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Full text of "Ethnologische Mitteilungen aus Ungarn. Illustrierte Zeitschrift für die Völkerkunde Ungarns und der damit in ethnographischen Beziehungen stehenden Länder"

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Ethnologische 
Mitteilungen 
aus  Ungarn 


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II.  Jahrgang. 


1891. 


I— V.  Heft. 


ZUGLEICH 


ANZEIGER  DER  GESELLSCHAFT  .FÜR  DIE  VÖLKERKUNDE  UNGARNS. 


BEGRÜNDET  UND  HERAUSGEGEBEN  VON 

Prof.  JJr.  Atilon  Ilermxaixn 


REDIGIERT  VON 


ANTON  HERRMANN  und  LUDWIG  KATONA. 


Jährlich  W  Hefte  —  20  Hogcn.  Preis  .v  ß.  Für  Mitglieder  eines  Vereins  für  Volks- 
kunde 2  fl.  . 


Rcdnction  und  Administration 
Budapest,  I.  Attila-utcza  47. 


KOLOZSVÄB. 

ACTIENDRUCKEKEI  l>KE  GESELLSCHAFT  „K< »ZMÜVELÖDES.* 

1  8  9  1. 


•  1 


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Mitteilung  des  Herausgebers. 

Nach  verschiedenen  PJiinen  und  Vorsuchen,  deren  Gelingen  unsicher  erschien, 
finde  ich  mich  bewogen,  auf  den  ersten,  vor  vier  Jahren  schüchtern  betretenen  Pfad 
zurückzukehren,  und  die  „Ethnologischen  Mitteilungen  aus  Ungarn4  in  neuer  Folge 
und  veränderter,  handlicherer  Form,  aber  wesentlich  irn  Sinne  des  ersten,  von  Be- 
rufenen gutgeheissenen  Programme«  weiter  zu  fahren.  Hand  in  Haud  mit  meinem 
alten  Mitstreber  Ludwig  Katona,  unterstützt  von  der  Bereitwill!gkeit  der  Kolozs- 
-varer  Actiendruckerei  „Közmüvelodes".  hoffe  ich  dies  Unternehmen  endlich  in  ein 
sicheres  und  regelmässiges  Geleise  zu  bringen.  Was  im  III.  Hefte  der  Ethnologi- 
schen Mitteilungen,  (*p.  413—416.)  über  die  geplante  Zeitschrift  „Folklore",  und 
im  I.  Hefte  des  hier  eingebetteten  Anzeigers  (Seite  1.)  Uber  diesen  gesagt  wor- 
den, ist  als  gegenstandslos  zu  betrachten.  Der  Anzeiger  ist  von  Heft  II.  an  den 
„Mitteilungen"  gänzlich  einverleibt. 

Die  „Ethnologischen  Mitteilungen"  erscheinen  jährlich  in  10  Heften,  etwa  20 
Bogen.  Preis  3  tl.,  für  Mitglieder  irgend  eines  Vereins  für  Volkskunde  2  H.  Das  IV.  Heft 
des  I.  Jahrganges,  im  Format  der  ersten  drei  Hefte,  den  Schluss  der  dort  begonnenen 
Aufsätze  enthaltend,  wird  in  kurzem  erscheinen,  und  an  diejenigen  Besitzer  der 
übrigen  drei  Hefte  gratis  abgegeben,  die  auf  den  II.  Jahrgang  praenumeriert  haben. 

Heft  VI— VIII.  des  Jahrganges  wird  anfangs  Oktober  zur  Ausgabe  gelangen. 

Curort  Jegcnye  bei  Kolozsvär,  August  1891.  ^  aerrtna„„ 

Publicationen  zur  Volkskunde. 

Herausgegeben  von  Anton  Hert  mann. 

'„ ..  I.  Südost.  Bibliothek  zur  Völkerkunde  Ungarns  und  der  Nachbarländer.  Für  die 
ersten  8erien  sind  in  Vorbereitung:  1.  2.  Bd.  Comee  Gtza  Kuun:  Relationes  Hun- 
garorum  cum  Oriente  gentibusque  orieutalis  orginis  Historia  antiquissima.  (Unter  der 
Presse.)  8  —  6.  Bd  Ludwig  Katona  u.  Anton  Herrntann:  Die  magyarischen  Volks- 
märchen. Mit  vergleichendem  Apparat.  —  7.  Bd.  Adolf  St rauas  u.  Anton  Herr man  : 
Bulgarische  Volkpoesie.  —  8.  Bd.  Dr.  Athana*.  Marienescu  u.  A.  Herrmann:  Novak. 
Ein  rumänisches  Volksepos.  Rumänisch  u.  deutsch,  mit  Abhandlungen.  -  9.  10.  Bd. 
Fr.  S.  Kuchai:  Eigentümlichkeiten  der  magyarischen  Volksmusik.  —  11.  12.  Bd. 
Dr.  Fr.  S.  Kraus«:  Auf  Ungarn  bezügliche  epiBche  Gesänge  der  Südslaven. 

II.  Ural-Altai.  Bibliothek  zur  Kunde  der  ural-altaiechen  Völker.  In  Vorberei- 
tung: 1.  Bd.  Dr.  Bernhard  Munhicsi:  Die  Volkspoesie  der  Wotjaken.  Deutsch  von 
A.  Herrmann  u.  H.  v.  Wlislocki.  (Unter  der  Presse.)  —  2.  Bd.  Dr.  B.  Munkdcxi:  Die 
Volkspoesie  der  "Wogulen.  Deutsch  von  A.  Herrmann,  (Unter  der  Presse)  —  3.  Bd. 
Dr.  Ignaz  Kunos:  Osmanisch-türkische  Volkspoesie.  (Unter  der  Presse.;  —  4.  Bd. 
J)r.  Karl  Pdpai:  Ostjakisch-£amojediscbc9.  —  5.  Bd.  Beta  Vikdr:  Finnischo  Stu- 
dien. -  6  Bd.  Gabriel  Bdlint:  Mongolische  Volkspoesie. 

Je  eine  Serie  „Südost"  u.  „Ural-Altai",  zusammen  8  Bde,  80—100  Bogen, 
vom  Herausgeber  (Budapest,  I.  Attilautcza,  47.)  oder  von  der  litterarischen  Anstalt 
„Kozmüvelödes"  in  Kolozsvär  bezogen,  kostet  10  H.  Einzelne  Bände  2-50. 

III.  Publicationen  der  „Ethnologischen  .11  itteilungen  ans  Ungarn  "  1.  Heft. 
A.  Herrmann  Beiträgo  zur  Vcrgleichung  der  Volkspoesie.  Mit  Musiknoten.  150  kr. 
—  2.  Dr.  H.  v.  Wlislocki:  Zauber  u.  Besprechungsformeln  der  Zigeuner.  60  kr  — 
3.  Kranss,  Asboth,  Thallöczy:  Südslavisches.  30  kr.  -  4.  A.  Hertmann:  Heimische 
Völkerstimmen.  60  kr.  —  5.  Dr.  Fr.  S.  Krauts:  Das  Burgfräulein  von  Pressburg; 
W.  v.  Schulenburg:  Die  Frau  bei  den  Südslaven;  J.  v.  Asboth:  Das  Lied  von  Gu- 
sinje.  90  kr.  —  6.  Dr.  II.  v.  Wlislocki:  Uber  den  Zauber  mit  menschlichen  Kör- 
perteilen bei  den  transilvaniseben  Zigeunern.  60  kr. 

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Ethnologische  Mitteilungen 

aus  Ungarn. 
Zugleich  Anzeiger  der  Gesellschaft  für  die  Völkerkunde  Ungarns. 


Begründet  und  herausgegeben  von 

Prof.  Dr.  Anton  Herrmann. 

Redigiert  von 

Anton   Herrmann   and  Ludwig  Eaton: 


II.  Baud. 


Budapest,  1892 

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in  München 


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Inhaltsverzeichnis. 


Seit* 


Barvti  L.,  Deutsche  Volksballaden  aus  Südungarn   198 

Czdmbel  S.,  Zur  Kritik  der  Editionen  slovakischer  Volksdichtungen     .  18 

Czink  L.,  Italienische  Sprüche  und  Lieder  aus  Fiume   226 

H.  A.,  Paul  Hunfalvy   176 

—  —    Sprachmonopol   184 

Hoff  mann- Wigand  Maja,  Deutsche  Volkspoesie  in  Ungarn  (Pancsova,    .  207 

Kaindl  R.  F.,  Baba-Jaudocha-Dokia   222 

Kdlmdny  L.,  Kosmogonische  Spuren  in  der  magyarischen  Volks»  ber- 

Ueterung.  I.  Die  Schöpfung.  II.  Der  Sündenfall  3,  139 

Katonn  L.,  Recht  und  Unrecht.  Ein  magyarisches  Märchen  mit  seinen 

Varianten  und  Parallelen  38,  159 

—  —    Ethnographie,  Ethnologie.  Folklore  13,  244 

Kits«  Ar.,  Siebenbürgische  Kinderspiele  (deutsche)   216 

Klein  &,  Deutsche  Wiegenlieder  aus  Dobsina   262 

KBrösi  Alex.,  Italienische  Sprüche  und  Lieder  aus  Fiume   226 

Krams  F.  8.,  Mensch  und  Bär.  Eine  bosnische  Tiersage   101 

—  —    Sveta  Nedeljica   242 

Kuhdc  Fr.  S.,  Albanesen  in  Slavonien  25,  169 

Kuun  Giza  Graf,  Schatzgräber  und  Bergleute   60 

—  —    Ueber  uneigentliche  Ausdrücke  verschiedener  Sprachen  aus  Khr- 

lnrcht  vor  der  Gottheit  und  vor  den  Machthabern   80 

Kdnon  Ig.,  Türkische  Gedankenlieder  aus  Ada-Kaieh   51 

—  —    Türkisches  Puppentheater  (Karagöz-Spiel)   148 

Kurz  S.t  Hochzeitssprüche  der  Uienzen   211 

Ldzdr  B.,  Ueber  den  „Garabonczias  diäk"   166 

Uhoczky  S.,  Deutsche  Volkspoesie  in  Ungarn  (Bereger  Comitat) .  .  .  193 
Island  Ch.  G.,  Begrüssungsschreiben  an  die  ethnographische  Gesellschaft 

in  Ungarn   2 

—  —    Die  alten  Folkloristen   253 


Marienescu  A.,  Baba  Dokia,  eine  volksmythologische  Gestalt  der  Rumänen  12 

Matirko  B.,  Die  Zipser  Volkssage  von  Kasnarek   162 

Menesviachean  G.,  Ein  chinesischer  Brauch  bei  den  Armeniern  ...  56 
Munkdcxi  B.,  Kosmogonische  Sagen  der  Wogulen  (deutsch  v.  A,  Ii.) 

I.  Die  Sage  von  der  Entstehung  der  Krde  63,  105 

II.  Die  Sage  von  der  Umgürtung  der  Krdo                               .  78 

ITI.  Das  Lied  von  der  Ueberschwemmung  des  Himmels  und  der  Krde  109 

IV.  Die  Sage  von  der  heiligen  Feuerflut.  A.  B.  C   121 

V.  Heiliges  Lied  von  der  Herablassung  der  Erde  aus  dem  Himmel  125 

VI.  Das  Lied  von  der  Erschaftung  der  Erde  und  des  Himmels  .  255 


Pdpai  K.,  Unter  Wogulen  und  Ostjaken   65 

ProluUzka  Fr.,  Historische  Sagen  aus  dem  Barscher  Comitat. 

I.  Die  Kirche  von  St.  Benedek.  II.  Die  Katzenfähre    ....  103 

Ktthy  Lad.,  Die  Armenier  in  Ungarn   11 

—  —    Trajan-Decebal-Sagen  bei  den  Rumänen   58 

—  Colonien  der  Spanier  in  Ungarn   168 


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Srhicanfeldtr  A..  Deutsche  Be.-piechungsformeln  aus  Südungarn  .     .     .  97 

—  —    Deutsche  Volkspoesie  in  Ungarn  (Bresztovacz)   204 

StratiHz  Ad.,  Fremd  zu  Hause  (aus  Ungarn  ausgewanderte  Bulgaren)  .  21 
Szonyotl  Kr.,  Armenische  Volksmärchen  aus  Siebenbürgen. 

Mutter.  Sohn  und  Drache   21S 

Veivss  Audi:,  Die  Baba-DokiaSage  und  die  mit  ihr  zusammenhangenden 

Volksgebräuche  in  Rumänien   ">6 

Vikar  B.,  Ueber  meine  Studienreise  in  Finnland   Hl 

Weber  S.,  Die  Kleidung  der  Zipser  Sachsen   105 

Wlislocki  H..  Wesen  und  Wirkungskreis  der  Zauberfrauen  l»t:i  den 

siebenbürgischen  Zigeunei'n   33 

—  —    Wanderzeichen  der  Zigeuner   133 

—  —    Siebenbürgische  Kinderspiele  (sächsische)   213 

Magyarische  Volkspoesien  (übersetzt  von  Handmann,  Herrmann,  Katona. 

Weiss-Schrattenthal,  Wlislocki)  88,  !>8,  185,  263 

Volkslied,  bulgarisches  (übersetzt  von  A.  H.)   PK) 

—  —    italienisches,  fiumaner  (übersetzt  von  A.  H.)   191 

—  —    deutsches,  aus  Siebenbürgen   18!» 

—  —    ruthenisches  (übersetzt  von  A.  H.)   191 

Volkslieder  der  Spaniolen  von  Reich-Neuhaus  (übersetzt  von  A.  H.)   .  192 

Aus  dem  Munde  der  Ofner  Schwaben  von  Josefine  Weisz-Fin&czy  1S-» 
Volksballaden,  deutsche  aus  Ungarn  (M.  Wigand,  E.  Pratscher) ...  1*4 

*  * 

BQchrrhe&prechunyrn. 

Paul  Sebillot,  Dovinettes  de  la  Häute-Bretagne  (Krau**)  17<» 

M. '  Haberlandt,  Der  altindische  Geist  (Krams)   177 

Ethnologische  Litteratur  Ungarns  (Wlislocki)   17"» 

Fr.  v.  Hellwald,  Ethnogr.  Rösselsprünge  (Wlislocki,   18t» 

Frd.  v.  Andrian,  Der  Höhenkultus  (  Wlislocki)   ISO 

Wlislocki,  Märchen  und  Sagen  der  Bukowinaer  und  Siebenbürger 

Armenier  (A.  H.)     181 

Wlislocki,  Volksglaube  und  rel.  Brauch  der  Zigeuner  (A.  H.)     .  181 

Wlislocki.  Die  Ungarn  und  Szekler  in  Siebenbürgen  (A.  Ii.)  .  I8i 

Hunfalvy-Album  (A.  II.)   181 

Strausz  Ad.,  Bolgar  uepköltesi  gyüjtemeny  (A.  H.)   182 

*  > 

Splitter  und  .>>'///.  104.  2»i4 


Zu  hemo  km:  Das  1.  Heft  dieses  Bandes  rührt  den  besondern  Titel  :  Anzeiger 
der  Gesellschaft  für  die  Völkerkunde  Ungarns. 


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I.  Jahrgang.         Budapest,  Januar  1891.  I.  Heft. 


ANZEIGER 

DER  GESELLSCHAFT  FÜR  DIE  VÖLKERKUNDE  UNGARNS. 

REDIEGIERT  VON 
ANTON  HERRMANN  LUDWIG  KATONA 

SecreUr  d.  Gesellschaft  f.  d.  Völkerkunde  Schriftführer  d.  Oeselisch,  f.  d.  Völkerkunde 

Ungarns.  Ungarns. 


Mitteilung  der  Redaction. 

Die  „Gesellschaft  für  die  Völkerkunde  Ungarns"  ist  aus  den  Be- 
wegungen hervorgegangen,  zu  denen  die  unmittelbare  Anregung  die 
im  Jahre  1887  gegründete  Zeitschrift  „Ethnologische  Mitteilungen  aus 
Ungarn"  gegeben  hat.  Die  statutenmiissige  Aufgabe  der  Gesellschatt  ist : 
das  Erforschen  der  jetzigen  und  einstigen  Völker  des  ungarischen  Staates 
und  des  historischen  Ungarns,  ferner  auf  Grund  gegenseitigen  Kennen- 
lernens die  Pflege  der  geschwisterlichen  Eintracht  und  des  Gefühles 
der  Zusammengehörigkeit  unter  den  im  Vaterlande  lebenden  Völkern. 

Die  Gesellschaft,  die  ihre  Tätigkeit  im  Herbst  1889  mit  etwa  oÖÖ 
Mitgliedern  begonnen,  hält  monatliche  Vortragssitzungen  und  gibt  als 
Amtsorgan  (gegen  den  Jahresbeitrag  von  3  fl.)  die  Monatschrift  „Eth~ 
nographia"  heraus.  (I.  Jahrg.  1890.  31  Bogen,  redigiert  von  Dr.  La- 
dislaus Rethy;  von  1891.  an  unter  der  Redaction  der  Gefertigten). 

Um  den  Inhalt  des  Amtsorgans  sowie  diejenigen  Verhandlungen 
der  Gesellschaft,  die  ein  allgemeineres  Interesse  beanspruchen  dürfen, 
den  Volks  forschem  auch  weiterer  Kreise  zugänglich  zu  machen,  haben 
wir  die  Herausgabe  dieses  Anzeigers  beschlossen.  Er  erscheint  mo- 
natlich (August  u.  September  ausgenommen)  wenigstens  einen  Bogen 
stark  und  wird  an  die  auswärtigen  Mitglieder  der  Gesellschaft  für  die 
Völkerkunde  Ungarns  gratis  abgegeben.  Son3t  kann  der  Anzeiger  nur 
als  regelmässiges  Beiblatt  der  gleichfalls  von  den  Gefertigten  redigierten 
Monatschrift  „Ethnologische  Mitteilungen  aus  Ungarn"  bezogen  werden. 

Die  beiden  Zeitschriften  (jährlich  wenigstens  30  Bogen)  kosten 
zusammen  4  fl ;  für  die  Mitglieder  der  Gesellschaft  für  die  Völkerkunde 
Ungarns  2  fl;  für  die  Mitglieder  jedes  andern  Vereines  für  Völker- 
kunde 3  fl. 

Alle  Sendungen  sind  an  Anton  Herrmann,  Budapest,  I.  Attilla- 
utcza  47  zu  richten. 

Budapest,  am  20.  Dezember  1890. 

Prof.  Dr.  Anton  Herrmann        Prof.  Dr.  Ludwig  Katona 

SecreUr  der  Gm.  f.  d.  Völkerkunde  Ungarns.       Schriftfahrer  d.  Ges.  f,  d.  Volkerkunde  Ungarns. 


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 BEGRÜSSUNQSSCHREIBEN  VON  CHARLES  O.  LEL AND. 

Aus  dem  Begrüssungsschreiben  an  die  Gesellschaft. 

Von  Charles  G.  Leland. 

i 

(Vorgelesen  in  der  Vortragssitzung  am  7.  Dezember  18  8'J.) 

Es  macht  mir  ein  ausserordentliches  Vergnügen,  dass  ich  —  wenn 
auch  nicht  persönlich,  so  doch  wenigstens  brieflich  —  die  Gründung 
der  Ungarischen  Folk-Lore-Gesellschaft  begrüssen  kann.  Dass  es  nötig, 
ja  sogar  eine  Pflicht  ist,  eine  solche  Gesellschaft  zu  gründen,  davon 
war  ich  schon  längst  aus  zwei  Ursachen  überzeugt.  Erstens  aus  dem 
Grunde,  weil  kein  Land  in  der  ganzen  Welt  so  reichen,  verschiedenen 
und  so  interessanten  StolF  für  den  Forscher  bietet,  als  eben  Ungarn. 
Im  westlichen  Europa  existiert  dieser  Stoff  meistens  nur  als  ein  trockener 
und  todter  Ueberrest  vergangener  Zeiten,  —  hier  in  Ungarn  aber  Übt 
er,  und  kann  vom  Forscher  frisch  und  lebendig  studiert  werden.  Dass 
Ungarn  sich  rühmen  kann  einen  der  besten  Roman-  und  Novellendichter 
der  Welt  —  nämlich  Jökai  —  zu  besitzen,  findet  seine  Begründung  schon 
darin,  dass  der  ethnologische  und  ethnographische  StofT  in  der  Ver- 
schiedenheit der  Racen,  in  seinen  wundervollsten  Nuancen  dem  Dich- 
ter hier  von  allen  Seiten  in  unzählbarer  Abwechselung  engegentritt. 
Wenn  dies  eben  nicht  der  Fall  wäre,  so  hätten  Sie.  meine  Herren, 
wohl  auf  anderen  Gebieten  grosse  Männer  aufzuweisen,  aber  grosse 
Dichter  vom  Range  eines  Petöfi,  Eötvös,  Arany  und  Jökai  wohl  schwerlich. 

Ein  zweiter  Grund  für  die  Gründung  dieser  Gesellschaft  ist  der, 
dass  Sie,  Meine  Herren,  in  den  von  Prof.  Dr.  Anton  Herrmann  redi- 
gierten „Ethnologischen  Mitteilungen11  ein  bahnbrechendes  Folk- Lore- 
Journal  besitzen,  das  —  wie  ich  dies  in  Englands  erstem  Journal  be- 
tont habe  —  das  beste  in  Europa  ist.  Obgleich  das  Unternehmen_noch 
jung  ist.  so  ist  sein  Wert  im  Ausland  doch  schon  anerkannt.  Auf  dem 
Gebiete  der  Archaeologie  und  Ethnologie  steht  Ungarn  keinem  Lande 
nach,  indem  es  Männer  wie  Pulszky.  Hunfalvy,  Vämb6ry,  Török 
und  manche  andere  aufweisen  kann  die  auch  in  dieser  Richtung  ih- 
rem Volke  zur  Ehre  gereichen.  Und  sehr  charakteristisch  und  eh- 
rend für  dies  Land  ist  auch  der  Umstand,  dass  es  in  der  Person  Sr. 
k.  u.  k.  Hoheit  des  Erzherzogs  Josef  nicht  nur  auf  socialem  und  politi- 
schem, sondern  auch  auf  strengwissenschaftlichem  Gebiete  einen  berühm- 
ten Vertreter  besitzt,  der  als  erster  Kenner  der  Zigeunersprache,  zu 
den  Forschern  ersten  Ranges  gehört.  Und  diesen  Titel  hat  er  nicht 
geerbt,  sondern  durch  Eigenfleiss  erworben. 

♦)  Etbnographia,  L,  I.  Heft.  S.  38—41. 

2 


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BEQBÜSSUNGSSCHREIBEN  VON  CHARLES  G.  LELAND. 


Mögen  Sie,  meine  Herren,  ja  nicht  denken,  dass  ich  etwa  als 
Praeses  der  englischen  Zigeuner-Gesellschaft,  der  Gypsy-Lore-Society, 
ein  solches  Studium  zu  hoch  anschlage.  Vergessen  Sie  ja  nicht,  dass 
wir  in  erster  Reihe  Folkloristen  sind  und  dass  für  uns  die  Entdeckung 
des  Zigeunertums  und  dessen  Erforschung  eine  wichtige  und  unerschöpf- 
liche Quelle  bildet.  Es  gibt  freilich  gelehrte  Philister,  die  uns  nur  mitlei- 
dig belächeln  und  die  Rohemiens  der  Wissenschaft,  eine  colluvies  gen- 
tium nennen;  aber  wir  müssen  bedenken,  dass  Folk-Lore  als  Wissen- 
schalt noch  eine  gar  junge  Erscheinung  ist,  und  dass  es  noch  genug 
Krämer  auf  dem  Markte  der  Wissenschaft  gibt,  die  noch  nicht  wissen, 
was  für  ein  Artikel  Folk-Lore  ist.  Die  Folkloristik  ist  die  allerletzte,  aller- 
tiefste  und  schönste  Entwicklung  der  Geschichte.  In  meiner  Jugend  lernte 
man.  die  Geschichte  nur  in  monochromischen  Skizzen,  aber  heute  ist  man 
schon  bestrebt,  nicht  nur  grosse  Männer,  sondern  Ideen  und  bewegende 
Factoren  in  den  Vordergrund  der  Geschichte  zu  rücken.  Und  hiebei  ist 
eben  der  Folk-Lore  berufen  mitzuhelfen. 

Jacta  est  alea.  Wir  haben  den  Anfang  gemacht;  jetzt  heisst  es 
nur  vorwärts  zu  streben.  Sie  können,  meine  Herren,  die  schönsten 
Hoffnungen  aus  den  vielen,  sich  Ihnen  darbietenden  Vorteilen  schöpfen. 
Sie  haben  einen  reichen  Vorrat  an  Stoffen,  ein  vortreffliches  Journal, 
viele  grosse  und  strebsame  Gelehrte,  während  Ihre  Völkerschaften 
berufen  sind,  das  schönste  ethnologische  Museum  der  Welt  zu  bilden, 
wobei  Sie  Alle  vom  edelsten  Nationalgefühl  begeistert  sind,  dem  grosse 
Erfolge  nie  abgehen  können.  Und  wenn  die  Gesellschaft  ihre  Pflicht 
erfüllt,  so  hat  sie  in  grossem  Masse  Ungarns  Cultur  und  die  Kräfti- 
gung seines  Staatslebens  gefördert. 


Kosmogonische  Spuren  in  der  magyarischen  Volksüberlie- 
ferung. 

Von  Ludwig  Kdlmdny. 
I.  Die  Schöpfung. 
(Vorgelesen  in  der  Vortrags-Sitzung  am  11.  Januar  1890.) 

Zweifelsohne  spielte  der  Teufel  (magyarisch :  ördög)  auch  in  den 
magyarischen  Sagen  ursprünglich  eine  demiurgische  Rolle,  die  erst  un- 
ter dem  Einflüsse  des  Christentums  in  eine  diabolische  übergieng.  Schon 

3  r 


LUDWIG  KALMANY. 


Erman  und  Reguly  ')  wiesen  auf  den  Örtik  der  sprach  verwandten 
Ostjaken  hin,  der  als  ein  dem  Hauplgotte  befreundetes,  helfendes  Wesen, 
als  Demiurg  also,  dargestellt  wird.  Wir  können  uns  im  Folgenden  gar 
leicht  davon  überzeugen,  dass  der  örtik  der  Ostjaken  nicht  nur  dem 
Laute  nach,  sondern  auch  betreu"  seiner  demiurgischen  Rolle  dem  ma- 
gyarischen Ordög,  dem  türkisch-tatarischen  Ärtik  oder  Ärlik  und  dem 
mongolischen  Erlüng,  Erlik-Kahn  entspricht. 

Als  der  wogulische  Demiurg  Elm-pi  die  Welt  aus  dem  Wasser 
emporsteigen  Hess,  begann  dieselbe  sich  auf  demselben  rasch  im  Kreise 
herumzudrehen.  Damit  nun  die  Erde  für  die  Menschen  bewohnbar 
werde,  so  wurde  sie  von  Elm-pi  mit  einem  Gebirge,  dem  Ural  befe- 
stigt. So  erzählt  die  wogulische  Sage,  der  wir  die  folgende  magyarische 
(aus  Sägüjfalu)  entgegenhalten :  „Wo  sich  die  Schleuse  von  Endrefalva 
befindet,  dort  wollte  der  Teufel  die  Welt  absperren.  Es  gelang  ihm  auch 
zum  guten  Teile,  aber  den  Knauf  anzubringen,  hatte  er  keine  Zeit 
mehr,  denn  es  erscholl  der  Hahnenruf  und  die  Schleuse  versank. 
Zur  Ergänzung  erzählte  der  Palovze  von  Sägüjfalu,  dass  die  Schleuse 
von  Endrefalva  quer  durch  die  ganze  Welt  gezogen  ist,  das  kam  aber 
so:  Gott  sprach  einmal  zum  Teufel:  Er  soll  auch  sein  Reich  haben, 
wenn  er's  von  Morgen  bis  Abend  abzusperren  im  Stande  ist,  dahin 
wird  die  Sonne  nicht  scheinen.  Der  Teufel  aber  konnte  den  fabschlies- 
senden)  Knauf  nicht  aufsetzen,  der  Hahn  krähte,  die  Schleuse  versank, 
der  ganzen  Länge  nach  ist  noch  ihre  Spur  sichtbar." 

In  dieser  magyarischen  Sage  ist  der  Ausdruck  tögdt  (Schleuse, 
Schliesse,  Verschluss)  von  besonderer  Bedeutung,  nachdem  dies  Wort 
in  den  magyarischen  Chroniken  in  der  Form  Togata  vorkommt  und 
der  Name  eines  Flusses  ist,  an  dessen  Ufern  —  den  Chroniken  ge- 
mäss —  sich  die  Urheimat  der  Magyaren  befunden  haben  soll.  Nicht 
nur  dem  Laute  nach,  sondern  auch  seiner  Bedeutung  nach  entspricht 
es  dem  vogulischen  tagat,  taget  und  dem  ostjakischen  tangat  (stecken, 
stecken  bleiben  a).  Mit  diesem  Ausdrucke  der  Palovzen,  nicht  weniger 
mit  der  vogulisch-ostjakischen  verwandten  Bedeutung  desselben,  stimmt 
überein  die  Erklärung  Simon  Kizaih  (circa  1 282)  und  die  der  Wiener 
Chronik,  des  sogenannten  „Codex  pictus"  (circa  1 358),  der  gemäss  die 
Togota  oder  Togata  „in  unbewohnten  morastigen  Gegenden  und  zwi- 

»)  8.  Castrin%  Vorlesungen  über  die  finnische  Mythologie  S.  216  und  Ipolyir 
Magyar  Mythologia  (magyar.  Mythologie)  S.  40. 

»)  Hunfalvy,  Magyarorszag  ethnographiaja  (Ethnographie  Ungarns)  S.  2B5 

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KOSMOGONISCHBN  SPÜREN  IN  DER  MAGYARISCHEN  VOLKSÜBERLIEKERUNG. 


sehen  schneebedeckten  Bergen  fliesst" ;  *)  ein  Fluss,  der  durch  solche 
tiegenden  fliesst,  verdient  in  der  Tat  den  Namen  eines  abschliessenden, 
stecken  bleibenden  oder  eines  tögata.  Um  diese  magyarische  Sage  in 
ihrer  ursprünglichen  Gestalt  kennen  zu  lernen,  müssen  wir  all  das 
von  ihr  abschälen,  womit  sie  fremde  Religion  bekleidet  hat.  Die  ge- 
meinschaftliche Grundlage  der  wogulischen  und  auch  der  magyarischen 
Sage  ist  die  Welterschaffung.  Elm-pi  erreicht  sein  Ziel,  der  Teufel  nicht. 
Dass  der  Teufel  grade  dann  fallen  musste,  als  er  das  Ziel  beinahe 
schon  erreicht  hatte,  dass  er  sein  Reich  desshalb  mit  Bergen  umgab, 
damit  die  Sonne  nicht  hineinscheine,  dass  er  heute  als  ein  Feind  Got- 
tes erscheint,  das  sind  alles  Züge,  die  im  christlichen  Diabolus  sich 
vorfinden;  aber  das,  dass  sich  der  Teufel  eine  Welt  erschafft,  und  zwar 
nicht  in  der  Unterwelt,  sondern  hier  auf  der  Erde,  dass  er  gleich 
Elm-pi  eine  Gebirgsspitze  besitzt,  dass  endlich  die  Schleuse  (tögdt) 
versinkt,  gleich  dem  Berge  Elm-pi's,  das  sind  Züge,  die  wir  im  Chris- 
tentum nicht,  wohl  aber  in  der  wogulischen  Sage  autreden. 

Nach  der  Erschaffung  der  Erde  verfertigt  Elm-pi  auf  Numi 
Tarom's  Rat  aus  Schnee  einen  Menschen,  der  jedoch  in  Stücke  lällt.  a) 
Ebenso  erfolglos  ist  dies  Beginnen  für  den  magyarischen  Demiurgen, 
den  Örd$g.  Die  Sage  erzählt:  „Als  Gott  den  Menschen  erschaffen 
halte,  sagte  der  Teufel,  dass  er  sich  auch  einen  erschaffen  wolle. 
Gott  sprach:  ,Also  erschaffe  ihn!'  Der  Teufel  formte  auch  einen  Men- 
schen, und  Gott  sagte:  .Mach1  ihn  also  gehen!'  —  ,Das  kann  ich  nicht', 
versetzte  der  Teufel.  Da  sprach  Gott:  ,Verleihe  ihm  eine  Seele.'  —  ,Das 
kann  ich  nicht  ohne  deine  Hilfe,4  versetzte  der  Teufel ;  Gott  aber 
meinte :  ,Das  thue  ich  nicht ;  dem  Teufel  gebe  ich  keine  Seele  /'  Und 
daher  kann  der  Teufel  nicht  mit  der  Seele  schalten."  (Majdän.)  Der 
Einfluss  des  Christentums  ist  gleich  am  Anfang  dieser  Sage  bemerk- 
bar, wo  Gott  den  Menschen  erschaffen,  während  nach  der  Sage  ver- 
wandter Völker  der  Demiurg  sich  damit  abplagt.  Dass  der  Teufel  keine 
Seele  habe,  drücken  die  magyarischen  Redensarten  aus:  „Szöghiy  az 
ördög,  mert  nincs  neki  lelke.u  (Arm  ist  der  Teufel,  denn  er  hat  keine 
Seele.  [Szeged.]  Wenn  er  also  keine  Seele  hat,  so  ist  er  Demiurg, 
denn  der  christliche  Diabolus  ist  ja  selbst  eine  „böse  Seele"  (rossz 
Ulek),  dem  die  Bösen  angehören,  daher  die  Redensart:  „Az  ördögnek 
adta  a  lelkdt*  (Er  gab  dem  Teufel  seine  Seele),  oder  „Annak  mär 

>>  Derselbe,  Ugor  vagy  török-tatar  eredetü-c  a  magyar  nemzet?  (Ist  das  ma- 
gyarische Volk  ugrischen  oder  ttlrkisch-tartariscben  Ursprungs).  S.  22. 
»)  Derselbe,  Reguly  hagyomänyai  (Rcguly's  Nachlass)  I.  126. 


LUDWIG  KALMANY 


az  ördögi  a  Ulke"  (Dessen  Seele  gehört  schon  dem  Teufel)  [Szegedj. 
Der  wogulische  Elm-pi  verzweifelt  nicht  über  die  Erlolglosigkeit  seiner 
Unternehmens,  sondern  bittet  Numi  Tarom  um  Hilfe,  der  ihm  rät,  er 
möge  Erde  mit  Schnee  mischen  und  daraus  einen  Menschen  formen. 
Hiezu  haben  wir  auch  ein  magyarisches  Bruchstück:  „Als  der  Teufel 
den  Menschen  geformt  hatte,  konnte  er  ihn  nicht  aufrichten ;  nachdem 
Gott  ihn  angehaucht  hatte,  sprach  er:  .Steh' auf,  Elias!*  Und  er  stand 
auf.*  (Täp6).  Eine,  wenn  auch  nicht  auf  die  Erschaffung,  so  doch  auf 
die  Vermehrung  der  Menschen  bezügliche  magyarische  Sage  erzählt: 
,Gott  segnete  das  erste  Menschenpaar,  damit  es  sich  vermehrte,  und 
Hess  dieserwegen  auf  das  Gesäss  des  impotenten  Adam  vom  Him- 
mel glühende  Kohlen  herabfallen.'  (Török-Kanissa).  Das  Feuer  ent- 
spricht hier  der  Seele.  (In  Magyur-Kanizsa  legt  der  Teufel  die  Koh- 
len auf.) 

Gehen  vir  weiter.  Der  wogulische  Elm-pi  formt  den  Menschen  und 
macht  ihn  auch  gehen,  in  der  magyarischen  Sage  stösst  Gott  dreimal 
an  die  Sohlen  Adams,  worauf  er  sich  rührte,  dann  aufrichtete  und  endlich 
gehen  konnte.  (Egyhazasker.)  Auf  gleiche  Weise  wird  der  vom  Teu- 
fel erschaffene  Elias  durch  Jesus  erweckt.  (Teraesköz-Lörinczfalva.) 
Auch  die  sibirisch-türkische  Sage  von  der  Teilnahme  des  Hundes  an 
der  Erschaffung  des  Menschen  finden  wir  im  Magyarischen  wieder. 
„Als  Gott  den  Adam  erschaffen  hatte,  nahm  er  ihm  ans  der  linken 
Seite  eine  Rippe  heraus,  und  legte  sie  auf  die  Erde.  Hierauf  entfernte 
sich  Gott,  um  Kot  zu  holen,  womit  er  das  Loch  in  Adams  Seite  zu- 
stopfen wollte.  Inzwischen  raubte  die  Hippe  der  Hund,  und  wollte  da- 
von laufen,  aber  (iott  schnitt  ihm  den  Schwanz  ab  und  formte  daraus 
die  Eva !  Und  so  ist  es  denn  auch :  Ob  du  ein  Geheimnis  an  die 
Zunge  der  Weiber  bindest,  oder  an  den  Schwanz  des  Hundes  —  es 
bleibt  sich  gleich!"  (Majdän.)  Hiebei  wird  freilich  weniger  auf  die  Er- 
schaffung, als  eben  auf  die  specielle  Erschaffung  des  Weibes  aus  einem 
Hundeschwanz  Bezug  genommen,  um  dadurch  die  Frauen  liicherlich 
zu  machen.  Es  wird  auch  erzählt,  dass  die  Frauen  desshalb  so  llöhig 
sind,  weil  sie  aus  einem  Hundeschwanz  erschaffen  worden  sind.  l) 
Auch  sagt  das  Sprichwort:  „Das  Weib  ist  unbeständig  wie  der  Hunde- 
schwanz. u  (Sägüjfalu.) 

In  einer  anderen  Variante  wird  erzählt,  Gott  habe  den  Hund 
beim  leblosen  Körper  als  Wächter  zurückgelassen,  während  er  selbst 

')  Ikirna  Fnl.  A  votjäkok  pogany  Tallaaaröl  (Ueber  die  heidnische  Religion 
der  Wotjaken)  S.  27. 

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K0SMOG0NI8CHE  SPÜREN  IN   DER   MAGYARISCHEN   VOLKSÜBERLIEFERUNO . 

um  Kot  gieng;  da  habe  der  Teufel  (hier  also  Diabolus)  eine  solche 
Külte  entstehen  lassen,  die  der  Hund  nicht  im  Stande  war,  zu  ertra- 
gen. Der  Teufel  habe  nun  dem  Hunde  einen  Pelz  angeboten,  wenn  er 
ihm  den  Körper  auf  einen  Augenblick  überlasse.  Der  Hund  nahm  den 
Pelz,  der  Teufel  aber  spie  den  Körper  an,  und  legte  dadurch  den  Grund 
zu  allen  menschlichen  Krankheiten. 

Auch  bei  der  Erschaffung  der  Tiere  spielt  der  Teufel  in  den 
magyarischen  Sagen  eine  Rolle.  In  zahlreichen  Varianten  wird  erzählt: 
„Als  Gott  die  Biene  erschaffen  hatte,  sprach  der  Teufel :  ,Auch  ich 
will  mir  ein  solches  Tierchen  erschaffen!'  —  ,Also  erschaffe  dir!4  ver- 
setzte Gott.  Der  Teufel  gieng  von  dannen  und  formte  sich  Bienen.  Als 
er  nun  Gott  rufen  wollte,  damit  er  sein  Werk  ansehe,  sprach  er  zu 
den  Bienen:  ,Hier  bleib' !'  iungar.  üt  Ugy),  Da  verwandelten  sich  alle 
von  ihm  erschaffenen  Bienen  in  Fliegen  (ungarisch  Ugy  —  die  Fliege) 
und  flogen  von  dannen."  (Csanäd-Apacza).  Als  ErschalTer  der  Fliege 
wird  auch  unter  gleichen  Umstünden  Set.  Petrus  erwähnt.  Nach  einer 
anderen  Sage  soll  Lucifer  statt  Bienen  blutsaugende  Bremsen  erschaf- 
fen haben.  (Egyhäzas-Ker.)  Nach  christlicher  Autfassung  zerstört  Gott 
die  Werke  des  Diabolus  und  lässt  ihn  nicht  zum  Ziel  gelangen.  Eine 
Sage  erzählt:  „Als  Gott  die  Welt  erschaffen  hatte,  kam  der  Teufel  zu 
ihm  und  sprach :  er  würde  auch  eine  erschaffen.  Fragte  ihn  der  Herr  : 
„Was  schaffst  du  Teufel?"  Sprach  dieser :  „Fliegen,  so  gross,  wie  ein 
Pferd;  wen  sie  stechen,  der  wird  sterben!"  —  „Nicht  also,"  versetzte 
Gott,  „ich  selbst  werde  auch  Fliegen  erschaffen,  aber  nur  so  gross, 
dass  sie  die  Schnitter  nicht  schlafen  lassen. "  (Szeged-Gajgonya).  Die 
Benennung  der  einzelnen  Tiere  soll  von  Adam,  oder  wie  andere  Sa- 
gen erzählen,  von  Noe  herrühren.  Als  Verbreiterin  der  Fliegen,  gilt 
Margaretha ;  daher  heisst  es  im  magyarischen  Volksglauben :  „  Vor  dem 
Margarethentage  ist  keine  Fliege  im  Hause  zu  finden ;  an  diesem  Tage 
aber  geht  Margaretha  herum  und  lässt  aus  ihrer  Schürze  in  jede  Küche 
eine  Schaar  Fliegen  hienein  schwärmen.  Deshalb  soll  man  an  diesem 
Tage  die  Türen  nicht  offen  halten.-  (Torontäl-Monostor.)  Eine  andere 
Sage  erzählt,  dass  eine  alte  Jungfrau  stets  über  Langweile  geklagt  habe; 
da  erschuf  Gott  ihr  zuliebe  die  Fliegen  und  Flöhe,  damit  sie  nun 
etwas  zu  tun  habe.  (Szeged-Madaräsztö).  Auch  die  Laus  soll  der  Teu- 
fel erschaffen  haben :  Gott  hatte  den  Floh  erschaffen,  der  Teufel  bat, 
auch  so  etwas  schaffen  zu  dürfen.  rNun  schaff,  wenn  du  kannst  !* 
sprach  Gott.  Der  Teufel  machte  sich  daran,  konnte  aber  nur  eine  Laus 
zustande  bringen.  Und  so  ist  es  auch  besser,  denn  wenn  die  Laus 

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LUDWIG  KALMAKY. 


auch  so  springen  könnte,  wie  der  Floh,  wärs  arg  gefehlt.  (Szeged- 
Kirälyhalom). 

Auch  als  Lehrer  der  Menschen  spielt  der  Teufel  eine  Rolle  in 
der  magyarischen  Volksüberlieferung.  Er  soll  die  Menschen  das  Rau- 
chen, Kartenspiel,  Saufen  gelehrt  haben.  Hier  also  tritt  er  wieder  als 
Diabolus  auf.  In  einer  Sage  aus  Majdän  lehrt  er  den  Gebrauch  der 
Schusswaffe  und  erscheint  als  Demiurg.  Auch  wird  erzählt,  der  Teufel 
habe  die  Menschen  das  Mahlen  gelehrt;  er  habe  die  erste  Mühle  ge- 
baut, doch  konnte  er  keinen  Beutler  verfertigen ;  diesen  habe  der  Zi- 
geuner gemacht.  (Majdan).  —  An  Stelle  des  Teufels  in  demiurgischer 
Rolle  hat  das  Christentum  in  einigen  magyarischen  Sagen  den  heil. 
Petrus  gesetzt,  der,  wie  wir  gesehen,  auch  die  Fliege  erschaffen  hat.  Kr 
soll  auch  die  Raizen  (ung.  rdcz)  erschaffen  haben.  Als  nämlich  Hott 
—  so  erzählt  die  Sage  —  mit  der  Zeit  alle  Völker  erschaffen  hatte  blieb 
noch  ein  ungeformter  Lehmhaufen  zurück,  aus  dem  ein  Slovak  hiilte 
geformt  werden  sollen.  I)a  bat  der  heilige  Petrus.  Gott  möge  ihm  er- 
lauben, dass  er  auch  ein  Volk  erschaffe.  Die  Bitte  wurde  ihm  gewährt 
und  er  begann  nun  den  Lehm  zu  formen  und  anzubohren,  wobei  der 
Bohrer  im  Lehm  den  Ton:  Rar.  Raf,  Rae!  hören  Hess.  „Also  soll  dies 
Volk  Raizen  heissen!"  rief  geärgert  der  heil.  Petrus,  und  seil  dieser 
Zeit  gibt  es  auch  Raizen  auf  der  Welt.  (Egyh&zas-Ker.)  —  Nach  ei- 
ner Variante  aus  Szöreg  geschah  dies  später.  Als  nämlich  Petrus  mit 
Christus  bei  Pressburg  an  der  Donau  wandelte,  fiel  ihm  auf.  dass  Gott 
allerlei  Völker  habe  auf  Erden,  nur  keine  Raizen.  Christus  erlaubte 
ihm  welche  zu  schaffen.  Er  bohrte  sich  einen  aus  einem  Deutschen, 
der  am  Donauufer  grade  seine  Notdurft  verrichtete.  Auch  die  zahlrei- 
chen Windungen  der  Theiss  werden  im  Volksglauben  dem  heil.  Petrus 
zugeschrieben.  Er  soll  nämlich  mit  einem  blinden  Pferd  die  Furche  für  das 
Theissbelt  gezogen  haben.  (Algyö)  Nach  einer  Variante  aus  Magyar- 
Kanizsa  soll  es  ein  Esel  gewesen  sein,  der  nach  Disteln  suchend,  den 
Pflug  hin  und  her  zerrte.  Die  Wirbel  in  der  Theiss  werden  Christus 
zugeschrieben.  Als  er  nämlich  mit  Petrus  die  Theiss  aufwärts  fuhr, 
hörte  dieser  die  Schiffer  wegen  der  Schwierigkeit  der  Fahrt  gar  oft 
fluchen.  Da  bat  er  Jesus,  er  möge  bewirken,  dass  der  Strom  auf  der 
einen  Seite  aufwärts,  auf  der  anderen  abwärts  fliesse,  damit  dadurch 
die  Fahrt  erleichtert  werde  und  die  Schiffer  nicht  so  viel  fluchen  soll- 
ten. Jesus  gewährte  seine  Bitte,  und  die  Folge  davon  war.  dass  nun 
die  Schiffer  bei  erleichterter  Fahrt  erst  recht  Zeit  hatten  zum  Flu- 
chen Da  bat  der  heil.  Petrus  abermals  Jesus,  er  möge  den  Strom 


KOSMOOONISCHE  SPUREN  IN    DEB   MAGYARISCHEN  VOLKSÜBERLIEFERUNO. 

wieder  so  fliessen  lassen,  wie  früher.  Auch  dieser  Bitte  willfahrte  Je- 
sus, doch  liess  er  im  Strome  Wirbel  zurück,  die  auch  heutigen  Tages 
„das  Wasser  des  heilig,  Petrus"  {Stent  Piter  vize)  heissen.  (Szeged). 
Nach  einer  Variante  aus  Magyar-Kanizsa  erscheint  Petrus  als  Fischer 
und  Fischer  treten  an  Stelle  der  Schiffer.  —  Aehnlich  erzählt  man 
sich  die  Erschaffung  der  Knoten  im  Holze.  l)  Der  heil.  Petrus,  mit 
Jesus  auf  Erden  wandelnd,  hörte  die  Zimmerleute  fluchen.  Da  sprach 
er :  „Siehe  da,  Herr,  diese  Leute  haben  eine  gar  leichte  Arbeit  und 
daher  auch  Zeit  zum  Fluchen!  Wie  könnte  man  dem  abhelfen,  damit 
sie  mehr  zu  tun  und  weniger  Zeit  zum  Fluchen  haben?"  Der  heil. 
Petrus  hatte  den  Mund  grade  voll  -Kautabak  und  Jesus  sprach  zu 
ihm:  „Speie  auf  diesen  Balken!  Gleich  werden  die  Zimmerleute  zu 
tun  haben!"  Petrus  spie  auf  das  Holz  und  aus  seinem  Speichel  sind 
die  Knoten  entstanden  Seither  fluchen  die  Zimmerleute  dem  heiligen 
Petrus. 

Es  gibt  magyarische  Volksüberlieferungen,  in  denen  Set.  Peter 
bei  der  Schöpfung  nur  gegenwärtig  ist,  ohne  daran  Teil  zu  nehmen; 
höchstens  fragt  er  nach  dem  Namen  des  Erschaffenen,  wie  z.  B.  in 
der  Sage  von  der  Erschaffung  des  Weizens: 

„Als  Ciott  die  Welt,  die  Pflanzen  und  auch  den  Weizen  erschaf- 
fen hatte,  kam  Set.  Petrus  heran  und  fragte:  „Was  ist  das  für  ein 
Gras,  das  den  andern  Gräsern  gleicht?"  Gott  antwortete:  „Es  soll 
Weizen  heissen."  Hiebei  segnete  er  den  Weizen;  dieser  abar  sprach: 
„Man  wird  mich  aber  aussäen."  —  „Vermehre  dich!"  erwiderte  Gott.  — 
„Ich  werde  Kälte  und  Hitze  ertragen  müssen!"  —  „Vermehre  dich!" 

—  „Ich  werde  in  die  Höhe  schiessen!"  —  „Vermehre  dich!"  —  „Die 
Sonne  wird  mich  versengen!"  —  „Vermehre  dich!"  —  „Meine  Körner 
werden  verdorren'"  —  „Vermehre  dich!"  —  „Man  wird  meine  Füsse 
abschneiden!"  —  „Vermehre  dich!"  —  „Man  wird  mich  binden  und 
auf  den  Wagen  werfen!"  —  „Vermehre  dich!4  —  „Man  wird  mich 
durch  Pferde  zertreten  lassen  und  in  Säcke  füllen!"  —  „Vermehre 
dich!"  —  „Man  wird  mich  in  der  Mühle  mahlen ! -  —  „Vermehre  dich!" 

—  „Man  wird  mich  sieben!"  —  „Vermehre  dich!*  —  „Man  wird 
mich  kneten!"  —  „Vermehre  dich!"  —  „Man  wird  mich  backen!"  — 
„Vermehre  dich!"  —  „Man  wird  mich  zweimal  backen!"  —  „Nimm 
ab!"  (Szöreg).  —  Zuweilen  will  Petrus,  der  Demiurgrolle  entkleidet 
nicht  erschaffen,  sondern  zerstören,  wie  in  der  folgende  Sage  vom 

')  S.  mein  Werk:  Szeyed  ntt*  (Szegedin's  Volk)  II.  141. 

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LUDWIG  KÄLMANY. 


Tabak:  Als  Petrus  mit  dem  lieben  Gott  auf  Erden  wandelte,  da  gab 
es  untern  den  andern  Kräutern  auch  schon  Tabak.  Als  sie  unter  Ta- 
bakpflanzen umhergiengen,  ward  der  Mantel  Petrus'  mit  dem  Samen 
ganz  belegt;  da  sprach  er  zu  Gott:  „Mein  Herr  und  Schöpfer!  Ver- 
tilge doch  den  Samen  dieses  Krautes!  mein  Gewand  ist  ganz  damit 
belegt!"  Gott  aber  versetzte:  „Lassen  wir  es  nur,  Petrus!  das  ixt  ein 
kostbares  Kraut,  davon  wird  ein  grosser  Teil  der  Welt  leben!14  So  ist 
dann  der  Tabak  geblieben.  (Temesköz-Lörinczfalva). 

Den  heiligen  Petrus  als  Demiurgen  stellt  uns  auch  die  magyari- 
sche Redensart  dar,  die  bei  grosser  Hitze  angewendet  wird:  „Nicht 
vergeblich  war  ein  strenger  Winte»;  der  heil.  Petrus  hat  viel  Holz 
fallen  lassen,  nun  kann  er  auch  tüchtig  einheizen.  (Torontäl-Csoka).  ') 
(Netn  hidba  volt  nagy  tü;  Szent  PÜer  sok  fdt  vdgatott,  ugyancsak  ra- 
katott  it  a  tüzre).  Hieraus  ist  ersichtlich,  dass  er  dem  Volksglauben 
gemäss  Sorge  für  die  Welt  trägt,  dieselbe  regiert  und  dass  die  Wit- 
terung von  ihm  abhängt.  Als  Demiurg  spielt  dieser  Heilige  auch  bei 
der  Erschaffung  der  Plejaden  (des  Sternbildes :  Gluckhenne)  in  der  ma- 
gyarischen Sage  eine  Rolle.  Es  heisst  nämlich :  Als  Christus  und  Set. 
Petrus  auf  Erden  wandelten,  erblickte  der  Heilige  eine  Henne  und 
fragte  Jesus:  „Was  ist  das?tt  —  „Eine  Henne,"  antwortete  der  Herr. 
„Sollen  wir  sie  nicht  mit  in  den  Himmel  nehmen?"  —  „Nimm  sie!u 
versetzte  Jesus.  Und  Petrus  nahm  die  Henne  mit  sich  in  den  Him- 
mel und  lieRs  sie  brüten.  Nun  sieht  man  sie  oft  am  Himmel  mit  ihren 
Küchlein  scharren  (Szöreg). 

Mit  der  Himmelfahrt  Christi  ist  in  einer  magyarischen  (palöcz) 
Sage  die  Entstehung  der  Berge  verbunden.  Es  wird  nämlich  erzählt: 
Als  Christus  sich  in  den  Himmel  erhob,  folgte  ihm  die  Erde  nach; 
als  er  aber  „Amen!"  sprach,  blieb  sie  zurück  und  so  entstanden  die 
Berge,  so  entstand  auch  der  Karancs-Gipfel,  auf  dem  die  Engel  dann 
eine  Kirche  erbauten.  (Sägüjfalu)  Kosmogonische  Spuren  und  zwar 
mohamedanische,  finden  wir  auch  im  magyarischen  Rätsel.  Als  Gott 
den  Adam  aus  Lehm  geformt  hatte,  lehnte  er  ihn  an  einen  Zaun, 
damit  er  an  der  Sonne  trockne;  wer  hat  aber  den  Zaun  gemacht? 
-  Der  Islam  lehrt,  dass  Gott  den  Menschen  aus  schwarzer  Erde  ge- 
formt und  diese  Form  vierzig  Jahre  lang  an  der  Sonne  habe  trock- 
nen lassen. 


')  Vgl.  hiezu  das  siebenbürgisch-säcusische  Kinderlieb,  das  die   Kinder,  den 
Schneemann  umtanzend,  zu  singen  pflegen. 

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K08MOO0NISCHE  SPUREN  IN  DER   MAGYARISCHEN  VOLKSÜBERLIEFERUNO. 


Es  scheint,  als  ob  durch  das  zweimalige  Formen  des  ersten  Men- 
schen der  Demiurg  im  Volksglauben  unsere  Zukunft  gleichsam  voraus- 
bestimmt habe,  und  uns  schon  damals  an  das  Leid,  an  den  Kampf  ums 
Dasein  habe  gewöhnen  wollen. 


Die  Armenier  in  Ungarn.  ') 

Von  Dr.  Ladislaus  Bithj. 

Unter  denjenigen  fremden  Volkerschaften,  die  in  Ungarn  eine 
neue  Heimat  fanden,  sind  in  erster  Reihe  die  Armenier  zu  erwähnen, 
die  —  obwohl  sie  die  alte  Benennung  ihres  Volkes  beibehalten  haben  — 
mit  der  magyarischen  Nation  so  sehr  verschmolzen  sind,  dass  sie  de- 
ren integrierenden  Teil  bilden,  und  von  jeher  an  Freud  und  Leid  der- 
selben Teil  nahmen.  Die  Armenier  sind  den  Magyaren  schon  in  ihrer 
an  der  Wolga  gelegenen  Urheimat  bekannt  gewesen,  da  man  in  den 
erwähnten  (legenden  armenische  Denkmäler  «onstatiert  hat,  und  es 
ist  höchst  wahrscheinlich,  dass  sie  die  Magyaren  auf  ihrem  Zuge  nach 
Mitteleuropa  als  Handwerker  und  Händler  begleitet  haben  mögen.  K6zai 
erwähnt  in  seiner  Chronik,  dass  unter  den  fremden  Familien  auch  ar- 
menische zu  finden  sind  und  in  der  Arpaden-Zeit  soll  ein  Teil  der 
Bevölkerung  von  Gran  armenisch  gewesen  sein  (Armenii  Strigonii.  Czi- 
nar  20).  In  späterer  Zeit  kommt  in  den  Chroniken  der  Name  „Arme- 
nier" (ungarisch:  Örm6ny)  auch  als  Familienname  häufig  vor.  So  hat 
z.  B.  im  Jahre  1415  zu  Ofen  ein  Bürger,  namens  Jakob  sein  Haus 
einem  gewissen  Martin,  einem  „Armenier"  (Armenus)  für  600  fl 
(nach  heutigen  Uelde  circa  10,800  fl.)  verkauft.  Im  Jahre  1432  finden 
wir  unter  den  Vorstehern  der  Stadt  Pest  einen  gewissen  Aegidius  Ör- 
meny  als  Geschworenen,  und  am  Hof  Mathias  Hunyady's  diente  ein 
Stefan  Ermeny  als  Burgkapitän.  l)  Armenier  als  Adelige  werden  in 
den  Listen  der  Adeligen  gar  oft  angeführt,  so  in  den  Archiven  des 
Karlsburger  Domkapitels  und  des  Kolosmonostorer  Convent's;  und 
auch  heutzutage  gibt  es  ungarische  Magnaten  armenischer  Abstam- 
mung, z.  B  die  Grafen  Kardesony i  de  Beodra. 

»)  Ethnogmphia  I.  4.  Ha.  S  197—202.  Ein  Kapitel  ans  des  Verfassers  dem- 
nächst zu  erscheinendem,  grösseren  Werke:  Mayijar  Tdrmdnlom  (die  ungarische 
Gesellschaft). 

J)  F.  Solomon,  Budapest  törtenete  (^--  Geschichte  der  Stadt  Budapest). 

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DK.  LADISLAUS  KETHY 


Was  die  spätere  armenische  Einwanderung  im  Mittelalter  anbe- 
langt, so  lässt  sich  dieselbe  nur  annähernd  datieren.  Einem  aus  dem  Jahre 
1453  stammenden  Briefe  des  (iraner  Erzbischofs  Nicolaus  zufolge  be- 
stand zu  Talmescb,  in  der  Nähe  des  Rotenturm-Passes  (Siebenbürgen) 
ein  armenisches  Bistum,  als  dessen  Bischof  ein  gewisser  Martin  erwähnt 
wird :  Venerabiiis  in  Christo  Pater  frater  Martinus  praedicta  gratia 
Kpiscopus  Armenorum  de  Tulmachy  noster  sufTraganeus.  ')  Die  Tal- 
mescher  Armenier  wanderten  aus  der  Walachei  in  Siebenbürgen  ein 
und  zwar  aus  Arges,  wo  —  nach  dem  Berichte  des  rumänischen  Ge- 
schichtsforschers  Hasdeu  sich  eine  armenische  Niederlassung  belunden 
haben  soll.  Die  Armenier  in  den  siebenbürgischen  Städten:  Szamosuj- 
var,  Elisabethstadt  u.  s.  w.  sind  zur  Zeit  des  siebenbürgischen  Fürsten 
Michael  Apaffy  im  Jahre  1684  eingewandert. 

Auf  dem  Gebiete  des  Handels  sowohl,  als  auch  der  Politik,  Lit- 
teratur  und  Wissenschaft  haben  einzelne  ungarischen  Armenier  von 
jeher  eine  hervorragende  Stelle  eingenommen.  *)  Die  armenische  Spra- 
che wird  nur  von  der  älteren  Generation  als  Conversationssprache  ge- 
hraucht, in  den  Schulen  aber  nur  beim  Religionsunterricht. 


Baba  Dokia.  ') 

(Eine  volksmythologiscbe  Gestalt  der  Rumänen.) 
Von  Dr.  Athanasius  E.  Marienescu. 
—  Vorgelesen  in  der  Vortrags-Sitzung  am  15  Februar  18i»t>.  — 

I. 

Festtage. 

Der  1.  März  gr.  K.  ist  Tür  die  Frauen  der  rumänischen  Land- 
leute ein  Festtag,  den  sie  zu  Ehren  der  Baba  Dokia  einhalten.  An 

»)  Jos.  Cur.  Kdtr,  Exercitationes  Diplomaticae.  Fol.  Lat.  2242  im  Archiv  dos 
ungarischen  National -Museums. 

»)  Die  hervorragendsten  Vertreter  sind  namentlich  angeführt :  ,.  Ethnograph ia- 
I.  Hft.  4.  S.  199  ff.  Im  Anhang  zu  Dr.  Ladislaus  Rethy's  obigem  Aufsatz  teilt  Chri- 
stoph Szongott  ein  Ncujahrslied  der  siebenbürgischen  Armenier  im  Originaltext  und  in 
ungarischer  Uebersetzung  nebst  Melodie  mit  Dies  Lied  verfasste  1836  der  Szamos- 
ujTarer  Professor  Zacharias  Gäbrus,  der  unter  dem  Titel.-  „Zänazän  adanavor  kirkh" 
seine  gesammelten  Gedichte  im  Manuscript  bintcrliess. 

»)  Ethnographia,  I.  3.  Hft.  S  137—144. 


12 


BABA  DOKIA. 


diesem  Tage  wird  keine  Arbeit  vorgenommen,  damit  Baha  Dokia  die 
Saaten  nicht  abfrieren  mache.  Die  12  folgenden  Tage  sind  aucli  der 
Baba  Ookia  geweiht  und  werden  „Babele*  oder  „Zilele  babelor*  d.  h. 
„Alte  Frauen"  oder  „Tage  der  alten  Frauen*  genannt.  Die  Witterung 
dieser  Tage  ist  sehr  wechselvoll ;  bald  schneit  es,  bald  regnet  es,  bald 
scheint  die  Sonne;  und  manchmal  zieht  sich  dies  wechselvolle  Wetter 
bis  in  den  April  hinein,  und  diese  auf  die  12  ersten  Märztage  folgende 
Zeit  heisst:  „imprumutnri"  oder  „zilele  imprumutate11  d.  h.  „das  Aus- 
leihen" oder  „die  ausgeliehenen  Tage." 


Der  Kaba  VoMa-Mytko». 

Baba  Dokia  hatte  einen  Sohn,  namens  Nikodim,  der  sich  ver- 
ehelichte :  aber  Baba  Dokia  lebte  mit  ihrer  Schwiegertochter  auf  so 
schlechtem  Fusse,  dass  ihr  Sohn  seine  Frau  vor  seiner  Mutter  kaum 
genug  schützen  konnte.  Einmal  gab  Baba  Dokia  ihrer  Schwiegertoch- 
ter schwarze  Wolle  und  schickte  sie  an  den  Bach,  damit  sie  dort  die- 
selbe so  lange  wasche,  bis  sie  weiss  werde.  Die  Schwiegertochter  gieng 
an  den  Bach  und  wusch  die  schwarze  Wolle  so  lange,  bis  die  Haut 
sich  von  ihren  Fingern  ablöste  und  ihr  Blut  das  Wasser  des  Baches 
ganz  rot  färbte ;  aber  die  Wolle  blieb  noch  immer  schwarz,  und  da 
begann  die  Schwigertochter  bitterlich  zu  weinen.  Christus  sah  dies, 
verwandelte  sich  in  einen  Menschen  und  kam  mit  Set.  Peter  an  den 
Bach  und  fragte  die  Schwiegertochter:  „Warum  weinst  du?"  Hierauf 
erzählte  ihm  die  Schwiegertochter  die  Umtriebe  ihrer  Schwiegermutter. 
Christus  tröstete  sie  und  eiferte  sie  an,  die  schwarze  Wolle  zu  wa- 
schen; hierauf  band  er  aus  Schneelilien  einen  Strauss,  den  er  ihr 
gab,  indem  er  sie  aufforderte,  bei  ihrer  Heimkehr  von  diesen  Blumen 
auch  ihrer  Schwiegermutter  zu  geben,  —  und  hierauf  entfernte  sich 
Christus  mit  St.  Feter 

Die  Schwiegertochter  steckte  die  Blumen  in  ihr  Haar  und  wusch 
die  schwarze  Wolle  bis  Sonnenuntergang ;  dann  gieng  sie  nach  Hause, 
wo  sie  zu  ihrer  grössten  Freude  bemerkte,  dass  die  Wolle  ganz  weiss 
geworden  sei.  Als  aber  Baba  Dokia  die  weisse  Wolle  sah,  zürnte  sie 
gar  sehr,  weil  sie  nun  ihre  Schwiegertochter  nicht  sekieren  konnte ; 
—  als  sie  nun  gar  die  Blumen  im  Haare  ihrer  Schwiegertochter  er- 
blickte, da  verdächtigte  sie  dieselbe,  indem  sie  ihr  vorwarf,  dass  sie 
die  Blumen  von  ihrem  Buhlen  erhalten  habe.  Die  Schwiegertochter 

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DR.  ATHANASIUS  E.  MAR1ENESCU. 


erklärte  ihr  nun,  dass  ihr  die  Blumen  „Martzisoy  gegeben  habe  und 
überreichte  auch  einige  derselben,  worauf  diese  den  Martzitor  zu  höh- 
nen begann. 

Baba  Dokia  glaubte,  als  sie  die  Blumen  sah,  dass  es  schon  Früh- 
ling sei  und  dachte  daran,  mit  ihren  Schafen  und  Ziegen  hinauf  ins 
Gebirge  auf  die  Weide  zu  ziehen,  wesshalb  sie  ihrem  Sohne  aultrug, 
die  Tonnen  und  Milchgefusse  herzustellen.  Sie  sprach  :  „Gehen  wir 
auf  den  Berg,  denn  die  Weide  grünt  schon.  —  nimm  deine  Flöte  mit ; 
du  wirst  auf  der  Flöte  spielen,  ich  aber  werde  tanzen."  Der  Sohn  er- 
.  klärte  ihr  vergeblich,  dass  ja  der  Februar  kaum  vergangen,  dass  noch 
der  „Martzisor"  zurück  sei  und  sie  solle  sich  nicht  so  beeilen;  aber 
Baba  Dokia  höhnte  abermals  den  „Martzisor4  und  zog  12  Ledermän- 
tel an,  und  machte  sich  mit  ihrem  Sohne  und  ihrer  Herde  aut  den 
Weg.  Bei  ibrem  Aufbruch  strahlte  die  Sonne,  als  sie  aber  oben  auf 
dem  Berge  waren,  regnete  und  schneite  es  und  kalt  blies  der  Wind. 
Baba  Dokia's  oberster  Ledermantel  wurde  nass  und  überzog  sich  mit 
Eis,  und  da  er  ihr  nun  lästig  war,  so  warf  sie  ihn  weg  und  schritt 
weiter  den  Berg  hinan,  um  für  ihre  Schafe  und  Ziegen  einen  Weide- 
platz zu  suchen ;  —  aber  das  Wetter  blieb  veränderlich,  so  dass  Baba 
Dokia  jeden  Tag  einen  Ledermantel  wegwarf,  und  nach  12  Tagen 
keinen  mehr  hatte.  Die  Kälte  Hess  indessen  nicht  nach  und  dauerte 
auch  in  den  „geliehenen14  Tagen  fort.  Baba  Dokia's  Sohn  erstarrte  auf 
dem  Berge  und  von  seinem  Munde  und  Barte  hieng  ein  Eiszapfen  he- 
rab, den  seine  Mutter  für  die  Flöte  hielt  und  also  zu  ihm  sprach: 
„Ich  kann  die  Kälte  kaum  ertragen  und  du  bläsest  noch  immer  die 
Flöte!"  Der  Sohn  schwieg,  —  es  blies  nur  der  Wind.  Da  erschien 
Martzi.sor  und  fragte  höhnisch  die  alte  Frau:  .Nun,  wie  gefällt  dir 
der  Frühling,  und  warum  tanzest  du  denn  nicht  beim  Flötenspiel  deines 
Sohnes?  Nichtwahr,  deine  Schwiegertochter  fror  nicht,  als  du  sie  den 
ganzen  Tag  über  die  schwarze  Wolle  weiss  waschen  liesest?"  Hierauf 
verschwand  Martzi.sor.  Baba  Dokia  und  ihr  Sohn,  so  wie  auch  ihre 
ganze  Herde  erfroren  und  wurden  dann  zu  Stein.  In  Steine  verwan- 
delt kann  man  sie  auch  noch  heute  auf  dem  Semenik-Berge  sehen. 
Den  Füssen  Baba  Dokia's  entsprang  eine  Quelle,  die  auch  heute  noch 
fliesst.  Martzi.sor  brachte  die  Baba  Dokia  um,  weil  sie  ihn  gehöhnt 
hatte,  doch  dies  hätte  sie  nicht  getan,  wenn  die  „geliehenen  Tage" 
nicht  gewesen  wären  *) 

*)  Varianten  dieses  Mythos  erhielt  ich  von  den  Lehrern:  E1U  Jana  in  Ka- 
kasdia,  Costa  Ungurian  in  Szaszkabanya.  Joh.  Orza  in  Uoman  Ciklova,  Jak.  Ocean 

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HAHA  D0K1A. 


III. 

Erläuterungen  und  Vergleiche  mit  der  romischen  Mythologie. 

Den  Namen  Dokia  brachte  man  mit  dem  Namen  Daria  in  Ver- 
bindung, aber  unrichtig;  denn  Dokia  ist  die  verkürzte  Form  des  Na- 
mens Eudokia,  die  als  Heilige  in  der  gr.  or.  Kirche  am  1.  März  ge- 
feiert wird.  Die  Frauen  der  rumänischen  Landleute  feiern  die  Baba 
Dokia  auch  am  1.  März,  damit  sie  den  Saaten  nicht  schade.  Also 
repräsentiert  Baba  Dokia  die  Kälte  und  hat  Einfluss  auf  das  Frühlings- 
wetter, wesshalb  sie  in  die  Reihe  der  Dämonen  oder  Göttinnen  der 
Kälte  und  des  Ackerbaues  zu  reihen  ist.  Ihr  alter  mythologischer  Name 
ist  durch  einen  christlichen  Namen  einer  Heiligen  ersetzt  worden.  Die 
auf  alte  heidnische  Götter  bezüglichen  Mythen  und  heidnische  Festge- 
bräuche werden  auch  heute  gewöhnlich  zu  der  Zeit  begangen,  in  wel- 
cher sie  auch  im  heidnischen  Altertum  gefeiert  werden;  aber  durch 
den  Einfluss  der  christlichen  Religion  wird  die  dem  alten  Feiertage 
entsprechende  Zeit  gar  oft  mit  dem  in  dieselbe  Zeit  fallenden  Tage 
und  Namen  eines  christlichen  Heiligen  in  Verbindung  gebracht;  res- 
pective  wird  der  christliche  Heilige  zu  einer  heidnischen,  mythologi- 
schen Gestalt,  wie  in  gegenwärtigem  Falle,  wo  aus  der  heil  Eudokia 
die  Göttin  Dokia  entstanden  ist.  Beim  rumänischen  Volke  ist  dies  kein 
einzeln  dastehender  Fall. 

Untersuchen  wir  nun  die  heidnischen  Elemente  im  Dokia-Mythus 
und  vergleichen  wir  dieselben  mit  der  römischen  Mythologie:  vor  al- 
lem betrachten  wir  den  Martziior.  Baba  Dokias  Schwiegertochter  sagte, 
dass  sie  die  Blumen  vom  Martsisor  erhalten  habe,  worauf  Dokia  ihn 
verhönt;  Martzisor  erscheint  der  Baba  Dokia  und  verhöhnt  sie  auch. 
Hieraus  ergibt  sich,  dass  beide  Wesen  einander  feindlich  gesinnt  sind. 
Den  Monat  März  nennt  das  rumänische  Volk  Marth,  oder  auch  Uar- 
tetsor,  in  welch  letzterem  Worte  Joru  eine  Deminutiv-Endung  ist ;  da- 
her Martzisor  „ kleinen  März,"  „ Märzchen"  bedeutet.  Demzufolge  reprä- 
sentiert MartziSor  den  jungen  März,  den  Gott  Mars  und  den  Monat  März. 

Mars  war  der  älteste  italische  und  römische  Nationalgott,  der 
Gott  des  Frühlings  und  der  schaffenden  Kraft  der  Natur,  weshalb  auch 
sein  Fest  am  1.  März  gefeiert  wurde.  Wen  aber  repräsentiert  Baba 
Dokia's  Schwiegertochter.  Der  Mythos  kennt  ihren  Namen  zwar  nicht, 

in  Petrilora,  ferner  vom  Pfarrer  Georg  Pokrean  in  Resicza,  dem  Gefangenhausauf- 
geher G.  Prugac  in  Oraviczabanya  und  dem  Theologen  N.  Apostolescu.  Vgl.  Schott, 
Walachische  Märchen  S.  113. 

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DR.  ATHANASIUS  E.  MARIEXESCU. 


aber  die  Blumen  von  Christus  erhält  und  von  ihrer  Schwiegermutter 
eines  Liebesverhältnisses  verdächtigt  wird,  steht  nicht  mit  Christus, 
sondern  mit  Martzisor  in  einem  Verhältnis.  Die  römischen  Mamuralien- 
Feste  werden  im  Monate  März  begangen,  wobei  von  den  Jungfrauen 
eben  auch  Anna  Perenna,  die  mit  dem  jungen  Mars  ein  Liebesver- 
hältnis hatte,  gefeiert  wurde  (S.  Preller,  Köm.  Mythologie  S.  316). 
Ovid  (Fast.  Lib.  III.  523)  erzählt  nun,  dass  das  Fest  der  Anna  Pe- 
renna an  den  Iden  des  Märzes  in  dem  an  der  Tiber  gelegenen  Haine 
der  Göttin  begangen  wurde;  in  Lavini  um  wurde  dies  Fest  am  Xumi- 
cius-Flusse  abgehalten  und  auch  im  Monat  März,  wenn  eben  die  Quel- 
len zu  fliessen  beginnen.  *)  Preller  (S.  306)  leitet  den  Namen  Anna 
aus  dem  griechischen  ene  (alt)  und  nea  (neu)  ab,  was  den  neuen  und 
alten  Mond  bedeuten  soll,  gibt  aber  zu,  dass  er  auch  von  Anna^am- 
nis  perennis  d.  i.  „ewig  fliessend"  herrühren  könne.  Ich  schliesse 
mich  letzterer  Erklärung  an,  doch  leite  ich  den  Namen  Anna  vom 
keltischen  an  oder  ean  =  Wasser,  Fluss  ab.  Anio  und  Anien  (en  ist 
die  keltische  Deminutiv-Endung)  war  der  Name  eines  Baches,  der  in 
die  Tiber  mündete.  Also  bedeutet  Anna  Wasser,  Fluss;  in  Perenna 
ist  enna  ebenfalls  Anna,  das  per  entstammt  dem  bar,  was  „Bergtf 
bedeutet,  demgemäss  der  Name  vordoppelt  worden  ist.  **)  Anna  Per- 
enna ist  also  die  Repräsentantin  des  Wassers,  der  Quelle  und  als 
solche  die  Geliebte  des  die  schaffende  Kraft  der  Natur  darstellenden 
,Mars.'  Im  Baba  Dokia-Mythus  gibt  Christus  die  Blumen  der  Schwie- 
gertochter, die  aber  Baba  Dokia  erzählt,  dass  sie  dieselben  vom  Mar- 
tzisor erhalten  habe;  somit  vertritt  hier  Christus  den  Martzisor.  Bei 
Schott  (Walachische  Märchen  S.  117)  erscheint  vor  der  Baba  Dokia 
statt  dem  Martzisor  der  „Frühling"  (Prima  vara);  woraus  eben  er- 
sichtlich ist,  dass  Martzisor,  Christus  und  der  Frühling  ein  und  die- 
selbe Rolle  spielen. 

In  diesem  Mythos  spielt  Baba  Dokia  die  Hauptrolle.  Als  sie  die 
Blumen  erblickte,  dachte  sie,  es  sei  schon  Lenz  und  rüstet  sich  zur 
Abfahrt,  weshalb  sie  12  Ledermäntel  sich  umhängt.  Sie  musste  von 
dannen,  denn  sie  repräsentierte  das  alte  Jahr  und  den  Winter.  In  der 

*j  Ein  ähnliches  Fest  wurde  auch  in  Athen  abgehalten  (S.  PrelUr,  griech. 
Myth.  I.  S.  616). 

**>  Aus  dem  keltischen  an,  ean  leite  ich  auch  noch  die  folgenden  Flussna- 
men  ab:  Aenus  oder  Oenus  (heute;  Inn);  Anisus  (heute:  Ens).  Von  den  heute  ge- 
bräuchlichen Flussnamen  gehören  hieher:  Ain,  ein  Bach,  der  in  die  Rhone  mündet ; 
Abna  oder  Ane,  der  sich  in  die  Fulda  ergiesst. 

16 


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BABA  DOKIA. 


römischen  Mythologie  finden  wir  auch  eine  der  Baba  Dokia  ähnliche 
Gestalt.  Am  Tage  vor  dem  15.  März  wurden  in  Horn  die  Mamuralien, 
oder  das  Fest  des  Mamurius  Veturius  begangen.  An  diesem  Tage  wurde 
ein  in  Felle  gehüllter  Mann,  der  den  Mamurius  Veturius  darstellte, 
mit  weissen  Stöcken  aus  der  Stadt  hinaus  getrieben.  Dieser  Mamurius 
Veturius  ist  eben  der  „alle  Mars,*  das  alte  Jahr.  In  wie  viel  Felle 
diese  Gestalt  gehüllt  war,  erwähnen  die  lateinischen  Schriftsteller  nicht. 
Den  Mamurius  Veturius  hielt  man  aber  für  den  Schmied,  der  zu  dem 
vom  Himmel  gefallenen  Schild  (ancüia)  noch  11  gleiche  verfertigt  ha- 
ben soll;  also  für  denjenigen,  den  die  12  Salier,  die  bei  der  im  März 
abgehaltenen  Feierlichkeit  mit  12  ancilia  herumtanzenden  Marsprister 
in  ihren  Gesängen  erwähnten;  dass  aber  die  12  Salier  und  12  ancilia 
sich  auf  die  vom  König  Numa  eingesetzt en  12  Monate  des  Jahres  be- 
zogen, ist  bewiesen.  Hieraus  können  wir  folgern ;  dass  die  in  12  Le- 
dermäntel gehüllte,  alte  Dokia  dem  alten  Mamurius  entspricht;  dass  die 
12  Ledermäntel  den  12  ancilia  und  den  12  Monaten  des  alten  Jahres 
entsprechen. 

Der  Schauplatz  des  Mythos  ist  der  Berg  Senicnik,  im  Krassö- 
SzÖrenyer  Comitat;  nach  Schott  aber  ein  gegen  Almas  sich  hin- 
ziehender Berg,  während  die  Lehrer  Orza  und  Ocean  ihn  als  in 
der  Gegend  von  Karänsebes  befindlich  sagen.  Nach  der  Mitteilung  Ge- 
org Asaki's  (Culegeri  de  poesii,  Jäsi  1854  S.  212)  knüpft  sich  der 
Mythos  auch  an  den  Berg  Pion  in  der  Moldau ;  Dionisius  Miron  (Co- 
lumna  lui  Trajan  1880.  Nr.  4)  erwähnt,  dass  das  Steinbild  der  Dokia 
sich  auf  dem  Öehlen,  einem  dem  Pion  benachbarten  Berge  befinde. 
Baba  Dokia's  Sohn  repräsentiert  ungefähr  den  Wind,  was  sich  aus  Do- 
kia's Worten  ergibt:  „Ich  kann  die  Kälte  kaum  ertragen  und  du  bläsest 
noch  immer  die  Flöte!"  Sie  hielt  das  Sausen  des  Windes  für  Flöten- 
töne. Der  Sohn  gieng  mit  der  Mutter  auf  den  Berg;  der  Winter  nahm 
also  seinen  Sohn,  den  Wind  mit  sich.  Durch  das  viele  Waschen  schält 
sich  die  Haut  von  den  Händen  der  Schwiegertochter,  und  das  Blut 
färbt  das  Wasser;  das  Eis,  die  Haut  des  Baches  löst  sieh,  Anna  Pe- 
renna's  Blut,  d.  i.  das  Wasser  des  Baches  fliesst.  Die  schwarze  Wolle 
ist  das  Sinnbild  des  Winters,  der  Dunkelheit;  durchs  Waschen  wird 
sie  weiss,  sie  wird  zum  Sinnbild  des  Lichtes. 


DR.  SAMUEL  CZAMHEL. 


Zur  Kritik  der  Editionen  slovakisoher  Volksdichtungen. ») 

Von  Dr.  Samuel  Czambel. 
(Vorgelesen  in  der  Vortrags-Sitzung  11.  am  Januar  1890.) 
Es  ist  eine  bekannte  Sache,  dass  die  Stovaken  einen  grossen 
Reichium  an  Liedern,  Märchen  und  volkstümlichen  Erzählungen  besit- 
zen, die  für  den  Folkloristen  um  so  interessanter  sind,  weil  sie  sowol 
der  Form,  als  auch  dem  Inhalte  nach  wesentlich  von  der  Volksdich- 
tung der  übrigen  Slaven  abweichen.  Wol  dem  Einflüsse  ungarischer 
Volksdichtung  ist  es  zuzuschreiben,  dass  die  slovakische  Volkspoesie 
den  anderen  slavischen  gegenüber  eine  Sonderstellung  einnimmt,  wo- 
von man  sich  selbst  bei  flüchtiger  Vergleichung  gar  leicht  überzeugen 
kann.  Johann  Kolldr,  slovakischer  Pfarrer  zu  Budapest,  später  Pro- 
fessor an  der  Universität  zu  Wien,  war  der  erste,  der  aut  den  grossen 
Schatz  slovakischer  Volksdichtung  hinwies,  indem  er  in  zwei  dicken 
Bünden  unter  dem  Titel  „Ndrodnie  Zpieicanky*  (Ofen,  1835)  die  erste 
slovakische  Volksliedersammlung  herausgab,  die  allgemeine  Verwunde- 
rung in  den  gelehrten  Kreisen  hervorrief.  1866  gab  die  BKisfaludy- 
Gesellschaft"  eine  Auswal  aus  dieser  Sammlung  heraus,  die  das  beste 
und  nur  echt  volkstümliche  enthält;  denn  Kolldr  nahm  in  diese  seine 
„Sammlung"  auch  solche  Sachen  auf,  die  mit  der  slovakichen  Volks- 
dichtung gar  nichts  zu  schaffen  haben,  sondern  eigene  oder  fremde,  auf- 
fällig tendentiös  gehaltene  Verseleien  sind.  Vom  ethnographischen,  so- 
wol, als  auch  vom  philologischen  Standpunkt  sind  h'ollär'a  Sammlun- 
gen höchst  unzuverlässig.  Sein  ganzes  Leben  hindurch  schwärmte  er 
von  der  cecho-slovakischen  Spracheinheit  und  um  auch  durch  diese 
seine  „Sammlung"  die  durch  ihn  vertretene  Ansicht :  dass  nämlich  das 
Slovakische  nur  ein  Dialekt  der  böhmischen  Sprache  sei,  zu  erhärten, 
nvercechisierte"er  Sprache  und  Geist  der  von  ihm  mitgeteilten  Lieder. 
Er  erreichte  auch  sein  Ziel,  denn  auf  Grund  seiner  vielfach  angestaun- 
ten Sammlung  erklärten  die  namhaftesten  Slavislen  die  slovakische 
Sprache  für  einen  blossen  Dialekt  der  böhmischen,  welche  Ansicht  bis 
auf  den  heutigen  Tag  ihre  Vertreter  in  Fachkreisen  findet.  Viele  der 
von  Kollär  mitgeteilten  Lieder  sind  bloss  schwache  üebersetzungen 
magyarischer  Volkspoesien,  so  z.  B.  ist  auch  das  historische  Lied  der 
Magyaren:  ^Szildgyi  und  Hajtndsi*  in  einein  schwachen  Abklatsch 
unter  dem  Titel  „Mkhal  Siladi  a  Wtklaw  Jfaäma»i*  x)  (I  45— 52)  in 

')  Ethwyraphia  I.  3.  Hft.  8.  131-137. 

»)  N.  Herrmann'a  Beitrüge  zur  Vergleichung  der  Volkspoeaic  (im  I.  M.  der 
„Ethnol.  Mitteilungen  aus  Ungarn-  S.  04.) 

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ZUK  KRITIK  DEK  EDITIONEN  SLOVAKISCHEU  VOLKSDICHTUNGEN. 


Koll&r's  Sammlung  aufgenommen.  Interessant  ist  das:  „Die  Verherrli- 
chung der  Slovaken14  (Chwäla  Slowdku)  betitelte  Lied,  das  auch  als 
Volkslied  gelten  soll.  Ich  will  hier  nur  einen  Teil  desselben  in  genauer 
Uebersetzung  mitteilen : 

n  Unsere  slovakische  Nation  ist  uralt. 
Denn  schon  zu  Homer* 8  Zeiten  lebten  Slovaken. 
Homer  aber  lebte  zu  Moses*  Zeit, 
Also  viele  hundert  Jahre  vor  Jesu  Ankunft. 

An  Alter  übertrifft  also  das  slovakische  Volk 
Alle  lebenden  Nationen; 
Vor  den  Slovaken  blühten  wol  viele  Nationen, 
Aber  keine  hielt  sich  so  lange  aufrecht. 

Die  Slovaken  leben  in  Europa  in  grossen  Massen, 
Dreiviertel  davon  nehmen  sie  ein; 
Nur  im  vierten  Viertel  wohnen  andere, 
Zum  Beispiel:  Deutsche,  Franzosen,  Italiener! 

Was  sind  die  Mähren,  Cechen,  Ruthenen, 
Polen,  Kroaten?  Sie  sind  alle  Slovaken. 
(Wtecko  jsou  jsou  Slovdct!)a  usw. 

Wer  das  slovakische  Volk  kennt,  der  wird  jeden  bedauern,  der 
Kolldr's  Sammlung  als  Quelle  benützt.  Ein  Licht  auf  Kollär's  Denk- 
weise wirft  übrigens  auch  einer  seiner  Briefe  an  ^aj/'arik,  der  neulich 
in  der  böhmischen  Zeitschrift  „Maticza"  abgedruckt  worden  ist  und  in 
welchem  es  unter  anderm  heisst:  „Mein  Buch  ist  kein  Evangelium, 
und  das  will  ich  auch  nicht,  dass  alles  wahr  sei,  was  es  enthält." 

Die  in  neuerer  Zeit  herausgegebenen  slovakischen  Volkslieder- 
sammlungen sind  vom  ethnographischen  Standpunkt  schon  brauchbar, 
aber  der  Philologe  kann  auch  von  diesen  nur  mit  der  grössten  Vor- 
sicht nutzbringend  Gebrauch  machen.  Die  vom  Verein  „Slavia*  187!» 
in  Prag  herausgegebene  Sammlung  „Pisnt  slovenski*  leidet  auch  an 
dem  Fehler,  dass  sie  die  Aussprache  des  Volkes  mangelhaft  wieder- 
gibt. Es  wäre  sehr  zu  bedauern,  wenn  jemand  der  diesbezüglichen 
Erklärung  der  Herausgeber  Glauben  schenken  würde ,  dass  alle 
in  dieser  Sammlung  edierten  Lieder  der  Aussprache  nach  aufgezeichnet 
worden  sind,  so  wie  dieselben  in  dieser  oder  jener  Gegend  gesprochen 


19 


2* 


DK.  SAMUEL  CZAMItEL. 


werden;  und  dieserwegen  wurden  überall  die  Eigentümlichkeiten  der 
Dialekte  genau  hervorgehoben.  „(VSechny  pisnl  ve  sbirce  podani  psäny 
jsou  foneticky,  tak  jako  vijslovujl  se  v  iom  neb  onom  kraß ;  proto  pi  tsnh 
setieno  vsude  zvldstnosti  dialektick)ch.") 

Sehen  wir  einige  Beispiele.  In  den  Volksliedern  aus  dem  Zölyomer 
Comitat  kommen  daselbst  nie  gebrauchte  Worte  vor,  wie  svdzani,  do- 
vim  (im  81.  Lied)  statt:  zviazanie,  dovietn.  In  einem  Liede  (Nr.  271.) 
aus  derselben  Gegend  lesen  wir  die  daselbst  ungebräuchlichen  Wörter: 
milehOf  iniho  statt:  miUho,  iniho  (=  druh'ho!),  oder:  susedov,  z  voh- 
ladov,  po  polnoci,  hlavka  statt :  susedou,  z  vohladou,  po  pounoci,  hlduka 
usw. 

Ich  gehe  nun  auf  die  Sammlungen  slovakischer  Volksmärchen 
über.  Die  erste  derartige  Sammlung  erschien  im  Jahre  1845  zu  Leut- 
schau  unter  dem  Titel  „Slovenskje  Pove&ti,  usporjadau  a  vidau  Janko 
Ramavski.*  Der  Herausgeber  sieht  in  ihnen  „die  sonderbare  Erschei- 
nung des  ureigentümlichen  slavischen  Geistes"  und  nennt  sie  »die 
Vorboten  der  Zukunft  der  Slovaken." 

1858-1861  veröffentlichten  in  Schemnitz  A  H.  Skulttty  und 
P.  Dobsinsky  in  6  Bünden  eine  Sammlung  slovakischer  Volksmärchen. 
Beide  Sammlungen  sind  wertvoll,  indem  sich  die  Herausgeber  eben 
bemüht  haben,  alles  so  wiederzugeben,  wie  es  im  Munde  des  Volkes 
lebt.  Das  Gegenteil  davon  gilt  von  der  neuesten  Sammlung  slovakischer 
Volksmärchen,  die  DoHinsky  1880 — 1883  in  Turöcz-Szent-Märton  ver- 
ölTenl licht  hat.  Der  Herausgeber  hat  seine  Autgabe  ganz  und  gar  ver- 
kannt. Er  hat  nicht  nur  den  Inhalt  der  Märchen  „verschönert,"  son- 
dern auch  die  Sprache  derselben  „verfeinert",  ihr  eine  „originellere," 
slavische  Nuance  verliehen.  So  setzt  er  z.  B.  das  reflexive  Wörtchen 
„sau  nach  russischem  (nicht  aber  slovakischem)  Gebrauch  neben  das 
Verbum.  Eine  Phrase  wie:  „Boli  raz  traja  Synovia  u  jednoho  otcau 
klingt  ganz  russisch ;  der  Slovake  sagt :  „mal  razjcdon  otec  troch  synovu ; 
und  slavische  Wörter  wie:  ostrostrelei,  m'vy,  znam«,  kabonüa  (celo), 
rüno  (=vlna),  okriat,  hrud  (=prsrf),  krdVoviv,  krdlic,  küiabovic,  fcnaiiö, 
zdhybeV,  dvoränin  usw.  sind  dem  slovakischen  Volke  unbekannt, 
ebenso  die  Monat-Namen:  Sebeb,  Brezet\  usw.  (II.  40—49). 

Was  nun  den  Inhalt  dieser  Märchensammlung  anbelangt,  so  hat 
der  Herausgeber  z.  B  beim  Märchen  „Uubka  a  Kovavldd*  (II.  sosit), 
die  Myslification  bis  zum  Aeussersten  getrieben,  indem  er  eine  ganze 
slovakische  Mythologie  geschaffen.  Ein  deutsches  Märchen  erzählt  er 
slovakisch,  aber  so,  dass  er  die  im  Volke  lebenden,  aus  dem  Deut- 

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FREMD  ZI  HAUSE. 


sehen  herübergenommenen  Wörter,  wie:  permonik  =  Bergmann  durcli : 
L'udifc,  hastnnan  =  Wassermann  durch  :  Vodnik  usw.  ersetz».  Auch 
eine  ausführliche  Studie  über  die  slovakische  Märchendichtung  hat 
Paul  Dobsimk)-  unter  dem  Titel:  „Üvahy  o  slorenskych  pooest'ach* 
(Tur.  Sv.  Martin  1871)  verbrochen;  auch  hier  gönnt  er  seiner 
Phantasie  einen  weiten  Spielraum.  —  Nach  dem  Vorhergehenden  ist 
es  einleuchtend,  dass  von  den  Editionen  slovakischer  Volksdichtungen 
sowol  der  Ethnograph,  als  auch  der  Philologe  leider  nur  mit  der 
grössten  Vorsicht  nutzbringend  Gebrauch  machen  kann.  ') 


Fremd  zu  Hause. 2) 

—  Leber  die  aus  Ungarn  ausgewanderten  Bulgaren.  — 

(Vorgelesen  in  der  Vortrag-Sitzung  am  22.  Milrz  1890.) 

Von  Adolf  Strausz. 

Verhältnismässig  kennen  nur  wenige  die  ungarischen  Bulgaren, 
die  ein  ethnographisch  wichtiges  Inselchen  in  der  Umgebung  von  Te- 
mesvär  bilden.  Noch  wenigem  sind  die  bulgarischen  Ungarn  bekannt, 
die  man  in  der  Gegend  von  Sistova  antreffen  kann.  Nicht  in  grossen 
Massen,  wie  z.  B.  die  Serben,  sondern  nur  in  kleinen  Truppen  oder 
gar  nur  einzeln  wanderten  die  Bulgaren  bei  uns  ein.  So  ist  ihr  Haupt- 
sitz —  Vinga  —  1722,  1723  und  1724  bevölkert  worden.  Zwar  wan- 
derten um  diese  Zeit  gar  viele  Bulgaren  aus  dem  Tuna-Vilajet,  dem 
nördlichen  und  westlichen  Teile  des  heutigen  Bulgariens,  aus,  aber  die 
Hauptmasse  derselben  zog  in  die  Walachei.  Ich  habe  nicht  die  Ab- 
sicht, hier  eine  Geschichte  der  bulgarischen  Einwanderung  nach  Un- 
garn zu  geben  und  will  nur  die  Hauptorte  anführen,  wo  Bulgaren 
wohnen:  Vinga,  Bessenyö,  Lukacsfalva,  Mödos,  Lovin,  Bodrog,  Dvo- 
rin,  Ittvarnok,  Zmrzsova,  Teregova,  Baraczhaza,  Ivanova,  Rsdna  und 
in  den  sieben  kraäovaner  Dörfern.  Ihre  Gesammtzahl  beträgt  ungefähr 
20—25  Tausend.  Die  sieben  krasovaner  Dörfer  habe  ich  desshalb  be- 
sonders erwähn»,  weil  ihre  Bewohner  sich  von  ethnologischem  Stand- 
punkt betrachtet,  wesentlich  von  den  übrigen  Bulgaren  unterscheiden 

')  Vgl.  Ladisfuus  C.sojtet/s  Aufsatz:  „Sammlung  ruthenischer  Volkslieder'  (im 
I.  Bd.  der  „Ethnol.  Mitteilungen  aus  Ungarn"  S.  49),  wo  derselben  Klage  Ausdruck 
verliehen  wird. 

»)  tohnoprajthi«,  1   4.  Heft.  8.  187—193. 

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ADOLF  STKAUSZ. 


Während  jene  ihre  Nationalität  mehr  oder  weniger  rein  bewahrt  ha- 
ben, konnten  diese  dem  Einflüsse  der  benachbarten  fremden  Völker- 
schaften nicht  widerstehen.  Sie  wurden  zwar  nicht,  gleich  ihren  in 
Siebenbürgen  in  Alvincz  und  Deva  wohnenden  Landsleuten  zum  gröss- 
ten  Teil  rumänisiert,  aber  man  kann  sie  keinesfalls  mehr  für  rechte 
Bulgaren  halten.  Ich  will  an  dieser  Stelle  vielmehr  der  bulgarischen 
Ungarn,  d.  i.  der  aus  Ungarn  in  das  befreite  Fürstentum  zurückge- 
wanderten Bulgaren  gedenken,  die  also  heimkehrten,  um  in  der  Hei- 
mat —  fremd  zu  sein. 

Als  Alexander  von  Battenberg  auf  Grund  des  Berliner  Vertrages 
den  bulgarischen  Fürstenthron  bestieg,  überschätzte  das  bulgarische 
Volk  im  ersten  Freiheitsrausche  seine  Kraft  viel  zu  sehr  und  wollte 
sich  mit  einem  Schlage  auf  das  Niveau  westeuropäischer  Cultur 
erheben.  Gar  bald  aber  sahen  sie  ein,  dass  sie  in  ihrem  eigenen 
Kreise  keine  „Fachleute"  besässen  und  wandten  sich  daher  um  solche 
an  ausländische  Regierungen.  Im  Handumdrehen  war  das  kleine  Land 
mint  „Fachmännern"  jeder  Art  und  Sorte  überschwemmt,  von  denen 
jeder  irgend  einen  himmelanstrebenden,  betäubenden  Plan  und  sinn- 
verrückende Memoranden  mit  sich  brachte.  Wie  der  Sturmwind,  der 
den  Mist  vor  sich  herlreibt,  stoben  aus  aller  Herren  Ländern  die 
Schwindler,  Vagabunden  und  Abenteuerer  in  das  befreite  Bulgarien. 
Gar  bald  sahen  nun  die  Bulgaren  ein,  dass  sie  wahrlich  aus  dem 
Hegen  in  die  Traufe  geraten  seien.  Da  erscholl  auf  einmal  die  Parole : 
„Die  ungarischen  Bulgaren!"  Diese  sind  reicher  und  gebildeter  als 
wir;  wozu  brauchen  wir  die  Fremden. 

Ein  gewisser  DecofT,  der  aus  Ungarn  gebürtig  ist,  überreichte  der 
Regierung  in  dieser  Angelegenheit  ein  sinnbestrickendes  Memorandum, 
auf  Grund  dessen  die  Zurückwanderung  der  ungarischen  Bulgaren 
in  Scene  gesetzt  wurde.  DeSofT  wurde  mit  Orden,  Aemtern  und  Wür- 
den überhäuft,  aber  Bulgaren  kamen  nur  in  spärlicher  Anzahl,  obwol 
die  Regierung  auf  Grund  des  von  DecofT  überreichten  Memorandums 
der  irrigen  Meinung  war,  dass  in  Ungarn  wenigstens  100,000  Bulga- 
ren wohnen.  Infolge  der  spärlichen  Zurückwanderung  sank  auch  gar 
bald  DecofTs  Stern.  Als  ich  bei  Gelegenheit  der  Vorarbeiten  zur  Bu 
dapester  Landesausstellung  nach  Bulgarien  entsendet  wurde,  um  die 
dortige  Regierung  für  die  Errichtung  eines  bulgarischen  Pavillons  zu 
gewinnen,  und  auch  DecofT  besuchte,  war  er  schon  ein  „abgemachter" 
Mann.  —  Doch  sehen  wir  das  Loos  der  aus  Ungarn  zurückgewander- 
ten Bulgaren  an.  Das,  was  ihnen  DecofT  und  seine  Agenten  verspro- 

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FREMD  ZU  HAUSE. 


chen  hatten,  fanden  sie  nicht  im  geringsten  vor.  Obwol  die  Regie- 
rung ihr  gegebenes  Versprechen  in  jeder  Beziehung  einlöste,  so  fühl- 
ten sie  sich  in  ihrer  Heimat  fremd  und  verlassen.  Denn  das  bulgari- 
sche Volk,  dessen  Sprache  von  türkischen  und  russischen  Elementen 
zersetzt  ist,  verstand  nur  mit  schwerer  Mühe  die  Sprache  seiner  zurück- 
gewanderten Brüder,  die  sich  obendrein  noch  zur  römisch-katholischen 
Religion  bekannten.  Zänkereien,  Schlägereien  und  Gehässigkeiten  aller 
Art  waren  an  der  Tagesordnung,  so  dass  die  zurückgewanderten  Bul- 
garen beim  österreichisch-ungarischen  Consul,  Kvialkovsky  Beschwerde 
führten,  der  selbst  ein  sehr  bigotter  Katholik,  sich  ihrer  Sache  annahm 
und  bei  Sr.  Majestät  eine  Unterstützung  von  2000  fl.  erwirkte.  Für 
dieses  Hilfsgeld  kaufte  der  Consul  eine  Unmasse  von  Bibeln  und  Ge- 
betbüchern ein,  die  er  unter  die  zurückgewanderten  Bulgaren  verteilte. 
So  dachte  er  in  seinem  Religionseifer  dem  Uebelstande  abgeholfen  zu 
haben.  — 

Ich  hatte  selbst  Gelegenheit  den  grossen  Unterschied  wahrzuneh- 
men, der  zwischen  der  Sprache  der  ungarischen  und  der  Süd -Bulga- 
ren herrscht.  Als  ich  nämlich  bei  der  Regierung  in  Sofia  wegen  der 
Budapester  Ausstellung  Verhandlungen  pflog,  übernahm  der  mir  von 
der  ungarischen  Regierung  zugeteilte  Dolmetsch  Michael  Karagyena 
das  Amt,  den  bulgarischen  Minister  des  Aeussern  in  feierlicher  Rede 
zu  begrüssen  und  unser  Ansuchen  ihm  vorzulegen.  Karagyena  hielt 
nun  die  Rede,  von  der  —  wie  uns  später  der  Minister  in  französischer 
Sprache  gestand,  er  sozusagen  kein  Wort  verstanden  hatte.  Die  Sprache 
nämlich,  in  der  Karagyena  seine  Rede  gehalten  hatte,  war  die  reine 
bulgarische,  die  alte  Volkssprache,  die  die  Bulgaren  vor  160  Jahren 
gebrauchten.  Seither  ist  die  Sprache  der  Südbulgaren  -  wie  schon 
bemerkt  —  von  türkischen  und  russischen  Elementen  ganz  zersetzt. 
Auch  der  schriftliche  Verkehr  ist  sehr  erschwert,  weil  die  ungarischen 
Bulgaren  die  cyriftlischen  Buchslaben  nicht  kennen  und  nur  die  latei- 
nischen gebrauchen.  Unter  solchen  Umständen  ist  es  also  kein  Wun- 
der, dass  mir  die  aus  Ungarn  zurückgewanderten  Bulgaren  klag- 
ten :  Wir  sind  im  Glauben  an  unsere  bulgarische  Abkunft  nach  Bul- 
garien heimgekehrt,  und  sind  nun  Fremde  —  in  der  Heimat ! 


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NOTIZEN. 


Notizen. 

In  diesem  ersten  Hefte  des  Anzeigers  geben  wir  auf  l'/s  Bogen  die  Aus- 
züge einiger  Aufsätze  aus  den  ersten  Heften  des  I.  Jahrganges  der  „Etbnographia" 
und  auderer  Verhandlungen  der  Gesellschaft  fOr  die  Völkerkunde  Ungarns.  Wir 
werden  uns  bestreben,  die  Mitteilungen  Uber  die  wichtigsten  bisherigen  Verhandlan- 
gen der  Gesellschaft  in  den  nächsten  Heften  dos  Anzeigers  zum  Abschluss  zu  brin- 
gen, um  dann  Uber  die  currenten  Angelegenheiten  eingehend  und  unverzögert  be- 
richten zu  können  Über  wichtige  Vorträge  des  1  Vereinsjahres  die  sich  auf  Ent- 
stehung und  Geschichte  der  Gesellschaft  bezlihen,  werden  wir  im  2.  u.  3.  Hefte 
referieren.  Herrn  Dr.  Heinrich  v.  Wüslocki,  derzeit  Professor  in  Zombor,  sagen  wir  . 
hiemit  Dank  für  seine  Mitwirkung  bei  der  Herstellung  des  Anzeigers.  —  Die  Red. 

Die  auswärtigen  Mitglieder  der  Gesellschaft  für  die  Völkerkunde  Ungarns 
werden  ersucht,  ihre  Jahresbeitiäge  an  den  Cassier  der  Gesellschaft,  Dr.  S.  Bo- 
rovszky,  (Budapest,  Palast  der  Ung.  Akademie  der  Wissenschaften )  gelangen  zu 
lassen.  Für  die  Mitgliedstaxe  von  3  tl.  erhalten  sie  das  Amtsorgau  der  Gesellschaft 
(„Ethnographia,"  10  Hefte  a  3  Bogen)  und  als  Gratis  Beigabe  diesen  Anzeiger.  Der 
Anzeiger  wird  auch  der  Monatsschrift  „Ethnologische  Mitteilungen  aus  Ungarn* 
beigegeben,  welche  au  die  Mitglieder  d.  Gcsellsch.  f.  d.  Völkerk.  Ungarns  um  den 
halben  Preis,  jährlich  2  11.  abgegeben  wird.  (Andere  Zeitschriften  für  Volkskunde 
von  gleichen  Umfange  kosten  das  fünffache).  Für  jährlich  5  fl.  werden  also  alle  drei 
Zeitschriften,  wenigstens  60  Bogen,  geliefert.  An  Porto  ins  Ausland  ist  ein  Auf- 
schlag von  Mark  1  zu  berechnen. 

Beiträge  für  das  Amteorgan  der  Ges.  f.  d.  Völk  U ,  welche  auf  -  Ungarn 
Bezügliches  enthalten,  werden  ergebenst  erbeten  und  können  in  welcher  Sprache  im- 
mer an  die  Redaction  (Budapest,  I.  Attila-utcza  47.)  geschickt  werden. 

Der  Inhalt  des  Anzeigers  dar!  bei  genauer  Angabc  der  Quelle  beliebig 

reproduciert  werden.  —  Dio  Red. 

Inhalt  der  „Ethnographia."  II.  Jahrgang.  1.  Heft.  Januar  1891.  (3>/t  Bo- 
gen). Mitteilung  der  Redaction.  —  Dr.  At.  Maricnescu,  Die  Opfer  in  der  rumäni- 
schen Volksmythologie.  —  Dr.  L.  Katona,  Parallelen  zu  magyarischen  Märchen,  I. 

—  Anton  Herrmann,  Turistik  u.  Ethnographie.  —  A.  Kovics,  Alte  Bieneoregeln. 

—  A  Herrmann,  Uber  die  Dislocation  des  ethnographischen  Museums.  —  Die  Frage 
der  Gesellschaft  f.  d.  Völkerk.  Ungarns  und  des  ethnogr.  Museums  im  ung.  Reichs- 
tage (Otto  lierman's  Rede).  —  Amtliches:  Telegramm  des  Erzherzogs  Josef.  Verfü- 
gungen des  Ministeriums  lür  Kultus  u.  Unterricht.  Schreiben  des  serbischen  Metro 
politen  G.  Brankovics.  Sitzungsprotokoll  —  Volkspoetische  Überlieferungen :  Dr.  B. 
Munkacsi  (B.  Vikar)  Gebet  der  Wogulen.  Karl  Papai,  Abschied  vom  Jungfernkranz. 
Adolf  Strauss,  Bulgarisches  Volkslied.  —  L.  Kälmäny,  Magyar.  Besprechungsformeln. 

—  Litteratur:  Jones  Kropf,  The  folk  talcs  ot  the  Magyars,  bespr.  von  L.  Katona. 
G  Istvänffy,  Märchen  der  Palovcen,  bespr.  v.  L.  K.  Sbornik,  bulgarisches  Sammel- 
werk, bespr.  v.  A  Strauss  Kirchhoff.  —  Leutetnann,  Bilder  aus  dem  Leben  der 
Menschenrassen.  —  Inländische  Zeitschriften  -  Ausländische  Zeitschritten.  —  Ver- 
schiedene Mitteilungen.  —  Auf  dem  Umschlag:  Vercinsnachrichten. 

Inhalt  des  Anzeigers  I.  Jahrgang  1.  Heft. 

Mitteilung  der  Redaction   1 

Charles  G.  Leland,  Begrüßungsschreiben  an  die  Gesellschaft  2. 

Ludwig  Kalniany,  Kosmogonische  Spuren  in  der  magyarischen  Volksüberlieferung  3. 

Dr.  Lad.  Relhy,  Die  Armenier  in  Ungarn   11. 

Dr.  A.  Marienescn,  Baba  Dokia,  eine  volksmythologische  Gestalt  der  Rumänen.  12 

Dr.  S.  Czambel,  Zur  Kritik  der  Editionen  slovakischer  Volksdichtungen.    .    .  IS. 

Adolf  Strangs,  Fremd  zu  Hause.  (Aus  Ungarn  ausgewanderte  Bulgaren    .    .  21. 

Notizen   24. 

Aus  der  Aetieiibuchdru.kcrei  »Köim(iYe1«><J«i>"  in  Koloitvitr 


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II.  Jahrgang.  Budapest,  1891.  II.-V.  Heft. 


ANZEIGER  DER  GESELLSCHAFT  FÜR  DIE  VÖLKERKUNDE  UNGARNS. 

■ 

BEGRÜNDET  UND  HERAUSGEGEBEN  VON  PROF-  DR.  ANTON  HERRMANN. 

REDIGIERT  VON 
ANTON  HERRMANN  LUDWIG  KATONA 


SecreUr  d   Geaellechaft  f.  d.  Volkerkunde 
Ungarne. 


Schriftführer  d.  OeeelUck.  f.  d.  Völkerkunde 
Ungarns. 


Albanesen  in  Slavonien.  l) 
Von  Pro/.  Fr.  §.  Kuhaa. 

usser  Serben  und  Kroaten  finden  wir  in  Slavo- 
nien auch  deutsche  und  magyarische  Ansied- 
lungen,  und  auch  eine  albanische  Colonie.  Die 
Mitglieder  der  letzteren  nennen  sich  Kiemen- 
tiner,  sind  seit  1737 — 38  in  Slavonien  und 
wohnen  in  den  Ortschaften  Hrtkovci  und  Ni- 
ki nee  unweit  der  Stadt  Mitrovica  in  Syrmien. 

Diese  Klementiner  erhielten  ihren  Stamm 
bis  etwa  zum  Jahre  1848  rein  und  unver- 
mischt ;  sie  heirateten  nur  unter  einander,  und 
ein  klementinisches  Mädchen,  das  die  Hand  ei- 
nem Fremden  gereicht  hätte,  würde  die  eigene 
Familie  aufs  ärgste  beleidigt  haben.  Heutzutage 
krfind  die  Klementiner  nicht  mehr  so  skrupu- 
lös und  machen  keine  Einwendung,  weno  ein 
klementinischer  Jüngling  ein  kroatisches  oder 
magyarisches  Mädchen  heiratet,  weil  sie  wissen,  dass  sich  diese  recht 
bald  albanisieren.  Gegen  die  Wahl  eines  deutschen  oder  serbischen 
Mädchens  lehnt  sich  jedoch  die  Familie  auf,  weil  sie  aus  Erfahrung 
wissen,  dass  bei  einer  solchen  Verbindung  der  Klementiner  bald  ver- 
loren geht  So  haben  sich  z.  B.  jene  Klementiner,  die  nach  Pantova 
übersiedelten  und  dort  Serbinnen  heirateten,  in  kurzer  Zeit  serbisiert. 
Ein  klementinisches  Mädchen  jedoch  darf  auch  heule  noch  keinen  Frem- 
den heiraten.  Die  Mädchen  heiraten  gewöhnlich  mit  14  —  15  Jahren, 
die  Jünglinge  mit  17—18  Jahren,  so  lange  dies  nämlich  noch  er- 
laubt war. 


»)  Wir  beginnen  die  Veröffentlichung  dieses  Aufsatzes   mit  der  zweiten, 
mehr  folkloristischen  Hälfte  und  lassen  darauf  den  ersten,  mehr  historischen  Tei 
folgen. 


Herrinann,  Kthiologmche  Mitteilungen. 


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FR.  8.  KÜHAC 


Die  alle  Nationaltracht  der  syrmischen  Kiemen! iner  glich  jener 
der  heutigen  Albanesen,  Neugriechen,  Bergsehotten,  oder  der  alten 
Römer.  Die  Männer  haben  die  alte  Tracht  schon  langst  aufgegeben, 
selbst  bei  festlichen  Gelegenheiten  kleiden  sie  sich  nicht  anders  als  das 
kroatische  Volk,  aber  vor  etwa  fünfzig  Jahren  trugen  sie  bei  Festlich- 
keiten noch  ihre  alte  Nationaltracht.  Das  weibliche  Geschlecht  behielt 
indess  von  der  alten  Tracbt  noch  einiges  bei. 

Der  Oberrock  (dolama)  des  klementinischen  Kriegers  war  aus 
rotem  Tuche  gemacht  und  sehr  eng,  die  Weste  weiss  mit  blauem  Un- 
terfutter. Rock  und  Weste  wurden  offen  getragen,  und  waren  mit 
glänzenden  Metallknöpfen  völlig  besäet.  Der  Kragen  und  die  Aufschläge 
der  Dolama  waren  vielfach  und  künstlich  ausgenäht.  Das  Hemd  (che- 
misa),  das  mehr  einem  Weiber-Unterrocke  als  einem  Manneshemde 
ähnlich  sah,  war  in  Falten  gebügelt,  und  reichte  bis  an  die  Kniee. 
Um  die  Lenden  hatte  er  zwei  Gürtel:  einen  breiten  Untergürtel  (pus- 
tat)  aus  roter  Wolle  und  einen  schmalen  Obergürtel  (bre*)  aus  Leder. 

Die  Strümpfe  waren  aüs  Wolle  und  gestreift.  Als  Kopibedeckung 
hatte  er  eine  rote  Kappe,  wie  solche  die  Likaner  tragen.  Seine  Be- 
waffnung bestand  aus  einer  Handkeule  (buzdovan),  die  er  in  der  rech- 
ten Hand  trug,  und  mit  der  er  fürchterliche  Hiebe  austeilte,  einem 
langen  reich  verziertem  Gewehre  (Sarkija),  das  auf  der  Schulter  hieng, 
einem  Säbel  an  der  Seile  und  einem  Handschar  (hand/ar)  und  meh- 
rere Pistolen  im  Gürtel.  —  Die  einstige  Kleidung  der  Weiber  war  färbi- 
ger und  bunter  als  die  Federn  des  Pfaues  oder  des  Spechtes,  wie 
Stjepan  Marjanoviö  sagt,  der  die  Tracht  der  Klementiner  in  No.  9. 
der  Zeitschrift  PDanica  Ilirska"  vom  Jahre  1839  ausführlich  beschrieb. 
Das  Oberkleid  (lij  me-tuff)  war  aus  schönem  roten  Tuche  mit  Fran- 
sen, Pelzwerk  und  Stickereien  geziert.  Die  Aermel  reichten  nur  bis 
zu  den  Ellbogen,  hatten  einen  dreifachen  puffartigen  Aufputz  und  kleine 
Schellen  oder  grosse  Glasperlen.  Das  Hemd  mit  langen  Aermeln  reichte 
bis  zu  den  Fussknöcheln,  war  aber  so  enge,  dass  die  Klementinerin 
nur  ganz  kleine  Schritte  machen  konnte,  weshalb  die  Kroaten  den 
Klementiner  Mädchen  den  Schmeichelnamen  „prepelice"  (Wachteln) 
beilegten.  Beim  Absteigen  von  einem  Wagen  musste  die  Klementine- 
rin des  engen  Hemdes  wegen  mit  geschlossenen  Füssen  herabspringen. 

Wie  unser  Initiale  zeigt,  *)  tragen  die  Klementinerinnen  jetzt  kein 
langes  Hemd  mehr,  sondern  einen  Rock  (fut-gunj),  der  von  ausneh- 
mend schöner  weisser  Leinwand  gemacht,  künstlich  ausgenäht  und 
mit  Schlingereien  versehen  ist.  Dass  die  Schlingereiem  mehr  zur  Gel- 
tung kommen,  wird  unter  dieselben  ein  rotseidenes  Band  gegeben. 


»)  Vrgl.  das  Werk  Bretons  «Illyrique  et  Dalmatie>  auf  Befehl  Napoleons  I., 
als  er  Dalmatien  und  einen  Theil  Kroatiens  occupierte,  vcrfasste,  im  Jahre  1816  in 
deutscher  Uebersetznng  in  Pesth  erschienen. 

*)  Das  Portrait  der  Klementinerin  Dolja  (Dominika)  Nikic,  eines  hübschen 
Mädchens  aus  Hrtkovci,  gezeichnet  von  V.  Bello^ica,  nach  einer  Photographie,  wel- 
che der  Schreiber  dieses  durch  die  Vermittlung  des  GeraeiodeTorstaudea  Herrn  An- 
ton Kolic  erhielt. 

26 


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ALBANESEM  IN  SLAVONIEN. 


Das  Leibchen  ist  mit  Perlen,  Münzen  und  sonstigem  Klirrwerk  derart 
geschmückt,  dass  sich  das  Herannahen  mehrerer  Klementinerinnen  so 
anhört,  als  käme  ein  Schlitten  mit  Schabracken-Böllern  angefahren. 
Statt  der  Schürze  tragen  die  Klementinerinnen  zwei  kleine,  meist  schwarze 
Seidentücher,  das  vordere  nennen  sie  „ pokci na a,  das  rückwärtige  „ker- 
kadena".  Um  die  Taille  haben  sie  einen  zwei-  oder  anch  dreifachen 
Gürtel,  der  mit  goldenen,  silbernen  oder  gläsernen  Füttern  geziert  ist. 
Die  Mädchen  tragen  am  obersten  (ledernen)  Gürtel  einen  an  einem 
Metlalkettchen  hängenden  Schlüssel,  die  Frauen  ein  Klappmesserchen. 
Die  wollenen  Strümpfe  (carab  gjatana)  sind  bei  Mädchen  bunt  gefleckt, 
bei  Frauen  gestreift,  die  ausgeschnittenen  Schuhe  entweder  aus  Wolle 
gestrickt  (skurtana)  oder  aus  Leder  (kpuc).  Als  Kopfbedeckung  tragen 
sie  ein  kleines  rotes  Käppchen  (kunora'n  kapic),  von  dem  ein  weisser 
Schleier  auf  den  Bücken  fällt.  Die  Kopfbedeckung  der  Bräute  ist  eine 
hohe  Haube,  geschmückt  mit  künstlichen  Blumen,  Bändchen,  Fransen, 
Quastchen  u.  d  gl.,  unter  der  die  in  zwei  Zöpfe  geflochtenen  Haare 
berabwallen.  Diese  Brauthaube,  oder  richtiger  gesagt  Braut hut  (chessule) 
wird  nicht  albanischen  sondern  kroatischen  Ursprungs  sein,  da  solche 
Kopfbedeckungen  auch  die  Kroatinnen  um  Agram,  Oedenburg  und  auch 
die  Lausitzer  Serbinnen  tragen. 

Die  Hochzeitsgebräuche  der  syrmischen  Klementiner  sind  fol- 
gende. Sobald  das  Mädchen  das  dreizehnte  Jahr  zurückgelegt  hat,  wird 
um  dessen  Hand  geworben.  Sagt  es  zu,  so  wird  bald  darauf  die  Ver- 
lobung, nach  einem  Jahr  aber  die  Hochzeit  (dasmor)  gefeiert.  Während 
des  Brautjahres  wird  die  Ausstattung  des  Mädchens  besorgt,  und  das- 
selbe in  der  Hauswirtschaft  unterwiesen.  Beim  Trauungszug  zur  Kirche 
wird  grosser  Pomp  entwickelt,  die  Hochzeit  selbst  aber  zwei  Tage 
hindurch  gefeiert.  Nach  der  Trauung  wird  im  Elternhause  der  Braut 
gespeist  und  gezecht.  Abends  wird  die  Braut  in  das  Haus  des  Bräuti- 
gams gebracht.  Sobald  sie  den  Wagen  des  Beistandes  (kuparem,  kumtr) 
bestiegen  hat,  darf  sie  sich  zum  Zeichen  der  Treue  nicht  mehr  umse- 
hen, und  würde  man  ihr  was  immer  zurufen.  Um  zu  erproben,  wie 
fest  die  Braut  in  Erfüllung  dieses  Gebrauches  ist,  wird  hinter  ihr  ge- 
schossen, um  Hilfe  gerufen,  oder  es  reitet  ein  junger  Bursche  in  grösster 
Eile  dem  Wagen  zu  mit  der  Kunde,  in  dem  rlause  ihrer  Eltern  sei 
Feuer  ausgebrochen  oder  sonst  ein  Unglück  geschehen.  Wenn  die 
Braut,  die  stehend  im  Wagen  fahren  muss,  im  Hause  des  Bräutigams 
angelangt  ist,  wird  ihr  ein  männliches  Kind  in  die  Arme  geworfen, 
das  sie  einigemale  herzlich  küsst,  und  dann  zurückgibt.  Hierauf  tritt 
ein  Mann  des  Hauses  zu  und  bittet  den  Beistand,  die  Braut  vom  Wa- 
gen herabheben  zu  dürfen.  Der  kumtr  antwortet,  dass  er  dies  sehr 
gerne  gestatten  wolle,  allein  da  nichts  auf  dieser  Welt  umsonst  ist, 
insbesondere  aber  jede  Ehre  teuer  bezahlt  werden  müsse,  so  verlange 
auch  er  für  die  Gewährung  dieser  Ehre  einen  Dukaten.  Nun  wird 
dem  Beistand  begreiflich  gemacht,  dass  sein  Preis  viel  zu  hoch  sei, 
bekommt  ja  doch  ein  Klementiner  Soldat  für  die  Ehre  den  Heldentod 
sterben  zu  können  vom  Kaiser  täglich  nur  fünf  Kreuzer.  Nach  vielem 

27  3* 


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FB.  8.  KUHAÖ 


Handeln  und  Hin-  und  Herreden  stellt  sich  der  Beistand  beleidig!, 
befiehlt  dem  Kutscher  im  barschen  Tone  umzukehren  und  aus  dem 
Hause  zu  fahren,  die  Umgebenden  versichernd,  dass  er  für  solch  einen 
herzlichen  Schatz,  wie  es  die  Braut  ist,  anderwärts  sogar  mehr  als  ei- 
nen Dukaten  bekommen  werde.  Der  Kutscher  schickt  sich  nun  an,  den 
Befehl  auszuführen,  aber  in  dem  Momente  stürzt  ein  Manu  aus  der 
Küche  hervor  und  droht,  mit  einem  brennenden  Stück  Holze,  das 
er  in  der  Hand  hält,  den  Wagen  anzuzünden,  wenn  sich  dieser  vom 
Fleck  rühren  würde.  Ueberrascht  erhebt  sich  der  kumtr  und  spricht 
zur  Menge:  „Nicht  deshalb,  weil  ich  mich  vor  dem  Feuer  fürchte, 
denn  ein  Klementiner  kennt  keine  Furcht,  begnüge  ich  mich  mit  dem 
mir  zuletzt  angebotenem  Lösegelde,  nämlich  mit  einem  Kronenthaler 
von  der  grossen  Kaiserin  Maria  Theresia,  die  unserem  Stamme  grosse 
Wohlthaten  erwies  und  deren  Name  unter  uns  stets  gefeiert  sei : 
sondern  weil  ich  ein  guter  Mann  bin,  wie  es  unser  Held  und  Altva- 
ter Klement  war,  dessen  Andenken  geheiliget  sei.u  Nachdem  auf  diese 
Weise  der  Handel  geschlossen  und  der  Kronthaler  überreicht  wurde, 
springt  die  Braut  vom  Wagen.  Einer  der  Hochzeitsgäste  fangt  sie  im 
Fluge  auf,  und  geleitet  sie  zum  Eingange  des  Wuhnhauses.  Dort  er- 
wartet die  Braut  eine  ältere  Frau,  die  ihr  eine  Flasche  Wein,  einen 
Laib  Brot  und  eine  Düte  Salz  überreicht.  Die  Braut  nimmt  die  Gaben 
in  Empfang,  trägt  sie  mit  feierlicher  Miene  in  das  Wohnzimmer  und 
legt  sie  auf  den  Tisch.  Gleich  darauf  wird  die  Braut  von  derselben 
alten  Frau  in  die  Küche  geführt,  wo  sie  ihr  die  Feuerschaufel  dar- 
reicht. Die  Braut  ergreift  dieselbe,  stiert  damit  im  Herdfeuer  und  spricht : 
„So  viel  Funken  sprühen,  so  viel  Glück  und  Segen  sei  dem  Hause 
beschieden." 

Nach  dieser  Cereraonie  setzt  man  sich  zu  dem  bereits  aufgetra- 
genen Nachtmahle  und  thut  demselben  „die  gebührende  Ehre"  an. 
Am  Schlüsse  wird  der  kroatische  Reigen  „Kolo*  getanzt,  der  gewöhn- 
lich bis  nach  Mitternacht  dauert.  Bei  dieser  Gelegenheit  muss  sich  der 
Brautführer  bemühen,  die  Braut  dem  Beistande  zu  stehlen  und  sie 
ins  Brautgemach  zu  bringen.  Da  der  kumtr  mit  Falkenaugen  auf  die 
Braut  Acht  gibt  und  jeden  Versuch,  sie  zu  entführen,  nach  Möglich- 
keit vereitelt,  sucht  einer  der  Hochzeitsgäste  die  Aufmerksamkeit  des 
Beistandes  von  der  Braut  dadurch  abzulenken,  dass  er  etwas  Wichti- 
ges erzählt,  auf  den  kumtr  eine  Lobrede  hält  oder  irgend  ein  Kunst- 
stück produciert.  Gelingt  ihm  seine  Aufgabe  nicht,  so  werden  auf  ei- 
nen Wink  sämmtliche  Lichter  im  Zimmer  ausgeblasen  oder  sonst  ein 
Schabernak  ausgeführt. 

Am  folgenden  Morgen  wird  die  Braut  durch  einen  Gewehrschuss, 
der  vor  ihrer  Kammer  abgefeuert  wird,  aus  dem  Schlafe  geweckt. 
Erschrocken  öffnet  dieselbe  die  Türe  und  fragt,  was  geschehen  sei, 
ob  Türken  herannahen,  oder  ob  Diebe  oder  Wölfe  verfolgt  werden. 
„ Nichts  von  dem,  liebes  Bräutchen,"  antworten  die  vor  der  Türe 
versammelten  Weiber,  sondern  die  Gäste  (welche  natürlicherweise  die 
ganze  Nacht  hindurch  zechten)  wünschen  dich  zu  sehen,  und  da  sind 

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ALHANESEN  IN  SLAVONiEN. 


wir  gekommen  dir  beim  Ankleiden  behilflich  zu  sein.  „Das  ist  schön 
und  lieb  von  Euch,  meine  Gefährtinnen"  —  erwidert  die  Braut  und 
heisst  die  Weiber  eintreten.  Bald  darauf  steht  die  Braut  wieder 
im  festlichen  Anzüge  da,  begibt  sich  zu  den  Gästen,  küsst  dieselben  der 
Reihe  nach,  und  fordert  sie  zum  Waschen  des  Gesichtes  auf. 

liegen  Mittag  bewegt  sich  der  ganze  Zug,  begleitet  von  einem 
DudeLsackbläser  in  das  Haus  des  Oberswat  (Hochzeit svater,  Bräutigams- 
Begleiter),  woselbst  die  Braut  Schmucksachen  und  Kuchen  erwarten 
und  wo  auch  zu  Mittag  gespeist  wird.  Nach  dem  Mahle  beschenkt  die 
Braut  sämmt liehe  Gäste  mit  feingearbeiteten  Hand-  oder  Taschentü- 
chern, Bändern,  künstlichen  Blumen  u.  d  gl.,  wofür  sie  von  jedem 
Anwesenden  einiges  Geld  bekömmt.  Gegen  Abend  wird  Kolo  getanzt, 
der  abermals  bis  Mitternacht  dauert.  Derjenige,  der  den  Reigen  mit 
der  Braut  eröffnen  will,  muss  für  diese  Ehre  beim  kumtr  einen  Du- 
katen erlegen.  Auch  die  späteren  Tänzer,  welche  mit  der  Braut  tan- 
zen, müssen  etwas  bezahlen. 

Nachdem  man  sich  voll  getrunken  und  todmüde  getanzt  hat, 
wird  die  Braut  nach  Hause  begleitet  und  hiemit  die  Hochzeits^eier  ge- 
schlossen. 

Am  dritten  Tage  wird  die  Braut  von  dem  Weibe  des  Hausober- 
hauptes in  die  Wirtschaft  eingeführt  und  mit  ihrem  Wirkungskreise  be- 
kannt gemacht  In  den  klemenlinischen  so  wie  in  vielen  kroatischen 
Bauernhäusern  leben  nämlich  mehrere  Familien  in  Gemeinschaft,  wo- 
bei jedes  Mitglied  eine  bestimmte  Aufgabe  hat.  So  hat  sich  einer  blos 
um  die  Pferde  zu  kümmern,  der  andere  blos  um  das  Hornvieh,  Schafe 
oder  Schweine,  der  eine  hat  die  Aufsicht  über  den  Getreideboden,  der 
andere  über  den  Weinkeller  u.  s.  w.  Und  so  ist  die  Arbeit  auch  unter 
die  weiblichen  Mitglieder  der  Hauscommune  verteilt. 

Von  sonstigen  Gebräuchun  oder  abergläubischen  Vorschriften, 
welche  bei  den  Klementinern  strenge  befolgt  werden,  seien  folgende 
erwähnt:  1)  Am  Freitag  darf  nicht  gesponnen  wenden.  2)  Xach  Son- 
nenuntergang darf  keine  Milch  aus  dem  Hause  gegeben,  kein  Essig  aus 
dem  Fasse  gehoben  werden.  3)  Am  Tage,  an  welcliem  Getreide  ge- 
säet wird,  trage  man  kein  Brot  aus  dem  Hause.  4)  Nur  am  Dienstag 
und  Freitag  angesetzter  Essig  wird  sauer.  5)  Die  am  Freitag  angebau- 
ten Gurken  werden  bitter.  6)  In  der  Palmwoche  und  an  jenen  Tagen, 
welche  im  Kalender  das  Zeichen  der  Jungfrau  haben,  darf  gar  nichts 
gesäet  oder  angebaut  werden,  weil  die  betreffenden  Pflanzen  blos  Blü- 
ten, aber  keine  Früchte  bringen.  7)  In  der  Oster woche  angebaute  Erd- 
äplel  werden  wässerig.  8)  An  jenem  Tage  der  Woche,  auf  welchen 
das  Fest  Johannes  Enthauptung  fällt,  darf  nicht  geackert  werden. 
Fällt  also  das  Johannesfest  z.  B.  auf  einen  Mittwoch,  so  ist  jeder 
Mittwoch  des  ganzen  Jahres  Ackerfeiertag.  Desgleichen  darf  auch  an 
den  ersten  sieben  Donnerstagen  nach  dem  Gründonnerstage  nicht  ge- 
ackert werden,  u.  s.  w 

Dichterisch  und  musikalisch  sind  die  Klementiner  bei  weitem 
nicht  so  begabt  wie  die  Kroaten  oder  Ma-yaren.  Die  Klementiner  hal- 


29 


FR.  S.  KUBA  (' 


ten  gleich  den  Spaniern  mehr  auf  Tanz  als  auf  Gesang.  Es  wird  zwar 
behauptet,  dass  die  Kiemen  tiner  in  ihren  Liedern  den  Held  Skender- 
beg  feiern,  allein  ich  konnte  keinen  einzigen  Klementiner  finden,  der 
ein  solches  Lied  gekannt  hätte.  Die  nachstehenden  fünf  Lieder  hatte 
ich  nur  mit  schwerer  Mühe  aus  ihnen  herausgebracht:  die  Melodien 
mögen  albanischen  Ursprunges  sein,  die  Texte  jedoch  sind  einfache 
Uebersetzungen  oder  Nachahmungen  kroatischer  Volkslieder.  Dieselben 
sangen  mir  Martin  und  Marko  Jvanic*;  die  Texte  verdolmetschten  mir 
kroatisch  die  Herrn  Anton  Kolic"  und  Marko  Pepcic\  Den  kroatischen 
Text  hinweglassend,  gebe  ich  hier  eine  deutsche  Uebersetzung  der- 
selben. 


t 


15  i  lus  gjon  e  ßjat, 
No  te  fuso  gjon  e  gjat 
Is  i  pemo  kubilite, 
Nar  at  pem  kubilit 
H  i  strat  struamit, 
Nat  strat  struamit 
Derdjej  joj  varuamit, 
Bedeo  e  ki  bergjat, 
Bedroj  i  za  zot  vet : 
Cou  ti,  o  zot,  zoti  era! 
Veno  komen  en  skajj, 
PSeti  vart  pr  salj, 
Anit  skojim  en  zezifit  ton. 
Dno  ljgosim  na  fos  kojim, 
En  deksim  na  vajlojin: 
Ornat  tona  per  gji$  mon, 
Motrat  tona  per  djast  vjet, 
VaSat  tona  per  djast  dit: 
Tri  dit  per  mal  stim, 
E  kiuren  diten  mu  martua. 

Jekt  kontk  po  va  faljim, 
Ksaj  sorfs  6po  digojin. 


War  ein  Feld  lang  und  breit. 
Auf  dem  Felde  lang  und  breit 
War  ein  Zwetschken-Obstbaum; 
Unter  diesem  Zwetschkenbaum 
War  ein  Bett  gebettet, 
Auf  dem  Bett  gebettet 
Lag  ein  Verwundeter; 
Ein  Pferd  hatte  er  neben  sich, 
Das  Pferd  sprach  zu  seinem  Herrn: 
Steh'  auf,  o  Herr,  mein  Herr! 
Gib  den  Fuss  in  den  Steigbügel, 
Lehne  die  Wunde  an  den  Sattel, 
Und  gehen  wir  in  unser  Land. 
Wenn  wir  erkranken,  wird  man  uns  heilen, 
Wenn  wir  sterben,  wird  man  uns  ] 
Unsere  Mutter  für  immer, 
Unsere  Schwester  sechs  Jahre  lang, 
Unsere  Weiber  durch  sechs  Tage : 
Drei  Tage  für  die  Trauer, 
Drei  Tage  vor  der  Heirat. 

Dieses  Lied  widme  ich 
Der  Gesellschaft,  die  da  zuhört. 


Auf  dieselbe  Melodie  wird  gesungen: 


Dijeli  e  saroj  malj, 

Kopilji  öeti  fjalen, 

Se  ton  Bosna  jo  robit; 


Die  Sonne  beschien  den  F3erg, 
Ein  Held  brachte  die  Kunde, 
Ganz  Bosnien  sei  geplündert: 


30 


ALBAN E8EN  IN  SLAVONIEN. 


Kur  kn§  nuk  na  pet, 
Por  dfi  vaSa  cit  ne  bar. 
Jora  e  Ijejü  djal  o  zohn, 
Tjetra  e  Ijejü  vaiz  ne  zohn. 
Djaljit  ja  citne  Radic, 
Vaiz  ja  t-itne  Janozensen. 
Kur  erz  redi  mu  martua, 
Citi  Galjen  Radiei, 
Me  mar  Janozensen, 
Byot  dasmor  e  kuparen. 
Kur  jon  nis  Sali  pruv, 
Gjit  bedevat  jo  Ijodruan, 
E  i  Janozenses  moji  forti. 
E  irah  ke£  Radicit, 
E  dzuar  djiden, 
Ma  djuajt  bedev, 
Bedevi  i  perciti, 
E  e  gjoji  Janozensen. 
Jana  kje  vasa  e  Ivet, 
Kur  kuj  nuk  i  ftoji, 
Dzuar  pamuk  e  zuh  gjakun 
Dzuar  mtas  e  Ijivi  varen. 

Dualj  nona  para  dasmorme, 
E  vo  nona  Janozenses: 
More,  Jano,  vajza  eme, 
Pocem  je  vojt  ke6? 
A  tka  ora  uva  e  ljark? 
A  tka  ora  Sujta  e  pak? 
Kur  jon  skua  gjiv  dasmort, 
Janozenseja  o  dek. 
E  nebi  oma  djalje  vet : 
nOj  ti  Radic  djalji  em, 
Po  ti  pse  e  vrave  Janozensen? 
Bedevit  pljast  Salj  pruv, 
E  tu  tpljast  gjarpni." 


Niemand  blieb  daselbst, 
Nur  zwei  schwang' re  Weiber 
Eines  gebar  einen  ruhmreichen  Sohn, 
Das  andere  ein  ruhmvolles  Mädchen. 
Der  Knabe  erhielt  den  Namen  Hilarius, 
Das  Mädchen  den  Namen  Agnes. 
Als  die  Zeit  der  Verheiratung  kam, 
Gab  Hilarius  das  Wort, 
Die  Agnes  zu  nehmen, 
Lud  Hochzeitsgäste  und  den  Beistand. 
Als  sie  auf  der  Reise  waren, 
Tanzten  alle  Pferde, 
Das  der  Agnes  aber  am  meisten. 
Da  kam  Neid  über  Hilarius, 
Er  schwang  die  Lanze, 
Um  zu  schlagen  die  Stute, 
Aber  die  Stute  wich  aus. 
Und  er  traf  die  Agnes. 
Agnes  ein  rechtschaffenes  Mädchen 
Sagte  niemandem  etwas, 
Nahm  Baumwolle  und  stillte  das  Blut, 
Nahm  ein  Seidentuch  und  verband  die 

Wunde. 

Da  kam  die  Mutter  vor  den  Hochzeitszug, 

Und  die  Mutter  sprach  zu  Agnes : 

Weh  mir,  Agnes,  mein  Kind, 

Warum  bist  du  so  gebrochen? 

Hat  dicb  der  lange  Weg  ermüdet? 

Oder  die  kleine  Wunde  dich  ermattet  ? 

Als  die  Hochzeitsgäste  fort  waren, 

War  Agnes  eine  Leiche. 

Die  Mutter  fluchte  ihrem  Sohn: 

„0  Hilarius,  mein  Sohn, 

Warum  erschlugst  du  Agnes? 

Es  berste  dir  auf  der  Reise  das  Pferd, 

Und  dich  zerreisse  die  Schlange!" 


1  r  r  r  I  f  ut  r  ir  u  f  rir  r  Jm 


Ej,  Bukara,  ßis  kje  prome, 
Cimo  Skelje  prom  en  kom, 
E  mi  dzuar  a  to  gjom, 
Nar  at  hijet  ta  saj  son, 
Nar  at  revet  a  saj  hon, 
Tu  e  puv,  tu  e  gron! 


0,  du  Schöne,  von  gestern  abends, 
Die  mir  den  Fuss  hat  eingeklemmt, 
Und  mich  hat  gebracht  zum  seufzen, 
In  der  Kühle  jenes  Schattens, 
In  dem  Schatten  jenes  Mondes, 
Die  mich  küsste  und  mich  bissl 


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FR    S.  KüilAC. 


Inr/arU,  1*69 


J  ^  — — "     —  ~ ~ ^  * 

i  u  1 

Ej!  rakije,  rozolije! 
„   ljumi  usö  ci  to  pije; 
„   ut  mar  cesno  barko 
,   tim  mer  citne  boljt. 

.  LenU  i  :S6 


0!  du  Branntwein,  du  Hosoli, 
Wohl  mir,  der  ich  dich  trinke; 
Dich  giess  ich  in  den  Schlund, 
Du  wirfst  mich  in  den  Kot. 


3 


Hej !  dimo  zoto  per  sum  moh  te,  0 !  Gott  hilf  uns  viele  Jahre. 
„     medjiz  ioko  me  vlaznije,   Der  Genossenschaft  und  den  Brüdern, 
B    hejo  medjiz  miöe  kumtri !  Den  Freunden  und  Gevattern! 

Auf  meine  Frage,  ob  die  syrmischen  Klementiner  die  schonen 
albanesischen  WafTent  änze  tanzen  können,  erhielt  ich  die  Antwort,  dass 
ihnen  ihre  AJten  von  diesen  Nationaltänzen  wol  erzält  hatten,  aber 
dass  kein  einziger  Klementiner  dieselben  tanzen  könne.  „Wozu  auch*, 
fiel  Marko  Ivanic"  ins  Wort,  „da  es  unmöglich  einen  schöneren  Tanz 
geben  könne,  als  der  kroatische  Kolo!K  —  Bei  diesem  von  Ivanic"  und 
seinen  Landsleuten  so  sehr  geschätzten  Kolo  singen  jedoch  die  Kle- 
mentiner nicht,  wie  die  Kroaten  und  Serben,  sondern  der  Dudelsack- 
bläser  schreitet  den  inneren  Raum  des  Kreises  ab,  bleibt  bald  bei 
diesem,  bald  bei  jenem  Tänzer  oder  Tänzerin  stehen,  und  bläst  ihm 
oder  ihr  ein  Stückchen  Melodie  ins  Ohr.  Mir  fiel  dieser  gesangslose 
Tanz  auf,  und  ich  erkundigte  mich  deshalb  um  den  Grund  dieses 
Schweigens.  Da  sagte  man  mir,  dass  dies  der  gemischten  Bevölkerung 
wegen  geschehe.  So  lange  nämlich  in  Hrlkovci  und  Nikince  blos  Kle- 
mentiner und  Kroaten  wohnten,  wurde  beim  Kolo.  den  man  im  Ge- 
meindewirtshause gemeinschaftlich  tanzte,  jederzeit  gesungen,  u.  z. 
entweder  in  klementinischer  oder  in  kroatischer  Sprache;  als  jedoch 
Schwaben  und  Magyaren  einwanderten,  welche  keine  der  beiden  Spra- 
chen verstanden,  gab  es  beim  Kolo  last  jedesmal  Schlägereien  und 
blutige  Köpfe,  weil  diese  dachten  (wahrscheinlich  nicht  ohne  Grund), 
man  mache  sich  über  sie  lustig.  Um  derartigen  Zwistigkeiten  auszu- 
weichen, wurde  beschlossen  beim  gemeinschaftlichen  Sonntagstanze 
nicht  mehr  zu  singen.  Und  so  tanzen  nun  Klementiner,  Kroaten,  Schwa- 
ben, Magyaran  und  Zigeuner  in  stummer  Eintracht  mit  einander,  und 
freuen  sich  des  Lebens 

Agram,  am  10.  Juni  1890. 

(Schluss  folgt.) 


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WESEN  UND  WIRK.  DER   ZAUBERFRAUEN  BEI  DEN  8IEBENB.  ZIGEUNERN. 


Wesen  und  Wirkungskreis  der  Zauberfrauen  bei  den  sieben- 

bürgisehen  Zigeunern. 

Von  Dr.  Heinrich  v.  Wlislocki. 

Man  hat  bisher  die  Zigeuner  und  unter  diesen  besonders  die 
Wanderzigeuner  zumeist  als  jedes  religiösen  Gefühles  bare  Horden  dar- 
gestellt, indem  man  dabei  nur  die  auf  das  Christentum  bezüglichen, 
verschwommenen  Begriffe  derselben  in  Betracht  zog,  ohne  dabei  die 
in  den  verschiedensten  Richtungen  hinwuchernden  heidnischen  Schöss- 
linge  des  uralten  indischen  Religionsstammes  zu  beobachten.  Als  sol- 
ches uraltes  Überlebsei  sind  auch  die  sogenannten  ,Zauberfrauenu 
(Covölji)  oder  „guten  Frauen"  (lät  e  romhi,  gute  romhi)  anzusehen,  die 
gleichsam  der  letzte  Nachhall  altindischen  Prieslertums  sind. 

Meistens  aufs  Geratewol  hin  wird  von  den  Beobachtern  der  Zi- 
geuner nur  erwähnt,  dass  „die  alten  Weiber  bei  dem  Zigeunervolke 
Gegenstand  besonderer  Ehrfurcht  sind,"  ohne  dabei  den  Kern  dieser, 
selbst  Culturvölkern  sozusagen  ganz  und  gar  abgehenden,  in  ihrer  Art 
höchst  eigentümlichen  Sitte  zu  erforschen.  Die  Stellung  des  Weibes 
überhaupt  ist  bei  den  Zigeunern  dem  Manne  gegenüber  eine  unabhän- 
gige. Als  Besitzerin  zigeunerischen  Heirawesens,  in  das  eben  der  Mann 
hineinheiratet,  wobei  er  sogar  seinen  Beinamen,  nämlich  den  Namen 
seiner  Genossenschaft  (gakkija)  aufgeben  und  den  Namen  der  Ge- 
nossenschaft seiner  Frau  annehmen  muss,  kurz,  mehr  oder  weniger 
die  Geburtsbande  löst,  steht  das  Zigeunerweib  dem  Gatten  gegenüber 
ganz  unabhängig  da,  der  in  den  meisten  Fällen  die  Ehe  als  eine  Art 
Sinecure  zu  betrachten  gewohnt  ist.  Diese  Stellung  der  Zigeunerfrau 
erweist  sich  lür  die  ethnologische  Forschung  durchgängig  als  die  ergeb- 
nissreichste, für  ethnische  Lehren  sowol,  als  auch  für  mystische  Ver- 
wirrung. Die  Einzelstellung  der  „Zauberfrauen "  hat  sich  in  mancher 
Beziehung  mehr  oder  weniger  als  eine  Sonderstellung  auf  das  gesamte 
weibliche  Geschlecht  dem  männlichen  gegenüber  übertragen. 

Ich  habe  schon  an  einem  anderen  Orte  erwähnt,  ')  dass  dem 
Glauben  der  Zigeuner  gemäss  es  Frauen  gibt,  die  im  Besitze  überna- 
türlicher Kräfle  und  Eigenschaften  sind,  welche  sie  teils  auf  überna- 
türlichem Wege  erworben,  teils  aber  ererbt  haben.  So  bringt  das  sie- 
bente Mädchen  einer  durch  keine  Knaben  unterbrochenen  Kinderreihe 
Eigenschaften  mit  sich  auf  die  Welt,  die  anderen  Sterblichen  abgehen, 
so  z.  B.  sieht  es  Dinge  (vergrabene  Schätze,  die  Seelen  Verstorbener 
u.  dgl ),  die  andern  unsichtbar  sind.  Die  meisten  Zauberfrauen  wurden 
noch  in  ihrer  zartesten  Jugend  von  ihren  Müttern  in  der  Heil-  und 
Zauberkunst  unterrichtet  und  erben  von  ihnen  zugleich  den  Ruf  und 
das  Ansehen.  Nur  ihre  eigenen  Töchter  können  die  Zauberfrauen  in 


')  Ethnologische  Mitteilungen  aus  Ungarn  I.  Bd.  S.  51:  „Zauber-  und  Bespre- 
chungsformeln der  transsilvanischen  und  südungarischen  Zigeuner"  (auch  als  Son- 
derabdnick  erschienen  in  Herrmann's  „Publicationen  d.  ethn.  Mitteilungen  aus  Un- 
garn" Hft  II. 


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DR.  HEINRICH  V.  WLISLOCKI 


ihrer  Kunst  unterrichten,  nachdem  dieselben  die  Anlagen  dazu  durch 
Blutvererbung  mit  sich  auf  die  Welt  bringen,  also  eine  praedestinierte 
Zauberkraft  schon  a  priori  besitzen,  die  aber  nur  dann  zum  vollen 
Ausbruch  kommt,  sich  zur  Tätigkeit  entfaltet,  wenn  das  betreffende 
Weib  selbst  wenigstens  schon  drei  Töchter  zur  Welt  gebracht  hat. 
Stirbt  die  Mutter,  eine  Schwester  oder  eine  Tochter  der  „Zauberfrau", 
so  muss  sie  das  Wasser  aus  dem  Napfe  trinken,  den  man  nach  ein- 
getretenem Tode  zu  den  Füssen  der  Leiche  aufzustellen  pflegt,  damit 
rsich  die  Seele  des  Verblichenen  darin  bade."  Trinkt  sie  es  nicht,  so 
nimmt  die  Todle  ihre  Weisheit  mit  und  sie  hat  aufgehört  zur  Gilde 
der  Zauberlrauen  zu  gehören;  daher  die  Redensart:  pijel  sdr  vovdlji 
(er  trinkt  wie  eine  Zauberfrau,  d.  h.  er  muss  trinken,  ob  er  will  oder 
nicht).  Um  ihre  „Weisheit".  „Zauberkraft*1  (toodljiben)  zu  bewahren, 
steckt  sie  auch  ein  angebranntes  Stückchen  von  den  Kleidern  der  Ver- 
blichenen zu  sich,  die  eben  —  nach,  allem  Gebrauche  —  gleich  nach  der 
Leichenbesiatlung  verbrannt  werden.  Mit  diesem  Fetzen  räuchert  sie 
sich  dann  in  der  nächstfolgenden  Johannisnacht  oder  Neujahrsnacht 
auf  irgend  einem  Kreuzwege,  um  die  noch  immer  herumflatternde  Seele 
der  Verblichenen  zu  bannen.  Aus  eben  diesem  Grunde  muss  sie  neun 
Tage  hindurch  jedesmal  zu  Mittag  das  Grab  der  Verblichenen  besu- 
chen und  Mohnkörner  auf  den  Weg  bis  zum  Grabe  fallen  lassen,  da- 
mit die  ihr  nachfolgende  Seele  dieselben  auflese  und  keine  Zeit  habe, 
sie  in  ihrer  Zauberkraft  zu  schwächen.  Während  dieser  Zeit  muss  sie 
sich  auch  des  Beischlafs  enthalten,  damit  sie  nicht  etwa  geschwängert, 
ein  todtes  Kind  zur  Welt  bringe,  aus  dem  ein  Locholit&o  (dämonisches 
Wesen)  werden  würde,  das  seine  Eltein  zu  Tode  quälen  könnte.  Gut 
ist  es  auch  das  Brustbein  (aU  Silz  des  Lebens)  der  Verblichenen  mit 
einem  Tuchlappen  zu  reiben  und  denselben  die  neun  folgenden  Tage 
am  blossen  Leibe  zu  tragen,  dann  ihn  aber  auf  dem  Grabe  zu  ver- 
brennen. Die  dadurch  entstandene  Asche  gilt  für  ein  wichtiges  Mittel 
bei  Liebesangelegenheiten.  Wer  davon  genossen,  kann  von  der  Person, 
die  es  ihm  eingegeben,  nimmer  lassen.  Häufige  Schluckungen  nach 
Verlauf  der  erwähnten  neun  Tage  deuten  an,  dass  die  Zauberkraft 
der  betreffenden  Frau  ungeschwächt,  ja  im  Gegenteil  gestärkt  und  ver- 
mehrt sich  in  ihr  befinde.  Um  die  Slammgenossen  zu  dieser  Meinung 
zu  bewegen,  greifen  die  Zauberfrauen  bei  solchen  Gelegenheiten  frei- 
lich zu  mancherlei  künstlichen  Mitteln,  um  recht  arge  und  häufige 
Schluckungen  hervorzubringen. 

Ausser  diesen  „erbgesessenen *  Zauberfrauen  gibt  es  auch  solche, 
die  ihre  Kunst  nicht  durch  Blutvererbung  erlangt,  sondern  von  den 
Niva$i-( Wassergeistern)  oder  /'c^upus-Leuten  (unterirdische  Wesen)  er- 
lernt haben,  indem  sie  mit  denselben  geschlechtlichen  Umgang  pflogen. 
Der  Act  selbst  geschieht  ohne  W  ssen  des  Weibes,  das  erwachend  erst 
die  mit  ihr  vorgenommene  Veränderung  wahrnimmt  und  nur  dadurch 
zum  Schweigen  gebracht  wird,  dass  sie  eben  der  Nica&i  oder  f'guvuS 
in  den  geheimen  Künsten  unierrichtet.  Tut  er  es  nicht  oder  schreit 
das  Weib  um  Hilfe,  so  ist  er  verloren,  denn  er  verliert  auf  einige 


34 


WESEN  UND  WIRK.   DER  ZAUBERFRAUEN  BEI   DEN   8IEBENB.  ZIGEUNERN. 


Stunden  seine  Kraft  —  post  coitum  triste  omne  animal  —  und  ist  nicht 
im  Stande  sich  von  der  Stelle  zu  rühren,  so  dass  er  leicht  erschlagen 
■werden  kann.  Ein  weiter  Spielraum  für  Betrug  und  Schwindel  ist  hie- 
bei  selbstverständlich  geöffnet.  Ich  kannte  z.  B.  eine  wunderschöne 
siebzehnjährige  Zigeunermaid,  die  bereits  drei  uneheliche  Kinder  hatte, 
deren  Väter  jedem  anderen,  aber  nur  nicht  dem  Zigeunervolke  ange- 
.  hörten.  Sie  war  desshalb  die  Zielscheibe  des  Spottes,  ja  selbst  der  Ver- 
achtung ausgesetzt  und  mit  dem  Schimpfworte  parne  lubHi  < weisse 
Metze)  benannt.  Ich  sagte  ihr  oft  und  oft :  sie  möge  der  Truppe  den 
Rücken  kehren  und  sich  irgendwo  niederlassen,  um  so  diesen  fortwäh- 
renden Gehässigkeiten  zu  entgehen.  Bei  einer  solchen  Gelegenheit  ant- 
wortete sie  mir:  nMe  nd  dza,  avava  jeka  iovdlji.  Dikh  tu  akor  mdn 
pirdnen  romau  (Ich  gebe  nicht,  ich  werde  eine  Zauberfrau.  Sieh  dann, 
(wie)  mich  die  Leute  lieben).  Sie  bat  mich  nun,  der  Truppe  mit- 
zuteilen, dass  ich  die  nächste  Nacht  im  Dorfe  zubringen  wolle.  Ich 
tat  es,  worauf  sie  mich  ersuchte,  die  Nacht  über  midi  in  der  Nähe 
der  Zelte  versteckt  zu  halten  und  von  Ferne  und  unbemerkt  den  kom- 
menden Skandal  anzusehen.  In  der  Nacht  nun  erwachte  die  Horde  auf 
ein  ohrzerreissendes  Geschrei.  Alle  rannten  zum  Zelte  der  parne 
lubHi,  die  am  ganzen  Leibe  zitternd  den  Staramgenossen  erklärte,  ein 
Niva&i  habe  sie  besucht,  und  dabei  auf  die  am  Boden  sichtbaren  zahl' 
reichen  Hufspuren  hinwies.  Hierauf  wari  sie  sich  auf  den  Boden,  mur- 
melte Zaubersprüche  und  verfiel  scheinbar  in  Verzückungen.  Am  näca- 
sten  Morgen  wurde  mir  der  nächtliche  Vorfall  mitgeteilt.  Als  ich  die 
Leute  frug:  woher  sie  es  wissen,  dass  auch  in  der  Tat  ein  Niva&i 
die  parne  lubHi  besucht  habe,  meinten  sie:  sie  hätte  es  i  nen  bewie- 
sen und  ich  dürfe  sie  nicht  mehr  parne  lubHi  nennen,  sonst  könnte 
es  mir  schlecht  ergehen.  Wie  sie  den  näheren  Beweis  für  die  Rich- 
tigkeit ihrer  Angabe  tührte,  unterlasse  ich  hier  zu  erwähnen;  kurz 
und  gut,  von  dieser  Zeit  an  geniesst  sie  ein  grosses  Ansehen  unter 
ihren  Stammgenossen  und  ist  als  Zauberfrau  auch  bei  der  siebenbür- 
gischen  Landbevölkerung  berühmt.  Sie  heist  Ileana  Darej. 

Solche  Zauberfrauen,  die  ihre  Kunst  von  einem  PchuvuS  oder  gar 
von  einem  Niva&i  erhalten  laben,  werden  von  den  Stamragenossen 
besonders  gefürchtet,  denn  man  glaub\  dass  sie  infolge  ihres  Umgangs 
mit  dem  PchnvuS  oder  NivaU  eine  Schlange  im  Leibe  hätten,  die  den, 
der  eine  solche  Zauberlrau  beleidigt,  zu  Grunde  richten  kann.  Um  den 
Sei« windel  zu  vervollständigen,  trinken  auf  solc  ^e  Weise  zu  Zauberfrauen 
gewordene  Weiber  die  nächstfolgenden  neun  Tage  bindurci  Pferde- 
milch, um  sich  —  wie  es  heisst  —  dadurch  vor  einer  Wiederholung 
des  Besuc5  es  seitens  des  Niva&i  oder  Pchuvuk  zu  sc  ȟtzen,  ihn  also 
von  sie  i  abzuwehren.  Wird  nun  eine  Zauberfrau  alt  und  gebrechlicD, 
so  bereitet  sie  sich  zur  Fahrt  ins  „Todtenreich"  vor,  indem  sie  sich 
die  Nägel  wachsen  lässt.  Ks  beisst  nämlich  im  Volksglauben,  dass  eine 
Zaubertrau  gar  schwer  ins  „Todtenreich"  gelangen,  und  sich  nur  mit 
ihren  langen  Nägeln  an  den  Felsenwänden  festhalten  kann,  die  sie  eben 
erklimmen  muss,  um  ins  Jenseits  zu  gelangen.  Stirbt  ein   Weib,  das 

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DR.  HEINRICH  V.  WUSLOCKI 


I 

durch  Umgang  mit  einem  NivaU  oder  PchuvuS  Zauberfrau  geworden 
ist,  so  fährt  ein  Blitz  ins  Wasser,  der  von  den  Nivasi- Leuten  aufge- 
fangen wird. 

Bei  der  Betrachtung  der  Zaubertrauen  letzterwähnter  Art  müs- 
sen wir  —  um  zum  mythologischen  Kern  dringen  zu  können  —  die 
Schlange,  deo  Blitz  und  die  Pferd'tnilch  besonders  hervorheben. 

Wie  erwähnt,  sollen  Zauberfrauen  nach  gepflogenem  Umgange 
mit  NivaSi  Leuten  eine  Schlange  im  Leibe  haben;  lerner  heiast  es, 
dass  beim  Tode  einer  solchen  Zauberfrau  ein  Blitz  ins  Wasser  ("also 
in  die  Wohnung  der  Wassergeister)  fährt  der  vom  „Allsamenbaum"  *), 
der  am  Himmel  „blüht*  und  alle  Kräuter  der  Welt  trägt,  kommend 
den  A7iVas/-Leuten  Heilkräuter  mitbringt,  auf  deren  Gebrauch  sie  dann 
die  Weiber,  mit  denen  sie  Umgang  geflogen,  lehren  und  dieselben  da- 
durch zu  Zauberfraucn  machen.  Der  die  Heilkräuter  enthaltende  und 
von  dem  Niva&i  aufgefangene  Blitz  wird  also  infolge  geschlechtlichen 
Umgangs  als  Schlange  in  den  Leib  der  Zaubertrau  überfragen,  ihr 
gleichsam  die  Zauberkunst  eingeimpff.  l)ass  sich  dieser,  gegenwärtig  zu 
reinem  Schwindel  herabgesunkene  Glauben  aus  den  sogenannten  Na- 
turmythen entwickelt  hat,  unterliegt  kaum  einem  Zweifel.  **)  Geben  wir 
weiter.  Uta  na  Varej  zeigte  ihren  Stammgenossen  die  Hufspuren  in  ih- 
rem Zelte,  als  Reweis  dafür,  dass  sie  in  der  Tat  ein  AVpasi  besucht 
habe.  Dem  Volksglauben  der  Zigeuner  gemä**  haben  die  Wassergei- 
ster, die  Niva&i,  Pferdefüsse  und  um  diese  Wesen  von  sich  ferne  zu 
halfen,  trinkt  die  Zauberfrau  neun  Tage  lang  Pferdemilch.  Hier  finden 
wir  also  einen  Nachhall  der  indogermanischen  Naturmytbe  vom  Don- 
nerross,  den  rossgestalligen  Kentauren  (den  Chiron  an  der  Spitze), 
und  von  den  indischen  Acvinen.  Hiebei  müssen  wir  besonders  zwei 
Mythen  in  Bcf rächt  ziehen:  die  eine,  nach  der  Poseidon  und  Demeter- 
Erinnys  mit  einander  als  Rosse  buhlen  und  die  Despoina  und  den 
Arion  erzeugen;  die  andere,  nach  der  Kronos  mit  der  Philyra  so  den 
Cheiron  zeugt ;  —  diesen  beiden  entspricht  der  indische  Mythos  von 
der  Vermählung  des  Vivasvat  und  der  Saranyu  in  Pferdegestalt.  Aus 
letzterer  Verbindung  entstammen  „die  himmlischen  Heilärzte",  das 
Zwillingspaar  der  Acvinen,  welche  davon  „die  Stutensöhne*  heissen ; 
nach  dem  greichischen  Mythos  enstammt  der  Buhlschaft  des  Kro- 
nos mit  der  Philyra  der  „rossgestaltige"  Kentaur  Cheiron.  der  hilf- 
reiche .mythische  Arzl"  der  Griechen,  bei  dem  auch  der  Name  des 
Tausendgüldenkrautes  „  Kentaurion u  noch  speciell  auf  die  ursprüngli- 
che Art  seiner  angeblichen  ärztlichen  Tätigkeit  in  ihrer  Beziehung  zu 
„heilbringenden  Kräutern"  hinweist.  ***) 

*)  Ygl.  meine  Sammlung:  „Märchen  und  Sagen  der  transsilvanischen  Zigeu- 
ner" (Berlin.  Nicolai'sche  Verlagsbuchhandlung). 

**)  Vgl.  W.  Schwartz  Die  rossgestaltigen  Himmeisärzte  bei  Indern  und  Grie- 
chen (in  der  Zeitschrift  für  Ethnologie,  Berlin  1888,  V  Hft.  S.  222.)  Vgl.  auch 
sein  grundlegendes  Werk:  -Ursprung  der  Mythologie*  S.  43.  und  Schrotder,  Indi- 
ens Literatur  und  Cultur  Leipzig  1887  S.  377. 

***)  Vgl.  W.  Schwärt«  a.  a.  0.  S.  228. 

86 


WESEN  UND  WIRK.  DER   ZAUBERFRAUEN   BEI  DEN  SIEBENB.  ZIGEUNERN. 


Zu  berücksichtigen  sind  noch  die  zigeunerischen  Redensarten, 
die  bei  einem  Gewitier  angewendet  werden:  Romfn  hl  Nivaüi  (Der 
Nivaäi  heiratet)  oder:  Pujen  Niva&ä  (Die  Niva&i  begatten  sich,  vgl. 
die  feurige  Geburt  des  Asklepios.)  Wie  die  phantasievolle  Vorstellung 
der  indogermanischen  Urzeit  den  himmlischen  Helfern  eine  rossartige 
Gestalt  verleiht,  um  dann  mit  dem  Fortschritt  der  Cultur,  in  mehr 
historisch  werdender  Zeit  aus  ihnen  den  indischen,  menschlich  göttli- 
chen Dhanvanlari  oder  den  griechischen  Asklepios  zu  schaffen,  so 
spielt  sich  diese  Wandlung  im  zigeunerischen  Volksglauben  gleichsam 
vor  unseren  Augen  ab,  indem  der  Blitz  vom  Allsamenbaum  dem  ross- 
füssigen  Nivasi  die  Heilkräuter  (Heilkraft)  bringt,  dieser  durch  geschlecht- 
lichen Umgang  diese  Eigenschaft  zu  heilen  in  Gestali  einer  Schlange 
(als  Sinnbild  des  Blitzes)  auf  eine  irdische  Frau  überträgt,  somit  gleich- 
sam einen  Kreis  schliesst,  der  mit  dem  Blitz  beginnt  und  mit  dem 
Blitz  abschliesst.  Wenn  also  im  indogermanischen  Mythos  aus  schöp- 
ferischem Reiz  eine  Anregung  zur  Umgestaltung  jener  himmlischen 
Helfer  in  mehr  menschliche  Wesen  beginnt  und  zwar  einem  Notwen- 
digkeitedrange  zur  Befriedigung  eines  bei  der  Gebrechlichkeit  der  Men- 
schen gefühlten  Bedürfnisses  nach  Heilkünstlern  folgend,  —  so  sehen 
wir  auch  im  zigeunerischen  Volksglauben  diese  dem  Himmel  (dem  AU- 
saraenbaum)  entstammende  Heilkraft  notwendigerweise  auf  irdische, 
für  den  primitiven  Menschen  handgreifliche  Wesen  übertragen.  Und  dies 
sind  für  die  Zigeuner  eben  die  Zauberfrauen,  und  den  Glauben  an  sie 
und  ihre  Heilkraft  beseelt  auch  nur  der  Wunsch  nach  Heilung,  das 
sehnende  Hoffen  auf  ein  übelbefreiendes  Erlösungswort,  das  bei  jedem 
Volke,  sowol  bei  Naturstämmen,  als  auch  bei  Culturträgern,  zu  jeder 
Zeit  die  religiösen  Ideale  mehr  oder  weniger  deutlich  durchklingt.  Wie 
der  ganze  mythische  Bau  dieses  Glaubens  bei  den  Zigeunern  ursprüng- 
lich geformt  war,  können  wir  aus  den  jetzigen  Trümmern  nicht  er- 
schliessen;  so  viel  aber  ist  gewiss,  dass  es  zunächst  der  körperliche 
Schmerz  war,  der  seine  Helfer  verlangte  und  den  Grund  zu  den  phan- 
tasievollen Gebilden  dieses  Mythos  legte. 

So  treten  denn  auch  die  Zauberfrauen  der  Zigeuner  in  erster 
Reihe  als  Helfer  und  zwar  als  Heilkünstler  auf,  sowohl  für  Mensch,  als 
auch  für  Tiere.  Sie  können  die  Zauberformeln,  durch  welche  der  Misech 
(das  Schlechte,  der  Krankheitsdämon)  aus  dem  Körper  des  Siechenden 
vertrieben  werden  kann;  sie  haben  die  Macht  und  Kraft  die  Seele 
der  Menschen  zu  .binden  und  zu  lösen",  Liebe  und  Hass  zu  entfa- 
chen und  zu  vernichten:  und  wie  die  physichen  Angriffe,  wissen  also 
die  Zauberfrauen  auch  psychische  Störungen  zu  bekämpfen.  Sie  haben 
also  noch  immer  dieselbe  Rolle,  die  bei  Naturvölkern  die  Priester  hat- 
ten vor  der  Trennung  der  Seelsorge  von  der  leiblichen.  Im  Bewusst- 
sein  überirdischer  Begabung  oder  im  zuversichtlichen  Vertrauen  auf 
die  helfende  Kraft  überirdischer  Wesen  wird  durch  Kenntnis  zauber- 
kräftiger Formeln  und  Kräuter  geheilt. 

Wie  bei  der  Heilung  von  Krankheiten,  seien  dieselben  nun  phy- 
sische oder  psychische  Angriffe,  —  muss  die  Zauberfrau  auch  in  an- 

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DB.  L.  KATONA 


deren  Kenntnissen  ihr  Können  beweisen,  um  wirksame  Talismane  und 
Fetische  dem  Volke  verteilen  zu  können.  Selbst  für  die  täglichen  Le- 
beosbedürfnisse muss  sie  ihre  Macht  bekunden,  indem  sie  die  Zukunft 
voraussagt,  das  Unglück  abweist,  überhaupt  durch  zauberkräflige  Mit- 
tel das  (ielingen  eines  Unternehmens  befördert.  Nicht  nur  die  Todten 
zu  bannen,  sondern  auch  die  Weiterung  zu  regeln,  muss  die  Zauber- 
frau verstehen,  um  ihre  Verbindung  mit  überirdisc  en  Wesen  darzule- 
gen. Ihre  Holle  entspricht  im  Grossen  und  Ganzen  der  der  Priester  pri- 
mitiver Völker. 


Recht  und  Unrecht. 

Ein  magyarisches  Märchen  mit  seinen  Varianten  und  Parallelen. 
Übersetzt  und  verglichen  von  Dr.  L.  Katona. 

