajtrophe ein, denn unaufhaltjam 
wie eine Lawine jtürzte die Flut der polnischen Negimenter die 
Neiterlinie durchbrechend, ohne dabei eine Lanze zu verlieren, 
auf die Infanterie log. Immer näher famen die Yanzenreiter, 
jegt tauchten fie Dicht vor den Karrees aus den legten Neihen 
der Preußen auf. 

„Achtung!“ jchrieen die Offiziere, welche den Füfilieren zur 
Seite” itanden. 

Auf diejes Kommando jtügten ſich die Landsfnechte noch 
feiter auf ihre Beine und jtredten die Arme mit den Lanzen 
feft aus. Die Herzen pochten ihnen gewaltig, denn jchon 
jagten die polnischen Huſaren direkt auf fie los. 

„euer!“ erjcholl das Kommando. 

Die Musfeten fnallten in der zweiten und dritten Reihe 
des Karrees. Die Menjchen waren in Rauch gehüllt. Noch 
ein Augenblid: Das Gedröhne der heranbraujenden Fahnen iſt 
ganz .. jeßt jind fie Dal... 

Eingehüllt in Pulverdampf erblidt die erjte Reihe der 
Füſiliere dicht über jich, fait auf den Köpfen, taufend Pferde— 
hufe, aufgeblähte Nüjtern, feuerjprühende Augen. Ein Strachen 
von zerbrochenen Lanzen, fürchterliche Schreie trennen die Luft; 
die Polen jchreien: „Schlagt zu!" — die Deutjchen: „Gott er= 
barme dich meiner!“ 

Das Karree iſt erdrüct, zeriprengt. Doch jet fangen die 
Gejchüge an zu donnern. Andere Fahnen fprengen heran. 
Sede jtürmt auf einen Wald von Lanzen los, doch nicht jede 
durchbricht den Wald, nicht jede hat die entjegliche Kraft der 

ahne des Herrn Woynillowitih. Das Gejchrei auf dem 
hlachtfelde wird jtärfer. Man kann nichts jehen vor Pulver— 
dampf, Doch aus der Maſſe der Kämpfenden flüchten wieder 
kleine Häuflein gelbrödiger Landsknechte! Graue Neiter ver— 
tolgen, treten fie nieder mit dem Gejchrei: 


601 


„Lauda! Lauda!“ 

Herr Wolodyjowsfi jchlug jich mit einem anderen Karree 
herum. Andere jtanden noch feſt wie die Mauern. Noch, noch 
fann die Schale des Steges jich der feindlichen Seite zuneigen, 
bejonders da in der Nähe des Lagers noch zwei Negimenter 
Infanterie unberührt jtehen, welche, da das Lager noch im 
Frieden gelajjen wird, jeden Augenblick herbeigerufen werden 
fünnen. 


Waldeck hat zwar jchon den Kopf verloren, Israel ist nicht zur 
Stelle, er ijt mit einem NReiterregiment fortgejchiedt, aber Bogus- 
law hat ein wachjames Auge, ordnet an und lenft die ganze 
Schlacht, und jendet jet, wo er die Gefahr wachjen jieht, Herrn 
Bies nach jenen beiden Negimentern. 

Herr Bies läßt jein Roß wader ausgreifen. Etwa eine 
halbe Stunde nachher fommt er zurüd; jein Haupt iſt entblößt, 
Verzweiflung und Entjegen malen ſich in jeinem Geficht. 

„Die Tartaren find im Lager!” ruft er jchon von weiten. 

Da hört man auch jehon auf dem rechten Flügel ein 
viehifches Geheul, welches näher und näher fommt. 

Plöglich jieht man von ferne her einen Haufen ſchwediſcher 
Neiter in wilder Flucht daher fommen, hinterdrein erjcheinen, 
ohne Waffen und Hüte, Landsknechte, Hinter welchen man in 
größter Unordnung eine Reihe Wagen erblidt, von jcheu ge- 
machten Pferden hin und her gezerrt. Alles das fommt in 
wildejter Flucht auf eigene Fauſt vom Lager her. Gleich darauf 
haben die Verfolger jie erreicht, da fie von vorn von den 
litauiſchen Fahnen aufgehalten werden. 


„Haſſun-Bey ift in das Lager gedrungen!“ ruft Herr 
Goſchewski in heller Begeifterung und jendet jeine beiden Leib— 
fahnen in das Schlachtgetümmel. Sie fliegen davon, wie zwei 
Edelfafen vom Szepter. 


Und in demfelben Augenblid, wo jene beiden Fahnen die 
Infanterie von der Front angreifen, rennen die eigenen Wagen 
ihr in Die Seite. Die legten Karees jplittern auseinander, 
wie Eifen unter den Schlägen des Hammers. Das ganze 
jchwedisch-preußijche Heer bildet nunmehr nur noch eine forms 
[oje Mafje, Infanterie und Neiterei in buntem Gemijch durch— 
einander. Die Menjchen treten ſich gegenjeitig nieder, Fugeln 
auf der Erde, quetjchen jich, ziehen fich die leider ab und ver- 
wunden ſich. Das it feine verlorene Schlacht mehr, das ift 
die furchtbarite Niederlage diejes ganzen Krieges. 


602 


Da Boguslaw ſieht, daß alles verloren iſt, will er wenigitens 
ſich und etliche Reiter aus dem Elend retten. 

Mit fait übermenjchlicher Anstrengung jammelt er ein paar 
hundert Neiter um fich und flieht mit diejen den linken Flügel 
entlang dem Ufer des Fluſſes zu. 

Schon hat er das Hauptgetümmel hinter jich, da fällt ein 
anderer Nadziwill, der Fürſt Michael, ihn in die Flanke und 
veriprengt in einem Anlauf mit jeinen Leibhuſaren die ganze 
Abterlung. 

Die Verjprengten fliehen einzeln oder in Eleinen Häuflein, 
nur die Schnelligfeit ihrer Pferde kann jie retten. 

Aber die Hujaren verfolgen ſie nicht, fte rennen gegen Die 
Hanptabteilung der Fußſoldaten, welche alle anderen Fahnen 
auch in Anfpruch nimmt, — nichts hindert ihre Flucht, fie 
fliehen, wie ein Nudel aufgejchrecter Rehe. 

Boguslaw flieht auf dem braunen Nenner, den er von 
Bilhwischht her noch von Kmiziz hat, wie ein Wirbelwind Er 
bemüht ſich umſonſt, durch Zurufe eine kleine Esforte um fich 
zu jammeln. Niemand hört ihn, jeder flieht auf eigene Hand, 
zufrieden, feinen Feind mehr vor ſich zu haben. 

Doc) die Freude war umfonjt. Sie waren noch nicht 
taujend Schritte weit gefommen, da ertönt das Geheul der 
Tartaren dicht vor ihnen und die graue Schar fommt ihnen vom 
Fluſſe her entgegen, wo fie fich bis jegt veriteckt gehalten hatte. 

Das war Herr Kmiziz mit feiner Horde. Er hatte jich 
vom Schlachtfelde entfernt, nachdem er den Feind an Die Furt 
gebracht, und kehrte num zurüd, um den ‚Sliehenden den Ausweg 
zu verjperren. 

Als die Tartaren die verjprengten Weiter erblidten, zer- 
jtreuten auch jte jich, um bejler auf fie Jagd machen zu können. 
Zwei, drei Tartaren stellten jich immer einem Neiter entgegen; 
dieſe verteidigten fich jelten, meiit flehten fie um Gnade, indem 
jie das Rapier an der Spige fahten und den Griff dem Gegner 
reichten. Doch die Tartaren, welche wuhten, dat fie die Ge- 
fangenen nicht mit in die Heimat führen durften, gaben nur 
den Offizieren Pardon, die gemeinen Soldaten wurden getötet, 
noch ehe jie ihre Seelen Gott befehlen fonnten. Diejenigen, 
welche bis zulegt flohen, tötete man mit Mefteritichen, die, unter 
welchen die Pferde nicht zujammenbrachen, wurden mit dem 
Laſſo gefangen. 

Kmiziz tummelte jein Noß ein Weilchen auf dem Schlacht= 
felde, während jeine Augen Boguslaw juchten. Endlich erblidte er 


603 


ihn. Er erfannte ihn am Pferde, an dem himmelblauen Bande 
und an dem ;Federhut. 

Ein weißes Nauchwölfchen umgab den Fürjten, denn foeben 
war er von zwei Tartaren angefallen worden. Den einen hatte 
er mit einem Piſtolenſchuß niedergeſtreckt, den anderen mit jeinem 
Rapier erjtochen. Jetzt jah er eine größere Anzahl der wilden 
Horde von der einen, Kmiziz von der anderen Seite her auf 
ſich zugeltürzt fommen. Er gab dem Roß die Sporen und 
jprengte davon, wie der von Hunden verfolgte Hirsch. Mehr 
denn fünfzig Mann jegten ihm im gejchlofener Kolonne nad). 
Da aber nicht alle Prerde gleich gut liefen, jo wurde aus der 
Kolonne bald eine lang fich binziehende Schlange, deren Kopf 
Kmiziz war. Der Fürſt jtredte fich im Sattel nach vorn; es 
war, als berühre das Roß den Boden faum. Es jah aus, wie 
eine jchwarze Schwalbe, welche über die grüne Aue ftreicht. 
Schlanf, wie es war, jtredte es den Hals vor wie ein Kranich, 
die Ohren an dem Kopf gedrückt, fchien es fliegen zu wollen. 
Sie flogen an Weidengeftrüpp, an Erlenjchonungen und Buſch— 
werf vorüber. Die Tartaren waren einer nach dem anderen 
zurücgeblieben, fie jagten dahin, ohne Aufhören. Kmiziz warf 
die Piltolen aus den Halftern, um das Pferd zu erleichtern, 
während er jelbjt die Augen feit auf Boguslaw gerichtet, mit 
zujammengebifienen Zähnen, faſt auf dem Halſe des Tieres lag 
und dasjelbe jo jchart jpornte, daß die Schweihfloden, welche 
von dem Pferde zur Erde herabfielen, ſich rojig färbten. 

Aber die Entfernung zwischen ihm und dem Fürjten nahm 
eher zu als ab. 

„Weh mir!“ dachte Kmiziz, „dieſes Roß wird von feinem 
anderen eingeholt.” 

Und da nad) nochmaliger gewaltiger Anſtrengung die Ent- 
fernung ſich noch vergrößerte, richtete er jich Hoch im Sattel 
empor, lieg den Säbel hängen, und indem er die Hände tuten- 
fürmig vor den Mumd itellte, jchrie er aus vollem Halſe: 

„ziehe, Verräter vor Kmiziz! Ich friege dich doch!” 

Kaum waren diefe Worte verflungen, jo blickte ſich der 
Fürſt, welcher fie gehört haben mußte, um, und da er jah, daß 
Kmiziz allein ihm folgte, floh er nicht weiter, jondern warf 
jein Roß herum und rannte mit dem Rapier in der Hand 
auf ihn los. 

Herr Andreas jtieß einen Freudenſchrei aus. Er lieh 
im Jagen nicht nach und zucdte den Säbel auf den Fürſten. 

„200! Tod!“ rief der Fürſt. 


604 


Und um jicherer zu treffen, begann er das Pferd zu 
zügeln. 

Auch Kmiziz riß jein Pferd in die Höhe, daß es die Hufe 
fejt aufjegte, und jchlug das Rapier des Fürſten mit dem Säbel 
zur Seite. 

Die Reiter waren jo dicht aneinander, daß fie ein Ganzes 
zu bilden jchienen. Die Waffen klirrten mit erjchredender 
Schnelligfeit aneinander. Man vermochte nicht mehr zu unter— 
jcheiden, was Säbel, was Rapier, welches der Fürſt, welches 
Kmiziz jei. Buweilen ſah man nur bald den Hut des Fürſten, 
bald das Viſier Kmiziz's. Die Pferde gingen im Kreiſe herum. 
Das Klirren wurde immer gräßlicher. 

Boguslaw hatte nach den eriten Stüßen aufgehört, den 
Gegner leicht zu nehmen. Alle die Meiſterſtöße, die er von 
jeinen franzöfiichen Lehrern gelernt hatte, waren abgejchlagen 
worden. Der Schweiß rannte ihm von der Stirn und wijchte 
ihm den Puder und die Schminke von den Wangen; er fühlte 
bereit3 jeine Nechte erlahmen . . . Er begann den Gegner zu 
bewundern, dann pacdte ihn Ungeduld, zulegt heftiger Zorn. 
Da beichloß er, dem Kampfe ein Ende zu machen; er holte zu 
au jchredlichen Stoße aus, dabei fiel ihm der Hut vom 

opfe. 

Kmiziz parierte den Stoß mit jo gewaltiger Kraft, da 
das Rapier weit zur Seite gejchlagen wurde, und ehe noch der 
Fürſt imſtande war, dasſelbe von neuem aufzunehmen, ſchlug 
Kmiziz ihm die Spitze ſeines Säbels in die Stirn. 

„Chriſt!“ ſchrie der Fürſt auf. 

Er jtürzte rücklings vom Pferde. 

Herr Andreas hielt einen Augenblid betäubt jtille, doch 
bald befann er jich darauf, was geichehen. Cr ließ den Säbel 
in das Gehänge fallen, befreuzigte jich, jprang vom Pferde und 
nachdem er den Säbelgriff von neuem gefaßt hatte, trat er an 
den Fürſten heran. 

Derjelbe war jchredlich anzujehen, bleich wie eine Leiche, 
die Lippen aufeinander gepreßt, Hab und Wut im Gejicht. 

Kmiziz überfam ein Gefühl höchiter Befriedigung. Da lag 
der mächtige Feind, tödlich verwundet und blutend zu jeinen Füßen, 
noch lebend und bei voller Bejinnung, aber bejiegt und nicht 
von anderer Hand bejiegt, nur von jeiner eigenen. 

Boguslam blidte ihn mit weitgeöffneten Augen an; er 
verfolgte jede Bewegung des Siegers, und als nun Kmiziz dicht, 
ganz dicht bei ihm jtand, bat er jchnell: 


605 


„Tötet mich nicht, fordert Löſegeld!“ 

Ohne zu antworten, jegte Kmiziz jeinen Fuß auf die Bruft 
des Fürſten und trat fejt darauf, dann jeßte er ihm die Spitze 
jeines Säbels auf den Hals, jo, daß die Haut ſich darumter 
einbog und es nur eines leifen Drudes bedurfte, um ihn zu 
töten, aber er tötete ihm noch nicht, er wollte jih am Anblick 
des Feindes ergögen und ihm das Sterben jchwer machen. Er 
blidte dem Fürſten fejt in die Augen und jtand feſt auf ihm, 
wie der Löwe auf dem erlegten Büffel. 

Der Fürſt, welcher aus feiner Kopfwunde jo jehr blutete, 
daß der ganze Kopf in einer Blutlache lag, ſprach wieder, aber 
jchon mit ſchwächerer Stimme, denn der Fuß des Herrn Andreas 
quetichte ihm die Bruft: 

„Das Mädchen... hört... .“ 

Kaum Hatte Kmiziz das Wort gehört, jo nahm er den Fuß 
von der Bruft und den Säbel vom Halje des Fürſten. 

„Sprecht!“ jagte er. 

Doc der Fürjt atmete jchwer, es währte ein Weilchen, 
ehe er jagte: 

„Das Mädchen iſt verloren, wenn ihr mich tötet... Der 
Befehl ijt ausgefertigt!* 

„Was Habt ihr mit ihr gethan?“ frug Kmiziz. 

„Laßt ab von mir, dann will ich fie euch geben, ich 
jhwöre . . . auf das Evangelium . . .* 

Herr Andreas jchlug mit der Fauſt an die Stirn. Man 
fonnte jehen, wie er mit jich fämpfte. Dann jagte er: 

„Höre, Verräter! Ich gäbe Hundert jolcher Ausgeburten 
bin, für ein Haar von ihrem Kopfe ... . Aber ich glaube dir 
nicht, Meeineidiger!“ 

„Sch ſchwöre beim Evangelium!” wiederholte der Fürft. 
„sch gebe euch dem Geleitjchein und den Befehl jchriftlich.“ 

„Sei es denn! Ich ſchenke euch dag Leben, aber ich halte 
euch gefangen. Ihr gebt es mir jchriftlih ... Unterdejjen 
jeid ihr ein Gefangener der Tartaren.“ 

„Einverjtanden!* jagte Boguslaw. 

„Gedenket!“ antwortete Herr Andreas. „Nicht eurem 
Fürftenhut, nicht eurer Armee und eurer Fechtkunſt habt ihr 
euer Leben zu danken . .. Und wijlet! Sofern ihr euch ein- 
fallen laßt, noch einmal meine Wege zu freuzen, oder falls ihr 
euer Wort nicht haltet, dann foll euch nichts vor mir jchügen, 
und jolltet ihr inzwijchen deutjcher Kaiſer geworden jein .. 
Shr kennt mid) nun! Einmal wart ihr jchon in meinen 


606 


ae jet lieget ihr hier zu meinen Füßen! Gin drittes 
1 

„Die Bejinnung verläßt mich,“ jagte der Fürſt. „Herr 
Kmiziz, der Fluß it in der Nähe... gebt mir einen Trumt 
und gießt Waſſer auf meine Wunde.“ 

„Stirb, Baria!“ rief Kmiziz. 

Doch der Fürſt, feines Lebens jchon gewiß, hatte trog der 
jchweren Wunde auch jeine Sicherheit wiedergewonnen. 

„Ihr jeid dumm, Herr Kmiziz!“ jagte er. „Wenn ich 
iterbe, ſtirbt . . .“ Hier wurden ihm die Lippen blap. 

Kmiziz jprang davon, um Wajjer zu fuchen. 

Der Fürſt war ohnmächtig, doch nur einen Augenblid; er 
erwachte glücklicherweije in dem Augenblid, wo der erjte Tartar, 
Selim, der Sohn Gaza-Agis, Fähnrich bei der Horde Kmiziz', 
ihn erreichte. Als er den im Blute jchwinmenden Feind 
dDaliegen jah, wollte er ihn mit der ſcharfen Spiße der Fahnen— 
jtange an den Boden jpießen. In diefem Augenblick höchiter 
Gefahr fand der Fürſt noch jo viel Kraft, daß er die Spike 
mit der Hand faßte. Dieje war jchlecht befeftigt und fiel los. 

Der Schall diejes furzen Kampfes zug Kmiziz zurüd. 

„Halt! Hundeſohn!“ jchrie er, eilends herbeilaufend. 

Beim Klange diejer wohlbefannten Stimme duckte ſich der 
Tartar feſt auf dag Pferd nieder. Kmiziz schickte ihn fort, 
Waſſer zu juchen, er jelbit blieb beim Fürſten, denn jchon 
nahten im Galopp Die beiden Kiemlitſch, Sorofa und hinter 
ihnen der ganze Tſchambul, welche den Hauptmann fuchten, 
nachdem fie mit der Jagd auf die Neiter fertig geworden. 

Als fie Herrn Andreas erblidten, warfen die treuen Ein— 
brecher mit einem Freudenſchrei ihre Mützen in die Höhe. 

Akbah-Ulan jprang vom Pferde und neigte ſich vor ihm, 
indem er mit den Händen Mund, Stirn und Brujt berührte. 
Andere jchnalzten nach Tartarenart mit den Lippen, während 
ſie raubgierige Blide auf den Beftegten warfen. Einige waren 
im Begriff, die beiden Pferde einzufangen, welche in der Nähe 
mit fliegenden Mähnen umhberliefen. 

„Akbah-Ulan!“ jagte Kmiziz. „Diejer hier ijt der Führer 
der Armee, welche wir gejchlagen haben, der Fürſt Boguslaw 
Nadziwill. Ich Ichenfe ihn euch. Bewacht ihn gut, denn ob 
lebend oder tot, man wird euch reich für ihn zahlen. Set 
verjeht ihm die Wunde, nehmt ihn an den Lafjo und führt ihn 
in das Lager.“ 


2 607 


„Allah! Allah! Dank dem Führer, Dank dem Sieger!“ 
riefen die Tartaren einjtimmig. 

Und wieder jchnalzgten fie mit den Lippen. 

Kmiziz ließ ich jein Pferd vorführen und begab jich mit 
einem Teil der Tartaren auf das Schlachtfeld. 

Schon von weitem jah er die Fähnriche mit ihren Feld— 
zeichen aufgeitellt, aber nur wenige Soldaten befanden jich bei 
ihnen, denn die Mehrzahl war noch auf der Berfolgung des 
Feindes begriffen. Haufen von Troßfnechten trieben fich auf 
dem Schlachtfelde umher, um die Gefallenen zu berauben; fie 
gerieten dabei oft mit den Tartaren in Streit, welche dasjelbe 
thaten. Jene letteren jahen jchredlich aus. Die Aermel auf: 
gejtreift, die Klinge in der Hand, glichen jie Naben, die auf 
dem Schlachtfelde umberflogen; ihr wildes Gelächter und ihr 
wüſtes Geſchrei ſchallten über das ganze Feld. 

Kmiziz ritt zuerſt über den Teil der Aue, wo er den erſten 
Angriff auf die Reiter gemacht hatte. Menſchen und Pferde— 
leichen lagen bier ſchrecklich verſtümmelt umher. Dort, wo Die 
ahnen mit den Füſilieren zujfammengetroffen waren, lagen jie 
jtoßweije; hier watete jein Pferd im Blute. 

E3 war jchwer, einen Weg durch die Neite der Lanzen, 
Musketen, Leichen zu finden, fich zwijchen den umgeitürzten 
Laſtwagen und den herumjchwärmenden Tartaren hindurch- 
aumwinden. 

Herr Goſchewski jtand weiter zurück auf einer Schanze 
des befeitigten Lagers. Bei ihm befanden ſich der Fürſt— 
Truchſeß Nadziwill, Woynillowitich, Wolodyjowsfi, Korſack und 
einige andere Offiziere. Bon der Höhe der Schanze aus 
fonnten fie das ganze Schlachtfeld überbliden und den ganzen 
Umfang ihres Sieges, wie die Größe der Niederlage des 
Feindes ermejjen. 

As Kmiziz die Herren erblidte, schlug er ein jchnelleres 
Tempo ein. Herr Gojchewsfi war nicht nur ein jehr glück— 
licher Sieger; er war auch ein edler Menſch, ohne einen 
Schatten von Neid im Herzen. Sobald er den Ritter erblickt 
hatte, rief er ihm auch ſchon entgegen: 

„Da kommt der wirkliche Sieger! Nur ihm haben wir 
den Sieg zu danken; ich bin der erſte, der das öffentlich erklärt. 
Meine Herren, ſprecht dem Herrn Babinitſch euren Dank aus, 
denn ohne feine gejchiefte Operation hätten wir den Fluß nicht 
überjchreiten können!“ 

„Bivat Babinitjch!“ riefen alle Anwejenden. „Vivat! Vivat!“ 


608 R 

„Wo habt ihr eure Kriegsfunjt erlernt, Soldat?“ frug der 
Hetman enthufiasmiert. „Wie habt ihr jogleich begriffen, was 
zu thun war?“ 

Kmiziz antwortete nicht; er war zu müde dazu. Er ver- 
neigte fi) nur nach allen Seiten hin und fuhr fich mit der 
Hand über das von Staub und Pulverdampf gejchwärzte Ge— 
ſicht. In jeinen Augen lag ein ungewöhnlicher Ölany, während 
die Bivatrufe fortdauerten. Eine Abteilung nad) der anderen 
z0g vom Schlachtfelde heran und eine jede jtimmte im Die 
braufenden Vivatrufe zu Ehren Kmiziz's aus voller Bruft ein. 
Die Mützen flogen in die Höhe und wer noch einen Schuß 
im Gewehrlaufe hatte, der jchoß ihn in die Luft. 

Plöglich ftand Herr Andreas im Sattel hochaufgerichtet; 
er erhob beide Hände zum Himmel und rief mit Donneritimme: 

„Bivat Johann Kajimir, unjer Herr und lieber Vater!“ 

Darauf erhob fich ein jolches Gejchrei, als jollte eine neue 
Schlacht beginnen. Cine unbejchreibliche Begeijterung hatte 
alle erfaßt. 

Der Fürſt Michael gürtete feinen Säbel ab, deſſen Scheide 
mit Diamanten bejegt war, und überreichte ihn Kmiziz, des— 
gleichen warf ihm der Hetman jeinen koſtbaren Oberrod als 
Geſchenk über die Schultern und wieder erhob Kmiziz die Augen 
und Hände zum Simmel und: 

„Vivat unjer Hetman, unjer Führer und Sieger!” rief er. 

„Crescat! floreat!* erjcholl es im Chore. 

Darauf fing man an, die eroberten Fahnen zu jammeln; 
jie wurden auf dem Walle zu Füßen der Führer aufgepflanzt. 
Der Feind hatte feine einzige gerettet. Da waren preußijche 
Fahnen, Fahnen der Adelsgejchlechter, jolche des preußijchen 
allgemeinen Aufgebots, Fahnen der Stammfoldaten, ſchwediſche 
und auch Fahnen der Leibjchwadronen Boguslaws. 

„Diejer Sieg ift einer der größten Stege diejes Krieges!“ 
rief der Hetman. „Israel und Walde jind gefangen, die 
Hauptlente teil$ gefangen, teils tot, das Heer vernichtet . . .“ 

Hier wandte er ſich an Kmiziz: 

„Herr Babinitjch, ihr müßt doc drüben auf jener Seite 
mit Boguslaw zujammengetroffen ſein ... Was iſt aus ihm 
geworden ?“ 

Sept blickte auch MWolodyjowsfi aufmerkfjam in die Augen 
Kmiziz's, dieſer aber jprach jchnell: 

„Den Füriten Boguslam hat Gott durch dieſe Hand ge- 
traft!“ 


609 


Indem er das jagte, itredte er jeine Nechte aus. In 
Augenblid aber warf ſich der kleine Ritter in feine 
Irme, 

„Andrufch,“ rief er. „Ich meide es dir nicht! Gott 
jegne dich!” 

„Du haft mir ja die Hand zum Siege geformt!” antwortete 
Herr Andreas voll Innigkeit. 

Doch weitere Herzensergießungen verhinderte der Fürſt— 
Truchjeß, indem er jchnell frug: 

„sit mein Vetter tot?“ 

„Rein, er iſt nicht tot,“ entgegnete Kmiziz. „Sch habe ihm 
das Leben geichentt, aber er ift verwundet und gefangen genommen, 
Da, dort führen ihn meine Tartaren!“ 

Bei diefen Worten malte ſich Staunen in dem Geficht 
Wolodyjowskis und die Augen der Ritter wandten fich der 
Ebene zu, auf welcher joeben eine Abteilung Tartaren erjchien 
und langjam näher fam. Endlich, als diejelbe fich zwifchen den 
umgejtürzten Wagen durchgejchlängelt hatte, fam fie jchneller bis 
dicht unter die Schanze. 

Da erit ſah man, daß der vorderite der Tartaren einen 
Gefangenen führte und dal diefer Gefangene Boguslaw war. 
Wie anders aber erjchien er jegt dem Auge! ... 

Er, einer der mächtigsten Herren der Republik, geitern noch 
einer der jelbitändigen Fürſten, welcher noch eben erjt von der 
Königsfrone geträumt hatte, jtand er hier zu Fuß am Laſſo, 
zur Seite eines Tartarenfleppers, barhäuptig, die blutige Stirn 
mit einem jchmugigen Fetzen umwunden. Der Haß und die Ver- 
achtung der Ritter gegen dieſen Magnaten war jo groß, daß 
die jchredliche Demütigung, welche er jegt erlitt, feinen Mit- 
feidsfunfen in ihren Herzen entzündetee So rief es denn jet 
wie aus einem Munde: 

„Tod dem Verräter! Tod! Tod!“ 

Der Fürſt Michael bededte jeine Augen mit den Händen. 
War es doch ein Nadziwill, den er hier vor jich in diejer Er— 
niedrigung ſah. Plögfich wurde er dunkelrot im Geſicht und 
ſchrie vor Schmer; auf: 

„Meine Herren! Er ift mein Vetter, von meinem Blut. 
Und ich habe weder Gut noch Blut gefpart fürs Vaterland! 
Der ijt mein Feind, der gegen diejen Unglücjeligen die Hand 
erhebt.“ 

Die Nitter verftummten. 

Der Fürſt Michael war allgemein geliebt und geehrt wegen 

Sienkiewicz, Sturmflut IL 39 


610 


feines Mutes, feiner Freigebigfeit und feiner Baterlandsliebe. 
Hatte er allein jich doch noch in Nieswierjch tapfer gehalten, 
al3 ganz Litauen bereits in den Händen der Hyperboräer war; 
hatte er doch den Zureden des Fürjten Januſch nur Verachtung 
entgegengejegt und war er doch der Erjte gewejen, welcher der 
söderation von Tyſchowietz beigetreten war. So fanden jeine 
Worte aljo auch jetzt Gehör; vielleicht auch wollte feiner den 
Born eines jo mächtigen Herrn heraufbeſchwören, kurz, die Säbel 
flogen fogleich in die Scheiden zurüd, einige Offiziere, die den 
Radziwilld lange Jahre gedient, riefen jogar: 

„Nehmt ihn den Tartaren fort! Die Republit möge ihr 
Urteil über ihn fällen, doch gebt nicht zu, daß Heiden jo edles 
Blut peinigen.“ 

„sa, nehmt ihn den Tartaren fort!“ wiederholte der Fürſt. 
„Wir werden eine Geijel finden; er wird das Löſegeld jelbit 
bezahlen! Herr Woynillowitjch geht mit euren Leuten vor und 
nehmt ihn mit Gewalt, wenn fie ihn freiwillig micht geben.“ 

„Sch stelle mich den Tartaren als Geijel!“ rief Herr 
Gnoinsfi. 

Unterdejjen war Wolodyjowsfi zu Kmiziz Hingejchlüpft. 

„Andrufch,“ jagte er. „Was haft du nun vollbracht? Er 
wird heil aus der ganzen Angelegenheit hervorgehen!“ 

Kmiziz ſprang auf wie ein verwundeter Stier. 

„Mit Verlaub, Durchlaucht!” jchrie er. „Der Gefangene 
gehört mir! Ich habe ihm das Leben gejchenft, aber nur be- 
dingungsweife. Er hat mir auf das Evangelium feines Glaubens 
geichworen, die Bedingungen einzulöfen, und nur über meinen 
Leichnam hinweg fommt er aus den Händen frei, denen ich ihn 
übergeben habe.“ 

Während er das jagte, faßte er jein Pferd im Zaun, ver- 
trat den Weg und machte ſich fampfbereit. 

Woynillowitſch juchte ihn mit feinem Pferde bei Seite 
zu Drängen. 

„Sebt den Weg frei, Herr Babinitjch!* rief er dabei. 

„Weg da, zur Seite!“ ſchrie Herr Andreas, indem er mit 
dem Sübelgriff auf das Pferd des Herrn Woynillowitſch ein- 
bieb, daß es in den Beinen zu zittern begann, wie von einer 
Kugel getroffen, mit dem Huf den Boden wühlte. 

Da entjtand ein lautes Murren unter der anmejenden 
Nitterjchaft, jo daß Herr Goſchewski ein Stück vorritt. 

„Schweigt till, ihr Herren,“ gebot er. „Durchlaucht! Kraft 
meiner Würde als Hetman erkläre ich, daß Herr Babinitjch ein 


611 


Recht an den Gefangenen hat und daß derjenige, welcher den 
Fürſten Boguslaw aus den Händen der Tartaren befreien will, 
dieſe Befreiung nur bei dem Sieger auswirken kann. 

Fürſt Michael bezwang ſeinen Unmut, beruhigte ſich etwas, 
dann wandte er ſich an Kmiziz und frug: 

„Was verlangt ihr aljo? Sprecht!“ 

„Er joll die Bedingungen erfüllen, ehe er in Freiheit 
gejegt wird.” 

„Er wird fie euch halten, wenn er frei fein wird.“ 

„Das geht nicht an! Ich glaube ihm nicht!“ 

„sch Ichwöre für ihn, bei der Allerheiligiten Mutter, an 
die ich glaube, und verpfände euch mein Nitterwort, daß euch 
alles gehalten werden joll. Im anderen Falle dürft ihr euch 
an meinem Vermögen und an meiner Ehre jchadlos halten.“ 

„Genug!“ jagte Kmiziz. „Möge Herr Gnoinsfi ſich als 
Geiſel jtellen, damit die Tartaren nicht Widerjtand leijten. Ich 
halte mich an euer Wort.“ 

„sch danfe euch, Kavalier!“ antwortete der Fürſt-Truchſeß. 
„Fürchtet nicht, daß er jogleich freigelafjen wird. ch übergebe 
den Fürſten Boguslaw von Rechtswegen dem Herrn Hetman; 
er ſoll Gefangener bleiben bis nach dem Urteilsjpruch des 
Königs.“ 

„So joll es jein!“ fagte der Hetman. 

Und indem er dem Herrn Woynillowitjch befahl, ein 
friiches Pferd zu bejteigen, da das jeinige kaum mehr jtehen 
fonnte, jandte er ihn zujammen mit dem Herrn Gnoinsfi nach) 
dem Fürſten. 

Die Uebergabe verlief aber jo leicht nicht. Man mußte 
den Gefangenen mit Gewalt nehmen, denn Haſſun-Bey wider- 
jeßte jich der Auslieferung. Erſt der Anblid des Herrn 
Gnoinski und das feitgejegte Löfegeld von Hunderttaufend 
Thalern beruhigte ihn etwas, 

Am Abend befand ſich Fürſt Boguslaw jchon unter den 
Zelten des Herrn Goſchewski. Man pflegte ihn jorgfältig, zwei 
Mediker blieben immerwährend bei ihm und beide waren für 
jeine Herſtellung verantivortlich, welche voraussichtlich ſchnell 
von jtatten gehen follte, da die nur mit der Spite des Säbels 
beigebrachte Wunde eine leichte war. 

Herr Wolodyjowsfi fonnte e8 dem Herrn Andreas nicht 
verzeihen, daß er dem Fürjten das Leben gejchenft hatte. Aus 
Sram darüber vermied er es während des ganzen Tages, ihm 
zu begegnen. Erſt abends fam Kmiziz jelbit in fein Zelt. 

89* 


612 


„Bei den Wunden Jeſu!“ fchrie bei jeinem Anblick der 
kleine Ritter auf. „Eher hätte ich jedem anderen eine jolche 
That zugetrant, als dir. Wie fonnteit du diefen Verräter am 
Leben laſſen! . . .“ 

„Höre mic an, ehe du mich verdammit, Michael,“ ent- 
gegnete Kmiziz düfter. „Sch hielt ihn fchon unter dem Fuße 
und hatte ihm die Säbeljpige auf den Hals gejeßt . .. . Weißt 
du, was dieſer Verräter mir da ſagte? ... Er fagte, daß der 
Befehl ausgegeben jei, Dlenfa in Tauroggen zu töten, wenn er 
fallen ſollte . . . Was jollte ich Unfeliger thun? Ich erfaufte 
ihr Leben mit feinem Leben... Was follte ich thun? ... 
Beim Kreuze Ehrijti, was follte ich tun? ...“ 

Er raufte jein Haar, ſtampfte mit den Füßen vor Er- 
regung, während Herr Wolodyjowsfi nachdenklich wurde. Nach 
einer Weile jagte diejer: 

„Ich veritehe deine Verzweiflung... Aber immerhin ... 
Du haft einem Baterlandsverräter das Leben geſchenkt, welcher 
in Zukunft fchwere Verhängnifje über die Republik berauf- 
bejchwören kann . . . Daran iſt micht® zu ändern, Andrufch! 
Du haſt dich heute jehr verdient gemacht um das Vaterland, 
aber am Ende hast du doch das öffentliche Wohl deinem perjün= 
lichen Intereſſe geopfert.” 

„Und du, du jelbit, was hätteſt du gethan, wenn man dir 
gejagt hätte, daß man das Meſſer an den Hals des Fräuleins 
Anufia Borſchobohata fett?” 

Wolodyjowski zucdte mit dem Bärtchen. 

„sch gebe mich zu einem Vergleich nicht her. Hm! Was 
ich gethan hätte?... Skrzetuski, welcher die Denfungsart eines 
Nömers hat, hätte ihm nicht am Leben gelaflen; zudem bin ich 
jicher, daß Gott nicht zugelaſſen hätte, daß darum unjchuldiges 
Blut vergofien würde.“ 

„So laßt mich dafür büßen. Strafe mic) Gott, nicht nach 
der Schwere meiner Schuld, jondern nach deiner Barmherzig- 
feit . .. Sch konnte das Todesurteil dieſer Taube nicht unter- 
jchreiben . . .“ 

Kmiziz hielt fich die Augen zu. 

„Helft mir, alle heiligen Engel! Niemals! Niemals!“ 

„Es iſt einmal gejchehen!” jagte Wolodyjowsti. 

Darauf zog Herr Andreas aus der Brujttafche etliche 
Papiere hervor. 

„Sieh' einmal her, Michael,“ jagte er. „Da ift, was ich 
gewonnen habe. Diejes hier ijt der Befehl an Sakowitſch, 


613 


diefeg an alle Offiziere Radziwills und an alle jchwedijchen 
Kommandanten... Er mußte unterjchreiben, war es au 
feich die linfe Hand, mit der er jchrieb... Der Süri-Erucfeh 
*— hat Obacht gegeben ... Hier, ihre Freiheit, ihre Sicher— 
heit! Bei Gott! Ich will ein ganzes Jahr lang täglich eine 
Stunde zu Kreuze liegen, mit dem Kantjchu will ich mic) geißeln 
lajjen, eine neue Kirche jtiften, aber ihr Leben konnte ich nicht 
opfern! Sch bin Fein Römer! ... Gut! Sch bin fein Kato, 
wie Skrzetuski. Gut! Aber fie opfern?! Nein, zum Donner» 
wetter, nein; und follte ich in der Hölle braten ...“ 

Kmiziz konnte feine Rede nicht beenden, denn Wolodyjowski 
jprang herzu, hielt ihm den Mund mit der Hand zu und rief 
mit durchdringender Stimme: 

„Läſtere nicht! Du rufſt die Strafe Gottes auf fie herab! 
Schlage an deine Bruft! Schnell, jchnell!“ 

Und Kmiziz ſchlug ih an die Brujt und jprach: „mea 
culpa, mea culpa, mea maxima culpa!“ Zuletzt brach der 
arme gequälte Soldat in lautes Weinen aus; er fonnte nicht 
mehr an ſich halten. 

Wolodyjowski ließ ihn fich ausweinen. Als er jich beruhigt 
hatte, frug er ihn: 

„Was willit du nun unternehmen ?“ 

„sc werde mit meiner Horde dahin gehen, wohin man 
mich jchiefen wird, ſei es auch bis Birz. Meine Leute umd 
Pferde jollen nur etwas ausruhen. Unterwegs fann ich viel- 
leicht noch eine oder die andere Echwedenabteilung aufheben.“ 

„Und wirit dafür Gotteslohn ernten. Berliere den Mut 
nicht, Andrujch! Gott iſt barmherzig!“ 

„sch werde direft nach Birz gehen fünnen. Ganz Preußen 
ijt jet offen. Höchitens einige Keine Bejagungen werden auf- 
zubeben ſein. 

Herr Michael jeufzte: 

„Ei, wie gern ginge ich mit dir; es wäre ein Ritt ins Para- 
dies! Aber ich muß das Kommando halten. Du bift glücklich, weil 
du Volontarier haſt . . . Andrufch! Brüderchen höre! Wenn 
du fie beide findeſt . . . nimm dich der anderen auch an, da— 
mit es ihr nicht jchlecht geht... .„, wer weiß, vielleicht it fie 
mir doch beitimmt ... 

Indem er das jagte, fiel der kleine Ritter in die Arme 
des Freundes. 


— — 





12. Rapitet. 





Dienfa und Anufia waren unter dem Schutze Brauns 
glücklich aus Tauroggen entfommen und zu der Partei des 
Herrn Schwertträgers gelangt, welche zu jener Zeit bei Olſcha 
jtand, alfo nicht allzuweit von QTauroggen. 

Als der alte Edelmann die beiden Mädchen gejund und 
wohlbehalten erblicte, wollte er erjt feinen Augen nicht trauen, 
dann brach er in Freudenthränen aus, und zuleßt überfiel ihn 
eine jo friegerijche Stimmung, daß er behauptete, e8 nicht nur 
mit Boguslaw, jondern mit der ganzen jchwedischen Armee auf- 
nehmen zu wollen. Er wollte jeine beiden Mädchen vor jedem 
Feinde jchügen. 

„sch will Lieber fallen, ehe ich euch ein Haar Frümmen 
lajie. Ich bin nicht mehr der Mann, den ihr in Tauroggen 
gefannt habt; ich denke, die Schweden werden noch lange an die 
Wälder von Girlafol, an Jaswojna und an die Schwielen 
denken, die ich ihnen bei Rojchen beigebracht habe. Es iſt ja 
wahr, daß der Verräter Sakowitſch uns unvermutet überfallen 
und verjprengt hat, aber ihr jeht, daß wir wieder ein paar 
hundert Säbel beifammen find.“ 

Der Herr Schwertträger übertrieb nicht; man fonnte that= 
ſächlich in ihm micht mehr den verzagten Gefangenen von Tau— 
roggen wiedererfennen. Er war ein ganz anderer geworden. 
Die alte Energie war in ihm wieder erwacht. Im Felde, zu 
Prerde, da befand er fich in jeinem Clement, und da er ein 
guter Soldat var, jo hatte er im der That den Schweden jchon 
einige Schlappen beigebracht. 

Da er in der ganzen Gegend in großem Anjehen ftand, 
jo fam von allen Seiten her der Ktleinadel gern zu ihm, um 


615 


ſich ihm anzuschließen, auch die Bauern und Waldläufer kamen 
herbei und von den Herren Billewitjch brachte ihm ab und zu 
auch einer etliche Leute oder Pferde zugeführt. 

Die Partei des Herrn Schwertträgers bejtand aus Ddrei- 
hundert polnifchen Füjilieren, die aus den Bauern zujammen- 
geitellt waren, und aus etwa fünfhundert Mann zu Pferde. 
Bon den Füfilieren hatten nur wenige eine Musfete, die große 
Mehrzahl war mit Senjen und Mijtgabeln bewaffnet, die Reiter 
bejtanden aus zujammengelaufenem begüterten Stleinadel, welcher 
mit jeinem Gejinde in die Wälder geflüchtet war, und jolchen, 
die die Armut in den Hütten zurüdgehalten hatte. Ihre 
Armierung war etwas bejjer, als diejenige der Füſiliere, aber 
jehr verjchiedenartig. Hopfenjtangen dienten vielen als Lanzen, 
andere trugen ihre angeerbten Familienwaffen, deren Anfertigung 
vor Jahrhunderten gejchehen jein mochte; die Pferde waren 
von jo verjchiedener Größe und Güte, daß fie fich ſchwer ein- 
reihen ließen. 

Der Schwertträger fonnte mit ſolch einer Truppe wohl 
jchwedischen Patrouillen den Weg verlegen, größere Abteilungen 
angreifen und verjprengen, die Wälder und Dörfer von Räuber: 
banden frei halten, aber er fonnte feine Stadt damit belagern. 
Die Schweden waren mit der Zeit flug geworden. Die Polen 
hatten gleich nach dem Ausbruch des Aufitandes alle diejenigen 
jchwedijchen Eleineren Bejagungen vernichtet, welche verjtreut in 
Quartieren in den Dörfern lagen; jet hatten ich diejenigen, 
welche übrig geblieben waren, in den Städten fejtgejegt und 
diefelben befejtigt, von wo aus fie fi) nur zu Sriegszügen in 
die nächite Umgebung herauswagten. So war es allmählich 
gefommen, daß alle Kleinen Städtchen, die Dörfer und Wälder 
ji in den Händen der Polen befanden, während alle größeren 
Städte von den Schweden eingenommen waren. Sie daraus 
zu vertreiben, war bisher unmöglich gewejen. 

Die Partei des Schwertträgerd war eine der beiten, andere 
fonnten weit weniger ausrichten. An der Grenze Lieflands 
hatten ich die Aufitändischen zwar jo weit hervorgewagt, daß 
jie zweimal die Veſte Birz belagert und bei der zweiten Be— 
lagerung die Uebergabe derjelben erzwungen hatten, doch diefen 
Sieg hatten fie nur dem Umjtande zu verdanfen, daß de la Garbdie, 
zur Verteidigung Nigas gegen die Heeresmacht des Zaren, alle 
Truppen aus ben an Liefland grenzenden Provinzen ein— 
gezogen hatte, 

Die glänzenden Siege jedoch, welche diejer General er» 


616 


rungen hatte, gaben der Befürchtung Raum, dab der Feldzug 
in Liefland bald beendet jein mußte, und dann die Smudz von 
neuem von den fiegestrunfenen Schweden überzogen werden würde. 
Unterdejien waren alle die zahlreichen Parteien der Aufjtändischen 
in den Wäldern wohl geborgen und wenn fie auch zu größeren 
Unternehmungen nicht jtarf genug waren, jo fonnten jie doch) 
ficher fein, in ihren Berjteden von den Feinden nicht aufgejucht 
zu werden. 

Aus diefem Grunde verwarf der Herr Schwertträger den 
Gedanken, in der Heide von Bialowierjch Schuß zu juchen. Der 
Meg dahin war jehr weit und man mußte unterwegs an zahl» 
reichen Städten vorüber, welche jtarfe jchwedijche Bejagungen 
hatten. 

„Bott hat uns einen trodenen Herbit gegeben,“ jagte er 
zu feinen Mädchen, „es lebt jich darum leichter unter Gottes 
freiem Himmel. Sch werde euch eim zierliches Zelt zurecht- 
zimmern laſſen, ein altes Weib zur Bedienung wird fich auch 
finden laffen, ihr bleibt Hübfch im Lager. Es giebt in Diejen 
Beiten feine ficherere Zuflucht, al8 die Wälder. Mein Bille- 
witjche it bi auf den Grund niedergebrannt, die Gutshöfe 
werden von Naubgefindel heimgejucht, zuweilen auch von jchwe- 
diichen Streifzüglern. Wo fünntet ihr eure Häupter jicherer 
zur Ruhe legen, als bei mir, dem einige hundert Säbel zur 
Verfügung stehen? Wenn jpäter die Herbſtregen kommen, 
dann wird ſich auch eine jtill verborgene Hütte in der Wild- 
nis finden. 

Diejer Vorjchlag gefiel dem Fräulein Borjchobohata gar 
jehr, denn bei der Partei befanden jich ein paar junge Bille- 
witjch, jehr artige avaliere und — man jprad) unaufhörlich 
davon, daß Herr Babinitjch in diefe Gegend fommen werde. 

Anufia hoffte im Stillen, daß er dann im Nu die Schweden 
alle Hinaustreiben würde, und dann — dann fonnte fommen, 
was Gott wolle. Olenka glaubte ſich auch joweit in den 
Wäldern ficher, fie wäre nur gern weiter von QTauroggen ent= 
fernt gewejen, denn im Stillen fürchtete fie noch immer Die 
Verfolgung des Herrn Safowitjch. 

„Laßt uns doc, nach Wodockt ziehen,“ jagte ji. „Wir 
jind dort zu Haufe. Sollte Wododt auch niedergebrannt jein, 
jo find doch Mitrun und alle die Hufländereien des Klein— 
adels in der Nähe; es iſt doch nicht möglich, daß die ganze 
Gegend dort ein Schutthaufen it. Im Falle der Gefahr werden 
die Yaudaer ung jchügen. 


617 


„Bah, die Laudaer jind alle mit Wolodyjowsfi ausgezogen,“ 
verjeßte der junge Herr Jurek Billewitich. 

„Die Alten und die inaben find aber doc) dort geblieben,“ 
warf Dlenfa ein. „Im Notfalle greifen da auch die Weiber 
zur Waffe. Die Heide iſt dort auch größer als hier; die Jäger— 
Domajchewitich, die Rauch-Gojtjchtewitjch werden uns in die 
Nogowoer Heide bringen, wo uns fein ‘Feind ausfindig 
machen kann.“ 

„Und ich werde euch ein ficheres Lager aufbauen, werde 
Ausfälle gegen die Schweden machen und alle diejenigen fern 
halten, welche e8 wagen jollten, bis an die Grenze der Heide 
vorzudringen,“ jagte der Herr Schwertträger. „Das ijt ein 
vortrefflicher Gedanke, Dlenkta! Fort mit uns! Dort fünnen 
wir mehr nügen als hier. Wer weiß, ob der Herr Schwert- 
träger nicht auch darum den Gedanken Fräulein Alerandras 
jo jchnell aufgriff, weil auch er im Stillen ein wenig die Nache 
des Herrn Safowitjch fürchtete, welcher in der Wut zu allem 
Möglichen fühig war. 