Ks  gieng  einmal  ein  Mann  seines  Weges.  Am  Kreuzwege  traf  er 
einen  zweiten  Mann;  sie  sagen  sich  gegenseitig  guten  lag,  dann  fragt  der 
eine  den  andern:  Wer  bist  du,  Kamerad?  —  Sagt  darauf  der  andere: 
Ich  bin  der  Träger  der  Wahrheit.  Und  wer  bist  denn  du,  Freund?  — 
Ich  bin  die  Falschheit  und  der  Träger  der  Falschheit.  —  Nun.  ent- 
gegnet darauf  die  Wahrheit,  dann  passen  wir  schlecht  zusammen.  — 
Warum  sollten  wir  nicht  passen?  versetzt  die  Falschheit.  Kann  man 
doch  mit  der  Falschheit  besser  auskommen  als  mit  der  Wahrheit.  — 
Das  will  ich  nicht  glauben,  meint  die  Wahrheit.  Ist  doch  der  fal- 
sche Mensch  und  eine  falsche  Seele  stets  in  Ängsten.  —  Das  sollst  du 
nicht  glauben,  entgegnet  der  Falsche,  denn  der  Unlautere  hat  weniger 
zu  türchten  als  der  Redliche.  —  Da  streiten  nun  die  beiden  über  diese 
Frage  solange  herum,  bis  sie  recht  hart  an  einander  gerieten.  Doch 
meinte  endlich  der  Falsche,  es  wäre  des  unnützen  Streites  genug  und 
weit  besser,  wenn  sie  sich  nach  einem  Nachtlager  umsehn  würden, 
ehe  es  noch  ganz  finster  geworden.  Damit  giengen  sie  auch  weiter, 
beide  in  derselben  Richtung,  wo  sie  eine  Stadt  in  der  Nähe  wahrnah- 
men. Ehe  sie  aber  noch  die  Stadt  erreichen  konnten,  wurde  es  späte 
Nacht,  so  dass  der  Träger  der  Wahrheit  zum  Falschen  gewendet 
meinte,  das  beste,  was  sie  nunmehr  tun  könnten,  wäre  hier  auf  dem 
Wege,  unterm  Kreuze  zu  übernachten,  da  sie  zu  so  später  Nachtzeit 
in  der  Stadt  kein  Obdach  finden  dürften.  Dem  Falschen  war  auch 
dies  recht.  Meinetwegen,  so  sprach  er.  können  wir  wo  immer  über- 
nachten und  sei  es  in  der  tiefsten  Hölle,  denn  ich  fürchte  mich  vor 
gar  nichts  auf  dieser  Welt!  Nun  giengen  sie  richtig  unter  das  Kreuz 
am  Wegesrande  und  legten  sich  zum  Schlafen.  —  Warte  nur,  dachte 
der  Falsche  bei  sich,  du  wirst  es  bald  zu  wissen  bekommen,  wer  von 
uns  beiden  recht  gehabt?  Schlafe  nur  schön  ruhig,  ich  werde  dich 
schon  Ichren.  dass  dir  die  Lust  vom  Wahrheittragen  vergeht!  Nach- 
dem sie  noch  eine  Weile  geplaudert,  fiel  der  (iereehte  bald  in  einen 

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I 


RECHT  UND  UNRECHT 


tiefen  Schlaf.  Nun  denkt  der  Falsche,  die  Zeit  seiner  Rache  sei  gekommen. 
Er  nimmt  sein  Taschenmesser  hervor  und  sticht  damit  dem  Schlafen- 
den beide  Augen  aus.  Nun  kjnnst  du  gehn  und  mit  deiner  Wahrheit 
den  Weg  suchen,  solange  du  willst  —  spottete  seines  Opfers  der  Fal- 
sche. I)er  Wahrhaftige  aber  entgegnete  ruhig,  dass  er  auch  geblendet 
nur  der  Wahrheit  nachhängen  und  sie  nimmer  aufgeben  werde.  Hie- 
rauf wurde  er  vom  Träger  der  Falschheit  verlassen.  Wahrheit  lag  nun 
mit  ausgeronnenen  Augen  unterm  Kreuze  und  dachte  darüber  nach, 
was  er  fortan  beginnen  solle?  Er  gienge  von  dannen,  doch  wie  soll  er 
sich  ohne  Führer  von  der  Stelle  rühren?  Ich  bleibe  noch  eine  Weile 
hier  sitzen,  so  meinte  er  schliesslich,  —  und  warte  getrost,  da  ich 
weiss,  dass  Gott  den  gerechten  Menschen  nicht  verlässt  —  Da  sassen 
zur  selben  Stunde  drei  Raben  auf  dem  Kreuze,  die  gerade  aus  ihrem 
Schlafe  erwachten.  Schläfst  du  noch,  Kamerad?  fragt  der  erste  Rabe 
den  anderen.  Ich  habe  schon  längst  ausgeschlafen,  entgegnet  der  an- 
dere. Nun  denn,  so  spricht  der  erste,  wenn  du  nicht  mehr  schlafen 
kannst,  so  könnten  wir  uns  die  Langweile  der  Nacht  mit  Gesprächen 
über  den  Weltlauf  verkürzen.  Was  sollen  wir  aber  besprechen?  fragt 
der  andere.  Die  nächste  Stadt  hier  vor  uns,  meint  der  erste.  Du  weisst 
doch  von  der  tiefen  Trauer,  die  dort  herrscht,  und  von  der  grossen 
Wassernot,  der  Ursache  dieser  Trauer?  —  Und  wie  leicht  wäre  es  ihnen 
dorf  in  der  Stadt,  der  Not  ein  Ende  zu  machen,  —  versetzt  der  zweite 
Rabe  Wenn  sie  nur  wüssten,  wie  es  auzufangen!  Vielleicht  dass  du 
darum  weisst?  —  fragt  weiter  der  erste.  Wie  sollt'  ich  es  nicht  wis- 
sen, entgegnet  der  zweite.  In  der  Mitte  jener  Stadt,  auf  dem  mit  Stei- 
nen gepflasterten  Hauptplatze  ist  ein  grosser  viereckiger  Stein.  Nur 
diesen  brauchten  sie  zu  heben  und  darunter  ein  wenig  zu  graben,  so 
hätten  sie  eine  Quelle,  die  ihnen  Wasser  im  Überflusse  spenden  könnte. 
—  Das  hört  der  arme  Blinde  unterm  Kreuze  mit  an,  —  doch  spricht 
darauf  der  andere  Rabe :  Nun  will  auch  ich  ein  Märlein  sagen.  Zehn 
Schritte  von  diesem  Kreuze  befindet  sich  ein  Brunnen,  von  dem  nie- 
mand was  weiss ;  und  doch  ist  sein  Wasser  so  heilkräftig,  dass  der 
Blinde  sich  damit  nur  ein  einzigesmal  die  Augen  zu  waschen  hat, 
wenn  er  sein  gesundes  Gesicht  znrückerhalten  will.  Da  will  zum  Schlüsse 
auch  der  dritte  Rabe  was  Neues  erzählen.  Des  Königs  Tochter,  so 
spricht  er,  ist  bereits  seit  drei  Jahren  todeskrank.  Kein  Arzt  der  Welt 
kann  ihr  helfen.  Und  doch  ist  nichts  leichter  als  ihr  Übel  zu  heilen, 
wenn  man  nur  um  das  Mittel  wüsste!  Vor  drei  Jahren  war  nämlich 
das  Mädchen  bei  der  Communion.  Nachhause  gekehrt,  war  es  ihr 
übel  und  sie  musste  sich  übergeben.  Die  heil.  Hostie  kam  dabei  auf 
die  Erde  zu  fallen,  und  eine  Kröte,  die  unterm  Bette  verkrochen  war, 
schnappte  dieselbe  auf  und  hält  sie  noch  heute  im  Munde  verborgen. 
Wenn  man  nun  diese  Hostie   dem  Tiere  entreissen  und  sie  der  Kö- 
nigstochter eingeben  würde,  so  wäre  diese  im  selben  Augenblicke  ge- 
nesen. —  Das  Gespräch  der  Raben  wurde  aber,  wie  gesagt,  vom  Blin- 
den mitangehört. 

Bei  Tagesanbruch  flogen  die  Raben  davon.  Der  arme  Blinde  aber 

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DR.  L.  KATONA 


zerbrach  sich  den  Kopf  darüber,  wie  er  den  Brunnen  finden  könnte, 
von  dem  der  zweite  Vogel  gesprochen  hatte  und  der  ihm  nach  seiner 
Überzeugung  das  Gesicht  wiedergeben  könnte.  Das  Kreuz  will  er  auch 
nicht  verlassen,  in  der  Furcht,  es  nicht  mehr  finden  zu  können. 
Da  fallt  ihm  auf  einmal  ein,  dass  er  sich  auszieh  n,  seine  Kleidungs- 
stücke zu  einem  zehn  Schritt  langen  Leitseil  zusammenbinden  und  das 
eine  Ende  desselben  ans  Kreuz  geknüpft,  am  andern  sich  festhaltend, 
den  Brunnen  aufsuchen  wird.  Gedacht,  getan!  Nachdem  er  den  Brun- 
nen in  der  besagten  Entfernung  richtig  angetroffen,  wusch  er  sich  in 
demselben  und  —  sieh  da!  er  sah  wieder  eben  so  put  wie  vor  seiner 
Blendung.  Man  kann  sich  seine  Freude  denken.  Nun  weiss  ich.  so 
sprach  er  bei  sich,  dass  die  Raben  die  Wahrheit  geredet.  Damit  klei- 
dete er  sich  an,  und  gieng  in  die  Stadt.  Da  sieht  er  die  Einwohner  in 
der  grössten  Bestürzung ;  der  eine  passt  nach  dieser,  der  andere  nach 
jener  Seile  auf.  Was  lauert  ihr  so  ungeduldig,  und  worauf  wartet  ihr 
denn  mit  solcher  Sehnsucht?  so  fragt  er  die  Bürger,  die  er  in  den 
Gassen  antrifft  —  Wir  warten  auf  ein  Wasserfass,  —  wird  ihm  zur 
Antwort,  —  denn  nicht  einmal  zum  Waschen  haben  wir  das  nötige 
Wasser.  —  Und  könnt  ihr  denn  keinen  Brunnen  graben  ?  so  fragt  wei- 
ter der  Fremde.  —  Der  könnte  sieb  bei  uns  ein  schweres  Geld  ver- 
dienen, entgegnen  die  Städter,  der  uns  einen  Brunnen  graben  könnte. 
Doch  haben  sich  schon  manche  bei  uns  damit  versucht,  ohne  auch 
nur  auf  einen  Tropfen  Wasser  zu  stossen.  —  Was  würdet  ihr  guten 
Leute  mir  wol  geben,  wenn  ich  euch  einen  Brunnen  graben  würde? 
fragt  der  Wahrhaftige.  —  0,  Freund!  Du  könnlest  kaum  so  viel  for- 
dern, dass  wir  es  dir  nicht  gerne  gäben,  wenn  du  wirklich  einen  zu 
graben  vermöchtest !  —  Ihr  sollt  keine  weitere  Sorge  haben,  meint  der 
Fremdling,  und  damit  lässt  er  sich  nach  dem  Stadl  hause  bringen,  wo 
der  Stadthauptmann  ihn  sofort  ins  Verhör  nimmt.  Wer  bist  du?  so 
fragt  ihn  der  gestrenge  Herr.  —  Ich  bin  nur  ein  armer  Wanderer, 
doch  rechtschaffenen  und  milden  Herzens,  erwidert  ihm  der  Träger 
der  Wahrheit.  —  Und  was  ist  hier  dein  Begehren?  —  Ich  will  euch 
einen  Brunnen  graben,  denn  ich  sehe,  dass  ihr  kein  Wasser  habet, 
und  infolge  dessen  die  grösste  Not  leidet.  —  Freund,  sagt  hierauf  der 
Hauptmann,  wenn  du  die  Wahrheit  sprichst  und  uns  wirklich  Wasser 
verschaffen  kannst,  so  warst  du  die  längste  Zeit  ein  armer  Teufel.  — 
Seid  getrost,  wenn  ich  einmal  sage,  dass  euerer  Not  abgeholfen  wer- 
den soll;  gebet  mir  nur  einige  Männer  zur  Aushilfe,  die  mir  beim 
Graben  beistehn  sollen.  —  Du  sollst  so  viele  haben  als  du  nur  benö- 
tigst, versetzt  der  Hauptmann.  —  Zehn  Männer  dürft'  ich  wohl  brau- 
chen, sagt  der  Wahrhaftige,  um  mit  der  Arbeit  rascher  fertig  zu  wer- 
den. —  Und  wenn  du  deren  hundert  fordern  würdest,  so  wären  sie 
dir  sofort  zur  Hand,  wenn  du  nur  einmal  begonnen.  Wo  willst  du  aber 
den  Brunnen  graben?  —  In  der  Mitte  eures  Hauptplatzes  sollt  ihr  ihn 
haben,  meint  der  gute  Mann,  damit  ihn  ein  jeder  gleich  weit  und  gleich 
nahe  habe.  -  Das  wäre  gerade  das  Hechte,  wenn  du  ihn  auf  besagter 
Stelle  graben  könntest!  —  Wenn  ich  euch  einmal  mein  Wort  gege- 


40 


ÄfcCHT  UND  UNRECHT. 


ben,  meint  der  arme  Fremdling,  so  könnt  ihr  euch  darauf  verlassen. 
Damit  geht  er  auf  den  Platz  und  sucht  die  Stelle  mit  dem  viereckigen 
Steine  auf.  Kaum  war  dieser  emporgehoben,  als  bereits  nach  einigen 
Spatenhieben  d*is  Wasser  in  einem  starken  Stral  hervorquoll  und  in 
alle  Riehl  ungen  zu  rinnen  begann  Nun  könnt  ihr  —  so  spricht  der 
Wahrhaftige  zu  den  Bürgern  —  Kanüle  für  eine  jede  Gasse  graben 
und  ihr  werdet  fortan  das  Wasser  nicht  mehr  für  teures  Geld  kaufen 
müssen.  Sein  Hat  wurde  auch  sofort  befolgt,  und  das  Wasser  rann 
ganz  lustig  in  allen  Gassen  der  Stadt,  wo  eitel  Freude  über  den  rei- 
chen Segen  herrschte.  Der  Hauptmann  Hess  nun  den  armen  Mann 
zu  sich  bestellen,  und  fragte  ibn,  was  er  lür  seinen  guten  Dienst  for- 
dere? Ihr  möget  nur  geben,  was  euch  beliebt,  —  war  die  Antwort 
des  Wahrhaftigen.  Nun,  da  hast  du  diesen  Strumpf  voll  Geldes;  dies 
sei  dein  Lohn ;  und  mit  der  Bedingung,  dass  du  das  Geld  nur  auf 
rechtem  WTege  verausgabest,  sollst  du  von  mir  immer  einen  neuen 
bekommen,  so  oft  er  leer  geworden.  Der  arme  Mann  steckt  den  Strumpf 
zu  sich,  und  nachdem  er  sich  beim  Hauptmann  schön  bedankt,  zieht 
er  seines  Weges.  Nun,  so  denkt  der  Wahrhaftige  bei  sich,  jetzt 
werd'  ich  noch  die  Königstochter  auffinden,  von  der  mein  dritter  Habe 
gesprochen.  Vielleicht  wird  auch  dieser  Spruch  sich  bewähren. 

Am  Königshofe  angekommen,  spricht  er  beim  Hofmeister  vor, 
der  ihn  nach  seinem  Begehren  fragt.  Ich  möchte  die  Tochter  des  Kö- 
nigs besuchen,  antwortet  der  Fremde.  Und  wozu  das?  fragt  ihn  der 
Hofmeister  weiter.  —  Ich  habe  gehört,  dass  sie  krank  sein  soll,  und 
ich  möchte  sie  heilen.  Sagt  darauf  der  Hrn.:  Ja  Freund,  das  meinst 
du,  giengeso  leicht!  Waren  doch  andere  und  berühmtere  Leute,  die 
ersten  Ärzte  der  Wrelt  vor  dir  mit  demselben  Vorhaben  da,  und  konn- 
ten alle  miteinander  nichts  ausrichten.  —  Doch  hat  man  sie  darum 
nicht  gehenkt,  wenn  ich  fragen  darf?  —  Da  kannst  du  ohne  Sorge 
sein,  entgegnet  der  Hofmeister,  kein  Haar  wurde  ihnen  gekrümmt, 
und  man  hat  ihnen  noch  den  doppelten  Lohn  ihrer  Mühe  ausbezalt. 
—  Nun,  dann  werden  sie  wol  auch  mich  nicht  henken,  zumal  ich 
gar  keine  Belohnung  heische  sondern,  recht  gern  mit  dem  zufrieden 
bin,  was  man  mir  nach  Belieben  der  königlichen  Eltern  zu  spenden  für 
gut  finden  wird.  —  Wolan  denn,  so  spricht  der  Hofmeister,  —  hab' 
ich  doch  mehr  als  einmal  gehört,  dass  mancher  Bauer  mehr  weiss, 
als  viele  von  den  studierten  Herrn  Damit  giengen  sie  zum  König  hin- 
ein. Der  Hofmeister  meldet  der  Majestät,  es  wäre  ein  Mann  vor  der 
Türe,  der  sich  anheischig  macht,  die  Königstochter  zu  kurieren  Dem 
König  wäre  keine  Nachricht  willkommener  gewesen,  auch  wurde  der 
Fremde  sofort  hereinbestellt.  —  Was  bist  du  denn?  guter  Mann,  so 
fragt  ihn  der  König.  —  Ich  bin  nur  ein  armer  W'anderer,  Herr,  doch 
ohne  Falschheit  und  guten  Herzens.  —  Was  ist  deines  Kommens 
Zweck?  -  Ich  möchte  mit  Ew.  Majestät  gnädiger  Erlaubnis  Ihre 
Tochter  heilen.  —  Wie  sollte  ich  dies  nicht  erlauben?  entgegnet  der 
König,  —  wenn  du  es  nur  fertig  bringen  könntest !  Kostet  mich  doch 
diese  Krankheil  meiner  Tochter  mehr  als  eine  Million!  —  Nun  dann, 


HerTmmn,  Kihnologi.che  Mittelungen.  41 


4 


DR.  L.  KATOKA 


Majestät  und  gnädiger  Vater,  -  sagt  der  arme  Mann,  —  dann  möge 
man  mich  zur  Prinzessin  hinein  führen ;  mit  (ioltes  Hilfe  hoffe  ich 
sie  zu  heilen.  —  Man  führt  den  armen  Mann  sofort  zur  Königstoch- 
ter. Er  sieht  die  Kranke  an,  die  schon  so  trocken  und  ausgezehrt  im 
Bette  aussah,  wie  das  Bild  des  heil.  Johannes  in  Suczawa.  Der  Fremd- 
ling schickt  nun  die  HofTräulein  aus  dem  Zimmer,  und  als  sie  fort 
waren,  hob  er  unter  dem  Bette  eine  Diele  auf,  fand  unter  derselben 
die  von  den  Raben  besagte  Kröte,  und  in  deren  Maule  die  Hostie. 
Kaum  hatte  die  Königstochter  die  Hostie  verschluckt,  so  reckte  und 
streckte  sie  sich  im  Bette,  dass  ihr  alle  Glieder  krachten,  und  wollte 
gleich  aufstehn.  Dies  musste  sie  aber  für  eine  Weile  noch  bleiben  las- 
sen, da  sie  von  der  Krankheit  sehr  entkräftet  war.  Dann  verlangte  sie 
aber  sofort  etwas  zu  essen,  was  ihr  auch  ohne  Aufschub  gewährt  wurde; 
und  sie  ass  mit  einem  Appetit,  der  den  König  in  gross tes  Staunen 
versetzte.  Nachdem  sie  etwas  zu  sich  genommen,  war  sie  schon  soweit 
gestärkt,  dass  sie  im  Bette  sitzen  konnte.  Auch  sagte  sie,  dass  ihr 
eigentlich  gar  nichts  mehr  fehle,  nur  dass  sie  noch  zu  schwach  sei, 
um  gehn  zu  können.  Der  König  meinte,  dies  wäre  kein  so  grosses 
Übel  mehr,  dass  sich  durch  kräftige  Nahrung  nicht  bald  beseitigen 
Hesse.  Darauf  führte  er  den  armen  Mann  mit  sich,  und  fragte  ihn, 
was  er  wol  für  seinen  Dienst  fordere?  Dieser  gab  zur  Anlwort,  man 
möge  ihm  geben,  was  man  eben  will,  ihm  sei  alles  recht.  Da  gab  ihm 
der  König  einen  Strumpf  voll  Geldes,  und  sagte:  er  möge  nur  das 
(ield  ruhig  und  unbekümmert  ausgeben,  und  wenn  es  alle  wäre,  so 
kann  er  wann  immer  bei  ihm  vorsprechen ;  für  den  Fall,  dass  seine 
Tochter  ihre  Gesundheit  wirklich  wiedererlangt,  soll  er  für  seine  Le- 
benszeit reichlich  versorgt  sein.  —  Der  Fremde  gieng  mit  bestem  Danke 
aus  dem  Hause  des  Königs  und  zog  weiter. 

Draussen  vor  dem  Staditore  trifft  er  mit  dem  Falschen  zu- 
sammen, der  ihn  seines  Augenlichtes  beraubt  hatte.  Sie  erkannten  ein- 
ander sofort,  und  nach  gegenseitiger  Begrüssung  hub  der  Wahrhaf- 
tige zum  Falschen  gewendet  an:  Nun,  siehst  du,   dass  ich  dennoch 
recht  gehabt,  und  dass  du  falsche  Seele  mir  umsonst  die  Augen  aus- 
gestochen, da  ich  heute  eben  so  gut  sehe  wie  ehedem.  Was  hast  du 
aber  unterdessen  mit  deiner  Falschheit  gewonnen?  Ich  habe  mir  un- 
terdessen diese    zwei  Strümpfe  voll  Geldes   verdient.  —  Und  wie 
denn?  fragte  ihn  der  Falsche.  Da  berichtet  nun  der  Wahrhafiigc  den 
ganzen  Hergang  von  dem  Gespräche  der  Haben  und  das  Weilen».  — 
Warle  nur,  denkt  sich  der  Falsche,  wenn  ich  zum  K reize  gehe  und 
den  Haben  erzähle,  wie  du  ihrem  Gespräche  gelauscht,  werden  sie  es 
dir  schon  heimzahlen.  So  tat  er  auch,  und  traf   die  drei   Vögel  ge- 
rade zur  Zeit,  wo  sie  aus  ihrem  Schlafe  erwachend,  ein  Gespräch  an- 
knüpfen wollten.  Sagt  der  eine  zum  andern:   Höre,  mein  Kamerad, 
neulich  sprachen  wir  da  über  so  manches,  und  wurden  dabei  belauscht, 
wie  ich  daraus  entnehme  dass  man  in  der  nahen  Siadt  bereits  keine 
Not  mehr  am  Wasser  leidet.  Jetzt  wollen   wir  vorsichtig  sein  und 
schweigen,  denn  es  könnte  uns  wieder  ein  unwillkommener  Horcher 


42 


RECIIT  UND  UNRECHT. 


aufpassen.  Daraufhin  fliegt  einer  von  den  Raben  vom  Kreuze  herab, 
und  bemerkt  unter  demselben  einen  Menschen.  Holla!  Kameraden,  so 
ruft  er,  da  ist  der  Schuft,  der  uns  neulich  belauscht  hat  und  jetzt 
wieder  aushorchen  möchte!  Damit  werfen  sich  die  drei  Raben  wütend 
auf  den  Falschen,  zersausen  und  zerfetzen  ihn  in  so  viele  tausend 
kleine  Stücke,  dass  man  heute  überall,  wo  man  nur  hinblickt,  nichts 
als  Falsches  und  Falschheit  sieht.  Wer  es  nicht  glauben  will,  der  kann 
sich  davon  überzeugen,  wenn  er  nur  die  Augen  aufmacht;  überall  wird 
ihm  die  Falschheit  in  der  Welt  entgegentreten. 

(Aufgezeichnet  von  Dominik  Zsid6  in  Hertelendyfalva  aus  dem 
Munde  von  Csangö-Magyaren  die  aus  der  Bukowina  in  den  80-er 
Jahren  nach  Südungarn  repatriiert  worden  sind.  Herr  Zsidö,  königl. 
Zollamtscontrollor  in  Pancsova,  hat  sich  als  Betrauter  der  Regierungs- 
commission erhebliche  Verdienste  um  die  südungarischen  Csängö-An- 
siedlungen  erworben,  und  auf  Anregung  des  Herausgebers  dieser  Zeit- 
schrift die  günstige  Gelegenheit  zur  Aufzeichnung  wertvollen  folkloris- 
tischen Materials  fleissig  benutzt,  das  er  den  Ethnol.  Mitt  zur  Verfü- 
gung zu  stellen  die  Güte  hatte.) 

(Schhws  folgt.) 


Ethnographie.  Ethnologie.  Folklore.  *) 

Von  L.  Katona. 

(Auszug  aus  einem  Vortrage,  gehalten  in  der  Sitzung  der  Gesellschaft  für  die  Völ- 
kerkunde Ungarns  am  11.  Janaar  1890.) 

Es  ist  eine  in  der  Geschichte  der  Wissenschaften  sich  oftmals 
wiederholende,  sozusagen  reguläre  Erscheinung,  —  weil  sie  zugleich  eine 
Folge  das  natürlichen  Ganges  der  Entwickelung  des  menschlichen  Gei- 
stes ist,  —  dass  neue  Wissenschaftszweige  gezwungen  sind  eine  Zeit  lang 
um  ihre  Existenz  zu  kämpfen.  Oder,  da  es  —  nach  der  sehr  richtigen 
Bemerkung  von  Wundt,  —  neue  Wissenschaftsfächer  im  strengsten 
Sinne  des  Wortes  nicht  gibt,  so  können  wir  berechtigterweise  nur 
sagen,  dass  die  neuen  Richtungen  der  wissenschaftlichen  Untersuchung 
so  lange  als  Schosslinge  eines  altern  Stammes  treiben  und  wachsen, 
bis  sie  genügende  Kraft,  und  Lebensfähigkeit  erlangt  haben,  um  sich, 
von  ihrem  Stamme  getrennt,  selbständig  fortzuentwickeln,  und  dann 
oft.  wieder  Stämme  für  neue  Schosslinge  abzugeben. 

So  sehen  wir,  dass  —  teils  schon  im  vorigen  Jahrhunderte,  teils 
erst  in  diesem  —  die  verschiedenen  Philologien  sich  eine  selbständige 
Existenz  erobert  haben.  Und  ehe  diese  Lehrsysteme  auch  nur  halbwegs 
dazu  gekommen  sind,  das  auszubauen,  wozu  ihre  in  mancher  Hin- 
sicht verfehlten,  weil  auf  einer  incohaerenten  Grundlage  aufgeführten 
Baugerüste  dienen  sollten,  —  geraten  sie  bereits  auf  zwei  verschiede- 
nen Seilen  in  Grenzstreitigkeiten:  auf  der  einen  Seite  mit  der  von 

*)  S.  Ethnograpbia,  I.  8.  69.  ff. 

43  4* 


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DR  L.  KATONA 


ihnen  sich  mehr  und  mehr  loslösenden  und  immer  selbstständiger  wer- 
denden Sprachwissenschaft,  auf  der  anderen  Seite  mit  der  Ethnologie. 
Die  letztere  entwickelte  sich  anfangs  in  einem  engeren  wechselseitigen 
Verhaltnisse  mit  der  Geographie  und  Geschichtskunde,  und  trat  dann  auf 
halbem  Wege  zu  der  aus  der  Anatomie  und  Biologie  erwachsenen 
Anthropologie  in  nähere  Beziehung.  So  schwankte  sie  an  der  Grenze 
der  Naturwissenschaften  im  engeren  Sinne,  und  der  sogenannten  Gei 
steswissenschaften,  und  neigte  sich  bald  der  einen,  bald  der  andern 
Seite  zu,  je  nachdem  ihre  jeweiligen  Pfleger  der  einen  oder  der  ande- 
ren Schule  angehörten. 

Die  Frage  über  die  Zugehörigkeit  der  Ethnologie,  über  ihren 
eigentlichen  Gegenstand  und  damit  im  Zusammenhange  die  Frage  über 
die  von  ihr  zu  befolgende  Methode  ist  umso  verwickelter,  je  grösser 
die  Meinungsverschiedenheiten  sind  über  die  Aufgabe  und  das  Gebiet 
jener  ßisciplinen,  welche  mit  der  selbst  noch  fraglichen  Ethnologie 
teils  eng  benachbart  sind,  teils  sogar  den  gleichen  Gegenstand  behan 
dein.  Über  Begriff  und  Zweck  der  Philologie  hat  von  WolfT  angefan- 
gen bis  Gröber  jeder  wirklich  beachtenswerte  Philologe,  den  wir  da- 
rüber befragen,  seine  eigene  Meinung  Es  ist  wieder  eine  Bemerkung 
Wundts,  dass  die  Sprachforscher  über  das  Verhältnis  ihres  Gegen- 
standes zu  den  übrigen  Gegenständen  der  historischen  Forschung  durch- 
aus nicht  im  Klaren  seien,  so  unzweifelhaft  bestimmt  auch  der  Gegen- 
stand ihrer  Untersuchungen  erscheinen  möge  Schuchardt  *)  glaubt, 
dass  die  Sprachwissenschaft  überhaupt  zu  keinem  scharf  umrissenen 
und  unzweideutigen  Begriffe  von  ihrer  Stellung  im  Kreise  der  übrigen 
Wissenschaften  gelangen  könne,  ehe  sie  sich  von  den  Namen  der  „Phi- 
lologie" befreit,  der  seiner  Meinung  nach  die  Verwirrung  nur  ver- 
grössert. 

Wenngleich  nun  bezüglich  ihres  Gegenstandes  die  Anthropologie 
wenigstens  in  derselben  glücklichen  Lage  ist,  wie  die  Sprachwissen- 
schaft, insoweit  an  dieselbe  keine  Zweifel  hinanreichen  können.  — 
so  sind  schon  darüber,  ob  die  Gesammtheit  der  an  diesem  Geg  'nslandc 
beobachtbaren  Ercheinungen,  oder  nur  ein  Teil  derselben  in  ihr  For- 
schungsgebiet gehöre,  Meinungsverschiedenheiten  möglich,  und  in 
Wirklichkeit  auch  vorhanden;  sowie  auch  darüber,  wie  weit  diese 
Wissenschaft  den  Mensehen  auf  dem  Wege  seiner  historischen  Ent- 
wicklung zu  verfolgen  habe.  Hier  stossen  wir  al^o  schon  wieder  auf 
Controversen,  welche  jene  bezüglich  der  Ethnologie  von  uns  aufge- 
worfenen Fragen  immer  mehr  verwickeln. 

Unseren,  auf  eine  Lösung  dieser  Fragen  abzielenden  Bestre- 
bungen verspricht  nur  ein  Versach  Erfolg.  Er  besteht  darin,  dass 
wir  einerseits  von  dem  gegenseitigen  Verhältnisse  ausgehen,  welches 
zwischen  den  Gegenständen  der  hiseiplin  und  den  Arten  der  Bei  räch - 
hing  derselben  besteht,  andererseits  von  den  Merkmalen  des  allgemei- 
nen Begriffes  der  Wissenschaft,  und  so  die  Stelle  der  Ethnologie  in 

•)  II.  Schuchardt,  Ühor  dio  LnutßCSftz-.  Berlin  1885.  S.  37. 

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ETHNOGRAPHIE,  ETHNOLOGIE.  FOLKLORE. 


dem  Systeme  der  Wissenschaften  zu  bezeichnen  trachten,  wenn  aus 
den  eben  angeführten  Gesichtspunkten  ihr  Recht,  als  eine  selbstständige 
Wissenschaft  zu  gelten,  überhaupt  erweislich  ist. 

Wir  wollen  aber  keineswegs  in  den  bei  der  Definition  von  Wis- 
senschaftszweigen oft  begangenen  Fehler  verfallen,  und  werden  uns  des- 
halb wol  hüten,  den  Begriff  der  Ethnologie  einfach  aus  dem  Namen 
derselben  abzuleiten,  so  wie  das  ja  mit  der  Philologie  schon  zu  öfte- 
ren Malen  geschehen  ist.  *)  Wir  werden  das  aber  im  gegenwärtigen 
Falle  auch  schon  deshalb  nicht  tun,  weil  das  den  Gegenstand  unserer 
Disciplin  bezeichnende  Wort.,  nämlich  ethnos,  selbst  zu  jenen  Worten 
von  Zeit  zu  Zeit  und  beinahe  von  Volk  zu  Volk  wechselnden  Sinnes 
und  daher  fortwährend  schwankender  Deutung  gehört,  und  unsere  De- 
finition somit  auf  sehr  schlüpfrigem  Boden  sich  befände,  wenn  wir  die- 
selbe auf  dieser  Basis  aufbauen  würden.  Nichtsdestoweniger  dürfen  wir 
bei  der  Feststellung  dieses  Begriffes  den  historischen  Standpunkt  neben 
dem  rein  logischen  nicht  vollständig  ausser  Acht  lassen  Und  zwar  des- 
halb nicht,  weil,  so  wechselnd  wir  auch  den  Begriff  dieses  Wortes  im 
Lpufe  der  Zeiten  finden,  wir  dennoch  sicherlich  auf  die  Spur  eines 
gemeinsamen  Merkmales  slossen  werden,  das  sich  gleichsam  wie 
ein  roter  Faden  durch  all  die  wechselnden  Bedeutungen  hindurch- 
zieht, und  das  uns  ein  wertvoller  Führer  auf  unserem  weiteren  Wrege 
sein  kann.  Das  griechische  Wort  i  &vn$  führt  -  nach  der  annehmbar- 
sten Etymologie  desselben  —  nach  Wegnahme  des  darin  klar  erkenn- 
baren Suffixes  vog  zu  der  Wurzel  i&  (das  ältere  aFe£,  die  wir  auch 
in  den  Worten  os,  ij&-og  (Sitte,  Gewohnheit),  iH9eto-$  (traut),  et-iod-a 
(bin  gewohnt),  f£-i£-w  (gewöhne)  leicht  wiedererkennen.  Diese  Wurzel 
gehört  gemäss  den  Zusammenstellungen  von  Curtius  (Grundzüge  der 
griech.  Etymologie  251,  4.  Auflage)  in  dieselbe  Familie  mit  den  fol- 
genden Worten :  sanskrit  svadhd  (Wille,  Kraft,  anu  svadhä-m  nach 
Gewohnheit)  gotisch  sid-us,  althochdeutsch  sit-u  (Sitte),  gotisch  sidön 
(üben),  ferner  lateinisch  sue-sc-o,  sue-tu-s,  consuc-tu-do;  das  Sanskrit- 
wort sva-dhä  weist  aber  nach  der  Annahme  von  Kuhn  (Zeitschr.  II, 
134  u.  ff.)  auf  die  Grundbedeutung  „eigenes  Tun,"  durch  eine  Zerle- 
gung in  seine  Elemente  sva  {=  griech.  f ,  lat.  se)  dha  (=  griech. 
te,  deutsch  tu-n.).  Curtius,  der  diese  Hypothese  Kuhn's  aeeeptiert, 
und  deren  beste  Bekräftigung  in  jenen  lateinischen  Worten  findet.,  die 
hieher  gehören  und  ohne  Zuhilfenahme  einer  anderen  Wurzel,  direct 
von  dem  Pronomen  suu-s  abgeleitet  werden  können,  -  sagt  im  Zu- 
sammenhange mit  der  obigen  etymologischen  Zusammenstellung  :  „  Wie 
könnte  die  Sitte  treffender  bezeichnet  werden,  denn  als  eigenes  Tun, 
eigenes  Halten  eines  Volkes  ?u  Das  griechische  t-Sog  entspricht  demge- 
mäss  dem  Worte  Sitte  nicht  nur  der  Bedeutung  nach,  sondern  stammt 
auch  von  derselben  Wurzel,  oder  —  um  genauer  zu  sprechen  —  von 
denselben  zwei  Wurzeln,  wie  das  deutsche  Wort,  und  auf  dieser  Ba- 


•)  Vgl.  z.  B.  die  Bestimmung  des  Begriffes  der  Philologie  als  „die  Wissen- 
schaft  vom  iöyo?"  bei  Gröber.  (Grundr.  d.  roman.  Philol.  I,  146.  8.) 

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DR.  L.  RATÜNA 


sis  können  wir  auch  als  ursprüngliche  Bedeutung  des  Wortes  t&vog: 
„eine  Anzahl  von  Menschen  mit  denselben  Lebensgewohnheiten  und 
einer  Sitte14  annehmen.  Jedenfalls  ergibt  sich  aus  diesem  Worte  ein 
tieferer  und  in  unserer  weiteren  Betrachtung  noch  in  Rechnung  zu 
ziehender  Begriff,  der  den  wesentlichen  Merkmalen  des  Begriffes  Volk 
viel  näher  kömmt,  als  das  lateinische  populus  und  plebs  und  das  alt- 
slavische  pluku  (turba,  populus).  und  pleme  (tribus).  zu  welcher  Fa- 
milie auch  das  deutsche  Wort  Volk,  (althochdeutsch  fol,  folo)  gehört, 
und  als  deren  Basis  blos  die  Vorstellung  „Menge,  Viele"  dient.  (S. 
Curtius  1.  c  277.).  Die  griechischen  Worte  laog.  dt;u(K  bedeuten  eben- 
talls  „FoffcV  und  ist  die  Verwandtschaft  des  ersteren  mit  dem  Worte 
„Leute"  (ahd.  Hut,  populus,  pl. .  liuti,  Leute)  und  dem  altslavischen 
ljudn  in  die  Augen  fallend,  über  die  Grundbedeutung  der  Wurzel  herrscht 
jedoch  bisher  Dunkel.  (S.  Curtius  I.  r.  H64.)  Bezüglich  des  Wortes 
d-üjuoc  dürften  die  beiden,  sich  nahe  berührenden  Meinungen  von  Hugo 
Weber  (Etymologische  Untersuchungen,  Halle  1861.  I.  8.)  und  Fielet 
(Les  Origines  Indoeuropöennes  ou  los  Aryas  primitifs.  Paris  1859, 
1863;  II.  390.)  dennoch  nicht  ganz  zu  verwerfen  sein,  wenn  auch 
Curtius  (1.  c  231.)  sie  für  falsch  hält,  hauptsächlich  wegen  des  häu- 
figen Gebrauches  dieses  Wortes  bei  Homer  mit  der  Bedeutung  „Land," 
„Continent"  (also  „das  Zusammenhängende1');  denn  mit  dieser  Bedeu- 
tung steht  die  auf  die  ursprüngliche  Vorstellung  „der  enger  Zusam- 
mengehörenden* zurückführende  Etymologie  des  Wortes  d?jiog  durch- 
aus in  keinem  unversöhnlichem  Widerspruche.  Wenn  das  griechische 
Wort  l\%'0(;  auf  eine  der  bedeutsamsten  Folgen  des  Zusammenlebens 
hinweist,  so  weist  auch  das  in  seiner  Herleitung  ganz  klare  lat. 
gens  und  natio,  auf  den  allerursprünglichsten  Grund  des  Zusammen- 
haltens eines  Volkes,  nämlich  auf  die  gemeinsame  Abstammung.  (Ebenso 
das  gleichbedeutende  magyarische  Wort  nemzet,  welches  offenbar  nach 
dem  Muster  eines  dieser  beiden  Worte,  wahrscheinlicher  nach  dem  des 
ersteren  gebildet  ist.)  Wenn  wir  schliesslich  an  das  ungarische  Wort 
hSp  erinnern,  und  uns  einstweilen,  in  Ermangelung  einer  plausibleren, 
der  Etymologie  von  Budenz  anschliessen  (Magyar-ugor  összehasonlitö 
szötär  402.),  so  sehen  wir  in  der  Bedeutung  desselben:  „homines  ut- 
riusque  sexus"  —  Menschen  beiderlei  Geschlechtes,  -  durchaus  keinen 
characteristischeren  Zug,  als  in  den  lat.  Worten  plebs  und  populus. 

Aus  unserer  bisherigen  Untersuchung  können  wir  soviel  ersehen, 
dass  in  den  einzelnen,  characteristischere  Züge  zeigenden  Fällen  zu- 
meist die  Vorstellungen  des  „ Zusammengehörens, v  der  „gemeinsamen 
Abstammung",  der  „gemeinsamen  Lebensgewohnheiten",  der  „gleichen 
Sitten"  jene  sind,  welche  auf  einer  gewissermassen  schon  entwickel- 
teren Kulturstufe  als  die  bezeichnenden  Merkmale  des  Begriffes  „Volk", 
oder  besser  gesagt  der  „Zugehörigkeit  zum  Verbände  eines  Volkes" 
betrachtet  werden;  während  die  für  eine  niederere  Stufe  zeugenden 
Benennungen  noch  keine  Spur  einer  eingehenderen  Analyse  zeigen,  son- 
dern nur  auf  die  Vorstellung  der  „Menge,"  „Masse,"  hinweisen,  in- 
dem hier  diese,  eines  jeden  präciseren  Merkmales  entbehrende  Vorstel- 


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ETHNOGRAPHIE.   KTHNOLOGIE.  FOLKLORE. 


lung  noch  genügend  erscheint  zur  Bezeichnung  desselben  Begriffes, 
oder  gar  eines  noch  weiteren  Begriffes,  entsprechend  der  unbestimmte- 
ren Begrenzung  des  Ausdruckes. 

Bevor  wir  an  die  genauere  Feststellung  des  Begrifles  .Volk", 
und  aul  Basis  desselben  an  eine  regelrechte  Definition  der  Aufgabe 
und  des  Forschungsgebietes  der  Ethnologie  herangehen,  wollen  wir  we- 
nigstens in  Kürze  jene  vereinzelten  Versuche  betrachten,  die  bis  in  die 
neueste  Zeit  getan  wurden,  um  den  noch  dämmerigen  Begriff  des  Volks- 
tums zum  Gegenstande  wissenschaftlicher  Untersuchung  zu  machen,  und 
im  Anschluss  an  diesen  Bückblick  wollen  wir  des  Weiteren  auf  jene 
bereits  zielbewusslere  und  systematischere  Bewegung  in  den  letzten 
Üecennien  unseres  Jahrhunderies  hinweisen,  die  sich  zur  Bezeichnung 
ihres  Untersuchungsobjectes  und  zugleich  mit  Betonung  ihrer,  von 
mancher  Seite  noch  immer  bestrittenen  Berechtigung  zu  selbständiger 
Existenz,  bald  des  Namens  der  Ethnographie,  oder  der  Ethnologie,  bald 
auch  des  englischen,  in  jüngster  Zeit  gemeingiltig  gewordenen  Wortes 
folklore  bedient. 

Die  beiden  kultiviertesten  Volker  des  Altertumes,  die  Griechen  und 
die  Kömer,  denen  doch  hinreichende  Gelegenheit  geboten  war,  solche 
Völker  beobachten  zu  können,  die  von  ihnen  an  Stammescharacter, 
Sprache,  Lebensgewohnheiten  und  Sitten  verschieden  waren,  haben  auf 
diesem  Gebiete  eine  merkwürdige  und  höchst  bedauernswerte  Gleich- 
giltigkeit  gezeigt.  Als  lobenswerte  Ausnahme  kann  allenfalls  nur  Hero- 
dol  erwähnt  werden,  dessen  IV.  Buch  —  neben  der  im  10-ten  Ab- 
schnitte der  Genesis  enthaltenen  semitischen  (?)  Tradiiion,  und  den 
hierher  gehörigen  einzelnen  Daten  der  aegyptischen  und  assyrisch- 
babylonischen Denkmäler,  ferner  neben  den  wenigen  zerstreuten  Be- 
merkungen des  Ktesias,  Hippokrates,  Aristoteles,  und  aus  späterer  Zeit 
des  Vilruv,  Strabo,  Julius  Caesar  und  Tacitus,  —  das  Wertvollste  ist, 
was  das  Altertum  uns  an  ethnographischen  Daten  aulbewahrt  hat.  Bis 
zu  den  letzten  zwei  Jahrhunderten  des  Mittelalters  kam  man  trotz 
der  Kreuzzüge  diesbezüglich  nicht  viel  weiter  über  das  hinaus,  was 
man  aus  den  zumeist  missverstandenen,  oder  überhaupt  unverstande- 
nen Angaben  des  biblischen  Völkerstammbaumes  herausbuchstabieren 
konnte.  Plan  Carpin  (um  die  Mitte  des  XUI-ten  Jahrhunderts)  und 
ein  wenig  später  Marco  Polo  brachten  überraschende  Nachrichten  von 
dem  mongolischen  Stamme  und  dessen  eigentümlicher  Civilisation  nach 
Westeuropa.  Doch  machte  erst  die  grosse  Bewegung  der  Kirchenreforma- 
lion,  Hand  in  Hand  mit  der  Wiedererweckung  der  Wissenschaften  und 
Künste  und  in  ihrem  Gefolge  die  gesellschaftliche  und  ökonomische 
Umwälzung,  welche  die  Entdeckungen  und  Erfindungen  hervorriefen,  — 
in  dem  so  plötzlich  erweiterten  Gesichtskreise  unter  anderem  auch  eine 
von  neuen  Gesichtspunkten  ausgehende  Untersuchung  des  Menschen 
und  Menschlichen  möglich. 

Beim  Wühlen  nach  alten  Münzen  und  Meilensteinen  stösst  der 
Spaten  hie  und  da  aul  riesige  Knochen  und  Petrefacte;  anfangs  hält 
man  die  seltsamen  Funde  natürlich  für   Reliquien  der  biblischen  Rie- 


DR.  L.  KATONA 


senvölker  Gog  und  Magog.  oder  gar  für  launenhafte  Naturspiele:  aber 
was  verschlägt  es?...  dem  kindlichen  Irrtume  folgt  die  allmälig  auf- 
dämmernde Ahnung  des  Richtigeren,  und  hierauf  die  Erkenntnis  der 
Wahrheit.  Aus  der  freiwilligen  Berührung  der  Archaeologie  mit  den 
Naturwissenschaften  entwickelt  sich  die  Palaeontologie,  die  dem  For- 
scher auch  in  das  Dunkel  der  vorgeschichtlichen  Zeiten  hinein  einen  Leit- 
faden bietet,  und  die  Vergangenheit  der  Menschheit  weit  zurück,  bis 
in  Zeiten,  in  welche  die  Gedenkbücher  und  Traditionen  unseres  Ge- 
schlechtes nicht  mehr  reichen,  aus  der  Rinde  der  Erde  herausbuch- 
stabiert. Die  im  Dienste  der  Medizin  erst  nur  verborgen,  dann  aber 
immer  freier  sich  entwickelnde  Anatomie  enthüllt  den  wunderbaren 
Organismus  des  menschlichen  Leibes  und  findet  auch  die  Fäden,  ver- 
mittelst welcher  der  Mensch  mit  den  Wesen  niederer  Gattung  in  ein 
verwandtschaftliches  Verhältnis  zu  bringen  ist.  Die  Anthropologie  im  Verei- 
ne mit  der  innerhalb  der  Geographie  sich  heranbildenden  Ethnographie 
gelangte  endlich  zu  den  ersten  Versuchen  einer  Einteilung  unserer  Art 
in  Rassen.  (Blumenbach:  De  generis  humani  varietate  nativa.  Göttin- 
gen 1776.).  Auch  die  Sprachwissenschaft,  die  es  in  der  Zwischenzeil 
in  dem  Lehrsysteme  der  Philologie  zu  einer  gewissen  Selbständigkeit 
gebracht  hatte,  trägt  dazu  bei,  jenes  Gewölke  zu  verteilen,  welches 
die  Urzeit  des  Geisteslebens  der  Menschheit  bedeckt.  Der  sich  immer 
mehr  vertiefenden  geschichtsphilosophischen  Auflassung  kömmt  auch  die 
der  französischen  Revolution  folgende  Rcaction  zu  Gute:  den  auf  den, 
als  Übergangsstufe  wol  notwendigen,  aber  seichten  und  sterilen  Ratio- 
nalismus folgt  als  ebenso  notwendiger  Rückschlag  der  Romanticismus, 
der  bei  den  aul  ihre  nationale  Selbstständigkeit  eifersüchtig  gewordenen 
Völkern  ein  wärmeres  Interesse  für  ihre  eigene  Vergangenheit  erweckt, 
dem  die  Wertschätzung  ihres  ursprünglichen  Charakters  und  das  Be- 
streben folgt,  die  Entwicklung  dieses  Charakters  aufzuklären  und  zu 
verstehen. 

In  der  Romantik  wurzelt  auch  jenes  allgemeinere  Interesse  für  die 
älteren  und  neueren  Äusserungen  des  Volksgeistes,  welches  in  Deutsch- 
land hauptsächlich  mit  den  Namen  der  Brüder  Grimm,  („Kinder  und 
Hausmärchen1*  I.  1812,  II.  1815,  III  1822.  „Deutsche  Sagen"  1816  — 
1818.  .Deutsche  Rechtsalt crlümer'  1828., Deutsche  Mythologie"  1835  ), 
—  in  England  aber  mit  dem  mächtigen  Einfluss  Walter  Scotts  auf 
den  Zeitgeist  eng  verllochlen  ist.  („Minstrelsy  ol  the  Scoltish  Border" 
1802 — 3.).  Den  Brüdern  Grimm  gieng  Herder  voran  („Stimmen  der 
Völker  in  Liedern"  mit  dem  ursprünglichen  Titel  „Volkslieder"  1778 
—79  ),  während  Scott  in  Percy  einen  Vorgänger  hatte,  der  in  sei- 
nen rReliques  of  Ancient  English  Poctry"  (1765.)  zum  eigentlichen 
Führer  und  Wegweiser  für  alle  bald  nachfolgenden  Sammler  und 
Ordner  der  „ populär  antiquities"  wurde.  Es  ist  wol  wahr,  dass  die- 
ses Interesse  anfangs  und  auch  später  noch  ziemlich  lange  grösstenteils 
ein  rein  belletristisches  war,  und  sich  besten  Falles  in  philologischem 
Geiste  äusserte.  Deshalb  zeigte  sich  anfangs  zumeist  nur  in  dem  Sam- 
meln der  mündlichen  Volkstradition  eine  erfreuliche  Geschäftigkeit,  doch 

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ETHNOGRAPHIE.  ETHNOLOGIE.  FOLKLORE. 


war  man  vorläufig  noch  weit  davon  entfernt,  die  eigentlichen  Quellen 
des  Volksglaubens  an  richtiger  Stelle  zu  suchen  und  die  Bedeutung 
seiner  Überreste  nach  Gebühr  zu  würdigen.  Kein  Wunder,  wenn  der 
litterarische  und  der  romantisch  angehauchte  philologische  Dilletanlis 
mus  sich  eine  erstaunliche  Menge  von  Fehlschlüssen  zu  Schulden  kom- 
men lässt,  und  besonders  in  der  Verwertung  der  Märchen  und  Sagen 
für  die  Reconstruclion  der  verwitterten  Mythensysleme  sowol  der  al- 
ten wie  der  neueren  Völker  einen  beinahe  noch  grösseren  Aulwand 
dichterischer  Phantasie,  als  gediegener  und  von  keiner  Voreingenom- 
menheit bestochener  Gelehrsamkeit  geleistet  hat.   Hiezu  kömmt  noch 
die  auf  etymologische  Kunstgriffe  gestützte  mythologische  Theorie  der 
Romantiker  in  der  Sprachwissenschaft,  wie  ich  sie  alle  nennen  möchte, 
die  bei  der  grossen  Gefälligkeit  und  allgemeinen  Beliebtheit  ihrer  My- 
thendeutungen nur  zu  oft  den  augenfälligen  Fehler  begehn,  dass  sie  in 
ihren  geistreichen  Erklärungen  mit  ihrer  eigenen  dichterischen  Divi- 
nation  und  manchmal  sogar  mit  den  unbewussten  Folgerungsdisposi- 
tionen ihrer  wissenschaftlichen  Bildung  den  mythenbildenden  Urmen- 
schen aufs  verschwenderischeste  bedenken.  (Adalbert  Kuhn,   F.  L. 
W.  Schwartz,  Max  Müller,  Georg  Cox,   A.  Gubernatis  u.    s.  w.) 
Die  Richtigstellung  dieses  Irrtumes  verdanken  wir  zum  Teile  Ben- 
fey  und  den  mit  wahrem  Ameisenfleisse  arbeitenden  Forschern,  die 
seiner  Initiative  gefolgt  sind    (Felix  Liebrecht,  Reinhold  Köhler,  H. 
Oesterley,  D.  Comparetti,  A.  Wesselofsky,  E.  Cosquin,  u.  s.  w)  Diese 
haben  die  Wanderung  und  den  gegenseitigen   Austausch  der  münd- 
lichen Volksüberlieferung  von  Schritt  zu  Schritt  verfolgt,  und  ha- 
ben  in   ihren  mühseligen  und  eine  ausserordentliche  Sachkenntnis 
erlordernden  Werken  nachgewiesen,  dass  die  meisten  als  mythologische 
Quellen  ausgebeuteten  Märchen,  ja  selbst  ein  gut  Teil  der  localisierten 
Sagen  aus  der  Litteratur  solcher  Völker  übernommen  sind,  die  eine 
vollständig  andere  Weltanschauung  haben  oder  hatten,  —  und  oft  nicht 
einmal  aus  der  volkstümlichen,  sondern  geradezu   aus  der  KunstWi- 
teratur  dieser  Völker.  Diese  Sagen  sind  also  in  der  Überlieferung  des 
Volkes,  das  sie  aufgenommen  hat,  ein  Material  ohne  jeden  organischen 
Zusammenhang,  und  können  solchermassen  kaum  zur  Aufklärung  der 
Vorstellungen  des  Volksglaubens  beitragen.  Andererseits  brachte  das,  aus 
den  sich  immer  mehrenden  Tatsachen  der  Anthropologie  und  Ethno- 
logie geschöpfte  Räsonnement,  bezüglich  der  Erforschung  der  volks- 
tümlichen Überlieferungen  jene  bessere  Einsicht,  die  —  nicht  eben  ganz 
zufällig  —  ebendort  die  Wendung  zum  Besseren  inauguriert,  wo  die  schon 
erwähnte  einseitige  Mythenerklärung  ihre  grössten  Triumphe  gefeiert 
hatte.  In  England  bildete  sich  die  sogenannte  anthropologische  Schule, 
(E.  B.  Taylor,  A.  Lang.  u.  s.  w.),  welche  hauptsächlich  durch  die  Pro- 
paganda der  mit  ihr  auf  gleicher  Basis  stehenden  Londoner  Folk-Lore 
Society  den  Stab  ihrer  Getreuen  angeworben  hat.  Von  dieser  Gesell- 
schaft gieng  auch  der  erste  Versuch  aus,  die  gesammten  traditio- 
nistischen  Forschungen  in  ein  übersichtliches  und  möglichst  einheitliches 
System  zusammenzufassen.  Diesem  Versuche  leistete  auch  das  schon 

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DR.  L.  KATONA 


erwähnte  Wort  folklore  gute  Dienste,  indem  es  ermöglichte,  unter  ei- 
nem bequemeren  Terminus  all  das  zu  gruppieren,  was  bisher  unter 
dem  lange  schwankenden  Begriffe  und  dem  nach  Belieben  dehnbaren 
Namen  der  „volkstümlichen  Altertümer"  gesammelt  wurde.  Dieser 
Terminus  verdient,  wegen  der  wichtigen  Rolle,  die  er  in  der  Geschichte 
der  Ethnologie  spielt,  ein  w*»nig  eingehender  besprochen  zu  werden. 

Sein  Schöpfer  ist  W.  J.  Thoms,  der  in  einem  am  22-len  Au- 
gust 1846  im  Londoner  „Athenaeum"  abgedruckten,  mit  dem  Pseudonym 
Ambrose  Merton  gezeichneten  Artikel  die  .Sammlung  der  volkstüm- 
lichen Überlieferungen  („Populär  Antiquities.  Populär  Literature")  ur- 
giert.  Dort  empfiehlt  er  das  Wort  Folklore  (oder  Folk-Lore,  wie  es  ihm 
folgend  die  meisten  Engländer  auch  heute  noch  schreiben)  als  zusam- 
menfassenden Namen  für  alle  jene  Gegenstände,  welche  —  als  wie  im- 
mer geartete  Aeusserungen  des  Volksgeistes,  und  als  in  welcher  Bezieh- 
ung immer  charakteristische  Erscheinungen  des  Volkslebens  —  zu  dem 
Materiale  der  Ethnologie  gehören,  ohne  dass  in  ihnen  das  ungemein 
weile  Forschungsgebiet  derselben  vollständig  abgegrenzt  wäre.  Dem 
genannten  (.'.orrespondenten  des  englischen  Wochenblattes  sind  die  bei- 
den oben  erwähnten,  einander  ergänzenden  Ausdrücke  ungefähr  gleich- 
wertig mit  der  neuen  Benennung:  um  aber  den  Begrillskreis  des  em- 
pfohlenen neuen  Wortes  genauer  zu  präcisieren,  züli  er  die  zum  In- 
ventar des  Kolklore  gehörigen  Gegenstände  nach  folgenden  Kategorien 
auf:  Gewohnheiten,  Überlieferungen,  Sitten,  Aberglauben.  Volkslieder, 
Sprichwörter  (manners,  customs,  observances  stiperstitions,  ballads, 
proverbs).  Er  berührt  also  nur  einen  Teil  jener  Gegenstände,  die  wir 
nach  dem  in  der  wissenschaftlichen  Welt  allgemein  aeeeplierten  und 
sozusagen  internationalen  übereinkommen  unter  diesem  Ausdrucke 
zusammenlassen,  ich  sage  „international",  weil  das  vor  ungefähr  einem 
halben  Jahrhunderte  in  den  Spalten  des  „Athenaeum*  aufgetauchte 
Wort  bald  darauf  gemeingiltig  und  auch  beinahe  überall  heimisch 
wurde,  wo  man  dem  Studium  des  Volkslebens  Wichtigkeit  beilegte, 
und  dessen  unaufschiebbare  Dringlichkeit  und  Notwendigkeit  einsah. 

Das  Wort  Folklore  ist  eine  regelrichtig  gebildete  Zusammensetzung 
aus  den  angelsächsischen  Worten  folk  (gens,  Leute)  und  lore  (science, 
savoir,  doclrine;  Lehre,  Kunde,  Kenntnis.)  Nebst  seiner  Kürze  und 
Weiterbildungsfähigkeit  haben  dem  Worte  besonders  die  folgenden 
Hauptvorzüge  zur  weilen  Verbreitung  verhüllen.  Einerseits  lässt  sich 
dieser  Terminus  anderen  Sprachen  sehr  leicht  anpassen,  andererseits 
weicht  das  Wort  lore  in  einer  charakteristischen  Bedeutungsnuance  ab 
von  den  Worten  science  und  Uterature,  welche  verwandle  Bezeichnun- 
gen sind.  Das  Wort  lore  hebt  eben  mit  präciser  Kürze  jenen  Unter- 
schied hervor,  welcher  die  Kenntnis  und  die  Wellansicht  eines  Volkes 
gegenüber  der  im  eigentlichen  Sinne  des  Wortes  genommenen  Wissen- 
schalt, in  einer  eigentümlichen  und  auf  den  ersten  Blick  aullallenden 
Weise  qualifiziert,  so  wie  es  auf  anderer  Seite  die  vorwiegend  in  der 
mündlichen  Überlieferung  lebende  Volksdichtung,  die  nur  mit  Vorbe- 
halt Litteratur  genannt  werden  kann,  der  Kunstlitteratur  gegenüberstellt. 

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ETHNOGRAPHIE    ETHNOLOGIE.  FOLKLORE. 


Wenn  wir  die  Unterscheidung  auf  dieser  Basis  weiter  führen,  so  können 
wir  in  dem  Worte  lore  des  weiteren  noch  eine  sehr  geeignete  Bezeich- 
nung sehen  für  alle  jene  Äusserungen  des  Volksgeisles,  welche  in 
Folge  der  Vererbung  gleichsam  instinctmässig  geworden  sind,  und  eben 
deshalb  in  dem  Entwicklungsgange  des  Seelenlebens  unseres  Geschlech- 
tes einstmals  einen  allgemeinen,  heute  aber  nur  mehr  einen  teils  schon 
überwundenen  Zustand  und  eine  überschrittene  Daseinsstufe  darstel- 
len, gegenüber  jener  Denk-,  Fühl-  und  Handlungsweise,  welche  auch 
heute  nur  Eigentum  einer  sich  geistig  stark  hervorhebenden  und  sehr 
weit  vorgeschrittenen  Minorität  ist,  und  selbst  bei  dieser  Minorität 
noch  fortwährend  mit  Gedanken,  Gefühlen  und  Neigungen  einer  älte- 
ren Entwicklungsstufe  durchsetzt  erscheint. 

Der  Folklore  muss  also,  wie  wir  dieses  schon  gesagt  haben,  mit 
der,  weiter  unten  detaillierten  Gesammtheit  seiner  Gegenstände  in  die 
Ethnologie  eingefügt  werden.  Diese  beiden  Begriffe  sind  also  durchaus 
nicht  gleichwertig,  wie  man  etwa  —  durch  das  Zusammentreffen  des 
Wortes  folk  (und  noch  mehr  des  formell  vollkommen  entsprechen- 
den, aber  begrifflich  ein  wenig  abweichendem  deutschen  Volk)  mit  dem 
griechischen  ethnos  und  des  Wortes  lore  (Lehre)  mit  dem  griechischen 
logia  verleitet  —  glauben  könnte.  Das  deutsche  Wort  Volkskunde,  mit 
welchem  bald  das  eine  bald  das  andere  bezeichnet  wird,  bezeichnet 
richtigerweise  nur  das  Erstere,  das  Zweite  können  wir  nur  mit  den 
Worten :  Kunde  vom  Volke  (und  nicht  Kunde  des  Volkes)  übersetzen,  wel- 
ches nach  der  Analogie  solcher  Zusammensetzungen  wie :  Erdkunde,  Pflan- 
zenkunde u.  s.  w.,  gebildet  ist.  Am  zweckmässigsten  erscheint  es,  wenn 
wir  die  ausserordentliche  Malerialmenge,  welche  zum  Ganzen  der  Kunde 
vom  Volke  gehört,  und  die  körperlichen  so  wie  die  seelischen  Eigen- 
tümlichkeiten des  Volkes,  alle  Äusserungen  des  Volksgeistes  und  sämmt- 
liche  formelle  und  materielle  Erscheinungen  des  Volkslebens  umfasst, 
unter  den  hiemit  schon  umschriebenen  Begritt  der  Ethnologie  verweisen, 
und  aus  dieser  Materialmenge  in  den  engeren  Kreis  des  Folklore  (Volks- 
kunde im  engere  Sinne)  nur  jene  Gestaltungen  und  Emanationen  der 
Volksseele  aufnehmen,  die  an  die  Überlieferung  als  an  ihre  Lebensvo- 
rausselzung  geknüpft  sind,  und  zwar  wesentlich  und  in  erster  Linie 
nur  an  die  mündliche  Überlieferung. 

(Schluss  folgt.) 


Türkisehe  „Gedankenlieder*  aus  Ada-Kaie. 

Von  Dr.  Ignaz  Kunos. 

Eine  der  reichsten  Abteilungen  der  türkischen  Volkspoesie  ist 
die  der  Gedanken-  oder  M&ni-Lieder.  Diese  Lieder  bestehen  aus  vier 
Zeilen  und  geben  zumeist  einen  auf  die  Liebe  Bezug  habenden  Ge- 
danken wieder.  Mdni  heisst  „Bedeutung"   und  mdtti  atmak  „mäni 

il 


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DIU  IONAZ  KÜMOS 


werfen"  heisst  ungefähr  soviel,  wie  seiner  Angebeteten  ein  bedeutungs- 
volles Wort  zuwerfen;  es  geschieht  dies  selten  direot,  sondern  fast 
Stets  im  Vorbeigehen  oder  Vorüberfahren.  Jedes  Mdni  enthält  auch  ein 
nijet,  eine  Prophezeiung,  und  ernstlich  Verlieble  glauben  an  das  ihnen 
zugeworfene  nijet  als    n  ein  kräftiges  Amulet. 

Der  Tag,  an  dem  die  meisten  Mdni  geworfen  werden/  ist  der 
erste  Frühlingstag,  Hidrellez,  der  ja  auch  bei  den  orientalischen  Christen 
als  heiliger  Georgstag  in  grossen  Ehren  steht.  Obwol  diese  Sitie  von 
den  Türken  verspottet  Und  missbilligt  wird,  verfehlen  trotzdem  die 
türkischen  Frauen  nicht,  sich  am  Vorabende  des  Hidrellez  in  dem 
geräumigen  Hofe  eines  Hauses  in  einem  der  Siadivierlel  zusammenzu- 
finden, um  hier,  vor  männlichen  Augen  geschützt,  aus  Afdut-Liedern 
ihre  Zukunft  zu  erforschen.  Zu  diesem  Behufe  wirft  jede  anwesende 
Frau  irgend  ein  Pfand,  einen  Ring,  einen  Handschmuck  oder  derglei- 
chen in  einen  grossen  Topf,  der  dann  fest  verbunden  und  unter  ei- 
nem Rosenstrauch  vergraben  wird,  nicht  ohne  vorher  mit  roten  Tü- 
chern oder  Bändern  umwunden  zu  werden,  da  die  rote  Farbe  bei 
Heiratsangelegenheiten  glückverheissend  ist.  In  Anatolien  werden  die 
Liebespfänder  anstatt  in  einem  Topf  auch  in  einem  Backofen  versteckt. 

Alles  dies  geschieht  am  Vorabende.  Am  Morgen  des  ersten  Früh- 
lingstages versammeln  sich  die  Frauen  zum  zweüenmale.  Der  Topf 
wird  ausgegraben  und  von  einem  weissgekleideien,  unschuldigen  Mäd- 
chen geöffnet.  Nach  einem  jedesmaligen  Bismillah  (Im  Namen  Goltes) 
greift  die  Jungfrau  in  den  Topf  und  nimmt  einen  der  darin  geborge- 
nen Gegenstände  in  die  Hand,  jedoch  so,  dass  ihn  keine  der  anderen 
Frauen  sehen  kann,  und  nun  singt  der  Reihe  nach  eine  jede  der  Frauen 
ein  bedeutungsvolles  Mdni-Ued.  Dann  öffnet  die  Jungfrau  ihre  Hand, 
zeigt  den  darin  verborgenen  Gegenstand  und  gibt  denselben  ihrer  Ei- 
gentümerin zurück,  die  natürlich  sehr  erfreut  ist,  wenn  ihr  Mdni  eine 
günstige  Zukunft  prophezeit  hat  und  tief  belrübt  ist,  wenn  ihr  Böses 
bevorsteht.  Junge  Mädchen,  welche  trotz  mehrmaliger  Mitfeier  des 
Hidrellez  ihren  Kismet  noch  nicht  gefunden  haben,  binden  sich  am 
Vorabend  auch  ein  grosses  Vorhängeschloss  in  die  Haare,  welches  sie 
dann  am  anderen  Morgen  vor  Beginn  der  Feierlichkeit  aufschliessen. 

Eine  andere  Gelegenheit  zum  Singen  der  Jf/m'-Lieder  bieten  die 
langen  Winterabende.  Am  LoJbna-Abend  (lokma  ist  eine  süsse,  runde 
Mehlspeise)  versammeln  sich  die  Frauen  mit  ihren  Mdni-torbasy,  klei- 
nen Siickchen,  angefüllt  mit  Papierstreifen,  auf  denen  Üfdni-Lieder  auf- 
geschrieben stehen.  Dann  wird  je  eines  der  Afdni-Lieder  gezogon  und 
derjenigen  vorgesungen,  welche  einen  Blick  in  ihre  Zukunft  machen 
will.  Nicht  selten  erfolgt  von  Seite  dieser  letzteren  eine  gesungene 
Antwort,  da  viele  der  AMni-Lieder  aus  einem  Paar,  aus  Apostrophe 
und  Antwort,  bestehen 

Wie  schon  erwähnt,  beschäftigt  sich  der  Inhalt  dieser  Lieder  am 
häufigsten  mit  Liebesangelegenheiten,  doch  enthalten  sie  auch  manch- 
mal rätselhafte  Fragen,  auf  welche  dann  mit  Improvisationen  geantwortet 
wird.  So  zum  Beispiel  wird  von  einem  Burschen,  um  ihn  zu  probieren, 


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TÜRKISCHE  OEDANKENMEDER. 


ob  er  wirklich  ein  guter  3/(in» -Sänger  ist,  verlangt,  dass  er  sieben 
Früchte  besinge,  und  als  Antwort  darauf  erfolgt  dann  die  (llorification 
dieser  sieben  Fruchte  als  Liebessymbole,  der  Aprikose  als  Kuss,  der 
Orange  als  Brust  u.  s.  w. 

Was  ihre  Classifioalion  anbelangt,  bilden  die  Mdnf*  mit  den 
Türk&s  zusammen  die  eigentlichen  Volkslieder  und  sind  nicht  met 
risch,  sondern  rhylhmisch  gebildet.  Sie  haben  sieben  oder  acht  Sil- 
ben (4  4  oder  4  -+-  3),  welche  durch  eine  Ciisur  in  vier  und  vier 
oder  vier  und  drei  Silben  geordnet  werden.  Der  Reim  befindet  sich 
am  Schlüsse  der  ersten,  zweiten  und  vierten  Zeile  und  ist  zumeist  ein 
weiblicher  Reim.  Auch  kommt  es  vor,  dass  Türkffa  aus  zusamraenge- 
reihten  JASnt-Liedern.  denen  dann  ein  gemeinsamer  Refrain  beigege- 
ben wird,  zusammengesetzt  werden. 

Folgende  Mani-Lieder  aus  meiner  reichen  Sammlung,  die  ich  auf 
Anregung  des  Herausgebers  dieser  Zeitschrill  in  Ada-Kaie,  dieser  Nie- 
mandsinsel  der  untern  Donau  angelegt  habe,  und  die  ich  in  einer  grös- 
seren Monographie  über  Ada-Kaie  veröfTeni liehen  werde,  sind  auch 
aus  einem  der  oben  erwähnten  Mani-Säckchen.  Als  Probe,  wie  ein  Mani 
dein  andern  anworlel,  diene  das  folgende: 


Jaz  gününde  buz-me-sen. 
kare  me-sen,  kez-me-sen  ? 
den  j:edse  geledsejim, 
hanende  jalnez-me-sen? 

Die  Antwort  lautet: 

Jaz  gününde  buz-um  ben, 
kare  dejl-im  kez-em  ben; 
eger  gelcdsek  isen, 
erken  gel  jalnez-em  ben. 

Als  Probe  einer  Rätselfrage 

Manidsi  mani  gelir, 
manima  mani  gelir; 
pek  ustad  manidsi-sin. 
jedi  türlü  mejve  gelir. 

Die  Antwort  lautet: 

Elma,  armud,  zordali, 
dalda  biter  äefluli , 
narle  lurunc  pek  güzel, 
ejva  dalen  ejmeli. 


Willst  du  Eis  im  Sommer  sein?  *) 
Bist  du  Frau,  bist  Mägdelein? 
Heute  Nacht  will  ich  zu  dir: 
Bist  du  wol  im  Haus  allein  ? 


Eis  will  ich  im  Sommer  sein; 
Bin  nicht  Frau,  bin  Mägdelein! 
Wenn  zu  mir  du  kommeti  willst, 
Zeitig  komm,  ich  bin  allein! 

diene : 

Mani-Sänger  Mani  sing"! 
Auf  mein  Lied  ein  Lied  erkling' ! 
Bist  ein  Mani-Meister  du, 
Früchte  siebnerlei  mir  bring  ! 

Apfel,  Birne,  kleine  Pflaum', 
An  dem  Ast  der  Pfirsich  Flaum; 
Schön  Granate,  Goldorange, 
Bieg'  den  Zweig  vom  Quiltenbaum. 


•)  Die  Übersetc angen  sind  von  A.  H.  improvisiert. 


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DR.  IGNAZ  KÜNOS 


Nun  eine  längere  Reihe 

Keten  gömlek  ela  du*, 
gelin  sevmek  bela  dir; 
severseniz  kez  sevin, 
alenmadek  kala  dir. 

Keten  gömlek  dizde  dir, 
jar  bu  gedse  bizde  dir; 
jedi  je!  gelin  sevdim, 
Simdi  gönlüm  kezda  dir. 

Keien  gömlek  iki  kat. 
gel  birini  bana  sat; 
anan  baban  dujmadan, 
gel  bu  gedäe  bizde  jal. 

Mani  kitabcn  aftem 
mani  bilmedim  saStem; 
bir  ajagen  üstüne 
binbir  mani  söjleölim. 

Dere  boju  keslane, 
gülge  vurmu§  üstüne; 
varen  dejin  dosluma, 
evlenraesin  üstüme. 

Ilana  bak  elana, 
indse  bele  dolana; 
bej  jareme  kajb  eltim. 
jüz  bin  alten  bulana. 

Askerlikte  talim  var, 
bir  gemidsi  jarem  var; 
§11  dsihanda  gülmedim, 
ne  talisiz  basem  var. 

Kara  kara  kazannar, 
kara  jazö  jazannar; 
ejlik  jüzü  görmesin, 
arameze  bozanlar. 

GüverdSini  ucurdum, 
konde  dseviz  dalena; 
bu  dsanem  kurban  olsun, 
jaren  selvi  bojuna. 


gewöhnlichen  Mani-Vierzeilen : 

Leinenhemd  ist  buntgefärbt, 
Frauenlieb  macht  Herzen  krank ; 
Lieb'  nur  eine  Maid,  sie  ist 
Eine  Burg,  die  niemand  zwang. 
Leinenhemd  blinkt  auf  dem  Knie. 
Bei  uns  schläft  das  Mädchen  heut ; 
Sieben  Jahr'  liebt'  ich  'ne  Frau, 
Jetzt  gehört  mein  Herz  der  Maid. 

Leinenhemd  zweifaltig  ist: 
Komm,  verkauf1  das  eine  mir; 
Vater,  Mutter  wissen's  nicht, 
Nimm  die  Nacht  bei  uns  Quartier. 

Konnte  keinen  Mani-Spruch, 
Las  umsonst  im  Mani-Buch, 
Sing'  nun  steh'nd  auf  einem  Fuss 
Tausendeinen  Mani-Spruch. 

Die  Kastanie  steht  im  Tal, 
Dorfen  ist  es  schattenvoll; 
Geht  und  saget  meinem  Schatz, 
Dass  er  nicht  heiraten  soll! 

Sieh  die  Schlang',  die  Schlange  an, 
Wie  sie  schlank  sich  windend  schlingt ; 
Hunderttausend  Goldstück'  dem, 
Der'  s  verlorne  Lieb  mir  bringt. 

Habe  Glück  beim  Militär, 
Mein  Geliebter  ist  Matros; 
Nie  lacht  ich  mein  Leben  lang, 
War  stets  glück-  und  freudenlos. 

Kessel,  Kessel,  schwarzberusst; 
Schreiber  schreiben  schwarze  Schrill; 
Der  mich  vom  Geliebten  schied, 
Den  gewiss  kein  Glück  mehr  trifft! 

Meine  Taube  Hess  ich  frei, 

Flog  in  Nussbaums  Zweige  weit; 

Meine  Seel'  ein  Opfer  sei 

Dem  Cypressonwuchs  der  Maid! 


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TÜKKI8CHK  OKDANKENUEDKR. 


Bugün  günlerde  pazar. 
kjatibler  okur  jazar; 
senin  gibi  güzeli, 
evlija  görse  jazar. 

Geminin  basenda-jem. 
oniki  jasenda-jcm; 
onikisinden  berü 
jar  senin  pesinde-jim. 

Kar  jagar  dolcib  dolab, 
«•evrilir  siSle  kebab; 
baklern  jaren  jüzüne, 
sandcm  dogmus  mahilab. 

Malimur  mahinur  bakarsen, 
jüregimi  jakarscn ; 
ne  kücük-sün  ne  büjük, 
tamam  bana  karar-sen. 

Baklern  jaren  jüzüne. 
ujku  gelmez  gü/.üme; 
jar  pesinde  gezmekten, 
seze  indi  dizimc. 

Hu  baga  bir  gül  gerek, 
gül  üslüne  bülbül  gerek; 
sendsilejin  sultima, 
bendsilejin  kul  gerek. 


Dieser  Tag  ein  Sonntag  ist, 
Jeder  Schreiber  schreibt  und  liest ; 
Auch  ein  HeiTger  schrieb1  dich  aul, 
Sah'  er  dich,  wie  schön  du  bist. 

Bin  am  Schiffe  vorne  ganz; 
Alt  bin  ich  zwölf  Jahre  nur, 
Und  seit  meinem  zwölften  Jahr' 
Folge  ich  des  Madchens  Spur. 

Sieh,  der  Schnee  fällt  dicht  u.  dicht; 
An  dem  Spiess  der  Braten  brät; 
Sah  dem  Mädchen  ins  Gesicht, 
Glaubte,  dass  der  Mond  aufgeht. 

Schläfrig  schauest  du  auf  mich, 
Und  im  Herzen  brenne  ich; 
Nicht  zu  klein  und  nicht  zu  gross, 
Passest  du  gerad  für  mich. 

Sah  dem  Madchen  ins  Gesicht, 
Schlafen  kann  ich  deshalb  nicht; 
Lief  so  lang  dem  Mädchen  nach, 
Dass  es  mich  im  Knie  nun  sticht. 

Garten  eine  Bose  braucht, 
Rose  eine  Nachtigall ; 
Einer  Sultansmaid,  wie  du, 
Ziemt,  wie  ich  bin,  ein  Vasall. 


Ein  chinesischer  Gebrauch  bei  den  Armeniern 

Sehr  viele  Gebräuche  haben  die  heuligen  Armenier  in  ihrem 
Hauplsiize,  in  Ilocharmenien  bewahrt,  welche  für  den  Forscher  höchst 
interessant  sind  um  so  mehr,  weil  sie  auf  ein  graues  Altertum  hin- 
weisen, dos  in  der  Lebens-  und  Anschaungsweise  der  Bewohner  Hoch- 
armeniens bis  auf  den  heutigen  Tag  sich  wenigstens  teilweise  erhalten 
hat.  Im  folgenden  will  ich  eines  sonderbaren  Gebrauches  der  Armenier 
gedenken,  der  seinem  Ursprünge  nach  sehr  alt  und  von  China  aus 
nach  Armenien  eingewandert  ist,  wie  ich  dies  durch  altclassisehe  ar- 
menische Schriftsteller  bestätigt  finde. 

Heutzutage  ist  es  an  vielen  Orlen,  besonders  aber  in  Khotord- 
j  ur  (Hoch- Armenien)  gebräuchlich,  kleinen  Kindern  das  Haupthaar 

$6 


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PATER  O.   MENE VISCH EAN 


über  der  Stirne  und  am  Hinterhaupte  gänzlich  abzuscheren,  so 
dass  mit  der  Zeit  es  bei  vielen  eine  unbedingte  Notwendigkeit  ist,  um 
die  Stirne  vom  Haarwuchs  frei  zu  halten,  immer  das  Schermesser 
bei  sich  zu  tragen.  Eine  sehr  alte  historische  Erwähnung  wird  hiemit 
bestätigt.  In  der  Geschichte  Fausti  von  Byzas  (V.  Jahrh.  n.  Chr.) 
wird  nämlich  erzählt,  dass  der  Stifter  eines  mächtigen  Generalats 
(zorav  arutheann  sparapetuthiün)  aus  Lhina  wegen  des 
viel  vergossenen  Blutes  (zi  ariun  metz  ankeal  c  i  vera) 
nach  Armenien  geflüchtet  und  wegen  seiner  Tapferkeit  von  den  ar- 
schakänischen  Königen  freundlich  aufgenommen  sei ;  von  einem  Nachkom- 
men desselben  wird  dabei  erzählt,  dass  er  gegen  die  Erlaubnis  seines 
Generals  und  Hausherrn  geheim  in  den  Krieg  mitziehen  wollte;  als 
dies  der  General  erfuhr,  nahm  er  eine  Peitsche  zur  Hand,  und  fieng  an 
auf  den  geschorenen  Kopf  des  Ungehorsamen  ordentlich  loszuhauen; 
und  „nach  der  Religions-Sitte  der  Armenier,  wie  es  ge- 
bräuchlich war  die  Köpfe  der  Kinder  (zu  scheren),  so  war 
in  jener  Zeit  auch  der  Kopf  des  Kindleins  Artavasd  gescho- 
ren, (und  in  der  Mille)  ein  Haar zopf  gelassen"  est  kronits  ffawts' 
Orpis  ortn  fr'  ezglüch  manktvöjn  söjnpes  i  iatnanakin  gertzeal  er  üzgluch 
mankdnn  Artavazdd  jev  tsetsuns  *'r  thöghedl  ev  gts  ardzakeal.  (Byz. 
IV.  Buch,  Cap  43.  S.  253.)  Der  Gebrauch  dieser  eigentümlichen  Haar- 
tracht der  heuligen  Armenier  bestätigt  die  Erwähnung  des  Historikers, 
dass  nämlich  ein  Chinese  nach  Armenien  eingewandert  sei,  dessen 
Name  Mamikonean  (aus  Mam-Kun)  wol  auf  einen  chinesischen  Ur- 
sprung deutet.  Von  diesem  mögen  also  die  Armenier  diese  eigentüm- 
liche Sitte  geerbt  haben. 

Wim. 

Pater  G.  Menevischean. 


Die  Baba  Dokia-Sage  und  die  mit  ihr  zusammenhängenden 

Volksgebräuche  in  Rumänien. x) 

Von  Andreas  Veress. 

Mit  Bezug  auf  Dr.  Athanasius  Marienescu's  Aufsatz:  „Baba  Do- 
li;»u  a)  teile  ich  hier  alles  das  mit,  was  ich  hier  in  Rumänien  drauf  be- 
züglich vernommen  habe.  Der  Mythos  selbst  ist  in  Rumänien  sozusa- 
gen ganz  unbekannt.  Es  ist  zwar  richtig,  dass  der  Volksglaube  die 
versteinerten  Gestalten  dieser  Sage  in  die  Moldau  auf  den  Pion  und 
Calo-Berg  versetzt,  ja  in  der  Moldau,  gibt  es  sogar  ein  Dorf  Lunca 
Dochiei,  aber  dies  alles  ist  so  lokal  begrenzt,  dass  diese  Sage  kaum 

«)  Ethnotjrajihia  I.  4.  IM.  S.  11)4—197.  »)  Vgl.  Anzeiger  der  Gesellschaft  für 
di*  Völkerkunde  Ungarns,  I  1.  Heft  S.  12-17. 

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DIE  BABA  DOKIA-  SAGE. 


über  die  Grenzen  der  nächsten  Umgebung  geschritten  ist.  Ich  habe 
mehrere  interessante  Sammlungen  rumänischer  Volksdichtungen  durch- 
gelesen, ohne  dabei  auch  nur  eine  Spur  von  dieser  mythischen  Sage 
zu  finden.  Wenn  auch  dieser  Mythos  in  Rumänien  und  selbst  in  Un- 
garn gar  wenig  und  nur  an  einzelne.i  Orten  bekannt  ist,  so  ist  desto 
verbreiteter  der  mit  ihm  zusammenhangende  Gebrauch.  Am  ersten 
März  nämlich  behängt  sich  die  walachische  Bevölkerung  Rumäniens 
mit  einem  Talisman.  Dieser  heist  martzisor,  so  genannt  dem  Monat 
März  zuliebe,  in  dem  er  eben  eine  Rolle  spielt,  oder  vielleicht  nach 
dem  Martzisor  der  Baba  Dokia-Sage  so  benannt,  in  welch  letzterem 
Falle  dann  das  Volk  doch  noch  eine  Reminiscenz  an  den  ihm  nun 
unbekannten  Mythos  aulbewahrt  hätte.  In  Rumänien  besteht  dieser 
„martzisor«  genannte  Talisman  aus  einer  kleinen  herz-  oder  kreisför- 
migen Medaille,  auf  deren  einer  Seite  „erster  März"  geschrieben  steht, 
während  auf  der  andern  Seite  des  Frühlings  Ankunft  bedeutende 
Schwalben  und  Rosen  geprägt  sind.  Solche  Medaillen  werden  jedes 
Jahr  mit  der  betreffenden  Jahreszahl  aus  Messing  und  auch  aus  Sil- 
ber und  Gold  gepresst.  Ein  Bukaresler  Schmuckhiindler  verkaufte  heuer 
auch  aus  Glas  geformte  „martzisor",  in  deren  convexer  Mitte  zu 
meiner  Ueberraschung  die  Baba  Dokia  auf  einem  Berge  neben  einer 
Kapelle  zu  sehen  war,  angetan  mit  einem  roten  Ledermantel  (kosok)  und 
neben  ihr  9  (im  Banal  und  nach  Marienescu's  Mitteilung  12)  erfrorene 
Schafe:  alle  mit  greller  Farbe  gemalt.  —  Schon  Mitte  Februar  be- 
ginnen die  Kinder  in  den  Gassen  die  billigen  Martzisore  zu  ver- 
kaufen, die  sie  an  einen  Stab  zu  20—30  Stück  gereiht  mit  den  Wor- 
ten feilbieten : 

„ Nationale  Martzisore. 

Schön  von  Herrn  und  Fraun  getragen". 
Am  ersten  März  hängen  die  Frauen  aller  Stände  solche  Martzi- 
sore an  ihren  Hals,  während  dieselben  von  den  Männern  an  das  Hand- 
gelenk gebunden  werden.  Der  sie  den  ganzen  Monat  hindurch  trägt,  soll 
von  der  Sonne  nicht  gebräunt  werden.  Die  auf  den  Martzisoren  sicht- 
baren Schwalben  erinnern  uns  an  den  Frühlingspruch  der  magyari- 
schen Maide.  die  sie  beim  Sehen  der  ersten  Schwalbe  herzusagen  pfle- 
gen: „Schwalbe  seh'  ich,  Sommersprossen  !)  wasch'  ich"  (Feeskit  Id- 
tok.  szeplöt  mosok).  Mit  Ende  März  wird  der  Martzisor  an  einen  Ro- 

«)  Dem  siebenbürgisch-säcbsischcn  Volksglauben  gemäss  ist  das  Scbneewasser 
im  März  gesammelt,  ein  «bewährtes«  Schönheitsmittel  und  dient  besonders  zur  Ver- 
treibung der  Sommersprossen. 

Herrmann,  Ethnologische  Mitteilungen.  57  Ö 


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DR.  L.  KäTHY 


senstrauch  gebunden,  damit  der  oder  die  betreffende  Person  schön  wie 
eine  Rose  werde.  Also  auch  hier  ist  Martzisor  das  Sinnbild  de»  Früh- 
lings, der  erwachenden  Natur  and  der  Reinheit. 

Die  von  Dr.  Ath.  Marienescu  erwähnten  „nabele "-Tage  begin- 
nen in  Rumänien  am  1.  März  und  dauern  9  volle  Tage  hindurch,  die 
der  hiesigen  auf  Baba  Dokia  bezüglichen  Reminiscenz  gemäss  wohl 
ihren  9  Schafen  entsprechen.  Die  Frauen  bestimmen  unter  sich  für 
jeden  dieser  Tage  eine  baba  (alte  Frau)  und  wie  an  diesem  Tage  das 
Wetter  eben  ist  (trüb,  klar,  wolkig  u.  s.  w.),  so  wird  auch  die  Seele 
der  betreffenden  Person  das  ganze  Jahr  hindurch  sein.  Den  neunten 
Tag  nennt  man  mutenit  (nach  der  Benennung  der  40  Märtyrer,  und 
stampft  an  diesem  Tage  die  Erde  mit  Holzpflöcken,  damit  die  Wärme 
herauskomme  und  die  Kälte  hineingetrieben  werde.  —  Was  nun  die  Anna 
Perenna  anbelangt,  so  schmückten  die  Römer  an  ihrem  Feste,  am  1. 
März  oder  eben  an  ihrem  Neujahrstage,  den  Altar  der  Göttin  und  ihre 
eigenen  Häuser  mit  Lorberzweigen.  Diesem  römischen  Gebrauch  soll 
—  nach  Obodescu  und  Teodorescu's  l)  Bericht  —  die  rumänisehe  Sitte 
entstammen,  die  Häuser  am  Palmsonntag  und  besonders  am  Georgitage 
mit  Weidenzweigen  zu  schmücken.  Ein  Nachhall  dieses  römischen  Festes 
und  ein  Ueberbleibsel  des  der  Anna  Perenna  geweihten  Lorbers  soll  auch 
die  rumänische  sorkova  sein,  eine  mit  Papierblumen  und  Silberfaden  ge- 
schmückte Rute,  mit  welcher  am  Neujahrstage  die  Dortkinder  der  Ru- 
mänen von  Haus  zu  Haus  gehen  und  jedes  Familienglied  mit  dersel- 
ben gelinde  berührend,  demselben  Glück  und  Wohlergehen  wünschen.  *) 


Trajan-Decebal-Traditionen  bei  den  Rumänen.  ') 
Von  Dr.  Ladislaus  Rithy. 

Dass  zwischen  der  einstigen  römischen  Bevölkerung  Daciens  und 
den  heutigen  Rumänen  diesseits  der  Donau  weder  ein  geschichtlicher, 
noch  ein  sprachlicher  Zusammenhang  besteht,  hat  die  Sprachwissen- 
schaft entgiltig  bewiesen.  Trotzdem  hält  die  Sprach-  und  Geschichtsfor- 
schung der  Rumänen  zäh  an  dieser  Lehre.  Wie  naiv  bei  der  Erhär- 
tung derselben  auch  von  Leuten  wissenschaftlicher  Kreise  vorgegangen 
wird,  dazu  diene  als  kleiner  Beitrag  ein  Aufsatz  der  von  Hr.  Corwc- 


l)  S.  G.  Dem.  Teodorescn,  Incercäri  critice  asupra  unora  crediote,  duine  si 
moravuri  (Bucuresci  1874.)  S.  64  mit  einem  Vorwort  von  Obodescu 

*<  Ein  auch  unter  den  siebenbflrgiscben  Szeklern  weitverbreiteter  Gebrauch ; 
am  8  Christtag  (Tiengen  die  Kinder  mit  der  sogenannten  «Davidsrute»  (Aprd-Sxentek) 
von  Haus  zu  Haus. 

»)  Ethnograph  in,  I.  3.  Hft.  S.  144—150. 


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TRA  J  AN-  DEC'EHAL-TRADITIONEN  BEI  DEN  RUMÄNEN. 


Uus  Diaconovich  herausgegebenen  „Romanischen  Revue"  (7.  Heft,  Jahrg. 
1887),  *o  bei  Gelegenheit  einer  Besprechung  der  unter  dem  Titel  „Durch 
die  Jahrhunderle"  erschienenen  Erzählungen  von  Carmen  Sylva,  der 
rumänischen  Königin,  erwähnt  wird,  dass  neben  vielen  andern  histori- 
schen Volksliedern,  die  Dichterin  auch  eine  Volksballade:  „Decebal's 
Tochter*  in  Prosa  bearbeitet  habe.  Da  heisst  es  denn  nun  in  der 
r Romanischen  Revue"  (1887.  VII.  S.  344):  „Diese  im  Volksmunde, 
im  verstecktesten  Dorfe  lebende  kleine  Geschichte  von  Decebal's  Tod 
und  dem  Falle  Sarmizegetusa's  hat  heute  nebst  ihrer  Schönheit  auch 
noch  einen  besonderen  historischen  Wert,  da  sie  allein  schon  hinreicht, 
die  Errungenschaften  der  magyarischen  Geschichtsforschung,  welche 
auch  jüngst  wieder  zwischen  den  Romänen  und  dem  ehemaligen  Da- 
cien  jeden  Zusammenhang  leugnet,  ins  gehörige  Licht  zu  stellen." 
Dies  klingt  nun  gar  hübsch,  aber  wie  heisst  denn  dieses  „versteckte0 
Dorf?  und  wie  lautet  der  Originaltext  dieser  Ballade?  Wir  glauben, 
dass  die  rumänische  Akademie,  wenn  diese  Ballade  überhaupt  existiert, 
dieselbe  schon  längst  mit  eingehendem  Apparat  publiciert  hätte. 

Wie  nun  solche  „  Volksballaden 4  entstehen  und  » gesammelt"  wer- 
den, darüber  gibt  Carmen  Sylva  selbst  Auskunft,  indem  sie  uns  ein 
mit  dem  rumänischen  „ Dichterkönig -,  Alessand ri,  dem  vielbewunder- 
ten Sammler  rumänischer  Volksdichtungen,  geführtes  Gespräch  mitteilt. 
Im  Laufe  dieses  Gesprächs  nun  gibt  Alessandri  der  Königin  Auskunft 
über  sein  Verfahren  beim  Sammeln  von  Volksdichtungen,  und  erklärt 
rund  heraus,  dass  er,  wenn  er  nur  ein  Bruchstück  vorfinde,  dasselbe 
selbst  ergänze,  d.  h.  den  fehlenden  Teil  hinzudichte.  So  habe  er  auch 
z.  B.  zur  Ballade  „Stefanicza  Vodau  die  fehlenden  zwölf  Verse  hinzu- 
gedichtet.  Nun  aber  welch'  Wunder  geschah !  erzählt  Alessandri  weiter : 
Bei  einer  Gelegenheit  habe  er  in  der  Ferne  Soldaten  singen  gehört. 
Als  er  zu  ihnen  kam  und  sie  nach  dem  Liede  fragte,  djs  sie  so- 
eben gesungen,  haben  sie  auf  sein  Ansuchen  eben  die  Ballade  „Ste- 
fanicza Vodatf  hergesagt  und  zwar  mit  den  von  ihm  (Alessandri)  hin- 
zugedichteten zwölf  Versen.  Der  Dichter  fragte  sie  nun,  von  wem  sie 
dies  Lied  gelernt  haben.  „Von  meinem  Vater !•  lautete  die  Antwort. 
„Kannst  du  lesen!"  fragte  der  Dichter.  „Nein",  war  die  Antwort.  „Und 
von  wem  hat  dein  Vater  es  gelernt!"  forschte  der  Dichter  weiter.  „Von 
seinem  Vater!"  antwortete  man  ihm  

Ich  meinerseits  werde  nicht  im  Geringsten  staunen,  wenn  es  nun 
heute  oder  morgen  heissen  wird,  dass  die  langgesuchte  Ballade  «Trajan 
und  Decebal"  im  Volksmunde  irgendwo  in  Rumänien  lebt.  Der  glück- 
liche Entdecker  kann  dann  den  betreffenden  Sänger  ebenfalls  fragen: 
.Von  wem  hast  du  dies  Lied  gelernt?"  —  .Von  meinem  Vater!"  wird 
auch  er  zur  Antwort  erhalten.  Fragt  er  dann  weiter:  „Und  von  wem 
hat  dein  Vater  es  gelernt?"  —  „Von  seinem  Vater!"  wird  er  dann 
ebenfalls  zur  Antwort  bekommen.  Und  dann  wird  freilich  ein  Nach- 
komme der  „Romänischen  Revue  *  der  erstaunten  Welt  mitteilen,  dass 
die  berühmte  Ballade  ..Trajan  und  Decebal"  entdeckt  worden  sei.  die 
nun  die  ungarische  Geschichtsforschung  in  „gehöriges  Licht"  stelle. 


59 


GRAF  GEZA  KLTN 


Schatzgräber  und  Bergleute.  l) 

Von  Graf  Giza  Kuttn 
(Vergelegt  der  Vortrags-Sitiung  am  22.  März  1890.) 

Aus  der  Astrologie  ist  die  Astronomie,  aus  der  Alchimie  ist  die 
Chemie  entstanden,  das  Suchen  nach  edlen  Metallen  und  Schätzen  aber 
hat  schon  im  Altertum  die  mineralogischen  und  geologischen  Kennt- 
nisse vermehrt  und  auch  auf  die  Geschichte  der  Archaeologie  einen  be- 
deutenden Einfluss  ausgeübt,  was  sich  seit  dem  Mittelaller  bis  auf 
unsere  Tage  herab  durch  unerwartete  Resultate  zahlreicher  Forschun- 
gen beweisen  lässt.  Wahr  ist  es.  dass  die  Archaeologie  durch  den  Zu- 
fall mit  neuen  und  immer  neueren  Funden  bereichert  wird ;  aber  auch 
die  Schatzgräberei  selbst  ist  mit  Rücksicht  auf  ihren  unerwarteten 
Erfolg,  ein  Zufall  zu  nennen.  Die  Geschichte  des  Forschens  nach  edlem 
Metall  und  nach  Schätzen  ist  ebenso  alt,  wie  die  der  Cullur  unseres 
Geschlechtes,  und  ist  auch  in  die  Mythologie  der  meisten  Völker  einge- 
drungen. In  der  Heroenzeit  des  hellenischen  Altertums  spielen  das  gol- 
dene Vliess  und  die  goldenen  Aeplel  der  Hesperiden  eine  grosse  Rolle; 
und  nicht  nur  die  Gothen  und  Römer  vergruben  ihre  Schätze,  wenn 
der  Feind  sich  näherte,  sondern  dies  geschah  bei  solcher  Gelegenheit 
zu  allen  Zeiten.  Diese  Schätze  brachte  dann  nur  der  Zufall  oder  die 
Forschungen  der  Schatzgiäber  ans  Tageslicht.  Dass  die  Schatzgräber 
bei  ihrem  Geschäft  gewisse  abergläubische  Formalitäten  beobachten,  ist 
selbstverständlich.  In  Steiermark  und  auch  an  anderen  Orten  nehmen 
sie  eine  Haselrute,  die  sie  mit  den  beiden  Enden  an  dem  Orte,  wo 
sie  einen  Schatz  vermuten,  halbkreisförmig  in  die  Erde  stecken ;  schnellt 
nun  die  Rute  mit  beiden  Enden  empor,  so  ist  an  dem  betreffenden 
Orte  ein  Schatz  vergraben.  In  Ungarn  sind  die  diesbezüglichen  aber- 
gläubischen Gebräuche  noch  nicht  gesammelt  *)  und  Zweck  dieser  meiner 
Zeilen  ist  es,  hierauf  aufmerksam  zu  machen,  obwol  wir  nur  eine 
spärliche  Lese  haben  werden. 

Das  magyarische  Volk  selbst  hat  sich  zu  keiner  Zeit  mit  Vor- 
liebe mit  dem  Bergbau  beschäftigt,  und  schon  die  Könige  aus  Arpäd's 
Hause  verpachteten  die  Bergwerke  an  Fremde,  die  Deutsche  beim  Berg- 
bau verwendeten.  Trotzdem  standen  die  Magyaren  nicht  nur  in  den 
Karpaten  und  in  Siebenbürgen,  sondern  schon  in  ihrer  Urheimat  am 
Altai-Gebirge  und  im  Ural  in  fortwährender  Berührung  mit  Bergleuten, 
und  es  ist  denn  kein  Wunder,  wenn  Perceptionen  der  subterraneen 
Mythologie  sich  auch  auf  sie  vererbten.  Die  magyarischen  „bergdrehen- 
den", „bergrollenden"  Riesen  erinnern  lebhaft  an  die  Erzählung  der 
Novgoroder  Gjurgata  Rogovir.  welche  uns  Nestor  aufbewahrt  hat.  Uebe- 
rau, wo  Schütze  verborgen  sind,  da  denkt  sich  die  Volksphantasie 
Wächter  dazu,  Greife,  Schlangen,  Chimaeren,  Kentauren  udgl.  Völker, 


')  EthHoyraphin,  I.  4.  Heft.  S.  179—183. 

*)  Ein  Aufsatz  Wieder«  in  „Kthnoeraphia"  I.  247.  ff.  „Schatzgräber- Aber- 
glauben und  BeschwuruDiren." 

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SCHATZGRÄBER  UND  BERGLEUTE. 


die  solche  Untiere  erdacht  haben,  folgten  hierin  der  Richtung  des 
Samanismus,  der  die  sich  in  irdischen  Erscheinungen  offenbarenden 
Kräfte  mit  göttlichen  Attributen  bekleidet.  *) 

Schatzgräber  und  Bergmann  müssen  Glück  haben,  wenn  ihr  Werk 
Erlolg  haben  soll,  daher  der  Gruss:  „Glück  auf!"  im  Bergwerk  ganz 
an  seinem  Platze  ist.  Im  Hunyader  Comitat  forscht  das  Volk  nicht 
nur  nach  Decebals  Schätzen,  sondern  auch  nach  denen  eines  gewissen 
Franz  Geszti,  der  kurz  von  seinem  Tode  seine  Schätze  irgendwo  ver- 
graben haben  soll,  damit  sie  nicht  in  die  Hände  seiner  von  ihm  unge- 
liebten Frau  geraten.  Und  mancher  dort  aufgegrabene  praehistorische, 
romische  udgl.  Fund  wurde  vom  Volke  dadurch  ans  Tageslicht  geför- 
dert. Auf  der  Insel  Lussin  sollen  der  Sage  nach  die  aus  Bysanz  flie- 
henden Griechen  ihre  Schätze  in  die  Felsen  des  Monte  Asina  ver- 
borgen haben.  Als  nun  im  Jahre  1787  ein  Lussin- Piccoloer  Einwoh- 
ner nach  diesen  Schätzen  grub,  brachte  er  mehrere  wichtige  praehis- 
torische Funde  ans  Tageslicht. 


Ueber  meine  Studienreise  in  Finnland.  ') 

Von  Bela  Vikar. 
(AttMOg  aus  einem  Vortrage,  gehalten  jn  der  Sitzung  vom  i5.  März  1  S9< ».) 

Als  ich  mich  enlschloss  unsere  finnischen  Sprachverwandten  zu 
besuchen,  schwebte  mir  einerseits  das  Ziel  vor :  mich  mit  der  Sprache 
der  Kalevala  an  Ort  und  Stelle  eingehend  bekannt  zu  machen,  ander- 
seits aber:  einen  liefern  Einblick  in  die  finnische  Ethnographie  zu  tun. 
Aus  diesem  Grunde  schien  es  mir  zweckmässig,  vor  allem  diejenigen 
Punkte  der  von  Finnen  bewohnten  Gebiete  aufzusuchen,  wo  ich  noch 
Aussicht  haben  konnte,  Ueberreste  oder  Nachklänge  der  epischen  Dich- 
tung und  somit  noch  einen  gewissen  Teil  vom  Sprachmaterial  der 
Kalevala  aufzufinden,  —  und  dann  erst  wollte  ich  in  die  Hauptstadt 
Finnlands  reisen,  um  dort  die  vorzügliche  ethnographische  Sammlung 
der  Universität  zu  der  Kalevala  und  die  finnische  Volksmusik  über- 
haupt und  vom  Standpunkt  der  Vergleichung  mit  der  magyarischen  Musik 
und  der  vergleichenden  Metrik  zu  studieren. 

Zu  erstem  Aufenthaltsort  auf  finnischem  Gebiet  erkor  ich  mir 
das  am  nördlichen  Ufer  des  Ladoga  liegende  Städtchen  Sortavala,  des- 
sen Umgebung  J.  Krohn  in  seinem  über  die  Kalevala  geschriebe- 
nen Werke  als  besten  Fundort  erwähnt,  und  wo  man  auch  eine  an- 
nehmbare Existenz  hat. 

Ende  Juli  1889.  machte  ich  mich  auf  die  Reise  mit  meiner  Frau, 
die  bei  meinen  Studienreisen  stets  mein  bester  Gehilfe  war. 


*)  S.  meine  Abh;mdl«ng:  „Adalekok  az  imädsag  törteneltnehez"  (Beiträge  zur 
Gescl  ichte  des  Gein  tes)  S.  7. 

»)  Kthnographia,  I.  251.  ff. 


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B£LA  VIKAR 


In  St.  Petersburg  hielten  wir  uns  einige  Tage  auf,  und  von  dort 
die  augenehmsten  Erinnerungen  mit  uns  nehmend,  setzten  wir  unsere 
Reise  über  den  Ladoga  fort,  und  am  31.  Juli  brachte  uns  das  finni- 
sche Dampfschiff  nach  Sortavala 

Die  ersten  Wochen  benützle  ich  dazu,  um  mich  in  der  Iii l era- 
rischen Sprache  so  gut  als  möglich  einzuüben.  Die  Intelligenz  da-*  Städt- 
chens, besonders  Oskar  Forsströtn,  Seminarlector,  einer  der  eifrigsten 
und  tüchtigsten  finnischen  Ethnographen,  der  in  Sortavala  auch  ein 
schönes  kleines  Museum  gegründet  hat  und  aufrechthält,  war  mir  mit 
der  grössten  Bereitwilligkeit  in  allem  behilflich.  Nach  Verlauf  einiger 
Wochen,  nachdem  ich  es  so  weit  gebracht  hatte,  um  nicht  nur  mich 
verständlich  zu  machen  (was  gleich  im  Anfang  leicht  war),  sondern 
auch  dass  ich  andere  verstand  (was  anfangs  sehr  schwierig  war),  wandte 
ich  meine  Studien  der  Umgegend  zu. 

leb  machte  einen  Ausflug  nach  der  Stadt  Pitkänta  zum  Volks- 
fest, das  am  4.  August  abgehalten  wird.  Hier  halte  ich  Gelegenheit 
Offenbarungen  der  Volksseele  während  der  Lust  barkeilen  zu  beobach- 
ten. Die  Sprache  der  Umgegend  ist  grosser  ßeachtungs  wert.  Mit  der 
Sprache  von  Sortavala  verglichen,  spricht  man  hier  eine  der  Kale- 
vala  viel  näher  stehende  Sprache ;  hier  herrseht  schon  sehr  abweichen- 
der Dialekt,  der  einigermassen  den  Cebergang  bildet  in  den  ostfinni- 
schen  Dialekt. 

Ueber  die  Volkstracht  dieser  Gegend  lässt  sich  nichts  sagen.  Sie 
bat  gänzlich  den  nationalen  Charakter  verloren.  Und  dies  ist  der  Fall 
im  grössten  Teile  Finnlands.  Die  alten  finnnischen  Volkstrachten  wer- 
den grösstenteils  nur  noch  in  finnischen  Museen  bewahrt. 

Dann  besuchte  ich  im  Dorfe  Rautlahii  in  ■  Begleitung  des  Magis- 
ters Oskar  Relander  den  86-jährigen  Ontrei  Vanninen  (mit  seinem  rus- 
sischen Namen  Borissa).  der  dieses  in  alter  Zeit  berühmten  Gesangs- 
gebietes  letzter  Sänger  ist.  Seine  Zauber-  und  Gesangskunst  erbte  ßo- 
rissa  von  einem  seiner  Ahnen,  der  vor  ungefähr  sieben  Menschenaltern 
als  erster  sich  hier  in  Rautlab ti  niedergelassen  hatte.  Nach  ihm  gab 
es  in  der  Familie  stets  ein-zwei  berühmte  Sänger,  auf  die  das  Lie- 
dererbe der  Ahnen  fiel.  Borissa  ist  der  letzte  Epigone;  er  hat  in  die- 
ser Beziehung  keinen  Nachkommen  mehr.  Auch  sein  Erinnerungs- 
vermögen -  wol  in  Folge  seines  Alters  —  ist  lückenhaft  und  ver- 
wirrt. Gar  oft  wiederholt  er  einen  epischen  Teil,  stets  nehmen  die 
Bruchstücke  seiner  Erinnerung  andere  Formen  an.  Am  besten  erinnert 
er  sich  noch  der  Zaubersprüche  und  Hochzeits-Runen,  nachdem 
er  einst  weit  und  breit  ein  berühmter  „tietäjätt  (Kenner)  gewesen  ist 
und  diese  Gattungen  besonders  cultivierte ;  nirgends  kam  eine  Erkran- 
kung, Hochzeit  udgl.  vor.  ohne  dass  er,  selbstverständlich  bei  guter 
Belohnung,  nicht  zugegen  gewesen  wäre.  Die  Zaubersprüche  trägt  er  stets 
recitierend,  die  Hocbzeilsrunen  aber  singend  in  einer  einfachen,  schlep- 
penden Tonart  vor,  die  sich  nur  auf  zwei  Zeilen  erstreckt.  Solcher 
epischer  Tonweisen  gibt  es  gar  viele  und  auch  der  grösste  Teil  der  fin- 
nischen  Volkslieder  ist  in  solcher  Form  wie  die  Kalevala  verfasst,  und 


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UEBEK  MEINE  STUDIENREISE  IN  FINNLAND 


wird  auf  die  Weise  gesungen.  Beim  Hersagen  der  nach  dem  Gesang 
niedergeschriebenen  Texte  bemerken  wir  sogleich  den  Unterschied,  der 
zwischen  den  gesungenen  und  hergesagten  Texten  vorherrscht.  Bei 
jenen  bleibt  die  alte  Sprache  und  das  genaue  Metrum  der  Runen  un- 
verändert; bei  diesen  biingt  der  Milteiler  die  Regeln  seiner  heutigen 
Sprache  zur  Geltung,  wodurch  die  Versform  gar  oft  verdorben  wird. 
Also  im  Gesangsvortrag : 

„Paasia  pakotiamahon, 

Kiviä  kivistämähänu  —  t4— 4  Trochaeen)  — 

hergesagt  aber: 

„Poasii  pakollama!', 
Kivü  kivistämä  i  — 

wo  also  die  Versform  verdorben  ist. 

Mit  Borissa  konnte  ich  nicht  so  kurz,  im  Handumdrehen  fertig 
werden;  icli  bestellte  ihn  daher  mehrmals  zu  mir  in  die  Stadt  und 
schrieb  das  Wenige,  was  er  noch  wusste,  auf. 

Hiernach  verlegte  ich  meine  Excursionen  in  das  (Jebiet  von  Su- 
istorae.  Im  Dorfe  Latvasyrjä  schrieb  ich  von  einer  alten  Frau  ein  Hir- 
tenlied und  einen  Hochzeilsruno  auf,  im  Dorfe  Laitioiset  von  einem  jungen 
Weibe  Klageverse  und  Liebeslieder.  Das  Niederschreiben  der  Klagerverse 
(Todtenklagen)  ist  gar  schwer,  denn  der  Mitteiler  stellt  aus  gewissen 
und  bestimmten  Phrasengebild^n  improvisierend  stets  ein  anderes  Gan- 
ze  her.  das  zu  wiederholen  er  dann  nicht  mehr  im  Stande  ist ; 
und  weil  er  in  der  Tat  weinend,  oder  im  bestem  Falle  in  weinerli- 
chem Tone  diese  Lieder  vorträgt,  bleiben  bei  einmaligem  Hören  gar 
viele  Lücken  zurück.  Hier  war  ich  also  jedesmal*  auf  Hilfe  angewie- 
sen, indem  wir  zwei-drei  Personen  zugleich  schrieben  und  dann  un- 
sere Aufzeichnungen  verglichen. 

Von  bestem  Erfolg  war  mein  Aufenthalt  zu  Jalovaara.  Varianten 
zur  Kalevala.  zahlreiche  Volkslieder  und  Besprechungsformeln  berei- 
cherten hier  meine  Sammlung.  Besonders  die  Vollkommenheit  der  Be- 
sprechungsformeln,  ihre  künstlerische  Form  (die  ganz  der  der  Kalevala 
entspricht)  und  ihr  reicher,  mythischer  Gehalt  überraschten  mich  Mit 
Freuden  überzeugte  ich  mich  auch  davon,  dass  die  Erzeugnisse  der 
finnischen  Volkspoesie  inhaltlich  und  formell  in  der  Tat  so  klassisch 
sind,  als  wir  sie  aus  den  erschienenen  Sammlungen  kennen. 

Von  Jalovaara  aus  sandte  ich  Boten  in  das  Dorf  Kokkari,  das 
einen  ganzen  Tag  weit  von  hier  liegt,  nach  den  berühmtesten  Sängern 
der  Umgegend,  nach  den  beiden  Brüdern  Schemejka;  aber  nur  der 
jüngere,  der  75-jährige  Peter  Schemejka  konnte  zu  mir  kommen.  Sehr 
schöne  Kalevala-Varianten,  zahlreiche  Zauberformeln  und  Jagdlieder 
citierte  er  mir,  und  fast  jedes  Stück  in  zwei  Varianten :  damit  der 
zwischen  dem  gesungenen  und  hergesagten  Text  vorherrschende  Unter- 
schied constatiert  werden  könne. 

Eine  höchst  interessante  Episode  meines  Aufenthaltes  in  Jalovaara 


63 


B£LA  V1KÄH 


bildet  mein  Ausflug  mit  dem  Wirte  Kerksonen  in  das  Dorf  Uuksu.  Dies 
Dorf  ist  der  einzige  Ort  in  dieser  Gegend,  wo  man  noch  befestigte 
„savutupa"  (Rauchhäuser)  sehen  kann;  solcher  Häuser  gibt  jetzt  es 
in  Finnland  nur  noch  weiter  in  den  nördlicheren  Gebieten  und  in  der 
russischen  Karjala  inmitten  endloser  Wälder.  Auf  diese  Gebiete,  die 
sowol  ethnographisch,  als  auch  wa-*  ihren  Reichtum  an  Runos  betrifft, 
in  erster  Reihe  dastehen  konnte  ich  infolge  meiner  materiellen  Be- 
schränktheit meine  Studien  nicht  ausdehnen.  Ich  kehrte  daher  nach 
Sortavala  zurück. 

Gelegenheit  zur  Vermehrung  meiner  Sammlungen  von  volkstüm- 
lichem Sprachmaterial  hatte  ich  auch  hier,  teils  bei  meinen  aus  der 
Umgebung  hereinbeschiedenen  Gewährsmännern,  teils  bei  denen,  die 
hier  die  Kirche  besuchen.  Einige  Märchen  bekam  ich  von  den  Zöglin- 
gen des  Seminars.  Ausserdem  wurde  ich  mit  dem  grössten  Teil  der  fin- 
nischen Volkslieder  bekannt,  die  uns  durch  i'ire  Ähnlichkeit  in  Be- 
zug auf  Versform  und  Musik  mit  unsern  magyarischen  Liedern  be- 
sonders interessieren.  *) 

Von  Sortavala  aus  wandte  ich  mich  in  Sachen  einer  ethnogra- 
phischen Sammlung  brieflich  an  den  Secretär  der  ungarischen  ethno- 
graphischen Gesellschaft,  an  Dr.  Anton  Herrmann;  mit  gewohntem  Ei- 
fer u  Fleiss  betrieb  er  die  Sache.  Demzufolge  machte  ich  Ausflüge  im 
Sortavalaer  Gebiet  und  sammelte  in  2  Wochen  so  viel,  als  es  meine 
geringen  Mittel  mir  erlaubten.  Später  hat  diese  Sammlung  das  hohe 
königl.  ungar.  Cultus-  und  Unterrichtsministerium  im  Ankaufspreis  von 
mir  übernommen 

Im  Oktober  zogen  wir  nach  Helsingfors  Hier  verbrachte  ich  mit 
finnischen  Sprachstudien  und  dem  sehr  eingehenden  Studium  des  er- 
wähnten Universitätsmuseums  geraume  Zeit.  Beim  Director  bewirkte 
ich  es,  dass  sie  uns  die  Dupla  der  ethnographischen  Gegenstände  im 
Ankaufspreis  überliessen  Auf  diese  Weise  —  und  mit  Hinzufügung  mei- 
ner eigenen  Sammlungen  —  gelangte  ich  in  den  Besitz  einer  recht  rei- 
chen und  für  uns  wichtigen  schönen  Collection  zur  finnischen  Eth- 
nographie Zu  besonderem  Danke  sind  wir  Herrn  Cultusminister  Grafen 
Albini  Csäky  verpflichtet,  der  durch  Ankauf  dieser  Sammlung  neuer- 
dings ein  Zeichen  seines  warmen  Interesses  Tür  die  Ethnographie  ge- 
geben hat.  Unsere  dankbare  Anerkennung  verdient  ferner  Mag.  Theo- 
dor Swindt,  der  Intendant  der  oben  erwähnten  Sammlungen,  dem  in 
Rücksicht  auf  die  Bewirkung  der  Ueberlassung  der  Dupla  und  auf  seine 
mit  der  Auswahl  und  1  ebergabe  verbundene  Mühewaltung  —  das  Haupl- 
verdienst  zukommt.  Dem  ausgezeichneten  Manne  gegenüber  spreche 
ich  hiemit  öffentlich  unsern  innigen  Dank  aus. 

Als  einen  Erfolg  muss  ich  auch  noch  das  Versprechen  genannter 
Direction  erwähnen,  demgemäss  sie  sich  bereit  erklärt  hat,  die  Aus- 
füllung der  Lücken  unserer  finnischen  ethnographischen  Sammlungen 


*)  Wir  werden  Gelegenheit  haben,  ans  Vikars  Sammlungen  manches  wert 
volle  mitzuteilen  Red. 

6t 


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UEUER  MEINE  STUDIENREISE  IN  FINNLAND- 


durch  ihre  eigenen  Sachverständigen  besorgen  zu  lassen.  Es  wäre  an- 
gezeigt, wenn  unsere  tonangebenden  Männer  sobald  als  möglich  dies 
Versprechen  in  Anspruch  nennen,  denn  wenn  irgendwo  —  so  mahnt  auf 
diesem  Gebiete  die  Zeit  zur  Eile  an.  Die  Civilisation  schreitet  in  Finn- 
land im  Sturmschritt  vorwärts,  und  mit  ihr  nimmt  das  Gebiet  und  das 
Material  ethnographischen  Sammeins  immer  mehr  ab.  Gar  bald  kommt 
die  Zeit,  wo  wir  die  Fundorte  finnischer  Ethnographie  nur  noch  in 
den  Wüsteneien  der  russischen  Karjala  antreffen.  Aber  der  grösste 
Grund  zur  Eile  liegt  bei  den  Finnen  selbst  im  Eifer  für  ihre  eigene 
Ethnographie.  Das  Museum  zu  Helsingsfors  und  die  in  der  Provinz 
von  Jahr  zu  .lahr  sich  mehrenden  kleineren  Museen  breiten  ihre  Samm- 
lungen auf  das  ganze  Gebiet  finnischer  Ethnographie  aus.  und  im  kur- 
zen haben  sie  alles  zusammengetragen,  was  man  auf  diesem  Gebiete 
heute  noch  Bedeutendes  und  Wichtiges  finden  kann.  Das  Beispiel  un- 
serer finnischen  Verwandten  möge  uns  zu  ähnlichem  Bestreben  an- 
eifern. 


Unter  Wogulen  und  Ostjaken.  ') 

Von  Karl  Pdpai. 
(Vorgelegen  in  der  Vortrags  Sitzung  am  7.  Dezember  1869.) 

Ich  will  von  den  Erfolgen  meiner  Studienreise  Rechenschaft  able- 
gen, die  ich  im  vergangenen  und  laufenden  Jahr  mit  meinem  Freunde, 
dem  Philologen  Dr  Bernhard  Munkdcsi  ins  Land  unserer  Sprachver- 
wandten, der  Wogulen  und  Ostjaken  unternommen  habe.  Anthropolo- 
gische und  ethnologische  Forschungen  unter  diesen  Völkern  zu  ma- 
chen, war  das  Hauptziel  meines  Unternehmens,  während  mein  Freund 
sich  linguistische  und  folkl  ristische  Studien  zur  Aufgabe  gestellt  hatte. 
Den  Verlauf  unserer  Reise  habe  ich  schon  an  anderer  Stelle  eingehend 
beschrieben  a),  und  »v»ll  daher  hier  nur  von  den  Ergebnissen  meiner 
Studien  sprechen. 

Nachdem  wir  von  der  Ungarischen  Geographischen  Gesellschaft, 
der  Ungarischen  Akademie  der  Wissenschaften,  dem  hohen  k.  ung.  Mi- 
nisterium für  Cultus  und  Unterricht  eine  materielle  Unterstützung  er- 
langt hatten,  machten  wir  uns  am  13.  März  1888  mit  einem  Begleit- 
schreiben von  Seiten  der  Akademie  der  Wissenschaften  versehen, 
auf  den  Weg.  Ich  halte  es  für  meine  Pflicht  der  hohen  russischen 
Regierung  und  allen  ihren  Beamten,  besonders  Herrn  Troiucki,  Gouver- 
neur von  Tobolsk,  meinen  Dank  auch  an  dieser  Stelle  auszusprechen, 

«i  Ethnttgraphia,  I.  3  Hft.  S.  117—130. 

•)  8.  FöUlrajzi  kSzhminyek  (Geographische  Mitteilungen  1838  IX.  u  X. 
1889  VIII.  ff.  Ausführlich  beschrieben  hat  unsere  Reise  auch  mein  Geno-se  Mun- 
kdcsi  in  der  Zeitschrift  Bwiapt»ti  Szemh '188';»,  dessen  Aufsatz  auch  deutsch  in  der  Un- 
garischen Herrn-  erschienen  ist 

65 


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KARL  PÄPA1 


Tür  die  Zuvorkommenheit  und  tatkräftige  ünterslützung,  die  s*ie  unse- 
rem Unternehmen  angedeihen  Messen,  und  womit  sie  den  Erfolg  un- 
serer Studien  sicherten.  Zu  besonderem  Dank  haben  uns  auch  die 
Gelehrten  verpflichtet,  in  Petersburg:  die  Herren  Akademiker  Radio ff 
und  fchrenk,  Prof.  Petri  und  Pattcanow,  in  Moskau :  Gondatti,  in  Ka- 
san :  Smirnow  und  Weske,  in  Jekaterinenburg :  Clerc,  in  Tobolsk :  Ma- 
mew,  Lytkin  und  Lugovski,  in  Tomsk :  Florinski,  Kusnecow  und  Adri- 
janows  die  uns  alle  wichtige  Anleitungen  zu  unseren  bevorstehenden 
Reisen  und  Studien  gaben. 

Am  6.  Mai  1888  gelangten  wir  in  die  erste  wogulische  Ansiede- 
lung, in  das  Dorf  Pelina,  das  am  Sosva-Fluss  gelegen  ist.  Beinahe 
einen  ganzen  Monat  hindurch  beschäftigte  ich  mich  hier  mit  anthropolo- 
gischen Messungen,  dem  Sammeln  von  ethnographischen  Gegenstän- 
den, Modellieren  und  photographischen  Aufnahmen.  Da  bot  sich  mir 
unerwartet  Gelegenheit  zu  einer  Reise  nach  dem  nördlichen  Ural,  wo 
noch  nicht  entnationalisierte,  auf  primitiver  Culturstufe  stehende  Wogu- 
len wohnen.  Diese  Gegenden  bereist  nämlich  seit  einigen  Jahren  eine 
russische  Commission,  um  den  Reichtum  des  Ural  an  Erzen  usw.  zu 
durchforschen  und  topographische  und  geographische  Aufnahmen  zu 
machen.  Der  Zuvorkommenheit  des  Leiters  der  Expedition,  des  Berg- 
werkingenieur's  Lebedsinsky  kann  ich  es  verdanken,  dass  ich  mit  die- 
ser Expedition  das  Stromgebiet  der  Sosva  durchsch weifen  konnte.  Nach 
Verlauf  eines  Monates  kehrte  ich  nach  Peräina  zurück,  wo  mein  Freund 
noch  seinen  linguistischen  Studien  oblag,  von  dem  ich  am  20.  Juli 
schied,  um  die  südlosvaer,  pelymer  uud  kondaer  Wogulen  aufzusuchen, 
nach  deren  Untersuchung  ich  mich  in  das  Stromgebiet  des  Ob  begab, 
wo  ich  in  übdorsk  bei  na1  e  einen  ganzen  Monat  mit  der  Erforschung 
der  Lebensweise  und  der  Verhältnisse  der  Wogulen  zubrachte.  Ver- 
schiedene Umstände  beschleunigten  unsere  Heimfahrt,  die  wir  am  17. 
März  antraten,  indem  wir  Obdorsk  verliessen  und  über  Tobolsk,  Je- 
katerinenburg, Kasan,  Moskau,  Petersburg,  Helsingfors,  Stockholm,  Ko- 
penhagen und  Berlin  am  15.  Juli  in  Budapest  anlangten. 

Dies  wäre  unsere  Reisetour  in  flüchtigen  Strichen  dargestellt; 
ich  will  nun  auf  die  Resultate  dieser  Reise  übergehen. 

Das  Harptziel  meiner  Forschungen  war  der  Mensch,  das  Volk. 
Die  Untersuchung  natürlicher  Verhältnisse  der  bereisten  Gegenden  konnte 
ich  aus  Mangel  an  Instrumenten  nicht  vornehmen.  Nur  eine  kleine 
botanische  Sammlung  (ungefähr  70  Exemplare)  ist  das  Ergebnis  in 
dieser  Richtung.  In  den  Kreis  meiner  Untersuchung  gehörte  vor  allem 
die  Anzahl  der  Bevölkerung,  deren  Verbreitung,  der  physische  Typus, 
und  die  Lebensweise.  Die  statistischen  Daten  habe  ich  teils  auf  Grund 
von  mir  vorgenommener  Zälung,  teils  auf  Grund  der  weniger  verläss- 
lichen Matrikeln  und  Steuerbücher  gesammelt.  Sorgfältig  sammelte  ich 
auch  die  auf  die  Verbreitung  des  Volkes  bezüglichen  Daten,  die  in 
einer  ethnographischen  Karte  des  durchforschten  Gebietes  zusammenge- 
stellt sein  werden.  Neben  diesen  demographischen  Studien  nahm  ich 
in  erster  Reihe  anthropologische  Untersuchungen  vor.  In  dieser  Rich- 


66 


UNTER  WOGULEN  UND  OSTJAKKN 


tung  war  die  Bestimmung  des  physischen  Typus  der  Wogulen  und  Ost- 
jaken  meine  Hauptaufgabe,  wobei  ich  Hautfarbe,  Augen,  Haare.  Ge- 
sicht, Schädelbildung  usw.  genau  untersuchte  Schädel  konnte  ich  nur 
zwei  mitbringen.  Bei  den  Messungen  gebrauchte  ich  den  französischen 
Anthropomeier  und  folgte  dabei  dem  kleineren  Schema  TopinorcTs, 
auf  welche  Weise  ich  an  40  Wogulen  (darunter  nur  an  einem  Weibe) 
Messungen  vornahmt  Körper-  und  Schädelmessungen  unterzog  ich  100 
Wogulen,  145  Ostjaken,  50  Syrjänen  und  32  Samojeden.  Meine  an- 
thropologischen Beobachtungen  werden,  was  besonders  den  Typus  an- 
belangt, von  meinen  photographischen  Autnahmen  ergänzt.  Dem  Gesamrat- 
eindruck  nach  ist  der  Typus  der  Wogulen  dem  der  Ostjaken  gleich.  Der 
Typus  hat  einen  mongolischen  Charakter,  wenn  auch  in  gering-  rem  Maasse 
wie  bei  den  Somojeden.  Der  Schädel  ist  brachykefal ;  Hautfarbe  bräun- 
lio;  Backenknochen  breit,  weniger  hervorstehend  und  schmale  Au- 
genschlitze,  was  besonders  bei  den  Weibern  und  Kindern  auffällt.  Das 
Haar  ist  dicht  und  gleich  der  Hornhaut  der  Farbe  nadi  dunkel.  Kör- 
per- und  Gesicbtsbebaarung  sehr  schütter.  Besonders  charakteristisch 
ist  die  Form  der  Nase:  an  der  Wurzel  tiefeingedrückt,  schmal  und 
abwärts  se'ir  flach. 

Meine  ethnographischen  Untersuchungen  erstreckten  sich  auf 
alle  Gebiete  und  nach  allen  Richtungen  des  Volkslebens  Deshalb 
musste  ich  mich  an  mehreren  Orten  längere  Zeit  aufhalten,  um  das 
Volksleben  in  allen  seinen  Aeusserungen  beobachten  zu  können.  Diese 
Studien  nahm  ich  stets  in  Begleitung  eines  Eingeborenen  vor,  der  mir 
die  auf  Nahrung,  Kleidung,  Wohnung,  Beschäftigung,  Familie,  Ver- 
wandtschaft udgl.  bezüglichen  Aufklärungen  geben  konnte,  die  ich  mir 
dann  genau  aufzeichnete.  Selbstverständlich  bildete  auch  das  geistige 
Leben  einen  Gegenstand  meines  Studiums,  und  wo  ich  nur  konnte, 
sammelte  ich  Märchen  und  Heldenlieder,  nebenbei  auch  lexikalisches 
Material.  So  habe  ich  von  den  vasjuganer  Wotjaken,  einem  bislang 
unbekannten  Dialekt,  ein  kleines  Wörterverzeichnis  angelegt. 

Das  Volksleben  charakterisierende  Gegenstände  zu  sammeln,  war 
für  mich  ebenfalls  eine  der  Hauptaufgaben.  In  dieser  Richtung  erstreckte 
sich  mein  Sammeln  auf  Kleider,  Wirtschaftsgeräte,  die  beim  Fischfang 
und  der  Jagd  gebräuchlichen  Geräte,  ebenso  auf  die  auf  den  Cultus 
bezüglichen  Gegenstände,  wobei  ich  die  Fetische  mit  besonderer  Vor- 
liebe sammelte.  Auf  diese  Weise  gelang  es  mir  eine  Sammlung  von 
ungefähr  500  Gegenständen  nach  Hause  zu  bringen,  die  sich  gegen- 
wärtig im  ungarischen  Nationalmuseum  befinden,  ebenso  die  photo- 
graphischen Aufnahmen  von  verschiedenen  Gegenständen,  deren  Zahl 
ungefähr  200  Stück  beträgt.  —  Wenn  nun  einmal  diese  Sammlungen 
und  Aufzeichnungen  —  wie  es  meine  Absicht  ist  —  in  grösseren  und 
kleineren  Abhandlungen  von  verschiedenen  Gesichtspunkten  aus  auf- 
gearbeitet sind  so  werden  sie  nicht  nur  auf  die  nahe  Verwandtschaft 
des  wogulischen  und  ostjakischen  Volkes  mit  dem  magyarischen  ein 
neues  Licht  werfen,  sondern  auch  vom  allgemeinen  anthropologischen 
und  ethnologischen  Standpunkte  von  einiger  Bedeutung  sein. 


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DR.   BKRNHARD  MUNKÄCSI 


Kosmogonische  Sagen  der  Wogulen. 

Aus  dem  Volksmunde  aufgezeichnet  von  Dr.  Bernhard  Munkäcsi.  *) 

I. 

Die  heilige  Sage  von  der  Entstehung  der  Erde. 
(Mi.  tülem  jelpin  mojt.) 

1.  Tundrahügels  Frau  und  alter  Mann  leben.  Sie  haben  einen 
schneeweissen  Raben.  Beiderseits  des  Hauses  ist  überall  Wasser;  Erde 
ist  keine.  Der  Alte  geht  nicht  aus  dem  Hause,  die  Aussenwelt  wie  sie 
gestaltet  sei,  er  weiss  es  nicht.  Wie  sie  so  leben,  einmal  nur  erschallt 
aus  dem  obern  Himmel  irgend  ein  Geräusch.  Der  Alte  schaut  zum 
Fenster  hinaus,  also  von  oben  her,  aus  dem  Himmel  kommt  ein  ei- 
serner Tauchervogel,  Erde  zu  suchen  taucht  er  ins  Wasser.  Er  gieng 
und  gieng  umher:  er  tauchte  auf,  er  hatte  keine  Erde  gefunden.  Er 
schöpfte  Atem  und  tauchte  wieder  ins  Wasser.  Er  gieng  und  gieng  um- 
her, er  tauchte  auf:  wieder  vergebens,  Erde  gibt's  keine.  Ein  wenig 
atmete  er  und  tauchte  zum  drittenmal  unter.  Als  er  auftauchte,  holte 
er  so  stark  Atem,  dass  ihm  unten  die  Kehle  barst;  an  der  Schnabel- 
wurzel hat  er  ein  Bröcklein  Erde.  Er  schwang  sich  aul  und  stieg  da- 
mit gen  Himmel. 

2.  Die  Frau  und  ihr  Alter  legten  sich  nieder.  Morgens  als  sie 
aufstehen,  erschallt  wieder  ein  Geräusch  aus  dem  Himmel.  Als  der 
Alte  hinaus  schaut,  steigt  ein  eisernes  Seehuhn  vom  Himmel,  taucht 
ins  Wasser.  Es  gieng  und  gieng  herum,  als  es  auftauchte,  halte  es 
nichts,  ganz  und  gar  nichts.  Ein  wenig  holte  es  Atem  und  tauchte 
wieder  ins  Wasser.  Wieder  gieng  und  gieng  es.  als  es  auftauchte,  hatte 
es  wieder  nichts.  Ein  wenig  holte  es  Atem,  und  noch  einmal,  zum 
drittenmal  tauchte  es  nieder.  Als  es  auftauchte,  holte  es  so  stark  Atem, 
dass  ihm  der  Seheitel  barst;  an  der  Schnabelwurzel  steht  ein  ziemli- 
ches Slückchen  Erde.  An  die  Ecke  jenes  Tundrahügel- Hauses  rieb  es 
den  Schnabel,  dann  flog  es  gen  Himmel. 

3.  Die  Frau  und  ihr  Alter  legten  sich  nieder.  Morgens,  als  sie 
aufstanden,  war  die  Erde  tussohlenbreit  geworden.  Andern  Tages  als 
sie  aufstanden,  reichte  die  Erde  schon  bis  zum  Gesichtskreis,  so  sehr 
hat  sie  sich  vergrössert;  am  dritten  Tage  als  die  Frau  und  ihr  Alter 
zum  Fenster  hinaus  sehen,  gibt's  kein  Wasser,  überall  hatte  es  sich 
in  Erde  verwandelt.  Zu  seinem  schneeweissen  Raben  sprach  der  Alte : 
„Geh  nur,  sieh,  wie  gross  die  Erde  geworden!"  Der  Rabe  entfernte 
sich,  blieb  eine  kleine  Stunde  weg,  so  gross  war  die  Erde  schon  ge- 
worden. Die  Frau  und  ihr  Mann  legten  sich  nieder,  sie  standen  wie- 
der aul,  sie  schicken  den  schneeweisen  Raben  wieder  aus,  die  Grösse 
der  Erde  anzusehen.  Der  schneeweise  Rabe  kam  von  seinem  Fluge 
nur  um  Mittag  heim;  so  gross  war  die  Erde  schon   geworden.  Am 

•)  Aus  Munkäcsi's  unedierten  Sammlungen  übersetzt  von  A.  11  -  Noten  und 
Erklärungen  im  nächsten  Heft.  Red. 


6S 


KOSMOGONISCHE  SAGEN  DER  WOGULEN. 


dritten  Tage  standen  sie  auf.  sprachen  wieder  zum  Raben :  „Geh  nur, 
sieh  wie  gross  die  Erde  geworden  ist!"  Von  seinem  Fluge  kehrte  er 
gar  nicht  zurück,  so  wurde  es  Abend.  Zur  Zeit  des  Niederlegens  kam 
auf  einmal  der  schneeweisse  Rabe  nachhause,  in  schwarz  verwan- 
delt. Der  Alte  spricht  zu  seinem  Raben:  .Du  hast  auf  deinem  Fluge 
was  angestellt!"  —  Der  Rabe  spricht:  „Was  hab'  ich  angestellt?!  Ein 
Mensch  ist  gestorben,  von  dem  habe  ich  gegessen,  darum  bin  ich 
schwarz  geworden."  — „Hast  du  Menschen  gegessen,  so  fort  mit  dir  von 
hinnen !  Beim  Eintritt  der  Welt  des  Menschenzeitalters,  beim  Eintritt  der 
Welt  der  Menschenepoche  (d.  h  wenn  Menschen  leben  werden)  sollst  du 
allein  nicht  vermögen,  Tiere  des  Waldes  zu  lödten,  sollst  du  nicht 
vermögen,  Fische  des  Wassers  zu  tödlen;  wo  der  Mensch  irgend  ein 
Waldtier  getödtet,  dort  am  blutigen  Orte  sollst  du  dein  Herz  (deinen 
Hunger)  stillen ;  an  manchem  Tage  sollst  du  dich  hungrig  niederle- 
gen." Der  Rabe  gieng  hierauf  in  den  Wald,  und  lebt  dort  bis  auf  den 
heutigen  Tag. 

4.  Jelzt  tritt  die  Frau  aus  ihrem  Hause  auf  dem  Tundrahügel. 
Als  sie  hinein  geht,  spricht  sie  zu  ihrem  Alten:  .Alter,  hinterm  Hause 
ist  irgend  eine  Staude  gewachsen."  Der  Alle  spricht:  „Die  Wurzel, 
wie  sie  war,  der  Zweig,  wie  er  war,  bring's  herein!-  Seine  Frau 
grub  den  Baum  aus,  brachte  ihn  herein,  der  Alte  erkennt  ihn:  es 
ist  halt  ein  Zirbelbaum.  Er  spricht  zu  seiner  Frau :  „Trag  ihn  hinaus, 
stelle  ihn  daselbst  hin!«  Der  Alte  selbst  geht  nie  aus.  Er  legte  sich 
mit  seiner  Frau  nieder;  als  er  aufsteht,  ist  seine  Frau  nirgends.  Sie 
ist  irgendwohin  gegangen,  oder  was;  —  der  Alte  geht  nicht  hinaus, 
er  lebt  auch  weiter  nur  so.  So  lebend  vergiengen  ungefähr  vier, 
fünf  Wochen,  da  langweilte  er  sich.  Obwol  er  nicht  hinausgehen 
darf,  geht  er  diesen  Tag  doch  hinaus  seine  Frau  zu  suchen.  Er 
gieni,'  zur  Türöffnung,  seine  Frau  draussen  redet  ihn  an  und  spricht: 
„Komm  nicht  heraus  I  ich  habe  ein  Söhnchen,  mein  Söhnchen  ist  schon 
so  gross  geworden,  dass  es  Eichhörnchen  tödten  kann;  ich  werde 
nach  einer  Woche  nachhause  kommen,  du  komm  nicht  heraus!"  Eine 
Woche  war  sie  noch  drau?sen,  dann  gieng  seine  Frau  mit  ihrem  Söhn- 
chen ins  Haus.  Ihr  Söhnchen  war  so  gross  geworden,  dase  es  schon 
zu  laufen  begann. 

5.  Der  Mensch  des  Sanges,  der  Mensch  der  Sage,  wächst  er 
wol  lange?!  Die  Frau  und  ihr  Mann  sind  weiter  glücklich,  leben  wei- 
ter. Ihr  Söhnchen  wird  so  gross,  dass  es  Waldtiere  tödten  kann.  Aus 
dem  vom  Holze  der  zum  Abwischen  bestimmten  Hobelspäne  gebliebe- 
nen Mittelstück  machten  sie  ihm  einen  Bogen;  was  in  Wassergegend 
ist,  was  in  Waldesgegend  ist,  begann  er  zu  jagen.  Der  Alte  spricht: 
„Was  für  einen  Namen  geben  wir  unserem  Sohne?"  Seine  Frau  spricht: 
„Wär's  ein  Mädchen,  benennete  ich  es;  aber  hat  der  Knabe  nicht  von 
seinem  Vater  den  Namen  zu  erhalten?!"  —  Der  Alte  spricht:  „Was 
für  einen  Namen  soll  ich  ihm  geben?!  Mag  denn  sein  Name  sein: 
Tari-pSs- %i-mäVä-saw.  * 

6.  Tari-p.  geht  nun  in  den  Wald.  Viele  Speisekammern  der  Ge- 

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DR.  BERNHARD  MlTfKÄCSI 


birgsgegend  füllt  er  an,  viele  Speisekammern  der  Waldgegend  füllt  er 
an;  Marder,  Hirsche  fallen  nur  so.  Als  er  so  wandelte,  bekam  er  da* 
Verlangen  Wasser  zu  trinken.  Er  kam  zu  irgend  einem  freifliessenden 
Fluss;  er  legte  sich  ans  Wasser,  um  daraus  zu  trinken.  Ein  bärtiger 
Mann  sieht  ihm  ins  Gesicht.  Erschrocken  springt  er  auf.  „Das  ist  ge- 
wiss irgend  ein  teuflischer  Fluss!"  —  sagt  er,  —  „der  hat  einen 
Teufel,  hier  ist  es  nicht  erlaubt  zu  trinken."  Damit  gieng  ervondan- 
nen,  hieb  Eis  aus  dem  Teiche,  und  legte  sich  wieder  bäuchlings,  Was- 
ser zu  trinken.  Der  bärtige  Mann  sieht  ihm  wieder  ins  Gesicht.  „Das 
ist  irgend  ein  teuflischer  Teich!"  —  sagt  er  wieder  und  damit  gieng 
er  zum  Ob.  Er  kam  bis  in  die  Mitte  des  Ob,  legte  sich  ans  Wasser, 
der  bärtige  Mann  sieht  ihm  wieder  ins  Gesicht.  Da  betastet  er  sich, 
also  der  Schatten  seines  eigenen  Bartes  sieht  ihm  ins  Gesicht ;  er  trank 
vom  Wasser  des  Ob,  dann  gieng  er  nachhause.  Er  trat  ins  Haus,  Hess 
sich  auf  die  Bank  nieder,  und  liatte  weder  Mund  noch  Zunge.  Sein 
Vater  fragt  ihn  vergebens,  er  spricht  fortwährend  nichts.  Seine  Mutter 
spricht:  „Wenn  du  nicht  sprichst,  und  wenn  du  irgend  einmal  in  Not 
gerätst,  wirst  du  nicht  aus  können,  weder  nach  unten,  noch  nach 
oben!"  Sein  Vater  spricht:  „Du  hast  dich  wortlos  niedergelassen,  hast 
du  vielleicht  einen  bösen  Gedanken  gegen  uns?"  —  Sein  Sohn  beginnt 
erst  jetzt  zu  sprechen:  „Bis  mein  Bart  so  lang  geworden,  hast  du  bis* 
her  keine  frauenbetretene  frauige  Gegend  gekannt?"  —  Sein  Vater 
spricht:  „Ich  geh  nicht  aus,  wo  eine  trauen  betretene  frauige  Gegend 
ist,  weiss  ich  nicht;  du  bist  der  erdumwandernde  Mann,  du  bist  der 
wasserum wandernde  Mann,  nur  du  selber  kannst  eine  frauenbetretene 
frauige  Gegend  suchen." 

7.  Tari-p.  senkte  sein  Haupt,  wickelte  seine  Augen  ein,  und  legte 
sich  nieder.  Am  andern  Morgen  stand  er  auf :  sein  Vater  sagt  zu  ihm : 
„Geh  zu  den  Trümmern  des  zusammengestürzten  Pferdestalles,  grabe; 
wenn  du  zu  etwas  kommst,  so  kommst  du ;  wenn  du  nicht  kommst,  so 
kommst  du  nicht!"  Damit  gieng  der  Sohn  hinaus,  und  gieng  zur  Ecke 
jenes  zusammengestürzten  Pferdestalles.  Er  begann  im  Pterdedünger 
zu  graben,  da  kam  ihm  das  Ende  eines  Leitseiles  vor  die  Augen. 
Er  fasste  das  Ende  jenes  Leitseiles  und  zog  es  nach  aussen :  es  war 
ein  solches  Pferd,  als  wäre  es  eben  im  Begriffe  sein  Leben  auszuhau- 
chen, es  wankte  nur  so  hin  und  her.  Mit  einem  Nagelpfeil  schoss  er 
ihm  zwischen  die  Augen  (gab  ihm  einen  Nasenstüber):  aus  einem  Na- 
senloch sprühten  Funken,  aus  dem  andern  Nasenloch  qualmte  Rauch. 
Es  ward  zu  einem  dreijährigen  Pferde.  Er  schwang  sich  jetzt  auf  den 
Rücken  seines  Pferdes,  plötzlich  hob  er  sich  in  die  Höhe,  er  mengte 
sich  unter  wandelnde  Wolken,  unter  eilende  Wolken. 

8.  Wie  er  auf  dem  Rücken  seines  Pferdes  so  geht,  gelangt  er 
zum  Ob.  Am  Ufer  des  Ob  an  einer  steilen  Bergwand  wandelnd:  stehen 
auf  dem  Gipfel  der  Bergwand  drei  Pappeln.  Ihrer  Blätter  eines  scheint 
ein  goldnes  Blatt  zu  sein:  es  dreht  sich  beständig,  dass  das  Auge  nicht 
darauf  zielen  kann.  Tari-p.  denkt  bei  sich :  „  Wie  geschickt  wol  meine 
Händ  sind?  ich  soll  danach  schiessen!"  Mit  seinem  Panzerring-Pfeile 


70 


KOSMOGON  ISCHE  SAGEN  DER  WOGULEN. 


schiesst  er  danach,  der  bohrte  sich  mitten  durch  das  Blatt.  Nachdem 
er  seinen  Pfeil  verschossen  hatte,  kam  Schlaf  über  seine  Augen.  Er 
schlief  ein,  er  (räumt.  Das  Schelten  einer  Frau  lässt  sich  vernehmen: 
„Zeigen  die  Kinder  also  ihre  Geschicklichkeit?  sie  durchwandeln  die 
Erde,  durchwandeln  da<*  Wasser  und  durchschiessen  das  Pelzfell,  dem 
Menschen  zum  Siegen  bestimmt!"  Als  er  auf  dem  Rückeu  seines  Pfer- 
des erwachte,  liegt  er  au  der  Öffnung  der  Türe  eines  Hauses.  Er 
steigt  herab  und  tritt  ins  Haus.  Die  Frau  spricht:  „Ei,  Tari-p.  erst 
jetzt  bist  du  angekommen?  Gar  lange  hast  du  deinen  Schlaf  geschla- 
fen! Tarem  hal  dir  eine  Frau  bestimmt;  aber  diese  deine  Frau  hat 
Paräpärsex  geraubt."  Tari-p.  spricht:  „Nach  seinem  Belieben,  er  mag 
sie  rauben!  Wer  war  denn  auch  bisher  verheiralet?  Ohne  Frau  zu 
leben  ist  gleichfalls  gut  !u  Seine  Frau  Schwester  tradierte  ihn  wol  mit 
Speisen  und  Getränken,  und  dann  gieng  er  wieder  weiter.  Seine  Frau 
Schwester  gab  ihm  ein  zweischneidige-*  Messer,  einen  Habichibilg  aus 
Eisen,  ein  Hasenfell  aus  Eisen,  ein  Mausfell  aus  Eisen,  eine  kleine 
Hechthaut  aus  Eisen.  „Bruder!  —  sprach  sie  -  jetzt  gehst  du  weg. 
wenn  du  zurück  kommst,  trag  diese  meine  Sachen  nicht  weiter!  Ich 
brauche  sie.  Wann  du  in  Not  oder  Gefahr  gerätst,  citiere  mich  nicht 
heftig,  erwähne  mich  leise.  Du  gehst  jetzt  weg,  sieh  abwärts,  dort  ste- 
hen sieben  Tuchzelte;  allerlei  Schafe,  Schweine  wie  das  Gewürm!  Zu 
diesen  Tuchzelten  lassest  du  dich  herab,  aus  den  Tuchzelten  wird  ein- 
äugiges Volk  hervorgehen;  ein  Auge  ist  ihm  herausgt  flössen,  das  an- 
dere Auge  ist  heil.  Du  frag  sie  dort:  , Wessen  Schafe,  Schweine  hü- 
tet ihr?!  Sie  werden  antworten:  ,Wir  hüten  Päräpärsex's  Schafe, 
Schweine.4  Da  sprich  du  also:  .Saget  nicht  so,  saget  so:   Tari-p.*  s 
Schafe,  Schweine  hüten  wir;  hinten  kommt  der  feurige  Fürst,  wenn 
ihr  saget,  dass  ihr  Päräp.'s  Schafe,  Schweine  hütet,  werdet  ihr  Feuer 
fangen;  wenn  ihr  aber  saget:  ,Tarip.'s  Schafe,  Schweine  hüten  wir, 
wird  euch  gutes  zu  teil.4  —  Dann  heile  ihre  Augen,  hauche  sie  an, 
damit  sie  zweiäugig  werden.  Darauf  gehst  du  wieder  vorwärts,  gelangst 
wieder  zu  sieben  Tuchzelten:  allerlei  Kühe,  wie  das  Gewürm  (so  wim- 
meln sie).  Du  lässest  dich  wieder  hinab,  gelangst  hin,  einarmiges  Volk 
wird  herauskommen.  Du  fragst  sie:  , Wessen  Kühe  hütet  ihr?*  Jene 
antworten:  ,Wir  hüten  Päräp.'s  Kühe/  Da  sprich  du  also:  , Saget 
nicht  so;  saget  so:  ,Wir  hüten  Ton-p's  Kühe.'  Wenn  ihr  nicht  also 
sprechet,  hinten  kommt  der  feurige  Fürst,  ihr  werdet  Feuer  fangen 
Dann  hauche  ihre  Hände  an,  damit  sie  heilen.  Darauf  gehst  du  wieder, 
an  einem  Orte  stehn  abermals  sieben  Tuchzelte.  Dort  nur  lauter  Pfer- 
de. Nun  wirst  du  dich  hinablassen,  du  wirst  hinab  gelangen,  aus  dem 
Tuchzelte  wird  einfiissiges  Volk  hervorkriechen.  Du  frage  sie:  »Wessen 
Pferde  hütet  ihr?'  Jene  werden  dann  sagen:  ,Wir  hüten  Paräp.'s  Pferde.' 
Hierauf  sprich  du:  ,Saget  nicht  so;  saget,  wir  hüten  Tari-p's  Pferde; 
sonst  —  hinten  kommt  der  feurige  Fürst  —  werdet  ihr  Feuer  fangen ; 
weder  ihr  werdet  sein,  noch  die  Pferde  werden  sein,  alle  verzehrt  das 
Feuer.4  Wenn  sie  dir  gut  sein  werden,  hauche  ihre  Füsse  an  und 
heile  sie.  Nun  aber  gehl* 

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DR.  BERNHARD  MUNKÄCSI 


9.  Nun  setzte  sich  Tari-p.  auf  den  Rücken  seines  Pferdes.  Er 
nahm  -eine  siebenseilige  (?)  Peitsche  hervor,  er  mengte  sich  wieder  un- 
ter wandelnde  Wolken,  unter  eilende  Wolken  An  einem  Orte,  da  er 
hinab  sieht:  stehen  sieben  Tuchzelte,  allenthalben  Schafe.  Schweine, 
wie  das  Gewürm.  Hierauf  Hess  sich  sein  Pferd  hinab.  Er  fragt  sie: 
„Wessen  Schafe,  Schweine  hütet  ihr?"  —  „Wir  hülen  Päräp.'s  Sc'-afe, 
Schweine!"  —  „Nein,  saget  nicht  so:  Saget,  wir  hüten  Tari- p.'s  Schafe» 
Schweine;  denn  wenn  ihr  so  sprechet,  wir  hüten  Päräp.'s  Schafe, 
Schweine,  kommt  hinten  der  Feuerfürst,  er  zehrt  euch  alle  auf!*  — 
Sie  neigen  das  Haupt,  legen  sich  ihm  zu  Füssen.  —  „Wie  sollten  wir 
nicht  sagen,  dass  wir  7 aW-p.'s Schate,  Schweine  hüten'?!"  —  Er  hauchte 
sie  an.  alle  wurden  heilen  Auges  Wie  sich  sein  Pferd  rührt,  mengte 
er  sich  wieder  unter  wandelnde  Wolken,  unter  eilende  Wolken.  So  ge- 
hend blickt  er  an  einem  Orte  abwärts:  sieben  Tuchzelte  stehn;  die 
lieben  Kühe  allenthalben  wie  das  Gewürm.  Sein  Pferd  Hess  sich  hin- 
ab, es  kam  hinab.  Das  Zeltvolk  kommt  hervor,  lauter  einhändige.  Er 
fragt  sie:  rWessen  Kühe  hütet  ihr?"  —  n  Päräp.'s  Kühe  hüten  wir.* 
—  „Saget  nicht  so;  saget,  wir  hüten  Tarip.'s  Kühe ;  hinten  kommt  der 
Feuerfürst,  ihr  fanget  Feuer  !w  Er  hauchte  sie  an,  ihre  Hände  wurden 
heil.  Sie  legen  sich  zu  seinen  Füssen:  „Wir  sind  heiler  Hand  gewor- 
den, wie  sollten  wir  nicht  sagen,  dass  wir  Tari-p.'*  Kühe  hüten!"  — 
Darauf  bestieg  er  sein  Pferd,  erhob  sich  plötzlich  wieder  in  die  Höhe. 
An  einem  Orte  blickt  er  hinab:  allerhand  Pferde,  wie  das  Gewürm, 
und  sieben  Tuchzelte  stehen.  Sein  Pferd  Hess  sich  wieder  hinab,  aus 
den  Zelten  kriecht  einfüssiges  Volk  hervor.  Er  fragt  sie:  „Wessen 
Pferde  hütet  ihr?"  —  „Päräp.'s  Pferde  hüten  wir  "  —  „Saget  nichso! 
Saget,  wir  hüten  Tari-p 's  Pferde;  wenn  ihr  so  sprechet,  wird  es  euch 
gut  ergehen!"  —  „Wie  sollten  wir  nicht  so  sprechen? I"  entgegnen  sie. 
Tari-p.  hauchte  ihre  Füsse  an,  alle  bekamen  heile  Füsse  Nun  gieng 
das  Pferd  wieder  weiter;  er  mengte  sich  unter  wandelnde  Wolken, 
unter  eilende  Wolken. 

10.  Wie  er  so  geht,  blickt  er  auf  einmal  nur  vorwärts:  liegt 
halt  ober  einem  siebenflügligen  eisernen  Pferde  eine  Burg.  Da  liess 
sich  sein  Pferd  an  die  Schwelle  des  Tores  jener  Burg  hinab.  Er  sprang 
herab,  band  sein  Pferd  dort  an  und  trat  ein.  Ist  halt  eine  für  Tärdm 
bestimmte  wunderschöne  Fee  im  Hause.  Das  Mädchen  spricht:  „Ei 
Tari-p. !  gar  lang  hast  du  deinen  Schlaf  geschlafen !  Wie  war'  ich  jetzt 
deine  Gattin,  jetzt  bin  ich  Päräp.'s  Gattin. u  Tari-p.  erwidert:  „Was 
soll  ich  nun  mit  dir  machen?  auch  ausser  dir  gibt's  wol  noch  eine 
schöne  Frau?!"  Jene  Frau  schämte  sich.  Tari-p.  sprach:  „He,  Frau! 
bring  mir  was  zu  essen,  ich  bin  hungrig."  —  „Zu  essen  soll  dir 
bringen  jene  deine  schöne  Frau  ausser  mir,  jene  deine  zierliche  Frau 
ausser  mir!"  —  „Na,  na,  bring  mir  was  zu  essen,  denn  ich  bin 
hungrig!"  —  „Was  hab'  ich  zu  essen;  jene  deine  schöne  Frau  aus- 
ser mir,  die  mag  dir  bringen ! "  —  „Was  für  eine  Zauberkraft  hat  Pä- 
räparscy?*  —  „Deine  ausser  mir  seiende,  Zauberkraft  kennende  Frau 
mag  es  dir  sagen;  ich  weiss  von  keiner  Zauberkraft  etwas!"  —  „Na, 

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KOSMOG ONISCHEN  SAGEN  DEK  WOGULEN. 


sag"  es  mir,  sag'  es  mir  schnell!"  Hierauf  brachte  ihm  die  Frau  zu 
essen.  „Nun!"  —  sagt  er  —  „sag'  mir,  was  für  Zauberkraft  hat  er?" 

—  „Nun!  was  tür  Zauberkraft  hat  er?  gar  keine  Zauberkraft  hat  er. 
Später"  —  sprach  sie  —  „wird  er  auf  eine  siebenwipflige  Rottanne  in 
Rabengestalt  sich  setzen,  allerlei  Gegenden  von  allerlei  Städten  betrach- 
tet er  fortwährend ;  wenn  er  dic;h  wahrnimmt,  fliegt  er  krächzend  in 
den  Wald.tt  Tari-p.  ass,  wurde  fertig,  gieng  hinaus.  Sein  Pferd  verbarg 
die  Frau ;  er  gieng  zum  Fusse  jener  Rottanne,  grub  sich  in  die  Erde, 
nur  sein  Äuge  liess  er  unbedeckt,  um  hinaufsehen  zu  können 

11.  Wie  er  so  liegt,  erschallt  von  der  Gegend  des  obern  Ural 
her  Rabengekrächze  Er  schaut  hin:  sieh  da,  der  alte  Rabe  kommt; 
seinen  Rücken  reibt  er  an  den  Himmel,  so  hoch  kommt  er.  Er  kam, 
er  kam,  er  selzte  sich  dahin  auf  den  Wipfel  jener  sieben wipfligen 
Roitanne.  In  allen  Richtungen  befindliche  Städtegegenden  besichtigt  er, 
damit  fliegt  er  krächzend  weiter.  Er  hatte  Tari-p.  bemerkt.  Dieser  stand 
nun  auf.  schloff  in  den  eisernen  Habicht  balg  und  verfolgte  den  Raben.  Er 
verfolgt  ihn  verfolgt  ihn,  schon  ist  er  ihm  nahe,  darauf  verlor  er  ihn 
irgendwohin.  Er  schaut  abwärts:  dort  hüpft  er  in  Hasengestalt.  Er 
schlieft  in  sein  eisernes  Hasenfell,  verfolgt  ihn  wieder,  hat  sich  schon 
genaht,  hat  ihn  schon  fast  erreicht,  wieder  verlor  er  ihn.  Er  blickt  ab- 
wärts: ein  Mausloch  ist  da.  Auch  er  schlieft  in  sein  eisernes  Mausfell 
und  auf  demselben  Wege  verfolgt  er  ihn  weiter.  Wieder  hat  er  ihn 
beinahe  erreicht,  jener  liess  sich  in  Gestalt  eines  kleinen  Hechtes  ins 
Meer.  Auch  er  schlieft  in  seine  eiserne  Hechthaut,  und  auf  dem 
Wege  jenes  Menschen  warf  er  sich  ebenso  ins  Wasser  des  Meeres. 
Er  war  schon  nahe  daran,  ihn  zu  erreichen,  jener  hechtgestaltige 
Mensch  sprang  durch  das  Eis  des  Meeres  auf.  Auf  dem  Lande  fasste 
er  ihn:  wie  Sandkörner,  wie  Staubkörner  zerstückelte  er  ihn;  im  Feu- 
er verbrannte  er  ihn ;  seine  aufwärts  steigenden  Funken  schlug  er  ab- 
wärts, seine  abwärts  steigenden  Funken  schlug  er  aufwärts.  Nach  sol- 
chem Herumschlagen  flog  Pärfiparse^  als  Elster  weg.  Seinen  Panzer- 
ring-Pfeil schiesst  er  nach  ihm  ab,  die  Elster  liegt  beinahe  in  zwei 
Stücken.  Wieder  warf  er  ihn  ins  Feuer;  vergebens  späht  er  bis  zum 
Erlöschen  des  Funkens,  nichts  geht  hinaus.  Dort  hat  er  den  Mann 
getödtet,  der  seine  Frau  geraubt  hatte. 

12.  Wie  er  ihn  so  verfolgte,  gieng  er  einesteils  auf  Flügeln:  in 
welche  Gegend  er  gekommen,  er  weiss  es  nicht.  Teils  gieng  er  in  Ha- 
sengestalt.  teils  in  Mausgestalt,  teils  in  Gestalt  eines  kleinen  Karpfens; 
in  welche  Gegend  er  gekommen,  er  weiss  es  nicht.  Er  denkt  eben  nur 
daran,  dass  er  stirbt:  weinend  geht  er  da  herum.  Auf  einmal  spricht 
ihn  jemand  hinter  seinem  Rücken  an:  „Mein  Freind,  was  machst 
du?  werde  einmal  fertig  mit  deinen  Sachen,  ich  langweile  mich  schon!" 
Er  schaut  hin,  steht  halt  sein  Pferd  da  „Steig  auf  meinen  Rücken!" 

—  spricht  es.  Hierauf  stieg  er  auf  den  Rücken  seines  Pferdes :  gieng 
weiter,  er  mengte  sich  unter  wandelnde  Wolken,  unter  eilende  Wolken. 

13.  Wie  er  so  geht,  erschallt  nur  auf  einmal  in  der  Ferne  ein 
Getöse.  Sein  Pferd  blieb  hierauf  stehen.  Er  spricht  zu  Tari-p. :  „Weisst 


Hermann,  Ethnologische  Mitteilungen. 


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DR.  BERNHARD  MCNKÄC8I 


du  was,  was  für  ein  Getöse  das  in  der  Ferne  ist?-  —  „Wie  soll  ich's 
wissen;  gewiss  ist  etwas  dort,  was  tost!"  —  »Nun  das  ist  die  heilige 
Feuerflut:  ein  Teil  des  göttlichen  Feuers  brennt  oben  im  Himmel,  ein 
anderer  Teil  brennt  in  den  zwei  Ecken  des  Himmels,  Himmel  und  Er- 
de wird  von  ihm  verzehrt ;  auf  welche  Weise  gehen  wir  durch  dieses 
Feuer?"  -  Tari  p.  spricht :  „Woher  soll  ich's  denn  wissen?-  Das  Pferd 
sprichl:  „Kriech1  hinein  in  mein  Nasenloch,  kauf  30  Ellen  weisse  Lein- 
wand, kauf  30  Ellen  Leinwand  zu  Taschen  i flehen."  Er  kroch  in  das 
Nasenloch  des  Pferdes,  war  also  im  Nasenloch  des  Pferdes  ein  Kauf- 
laden. Dreissig  Ellen  weisse  Leinwand  kaufte  er,  dreissig  Ellen  Taschen- 
tücher kaufte  er,  gieng  aus  dem  Gewölbe,  umwickelte  seines  Pferdes 
Vorderfuss,  Hinteriuss,  auch  sich  wickelte  er  hinein.  Nun  hört  man, 
dass  das  Pferd  zu  gehen  begonnen.  Ist  er  lange  Zeit  gegangen,  oder 
ist  er  kurze  Zeit  gegangen:  auf  einmal  bleibt  das  Pferd  stehen  .Komm 
heraus!"  spricht  es  Von  den  Linnen,  mit  denen  es  umwickelt  war, 
fielen  nur  die  verkohlten  Überreste  herab:  während  jene  durch  das 
Feuer  gegangen,  waren  sie  verbrannt. 

14.  Wieder  geht  er  auf  seinem  Pferde  vorwärts.  In  der  Ferne 
erschallt  wieder  ein  Getöse.  Sein  Pferd  spricht:  „Weist  du,  was  so  ein 
Getöse  macht?"  „Woher  soll  ich's  denn  wissen?"  —  Schau  nur 
vorwärts,  was  geschieht  dort?"  Er  sieht  vor  sich,  da  verflechten  sich 
30  Pappeln,  dann  gehen  sie  auseinander;  was  nur  unlerm  Himmel  ist. 
alles  heben  sie  empor,  nichts  kann  da  durchkommen.  Sein  Perd  spricht: 
„Denke  nicht  her,  denke  nicht  hin  !a  —  und  schreitet  vorwärts.  Tari-p. 
denkt,  was  für  eine  Ungeheuerlichkeit  haben  wol  diese  Pappeln.  Er 
gieng  nach  den  Pappeln  hin,  diese  schlugen  auseinander.  Tari-p.  wur- 
de von  ihnen  berührt,  fiel  vom  Rücken  seines  Pferdes  herab;  wohin 
sein  Pferd  gegangen,  er  weiss  es  nicht,  wohin  er  selbst  gekommen,  er 
weis  es  nicht.  Als  er  zu  sich  kam,  hieng  er  mit  seinem  Kinn  an  einem 
Pappelasle;  her  und  hin  schankell  er,  hinab  kann  er  nicht  gelangen, 
hinauf  kann  er  nicht  gelangen.  „Ei!*  spricht  er,  „darum  sagte  meine 
Mutter :  wenn  du  einmal  in  eine  Gefahr  geraten  wirst,  kannst  du  nicht 
abwärts  kommen,  kannst  du  nicht  aufwärts  kommen :  sieh  da,  nun 
kann  ich  nicht  abwärts  kommen,  kann  ich  nicht  aufwärts  kommen. 
Meine  Frau  Schwester  sagte  neulich:  wenn  du  in  Not,  in  Elend  ge- 
rätst, dtiere  mich  nur ;  wo  ist  sie  denn  hier?  ich  sterbe  hier  gleich!" 
Im  selben  Augenblicke  erschallt  irgend  ein  plötzliches  Gepolter.  Er 
sieht  hin,  also  kommt  auf  dem  Rücken  eines  dreiflüglichen  Pferdes  jene 
seine  Frau  Schwesler.  „Wie  ist  dir  geworden,  Jungbruder?!  Warum 
hast  du  mich  so  eilig  citierl ;  ich  sass  eben  Thee  trinkend  und  die  Thee- 
schalen  sind  in  Stücke  zerbrochen :  in  welch'  eine  Not,  ein  Elend  bist 
du  geraten?*  —  „Frau  Schwester!  mein  Slerbort  ist  dies  abwärts 
kann  ich  nicht  kommen,  aufwärts  kann  ich  nicht  kommen :  mein  Pferd, 
wer  weiss  in  welche  Gegend  es  verschleppt  worden  ist.u  Seine  Frau 
Schwester  fasste  die  dreissig  Pappeln  zwischen  ihre  Nägel,  brach  sie 
entzwei:  sie  spricht:  „Die  Welt  des  Menschenzeitallars.  die  Welt  der 
Menschenepoche  wird  beginnen:  was  für  ein  Mensch  wir  da  im  Stande 


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KOSMOGONISCHEN  SAGEN  DER  WOGULEN. 


sein  durch  euch  hindurchzudringen?!"  Tari-p.,  als  er  um  schaut:  ist 
seine  Frau  Schwester  nirgends,  er  selbst  ist  zur  Erde  gefallen,  dort 
sieht  er.  Kein  Pferd  gibt's  da,  nichts  gibt's  da  „Herr  Gott!"  —  spricht 
er  —  „wohin  ist  mein  Pferd  gekommen?  gleich  sterbe  ich  hier!"  Im 
selben  Augenblicke  spricht  ihn  sein  Pferd  hinler  seinem  Rücken  an : 
„Sei  schon  lertig!  es  ist  mir  schon  langweilig,  steig  auf  meinen  Rücken!" 
Froh  stieg  er  auf  den  Rücken  seines  Pferdes.  „Nimm  deine  siebensei- 
tige (?)  Peitsche  hervor  —  sagt  sein  Pferd — schlage  mich!"  Er  nahm 
seine  siebenseitige  Peitsche  hervor,  er  schlug  einmal  auf  sein  Pferd, 
plötzlich  erhob  es  sich  in  die  Höhe.  Er  mengte  sich  wieder  unter 
wandelnde  Wolken,  unter  eilende  Wolken. 

15.  Wie  er  so  geht,  erschallt  in  der  Ferne  wieder  ein  Gelöse. 
Sein  Pferd  blieb  stehen  und  sprach:  „Weisst  du  was  das  für  ein  Ge- 
töse in  der  Ferne  ist?"  Tari-p.  antwortet:  „Woher  soll  ich 's  wissen?" 
Wenn  du  s  nicht  weisst,  also  der  quer-über-sieben-haarlos-gewordene- 
Bundschuhe-liegende  Alte  schnarcht;  das  ist  der  Endpunkt  unseres 
Lebens,  weiter  können  wir  nicht  mehr  kommen,  jetzt  tödtet  man  uns ; 

—  hat  dir  neulich  deine  Frau  Schwester  nicht  etwas  gegeben?*  Tari-p. 
spricht:  „Was  hat  sie  mir  gegeben?"  —  Sein  Pferd  spricht:  „Hat  sie 
dir  kein  zweischneidiges  Messer  gegeben?"  —  „So  ist's!"  —  denkt  er 

—  «ein  zweischneidiges  Messer  hat  sie  mir  gegeben."  Sein  Pferd  spricht: 
„Geh,  schliefe  ins  Mausfell,  schneide  dem  Alten  die  Nasenflügel  und 
Ohrlappen  ab;  wenn  es  dir  bestimmt  ist,  dass  du  den  Gesang  vor- 
wärts bringest  (d.  i.  dass  über  dich  das  Lied  fortgesetzt  werde)  wenn 
es  dir  bestimmt  ist,  dass  du  die  Sage  vorwärts  bringest:  dann  wirst 
du  ihn  bewältigen  können ;  wenn  dir  das  nicht  bestimmt  ist,  dann 
wirst  du  getödtet."  —  Tari-p.  schlofT  ins  Mausfell  und  gieng  in  Maus- 
gestalt zum  quer-über-sieben-haarlos-gewordene-Bundschuhe-liegenden 
Alten.  Sein  Pferd  blieb  dort.  Der  Alte  atmet  aus:  er  wird  irgend  wo- 
hin rückwärts  gehoben,  jener  atmet  ein:  beinahe  wirbelt  es  ihn  ins 
Nasenloch  hinein ;  er  stemmt  sich  zurück,  er  zwingt  es  kaum.  Er  zog 
sein  zweischneidiges  Messer  hervor,  schnitt  den  Alten  Nasenflügel  und 
Ohrlappen  ab  und  steckte  sie  in  d'*e  Tasche.  Sein  Pferd  spricht :  „komm 
schnell,  besteige  mich!-  Er  lief  zu  seinem  Pferde,  schwang  sich  schnell 
auf  dessen  Rücken.  Das  Pferd  stieg  aufwärts.  Als  ihm  der  quer-über- 
sieben-haarlos-gewordene-Bundschuhe-liegende  Alte  nachsetzte,  stieg  das 
Pferd  plötzlich  in  die  Höhe,  jener  konnte  ihn  nicht  erreichen  Der 
Alte  sprach:  „Hej  Tari-p.  in  der  Zukunft,  bis  der  letzte  eine  Mann 
nicht  umkommt,  bis  die  letzte  Frau  nicht  umkommt,  wirst  du  als  ein 
Gott  leben;  ich  aber  bin  nun  schon  gestorben."  Tari-p  versetzt  da- 
rauf: „Einst  wird  die  Welt  des  Menschenzeitalters,  die  Well  der  Men- 
schenepoche beginnen;  was  für  ein  Mensch  wird  dich  da  bewältigen 
können;  darum  hab'  ich  dich  getödtet."  Sein  Pferd  gieng  nun  weiter; 
er  mengte  sich  unter  wandelnde  Wolken,  unter  eilende  Wolken. 

[Hier  folgt  der  eigentliche  heilige  Teil  der  Sage;  die  Frauen  ge- 
hen aus  der  Jurte,  auf  den  Tisch  wird  Silbergeld  gelegt.] 

Ib.  Tari-p.  Ross,  wie  es  so  weiterschreitet,  bleibt  einmal  nur 

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! 


DR.   BERNHARD  MUNKiC'81 


stehen,  spricht :,  „Auf  meine  Nase  wirst  du  eine  Birkenbast- Rolle  stecken, 
auf  meinen  Vorderluss,  auf  meinen  Hinterfuss  wirst  du  eine  Birken- 
bast-Kolle  stecken,  meinen  Schweif  winde  aut  dein  Schwert."  Auf  Nase. 
Vordertuss,  Hinterfuss  steckte  er  eine  Birkenbast-Rolle,  den  8chweif 
wand  er  auf  sein  Schwert.  Sein  Ross  spricht:  „Jetzt  besteige  meinen 
Rücken  !J  Er  bestieg  den  Rücken  seines  Rosses,  dieses  erhob  sich 
hoch,  sie  mengten  sich  unter  wandelnde  Wolken,  unter  eilende  Wol- 
ken Wie  sie  so  gehen,  Hess  sich  das  Ross  einmal  nur  nieder,  gelangte 
herab.  An  dem  Orte,  da  er  herabgelangte,  stand  ein  Haus  und  eine 
Vorratskammer.  Das  Ross  spricht:  „Steig  hinab  von  mir;  geh,  ent 
führ'  die  Tochter  der  Fasanenten- nasigen  Frau,  ihre  Mutter  ist  einge- 
schlafen!" Als  er  im  Begriffe  war  ins  Haus  zu  treten,  sprach  sein  Ross: 
„Geh  mir  nicht,  komm  her!  du  wirst  irgendwie  an  eine  Torheit  den- 
ken, die  Frau  erwacht,  und  dann  ist's  aus  mit  meinem  Leben,  schliefe 
in  eine  meiner  Nüstern,  dort  ist  eine  Schenke,  in  der  Schenke  trinke 
drei  Gläschen.  Tari-p.  schliefe  in  die  Nüstern  des  Rosses.  in  der  Nüster 
drin  ist  jene  Schenke;  er  trank  drei  Gläser  Branntwein  und  kam  he- 
raus. Sein  Ross  spricht:  „Nun  jetzt  geh,  entführ  die  Tochter  der  Fa- 
sanenten-nasigen Frau!'  Er  gieng  ins  Haus,  ergrifT  das  Mädchen  und 
brachte  sie  heraus.  Sein  Ross  spricht:  „Steig  schnell  auf,  sie  kommt 
uns  nach!"  Kaum  gelangte  er  zu  seinem  Rosse,  erschien  die  Fasanen- 
ten-nasige Frau  Das  Ross  spricht:  „Wirf  rasch   das   Weib  von  dir, 
sie  kommt  uns  nach  !u  Er  wart  das  Mädchen  von  sich,  bestieg  schnell 
den  Rücken  des  Rosses,  und  vorwärts  gieng  er!  Die  Fasanenten-na- 
sige Frau  erfasste  die  Nase  des  Rosses.  Das  Haupt  des  Rosses  machte 
eine  Bewegung,  und  die  Birkenbast-Rolle  löste  sich  ab.  Sie  machte 
sich  an  den  Vorderfuss  des  Rosses,  erfasste  den  Vorderfuss  des  Ros- 
ses :  die  Birkenbast- Rollen  lösten  sich  ab.  Nachher  machte  sie  sich 
an  den  Hinterfuss  des  Rosses,  als  das  Ross  emporsprang,  lösten  sich 
wieder  die  Birkenbast- Rollen  ab.  Nun  machte  sie  sich  an  den  Schwei! 
des  Rosses,  beider  Hände  Finger  schnitt  sie  sich  am  Schwert  entzwei. 
Jetzt  macht  sie  Jagd  auf  sie.  Bald  hascht  sie  hier   nach  ihnen,  bald 
hascht  sie  dort  nach  ihnen.  Das  Ross  spricht:  „Was  hast  du  in  der 
Hand;  gleich  wird  sie  uns  ja  ergreifen!"  Tari-p.  antwortet:  „Nicht? 
habe  ich  in  der  Hand.  Die  Fasanenten-nasige  Frau  hascht  bald  hier 
nach  ihnen,  hascht  bald  dort  nach  ihnen.  Das  Ross  spricht:  „Was 
wartest  du,  vas  hast  du  in  der  Hand,  weissl  du's  nicht?"   Er  blick? 
auf  seine  Hand  :  er  hat  ja  seine  siebenseitige  (?)  Geissei  darin.  Jetzt  schlag' 
er  auf  sein  Ross  und  nun  mengt  er  sich  unter  wandelnde  Wolken,  un- 
ter eilende  Wolken.  Die  Fasanenten -nasige  Frau  spricht :  „Ei  da,  Tari-p 
du  hast  also  das  Mädchen  geraubt;  Tarem  hat  dich  angenommen,  du 
bist  davongekommen.1' 

17.  Jetzt  gieng's  vorwärts.  Einmal  nur  kamen  sie  in  die  Burg 
Päraparse/'s  Sein  Ross  Hess  sich  zum  Tore  der  Burg  nieder,  gelangte 
hinab.  Seine  Frau  kam  erst  jetzt  heraus,  erst  jetzt  reichten  sie  sie  l. 
die  Hände.  Seine  Frau  führte  ihn  ins  Haus  :  „Ei  wol,  Sangesmann. 
Sagenmann!  —  sprach  sie  da  drinnen  —  gar  viel   Drangsal  magsi 


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KOSMOGONJSCHEN  SAGEN  DER  WOGULEN- 


du  erduldet  haben!"  Mit  Bier  und  Honigspeisen  ward  ein  Tisch  be- 
reitet, sie  begannen  zu  essen.  Einmal  nur  sagt  seine  Frau :  „Geh  nur 
hinaus,  dein  Ross  rutt  dich  hinaus!"  Er  geht  hinaus,  sein  Ross  hebt 
und  hebt  den  Fuss.  „Komm  hertt  —  sprach  es  —  „meinen  Fuss  hat 
ein  Ast  versehrt."  Er  geht  hin:  also,  die  Tochter  der  Fasanenten- 
nasigen  Frau  haftet  daran."  Jetzt  gehn  sie  ntit  der  Tochter  der  Fasan - 
enten-na?igen  Frau  wieder  hinein;  er  setzte  sich  zwischen  die  zwei 
Frauen;  sie  küssten  sich,  umarmten  sich.  Mit  dem  Essen  waren  sie 
fertig,  er  spricht  zu  seinen  Frauen:  „Ich  lege  mich  jetzt  nieder;  wenn 
ihr  mich  nicht  zum  alten  Mann  und  zur  Frau  am  Tundrahügel,  zu 
meinem  Vater  und  meiner  Mutter  bringet,  bis  ich  aufstehe:  ist  es  aus 
mit  eurem  Leben,  in  haardünne  Stücke  zerhacke  ich  eure  Hälse.  Diese 
ganze  Stadt  sammt  ihrem  Volk  und  allen  Dingen,  ihren  Schafen.  Kü- 
hen, Pferden,  alles  schaffet  in  meine  Heimat!-  Er  senkte  sein  Hanpt 
und  seine  Augen,  und  legte  sich  nieder.  Im  Liegen  horcht  er  nur 
einmal  auf,  das  Schelten  einer  Frau  erschallt :  r  Ist  das  denn  die  Le- 
bensweise des  jungen  Volkes  ?  Soll  denn  hinfür  die  Frau  des  Menschen 
hingehen,  der  Mann  aber  soll  herumliegen;  meine  teuern  Kinder,  wie 
er  sie  quält!  —  Auch  hab'  ich  ihm  neulich  ein  zweischneidiges  Mes- 
sergegeben; Eisenhabichtbalg  Eisen hasenfell,  Eisenmäuselell,  Eisenhecht- 
haut hab'  ich  ihm  gegeben ;  jetzt  macht  er  sich  damit  nur  so  davon!" 
Er  liegt  nur  weiter,  steht  nicht  auf.  Einmal  nur,  wie  er  lie.t,  ermun- 
tert ihn  seine  Frau :  „Steh  auf,  sieh  da,  wir  sind  schon  zuhause 
angekommen!"  Er  steht  auf,  wirklich  ist  er  zu  seinen  Eltern  gelangt. 
Wie  seine  Eltern  zu  ihm  gelangt  sind,  wusste  er  nicht,  und  wie  er  zu 
seinen  Eltern  gelangt  ist,  wusste  er  auch  nicht.  Sie  küssten  und  umarmten 
sich.  Eine  solche  Burg  entstand  dort,  dass  die  eilende  Wolke  entzwei 
geteii'  sich  darauf  niederlässt  dass  die  wandelnde  Wolke  entzwei  ge- 
teilt sich  darauf  niederläßt.  Ein  silbernes  Haus  erstand,  ein  golde- 
nes Haus  erstand.  Sie  leben  weiter,  sie  sind  weiter  glücklich. 

18.  In  seiner  Tundrahügel-Burg  ob  er  lange  Zeit  gelebt,  ob  er 
kurze  Zeit  gelebt,  einmal  nur  spricht  Tari-p  zu  seinen  zwei  Frauen : 
.Ich  suche  noch  eine  weiberbetretene,  weiberbewohnte  Gegend.»  Sei 
ne  Mutter  spricht:  „Ei  ja!  einst,  wenn  die  Welt  des  Menschenzeit- 
alters, der  Menschenepoche  eintreten  wird,  wirst  du  das  Herbst-Eich- 
hörnchen, das  Frühjahrs- Eichhornchen  eben  so  mit  voller  Gewandtheit 
suchen  1"  Sie  küssten  und  umarmten  sich ;  er  gieng  hinaus,  bestieg  den 
Rücken  seines  Resses  und  entfernte  sich.  —  Gieng  er  lange  Zeit,  oder 
gieng  er  kuize  Zeit:  einmal  nur  Hess  sijh  sein  Ross  in  die  Mitte  des 
Meeres  nieder.  Durch  jenes  Meeres  Wasser  hindurch  ist  abwärts  ein 
Silbertor,  ein  Goldlor  Sein  Ross  lüsst  er  dort,  selbst  aber  geht  er 
hinab.  Er  langt  unten  an,  dort  des  Wasserfürsten  Burg,  Silberburg, 
Goldhurg.  Neben  dem  Hauptgebäude  steht  ein  kleines  Haus,  da  trat 
er  hinein  Im  kleinen  Hause  sitzt  wasserlockig  gelocktes  Weib,  ein  was- 
serschmuek-geschmücktes  Weib.  Diese  Wasserfurstentochter  spricht: 
„Ei  Tari-p!  Türem  hat  dich  gewisslich  mir  bestimmt !"  Sie  küsste,  um- 
arm'e  ihn:  mit  Bier,  mit  Honigspeisen   bewirtete  sie  ihn  gut.  Das 

77 


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DR.  BERN  11  Ali D  MLNKACSI 


Weib  spricht :  „Geh  zu  meinen  Brüdern ;  geh  ins  grosse  Haus ;  zwingst 
du's,  so  zwingst  du's,  zwingst  du's  nicht,  so  zwingst  du's  nicht  "  Er 
stand  aut  und  gieng  hin  Er  trat  ein,  sieben  Männer  spielten  Karten. 
Sie  schauteu  nach  ihm  hin,  er  fiel  beinahe  nieder,  mit  Mühe  hält  er 
sich.  „Ej  Tari-p*  —  sagen  sie  —  „was  Bringendes  hat  dich  gebracht, 
was  Tragendes  hat  dich  getragen?  wie  gelangt  ein  lebender  Mensch 
in  diese  Gegend?  Willst  du  Fürsten weibes-Schwiegersohn,  Fürsten- 
Schwiegersohn  werden,  setz  dich  her  zum  Tische!"  Er  setzte  sich  zum 
Tisch,  sie  spielen  weiter  Karten,  Schach.  Immer  ist  er  der  Meister, 
er  versteht  es  besser,  als  die  sieben  Männer;  er  ist  der  Meisler  im 
Spiel.  Einmal  spricht  er  zu  den  sieben  Männern:  „Auch  ich  selber 
habe  ein  Haus,  auch  ich  habe  Gewässer;  meines  Hauses,  meiner  Ge- 
wässer Gedanke  überkam  mich,  ich  geh  jetzt  fort."  Schon  schickte  er 
sich  an  fortzugehen,  als  man  seine  Frau  mit  der  Ausstattung  auszu- 
rüsten begann.  Die  Wasserfürsten-Tochter  spr'cht:  „Was  für  eine  Mit- 
gift brauchst  du,  Landtiere-Mitgift,  oder  Fisch- Mitgift?''  Tari-p.  antwor- 
tet:  .Natürlich,  dass  ich  Fischmitgift  brauche;  wass  wird  die  Welt  des 
Menschenzeitalters,  die  Welt  der  Menschenepoche  beginnen,  was  sonst 
wird  dann  der  Mensch  essen?!"  Seine  Frau  spricht:  „Geh  voraus, 
bis  du  nach  Hause  gelangst,  komm  ich  auch  an!"  Jetzt  gieng  Tari-p. 
durch  jenes  Wassertor  zu  seinem  Boss  hinaus.  Sein  Ross  war  ganz 
abgezehrt,  sein  Fleisch  war  weggesiecht,  seine  Knochen  waren  wegge- 
siecht. Tari-p.  hauchte  es  mit  seinem  Atem  an;  was  für  ein  Ross  es 
vorher  war,  was  für  ein  Tier  es  vorher  war:  jetzt  wird  es  zu  einem 
noch  viel  schöneren  Ross;  aus  einem  Nasenloch  dringen  Funken,  aus 
dem  andern  Nasenloch  dringt  Rauch.  „  Besteige  —  spricht  es  —  mei- 
nen Rücken!"  Er  bestieg  den  Rücken  des  Rosses.  gieng  weiter;  mengte 
sich  unter  wandelnde  Wolken,  unter  eilende  Wolken. 

(Schluss  folgt.) 


II 

Die  Sage  von  der  Umgürtung  der  Erde 

(Mn  fnteptane  m.'.jt.) 

1.  Eine  Frau  und  ein  alter  Mann  leben.  Auf  einem  Erdbühel, 
von  ihres  Hauses  Grösse,  hausen  sie.  Hat  ihren  Erdhügel  ihr  Vater 
Numi-Tfirem  hernieder  gesenkt,  ist  er  untenher  emporgetaucht?  sie 
wissen  es  schlechterdings  nicht.  Wenn  der  Nordwind  weht,  weht  er 
sie  ins  Südmeer,  wenn  der  Südwind  weht,  weht  er  sie  ins  Nordmeer. 
Der  Winter  sieben,  der  Sommer  sieben,  da  sie  so  leben,  wuchs  weder 
Gras,  weder  Kraut.  Einmal  aber,  als  die  Frau  hinausgeht,  wuchs  in 
der  Hausecke  der  Gastnische  ein  gelbwipf liger  Grasstengel.  Sie  geht 
ins  Haus,  spricht  zu  ihrem  Alten:  »Der  Winter  sieben,  der  Sommer 
sieben,  dass  wir  hier  leben:  zeither  ist  nimmer  ein  so  gestalles  Kraut 
gewachsen,  sieh's  nur  an!"  Der  Alte  spricht:  „Brings  nur  herein!" 


7« 


K0SM000N1SCHEN  SAGEN  DER  WOGULEN. 


Die  Frau  trug  in  der  Hand  ihr  Seidentuch  hinaus,  da»  gelbwipflige 
kleine  Kraut  bede<-kte  sie  mit  ihrem  Seidentuch,  sammt  den  Wurzeln 
zog  sie's  heraus;  als  sie's  emporhob:  begann  ein  Kind  zu  weinen. 
Das  Kind  trug  sie  freuender  Hand,  freuenden  Fusses  ins  Hau*  Der 
Alte  spricht:  ,  Wir  sind  ein  seit  sieben  Wintern,  seit  sieben  Som- 
mern kinderlos  lebendes  Par;  wo  denn  hast  du  das  gefunden?* 
Die  Frau  spricht:  „Woher  ich's  habe?  das  ist  das  Kraut,  das  ich 
bemerkt  halte.* 

2.  Der  Sangesmann,  der  Sagenmann,  wachst  er  etwa  lange? 
Das  heutigen  Tags  getragene  Gewand  wird  ihm  (im  schnellen  Wach- 
sen bald)  überllüssig ;  endlich  hat  er  nicht  Kaum  im  Hause.  Weilen  er 
so  wachst,  einmal  nur  zu  seinem  Vetter,  zu  seiner  Muhme  spricht  er : 
„Ich  möchl'  ausgehen,  meine  Hand  langweilt  sich  schon,  mein  Fuss 
langweilt  sich  schon?"  Die  Muhme  lässt  das  Kind  nicht  allein  hi- 
naus: sie  spricht  zu  ihrem  Alten:  „Mit  dem  Kind  geh  du  aus;  wo- 
hin es  geht,  geh  mit  ihm,  ins  Wasser  soll  es  nicht  fallen!"  Der  Alte 
trug  das  Kind  hinaus;  wohin  das  Kind  spielend  läuft,  geht  er  mit 
ihm.  Giengen  sie  lange  Zeit,  oder  giengen  sie  kurze  Zeit :  einmal  nur 
wird  der  Alte  kraftlos,  er  gehl  ins  Haus  hinein.  Seine  Frau  schilt  ihn: 
„hu,  warum  bist  herein  gekommen?  geh  hinaus,  das  Kind  fällt  ins 
Meer!"  Der  Alte  gieng  wieder  hinaus,  er  sucht  und  sucht  das  Kind 
vergebens;  das  ist  nirgends!  Wenn's  also  nicht  ist,  wohin  soll  er  sich 
wenden  ?  Er  gieng  ins  Haus.  Seine  Frau  begann  ihn  weinend  zu  schel- 
ten :  „Du,  warum  bist  du  herein  gekommen  ? !  Ich  half  es  dir  gesagt,  dass 
du  mit  ihm  gehest,  dass  du  es  auch  nicht  ein  wenig  weiter  las- 
sest! sieh,  jetzt  ist's  ins  Meer  gefallen!"  Der  Alte  spricht:  „Wie  soll 
ich's  denn  anstellen;  das  Kind  läuft  viel  herum,  wie  kann  ein  alter 
Mann  meines  Gleichen  mit  ihm  aushalten?" 

3.  Wie  sie  so  streiten,  auf  einmal  nur  tritt  von  aussen  irgend 
ein  Mann  plötzlich  ins  Haus.  Als  sie  hinschauen,  sieh  da.  steckt  das 
Kind  dort.  Es  fragt:  „Vetter,  Muhme!  was  zanket  ihr?'  —  „Wro  ich 
gewandelt?  Ich  war  zu  meinem  Vater  tiold-Ktcore's  emporgestiegen.* 
Sein  Vetter,  seine  Muhme  sprechen:  -Und  weshalb  bist  du  denn  em- 
porgestiegen, was  für  eine  Botschaft  hast  du  gebracht?"  —  „Die  von 
meinem  Vetter  Gold-Äu?or*8  gebrachte  Botschaft  ist  diese:  sieben  Nächte, 
sieben  Tage  sollt  ihr  eures  getürten  Hauses  Türe,  eures  dachlukigen 
Hauses  Dachluke  gesperrt  halten :  was  für  Getöse  auch  draussen  tose, 
geht  nicht  hinaus,  mein  Vater  lio\d~  Kwores  lässt  die  Erde  himmelab!" 
Des  getürten  Hauses  Türe  versperrten  sie,  des  dachlukigen  Hauses 
Dachluke  verdeckten  sie  Einmal  nur  entstand  ein  donnerndes,  wet- 
terndes Getöse.  Sieben  Nächte,  sieben  Tage  hindurch  wettert  es  inei- 
nemfort,  ihr  Vater  (iold-Kicores  lässt  die  Erde  herab.  Nach  Verlauf 
der  anberaumten  Woche  hörte  das  wetternde  Getöse  auf.  Das  Kind 
gieng  hinaus,  bestieg  den  Rücken  seines  Tieres,  nahm  seine  Mütze  ab. 
In  dem  Augenblicke  als  er  seine  Mütze  abnahm,  gelangt  er  in  sieben 
Gegenden,  so  Schnellerdings  drehte  sich  die  herabgelassene  Erde  seines 
Vater  Gold- Ktrores.  Zu  seinem  Vetter,  seiner  Muhme  spricht  er:  „Ich 


V.) 


GRAF  GfeZA  KUUN 


steige  wieder  zu  meinem  Vater  Gold- Kwords  empor;  seine  Erde  mag 
er  befestigen,  mag  er  mit  irgend  einer  Feste  festsetzen;  denn  er  wird 
die  Welt  des  Menschenzeitalters  erschaffen,  er  wird  die  Welt  der  Men- 
schenepoche erschaffen :  „welcher  Mensch  abgeschniltenen  Nabels  wird 
es  aushalten,  wenn  die  Erde  sich  in  einenfort  dreht,  und  nicht  an 
einem  Orte  festsitzt?14  Darauf  stieg  er  empor.  Zu  seinem  Vater  Gold- 
Kwores  spricht  er:  „Was  das  Hinablassen  anbelangt,  hast  du  die  vom 
Menschen  zu  bewohnende  Erde  schon  herabgelassen;  wenn  aber  ein- 
stens die  Well  des  Menschenalters,  die  Welt  seiner  Epoche  da  sein 
wird,  welcher  auf  den  Fusspitzen  stehende  Mensch  wird  das  wol  aus- 
halten?! Dieses  dein  Erdchen  mögest  du  irgend  welcher  Weise  befe- 
stigen!" Sein  Väterchen  (io\d-Kworti8  spricht:  „Sieben  Nächte,  sieben 
Tage  sollen  die  des  getürten  Hauses  Türe  wieder  sperren,  des  dachlu- 
kigen Hauses  Dachluke  wieder  verdecken,  ich  werde  die  Erde  umgür- 
ten." Sieben  Nächte,  sieben  Tage  hindurch  versperrten  sie  sich;  was 
neulich  für  ein  Getöse,  ein  Wettern  war :  jetzt  entstand  ein  noch  grös- 
seres Getöse,  ein  noch  grösseres  Wettern.  Nach  Ablauf  der  anberaum- 
ten Woche  als  sie  hinausgehen:  wenn  sie  aufwärts  schauen,  kann  ihr 
Augensirahl  nicht  bis  ans  Ende  des  Uralgebirges  dringen ;  wenn  sie 
abwärts  schauen,  kann  ihr  Augenstrahl  gleichfalls  nicht  bis  ans  Ende 
des  Uralgebirges  dringen.  So  setzte  sich  die  Erde  in  aufrechter  Stel- 
lung fest,  jetzt  ward  sie  dann  geeignet,  dass  der  Mensch  auf  ihr  wohne 
4.  Das  seinem  Vetter,  seiner  Muhme  in  gelbwipfligen  Krautes 
Gestalt  herniedergestiegene  Kind  thront  jetzt  unter  dem  Namen  des 
Gottes  Pole'm.  An  seiner  heiligen  Stätte,  am  Gestade  des  vom  Flusse 
Poletn  (Pelymka)  gebildeten  Sees,  —  dort  betet  man  ihn  mit  Verbeu- 
gungen an,  dort  bringt  man  ihm  Opferspeisen  dar  bis  an  den  heuti- 
gen Tag. 


Ober  uneigentliche  Ausdrücke  verschiedener  Sprachen  aus  Ehr- 
furcht vor  der  Gottheit  und  vor  den  Maohthabern. 

Es  gibt  dem  Anschein  nach  zweierlei  uneigentliche  Ausdrücke : 
1)  die  metaphorischen,  welche  der  überreichen  Phantasie  der  Volks- 
psyche entspringen :  2)  solche,  welche  aus  Ehrfurcht  (nu-zia/s),  Demut 
(Ttmuvjhip),  Artigkeit  (eiTga/rth'a)  und  Euphemismus  (eirpi-uia)  an  die 
Stelle  der  eigentlichen  treten.  Dieser  Unterschied  ist  jedoch  nur  ein 
scheinbarer,  denn  in  allen  diesen  tropischen  Ausdrücken  offenbart 
sich  eine  regere  Phantasie,  als  in  dem  gewöhnlichen  Sprachgebrauch, 
der  auf  einer  einfachen  Auffassung  der  Realien  beruht.  Die  scheinbar 
zweierlei  uneigentliohen  Ausdrücke  bilden  vereinigt  den  Bereich  des 
Tropus  und  die  Antithese  des  eigentlichen  Ausdruckes.  Die  zweite 
Gruppe  der  tropischen  Ausdrücke  mit  allen  ihren  Abzweigungen  ist 
eben  nur  eine  Unterart  der  Metapher,  welche  uns  eine  nähere  Re- 


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ÜBER  UN  EIGENTLICHE  AUSDRÜCKE  VERSCHIEDENER  SPRACHEN. 


trachtung  als  einen  wicStigen  Baustein  im  Gebäude  der  menschlichen 
Sprache  darstellt.  Max  Müller  unterscheidet  zwischen  zwei  Arten  der 
Metapher,  welche  er  die  radikale  und  die  poetische  nennt 

Wir  beschränken  uns  in  dieser  kurzen  Skizze  auf  jene  uneigent- 
lichen Ausdrücke,  welche  aus  Ehrfurcht  vor  der  Gottheit  und  vor  den 
Machthabern  gebraucht  werden.  Von  den  übrigen  Abzweigungen  die- 
ser Gruppe  werden  wir  nur  einige  Beispiele  anfuhren. 

In  den  Sprachen  jener  Völker,  die  auf  der  untersten  Stufe  der 
Bildung  stehn,  sowie  in  den  Sprachen  der  gesitlenen  Völker  unterlau- 
fen in  der  gewöhnlichen  Rede  zahlreiche  uneigentliche  Ausdrücke  die- 
ser Art.  In  allen  diesen  metaphorischen  Ausdrücken  regt  sich  ein  so- 
cialer und  ethisch  religiöser  Trieb,  der  auch  den  ungesittenen  Völkern 
nicht  abzusprechen  ist,  und  der  Unterschied  zwischen  den  verschie- 
denen Stufen  der  Gesittung  besieht  hauptsächlich  nur  in  der  grösse- 
ren oder  geringeren  Entwickelung  dieser  Keime  des  Forlschrittes.  Die 
Kahrfrauen  vermeiden  solche  Wörter,  welche  eine  den  Namen  ihrer 
nächsten  männlichen  Verwandten  ähnlich  klingende  Silbe  enthalten, 
und  auch  die  Männer  einiger  Kafirstämme  machen  keinen  Gebrauch 
von  Wörtern,  die  im  Klange  dem  Namen  eines  ihrer  frühern  Häupt- 
linge gleichen,  so  z.  B.  gebrauchen  die  Amambalu  den  allgemeinen 
Ausdruck  Tür  Sonne,  ilanga,  darum  nicht,  weil  ihr  erster  Häuptling  1 
Ulanga  hiess,  sie  sagen  dafür  isota  *)  Diese  Spracheigenheit  entspringt 
der  Ehrfurcht  vor  den  nächsten  männlichen  Verwandten  und  vor 
den  Häuptlingen.  Auf  einer  hohen  Stufe  der  Gesittung,  bei  den  mo- 
notheistischen Semiten,  so  z.  B.  in  der  hebräischen  Sprache,  bemer- 
ken wir  die  Substitution  des  Gottesnamens,  welche  entweder  in  dem 
veränderten  Vocalismus,  oder  in  der  Auswahl  eines  uneigentlichen  Aus- 
druckes besteht.  Der  Gottesname  Jehovä.  welcher  nicht  seine  ursprüng- 
lichen Vocale,  sondern  die  von  ddonai  hat,  nimmt  auch  die  Praefixa 
diesen  entsprechend  an,  als  lajhovä  usw.,  weil  man  lesen  soll  ladonai 
usw.  Schon  in  den  Büchern  des  „Alten  Testaments"  wird  der  Gottes- 
name Jehovä  an  einigen  Stellen  durch  das  Wort  sem  substituiert,  wel- 
ches „Name"  bedeutet  Diese  Substitution  ist  in  der  talmudischen  u. 
rabbinischen  Sprache  eine  sehr  häufig  vorkommende :  so  lesen  wir  bei 
Aben  Esra  hol  halem  „die  Stimme  des  Namens"  anstatt  kol  Jehovd 
„Donner.-  Philo  paraphrasiert  diese  Bezeichnung  des  Gottesbegriffes  mit 
den  Worten  Krauet  cor  ow«s,  n)  siq\;  ttlrj&tiav  nv.  Die  Araber  ver- 
meiden in  einigen  ihrer  Schwurformeln  den  Gottesnamen  A'Mh  und 
ersetzen  ihm  mit  hakkun  „Wahrheit."  Solche  Substitutionen  entsprin- 
gen der  Ehrfurcht  vor  der  Gottheit,  die,  wie  das  delphische  Orakel 
treffend  angab,  unaussprechlich  ist:  oYvnua  urjdf  h'yym  ynqnvitEvn^. 

Ans  dem  lateinischen  *enior  sind  im  Französischen  verschiedene 
Ausdrücke  entstanden,  wie  sire,  »eigneur%  sienr  usw..  deren  ersterer 
im  Verlauf  der  Zeit  zur  Betitelung  der  Herscher  beschränkt  wurde. 

*)  „Vorlesungen  Uber  die  Wissenschaft  der  Sprache"  von  dr.  Max  Müller, 
für  das  deutsche  Publikum  bearbeitet  von  dr.  Carl  Böttger  (Leipzg,  1866.),  S.  34. 

dl 


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GRAF  G£ZA  KUUN 


Auch  im  Englischen  wird  sowohl  in  der  Aussprache  wie  in  der  Schrei- 
bung ein  Unterschied  gemacht  zwiehen  Sire,  womit  die  Könige  ange- 
sprochen werden  und  rtr,  welches  letztere  in  der  ümgangspache  eine 
weitvei  breitete  Anwendung  findet.  Bei  Homer  bedeutet  ytQtay,  o\  yiQovttg 
die  Vornehmsten,  wo  der  Begriff  des  Alters  zurücktritt.  —  In  der  mon- 
golischen Sprache  werden  mehrere  Handlungen  der  Götter  und  der 
Vornehmen  mit  besonderen  Zeil  Wörtern  bezeichnet,  die  bei  anderen 
nicht  angewendet  werden,  so  wird  ihr  Reden  girlak  bol-khu,  ihr 
Essen  üagnklakhu.  Is.  „Siddhi  Kür"  herausg.  von  .Jülg,  S.  70),  ihre 
Installation  oalakhu  genannt,  (*.  „Siddhi  Kür*  S.  71.)  Das  Sterben  der 
Machthaber  heisst  1)  niroau  holchu.  (s.  S.  K.,  S.  81)  2)  öngröqhü, 
(s.  8  K..  S.  78  wo  Vikramäditja  des  Todes  seines  Vaters  Gandharva 
Erwähnung  tut).  Etwas  ähnliches  sehen  wir  auch  in  anderen  Spra- 
chen; so  bedeutet  das  arabische  tekrih  (takribun)  in  der  persischen 
und  türkischen  Sprache  die  Annäherung  zu  Gott,  oder  zu  den  Macht- 
habern,  (s.  „Scheibaniade"  herausg.  von  Vämbcry,  S.  22.) 

Auch  der  „Pluralis  excellentiae"  wird  in  diesem  Abschnitt  füg- 
lich erwähnt  werden  können  wie  wir  ihn  im  Hebräischen  vorfinden, 
wo  er  sich  auf  .l  acht  und  Gewalt  bezieht,  so  namentlich  Elohim  „Gott", 
einigemal  kt-loklm  „der  Heilige",  adonim  anstatt  adon  „Herr",  z.  B. 
adonim  Arose  „ein  harter  Herr"  (Jes  19,  4.)  usw.  Im  Persischen  wird 
Wi  „König"  mitunter  mit  dem  Plural  des  Verbums  construiert,  z.  B. 
§«Ä  ez  iehr  btrün  te&rif  miburdend  .Der  König  hat  sich  aus  der  Stadt 
hinaus  begeben."  In  diesem  Satz  wird  das  Wort  se/ir  „Stadt"  in  der 
Bedeutung  der  Hauptstadt  des  persischen  Reiches  Teheran  genommen, 
wie  urbs  bekanntermassen  bei  den  lateinischen  Glassikern  oft  genug 
Roma  bedeutet,  vgl.  die  arabischen  Städtenamen  Mekka  und  Medfna* 
welche  beide  „Stadt"  bedeuten,  da  Mekka  wo'il  mit  der  Endsilbe  des 
Namens  Baalbek  (' Hkinv-unXi^)  zu  vergleichen  ist. 

Im  Verlauf  der  Zeit  sind  manche  Ausdrücke  der  Heiligkeit,  Macht- 
vollkommenheit und  Auszeichnung  dieser  ihrer  Bedeutung  verlustig 
geworden,  so  ist  das  sanskrit  deva,  devas  bei  den  Ost-,  und  Westira- 
niern  zur  Bezeichnung  eines  bösen  Geistes  geworden  (zend.  daeva,  neu- 
persisch d«v\.  In  der  altern  Geschichte  Ungarns  bedeutete  jouiagiones 
die  Vornehmen  des  Landes,  welches  Wort  in  späteren  Zeiten  zur  Be- 
zeichnung der  Untertanen  gebraucht  wurde,  s.  jobbdgyi  s.  v.  a.  colo- 
nical.  Der  zweite  Theil  dieses  Compositum*  bag  ibagi)  ist  mit  dem 
ost türkischen  baj.  alt.  pai.  ujg.  und  osm.  ftey  identisch,  welches  auch 
in  den  stidslavischen  Sprachen  vielfach  in  Anwendung  kommt,  (griech. 

Mit  der  Ehrfurcht  geht  die  Demütigung  Hand  in  Hand.  Der 
Araber  nennt  sich  aus  Demut  'ab<l  „Knecht",  und  so  wird  auch  der 
Freie  genannt,  denn  auch  er  ist  Gottes  Knecht.  Der  Perser  bedient 
sich  oft  des  bende  „Knecht14  anstatt  des  Pronomens  der  ersten  Person 
und  bezeichnet  sein  Heim  mit  dem  Ausdruck  bende  chdne  „das  Haus 
des  Dieners",  z.  B.  in  dem  Satz:  be  bende  chäne  mtrevem  .ich  gehe 
nach  Hause",  wörtlich  „ich  gehe  in  das  Haus  des  Dieners".  Bende-i 

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ÜBER  UN  El  G  ENTLICHE  AUSDRÜCKE  VERSCHIEDENER  SPRACHEN. 


dergdh  „ Knecht  der  Schwelle"  nennt  sich  der  Perser,  wenn  er  die  Schwelle 
eines  vornehmen  Mannes  betritt,  und  bezeichnet  seinen  Sohn  in  der 
Rede  mit  einem  Vornehmen  mit  der  Zusammensetzung:  bende  zdde 
„der  Sohn  (deines)  Knechtes*.  Uebrigens  bedeutet  bende  im  Fersischen 
den  von  G»tt  erschaffenen  Menschen,  ganz  so  wie  im  Arabischen,  ob 
frei  oder  unfrei,  als  Gottesknecht.  Der  Vornehme  nennt  sich  in  seiner 
Rede  mit  dem  Geringem  bende  perven  „der  Ernährer  des  Dieners".  — 
Die  Mongolen  haben  es  gerne  im  Gespräch  von  sich  selbst  in  den 
erniedrigendsten  Ausdrücken,  von  den  andern  aber  in  solchen  der  Lo- 
beserhebung zu  reden,  so  z  B  A:  „Wie  befindet  sich  mein  erlauch- 
ter Freund,  der  erhabene  und  ruhmvolle  Cang?u  B:  „Mein  erbärmli- 
cher Leichnam  befindet  sich  so  gut,  als  den  Umständen  nach  erwartet 
werden  kann".  *)  —  Aus  Achtung  für  die  angesprochene  Person,  oder 
aus  Ehrfurcht  vor  ihr,  und  aus  Demütigung  pflegt  der  Perser  ihre 
Handlungen  mit  /ermüden  „befehlen",  „geruhen"  zu  bezeichnen,  so 
z.  B  duae  fermüdtd  „was  Ihr  gesagt  habet",  eigentlich  „was  Ihr  be- 
fohlen habet a.  Der  Türke  bedient  sich  zu  demselben  Bedarf  des  Ver- 
bums bujurmak,  /..  B  filän  ujujor.  bach&i'S  versengizde,  bujumng  „N  N. 
schläft,  hast  du  bachsiS  gebracht,  geruhe  einzulrelen",  wörtlich  „be- 
fehle einzutreten".  Auch  im  Ungarischen,  namentlich  in  Siebenbür- 
gen, hört  man  oft  die  höfliche  Aufforderung  parancsoljon  „befehlen 
Sie",  z.  B.  parancsoljon  leülni  „Belieben  Sie  Platz  zu  nemen",  wört- 
lich „Befehlen  Sie  sich  zu  setzen".  Diesen  Ausdruck  haben  die  Ungarn 
gewiss  von  den  Türken  entlehnt,  und  er  ist  bei  den  Siebenbürgern  in 
Gebrauch,  deren  Ahnen  bekanntermassen  viel  mit  den  Türken  ver- 
kehrten Das  Wort  parancsolni  ist  slavischen  Ursprung,  vgl.  asl.  poraeiti, 
rum.  poruncenk.  Das  Wort  te*stk  „belieben"  war  in  früheren  Zeiten  in 
Siebenbürgen  ungebräuchlich,  aber  seit  einigen  Jahrzehnten  ist  es  ziem- 
lich allgemein  geworden. 

Die  Artigkeit  passt  gut  zur  Ehrfurcht  und  zur  Demut. 

Der  Perser,  wenn  er  jemanden  zum  hinaufsteigen,  hinabgehen, 
oder  ausgehen  auffordert,  bedient  sich  aus  Höflichkeit  der  Ausdrücke: 
„die  Ehre  hinauf-,  hinab-,  oder  hinauszuführen,"  z  B.  bald  tekrtf 
biberid  „bitte  heraufkommen  zu  wollen",  wörllich  „bringet  Eure  Ehre 
herauf",  —  pojin  te&rif  biberid  „bitte,  herabzukommen",  wörtlich 
„bringet  Eure  Ehre  herab",  —  bintn  te&rif  biberid  „bitte,  herauszu- 
kommen" usw.  Der  oben  angeführte  Satz:  Mh  ez  Sehr  btrün  te&rif 
mibürdend  lautet  wörtiich  „der  Regent  hat  seine  Ehrfurcht  aus  der 
Stadt  (Teheran)  heraus  getragen".  Te&rifdt  heisst  das  Ehrenkleid,  oder 
ein  vom  König  gegebenes  Ehrengeschenk,  arabisch  hhiVattin.  Im  Itale- 
nischen  heisst  cortesia  „Artigkeit"  auch  Freigebigkeit. 

Mit  der  Artigkeit  ist  die  Zucht  und  Ehrbarkeit  innig  verbunden. 
Das  Wesen  der  ethischen  Gefühle  ist  sich  auf  einer  gleichen  Stufe 
der  Gesittung  .  gleich :  nur  die  Tiefe,  Kraft,  Erhabenheil  dieser  Ge- 
fühle, und  die  Formen  ihrer  Äusserungen  zeigen  eine  Verschiedenheit 

*)  S  Frick's  Rundschau,  1890.  S  435. 

83 


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GRAF  GfcZA  KUUN 


bei  den  auf  derselben  Stufe  der  Enlwickelung  siehenden  Völkern.  So 
siud  auch  die  Äusserungen  der  Zucht  und  Ehrbarkeit  zu  verschiede- 
nen Zeiten  und  bei  verschiedenen  Völkern  ungleich.  Die  Stellung  der 
Frau  im  Orient  ist  bekanntermassen  eine  ganz  andere,  wie  im  Omdent, 
und  in  dem  Altertum  wurden  die  Frauen  ganz,  anders  behandelt,  als 
seit  der  Zeit,  wo  sich  das  Christentum  der  Herzen  bemächtigte.  Die 
mystisch  indirekte  Erwähnung  der  orientalischen  Frau  passt  gut  zu  ih- 
rer verschleierten  Tracht  und  zu  der  Verschlossenheit  des  Harem,  wo 
auch  die  Kinder  erzogen  wurden.  Die  Muhamedaner  pflegen  überhaupt 
nicht  über  das  Wohlgehen  ihrer  Frauen  nachzufragen,  wenn  sie  es 
aber  thun,  so  slellen  sie  ihre  Frage  indirekt  z.  B.  arabisch:  ktf 
kauet  dehnet  bttka  oder  krf  käu  sirr  htika  „wie  befindet  sich  die 
Henne  deines  Hauses ?*  oder  „wie  befindet  sich  das  Geheimnis  deines 
Hauses ?•  Der  Araber  sagt  anstatt  nikäh  „Ehe -  auch  sirr  .(ieheimnis". 

Das  Grab  wird  im  Griechischen  euphemistisch  auch  *rW  genannt, 
und  die  Furien  (Erinnyen;  wurden  auch  mit  dem  Wort  EvtuviAij.  xi, 
(toai)  bezeichnet,  welches  die  wohlwollenden,  gütigen  Göttinen  bodeu- 
tet.  —  EioQvt&iu  heisst  die  gute  Vorbedeutung,  von  „Vogel". 

Vade  boiiis  avihu*. 

Graf  Oiza  Kuun. 


Bücherbesprechungen. 
1. 

1)  II.  Gaidoz  et  Paul  Sibillot,  Hlason  populaire  de  la  France. 
Paris,  Leopold  Cerf.  XV.  382,  (La  France  merveilleuse  et  legendaire 
par  H.  G.  et  P.S.)  —  2.)  Hlason  populaire  de  la  Haute-Rretagne  (C.ötes- 
du-Nord)  par  Paul  SJbillot.  Paris  1887. 

Ein  guter  Ruf  dringt  weit,  ein  schlimmer  noch  weiter,  sagt  das 
deutsche  Sprichwort.  Vorliegende  zwei  Arbeiten  sind  so  eigentlich  nur 
Verbuchungen  alles  (inten  und  Rosen,  was  die  franzosischen  Provinz- 
ler einander  und  den  Nachbarvölkern  nachgetratscht  haben,  und  noch 
nachtratschen  Nicht  jede  aus  dem  Volke  herrührende  Remerkung  ist 
gut  oder  richtig,  aber  die  meisten  sind  witzig  und  heben  die  grotesk 
komischen  Seiten,  die  Schwächen  und  zweifelhaften  Vorzüge  des  Nach- 
barn hervor.  Es  unterlauft  auch  manch  bissiges,  vergrämtes,  neiderfüll- 
tes Wort  mit  unter,  wie  es  ja  beim  Tratsch  anders  nicht  sein  kann, 
der  nie  nach  Gründen  und  nie  nach  der  Wahrheit  forscht,  sondern 
nur  aus  fluch l igen  Eindrücken  sein  Lrteil  braut,  „(  est  une  sorte  de 
caricalure  en  paroles"  definieren  zutreffend  die  Herausgeber,  die  ihren 
Ursprung  häufig  einem  Wortspiel,  einer  lustigen  Regebenheit  o.ler  ei- 
nem geschichtlichen  Ereignis  verdankt. 

Die  Herausgeber  erinnern  daran,  dass  bei  allen  Völkern  zu  al- 
len Zeiten  gewisse  Volksslamme.  S;idte  und  Dörfer  mit  ihrer  nngeb- 


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liCCHKRBKSPRECHUNGEN 


liehen  Einfalt  und  Ungeschicklichkeit  zur  allgemeinen  Erlustigung  unfrei- 
willige Schärflein  beitragen  mussten.  So  z.  B.  Sie  Boiotier,  die  Abderi- 
ten,  die  Schildbürger,  die  Pofcegaer  in  Slavonien,  bei  uns  die  biederen 
Stix-Neusiedler  und  die  Jung-Bunzlauer,  ja  wer  könnte  sie  alle  im  Nu 
aulzählen,  selbst  nur  die  in  unserer  Heimat?  Was  für  derbe  Witzworte 
setzt  der  Deutsche  nicht  auf  Rechnung  des  deulsch  radebrechenden 
Magyaren,  und  wie  derb  geisselt  der  Wiener  Witz  den  harmlosen 
Chrowolen?  Gaidoz  und  Sibillot  beleuchten  die  Eigenartigkeiten  der 
tranzös.  Nachredesucht  in  einer  Weise,  die  allgemeine  Giltigkeit  auch 
für  andere  Völker  besitzt.  Doch  nein,  wie  beschleicht  uns  Scham, 
wie  ergreift  uns  Neid,  dass  nicht  auch  wir  so  sprechen  dürfen,  wie 
die  zwei  Franzosen:  „Noire  pays,  heureusement,  ne  connatt  plus  ces 
acces  de  frenesie  populaire  au  simple  nom  de  juif,  comme  nous 
en  voyons  eclater  souvent  encore  dans  l'Europe  Orientale,  ou  du 
moins  il  ne  les  connatt  que  pour  des  causes  poliliques  ou  sociales, 
ce  qui  est  incontestablement  un  progr&s." 

Viele,  sehr  viele  von  den  hier  angeführten  bösen  Nachreden  fin- 
den bei  anderen  Völkern  ihre  Seitenstücke  Ich  will  einige  Beispiele 
herausgreifen.  S.  299:  „Trois  .luifs  font  un  Bälois,  trois  Bälois  font 
un  Genevois. tt  Der  Südslave  sagt  ähnlich :  Fünf  Juden  gehen  auf  einen 
Serben,  fünf  Serben  auf  einen  Cincar  (Rumaenen)  oder  einen  Griechen, 
des  Armeniers  wegen  würde  aber  die  Sonne  nicht  aufgehen".  Der  Serbe 
sagt:  „Bugari  su  stare  varalice"  (Die  Bulgaren  sind  aitersher  Betrüger.) 
Der  Bulgare  spricht  sich  in  gleicher  Weise  über  den  Serben  aus.  Der 
Katholike  sagt  vom  Altgläubigen:  nNit  u  tikri  sudanitu  vlaha  druga" 
(Eine  Kü rbisf lasche  ist  kein  Fass,  und  ein  Altgläubiger  kein  Freund) ; 
auch  etwas  spöttisch  derb:  „Doso  sokac  prdno  u  lonac,  doso  vlah, 
pojio  grah." 

Ich  könnte  ohne  viel  Mühe  ein  halbes  Tausend  solcher  dicta 
insipida  der  Südslaven  zusammenstellen.  Am  Schlimmsten  kommen  bei 
den  Franzosen  die  Deutschen  weg.  Schon  ihre  Redeweise  missfällt, 
sich  selber  lobt  aber  der  Franzose.  S  322.:  „Die  Italiener  plärren,  die 
Deutschen  kreischen,  die  Franzosen  singen."  Die  Deutschen  heissen 
B/i  plus  ireux"  oder  „couUrous"  oder  nquerelleursu  oder  „autourious" 
(hautain).  sie  sind  „  Dampf nudelfresser*  aber  auch  die  besten  Tänzer. 
Niehl  übel  ist  der  Elsässische  Gassenhauer:  „Wenn  jede  Festung  in 
Frankreich  umher  —  Eine  Pflutle  oder  ein  Pfannkuche  wär,  —  So  hät- 
ten's  die  Deutschen  schon  längst  gewonnen,  —  Hätten  sie  alle  mit 
Sturm  eingenommen.-  Ganz  wie  unter  den  Magyaren,  hat  der  Schwabe 
im  Elsass  seine  Epitheta :  elender,  dummer,  pfiffiger,  hergeloflener 
Schwab.  Der  Jude  hat  dagegen  keinen  schlimmen  Ruf,  er  gilt  als  got- 
tesfürchtig:  Creire  coumo  un  Jousiou  ii  la  santo  Biblo  (Languedoc), 
als  ehrlich:  c'est  im  bon  Israelite,  als  reich:  riche  coum'  un  Jusife, 
als  verständig:  prudent  coumo  un  Jousiou,  aber  auch  als  geizig:  avare 
cnmme  un  rabbin  und  als  furchtsam:  es  esfraiat  coumo  un  Jousiou. 
Der  slavische  Mahommedaner  in  Herceg-Bosna  drückt  sich  genauer 
aus,  wenn  er  einen  plötzlichen,  furchtbar  ergreifenden  Schrecken  be- 

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BÜCHERBESPRECHLNOKN 


zeichnen  will:  spopala  ga  tifucka  groznica  -  Es  hat  ihn  ein  jüdisches 
Fieber  ergriffen.  —  W  ie  ruft  doch  ein  einziger  Vergleich,  wie  mit  einem 
Zauberschlag  eine  Zeit  finsterer  Religionsverfölgungen  ins  Gedächtnis 
zurück.  Der  Franzose  und  der  Bosnier  haben  im  Volke  längst  die  ur- 
alte Bedeutung  dieser  Phrase  vergessen;  „les  noms  et  les  sobriquets 
qui  expriment  ces  haines  de  race,  de  religion  ou  de  provinces  ont  sur- 
vecu  aux  sentiments  qui  les  inspiraient,  et  ceux-memes  qu'ils  devrai- 
ent  irriter  ont  le  bon  sens  de  ne  plus  se  senlir  atteints,"  bemerken 
sachgemäss  die  Herausgeber,  denen  man  für  die  grosse  Mühe  und 
kritische  Sorgfalt  beim  Sammeln  und  Sichten  der  1200  Tratschworte 
nicht  genug  Dank  wissen  kann. 

Wien. 

Dr.  F.  &.  Krams. 

II. 

Altweiber-Medicin  bei  den  Rumänen. 

Wie  aus  ihren  Annalen  und  Memoiren  ersichtlich,  hat  die  ru- 
mänische Akademie  in  Bukarest  seit  ihrem  Bestände  beinahe  aul  al- 
len Gebieten  der  Wissenschalt  namhafte  Fortschritte  gemacht  und  sich 
bemüht,  sich  aul  den  Standpunkt  der  heutigen  Wissenschaft  zu  erheben. 

Was  aber  bei  dieser  Akademie  die  Aufmerksamkeit  der  forschen- 
den Welt  besonders  verdient,  ist  der  tiefe  prüfende  Blick,  den  sie  in 
das  nationale  Leben  des  rumänischen  Volkes  getan  hat.  Alles,  was  das 
Volk  seit  vielen  Jahrhunderten  geistig  produciert  und  bewahrt  hat. 
was  bei  ihm  in  seinem  Alltagsleben  bei  jeder  Gelegenheit  als  alter- 
tümlicher Brauch  geübt  wird,  wird  als  nationaler  Schatz  aus  dem  Munde 
des  Volkes  gesammelt,  und  entweder  in  den  Annalen  der  Akademie 
publicierl,  oder  praemiiert,  oder  dem  Sammler  auf  eine  andere  Art 
Hilfe  geleistet. 

Ich  will  bei  einer  andern  Gelegenheit  registrieren,  was  die  ru- 
mänische Akademie  in  dieser  Hinsicht  geleistet  hat,  und  beschränke 
mich  jel> t  auf  ein  Materiale  des  täglichen  Lebens  des  rumänischen 
Volkes,  das  von  vielen  als  leerer  Aberglaube,  als  unnützes  Zeug  betrach- 
tet worden  ist,  nämlich  die  Altweiber-Medicin. 

Die  Forschung  hat  auf  diesem  Gebiete  ihre  Arbeit  noch  nicht 
beendet,  obwol  Material  auch  bis  jetzt  in  ziemlich  grosser  Masse  ge- 
sammelt und  puhliciert  worden  ist. 

Ein  Auszug  aus  den  Annalen  der  Akademie.  Serie  II.  Band  XII. 
vom  Jahre  1890  unter  dem  Titel  „Medicina  Babelor"  (die  Medicin  der 
alten  Weiber)  gesammelt  zumeist  in  der  Gegend  der  Stadl  Roman  in 
Rumänien  von  Dimitrie  V.  Lujascu,  hat  zwei  Teile.  Im  I-ten  sind  54 
„Descantece-  carmina  contra  incanlationem,  Gegenzauberlieder,  um 
den  Bezauberten  d.  i.  den  Kranken  gesund  zu  machen,  und  jedem 
Liede  ist  auch  das  Recept,  d.  h.  die  Arznei  und  die  Verfahrungsweise 
beigegeben.  Im  I l-ten  Teile  sind  109  Arzneien  und  Verfahrungsregeln 
enthalten,   aber  ohne  Zauber-   oder  Gegenzauberlieder.  Man  könnte 


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IU  ('HERBESPRF(  HUNGEN 


fragen,  warum  bei  den  109  Arzneien  und  Gebrauchsanweisungen  keine 
Zauber-  oder  Gegenzauberlieder  gegeben  sind? 

Die  109  Arzneien  und  Verfährungsregeln  sind  von  solchen  Haus- 
trauen gesammelt,  die  dieselben  als  Hausmittel  kennen  und  nur  für 
ihre  Familien  als  Heilmittel  verwenden,  und  dieselben  gewöhnlich  von 
ihren  Müttern  u.  Grossmüttern  gelernt  haben.  Im  allgemeinen  kümmern 
sie  sich  wenig  um  Zaubereien;  wenn  aber  die  versuchten  Heilmittel 
nicht  helfen,  dann  wenden  sie  sich  an  die  Hilfe  der  Zauberinnen. 

Die  54  Stüek  Gegenzauberlieder  rühren  gewöhnlich  von  solchen 
alten  Weibern  her,  die  sozusagen  als  Dorfmediciner  fungieren,  und  in 
die  Häuser  zu  den  Kranken  gerufen  werden.  Und  es  wäre  nicht  ge 
nug  und  zu  einfach,  nur  die  Arzeneien  zu  machen  und  anzuwen- 
den, oder  sie  nur  zu  verschreiben;  man  muss  auch  auf  den  Ge- 
mütszustand und  den  Geist  des  Kranken  wirken.  Zu  diesem  Behufe 
dienen  die  Gegenzauberlieder,  und  der  Inhalt  und  das  Recitieren  der- 
selben ist  gerade  das  heilige  oder  schauerliche  Geheimnis,  das  eine 
grosse  Wirkung  auf  den  Kranken  ausübt. 

Und  diese  alten  Weiber  haben  viele  nationale  Traditionen  bewahrt. 

Gegenzauberlieder,  die  keine  Bruchstücke  sind,  haben  gewöhnlich 
drei  Teile.  Im  ersten  wird  gewöhnlich  metaphorisch  erzählt,  auf  welche 
Art  das  Böse,  das  Übel  gekommen,  oder  von  welchen  (mythologischen) 
Wesen  oder  Zauberinnen  es  über  den  Kranken  geschickt  worden  ist, 
wie  der  Kranke  an  Kräften  siecht,  wie  er  leidet  und  wehklagt. 

Im  zweiten  Teile  sieht  und  hört  gewöhnlich  (Nro  2.  3.  6.  7.  13. 
14.  16.  26.  33.  37.  46.  47.)  die  Mutter-Gottes  aus  dein  Tore  des 
Himmels  den  Kranken  und  fragt  ihn,  was  ihm  weh  tut.  Der  Kranke 
erzählt  dann  durch  den  Mund  des  Weibes  beinahe  dasselbe,  was  im 
Anfange  des  Gegenzauberliedes  ist,  die  Mutter  des  Herrn  schickt  dann 
den  Kranken  zum  alten  Weibe,  oder  verschreibt  selbst  die  Heilmittel 
und  etwas,  was  noch  zu  machen  ist. 

Im  dritten  Teile  werden  die  über  den  Kranken  geschickten  oder 
geworfenen  Zaubereien  verjagt,  das  Böse,  das  Übel  in  das  schwarze  Meer 
geworfen,  oder  manchmal  (Nro  6.  '27,  37.  53.)  nimmt  die  Mutter  des 
Herrn  den  Kranken  bei  der  Hand,  führt  ihn  auf  den  Weg  des  Abra- 
ham, zu  der  Quelle  des  Jordan  und  hier  wäscht  sie  ihn,  und  wirft 
alles  Böse  auf  das  Haupt  desjenigen,  der  das  übel  verursacht  hat ; 
zuletzt  die  Bitte,  dass  der  Kranke  gesund,  rein  und  makellos  bleibe,  so 
wie  Gott  ihn  geschaffen  und  in  die  Welt  geschickt  hat. 

Von  diesen  Liedern  haben  wenige  einen  poetischen  Wert,  vie- 
les wiederholt  sich  in  denselben:  doch  haben  sie  grosse  Wichtigkeit 
fiir  die  rumänische  Sprache,  und  weil  einige  auch  mit  Volksgebräu- 
chen in  Zusammenhang  stehen,  auch  für  diese.  Auch  für  den 
Arzt,  den  Chemiker,  den  Botaniker  und  den  Mythologen  sind  diese 
Lieder,  Arzneien  und  Verhall ungsregeln  eine  wahre  Fundgrube  der 
Forschung.  Vom  Standpunkt  der  Volkssprache  will  ich  noc^i  einige  Be- 
merkungen zu  dieser  Sammlung  machen. 

Im  Liede  Nr.  1.  ist  das  Wort  »tescule-leu  lat.  testicula,  fr.  tes- 

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Hl  (  HKRHKSPRECIH  NGEN 


ticule,  die  in  der  alltäglichen  Sprache  einen  anderen  Namen  haben.  In 
Nro  13.  ist  die  lateinische  Form  „*trigaa,  während  in  der  Volkssprache 
strigoia  (die  Hexe)  ist.  In  Nr.  16.  sqaul,  die  Grube  der  Ohren,  wo  qau  aus 
den  lateinischen  cav-us  cav-erna  enstanden  ist,  und  sehr  selten  gehört 
wird.  In  Nr.  24.  prhnarie  lat.  primoria.  hier  in  dem  Ausdrucke  rdie 
ersten  Geschwisterkinder."  In  Nr.  43.  lautör*,  die  Waschende,  lat.  lava- 
tor,  während  in  der  Volkssprache  gewöhnlich  spelare,  waschen  im  Ge- 
brauche ist.  In  Nr.  52.  amente-le  die  Liebhaberinnen,  lat.  amantes ,  was 
bis  jetzt  in  der  Volkssprache  nicht  gehört  worden  ist. 

In  diesen  Gegenzauberliedern,  Arzneien  und  Verfahrungsregeln 
gibt  es  noch  eine  Menge  von  Wörtern,  die  in  den  rumänischen  Wör- 
terbüche  n  nicht  auffindbar,  und  deren  Sinn  und  Ethymologie  noch 
nicht  bestimmt  ist.  Diese  Wörter  aus  den  vergessenen  Jahrhunderten 
als  veraltet  u.  aus  dem  täglichen  Gebrauche  verschwunden,  bereichern 
nun  das  Material  der  Sprache  *) 

Auch  betreffs  der  grammatikalischen  Formen  sind  die  Lieder  be- 
deutsam. Einige  Diminutivsuffixe  sind  bemerkenswert.  In  Nr.  2(J 
sioparlaitia  (sioparla  Eidechse)  gewöhnlich  sioparlitia,  wie  in  Nr.  23. 
merlositia  (von  merlusia,  Amselchen),  brandusitia  (eine  Blume);  und 
in  Nr.  36.  sierpurel  (sierpe  Schlange)  gewöhnlich  sierpuletia.  Auch  betreff 
der  Declination,  der  Conjugation  und  der  Laut-Verwechslung  wäre 
noch  sehr  vieles  zu  bemerken,  doch  ich  glauoe.  das  gesagte  genügt, 
um  von  der  Bedeutung  dieser  Lieder  für  den  rumänischen  Folklore 
und  die  Linguistik  einen  Begriff  zu  geben 

Budapest,  Januar  1891.  Dr.  Athanasius  E.  Marienescu 


Magyarische  Volksballaden.  l) 
J. 

Anna.  Anna. 

„Kgszü'j  man,  käszü'j  man  Spute  dich,  spute  dich. 

Anna,  te  sz6p  lejany!  Anna,  schönes  Mädchen! 

Nekünk  adott  apäd  Uns  gab  dich  dein  Vater 

Az  anyäd  mehibe,!,,  Noch  im  Mutterleibe! 


*)  Auf  Grund  mannigfacher  einschlägiger  Erfahrungen  glauben  wir  einen 
Teil  dieser  Bereicherung  aul  die  Rechnung  der  Erfindungsgabe  und  Intention  der 
Sammler  schreiben  zu  dürfen.  Die  Redaction. 

*)  Aufgezeichnet  von  Ludwig  Kälmany.  Ubersetzt  von  A.  H.  —  Diese  Ballade 
weist  manchen  bedeutungsvollen  Zug  auf.  Märcbenmässig  ist,  dass  die  Hähne  spre- 
chen (vgl.  die  Parallelen  in  Kälmany,  Szeged  m'pe,  II.  171.)  Nach  dem  Volksglau- 
ben zeigen  sich  die  Seelen  der  Abgeschiedenen  oft  in  Tiergestalt.  In  den  Märchen 
hat  das  rechte  Kind  kein  Mitleid  mit  Tieren,  und  geht  darum  zugrunde.  Bei  Ipolyi, 
Nr.  16.,  gibt  die  rechte  Tochter  der  Katze  und  dem  Hahne  nicht  zu  essen,  und 
wird  darum  von  ihnen  nicht  gerettet,  als  der  Teufel  um  sie  kommt.  (Ähnlich :  Me« 
r6nyi,  Dunamellöki  nepmeseJc,  II.  117.  Eredeti  nepmesek.  II.  169.  Arany,  Ne>mesek, 
176  Kälmäny,  Szeged  nepe  I  187.  Grün.  Die  drei  Männlein  im  Walde;  Karadschitsch, 
Volksmärchen  der  Serben  199.  Waldau,  Böhmisches  Märchenbuch.  519  —  Das  be- 
deutsamste Moment :  Der  Vater  verkauft  das,  was  er  ohne  Wissen  zuhause  hat;  es 
ist  die  Leibesfrucht  seiner  Frau.  Der  Käufer  ist  wol  der  Teufel;  denn  Anna  will 


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MAGYARISCHE  VOLKSBALLADF.N 


.Keszülok,  keszülok 
£dös  l'anykerüjim! 
£gy'  kicsit  värjatok, 
Mozsdö  vizem  nines  kesz!1* 


„Spute  mich,  spute  mich, 
Meine  lieben  Freier! 
Wartet  nur  ein  wenig. 
Wasser  fehlt  zum  Waschen!- 


Kiszalad,  kiszalad 
Kakasülö  alä: 
„Kakasim,  kakasim, 
Fekete  kakasim! 

£dös  kakaskäjim 
Kukurekujjatok. 
Mer'  elvisznek  engöm 
Isten  tugygya,  huva!' 

A  feher  feleli : 
„Szöjon  a  fekete!" 
Fekete  feleli: 
„Van  meg  idö  r'äja!a 

„Keszü'j  man,  keszü'j  man 
Anna,  te  szep  lejäny! 
Nekünk  adott  apäd 
Az  anyäd  mehibe'!44 

„Värjatok,  värjatok, 
Edös  I'änykeröjim! 
Hogy  vögyem  magamra 
A  piros  szoknyämat  ! 

Szoknyajim,  szoknyajim, 
Szep,  piros  szoknyajim! 
Szögrtt'  lehujjatok, 
Gyäszba  borujjatok  !■ 

Akkor  is  kiszalad 
Kakasülö  alä: 
„Kakasim,  kakasim, 
Fekete  kakasim! 


Läuft  hinaus,  läuft  hinaus, 
Hin  zur  Hühnersteige: 
.Hähne  mein,  Hähne  mein, 
Meine  schwarzen  Hähne! 

Meine  lieben  Hähnchen, 
Fangt  doch  an  zu  krähen, 
Fort  will  man  mich  führen, 
(ioit  nur  weiss  es,  wohin!" 

Antwort  gibt  der  weisse: 
„Mag  der  schwarze  sprechen  !' 
Antwort  gibt  der  schwarze: 
„'s  hat  noch  gute  Weile!- 

„Spute  dich,  spute  dich, 
Anna,  schönes  Mädchen! 
Uns  gab  dich  dein  Vater 
Noch  im  Mutterleibe." 

„Wartet  doch,  wartet  doch, 
Meine  lieben  Freier, 
Möchte  mir  noch  anziehn 
Meinen  Rock,  den  roten. 

Röcke  mein,  Röcke  mein, 
Schöne  roten  Röcke! 
Fallt  herab  vom  Nagel, 
Wendet  euch  in  Trauer!" 

Wieder  läuft  hinaus  sie, 
Hin  zur  Hühnersteige: 
„Hähne  mein,  Hähne  mein, 
Meine  schwarzen  Hähne? 


ihre  Freier  mit  dem  Hahnenschrei  vertreiben,  und  diese  müssen  vor  dem  Stunden- 
schlag zurück,  wie  die  bösen  Geister  um  ein  Uhr  nach  Mitternacht.  Auch  in  andern 
Überlieferungen  verkauft  dem  Teufel  der  Mann,  waa  er  ohne  Wissen  zuhause  hat, 
gewöhnlich  sein  Kind,  (vgl.  Erd&yi,  III.  329.  Gyulai  II.  214.  III.  234.  Kriza,  477. 
Ipolyi's,  Sammlung,  Märchen  Nr.  13.  128 )  In  andern  magy.  Märchen  tritt  ein  Greis,  ein 
Ungeheuer,  udgl.  an  die  Stelle  des  Teufels.  —  Auch  bei  andern  Völkern  häufig, 
(Schreck,  Finnische  Märchen  116;  Poeation,  Lappländische  Märchen,  247;  Grimm,  Das 
Mädchen  ohre  Hände;  Schott,  Walachiscbe  Märchen,  Waldau,  Böhmisches  Märchen- 
buch, 24.  u.  s.  w.) 


Herrraaon,  Ethooloj Uche  Mitteilungen. 


89 


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MAGYARISCHE  VOLKSBALLADEN. 


£dfts  kakaskäiim 
Kukurekujjatok. 
Mer'  elvisznek  engöm 
Isten  lugygya,  huva!* 

A  feher  feleli : 
„Szojon  a  (ekele!" 
Fekete  feleli: 
„Van  meg  idö  r'aja!- 

„Sijes'  man,  sije.V  man, 
iling) ä'  üt  az  dra ! 
Nekü'nk  adott  apad 
Az  anyad  mehibe'!" 

„Värjatok,  värjatok, 
£dös  Panykeröjim! 
Hogy  bücsuzzak  el  meg 
A  viragajimtul : 

Virägim,  virägim. 
Szep,  piros  virägim! 
Kör6va  väjjatok, 
Gyäszba  borujjatok!" 

Akkor  is  kiszalad 
Kakasülö  alä: 
„Kakasim,  kakasim ! 
Szep  feher  kakasim! 

Szep,  feher  kakasim 
Kukurekujjatok ! 
Mer1  elvisznek  engöm 
Isten  tugygya,  huva!1* 

„Nem  kuktirekulunk, 
Mer'  nem  atta  önni ! 
A  többinek  aua'. 
Mmket  Ozavariä"" 


Meine  liehen  Hähnchen, 
Fangt  doch  az  zu  krähen, 
Fort  will  man  mich  führen, 
Gott  nur  weiss  es.  wohin.* 

Antwort  gibt  der  weisse: 
„Mag  der  schwarze  sprechen!* 
Antwort  gibt  der  schwarze: 
„'s  hat  noch  *rute  Weile!" 

„Spute  dich,  spute  dich, 
Denn  gleich  schlagt  die  Stun  let 
I  ns  gab  dich  dein  Vater 
Noch  im  Mutterleibe!" 

„Wartet  doch,  wartet  doch. 
Meine  lieben  Freier! 
Möchte  Abschied  nehmen 
Noch  von  meinen  Blumen: 

Blumen  mein.  Winnen  mein, 
Schöne  rote  Ulumen ! 
Werdet  dürre  Stauden. 
Wandelt  euch  in  Trauer !• 

Wieder  läuft  hinaus  sie, 
Hin  zur  Hühnersteige: 
„Hähne  mein,  Hähne  mein, 
Schöne  weisse  Hähne! 

Schöne  weisse  Hähne, 
Fangt  doch  an  zu  krähen! 
Fort  will  man  mich  führen, 
Gott  nur  weiss  es.  wohin!" 

„Werden  dir  nicht  krähen, 
(iahst  uns  nicht  zu  essen! 
Andern  hast  gegeben, 
Uns  hast  du  verscheuchet!* 


(A  (ehfir  kakasok 


arva  gyer'ökök  T.  tak  )     <I»ir  weise  n  Hiihne  »arm  Waisenkinder.) 

(Szüre*.) 


II. 


Szödörv&ri  Kata. 

„L/änyom,  edes  l'Anyom, 
Szödörvari  Katam ! 


Katchen  SsödörvÄri. 

„Tochter,  liebe  Tochter, 
Katchen  Szödörväri! 


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MAO  YAKISCHE  VOLKSBALLADEN. 


Vajon  mi  dolog  az: 
Kerek  ajjü  szoknyad 
Elül  rövidödik, 
Hätal  hoszsza'bodik?" 

„Anyam,  edös  anyäm, 
Kedves  szülö  dajkam: 
Szabö  oem  jö  szabta, 
Varo  nem  jö  va'rta!- 
„ Szabö  azt  jö  szabta, 
Va'rö  azt  jö  va'rta!« 

„Mi  türes,  tagadäs, 
Man  ki  köT  vallanom : 
Kis  kertömbe'  järtam 
(iyöngyväri  Jänossal, 
Kedves  galamboramal, 
Szerelömbe  estem.M 

„Höherok,  höherok, 
Fogjatok,  vigyetök 
A  siralomhäzba 
Szödörväri  Katät!* 

„Madarim,  madarim, 
Hirhordö  madarim, 
Vigyetök  levelem 
(iyöngyväri  Jänosnak!* 

,  Kocsisom ,  kocsisom , 
Le'kiseb'  kocsisom : 
Fog'  be  csak,  fog'  be  csak 
A  legjob'  hat  lovam! 
Hagy  mögyök  Katahon, 
Kedves  galambomhon." 

Mikö  oda  ertek 
A  sok  soküsäg  köszt, 
Akkö  vesztöttek  el 
Szödörväri  Kalät ; 


Sag.  was  soll  das  heissen  : 
Rund  war  ja  dein  Röcklein, 
Ist  zu  kurz  nun  vorne, 
Ist  zu  lang  nun  hinten!" 

„Mutter,  liebe  Mutter, 
Die  mich  hat  geboren: 
Schneider  schnitt  es  schlecht  zu, 
Näh'rin  nähte's  nicht  gut!" 
„Schneider  schnitt  es  gut  zu, 
Näh'rin  nähte's  sauber  !- 

„Wozu  lügen,  leugnen? 
Muss  es  wol  gestehen  : 
Gieng  im  kleinen  Garten 
Mit  Johann  Gyöngyväri, 
Und  mit  meinem  Liebsten 
Dort  der  Lieb'  verfiel  ich." 

„Henker,  hört  ihr  Henkerl 
Fasset,  fangt  und  führet 
In  die  Seufzerkammer  *) 
Kätchen  Szödörväri!" 

r  Vögel,  meine  Vögel, 
Ihr  beschwingte  Boten, 
Traget  meinen  Brief  hin 
Zu  Johann  Gyöngyväri !' 

„Kutscher,  du  mein  Kutscher, 
Du  mein  kleinster  Kutscher, 
Schirr'  nur  an  und  spann  ein 
Sechs  der  besten  Pferde, 
Dass  ich  eil'  zum  Kätchen, 
Meinem  lieben  Täubeben  !" 

Eben  als  sie  hin  zur 
Grossen  Menge  kamen, 
Wurde  hingerichtet 
Kätchen  Szödörväri: 


*)  S.  Ethnol.  Mitt.  I.  Spalte  849.  Anmerkung.  —  Ans  Ludwig  Kilmany's  un- 
gedruckten Sammlungen  Ubersetzt  und  mitgeteilt  von  A.  H.  —  Varianten  sehr  zahl» 
reich;  grösstenteils  verzeichnet  in  Katminy  L.  Szeged  nepe,  II.  Bd  S.  172  ;  aus- 
serdem hoi  Arany  Gyulai.  III.  419.  und  in  Abafi's  Sammlung.  Vielleicht  auf  Metern- 
psychosis  bezüglich  ist  das  Hervorgehen  der  Taube  u.  des  Hahnes  (vgl.  die  vorige 
Ballade«  aus  dem  Grabe.  Dass  dem  Grabe  der  Liehenden  Pflanzen  entwachsen,  und 
•ich  dann  in  einander  schlingen,  ist  auch  der  magyarischen  Poesie  gelaufig.  (Vgl. 
Melusine,  1890.  Les  deux  arbres  entrelaceY) 


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MAGYARISCHE  VOLKSli ALLADEN" . 


Gyöngyväri  Jänos  mög 
Kivegezte  magät 

„Veröm  a  verö'del 
Egy'  patakot  mosson, 
Testöra  a  tesiö'del 
ßgy*  sirba  nyugogygyon, 
Lelköm  a  lelkö'del 
Egy'  Istent  imagygyön!" 

Az  egygyikön  tämatt 
Fehe>  galambocska, 
A  legen  von  tämatt 
Feher  kakasocska. 

Feher  galambocska 
Csak  asz"  turbekolja: 
„Atkozot»,  ätkozott 
Az  az  6dös  anya, 
A  ki  az  ü  l'änyät 
Ha  kerik,  nem  agygya!** 

Feher  kakasocska 
Aszt  kukurekulja: 
„Ätkozott  az  apa. 
Ätkozott  az  anya, 
A  ki  az  ü  kedvessinek 
Eszt  nem  tudösityiya!" 

(Ha  tudattak  vöna  vele.  mög  lött 
vöna  a  mönynyegzö.) 


Und  Johann  Gyöngyväri 
Hat  sich  stracks  entleibet 

„Mög'  mein  Blut  und  deins  im 
Selben  Bache  rinnen, 
Unser  beider  Leib  im 
Selben  Grabe  ruhen. 
Meine  Seel'  und  deine 
Einen  Gott  anbeten!" 

Aus  dem  einem  Grab  stieg 
Eine  weisse  Taube, 
Aus  dem  Grab  des  Jünglings 
Flog  ein  weisses  Hähnchen. 

Und  das  weisse  Tiiubchen 
Girrt  ununterbrochen: 
„Sei  verflucht,  verflucht  sei 
Jede  rechte  Mutter, 
Welche  ihre  Tochter, 
Freit  man  sie,  nicht  hingibt  !tt 

Und  das  weisse  Hühnchen 
Kräht  ununterbrochen : 
„Sei  verflucht  der  Vater, 
Sei  verflucht  die  Mutter, 
Welche  dem  Geliebten 
Dies  nicht  tun  zu  wissen!" 


(Wenn  man  es  ihm  zu  wissen  getan 
hätte,  hätt'  er  Hochzeit  gemacht ) 


(Ö-Szent-Ivän  ) 


III. 


Reveszök  ndtaja. 

(Vot  egy'  kiräjne,  ügy  bittak  hogy  Marija 
Tör^zjja,  az  ellenseg  elill  szabadult,  oszt' 
at  akart  mönni  a  Dunau,  hi'tta  a  revö- 
szöket:) 

Röveszök,  röveszök, 
Jö  szivü  revöszök, 


Fergenlied.  *) 

(Es  war  eine  Königin,  die  hiess  M  aria 
Theresia,  sie  flüchtete  sich  vor  dem  Feinde, 
wollte  über  die  Donau  setzen,  und  rief  die 
Fährleute:) 

Fährleut\  oh  ihr  Fergen, 
Herzensgute  Fergen, 


*)  Aus  Ludwig  KAlm&ny's  ungedruckten  Sammlungen  übersetzt  und  mitgeteilt 
von  A.  H.  —  Ähnliches  bei  Erd&vi,  Nepdalok  es  mondäk  I.  40«— 410,  als  Kinder- 
spiel. (Auch  in  magyarischen  Kinderspielen  finden  sich  viele  Balladenfragmente.)  Bei 
Erd^lyi  1.  408.  sind  einige  Zeilen  mit  Bruchstücken  des  Jahrhunderte  alten  Liedes 
von  Lengyel  Laszlö  vermischt  (vgl.  Kölcsey  Fer.  Munkäi,  1866.  IH.  28 )  Kalmany 


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MAGYARISCHE  VOLKSBALLADEN. 


Vigyetök  ät  a  Dunan, 
A  Duoän! 

Van  en  nagy  zsäk  aranyom, 
Aszt  is  nektök  ajällom! 

„Nem  löhet  csillagom. 
Nem  löhet  galambom. 
Nem  viszlek  angyalom, 
Angyalom ! 

Mer'  nagy  zaj  men  a  Dunan, 
Kicsike  az  en  csajkäm: 
Kicsi  a  csajkam  szele. 
Nagy  a  viz  ereje!' 

(Viszszanezött,  az  ellensegöt  hogy 
lätta,  asz'  gondoha,  hogy  surö  erdd":) 

Istenöm,  Istenöm. 
Abba1  az  erdöbe' 
De  szepen  turbekolnak 
Azok  az  vad  galambok! 

(MögeV  viszszanezött,  akkor  ijett 
mög,  hogy  nem  erdö  az,  banem 
ellensegök:) 

Reveszök.  reveszök, 
Szent  nevü  re>6szök. 
Vigyetök  ät  a  Dunan. 
A  Dunan! 

Van  kök^ny  szömü  I  anyora. 
Aszt  is  nektök  ajällom; 
Van  en  nagy  zsäk  aranyom, 
Asztat  is  nöklök  adom! 
Vigyetök  ät  a  Dunan, 
A  Dunän ! 

„A  l'änyod  szeretnenk, 
Az  aran't  kedvelnenk; 
Nem  löhet  galambom. 
Galambom! 


Setzt  mich  übern  Donaustrom, 
Donaustrom ! 

Einen  Sack  hab'  ich  voll  Gold, 
Das  sei  euer  Fergensold! 

„Oh  mein  Stern,  es  kann  nicht  sein, 
Kann  nicht  sein,  du  Täubehen  fein, 
Führ'  dich  nu;ht.  du  Engel  mein, 
Engel  mein! 

Mächtig  ist  des  Eises  Gang 
Und  mein  Kahn  ist  klein  und  schwank, 
Meines  Kahnes  Bord  ist  schmal. 
Heftig  ist  der  Wasserschwall \u 

(Sie  blickt  zurück,  als  sieden  Feind  sah, 
glaubte  sie,  es  wär'  ein  dichter  Wald:) 

Gott,  du  lieber  Herrgott. 
Dort  in  jenem  Walde 
Ach  wie  lieblich  girren 
Dort  die  Turteltauben! 

(Blickt  wieder  zurück,  und  erschrickt, 
dass  es  kein  Wald  ist.  sondern  die 
Feinde:) 

FährleutV  oh  ihr  Fergen. 
Mit  der  Heiligen  Namen, 
Setzt  mich  übern  Donaustrom, 
Donaustrom  ? 

Mein  blauäugig  Töchterlein 
Soll  auch  euer  eigen  sein : 
Meinen  grossen  Sack  voll  Gold 
Geb1  ich  euch  als  Fergensold ! 
Setzt  mich  übern  Donau*trora, 
Donaustrom ! 

.Hätten  deine  Tochter 
Lieb  und  gern  dein  Gold  auch  ; 
's  kann  nicht  sein,  Täubchen  fein, 
Täubchen  fein! 


bemerkt,  dass  es  bald  e  n  König,  bald  eine  Königin  ist,  die  über  die  Donau  oder 
Th*iss  setzen  will.  In  Prosaerzählungen  fehlt  der  Selbstanbot  der  Königin  Zumeist 
wird  Maria  Theresia  genannt,  die  in  der  Temesgegend  auch  sonst  noch  häufig  er- 
wähnt wird.  Die  altern  Sänger  und  Erzähler  geben  an.  in  ihrer  Kindheit  eine  viel 
längere  Fassung  dieses  Liedes  gekannt  zu  haben.  Ähnliches  in  der  slovakischen  Volks- 
poesie (vgl.  Szeherenvi,  Tot  nepdalok,  S.  194.  u.  260  ) 

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MAGYARISCHE  VOLKSBALLADEN 


Mer'  nagy  zaj  men  a  Dunan, 
Kicsike  az  6n  csajkam: 
Kicsi  a  csajkam  szele, 
Nagy  a  viz  ereje!- 

(Mikor  mögen1  viszszanezött,  min 
az  ellenseg  fegy  vereit  is  latta :) 

R6vöszöm,  röveszöm. 
Csillagom,  kedvesöm. 
Vigyel  ä'tal  a  Dunan, 
A  Dunan! 

Van  kökeny  szörnü  l'änyom, 
Aszt  is  neköd  ajällom; 
Van  en  nagy  zsäk  aranyom, 
Asztat  is  neköd  adom ; 
Magamat  is  oda'adom, 
Magamat  is  oda'adom: 
Vigyel  ä'lal  a  Dunan, 
A  Dunan ! 

„Atviszlek,  atviszlek 
Csillagom,  mönyöcskem. 
Galambom,  kedvesöm, 
Kedvesöm. 

Mer'  nem  men  zaj  a  Dunan, 
Mer1  nem  m6n  zaj  a  Dunan, 
A  Dunan!«4 


Mächtig  ist  des  Eises  Gang. 
Und  mein  Kahn  ist  klein  und  schwank, 
Meines  Kahnes  Bord  ist  schmal, 
Heftig  ist  der  Wasserschwall!* 

(Als  sie  wieder  zurückblickte,  sah  sie 
schon  die  Waffen  dar  Feinde:) 

Fährmann,  du  mein  Ferge, 
Du  mein  Stern,  mein  Liebster, 
Setz'  mich  über'n  Donaustrora, 
Donaustrom  I 

Mein  blauäugig  Töchlerlein, 
Das  soll  auch  dein  eigen  sein, 
Meinen  grossen  Sack  voll  Gold 
Geb'  ich  dir  als  Fergensold, 
Geb'  mich  dir  auch  selber  hin, 
Geb'  mich  dir  auch  selber  hin, 
Setz'  mich  übern  Donaustrom, 
Donaustrom  ! 

.Will  dich  übersetzen' 

Du  mein  Stern,  mein  Weibchen, 

Liebchen  du,  mein  Täubrhen. 

Täubchen  mein. 

Frei  vom  Eis  der  Donaustrom, 

Frei  vom  Eis  der  Donaustrom, 

Donausirom!a 


(Szöreg.) 


Deutsohe  Volksballaden  aus  Ungarn.  *) 

i. 

Sttdongarn. 

„Du  sagst,  du  willst  mich  nehmen, 
Sobald  der  Sommer  kommt. 
Der  Sommer  ist  gekommen, 
Du  hast  mich  nicht  genommen,  — 
Die  wahre  Lieb'  ist  aus!" 


*'  (Aus  den  Sammlungen  der  Frau  Maja  Wigand,  Pancsova.) 

Vgl.  Simrock,  Nr.  22.  23.  Unland  Nr.  216.  Wunderhorn,  (Reclam)  S.  60.  u.  sonst. 

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DEUTSCHE  VOLKSBALLADEN  AUS  SÜDUNQARN 


„Was  soll  ich  dich  denn  nehmen, 
Wenn  ich  dich  ja  nicht  mag! 
Du  bist  mir  viel  zu  arm, 
Du  bist  mir  viel  zu  arm, 
Du  bist  mir  viel  zu  schlecht' " " 

„Ei,  bin  ich  dir  zu  arm, 
Ei,  bin  ich  dir  zu  schlecht,  — 
In's  Kloster  will  ich  gehen. 
Will  werden  eine  Nonn." 

„„ Willst  du  ins  Kloster  gehen, 
Willst  werden  eine  Nonn'; 
Die  Welt  will  ich  durchreisen, 
Bis  ich  an's  Kloster  komm,!ttu  - 

Und  als  ich  an  das  Kloster  komm', 
Da  klopr  ich  an  die  Tür: 
„Die  allerjüngsie  Nonn' 
Soll  treten  da  her  für  !- 

Die  Nonne  kam  getreten 
Mit  ihrem  blauen  Kleid; 
Ihr  Haar  war  abgeschnitten, 
Zur  Nonn'  war  sie  bereit. 

Der  Ritter  dreht  sich  um  und  um 
Und  weinte  bitterlich: 
rIn  einer  halben  Stunde 
Ist  mir  mein  Herz  zersprungen 
Vor  lauter  Lieb'  und  Leid!' 

„„Ist  dir  dein  Herz  zersprungen 
Vor  lauter  Lieb'  und  Leid: 
Ein'  Mess'  lass'  ich  dir  lesen, 
Weil  du  mein  Schatz  gewesen, 
Für  deine  Seligkeit 


II. 

Westungarn. 

Es  gierig  ein  Knab  spazieren  aus, 

Wol  in  dem  grünen  Wald 

Da  begegnet  ihm  ein  adeliges  Mädchen, 

Von  achtzehn  Jahre  alt, 

Sehr  schön  war  ihr'  Gestalt 


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DEUTSCHE  VOLKSBALLADEN  AUS  UNGARN. 


Er  nahm's  wohl  hei  der  Mitte, 
Wo  sie  am  schwächsten  war, 
Er  legt's  vor  seiner  nieder 
Auf's  Laub  und  grüne  Gras. 
Mein  Schatz,  was  nützt  dir  das? 

Zu  Augsburg  in  dem  Wirtshaus, 

Wo  er's  gut  ass  und  trank. 

Da  kam  das  adelige  Mädchen, 

Und  reicht  ihm  ihre  Hand, 

Liess  ihn  sohliessen  in  Eisen  und  in  Band 

Zu  Augsburg  in  dem  Turme, 

Wo  er  gefangen  lag, 

Da  kommt  seine  Frau  Mutter 

Und  wünscht  ihm  ein  schön  gut'n  Tag: 

Mein  Sohn  was  machst  du  da? 

Was  ich  allhier  tu'  machen, 
Das  will  ich  Euch  sagen  bald. 
Hab'  geliebt  ein  adeliges  Mädchen, 
Hab's  geliebt  allso  sehr, 
Hab 's  gebracht  um  ihre  Ehr! 

Ei !  bist  Du  so  ein  reicher  Kaufmanssohn, 
Musst  sterben  ein  solchen  Tod, 
Ach  weh',  was  Schand  und  Spott ! 

Ist  der  Briet  schon  kommen  an, 

Dass  ich  nun  slerben  muss? 

So  schickt  mir's  nur  kein  Wagen, 

Ich  gehe  viel  lieber  zu  Fuss, 

Weil  ich  weiss,  dass  ich  sterben  muss. 

Ihr  Lieben,  meine  Herrn  zu  Augsburg! 

Um  eins  bitt  ich  Euch  noch : 

Schenkt  mir's  den  kühlen  Friedhof, 

Dazu  ein  seidenes  Kiss'n, 

Worauf  gut  zu  rasten  ist. 

Ach  Sohne,  liebster  Sohne  mein! 

Das  kann  ja  gar  nicht  sein. 

Dein  Haupt  kommt  auf  den  Galgen, 

Dein  Leib  kommt  auf  das  Rad, 

So  wie  er's  verschuldet  hat. 

(Aufgezeichnet  in  Vas-Surany,  Eisenburger  Comitat,  vom  Piof.  E.  Pratscher, 
der  auf  Anregung  »eines  Lehrer«,  des  Herausgebers  dieser  Zeitschrift,  eine  wertvolle 
Sammlung  von  Volkstraditionen  seiner  Heimat  angelegt  hat.  Der  fleissige  und  talen- 
tierte Sammler  ist  diesen  Frühling  leider  verstorben ) 

Vgl.  Simrock,  Nr.  62.  (u.  53.  III.)  Wunderhorn  II.  189.  Hoffmanu  Schi.  63. 
Erk.  III.  1.  »50.  Kretrschmer  II.  117.  u.  s.  w. 


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DEUTSCHE  BESPRECHUNGSFORMELN  AUS  SÜDUNGARN. 


Deutsche  Besprechungsformeln  aus  Südungarn. 

/.  Fürs  Verrencken  eines  menschlichen  Gliedes. 

Hast  du  deine  Hand  verrengt. 
Wie  die  Juden  unsern  Herrgott  ham  ghengt. 
Hat  ihm  das  Hengen  nicht  geschaden, 
So  soll  dir  das  Verengen  nicht  schaden, 
Hilft  Gott,  der  Vater,  Gott  der  Sohn 
Und  Gott  der  heilige  Geist. 

2  Für  das  Verrencken  eines  Fuszes. 

Hast  du  den  Fuss  verrengt  dein. 
Oder  versprengt  die  Flaxen  dein, 
Nerven  und  Bein,  Fleisch  und  Blut. 
Wie  Jesus  Christus  am  Kreuz  hängen  tut, 
Hilft  Gott  Vater,  Sohn  und  heiliger  Geist. 

S.  Für  Gebärmutterschmerzen 

Gebärmutter,  und  Kolika. 

Ich  hab  dich,  und  dreh  dich, 

(üb  keine  Ruh.  bis  die  liebe  Mutter  Gottes, 

Ein  Kind  gebären  tut, 

Das  Jesus  heissen  tut. 

Hilft  dir  Gott  Vater  usw  usw. 

4.  Für  die  Schuss- Blattern  am  Auge. 

Schuss-Blatter  ich  druck  dich. 

Die  liebe  Mutter  Gottes  duckt  sich. 

Mit  ihrem  heiligsten  Daumen  wird 

Sich  der  Fleck  aus  dem  Aug  wegräumen. 

Hilft  dir  Gott  Vater  usw. 

5   Für  Pferde,  die  die  Mauskrankheit  haben. 

Fanny.  —  du  sollst  dein  Bändl  nicht  länger  tragen, 

Als  wieder  Esel  die  Jungfrau  Maria  von  Bethlehem  hat  g' tragen. 

Hilfi  dir  G^tt  Vater  usw.  usw 

6.  Em  Diebs-Segen.  *) 

Ein  wirksames  Gebet,  einen  Nachtdieb,  Nacklräuber,  -  es  sei  in  was  für  ei  ner  Ab- 
sicht immer,  —  so  fest  zu  halten,  dass  er  von  der  Stelle  sich  nicht  bewegen  und 
auch  nicht  fortgehen  kann  Es  lautet  wörtlich  und  getreu  der  Schreibweise : 

*)  Dieser  Diebs  Segen  wird  im  Votksmunde  allgemein:  .Banmtttl"  genannt, 
soll  eine  wunderbare  Kraft  besitzen  und  wird  in  rieten  Familien  als  eine  Reliquie 
bewahrt  u.  mancher  Teufelsbeschwörer  oder  alte  Brauchbar  Frauen,  die  im  Besitze 
von  Geheimmitteln  sind)  trägt  diesen  Zettl  als  unfehlbares  Schutzmittel  am  blossen 
Bu*en  oder  in  einem  kleinen  Säkclchen  auf  blossem  Leib  gehängt. 

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DEUTSCHE   RE8PRECHUN0SF0RMKLN  AUS  SCüUNQAKN. 


Im  Namen  der  allerheiligst en  Dreifaltigkeit,  Gott  den  Vater  f 
Schöpfer  aller  Dinge;  -  Gott  der  Sohn,  f  Erlöser  der  Well;  Gott 
heiliger  Geist  f:  du  heiliger,  du  aller  menschlichen  Kreaturen  sey  und 
bleihe  du  allerzeit  bey  uns,  sorge,  und  behüte  mir  all  dasjenige,  was 
ich  von  deiner  Valerhand  empfangen  habe,  dass  es  mir  kein  Dieb, 
Mörder,  Räuber,  oder  sonst  Niemand  nicht  entwenden  kann.  Bind,  hei- 
liger Petrus,  bind  durch  das  Band  der  Gottes  Hand,  bind  durch  das 
Band  der  Christen  Hand,  bind  alle  Dieb,  Mörder  u.  Käuber,  sie  mögen 
seyn  grosz  oder  klein,  jung  oder  alt,  auf  meinem  Guih,  es  sei  gleich 
in  meinem  Haus,  Küchen,  Keller  u  Stall,  auch  in  meinem  Garten, 
und  Land,  so  sollen  sie  von  Gott  dem  Vater  gestellet  seyn, von  Gott 
dem  Sohn  gebunden  und  von  Gott  dem  heil.  Geist  gehalten  seyn, 
und  24  Stunden  weder  vorwärts  noch  rückwärts  in  Schuhen,  noch  in 
Strümpfen  noch  barfüssig  können,  es  sey  dann;  er  zähle  mir  zuvor 
alle  Sterne  am  Himmel,  alle  Sandkörner  im  Meer,  und  alles  Laub,  und 
Gras  auf  der  Erden  wächst,  oder  bis  ich  ihn  mit  meinen  Augen  sehe, 
oder  mit  meiner  Zunge  los  gebe,  dazu  helfe  mir  die  allerheiligste 
Dreifaltigkeit,  die  Jungfrau  Maria,  und  alle  allen  Heiligen  im  Himmel, 
Amen 

(Nun  bete  3  Vater  unser  u.  den  Glauben.) 
(Niederschrift  des  Originales  am  8.  Febr.  1863.) 
Brestovatz,  Torontaler  Komitat. 

Anton  Schwanfei  der. 


Magyarische  Volkslieder. 

i. 

Mein  Liebster  zog  ins  lerne  Land, 
Mir  Ärmsten  Hess  er  sagen, 
Dass  ich  ihm  folgen  soll,  doch  kann 
Den  Weg  ich  nicht  erfragen. 

Ach,  wenn  ich's  könnte,  gerne  möchf 
Mit  einem  gold  nen  Pfluge 
Ich  pflügen  jenen  weiten  Weg. 
Den  er  durcheilt  im  Fluge. 

Und  kleine  Perlen  möchf*  ich  sä  n : 
Im  nimmermüden  Sehnen 
Wollt'  ich  durcheggen  jenen  WTeg 
Mit  meinen  heissen  Tränen! 

Karl  Weiss-Schratttnthal. 


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MAGYARISCHE  VOLKSLIEDER. 


Ich  hätr  fürwahr  als  Rose 
Ein  gar  zu  traurig  Los; 
Von  allen  unbeachtet 
Verwelkt"  ich  liebelos 


Will  keine  Rose  heissen. 
Will  auch  kein  Veilchen  sein, 
Müsst*  kaum  erblüht  verdorren 
Im  heissen  Sonuenschein. 

Hätt'  ich  die  Wahl,  so  lauscht'  ich 
Nur  mit  der  Taube  gern, 
Mit  Sehnsuchts-Eile  flog'  ich 
Zum  Liebsten,  der  so  fern! 

Doch  lieber  als  Veilchen  und  Rose, 
Viel  lieber  als  Täubchen  fein  — 
Klingt's  mir  im  treuen  Herzen, 
Du  nennst  mich :  ewig  dein. 

(Original  bei:  Erdtlyi.  Nepd.  es  M.  I  43.) 

L.  Kaiona. 


3. 

„Schwarzes  Band  an  meinem  Hut  — 
Flattert  hin  und  her  im  Wind; 
Dtnk  dir!  dass  du  mich  bislang 
Hast  geliebt,  du  schönes  Kind. 

Tausend  Dank  dir!  dass  du  oft 
Mir  das  Leben  hast  versüsst, 
Dass  du  mich,  du  Röslein  rot. 
Hast  so  oll  und  oft  geküsst! 

Siehst  du  jene  Pappel  dort, 
Dürr  und  kahl,  entblättert  stehn? 
Wenn  sie  wieder  Knospen  treibt, 
Werden  wir  uns  wiedersehn u  . . . 

Gott!  es  grünt  die  Pappel  schon, 
Hat  schon  längst  manch'  grünen  Trieb, 
Doch  es  kehrt  noch  immer  nicht 
Heim  mein  Schatz,  mein  süsses  Lieb! 

(Original  bei:  Erdfiyi,  Nepd  I.  81.) 

H.  v.  Wlizlocki. 


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MAGYARISCHE  VOLKSLIEDER. 


4. 

Das  verwaiste  Turteltaubchen. 

Traurig  girrend  Turteltäubchen. 
Ach  verlor  sein  liebes  Weibchen. 
Flog  es  da  vom  Neste  fort 
Fern  an  grünen  Waldesort. 
Doch  nicht  flog's  auf  grünen  Ast, 
Hielt  auf  dürrem  Zweig  nur  Rast; 
Hämmert  an  des  Zweigleins  Rinde, 
Stöhnt,  und  stöhnt's  in  alle  Winde : 
„Weibchen,  Weibchen,  liebes  Weibchen, 
Werd'  nie  haben  solch  ein  Weibchen. 
Wie  du  warst,  mein  liebes  Weibchen !" 

Flog  das  Taubchen  wieder  fort 
Fern  an  grünen  Saatenort. 
Doch  nicht  in  die  Saatenflur, 
Auf  ein  dürres  Hecklein  nur; 
Hämmert  an  des  Heckleins  Rinde. 
Stöhnt,  und  stöhnt's  in  alle  Winde: 
„Weibchen.  Weibchen,  liebes  Weibchen, 
Werd'  nie  haben  solch  ein  Weibchen, 
Wie  du  warst,  mein  liebes  Weibchen!" 

Flog  das  Täubchen  wieder  fori 
Fern  an  stillen,  wüsten  Ort. 
Hin  zu  eines  Baches  Quelle: 
hoch  nicht  trinkt's  die  Flut,  die  helle 
Trübt  sie,  dass  ihr  Glanz  erst  schwinde, 
Stöhnt,  und  stöhnt's  in  alle  Winde: 
-Weibchen,  Weibchen,  liebes  Weibchen. 
Werd'  nie  haben  solch  ein  Weibchen. 
Wie  du  warst,  mein  liebes  Weibchen! 

Adolf  Handmann. 


r>. 

Kisgörgenyi  Miklös  Tochter. 

„Meines  Herzens  Herre,  süsser,  frommer  Herre! 
Lasst  mich  heut  von  hinnen. 
Hin  zur  teuren  Tochter,  unserer  kleinern  Tochter, 
Kam  mir  zu  die  künde,  dass  sie  krank,  die  arme.* 

Legt  sie  an  den  Leib  da  lose  Rettellappen; 
Kam  so  auch  zum  Tore  ihrer  teuern  Tochter : 
Lehnte  dort  ihr  Leibknecht  lässig  vor  dem  Tore. 


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MAGYARISCHE  VOLKSLIEDER. 


Wandt'  das  Bettelweib  an  ihn  »ich  mit  den  Worten: 
„Sage  deiner  Frauen :  soll  es  sie  nicht  reuen, 
Send  sie  ein  Glas  Wasser,  send'  ein  Bröcklein  Brot  mir." 
Brauste  auf  die  Herrin,  rief  mit  rauher  Rede: 
„„Sag"  dem  Wanderweib  dort: 

Brauch  mein  Brunnenwasser  selbst  zur  eignen  Haushalt, 
Zehrt  mein  eigner  Haushund  selbst  den  Brocken  Brotes." 

Stürmt*  da  von  der  Strasse  stracks  ins  Haus  die  Arme : 
„Hohe  Herren Irauc! 

Wann  du  warst  ein  Mädchen,  wessen  Tochter  warst  du  ?a 
„Was  denn  mag  dich  also  kümmern  meine  Maidschaft  V 

 Hei,  weil  ich  gewesen 

Weiland  Kisgörgenyi  Miklös  kleinste  Tochter?" u 
„Wahrlich!  ....  aber  ich  bin  seine  eigne  Ehlrau.  . 

Wandte  sich  da  ab  die  arme,  alte  Fraue, 

Wollte  heimwärts  wandern. 

„„Geht  nichl,  liebe,  liebsie  Mutter, 

Lasst  mich  hier  nicht  ohne  Liebe  !uU 

„Kind,  ich  kehre  heimwärts.  —  kanntest  nicht  die  Mutter!* 

„„Meine  Mutter,  liebste  Mutter,  will  euch  kochen 

Milde  Kümmelsuppe, 

Will  hinein  euch  schneiden  schmale  Semmelschnitten, 

Lass'  mich  fert'gen,  liebe  Mutter. 

Schönes  Leibhemd,  licht  aus  Linnen. 

Nur  wollt  nicht  verleugnen,  mich  nur  nicht  verleugnen ! 

Geb"  euch,  Mutter,  gerne  meine  lichte  (iastburg, 

Auch  die  schöne  Kutsche  mit  sechs  schmucken  Schecken, 

Und  auch  meine  Mühle,  mahlend  mit  zwei  Steinen  .  .Utt 

„Feuers  Flamme  fasse  deine  lichte  Gastburg, 
Hast  so  leicht  verleugnet  du  die  liebe  Mutter: 
Höstes  Zahn  verzehre  deine  Zierkarosse. 
Rüden  sollen  deine  Rosse  all  zerreissen. 
So  du  erst  verleugnet  deine  eignen  Kitern; 
Dammflut  spüle  dir  weg  deine  Doppelmühle, 
So  du  hast  verleugnet  deine  holde  Heimat!" 

Adolf  Handmann. 

Mensch  und  Bär. 

Eine  bosnische  Tiersage. 

Aufgezeichnet  inder  Treskavica  planina  im  Winter  des  J.  1886.  nach  der  Mittei- 
lung eines  alteu  slavischen  MahoramedHners. 

Tako  su  se  sastali  u  staro  vrime  rovjek  i  medved  u  äumi.  Onda- 
kare  su  znali  ljudi  njemucki  a  fcivotinja  razumjevala  ljucki  razgovor. 


MENSCH  UND  HÄR. 


Pä  se,  da  ti  kazem,  pobralise  raedved  i  covjek  te  su  vec  bili  vazda  za- 
jedno.  Medved  bi  ugrabio  a  covjek  cevap  nattnivte  podjelio  Eh,  baS 
im  dobro  bilo!  Svega  su  iraali  .1  nista  ne  ieljeli. 

Onda  bilo  nekako,  udrila  kisa  krupna  inepogodna  a  oni  ti  se, 
dzanane  moj,  uvukose  bogme  u  näkvu  rupetinu  u  peiUni  stini.  Tu  se 
zakloni&e  pa  legose  da  umor  povrate.  Lezi  striku  u/.  insana  ko  majka 
uz  naranle  cedo  svoje.  Istom  ce  Covjek:  .Ajde  se  ti  striko  okreni  na 
drugu  stranu!'  ,A  ja  rasta?4  kazace  medved.  ,Ajde  okreni  se,  borati, 
smrdis  iz  ustiju!'  Okrene  se  medved  pa  nikom  ni  mukajet. 

Kad  u  jutru  grassu  sunce  a  medved  re  probudit  pobratima  t-ovjeka : 
,Ustaj  zurno  pa  uzmi  onu  sikiru  pa  mi  razlupaj  glavu !'  —  ,Bog  ti  po- 
mogo,  da  te  nijesu  sejtani  spopanuli,  man  se  toga,  gje  tfu  ja  tebi  glavu 
razlupat?'  —  ,Ama  rekoh,  pa  ako  te  nije  volja  a  ja  cu  te  zagnjavit.4 

Kut  ce  jadan  insan  vec"  uze  Sjekiru  te  udri  medonju  poglavurini. 
I  komadmu  lubanje  osiko.  Sat  6e  medved:  ,Ajde  ti  mirno  pobratime 
svojim  putom  a  ja  du  svojim.  Danas  na  godinu.  da  si  doSo  ope  vamo, 
da  se  ope  sastanemo.1 

I  ta  godina  dosla  pa  prosla  pä  ti  se  pobra  ope  sastala.  Kazaöe 
medved:  .Glegji  de  pobro  je  1  mi  veczarazlona  glavi?'  —  ,Jest  bogami, 
istom  se  vidi  ama  ti  nije  vec  nisia.'  —  ,Eto  vidis  fovjet^e.  ta  mi  je 
rana  zarasla  a  ona  ne  moze  nikako  sto  si  me  rijerju  posiko.  Idizurno 
otolem  jer  ce§  krv  platiti.' 

Odanda  veö  se  ne  paze  nikako  covjek  i  medved. 

In  alter  Zeit  begegneten  einmal  einander  im  Walde  der  Mensch 
und  der  Bär.  Damals  verstanden  die  Menschen  die  stumme  (Tier)- 
Sprache,  die  Tiere  aber  die  menschliche  Rede  Nun,  was  soll  ich  dir 
sagen.  Bär  und  Mensch  schlössen  Wahlbruderschaft  und  blieben  von 
da  ab  immer  beisammen.  Der  Bär  pflegte  eine  Beute  zu  erjagen,  der 
Mensch  den  Braten  zuzubereiten  und  zu  verteilen.  Ei,  ihnen  gieng 
es  warhaftig  ganz  gut!  Sie  hatten  alles  im  Überflins  und  nichts  mehr 
zu  wünschen. 

Da  traf  es  sich  zufällig,  dass  ein  dicker  Gewitterregen  fiel  und 
sie,  meine  liebe  Seele,  krochen,  bei  Gott,  in  so  eine  unheimliche  Höhle 
in  einer  Felsenwand  hinein.  Hier  bargen  sie  sich  und  legten  sich 
nieder,  um  die  Ermüdung  zu  bannen.  Es  liegt  der  Veiter  neben  dem 
Menschen  wie  eine  Mutler  neben  ihrem  Säugling.  Plötzlich  rult  der 
Mensch  aus:  ,(ieh  Vetter,  kehr  dich  auf  die  andere  Seite  um!'  —  ,.Ia 
warum  denn?;  trägt  der  Bär.  ,Geh,  kehr  dich  um,  so  dir  Gott  helfe, 
du  stinkst  aus  dem  Munde!4  Der  Bär  kehrle  sich  um.  und  muckste 
sich  nicht  mehr. 

Als  am  Morgen  die  Sonne  aufgieng,  weckte  der  Bär  seinen  Wahl- 
bruder, den  Menschen  auf:  ,Steh  schleunig  auf  und  nimm  jene  Axt 
und  zerschlage  mir  den  Schädel!'  —  ,Gott  soll  dir  beistehen,  haben 
dich  etwa  die  bösen  Geister  erfasst !  lass  das  sein,  wie  sollte  ich  dir 
den  Schädel  zerschlagen!'  —  ,Ioh  hab'  es  gesagt,  und  tust  du  es  nicht, 
so  erwürge  ich  dich.1 

Was  soll  der  ärmste  Mensch  anfangen  ?  Gezwungen  nimmt  er  den 

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HISTORISCHE  SAGEN  AUS  DEM  BARSCHEtt  COMITAT. 


Axt  und  schlägt  mitder  Axt  den  Brummbär  auf  seinen  Dickschädel.  Hat  ihm 
auch  ein  Stück  vom  Schädel  abgeschlagen.  Jetzt  sagt  de  -  Bär:  ,Greh  du  ru- 
hig, Wahlbruder,  deines  Weges,  ich  gehe  meinen  Weg.  Heule  über  ein 
Jahr  sollst  du  wieder  herkommen,  damit  wir  uns  wieder  treffen.' 

Auch  dieses  Jahr  kam  und  vergieng.  und  die  Wahlbrüder  trafen  einan- 
der. Sprach  der  Bär:,  Schau  mal  Wahlbruder,  ob  das  auf  dem  Kopfe  schon 
zugewachsen  ist?'  ,Ja,  bei  Gott,  kaum  merkt  man  noch  etwas,  es  fehlt  dir 
schon  nichts  mehr  '  —  ,Da  siehst  du  Mensch,  diese  Wunde  ist  mir  vernarbt, 
doch  jene,  so  du  mir  mit  deinem  Worte  geschlagen,  noch  immer  nicht. 
Pack  dich  schleunigst  von  hinnen,  sonst  zalst  du  Blutgeld1. 

Seit  jener  Zeit  vertragen  sich  auf  keine  Weise  Mensch  und  Bär. 

Wien.  Friedrich  S.  Kraus». 


Historische  Sagen  aus  dem  Barscher  Comitat. 

i. 

Sage  von  der  Kirche  zu  St.  Benedek. 

Von  der  Kirche  zu  St.  Benedek,  einem  kleinen  Städtchen  im 
Barscher  Combat  erzält  die  Sage  folgendes :  Des  Fürsten  Gejsas  Sohn, 
Vojk,  der  spätere  König  Stefan  der  Heilige,  verirrte  sich  in  seinem 
Kindesalter  aus  Gran.  Gejsa  setzte  600  Dukaten  als  Belohnung  für 
den  aus,  der  ihm  Kunde  von  seinem  Sohne  bringe.  Da  meldeten  sich 
einige  Slovaken,  und  erzählten  dem  betrübten  Vater,  dass  sie  auf  dem 
Garam-Fluss  mit  Flössen  nach  Gran  fahrend,  als  sie  sich  am  Ufer 
eben  das  Essen  bereiteten,  mit  einem  Knaben  zu-ammengetrofTen  seien, 
der  seiner  Aussage  nach  sich  von  Gran  verirrt  habe,  und  sich  gegen- 
wärtig im  kleinen  Kloster  zu  St.  Benedek  aufhalte.  Sie  hätten  ihn  be- 
reitwillig nach  Gran  zurückgebracht,  aber  der  Knabe  wollte  das  Klos- 
ter nicht  verlassen,  wo  es  ihm  —  wie  er  sagte  —  sehr  gut  gienge.  Fürst 
(iejsa  machte  sich  sogleich  nach  dem  Kloster  St.  Benedek  auf,  und  als 
er  daselbst  seinen  Sohn  wolbehalten  antraf,  fragte  er  ihn  in  der  er- 
sten Freude  des  Wiedersehens:  „Was  wünschest  du  dir,  mein  Sohn!" 
Da  soll  der  Knabe  seinen  Vater  gebeten  haben,  er  möge  dem  Kloster 
eine  schöne,  grosse  Kirche  bauen  lassen.  Fürst  (iejsa  Hess  nun  auch 
die  schöne  monumentale  Kirche  in  golhischem  Stil  erbauen,  die  auch 
noch  heuligen  Tages  die  Hauptzierde  des  Städtchens  St.  Benedek  bildet. 


II. 

Die  Kaizeniahre. 

Die  Türken  wollten  einst  das  Städtchen  St.  Benedek  einnehmen, 
konnten  aber  nicht  über  den  durch  andauernde  Regengüsse  angeschwol- 
lenen Garam-Fluss  setzen.  Am  rechtem  Ufer  des  Flusses  lagerten 
die  Ungarn,  während  am  linken  Ufer  sich  das  türkische  Heer  befand. 
Tage  vergiengen,  ohne  dass  es  zum  Kampfe  kam.  Voll  Ungeduld  sann 

10S 


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SPLITTER  UND  SPÄNE. 


der  Führer  der  Ungarn,  namens  Kohäry,  auf  ein  Mittel,  um  au  das 
jenseitige  Ufer  zu  gelangen.  Da  lief  aus  dem  ungarischen  Lager  eine 
Katze  hervor  und  eilte  an  den  Garam-Fluss,  wo  sie  über  eine  bis 
dahin  unbekannte  seichte  Stelle  das  jenseitige  Ufer  erreichte.  Die  Un- 
garn merkten  sich  diese  Fähre  und  setzten  in  der  nächsten  Nacht 
über  den  Gar -m,  überraschten  die  Türken  und  schlugen  sie  in  die 
Flucht.  Seit  dieser  Zeit  ist  diese  Fähre  über  den  Garam  in  ganz  Nord- 
ungarn unter  dem  Namen  „Katzenfähre*  (ungar.  macskarh)  bekannt. 

Franz  Prohdszka. 


Splitter  und  Späne 

Zur  lttdetmirt :  *Eteetera  Bumtechuh.» 

Unser  Altmeister  der  Volkskunde,  FelU  Liebrecht,  stellt  in  seinem  Werke: 
,Zur  Volkskunde'  (Heilbronn  1879  p.  495.)  das  Vorkommen  der  Redensart  ,h'tcetera 
Bundschuh'  in  der  Litteratnr  fest,  ohne  aber  die  Entstehung  des  .Bundschuh'  in  die- 
ser Verbindung  erklären  zu  können.  .Bundschuh1  ist  hier  nur  ein  absichtlich  enstell- 
t*s  lateinisches  Wort,  um  einen  scherzhaften  Effect  hervorzubringen.  In  den  latei- 
nischen Klosterschulen  pflegten  die  Lehrer  am  Schluss  eines  Dictates  gewöhnlich 
ein  ,et  cetera,  et  cetera.  Punctum*  anzubringen.  Ein  zum  Spass  aufgelegter  Mönch 
brachte  wol  den  ,Bundschuoch'  auf.  Seltener  ist  die  Variante:  et  Zeter  mordjoh! 
Einer  meiner  ehemaligen  Gymnasiallehrer  zu  Slavonien  plegte,  wenn  er  gut  aufge- 
legt war,  für  ,»'  tako  daije'  (u.  s.  w.)  ,i  tako  u  Dalj'i  u  Keökemet'  (und  so  nach 
Dalja  und  nach  Kecskem6t  zu  sagen.  Eine  weitere  Verbreitung  scheint  die  Wen- 
dung nicht  gefunden  zu  haben. 

Wien.  Dr  F.  S.  Krau** 


Der  ilitntl  ah  Portemonnaie. 

In  den  bei  Brockhaus  1688  erschienenen  Sprichwörtlichen  Redensarten  von 
dem  im  Mai  oder  Juni  1889  verstorbenen  Wilhelm  Borcbardt  lese  ich  als  Anmer- 
kung zu  der  Redensart:  «In  jemandes  Hand  stehen»  eine  Abhandlung  über  «Mor- 
genstunde hat  Gold  im  Munde»:  zuerst  eine  Anmerkung  zu  Laura  Conzenbach's  Si- 
cilianischen  Märchen  (1870)  II  2*26.  Dass  man  aber  früher  auch  wirklich  Geld  in 
den  Mund  nahm  etc.  —  Vg).  noch  M.  Müller  Vorlesungen  II.  356.  Zu  den  dort  an- 
geführten Stellen  (jüngere  Edda  Grjlfaginning  56.  Mon  Germ.  bist.  11.84.  Haupt's 
Zeitschrift  VI.  290.  u.  Rückert  Hariri's  Makamen  I.  22,  23.  kann  ich  aus  eigener 
Erfahrung  hinzufügen,  dass  die  Sitte,  den  unter  der  Zunge  gelegenen  Teil  des 
Mundes  als  Portemonnaie  zu  benützen,  noch  heute  bei  den  rumänischen  Kindern  in 
dem  Galgweiher- Viertel  der  Kronstädter  Vorstadt  Blumenau  besteht,  ohne  dass  diese 
vom  Obolus  an  den  Schiffer  Charon  oder  von  der  chinesischen  Abfertigung  der  to- 
ten Hand  etwas  wissen.  Ich  habe  vor  2  o  3  Jahren  durch  die  Galgweiher  Kinder 
die  Herbstzeitlosen  auf  meiner  Wiese  abpflücken  lassen;  wenn  ich  nun  für  einen 
Korb  einige  Kreuzer  zahlen  wollte,  aber  nur  Sechserl  hatte,  so  gaben  die  walachi- 
schen  Buben  mir  das  Kupfer  aus  obig  geschildertem  Portemonnaie  zurück.  Ich  hatte 
nicht  gewnsst,  wohin  sie  da»  Geld  taten,  da  ich  keine  Taschen  an  ihren  Röcken  u. 
Hosen  hemerkte  Auf  diese  Art  erfuhr  ich  es.  wo  sie  das  Kupfer-  u  Silbergeld 
hielten. 

Bransö,  '  ,  1890.  Jo»ef  Trauten.  •) 

*)  Ich  kann  den  Wunsch  nicht  unterdrücken,  dass  sich  mei-i  geehrter  Lands- 
mann eingehender  mit  der  Volkskunde  unserer  Heimat  beschäftigen  möchte!  Er  hätte 
Sinn  und  Geschick.  Gelegenheit  und  Kenntnisse,  materielle  und  litterarische  Mittel 
dazu  und  könnte  auf  diesem  Gebiete  etwas  Erkleckliches  und  Dankenswertes  lei- 
sten A.  H. 


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Inhalt  der  „Ethnographia."  (Sieh  Anzeiger,  I.  1.  Heft,  S.  24).  II.  Jahr- 
gang. 2.  Heft.  Februar  1891.  (3  Bogen).  Dr.  At.  Marienescu,  Dio  Opfor  in  der 
rumänischen  Volksmythologie  (Schluss).  —  Dr.  L.  Katona,  Parallelen  zu  ma- 
gyar.  Märchen  II.  —  J.  Märton,  Ethnogr.  Skizze  von  Sorki-T6tfalu.  —  L.  KaM- 
manjv  Magy.  Besprochungsformeln.  —  L.  Kalmany,  Volkssagen  aus  Südun- 
garn. —  Amtliches:  Dotation  dos  Ministers.  Erste  Sitzung  der  Ungvärer  Fili- 
ale. Sitzungsprotokolle.  —  Volkspoetische  Ueberlieferungen :  P.  Kiräly,  Die 
Richterin.  —  J.  Körody,  Weihnachtsvers.  —  E.  Veros,  Siebenbürgische 
Märchen-Variante.  —  .1.  Nagy,  Volksbräuche  der  Slovaken  im  Arvaer  Co- 
mitat.  —  Ungarische  Ethnographen:  Dr.  A.  M.  Marienescu;  Dr.  G.  Versßnyi. 

—  Inländische  Litteratur.  —  Ausländische  Litteratur.  —  Inländischo  Zeit- 
schriften. —  Ausländische  Zeitschriften.  —  Verschiedene  Mitteilungen.  —  Vereins- 
nachrichten. 

3.  und  4.  Heft  März-April  1891.  (5  Bogen).  Alex.  Pintcr,  Geburt-Heirat- 
Tod  des  Palovzcn.  —  J.  Istvänffy,  Palovzer  Rätsel.  —  J.  Marton,  Ethnogr 
Skizzo  von  Sorki-Tötfalu  (Schluss).  —  B.  Vikar,  Ueber  meine  Somogyer  Stu- 
dienreise. —  Lad.  Esztegär,  Woinachtsspiel  aus  Szamosüjvär.  —  Dr.  L.  Gop- 
csa,  Klagelied  der  Siebenbürger  Armenier.  —  O.  Mailand,  Rumänische  Rätsel. 

—  J.  Nagy,  Volkszauber  der  Arvaer  Slovaken.  —  Dr.  Ig.  Kunos,  Helva-Fest 
in  Ada-Kaleh,  I.  —  Gabr.  Bälint,  Proben  mongolischer  Volksdichtung.  —  A.  Herr- 
mann, Sintflutsagon  der  finnisch-ugrischen  Völker.  —  Ungarische  Ethnogra- 
phen: Josef  Huszka.  —  Ämtliches:  Constitution  ethnogr.  Provinz  vereine.  Zuschrift 
des  Bistercze-Naszddor  Comitatsausschusses  an  die  Kirchen-  und  Schulbehörden : 
Sitzungsprotokoll.  —  Ethnol.  Litteratur.  Inländische  Zeitschriften.  Ausländische 
Zeitschriften.  Vermischte  Mitteilungen.  Vereinsnachrichten.  Bad  Jegenye  (Som- 
merfrische ung.  Ethnographen.) 

5.  Heft.  Mai  1891.  (4  Bogen).  P.  Hunfalvy,  Praosidial-Eröffnungsredo.  — 
L.  R6thy,  Gestaltung  der  magyar.  Nation.  —  A.  Herrmann,  Secretarialbericht. 

—  Cassa-Ausweiss.  —  St.  Ivänyi,  Die  Bunyevaczen  zu  Szabadka  und  ihro  Ge- 
bräuche. —  Mart  Balazs,  Ethnogr.  Beiträge  aus  der  Szilagysag.  —  S.  Dorner, 
Hochzeitsgebräuche  aus  dem  Komorner  Comitat  —  Dr  Ig.  Kunos,  Helva-Fest 
in  Ada-Kaleh  II.  —  Ethnographie  des  magyarischen  Kindes.  —  Jul.  Istvänffy, 
Rätsel  dor  Palovzen.  —  Alex.  Pinter,  Alte  Palovzer  Tanzweisen.  —  B.  Vikär, 
Volkspoetische  Ueberlieferungen.  —  Ämtliches:  Sitzungsprotokoll.  —  Inländi- 
sche Litteratur  —  Inländische  Zeitschriften.  —  Verschiedene  Mitteilungen.  — 
Voreinsnachrichten. 

6.  Heft.  Juni  1801.  (3  Bogen).  Dr.  Lad.  Rethy,  Franzosen  und  Elsass- 
Lothringer  im  Magyarentum.  —  B.  Läzär,  Einfluss  der  „Gcsta  Romanorum" 
auf  die  magyar.  Volksdichtung.  —  P.  Kiräly,  Spruch  der  „Regesek4  --  Dr.  lg. 
Künos,  Meldung  über  meine  3  Reise  nach  Ada-Kaleh.  —  Alex  Borblly,  Tanz 
dor  Aranyosszöker.  —  Dr.  Ar.  Kiss,  Alte  Hochzeitsgebräuche  aus  Tokaj-Hegy- 
alja.  —  Ar.  Kiss,  Volksglauben  aus  Toroyos-Palcza.  —  B.  Szivös,  Volksglau- 
ben aus  Hajduszoboszlö.  —  Alex.  Farkas,  Volkspootische  Ueberlioferungen.  — 
Amtliches:  Sitzungsprotokoll  über  die  am  2.  Mai  189J  abgehaltene  II.  ord. 
Generalversammlung.  Meldung  der  Controlcommission.  Sitzungsprotokoll.  — 
Inländischo  Zeitschriften.  —  Ausländische  Zeitschriften.  —  Inländische  Littera- 
tur. —  Ausländische  Litteratur.  —  Verschiedene  Mitteilungen.  —  Vereinsnach- 
richten. 


Inhalt  der  Ethnologischen  Mitteilungen  ans  Ungarn,  zugleich  Anzeiger  der  Ge- 
sellschaft für  die  Völkerkunde  Ungarns.  II.  Jahrgang  I.—  V.  Heft. 


Mitteilung  der  Rqdaction     1. 

Charles  G.  Leland,  Begrüssungsschreiben  an  die  Gesellschaft     ....  2. 

Ludwig  Käimany,  Kosmogonische  Spuren  in  .der  magyarischen  Volksüber- 

lieferung   3. 

Dr.  Lad.  Retby,  Die  Armenier  in  Ungarn   11. 

Dr.  A.  Marienescu,  Baba  Dokia,  eine  volksmythologische  Gestalt  der  Ru- 
mänen  ■    .    .  12. 

Dr.  S.  Czambe),  Zur  Kritik  der  Editionen  slovakischer  Volksdichtungen  18. 

Adolf  Strauss,  Fremd  zu  Hauso.  (Aus  Ungarn  ausgewanderte  Bulgaren)    .  21. 

Xotizen   24 

Prof.  Kr.  S.  Knhac.  Albanesen  in  Slavonien  1   25. 

Dr.  Heinrich  v.  Wlislocki,  Wesen  und   Wirkungskreis  der  Zauberfrauen 

bei  den  siebenbürgischen  Zigeunern   33. 

Dr.  L.  Katona,  Recht  und  Unrecht.  Ein  magyarisches  Märchen  mit  seinen 

Varianten  und  Parallelen  I.  .    .  38. 

L.  Katona,  Ethnographie.  Etlinologic.  Folklore  1   43. 

Dr.  Ignaz  Kunos,  Türkische  „(Jedankenlioder*  aus  Ada-Kaie   51. 

Pater  G.  Menesvi.«>chean,  Ein  chinesischer  Gebrauch  bei  den  Armeniern  55. 

Andreas  Veress,  Die  Baba  Dokia-Sago  und  dio  mit  ihr  zusammenhängen- 
den Volksgebräuche  in  Rumänion   56. 

Dr.  Ladislaus  Rethy,  Trajan-Decebal-Tradiüonen  bei  den  Rumänen     .    .  58. 

Graf  Geza  Kuun,  Schatzgräbor  u.  Bergloute   60. 

Bela  Vikar,  Ueber  meine  Studienreise  in  Finnland    61. 

Karl  Papni,  Unter  Wogulen  und  Ostjaken   65. 

Dr.  Bernhard  Munkacsi,  Kosmogonische  Sagen  der  Wogulen  (Deutsch 

von  A.  H.<   68. 

I.  Die  heilige  Sage  von  der  Entstehung  der  Erde. 

II.  Die  Sage  von  der  Umgürtung  der  Erde. 

Graf  Geza  Knun,  Über  uneigentliche  Ausdrücke  verschiedener  Sprachen 

aus  Ehrfurcht  vor  der  Gottheit  und  vor  den  Maehthabern    ....  80. 

I.  Dr.  F.  S.  Krauss,  II.  Gaidoz.  P.  Sebillot,  Blason  populairo  Btuhtrbe- 
sprechungen  .        .    .   84. 

II.  Dr.  Athanasius  Marienescn,  Altweiber-Medicin  bei  don  Rumänen  86. 

Magyarische  Volksballaden  (I — III.  Kulmäny-Herrmann)   88. 

Deutsche  VolksbaUaden  aus  Ungarn.  (I.  M.  Wigand.  D.  E.  Pratscher).  .    .  94. 

Deutsche  Ueaprcchitngsformeln  aus  Südungarn  (I — VI.  A.  Schwanfelder.)    .    .  97. 

Ma<iyari»che     Volkslieder  (I.    Weiss-Schrattenthal,  II.  Katona,   in.  Wlis- 
locki, IV— V.  A.  Handmann  •   98. 

friedlich  S.  Kraasa.  Mensch  und  Bär.  Eine  bosnische  Tiersago.     .    .    .  101. 

Franz  Prohascka,  Historische  Sagen  aus  dem  Barscher  Comitat      .   .    .  103. 

Splitter  und  Späne  (Dr  F.  S  Krauss,  Josef  Trausch)   104. 

Auf  dem  Umschlage :  Mitteilung  des  Herausgebers.  Publioationen  zur  Volks- 
kunde. Inhalt  der  „Ethnographia."  1891.  II— VI. 


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II.  Band. 


1S91 — i8g2. 


VI— VIII.  Heft. 


ZUGLEICH 


ANZEIGER  DER  GESELLSCHAFT  FÜR  DIE  VÖLKERKUNDE  UNGARNS. 


BEGRÜNDET  UND  HERAUSGEGEBEN  VON 


JPt  of.  Ur\  Autor  1  Ilerrmcinri. 


REDIGIERT  VON 


ANTON  HERRMANN  und  LUDWIG  KATONA. 


Ein  Band  10  Hefte  —  20  fingen.  Preis  3  ß.  Für  Mitglieder  eines  Vereins  für  Volks-  \ 

künde  2  ß.  (und  ratio.) 


Kedaction  unJ  Administration 
Budapest,  I.  Attila'-utcza  47. 


KOLOZSVÄR. 

ACTIENDRUCKEKEI  DER  GESELLSCHAFT  „KÖZMCVELÖDE8.U 

1892. 


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"Wo  liegt  Budapest? 

Unsere  geehrten  Corresj)ondenten  in  allen  Weltteilen  bitten 
wir  ergebenste  zur  gef.  Kenntnis  nehmen  zu  wollen,  dass  Budapest 
weder  in  Österreich-Ungarn,  noch  weniger  in  Österreich  liegt, 
sondern  das*  es  die  Hauptstadt  des  selbständigen,  unabhängi- 
gen Königreich  s  f'ngarn  ist.  Wir  netzen  soviel  primitive  geo- 
graphische Kenntnisse  bei  allen  Postämtern  des  Auslandes  voraus, 
dass  sie  die  Direction  der  correct  und  einfach  nach  Ungarn  a- 
dressierttn  Postsendungen  nicht  verfehlen  werden.  Die  Redetet ion. 


Die  „Ethnologischen  Mitteilungen*  1891  — 1892.  bilden 
zusammen  ein  Band  von  etwa  20  Bogen.  Preis  3  rl .,  für 
Mitglieder  irgend  eines  Vereins  für  Volkskunde  2  fl.  und 
Porto.  Das  IV.  Heft  des  I.  Bandes,  im  Format  der  ersten 
drei  Hefte,  den  Schluss  der  dort  begonnenen  Aufsatze  ent- 
haltend, wird  in  kurzem  erscheinen,  und  an  diejenigen  Be- 
sitzer der  übrigen  drei  Hefte  gratis  abgegeben,  die  auf 
den  II.  Band  praenumeriert  haben 


»M      tU>      4M  M»      »»0      PU      »»»      9U      tit      W  > 

An  die  Redacteure  and  Verleger  Ton  Zeitschriften  zur  Volkskunde. 

Da  es  mehrere  Zeitschriften  gibt,  welche  die  Erscheinungen 
der  Litteratur  zur  Volkshunde,  auch  den  einschlägigen  Inhalt 
von  Zeitschriften  u.  dgl.  detailliert  registrieren,  halten  uir  es. 
besonders  bei  der  Erscheinungsweise  unsere}'  Mitteilungen,  nicht 
für  nötig,  dasselbe  zu  tun. .  Wir  betonen  aber,  dass  jeder  ein- 
zelne auf  Volkskunde  bezügliche  Aufsatz  der  mit  uns  im  Tausch- 
verhä'ltnis  befindlichen  Zeitschriften  regelmässig  monatlich  regis- 
triert, und  jedes  uns  zugeschickte  einschlägige  Buch  (auch  ältere 
Publicationeu)  unbedingt  augezeigt  wird  in  dem  von  uns  gelei- 
teten Organ  der  Gesellschaft  für  die  Völkerkunde  Ungarns: 
„Ethnographia eventuell  auch  in  andern  ungarischen  Zeit- 
schriften. 

Die  Redtiction. 


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II.  Jahrgang.  Budapest,  1891.        VI.— VIII.  Heft. 


ZUGLEICH 

ANZEIGER  DER  GESELLSCHAFT  FÜR  DIE  VÖLKERKUNDE  UNGARNS. 

BEGRÜNDET  UND  HERAUSGEGEBEN  VON  PROF-  DR.  ANTON  HERRMANN* 

REDIGIERT  VON 

ANTON  HERRMANN  LUDWIG  KATONA 

Secretir  d.  Ge«ell«chtft  f.  d.  Völkerkunde  Schriftfobrer  d.  Geeellech.  f.  d.  Völkerkunde 

Uogarni.  Ungarns. 


Kosmogonische  Sagen  der  Wogulen. 

Aus  dem  Volksmunde  aufgezeichnet  von  Dr.  Bernhard  Munkäcsi. 

I. 

Die  heilige  Sage  von  der  Entstehung  der  Erde. 

•  Schluss*. 

19.  Wie  er  so  geht,  gelangt  er  auf  einmal  herab  (auf  die  Erde.) 
An  dem  Orte,  wo  er  herab  gelangte,  ist  eine  Leiter,  ihr  oberes  Ende 
geht  aufwärts  gen  Himmel.  Sein  Ross  an  eine  in  diesem  Sommer  ge- 
wachsene Rute  band  er,  an  in  diesem  Sommer  gewachsenes  Gras  band 
er.  Er  selbst  stieg  die  Länge  dieser  Leiter  entlang  aufwärts.  Hierauf 
gelangte  er  in  den  Himmel.  Mondschein-Alter  hetzt  mit  seinen  Hun- 
den herum  Tari-p.  läuft  vergeblich  ihnen  nach,  er  erreicht  sie  nicht. 
Sie  laufen  und  laufen  herum,  (bis  sie  endlich)  wieder  an  dem  Orte 
vorbei  gehen,  an  dem  sie  früher  gegangen.  Tari-p.  an  einem  Orte 
(stehend)  wartete.  Da  kam  der  Mondschein-Alte.  „Eh,  Tari-p. !"  sagt 
er,  „du  bist  also  hier?!  Auf  welche  Weise  bist  du  her  gelangt ;  leben- 
der Mensch,  wie  kommt  er  in  solch  unbekanntes  Gebiet?"  Am  Orte 
ihrer  Begegnung  steht  ein  Haus.  Der  Mondschein- Alte  spricht:  „Tari-p. 
geh'  her  hinein,  ich  komme  später!"  Seiner  im  Hause  sitzenden  Toch- 
ter sagt  er:  „Fremden  Menschen  nicht  quäle!"  Jetzt  geht  der  Mond- 
schein-Alte weg,  er  aber  geht  in  das  Haus.  Das  Weib  sitzt  in  einer 
tapetenbedeckten  Nische.  (Der  Jüngling)  setzte  sich.  Lange,  oder  kur- 
ze Zeit  sass  er,  auf  einmal  beginnt  die  tapetenverhüllte  Zimmerniscbe 
sich  zu  bewegen,  er  aber  zu  frieren.  Er  friert,  er  friert  nun  in  der 
Kälte,  als  der  Mondschein-Alte  eintritt  und  seine  Tochter  tadelt :  „Ist 
das  die  Lebensgewohnheit  des  jungen  Volkes  V"  Nun  ist  gar  keine  Kälte 
mehr.  (Den  Jüngling)  versah  der  Mondschein-Alte  wie  seinen  Schwie- 
gersohn, führte  ihn  in  den  tapetenverdeckten  Raum.  Nachts  (dort)  lag 
er,  morgens  stand  er  auf  und  gieng  allein  weg. 

20.  Lange  gieng  er,  oder  kurze  Zeit  gieng  er,  auf  einmal  ge- 

HerrmanD,  Ethnologische  Mitteilungen.  105  b 


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DR.  BEKNHAKD  MUKKÄCSI 


langte  er  nur  zur  Sonnenfrau.  Vergeblich  lauf  er,  läuft  ei*  ihr  nach,  er 
erreicht  sie  nicht,  so  schreitet  die  Sonnenfrau  mit  ihren  drei  Rossen. 
Dann  wartete  er  an  einem  Orte,  die  Sonnenfrau  gelangte  dort  zu  ihm. 
Eben  dort  steht  ein  Haus.  Die  Sonnenfrau  spricht :  „Eh,  Tari-p. !  was 
hat  dich  denn  hergeführt ;  lebender  Mensch,  wie  gelangt  er  in  diese  Ge- 
gend? —  Geh'  hinein,  ich  komme  später!"  Zu  ihrer  Tochter  (aber) 
sagt  sie:  „Fremden  Mann  nicht  quäle'"  (Der  Jüngling)  tritt  ein:  da 
hieng  denn  vor  einer  Zimmernische  Raum  eine  Tapete.  Lange,  oder 
kurze  Zeit  sitzt  er  dort,  (da  auf  einmal)  beginnt  die  Tapete  sich  zu 
bewegen.  Nun  brennt  ihn,  nun  brennt  ihn  die  Hitze,  schon  ist  er  ganz 
zu  Wasser  geworden  (vor  vielem  Schweiss).  Heim  kommt  die  Sonnen- 
frau, tadelt  ihre  Tochter:  „Ist  das  denn  die  Lebensgewohnheit  des  jungen 
Volkes?"  Nun  ist  keiue  Hitze  mehr.  Mit  grossartigen  Speisen  bewirte- 
ten sie.  Als  er  mit  dem  Essen  fertig  geworden,  spricht  er  zur  Son- 
uenfrau:  „Lass  mich  die  Sonne  tragen ! u  —  Die  Sonnenfrau  spricht :  rI)u 
wirst  sie  vielleicht  gut  tragen?"  —  „Warum  sollte  ich  sie  schlecht  tra- 
gen, ich  trage  sie  grade  so  gut,  wie  du.u  Die  Sonnenfrau  spricht: 
„Dein  Vergnügen,  wenn  du  sie  gut  tragen  wirst,  also  trage  sie  !**  Ta- 
ri-p. packte  die  Sonne  an  und  begann  sie  zu  tragen.  Er  sieht  hinab  : 
auf  der  Erde  (im  untern  Himmel)  ist  all  das  liebe  Volk  einäugig,  krumm - 
mäulig.  An  einem  Orte  raufen  sich  zwei  Menschen,  sie  schlagen  sich 
blutig.  Tari-p.  denkt:  „Eh,  wenn  ich  dort  wäre,  diese  Nichtsnutzigen 
(Lochkinder)  und  ihre  Rauferei  würde  ich  bald  in  Ordnung  bringen." 
Wie  er  dies  dachte,  brachen  jene  Dinger  zusammen  und  starben.  Dann 
setzt  er  wieder  seinen  Weg  fort.  Da  blickt  er  wieder  einmal  abwärts  : 
(da  sieht  er  dass)  zwei  Frauen  einander  herumzerren,  beschimpfen. 
„Eh,  wenn  ich  dort  wäre  —  ihrer  Mutter  Schöpfung!  —  ich  würde 
sie  schon  Ordnung  lehren.-  Diese  Teufel  brachen  zusammen  und 
starben.  Er  setzte  seinen  Weg  fort.  Lange,  oder  kurze  Zeit  geht  er. 
auf  einmal  gelangte  er  zur  Sonnenfrau.  Die  Sonnenfrau  sagte  ihm  : 
„Also  ist  es  dir  gut  gegangen?"  —  „Es  ist  mir  gut  gegangen.  —  „Hast 
du  nicnts  schlechtes  gemacht?"  —  „Ich  habe  nichts  gemacht."  Die  Son- 
nenfrau spricht:  „Tari-p.,  wenn  du  die  Sonne  tragen  würdest,  dann 
gäbe  es  keinen  aufrechtstehenden  Menschen,  du  würdest  sie  alle  töd- 
ten ;  —  warum  hast  du  diese  vier  Menschen  getödtet?"  Tari-p.  ant- 
wortet:  „sie  raufen,  beschimpfen  sich;  ich  habe  nur  an  sie  gedacht 
und  sie  brachen  zusammen."  Die  Sonnenfrau  spricht:  .Einmal,  beim 
Anbruch  der  Menschenalter- Welt,  der  Menschenzeit -Welt,  auf  diese 
Weise  tödtest  du  alle  die  Menschen."  Sie  gehen  hinein  zu  ihrer  Toch- 
ter, die  Sonnenfrau  machte  Tari-p.  zu  ihrem  lieben  Schwiegersohn. 
Der  Schwiegersohn  spricht  :  „Dies  auf  der  Erde  (am  unteren  Himmel) 
lebende  Volk  „warum  Ist  das  einäugig,  krummmäulig?"  Die  Sonnenfrau 
antwortet:  „Das  ist  gerade  so  ein  zweiäugiges  Volk,  wie  du;  es  ist 
grade  so  ein  geradmäuliges  Volk,  wie  du;  aber  wenn  sie  dich  (d.  h. 
die  Sonne)  anblicken,  wie  sollen  das  ihre  Augen  ertragen?1*  Tari-p. 
wollte  schon  gehen.  Die  Sonnenfrau  spricht :  „Wenn  du  meine  Toch- 
ter und  die  Mondscheintochler,  während  du  heimwärts  gehst,  dort  am 

100 


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K0SM0G0XI8CHE  SAGEN  DER  WOGULEN. 


Fusse  der  Leiter  triffst :  dann  triffst  du  sie  dort ;  wenn  du  sie  aber 
nicht  triffst:  so  triffst  du  sie  nicht."  Seine  Frau  blieb  dort,  er  aber 
stieg  die  Leiter  herab,  gelangte  herab.  Sein  Ross  magerte  hungernd 
ab;  es  hat  keine  Knochen,  kein  Fleisch.  Mit  seinem  Atem  hauchte 
er  es  an:  was  tür  ein  Ross  es  neulich  war,  es  wird  ein  noch 
schöneres  Ross;  aus  einem  Nasenloch  sprühen  Funken  hervor,  aus 
seinem  andern  Nasenloch  bricht  Rauch  hervor.  Er  stieg  auf  den  Rücken 
seines  Rosses,  er  geht  wieder  weiter;  er  mengte  sich  unter  wandeln- 
de Wolken,  unter  eilende  Wolken. 

21.  Lange  gieng  er,  oder  kurze  Zeit  gieng  er,  auf  einmal  gelangte 
er  an  den  Ort,  wo  der  Himmel  auf  die  Erde  herabhängt,  zu  einem 
ausgehöhlten  Felsen.  Der  ausgehöhlte  Felsen  ist  mit  einem  siebenfachen, 
eisernen  Vogelnetz  überzogen.  Er  schlieft  in  einen  eisernen  Habicht- 
balg. Der  dieses  Vogelnetz  hütende  Alte  sagt:  „Eh,  Tari-p.,  auf  dieser 
weiten  Welt  hast  du  überall  deine  Geschicklichkeit  gezeigt;  at>er  hier, 
wenn  du  durch  mein  eisernes  Vogelnetz  auch  hindurch  dringst,  wirst 
du  in  meinem  eisernen  Fischnetz  liegen."  Tari-p.  sieht  es  an:  (das 
Vogelnetz)  hat  nur  eine  Masche  aus  gebrechlichem  Eisen,  die  übrigen 
sind  alle  aus  hartem  Eisen  verfertigt.  Jetzt  warf  er  sich  daran,  durch 
die  gebrechliche  Eisenmasche  hindurch  konnte  er  kaum  auf  die  jen- 
seitige Seite  gelangen ;  seine  Flügelarme  wurden  ihm  abgeschnitten 
und  dann  fiel  er  ins  Wasser.  Jener  Alte  spricht:  „Ich  habe  auch  noch 
eiserne  Fischnetze;  du  bist  durch  mein  eisernes  Vogelnelz  hindurch 
gedrungen,  in  meinem  eisernen  Fischnetz  werde  ich  dich  doch  fan- 
gen." Tarip.  sieht  diese  eisernen  Fischnetze  an:  nur  eine  ihrer  Ma- 
schen ist  aus  gebrechlichem  Eisen,  die  übrigen  alle  sind  aus  hartem 
Eisen  verfertigt.  Als  er  ins  Wasser  gefallen,  schwamm  er  in  Gestalt  ei- 
nes eisernen  kleinen  Hechtes  weiter.  Er  gieng.  er  gieng,  als  er  sich 
dran  warf,  konnte  er  nicht  durch  jene  weiche  Eisenmasche  auf  die 
drübige  Seile  gelangen,  dort  fieng  er  sich.  Der  Alte  spricht:  „Ich 
schlage  ihn  (todt)!tt  Seine  Frau  spricht:  „Ich  schlage  ihn  (todt)  u  Die 
Frau  ergreift  den  kleinen  Hecht  und  ihr  Alter  beginnt  ihn  mit  einem 
eisernen  Hammer  zu  schlagen.  Der  Alte  spricht:  „Pack'  ihn  fest  an!- 
Wie  er  mit  dem  Eisenhammer  hinschlügt,  gleitet  jener  kleine  Hecht 
weiter  und  das  Armbein  der  Frau  wurde  entzwei  geschlagen.  Die  Frau 
schimpft  :  „Sagt'  ich  dir  zuvor,  dass  ich  ihn  erschlage  ;  jetzt  pack'  du 
ihn  an,  ich  werde  ihn  schlagen."  Der  Alte  packte  ihn  an,  die  Frau 
schlügt  ihn  mit  ihrer  heilen  Hand.  Der  kleine  Hecht  warf  sich  weiter, 
die  Mitte  der  Hand  des  Alten  traf  (der  Hammer).  Der  kleine  Hecht, 
wie  er  sich  weiter  warf,  gieng  weg.  gelangte  auf  die  jenseitige  Seite 
(des  Netzes). 

22.  Jetzt  flog  Tari-p.  in  der  Gestalt  einer  kleinen  Gans  gegen 
die  südliche  Heimat  der  Zugvögel.  Er  gelangte  in  das  Haus  des  dorti- 
gen alten  Mannes  und  der  Frau.  Er  warf  seine  Ganshaut  ab,  geht  in 
das  Haus.  Der  alte  Mann  und  die  Frau  sitzen  und  sprechen  (also) : 
„Tari-p.  was  hat  dich  hergebracht;  lebender  Mensch,  wie  gelangt  er 
in  diese  Gegend?!"  Die  Frau  gieng  hinaus,  fieng  zwei  lebendige  Kricken- 

107  .V 


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DR.  BKRNHARD  MLNKÄCSI 


ten  (anas  cricca),  trug  sie  ins  Haus,  schlachtete  sie  und  warf  sie  in 
den  siedenden  Kessel.  Tari-p.  ass  die  Enten;  als  er  fertig  war,  trug 
jene  Frau  die  Knochenstücke  hinaus,  streute  sie  in  das  Becken  des 
Sees  mit  lebendigem  Wasser :  die  beiden  Enten  Iiiegen  schreiend  wei- 
ter. Der  alte  Mann  und  die  Frau  der  Heimat  der  Wandervögel  spre- 
chen: „Tari-p.  geh'  nur  hinaus,  Lieber;  wenn  du  was  antriffst :  triffst 
du  was  an;  wenn  du  nichts  antriffst:  ist  es  deine  Sache."  Tari-p.  gieng 
hinaus,  er  blickt  neben  das  Haus:  (dort  also)  ist  ein  kleines  Häus- 
chen ;  er  geht  hinein.  Im  kleinen  Hause  sitzt  ein  Weib  mit  freiem  (un- 
bedecktem) Haupte;  ihre  Haarzöpfe  hängen  frei  herab,  nur  jetzt  flicht 
sie  dieselben  von  neuem;  ihre  Kniee  sind  mit  Seide  bedeckt;  der 
Saum  dieser  Seide  wogt  nur  so  hin  und  her.  Tari-p.  spricht:  «Viel 
Länder  durchwandernd  kam  ich  her;  ich  bilde  mir  ein,  dass  ich  ir- 
gend ein  treffliches  Weib  finde;  ich  erwähne  eine  in  ihre  Haarzopfe 
sieben  schwarze  Enten  (anas  nigra),  sieben  Eisenten  (anas  hiemalis) 
flechtende,  und  ich  sehe:  es  sind  da  keine  schwarzen  Enten,  es  sind 
da  keine  Eisenten,  ihr  Knie  schlottert  nur  mit  ihrem  Bastard."  Jetzt 
reisst  (das  Weib)  die  Seide  bei  Seite,  sieben  schwarze  Enten,  sieben 
Eisenten  flogen  hervor;  seine  Augen,  Ohren  zerkratzen  sie  hin,  zer- 
kratzen sie  her.  Tari-p.  spricht  zum  Weibe :  „Jetzt  ist  genug !  fang  sie  ein ! 
meine  Augen,  meine  Ohren  zerfleischen  sie!"  Sie  setzten  sich  neben 
einander,  küssten  sich,  umarmten  sich.  Die  Maid  sprach  zum  Manne: 
„Geh'  zu  meinen  Eltern,  sie  mögen  dir  eine  goldene  Gänsehaut  und 
eine  goldene  Schwanenhaut  geben !"  Tari-p.  gieng  zu  den  Alten  und 
spricht:  „Gebt  mir  eine  goldene  Schwanenhaut"' 

Ihre  Köpfe  hängen  lassend  sitzen  sie  da.  (Auf  einmal  nur)  erhob 
der  alte  Mann  sein  Haupt,  gab  seinem  Schwiegersohn  eine  goldene 
Gänsehaut  und  eine  goldene  Schwanenhaut.  Tari-p.  schloff  in  die  gol- 
dene Gänsehaut,  seine  Gattin  schloff  in  die  goldene  J?ch\vanenhaut. 
Die  Alten  aus  der  Heimat  der  Wandervögel  sprechen :  „Meine  Toch- 
ter, mein  Schwiegersohn!  Die  Welt  des  Menschenalters,  die  Welt  der 
Menschenzeit  beginnt;  diese  Wasservögel  (Gänse,  Enten)  geben  wir 
euch  mit  als  Mitgift  unserer  Tochter;  in  Zukunft,  bis  nicht  der  lelzte 
Mann  zu  Grunde  geht,  bis  nicht  das  letzte  Weib  zu  Grunde  geht,  sol- 
len sie  zur  Nahrung  dienen,  sollen  sie  nicht  aussterben!14  Jetzt  küss- 
ten (die  Alten  das  junge  Paar),  umarmten  es  und  dann  flogen  diese 
weiter.  Die  Wasservögel  schaarten  sich  ihnen  nach.  Durch  den  hoh- 
len Felsen  hindurch  gelangten  sie  auf  die  diesseitige  Welt  Tari-p. 
fand  hier  sein  Ross,  es  war  ganz  abgemagert,  hatte  nicht  Knochen, 
nicht  Fleisch.  Er  hauchte  es  mit  seinem  Atem  an;  was  für  ein  Pferd 
es  vordem  gewesen,  jetzt  wurde  es  ein  noch  schöneres  Ross. 

23.  Jetzt  stieg  Tari-p.  in  Gänsegestalt  auf  den  Rücken  seines 
Rosses,  seine  Frau  geht  auf  Flügeln.  Sie  gelangen  an  den  Fuss  der 
Leiter,  die  Sonnenfrau-Tochter  und  die  Mondschein-Tochter  schritten 
dort  mit  Rossherden,  mit  Kuhherden  vorwärts.  Sie  giengen  lange, 
oder  sie  giengen  kurze  Zeit,  das  Burgtor  des  Wasserfürsien  der  Meeres- 
mitte  öffnete  sich,  von  da  kam  heraus  die  Wasser fürsten-Tochter.  Vor- 

10  8 


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KOSMOGONISCHE  SAGEN  DER  WOGULEN. 


wärt»  schritten  sie;  neben  ihnen  Fische,  Wasservögel,  beinahe  wie 
fliessendes  Gewässer  fliesset,  beinahe  wimmelt  es.  Sie  giengen  lange, 
oder  sie  giengen  kurze  Zeit,  sie  gelangten  in  seine  Burg.  Mit  seiner 
Mutter  und  mit  seinem  Vater  fielen  sie  sich  in  die  Arme,  küssten  sich, 
umarmten  sich.  Eine  solche  Burg  entstand  dort,  dass  die  wandelnde 
Wolke  entzwei  gespalten  auf  ihr  sich  niederlässt,  die  eilende  Wolke  ent- 
zwei gespalten  auf  ihr  sich  niederlässt.  Mit  strahlendem  lebendigem  Golde 
fliessendes  Haus  entstand  (dort),  mit  strahlendem  Cioide  fliessende  Burg 
entstand  (dort).  Kein  Nagel  ist  darin,  an  dem  nicht  ein  Marderfell 
hienge;  kein  Nagel  ist  darin,  an  dem  nicht  ein  Bärenfell  hienge.  Aus 
Bier,  aus  Honigspeisen  bereitete  sich  eine  Gasterei ;  sie  assen,  sie  tran- 
ken. Während  ihres  Essens,  ihres  Trinkens  spricht  seine  Mutter: 
„Von  nun  an  wird  die  Menschenalter- Welt  beginnen,  die  Menschenzeil- 
Welt  beginnen;  von  elendlich  bepelzten  vielen  Weibern,  von  elendlich 
bepelzten  vielen  Männern  bewohnte  wo  immer  befindliche  Herrentrauen- 
Gegend,  wo  immer  befindliche  Herren-Gegend  wird  die  hörnige  Stiere 
als  Opfer  stellen,  wird  dir  hufige  Stiere  als  Opfer  stellen."  Jetzt  liess  er 
in  ihrem  Hause  sein  Haupt,  seine  Augen  sinken,  und  legte  sich  mit 
seinen  sechs  Frauen  zusammen  nieder.  Am  andern  Tag  morgens  wachte 
er  auf,  er  streckte  seine  Hand  aus:  er  berührte  eine  warme  Stelle, 
er  streckte  seinen  Fuss  aus:  er  berührte  eine  warme  Stelle.  Seine 
Eltern  traten  an  ihn  heran,  seine  Mutter  spricht:  „Du  Söhnchen, 
jetzt  bleibst  du  hier  am  unteren  Himmel  (auf  der  Erde),  auf  den 
oberen  Himmel  gehen  wir.  Von  nunan  beginnt  die  Menschenalter- 
Welt,  die  Menschenzeit-Welt;  am  unteren  Himmel  werde  du  der 
Welt-beaufsichtigende-Mann,  dein  Vater  wird  am  oberen  Himmel  der 
Ober-Gott  (Numi-Tärem),  ich  werde  die  Kaltes.  Hiemit  giengen  sie 
in  drei  Gegenden  auseinander  In  jenem  ihrem  Reichtum,  in  je- 
nem ihrem  Wohlstand  leben  sie  auch  jetzt  noch,  sind  sie  auch  jetzt 
noch  selig. 


III.  *) 

Das  Lied  von  der  Ueberschwemmnng  des  Himmels  und  der  Erde. 

1.  In  ihrer  von  selbst  entstandenen  moosigen  Burg, 

in  ihrer  von  selbst  entstandenen  Tundrahügel-Burg 

Gold-SiS,  Gold  Ktc ore£. 

Frau  und  alter  Mann  leben, 
ö.  Gold-Üfaiftä,  Gold-fffoV 

ihre  Tochter  und  ihr  Sohn  sind. 

Sonnenlichte  sieben  Rosse  sind  in  ihrem  Stalle. 

schoeeweisse  sieben  Rosse  sind  in  ihrem  Stalle. 

Neben  ihrem  Hause 


*)  II.  s.  Ethn.  Mitt.  II.  s.  68-80. 

109 


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DR.   BERNHARD  MUNKÄCSI 


10.  goldblältrige  Birke  erwuchs. 

(Jold-Äa/fe6,  seine  (Gold-<7ter's)  Schwester 

kommt  hervor  (aus  dem  Hause),  ihre  Haarflechten  löst  sie  auf, 

sieben  einmündige  Ob-Flüsse  ergiessen  sich, 
15.  sieben  einmündige  Meere  tauchen  empor; 

ihren  Haarflechten  entwindet  sich  die  Sonne, 

ihren  Haarflechten  entsteigt  der  Mondschein. 

Auf  den  neben  dem  Hause  stehenden 

goldblättrigen,  goldästigen  Birkenbaum 
20.  goldbeschwingte,  goldbeschwänzte 

sieben  Kuckucke  lassen  sich  nieder; 

sieben  Nächte  hindurch  singen  sie, 

sieben  Tage  hindurch  singen  sie; 

ihre  nächtliche  Unterhaltung  vergeht  nicht. 
25.  ihre  tägliche  Unterhaltung  vergeht  nicht. 

Herzu  sie  singen:  ihre  Schnäbel, 

weil  sie  aus  reinem  Silber,  nur  so  überströmen; 

dahin  zu  sie  singen :  ihre  Schnäbel, 

weil  sie  goldsilbern  sind,  nur  so  überströmen. 
30.  Auf  dieser  weiten  Welt  lebende, 

elendlich  bebundschuhte,  elendlich  bepelzte 

Menschen  dieses  (Liedes)  durch  seine  Macht 

leben  ja  bis  auf  den  heutigen  Tag. 

Gold-c7fe'r,  ihr  Brüderchen 
35.  kommt  hervor  (aus  dem  Hause),  seine  Haarflechten  löst  er  auf: 

sieben  einmündige  Ob-Flüsse  ergiessen  sich, 

sieben  einmündige  Meere  tauchen  hervor; 

auf  seinen  Haarflechten,  dort,  steht  die  Sonne, 

auf  seinen  Haarflechten,  dort  steht  der  Mondschein 
40.  Dem  Grunde  der  sieben  Ob-Flüsse,  der  sieben  Meere 

goldrückige  sieben  Kolben wasserkäfer  (Hydrophilu*) 

entsteigen, 

an  seinen  Haarflechten  (Sonnenstrahlen)  wärmen  sie  ihre  Rücken. 
Kraft  seiner  Haarflechten  ist  Sommer,  ist  Winter. 
45.  Auf  dieser  weiten  Welt  lebeude, 

elendlich  bebundschuhte,  elendlich  bepelzte 
Menschen  dieses  (Liedes)  durch  seine  Macht 
leben  ja  bis  auf  den  heutigen  Tag. 

Lange  lebten  sie.  oder  kurze  Zeit  lebten  sie, 
50.  einmal  nur  Gold-SVft,  ihre  Mutter  starb. 

Gold- Kalte'*},  ihre  Tochter  gieng  hinaus  iaus  dem  Hause), 

von  ihren  gold beschwingten,  goldgeschwänzten 

sieben  Kuckucken  fieng  sieeinen, 

seinen  Bauch  schlitzte  sie  auf, 
55  ihre  Mutter  in  des  Kuckucks  Innere  hinlegte  sie.  — 

110 


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KOSMOGONISCHE  SAGEN  DER  WOGULEN. 


Lange  lebten  sie,  oder  kurze  Zeit  lebten  sie. 
einmal  nur  Gold- KtcoreS,  ihr  Vater  starb. 
Gold-fffc'r,  sein  Sohn  gieng  hinaus  (aus  dem  Hause), 
von  seinen  goldrüekigen  sieben  Kolbenkäfern 
60.  einen  fieng  er. 

seinen  Bauch  schlitzte  er  auf, 

seinen  Vater  in  des  Kolbenkälers  Innere  hinlegte  er  — 

In  ihrer  von  selbst  entstandenen  moosigen  Burg, 
in  ihrer  von  selbst  entstandenen  Tundrahügel-Burg 
65.  lange  sie  lebten,  oder  kurze  Zeit  sie  lebten, 

einmal  nur  spricht  Gold-A'aftes  (also)  zu  ihrem  Bruder : 
„Brüderchen,  in  unserer  von  selbst  entstandenen  moosigen  Tun- 
drahügel-Burg 

werden  wir  beide  ohne  Menschen  lange,  oder  kurze  Zeit  sitzen? 
In  irgend  eine  von  Herrinnen   bewohnte  Gegend,  von  Herren 

bewohnte  Gegend 

70.  lass  uns  jetzt  gehen  !a 

Zu  seiner  Schwester  spricht  der  Bruder  : 

„Mit  welcher  Krall  sollen  wir  gehen  V" 

Gold-A'af/es,  seine  Schwester  versetzt: 

„Ehemals,  als  unsere  Mutter  und  unser  Vater  lebten, 
75.  hatten  sie  Sonnenlichte  sieben  Bosse  in  ihrem  Stalle. 

Sieh',  Süsser,  zu  den  Buinen  jener  Ställe ; 

einstens,  als  die  Bosse  lebten,  kam  ein  Fohlen  zur  Welt, 

jenes  Fohlen  verstampflen  seine  Gefährten  (unter  die  Erde); 
80.  du,  Süsser,  grabe  auf  die  Erde  der  Buine  des  Stalles, 

nachdem  du  bis  auf  eine  Elle  Tiefe  die  Erde  gegraben,  findest 

du  das  Fohlen!" 

Zu  den  Buinen  des  Stalles  mit  den  sieben  Bossen 

geht  also  hin  Gold-<7*eV  und  gräbt 

Nachdem  er  bis  auf  eine  Elle  Tiefe  die  Erde  gegraben, 
85.  findet  er  richtig  jenes  Fohlen. 

In  irgend  einer  alten  Zeit,  als  es  zur  Welt  kam, 

war  seine  Hüfte  bunt,  sein  Schulterblatt  gefleckt. 

war    es  ein  kleines  Fohlen  gewesen  —  nichts  anders  war  es : 

jetzt  aber  seinen  ganzen  Körper  angeklebte  Erde  bedeckt. 
90.  Das  krepierte  Fohlen  trägt  er  also  nach  Hause. 

Gold-£Vift<&,  seine  Schwester  nahm  es  jetzt  hervor; 

seine  eine  Seite  mit  Seewasser  sie  wusch, 

seine  andere  Seite  mit  Ob-Wasser  sie  wusch, 

zu  neuem  Leben  sie  es  brachte. 
95.  Es  war  nicht  anders,  —  ein  solches  Tier  war  es  : 

aus  seinem  einen  Nasenloch 

feurige  Funken  springen 

aus  seinem  andern  Nasenloch 

Bauch  strömt. 

in 


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DR.  BERNHARD  MUKKACSI 


100.  Auf  beiden  Seiten  seiner  Hand,  da  sind  seine  Flügel. 
Es  war  nicht  anders,  —  ein  solches  Tier  war  es : 
seine  Schulter  war  gefleckt,  seine  Hüfte  gefleckt, 
geflügeltes  Ross  so  wie  es  steht, 

wohin  es  sich  wendet,  Sonne  (strahlend)  auf  diese  weite  Erde, 
105  sein  Oehrchen  alles  hört: 

wenn  zwei  Grashalme  aneinander  reichen: 

alles  in  sein  Ohr  driogt; 

wenn  zwei  Zweiglein  aneinander  reichen : 

alles  in  sein  Ohr  dringt. 
110.  Von  sieben  Schellen  schellenden  Sattel 

breiten  sie  jetzt  auf  den  Rücken  ihres  Rosses, 

und  beide  setzen  sich  auf  ihn. 

Zwischen  zwei  Himmel,  zwei  Himmelreiche  <d.  h.  zwischen  Him- 
mel und  Erde) 

erheben  sie  sich  nun. 
115.  Während  sie  ihrer  geflügelten  Pelze  Flügel  (d  h.  Säume) 
(unter  sich)  drücken, 

von  anderem  Volk  bewohnte  Gegend  der  Herrinnen  erreichten  sie. 
von  anderem  Volk  bewohnte  Gegend  der  Herren  erlangten  sie. 

Lange  giengen  sie  jetzt,  oder  kurze  Zeit  giengen  sie, 
120.  an  einem  Orte,  wie  sie  hinunter  blicken : 

ist  ihr  reifartig  rollendes  rundes  Erdchen 

von  feurigem  Wasser  bedeckt, 

auf  eine  Höhe  von  sieben  gestempelten  Klaftern 

springt  hinauf  des  Feuers  Flamme. 
125.  Jetzt  giengen  sie  wieder  lange,  oder  kurze  Zeit  gingen  sie, 

einmal  nur,  als  sie  hinunter  blicken, 

sind  ihren  gold-vorderfüssigen  heiligen  Tierchen 

die  Klauen  der  Vorderfüsse,  die  Klauen  der  Hinterfüsse 

von  der  heiligen  Feuerflut  ganz  versengt. 
130.  Gold-«/«V  seine  Mütze  abhob, 

seine  Haarflechten  breitete  er  aus 

und  somit  sie  gehen  weiter. 

Einmal  nur,  als  sie  hinunter  blicken : 

ist  nichts  anders  (als  was  geschah,  dass)  kein  Waldbaum  geblie- 
ben ist, 

135.  ja  sogar  die  Erde  erblickt  man  nicht  (verschwindet  ganz  spurlos). 

Jetzt  giengen  sie  auf  dieselbe  Weise  weiter. 

An  einem  Orte  s'ch  denkt  Gold  «/er: 

„Ohne  Menschen  wie  kann  so  bestehen  die  Erde? 

Auf  irgend  eine  Weise  sollten  doch  entstehen  Menschen !" 
140,  Jetzt  seine  Mutter  und  seinen  Vater  aus  ihrem  Grabe 

weinend  er  heraufbeschwört : 

„(\o\d- KicoreS  mein  Väterchen.  (JoW-SVk  mein  Mütterchen, 
ohne  Menschen  wie  soll  ich  denn  leben?" 

Iii 


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K0SMOGON1SCHE  SAGEN  DER  WOGULEN 


Go\d-Kalte&,  seine  Schwester  spricht : 
145.  »Brüderchen,  was  ist  dir  geschehen,  warum  weinst  du  ?'' 

.„Ich  nun,  mein  Schwesterchen,  weine  darum  : 

auf  der  stehenden  heiligen  Erde 

siehe !  ist  heilige  Feuerflut  entstanden : 

nicht  blieb  der  letzte  Waldbaum : 
160.  nicht  blieb  ein  Mensch: 

ohne  die  Menschlein  wie  soll  ich  leben!*"  — 

„Brüderchen,  blick'  nur  hinunter  !• 

Wie  er  hinunter  blickt: 

in  einem  siebenfachen  PappelholzschifT 
155.  eine  alte  Frau  und  ein  alter  Mann  sind. 

Auf  dem  heiligen  Wasser  schwebend,  gelangen  sie  (jetzt)  auf's 

Trockene : 

sie  erheben  sich  nun  jetzt,  sieh  da!  hinauszu  sie  nun  schreiten, 
XuUäter  entsteigt  dem  Bauche  der  Frau, 
jener  nabelgeschnittene  Mensch, 
ltX).  ihre  Töchter  and  ihre  Söhne, 

ja  wir,  Russen  und  Maiwi  im  Verein 
leben  alle  bislang.  .  .  . 

Gold-A'alAä,  Gold-ä?«V 

mit  ihrem  an  Hüften  gefleckten,  an  Schultern  gelleckten, 
166.  geflügelten  Tiere  also  wieder  gehen. 

Lange  gehen  sie,  oder  kurze  Zeit  gehen  sie, 

an  einem  Orte  vorwärts  sie  blicken: 

also  ein  —  um  Dort  es  zu  nennen,  ist  es  zu  gross, 

Stadt  es  zu  nennen  noch  zu  klein,  — 
170.  solch  grosses  Dorf  zeigt  sich. 

Dahin  gelangen  sie; 

ein  von  Menschen  bewohnbares  Haus  ist  (dort ), 
Boss  ist,  Kuh  ist,  Lamm  ist, 

Fruchtbehälter  ist,  Scheune  ist,  Kaufladen  ist  (dort); 
175.  aber  der  Mensch  fehlt  ganz  und  gar. 

Die  Schwester  spricht  zu  ihrem  Bruder: 
.Du,  mein  Lieber,  gehe  hinein; 

wenn  du  irgend  einen  Menschen  wahrnimmst,  verrate  mich  nicht 

(zeige  mich  nicht); 
so  wie  ich  bin,  lass  mich  sein,  mich  verletze  du  nicht  !u 
180.  Gold-äteV  tritt  ein, 
Mensch  ist  nirgends; 
Bier,  Honigspeisen, 

so  wie  man  sie  einstens  bereitet  hatte,  (unberührt)  ad  sind. 
Geräuschlos  unter  die  Bank  er  kriecht, 
185.  er  versteckt  sich. 

Einmal  nur  ein  gebrechlicher  Vielfrass- Alter  *)  tritt  ein, 

*)  Gulo  horealis. 

113 


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DR.  BERNHARD  MUNKÄCSI 


das  Haus  seinem  ganzen  Umfang  nach  brummend  durchhüpft  er. 
Gold-tffcr  denkt  : 

(irgendwie)  soll  er  mich  nicht  packen  mit  seinen  Zähnen, 
190.  (wenn)  er  einmal  nur  seine  VielfrassHaut 
abgelegt  hat. 

Wie  er  dann  zu  ihm  aufblickt: 

von  welch  einer  Herrin  stammender  Mann  ist  aus  ihm  geworden, 
von  welch  einem  Herren  stammender  Mann  ist  aus  ihm  ge- 
worden ! 

195.  Der  Held  setzte  sich  nieder, 

seinen  Sch  weiss  er  sich  wischt. 

Unterdes  seine  Türen  man  wieder  öflhete; 

also  ein  schrecklicher  Wolfsalter  stürzt  herein, 

das  Haus  seinem  ganzen  Umfang  nach  brummend  durchhüpft  er. 
200.  Einmal  nur  seine  Wolfshaut 

legte  er  ab:  von  welch  einer  Herrin  stammender  Mann  ist  aus 

ihm  geworden, 

von  welch  einem  Herren  stammender  Mann  i>t  aus  ihm  geworden  ! 
Wieder  ein  Held  setzte  sich  nieder  (auf  die  Bank), 
205.  seinen  Schweiss  er  sich  wischt. 

Unterdes  die  Türe  man  wieder  öfTnete: 
also  ein  Bär-Alter  stürzt  herein, 

das  Haus  seinem  ganzen  Umfang  nach  brummend,  rasend  durch- 

hüpfl  er. 

Einmal  nur  sein  Bärenfell 
210.  legte  er  ab : 

von  welch  einer  Herrin  stammender  Mann  ist  aus  ihm  geworden, 
von  welch  einem  Herrn  stammender  Mann  ist  aus  ihm  geworden? 
Wieder  ein  Held  setzte  sich  nieder  (auf  die  Bank). 
Lange  sitzen  sie,  oder  kurze  Zeit  sitzen  sie,  auf  einmal  nur  sa- 
gen sie: 

215.  „Eh,  es  scheint,  in  diesem  unserem  Hause  ist  ein  Mensch  : 
also  wo  ist  er?  er  komme  her!" 
Jetzt  (lold-üleV  erhob  sich; 
den  drei  Helden  grüssend  er  die  Hand  drückte 
und  an  den  mit  Bier  und  Honigspeisen  (bedeckten)  Tisch  sie  sich 

setzten. 

220.  Lange  oder  kurze  Zeit  sie  assen,  tranken, 

auf  einmal  nur  Gold-üfcr  in  den  Sinn  es  kam : 
„Herr,  mein  Gott,  ich  esse,  trinke, 
und  meine  Schwester  jetzt  draussen,  sie  hungert." 
Die  Helden  dann  sagen  : 

225.  ^Also  du  hast  auch  eine  Schwester? 
rufe  sie  herein  !u 

Gold-<7<e>  die  Lidld-Kültes,  seine  Schwester 
also  hereinrief; 

an  den  mit  Bier  und  Honigspeisen  (bedeckten)  Tisch  sie  sich  setzten, 


t 


f 

4:.  Digitized  by  Google 


KOSMOGONISCHE  SAGEN  DER  WOGULEN. 


230.  sie  assen.  tranken  und  dann  legten  sich  nieder. 

Eine  namhafte  Woche  hindurch  lagen  sie. 

eine  berühmte  Woche  hindurch  lagen  sie, 

einmal  nur  dem  Gold-'/frV 

der  Schlaf  zu  schwinden  begann. 
235.  Jetzt  stand  er  auf,  gieng  hinaus, 

wozu  sein  Kopf  war, 

wozu  seine  Nase  war, 

zu  Fuss  dahin  zu  getit  er; 

seine  Schwester  und  sein  Pferd  blieben  zurück. 
240.  Weite  Weltgegenden  weil  durchwandert  er. 

kurze  Weltgegenden  kurz  durchwandert  er, 

an  einem  Ort  sonnbeschienener  Tannenwaldrand. 

dahin  legte  er  sich  nieder. 

Lange  lag  er,  kurze  Zeit  lag  er, 
245.  gen  Frühling  begann  zu  gehen  (die  Zeit), 

im  Süden  wohnende  viele  Vöglein 

in  diese  von  Herrinnen  (bewohnte)  Gegend,  in  diese  von  Herren 

(bewohnte)  Gegend 

schon  zu  kommen  begannen. 
Er  also  liegend  sieht  ihnen  zu : 
250.  auf  einmal  nur  eine  einsame  Gans 
geht  dort  oben. 