Der Natjchlag war aber auch an und für fich ein Fluger; 
er wurde von allen gleich freudig angenommen. Der Herr 
Schwertträger jchiete noch an demjelben Tage unter dem Be— 
fehl des Herrn Jurek die Füſiliere voraus, damit fie im der 
Richtung nach Krafinow zu einen Weg durch die Wälder bahnten. 
Er jelbjt brach mit den Neitern erjt zwei Tage jpäter auf, nach- 
dem er zuvor genaue Nachrichten eingezogen hatte, dab von 
Kiejdan oder von Roſchen aus, zwijchen welchen beiden Orten 
der Weg durchrührte, feine größere Streifpatrouille ausgezogen war. 

Ste marſchierten langjam und mit Vorficht. Die beiden 
Fräuleins fuhren auf Bauernwagen, zuweilen ritten fie auf 
Kleppern, welche der Schwertträger ihnen bejorgte. 

Anufia Hatte von Jurek einen Kleinen leichten Säbel als 
Geſchenk erhalten. Sie trug denjelben an einer jeidenen Säbel- 
jchnur übergehängt und eine Eleine Soldatenmüte keck nach der 
Seite auf dem Kopfe. Sie jah jo ganz allerliebit aus, wie ein 
Fahnenrittmeiſter. Der Zug mit den in der Sonne bligenden 
Säbeln und nachts die Lagerfeuer bereiteten ihr viel Vergnügen. 
Sie warf ihre flaren Meugelein nach allen Seiten hin, die 
Zöpfe hingen ihr lang am Rüden herunter, nur damit jie Die- 
jelben mindeſtens dreimal täglich Flechten konnte, wobei ihr die 
Bächlein und Seen, an denen fie vorüberfamen, als Spiegel 
dienen mußten. Die jungen Offiziere waren entzücdt von ihr. 
Dft verlangte fie, eine Schlacht mitzumachen, um durch ihre 


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Tapferfeit zu glänzen; aber dag war nur leeres Gerede, um 
alle die Offiziere zu bejtriden, denn im Grunde ihres Herzens 
fürchtete fie jich vor einer Schlacht. 

Dienfa lebte aufs neue auf, nachdem jie Tauroggen ver— 
laſſen hatte. Dort Hatte fie die Unficherheit ihres Gejchides 
faſt zu Tode geängjtiget, hier fühlte fie fich geborgen. Die frifche, 
gejunde Luft jtärfte ihre gejchwächten Kräfte. . Der Anblid der 
Krieger, das Geflirr der Waffen, das Treiben im Lager, das 
alles war Baljam für ihre franfe Seele. Auch ihr machte das 
Marjchieren Freude; die mögliche Gefahr jchredte jie nicht, denn 
es floß Nitterblut in ihren Adern. Sie ließ fich weniger vor den 
Soldaten jehen, machte feine übermütigen Kunſtſtückchen auf 
dem Stlepper, wenn jie vor dem Gliede ritt, deshalb zog jie 
weniger die Augen auf fi. Dafür wurde fie mit der größten 
Hochachtung behandelt. 

Die bärtigen Gejichter der Soldaten überzog ein Lachen 
beim Anblid Knufios, wenn aber Olenka fich den Lagerjeuern 
nahte, da flogen die Mützen von den Köpfen. Dieje Hochach- 
tung verwandelte jich jpäter in Bewunderung. Es gab feinen, 
dejjen Herz nicht für fie gejchlagen hätte, nur wagte feiner, fie 
jo dreiit anzubliden, wie die eine Schwarzbeere aus der Ukraine. 

Während fie durch die Wälder und Schonungen kamen, 
jandte der Schwertträger oft Kundſchafter aus, um die Sicher- 
heit des Weges zu prüfen. Endlich am jiebenten Tage langten 
jie jpät in der Nacht in Lubitſch an, welches an einem Ein— 
jchnitt der Yaudaer Grenze lag, gleichlam das Thor zu diejem 
Zandesteile bildend. An diefem Tage waren durch den über- 
mäßig langen Marjch die Pferde jo ermüdet, daß den Vor— 
itellungen Olenkas ungeachtet, der Schwertträger hier über- 
achten wollte. Der alte Herr wurde ärgerlich, verbot dem 
Mädchen ihre Launenhaftigfeit umd befahl den Parteien, ſich für 
die Nacht einzurichten. 

Seltjamerweije war der Gutshof nicht niedergebrannt. 
Mahrjcheinlich hatte der Feind denjelben infolge eines Befehls 
des Fürſten Januſch Nadzuvill verjchont, weil er Kmiziz gehörte. 
Später nad) dem Abfall Kmiziz' mochte der Fürſt vergefjen 
oder nicht Zeit gehabt haben, den Befehl aufzuheben. 

Die Aufitändiichen dagegen betrachteten die ganze Gegend 
als Eigentum der Billewitjch und duldeten nicht, daß Raub» 
gejindel jich an den Grenzen der Lauda umhertrieb. Es hatte 
ich aljo hier nichts verändert. Olenka überjchritt mit einem 
ſchrecklichen Schmerz und Bitterfeitsgefühl im Herzen Die 


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Schwelle diefes Hauſes. Sie fannte jeden Winkel desjelben 
und an jeden Winfel knüpfte fich für fie die Uebelthat Kmiziz'. 
Da, hier, der Eßſaal mit den Ahnenbildern und den Schädeln 
der Waldtiere. Lebtere hingen noch Halbzerjchmettert an den 
Wänden, die erjteren, die alten von den Säbelhieben verun— 
Italteten Gejichter blickten düjter herunter, als wollten jie jagen: 
„Sieh, Mädchen, jieh, unjere Enkelin, jo hat er mit jchändlicher 
Hand die Bildnifje unjerer leiblichen Gejtalten, die ſchon längjt 
im Grabe modern, zugerichtet!“ 

Dienfa fühlte, daß ſie in diefem befledten Haufe fein Auge 
würde jchließen fünnen. Aus jedem Winfel jchienen die jchred- 
lichen Gejtalten der Kumpane Kmiziz' hervorzufriechen, wie 
Höllenteufel, Feuer jchnaubend. 

D, wie jchnell war der von ihr fo geliebte Mann gejunfen; 
von Uebelthat zu UWebelthat, zu immer jchiwereren Verbrechen, 
vom Zerjtören diejer Bilder bis zur Verbrennung Upits, zum 
Mädchenraube, als er fie jelbjt geraubt, weiter — zum Dienjt 
bei den Nadziwills, bis zum geplanten Königsmörder ... 

Die Nacht verrann, der Schlaf floh den Augen Olenkas. 
Alle Wunden ihrer Seele wurden aufs neue geöffnet, von neuem 
brannte die Scham auf ihren Wangen, flojjen die Augen von 
Thränen über und ihr Herz wurde von joldher Trauer erfüllt, 
daß dasjelbe zu jpringen drohte... 

Um was trauerte fie eigentlich? Um das, was anders 
hätte jein fünnen, wenn ev anders gewejen wäre? Ach, wenn 
er bei allen Leidenschaften, aller Wildheit und allem Uebermut 
nur die Ehre, die Reinheit des Herzens bewahrt hätte! Wenn 
er doch Maß gehalten hätte im Verbrechen, wenn doch eine 
Grenze für ihn dagewejen wäre, die er zu überjchreiten nicht 
gewagt hätte. Ihr Herz hatte ja jo viel verziehen ... 

Anufia fonnte die Dual der Genojjin nicht entgehen. Der 
alte Schwertträger hatte ihr die Gejchichte in allen Tonarten 
vorgejungen. Da jie num ein gutes Herz hatte, jchlich fie ſich 
zu Dlenfa hin, legte ihre Arme um den Hals der Freundin 
und jagte: 

„Dlenfa! Du windeft di) im Schmerz in dieſem 
Hauſe ...“ 

Zuerſt konnte und wollte Olenka gar nicht ſprechen; ſie 
bebte am ganzen Körper wie Espenlaub, zuletzt brach ſie in 
lautes, verzweifeltes Schluchzen aus. Sie faßte krampfhaft die 
Hand Anuſias, ſtützte ihr blondes Haupt auf den Arm der Freundin 
und ſchüttelte ſich, wie der Sturm den Strauch rüttelt. 


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Anufia mußte lange warten, bi8 der Weinframpf vor= 
über war. 

Als Olenka fich endlich zu beruhigen begann, da flüjterte 
fie leiſe: 

„Wir wollen für ihn beten, Olenka ...“ 

Doc dieje verdeckte ihr Gejicht mit beiden Armen. 

„Rein! ... Ich kann nicht! ...“ rief fie fait entſetzt. 

Nach einer Weile ftrich jie mit fieberhafter Eile die Haare 
zurüc, welche ihr auf die Stirn gefallen waren, dann jagte jie 
mit müder Stimme: 

„Siehit du... ich kann nicht ... du Glückliche ... 
Dein Babinitſch iſt edel, berühmt . . . vor Gott... und dem 
Baterlande . . . du Glückliche! ... Ich darf nicht einmal 
beten ... . Ueberall jehe ich Menjchenblut . . . Trümmerjftätten! 
Wenn er wenigitens das Vaterland nicht verraten hätte, wenn 


gegangene hatte ich jchon verziehen... . denn ich dachte... . 
in Kiejdan . . . denn ich liebte ihn... von ganzem Herzen! 
... Aber jetzt kann ich nicht . . . barmberziger Gott! ich fann 
nicht! . .. Sch wollte, ich wäre tot... . und er wäre tot!“ 

„Es it erlaubt, für jede Seele zu beten, denn Gott iſt 
barmherziger als die Menjchen. Er kennt die Urjachen unjerer 
Handlungen, wie die Menjchen jie oft nicht erfennen können. 

Während fie das jagte, fniete Anufia zum Gebet nieder, 
Dienfa warf fich zu Kreuze und verharrte jo biß zum Morgen. 

Am Morgen verbreitete fich jchnell die Nachricht, daß der 
Herr Billewitich, Schwertträger von Reußen, in die Lauda ein- 
gezogen jei. Was da lebte, jtrömte zu jeiner Begrüßung herbei. 
Greiſe und Weiber mit Eleinen Kindern famen aus ihren Wald- 
veritecfen hervor. Zwei lange Jahre hatte niemand mehr in 
den Hufeländern den Acer bebaut und gejäet. Die Ortichaften 
waren teilweife verbrannt und verödet. Die fräftigen Männer 
waren mit Wolodyjorwsfi fortgezogen, nur halbwüchjige Jüng- 
linge behüteten und verteidigten den Reſt der Habe im 
Schutze der Heide. 

Man begrüßte daher den Schwertträger als „Befreier“ mit 
Freudenthränen, denn die einfachen Menfchen dachten, daß, wenn 
der alte Herr und das „Fräulein“ wieder in Das alte Nejt 
zurücdfehrten, der Strieg zu Ende fein müſſe. Sie begannen nun 
auch gleich ihre halb verwilderten Viehherden aus dem Walde 
herbeizutreiben und in die noch übrig gebliebenen Hütten zurück— 
zufommen. 


621 


Die Schweden jahen zwar noch in der Nähe, in dem gut 
befeitigten Poniewierſch, aber angefichts der Streitfraft des 
Herrn Thomas und anderer benachbarten Parteien, welche im 

Ile der Not jchnell herbeizurufen waren, fürchteten fich die 
eute nicht mehr vor ihnen. 

Herr Thomas hatte jogar die Abjicht, Poniewierjch an- 
zugreifen, um den Kreis gänzlich zu jäubern; er wartete nur 
noch auf neuen Zuzug von Freiwilligen, beſonders aber darauf, 
daß jeine Füſiliere mit Gewehren ausgejtattet werden jollten, 
welche die Jagd-Domajchewitich im Walde verborgen hielten. 
LEN bejichtigte er die Gegend, indem er von Ort zu 

rt ritt. 


Ach, es war eine traurige Bejichtigung. In Wododt war 
der Gutshof und das halbe Dorf abgebrannt; ebenjo Mitrun. 
Wolmontowitſch und Butrymow, welche jeiner Zeit Kmiziz 
niedergebrannt hatte, waren nad) dem Brande wieder aufgebaut 
und merhvürdigerweije auch erhalten worden. Dafür waren 
Drojchejtidnyg und Morgi, welche den Domajchewitich gehörten, 
total, Bazunel zur Hälfte, Morezy ganz niedergebrannt. Das 
ſchrecklichſte Los war dem Orte Goſchtſchuny widerfahren, denn 
auch die Menſchen waren zum größten Teil totgejchlagen, und 
allen Männern, von den Greifen angefangen bis zu den kleinen 
Knaben herab, auf Befehl des Hauptmann Roßy, die Hände 
abgehauen. 

Sp hatte der Krieg mit graufamem Fuß Diefe Gegend 
zertreten, das war die Folge des Verrat des Fürſten Januſch 
Nadziwill. 

Doch ehe noch der Schwertträger jeine Belichtigung be= 
endet und feine Füjiltere bewaffnet hatte, kamen wieder Nach— 
richten freudiger Art und dennoch gräßlich in dieſe Gegend, 
welche jchnell von Hütte zu Hütte getragen wurden. 

Jurek Billewitjch, welcher mit einer Abteilung Berittener 
einen Streifzug nad) Poniewierſch zu unternommen und 
einige Schweden aufgefangen hatte, vernahm zuerjt die Kunde 
von der Schlacht bei Prostki. Darauf jagte eine Neuigfeit Die 
andere; man hörte nach und nach Einzelheiten, welche jo wunder— 
bar Elangen, daß man fie für Märchen halten Eonnte. 

„Herr Goſchewski,“ jo hieß es, „hat den Grafen Walded, 
Israel und den Fürſten Boguslaw gejchlagen. Das Heer jollte 
vernichtet, die Generale gefangen, ganz Preußen ein Flammen— 
meer jein!“ 


622 


a Wochen jpäter flog noch ein Name von Mund zu 
Mund. ES war der Name Babinitjch. 

„Babinitſch ift eigentlich der Sieger von Prostki,“ ſprach 
man in ganz Smudz. „Babinitjch hat den Fürſten Boguslam 
mit eigener Hand gejchlagen und gefangen genommen.“ 

Und weiter: 

„Babinitjch trägt den Brand nach Preußen, fommt wie 
der Tod der Grenze Smudz's zu, und verwüjtet alles, was 
a und Erde ijt.“ 


„Babinitſch Hat Tauroggen verbrannt. Sakowitſch ift ent- 
flohen und hat ſich in den Wäldern verjtedt. 

Der legte Vorfall hatte jich jo nahe vollzogen, daß man 
über die Wahrheit des DVerichtes nicht lange in Zweifel bleiben 
fonnte. Er erwies jic als volljtändig wahr. 

Anufia Borjchobohata war während der ganzen Beit, wo 
dieſe Nachrichten furjierten, wie im Traume befangen. Sie 
lachte und weinte abwechjelnd, jtampfte zornig mit den Füßen, 
wenn jemand einer Neuigfeit feinen Glauben jchenfen wollte; 
jie erzählte, was ſie wußte, immer wieder, gleichviel, ob einer 
zubörte oder nicht. 

„sch kenne den Herrn Babinitfh! Er hat mich von 
Samojchtich zum — Sapieha gebracht. Er iſt der größte 
Krieger der Welt. Ich weiß nicht, ob Herr Tſcharniezki ihm 
gleichfommt. Er war e8, welcher unter dem Herrn Hetman 
dienend, den Fürſten Boguslan bedrängt hat. Sch bin gewiß, 
daß fein anderer als er den Fürſten bei Prostki niedergejchlagne 
hat. Er wird es dem Safowitjich, ja zehn jolchen Safowitjchen 
heimleuchten . . In einem Monat wird er die Schwedne 
hinausgefegt haben.“ 

Die Berjicherungen Anuſias bewahrheiteten jich jchnell. 
Es blieb fein Zweifel mehr, der große Krieger, genannt Babi- 
nitjch, rückte thatjächlich von Tauroggen her in das Innere des 
Landes vor. 

Bei Koltyn jchlug er den Hauptmann Baldon und ver- 
nichtete dejjen Abteilung vollkommen. Bei Warna befriegte er 
die jchwedische Infanterie, welche jich vor ihm bis nach Teljch 
zurüdzog. Bei Telſch lieferte er eine größere jiegreiche Schlacht 
den beiden Hauptleuten Normann und Hudenskjöld, in welcher 
Hudenskjöld fiel und Normann mit den Uebriggebliebenen 
flüchtete, bi8 nach Sagorjche, dicht an der Grenze von Smubdz. 

Bon Telſch aus zog Babinitſch gen Kurjchan, Fleinere 


623 


ſchwediſche Abteilungen vor jich hertreibend. Sie fuchten mit 
aller Gewalt in größere jchwedische Lagerpläge zu entkommen. 

Bon Tauroggen und Polongi nach Birz und Wilfomierjch 
jcholl jein fiegreicher Name Man erzählte fich auch von den 
Greuelthaten, die er fich gegen die Schweden zu jchulden 
fommen ließ. Es hieß, daß jein Heer, welches anfangs nur 
aus zinem Tſchambul Tartaren und einer Fahne Bolontarier 
beitanden hatte, von Tag zu Tag wuchs; denn wer da lebte 
lief ihm zu, alle Parteien vereinigten ſich mit ihm und er 
umfaßte fie mit eiferner Hand und führte fie gegen den Feind. 

Die Sinne aller waren jo ſehr mit jeinen Siegen bejchäftigt, 
daß die Kunde von der Niederlage, welche Goſchewski gegen 
Stenbod erlitten hatte, lautlos verhallte. Babinitjch war näher, 
mit Babinitjch bejchäftigte man ſich unaufhörlich. 

Anufia flehte täglich den Schwertträger an, er möge doch 
eifen, ji) mit dem berühmten Krieger zu vereinigen. Auch 
Dienfa drängte dazu, die Offiziere, der Adel, alle baten, denn 
die Neugier jpornte alle dazu an. 

Das war aber feine leichte Sache. Erſtens war Babinitjch 
in einer anderen Gegend; zweitens war er oft wochenlang jpur= 
los verjchwunden. Niemand wußte dann, wo er zu finden war. 
Drittens lagen alle jchwediichen Abteilungen und Bejagungen 
in den Städtchen und Städten, welche am Wege zu ihm lagen. 
Endlich hatte man erfahren, daß Hinter Roſchen Safowitjch mit 
einer größeren Abteilung das Land unficher machte. Er jollte, 
(aut den furjierenden Gerüchten, alles töten, was ihm in den Weg 
fam, die Menſchen entjetlich quälen und fie über den Verbleib 
der Billewitjchen Partei ausforjchen. 

Der Schwertträger fonnte alfo nicht nur nicht dem Heere 
Babinitfch entgegenziehen, jondern er mußte auch fürchten, daß 
ihm die Lauda zu enge werden könnte. 

Sp im Hin- und Herjchwanfen begriffen, vertraute er eines 
Tages dem Herrn Jurek Billewitjch an, daß er die Abficht habe, 
nach Diten zu gehen und in den Wäldern der Rogowoer Heide 
Schuß zu juchen. Jurek plauderte diefe Neuigfeit jogleich an 
Anufia aus, dieje aber lief jchnurjtrads zum Schwertträger. 

„Liebjter Oheim,“ jagte jie zu ihm — denn jo pflegte jie 
ihn zu nennen, wenn fie etwas von ihm herausichlagen wollte — 
„ich Habe gehört, daß wir fliehen jollen. Sit das nicht eine 
Schande für einen jo berühmten Soldaten, wenn er die Flucht 
ergreifen will beim Herannahen des Feindes?“ 

„Daß ihr doch euer Näschen überall dabei haben müßt,“ 


624 


entgegnete der Schwertträger verdrojien. „Das geht euch gar 
nicht3 an.“ 

„But! — Dann zieht ihr euch zurüd; ich bleibe hier.“ 

„Damit Safowitjch euch einfängt? Ihr werdet ja jehen.” 

„Safowitjch wird mich nicht einfangen, denn Herr Babi- 
nitjch wird mich bejchügen.“ 

„Der wird gerade willen, wo ihr jeid. Sch Habe jchon 
einmal gejagt, daß wir nicht zu ihm können.“ 

„Aber er fann zu uns fommen. Sch bin feine Belannte; 
wenn ich nur einen Brief an ihn abfenden könnte, dann wäre 
ich ficher, daß er hierher fommt, indem er unterwegs den Safo- 
witjch befriegt. Er war mir ein wenig gewogen, deshalb würde 
er die Hilfe nicht verjagen.“ 

„Und wer würde e8 unternehmen, ihm den Brief zu bringen ?“ 

„Dan kann den eriten beiten Bauern damit fortjchiden . . .“ 

„Schaden fünnte das auf feinen Fall, nein, nein. Olenka 
hat einen jcharfen Verſtand, ich jehe, daß er euch auch nicht 
fehlt. Selbſt wenn wir ung augenblidlich vor der Uebermacht 
in den Wald flüchten müſſen, jo wäre es immerhin gut, wenn 
Herr Babinitjch jeinen Weg hierher nähme, wir fämen dann 
— Verſucht es, Fräulein! Ein Bote wird ſich 
inden.“ 

Die erfreute Anuſia machte ſich ſogleich an das Werk; ſie 
fand nicht nur einen, ſondern zwei Boten. Der eine war Jurek 
Billewitſch, der andere war Braun. Ein jeder ſollte einen gleich— 
lautenden Brief mitnehmen, damit, wenn nicht der eine, ſo 
doch der andere in die Hände Babinitſchs käme. Der Brief 
ſelbſt machte Anuſia weit mehr Kopfzerbrechen. Endlich brachte 
ſie ihn zu Stande, wie folgt: 

„In der höchſten Not ſchreibe ich Euch, wenn Ihr Euch 
meiner erinnert, (was ich bezweifle, denn, wie ſolltet Ihr Euch 
erinnern!) denn Ihr ſollt mir zu Hilfe kommen. Nur weil 
Ihr Euch mir geneigt gezeigt habt, auf dem Wege von Samoſchtſch, 
wage ich es zu Hoffen, day Ihr mid) im Unglück nicht verlafien 
werdet. Sch bin bei der Partei des Herrn Billewitjch, des 
Schwertträgerd von Reußen, der mir Schuß gewährt; denn ich 
habe jeine Verwandte, das Fräulein Billewitich, aus der Ges 
fangenjchaft in Tauroggen befreit. Ihn und uns beide um— 
giebt überall der Feind, befonders die Schweden und ein gewifjer 
Safowitjch, vor deſſen jündhafter Zudringlichkeit ich fliehen und 
im Feldlager Schuß juchen mußte. Sch weiß, daß Ihr mich 
nicht leiden mochtet, obgleich ich, Gott weiß es, nichts Böfes 


625 


gethan habe und Euch immer nur Gutes wünjchte und noch 
wünjche. Aber auch wenn Ihr mich nicht leiden mögt, jo be= 
ihügt eine arme Waiſe und befreit fie aus den Händen der 
Feinde, Gott wird e8 Euch taufendfach lohnen und ich werde 
für den beten, welchen ich heute noch meinen gütigen Bormund, 
— aber, bis zu meinem Tode, meinen Retter nennen 
werde ...“ 

Nachdem die Boten das Lager verlaſſen hatten, fiel es 
Anuſia erſt ſchwer aufs Herz, welchen Gefahren beide ſich aus— 
ſetzten; ſie ſchrak vor dem Unternehmen zurück, nur von dem 
einen Wunſche beſeelt, die Boten zurückzuhalten. Mit Thränen 
in den Augen bat ſie den Herrn Schwertträger, dieſelben nicht 
fort zu (offen, da die Briefe eben jo gut von Bauern bejorgt 
werden fünnten und die Bauern leichter durchjchlüpften. 

Doch Braun und Juref Billewitich widerjegten ſich dem 
fo jehr, daß feine Vorftellungen fie zurückzuhalten vermochten. 
Einer wollte den anderen an Dienjtwilligfeit übertreffen. Hätten 
fie doch nur geahnt, welchem Schidjal fie entgegen gingen. 

Eine Woche jpäter fiel Braun in Die Sünde des Safo- 
witjch, welcher ihn zu Tode peinigte. Der arme Juref wurde von 
einer ſchwediſchen Streifpatrouille bei Poniewierſch erjchoffen. 

Beide Briefe fielen in die Hände der Feinde. 


Sienfiewicz, Sturmflut [. 40 


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13. Rapitet, 


Nach der Gefangennahme und Tötung Brauns verjtändigte 
ſich Sakowitſch gleich mit dem Oberjt Hamilton, einem Eng» 
länder in jchwedijchen Dienjten, welcher Kommandant von Ponie- 
wierjch war. Site bejchloffen einen gemeinjchaftlichen Feldzug 
gegen die Partei des Schwertträger® von Reußen, Herrn 

illewitjch. 

Zu jener Zeit war Babinitjch gerade wieder einmal ver- 
ſchollen. Man hatte jchon jeit einigen Tagen nicht3 mehr von 
ihm gehört. Sakowitſch machte ſich auch nichts mehr aus der 
Nähe diejes von ihm jo gefürchteten Kriegers; er wollte um 
jeden Preis Nache üben. Seit der Flucht Anufias war er toll 
vor Wut. Berfehlte Spekulation und verlegte Liebe hatten ihn 
fait um den Verſtand gebracht; dabei litt er unter der Wunde 
an jeinem Herzen. Anfangs hatte er Anufia nur deshalb zur 
rau begehrt, weil fie die Erbin des großen Nachlajies ihres 
früheren Verlobten, Herrn Podbipienta, war, jpäter verliebte 
er jich blindlings, zum Sterben, wie eben nur ein jolcher Menjch 
fich verlieben fann. Seine Leidenjchaft führte ihn dahin, daß 
er, der jelbit jeinen Herrn und jonjt niemanden in der Welt 
fürchtete, er, deſſen böjer Blick ſchon die Menjchen erbleichen 
machte, mit hündiſcher Ergebenheit ihr unterlag, ihre Launen 
ertrug und ihre Gedanfen zu erraten juchte. 

Sie hatte ihren Einflug über alle Maßen ausgenußt, hatte 
ihn fi mit Worten und Bliden dienitbar gemacht wie einen 
Sklaven, zulegt hatte fie ihn verlafjen. 

Sakowitſch gehörte zu jenen Menjchen, welche anderen das 
als Tugend anrechnen, was ihnen jelbit Nuten bringt, als 


627 


Schuld das, was ihnen Schaden zugefügt. So betrachtete er 
denn auch Anufia als die größte Verbrecherin, für die feine 
Strafe zu jchwer war. Wäre ein anderer von dem gleichen 
Geſchick betroffen worden wie er, jo Hätte er ihn ausgelacht 
und verjpottet; doch er jelbjt brüllte wie ein verwundeter Stier 
und dürjtete nach Rache. Er mußte die Verbrecherin in feine 
Gewalt befommen, tot oder lebendig. Lieber wäre fie ihm 
lebend, denn dann fünnte er erſt Kavaliersrache an ihr üben, 
bevor er fie tötete, doch war es ihm auch recht, wenn jie bei 
dem geplanten Ueberfall zu Grunde ging, wenn fie nur feinem 
anderen mehr gehören konnte. 

Um ganz jicher zu gehen, jandte er einen beitochenen Boten 
mit einem Briefe an den Schwertträger, welcher angeblich von 
Babinitjch war. Der Brief brachte die Nachricht im Namen 
des letteren, dal er innerhalb acht Tagen in Wolmontowitjch 
eintreffen werde. 

Der leichtgläubige Schwertträger glaubte dieſem Schreiben 
und da er auf die unbejiegbare Gewalt des Herrn Babinitſch 
vertraute und fein Geheimnis aus der erhaltenen Nachricht 
machte, jo quartierte er fich nicht nur jelbit in Wolmontowitjch 
ein, jondern das ganze Zaudaer Land geriet in Aufregung und 
Bewegung. Wer nicht jchon aus den Wäldern heimgefehrt war, 
der zog jeßt herbei, einmal, weil die Nächte jchon kalt wurden, 
dann aber auch aus Neugier auf den berühmten Strieger. 

Währenddeſſen famen von Boniewierjch her, nach Wolmonto- 
witjch zu, die Schweden unter Hamilton, von Kiejdan jchlich 
ſich Safowitjch wie ein Wolf heran. 

Der Lestere hatte feine Ahnung, daß gleichzeitig mit ihm, 
ihm dicht auf den Ferien, ein Dritter auch wie ein Wolf nach 
Wolmontowitjch zu ſchlich. Er Hatte zwar feine Aufforderung 
dazu erhalten, aber es war jo jeine Art, immer da zu erjcheinen, 
wo er am wenigjten erwartet wurde. 

Kmiziz ahnte gar nicht, dat Dlenfa jich bei der Partei 
des Herrn Billewitjch befand. In QTauroggen, welches er ge= 
plündert und miedergebrannt hatte, war ihm auf jeine ein— 
gezogenen Erfundigungen gejagt worden, daß fie jamt dem 
Fräulein Borjchobohata geflohen jei; er hatte dann angenommen, 
daß die Beiden nach Bialowierjch in die Heide gegangen waren, 
wohin auch die Frau Sfrzetusfa umd andere Edelfrauen ſich 
geflüchtet Hatten. Er war um jo mehr zu diefer Annahme be= 
rechtigt, da er wußte, daß der alte Schwertträger jchon lange 
die Abficht gehabt hatte, jeine Brudertochter dorthin zu bringen. 

40* 


628 


E3 war fein kleiner Kummer für ihn gewejen, als er fie nicht 
in Tauroggen gefunden hatte, andererjeitS freute er fich, daß 
fie den Händen des Safowitjch entwichen war, und bis zum 
Ende des Krieges ſich in einem ficheren Verſteck befand. 

Da er ihr nicht fogleich in die Heide folgen fonnte, hatte 
er bejchlofien, dem Feind in Smudz unterdejjen auszurotten, fo 
lange bis fein Schwede mehr zu finden war. Das Glüd be- 
günstigte ihn dabei. Seit ein und einem halben Monat hatte 
er Sieg auf Sieg errungen, das bewaffnete Volk ſtrömte ihm 
in Maſſen zu, binnen kurzer Zeit bildete fein Tſchambul nur 
noch den vierten Teil jeines Heeres. Endlich war er mit 
den Feinden in der weltlichen Smudz fertig geworden; da 
er von dem Zuge Safowitjch® gehört und mit ihm noch ab- 
zurechnen hatte, jo zog er nun der ihm bekannten Lauda zu 
und ging dicht hinter ihm ber. 

ur dieje Weije waren beide bis in die Nähe von Wolmonto- 
witſch vorgedrungen. 

Der Schwertträger rejidierte nun dort ſchon jeit einer 
Woche, ahnungslos, welch jchredliche Gäſte er bald zu empfangen 
gezwungen jein werde. 

Eines Abends jandten die Hirtenfnaben der Butryms, welche 
hinter Wolmontowitjch die Pferde weideten, einen Boten dort- 
hin und ließen fagen, daß fremde Soldaten aus dem Walde 
berausfämen und jich dem Gute von Süden her näbherten. 
Der Schwertträger war doch zu jehr alter, erfahrener Soldat, 
als daß er jede Vorſichtsmaßregel verabjäumt hätte. Seine 
üfiliere, welche zum Zeil von den Domajchewitich ſchon mit 
Waffen ausgejtattet waren, hatte er teils in unlängſt erbauten 
Häufern untergebracht, teils mußten fie das Drehrad am Ein 
gange des Dorfes bewachen. Er jelbjt hatte mit den Reitern 
auf dem großen Weideplan Hinter den Gartenzäumen, welcher 
auf einer Seite an den Fluß jtieß, Stellung genommen. Der 
Schwertträger hatte diefe Vorrichtungen meiſt darum getroffen, 
um ein Lob des Herrn Babinitjch zu ernten, welcher fich auf 
gute Anordnungen ja veritehen mußte. Seine Stellung war 
aber auch wirklich eine gute und gejchüßte. 

Die — waren nach dem Brande, welchen Kmiziz 
in jener Zeit aus Wut über die Ermordung ſeiner Kumpane 
angeſteckt hatte, allmählich wieder aufgebaut worden. Als aber 
ſpäter der Schwedenkrieg die Arbeit unterbrochen hatte, da hatten 
ji) in der Hauptjtraße des Ortes eine Menge Balfen, Bretter 
und Uuerhölzer angefammelt, die in wilder Unordnung dort 


629 


umberlagen. Bejonders lagen ganze Haufen Bauholz vor dem 
Drehrade des Thoreinganges, und die Füſiliere fonnten im Not- 
falle denjelben ziemlich lange verteidigen. 

Auf jeden Fall waren die Neiter vor einem plößlichen 
Ueberfall gejichert. Der Schwertträger wollte jeine Kenntnis 
der Kriegskunſt vor dem Herrn Babinitjch auch dadurch beweijen, 
daß er eine fleine Streifpatrouille ausjchidte. 

Wie groß aber war fein Staunen, im eriten Augenblic 
auch jein Schred, als er plöglic) von der Waldjeite her Mus— 
fetenjchüffe hörte. Gleich darauf jah er jeine Patrouille auf 
dem Wege dahergejagt fommen, eine Wolfe Feinde hinter ich. 

Der Schwertträger trabte jchleunigit zu jeinen Füſilieren, 
um noch die legten Defehle zu erteilen, während aus dem Walde 
immer mehr Feinde hervorbrachen und wie Heujchreden mit in 
der untergehenden Sonne bligenden Waffen auf Wolmontowitſch 
zujtürmten. Das Wäldchen war nahe; als daher die feindlichen 
Neiter etwas näher an das Drehrad herangefommen waren, 
nahmen jie einen tüchtigen Anlauf, um dasjelbe mit einem An— 
ſturm zu nehmen. Da empfing fie eine Gewehrjalve, welche 
jie veranlaßte, plöglich ftille zu ftehen. Die erjten Neihen ge— 
rieten jogar in Unordnung und nur einige wenige drangen auf 
den Pferden bis dicht an die Anjiedelung vor. 

Der Schwertträger war inzwijchen zu feinen Neitern ge- 
jprengt und befahl denjenigen, welche im Beſitze von Piſtolen 
waren, den Füſilieren zu Dilfe zu eilen. 

Doch der Feind jchien ebenfalls mit Musfeten bewaffnet 
zu fein, denn auch er eröffnete num ein heftiges, aber unregel- 
mäßiges Teuer, welches von beiden bald jchneller, bald mit 
Unterbrechungen fortgeführt wurde. Die pfeifenden Kugeln 
flogen hinüber bis zu den Neitern, polterten an die Häufer, 
ichlugen in die Zäune und Balfen. Wolmontowitjch war in 
Nauch gehüllt, Pulverdampf und Dunjt erfüllte die Straße. 

Nun hatte Anufia, was fie gewollt — eine Schlacht! 

Beide Fräuleins hatten auf Befehl des Schwertträgers 
jofort ihre Klepper beitiegen, damit fie, wenn die Uebermacht 
des Feindes fich zu groß erweiſen jollte, zugleich mit den anderen 
entfliehen konnten. Man hatte jie in den hinteren Reihen bei 
den Neitern untergebracht. 

Obgleich) Anufia ihr Säbelchen an der Seite hatte und 
das Luchsmützchen ihr keck auf dem Kopfe ſaß, bebte jie dennoch 
vor Angit. Sie, die jo gut veritand, im Gemach mit den 
Offizieren umzugehen, fand nicht eine Spur von Energie, jet, 


630 


wo fie den Söhnen‘ Bellas Auge in Auge gegenüber jtand. 
Das Pfeifen und Poltern der Kugeln flößten ihr Furcht ein; 
die Berwirrung, das Hinundherrennen der Ordonnanzen, das 
Snallen der Büchlen und das Stöhnen der Verwundeten 
betäubte jie und der PBulverdanıpf raubte ihr den Atem. Ihr 
wurde übel und jchwach; ihr Geficht war Freideweiß und fie 
wand jich und pipite wie ein Kind. Einer der Soldaten, der 
junge Herr DOlejcha aus Kiemnar, mußte fie zulegt in feine 
Arme nehmen. Er hielt fie fejter ala wohl nötig war und 
hätte jie jo halten mögen bis ans Ende der Welt. 


Da fingen die Soldaten rings umher an zu lachen. 

„Ein Ritter im Unterrod!* riefen mehrere Stimmen. 
„Set die Henne aufs Neſt!“ riefen andere, „rupft ihr die 
Federn,“ wieder andere. 

Dann tönte es: 

„Herr Dlejcha! Ihr habt eine Scheibe vor die Bruſt ge— 
nommen, Doch wahrt euch — denn Kupidos Pfeil findet deſto 
leichter den Weg in euer Herz! . 


Diefe Soldaten waren gut gelaunt, 

Andere wieder blickten voll Bewunderung auf Dlenfa, 
welche ſich ganz anders verhielt. Anfangs war auch fie er- 
bleicht, auch fie fonnte fich nicht enthalten, den Kopf zu Duden 
und die Augen zu jchliegen, als die eriten Kugeln um ihre 
Ohren jauiten. Doch bald erwachte ihr Rittermut; ihr Geficht 
rötete jich, sie glühte wie eine Roſe. Mit erhobenem Kopfe 
blickte fie vor fich) hin. Ihre Nüſtern weiteten ſich und jchienen 
mit Wonne den Geruch des Pulvers einzufaugen. Als dann 
der Nauch und Dampf am Drehrade immer größer wurde und 
die Ausjicht verjperrte, jchob das mutige Meädchen ihr Pferd 
mit denen der Offiziere vorwärts, um den Verlauf des Gefechtes 
beſſer zu verfolgen, ohne recht zu willen, was fie that. 

Ein lobendes Gemurmel entitand im Gedränge der Weiter. 

„Ah, das iſt Heldenblut! Das it ein Soldatemweib! Ein 
herrlicher Volontarier!“ 

„Vivat das Fräulein Billewitich!“ 

„Eilen wir vorwärts! Vor jolchen Augen lohnt es ich 
zu kämpfen.“ 

„uch die Amazonen konnten dem Stugelregen nicht mutiger 
entgegengehen!* jchrie ein junger Soldat, im Eifer der Bes 
geiiterung vergeflend, daß die Amazonen noch vor der Erfindung 
des Pulvers lebten. 


631 


„Es wäre Zeit, ein Ende zu machen! Die Füfiliere haben 
fi) tapfer benommen und die Feinde find ermüdet!“ 

Wirklich fonnten die feindlichen Weiter nichts gegen die 
Verteidiger ausrichten. So oft fie einen Anlauf nahmen, 
wurden fie mit einer Musfetenjalve zurüdgejchlagen; fie gerieten 
immer aufs neue in Unordnung. Und wie die Meereswelle, 
wenn jie nach der Flut zur Ebbe zurückkehrt, Mufcheln, kleine 
Steinchen, ja jelbjt tote Fische zurücläßt, jo blieben auch hier 
nach jeder Attacke einige Menjchen oder Pferdekörper zurüd. 

Endlich hörten Die Attaden ganz auf. Nur vereinzelt noch 
fielen Piſtolen- und Musfetenjchüffe, wie um die Aufmerkſam— 
feit der Billewitjch'jchen zu fejleln. Dagegen nahm der Herr 
Schwertträger, welcher auf den Mauereden bis unter die Dach- 
rinne des Gutshaujes geflettert war, eine Bewegung in den 
hinteren Gliedern des Feindes, nach den Feldern und dem Ge— 
jtrüpp zu, wahr, welche ſich linfswärts von Wolmontowitjc) 
hinzogen. 

„Von dort aus wollen ſie uns angreifen!“ ſchrie er und 
ſchickte ſofort einen Teil der Reiter zwiſchen die Häuſer, damit 
ſie von den Obſtgärten aus dem Feinde Widerſtand leiſteten. 

Eine halbe Stunde darauf hatte das Gefecht von neuem 
begonnen, die Musketenſalven kamen vom linken Flügel der 
Partei. 

Die umzäunten Gärten verhinderten zwar ein Handgemenge, 
ſie erſchwerten aber den Kampf auf beiden Seiten. Dazu hatte 
der Feind jetzt Platz, ſich zu einer langen Linie zu entwickeln, 
und war daher auch weniger den Kugeln ausgejegt. 

Allmählich wurde der Kampf immer erbitterter und müh- 
jamer. Man hatte den Anlauf gegen das Drehrad nicht auf: 
gegeben und jegte die Attacken dort eifrig fort. 

Der Schwertträger wurde bejorgt. 

Nechts blieb ihm noch die weite, freie Aue, an welche ſich 
das fchmale, aber tiefe und ſumpfige Flüßchen anſchloß. Ein 
Ueberjchreiten desjelben fonnte, in der Eile ausgeführt, gefähr- 
lich werden. Nur an einer einzigen Stelle war amı flachen 
Ufer eine Furt ausgetreten, durch welche das Vieh in den Wald 
getrieben wurde. 

Herr Thomas jchielte immer öfter dort hinüber. 

Plötzlich entdeckte er zwijchen den Weidenbüjchen im Abend» 
rot glänzende Waffen und eine jchwarze Heeresmaſſe. 

„Babinitjch kommt!“ dachte er. 


632 


In diefem Augenblid ritt Herr Chrſchonſtowski, welcher das 
Kommando bei den Neitern hatte, jchnell an ihn heran. 

„Vom Fluſſe her kommen jchwedische Füſiliere!“ jchrie er 
entjeßt. 

„Das iſt Verrat!“ rief Herr Thomas! „Macht, daß ihr 
mit eurer Schwadron diejen Füfilieren entgegen kommt, jonit 
fallen jie uns in die Flanke.“ 

„Es find ihrer zu viele!“ antwortete Chrſchonſtowski. 

„Sucht fie wenigſtens jo lange aufzuhalten, bis wir ung 
in den Wald gerettet haben.“ 

Chrſchonſtowski galoppierte davon und trabte in kurzem 
mit feiner Schwadron von zweihundert Mann über die Aue. 
Als die feindliche Infanterie das jah, formierte fie ſich fchnell 
im Didicht der Weiden, um den Feind zu empfangen. Gleich 
darauf ſchickten fich die Neiter zur Attade an und aus den 
Meidenbüjchen jtieg der Nauch der erjten Musfetenjalve auf. 

Der Schwertträger zweifelte jegt nicht nur am Giege, 
jondern auch an der Errettung durch Flucht. 

Er fonnte mit einem Teil der Weiter vielleicht noch den 
Rückzug in den Wald antreten, um die beiden Mädchen in 
Sicherheit zu bringen. Doch diejer Rückzug glich einer voll— 
ftändigen Niederlage, denn er mußte dann jeine Füſiliere und 
alle die Laudaer Menjchen, welche herbeigeeilt waren, Herrn 
Babinitjch zu jehen, unter das Meſſer der Feinde liefern. Wol— 
montowitjch würde dann der Erde gleichgemacht werden. 

E3 blieb nur die eine Hoffnung, daß es Chrſchonſtowski 
gelang, die Reihen der Füſiliere zu durchbrechen. 

Unterdejjen war es dunfel geworden, doch das Dunkel 
wurde bald genug erhellt, denn die Spähne und Splitter des 
Bauholzes am Drehrade waren in Brand geraten, fie entzün— 
deten die nebenjtehende Hütte und bald jtieg die rote Lohe zum 
Himmel empor und leuchtete über das Dorf. 

Bei ihrem Schein jah der Herr Schwertträger, wie Die 
Neiter Chrſchonſtowskis in regellofer Flucht über die Aue zurück— 
fehrten und die jchwedilche Infanterie aus den Büjchen hervor 
im Eiljchritt gegen das Dorf vorrüdte. 

Nun galt es, eiligit den Nüczug anzutreten auf dem ein— 
zigen Auswege nach dem Walde zu. 

Er eilte zu dem Reſt jeiner Reiter und den Säbel jchwingend, 
jchrie er jchon von weiten: „Zurüd, meine Herren! Aber in 
Drdnung! in Ordnung!“ 


633 


Da fnallten plöglich Hinter ihm Schüſſe, untermijcht mit 
dem Gejchrei der Soldaten. 

Der Schwertträger erfannte jet, daß er umzüngelt war, 
eingejchlojjen in einer Falle, aus welcher es feinen Ausweg, feine 
Rettung mehr gab. 


E3 blieb ihnen nichts übrig, ald in Ehren zu fallen. Er 
jprengte alfo vor die Front und rief feinen Reitern zu: 

„Wir wollen fallen wie Männer! Wir wollen unjer Leben 
teuer verfaufen, für Gott und Vaterland!” 

Das Feuern jeiner züfiliere, welche dad Drehrad ver: 
teidigten, war jchwächer geworden, auch auf der linken Seite 
hinter den Gärten hatte das Knallen der Musketenſchüſſe auf: 
gehbrt; das immer jtärfer werdende Gejchrei der Feinde ver- 
indigte ihren nahen Triumph. 


Was aber konnte das heifere Gequife der Uuerpfeifen in 
Sakowitſchs Abteilung und der Trommelwirbel in den Reihen 
der Schwedischen Infanterie bedeuten ? 


Das Getöje wurde immer größer, ſeltſamer. Das Fflang 
nicht mehr wie Triumph- jondern wie Schredensjchreie. 

Plöglic veritummte das Schießen ganz. Die Neiter Safo- 
witſch's verlajien ihre Bojition Hinter den Gärten und eilen 
Hals über Kopf dem Hauptwege zu. Auf der Aue bleibt die 
Infanterie jtille jtehen; anſtatt vorwärts zu dringen, zieht fie 
ſich plöglic) nach den Weidenbüjchen zurüd. 

„Was joll das jein?... Bei den Wunden Ehrifti! Was 
fann das bedeuten?!“ jchreit der Schwertträger. 

Er braucht nicht lange auf Antwort zu warten; fie fommt 
von der Seite des Wäldchens, aus welchem Safowitjch nach dem 
Gutshofe zu vorgedrungen iſt. Menichen, Pferde, Fahnen, 
Roßſchweife fommen, nein! jtürmen daraus hervor, wie ein 
Wirbehvind, nein, wie der Erzengel mit der Pojaune, die zum 
legten Gericht ruft. Man fann fie deutlich daher fliegen jehen, 
in der Beleuchtung der blutroten Flamme des brennenden 
Hauſes. Tauſende fommen aus dem Walde hervor, fie jcheinen 
faum den Boden zu berühren, in gedrängten Reihen fliegen jie 
heran. wie ein Drachen, der über Feld und Aue jeine jchwarzen 
Flügel breiten will. Angſt und Entjegen fliegen ihm voraus 
... Da, da! Schon iſt er über ihnen! Jetzt fällt er über 
Sakowitſch Her! 

„Bott! Großer Gott!“ jchreit der Schwertträger wie von 
Sinnen. Das find die umjrigen, das iſt Babinitſch.“ 


634 


„Babinitſch!“ tönt es aus allen Kehlen. 

„Babinitjch!* jchreit es entjegt in der Abteilung des 
Sakowitſch. 

Die ganze feindliche Schar macht eine Wendung nach rechts; 
ſie will zu den ſchwediſchen Füſilieren hinüber. 

Die Zäune brechen unter dem gewaltigen Anprall der 
Pferde, die Gärten füllen ſich mit Flüchtenden, doch jene folgen 
ihnen auf dem Fuße, jtechend, jchlagend, ohne Erbarmen alles 
vor ſich vernichtend. Angitrufe, Stöhnen, das Saufen der 
Säbelflingen erfüllt die Luft. Die einen und die anderen 
binterdrein jtürzgen in die Reihen der Infanterie; die einen 
flüchtend, wollen Raum zur Flucht, die anderen, die Verfolger, 
treten alles nieder. Wie die wilde Jagd ſauſen fie dahın. 
Noch jieht man fie, noch hört man das Stampfen der Hufe, 
das Klirren der Säbel, doch jie entfernen jich mehr und mehr, 
verjchwinden im Weidengebüfch, in der ‘Ferne, im Dunkel. 