Go  d-äh:r  seine  Flügelknochen,  (seine  Hände)  rührte, 

und  als  Gänserich  flog  er  weiter. 

Mit  jener  Gans  als  Mann  und  Frau 
256.  begatteten  sie  sich. 

Im  Herbste,  als  (Numi-Türem  Vater)  kurze  Tage  machte, 

nach  Süden  sie  giengen. 

Goldwässerige  sieben  Teiche, 

goldwässerige  sieben  Meere, 
260.  jene  südlichen  (Zug)- Vögel  dort  leben. 

Sieben  Nächte  hindurch  singen  sie, 

sieben  Tage  hindurch  singen  sie; 

aufs  Ufer  goldwässiger  sieben  Teiche,  sieben  Meere 

geh'n  sie  hinauf:  ihr  goldener  Weg  liegt  dort, 
265.  sie  steigen  herab:  ihr  goldener  Weg  zieht  sich  dort  hin. 

Gold-äfe'r  mit  jener  seiner  Gans 

in  jener  Gegend  leben, 

Tochter,  Sohn  ward  ihnen, 

Numi-Tärem  ihr  Vater, 
270.  Numi-Tärem  ihr  Vater  (d  h.  die  Zeit) 

Frühling  ward 

Im  Süden  wohnende  viele  Vöglein 

auf  die  in  diesen  Gegenden  von  Frauen  (begangenen)  Wasser, 
auf  die  in  diesen  Gegenden  von  Männern  (begangenen,)  Wasser,  — 

116 


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DB.  BERNHARD  MUNKACSI 


275.  ihr  kluger  Tieres-Sinn 
ganz  hin  sich  richtete. 
Also  auch  sie  kamen  an. 

Wie  sie  in  diese  von  Herrinnen  (bewohnte)  Gegend  gelangten, 
wie  sie  in  diese  von  Herren  (bewohnte)  Gegend  gelangten, 
280  erinnerte  er  sich  seines  Rosses, 

Sein  überallhin  gehendes  Koss  fehlt  ihm. 

Im  Herbst,  als  [Numi-Tärem  Vater]  kurzen  Tag  machte, 

im  Süden  wohnende  viele  Vöglein 

auf  die  von  südlichen  Männern  (begangenen)  männlichen  Wasser 
285.  auf  die  von  südlichen  Frauen  (begangenen)  weiblichen  Wasser 
hingiengen 

Gold-a<eV,  wo  er  im  vorigen  Jahre  gelegen, 
an  jenen  sonnbeschienenen  Tannenwaldrand  gelangte. 
Dort  legte  er  sich  nieder,  dort  blieb  er  auch ; 
290.  seine  Gansfrau  mit  ihrer  Tochter  und  ihrem  Sohne 
weiter  flogen 

Jetzt  (Gold-äter)  sieben  Nächte  lang  liegt, 
sieben  Tage  hindurch  liegt  er. 
Am  sonnbescbienenen  Tannenwaldrand. 
295.  nachdem  er  lange  Zeit  hindurch  gelebt, 
Lenz  zu  werden  begann  (die  Zeit) 
Im  Süden  wohnende  viele  Vöglein 

wieder  in  diese  von  Herrinnen  (bewohnte)  Gegend  zu  kommen 

begannen, 

300.  wieder  in  diese  von  Herren  (bewohnte)  Gegend  zu  kommen 

begannen. 

Die  südlichen  Vögel  vergebens  gehen, 
seine  Gattin,  seine  Kinder  wie  immer  er  wartet: 
seine  Gattin,  seine  Kinder  sind  nicht  darunter 
Einmal  nur  begann  (der  Zug)  der  entenartigen  Tiere  ein  Ende 

zu  nehmen, 

305.  begann  (der  Zug)  der  gänseartigen  Tiere  ein  Ende  zu  nehmen, 
zuletzt  auch  seine  Gansfrau 
erschien  weinend. 

Es  fehlt  ihr  ihr  Alter  (Gatte),  es  fehlen  ihr  ihre  Kinder: 

ihren  Alten  beweint  sie,  ihre  Kinder  beweint  sie. 
310.  Während  ihres  Weineos  sagt  sie: 

„Auf  den  von  südlichen  Weibern  (begangenen)  weiblichen  Wassern, 

auf  den  von  südlichen  Männern  (begangenen)  männlichen  Wassern, 

goldenes  Weib,  des  Südens  Tochter  lebt. 

Voriges  Jahr  im  Winter,  in  mittwinterlicher  Kälte 
315.  wohin  immer  gehende  südliche  Vögel, 

alle  auf  ihre  Knie  giengen  (sich  zu  wärmen) : 

(aber)  meine  kleine  Kinder  in  mittwinterlicher  Kälte 

wurden  von  ihren  Knien  herabgestossen, 

und  giengen  in  der  Kälte  zu  Grunde. 

116 


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KOSMOGONISCHE  SAGEN  DER  WOGULEN. 


320.  Wenn  ich  nun  keine  kleinen  Kinder  habe: 

möchte  ich  doch  (wenigstens)  finden  meinen  Alten. 

möchte  ich  doch  (wenigstens)  finden  meinen  Herren!" 

Diese  seine  Gansfrau  kam  dann  in  diese  Gegend. 

Im  Herbste,  als  (Numi-Tärem  Vater)  kurze  Tage  machte, 
325.  im  Süden  wohnende  viele  Vöglein 

auf  ihre  von  südlichen  Weibern  (begangenen)  weiblichen  Wasser, 

auf  ihre  von  südlichen  Männern  (begangenen)  männlichen  Wasser 

dachten  sie  wieder. 

CJold-fffcr's  Gatlin  geht  weinend  wieder. 
330.  Als  sie  an  den  sonnbeschienenen  Tannenwaldrand  gelangte, 

sprach  sie  weinend: 

„Einstens,  mein  Herrchen, 

von  dem  meine  Tochter,  mein  Sohn  waren, 

mein  gutes  Herrchen,  — 
335.  an  diesem  Orte  brach  er  sich  die  Knochen, 

an  diesem  Orte  fault  sein  Fleisch!" 

Hiemit  gieng  sie  denn  wieder  weiter. 

Nachdem  seine  Gattin  weggegangen, 

(Golt-üfc'r)  sich  zu  argem  begann. 
340.  Er  dachte:  neulich  das  hatte  gesagt  (meine  Gansfrau), 

dass  meine  Tochter  und  mein  Sohn  in  der  Kälte  zu  Grunde  ge- 
gangen sind; 

nun  also,  wenn  ich  bald  von  unten,  oder  von  oben  dahin  gelange, 
dein  goldenes  Weibstum  wird  grade  so  hin  sein. 
345.  Go\<\-äter  läuft  nur,  läuft  nur. 

Lange  Zeit  lief  er,  oder  kurze  Zeit  lief  er,  — 

bis  er  dahin  gelangte  (in  die  Heimat  der  Wandervögel)  ? ! 

An  einem  Orte  wurde  er  kraftlos. 

„Nun.  genug!  —  ich  lege  mich  wieder  nieder"  (sprach  er). 
350.  Auf  einen  himmelerstrebenden  Felsen 
hinlegte  er  sich. 

Lange  Zeit  lag  er,  oder  kurze  Zeit  lag  er, 
er  dachte:  „eh,  ich  hatte  neulich  ein  Ross! 
Eh !  aus  den  Ruinen  des  Stalles  der  von  Gold-S'w.  meinem 

Mütterchen  berittenen 

355.  sonnenstrahlenden  sieben  Rosse, 

aus  den  von  Gold- Kwo res,  meinem  Väterchen  erbauten 

schneeweisser  sieben  Rosse  Stallruinen 

einstens  an  Schultern  geflecktes, 

einstens  an  Hüften  geflecktes, 
360.  geflügelles  Ross  wuchs  auf. 

Von  welchem  lieben  Orte  immer, 

wenn  mein  Gesang  vorwärts  schritte, 

wenn  meine  Sage  vorwärts  schritte, 

wie  von  oben  herabschlagender  Regentropfen, 

117 

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DR.   BERNHARD  MUNKACSI 


365.  wie  von  oben  herabschlagender  Windhauch, 

schlag'  her  herab !" 

Dann  fiel  er  in  Ohnmacht. 

Lange  Zeit  lag  er.  oder  kurze  Zeit  lag  er, 

einmalt  fühlt  er  (hört  er), 
370  dass  seine  Wange  irgendwas  streichelt 

Er  öftnet  seine  Augen, 

sein  Ross  also  schmiegt  sich  an  ihn. 

Nun  hierauf  erwachte  er. 

und  stieg  hinauf  auf  den  Rücken  des  Bosses. 
375.  Wie  er  den  auf  der  einen  Seite  befindlichen  Halflerriemen  bewegt : 

die  auf  der  einen  Seite  befindliche  Himmelsgegend  singt  mit  Sil- 
berstimme, 

wie  er  den  aul  der  anderen  Seite  befindlichen  Halflerriemen  be- 
wegt : 

an  der  auf  der  anderen  Seite  befindlichen  Himmelsgegend  tau- 
chen aul  Sonne  und  Mond. 

Die  reifringartig  rollende  runde  Erde  ringsum  geht  er. 
380.  in  jene  von  südlichen  Weibern  (begangene)  Gegend   gelangt  er, 

in  jene  von  südlichen  Männern  (begangene)  Gegend  gelangt  er. 

(Hier)  also  sind  jener  gold wässerigen  sieben  Meere 

südliche  Vogel  so  viele, 

dass  die  Erde  nur  so  bebt. 
386.  das  Meer  (davon)  nur  so  anschwillt. 

Wie  er  denn  näher  geht. 

mit  seinem  Ohre  er  sie  beobachtet  : 

flutender  Ocean  zur  Flut  sich  schwellt, 

wogender  Ocean  zu  Wogen  sich  schwellt. 
31)0.  Seine  Unterhaltung  sieben  Nächte  hindurch  kein  Ende  erreicht. 

seine  Unterhaltung  sieben  Tage  hindurch  kein  Ende  erreicht. 

Er  sieht  :  jenes  Süd -Mädchen,  das  goldene  Weib  sitzt  ; 

nach  seiner  Seite  es  hinblickt : 

sein  Ganstöchterehen,  sein  Ganssöhnchen, 
395.  so  wie  sie  starben,  so  liegen  sie  (dort). 

Seine  über  geflügelten  Sieben  sitzende. 

über  füssigen  Sieben  sitzende 

von  Tiirrm  herabgelassene  heilige  Mütze 

rutscht  jetzt  ganz  auf  seine  Auge  herab. 
400.  Zu  seinem  Hosse  er  spricht: 

„Auf  dem  vom  südlichen  Weibe  bewohnten  Orte. 

mein  Ross,  jetzt  dort  gehe  hindurch  ! 

Dein  Vorderfuss  (deine  Hand),  wie  du  ihn  trügst: 

jenes  goldenen  Weibes  Knochen 
405.  auf  jene  Gegend  hingestreut  sein  mögen  ; 

dein  rlinterfuss,  wie  du  ihn  trägst : 

jenes  goldenen  Weibes  Fleisch 

auf  jene  Gegend  hingestreut  sein  möge!"' 

118 

V  • 


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KOSMOGONISCHE  SAGEN  DER  WOGULEN 


Da  nimmt  ihn  jene  Frau  wahr; 
410.  zu  ihren  sieben  Kammerfrauen  sie  spricht  : 
«Dorthin  sehet ! 

aus  der  Ferne  zweier  Himmel,  zweier  Himmelreiche 
eine"  Herren  Kommen  ist  sichtbar; 
den  ich  als  Gatten  besitzen  werde,  der  herrliche  Mann, 
415.  wohin  verschwindet  er?!" 
Holdster  kommt. 

Jene  goldene  Frau  spricht  zu  ihren  K ammer trauen : 
„Wohin  jenes  Ross  seine  Vorder-  und  Hinterfüsse  hinstellt,  auf 

jenen  Ort 

legt  hin  vier  Silberschalen  !tt 
420.  Holdster  gelangte  hin. 

Des  Bosses  Vorder-  und  Hinterfüsse  in  jene  Silberschalen, 
dahin  stiegen  hinein. 

Jene  Silberschalen  an  die  Platte  der  Hufe 

sich  anklebten. 
425.  Wie  es  lief,  jenem  goldenen  Weibe 

vom  Rande  seiner  eigenen  Silberschalen 

wurden  nach  sieben  Richtungen  hin  zerrissen  die  Knochen, 

wurde  nach  sieben  Richtungen  hin  zerrissen  das  Fleisch. 

Holdster  gieng  also  (dort )  hindurch ; 
430.  jenes  sein  Trtchterlein  und  Söhnlein  aber 

in  Gansgestalt  weiter  flogen. 

Jetzt  von  den  goldwässerigen  sieben  Meeren 
Goldstar  sich  zurückwendet. 
Seine  Schwester  kam  ihm  nur  jetzt  in  den  Sinn. 
435.  Als  er  in  die  Burg  gelangte,  wo  er  seine  Schwester  gelassen, 
sind  jene  langschwünzigcn  Helden  bis  auf  den  letzten  zu  Grunde 

geganden. 

In  jener  leeren  Burg  nur  seine  Schwester  allein  lebt. 
Auf  ihr  an  Schultern  geflecktes,   an  Hüften  geflecktes,  geflügel- 
tes Ross 

jetzt  alle  beide  wieder  hinaufsteigen. 
440  Während  sie  ihrer  geflügelten  Pelze  Flügel  (unter  sich)  drücken, 
zwischen  die  zwei  Himmel  (d  h.  Himmel   und   Erde)  erhoben 

sie  sich, 

zwischen  beide  Himmelreiche  erhoben  sie  sich. 
An  einem  Orte  wie  sie  in  die  Ferne  blicken  : 
eh,  ihre  von  selbst  entstandene  moosige  Burg 
445.  ihre  von  selbst  entstandene  Tundrahügel-Burg 
ward  nun  sichtbar. 

In  ihre  Burg  gelangten,  dahin  giengen  sie  hinein  ; 
aus  Bier  und  Honigspeisen  bestehendes  Mahl 
assen  sie,  tranken  sie. 
460.  Die  Schwester  geht  hinaus  (aus  dem  Hause), 

liy 


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DR    HERNHARD  MUNKÄCSI 


breitet  ihre  Haarflechten  aus: 

einmündige  sieben  Meere  tauchen  auf. 

einmündige  sieben  Ob-Flüsse  strömen  hervor. 

Auf  den  goldblättrigen,  goldästjgen  Birkenbaum 
455.  goldschwänzige.  goldbeschwingte 

sieben  Kuckucke  lassen  sich  nieder  ; 

sieben  Nächte  hindurch  singen  sie, 

sieben  Tage  hindurch  singen  sie, 

ihre  nächtliche  Unterhaltung  endigt  nicht, 
460.  ihre  tägliche  Unterhaltung  endigt  nicht. 

Einen  Kuckuck  schlitzte  sie  auf. 

ihre  (dahin  begrabene)  Mutler  Gold-S'ig  setzt  sich  auf  (erhebt  sich). 

Jetzt  mil  ihrer  Mutler  Gold-S'iS  giengen  sie  hinein  (in  das  Haus). 

Hierauf  ihr  Bruder  geht  hinaus  (aus  dem  Hause), 
465.  seine  Haarflechten  lässt  er  los: 

einmündige  sieben  Meere  tauchen  aut, 

einmündige  sieben  Ob-Flüsse  strömen  hervor. 

Aus  dem  Grunde  der  sieben  Ob-Flüsse,  der  sieben  Meere 

goldrückige  sieben  Kolbenkäfer 
470.  tauchen  empor. 

Einen  Kolbenkäfer  schlitzt  er  auf; 

sein  (dahin  begrabener)  Vater  Gold- ÄtroreS  setzt  sich  auf, 
Jetzt  mit  seinem  Vater  (jo\d-Kworr&  giengen  sie  hinein  in  das  Haus, 
an  den  goldfüssigen  Tisch  setzten  sie  sich, 
475.  Bier,  Honigspeisen  assen  sie,  tranken  sie. 

Jetzt  die  Gold-Kalte^  und  den  ilo\d-ater  — 
Gold-SVs  ihre  Mutter 
und  Gold-Äiroreö  ihr  Vater 
in  goldreifige  zwei  Wiegen  sie  legten, 
480.  sieben  quastige  Silberketten  schlössen  sie  an 

und  an  der  Hessen  sie  dieselben  auf  diese  unten  befindliche 

Erde  herab. 

Auf  diese  unten  befindliche  Erde  also  gelangten  sie :  nirgends  ein 
Mensch.  Auf  einmal  nur  spricht  die  Schwester:  »Brüderchen,  dahin 
sieh !  neulich,  als  die  heilige  Feuerflut  geschah,  die  auf  dem  sieben- 
fachen PappelholzschifT  aufs  Trockene  gelangte  Frau  und  der  alte 
Mann  sind  jene  dort,  sieh  !'  Sie  begannen  dahin  zu  gehen.  Ob  sie 
nun  auf  Flügeln  gehen,  oder  auf  Füssen  gehen,  oder  wie  immer  es 
ist,  —  sie  gelangten  hin.  Die  Frau  und  der  alte  Mann  hatten  ein 
Haus  erbaut.  Die  Waldbäume  waren  nach  dem  Entfernender  heiligen 
Feuerflut  schon  so  gross  geworden,  dass  sie  hin  und  her  zusammen- 
stückelnd (die  Bäume)  erbauen  konnten  (ihr  Haus).  —  Die  von  jener 
Frau  und  vom  alten  Mann  stammenden  Töchter  und  Söhne  leben  bis 
auf  den  heutigen  Tag  und  sind  glücklich. 


120 


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K0SM0G0NISCI1E  SAGEN  DER  WOGULEN. 


IV. 

Die  Sage  von  der  heiligen  Feuerflnt. 
A. 

1.  Nwni-Türem  unser  Vater  dachte  darüber  nach,  wie  er  den 
XuV -äter  tödlen  könne.  Die  von  XuV-äte'r  bewohnte  Erde  mit  heiliger 
Feuerflut  zu  überschwemmen  beabsichtigt  er  Für  sein  eigenes  Volk 
ein  eisernes  Schiff  verfertigt  er;  für  seine  Leute  ein  siebenfaches  Bir- 
kenfloss  verfertigt  er,  aus  siebenfacher  Störhaut  ein  Deckzelt  verfer- 
tigt er.  Nachdem  er  fertig  geworden,  Hess  er  sein  eigenes  Volk  in 
das  eiserne  Schill  steigen,  sein  mafisi-artiges  Volk  aber  kroch  in  das 
üher  dem  Birkenfloss  errichtete  Deckzelt.  Numi- Tärem  gieng  jetzt  hin- 
auf in  seinen  Himmel  und  liess  dann  herab  die  heilige  Feuerflut.  Feu- 
riges Wasser,  lebendige  /«r-Würmer,  lebendige  soss«i-Würmer  liess  er 
von  oben  herab.  Wo  immer  befindlicher  Bergbaum.  Waldbaum  wurde 
sammt  Erde,  sammt  allem  vernichtet.  Sechs  Schichten  des  Flosses 
der  Menschen  verkohlten  im  Feuer,  eine  Schichte  blieb  übrig.  Welcher 
Mensch  über  das  Floss  hinaus  stürzte,  der  starb;  ein  anderer  blieb 
unversehrt,  sein  Leben  (Seele)  rettete  sich 

2.  Den  XuV-ater  brachte  die  Feuerflut  nicht  um.  Während  Nu- 
mi-Türem  das  eiserne  Schiff  zu  verfertigen  gieng,  kam  er  zu  Numi- 
Tärem  's  Gattin ;  sprach  zu  ihr  :  „Wohin  geht  dein  Gatte  stets  ?Ä 
Die  Frau  sprach  :  „Woher  denn  soll  ich  es  wissen?!"  Xul'-Rter  sprach  : 
„Tränke  ihn  mit  dem  in  diesem  Fasse  befindlichen  Wasser,  er 
berauscht  sich,  dann  sagt  er  es  dir,  wohin  er  geht."  Numi- 
'I\rhm  kehrte  heim,  mit  solchem  Wasser  sie  [seine  Frau]  ihn  tränkte, 
er  berauschte  sich,  seine  Frau  fragte  ihn  und  er  sagte  ihr  seine  Ab- 
sicht, dass  er  heilige  Feuerflut  mache.  Den  XuV-yJter  legte  [die  Frau] 
heimlich  in  ein  Nähzeug-Lädchen,  trug  ihn  dann  hinauf  in  das  eiserne 
Schiff,  über  die  heilige  Feuerflut  hob  sie  ihn.  Obgleich  die  Erde  zer- 
trümmert ward,  Xul'-äter  ward  doch  nicht  getödtet  Dies  war  die  Art 
der  Rettung  seines  Lebens. 

B. 

1.  Sieben  Winter  und  Sommer  brennt  das  Feuer.  Sieben  Winter 
und  Sommer  verzehrt  das  Feuer  die  Erde.  Sieben  Winter  und  Som- 
mer sagt  altes  (grosses)  Weib,  alter  Mann:  unsere  Welt,  sieh!  über- 
schwemmt verändert  sich  in  eine  andere,  wie  könnten  wir  fernerhin 
retten  unser  Leben  (unsere  Seelen)?  Ein  alter  Mensch,  ein  anderer 
alter  Mensch,  viele,  wenige  Menschen  versammeln  sich.  In  einem 
Dorfe  versammelten  sie  sich,  begannen  Rat  zu  halten:  auf  welche 
Weise  werden  wir  nun  leben  ? 

2.  Ein  bejahrter  Mensch,  ein  bejahrter  Mann  spricht:  „Aufwei- 
che Weise  wir  von  nun  an  unser  Leben  reiten  ?  !  Wie  ich  gehört  habe, 
soll  man  marklose  Birkenbäume  entzwei  spalten,  Flösse  soll  man  ma- 
cheu. Wenn  dadurch  unser  Leben  gerettci  wird,  so  [nur  dadurch]; 

Hcrrmann,  Ethnologische  Mitteilungen.  121  9 


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DK.  BERNHARD  MUNKÄCSI 


übrigens  wird  sich  auf  keinerlei  Weise  unser  Leben  retten.  Wenn  wir 
auf  dieser  unserer  bewohnten  Erde  leben  wollen :  muss  man  ein 
fünfhundert  Klafter  langes  Seil  flechten  aus  Weidenbaumwurzeln.  Wenn 
dann  dieses  unser  Seil  fertig  ist:  soll  man  ein  Ende  (desselben)  in  eine 
Tiefe  von  einer  Klafter  in  die  Erde  versenken,  das  Ende  an  unser 
Birkenbaum-Floss  binden.  Auf  dieses  unser  Flossmöge  der  viele  Toch- 
ter, viele  Kinder  besitzende  Mann  steigen.  An  das  eine  Ende  dieses 
Flosses  soll  man  einen  Eimer  mit  reinem  Fischtran  hinstellen,  den  vier 
Ecken  gemäss  soll  man  vier  Eimer  hinstellen  Dann  soll  man  über 
die  Kinder  aus  Störhaut  einen  Baldachin  nähen.  Nach  Verfertigung 
des  Baldachins  soll  man  ihn  über  die  Kinder  halten.  Für  den  Ver- 
lauf von  sieben  Nächten,  sieben  Tagen  [hinreichende]  Speis  Vorräte,  be- 
tränke soll  man  bereiten  ;  im  Störhaut-Baldachin  sei  viel  zum  Essen 
und  Trinken.  Wenn  dann  auf  solche  Wreise  sich  unser  Leben  rettet: 
so  rettet  es  sich  auf  diese  Weise. 

3.  Dann  gieng  jeder  heim  in  sein  Dorf.  Dann  als  sie  schon  heim 
gelangt  waren,  floss-verfertigende  Männer  aus  marklosem  Birkenbaum 
Flösse  machten,  seil-verfertigende  Männer  Seile  flochten.  Sieben  Näch- 
te, sieben  Tage  mühten  sie  sich  also  ab.  Welcher  der  Männer  Flösse 
nicht  verfertigen  kann,  er  erfrägt  es  vom  alten  Menschen.  Der  alte 
Mensch  lehrt  ihn :  dies  auf  diese  Weise  mach',  jenes  auf  jene  Wei- 
se mach' !  Nun  mancher  Mensch  Flösse  zu  machen  nicht  verste- 
hend, einen  hohen  Ort  zu  suchen  beginnt.  Vergebens  geht  er  herum, 
bewohnbaren  Ort  findet  er  nicht.  Dann  fragen  sie  vom  allen  Menschen  : 
„du  erwuchsest  vor  uns  (früher  als  wir),  vielleicht  weisst  du  irgendwo 
irgendeinen  [geeigneten]  Ort?-  Der  Alte  antwortet :  „Wenn  wir  auch 
wüssten,  wie  habt  ihr  dort  alle  Platz;  alle  habt  ihr  doch  nicht  Platz  ?! 
Siehe  da  ist  schon  die  heilige  Feuerflut  über  uns  gekommen,  ihres  Kom- 
mens Geräusch,  Brausen  ist  schon  seit  zwei  Tagen  hörbar ;  so  schnell 
wohin  sollen  wir  gehen,  sie  hat  uns  schon  eingeholt?!" 

4.  Dann  eilte  jener  Mensch,  dessen  FIoss  ferlig  war,  darauf  mit 
seiner  Tochter  und  seinem  Sohne.  Welcher  Mensch  aber  kein  Floss  hatte, 
den  vernichtete  das  feurige  Wasser,  so  wie  er  war,  so  wie  er  war,  ver- 
brannte es  ihn.  —  Dann  an  welches  Menschen  Flosse  das  Seil  [infolge 
des  Steigens  der  Wasseroberfläche]  das  Ende  erreichte  (d.  h.  nicht  lang 
genug  war):  der  schnitt  entzwei  [das  Seil];  er  sank  beinahe  unter: 
wie  er  das  Seil  entzwei  schnitt,  so  trug  ihn  [f»rt  die  Flut].  Welches 
Menschen  Slrick  lang  war:  der  so  wie  er  war,  schaukelt  [auf  dem 
Wasser].  Wenn  das  Ende  des  Flosses  sich  entzündet  [vom  feuri- 
gen Wasser]:  begiesst  er  es  mit  reinem  Fischtran  und  loscht  [das 
Feuer].  —  Dann  nach  Verlauf  von  diesen  sieben  Nächten,  sieben  Ta- 
gen demjenigen  Menschen,  der  [die  Not]  zu  überstehen  vermochte, 
dem  sank  (vertrocknete)  das  Wasser ;  demjenigen,  der  sie  nicht  zu 
überstehen  vermochte,  dessen  Seil  zerriss  und  ihn  trug  die  Flui 
weg.  Welcher  Mensch  es  überstand,  der  gelangte  auf  seinem  eigenen 
Landstück  aufs  Trockene.  Die  übrigen  Menschen  wohin  sie  gelanglen, 
dort  erreichten  sie  das  Trockene.  Welcher  Mensch  [die  Drangsal J  nicht 

122 


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R08M0G0NISCHE  SAGEN  DER  WOOÜLEN. 


überstehen  konnte,  ward  sammt  Töchtern.  sammL  Söhnen,  so  wie  er 
war,  vernichtet,  ihr  Leben  entschwand  ihnen  so  (ihre  Seele  gieng  so 
weg).  Dann  begannen  die  übriggebliebenen  Menschen,  d.h.  diejenigen, 
die  auf  ihrem  Landstück  geblieben  waren,  dort  zu  wohnen. 

5.  Dann  suchten  sie  Holz  zum  Hausbau.  Nirgends  ein  Baum, 
nirgends  ein  Gras ;  so  wie  sie  waren,  wurden  sie  vernichtet,  verbrann- 
ten sie.  Die  Erde  [des  Pflanzenreiches]  ist  auf  eine  Klafter  Tiefe  ausge- 
brannt, ist  [durch  das  Feuer]  ausgemuldet;  daher  ist  weder  Baum, 
noch  Gras.  Sie  fanden  nichts,  womit  man  Häuser  hätte  bauen  können. 
Erdhütten  begannen  sie  also  zu  graben.  Nachdem  sie  ihre  Erdhütten 
fertig  hatten,  begannen  sie  darin  zu  wohnen.  Ueberall  kann  man  hö- 
ren, dass  jenes  Volk,  das  [nach  der  Sintflut]  übrig  blieb  und  in  den 
nahe  gelegenen  Dörfern  gelebt  hat,  sich  dort  Erdhütten  gegraben 
hat.  Dann  kann  man  auch  das  überall  hören,  dass  wo  sie  sich  nie- 
dergelassen hatten,  dort  [nach  der  Sintflut]  sie  aufs  Trockene  gelangten. 

6\  Dann  versammelten  sich  nun  die  übriggeblieben  Alten  und 
zu  7'ärem  sie  [also]  flehten :  wO,  auf,  welche  Weise  stillt  sich  unserer 
Tochter  Hunger  (Herz),  unseres  Sohnes  Hunger?  Nun  gibt  es  keinen 
Wasserfisch,  kein  Waldtier.  Nun  also  Numi-Tärem  unser  Vater,  lass 
herab  wenigstens  Wasserfische,  lass  herab  Waldtiere !  Wir  deine  neu- 
lich übriggelassenen  Menschensöhne  würden  den  Hunger  unserer  Toch 
ter  daher  stillen,  würden  das  stillende  Mittel  für  den  Hunger  unseres 
Sohnes  dort  suchen  Wenn  er  sich  auf  das  Wasser  herablässt  [dein 
Menschensohn]:  lass  [für  ihn]  Wasserfische  herab!  Den  Wasserfisch 
tödtenden  Menschen  segne  mit  Wasserfisches  Glück,  den  in  den  Wald 
gehenden  Menschen  segne  mit  Waldtieres  Glück!  seiner  Tochter  Hunger 
würde  er  von  da  stillen,  seines  Sohnes  Hunger  würde  er  von  da  stillen. 
Erschaffe  dann  durch  dein  Wort  Waldbäume,  Waldgräser!  Dein  auf 
welchem  Erdteile  immer  übriggebliebener  Mensch  möge  dann  für  be- 
ständig Wurzel  fassen,  sein  sich  vermehrender  Sohn  möge  sich  vermeh- 
ren, seine  sich  vermehrende  Tochter  möge  sich  vermehren  !u 

C. 

1.  Weltbeobachtender  Mann  traf  einmal  während  seines  Ausrei- 
tens einen  maiist-Menschen  an.  „Komm'  her  !a  —  sprach  er.  Der 
waüs7-Mensch  gelangle  hin.  Wellbeobachtender  Mann  riss  ihn  an  die 
Hüfte  seines  Rosses,  der  mahät-Mensch  klebte  an  die  Hüfte  des  Ros- 
ses  hin.  Zu  Gold-Äwores  seinem  Vater  gieng  er  dann  hinauf  Als  er 
oben  anlangte,  sprach  er  zu  seinem  maris*  Menschen :  „Kennst  du 
mich  ?a  —  Er  antwortet:  „Woher  sollte  ich  dich  kennen?!"4  —  „[Nun 
also],  bedenke,  der  weltbeobachtende  Mann  bin  ich,  den  du  siehst  !" 
In  seines  Vaters  Göld-Kwores'  silberstangiges  Stangenhaus  giengen 
sie  also  hinein.  Wellbeobachlender  Mann  sprach  zu  seinem  man&i- 
Menschen :  „Wenn  du  innerhalb  der  Türe  gelangst,  bleibe  an  einem 
Orte  im  Hause  stehen!"  Als  sie  ins  Haus  treten,  ist  dort  viel  Volk 
versammelt.  Weltbeobachtender  Mann  von  seinem  Hausvolke  fragt  : 
„So  vieles  Volk,  warum  habt  ihr  euch  versammelt  ?"  Das   Volk  ant- 

123  9* 


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DR.  BERNHARD  MTNKACSJ 


wortet :  „Warum  wir  uns  alle  versammelt  haben,  wir  haben  uns  ver- 
sammelt:  unser  Vater  Gold-Ktrores  macht  heilige  Feuerflut. "  YVellbeob- 
achtender  Mann  spricht :  „Noch  ist  die  Zeit  nicht  gekommen."  Das 
Volk  spricht:  .Unser  alter  Oheim  aus  Jeli's  Sladt  ist  noch  nicht  ge- 
kommen, man  soll  auch  ihn  fragen!"  Weltbeobachtender  Mann  zu 
seinem  Volke  spricht:  „Zitieret  ihn  her."  Ihr  alter  Onkel  aus  Jeli's 
Stadt  wird  herzitiert.  Auf  einmal  nur  slürzte  eine  Schneesturm  wölke 
herab,  ein  schneesoh liger  Mann  trat  mit  seinen  Schneesohlen  (in  das 
Haus)  ein.  Der  Alte  aus  Jeli's  Stadt  spricht  zum  Volke:  „Was  habt 
ihr  mich  mit  so  gewaltiger  Krad  herzitiert ;  beinahe  hätte  ich  meine 
alten  Knochen  gebrochen!  —  was  lür  einer  Sache  wegen  habt  ihr  euch 
versammelt?!"  —  „Was  für  einer  Sache  wegen  wir  uns  also  versam- 
melt haben:  unser  Vater  Gold-AVor*£s  macht  heilige  Feuerflut."  Ihr 
Onkel,  der  Alte  aus  Jeli's  Stadt  spricht:  „Noch  ist  die  Zeit  nicht  da; 
—  doch  wo  ist  die  Schrift,  sehen  wir  sie  an!"  —  „In  unseres  Vaters 
Gold- Kxcores  gastsitzendem  Stubenverschlag  liegen  die  Schriften.  Der 
Alte  aus  Jeli's  Stadt  gieng  in  den  gastsitzenden  Stubenverschlag,  welche 
Schrift  er  suchte,  die  fand  er,  öffnete  sie,  zum  Volk  spricht  er :  „Seht 
her,  wahrlich  noch  ist  die  Zeit  nicht  da!- 

2.  Dann  trat  von  draussen  ein  Mann  herein,  zum  Väterchen  des 
Go\d-Kworts  er  spricht:  „Sieh  da,  bereitet  ist  die  warme  Hadestube!* 
Sein  Väterchen  (io\d-Kwore$  hob  er  empor  und  trug  es  in  die  Bad- 
stube. Nachdem  er  sein  Väterchen  Gold- Kwo res  in  die  Badstube  ge- 
tragen hatte,  kam  der  weltbeobachtende  Mann  [aus  dem  Hause]  heraus. 
Seinen  wari&i'-Menschen  rief  er  mit  sich:  „Komm!"  —  so  sprach  er. 
In  des  weltbeobachtenden  Mannes  eigenes  Haus  giengen  sie  hinein.  In 
dem  Hause  standen  (sassen)  drei  Kessel.  Die  Kessel  so  wie  sie  siede- 
ten, sprudelten  über  und  heransfloss  das  Wasser.  Wie  sie  auf 
die  unten  befindliche  Erde  sehen,  hat  von  da  eine  beträchtliche  An- 
zal  Volkes  das  herausgeströmte  Wasser  weggetragen.  Weltbeobach- 
tender Mann  berührte  die  Bäuche  der  Kessel  mit  einem  Tuch,  ihr 
Sieden  Hess  nach.  Ein  wenig  hielten  sie  inne,  die  Kessel  begannen  zum 
zweitenmal  zu  sieden  und  überliefen  wieder.  Wieder  eine  beträchtliche 
Anzal  Volkes  trug  fort  (das  überlaufene  Wasser).  Weltbeobachtender 
Mann  berührte  die  Bäuche  der  Kessel  mit  einem  Tuche,  das  Sieden 
derselben  mässigte  sich.  Sie  hielten  wieder  inne;  die  Kessel  begannen 
auch  zum  drittenmal  zu  sieden.  Weltbeobachtender  Mann  berührte  sie 
wieder  mit  einem  Tuche,  ihr  Sieden  mässigte,  mässigte  sich,  zuletzt 
mässigte  es  sich  ganz,  sie  sieden  nun  nicht  mehr.  Weltbeohachtender 
Mann  spricht  nun  zu  seinem  wiatis/'-Menschen :  „Komm,  gehen  wir!" 
Hierauf  giengen  sie  in  das  Haus  des  Vaters  Hold- Kuore's 

3.  Vater  Go\d-Kirores  kam  aus  jener  Badstube  herein.  Er  spricht 
zu  seinem  Sohne:  „Söhnchen,  warum  hast  du  vereitelt  (niedergetreten) 
mein  Streben?"  Weltbeobachtender  Mann  spricht:  „0  Vater,  wie  sollte 
ich  es  nicht  vereiteln;  ich  bedauerte  meine  vielen  Menschen !-  Weiss- 
gekleidete  sieben  Männer  traten  jetzt  von  aussen  herein:  ihren  Vater 
Go\d-Kicorfo  setzten  sie  über  die  oberste  Leiter  von  sieben  Leitern.  — 


124 


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KOSMOP.ONISCHE  SAGEN  DER  WOGULEN. 


i 


Welfbeobachlender  Mann  gicng  mit  jenem  seinem  marisi-Menschen 
hinaus  [aus  dem  Hause].  Weltbeobachtender  Mann  stieg  auf  den  Rücken 
seines  Tieres  hinauf,  seinen  waiW-Menschen  klebte  er  an  die  Hüfte 
seines  Rosses  und  so  giengen  sie  weg.  Wo  er  früher  seinen  marisi- 
Menschen  gefunden  hatte,  dort  (Hess  er  ihn  frei). 


V. 

Heiliges  Lied  von  der  Herablassung  der  Erde  ans  dem  Himmel. 

1.  (\o\d-Kwores  (Gold-Himmel)  Väterchen,  Gold-Kwores  Papachen 
hat  sich  in  eines  silbernen  Spindelringes  Grösse  geschaffen. 
5'o/>er-Frau,  Äa/m'-Frau  Mutter  hat  er  herabgelassen, 
Xul'&ter-Tochior  (Teufelslürsten  Tochter)  hat  er  erschaffen, 

5.  Oben-gehenden-geflügelten-Äa/m  hat  er  erschaffen. 

♦ 

Lange  lebten  sie  oder  kurze  Zeit  lebten  sie,  einmal  nur 

spricht  A'«r-a/«r-Tochter  zum  Oben-gehenden-geflügelten-lTalw : 

„Zu  Go\d-Kwore»,  deinem  Vater  geh'  hinauf! 

Von  Gold- Kwores,  deinem  Väterchen  erfrage  dies: 
10.  „Die  ö'oper-Frau  Mutter  hat  er  herabgelassen, 

die  JTawi-Frau  Mutter  hat  er  erschaffen; 

an  einem  kommenden  Tag  wird  Go\d-Kwords  Väterchen 

des  Menschenzeitalters  Welt  erschaffen, 

der  Manschenperiode  Welt  erschaffen; 
15.  diese  S'oper-Frau  Mutter,  ÜTatwi-Frau  Mutter 

mit  irgend  welcher  seiner  Fesseln  möge  er  fesseln, 

mit  irgend  welchem  seiner  Gürtel  möge  er  umgürten ; 

(dann)  der  auf  seinen  Fusspitzen  stehende  Mensch  kann  es  bald 

nicht  mehr  aushalten, 

6'op/r-Frau,  Kami-Fr&u  Mutter  ineinemfort  dreht  sich." 

20.  Jetzt  der  Oben-gehende-geflügelte-iTaim 

zu  Gold'Kwores  seinem  Väterchen  also  hinaufgeht. 
Lange  gieng  er,  oder  kurze  Zeit  gieng  er,  woher  soll  er  dies 

wissen  ? ! 

Einmal  nur  zu  Go\d-Kwores\  seines  Väterchens  Wohnort 

er  also  hinaulgelangte. 
25.  Silberan gelige  sechs  Türen  sechs  er  öffnete, 

dlberan gelige  siebente  Türe  zum  siebenten  er  öffnete. 

In  des  türversehenen  Hauses  innern  Raum  er  jetzt  hineingeht, 

auf  die  Mitte  der  Dielen  des  gedielten  Hauses  blickt  er  hin: 

goldrändige  sieben  Tische  sieben  dort  stehen, 
30.  neben  goldrändigen  sieben  Tischen 

Gold- Kwores  Väterchen 

auf  goldfüssigem  heiligem  Trone  (Slule)  sitzt ; 

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DK.  BERNHARD  MUNKÄCSI 


sein  goldknüpfiger  heiliger  Stab 

ist  an  seine  rechte  Wange  geschmiegt. 
35.  Auf  die  Mitte  des  gedielten  Hauses  als  er  hingelangte, 

Go\d-Kwores  Väterchen  seinen  goldknöpfigen  heiligen  Stab 

von  seiner  Wange  weghob, 

auf  ihn  er  blickt,  fragt  ibn: 

„  Oben-gehender-geflügelter-lTttZm, 
40.  welche  Boten-Tier  [getragene]  Botschaft,  hast  du  gebracht?41 

Oben-gehender  geflügelter-ÄaJm  zu  Gold-Ätoores,  seinem  Vater 

spricht : 

„Welche  boten  Tier  [getragene]  Botschaft  ich  bringe? 
Die  Boten-Tier  [getragene]  Botschaft,  welche  ich  bringe,  ist  diese  : 
i\old-%icores  Väterchen!  -XwZ'-äter-Maid  [so]  sprich: 
45.  „Diese  6"o/>er-Frau  Mutter  hast  du  also  herabgelassen, 
diese  Äawi -Frau  Mutter  hast  du  also  erschaffen; 
an  einem  kommenden  Tage  wirst  du  des  Menschenzeitalters  Welt 

erschaffen, 

wirst  du  der  Menschenperiode  Welt  erschaffen : 
was  für  einer  auf  seinen  Fussspitzen  stehender  Mensch  wird  es 

bald  aushallen, 

50.  [denn]  diese  S'oper-Frau,  ifamt-Frou  Mutter  in  einem  fort  sich 

dreht?! 

Du  mit  irgend  welcher  deiner  Fesseln  fessele  sie, 
mit  irgend  welchem  deiner  Gürtel  umgürte  sie!" 

Uold-JCtvore*  Väterchen  sein  Haupt  herabsenkle, 
bis  ein  eisiger  Fisch,  bis  ein  schneeiger  Fisch  kochen  kanu, 
55.  [so  lange  Zeit]  wortlos  (ohne  mündige  Zunge)  so  sitzt  er. 
Als  er  sein  Haupt  erhob,  [so]  spricht  er: 
„Ich  erschaffe  Sieben -Berg  Mutter, 
lasse  Paräp-Frau  Mutter  herab ; 
auf  meine  rechtseitige  Schulter 
60.  meine  lebendige  Schlangen-Peitsche  ich  schwinge: 
strom-laufende  zahlreiche  Bäche 
in  grosser  Zahl  strömen  von  dort; 
auf  meine  linkseitige  Schulter 
meine  lebendige  Schlangen- Peitsche  ich  schwinge: 
65.  schnell  fliessende  viele  kleine  Flüsse 

in  grosser  Zahl  fliessen  heraus  von  dort." 
Von  ilo\d-%wores\  des  Väterchens  Wohnhause 
silberangeligen  sieben  Türen 
Oben-gehender-geflügelter-Äa/w 
70.  nun  /.um  siebenten  öffnet,  hinaus  geht, 

zur  XuV-zter-Tochler  er  hierait  herabsteigt. 

Nachdem  er  herabgelangt, 

X«r-ä/cr-Tochter  ihn  fragt: 

„  Oben-gehender-geflügelter-  Kalm, 

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KOSMOGONISCIIE  SAGEN  DER  WOGULEN. 


75.  was  für  eine  Boten-Tier  [getragene]  Botschaft  bringst  du?" 
Oben-gehender-geflügelter-Kalm  spricht : 
„Was  für  eine  Boten  Tier  [getragene]  Botschaft  ich  bringe?! 
Die  Boten-Tier  [getragene]  Botschaft,  welche  ich  gebracht  habe, 

ist  diese: 

(iold-'Kwores  Väterchen,  Gold ■<Ktcor9s  Papachen  [so]  spricht: 
80.  S'opir-Frm  Mutter,  Äami-Frau  Mutter 
zu  umgürten  habe  ich  schon  umgürtet ; 
Sieben-Berg  Mutter  habe  ich  erschaffen, 
Paräp-Frm  Mutter  habe  ich  herabgelassen." 

Nachdem  sie  lange  [so]  gelebt  haben, 
85.  oder  kurze  Zeit  [so]  gelebt  haben, 

„Y'w/-äter-Tochter  wenn  sie  sich  niedersetzt, 

auf  ihrem  Sitzplatz  hat  sie  keine  Ruhe; 

Awr-äter-Tochter  wenn  sie  aufsteht, 

auf  ihrem  Stehplatz  hat  sie  kein  Bleiben. 
90.  Zum  Oben gehenden-geflügelten-ifafm  sie  spricht: 

»Zu  Gold-3Ctrom,  deinem  Väterchen  geh'  hinauf  wieder! 

Von  Gold-Hwores,  deinem  Väterchen  erfrage  du  dies: 

des  Menscbenzeiialters  Welt  wie  soll  man  erschaffen, 

der  Menschenperiode  Welt  wie  soll  man  erschaffen?" 
95  Oben-gehender-gefiugelter-iTa&n  hiemit  hinaufgeht. 

Lange  gieng  er,  oder  kurze  Zeit  gieng  er,  woher  weiss  er  es?! 

Einmal  nur  an  des  Gold-Hwores  Väterchen  bewohnten 

silberangeligen  siebentürigen  Hauses  Aussenseite  gelangte  er. 

Die  silberangeligen  sechs  Türen  zu  sechsen  er  öffnete, 
100.  die  süberangelige  siebente  Türe  zum  siebenten  er  öffnete. 

In  des  türversehenen  Hauses  Inneres  er  jetzt  hineingeht. 

Auf  die  Mitte  der  Dielen  des  gedielten  Hauses  er  hinblickt: 

dort  also  goldrändige  sieben  Tische  stehen ; 

neben  goldrändigen  sieben  Tischen 
105.  Gold  -üwores  Väterchen 

auf  goldfüssigem  heiligem  Trone  sitzt ; 

sein  goldknöpflger  heiliger  Stab 

ist  an  seine  rechte  Wange  geschmiegt 

Auf  Oben-gehenden -geflügelten- Kahn  blickend,  ]so]  spricht  er: 
110.  „Oben-gehender-geflügelter-üfalro, 

was  für  eine  Boten-Tier  [getragene]  Botschaft  hast  du  gebracht?" 

Oben-gehender  geflügelter- Kalm  [so]  spricht: 

„Gold-'TCwore*  Väterchen,  Go\dJ%wore8  Fapachen! 

Die  Boten-Tiere  [getragene]  Botschaft,  die  ich  gebracht  habe,  ist  diese  : 
115.  Des  Menschenzeitalters  Welt  wie  soll  man  erschaffen? 

der  Menschen periode  Welt  wie  soll  man  erschaffen?8 

{lo\d-%worest  Väterchen 

bis  ein  eisiger  Fisch,  bis  ein  schneeiger  Fisch  kochen  kann. 

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DR.  BERNHARD  ML'NKÄCSI 


[so  lange  Zeit]  seinen  Nacken  er  herabbeugte. 
120.  Als  er  seinen  Nacken  erhob,  [so]  spricht  er: 

„Des  unbeweglich  stehenden  Waldbaumes  Stamm 

wenn  ihn  Ruten  bewachsen:  lass  sie  seine  Ruten  zerlretcn, 

wenn  ihn  Gras  bewächst:  lass  sie  sein  Gras  zertreten, 

sieben  Söhne  aus  einer  Gebärmutter  mögen  daraus  erwachsen. 
125.  sieben  Töchter  aus  einer  Gebährmütler  mögen  daraus  erwachsen!" 

Oben-gehender-geflügelier-^Caim 

Gold-3Cwores,  seines  Väterchens 

silberangelige  sieben  Türen  zu  sieben  er  öffnete, 

zu  seiner  S'oper-Fr&u,  Aam»-Frau  Mutter 
130.  also  er  herabstieg. 

Als  er  herabgelangte, 

TuZ'-ä/er-Tochter  ihn  fragt: 

r  Oben-gehender-geflügelter-Äai»i  / 

(lold-Hwores,  dein  Väterchen, 
1.'15.  was  für  eine  Boten-Tier  [getragene]  Roischaft  hat  er  dir  gesagt?" 

Oben-gehender-geflügelter-Äa/w  spricht : 

„Von  Go\d-%wores  deinem  Vater,  GoU\-Kwores  deinem  l'apa, 
gesagte  Roten-Tier  [getragene]  Rotschaft  ist  diese  : 
„Des  unbeweglich  stehenden  Waldbaumes  Stamm, 

140.  wenn  ihn  Ruten  bewachsen:  zertritt  seine  Ruten, 
wenn  ihn  Gras  bewächst:  zertritt  sein  Gras! 
Sieben  Söhne  aus  einer  Gebärmutter  daraus  erwachsen  werden, 
sieben  Töchter  aus  einer  Gebärmutter  daraus  erwachsen  werden. 
Hierauf  J^-a/er-Tochter 

1-15.  des  unbeweglich  stehenden  Waldbaumes  Stamm, 

wenn  Ruten  ihn  bewuchsen:  seine  Ruten  sie  zertrat, 
wenn  Gras  ihn  bewuchs:  sein  Gras  sie  zertrat; 
sieben  Söhne  aus  einer  Gebärmutter  erwuchsen  daraus, 
sieben  Töchter  aus  einer  Gebärmutter  erwuchsen  daraus. 

150.  Ihre  aus  einer  Gebärmutter  stammenden  sieben  Söhne, 
ihre  aus  einer  Gebärmutter  stammenden  sieben  Töchter, 
nachdem  sie  lange  gelebt  haben, 
oder  nachdem  sie  kurze  Zeit  gelebt  haben, 
können  schon  mit  spitzen  Holzpfeilen  schiessen,  so  gross  sind  sie 

geworden 

155.  Oben  gehenden  geflügelten  Tieres 

Herz  zum  Beben  sie  bringen : 

unten  wandelnden  füssigen  Tieres 

Herz  in  Verzweiflung  sie  stürzen. 

jr«r«/er-Tochter  ihre  Mutter 
160.  zu  Oben-gebendem-geflügeltem-tfafm  wieder  spricht: 

„Oben-gehender-geflügelter-Jftib/i  / 

Zu  Go\d-Kwor&,  deinem  Väterchen 

geh'  hinauf  du  wieder!  Trage  ihn  dies: 

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KOSMOGONISCIIE  SAGEN  DER  WOGULEN. 


„Meine  sieben  Söhne  au«  einer  Gebärmutter  sind  sieh!  erwachsen. 
166.  meine  sieben  Töchter  aus  einer  Gebärmutter  sind  sieh!  erwachsen; 

aber  jetzt  die  essbaren  Uutcnknospen  (d.  h.  die  tägliche  Nahrung.» 

woher  sollen  sie  hernehmen, 

die  essbaren  G rasknospen  (wo)  sollen  sie  suchen, 

auf  Herzspitze  gehörigen  (d  h    Hunger  stillenden)  schmackhaf- 
ten Bissen  (wo)  sollen  sie  suchen?" 

Oben-gehender-geflügelter-ftafm 
170.  zu  Gold Ktcores.  seinem  Vater  wieder  hinaufgeht. 

Lange  gieng  er,  oder  kurze  Zeit  gieng  er,  woher  weiss  er  es?! 

An  des  Gold-ÄfroiVs-Väterehen  bewohnten 

silbei  angeligen  siebenlürigen  Hauses  Aussenseite 

er  wieder  gelangte. 
175  Die  silberangeligen  sechs  Türen  zu  sechsen  er  öffnete, 

die  silberangelige  siebente  Iure  zum  siebenten  er  öffnete. 

In  des  türversehenen  Hauses  Inneres  er  jetzt  gelangte. 

Goldrändige  sieben  Tische  sieben  stehen  [dort| ; 

neben  goldrändigen  sieben  T  sehen 
180.  (lo\d- Ktcores,  sein  Väterchen 

auf  goldfüssigem  heiligem  Trone  sitzt; 

sein  goldknöpfiger  heiliger  Stab 

ist  an  .»eine  rechlseitige  Wange  geschmiegt. 

Als  Oben-gehender-geflügelter-'3\ alm 
185.  auf  die  Mitte  der  Diele  des  gedielten  Hauses  gelangte, 

Gold  Ktcores  Väterchen  sein  Haupt  erhob. 

B0ben-gehender-geflügeller-7\alm, 

was  für  eine  Bolen  Tier  [gelragene]  Botschaft  hast  du  gebracht? 
.Was  für  eine  Boten-Tier  [getragene]  Botschaft  ich  bringe?  — 
190.  Gold-ÄVom  Väterchen,  Gold- Ktcores  Papachen? 

Die  Boten-Tier  [getragene]  Botschaft,  welche  ich  gebracht  habe. 

ist  diese: 

XuV-äter-TochteT  hat  sieben  Söhne  aus  einer  Gebärmutier  geboren, 
sie  hat  sieben  Töchter  aus  einer  Gebärmutter  geboren; 
schon  können  sie  mit  spitzen  Holzpfeilen  schiessen,  so  gross  sind 

sie  geworden; 

195.  oben  gehenden  geflügelten  Tieres 

Herz  zum  Beben  sie  bringen. 

unten  wandelnden  nissigen  Tieres 

Herz  in  Verzweiflung  sie  stürzen : 

jetzt  die  essbaren  Rutenknospen  wo  sollen  sie  suchen, 
200.  die  essbaren  Grasknospen  wo  sollen  sie  suchen, 

auf  Herzspitze  gehörigen   schmackhaften  Bissen  wo  sollen  sie 

finden  ?B 

Gold-Ktcores- Väterchen  spricht : 

„An  das  Gelände  dichlbeholzten  schwarzen  Gestrüppes 
sieben  Elentierkühe  lasse  ich  herab, 
205,  sieben  Elentierstiere  lasse  ich  herab. 

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DR.  BERNHARD  MUNKACSI 


Wenn  ich  lenzigen  langen  Tag  erschaffe, 
von  bergenden  Ruten  her, 
von  bergendem  Gras  her,  — 

die  essbaren  Rutenknospen  von  da  mögen  sie  suchen, 
210.  die  essbaren  Grasknospen  von  da  mögen  sie  suchen, 

auf  Herzspitze  gehörigen  schmackhaften  Bissen  dort  mögen  sie 

finden ! 

Ein  Teil  meines  Landgebietes,  ein  Teil  meines  Wassergebietes, 
ist  baumarmes  armes  Moor, 
ist  grasarmes  armes  Moor, 
215.  grauhaarige  viele  Hischkälber  lasse  ich  dahin  herab. 
Wenn  ich  lenzigen  langen  Tag  erschaffe, 
von  bergenden  Ruten  her, 
von  bergendem  Gras  her,  — 

die  essbaren  Rutenknospen  van  da  mögen  sie  suchen, 
220.  die  essbaren  Grasknospen  von  da  mögen  sie  suchen. 

auf  Herzspitze  gehörigen  schmackhaften  Rissen  dort  mögen  sie 

finden ! 

Ein  anderer  Teil  meines  Landgebietes,  ein  anderer  Teil  meines 

Wassergebietes 

ist  an  Nahrüng  reiches  Todten-Land, 
ist  an  Wasser  reiches  Todten-Land. 
225.  Die  essbaren  Rutenknospen  von  da  mögen  sie  sucnen, 
die  essbaren  Grasknospen  von  da  mögen  sie  suchen, 
auf  Herzspitze  gehörigen  schmackhaflen  Rissen  dort  mögen  sie 

finden!» 

Jetzt  Oben-gehender-geflügelter-'Kafrn 
zur  seiner  S'oper-Frau,  %ami-Fr&\*  Mutter 
230.  also  herabsteigt. 

XuV-äter-Tochter  fragt  ihn : 
«Oben-gehender-geflügelter-'Kafrw, 

was  für  eine  Boten-Tier  [getragene]  Rotschaft  hast  du  gebracht  ?" 
Oben-gehender-geflügelter-'JiaZm  spricht : 
235.  „Die  Boten-Tier  [getragene]  Botschaft,  die  ich  gebracht  habe, 

ist  diese : 

Go\d-Kwores  Väterchen,  Gold- Kwores  Papachen 

an  das  Gelände  dichtbeholzten  schwarzen  Gestrüppes 

sieben  Elentierkühe,  sieben  Elentierstiere, 

sagte  er,  dass  er  herablassen  wird, 
240.  auf  baumarmes  armes  Moor, 

auf  grasarmes  armes  Moor, 

grauhaarige  viele  Hirschkälber, 

sagte  er,  dass  er  herablässt; 

an  Nahrung  reiches  Todten-Land 
245.  an  Wasser  reiches  Todten-Land, 

sagte  er,  dass  er  herablässt. 

Wenn  er  lenzigen  langen  Tag  erschaffen  wird, 

ISO 


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K08M0G0N  ISCHE  SAGEN  DER  WOGULEN. 


von  bergenden  Ruten  her, 
von  bergendem  Gras  her,  — 
250,  die  essbaren  Rutenknospen  von1  da  mögen  sie  suchen, 
die  essbaren  Grasknospen  von  da  mögen  sie  suchen, 
auf  Herzspitze  gehörigen  schmackhaften  Bissen  dort  mögen  sie 

finden!- 

Nun  die  von  einer  Mutter  seienden  sieben  Söhne 
sieh,  in  das  Gelände  dicht  beholzten   schwarzen  Gestrüppes 

gehen, 

255.  sieben  Elentierkühe,  sieben  Elentierstiere  sie  dort  finden. 

Hinter  bergendem  Gestrüppe  [schleichend]  nähern  sie  sich  den- 
selben, 

hinter  bergendem  Gras  [schleichend]  nähern  sie  sich  denselben. 

Der  älteste  Mann  von  ihnen  mit  dem  Bogen  schiesst : 

die  sieben  Elentierkühe,  die  sieben  Elentierstiere 
260.  mit  einem  abgeschossenen  Pfeile  [alle]  er  traf. 

Gefrorenen  Fettes  Fülle  fanden  sie  dort, 

gekühlten  Fettes  Fülle  fanden  sie  dort. 

Aus  rohem  Felle  Zwischenziehriemen  sie  dann  machten, 

auf  zweiggekinnten  kinnigen  Schlitten  luden  sie  auf. 
265.  und  zu  ihrer  Mutter,  der  XuV~äter-]LOch\er  kamen  sie  heim. 

Nachdem  sie  [dort]  lange  gelebt  haben, 

oder  nachdem  sie  [dort]  kurze  Zeit  gelebt  haben, 

sieh,  auf  baumarmes  armes  Moor  sie  gehen, 

sieh,  auf  grasarmes  armes  Moor  sie  gehen, 
270.  grauhaarige  viele  Hirschkälber  sie  dort  finden. 

Der  älteste  Mann  unter  ihnen 

hinter  bergendem  Gestrüpp  [schleichend]  nähert  sich  ihnen, 
hinter  bergendem  Gras  [schleichend]  nähert  sich  ihnen. 
Sein  einmal  abgeschossener  Pfeil 
275.  grauhaarige  viele  Hirschkälber  in  grosser  Anzahl  trifft. 
Gefrorenen  Fettes  Fülle  sie  wieder  fanden, 
gekühlten  Fettes  Fülle  sie  wieder  fanden; 
auf  zweigkinnigen  gekinnten  Schlitten  sie  es  wieder  aufluden, 
zur  A'wZ'-äter-Tochter,  ihrer  Mutter  heim  sie  es  schleppten. 

280.  Lange  lebten  sie,  oder  kurze  Zeit  lebten  sie  [dort], 

einmal  nur  die  von  einer  Mutter  geborenen  sieben  Söhne 

zur  Xul'-äter- Tochter,  ihrer  Mutter  sie  sprechen: 

„Gold- Kwor es .  unser  Väterchen 

an  Nahrung  reiches  Todten-Land  erwähnt, 
285.  an  Wasser  reiches  Todten-Land  erwähnt; 

dies  an  Nahrung  reiche,  an  Wasser  reiche  Todten-Land 

zu  suchen  gehen  wir  weg. 

Bis  wir  zurückgehen, 

einspündige  sieben  Kessel  [Hirsebier]  braue  (rühre)  I 
290.  Wir  lassen  unsere  Hände  ruhen,  lassen  unsere  Füsse  ruhen." 

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DR.  BERNHARD  MUNKÄCSI 


Die  von  einer  Mutier  geborenen  sieben  Männer 

jetzt  das  Todten-Land  aufzusuchen  gehen. 

Lange  giengen  sie,  oder  kurze  Zeit  giengen  sie, 

in  eine  baumarme  arme  Gegend  gelangten  sie  hinaus. 
295.  in  eine  grasarme  arme  (legend  gelangten  sie  hinaus, 

an  des  Jä/utmen  [Sees]  Ufer  gelangten  sie  hinaus. 

Auf  den  Jäx-uttnen-See  sie  blickten: 

eisenbrüstige  sieben  Taucherenten 

zu  sieben  sich  wiegen  [auf  den  Wogen], 
300.  eisenbrüstige  sieben  Taucherhühner 

zu  sieben  sich  wiegen  [auf  den  Wogen]. 

Der  älteste  Mann  unter  ihnen  spricht : 

»Hinter  bergendem  Gesträuch  werde  ich  selbst  mich  an  sie  her- 
anschleichen. 

hinter  bergendem  Gras  werde  ich  selbst  müh  an  sie  heran- 
schleichen ; 

305.  bis  ich  meinen  Pfeil  nicht  loslasse,  Pfeile  nicht  lasset  ihr  los, 
bis  ich  meinen  Hogen  nicht  abspanne,  ihr  euere  Bogen  nicht 

spannet  ab!" 

Hinter  bergendem  Strauche  schleicht  er  sich  jetzt  an  sie  heran, 

hinter  bergendem  Grase  schleicht  er  sich  jetzt  an  sie  heran 

Auf  bugigen  (gekinnten)  Bogens  Bug  kaum  legt  er  seinen  Pfeil : 
310.  hinter  ihm  des  jüngsten  Mannes 

seidener  Sehne  zitternder  Ton  erklingt. 

Der  eisenbrüstigen  sieben  Taucherenten 

Brüste  hat  er  nur  blutig  gestreift ; 

der  eisenbrüstigen  sieben  Taucherhühner 
315.  Brüste  hat  er  nur  blutig  gestreift. 

Mit  blutigen  Brüsten  die  sieben  Taucherenlen 

kranichfüssige  (viel mündige)  viele  Flüsse 

in  grosser  Anzahl  entlang  laufen ; 

mit  blutigen  Brüsten  die  sieben  Taucherhühner 
320  kranichfüssige  viele  Flüsse 

in  grosser  Anzahl  entlang  laufen; 

der  siechtumlosen  Erde  Gebiet 

mit  Siechtum  überschwemmten  sie  also; 

der  krankheitlosen  Erde  Gebiet 
325.  mit  Krankheiten  überschwemmten  sie  also. 

Der  älteste  Mann  schilt  [ihn]; 

„Wenn  ich  geschossen  hätte  auf  sie, 

diese  eisenbrüstigen  sieben  Taucherenten, 

diese  eisenbrüstigen  sieben  Taucherhühner. 
330  wie  Frühjahrsfische  auf  einen  guten  Birkenstab, 

so  hätte  ich  sie  aufgespiesst  alle  [auf  meinen  Pfeil]; 

wie  Herbstfische  auf  einen  guten  Birkenstab, 

so  hätte  ich  sie  aufgespiesst  alle  [auf*  meinen  Pfeil] 

Jetzt  hast  du  der  siechtumlosen  Erde  Gebiet 

132 


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KOSMOGONISCHE  SAGEN  DER  WOGULEN. 


335.  mit  Siechtum,  sieh!  überschwemmt, 
ihr  krankheitsloses  Gebiet 
mit  Krankheiten,  sieh!  überschwemmt 

Zur  A'ur-afcV-Tochter,  ihrer  Mutter 

jetzt  zurück  sie  sich  wenden. 
34-0  Lange  giengen  sie,  oder  kurze  Zeit  giengen  sie, 

Zur  ATu  r-ä/er-Tochter,  ihrer  Mutter  heim  sie  gelangten. 

Die  einspundigen  sieben  Kessel  Hirsenbier  waren  bereifet. 

Die  von  einer  Mutter  geborenen  sieben  Söhne  nun  zechten. 

Lange  zechten  sie,  oder  kurze  Zeit  zechten  sie,  sie  wissen  es  nicht. 
345  Als  sie  [aus  ihrem  Schlafe]  erwachten, 

war  der  älteste  Mann  im  Rausche  wahnsinnig  geworden. 

Sein  selbst  getragenes  dichtringiges  Ringpanzerkleid 

in  kleine  Stückchen  zernagte  er; 

Huf  seine  eigenen  Füsse.  auf  seine  eigenen  Hände  spie  er  sie  hin. 
350.  Des  Wiesentieres  (Bären)  haariger  Pelz  ist  daraus  entstanden. 
Den  mit  sieben  Pfeilen  versehenen  Ring -Köcher 
in  kleine  Stückchen  zerbiss  er; 

aut  seine  eigenen  Füsse,  auf  seine  eigenen  Hände  spie  er  sie  hin. 
Des  Wiesentieres  fünfhackige  Hackenpfolen  (fünfkrallige  Vorder- 

füsse)  sind  daraus  entstanden, 
355  des  Wiesentieres  fünfhackige  Hackenstiefel  (fünfkrallige  Hinter- 

füsse)  sind  daraus  entstanden. 

Sein  goldquastiges  Schwert 

in  kleine  Stückchen  er  zerbrach; 

des  Wiesentieres  zehnzähniger  gezähnter  vielastiger  Pfeiler  (Mürtd) 

ist  daraus  entstanden. 
In  unwegsamen  Waldes,  dunklen  Waldes  Versteck  entfernte  er  sich. 


Wanderzeichen  der  Zigeuner. 

Von  Dr.  Heinrich  v.  Mlislocki. 

Indem  die  Milglieder  ein  und  desselben  Zigeunerstammes  wäh- 
rend der  Zeit  ihrer  sommerlichen  Wanderfahrt  nur  in  den  seltensten 
Fällen  alle  zusammen  bleiben  können,  sondern  in  einzelne  Familien- 
sippen (gakkija)  getrennt  unter  der  Führung  eines  Sippen  Vorstandes 
(gakko)  ihre  Wandergebiete  durchziehen,  so  ist  es  beinahe  selbstver- 
ständlich, dass  die  Wanderzigeuner  sich  gewisser  geheimer  Zeichen 
bedienen,  die  sie  an  den  Wegen,  welche  sie  zurücklegen,  aufstecken, 
um  ihre  nachfolgenden  Stammesgeno^sen  von  diesem  oder  jenem  Vor- 
fall, Freignis  oder  von  irgend  einer  Absicht,  irgend  einem  Plane  be- 
nachrichtigen, verständigen  zu  können.  Dies?  Wanderzeiehen  mögen 
aus  aller  Zeit  herstammen,  als  die  Zigeuner  noch  ein  ganzes,  zusara- 

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DR.  HEINRICH  V.  WL1SL0CKI 


menhängendes  Volk  bildeten,  wenigstens  mögen  sie  noch  aus  der  Zeit 
herrühren,  wo  die  Zigeuner  Mitteleuropa  noch  nicht  überschwemmt 
hatten  und  noch  diesseits  der  Donau  herumschweiften  Dafür  spricht 
schon  der  Umstand,  dass  fast  alle  Wanderzigeunerstiimme  Europa's 
mit  wenigen  Abweichungen  dieselben  Wanderzeichen  gehrauchen.  We- 
nigstens gilt  dies  für  die  Zelt/igeuner  Ungarns.  Siebenbürgens,  Polens, 
Serbiens,  Rumäniens,  der  Türkei.  Damit  eben  keine  Verwirrung  statt- 
finden kann,  wenn  zufälligerweise  Mitglieder  verschiedener  Stämme  ein 
und  dasselbe  Gebiet  durchwandern,  so  hat  jeder  Stamm  noch  beson- 
dere Abzeichen,  die  von  seinen  Mitgliedern  den  betreuenden  Wander- 
zeichen beigefügt  werden,  damit  die  Vorüberziehenden  jedesmal  wissen 
sollen,  ob  diese  Zeichen  ihnen,  oder  Mitgliedern  eines  anderen  Stam- 
mes gelten.  Ausser  diesen  Stammeszeichen  hat  noch  jedes  hervorra- 
gende Mitglied  ein  besonderes  Zeichen,  das  in  dem  Kalle  dem  Wan- 
derzeichen beigefügt  wird,  wenn  der  Bet reffende  allein  wandert,  wenn 
er  z.  B.  als  Kundschafter  der  Sippe  vorausgeschickt  worden  ist.  Der 
Vorstand  jeder  Sippe  und  der  Wojvode  jedes  Stammes  haben  oben- 
drein noch  ihre  besonderen  Zeichen 

Das  allereinfachste  Wanderzeichen  besteht  demgemäss:  1.  aus 
dem  Wanlerzeichen  selbst,  2  aus  deru  Stammesabzeichen,  3.  aus  dem 
Abzeichen  des  Sippenvorstandes,  eventuell  des  Wojvoden,  und  in  be- 
sonderen Fällen  4.  aus  dem  Ab/.eichen  des  eventuell  allein  irgendwo- 
hin voraus-entsendelen  Mitgliedes.  Diese  einzelnen  Zeichen  bilden  zu- 
sammen das  Wanderzeichen,  dessen  jedem  einzelnen  Bestandteile  noch 
5.  ein  besonderes  Zeitrechnungszeichen,  Kalenderzeichen  beigefügt  ist, 
um  die  Zeit  anzugeben,  wann  das  Wanderzeichen  aufgesteckt  worden 
ist.  Ich  nenne  diese  Zeichen  blos  aus  dem  Grunde  „ Wanderzeichen u, 
weil  dieselben  von  den  Zigeunern  eben  nur  in  den  milderen  Jahres- 
zeiten, während  ihrer  Wanderfahrten  gebraucht  weiden.  Im  Winter, 
wo  gewöhnlich  der  ganze  Stamm  sich  vereinigt  oder  auf  einem  enger 
begrenzten  Terrain  in  den  „Winterquartieren*,  die  gewöhnlich  Krdhöh- 
len  sind,  sich  befindet,  werden  diese  Zeichen  höchst  selten  gebraucht. 
Die  Zigeuner  Ungarns.  Siebenbürgens  und  Rumäniens  nennen  diese 
Wanderzeichen  :  sikajimako,  die  serbischen  und  türkischen  Zigeuner 
hc'ssen  sie  :  ciWtfr/je»=Erwartung,  die  deutschen  dagegen :  sikerpas- 
kero— Zeichen. 

Solche  Wanderzeichen,  wenn  sie  auch  von  Mitgliedern  eines 
fremden  und  öder  befeindeten  Stammes  herrühren,  darf  kein  Zigeuner 
zerstören.  Sie  sind  durch  den  Volksglauben  geheiligt,  denn  wer  solche 
Zeichen  zerstört,  den  trifft  all'  das  Unglück,  welches  denjenigen  be- 
stimmt war,  denen  das  Zeichen  galt.  Nur  diejenigen  dürfen  die  betref- 
fenden Wanderzeichen  zerstören,  denen  sie  eben  gelten.  Wer  aus 
Uebermul  sie  vernichtet,  wird  —  wenn  Fein  Vergehen  bekannt  wird  — 
für  „beschimpft"  (melales)  erklärt  und  aus  dem  Stamme  ausgegossen. 
Wird  er  nach  getaner  Busse  und  nach  Zahlung  einer  zigeunerischen 
Vermögensverhällnissen  angemessen  bedeutenden  Geldsumme  in  den 
Stamm  wieder  aufgenommen,  so  verliert  er  doch  für  immer  sein  eige- 

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WANDERZEICHEN  DER  ZIGEUNER. 


nes  Abzeichen,  sobald  er  ein  solches  besitzt ;  —  eine  Strafe,  die  un- 
ter die  moralisch  empfindlichsten  gehört,  welche  einen  Wanderzigeu- 
ner treffen  können   Ein  eigenes,  vom  Wojvoden  verliehenes  Abzeichen 
zu  besitzen,  ist  vielleicht  der  höchste  Wunsch  jedes  Zigeuners.  Es 
schmeichelt  eben  seiner  Eitelkeit,  zum  Chor  der  Auserwähten  zu  ge- 
hören. Merkwürdig,  diese  Abzeichen  entsprechen  ihrer  Natur  nach  im 
zigeunerischen  Staatwesen  —  si  licet  verbum  —  unseren  Orden  und 
anderweitigen  Auszeichnungen,  w*nn  sie  auch  mit  einem  recht  prakti- 
schen Zweck  verbunden  sind.  Nur  der  Wojwode  des  Stammes  kann 
solche  Abzeichen  verleihen.  In  öffentlicher  Sitzung,  die  gewöhnlich  nur 
zur  Winterzeit  abgehalten  wird,  wo  eben  alle  Mitglieder  des  Stammes 
beisammen  sind,  oder  sich  wenigstens  nahe  zu   einander  befinden, 
—  erklärt  der  Wojvode :  dieser  oder  jener  habe  seiner  Familie  oder 
Sippe,  oder  diesem  und  jenem  Stammesmitgliede,  somit  auch  dem  gan- 
zen Stamme,  diesen  oder  jenen  wichtigen  Dienst  erwiesen,  wodurch  er 
(der  Wojvode)  sich  bemüssigt  fühle,  ihm  ein  besonderes  Abzeichen  zu 
verleihen.  Der  Wojvode  erklärt  nun  die  Form  des  verliehenen  Abzei- 
chens, worauf  eine  allgemeine  Zecherei  auf  Kosten  des  Ausgezeichne- 
ten folgt.  Sobald  der  Wojwode  bei  einem  seiner  noch  nicht  „beab- 
zeichneten* Untergebenen  eine  bedeutendere  Geldsumme  spürt,  die 
eben  für  eine  etwas  anhaltende,  allgemeine  Zecherei  genügt,  so  ver- 
leiht er  dem  oder  der  Betreffenden  —  nolens  volens  —  ein  „Abzei- 
chen." --.  r Früher  war  es  anders,"  meinte  ein  serbischer  Wanderzi- 
geuner, namens  Milivoj  Raöicic,   „da  hatten  nur  wenige  besondere 
Abzeichen ;  denn  der  Wojvode  durlte  nur  auf  Verlangen  des  ganzen 
Stammes  einem  seiner  Zigeuner  ein  solches  Abzeichen  verleihen.  Heut- 
zutage tut  er  es  nach  eigenem  Willen  und  gibt  wem  immer  Abzeichen, 
ohne  den  Stamm  zu  fragen.  Wir  haben  jetzt  so  viele  Leute  im  Stam- 
me, die  Abzeichen  besitzen,  dass  wir  uns  bald  einen   Pfarrer  halten 
müssen,  der  uns  alle  diese  Abzeichen  aufschreibt,   damit   wir  nicht 
vergessen,  wer  dieses  Abzeichen  hat  und  wer  jenes  !tt 

Bezüglich  der  unerlaubten  Zerstörung  der  Wanderzeichen  er- 
zähle mir  Herr  Franz  Sulok,  damals  Fleischer  in  Hezdan  (Südungarn) 
folgenden  Fall :  Zur  Zeit  des  russisch-türkischen  Krieges  kamen  Wan- 
derzigeuner aus  Serbien  und  Bosnien  schaarenweise  über  die  Donau 
nach  Südungarn.  Kein  Tag  vergieng  einige  Wochen  lang,  wo  nicht  20  — 
30  Zigeuner  durch  Bezdan  gezogen  waren.  Anlangs  waren  den  Ein- 
wohnern diese  durchwandernden  Zigeuner,  die  sich  von  da  nach  Sla- 
vonien  zu  verstreuten,  höchst  unlieb:  die  Gensdarmcn  halten  vollauf 
zu  tun  ;  später  aber  waren  sie  willkommen,  denn  sie  Hessen  durch 
ihre  Einkäufe  ziemlich  viel  Geld  in  Bezdan.  Da  Iraf  es  sich  einmal, 
dass  zwei  Sippen  verschiedener  Stämme  sich  in  dieser  Ortschaft  an- 
trafen. Es  kam  zu  einem  mörderischen  Gemetzel.  Ein  Teil  wurde  ar- 
retiert, ein  Teil  aber  entkam.  Die  Verhafteten  gaben  an,  dass  ihre  Geg- 
ner die  Wanderzeichen  vernichtet  oder  verstellt  hüllen,  um  sie  auf 
unrichtige  Fährte  zu  führen. 

Die  von  deo   Wojvoden  den  Sippenvorständen   und  einzelnen 


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DR.  HEINRICH  V.  WLISLOCKI 


Stammesmitgliedern  verliehenen  Abzeichen  bestehen :  aus  einer  ge- 
wissen Anzahl  von  Längs-  oder  Quer-  oder  Kreuzschnitten  in  Holz  ; 
einer  gewissen  Anzahl  von  Pferdehaaren,  Schweineborsten,  Bohnen, 
Kürbisskernen,  Stechapfelsamen,  Strohhalmen,  einer  gewissen  Anzahl 
von  Rissen  in  Tuch-  oder  Leinwandlappen;  ferner  in  besonderer  Art 
zugespitzten,  abgeschälten,  oder  aufgeschlitzten  und  gespaltenen  oder 
geflochtenen  Ruten  und  H  >lzern  ;  in  mit  Kohle  angebrachten  Zeichen 
und  Figuren 

Die  Wojvoden  wühlen  sich  gewöhnlich  Farben  zu  ihrem  Abzei- 
chen, während  das  des  ganzen  Stammes  gewöhnlich  aus  der  Lage  und 
Stiuetur  überhaupt  des  ganzen  Wanderzeichens  erkenntlich  wird. 

An  jedem  Kreuzwege,  jedem  einzeln  stehenden  Räume  oder 
Strauche,  an  allen  bedeuienderen  Krücken  und  Hohlwegen,  ebenso  an 
den  Lagerstätten  wird  von  den  Wanderzigeunern  ein  Wanderzeichen 
zurückgelassen.  Gewöhnlich  wird  ein  Zweiglein  mit  drei  Nebenzweigen 
in  die  Erde  gesteckt,  so  dass  der  mittlere  die  Richtung  anzeigt,  welche 
die  betreffenden  Zigeuner  genommen.  Oder  es  werden  in  die  Seite 
eines  Raumes,  welche  der  genommenen  Richtung  zugekehrt  ist,  eine 
bestimmte  Anzahl  von  Schnitten  gemacht;  oder  an  einen  Ast  Fetzen 
gehängt;  Steine,  mit  Strohhalmen  umwickelt  und  übereinander  geschich- 
tet, werden  auch  als  Wanderzeichen  benutzt,  wobei  drei,  sich  den 
übereinander  geschichteten  Steinen  anschliessende  Steinchen  die  ge- 
nommene Richtung  anzeigen.  Gewöhnlich  wird  in  die  nächste  Nähe 
duser  Zeichen  Mist  und  dergleichen  geworfen,  damit  sie  von  Unein- 
geweihten nicht  so  leicht  vernichtet  werden  können.  Am  gebräuchlich- 
sten sind  die  Fetzen  und  man  mag  sich  nicht  im  Geringsten  darüber 
wundern,  wenn  man  Zigeuner  auch  den  allerwertloseslen  Lappen  auf- 
klauben und  autbewahren  sieht  ;  sie  verwenden  ihn  eben  zu  Wander- 
zeichen. 

Was  die  an  diese  Wanderzeichen  angefügten  Zeilrechnungs- oder 
Kalenderzeichen  anbelangt,  so  müssen  wir  vorausschicken,  dass  alle 
christlichen  Zigeunerstämme  der  oben  erwähnten  Länder  die  Zeit  nach 
den  drei  Haupt  festen  der  Kirche  und  dem  Set.  Michaelstag  rechnen 
und  zwar  das  Jahr  in  vier  Teile  teilen  und  die  Zeit  nach  den  ver- 
flossenen Sonntagen  bestimmen ;  z.  H  der  siebente  S  nntag  nach 
Weihnachten  der  zweite  Sonntag  nach  Set-Michaeli  usw  ,  denn  nach 
Verlauf  eines  der  obigen  Feierlage  beginnt  man  stets  die  Zeit  mit  dem 
ersten  Sonnlag  zu  rechnen.  Beispiele  werden  dies  Verfahren  der  Wan- 
derzigeuner am  besten  erläutern. 

Wenn  z.  R.  der  Wojvode  des  oberungarischen  (marmaroscher) 
Wanderzigeuncrslammes,  der  sogenannten  „Renate",  seinen  nachfol- 
genden Genossen  kund  geben  will,  dass  er  da  und  da  am  Mittwoch 
nach  dem  fünften  Sonnlag  nach  Pfingsten  gewesen  sei,  so  mucht  er 
folgendes  Zeichen  :  ein  Fetten  wird  in  der  genommenen  Richtung  an 
einen  Baum  gehängt :  in  den  Fetzen  sind  mit  roter  Wolle  (dem  Ab- 
zeichen des  Wojvoden)  lünt  Nähstiche  (die  lünl  Sonntage)  der  Länge 
nach  und  drei  Niihsiiche  mitten  durch  die  lünfe  dor  Quere   nach  ge- 


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WANDERZEICHEN  DER  ZIGEUNER. 


macht  (die  drei  Wochentage).  Solche  Fetzen  fand  man  Ende  Juli  die- 
ses Jahres  vom  erwähnten  Wojvoden  herrührend,  auch  in  A.  Herr- 
manns Badorte  Jegenye.  Die  Fetzen  waren  mit  10  Nahstichen  der 
Länge  nach  und  mit  vier  Nähstichen  der  Quere  nach  versehen  und 
obendrein  mit  Menschenkot  eingeschmiert.  Diese  Fetzen  sollten  den 
nachfolgenden  Genossen  die  Nachricht  geben,  dass  der  Wojvode  den 
Badeort  Donnerstag  nach  dem  zehnten  Sonntag  nach  Pfingsten  (also 
am  30.  Juli)  passiert  habe,  und  der  Menscheakot  sollte  Kunde  vom 
Erfolg  seines  Unternehmens  geben,  d.  h.  dass  er  die  Schweine  des 
Stammes  auf  dem  Jahrmarkt  zu  Bänffy-Hunyad  verkauft  habe. 

Um  nicht  our  die  genommene  Richtung  den  nachfolgenden  Stamm- 
genossen anzugeben,  sondern  ihnen  auch  gewisse  Nachrichten  von  all- 
gemeinem Interesse  zukommen  zu  lassen,  werden  diesen  Wanderzei- 
chen in  letzterem  Falle  auch  noch  bestimmte  Gegenstände  beigefügt. 
Sind  die  Zeichen  zum  Teil  mit  Kuhdünger  eingeschmiert,  so  bedeutet 
dies,  dass  man  sich  in  dieser  Gegend  vor  den  Behörden  in  acht  zu 
nehmen  habe;  ganz  mit  Kuhdünger  eingeschmierte  Zeichen  zeigen 
an  dass  man.  wegen  Diebstahl  u.  dgl.  verfolgt  werde,  daher  jeder  auf 
der  Hut  sein  soll.  Mit  Menschenkot  eingeschmierte  Zeichen  bedeuten 
Erfolg  in  den  Unternehmungen,  überhaupt  etwas  Gutes  von  allgemei- 
nem Interesse.  Ein  Fliederzweig  an  das  Wanderzeichen  geheftet,  be- 
deutet: dass  jemand  der  betreffenden  Sippe  erkrankt  sei.  Je  mehr  so- 
genannte „ Äuglein-  (jakhort)  d.  h.  Blattknospen  oder  Blattstellen  der 
Zweig  hat,  desto  schwerer  oder  gefahrlicher  ist  die  Krankheit.  Um 
mitzuteilen,  wer  erkrankt  ist,  wird  an  den  Zweig  das  Abzeichen  des 
betreffenden  kranken  Mitgliedes  angeheftet;  wenn  dies  Mitglied  aber 
selbst  kein  Abzeichen  besitzt,  so  wird  das  seines  nächststehenden  Ver- 
wandten angeheftet,  indem  man  dasselbe  doppelt,  dreifach,  vierfach  an 
den  Zweig  neben  einander  bindet.  Zwei  Abzeichen  bedeuten  den  Sohn, 
drei  das  Enkelkind  usw.  Ist  ein  Weib,  das  kein  Abzeichen  hat,  er- 
krankt, so  werden  die  Abzeichen  des  nächsten  Verwandten  oder  — 
wenn  sie  verheiratet  ist,  des  Gatten.  —  nicht  nebeneinander,  sondern 
aufeinander  gelegt  und  so  am  Zweige  befestigt.  Auf  gleiche  Weise 
wird  in  solchen  Fällen  auch  bei  anderen  Nachrichten  verfahren. 

Ein  Birkenzweig  bedeutet,  dass  der  oder  jener  von  der  Behörde 
abgefangen  worden  ist ;  ein  Weidenzweig  dagegen  zeigt  Familienver- 
mehrung an.  Wenn  das  Kind  ein  Knabe  ist,  so  bindet  man  an  den 
Weidenzweig  einen  roten,  wenn  es  ein  Mädchen  ist  einen  weissen 
Wollfaden.  Ein  Tannenzweiglein  zeigt  Vei  lobung  und  ein  Eichenzweig 
die  Rückkehr  eines  Mitgliedes  der  betreffenden  Truppe  den  nachfol- 
genden Genossen  an.  Fell-  und  Lederstücke  bedeuten,  die  Zusammen- 
kunft in  wichtiger  Angelegenheit  beschleunigen  zu  wollen.  Wann  und 
wo  diese  Zusammenkunft  stattfinden  solle,  wird  den  Nachfolgenden  auf 
folgende  Weise  bekannt  gegeben :  Man  zeigt  die  Zeit  der  beabsichtig- 
ten Zusammenkunft  durch  Nähstiche  in  das  Fell-  oder  Lederstück  an, 
indem  dabei  jeder  Stich  der  Länge  nach  einen  der  oben  erwähnten 
Sonntage,  jeder  Querstich  aber  einen  der  Wochentage  angibt.  Der  Ort 

n«rrqiann.  BthoologiHche  Mitteilungen,  IL  137  10 


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Uli.  HEINRICH  V.  WLISLOCKJ 


wird  also  angegeben:  Es  werden  in  das  Fell-  oder  Lederst ück  qua- 
drat-  oder  kreisförmige  Löcher  geschnitten.  Ein  quadratförmiges  Loch 
bedeutet  die  dem  Wanderzeichen  zunächst  liegende  Stadt ;  zwei  drei 
solcher  Löcher  die  zweit-,  drittnächste  Stadt.  Die  kreisförmigen  Löcher 
zeigen  Dörfer  an.  Liegt  zwischen  dem  Platze,  wo  das  Wanderzeichen 
sich  befindet,  und  dem  Dorfe,  wo  die  Zusammenkunft  staufinden  soll, 
eine  Stadt,  so  wird  dies  durch  ein  an  bei  reffender  Stelle  zwischen  die 
kreisförmigen  Löcher  angebrachtes,  quadratförmiges  Loch  angezeigt  ; 
z.  B.  drei  kreisförmige  Löcher,  dann  ein  quadratförmiges  Loch  und 
wieder  zwei  kreisförmige  Löcher  zeigen  an,  dass  in  dieser  Richtung 
drei  Dörfer,  eine  Stadt  und  dann  noch  zwei  Dörfer,  respective  ein 
Dorf  passiert  werden  muss,  um  an  den  Ort  der  beabsichtigten  Zusam- 
menkunft zu  gelangen.  Das  letzte  Loch  zeigt  immer  den  Zusammen- 
kunftsort an.  Sobald  ein  Dorf  passiert  worden  ist,  so  wird  in  das  Wan- 
derzeichen immer  ein  Loch  weniger  eingeschnitten. 

Ein  Büschel  Schweinehorsten  an  die  Wanderzeichen  gebunden, 
bedeutet  r grosses  Glück"  (baro  ba^t),  das  der  Truppe  bevorsteht  (vgl. 
die  deutsche  Redensart:  „Er  hat  ein  Schweinsglück ");  ein  Büschel 
Hundehaare  aber  mahnen  die  Nachfolgenden,  die  Richtung  ihrer  Reise 
schleunigst  abzuändern.  Jede  Sippe  (gakkya)  hat  ausser  ihrem  Sippen- 
namen auch  noch  eine  Nummer,  erste,  zweite,  dritte  usw.  Sippe.  Will 
nun  z.  B.  die  erste  Sippe  der  dritten  mitteilen,  dass  ihr  Gefahr  drohe 
und  sie  die  Wanderroute  abändern  solle,  so  werden  in  die  Hunde- 
haare drei  krepierte  Käter  gewickelt.  Kommt  nun  an  das  Wanderzeichen 
z.  B.  die  vierte  Sippe,  so  weiss  dieselbe,  das  nicht  ihr,  sondern  der 
dritten  Gefahr  drohe  und  lässt  das  Zeichen  unberührt.  Glasscherben 
neben  den  Wanderzeichen  zeigen  den  Verlust  eines  Tieres  an;  sind 
dieselben  winzig  klein,  so  bedeutet  das,  dass  das  Tier  krepiert,  wenn 
sie  aber  gross  sind,  so  zeigt  dies  an,  dass  das  Tier  gestohlen  worden 
sei  oder  sich  verirrt  habe.  Sind  die  Glasscherben  rein,  so  ist  das  Tier 
ein  Ross;  sind  sie  aber  mit  Kuhmist  beschmiert,  so  ist  das  betreffende 
Tier  ein  Schwein. 

Graphische  Zeichen  mit  Kohle  gemacht,  bringen  die  Zigeuner  nur 
an  den  Gebäuden  derjenigen  Ortschaften  an,  welche  sie  passieren.  All- 
gemein gebräuchliche  Zeichen  sind:  1.  ein  Kreuz,  bedeutet:  dass  hier 
nichts  zu  holen  sei;  2.  ein  Doppelkreuz=Niderträchtixkeit  (diungiben) 
d.  h.  unmenschliche  Behandlung ;  3.  ein  Kreis— Geschenk ;  4.  ein  Dop- 
pelkreis=sehr  gute  Leute;  5.  zwei  Längstriche  und  zwei  Querstriche^ 
hier  wohnt  der  Richter  oder  eine  Amtsperson;  6.  zwei  Kreuze  und 
zwei  Striche  unter  dieselben-=hier  werden  die  Zigeuner  eines  Dieb- 
stahls beschuldigt;  7.  mehrere  vertikale  Linien=hier  haben  wir  gefun- 
den (kathe  hadsiljami,  d.  h.  hier  haben  wir  etwas  gestohlen ;  8.  ein 
Dreieck— hier  kann  man  durch  Kartenaufschlagen  usw.  (ield  verdienen  ; 
9.  ein  Kreis  und  in  der  Kreisfläche  ein  Kreuz=machet  hier  (aus  Ra- 
che) Schaden!  (keren  paguba!);  10.  zwei  schlangenförmige  Linien=» 
die  Frau  mochte  Kinder  haben:  11.  zwei  vertikale  Linien  «vt 
einer  schlangenförmigen   verbunden  =  die  Frau   möchte  keine  Kin- 

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WANDKRZEICHEN  DER  ZIGEUNER, 


der  mehr  gebären;  12.  zwei  schlangenförmige  Linien  durch  einen 
Kreis  g»  zogen«=hier  starb  eine  alle  Frau ;  durch  zwei  Kreise  gezogen 
«hier  starb  ein  alter  Mann;  sind  in  den  Kreisen  Punkte  angebracht, 
so  heisst  es:  infolge  Todesfall  Zwist  wegen  Erbschaft;  13.  eine  schlan- 
genformige  Linie,  die  ein  Dreieck  durchschneidet  =  Tod  des  Hausherrn ; 
14.  zwei  solcher  Linien  durch  ein  Dreieck  Tod  der  Hausfrau  ;  15. 
zwei  Kreuze  und  dazwischen  eine  schlangen  förmige  Linie  =»  Treulosig- 
keit der  Frau;  t6.  zwei  schlangen  form  ige  Linien  und  dazwischen  ein 
Kreuz=Treulosigkeit  des  Gatten;  17.  eine  vertikale  Linie  darunter 
eine  horizontale  Linie  und  unter  dieser  ein  Kreuz=Heiratsprojecte. 

Diese  Zeichen  werden  an  solchen  Stellen  der  Hauswände,  der 
Einfriedigung,  der  Tore  nsw.  angebracht,  wo  sie  Uneingeweihten  we- 
niger auffallen.  Diese  Zeichen  bewirken  z.  B.,  dass  die  Aussagen  ver- 
schiedener Zigeunerinnen  beim  Kartenaufschlagen  in  den  meisten  Fäl- 
len im  Grossen  und  Ganzen  übereinstimmen. 

Curort  Jegenye  (Siebenbürgen),  August  189:. 


Kosmogonische  Spuren  in  der  magyarischen  Volksüberliefe- 
rung. 

Von  Ludwig  Kdlnuiny. 
II. 

Vom  Sündeniall. 

Der  Sündenfall  ist  den  Traditionen  gemäss  nichts  anderes,  als 
die  Umwandlung  der  Geschöple  in  weniger  vollkommene  Wesen.  Eine 
ungarische  Sage  erzählt: 

Der  Teufel  betrog  den  armen  Menschen  auf  jede  Art  und  Weise; 
darüber  beklagte  sich  der  arme  Mensch.  .Na,  ich  helP  dir  aus  der 
Klemme!0  meinte  der  Teufel,  „beklag'  dich  nicht,  armer  Mensch; 
komm1,  gehen  wir  stehlen!"  Sie  giengen  in  den  Stall  einer  Herrschaft. 
Der  arme  Mensch  getraute  sich  nicht  zuzugreifen,  damit  das  Schwein 
nicht  schreie.  „Fürchte  dich  nicht,  ich  halte  ihm  das  Maul  zu!-  Es 
schrie  auch  kein  einziges.  Sie  warfen  die  Schweine  aus  dem  Stalle 
heraus,  wobei  der  Teufel  einem  jeden  Tiere  den  Schwanz  nach  rechts 
drehte.  Der  arme  Mann  konnte  kaum  ein  einziges  hinaus  werfen,  als 
der  Teufel  bereits  alle  hinaus  geworfen  hatte.  Als  schon  alle  draussen 
waren,  sprach  der  Teufel:  „Nun,  armer  Mann,  hast  du  sie  bezeich- 
net?" —  „Ja!"  —  rWas  für  ein  Zeichen  hast  du  ihnen  gegeben?"  — 
„Ich  habe  ihren  Schwanz  nach  rechts  gedreht!*  und  dies  hatte  nicht 
er,  sondern  der  Teufel  getan.  Sie  begannen  nun  nachzusehen,  und 
da  war  nur  ein  einziges,  dem  der  Schwanz  nicht  nach  rechts  gedreht 
war.  Der  Teufel  packte  dies  Schwein  an,  und  warf  es  so  gewaltig 
in  die  Theiss,  das  es  zu  Nichts  ward.  Seit  der  Zeit  ist  der  Schwanz 
eines  jeden  Schweines  nach  rechts  gedreht  "  (Majdän.) 

139  10l 


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LUDWIG  KALMlNY 


Eine  andere  unserer  Daten  erzählt,  dass  früher  die  Rinder  die 
Fliegen  von  ihrem  Leibe  nicht  abzuschütteln  brauchten,  sondern  die 
Mittagsruhe  geniessen  konnten ;  der  Hirte  konnte  auch  rasten.  Christus 
kam  einmal  herbei  und  bat  den  Hirten  um  Milch,  doch  dieser  war 
zu  faul  aufzustehen.  Weil  der  Hirte  bösherzig  war,  müssen  die  Rin- 
der, obwol  sie  nichts  verschuldet,  die  Fliegen  von  sich  treiben.  l)  Eine 
andere  Sage  berichtet: 

„Der  heilige  Erzengel  Michael  warf  auf  Befehl  Gottes  alle  Bösen 
aus  dem  Himmel  herab.  Der  Erzengel  tat  dies  so  lange,  bis  unser 
Herrgott  nicht  .Amen !'  sagte.  Als  unser  Herrgott  das  ,Amen !'  aus- 
sprach, konnte  keiner  weiter  fallen :  der  eine  hängt  an  den  Füssen  in 
der  Hohe,  dem  anderen  ragt  noch  der  halbe  Kopf  aus  der  Erde,  in 
die  er  versunken.  Darum  soll  der  Mensch,  wenn  er  strauchelt,  nicht 
lästern,  denn  es  kann  eben  ein  solcher  Teufelsscheitel  sein,  der  ihn 
straucheln  machte,  und  wenn  er  dann  flucht,  kann  er  am  Fuss  ein 
ernstes  Übel  bekommen  "  (Ö.-Szent-Ivän.) 

In  den  Altajer  Schöpfungssagen  besiegt  Mandi-Sire  den  Ärlik  und 
dessen  Schar,  von  denen  jeder  da  blieb,  wohin  er  eben  fiel.  a)  In  der 
Variante  der  Bukovinaer  Ungarn  gibt  Gott  dem  heil.  Elias  den 
Auttrag  40  Tage  und  40  Nächte  hindurch  zu  donnern  und  zu  blitzen, 
und  40  Tage  und  Nächte  hindurch  fiel  der  Regen,  und  alle  Teufel 
„fielen  herab  u  Als  auch  die  Engel  schon  begannen  herabzufallen,  stellte 
(Jott  Elias1  Werk  ein,  und  wo  in  dem  Augenblick  die  Teufel  sich 
eben  befanden,  in  derselben  Stel'ung  blieben  sie  bis  auf  den  heuti- 
gen Tag.  Von  daher  kommt  es,  dass  man  nachts  .Funken*  sehen  kann, 
die  jetzt  hie  und  da  zur  Erde  herabfallen.  (Sternschuppen).  *) 

In  anderen  Sagen  erscheinen  die  gefallenen  Wesen*  als  sich 
„schüttelnd-rüttelnd".  demzufolge  auch  die  Luft  „ erzittert  :B 

p Nachdem  auf  Befehl  Gottes  alle  stolzen  Engel  aus  dem  Himmel  her- 
abgestürzt waren,  sprach  er  sein  „Amen!"  Dann  war  einer  oder  der  an- 
dere in  der  Luft,  der  andere  wieder  in  der  Erde,  der  dritte  wieder  auf  der 
Erde.  LTnd  als  unser  Herrgott  das  „Amen!"  sprach:  blieb  jeder  dort, 
wo  er  war.  Und  aus  diesen  wurden  die  Gespenster.  Dann,  wenn  sich 
die  Luft  wie  die  Espenblätter  bewegt  —  dann  spielen  sie  einmal  frei 
im  Jahre  miteinander."  (Szöreg). 

Ferner  heisst  es:  .Als  unser  Herrgott  noch  auf  Erden  war,  be- 
stürmten ihn  die  Engel  gar  sehr.  Als  Gott  wieder  in  den  Himmel  stieg, 
so  Hess  er  sie  herabwerfen.  Im  Fallen  hielt  sich  Lucifer  am  Monde 
fest,  und  seither  kann  man  ihn  dort  sehen.  (Temesköz-Lörinczfalva).  — 
Die  Osselen  erblicken  gleichfalls  ein  .höheres"  Wesen,  einen  Dämon 
im  Monde  »i 

Beim  Fall  der  höheren  Wesen  gedenken  die  Traditionen  auch 
der  „Feen",  „die  so  lange  sie  mit  sterblichen  Menschen  noch  keinen 

»1  In  des  Verf.  ungarischem  Werke:  „Szeged  nepe"  (Szeged's  Volk)  II.  140. 
>)  Radioff  a.  a.  0.  I  181. 

»j  Wolf,  Zeitschrift  t.  deutsche  Mythologie  I.  180 
*)  Ausland  1884.  S.  884. 

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KOSMOGONISCHEK  SPUREN  IN  DER  MAGYARISCHEN  VOLKSCHERLIEFERUNG. 


Umgang  gepflogen,  in  der  Luft  schweben."  (Szeged-Kirälyhalom).  Aehn- 
lich  der  Fall  des  ersten  Menschenpaares  in  der  Ueberlieferung  der 
Neger.  J)  Die  ungarische  Tradition  erzählt:  „Als  Ad  im  und  Eva 
noch  im  Paradiese  waren,  sprach  die  Schlange  aus  dem  Waaser  zur 
Eva:  sie  solle  sich  vom  verbotenen  Baum  eine  Frucht  pflücken.  Als 
sie  beide  schon  gegessen  hatten,  Hess  sie  Gott  durch  Engel  mit  Schwer- 
tern hinaustreiben.  Vordem  hatten  die  Menschen  Flügel  und  konnten 
fliegen ;  nachdem  sie  aber  gesündigt  hatten,  konnten  sie  nicht  mehr 
fliegen."  (Magyar-Kanizsa).  a) 

Ueber  die  Unersättlichkeit  des  ersten  Menschen  erzählt  die  un- 
garische Ueberlieferung:  „Als  Gott  den  Adam  aus  dem  Paradiese  ver- 
trieb, befahl  er  ihm,  sein  Brot  sich  im  Schweisse  seines  Angesichtes 
zu  verdienen.  Er  gab  ihm  eine  Haue,  damit  er  um  sich  herum  einen 
Kreis  haue,  aus  dem  er  nicht  heraustreten  dürfe;  die  Früchte,  (die  im 
Kreise  gedeihen)  werden  ihm  für  ein  Jahr  genug  Nahrung  bieten.  Sie 
hätten  auch  ausgereicht,  denn  damals  wuchsen  nicht  solche  Aehren 
wie  jetzt,  sondern  der  ganze  Halm  war  eine  Aehre.  Da  aber  Adam 
unersättlich  war,  machte  er  sich  einen  langen  Stiel  in  die  Haue,  da- 
mit er  weiter  reiche.  Auch  das  sah  ihm  unser  Herrgott  nach;  im 
nächsten  Jahre  aber  wollte  Adam  noch  mehr,  und  trat  aus  dem  Kreise. 
Als  er  heraustrat  und  mit  der  Haue  rodete,  sprach  Gott:  „Nun  also 
Adam,  du  begnügst  dich  nicht  mit  dem,  was  iqh  dir  gegeben  habe; 
auch  deine  Nachkommenschaft  soll  ungenügsam  sein!"  Seit  der  Zeit 
gedeiht  der  Weizen  nicht  mehr  so  gut,  wie  er  früher  gediehen ;  jetzt 
kann  der  Mensch  die  ganze  Erde  bebauen,  kann  sich  plagen  und  ab- 
quälen wie  ein  Pferd,  und  doch  hat  er  nie  genug."  (Szöreg.)  —  Nach 
einer  Tradition  aus  Magyar-Kanizsa  beredet  der  Teufel  den  Adam 
dazu,  dass  er  um  eine  Furche  mehr  anbaue,  als  ihm  Gott  gestattet 
hatte,  worauf  nicht  der  ganze  Halm  Aehren  gedieh,  wie  früher,  son- 
dern nur  bis  zur  Hälfte.  Auch  dann  noch  gab  sich  der  Teufel  keine 
Ruhe,  und  beredete  den  Menschen,  dass  er  noch  mehr  sae,  was  zur 
Folge  hatte,  dass  nur  so  kleine  Aehren  gediehen,  wie  sie  eben  auch 
heutigen  Tages  zu  sehen  sind.  —  Der  Weizen  kommt  in  den  ungari- 
schen Traditionen  häufig  vor.  „Auf  dem  Weizen  —  heisst  es  —  sieht 
man  nur  seit  der  Zeit  Christi  Bild,  seitdem  er  sein  Antlitz  in  das 
Tuch  der  Veronika  gewischt  hat.  Damals  sagte  er :  damit  ihr  es  ewig 
im  Herzen  behalten  möget,  so  lasse  ich  es  auch  an  euerem  Brote 
(am  Weizen)  zurück;  desshalb  darf  man  auf  das  Brot  nicht  treten." 
(Szöreg).  —  Eine  Tradition  aus  dem  Borsoder  Comitat  erzählt,  dass 
Gott  sein  Antlitz  deshalb  auf  den  Weizen  abgedrückt  habe,  damit  die 
Menschen  desto  leichter  die  ihnen  verliehene  Nahrung  erkennen  mö- 


')  Ausland  1859.  S.  1132. 

»)  S.  Weil,  Bibl.  Legenden  der  Muselmänner  S.  22—28.  —  Pallas,  Samml.  hi- 
storischer Nachrichten  über  die  mongolischen  Völkerschaften  II.  27 ;  Schanang  Sche- 
uen, Geschichte  der  Ostmongolen  (Ibers,  von  Schmidt  5—7;  Radioff,  das  Schama- 
nentmn  u.  sein  Kuhns  3. 

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LUDWIG  KÄLMANT 


gen.  Nach  anderen  Ueberlieferungen  kann  man  am  Weizen  Maria'» 
Bild  sehen,  (s.  Ethnologische  Mitteilungen  aus  Ungarn  I.  S.  173). 
Die  deutschen  Einwohner  von  Nagy-Szent-Miklös  sehen  am  Weizen 
Maria  mit  dem  Jesuskindlein  auf  ihrem  linken  Arm,  und  erklären  sich 
dies  so,  dass  als  Christus  auf  Maria's  Bitten  auch  dann  noch  für  Hun- 
de und  Katzen  Weizen  übrig  liess,  trotzdem  er  ein  Weib  den  Weizen 
verschwenden  sah,  er  zum  Andenken  daran  sein  Bildnis  dem  Weizen 
aufdrückte.  Mit  Bezug  auf  den  Missbrauch,  den  eine  Frau  mit  dem 
aus  Weizenmehl  gebackenen  Kuchen  (längos)  trieb,  heisst  es:  .Ab 
Christus  auf  Erden  wandelte,  waren  reichliche  Weizenernlen,  da  war 
aber  eine  Frau,  die  hatte  ein  kleines  Kind,  das  weinte  in  der  Wiege, 
als  die  Frau  grade  buk.  Sie  formte  die  Kuchen,  schob  sie  (in  den 
Ofen):  einen  schob  sie  hinein,  den  anderen  zog  sie  heraus.  Das  Kind 
hörte  nicht  auf  zu  weinen;  sie  hob  das  Kind  auf;  das  Kind  hatte  sich 
besudelt.  Was  soll  sie  in  der  Eile  tun;  sie  wischt  das  Kind  mit  ei- 
nem Kuchen  ab.  Gott  hatte  den  Weizen  so  geschaffen,  dass  er  drei 
Finger  breite  Aehren  hatte,  und  solche  Triebe  besass,  wie  .der  Lein. 
Damals  verfluchte  Gott  das  Kind  und  die  Frau,  und  liess  nur  eine 
(einfache)  Aebre  zurück;  auch  die  erhaschte  eben  nur  die  Katze  und 
hielt  sie  zurück.  Da  sprach  Gott:  „Mit  dem  sollt  ihr  euch  begnügen, 
was  die  Katze  zurückgerafTt  hat."  (Szöreg)  In  einer  Variante  aus 
Ö-Szent-Ivan  heisst  es,  dass  eine  Frau  mit  Weizen,  und  nicht  mit  Ku- 
chen also  getan  habe  worauf  jeder  Halm,  der  früher  drei  Aehren  ge- 
tragen, ')  nur  eine  Aehre  trieb.  In  Szeged,  in  der  Kirälyhalomer  Ge- 
gend erzählt  man,  dass  Gott  „nach  der  Tat  der  Frau  nichts  vom  Wei- 
zen zurücklassen  wollte;  darauf  habe  Set.  Peter  eine  Handvoll  Wei- 
zen für  die  Hunde  und  Katzen  zurückbehalten;  davon  leben  wir." 
Tn  einer  Variante  aus  Felegyhäza  tut  dies  die  heil.  Maria.  In  Sagüj- 
falu  glaubt  man,  dass  „als  Gott  die  Weizenähre  nach  aufwärts  zog 
(streifte),  Maria  die  Spitze  derselben  ergriffen  habe,  damit  für  die  Hunde 
etwas  übrig  bleibe.  *)  Mit  Bezug  auf  das  Vergehen  der  Frau  erzählt 
eine  Sage  der  Voljaken:  „In  Urzeiten  warf  ein 3  Frau  die  schmutzigen 
Windeln  des  Kindes  auf  den  früher  tief  herab  hängenden  Himmel,  auf 
dem  der  Gott  herumgieng  Seitdem  ist  der  Himmel  unendlich  hoch  em- 
porgerückt und  der  Kornhalm,  der  früher  von  der  Wurzel  bis  zur 
Spitze  mit  Aehren  dicht  besetzt  war,  treibt  jetzt  nur  an  der  Spitze 
eine  magere  Aehre,  und  auch  die  nur  nach  schwerer  Mühe."  *)  In 
einer  Sage  der  Neger  heisst  es,  dass  ein  Weib  den  tief  herabhängen- 
den Himmel,  von  dem  bis  dahin  Fische  reichlich  herabfielen,  beleidigt 
habe,  indem  sie  ihn  hiess,  sich  höher  hinauf  zu  heben.  ') 

In  ungarischen  Traditionen  ist  die  verbotene  Frucht  des  Paradie- 
ses mit  der  biblischen  Überlieferung  übereinstimmend  der  Apfel,  der 

•)  Vgl.  Weil  a.  a.  0  S.  26. 

')  Vgl.  Grimm,  Kinder-  and  Haasmärchen:  „Die  Kornähre." 
•)  Munkdcsi,  Votjak  nepkölt£szeti  r-ajrvomanyok.  (Votkspoetisehe  Traditionen 
der  Wotjaken.)  S.  58. 

*)  Petermann,  Mitteil,  aas  Justus  Perthes  geogr.  Anstalt  Jahrg  1856.  S.  465. 

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K0SM0G0NI8CHEN  SPUREN  IN  DER  MAGYARISCHEN  VOLKSÜBERUEFEKUNG. 


in  der  ungarischen  Volksdichtung  Sinnbild  der  Liebe  ist.  Eva  hat 
mit  ihrem  , namenlosen *  (nevetlen)  Finger  den  Apfel  gepflückt; 
deshalb  blieb  der  Finger  „namenlos"  (Szöreg).  Adam  verschlang  gie- 
rig den  Sirunk  des  Apfels,  der  ihm  in  der  Kehle  stecken  blieb:  seit 
der  Zeit  haben  wir  den  .Adamsstrunk"  an  der  Kehle  (Enyhäzas-Ker). 
In  Magyar-Kanizsa  und  Egyhäzas-Ker  sagt  man:  »Als  Adam  und  Eva 
im  Paradiese  waren,  ward  sie  schwanger,  worauf  sie  Gott  aus  dem 
Paradiese  trieb."  -  In  den  Traditionen  gibt  es  auch  noch  andere 
verbotene  Früchte  So  erzählt  eine  Sage  der  Voljaken:  „Inmar.  der 
Hauptgott  gebot  dem  ersten  Menschenpaare,  den  KumySka  nicht  zu 
gemessen,  weil  denselben  Keremet,  der  Diabolus  besudelt  habe.  Aber 
als  Inmar  die  Ureltern  ins  Paradies  führte,  stellte  Keremet  in  einer 
zugedeckten  Schüssel  vergifteten  KumVSka  hin.  Die  erste  Frau,  von 
Neugierde  getrieben,  deckte  dem  Gebote  Inmar's  zuwider  die  zugedekte 
Schüssel  auf.  trank  daraus  und  bot  davon  auch  ihrem  Gemahl  an, 
wovon  die  Folge  Tod  und  Sünde  war.  Keremet  hatte  nämlich  auch 
den  Tod  in  die  Schüssel  hinein  getan.  Gott  trieb  sie  dann  aus  dem 
Paradiese.  Inmar  erschuf  dann  an  einem  anderen  Orte  —  weil  er  den 
ersten  Menschen  auch  das  Vermehrungsvermögen  genommen  hatte  — 
einige  Menschen,  und  damit  diese  von  Keremet  verschont  bleiben,  gab 
er  neben  jedes  Menschenpaar  einen  Hund  als  Wächter.*  l)  Hiezu  ver- 
gleiche man  die  ungarische  Sage:  „Als  Frau  Eva  den  Apfel  gegessen 
hatte,  kam  Gott  in  den  Garten  und  frug:  wo  sie  sind?  Adam  und 
Eva  wolten  nicht  hervortreten:  „Herr,  wir  schämen  uns!"  Sie  hülllen 
sich  in  Feigenblätter.  Als  sie  auf  Gottes  Befehl  hervortraten  gab  Gott 
unserer  Mutter  Eva  eine  Schüssel;  in  diese  Schüssel  war  weil  un- 
sere Mutter  Eva  die  Frucht  gekostet  hatte  damit  sie  dem  Manne 
folgsam  sei,  —  die  Folgsamkeit  hineingelegt.  Dann  gab  ihnen  Gott  Sa- 
men, damit  sie  denselben  aussäen.  Und  dann  öffneten  sie  die  Schüs- 
sel, in  welcher  das  war,  dass  das  Weib  dem  Manne  folgen  solle,  denn 
wenn  das  Weib  unter  dem  Manne  gestanden  wäre,  so  halte  es  vom 
Apfel  nicht  gegessen."  (Temesköz-Lörinczfalva).  —  In  Lörinczfalva, 
Magyar-Kanizsa  (und  vor  ungefähr  drei  Decennien  auch  in  Szegedj 
herrschte  der  Brauch,  dass  man  an  Hochzeilen  und  bei  Gelegenheit  des 
Schweineschlachtens  dem  angesehensten  Gaste  eine  zugedeckte  Schüs- 
sel, in  der  sich  ein  Sperling  befindet,  vorsetzte. 

Eine  andere  ungarische  Ueberlieferung  erzählt :  »Gott  trug  dem 
Adam  und  der  Eva  auf,  dass  sie  von  jedem  Obste  essen  dürften,  nur 
eine  Frucht  sollten  sie  nicht  anrühren.  Da  aber  Mutter  Eva  wankel- 
mütig war,  so  konnte  sie  nicht  umhin,  danach  zu  greifen  und  Gottes 
Gebot  zu  übertreten.  Als  sie  in  den  verbotenen  Apfel  biss,  fiel  ihr  Got- 
tes Gebot  ein.  Sie  errötete  und  sie  schämten  sich,  sie  hülllen  sich  in 
Feigenblätter  ein  und  begannen  herumzuirren,  konnten  sich  aber  nir- 
gends vor  Gottes  Zorn  verbergen;  sie  verbargen  sich  unter  den  Fei- 


»)  Borna,  A  votjakok  pogäny  vallasär61  (Ueber  die  heidnische  Religion  der 
Wotjaken)  s>.  6 

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LUDWIG  KALMÄNY 


genbaum.  Unter  dem  Feigenbaum  war  eine  Schüssel,  die  war  zuge- 
deckt. Mutter  Eva  konnte  sich  ihrer  sträflichen  Neugier  auch  jetzt  nicht 
erwehren,  denn  die  Schlange  war  da  und  zeigte  ihr  die  Schüssel,  da- 
mit sie  dieselbe  aufdecke,  was  sie  denn  auch  tat.  In  dieser  Schüssel 
befand  sich  der  Weltspiegel,  in  welchem  Eva  das  Los  der  zukünftigen 
Welt  erblickte.  Als  dies  Mutter  Eva  gesehen  hatte,  trat  Qolt  in  das 
Paradies  ein  und  trieb  sie  von  dannen.  Aber  Mutter  Eva  hatte  ihr 
zukünftiges  Schicksal  schon  gesehen  und  wollte  nicht  gleich  von  dan- 
nen, sondern  irrte  herum.  Dann  sandte  Gott  einen  Engel  aus,  der  aus 
der  unter  dem  Feigenbaum  befindlichen  Schüssel  ein  feuriges  Schwert 
hervorzog,  dann  gieng  auch  Mutter  Eva  aus  dem  Paradiese."  (Szöreg).  l) 
Das  Paradies  befindet  sich  nach  ungarischem  Volksglauben  am 
Himmel.  Es  heisst:  „Das  Paradies  befindet  sich  am  Himmel  und  kann 
auch  gesehen  werden;  die  Sterne  glänzen  nach  der  Art,  wie  die  Bäu- 
me des  Paradieses  sich  hin  und  her  neigen."  (Szöreg).  —  Mit  Bezug 
auf  die  Unfolgsamkeit  des  Weibes  heisst  es:  „Eva  wollte  sich  nicht 
fürchten,  sie  fürchtete  sich  auch  nicht  vor  Adam  Dieser  gieng  nun  zu 
Gott  und  sagte  ihm,  dass  Eva  sich  vor  ihm  nicht  fürchten  wolle.  Sprach 
da  Gott:  „Geh'  und  wasche  dich  im  Flusse  Tigris!"  Adam  wusch  sich, 
und  es  wuchs  ihm  ein  Bart.  Als  ihn  nun  Eva  erblickte,  erschrak  sie: 
wer  das  wol  sei?  Seit  der  Zeit  fürchtet  sich  das  Weib  vordem  Manne, 
aber  nicht  ein  jedes;  manches  ist  so  wie  ein  Pferd,  man  kann  es 
schlagen,  stossen  —  es  folgt  dennoch  nicht.  Eva  wollte  dann,  dass  auch 
sie  einen  Bart  bekomme ;  sie  gieng  also  auch  zum  Tigris  um  sich  da- 
rin zu  waschen.  Aber  da  stach  eine  Fliege  ihren  Bauch.  Eva  schlug 
auf  ihren  Bauch,  und  dort  wuchs  ihr  ein  Bart."  *)  (Egyhäzas-Ker). 
Ferner  heisst  es:  „Adam  hatte  bei  der  Schöpfung  keinen  Schnurbart ; 
an  der  Stelle  des  Schnurbartes  stach  ihn  eine  Fliege ;  Adam  schlug  nach 
ihr,  da  wuchsen  ihm  sofort  Haare  unter  der  Nase  "  (Szöreg).  —  In 
der  Ueberlieferung  der  Wotjaken  sagt  Inmar  dem  Menschen,  dass  er 
sterben  werde,  wenn  er  sich  den  Tieren  unterwirft.  Vor  den  grösseren 
Tieren  hütete  sich  der  Mensch,  auf  den  Sperling  aber  gab  er  nichts, 
und  diesem  gelang  es  ihn  zu  zwicken.  So  kam  der  Tod  und  der  Kampf 
ums  Dasein  in  die  Welt.  a)  —  Nach  dem  Sündenfall  wandten  sich  die  Tiere 
gegen  Adam.  So  heisst  es  in  den  ungarischen  Ueberlieferungen :  „Die 
Katze  ist  ein  schlaues  Tier;  am  Tage  brummte  sie  stets  der  anderen 
zu,  dass  sie  in  der  Nacht  ihren  Herren  oder  ihre  Frau  verscharre. 
Doch  Gott  strafte  die  Katze,  dass  sie,  wenn  der  Abend  kommt,  das 
vergisst,  was  sie  am  Tage  gebrummt  hat.  Jetzt  brummt  sie  nun  der 
anderen  vergebens  etwas  zu,  denn  sie  vergisst  es  (Szöreg).  —  „Frü- 
her war  die  Biene  besser  als  jetzt.  Einmal  sagte  sie  zu  Christus,  dass 
der  sterben  solle  den  sie  sticht!"  „Stirb  auch  du!"  versetzte  Christus. 

>)  Vgl.  Mütter,  Geschichte  der  amerikantscbon  Urreligioneo  S  t>24 
»j  Vgl.  Mayer,  Allgem.  Mvth.  Lexikon  1.  31;  0.  S.  19.  29. 
•)  Munkdcjti  Bernb.,  Votjak  nepkölteweti  hagvomanvok  (Volkspoetische  Tra- 
ditionen der  Wotjaken)  52 

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K08MOQONI8CHEN  SPÜREN  IN  DER  MAGYARISCHEN  VOLKSÜBERUEFERÜNO. 

Seit  der  Zeit  stirbt  auch  die  Biene.  Auch  die  Schlange  sagte,  dass  der 
sterben  solle,  den  sie  sticht.  „Gut,  den  du  stichst,  soll  sterben!  Aber 
dich  soll  die  Erde  nicht  in  sich  aufnehmen!"  sprach  Christus.  Die 
Erde  nimmt  sie  auch  nicht  auf,  denn  wenn  die  Zeit  kommt,  dass  sie 
sterben  soll,  dann  legt  sie  sich  auf  den  Fahrweg,  damit  man  sie  zer- 
trete* (Csanad-Apacza).  In  Egyhazas-K6r  erzählt  man  sich,  dass :  „die 
Schlanze  früher,  als  sie  noch  im  Paradiese  war,  nicht  gestochen  habe ; 
nur  seither  sticht  sie."  —  Von  den  Strafen  in  Folge  des  Sündenfalls 
heisst  es  weiter  in  der  ungarischen  Ueber lieferung:  „ Damals,  als  unser 
Vater  Adam  noch  nicht  gesündigt  hatte,  war  sein  ganzer  Körper  so 
wie  jetzt  unsere  Fingernägel;  da  er  aber  sündigte,  verschwand  dies. 
Nur  die  Nägel  blieben  als  Andenken  daran  zurück.14  (Magyar-Kanizsa). 
Was  die  Bestrafung  der  Schlange  anbelangt,  so  heisst  es  in  ungari- 
scher Tradition:  „Wer  eine  Schlange  sieht  und  sie  nicht  todt  schlägt, 
der  sündigt,  die  heil.  Maria  wende!  sich  von  ihm  ab,  denn  die  Schlange 
ist  ein  von  Gott  verfluchtes  Geschöpf,  seit  dem  der  Teufel  in  (iestalt 
einer  Schlange  den  Menschen  betrogen  hat."  (Temesköz-Lörinczfalva). 
Ferner  heisst  es:  „Als  Gott  den  Adam  in  das  Paradies  führte,  gebot 
er  ihm:  „Hier  sei!  Paradies  wachse!  Menschengeschlecht  vermehre 
dich!"  Dies  kränkte  den  Teufel,  weil  er  daraus  keinen  Nutzen  hatte. 
In  der  Gestalt  einer  Schlange  verführte  er  die  Eva  zur  Sünde.  Dann 
verfluchte  Gott  die  Schlange.  Vordem  war  die  Schlange  ein  schönes 
Tier;  Eva  spielte  mit  ihr."  (Egyhäzas  Ker).  ')  Auch  der  Pfau  wird  in 
der  ungar.  Ueberlieferung  bestraft:  „Der  Teufel  hat  ausser  dem  Pfau 
keinen  anderen  Vogel,  denn  dieser  hat  dem  Teufel  sein  Fleisch  ver- 
kauft und  auch  seine  Füsse,  damit  er  schöne  Federn  erhalte ;  er  hat 
nun  auch  kein  Fleisch,  nur  Knochen  und  Haut  Damit  er  nicht  über- 
mütig werde,  bekam  er  hässliche  Füsse  Der  Pfau  getraut  sich  nicht 
seine  Füsse.  anzublicken,  denn  wenn  er  seine  Füsse  msä'ie,  würde  er 
krepieren.*  (Temesköz-Lörinczfalva)  a)  Zur  Bestrafung  der  Unzufriede- 
nen gehört  die  ungarische  Sage:  „Das  Kind  konnte  gleich  nach  sei- 
ner Geburt  gehen;  wenn  es  fiel,  erhob  es  sich  und  gieng  weiter.  Als 
eine  Frau  sah,  dass  ihr  Kind  fallen  wollte,  haschte  sie  nach  ihm  Da 
sprach  Gott:  „Wenn  es  so  nicht  gut  war,  wie  ich  es  erschaffen,  so 
trage  du  jetzt  ein  Jahre  lang  oder  noch  länger  die  Sorge  für  das 
Kind!-*  Seilher  muss  man  Sorge  für  das  Kind  tragen  und  dennoch 
fällt  es,  sobald  es  zu  gehen  beginnt  8  (Egyhazas-Ke>).  *)  Vom  Kuckuck 
erzählt  die  ungar.  Ueberlieferung:  „Der  Kuckuck  erbat  sich  von  Gott 
das  allerschönste  Gewand;  er  war  mit  dem  seinigen  nicht  zufrieden. 
Da  ward  Gott  zornig  auf  ihn,  und  setzte  ihm  den  Teutelskamm  auf. 
Seither  bereut  der  Kuckuck  stets  seine  Tat  und  ruft  traurig,  denn  es 
lastet  ein  Fluch  auf  ihm."  (Majdän).  •) 

»)  Vgl.  Weil  a.  a.  0.  8.  22,  28. 
0  Vgl.  Weil  a  a.  0.  S.  20. 

*)  Vgl.  MilUer  SiebenbUrgische  Sagen:  „Strafe  des  Ungehorsams. " 
«)  Vgl.  Pallas  a.  a.  0.  IL  32;  Borna,  a  Mordvinok  pogany  istenei  (Die  heid- 
nischen Götter  der  Mordwinen)  36;  Kalevala  IV  Runo  500;  Weil  a.  a.  0.  30. 

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LUDWIG  KÄLMÄNY 


Wir  wollen  noch  einige,  mehr  oder  weniger  hieher  gehörige  un- 
garische Ueberlieferungen  mitteilen 

„Als  Christus  auf  Erden  wandelte,  ward  er  müde  und  rief  das 
Pferd,  damit  es  ihn  über  den  Morast  frage.  „Warte,  bis  ich  satt  wer- 
de !u  sagte  das  Pferd.  „Gut,  iss  denn  auch  dann,  wenn  du  nicht 
willst  !•  sprach  Christus  den  Fluch  über  das  Pferd  aus,  während  er 
den  Esel,  der  auf  seinen  Rul  selbst  das  schon  zwischen  seinen  Zähne» 
befindliche  Schilfrohr  fahren  liess,  segnete,  damit  er  auch  auf  einem 
Mistbaulen  überwintern  könne  Aehnlich  ergieng  es  auch  dem  Kuh- 
und  Schafhirten.  Früher  rasteten  die  Rinder  zur  Mittagszeit,  wahrend 
die  Schafe  von  den  Fliegen  geplagt  wurden.  Christus  änderte  an  der 
Sache.  Denn  als  er  einmal  Milch  vom  Kuhhirten  verlangte,  wollte  die- 
ser aus  seiner  Mittagsruhe  nicht  aufstehen,  während  der  Schafhirt  ihn 
bereitwillig  bediente.  ')  In  den  Kreis  der  Belohnung  und  Strategehört 
auch  die  folgende  ungar.  Sage:  .Christus  gieng  an  den  Schnittern 
vorbei  und  verlangle  Wasser.  Eine  heiratsfähige  Maid  brachte  ihm  so- 
gleich frisches  Wasser.  Als  er  nun  mit  Petrus  weiter  gieng.  trafen  sie 
einen  faulen  Hirten  an.  der  unter  einem  Birnbäume  den  Mund  offen 
haltend  lag  und  wartete,  dass  ihm  die  Birnen  in  den  Mund  fallen 
mögen.  Set.  Petnw  wollte  die  Maid  belohnen  und  den  Burschen  be- 
strafen, Christus  aber  verheiratete  sie  mit  einander,  damit  der  Faule 
neben  der  Fleissigen  leben  könne  und  nicht  zu  Grunde  gehe.u  *) 

Einer  Verwandlung  wird  nach  ungarischer  L'eberlieferung  auch 
das  Pferd  unterzogen  u.  zw.  durch  den  Teufel.  Es  heisst:  „Das  Pferd 
hat  der  Teufel  erschaffen;  da  es  aber  gar  zu  schnell  lief,  nahm  er 
ihm  einen  Gelenksknochen  heraus.  Auch  jetzt  noch  lief  das  Pferd  zu 
schnell  und  nun  band  er  ihm  eine  Fessel  (fesseiförmige  Muskel)  an  das 
Bein  Seither  läuft  es  nicht  so  schnell.  Hätte- dies  der  Teufel  nicht  ge- 
tan, so  wäre  das  Pferd  rascher  gelaufen,  als  der  Teufel. u  (Ö.-Szent-lvän). 
In  einer  Variante  heisst  es:  «Als  Gott  das  Pferd  erschaffen  hatte,  lief 
es  so  schnell,  dass  ihm  auf  der  weiten  Welt  an  Geschwindigkeit  kein 
Tier  nahe  kam.  Dies  grämte  den  Teufel  und  er  schnitt  ihm  in  alle 
vier  Beine,  damit  es  ihn  im  Laufen  nicht  übertreffe.  Seit  der  Zeit 
kann  das  Pferd  nicht  so  laufen,  wie  der  Teufel"  (Egyhäzas-Ke>).  Hie- 
her gehört  die  folgende  ungar.  Variante:  .Gott  erschuf  für  den  Adam 
ein  Pferd.  Adam  hatte  keine  Not  mit  dem  Pferde,  aber  als  ihn  Gott 
aus  dem  Paradiese  trieb,  ward  das  Pferd  gar  zu  schnell  fussig.  Er 
klagte  Gott,  dass  er  mit  dem  Pferde  nicht  mehr  umgehen  könne.  Da 
sagte  ihm  Gott,  er  solle  dem  Pferde  in  die  Beine  schneiden ;  so  wuchs 
demselben  das  Oberbein.  Adam  ward  dann  ein  Ackersmann. *  (Temes- 
köz-Lorinczfalva).  a)  Hier  spielt  Adam  die  Rolle  eines  Demiurgen.  Wo- 
raus nun  das  Pferd  erschaffen  ward,  darüber  erzählen  uns  auch  die 
ungarischen  Uberlieferungen:  „Pferde  hatte  Gott  nicht  erschaffen;  es 

')  Szeged  oepe  (Szeged's  Volk)  II.  140. 
»  Eben  da  II.  143. 

»>  Vgl.  Weil  a  ».  0.  8.  27.  40;  Zeitschr.  d.  deutsch,  morgenl.  Geaellschaft 

XXX.  189. 

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K0SM0G0NISCIIEN  SPÜREN  IN  OER  MAGYARISCHEN  VOLKSÜBERLIEFEKl  NO. 


gab  nur  Esel,  Pferde  aber  keine  Die  Teufel  aber  vermehrten  sich  so 
sehr,  dass  wohin  immer  Chrislus  gieng,  er  Überall  lauier  Teufel  sab. 
Die  Teufel  foppten  nun  Chrislus  und  er  machte  aus  ihnen  Pferde. 
Manche  Plerde  sind  auch  wie  die  Teufel.  Damals  war  das  Pferd  gar 
schnelllaufend;  es  lief  so  schnell,  dass  man  es  kaum  zum  Stehen  brin- 
gen konnte.  Da  schleuderte  Christus  ein  Beil  an  das  Pferd,  das  in 
dessen  Bein  eindrang.  Seit  der  Zeit  sieht  man  den  Beilschnitt  an  den 
Beinen  der  Pferde.  Das  Pferd  ergab  sich  hierauf  und  ist  nicht  mehr 
so  schnelllaufend. B  (Ö-Szent-Ivän).  Vgl.  hie/u  die  mongolische  Sage 
über  Sigemuni.  ')  Auf  welche  Weise  aus  Teufeln  das  Pferd  erschaffen 
wurde,  darüber  berichtet  die  ungarische  Tradition  also:  „Als  Gott  den 
Adam  ins  Paradies  berief,  erklärte  er  ihm,  dass  er  darin  leben  könne, 
wie  er  wolle,  nur  das  solle  er  einhalten,  was  er  ihm  befehle.  Der 
Pflug  ackerte  von  selbst,  denn  damals  gab  es  noch  keine  Pferde.  Der 
Teufel  trat  hinzu,  damit  er  an  sein  Wort  glaube  und  nicht  an  das 
Gottes;  aber  der  Pflug  ackerte  weiter.  Da  glaubte  ihm  Adam  und  der 
Pflug  blieb  stehen.  Da  gieng  Adam  zu  Gott  und  sprach:  .Herr,  meins 
Schöpfer,  der  Pflug  ackert  nicht  weiter !'  Hierauf  versetzte  Gott :  , Wa- 
rum hast  du  dem  Satan  geglaubt?  Wenn  du  dahin  zurückgehst,  so 
schleudere  den,  der  neben  dem  Pfluge  steht,  an  den  Pflug!*  Als  Adam 
zurückkehrte,  schleuderte  er  den  Teufel  so  an  den  Pflug,  dass  er  gleich 
in  ein  Pferd  verwandelt  wurde.  Da  sprach  Gott:  ,Spann'  ihn  ein,  da- 
mit er  den  Pflug  ziehe!  »Seither  zieht  das  Pferd  den  Pflug."  (Egyhazas- 
Ke>).  *)  Eine  andere  ungar.  Ueberlielerung  erzählt :  „  Als  Gott  den  Men- 
schen pflügen  lehrte,  kam  auch  der  Teufel  hinzu  und  disputierte  mit 
Gott,  dass  auch  er  zu  pflügen  verstünde.  Der  Teufel  sagte,  dass  er 
noch  vor  Hahnruf  den  Berg  aufackere  Als  er  die  Mitte  des  Berges 
pflügte,  schrie  der  Hahn.  Der  Teufel  liess  sogar  seine  Bundschuhe  zu- 
rück. Der  Teufel  hat  gerippte  Bundschuhe."  (Szeged-Madar&sztö).  In 
einer  anderen  ungar.  Ueberlielerung  wieder  heisst  es:  „Als  Gott  dem 
Menschen  das  Pflügen  gebot,  gab  er  ihm  einen  solchen  Pflug,  der  von 
selbst  gieng;  man  benötigte  kein  Pferd  dazu.  Gott  sagte  dem  Men- 
schen: er  solle  den  Pflug  nur  gehen  lassen,  wohin  er  (von  selbst) 
geht  und  ihn  nicht  anrühren.  Der  Teufel  kam  hinzu  und  sah.  dass 
der  Mensch  pflügt;  er  sprach  zu  ihm:  „Es  geht  nicht  gut,  es  geht 
nicht  grade!  kehr'  dich  herzu!  dann  wird  die  Furche  grade  sein.' 
Der  Mensch  wendete  den  Pflug,  berührte  ihn ;  der  Pflug  blieb  stehen, 
er  gieng  nicht  weiter.  ,Nun!'  sprach  der  Teufel,  ,ich  bringe  dir  schon 
vier  Pferde,  dass  er  gehen  wird !'  Der  Teufel  brachte  auch  solche  vier 
Pferde,  dass  der  Mensch  mit  ihnen  nicht  umgehen  konnte:  es  waren 
Teufel  und  nicht  Pferde.  Gott  kam  nun  zum  Menschen  und  sah,  dass 
er  mit  den  Pferden  nicht  umgehen  kann,  und  da  schlitzte  er  alle  vier 
Beine  der  Pferde  auf,  worauf  diese  alle  langsamer  gi engen.  Damals 
wurden  aus  den  Teufeln  Pferde;  man  darf  auch  den  Pferden  nicht 


t,  Sfqjer  a  I  0.  I,  641. 
»)  Vgl.  Weil  a.  ».  0.  40. 

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LUDWIG  KALMÄNY 


recht  trauen,  denn  sie  sind  aus  Teufeln  entstanden!"  (Szeged-Gajgo- 
nya).  In  Egybazas-Ke>  sagt  man  noch:  «Den  Teufel  schleuderte  der 
heil.  Petrus  an  die  Pflugschar;  so  wurde  er  ein  Pferd." 

Zum  Schluss  noch  eine  ungarische  Tradition  zu  diesem  Thema: 
„Als  Gott  den  Menschen  erschaffen  hatte,  gab  er  ihm  einen  Pflug. 
Dieser  Pflug  ackerte  von  selbst. Gott  sprach :  „Aber  schlag'  ihn  nicht 
in  die  Seite!"  Kam  hinzu  der  Teufel  und  zwang  den  Menschen,  da ss 
er  den  Pflug  in  die  Seite  schlage.  Aber  Adam  schlug  ihn  nicht.  Nun 
kam  Gott  und  frug :  rGeht  der  Pflug  gut?"  Adam  antwortet:  „Nicht 
besonders  gut!  Kam  her  ein  roter  Mann  und  sagte,  ich  möge  den 
Pflug  in  die  Seite  schlagen  *  „Nun  gut.  Adam,-  sprach  Gott,  „ich 
gebe  dir  einen  Zaun,  mit.  dem  schlage  dem  roten  Manne  an  den  Kopf, 
in  dieses  Geschirr  spanne  ihn  ein,  lass  ihn  auf  die  Weide  gehen; 
dann  kannst  du  den  Pflug  schlagen!"  Gott  gieng  weg  und  es  kam  der 
Teufel  und  sagte  wieder,  der  arme  Mensch  möge  den  Pflug  in  die 
Seite  schlagen.  Adam  schlug  den  Zaun  dem  Teufel  an  den  Kopf, 
spannte  ihn  ein  und  schlug  auf  den  Pflug.  Seit  der  Zeit  geht  der 
Pflug  nicht  mehr  von  selbst.  Der  Teufel  verwandelte  sich  in  ein  fuchs- 
rotes Pferd,  Adam  spannte  es  ein  und  seither  zieht  das  Pferd  den 
Pflug."  (Szeged-Kirälyhalom). 


Türkisches  Puppentheater.  *) 

Karag  öz-Schaokelspiel. 

Aufgezeichnet  u.  übersetzt  von  Dr.  Ignaz  Kunos. 

Hadsciwat  (trägt  hinter  der  Bühne  folgenden  Achtzeiler  vor): 

Ist  jede  Schöne  so  voll  Liebreiz  und  Schelmerei, 
Hat  sie  so  schöngefärbte  blaue  Augen? 
Ist  die  Liebe  der  Schönen  eben  so  heimlich? 
Schatz  meines  Lebens,  komm  und  lass  dich  nur  einmal  umarmen. 
Wo  weilst  du,  o  Holde,  wohin  soll  ich  kommen, 
Was  für  Leute  fragen,  wie's  dir  geht  und  wic's  mit  dir  steht  > 
Einmal  im  Monat  möcht'  ich  dein  Antlitz  schaun. 
Schatz  meines  Lebens,  komm,  lass  dich  doch  umarmen. 

(Nach  Beendigung  dieses  Achtzeilers  betritt  Hadseiwat  die  Bühne  und 
hebt  mit  den  Worten  ,0  Du  Geruhterl"  das  folgende  Bühnen-Ghasel  an 
eu  singen: 

Ohne  dass  die  Kerze  meines  Glückes  brennte, 

Strahlt  unser  Vorhang  im  Licht; 

Für  die,  welche  Aufmerksamkeit  haben, 


*)  Einleitung,  türkischer  Originaltext  und  Anmerkungen  im  nächsten  Hefte. 

14* 


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TÜRKISCHES  PUPPENTHEATER 


Ist  unser  Vorhang  reich  an  Reiz : 

Den  Vorhang  zieh'  vom  Auge  weg 

Und  nimm  Anteil  an  dieser  Rede! 

Glaube  nicht,  der  Vorhang  sei  von  Leinwand, 

Vollkommenheit  ist  unser  Vorhang. 

Der  ich  hinter  dem  Vorhang  hervorkomme, 

Ilad&eiwat  bin  ich,  der  für  Euch  betet; 

Wenu  dies  Schwarzauge  kommt, 

Macht  es  diesen  unseren  Vorbang  erbeben. 

(Nach  Beendigung  des  Ghasels  redet  er  folgendermasseu  zum  Publikum  :> 
Zuerst  habe  ich  ein  Schattenspiel  arrangiert,  habe  ein  Zelt  aufgeschla- 
gen, eiue  Kerze  angezündet ;  zeigen  möchte  ich  ein  Schattenbild ;  der  Scheich 
Küäteri,  unser  Altmeister  hat  es  mit  dem  Bemerken  gelehrt,  dass  Leute 
von  Empfindung  es  verstehen  sollten ;  wer  nun  Empfindung  hat,  versteht  es, 
den  andern  ist  das  Verständnis  nicht  möglich,  Gegenwart  der  Anwesenden, 
Versammlung  von  Kennern:  das  ist  hier  eine  Glttckszeit  für  Männer!  Ver- 
flucht ist  ein  Heuchler,  ein  Betrüger  ist  der  Satan.  Für  des  Satans  Gottlo- 
sigkeit, für  des  Allerbarmers  Einheit,  für  Tage  und  Augenblicke  und  Glück 
Sr.  Majestät  unseres  Grossherrn,  des  mächtigen,  gnädigen,  hochherzigen  Kai- 
sers, der  Zuflucht  (Stütze)  des  Weltgeistes,  insbesondere  aber  für  das  Wohl- 
sein der  Freunde,  die  uns  Bewunderung  zollen !  Das  heisst,  davon  will  ich  nicht 
sprechen,  wenn  froh  ich,  euer  Diener,  ich  euer  Fürbitter,  ich  der  Staub, 
ich  der  Staubbedeckte,  eine  Kurzweil  hatte,  das  für  mich  ein  Freund  wäre, 
dessen  Hand  und  Gesicht  gewaschen,  dessen  Worte  wohlgeordnet,  dessen 
Umgang  angenehm  wäre,  und  der  so  gut  wäre,  und  zu  dem  viereckigen 
Zelte  käme !  Versteht  er  Verse  und  Gedichte,  versteht  er  arabische  und 
türkische  Ausdrücke,  ist  er  auch  mit  der  Musik  etwas  vertraut,  höre  ich, 
wenn  er  redet,  und  hört  er,  wenn  ich  rede,  so  möchte  ich  sagen,  die  an- 
wesenden Liebhaber  sollen  ihr  Glück  finden!  Was  war  unsere  Aufgabe!  Un- 
ser Werk  möge  unser  Herr  richtigstellen! 

„Einen  Freund  mir  her,  einen  lustigen  Freund! 
Einen  Freund  mir  her,  einen  lustigen  Freund!" 

(So  ruft  er  und  sieht,  dass  von  Karagöz  kein  Laut  kommt.  Darauf 
fährt  er  so  fort :) 

Ach  mein  Karagöz,  mein  Schneeberg,  mein  Hyazinthengarten,  mein 
kameradschaftlicher  Freund,  mein  in  der  Fremde  mir  brüderlicher  Karagöz ! 
Ob  er  wohl  zu  Hause  ist  oder  in  der  Wildnis?  Ich  will  doch  hingehen,  an 
seine  Thüre  klopfen  und  ihn  einladen. 

Hadöeiwat  (an  des  K.  Türe  pochend) :  Karagöz,  he,  Karagöz ! 

Karagöz  (sieht  aus  dem  Fenster):  Was  gibt's,  o  Hadseiwat? 

H.  Du  bist  geboren  wie  ein  Mond  zwischen  zwei  Wolken ;  ein  Giess- 
bach  ist  gekommen  und  hat  die  Traufe  überströmt. 

K.  Mache  dich  fort,  du  ersäufst. 

H.  0  weh,  Bruder,  wodurch? 

K.  Durch  den  Giessbach. 

149 


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DR.  IONÄZ  KÜN08 


H.  Komm,  Karagöz,  Karagöz! 

K.  Hast  du  eioe  schwarze  Traube  in  der  Hand?  Machst  du  ein  Lamm 
von  Mali*  *)  zahm? 

H.  Komm,  mein  holder  Freund! 

K.  Ich  kann  nicht  kommen,  mein  alter  Vater. 

U.  Komm,  meine  Herzenswonne  ! 

K.  Ich  kann  nicht  kommen,  Markt-Kaldaune ! 

H.  Komm,  raein  herumstreichender  Wandrer! 

K.  Pack  dich  fort;  wenn  ich  herunterspringe,  bei  Gott,  so  zerquet- 
sche ich  dir  das  Gehirn! 

H.  Versteht  Ihr  Armenisch,  Herr? 
K.  Ja  wohl. 

H.  Egörnajym,  egörnajym.  **) 

K.  Stell s  Horten  hin,  ich  nehra's  dann  hin  und  drück's  auf  deines 
Vaters  Schnurbart. 

H.  Könnt  Ihr  Griechisch,  Herr? 
K.  0  ja. 

H.  Elado,  Elado! 

K.  Hältst  du  so  die  Hand  voll,  so  lege  die  Hälfte  davon  dorthin. 
H.  Versteht  Ihr  Bulgarisch,  Herr? 
K.  Gewiss. 

H.  l'edi  suda,  pedi  suda! 

K  Fällt  die  Kuh  da  ins  Wasser,  so  pack  sie  am  Schwänze  und  zieh'  sie  heraus ! 

H.  Könnt  Ihr  Jüdisch,  ')  Herr  ? 

K.  Ja  wohl. 

H.  HYnaitf,  wcnaki! 

K.  Spende  viel  *),  so  kriegst  du  Schnapps. 
II.  Könnt  Ihr  Italienisch,  Herr? 
K.  Ja  wohl. 

H.  Veni  quä,  veni  quä ! 

K.  „Fehlt  Dir  was",  so  flick  das  Loch  8),  was  geht's  mich  an? 
H.  Versteht  Ihr  Zigeunerisch  Herr? 
K.  Ja  wohl. 
H.  Udtldn! 

K.  Sorarolu  ')  (mit  diesem  Worte  kommt  er  herunter). 
H.  Was  bedeutet  das  denn,  Bruder  \ 

K.  Was  schert  dich's!  sag   (Irap.)  „sos  körös"  *)  und  damit  gut. 
H.  Man  kann  auf  das,  was  man  nicht  versteht,   keine  Antwort  ge- 
ben; was  bedeutet  das  und  was  für  eine  Nation  bat  diesen  Gruss? 


*)  eine  Stalt  unweit  lirussa. 

**)  dies  wie  alle  folgenden  fremden  Ausdrücke  bedeuten  BK»»mm  her!* 

')  nähralich  da«  spanische  Jüdisch. 

9  eig.  -Her  mit  dem  Geld,  so  kriegst  Du  Schnaps." 

»)  eig.  „Gib  .'s  ein  Loch,  so  flick'  na !" 

*)  zigeunerisch:  rHicr  bin  ich."  Karagöz  versteht  Zigeunerisch,   eine  Bestä- 
tigung der  Vermutung,  dass  er  ursprünglich  als  Zigeuner  gedacht  wurde. 
f)  Zigeunerisch  iso  keres):  „was  machst  du? 

15" 


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TCRKISCHES  PUPPENTHEATER 


K.  Die  Zigeaner. 

H.  Ich  hab's  nicht  verstehen  können,  Herr. 
K.  Die  Zigeaner,  sag'  ich,  mein  Herr. 
H.  Öengel  l)  sagt  nicht,  Herr. 

K.  Nein,   nach    FFan/-köi  ist  er  gegangen.   Warum   sagst  da  das,  • 
fierl?  Die  T Zigeuner",  sag'  ich. 

H.  Ich  kann's  nicht  verstehen,  Herr. 

K.  Wir  machen  Kohlenbecken  und  Feuerzangen. 

H.  Seit  Ihr  das  Kohlenbecken-  und  Feuerzangen- Volk  ? 

K.  Nein,  das  Fcuerschaufelvolk ;  Leute  von  Aiwän-Serai,  von  „Aiinin- 
Äroi.- 

H.  Die  Quitte  ist  gelb  geworden?  *) 

K.  Ha    gleich  wird  der  Apfel  in  deinem  Gesicht  rot  werden;  Zelt- 
insassen sind  wir,  Zeltinsassen. 
H  Gelbes  Leder,  Herr? 

K.  Nein,  rotes  Saffian;  aus  Sulu-Kule  sind  wir,  aus  Sulu-%uU. 
H.  Sohle  gibt's  in  der  Kahle? 

K.  Da  gibt's  für  deinen  Schädel  einen  Faustschlag,  nimmst  da  den 
An?  Zigeuner!  (mit  diesen  Worten  gibt  er  ihm  eine  Ohrfeige). 
H.  Kann  nicht  verstehn,  Herr. 

K.  Zigeuner!  (nachdem  er  dies  laut  gerufen,  gibt  er  dem  HadSeiwat 
-eine  Backpfeife,  der  macht  sich  fort).  Zu  welcher  mich  berührenden  Ange- 
legenheit ist  das  nötig,  (zieht  sich  ins  Haus  zurück,  klopft  an  das  Tor)? 

Seine  Frau.  Wer  da?  iruft). 

K.  Mach  auf,  Alte!  ich  bin  gekommen. 

Frau:  Wer  bist  du? 

K.  Der  Mann,  der  die  Abende  Licht  und  Brot  bringt. 
Frau.  Ein  Krämer  bist  du? 

K  Nein,  ein  Grünhändler  bin  ich  Weshalb  fragst  du,  mein  Herrchen, 
dein  Mann  bin  ich? 

Frau:  Was  für* ein  Mann  von  mir  bist  da? 

K.  Wieviel  Männer  hast  du  denn  ?  Der  Haasherr  bin  ich,  der  Hausherr. 
Frau:  Der  Hausherr  seid  Ihr,  Herr? 
K.  Ei  ja. 

Frau :  Ach  Herr,  verzeiht,  gestern  abends  habe  ich  dort  mit  dem 
Agha  sogar  noch  eine  Unterredung  gehabt,  wir  haben  die  Miete  nicht  auf- 
bringen können;  will's  Gott,  so  bringen  wir  sie  in  1,  2  Tagen  zusammen 
und  zahlen  sie. 

K.  Mensch,  *)  so  ein  Hausherr  ist's  nicht;  ach,  wie  soll  man  der 
sich  verständlich  machen  (mit  Mühe  macht  er  ihr's  klar  and  lässt  sie  die 
Tür  öffnen). 

Frau :  Du  bist  es? 


•)  an  „Cingane"  (Zigeuner)  anklingend,  die  Bedeutung  ist  „Haken."  Cengel- 
fcöi  und  Wani-köi  Bind  zwei  Dörfer  am  asiatischen  Bospornsufer,  dieses  Arnautköi, 
jenes  Ortaköi  gegenüber. 

f)  Dies,  narnl.  aiwa  sarardy  bat  er  statt  aiwan  S.  verstanden. 

*)  Ulan  Bursch  --  werden  in  dieser  Weise  auch  Frauenangeredet 

151 


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4 

DR.  IGNAZ  KÜNOS 


K.  Ja  wohl,  ich. 

Frau:  Wieder  bist  da  gekommen,  indem  da  deine  Hand  so  hin  nnd 
her  schlenkerst?  *) 

K.  Nein,  ich  habe,  beide  Hände  in  meine  Tasche  gesteckt  und  bin 
so  gekommen. 

Frau :  Was  habe  ich  um  dich  aushalten  müssen :   Das  Fleisch  sehe 
ich  O  beim  Metzger,  das  Obst  beim  Fruchthändler. 
K.  Sei  doch  dankbar  1 

Frau:  Dafür,  dass  ich  Hungers  sterbe,  soll  ich  Dank  sagen? 

K.  Und  wenn  nun  deine  Augeu  bliud  wären,  und  du  keins  von  bei- 
den sehen  würdest  P 

Frou:  Marsch,  geh  wenigstens  und  hole  ein  bischen  Reis,  für  die 
Kinder  will  ich  etwas  kochen,  dass  sie  essen. 

K.  Gib  nur  das  Geld  dafür  her,  ich  will's  schon  holen 

Frau:  Und  hernach  wenn  ich  das  Geld  hergegeben  habe,  wovon  bist 
du  denn  der  Geraahl? 

K.  Gib  das  Geld,  dann  bist  du  mein  Gemahl. 

Frau :  Was  habe  ich  von  deiner  Hand  zu  leiden  gehabt  ?  (Über  diese 
Worte  gibt's  mit  Karagöz  Zank  und  Lärm,  sie  wirft  den  K.  hinaus,  und 
der  fängt  draussen  zu  weinen  an). 

HadSeiwat  (kommt  und  sieht  den  K.  weinen):  0  je,  Bruder,  warum 
hältst  du  dich  um  Mitternacht  hier  auf? 

K.  Frage  nicht,  Had§eiwat,  frage  nicht,  ich  kam  nach  Hause,  ereiferte 
mich  gegen  die  Frau,  prügelte  sie  gehörig  und  warf  sie  hinaus. 

H.  Warum  hältst  du  dich  (denn)  hier  auf? 

K.  Da  misch  dich  nicht  hinein,  ich  habe  den  Stock  zu  schmecken 
bekommen. 

H.  Bruder,  sage  mir,  was  für  eine  Sache  der  Grund  davon  war. 

K.  Ich  kam  heim,  und  da  ich  sagte:  „Was  habe  ich  von  dir  auszu- 
stehen !u  hat  sie  mich  hinausgeworfen. 

H.  Bruder,  die  Schuld  liegt  an  uns,  wir  tun  keine  Arbeit  noch  Verrichtung. 

K.  Was  sollen  wir  tun,  welche  Arbeit  und  Verrichtung  sollen  wir 
besorgen  ? 

H  Ich  besitze  eine  Schaukel :  (Sallynd&ak)  wenn  ich  die  hieher  (eig. 
an  den  Platz  dieses  Ortes)  brächte,  und  wenn  du  ein  ordentlicher  Kerl  bist, 
können  wir  etwas  Geld  verdienen. 

K.  Kerl,  was  habe  ich  in  Salad&ak  a)  zu  thun?  werde  ich  in  Sa- 
lad&ak  Geld  verdienen? 

H.  Nein,  mein  Bruder,  das  ist  nicht  gemeint,  sieh  nur  einmal  (bi- 
kerre)  her,  du  missverstehst  (mich),  eine  Bairamtviege. 

K.  Eine  Bairameiege,  •)  was  für  eine  ist  das? 


>)  Beschreibung  der  mechanischen  GebKrd<*n  des  Karagöz. 
*)  ohne  Geld  zum  Einkauf  zu  haben. 
»)  ein  Dorf  nahe  Ismid. 

*)  eig.  Bairam- Esel,  in  dem  K  eseji  für  beiyi  verstanden  haben  will.  Weil 
am  Beiram  auf  dem  Moscheehofe  eine  Schaukel  aufgestellt  wird,  so  nennt  man  diese 
auch  Bairamwiege. 

162 


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TÜRKISCHES  PUPPENTHEATER. 


H.  Bruder,  das  nicht,  eine  Schaaken 

K.  Bring  sie  her,  wollen  sehn,  was  das  für  ein  Ding  ist  (Er  bringt 
die  Schaukel  und  stellt  sie  auf  den  Platz).  Eine  Bairamwiege  ist  das?  Gut, 
Hadseiwat.  sehr  gut. 

H.  Sieh,  Bruder,  ich  werde  nun  Kunden  kommen  lassen;  so  viel 
Piaster  du  (dann)  erhandelst;  sind  z.  B  100  Piaster  zusammengekommen, 
diese  1 00  Piaster  teilen  wir  in  3  Teile,  einen  für  dich,  einen  fttr  mich,  und 
einen  für  die  Schaukel. 

E.  Hadseiwat,  hat  die  Schaukel  auch  eine  Seele  ?  Ich  —  ja,  du  —  ja,  die 
Schaukel,  von  welcher  Art  ist  die  denn? 

H.  Bruder,  daran  gibt's  Reparaturen,  daran  gibt's  Farbe,  deswe- 
gen teilen  wir  in  drei  Teile. 

K.  Je.  meinetwegen. 

H.  Vorwärts,  jetzt  steige  auf  die  Schaukel,  und  ich  will  dich  leh- 
ren, wie  du  die  Kunden  schaukeln  wirst. 

K.  (steigt  auf  die  höchste  Spitze  der  Schaukel)  Vorwärts,  Hadseiwat, 
schaukele. 

H.  (sieht  nach,  und  wird  gewahr,  dass  Karagöz  nicht  in  der  Schau- 
kel sitzt,  sondern  bis  auf  die  Höhe  des  Gerüstes  gestiegen  ist).  Steige  he- 
runter, du  wirst  die  Schaukel  zerbrechen. 

K.  Kerl,  hast  du  nicht  gesagt,  ich  sollte  hinaufsteigen,  sieh,  nach 
deinem  Wort  bin  ich  hinaufgeklettert. 

H.  Nein,  wenn  ich  sagte,  du  solltest  hinaufsteigen,  so  meinte  ich 
nicht  hinauf,  sondern  dass  du  dich  unten  auf  die  Sckaukel  setzen  solltest. 

K.  Stelle  dich  hinter,  dass  ich  nicht  falle,  schaffe  mich  hinunter.  (Er 
tritt  auf  Hadseiwats  Schulter  und  hebt  an  denselben  zu  fragen).  Hadseiwat, 
gehört  diese  Schaukel  dir  oder  deinem  Vater? 

H.  Kerl,  schnell  steige  ab,  die  Schulter  thut  mir  weh. 

K.  Nein    die  Schaukel  ist  schön,  deshalb  frage  ich. 

H.  (wirft  bei  diesen  Worten  den  Karagöz  von  seiner  Schulter  auf  die  Erde). 

K.  0  weh!  (zu  Boden  fallend). 

H.  Schurke,  ich  habe  dir  gesagt,  du  sollst  unten  hingehn,  ich  wollte 
dich  schaukeln;  habe  ich  otwa  gesagt,  du  solltest  oben  hinauf  gehn? 

K.  (legt  sich  der  Länge  nach  unter  die  Schaukel).  Schaukele  Hadseiwat. 

H.  (sieht,  wie  er  unter  der  Schaukel  liegt).  Steh  von  da  auf, 
Schurke  (bei  diesen  Worten  erhebt  sich  Karagöz  und  stosst  gleichzeitig  mit 
dem  Kopfe  an  den  Schaukelstuhl). 

K.  0  je  (erhebt  sich):  Kerl,  ich  bin  hinaufgestiegen  und  du  hast  ge- 
sagt, ich  sollte  nicht  hinaufsteigen,  dann  habe  ich  mich  darunter  gelegt,  und 
du  hast  meinen  Kopf  daranstossen  lassen  (damit  gibt  er  dem  Hadseiwat  eine 
Ohrfeige). 

H.  (lehrt  ihn  etwas  sich  schaukeln).  Bleibe  du  hier,  ich  will .  dir 
jetzt  einen  Kunden  schicken  (damit  geht  Had§.  fort). 

K.  Schicke  du  nur  den  Kunden;  Geld  Dir?  l)  Geld?  Nicht  einmal 
einen  Heller  gebe  ich. 


»)  ich  soll  dir  Geld  geben  ? 
HerrratoD,  Ethnologisch«  Mittoilangra,  II.  158 


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DR.  1GKAZ  KUNOS 


11.  (Kehrt  wieder  um).  Was,  Karagöz.  Geld  Dir?  Geld?  so  etwas 
sagtest  du;  was  war  das? 

K.  Ich  sagte:  Wenn  wir  hoffentlich  Geld  gewinnen  und  Frau  Hahbe 
kommt  zu  uns  zu  Gast,  so  wollte  ich  einen  Honigkuchen  machen 

H.  Hoffentlich  Karagöz  (geht  ab). 

K.  Geld?  Dir?  Gold?  Einen  Knüppel  möchte  ich  dir  nachwerfen, 
dass  du  das  nehmen  konutest  und  weggiengest. 

H  (Kommt  wieder).  Wieder  hast  du  da  Worte  gesprochen,  was 
war  das? 

K.  Ich  sagte :  Wenn  wir  Geld  verdienten  und  man  aus  dem  Hause 
„Holz!"  riefe,  wollte  ich  Holz  kaufen. 

H  Jetzt  kommen  Kunden  (sagt's  und  geht  fort.  Mit  folgendem 
Liede  tritt  nun  eiu  Bej  auf :) 

„Liebe  ergriff  mich  zu  dir,  o  du  mit  dem  Knospenmunde 
Mit  unauslöschlichen  Flammen  branntest  du  mir  ins  Herz  die  Wunde, 
Was  sollte  werden,  hätt'  ich  dich  nicht  erschaut,  zur  Stunde ! 
Mit  unlöschbaren  Flammen  branntest  du  ins  Herz  mir  die  Wunde." 

Bej.  Ich  grüsse  Euch,  Schaukelvater!  Die  Schaukel  des  Herrn  Had&ei- 
wat  soll  hier  sein ;  ist  dies  eine  Schaukel  ? 

K  Marsch,  geh  an  deine  Arbeit,  wer  ist  HadSeiwat.  wer  ist  Schau- 
kel? Die  Schaukel  ist  mein;  sieh  mal    was  der  da  für   Geschwätz  macht. 

Bej.  Was  geht  mich  das  an?  Mag  sie  dir  oder  dem  Had&eiwat  gehö- 
ren! Esel  von  einem  Menschen,  was  fährst  du  mich  so  an? 

K.  Nein,  mein  Sohn,  du  bist  auf  einmal  gekommen  und  hast  gesagt, 
hier  sei  des  Had$eiwat  Schaukel.  Aber  woher  sollte  ein  so  blutarmer  Tropf 
wie  Hadseiwat  eine  Schaukel  baben? 

Bej.  Ich  bin  gekommen,  um  mich  zu  schaukeln,  wieviel  habe  ich  zu 
zahlen  ? 

K  Gib  tOOO  Piaster,  mein  Sohn 

Bej.  Väterchen,  will  ich  denn  die  Schaukel  kaufen? 

K.  Mein   Sohn,  ich  habe  die  Schaukel  für  600  Piaster  machen  lassen. 

Bej.  100  Piaster  will  ich  geben,  nun  schaukele  mich. 

K.  Mein  Sohn,  für  weniger  als  6  Para  schaukele  ich  nicht. 

Bej.  Sind  100  Piaster  mehr  oder  6  Para? 

K.  Hast  du  „100  Piaster"  gesagt,  so  ist's  damit  Ende;  6  Para  - 
sieh,  wie  viele  Para  das  sind:  1  2  3  4  5  6,  wie  viel  ist  das? 

Bej.  Du  scheinst  ein  dummer  Mensch  zu  sein.  Ich  gebe  dir  100 
Piaster  und  (noch)  6  Para.  dann  schaffe  imich)  die  Schaukel  hinauf! 

K.  Kannst  du  nicht  von  selber  daraufsteigen? 

Bej   0   du  Esel   von  Kerl  du,  spricht  man  so  zu  einem  Kunden? 

K.  Ich  will  (dich)  hiuaufschaffen. 

Bej.  Väterchen,   drücke  mir  das  Bein  nicht! 

K.  Da  sagst  du  aber  die  Unwahrheit,  nicht  einmal  meine  Hand  habe 
ich  (darüber)  gestrichen 

Bej.  Vorwärts,  Väterchen,  schaukele,  »ollen  sehn! 

.  i:>l 


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TÜRKISCHES  PUPPENTHEATER 


K.  (schaukelt  1,  2-mal)  Du  stösst  deineu  einen  Schuh  an  meine 
Nase  (sagt's  und  schaukelt  nicht  mehr). 

Bej.  Ich  will  mich  nur  wenigstens  seiher  schaukeln  (der  Bej  schau- 
kelt sich). 

K  Es  brennt  (schreit). 

Bej.  0  je,  Vaterchen,  brennt  eine  Stelle  an  dir? 

K.  Kein,  mein  Sohn,  dir  Schaukel  macht  eine  Pause. 

Bej.  Kimm  die  100  Piaster  da  und  die  6  Para! 

K.  Sakyn?  Hüte  dich,  mein  Sohu  wenn  du  dem  Hadseiwat  begegnest, 
so  sage  ihm  nicht,  dass  du  dich  auf  der  Schaukel  geschaukelt  und  Geld  gege- 
ben hast. 

t  i 

Bej  Was  schert  das  mich!  [geht  ab.  Hadseiwat  kommt  von  der  ande- 
ren Seite  her.  Als  Karag.  den  Hads  kommen  sieht,  legt  er  sich  nieder  und 
schläft.] 

H.  Nun  sieh  einmal  den  da,  die  Schaukel  hat  er  rubn  lassen  und 
schläft.  Karagöz,  be  Karagöz ! 

K.  Hurr  .  .  poff  .  .  .  (schnarcht). 
H.  (weckt  den  Kar.)  Was  schläfst  du? 

K.  Was  soll  ich  tun,  kein  Kunde  ist  gekommen,  das  wurde  mir  lang- 
weilig, nun  schlafe  ich. 

H.  Ist  nicht  jetzt  eben  ein  Bej  zu  dir  gekommen  und  hat  sich  ge- 
schaukelt ? 

K.  Kiemand  ist  gekommen,  da  bin  ich  vor  Langweile  eingeschlafen. 
H  Hat  er  nicht  sich  geschaukelt  und  dir  100  Piaster  und  6  Para 
gezahlt? 

K.  Kiemand  ist  zu  mir  gekommen  (fängt  an  zu  weinen). 
H  Ich  werde  den  Kerl  schon  später  drankriegen  (Geht  ab.  —  Mit  einem 
Liede  kommt  eine  Dame). 

Dame    Guten  Abend,  Väterchen  mit  der  Schaukel! 
K.  Danke  schön,  meine  junge  Spielzeug-Verkäuferin! 
Dame.    Weisst  du,  weshalb  ich  hiehcr  gekommen  bin? 
K.  Weshalb  bist  du  gekommen? 

Dame.  Hier  soll  des  Herrn  Hadseiwat  Schaukel  sein ;  ich  bin  gekom- 
men mich  zu  schaukeln 

K.  Jetzt  sei  böse  auf  da*  Mädchen  wenn  du  kann-t. 

Dame  Soeben  ist  mein  Bruder  gekommen,  hat  sich  hirr  geschaukelt 
uud  100  Piaster  6  P  gegeben,  ich  will  mich  nun  auch  schaukeln. 

K.  Eben  habe  ich  ihn  ermahnt,  es  nicht  zu  sagen,  und  nun  hat  er 
es  doch  jedermann  gesagt 

Dame.  Vorwärts,  schaukle,  aber  allein  kann  ich  mich  nicht  schaukeln ; 
marsch,  mit  dir  will  ich  den  Gurt,  schlagen.  l) 

K.  (steigt  mit  der  Dame  auf  die  Schaukel,  schaukelt  sich,  kann  sich 
aber  nicht  halten  und  fällt  herunter).  Au! 

Dame.  Weshalb  bist  du  gefallen? 

K.  Mir  wurde  Obel,  (eig.  meine  Galle  erhob  sich),  da  fiel  ich. 


•)  =  uns  vii-Ä-via  darauf  setzen  und  die  B^iue  umeinander  s.ht.gen. 

155  11* 


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DR.  1GNAZ  KÜNOS 


Dame.  Wenn  das  so  ist,  will  ich  mich  allein  schaukeln,  (tut  es). 
K.  Es  brennt!  (schreit). 

Dame.  Eins  Stelle  an  dir  brennt?  (steigt  herunter). 

K.  Nein,  mein  Töchterchen,  die  Schaukel  hat  eine  Pause  gemacht. 

Dame.  Nimm  das  Geld  da,  ebenso  viel  als  mein  Bruder  gegeben. 

K.  Wenn  du  dem  Hadseiwat  begegnest,  sage  nichts 

Dame.  Was  schert  mich  das?  (ab). 

K.  (fängt  an  das  Geld  zu  zählen,  Hadgeiwat  kommt,  macht  an  einem 
Kopfende  halt  und  sieht  zu). 

H.  Karagöz,  was  machst  du  (da)? 

K.  iwird  verdutzt  und  fängt  an  „Fünf  Steine''  ')  zu  spielen).  Fünf 
und  fünf  sind  2  X  5,  5  kam  aus  5,  der  Mieter  zog  aus  dem  Hause. 

H.  Karagöz,  was  hast  du  denn  gemacht? 

K.  Ich  langweilte  mich,  da  habe  ich,  „Fünf  Steine"  gespielt. 

H.  Jetzt  (eben)  kam  doch  ein  Bej  und  eine  Dame,  nicht  wahr,  alle 
beide?  Gaben  sie  nicht  200  Piaster  und  12  Para? 

K.  Nein,  mir  nicht,  sprichst  du  Verleumdungen  aus  ?  Seit  kurzem  lang  - 
weile  ich  mich,  Geld  habe  ich   nicht  verdienen  können  (fängt  an  zu  weinen) . 

H.  Ich  ertappe  dich  sofort!  (geht  in  sein  Haus,  zu  seiner  Tochter). 
Mein  Mädchen,  gib  mir  da  das  Kleid  deiner  Grossmutter  (sagt's  und  kommt 
dann  verkleidet  mit  einem  Liede  zur  Schaukel;  zu  Karagöz).  Guten  Tag, 
Schaukeldirector. 

K.  Guten  Tag,  Hexe. 

H.  Dass  dir  die  Knochen  knacken,  woher  soll  ich  eine  Hexe  sein? 
Ich  bin  hieher  gekommen,  um  mich  zu  schaukeln. 

K.  Geh  du  und  mag  dich  der  Totengräber  schaukeln! 

H.  A,  was  soll  das  heissen?  Mein  Sohn  da  und  meine  Tochter  sind 
gekommen  und  haben  sich  hier  geschaukelt,  nun  möchte  ich  mich  auch 
schaukeln. 

K.  Was  geht  das  dich  an?  Hier  kannst  du  dich  nicht  schaukeln.  Auf 
dieser  Schaukel  wird  nur  für  viel  Geld  geschaukelt,  wie  viel  Geld  kannst 
du  zahlen? 

H.  Das  soll  wol  heissen,  das  hier  ist  immer  im  Betriebe. 

K.  Freilich,  es  ist  im  Betriebe 

H.  Ist  nicht  Hadäeiwat  dein  Teilhaber? 

K.  Was  kümmert  das  dich? 

H.  Gehört  ihm  nicht  von  dem  Gelde,  das  du  verdienst,  die  Hälfte? 
K.  Woher  gehörte  dies  ihm? 

H.  Was  heisst  das?  ist  er  nicht  dein  Associä?  Schändlich,  das  ist 
Unrecht. 

K.  Als  wäre  er  mein  Associe,  fragt  er  von  mir  die  Rechnung 
H.  Karagöz!  (entschleiert  sein  Gesicht). 

K.  Je  Hadfieiwat,  ich  erkannte  dich  und  habe  es  absichtlich  so  ge- 
macht, (sein  Gesicht  auf  die  andere  Seite  wendend).  Man  soll's  glauben,  ich 
kannte  ihn  nicht,  (schämt  sich  vor  sich  selbst). 


»)  Tric-trac. 

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TCRK18CHE8  PUPl'KNTHEATER 


H.  Sieh,  ich  fasse  den  Kerl,  Gaunerei  treibe  nicht!  (ab)  (Mit  einem 
Liede  tritt  laut  schreiend  Deli  Bekir  auf) 

Bekir.  Höre,  Weinwirt,  gib  doch  nur  eins  her! 

K.  Je,  der  Mensch  meinte,  hier  wäre  eine  Weinwirtschaft;  hier  ist 
eine  Schaukel,  Väterchen. 

Bekir.  Wenn's  nicht  eins  sein  kann,  dann  gib  zwei  her! 

K.  Wahrhaftig,  der  Kerl  hat  das  hier  für  eine  Weinschenke  gehal- 
ten. Höre,  hier  ist  die  Bairamwiege,  die  Bairamwiege. 

Bekir.  He,  man  soll  mich  schaukeln,  aber  sowol  einschläfern  als 
auch  aufwecken,  zum  Weinen  wie  zum  Lachen  bringen! 

K.  Du  schaukelst  dich  ja  von  selbst,  was  willst  du  noch  mit  diesem 
Schaukeln  machen? 

Bekir.  Was  habe  ich  denn  alles  zusammen  genommen,  10  Mass 
Schnaps,  9  Mass  Wein. 

K.  Da  hast  du  wenig  getrunken,  du  hättest  Onkel  Dimitris  Weinhaus 
in  deine  Tasche  stecken  sollen. 

Bekir.  Lass  (mich)  auf  die  Schaukel  steigen.  (Kar.  lässt  ihn  hinauf- 
steigen und  fängt  an  zu  schaukeln,  Bekir  schläft  ein,  es  wird  ihm  übel  und 
er  steigt  herunter).  Halt,  ich  werde  dir  Geld  geben  (speit  in  die  Schaukel). 

K.  Jetzt  verweigere  dem  HadSeiwat  sein  Recht!  (ruft  den  Had§.). 

H.  Karagöz,  soll  ich  Gewicht  und  Wage  (terazy)  bringen? 

K.  Nein,  bring  2  Kimer  Wasser  und  einen  Schwamm!  Sieh,  HadS., 
ich  dein  Recht,  in  der  Schaukel,  da  (hast  du's). 

H.  (sieht  sogleich  in  die  Schaukel).  Pu  (fährt  zurück). 

K.  Pfui!  (fährt  gleichfalls  zurück). 

H.  Den  Hund  lässt  man  zu  dem  schleppen,  der  ihn  getötet  hat  (ab). 
Kar  (reinigt  das  Innere  der  Schaukel  ein  bischen). 

Mit  folgenden  Liede  kommt  ein  Jude: 

Durch  das  Tor  von  Balat  kam  ich  herein  ; 

Da  sassen  die  spanischen  Jüdinnen  in  zwei  Reihen: 

Ist  es  lange  hur,  dass  raein  Liebchen  hier  vorbeikam? 

Am  Tore  von  Balat  hab'  ich  es  gesehn. 
Blau  ist  seine  Hose,  weiss  seine  Unterhose, 
(iar  schön  ist  mein  Lieb,  zierlich  seine  Art. 

Jude.  Guten  Abend,  Schaukelvater  „Kara-ujaz".  *) 
Kar.  Dein  Hinterer  soll  leben,  Schacherjude ! 

Jude.  Vorwärts  an  deine  Arbeit.  Roton -Wasser,  Lotterbubensohn  und 
Lümmel;  sieh  nur  die  Fratze  in  Kartoffelform,  ein  Abtritt  der  Muselmän- 
ner! Vorwärts,  ich  bin  schaukeln  gekommen:  für  wieviel  Piaster  leckst  du 
mir  den  

Kar.  Schacherer,   mach  nicht,  dass  ich  anfange  zu  schimpfen! 

Jude  Wenn  du  nun  für  so  und  so  viel  Geld  mir  den  leckst, 

wirst  du  mich  dann  schaukeln? 

*)  schwarzer  rnn<liger. 

»57 


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DR    IGNAZ  Kt'XOS 


Kar  Kerl,   wie  viel  kannst  du  zahlen? 

Jude.   Vorwärts,  2  Fünfer  will  ich  geben,  schaukele  mich! 

Kar  Geht  nicht! 

Jude.  Vorwärts,  4  Hunderter  sollen's  sein! 
Kar  Geht  nicht ! 

Jude  Vorwärts,    8  Fünfziger  möj;en\s  sein! 
K.  Geht  nicht! 

Jude   Vorwärts,  16  Fünfundzwanziger ! 

K.  Vorwäits,  her  mit  den  Geld.  Schacherjud! 

Jude.  Da  hast  du  2  Fünfer! 

K.  Kerl,  das  sind  ja  10  Piaster. 

Jude.  Fängt  das  Handeln  immer  wieder  von  neuem  au? 
K   Du  wolltest  doch  16  Fünfundzwanziger  geben 
Jude.  Sind  das  nicht  genau  10  Piaster? 

K.  (rechnet  und  sieht,  dass  es  genau  10  P  sind)  Er  hat  mich  be- 
schwatzt, es  ist  ein  Jude  (lässt  ihn  in  die  Schaukel  steigen). 

Jude.  Sieh  dich  mal  an,  Kara-ujaz:  wenn  ich  sage  „Schaukele",  so 
tust  du's  nicht,  und  wenn  ich  sage  „Schaukele  nicht",  so  tust  du'a. 

Kar.  0  du  verdrehter  Kerl  du! 

Jude.  Schaukle  nicht! 

K.  Ich  schaukle  ja  nicht. 

Jude.  Willst  du  nicht  schaukeln? 

K.  Nein! 

Jude.  Schaukle! 

K.  (fängt  an  zu  schaukeln). 

Jude  Schaukle  nicht!  (bei  diesem  Wort  lässt  er  ihn  von  der  Schau- 
kel fallen,  und  der  Jude  wird  ohnmächtig.  Als  Karagöz  das  sieht,  läuft  er 
in  sein  Haus). 

H.  (Kommt,  sieht,  dass  der  Jude  gefallen  und  bewusstlos  geworden 
ist,  nimmt  die  Schaukel  zusammen  und  geht  (wieder  fort). 

K.  (sieht,  dass  der  Jude  da  liegt,  und  legt  sich  selbst  neben  ihn.  Der 
Jude  kommt  wieder  zu  sich,  sieht  den  Karagöz  neben  sich  liegeu,  gibt  ihm 
ein  paar  Packpfeifen  und  legt  sich  wieder  hin). 

H.  (Kommt  und  sieht  den  Karagöz  da).  Junge,  Karagöz,  du  hast 
den  da  von  der  Schaukel  und  in  Ohnmacht  fallen  lassen,  wir  wollen  nun  sei- 
nen Gesellen  Nachricht  geben,  und  die  sollen  ihn  in  sein  Haus  schaffen. 
(Sie  melden  es,  die  nehmen  den  Juden  und  bringen  ihn  nach  Hause.  Zn 
Karagöz):  Was  für  Sachen  hast  du  gemacht? 

K.  Deine  Mutter  sollen  die  Christenpfaffeo  und-  Mönche  ins  Gerede 
bringen ! 

II  Guten  Erfolg !  Du  hast  die  Bühne  vernichtet  und  zerschlagen  (?) ; 
ich  will  gehn  und  dem  Besitzer  Nachricht  geben. 

K.  Alle  Redefehler,  die  wir  gemacht  haben,  möge  man  verzeihen  ! 
(macht  die  Grussgebärde  und  geht  ab) 


1.M 


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RECHT  UND  UNRKCH.  

Recht  und  Unrecht. 

Ein  magyariaches  Märchen  mit  seiuen  Varianten  und  Parallelen. 

Von  Dr.  L.  Katona. 

II.  Varianten  und  Parallelen: 

Magyarisch :  1.  Kriza,  Vadrözsdk  403 :  Az  Iga/säg  es  Hamissäg 
üiazäsa  »Reise  der  Wahrheit  und  Falschheit).  W.  u.  F.  begegnen  sich 
auf  der  Reise.  F.  fordert  W.  zur  Kameradschalt  und  Teilung  des  Rei- 
sevorrales  aul.  W.  willigt  ein.  Zuerst  wird  die  Barschaft  der  W.  auf- 
gezehrt. Als  nun  die  Reihe  an  das  Reisegeld  der  F.  kommen  sollte, 
fordert  diese  (eigentlich  dieser,  denn  die  personü.  Vertreter  der  W. 
u.  F.  sind  männlich  gedacht)  den  Genossen  auf.  sich  ein  Auge  aus- 
siechen zu  lassen,  um  dafür  etwas  von  der  Wegzehrung  einhandeln 
zu  können.  W.  verlier!  auf  diese  Art  das  zweile  Auge,  dann  einen 
Arm  nach  dem  andern.  W.  kommt  nun  also  verslümmelt  unter  einen 
Galgen.  Das  Gespräch  wird  von  Teufeln  geführt.  Der  älteste  rühmt 
sich,  einen  gelehrten  Arzt  getndtet  zu  haben,  der  eben  die  Erfindung 
gemacht  hatte,  wie  die  vom  Teufel  verkrüppelten  und  geblendeten  ge- 
heilt werden  könnten.  Der  jüngere  erzählt,  dass  in  dieser  Nacht  alle 
Lahmen  und  Blinden  Heilung  ihrer  Gebrechen  finden,  wenn  sie  ihre 
kranken  Glieder  mit  dem  Taue  netzen,  der  zur  besagten  Zeit  fällt; 
der  dritte  gibt  das  Brunnengeheimnis  kund  Mit  der  Zeit  kommt  F. 
verarmt  zur  W.  Jus  talionis.  F.  will  ebendaselbst  Heilung  suchen,  wo 
W.  sie  gefunden,  fährt  aber  dabei  Übel,  da  die  über  ihr  Belauschtwer- 
den erbosten  Teufel  ihn  zerreissen  Lehrhafter  Schluss  wie  oben.  Epi- 
sode der  kranken  Königstochter  fehlt.  Für  den  Stadthauptmann  in  der 
wasserlosen  Stadt  ist  bei  Kriza  ein  König  eingeführt.  W.  bleibt  reich  be- 
lohnt in  der  Sladt,  die  er  von  ihrer  Not  befreit.  Fundort :  Hdromsztk.  •) 

11  Hyelvör,  XI II,  378:  A  ket  testver  (Die  beiden  Brüder.)  Zwei 
Br.,  von  denen  der  eine  reich,  der  andere  arm,  gehn  eine  Wette  über 
die  Frag«  ein,  was  vorteilhafter  sei:  gerecht,  oder  ungerechi  zu  han- 
deln? Als  Schiedsrichter  werden  zuerst  ein  Gutsherr,  dann  das  Ge- 
richt selbst  angerufen.  Beide  entscheiden  sich  zu  Gunsten  des  reichen 
Bruders,  der  den  Armen  seiner  Ochsen  beraubt  und  dann  gehlendet 
unter  einen  Galgen  führt.  Zwei  Raben  verraten,  wie  die  Blinden  durch 
das  Wasser,  welches  auf  der  Galgenwiese  emporquillt,  zu  heilen  sind. 
Der  arme  Blinde  erlangt  zuerst  sein  eignes  Augenlicht  zurück  und 
heilt  dann  die  Blinden  der  nächsten  Stadt,  wodurch  er  reich  wird. 
Cr  misst  sein  Geld  mit  einem  Scheffel,  den  er  von  seinem  reichen 
Bruder  entliehn.  Der  ältere  fragt  nach  der  Herkunft  seines  Reichtums. 
Will  es  dem  jüngeren  nachmachen  und  wird  beim  Horchen  unterm 
Galgen  von  den  beiden  Raben  getödtet.  —  Die  Erzählung  ist  sehr 
confus.  Fundort:  Domokos. 


•)  Eine  Var.  aus  Udvarhelysztt  hat  Kriza  im  nS»epirodalmi  Figyelö'  mit- 
geteilt. 

159 


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DR.  L.  KATONA 


HL  Paul  Gyulafs  Bearbeitung:  „Wahrheit  und  Lüge"  (ins  Deut- 
sche übersetzt  von  Ad.  Dux).  Die  Geschwister  Wahrheit  und  Lüge  gien- 
gen  auf  die  Wanderschaft.  Ihre  Mutter  gab  ihnen  je  20  Brötchen.  Un- 
terwegs beredet  die  Lüge  die  Wahrheit,  gemeinsam  zuerst  deren  Vor- 
rat aufzuzehren.  Als  der  alle  war,  wollte  die  Wahrheit  vom  Vorrate 
der  Lüge  essen.  Sie  musste  aber  hiefür  der  Reihe  nach  ihre  Ohren, 
Hände,  Füsse  und  Augen  hergeben.  Und  so  wandern  Beide  in  der 
Welt  herum,  indem  die  taube,  blinde  und  verstümmelte  Wahrheit  von 
der  Lüge  geführt  wird. 

IV.  Goal  Oyörgy.  Magyar  N6pmese-gyüjtemenye. . .  111.(1860.) 
S.  176  =  No.  47 :  A  szerencseilenscg  jöl  esett.  —  Bereits  in  Gaal's 
Märchen  der  Magyaren  (1822)  erschienen.  (S.  175.)  Registriert  von 
Reinh.  Köhler  und  Cosquin  (S.  weiter  unlen)  Der  letztere  führt  bei 
ders.  Gelegenheit  noch  Erdilyi-Stier  No.  10  an.  Beide  stehn  mit  Grimm 
No.  107  (ältere  Ausg.)  im  nächsten  Zusammenhange. 

V.  Cosquin  und  Oesterley  erwähnen  a  a.  0.  noch  eines  hieher- 
gehörigen  Märchens  der  Majldth'schen  Sammlung  (Brünn  1825,  2 
Aufl  Stuttgart  u.  Tübingen  1837),  welches  in  der  „Semaine  des  fä- 
milles'1  1866—67,  p.  4.  auch  in  frz.  Übers,  erschienen  ist. 

Vi.  Die  dieser  Zusammenstellung  zugrunde  gelegte  Fassung.  fi*hn\. 
MM.  a.  Ungarn  11.  S.  38. 

Für  die  nicht-magyarischen  Parallelen  vgl.  Reinhold  Köhlens  An- 
merkung zu  Widter  und  Wolf  No.  1  im  Jahrbuch  für  roman.  und  engl. 
Lit.  VII,  3  fT.  und  Cosquin,  Contes  pop.  de  Lorraine  (Paris  1886)  I,  87  ff. 

Von  den  europäischen  Versionen  sind  besonders  zu  erwähnen: 
die  bisher  älteste  Aufzeichnung  des  Märchens  im  cap.  28  des  Libro  de 
los  Gatos  (Katzenbuch),  einer  spanischen  Fabelsammlung  vom  Anf. 
des  XIV.  Jh.  (Vgl.  Jahrb.  f.  rom.  u.  engl.  Lit.  VI,  S.  18.)  Nach  Oes- 
terley  (Germania  1864,  S  126  u.  1871,  S.  129)  ist  aber  dieses  span. 
Werk  nur  eine  Übers,  der  im  letzten  Drittel  des  XII.  Jh.  verfasslen 
Narrationes  des  engl.  Cistercienser-Mönches  Odo  de  Ciringtonia  — 
Dann  die  ebenfalls  litterarische  Variante  in  Paulis  Schimpf  und  Ernst 
(1519)  Kap.  464  (Vgl.  die  Ausg.  von  Oesterley  in  der  Bibliothek  des 
Litter.  Vereines  in  Stuttgart.  Kap.  489—90:  Von  falschheit  vnd  be- 
trügnis.  S.  auch  die  reichhaltigen  Nachweise  daselbst.)  Von  den  obi- 
gen magyarischen  Varianten  steht  die  II.  (Nyelvör  XIII,  378)  der  Ver- 
sion Pauli's  am  nächsten.  —  Hier  wäre  noch  anzuführen;  Pelbartus 
de  Themesvar  (Pomerium  sermon.  de  sanetis.  1.  2.  Hagenow.  1662. 
fol )  pasc.  8,  Y.  (Angef.  bei  Oesterley,  a.  a.  0.) 

Von  sonstigen  Varianten  sind  zu  erwähnen : 

1.  deutsch  bei  Grimm  No.  107  (dazu  III.  188  und  vgl.  No.  97 
mit  III,  176  u.  342);  Proehle,  Märchen  f.  die  Jugend  No.  1  (Halle 
1854);  Ey.  Harzmärchenbuch  (Stade,  1862)  8.  183;  Zingerle,  Tiroler 
Kinder-  u.  Hausm.  I.  No.  20  (Innsbruck.  1852);  Suterraeister,  Kinder- 
u.  Hausm.  aus  d.  Schweiz  (Aarau.  1869)  No.  43  u.  47:  aiebenbürgisch- 
sächsisch  bei  Haltrich,  Volksmärchen,  der  goldne  Vogel;  bei  Wolf, 
Deutsche  Märchen  u.  Sagen  (Leipzig  1845)  No.  4. 

1G0 


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RECHT  I  NI)  UNKECHT. 


2.  dänisch  in  Molbech,  Udvalgte  Eventyr,  No.  6.  und  Grundt- 
vig,  Gamle  danske  Minder  III.  118. 

3.  norwegisch  bei  Asbjörnsen  og  Moe,  Norske  Folkeventyr  No 
49  (=  deutsche  Ausg.  von  Bresemann  in  Berlin  1847,  II.  S.  166.) 

4.  finnisch  bei  Eero  Salmelainen  (Erik  Rudbeck),  II.  172  —  E. 
Beauvois,  Contes  pop.  de  la  Norvege,  de  la  Finlande  et  de  la  Bour- 
gogne  (Paris  1862)  p.  139 ;  die  ehstnische  in  »Wiron  Satuja"  (Ehst- 
land's  Märchen)  St.  Michael  1849,  2.  Ausg.  S.  5. 

5.  russisch  bei  Goldschmidt,  Russ.  Märchen  (Leipzig  1883)  S.  61. 
6  wendisch  in  Haupt  u.  Schmaleres  Volkslieder  der  Wenden 

(Grimma,  1843)  II.  S.  181. 

7.  böhmisch  bei  Gerle,  Volksm.  d.  Böhmen,  I.  S.  347;  Waldau, 
Böhm.  Märchenbuch  (Prag,  1860)  S.  271. 

8.  serbisch  bei  Wuk,  Volksm.  der  Serben  (Berlin,  1854)  No.  16 
und  bei  Jagid,  im  Archiv  f.  slav.  Phil,  „aus  dem  slidl.  Märchen- 
schatz*  No.  55;  kroatisch  bei  Fr.  S.  Krauss,  Sagen  u.  Märchen 
d.  Südslaven,  I.  No.  74o 

9.  neugriechisch  bei  Hahn,  Griech.  u.  alb.  Märchen  (Leipzig, 
1864)  No  30 

10.  rumänisch  (aus  Siebenbürgen)  im  „Ausland'  1857,  S.  1028. 

1 1 .  zigeunerisch  aus  der  Bukowina,  bei  M  iklosich,  Üb.  die  Mund- 
arten und  Wanderungen  der  Zigeuner  Europa's,  (in  den  Mitteil,  der 
Wiener  Akademie  d.  Wiss.  XXIII,  1874»  No  12.  und  aus  den  unga- 
rischen Karpaten,  mitgeteilt  von  J.  Kluch,  bei  Miklosich,  Beiträge  zur 
Kenntnis  der  Zigeunermundarten,  IV.  Wien  1878.  S.  3 — 7. 

12.  italienisch  bei  Widter  und  Wolf,  Volksmärchen  aus  Vene- 
tien,  im  Jahrb  f.  roman.  u.  engl.  Litteratur,  VII  No  1  (S.  3.)  Dann 
aus  Toscana,  bei  Nerucci,  Sessania  Novelle  pop.  Montalesi  (Firenze 
1880),  No.  23;  aus  Wälschlirol,  bei  Schneller.  Märchen  u.  Sagen  au* 
Wt.  (Innsbruck  1867),  No  9,  10  u.  11. 

13.  französisch  bei  Cosquin  a.  a.  0.  No.  7  (S.  84  ff.  mit  den 
oben  erw.  Anmerkungen.)  Bei  Luzel,  Legendes  chretiennes  de  la  Basse- 
Bretogne  (Paris,  1881)  p.  III.  und  in  dess  Veilles  brelonnes  (Morlaix, 
1879)  p.  258  Ferner  die  baskischen  bei  Cerquand,  Legendes  et  Re- 
cits  pop.  du  pays  basque  (Pau,  1875—76)  1.  S.  61  und  bei  Vinson, 
Le  Folk-Iore  du  pays  basque  (Paris  1883)  8.  17  und  .1.  M.  de  (ioi- 
zueta,  Leyendas  vascongadas  3.  ed.  (Madrid  18)6)  S.  9. 

14.  katalanisch  im  Rondallayre  von  Maspon  y  Labros  (Barcelo- 
na. 1875)  I.  S.  68. 

15.  portugiesisch,  bei  Coelho,  Contos  pop.  portuguezes  (Lisboa, 
1879;  No.  20. 

16.  irländisch  bei  K.  v.  K.(illinger),  Sagen  u.  Märchen  (aus 
Irland)  II.  S.  2:4. 

17.  albanesisch,  Der  Gerechte  und  der  Ungerechte,  deutsch  von 
J.  U.  Jarnik  in  Zeitschrift  für  Volkskunde,  II.  B.  7.  H  S.  264  -265. 

Von  aussereuropäischen  Versionen  sind  bei  Cosquin  und  Oester- 
ley  (zu  Pauli  a.  a.  0.)  die  folgenden  verzeichnet: 

3ö 


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HKKTALAN  MATIKKO  JtN. 


Tausend  und  eine  Nacht  (Aus?,  des  Pantheon  litterniie  S.  717. 
-  Ein  kirgisisches  M.  bei  RadlofT,  Proben  der  Volksiii  der  türkischen 
Stämme  Süd  Sibiriens,  Hl.  S.  343.  -  Ein  snrikoli  M  (aus  den  westl. 
Tälern  des  Pamir-Plateau's),  im  Journal  ol  the  Asiatic  Soc.  of  Ben- 
gal.  vol.  45,  part.  I.  No.  2.  p  180  —  Eine  Version  au«  Bental  im 
Indian  Antiquary,  1874.  p.  9.  Zwei  kamaoni*che  (vom  Fusse  des 
Him.daya-Gebirges),  bei  Minaef.  Indiiskia  Skaski  y  Legendy  (St.  Peters- 
burg 1 877 1.  No  42  u.  16  In  Süd-Indien:  Ind.  Antiquary,  octobre 
1884.  p  285.  —  Vgl.  auch  Benfey's  Pantschatanlra  I  S.  13  ff.  — 
Ein  KnhyUn-MHrchen  bei  Rivifere,  Recup.il  des  contes  pop.  de  la  Ka- 
bylie  de  Djurdjura  (Paris  1882t.  S  35. 


Die  Zipser  Volkssage  von  Kasparek.  l) 

Von  Berialan  Matirko  jun. 
(Vorgelesen  in  der  Vortragssitznng  vom  10.  Mai  181)0.) 

Um  die  Auslagen  des  Feldzuges  gegen  die  Venetianer  zu  decken, 
verpfändete  König  Sigismund  1412  die  13  Städte  der  Zips.  sowie  die 
Besitzungen  Lublo  und  Podolin  dem  polnischen  Könige  Ladislaus.  Lublo 
ward  der  Sitz  der  Starosten,  welche  über  diese  Städte  eingesetzt  wur- 
den Der  Eintluss  dieser  400  jährigen  polnischen  Oberhoheit  ist  heut- 
zutage in  der  Zips  nur  noch  an  Lublo  bemerkbar,  das  die  einzige 
polnische  Stadt  in  Ungarn  ist.  Reich  ist  diese  Gegend  an  Sagen,  die  alle 
ein  mystisches  Motiv  haben,  und  von  denen  die  „Kasparek-Snge"  in 
vieltacher  Beziehung  für  den  Volksforscher  von  bedeutendem  Inte- 
resse ist. 

Kasparek,  so  erzählt  das  Volk,  war  ein  Bürger  zu  Lublo,  der 
mit  Wein  nach  Polen,  nach  Warschau  handelte.  Auf  Flössen  führte 
er  auf  dem  Poprad- Flusse  die  weingefülllen  Fässer  nach  Polen  und 
brachte  auf  diesem  Wege  leere  nach  Hau-o  Einmal  kam  er  nach 
Warschau  als  sein  Handelsfreund  abwesend  war;  die  Gattin  dessel- 
ben übergab  dem  Kasparek  die  Kellersehlü«sel,  damit  er  so  vorgehe 
wie  früher,  d.  h.  die  weingefülllen  Fässer  einlagere  und  die  leeren 
mit  sich  nehme.  Kasparek,  den  Keller  durchforschend,  fand  ein  Fäss- 
chen mit  Gold  gefüllt.  Er  nahm  es  mit  seinen  leeren  Fässern  unbe- 
merkt mit  sich  nach  Lublo,  wo  er  nun  in  Ruhe  lebte.  Der  Warschauer 
Kaufmann  bemerkte  den  Diebstahl,  und  erschien  unverhofft  in  Lublo. 
Kasparek  leugnete  und  schwor  auf  die  heil.  Dreifaltigkeit:  Seinen  Kör- 
per möge  die  Erde  ausspeien,  der  Himmel  seine  Seele  nicht  aufneh- 
men so  er  falsch  schwöre!  Am  dritten  Tage  starb  er.  Nachdem  man 
ihn  beerdigt  begann  er  als  Gespenst  herumzuwandeln.  Er  halte  weder 
in  der  Erde,  noch  im  Himmel  Ruhe.  In  der  Nacht  besuchte  er  die 


•)  Siebe  „Ethnograph!«"  1.  Jahrg.  S.  261  ff. 

162 


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DIE  Zll'SEK  V0LKSSA0E  VON  KaSPEKK 


Schlafenden  und  sog  ihr  Blut.  Auch  seine  Gattin  besuchte  er;  bat 
und  flehte,  man  solle  sein  Vergehen  wieder  gut  inachen,  denn  er  habe 
weder  in  der  Erde,  noch  im  Himmel  Ruhe  Mau  öffnete  also  sein 
Grab.  Sein  Körper  schien  der  eines  Schlafenden  zu  sein;  vom  ausge- 
sogenen Men-chen bluie  ward  er  von  Tag  zu  Tag  fetter,  schöner.  In 
seinen  Händen  fand  man  ausgeraufte  Haare,  an  seinem  Gewände  Bluts-  * 
tropfen.  Seinen  Leichnam  trug  man  auf  den  Marl  platz,  sein  Haupt 
schlug  man  mit  einer  Grabschaufel  auf  dem  nördlichen  Eckstein  der 
Kirche  ab.  Der  Kopf  fiel  vom  Rumpfe,  Blut  strömte  aus  der  Wunde. 
Aber  Kasparek  irieb  sein  Unwesen  weifer;  am  helllichten  Tage  biss 
und  würgie  er  die  Reisenden,  die  Feldarbeiter  usw.  Wo  man  ihn  er- 
wähnte, da  erschien  er  blitzschnell.  Die  Reichen  beraubte  er,  die  Ar- 
men beschenkte  er 

Der  Stadtmagistrat  beschloss,  die  Leiche  ausgraben  und  verbren- 
nen zu  lassen.  Millen  auf  dem  Marktplätze  wurde  die  Leiche  verbrannt. 
Die  Leiche  lachte  inmitten  der  Flammen,  quackle  wie  ein  Frosch, 
hob  bald  das  rechte,  bald  das  linke  Bein  empor;  Kasparek  aber  sah 
seiner  eigenen  Verbrennung  vom  nächstgelegenen  Hausdache  zu.  Wo 
er  von  nun  an  erschien,  dort  fieng  alles  Verb  ennbare  Feuer ;  sobald 
aber  Menschen  erschienen,  um  den  Brand  zu  löschen,  flogen  weisse 
Tauben  aus  den  Flammen  empor  und  keine  Spur  de**  Feuers  war 
sichtbar.  Bisweilen  tauschte  er  nur  das  Volk,  bisweilen  aber  wütete 
das  Feuer  in  mehreren  Stadlvierteln  zu  gleicher  Zeit  Ungarns  und 
Polens  Bischöfe  kamen  in  Lublo  zusammen,  um  das  Unheil  zu  ban- 
nen, sprachen  den  Exorcismus  über  die  böse  Seele  aus  und  verfluch- 
ten den  Kasparek  in  die  Säroser  Burg,  die  ausserhalb  der  Zips  liegt. 
In  eiiiem  Turm  dieser  Burg  harrt  Kasparek,  an  den  Schweif  eines 
weissen  Bosses  gebunden,  seiner  Erlösungsslunde  Nach  jedem  Jahr- 
hundert reisst  ein  Rosshaar  und  wenn  alle  Haare  des  Rosschweifes 
zerrissen  sind,  dann  erst  kann  K.  vor  Gottes  Richterstuhl  treten  

Dies  der  Inhalt  der  Sage,  so  wie  sich  dieselbe  die  Lubloer  Ein- 
wohner erzählen.  Kasparek  lebte  in  der  Tat  und  ist  keine  fingierte 
Gestalt.  Er  trieb  nach  seinem  Tode  sein  Unwesen  im  Frühjahr  1718 
unter  dem  Starosten  Theodor  Lubomirsky  (1702—1754).  Der  ungari- 
sche Historiker  Mathias  Bil  hat  diese  Geschiebte  auch  verzeichnet 
(Hungariae  antiq  et  novae  Prodromus  ....  etc. . .  auetor  Math.  Be- 
Hus  Pannonius.  Norinbergae  1723.  Li b  II.  p  103).  Samuel  Weher 
schreibt  in  seinem  Werke:  „Zipser  Geschichls-  und  Zeitbilder"  (Leut- 
schau,  1880)  S.  63  u.  A.  über  Kasparek  also:  „Man  grub  hierauf  den 
Leichnam  aus,  und  Hess  ihn  verbrennen,  weshalb  die  Stadt,  die  den 
Aberglauben  zu  nähren  schien,  bestraft  trurd«."  Dies  ist  ein  Missver- 
ständnis des  Originals,  wo  es  heisst:  „Cadavere,  haud  sine  superstitio- 
nis  crimine  exusto,  novo  iterum  incendio  a  nefando  isthoc  spectro  op- 
pidum  muletalum  feit."  Abgesehen  von  Bil,  spricht  schon  der  dama- 
lige Zeitgeist  dagegen.  Solche  Verbrennungen  gehörten  ja  zu  den  da- 
maligen Hexenprocessen  und  waren  an  der  Tagesordnung. 

Im  S  mmer  1889  fand  ich   im  städtischen    Archiv    zu  Lublo 

163 


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UKKTALAN  MATIKKO  JÜN. 


einen  Codex  in  Qart  unter  dem  Titel  9Liber  Actorum*,  auf  dessen 
178—197.  Seite  ein  städtischer  Notarius,  Franz  Wilcinsky  1718  die 
Historie  des  Kasparek  teils  in  polnischer,  teils  in  lateinischer  Sprache 
erzählt.  Michael  Kasparek  starb  —  diesem  Berichte  gemäss  —  am  28 . 
Febr.  1718;  erschien  am  1.  März  dem  Diener  Hertely ;  an  26  März 
erschienen  schon  viele  Leute  beim  Verhör,  die  alle  mit  Eid  bekräftig- 
ten, dass  K.  ihnen  ein  Leid  zugefügt  habe.  Am  15.  April  abermaliges 
Verhör.  Zawadsky  sagt  aus,  dass  er  von  K.  auf  dem  Wege  angefallen 
worden  sei.  Noch  am  selben  Tage  wird  sein  Grab  geöffnet  und  sein 
Körper  so  befunden,  wie  ihn  auch  die  Sage  beschreibt.  Hierauf  wer- 
den zwei  Bürger:  Jakob  Maczko  und  Jo1-.  Joseffi  an  den  Krakauer 
Bischof  Mich.  Szembeck  mit  einem  Bittschreiben  ')  abgesendet,  damit 
dieser  dem  Lubloer  Pfarrer  die  Exhumierung  der  Leiche  erlaube.  Am 
26  April  wurde  die  Leiche  verbrannt,  wobei  dieselbe  die  Beine  öfter 
in  die  Höhe  hob  und  quackte.  Das  Herz  wurde  in  einem  hölzernen 
Gefässe  den  Brüdern  K.'s  übergeben.  Von  einer  Köpfung  der  Leiche 
erwähnt  dieser  Bericht  nichts.  Aber  K.  erschien  auch  jetzt  noch  vie- 
len Leuten  Nun  folgt  die  Beschreibung  der  Feuerbrände,  besonders 
der  vom  6.  und  25.  Mai,  6.  8.  9.  12.  und  14.  Juni  Die  Brüder  und 
die  Witwe  K.s  werden  beeidet  und  sagen  aus,  dass  K.  nie  einen  Zau- 
berring besessen  habe  und  ihres  Wissens  keinen  Teufelsspuck  im  Le- 
ben getrieben  habe-  Am  27.  Juni  nehmen  2  Pfarrer  den  Exorcismus 
vor.  K.  aber  treibt  seinen  Spuck  weiter.  Nun  wird  auch  das  Herz  des 
K.  verbrannt.  Nun  erschien  K  nimmer  wieder!  —  Dies  der  Inhalt 
des  Codex.  *)  —  Das  Motiv  dieser  Sage,  nämlich :  der  Sieg  des  Glau- 
bens über  die  Macht  des  Bösen,  findet  sich  auch  in  einer  anderen 
Sage  der  Lubloer  vor,  die  der  ungar.  Dichter  Michael  Tompa  unter 
dem  Titel  „Hegyeskö"  (Spitzstein)  genau  nach  der  Volksüberlieferung 
bearbeitet  hat.  Der  Ritter  Lublo  baut  die  Burg.  Der  Bau  schreitet 
langsam  vorwärts.  Er  schliesst  daher  einen  Bund  mit  dem  Bosen.  Die 
Burg  wird  nun  fertig,  aber  der  Ritter  hat  keine  Ruhe  mehr  und  zieht 
sich  in  ein  Kloster  zurück.  Der  Teufel  will  ihn  nun  bestrafen  und  die 
Burg  mit  riesigen  Felsenstücken  zersiören.  Da  erklingt  die  Kloster- 
glocke und  die  Macht  der  Teufels  ist  gebrochen  

Die  K.-snge  hat  auch  Baron  Nikolaus  Jösika  in  seinen  1852. 
verfassten  Roman  „Räkoczy  II  a  aufgenommen,  aber  von  der  Volks- 
tradition in  manchen  Punkten  abweichend. 


')  Der  Originalbrief  ist  dem  Codex  angeheftet;  der  Text  ist  in  der  , Ethno- 
graph ia"  I.  Jahrg.  S  266  mitgeteilt. 

')  Im  Archiv  der  Stadt  Gneada,  einer  Nacbbaratadt  von  Lublo  war  auch  ein 
deutsches  Manuscript  der  Kaspareksage,  das  aber  öfter  ausgeliehen,  verloren  gegan- 
gen ist. 


ir,4 


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DIE  KLEIDl'NOJ   DKH  ZIl'SKK  SACHSEN 


Die  Kleidung  der  Zipser  Sachsen.') 

Von  Samuel  Weber. 
(Vorgelesen  in  der  Vortragssitzug  vom  10.  Mai.  1890.) 

Die  Volkstracht  der  Zipser  Sachsen  war  in  den  frühesten  Zeilen 
echt  deutsch.  Noch  1690  schrieb  Andr.  Siübel:  „Die  Weiber  gehen 
auf!  alt  sächsisch  gekleidet." ')  Die  Männer  trugen  früher  dreieckige 
Hüte  :  noch  1830  sah  solche  Sydow*)  in  Kesmärk.  Diese  Hüte,  ge- 
wöhnlich am  Rande  mit  Leder  eingefasst,  vererbten  sich  von  Vater  auf 
Sohn ;  ebenso  die  Hauben,  aus  Seide,  Gold-  oder  Silber-Spitzen  ver- 
fertigt, von  Mutter  auf  Tochter.  Die  Mädchen  trugen  Kopfbinden,  Kränze 
aus  Blumen  und  Perlen,  deren  Bänder  auf  den  Rücken  herabhiengen. 
Solche  Kopfbindon  trägt  man  in  einigen  Dörfern  auch  heutigen  Tages. 

In  früheren  Zeiten  war  der  Männerrock  sehr  einfach.  Aus  Wolle 
verfertigten  sich  die  Sachsen  selbst  das  grobe  weisse  oder  graue  Tuch 
zum  Alltagsgewand.  Der  lange,  bis  auf  die  Fersen  reichende  „Gehrock", 
der  Sonntagsrock,  war  aus  blauem  Tuch  verfertigt  und  bei  reichen 
Leuten  mit  Silberknöpfen  versehen.  In  der  Hand  trug  der  Mann  einen 
Stock,  mit  einem  Gold-  oder  Silberknopf.  Bei  dem  grossen  Leinanbau 
ist  es  selbstverständlich,  dass  die  Weiber  ihre  Kleidung  aus  selbst 
verfertigter,  blauer,  geblümter  Leinwand  herstellten.  Das  Alltagsgewand 
unterschied  sich  nicht  vom  Sonntagsstaat.  Als  Schmuck  wurden  weisse 
Perlen  oder  rote  Granatsträusse  und  Ringe  getragen,  die  wie  David 
Fröhlich  1644  in  seiner  „Cynosura*  erwähnt,  oft  auch  den  Verstorbe- 
nen ins  Grab  mit  gegeben  wurden.  Die  Hauptrolle  in  der  Weiber- 
kleidung spielte  das  Brustleibchen  (Brustlatz),  „Wisst"  genannt,  das 
aus  Sammt  oder  Seide  verfertigt,  mit  goldenen  oder  silbernen  Spitzen 
und  Schnallen  versehen  war.  Dies  „Wisst*  vererbte  sich  auch  auf 
Kindeskinder  und  es  gibt  kaum  ein  Testamenf  aus  alter  Zeit  in  der 
Zips,  worin  unter  den  vererbten  Sachen  dies  Kleidungsstück  nicht  er- 
wähnt wäre.  Zum  Festschmuck  gehörte  auch  der  Gürtel,  den  beide 
Geschlechter  trugen.  Er  war  eine  Spanne  breit  und  aus  Samt  oder 
Seide  verfertigt,  bisweilen  aus  Silber-  oder  Goldstoff  und  mit  goldenen 
oder  silbernen  Schnallen  versehen,  bei  ärmeren  Leuten  aus  billigeren 
Stoffen  gemacht.  Auch  dieser  Gürtel  wird  als  Erbstück  in  den  .Markt- 
büchern" häufig  erwähnt;  heutzutage  tragen  ihn  die  Bursche  bei  Hoch- 
zeitsfeierlichkeiten. 

Ausser  dem  langen  Rock  trugen  die  Männer  bis  zur  Hüfte  rei- 
chende, mit  Silberknöpfen  und  Schnüren  versehene  Westen.  In  früheren 
Zeiten  trug  man  Kniehosen  und  Strümpfe,  später  Stiefelhosen,  die  auch 
verschnürt  waren  :  daher  das  Sprichwort :    „Hosen  mit  Tressen  und 

»)  Siehe :  „Etnographia"  I.  Jahrg.  8.  291  ff. 

')  HuDgaria,  oder  vollständige  Beschreibung  des  Königreichs  Ungarn  von 
Mart.  Zeiler,  ergänzt  durch  Andr.  Stübel  ...  Frankfurt  und  Leipzig  1690. 

Albrecht  von  Sydow,  Die  Beskiden  u.  die  Central-Karpathen.  Berlin,  Dumm- 

ler  1830  S.  348. 

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BELA  LÄZAK 


nichts  zu  fressen!"  Noch  1*05  beleidigte  mit  diesem  Sprichwort  ein 
Bürger  die  Belaer  Behörde  und  ward  dieserwegen  mit  Gefängnis  be- 
straft. Später  wurden  die  Weiberkiltel  auch  aus  feineren  Sloffen  ver- 
fertigt, mit  Schnüren  und  goldenen  und  silbernen  Schnallen  verziert. 
Früher  trugen  Männer  und  Weiber  mit  Schnallen  versehene  Schuhe 
und  Strümpfe,  später  Stiefel  von  verschiedener  Farbe.  Die  Schürze, 
aus  teueren  Stoffen  oder  nur  aus  einfacher  Leinwand  verfertigt,  ver- 
vollständigte den  Anzug  der  Weiber.  Ein  eigentümliches,  manlelartiges 
Kleidungsstück  war  die  „Schauhe"  oder  „Kotsch»,  in  der  die  Weiber 
ihre  Säuglinge  trugen.  Der  weite  sächsische  Mantel  war  auch  das 
Erbstück  des  Zipsers  So  heisst  es  im  Markt  buch  zu  Szepes-Szombat 
(1587)  in  einer  testament  Tischen  Aufnahme:  „Eine  braune  Schau be 
mit  lauter  Fuchsaugen  gefüttert ;  eine  grüne  Schaube  mit  Fuc  isklauen 
samt  einer  guten  Schlangen  (Schnalle) ;  ein  schwarz-grüner  Keppenik 
(Mantel)  mit  rothen  Gewand  gefüttert;  ein  Mantel  mit  gelben  Horten." 
—  Pelze,  mit  Marder-  oder  Fuchsfell  gefüttert,  trugen  Weiber  und  Män- 
ner; die  Pelze  der  Weiber  waren  hinten  reichgefaltell  und  aus  den 
Falten  hiengen  (Joldquasten  herab.  Die  hellen,  schreienden  Farben  wa- 
ren stets  beliebt:  rot  (Weste;,  grün,  blau  (Kock  und  Hose);  selbst 
bei  Leichenbegängnissen  vermied  man  die  schwarze  Farbe.  So  berich- 
tet schon  1644  Fröhlich  in  seiner  „Cynosura" ;  ja  selbst  die  Todten 
begrub  man  in  so  gefärbten  Kleidern  und  mit  ihren  Ringen,  damit  die 
verstorbene  Ehehälfte  der  Hinterbliebenen  bei  einer  etwaigen  neuen 
Heirat  keinen  Anstand  mache. 

Später  griff  der  Luxus  um  sich,  so  dass  die  städtischen  Behör- 
den gar  oft  dagegen  auftraten.  Bis  1848  erhielt  sich  noch  diese  alte 
Kleidung,  dann  wich  sie  der  ungarischen  Nationaltracht,  später  der 
allgemeinen  Mode  und  kann  heutigen  Tages  nur  hie  und  da  noch  ver- 
einzelt gefunden  werden. 


Ueber  den  „Garabonezias  diäk." ') 

Von  Bila  J^tizär. 
(Vorgelesen  in  der  Vortragssitzung  von  10  Mai.  1800.) 

Die  Volksphantasie  beschreibt  den  sog.  Garabonczid»  (Hak  also: 
Der  (1  1).  kommt  mit  Zähnen  auf  die  Welt,  absolvirt  13  Schu- 
len, zieht  sich  dann  in  eine  Höhle  zurück,  wo  er  sammt  13 
—  bisweilen  12  —  Genossen  vom  Teufel  Unterricht  erhält.  Dann 
setzen  sie  sich  auts  Glücksrad,  bei  dessen  Drehen  einer  herab- 
fällt und  12  werden  Garalonczids  diäk.  Als  Zauberer  in  bau- 
schige Mäntel  ge  üllt.  durchzieht  er  dann  als  Bettelsludent  (lahrender 
Schüler)  das  Land.  Wehe  dem,  der  ihm  kein   Almosen  gibt.  Stürme 

»y  S.  „EtnographiV  I.  S  277.  ff. 

m»; 


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ÜBER  DEN  rGARUONCZlAS  DIÄK  a 


und  Hagel  bringt  er  hervor,  verrenkt  die  Beine  der  Kinder,  melkt  die 
Brunnensc  wegel  usw.  Stürmt  es^  so  reitet  er  auf  einem  Drachen  durch 
die  Lüfte  und  liest  aus  einem  Buche,  dessen  Schrift  nur  er  versteht. 
Die  Palovzen  in  Ungarn  glauben,  dass  dieser  Drache  den  Sturm  auf 
Wunsch  des  G.  I).  erzeuge. 

Diese  Gestalt  gieng  auch  in  die  ungar.  Litterai ur  über.  Schon 
der  Bibelübersetzer  liomjdthi  gebraucht  in  .«-einer  Uebersetzung  der 
Briefe  Pauli  das  Wort :  garaboncziäs  mit  Bezug  auf  Zauberbücher 
und  in  Peter  Melius'  BrIiobM  (S.  93)  lesen  wir  schon  1565  etwas  über 
den  G.  D  —  Mathias  Bü  (Nolitia  Hung.  vol.  IV.  p.  6*2  ITi  erzählt 
ein  Abenteuer  des  1712  verstorbenen  Gellyo,  den  die  Bauern  G.  I). 
nannten.  1782  schreibt  der  Jesuit  Joh.  lllei  ein  Fastnachtsspiel  „Peter 
Tornyos-,  das  auf  der  Sage  vom  G.  D.  hasin,  Veniifax  heisst  im 
Stücke  der  G.  I) ,  der  alle  Züge  die-er  Gestalt  des  un;?  u\  Volksglau- 
bens in  sich  vereinigt.  1799  beschreibt  der  Dichter  Mich,  ('sokonai  in 
seinem  komischen  Epos  „Dorottya"  (Dorothea)  als  Episode  die  Wirkung 
der  Taten  des  G.  D.  IS07  erwähnt  auch  Atäon  tizirmay  in  seiner 
„Hungaria  in  Parabolis*  den  G.  D  als  eine  Gestalt  des  ung.  Volksglau- 
bens und  1834  schrieb  Joh.  Munkdcsy  eine  Posse :  „Garaboncziäs 
diakM,  die  sich  lange  Zeit  auf  den  Bühnen  Ungarns  hielt.  1864  be- 
schreibt Vas  G ereben  in  seinem  Werke  „Dixi"  den  G.  D.  so,  wie  er 
eben  im  Volksglauben  lebt,  nur  ist  sein  G.  D  zu  sentimental  gefärbt. 
Seither  hat  niemand  in  Ungarn  den  Stoff  bearbeitet,  nur  noch  Joh. 
Arany  erwähnt  an  einer  Stelle  (I.  Gesang)  seines  Epos:  „Buda  ha- 
lala-  (Buda's  Tod)  den  G.  D. 

Dem  Kern  dieses  Volksglaubens  forschten  schon  mehrere  nach. 
Arnold  lpolyi  führt  in  seiner  „Magyar  Mythologia"  (Ungar  Mythologie 
S.  454  (T)  in  das  ungar.  Heidentum  zurück  und  sieht  im  G.  D.  den 
letzten  Rest  heidnischen  Priesterlums.  Die  heidnischen  Priester  segne- 
ten die  Saaten,  sie  waren  Auguren,  Propheten.  Etymologisch  erklärt 
lpolyi  den  Namen  G.  D.  aus  gara  =  ung.  alt  und  boncz  =  ung. 
Seeierer  (der  den  Cadaver  aufschlitzt).  Dieser  Ansicht  scliloss  sich  auch 
Jökai  an  (in  der  „Oesterreich.- Ungar.  Monarchie  in  Wort  u.  Bild"  I 
S.  330  der  ung  Ausg.)  und  in  neuester  Zeit  auch  Jul.  lstednffy  in 
der  Zeilschrift  „Turistäk  Lanja-  1H90.  3.  Heft  (Touristen-Blälter.)  Der 
vergleichenden  Mythologie  gegenüber  ist  diese  Ansicht  unhaltbar.  Die 
G.  D.  waren  einfach  wandernde  Studenten,  die  entweder  auf  ihrem 
Wege  nach  den  Universitäten,  oder  von  da  auf  ihrem  Heimwege  von 
Dorf  zu  Dorf,  von  Stadt  zu  Stadl  sich  durch  das  Land  bei  leiten  und 
auf  ihren  Wanderfahrten,  um  zu  einem  Imbiss  zu  gelangen,  durch  ihre 
dem  Volke  unbekannten  physikalischen  Productionen  usw.  in  den  Ruf 
<ler  Zauberkünstler  gelangten. 

Nicht  nur  bei  den  Ungarn,  Croaten,  Rumänen,  Slovaken,  Polen, 
■und  Deutschen,  aber  auch  in  der  Schweiz  und  in  der  Bretagne  linden 
wir  den  G.  D.  Jagit  hat  über  den  G  D.  der  Croaten  einen  Aufsatz 
{Archiv  f.  slav.  Phil.  11.  437)  veröffentlicht.  Bei  den  Südslaven  werden 
pem  G.  D.  dieselben  Eigenschaften  und  Kenntnisse  zugeschrieben,  wie 

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DR.  LADISLAUS  R&TIIY 


bei  den  Ungarn,  nur  ist  er  hier  Pfarramtscandidat.  Bei  den  Rumänen 
ist  der  G.  D.  —  Solomonari  —  sächsischer  Abstammung  und  wie 
Oaster  (Archiv  f.  slav.  Phil.  VII.  281-291)  ihn  uns  beschreibt,  so 
stimmt  auch  dieser  rumänische  G.  D.  mit  dem  der  Ungarn  und  Croa- 
ten  betreffs  seiner  äusseren  Gestalt  und  seiner  Eigenschaften  überein. 
Auch  der  „schwarze  Student"  der  Slovaken  ist  im  Grossen  und  Gan- 
zen der  G  D.  der  Ungarn,  lpolyi  teilt  a.  a.  0.  auch  eine  polnische 
Volkssage  mit,  die  betreff  des  G.  D  nur  den  neuen  Zug  enthält,  dass 
er  seine  Ausbildung  im  Lysei  gora  Gebirge  erhält.  Auch  bei  Henne 
(Volkssagen  S.  147)  finden  wir  in  einer  schweizerischen  Sage  unseren 
G.  D.  vor.  De  Riese  (Histoire  et  traitg  des  Sciences  occultes  p.  356) 
teilt  auch  eine  Volkssage  aus  der  Bretagne  mit,  in  der  von  einem 
zaubernden  Studenten  die  Rede  ist.  Aus  dem  von  Orimm  (Altdeutsche 
Wälder  II.  S.  49)  mitgeteiltem  Gedicht,  in  welchem  ein  fahrender 
Schüler,  namens  Johann  Nürnberg  auftritt,  aus  dem  Anfang  des  XIV. 
Jahrhunderts  ersehen  wir  am  deutlichsten,  dass  der  ungarische  G.  D. 
der  deutsche  fahrende  Schüler  ist  (Vgl.  auch  Freytag,  Bilder  aus  der 
deutschen  Vergangenheit  II.  S.  456).  Solche  Gestalten  wie  der  G.  D. 
finden  wir  also  auch  im  Volksglauben  anderer  Völker  vor.  Dass  im 
Mittelalter  italienische  Zaubermeister  Ungarn  oft  und  oft  besuchten, 
ist  eine  bewiesene  Tatsache.  Ihre  Kunst  hiess  Negromanzia  oder,  nach 
Valentini's  Lexikon  —  Gramanzia.  Hieraus  leitet  öabr.  Szarvas  (Nyelvör 
=  Sprach  wart  VI.  99)  die  Benennung  Garabonczids  ab;  und  wohl 
richtig,  während  Jagfö  dies  für  ein  aus  dem  Slavischen  entlehntes  Wort 
erklärt.  Was  nun  das  Wort  didk  =  Student  anbelangt,  so  stammt  dies 
vom  lateinischen  diakonus  ab.  Katholiken  sandten  im  Mittelaltes  zahl- 
reiche Jünglinge  auf  theologische  Anstalten,  während  die  protestanti- 
schen Magnaten  ebenfalls  viele  Schüler  auf  ausländische  Universitäten 
sandten.  Aus  diesen  wurden  dann  die  Geistlichen,  die  Diakone.  Hieraus 
ist  ersichtlich,  dass  der  Garaboncziäs  diäk  des  ungar.  Volksglaubens 
ein  „fahrender  Schüler"  gewesen  ist,  der  durch  Zauberkünste  sein 
Leben  fristete,  bis  er  eben  das  Ziel  seiner  Wanderfahrt  erreicht  hatte. 


Colonien  der  Spanier  in  Ungarn.1) 

Von  Dr.  Ladislaus  Rithy. 

Nach  der  Vertreibung  der  Türken  aus  Ungarn  waren  die  süd- 
lichen Landesteile  beinahe  ganz  entvölkert,  wo  früher  Ungarn  gewohnt 
hatten  und  wo  wahrscheinlich  zu  Böszörmeny  ein  reformiertes  Bistum 
bestanden  hat.  Her,  in  diese  Gegenden  wurden  Süddeutsche,  Italiener, 
Elsässer  und  Spanier  angesiedelt.  Adolf  Erkbvy  bietet  uns  in  seinem 
Werke :  „A  telepites"  (Die  Colonisation)  einen  grossen  Ueberblick  über 


•)  Vgl.  »Ethnographi»"  I.  Jahrg.  8.  300  ft 

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COLONIKN  DER  SPANIER  IN  UNGARN 


diese  Bewegung,  während  L.  Hecht  (Nancy  1879)  ausführlich  über 
die  Ansiedelung  der  Elsässer  und   Lothringer  schreibt  (Les  colontes 
Lorrains  et  Alsaciens  en  Hongrie.)  Ober  die  spanischen  Niederlassun- 
gen berichtet  Joh.  Miletz:   „Adatok  a  delmagyarorszägi  spanyol  tele- 
pek  tört6net6hezu  (Beiträge  zur  Geschichte  der  spanischen  Niederlas- 
sungen in  Südungarn)  in  der  Zeitschrift :  Delmagyarorszägi  tört.  es  rög. 
erl.  1878.  Miletz  hat  die  auf  die  Verhältnisse  der  vom  Generalen  Mercy 
circa  1733  in  Werschetz  und   Temesvär,   besonders  ab^r  in  Gross- 
Becskerek  angesiedelten  Spanier  bezüglichen  Daten  sorgfältig  gesam- 
melt. Diese  Spanier  wanderten  aus  Murcia,  Arragonien,  Byscaja  ein 
und  wohnten  zum  grössten  Teil  in  Gross-Becskerek,  so  dass  diese 
Stadt  auch  Neu-Barcellona  genannt  wurde.  Einzelne  spanische  Namen 
waren:  Donna  Anna  Novarra  (aus   Murcia)  Josef  Novarra's  Witwe, 
Anna  Maria  Abbadia  (aus  Arragonien),  Josef  Calon,  Don  Alfons  En- 
tero,  Don  Johann  Kristof  Garcia  Donna  Maria  Serra  y  Laguna,  Don 
Joannes  Galcagin  de  Toledo,  Fernandez,  Alvarez  Lopez,  Donna  Ger- 
trud Ximenez,  Don  Josephus  a  Castro  et  Gongora  u.  s.  w.  Ihre  Pfarrer 
waren:  Valdoriola  Franz,  VUlatersana  Josef,   Brihuega  Alfons,  Cuttie 
Salzedo  Anton.  Auf  königlichen  Befehl  —  wie  dies    Ludwig  Nimethy 
Eslergomer  Kaplan,  der  gründlichste  Kenner  der  Geschicite  Budapest'*, 
so  freundlich  war  uns  mitzuteilen,  —  wurden  diese  Spanier  aus  Südun- 
garn 1738  nach  Budapest  übersiedelt,  wo  laut  den  Matrikeln  schon 
1717  spanische  Colonisten  waren.    Am   14.  April  1715  wurde  in  der 
Festungskirche  in  der  Set.  Stefans-Capelle  der  Pfarrer  der  Spanier  Mi- 
chael Guadancara  begraben.  Sie  hatten  hier  ihre  eigene  spanische 
Kirchengemeinde,  deren  Pfarrer  (Capellani  curati  inelytae  nationis  His- 
panicae)  eben  Antonius  Cuttie  a  Salcedo   und   Alfonsus  de  Brihuega 
waren.  Was  aus  dieser  spanischen  Colonie  geworden,  wissen  wir  nicht. 
Solche  Namen  in  Budapest,  wie :   Rodriguez,  Las  Torres,  Valduaga, 
Villas,  können  die  letzten  Nachkommen  dieser  Colonisten  sein. 


Die  Klementiner  in  Slavonien. 

Von  Prof.  Fr,  Ö.  Kuhal 

(Fortsetzung  u.  Schlags). 

Das  Stammland  der  Klementiner  ist  Albanien  welches  von  Kastriolid 
1433—1457  gegen  die  Türken  tapfer  vertheidigt,  schliesslich  der 
Uebermaehl  unterlag.  Die  grausamen  Verfolgungen  unter  Sultan  Mu- 
rat  II.  veranlassten  viele  der  römisch-katholischen  Albanesen  den  mu- 
hamedanischen  Glauben  anzunehmen ;  diese  fielen  nun  über  ihre  christ- 
lichen Brüder  her,  und  überboten  die  Türken  an  Grausamkeit  und 
Treulosigkeit.  Da  entschloss  sich  ein  grosser  Theil  der  christlichen  Al- 
banesen, (die  Türken  nennen  sie  Arnauten,  sie  sich  selbst  aber  Ski- 

HerrmMD,  Ethnologische  HilUiloogeo,  II.  169  12 


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FH.  Ö.  KDHAC. 


patari  oder  Skipitari.  *)  sich  ein  neues  Heim  zu  gründen.  Im  Jahre  1465 
sammelte  K leinen t  gegen  zweitausend  Krieger,  und  führie  siesammt  ihren 
Angehörigen  aus  dem  Lande  ihrer  Väler.  Nach  vielen  Hindernissen 
und  Angriffen  seitens  der  Türken  und  der  albanesischen  Renegaten 
gelangten  sie  in  eine  damals  unbewohnte  Gebirgslandschaft  zwischen 
Albanien  und  Serbien,  eine  kleine  Hochebene  von  ungefähr  einer  hal- 
ben Stunde  im  Umfange  in  der  prokleitischen  Bergkette,  von  allen 
Seiten  von  unzugänglichen  Abgründen  umgeben,  mit  einem  einzigen 
sehr  beschwerlichen  aber  leicht  zu  vertheidigenden  Zugang. 

Zum  Oberhaupte  ihres  kleinen  Freistaates  wählten  sie  ihren  An- 
führer Klement,  nannten  ihre  Völkerschaft  „Klemenlinci"  oder  „Bru- 
derschaft des  Klement tt,  und  richteten  ihr  Staatswesen  nach  patriarcha- 
lischer Art,  nach  Bruderschaften  ein.  Diese  Bruderschaften  der  Alba- 
nesen  dürften  den  Serben,  Montenegrinern  und  Kroaten  als  Muster 
gedient  haben,  da  solche  bratovstine  (Bruderschaften)  nur  bei  den 
Süd-,  nicht  aber  auch  bei  den  West-  oder  Nordslaven  anzutreffen  sind. 

Hier  lebten  die  Klementiner  fünfzig  Jahre  frei  und  unabhängig, 
und  schlugen  jeden  Angriff  der  Türken  tapfer  zurück.  Allein  als  im 
Jphre  1526  nach  der  Mohäcser  Schlacht  ein  Theil  Ungarns,  Slavo- 
ni*  us  und  der  ganze  Balkan  unter  türkische  Herrschaft  gelangte,  muss- 
ten  sich  die  Klementiner  wenn  auch  nicht  ergeben,  so  doch  bequemen, 
einen  jährlichen  Tribut  von  4.000  Dukaten  dem  Sultan  zu  geben,  wo- 
für ihnen  von  Seile  der  Türken  Ruhe  und  Friede  garantiert  wurde. 

In  diesem  Verhältnisse  lebten  die  Klementiner  in  ihrer  kleinen 
Republik  gegen  zweihundert  Jahre  ganz  unbehelligt,  vermehrten  sich 
ausserordentlich,  und  gelangten  sogar  zu  einem  gewissen  Wohlstande. 
Der  Friede,  welcher  während  dieser  Zeit  zwischen  Türken  und  Kle- 
mentinern  herrschte,  hatte  zur  Folge,  dass  das  kleine  Volk  ganz  in 
Vergessenheit  geriet.  Selbst  die  einheimischen  Volksdichter  erzählen 
aus  dieser  Periode  gar  nichts,  was  insofern  begreiflich  ist,  da  keine 
Heldenthaten,  Raufereien,  Verrätereien  u.  d.  gl.  stattfanden.  Wo  aber 
nichts  geschieht,  kann  auch  nichts  erzählt  werden. 

Erst  in  den  Jahren  1737—1739  geschah  der  Klementiner  wieder 
Erwähnung.  Es  war  dies  zur  Zeit,  als  Kaiser  Carl  VI.  im  Bunde  mit 
Russland  gegen  die  Türkei  Krieg  führte,  und  Oesterreich  die  katholi- 
schen Albanesen,  besonders  aber  den  Stamm  der  Klementiner  für  einen 
Aufstand  gegen  die  Türkei  gewann.  Die  Albanesen  hielten  treu  zu 
Oesterreich.  Aber  leider  hat  sich  Oesterreich  durch  übertriebene  Stren- 
ge und  allzugrosse  Härte  des  Obersten  Strasser  die  Sympathien  der 
Albanesen  derart  verwirkt,  dass  diese  sich  in  den  darauf  folgenden 
Kämpfen  ganz  passiv  verhielten.  Dies  ihr  Schmollen  wird   viel  beige- 

*  Adelung  sagt  (Mithridates  II.  pag.  792),  das  Wort  Hkipatar  oder  skipitar 
sei  unbekannter  Bedeutung,  Anton  und  andere  legen  ihm  die  Bedeutung  „Bergbe- 
wohner" bei,  uJihrend  die  syrmischen  Klementiner  meinen:  Skipet  oder  Skit  bedeute 
einen  Wanderer,  Skipitari  daher  ein  Wandervolk.  Hauptmann  Baki6  (ein  geborener 
Nikincer)  sagte  mir  jedoch,  das  in  der  alten  albanischen  Sprache  „sci-pe(r)-tar"  so 
viel  bedeute,  als  ..ein  Unsriger,  Einer,  der  das  Unsrige  versteht." 


170 


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DIE  KLEMENTINER  IN  SLAVONIEN 


tragen  haben,  dass  das  österr.  Heer,  das  auf  Novi  Bazar  gieng,  bei 
Nis  eine  fürchterliche  Niederlage  erlitt.  Gleich  nach  der  Schlacht  trenn- 
ten sich  die  Albanesen  von  den  Trümmern  des  österr.  Heeres,  und 
wanderten  als  Flüchtlinge  mit  Sack  und  Pack,  Weib  und  Kind  über 
Usica  nach  Serbien.  Als  sie  am  Fusse  des  Berges  Alava  lagerten,  wur- 
den sie  von  den  Türken  überfallen  und  zum  grössten  Theile  nieder- 
gemacht. Die  Wenigen,  welche  diesem  Blutbade  entkamen,  trachteten 
den  Sammelplatz  des  österr.  Heeres :  §abac,  zu  erreichen,  von  wo  ans 
sie  die  Save  überschritten,  und  sich  mit  Erlaubnis  Kaiser  Carls  in 
Syrmien  niederliessen. 

Dies  ist  im  Kurzen  die  Vorgeschichte  unserer  Klementiner,  die 
ich  teils  den  „Albanesischen  Studien"  von  Dr.  Joh.  Georg  von  Hahn 
(Jena  1854),  teils  anderen  Quellen  und  vielfachen  mündlichen  Mit- 
teilungen entnommen  habe.  Für  die  neuere  Geschichte  der  syrmi- 
schen  Klementiner  lieferten  mir,  als  ich  im  Jahre  1875  Hrlkovci  und 
Nikinci  besuchte,  der  damalige  Hrtkovcer  Gemeindevorstand  Herr  An- 
ton Kolie"  und  der  Gemeindenotär  Herr  Markus  Pepcic,  beide  geborene 
Klementiner,  wie  auch  der  k.  u  k.  Hauptmann  in  Pension  Herr  Mar- 
kus Bakie,  der  gegenwärtig  in  Agram  lebt,  schätzenswerte  Beiträge, 
iür  die  ich  ihnen  hier  meinen  Dank  ausspreche. 

Als  sich  die  Klementiner  im  Jahre  1737  oder  1738  in  Slavonien 
niederliessen,  wohnten  sie  lange  Zeit  hindurch  in  Wäldern,  in  zerstreu- 
ten Einzelngehöften,  in  Familien  oder  Bruderschaften  geteilt.  Doch 
bauten  sie  bald  nach  ihrer  Ankunft  zwei  Kirchen,  und  gründeten  im 
Jahre  1785  zwei  Pfarren.  Im  Jahre  18<>5,  als  das  Grenz-Grundgesetz 
ins  Leben  trat,  wurden  die  Klementiner  aufgefordert,  ihre  isolierten 
Gehöfte  zu  räumen  und  in  geschlossenen  Dörlern  zu  wohnen.  Da  sie 
sich  dieser  kaiserlichen  Anordnung  widersetzten,  so  wurden  sie  mit 
Waffengewalt,  wobei  nicht  wenig  Blut  floss,  gezwungen,  Gehorsam  zu 
leisten.  Nun  rotteten  sie  grosse  Strecken  Wälder  aus,  und  legten  um 
ihre  Kirchen  die  zwei  grossen  Ortschaften  Hrtkovci  und  Nikinci  an. 

Im  Plarrhofe  zu  Nikinci  befindet  sich  jetzt  noch  «  in  hölzernes 
Kreuz,  welches  die  Klementiner  bei  ihrem  Auszuge  aus  der  alten  Hei- 
mat vorantrugen,  und  unter  dessen  Schutz  sie  nach  Slavonien  ge- 
langten. Früher  befand  sich  das  Kreuz,  das  die  Klementiner  als  ein 
Heiligtum  verehren,  in  der  Kirche  zu  Nikinci,  da  aber  die  Hrtkovcer 
Insassen  drohten,  das  Kreuz  mit  Gewalt  zu  nehmen,  so  musste  das- 
selbe der  Sicherheit  wegen,  in  das  Wohnzimmer  des  Nikincer  Pfar- 
rers gebracht  werden. 

Kaum  einige  Jahre  später,  als  sich  die  Klementiner  in  Slavonien 
festsetzten,  erhielten  sie  neuen  Zuwachs^  aus  Italien,  wohin  sich  viele 
albanesische  Familien  nach  dem  Falle  Skender  beg's  geflüchtet  hat- 
ten, und  wo  sie  wie  nomadisierende  Zigeuner  lebten.  Diese  italieni- 
schen Albanesen  führte  ihr  Erzbischof  Summa  nach  Slavonien  unter 
dem  Schutze  eines  Marienbildes,  das  sich  heute  noch  in  der  Hrtkovcer 
Kirche  befindet,  und  welches  Bischof  Strossmayer  vor  etwa  zwanzig 
Jahren  renovieren  Hess.  Kaiser  Carl  VI.  wies  dem  albanesischen  Erz- 

171  12* 


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FR    Ö  KUHiC- 


bischof  die  innere  Stadt  Eszek  (Festung)  als  Silz  an,  und  gab  ihm 
einen  Jahresgehalt  von  zweitausend  Gulden.  Summa  starb  zu  Eszek 
am  20.  November  1777,  und  wurde  dort  im  Sanctuarium  der  Fran- 
ziskaner-Kirche beigesetzt. 

Mit  den  Brüdern  der  alten  Heimat  stehen  die  syrmischen  Kle- 
mentiner  in  gar  keiner  Verbindung.  Das  was  sie  von  dem  weiteren 
Schicksale  ihrer  alten  Stammesgenossen  wissen,  teilte  ihnen  ein  vor- 
nehmer Albanese  mit,  der  die  beiden  Ortschatten  Hrikovci  und  Nikinci 
im  Jahre  1840  besuchte.  Die  Klemenliner  in  Albanien  gedenken  über- 
haupt stets  der  syrmischen  Colonien,  während  sich  diese  um  das  alte 
Vaterland  nicht  im  mindesten  kümmern,  wie  dies  bei  Auswanderern 
gewöhnlich  der  Fall  ist.  So  kam  in  dem  stürmischen  Jahr  1849  ein 
Abgesandter  Albaniens  zu  unseren  Klementinern,  um  nachzusehen,  ob 
diese  irgend  welchen  Heistand  von  Seite  Albaniens  benötigen;  im 
Jahre  1865  kam  wieder  ein  albanesischer  Mönch  aas  Constantinopel, 
der  sie  aufmunterte  ihrer  Sprache  und  ihrer  Keligion  treu  zu  bleiben, 
und  ihnen  zu  diesem  /wecke  ein  gedrucktes  Psallir,  ein  Evangelium 
und  ein  Gebetbuch  in  albanischer  Sprache  brachte. 

Die  Sprache  der  Klementiner  ist  der  albanesische  Gegedialekt, 
der  in  Nordalbanien  gesprochen  wird,  und  sich  von  dem  toskischen, 
der  in  Mittelalbanien  zu  Hause  und  voll  Gräcismen  ist,  dadurch  un- 
terscheidet, dass  er  trotz  vieler  slavischen  und  türkischen  Wörter  älter 
und  urwüchsiger  ist. 

Das  Vater  Unser  und  der  Englische  Gruss  lautet  in  der  Sprache 
der  syrmischen  Klementiner  nach  Aufzeichnung  des  Herrn  Marko 
Pepcie'  folgendermassen : 

Ati  ün  ci  je  n  cijel,  sejinfia  kjost,  emnit  tat,  a  rodjenija  jote.  botst 
volundedeja  jote,  si  kur  sen  cijel,  a  stu  egsen  ze.  Bnken  ton  per  dicmen 
nepol  v  mazi  zot  nep  ena  dije,  si  kursem  diem  na  fajtorsit  tan,  mosna 
Ije  o  zot  me  ra  ne  kec  po  Ijargona  pre  casitkecit.  Amen:  Astu  kjost. 

 Valjemi  Mri  ilji  pljota,  zoti  uhn  me  tüh  bekua  je  pigji;  (pigjirslr) 

grah,  e  bekua  fürte  barkut  tit  Jesus:  sentnuame  Mri,  oma  e  tim 
zot,  ljutu  perne  patnuamit  tasen  fil  mors  san  Amen :  Astu  kjost. 

Diese  Sprache  sprechen  die  syrmischen  Klementiner  heute  noch 
unter  sich,  doch  kann  jeder  iMann  auch  kroatisch.  Anfangs  gieng  es 
ihnen  mit  der  richtigen  Betonung  der  kroatischen  Wörter  schlecht, 
und  sie  accen'uierlen  jedes  zwei-  oder  mehrsilbige  Wort  derart,  dass 
sie  die  erste  Silbe  über  die  Massen  dehnten  z.  B.  nisam  blo  tämo; 
moja  je  mäti  zdräva  Heute  sprechen  sie  jedoch  so  correct,  dass  man 
der  Aussprache  nach  den  Klementiner  vom  Kroaten  nicht  unterschei- 
den kann.  Die  Klementiner  bedienen  sich  des  lateinischen  Alphabetes, 
dem  sie  noch  drei  eigene  Schriftzeichen  beirügen:  £,  H  und  £.  Der 
Laut  des  ersten  Zeichens  wird  wie  das  kroatische  z  oder  dass  deut- 
sche s  in  „Rose"  ausgesprochen  («ot  =  zot,  der  Herr;  ifane  «=  izane, 
der  Sklave),  der  zweite  wie  das  deutsche  ü  (s88  =  süü,  das  Auge) 
und  der  dritte  wie  ein  lispelndes  aber  etwas  schnarrendes  r  (£re  = 
rlsree,  die  Erde ;  her£e  =  herrslre,  das  Nest). 

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DIE  KLEMENTINER  IN  8LAV0NIEN. 


Jene  Albanesen  (in  Albanien),  welche  den  toskischen  Dialekt 
sprechen,  und  grösstenteils  der  griechisch-orthodoxen  Kirche  angehö- 
ren, bedienen  sich  des  griechischen  Alphabetes. 

Bis  zum  Jahre  1785  erhielten  die  syrmischen  Klementiner  ihre 
Priester  aus  Rom  von  der  „Propoganda  fide",  da  kein  Priester  der 
Diakovarer  Diocese  (zu  der  die  beiden  Ortschaften  Hrtkovci  und  Ni- 
kinci  gehören)  albanesisch  zu  sprechen  verstand.  Um  diesem  abzuhel- 
fen verordnete  Kaiser  Joseph  II.  im  Jahre  177.1,  dass  je  zwei  kle- 
mentinische  Jünglinge,  welche  sich  dem  geistlichen  Stande  widmen 
wollen,  und  vom  Haus  aus  die  Sprache  der  Klementiner  kennen,  aut 
Staatskosten  erzogen  werden  mögen.  Infolge  dessen  erhielten  unseie 
Klementiner  bereits  im  Jahre  1786  zwei  Pfarrer  aus  ihrem  Stamme, 
und  hatten  solche  bis  zum  Jahre  1855  Die  letzten  zwei  Pfarrer,  wel- 
che Klementiner  von  Geburt  waren,  und  dem  Volke  in  dessen  Sprache 
predigen  konnten,  hiessen  Paul  Gjolic  und  Peter  Malja.  *) 

Als  im  Jahre  1822  die  früher  erwähnte  Verordnung  Kaiser  Jo- 
sephs ausser  Kraft  gesetzt  wurde,  die  Klementiner  aber  ihre  Söhne 
auf  eigene  Kosten  nicht  studieren  lassen  wollten  gab  es  auch  keinen 
geistlichen  Nachwuchs  mehr,  und  so  mussten  sie  schliesslich  solche 
Pfarrer  annehmen,  die  der  albanesischen  Sprache  gänzlich  unkundig 
waren.  **)  Immerhin  wird  auch  jetzt  noch  in  ihren  Kirchen,  wenn  auch 
nicht  in  ihrer  Sprache  gepredigt,  so  doch  albanesisch  das  Gebet  ver- 
richtet. 

Erwähnenswert  ist,  dass  die  Kleinem iner,  als  sie  sich  in  Slavo- 
nien  niederliessen,  keine  eigentlichen  Zunamen  hatten,  sondern  ihrem 
Taufiiamen  die  Taufnamen  des  Allvaters,  Urgrossvatcrs,  Grossvalcrs 
und  Vaters  beifügten.  Hiess  z.  B  einer  Mras  (d.  i.  Markus),  so  nannte 
er  sich:  Mras  Gjot-Gig  Nik-Prek.  d.  h.  Markus  vom  Johann,  Georg, 
Nikolaus  der  Sohn  Peters  In  den  dreissiger  Jahren,  als  in  der  Mili- 
tärgrenze Conscriplionslisten  angelegt  wurden,  mussten  sich  auch  die 
Klementiner  eines  Zunamens  bedienen.  Diesem  Befehle  nachkommend 
wählten  sie  den  Taufnamen  des  Vaters  oder  Grossvaters,  und  fügten 
demselben  nach  kroatischer  Art  die  Silbe  *icu  bei,  z.  B.  Gjolic  (von 
Gjot),  Kolic  (v.  Kolja),  Bakic  (v.  Bakai),  Malie"  (v.  Malja)  u.  s.  w. 

Das  Klima  des  gesegneten  Flachlandes  an  der  Save  wirkte  auf 
die  Klementiner,  die  an  trockene  Bergluft  gewohnt  waren,  sehr  un- 
günstig; deshalb  verminderte  sich  auch  ihre  Zahl  von  Jahr  zu  Jahr. 
Nach  der  Volkszählung  vom  Jahre  1870  gab  es  in  Hrtkovci  nur  mehr 
9o*  männliche  und  94  weibliche,  in  Nikinci  aber  94  männliche,  und 
103  weibliche  Klementiner,  im  Ganzen  also  387  Seelen.  Manche  glau- 


*)  Malja,  Dr.  der  Theologie  und  Dechant,  hatte  eine  wertvolle  Bibliothek 
mit  vielen  albanesischen  Schriften,  welche  nach  seinem  Tode  jedoch  verschwand. 
Möglich,  dass  sich  ein  Teil  dieser  Bücher  in  der  Diakovarer  bisehöfl.  Bibliothek 
befindet. 

*♦»  Vom  ethnographischen  Standpunkt  ist  es  gewiss  recht  schade,  dass  diese 
so  überaus  interessante  -  pracheninsel  auf  diese  Weise  der  baldigen  gänzlichen 
Überflutung  ausgesetzt  i*t.  Red. 

173 


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FB.  Ö.  KUHAC- 


ben  zwar,  dass  die  Kleraentiuer  durch  die  in  den  Jahren  1809—1812 
eingewanderten  Kroaten  aus  der  ehemaligen  Karlstädter  Grenze,  durch 
die  im  Jahre  1839  eingewanderten  Schwaben,  und  durch  die  in 
den  Jahren  1865—1870  eingewanderten  Magyaren  verdrängt  wur- 
den ;  aber  dem  ist  nicht  so,  da  sich  der  Klementiner  aus  seinem  syr- 
mischen  Stammsitz  durchaus  nicht  verdrängen  lässt;  sondern  sie  wur- 
den, wie  gesagt,  durch  Epidemien,  zumeist  aber  durch  das  Fieber, 
welches  in  diesen  Gegenden  herrscht,  hinweg  gerafft.  Indess  forderte 
auch  das  Jahr  1848  viele  Opfer;  damals  war  .nämlich  die  Aufregung 
unter  den  Klementinern  so  gross,  dass  sie  mit  den  dortigen  Schwaben 
und  Serben  im  buchstäblichen  Sinne  des  Wortes  Krieg  führten,  wo- 
bei viele,  sowol  von  den  ersteren  als  von  den  letzteren  ums  Leben 
kamen.  Denn  es  muss  gesagt  werden,  dass  die  Klementiner  mit  den 
Kroaten,  so  wie  auch  mit  den  später  eingewanderten  Magyaren  stets 
sympathisierten,  die  Schwaben  aber  ihrer  Habsucht,  und  die  Serben  ih- 
res spöttischen  Wesens  wegen  nicht  leiden  mögen.  Das  Benehmen  der 
Serben  entspringt  übrigens  nicht  aus  Spott,  sondern  aus  Hass  und 
Verachtung,  da  sich  die  Klementiner  rühmen,  bei  der  für  die  Serben 
unglücklichen  Schlacht  am  Kosovopolje  (1389)  den  Ausschlag  gegeben 
zu  haben.  Der  Kampf,  so  erzählt  die  Tradition  der  Klementiner.  währte 
sehr  lange  ohne  Entscheidung,  und  da  sämmtliche  türkische  Kräfte  be- 
reits aufgebraucht  waren,  so  beschloss  der  Sultan  den  Rückzug.  In 
diesem  entscheidenden  Momente  bot  sich  der  Anführer  des  kleinen 
albanesischen  Hilfscorps  dem  Sultan  an.  auf  die  Serben  einen  Sturm 
zu  wagen.  Der  Sultan  lehnte  anfangs  dies  Anerbieten  mit  den  Worten 
ab:  „Wie  wird  eine  handvoll  Leute,  eine  so  grosse  Schlacht  zur  Ent- 
scheidung bringen?"  Als  jedoch  der  verwegene  Albanese  erwiderte: 
PHerr,  der  Feind  ist  erschöpft,  die  Siegeszuversicht  geschwunden, 
der  Gehorsam  und  die  Eintracht  gelockert,  lass  mich  daher  den  Ver- 
such machen!"  so  antwortete  der  Sultan:  „Also  handle,  wie  du  sagst  !* 
—  Als  die  Albanesen  den  Stoss  mit  dem  ihnen  eigenen  Elan  wagten, 
fieng  der  Gegner  an  zu  weichen,  das  türkische  Heer  aber  lebte  neu 
auf,  rückte  vor  und  -  siegte  Nach  vollbrachter  Tat  ritt  der  Sultan 
auf  den  albanesischen  Führer  zu  und  dankte  ihm  mit  dem  Ausrufe: 
„mir  dit!tt  d.  h.  wol  geraten,  oder  auch:  „guten  Tag,  Segenstag. - 
Diese  Worte  des  Sultans  sollen  Veranlassung  gegeben  haben,  dass  sich 
ein  Stamm  der  Albanesen  Mirditen  nannte,  den  Serben  aber,  dass  sie 
die  Albanesen  bis  auf  den  heutigen  Tage  hassen. 

Die  Klementiner  wurden,  als  sie  sich  in  Slavonien  niederliessen, 
als  ein  sehr  emsiges  und  fleissiges  Volk  gerühmt,  das  —  wie  Taube 
sagt  —  seine  faulen  Nachbaren  heimlich  auslachte.  Sie  bebauten  ihre 
Felder  („bastinene  me  punuera"),  hatten  vortrefflichen  Tabak,  dessen 
Samen  sie  aus  Albanien  gebracht,  hielten  Bienen  („mialzate")  und  be- 
trieben Viehzucht.  Sie  hatten  schönes  Hornvieh  („brij  delleia").  Schweine 
(;rjrlsrij)  besonders  aber  schöne  Schafe  („grigi"),  die  sie  ebenfalls 
aus  der  alten  Heimat  mitgebracht  haben,  und  die  eine  vorzügliche, 
seidenartige  Wolle  geben.  Die  Weiber  waren  nicht  minder  fleissig  und 

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DIE  KLEMENTINER  IN  SLAVONIEN. 


geschickt,  sie  spönnen,  webten  und  verfertigten  sowol  ihre  Kleidung 
als  auch  die  ihrer  Männer.  Die  Schafwolle,  welche  sie  gewannen,  färb- 
ten sie.  mit  dem  Safte  gewisser  Kräuter,  welche  Farbe  besonders  schön 
und  dauerhaft  war.  Ihre  Teppiche,  die  sie  fabrizierten  waren  von 
ganz  besonderer  Schönheit  und  Güte.  Heute  kümmert  sich  der  Kle- 
mentiner  bei  weitem  nicht  mehr  so  viel  um  Wirtschaft  und  Erwerb, 
weiss  er  ja  doch,  dass  einst  fremde  Leute  Erben  seiner  Habe  sein 
werden. 

Die  Gestalt  der  Klementiner  ist  gross  und  schlank,  Augen  und 
Haare  sind  gewöhnlich  dunkelbraun  oder  schwarz,  die  Gesichtzüge 
sehr  regelmässig.  Cretins  gab  es  weder  früher  unter  ihnen,  noch  gibt 
es  jetzt  solche,  doch  sind  die  Weiber  gegenwärtig  nicht  mehr  so  gross 
und  schlank  wie  ehedem.  Immerhin  findet  man  aber  auch  heute  noch 
klementinische  Mädchen,  die  gerade  von  entzückender  Schönheit  sind. 

Dem  Temparamente  und  Charakter  nach  sind  die  Klementiner 
hitzig  und  roh.  aber  nicht  wild;  sie  sind  ehrlich,  treu,  verschwiegen, 
tapfer,  voll  des  Nationalstolzes  und  dem  Herscher  und  der  Kirche  bis 
zum  Aussersten  ergeben  Anderseit  aber  sind  sie  wieder  rachsüchtig,  un- 
versöhnlich und  über  alle  Massen  eifersüchtig.  Darum  ist  es  nicht 
ratsam  mit  einer  klementinischen  Braut  oder  einer  jungen  Frau  ohne 
Zeugen  zu  sprechen,  wenn  auch  auf  offener  Strasse  und  bei  hellem 
Tage,  denn  wenn  der  Klementiner  von  einem  derartigen  Zwiegespräche 
Kunde  erhält,  so  ist  der  Betreffende,  sei  er  ein  Klementiner  oder  ein 
Fremder,  seines  Lebens  nicht  sicher.  Lobenswert  ist  dagegen  ihre  Gast- 
freundschaft und  Zuvorkommenheit.  Tritt  man  in  ein  klementinisches 
Haus,  so  kommen  sie  einem  mit  dem  Grusse:  „Miresete  giaagn!" 
(„Willkommen,  mein  Herr!")  oder  mit:  „Miresete  giaagn  mich!"  („ Will- 
kommen, Freund!")  entgegen,  heissen  einen  in  ihrem  schönsten  mit 
kostbaren  Teppichen  belegten  Zimmer  Platz  nehmen,  und  bringen  so- 
gleich Erfrischungen :  Wein,  Mehlspeisen,  Obst  u  d.  gl. 

Geistig  sind  die  Klementiner  sehr  begabt  und  aufgeweckt  Jene 
Jünglinge  ihres  Stammes,  welche  die  Königin  Maria  Theresia  studieren 
Hess,  gelangten  zu  hohen  Aemiern  und  Würden,  jene  aber,  die  als 
Hussaren  in  dem  slavonischen  Reiterregimente  dienten,  zeichneten  sich 
jederzeit  durch  Tapferkeit,  gutes  Verhalten  und  Ritterlichkeit  aus. 


Paul  Hunfalvy  f 

lf*10 — 1891. 


Paul  Hunfalvy,  der  Begründer  der  wissenschaftlichen  Ethnologie 
in  Ungarn,  der  Praesident  der  Gesellschaft  für  die  Völkerkunde  Un- 
garns, unser  Vorbild  und  Meister,  ist  am  30.   November  1891  in 

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BÜCIIEBBESPRECHUNGEN. 


Budapest  gestorben.  —  Am  28.  hat  er  noch  an  der  zu  seinem  50- 
jährigen  akademischen  Jubilaeum  von  jener  Gesellschaft  veranstalteten 
Gedenksitzung  in  ungeschwächter  geistiger  Kraft  teilgenommen  und 
sehr  bedeutsame  Äusserungen  getan,  und  noch  am  letzten  Abend  an 
seinem  grossen  Werke  über  die  Geschichte  der  Rumänen  gearbeitet. 
Sein  Beispiel  objectiven  Forschens  möge  der  heimischen  Volkskunde 
den  Weg  zur  Wahrheit  weisen!  Unsere  „Mitteilungen"  werden  dem  An- 
denken ihres  illustren  Mitarbeiters  einen  längeren  Nekrolog  widmen. 


Bückerbesprechungen. 

Sebillot  Paul.  Devinettes  de  la  Haute- Bretagne.  Paris, 
p.  26.  gr.  8.  Maisonneuve  &  Leclerc. 

Zu  den  am  Wenigsten  beachteten  und  immer  weniger  gepflegten 
Volksüberlieferungen  gehört  das  Rätsel.  Es  is*  das  Erzeugnis  kind- 
lich scherzenden  Scharfsinns,  eine  zuweilen  sehr  geistreiche  Abart  des 
Witzes,  der  den  Rätselaufgeber  sowie  den  glücklichen  Löser  des  Rät- 
sels erfreut  und  erheitert.  Die  Zeit,  wo  ein  RULscIaufgeber  beim  Volke 
hochgeehrt  wurde,  ist  Ireilich  für  die  Cullurvölker  längst  vorüber.  Bei 
uns  pflegen  nur  mehr  Kinder  und  Frauen  im  Volke  das  Rätsel.  Frank- 
reich ist  sehr  reich  an  Rätseln.  Rälselbücher,  bemerkt  Sebillot,  sind 
seit  Jahrhunderten  ein  guter  Artikel  der  Colportage-Buchhändler.  Am 
interessantesten  sind  aber,  fährt  S.  zutreffend  fort,  die  internationalen 
Rätsel.  Solcher  Rätsel  bietet  gerade  diese  Sammlung  nicht  wenige.  Auf- 
fällig erscheint  es  auf  den  ersten  Blick,  dass  die  Literalbewohner  we- 
nig Gefallen  den  Rätseln  abgewinnen.  Die  charakteristische  Einleitungs- 
formel zu  Rätseln  lautet:  „Devine  devinaille".  der  Serbe  sagt:  „da  sto 
mi  da  sto?  (was  denn  mir.  was  denn?i  Wie  der  Serbe  die  vPdalicau 
(vergl.  Sitte  u.  Brauch  der  Südslaven  p.  XIX )  hat  der  Franzose  die 
demande  facitieuse.  Das  deutsche  Fragespiel  ist  doch  etwas  Anderes. 
(Man  vergl.  Frischbier 's  Sammlung)  Wie  sich  doch  in  der  Beantwortung 
eines  einzigen  Rätsels  zwei  Volksseelen  abzeichnen  können,  will  ich  an 
einem  Beispiel  zeigen  Nr.  96  lautet  :  Qui  vale  plus  vite  du  monde  ? 
—  Antwort:  U'ezprit.  Lessing  sagt  in  seinem  Faustfragment  analog: 
der  Gedanke,  der  Südslave  aber  —  das  Wort  wird  dem  greisen 
Cejvanaga  zugesprochen  —  meint :  oko  (das  Auge,  der  Blick.)  Lesprit 
und  Gedanke,  der  augenblickliche  geistvolle  Einfall  ist  eben  nicht 
das  Schnellste  beim  Südslaven.  Das  liegt  aber  nicht  an  dem  Individuum, 
sondern  an  den  uralten  communistischen  gesellschaftlichen  Einrichtun- 
gen, nach  welchen  nie  ein  einzelner,  sondern  nur  eine  Versammlung 
Esprit  besitzen  kann.  Der  Franzose  kennt  auch  :  choses  ä  dire  tres  vite, 
so  z.  B.  Cossulu,  Pissulu,  Coquentra,  Pinosa  (Coq  sur  l'hu  [la  porte], 
pie  sur  Thu  ;  le  coq  entra,  la  pie  n'osa.)  Auch  dem  Deutschen  muss 
das  Wälsche  (Italienische)  zu  solchen  Dingen  herhalten,  so  z.  B.  Di  cw- 
rante  bizi  /S/. (Die  Kuh  rannte,  bis  sie  fiel.)  Die  „Rätselhaften  Inschrif- 

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bCciikrresprechüngen. 

—  ..   ■ .  .  -   1  —   .  — 

ten"  in  den  Scherzwinkeln  unserer  illustrierten  Blatter  sind  nur  Nach- 
bildungen solcher  uralt  volkstümlicher  Scher/reden 

Wien.  Dr.  F.  S.  Krause. 

Haberlandt  Michael:  Der  altindische  Geist.  In  Aufsätzen 
und  Skizzen  von  — ,  Leipzig,  1887.  Bei  A.  (J.  Liebeskind.  VIII.  -f-  348,  8°. 

Haberlandt  ist  eine  eigenartige  und  etwas  befremdende  Erschei- 
nung unter  den  österreichischen  Gelehrten.  Ein  stiller  Zug  von  Li  eb- 
lichkeit  und  Frauenhaftigkeit  spricht  uns  aus  seinen  Arbeiten  an.  Er 
ist  ein  dichterisch,  ein  lyrisch  veranlagter  Gelehrter;  zwei  Naturen 
streiten  in  ihm  um  den  Vortritt,  doch  beide  weiss  er  sich  dienstbar 
zu  machen,  und  so  schafft  er  eine  neue  Welt  aus  sich  heraus.  Dieser 
indische  Geist  ist  vielfach  sein  eigener  Geist.  Ich  möchte  Haberlandt's 
Verhältnis  zum  Indischen  Wesen  mit  seinen  eigenen  Worten  begrün- 
den, die  er  in  Bezug  auf  die  Nichtbeachtung  von  Naturschönheiten 
gebraucht  bei  den  Kömern.  (S.  173.)  .Auch  das  mächtigste  Object 
kann  dem  Geist  nicht  mitteilen,  was  er  nicht  schon  innerlic  i  hat, 
wir  sehen,  dass  die  Dinge  nichts  in  uns  hinein  bringen,  sondern  Al- 
les aus  uns  hervorlocken. u  Und  auf  seine  Darstellung  passt  die  Be- 
merkung, die  er  über  die  Namen  der  Lotosblume  macht  (S.  49 ). 
„Sprache  und  Poesie  sind  hier  nicht  mehr  geschieden,  sie  spielen  in 
einander  über  und  sich  gegenseitig  in  die  Hände. u  Von  der  Art  sind 
seine  Aufsätze:  Bei  den  indischen  Göttern,  Die  Mütter,  Der  Mann  im 
Brunnen  und  am  meisten:  Die  indische  Frau. 

Haberlandt^  Grundfehler  vom  Standpunkte  des  Ethnographen 
glaube  ich  darin  zu  linden,  dass  er  zu  häufig  verallgemeinert  und  Äus- 
serungen des  Volksgeistes  von  den  Auffassungen  der  Kunslliteraten 
nicht  immer  genau  unterscheidet.  Was  soll  man  z.  B.  zu  der  Be- 
hauptung (S.  3)  sagen:  „In  der  Abgeschlossenheit  des  Gangeslandes 
hat  das  indische  Volk  nun  immer  aus  eigenem  und  aus  ganzem  ge- 
schnitten, ist  es  aus  sich  allein  zu  dem  geworden,  wozu  es  sich  ge- 
bildet hat;  zum  geistvollen  Sonderling,  zum  Grillenfänger  unier  den 
Völkern,  für  dessen  Grundstimmung,  Denkgewohnheiten  und  Lebens- 
formen wir  Eur-'päer  in  den  eigenen  nicht  immer  Gleichungsformeln 
zu  finden  vermögen."  Wo  in  der  Welt  findet  man  noch  so  ein  bun- 
tes Gemisch  von  Völkerschalten  wie  in  Indien,  und  wo  ist  etwas  >  krau- 
ser in  eines  zusammengeschmolzen  als  es  indisches  Wesen  ist?  Nur 
von  einem  Naturvölkchen,  das  seit  Aeonen  auf  einem  weltvergessenen 
Eilande  haust,  kann  man  sagen,  es  habe  aus  eigenem  und  aus  gan- 
zem Holze  geschnitten.  —  Bei  der  Deutung  der  Vielköpfigkeit  der  Götter 
missversteht  er  die  aetiologischen  Mythen  und  sagt :  (S.  9  )  „So  ist 
alles  indische  Wesen :  dem  Lieblichsten  und  Tiefsten  immer  ein  Gran 
von  Aberwitz  zugesetz."  Nein.  Aberwitz,  das  ist  ein  wissenschaftlich 
unzulässiges  Wort  an  dieser  Stelle.  Die  vielköpfige  Gottheit  hat  nicht 
ursprünglich  nur  einen  Kopf  gehabt,  sie  ist  schon  vom  Anfang  an 
vielköpfig  gewesen :  denn  sie  ist  einem  ihrer  Ursprünge  nach  aus 
anthropomorphisierlen  Blumen  und  Blüten  hervorgegangen.  Diese  auf 
den  ersten  Blick  ungeheuerliche  Form  hat  mit  gesteigerter  Cultur  alle 

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BÜ(  HKRHESPRECHUNGEN 


anderen  Nebenformen  in  sich  aufgesogen,  doch  dem  Volke  entschwand 
das  Verständnis  für  den  urältesten,  religössymbolischen  Gedanken, 
der  natürlich  nicht  spezifisch  indisch  genannt  werden  kann.  Wie  zu- 
treffend bemerkt  doch  H.  an  einer  anderen  Stelle:  »Mythologie  ist 
nicht  Kunst.  Wir  sind  durch  die  Griechen  gewöhnt,  die  beiden  für 
eins  zu  nehmen.  Aber  das  ist  ein  unzweifelhafter  Irrtum  und  verdirbt 
uns  jede  rechte  Erkenntnis  in  unserer  Sache." 

Eine  recht  hübsche  folkloristische  Silhouette  ist  der  Aufsatz  über 
den  indischen  Fridolin.  Die  57  Skizzen  im  Anhange  zu  dem  Buche 
bieten  eine  gelungene  Auswahl  trefflicher  ethnographischer  Seltsam- 
keiten, die  meistens  keine  Seltsamkeiten  eigentlich  sind.  Das  „Liebes- 
spier, bei  welchem  der  Geliebte  den  Speichel  der  Geliebten  schluckt, 
das  ist  nicht  weniger  als  besonders  indisch,  in  manchen  Gegenden 
Deutschlands  pflegt  der  Bursche  beim  Tanz  ein  Stück  Apfel  zu  zer- 
kauen und  seiner  Tänzerin  in  den  Mund  zu  schieben.  Sie  schluckt  das 
Gekaute  hinunter  zum  Zeichen,  dass  sie  den  Burschen  liebt.  Daneben 
kommt  das  „Züngerln"  vor,  die  Griechen  nannten  es  yhoitiUiv,  und 
bei  den  Serben  heisst  es  jeziiati  se.  Sehr  lieb  wäre  es  mir  gewesen, 
wenn  uns  H.  die  indische  Festfrau  (S.  127.)  die  menschenschädel-ge- 
zierte  Kdli,  die  so  viel  Verwandtes  mit  der  südslavischen  Frau  Kuga 
aufweist,  eingehender  beschrieben  hätte.  Das  Buch  ist  übervoll  solcher 
schöner  Andeutungen,  vielleicht  bietet  uns  H.  bald  neben  duftigen  Blu- 
mensträusschen  auch  einen  ganzen  Stamm,  ich  will  sagen  ein  zusam- 
menhängendes Werk  über  indisches  Volkstum.  Er  wäre  der  Mann  dazu. 

Wien,  1888.  Krauss. 

Ethnologische  Litteratur  Ungarn*  im  J,  1891.  Seit  die 
ethnographische  Gesellschaft  Ungarns  vor  2  Jahren  ins  Leben  getreten 
ist,  hat  sich  um  die  „alte  Garde"  der  Volksforscher  Ungarns  eine  Schaar 
von  Folkloristen  herangebildet  und  Zeichen  ihres  Eifers,  ihrer  For- 
schung auf  dem  saatenreichen  Boden  pannonischen  Volkslebens  auch 
heuer  ausser  den  in  Zeitschriften  erschienenen  Aufsätzen,  durch  meh- 
rere namhafte  folkloristische  Werke  gegeben. 

Unzweifelhaft  das  grösste  und  wichtigste  Werk  ist  die  33  Druck- 
bogen starke  „Sammlung  ungarischer  Kinderspiele"  (Magyar  gyermek- 
jätekgyüjtemeny)  von  unserem  hochverdienten  Mitarbeiter  Dr.  Aron 
Kiss,  das  sich  an  RochhoWs  deutsche  Sammlung  würdig  anreiht,  ja 
dieselbe  in  mancher  Beziehung  sogar  übertrifft.  Ks  ist  dies  ein  Werk, 
das  mit  Hilfe  der  Volksschullehrer  des  Landes  zustande  gekommen, 
in  der  foklorislischen  Litteratur  nicht  nur  Ungarns,  sondern  wir  kön- 
nen mit  gutem  Gewissen  sagen,  auf  dem  Gesammtgebiefe  des  Folklore 
als  Sammlung  von  Kinderspielen  den  ersten  Platz  einnimmt.  Für  den 
Volksforscher  welchen  Specialgebietes  immer  bietet  dies  Werk  ein 
unschätzbares  Materiale.  Sollte  es  Unterfertigtem  irgendwie  vergönnt 
sein,  dies  Werk  im  Auszuge  in  deutscher  Uebersetzung  grösseren  Krei- 
sen zugänglich  zu  machen,  so  wird  dies  gewiss  ehebaldigst  geschehen. 

Eine  „Classificierung  und  Charakteristik  der  ungar.  Dialekte" 
(A  magyar  nyelvjäräsok  osztälyozäsa  es  jellemzese)  hat  Josef  Halassa. 

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HÜCHEHHKSPRECHUNOEN. 


der  tüchtigste  Phonetiker  und  Lautphysiologe  Ungarns,  herausgegeben 
und  damit  den  Sammlern  von  Volksliedern  u.  dgl.  einen  recht  brauch- 
baren Leitfaden  zum  genau  phonetischen  Aufzeichnen  der  Dialekt- 
Lieder  usw.  gegeben.  Dies  Werk  sollte  der  Verf.  wenigstens  im  Aus- 
zuge deutsch  erscheinen  lassen. 

Unser  verdienstvoller  Mitarbeiter  Ludwig  Kdl.mdny  hat  heuer  den 
fünften  Band  seiner  unschätzbaren  Sammlung  magyarischer  Volksdich- 
tungen unter  dem  Titel:  „Szeged's  Volk.  Volksdichtungen  aus  Szege- 
din's  Umgebung.  III.-  (Szeged  nepe.  Szeged  vid6ke  Nepköltese)  veröffent- 
licht. In  diesem  Bande,  aus  dem  wir  demnächst  Stücke  in  deutscher 
Uebertragung  mitteilen  wollen,  sind  30  Balladen,  80  Liebes-,  60  Sol- 
daten-, 20  Hirten-,  20  Spottlieder,  250  Kinderlieder  und  Spiele,  20 
Weihnachtsspiele,  50  Gebete  und  Besprechungsformeln  ,  40  Märchen 
und  Sagen  und  40  Rätsel  mitgeteilt.  Es  ist  eine  fleissige.  fachmässige 
Sammlung,  zu  deren  Fortsetzung  wir  unserem  Herrn  Mitarbeiter  ein 
freudiges  r Glück  auf!*  zurufen. 

Alexander  /Yn/^r,  der  beste  Kenner  der  Palowzen,  hat  „für 
Freunde  in  50  Exemplaren*  13  Märchen  dieses  interessanten  ungari- 
schen Volksstammes  veröffentlicht,  von  dem  bereits  voriges  Jahr  Prof. 
J.  lstvdnffy  eine  Sammlung:  „Palowzische  Märchen  aus  der  Spinn- 
stube" (Palöcz  mes6k  a  fonöböl)  herausgegeben.  Gelegentlich  werden 
wir  etwas  aus  diesen  Sammlungen  in  deutscher  Uebersetzung  mitteilen. 

Mit  den  Slövaken  hat  sich  Josef  Nagy  befasst,  der  heuer  auf 
eigene  Unkosten  als  mittelloser  Landlehrer  ein  Werk:  „Aus  der  Hei- 
mat der  Slovaken  im  Arväer  Comilatea  (A  tötok  otthonäröl  Arvame- 
gyeben)  herausgab.  Das  gegebene  Material  hat  bleibenden  Wert,  wenn 
auch  dem  Verfasser  und  Herausgeber  des  Werkes  folkloristische  Schu- 
lung abgeht.  Sollte  uns  über  die  Volksgruppen  jedes  Comitates  des 
Landes  ein  solches  Werk  zu  Gebote  stehen,  wir  müssten  dem  Land- 
lehrerstande dann  zum  grössten  Danke  verpflichtet  sein. 

Unser  tüchtiger  Turkologe  Ign.  Kunos,  ein  Schüler  Vdtnbiry^  hat 
uns  heuer  mit  einem  Bande:  .Bilder  aus  Anatolien"  (Anatoliai  K6- 
pek)  beschenkt,  die  für  den  Literaturhistoriker,  Volksforscher  und  für 
jeden  gebildeten  Leser  eine  anziehende  Lecture  bilden.  Die  deutsche 
Ausgabe  dieses  Werke«  gibt  Unterfertigter  demnächst  heraus 

Im  Erscheinen  begriffen  sind  noch  die  finnisch-ugrischen  Studien  von 
Bernh.  Mnnkdcai  und  K.  Pdpai,  die  längere  Zeit  in  Sibirien  unter  den 
Wogulen,  Wotjaken  und  Osljaken  {reweilt  haben  und  aus  deren  reich- 
haltigen und  unschätzbaren  Sammlungen  unsere  Zeitschrift  schon  ei- 
nige wichtige  Stücke  mitgeteilt  hat.  Von  lUla  Vikdr  haben  wir  finni- 
sche, von  Gabr.  Bdlint  mongolische  und  von  Ign.  Haldsz  lappische 
Studien  in  nächster  Zukunft  zu  erwarten,  von  Joh.  Janko,  dem  Er- 
forscher des  Nildelta's  (s.  „Globus-  1891.  Bd.  LX.  Hft.  18),  aber  er- 
scheint demnächst  eine  umfangreiche,  illustrierte  Monographie  über  den 
Kalotaszeger  Bezirk  Siebenbürgens,  wo  auch  Prof.  Herrmann's  Curort 
Jegenye,  der  romantische  Aufenthalt  des  Unterfertigten  liegt. 

Dr.  Heinrich  v.  Wlislocki. 

• 

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BÜCHEKBESRECHUNGEN. 


Helwald  Frd.  v.,  Ethnographische  Rösselsprünge.  Kul- 
tur- und  volksgeschichtliche  Bilder  und  Skizzen.  Leipzig  1891.  C.  Heissner. 
416.  S  —  Der  bekannte  Kulturhistoriker  bietet  uns  in  27  Abschniiten  in 
klarer  und  leichter  Darstellung  einzelne  Kapitel  zur  vergleichenden 
Volkskunde,  in  denen  er  eben  für  den  alten  Satz,  den  schon  Peschel 
ausgesprochen  hat,  neue  Belege  herbeizieht,  dass  nämlich  bei  der  Ueber- 
einstimmung  einzelner  Erscheinungen  im  Volksleben  uns  fast  die  trost- 
lose Vorstellung  überfalle,  als  sei  das  menschliche  Denkvermögen  ein 
Mechanismus,  der  bei  der  Einwirkung  gleicher  Reize  immer  zu  den 
gleichen  Rösselsprüngen  genötigt  werde  Hiezu  bieten  R.  Andrejs, 
Ethnographische  Parallelen  ein  grosses  Material  genug,  zu  dessen  treuli- 
chem Werke  Hellwald's  Sammlung  sozusagen  ein  „volkstümliches  Pen- 
dant* bildet,  denn  jeder  Laie,  der  nur  einigen  Anspruch  auf  allge- 
meine Bildung  erheben  kann,  wird  diese  Sammlung  mit  (ienuss  lesen 
und  Belehrung  daraus  schöpfen.  Sie  liest  sich  wie  eine  Reihe  recht 
anmutiger  Feuilletons.  Dr.  H.  v.  Wlislocki. 

Andrian  Ferd,  Freiherr  v*,  Der  Höhencultus  asiatischer 
und  europäischer  Völker,  Wien  1891,  K.  Konegen.  XXXIV.  u.  385  S. 

Dies  Werk  gehört  unzweifelhaft  zu  den  treulichsten  Beitragen, 
welche  im  letzten  Jahrzehnt  uu(  dem  Gebiete  der  Ethnographie  erschie- 
nen sind.  In  der  Einleitung  gibt  uns  der  Verfasser  die  Ergebnisse,  die 
er  aus  dem  reichen  Material  der  Arbeit  gewann  und  teilt  uns  auch 
seine  Methode  mit,  die  er  bei  der  8ichtung  des  riesigen  Materiales  be- 
folgt hat.  Er  glaubt,  im  Bergcult  zwei  Vorslellungsgruppen  zu  erken- 
nen. Die  eine  beruht  auf  dein  Animismus.  auf  der  Beseelung  und  Be- 
lebung der  Natur.  Der  Berg  wird  als  Dämon  oder  als  die  Wohnung 
eines  solchen  gedacht.  Die  andere  Vorstellung,  „die  kosmische  Auflas- 
sung der  Berge"  findet  sich  nicht  überall  vor.  S.  1—366  wird  nun 
ein  umfassendes  Material  lür  den  Höhencult  zahlreicher  Völker  beige- 
bracht, wobei  die  heiligen  Höhen  der  alten  Griechen  und  Römer  nicht 
behandelt  werden,  sondern  im  Anschluss  an  dies  Werk  von  R.  /  eer 
in  einer  besonderen  Schrift  der  Untersuchung  unterzogen  worden  sind. 
Es  ist  begreiflich,  was  auch  der  Verfasser  oft  genug  betont,  —  dass 
eine  auch  nur  halbwegs  erschöpfende  Bearbeitung  dieses  Thema'« 
nicht  gegeben  werden  konnte.  Eine  grosse  Lücke  bildet  in  diesem 
Werke  u.  a.  auch  der  missliche  Umstand,  dass  der  Höhencult  der 
Magyaren  nicht  in  Betracht  gezogen  worden  ist,  wo  doch  der  Verf. 
hiezu  nur  in  den  bislang  deutsch  veröffentlichten  Märchen  und  Sagen 
der  Ungarn  bedeutend  mehr  Material  gefunden  hätte,  als  er  z.  B.  für 
den  Höhencult  der  Rumänen  aus  Müller's  Siehenbürgischen  Sagen 
und  aus  Mailands  kleinem  Aufsatze  (im  „ Ausland"  1887  Nr.  52) 
hat  schöpfen  können.  Dies  Werk  bleibt  für  kommende  Korscher  auf 
diesem  Gebiete  ein  Quellenwerk,  auf  dessen  Basis  der  Höhencult  jedes 
Volkes  in  Einzelndarstellungen  geschrieben  werden  kann,  wie  dies  Un- 
terfertigter bezüglich  der  Zigeuner,  angeregt  durch  dies  treffliche  Werk, 
bereits  getan  hat  (s.  „Journal  of  the  Gvpsy  Lore  Society"  1802.  Vol. 
III.  No  3.  S.  161  -  169) 

Dr.  H  v.  Wlislocki. 


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BÜCHERBK8PRECHUNG  KS. 


Dr.  Heinrich  v.  Wlislocki,  der  fruchtbarste  ungarische  Folk- 
lorist, hat  in  jüngster  Zeit  wieder  einige  sehr  wichtige,  interessante 
grössere  Werke  veröffentlicht,  die  wir  hier  nur  kurz  anzeigen  wollen. 
/.  Märchen  und  Sagen  der  Bukowinaer  (richtiger:  Bukowiner)  und 
Siebenbürger  Armenier.  Aus  eigenen  und  fremden  Sammlungen  über- 
setzt. Hamburg,  Verlagsanstall,  1892.  12  Bogen,  gr.  8°.  60  Märchen 
und  an  100  Sprichwörter.  Mit  kurzer  Einleitung  und  einigen  wen  vol- 
len Noten  von  Wl.  und  Hanusch;  ohne  Quellenangabe,  und  Unter- 
scheiden des  Bukowiner  und  Siebenbürger  Ursprungs.  Eine  Beurtei- 
lung des  wissenschaftlichen  Wertes  der  Sammlung  muss  daher  in 
Schwebe  bleiben,  bis  die  Urtexte  in  der  kritischen  Ausgabe  des  gali- 
zischen  Armenologen  Munzath  erscheinen  werden 

/l.  Volksglaube  und  religiöser  Brauch  der  Zigeuner.  (Darstel- 
lungen aus  dem  Gebiete  der  nicht  christlichen  Rcligionsgeschichte  IV. 
Bd.)  Münster,  1891.  XVI.  +■  184.  gr.  8°.  3  Mark.  —  Die  Fülle  des 
ganz  neuen  Stoffes  verblüfft  auch  den  Fachmann.  Der  unerschöpfliche 
Reichtum  an  Zigeuner-Analogien  für  alle  möglichen  bekannten  Erschei- 
nungen des  Volkslebens  lässl  fast  den  gelinden  Zweifel  aufkeimen,  ob 
der  so  viel  gelesene  und  noch  mehr  erfahrene  Verfasser  nicht  mitun- 
ter mehr  wahrgenommen  hat,  als  wirklich  vorhanden. 

III  Die  Szekler  und  Ungarn  in  Siebenbürgen.  (Sammlung  ge- 
meinverständlicher, wissenschaftlicher  Vorträge.  Herausg.  v.  B.  Vir- 
ehow  u  W.  Wattenbach.  Neue  Folge.  Heft  137.  Hamburg,  1891.  40 
Seiten,  50  Pfennig.)  Wl.  ergänzt  nun  seine  in  dieser  hochangesehenen 
weitverbreiteten  Sammlung  über  die  Zigeuner,  Sachsen  und  Rumänen 
veröffentlichten  Arbeiten  mit  dieser  netten  und  liebevollen,  lebendigen 
uud  sachlichen  Darstellung  der  Eigenschaften,  des  Lebens  und  Webens 
des  Hauptvolkes  dieses  ethnographisch  unvergleichlich  interessanten 
Landesteiles,  und  hat  sich  dadurch  ein  neues  bedeutendes  Verdienst 
um  die  heimische  Volkskunde  erworben.  A.  H. 

Hunfalvy- Alb  um.  —  XXIV.  +  208  Seiten  gr.  8".  Mit  Hun- 
falvy's  Porträt  u.  einem  Facsimile.  Budapest,  1891.  V.  Hornyänszk's 
Verlag.  Preis  3  11.  —  Dieses  prächtige  Gedenkbuch  haben  die  Vereh- 
rer Paul  Hunfalvy \s  aus  dem  Anlasse  herausgegeben,  dass  50  Jahre 
um  sind,  seit  die  Ungarische  Akademie  der  Wissenschaften  Hunfalvy 
zum  Mitgliede  gewählt  hat.  Der  Jubilar  ist  kurz  vor  Erscheinen  des 
Albums  verblichen,  und  die  Jubelschritt  ist  zum  Epitaphium  geworden! 
Ein  prächtiges  Trauerdenkmal,  womit  33  hervorragende  ungarische 
Gelehrte  in  30  Aufsätzen  aus  den  verschiedenen,  von  Hunfalvy  culti- 
vierten  Disziplinen  dem  hochverdienten  Jubilar  den  Zoll  ihrer  Vereh- 
rung abgetragen. 

Der  biographische  Abschnitt  ist  etwas  karg  bemessen ;  in  unser 
Gebiet  gehört  A.  Herrmanns  Aufsatz:  Hunfalvy  als  Ethnograph.  Der 
zweite  Abschnitt  zur  ungarischen  Philologie  enthält  in  11  Artikeln 
manches  Interessante,  aber  wenig  Hervorragendesund  ganz  Neues.  Durch- 
wegs bedeutend  sind  die  5  Aufsätze  zur  finnisch-ugrischen  Philolo- 
gie im  dritten  Abschnitt,  von  denen  wir  anführen:  B.  Vikar,  Kalevala, 

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BÜCHERBESPRECHUNGEN. 


IX.  runo,  mit  Einleitung.  —  B.  Munkäcsi,  Der  wogulische  Brauch  des 
Bäreneides;  u.  K.  Päpai,  Heirat, bei  den  Wogulen.  (Wol  die  beiden 
für  uns  bedeutendsten  Arbeiten.)  —  Der  vierte  Abschnitt  enthält  14 
Artikel  aus  verschiedenen  Gebieten  und  von  verschiedenem  Werte. 
Näher  interessieren  uns:  L.  R6thy,  Die  ungarische  Liiteratur  u.  d.  Ru- 
mänen. —  A.  Szilägyi,  Die  sieben  bürgische  Gesetzgebung  und  die  Ru- 
mänen. —  .1.  Goldziher,  Die  Dichter  in  der  Auffassung  der  allen  Ara- 
ber, mit  einen  schätzbaren  Nachtrag  von  B.  Munkäcsi.  —  J.  Kunos, 
Aus  dem  Epos  Köroglu.  —  G.  Alexi,  Der  Rabe  in  der  rumänischen 
Volkspoesie.  —  L.  Katona,  Die  nächsten  Aufgaben  der  Märchenfor- 
schung. —  A.  Strausz,  Bulgarische  Volkslieder.  —  Recht  verdienstvoll 
ist  A.  Hellebrandt's  chronologische  Zusammenstellung  derlitt.  Arbeiten 
Hunfalry's  in  284  Nrn,  (Redactionen.  selbständige  Werke  und  Aulsätze). 
Die  erste  Arbeit  sind  Dresdener  Briefe,  1839,  die  letzte  eine  Recension  über 
A.  Herrmann's,  Alternativen  zur  rumänischen  Ethnologie,  1890.  —  Wir 
vermissen  einige  nicht  unwesentliche  Nummern,  so  die  sehr  bedeutende  Re 
cension  über  0.  Herman's  Buch  der  ungarischen  Fischerei  in  den  Ethnolo- 
gischen Mitteilungen  aus  Ungarn,  I.  1888.  2.  Hell.  Sp.  152—160,  und  die 
bedeutsame  Eröffnungsrede  in  der  Volkversammlung  der  Ges.  f.  d.  Völ- 
ker*. Ungarn.  (Ethnographia,  II.  169—171.)  A.  H. 

Erdäly.  (=  Siebenbürgen.)  Von  dem  illustrierten  Organ  des  un- 
garisch-sieben bürgischen  Karpaten- Vereins  ist  soeben  das  erste  Heft 
(1892.  Januar)  in  einem  Umfange  von  31/*  Bogen  erschienen.  Von 
grosser  Wichtigkeit  für  die  Volkskunde  ist  diese  neue  Zeitschrift  da- 
rum, weil  sie  neben  der  besonderen  Berücksichtigung  der  für  Siebenbür- 
gen so  bedeutsamen  Balneologie  im  Hauptrahmen  der  Turistik  der  Eth- 
nographie dieses  Landesleiles  (Fachreferent  A.  Herrmann)  den  ihn 
gebührenden  hervorragenden  Platz  anweist.  Als  volkskundliche  Auf- 
sätze führen  wir  an:  Graf  Geza  Kuun,  Über  die  Brodnik  (rumänische 
Nomaden).  —  Dr.  J.  Jankö.  Über  das  magyarische  Volk  von  Kalota- 
szeg.  —  H.  v.  Wlislocki,  Wanderzeichen  der  siebenbürgischen  Zigeu- 
ner. (Auszug  aus  dem  Artikel  in  den  Elhn.  Mitt.)  —  Diese  höchst 
beachtenswerte  Zeitschrift  erscheint  monatlich  einmal,  im  Sommer  zwei- 
mal, und  wird  den  Mitgliedern  des  Vereins  gegen  den  Jahresbeitrag 
von  2  fl.  gratis  geliefert.  Redacfeur  1).  Radnöti.  A.  H. 

Bolgdr  n&pköltesl  gyiijtemtny.  (Sammlung  bulgarischer  Volks- 
poesien). Mit  unedierten  bulgarischen  Originaltexten.  Übersetzt  und 
mit  Unterstützung  der  bulgarischen  Regierung  herausgegeben  von  Adolf 
8trausz.  Mit  bulgarischer  Vorrede  von  Dr.  I).  Ivan  Öiämanov.  Buda- 
pest, 1892.  2.  Bd.  XVI.  +  334  und  393  Seiten.  Preis  6  fl 

Es  erscheint  uns  seitens  der  Führer  des  bulgarischen  Volkes  als 
e*a  bedeutsames  Zeichen  politischer  Reife  und  klaren  Einblickes  in  die 
Tiefen  des  Völkergedankens,  dass  sie  jetzt,  am  Beginn  der  zweiten  Epo- 
che der  nationalen  Selbständigkeit  das  Studium  ihres  Volkstums  so  sehr 
m  den  Vordergrund  treten  lassen.  Sie  scheinen  es  gar  wol  zu  wis- 
sßn,  dass  das  der  sichere  Ausgangspunkt,  die  feste  Grundlage  für  die  or- 
ganische Entwickelung  der  nationalen  Kultur  ist,  die  Vergangenheit 

82 


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BCCUEKKK8PRECHUNOEN. 


ein  verlässlicher  Wegweiser  in  die  Zukunft,  der  im  Ethnischen  sich 
offenbarende  Volksgeist  ein  tiefeingreifender  Factor  der  nationalen 
Politik.  Die  bulgarische  Regierung  selbst  lässt  durch  einen  der  hervor- 
ragendsten Vertreier  der  modernen  Kultur,  den  Sectionsschef  i.n  Kul- 
tusministerum,  Dr.  Ivan  D.  Sismanov  den  Sbornik  redigieren,  eine  gross- 
artige wissenschaftliche  Sammlung  zur  bulgarischen  Landes-  und  Volks- 
kunde, mit  eminent  ethnographischer  Färbung. 

Aus  dieser  Sammlung  ist  das  hier  angezeigte  ungarische  Werk  ge- 
schöpft. Ungarn,  das  sonst  so  sehr  berufen  wäre,  zwischen  Ost  und  West, 
zwischen  Nord  und  Süd  geistige  und  materielle  Kultur  zu  vermitteln,  lässt 
sich  zwar  diese  Mission  nicht  sehr  angelegen  sein,  und  aus  der  vorliegenden 
Publication  wird  der  Westen  nicht  viel  Kenntnis  des  bulgarischen  Volks- 
geisles  schöpfen  Umsomehr  aber  die  ungarische  Nation,  deren  aufrichtige 
Sympathie  für  alle  wahren  und  edlen  Freiheitsbestrebungen  die  Leiter  des 
bulgarischen  Volkes  wol  zu  würdigen  wissen,  die  dessen  bewusst  sind,  dass 
das  Eindringen  in  die  bulgarische  Volkspsyche  nur  geeignet  ist,  diese  Sym- 
pathien zu  stärken.  Auch  war  aut  Grund  der  ungarischen  Edition  das  Zu- 
standekommen einer  deutschen  Ausgabe  (welche  der  Referent  mit  dem  He- 
rausgeber der  ungarischen  vorbereitet)  gleichfalls  in  Aussicht  genommen. 
Und  es  bot  die  bulgarische  Regierung  in  lieberalster  Weise  die  Hand  zur 
Schaffung  dieses  Buches,  des  grössten  in  der  ungarischen  Litteratur,  das 
sich  mit  dem  Folklore  eines  fremden  Volkes  befasst. 

Wir  wollen  hier  nicht  aut  eine  genauere  Beurteilung  des  Werkes  ein- 
gehen, sondern  nur  kurz  seinen  Inhalt  besprechen.  Der  erste  Band  enthält 
auf  Seite  I — XVI.  das  sehwung  und  taktvolle  Vorwort  Sismanovs  sammt 
ungarischer  Übersetzung.  S?ite  1  —  löl  die  Einleitung  des  Übersetzers,  in- 
teressante Aufsätze  über  Volkspoesie  und  deren  Editionen,  über  Volks- 
glauben. Sitte  und  Brauch  der  Bulgaren  mit  Musikproben;  aus  denen  be- 
sonders die  eingehende  Schilderung  der  Eheschliessung  hervorgehoben  zu 
werden  verdient.  Diese  ziemlich  breit  angelegte  Einleitung  erhebt  zwar  kei- 
nen Anspruch  auf  fachgemiisse  Wissenschaftlichkeit,  ist  aber  genug  geeig- 
net, den  ungarischen  Lesern  weiterer  Kreise  in  anziehender  Weise  ein  an- 
schauliches Bild  des  Volkslebens  in  seinen  Hauptzügen  zu  geben,  und  sie 
in  den  Stand  zu  setzen,  die  Sammlung  selbst  zu  verstehen.  Nun  folgen  unter 
70  Titeln  verschiedene  Kategorien  von  Volkspoesien,  und  auf  S.  321—331. 
Anmerkungen.  —  Der  zweite  Band  enthält  aut  S.  1 — eine  wertvolle 
Sammlung  von  ungedruckten  bulgarischen  Originaltexten,  denen  dann  die 
ungarischen  Übersetzungen  folgen,  weiters  wieder  Übersetzungen  aus  schon 
veröffentlichten  Quellen,  im  ganzen  1 09  Titel:  endlich  Anmerkungen  S. 
376-  390.  —  Die  Übersetzungen  nnd  nett  und  flott,  mitunter  etwas  flüch- 
tig, aber  immer  verständig  und  recht  gut  zu  geniessen.  Mit  übertriebener 
Genauigkeit  sind  bei  den  meisten  Dichtungen  die  Gewährsleutea  ngegeben, 
was  wir  bei  Übersetzungen  nicht  suchen,  wol  aber  den  Hinweis  darauf,  wo 
das  schon  veröffentlichte  Original  zu  finden  ist.  —  Die  Anmerkungen  bieten 
manches  Belehrende  und  zum  Verständnis  der  Dichtungen  Erwünschte. 
—  Strausz  hat  sich  durch  diese  grosse,  mühselige  Arbeit  sowol  um  die  bul- 
garische Volkspoesie.  als  auch  um  die  ungarische  Litteratur  grosse  Ver- 
dienste erworben.  A.  H. 

183 


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Sl'RACHMONOI'OL. 


Sprachmonopol. 

Der  Anlass,  dass  wir  in  diesem  Heft  die  Übersetzung  eines  unge- 
druckten Karagöz-Spieles  von  Ignaz  Kunos  veröfTeni liehen,  erinnert 
uns  an  eine  Expectoralion  des  Herrn  Dr.  Luschan,  der  im  höchst 
verdienstvollen  „Internationalen  Archiv  für  Ethnographie"  1889.  einem 
schönen  Artikel  über  „Das  türkische  Schattenspiel"  eine  Nachschrift 
anhängt,  die  uns  nahe  interessierende  wichtige  prinzipielle  Fragen  be- 
rührt, die  wir  daher  reproducieren,  und  uns  dabei  einige  Bemerkun- 
gen erlauben.  Hr.  Luschan  schreibt: 

„Während  der  Drucklegung  des  Schlusses  dieser  Arbeit  wird  mir 
die  Schrift  von  Dr.  Kunos  Ignäcz  zugänglich,  in  der  Form  eines  Son- 
derabdruckes —  aus  einer  Zeitschrift,  unter  dem  Titel :  ,Härom  karagöz- 
jatek  1886,  in  Budapest  erschienen.  Sie  enthält  drei  vollständige  Texte 
in  Transcription  und  in  ungarischer  Üeberselzung,  ausserdem  ein  Vor- 
wort von  5,  und  einen  Schluss  von  15  Seiten,  meist  mit  Noten,  wie 
es  scheint,  sprachlichen  Inhalts  —  auch  diese  leider  in  ungarischer  Spra- 
che. Erscheint  es  schon  eigentümlich  türkische  Texte  gerade  nur  in 
ungarischer  Üeberselzung  zu  veröffentlichen,  so  wäre  es  um  so  mehr 
zu  erwarten  gewesen,  dass  wenigstens  der  Titel  und  die  wenigen  Blät- 
ter, welche  die  Texte  einleiten  und  abschlissen,  auch  in  einer  euro- 
päischen Sprache  mitgeteilt  würden.  Die  Schrift  wäre  mit  dieser  ge- 
ringen Concession  an  die  ausserhalb  des  Globus  von  Ungarn  woh- 
nende Menschheit  sofort  einem  grossen  Leserkreise  näher  gerückt,  und 
zunächst  auch  allen  Orientalisten,  denen  die  türkische  Transcription 
den  ursprünglichen  Text  ersetzt,  ohne  weiteres  verständlich.  Vielleicht 
veranlassen  diese  Zeilen  den  Herrn  Verfasser,  wenigstens  Anfang  und 
Schluss  seiner  Schrift  auch  in  einer  allgemeiner  verständlichen  Sprache 
zu  veröffentlichen;  einstweilen  kann  ich  nicht  einmal  darüber  klug 
werden,  ob  die  iranscribirlen  Texte  dem  Herausgeber  gedruckt  vorge- 
legen haben,  oder  nur  in  Handschrift  oder  mündlicher  Überlieferung 
—  jedenfalls  aber  sind  dieselben  von  grosser  Wichtigkeit,  so  dass  ich 
nicht  verfehlen  darf,  die  Aufmerksamkeit  der  Fachleute  auf  dieselben 
zu  lenken". 

Es  gereicht  uns,  die  wir  stolz  darauf  sind,  uns  die  Anerkennung 
strenger  Unbefangenheit  verdient  zu  haben,  und  die  wir  uns  ja  bei 
unsern  Mitteilungen  der  deutschen  Sprache  bedienen,  —  also  es  ge- 
reicht uns  zu  grosser  Freude  und  Genugtuung,  wenn  wir  ähnlichen 
Vorwürfen  bezüglich  der  ungarischen  Sprache  begegnen,  und  wir  wünsch- 
ten, das  derlei  litterarische  Delicte  je  öfters  und  an  je  ansehnlicherer 
Stelle  (wie  z.  H.  in  Mommsen's  Corpus  Inscr.)  uns  solche  Vorwürfe 
zuziehen  mögen.  Würden  nur  die  ungarischen  Schriftsteller  und  Ge- 
lehrten einige  hundert  solche  Werke  schaffen,  bei  denen  es  den  Eu- 
ropäern recht  leid  täte,  dass  dieselben  in  ungarischer  Sprache  verfasst 
sind,  dann  kämen  wir  allmählich  dahin,  dass  es  der  Mühe  wert  wäre, 
ungarisch  zu  verstehen,  was  für  hoch  Civilisierte  nicht  so  gar  un- 
möglich sein  kann,  wenn  man  bedenkt,  dass  wir  Halbbarbaren  in  Un- 


184 


SPRACHM  ONOPOL. 


garn  neben  melireren  Landessprachen  so  viele  ..Cultursprachen"  er- 
lernen, wie  kein  westliches  Volk.  Wenn  man  unserer  Sprache  bedürfte, 
wenn  sie  eine  unentbehrliche  Litteratur  hätte,  würde  man  sie  schon 
erlernen,  und  sie  würde  wol  auc  i  in  die  Vorzugsciasse  „europäischer" 
Sprachen  rangiert  werden.  Dass  ungarische  Schriftsteller  nach  diesem 
hohen  Ziele  streben,  darf  man  ihnen  wol  nicht  verargen. 

Wir  müssen  noch  aufrichtig  gestehen,  dass  es  uns  keineswegs  so 
ganz  u  gar  eigentümlich  erscheint,  türkische  Texte  gerade  nur  in 
ungarischer  Übersetzung  zu  veröffentlichen.  Die  Herrn  „europäischen" 
Turkologen  mögen  es  gnädiglich  zur  Kenntnis  nehmen,  dass  (da  die 
türkischen  Studien  zu  den  Grundlagen  magyarischer  Ethnologie  u. 
Philologie  gehören)  ausser  dem  hier  inkriminierten  Buche  in  ungari- 
scher Sprache  auch  noch  andere  wichtige  osmanische  Studien  erschie- 
nen sind  und  erscheinen  werden,  deren  der  Fachmann  füglich  nicht 
wird  entraten  können 

Noch  ein  Wort  zum  ungarischen  „Globus."  Einem  jeden  Volke 
ist  sein  Land  sein  Kosmos,  und  so  soll  es  auch  sein.  Die  Ungarn  ha- 
ben sich  »las  ihrige  genug  sauer  verdient:  dieser  „Globus"  war  lange 
das  Hollwerk  abendländischer  Kultur,  und  es  geziemt  den  Monopolis- 
ten der  Civilisalion.  besonders  den  Orientalisten,  nicht  im  mindesten, 
über  das  Desireben  der  Ungarn,  des  Reiches  und  Volkstums  der  Vä- 
ter hier  im  Halborient  gelreu  zu  warten,  vornehm  „europäisch"  zu 
spötteln.  ■«  A.  H, 


Magyarische  Volks  bailaden. 

i. 

MolnAr  Ann».  •) 

Machte  auf  sich  Ajgö  Martin 
Aul  gar  weilen  Weg  zur  Waldschlucht, 
Traf  am  Weg  er  Molnar  Anna: 
„Komme  mit  mir.  MolnAr  Anna, 
Mit  auf  weiten  Weg  zur  Waldschlucht. M 
„„Kann  nicht  kommen,  Ajgö  Martin, 
Hab  mein  Heim,  mein  liebes,  holdes, 
Säug'  am  Düsen  süsses  Söhnlein." 
Rief  und  rief  er  sie,  sie  säumte, 
Raubte  rasch  sie  aus  der  Sölde 

Wallten  sie  zu  zwein  nun  weiter 

Auf  dem  Wildsteg,  hin  zur  Waldschluchl ; 

Stund  am  Weg  ein  stämm'ger  Richbaura, 

•)  Vgl.  Ethnol.  Mitt.  I.  1.  Heft,  Spalte  80. 


10 


ADOLF  HAHDMANN 


Setzten  sich  in  seinen  Schatten. 
„Blick'  mich  an  doch,  weis'  dein  Antlitz:' 
Fiel  aus  Anna's  Aug'  ein  Tropfen. 
,Was  denn  weinst  du,  Molnar  Anna?* 
,„Wein'  ja  gar  nicht,  Ajgö  Martin  ; 
Tauestropfen  träuft  der  Baum  nur, 
Traun,  im  Mittag  steht  die  Sonne."" 
Stieg  hinan  am  Stamm  des  Baumes, 
Umschau  halten,  Ajgö  Martin, 
Glitt  zur  Erd'  sein  prlcht'ger  Pallasch. 
.Reich'  mir,  reich*  mir  meinen  Pallasch!" 
Warf  sie  jäh  empor  den  Pallasch, 
Bohrt1  der  prall  in  seine  Brust  sich. 

Mummte  sich  nun  Molnar  Anna 
Ein  in  Ajgö  Martins  Kleider. 
Kehrte  heim  zu  ihrem  Hausherd, 
Stund  dort  vor  der  Solde  stille. 

»Stiller  Hauswirt,  frommer  Hauswirt, 
Gibst  mir  Herberg  für  die  Nacht  heut  ? 
„  .Hoher  Herr !  kann  keine  geben, 
Hab'  ein  kläglich  schreiend  Söhnlein." * 
Bat  sie  ihn  da,  bis  er  nachgab. 

»Stiller  Hauswirt,  guter  Hauswirt, 
Gibt's  wol  guten  Wein  im  Weiler? 
Wollt1  zum  Nachtimbiss  ein  Krüglein. * 
Gieng  um  Wein  der  gute  Gatte, 
Knöpfte  sie  sich  auf  den  Dolman, 
Säugte  satt  ihr  schreiend  Söhnlein. 

Übersetzt  von  Adolf  Handmann 
II. 

Die  drei  Waisen. 

, Wohin  geht  ihr,  ihr  drei  Waisen?' 
„Gehn  in  Frohndienst  weithin  reisen!" 
, Bleibet,  bleibt  doch,  ihr  drei  Waisen ! 
(Jehl  in  Dienst  nicht,  geht  nicht  reisen!' 

,Geb'  euch  Hut  lein  drei  vom  Herde, 
Schlagt  damit  die  Friedhofserde!4 
„Mutter  lieb!  entsteig'  dem  Grabe, 
Näh'  das  Kleid  uns,  gib  uns  Label" 

IM 


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MAGYARISCHE  VOLKSBALLADEN 


„Kann  ja  rühren  nicht  die  Hände, 
Drücken  rings  mich  Bretterwände ; 
Nennt  doch  neue  Mutter  euer, 
Näht  das  Kleid  euch,  schürt  euch's  Feuer.« 

«Kämmt  sie  uns  und  wäscht  die  Glieder, 
Trieft  das  Blut  am  Leib  uns  nieder; 
Gibt  sie  Brot  aus  Hirsenkorne, 
Schilt  sie  uns  und  flucht  im  Zorne.* 

Übersetzt  von  Adolf  Handmann. 


in. 


(Originaltext  in  Abafi'B  ZfacLr  „Figyalo*  1876.) 

Einstens  hau'  ein  König  eine  schöne  Tochter, 
Golden  war  ihr  Haar  und  sternenlicht  ihr  Auge; 
Reich  mit  Diamanten,  Perlen,  Silber,  Golde 
Schmückte  man  die  Königsmaid,  die  holde. 

Einstens  hatt'  ein  König  einen  schönen  Sohn, 
Golden  war  sein  Schwert  und  silbern  war  sein  Ross 

Einstens  hatt1  ein  König  einen  schönen  Sohn, 
Und  ein  and'rer  König  eine  Tochter  schön. 

Von  sechs  stolzen  Rossen  kam  der  Prinz  gefahren, 
Freile  bei  dem  König  um  die  Königstochter; 
Königssohn  erhielt  zum  Weib  die  Königstochter,  — 
Eine  ganze  Woche  dauerte  die  Hochzeit. 

Königssohn  fuhr  mit  der  Gattin  draut  von  dannen 
Auf  dem  schönen  Wagen  mit  den  goldnen  Radern. 
Als  sie  in  den  tiefen  Waid,  den  dunklen,  kamen. 
Vier  Haiducken  hielten  grimmig  an  den  Wagen. 

„Einen  P guten  Morgen"  wünschen  wir  dir  Prinzlein, 
Noch  zu  dieser  Stund'  musst  du  dein  Leben  lassen  I* 

—  Tut  mir  nichtz  zu  Leide,  lasst  mir  nur  das  Leben, 
All  mein  Gold  und  Silber  will  ich  gern  euch  geben! 

Bat  die  Königstochter:  .Räuber,  ihr  vier  Räuber, 
Lasst  uns,  lasst  uns  leben;  wollet  uns  nicht  tödten!" 


—  Hör'  uns  schöne  Königstochter,  hör*  uns  an, 
Du  allein  kannst  retten  deinen  Ehemann; 
Wenn  bei  unsrem  Hauptmann  du  drei  Nächte  schläfst, 
Unverletzt  könnt  ihr  dann  beide 


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fl.  WLULOCKI 


Eingewilligt  in  den  Vorschlag  hatten  beide, 
Königstochter  schlief  beim  Hauptmann  drei  dor  Nächte: 
Doch  am  vierten  Morgen  fiel  durchs  Schwert  der  Riiube- 
Ihres  Gatten  Haupt,  das  Haupt  des  Königssohnes. 

„Gott  sei  deiner  Seele  gnädig,  Gatte  mein, 
In  dem  Jenseits  werden  wir  uns  wiedersehn  !* 

„„Gott  beschütz1  dich  süsse,  teure  Ganin  mein, 
In  dem  Jenseits  werden  wir  uns  wiedersehn  !uu 

11  o.  Wlhlocki. 

IV. 

Magyarisches  Volkslied. 

(Originaltext  in  Kdlmäny'  Koszoru.f  etc.  LS  11  ) 

Dort,  aus  jenem  dunklen,  tiefen  Moor 
Wächst  die  Lilie,  wächst  die  IW  empor; 
Schlanke  Lilie,  weisse  Kose, 
Du  betrogst  mich,  du  Herzlose! 

Eine  Blume  war  ich  auch  einmal, 
Doch  jetzt  bin  ich  welk,  verblüht  und  fahl: 
Dich,  du  Falsche,  will  ich  meiden, 
Will  auf  immer  von  dir  scheiden! 

In  die  Welt,  die  weite,  will  ich  ziehn. 
Weil  in  öde  Fernen  will  ich  lliehn, 
Namenloses  Leid  und  Schmerzen 
Im  gebrochnen,  kranken  Herzen. 

Nur  das  bittre  Leid  folgt  meiner  Spur 
Und  begleitet  mich  durch  Wald  und  Flur, 
Flüstert  mir:  dass  du  geb. ochen 
Hast  die  Treu,  die  du  versprochen! 

H.  v.  Wlhlocki. 


Aus  dem  Munde 
i. 

Ene,  bene, 
Ekate,  pekate, 
Schliri,  potsche, 
Quinqua,  quinqua, 
Semelepa. 

Atscheine,  tatscheine,  Schopf 


ier  Ofner  Sehwaben. 

2. 

Der  Heidi  Pupeidl  steht  draussen, 
Er  wüll  ma  mei  Kinderl  mausen, 
her  Heidi  Pupeidl  steht  hinter  der 

Tür, 

Wann'st  nit  glei  einschläfst , so  kommt 

er  herfür 

1Ö8 


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AÜ8  DEM  MÜNDE  DER  OFNER  SCHWABEN. 


3. 

Ziserlbaum,  Ziserlbaum 
Wachs  in  mein  Garten, 
Wann  a  schens  Maderl  kommt, 
Sag,  sie  soll  warten. 
Wann  sie  nil  warten  will, 
Sag,  i  bin  gsturm; 
Wann's  driber  traurig  wird, 
Sag,  i  kum  morgn. 

4. 

Ei  ei  ei 

Sagt  mei  Weib, 
Knederln  soll  i  kochen, 
Hab  ka  Salz, 
Hab  ka  Schmalz, 
's  Heferl  is  ma  brochen. 
Wie  i  wüll  zum  Hafner  laufen, 
Wüll  a  anders  Heferl  kauten. 
Kommt  a  klana  Mann  doher, 
Kennt  mi  übern  Haufen. 

5. 

Guter  Freund,  ich  frage  dich, 
Sag  mir,  was  ist  eins? 
Eins  und  eins  ist  Gott  der  Herr, 
Der  da  lebt  und  der  da  schwebt 
Am  Himmel  und  auf  Erden 

Mitgeteilt 


Guter  Freund,  ich  frage  dich, 

Sag  mir,  was  ist  zwei? 

Zwei  Tafel  Moses, 

Eins  und  eins  ist  Gottder  Herr  u.  s.  w. 

Guter  Freund  ich  frage  dich, 
Sag  mir,  was  ist  drei? 
Drei  Patriarchen, 
Zwei  Tafel  Moses, 
Eins  und  eins  u.  s.  w. 

Guter  Freund,  u.  s.  w. 
Vier  Evangelisten,  u  s.  w. 

Fünf  Gebote  der  Kirche,  u.  s.  w. 

Sechs  steinerne  Wasserkrüg, 
Die  der  Herr  hat  angefüllt, 
Zu  Kanaa  in  Galilea  u.  s.  w. 

Sieben  Sakramenten. 
Acht  Seligkeiten. 
Neun  Chöre  der  Engel. 
Zehn  Gebote  Gottes. 
Elftausend  Jungfrauen. 
Zwölf  Eigenschaften. 

von  Frau  Josefine  Weisz-Findczy. 


Deutsches  Volkslied  aus  Siebenbürgen. 

Die  Schwalben,  sie  fliegen 
Hoch  über  das  Dach: 
Meine  Seele  möcht'  fliegen 
So  gern  ihnen  nach. 

Möcht  fliegen  so  gerne 
O  Liebchen  zu  dir, 
Doch  hat  sie  ka  Flügel,  - 
0  wehe,  weh  mir! 

18* 


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DEUTSCHES  VOLKSLIED  AU8  SIEBENBÜRGEN. 


0  Schwalbe,  o  fliege 
Aus  da'm  Nest  hinaus, 
Meine  Grüsse,  o  bringe 
Zu  Liebchens  Haus! 

Schaust  du  sie  in  der  Küche, 
Sag':  ich  lass  sie  küssen; 
Schaust  du  sie  im  Hofe, 
Sag':  ich  lass  sie  grüssen; 
Schaust  du  sie  vor'm  Tore, 
Sag*,  das«  auseinander,  — 
Auseinander  wir  müssen! 

(Aus  Grosspold).  Mitgeteilt  von  H.  v.  Wlisloeh. 


Bulgarisches  Volkslied. 

(Original  in  Strausz,  Bolgär  n6pköH6si  gyttjtemäny,  II.  Bd.  S.  14.) 

Sprach  der  Sultan  so  zur  Penka: 

„Penka,  du  mein  f-üsses  Täubchen, 

Wenn  du  werden  willst  mein  Weibchen, 

Kauf  ich,  Penka,  zum  Talare 

Dir  die  schönste  Seidenware, 

Eine  Atlas-Öalavare. 

Eine  HalsketV  geh,  ich,  Holde, 

Dir  aus  meiner  Mutter  Golde." 

Sprach  die  Penka  so  zum  Sultan: 

„Sultan,  nicht  mag  ich  dich  leiden, 

Bist  ein  garstger,  wüster  Heide; 

All  dein  Walten  Fluch  und  Schand  ist, 

Schnöd  dein  Glauben,  öd  dein  Land  ist. 

Wisst  vom  Mittwoch  nichts,  noch  Freitag, 

Und  der  Werktag  ist  nicht  euer, 

Habt  am  Sonntag  keine  Feier; 

Wollt  das  Bairamfest  begehen, 

Könnt  es  aber  nicht  erspähen; 

Suchet  es  nach  allen  Winden, 

Könnt  mit  Flinten  nur  es  finden." 

Sprach  der  Sultan  so  zur  Penka: 
»Penka.  du  mein  süsses  Täubchen, 
Alle  deine  Schwägerinnen 
Sind  schon  in  Idriu  Kadinnen; 
Deine  Dever  all  zusammen 
Sind  in  Isirlin.sk  Sultane. u 

190 


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BULGABISCHE8  VOLKSLIED. 


Sprach  die  Penka  so  zum  Sultan: 
„Sultan,  nicht  mag  ich  dich  haben; 
Nehm'  mir  einen  meines  Glaubens, 
Nimm  dir  eine  deines  Glaubens!' 

Übersetzt  v.  A.  H. 


Fiumaner  italienissches  Volkslied. 


Te  go  deto  tante  volte, 
Che  nun  voio  fior  in  testa, 
Ne  de  giorno  de  festo, 
Ne  de  giorno  de  lavor. 

Mi  go  fatlo  lutto  questo 
Per  maridarmi  presto,  presto, 
Mi  go  fetto  camisola 
Col  brindulin  Celeste. 


Muss  ich  dir  so  oft  es  sagen, 
Sollst  am  Kopf  nicht  Blumen  tragen. 
Weder  an  den  Feiertagen, 
Noch  an  einem  Werkeltag. 

All  das  tat'  ich  zu  dem  Ende, 
Einen  Mann  zu  fah'n  behende, 
Machte  mir  drum  auch  ein  Hemde 
Wol  mit  einem  blauen  Band. 


Aufgezeichnet  von  Prof.  M.  Storzina,  übers  v.  A.  H. 


Kolomyjka  (ruthenisohes  Volkslied.) 


Nu  haju  zelenenkij,  nu  haju,  nu 

haju, 

Na  mene  sja  buky  lamjjut,  ja  nie 

ne  hadaju. 

Na  mene  sja  buky  lanujut,  a  palidi 

tefiut, 

Bo  za  mene  molodejku  soäidicM 

breöut. 

Aj  breäite  soSidici,  za  kym  me2i 

vami, 

Jak  ja  pijdu  /.  mefci  vas,  bijte 

holovami ! 

Aj  pospivaj,  poScebeci,  sivoj  holu- 

boöku, 

Po  nad  moi  vißka  öorni,  po  nad 

holovodku ! 

Aj   pospivaj,   poäcebeci,  jaznoje 

potjatko, 


In  dem  Hain,  dem  grünen  Haine,  in 
dem  Hain,  im  Haine, 
Zweige  brechen  auf  mich  nieder,  — 
werd'  darum  nicht  greinen. 
Zweige  brechen  auf  mich  nieder, 
werden  wol  zu  Stecken  — 
Mich  die  junge  Maid  bebelfernd 
Nachbarinnen  necken. 
Belfert  Nachbarinnen,  bis  ich  nicht 
von  hinnen  wander', 
Wenn  ich  fort  gewandert,  schlagt  die 
Köpfe  aneinander! 
Singe  mir,  oh  graue  Taube,  girre 
mir  mit  Munkeln  — 
Über  meinem  Haupte,  über  meinem 
Aug',  dem  dunkeln. 
Singe  mir,  oh  Frühlingsvogel,  zwit- 
schre  nach  Belieben. . . 


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KOLOMYJKA. 


Pan  Bin  znaje,  sco  dilajc  moje  so-  liott  der  Herr  nur  mag  es  wissen,  wo 

koljatko.  mein  Falk'  geblieben. 

Oj  §co  moje  sokoljatko  dilaje,  dt-  Oh  mein  kleiner  Falk,  was  für  ein 

laje,  Leben  mag  er  führen? 

Pizno  Ijihat,  rano  vstaje,  na  strungu  Legi  sich  spät,  erwacht  früh,  setzt 

öidaje.  sich  auf  die  CJattertüre. 

In  Alsö-Hidegpatak,  Marmarosvr  Oomitat,  aufgezeichnet  von  Prof.  A.  Petrow 
ans  St.-Petersburg. 

Ubersetzt  von  A.  H 


Lieder  der  Spaniolen.  *) 

Cantica  al  vino.  Lied  an  das  Wein. 

Bendieo  el  que  te  cria  Ich  preise  den,  der  dich  ersehnt 
en  la  vifia,  In  dem  Weinslock; 

Siempre  te  topes  Du  bist  willkommen  stets 
en  mi  tripa.  Mir  im  Hauche. 

Bendieo  el  que  te  cria  Ich  preise  den    der  dich  erschul 
en  el  campo.  Auf  dem  Felde; 

Siempre  te  topes  Du  bist  willkommen  stets 
en  mi  papo.  Mir  im  Munde. 

A  una  novia 

Ai  novia,  eslrella  muy  alta, 
Vuestra  hermosura  me  arla, 
Non  veamos  vuestra  talla, 
Para  que  goze  lo  amor. 

Ai  novia  de  grande  rijo, 
Bienes  tengas  como  el  mijo. 
AI  afio  vos  nasca  hijo, 
Para  que  gozö  lo  amor 

An  eine  Braut 

Oh  Braut,  du  Stern  mit  hehrem  Prangen, 
Dein  Beiz  hält  unsern  Sinn  gefangen. 
Dass  alle  Sehelsucht  uns  vergangen; 
Weil  wir  gefröhnt  der  Lieb', 

Oh  Braut,  du  herrlich  Lustbegehren, 
Hast  Schätze,  wie  die  Weizenäliren, 
Wirst  einen  Sohn  aufs  .lahr  gebären  — 
Weil  wir  gefröhnt  der  Lieb'. 

*)  Terte  durcii  gutige  Vermittlung  der  Fran  Wcisz-Neuhaus  in  Pancsova; 
Uber*,  o  es.  H. 


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Vom  Journal  of  Ute  Gypsy  Loi^e  Society, 
diesem  so  vortrefflich  redigierten,  gehaltreichen  Organ  der 
Zigeunerkunde,  wird  im  April.  1.  J.  das  letzte  Heft  erscheinen. 
Um  diesen  von  allen  Fachgenossen  schwer  empfundenen 
Abgang  einigermassen  zu  decken,  wird  unsere  Zeitschrift, 
die  im  klassischen  Lande  des  Zigeunertums  erscheint  und 
auf  dieses  Fach  auch  bisher  grosses  Gewicht  gelegt  hat, 
fürderhin  die  Zigeunerkunde  ganz  besonders  cultivieren  und 
9ich  als  internationales  Organ  des  Gypsy-Lore  betrachten. 
Wir  ersuchen  alle  Mitstrebenden  um  ihre  werte  Mitwirkung. 

Der  Herausgeber. 
Von  den  „ Ethnologischen  Mitteilungen  aus  Ungarn" 

ist  Bd.  II.  Heft  1 — •*>  als  Festgabe  an  die  Mitglieder  des  II. 
internationalen  Folklore-Cougresses,  London,  1891,  verteilt  wor- 
den. Denjenigen  unserer  geehrten  Interessenten,  von  denen  wir 
voraus  gesetzt  haben,  dass  sie  auf  diese  Weise  in  den  Besitz 
jener  Lieferung  gelangt  sind,  haben  wir  dieselbe  nicht  zuge- 
schickt. Wir  ersuchen  hiemit  diejenigen  Volks  forscher,  denen  das 
gegenwärtige  Heft  zugegangen  ist,  die  aber  Heft  1 — 5  nicht 
erhalten  haben,  uns  hierüber  gefälligst  zu  verständigen. 

Die  Administration  der  £  M.  a.  U. 


Inhalt  der  .Ethnograpnia."  1891  II  Bd  VII  -VIII.  Heft.  (8  Bogen):  Jankö 
J  ,  Kalotaszeger  Volksglaube.  —  Weber  S.,  Wohnung  und  Zimmereinrichtung  der 
Zipser  Sachsen.  —  Balassa  J..  Visontaer  Volkslieder  und  Kinderspiele  —  Hinter 
AI.,  Das  „Aasgeigen."  —  Istränfly  Jul ,  Rätsel  der  Palowzen.  —  Szivös  B,  Mar 
chen  u.  Volksl.  aus  Hajdu-Szoboszlö.  —  Kiss  Ar.,  Volksglauben  aus  Porcsalma.  — 
Juhäsz  Mor.,  Der  Wassergeist  im  Hern  Ad.  —  P.  K.  Ethnographie  auf  der  Prager 
Ausstellung.  —  Vereinsnaclirichlen  (Ch.  Leland's  Bericht  Über  den  Londoner  Kolk- 
lore-Congress.  —  Sitzungsprotokoll.)  —  Inländ.  Litteratur.  —  Ausländ.  Litteratur. 
Inländische  Zeitschriften.  —  Ausländische  Zeitschriften  —  Verschiedene  Mitteilungen. 

IX.  Heft.  November  1891.  (3  Bogen):  Herman  Otto,  Qlo^kenstimmen  und 
noch  etwas.  —  Herrmann  Ant.,  Die  Millennium-Ausstellung  u.  die  Ethnographie.  — 
Lehoczky  Th..  Aus  dem  Hirtenleben  der  Russen  in  Ungarn.  -  Vräbely  Mich.,  Die 
Ruthenen  im  Bacskaer  Comiut.  —  Wlislocki  H  ,  Feuerbesprechungen  d.  Zigeuner.  — 
Jllesy  J.,  Beitrüge  zum  einheimischen  Volksglauben.  —  Benkö  Andr.,  Volksglauben 
aus  Häromszek.  —  Srötb  P.,  Rumänischer  Volksglauben  a  der  Marmaros.  —  Ki- 
raly  P,  .PalazubU4;  Volkagl  a.  ügocsa.  -  Inl.  Litteratur.  -Ausländische  Littera- 
tur. —  Inländi-sche  Zeitschriften.  —  Ausländ.  Zeitschriften.  —  Vereinsnachrichten. 
—  Verschiedene  Mitteilungen. 

X.  Heft.  Dezember  1891.  (3  Bogen):  Paul  HunfaUy  f.  —  Hunfalvj-Jubilaeum 
(1.  Xantus  Joh.,  Begrfissung;  2.  Hunfalvy's  Erwiderung;  3.  Herrmann  A.,  Hunfalvy 
als  Ethnograph;  4.  Rethy  Ladislaus,  H's  Stellung  in  der  Litteratur.)  —  Istvänffy 
Jul.,  Weinachtsspiel  der  Palowzen.  —  Wlislocki  H.,  Diebszauber  d.  Zigeuner. 
Nagy  Jos.,  Regöles.  —  Hannath  Luise,  Volksglauben  am  Nyarad.  —  Bartha  Jul.,  Ethn. 
Beiträge  a.  d.  Ermellek  (Eierwerfen.  Soldatenlied,  Volksglauben)  —  Göncxi  K, 
Croatische  Ballade  a.  d.  Muraköz.  —  Ausländ  Litteratur.  —  Inländ.  Litt  —  Ausl. 
Zeitschriften.  —  Inl.  Zeitschriften.  —  Vereinsnachrichten.  —  Verschiedene  Mittei- 
lungen. 


Inhalt  der  Ethnologischen  Mitteilungen  aus  Ungarn,  sogleich  Aazeiger  der 
Gesellschaft  fiir  die  Völkerkunde  Ungarn-«.  II.  Band  VI    VIII.  Heft 


Dr.  Bernhard  Munkacsi.  Kosmogonischo  Sagen  der  Wogulen 

I.  Die  heilige  Sago  von  der  Entstehung  der  Erde  (Schluss).  105. 

III.  DasLied  von  der  Überschwemmung  des  Himmels  und  der  Erde  109. 

IV.  Die  Sage  von  der  heiligen  Feuerflut  A.  B.  C   121. 

V.  Heiliges  Lied  von  der  Herablassung  der  Erde  aus  dem  Himmel  126. 

Dr.  Heinrich  v.  Wlislocki,  Wanderzeichen  der  Zigeuner   133. 

Ludwig  Kalmany,  Kosmogonische  Spuren  in  der  magyarischen  Volksüber- 

lieferung.  II.  Vom  Siindenfall   139. 

Dr.  lgnaz  Kuno«,  Türkisches  Puppentheater  (Karagöz-Schaukelspiel)  148. 
Dr.  Lndwig  Katona,  Recht  und  Unrecht  Ein  magyarisches  Märchen.  II. 

Varianten  und  Parallelen   159. 

Bertalan  Matirko.  Dio  Zipser  Volkssage  von  Kasparek   1B2. 

Samuel  Weber,  Die  Kleidung  der  Zipser-Suchsen   165. 

Heia  Lasar,  Über  don  „Gavaboncziäs  diik"   i66. 

Dr.  Ladislaus  Rethy,  Oolonien  der  Spanier  in  Ungarn   168. 

Fr.  S.  Kahne.  Die  Klementiner  in  Slavonien  .    .    169. 

Paul  Hunfalvy  f   175. 

BOcherbesprechungen   176. 

Paul  Sebillot,  Devinettes  de  la  Haute-Bretagne  (l<run**i    ....  176. 

M.  Haberlandt,  Der  altindische  Geist  (Kram»)  ...        ....  177. 

Ethnologische  Litteratur  Ungarns  (Wlislocki)     .........  178. 

Frd.  v.  Hellwald,  Ethnographische  Rösselsprünge    Wlislocki)    .    .  180. 

Frd.  v.  Andrian-Werburg,  Der  Höhencultus  (Wti»h«ki)   180. 

Wlislocki,  Märchen  und  Sagen  der  Bukowinaer  und  Siebenbürgor 

Armenier  \A.  II)    181. 

Wlislocki,  Volksglaube  und  religiöser  Brauch  der  Zigeuner  (A.  H.)  181. 

Wlislocki,  Die  Ungarn  und  Szekler  in  Siebenbürgen  [A.  II)    .    .  181. 

Strausz  Adolf,  Bolgar  nepköltesi  gyüjtemeny  (A.  H.)   182- 

A.  H.  Sprachmonopol   184. 

Volspoe$icn 

Magyarische  Volksballaden 

Molnar  Anna  (Adolf  Handmann)   185. 

Die  drei  Waisen  (Handmtrnnj    ....    186. 

Königssohn  und  Königstochter  (Wlishvki)   187. 

Magyarisches  Volkslied  (W7iV«*i)   188. 

Aus  dem  Munde  der  Ofner  Schwaben  (Jose/ine  W'eisz-Findczy)  .    .  188. 

Deutsches  Volkslied  aus  Siebenbürgen  (Wli»locki\     .    .   .   .    .    .  189 

Bulgarisches  Volkslied  (Stroits:  —  A.  H  )  .  .    ]  90- 

Fiumaner  italienisches  Volkslied  (Sforzlna  —  A.  II.)    ...  1 91. 

Kolomyjka  (ruthenisches  Volkslied)  (Prtrou-  —  A  H.)   191. 

Lieder  der  Spaniolen  (Weisz-Netthau*  -  A.  H.)   192. 

Auf  dem  Umochliige  : 

Mitteilungen  der  Redaction,  des  Herausgeber  und  der  Administration. 

Vom  Gypay  Lore  Journal 

Inhalt  der  „Ethnographia"  1891.  VII-X 


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IL  Band. 


1891— 1892. 


IX— X.  Heft. 


-*3 


ZUGLEICH 


ANZEIGER  DER  GESELLSCHAFT  FÜR  DIE  VÖLKERKUNDE  UNGARNS. 


BEGRÜNDET  UND  HERAUSGEGEBEN  VON 


JProf.  Dr.  Anton,  J^errrnanri. 


REDIGIERT  VON 


ANTON  HERRMANN  und  LUDWIG  KATONA. 


Der  II.  Band  besteht  aus  10  Heften  in  3  Lieferungen.  Preis  3  fl.  Für  Mitglieder 
irgend  eines  Vereins  für  Volkskunde  2  fl.  Wird  auch  im  Tausch  gegen  Publica- 
tionen  zur  Volkskunde  abgegeben.  (Direct  vom  Herausgeber  zu  beziehen). 


Redactton  und  Administration 
Budapest,    I.  AttUa-utcza  47. 


KOLOZSVÄR 

DRUCKEREI  OER  ACTXEHQE8ELL8CELAFT  „KÖZJIÜVRLÖDES.- 

189a. 


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Gesellschaft  für  die  Völkerkunde  Ungarns. 


Das  am  30.  Nor.  v.  J.  erfolgte  Hinscheiden  Paul  Hunfalvg's,  ihre."  ersten  Prä- 
sidenten, hotte  den  Organismus  der  Gesellschaft  erschüttert  Die  directe  Activität  des 
hochbetagten  Verewigt  n  beschränkt  ■  sich  zwar  im  Vtr<  iusleben  grösstenteils  au  f  den 
Vorsitz  bei  Versammlungen  die  er  run  seinem  lohen  Stand  punkte  nut  f,ri>s*ter  Um- 
sicht und  Weisheit  leitete.  Aber  seine  unbestrittene  Autorität,  sehte  n:e  beirrte  Objec- 
tieitäl  sicherte  der  Gesellschaft  den  glücklich  angebahnten  H  eg  hastlosen,  zi>  Ibrir Hus- 
ten, unangefochtenen  Fortschrittes  lUe  neue  iJiscijilm  der  Volkskunde  hat  überall 
grosse  Schwierigkeiten  zu  bew  illige»,  auch  in  Ländern,  wo  sie  nicht  o  jung  ist,  wie 
hier.  Und  doch  konnte  unser  Verein,  dank  d>  m  Eifer  seiner  Begrüw'er,  seine  Tätig- 
keit mit  600  Mitgliedern  beginnen  deren  Anzahl  mit  Ausgang  des  zweiten  .Jahres  >>l)0 
überstieg,  eine  Zahl,  wie  sie  keiner  der  gleichst  rebenden,  mitunter  mit  D,cennien 
bestehenden  Vereine  des  Auslandes  aufweisen  kam,.  Hei  der  Jieurteilung  der  Tat- 
sache, dass  ein  Teil  der  Mitglieder  in  der  Erfüllung  der  Vereiuspflichten  saumselig 
war,  wäre  zu  berücksichtigen,  dass  die  Gesellschaft  für  Völkerkunde  keine  energische- 
ren Mas.-, regeln  zur  Anwendung  brachte,  wie  solche  im  Vereinzelten  h;>  rzu'ande  üblich 
sind  Hieeon  und  rom  Verhalten  der  höchsten  wissenschaftlichen  un<l  ojlicielien  h  reise 
abgesehen,  a  ar  das  Interesse,  das  den  redlichen  Ptstrcbunyen  d-  r  G>  Seilschaft  ent- 
gegen gebracht  wurde,  ein  befriedigendes.  In  den  monatlich  abgehaltenen  Vortrngs- 
und  Ausschasssitzungen  entfaltete  der  Verein  eine  stolut> nmäs<ig,  nspriessliche  Tä- 
tigkeil. Das  mit  Ausnahme  einiger  Dopprf hefte  regelmässig  monatlich  zur  Aasgabe 
gelangle  Vereinsorgan  (jährlich  äOBogtn)  brachte  gor  manchen  werteaHen  Beitrag  zur 
heimischen  I  VA*/,  unde 

Mit  dem  Tode  Hunfulnfs  brach,  ohne  zwingende  innere  Xotwendigki  it,  eine 
Krise  über  den  Verein  tu  r<  in.  Die  Art  und  H  eise,  n  ie  diese  beigt  legt  win  de,  führte 
ben  ähe  zur  Katastrophe  die  nur  dank  dem  inusscollen,  »clhstcntäussernden  Ge- 
bähten der  tatsächlichen  Begründe'-  und  bisherigen  Verwalter  des  )'ereines  und  dem 
tateifri'/en  Ein  /reifen  ei»iwer  anderer  berufener  Kräfte  verum  den  u erdi  n  kannte. 

Die  durch  das  Hinscheiden  des  ersten  Präsidenten  entstandene  mäch/ige  Leere 
eröffnete  nämlich  solchen  Strömungen  den  Zugang,  die  rom  Stechen  nwh  radicalrr 
Unn/estaltung  geleilet  wurden  Reformhastend  wurde  dii  grutu  legende  Organisation 
gänzlich  verworfen,  die  erreichten  Resultate  wurden  negiert  Such  einem  uncreptick- 
lichen  Larieren  nötigten  endlich  die  unleidlichen  Verhältnisse  die  Fuuctionäre,  welche 
seinerzeit  den  »n  isten  Anteil  an  dem  Zustandekamnn  n  des  Vt.re  'ns  gehabt  hoJtcn, 
sich  von  der  Administration  zurückzuziehen.  Gänzliche  Auflösung  schien  zu  drohen. 

Die  unsst  forden  fliehe  Generuf  rersau  nduug  rom  Oktober  brachte  a>cr  den- 
Verein  glücklich  wieder  ins  rechte  Geleise.  Besonder  die  W  ahl  d<r  Fuuetionlire 
scheint  uns  -in  dauerndes  gedeihliches  Fort «  i>  K  en  zu  verbürgen.  Zum  Präsidenten 
wurde  Graf  Ge'ca  Kuun,  der  weltberühmte  Herausgeber  des  kanonischen  (  »-Ii der 
hervorragende  Fartor  auf  allen  Gebieten  heimischer  f'ultur  gewühlt.  I 'ieeprüsidenten 
sind  Dr.  Aurel  v  Torök,  der  allbekannte  verdienstrolle  Anthropolog,  und  Dr,  Bern- 
hard Muukdcsi,  der  hochverdiente  Siberienreisende  und  Erforscher  van  Sprache  und 
Volkstum  ural-altaischer  Stämme  So  ist  durch  die  l>t  iden  d  e  phgsische  utd  psechische 
Richtuno  der  Volkskunde  auf  das  glücklichste  vertreten  Zum  Secretär  uunlc  Bela 
Vikar  gewonnen,  der  Redacteur  der  modernen  Revue  „Elet",  einer  der  vielseitigeren 
Litteraten  und  liebenswürdigsten  Persönlichkeiten  im  ungarischen  Geistesleben.  Das 
hochwichtige  Amt  des  Redart  lui's  des  Amtsorgans  errang  sich  der  junge,  elf rige  Volks- 
forscher Dr.  Johann  Jankö,  der  als  Custos-adjanct  der  ethnographischen  Sammlungen 
zugleich  die  Bibliothek  des  Vereines  zu  venealten  haben  wird.  Auch  Schriftführer 
und  Ausschuss  entsprechen  ulhn  gei  echten  Anforderungen.  Wenn  es  noch  ge- 
lingt, an  Stelle  des  hochverdienten  ('assiers  Dr.  Samuel  Bororszkg,  der  sein  Amt 
schon  am  Eingang  der  Reformperiode  niederlegen  wollte,  und  den  hiezu  jetzt  Ge- 
sundheitsrücksichten zwingen  Dr.  Josef  Särmag  zu  gewinnen,  so  wird  sich  die  Ad- 
ministration in  den  besten  Händen  befinden.  Möge  der  zu  wichtigen  Dingen  berufen* 
Verein  wieder  kräftig  gedeihen  und  unentwegt  und  ungestört  seine  hohen  Ziele 
verfolgetu 

Zum  Beitritt  meldet  man  sich  beim  Secretär  Bf  In  Vikar,  (Budapest,  IV.  Ma- 
gyar uteza  'Jd.  III  )  Die  Mttglicdgebiihr  beträgt  jährlich  3  fi.  und  w>rd  hiefür  die 
Quartalschrift  „Ethnographia*  geliefert.  (Redaction :  Budapest,  Csengery-utcza  12) 


I 

II.  Jahrgang.  Budapest,  1892.  IX.  X.  Heft. 


milOffll  11IWI 1  UNGARN 

ZUGLEICH 

ANZEIGER  DER  GESELLSCHAFT  FÜR  DIE  VÖLKERKUNDE  UNGARNS. 

BEGRÜNDET  UND  HERAUSGEGEBEN  VON  PROF-  DR.  ANTON  HERRMANN. 

REDIGIERT  VON 

ANTON  HERRMANN  LUDWIG  KATONA 

B«cr«tir  d.  Get«Uichaft  f.  d.  Völkerkunde  Schriftfoarer  d.  GeeelUcn.  f.  d.  Völkerkunde 

Ungarn«.  Ungern». 


Deutsche  Volkspoesie  in  Ungarn.  *) 

A)  Xordostungarn,  Bereger  Comitat.  Gegend  von  Bardhdz. 
Aufgezeichnet  von  Theodor  Uhoczky,  Munkäcs. 


Ich  weiss  nicht,  was  mir  fehlet, 
Ich  sterb  von  Ungeduld, 
Mein  Herz  ist  zum  Zergehen, 
Das  ist  die  Liebe  schuld. 

Du  Tochter,  willst  du  heiraten? 
Ja,  Mutter,  ja. 

Willst  du  einen  Schneider  haben? 
Nein.  Mutter,  nein. 
Hosen  flicken  werd  ich  nicht. 
Einen  Sehneider  will  ich  nicht. 

Zu  Strassburich,  zu  Strassburich, 
Ein  wunderschöne  Stadt. 
Darin  da  liegt  begraben 
Ein  manicher  Soldat. 

Ihr  Mutter,  die  gieng 
Yoren  Hauptmann  sein  Haus. 
Ei  Hauptmann,  mein  liebster  Haupt- 
Gibt  mir  mein  Sohn  heraus  [mann, 


I. 

0  ja,  ja,  ja,  du  Liebe, 
Du  hast  mich  krank  gemacht, 
Du  hast  mich  armes  Mädchen 
Ins  Todtenbett  gebracht. 

II. 

Du  Tochter,  willst  du  heiraten? 
Ja,  Mutter,  ja. 

Willst  du  einen  Bauer  haben? 
Ja,  Mutter,  ja. 

Ochsen  hüten  kann  ich  schon, 
Erdäpfel  graben  werd  ich  schon. 


III. 


Ich  geb  Euch,  ich  geb  Euch 
Für  ihn  so  viel  Geld. 
Euer  Sohn,  Euer  Sohn  muss  sterben 
Im  weiten,  breiten  Feld.  .  . 

Dort  vor  dem  Feind,  dort  stand  ein 
Schwarzbraunes  Mädelein, 
Sie  trauert,  trübt  und  weint, 
Sie  kränkelt  sich  so  sehr. .  . 
Ei  grüsst  dich  Gott,  schönes  Schätz- 
ich sehe  dich  nie  mehr.  [chen, 


*)  Vgl.  Ethnographia,  1892.  Januarheft. 