Die Füſiliere des Schwertträgers ziehen jich von dem Dreh— 
rade zurücd, jie fommen aus den Häujern, die man nicht mehr 
zu verteidigen braucht. Die Reiter verharren eine Zeitlang 
in jtummem Staunen, andachtsvolles Schweigen herrjcht in den 
Neihen, und erit als das brennende Haus frachend zuſammen— 
jtürzt, jpricht plößlich eine Stimme: 

„sm Namen des Vaters, des Sohnes und des heiligen 
Geiſtes! Ein Wetter iſt vorübergezogen!“ 

„Diejen Berfolgern entrinnt feine lebende Seele!“ ſetzte 
eine andere Stimme hinzu. 

„Meine Herren!“ rief plößlich der Schwertträger. „Wollen 
wir nicht auch denen nachjegen, die uns hinterrüds überfallen 
haben? Sie find auf der Flucht, aber wir holen fie noch ein.“ 

„Los! Auf! Schlagt zu!“ tönte es im Chor. 

Und davon jprangen fie, dem fliehenden Feinde nad). In 
Wolmontowitjch bleiben nur Greife und ‚frauen zurüd, und 
Kinder, und „das Fräulein“ mit ihrer Gefährtin. 

Das brennende Haus war in furzer Zeit gelöjcht. Freude, 
unendliche Freude zieht in die Herzen der Zurückgebliebenen 
ein. Die Frauen erheben jchluchzend die Hände zum Simmel. 
Sie wenden fich der Seite zu, nach welcher Babinitjch davon 
gejagt tt, und rufen: 

„Bott jegne dich, du unbejiegbarer Held, Erlöfer, der uns 
und unjere Kinder vor der Vernichtung errettet hat!“ 

Die Greife der Butryms wiederholen im Chore: 


635 


„Bott jegne dich, Gott jegne dich! Ohne dich war Wol- 
montowitjch verloren.‘ 

Ach! wenn diefe Menjchen gewußt hätten, daß diejelbe Hand 
jet Menjchen und Wohnungen vor Tod und Verderben gerettet, 
welche vor zwei Jahren in dasjelbe Dörflein Tod und Ver— 
derben getragen hatte! ... 

Nachdem das Feuer gelöjcht war, machten fich alle daran, 
die Verwundeten aufzulejen. Die Knaben liefen auf dem 
Schlachtfelde umher und jchlugen mit Knütteln die noch lebenden 
Schweden vollends tot. 

Olenka nahm das Kommando über die Unterbringung der 
Verwundeten in die Hand. Geiitesgegenwärtig, voll Kraft und 
Energie, wie jie immer war, hörte ſie nicht eher auf zu arbeiten, 
bis jeder Verwundete mit verbundenen Wunden in einer Hütte 
untergebracht war. ; 

Darauf folgte die ganze Bevölferung ihrem Beifpiel. Sie 
fielen zur Kreuze und beteten die Litanei für die Verjtorbenen. 
Während der ganzen Nacht ſchloß fein Menjch in Wolmonto- 
witjch ein Auge. Alle warteten auf die Rückkehr Babinitjchs 
und bejchäftigten jich damit, den Siegern einen geziemenden 
Empfang zu bereiten. Man jchlachtete die im Walde groß ge- 
zugenen Ochjen und Schafböde, die Herdfeuer wurden angezündet 
und bis zum Morgen brennend gehalten. 

Anufia vermochte nicht, ſich an irgend etwas zu beteiligen. 
Zuerjt hatte ihr die Angit die Kräfte benommen, dann war jie 
fait wahnjinnig vor Freude. Dlenfa mußte auch um jie Sorge 
tragen, denn jie weinte und lachte abwechjelnd, dann wieder 
fiel jie der Freundin in die Arme, während ſie durcheinander 
ſchwatzte: 

„Wie alſo? Wer hat uns behütet und gerettet? Vor 
wem floh Sakowitſch? Wer hat ihn und die Schweden ver— 
nichtet? Herr Babinitſch! Wie? Habe ich es nicht gewußt, 
daß er kommen wird; ich habe ihm ja geſchrieben! Ach, er hat 
mich nicht vergeſſen! Sch wußte ja, daß er fommen würde... 
Ich Habe ihn herbeigerufen! Olenka! Olenka! Ich bin glüclich! 
Habe ich es nicht gejagt? Ihn bejiegt niemand! Auch Tichar- 
niezfi kann ſich mit ihm nicht mejjen! O Gott! D Gott! 
Sit es wahr, daß er hierher fommt? Heute noch? Denn 
wenn er nicht herfommen wollte, dann wäre er überhaupt nicht 
gefommen, nicht wahr? Hörſt du's, Olenka? Das ijt fernes 
Pferdegetrappel . . . 

Aber es war doch nichts. Erjt gegen Morgen hörte man 


636 


Pferdegetrappel, Freudenrufe und Geſang. Der Herr Schwert- 
träger fehrte zurüd. Die Reiter auf J——— Pferden, 
Mann und Roß von der Verfolgung müde. Dennoch hallten 
die Hufenländer noch lange von den Freudenrufen und den 
Siegesliedern der Zurückgekehrten wider. 

Der Schwertträger, blutbefleckt, atemlos, aber in freudigſter 
Stimmung, erzählte noch bis zum Sonnenaufgang, wie er die 
feindlichen Reiter zwei Meilen weit verfolgt us volljtändig 
vernichtet Hatte. 

Er jowie jeine Truppen waren vollitändig davon überzeugt, 
daß auch Babinitjch jeden Augenblid zurückkehren müfje. 

Doc) e8 wurde Mittag, auch die andere Hälfte des Tages 
verfloß, die Sonne ſank, aber Babinitſch fam nicht. 

Gegen Abend befam Anufia rote Flecken auf den Wangen 
vor Aufregung. 

„Sollte e8 ihm nur um die Schweden und nicht um mich 
zu thun gewejen jein?“ dachte fie jtilljchweigend. „Er muß doch 
meinen Brief befommen haben, wenn er hergefommen it... .“ 

Die Nermjte! Hätte fie geahnt, daß die Seelen Brauns 
und Jureks längit diefer Welt entrüdt waren und daß Babi- 
nitjch gar feinen Brief erhalten hatte. 

Wäre einer von beiden in jeine Hände gelangt, danıı — 
ja dann wäre er mit Bligesjchnelle nach) Wolmontowitjch geeilt 

. aber nicht zu dir, Anufia! 

Wieder verging ein Tag; der Schwertträger gab die Hoff- 
nung noch nicht auf und blieb im Dörfchen. 

Anuſia hüllte jich in tiefes Schweigen. 

„Er hat mich jchändlich verlafjen,“ ſagte fie jtill für fich. 
„Es gejchieht mir jchon recht. Das iſt die Strafe für meine 
slatterhaftigfeit und meine Sünden!“ 

Am dritten Tage jandte Herr Thomas etliche Kundſchafter 
aus. Dieje fehrten am vierten Tage zurüd und berichteten, 
daß Herr Babinitich bis nach Poniewierſch vorgedrungen jei, 
dort alle Schweden getötet habe, die noch vorhanden waren. 
Seitdem war er jpurlos verjchwunden, niemand wuhte, wohin 
er ſich begeben. 

„Dann finden wir ihn auch nicht, bis er von jelbjt wieder 
auftaucht,“ jagte der Berichteritatter zu dem Herren Schwertträger. 

Anufia verwandelte ſich in eine Brennefiel. Wer von den 
jüngeren Offizieren oder dem jungen Adel ihr zu nahe fam, 
der verbrannte jich an ihr. 

Am fünften Tage jagte jie zu Olenka: 


637 


„Der Herr Wolodyjowsfi iſt ein ebenjo guter Soldat, aber 
fein jolcher Grobian, wie er.“ 

„Es iſt möglich!“ antwortete Olenka gedanfenvoll. „Viel— 
leicht will Herr Babinitjch doch jener die Treue halten, von 
welcher er dir auf dem Wege von Samojchtic erzählt Hat.“ 

Darauf jagte Anufia: 

„But! Es iſt mir alles einerlei .. .* 

Aber fie ſprach nicht die Wahrheit, denn noch war ihr 
nicht alles einerlei. 








14. Kapitel. 





Safowitjch war jo volljtändig gejchlagen, daß es ihm jelbit 

faum gelungen war, zu entfommen und jich in die Wälder bei 
Poniewierſch zu flüchten. Er jchlug ſich in der Verkleidung 
eine Bauern monatelang herum und wagte jich nicht daraus 
ervor. 
j Babinitjch richtete jeinen Weg nach Poniewierſch, mordete 
dort die ſchwediſche Bejayung und begab ſich dann auf die Ver- 
folgung Hamiltons, welcher die Flucht nach dem Djten ergriffen 
hatte, da er wegen der bedeutenden polniſchen Streitkräfte die 
bei Schale und Birz itanden, nicht nach Liefland entfommen 
fonnte, indem er hoffte, jich bis Wilkomierjch durchzujchlagen. 
Er hatte die Hoffnung, jein Regiment zu retten, bereit3 auf- 
gegeben, nur wollte er verhüten, daß dasſelbe in die Hände 
Babinitjch geriet, da diejer mit unerbittlicher Graujamfeit alle 
Gefangenen töten ließ, um jich jeine Freiheit der Bewegungen 
nicht durch das Mitjchleppen derjelben einengen zu lafjen. 

Der unglücdjelige Engländer floh aljo, wie ein von Wölfen 
verfolgter Hirjch, und Babinitjch verfolgte ihn um jo hartnädiger. 
Daher fam es, da er nicht nach Wolmontowitjch zurüdgefehrt 
war und gar nicht einmal wuhte, welcher Partei er Rettung 
gebracht hatte. 

Der erſte Neif bedeckte jet morgens jchon die Erde, daher 
wurde das Entfommen jchiwerer, weil jich die Hufjpuren darauf 
im Waldboden abdrüdten. Futter gab es nicht mehr in den 
Feldern, die Pferde litten großen Hunger. 

Die Neiter wagten nicht, ſich längere Zeit in einem Dorfe 


639 


aufzuhalten, aus Angſt, dat der hartnädige Verfolger fie ein- 
holen könnte. 

Zulegt überitieg das Elend alle Begriffe; die Neiter nährten 
ſich nur noch mit Rinde, Blättern und dem Fleiſch der eigenen 
Pferde, welche vor Ermattung jtürzten. 

Noch eine Woche! Da flehten jie jelbit ihren Hauptmann 
an, doch dem Verfolger die Stirn zu bieten. Sie wollten lieber 
unter den Schwertitreichen des gefürchteten Babinitjch enden, ala 
fich langjam zu Tode hungern. 

Hamilton gab diejen Bitten Gehör und jtellte ſich bei 
Androniichfi den Polen entgegen. Die Zahl der Schweden 
war jo gering im Vergleich zu der Heeresmacht Babinitjchs, 
daß er von vornherein die Möglichkeit eines Sieges ausſchloß. 
Aber er war jelbjt jo lebensmüde, daß er zu jterben begehrte. 

Die Schlacht, welche bei Androniſchki begonnen hatte, fand 
ihr Ende bei Trupiow, wo die legten Schweden fielen. 

Hamilton jtarb den Heldentod, als er jich an einem Kreuze 
wege gegen etliche QTartaren verteidigte, welche ihn zuerit ge— 
fangen nehmen wollten, dann aber, durch jeinen Widerjtand 
gereizt, ihn tüteten. 

Aber auch die Truppen Babinitſchs waren jo ermüdet, 
daß fie nicht mehr Luſt hatten, nach dem nahen Trupiow ins 
Nachtquartier zu gehen, jondern nach beendeter Schlacht zwiſchen 
den Leichen der Feinde niederjanfen, wo fie gingen und jtanden, 
um zu Schlafen. 

Nach einer Eleinen Stärkung verfielen fie in einen bleiernen 
Schlaf. Selbſt die Tartaren verjagten fich das Abjuchen der 
Toten bis zum nächiten Morgen. 

Kmiziz, dem es auch um die Pferde zu thun war, wehrte 
ihnen dieſe Ruhe nicht. 

Am Morgen aber erhob er jich frühzeitig, um die eigenen 
Berlujte nach dem heißen Treffen zu überzählen und die Beute 
gleichmäßig zu verteilen. Gleich nach dem Morgenimbiß jtand 
er an demjelben Kreuzwege, an welchem Hamilton gefallen war. 
Seine Offiziere und die Aelteſten der Tartaren famen einer 
nach dem anderen, um die an Stäben eingezeichneten Zahlen 
ihrer Toten umd Bermißten anzugeben und Bericht zu eritatten. 
Er hörte ihnen zu, jo wie der Yandwirt im Sommer dem Bericht 
feiner Vögte laujcht, voll Freude über den Sieg, wie jener voll 
Freude über die reiche Ernte, 

Da trat Akbah-Ulan herzu. Er glich mehr einem Un— 
getüm,- denn einem Menjchen, denn in der Schlacht bei Wol— 


640. 


montowitjch hatte ihm ein Schwede mit dem Säbelgriff die Nafe 
eingejchlagen. Er verneigte jich, reichte dem Herrn Babinitjch 
einige blutbefledte Papiere und jagte: 

„Eifendi, man hat dieje Papiere bei dem ſchwediſchen 
Führer gefunden, welche ich laut Befehl abliefere.“ 

Kmiziz hatte nämlich Befehl erteilt, alle bei den Leichen 
vorgefundenen Papiere ſogleich nach) der Schlacht abzuliefern, 
denn es fam vor, dab er aus denjelben den Schlacht- oder Marſch— 
plan der Feinde erjah und demgemäß handeln fonnte. 

In dieſem Augenblid hatte er es aber nicht eilig, Die 
Papiere durchzujehen; er winkte dem Akbah ab und jtedte die 
Papiere in die Tajche. Den Akbah jandte er zu jeinem Tſchambul 
und befahl ihm, jofort mit demjelben nad) Trupiow zu gehen, 
wo ſie längere Zeit der Ruhe pflegen jollten. 

So zogen bald darauf zwei Fahnen, eine nach der anderen, 
an ihm vorüber. Wornweg marjchierte der Tartaren-Tjchambul, 
welcher gegenwärtig nicht ganz fünfhundert Köpfe zählte; der 
Neit hatte ſich während der vielen Schlachten allmählich ver- 
frümelt. Aber jeder Tartar hatte im Sattelfutter, im Oberrod 
und in der Mütze jo viele jchwedische Neichsthaler, preußijche 
Thaler und Dufaten eingenäht, daß man ihn hätte auf die 
Silberwage nehmen können. Diejer Tſchambul glich nicht den 
gewöhnlichen Tartarentichambuls. Alle Schwächlinge waren 
den Mühjalen des Krieges erlegen; e8 waren nur die Starfen 
übrig geblieben, Männer mit breiten Schultern und eijerner 
Ausdauer, biffig, wie die Weipen. Durch die fortwährende 
Uebung waren ſie vortrefflich gejchult, jo daß jie im Hand— 
gemenge den polnischen Stammreitern gleichfamen und über die 
jchwedtschen Reiter und die preußischen Dragoner wie die 
Wölfe herfielen. Während der Schlacht verteidigten fie mit 
wütendem Eifer die Körper ihrer Kameraden, um die Schäße 
derjelben zu teilen. 

Gegenwärtig zogen jie mit ihren Pfeifen, Zimbeln und den 
wehenden Roßſchweifen jo jtramm vor Kmiziz vorüber, dat jelbit 
die Stammjoldaten es nicht beſſer gemacht hätten. Ihnen nach 
famen die Dragoner, die Herr Andreas mit vieler Mühe aus 
allerhand Freiwilligen zujammengejtellt und mit Rapieren und 
Musfeten bewaffnet hatte. Sie wurden von dem alten Wacht- 
meilter Sorofa angeführt, welcher jich zur Würde eines Kapitäns 
emporgejchwungen hatte. Die Schwadron war gleichmäßig mit 
eroberten Uniformen befleidet, die man den gefallenen Preußen 
ausgezogen hatte; fie beitand in der Mehrzahl aus Leuten 


641 


niederen Standes. Aber gerade diefe Gattung Menjchen waren 
dem Herrn Kmiziz lieb, denn fie gehorchten blindlings und er- 
trugen die größten Anftrengungen ohne Murren. 

In den beiden folgenden Fahnen dienten höhere und 
geringere adlige Volontarier. Dieje waren unruhige und auf- 
wieglerische Geijter, die unter jedem anderen (Führer ein Haufen 
Räuber geworden wären, in den Händen Kmiziz's aber jich zu 
regulären Soldaten herangebildet hatten, die jich ſelbſt mit Vor— 
liebe die „Petyhors“ nannten. Sie hielten zwar weniger im 
euer aus, wie die Dragoner, dafür waren jie im erjten An- 
lauf feuriger und überragten im Sandgemenge die anderen 
Truppen, da jeder von ihnen ein Fechtmeiiter war. 

Hinter diejen endlich famen noch gegen taujend Volontarier, 
gute Menjchen, welche jedoch noch einer mühevollen Ausbildung 
bedurften, um geſchickte Soldaten zu werden. 

Jede diejer ‚Fahnen erhob, wenn jie an der Kreuzwegfigur 
vorüberfam, ein Subelgejchrei und jalutierten vor dem Herrn 
Kmiziz. Er freute jich jehr darüber. War das hier doch feine 
zu verachtende Heeresmacht. Er hatte jchon viel mit ihr 
ausgerichtet, manchen Tropfen Feindesblut vergofien, und 
wer weiß, was ihm noch bevoritand mit Ddiejen Treuen zu 
vollbringen. 

Seine alten Schulden waren groß, aber auch jeine neuen 
Verdienite waren feine geringen. Er hatte jich von jeinem 
alle erhoben, er war gegangen zu büßen, aber nicht in Die 
Safrijtei, jondern auf das Schlachtfeld; er hatte jein Haupt 
nicht mit Ajche bejtreut, jondern die Hände in Feindesblut ge= 
taucht. Er hatte gekämpft für die heilige Jungfrau, für das 
Baterland und den König, umd num fühlte er jeine Seele leicht 
und fröhlich; ja ſogar ein wenig Stolz jcehwellte jeine Helden— 
brujt, denn nicht jeder hatte das geleitet und vollbracht, was 
er vollbracht hatte! 

Es gab doch jo viele feurige Adlige in dieſer Nepublif. 
Warum hatte feiner jich eine eigene Partei gegründet, warum 
itand feiner an der Spite einer jo anjehnlichen Heeresmacht 
wie dieſe hier, jelbit Skrzetuskt und Wolodyjowsfi nicht? 
Hatte einer von ihmen Tſchenſtochau verteidigt oder dem Könige 
das Leben gerettet? Wer hatte den Fürſten Boguslaw bejiegt? 
Welcher von ihnen war bis nach Breußen vorgedrungen? Und 
hatte er nicht auch hier die Smudz von den Feinden gejäubert? 

Herr Andreas fühlte ſich wohlig wie ein Falke, welcher 
höher und höher in die Luft jteigt! Die vorüberziehenden ‚zahnen 

Stentjewicz, Sturmflut IL 41 


642 


grüßten ihm mit lauten Zurufen, während er den Kopf empor- 
richtete und ich jelbit frug: „Wohin noch?“ 

Sein Geficht jtrahlte, denn in dieſem Augenblick fühlte 
er fic als Hetman. Der Feldherrnſtab war errungen mit bluten- 
den Wunden, auf dem Felde der Ehre. Das Bild des Vater— 
landsverräterd jchwand aus dem Gedächtnis der Menjchen 
wohl bald. Nicht mit verräterifcher Hand wird er, wie jeiner- 
zeit ein Radziwill, ihn jchwingen, denn das dankbare Vaterland 
wird ihm den Stab in die Hand legen, durch den Willen des 
Könige. Es war nicht feine Sorge mehr, wann das gejchehen 
follte; jeine Pflicht war, weiter zu kämpfen, wie er bisher ge- 
fämpft, heute und morgen, in Zufunft, wie gejtern. 

Hier fehrte die entfejjelte Einbildungsfraft zurüd zur Wirk— 
lichkeit. Wohin follte er von Trupiow aus ſich wenden, wo 
von neuem die Schweden aufjuchen? Dieje Frage begann ihn 
zu bejchäftigen. 

Da erinnerte er fich der Papiere, welche Akbah-Ulan ihm 
gebracht hatte und welche in der Bruittajche Hamiltong gefunden 
jein jollten. Er langte fie aljo hervor, doch jchon nach dem 
eriten Blick, den er darauf warf, malte jich höchſtes Staunen 
auf feinem Geficht. 

Bon weiblicher Hand gejchrieben, jtand auf dem oberiten 
Briefe deutlic) zu lefen: „An Sr. Hocwohlgeboren Babinitjch, 
Hauptmann der Tartaren und Volontarier.“ 

„An mich? ...“ jagte Andreas. 

Das Siegel war bereit3 erbrochen; er öffnete jchnell das 
Schreiben, jchlug mit dem Rüden der Hand darauf und begann 
zu lejen. 

Er war noch nicht zu Ende damit, aber die Hände zitterten 
ihm und jein Geficht nahm einen ganz veränderten Ausdrud 
an, während er ausrief: 

„Gelobt jei der Name des Herrn! Barmberziger Gott! 
jet fommt mir der Lohn aus deiner Hand.“ 

Er umfaßte den Kreuzitod, an welchem er jtand, und jchlug 
den hellblonden Kopf an denjelben. In anderer Weiſe vermochte 
er jet Gott nicht zu danken, er fonnte fein Wort hervorbringen, 
denn die Freude war übermächtig in ihm, fie führte jeine Seele 
in den Simmel, 

Der Brief, welchen er gelejen, war derjenige, welchen Anufia 
Borſchobohata gejchrieben hatte. Die Schweden hatten ihn bei 
Jurek Billewitjch gefunden, jest erit war er über eine zweite 


643 


Leiche Hinweg in Kmizizs Hände gelangt. Qaujenderlei Ge- 
danfen freuzten jich mit Bligesichnelle in feinem Kopf. 

Olenka war aljo nicht in der Heide, jondern bei der Partei 
des Herrn Billewitich? Und jie war es, die er gerettet, jamt 
dem Wolmontowitich, welches er feiner Zeit in Brand geitect 
hatte? Die Hand Gottes hatte jichtbarlich jeine Schritte gelenkt, 
damit er mit einem Schlage das Unrecht gut mache, welches er 
an Dlenfa und der Lauda verübt. Seine Schuld war num 
getilgt. Würde fie oder würden die Laudaer Grauröde ihm 
auch jet noch nicht verzeihen können? Würden fie ihm noc) 
immer ihren Segen verweigern? Ach, was würde das geliebte 
Mädchen jagen, wenn jie erfuhr, daß er, den fie für einen Ver— 
räter gehalten, der Babinitjch war, welcher den Radziwill be— 
fiegt, daß — welcher ſich im Feindesblut gewälzt und 
die Eindringlinge und Unterdrücker zum Lande hinausgetrieben 
hatte, nicht an jondern er, Kmiziz war, aber nicht mehr 
Kmiziz, der —— der Verbannie, der Verräter, ſondern 
Kmiziz, der Beſchützer des Glaubens, des Königs und des 
Vaterlandes! 

Er hätte ja ſogleich nach Ueberſchreitung der Grenze von 
Smudz nach allen Seiten hin bekannt machen können, daß er 
dieſer berühmte Babinitſch war. Wenn er es nicht gethan hatte, 
ſo war es nur darum, weil er fürchtete, daß bei Nennung ſeines 
wahren Namens ſich alle von ihm wenden, alle ihm mißtrauen, 
ihm ihre Hilfe und ihr Vertrauen entziehen würden. Waren 
doc faum zwei Jahre verfloffen, jeit er zujammen mit Radzi— 
will die Fahnen vernichtet hatte, welche jich dem Verrat gegen 
König und Vaterland widerjegen gewollt. Noch vor zwei Jahren 
war er die rechte Hand NRadziwills geweſen. 

Das alles war nun vorüber. So mit Ruhm bedeckt, durfte 
er wohl vor ſie hintreten und jagen: „Hier bin ich, Kmiziz, 
dein Erretter!“ Er hatte jet das Necht, dem ganzen Lande zu— 
zurufen: „Ich bin Kmiziz, euer Erlöjer!“ 

Darauf dachte er: „Der Weg nad) Wolmontowitich ijt nicht 
weit. Ich, Babinitjch, habe eine Woche gebraucht, um den 
Hamilton einzuholen, aber ich, Kmiziz, werde feine Woche 
brauchen, um zu Dlenfa zu gelangen und mich ihr zu Füßen 
zu werfen.“ 

Er erhob jich, bleich vor Aufregung, mit leuchtenden Augen. 