*•)  In  Bardbiz  wohnen  an  230  Deutsehe  mit  Rathenen  vermischt  1728— 17<>8 
wurden  hier  etwa  22  Familien  aus  Kleinberg  und  Kleinzwedl,  dann  aus  Österreich 
und  Böhmen  angesiedelt. 


Hermann,  Etk:,t>logUcne  Mitteilungen.  II.  193 


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THEODOR  LEHOc  ZKY 


IV 


Ich  hab  ein  Schatz, 

Und  den  soll  ich  meiden. 

Soll  vor  ihn  vorbeigehn 

Und  kein  Wort  nicht  auf  ihn  reden. 

Wie  soll  denn  nicht  mein  Herzchen 

Im  Leib  zergehn' . . . 

Ei  liebet  nicht  so  sehr, 
Als  ich  geliebet  hab' 
Sonst  stürzet  euch  die  Liebe 
Vor  Zeiten  ins  Grab. 

Ihr  Jungfräulein 
Alle  insgemein, 
Sollt  bei  meinem 
Begräbnisse  sein. 

In  Pressburg  auf  der  Brücke, 


Ihr  sollt  mir  helfen 

Legen  ins  kühle  Grab 

Und  weil  ich  euch  von  Herzen 

Treu  geliebet  hab', 

Seht  wol  an  den 

Zweiten,  dritten  Tag, 

Da  wuchsen  zwei  Veilchen 

Aus  ihrem  kühlen  Grab. 

Darauf  da  steht  geschrieben  : 
Verborgen  war  die  Liebe, 
Gott  hat  sie  schon  hier 
Genommen  in  sein  Quartier. 
Das  Feuer  auf  der  Erde 
Das  brennt  nicht  so  heiss. 
Als  die  verborgene  Liebe. 
Die  niemand  weiss.  .  . 


v. 


Bei  Frau  Meisterin  zu  schlafen, 


Schreibt  mir  mein  Schatz  ein  Brief,    Ist  kein  Gesellenbrauch. 
Darauf  da  steht  geschrieben,  Viel  lieber  bei  der  Tochter 

Der  Winter  steht  vor  Thür. . .        In  ihrem  rothen  Bett.  .  . 


Gesellen,  wollt  ihr  hier 
Zehn  Thaler  leih  ich  euch, 
Und  wenn  ihr  gut  arbeitet, 
Da  fünfe  schenk  ich  euch. 


Herr  Meister,  jetzt  wollen  wir  wan- 
Jetzt  ist  die  Wanderzeit,  ^  [dem, 
Denn  ihr  habt  uns  diesen  Winter 
Mit  sauren  Kraut  gespeist.  . 


Wenn  euch  das  Brod  zu  hart  ist,  Sie  nehmen  Stock  in  Hände, 

So  laset  euch  backen  weich,  Verlassen  das  Quartier, 

Und  wenn  euch  das  Bett  zu  hart  ist,  LTnd  ziehen  fröhlich  weiter 

So  schlafts  bei  meinem  Weib.  Weiter  vors  Meisters  Thür. . 


vi. 


Es  waren  Schwestern  dreie, 
Die  jüngste  unter  ihnen  war 
Schwarzbraunes  Mädelein, 
Die  lasst  den  Herrn  herein. 


Von  Bodenloch  schmeisst  sie  ihn 

heraus. 

Er  fallt,  das  war  zu  hoch,  o  wei, 
Erbricht  sich  alle  Rippen  inzwei, 
Schwarzbraunes  Mädelein. 


Sie  führet  ihn  in  alle  Winkel  aus,    Sogar  das  linke  Bein. 


194 


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DEUTSCHE  VOLKSPOESIE  IN  UNGARN. 


VII 


i 
{ 

I 


Ein  Mädel  wehlt  (V)  wohl  wohi 

In  dem  grünen  Klee, 

Da  begegnet  ihr  ein  Kitter. 

Ja  Ritter,  ja  Ritter, 

Er  breit'  sein  Mantel  auf: 

Liebstes  Mädchen,  liebstes  Mein, 

Komm,  ruhe  wenig  aus. 

Warum  soll  ich  denn  schon  ruhen, 

Ja  ruhen,  ja  ruhen? 

Ich  hab  noch  wenig  Gras. 

Ich  habe  zuhaus  eine  schlimme  Mut- 

Die  haut  mich  alle  Tag.  [ter, 

So  sag,  du  hast  geschnitten, 

Geschnitten,  ja  geschnitten 

Zwei  halbe  Finger  ab. 

Warum  soll  ich  mit  Lügen 

Meine  Mutter  betrügen, 

So  möcht  mir  übel  gehen. 


Viel  lieber  sag  ich  die  Wahrheit, 
Ja  Wahrheit,  ja  Wahrheit. 
Der  Ritter  ist  mein  Mann. 

Mutter,  liebste  Mutter  mein. 
Schenk  mir  zweihundert  Thaler, 
Dann  kauf  ich,  was  ich  will. 
Mädchen,  liebstes  Mädchen  raein, 
Thaler  hab  ich  nicht  viel. 
Dein  Vater  hat  verrauschet, 
Rauschet,  ja  rauschet. 
Bei  Würfel  und  Kartenspiel  .  . 
So  pack  dir  deine  Kleider  zam, 
Zam,  Kleider  zam, 
Und  maschier  mit  Reiter  fort. 
So  klag  ich  Gott  im  Himmel, 
Ja  Himmel,  ja  Himmel, 
Ein  armes  Mädchen  ich  bin! 


VIII. 

^»AVirtshaus  w  ird  man  hoch  geehrt,    Trink  einmal,  trink  einmal. 
Dort  braucht  man  nichts  nur  Geld ;    So  lebe  ich  und  du, 
Liebster  Bruder,  trink  einmal.         So  lebe  ich  und  du. 


IX. 


Der  Wächter  auf, 

Der  Wächter  auf  der  Ziele  stand, 

Die  Buben  auf  zu  wecken, 

Ja  wecken,  ja  wecken. 

Das  Madel  soll  früh  aufstehen, 

Frisch  Wasser  geht  sie  holen, 

Da  begegnet  ihr  derselbe  Knab, 

Der,  der  bei  ihr  geschlafen  hat 

Er  wünscht  ihr  ein  guten  Morgen, 

Ja  Morgen,  ja  Morgen. 

Gut  Morgen,  gut  Morgen.  . . 

Herztreuester  Schatz, 


Wie  hast  du  heut  geschlafen. 

Ja  schlafen,  geschlafen  ? 

Ich  habe  geschlafen  auf  einen  Arm, 

Und  habe  mein  Ehre  verschlafen, 

Mein  Ehre  verlassen.  .  . 

Ich  hab  gemeint,  ich  lasse  dich 

Zur  Kirche  führen. 

Mit  Pfeifen  und  Trommel 

Und  Musizieren. 

Und  daweil  lass  ich  es  bleiben, 
Lass  ich  es  bleiben.  .  . 


195 


14* 


TTTEOPOR  LEHOCZKY 


X. 


.Geistlicher  will  ich  weiden, 
Ein  Geistlicher  will  ich  sein. 
Wenn  ich  das  Gloria  patri  sing, 
So  kommt  mir  mein  herzgeliebtes 
Schätzerl  in  Sinn. .  . 
Oh  Himmel,  was  hab  ich  gethan! 
Die  Liebe  ist  schuld  daran; 
Gehe  ich  im  Gasserl  auf  und  ab, 
Da  sehe  ich  zwei  Lieben  beisammen 

stehen; 

Undichmussin  mein  Kloster  gehen. 

Stehe  ich  am  hohen  Berge,  (Thal, 
Schau  ich  hinunter  ins  tiefe  tiefe 
Da  sieh  ich  Schitilein  fahren, 
Darinnen  viel  Reiter  waren. 
Der  allerjüngste  Reiter, 
Den  ich  im  Schifflein  sah, 
Er  gab  einmal  zu  trinken 
Aus  einem  venedischen  Glas. 
Warum  gibst  es  mir  zu  trinken 
Warum  schenkst  du  mir  den  Wein  ? 
Ins  Klosterlein  will  ich  gehen, 
Will  die  Gottesdienerin  sein. 
Bei  der  Nacht  um  Mitte, 
Der  Schleier  trennet  schwer. . . 
Pferdeknecht,  liebster  Pferdeknecht 

mein, 

Sattel  mir  und  dir  ein  Pferd, 
Ins  Kloster  wollen  wir  reiten, 
Das  Reiten  ist  schon  wert  


O  Himmel,  was  habe  ich  gethanf 
Da  kommt  meine  Mutter  und  Vater 

daheim, 

Sie  kommen  und  suchen  mich  heim. 
Da  kommt  mein  Bruder  und  Schwes- 

terr 

Sie  kommen  und  schauen  mich  an. 
0  Himmel,  was  habe  ich  gethan! 
Die  Liebe  ist  schuld  daran. 
Und  ich  muss  in  der  Kutte  nach  harn ! 


XI. 


Wie  sie  zum  Kloster  hin  kommen, 
Ganz  traurig  klopft  er  an: 

Ist  mein  Herzenslieb  darinnen, 
Soll  ein  wenig  ausergehen. 
Sie  darf  nicht  ausergehen, 
Ihre  Haare  sind  abgeschnitten, 
Zu  einer  Nonne  ist  sie  bereit. 
Er  setzt  sich  auf  sein  Pferd 
Und  reit  ein  wenig  dahin, 
Sein  Herz  zersprang  in  Stücke, 
Vom  Sattel  fällt  er  herab. . . 
Mit  ihrem  kleinen  Messer 
Sie  macht  ihm  das  Grab, 
Mit  ihren  schwarzbraunen  Äugeln 
Sie  ihm  das  Weichwasser  gab. 
Bist  dus  wegen  meiner  gestorben 
Und  hast  gelitten  den  Tod, 
So  denk  an  Jesum  Christi, 
Der  selig  machen  kann. 


XII. 


Kleine  Rose,  grüne  Blätter, 
Streichelt  mir  mit  leiser  Hand, 

Und  mit  Bändlein  umgegeben  

Tröste  mich  Mädchensgesang  

Was  nützte  mir  mein  junges  Leben, 


Wenn  ich  nichts  zu  lieben  hab. 
Einzeln  gehe  ich  in  Garten, 
Schneid  die  schönste  Rose  ab, 
Trag  sie  vor  den  grossen  Spiegel, 
Sie  gefreut  ihr  Wunderkeit. 


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l> KITSCHE   VOLKSPOESIE  IN  UNGARN. 


Vater  Mutter  will's  nicht  haben, 
Schönster  Schatz  das  weisst  du  wohl, 
Thu  mir  nur  die  Wahrheit  sagen, 
Wenn  ich  wieder  kommen  soll. 


Wenn  die  Berglein  sieh  werden  nei- 

[gen, 

Und  die  Donau  neiget  sich, 
Und  die  Distel  tragen  Feigein, 
So  lang  werd  ich  lieben  dich. 


XIII. 


Jetzt  fängt  sich  schon  das  Früh- 

[jahr  an, 
Und  alles  fängt  zu  grünen  an, 
Das  Vöglein  singt,  das  hört  man 

[schon, 

Bei  der  Nacht,  bei  Sonnenschein, 


Und  alle  Sternlein  leuchten  fein, 
Jezt  geh  ich  zu  mein  Schätzerlein. 
Da  seh  ich  schon  ein  andern  drin, 
Jetzt  geh  ich  Uber  Berg  und  Thal 
Dort  singen  schön  die  Nachtigal. 


XIV. 


Dort  oben  auf  dem  Berge, 

Dort  stehen  zwei  Rosesträuchlein; 

Gebogen  bis  zu  der  Erde, 

Dort  lege  ich  mich  darunter. 

Da  träumet  mich  ein  Träumelein, 

Als  wenn  ich  schlaf  bei  der  Junge 


Bardhäz,  Bardhäz  muss  ich  meiden, 
O  du  wunderschöne  Stadt; 
Darin,  darin  muss  ich  verlassen 
Meinen  auserwählten  Schatz. 
Wrenn  ich  über  die  Gasse  gehe, 
Alle  Leute  schauen  auf  mich; 
Aus  meinen  Äugelein  fliesst  Wasser 
Als  der  grösste  Donaufluss. . . 
Spielet  auf,  ihr  Musikanten, 
Spielet  auf  ein  Seitengespiel, 
Meiner  Herzliebsten  zu  gefallen  — 
Siehe  dich  heut  und  nimmermehr. 
Rosmarin,  du  grüner  Stengel, 


Wie  ich  früh  erwache. 
So  steht  das  alte  Kammerweib 
Bei  meinem  Bett  und  lachte  fein 
Für  ein  Stüklein  weisses  Brod 
Und  für  ein  Gläslein  Wein. 


XV. 

Wünsch  mein  Schatz  ein  gute  Nacht, 
Weil  ich  sie  verlassen  muss. .  . 
Wie  ich  über  die  Brücke  gehe, 
Wend'  ich  mein  Äugelein  hin  und 

her, 

Stadt  Bardhäz,  Bardhäz 
Zeiget  mir  den  Rückenkehr. 
Schönster  Schatz,  du  kannst  ja 

schreiben, 
Schreibe  mir  ein  Briefelein, 
Und  schick  zu  mir  mit  die  kleinen 

Waldvögelein  — 
Sieh  dich  heut  und  nimmermehr. 


197 


LUDWIG  BARÖTI 


XVI.«) 

Aus,  und  aus,  und  aus  und  aus,  Ein,  und  ein,  und  ein,  und  ein, 

Bei  den  Rezis  Tor  hinaus.  In  Hansel'  sein  Tor  hinein, 

Ob  sie  werden  gliiklich  sein,  Ob  sie  werden  glüklich  sein, 

Das  weiss  der  liebe  Gott  allein.  Das  weiss  der  lirfbe  Gott  allein. 

Maschieren,  maschieren. 


B)  Deutsche  Volksballaden  aus  Sudungarn. 
(Aus  Orczyfalva  u.  Merczyfalva.**) 
Aufgezeichnet  ton  Karl  Grünn.  Mitgeteilt  durch  Ludtcig  Baröti 
1.  Der  Schmiedage8ell.  *••) 

Es  war  einmal  ein  Schmiedsgesell,  l) 

Ein  gar  ein  wunderschönes  Blut, 

Der  beschlaget  dem  jungen  Markgrafen  seinen  Wagen, 

Und  der  war  schön  und  gut. 

Und  als  der  Wagen  verfertiget  war, 

So  legt  er  sich  nieder  und  schlief, 

Da  kam  dem  jungen  Markgrafen  seine  Frau, 

Mit  heller  Stimme  und  rief: 

»Ach  Schmiedsgesell  fein,  Schmiedsgesell  mein, 
Steh'  auf  und  lass  mich  hinein ! 
Bei  nander  wollen  wir  schlafen, 
Mein  eigener  sollest  du  sein  a 

Und  wie  sie  geglaubt  han,  sie  wären  allein, 
So  führet  der  Teufel  das  Kuehlmensch  *)  nein. 

ntAch  Herr,  ach  Herr,  ach  strengster  Herr, 
Gross  Wunder  um  unserer  Frau: 
Sie  schlaft  beim  schwarzbraunen  Schmiedsgesell, 
Ja  Schmiedsgeselle  allein!4"4 

* )  Wird  gesungen,  wenn  die  Braut  vom  Elternbaus  w  eg,  und  naoh  der  Trauung, 
wenn  sie  ins  BräutigamshauR  eingeführt  wird 

**)  In  Merczyfalva  (Merczydorf)  wurden  1734  Italiener,  1752  Franzosen  an- 
gesiedelt; diese  verschmolzen  aber  mt  den  1765  u.  1770  zumeist  aus  Trier,  Loth- 
ringen u.  Luxemburg  eingewanderten  Deutschen.  Orczyfalva  ist  eine  Niederlassung 
von  Schwarzwäldern  aus  dem  Jahre  1785. 

***)  Vgl.  Wunde rhom,  (R.)  S.  455— 466.  Simrock,  102—104  S  4«?. 

')  Im  Wunderhorn  und  bei  Simrock:  ein  Zimmergesell. 

»)  Im  Wundernhorn  und  bei  Simrock:  das  älteste  Kammerweib. 

1<»8 

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DEUTSCHE  VOLKSPOESIE  IN  UNGARN. 


Und  als  der  junge  Markgraf  es  erfuhr, 
Ein'n  Galgen  Hess  er  bau'n, 
Von  rothen  Gold  und  Edelgestein, 
FüYn  Schmiedsgeselle  allein. 

Und  als  der  Galgen  verfertiget  war, 
So  Hess  man  ihn  führen  hinaus. 
Da  kommet  Pardon  vom  Kaiser: 
Man  soll  ihn  lassen  aus. 

Was  zog  dem  jungen  Markgrafen  seine  Frau 
Aus  ihrer  riechenden  Tasche? 
Fünfhundert  Stück  von  rothem  Gold. 
Für'n  Schmiedsgeselle  allein. 

„Ach  Schmiedsgesell  fein,  Schmiedsgesell  raein, 
Wo  reis't  denn  du  es  jetzt  hin?" 
„„In  Pesth  und  Ofen  bin  ich  es  gewesen, 
Jetzt  reis'  ich  wieder  nach  Wien."" 

..Wenn  du  es  das  Geld  verzehret  hast, 
So  kommst  und  schläfst  wieder  bei  mir. 
Wenn  dir  s  der  Wein  zu  sauer  ist, 
So  lass  dir  einschenken  ein  Bier." 


2.  Das  Lied  vom  Ringe.  *) 

Es  waren  drei  Soldaten, 
Spazieren  woll'n  sie  gehn. 
Spazieren  sein  sie  gegangen, 
Am  Rheinstrom  sein  sie  gefangen, 
Gefangen  wohl  an  dem  Rhein. 

Was  thut  man  ihnen  rüsten? 
Ein'n  Wagen  mit  sechs  Ross', 
Darauf  soll  man  sie  führen, 
Vom  Rheinstrom  bis  nach  Triren,  ') 
Zu  Triren  wohl  in  die  Stadt 

*)  Vgl.  Wunderhorn,  35—87.  S.  Erk,  30-34.  S.  {12,  12a,  12b,  12c;  Sim- 
rock,  12«— 127.  S. 

»)  Triren  =  Trier;  bei  Simrock:  Strasburg;  bei  Erk:  Strasburg  und  Düring  . 

199 


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LUDWIG  BABÖTJ 


Was  thut  man  ihnen  bauen  ? 
Ein'  Thurm  und  der  war  hoch, 
Darin  müssen  sie's  verbleiben, 
Kurzweil  müssen  sie  sich  vertreiben. 
Kurzweil  dauert  ihnen  gar  lang. 

Es  war  ein  Mädchen  von  achtzehn  Jahr, 
Dem  sein  Schätzchen  war  auch  dabei. 
Sie  sprang  wol  über  die  Gassen, 
Wo  Schreiber  und  Kaufleut  sassen, 
Dem  Gefangenen  wohl  vor  die  Thür. 

Was  zog  sie  aus  ihrem  Fürtüchlein? 
Ein  Hemd  war  weiss  gewasch' : 
„Da  hast,  du  Hübscher,  du  Feiner. 
Du  schon  Herzliebster  meiner, 
Das  soll  dein  Todtenhemd  sein  !u 

Was  zog  er  von  seinem  Fingerlein? 
Ein'n  Ring,  von  Gold  so  roth: 
„Da  hast,  du  Hübsche,  du  Feine, 
Du  schon  Herzliebste  meine, 
Das  soll  dein  Trauring  sein!" 

„Was  soll  ich  mit  diesem  Goldsringlein  thunf 

Den  ich  nicht  tragen  kann?" 

,Leg  du's  hin  in  Kisten  und  Kasten. 

Lass  du's  Goldringlein  rasten, 

Bis  an  den  jüngsten  Tag  !a 

rUnd  wenn  ich  über  Kisten  und  Kasten  komm" 

Und  schau's  Goldringlein  an, 

Ich  mein',  mein  Herz  müsste  brechen, 

Ich  möcht'  mich  selber  erstechen, 

Gross  Unglück  fang'  ich  an.* 

Der  Grossmajor  *)  steht  an  der  Wand 

Und  höret  dem  Reden  zu: 

„Den  jüngsten  Soldat  will  ich  dir  schenken, 

Dass  du  an  mich  sollst  denken, 

Wenn  ich  schon  lieg  im  Grab  " 

')  Bei  Erk,  oimrock  and  Wanderhorn:  Commandant;  bei  Erk  noch  :  Haupt- 
mann, Amtmann,  Graf. 

200 


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DEUTSCHE  VOLKSPOESIE  IN  UNGARN. 


! 


Das  Mädchen  fiel  auf  seine  Knie 
Und  küsst  ihm  Händ'  and  Fuss' : 
„Gott  wird  Euch  schon  belohnen, 
Im  Himmel  und  da  droben, 
Wenn  Ihr  schon  liegt  im  Grab  !tt 

(Orczyfalva.) 

3  Der  todte  Freier.  *) 

„Ach  Gott,  ich  mach  keinem  die  Thür  nicht  auf, 
Ich  habe  versprochen  die  Eh'.a 
„„Und  hast  du  versprochen  die  Eh', 
Vielleicht  werd'  ich  der  sein!"" 

„Reich  herein,  reich  herein  deine  Händlein, 
Wenn  du  er  sollst  sein! 
Ach  Gott,  du  schmeckst  l)  ja  nach  Erde, 
Als  wenn  es  der  wahre  Tod  wär'!-4 

„„Wie  soll  ich  denn  nicht  schmecken  nach  der  Erde? 

Acht  halbe  Jahr  schon  bin  ich  todt. 

Zünd  nur  an,  zünd'  nur  an  ein  Kerzenlicht, 

Weck  nur  auf,  weck  nur  auf  deine  Hausleut'; 

Weck  nur  auf  dein1  Vater  und  Mutter, 
Der  Bräutigam  ist  bereit. 
Schneeweiss  musst  dich  ankleiden, 
Grün's  Kränzlein  musst  aufhaben. 

Und  wenn  es  das  Erste  läutet, 
Empfängst  du  das  Sakrament, 
Und  wenn's  das  Dritte  läutet, 
Nehm'  ich  mir  dein  seliges  End!"J 

(Merczyfalva.) 

— — i — 

4.  Die  Kindesmörderin.  **) 

Es  treibt  ein  Schäfer  die  Schäflein  'naus, 
Er  höret  schreien  ein  Kindelein  klein. 

•)  Vgl.  Erk,  74  76.  S.  (24,  24a,  24b.)  Ethnol.  Mitt.  a.  Ungarn,  I.  841—342. 
*)  8chmeckst  =  riechst. 

**)  Vgl   Wunderhorn,  (K),  432.  S.  Erk,  140-146.  S.  (41,41a,4lb,  41c,  41d.) 
Simrock,  86-88.  1.  (37,  87a.) 

201 


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LUDWIG  ÜARÖTI 


.Ach  Kindelein  klein  und  wo  du  bist, 

Ich  hör'  dich  schreien  und  sieh  dich  nicht.» 

„.Ach  Schäfer,  herzliebster  Schäfer  raein, 

Komm'  her  und  hole  mich  heraus, 

Weil  raeine  Mutter  hat  Hochzeit  zuhaus!"* 

,Wie  kann  denn  die  Braut  deine  Mutter  sein, 
Sie  tragt  ja  noch  grün  Kränzelein?4 

„nUnd  sie  mag  tragen  grün  oder  roth, 
Sie  hat  ja  schon  drei  Kinder  todt : 

Das  erste  hat  sie  in'n  Mist  begrab'n, 

Das  zweite  hat  sie's  in'n  Brunnen  'nein  geworf, 

Und  mich  hat  sie  in  einen  hohlen  Baum  versteckt Mu 

Und  wie  das  Kind  nach  Haus  ist  komm'n, 
Die  Hochzeitleut'  verstaunen  sich  bald. 

„„Ach  Hochzeitleut',  verstaunet  euch  nicht, 
Nun  weil  die  Braut  meine  Mutter  ist!utt 

„Wie  kann  denn  die  Braut  deine  Mutter  sein, 
Sie  tragt  ja  noch  grün  Kränzelein  ?" 

„„Und  sie  mag  tragen  grün  oder  roth, 
Sie  hat  ja  schon  drei  Kinder  todt: 

Das  erste  hat  sie  in'n  Mist  begrab'n, 

Das  zweite  hat  sie's  in'n  Brunnen  'nein  geworf, 

Und  mich  hat  sie  in  einen  hohlen  Baum  versteckt. a* 

Und  wenn  das  Wort  nicht  wahr  soll  sein, 
So  kommt  der  Teufel  zum  Fenster  herein. 

Er  nahm  die  Braut  an  ihrer  schneeweissen  Hand 
Und  führt  sie  in  das  hindrische  Land. 

Ins  hindrische  Land,  in  die  höllische  Pein, 
Da  soll  der  Braut  ihre  Hochzeit  sein. 

(Orezyfalva.) 


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DEUTSCHE  V 0 LK SPOESIE  IN  UNGARN. 


5  Ritter  St. -Georg  •) 

Der  Ritter  Sankt  Georg,  der  heilige  Mann, 
Hilf  Maria! 

Er  reitet  für  eine  sehr  prächtige  Stadt, 
So  helfe  uns  Gott  und  Maria! 
Allein  da  liegt  ein  gewaltiger  Drach, 
Hilf  Maria!  **) 

Der  Drach  hegehrt  alle  Tage  ein  Kind, 

Und  dazu  ein  ganzes  Rind. 

So  helfe  uns  Gott  und  Maria!  **) 

Die  Herrn  die  führen  ein'  heimlichen  Rath, 
Welcher  denn  sein  Kind  hergab? 

Der  Rath  der  fallt  aufm  König  sein  Kind, 
Dem  König  sein  Kind  muss  selber  dahin. 

Jungfräule  steigt  auf  den  Berg  hinauf, 
Sie  kniet  sich  auf  'nen  Marmelstein, 
Und  dorten  bet'  sie  ganz  allein. 

Und  als  sie  kniet  wol  auf  dem  Stein, 

Da  kommt  der  Ritter  Sankt  Georg  geritten. 

„Jungfräule  was  thut  ihr  denn  ganz  allein?' 
„Hier  wart1  ich  auf  das  wilde  Thier, 
Und  dass  es  mich  gleich  verzehren  thut K 

Jungfräule  geht  ihr  es  nur  nach  Haus, 
Der  Drach  wird  bald  getödtet  sein!' 

„Mein  Kind,  wer  hat  denn  dieses  gethan?" 
„Dies  hat  der  Ritter  Sankt  Georg  gethan." 

„Hat  dieses  der  Ritter  Sankt  Georg  gethan, 
So  woll'n  wir  ihm  geben  das  halbe  Königreich, 
Und  dazu  meine  Tochter  zugleich  " 

„Das  halbe  Königreich,  das  will  er  nicht 
Das  braucht  ein  grosses  Dienstgeschicht." 

•)  Vgl.  Wtmderhurn,  103-lOfi.  S. 
*•)  Refrain  in  jeder  Strofe. 

203 


A.  SCHWAN  FELDER 


,Baut  ihr's  nur  ein  Kirchlein  klein 
Darinnen  bin  ich  mit  Maria  allein.' 

(Merczyfalva.) 

Als  Probe  des  eigentlichen  Dialektes  diene  folgendes  Lied : 

„Heut  Nacht  is  Samschtachnacht,  Der  Bü,  den  ich  nicht  mag, 

Das  Herz  em  Leib  mir  lacht,  Der  kommt  sonscht  alli  Tach, 

Heut  Nacht  gehts  luschtich  zu,  Doch  der  mei  Herz  erfreut, 

Do  kommt  mei  BÖ!  Kommt  endlich  heut.4* 


C)  Aus  Bresztovdcz,  Südungarn. 

(Mitgetelt  vom  Lehrer  A.  Schuanfelder.) 

L  Zahlenlied.*) 

Bist  du  die  Sängerin  in  unseren  Haus, 

Gib  den  Pfarrer  Sängerin  aus  (?) 

Sag  mir,  was  ist  eins? 

Eins  allein  ist  Gott  allein, 

Der  da  lebt  und  der  da  schwebt 

Im  Himmel  und  auf  Erden. 

Bist  du  die  Sängerin,  u.  s.  w. 
Sag  mir,  was  ist  zwei? 
Zwei  tapfer  (d.  i.  Tafeln)  Moises. 
Eins  allein  ist  Gott  allein,  u.  s.  w. 

Bist  du  die  Sängerin,  u.  s.  w. 

Sag  mir,  was  ist  drei,  u.  s.  w.  (bis  neun) 

Bist  du  die  Sängerin  in  unseren  Haus, 

Gib  den  Pfarrer  Sängerin  aus  (?) 

Sag  mir,  was  ist  zehn  ? 

Zehn  Gebote  Gottes, 

Neun  kehrt  (Chöre »  der  Engel, 

Acht  zu  der  (?)  Seligkeit. 

Sieben  Sakramente, 


•)  Beliebtes  GesellschaOslied  bei  Familienfesten. 

204 


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DEUTSCHE  VOI.KSl'OESIE  IN  UNGARN. 


Sechs  Kandel  kühlen  Wein 

Schenkt  der  Herr  seine  Jünger  ein, 

Fünf  guie  Kristen, 

Vier  Evangelisten, 

Drei  Patriarchen, 

Zwei  tapfer  (!)  Moises, 

Eins  allein  ist  Gott  der  Herr 

Der  da  lebt  und  der  da  schwebt 

Im  Himmel  und  auf  Erden. 


II.  Scherzlieder. 

1.  Ich  schwör  auf  meiner  Seel, 
Ich  esse  nichts  von  Mehl, 
Als  Xudl  und  Strudl, 

Und  heurigen  Köhl. 

2.  Drei  Duzend  alte  Weiber, 
Gott  verzeih  mir  meine  Sünd, 
Bei  der  Arbeit  sind  sie  langsam, 
Beim  Fressen  und  Saufen  aber  flink. 

3.  Schöne  Mariandl, 

Mit  dem  kurzen  Gwandl, 

Bild'  sich  a  noch  ein  Fleck  ein, 

Sie  hat  die  Strumpf  gebunden 

Mit  dem  Schürzelbandl, 

Und  die  Haube  mit  dem  Strick. 

Voll  mit  Schneckenhäusl, 

Und  den  Küttl  gfranzt  ein, 

Das  Gsicht  hat  sie  voller  Rupa-Tupa, 

Und  das  Gnack  voller  Gnnt. 


III.  Strolchpoesie. 

In  verrufenen  Dorfspelunken  schlemmt  nächtlicher  Weise  verlot- 
tertes Gesindel,  die  Hefe  der  Dorfjugend  beiderlei  Geschlechtes.  Schwel- 
gend werden  da  rohe  Gassenhauer  und  unflätige  Knittelverse  geschmie- 
det, Bubenstücke,  Diebereien  werden  geplant  und  ausgeführte  begungcn . 


205 


A.  8C1IWANFELDKR 


Einige  Proben  dieser  ländlichen  Galgenpoesie  will  ich  in  den  nachfol- 
genden Diebssprüchen  mitteilen. 

1. 

Gänse  und  Enten  gebraten  im  Nest 

Schmecken  viel  besser,  als  Fasanen  verzuckert  in  Pest. 

2. 

Dem  Lehrer  und  Pfarrer  ihre  Trauben  sind  gar  so  süss, 
Sie  schmecken  so  wolfeil,  nun  merke  dir  dies. 
Dem  Spitz-Michl  tut  aber  weh  dann  der  Kopf, 
Wenn  der  Lehrer  ihm  packt  und  beutelt  den  Schopf. 

3. 

Äpfelstehlen  ist  nur  a  Bubenstück, 

So  denkt  und  spricht  stets  Nachbars  Nick. 

4. 

Der  Nachbar  hat  a  schöne  Gans, 
Die  g'hört  schon  halb  dem  Spitzl-Franz ; 
Verkauft  sie  schon,  er  hat's  noch  nicht, 
Er  lügt  sich  an,  der  dumme  Wicht. 

5. 

Dem  Pfarrer  sei  Gans'l  Schrein  gick,  gack. 
Wir  haben  sie  schon  halber  in  unser m  Sack. 
Wir  rupfen  sie  schon,  wir  braten  sie  aus, 
Und  machen  uns  lustig  beim  fetten  Schmaus. 

6. 

Gestohr n  bin  ich  aus  dem  Haus, 
Wenn  ich  mal  aus  dem  Stall  bin  draus: 
Dann  kräht  gewiss  ka  Hahn  nach  mir, 
Ich  komm  gewiss  nie  mehr  vor  eure  Thür. 
Sie  hab'n  mich  g'steckt  in  'n  grossen  Topf. 
Und  g'fressen  dann  mit  Haut  und  Schopf. 

7. 

Eins,  zwei,  drei, 

Der  Nazi  ist  dabei, 

Äpfelstehl'n  ist  ka  Sünd, 

Denn  man  wird  dabei  nit  blind ; 

Nur  muss  man  sein  dabei  recht  flink, 

Dass  sie  uns  nicht  fangen, 

Und  durchprügeln  mit  Stangen ; 


206 


DEUTSCHE  VOLKSl'OESIE  IN  UNGARN. 


Denn  das  tut  weh,  weh,  weh, 

Wenn  man  geledert  wird  and  kriegt  Schläh. 

8. 

Schuster  lied') 
Schuster  Johann  steht  wol  auf, 
Geht  zum  Garten,  macht  das  Thirl  auf, 
Da  kommt  auch  seine  Abolonia  (Apollonia)  raus; 
Johann,  lass  den  Räuber  nicht  aus! 
Ja  Abolonia,  ich  hab  ihm  beim  Kopf, 
Er  hat  mich  an  meinen  Kurkelknopf  (Gurgel). 
Schau  Johann,  dass  du  ihm  bekommst  beim  Frack, 
Er  steckt  uns  ein  Finwer  in  Sack. 
Er  nimmt  den  Donnadi  bei  der  Hand, 
Und  fiert  ihn  ins  Zimmer  zum  Ofen  an  die  Wand, 
Dann  zieht  er  seine  Zieger  an 
Und  fangt  mit  Donnadi  zu  sprechen  an : 

„Wennstduuns  nicht  sagst,  was  das  andere  fi er  (für)  ein  Bu  (Bub), 
So  wirst  du  eingesperrt  bis  morgen  in  der  früh!" 
Der  Bartmann**)  kommt  auf  die  Ortswacht ; 
„Jefta***)  hab  du  auf  den  kerl  mir  acht, 
Denn  es  ist  nicht  Tag,  sondern  es  ist  Nacht." 
„Gedichtet  in  1887.  Dichter  waren  Donnadi  Nowak  und  Karich  Franz 

in  Brestowacz." 


D)  Aus  Pancsova. 
(Aus  den  wertvollen  reichen  Sammlungen  der  Frau  Maja  Hoffmann-Wigand  in 

Pancsova.) 

I.  Lieder. 

i. 

Stets  in  Trauerheit  muss  ich  leben, 
Sag,  warum  hab'  ich's  verschuldt? 
Weil  mein  Schatz  ist  untreu  worden, 
Muss  ich  leiden  mit  Geduld. 
Treue  Liebe  geht  von  Herzen, 

•)  Nach  dem  Originalnunuscript.  Die  genannten  zwei  Strolche  wurden  beim 
Apfeldiebstahl  im  Garten  des  Schosterm  eiste  rs  ertappt,  Karch  entkam,  Donadi  wurde 
festgenommen;  beide  mussten  je  5  fl.  Strafe  zahlen.  Sie  dichteten  d>es  Lied  und 
producierten  es  des  Nachts  auf  der  Gasse. 

*')  So  hies  der  Ortsricbter 

••♦>  Der  Ortswäcbter. 

207 


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MAJA   HOFFMANN- WIGAND 


Falsche  Liebe  brennet  heiss ; 

Oh  wie  glücklich  ist  der  Jüngling, 

Der  von  keiner  Lieb  nichts  weiss 

Lieben  sind  zwei  schöne  Sachen,  (?) 

Wenn  man  keiner  Falschheit  spürt, 

Täglich  thut  das  Herze  lachen, 

Wenn  man  Stillstand  kürasiert.  (?) 

Spielet  auf  ihr  Musikanten, 

Spielet  auf  ein  schönes  Gspiel; 

Mir  und  meinen  Schätzchen  zu  Gefallen, 

Weil  sie  ist  die  schönste  unter  allen. 


2. 


Fraget  nicht,  warum  ich  weine, 
Warum  ich  so  traurig  bin? 
Ei,  mein  Schatz  hat  mich  verlassen, 
Darum  weine  ich  so  sehr. 

In  den  späten  Abendstunden, 
Wro  ein  jedes  Vöglein  ruht, 
Sitz  ich  armes  Kind  und  weine, 
Brennt  mein  Licht  so  traurich  zu. 

Hau'  ich  Tinte,  hau'  ich  Feder, 
Und  ein  wenig  Schreibpapir, 
Möcht'  ich  mir  die  Zeit  aufschreiben, 
Die  du  gwesen  bist  bei  mir. 

Meine  Thräne  ist  die  Tinte, 
Meine  Wange  das  Papier, 
Meine  Schmerzen  ist  die  Feder, 
Schönster  Schatz, das  schreib  ich  dir. 


Wenn  mein  Herz  ein  Fenster  hätte, 
Dass  du  schauen  könnst  hinein, 
Fels  und  Berg  möcht'  sich  erbarmen 
Über  meine  Leidenspein. 

Gieng'  ich  auf  der  Strass'  spazieren , 
Alle  Leute  schaun  auf  mich ; 
Aus  meinen  Augen  fliessen  Thränen, 
Dass  ich  gar  nicht  sehen  kann. 

Ist  das  nicht  die  Friedhofsstrasse? 
Ist  das  nicht  das  Kirchhofsthor? 
Ist  das  nicht  meins  Liebchens  Grabe, 
Das  ich  nicht  vergessen  soll. 

Ja  das  ist  die  Friedhofsstrasse, 
Ja  das  ist  das  Kirch hofsthor, 
Ja  das  ist  meins  Liebchens  Grabe, 
Das  ich  nicht  vergessen  soll. 


3. 

Der  Kukuk  auf  dem  Zaune  sass, 

Es  regnete  und  er  war  nass; 

Da  flog  er  auf  des  Goldschmieds  Haus 

„Du  mein  lieber  Goldschmied  mein, 

Schmied  mir  und  dir  ein  Ringelein, 

Schmied's  mir  und  dir  an  die  rechte  Hand, 


208 


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DEUTSCHE  VOLKSPOESIE  IN  UNGARN. 


Damit  ich  flieg'  ins  Ungarland, 
In  Ungarland  dort  ist  gut  sein, 
Dort  sind  die  Mädel  hübsch  und  fein, 
Und  die  Burschen  —  wie  die  Schw.ein'. 
In  Ungarland  dort  gibt's  gut  Brot, 
Dort  sind  die  Mädel  hübsch  und  roth, 
Und  die  Burschen  —  wie  der  Tod. 
In  Ungarland  dort  gibt's  gut  Bier, 
Dort  sind  die  Mädel  hübsch  und  für,  (?) 
Und  die  Knaben  —  wie  die  Stier.' 
In  Ungarland  dort  gibt's  gut  Speck, 
Dort  sind  die  Mädel  hübsch  und  keck, 
Und  die  Knaben  —  wie  der  D  

II  Hochzeitsprüche. 

Nun  wollen  wir  holen  den  Herrn  Hochzeiter  und  seine  Braut 

Die  ihm  zur  Seite  war  vertraut, 

Die  wollen  wir  zur  Kirche  führen 

Und  ihren  Kirchengang  helfen  schmücken  und  zieren. 

Gott  sorgt  für  alle  Dinge. 

So  wird  uns  viel  Glück  und  Segen  bringen. 

„Bringt  mir  die  Jungfer  Braut  heraus!* 

Da  bring  ich  eine,  die  hat  Verstand, 

Wem  sie  gehört,  ist  sie  bekannt, 

Sie  hat  auch  schon  vieles  erfahren, 

Das  zeigen  die  grauen  Haaren. 

„Die  will  ich  nicht,  die  mag  ich  nicht, 

Die  sieht  gar  sauer  im  Gesicht. 

Was  soll  ich  mit  der  Grauen  machen, 

Da  möchte  mich  mein  Herr  auslachen. 

Bringt  mir  die  Jungfer  Braut  heraus." 

Da  bring  ich  eine,  die  ist  schön  fein, 

Allein  sie  hat  ein  krummes  Bein, 

Die  schläft  gar  lang  und  frisst  gar  viel, 

Keine  andre  hab'  ich  nicht  mehr  hier. 

„Wass  soll  ich  mit  der  Krummen  machen, 

Da  möchte  mich  mein  Herr  auslachen, 

Die  Siebenschläfrin  braucht  kein  Mann, 

Der  Herr  will  eine  frische  hab'n. 


Hernnann  Ethnologischen  Mitteilungen.  209 


15 


MAJA  HOFFMANN- WIGAND 


Bringt  mir  die  Jungfer  Braut  heraus.* 

Da  bring'  ich  eine,  jung  von  Jahren, 

Wenig  hat  sie  auch  erfahren, 

Sie  will  nichts  thun  als  müssig  gehn, 

Beständig  vor  dem  Spiegel  stehn. 

Der  Herr  ist  mir  ja  gar  so  karjos,  (kurjos) 

Er  schaut  nur  auf  die  Jugend  blos. 

„Warum  sollt*  ich  nicht  karjose  sein,  — 

Schaut  nur  den  jungen  Herren  an, 

Der  will  eine  solche  Jungfrau  haben, 

Die  wohlgeziert  in  allen  Gaben. 

Bringt  mir  die  Jungfer  Braut  heraus." 

Da  bring  ich  eine,  die  ist  recht  schön, 

Ich  mein,  Ihr  könnt't  mit  ihr  bestehn. 

„Das  mag  ja  wohl  die  rechte  sein, 

Weil  ihre  Augen  stehn  zum  Wein'n 

Und  ihre  Haare  so  schön  geschmückt. 

Nun  wollen  wir  sie  zur  Kirche  führen, 

Und  ihren  Kirchengang  helfen  zieren, 

Seid  nur  getrost,  in  kurzer  Zeit 

Wird  sich  befinden  Lust  und  Leid  —  —  Viffat!" 


Fresse  mich  die  Würmerschwein    Hans  hinterm  Ofen, 


HI  Kinderreime. 


1. 


Saft,  Saft,  Seide. 
Hör  in  die  Weide, 
Hör  in  die  Grabe, 
Fresse  mich  die  Rabe, 


Was  willst  mit  de  Stanche? 
Spätzche  werfe. 
Was  willst  mit  de  Spätzche? 
Sode,  brate. 


(Wildschwein.) 


Hans  hinterm  Dach, 
Lässt  mei  Pfeifche  e  helle, 


Mutter,  geb  mer  Nägelcher. 
Was  willst  mit  de  Nägelcher? 
Säkelche  machn. 
Was  willst  mit  de  Säkelche? 
Stanche  lese. 


Helle  licbtiche  Krach, 
Geht  mei  Pfeifche  los. 


(Beim  Schälen  der  Weidenast 
pfeifen.) 


2 


Heitschi  popeitschi, 
.Nach  Spilrak  zu, 


Dort  tanzen  die  Bauern, 
Dort  klappern  die  Schuh'. 


210 


HOCHZEITSPRÜCHE  der  hienzen. 


Mei  Mutler  backt  Kräpl, 
Sie  backt  sie  so  hart, 
Sie  sperrt  sie  im  Kasten, 
Und  gebt  mer  net  satt. 
Drei  Brocke  zum  locke, 
Komm  bi,  komm  bi ! 


Ich  hab  selber  net  mi. 
Ach  Mutter,  ach  Mutter, 
Wenn  Ihr  mir's  noch  einmal  so 

[macht, 
So  nemm  ich  mein  Bündel, 
Und  sag  gute  Nacht. 


3. 


Ans,  zwa,  drei, 

Bika  Bohne  brei. 

Bika  Bohne  Pfefferkern, 

Mei  Vater  will  a  Schnitzer  wem ; 

Schnitz  zwei  Taube, 


Wer  will's  glaube? 
Ich  oder  du, 
Hamle,  hamle  muh ! 
Was  die  alte  Kuh  s 
Das  frisst  du ! ! 


•t, 


(Auszählereim ) 
4. 

Herrgottskäferche,  tlieg  fort. 
Flieg  fort  auf  Szegszärd, 
Bring  mer  a  neue  Rocksack. 
(Marienkäfer.) 


5. 


Heio  popole. 

Zukerche  wolle  mer  hole. 


Zuker  und  süsse  Mandelkern 
Essen  die  klanen  Kindercher  gern. 


Hochzeitssprüche  der  Hienzen.*) 

Mitgeteilt  von  Samuel  Kurz.**) 
Gästeladen. 

Gelobtzei  Jesus  Christus.  Meine  lieben  Herrn  Vetter  und  Frau 
Mam,  Sie  derfen  uns  nicht  in  übel  aufnehmen,  dass  wir  Ihnen  so  spät 
überlaufen  sind  Wir  sind  zwei  ausgeschickte  Botten  von  unsern  jungen 
Herrn  Breitigam  samt  seiner  versprochenen  Jungfrau  Braut.  Indem 
sie  sich  besonnen  haben,  den  ledigen  Stand  zu  ändern,  und  den  heili- 
gen Ehestand  anzutreten,  so  lassens  in  Herrn  Vetter  und  der  Frau 

*)  Vorungarische  deutsche  Colonien  im  Com i tat  Vas  tEisenburg)  and  Sopron 
(ödenburg.) 

*•)  Ethnographia  1892.  Januar. 


211 


16* 


SAMUEL  KURZ 


Mam  einen  guten  Abend  winsehen  und  auch  bitten,  dass  Sie  megen 
begleiden  helfen  auf  alle  Gassen  und  Strassen,  auf  alle  Wege  und 
Stege,  zu  Wasser  und  zu  Lande,  und  endlich  zu  des  Priesters  Hand, 
dort  wird  ein  neuer  Bund  geschlossen  werden,  welchen  niemand  auf- 
lesen kann,  als  nur  Gott  und  der  Tot.  Von  Gottes  Haus  wird  sie 
führen  der  Breitigara  in  sein  Vaters  Haus,  dort  wird  ihnen  vorgetra- 
gen werden  Wein  und  Brot  und  andere  Gottesgaben;  auch  wird  Mu- 
sig sein.  Wenn's  im  Herrn  Vetter  oder  die  Frau  Mam  beliebt  einige 
Stück  Ehrentanz  zu  raachen,  somit  bitten  wir  um  einen  guten  Bericht 
nach  Hause  zu  bringen.  Mit  diesen  schliessen  wir  unsern  schönen  Gruss. 
Gelobtzei  Jesus  Christus.  (Neuthal.) 

Brauttanz. 

Gelobtzei  Jesus  Christus.  Ich  wolde  wünschen,  dass  wir  auf  der 
himmlischen  Hochzeit  auch  so  frölich  beisamen  sein,  wie  auf  der  weltlichen. 
Musiganten  vivat! 

Meine  lieben  Herrn  Bettleute  und  Ausgeber,  Junggesellen  und 
Kranzljungfrauen  und  alle  eingeladene  Hochzeitgäste;  ich  täte  bitten, 
wenn  ich  einen  Verlaub  hätte,  die  Jungfrau  Braut  aufzufordern  Ist 
das  nicht  schön,  wenn  Eltern  ihre  Kinder  so  gross  auferziehen,  dass 
sie  können  zum  allerheiligsten  Altare  gehen,  um  dort  ehrbar  und  christ- 
lich kupliert  zu  werden. 

Musiganten  vivat!  • 

Jungfrau  Braut,  Jungfrau  Braut,  schau  an  diesen  grünen  Ehren 
kränz,  wie  schön  er  geziert  ist,  zum  erstenmal,  zum  zweitenmal,  zum 
drittenmal,  und  zum  letzten:  jetzt  hast  du  ihm  auf  deinen  Haupt  ge- 
habt, und  dein  Lebtag  nimmer,  bevor  du  ihm  auf  dein  Haupt  wirst 
setzen,  werden  alle  Distel  und  Dornen  rothe  Rosen  tragen. 

Musiganten  vivat. 

Meine  lieben  Herrn  Bettleute  und  Ausgeber,  Junggesellen  und 
Kranzeljungfrauen  und  alle  eingeladene  Hochzeitsgiiste,  ich  täte  bitten, 
wenn  ich  Verlaub  hätt,  die  Jungfrau  Braut  aufzufordern,  oder  ihr  mit 
einen  Glas  Wein  aufzuwarten,  welcher  gewachsen  zwischen  Köln  und 
Rhein,  und  ist  er  nicht  gewachsen  zwischen  Köln  und  Rhein,  so  ist 
er  doch  gewachsen  zwischen  Sonn-  und  Mondesschein.  Ist  die  Jungfrau 
Braut  gesund  oder  krank,  so  geht  sie  herüber  über  Tafel  und  Bank. 
Ist  sie  frisch  und  wohl  in  Muth,  so  springt  sie  über  mein  Buschen 
und  Hut. 

Musiganten  vivat! 


212 


SIKHENnCRGLSCHK  KINDERSPIELE. 


Kranzl- Abtanzen. 

i 

1 .  Herr  Vetter  Ausgeber,  wenn  ich  die  Erlaubnis  hätte,  der  Jung- 
frau Braut  ihren  grünen  Kranz  von  ihrem  Haupt  zu  nehmen  u.  den- 
selben ihr  nimmermehr  aufzusetzen.  Vivat! 

2.  Nun  Jungfrau  Braut!  Siehe  an  deinen  schönen  grünen  Kranz, 
den  du  dir  in  deiner  Jugend  so  schön  gezieret  u.  gepflanzet  hast.  Ist 
das  nicht  ein  schöner  Kranz,  den  man  in  der  Jugend  zieren  u.  pflan- 
zen kann?  Denn  nicht  jede  Braut  kann  einen  solchen  grünen  Kranz 
auf  ihrem  Haupte  tragen!  Vivat! 

3.  So  wenig  soll  die  Jungfrau  Braut  einen  grünen  Kranz  auf 
ihrem  Haupte  tragen,  als  dürre  Distel  rothe  Rosen  tragen;  eher  werden 
dürre  Distel  rothe  Hosen  tragen,  als  die  Jungfrau  Braut  einen  grünen 
Kranz  auf  ihrem  Haupte  trägt.  Vivat! 

4.  Jetzt  Jungfrau  Braut  musst  du  alle  Burschen  meiden  u.  bei 
deinem  Mann  verbleiben,  u.  du  Jungherr  Bräutigam  musst  alle  Mädchen 
meiden  u.  bei  deinem  Weib  verbleiben.  Vivat! 

5.  Jetzt  heisst's  Kranzerl  weg  und's  Häuberl  her,  Jungfrau  g'west 
u.  nimmermehr.  Und  wenn  sie  gleich  keine  Jungfrau  ist,  so  ist  sie 
doch  a  Weiberl,  u.  trägt  sie  gleich  kein  Kranzerl  nicht,  so  trägt  sie 
doch  a  Häuberl.  Vivat! 

6.  Nun  Herr  Vetter  Ausgeber!  Ich  möchte  mir  untertänigst  ausbitten, 
wenn  ich  die  Erlaubnis  hätte,  die  Jungfrau  Braut  auf  drei  christliche  Ehren- 
tänze aufzufordern,  u.  zwar  den  1.  für  mich;  den  2.  fürn  Jungherrn  Bräu- 
tigam, u.  den  3.  für  alle  ehrsamen  Hochzeitsgäste.  Vivat!  (Hier:  Viva!) 


Siebenbürgische  Kinderspiele. 
/.  Sächsisch.  *) 
Mitgeteilt  tob  Dr.  H.  v.  Wlislocki. 
1.  Jakobel  wo  baat  da? 

Fangspiel.  Sie  fassen  sich  an  den  Händen  und  bilden  einen  Kreis . 

In  der  Mitte  hält  eines  mit  verbundenen  Augen  zwei  Schlüssel.  Sie 

singen  im  Chor: 

Bas  menj  Husen  blein  Kam  Jakobel,  kam! 

Hej  am  hischen  Gorten,  Kost  da  et  na  fen, 

Det  Jakobel  mausz  Dön  kost  da  der  uch 

Noch  gor  lange  wörten!  E  hisch  Risken  nen! 


•)  S.  Ethnograpbia,  III.  24-28. 

213 


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DR.  H.  V.  WLI8L0CKI 


Das  Kind  mit  den  verbundenen  Augen  wirft  einen  Schlüssel  in 
den  Kreis ;  ein  Mitspieler  hebt  ihn  auf,  tritt  in  den  Kreis  und  berührt 
damit  den  Schlüssel  des  im  Kreis  stehenden.  Dieser  ruft:  „Jakobel, 
wo  bast  da?"  Nun  schlägt  der  andere  mit  dem  aufgehobenen  Schlüssel 
wieder  auf  den  des  Blinden ;  wenn  dieser,  an  einem  Platz  stehend,  den 
Jakobel  fangen  kann,  tritt  dieser  an  seine  Stelle. 

2.  De  old  Waderhex. 

Ein  durch  das  Los  bestimmtes  Kind,  die  Wetterhexe,  setzt  sich 
auf  den  Boden,  sein  Kopf  wird  mit  Laub  oder  Stroh  umbunden.  Auch 
die  Mitspielenden,  Katzen  genannt,  haben  Laub-  oder  Strohbüschel  am 
Oberarm,  und  singen  im  Kreis  hüpfend : 

Do  satzt  de  old  Waderhex         Walst  da  Katzen  hun, 
Am  Rän  uch  am  Sehne,  Mauszt  ze  as  da  kun 

Wat  gen  mer  ar  zu  essen  ?         An  aller  £1 
Zacker  uch  Kafe!  Af  dem  Besestel, 

Zipfel,  zapfel,  Baterkrappel,         Hopp,  hopp,  hopp! 

Die  Wetterhexe,  auf  einem  Besen  oder  Stecken  reitend,  sucht 
die  Katzen  zu  haschen ;  jede  hat  eine  bestimmte  Freistätte.  Gefangen 
st  die  Katze,  wenn  die  Hexe  ihr  das  Büschel  wegrafft.  Die  Gefange- 
nen setzen  sich  abseits  und  bei  jedem  Fang  singen  sie: 

Miau,  miau,  miau!  Ar  Suhlen  mauszen  mer  kratzen, 

Ach  Breiderchen,  ach  Breiderchen,    Miau,  miau,  miau! 

Miau,  miau,  miau!  Mat  aserm  Schmolz 

Da  bast  en  Hexen  kaderchen.  Schmert  sej  sech  zam  Donz, 

Miau,  miau,  miau!  Miau,  miau,  miau! 

Mer  mauszen  hei  na  satzen, 

Unterdessen  heftet  die  Hexe  das  Büschel  des  Letztgefangenen  sich 
an  (als  Sinnbild  von  Fett  und  Schmeer).  Wenn  alle  Katzen  gefangen 
sind,  stellen  sich  die  Spielenden  in  zwei  Reihen  einander  gegenüber, 
reichen  sich  vis  a  vis  die  Hände,  nehmen  die  Hexe  auf  die  Arme  und 
wiegen  sie.  Dies  soll  das  Verbrennen  derselben  bedeuten. 

3.  Vogelsteller. 

Dem  durchs  Los  bestimmten  Kinde,  dem  Vogelsteller,  werden  die 
Augen  verbunden.  Die  übrigen  singen: 

De  Vijeljen  am  granen  Bäsch,         Se  spranj'n,  se  spranj'n. 
Se  sanj'n,  se  sanj'n,  Do  kit  en  older,  groer  Mon, 

De  Vijeljen  am  granen  Bäsch,         Wal  Vijeljen  sech  fen, 

214 


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SIEBENBÜRGISCHE  KINDERSPIELE . 


Den  Vijeljen  am  granen  Bäsch,  Zipi,  zipi,  zip! 
Den  Hols  wal  he  ösdren!  Zipi,  zipi,  zip! 

Nun  läuft  eines  zum  Vogelsteller,  berührt  dessen  Hand,  dieser 
ruft:  „ting."  Nun  singt  es  ein  beliebiges  Lied  ;  darauf  wieder  im  Chor, 

Geschwanjd,  geschwanjd  Wer  frojen  as,  wer  frojen  as, 

So  as  det  Vijeljen,  Won  et  der  na  wechflecht. 

Det  da  as,  host  verschecht. 

Wenn  der  Vogelsteller  den  Namen  dessen,  der  allein  gesungen: 
nicht  errät,  singen  sie  wieder  im  Chor: 

Vijel  walst  da  fen,  Schura  dech,  schum  dech! 

Da  older,  groer  Mon,  Schum  dech,  schum  dech! 

Doch  wej  det  Vijeljen  hiszt,  Zipi,  zipi,  zip! 

Det  kost  da  as  nedj  son!  Zipi,  zipi,  zip! 

Nun  beginnt  das  Spiel  von  neuem.  Wenn  aber  der  Vogelsteller 
den  Namen  des  Singenden  errät,  wird  dieser  zum  Vogelsteller. 

4.  Trudefausz. 

Ein  durchs  Los  bestimmtes  Kind  wird  in  ein  weisses  Linnen  ge- 
hüllt und  reitet  auf  einem  Stecken  im  Kreise  herum.  In  einer  Hand 
hält  es  ein  Strohbüschel.  Die  übrigen  Spielenden  dürfen  nur  auf  dem 
rechten  Fusse  hüpfend  ihr  „Haus-  verlassen.  Der  Reihe  nach  hüpfen 
sie  dem  Verhüllten  nach  und  suchen  aus  dem  Strohbüschel  einige  Hal- 
me zu  zupfen.  Je  eher  es  einem  gelingt,  desto  später  hat  er  wieder 
im  Kreise  zu  humpeln.  Wer  den  linken  Fuss  auf  den  Boden  setzt, 
wird  bestraft,  das  heisst  der  Trudenfuss. 

5.  Teufelsschwanz. 

Die  Kinder  stellen  sich  hinter  einander;  jedes  fasst  das  vor  ihm 
stehende  am  Kleide.  Das  erste  und  das  letzte  in  der  Reihe,  Teufels- 
kopf und  Teufelsschwanz,  wird  durch  das  Los  bestimmt.  Aufgabe  des 
Teufelskopfes  ist  den  Teufelsschwanz  zu  fangen,  ohne  die  Kette  zu  lösen. 
In  immer  schnellerem  Tempo  wird  gesungen: 

Der  Tivel  as  gearjert,  Hopphopp,  hopphopp,  Haar  Tivel! 

De  Macken  patschen  sen  jen  Schwonz !    An  den  Schwonz  der  beisz, 
Der  Tivel  as  gearjert,  Schnapp  mat  denjen  Zandjen 

He  mocht  en  Tivelstonz!  No  Macken  uch  no  Leisz! 

»  4 

Wenn  der  Kopf  den  Schwanz  haschen  kann,  tritt  dieser  aus  dem 
Spiele.  Wenn  dem  erstem  während  des  dt  eimaligen  Absingens  das  Ab- 

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DB.  H.  V.  WLISLOCKI 


fangen  nicht  gelingt,  so  tritt  der  zweite  in  der  Reihe  an  die  Stelle  des 
Teufelskopfes 

6.  Uhuspiel. 

Ein  Kind,  der  Uhu  oder  Todtenvogel,  sitzt  auf  der  Erde.  Vor 
ihm  ist  ein  Lappen  ausgebreitet,  davon  einen  halben  Meter  entfernt 
ist  ein  4—5  Meter  langer  Strick  gezogen,  der  „Bach"  genannt  wird 
und  die  Grenze  zwichen  dem  Uhu  und  den  übrigen  Spielern  bildet. 
Jenseits  des  Strickes  hat  jeder  eine  kleine  Grube,  das  Ziel.  Die  Spie- 
lenden singen: 

Uhu,  Uhu,  Uhu;  Iwern  Boch  da  spranj! 

Tudevogel,  Uhu;  Uhu,  Uhu! 

Am  Hemel  schent  de  San ;         Meisker  ech  der  branj ! 
Uhu,  Uhu! 

Unterdessen  verlässt  irgend  ein  Mitspieler  sein  Ziel,  und  ver- 
sucht den  Lappen  an  sich  zu  reissen,  ohne  den  Strick  zu  übertreten. 
Jeder  Mitspieler  darf  nur  einmal  nach  dem  Lappen  greifen,  und  dann 
zu  seinen  Ziele  zurückgekehrt  warten,  bis  die  übrigen  alle  den  Ver- 
such gemacht.  Wenn  es  dem  Uhu  gelingt,  dem  nach  dem  Lappen  Grei- 
fenden auf  die  Hand  zu  klopfen,  ohne  seinen  Sitz  zu  verlassen,  ist  der 
Betreffende  „gestorben"  und  nimmt  keinen  Teil  am  Spiel.  Wenn  aber 
jemand  den  Lappen  wegraffen  kann,  ohne  vom  Uhu  berührt  zu  werden, 
nimmt  er  die  Stelle  des  Uhu  ein,  dieser  aber  tritt  unter  die  übrigen 
Spielenden,  worauf  das  Spiel  fortgesetzt  wird. 


11.  Deutsch*) 

Aua  den  Sammlungen  toü  Dr.  Aron  Riss.  Kacb  Aufzeichnungen  der  Lehrerin  Araiüea 

Valent  in  Borgö-Prund. 

1.  Grünes  Gras. 

Die  Kinder  bilden  einen  Kreis,  eines  steht  in  der  Mitte.  Sich 
drehend  singen  sie: 

Grünes  Gras,  grünes  Gras 
Unter  meinen  Füssen, 
Welche  wird  die  Schönste  sein, 
(oder:  Welche  du  am  liebsten  hast,) 
Diese  sollst  du  küssen. 

•)  f».  Ethnographie  III.  S.  88. 

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SIEBENBÜRGISCUE  KINDERSPIELE 


Das  Kind  in  der  Mitte  küsst  eines  im  Kreis.  Nun  wechseln  sie 
die  Plätze  und  setzen  das  Spiel  fort 

2  Muachketelein. 

Die  Kinder  singen  im  Kreise: 

Muschketelein,  Muschketelein ! 
Ich  bin  ein  armes  Waiselein. 
Dreimal  um  und  um  und  um 
Dreht  sich  die  schöne  N.  um. 

(Die  Genannte  wendet  sich  um ) 

N.  hat  sich  umgedreht, 

Hat  den  schönen  Kranz  verdreht. 

Florian,  Florian, 

Hat  geschlafen  sieben  Jahr, 

Sieben  Jahr  Sind  um 

Und  es  dreht  sich  A.  um. 

Das  Spiel  ist  aus,  wenn  alle  Kinder  mit  dem  Gesicht  nach  aus- 
wärts gekehrt  sind. 

3.  Im  Sommer. 

Die  Kinder  stehn  im  Kreis,  das  geschickteste  in  der  Mitte.  Sie 
drehen  sich  und  s»ngen: 

Im  Sommer,  im  Sommer, 
Da  ist  die  schönste  Zeit, 
Da  freuen  sich  die  alten 
Und  auch  die  jungen  Leut! 
Nun  bleiben  sie  stehen;  das  in  der  Mitte  klatscht,  hüpft,  geigt, 
u.  8.  w.;  die  übrigen  ahmen  ihm  nach. 

4.  Der  Musikant. 

Die  Kinder  sitzen  oder  stehen  im  Halbkreise;  das  geschickteste, 
der  Musikant,  stellt  sich  vor  sie  hin: 

Der  Musikant: 

Ich  bin  ein  Musikant 

Aus  schönem  fremden  Land. 

Die  Übrigen: 

Du  bist  ein  Musikant 

Aus  schönem  fremden  Land. 

Der  Musikant: 

Ieh  kann  wol  spielen. 

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KKISTOF  SZONGOTT 


Die  Übrigen: 

Du  kannst  wol  spielen. 

Der  Musikant: 

Auf  der  Violine 
Vio,  violine,  tralala ! 

Die  Übrigen: 
Auf  der  Violine  (tralala ) 
Hierauf  wird  Ciavier,  Zither  u.  s.  w.  nachgeahmt.  Am  Ende  wer- 
den die  Töne  zusammenfassend  wiederholt: 
Vio,  violine,  tralala, 
Pimpirim  pim,  pim  pim  pim, 
Tra  ra,  tra  ra, 
Drum  dum  dum.  • 

5.  Paradieshüpien. 

Die  Kinder  zeichnen  eine  3 — 4  Meter  lange  und  l  Meter  breite 
Figur  in  den  Boden: 


4  1  5 


oder : 


\  3  / 

1  /  \ 

1 

6 

7 

8 

1 

9 

2 

Dann  wird  ein  flacher  Stein  ins  erste,  zweite  u.  s.  w.  Feld 
geworfen,  und  auf  einem  Fusse  hüpfend,  mit  diesem  hinaus  geschupft. 
Der  Fuss  darf  den  Strich  nicht  berühren,  der  Stein  muss  ins  rechte 
Feld  fallen,  und  darf  nicht  auf  dem  Strich  bleiben.  Darauf  folgt  der 
nächste  nach.  Zum  zweitenmal  u.  8.  w.  wird  bei  dem  Feld  begonnen, 
wo  man  aufgehört  hat.  Wer  zuerst  den  Stein  aus  dem  letzten  Feld 
geschafft,  ist  Sieger.  (Vgl.  Wlislocki,  Vom  wandernden  Zigeunervolke. 
S.  136.  Haltrich-Wolff,  Zur  Volksk.  der  Siebenbürger  Sachsen.  S.  207  ) 


Armenische  Volksmärchen  aus  Siebenbürgen. 

Mitgeteilt  von  Krvtof  Szongott  in  Szamosujvar. 
L  Majre,  ▼ertin  jev  uaapS.*) 

Orpoväri  menäöhile  genige,  vov-or  zämen  hujsß  meghädig  vor- 
tun meö  cekile.  U  Öhi  chäpvi;  zeräm  deghän  medznalov  ez  därde* 
unäöhile  more.  Märe  ikhmäl  bägsuthiun  6hi  desi. 

*)  Etbnographia,  III.  86 


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ARMEXiarHF  VOLKMiABCMMf  Al'8  8IKHKNBCROKN  < 

Wirtin  jerp  äzad  timänäg  uner,  na  gerthär  morin  verMlu.  M**g 
änkämm«  morin  meg  «rind  Aen  m<-  gi  deSnu ;  ne*  gi  mt-dnu,  ugh 
uaipnu'i  hcd  gi  händtbi  ('hi  ärhnvi  irem1  nie,  hüte  iu>  gi  khäae 
ez  Iren  thure  jev  gäAe:  .Thür  gt*dre  !■  Thune  gi  pertärde  ez  u&apnert; 
paje  jedkine  gi  chentivvi,  or  irj»*n  marmnun  v.  ni  kone  m*»g  kelurhme 
t hoi? hu  Vi'TiatfhojtW  gi  gädüre  ez  ch.-ndirkh.'  je>  voghe  thoghelov 
meg  kt'lurhmft.  gl  koee  ez  unap«"«  meg  ne*i  t-hurhim*'  me<«. 

Khir  zamängi  vora  njs  *en(kh>in  me<\  voK*  Uftäpnun«'  eghile, 
gl  geni  hed  morö.  W-rtin  äAkir  äl  gerthär  vörAälu;  paj«  tnore 
aiiler.  the,  ehelät*  ro.dnu  n*»Ai  rhuehe,  zeräm  v^niA  gilä  häAnelu 
uvn.  iKorov  poile,  or  heränä  vertin,  u  meguraö  näile.  tht?  ine  gä 
rhuehin  mes  I^növorvile  hed  usäpin  u  äjnbe*  häAtadvilin,  the 
iftovme  «>pänin  fz  vrrtin.  Mäjn- gi  t.'rvi  the  hivänt  e  .Orti— gäÄe— zor 
hivänt  im;  päio  äjnbeA  guthvi,  the  theor  chozigi  rai*  udei,  nä 
bi  lävnäi.  K.  na  die*  hon,  uch  tareiv  meraegi  gi  zärnevin :  hon  g4 
meg  choz  mfi,  ehern  ängie  meg  chozigm*  u  pier  zan  dun  '  Sügheaile, 
the  hon  bi  gon  jev  ängie  älä  )M  thi  bi  Urna  Deghän  gi  thämbe  £x 
ein.  veräii  gi  tfne  fit  ärtmeehner.*  u  diämphä  geie. 

ÄrikagO  pärrgüm.*  e^hiK«  ;  ünorhäroar  deghän  dsämphove  gi  gäuni 
Ärikegun  dan<-  t»raäc  ,l>h  g  erthäA  V  —  A.-iile.  .Hedew  H  zim 
rhträdtt:  Jerp  daaverifu;  ellä  Aehätö.  änfcumÄ  raud  tirerun  mi- 
'  eore;  eboze  c-hi  belä  punin  me<-  u  tun  hesd  bi  gärnas  me«  cho 
itgme  rluMeln  •  ltfghan  |»arev  gudä  u  alind&n  gertha  DäAvrrguiin 
gi  modnu  tün-run  mu  <»r«',  gl  ch.'-le  meg  chozig  rat*  u  jed  gi  tirnä 
AlvC-  gi  ganni  Arik^gun  dan-  t>mdc.  .MMig  ärn,  zeräm  mämäd  «z 
kelwhOd  guze  udelu.#  Ittgfcin  dun  gertha  Üi  rhonin  rhozige  u 
gud*>  mar«-  mrohen.  tOrti  «1  ä«heg  im!"  —  Khu-  tämdnagi  v.-ri 
ihf«  hivänt  e.  .Orti  keni  dAire.  Ajnbe.  guka  indzig,  tl.e  theor  chemei 
ajn  rmforen,  vorin  mer  vogheerun  u  meradznuti  vun>  gä,  nä  bi 
Uvnäi  *  iN-ghän  älv^  thämhile  (>i  vm,  ärile  fit  artmAi-hnft*  äl  jev 
d>«mpha  elik.  (iänntlr  änkt^gun  timiir  mkhH  chtrxilc  fit  khex  um  hia« 
mäm»d  V  AM*  Ihr  urh  «,-rthä.  .M.^ig  äri,  zeräm  miäjn  däAvergu- 
Am  gelü;  oz  ämrnnenVi  lenrlu  Wj^m  jerp  jed  UmäA,  im  ganne 
dämS  tiiiuir  -  iVk'hnn  konarilo,  Kvhih»  äro«  nneiv.  jev  j,»d  Ur- 
i4le  Arikwt^  udelvov  pojile  zinkh*  I.u-hun  inkhö  genh«  nä,  Anküg* 
barbechm  hiJ«   fit    ämennere    u    änon£    mer    häaaräg   cur  ^rile  • 

••)  Ht<  :  llrot.  uudHu  —  d.  Ii    Mhta«%mal ,  ha^  Mrht  oft  far  dUt. 


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KRISTOP  SZONGOTT 


BKhid  zamängi  v6ra  ägheg  bi  perne  äjS  cur6"  —  äsav  inkhen  irj6n 
u  nieä  m6dile.  Döghän  6snähägän  egile  häctn»*)  u  älindän  kenäöile. 
Dun6  häfinelov  gudä  more  ceren  raeg  kävtovm6.  Gi  cheme  u  gi  tärnä 
hiväntuthiune. 

Deghän  vär  gi  t6ne  6z  thur6  u  gerthä  vörsälu.  Mär6  tus  g'äble 
ez  u§äp6  chuehen ;  jöv  vorovhedev  uch-äl  chörgilin  ez  deghän,  na  chi 
gor§6vi;  änor  hämär  or  azädvin  irmen,  nä  äjnbes  hästädvilin,  the 
theor  dun  ikä,  nä  dunö  thoghädz  therove  bi  spänin  6z  nä  Deghän 
dun  gukä,  thurß  usäpin  cerön  e.  Himä  deSnelov,  the  verc  e 
iren  nä  gi  chentr6vi,  or  ez  pert6rdädz  märmin6  tenin  ärtmechnun  med 
u  äblin  6z  6in  or  erthä  ärtnu'chnerove  vortin  äcvenicre  dänin.  Äjn 
beä  ärilin,  päjc  ez  Sirde"  bähilin.  Cin  Arik6gun  däne  timäö  gännile. 
„Ääilim,  the  mämäd  gude  ez  k61och6d!u  U  tus  perelov  öz  merädznun- 
jev  voghöerun  bähädz  eur6,  gi  khe^e  ez  p6rt6rdädz  märmine  —  u 
ähä  voghchechuchile  6z  d6ghän.  „lnc  sad  khun  eghilim."  —  JÖS 
voghöheöhuchilim  6z  khiez"  —  bädäSchänile  Ariikäge.  Himbig  amen 
pänc  ägheg  eghädz  b'öllär,  bäjö  dhunächi  sird.  „Ar  thuchi  ger- 
bäränk  —  gase  Ärikäge  —  u  k6nä  Si  läußhove  dun;  hon  ädeSä 
härgnikh  e.  Bi  tenin  or  phöchis.  Khicme  bi  pheehis,  änor  edevänö 
b'äsis,  the  dan  ikbme.  inöhov  kh6sis  6z  äghikhe;  bidän  ez  khu 
sirded  u  tun  zän  gul  bidäs.14  D6ghän  hedevile  6z  ch6räd6.  Dun6 
6hin  dsäncheczhi  zinkh6.  Phechile;  änor  edevänö  öer6  terilin  6z 
äird6;  inkh6  jed  tärcile,  äkeste  chorter  6z  läuöhin  —  u  gul  duvile 
6z  sird6.  Himbig  säd  6rind  phedhile.  Härs6  u  phesän  gi  chäghär. 
„Tir  vär  6z  di  thure,  m'äni  ädehä  huk-  —  gäse  härse  phesin.  Vär 
gi  töne.  Thuch6  khickhicene  gi  modignä  th6rin,  gi  chele  zäjn  jev 
ärä£h6  6z  mär6  u  änor  devänd  6z  usäpe  gi  pertörde.  Edjem  hon 
thoghile  zäjä  ändolväth  degh6  u  Ärikegun  mod  könädile  pönägelu. 


Mutter,  Sohn  und  Drache.  *) 

Witwe  ward  die  Frau,  die  alle  ihre  Hoffnung  in  ihren  einzigen 
Sohn  gesetzt  hatte.  Und  sie  täuschte  sich  nicht;  denn  der  Knabe  wuchs 
heran  und  sorgte  für  seine  Mutter.  Seine  Mutter  hatte  keine  Not 
zu  leiden 

Der  Sohn,  wenn  er  treie  Zeit  hatte,  pflegte  in  den  Wald  auf 

*)  Unter  den  vielen  Parallelen  xu  diesem  bekannten  Märclienthema  ist  wol 
am  interessantesten  das  Zigeunermärchen  in  Dr.  B.  Constantinescu,  Probe  de  liroba 
*i  litteratura  figanilor  din  Romania,  S.  65—72. 

220 


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ARMENISCHE  VOLKSMÄRCHEN  AlS  SIKHENHCRGKN 


die  Jagd  zu  gehen.  Einmal  sieht  er  im  Walde  ein  schönes  Gebäude; 
er  geht  hinein,  dort  trifft  er  Drachen.  Er  erschrickt  nicht  vor  ihnen, 
sondern  zieht  seinen  Säbel  und  spricht:  „ Säbel,  hau!"  der  Säbel 
haut  die  Drachen  in  Stücke;  doch  der  letzte  bittet  ihn,  er  möge  we- 
nigstens einen  Kopf  auf  seinem  Rumpfe  lassen.  Der  Jäger  gewährt 
die  Bitte,  belässt  einen  Kopf  und  sperrt  den  Drachen  in  ein  inneres 
Zimmer. 

In  kurzer  Zeit  übersiedelte  er  mit  seiner  Mutter  in  das  Gebäude, 
das  den  Drachen  gehört  hatte.  Der  Sohn  gieng  auch  hier  jagen;  er 
hatte  es  seiner  Mutter  untersagt,  ins  innere  Zimmer  zu  treten,  da  es 
ihr  übel  ergeben  könnte.  Sie  konnte  es  aber  kaum  erwarten,  das  ihr 
8ohn  ausgehe,  und  sah  gleich  nach,  was  im  innern  Zimmer  sei.  Sie 
machte  mit  dem  Drachen  Bekanntschaft,  und  sie  kamen  über- 
ein, den  Sohn  auf  irgend  eine  Weise  umzubringen.  Die  Mutter  stellt 
sich  krank.  „Sohn,  — »  spricht  sit  —  ich  bin  sehr  krank;  es  däucht 
mir  aber,  wenn  ich  Ferkelfleisch  ässe,  würde  ich  genesen.  Geh  also 
hin.  wo  die  Berge  zusammenschlagen,  dort  ist  eine  Sau,  entrafle  ihr 
ein  Ferkel  und  bring  es  heim."  Sie  glaubte,  er  werde  dort  umkom- 
men und  nicht  mehr  zurückkehren.  Der  Sohn  sattelt  sein  Pferd,  wirft 
ihm  den  Zwerchsack  um,  und  macht  sich  auf  den  Weg. 

Die  Sonne  war  ihm  befreundet;  unterwegs  hielt  er  also  vor  dem 
Haus  der  Sonne  an.  „Wohin  gehst  du?*  —  Er  sagt  es  ihr.  „Befolge 
meinen  Rat  :  Wenn  es  zwölf  Uhr  ist,  dann  geh  zwischen  die  Berge : 
die  Sau  ist  dann  nicht  im  Lager,  und  du  kannst  leicht  ein  Ferkel 
errpffen."  'Der  Sohn  grüsst  und  geht  weiter.  Um  zwölf  Uhr  geht  er 
zwischen  die  Berge,  errafTt  ein  Ferkel  und  kehrt  zurück.  Wieder 
macht  er  vorm  Haus  der  Sonne  halt.  „Gib  acht,  deine  Mutter  will  dir 
den  Kopf  verzehren."  Der  Sohn  geht  nach  Hause.  Das  Ferkel  wird  ge- 
braten, die  Mutter  isst  davon.  „Sohn,  mir  ist  besser."  In  kurzem  ist 
sie  wieder  krank.  „Sohn,  geh,  hol'  Arznei.  Es  dünkt  mich,  wenn  ich 
von  dem  Brunnen  trinken  könnte,  in  dem  das  Wasser  der  Lebenden 
und  Todten  ist,  würde  ich  genesen."  Der  Sohn  sattelte  wieder  sein 
Ross,  nahm  den  Zwerchsack  vor,  und  machte  sich  aul  den  Weg.  Vor 
der  Sonne  blieb  er  stehen.  „Wieder  hat  dich  deine  Mutter  wohin  ge- 
schickt?"—  Er  sagte  ihr,  wohin  er  gienge.  „Gib  acht,  denn  du  kannst 
dein  Geläss  nur  um  12  Uhr  füllen.  Wenn  du  dann  zurückkehrst,  mach 
vor  meinem  Hause  halt."  Der  Sohn  gieng  hin,  füllte  seine  Gelasse 
und  kam  zurück.  Die  Sonne  wartete  mit  Speise  auf  ihn.  Während  er 
assj  leerte  die  Sonne  sein  Gefässe,  und  gab  gewöhnliches  Wasser  hin- 
ein. „In  kurzem  wird  dies  Wassar  uns  gut  zustatten  kommen,"  — 
sprach  sie  bei  sich  und  gieng  hinein.  Der  Sohn  bedankte  sich  fürs  Es- 
sen, und  gieng  weiter.  Zuhause  angekommen,  reicht  er  seiner  Mut- 
ter ein  Glas  vom  Wasser.  Ihre  Krankheit  wendete  sich.  (D.  h.  sie 
genas). 

Der  Sohn  legt  seinen  Säbel  ab  und  geht  auf  die  Jagd.  Die  Mut- 
ter lässt  den  Drachen  aus  dem  Zimmer,  und  da  der  Sohn,  wohin 
immer  sie  ihn  auch  geschickt  hatten,  nicht  umgekommen  war,  kamen 

221 


DR.  RAIMUND  FRIED.  KAINDL 


sie  überein,  ihn,  wenn  er  heimkehrt,  mit  seinem  zu  Hause  gelassenen 
Säbel  zu  tödten.  Der  Sohn  kommt  nach  Hause;  der  Säbel  ist  in  der 
Hand  des  Drachen.  Als  er  nun  sieht,  dass  es  mit  ihm  aus  ist,  bittet 
er  sie,  seinen  zusammengehauenen  Körper  in  den  Zwerchsack  zu  ge- 
ben, und  seinem  Rosse  zu  gestatten,  es  möge  mit  dem  Sacke  gehen, 
wohin  es  seine  Augen  führen.  Sie  taten  also,  aber  sie  verbargen 
sein  Herz.  Das  Pferd  blieb  vor  dem  Hause  der  Sonne  stehen.  BHab' 
ich 's  gesagt,  dass  deine  Mutter  dir  den  Kopf  verzehren  wird. . . "  Und 
sie  bringt  das  aufbewahrte  Wasser  der  Lebenden  und  Todten  hervor, 
bestreicht  den  zerstückelten  Körper  —  und  sieh  da,  der  Sohn  wird  wie- 
der belebt.  „Wie  lang  ich  geschlafen  hab'!u  „Ich  hab'  dich  wieder 
zum  Leben  erweckt- — entgegnete  die  Sonne.  Nun  wäre  alles  gut 
gewesen,  aber  er  hatte  kein  Herz.  „Nimm  die  Gestalt  eines  Zigeuners 
an  —  sprach  die  Sonne  —  und  geh'  mit  der  Geige  nach  Hause;  dort 
gibt  es  eben  Hochzeit.  Sie  werden  dich  musizieren  lassen.  Du  wirst 
ein  wenig  spielen,  dann  sagst  du,  sie  sollen  dir  etwas  geben,  womit 
du  den  Bogen  bestreichen  könnest;  sie  werden  dir  dein  Herz  geben, 
und  du  verschluck1  es.-  Der  Sohn  befolgte  den  Rat.  Im  Hause  ward 
er  nicht  erkannt.  Er  musizierte,  dann  gab  man  ihm  sein  Herz  in  die 
Hand:  er  wandte  sich  um,  —  als  wollte  er  was  an  der  Geige  richten,  — 
und  verschluckte  das  Herz.  Hierauf  spielte  er  sehr  schön  auf.  Die 
Braut  und  der  Bräutigam  tanzten.  „Leg'  doch  deinen  Säbel  ab  und 
mach'  keinen  solchen  Lärm"  —  spricht  die  Braut  zum  Bräutigam.  Er 
legt  ihn  ab.  Der  Zigeuner  nähert  sich  langsam  dem  Säbel,  ergreift 
ihn.  und  haut  erst  seine  Mutter,  dann  den  Drachen  in  Slüeke.  Da- 
rauf verliess  er  den  unglückseligen  Ort,  und  gieng  zur  Sonne  wohnen. 


Baba-Jaudooha-Dokia. 

Von  Dr.  Raimund  Fried.  Kaindl  {Czernomtz), 

Über  die  „Baba"  ist  in  diesen  Mitteilungen  bereits  zweimal,  S.  12 
ff.  u.  56  ff.  gehandelt  worden.  So  weit  ich  sehe,  ist  aber  dort  auf  die 
hierher  gehörigen  rutenischen  (slawischen)  Überlieferungen  keine  Rück- 
sicht genommen  worden.  Dies  veranlasst  mich  das  Folgende  zum  Ab- 
drucke zu  bringen.  Es  wird  übrigens  interessant  sein,  mit  den  diesbe- 
züglichen Mitteilungen  aus  Ungarn  und  Rumänien  die  folgenden  aus 
der  Bukowina  zu  vergleichen. 

I. 

Die  Überlieferung.  *) 
1.  In  der  Bukowina  wird  es  anfangs  März  wärmer,  um  die  Mitte 


*)  No.  1-9  sind  von  mir  gesammelt  und  im  Urquell,  II.  Bd.,  9.  Heft,  aus- 
führlich mitgeteilt.  Nr.  10  ist  nach  Wickenhauser :  Molda  I.  1881.  S.  4  u.  236,  Nr. 
II  nach  Sinti finowicz:  Volksagen  aas  Her  Bukowina.  1885.  S.  136  f.  erzählt  Die 
Versionen  mit  „Jaudocha"  sind  rutenisch,  „Jewdocha*  huzulisch,  „Dokia"  rumänisch. 

222 


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BABA-JAUDOCHA-DOKIA. 


wird  es  gewöhnlich  wieder  rauh;  das  thut  die  Baba  Jaudocha,  Jew- 
docha  oder  Dokia  (Dochia),  (l.  März  a.  St.  =  13.  März  n.  St.  Eudo- 
xia).  —  2.  Wenn  Baba  Dokia  ihre  zwölf  Pelze  schüttelt,  schneit  es.  — 
3.  Wenn  es  schneit,  sitzt  Jaudocha  in  zwölf  (vierzig)  Pelzen  am  Dach. 
Kommt  Sonnenschein,  so  wirft  sie  die  Pelze  ab.  —  4.  Jaudocha  hat 
neun  Pelze.  —  5.  Baba  Jewdoch  i  geht  in  zwölf  Pelzen  mit  der  Spin- 
del aus.  Sie  wirft  die  vom  Schnee  nassen  Pelze  ab  und  erfriert.  6. 
Baba  Jaudocha  will  den  jungen  März  zum  Manne.   Aul  sein  Begehr 
bringt  sie  eine  Nacht  am  Dache  zu;  er  bläst  und  stürmt,  bis  sie  er- 
friert. —  7.  Baba  Dokia  schickt  ihre  Nichte  Schafe  weiden.  Es  ist  sehr 
kalt,  das  Mädchen  kehrt  heim.  Erzürnt  geht  Dokia  selber  auf  die  Weide ; 
am  zu  zeigen,  dass  sie  die  Kälte  nicht  fürchte,  wirft  sie  die  Pelze  ab  und 
erfriert.  —  8.  Als  es  März  wurde,  zog  Baba  Jaudocha  zwölf  Pelze  an 
und  stieg  aufs  Dach.  Es  schneite  regnete  und  fror,  dass  auf  dem  Pelz 
fünf  Finger  dick  das  Eis  stand.  Da  warf  sie  den  obersten  Pelz  ab; 
am  zweiten  Tage  den  zweiten  durchnässten  Pelz  u.  s.  w. ;  am  zwölf- 
ten Tage  war  es  so  warm,  dass  die  Baba  ihren  letzten  Pelz  abwarf; 
um  Mitternacht  aber  ward  es  sehr  kalt,  und  die  Baba  erfror.  Seither 
kehrt  sie  alljährlich  um  dieselbe  Zeit  den  Leuten  den  Schnee  in  die 
Augen.  —  9.  Jaudocha  lästerte  Gott;  sie  fürchte  Sturm  und  Schnee 
nicht.  Sie  zog  zwölf  Pelze  an.  nahm  ihren  Spinnrocken  und  trieb  die 
Schafe  auf  die  Weide.  Gott  schickte  Regen  und  Schnee,  sie  durch- 
nässten  den  obersten  Pelz,  Jaudocha  warf  ihn  ab,  dann  den  zweiten, 
dritten,  u.  s.  w.  Als  sie  den  zwölften  abgeworfen  hatte,  erfror  sie, 
Seit  der  Zeit  herrscht  um  Eudoxia  alljährlich  veränderliches  Wetter 
mit  Schnee,  Regen  und  Sonnenschein.  Nähert  sich  der  Eudoxiatag, 
so  sagen  die  Leute:  „Jaudocha  zieht  ihre  zwölf  Pelze  an.  Ist  sie  da- 
mit fertig,  so  beginnt  das  „Märzwetter.-  Dieses  währt  zwölf  Tage. 

10.  Auf  dem  Frauenfels,  der  sich  westlich  von  dem  Humorabache, 
dort  wo  die  Docila  ihren  Ursprung  nimmt,  erhebt,  erbhckt  man  ein 
Felsbild  der  Doka  (sie!).  Sie  war,  als  der  Frühling  zeitlich  anbrach, 
mit  ihren  Schafen  auf  die  Berge  gezogen,  und  das  Wetter  war  so 
mild  und  schön,  dass  sie  mit  ihrer  Spindel  beschäftigt,  allmälig  alle 
Oberkleider  ablegte.  Da  begann  es  aber  plötzlich  wieder  zu  stürmen, 
und  die  Schneeflocken  tanzten  dicht  umher.  Vergebens  zog  nun  Doka 
wieder  ihre  zwölf  Pelze  an.  Gelehnt  an  den  Felsen  erfror  sie  und 
wurde  ein  Bild  aus  Stein.  Auch  ihre  Schafe  versteinerten.  Man  sieht 
sie  noch  jetzt  im  Bette  des  Docilabache*  liegen,  das  sich  nach  kur- 
zem Laufe  in  die  Moldawa  ergie«st. 

11.  Baba  Dokia  trieb  ihre  Schafe  auf  die  Weide.  Während  diese 
grasten,  suchte  Dokia  Erdbeeren.  Sie  fand  wol  noch  keine  Erdbeeren, 
aber  glühende  Kohlen.  Diese  sammelte  sie,  denn  sie  wusste,  dass 
dieselbe  sich  gar  bald  in  Beeren  verwandeln  würden.  Dokia  hatte  zwölf 
Pelze  an.  täglich  warf  sie  einen  derselben  ab.  Als  sie  den  letzten  ab- 
gelegt hatte,  trat  schönes  Wetter  ein.  Dessen  freute  sich  die  Baba 
und  sagte:  „Dies  ist  der  erste  Frühlingstag;*  und  dann  fügte  sie  hinzu: 

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DR    RAIMUND  FRIED.  KA1NDL 


„Erdbeeren  fand  ich;  herrliches  Wetter  gab  mir  Gott;  jetzt  möchte 
ich  noch  einen  schönen  Mann  haben.8 

Kaum  hatte  Dokia  diesen  Wunsch  geäussert,  so  wurde  sie  zu 
Stein.  Aus  diesem  Steine  aber,  der  Menschengestalt  hat  und  in  der 
Nähe  von  Kimpolung  steht,  fliesst  ein  klarer  Quell. 

IL 

Dentungsversuch. 

Die  Baba  d.  i.  die  Alte  ist  offenbar  gleichzustellen  mit  der  sla- 
wischen Jaga-Baba,  welche  nach  der  Volksüberlieferung  auf  einem 
Mörser  reitet,  und  mit  einem  Besen  hinler  sich  die  Spuren  verwischt.  l) 
Beide  versinnbilden  den  Winter,  und  sind  wie  Je£i-Baba  oder  auch 
Baba  kurzwegs  gleichen  Wesens  mit  der  Todesgöttin  Morana.  Mit 
dem  Verbrennen  oder  Ersäufen  dieser  Göttin  in  Gestalt  einer  Stroh- 
puppe hat  offenbar  der  Untergang  der  Baba-Jaudocha-Dokia  dieselbe 
Bedeutung;  es  wird  der  Sieg  des  Sommers  über  den  Winter  versinn- 
bildet. 2)  Und  wenn  nach  einer  Version  der  Sage,  die  Baba  den  jugendli- 
chen Mart  unterliegt,  so  kann  man  bei  dem  Namen  desselben  an 
St.-Martin  1 13.  Feb  a.  St.  =  25.  Feb.  n.  St.) 3;  und  zugleich  an  den 
Monat  März  (Mart,  Marot)  denken ;  seinem  Wesen  nach  ist  aber  die- 
ser Mart  sicher  der  Sommergott.  Daran  darf  man  keinen  Anstoss  neh- 
men, dass  die  Sage,  welche  am  Erfrieren  der  Baba  festhält,  den  Mart 
durch  Wind  und  Sturm  siegen  litsst.  Unterstützt  wird  unsere  Ansicht 
ganz  trelflich  durch  den  Umstand,  dass  die  Butenen  auch  sonst  von 
einer  Begegnung  des  Winters  mit  dem  Sommer  erzählen.  ')  Dieselbe 
findet  am  Feste  Christi  Darstellung  statt  (2.  Feb.  a.  St.  =  14.  Feb.  n. 
St.);  in  die  nächsten  Wochen  fällt  sodann  der  Kampf,  zwischen  bei- 
den, bis  die  Baba,  der  Winter,  unterliegt  Dieses  geschieht  nach  der 
gewöhnlichen  Überlieferung  zwölf  Tage  nach  dem  Eudoxiatage,  also 
am  13.  März  a.  St.  =25.  März  n.  St. 

Neben  der  Baba  wird  in  der  rutenischen  Volksüberlieferung  auch 
Did  d.  i.  der  Alte  genannt.  *)  Er  ist,  wie  dieses  aus  der  Überlieferung 


li  Lau-rtHcski :  Die  mythische  Bedeutung  einiger  Sagen  (angeführt  bei  Bes- 
tusbew  Rjuroin:  Gesch.  Russlanda,  Mirau  1874.  s.  13)  Bemerkenswert  ist,  dass  bei 
den  Ratenen  die  Bezeichnung  „baba"  sowol  für  d  e  Ramme  (Werkzeug  zum  Stam- 
pfen) als  auch  für  den  Schneemann  üblich  ist.  Zelechowsski:  Huf.  deutsches  Wörter- 
buch 188«  I.  Vergl.  auch  Stern:  Fürst  Wladimirs  Tafelrunde.  1892  S  91  ff. 

■)  Über  Morana  (Baba,  Jeii-Baba  =  Jaga-Baba)  vergl.  Hanw/ch:  Die  Wissen« 
senachaft  des  slaw.  Mythus,  Lemberg,  1812.  S.  140  ff.  160  ff  198,  412  f.  Über  das 
Ersäufen,  Verbrennen  und  Verscharren  des  Todes  in  Böhmen  bandfit  ausführlich 
Reinsberg-Düring» feld:  Festkalender  aus  Böhmen,  Prag,  1864.  S.  88.  ff 

*<  Bemerkenswert  ist  folgende  (polnische)  Wetterregel:  Marci  (Martin)  ver- 
nichtet den  Winter,  oder  macht  ihn  roich  (d  h.  lang).  Krsteres  findet  statt,  wenn 
am  Martinstag  trübes  Wetter  herrscht;  letzteres  wenn  es  schön  ist  Dieselbe  Regel 
gilt  vom  Feste  Christi  Darstellung.  Vergl  Kaindl  u.  Manastyrski :  Die  Rutenen  in 
der  Bukowina  II,  Czernowiu,  1890.  S.  95. 

*)  Vergl.  „Die  Rutenen"  a  a.  0. 

«)  Vergl.  ebenda  S.  7—12,  24  f.  90  ff. 

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BABA-JAUDOCHA-DOKIA. 


klar  hervorgeht,  ebenfalls  ein  Wesen  des  Verderbens,  des  Winters,  er 
ist  geradezu  der  Teufel  (Czort,  Czornoboh).  Wie  Baba  wird  auch  es 
von  einem  jugendlichen  Helden,  dem  lichten  sommerlichen  Gott,  besiegt; 
aber  er  wird  auch  wie  Morana  =  Baba  in  Gestalt  von  Stroh  verbrannt. 
Es  geschieht  dieses  zweimal;  zum  ersten  Mal  am  Feste  Mariä  Ver- 
kündigung (25.  Marz  a.  St.  —  6.  April  n.  St.),  also  zwölf  Tage  nach 
dem  Untergange  der  Baba;  das  zweite  Mal  am  Gründonnerstag.  Es 
ist  also  klar,  dass  Did  und  Baba  gleichen  Wesens  sind.  Darauf  deu- 
ten übrigens  noch  die  einander  entsprechenden  Namen.  Bemerkenswert 
ist  es  auch,  dass  wie  Jaga-Baba  auf  einem  Mörser  reitet,  so  Did 
nach  der  rutenischen  Volksüberlieferung  auf  einer  Getreidestampfe 
fahrt.  l) 

Woher  die  Sage  die  Namen  Jaudocha-Dokia  und  Mart  für  ihre 
mythischen  Gestalten  nahm,  ist  klar;  es  sind  Namengebungen  aus  der 
Zeit.  Erwähnt  soll  noch  werden,  dass  ähnliche  Steinbilder,  wie  sie  in 
den  letzten  zwei  Versionen  der  Sage  genannt  werden,  auch  in  Russ- 
land unter  der  Bezeichnung  „Kamennaja  baba"  (Steinweib)  vorkom- 
men. Die  Abbildung  einer  solchen  findet  man  bei  Schiemann:  Russ- 
land, Polen  und  Livland  (Allg.  Gesch.  in  Einzeldarstellungen)  1.  B. 
S.  31.  Das  Bezeichnende  ist,  dass  diese  Colossalfigure.j  meist  aut  Grab- 
hügeln aufgestellt  sind.  Es  entspricht  dieses  dem  Charakter,  den  wir 
für  die  Baba  in  Anspruch  nehmen. 

Dieses  ist  meine  bescheidene  Ansicht,  wie  ich  sie  in  Kürze  be- 
reits bei  anderer  Gelegenheit  entwickelt  habe. ')  Aus  meinen  Ausfüh- 
rungen dürfte  es  zum  mindestens  hervorgehen,  dass  man  Unrecht  thut, 
den  Mythos  von  der  Baba  als  ausschliesslich  rumänischen  zu  behan- 
deln. Ich  glaube,  dass  derselbe  im  Zusammenhange  mit  der,  slawi- 
schen Überlieferung  sich  leicht  und  natürlich  erklären  lässt.  a) 

l)  Vergl.  das  in  Anmerk.  2.  Angeführte. 
')  „Die  Rutenen«  II.  S.  63  L 

*>  über  die  Jaudocha-Dokia  Sage  handeln  noch:  Dr.  At.  Marienescu,  Ethno- 
graphia,  180().  III.  u.  „Transilvania"  1890.  A.  Vereas,  Ethnographia,  1890.  IV. 
L.  Saineana.  »Conrorbiri  liter&re"  1888.  Scheantt  ^Saineauu)  soll  1889.  eine  zn- 
»amtueiifasseode  Arbeit  veröffentlicht  haben.  Vergl.  am  Urquell,  IL  Bd.  S  U9— 151. 


Elhcologiioh.  UitUiiang.o.  Ii.       325  16 


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Italienische  Sprüche  und  Lieder  aus  Fiume.*) 

Mitgeteilt  von  Ludwig  Csink  u.  AUxander  Körösi. 

L 

Sprichwörter  und  Redensarten. 

(L.  Czink.) 


I.  Se  Jenajo  nojeniza,  se  Febrajo 
no  febriza,  Marzo  jenisa,  febriza 
e  marzissa. 

2.  Febrajo  carto  pejo  d'an  turco. 

3.  Marzo  matto. 

4.  Aprile  dolze  dormire. 

5.  Aprile  non  ti  scoprire. 

6.  Majo  va  adajo. 

7.  Majo  grata  formajo. 

8.  Giugno  cava  el  co  de  gugno. 

9.  La  piova  de  Agosto,  rinfresca 
mar  e  bosco. 

10.  San  Sabastian  cola  viola  in 
man ;  viola  o  rton  viola,  de 
l'invemo  semo  fora. 

II.  San  Yinzenzo  gran  fredura, 
San  Lorenzo  gran  caldura,  e 
i'uno  e  l'altro  poco  i  dura. 

12.  Madonna  Gandelora,  se  Iavien 
con  vento  e  piova,  de  l'inverno 
semo  fora;  se  la  vien  con  piova 
e  vento,  nell'  inverno  semo 
drento. 

13.  Se  piove  per  San  Urban,  piove 
quaranta  jorni  drio  man. 

14.  San  Vito,  le  zerese  col  ma- 
rito.') 


15.  Vado  pregar  S.  Vito,  che  mi 
dia  marito. 

16.  Legge  fiomana  dura  una  set- 
timana. 

17.  Se  piove  sule  Palme,  bei  tem- 
po  sui  ovi*)  e  se  bei  tempo 
sule  Palme,  piove  sui  ovi. 

18.  Santa  Barbara  San  Simon,3) 
libereme  de  sto  ton,  de  sto 
ton,  de  sta  sajeta,  Santa  Bar- 
bara benedeta.  Santa  Ciara  Cia- 
riza, Santa  Barbara  Barbariza, 
Ora  pro  nobis. 

19.  San  Miciel  porta  la  marenda 
in  ziel  e  San  Jorjo  la  porta  de 
ritorno.1) 

20.  Da  santa  Luzia  al  Nadal, 
cresce  '1  jomo  un  pas  de  gal ; 
dal  Nadal  al  Epi£ania,  cresse 
el  jorno  mesa  mia. 

21.  Dal  Nadal  al  primo  del  anno 
se  slunga  i  jorni  un  pie  de  galo. 

22.  Epifania  porta  tutte  le  feste 
via,  poi  vien  el  mato  de  Car- 
neval,  che  le  fa  ritornar. 

23.  Jovedi  grasso,  poi  jovedi  te 
lasse») 


*)  8.  Ethnographia  1892.  8.  141-207. 
>)  Wurmig. 
*)  Zu  Ostern. 

•)  Vgl.  Ethnol.  Mitt.  aus  Ungarn.  I.  198.  1.  (Gewittersegen.) 
*)  Von  Georgi  an  wird  die  Arbeit  morgens  8  Uhr  unterbrochen,  um  zu  früh- 
stücken, von  Michaeli  an  wird  vor  der  Arbeit  zuhause  gefrühstückt. 
•)  Der  vorletzte  u.  letzte  Faschings-Donnerstag. 

236 


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ITALIENISCHE  SPRÜCHE  UND  LIEDER   AUS  FTUME. 


24.  Nissun  sabo  senza  sol,')  nissu- 
na  fia  senz'  amor. 

25.  No  xe  april  senza  fior,  come 
puta  senz'  amor. 

20.  Lungo  come  la  quaresima. 

27.  Voja  de  lavorar  saltime  ados- 
so,  lavora  ti  per  mi,  che  mi 
no  po8so. 

28.  Poca  voja  saltime  adosso,  fa- 
me  lavorar  meno  (piü)  che 
posso.*) 

29.  Sol  e  piova,  le  strighe  se  spo- 
sa  (s'innamora) ;  sol  e  vento, 
le  strighe  va  in  convento. 

30.  Rosso  de  matina,  la  piova  xe 
vizina ;  rosso  de  sera,  bon  tera- 
po  se  spera. 

31.  —  Cio'  an  dove? 

—  Cior  un  goto. 

—  Ti  ga  bori? 

—  Per  cossa? 

—  Ma  ghe  vol .  .  . 

—  Cossa?  muso  roto  e  bareia 
fraeada}) 

32.  El  fero  se  bäte,  quando  xe 
rosso. 

33.  Dona  che  pianje,  omo  che 
jura,  caval  che  suda  no  bi- 
sogna  crederghe. 

34.  Scarpe  larghe,  goto  pien,  ci- 
orle  sü  come  le  vien. 

35.  In  bocca  serada  non  gh'entra 
le  mosche. 

3G.  Tavola  e  leto  non  porta  ris- 
petto. 


37.  Lontan  dai  oci  lontan  dal  cor. 

38.  La  salata  vol  el  sal  de  un 
sapiente,  l'asedo  de  un  avaro, 
l'oio  de  un  splendido,  missiada 
da  un  mato  e  magnada  da  un 
afamü. 

39.  Fioi  e  colombi  sporca  la  casa. 

40.  La  galina  dela  vizina  par 
sempre  un'  oca. 

41.  Ovo  de  un  jorno,  vin  de  un 
ano,  dona  de  venti,  amico  de 
trenta. 

42.  A  dona  sbeletada  voltighe  le 
spale. 

43.  Gata  coi  guanti  no  ciapa 
sorzi.*) 

44.  De  quel  che  no  ghe  xe,  se  fa 
senza. 

45.  Cola  pazienza  el  gobo  va  in 
montagna. 

46.  Cola  pazienza  se  vinze  ogni 
cossa. 

47.  Chi  vol  bona  vendeta,  in  Dio 
la  rimeta. 

48.  Dal  mal  vien  el  ben. 

49.  Chi  ga  bezzi,  no  ga  cor. 

50.  Se  te  ga  bisogno,  va  prima 
dal  povero,  poi  dal  rico. 

51.  Dove  ghe  xe  pastizi,  ghe  xe 
anca  amizi. 

52.  Chi  xe  busiardo  xe  ladro. 

53.  0  drita  o  storta,  o  bona  o 
trista  fräse,  co  parla  4  rico, 
tuti  quanti  i  tase. 

54.  I  soldi  xe  '1  secondo  sangue. 


Dem  Volksglauben  gemäss  muss  die  Sonne  Samstag  wenn  auch  nur  auf 
einen  Moment  scheinen. 

')  Wenn  jemand  keine  Lust  hat  etwas  zu  tun. 

3)  Wenn  man  nicht  zahlen  kann,  wird  man  hinaus  geworfen    Wird  gesagt, 
wenn  jemand  ohne  Geld  eine  Speculation  unternimmt. 
«)  Bei 


227 


15» 


L.  CZINK 


55.  L'omo  piübruto  xe  quel,  ghe 
ga  le  scarsele  roveree. 

56.  La  poverta  xe  la  mare  dela 

57.  La  salote  no  se  paga  con 
valote. 

58.  Bezzi  e  sanita  i  se  gode  de 
ogni  eta. 

59.  Per  star  ben,  ghe  vol  bro- 
coli,  gnocoli  e  cocoli. 

60.  Chi  ga  bon  apetito,  no  ga  bi- 
sogno  de  salsa. 

61.  Pirole  de  galina, 
Siropo  de  cantina, 
Bareta  in  testa, 

E  manda  el  medico  a  far  festa. 
62  Pindolin  che  pindolava, 
Muatacin  che  lo  guardava; 
Se  pindolin  ga  pindolä, 
Mustacin  lo  gä  vardä.1, 

63.  Vame  comprar  diexe  soldi  de 
fugapressa  e  zinque  de  pefö- 
mels  bone*) 

64.  Galina  vecia  fa  bon  brodo. 

65.  Chi  oji  se  fida  del  onesto, 
perde  '1  manigo  col  cesto. 

66.  Chi  va  pian,  va  san  c  riva 
Ion  tan. 

67.  Chi  va  forte,  lo  ciapa  la 
morte. 

68.  Chi  xe  pigro  a  magnar,  xe 
pigro  a  lavorar. 

69.  La  boca  ga  le  gambe. 

70.  I  gali  ga  le  gambe. 
(I  gä  ligä  le  gambe.) 


71.  La  fame  xe  1  mejo  cogo 

72.  Chi  magna  in  pie,  magna  per 
sie;  chi  magna  sentä,  magna  da 
disperä. 

73.  Chi  va  in  leto  senza  zena, 
tuta  la  note  se  remena ;  e  quan- 
do  che  xe  dl,  no  '1  ga  magnä, 
ne  dorml. 

74.  Minestra  riscaldada  no  xe  bona 
gnanca  per  el  mala. 

75.  Meza  luna  pan  in  cuna, 
mezodi  pan  rosti, 
mezojorno  pan  in  forno, 
meza  ora  '1  pan  xe  fora.3) 

76.  Ovo  apena  fato  val  un  ducato. 

77.  Ovo  senza  sal  no  fa  ne  ben 
ne  mal. 

78.  Quando  '1  gato  xe  sul  fogo, 
la  fa  magra  anca  '1  cogo.1) 

GL  La  scorza  fa  bela  la  castagna. 

80.  El  bever  senza  misura  molto 
tempo  no  se  dura. 

81.  Done  jovane  e  vin  vecio. 

82.  Do  diti  de  vin  prima  de  la 
minestra  la  xe  per  el  dotor  una 
tempesta. 

83.  El  vin  ala  matina  xe  piombo, 
a  mezojorno  arjento,  ala  sera 
uro. 

84.  El  vin  fa  gambe. 

85.  El  vin  fabon  sangue. 

86.  El  vin  fa  morbin. 

87.  L'acqua  smarzisse  i  pali, 
la  fa  vignir  i  omini  jali, 
la  fa  sbiaiu  bir  la  pele 

e  la  fa  le  done  bele. 


»)  Wenn  »twaB  anders  ausfällt,  als  erwartet  worden. 
')  Um  unbequeme  Kinder  wegzukriegen. 
■)  Wenn  man  Kindern  vor  Mittag  kein  Brot  geben  will. 
«)  Denn  sie  stiehlt  alles  weg. 

228 


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ITALIENISCHE  SPRÜCHE  ü.  LIEDER  AUS  FTÜME. 


88.  £1  pejo  fior  xe  quel  del  vin. 

89.  El  vin  coi  fiori  fa  dolori 

90.  Un  bei  sentar  fa  una  bela 
dona.1) 

91.  Se  ti  vol  veder  una  dona  bela, 
vardila  ala  matma,  co  la  se 
leva. 

92.  Val  piü  una  moretina  inVuna 
gamba,  che  una  biancolina 
grossa  e  granda. 

93.  Debiti  fe  debiti. 

94.  Debiti  e  pecai  quanti  isia  no 


95.  Se  no  se  paga  co  se  pol,  bi- 
sogna  pagar,  quando  che  dol. 

96.  Pecä  Sora  peca,  roto  sora 
sbrega. 

97.  La  dona  bisogna  praticarla 
un  jorno,  un  mese  e  un  istä 
per  saver  che  odor  che  la  ga. 

98.  Ogni  mato  ga  la  sua  stajon. 

99.  Spende  piü  ei  misero,che'l  liberal. 
100  Val  piü  un  soldo  sparagnado, 

che  un  zech  in  rubado. 

101.  Cossa  trovada  nonxerubada. 
Gossa  trovada  e  non  consegna- 
da  xe  meza  rubada. 

102.  Chi  sguazza  in  joventü,  stenta 
in  veciaia. 

103.  Un  mato  sa  piü  domandar, 
che  sete  furbi  risponder. 

104.  Per  saver  la  verita,  bisogna 
sentir  do  bujardi.*) 

105.  La  verita  sta  de  sora,  come 
Pojo. 


')  Beim  schminken.         »)  Widersprechen  sich 
«)  Denn  so  lang  was  drin  ist,  trinkt  sie. 
V  Die  Eltern  eines  schlechten  Schalers  sagen 
todschlagen,  denn  besser  u.  s.  w. 

•)  Protection.  Die  Firmlinge  werden  yon  ihren 
')  Taufpate. 


106.  No  se  vede  un  cristian.3) 

107.  Xe  mejo  un  bon  perdio, 
che  un  falso  Jesumio. 

108.  Pejo  de  l'amico  Pinvidia,  che 
del  nemico  Pinsidia. 

109  Impossibile  aver  la  botte 
piena  e  la  serva  ubriaga.') 

110.  Chi  ga  la  rogna,  se  la  grata. 

111.  Se  la  va,  la  va;  se  nolava, 
la  se  impianta. 

112.  Mejo  un  aseno  vivo,  che  un 
fllosofo  morto.') 

113.  Ne  donna  ne  tela  non  se 
compra  alla  candela. 

114.  Chi  lava  ei  mattone,  perde 
Pacqua  e  savone. 

115.  Chi  fa  la  barba  all'  asino, 
perde  Pacqua  e  '1  savon. 

11-6.  A  lavar  la  testa  all'  asino, 
se  perde  '1  tempo  e  1  savon. 

117.  Una  picola  piera  ribalta  un 
caro. 

118.  Rider  (far  una  cossa)  per 
forza  non  val  una  scorza. 

119.  Chi  basa  '1  bambin,  diventa 
compare. 

120.  Se  la  merda  monta 'n  scagno, 
la  spuzza  e  la  fa  dano. 

121.  Chi  ga  santoli,  magna  bu- 
zolai.6) 

122.  Dai  segnadi  da  Dio  zento 
passi  indrio;  da  un  zotto  e 
orbo  zento  e  quarantoto. 

123.  Compare  d'anelo  xe  pare1)  del 
primo  putelo. 

»)  Keine  Seele. 
Ich  kann  ihn  doch  nicht 


mit  Backwerk  traktiert. 


239 


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L.  CZINK 


124.  Dale  scarpe  strazadet  fratV) 
guarda  fora. 

125.  Che  brodi  lunghi !') 

126.  Caval  donä  no  se  guarda  in 
boca. 

127.  Paria  quando  Ia  galina  pissa. 

128.  Meti  la  ligua  in  cal, 

129.  El  caval  non  ga  cortel,  ma 
ga  denti. 

1 30.  No  se  ghe  mette  la  sela  all*  asino. 

131.  Avocato  non  chiaraado  colla 
merda  vien  pagado. 

132.  Xe  andä  '1  manigo  con  tutta 
la  manera. 

133.  Saluda  a  casa  e  no  sta  dir 
gnente. 

134.  0  rosega  sto  osso,  o  salta 
sto  foßso. 

135.  0  magnardc  sta  minestra,  o 
saltar  da  sta  tinestra. 

136.  Chi  trata  colle  man,  trata 
da  vilan. 

137.  Trato  de  man  xe  trato  de 
vilan. 

138.  A  bon  intenditor  poche  pa- 
role. 

139.  Levante  ciaro,  tramontana 
scura,  buttate  in  mar  senza 
paura. 

140.  Loda  el  mar  e  tiente  a  tera. 

141.  Mcjo  oji  un  ovo,  che  doman 
una  galina. 

142.  Son  turco  in  prediga.*) 

143.  Parente  con  parente,  povero 
quel  che  non  ga  gnente. 


144.  Xe  piü  vizin  el  dente,  che 
nessun  parente. 

145.  El  leto  xe  una  rosa:  se  non 
sedorme,  seriposa. 

146.  Una  man  laval'  altra  e  tutte 
do  '1  viso. 

147.  —  Dove  ti  va? 

—  Vado  far  la  monaca. 

—  In  convento  di  San  Benedet- 
to,1)  dove  i  dorme  due  per  leto. 

148.  Ugyan  arra  a  kerdesre: 

148.  —  Eti  sarä  monaca  de  San  Ber- 
nardin,  che  i  dorme  due  percuscio. 

149.  La  xe  brutta,  come  l  affitto 
de  casa  (come  la  fame.) 

150.  La  serva  xe  V  nemico  pagado 
de  casa;  guarda,  che  la  scova 
no  sia  in  stanza.*) 

151.  Vardite  dai  parenti,  come  dal 
dolor  de  denti. 

152.  Ne  dona  ne  sopressa  no  se 
impresta. 

153.  —  Come  ti  sta? 

—  Come  '1  vechio  podestä. 

154.  Mosche  e  rompieoioni  no 
manca  mai. 

155.  Dimentica  dal  naso  alla  bocca. 

156.  Ogni  groppo  vien  al  petine. 

157.  Chi  ga  creanza,  campa  ben, 
chi  no,  ancor  mejo. 

158.  Ogni  bei  balo  stufa. 

159.  El  tropo  rompe  '1  gropo. 

160.  Aspetta  mus,che  V  erbacresce. 

161.  Chi  sparagna  per  la  Spina 
spande  pel  cocon. 

')  Langes  GesclmiUa. 
'/  Wenn  jemand  ein  in  fremder  Sprache  geführtes  Gespräch  nicht  versteht. 
<)  Anspielung  darauf,  dass  der  H.  Benedict  mit  seiner  Schwester  in  der 


')  Die  Zehen. 


Wüste  wohnte. 

*)  Wenn  was  geheim  gehalten  werden  soll. 


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ITALI  HTtttSCHE  SPRÜCHE  C  LIEDER  ADS  FIÜME 


1 62.  Sa  do  careghe  no  se  pol  sentar. 

163.  Ocio  che  te  sbocio,1) 

164.  Ol  d'un  can. 

165.  Fiol  d'una  tecia. 

166.  Ma  ti  xe  imbotonä. 

167.  Che  busolo!  che  flocion! 

168.  Fogo  Luvyi!!*) 

169.  Daghel  Blau,  daghel  Blau, 
daghel  vecio  Blau  .  .  .8) 

170.  Cio  ti  conosci  sto  oquä? 
Eh  come  meso  soldo  sbusa. 

171.  Va  comprarme  quatro  soldi 
ombra  de  campanil.t) 

172.  A  cht  stima,  no  ghe  dol  la 


182.  Chi  la  fe,  se  la  speti. 

188  A  dir  la  verita  non  se  fadiga. 

184.  L'  acqua  ciara  no  fa  depo- 
sito.Ä) 

185.  A  esser  sinzeri  no  se  fala  mai. 

186.  Piü  la  se  missia,  piü  la 


187.  Chi  ga  sanita,  xe  rico  e  no 
lo  sa. 

188.  El  ben  fato  per  paura  no  val 
gnente  e  poco  dura. 

189.  Magna  renghe  e  sardeloni 
che  ti  conserverä  sani  i  polmoni. 

190.  Coi  mati  non  se  fe  pati. 

191.  Ai  mati  ghe  se  da  sempre 
rajon. 

192.  Chi  rompe,  ta  paga. 

193.  Nissun  xe  sempre  savio. 

194.  Ariade  drio  la  schena,')  in 
leto  la  ve  mena;  aria  de  fes- 
sura  manda  1'omo  in  sepoltura. 

195.  De  matina  Paria  fresca  tien 
la  vita  sana  e  lesta. 

196.  Un  pasto  magro  e  bon  man- 
tien  l'omo  in  ton. 

197.  Boso  de  pel,  zento  diavoli 
per  cavel. 

198.  A  chi  sparagna,  lagata  magna. 

199.  Buon  d'indio!s) 

200.  Dopo  morto  se  pesa  el  porco. 

201.  Negoziante  e  porco  damelo 
morto.t) 

')  Boccia  eiu  Kegels piel. 

»)  Gassenkinderschrei,  wenn  sie  ungewöhnliches  sehen. 
»)  In  der  Arena   wird  in  Boccaccio  im  Milaneser  Dialekt  gesungen:  Dag  he 
P  dau,  paron  Miciel . . .  Dies  wandten  die  Gassenbuben  auf  den  Optiker  Blau  am  Corsoan. 
4)  Aprilscherz. 

»)  Beim  Wortwechsel  wird  man  warm. 

*}  Wenn  sich  etwas  in  der  Folge  als  Lüge  erweist 

')  Zugluft. 

•J  Vor  Feiertagen.  Der  Indian  ist  das  herkömmliche  Festgericht. 
•J  Nur  dann  weiss  man,  was  sie  wiegen. 


173. 1  bezi  i  va  via,  perche  i  xetondi. 

174.  Per  la  boca  se  scalda  el 
forno.*) 

175.  Chi  magna  solo,  crepa  solo, 
e  chi  magna  in  compagnia,  il  dia- 
volo  lo  porta  via. 

176.  Dal  acqua  mi  guardo  io,  dai 
ebrei  mi  guardi  Idio. 

177.  Se  de  giovine  ti  bevi  vin,  de 
vecio  ti  bevera  acqua. 

178.  Chi  vive  sperando,  more  ca- 
gando. 

179.  A  ognidun  ghe  piaze  el  suo. 

180.  La  bugya  xe  in  ogni  buso, 
e  la  verita  xe  fori  de  uso. 

181.  La  bugija  core  su  per  el 
muso. 


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l.  cznre 


202.  Oji  in  figura,  domani  in  se- 
poltura. 

203.  Lunedi  ne  Matte 
Da  casa  non  se  parte; 
Mercoldi  e  Giove 
Pepi  non  se  move ; 
Venerdi  e  Sabo 
Giorni  dimaliconia, 


Pepi  non  vavia, 
E  domenica  xe  festa 
E  Pepi  resta.1) 
204.  0  anima  Serena 
Che  pecä  te  mena? 
Disimelo  a  mi, 
Che  farö  pregar  per  ü.a) 


Prima  i  era  morosi, 
Adesso  viva  i  sposi! 


II.  Trinksprüche. 

(Brindisi.) 
{A.  KSrösi.) 

Questo  vin  xe  de  Malvasia 
Eviva  tuta  la  compagnia! 


In  sto  orto  xe3)  del  zaferano, 
Eviva  il  nostro  äior  capelano. 

Din,  din  din 
Eviva  el  Jovanin! 


Viva  el  vin,  viva  el  pan, 
Viva  el  Sior  Sacristan! 

Le  calze  in  tedesco  se  tjama*) 

[8trinfe, 

Eviva  le  signorine  nimfe! 

m.  Rätsel. 

(L.  Czink.) 


1.  La  rasa  la  frasa,  la  core  per 
la  easa,  nisun  la  vede,  tutti 
la  Bente .  cosa  e? 

2.  Ve  la,  ve  las)  ripeto, 
Ve  la  torno  dire, 

Se  non  la  capirete, 
Di  legname  duro  siete. 


'S.  Su  quel  monte  sta  Carleto 
Con  quel  viso  benedeto. 
Co  la  coda  verdolina, 
Ca  valier  chi  la  indovina. 

4.  La  pelosa  che  go  avanti, 
La  ghe  piaxe  a  tuti  quanti; 
La  ghe  piaxe  a  zinquezento, 
Tuti  tica  la  man  dentro. 


1.  La  mia  mama  poverina 
La  m'ä  dato  un  po'  de  dota, 


III.  Volkslieder. 

A.  (L.  Czink  * 


Una  pignata  tuta  rota 
E  una  tola  per  lavar. 


■)  So  werden  Gäste  zum  bleiben  genötigt 
*)  Wenn  man  ein  Gespenst  erblickt 

•)  Lies  das  x,  wie  das  *  in  Wesen. 


*)  Wortspiel:  vela  —  Segel,  ve-la  =  a  voi  la  ...  euch. 


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ITALIENISCHE  SPRÜCHE  D.  LIEDER  AUS  FIUMK. 


•neu 


2.  Mama  mia  go  visto  Torso, 
Che  balava  sule  scale, 
Mama  mia,  xe  carnevale 

E  me  vojo  divertir. 

Mama  mia  go  venti  ani, 
Vado  sü  per  ventiun; 
Se  ritardo  maridarme. 
No  me  vol  piü  nissun 

3.  Se  passi  per  di  qua, 
Tu  passi  invano; 

Se  frugherai  i  stivai, 
Sara  tuo  dano. 

Ti  frugherä  i  stivai 
£  anca  le  siole, 
De  la  mia  boca 
No  scampara  parole. 

Se  ti  frugara  stivai 
E  anca  i  taeheti, 
De  la  mia  boca 
No  sara  baseti. 

Ti  frugara  i  stivai, 
E  anca  i  riboti, 
De  la  mia  boca 
No  sara  piü  moti. 

4.  CoBsa  me  importa  a  mi, 
Se  no  8on  bela; 

Co  go  V  amante, 
Che  me  fa  '1  pitor, 
Lu'  mi  dipingercomeunastela, 
Gossa  me  importa  a  mi,  se  no 

[son  bela. 

5.  Tuti  Ii  amanti  passano 
El  mio  no  passa  mai ; 
Ghe  vojo  ben  assai 

E  lui  non  pensa  a  me. 


E  voga  e  rivoga, 
Voga  la  mia  barcheta, 
Voga  Nineta 

Che  semo  in  mexo  al  mar. 

In  mexo  al  mar,  che  mormora, 
Se  pesca  le  sardele 
Adio  Humane  bele 
No  ve  vedremo  piü. 

6.  In  mexo  al  mar  xe  un  camin 

[che  fuma, 
Dentro  xe  '1  mio  ben,  che  se  ' 

[consuma. 
Se  consuma  i'anima  anca 

['1  corpo 

E  no  so  se  '1  xe  vivo  o  se 

['1  xe  morto. 
Ghe  se  consuma  '1  cor  e 

[midolete 
E  mi  per  guarirlo  no  go 

[rizete 

7.  tabachine  (sartorele) 

[lavore 

trcnta  soldi  ciapare. 
ventiquatro  per  la  sala 
e  sie  per  el  cafe 

8.  La  barcheta  pendere, 
No  sta  me  dar  intendere, 
Che  m'  ami  solo  me, 

E  däme  la  matricola, 
Che  vado  navigar. 

<J.  E  T  albero  piangente, 
Le  folie  casca  giü, 
Abasso  i  croati, 
Che  no  i  comanda  piü. 
Ta-rata,  ta-ra-ta,  tarataratara. 


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A  .  KÖRÖ8I 


10.  Va  lä,  va  IäPepin, 
Che  tuti  te  vol  ben; 
Ti  ga  la  molie  bela 
£  i  siori  la  mantien. 

B.  (A. 

11.  Viva  Fiume,  un  bei  pajese, 
Che  inamora,  azende  el  core' 
[Viva  1'  animo  cortese 
D'ogni  singulo  fiuman!] 

Le  discordie  e  i  jorni  amari 
Alontana  Idio  da  noi 
[E  ritorna  coi  Majari 
La  primiera  liberta]1) 

12.  Viva  Fiume  un  bei  pajese, 
Dove  cresce  le  zeriese! 

[£  la  bela  ungarese 

Sara  sempre  el  mio  tesor.) 

Ma  cossa  fosse  de  sta  Fiume, 
Se  no  fosser  i  majari? 
[Se  podiia  au  quatro  cari 
Trasportare  la  zita]J) 

13.  Dal'  albero  piandjente 
Le  foje  casca  djü; 
iL'albero  piandjente 
Le  foje  le  van,  van;) 
Abasso  i  croati! 

Che  no  i  comanda  piü.3) 

14.  E  chi  sarä  che  piandje? 
(Sara  la  mamma  mia) 
Sarä  le  tre  ragasse 

Su  le  finestre  bäase 
Col  fazoleto  in  man. 


Se  la  fussi  una  rejina, 
La  portaria  la  Corona, 
Ma  la  xe  una  tabachina 
Che  ghe  tocca  lavorar. 

KörÖai.) 

Col  fazoleto  bianco 
Se  se  forbisse  i  otji 
Veder  sti  jovanoti, 
Vestii  da  militar. 

15.  Adesso  vado  via, 
Parto  per  P  Ungaria; 
die  mesi  stago  via 
Servir  V  imperadör. 

L'  Imperadör  me  tjama 
L'  Imperadör  me  vole: 
Una  ferida  al  core, 
Mai  piü  parlar  d'amor. 

Se  me  toca  soldato, 
No  me  toca  la  morte; 
Se  Dio  me  da  la  sorte, 
Spero  de  ritornar.') 

16  Cole  teste,  cole  teste  dei  taliani 
Jogheremo  ale  borele, 
De  Vitorio,  de  Vitorio  Emanuele 
Meteremo  per  bulin. 

17.  Vitorio  Emanuele 
Che  leca  le  pignate 
E  cola  man  politica 
Se  pestava  le  culate, 
Kirie,  kirie,  kirije  leison 
Kirie,  kirie  eleison.  *) 


»)  EntsUnd  wol  in  den  50-er  Jahren,  «ir  Zeit  des  Absolutismus. 
»)  Wird  nach  der  Arie  „In  KWeii»  non     ha  rosa-  aus  La  Sonnambula 
gesungen. 

•)  Nach  der  absolutistischen  Aera. 

♦)  14.  u.  15  Rekrutenlieder.  Fiume  stellt  sein  Contingent  zur 
oder  zur  ung.  Ijandwehr.  (Eanizsa  ) 

•)  16.  u  IV.  erstanden  wol  in  Tirol. 


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ITALIENISCHE  SPRÜCHE  U.  LIEDER  ADS  FIÜME. 


18.  Se  ti  brami  di  vedermi 
Fa  la  ronda  al  mio  castelo, 
Poi  ti  donarö  l'anelo, 

El  anelo  del'amor. 

[Senza  di  te,  mio  bei  tesor, 

No  posso  vivere,  no,  no  !] 

> 

Se  la  mamma  te  domanda: 
„Chi  t'ha  dato  sto  noreto?« 
,Me  Tha  dato  el  signoreto, 
Che  fazeva  Pamor  con  me.' 
[Senza  di  te,  mio  bei  tesor, 
No  posso  vivere,  no,  no!] 

„Te  go  deto  tante  volte,1) 
Che  no  vojo  fior'  in  testa, 
Ne  de  jorno,  ne  de  festa, 
Ne  de  jorno  de  lavor!* 
[Senza  di  te  .  .  . 
etc. 

19.  Fazo  Pamor,  xe  vero: 
Cossa  ghe  xe  de  mal? 
Vole  che  a  quindez'  anni 
Stio  lä  come  un  cueal?*) 
Se  tuto  el  santo  jorno 
Sfadigo  a  lavorar, 

Xe  justo,  che  ala  sera 
Me  fazo  acompagnar. 

Son  jovane,  son  bela, 
Cossa  ghe  xe  de  mal  ? 
Vole  che  a  quindez'  ani 
Stio  la  come  un  cucal? 
etc. 

Se  vado  al  vejon  stasera, 


Cossa  ghe  xe  de  mal? 
Son  jovane,  son  bela, 
Eeemo  in  carneval. 
Se  tuto  el  santo  jorno 
Sfadigo  a  lavorar, 
Xe  justo  che  ala  sera 
Me  fazo  acompagnar. 

Son  vetja,  son  in  tochi 
E  questo  ghe  xe  de  mal! 
Me  tocarä,  capisso, 
Fini'r  in  ospedal. 
E  tuto  el  santo  jorno, 
Che  mi  svogo  a  tabacar, 
E  poi,  ala  fine  .  .  . 
Cossa  ghe  xe  de  mal? 

20.  Se  ga  roto  la  pignata, 

Se  ga  spanto  i  macaroni: 
Magna  Pepi,  magna  Toni, 
Macaroni  ä  la  Pompadur 

21.  Per  andar  in  foiba 
Ghe  vol  la  corda  lunga, 
Per  far  l'amofe 

Ghe  vol  la  riza  e  bionda 

Per  far  i  bigoli3) 
Ghe  vol  dele  sardele, 
Per  far  l'amore 
Ghe  vol  le  sartorele.  ') 

22.  Ziribiribim  paghe  una  bira! 

non  ze  moneda. 
domani  sera 
la  pagarä. 


1 


»)  Verg.  Ethnol.  Mitt.  a.  Ungarn  11.  S.  191. 
')  Cucal      Möwe,  Maalaffe. 

s)  Bigoli  (Würmer)  dünnere  Macaroni;  die  dünnste  Sorte  hewat  capelini 
n. 

«)  Soll  dem  bekannten  „Gigerl '-Lied  entsprechen/ 


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A.  KÖRÖSI 


23.  La  dis,  la  dis,  la  die  che  xc  malada 

Per  no,  per  no,  per  no  magnar  polenta: 
Bißogna,  bisogna,  bisogn'aver  pazienza, 
Lassarla,  lassarla,  lassarla  maridar. 

(6  Takte)  Trallala 


(3  , 
(4  . 

24.  Tute  le  mule  passano, 
La  mia  no  passa  mai. 
Te  vojo  bene  assai, 

£  ti  no  pensi  mai  a  me. 
Voga,  rfvoga 
La  mia  barcheta! 
Voga  Nineta, 

Che  scmo  in  mezo  al  mar. 

Nel  mezo  al  mar  che  mormora 

Se  pescan  le  sardele. 

Adio  finmane  bele, 

Me  tocara  partir. 

Voga,  rivoga 

La  mia  barcheta  t 

Voga  Nineta, 

Che  scmo  in  mezo  al  mar. 

25.  Pescador  che  va  ala  pesca 
Vien  a  casa  ben  bagnado: 
„Bela,  son  asasinado, 

Che  ala  pesca  no  vado  piü  - 

Quando  el  mar  fa  la  burasca 
E  le  onde  salta  fora, 
Teresina  se  inamora 
D'  un  bei  jovin  pescador. 

„La  mia  mare  poverina 
Me  ga  dado  poca  dote: 
Do  teciete  tote  rote 
E  'na  tola*)  per  lavar." 


)  „ 

)  , 

26.Zezilia  ariva  a  Padova 
La  vede  un  cameron, 
La  vede  el  suo  mar) 
Sera  f  una  prijon. 

„Cos  ti  ga,  marito  mio? 
Cos'  ti  ga?  Cos'  ti  ga?« 
,Va  sü  dal  capitano 
'Na  grajia  a  rijercarl' 

„Bon  dl,  sior  capitano! 
Go  una  grajia  a  sercar," 
'La  grajia  sara  fata 
Verai  dormir  con  me'. 

,Stanote  a  me^anote 
Zezilia  verä  qua: 
Pronta  i  lenyoli  bianchi, 
El  leto  ben  fornl.' 

Quando  era  rae^anote 
Zezilia  dä  un  sospir. 
,Cos'  ti  ga  Zezilia  mia, 
Che  no  ti  pol  dormir?' 
„M'ha  da  una  bota  al  core 
Che  credeo  de  morir." 

,Tasi,  tasi,  Zezilia 
Che  presto  fara  el  di, 
Ti  andrä  a  la  fmestra 
Veder  el  tuo  marl1 

Apena  spunta  l'alba, 
Zezilia  va  al  balcon, 


•)  tola  —  IotoIä:  Brett. 


ITALIENISCHE  SPRÜCHE  U.  LIEDES  AUS  FIUME 


La  vede  el  sü  marfo 
Pendente  pindolon, 

„Mostro  de  un  capitano, 
Come  el  me  ga  tradi ! 
Ga  preso  el  mio  onore, 
La  vita  al  mio  marl!" 


,Tasi,  tasi  Zezilia, 
Che  mi  ti  sposarö!1 
„No  vojo  capitani, 
Ma  vojo  el  mio  mar) !' 

La  storia  de  Zezilia 
La  va  rinir  cosl. 


V.  Kinderlieder,  Reime  und  Spiele. 

Ä.  (L.  Czink.) 


1.  Cordon  cordon  de  San  Francesco, 
la  bela  stela  in  mezo, 

la  peta  un  salto, 

la  peta  un  altro, 

la  fa  la  riverenza, 

la  fa  la  penitenza, 

chiude  i  oci, 

la  basa  chi  che  la  vol.1) 

2.  Siora  Maria  gaveva  una  gata, 
Tuta  la  note  fazevala  mata 
La  ghe  fazeva  de  panadela*) 
„Bigoli,  bigoli  siora  Micela." 


3.  Una  volta  jera  un  re, 
che  fazeva  pan  de  tre, 
che  fazeva  pan  de  quatro, 
e  ti  ti  xe  un  raacaco. 
Una  volta  jera  un  re, 
che  fazeva  pan  de  tre, 
una  volta  jera  un  gato, 
che  fazeva  pan  de  quatro; 
levighe  la  coda  e 
lechighe  el  mandolato, 
leveghela  piü  in  sü 
e  lecheghelo  vü. 


4.  Mädchen  stellen  sich,  Hand  in  Hand,  in  eine  Reihe,  zwei 
Mädchen  gehen  singend  auf  sie  zu: 

Noi  siamo  le  zingarelle  Ognuna  per  la  mano 

Venute  da  lontano  ;  Allegre  d'  avvenir. 

Die  Reihe  antwortet  und  es  entspinnt  sich  folgender  Wechsel- 
gesang: 


Che  cosa  mai  volete 

OgfoogfogelHIa 

Che  cosa  mai  volete 

Ogi'o  d'  un  cavalier. 

Vogliamo  una  ragazza 

Ogfogiogellila 

Vogliamo  una  ragazza 


Ogi'o  d'  un  cavalier. 
E  quäl'  e  sta  ragazza  etc. 
Noi  vogliamo  la  piü  bella  etc. 
E  qual  e  sta  piü  bella  etc. 
La  Teresa  e  la  piü  bella 
etc. 

Su  sü  venite  a  prenderla 


')  Ringel -Reihen. 

*)  Kinderbrei  aus  Brot,  Öl,  Petersilie  und  Knoblauch. 


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L.  CZINK 


Sie  nehmen  die  genannte  zu  sich,  der  Chor  singt : 

E  adessn  1*  avete  pre&a  etc. 
Die  Zigeunerinnen  kommen  aber  bald  zurück  und  singen : 
E  questa  non  la  vogliamo  etc.        per  questo  vi  affannate  etc. 
Perehe  non  la  volete  stb.  Su  sü  faciam  la  pace  etc. 

Perche  la  mi  ha  detto  zotta  Faciam  un  baletto  etc. 

(gobba,  orba  .  .  .)  etc. 

Alle  tanzen. 

La  pace  e  gia  fatta  La  pace  e  gia  fatta 

Ogfögfogellila  Ogfo  d'  un  cavalier. 

5.  Fangspiel  mit  Auszählereim: 
Uccelin  che  va  per  mare  Puol  portare  una  sola, 

Quante  pene  puö  portare?  Chi  e  dentro,  chi  e  fora? 

Die  Kinder  bilden  einen  Kreis;  in  der  Mitte  ist  die  Mutter, 
stellt  sich  schlafend ;  nach  dem  Gespräch  läuft  der  Kreis  auseinander ; 
wen  die  Mutter  erhascht,  tritt  in  ihre  Stelle. 

Zitto  zitto  che  la  mamma  dorme,    Mamma  xe  un  povero, 
Oh  che  mamma  indormenzona.        Cossa  ghe  darö? 

xe  un  povero,  —  Deghe  quella  scudella  de  cafe 


Cossa  ghe  darö?  (tocco  de  pan  .  .  .) 

—  Lasseme  dormir  Mamma  go  rotto  la  scudella 

Oh  che  mamma  indormenzona.  (go  magna  el  pan  .  .  .) 

Die  Kinder  bilden  einen  Kreis;  eins  ist  innerhalb,  eins  ausser- 
halb desselben;  das  äussere  beginnt  das  Zwiegespräch,  dann  jagen 
sie  sieb. 

Ti  me  da  un  poco? 

—  Sorso  sorsetto,  cos  ti  fa  _  Mi  nö.  —  E  se  te  ciapo? 

in  quel  busetto?     _  E  se  te  scampo?  -  Femo  la 

—  Magno  pan  e  frumento.  [prova. 

B.  (A.  Ktrfoi.) 
Auuählereime.*) 

8.  Ujelin  che  va  per  mar,  (Chi  va  drento,  chi  va  fora. 

Quante  pene  pol  portar?  Chi  xe  drento,  chi  xe  fora. 

Pol  portare  una  sola,  Un,  dö,  tre, 

Chi  va  drento,  chi  va  fora.  Ti  xe  el  mio  r6.) 


*)  8—14.  rein  italienisch,  10 -26.  fremde  Einwii 

288 


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I 


JTAIJENWCBB^PBÜCHE  UND  LIEDER  AÜ8  PIUME. 


9.  Corda,  corda  grossa, 
Quanto  la  me  eosta! 
La  me  costa  an  carantan 
Sole  porte  de  Milan. 
Sule  porte  de  Verona, 
Dove  che  i  bala 
E  dove  che  i  sona, 

10.  Din,  don,  campanon, 
Tre  sorele  sul  balcon ; 
Una  stira  e  lava, 

L' altra  fa  ei  pupin  de  pasta: 
L'  altra  va  a  San  Vito, 
A  trovar  un  bei  marito, 
Com'  el  late,  com'  el  vin 
Come  la  foja  de  V  armnlin. 

11.  La  neve  xe  bianca, 
La  val  jentojinquanta ; 
La  val  uno,  la  val  dd, 
La  val  tre,  la  val  quatro, 
La  val  zinqae, 

La  val  Sie, 

La  val  sete,  la  val  oto, 

Pan,  vin,  biscoto, 

Salta  fora  dal  mio  casoto. 

1 2.  Gobo,  gobo  tondo, 

Cos  ti  fa  in  questo  mondo? 
Fa^o  cos  che  posso, 
Cola  mia  goba  adosso. 
Gobo  fa  i  jimbali, 
Zimbali  de  carta, 
Gobo  salta  in  barca, 
Barca  piena  de  fregola, 


Fregole  de  pan, 
Gobo,  hol  d'  un  can. 

13.  Ghirin,  ghirin,  gaja, 
Martin  soto  la  paja, 
paja,  paju3a, 
Fregola,  fregoluja. 

14.  Ai,  bai, 

Ti  mi  stai, 
Tie,  mie 
Compagnie, 
Ai,  bai,  buf. 

15.  An,  tan,  Tini. 
Sora  Catüii, 
Sora  Caticheta, 
Ana,  Pia,  puf. 

16.  An,  tan,  Tini 
Sora  Catini 
Aja,  baja,  buf. 

17.  In  nome  del  padre 
Tanta  nana, 
Croje  d'Ebrei, 
Fiüstei, 

Dum,  dum,  dum, 
Starababa  na  kantun*) 

1 8.  Zinjiri,  bin^iri  panpanela, 
Oto,  nove,  bagatela, 

Per  un  toco  de  biscoto 
Che  si  tjama  galeoto.**) 
Smoqua,  loqua,  kapitan, 
Daiga  nutra,  daiga  van***) 


♦)  Kantun  =  ital.  cantonr,  Winkel.  Die  letzte  Zeile  kroatisch :  Altes  Weib 
im  Winkel. 

**)  Venezianisch  galeta  de  biscotto,  ein  barter,  runder,  flacher  Seezwieback 

•**)  Die  zwei  letzten  Zeilen  kroatisch.  Feige,  Teich,  Kapitän,  gib'«  herein, 
gib's  heraus. 


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A.  KÖRÖ8I 


19.  Zinziri,  bin^iri,  campanele, 
Fekete,  tekete,1)  tarantele, 
Dondolon,  dondolon*),  birimbele, 
Ziripiripin,  ziripiripele 

20.  Di  drei  manumchesse 
Di  vasta,  vasta  flon 
Di  flon  machelsmesse 
Un  si,  sa,  so.8) 

21.  „Elena   (Franca)   du  mein 

Pibestin, 

Di  Btaia  tekete 
Di  forma  un  tridon, 
Tridon  vachelsmesse 
Und  si,  sa,  so*) 

22.  Enchete,  penchete, 
Zucar  di  me, 


Avoli,  favoli 
Bene  per  te. 

23.  Engele,  bengele, 
Zucar  di  me 

Fave,  fave,  Domine, 
Ex,  pux,  traus, 
Marsch  hinaus. 

24.  Andjol,  banjol 
Tertanjol, 
Pilim,  milim 
Cumpagnol 
Taca,  raca, 
Zip,  zip. 

25.  Einz,  zvei,  drei, 
Pica,  poca,  pai, 
Pica,  poca,  hamerlai, 
Anen,  firzen,  drei. 


B.  Kinderspiele. 


26.  Pomo  cotogno,  che  taja  fetine, 
Con  queste  manine  no  posso 

[tajar. 

El  galo  canta,  jomo  fa. 

La  povera  vecia  dove  la  va? 

Essa  la  va  da  San  Miciele. 

San  Miciele  era  morto 

La  Madona  era  in  orto 
28.  Die  Mädchen  tanzen  in 
Cordon,  cordon  di  San  Franzesco, 
La  bela  stela  in  mejo; 
La  peta  un  salto, 

(Springt.) 


Cola  sua  compagnia 

Del  rosario  e  de  Maria.*) 

27.  San  Andrea,  pescador 

Che  pescava  el  nostro  Sior. 
Pesca,  raulesca! 
In  quala  man? 
In  questa.0) 

Reichen.  Eins  steht  in  der  Mitte. 
La  peta  un  altro, 

(Springt  wieder.) 

La  fa  la  riverenja, 

(Verbeugt  *ich.) 


')  Ungarisch  fekete  =  schwarz. 

')  Vielleicht  nng.  gondolom  =  ich  denke. 

»)  Dentsch  klingend.  Un  si  =  einer  js;  wol:  und  sie. 

*)  Variante  des  Vorigea  als  Auszühlereim. 

s)  Beim  Kniereiten. 

•)  Erraten,  in  welcher  Hand  wss  verborgen  ist. 


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ITALIENISCHE  SPRÜCHE  DND  LIEDER  AU8  FIÜME. 


La  fa  la  peniten^a,  La  basa  chi  che  la  vol. 

(Schlägt  an  die  Brust.)  (Küsst  eine  Qespielin.) 

29.  Bockspringen  (Colona)  Eins  ist  der  Bock,  die  übrigen  über- 
springen es;  bei  jedem  Sprung  wird  eine  Yerszeile  hergesagt: 

Tasi,  tasi,  Momolo,  Ire  ossi  di  armulini, 

Te  daro  luganiga,  Tie  sechi  d'acqua  dol$e, 

Luganiga  de  porco,  Tre  sechi  d'acqua  amara. 

Porco,  porcajo,  Cos  ti  vol:  bareta  in  schena? 

Ladron  del  mio  pala^o,  Bareta  de  forner? 

Ladron  dei  miej  zechini,  0  culata  o  lejer? 

Wenn  der  Bock  antwortet: 
Bareta  in  schena, 

so  legt  jeder  Springer  sein  Taschentuch  auf  den  Rücken  des  Bockes 
und  springt  so  hinüber,  sprechend : 

Bareta  in  schena  te  darerao,  Bareta  in  schena  te  go  dä, 

Sto  altro  viajo  che  torneremo ;       Bareta  in  schena  te  go  preso. 

Welcher  Springer  das  Taschentuch  hinabwirft,  oder  es  im  Sprung 
nicht  mitnehmen  kann,  wird  zum  Bock. 

Wenn  der  Bock  antwortet 
Bareta  de  forner 

hat  der  Springer  sein  Taschentuch  jenseits  des  Bockes  auf  die  Erde 
zu  werfen  und  darauf  zu  springen;  wenn  der  Bock 
Culata 

wünscht,  ist  mit  aller  Kraft,  auf  die  Ordre 
Lejer 

aber  ganz  leicht  zu  springen;  wer  gegen  eine  Regel  verstosst,  wird 
zum  Bock. 

30.  Mädchen  bilden  einen  Kreis.  Eines  in  der  Mitte  ist  die 
Mutter») 

„Zito,  zito,  che  la  mamma  dorme !    —  ,E1  gato  la  ga  magna/ 
0  che  mamma  indormen^ona !  »0  cn^  mamma  bujarda! 

0  che  mamma  indormenaona !         0  che  mamma  bujarda  ! 
Mamma  eossagavemopermarenda?"     ~      (Dte  Mutter  sucht  die  Jause.) 

T)       «   »  O  che  mamma  orba! 

-  ,ran  e  nga.  0  che  mamma  orba! 

»0  che  mamma  bona!  (jWe  Mutter  8Ucht  das  MeMer) 

0  che  mamma  bona!  La  mamma  ne  majaräl 

Mamma,  dove  xe  la  marenda?"        La  mamma  ne  majarä!" 

Sie  laufen  auseinander.  Wen  die  Mutter  erhascht,  tritt  an  ihre  Stelle. 

•)  Verg.  Nr.  ^.  8.  238. 
Hertmann,  Ethnologische  Mitteilungen  II.       241  17 


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a 

31.  Minolo,  minelo, 
Bon  per  anelo, 
Piü  grande  de  tuti. 
Frega  i  otji, 
Ma^a  pedotji.*) 

32.  La  piova  piovisina, 
La  gata  va  in  cusina, 
La  va  soter  leto, 

Der  Gefragte  sagt  „no.tf 
No  sedise  „no",  perche 
Lafiaba  de  Sior  Intento, 


La  trova  un  confeto; 

La  dise,  che  xe  bon, 

La  bäte  sul  tamburo, 

La  mamma  ghe  dä  per  culo. 

33.  La  fiaba  de  Sior  Inten\o, 

Che  dura  molto  tempo 
E  mai  no  la  se  distriga, 
La  vol  che  ghe  la  diga? 
Der  Erzähler  fährt  fort: 
Che  dura  molto  tempo 
E  mai  no  la  se  distriga  etc  **) 


Sveta  Nedeljica. 

Nachtrag  zo  Ethnol.  Mitt.  1.  Jahrg.  S.  130  ff. 
Eine  hübsche  Variante  zu  dem  von  Lukas  Mb  veröffentlichten 
Liede  von  der  hl.  Nedeljica  finde  ich  im  I.  Hfte  der  „Hrvatske  na- 
rodne  pjesme  sakupljene  stranom  po  primorju  a  stranom  po  granici" 
von  Stijepan  Maiuranit,  Zengg  1880  S.  1—6.  Der  Sonntagentheilige, 
bzw.  der  wilde  Jäger,  dem  sich  die  hl.  Sonntag  als  Schlange  mit  sechs 
Flügeln  um  den  Hals  gewunden,  führt  hier  den  Namen  Kraljevhl 
Marko,  des  typischen  serbischen  Helden,  der  dem  Volkdichtet'  bei  so 
vielen  passenden  und  unpassenden  Gelegenheiien  herhalten  muss.  Die 
Frau  des  Frevlers  heisst  folgerichtig  wie  Markows  Frau  Angelija,  und 
statt  des  labud  in  meiner  Fassung  tritt  Marko's  karac  (der  Schecke) 
auf.  So  ist  aus  der  ursprünglich  religiösen  Legende  eine  historische 
Sage  geworden  und  der  Säuger  beansprucht  daraufhin  für  sich  eine 
grössere  Glaubwürdigkeit  Der  Schluss  lautet : 

—  o  liebste  Schwiegertochter,  Marko  ruft  dich, 
du  mögst  hinaus  ihm  deine  Söhne  bringen, 

damit  er  sie  zum  letztenmal  noch  sehe. 

Kaum  hat  dies  Angelika  rasch  vernommen, 
so  nimmt  sie  ihre  zwei  noch  kleinen  Knaben 
und  trägt  sie  vor  den  Vater,  Prinzen  Marko, 
damit  er  sie  nochmals  im  Leben  sehe. 

Aufs  blosse  Knie  lässt  sich  das  Frauchen  nieder, 
die  kleinen  Söhnchen  in  den  Armen  hakend, 
und  sie  beschwört  die  Schlange  von  sechs  Flügeln : 

—  Wahlschwester  sei  mir,  Schlange  von  sechs  Flügeln, 
sei  mir  verschwistert.  bei  der  jungen  Sonnlag, 

sei  Mutter  mir  bei  einer  Mutter  Gottes,*) 

^  o_gib  mir  meinen  Kämpen  frei,  denMarko! 

*)  Die  5  Fingernamea.  •*)  Vexier-Märchen. 
***)  Im  Texte:  Posestrimo  zmjjo  sestokrilal 

poaefltriui  tc  mladom  nedeljicom, 

materim  tn  a 


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- 

SVETA  NEDELJICA 


Die  Schlange  ward  um  Gotteswillen  milde, 
sie  Hess  sich  in  das  grüne  Gras  herab 
und  sprach  zur  Ehewirtin  Angelika : 

—  Wahlschwester,  Ehewirtin  Angelika! 
Ermahn  du  künftig  deinen  Kämpen  Marko, 
er  soll  am  Sonntag  nimmer  pürschen  gehen, 
am  Sonntag  und  dazu  am  jungen  Sonntag 
so  ungewaschen,  ohn'  Gebetverrichtung. 

Ich  bin  durchaus  kein  Schlangentier  geflügelt, 
ich  bin  vielmehr  die  junge  Sonntag  selber 
und  bin  von  Gott  als  Botin  ausgesandt, 
um  eine  Lehr'  dem  Prinzlein  zu  erteilen, 
dass  ohne  Gott  kein  Anfang  und  kein  Ende, 
damit  kein  Unheil  fürderhin  ihn  treffe. 

So  bleib  mit  Gott,  o  Wahlgenossin,  Frauchen, 
o  Schwester  meiner  Wahl,  Frau  Angelika! 

Mlada  nedelja  ist  der  erate  Sonntag  nach  dem  Neumond.  Er 
ist  dem  Volkglauben  besonders  heilig.  In  einer  jüngst  im  Letopis 
matice  srpske,  Hft  152.  von  1887.  Seite  82  f.  veröffentlichten  Sage 
aus  der  oberen  Grenze,  haust  die  Sveta  Nedeljica  in  einem  Berge 
eines  unheimlichen  Gebirges  als  Schlange  mit  sechs  Flügeln  und  vier 
Köpfen.  Der  Sonntagfrevler  ist  diesmal  ein  ganz  armer  Holzbauer, 
der  holzlallen  geht.  Die  Schlange  will  ihn  vernichten,  doch  zu  seinem 
Glücke  ruft  er  sie  noch  rechtzeitig  bei  Gott  als  seine  Wahlschwester 
(po  Bogu  sesiro!  Bogom  te  sestrimim!)  an.  Nun  ist  er  gerettet.  Zum 
Überfluss  beschenkt  ihn  die  Wahlschwester  überreich  mit  Gold  und 
Silber,  doch  untersagt  sie  es  ihm  strengstens,  die  Herkunft  des  Schatzes 
irgend  jemand  zu  verraten.  Sein  Weib  aber  entlockt  ihm  das  Ge- 
heimnis Darauf  verwandeln  sich  die  Schätze  in  Kohlen  Hier  ist 
also  die  Legende  mit  einer  Episode  der  Eckhard's-Sage  in  eins  ver- 
schmolzen. Über  die  zu  Kohlen  verwandelten  Schätze  vrgl.  F.  8. 
Krauts:  Südslavische  Hexensagen,  Wien,  1884.  S.  46. 

In  einer  Beschwörungformel,  die  ich  erst  jüngst  von  meiner 
Mutter  aus  Pleternica  in  Slavonien  erhalten,  wird  neben  Gott  und 
der  hl.  Jungfrau  auch  die  Mlada  Nedilja  angerufen.  Die  Frau  stellt 
Zaubereien  und  Beschwörungen  an,  um  von  ihrem  Manne  geliebt, 
nicht  aber  misshandelt  zu  werden.  Ich  citiere  hier  nur  die  für  uns 
jetzt  in  Betracht  kommenden  Stellen : 

„Pomozi  Boze  i  Gojspo  i  danasnja  mlada  nediljo  !u 
„treba  kleknit  na  gola  kolina,  okrenit  sczarkomu  suncu  i  izgo- 
vorit  tri  oöena&a  i  tri  zdrave  Marije  mladofj  Nedilji,  da  joj  mlada 
Nedilja  se  smiluje  nje  carkama,  koje  ona  ot  svoje  teöke  muke  (öini), 
da  joj  bude  u  pumoci,  da  ju  covek  ne  bye  i  ne  tuce.a  (Hilf  Gott 
und  du  (liebe)  Frau  und  du  heutige  junge  (Frau)  Sonntag!  .  .  .u 
(ferner)  „muss  sie  auf  die  nackten  Knie  niederknien  und  zur  jungen 
(Frau)  Sonntag  drei  Vaterunser  uud  drei  Mariengrüsse  beten,  es  möge 

243 

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L.  KATONA. 


sich  die  junge  (Frau)  Sonnlag  ihrer  Zaubereien  erbarmen,  <1ie  jene 
durch  ihren  schweren  Gram  und  ihr  Leid  bemüssigt.  anstelle,  auf  dass 
sie  hilfreich  beistehe,  damit  jene  von  dem  (iatten  nicht  geprügeil  und 
nicht  geschlagen  werd\u  Die  altgläubigen  Serben  im  Mostarer  Bezirk 
hegen  den  Glauben,  Sveta  Petka  sei  die  Mutter  der  Sr.e.tn  Xedilja 
Nach  einer  bulgarischen  Legende  (bei  D.  N.  Popov  im  Sbornik  <>t 
blgarski  narodni  pjesni.  Varna  18*i.  Nr  8.  ö.  14  f.)  sitzt  die  Solln 
Nidjelja  in  der  Zelle  eines  Klosters  als  Klostertrau,  die  Haare  un- 
gekämmt und  wirr,  die  Kleider  beschmutzt  und  bestaubt.  Jung  S:ojan 
(  frägt  sie:  .Wenn  du  eine  so  grosse  Heilige  bist,  warum  schaust 
du  gar  so  verwarlost  aus?"  Antwortet  sie  ihm:  „D.iran  seid  nur  Ihr 
Menschen  schuld.  So  oft  Ihr  am  Sonntag  das  Haus  auskehrt  und  die 
Kleider  ausklopft,  fällt  aller  Schmutz  auf  mich."  Über  die  Hersoni- 
fication  von  Kalenderlagen  vrgl.  W.  Mannhardt  in:  Der  Baumkuli  us 
der  Germanen  und  ihrer  Nacnbarslamme,  Berlin.  1S7Ö.  5.  273.  327 
u.  öfters,  und  in  Hezug  auf  die  Verwandlung  einer  Frau  in  eine- 
Schlange  Mannhardt,  in:  Antike  Wald-  und  Feldkulte.  Berlin,  1877. 
S.  64.  fl. 

Wien,  im  Oktober  1888.  Dr.  Friedrich  S.  Kraus*. 


Ethnographie.  Ethnologie.  FolkJore. 

Von  L.  Katona. 
Scbluss.  *) 

Der  Folklore  umfasst  demnach  nur  einen  Teil,  und  bei  weitem 
nicht  die  Gesammtheit  der  Gegenstände,  die  in  das  Forschungsgebiet 
der  Volkskunde  gehören.  Zur  Bezeichnung  der  letzteren  —  wenn  wir 
darunter  die  Kunde  vom  Volke,  und  nicht  die  Kunde  den  Volkes  ver- 
stehn,  also  das  Volk  darin  als  Gegenstand,  und  nicht  als  besitzendes 
Subject  der  Kunde  betrachten  —  wird  wol  der  consequente  und  stän- 
dig festgehaltene  Terminus  der  Ethnologie  schon  deshalb  zweckmässig 
erscheinen,  da  in  der  zweiten  Hälfte  dieser  Zusammensetzung  ein  deut- 
licher Hinweis  auf  den  Charakter  einer  systematischen,  auf  die  Erschlies- 
sung von  Causalzusammenhii ngen  sowie  aus  diesen  abstrahierbaren 
Gesetzen  und  Princzipien  au  gehenden  Wissenschaft  enthalten  ist,  und 
somit  ein  scharf  hervortretendes  Unterscheidungsmerkmal  die  pragma- 
tische und  erklärende,  oder  wenigstens  für  jede  Erscheinung  ihren  Ge 
bietes  eine  Erklärung  suchende  Disciplin,  zu  ihrer  rein  beschreibenden 
und  sich  mit  der  Zusammenstellung  von  Beobachtungen  und  Tat- 
sachen begnügenden  Schwester,  der  Ethnographie,  in  gegenseitig  klä- 
renden Gegensatz  stellt. 

Die  Aufgabe  der  Ethuo}ogie  wäre  also  dem  Bisherigen  entspre- 
chend, auf  ein  einzelnes  Volk  bezogen :  rfas  pragmatisch-historische 
Studium  der  gesummten  materiellen  und  geistigen  Lehenserscheinungen 
einer   durch   gemeinsame    Abstammung,    Sprache    und  Schicksale  zu 


•)  8.  Ethnol.  Mitt.  II,  4:> 

244 


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ETHNOGRAPHIE.  ETHNOLOGIE.  FOLKLORE. 


einem  höheren  socialen  Organismus  verknüpften  Menschengruppe.  Als 
letztes  Ziel  dieses  Studiums  ergäbe  sieh  aus  dem  Vorausgeschickten : 
die  klare  Einsicht  in  den  Causalzusammenhang  <ler  aufgehellten  Le- 
benserscheinungen, und  auf  Basis  dieser  Einsicht  eine  aus  derselben 
resultierende  Erkenntnis   von  Gesetzen  und  bestimmenden  Pn'ncipien, 
deren  ständiges  Walten  sowol  in  den  gleichzeitig  zu  Tage  tretenden 
Manifestationen,  als  auch  in  den  aufeinander  folgenden  Vorgängen  ein- 
mal richtig  erkannt  und  begriffen,  notwendigerweise  zu  -einer  Voraus- 
sicht und  vernunftmäss'gen  Voraushestimmung  dieser  Manifestationen 
und  Vorgänge  führen  muss  Aus  dieser  Umschreibung  des  Problems 
der  Ethnologie  ergibt  sich   zu  allererst,  dass  das  Studium  jeglichen 
Volkes  notwendigerweise  zu  einer  Mechanik  des  Lebens  anderer  Völ- 
ker, und  schliesslich  zur  Mechanik  des  Lebens  der  Universalität  der 
ganzen  Menschheit  führt.  Andererseits  ist  es  klar,  dass  wenn  wir  nach 
den  Gesetzen  des  Lebens  einer  Menschengruppe  höherer  socialen  Ord- 
nung forschen,  wir  die  eingehende  Analyse  der  niedereren  Organismen 
nicht  umgehen  dürfen,  welche  trotz  ihrer  Gleichzeitigkeit  auch  eine 
frühere  Stufe  der  gesellschaftlichen  Entwicklung  repräsentieren.  Hie- 
her gehört  im  Kähmen  eines   Volkes,   und   zugleich   auch  vor  seine 
Entstellung   fallend  :  der  Stamm,  innerhalb  desselben  und  dennoch  auch 
vor  demselben:  die  Familie,  und  in  letzter  Analyse  das  Individuum 
selbst    Das  Individuum  kann  allerdings  im   llahinen  der  Ethnologie 
nur  als  Bestandteil  des  Ganzen  und  als  Componente  der  innerhalb 
einer  Gruppe  sich  entwickelnden  Kräfte,  oder  aber  als  eine  Function 
dieser  wirkenden  Kräfte  in  Betracht  kommen. 

Zu  den  Hilfswissenschaften  der  Ethnologie  gehört  demnach  in 
erster  Linie  die  Anthropologie,  welche  im  engsten  Sinne  genommen  die 
Beschreibung  des  menschlichen  Körpers  ist,  in  einer  etwas  weiteren 
Bedeutung  zur  Kunde  wird  von  den  Lebenserscheinungen  des  mensch- 
lichen Körpers  und  von  den  Bedingungen  dieser  Erscheinungen.  Wenn 
man  schliesslich  die  Anthropologie  auf  einen  noch  weiteren  Kreis  aus- 
dehnt, so  ist  ihr  Ziel  das  Studium  der  sclbstbewussten  Facten  des  gan- 
zen Menschen,  und  indem  sie  nebst  dem  Gegenstande  ihrer  Kunde, 
den  von  ihm  in  der  Kette  der  organischen  Wesen  eingenommenen 
l'latz  bezeichnet,  wirft  sie  auch  die  Frage  nach  seinem  Ursprünge  auf, 
und  begleitet  den  Menschen  in  seiner  Entwicklung  schildernd  von 
seinem  ersten  Erscheinen  bis  an  die  Schwelle  der  geschichtlichen 
Zeiten,  hie  Anthropologie,  welche  sich  so  einerseits  mit  der  ver- 
gleichenden Anatomie  und  der  Entwicklungslehre  berührt,  ander- 
seits aber  mit.  der  Palaeontologie  und  der  Archaeologie,  bedarf  auch 
der  Geographie,  zunächst  der  Anthropogeographie.  welche  die  geogra- 
phisrhe  Verbreitung  unseres  Geschlechtes  untersucht,  und  den  Einfluss 
der  Wohnorte  auf  den  Stammescharakter  des  Menschen  nachzuweisen 
bestrebt  ist.  Sie  bedarf  aber  auch,  mit  Hinblick  auf  die  Fragen  nach 
der  Nahrung  des  Menschen,  der  Beihilfe  der  Biologie,  so  wie  der  Kennt- 
nis der  für  den  Menschen  besonders  wichtigen  Tiere,  IHanzen  und 
Mineralien,  die  sie  aus  der  Naturgeschichte  schöpft.  Die  Tatsachen 


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L.  KATONA 


des  menschlichen  Bewusstseins  analysiert  sie  aber  nur  insoweit,  als  ihr 
Verhältnis  zu  den  körperlichen  Vorbedingungen  geklärt  werden  muss, 
und  nur  bis  zu  jener  Entwicklungsstufe,  wo  die  wesentliche  Verschie- 
denheit des  menschlichen  Bewusstseins  voti  dem  tierischen  sich  in  je 
nen  Erscheinungen  des  gesellschaftlichen  Geisteslebens  kundzugeben 
beginnt,  zu  deren  Zustandebringen  den  einzelnen  Menschen  schon  der 
Umstand  unfähig  macht,  dass  diese  Erscheinungen  für  ihn  als  solchen 
vollkommen  Uberflüssig,  oder  doch  entbehrlich  sind.  Wir  verstehen  dar- 
unter vor  allem  die  Sprache,  und  das  in  der  Sprache  als  in  seinem 
Organ  lebende  und  sich  entwickelnde  begriffliche  Denken,  ferner  die 
durch  Vererbung  zur  zweiten  Natur  werdende  Sitte  (t&os),  dann  die 
Überlieferung  (Tradition),  und  schliesslich  jene  anfangs  mit  der  Ent- 
wickelung  der  Sprache  parallel  laufende  urmenschliche  Weltanschauung, 
welche  wir  mit  dem  Mythos  in  seiner  allerweitesten  Bedeutung  identi- 
ficieren  können.  All  dieses  gehört  aber  schon  zum  Bereiche  der  im 
weitesten  Sinne  genommenen  Ethnologie,  und  bildet  das  ungemein  weite 
Forschungsgebiet  der  Völkerpsychologie. 

Indem  wir  die  Sprache,  die  Überlieferung,  die  Sitte  und  den 
Mythos  erwähnen,  sind  wir  zu  jenen  Äusserungen  des  menschlichen 
Geisteslebens  gekommen,  welche  nur  in  dem  entwickelnden  und  erzie- 
henden Elemente  des  geselligen  Zusammenlebens  denkbar  sind,  und  wir 
haben  mit  ihnen  drei,  in  enger  Ineinandergehörigkeit  befindliche  und 
auf  einander  gegenseitig  wirkende  Bestandteile  des  ethnologischen 
Kenntnismateriales  bezeichnet. 

Sprache,  Mythos  und  Ethos  (Sitte)  sind  jene  Dreieinigkeit,  in 
welche  die  Lebensäusserungen  niederer  und  vorbedingender  Ordnung 
sich  zu  Tatsachen  des  menschlichen  Bewusstseins  sublimieren,  und 
in  der  fortwährenden  Wechselwirkung  ihrer  Elemente,  die  Gcsammt- 
heit  jener  Erscheinungen  zu  Tage  fördern,  deren  Complex  wir  in  ei- 
nem zeitlich  und  räumlich  begränzten  Durchschnittsprofil  mit  dem  zu- 
sammenfassenden Namen  der  „Volksseele"  bezeichnen. 

Aus  dem  erst  in  unserm  Jahrhunderte  durch  Vertiefung  und  Er- 
weiterung der  philologischen  Forschungsgebiete  gewonnenen  Begriffe 
der  Volksseele  können  wir  am  Besten  jenes  Wissenssystem  ableiten, 
welches  im  weitesten  Sinne  genommen  am  zweckmässigsten  unter  dem 
Terminus  der  Ethnologie  zusammengefasst  werden  kann  Wenn  wir 
die  Lehren  derselben  auf  Principien  reducieren,  so  gehören  dieselben, 
auf  das  Volk  als  gesellschaftlichen  Organismus  von  einheitlichem  Cha- 
rakter bezogen,  in  dieselbe  phaenomenologische  Reihe,  deren  Übrige 
Glieder  sind:  in  erster  Reihe  die  Physik,  die  die  allgemeinen  Eigen- 
schaften der  Materie,  so  wie  die  molaren  und  molecularen  Bewegungs- 
erscheinungen derselben  behandelt;  dann  die  Chemie,  welche  sich  schon 
auf  einen  viel  engeren  Kreis  beschränkt  und  die  Materie  weiter  ana- 
lysiert ;  des  weiteren  die  Biologie,  welche  die  allgemeinen  Gesetze  des 
organischen  Lehens  erforscht;  und  schliesslich  die  Psychologie,  die  in 
das  Gewebe  und  Getriebe  des  individuellen  Bewusstseins  einzudringen 
versucht.  Unter  der  letzteren  verstehen  wir  natürlich  jene  Richtungen 


US 


ETHNOGRAPHIE.  ETHNOLOGIE.  FOLKLORE. 


derselben,  die  an  keine,  sei  es  spiritualistische,  sei  es  monadische,  sei 
es  atomistische,  aber  stets  substantielle  Vorstellung  der  Seele  anknüp- 
fen, sondern  jene  Erfahrungs-,  Versuchs-,  und  —  sagen  wir  es  unum- 
wunden heraus  —  AVimvissenschaft,   die  mit  dem   Worte  „Seele" 
nichts  anderes  bezeichnet,  als  .die  Summe  der  psychologischen  Erfah- 
rungen, und  psychologische  Gesetze  nichts  anderses  nennt,  als  die  an 
diesen  Erfahrungen  wahrnehmbare  Regelmässigkeit. u  *)  Eine  Psychologie, 
die  auf  so  positiver  Basis  steht,  wie  sie  Wundt  im  Zusammenhange 
mit  den  soeben  citierten  Worten  nachweist,  steht  dem  Begriff  der 
Volksteele  durchaus  nicht  fremd  gegenüber,  während  die  metaphysische 
Richtung  denselben  auf  keine  Weise  in  den  Rahmen  ihrer  Lehren  ein- 
fügen   konnte;    während    Lazarus    und    Steinthal    mit  ihren  von 
Herbart  übernommenen  psychologischen  Begriffen   in  die  offenbarsten 
Widersprüche  geratend,  sich  nur  mit   harter   Mühe    bis    zu  dem 
höchst  unklaren  Programme  der  von  ihnen  erdachten  „Völkerpsycho- 
logie"   durchgearbeitet  haben.  Diese  Widersprüche  nachweisend,  hatte 
Hermann  Paul,  der  consequent   auf  Herbart  schwört,  ein  leichtes 
Spiel,  die  in  dem  Plane  von  Lazarus  und  Steinthal  verborgene  Zu- 
sammenhanglosigkeit  aufzudecken.  (S.  die  Einleitung  zu  dem  Werke 
„Principien  der  Sprachgeschichte").   Auch  das  ist  leicht  begreiflich, 
dass   Paul,    der   unentwegt  festhält  au  dem  atomistischen  Seelen- 
begriffe  seines  Meisters,  mit  demselben  die  Idee  einer  Volksseele 
auf  keine  Weise  in  Einklang  bringen  kann.  Die  Lösung  dieser  Aufgabe 
kann  nur  eine  solche  Auffassung  der  Erscheinungen  des  Seelenlebens 
geben,  welche  die  psychologischen  Erscheinungen  nicht  als  die  Wirke 
samkeit  eines  fertigen  Mechanismus  ansieht,  sondern  als  die  Summ- 
ier unter  der  Wechselwirkung  des  gesellschaftlichen  Zusammenlebens 
entwickelten  und  sich  ununterbrochen  weiter  entwickelnden  Kraftäusse- 
rungen.  Auf  Basis  einer  solchen  Auffassung  ist,  entgegen  den  Bemer- 
kungen Paul's,  der  den  Gegenstand  der  Völkerpsychologie  in  Zweifel 
zieht,  eher  die  Haltbarkeit  der  Vorstellung  einer  isolierten  individuellen 
Seele  problematisch;  besonders  wenn  wir  bedenken,  auf  welch  engen 
Kreis  die  Tätigkeit  derselben  beschränkt  wäre,  so  wie  sie  sich  —  nach 
der  althergebrachten  Einteilung       in  sinnlichen  Wahrnehmungen,  im 
Denken,  in  sensuellen  und  Willenstätigkeiten  äussert,   wenn  wir  auch 
nur  auf  einen  Augenblick  von  dem  entwickelnden  Einflüsse  des  gesell- 
schaftlichen Zusammenlebens  absehen  würden.  Wo  bliebe  dann  die 
Sprache,  die  wir  mit  vollem  Recht  das  Organ  des  begrifflichen  Den- 
kens nennen  können,  —  wo  die  in  der  Sprache  als  in  ihrem  Organe 
lebende  Vorstellungsabstraction,  das  Urteilen  und  Folgern,  —  ohne  das 
Leben  in  der  Gesellschaft,  das  doch  der  Sprach fähigkeit  als  Grund- 
vorraussetzung  dient?  Wo  und  wie  sollte  sich  der  Mythos  bilden,  der 
ja   zum  Teile  eine  wesentliche  Rolle  im  Denkgehalte  spielt,  wobei 
wir  unter  Mythos  sowol  hier,  als  auch  später  die  gesammte  primitive 
Weltanschauung  verstehen  :  jene  Weltanschauung,  die  übrigens,  nach  dem 

'  ♦)  Wundt.  Über  Ziele  und  Wege  der  Völkerpsychologie  (Phüos.  Stadien  IV,  1 7.) 

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L.  KATONA. 


natürlichen  Gange  der  Entwickelung  die  Vorgängerin  jener  wissen- 
schaftlichen Erscheinungserklärung  ist,  die  den  Spuren  ihrer  Bahnbreche- 
rin folgend,  in  letzter  Instanz  ebenso  mythisch  ausklingende  Erklärun- 
gen, wie  ihre  primitive  Schwester  gibt.  Wo  bliebe  der  die  Willensäus- 
serungen regulierende  Ethos,  der  von  Zeit  zu  Zeit  und  Ort  zu  Ort  wech- 
selnde Schnitt  des  moralischen  Gewandes  der  Menschheit,  —  wenn  jene 
gesellschaftlichen  Wechselwirkungen  fehlen  würden?  Kurzum,  wir  müs- 
sen jenes  alte  Sprichwort:  Einer  ist  Keiner  (unus  homo  nullit*  homo) 
als  eine  unbezweifelbare  Wahrheit  anerkennen ;  oder  wir  können  auch 
sagen,  dass  jeder  ausserhalb  des  Verbandes  der  Gesellschaft  stehende 
Mensch  —  in  einem  Sinne,  der  jedes  wesentliche  Merkmal  des  mit  die- 
sem Worte  bezeichneten  Begriffes  in  sich  schliesst  —  nicht  nur  ein 
non-ens,  sondern  gleichzeitig  ein  non  sens  ist. 

Aus  dem  Obigen  ergibt  sich  ganz  klar,  dass  die  Psychologie  — 
und  diese  musste  sich,  wenn  sie  eine  wirklich  exacte  Wissenschaft 
werden  will,  unbedingt  zur  Völkerpsychologie  erweitern,  —  in  demselben 
Verhältnisse  steht  zu  der  Beschreibung  des  Menschen  als  gesellschaft- 
lichen Wesens  (Anthropologie  und  Ethnographie)  und  der  diese  prag- 
matisch ergänzenden  Geschichte  desselben  (Ethnologie),  wie  die  Bio- 
logie zu  der  Beschreibung  der  übrigen  organischen  Wesen  (Zoologie 
und  Botanik)  und  zu  deren  vorläufig  noch  sehr  lückenhaften  Geschichte ; 
oder  in  demselben  Verhältnisse,  wie  die  Physik  und  Chemie  zu  der 
Kosmographie  und  Kosmologie,  und  der  aus  dem  Kreise  jener  heraus- 
getreten selbstständig  gewordenen  Geographie  und  Geologie.  Eine  Psy- 
chologie in  diesem  Sinne  ist  also  berufen,  die  auf  dem  Wege  der  uni- 
versalhistorischen Forschung  aufgeklärten  Tatsachen  der  Entwick- 
lung des  menschlichen  Geistes  in  der  Reihe  der  drei  Kategorien:  Spra- 
che, Mythos,  Ethos  aufzuarbeiten.  In  die  erste  Gruppe  gehören  ausser 
der  Sprache  als  solcher,  also  ausser  dem  rein  linguistischen  Substrate 
an  derselben,  noch  die  Litteratur-  und  Wissenschaftsgeschichte.  Diese 
leitet  auf  ihre  letzten  Principien  zurückgeführt,  zur  Methodik ;  die  erste 
aber  zu  jenem  Teile  der  Aesthetik,  der  auf  Spvachwerke  anwendbar 
ist.  Der  letzteren  wird  übrigens  ausserdem  vonseiten  der  Geschichte 
der  bildenden  Kunst,  welche  aus  dem  Mythos  einen  wesentlichen  Be- 
standteil ihrer  Nahrung  zieht,  reichliches  Material  zugeführt,  während 
der  Mythos  und  die  aus  demselben  sich  krystaUisierende  Religion  die 
Mythologie,  beziehentlich  die  Theologie  als  Prineipienwissenschaft 
supponieren.  Die  Geschichte  der  gesellschaftlichen  Ordnung,  der  Regie- 
rung und  jener  Arbeit,  die  auf  die  Beschaffung  der  materiellen  Lebens- 
bedürfnisse abzielt,  diese  Geschichte,  die  sich  in  ihren  Zweigen  als 
Rechts-,  Staats-  und  Wirtschaftsgeschichte  gliedert,  hilft  die  Principien- 
systeme  der  Rechtsphilosophie,  der  Staatslehre  (Politik)  und  der  Volks- 
wirtschaftslehre aufbauen.  Diese,  so  wie  auch  zum  Teile  schon  der  My- 
thos zusammengenommen  mit  dem  Religionsgehalte,  integrieren  all 
mählig  den  ethischen  Teil  der  Volksseele,  deren  in  Verbindung  mit 
der  intellectuellen  Entwirkelung  analysierte  Gesetzmässigkeit  —  inso- 
weit nämlich  die  wissenschaftliche  Einsicht  die  Spuren  einer  solchen 


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ETHNOGRAPHIE.   ETHNOLOGIE.  FOLKLORE. 


herausfindet,  —  eine  gewisse  Voraussicht  gestattet  und  dem  entspre- 
chend auch  gewisse  Vorkehrungen  im  Interesse  des  socialen  Organis- 
mus anzuraten  geeignet  ist.  Diese  Folgerungen  endlich,  welche  aus  der 
in  Statik  und  Dynamik  sich  teilenden  Mechanik  des  gesellschaftlichen 
Lebens  abstrahierbar  sind,  fasst  die  jüngste  der  Wissenschaften,  die 
Sociologie  in  ihr  System.  Dass  derart  endlich,  nach  mehrtausendjäh- 
rigem Heruratappen,  auch  die  Analyse  der  Erscheinungen  des  gesell- 
schaftlichen Lebens  sich  in  den  Rahmen  der  cxacten  Wissenschaft  ein- 
zufügen verspricht,  ist  das  Hauptverdienst  der  dominierenden  philo- 
sophischen Richtung  unseres  Jahrhundertes  des  hauptsächlich  an  die 
Namen  Comte  und  Spencer  anknüpfenden)  Positivismus. 

Wenn  man  uns  nun  fragt,  wie  wir  uns  auf  Grundlage  des  Obi- 
gen die  Aufgabe  der  Ethnologie  eines  Volkes  denken,  so  möge  als 
Antwort  auf  diese  Frage  der  hier  folgende  Plan  dienen 
A.  Auf  ein  (relativ)  autochthones  Volk  bezogen: 
I.  Geographischer  (eigentl-  chorograt.hischer)  Teil. 

a)  Oro- hydrographische,  klimatologische  u.  geologische  Beschrei- 
bung des  Wohnsitzes. 

b)  Flora  und  Fauna  desselben. 

c)  Kulturgeographie. 

IL  AttthropologiscJier  Teil. 

1.  Reschreibender  Abschnitt: 

a)  Somatolcgische  Anthropologie. 

b)  Demographie. 

2.  Pragmatischer  Abschnitt:  EinHuss  der  unter  I  beschriebenen 
Bedingungen  auf  den  Körperbau,  und  Bedingtheit  der  demographischen 
Daten  durch  die  äusseren  Lebensverhältnisse. 

Hl.  Ethnographischer  Teil : 
1.  Beschr  Abschnitt: 
o)  Wohnung. 

b)  Nahrung. 

c)  Kleidung,  Waffen  und  Schmuck. 

d)  Pflege  des  gesunden  und  kranken  Körpers. 

e)  Lebensunterhalt: 

er)  Jagd  und  Fischerei 
ß)  Viehzucht. 

y)  Feld-  und  Bergbau,  Forstwirtschaft 
S)  Industrie. 
t)  Handel. 

C)  Raub-  und  Kriegszüge. 

f)  Sitten  und  Bräuche: 

ß)  Nach  der  Reihe  der  cyklischen  Erscheinungen  des  Men- 
schenlebens. 

ß)\m  Anschluss  an  die  natürlichen  und  festlichen  Jahreszeiten. 

v)  Sonstige  Bräuche.  (Traditionelles  in  der  Ausübung  poli- 
tischer Rechte  und  Pflichten,  in  der  Rechtspflege  und 
Regierung,  u.  s.  w.) 


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h.  KATONA. 


g)  Volkstümliche  Kunstfertigkeit  mit  Beziehung  und  im  Anschluss 
auf  die  unter  a),  6),  c),  rf),  e)  und  /)  angeführten. 

2.  Pragmatischer  Abschn  :  Einfluss  von  I.  u.  II  auf  III. 

3.  Vergleichender  Abschn. 

IV.  Ethnologischer  Teil  iim  engeren  Sinne  dieses  Wortes). 
1    Beschr.  Abschn  : 

a)  Sprache  und  mündliche  Überlieferung  (also  Folklore  im  oben 
näher  begrenzten  Sinne  dieses  W.) 

f>)  Mythos  (Volksglaube)  und  Religion  (positiver  od  eonfessionel- 
ler  Glaube)  und  die  gegenseitigen  Beziehungen  der  beiden  auf  einander. 

c)  Sitte  und  Brauch  im  engeren  Zusammenhange  mit  dem  Volks- 
und Kirchenglauben;  zu  einem  Teile  schon  weiter  oben  berücksichtigt. 
(S.  III.  1.  f.) 

</)  Geistiger  Niederschlag  der  historischen  Erlebnisse  des  Volkes. 

2.  Pragmatischer  Abschnitt: 

fr)  Wiederspiegelung  der  vorstellungsbildenden  Elemente  sämmt- 
lichcr  unter  I  II.  und  III.  angeführten  Bedingungen  und  Bedingthei- 
ten in  der  Sprache,  der  mündl.  Tradition,  dem  (ilauben,  Meinen  und 
Wähnen,  so  wie  in  den  Sitten  des  Volkes. 

M  Folgerungen  aus  II.  1  ,  III.,  IV.  1.  oj.  ')  und  c\  auf  den  Ur- 
sprung und  die  verwandschaftlichen  Verhältnisse  des  Volkes  (Spceulative 
Ethnogonie)  Zusammenhalten  dieser  Folgerungen  mit  den  historischen 
Daten  und  Ergebnisse  dieser  sich  gegenseitig  ergänzenden  Aufschlüsse 

3.  Vergleichender  Abschnitt. 

V.  Völkerpsycholoytscher  Teil. 

Bedingtheit  dessen,  was  wir  unter  Volksseele  versteht!,  von  den 
unter  I ,  II  und  III  angeführten  Lebensverhältnissen  und  Erscheinun- 
gen Charakteristik  dieser  Volksseele  an  der  Hand  der  unter  IV.  auf- 
gezählten Äusserungen  derselben 

VI.  Sociologischer  Teil. 

Die  von  dem  betreffenden  Volke  auf  der  Stufenleiter  der  gesell- 
schaftlichen Entwickelung  eingenommene  Stelle,  der  absolute  Wert  sei- 
ner gesellschaftlichen  Institutionen  (in  Hinsicht  auf  den  Fortschritt  der 
gesummten  Menschheit»;  der  relative  Wert  derselben  (gemessen  an  dem 
Interesse  der  Erhaltung  des  eigenen  Volkstumesi.  Das  System  der  aus 
diesen  Wertschätzungen  abstrahierbaren  Folgerungen  und  allgemeinen 
Principien  Die  nach  der  wissenschaftlichen  Einsicht  feststellbare  Pro 
gnosis  für  die  Zukunft  des  Volkes,  und  die  daraus  eventuell  abzuleiten- 
den Vorsichtsmassregeln  «gesetzgeberische  Prophylaxis) 

B)  Bei  einem  nicht  nu'ochthonen  Volke  erweitern  sich  die  Punkte 
unter  A)  um  Folgende: 

I.  2.  Im  Falle  der  positiven  Kenntnis  der  Urheimat,  beziehentlich 
der  älteren  Wohnsitze,  ein  (womöglich  der  resp.  Zeit  entsprechendes) 
Bild  derselben;  falls  aber  die  positiven  Daten  dafür  fehlen,  muss  eine 
Beeonstruetion  durch  Folgerungen  aus  dem  jetzigen  Zustande  versucht 
werden. 

260 

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ETHNOGRAPHIE.   ETHNOLOGIE.  KOLKLOHE 


II.  3.  Die  aus  dem  anthropologischen  Bilde  ableitbaren  Folge- 
rungen auf  die  Urheimat,  bez  den  älteren  Wohnsitz 

III.  4.  Folgerungen  hinsichtlich  des  eben  Erwiihnten  aus  den  eth- 
nographischen Daten 

IV.  4.  o)  Positive  gesc  hichtliche  Dat^n  über  die  Urheimat,  bez.  die 
älteren  Wohnsitze,  über  Wanderungen  und  den  Einzug  in  das  jetzige 
Vaterland,  so  wie  über  die  Besitznahme  desselben 

b)  a)  Die  Belehrung,  die  man  aus  dem  unter  IV.  1.  Erwähnten 
(Sprache,  Mythos,  Ethos.)  hinsichtlich  der  Urheimat  bez  der  alteren 
Wohnsitze  schöpfen  kann. 

ti)  Der  Einfluss  der  älteren  Wohnsitze  und  Berührungen  auf  das 
unter  II.  1.,  III.  1.  und  IV.  1.  Aufgezählte. 

c)  Positive  geschichtliche  und  palaeethnologiscbe  Daten  über  die 
früheren  Besitzer  des  gegenwärtigen  Wohnortes,  der  Einfluss  dersel- 
ben auf  die  nach  ihnen  gekommenen  Volksschichten,  in  anthropologi- 
scher (II.  1  ),  ethnographischer  (III  1  )  und  ethnologischer  (IV  1.) 
Hinsicht. 

V.  Die  nachweisbaren  Erinnerungen  an  die  älteren  Wohnsitze, 
früheren  Wanderungen  und  Berührungen  in  den  gestaltenden  Elementen 
der  Volksseele. 

Innerhalb  dieses  Planes  kann  der  von  uns  soeben  zu  seiner  eng- 
sten Bedeutung  umgrenzte  Folklore,  als  ein  in  die  Kategorie  der  Spra- 
che einzureihender  Bestandteil  der  Volksseele,  folgendermassen  ge- 
gliedert werden 

I.  Angaben,  die  aus  dem  Wortschatze  geschöpft  werden  können, 
und  zwar  solche,  die 

a)  den  Vorstellungsgehalt  der  Volksseele  aufklären, 

b)  ihr  eigentümliches  Vorgehen  bei  der  Begrittsabstraction  be- 
leuchten, und  zwar:  1)  In  Bezug  auf  die  materielle  Welt  und  die  mo- 
ralische Lebensordnung. 

2)  In  Bezug  auf  die  hinter  der  materiellen  Welt  verborgenen 
personifizierten  Kräfte,  und  in  Bezug  auf  die,  das  moralische  Betragen 
regulierende  transeendentale  Auflassung. 

II  Sprichwörter  und  stereotype  Redensarten,  entsprechend  der 
Einteilung  unter  Punkt  I. 

III.  Die  mündlichen  Überlieferungen,  erzählenden  Inhaltes,  d  h. 
der  epische  Teil  der  Volkslitteratur  u.  z. 

1 )  Märchen :  a)  sogenannte  Feenmärchen  lim  engeren  Sinne  des 
Wortes), 

b)  Tiermärchen ; 

c)  launige  und  übermütige  Erzählungen,  Anekdoten. 

2)  Sagen:  a)  an  einen  Ort  geknüpfte. 

b)  von  den  Gestalten  des  Volksglaubens  handelnde, 

c)  anknüpfend  an  die  Gestalten  der  positiven  Religion, 

d)  erklärende,  od  aetiologische  Sagen  (Legenden  und 

Erzählungen). 

3)  Epische  Gelänge  (  Heldengedichte,  Romanzen,  Balladen  u.  s.  w.| 


261 


L.  KATONA. 


IV.  Der  lyrische  Teil  der.  mündlichen  Volksüberlieferung,  u.  z. 

1)  Lieder,  Tanzlieder  und  Tanzsprüche; 

2)  Wiegenreime  und  Kinderverschen  (insoweit  dieselben  Bruch- 
stücke oder  Kern  von  1  sind). 

V.  '  Die  satirischen,  didaktischen  und  gemischten  Elemente  der 
mündlichen  Volksüberliefenuig.  u.  z. 

1 )  Spottverse,  Spott-  und  Neckreime. 

2)  Gereimte  Sprüche,  die  sich  an  Festtagsgebräuche  knüpfen 
(z.  Ii.  Hochzeitssprüdie  u  s.  w  ) 

8)  Gedenkverslein,  Spielreime  und  Lieder,  Auszähleverse. 
4)  Rätsel. 

VI.  Der  dramatische  Teil  der  mündlichen  Volksüberlieferung  : 

1)  Mysterien  und  Verwandtes  (geistliches  Volksdrama). 

2)  Weltliche  Volksdramen. 

3)  Volksunterhaltungen  und  Spiele  dramatischer  Form 

Es  ist  selbstverständlich,  dass  der  grösste  Teil  des  hier  Aufgezählten 
sich  von  den  anderen  Teilen  des  Studiums  der  Volksseele  kaum  trennen 
lässt,  und  in  fortwährender  Beziehung  steht  einerseits  zum  Mythos,  ander- 
seits zu  dem  Volkahrauch  und  zu  den  Erscheinungen  des  Volkxlbens 
überhaupt.  Nichtsdestoweniger  ist  eine  Prüfung  derselben  nach  ver- 
schiedenen Gruppen  und  in  einem  engeren  Zusammenhang»  innerhalb 
dieser  Gruppe1  nicht  blos  wünschenswert,  sondern  geradezu  unerliiss- 
lich;  vorerst  mit  Hinblick  auf  die  Metho  le,  welche  bezüglich  der  hierher- 
gehörigen Elemente  und  deren  Natur  entsprechend  überwiegend  litterar- 
h isto r/scA,  oder  sagen  wir:  philoloyUch  ist;  in  zweiter  L'nie  aber  weil, 
wie  schon  erwähnt,  die  Gegenstände  des  Folklorr  in  der  directen  oder 
indirecten  Berührung  der  Völker  von  den  ältesten  Zeiten  bis  zum  heu- 
tigen Tage  fortwährend  wandern,  und  somit  auch  Gegenstände  einer 
der  wichtigsten  Hilfswissenschaften  der  Ethnologie  sind,  nämlich  der 
im  Übrigen  auch  selbständig  existenzberechtigten  vergleichenden  Lit- 
leraturforschung. 


Bihliofjraphie.  Topinuni,  1/ Anthropologie,  4.  Aull.  P.iris,  1HH4.  ./.  Iinnke, 
Der  Mensch.  Stuttgart,  1887.  —  Waitz,  Anthropologie  <ler  Naturvölker,  Leipzig 
1859  »»4.  4  B. ;  der  ö.  u.  6.  von  Gerland  1870—71.  H'tstian,  Der  Mensch  in  der 
Geschichte.  Leipzig  18GÜ.  Oers.  Das  Beständige  in  den  Menschenrassen.  .  .  . 
Berlin  1868.  Oers.  Ethnologische  Forschungen,  Jona  1871.  />«•#•»•.  Geographische 
u.  ethnologische  Bilder,  das.  1873.  Fr.  M  HUr,  Allgemeine  Ethnogruphio,  2  Aufl. 
Wien.  1879.  TescM,  Völkerkunde,  •">.  Aufl.  Leipz.  1881.  liat~,l,  Völkerkunde, 
Stuttgart  1887.  Tutor,  Researchos  into  tho  early  history  of  mankind  and  the  de- 
velopment  of  civilization.  2.  Aull.  London  187U.  Ihrs.  Primitive  culture :  resear- 
ches  into  the  developruent  of  mythology,  philosophy,  religion.  language.  .tri, 
and  custom.  2.  Aufl.  London  1H73.  Her*.  Anthropoiogy.  Introduction  to  the  study 
of  man  and  civilization,  London  IKtfl.  Hoychot,  Der  Ursprung  der  Nationen. 
Leipz.  1874.  Haation,  Allgemeine  Gruud/.üge  der  Ethnologie.  Berlin  1884.  Vir- 
choii-BiUtian-H'.irtm  tnn,  Zeitschrift  fiir  Ethnologie,  Berlin  seit  1869.  —  H  txtian, 
Beitrage  zur  vergleichenden  Psychologie,  Berlin  1868,  L'unrux-Steinthnl,  Zeitschr. 
für  Völkerpsychologie  und  Sprachwissenschaft,  Berlin  u.   Loipz.  seit  1859.  S. 

362 


by  CoOgt 


DIE  ALTEN  FOLKLORISTEN. 


besonders  1.  B.  1—73.  Vgl.  Herrn.  Paul,  Principien  der  Sprachgeschichte,  2. 
Autl.  Halle  188P,  Einleitung.  Ferner:  H'.  Hundt,  Über  Ziele  und  Wege  der 
Völkerpsychologie  (Philos.  Studien  IV,  1t— 27.)  Bastian,  Der  Volkorgodanke  im 
Aufbau  einer  Wissenschaft  vom  Menschen,  1881.  —  A.  Lany,  La  Mythologie. 
Trad.  par  L.  Parnientier.  Avce  une  preface  par  Ch.  Michel.  Paris  1886.  Bastian, 
Das  Religiöse  in  ethnolog.  Auffassung,  Jena  1871.  A.  Lanu.  Custom  and  Myth. 
London  1884.  Drrs.  Myth',  Ritual  and  Religion,  London  i887.  —  F.  Liebrecht. 
Zur  Volkskunde,  Heilbronn  1879.  Chamber«  Encyclopnedia :  »Folklore"  (Thoraas 
Davidson).  Pui/maii/re,  Folk-lore,  Paris  1885.  P.  Sibillot,  Le  Folk-lore  (Revue 
d'Anthropologio  XV,  290—302,  Paris  188G).  Gustar  Meyer,  Essays  und  Studien 
zur  Sprachgeschichte  und  Volkskunde.  Berlin  1885.  („Folklore"  145—162.) 
L.  Kulotui,  Zur  Litteratur  und  Charakteristik  des  magyarischen  Folklore:  I. 
Allgemeine  Char.  des  Folklore.  (Zeitschr.  f.  vgl.  Littoraturgesch.  u.  Renaißsance- 
Litteratur,  Neue  Folge  Band  I,  Heft  i.  Berlin  1887.)  Folk  Lore  Journal  Vol.  11: 
Folk-Lore  Terminology.  Id.  by  Alfr.  Kult  Vol.  Iii:  The  Science  of  Folk-Lore 
by  Charlotte  S.  But  ne.  Id.  by  G  L.  Gor.ime  Id.  by  IC  Sidney  Hnrtland.  Id.  by 
A.  Machado  y  Alrarez.  Vol.  IV:  Classification  of  Folk-Lore  by  Charlotte  S  Bunte. 
Principles  of  the  Classification  of  Folk-Lore  by  J  S.  Stuart  Glennie.  Folklore 
as  the  Cumplemeut  of  Culture-Loro  in  the  Study  of  History  by  J.  S  Stuart 
Glennie  The  Scienco  of  Folk-Lore,  with  Table*  of  Spirit  Basis  of  Brlief  and 
Custom  by  Captain  <'  T,  mjdc.  The  Journal  oi  Amerian  Folk-Lore.  Vol  I,  p. 
79:  Notes  and  Queries  (on  the  term  „folk-lore").  Boston  and  New- York  1888. 
—  Herbert  Spencer,  The  Classification  of  the  seionecs,  3.  Aufl.  London  1871. 
Hers.  Principles  of  Sociology,  London.  (D.  Übers.  Stuttgart  1877.)  Dets.  Ein- 
leitung in  das  Studium  der  Sociologie,  Leipz.  1875.  Gumjdotritz,  Grundriss  der 
Sociologie,  Wien  1885.  —  A  Hemnann,  Ethnologische  Mitteilungen  aus  Ungarn 
1887-92. ' 


Die  alten  Folkloristen. 

Von  Ch.  G.  Leland. 

Es  kommt  oft  vor,  dass  ein  Folklore-Sammler,  wenn  er  sich  unter 
Hauern,  Zigcun  rn  oder  dergleichen  befindet,  wo  allerlei  Märchen, 
Aberglauben,  oder  traditionelle  Materialien  im  reichsten  Überflusse  vor- 
handen sind,  nicht  weiss,  wie  er  anfangen  soll  etwas  abzuschreiben. 
Ich  möchte  andeuten,  dass  in  solchen  Fallen  manche  nützliche  Winke 
in  gewissen  alten  Büchern  zu  finden  sind.  Wie  der  englische  Dichter 
Chaucer  sagt:  „aus  alten  Feldern  schaßt  man  alle  Jahre  neues  Korn." 
So  zum  Beispiel  habe  ich  erfahren,  dass  wenn  man  einen  Zigeuner 
fragt:  „Wie  heisst  —  —  in  deiner  Sprache?*  der  Mann  sich  des 
Wortes  nicht  erinnern  kann.  Aber  wenn  wir  z  B.  ein  Wörterbuch  der 
hindostanischen  oder  gujeratischen  Sprache  vornehmen  und  die  Wör 
ter  nach  einander  vorlesen,  wird  er  bald  sagen :  „Ja,  Herr,  ich  kenne 
jenes  Wort'  —  und  wenn  er  es  nicht  genau  kennt,  wird  es  ihm  ein- 
fallen, dass  er  ein  ähnliches  kennt. 

Nehmen  wir  z  B.  so  ein  Buch,  wie  der  „Glücks  Topf,  welcher 
in  118  beschriebenen  abergläubischen  Zetteln  besteht,  von  M.  Johan- 
nes l'raetorius.  1609."  Dann  nehmen  wir  die  einzelnen  Capitel  vor 
und  fragen  z.  B.  „Hast  du  gehört  von  Reichtum  durch  Hahnrei- 
schaft V  Von  Kobold-Glück?  Von  Maurer-  und  Hunde-Glück?  Von 
Reichtum  durch  Finden  ?  Von  Stillschweigen  beim  Schatzgraben  ?u  u.  s.  w. 

258 


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CH.  O.  LELAKD 


So  kann  man  in  allen  Werken  von  Praetorius  z.  B.  sein  Anthro- 
podemus  Plutonicus.  1666.  sein  IHocksberge  Bericlxtung.  etc.  hunderte 
von  dergleichen  Beispielen  finden. 

Nicht  weniger  nützlich  ist  der  „Tractatus  de  Fascinatione*  von 
Johann  Christian  Fromann.  Nürnberg  1675.  In  diesem  Buche  findet 
man  1060  Seiten,  und  gewiss  auf  jeder  Seite  einen  Aberglauben,  der  dem 
Folkloristen  nützlich  ist.  Fromann  gibt  viele  interessante  Zauber-  oder 
Besprechungs-Formeln  der  Bauern,  doch  immer  unvollständig,  z.  B. 
Ad  dolorem  dentium  hanc, 

„Gott  uud  das  heilig  Klüt 

Sey  iür  meine  Zahne  gut! 

\v(  ich  Zähne  hoer  klagen, 

Will  ich  einem  von  Ualgenblat  sagen,  etc. 

Das  sey  dir  eine  wahre  ßuss  im  Nahmen"  etc. 

net  quae  al  a  ohnervanda  praeeipiuntur.  Sed  ea  nos  supprt'mimus." 
So  bei  Praetorius  und  vielen  anderen  alten  Schriftstellern.  Die  guten 
ehrlichen  Leute  scheinen  Angst  zu  haben,  dass  sündige  Leute  die  ver- 
dammten Zauber-Formeln  benützen  werden  Es  ist  zu  wünschen,  dass 
soweit  möglich,  die  Folkloristen  von  heute  diese  Formeln  vervollständigen . 
Denn  wie  Karl  Blind  bewiesen  hat,  manche  von  diesen  Formeln  sind 
uralt.  Es  existieren  noch  heute  in  Nord-Italien  hunderte  dergleichen, 
welche  ursprünglich  lateinisch  waren,  und  sogar  etruskisch. 

Noch  reicher  ist  der  Curiosus  Amuletorum  Scrutator,  von  Julius 
Ueiehelt,  Frankfurt  161)2,  ein  Buch  von  688  grossen  Seiten,  wo  man 
auf  jeder  Seite  mehrere  Aberglauben  findet.  Mit  solchen  Handbüchern 
kann  man  schnelle  Fortschritte  machen  Es  ist  nicht  lange  her,  seit  ich 
hier  in  Florenz  anfieng,  zu  fragen  von  r Hexen"  und  alten  Leuten,  ob 
sie  etwas  wüssten  von  Zaubermitteln  gegen  Krankheiten.  Es  gieng  sehr 
lamgsam.  Da  nahm  ich  die  hundert  Recepte  von  Marcellus  Burdiglensis 
vom  vierten  Jahrhundert,  und  fand,  dass  fünfzig  von  diesen  unter  den 
Leuten  noch  bekannt  sind 

Hier  in  Italien  sind  auch  die  christlichen  Zauber-Formeln,  welche 
an  Gott,  die  Dreieinigkeit  und  die  Heiligen  gerichtet  sind,  vielleicht 
alle  ursprünglich  heidnisch  gewesen  So  zum  Beispiel  will  man  glück- 
liche Träume  habun,  so  wendet  man  sich  an  Santo  Simeone,  der  früher 
gewiss  Somnone  und  Soranus  war  Wer  erkennt  nicht  in  Santa  Anna 
oder  Lu  San'Na.  die  Kinder  gibt,  die  Lucina? 

Ich  habe  dies  geschrieben,  weil  ich  merke,  dass  sehr  viele  talent- 
volle und  tüchtige  Sammler,  hauptsächlich  in  England  und  America, 
diese  alten  Quellen  nicht  besonders  in  Acht  zu  nehmen  scheinen.  Nach 
ihrer  Art  und  Weise  waren  Männer  wie  Heinrich  Fromann,  Grosius  und 
Praetorius  sehr  eifrige  Folkloristen,  und  sie  verdienen,  dass  man  ihre 
Bücher  benützt,  um  Neues  zu  sammeln. 

Florenz,  2   März  181)2. 


264 

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KOSMOGONISCHE  SAGEN  DER  WOOTTLEN 


Kosmogonisehe  Sagen  der  Wogulen. 

Aus  dem  Volkskunde  aufgezeichnet  von  Dr.  liernhard  Munkäcxi 

VI 

Das  Lied  von  der  Erschaffung  der  Erde  und  des  Himmels. 

1.  Die  Erde  und  der  Himmel,  —  sie  formen  sich, 
sie  werden  erschaffen, 

Nach  XuV-äters  kleinsten  Sohnes  zum  Pfeilfahnekleben  gebrauchten 
silbernen  Leimkessels  Grösse 
5.  wird  erschaffen  der  Ober-Himmel  {Numi-  7W»i),  unser  Vater. 
Nach  XuV-äter*  kleinster  Tochter 
silbernen  Spindelring»  Grösse 
wird  erschallen  [die  Krustige-Erde,  uusere  Mutter.] 

* 

Krustige-Erde,  unsere  Mutter 
10.  füssigeischaffenen  nissigen  Kahn 

hinaufsendet  [in  den  Himmel,  lässt  sagen:] 
„Erschaffen  sind  wir  also  erschallen; 
[aber]  ohne  von  Speisen  sich  nährenden  Menschen 
kann  ich  nicht  leben    (zu  sitzen  reicht  meine  Kraft  nicht  aus.)" 

* 

15.   Dieser  fiissigerschaffene  lässige  Kulm 
gelangt  oben  an,  [sagt  dies  :J 
„Krustige-Erde.  unsere  Mutter 
ohne  von  Speisen  sich  nährenden  Menschen 
kann  nicht  leben." 

* 

IXumi-Ttirdm  Vater  antwortet :| 
20.   „Du,  wenn  du  bald  hinabgelangst. 

mit  lebendiger  Schlangengerte, 

drei  Mal  geschehend, 

peitsche  die  Mutter,  Krustige-Erde ! 

Auf  zwei  Klaftern  des  weitklafternden*)  Menschen 
25.   wird  sich  ausbreiten  (entfalten)  das  Erdchen: 

ihr  von  Speisen  sich  nährender  Mensch  wird  von  dort  erschaffen 

\\  erden, 

Äamt'-Frau,  die  Mutter  wird  von  da  erschallen  werden, 

aus  einem  Mutterleibe  wird  sie  sieben  Sprossen  gebären  (schütten)." 

* 

Jahre  zählend,  sieben  Jahre  hindurch, 
HO.  Jahre  zählend,  drei  Jahre  dindurch 
schaukelt  die  Jungen  der  Wind. 
Obengehenden  geflügelten  Kahn 

♦)  Mit  ausgespannten  Armen. 


255 


DR    BERNHARD  MUNKAC8I 


[Krustige-Erde  Mutter  mit  der  Botschaft)  hinaufsendet: 
..Den  von  Speisen  sich  nährenden  Menschen 
35.  haben  wir  also  ersehaffen ; 
aber  jetzt  einen  essbaren, 

seinen  Herzzipfel  [füllenden]  schmackhaften  Bissen 
woher  wird  er  nehmen?" 

Der  Mann  (d.  h.  Numi-Türem),  nachdem  er  lange  Zeit  gesessen, 

[also]  spricht: 
40.   rBald  an  des  unten  sich  ausbreitenden  (sitzenden) 

dichten  Rottannwaldes  Gelände 

werde  ich  die  sieben  kalbige  Rentierkuh  herablassen, 

das  Kuhkalb  und  das  Stierkalb  werde  ich  [dorthin]  herablassen, 

das  gescheckte  Rentierkalb  mit  seiner  Mutter 
45.  auf  die  dort  sich  ausbreitende  stierzungenbreite  Moorfläche 

werde  ich  herablassen 

Ihr  von  Speiden  sich  nährender  Mensch 

auf  seinen  Herzzipfel  den  schmackhaften  Bissen 

von  da  sich  verschaffen  möge!" 

* 

50    Der  Aeimi-Frau  Mutter  unserer, 
Sieben  Söhne  eines  Mutterleibes,  — 
die  Männer  wachsen. 

Nach  des  unten  gehenden  füssigen  Tieres 
Herzen  sie  streben, 
55.  nach  des  oben  fliegenden  geflügelten  Tieres 
Herzen  sie  jagen. 
Unten  gehendes  füssiges  Tier 
blieb  nicht, 

oben  gehendes  geflügeltes  Tier 
60.  blieb  nicht. 

Krustige-Erde,  unsere  Mutter 
mit  Schwingen  erschaffenen  beschwingten  Boten 
hinauf  [in  den  Himmel]  wieder  sendet. 
Mumi-Tärem  mein  Vater  lange  Zeit  sitzend, 

65    später  [dies]  spricht: 

„Wenn  irgend  welche  Männer  entstanden  sind: 
auf  dieser  von  Männern  betretenen  Männer-Gegend 
was  machen  sie? 

Auf  dieser  von  Weibern  betretenen  Weiber-Gegend 

70.  was  machen  sie?  — 

Wenn  irgend  welche  Männer  entstanden  sind : 
in  männererzeugender  Männer-Gegend 
hügligen  Wandel-Wald, 
in  weibererzeugender  Weiber-Gegend 

2&Ö 


- 


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KOSMOGONISCHE  SAGEN  DER  WOGULEN. 


75.  hügligen  Wandel- Wald, 

dahin  mögen  sie  gehen  zu  suchen  (das  Wild)!a 

* 

Die  Männer  hören  dies  Wort, 

halsriemige  viele  Felleisen 

sie  verfertigen; 
80.  mit  gutem  Glückvertrauen 

auf  den  Weg  sie  sich  machen. 

Lange  gehen  sie,  kurze  Zeit  gehen  sie, 

sie  setzen  sich  nieder. 

Der  beiden  jüngsten  Männer 
85.  jähzornigen  Wesens  wegen 

der  Seidensehne  zitternder  Ton  erscholl. 

Der  älteste  Mann  blickt  nach  rückwärts, 

spricht:  „He,  Männer,  was  macht  ihr?! 

der  grimmlosen  Erde  Grimm  ihr  macht!" 
90.  Sie  gehen  weiter. 

Lange  oder  kurze  Zeit  gehen  sie: 

die  beiden  jüngsten  Männer 

ein  dort  liegendes  Baumwurzelstück 

von  hier  beschiessen:  [der  Pfeil]  dringt  durch  dasselbe, 
95.  von  da  sie  beschiessen:  [der  PfeilJ  dringt  durch  dasselbe. 

Der  älteste  Mann  wieder  spricht: 

„Was  macht  ihr?! 

der  grimmlosen  Erde  Grimm  ihr  macht!" 

Die  Männer  gehen  weiter;  da  einmal 
100.  in  ein  spärlich  bewaldetes  Wassergebiet 
sie  gelangen  (gehen) 
in  ein  bewaldetes  Landgebiet 
sie  gelangen  (erscheinen). 

Sie  gehen  binab  zu  des  Lous-Gebietes  Flussteich ; 

105.  eisenbrüstige  sieben  Taucherenten 

schlagen  dort  mit  ihren  Hügeln  [auf  dem  Wasser], 
eisenbrüstige  sieben  Taucherhühner 
seh  lagen  dort  mit  ihren  Flügeln  [auf  dem  Wasser]. 
Sie  tauchen  unter; 

110.  bis  ein  eisiger  Fisch  im  Kessel  [kocht1,  so  lange  Zeit 
verweilen  sie  unten  [und  dann]  tauchen  sie  empor. 
Bis  ein  eisiger  Fisch  im  Kessel  [kocht],  so  lange  Zeit 
schlagen  sie  oben  [auf  dem  WasserJ  mit  ihren  Flägeln.  — 
Sie  (die  Männer)  zwischen  bergendem  Gras  schleichend  nähern  sich 

ihnen. 

115.  Der  älteste  Mann  spricht: 

„Bis  ich  meinen  Bogen  nicht  herablasse, 
bis  ich  meinen  Pfeil  nicht  loslasse, 

S67  it 


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DB.   BERNHARD  MÜNKAC8I 


kein  Mensch  sei  [der  seinen  Pfeil  abschiesse]  !u 

Der  älteste  Mann  auf  die  Mitte  (den  Bog)  seines  Bogens 
120.  seinen  dreikantigen,  silbernen  Angelpfeil  legt. 

Den  Bogen  spannt  er.  —  Bis  ein  eisiger  Fisch  im  Kessel  [kocht], 

richtet  er  den  Bogen. 

Der  beiden  jüngsten  Männer 

jähzornigen  Wesens  wegen 
125.  der  Seidensehne  zitternder  Ton  erscholl. 

Die  eisenbrüstigen  sieben  Wasserhühner 

von  des  silbernen  Angelpfeiles  Spitze 

werden  nur  gestreift  — 

Dir  älteste  Mann  spricht: 
130.  „Was  macht  ihr?! 

auf  die  seuchenlose  Erde  habt  ihr  Seuche  gelassen, 

auf  die  krankheitslose  Erde  habt  ihr  Krankheit  gelassen  !* 

Wasserreich  mündende  sieben  Flüsse 

die  blutigen  sieben  Wasserhühner 
135.  entlang  eilen. 

* 

Die  Männer  gehen  weiter. 

Lange  oder  kurze  Zeit  sie  gehen, 

in  ihre  «/tfx-tomew-benachbarte  Burg 

sie  zurückkehren,  sie  gelangen  heim. 
140.  Kamt'-Frau,  ihre  Mutter 

einen  für  eine  Stadt  selbst  nicht  sich  erschöpfenden  grossen  Kessel 

hinstellt  [zum  HirsenbierkochenJ. 

Drei  Nächte,  drei  Tage  hindurch 

zecht  das  Volk. 
145.  Dem  ältesten  Manne 

berauschtes  Menschen  Rausch 

nicht  konnte  kommen 

betrunkenes  Menschen  Trunkenheit 

nicht  konnte  kommen. 
150.  Zu  Teich-Fürsten  Tochter, 

seiner  Gattin  heim  er  geht,  tritt  zu  ihr  ein, 

spricht:  „Betrunkenes  Menschen  Trunkenheit 

konnte  [mir]  nicht  kommen; 

höre  Frau,  geh  nur  hinaus, 
155.  an  der  Sonne  gedörrte  drei  giftige  Blätterschwämme 

bring  herein!"  —  Sie  antwortet: 

„In  deiner  Verrücktheit  vielleicht  deines  Vaters  Blut 

begehrtest  du  zu  trinken, 

in  deiner  Verrücktheit  vielleicht  verwandtes  Blut 
1 60.  begehrtest  du  zu  trinken?!" 

Jener  spricht:  „Mich,  den  mit  zwei  Gürteln  umgürteten  Mann, 
bis  ich  nicht  in  Zorn  kam,  warum  hast  gereizt?! 

366 


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KOSMOOONISCHE  SAGEN  DER  WOGULEN. 


Wenn  ich  in  meiner  Verrücktheit  meines  Vaters  Blut 
begehrt  habe  zu  trinken,  frage  ich  dich?! 
1 65.  Dich  frage  ich  nicht. 

Jetzt  an  der  Sonne  gedörrte  drei  giftige  Blätterschwämme 
Frau,  bring  herein!" 

[Die  Frau  die  Blätterschwämme]  vor  ihn  hinwirft; 
in  seinen  Mund  mit  dem  Zwischenraum  von  zehn  Bärenzähnen  [tuend] 
1 70.  kaut  er  dieselben, 

und  berauschten  Mannes  Rausch  kommt  [ihm.] 

* 

Die  rottannhölzerne  grosse  Türe 
bricht  jemand  ein. 

n  He,  Onkel,  des  berauschten  Menschen  Rausch 
I  75.  auf  später  lass! 

Von  nordischer  Gegend  her,  von  da  hervorflog 
rotsteissiger  Amseln  [Schaar]; 

die  zur  Zeit  deines  wachsenden  Mannes- Wachstums  (d.  h.  Kinderzeit) 
von  dir  aufgestellten 
180.  silberköpfigen  sieben  Säulen 
hat  sie  ganz  bedeckt.*  — 
.Mit  des  berauschten  Mannes  Rausch 
habe  ich  dazu  keine  Kraft ; 

meines  Vaters  zwei  lieben  Sprossen  (meinen  zwei  Brüdern)  Kunde 

hievon  bringet!" 

* 

185.  Die  rottannhölzerne  grosse  Türe 
wieder  man  öffnet, 

»He,  Onkel,  des  berauschten  Mannes  Rausch 
lass*  auf  später! 

Die  zur  Zeit  deines  wachsenden  Mannes-Wachstums 
1 90.  von  dir  aufgestellten 

silberköpfigen  sieben  Säulen 

hat  rotsteissiger  Amseln  [Schaar] 

ganz  bedeckt,  ganz  im  Kreise  umringt.' 

* 

Der  Mann  spricht :  «Meinen  zum  Kampf  bestimmten, 
1 95.  mit  Kinnstück  versehenen,  feinem  Haare  undurchdringlichen  [klein- 
ringigen]  Panzer 

bringt  her!* 

Seine  Rede  hat  er  noch  nicht  geendigt, 
und  [den  Panzer]  brachte  man  ihm 

Seinen  Rentierhaaren  undurchdringlichen,  feinen  Haaren  undurch- 
dringlichen 

200.  mit  Kinnstück  versehenen  Panzer  zieht  er  an  (giesst  er  sich  an). 
Den  einen  Stiefel 

in  des  töchterreichen  Hauses  Mitte,  drinnen  zieht  er  an, 

2*9  lft» 

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DR    BERNHARD  MÜNKACBI 


den  anderen  Stiefel 

in  des  söhnereichen  Dorfes  Räume,  draussen  zieht  er  an. 
205.  Sein  kleinspitziges  Stahlschwert 

reiset  er  mit  sich. 

Auf  sein  Ross  schwingt  er  sich ; 

dem  abgezogenen  Heere 

eilt  verfolgend  der  Mann  nach. 
210.  An  den  Rand  dichten  Gelsenschwarmes 

gerfit  der  Mann. 

Sein  Ross  [wie  einen]  dort  liegenden  modrigen  Baumstrunk 

hin  stösst  er; 

dies  abgezogene  Heer 
215.  untergehendem  Monde  gleich 

taucht  er  unter  sich, 

aufgehendem  Monde  gleich 

lässt  er  vor  sich  aufgehen. 

Über  das  aufgehende  Heer  (als  Haupt) 
220.  stellt  sich  der  Mann. 

Über  das  aufsteigende  Heer 

gerät  der  Mann. 

Wohin  er  sich  wendet:  dürres  Gras  wie  er  zerknittert, 
so  zerknittert  er  sie; 
225.  wohin  er  sich  wendet:  [in  den  Reihen  der  Feinde]  eine  Gasse 

hauend  schreitet  er  vor. 

Einmal  an  seinem  rechten  Bein 
etwas  sich  hinschleppt. 
Als  er  hinblickt : 

so  ist  es  der  Teich-Fürsten-Mann,  sein  Schwiegervater, 

230.  der  ist  es,  der  sich  an  sein  rechtes  Rein 
hingeklammert  hat. 

„Schwiegersohn,  lebendiges  Menschen  Gut 
ist  alles  dein:  nur  deine  Wut  (Taumel)  auf  das  erstandene  Heer 
besänftige!  —  Blick'  hinab, 
235.  in  Männer  Blut  bis  ans  Knie 
watest  du,  Mann, 
bis  zur  Männerhüften  Höhe 
schwimmst  du,  Mann. 

Deine  Wut  über  das  sich  erhobene  Heer  besänftige, 
240.  totes  Menschen  Gut  ist  alles  dein." 

Er  besänftigte  ihn;  dem  Teich-Fürsten,  seinem  Schwiegervater 

folgte  er. 

Er  gieng  zurück,  stiess  ansein  Ross; 

[dies]  erhob  sich,  er  bestieg  es,  und  gieng  heim. 

In  seine  Burg  zu  Jäx-tumen  gelangte  er  heim. 

* 

860 


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KOSMOGONISCHK  SA« EN  DER  WOGULEN. 


245.  Kami'Fr&Uy  seine  Mutter  geht  draussen  herum. 

„Söhnchen,  als  ich  dich  gebar, 

gleich  zwei  soeben  sich  rötenden  Espenblättern 

waren  deine  beiden  Wangen: 

jetzt  aber  wie  sich  häutende  Birkenrinde 
250.  wie  wurdest  du  so  bleich?" 

„Aber  Mutter,  woher  weisst  du  es, 

dass  ich  bis  ans  Knie 

in  Männerblut  watete?" 

* 

Er  kommt  heim,  tritt  ins  Haus,  spricht  [soj: 
255.  „Auf  eine  Woche  des  Monats 

in  die  sieben  Dickichte  des  bereiften  Waldes 
lasset  mich! 

Bei  Menschen  habe  ich  einen  mir  gleichen  Helden 
nicht  gefunden." 

260.  Seinen  für  Rentierhaare  undurchdringlichen,  für  feine  Haare  un- 
durchdringlichen, 

mit  Kinnstiick  versehenen  Panzer  zieht  er  an : 

sein  dem  Menschen  furchtbares,  harzbrand färbiges  (schwarzbraunes) 

Bärenhaar,  daraus  entsteht  es. 

Sein  kleinspitziges  Stahlschwert 
265.  in  vier  Stücke  bricht  er: 

in  seinen  Mund  mit  dem  Zwischenraum  von  zehn  Bärenzähnen 

steckt  er  es,  zerkaut  es: 

seine  dem  Menschen  furchtbaren,  den  Tieren  furchtbaren 
rötlichen  vier  Bärenaugzähne  daraus  entstehen. 
270.  Seinen  schwarzeisernen  Pfeil(?)köcher 
zertrümmert  er, 

in  seinen  Mund  mit  dem  Zwischenraum  von  zehn  Bfirenzähnen  (tuend) 
zerkaut  er  ihn : 

seine  dem  Menschen  furchtbaren  harzbrandfärbigen  (schwarzbraunen) 

275.  zehn  Krallen  daraus  entstehen. 

* 

Als  er  in  des  bereiften  Waldes  Dickicht 
gieng,  spricht  er  [so]: 

.Falschen  Eides  halber  man  mich  nicht  citiere  (herschleppe), 
wahren  Eides  halber  man  mich  citiere! 
280.  Wenn  man  falschen  Eides  halber  mich  citiert: 

[den  Schwörenden]  wie  eine  Mütze  reisse  ich  in  Fetzen, 
wie  einen  Handschuh  reisse  ich  in  Fetzen." 


261 


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DEUT8CHE  WIEGENLIEDER  AUS  DOBSINA. 


Deutsohe  Wiegenlieder  aus  Dobsina*) 

OberuDgarn,  Gömörer  Comitat. 

L 

Schlof,  Sasel,  schlof! 

Dai  Vöter  hitt  di  Schöf, 

Dai  Motter  es  a  präva  Diern, 

Di  muss  en  Bloch»)  di  Kiapel'j  schraiern. 

U. 

Schlof,  Süsel,  schlof! 

En  Goaten  Wft»)  a  Schöf, 

As  hot  zwa  beisza1)  Fissel 

Mandelkeaner,  Nessel,4) 

A  Holbchen  Bain6)  und  Zucker  drain, 

Dos  bit1)  Süsels  Papchen  sein 

III. 

Schlof,  Suael,  long, 
Der  Tod  setzt  af  der  Stong,*) 
Ear  hot  an  beiszen  Kittel  ön, 
Ear  bell9)  unser  Süsel  hon. 

IV 

Haja,  bubaja! 

Übers  Joar  draia, 

Übers  Joar  noch  a  Poar, 

Geht  di  Big10)  hear  und  doar.u) 

V. 

Haja,  bubaja! 
Geh  heg1*)  von  der  Thir, 
Mai  Mön  es  schond  komroan, 
Er  schläft  schond  pai  mir. 

Aufgezeichnet  von  Samuel  Klein.**) 


*)  Die  Bewohner  dieser  alteu  deutschen  Bergstadt,  in  deren  Weichbild  «ich 
die  unvergleichliche  wundervolle  Eishöhle  befindet,  sprechen  einen  eigent am) icheti  Dia- 
lekt, den  besonders  das  b  für  gemeindeutsches  w  charakterisiert. 

«I  Walach  beiBst  der  gewöhnlich  slovakisebe  Schuferknecht  (Auch^bei  den 
Siebenburger  Sachsen :  Bloch.)Woldchy  nennen  sich  die  gr.  orientalischen  Rutbenen  in 
der  Bukovina.  Die  Dobsinaer  nennen  die  Slovaken  „binduseba  Lait"  als  Reminis- 
cenz  uraller  Berührung  mit  den  Wenden. 

»)  Bundschuh  slav.  krpei.  »)  läuft.  *,  weisze  •)  Haselnüsse  •)  Wein.  ')  wird. 

•)  Die  Stange  hängt  gewöhnlich  ,  überm  Kachelofen  von  'den  Tragebalken 
beiab  und  ist  zum  Aufhtingm  von  Gespinst,  Kleidern  udgl.  bestimmt. 

•)  will.        Wiege     •»,  her  u.  hin.    »»)  weg. 

*•)  Prof.  Klein  in  Dobsina  ist  ein  eifriger  Sammler  auf  dem  Gebiete  Dob- 
sebauer  Volkttums,  und  selbst  ein  berufener  Dichter  im  lokalen  Dialekte,  mit  gros- 
sem Geschicke  besonders  die  Grubensagen  jener  Gegend  bearbeitend. 

362 


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ADOLF  HANDMANN. 


Der  todte  Reiterbursche.*) 

Magyarische  Volksromanze. 

Schmucken  Reiter  warfen 
Wilde  Mordgesellen 
Seines  Gelds  und  Pferdes  halber 
In  den  Strom,  den  schnellen. 

Nicht  doch  litt's  die  Welle, 
Warf  ans  Land  ihn  schnelle; 
Kam  ein  Schifferknecht  und  breitet1 
Ihn  aufs  Kahngestelle 

Kommt  die  Mutter  gangen, 

Ruft  ihn,  ruft  voll  Bangen: 

„Sohn,  mein  Sohn  1  steh'  auf,  komm  deiner 

Mutter  Herz  umfangen. tf 

„„Kann  mich  nicht  erheben, 
Hab'  kein  Fünkcheu  Leben: 
Eisstarr  mir  die  schwarzen  Locken 
An  dem  Nacken  kleben.8" 

Kommt  der  Vater  gangen, 

Ruft  ihn,  ruft  voll  Bangen : 

„Sohn,  mein  Sohn!  steh'  auf,  komm  deines 

Vaters  Hals  umfangen." 

„„Kann  mich  nicht  erheben, 
Hab*  kein  FUnkchen  Leben : 
Eisstarr  mir  die  Sporenstiefel 
An  den  Füssen  kleben."" 

Kommt  sein  Täubchen  gangen, 

Ruft  voll  Glutverlangen: 

.Lieb,  mein  Lieb!  steh'  auf,  komm  deines 

Rösleins  Herz  umfangen.' 

„„Will  mich  gleich  erheben, 
Röslein,  fühl'  noch  Leben: 
Liebe,  treue,  hat  mir  neue 
Lebenskraft  gegeben!*" 

Adolf  Handmann. 
*)  Aua  der  Bakonygegend.  Vgl.  Ethnol.  Mitt.  I.  Sp.  48—49. 


SPLITTER  UND  SPÄNE. 


Splitter  und  Späne. 

Ethnographische  Ausstellung.  Bei  Gelegenheit  der  Nationalausstellung  1895. 
wird  in  Budapest  auch  eine  ethnographische  Ausstellung  in  grösseren  Masstabc 
veranstaltet,  deren  Objecto  hoffentlich  in  einem  Landesmuzeum  für  Volkskunde 
dauernd  beisamen  bleiben  und  nicht  verzettelt  werden,  wie  die  ethnographischen 
Gegenstände  früherer  Ausstellungen. 

Der  Bdrtfaer  Roland.  In  der  archäologischen  Sammlung  der  Zipser  Stadt 
Bärtfa  (Bartfeld)  befindet  sich  eine  geharnischte  Figur,  mit  Panzer  und  Helm,  ein 
entblösstes  Schwert  in  der  Hand;  am  Helme  ist  ein  Loch  sichtbar.  Keine  Chronik 
der  Stadt  weiss  etwas  über  dieses  Museumstück  zu  berichten,  doch  haben  sich  aus 
späterervZeit"8agen  erhalten,  welche  Bezug  auf  diese  offenbare  Rolands-Säule  haben 
Roman,  ein  groser  Räuber  soll  vom  Könige  amnestiert  die  Stadt  erbaut  haben.  Der 
damals  in  Gebrauch  gekommenen  Feuerwaffen  spottend,  zog  Roman  seine  Eisenrüstung 
an,  und  Hess  die  Feuerrohre  auf  sich  richten.  Eine  Kugel,  die  den  Helm  durchlö- 
cherte, strafte  diese  Verwegenheit  mit  dem  Tode.  —  Die  Bärtfaer  werdeu  von  ihren 
Nachbarn  in  Szeben  und  Eperjes  Rimini  gespottet.  Rimanow  ist  der  Name  eines 
jener  Spiessgesellen  Axamiths,  welche  Bärtfa  zur  Zeit  Giskras  brandschatzten.  AU 
in  den  Wirren  und  Drangsalen  der  Thronfolge-Kriege  die  Bärtfaer  von  den  Hussiten 
viel  zu  leiden  hatten,  tauchte  vielleicht  das  Andenken  des  ursprünglichen  Roland  in 
Vergessenheit,  und  der  Giskraische  Roman  trat  an  die  Stelle  desselben.  Auf  diese 
Weise  Messe  Bich  die  Sage  des  „Roman*  und  der  .Spottnamen  „Rimini"  der  Bartfelder 
erklären.  (Vgl.  Ethnographia,  1892,  1.  Heft  )  Mitgeteilt  von  Dr.  Albert  Szildgyi. 

Der  Mund  als  Portemonnaie.  Zur  Mitteilung  auf  S.  104.  Die  Somali-Kinder 
in  Aden  springen  scharenweise  ins  Meer,  um  ein  Penny-stück  herauszuholen.  Der  es 
erhascht,  weist  es  triumphierend  auf  und  steckt  es  dann  in  seine  natürliche  Börse : 
den  Mund.  (Statt  Conzeubach  ist  Gonzenbach  zu  lesen.) 

Von  der  Türken  Zauber  ey  gegen  die  flüchtigen  Schiaren.  Sie  haben  eine  Art 
der  Zaubcrey.  dadurch  sie  die  fliehenden  Schlaven  wider  ihren  Willen  zurücke 
bringen.  Sie  schreiben  des  Schlaven  Nahmen  auff  ein  Z»ttelchen,  und  h engen  da« 
auff  in  seiner  Wohnung:  darnach  fahren  sie  heraus  mit  greulichen  Worten  und 
Flüchen  auff  seinen  Kopff:  Worauff  es  geschieht  durch  Wirkung  des  Satans,  dasz 
der  flüchtige  Schlave  nicht  anders  vermeynet,  als  ob  ihm  ein  Löwe  oder  Drache 
entgegen  komme,  oder  ob  die  Wellen  und  Ströme  des  Meeres  sich  sehr  erheben, 
oder  ob  es  gantz  finster  werde;  wofür  er  dermassen  erschrickt,  dasz  er  durch  den 
Schrick  zurück  getrieben,  wieder  zu  seinem  Herren  kompt. 

Joban  Sommers  Wasser  und  Landreise.  Gethan  nach  der  Levante  (1641  42.) 
—  Aus  dem  Niederländischen.  Amsterdam,  1664,  S  96.  — 


Druckfehler-Berichtigung. 

Ethnologische  Mitteil.  a.  Ung.  II.  Jahrg.  1891.  I — V.  Heft. 

Seite  100,  4.  Zeile  von  unten,  statt  :  „dass  sio  krank,  die  arme" 

zu  lesen:  „dass  sie  kränk'  die  Armen.u 
„    101,  23.  Zeile  von  oben,  statt:  „Lass'  mich  fert'gen" 

zu  lesen:  „Lass'  euch  fert'gen." 
„      i,    34.  Zeilo  von  oben,  statt :  „Dammflut  spüle  dir  weg" 

zu  lesen:  „Dammflut  spül7  von  dannen." 
VI— I  UI.  Heft 

Seite  182.  Zeile  19.  statt  Volkversammlung  1.  Vollversammlung. 
192.     „     11.  statt  an  das  1.  an  den. 
„     192.     „     32.  statt  SeheUucht  I.  Schelsucht 

192.  „  38.  lies:  . Texte  durch  gütige  Vermittluung  der  Frau  Reich-Neu- 
haus in  Pancsova.  (ibersetzt  von  A.  H 


264 


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Ethnologische  Mitteilungen  aus  Ungarn. 

Mit  dieser  Lb-fexuag  schüesst  der  IL  Bd.  Ich  werde  mich  bestreben,  auch 
Tom  ersten  Band  (1387—89)  das  abschliessende  vierte  Heft  (in  4°)  in  Balde  her- 
auszugeben Bezüglich  der  Weiterführung  dieser  Zeitschrift  kann  ich  gegenwärtig 
keine  Zusage  machen.  Meine  Kräfte  sind  erschöpft  Das  gänzliche  Fehlschlagen  eines 
gemeinnützigen  socialen  Unternehmens  hat  mich  schwer  geschadig:.  Die  einziee 
materielle  Unterstützung,  die  meiuer  Zeitschrift  zugesagt  worden,  (einmalige)"  :JOO  fl., 
welchen  Betrat  die  Gesellschaft:  für  die  Völkerkunde  Ungarns  auf  Grund  der  Statu- 
ten in  Otters  wiederholten  rechtskraftigen  Beschlüssen  an  Subvention  für  die  Kthno- 
lojrischen  Mitteilungen  hIs  Anzeiger  der  Gesellschaft  vot  ert  hatte,  ist  unter  den 
nichtigsten  Vorwiinden  strittig  gemacht  worden.  Dio  Kveoruaütiit  eint-s  Arrangements 
mit  dieser  Gesellschaft  erscheint  also  für  die  Zukunft  ausgeschlossen,  nbwol  im  Falle 
den  Weitererseheinons  dieser  Zeitschrift  selbstverständlich  die  Tätigkeit  des  genann- 
ten Vereines  auch  fürderhin  in  erster  Reihe  Berücksichtigung  rinden  wird. 

Doch  ist  Aussicht  vorbanden,  dass  das  Zusammentn  tf'en  einiger  n  cht  unbe- 
rechtigt erhoffter  günstiger  Umstände  das  Forterscheinen  dieser  Zeitsehnlt  ermögli- 
chen wird.  Sie  "ird  in  diesem  Kalle  zweimal  monatlich  je  einen  Bogen  stark  aasge- 
geben, jährlich  2  fl  kosten  und  die  Zigeunerkunde  besonders  berücksichtigen. 

Budapest,  20.  Dezember,  1S92.  Der  Herausgeber. 

Publicationen  zur  Völkerkunde  Ungarns  u.  b.  w.  Ethnologische  Mitteilun- 
gen aus  Ungarn,  1.  Bd.  A  Hefte.  4"  80  Bogen  Preis  4  fl.  Ii.  Bd.  lo  Hefte  H°,  17'/, 
Bogen,  2  fl.  Cornea  Ge'za  Kuun,  Rclationum  Hnngaroium  cum  Oriente  genti- 
busque  orientalis  originis  bistoria  antiqnissin  ».  Bde,  ;>«•  Bogen,  fl  A.  Herr- 
mann, Beiträge  zur  Vergleichung  der  Volkspoesie,  Mit  Musiknoten.  1  11.  --  H,  v. 
Wlislockii  Zauber- u.  Besprechuogsformeln  der  Zigoune  ,  ?>i)  kr.  Über  d-n  Zaube  mit 
Körperteilen  bei  den  transsilvanischen  Zigeunern,  30  kr.  Dr.  Fr.  S.  Kraust,  Das 
Burgfräulcin  von  Pressburg.  Hr.  t*.  Schulenburg.  Die  Frau  bei  den  Südslaven. 
J.  t\  Asboth,  l>as  Lied  von  Gusinje.  50  kr.  -  Krauss,  Asboth,  Thalloczy,  Küd- 
slavipches,  i<>  kr  — Zu  beziehen  direkt  vom  Herausgeber,  Anton  Herrmann,  Budapest^ 
I.  Aitila-uUza,  47.  oder  von  der  Buchdr uckerei- Actiengesellschaft  „Közinüveljdcs"  in 
Kolozsvdr. 

Inhalt  der  „Ethnographia*  1892  III.  Jahrgang  l.  Heft.  Januar.  Theodor 
Lehoczky,  Deutsche  Colonion  im  Bereger  Comitat.  —  Dr.  Albert  Szilagyi,  Her 
Bärtfaer  Roland.  —  Samuel  Kurz,  Hochzeit  der  HienzMi  —  Dr.  Heinrich  v. 
Wlislocki,  Siebenbürgis  h-shchsischo  Kinderspiele.  —  Ludwig  Barö'i,  Deutsche  Volks-' 
bailaden  am  Südungarn  —  Dr  Äron  Kiss,  Deutsche  Kinderspiele  aus  Siebenbür- 
gen. —  Julius  Kirczäk's  Brief.  —  Sforzina.  Fiumaner  ttalieniscbes  Volkslied.  — 
Inländische  und  ausl.  Litteratur.  —  In-  u.  ausländische  Zeitschrüton.  —  Fragen  und 
Antworten. — Aus  Zeitungen       Vermischte  Mitteilungen 

II— HI.  Heft,  Februar,  März  Dr.  H.  Wlisloeki,  Orakelticre  im  Kalotaszeger 
Volksglauben.  —  Josef  Mar  ton,  Pflanzennamen  in  der  Volkssprache.  —  Dr.  Samuel 
Veres,  Alte  Volksarzneikundo  —  Josef  Nagy,  Volkstümliche:»  v  tn  Hogyhat.  — 
Dr.  Johan  S.  Koväcs,  Volksbrauch  in  der  Repczegegend.  —  Ludwig  Kalmanv,  Ma- 
gyarische Sindflutsagen.  —  Valentin  Bellosics,  Beitrüge  zur  magyarischen  Volks« 
pot-sie.  Wendische  Volkslieder.  —  Kristot  Szongott,  Siehenbürgiaeh  armenische  Volks- 
märchen. —  Paul  Kiraly,  Becs.  —  Dr.  Johan  Janko,  Unter  den  Wotjaken.  —  A.  IL 
Slovakische  ethnographische  Ausstellung.  -  Wolfgang  Farkas,  Beiträge  aus  Gerichts- 
akten zum  Aberglauben  im  Altöld.  —  Dr.  A.  Kiss,  Besprechung.  —  Vereinsange- 
legenbeiten.  —  In- und  ausländische  Litteratur  -  Io-u  auslrindi «che  Zeitschriften.  - 
Verschiedene  Mitteilungen.  —  Programm  des  am  27.  März  1892  von  Julius  Käldy  . 
veranstalteten  historischen  Konzertes,  mit  den  Texten  alter  magyarischer  Volkslieder 
aus  dem  17-18.  Jahrhundert. 

IV--V.  Heft.  April-Mai.  Alexander  Körösi  und  Ludwig  Czink,  Beiträge  zur 
Ethnographie  Frames.  -  Vereinsawgelegenheiten.  -  In- u.  ausländische  Litteratur  — 
In-  u.  ausländische  Zeitschriften. 

VI.  Heft.  Juni.  Aufruf  an  die  Anhänger  und  Freunde  der  Volkskunde.  -  Otto 
Herman,  Die  Fischerei  als  UrbeBchäftigung  und  ihr  Verhältnis  zur  Ethnographie.  - 
Dr.  Aurel  Török,  Die  Anthropologie  in  der  Ethnographie.  —  Bela  Vikär.  läger- 
traditionen  der  Finnen.  —  Engen  Binder,  Bemerkungen  zum  Aufsatz  „Übei  den 
Einfluss  der  Gest»  Romanorum  auf  die  ungarische  Volksdichtung."  —  IV.  General- 
versammlung der  Gesellschaft  für  die  Völkerkunde  Ungarns.  —  In-  u  ausländische 
Litteratur.  —  In-  u.  ausländische  Zeitschriften.  —  Vermochte  Mitteilungen. 


ngen. 

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\ 


Inhalt  der  Ethnologischen  Mitteilungen  au»  Ungarn,  zugleich  Anzeiger 
der  Gesellschaft  für  die  Völkerkunde  Ungarns.  II.  Band.  IX— X.  Heft 

(Sellins».) 

Deutsche  Volkspoesie  in  Ungarn 

A.  Norduntfarn,  Hor-egor  Comitat,  1— 16, vonTheodorLehoczky  S.  103. 


B.  V  o  1  k  s  b  a  1 1  a  d  e  n  aus  S  ü  d  u  n  g  a  r  n,  voa  Ludwig  Baröti 

1.  Der  Schmicdgesell  •  

2.  Das  Lied  vom  Ringe  I99- 

3.  Der  todto  Freier  201. 

4.  Dio  Kindesmörderin  .201. 

5.  Bitter  St.  Georg   203. 

C.  Aus  Dresztoväcz,  Südungarn,  von  A.  Schwanfelder. 

I.  Zahlenliod   204. 

II.  Scherzlieder  1—3    205. 

III.  Strolchpoosie  1—8   205 

D.  Aus  Pancsova,  Süduntfarn,  von  Frau  Maja  Hoffmann-Wiganri 

I.  Lieder  1—3    207. 

II.  Hochzeitsprüehe  2<>9. 

III.  Kindorreimo  1—5  J10. 

Hochzeitsprüche  der  Hienzen,  vpn  Samuel  Kurz  211. 

Siebenbürgische  Kinderspiele 

I.  Sächsisch  1— (5,  von  H.  v.  Wlialocki  213. 

II.  Deutsch  1— f>,  von  Dr.  Aron  v.  Kies  2  6 

Armenische  Volksmärchen  ans  Siebenbürgen,  im  Urtext  mit  Übersetzung 

von  Kristof  Szongott 

1.  Mutter,  Sohn  uud  Drache  218. 

Bnha  Jaudocha  Dokia,  von  Dr.  R.  Fr.  Kaindl   222. 

Italienische  Sprüche  n.  Lieder  ans  Finme,  von  Ludwig  Czink  u.  Alexander 

Korösi 

I.  Sprichwörter  u  Redensarten  1 — 204    226. 

II.  Trinksprüche  1—6    232. 

III.  Rätsel  1—4    232. 

IV.  Volkslieder  l-~26   232. 

V.  Kinderlioder,  Reime  u.  Spiele  1 — 33    237. 

Sveta  Nedeljica,  von  Dr.  Friedrich  S.  Krauss  ,   242. 

Ethnographie,  Ethnologie,  Folklore,  (Schluss)  von  L.  Katona   ....  244. 

Die  alten  Folkloristen,  von  Ch  G.  Loland   258. 

Kosmogonische  Sagen  der  Wogulen,  von  Dr.  Bernhard  Munkäcsi 

VI.  Das  Lied  von  dor  Erschaffung  der  Erde  und  des 

Himmels   255. 

Deutsche  Wiegenlieder  ans  Dobsina,  1—5,  von  Samuol  Kloin  ....  262. 
Der  todte  Reiterbursche.  Magyarische  Volksballade,  übers,  von  Adolf 

Handrnann  •  263 

Splitter  u.  Späne. 


(Ethnographische  Ausstellung — Der  Birtfaer Roland, v. Dr. Alb.  Szi- 
lagyi.  —Von  der  Türken  Zauberey.  -  Der  Mund  als  Portemonnaie )   264  - 
Druckfehler. 
Auf  dem  Umschlage : 

Gosellschaft  für  die  Völkerkunde  Ungarns.  —  Mitteilung  des  Heraus 
gebers.  —  Publikationen  zur  Völkerkunde  Ungarns.  —  Inhalt  der  „Eth- 
nographia"  III.  1—6. 


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III.  BAND. 


1893.  JUNI. 


1-2  HEFT. 


Ethnologische  Mitteilungen 


aus  Ungarn. 


Zeitschrift  fQr  die  Völkerkunde  Ungarns 

und 

der  damit  In  ethnographischen  BeilehungeD  stehenden  Länder. 


JUnter  dam  Protectorate  und  der  Mitwirkung 
Seiner  kaia.  und  königl.  Hoheit  dea  Herrn  Sraheraoga  Joaef 

redigiert  und  herausgegeben  von 

Prof.  Dr.  Anton  Herrmann. 


Monatlich  1—2  Hefte,  2—4  Bogen.  Preis  jährlich  8  Kronen  o.  8  Mark ; 
für  Mitglieder  irgend  eines  Vereins  für  Volkskunde  6  Kronen  oder 
6  Mark.  Wird  auch  im  Tausch  gegen  Publicationen  zur  Volkskunde 
abgegeben.  —  Nur  direct  vorn  Herausgeber  zu  beziehen 


HftdaotJon  und  Administration  : 
ludapeat,  I„  Szont«GyÜrgy  utoza  2. 

Expedition :  I.,  Sa«nt  Gy0rgy-u«c2a  5.  i 


Budapest,  1893. 

BuohdrucUerei.  Mezcl  AntHl. 


-~  »i. 


■ 


An  die  g.  Mitglieder  der  „Gypsy  Lore  Society." 

Nachdem  das  Journal  unserer  Gesellschaft  nach  dreijährigem 
Wirken  vor  einem  Jahre  eingehen  musste,  ist  die  Zigeunerkunde 
wieder  ohne  eigenes  Organ  geblieben,  und  diese  Lücke  wird  von  den 
Zigeunerforschern  ausserordentlich  lebhaft  empfunden.  Um  diesem 
fühlbaren  Mangel  im  Wesentlichen  abzuhelfen,  geruhte  der  erlauchte 
und  höchstverdiente  Förderer  und  Pfleger  der  Zigeunerkunde,  Seine 
kaiserl.  und  königl.  Hoheit,  Herr  Erzherzog  Josef  der  von  Anton 
Herrtnann  gegründeten  Fachzeitschrift  „Ethnologische  Mitteilungen 
aus  Ungarn,"  wßlche  Jahre  hindurch  der  Wissenschaft  von  den 
Zigeunern  eine  hervorhebende  Beachtung  angedeihen  Hess,  aber 
bisher  der  Ungunst  der  Verhältnisse  wegen  nicht  crwünschter- 
maassen  erstarken  konnte,  die  materiellen  und  moralischen  Bedin- 
gungen des  erspriesslichen  Gedeihens  endgiltig  zu  sichern.  Die  ge- 
nannte Zeitschrift  erscheint  unter  dem  Protectorate  und  der  Mit- 
wirkung Sr.  Hoheit  auch  ferner  unter  der  Redaction  von  Anton 
Hemnann,  dem  der  Zigeunerforscher  H,  r.  Wlhlncki  als  ständiger 
interner  Hauptmitarbeiter  zur  Seite  steht,  vom  Juni  1.  Jahres  an  in 
Budapest  regelmässig  in  halbmonatlichen  Heften.  Die  „Ethnolo- 
gischen Mitteilungen"  wollen  den  Gypsy-Lore  von  nun  an  in  noch 
hervorragenderer  Weise  pflegen  und  sich  zum  Organ  internationaler 
Zigeunerkunde  gestalten,  wofür  die  Namen  der  erwähnten  drei  Forscher 
die  sicherste  Bürgschaft  bieten. 

Wir  Unterfertigte  ersuchen  alle  Mitglieder  der  »Gypsy  Lore 
Society",  die  genannte  Zeitschrift  bestellen  und  ihr  je  häufiger  Ar- 
beiten aus  dem  Gebiete  der  Ciganologie  zuwenden  zu  wollen.  Die 
Mitglieder  unserer  Gesellschaft  können  diese  ausserordentlich  reich- 
haltige Zeitschrift  zum  ausnehmend  billigen  Preise  von  3  Ü.  ö.  W. 
(6  Kronen,  6  Mark,  5  Sh,  7  Frcs)  jedoch  nur  direct  vom  Heraus- 
geber Anton  Hertmann  (Budapest,  I.  Szent-György-utcza  2.)  beziehen. 

• 

David  MacRitchie  Charles  G.  Le.land 

Hon.  Secret&r.  Prä«,  der  G/psy  Lore  SocW'tv. 


Bureau  der  Gesellschaft  für  die  Völkerkunde  Ungarns. 

» 

Vorstand:  Grai  G6za  Kuun.  Voratandstellvertveter:  A.  Hwrmann  um! 
B.  Munkacsi.  Secretär:  B.  Vikar  (Budapest,  1.,  Gellertutoza,  Villa  VikÄr. 
früher  Reichard).  Schriftführer :  G.  Nagy.  C'asafar:  ~JI.  Papp.  Bibliothekar : 
J.  Jankö.  Kedactuure  de»  Vereinsorgnns :  A.  Herruiann  und  J.  .Tankö. 


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Ethnologische  Mitteilungen 

ans  Ungarn. 

Zeitschrift  für  die  Völkerkunde  Ungarns 

und  der  damit  In  ethnographischen  Beziehungen  stehenden  Länder. 

(Zugleich   Organ    für    allgemeine  Zigeunerkunde.) 

Unter  dem  Protectorate  und  der  Mitwirkung 
Seiner  kais.  und  königl.  Hoheit  des  Herrn  Erzherzogs  Josef 

redigiert  und  herausgegeben  von 

Prof.  Dr.  Anton  Herrmann. 


III.    BAND  189M-H4.   1-12.    M  K  FT. 
Kcdaction  nnd  Ailuiinistrittion  : 

Budapest,  I.,  Szent-György-utcza  2 


BUDAPEST,  1894. 

BUCHOKUC^RKKI   K.  BORUTH, 


Dem  Herrn 

Franz  Pulszky 

iMivetor  i\t!H  ungarisc.lien  National museums  u.  s.  w. 

in  Budapest 

weiht  diesen  Band  zu  .seinem 


LXXX.  Creburtatage 

/;.  September  1S94 


in  innig-dankbarer  Verehrung 


der  HerauxtjflMW. 


by  Googl 


Inhalt  des  III.  Bandes. 

Saite 

Barüti  L.,  Beiträge  zur  Geschichte  des  Vampyiismus  in  Südungarn   .  .  219 

Bünker  J.  R.,  Heanzische  Sprichwörter   287 

Fuchs  K.,  Eine  alte  Beschwörungsformel   240 

Jlerrmunn  A.,  Als  Vorwort   1 

—  -  Aua  dem  Dobsinaer  Volksglauben   106 

 Kartenspielerglauben  aus  Ungarn   154 

 Kroatische  Volkslieder  aus  Cirkvenica   252 

Jannsen  H.,  Estnische  Volksmärchen:  Die  bunten  Kühe.  —  Des  Teufels 

Haus.  —  Die  Fahrt  des  Herrn  von  Torgel  97,  200 

Kdlmdny  L.,  Nachlese  zu  den  kosmogonischen  Spuren  in  der  magyari- 
schen Volksüberlieferung   78 

 Kinderschrecker  und  Kinderräuber  in  der  magyarischen  Volks- 
überlieferung  171,  188,  213 

Kolumban  L.,  Magyarischer  Aberglauben  aus  Lozsad   296 

Kraus»  Fr.  S.,  König  Mathias  und  Peter  Gereb.  Ein  bulgarisches  Gus- 
larenlied aus  Bosnien                                   46,  71,  129,  197,  234,  276 

 Das  grosse  Sammelwerk  für  bulgarischen  Folklore   147,  205,  247.  294 

Mdiyds  L.,  Aus  dem  Volksglauben  der  Schwaben  von  Solymar,  Szent-Ivin 

und  Hidegküt                                                                     162,  244 

Munkdcsi  Ii.,  Ueber  die  heidnische  Religion  der  Wogulen  .  .  .  61.  124.  191 

Pdpai  K.,  Eine  Heldensage  der  Süd-Ostjaken   82 

 Der  Holzbau  der  Palovzen  (9  Illustrationen)  141.  283 

 Der  Typus  der  Ugrier                                                         257.  261 

Strands  A.t  Bulgarisches  Georgslied   167 

—  —  Zur  Volksmedizin  der  Bulgaren   223 

Szongott  Kr.,  Märchen  der  Siebenbürger  Armenier  (Die  Kuh.  —  Das  Beil)  88 

Sztankö  B.,  bammeln  ungarischer  Volksweisen   99 

Tör  k  A.,  Der  palaeolithische  Fund  aus  Miskolcz  und  die  Frage  des  di- 

lu vischen  Menschen  in  Ungaru  (6  Illustrationen)  8.  91,  117 

Versinyi  G.,  Deutsche  Kinderreime  aus  der  Gegend  von  Kömiuczbänya  101 

 Deutsche  Volkslieder   255 

Wlislocki  H.,  Neue  Beiträge  zur  Volkskunde  der  Siebenbürger  Sachsen.  IS 
Parallelen  und  Bemerkungen  von  IL  Carsten*,  O  Fchclt,  Frau  .7  r.  Findest. 

A.  Treiehrl,  Dr.  M.  Itößrr   29:: 

Splitter  und  Späne:    Besprechungsformeln  aus  dem  XVI.  Jahrhundert, 

A.  H.   —   Kerbholz  aus  Lemnek,  A.  H.   —  Das  graue  Mandl,  A. 

Schicanfelder   ICH 


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Seite 


Ungarische  Nationalausstellung,  H.  v.  WIMocki.  —  Die  Gesellschaft 
für  die  V  ölkerkunde  Ungarns.  —  Kröten  und  Schlangensteine.  — 

Zum  Fingerabschneiden  der  Witwe   179 

Zipser  Beschwörungsformeln,  &  Weber.  —  Die  Wunder-  und  Heil- 
kraft des  Frosches  in  der  Zip«,  S.  Wrber   297 

Litteratur:  Bastian  A.,  Ideale  Welten  (H.  t.  Wlislocki)   66 

Bartels  M.,  Die  Medicin  der  Naturvölker  (H.  v.  Wlislocki)   ....  212 

Erdely  ;   179 

Krzherzog  Josef,  Zigeunergrammatik   178 

E'hnographia  <   178 

Jankö  J.,  Torda,  Amnyosszek,  Toroczkö  {//.  v.  Wl.)   177 

Kalmany  L.,  Vilagunk  alakulasai  (A.  H.)   60 

Kraus.  Fr.  A.,  Böhmische  Korallen  (II.  v.  Wl.)   17« 

Leland  Ch.  G.,  Etruscan  Roman  Remains  (L.  Kalona)   58 

Szinnyey  J.,  Magyar  tajszötär  (A.  H.)   69 

8zoi:go't  Kr.,  Szamosujvar  (//.  f.  Wl.)   177 

Ungarisches  Convcrsationslexikon   178 

Westermarck  Kd.,  Geschichte  der  menschlichen  Ehe  (//.  v.  Wlitlocki)  256 

Anzeigen  und  Bibliographie  auf  dem  Umschlage  eines  jeden  Heftes. 

Zur  Zigeunerkunde. 

Erzherzog  J»*  f,  Mitteilung' n  über  die  in  Alcsüth  angesiedelten  Zelt- 
zigeuner   3 

Herrmann  A.,   I '« -Kiiiiu-nt <•  zur  Geschichte  der  Zigeuner  (I.  Opinio.  De 

don)iciliHfi<vi  .  <  r,  Uegulatione  Zingarorum).  .  .  55,  114,  168,  210,  221 

—  —  Zigeuners»-,  r,  ii.         über  Erzherzog  Josef: 

I.  Curko  ti  t  den  grossen  Zähnen   112 

11.  Der  NYl-.-'fcönig   165 

III.  Obristei  .losef   1^6 

IV.  Dan  umlaiittsne  Land   204 

V.  Wie  Joset  König  wurde   254 

—  —  Kerbhölzer  der  Wanderzigeuner  (4  Illustrationen)   157 

—  —  Volkslieder  bosnisch-türkischer  Wanderzigeuner  I. — XII.    .   .  106,  209 

—  —  Kolonisierung  der  Zigeuner  in  Ungarn   179 

Wlislocki  IL  v  ,  Das  Vehuigericht  der  bosnischen  und  bulgarischen  Zi- 
geuner   178 

 Seelenloskauf  bei  den  mohammedanischen  Zigeunern  der  Balkanländer  194 

Zidinski  Vlmlhlnr  h'orntl  Kitter  row,  Die  Abstammung  der  polnischen  Zi- 

geunet-  nach  ihrer  Tradition   250 

Die  Reconsf irmeHing  der  „Gypsy  Lore  Society'*   10»> 

An  die  Mitglie.vi-  {\vr  „Gypsy  Lore  Society"  (Umschlag  von  Heft  1-8) 


i 

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Ethnologische  Mitteilungen  aus  Ungarn. 

UNTER  DEM  PROTECTORATE  UND  DER  MITWIRKUNG 

S>r.  Unis»,  n.  königl.  Horieit  «les  Herrn  Erzherzogs  Jos»ef 
REDIGIKRT  U.  HERAUSGEGEBEN  VON  J^.NTOM  J^ERRMANN. 

III.  Band.  Budapest,  1893.  Juni.  1—2.  Heft. 


Als  Vorwort. 

Durch  unverhält massige  Opfer  erschöpft,  durch  viele  Misslich- 
jfi  entmutigt,  war  ich  schon  im  Begriff,  diese  vor  seclis  Jahren 
«.  findete,  von  den  Fachkreisen  des  Auslandes  einstimmig  gewürdigte, 
N&ulande  kaum  beachtete  Zeitschrift  eingehen  zu  lassen, 
jf    Der  erhabene,  hochherzige  Förderer  alles  Edlen  und  Schönen 
Vaterlande,  selbst    einer   der  gediegensten  Forscher  auf  dem 
'•biete   heimischen   Volkstums,  Seine  kaiserl.  und  königl.  Hoheit, 
i;v  durchlauchtigste  Herr  Erzherzog  Josef,  in  gerechter  Würdigung 
!er  hohen  Aufgaben  der  «Ethnologischen  Mitteilungen  aus  Ungarn", 
sollte  es  nicht  zulassen,  dass  ein  so  bedeutsames  Unternehmen  zu 
wirken  aufhöre.  Mit  fürstlicher  Munihcenz  geruhte  Seine  Hoheit,  die 
materiellen  und  moralischen  Bedingungen  des  Gedeihens  und  Auf- 
schwunges dieser  Zeitschrift  allergnädigst  zu  sichern.  Die  Wissen- 
sehaft ist  Seiner  Hoheit  hiefür  zu  tiefstem  Danke  verpflichtet 

Die  „Ethnologischen  Mitteilungen  aus  Ungarn"  erseheinen  nun 
unter  dem  Protectorat  und  der  Mitwirkung  Seiner  kaiserl.  und 
königl.  Hoheit  und  unter  der  Kedaction  des  Gefertigten.  Der  be- 
kannte Volksforscher  Dr.  Heinrich  von  Wlislocki  wird  als  ständiger 
interner  Mitarbeiter  fürderhin  seine  volle  Kraft  für  die  Zeitschrift 
einsetzen.  Unser  als  Mitredacteur  hochverdienter  Mitstreiter  Prof. 
Dr.  Ludirig  Katowi  wird  uns  auch  ferner  als  Hauptmitarbeiter  im 
folkloristischen  Fache  unterstützen,  während  das  bislang  unberück- 
sichtigt gebliebene  Gebiet  der  Anthropologie  in  Prof.  Dr.  Aurel  v. 
Török,  (lern  gelehrten  Director  des  anthropologischen  Museums  zu 
Budapest,  einen  würdigen,  in  Ungarn  gegenwärtig  einzigen  Vertreter 
gefunden  hat.  Ausser  diesen  werden  uns  fast  alle  namhaften 
heimischen  Fachgenossen  und  auch  einige  hervorragende  Forscher 
des  Auslandes  zur  Seite  stehen. 

Wir  dürfen  es  wol  als  einen  Fortschritt  in  der  Entwickelung 
unserer  Zeitschrift  bezeichnen,  dass  wir  ihren  Kreis  sowol  in  Bezug 
auf  die  zu  behandelnden  Disciplinen,  als  auch  hinsichtlich  des 
Forschungsgebietes  erweitern,  ohne  dabei  die  uns  ursprünglich 
gesteckten  Ziele  im  Wesentlichen  zu  überschreiten.  Wir  werden 
neben  Ethnologie,  Ethnographie  und  Folklore,  auch  die  verwandten 
Zweige:  die  Anthropologie,  Fraehistorie  und  Demographie  in  den 
Bereich  unserer  Mitteilungen  ziehen.  Wir  haben  auch  bislang  das 
Volkstum  der  südöstlichen  Nachbarländer  Ungarns  und  der  ural- 
altaischen  Verwandten  der  Magyaren  berücksichtigt.  Dies  werden 

Ethnol.  Mitteil  k.  i;nKRrn  III.  1 


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2 


wir  in  Zukunft  in  erhöhtem  Maasse  tun.  Zufolge  seiner  geographischen 
und  ethnographischen  Verhältnisse  ist  Ungarn  in  erster  Reihe  berufen, 
zwischen  Orient  und  Oecident  zu  vermitteln,  besonders  in  Bezug 
auf  die  Kunde  des  Volkstums,  das  eben  hier  die  instruetivsten 
Berührungen  und  Wechselwirkungen  zeigt.  Die  Ergebnisse  der  eth- 
nischen Untersuchungen  auf  ural-altaischem  Gebiete  den  westlichen 
Forschern  zu  erschliessen.  erscheint  auch  als  eine  Aufgabe  ungarischer 
Wissenschaft.  Wir  werden  besonders  H.  Vdmberys  und  W.  Kunos* 
türkiseh-tartarische.  sowie  B.  Munkdcxi*.  K.  Pdpnin  und  Ii.  Vikar* 
finnisch-ugrische  Studien  veröffentlichen.  Die  orientalischen  Beziehun- 
gen werden  in  Gr.  G.  Kuun  und  J.  Gohiziher  ihre  Vertretung  finden. 

Für  das  Gebiet  südslavischer  Volksforschung  wird  auch  in 
Zukunft  Dr.  £>'.  Kraus*  unser  Fachreferent  sein.  Von  andern 
Hauptmitarbeitern  nennen  wir  hier  noch  L.  Kdlmdn,  für  magyarische 
Volksüberlieferung;  J.  Janku,  für  das  Magyarentum  Siebenbürgens; 
A.  M.  Marienescu,  für  rumänischen  Folklore;  L.  Patrubdn.  für  die  Kunde 
der  ungarischen  Armenier:  Bischof  P.  Firczäk,  für  die  Ruthenen; 
S.  Czambel,  für  die  Slovaken ;  L.  Rtthy  für  ungarische  Ethnologie. 

Das  ausgezeichnete  Organ  der  Gypsy-Lore-Society  ist  nach 
kurzem,  doch  höchst  erspriesslichem  und  anregendem  Wirken  einge- 
gangen. In  Ungarn  aber  hat  mit  Hinsieht  auf  die  Regelung  der  Zigeuner- 
angelegenheit.  die  Zigeunerkunde  eine  hohe  aktuelle  praktische  Be- 
deutung erlangt.  Ungarn  ist  das  klassische  Land  des  Ziegeunertums. 
das  hier  von  hervorragenden  Forschern,  an  deren  Spitze  unser 
erlauchter  Proteetor,  Herr  Erzherzog  Josef  steht,  eingehend  studiert 
wird.  Wir  halten  daher  unsere  Zeitschrift  für  berufen,  auch  als 
Organ  der  allgemeinen  Zigeunerkunde  zu  wirken.  Wir  können 
uns  hiebei  auf  die  Mitwirkung  sämmtlicher  heimischer  und  der  her- 
vorragendsten ausländischen  Fachgenossen  stützen ;  auch  die  Vor- 
stehung der  internationalen  Gesellschaft  für  Zigeunerkunde  hat  sich 
in  diesem  Sinn  erklärt,  wie  aus  dem  betreffenden  Ersuchen  zu  ersehen. 

Unser  weites  Arbeitsfeld,  unsere  zahlreichen  Mitarbeiter  und 
unser  eigenes  Material  sichern  unserer  Zeitschrift  die  reichste 
Fülle  ganz  originaler,  vollständig  neuer  Mitteilungen.  Doch  wollen 
wir  uns  durchaus  nicht  ausschliessend  auf  solche  beschränken. 
Wir  erachten  es  im  Gegenteil  für  eine  ganz  specielle  und  besonder.^ 
dankenswerte  Aufgabe  unserer  Zeitschrift,  von  den  unahnbar  reichen 
ethnischen  Schätzen,  die  in  magyarischer  Sprache  und  in  minder  be- 
kannten Idiomen  heimischer  und  benachbarter  Völkerschaften  fast 
ohne  jeglichen  Nutzen  für  die  allgemeine  Fachwissenschaft  aufge- 
speichert liegen,  das  Wichtigste  in  Uebersetzungen  und  Auszügen 
allen  Mitforschern  zugänglich  zu  machen.  In  erster  Reihe  werden 
wir  auch  fortan  die  Wirksamkeit  der,  zu  erspriesslichem  Gedeihen 
sich  eben  aufschwingenden  Gesellschaft  für  die  Völkerkunde  Ungarns 
berücksichtigen.  —  Im  übrigen  erlaube  ich  mir  auf  das  Programm  im 
allerersten  Heft  (1887)  dieser  Zeitschrift  hinzuweisen. 

Und  nun  in  LielV  und  Treu  ans  Werk! 

Budapest,  am  1.  Juni  1893.  Anton  Herrmann. 


1 

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Mitteilungen  über  die  in  Alcsüth  angesiedelten  Zelt- 
Zigeuner. 

—  Von  Erzherznj  Jone  f.  — 

Als  einige  Komitate  jenseits  der  Donau  den  wandernden  Zelt- 
Zigeunern  das  Halten  von  Pferden  untersagt  hatten,  und  ihnen,  wo 
sie  immer  betroffen  wurden,  Wagen  und  Pferde  confiscierten,  ohne 
früher  für  ihren  anderweitigen  l7nterhalt  Sorge  getragen  zu  haben, 
war  es  nur  natürlich,  dass  sie  zu  mir  kamen,  wol  wissend,  dass  sie 
bei  mir  stets  Aufnahme  linden. 

Alle  Familien  kannten  mich.  Sie  hatten  schon  so  manche  rauhe 
Winterzeit,  die  sie  auf  ihren  Wanderungen  überraschte,  auf  meinen 
Meierhöfen  zugebracht  und  dort  Unterstand  und  Verköstigung  gefunden. 
Sobald  aber  das  Schneegestöber  vorüber,  waren  auch  sie  verschwunden. 
Nun  aber  waren  sie  gezwungen  zu  bleiben. 

Ihre  Wanderungen  erstreckten  sich  diesseits  der  Donau  bis  ins 
Turöczer  und  Heveser  Komitat  und  jenseits  der  Donau  bis  Kroatien. 
Slavonien  und  selbst  bis  Fiume.  Amtlich  waren  sie  in  die  Ortschaften 
der  Komitate  Pest,  Esztergom,  Fejervär,  Komarom  und  Veszprem 
eingeschrieben  und  besassen  Regierungspässe  für  ganz  Europa  auf 
1—3  .Jahre. 

Ihr  erlaubter  Erwerb  bestand  bei  den  Männern  in  Pferdehandel, 
Schmiede-  und  Kesselllickerarbeiten;  die  Frauen  übten  hauptsächlich 
Wahrsagerei  und  erwarben  sieh  hiedurch  selbst  in  höheren  Kreisen, 
wo  man  solchen  Aberglauben  kaum  suchen  würde,  ein  erkleckliches 
Geld.  Geduldeter  Erwerb  war  das  Betteln  und  nicht  erlaubter  hie  und 
da  das  Stehlen.  Ich  muss  aber  hiebei  bemerken,  dass  sie  bei  mir 
weder  im  Hause,  das  ihnen  stets  offen  stand,  noch  in  der  Wirtschaft 
je  etwas  entwendeten. 

Wenn  sie  durch  die  (legend  von  Alcsüth  zogen  und  in  der  Nähe 
des  Schlosses  lagerten,  suchten  sie  mich  stets  sogleich  auf,  und  wenn 
ich  im  Garten  nicht  zu  finden  war,  setzten  sie  sich  auf  die  Stufen 
vor  meiner  ebenerdigen  Wohnung  nieder  und  harrten  da  meiner 
Rückkunft. 

Ihre  Kleidung  bestand  stets  aus  sehr  mangelhaften  zerrissenen 
Stücken;  die  Kinder  entbehrten  meistens  auch  dieser.  Der  ihnen  eigen- 
tümliche Rauchgeruch  war  nicht  zu  verkennen.  Typisch  schwarz  mit 
dunkler  Hautfarbe  ist  ungefähr  nur  ein  Dritteil.  die  andern  zeigen 
Schattierungen  bis  ins  Hellblonde  mit  weisser  Haut,  doch  hatten  alle 
sehr  krauses,  struppiges  Haar.  Sowol  unter  den  Männern,  als  auch 
unter  den  Frauen  gibt  es  nur  sehr  wenige,  die  wirklich  schön  genannt 
werden  können. 


Ausser  der  Horn-Sprache  im  rumänischen  Zeltzigeuner-DnuVk' 
sprachen  die  Erwachsenen  alle  ungarisch  mit  zigeunerischem  Aeeent. 
die  meisten  slovakisch,  einige  kroatisch  und  eine  junge  Frau,  »he  uw 
andern  Stämmen  in  Böhmen  und  Deutschland  gewandert  war.  s[»ra<\ 
nehen  dem  zigeunerischen  ungarisch,  slovakisch,  böhmisch  und  deutsdi. 

Sie  lebten  in  Zelten  und  hatten  eine  besondere  Abscheu  v.i 
andern  Wohnungen,  seihst  im  strengsten  Winter. 

Aufs  Brotbacken  verstanden  sie  sich  durchaus  nicht  und  lernt«  :, 
es  auch  bei  mir  nicht.  Ihre  hokhdVi  bereiteten  sie  aus  feinem  Me" 
zu  hartem  Teig  geknetet  und  in  heisser  Asche  gebacken  sehr  gut.  IN- 
liebste  Nahrung  war  ihnen  das  Fleisch,  und  sie  scheuten  selbst  \n 
altem  Aasfleisch  nicht  zurück,  das  womöglich  mit  Essig  gekokt 
wurde.  Als  die  Koloihe  schon  mehrere  Monate  bei  mir  ansässig  war 
stand  eine  Kuh  an  Antrax  um,  wurde  tief  verscharrt  und  —  da  wir  mv-en 
Leute  kannten  —  dabei  drei  Tage  und  Nächte  lang  Wache  gehalten.  I;i 
der  vierten  Nacht,  als  die  Wache  eingezogen  war,  gruben  sie  die  Köl- 
aus und  hielten  frohe  Mahlzeit.  Ein  Knabe  wurde  hiebei  von  eint" 
Fliege  gestochen  und  erkrankte  an  Nase  und  Hals  an  Antrax,  wnni-- 
jedoch  auf  der  Budapester  Klinik  operiert  und  genas  vollkommen. 

Der  Heiltrieb  ist  überhaupt  bei  allen  Verwundungen  sehr  rasdt. 
was  bei  den  häufigen,  oft  der  geringsten  Kleinigkeiten  wegen  entstan- 
denen blutigen  Schlägereien  leicht  beobachtet  werden  kann.  Fh> 
Rauferei  entstand  einst  zwischen  zwei  neben  einander  schmieden- 
den Männern,  weil  des  einen  Feuer  besser  brannte  und  sein  Blase 
balg  kräftiger  funetionierte.  Da  ich  eben  in  der  Nähe  war,  eilte  i<  . 
auf  den  Lärm  herbei  und  machte  Ordnung.  Der  eine  Mann  hatte  w. 
einem  dicken  Baumaste  am  obern  Hinterhaupte  eine  Sehlagwuml- 
erhalten,  dass  der  Knochen  blosgelegt  war.  Ich  legte  einen  antibio- 
tischen Verband  an  und  nach  48  Stunden  war  die  Heilung  vollkommen 
Zu  meinem  Arzte  hatten  sie  kein  Vertrauen,  aber  meine  antiseptisch*5:! 
Mittel  (dieselben,  wie  jene  des  Arztes)  erkannten  sie  als  gut  au  un<: 
besonders  die  .galbano  dran*  (gelbe  Wurzel),  das  Jodoformpulv»  r 
hatte  ihr  volles  Vertrauen. 

Ihre  ausserordentliche  Findigkeit  im  Gelderpressen  legten  sie  b»'i 
mir  glänzend  an  den  Tag.  als  ich  das  Betteln  verboten  hatte  mnl 
ihnen  prinzipiell  kein  Geld  gab,  welches  nicht  durch  Arbeit  erworben 
war.  In  diesen  Arbeitslohn  wurde  auch  die  Kost  eingerechnet,  tto 
sie  mit  baarem  Gelde  absolut  nicht  umzugehen  wissen.  Bald  verlang- 
ten sie  ein  Kleidungsstück,  welches  dann  verkauft  wurde,  bald  baten 
sie  nach  Budapest  ins  Bad  gehen  zu  dürfen,  um  sich  schröpfen 
lassen.  Einige  giengen  hin,  andere  verwendeten  das  Badegeld  aü 
Branntwein. 

Intelligenz  und  rasche  Auffassung  kann  ihnen  durchaus  nidit 
abgesprochen  werden.  Diese  zu  beobachten  hatte  ich  Gelegenheit  audi 
in  meiner  kurze  Zeit  bestandenen  Zigeunerschule,  welche  von  alle* 
Kindern  beiden  Geschlechtes  von  f>  -15  Jahren  besucht  wurde.  l*e* 
röm.  kath.  Kaplan  Andreas  Häcz,  der  in  kurzer  Zeit  ziemlich  geläufig 
zigeunerisch  sprechen  gelernt  hat.  leitete  den  l-ntcrricht  mit  gn*sei.. 


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Erfolg.  Besonders  Gesang  und  Deklamieren  gieng  recht  gut;  selbst 
lange  Gedichte  und  Ansprachen  waren  in  kürzester  Zeit  auswendig 
gelernt.  Hierin  ragte  besonders  Kolompär  Bangö.  ein  10  jähriger 
Knabe  hervor.  Dieser  hatte  einmal  als  Vorhut  seiner  Familie  den 
Weg  von  Miskolcz  nach  Alcsüth  allein  zurückgelegt. 

Das  Arbeiten  konnte  bei  den  Erwachsenen  nur  mit  vielen  Schwie- 
rigkeiten eingeführt  werden.  Das  Ausnehmen  der  Rüben.  Düngerauf- 
laden und  Steineaulsammeln,  wobei  gross  und  klein  beider  Geschlech- 
ter mitwirkten,  gieng  ziemlich  gut  von  statten.  Erdarbeiten  hingegen 
giengen  einige  Tage  mit  grosser  Mühe  und  mit  viel  Klagen  über  Kreuz- 
weh. Einmal  wollten  sie  im  Akkord,  bald  wieder  im  Taglohn  arbeiten. 
Bei  der  Schmiedearbeit  bewährte  sich  auch  hier  ihre  tradizionelle 
und  bezeichnende  Fertigkeit  in  der  Metallbehandlung.  Je  drei  Mann 
erhielten  einen  Amboss.  einen  Blasebalg  und  die  übrigen  nötigen 
W  erkzeuge.  Aus  alten  Werkzeugen  erzeugten  sie  vorzügliche  Hohrer ; 
aus  allerhand  altem  Eisen  machten  sie  Ketten.  Spangen,  Hacken, 
Nägel  und  dgl.  für  die  ganze  Wirtschaft 

Nun  aber  kam  die  militärische  Nachstellung  dazwischen,  da 
man  jetzt  wusste,  wo  sie  sich  befanden.  Sie  verharrten  aber  bei  ihrer 
vorgefassten  Meinung,  wonach  sie  laut  alten  Privilegien  vom  Militär- 
dienst von  jeher  frei  gewesen  ;  es  giengen  die  meisten  Familien  ohne 
meine  Zustimmung  durch,  und  trotz  der  Verbote  des  Komitates 
kauften  sie  sich  in  Szekesfehervär  Wagen  und  Pferde  und  wanderten 
Iiis  Miskolcz.  Ihr  Wojwode,  der.  weil  er  sie  von  Arbeit  und  Schul- 
besuch abhalten  wollte,  schon  früher  entlassen  worden  und  in  Sze- 
kesfehervär interniert  war,  sehloss  sich  ihnen  an  und  führte  sie  wei- 
ter. Er  war  18  Jahre  alt;  seine  Frau,  eine  24  jährige  Schönheit, 
geistig  gut  begabt,  führte  tatsächlich  das  Kommando.  Die  Truppe 
ward  aber  dieser  Fürsorge  bald  überdrüssig  und  kehrte  nach  1—2 
Monaten  wieder  zu  mir  zurück.  Ich  liess  sie  nun  alle  der  Nachstel- 
lungskommission vorführen,  sie  wurden  aber  sämmtlich  als  untauglich 
entlassen,  was  ich  ungefähr  voraussehen  konnte,  da  allen  die  vor- 
geschriebenen Maasse  fehlten. 

Als  nun  wieder  das  Verlangen  des  Radebesuches  auftauchte, 
und  ich  dies  der  in  Rudapest  damals  aufgetretenen  Kolera  halber 
abschlug,  wurde  mir  erklärt,  dass  Zeltzigeuner  (eerhüri)  koleraimmun 
seien,  und  wurde  dies  mit  folgender  Erzählung  bekräftigt:  _Als  die 
Zigeuner  vor  langer  Zeit  ihre  Frheimat  in  den  hohen  Bergen  ver- 
lassen hatten,  um  in  die  weite  Welt  zu  wandern,  herrschte  in  der 
grossen  Ebene  die  böse  l'rme  der  Kolera.  welche  jeden  Menschen 
umbrachte,  dem  sie  nahe  kam.  Da  flüchteten  die  Zigeuner  au!  ihren 
schnellen  Pferden  und  setzten  über  einen  grossen  Fluss  (Ganges?); 
die  böse  l'rme,  die  kein  Pferd  hatte  und  zu  Fuss  lief,  konnte  im 
grossen  Wasser  nicht  weit  kommen  und  musste  umkehren,  ohne  einen 
Zigeuner  zu  tödten.  Seither  naht  die  Kolera  nie  mehr  den  Zigeunern, 
denn  sie  befürchtet,  dass  sie  wieder  in  den  grossen  Fluss  gelockt 
werde." 

Die  ansässigen  Zigeuner  wurden  im  Jahre   1S72— 73.  wie  ich 


erfahren,  von  der  Koleia  sehr  stark  hergenommen,  die  Zeltzigeuner 
dagegen  im  allgemeinen  nicht,  vielleicht  weil  sie  zufolge  ihrer  Lebens- 
weise stark  abgehärtet  sind,  mit  der  übrigen  Bevölkerung  wenig  in 
Berührung  kommen  und  ausserhalb  der  Ortschaften  in  gesunder, 
frischer  Luft  lagern.  Wer  nicht  fähig  ist  die  grössten  Strapatzen  zu 
ertragen,  stirbt  schon  als  Kind. 

Krankheiten  kamen  während  ihres  einjährigen  Aufenthaltes  bei 
mir  kaum  vor.  Eine  Frau,  welche  bei  schwerer  Entbindung  innerliche 
Beschädigungen  erlitten  hatte,  genas  in  einigen  Wochen  ohne  beson- 
dere Pflege.  Ein  einjähriger  Knabe  erkrankte  an  Pneumia,  wurde  aber 
in  einigen  Tagen  gesund.  Als  sie  die  für  sie  erbauten  Hütten  bezogen 
hatten,  bekamen  sie  fast  alle  die  damals  herrschende  Intluenza,  aber 
in  milderer  Form :  als  ich  sie  sogleich  wieder  mit  Zelten  beschenkte, 
war  das  Uebel  wie  angeschnitten. 

Während  die  ansässigen  Zigeuner  meistens  eine  sehr  dunkle 
Hautfarbe  besitzen  und  blonde  unter  ihnen  sehr  selten  vorkommen, 
sind  die  Zeltzigeuuer  meistens  viel  lichter  und  genug  häufig  blond. 
Abgesehen  von  der  Bassenmisehung.  die  gewiss  bei  beiden  hie  und 
da  vorkommt,  könnte  dieser  Umstand  vielleicht  mit  ein  Beleg  für  die 
LJeberlieferung  der  Zeltzigeuner  sein,  wonach  sie  aus  einer  höhein 
Kaste  stammen,  die  nie  arbeitete;  denn  auch  in  Indien  sind  die 
höheren  Kasten  von  hellerer  Farbe  und  arbeiten  nicht.  Dies  stimmt 
auch  zur  Aussage  des  von  mir  hochgeehrten  Gelehrten  und  Zigeu- 
nerkenners Ch.  G.  Lela ml.. 

Während  ihres  Aufenthaltes  bei  mir  hatte  ich  Gelegenheit,  manche 
jener  Erscheinungen  des  Volksglaubens  zu  beobachten,  die  Dr.  Hein- 
rich r.  Wlialocki  so  eingehend  und  interessant  schildert.  Einige  von 
ihm  nicht  erwähnte,  sowie  einige  Varianten  der  seinigou  lasse  ich 
hier  folgen. 

Vor  dem  Wiesel  (Hermelin)  fürchten  sie  sich  ^ehr,  besonders 
wenn  es  sich  vor  ihnen  bäumt  und  pfaucht:  sie  meinen,  das  Blasen 
dieses  Tieres  verursache  Krankheiten  aller  Art  und  Unglück  in  den 
Unternehmungen;  auch  sein  Xame :  phurdini  stammt  von  phunld  = 
blasen.  Das  Ziesel,  Erdzeisel  (peketiHca,  aus  dem  serbischen  lelcunir«) 
dagegen  ist  eine  beliebte  Speise  und  sein  Fang  eine  Specialität  un- 
serer Zigeuner. 

Als  die  für  meine  Kolonie  erbauten  Erdhütten  bezogen  wurden, 
wollte  niemand  ins  letzte  Haus  einziehen,  da  alle  fest  und  steif  be- 
haupteten, es  giengen  darin  nachts  die  bösen  Geister,  die  UuvinuA 
um  ;  auf  ihr  Bitten  wurde  dies  Haus  zur  Schmiedewerkstätte  her- 
gerichtet. Dies  geschah  auf  der  Puszta  Dobos ;  noch  ärger  gieng's  in 
Göböljäräs  zu. 

Dort  wurden  in  einem  ehemaligen  Ziegelschlag,  wo  vor  40 
Jahren  noch  ansässige  Zigeuner  arbeiteten,  an  der  Lehne  eines 
Hügels,  am  Bande  eines  schönen  Waldes,  nahe  einem  Bache  die 
früher  bestandenen  Wohnungen  neu  erbaut.  Die  erste  Beschwerde 
war,  dass  ein  ehemaliger  Keller,  jetzt  eine  Lehmgrube,  von  einem 
Phuvui  bewohnt  sei,    der   ihnen   keine    Buhe   lasse.  Ich  liess  diese 


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Grube  zuschütten.  Nun  waren  es  die  Frösche  und  Schlangen,  die 
aus  dem  Bache  hervorsteigend  die  (legend  unsicher  machten,  hinter 
denen  jedoch  die  Xivn+i  steckten.  Umsonst  wies  ich  auf  die  sie  be- 
schützenden Khesal'i  am  Berge  ober  dem  Walde ;  endlich  musste  ich 
ihnen  doch  erlauben,  in  Zelten  nächst  dem  Wirtschaftsgebäude  zu 
wohnen. 

Obwol  alle  römisch-katholisch  getauft,  und  dieser  Konfession 
angehörig,  glauben  sie  absolut  nicht  an  die  kristliche  Religion.  Zum 
Gelderwerb  tragen  sie  zu  Weihnachten  mit  Beleuchtung  und  Ge- 
klingel Krippenspiele  und  Bethlehemgesänge*  vor.  was  sie  der  Bevöl- 
kerung abgelauscht  hatten.  Wol  lernten  sie  in  Alcsüth  auch  heilige 
Lieder  und  besuchten  Sonn-  und  Feiertag  die  Kirche,  aber  in  ihre 
Seele  war  der  (Haube  nicht  gedrungen,  dieses  könnte  nur  die  plan- 
mässige  Erziehung  der  jungen  Generazion  bewirken. 

Hochzeiten  waren  nur  zwei  aus  Kigennutz,  doch  mehrere  nach 
Zigeunerritus.  Dabei  gab's  Musik  und  Tanz,  Essen  und  Trinken  von 
Früh  bis  Abends.  Nachmittag  gegen  drei  Uhr  wird  dem  Brautpaar 
in  Wasser  aufgeweichtes  Brot  mit  Salz  durch  der»  Wojwoden  in  den 
Mund  gestopft:  andern  Tags,  wenn  das  junge  Paar  erwacht,  wird  der 
jungen  Frau  das  Kopftuch  durch  die  beiderseitigen  Eltern  aufgebun- 
den. Dies  tragen  nur  Frauen  und  gefallene  Mädchen. 

Die  Taufscheine  behufs  Feststellung  ihres  Alters  konnte  ich  nur 
für  einige  erhalten,  da  viele  den  Ort  ihrer  Geburt  nicht  wussten, 
und  den  eventuell  nächst  gelegenen  ihrer  Taufe  noch  weniger.  Die 
meisten  wissen  nur,  dass  sie  ,«/>re  %droineste"  —  auf  dem  Wege  das 
Licht  der  Welt  erblickt  haben. 

Neugeborne  Kinder,  für  die  auch  sonst  tunlichst  vermögende 
Paten  gesucht  werden,  wurden  auch  bei  18°  Kälte  möglichst  bald  zu 
mir,  ihrem  Oberhaupte  gebracht,  nebst  der  Vorstellung  wol  auch 
um  irgend  ein  Geschenk  zu  erhalten.  Ich  wurde  und  werde  auch 
vor  der  Ansiedlung  und  nach  der  teilweisen  Aufhebung  derselben, 
trotz  aller  meiner  Proteste,  stets  <tmaro  kraj  betitelt,  da  sie  den 
Titel  ^Vajdir  oder  ^MujuUr  zu  gering  fanden. 

So  wenig  meine  Zigeuner  als  Wanderer  sonst  auf  Äusserlich- 
keiteu  hielten,  so  eitel  wurden  sie  als  Ansiedler.  Die  Männer  wollten 
nunmehr  nur  feine  kurze  gestickte  Hemden,  breite  Gatyen  und  ver- 
schnürte blaue  Tuchkleider  mit  grossen  silbernen  Knöpfen,  sowie 
Pelzmützen  tragen.  Die  Frauen  und  Mädchen  brauchten  feinen  Chifon 
zur  Wäsche,  bunt  gestickte  rote  Perkai-  und  gelbe  Seidenröcke, 
buntseidene  Kopf-  und  Brusttücher,  mit  buntem  Leder  verzierte  enge 
Knöpfschuhe,  in  denen  sie  ihre  Füsse  meist  wund  giengen.  Manche 
kauften  sogar  Handschuhe  und  Begenschirrne.  Silberne  und  goldene 
Hinge,  Ohrgehänge.  Halsketten  aus  Münzen  und  Muscheln  waren 
ihnen  schon  last  unentbehrlich,  wanderten  aber  oft  in  Versatz.  Im 
geselligen  Benehmen  entstand  ein   komisches  Gemisch  von  Wildheit 

■'■  V-l.  Ktbnographia.  II.  125. 


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und  feinen  Manieren,  welch  letztere  jedoch  einige  junge  Mädchen 
sieh  wahrhaft  bewunderungswürdig  schnell  aneigneten. 

Die  noch  zurückgebliebenen  Männer  arbeiten  jetzt  als  Herr- 
schaftskutscher ganz  gut  und  schicken  sich  in  das  Loos  der  fixen 
Bezahlung  und  Deputate. 

Jenen  aber,  die  auf  Wunsch  der  Komitatsbehörde  entfernt  wur- 
den, erwirkte,  ich  ihr  altes  Recht.  Pferd  und  Wagen  zu  halten,  und 
bin  daher  ihrer  künftigen  häufigen  Besuche  bei  mir  gewiss. 

Der  palaeolithische  Fund  aus  Miskolcz  und  die  Frage 
des  diluvischen  Menschen  in  Ungarn. 

Von  Prof.  Dr.   Aurel  r.  Tirök;  Direktor  des  anthropologischen   Museums  zu 

Budapest. 

(Mit  (>  Fi  ff  u  mi.) 

Es  ist  gewiss  ein  interressanter  Zufall,  dass  der  erste  Nachweis 
von  palaeolithischen  Steinäxten  (Chelles-srher  Typus)  in  Ungarn 
gerade  in  diejenige  Phase  der  praehistorischen  Forschung  fällt,  wo 
sich  ein  tiefeingreifender  Umschwung  in  den  Anschauungen  über 
das  Alter  der  Menschheit  vollzieht. 

Ich  sehe  mich  daher  veranlasst,  die  Gelegenheit  zu  ergreifen, 
um  bei  der  Besprechung  di.eser  für  Ungarns  Palaeethnographie  wich- 
tigen Entdeckung,  die  wir  dem  durch  sein  über  die  ungarische 
Fischerei  („A  magyar  haläszat  könyve'"  l.  II.  k.  Budapest  1887)  ge- 
schriebenes Prachtwerk  verdienstvollen  Gelehrten  Otto  Ikrmnn  ver- 
danken, der  dieselbe  am  Anfang  dieses  Jahres  in  ungarischer  Sprache 
unter  dem  Titel:  »A  miskolczi  palaeolith  lelet"  („Der  Miskolczer 
palaeolithische  Fund")  in  der  Zeitschrift:  „Archaeologiai  ßrtesitö" 
(XIII.  Bd.  No.  1.  Budapest  1893.  S.  1—25)  veröffentlichte,  auch  die 
Frage  des  diluvischen  Menschen  in  Ungarn  näher  zu  beleuchten  ;  und 
zwar  umsomehr,  als  ich  den  Schlussfolgerungen  O.  Hermwa,  y.w 
welchen  er  auf  Grundlage  dieses  Fundes  in  Bezug  auf  den  Beweis 
der  Kxistenz  des  diluvischen  Menschen  in  Ungarn  kommt,  nicht  bei- 
pflichten kann. 

Ks  ist  eine  der  Analogieen  zwischen  den  Krscheinungen  der 
physischen  und  psychischen  Welt,  dass  wenn  gewisse  Hindernisse  in 
der  Richtung  der  wirkenden  Kräfte  sich  entgegenstellen,  hier  wie 
dort  ein  gewaltsamer  Durchbruch  erfolgt,  wobei  wie  bei  den  strö 
menden  Gewässern  die  normalen  Ufer  weit  überflutet  werden,  um 
dann  schliesslich  doch  wieder  zum  regelmässigen  Kurs  zurückzu- 
kehren. 

Die  Hindernisse,  die  sich  einer  stetigen  und  ruhigen  Strömung 
der  geistigen  Aufklärung  entgegenstellen,  bilden  unsere  vorgefassten 
Meinungen,  unsere  angeerbten  und  deshalb  liebgewonnenen  Tradi- 
tionen in  der  Auffassung  von  wissenschaftlichen  Problemen,  dem  zu 
Folge  von  Zeit  zu  Zeit  grössere  Ucbertlutungen  im  Gebiet  der  gei- 


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stigen  Strömung  eintreten  müssen.  Welch  lange  Zeit  und  wie  viele 
fehlgeschlagene  Versuche  kostete  es,  his  endlich  die  auf  die  alten 
Traditionen  sich  stützende  Auffassung  von  der  Stabilität  der  „Kassen" 
durch  Darwins  „Origin  of  the  species"  überwunden  werden  konnte! 
Kaum  hatte  aber  die  darwinische  Lehre  obsiegt,  als  sich  schon 
Speeulationen  regten,  die  den  wissenschaftlichen  Tatsachen  weit  vor- 
auseilend, die  biologische  Forschung  mit  einer  solchen  Menge  von 
Hypothesen  überfluteten,  dass  eine  Katarhsis  der  Ansichten  sich  wie 
eine  natürliche  Notwendigkeit  herausstellte.  Und  heute  nach  beiden 
Richtungen  hin  eines  Besseren  belehrt,  betrachten  wir  einerseits  die 
alten  Traditionen  ebenso  nüchtern,  wie  wir  dies  andererseits  in  Be- 
zug auf  die  voreiligen  neuen  Hypothesen  über  die  nächste  Abstam- 
mung (Phylogcnie)  des  Menschen  tun.  Kben  die  neueren  und  genau- 
eren Kenntnisse  der  Anthropoiden  mussten  uns  von  den  kühnen 
Hypothesen  bekehren  und  unser  Denken  wieder  in  die  ruhige  Strö- 
mung zwischen  die  engeren  Grenzen  der  wissenschaftlichen  Tat- 
sachen zurückbringen,  bei  welcher  wir  ganz  leidenschaftslos  der 
Dinge  harren,  die  da  kommen  sollen.  —  l'nd  so  sehen  wir  uns  ge- 
nötigt, das  den  Hypothesen  nach  als  bereits  aufgefunden  vermeinte 
„fehlende  Glied"  (missing  link)  in  der  Kette  der  Organismen-Reihe 
auch  noch  fernerhin  zu  suchen,  wie  ehedem.  Die  Hindernisse  muss- 
ten mit  einem  Aufwand  von  grösserer  Energie  des  stets  strömungs- 
hedürftigeu  Geistes  durchbrochen  werden ;  hierauf  folgte  die  Ucber- 
flutung  der  Hypothesen,  um  dann  wieder  in  die  normale  ruhige 
Strömung  des  streng  wissenschaftlichen  Denkens  einzulenken.  Das- 
selbe Schauspiel  bietet  uns  die  bisherige  Geschichte  des  Problems 
des  Alters  der  Menschheit.  Musste  nicht  Boucher  de  Perthes  lange 
Jahre  hindurch  gegen  die  traditionelle  Auffassung  des  biblischen 
Alters  der  Menschheit  kämpfen,  bis  es  ihm  endlich  gelingen  konnte, 
mit  der  Idee  eines  prähistorischen  Alters  der  Menschheit  durchzu- 
dringen? l'nd  namentlich  waren  es  seine  eigenen  Landsleute,  die 
französischen  Gelehrten,  von  deren  Seite  er  den  hartnäckigsten  Wider- 
stand erfahren  musste;  kaum  hatten  aber  fremdländische  Forscher 
sich  den  Ideen  von  Boucher  d?  J'erthes  angeschlossen,  so  waren  es 
wieder  seine  Landsleute,  die  zu  den  begeistertesten  Proselyten  der 
neuen  Lehre  geworden,  sich  nicht  mehr  mit  dem  diluvialen  Aller 
begnügten,  sondern  sogar  auch  noch  die  tertiäre  Zeit  für  die  Mensch- 
heit in  Anspruch  nahmen. 

Der  Process  der  geistigen  Retorsion  musste  auch  hier  eintreten; 
und  dieser  Process  vollzieht  sich  jetzt  vor  unseren  Augen,  da  wir 
in  Folge  der  ganz  neuen  genialen  Auslegung  der  praehistorischen 
Fiunie  durch  den  allverehrten  Nestor  der  Wissenschaft  Justus  Steen- 
Htrujj  in  Kopenhagen,  sowie  durch  den  penthallischen  Heros  der  Wis- 
senschaft Rudolf  l'irchntr  in  Berlin,  genötigt  sind  auch  die  Frage  des 
diluvischen  Menschen  mit  ganz  anderen  Augen  zu  betrachten,  als  wir 
dies  bisher  gewohnt  waren.  Es  mussten  auch  hier  die  ungestümen 
hypothetischen  Speeulationen  über  die  vermeintlichen  Beweise  der 
praehistorischen  Funde,  einer  ruhigeren  und  nüchterneren  Aulfassung 


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den  Platz  räumen,  so  dass  wir  schon  jetzt  genötigt  sind  zu  erklären  : 
dass  auf  Grundlage  der  bisherigen  Tatsachen  der  Mensch  mit  dem 
Mammut  nicht  zusammenleben  konnte  und  dass  das  Alter  der  Mensch- 
heit nicht  Uber  die  sog.  Bentierzeit  hinaus  sicher  verfolgt  werden 
kann. 

Die  grosse  Tragweite  dieses  Umschwunges  in  den  Anschauun- 
gen des  praehistorischen  Problems  wird  man  sofort  einsehen  müssen, 
wenn  ich  hervorhebe,  dass  man  bisher  der  Meinung  war:  dass  in 
der  ersten  Epoche  der  palaeolithischen  Zeitperiode,  nämlich  in  der 
Chelles-schen  Epoche  der  Mensch  in  Europa  sowol  noch  das  Mammut 
wie  auch  Hippopotamus,  Uhinoceros  Merkii  und  den  Elephas  antiouus 
unter  den  lebenden  Tieren  antraf  (s.  G.  d.  MortilleVs:  „Lp  prehis- 
torique  antiquite  de  I  homme"  Paris  1883.  S.  131). 

Ich  musste  diese  Bemerkungen  meinem  Referate  über  den 
Miskolczer  palaeolithischen  Fund  eben  deshalb  vorausschicken,  da 
dieser  Fund  nach  dem  Typus  der  Bearbeitung  der  Steinäxte  der 
Chelles-schen  Epoche  zugehörig  erscheint :  somit  dieser  Fund  nach  der 
älteren  Auffassung  schon  an  und  für  sich  als  sicherer  Beweis  der  Exis- 
tenz des  diluvischen  Menschen  in  Ungarn  gelten  könnte,  wie  auch  in  der 
Tat  Otto  Herman  mittels  dieses  Fundes  den  diluvischen  Menschen  in 
Ungarn  für  schon  erwiesen  erklärt.  Dass  dem  aber  nicht  so  ist,  soll  im 
Folgenden  des  Näheren  auseinandergesetzt  und  gemeinverständlich 
erklärt  werden. 

Zunächst  wollen  wir  uns  mit  den  Daten  der  Auffindung  der  Mis- 
kolczer palaeolithischen  (zugeschlagenen)  Steinäxte  naher  vertraut 
machen. 

Wie  Otto  Herman  berichtet,  hatte  er  das  Glück  in  den  letzten 
Tagen  des  vorigen  Jahres  (26.  Dez.  181)2)  von  Herrn  Johann  Bdrsony 
Rechtsanwalt  in  Miskolcz  ein  Steingerät  zu  bekommen,  welches  mit 
zwei  anderen  solchen  Geräten  bei  der  Fundamentierung  des  Hauses  des 
eben  genannten  Rechtsanwaltes  von  den  Bauleuten  etwa  3  M.  tief  in 
der  gelblichen  Lehmschichte  des  Erdbodens  aufgefunden  wurde.  Der 
Hausbesitzer,  ein  Amateur  von  Altertümern  erkannte  sofort  den  Wert 
dieser  Steingerätc.  Das  eine  behielt  er  für  sich,  das  zweite  verehrte  er 
dem  Gerichtssenats-Präsidenten  in  Debreczen  Herrn  Wolfgang  Szelf. 
ebenfalls  einem  Altertumsfreund,  dem  wir  einerseits  mehrere  sehr  inter- 
essante Forschungen,  sowie  Geschenke  für  das  Budapester  anthropo- 
logische Museum  verdanken  und  das  dritte  -  das  schönste  Exemplar  — 
erhielt  eben  O.  Herman. 

Wir  entnehmen  aus  dem  Berichte,  dass  die  hier  in  Rede  stehenden 
drei  Steingeräte  —  nach  der  Ueberzeugung  0.  Hermans  ganz  zweifel- 
los unterhalb  der  alluvialen  Erdschichte  lagen  ;  hingegen  dass  nach  dem 
Ausspruche  des  Landes-Hauptgeologen  Herrn  v.  Rath  (der  die  geo- 
logische Aufnahme  von  Miskolcz  ausführte),  die  betreffende  Lehm- 
schichte „nur  irahrtcheinlich  eine  diluviale  ist." 

Wenn  also  nach  der  Aussage  des  für  diesen  Fall  einzig  compe- 
tenten  Fachmannes,  das  geologische  Alter  der  Lehmschichte,  worin 
sich  die  palaeolithischen  Steinäxte  befanden,  nicht  ganz  sicher  zu  ent- 


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n 


scheiden  war :  .so  musste  hierdurch  auch  das  diluviale  Alter  dieser 
Steinäxte  ebenfalls  fraglich  werden. 

Da  die  Frage  einmal  aufgeworfen  ist,  so  müssen  wir  dieselbe 
wegen  ihrer  grossen  Wichtigkeit  hier  noch  weiter  analysieren. 

Wir  fragen:  dass  auch  im  Falle  als  die  betreffende  gelbliche 
Lehmsehiehte  ausser  allem  Zweifel  eine  diluviale  Schichte  wäre,  könnte 
man  dies  für  den  Beweis  des  diluvialen  Alters  der  nach  dem  Chelles- 
schen  Typus  zugeschlagenen  Steinäxte  schon  als  vollkommen  genü- 
gend erachten?  Mit  nichten.  Nicht  in  der  etwaigen  Sicherheit  der  Be- 
stimmung des  geologischen  Zeitalters  der  Schichten,  sondern  einzig  und 
allein  in  der  Sicherheit  des  Nachweises:  dass  die  betreffenden  Artefacte 
oder  menschlichen  Knochen  in  einem  jungfräulichen,  unberührten  Zustande 
der  Schichte  sich  befinden,  d.  h.  dass  die  Entstehung  der  betreffenden 
Erdschichte  mit  den  eingeschlossenen  Artefacten  oder  Knochen  in  dieselbe 
Zeit  fällt  —  liegt  das  einzig  entscheidende  Moment  des  ganzen  Problems. 

Da  dieses  Moment  bisher  zumeist  nicht  genügend  gewürdigt 
wurde,  denn  eben  wegen  Vernachlässigung  desselben  hat  man  nur 
zu  oft  praehistorische  Funde  für  viel  älter  gehalten,  als  sie  es  wirklich 
sind,  (wie  dies  weiter  unten  noch  an  für  die  Prähistorie  bisher  klas- 
sisch geltenden  Funden  näher  demonstriert  werden  soll),  so  will  ich 
hierüber  auf  (irundlage  meiner  eigenen  Erfahrungen  eingehender  ver- 
handeln. 

Ich  stelle  an  die  Spitze  meiner  Erörterungen  die  Tatsache,  dass 
die  nähere  Entscheidung  dessen :  ob  die  praehistorischen  Objekte  mit 
der  betreffenden  Erdschichte  gleichalterig  sind  oder  nicht,  in  allen 
Fällen  höchst  schwierig,  in  vielen  aber  geradezu  unmöglich  ist. 

Finden  wir  nämlich  die  Objekte  in  der  betreffenden  Eriteehiehte 
derart  eingeschlossen,  dass  sie  mit  dieser  eine  Breccie  bilden  und  wo 
wir  —  mit  dem  freien  Auge  und  mittelst  des  Tastgefühles  —  weder 
in  Bezug  auf  die  Farbe,  noch  in  Bezug  auf  die  Konsistenz.  Gefüge, 
mineralische  Zusammensetzung,  irgend  einen  Unterschied  bemerken 
können  und  wo  wir  auch  sonst  keine  Unordnung  in  der  Lagerung 
der  Schichte  beobachten  können,  so  venneinen  wir  hierin  schon  einen 
sicheren  Beweis  dessen  aufgefunden  zu  haben:  dass  hier  eine  nach- 
trägliche Störung  der  betreffenden  Erdschichte  auszuschliessen  sei, 
d.  Ii.  dass  die  Objekte  mit  der  Erdschichte  gleichalterig  sind.  Dass 
dem  nicht  so  ist.  fand  ich  bei  meinen  Ausgrabungen  am  Dolmenfelde 
in  Boknia  (Algirien).  In  einigen  dieser  Dolmen  fand  ich  die  tiefer 
begrabenen  Knochen  und  Beilagen  (roh  gebrannte  Urnen,  Bronzringe) 
sowie  bereits  ausgestorbene  Schnecken  (von  Delix  aspersa  Bokniaca) 
mit  der  Erdschichte  eine  feste  Breccie  bildend,  so  dass  die  nachherige 
Ausschälung  der  Knochen  und  Objekte  nur  teilweise  gelang;  ich  habe 
die  Skelete  deshalb  in  grossen  Erdklumpen  herausbefördert  und  einen 
Teil  der  Ausgrabung  auf  diese  Weise  »en  hloc"  aufbewahrt.  Da  in 
den  oberen  Schichten  der  Breccie  die  Schalen  von  recenten  Schnecken 
(Delix  pomatia)  vorkamen,  so  interessierte  es  mich  zu  erfahren:  ob 
nicht  etwa  ein  Unterschied  der  oberflächlicheren  und  tieferen  Schichten 
der  Dolmenerde  zu  bemerken  <ei.  was  ich  nicht  auffinden  konnte. 


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12 


■ 


Ich  habe  diese  Erde  auch  von  den  Geologen  besichtigen  lassen,  auch 
diese  konnten  keinen  Unterschied  zwischen  den  tieferen  und  oberfläch- 
licheren Schichten  bemerken  ;  somit  boten  diese  Klumpen  eine  dem 
Augenscheine  nach  ganz  gleichinässigc  Erdschichtc  dar.  wiewol  darin 
Objekte  von  verschiedener  Zeit  enthalten  waren.  Was  das  Zeitalter 
der  Dolmen-Skelete  anbelangt,  so  kann  man  hierauf  bezüglich  Fol- 
gendes anführen.  Climttjtollion  („Lettre*  sur  l'Egypte  et  la  Nubie  etc." 
p.  248)  fand  an  den  ägyptischen  Monumenten  unter  der  XVII.  und 
XVIII.  Dynastie  den  Typus  der  sog.  Tnmhu  oder  Tamnhu  abgebildet, 
von  welchen  der  berühmte  altägyptische  Geschichtsschreiber  Maneth  > 
(ein  Priester  von  Heliopolis  unter  Ptolemeus  Philadelphus)  aussagt, 
dass  sie  von  Nordafrika  Egypten  mit  einem  Heere  überzogen.  Der 
Zeitpunkt  dieses  Einfalles  der  Tamahu  fällt  nach  den  Berechnungen 
zwischen  1591  —  2135  v.  Chr.  Nach  den  einschlägigen  Daten  der 
aegyptologischen.  praehistorischen  und  anthropologischen  Forschungen 
schreiben  die  Gelehrten  das  Dolmenfeld  von  Roknia  den  Tamahu-s  zu. 

Aber  auch  bei  viel  recenteren  Gräbern  und  Tumuli  „aus  den 
eisten  Jahrhunderten  unseres  .lahrtausend  (bei  Alpär  und  Orkeny  in 
Ungarn)  fand  ich  die  Kidschichte  um  die  Skelete  herum  vollkommen 
kompakt  und  gleichmässig  im  Gefüge,  sowie  ganz  gleichmässig  ge- 
färbt; so  dass  die  Stelle  der  Aulwühiung  in  Folge  des  stattgehabten 
Begräbnisses  dem  freien  Augenscheine  mich  nicht  im  mindesten  zu 
erkennen  war  und  eine  Unterscheidung  der  aufgewühlten  Partie  von 
den  nicht  aufgewühlten  Partieen  der  Krdschichte  (zwischen  den  Grä- 
bern) einfach  unmöglich  war.  Hingegen  fand  ich  bei  400 — 500  jährigen 
Gräbern  (bei  Duna-Földvär.  in  Pankota)  immer  mehr  weniger  deutliche 
Spuren  "der  Aufwühlung  der  Erde  und  zwar  zumeist  durch  eine  ver- 
schiedene Färbung  und  verschiedene  Konsistenz  der  Leichenerde :  die 
sich  entweder  schon  von  der  Kulturschichte  angefangen,  oder  gleich 
unterhalb  derselben  teils  kontinuierlich,  teils  mit  Unterbrechungen 
bis  zum  Skelet  verfolgen  liessen  :  es  kam  auch  das  vor.  dass  der 
Farbenunterschied  erst  unmittelbar  rings  um  die  Knochen  in  der  Erd- 
schichte  aufzufinden  war.  so  dass  die  oberhalb  liegende  Schichte  mit 
den  übrigen  —  zwischen  den  Gräbern  liegenden  —  Schichten  nicht 
mir  eine  vollkommen  ungestörte  Kontinuität  bildete,  sondern  auch 
ganz  gleichmässig  gefärbt  war. 

Ich  habe  diese  sehr  lehrreichen  Fälle  von  Fundorten  aus  ver- 
hältnissmässig  viel  recenterer  Zeit  deshalb  hier  angeführt,  damit  die 
Fachgenossen  künftighin  dieser  speziellen  Frage  eine  viel  grössere 
Aufmerksamkeit  schenken  mögen  ;  denn  es  ist  einleuchtend,  dass  die 
Entscheidung  einer  Intaktheit  der  Erdschichten  für  einen  jeden  ein- 
zelnen  Fall  eine  ganz  spezielle  Frage  bildet,  weshalb  man  immer  die 
speziellen  Terrainverhältnisse,  die  geologische,  physikalische  und 
chemische  Beschaffenheit  der  betreuenden  Lokalität  in  Erwägung  brin- 
gen muss.  Aber  eben  deshalb  muss  auch  das  einleuchtend  sein,  dass 
man  für  derartige  Lokalitäten  keine  bestimmten  Zeitgrenzen  angeben 
kann,  wo  die  Möglichkeit  eines  Nachweises  der  Intaktheit  der  Erd- 
schichte aufhört.  Ich  habe  bei  meinen  speziellen   Fällen  eben  diese 


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Tafel  zu:  Der  palaeolithische  Fund  aus  Miskolcz  und  die  Frage 

des  diluvialen  Menschen  in  Ungarn. 

Die  drei  Silexflxt*  ran  Miskolcz  und  drei  französische  Chflles'sch*  Silexä.rtc. 


a  h  c 

St.  Acheul  St.  Acheul  Brive 

Mas.  St.  Qeraiain  Mui.  St.  Gennain  Coli.  Haii«n»t 
Nr.  7001.                           Nr.  15U82.  ft  Brive 


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14 


Beobachtungen  gemacht,  die  ich  anführte,  und  andere  werden  wieder 
andere  Beobachtungen  machen.  Betreffs  des  Zeitpunktes  kann  somit 
im  Allgemeinen  nur  das  behauptet  werden :  dass  „ceteris  paribus"  die 
Schwierigkeit  der  Entscheidung  einer  Intaktheit  der  Lokalität  umso  grös- 
ser wird,  um  je  ältere  Zeitepochen  es  sich  handelt,  wie  ich  hierfür 
weiter  unten  bei  Besprechung  der  vermeintlichen  diluvialen  Menschen- 
schädel, einen  höchst  instruktiven,  man  könnte  sagen,  einen  klassi- 
schen Fall  anführen  werde.  Xach  meinem  Dafürhalten  wird  es  also 
fürderhin  nötig  sein,  die  Erdschichten  der  praehistorischen  Funde  ganz 
systematisch  einer  physikalischen,  chemischen  und  sogar  auch  mikrosko- 
pischen Analyse  zu  unterziehen,  denn  zur  sicheren  Entscheidung  der  hier 
in  Rede  stehenden  Frage  reicht  in  vielen  Fällen  auch  das  geübteste  Auge 
eines  Geologen  nicht  aus. 

Wenn  schon  in  solchen  Fällen,  wo  man  selbst  die  Ausgrabungen 
macht,  so  grosse  Schwierigkeiten  obwalten,  wie  könnte  man  den 
Nachweis  der  Intaktheit  der  Erdschichte  erbringen  wollen,  wo  die 
Ausgrabung  der  Funde  durch  unkundige  Mände  geschah,  und  wo  es 
überhaupt  erst  dann  möglich  ist,  sich  mit  dieser  Frage  zu  beschäfti- 
gen, wenn  die  betreffenden  Partieen  der  Krdschichte  schon  ausgehoben 
wurden?  Auch  bei  der  Ausgrabung  des  Miskolczer  Fundes  waren 
keine  Sachverständigen  Kugegen,  weshalb  der  von  O.  Hermnn  behufs 
der  Beweisführung  erwähnten  Aussage  des  Hausbesitzers,  dass  er  den 
Bau  auf  dem  bisher  ungestörten  Teil  seines  Grundstückes  aufführen 
Hess,  auch  nicht  der  mindeste  Wert  beigemessen  werden  kann : 
da  es  sich  hier  nicht  um  die  Intaktheit  der  zur  Baustelle  verwende- 
ten Partie  als  solcher,  sondern  um  die  Intaktheit  jener  eng  begrenz- 
ten Lokalität  handelt,  wo  die  drei  Äxte  aufgefunden  wurden.  Es 
ist  ja  doch  einzusehen,  dass  an  einer  engern  begrenzten  Stelle 
die  Erdschichte  aufgewühlt  werden  konnte,  ohne  dass  die  Umge- 
bung in  ihrem  ursprünglichen  Zustande  gestört  wurde.  Ich  will 
aber  damit  nicht  behaupten,  als  wären  die  fraglichen  drei  Äxte  ein- 
gegraben worden  ;  sie  konnten  einfach  in  eine  damalige  Vertiefung. 
Riss,  Loch  der  Erdoberfläche  zufällig  hineingefallen  sein,  welche 
Öffnung  oder  Vertiefung  des  Niveau  mit  der  Zeit  auch  ohne  Zutun 
des  Menschen  wieder  ausgefüllt  wurde  — -  ohne  irgend  eine  Spur  dieser 
Ausfüllung  zurück  zu  lassen.  Wie  wir  auch  hier  sehen  können,  gibt 
es  der  Möglichkeiten  und  folglich  der  Schwierigkeiten  so  viele,  dass 
„a  posteriori"  eine  jede  Beweisführung  höchst  problematisch"  blei- 
ben muss. 

Aus  allen  diesen  hier  erwähnten  Momenten  geht  ganz  unwiderleg- 
lich hervor,  dass  das  diluviale  Alter  der  drei  Steinäxte  gar  nicht  erwiesen 
wurde  und  auch  nicht  mehr  erwiesen  werden  kann:  da  wenn  auch  die 
betreffende  Lehmschichte  ganz  bestimmt  eine  diluviale  wäre  —  was  aber 
der  hierfür  einzig  competente  Fachmann  nicht  behauptet  hat,  indem  er 
dieselbe  nur  wahrscheinlich  für  eine  diluviale  erklärte,  betreffs  des  einzig 
entscheidenden  Momentes,  nämlich  der  wirklichen  Intaktheit  der  betreffen- 
den Lokalität  jeder  Beweis  fehlt;  denn  dass  die  primitive  Zubereitung  der 
Steinäxte  an  und  für  sich  noch  keinen  sicheren  Bend*  für  das  diluviale 


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Zeitalter  derselben  liefern  kann  —  ist  für  jeden  in  der  prähistorischen 
Forschung  bewanderten  Menschen  einfach  klar. 

Nun  wollen  wir  sehen,  wie  die  Steinäxte  selbst  beschaffen  sind. 
Wir  entnehmen  der  Beschreibung  folgende  Daten.  Das  Material,  aus 
welchem  diese  Steinäxte  mittels  Zuschlagens  verfertigt  wurden,  besteht, 
wie  0.  Her  man  sich  ausdrückt,  aus  „Feuerstein1"  (Silex),  eine  spezielle 
Determination  dieses  Silex  gibt  der  Autor  nicht.  Er  erwähnt  zwar,  dass 
es  kein  „Klint"  sei  und  dass  solche  Silexe  auch  in  Ungarn  vorkommen. 

Die  eine  Steinaxt  (im  Besitze  des  Herrn  Otto  Her  man  in  Buda- 
pest, wollen  wir  sie  fürderhin  N°  1  nennen,  s.  Fig.  A.  auf  der  Tafel), 
weist  sozusagen  ein  klassisches  Exemplar  des  Chelles-schen  Typus 
auf.  Sie  zeigt  die  typische  Mandelform,  von  aulTalend  schönen  Con- 
touren,  mit  den  deutlich  conchoid  ausgeprägten  Schlagmarken  auf 
beiden  Seiten  und  den  Retouchen  an  den  zugeschärften  Kanten ;  von 
Polierung  ist  an  ihr  keine  Spur  zu  sehen.  Diese  Steinaxt  gehört  zu 
•  jenen  Formen  der  Chelles'sehen  Industrieperiode,  welche  sich  durch 
eine  längliche  Form  auszeichnen.  Die  Länge  beträgt  nämlich  =  23'8 
cm.,  die  Breite  =  110  cm.,  die  Dicke  =  23  cm.  Die  Dicke  der  Axt 
nimmt  von  der  Mitte  gegen  die  Seitenkanten  allmälig,  gegen  das  zuge- 
spitzte Ende  stärker  ab.  An  diesem  Ende  ist  beiderseits  —  an  dem 
breiteren  Ende  der  Mandelform  nur  auf  einer  Seite  —  eine  eisenhäl- 
tige  Kruste  des  Gesteins  zu  bemerken.  Die  Färbung  ist  dunkel,  horn- 
schwarz mit  rötlichen  Einsprengungen.  Eine  Patina  ist  an  ihr  nicht 
nachzuweisen,  ihr  Lustre  ist  von  gleichmässigem  Seidenglanz.  Eine 
durch  den  Gebrauch  entstandene  Abwetzung  sowie  eine  Reibung  von 
Gerollen  ist  an  ihr  nicht  vorhanden;  dieselbe  ist  mit  Ausnahme 
einer  bei  der  Ausgrabung  erfolgten  kleinen  Scharte  an  dem  spitzigen 
Ende  vollkommen  unverletzt. 

Die  zweite  Axt  (No.  2,  im  Besitze  des  Herrn  W.  Szell  in  Deb- 
reczen.  s.  Fig.  B.  auf  der  Tafel)  weist  dieselbe  Zubereitung  durch 
Zuschlagen  auf,  auch  an  ihr  ist  keine  Spur  einer  Polierung  zu  ent- 
decken, auch  die  Färbung  ist  dieselbe.  Ihre  Form  ist  noch  immer 
eine  Mandelfor,  maber  von  grösserer  Breite  im  Verhältnis  zur  Länge. 
Diese  beträgt  nämlich  =  19*5  cm.,  die  Breite  =  11*1  cm.  und  die 
Dicke  —  2*3  cm.  Auch  diese  Axt  ist  ringsum  mit  zugeschärften 
Kanten  versehen,  die  beiden  Enden  aber  abgestutzt  und  zwar  an 
dem  einen  mehr  als  am  anderen.  Die  beiderseitigen  Contouren  ver- 
laufen in  schiefer  Krümmung,  in  Folge  davon  auch  die  Längsaxe  der 
Axt  eine  schief  verlaufende  ist.  Auch  an  ihr  ist  keine  Patina  zu  ent- 
decken, ihr  Lustre  ist  ein  gleichmässiger  aber  weniger  glänzend  als 
bei  der  vorigen.  Eine  Abwetzung  oder  Reibung  ist  auch  an  ihr  nicht 
vorhanden,  die  Axt  ist  vollkommen  unverletzt. 

Die  dritte  Axt  (Nro  3,  im  Besitze  des  Herrn  Bärsony  in  M^s- 
kolcz,  s.  Fig.  C  auf  der  Tafel)  hat  eine  dreieckige  Form,  ihr  Gestein 
ist  lignitartig  schichtig,  von  gelblich  hellgrauer  Färbung.  Ihre  Länge  = 
U'O  cm.,  Breite  an  der  Basis  =  8'0  cm.,  Dicke  =  30  cm.,  diese 
letztere  bleibt  im  Grossen  und  Ganzen  überall  dieselbe.  Die  eine 
.Seite  ist  flach,  an  welcher  die  Spuren  einer  schwach  eisenhaltigen 


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Kruste  zu  bemerken  sind,  welche  Kruste  auf  der  anderen  Seite  eine 
beträchtliche  ist.  Dass  diese  Kruste  eine  originäre  ist,  beweist  ihre  " 
stellenweise  Abschürfung  in  Folge  des  Gebrauches;  eine  Reibung 
von  Gerollen  ist  auch  an  ihr  nicht  zu  entdecken.  Eine  Patina  besitzt 
auch  sie  nicht,  der  Lustre  ist  an  den  Schlagmarken  von  Fettglanz. 
Auch  diese  Axt  ist  unverletzt.  Nach  der  Ansicht  des  Autors  hat  der 
praehistorische  Mensch  dieses  schon  ursprünglich  dreieckige  Stück 
nur  im  Groben  ausgearbeitet  Da  die  zwei  ersteren  Äxte  keine  Spur 
des  Gebrauches  aufweisen,  so  gibt  der  Autor  jener  Vermutung 
Ausdruck,  dass  diese  Äxte  ,loc<>'  verfertigt  werden  konnten;  eine 
nähere  Aufklärung  erwartet  Autor  übrigens  von  der  Entscheidung: 
ob  die  landläufige  Benennung  ,Tüzköves"  (d.  h.  der  Feuerstein-häl- 
tige), mit  welcher  ein  Teil  des  angrenzenden  Herges  Avas  bezeichnet 
wird,  wirklich  daher  rührt,  dass  hier  Feuerstein  vorkommt  V  Ks  muss 
hierzu  ergänzungshalber  erwähnt  werden,  dass  das  berühmte  Hegy- 
alja  (Tokajer  Weingebirge)  zu  Miskolcz  nahe  liegt,  in  welchem  der 
Feuerstein  wirklich  vorgefunden  wird.  Zum  Schluss  vergleicht  der 
Autor  die  zwei  typisch  geformten  Äxte  mit  ähnlichen  aus  England 
und  Mähren,  welchen  gegenüber  er  die  namhafte  Grösse  der  Mis- 
kolczer  Äxte  hervorhebt  (denn  während  die  Länge  der  englischen  — 
in  Evans'  Werk:  The  ancient  impiements  etc.  London  1872  abge- 
bildeten —  Äxte  zwischen  180 — 208  mm.  schwankt,  beträgt  die 
Länge  der  Miskolczer  Axt  No.  1  =  288  mm.  und  No.  2  =  195  mm.) 

Ks  sei  nun  erlaubt,  an  die  hier  erwähnten  Daten  des  Autors 
folgende  ergänzende  Hemerkungen  anzuknüpfen : 

1.  Was  den  Typus  der  Form  und  der  Ausarbeitung  der  Mis- 
kolczer Äxte  anbelangt,  so  müssen  wir  nach  den  Photograplneen 
(die  der  Autor  in  Fig.  4,  5,  o,  7  seiner  Beschreibung  a.  a.  0.  mit- 
teilt) die  Axt  No.  1.  ihrer  schönen  Form  nach  als  ein  Kabinetstück 
der  palaeolithischen  Steinindustrie  erklären,  das  auch  unter  den  bis- 
her bekannten  fremdländischen  Exemplaren  einen  vornehmeren  Rang 
beanspruchen  kann.  Verhältnismässig  entspricht  sie  am  meisten  jener 
Saint-Acheuler  Silexaxt,  die  sich  im  Musee  de  St.-Germain  unter 
No.  7001  befindet,  von  welcher  Herr  G.  de  Mortillet  hervorhebt :  „instru- 
ment  chelleen,en  silex,parfaitementamygdaloide"(„  Musee  prehistorique." 
Paris  1881.  PI.  VI.  No.  29,  siehe  die  Fig.  «  der  Tafel.) 

(Behufs  einer  Vergleichung  der  drei  Miskolczer  Silexäxte  mit 
den  St.-Acheuler  Silexäxten  habe  ich  dieselben  auf  der  beistehenden 
Tafel  in  V*  der  Naturgrösse  photographisch  copiert.  Die  Bezeich- 
nung: A  =■  die  Miskolczer  Steinaxt  No.  1,  B  =  die  Miskolczer 
Steinaxt  No.  2,  C  =  die  Miskolczer  Steinaxt  No.  3,  a  =  St.-Acheuler 
Silexaxt  No.  7001  Musee  de  St. -Germain,  h  =  St.-Acheuler  Silexaxt 
No>  15232  Musee  de  St.-Germain,  c  =  Briveer  Silexaxt,  Sammlung 
des  Herrn  Massenat  in  Brive). 

Die  zweite  Miskolczer  Axt  (s.  Fig  B)  würde  nach  der  Analogie 
mit  der  St.-Acheuler  Axt  (s.  Fig.  b  der  Tafel)  einem  sog.  „eoup  de 
poing*,  hingegen  die  Miskolczer  Axt  (s.  Fig.  C  der  Tafel)  einem 
.triangulaire  en  silex"  entsprechen.  Ich  brauche  hier  wol  nicht  näher 


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es  auseinandersetzen,  dass  es  sich  zwischen  den  Miskolczer  und 
den  französischen  Steinäxten  nur  um  eine  allgemeine  und  nur  auf 
die  Configuration  sich  beschränkende  Ähnlichkeit  handelt.  Denn  was 
die  specielle  Technik  des  Zuschlagens  (die  Charaktere  der  Schlag- 
marken und  der  Retouchen)  anbelangt,  so  ist  hier  ein  auffallender 
Unterschied  zu  verzeichnen.  Die  praehistorischen  Menschen  von  Mis- 
kolcz  haben  ihre  Äxte  nur  im  Groben  ausgearbeitet,  so  dass  die 
Miskolczer  Äxte  (No.  1  und  2)  nur  der  Mandelform  wegen  dem 
Chelles-schen  Typus  anzureihen  sind.  Es  wäre  gewiss  sehr  erwünscht, 
dass  die  Miskolczer  Axte  überhaupt  fachgemäss  studiert  werden f  damit 
wir  Näheres  über  den  Unterschied  der  praehistorischen  Industrie  in 
Ungarn  und  in  Frankreich  erfahren  können.  Da  ich  die  Miskolczer 
Äxte  selbst  nicht  sah,  so  kann  ich  hierüber  keine  weitern  Betrach- 
tungen anstellen  —  es  wird  vorläufig  genügen,  wenn  ich  auf  die 
noch  unerforschten  Momente  des  Miskolczer  Fundes  hiermit  hinge- 
wiesen habe. 

2.  Was  die  (Konfiguration  der  liier  miteinander  verglichenen  sechs 
Steinäxte  abgelangt,  will  ich  Folgendes  hervorheben.  Da  es  sich  hier 
um  das  Verhältnis  zwischen  der  Längen-  und  Breitenaxc  handelt,  so 
will  ich  dieses  Verhältnis  dieser  beiden  Axen  von  den  6  Steinäxten  in 
der  Formel  eines  sog.  Index  mitteilen  (  nr°^,*c  1<V  =  Längen-Breiten- 
index).*  In  der  folgenden  Tabelle  stelle  ich  die  Wertgrössen  dieses  Index 
nach  meinen  an  den  Original-Figuren  der  Autoren  gemachten  Messun- 
gen zusammen. 

Längen-Breitenindex. 

I.  A.,  Bei  der  Miskolczer  Axt  No.  1  =  ,,:,*,lli0  =  4S  Ü8. 
,  <*.,  bei  der  St.-Acheuler  No.  7001  =  9,  0  *  m  =  48*99. 

Differenz  der  Breite  =     113— 916   =  214  mm. 

„    Länge   =     225-187    =  48'0  - 
des  Index    =  4S99-48  0S  =  Ulli  - 

II.  B.  Bei  der  Miskolczer  Axt  No.  2  =  n\*  ,ü°  =  5625. 

.  b.,  bei  der  St.-Acheuler  No.  15232  =  *\*JW  =62  98. 

|  Differenz  der  Breite   =    117—81      =  36*0  mm. 
{       „        „    Länge   =    208-128-6  =  794  „ 
I       „      des  Index    =  629S-56'25  =  673  m 

III.  C.  Bei  der  Miskolczer  Axt  No.  3  =        !°°  =  73  59. 

1  lo  r> 

„  c,  bei  der  Brive-er  =  1,6  *  100  =  8169. 

|  Differenz  der  Breite   =     1 16—85      =  31  mm. 
;       ,        „   Länge   =     142— 1155  =  265  . 
I       ,      des  Index     =  8169-73  59  =  810  B 
(Fortsetzung  folgt.) 

*  Bei  der  Beschreibung  derlei  praehistorischer  Artefacte  bediene  ich 
mich  der  in  der  Kraniometrie  üblichen  Indices,  die  eine  genauere  Ver- 
gleichung  der  Form  erleichtern.  Es  wäre  wünschenswert,  wenn  die  Prähi- 
storiker  sich  diese  Methode  aneignen  würden. 

Bthno].  Mitteil.  a.  I  n^arn.  ILI.  2 


:8 


Neue  Beiträge  zur  Volkskunde  der  Siebenbürger  Sachsen. 

—  Von  Dr.  Heinrich  r.  Wlislocki.  — 

Auf  dem  von  unseren  einheimischen  Forschern  woldurehpflüg- 
ten  Fehle  der  siebenbürgiseh-sächsisehen  Volkskunde  liegen  noch 
innner  zahlreiche  Bausteinchen  von  grösserem  und  geringerem  Werte 
verstreut  umher,  die  ruhloser  Sammler  bedürfen,  um  der  Wissenschaft 
gerettet  und  vor  dem  gänzlichen  l'ntergange  bewahrt  zu  werden.  Wir 
dürfen  kein  einziges  solcher  Steinchen  bei  Seite  schieben,  es  auf 
unseren  Wanderfahrten  am  Wege  liegen  lassen ;  wir  müssen  es  auf- 
heben und  in  die  Schatzkammer  der  Volkskunde  niederlegen,  damit 
wir  den  im  Entstehen  begriffenen  Bau  einer  Geschichte  des  mensch- 
lichen Geistes  fördern  helfen.  Auf  meinen  jahrelangen  Wanderfahrten 
durch  mein  wunderdurehrauschtes  Heimatland,  Siebenbürgen,  .  habe 
ich  auch  vom  Felde  der  siebenbürgisch-sächsischen  Volkskunde  so 
manche  Körnlein  eingeheimst,  die  ich  hier  niederlegen  will.  Für  den 
Dombau  unserer  Wissenschaft  werden  auch  diese  zerstreuten,  nun 
aber  wenigstens  in  losen  Zusammenhang  mit  einander  gebrachten 
Körnlein  wol  das  Ihrige  beitragen.  Vor  allem  sind  es  die  Heil-  und 
Zaubermittel,  die  unsere  Aufmerksamkeit  in  so  mancher  Richtung  in 
Anspruch  nehmen  —  besonders  nachdem  dieselben  noch  nirgends  im 
Druck  erschienen  sind ;  dieselben  stammen  zum  grössten  Teil  aus 
der  handschriftlichen  Sammlung  des  Andrea«  Jioth,  meines  Gross- 
vaters mütterlicherseits,  zum  geringen  Teil  aber  aus  meinen  eigenen 
Sammlungen. 

Die  Behandlung  der  Krankheiten  von  Mensch  und  Tier  durch 
Kultmittel  fristet  auch  bei  den  Siebenbürger  Sachsen  nur  an  beson- 
ders gehegten  Plätzen  eine  üppige  Existenz,  eine  üppigere  wol,  als 
man  dies  aus  den  bislang  veröffentlichten  Berichten  der  einheimischen 
Volksforscher  erschliessen  könnte.  Vor  den  Augen  der  Lehrer  und 
Geistlichen  ziehen  sich  diese  volkstümlichen  Niederschläge  ebenso  scheu 
zurück,  wie  bei  jedem  anderen  Volke. 

Die  Art,  wie  diese  Segen  und  Heilkräfte  bei  den  Siebenbürger 
Sachsen  -fortgepflanzt  werden,  ist  verschieden",  schreibt  der  verdienst- 
volle Siebenbürger  Gelehrte  Frinl.  Willi.  Srhusfer  (Siebenb.-sächs. 
Volkslieder  S.  481),  ^sie  sind  Geheimnis  und  dürfen  nicht  ohne 
weiteres  mitgeteilt  werden.  Entweder  der  Jutirr'  oder  ,ßeszer  (Büsser) 
oder  .Kundige'  murmelt  seine  Worte  leise  für  sich  hin,  wer  sie  ver- 
steht und  behält,  ist  glücklich,  er  mag  sie  mit  gleichem  Erfolg  gebrau- 
chen, ohne  Nachteil  für  den  eisten  Besitzer:  oder  der  Kundige  teilt 
sie  zwar  ohne  weiters  mit,  aber  nur  einem  Jüngern,  weil  sie  sonst 
für  ihn  selbst  die  Wirkung  verlieren  würden :  oder  endlich  die  Formel 
muss  dem,  der  sie  erwerben  will,   .von  einem  alten  Weibe  zur  //«- 


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19 


fon  Hand  eingeimpft  und  nachher  behutsam  gebraucht  werden/  In 
welcher  Weise  die  Einimpfung  geschieht,  habe  ich  nicht  ermitteln 
können.* 

Betreffs  dieser  Einimpfung  habe  ich  zwei  Berichte  erhalten.  Die 
Kellinger  Magd  Marie  Klusch  diente  im  J.  1884  in  meiner  Familie. 
Ihre  Mutter  war  in  der  Umgegend  zwar  als  „Hexe*"  gefürchtet,  aber 
nichtsdestoweniger  als  Heilkünstlerin  für  das  Fieber  berühmt.  Als 
sie  einmal  schwerkrank  wurde,  impfte  sie  —  nach  Aussage  ihrer 
Tochter  ---  die  Kunst:  das  Fieber  zu  „büssen"  (besen),  derselben  auf 
folgende  Weise  ein:  Die  Mutter  ritzte  sich  mit  einer  neuen,  nie 
gebrauchten  Nadel  die  linke  ^rust  und  liess  einige  Tropfen  ihres 
Blutes  auf  eine  Hostie  rinnen,  welche  sie  dann  in  die  linke  Handfläche 
ihrer  Tochter  legte,  indem  sie  dabei  durch  die  Hostie  hindurch  mit 
der  Xadel  in  die  Hand  der  Magd  stach,  wobei  sie  sprach: 

..Im  Xamen  des  Vaters,  des  Sohnes  und  des  hl.  Geistes!  Was 
mir  gegeben  haben  die  drei  Wenken,  das  geb'  ich  dir,  mein  Blut 
mit  deinem  Blut,  damit  dir  Herr  Satan  auf  dem  Hoprichberg  nie 
schade!"  Die  Tochter  verschluckte  nun  die  Hostie,  worauf  ihr  die 
Mutter  Mittel  gegen  das  Fieber  verkündete.  Die  Wenken  oder  Wäjnken, 
welche  die  Mutter  in  der  obigen  Formel  erwähnt,  sind  dem  dortigen  Volks- 
glauben gemäss,  „kleine  schwarz?  Frauen,  die  gar  klug  sind.1*  In  anderen 
Gegenden  werden  sie  neben  Wenken  auch  noch  „misse  Frauen"  genannt 
und  in  Heilsprüchen  angerufen  (s.  Schuster  a.  a.  0.  S.  489  fT.)  Ihr 
Wohnort  ist  der  „dunkle4*  oder  ..grüne"  Wald.  Sie  sind  also  Baum- 
geister, die  vorzugsweise  ausserhalb  der  Bäume  als  eigentliche  Krank- 
heitsgeister auftreten.  Auch  als  Schicksalsspinnerinnen  und  Schicksals- 
bestiinmerinnen  mögen  sie  ursprünglich  im  Volksglauben  der  Sieben- 
bürger Sachsen  eine  Holle  gespielt  haben.  Darüber  habe  ich  mich  an 
mehreren  Stellen  meines  demnächst  erscheinenden  Werkes :  rVolks- 
glaube  u.  Volksbrauch  der  Siebenb.  Sachsen**  (Berlin,  Felber)  aus- 
gesprochen. Auch  in  einer  Besprechungsformel  bei  Schuster  (a.  a.  0. 
S.  4(.)0)  kommt  der  oben  erwähnte  Hoprichberg  in  der  Form  von 
..Huiprichberg**  vor.  Ob  dieser  Berg  nicht  etwa  die  Bedeutung  eines 
Hexenversammlungsortes,  eines  Teufelsberges  hat?  Im  Magyarischen 
hat  der  Teufel  (ördög)  auch  den  Beinamen  hopeiher  (s.  lpolyi,  Magyar 
Mythologia  =  Magyarische  Mythol.  bei  „ördög").  Bezüglich  dieser  oben 
erwähnten  Wenken  teile  ich  hier  eine  interessante  Formel  aus  der 
Handschrift  meines  Grossvaters,  Andreas  Jioth  mit,  der  in  ein  Heft 
Lieder,  Hausmittel  und  Besprechungsformeln  während  seiner  Wander- 
schaft in  Siebenbürgen  (zu  Anfang  dieses  Jahrhunderts  eingeschrieben 
hatte.)  Es  heisst  nämlich  hei  ihm:  Man  schreibe  mit  dem  Blute  des 
Fieberkranken  dies  ..Gebetchen**  auf  ein  Blatt  Papier: 

Drei  weisse  Wenken  giengeu  durchs  Lan«l. 
Begegnet  ihnen  der  Heiliand: 
„Ihr  Wenken,  wohin  wollt  ihr  gehn?u 
„Wir  wollen  zum  N.  N.  gehn, 
Wir  wollen  sein  Herz  schütteln. 
Wir  wollen  sein  Gedärm  rütteln, 

2* 


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Wir  wollen  sein  Blut  lecken. 

Wir  wollen  seine  Glieder  strecken."  — 

„Weisse  Wenken,  das  dürft  ihr  nicht  tun, 

Ihr  sollt  hier  im  Brunnen  ruhn, 

Bis  ich  schreib'  ein  neues  Evangelium  u 

Diesen  Zettel  reisst  der  Fieberkranke  in  drei  Teile  und  wirft 
dieselben  vor  Sonnenaufgang  einzeln  in  einen  Brunnen  mit  den  Worten  : 

(Jeht  in  den  schwarzen  Wald, 
Da  springen  drei  Brunnen  kalt, 
Der  ein  ist  der  mW, 
Der  ändert  der  »mW,  a 
Der  dritt  der  phri!  ^ 
Da  sollt  ihr  drei  Wenken  ruhen ! 

Hei  Schuber  (a.  a.  0.  S.  302)  findet  sieh  eine  ähnliche  Formel 
gegen  das  Fieber  vor,  in  der  aber  nur  zwei  Hrunnen  genannt  wer- 
den, horujif  und  Werth,  wobei  Schuster  (S.  489)  an  den  germanischen 
„Mimirsbrunn"  denkt.  Wie  die  Namen  dieser  Hrunnen  ursprünglich 
gelautet  haben  mögen,  das  wird  wohl  für  immer  unentschieden  blei- 
ben. Ich  erwähne  hier  nur  noch,  dass  pisri  vielleicht  auf  ~pisen~ 
zurückgeführt  werden  könnte,  weil  nach  Roth'*  Angabe  der  Fieber- 
kranke auch  in  den  Hrunnen  uriniert  und  neun  Tage  hindurch  jedes 
Mal  vor  Sonnenaufgang  Wasser  aus  demselben  Hrunnen  trinkt.  Wie 
den  germanischen  Schicksulsbestimmerinnen,  so  werden  auch  den 
siebcnbürgisch-sächsischen  Wenken,  Hrunnen  oder  wenigstens  die 
Nähe  derselben  zum  Aufenthaltsorte  angewiesen,  obwol  diese  Wesen 
im  Volksglauben  beinahe  ganz  und  gar  zu  Krankheitsgeistern  herab- 
gesunken sind. 

Hoch  keinen  wir  zur  Einimpfung  der  Heilkraft  zurück. 

Meiner  seligen  Mutter  berichtete  man  1887  von  einer  Frau  M. 
in  Mühlbach,  welHie  im  Hufe  stand,  die  .Kunst  gegen  das  „schlagende 
Feuer"  (Blitz)  von  ihrer  Mutter  ererbt  zu  haben,  hie  Tochter  tnusste 
sich,  als  die  Mutter  ihr  baldiges  Lebensende  voraussah,  in  der  Set. 
Laurentiusnacht  (10.  August)  ganz  entkleidet  im  Freien  rücklings 
niederlegen,  worauf  die  Mutter  mit  glühenden  Kohlen  rings  um  sie 
einen  Kreis  zog.  Lorenzi-Kohlen  bewahren  beim  bayerischen  Volk  vor 
Feuersbrunst  (s.  M.  Horfler  in  d.  „Zcitschr.  d.  Vor.  f.  Volksk."  L  S. 
300).  Dann  schritt  die  Alte  drei  Mal  über  ihre  Tochter  hinweg  und 
träufelte  ihr  drei  Tropfen  ihres  Hintes  in  die  linke  Handfläche.  Wenn 
nun  bei  schlagendem  Feuer,  oder  bei  einer  Feuersbrunst  überhaupt 
ein  Kleidungsstück,  selbst  nur  ein  Kleiderlappen  der  Frau  M.  rings  um 
die  Feuerstätte  getragen  wird,  oder  sie  selbst  und  zwar  nackt,  die 
Hrandstätte  umkreist,  so  muss  das  Feuer  sogleich  gelöscht  und  ge- 
dämpft werden  können.  Auch  bei  der  rumänischen  Landbevölkerung 
Siebenbürgens  herrscht  der  Glaube,  dass  es  gewisse  Personen  gibt, 
die  nicht  verbrennen  können,  und  wenn  man  von  solchen  Leuten  einen 
Kleiderlappen  in  die  Hrandstätte  wirft,  so  erlischt  das  Feuer  sofort. 