„Mein Pferd! Sofort!“ rief er dem Pferdejungen zu. 
„Schnell!“ 

Der Junge führte den Rappen vor, jprang jelbjt vom Pferde, 

41* 


644 


um jeinem Herrn den Steigbügel zu halten, als er aber auf 
dem Boden jtand, zögerte er noch und ſprach: 

„Ew. Liebden! Bon Trupiow her fommen mit dem Herrn 
Sorofa zwei fremde Weiter im Galopp an. 

„Was fümmern mich die!” antwortete Kmiziz. 

Während Kmiziz auf das Pferd jtieg, hatten jich die Reiter 
bis auf wenige Schritte genähert. Einer der beiden Fremden 
jprengte in Begleitung Sorokas vor, bis dicht zu ihm Hin. 
Er nahm die Luchspelzmütze von jeinem mit jeuerrotem Haar 
bededten Kopfe, worauf er jich tief verneigte. 

„sch glaube, daß ich Herrn Babinitjch vor mir ehe!“ 
jagte er. „Sch bin froh, daß ich euch endlich gefunden habe.“ 

„Mit wen habe ich die Ehre?“ frug Kmiziz ungeduldig. 

„Sch bin Wierfchull, ehemals Rittmeister der Tartarenfahne 
des Fürſten Jaromir Wisniowiezfi, und fomme nun in meine 
Heimat, um Aushebungen für den neuen Krieg zu machen. 
Außerdem bringe ich einen Brief für euch vom Großhetman, 
von Herrn Sapieha. 

„Für den neuen Krieg?“ frug Kmiziz jtirnrungelnd.“ 
„Was jagt ihr?“ 

„Diejer Brief wird euch bejjere Auskunft geben, als ich es 
könnte,“ jagte Wierjchull, indem er den Brief überreichte. 

Kmiziz erbrach mit fieberhafter Eile das Siegel. Der 
Brief Sapiehas lautete wie folgt: 

„Mein jehr werter Herr Babinitjh! Eine neue Sturm: 
flut bricht über das Baterland herein. Zwijchen Rakotſchy und 
den Schweden iſt eine Liga geichlojien worden, laut welcher die 
Teilung der Republik jtattfinden joll. Achtzigtaufend Ungarn, 
Siebenbürger und Wallachen wollen die Südgrenzen der Nepublif 
überjchreiten; man fann jie jeden Augenblicf erwarten. Da in 
diejer uns aufs neue drohenden Gefahr nötig wird, daß wir 
alle unjere Streitfräfte jammeln, damit, wenn von unjerer 
Nation nichts mehr übrig bleiben follte, wenigitens der Ruhm 
der Tapferfeit an unjeren Namen haften bleibt und Diejer 
fommenden Gejchlechtern vererbt werde, jo jende ich Ew. Er- 
laucht diefe Ordonnanz, laut welcher Ihr jofort Eure Schritte 
dem Süden zulenfen und in Eilmärjchen zu uns jtoßen follt. 
Shr werdet uns in Bereſtetſch finden, doch werdet Ihr von 
bier aus unverzüglich weiter gejandt werden. Unterdeſſen denkt 
daran: periculum in mora! Der Fürſt Boguslaw hat Tid) 
aus der Gefangenschaft ausgelöjt, aber Herr Goſchewski joll auf 
Preußen und die Smudz ein wachlames Auge haben. Indem 


045 


ich Euch nochmals größte Eile empfehle, hoffe ich, daß die Liebe 
zum Vaterlande, welchem Untergang droht, der beite Sporn für 
Euch jein wird.“ 

Als Kmiziz zu Ende gelefen, ließ er den Brief zur Erde 
fallen. Er fuhr ſich erit mit beiden Händen über das feucht 
ewordene Gejicht, dann blickte er wie geiitesabwejend den Send- 
oten an und jagte leife mit gepreßter Stimme: 

„Warum joll denn Herr Gojchewsfi in der Smudz bleiben 
und ich nach dem Süden marjchieren? 

Wierſchull zucdte die Achjeln. 

„Das müßt ihr den Herrn Großhetman fragen; ich weiß 
es nicht.“ 

Plöglich erfaßte eine gräßliche Wut den Herrn Andreas. 
In feinen Augen blitte es zornig auf, jein Gejicht wurde blau— 
rot, während er mit Durchdringender Stimme jchrie: 

„Und ich werde nicht von hier fortgehen! Werjteht ihr 
mich?“ 

„So?“ entgegnete Wierjchull. „Es war meine Pflicht, 
euch die Botjchaft zu überbringen, das andere ijt eure Sache! 
Lebt wohl! Lebt wohl! Ich hatte die Abjicht, auf ein paar 
Stunden eure Gaitfreundjchaft in Anjpruch zu nehmen, nad) 
dem aber, was ich joveben gehört, ziehe ich vor, andere Gejell- 
jchaft zu ſuchen.“ 

Nachdem er das gejagt hatte, wandte er jein Pferd umd 
ritt davon. 

Herr Andreas jegte jich wieder an dem Streuzbilde des 
Kreuzweges nieder und blickte fich verſtändnislos nach allen 
Himmelsrichtungen um, wie einer, der das Wetter erfunden 
will. Der Stalljunge zog ſich mit den Pferden jeitwärts zurüd; 
e3 herrſchte ringsum tiefite Stille. 

Der Morgen war heiter, die Sonne jchien blaß, halb 
herbitlich, Halb winterlih. Es wehte fein Lüftchen und von 
den Birken, welche neben dem Streuzbilde jtanden, fielen die 
legten welfen, von der Kälte zujammengejchrumpften Blätter 
lautlos hernieder. Unzählige Krähen und Raben jchwebten über 
dem Walde. Sie erfüllten mit ihrem Gefrächze die Luft; einzelne 
derjelben fielen mit lautem Flügeljchlag neben dem Kreuzbild 
nieder, denn auf dem Felde und Wege lagen noch eine Menge 
unbeerdigter Leichname. Herr Andreas ſah mit blinzelnden 
Wimpern und leerem Blick dem Treiben der Vögel zu; man 
hätte denken fünnen, er wolle fie zählen. Dann jchloß er die 
Lider und blieb lange regungslos figen. Endlich jchüttelte er 


646 


ſich wie im Fieber und runzelte die Stirn; die Befinnung fehrte 
ihm wieder, jeine Geſichtszüge belebten jich, er begann vor ſich 
hin zu ſprechen: 

„So joll es jein! Im zwei Wochen will ich fort, jet nicht. 
Mag geichehen, was da will. Ich bin doch nicht jchuld, daß 
Rakotſchy die Grenze überjchreiten will. Nein, ich kann nicht! 
Was zu viel ift, ijt zu viel!... Habe ich mid) denn micht 
ſchon genug herumgejchlagen, die Nächte jchlaflos im Sattel 
verbracht, mein und fremdes Blut vergojien? Sollte das nun 
mein Lohn ſein? ... Ja, wenn id) jenen Brief nicht gelejen 
hätte, dann ginge ich unverzüglich; aber, daß beide Briefe zur 
gleichen Stunde gelommen jind, das macht mir jo großen 
Summer, das betrübt mich tief... Und wenn die Welt zu 
Grunde geht; ich gehe nicht fort. Das Vaterland wird inner- 
halb zweier Wochen nicht zu Grunde gehen und übrigens, der 
Zorn Gottes ruht erjichtlid) auf dem Waterlande, und gegen 
ihn fommt Menjchenmacht nicht auf. Gott, o Gott! Hyperboräer, 
Schweden, Preußen, Ungarn, Siebenbürger, Wallachen, Koſaken, 
alle, zu derjelben Zeit! Wer vermöchte diefe Flut einzubämmen ? 
D Herr! Was hat das arme Land verbrocdyhen, da du es jo 
deine Hand fühlen läfjeit? Was diefer fromme König verjchuldet, 
daß du dein Antlig von ihm wendejt, unbarmherzig immer neue 
Plagen jendeit? Soll e8 noch nicht genug des Blutvergieheng, 
der Thränen jein? Haben die Menjchen doch jchon verlernt 
zu lachen! Die Luft weht jchwül und jchwer ... Der Wind 
in diejem Lande bläjt nicht, er wimmert; der Nebel Fällt nicht, 
er weint herunter vom Himmel und du Hört nicht auf, zu 
ichlagen! Barmherzigkeit, Herr! Nettung, Bater! ... Es iſt 
wahr, wir haben gejündigt . . . aber wir find doch auf dem 
Wege der Beljerung! ... Haben wir denn nicht unſere Glücks— 
güter geopfert und das Schlachtroß bejteigend ohne Unterlaß 
die Feinde gejchlagen? Wir haben jeder Freude entjagt, alle 
Privatinterefien aufgegeben... Warum läfjeft du nicht ab 
mit Strafen? Warum fendejt du uns feinen Tröjter?“ 

Hier padte ihn das Gewiſſen. Er jchrie auf. Wieder 
jchüttelte e8 ihn wie ?Fieberfrojt; denn ihm war plößlich, als 
höre er eine umbefannte Stimme von oben herab jprechen: 

„Wie? Ihr Habt alle Privatinterejjen aufgegeben? Und 
du Unglücjeliger, was bijt du im Begriff zu tun? Du erhebjt 
deine Verdienite jo hoch und willit jchon bei der erjten Probe, 
die du bejtehen jolljt, der Verſuchung unterliegen, willjt wie 
ein jtörrifches Pferd dich auf die Hinterbeine jegen und jchreien: 


647 


Sch will nicht fort!?? Die Mutter Erde blutet von den Wunden 
der Schwerter, mit denen fie durchbohrt wird, und du wendeſt 
dich ab von ihr, willit fie nicht mit jtarfen Arme fchüßen, 
jondern dem eigenen Glüde nachjagen? Du rufit: Sch will 
nicht helfen, während das Vaterland die bluttriefenden Arme 
augjtredend, im Sinfen begriffen, fleht: Kinder rettet mich! 
Wehe euch! Wehe jolcher Nation! Wehe der Republik!“ 

Kmiziz jtiegen die Haare zu Berge, eine gräßliche ingit 
hatte ihm befallen; er zitterte am ganzen Leibe ... Er fiel 
mit dem Gejicht auf den Erdboden und jchrie im Höchiten 
Entjeßen: 

„Jeſus ftrafe nicht! Jeſus erbarme dich! Dein Wille 
geſchehe! Ich will fort, ich will gehen.“ 

Dann verharrte er eine Weile jchweigend, nur jein Schluchzen 
war zu hören. Als er ſich emdlich erhob, lagen Ruhe und jtille 
Rejignation über jeine Züge gebreitet. Er fuhr fort zu beten: 

„Wundere dich nicht, o Herr, über meinen Schmerz, denn 
ich ſtand am Vorabende meiner Glückſeligkeit. Geſchehe denn, 
wie du befiehlſt! Ich begreife nun, daß du mich prüfen wollteſt 
und mich deshalb an dieſen Kreuzweg ſtellteſt. Noch einmal, 
dein Wille geſchehe. Ich will nicht rückwärts blicken! Dir, 
Herr Gott, opfere ich meinen Schmerz, meinen ſchweren Gram, 
dafür und als Buße, daß ich den Fürjten Boguslam zum 
Schaden des Vaterlandes gejchont Habe. Du jiehit jet, Herr, 
daß dieſe That meine fette jelbitfüchtige war . .. Nie mehr 
will ich e8 thun, Vater der Barmherzigkeit! Noch einmal will 
ich diefe heilige Erde füfjen, noch einmal diejes Kreuzbild um- 
flammern, dann ... ich gehe, EHrijti! ich gehe! .. .“ 

Und er ging. 

Im himmlischen Regijter, wo alle böjen wie guten Thaten 
der Menjchen eingetragen jtehen, wurde in diefem Augenblid 
jede Schuld Kmiziz' ausgelöfcht, denn er war ein vollitändig 
gebejjerter Menſch. 








15. Kapitel. 





In feinem Gejchichtsbuche steht verzeichnet, wie viele 
Schlachten noch die fünigliche Armee, der Adel und das Volt 
der Republik mit den verjchiedenen Feinden gejchlagen haben. 
Man kämpfte überall; in den Wäldern und ‚Feldern, in Dörfern, 
Städtchen und Städten. Man fämpfte in Kurpreußen und in 
den preußiichen Lehnslanden, in Majowien, in Großpolen und 
Kleinpolen, in Reußen, Litauen und der Smudz, ohne Ruhe— 
pauje Tag und Nacht. 

Jede Eleine Erdjcholle war vom Blute durchtränft. Die 
Namen der Ritter, ihre glänzenden Thaten, die großen Opfer, 
welche in jener Zeit auf den Altar des Waterlandes gelegt 
worden, jind im Gedächtnis der Menjchen erlojchen, denn fein 
Chronifenjchreiber Hat fie verzeichnet, fein Lautenſchläger hat 
ihr Lob gejungen. Aber die Kraft und der Widerjtand der 
Feinde mußte endlich an der Macht diefer gemeinfamen Be— 
mühungen zerjchellen. 

Und wie die Jäger erzitternd und erbleichend den Fuß zur 
Flucht wenden, wenn der majejtätijche Löwe, von ihren Pfeilen 
icheinbar zum Tode dahingejtrecdt, plößlich noch einmal jein 
Haupt erhebt, die königliche Mähne jchüttelt und jein gewaltiges 
Gebrüll erjchallen läßt, jo Hatte ſich die Republik erhoben, 
immer drohender, immer gewaltiger, voll des göttlichen Zornes, 
bereit, der ganzen Welt die Stirn zu bieten, während Angit 
und Schreden die Glieder der Feinde befiel. Sie dachten nicht 
mehr daran, das Yand zu befriegen oder Beute zu gewinnen; 
all ihr Trachten und Sinnen mußte nunmehr darauf gerichtet 


649 


jein, dem Nachen des Löwen zu entfliehen, die heimatlichen 
Stätten glücklic) wieder zu erreichen. 

E3 half nicht?, dal eine Liga nach der anderen gejchlofien 
wurde, daß neue Heere der Ungarn, Siebenbürger und Wallachen 
in die Grenzen des Neiches brachen. Einmal noch zog ein böjes 
Unwetter über das Land, zwijchen Krakau, Warjchau und 
Bereitetjch, Doch jeine Gewalt zerjchellte an den polniſchen 
Banzern und Schilden, jo daß es zeritiebte und in alle vier 
Winde verrwehte. 

Der König von Schweden, welcher zuerjt an jeiner Sache 
verzweifelte, eilte nach Dünemarf, um dort den Eroberungszug 
zu beginnen, der Kurfürst, zuerit Verbündeter der Schweden, 
begann an dem Joch zu rütteln, welches er ſich jelbit auferlegt 
und jchlug auf die Schweden los, die mörderijchen Scharen 
Nakotichys flohen zurück in ihre jiebenbürgische Heimat, die Herr 
Lubomirsfi inzwifchen mit ‚euer und Schwert verwüjtet hatte. 

Doc) es war ihnen leichter geworden in Die Nepublif ein- 
zufallen, als aus ihr hinauszufommen. Als ſie auf dem Rück— 
zuge beim Ueberjchreiten der Grenze von den Polen überfallen 
und aufgehalten wurden, da baten die Siebenbürger Grafen die 
Herren Botozfi, Lubomirsfi und Tſcharniezki fußfällig um 
Erbarmen. 

„Wir wollen die Waffen niederlegen, unſere Millionen 
hergeben,“ riefen fie, „uur laßt uns abziehen.“ 

Und die Hetmane nahmen das Löjegeld an; jie hatten 
Erbarmen mit den Elenden und ließen fie ziehen. Aber jie 
fielen den Tartarenhorden dicht an der Schwelle ihrer Heimat 
in die Hände und nur wenige retteten ihr Leben. 

Allmählich Fehrte der Friede in die polnischen Ebenen 
zurüd. Der König jtand noch im Begriff, die preußijchen 
Feſtungen zurüdzunehmen, während Herr Ticharniezfi die pol- 
nischen Schwerter bis nach Dänemark zu tragen beauftragt war, 
da ſich die Republik nicht mehr dabei bejcheiden wollte, Die 
Feinde nur hinauszutreiben, jondern ſie auch bis in Die Ferne 
zu verfolgen. 

Städte und Dörfer begannen fich aus den Trümmern zu 
erheben, das Wolf kam aus den Waldveriteden zu ihren alten 
Wohnitätten zurück und der Pflug durchfurchte wieder die blut- 
gedüngten Weder. 

Es war im Herbit des Jahres 1657, gleich nach der Be— 
endigung des ungarischen Feldzuges: in dem größten Teil der 


650 


Republik war die Ordnung und Ruhe wiederhergeitellt, bejonders 
jtill ging es in der Smudz ber. 

Diejenigen der Laudaer, welche mit Herrn Wolodyjowsft 
ausgezogen waren, weilten noch weit, weit in der Ferne, im 
‚Felde; aber man erwartete jet ihre Rückkehr. 

Unterdejien waren die Greiſe, Weiber und die heran- 
wachjende Jugend beiderlei Gejchlechts in Morozy, Wolmonto- 
witjch, Droichejfi, Moſozi, Gojchtichung und Pazunel mit dem 
Umadern der Weder und dem Ausjtreuen der Winterjaaten 
bejchäftigt. Gleichzeitig bemühten fie jich mit vereinten Kräften, 
die in den Hufenländern niedergebrannten Hütten und Stallungen 
wieder aufzubauen, damit die zurückfehrenden Krieger ein Obdach 
fänden und nicht zu hungern brauchten. 

Olenka befand jich jchon geraume Zeit mit Anuſia Borjcho- 
bohata und dem Schwertträger in Wododt. Herr Thomas 
hatte es nicht eilig, auf jein Stammgut Billewitiche zu fommen, 
einmal, weil es niedergebrannt war, zweitens, weil er jich in 
der Gejellichaft der Mädchen wohler befand, als allein. Er 
richtete mit Dlenfa zujammen in Wodoct die Wirtjchaft wieder 
ein und half jomit die alte Ordnung wieder heritellen. 

Das Fräulein wollte Wodocdt auf das Beite wieder heritellen, 
denn diejes Stammgut jollte zujammen mit Mitrun ihre Mit- 
gift ausmachen, wenn jie in das Kloſter eintrat, d. h. als Eigen— 
tum an den Orden der Benediktinerinnen übergehen, in welchen 
fie einzutreten gedachte. Sie hatte die Abjicht, vom nächjten 
Neujahr ab ihr Noviziat anzutreten. 

Wenn jie alles überdachte, was ihr begegnet war und wie 
wechjelvoll das Leben ihr mitgejpielt hatte, welch harte Ent— 
täufchungen fie erlitten, jo war fie je länger deſto mehr zu der 
Ueberzeugung gelangt, daß es Gottes Wille jei. Ihr war, als 
ſtoße eine unfichtbare Hand fie hin zur jtillen Zelle, als jpreche 
eine Stimme zu ihr: 

„Dort findejt du Frieden und das Ende aller weltlichen 
Sorgen!” 

So hatte fie bejchlofjen, der Stimme zu folgen. Da jie 
jedoch im Inneriten ihrer Seele ſich noch zu jehr an die Erde 
und die Welt gefejjelt fühlte, jo wünjchte fie jich durch Frömmig— 
feit, gute Werfe und heiße Arbeit für die Flöfterliche Stille vor- 
zubereiten. In Ddiefen Bemühungen wurde jie oft Durch 
Stimmen aus der Ferne geitört, die verworrene Stunde zu 
ihr trugen. 

Sp begannen die Menjchen ich zu erzählen, daß dieſer 


651 


berühmte Babinitich, von deſſen Thaten die ganze Republik 
widerhallte, und Kmiziz, ein und diejelbe Berjon jei. Die einen 
widerjprachen dem, andere beharrten um jo feiter auf dieſer Be- 
hauptung. 

Dlenfa wollte jolcher Nachricht feinen Glauben ſchenken. 
Ihrem Gedächtnis waren nur allzujehr alle Unthaten Kmiziz's 
gegenwärtig, jie gedachte jeiner den Radziwill geleijteten Dienite, 
und gegenüber diefen Gedanken konnte fie nicht annehmen, daß 
er der Bejieger des Fürſten Boguslaw, ein treuer Diener des 
Königs, ein jo eifriger Patriot geworden jein ſollte. Dennoch 
wurde ihr Friede Durch jolche Gerüchte gejtört; Schmerz und 
Sram wollten jich von neuem im ihrem Herzen einnijten. 

Vielleicht wäre dem allem durch den bejchleunigten Eintritt 
in das Kloſter abzuhelfen gewejen, doch die Nonnen waren ver- 
itreut, die Kloſter verlaſſen. Diejenigen Nonnen, welche dem 
Uebermut und der Naubjucht der Soldaten während des Strieges 
entronnen waren, begannen erjt jetzt allmählich ſich wieder ein— 
zufinden und zu ſammeln. 

Dazu war das allgemeine Elend jo groß, daß Diejenigen, 
welche die Abficht Hatten, ich Hinter die Kloſtermauern zu 
flüchten, nicht nur Lebensmittel für ich jelbit, jondern für den 
ganzen Konvent mitbringen mußten. 

Dienfa wollte ja num mit vollen Händen geben, jie wollte 
nicht nur eine Klojterjchweiter werden, ſondern die Ernährerin 
der Schweitern. 

Der Schwertträger, welcher wußte, daß jeine Arbeit der 
Ehre Gottes geweiht fein jollte, arbeitete mit großem Eifer. 
Beide, Dlenfa und er, bejuchten zujammen fleißig die Voriwerfe, 
beauflichtigten die Herbitarbeiten, welche dann im nächſten Früh— 
jahre ihren Segen bringen follten. Zuweilen wurden fie auf 
diefen Wegen von Anuſia Borjchobohata begleitet, welche Die 
ihr von Kmiziz widerfahrene Beleidigung nicht vergefjen konnte 
und num täglich drohte, auch in das Klofter einzutreten. Sie 
wollte nur noch auf die Wiederfehr des Herrn Wolodyjowski 
warten, der jeine Yaudaer Fahne zurückbringen mußte, um 9 
von dieſem alten Freunde zu verabſchieden. Meiſt jedoch blie 
der Schwertträger mit Olenka allein, weil Anuſia die Wirtſchafts— 
arbeiten langweilig fand, 

Eines Tages ritten fie wieder auf den kleinen Neitpferden 
nach Mitrun, wo gerade jet über dem Aufbau der während 
des a niedergebrannten Scheuern und Ställe gearbeitet 
wurde. 


652 


Sie wollten auf dem Wege dorthin in die Kirche eintreten, 
da heute der Jahrestag der Schlacht bei Wolmontowitich war, 
wo Babinitſch in der höchiten Not als Netter erjchienen war. 
Der ganze Tag war ihnen unter allerlei Bejchäftigungen 
jchnell vergangen, jo daß ſie erjt gegen Abend aus Mitrun 
fortfonnten. 

Auf der Hinfahrt hatten fie den Kirchweg benußt, Die 
Rückfahrt mußten fie durchaus über Lubitjh und Wolmonto- 
witjch machen. Kaum hatte das Fräulein die eriten Rauch— 
wölfchen aus den Schorniteinen des Dorfes Lubitſch gejehen, 
als jie auch jchon mit abgewandtem Gejicht jchnell zu beten 
anfıng, um die traurigen Gedanken zu bannen, welche ihr 
famen, während der Schwertträger jchweigend neben ihr dahın 
ritt und nur eifrig Umſchau hielt. 

Endlich, als jie das Drehrad der Dorfitraße Hinter jich 
hatten, jagte er: 

„Es iſt doch ein herrlicher Bett, dieſes Lubitſch. Es ift 
doppelt joviel wert als Mitrun.“ 

Dienfa betete weiter. 

In dem Schwertträger erwachte der alte Oekonom, vielleicht 
auch der Edelmann, welcher fich gern fprechen hört, denn nach 
einer Weile jpracd) er, wie zu jich jelbit: 

„Bon Nechtöwegen gehört es doch uns... Es it ſeit 
ewigen Zeiten Eigentum der Billewitich, durch Mühjal und 
Schweiß erworben. Jener Unglücjelige muß längit tot jein, da 
er fich bisher nicht gemeldet hat; aber jelbit wenn er fich melden 
jollte, ijt das Necht mit ung.“ 

Hier wandte er ſich an Dlenfa: 

„ie denfit du darüber? Bitte!“ 

: „Diefer Ort iſt verflucht. Mag mit ihm gejchehen, was 
a will.“ 

„Aber er gehört uns von Nechtöwegen. Denfe, der Ort 
war verflucht in böjer Hand; er wird zum Segen werden in 
guter Hand. Das Necht it unjer!“ 

„Niemals! ch will nichts davon hören! Der Großvater 
bat die Verjchreibung bedingungslos gemacht, mögen denn jeine 
Verwandten es nehmen.“ 

Mit diefen Worten trieb fie ihr Pferd zur Eile an, der 
Schwertträger mußte ihr nach und fie ritten im Trab bis weit 
hinaus auf der offenen Landſtraße. Erit draußen im offenen 
* verlangſamte Olenka das Tempo. Unterdeſſen war die 

acht hereingebrochen, aber es war nicht finſter, denn der Voll— 


653 


mond jtieg rot hinter dem Walde von Wolmontowitjch herauf 
und leuchtete über der ganzen Gegend mit blaſſem Schimmer. 
„AH: welch jchöne Nacht hat Gott uns gegeben,“ jagte der 
Schwertträger, während er lange in die volle Mondjcheibe blickte. 
— „Wie weit man doc, Wolmontowitſch leuchten ſieht!“ ſagte 
lenka. 

„Weil die Schindeln auf den Dächern noch nicht ſchwarz 
geworden ſind,“ verſetzte der Schwertträger. 

Weiter kamen ſie mit ihrer Unterredung nicht. Von Ferne 
drang das Knarren von Wagenrädern an ihr Ohr. Zu ſehen 
war anfangs nichts, denn der Weg war hier hügelig; doch es 
währte nicht lange, da tauchten hinter dem Hügel erſt ein Paar 
Pferde auf, die vor die Deichſel eines Wagens geſpannt waren, 
dahinter noch ein Paar, welche in der Deichſel gingen und 
zulegt ein gewöhnlicher Leiterwagen, von mehreren Neitern 
umgeben. 

„Was mögen das für Leute jein?“ jagte der Schwertträger. 

Er hielt jein Pferd an, Dlenfa blieb neben ihm. 

Der Wagen fam näher; jegt war er dicht bei ihnen. 

„Halt!“ rief der Schwertträger. „Wen habt ihr da?“ 

Einer der Neiter wandte jich ihnen zu: 

„Wir bringen Herrn Kmiziz, welcher von den Ungarn bei 
Magierow jchwer verwundet worden ijt.“ 

„Und das Wort ift Fleisch geworden!“ jchrie der Schwert— 
träger. 

Dienfa fam plöglich ein Schwindel an, der Herzichlag ſtockte, 
der Atem ging ihr aus. In ihrem Innern tünte es fort und 
fort: „Jeſus, Maria! Er iſt es!” Dann verließ jie die Be— 
jinnung; jie wußte nicht mehr, wo fie war, was mit ihr geſchah. 

Aber jie fiel nicht vom Pferde, denn mechaniſch hatte jie 
nach der Leiter des Wagens gegriffen und fich frampfhaft daran 
teitgehalten. In dem Augenblid, wo fie wieder zu ſich fam, 
fiel ihr Blid auf eine unbewegliche Menfchengeitalt, welche auf 
dem Wagen ausgeitredt lag. Ja, das war er, Herr Andreas 
Kmiziz, der Fahnenträger von Orjchan. Er lag auf dem Nücen; 
jein Kopf war mit QTüchern umwickelt, aber in dem blafjen 
Mondjchein fonnte man genau das blafje, ruhige Geficht erfennen. 
Es jah aus, als wäre es aus Marmor gemeißelt oder im Eijes- 
hauche des Todes eritarrt. Die gejchlojlenen Augen waren tief 
eingejunfen, feine noch jo leiſe Bewegung verriet, ob er noch lebte. 

„Mit Gott! . . .“ jagte der Herr Schwertträger, während 
er die Mütze abnahm md das Pferd zum Weiterreiten jpornte. 


654 


„Halt!“ rief Dlenta. 

Und fie frug leife mit fieberhafter Halt: 

„Lebt er noch oder iſt er tot?“ 

„Er lebt, aber der Tod jchwebt über ihm.“ 

Der Schwertträger, welcher fich wieder über das Geficht 
des Daliegenden gebeugt hatte, jagte noch einmal: 

„shr bringt ihn nicht mehr lebend nach Lubitich.“ 

„Er befahl, ihn unter allen Umständen hierher zu bringen, 
weil er hier jterben will,“ jagte der Reiter. 

„Mit Gott! Eilt euch!“ jprach der Schwertträger. 

„Bott befohlen!“ antworteten die Leute. 

Der Wagen jebte fich wieder in Bewegung und Dlenfa 
ritt mit dem Schwertträger, was die Pferde ausgreifen fonnten, 
nach der entgegengejegten Richtung. Sie flogen durch Wol- 
montowitjch wie zwei Nachtgejpeniter; ohne ein Wort zu jprechen, 
langten fie in Wodockt an. Erjt als fie von den Pferden 
jtiegen, wandte fich Dlenfa an den Oheim: 

„Dan muß ihm einen Geistlichen ſchicken!“ ſagte fie, mit 
vor Erjchöpfung müder Stimme „Es muß jogleich ein Bote 
nach Upit abgehen!“ 

Der Schwertträger beeilte jich, den Auftrag Dlenfas aus— 
zuführen. Sie aber ging direft im ihr Gemach und fiel vor 
dem Bilde der Gottesmutter auf die Kniee. 

Einige Stunden darauf, jchon jpät in der Nacht, hörte 
man vor dem Thore des Gutshofes ein Glöcklein vorüberklingeln. 
Es war der Geiftliche, welcher mit den Sterbejaframenten nach 
Lubitſch zu eilte. 

Fräulein Alerandra kniete noch immer. Ihre Lippen 
murmelten die Yitanei für die Sterbenden. Und als fie diejelbe 
zu Ende gebetet, berührte fie mit der Stirn den Boden und 
wiederholte unabläſſig: 

„Bert, rechne es ihm an, daß er von der Hand der Feinde 
ſtirbt! . . . Herr, verzeihe ihm feine Schuld! Herr, erbarme 
dich feiner!“ 

Darüber verging Die ganze Nacht. Der Geijtliche blieb 
bis zum Morgen in Lubitſch, auf dem Rückwege trat er in 
Wodockt ein. Dlenfa lief ihm eilends entgegen. 

„sit er tot?“ frug Sie. 

Mehr konnte jie nicht jprechen; der Atem ging ihr aus, 

„Er lebt noch,“ antwortete der Geijtliche. 

In den folgenden Tagen flogen täglich; mehreremale Boten 


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von Wodockt nach Lubitſch und jeder derjelben fehrte mit der 
Nachricht zurüd: „der Herr Fahnenträger lebt noch.“ Endlich 
brachte einer die Nachricht, daß der ;Feldjcheer, welchen man bis 
von Kiejdan hergeholt, feitgeitellt habe, Herr Kmiziz werde 
nicht nur nicht jterben, jondern von jeinen Wunden genejen. 
Diejelben heilen glüdlih und die Kräfte beginnen zurüd- 
zukehren. 

Fräulein Alexandra ſandte reiche Geſchenke auf Dankmeſſen 
nach Upit, aber ſie ſandte keinen Boten mehr nach Lubitſch 
und — ſeltſam! mit der Beruhigung zugleich zog der frühere, 
ſchon überwunden geglaubte Schmerz über die Vergehen des 
Herrn Andreas in das Herz des Mädchens ein. Seine größte 
Schuld war ihr wieder in ihrer vollen Schändlichkeit gegen— 
wärtig, jo groß und ſchwer, daß ſie nie verziehen werden konnte. 
Nur der Tod hätte vermocht, das Andenken daran auszulöjchen ... 
Seßt, da er gejund wurde, lajtete diejelbe wieder auf ihm... 
Und dennoch, — alles, was irgend zu jeiner Entjehuldigung 
dienen fonnte, jagte fie jich unaufhörlich vor, um das Gefühl 
der Verachtung gegen ihn nicht zu mächtig werden zu laflen. 

Sie härmte ſich in diefen Tagen jo jehr, ihre Seele litt 
unter den Widerjprüchen ihrer Gedanfen jo fürchterlich, daß 
ihre Gejundheit jchwanfend wurde. 

Das machte Herrn Thomas jehr bejorgt. Als er aljo eines 
Abends allein mit ihr blieb, frug er jie: 

„Sage mir aufrichtig, Dlenfa, was denfjt du über den 
Fahnenträger von Orſchan?“ 

„Gott allein weiß, daß ich gar nicht an ihn denken will!“ 
antwortete Olenka. 

„Denn ſiehe! . . Du magerſt ab . .. Hm! ... Es könnte 
ja ſein, daß du noch ... Sch will dich nicht quälen, aber ich 
möchte doch gerne willen, was in Dir vorgeht... Meinſt du 
nicht auch, dat der Wunsch und Wille deines Großvaters noch 
in Erfüllung gehen fünnte?“ 

„Niemals!“ antwortete Dlenfa. „Der Großvater hat mir 
die Pforte offen gelajjen, durch welche ic zum Frieden gelangen 
fann und nächites Neujahr will ich dort anflopfen. Damit er— 
fülle ich jeinen Willen.“ 

„sch habe ja auch nicht geglaubt,“ verjegte der Schwert- 
träger, „was einige hier verlauten ließen, nämlich, daß der Herr 
Babinitich und Amiziz ein und diejelbe Perſon jei; aber er hat 
doch bei Magierow auf Seiten des Vaterlandes geitanden, gegen 


656 


die Feinde gekämpft und fein Blut vergojien. Es ijt dies eine 
jpäte Beljerung, aber doch eine Befjerung!“ 

„Jawohl!“ antwortete das Mädchen mit vom Schmerz 
bebender Stimme. „Dient denn etwa der Fürſt Boguslam nicht 
jetzt auch im Heere des Königs? — Möge Gott beiden verzeihen, 
bejonders diefem hier, dejien Blut für das Vaterland gefloſſen 
it... Die Menjchen werden aber immer das Necht behalten, 
zu Sprechen, dal beide im Augenblick höchiter Gefahr, im höchiten 
Elend und Niedergange des Baterlandes, dasjelbe nicht nur 
verließen, jondern zu den Feinden jich gejellten und erjt dann 
wieder zu ihm zu halten begannen, als das Kriegsglüd die 
Feinde verließ, ihr Fuß auf dem blutgetränften Boden auszu- 
gleiten begann und ihr eigener Vorteil gebot, jich dem Sieger 
anzujchliegen. Seht, das it ihre Schuld! Es giebt feine 
Verräter mehr, weil der Verrat feinen Nuten mehr bringt. 
Soll das ein Verdienit jein?... Iſt das nicht ein neuer 
Beweis, dat ſolche Menjchen immer nur bereitwillig dem 
Stärferen dienen? Wollte Gott! Wollte Gott, daß es anders 
wäre; aber jolche Schuld kann nicht durch die Schlacht bei 
Magierow getilgt werden . . .“ ’ 

„Es iſt wahr! Ich kann das nicht bejtreiten,“ jagte der 
Schwertträger. 

„Sie iſt ſchwer zu ertragen, dieſe Wahrheit, doch bleibt es 
wahr! Alle früheren Verräter jind in das Lager des Königs 
übergegangen. 

„Auf dem Fahnenträger lajtet eine noch größere Schuld, 
wie auf dem Fürſten Boguslaw, denn Herr Kmiziz hat jich er: 
boten, den König auszuliefern, eine That, vor welcher ſelbſt der 
Fürſt zurücjchredte. Kann eine zufällig erhaltene Schußwunde 
jolche Schuld tilgen? . . . Ich wollte mir gern meine rechte 
Hand abjchlagen laſſen, wenn ich glauben dürfte, das tit nicht 
geichehen . . . aber es ijt einmal gejchehen und fann nie wieder 
ungejchehen gemacht werden. Gott hat ihm wohl das Leben 
erhalten, um ihm Zeit zur Buße zu laſſen . . . Nein, Lieber 
Oheim! Wir werden uns jelber betrügen, wenn wir und ein— 
reden wollten, — jeine Schuld jei gejühnt. Was könnte uns 
das nügen? Läßt jich das Gewiſſen betrügen? Nein! Gottes 
Wille geichehe. Was einmal zerrifien iſt, läßt fich nicht mehr 
ganz machen; es wäre nur Flickwerk! Ich bin glücdlich darüber, 
daß der Herr Fahnenträger leben bleibt . . . ich geitehe das 
gern, denn ich betrachte es als ein Zeichen, daß Gott noch nicht 
ganz jeine Hand von ihm genommen hat... Aber das muß 


657 


mir genügen! Es wird mid) glücklich machen, einjt zu erfahren, 
dat feine Schuld getilgt iſt; weiter wünjche, weiter verlange 
ich nichts und jollte meine Seele unter der Laſt der Bein er- 
biegen... Gott helfe mir..." 

Weiter fam Dlenfa nicht. Sie brach in lautes, heftiges 
Weinen aus. Es waren ihre legten Thränen! Sie hatte ſich 
leicht gejprochen, alles gejagt, was jie tief verborgen im Herzen 
getragen; von da ab kehrten Ruhe und Friede wieder bei 
ihr ein. 





Sienfiewicz, Sturmflut IL 42 





16. Rapitel. 


Die Enorrige Seele des Helden wollte in der That nicht 
ihre irdiſche Hülle verlafjen und verließ jie auch nicht. Einen 
Monat nad) der Rückkehr des Herrn Andreas nad) Yubitjch be- 
gannen jeine Wunden zu heilen. Doch jchon viel früher hatte 
er jeine Bejinnung wieder erlangt, und nachdem er zum eriten 
Male um jich geblidt, Hatte er jofort erraten, daß er ich in 
Lubitſch befand. 

Dann hatte er den treuen Sorofa gerufen. 

„Sorofa! Hatte er gejagt, „die Barmberzigfeit Gottes 
waltet über mir. Sch fühle, daß ich nicht jterben werde!“ 

„Zu Befehl!“ antwortete der alte Soldat, indem er eine 
Thräne im Auge zerdrüdte und mit dem Aermel fortwijchte. 

Kmiziz fuhr fort, wie zu jich jelbit: 

„Die Buße ift vollbracht .. . ich jehe es jeßt Har. Die 
Barmherzigkeit Gottes waltet über mir!“ 

Dann jchwieg er eine Weile, nur jeine Lippen bewegten 
fi) im Gebet. 

„Soroka!“ jagte er nach einer Weile. 

„Zu Befehl Ew. Liebden.“ 

„Wer it denn in Wodockt?“ 

„Das Fräulein und der Herr Schwertträger.“ 

„Der Name des Herrn ſei gepriefen! War jemand von 
ihnen hier, nach mir zu fragen?“ 

„Dan hat aus Wodockt hergejchieft, um über Ew. Liebden 
Befinden Erfundigungen einzuziehen, jo lange, bis wir jagten, 
daß es Ew. Liebden beſſer gehe.“ 

„Dann alſo ſchickten jie nicht mehr?“ 


„Dann nicht mehr.“ 

Darauf jagte Kmiziz. 

„Sie willen noch nichts, fie werden es aber von mir jelbit 
erfahren. Haſt du jemandem hier erzählt, daß ich unter dem 
Namen Babinitjch hier gekämpft habe?“ 

„Ich hatte nicht Befehl, es zu thun,“ antwortete der 
Soldat. 

„Sind die Laudaer mit dem Herrn Wolodyjowsfi jchon 
zurück.“ 

„Noch nicht, aber man erwartet ſie jeden Tag.“ 

Damit war die Unterredung für dieſen Tag beendet. 

wei Wochen nachher fonnte Herr Kmiziz ſchon das Lager 
verlajjen und auf Krücken umbergehen. Am nächitfolgenden 
Sonntag bejtand er darauf, im die Kirche zu fahren. 

Sorofa wagte nicht zu widerjprechen; er ließ den Fleinen 
Wagen gut mit Heu auspoljtern, Herr Andreas jchmücte ſich 
fejttäglich und fort ging es. 

„Wir wollen nach Upit,“ jagte Herr Andreas. „Mit 
Gott wollen wir anfangen; nach der Mejje jahren wir nad) 
Wodockt.“ 

Sie kamen früh in Upit an; es waren erſt nur wenige 
Menſchen in der Kirche. Herr Andreas ſchritt, auf den Arm 
Sorokas geſtützt, bis an die Stufen des Hochaltars und kniete 
dann in der Patronatsbank nieder. Sein Geſicht war blaß und 
außerordentlich mager, dazu trug er einen langen Backenbart, 
welcher ihn während des letzten Krieges und ſeines Kranken— 
lagers gewachjen war. Wer ihn jah, fonnte glauben, daß eine 
vornehme Perjönlichkeit auf der Durchreife in die Kirche ein- 
getreten war, um die Meſſe zu hören. Es befanden jich jet 
überall Edelleute auf der Neije, die vom Schlachtfelde auf ihre 
Güter zurückehrten. 

Allmählich füllte fich die Kirche mit Leuten aus dem Volfe 
und dem Stleinadel der Umgegend. Dann kamen auch die Be— 
figer aus der weiteren Umgebung, denn die Kirchen waren an 
vielen Orten niedergebrannt. Wer eine Mejje hören wollte, 
der mußte bis nach Upit kommen. 

Kmiziz war ganz in jein Gebet verjunfen; er jah niemanden 
der Anfommenden; ein leijes Kniſtern, von den Zußtritten in 
die Bank zu ihm tretender Berjonen, weckte ihn erſt aus jeiner 
Verjunfenheit. Er bob den Kopf und blidte auf. Da jah er 
Dicht über fich das ſüße, traurige Geficht Olenkas. 

Auch fie hatte ihn erblickt und, wie es jchien, jofort erfannt, 

42* 


660 


denn jie zucte zufammen und trat einen Schritt zurüd. Dunkle 
Nöte färbte ihr Geficht, welche dann plöglich einer tiefen Bläſſe 
Pla machte. Doch beherrjchte fie ſich mit aller ihr zu Gebote 
jtehenden Kraft und kniete dicht neben ihm nieder, während der 
Schwertträger den dritten Platz einnahm. 

Nun ſenkten beide die Köpfe und verhüllten die Gefichter 
mit ihren Händen; jchweigend fnieten jie nebeneinander, ihre 
Herzen schlugen jo laut, daß einer den Schlag des anderen 
hörte. Endlich ermannte fich Herr Andreas jo weit, daß er 
den Gruß jprechen konnte: 

„Selobt ſei Jeſus Chriſtus!“ 

„In Ewigkeit Amen ...“ antwortete Olenka halblaut. 

Dann beſtieg der Geiſtliche die Kanzel. Kmiziz hörte ihn 
ſprechen; aber trotz aller Anſtrengung konnte er den Sinn der 
Predigt nicht erfaſſen, denn die ſo heiß Erſehnte, deren Gedenken 
immer, zu allen Zeiten ſeine Gedanken und ſein Herz erfüllt, 
kniete hier, dicht neben ihm. Er fühlte ihre Nähe und wagte 
doch nicht, den Blick zu ihr zu erheben, weil ſie in der Kirche 
waren, aber er ſchloß die Augen und lauſchte auf ihren Atem. 

„Olenka! Olenka neben mir!“ ſagte er ſich. „Gott hat 
uns nach der langen Trennung im Gotteshauſe zuſammen— 
geführt ...“ 

Seine Gedanken und ſein Herz wiederholten unaufhörlich 
den Namen: 

„Olenka! Olenka! Olenka!“ 

Ein Freudentaumel faßte ihn, Thränen ſtürzten ihm aus 
den Augen; er hätte laut aufſchluchzen mögen, und heiße Gebete 
ſtiegen mit ſolcher Innigkeit aus ſeinem Herzen empor, daß er 
vergaß, was um ihn geſchah. 

Sie hielt noch immer die Hände vor das Antlig gedrüdt. 

Der Geistliche hatte die Predigt beendet und verließ die 
Kanzel. 

Plötzlich ertönte Pferdegetrappel und Waffengeflirr vor 
der Kirche. Bon der Kirchenthür her rief einer in die Kirche 
hinein: „Die Laudaer find zurücd, die Zaudaer find da!“ und 
bald ging durch die Kirche ein Surren von Stimmen, welches 
immer lauter wurde, bis laute Rufe den Raum durchtönten: 

„Die Yaudaer find da!“ 

Die Menge der Kivchenbefucher begann Hin und her zu 
wogen, die Köpfe wandten jid) dem Thore zu, wo es von Waffen 
flimmerte, jich drängte, bis die bewaffnete Schar das Gotteshaus 
betrat. Die Menge teilte fi, um den Gang frei zu machen. 


661 


An der Spitze der Yaudaer Krieger jchritten Herr Wolodyjowski 
und Sagloba. Sie durcdjichritten die ganze Kirche bis zum 
Hochaltar, Fnieten dort nieder und beteten ein Weilchen jtill, 
worauf fie in die Safrijtet gingen, während die Soldaten in 
der Mitte des Kirchenjchiffes jtehen blieben. Sie begrüßten 
niemanden und wurden von niemandem begrüßt, aus Ehrfurcht 
vor dem Drt, an welchem fie fich befanden. 

Ach! welc ein Anblick bot jich hier dem Auge. Die erniten 
Sejichter waren von der Sonne gebräunt, von den Stürmen 
und den Kriegsmühen veriwittert und mit Narben von Schwert- 
jtreichen bededt. Die Schweden, die Deutjchen, die Ungarn 
und Wallachen; fie alle hatten ihre Runenſchrift in dieje bärtigen 
Geſichter gezeichnet. Die ganze Gejchichte des vergangenen 
Krieges, der ganze Ruhm, den die Zaudaer erworben, fie jtanden 
in diejen Gejichtern gejchrieben. Da waren die düſter Drein- 
blidenden Butryms, die Stajfanows, Domaſchewitſch' und 
Sojtichtewitich", von jedem diefer Stämme etliche, denn faum 
der vierte Teil derer, welche mit Wolodyjowsfi ausgezogen waren, 
war hier zurücgefehrt. 

Viele Frauen juchten vergebens ihre Männer, viele Greije 
jahen ſich umſonſt nad ihren Söhnen um. Weinen, erit leije, 
dann lauter und lauter, wurde hörbar, denn auch diejenigen, 
deren Angehörige zurücgefehrt waren, weinten vor Freude. 
Lautes Schluchzen, zuweilen der Anruf eines geliebten Namens, 
dann wieder ein Berjtummen, während die Angefommenen auf 
ihre Schwerter gejtügt, ftumm daftanden und auch ihnen Die 
Thränen an den Wangen herabliefen und den Bart naß machten. 

Da wurde das Glödchen an der Thür der Safriftei ge- 
zogen, daß es laut jchallte. Das beruhigte die Gemüter etivas. 
Alle Anwejenden fnieten nieder; der Geijtliche erjchten im Meß— 
gewande, neben ihm Herr Wolodyjowsfi und Herr Sagloba als 
Minitranten. Das heilige Mehopfer beganı. 

Auch der Geijtliche war tief bewegt. Als er fich das erite 
Mal zum Bolfe wendete mit den Worten: Dominus vobiscum! 
da zitterte ihm die Stimme, und als er das Evangelium jang 
und alle Säbel der Krieger aus ihren Scheiden flogen, fie 
jalutierend zum Zeichen, daß die Yaudaer jtet3 bereit jeien, für 
ihren Glauben zu fämpfen, da vermochte er vor Rührung faum 
zu fingen. 

Dann wurden mit tiefer Ergriffenheit von der geſamten 
Gemeinde die Rejponjorien gefungen, die Meſſe war zu Ende. 
Nachdem aber der Geijtliche das Saframent im Zimborium auf- 


662 


bewahrt hatte, wandte er fich noch einmal an das Volk, zum 
Zeichen, daß er noch etwas zu jagen habe. 

Totenitille trat ein. Der Geiftliche begrüßte zuerſt mit 
herzlichen Worten die zurücgefehrten Strieger, dann machte er 
befannt, daß er einen Brief Sr. Majeität des Königs vorlefen 
werde, welchen der Hauptmann der Yaudaer sahne mitge- 
bracht habe. 

Die Menjchen in der Kirche laufchten atemlos, während 
vom Altar ber laut und vernehmlich die Worte zu hören waren: 

„Wir, Sohann Kafimir, König von Polen, Großherzog von 
Litauen, Majowien, Preußen u. ſ. w. thuen fund und zu willen, 
* Namen des Vaters, des Sohnes und des heiligen Geiſtes: 

men.“ 

„So es gerecht iſt, daß böſe Menſchen für ihre an der 
Majeſtät und dem Vaterlande begangenen Verbrechen auf Erden 
beſtraft werden, ehe ſie vor den Stuhl des höchſten, himmliſchen 
Vaters treten, ſo gerecht iſt es auch, daß die Tugend ihren 
Lohn auf Erden ſchon empfängt; einmal, um der Tugend ſelbſt 
willen, dann aber auch, um die Nachwelt zur Nachfolge auf dem 
Wege der Tugend anzujpornen.“ 

„Deshalb thuen Wir befannt und zu willen dem ganzen 
Nitterjtande, insbejondere aber dem ganzen Volke, Kriegern und 
Bivilperfonen, welche öffentliche Aemter befleiden, cujus vis 
dignitatis et praeminentiae, jowie allen Bürgern des Groß⸗ 
herzogtums Litauens und unjerer Staroftei Smudz, da — 
welcher Art auch die Vergehen fein mögen, welche auf dem Uns 
jehr lieben Herrn Andreas Kmiziz, dem Fahnenträger von 
Drichan, laften, dieſelben angefichts feiner nachfolgenden großen 
Berdienite und ruhmvollen Thaten vergefien, aus dem Gedächt- 
nis der Menjchen vollfommen ausgelöfcht fein, und die Ehre 
des obengenannten, geborenen Kmiziz nicht jchmälern jollen.“ 

Hier hielt der Geiftliche einen Augenblid inne und wandte 
den Blick der Banf zu, in welcher Herr Andreas ſaß. Diejer 
hatte jich erhoben, fich aber gleich darauf wieder Hingejeßt, dem 
ar an den Pfeiler gelehnt, wie wenn plößliche Schwäche ihn 
befiele. 

Aller Augen hatten ſich auf ihn gerichtet, aller Lippen 
flüfterten: 

„dert Kmiziz! Kmiziz! Kmiziz! Dort, neben den Billewitjch!“ 

Der Geijtliche winkte und fuhr fort zu lejen, während wieder 
tiefite Stille eintrat: 

„Welcher Fahnenträger von Orſchan, obgleich er bei jener 


663 


unglücjeligen ſchwediſchen Invajion anfangs jich auf die Seite 
des Fürſt-Wojewoden gejtellt, daS aber nicht aus eigennüßigen 
Gründen, jondern aus reiner Liebe zum VBaterlande, auf die 
Augeinanderjegungen des Fürſten gethan hat, in ber Meinung, 
daß ein anderer Weg zur Nettung der Republik nicht offen jtehe, 
al3 der, den der Fürſt eingejchlagen.“ 


„Und welcher, als er zum Fürſten Boguslaw fam, der, ihn 
für einen Bundesgenofjen haltend, ihm offen die verräterijchen 
Pläne gegen das Vaterland Earlegte, nicht nur nicht Unſere 
Perſon auszuliefern verjprach, jondern den Fürjten mit bewaff- 
neter Hand entführte, um Uns und das gepeinigte Baterland 
zu rächen... .“ 

„Bott jei mir Sünderin barmherzig!* hörte man eine Frauen— 
jtimme dicht neben dem Herrin Andreas rufen. 

Darauf wurde die Kirche wieder von lautem Murmeln 
erfüllt. Der Geijtliche las weiter: 

„Durch diejen jelben Fürſten jchwer verwundet, begab fich 
der geborene Herr Kmiziz, nachdem er feine Gejundheit wieder 
erlangt, nach Tſchenſtochau, um, allen ein Beijpiel der Tapfer— 
feit und Ausdauer gebend, das Heiligtum der Allerheiligiten 
Jungfrau zu verteidigen. Mit Gefahr jeines Lebens umd 
Hintanjegung jeiner Gejundheit die größte Kanone der Feinde 
in die Luft jprengend, bei welchem gefährlichen Unternehmen 
er gefangen genommen und von den jchredlichen Feinden zum 
Tode verurteilt wurde, ertrug er jtandhaft die bei der Sprengung 
ihm beigebrachten Brandmale.“ 

Hier wurde die Vorlefung des Königlichen Schreibens 
durch lautes Weinen der Gemeinde unterbrochen. Olenka bebte 
am ganzen Leibe wie vom Fieber gejchüttelt. 

„ber aus diejer aräßlichen Gefahr durch die Macht der 
Engelskönigin errettet, begab ſich der geborene Fahnenträger 
von Orjchan zu Uns nach Schlejien und bei Unjerem Rückzuge 
in das geliebte Vaterland, als der Feind Uns einen Hinterhalt 
gelegt, ich allein der ganzen Macht desjelben entgegenjtellend, 
um Unjere Berjon zu retten, von den Feindesſäbeln zerfegt und 
den feindlichen Napieren zerjtochen, wurde jelbiger für tot vom 
Schlachtfelde fortgetragen .. .“ 

Dlenfa griff mit beiden Händen nach den Schläfen und 
während jie mit erhobenem Haupte nach Luft rang, rief fie 
jtöhnend: 

„Mein Gott! Mein Gott!“ 


604 


Und wieder tönte die Stimme des Getjtlichen, doch immer 
abgebrochener von der ihm fajt überwältigenden Rührung: 

„Als er aber, durch Unjere Bemühungen wieder Hergeftelt 
ohne zu ruhen, von neuem in den Krieg ziehend, in jeder Not- 
(age gegenwärtig, bis zur glüclichen Einnahme Warjchaus, von 
beiden Tefdhauptfeuten als Muſter aller Ritterlichfeit bezeichnet 
war, da wurde jelbiger Herr Kmiziz unter jeinem angenommenen 
Namen „Babinitjch“ von Uns nad) Preußen geichidt . 

Als die Gemeinde diefen Namen hörte, jteigerte ſich das 
zeitweilige Murmeln zum gewaltigen Brauſen der Meeres— 
brandung. Er alſo hier war Babinitſch? Der Beſieger der 
Schweden, der Retter bei Wolmontowitſch, der Sieger in ſo 
vielen Schlachten, das war Kmiziz? 

Das Getöſe wurde immer lauter, die Menſchen drängten 
nad) dem Altar vor, um ihn bejjer jehen zu können. 

„Bott jegne ihn! Gott jegne ihn!“ rief es aus Hunderten 
von stehlen. 

Der Geijtliche wandte jich dem Plage zu, auf welchem 
Kmiziz jaß und jprad) den Segen über ihn. Herr Andreas 
lehnte noch immer mit dem Kopf an der Säule; er jah einem 
Toten ähnlicher, denn einem Lebenden. Seine Seele jchien 
der Erde entrüdt und den Regionen der Glücjeligfeit zuzu— 
jchweben. 

Dann fuhr der Geiitliche fort: 

„Bis zum Siege von Prostfi, das Feindesland mit ‚Feuer 
und Schwert verwültend, zu dieſem Siege das meiste beitragend, 
hat er den Fürſten Boguslaw mit eigener Hand gejchlagen und 
gelangen genommen. Darauf in Unjere Smudzer Staroitei 
erufen, hat jelbiger Herr Kmiziz viele Städte und Dörfer vor 
dem Berderben bewahrt, von welchem Umſtande die dortigen 
Einwohner (incolae) am beiten unterrichtet jein müjjen.“ 

„Wir willen es! Wir wiſſen es!“ riefen die Kirchen- 
gänger laut. 

„Beruhigt euch,“ jagte der Geijtliche, indem er das 
Schreiben des Königs in die Höhe hielt. 

„Darum haben Wir — las er weiter — in Anbetracht 
aller diejer unermeßlichen Berdienjte, die er dem Könige und 
dem Vaterlande geleitet, Werdienjte, wie fie ein Sohn feinen 
Eltern zu Liebe nicht größer ſich erwerben fann, beichlojien, 
diejelben in dieſem Briefe aufzuzählen, und öffentlich befannt 
zu machen, damit Neid und menschliche Mißgunſt aufhören 
möge, einen jo vornehmen SKavalier, des Glaubens und der 


665 


Majeität Behüter, zu verfolgen, ihm vielmehr den wohlverdienten 
Danf, das Lob, den Ruhm und die allgemeine Verehrung nicht 
länger vorenthalte. Da Wir aber die Beitätigung dieſer Unjerer 
Willensäußerung, jowie die Tilgung feiner Schulden und Die 
Ernennung des Herrn Fahnenträgers zum Starojten von Upit 
durch die nächjte Landtagsfigung erjt jpäter folgen lafjen können, 
jo wünjchen Wir, daß die Uns jo lieben Bürger Unſerer 
Starojtei Smudz dieſe Unjere Worte beherzigen und ihrer ein- 
gedenf bleiben jollen, denn die Gerechtigkeit, welche das Funda— 
ment Unſerer Regierung jein joll, gebietet Uns, diefen Wunſch 
auszusprechen.“ 

Hiermit war der Brief zu Ende. Der Geiltliche wandte 
jich dem Altar zu und begann zu beten. Herr Andreas fühlte 
plöglich, daß eine weiche Frauenhand jeine Hand ergriff; er 
blidte auf. Es war Dlenfa, die feine Hand in die ihrige ge— 
nommen hatte, und ehe er ſichs verjah, ehe er noch jeine Hand 
zurüdzuziehen vermochte, hatte das Mädchen diejelbe angejichts 
des Altare8 und der Menjchen an ihre Xippen gezogen und 
geküßt. 

„Olenka!“ ſchrie Kmiziz erſtaunt auf. 

Sie aber war ſchon aufgeſtanden, hatte ihren Schleier über 
das Geficht gezogen und dem Schwertträger zugerufen: 

„heim! fomm wir wollen jchnell fort von hier!“ 

Und fie entfernten fich beide durch die Thür zur Safrijtei. 

Herr Andreas verjuchte aufzuftehen, ihr nachzueilen, doc) 
er vermochte es nicht... . feine Kräfte Hatten ihn vollitändig 
verlajjen. 

Eine PViertelitunde jpäter fand er fich vor der Kirchenthür 
in den Armen des Herrin Wolodyjowsfi und Sagloba wieder. 

Die Bürger, der Kleinadel und das Volk umjtanden fie in 
dichtem Gedränge; felbit die Frauen, welche jich kaum von der 
Bruſt ihrer eben zurücgefehrten Männer zu trennen vermochten, 
liefen, von der den rauen eigenen Neugier getrieben, herbei, 
den einit jo gräßlichen, gefürchteten Kmiziz zu jehen, den heute 
als Netter der Lauda und als fünftigen Starojten namhaft ge— 
machten Ritter. Zulegt mußten die Yaudaer einen Kreis um 
ie jchliegen, damit er in dem Gedränge nicht zu Schaden 
omme. 

„Herr Andreas!” rief Sagloba, „seht doch, ihr habt Gäſte 
befommen. Das Habt ihr gewißlich Heute nicht erwartet! 
Auf jegt nach Wododt, nach Wododt zur Berlobung, zur 
Hochzeit . . .* 


666 


Die legten Worte des alten Kavalierd verhallten in dem 
donnernden Vivatrufen, welches die Laudaer anhoben: 

„Es lebe Herr Kmiziz!“ 

„Er lebe!“ wiederholte die Menge. „Unjer Starojt von 
Upit joll leben; er joll leben!“ 

„Auf nach Wodocdt, alle!“ jchrie Herr Sagloba noch einmal. 

„Nach Wododt! Nach Wododt!” tönte es aus taufend 
stehlen. „Wir alle wollen Freiwerber für Herrn Kmiziz, unjerem 
Netter, bei dem Fräulein fein. Auf nach Wododt, zum Fräulein!“ 

Es entitand eine große Bewegung. Die Laudaer bejtiegen 
die Pferde, die Kleinadligen, Bürger und Bauern jtritten jich 
um die Wagen, Britjchken, Leiterwagen und Reitpferde. Wer 
feinen Pla auf den Wagen oder fein Neitpferd fand, der lief 
zu Fuß durch die Felder und Heide, was er laufen fonnte. 
„Nach Wodockt!“ rief e8 im ganzen Städtchen und bald wimmelten 
Wege und Stege von buntfarbigen Gejtalten. 

Herr Kmiziz fuhr im Kutſchwagen zwijchen Wolodyjowski 
und Sagloba; er umarmte bald dieſen, bald jenen, jprechen 
fonnte ev noch nicht, dazu war er zu jehr gerührt. Sie fuhren 
übrigens zu, als hätten die Tartaren Upit überfallen und 
jegten ihmen nach. Alle anderen Wagen jagten ihnen eben- 
jo nach. 

Sie waren jchon ein Stüc hinter der Stadt, als plößlich 
Herr Wolodyjowsfi jich zum Ohre Kmiziz's neigte. 

„Andruſch “frug er, „weißt du nicht, wo jene andere iſt? 

„sn Wodockt!“ antivortete der Nitter. 

Hatte ein Wind plöglich die Barthaare des Herrn Wolody- 
jowsfi gejträubt, oder hatte die Nührung das heftige Zuden 
jeiner Oberlippe verurjacht? Wer vermöchte das zu jagen? 
Thatſache it, daß fie vorgejchoben blieb und hin und her zudte, 
während die Haare des Schnurrbartes flogen wie Riemernadeln. 
Herr Sagloba begann zu fingen. Sein tiefer Baß dröhnte, daß 
die Pferde jcheu wurden. 

„Wir waren zu Zweien Kaſchinka, zu Zweien auf Erden; 

Doch ahnt mir, mir ahnt, es wird ein Drittes werden!” 

Anufia war an dieſem Sonntag nicht mit zur Kirche ges 
fahren; jie war an der Weihe, bei der alten Muhme Kulwiez 
zu bleiben, welche jehr jchwächlich war und der Pflege bedurfte. 
In dieſer Pflege löften jie fi) Tag um Tag mit Dlenfa ab. 

Sie war den ganzen Morgen mit der Verjorgung der 
alten Muhme bejchäftigt gewejen und deswegen erſt jehr jpät 
zum Beten der Meigebete gekommen. 


667 


Kaum hatte jie das letzte Amen gejprochen, als ein Wagen 
vor das Haus rafjelte und Olenka in das Gemach jtürmte. 

„Jeſus, Maria! Was ijt gejchehen ?!“ jchrie Anuſia Borjcho- 
bohata bei ihrem Anbli auf. 

„Anuſia! Weißt du, wer der Herr Babinitjch iſt? ... 
Er ijt der Herr Kmiziz.“ 

Fräulein Borjchobohata jprang mit beiden Beinen zu— 
gleich auf. 

„Wer bat dir das gejagt?“ 

„Es iſt ein fönigliches Handjchreiben verlejen worden ... 
Herr Wolodyjowgfi hat e8 gebracht... Die Laudaer . . .“ 

„So tit Herr Wolodyjowsfi zurüdgefehrt? . . .“ rief Anufia. 

Und plöglic) lag fie in den Armen Olenkas. 

Dlenfa nahm diejen Gefühlsausbruch als einen Beweis 
der Liebe Anuſias zu ihr wie jelbitveritändlich Hin. Zudem war 
fie fieberhaft erregt, jie wußte faum, was fie that. Ihre Wangen 
hatten ſcharf abgegrenzte rote Flede und ihre Bruſt hob und 
ſenkte ſich ſchwer, wie von großer Ermüdung. 

Sie begann in kurzen abgeriſſenen Sätzen, in wirrem Durch— 
einander zu erzählen, was ſie in der Kirche gehört, indem ſie 
wie wahnſinnig dabei hin- und herrannte und alle Augenblicke 
wiederholte: „Sch bin ja jeiner nicht wert!" Sie machte fich 
die bitteriten Vorwürfe, dab jie von allen ihm das größte Un— 
recht gethan, weil jie nicht einmal mehr Hatte für ihn beten 
wollen, während er jein Blut für die heilige Sungfrau, das 
Vaterland und den König vergojien hatte. 

Umſonſt fuchte Anufia fie zu beruhigen, zu tröften; fie 
blieb dabei, daß fie feiner nicht würdig jei, daß fie ihm nicht 
unter die Augen treten fünne. Dann fing fie wieder an, von 
den Heldenthaten des Herrn Babinitjch zu jprechen, wie er den 
Fürjten Boguslaw entführt, von deſſen Nache, von der Errettung 
des Königs, von den Siegen bei Prostfi, Wolmontowitich 
und Tſchenſtochau; von ihrem Hafje, ihrer Schuld, für welche 
jie num im Klofier büßen müſſe. 

Endlich wurden ihre Lamentationen durch den Herrn Schwert— 
träger unterbrochen. Derſelbe ſtürzte wie eine Bombe in das 
Gemach und rief: 

„Um Gotteswillen! Ganz Upit kommt zu uns! Sie ſind 
ſchon im Dorfe und Herr Babinitjch iſt jedenfalld mit ihnen.“ 

Gleich darauf verfündeten noch ferne VBivatrufe das Nahen 
der Menge. Der Schwertträger fahte Dlenfa unter dem Arm 
und führte fie hinaus auf den Gang. Anufia folgte ihnen, 


668 


Soweit man die Dorfitraße hinauf und hinab bliden fonnte, 
war diejelbe dicht gedrängt mit Wagen, Pferden und Menjchen 
angefüllt. Endlich) famen fie zu dem Schloßhof. Diejenigen, 
welche zu Fuß famen, nahmen den Wallgraben im Sturmjchritt. 
Die Wagen rafjelten über die Brücke, alle jchrieen und warfen 
die Mützen hoch. 

Endlich jah man die Schar Yaudaer, welche den Wagen 
in ihrer Mitte hatten, auf welchem die drei Ritter ſaßen. 

Der Wagen mußte ein wenig jeitwärts jtehen bleiben, denn 
es hatten jich vor dem Gange jchon jo viel Menjchen angejammelt, 
daß er nicht vorgefahren werden konnte. Herr Sagloba und 
Wolodyjorwsfi jtiegen zuerit ab und halfen dann dem Herrn 
Kmiziz herunter. Nachdem er abgejtiegen war, faßten jie ihn 
unter den Armen, um ihn in das Haus zu führen. 

„Tretet auseinander!“ rief Saglobe. 

„Macht Platz!“ befahlen die Laudaer. 

Die Menſchen wichen auseinander, eine Gaſſe bildend, 
durch welche die beiden Nitter den Herrn Andreas bis zum 
Gange führten. Er jchwanfte und war jehr bleich, aber er hielt 
den Kopf erhoben, aus jeinen Gejichtszügen blickte eine gewiſſe 
Schüchternheit vermijcht mit großer Glückjeligkeit. 

Dienfa jtand an das Thürfutter gelehnt. Ihre Arme 
hingen jchlaff am Körper herab; doch als die Ritter näher traten 
und fie diefen Armjeligen, der nach jahrelanger Trennung wie 
ein Lazarus, mit jajt biutleerem Geficht auf jich zutreten jah, 
da zerriß der Schmerz ihr das Herz umd fie jchluchzte 
laut auf. 

Er wußte vor Schwäche, vor Glück und Berlegenheit nicht, 
was er jagen jollte, und als er den Gang betrat, da jtammelte 
er nur mit jtoctender Stimme: 

„Nun, Dlenfa, was nun?“ 

Da lag jie plöglich zu jeinen Füßen und hielt jeine Kniee 
umfaßt. 

„Andruſch!“ jagte fie jchluchzend. „Sch bin nicht wert, 
deine Wundmale zu füllen.“ 

Da jchien jeine erlojchene Kraft plöglich wiederzufehren. 
Wie eine jeder hob der Nitter das Fräulein in die Höhe und 
preßte fie an jeine Brujt. 

Ein mächtiger donnernder Ruf aus den hunderten Kehlen 
ringsumher machten die Mauern des Hauſes erbeben und dröhnte 
ohrenbetäubend durch die Luft. Die Laudaer ſchoſſen ihre 
Musketen ab, die Mützen flogen nochmals in die Höhe, Die 


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Gejichter aller erjtrahlten in heller Freude, die Augen glänzten 
und die stehlen jchrieen: 

„Vivat Kmiziz! Bivat das Fräulein Billewitich! Vivat 
dem jungen Paare!” 

„Vivat zwei Paaren!“ brüllte Sagloba. 

Aber jeine Stimme verhallte in dem allgemeinen Tumulte. 

Wodockt war in ein Heerlager verwandelt. Man jchlachtete 
auf Befehl des Herrn Schwertträgerd den ganzen Tag Ochjen 
und Hammel; aus der Erde wurden die vor den Feinden ver- 
rabenen Fäſſer voll Met und Bier herausgeholt. Am Abend 
en jic) alle zum Gajtmahle nieder; die Aelteren und An— 
gejeheneren in den Gemächern, die Jungen mit den Bauern 
in fröhlichiter Yaume um die Lagerfeuer im Hofe. 

An der Haupttafel freijten die Becher auf das Wohl der 
beiden glüclichen jungen Paare. Als die Freude ihren Höhe- 
punft erreicht hatte, brachte Herr Sagloba noch den folgenden 
Toajt aus: 

„sch wende mich an euch, edler Herr Andreas, und an 
euch, alter Waffenbruder, Herr Michael! Nachdem ihr euer 
Leben und euer Blut dem Vaterlande geopfert und die Feinde 
desjelben getötet habt, ijt eure Mitwirkung am Wiederaufbau 
der Nepublif noch nicht vollendet. Es ſind im Verlaufe diejes 
gräßlichen Krieges eine Unzahl Menjchen gefallen, deshalb iſt 
e3 eure Pflicht, diefer uns jo lieben Nepublif zu neuen Ge— 
jchlechtern und BVerteidigern zu verhelfen, wozu euch hoffentlich 
der Wille und die Kraft nicht fehlt. Meine Herren! Ich trinke 
auf das Wohl diefer fommenden Gejchlechter! Möge Gott fie 
jegnen und ihnen vergönnen, das Erbe zu behüten und zu er- 
halten, welches wir ihnen mit unferem Schweiße und unjerem 
Blute aufgebaut, hinterlaſſen. Mögen diejelben, wenn jchwere 
Zeiten dereinſt auch über fie hHereinbrechen, unſerer gedenken 
und ſtets eingedenf fein, daß man nicht verzweifeln joll, daß es 
feine noch jo unerträgliche Lage giebt, aus welcher jich tapfere 
Männer mit Hilfe Gottes nicht zu befreien vermöchten.“ 


* * 
* 


Herr Andreas mußte bald nach jeiner Hochzeit mit Olenka 
aufs neue in den Krieg ziehen, welcher vom Oſten her aus— 
brach. Aber die glänzenden Siege, welche Tſcharniezki und 
Sapieha über Chowanski und Dolgorudi, und die Stronenhetmane 
über Scheremet davontrugen, machten ihm bald ein Ende. 


670 


Zu jener Zeit fehrte Kmiziz mit neuem Ruhme bededt 
zurück und jegte fich dauernd in Wododt feit. Die Fahnen— 
herrjchaft Orjchan übernahm nach ihm der Bruderjohn jeines 
Vaters, Jakob Kmiziz, welcher jpäter jener unglücheligen Kon— 
föderation des Heeres beitrat. Herr Andreas blieb mit Herz 
und Seele ein treuer Anhänger des Könige. Mit der Staroitei 
Upit belohnt, lebte er lange in beijpiellojer Eintracht und Liebe 
mit der Yauda und ihren Eimvohnern, von allgemeiner Hoch» 
achtung umgeben. Seine Widerjacher — wer hätte feine Wider- 
jacher — jagten zwar, daß er in allem zu jehr dem Willen 
jeiner Gemahlin unterliege, aber er jchämte ſich dejien nicht, 
jondern gejtand gern ein, daß er in jeder wichtigen Angelegen- 
heit den Nat jeiner Gemahlin einhole. 


Ende des zweiten Bandes. 





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Druck von Richard Stöhr, Leipjig ·R. 


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