Aber  nicht  nur  einzelne  Eingeweihte,  Männer  und  Weiber,  diu 
mit  Eifersucht  und  gläubischem  Sinn  ihre  Kunst  und  ihr  Wissen 


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21 


hüten,  wenden  Segen  und  Heilmittel  an,  sondern  fast  jeder  sieben- 
bürgisch-sächsische  Bauer  und  jede  Häuerin  kennt  mehrere  solcher 
Formeln  und  Mittel;  der  eine  für  dies,  der  andere  für  jenes  Leid  und 
Uebel ;  ist  aber  in  irgend  einem  Falle  die  Gefahr  gross,  da  muss  der 
Büsser  oder  die  Büsserin  helfen,  von  denen  es  fasst  in  jedem  sächsi- 
sischen  Dorfe  zwei,  drei  gibt.  Der  eine  kann  von  diesem  Leiden 
befreien,  jener  jene  Arten  von  Krankheiten  bannen ;  dieser  kann  gegen 
Böses  und  Ueldes  in  der  Zukunft  feien,  oder  das  wankende  Glück 
befestigen,  jener  hingegen  von  gegenwärtigem  Leid  und  Uebel,  von 
gegenwärtiger  Krankheit  befreien.  Unlängst  brac  hten  die  Tagesblätter 
die  Nachricht,  dass  in  Tartlau  (neben  Kronstadt)  ein  sächsischer 
.Wunderdoktor",  Job.  Teutsch  genannt,  wohne  und  nun  habe  die 
Bewohnerschaft  dieses  Ortes  und  der  Umgebung  eine  Bittschrift  an 
die  Behörde  eingereicht,  man  möge  ämthch  gestatten,  dass  dieser 
„Wunderdoktor"  frei  und  öffentlich  die  ärztliche  Praxis  ausübe  (s. 
die  Zeitung  „Brassö"  Nr.  36  vom  28.  März  1893,  S.  143). 

Dass  auch  bei  den  Zauber-  und  Besprechungsformeln  der  Sie- 
benbürger Sachsen  die  verschiedensten  Quellen,  wie  Beligion,  Zau- 
berei und  frühere  Perioden  der  Medizin,  zusammenfliessen,  braucht 
nicht  noch  besonders  erwähnt  zu  werden.  Heil-  und  Zauberkundc 
gehört,  ja,  wie  dies  unser  Altmeister  K.  Weinhold  sagt,  einem  nie- 
deren Vorstellungs-  und  Glaubenskreise  an,  der  weder  kristlich  noch 
heidnisch  ist,  sondern  eine  Wucherbildung.  Im  germanischen  Heiden- 
tum gab  es  einen  Aberglauben  und  ein  Zauberwesen,  abgesondert 
und  feindlich  gegen  die  eigentliche  Volksreligion  und  den  anerkann- 
ten Gottesdienst.  So  ist  es  überall  gewesen  und  so  ist  es  noch  heute. 
Aberglaube  ist  an  keine  Nation  und  keine  bestimmte  Beligion  gebun- 
den, sondern  ein  allgemein  Menschliches.  Wie  viel  uralte  Kiemente 
so  manche  Heilformeln  des  siebenbürgisch-sächsischen  Volkes  ent- 
halten, wird  eine  kleine  Auswahl  aus  meiner  Sammlung  und  der 
Handschrift  meines  Grossvaters  bezeugen.  Gegen  Augensfaur  teilt  z. 
B.  diese  Handschrift  folgendes  Mittel  mit:  Man  lege  neun  Tage  hin- 
durch täglich  einmal  wanne  Tierleber  auf  das  kranke  Auge  und 
spreche  heim  Auflegen  derselben  : 

Ihtdrla,  die  heilige  Frau, 

Ward  blind  geboren, 

Ward  blind  aut'erzoeen; 

Sie  sass  im  wilden  Wald  allein 

Und  weinte  auf  marmelnem  Stein, 

Kam  einher  der  schimrze  Mann. 

Schlug  sie  ins  Aue  mit  grünem  Ast  : 

Jesus  Christ,  der  uu  gekreuzigt  bist, 

Mach'  rot,  was  rot  ist;  grün,  was  grün  ist; 

Mach'  weiss,  was  weiss  ist;  nimm  das 

Schwarze  weg,  im  Namen  Gottes.  Amen  ! 

Wer  unter  Dndela  (Tutela?)  zu  verstehen  ist,  oder  besser  ge- 
sagt :  ursprünglich  verstanden  worden  sei,  mag  und  kann  ich  nicht 
entscheiden.  In  Schuster'^  Sammlung  (a.  a.  0.  S.  311  u.  491)  kommt 
eine  halbwegs  ähnliche  Besprechungsfonuel  gegen  Flecken  im  Auge 


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22 

vor,  wobei  eine  „Duidelglr  erwähnt  wird,  deren  Bedeutung  der 
Herausgeber  nicht  erklären  kann.  Ich  glaube  hinter  beiden,  selbst- 
verständlich ganz  und  gar  verwischten  Namen,  mag  wohl  ein  Wald- 
geist, beziehungsweise  ein  Krankheitsdämon  stecken.  Hiefür  spricht 
teilweise  die  Erwähnung  des  „wilden  Waldes*  und  des  „schwarzen 
Mannes."  Letzterer  ist  entschieden  ein  Waldgeist,  wie  solche  Geister 
im  Volksglauben  der  Siebenbürger  Sachsen  noch  immer  verhältnissig 
zahlreich  vorhanden  sind,  wenn  auch  dieselben  weniger  zum  eigent- 
lichen Zwerg-  oder  Albengeschlecht  zu  gehören  scheinen  (s.  mein 
erwähntes  Werk  S.  21  IT.)  In  der  Hermannstädter  Gegend  erzählt 
man,  dass  der  schwarze  Mann  den  Leuten  im  Walde  beim  Holz- 
fällen anfangs  geholfen  habe :  dann  aber  seien  die  Leute  ihm  gegen- 
über undankbar  gewesen,  und  er  sei  nun  in  die  Erde  verschwunden, 
woher  man  oft  sein  Bellen  vernehme.  Eine  Bäuerin  aus  der  ( )rt- 
schaft  Neppendorf  erzählte  mir,  dass  die  kleinen  Kinder  deshalb  so 
oft  zu  Boden  fallen  und  Beulen  davontragen,  weil  sie  den  schwarzen 
Mann  in  der  Erde  bellen  hören.  Fällt  ein  Kind  zu  Boden,  so  besänf- 
tigt man  es  dadurch,  dass  man  dem  Erdboden  Schläge  versetzt  und 
ruft:  „Na,  wart'  nur,  du  böser  schwarzer  Mann  !*  Und  gegen  Beulen, 
die  man  durch  einen  Schlag  auf  einen  Knochen  davongetragen  hat, 
nehme  man  ein  Messer  und  drücke  mit  demselben  kreuzweise  die 
Beule,  wobei  man  die  Worte  zu  sprechen  hat:  -Beule,  eile:  Eil'  in 
den  Grund;  Fress'  dich  der  Hund;  Fress"  dich  der  schwarze  Mann, 
Damit  er  nicht  mehr  bellen  kann!" 

Ich  glaube,  dass  dieser  schwarze  Mann  und  das  Hulzmantchen 
(Holzmandel),  von  dem  Müller  (Siebenb.  Sagen  ;  2.  Aufl.  S.  VA)  be- 
richtet, ursprünglich  ein  und  dasselbe  Wesen,  und  zwar  ein  Wald- 
geist gewesen  ist.  Wo  jetzt  das  Dorf  Holzmengen,  sächsieh  Hulz- 
mängden,  steht,  wohnte  ein  kleines  Männchen,  welches  auf  jeden 
Wochenmarkt  eine  Fuhre  Holz  nach  Hermannstadt  brachte.  Niemand 
kannte  den  eigentlichen  Namen  dieses  Männchens.  Man  nannte  es 
das  Holzmandel.  Bald  siedelten  sich  in  seiner  waldreichen  (legend 
Leute  an,  die  man  alle  Holzmandel  nannte,  weil  sie  Holzhandel 
trieben.  Das  Holzmandel  aber  verschwand  und  ward  nicht  mehr  ge- 
sehen. Sein  Name  ward  auf  das  Dorf  übertragen  .  .  .  Dies  der 
kurze  Inhalt  der  Sage  bei  Müller.  Der  Schluss  von  einer  Variante 
dieser  Sage,  die  mir  Herr  Ad.  Adh>ß'  mitteilte,  ist  für  die  verglei- 
chende Sagenkunde  von  Bedeutung.  Es  heisst  nämlich,  dass  das 
Holzmandel  nicht  gleich  nach  der  Ansiedelung  der  Leute  in  seinem 
Waldrevier  verschwand,  sondern  im  Gegenteil  den  Leuten  hilfreich 
beistand,  ihnen  guten  Bat  erteilte,  ja  selbst  das  Baumfällen  für  sie 
ganz  allein  verrichtete.  Aber  die  Leute  bewiesen  sich  ihm  gegenüber 
undankbar,  spotteten  ihn  wegen  seiner  winzigen  Gestalt  und  Hiis»- 
lichkeit.  Einmal  waren  < lie  Leute  mit  dem  Holzmandel  draussen  im 
Walde  und  bliesen  sich  in  die  Hände,  um  sie  zu  erwärmen,  denn 
es  war  ein  bitterkalter  Wintermorgen.  Da  fragte  das  Holzmandel : 
„Warum  bläst  ihr?"  Die  Leute  versetzten:  „Um  uns  die  Hände  zu 
erwärmen  !u  Zu  Mittag  kochten  sie  eine   Suppe,   und   während  *ie 


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2:; 


assen,  bliesen  sie  in  den  Lötfei.  Da  fragte  das  Holzmandel:  „Warum 
bläst  ihr  in  den  Löffel  ?a  Die  Leute  antworteten:  „Damit  wir  die 
heisse  Suppe  abkühlen!"  Da  ärgerte  sich  das  Holzmandel  und  rief: 
„Mit  solchen  Betrügern  will  ich  nichts  mehr  zu  schaffen  haben.  Ihr 
bläst  einmal,  damit  es  wann  werde:  dann  bläst  ihr,  damit  es  kalt 
werde:  ihr  wollt  mich  nur  betrügen!"  l  ud  das  Holzmandel  ver- 
schwand und  ward  nicht  mehr  gesehen.  Ihm  zu  Khren  nannten  die 
Leute  ihr  Dorf  Hülzmängen,  aber  er  kehrte  nicht  mehr  zu  ihnen 
zurück.  .  .  . 

Vor  allem  müssen  wir  bemerken,  dass  diese  Sage,  mir  von 
Adlelf  viermal  erzählt,  auch  den  Schluss  einmal  enthält:  „Das  Holz- 
mandel verschwand  in  die  Krde  und  kam  nicht  mehr  zum  Vorschein. 
Bisweilen,  wenn  viele  Leute  im  Walde  Holz  fällen,  hört  man  es 
unter  der  Erde  schreien  und  poltern  ..."  Wie  sich  nun  immer  die 
Sache  um  die  Identität  des  schwarzen  Mannes,  der  „unter  der  Krde 
bellt,"  und  des  Holzmandels  verhält,  so  viel  ist  aus  den  oben  mit- 
geteilten Formeln  und  obiger  Sage  ersichtlich,  dass  wir  es  hier  im 
schlechtesten  Falle  mit  verwandten  Gestalten  zu  tun  haben.  Was 
aber  die  letzthin  mitgeteilte  Sage  anbelangt,  so  findet  sich  dieselbe 
als  Sage  oder  Märchen  ausser  bei  den  Kalotaszeger  Magyaren,1  auch 
bei  Aesop,  bei  Avianus  (Satyrus  et  Viator),  bei  Krasmus,  bei  La 
Fontaine,  ferner  in  alten  toskanischeu  Versen,  im  Dittainondo  von 
Fazio  degli  Uberti,  im  Verliebten  Roland,  in  den  Dreizehn  Nächten 
Straparolas  u.  s.  w.2 

Dieser  schwarze  Mann  scheint  auch  unter  dem  Namen  „Alter" 
in  den  Besprechungsformeln  vorzukommen,  (legen  das  Grhi-rch 
(=  Katarrh  oder  Brustbeklemmung  bei  Kindern)  -  führt  Roth  u.  a. 
folgendes  Mittel  an :  Man  lege  dem  kranken  Kinde  einen  in  Lamm- 
talg eingetauchten  Lappen  allabendlich  auf  die  Brust.  In  der  Frühe 
reisse  man  jedesmal  ein  winzig  kleines  Stückchen  vom  Lappen  herab 
und  werfe  es  in  die  Hühnersfeige,  wobei  man  zu  sprechen  hat : 

Es  waren  drei  weisse  Frauen. 
Die  giengen  morgens  im  Taue 
l'nd  hatten  ein  Liebesgespriich : 
Kam  da  der  Alte  mit  dem  Gebrech 
Und  macht«  sie  stumm. 
O  Alter,  Alter,  o  kumm. 
Nimm  meines  Kindes  Gebrech. 
Im  Namen  Gottes  usw. 

In  Heltau  habe  ich  folgendes  Mittel  gegen  das  (iebrech  aufge- 
zeichnet: Hat  das  Kind    das  (iebrech,  so  reibe    mau  ihm  die  Brust 

')  Wahrscheinlich  wurde  es  liier  aus  den  Sagenschatz  der  Sachsen 
herübergenommen,  die  auch  in  dieser  Gegend  einst  gewohnt  haben.  S.  mein 
Werk:  „Aus  dem  Volksleben  der  Magyaren"  S.  17  if. 

J)  S.  (iinnnini.  L'Uorao  Selvaggio  < '  Lucca.  ISMO,  Giustij  und  Mar.  Mmgh- 
ini  in  der  rZtschr.  d.  \  er.  t.  Volkskunde"  I.  S.  10:;. 

»)  S.  das  treffliche  Werk  von  llaltrkh-  Hr«ljr.  Zur  Volkskunde  der 
Siebenb.  Sachsen  S.  'J'i-4. 


J4 


häufig  mit  Talg  ein  und  forme  am  dritten  Tage  der  Einreibung  aus 
einem  Teil  desselben  Talges  eine  menschliche  Figur  und  binde  die- 
selbe an  den  Hals  eines  Hahnes.  Dem  davoneilenden  Hahne  rufe 
man  einige  Mal  nach  : 

Alter  Mann,  alter  Mann, 

Meines  Kindes  Gebrech  mitnahm. 

„Der  Kokesch  (Hahn)  soll  die  Krankheit  zum  Alten  in  deu 
Husch  tragen,"  gab  mir  die  Uäuerin  Hellwig  die  Erklärung.  Bei  allen 
bislang  bekannten  Formeln  gegen  das  Gebrech  (s.  Haltrich-  Wolff  S. 
264;  Schuster  S.  493)  spielen  die  Hühner  eine  Holle.  Hühner  sollen 
das  Uebel  wegführen.  Schuster  (S.  493)  meint  diesbezüglich :  „Hühner 
waren  Woden  und  Hei,  vielleicht  auch  anderen  Gottheiten  heilig.  In 
Märchen  und  Kinderspielen  hat  sich  Woden  selbst  in  Gestalt  eines 
Hahnes  erhalten."  Ohne  mich  in  diesbezügliche  Erörterungen  einzu- 
lassen, bemerke  ich  nur,  dass  der  Hahn  bekanntermaassen  nächst 
Hund  und  Katze  für  einen  Verscheucher  feindlich  gesinnter  Wesen 
gilt.  «In  der  Symbolik  des  Rechtes  sind  Hund  und  Hahn  verbunden," 
s&gt Laistner  (Das  Rätsel  der  Sphinx  H,  85).  „gerade  wie  in  der  zoro- 
astrischen  Religion  Hund  und  Hahn  zusammen  genannt  werden  als 
Streiter  wider  lurische  Wesen. u  Der  Alp  entweicht  beim  Hahnen- 
schrei, elbische  Wesen  fliehen  vor  ihm ;  dies  bestätigen  uns  Märchen 
und  Sagen,  die  in  Latetner's  Werk  nachgelesen  werden  können.  Wir 
haben  es  also  auch  bei  diesen  siebenbürgisch-sächsischen  Formeln 
gegen  das  Gebrech  mit  elbischen  Wesen,  Waldgeistern,  Kraukheits- 
geistern  zu  tun.  welche  von  den  Hühnern  vertrieben  werden  sollen. 
Bezüglich  des  Hundes  und  Hahnes  als  elbverscheuchende  Wesen 
erwähne  ich  nur  noch  Folgendes  aus  dem  Volksglauben  der  Sieben- 
bürger Sachsen:  Die  Darre  oder  das  Hundsalter  (d.  h.  wenn  das 
Kind  nicht  wachsen  will)  schreibt  die  erwähnte  Handschrift  h'oth'* 
dem  I  nistande  zu,  dass  dem  Kinde  Katzenhaare  in  den  Magen  kom- 
men;1) das  Gebrech  aber  bekommt  das  Kind,  wenn  es  Hundehaare 
schluckt.  «Ks  bellt  und  keucht,  wie  ain  Hundlein"  (lioth.)  Bezüglich 
des  Ausdrucks  „Hundsalter*  erwähne  ich  hier  nebenbei  den  ma- 
gyarischen Volksglauben,  demzufolge  jeder  junge  Hund  auffällig  ab- 
magern muss,  und  erst  dann  gedeiht  und  wächst.  Diese  Krankheit 
nennt  man  magyarisch:  Zsigora.  Wir  sehen  also  aus  diesen 
flüchtigen  Andeutungen,  wie  der  uralte  Glaube  bei  den  einzelnen 
Völkern  verblasst,  hei  einem  früher,  beim  anderen  später  zu  blosen, 
oft  unverständlichen  Rudimenten  herabsinkt. 

F.  S.  Krauts  hat  in  seinem  Werke  „Volksglaube  und  rel. 
Brauch  der  Südslaven"  bezüglich  dieses  Volkes  gar  trefflich  nach- 
gewiesen, dass  die  Krankheitsgeister  Waldgeister  sind.  Für  die  Rich- 
tigkeit dieses,  sozusagen  allgemein  giltigen  Satzes,  haben  wir  eben 
auch  aus  dem  Volksglauben  der  Siebenbürger  Sachsen  einige  Belege 
herangezogen.    Dass   diese   Geister  als  im    Baume   lebend  gedacht 

')  Vgl.  Toppen,  Abergl.  aus  Masuren  S.  b± 


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25 


wurden,  dafür  spricht  folgendes  Mittel  gegen  Anschwellung  der  Hals- 
drüsen, das  ich  in  Mühlbach  erfahren:  Man  stehle  ein  Stückchen 
Speck,  binde  es  mit  einem  Fusslappen  über  Nacht  um  den  Hals 
und  hänge  den  Verband  am  nächsten  Tag  an  einen  Baum  und 
spreche :  „Baum,  du  hast  viele  Knoten,  nimm  mir  weg  auch  meine 
Knoten" ;  oder  man  spreche  beim  Abnehmen  dieses  Verbandes,  den 
man  ins  Feuer  zu  werfen  hat,  die  Formel :  „Oer  Knotenmann  hatte 
sieben  Söhne,  das  Knotenweib  hatte  sieben  Töchter;  sie  heirateten 
sich,  lebten  miteinander,  vertrugen  sich  nicht.  Sie  schieden  von  ein- 
ander und  verschwanden,  wie  deF  Speck  im  Feuer.  So  mögen  im 
Namen  Gottes  dem  N.  NT.  die  Knoten  am  Halse  verschwinden,  damit 
er  beim  heiligen  Abendmahl  rein  den  Leib  und  das  Blut  unseres 
Herrn  gemessen  kann.  Amen!"  Der  Knotenmann  und  seine  Sippe 
weisen  als  personifizierte  Knoten  am  Baume  geradezu  auf  Baum- 
oder Waldgeister  als  Krankheitsgeister  hin. 

Aber  nicht  nur  als  krankheitspendende  Wesen  treten  diese 
Wald-,  beziehungsweise  Krankheitsgeister  in  den  Formeln  der  Sieben- 
bürger Sachsen  auf,  sondern  auch  als  heilspendend,  übelabwendend 
erscheinen  sie.  Eine  Verquickung  beider  Eigenschaften  enthält  das 
Verfahren  gegen  Blutungen  der  Beermutter  (Gebärmutter)  oder  all- 
zustarke menses,  das  ich  in  Urwegen  aufgezeichnet  habe:  Man 
wasche  den  leidenden  Teil  mit  Bosenwasser,  dem  pulverisierte 
Eichenrinde  beigemengt  ist :  während  man  das  gebrauchte  Wasser 
an  einen  Bauin  giesst,  spricht  man  die  Formel: 

Beermutter  sass  auf  marmeiuem  Stein, 
Kam  ein  alter  Mann  zu  ihr  herein. 
,,Beermutter,  wohin  willst  du  gehn?" 
Ich  will  zur  N.  N.  gehn, 
Ich  will  ihr  Blut  sehn, 
Ich  will  ihr  Herz  verzehren, 
Ich  will  ihr  Leben  nehmen. 
,.Beermutter,  dag  sollst  du  nicht,  tun, 
Du  sollst  im  marmelnem  Stein  ruhn. 
Die  Waldfrau  soll  dich  fressen, 
Als  wäret  du  nie  gewesen! 
Im  Namen  Gottes  usw.u 

Hier  tritt  nun  der  alte  Mann  nicht  als  Schädiger  auf;  im  Ge- 
genteil, ein  anderer  Waldgeist,  die  Waldfrau,  „frisst"  das  Uebel. 
Dass  diese  Waldgeister  auch  im  Besitze  von  Heilmitteln  sind,  ergibt 
sich  aus  einer  Sage,  welche  erzählt,  dass  einst  zwei  Waldmaide  ge- 
fangen und  ins  Dorf  gebracht  wurden.  Zuerst  entfloh  die  eine,  später 
die  andere.  Die  zuerst  entfliehende  rief  der  noch  zurückbleibenden 
zu:  «Lea,  Lea,  alles  sage,  nur  wozu  der  Dillsame  und  der  vier- 
blättrige Klee  ist,  das  sage  nicht!"  Beide  Kräuter  haben  im  Volks- 
glauben der  Siebenbürger  Sachsen  eine  zauberabwehrende  und  zau- 
bererstickende  Kraft.1) 

M  Vgl.  Auf.  Hemnanm  Aufsatz:  „Ueber  den  Höhencult  der  siebenb. 
Völker"  im  diesjährigen  Bande  der  ungarischen  Zeitschrift  für  Touristik 
und  Volkskunde  von  Siebenbürgen:  „Erdely"  s.  27. 


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2»5 


Als  helfende  Wesen  treten  uns  auch  die  drei  weissen  Frauen 
in  einer  inedierten  Formel  aus  Ratsch  entgegen.  Gegen  Ausschläge 
am  Leibe  wird  ein  Baumstamm  so  entzwei  gespalten,  dass  das  eine 
Ende  desselben  noch  lose  zusammenhängt;  durch  die  also  entstan- 
dene Spalte  muss  sich  der  Kranke  hindurchzwängen.  Nach  dem  Hin- 
durchzwängen  sagt  man  ihm  die  Formel  vor: 

Heüige  drei  Frauen 
Sollen  die  Wunden  schauen, 
Sollen  bei  mir  weilen, 
Bis  die  Wunden  heilen. 

Sollen  die  Wunden  im  wilden  Wald  verstecken. 

Damit  sie  dort  verrecken. 

Im  Namen  Gottes  usw.  Amen  ! 

In  einer  Formel  (hei  Roth)  zum  Blutstillen  tritt  nur  die  dritte 
der  drei  (sündigen)  Frauen  als  Helferin  auf.  Es  heisst: 

Ks  waren  drei  sündige  Frauen. 

Die  giengen  Blut  zu  schauen : 

Die  eine  sagt:  es  soll  gehn. 

Die  andre  sagt:  es  soll  stehn. 

Die  dritte  sagt:  Blut  steh  still, 

Das  ist  Gottes  Will1, 

Blut  mit  Blut.  Bein  mit  Bein, 

Halt'  fest  wie  Stein ; 

Sollt  nicht  bluten,  sollt  nicht  schwären, 

Bis  Mutter  Gottes  wird  ein  Kind  gebären. 

Dann  soll  man  die  Wunde  mit  der  Schürze  einer  feilen  Dirne 
verbinden. 

Ganz  in  derselben  Weise  wie  die  Waldgeister,  d.  h.  teils  übel- 
spendend,  teils  übelbenehmend,  treten  auch  die  Wassergeister  in  den 
Formeln  der  Siebenbürger  Sachsen  auf.  So  heisst  es  in  einem  Mittel 
zum  Blutstillen  bei  Roth  also:  Man  schreibe  mit  dem  Blute  die  Buch- 
staben I  N  B  1  auf  ein  Stückchen  Holz  und  werfe  dies  in  den  Brun- 
nen, wobei  man  spricht : 

Drei  Brunnent'rauen 

Wollen  Blut  schauen. 

Sie  sprechen  :  Blut  steh*  stille. 

Das  ist  Gottes  Wille! 

Aus  diesetn  Holz  war  das  Kreuz. 

Daran  .Jesus  hieng.  Amen! 

Gegen  die  Epilepsie,  welche  Roth  die  „schedelnde  Gottesstrat*" 
(schüttelnde  Gottesstrafe)  nennt,  teilt  er  das  folgende  .Mittel  mit:  Man 
gebe  dem  Kranken  jeden  Tag  vor  Sonnenaufgang  pulverisierte  Mäuse- 
gedärme ein  und  spreche  jedesmal  die  Worte:  „Drei  Brunnenfrauen 
wollen  dich  Mäuschen  fangen ;  kriech*  zu  einem  Loch  hinein,  zum 
andern  hinaus  und  nimm  die  sehedelnde  Gottesstraf  mit  dir:  trag  sie 
in  einen  Baum,  dort  soll  sie  wachsen  und  grünen,  sich  schütteln  und 
verdorren !" 


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27 


Gegen  die  Gelbsucht  wird  in  eine  ausgehöhlte  Gelbmöhre  uri- 
niert und  dann  dieselbe  in  den  Rauchfang  aufgehängt.  Als  ich  1886 
an  der  Gelbsucht  litt,  sprach  eine  „Büsserin"  aus  Ratsch  beim  Auf- 
hängen der  Gelbmöhre  in  den  Rauchfang  folgende  Formel:  „Drei 
gelbe  Frauen  nahmen  ihre  gelben  Aexte;  sie  nahmen  sie  in  ihre 
gelben  Hände;  sie  legten  sie  auf  ihre  gelben  Schultern;  sie  giengen 
auf  drei  gelben  Wegen;  sie  kamen  in  drei  gelbe  Wälder;  sie  hackten 
drei  gelbe  Bäume:  siegiengen  auf  drei  gelben  Wogen  und  kamen  zum 
gelben  Hofe;  aus  dem  gelben  Hofe  kamen  sie  in  die  gelbe  Stube; 
sie  kamen  zum  gelben  N.  N. ;  sie  schlugen  mit  den  drei  gelben  Bäumen 
die  gelbe  Gelbsucht  tot;  sie  schlugen  sie  im  Namen  Gottes  also  tot." 
Nun  warf  die  Frau  drei  Holzstücke  unversehens  über  mein  Haupt 
hinweg.  Erschrickt  dabei  der  Patient,  so  heisst  es:  die  Gelbsucht  fliehe 
aus  dem  Leibe.  Die  Gelbmöhre  ward  am  dritten  Tage  in  einen  Brun- 
nen geworfen,  damit  „die  Brunnenfrau  sie  fresse." 

Hat  man  eine  Eiterbeule  am  Fusse,  so  stelle  man  sich  —  berich- 
tete man  mir  in  Mühlbach  —  so  in  ein  fliessendes  Wasser,  dass  der 
wehe  Fuss  im  Wasser,  der  gesunde  aber  am  Ufer  sich  befinde,  und 
spreche  nun  die  Formel:  „Unser  Herr  Jesus  gieng  über  die  Brück", 
da  kam  der  böse  Ohm  und  biss  ihn  in  den  Fuss.  Böser  Ohm,  geh' 
in  den  Fluss;  Jesus,  mein  Herr,  heil'  meinen  Fuss!"  In  Girelsau  erfuhr 
ich,  dass  es  gut  sei,  eiternde  Geschwüre  (z.  B.  am  Finger)  in  einem 
Pferdeschädel  zu  baden  und  diesen  dann  der  „Bachfrau"  in  ein 
fliessendes  Wasser  zu  werfen.  Wären  wir  zu  gewagten  Deuteleien 
geneigt,  so  könnten  wir  dies  Verfahren  mit  dem  Glauben  mancher 
Völker  (z.  B.  unserer  Zigeuner)  an  pferdefüssige  Wassergeister  in 
einigen  Zusammenhang  bringen.  Interessant,  obwol  auf  Waldgeister 
Bezug  nehmend,  ist  das  Mittel,  welches  Roth  gegen  eiternde  Geschwüre 
(=  Ohm)  mitteilt:  Man  nehme  eine  Trompete,  halte  sie  über  das  Geschwür 
und  lasse  in  das  Instrument  hineinblasen.  Der  Leidende  spreche  unter- 
dessen: „Heiliger  Blasius,  du  frommer  Knecht,  tu  mir  Recht,  erhör" 
mein  Gebet,  treib'  in  den  Wald  meinen  Ohm!"  Ist  der  Leidende  eine 
Mannsperson,  so  blase  ein  Weib  in  die  Trompete  und  umgekehrt. 
Nach  dem  Hersagen  des  Spruches  aber  blase  die  betreffende  Person 
(nicht  die  leidende),  mit  der  Trompete  gegen  einen  Wald  gekehrt, 
einige  Stösse. 

Mit  der  Heilkraft  des  Wassers  hängt  auch  das  Verfahren  zusam- 
men, welches  Roth  gegen  „böse"  (=  wehe)  Augen  mitteilt :  Man  wasche 
das  kranke  Auge  am  Ostermorgen  mit  dem  Wasser,  das  man  aus 
zwei  sieh  kreuzenden  Gräben  schöpft.  Wäjirend  des  Schöpfens  spricht 
man:  „Der  heilige  Tobias  ist  blind  geworden  und  er  bat  Gott,  dass 
er  ihn  sehend  mache;  und  Gott  machte  ihn  sehend.  Da  bat  der  Heilige 
zu  Gott:  „Gib  mir  die  Kraft,  böse  Augen  zu  heilen,  Blindheit  zu  bre- 
chen!" Und  Gott  sprach:  „Wer  böse  Augen  hat,  der  blicke  auf  eine 
Schwalbe  und  spreche  deinen  Namen  aus!"  Wer  an  Augenweh 
leidet,  heisst  es  ferner,  der  rufe  beim  Anblick  der  ersten  Schwalbe 
im  Lenze  den  Namen  „Tobias"  oder  „Thomas"  aus  und  wische  sich 


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2« 

dabei  das  Auge  mit  einem  Kleidungsstück,  das  einer  Tobias  oder 
Thomas  genannten  Person  gehört1 

Die  Brunnenfrau  spielt  auch  eine  Rolle  im  Verfahren  bei  Herz- 
klopfen und  Herzkrämpfen,  welche  man  erhält,  wenn  man  mit  aus- 
gespreizten Armen  in  der  ofTenen  Tür  steht.  „Trist  (du)  auf  Judengrab 
oder  ungetauftes  Kindlein  sein  Grab,  bekomst  Hcrzgramp",  schreibt 
Roth  und  empfiehlt  als  Mittel  dagegen  folgendes  Verfahren:  Man  lege 
sich  der  Länge  nach  rücklings  auf  den  Hasen,  lasse  die  Körperlänge 
und  Breite  am  Hasen  bezeichnen  und  dann  denselben  fingerdick,  wo 
möglich  in  einem  Stück,  mit  dem  Spaten  abgraben.  Diesen  von  seiner 
Stelle  gehobenen  Rasen  werfe  man  vor  Sonnenaufgang  in  einen  Bach 
und  spreche:  „ Brunnenfrau,  Brunneufrau,  nimm  mir  das  Wasser  vom 
Herzen;  ich  gebe  dir,  was  mir  unter  dem  Herzen  lag."  Es  scheint 
also  auch  bei  den  Siebenbürger  Sachsen,  wie  bei  den  Magyaren,  be- 
züglich der  Herzkrärnpfe  und  auch  des  Schluchzens  der  Glaube  zu 
herrschen,  dass  diese  dann  entstehen,  wenn  ein  Tropfen  Wasser  oder 
Blut  sich  aufs  Herz  lässt  und  dort  hängen  bleibt.  Im  Burzenland, 
weiss  ich,  glauben  die  sächsischen  Bäuerinnen,  dass  eine  Schwan- 
gere Blut  nicht  sehen  darf,  sonst  bekommt  sie  Herz-  und  Magen- 
krämpfe. Was  den  oben  erwähnten  Wassertropfen  anbelangt,  so  wäre 
damit  zu  vergleichen  der  deutsche  Glaube:  „Geht  man  zwischen  den 
abgesetzten  Eimern  einer  Tracht  Wasser  hindurch,  so  bekommt  die 
Trägerin  oder  der  Träger  des  Wassers  den  Hartspann  =  Herzspan- 
nung" (Fri<chbier,  Hexenspruch  u.  Zauberbann,  S.  66). 

Spuren  von  Opfern,  dargebracht  den  Wassergeistern,  um  sie 
günstig  zu  stimmen,  finden'  wir  auch  bei  den  Siebenbürger  Sachsen. 
..De  irscht  Hangt  wirft  em  än  de  Bach*"  (die  ersten  Hunde  wirft  man 
in  den  Bach),  sagt  ein  allgemein  verbreitetes  Sprichwort  der  Sieben- 
bürger Sachsen.  Man  glaubt,  dass  eben  die  ersten  Jungen  einer  Hün- 
din rasend  werden.  Eine  Sage  aus  Kelling  berichtet,  dass  man  zu 
Zeiten,  wann  viele  Hunde  wütend  wurden,  ein  kleines  weisses,  zottiges 
Hündchen  dem  Buch  entsteigen  sah,  das  alle  anderen  Hunde  biss. 
Schlug  man  nach  ihm.  so  war  es  auf  der  Stelle  verschwunden  und 
wurde  oft  schon  in  demselben  Augenblick  im  nächsten  Dorfe  gesehen. 
Das  Hündchen  ist  hier  also  gleichsam  der  ausgeschickte  Rächer  der 
Wassergeister.  Indirect  spricht  hiefür  ein  wichtiges  Heilverfahren  bei 
Hundswut.  welches  Roth  mitteilt  und  das  nebenbei  auch  auf  den 
siebenbürgisch-sächsischen  Namen  eines  Wassergeistes  einiges  Licht 
wirft.  Vorerst  aber,  der  Vollständigkeit  halber,  ein  anderes  Verfahren. 
Gegen  den  Biss  des  tollen  Hundes  soll  man  Mensch  oder  Vieh,  be- 
richtet Roth,  neun  Tage  hindurch  spanische  Fliegen  (Canthariden) 
eingeben  und  zwar  am  ersten  eine,  am  zweiten  zwei,  am  dritten  drei 
usw.  Diese  spanischen  Fliegen  wickele  man  jedesmal  in  einen  Zettel 
und  verschlinge  sie  sammt  dem  Papier.  Auf  diese  Zettel  schreibe 
man:  „Heiliger  Kristof,  hilf  meiner  Not!  Pater,  fili,  spiritus!*.  .  . 

')  Teber  die  Macht  des  Namens  vgl.  Kr.  Xyrop,  Navnets  Magt;  Separat- 
abzug aus  ,.Mindre  Af  handlinger" :  Kopenhagen  18H7. 


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•2J» 


Auch  heutigen  Tages  ist  diese  Formel  den  Besprechen!  in  der  Her- 
mannstädter Gegend  bekannt ;  nur  geben  sie  den  von  einem  tollen 
Hunde  Gebissenen  die  Canthariden  mit  gedörrtem  Wieselfleisch  ein. 
Und  dies  teilt  auch  Roth  im  zweiten,  für  uns  bedeutsameren  Verfah- 
ren mit.  Gedörrtes  Wieselfleisch,  pulverisierte  Canthariden  und  Hanf- 
samenblüten werden  zu  gleichen  Teilen  zu  einem  Brei  gekocht,  dem 
Gebissenen  dreimal  täglich  neun  Tage  hindurch  eingegeben.  Sobald 
der  Kranke  urinieren  will,  muss  er  dies  in  fliessendem  Wasser  vor- 
nehmen und  im  Bache  stehend,  die  Worte  sagen:  ,Gräsnaku,  nimm 
meine  Hund ;  geb'  sie  dir  zurück,  mach'  mich  gesund.  Im  Namen 
Gottes  usw.  Amen!"  ...  Es  herrscht  auch  bei  den  Siebenbürger 
Sachsen  bezüglich  der  Hundswut  die  in  meinem  Heimatlande,  Sieben- 
bürgen, unter  allen  Völkerschaften  verbreitete  Ansicht,  dass  der  Ge- 
bissene unter  der  Zunge  winzig  kleine  Hunde  bekomme  und  sobald 
diese  die  Augen  aufsperren,  er  sterben  müsse:  man  kann  diese  Hünd- 
chen aber  mit  dem  Urin  abtreiben,  Roth  schreibt  auch  am  Schluss 
der  mitgeteilten  Heilmittel:  „Dann  gehnd  die  Hündchen  mit  dem 
Bisch  weg  ..." 

her  in  oben  mitgeteilter  Formel  erwähnte  Grtimnht  ist  eine 
vielumstrittene  Gestalt  der  siebenbürgisch-sächsischen  Volkskunde 
gewesen.  Das  Volk  selbst  kann  über  diese  Gestalt  keine  genügende 
Auskunft  mehr  geben.  Jlränzäinjdich  Gräsnaku!*"  (grünzähniger  Gr.) 
ist  eine  beliebte  Schelte.  Ich  habe  mich  hierüber  in  meinem  eingangs 
erwähnten,  im  Druck  befindlichen  Werke  ausgesprochen  (S.  IM  ff.) 
und  erwähne  hier  nur  kurz,  dass  das  Wort  eine  Zusammensetzung 
aus  yrds  oder  yrasz  (grass,  finster)  und  n<ikn  ist,  worin  -  wie  schon 
Schuster  erklärt  —  der  Begriff  des  Wassergeistes  stecken  muss.  Zu 
naku  vgl.  das  detitsche:  nikel,  nix  usw.  Dies  Wort  kommt  aber  auch 
in  der  Form  Grasznikd  vor.  Td  yränzünijtlich  G  raszniekrt !  war  eben 
das  Lieblingsschimpfwort  meines  seligen  Grossvaters,  mit  dem  er  mich 
zu  beehren  pflegte.  Im  Gräsnaku,  Grasnikel,  Grassnaku  usw.  steckt 
entschieden  also  der  Begrilf  eines  Wassergeistes,  der  auch  im  fol- 
genden Beim  aus  meiner  Kinderzeit  eine  verkappte  Bolle  spielt: 


Grassnaku.  Grassnaku, 
Hu,  hu,  hu! 

Ali  «ler  Büch  platscli.  platsch! 

An  den  Orsch  niech  matsch,  matsch! 


Gr.  Gr.. 
Hu,  hu,  hu! 

Im  Bache  platsche,  plätschere! 
In  den  mich  küsse! 


* 

Mit  diesem  Beim  neckten  "wir  die  Lumpensammler,  die  in  den 
damals  noch  unbedeckten  Kanälen  von  Kronstadt  ihrem  Geschäfte 
oblagen. 

Welche  Bolle  Baum  und  Wald  in  den  Heilmitteln  und  Heil- 
sprüchen der  Siebenbürger  Sachsen  spielen,  zeigen  z.  B.  die  fol- 
genden Verfahren : 

Geyen  Hmlmanschirelluny,  Syphilis  („schlechte  Krankheit,  Fran- 
zosen44 genannt)  gebraucht  man  innerlich  Steinöl,  äusserlich  Queck- 
silbereinreibungen. Roth'*  Becept  besteht  im  Folgenden :  Der  Kranke 
lege  sich  auf  eine  Totenbahre  (Totenbrett)  und  lasse  sich  mit  Pferdc- 


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mist . 1 )  drm  Oel  beigemengt  ist,  den  Körper  einreiben.  Dies  nehmt' 
er  an  einem  Freitag  vor;  enthalte  sich  aller  Speisen  und  Ge- 
tränke,  und  trinke  nur  Terpentinöl.  Vor  Sonnenaufgang  lege  er  sich 
auf  die  Mahre  und  erhebe  sich  davon  erst  nach  Sonnenuntergang : 
dabei  spreche  er  das  „Gebetehen"  :  .Der  hl.  Lazarus  lag  am  Kreuz 
weg,  kam  da  eine  schwarze  Frau  und  spie  ihn  an;  ward  da  wundi; 
sein  Leib:  kam  da  eine  weisse  Frau  und  kiisste  ihn;  ward  da  glatt 
sein  Leib.  Heiliger  Lazarus  bete  für  mich,  damit  mich  die  weis*»' 
Fiau  küsse  und  mein  wundiger  Leib  glatt  werde;  im  Namen  Gottes. 
de>  Sohnes  und  hl.  Geistes  also  geschehe  es!  Amen!"  Drei  Freilagr 
hindurch  hat  der  Kranke  diese  Kur  vorzunehmen,  deren  zireiter  Tai 
»in  für  die  Volkskunde  bedeutsames  Heilverfahren  bildet,  das  mit  der 
Macht  des  Xamens  zusammenhängt  (vgl.  Kristoffer  Xurop,  Xavneb 
Magt.  Seperatabdr.  aus  ..Mindre  Afhandlinger"  herausg.  v.  d.  ph. 
bist.  Ges.  in  Kopenhagen  1887).  Der  Kranke  muss  nämlich  an  einem 
jeden  der  drei  Sonntage  während  des  Kirchengeläutes  auf  seinr 
l'ntcrhose  mit  seinem  eigenen  Rlute  seinen  Namen  schreiben  (.ist 
dies  a in  teilTlisch  Krankhait"  bemerkt  hiebei  Roth)  und  diese  lrnter- 
hose  an  einen  Raum  hängen  und  sie  daselbst  für  immer  zurü«'k 
lassen  (s :  It.  Andrer,  Kthn.  Raralellen  und  Vergleiche  S.  58  üt»er 
Lappenhäume :  und  Syrop  Dania  1,  2  IT.):  seinen  Namen  aber  dar* 
er  während  dieser  ganzen  Kurzeit  nicht  anderweitig  schreiben. 

Eine  Formel  gegen  die  linse  oder  den  Rotlauf  aus  der  Her 
mann<tädter  Gegend  lautet : 

Ks  sitzen  drei  Jungfern  auf  einem  Marmelstein. 

Die  eine  heisset  „Weisse",  die  andere  „Grüne",  die  dritt1  „Röselein  ~ 

Sie  gierigen  über  die  grüne  Brück", 

I)ie  Rose  blieb  bei  N.  N.  zurück. 

Nun  weinen  die  anderen  beiden 

Und  klagen  in  ihrem  Leiden. 

Komm  Kose,  ich  führ'  dich  zu  ihnen  zurück! 

hn  Namen  Gottes  usw 

Heim  Hersagen  «lieser  Formel  verneigt  man  sich  vor  einem 
Rosenstrauch,  nachdem  man  vorher  den  leidenden  Körperteil  mit 
einem  Fuchsschwanz  einige  Mal  abgerieben  und  einige  Fuchshaare 
an  den  Strauch  gebunden  hat. 

Oder  man  soll  dem  Kranken  eine  getrocknete  Fuchszuuge  ai: 
einem  roten  Hände  um  den  Ha^  hängen  (vgl.  die  Ztsehr.  .Am 
l'i(juell*  1.  S.  34)  und  spreche  dabei.  Heute  rot.  morgen  tot.  »lies 
i-t  Gottes  heilig  Gebot,  für  mich,  für  dich,  für  uns  alle,  und  auch 
für  dich.  Ro»e.  Ris  morgen  sei  du  tot!  sonst  dörre  ich  dich,  mahle 
ich  dich,  backe  ich  dich  und  gebe  ich  dich  den  Hunden  zu  fressen.* 
Nach  drei  Tagen  gebe  man  diese  Fuchszunge  einem  Hunde  zu 
fressen  (Roth). 

S.  mein  Werk:  „Aus  dem  innern  Leben  der  Zigeuner44  (Berlin.  1&1 
Feiher)  S.  25;  und  mein  Werk:  ..Aus   dem  Volksleben  der  Magyaren"  Mün 
ehen,  lSi«  .  Huttier;  8. 


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Oder  man  haucht  die  Rose  des  Leidenden  kreuzweise  an  und 
spricht  dabei  die  Formel : 

Die  Rose  und  die  Weide(n), 
Sie  kämpfen  und  streiten ; 
Die  Weide  gewann. 
Und  die  Rose  verschwand! 

(vgl.  Frhrhhier  S.  83;  Prahn  u.  a.  0.  S.  193.)  Nachfolgende  For- 
mel scheint  mir  unter  magyarischem  Kiufluss  entstanden  oder  gar 
aus  dem  Magyarischen  entlehnt  zu  sein,  weil  eben  von  den 
Magyaren  die  Rose  „Szent  Antal  tüze"  =  Feuer  des  heiligen  An- 
tonius genannt  wird  : 

Reiliger  Antonius  in  deinem  brennenden  Kleid. 

Helte  du  mir  in  meinem  Leid  ! 

Bei  Christi  heiligen  fünf  Wunden 

Iass'  mich  von  deiner  Krankheit  gesunden! 

Im  Namen  usw. 

mit  diesen  Worten  bestreut  man  allabendlich  die  kranke  Stelle  mit 
feinem  Mehl.  In  der  Kronstädter  Gegend  legt  man  dies  Mehl  in  ein 
Säckchen  und  gibt  dasselbe  über  Nacht  auf  den  leidenden  Körper- 
teil :  am  nächsten  Tage  aber  bindet  man  heimlich  das  Säckchen  an 
einen  solchen  Wagen,  der  um  Holz  in  den  Wald  fährt,  damit  er 
„die  Krankheit  in  den  Wald  nehme."  Der  „Wald"  wird  auch  in  einer 
anderen  Formel  aus  Zeiden  erwähnt:  „Ich  gieng  durch  einen  roten 
Wald.  Und  in  dem  roten  Wald  fand  ieh  eine  rote  Kirche. 
Und  in  der  roten  Kirche  stand  ein  roter  Altar.  I  nd  auf  dem  ro- 
ten Altar  lag  ein  rotes  Brot.  Neben  dem  roten  Brot  lag  ein  rotes 
Messer.  Nimm  das  rote  Messer  und  schneide  das  rote  Brot.  Im 
Namen  Gottes.  Nun  ist  der  Rotlauf  tot."  Iliebei  berührt  der  Kranke 
mit  einem  neuen  Messer  die  leidende  Körperstelle  und  sticht  dann 
das  Messer  einige  Mal  in  den  Erdboden,  gleichsam  als  wollte  er 
sein  Leid  der  Knie  übergeben."  (vgl.  die  Ztschr.  „Am  Urquell"  1.  S. 
154:  ..Ztschr.  d.  Ver.  f.  Volkskunde",  I.  S.  207). 

(injtn  die  tichöl,  weisse  Blasen  am  Munde.  Wenn  Kinder  die 
School  bekommen,  führt  sie  die  Mutter  entweder  drei  Morgen  oder 
morgens,  mittags  und  abends  um  einen  Holunderstrauch  dreimal 
herum  und  spricht  dreimal  : 

Holunderstrauch,  du  elender  Hund, 
Mein  Kind  hat  die  School  am  Mund: 
Nimmst  du  sie  ihm  his  morgen  nicht  weg. 
So  verreck'!  Im  Namen  etc. 

(aus  Zeiden:  vgl.  Haltrich-WolJ) '  S.  2ti7.  Was  den  Ausdruck  »//(/«/an- 
belangt, wäre  die  im  Böhmerwald  gebräuchliche  Benennung  Srhäl  =  Drü- 
sengeschwulst damit  verwandt ;  s.  „Zeitschr.  d.  Ver.  f.  Volksk.M.  S.  205, 
Die  Formeln  gegen  Zahnschmerzen  hängen  auch  mit  dem  „Baum" 
zusammen.  Hoth  führt  folgende  Formel  an;  ..Herr  Petrus  sass  auf 
einem  Stein  und  hielt  sich  die  Backe  in  der  Hand.  Kam  da  Maria 
und  fragte  ihn:  „Petrus,  was  tuet  dir  weh?"  —  „0  Mutter  Gottes, 


:-i2 


der  Wurm  grabt  in  meinem  Zahn  !**  —  Sprach  da  Maria  lieb  : 
„Wurm,  ich  beschwöre  dich  bei  Gott  Vater,  Gott  Sohn,  Gott  heiligen 
Geist,  du  sollst  von  hinnen  weichen  und  dem  Petrus  und  dem  X.  N. 
im  Zahne  nicht  graben!  Dies  ist  mein  Wille!  Amen!*"  (vgl.  Zingerle 
a.  a.  0.  S.  175).  Dabei  soll  man  —  fügt  Roth  hinzu  —  „ain  neu 
Nagel  in  ain  Baum  schlagen,  hilft  sicher."  —  Der  Vollständigkeit 
halber  mögen  hier  noch  einige  Heilverfahren  bei  Zahnschmerz 
stehen : 

Um  von  anhaltenden  Zahnschmerzen  für  immer  frei  zu  wer- 
den, beisse  man  während  des  Geläutes  in  den  Strang  der  Kirchen- 
glocken und  spreche: 

Die  frei  (?)  Messen  siud  gesungen, 

Die  Glocken  haben  geklungen, 

Das  Evangelium  ist  gelesen, 

Der  Wurm  in  meinen  Zähnen  soll  verwesen. 

(Roth;  vgl.  Schuster  S.  301,  Nr.  153;  Frischbier  S.  101.)  —  Hei 
Neumond  spreche  man,  den  Zahn  anpackend :  „Tu  ich  dich  Mond 
wieder  ansehn,  Soll  mein  Zahnweh  vergehn!"  d.  h.  bis  ich  morgen 
dich  wiedersehe,  soll  mein  Zahnschmerz  vergangen  sein.  —  Man 
bohre  ein  Loch  in  einen  Haum,  stelle  sich  hin.  kaue  mit  dem  wehen 
Zahn  ein  Brotstück,  die  Hälfte  schlucke  man.  die  andere  Hälfte 
aber  speie  man  ins  Bohrloch  und  spreche  :  „Baum,  ich  gebe  dir  die 
Hälfte  von  dem,  was  ich  habe;  nimm  mir  ab  den  ganzen  Schmerz 
und  führe  ihn  zur  Knie  nieder!"  (Aus  Agnethlen.) 

Einen  grossen  Teil  der  Krankheiten  schreibt  auch  der  sieben- 
bürgiseh-sächsischc  Volksglauben  den  Würmern  zu.  Man  gibt  den 
Kindern  gegen  die  Würmer  eine  Abendmahlhostie  zu  essen  und 
spricht  dabei  : 

•lerusalem,  du  heilige  Stadt. 
Darinnen  Jesus  gekreuzigt  ward: 
Er  vergoss  für  uns  sein  heilig  Blut, 
Das  ist  auch  für  Würmer  gut  ! 

(Roth  ;  vgl.  Prahn  a.  a.  0.  S.  195.)  In  Grossan  spricht  man  den 
Segen:  „Hieb  lag  auf  dem  Mist,  kam  da  Jesus  Christ.  Hiob  sprach: 
Gott  hat  mich  vergessen,  die  bösen  Würmer  wollen  mich  fressen  ! 
Jesus  sprach  :  Sie  seien  alle  tot,  ob  schwarz,  ob  weiss,  ob  rot.  Im 
Namen  Gottes,  Amen!"  Oder  man  vergräbt  den  Auswurf  der  betref- 
fenden Person  oder  des  Tieres  unter  einen  Holunderstrauch  und 
spricht  dabei: 

X.  X.  hat  ein  grosses  Kreuz, 

Würmer  fressen  ihm  Blut  und  Schweis»! 

O,  du  lieber  Jesus  Christ, 

Der  du  im  Himmel  bist! 

Hast  dem  Lazarus  geholfen  im  Leid, 

Sei  dem  N.  N.  zur  Hilfe  bereit! 

(aus  Neppendorf.)  —  In  meiner  Kinderzeit  band  man  in  Kronstadt 
dem  Kinde  gegen  die  Würmer  über  Nacht  ein  Stückchen  Speck  auf 


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den  Kürzel,  um  die  Würmer  hervorzuloeken.  Am  näehsten  Tage 
warf  man  den  Speck  in  ein  Gestrüpp  und  sprach  dabei  die  Worte: 
„Würmer  weiss  oder  rot,  Seid  bis  Abend  tot !  Im  Namen  Gottes . 
usw!"  In  Kronstadt  wohnte  damals  in  unserer  Nachbarschaft  eine 
gewisse  Elisabeth  Heiner,  die  für  eine  grosse  ..Büsserhr  gegen  die 
Würmer  galt,  so  dass  selbst  die  angesehensten  Familien  der  Stadt 
ihre  Kinder  zu  ihr  hinführten,  wenn  dieselben  der  Meinung  der 
Kitern  gemäss  an  Würmern  litten.  Selbst  Krämpfe  aller  Art  werden 
den  Würmern  zugeschrieben. 

(Segen  Krämpfe  ritze  man  sieh  mit  einer  neuen  Nadel  ein 
Kreuz  auf  die  Brust  und  rufe:  „Du  verfluchter  Teufelsirurm,  geh' 
heim,  deine  Mutter  liegt  im  Sterben"  (Mühlbach  ;  vgl.  Frischbier  S. 
73.)  Roth  schreibt:  „Hat  dain  Vieh  oder  Mensch  di  Gräm  f.  so  tu 
auf  ein  Zedel  schreiben:  Hoinines  ä  jument  Sul  av  bis  Domine 
quaemad  modum  multiplizicasti  miseri  cordiam  Deus  .  .  .  Die  Zedel  . 
gib  ein  zu  essen  .  .  ."  1 

Auch  der  Firrich,  Fiäricht,  bisweilen  auch  Firdgel  {Feuerigel) 
genannt,  ist  ein  Wurm,  der  im  Leibe  Hitze  und  die  Kolik  verur- 
sacht. Bei  diesem  Lehel  soll  man  Knie  mit  Kssig  wärmen,  und  die- 
selbe dann  und  in  einem  Säekchen  dein  Kranken  auf  den  Bauch  legen. 
Nach  seiner  Heilung  hat  der  Kranke  dies  Säckehen  in  den  Erd- 
boden einzugraben  und  die  Formel  zu  sprechen : 

Fierich,  tierich  #eh"  in  die  Erd' 

Zu  einem  Donnerstein  werd: 

Beim  Teufel  seh'  das  Sonnenlicht, 

Wenn  seine  Grossmutter  -lieh  t'risst.  diothj 

Nach  dem  Urteil  des  sächsischen  Volkes  fährt  bei  jedem  einschla- 
genden und  nicht  zündenden  Blitz  ein  sog.  Doiinerstein  dermassen 
tief  in  die  Erde,  dass  er  erst  im  neunten  .Jahre  nach  dem  Einschla- 
gen wieder  auf  der  Erde  zum  Vorschein  kommt.  „In  den  Augendes 
gewöhnlichen  Mannes  sind  die  Donnersteine  nicht  Erzeugnisse  von 
Menschenhand,  sie  sind  ihm  Boten  des  Himmels,  l  ud  darum  kön- 
nen sie  nicht  in  der  Erde  Sehoss  bleiben ;  als  Boten  des  Lichts 
rücken  sie,  nach  oben  strebend,  jedes  Jahr  eine  gewisse  Strecke 
aufwärts"  {Haltrich-Woljf  S.  2(55)).   Eine  Formel  aus  Grossau  lautet: 

Alte  Frau  —  alte  Katz', 
Trink  dies  («laschen  Schnaps! 
Barmutter,  lassr  dein  Gekratz! 

(vgl.  Ammann  a.  a.  0.  S.  206).  Oder  es  streichelt  Jemand  des  Lei- 
denden Unterleib  und  spricht  dabei : 

1  Ist,  wie  ich  soeben  bemerke,  eine  Entstellung  der  Psalmenworte  85. 
7 — 8:  homines  et  jumenta  salvabis  Domine:  quemadmodum  multiplicasti 
misericordiam  tuam,  Deus  .  .  .  S.  K.  Köhler  in  F.  S.  Kraus*'  Ztschr.  „Am 
Ur-Quell"  II.  S.  27. 

Ethnol.  Mittoil.  «.  Ungarn  III.  3 

t 

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84 


Wehmutter,  Bermutter. 
Du  willst  Blut  lecken. 
Das  Herz  abstossen. 
Die  Glieder  recken. 
Die  Haut  strecken! 
Darfst  es  nicht  tun. 
Du  musst  ruhn 
Im  Namen  Gottes  usw. 

(aus  Kronstadt:  vgl.  Frischhier  S.  70.  Nr.  2). 

Kommt  bei  einer  Wöchnerin  die  Nachgeburt  nicht  zum  Vor- 
schein, so  heisst  es.  „die  Würmer  lassen  sie  nicht  heraus,"  und 
man  räuchert  die  Krau  mit  einem  Stückchen  Hasenfell.  Oder  man 
reibt  den  Wöchnerin  den  Leib  mit  Olivenöl  und  spricht  dabei  die 
Formel  : 

Bürmutter,  du  bist  leer, 
Bärmutter  geh'  von  her  (hier), 
Geh'  in  den  schwarzen  Berg, 
Geh'  in  den  weissen  Berg. 
Geh'  in  den  kalten  Berg. 
Geh'  in  den  heimsen  Borg. 
Bärmutter,  geh'  von  her! 

In  Keps  ist  es  Hrauch.  dass  man  eine  solche  Wöchnerin  auf  die 
kahle  Krde  legt,  mit  einem  Messer  über  ihren  Unterleib  das  Zeichen 
des  Kreuzes  macht  und  dann  obige  Formel  hersagend,  das  Messer 
drei  Mal  in  den  Erdboden  sticht  und  zwar  ein  Mal  vor  der  Tür- 
schwelle, das  zweite  Mal  vor  dem  Tore  und  das  dritte  Mal  aal 
einem  Kreuzwege.  Hei  der  Heimkehr,  spreche  man  vor  dem  Hause 
die  Worte:  „Donner  und  Hlitz  sollen  euch  Würmer,  im  Wald 
trocknen,  dörren  und  mahlen  !  Im  Xatnen  Gottes  usw.44  In  manchen 
(legenden  des  Sachsenlandes  steckt  man  noch  vor  der  Geburt  den» 
Weibe  einen  Stengel  vom  Donnerkraut  (Hauswurz,  sempervivum  tec- 
torum)  ins  Lager,  damit  die  „Härmutter  nicht  von  Würmern  leide.4* 
Cieffen  Ohrenschmerz  stecke  man  ein  Blatt  vom  Donnerkraut 
(Hauswurz,  sempervivum  tectorum)  ins  Ohr  und  spreche: 

Christus  fuhr  über  das  Meer, 
Da  kam  der  Sturm  daher. 
Dich  Kraut,  steckte  er  ins  Ohr 
Und  war  unversehrt ! 
Im  Namen  usw. 

Der  Ohrenschmerz  entsteht  auch  durch  einen  Wurm,  der  in  diesem 
Körperteil  „wühlt." 

Gegen  Kopfschmerz  uriniere  man  in  einen  IMerdeschüdel  (His- 
trizer  liegend).  In  Sächsisch-Kegen  und  Tekendorf  spricht  man  da- 
bei die  Worte : 

Würmer,  aus  meinem  Hirn. 

Hier  sollt  ihr  tanzen  und  spielen. 

Hier  sollt  ihr  krepieren. 

80  will  es  mein  Herr.  .Jesus  Clni-t!  Amen. 


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Oder  man  lasse  sich  den  Kopf  mit  Essig  einreiben  und  die  Formel 
sprechen :  „Jesus  sass  an  marmernem  Stein,  Er  war  traurig  und 
allein.  Kam  da  Maria  gegangen,  hielt  ihren  Sohn  umfangen.  „Ich 
will  dich  umgreifen,  ich  will  dein  Weh  abschleifen,  ich  will  dir 
büssen,  ich  will  dich  bessern,  ich  will  dein  Weh  zerschmettern! 
Vater,  im  Himmel  erhöre  mich!"  (Roth,  vgl.  Schuster  S.  308). 

Interessant  ist  die  Formel,  welche  Roth  gegen  Schlanyenbis* 
mitteilt,  weil  darin  der  Leind  (Lindwurm)  vorkommt.  Sie  lautet: 
„Der  Leind  kam  und  hiss  in  die  Haut;  durch  die  Haut  ins  Fleisch; 
durch  das  Fleisch  ins  Blut ;  durch  das  Blut  in  die  Lunge ;  durch 
die  Lunge  ins  Herz;  durch  das  Herz  in  die  Lunge;  durch  die  Lunge 
ins  Blut ;  durch  das  Blut  ins  Fleisch :  durch  das  Fleisch  in  die 
Haut :  durch  die  Haut  in  sich  selbst  und  also  verreckte  er,  der  N. 
N.  ward  heil  durch  Christi  Gnade  !  Amen  !"  (vgl.  „Am  Urquell"  II, 
S.  75).  —  Eine  Formel  aus  Klein-Kopiseh  lautet: 

Die  Schlange  sticht. 

Christus  spricht; 

Christus  hat  dies  gesprochen : 

„Diese  Schlange  hat  nicht  giftig  gestochen!-' 

(vgl.  Frischbier  S.  88.) 

Welche  bedeutsame  Bolle  auch  im  Heilverfahren  der  Sieben- 
bürger Sachsen  menschliche  Körperteile  (Nägel,  Haare,  Blut  usw.) 
spielen,  können  wir  aus  Folgendem  .ersehen  : 

Geyen  starken  Nasenhluten  schreibe  man  auf  einen  Baum  die 
Buchstaben:  u  P  u  L  u  (Roth;  vgl.  die  Ztschr.  „Am  Ur-QuelT  II. 
S.  177).  Allgemein  bekannt  ist  das  Mittel,  dass  man  starkes  Nasen- 
bluten durch  festes  Umwickeln  des  linken  kleinen  Fingers  mit  einem 
Zwirnfaden  stillen  kann.  —  Oder  man  grabe  ein  Loch  in  die  Erde, 
lasse  einige  Tropfen  Blut  aus  der  Nase  hineinrinnen,  und  das  Loch 
dann  zuscharrend  spreche  man:  „Dir  geh'  ich  Erde,  mein  Leiden!** 

Geyen  den  Schlayßuss  w  ird  der  vom  Schlage  Getroffene  auf  die 
Erde  hingelegt  und  die  Besprecherin  giesst  aus  der  Höhe  je  einen 
Wasserstrahl  auf  sein  Haupt,  seinen  Bücken,  seine  Beine  und  Arme 
und  spricht  dabei  jedesmal: 

Der  Schlag  und  der  Mord. 
Die  gingen  an  einen  dunklen  Ort: 
Der  Schlag  und  iler  Mord  fiel  nieder, 
Jesus  kommt  und  hilft  uns  wieder. 

(Aus  Grosspold;  vgl.  Frischbier  S.  87).  Ein  anderes  Mittel  besteht 
aus  folgendem  Verfahren  :  Man  schreibe  mit  dem  Blute  des  Kranken 
auf  einen  Zettel:  „O  crux  admirabilis,"  auf  den  anderen :  „evacuatio 
corporis,"  auf  den  dritten  „restauratio  vigoris"  (vgl.  Ostr.  r.  Zinyerle 
a.  a.  O.  S.  175);  diese  drei  Zettel  lege  man  auf  den  gelähmten 
Körperteil  des  Kranken  und  schlage  mit  einem  „groben  Linnen"  so 
lange  drauf  los,  bis  die  Zettel  in  Stin  ke  zerreissen:  während  des 
Schlagens  rufe  man  beständig  die  Worte:   „Jehovnh,   grosser  Gott. 

3' 


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hast  Zions  Mauern  gestürzt;  hast  den  N.  N.  gestürzt:  die  Mauern 
kann  man  erbauen,  den  N.  N.  kannst  nur  du  heilen!  Jehovah !" 
Dies  wiederhole  man  von  einem  Neumond  bis  zum  anderen  tag- 
täglich abends  und  in  der  Frühe  (Roth), 

Auch  bei  der  Wassersucht  kommen  Körperteile  in  Anwendung: 
man  sehneidet  von  jedem  Nagel  der  Hand  und  des  Fusses  ein 
Stückeheil  ab,  nimmt  dazu  einige  Haupthaare  des  Kranken,  bindet 
dies  Alles  in  ein  Söckchen  und  wirft  es  in  ein  Iiiessendes  Wasser, 
wobei  man  spricht:  „Nimm  meine  Krankheit  mit  lieber  Christ, 
darum  ich  bitt!"  (Mediaseher  Gegend,  vgl.  ..Arn  Urquell"  I,  S.  III). 
--  Wachholderbeeren  mit  pulverisierten  Krebsschalen  gekocht,  soll 
man  dem  Kranken  eingeben,  den  Urin  desselben  aber  stets  in  flies  - 
sendes  Wasser  giesscn  und  dabei  sprechen  :  „Christus  fuhr  mit 
Petrus  übers  Meer,  versanken  im  Wasser  beide:  kam  ein  grosser 
Fisch,  verschlang  das  grosse  Wasser  und  beide  waren  heil !  Kleiner 
Fisch,  komm'  und  verschling*  dies  kleine  Wässerlein  und  mache  den 
N.  N.  heil!  Im  Namen  Gottes  usw.!"  (Roth). 

Bevor  wir  zu  den  Formeln  gegen  Feind,  Neid  und  Wetter,  und 
den  sogenannten  Reisesegen  und  dem  Flnf'hann  übergehen,  wollen  wir 
hier  noch  einiges,  bislang  unbekannte  aus  dem  Heilverfahren  der 
Siebenbürger  Sachsen  mitteilen. 

Geyen  Sommersprossen.  Siebt  man  im  Frühjahr  die  eiste 
Schwalbe,  so  soll  man  sich  schnell  waschen  oder  wenigstens  das 
Waschen  nachahmend,  das  Gesicht  mit  den  Händen  reiben  und  rufen  : 

Sprossen.  Sprossen,  Sommersprossen, 
Sind  in  mein  Gesicht  geschossen ! 
Schwalbe  ist  gekommen, 
Hat  sie  weggenommen. 

Oefteres  Waschen  des  Gesichtes  mit  dem  Saft  der  Gurken,  gilt  für 
ein  unfehlbares  Mittel;  ebenso  das  Verschlucken  von  einigen  Linsen 
und  zwar  täglich  auf  .nüchternen"  Magen. 

Geyen  Impotenz  trinke  man  Wein,  in  den  man  Fischlaich  ge- 
kocht hat  (Burzenland). 

Geyen  Unfruchtbarkeit  soll  man  dem  Weibe  die  getrockneten 
und  zu  Pulver  geriebenen  Genitalien  eines  Fuchses  in  Eselsmileh 
zu  trinken  geben  (vgl.  .Am  Urquell"  I.  S. 

Fast  allgemein  verbreitet  ist  das  Mittel  gegen  die  Trunksucht  : 
Man  soll  eine  Kröte  zu  Pulver  verbrennen  und  dies  Pulver  dem 
Betreffenden  ins  Getränk  mischen  (vgl.  „Am  Urquell"  l,  S.  136)  ; 
oder  man  brennt  Haselnusswurzeln  und  Kürbissblüten  zu  Asche  und 
mischt  diese  ins  Getränk  (Kronstadt). 

Geyen  die  Pest  wird  in  Roth's  Handschrift  der  Bat  erteilt  ein 
kupfernes  Täfelchen  am  blossen  Leibe  zu  tragen,  auf  welches  man 
die  Worte  zu  ritzen  hat:  Wate,  du  nakfe  mir  nit  nahe.  Den  Leib 
soll  man  oft  mit  Dachsfett  einsalben.  —  Wer  diese  Wate  ist.  kann 
ich  nicht  bestimmen;  was  ,ynakt<"  (nackte)  als  Beiwort  anbelangt, 
so  verweist  es  auf  den  unter   siebenbürgischen    Völkerschaften  all- 


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gemein  verbreiteten  Gluuben,  dass  die  Pest  (beziehungsweise  Cholera) 
in  der  Gestalt  eines  schwarzen  Weibes  oder  nackten  Kindes  durchs 
Land  zieht  (s.  Müller  Fr.,  Siebenb.  Sagen  S.  37). 

Christus,  Set.  Peter  und  Mathias  spielen  eine  besondere  Holle 
in  den  Formeln  gegen  die  Yerrenkumj.  Den  leidenden  Körperteil 
streichelnd,  spricht  die  „Hüsserin"  : 


Christus,  der  Herr  und  «1er  hl.  Mathias 
Kamen  miteinander  über  die  Brück', 
rirach  das  Bein  des  hl.  Mathias  zu  »Stück! 
,,Was  tuet  deinem  Bein  so  weh?" 
Mein  Bein  ist  krank,  ich  bin  lahm! 
„Nimm  Schmeer  und  Salz 
Schmier  dein  Gebein, 
Schmier  deine  Adern! 
Bein  an  Bein, 
Ader  an  Ader, 
Fleisch  an  Fleisch. 

So  soll's  sein,  wie  Christus,  der  Herr 
Es  haben  will!  Amen! 


{Holl;  vgl.  Schuster  S.  3H5.)  Eine  Formel  aus  der  Ortschaft  Peters- 
dorf lautet : 

Jesus  kam  mit  Set.  Peter  geritten, 


Vom  vergleichenden  Standpunkt  sind  auch  die  Mittel  gegen  die 
Warzen  wichtig.  Die  meisten  derselben  sind  in  Deutschland  allge- 
mein verbreitet,  aber  auch  im  Volksglauben  anderer  Völkerschaften 
anzutreffen.  Will  man  sich  die  Warzen  vertreiben,  so  reibe  man 
sie  mit  Brotteig  ein  und  werfe  denselben  rücklings  in  den  glühenden 
Hackofen  (vgl.  „Am  Urquell*  I.  S.  34).  Man  blickt  den  Neumond 
an  und  die  Warze  streichelnd  spreche  man:  ..Was  ich  sehe,  soll 
zunehmen:  was  ich  fühle,  soll  abnehmen!"  Oder  man  nimmt  ein 
Gliedstroh,  bestreicht  damit  kreuzweise  die  Warze,  vergräbt  dann 
das  Stroh  unter  die  Dachtraufe  und  wenn  das  Stroh  verfault  ist,  so 
verschwinden  auch  die  Warzen.  In  einen  Zwirnfaden  werden  so 
viele  Knoten  gebunden,  als  Warzen  vorhanden  sind,  indem  man 
über  jeder  Warze  eine  Schlinge  zuzieht  ;  den  Faden  vergrabe  man 
unter  die  Dachtraufe.  Sieht  man  einen  Schimmel,  so  streichele  man 


Da  brach  sich  Set.  Peter  das  Bein  ! 
..Wein'  nicht,  Genosse  mein! 
Nimm  Schmeer  und  Salz 
Schmier  dein  (iebein. 
Schmier  dein  Fleisch ! 

Ich  hauch'  es  an  mit  meinem  heilenden  Mund, 
t'nd  du  wirst  wieder  gesund 
Zur  Ehre  Gottes;  Amen! 


Kine  andere  Formel  ans  Mühlbach  lautet  : 


Hast  dein  Bein  verrenkt, 

Christus  am  Kreuze  hängt; 

Hat  ihm  das  Hängen  nicht  geschadet, 

Bald  der  Schmerz  dich  nicht  plaget! 


'58 


die  Warzen  und  rufe :  „Schimmel  nimm  sie  mit,  ich  brauch"  sie 
nicht!"  (vgl.  H.  Volksmann  in  der  Ztschr.  „Am  Urquell"  III.  S. 
229).  Oder  man  reibt  die  Warzen  mit  Brotteig  und  gibt  diesen  den 
Hühnern  zu  fressen,  indem  man  spricht:  „Fresst,  meine  Warzen 
versteckt,  aber  nicht  verreckt!~  Es  heisst  nämlich,  wenn  man  sich 
im  Trinkwasser  der  Hühner  wäscht,  so  bekommt  man  Warzen. 

Auch  die  hier  mitgeteilten  Segen  zeigen,  dass  die  ältesten,  schöns- 
ten Formeln  bei  allen  Völkern  in  Gebete  überlaufen,  die  ursprünglich 
vielleicht  bei  Opferhandlungen  gesprochen  wurden.  Sie  stammen  ihrem 
innersten  Kern  nach  aus  Zeiten,  wo  das  Volk  noch  an  seinen  selbst- 
geschaffenen Göttern  hing.  Erst  mit  dem  Christentum  erstarrten  diese 
Segen  zu  einfachen  Formel»,  in  denen  die  heidnischen  Götter  beinahe 
ganz  ausgemerzt  und  durch  Gott,  Christus,  Maria,  die  Apostel  und 
Heiligen  ersetzt  wurden.  Roth  teiltauch  unter  dem  Namen  «Gebetchen" 
eine  Segensformel  gegen  allerlei  Krankheit  mit.  Es  lautet:  „Herr  im 
Himmel  mit  deinen  zwölf  Aposteln  blick'  gnädig  auf  mich  herab. 
Kommt  eine  Krankheit  von  rechts,  so  -sende  sie  in  die  untere  Hölle ; 
kommt  sie  links,  sende  sie  in  mittlere  Hölle;  kommt  sie  von  vorne, 
schicke  sie  in  die  oberste  Hölle;  kommt  sie  von  rückwärts  aber,  so 
schicke  sie  in  die  allertiefste  Hölle !  Nicht  lass'  sie  sich  auf  meinen 
schwachen  Rücken  setzen!  Im  Namen  deines  Willens !  Amen!"  dabei 
ist  dreimal  auszuspeien  —  fügt  er  in  der  Handschrift  dem  Gebete 
bei.  Solche  Gebete  sind  in  den  meisten  sächsischen  Dörfern  Sieben- 
bürgens unter  den  Bewohnern  allgemein  bekannt;  es  sind  einfache, 
volkstümliche  Gebete,  die  jeder  in  welcher  Drangsal  immer  hersagt, 
im  Glauben,  dadurch  das  bevorstehende  Leid  und  Unglück  abzuwen- 
den, oder  das  bereits  eingetroffene  entfernen  zu  können. 

Haben  wir  im  Vorhergehenden  die  Segenssprüche  und  Heilfor- 
meln für  gegenwärtiges  Uebel  mitgeteilt,  so  müssen  wir  nun  einer 
Reihe  solcher  Segen  gedenken,  die  gegen  kommendes  Leid  und  Uebel 
gerichtet  sind,  die  angewendet  werden,  um  einer  etwaigen  Gefahr  zu 
entgehen,  einem  wahrscheinlich  eintreffenden  Unheil  vorzubeugen. 
Solche  Segen  sind  dem  Volksbewusstsein  der  Siebenbürger  Sachsen 
bereits  zum  allergrössten  Teil  entschwunden.  Nur  hie  und  da  linden 
wir  noch  einen  Hof  bann.  Reisesegen ,  Formeln  gegen  den  Feind,  X**id 
und  das  Wetter  vor. 

Um  ein  neuerrichtetes  Gebäude  gegen  die  Macht  der  Feinde  und 
der  Elemente  zu  schützen,  ist  es  gut,  durch  einen  Besprecher  einen 
Pferdeschädel  oder  Tierknochen  in  den  Grund  des  Gebäudes  vergraben 
und  einen  Segen,  den  „Ilofbann",  sprechen  zu  lassen. 

Aus  dem  Nösnergelände  teilte  mir  Herr  Feldwebel  K.  Ohwlter 
folgenden  kurzen,  aber  wichtigen  Hofbami  mit: 

Die  drei  Mareien  sollen  .spinnen  aus  Seide 
Kin  festes  Seil  gen  jedes  Leide, 
Gott  soll  bauen  ein  gut  Mauer 
Gen  Krankheit,  Tod  und  Trauer ; 
Christus  wohne  in  diesem  Haus 
Und  treibe  die  Teufel  daraus! 


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35> 


Die  drei  Mareien  sind  wohl  die  germanischen  Schicksalsspinne- 
rinnen. Ans  dem  Bnrzenlande  stammt  folgender  llofbann: 

Jesus  ritt  in  Jerusalem  allein, 

Schmiessen  ihn  Judenkinder  mit  Steinten). 

Sprach  der  Herr:  „Nie  tu'  ich  euch  ein  Leid, 

Von  Ewigkeit  zu  Ewigkeit! 

Aber  eure  Freud'  wird  aufhören. 

Man  wird  eure  Stadt  zerstören  !" 

Herr  Jesus,  der  du  im  Himmel  bist. 

Du  mein  lieber  guter  Christ. 

"Wolle  dies  Gebau  nicht  zerstören, 

Wolle  alle  Bösen  beschwören. 

Zu  diesem  Gebäu  komme  nicht  her, 

I >ie  Satansbrut  übers  feurige  Meer: 

Nicht  nah'  her  ein  Feind  mit  Feuer  und  Schwert, 

Nicht  komm'  her  Hexenbrut  und  Satansknecht : 

Schlagendes  Feuer  (Blitz*  reit'  in  die  Erd, 

Komme  nicht  her  Krankheit  und  Pest. 

Sie  sollen  reiten  in  den  grünen  Wald, 

Dort  büssen  und  sich  bessern. 

Dort  fliessen  drei  Brünulein  der  Gnad' 

Dort  sollen  sie  sitzen  bis  zum  jüngsten  Tag! 

Dies  (Jebäu  umspanne  Christi  Blut. 

Damit  es  wie  Christus  in  Marias  Armen. 

Sicher  und  feste  ruht! 

Das  wolle  Gott,  der  Herr  bewirken 

Von  Ewigkeit  zu  Ewigkeit!  Amen! 

Dies  wird  je  dreimal  an  den  vier  Ecken  des  Gebäudes  gespro- 
chen. Ans  Heitau  teilte  mir  Herr  Apotheker  Chr.  Wohch  folgenden 
„ Hofham! ~  mit: 

Vier  heilige  Jungfrauen  sollen  kommen, 
Von  den  reinen  und  frommen, 
Die  sollen  von  den  vier  Enden 
Pest,  Unglück.  Feuer  wenden ! 
In  des  allmächtigen  Hand 

Soll  ruhen  in  Ewigkeit  dies  Land  (der  Grund  ! 
Der  liebe  Jesus  Christus  tiuf  dorn  Dach 
Schütz'  dies  Gebäu  Tag  und  Nacht! 

Dann  (mögen)  kommen  die  Bösen  aus  grünen  Wäldern. 

Aus  dürren  Feldern,  aus  kalten  Brunnen, 

Aus  heissen  Steinen,  wir  fürchten  uns  nicht! 

Kine  feste  Burg  ist  unser  Gott, 

Christus  ist  unser  Schutz  und  Nutz! 

Im  Namen  usw. 

Ein  merkwürdiger  «Hofbann"  steht  hei  Roth.  „Hast  du  ain  neu 
Gebäu  crbauvet,  so  spuck  auf  die  vier  Enden  (Ecken)  des  Gehaus, 
sprich  dies  Gebetchen  hai  jedem  End  und  dann  küss  das  End  und 
geh  dann  zum  zweiten  End,  tu  so.  geh  zum  dritten  End.  tu  auch  so, 
und  baim  vierten  End  tu  auch  so.  Dann  ponir  (entleere  dich)  vor  die 
Gebäusait,  die  gen  Sonnenuntergang  liegt  ..."  Der  llofbann  selbst, 
den  man  bei  den  vier  Ecken  zu  sprechen  hat,  lautet:  „Dies  Gebäu 
ist  erbaut  aus  grünem  Holz  aus  grünem   Wald:  aus  weissem  Stein 


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10 


«ms  weissem  Gestein;  aus  schwarzer  Eni  aus  schwarzer  Erd";  aus 
kaltem  Wasser  aus  kaltem  Brunnen !  Krankheit  aus  grünem  Wald, 
komm'  nicht  her,  hast  Holz  noch  genug:  Wehfrau  aus  weissem  Gestein, 
komm  nicht  her,  hast  Steine  noch  genug;  Teufel  aus  schwarzer  Erd* 
komm'  nicht  her,  hast  Eni'  noch  genug!  Brunnenfrau,  komm'  nicht 
her,  hast  Wasser  noch  genug;  die  Toten  lass  ruhn,  die  Lebendigen 
verschon  vor  Wassernot,  Feuergefahr.  Hungertod,  Blitzesstrahl;  schick* 
ihnen  Kinderchen,  die  weiterbauen,  dich  lohen  und  gen  Himmel  zu 
Christus,  den  Herrn  selig  schauen  !  Im  Xamcn  usw.  Amen/ 

Die  Worte  ..schick*  ihnen  Kinderchen"  bezieht  sich  wohl  auf 
den  nunmehr  entschwundenen  Volksglauben,  dass  die  Kinder  vor  ihrer 
Geburt  in  Gewässern,  bei  der  Brunnenfrau  leben.  Nach  der  Ent- 
leerung spreche  man : 

Beschtitz'  das  Gebüu  vor  Dieb  und  Feind, 
Schlag'  ihn  ums  Maul,  der  mir  greint! 

An  dieser  Stelle  muss  ich  bemerken,  dass  die  meisten  sieben- 
bürgischen  Völkerschatten  für  tfrvmu*  imnlae  auch  den  Ausdruck 
Hirtr  gebrauchen  und  bei  ihnen  der  Glaube  herrscht,  dass  so  lange 
der  .Haufen',  welchen  der  Dieb  auf  dem  Schauplatz  seiner  Tätigkeit 
errichtet,  warm  ist,  er  vor  jeder  Störung  gesichert  bleibt.  In  Sieben- 
bürgen findet  man  dergleichen  , Haufen*  in  Gebäuden,  die  von  Dieben 
erbrochen  und  geplündert  worden,  gar  häufig  vor.1  Der  rumänische 
Ausdruck  C*obiin  (Hirte)  seheint  auch  auf  diesen  allgemein  verbrei- 
teten Glauben  hinzuspielen  (vgl.  Liebrecht.  Zur  Volkskunde  S.  853). 

Die  sogenannten  Beisesegen  sind  heutigen  Tages  dem  Volks- 
bewusstsein  ganz  und  gar  entschwunden).  In  früheren  Zeiten  sprachen 
diese  Segen  die  Fuhrleute,  wenn  sie  auf  weite  Wege  Frachten  führ- 
ten, freilich  in  Zeiten,  wo  noch  keine  Eisenbahn  im  Lande  war, 
oder  Handwerksburscheu,  wenn  sie  ihre  Wanderschaft  antraten.  ItotU 
hat  einen  solchen  Beisesegen.  den  früher  die  Kronstädter  Tschismen- 
machergcsellen  mit  auf  ihre  Wanderschaft  nahmen,  in  sein  Tagbuch 
im  Jahre  183fi  aus  einem  Processakt  der  dortigen  Tschismenmacher- 
zunft  contra  G.  Orendi  aufgezeichnet.  Dieser  Beisesegen  lautet  also: 

Der  Herr  im  Himmel 
l'nd  ich  aut  der  Erd'  — 
Er  mache  mich  seiner 
l'nd  Christi  wert  ! 

Geh'  wieder  heint  (heuti  auf  Wanderfahrt. 

Hab  Schutz  und  Segen  bei  mir  gepaart ! 

Mein  erstes  ist  Gott  der  Vater. 

Mein  zweites  ist  Gott  der  Sohn, 

Mein  drittes  ist  der  hl.  Geist, 

Der  mit  mir  reist, 

Mir  meine  Wege  weist. 


1  S.   meine  „Zauber-  und  Besprechung  formeln  der  siebenb.  Zigeuner* 
'■  Verlag  „der  Ethnol.  Mitteilungen  aus  t'nganr"  löSS.  Budapest)  S.  .'3:1. 


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41 


Ich  trete  über  fremde  Schwellen, 

Jesus,  Maria,  Josef,  die  hl.  H  Könige 

Kasper,  Melchior,  Balthasar 

Seid  meine  Wandergesellen, 

Die  wollen  mich  im  fremden  Land 

Bewahren  mit  starker  Hand, 

Mich  führen  zu  aller  Zeit 

Zu  Glück,  Freud,  Brot  und  Seligkeit.  Amen. 

Ein  IteiseMgen  aus  der  Hermannstädter  dopend,  den  die  dortigen 
Fuhrleute  zu  beten  pflegten,  lautet: 

Jetzt  t.ret'  ich  über  meine  Schwelle, 

Herr  Jesus  sei  mein  Wegselle! 

Lass  alle  meine  Feinde  ruhn, 

Steh'  mir  bei  in  allem  Tun. 

Zu  Wasser  und  zu  Land 

Sei  meine  starke  Hand! 

Im  Wald  vor  Geistern  und  Käubern, 

Im  (ebnen)  Land  vor  Schleichern. 

Am  Tag  vor  Unsichtbaren  (?), 

Der  Nachts  vor  Teufeln, 

Allzeit  bis  in  die  Ewigkeit. 

Behüt  mein  Blut  und  Fleisch.  Amen! 

(Von)  Fuhrmann  Andrms  Wohmrt.) 

Im  Volke  leiten  wenn  auch  spärlich  —  noch  immer  Formeln 
gegen  einen  Fvind  oder  gegen  Neid  fort.  In  früheren  Zeiten  mögen 
diese  Sprüche  eine  stattliche  Anzahl  auch  im  Kreise  des  siebenbür- 
gisch-sächsischen  Landvolkes  abgegeben  haben.  Ich  konnte  nur  einen 
einzigen  Spruch  erlangen. 

.Sielist  du  deinen  Faind",  schreibt  Hoth.  „sprich  in  dir  heimblich :  ' 

Das  Gute  in  mir, 
Das  Böse  in  dir. 

Gott,  der  Vater  über  uns  beiden. 

Er  wolle  gnädig  und  im  (Juten  scheiden! 

oder  man  spreche: 

Der  Teufel  zeigte  dem  Gottessohn 

Die  schöne  Stadt  Babylon; 

Christus  stiess  ihn  vom  Kirchenturin: 

So  wolle  Gott  dich  von  mir  stossen. 

Du  elendiger  Höllenwurm! 

Nicht  frisst  du  mir  Mark  und  Bein, 

Gott  muss  beim  Gerechten  sein !  Amen  ! 

In  Kelling  spricht  man: 

Kannst  kommen  und  kannst  gehen. 
Drei  Schlösser  um  mich  gehen. 
Das  eine  ist  Gott  der  Vater, 
Das  andre  der  Sohn. 


42. 


Das  dritte  ist  «lex*  heilige  (ieist. 
Die  beschützen  mein  Gut  and  Blut! 
Spinnen  um  mich  einen  roten  Faden, 
Dass  du  mir  nicht  kannst  schaden! 

(Vgl.  zum  Eingang  Schuster  S.  290).  Unter  »rotem  Faden"  ist 
wohl  das  Glücksseil,  Glüeksstriemchen  zu  verstehen.  Kinder,  die  mit 
einem  roten  Striemehen  am  Halse  auf  die  Welt  kommen,  werden  vom 
Glück  besonders  begünstigt. 

Um  sein  Hab  und  Gut  vor  Neid  zu  bewahren,  muss  man  oft  gegen 
„geheimen  Neid"  einen  Spruch  hersagen.  Der  Neid  wendet  sich  eben 
nicht  nur  gegen  Leben  und  Gesundheit  des  Menschen,  sondern  auch 
gegen  seinen  Hausstand,  sein  Vieh,  seine  Gebäude  usw.  In  manchen 
Dörfern  heisst  es  daher,  dass  man  morgens  beim  ersten  Uebertreten 
der  Schwelle  dreimal  ausspucken  und  den  Spruch  hermurmeln  solle  : 

Krstens  für  Neid, 

Zweitens  tur  böse  Leut, 

Drittens  für  Krankheit  nah  und  weit 

Im  Namen  (Jottes  usw.  Amen! 

(aus  der  Mediascher  Gegend;  vgl.  Ammann  a.  a.  0.  S.  311).  Oder 
man  spreche : 

Jeder,  den  ich  seh', 
Tu  mir  kein  Weh'.  • 
Alles,  was  ich  seh'. 
Rechter  Wege  geh1! 

Im  Namen  Gottes,  des  Herrn  des  Himmels 
und  der  Erde,  also  Alles  geschehe,  Amen! 

(aus  Klein-Kopisch).  Oder  man  spreche:  .Neid  schadet  neunmal ; 
nein,  nur  8-mal:  nein,  nur  7-mal;  nein,  nur  6-mal :  nein,  nur  5-mal  ; 
nein,  nur  4-mal:  nein,  nur  3-mal;  nein,  nur  2-mal:  nein,  nur  1-mal  ; 
nein,  er  schadet  keinmal,  denn  der  hl.  Georg  durchsticht  ihn  mit  der 
Lanze  im  Namen  des  ewigen  Vaters,  Amen!"  (aus  Aynethlen).  Ein 
anderer  Spruch  gegen  Neid,  den  man  bei  Kindern  anzuwenden  ptlegt 
und  der  sich  auf  die  Nornen  zu  beziehen  scheint,  lautet : 

Drei  Frauen  wir  au  dir  laden, 
Sollen  dich  am  Arm  tragen, 
Sollen  dir  spinnen  und  weben, 
Den  Neidern  Krankheit  geben, 
Dir  Gesundheit  schenken 
Und  ewiges  Leben.  Amen! 

Verwandt  mit  den  Formeln  gegen  Neid  sind  die  Diebssegen  und 
die  Formeln  gegen  Feuer  und  Wetter.  „Gewöhnlich  geschieht  das 
Segnen,  was  man  auch  , versprechen'  oder  .binden1  heisst,  um  12  Uhr 
in  der  Nacht  oder  vor  Sonnenaufgang  und  nach  Sonnenuntergang 
oder  zu  allen  diesen  Zeiten  nach  einander.  Manche  dieser  Sprüche 
dürfen  nur  von  einer  Frau  auf  einen  Mann  und  von  diesem  wieder 
auf  eine  Frau  insgeheim  übertragen  werden,  wenn  sie  ihre  Wirksam- 
keit nicht  verlieren  sollen,  (vgl.  Ifaltrich-Wol/I r  S.  274.) 


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Ii 


Roth  teilt  folgende  wichtige  Diebssetjen  mit: 

Maria  ging  in  den  grünen  (»arten, 
Drei  Englein  das  Jesukindlein  warten, 

Der  eine  heisst  Michael,  der  andere  Gabriel,  der  dritt'  Zachariel ; 

Kamen  her  drei  Diebe,  wollten  Jesum  stehlen, 

Spi-ach  da  Michael  zu  Gabriel: 

Nicht  lass'  sie  weitergehen ! 

Bind'  sie  mit  des  Evangeliums  Wort, 

Sollen  sich  nicht  rühren  vom  Ort ; 

Sollen  die  Sterne  zählen  am  Himmel, 

Den  Saud  auf  der  Erden, 

Bis  ich  sie  lösen  werd'  durch  Gottes  Wort.  Amen ! 

(vgl.  Frischbier  S.  113).  Bevor  man  aber  diesen  Segen  spricht,  muss 
man  eine  schwarze  Katze  nehmen,  ihr  die  vier  Füsse  zusammenbin- 
den, und  wenn  man  dann  ein  Feuer  rings  um  sie  herum  anmacht, 
so  wird  sie  „ihr  Wasser  lliessen  lassen."  In  diesen  Urin  tauche  man 
eine  Rabenfeder  ein  und  während  man  obige  Formel  hersagt,  streiche 
man  damit  Tür  und  Schloss  ein.  Nie  wird  ein  Dieb  diese  Schwelle 
überteten  können.  In  dem  von  Teutsch  im  Vereinsarchiv  N.  F.  3,  1  ff. 
auszugsweise  veröffentlichten  Visitationsprotokolle  heisst  es  unter 
anderm  S.  30:  De  pastore  (in  Schönau)  fassa  est  quaedam  mulier 
Seydensis,  quod  ab  illo  didicerit  formulam  incantationis  pro  assecu- 
ratione  curiae  contra  fures  nocturnos,  punitur  fl.  5." 

Wichtiger  noch  ist  der  zweite  Diebssegen,  den  Roth  mitteilt.  Kr 
lautet: 

Dieb,  ich  bind'  dich  mit  Gottes  Wort, 

Nicht  rühr'  dich  von  diesem  Ort, 

Werde  starr  wie  Lothens  Weib, 

Zu  Asche  werde  dein  sündiger  Leib. 

Bleibst  du  nicht  hier  stehn, 

Bis  dich  meine  Augen  ansehn. 

Im  Namen  usw  Amen. 

Dabei  geht  man  um  die  Sache,  die  man  , binden'  will,  drei  Mal 
herum.  Zur  Erklärung  dieses  Volksglaubens  heisst  es  in  der  siebenbür- 
gisch-säehsisehen  Uebcrlieferung :  „Nun  kann  der  Dieb  zwar  in  den 
umgangenen  Kreis  hinein,  aber  nicht  mehr  aus  ihm  herausgehen. 
Daher  muss  man  sich  noch  vor  Aufgang  der  Sonne  am  folgenden 
Morgen  hinbegeben  und  falls  der  Dieb  da  ist,  denselben  anstossen 
und  heimlich  bei  sich  sprechen:  „Geh"  hin  in  Teufels  Namen  !u  Denn 
wenn  der  Dieb  an  dem  versprochenen  Ort  von  der  Sonne  beschienen 
wird,  so  muss  er  in  Staub  zerfallen"  (s.  Ualtrirh-  II  o///'  S.  274.)  Fei  - 
ner schreibt  Roth :  „Vergrap  diesen  Zedel  unter  die  Türschwell,  kann 
kain  Dieb  rüberkommen."  Der  zu  vergrabende  Zettel  wird  mit  fol- 
genden Worten  beschrieben:  „Dieb,  ich  binde  dich  mit  drei  Ketten; 
die  erste  ist  Gottes  Wort,  das  er  uns  gab  auf  dem  Sinai;  die  zweite 
ist  Christi  Blut,  das  er  vergoss  auf  Golgatha;  die  dritte  ist  der  grüne 
Rit  (Fieber),  das  dich  schütteln  soll,  wenn  du  herkommst,  dass  du 
hier  bleibst,  bis  ich  dich  löse  von  Gottes  Wort,  von  Ghristi  Blut,  von 
grünen  Riten  Kraft,  im  Namen  Gottes.  Amen." 

Der  Rit  ist  das  personifizierte  Fieber,  das  mit  seinem  Beiwort 


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41 


.grün"  auf  uYn  Wald  und  den  Baum  zurückweist  und  eben  auefc 
einen  Beweis  dafür  liefert,  dass  ja  die  Krankheitsgeister  ursprünglich 
Wald-  und  Baumgeister  waren.  Deutlieh  zeigt  sich  auch  in  den  Wörter, 
des  mitgeteilten  Zettels  die  Verschmelzung  von  christlichen  und  heid 
nixdien  Kiementen. 

Im  Volksglauben  der  Siebenbürger  Sachsen  heisst  es  ferner : 

I  m  «las  gestohlene  Gut  wiederzubekommen,  verschaffe  man  sich 
eine  Hostie,  lege  dieselbe  auf  etwas  vom  gestohlenen  (inte  und  ste  he 
mit  einer  Nadel  in  die  Hostie.  Heim  ersten  Stich  sagt  man:  .hieb, 
ich  steche  dein  (iehirn:  du  sollst  deinen  Verstand  verlier'n!"  Heim 
zweiten  Stich  sagt  man:  „Dieb,  ich  steche  deine  Hände,  damit  ieh 
dich  zum  Guten  wende!"  Heim  dritten  Stich  wird  gesagt:  «hieb,  ich 
steche  in  deine  Küssen,  damit  sie  erlahmen  müssen!"  beim  vierten 
und  letzten  Stich  sagt  man:  «Dieb,  ich  steche  in  dein  Herz,  du  ster- 
best  in  Oual.  Klend.  Not  und  Schmerz!"  Will  der  hieb  nicht  sterben, 
so  bringt  er  da«»  gestohlene  Gut  zurück  (Hennannstädter  Gegend | 

Seine  Gebäude  gegen  Gewitter  und  Fnicr  zu  schützen,  ist  eine 
der  Hauptsorgen  des  Landmannes.  Kin  Gebäude,  auf  dem  ein  Ston.h 
«»der  an  «lern  eine  Schwalbe  nistet,  ist  vor  dem  Blitz  gesichert,  hei«*: 
c~  im  siebenb.-sächsischeii  Volksglauben.  I'm  sein  Gebäude  vor  dem 
Blitz  zu  sichern,  pflanze  man  auf  »las  Dach  das  Donnerkraut  (senv 
pervivum  tectorum)  und  grabe  in  den  Grund  desselben  Schwalben 
federn  ein.  die  man  in  Zettel  wickelt,  auf  die  man  die  Worte  schreibt 
Fax.  Lux.  Nor  in  manu  hei  (ttoth\. 

Manche  glauben,  dass  wenn  man   ..  Donnersteine"  (Helemniter.. 
>.  olienf  in  das  (iebäude  einmauere,  dasselbe  vor  <lem  Blitzschlag 
gesichert  <ei.  Bricht  Feuer  aus,  so  stelle  man  sich  .dem  Wind  cd' 
gegen",  schreibt  Hnth,  und  spreche  dreimal: 

Sancr  Martin  mit  deinem  Feuerbrand. 
Samt  .Johannes  mit  deiner  Wass  erkürt". 
Komm  uns  zu  Hilf.  Amen! 

(»der  es  soll,  wenn  ein  Brand  ausbricht,  eine  -reine  Jungfer'  um 
die  Brand>tätte  herumlaufen  und  sprechen: 

Maria  giftig  übers  Land. 
Trat'  sie  wilden  Brand  ! 

..Brand,  ich  büsse  beschwöre-  dich  mit  meiner  hl.  Harni' 
•  ieh'  zunick  in  den  wilden  Wald, 
«ieh"  zurück  in  den  Brunnen  kalt. 
<«eh*  in  die  Wolken, 
I  »ie  dich  erzogen  !" 

Im  Namen  Cottas  usw.  Amen!  [Roth  ) 

In  früheren  Zeiten  schrieb  man  sich  sogar  zujrun frischt  Formeln 
gegen  Feuer-brunst  auf  und  hob  das  Schriftstück  sorgfältig  auf.  um 
es  hei  Gelegenheit  in  das  brennende  (iebäude  zu  werfen,  dadurch 
«las  Weitergreifen  des  Feuers  zu  verhindern.1 

Zum  Schlüsse  teilen  wir  nur  noch  einige  inedierte  Verwahntn>j<- 

1  S.  mein  Werk:  „Aus  dem  innern  I^el>en  der  Zigeuner"  (BerÜu.  l?i*2 
FtiKer  S  ITH. 


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45 


mittel  mit,  die  sich  auf  die  Haustiere  beziehen.  Die  meisten  solcher 
Verwahrungsmittel  sind  bereits  von  einheimischen  Forsehern  gesam- 
melt und  veröffentlicht  worden,  so  dass  unsere  Nachlese  hier  nun 
gar  spärlich  ausfallen  wird,  besonders  nachdem  auch  Roth  nur  einige 
wenige  dieser  Mittel  anführt. 

Kauft  man  eine  Kuh,  schreibt  Roth,  so  soll  ihr  die  Hausfrau  das 
erste  Futter  aus  ihrer  Schürze  geben  und  sprechen:  „Der  hl.  Sylvester 
stand  vor  dem  Tor,  krochen  unter  der  Brück'  die  Hexen  hervor! 
Hexen,  ihr  sollt  weichen  von  diesem  Tier:  Krankheit  bleibe  daheim : 
Neid,  mach'  ihm  kein  Leid,  im  Namen  Gottes!  Amen!"  Den  ersten 
Urin  der  Kuh  soll  man  auffangen  und  ins  Feuer  giessen;  dadurch 
verbrennt  man  alles  Böse,  das  die  neue  Kuh  mitgebracht  hat.  Wenn 
die  Kuh  beim  Melken  nicht  stehen  will,  so  prügelt  man  sie  mit  um- 
gekehrten Besen.  Diese  Schläge  spürt  die  Hexe  und  verschont  von 
min  an  die  Kuh.  Harnt  die  Kuh  beim  Melken,  so  fängt  man  ihren 
Harn  in  einen  Frauenschuch  auf  und  hängt  ihn  in  den  Bauchfang, 
wobei  man  spricht:  „Der  Neid  soll  Kohle  werden,  die  Krankheit  soll 
Asche  werden,  die  Bösen  sollen  Bauch  werden,  damit  Friede  sei  im 
Himmel  und  auf  Erden!  Amen!"  Nach  drei  Tagen  verbrennt  man 
den  Schuh  und  streut  die  Asche  in  fliessendes  Wasser  (Roth  .  Cm 
das  Kalben  der  Kuh  zu  erleichtern,  zerlegt  man  eine  Axt  und  legt 
den  Stiel  auf  die  eine,  das  Beil  selbst  auf  die  andere  Seite  der  Kuh 
und  spricht:  „Heilige  Anna,  über  diesen  Leib  spreif  (leinen  Mantel : 
aus  dem  Leibe  treib'  die  Frucht;  zwei  sind  bei  einand'.  teil'  sie  in 
zwei  mit  deiner  seligen  Hand.  Amen!"  {Aus  Grossati,  Schärkäny).  Um 
störrige  Pferde  zu  zähmen,  schreibt  Roth}  schlage  man  sie  mit  einer 
Kute,  deren  Spitze  verkohlt  ist,  kreuzweise  über  dem  Kücken  und 
spreche  die  Worte:  „Der  hl.  Elias  gebot  seinen  Pferden:  Stehet  stille, 
das  ist  Gottes  Wille!  Und  die  Pferde  standen  still!  Ich  gebiete  dir 
im  Namen  des  hl.  Elias,  du  stehest;  wann  ich  will,  du  gehest,  wann 
ich  will;  ich  bin  dein  Herr  und  du  sollst  keinen  anderen  Herrn  haben 
ausser  mir!  Amen !" 

Schwärmen  die  Bienen,  so  soll  man  ihnen  den  blanken  Hintern 
zeigen  und  der  Schwärm  wird  sich  in  der  Nähe  niederlassen  oder 
man  ziehe  sich  das  Hemd  rasch  aus  und  blicke  dem  Schwärm  durch 
den  Aermel  nach  (Roth  i.  vgl.  F.  S.  Kraus.*  in  seiner  Ztschr.  .Am 
Urquell"  III.  S.  1)7).  Einen  einzigen  Bienensegen  teilt  Roth  mit,  der 
um  so  bedeutungsvoller  ist,  weil  er  darunter  die  Worte  gesetzt  hat : 
„von  main  selig  Vater  erlernt."  Der  Segen,  den  man  beim  ersten 
Ausflug  der  Bienen  im  Frühjahr  zu  sprechen  hat,  lautet : 

In  nomine  patris,  tilii  und  aller  sauetorum! 

Maria  gen  Sonnenaufgang  hebt  die  rechte  Hand, 

Maria  gen  Sonnenuntergang  hebt  ihre  linke  Hand, 

Damit  ihr  teure  Bienen  sollet  fliegen, 

Damit  ihr  viel  Honig  sollet  kriegen, 

Honig  fürs  Jesukindlein, 

Wachs  für  den  hl.  Altar, 

Deshalb  beschützt  euch  die  hl.  Margaret 

Im  Namen  Gottes,  des  Vaters!  Amen! 


4M 

Kili  anderer  Bienensegen  ist  mir  aus  Mühlbach  und  Agnethlen 
bekannt.  Beim  ersten  Ausflug  der  Bienen  im  Frühjahr  lasse  man  die- 
selben durch  eine  Wolfskehle  und  über  den  Hausschlüssel  Iiiegen,  dann 
weiden  sie  arbeitsam  und  keine  fremden  Bienen  werden  den  Stock 
des  Honigs  berauben  können.  Beim  Erscheinen  der  ersten  Bienen  vor 
dem  Flugloch  spreche  man:  „Gott  sprach:  Es  werde  Licht!  —  Gott 
sprach:  Es  werde  die  Biene!  —  Gott  sprach:  Es  werde  Wachs!  — 
Gott  spricht:  Gesegnet  sei  euer  Auszug!  —  Gott  wird  sprechen :  Ge- 
segnet sei  euer  Einzug:  Amen!"  Oder  man  spricht  hei  dieser  Gele- 
genheit : 

Bienchen.  Kienchen,  Bienchen, 
Reise  in«  grüne  Land. 
Speise  vod  Blumen  und  (Iras-, 
Fülle  mir  Korb  und  Fass! 

(vgl.  Frischbier  S.  131.) 

Wir  haben  somit  eine  Nachlese  zu  den  von  Andern  bislang  ver- 
öffentlichten Segenssprüchen  und  Heilmitteln  des  siebenbürgisch-säch- 
sischen  Volkes  liier  mitgeteilt,  die  einst  vielleicht  auch  einen  nicht  zu 
verachtenden  Bestandteil  für  eine  zukünftige  Sammlung  aller  deutscher 
Bcsegnungsformeln.  Gebräuchen  und  Meinungen  bilden  wird. 


König  Mathias  und  Peter  Gereb. 

(Hin  1j\ »lg.'i  risse  moss  Ovissl.nrerüiecl  miss  Bosnien.) 
Von  /)/•.  Friedrich  S.  Kram». 

Manchen  wird  auf  den  ersten  Blick  die  Angabe:  .ein  bulgar- 
isches Guslarenlied  aus  Bosnien"  überraschen;  denn  bekanntlich 
sind  bulgarische  Niederlassungen  in  Bosnien  und  im  Herzogtum  nicht 
vorhanden  und.  wie  auch  aus  dem  Titel  dieses  Aufsatzes  hervorgeht, 
handelt  es  sich  nicht  einmal  um  einen  nationalbulgarischen  Stoff. 
Bei  einem  lyrischen  Volklied,  einem  Märchen  oder  einer  Sage  wäre 
die  Bemerkung,  dass  eine  Entlehnung  vorliege,  so  gut  wie  unauf- 
fällig, bei  Gnslarenliedern  wird  man  jedoch  stutzig. 

Mit  l'nrecht :  denn  Guslarenlieder  und  epische  Vorwürfe  über- 
haupt finden  in  gleicher  Weise  wie  andere  Volküberlieferungen  in 
den  ihnen  zugänglichen  Kreisen  Verbreitung.  Für  alle  derartige 
Erzeugnisse  des  Volkgeistes  besteht  nur  ein  Gesetz  mit  dem  Unter- 
schiede, dass  Guslarenlieder  mehr  als  andere  I Überlieferungen  in 
der  Form  örtlich  nationalisiert  werden  und  aus  ihnen  selbst  heraus, 
äusserst  selten  und  nur  schwer  die  Provenienz  herausgefunden  wer- 
den kann.  Das  spezifisch  Nationale  des  l'rhcbers  verflüchtigt  sich  bis 
zur  l'nkenntlichkeit. 

Das  epische  Lied  nimmt  auch  sofern  einigennassen  eine  Son- 
derstellung ein.  dass  es  den  l 'ebergang  von  der  Volkdichtung  zu 
einer  Kuustdichtung  bildet.  Das  lyrische  Lied  und  die  Sage  ist  sozu- 


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sagen  autorlos.  nicht  so  das  epische,  mag  sich  auch  der  Dichter  des 
stereotypen  Redebilderschatzes  der  Liedergattung  bedienen.  Jede 
dichterische  Gattung  ist  an  gewisse  konvenzionelle  Redearten  wie 
gebunden  und  jede  Literaturepoche  zeichnet  sich  durch  charakter- 
istische Stilarten  aus.  Trotz  den  schablonenhaften  Wendungen,  die 
das  Festhalten  eines  epischen  Liedes  erleichtern,  muss  der  Recitator 
bestrebt  sein,  die  Individualität  des  Autors  nicht  zu  verwischen ;  denn 
der  epische  Bericht  ist  von  einem  Augen-  und  Ohrenzeugen  der 
erfahrenen  und  dargestellten  Begebenheit,  der  Guslar  dessen  Stell- 
vertreter. Daher  kommt  auch  das  tiefere,  zuweilen  freundschaftliche 
Interesse,  das  ein  Guslar  jenen  gegenüber  bewahrt,  von  denen  er 
Lieder  erlernt  hat.  Hierin  liegen  schon  die  keimenden  Ansätze  zu 
einem  Begriffe  vom  Autorrechte  und  die  Vorstellung  dämmert  auf, 
dass  man  an  dem  geistigen  Eigentum  eines  anderen  nicht  willkühr- 
liche  und  beliebige  Änderungen  vornehmen  dürfe.  So  erklärt  es  sich, 
dass  epische,  von  Augenzeugen  herrührende  Berichte  noch  nach  Jahr- 
hunderten in  den  wesenlichsten  Punkten  unangetastet  überliefert 
werden  und  die  Phantasie  der  Guslaren  mehr  oder  weniger  sich  mit 
der  Ausschmückung  durch  bestimmte  Scenen  oder  Episoden  begnügt. 
Selbst  die  in  epische  Versform  eingekleidete  Sage  und  Legende  wird 
auf  diese  Weise  ihrem  Inhalte  nach  stabiler. 

Guslarcnlieder  wandern  etwas  langsamer  als  andere  Ueberliefer- 
ungen  von  Ort  zu  Ort  im  Süden  und  bürgern  sich  weniger  leicht 
ein,  weil  es  doch  einige  Anstrengung  mehr  als  sonst  kostet,  ein 
längeres  Gedicht  seinem  Gedächtnisse  einzuprägen.  Es  ist  eine  trivi- 
ale Erfahrung,  die  aber  ausdrücklich  ausgesprochen  werden  muss. 
weil  sie  zu  häufig  übersehen  wird,  dass  nämlich  nicht  die  Lieder, 
sondern  die  Menschen  Beine  haben  und  wandern.  Es  ist  eine  von 
oberflächlichen  Beobachtern  in  der  Literatur  verbreitete  Meinung, 
dass  blinde  Bettler  und  Vaganten  die  Hauptträger  der  epischen 
l'eberlieferung  im  Süden  seien.  Das  ist  ein  entschiedener  Irrtum. 
Mit  gleicher  Berechtigung  könnte  man  behaupten,  die  von  Haus  zu 
Haus  in  Wien  herumziehenden  Werkelmänner  wären  die  Repraesent- 
anten  der  Wiener  Musik.  So  wie  der  Werkelmann  auf  seiner  Walze 
einige  (meist  verstimmte)  Arien  herumführt  und  sie  überall  gleich- 
massig  ableiert,  so  erlernt  auch  im  Süden  der  bettelnde  Landstrei- 
cher einige  Guslarenlieder  und  schlägt  sich  damit  durch  seine  Welt. 

Die  wahre  und  echte  Epik  trifft  man  bei  ansässigen  Bauern  an. 
In  Bosnien  und  im  Herzogtum  findet  man  fast  in  jedem  Dorfe 
epenkundige  Leute.  Sinn  und  Verständnis  für  derlei  Sachen  sind 
wieder  nur  bei  wenigen,  fast  möchte  man  sagen,  auserlesenen  Men- 
schen vorhanden.  Lieder  müssen  erlernt  werden.  Dazu  gehört  Zeit 
und  Gelegenheit. 

Der  Südslave  ist  von  Haus  aus  ein  wanderfroher  Geselle,  zu- 
mal jener,  der  wenig  und  vollends  der,  der  nichst  besitzt.  Bei  seiner 
Bedürfnislosigkeit  kostet  es  ihm  geringe  L'eberwindung,  seinen  stän- 
digen Wohnort  aus  der  einen  in  der  anderen  Provinz  zu  nehmen. 
Als  die  Türken    Bulgarien   erobert   hatten,   zog   ein  guter  Teil  der 


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christliehen  Bevölkerung  westwärts  nach  Serbien,  Bosnien  und  Dal- 
matien  und  nahm  mit  sich  bulgarische  Ueberliefernngen.  So  kam  es, 
dass  eine  Beihe  echtbulgarischer  Nationalhelden  in  die  Epik  der 
Serben  und  sogar  der  Kroaten  und  Slovenen  übcrgiengen.  Das  mag 
der  nationalen  Eitelkeit  nurserbischer  und  nurkroatischer  Patrioten 
nicht  schmeicheln,  doch  die  in  den  acht  Bänden  des  von  der 
fürstlich  bulgarischen  Begierung  veröffentlichen  Sammelwerkes  von 
Volküberlieferungen  erschienenen  Epen  lassen  keinen  Zweifel  mehr 
an  der  Bichtigkeit  der  Wanderung  aufkommen.  Auch  in  unseren 
Tagen  findet  ein  solcher  Austausch  statt.  Ein  Beweis  dafür  ist  das 
Epos,  das  ich  hier  mitteile. 

Mein  Guslar  und  Beisebegleiter  Milovan  Uija  Crljic  Martinovi«'- 
aus  Brgovi,  dessen  ich  wiederholt  schon  rühmend  gedacht,  sang  mir 
am  19.  Oktober  1885  das  Lied,  von  dem  hier  die  Bede  sein  soll. 
Auf  meine  übliche  Krage,  von  wem  er  das  Lied  übernommen,  gab 
er  mir  zur  Auskunft,  er  hätte  es  etwa  zehn  Jahre  früher  vom  einem 
Katholiken  Namens  Peter,  einem  Zimmermann  (dundzer)  aus  (  skiib 
in  Altserbien  gelernt.  Dieser  Mensch  habe  in  Grada'ar  bei  einem 
Beg  einen  Hausbau  (aus  Holz)  aufgeführt,  und  er,  Milovan,  sei  bei 
ihm  als  Lohndiener  beschäftigt  gewesen.  Peter  war  stets  bei  guter 
Laune  und  aufgelegt  zu  den  Guslen  vorzutragen.  Zwar  mochten  zu 
Grada<"ac  die  Leute  seinem  Gesänge  nicht  gerne  zuhören,  weil  seine 
Bede  mehr  bulgarisch  als  serbisch  und  darum  minder  Iiiessend  ver- 
ständlich war.  Milovan  jedoch  fand  wenigstens  au  einem  Liede  Ge- 
fallen und  bat  den  Zimmermann,  es  ihm  öfters  vorzusingen.  So  hat 
er  es  sich  gemerkt  und  es  sich  zurechtgelegt. 

Milovan  ist  kein  Dichter,  sondern  einzig  und  allein  ein  Ge- 
dächtnismensch,  wie  ich  dies  durch  Beibringung  der  Aufzeichnung 
des  Liedes  von  der  Burg  zu  Tevanj,  wie  er  es  sich  gemerkt,  zu  dem 
Originale  in  meiner  Studie  über  das  Bauopfer  bei  den  Südslaven 
ausreichend  nachgewiesen.  Dieser  Umstand  ist  darum  von  Bedeutung 
für  uns,  weil  wir  dadurch  zur  Annahme  berechtigt  werden,  dass 
Milovan  an  dem  Liede  Peters  des  Bulgaren  keine  wesentliche  Än- 
derung vorgenommen.  Bisher  ist  mir  zu  dem  Liede  keine  serbische 
und  auch  keine  bulgarische  Variante  bekannt  geworden,  so  dass. 
allem  Anscheine  nach,  das  Lied  ein  Lnicum  ist. 

Das  Lied  handelt  von  König  Mathias  von  Ungarn  und  seinem 
General  Peter  Gereb,  von  einer  der  populärsten  und  von  einer  kaum 
bekannten  Gestalt  der  ungarischen  Geschichte.  Im  Liede  kommt  aber 
weder  der  Name  des  Königs  noch  der  andere  Zuname  (Gereb)  vor. 
Ich  habe  die  wahren  Namen  der  Hauptpersonen  des  Liedes  als  Hist- 
oriker aus  den  dargestellten  Ereignissen  erschlossen,  wozu  frei- 
lich nicht  viel  Scharfsinn  gehörte,  nachdem  der  Inhalt  des  Liedes 
genug  deutlich  auf  die  gedachten  Männer  hinweist. 

Den  Kern  des  Liedes  muss  ich  nun  kurz  skizzieren: 

Ein  türkischer  Sultan  beschliesst,  ungehalten  über  die  Lnbot- 
mässigkeit  des  Herrschers  von  Ungarn,  des  Gebieters  von  Gran,  mit 
einem  riesigen  Heere  Donau  aufwärts  bis  Gran   zu  ziehen,  um  das 


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ganze  Reich  sich  zu  unterwerfen.  Der  Herr  von  Gran  berät  sieh 
mit  seinem  Vertrauten,  dem  Geistlichen  Johannes  und  bestellt  zum 
Feldherrn  wider  den  Feind  den  Helden  Peter  (Duea  Peter),  dessen  Kit- 
terburg angeblich  auch  in  Gran  sich  beiludet.  Duea  Peter  besiegt 
das  Türkenheer  am  Rabflusse  und  jagt  den  Rest  bis  gen  Relgrad. 
Dann  gibt  er  auf  Geheiss  seines  Gebieteis  die  Verfolgung  des  Fein- 
des auf.  Kurz  nach  seiner  Heimkehr  stirbt  der  Sultan. 

('bliche  Ausschmückung:  Charakterisierung  Duea  Peters  als 
eines  gewaltigen  Weinvertilgers  vor  dem  Herrn,  Zweikämpfe  unter 
freundlicher  Mitwirkung  zweier  Vilen,  ein  treuer  Eilbote,  eine  treu- 
lose Ehegattin,  Thräncnegrüsse  des  Gebieters  von  l'ugarn  so  wie 
des  Sultans;  zu  guter  Letzt:  Heirat  Duca  Peters  mit  der  Tochter 
seines  Gebieters. 

Die  angegebenen  Personen  und  der  Gang  der  Handlung  lassen 
uns  erkennen: 

den  Sultan  Mohamed  II.  (1451  — 1481). 

Konig  Mathias  Corvinus  (1458-1491)), 

dessen  Feldherrn  Peter  Gereb.  Sieger  in  der  Schlacht 
an  der  Rab  (1478  oder  1470)  und  den  Prior  von 
Vräna,  Johann  Szekcly,  den  Helden  von  Jajce. 

Nähere  Ausführungen  gehören  nicht  in  diese  folkloristische 
Studie  hinein  und  können  hier  um  so  eher  entfallen,  als  die  polit- 
ischen und  kriegerischen  Ereignisse  jener  Epoche  in  der  ausge- 
zeichnetsten und  erschöpfendsten  Weise  von  Dr.  Wilhelm  Frahini 
(Mathias  Corvinus,  König  von  Fngarn.  Auf  Grund  archivalischer  Forsch- 
ungen bearbeitet.  Freiburg  i.  Hr.  1801,  S.  89  f.)  und  von  Fnm: 
Su  lammt  (ITngarn  im  Zeitalter  der  Türkenherrschaft.  Ins  Deutsche 
übertr.  v.  Gustav  Jurany,  Leipz.  1887,  S.  39  ff.)  erörtert  worden  sind. 

Aus  Salamons  Buche  sei  eine  Stelle  hier  angeführt.  Auf  S. 
41  heisst  es:  „1478  und  79  geschehen  neue,  grosse  Raubeinfälle.  Im 
erstoren  Jahre  werden  Krain,  Friaul,  ja  die  Fmgebung  von  Venedig 
geplündert,  im  letzteren  verheeren  die  Türken  die  Comitale  Vas  und 
Zala.  Eine  türkische  Abteilung  wird  aber  an  der  Rab  von  Stephan 
S/.apolyai  und  Peter  Gereb  vernichtet  und  Mathias  Truppen  streifen 
als  Ersatz  bis  nach  Jajce.  Ein  zweitesmal  dringt  Mathias  selbst  bis 
zu  der  genannten  Festung  vor." 

Die  Möglichkeit  ist  nicht  ausgeschlossen,  dass  der  südslavischc 
Guslar  aus  dem  Reinamen  Corvin(us)  erst  aus  Missverständnis  den 
.Stadtnamen  Krojan  gebildet  hat.  Ich  als  l'ebei>et/.er  musste  ihn 
jedenfalls  mit  Gran  wiedergeben.  Ist  jedoch  meine  Vermutung  zu- 
heilend, worüber  ich  in  Ermanglung  weiterer  ähnlicher  Relege  mich 
nicht  auslassen  will,  so  würde  sich  daraus  zwanglos  der  Wegfall 
des  Namens  Mathias  erklären. 

König  Mathias  ist  sowohl  im  slavischen  Süden  als  auch  unter 
den  Polen  noch  immer  ein  populärer  Held.  Fnter  seiner  Oberleitung 
sollte  sich  die  gesammte  mitteleuropäische  Christenheit  zu  einem  Kreuz 
zugv  gegen  die  vordringenden  Türken  vereinigen:  lausende  und  aber- 

Kt.bm.l   Mitteil.  u.  I  nRiirn.  III.  * 


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oÜ 

tausende  Serben  und  Bulgaren,  Kroaten  und  Slovenen  dienten  unter 
seinen  Fahnen  gegen  den  Halbmond.  In  ihm  vereinigten  sieb  fast 
alle  jene  glänzenden  Eigenschaften,  die  einen  Horrweiler  volktümlicli 
und  bei  den  kommenden  Geschlechtern  unvergesslich  machen. 

Die  ungarische  Geschichte  berichtet,  soviel  ich  mich  überzeugen 
konnte,  nichts  näheres  über  Peter  Goreb  und  die  Schlacht  an  der 
Hab.  Für  die  weiten  Kreise  des  Reiches  blieb  jener  Sieg  ohne  nach- 
haltige Bedeutung.  Anders  dagegen  mussten  diejenigen  darüber 
urteilen,  die  selber  im  Schlachtgetümmel  mitgekämpft.  Ks  ist  daran 
wohl  kaum  ernstlich  zu  zweifeln,  dass  der  erste  Guslar  und  Dichtet 
unseres  Liedes  mit  dabei  gewesen.  Vielleicht  ist  er  bald  darauf  sel- 
ber mit  den  Truppen  nach  dem  Balkan  ausgezogen,  in  türkische 
Gefangenschaft  geraten  und  in  Bulgarien  oder  Altsorbion  geblieben, 
wo  er  seine  Erlebnisse  weiter  überlieferte.  Wieso  das  Lied  nach 
Bosnien  gelangt  ist,  weiss  nun  auch  der  Leser.  Für  uns  Ungarn  hat 
es  abgesehen  von  seinein  ethnographischen  (und  nach  Geschmack 
poetischen)  Worte,  auch  noch  die  Bedeutung  eines  seltenen  histo- 
rischen Dokumentes,  einer  guten  Beglaubigung  über  eine  sonst  fast 
unbeachtet  gebliebene  kriegerische  Wallentat  eines  der  glorreichsten 
Herrseher  unseres  Vaterlandes. 

Gewisse  Nurphilologen  sowie  Nurhistoriker  pllegen  häutig  in  ge- 
ringschätzigster und  wegwerfendster  Weise  über  solche  Funde  oder 
wenn  man  will,  Entdeckungen  der  Folkloristen  abzuurteilen.  Das  i>t 
ein  Vorgehen,  das  in  keiner  Weise  und  unter  keiner  Bedingung  gul- 
goheisson  werden  kann,  wenn  man  in  Erwägung  zieht,  wie  wenig  z.  U. 
die  Berichte  eines  Livius  über  den  punischen  Krieg  oder  die  eine- 
Tacitus  über  Christen  und  Juden  der  historischen  Kritik  Stich  hal- 
ten. So  mancher  Fikundenforscher  möchte  sich  glücklich  schätzen, 
immer  so  treffliche  Zeugnisse  von  der  Art  unseres  Guslarenliedes  zu 
Gebote  zu  haben. 

Für  den  Ethnographen  ist  der  Inhalt  des  Poems  aus  mehreren 
Gründen  von  Belang,  und  zwar  nicht  zum  geringsten  wegen  der 
Episode,  in  der  zuletzt  die  treulose  Ehegattin  gevierteilt  wird.  Eine 
alte,  furchtbare  Strafe  tritt  in  Erinnerung  vor  uns  als  ein  lTeber- 
lobsol  des  ursprünglichen  slavischen  .Mundschaftrechtes  des  Mannes 
über  seine  Frau.  Auf  Einzelheiten  kommt  übrigens  unser  Kommentar 
zurück. 

Nach  beendigter  Forsehungreise  nahm  ich  meinen  Guslaren 
Milovan  mit  nach  Wien.  Wir  fuhren  mit  der  Bahn.  In  Kab  stiegen 
wir  aus.  Ich  zeigte  ihm  den  Fluss  und  rochierte  mit  Anspielung  anl 
eine  Stelle  des  Liedes  : 

Eto  Baba,  eto  voda  hladna, 

al  no  tece  mutna  ni  krvava. 

Das  ist  die  Bab,  das  ist  das  kalte  Wasser, 

doch  fliesst  sie  weder  trüb  noch  blutig  bin. 

Milovan  machte  ein   urdummes,  verblüfftes  Gesicht,  und  noch 
verdutzter  klang  mir  seine  Frage :  Gospodaru,  zur  moro  bil,  zar  iuiu 


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Ol 


Raba?  (Herr,  ist  es  dorm  möglich,  gibt  es  denn  wirklich  einen  Rab- 
flussV)  —  Da  tliesst  er.  Frag  die  Leute.  —  Nun  stützte  er  das  Kinn 
in  die  (Jabel  des  Zeigefingers  und  Daumens  der  rechten  Hand,  be- 
trachtete tief  in  Gedanken  versunken  bald  das  lehmig  gefärbt«1  Wasser, 
bald  die  Umgebung.  His  knapp  vor  Wien  sprachen  wir  kein  Wort 
mehr  miteinander,  dann  unterbrach  er  das  Schweigen  :  „Da  sieh, 
Herr,  der  Sänger  lügt  nicht,  doch  wer  sollte  glauben  !"  Kaltblütig 
und  kurz  antwortete*  ich  zu  seiner  Beruhigung:  „Was  der  Sänger 
sagt,  ist  alles  wahr!" 

Als  Ethnograph  behaupte  ich  dies  jeder  gegenteiligen  Meinung 
gegenüber.  Der  Guslar  schildert  fern  von  jeder  Tendenz  mit  aller 
möglichen  Treue  Sitten  und  Bräuche,  (ilauben  und  Sprache,  kurz 
fast  alle  Verhältnisse  des  Lebens,  das  seine  Gewährmänner  und  er 
kennen  gelernt.  In  solchen  Dingen  lügt  er  und  erfindet  er  nicht, 
weil  es  sinn-  und  zwecklos  wäre  und  er  auch  bei  seinen  Zuhörern 
durch  unrichtige  Angaben  über  Sachen,  die  ihnen  auch  sonst  be- 
kannt und  geläutig  sind,  überllüssiger  Weise  Anstoss  und  .Missfallen 
erregen  rnüsslc.  So  erscheinen  auch  dem  Ethnographen  gute  Nieder- 
schriften von  Guslarenliedern  als  äusserst  wertvolle  Dokumente.  Zu 
«lieser  Art  zählt  auch  nachfolgendes  Lied. 


Divan  cini  care  u  Stambolu 
zn  tri  petka  i  tri  pouediljka; 
svu  gospodu  sebi  pokupio, 
okupio  pase  i  vezire: 

—  Laie  rnoje,  pa.se  i  ve/.irü- 
sedam  kralja  ot  sedam  zcmalja 
svi  mi  daju  arae  i  porezu, 
i  daju  mi  kljuce  od  gradova, 
sain  mi  ne  da  jedna  jogunica. 
wim  mi  ne  da  ot  Krojana  baue. 

Kvo  ima  dvanajes  godina,  |10 
ritt  »rafci.  nit  poreza  dade, 
nit  mi  kljuea  ot  Krojana  dade. 

K  iinem  um  se,  tvrdu  vjeru  dajem, 
kupic  vojsku  tri  godinc  dana, 
sakupicu  tri  sta  iljad  vojske, 
potjeracu  stotinu  galija 
i  11  njima  ubojne  topove, 
svescu  mu  je  niz  l'ngjurgjevinu 
robit,  palit,  grdne  jade  radit !  20 
Sve  knezove  i  prve  kmetove 
zive  cu  mu  na  kolje  nabijat; 
sve  njegove  pratre  i  popove 
zive  cu  ji  na  kolje  nabijat! 

I»a  cu  snijei  Rani  vodi  ladnoj, 
kod  Habe  cu  zastaviti  vojsku. 
Ongjer  cu  um  sitnu  knjigu  pisat. 


nek  trijebi  bijela  Krojana, 
nek  trijebi  za  petnajes  dana ; 
dovescu  mu  u  Krojana  vojsku,  80 
Krojana  mu  pot  sablju  uzeti 
a  l>ana  cu  ziva  ujititi, 
na  svakc  ga  pate  udariti ; 
a  njegova  pra  Ivana  |)ratra, 
fciva  cu  ga  na  kolac  nahiti ! 
u  cikvn  cu  rnetrut  mujezine. 
tursku  djecu  nek  nee  u  erkvam! 

Sve  govori,  Boga  nespominje! 
Ako  Bog  da,  ui  pornoc  mu  ne  ee! 

♦ 

Kupi  vojsku  za  godinu  dana  :      4t  > 
sakupio  tri  sta  iljad  vojske; 
podize  je  ot  Stambola  grada, 
i  potjera  stotinu  galija 
i  u  njima  ubojni  topovi. 

Svede  mu  je  niz  rngjnrgjevinu, 
robi,  pali  grdne  jade  radi. 
Sve  knezove  i  prve  kmetove, 
zive  njija  na  kolje  nabija 
i  njegove  pratre  i  popove, 
zive  njija  na  kolje  nabija!  50 

l'a  od  sni  jgje  Rubi  vodi  ladnoj, 
Rabi  vodi  ni  e  Biograda. 

r 


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52 

I  tude  je  zastavio  vojskn 

pa  on  sjede,  sitnu  knjigu  pi«e, 

knjigu  i>i§e  ot  Krojana  bann : 

Trijebi  mi  bijela  Krojana, 
trijebi  ga  za  petnajes  dann ! 
eto  mene  s  trista  iljad  vojske! 

Jesam  Ii  ti  baue  govorio 
da  so  svogajogunluka  projgjes?  (>0 

Krojana  cn  pot  sablju  uzeli 
a  tebc  cu  ziva  ujititi, 
na  svake  te  pate  udariti; 
tvoga  sveea  pra  Ivana  pratra, 
fciva  6u  ga  na  kolac  nabiti ! 
u  erkvu  i-u  metrnt  mujezine 
tnrsku  djecu  da  uee  u  erkvam!" 

Knjiga  odr  n  Krojana  grada. 

♦ 

Kada  dojgje  ot  Krojana  bann 
na  njoj  haue  peent  prilomio ;  70 
knjigc  glcda  suy.e  prolijeva, 
poncse  je  erkvi  namastiru, 
da  je  vidi  pra  Ivane  pratar. 

On  nkobi  pra  Ivana  pratra 
pa  mu  darin  knjigu  i  jazijn. 


Ja  gleda  je  pra  Ivane  pratar ; 
Kada  vidje  sta  mn  knjiga  kaza 
a  i  njemn  mila  ne  bijase 

—  Znns  Ii  bane,  zemen  gospo- 

dare, 

kolik  iniaS  na  tefteru  vojske?  SU 

—  Znadem  brate,  pra  Ivane 
Sedamdeset  i  sedam  iljada  jpratre. 
viSc  brate  nijednoga  nejmam ! 

—  Kolik  imas  svojib  kapetana? 

—  Ja  stotinn  iniam  kapetana. 
vise  brate  nijednoga  nejmam. 

—  Ot  stotinn  svojib  kapetana 
koga  imas  najboljeg  junaka? 

—  Najboljega  Dojcin  kapetana  ! 
Kvo  ima  tri  godine  dana,  '.MI 
kaku  sam  ga  ozenio  nilada. 

s  ljubom  ciglu  prinoeio  nojeu 
pa  otiso  n  turskn  tureiju, 
da  nvodi  zemlje  i  gradove: 
nit  je  doso  dvorn  ni  Krojnnu. 

Skoro  mi  je  knjiga  dolazila. 
dolazila  is  turske  tureije. 
Eno  pijc  po  tnn'iji  vino 
a  turaka  na  megdan  pozivlje.  011 


Divän  beruft  der  Kaiser  ein  in  Stambol 
dreimal  je  Freitags  und  dreimal  je  Montags  : 
berief  zu  sieb  die  Herren  allzumal, 
berief  die  l'nschen  und  Vezieren  ein  : 

—  ()  meine  Laien,  Paseben  und  Veziere! 
Von  sieben  Ländern  sieben  Könige, 
sie  geben  alle  mir  Tribut  und  Steuern 
und  geben  mir  die  Schlüssel  zu  den  Städten, 
nur  einer  nicht,  ein  ungeberdig  Frücht!, 
nur  einer  gibt  sie  nicht,  der  Hau  von  Gran!  10 

Zwölf  Jahre  sind  nun  schon  dalüngellossen. 
er  gab  nur  weder  Steuern,  noch  Tribut, 
noch  übergab  er  mir  zu  Gran  den  Schlüssel! 

Ich  schwör'  es  ihm,  bei  meines  Glaubens  Treue! 
drei  Jahre  lang  werd'  ich  ein  Heer  versammeln, 
drei  hundert  tausend  Mannen  werd'  ich  sammeln, 
ein  hundert  Mcergaleeren  mach"  ich  Holt, 
bewehr'  sie  mit  Kanonen.  Todvcrbreitein. 
ich  führ'  sie  hin  entlang  dem  rugarland. 
zu  rauben,  sengen,  grauses  Leid  bereiten;  20 


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53 


die  Schulzen  und  die  reichsten  Lehensbauern. 
lebend'gen  Leibes  lass'  ich  ihm  sie  pfählen, 
und  alle  seine  Fratres  sammt  den  Pfarrern, 
die  lass'  ich  bei  lebend'gem  Leibe  pfählen ! 

Dann  steig'  ich  zu  dein  kalten  Rabfluss  nieder, 
am  Rabfluss  halt'  ich  mit  dem  Heere  Rast. 
Von  dorten  schreib'  ich  ihm  ein  zierlich  Rrieflcin. 
er  säub're  mir  die  weisse  Veste  Gran, 
er  säub're  sie  im  Lauf  von  fünfzehn  Tagen, 
sonst  führ  ich  ihm  das  Heer  hinein  nach  fJran.  MO 
das  Volk  von  Gran  muss  über  Klingen  springen, 
und  ihn,  den  Ran,  den  fang'  ich  ein  lebendig 
und  lass'  ihn  Folter  jeder  Art  erfahren: 
doch  sein  Johannes,  dieser  Franziskaner, 
der  muss  hinauf  lebendig  auf  den  Pfahl: 
ich  setz'  ihm  in  die  Kirche  Mujezine, 
zu  lehren  Türkenkinder  in  den  Kirchen! 

Kr  spricht  und  spricht,  gedenkt  hiebei  nicht  Gölte-! 
So  (iott  es  gibt,  er  wird  ihm  auch  nicht  helfen! 


Kr  sammelt  an  dem  Heer  ein  ganzes  Jahr:  -40 
drei  hundert  tausend  Mannen  zählt  sein  Heer! 
rückt  aus  mit  ihm  von  Stnmbol.  von  der  Stadt, 
und  machte  llott  ein  hundert  Meergaleeren, 
bewehret  mit  Kanonen.  Todverbreitern. 

Kr  führt  das  Heer  entlang  dem  l'ngarland. 
er  raubt,  er  sengt,  bereitet  grauses  Leid  : 
die  Schulzen  und  die  reichsten  Lehensbauern. 
die  lässl  er  bei  lebend'gem  Leibe  pfählen, 
lind  alle  seine  Fratres  sammt  den  Pfarrern 
lebend'gen  Leibes  kommen  auf  den  Pfahl !  o<> 

Und  zu  dem  kalten  Rablluss  stieg  er  nieder, 
zum  Rablluss  tiefcrwärls  von  Meograd 
und  machte  dort  mit  seinem  Heere  Rast. 

Pud  setzt  sich  hin  und  schreibt  ein  zierlich  Rrietlein. 
er  schreibt  das  Rriellcin  an  den  Ran  von  (iran: 

—  Du  sauber'  mir  die  weisse  Veste  (iran, 
du  sauber1  sie  im  Lauf  von  fünfzehn  Tagen  ! 
Drei  hundert  tausend  Mannen  führ'  ich  mit! 
()  Ran.  hab'  ich  dich  nicht  genug  beraten, 
yon  deiner  kecken  Trotzheit  abzulassen?  tili 
Nun  wird  dein  Gran  wohl  über  Klingen  springen, 
dich  krieg'  ich.  dich  lebendig  in  die  Hand 
und  lass'  dich  Folter  jeder  Al  t  erfahren  : 
doch  deinen  lleil  gen,  den  Johannes  Krater, 
der  muss  lebend'gen  Leibes  auf  den  Pfahl!  .  .  . 


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I 


54 


In  seine  Kirche  setz'  ich  Mujezine 

zu  lehren  Türkenkinder  in  den  Kirchen  ! 

So  gieng  der  Brief  mu  h  (hau.  Her  Veste  ah. 


Als  er  heim  Hau  von  (iran  war  angelangt, 
so  hraeh  von  ihm  der  Hau  das  Sigel  auf:  71) 
er  liest  den  Brief,  es  Iiiesst  ihm  Thrän'  auf  Timme, 
er  trägt  ihn  hin  ins  Kloster  an  der  Kirche, 
damit  Johannes  ihn.  der  Krater,  sehe. 

Kr  trilft  dort  an  den  Krater,  Herrn  Johannes 
und  ühergah  ilnn's  Brieflein  mit  der  Schrift. 

Kr  schaut  ihn  durch,  der  Krater,   Herr  Johannes, 
und  als  er  merkte,  was  das  Briellein  spricht, 
da  war  auch  ihm  die  Kunde  gar  nicht  lieh: 

—  -  Ist  dir  bekannt,  o  Beichbeherrscher  Bau, 
welch  Zahl  die  Liste  deines  Heers  verzeichnet?  SO 

Wohl  weiss  ich's,  Bruder  Krater,  Herr  Johannes, 
es  sind  just  siebnundsiebzig  tausend  Streiter, 
nicht  einen  Mann,  o  Bruder,  hab'  ich  weiter! 

—  Wie  gross  ist  deiner  Kapitäne  Zahl  ? 

—  Wohl  zähl'  ich  just  ein  hundert  Kapitäne, 
nicht  einen  Mann,  o  Bruder,  hab'  ich  mehr! 

Von  allen  deinen  hundert  Kapitänen 
wen  hältst  du  für  den  allerkühusten  Helden? 

Den  allerkühnsten  mein'  ich  Hauptmann  Dojcin! 
Drei  Jahre  sind  erst  kürzlich  hingeschwunden.  (.I0 
seitdem  den  jungen  Bitter  ich  beweiht. 
Nur  eine  Nacht  verblieb  er  bei  der  Liebsten, 
dann  zog  er  in  das  türk'sche  Türkenland. 
um  Land  und  Stadt  des  Keiudes  auszukiuiden. 
und  kam  nicht  mehr  auf  seinen  Hof  nach  (iran. 

Ohnlängst  kam  mir  ein  Schreibebrief  zu  Händen, 
er  kam  mir  aus  dem  türk'schen  Tiirkeulande. 
Dort  sauft  er  in  dem  Türkenlande  Wein 
und  fordert  auch  die  Türken  auf  zum  Zweikampf.  \M 

(Kortsüt/.un«  t'ol^t.i 


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55 


Dokumente  sur  Geschichte  der  Zigeuner. 

i. 

O  p  i  n  i  o. 

|)«;  domiciliatione,  et  Regulatione  Zingarorum.1 

Zingari  non  pridein  ordinante  I  )iva  <|Uoudam  Imperatrice  Maria  Theresia 
Neo-Rustiei  vocari  caopti,  <]ua<|iia  versum  velut  Haholicac  Confusionis,  et  dis- 
persionis  iudiees  dirt'usi  Transylvaniam  <|iio<.|Uc  Aranearum  instar  perreptabant 
erant'jiie  alii  illorum  DotHiymm'  «jui  tarn  in  Pagis,  et  cumprimis  <|uiileni  in 
Civitatum.  et  Oppidornm  stenjuiliniis  sive  Locis  ignobilioribus  Tuguria  inco 
lebanf.  et  perpetna  mallcorum  tunsione  Vulcanum  cireuinsndent.es  non  male 
l'abros  imitando,  multi  symphonicos  agendo  vi  tum  sustentabant,  alii  trutoricohw 
vocitati,  sive  <|uibus  sui>  Pnpiliouibus  dcgcie,  et  sub  umbra  portatilium  Domo- 
runi  aestivalium  o  rarioris  texturac  panno  coulici  solitarum,  aut  ad  Incudeni 
desudare,  aut  faeere  torno  fusos,  ( 'oeJilearia,  et  excavare  pelviui,  vel  aptare 
Cribrum  Frumentarium,  vel  deni.jue  cantu  Fidium  dinun  taniem  pidlere  pro- 
prium tuit.  Erant  etiam  complures  boriun,  4111  ad  Ripas  Fluviorum,  aurive- 
lioruui  dclabendo  fulvam  auri  arenam  legeudo,  unde  aurileguli  dicti  susten- 
tandae  Vitae  adinin'u  ula  »|Uaesitabant.  In  moro  bis  otnnibus  positum  erat,  in 
seruin  nutumnnm  Tentoria  observaro,  t  um  vero  defossam  in  Terra  Domunculum 
aliquot  palis,  et  straiuine  tectam,  ad  cujus  Fores  eijuus  aestivae  Domus  e 
loco  in  locuin  vector  indefessus  sub  nubiliario  stramento,  fimoijue  obsepto 
stabulatur.  ineolere.  at  baue  primo  vere  liberiorum  Hospitioruin  desiderio 
deserero.  Quemadinodum  autem  erant  mortalium  ignorantissimi,  »tu  nullam 
leriue  nonuullis  Cultioribus  exeoptis  tenebant  Religionoin,  ac  inter  ignotas 
ipsis  Connubii  Leges  promiseuos  Concubitus,  asvetannjue,  et  a  toneris  exer- 
ritani  occasione  nuditatis,  vel  inter  ejusdem  sexus  puoros  taeditatem.  et  «juod 
ob  vagam  baue  instabilemque  Conditionem  nemo  Pastoivm  illis  intendere 
posset,  v itam  agebant  vix  non  Rclluinam. 
•  Successu  temporis  genshaee  paululuin  ad  strietores  «|Uidem  vitae  social is 

regulas  revocari  caepit,  et  alii  >;ui  elueiiilo  e  diversis  fluviis  auro  operara  loea- 
bant  in  certos  caerus  divisi  vi  articuü  VIII.  anni  1747.  immunitate  i'rbururiis 
coneessa  donati  Jurisdiction!  Montanae  subjecti  sunt,  corta<jue  «(uotannis  ad 
Officium  Auri  Cambioratus  administrauda  auri  «juantitas  ipsis  imposita  est, 
alii  in  Vajvodatus  distributi  sub  peculiari  Zingarorum  Inspeetore  .Jurisdiction! 
t  <  iimerali  subditi  annuain  ad  Aerarium  Cainerale  Taxam  persolvero  obstricti 
biijue  Zingari  Fiscales  Taxalistae  nuneupati  sunt,  alii  deni«.|Ue  duribus  priva- 
torum  Dominorum  Terrestriuin  ( 'omiiiunitatumipie  semet  subjicientes  sta- 
tum<|iie  aut  Jobhagionalem,  aut  Imjuilinalein  amplexi  utiliter  illis  ijuaudo«|Ui! 
<jua  arte  Mcchanica,  <|ua  falee  messoria  famulabantnr,  induci  tarnen  non  pot.e- 
rant,  <|iiin  postmodum  etiam  letonto  Tentorioruin  usu,  aestivo  cumprimis 
tempore  de  loco  in  locum  opihViorum  suoruin  arte  Mechanica  produetorum 
di-trahendorum  causa  «outinuo  non  oberrarent,  c'  sub  boc  <[uandoi|ue  prau- 
ti-xtu  cum  ab  artis  autolycae  notitia  celeberrimi  itaijue  gnan  sint,  ut  vix  non 
oculos  füren tur,  furtis  quo^uo  et  rapinis  non  <piam  überalissime  indulgerent. 

Inde  ad  meliorem  tandem  gentis  hujus  vagae,  et  dispersae  regulatio- 
noin  tarn  l'iva  Imperatrix  Maria  Theresia,  quam  et  Augustissimus  '|UOndam 
linnerator  Josephus  Secundus  editis  iteratis.  anteriores  praetereundo,  sub  :». 
Felnuarii  2«;  Mensis  Julii,  er  2!».  Novembris  anno  1780.  sub  Xumeris  Guber- 

'  KltO  ortit    iiii<)  .l.-m  .1.  scitous  (l.  r   .lurth  <|(>ii  l.XIV.  ii    A.  v.  .!.  17m  .•nts««»- 

dct.-n  a  lmini-trativcn  Commission  I».  noksrln  itr  o|in<-  Ort  un-l  -lalir.  17  S.  Koli«.  I,i»n- 
dfsan  l.jv  tu  niul»|u-it  Nr.  U0l/l7Jh\ 


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5»; 


nialibus  834.  UJ82.  et  b'GOO.  nec  non  sab  2S.  Mensis  Martii  Anno  ITSI.  Nro 
27">!l.  14.  Augusti  anni  17S2.  Sro  U525  et  27.  Augusti  anno  1783.  Nro  1712. 
salutaribus  Ordinationibus  jussit  i|uam  strietissime,  ut  Göns  haee  ad  certa  et 
Üxa  Domieilia  revocetnr,  ac  per  Domie.iliationem  tarn  ad  vestitmn  eultiorom, 
quam  vol  maxiine  ad  politiorem  vitae  moduin,  moresque  honestos  tradueatur. 
Principiisque  keligionis  ac  vitae  soeialis  imhuatur. 

Qualemnam  Benignae  hae  Ordinationes  habuerint  efteetum,  et  quid 
adhuc  ad  plenarie  assequendam  salutareni  Iutentionom  Rogiam  quoad  melio- 
rein  dictae  gentis  regulationein  constituero  neeosso  sit,  in  sequentibus  tribus 
Titulis  quorum. 

1-inus  Do  Zingaris  Fiscalibus  Aurilotoribus. 

2  dus  De  Zingaris  Fiscalibus  Taxalistis. 

3-tius  Di?  Zingaris  ad  Privatos,  vid  <  ommunitates  spectantibus  agit. 
perh'artabitur.  Mitgeteilt  von  A.  H 

( Fortsetzung  folgt.) 


LITTERATUR. 


linst  in  h  All.,  Ideale  Welten  in  Wort  und  Bild.  Ethnologische  Zeit-  und 
Streitfragen  nach  Gesichtspunkten  der  indischen  Völkerkunde.  Drei  Bände 
mit  22  Tafeln.  Bd.  I.  28!»  S. ;  Bd.  II.  270  S.  ;  Bd.  III.  232  Seiten:  gr.  8°  Ber- 
lin is;t)2,  Kmil  Feiher. 

Das  Kvsi  heinen  eines  Werkes  aus  der  Feder  dos  hochverdienten  For- 
schers B.stian,  bedeutet  stets  einen    Festtag   in   unserer   Wissenschaft  der 
Völkerkunde:  eine  neue  Arbeit  von  unserem  Altmeister  bedeutet  immer  eine 
neue  Sprosse  nach  aufwärts  auf  der  Leiter  im  Wissen  vom  Völkergedanken. 
Dies  gros-e  Werk,  das  so  lange  Völkerkunde   und  Religionsphilosophie  be- 
trieben wird,  stets  ein  (Quellen werk   ersten  Ranges  bleiben  wird,  enthält  die 
wissenschaftlichen  Resultate  der  letzton  Reise  (1889—  Ml),  die  Bastian  in  In- 
dien unternommen  hat.   Der  Titel   „Idealo   Welten'4   zeigt  uns   bereits  an, 
welches  Gebiet  menschlicher  Gedankensphäre  diesmal   der  Verfasser  behan- 
delt. „Den  gemeinsamen  Umbegrift   der  Erörterungen,"   sagt  der  Verfasser 
(Vorwort  I.  Bd.),  „bilden  ethnologische  Zeitfragen,  die  in  das  Geschichtliche 
verlaufen  (mit  der  „Lehre  vom  Menschen").  Was  wir  diesem  grossen  Werke 
in  erster  Reihe  verdanken,  ist,  dass  es  uns   mit  den  Vorstellungswelten  des 
alten  und  neuen  Indiens,  besonders  der  jainistischen  so  eingehend,  wie  kein 
anderes  Werk,  bekannt  macht,  Wir  haben  zwar   über  die   religiösen  Sekten 
Indiens  zahlreiche  Werke  zu  verzeichnen,  aber  einen  klaren,  sicheren  Ueber- 
blick  haben  wir  bislang  doch  nicht  gewinnen   können.  Mit  Recht  sagt  daher 
Bastian   (I,   2t:   „lieber   den   wunderlich   grotesken   Mummenschanz,    not  _*r 
welchem  der  Buddhismus,  zumal  wenn  mit  (phantasieloser)  Phantastik,  oder 
der  Bomb.istik  einos  (kraft  theosophischen  Arcanum)  wiederbelebten  „Bom- 
bastes" aufgeputzt,  in  populärer  Literatur  vorgeführt  zu   werden  pllegt  (i:n 
wohl  oder  übel  verstandenen  Kifer),   bedarf  das   mehrfach    darüber  Ges.ngte 
keiner   Wiederholung,   und  auch    philosophirende   Buddha-philen,   die  von 
pessimistischer  Verwandtschaftlichkeit  sich  angeheimelt  fühlen,  können  ihrem. 
S(  Ibstvernichtung  anstrebenden,  Zuge  überlassen  bleiben,  da  sie  in  den  vier 
Wänden  der  Studirstube  nur  das  Bild  der  eignen  Augenlinse  nachzuzeichnen 
sieb  befleissigon,  das  als  umgekehrtes  bekanntlich  auf  dem  Kopf  steht  und 
in  einem  Querkopf  erst  recht,  weil  doppelt  verschroben  (schief  und  schielende." 
Tin  die  Wissenschaft  bei  den  noch  ungeklärt  durcheinander  fahrenden  An- 
sichten nicht  noch  in  fernere  Irrgänge  hineinzuführen,   bedarf  es  eben  eines 
Mannes,  wie  Bastinn,  der  schon  so  manche  tiefe   Furche  im  Felde  der  Wis- 
senschaft gezogen  hat, 

Der  erste  Band  ist  zwar  unter  dem  Sondertitel :  „It'isrn  auf  dir  rn»-- 
derimlischrn  llaUtimtl  im  Jahn-  Isuo  für  rth>i»!<></i<rh<  Studien  und  Sannitln/nj<- 
zirrch  "  erschienen,  aber  man  würde   sich   ausserordentlich   täuschen,  wenn 


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57 


man  in  diesem  Bande  eine  Reisebetschreibung  suchen  wollte.  Bastian  berichtet 
uns  darin  ausführlich,  wie  noch  niemand  vor  ihm,  über  die  religiösen  Sekten 
Indiens,  über  ihre  Entstehungsgeschichte,  ihre  Verbreitung,  über  ihre  Heilig- 
tümer. Ein  klares  Bild  gewinnen  wir  nach  Lesung  dieses  ersten  Bandes  über 
die  mehr  oder  weniger  auffallenden  Abweichungen  der  einzelnen  Sekten  von 
einander  und  über  ihre  besonderen  Eigentümlichkeiten.  Durch  das  Labyrinth 
indischen  Sektenwesens  führt  uns  Bastian  mit  sicherem  Blick  und  mit 
sicherer  Hand,  so  dass  wir,  anfangs  eingeschüchtert  vor  der  mühseligen 
Fahrt,  am  Ende  derselben  mit  ihm  sagen  können  (I.  268):  „So  schiebt  sich 
Allerlei  in  seine  naturgemass  selbstverständliche  Stellung  ein,  wenn  unter 
controllirenden  Prüfungen  (geduldigen  Geduldspiels)  dahin  passend  (mit 
nachträglichen  Rectifi  cationen,  wo  nottuend),  um  die  räumlich  und  zeitlich 
zerrissenen  Fetzen  des  Völkergedankens  in  ein  einheitlich  zusammenhän- 
gendes Bild  zu  vereinigen  für  die  „Geschichte  des  Menschengeschlechts"  (in 
der  „Lehre  vom  Menschen"),  und  aus  Eingewobenheit  in  die  Gesellschafte- 
wesenheit hätte  sich  dann  das  eigene  Selbst  des  Einzelnen  (und  „Einzigen") 
daraus  zu  integriren,  soweit  das  Wissen  reicht  bei  fortschreitender  Durch» 
bildung  des  logischen  Rechnens  (auf  Unendlichkeitsreihen  hinaus)." 

Der  zweite  Band  führt  den   Sondertitel :  „Ethnologie   und  Genchirhte  in 
ihren  Berührungspunkten.  Unter  Bezugnahme  auf  Indien."  Hier  gibt  uns  B.  gleich- 
sam das  Grundgerippe  einer  Entwickelungsgeschichte  der  Geschichtswissen- 
schaft, wobei  eben  der  schlagende  Beweis  geliefert  wird,  wie  die  Ethnologie 
vicarierend  für  dieselbe  einzutreten  gezwungen  ist.  „Dem  Menschen  ist  eben, 
als  nächstes  Forschungsobjekt,  sein   Eigenes,   eigentlichst,   hingestellt,  der 
Mensch  als  Studium  des  Menschen,  und  der  Schwerpunkt  alles  Wissens  hat 
in  diejenige  Lehre  zu  fallen,  die  sich  als  die  „Lehre   vom  Menschen"  kenn- 
zeichnet. „Und  dennoch  fehlt  gerade  sie   in   der  von  den  Wissenszweigen 
geschlungenen  Corona.4*   Sie  hat  die   „Rassen<tualität  mit  ihrem  typischen 
Sondergepräge  zu  berücksichtigen,  „das  von  der  umkreisenden  Peripherie  der 
geographischen  Provinz  im  mikrokosmischen  Centrum  gespiegelt,  "  die  Welt- 
anschauung jedesmal  im  Völkergedanken   projiciert,  Dabei   ist   nicht  ausser 
Acht  zu  lassen,  dass  die  Weltanschauung  des  Culturvolkes  eine  niessende 
ist     die  Gegenwart  eilt  rasch  dahin,   die  Zukunft    ist  unbekannt,   nur  die 
Vergangenheit  steht  fest,  und  ihrerseits  entschwindend  (im  historischeu  Fluss). 
Die  des  Wildstainines  dagegen  ist  stabil,  einkrystallisirt  in  seine  Umgebungs- 
welt. Ihr  Studium  gleicht  deshalb  dem  des  Krystalles,  in   scharfen  Messun- 
gen unterscheid  bar  zu  zerlegen,  während   im  Geschichtsleben  sich   die  For- 
schung   einer    Entwickelung    zuwendet,  im   Zellenschwellen  organischen 
Wachstums,  um  die  Früchte  der  Civilisation  zu   zeitigen  (nach  Zeittgungs- 
phasen  periodicirt)  (II.  1<>)."  Und  weil  eben  die   indischen  Religionssysteme 
„dastehen  als  abgerundete  Kunstwerke,  wie  aus  einem  Guss.   Religion  und 
Philosophie  vereinend,  mit  Antwort  auf  all'  die  Fragen,  welche  das  beküm- 
merte Herz  zu  bedrängen  pflegen  in  dieser  Welt  des  Leidens,"  so  sind  *ic 
in  erster  Reihe  berufen,  um  abgerundete  Reffexbilder  der  ethnischen  Welt- 
anschauung zu  projiciren,  nach  Religion  und  Kirnst,  nach  socialen  Institu- 
tionen hin.  Unter  steter  Heranziehung  psychologischer  Parallelen  aus  ethi- 
schen und  rituellen  Lehren,  aus  der  Glaubenswelt  anderer,  sowohl  wilder, 
als  auch  civilisierter  Völkerschaften  behandelt  Bastian   in  diesem  zweiten 
Bande  auf  breitester  Grundlage  die  Vorstellungswelten  des  neuen  und  alten 
Indiens.  Auch  Geschichtsforscher  werden  den  Inhalt  dieses  Bandes  beher- 
zigen müssen,  besonders  was  den  so  oft  betonten  und  bis  zum  Lächerlichen 
herausgestrichenen  objektiven  und  subjektiven  Standpunkt  der  Geschichts- 
schreibung anbelangt  (IL  21  ff.)  Auch  die  „genealogische"  und  „analogische 
Schule"  geht  dabei  nicht  leer  aus,  und  bei  dem  mythoplastischen  Uebereifer 
unserer  Tage  können  wir  uns  die  Worte  wol  zu  Herzen  nehmen  (II,  HÜ) : 
„Allerdings  ist  (bei  der  überraschenden  Uebereinstinimung  von  Mythen,  Sit- 
ten und  Ueberlieferungen  bei  räumlich  und  zeitlich  einander  ganz  fernste- 
henden Völkern,  die  kein  verwandtschaftliches,  kein  genealogisches  oder 
sprachliches  Band  zusammenhält,  die  civilisirt  und  uncivilisirt,  alt  oder  neu 
sein  können)  —   das  Studium,  obwohl  ein  anziehendes,  ein  getährliches, 


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m 


so  lange  die  Gesetze  des  organischen  IVach&tutnsjtrocesses  noch  nicht  festgestellt  sind, 
»us  denen  sich  indess  das  psgchiche  Lehen  der  Menschheit  zu  entfalten  hat,  statis- 
tischer Unterlage  (bei  streng  methodischer  Forschung  sorgsamster  Controlle). 
Nicht  Vermutungen  üher  mythologische  Grundltegriffe  (wie  in  der  „analogischen"' 
Schule)  genügen,  da  sonst  in  jedem  roten  Hahn  ein  Wodan  krähen  mag,  son- 
dern tatsächlich  gesicherter  Betreisstilcke  l>edarf  es  (wie  aus  psychologischen  Ver- 
gleichungen  sich  ergebend.)" 

Der  dritte  Band  hat  den  besonderen  Titel  :  „Kosmogonien  und  Theogo- 
nien  indischer  Religionsphil  osophitn  (vornehmlich  der  jainist i sehen) ;  zur  Beantwor- 
tung ethnologischer  Fragestellungen."  Es  ist  dieser  Band  eine  unerschöpfliche 
Schatzkammer  für  die  religionsphilosophische  Forschung.  Nicht  nur  die  dies- 
bezüglichen Anschauungen  der  Inder,  sondern  aller  bekannten  Völkerschatten 
des  Erdballs,  ob  lebend,  ob  ausgestorben,  sind  hier  in  entsprechenden  Fächern 
in  übersichtlichster  Weise  für  weitere  Forschung  aufgespeichert.  Bei  wei- 
terer Forschung  aber  —  heisst  es  —  muss  ein  einheitliches  Zusammengehen 
von  Ethnologie  und  Geschichte  involvirt  vorliegen  (unter  gegenseitiger  Cont- 
rolle mit  einander).  „Im  Uebrigen,"  sagt  Bastian  im  Vorwort,  „kann  die  Eth- 
nologie, wenn  aus  der  ihr  ethnographisch  zugehörigen  Domaine  schriftloser 
Wildstiimme,  in  das  Bereich  der  (Kulturvölker  übertretend,  dort  zunächst 
nur  das  in  dem  Völkergedanken  gelieferte  Material  vorbereiten,  für  sachkun- 
dige Behandlung  durch  die  zuständigen  Fachgelehrten  jedesmaliger  Special- 
forschung —  jenes  ethnologische  Material,  das  zum  Aufbau  einer  „Lehre 
vom  Menschen"  verwertet  werden  mag,  nachdem  die  unter  den  Principien 
einer  induetiven  Methode  (und  deren  Verwendungsweise  auf  die  Völkerge- 
danken) in  Durchbildung  genommene  Psychologie  an  die  naturgeschichilichen 
Wissenschaften  (zur  Ueberführung  in  culturgesch  ich  fliehe)  angereiht  sein 
wird,  zur  Abrundung  einer  einheitlichen  Weltanschauung,  wie  deren  „natur- 
wissenschaftlichem Zeitalter"  entsprechend  (und  den  Fragen,  die  unsere  Zeit 
bewegen)."  Der  Schwerpunkt  des  ganzen  Werkes  ist  es  eben,  zu  beweisen, 
dass  sowohl  in  der  Ethnologie,  als  auch  auf  dem  religionsphilosophischem 
Gebiete  im  Geistesleben  der  Völker  einzig  allein  die  naturwissenschaftliche 
Methode  der  Forschung  beobachtet  werden  kann  und  muss,  weil  sie  allein 
uns  zu  den  erstrebten  Resultaten  sicher  hinzuführen  imstande  ist. 

Von  den  22  Tafeln  der  höchst  wichtigen  und  gelungenen  Abbildungen 
sind  jedem  Bande  mehrere  beigegeben.  Die  Abbildungen  sind  auf  46  Seiten 
von  Albert  Grilnwedel  in  trefflichster  Weise  erklärt  worden.  Kurz,  es  ist  ein 
Werk,  das  der  Wissenschaft  unseres  Jahrhundert  für  immerwährende  Zeiten 
zur  Ehre  gereichen  wird. 

Budapest.  //.  r.  Wlislochi. 

* 

Charles  Godfrey  Leland:  Etruscan  Koman  Remains.  London,  Fisher 
Unwin,  181*2.  VLn-f-HSo*  S.  4°.  (Mit  zahlreichen,  teilweise  vom  Verfasser  selbst 
gezeichneten  Illustrationen.) 

Altmeister  Leland,  dem  Folklore  viel  mehr  ist,  als  Gegenstand  wissen- 
schaftlich kühler  Forschung,  ja  mehr  noch  als  Stoff  künstlerischer  Gestaltung, 
weil  eben  die  reichste  Fülle  äusserer  und  innerer  Erlebnisse  —  hat  uns  wieder 
mit  einem  ungeahnten  Zauberhort  überrascht.  Der  grosse  Charmeur  braucht 
nur  seine  Wünschelrute  zu  nehmen,  und  seit  Jahrtausenden  versiegte,  oder 
doch  versiegt  geglaubte  (Quellen  der  Ueberlieferung  rieseln  aus  todtem  Ge- 
steine, und  versunkene  Wälder  mitsammt  ihrem  Feengevölk  und  Geister- 
spuk entsteigen  der  seit  undenkbaren  Zeiten  über  denselben  lastenden  Ver- 
gessenheit. Wer  könnte  da  unter  dem  bestrickenden  Banne  hinreissender 
Darstellung,  die  durchdrungen  von  der  suggestiven  Wärme  ehrlichster 
Ueberzeugung,  auf  Jeden,  der  nur  ein  Fünkchen  vom  höherem  Zigeunertum 
des  Verfassers  mit  ihm  gemein  hat,  fascinierend  wirkt,  —  wer  möchte  da, 
solang  jener  Bann  nicht  nachgelassen,  mit  kleinlich  nörgelnder  Skepsis  an 
diesen  Zauberhort  herantreten  und  das  geisterverscheuchende  Wort  mit 
unbeirrter  Härte  aussprechen,  von  dessen  entnüchterndem  Klange  vielleicht 
die  gesammte  Herrlichkeit  der  heraufbeschwörten  etrusko-römischen  Ueher- 


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59 


lieferung  in  einen  schönen  Kün>tlertraum  zertliessen  würde  ?  Am  wenigsten 
fühlen  wir  uns  hiezu  berufen,  die  im  schier  unentwirrbaren  Knäuel  der 
etraskischen  Fragen  auch  nicht  ein  einziges  Knötchen  dieser  für  ewig  rätsel- 
hatten Wampumschrift  zu  lösen  fähig  wären ;  —  am  wenigsten  drängt  es 
uns,  die  wir  von  der  beträchtlichen  Menge  über  jeden  Zweifel  erhabenen 
folkloristischen  Schatzes,  der  im  Buche  enthalten,  mehr  als  befriedigt,  weil 
freudig  überrascht  sind.  —  in  allerletzter  Reihe  drängt  es  uns  zu  solchem 
kritisch  sichtenden  Verfuhren  einem  Werke  gegenüber,  das  auch  dann  eine 
dankbar  aufzunehmende  Bereicherung  überlieferter  Kunde  bieten  würde, 
wenn  es  vor  einem  hiezu  befugten  Urteil  seinem  Titel  nur  in  weit  geringerem 
Maa.sse  entsprechen  sollte,  als  sein  Verfasser  es  in  ehrlichster  Absicht  und 
mit  hingebungsvollem  Eifer  für  seinen  Lebenszweck  meint.  Und  ist  es  denn 
wirklich  so  undenkbar  und  schwer  glaublich,  dass  hier  in  diesem  uralten 
Zauberlande,  das  von  Irlands  Springwurzel  berührt,  seine  mit  sieben  Siegeln 
verschlossenen  Türen  auf  einmal  vor  unseren  geblendeten  Augen  auttut,  — 
ist  es  denn  gar  so  unerhört,  dass  hier  Jahrtausende  alt«  Ueoerlieferungen 
durch  Schichten  mannigfachster  Art  und  Herkunft,  die  sich  über  sie  gelagert, 
Kraft  ihrer  angeborenen  Zähigkeit  hindurchgewachsen  sind  und  dort  wieder 
zu  Boden  treten,  wo  der  kundige  Schürfer  sie  ahnend  sucht? 

Wir  wollen  uns  diesmal  gar  nicht  auf  die  Erörterung  jener  Frage  ein- 
lassen, ob  Tiniu,  Trramo,  Aplu,  Faflnn,  Cupra,  Turanna,  Alpena  und  wie  sie 
Alle  heissen,  die  von  den  Aesar  und  den  ihnen  untergeordneten  „dii  con- 
sentes"  der  alten  Rasener  oder  Etrusker  bei  Leland  als  in  dem  Volksglauben 
der  weiteren  Umgebung  von  Firenze,  näher  bestimmt  der  Gegend  zwischen 
Forli  und  Ravenna  noch  lebend  dargestellt  werden,  —  ob  alle  diese  Götter- 
gestalten wirklich  die  Bestandteile  einer  seit  vorrömischer  Zeit  bis  auf  den 
heutigen  Tag  on/anmh  fortgeerbten  Kunde  des  an  seiner  Scholle  haftenden 
Volkstums  sind.  Diese,  in  mancher  Beziehving  auch  irrelevante  Frage  ganz 
beiseite  gelassen,  können  wir  unsere  ungeschmälerte  Freude  haben  an  den 
reichlichen  Angaben,  die  Leland  zur  Bekräftigung  jener  unbestreitbaren 
Behauptung  beibringt,  dass  —  wie  in  Italien  überhaupt  und  überall  —  so 
auch  im  toskanischen  Gebiet  „la  vecchia  religione,"  d.  h.  das  alte  Heidentum 
noch  mit  starken  und  lebenskräftigen  Wurzeln  in  der  Volksseele  haftet  und 
tortwährend  neue  Schösslinge  zu  treiben  befähigt  ist.  Dies  mit  unwiderleg- 
baren Zeugnissen  bewiesen  zu  haben  ist  das  über  jedo  nachträgliche  Berich- 
tigung im  Einzelnen  erhabene  V  erdienst  des  neuesten  Leland'schen  Werkes 
—  ich  hätte  beinahe  gesagt:  des  ittngsten  und  vielleicht  schönsten  Kindes 
der  Leland'schen  Muse.  Das  Buch  liest  sich  nämlich  durchweg  wie  die  von 
olympischer  Heiterkeit  und  stellenweise  vom  Sonnenschein  göttlichen  Humors 
beleuchtete  Schöpfung  einer  echten  Künstlernatur.  Denn  eine  solche  ist 
unser  liebenswürdiger  Hexenmeister,  Ehrenzigeuner  und  Poet,  der  den 
Dichter  in  seinen  wissenschaftlichen  Untersuchungen  solchen  Erscheinungen 
gegenüber,  die  ein  congeniales  künstlerisches  Erfassen  fordern,  stets  hervor- 
zukehren versteht.  Bedauernswert  sind  dabei  nur  diejenigen,  weit  prosaischer 
gearteten  Naturen,  die  solchen  Blüten  des  mit  seinem  Objekte  sich  ganz 
verwebenden  und  von  ihm  durchdrungenen  Subjektes  den  eisigen  Hauch 
ihres  grundverschiedenen  Wesens  und  die  schonungslose  Klarheit  engerer 
Gesichtskreise  entgegenbringen.  Solchen  ist  die  ergötzliche  Abfertigung  ge- 
widmet, welche  der  Verfasser  in  seiner  Einleitung  jenen  Kritikern  seiner 
Algonkin-Legenden  erteilt,  die  in  denselben  eine  peinlichere  Genauigkeit 
der  Wiedergabe  erwünscht  hätten.  Beurteiler  dieses  Schlages  dürften  auch 
im  neuesten  Buche  Lelands  Manches  zu  beanstanden  haben. 

laSIi.  Mai.  L.  Katmia. 

$zinn\j*i  Ji':."f,  Magyar  Tajsz6tar  (=  Wörterbuch  der  magyarischen 
Dialekte).  Unter  diesem  litel  gibt  im  Verlage  der  budapester  Buchhandlung 
V.  Hornvänszky  der  klausenburger  Universitätsprofessor  Szinnyei  ein  magya- 
risches f)ialektwüvttrbuch  heraus,  das  berufen  i>t,  in  der  magj-arischen  Phi- 


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'JO 

lologie,  wie  auch  in  der  Volkskunde  eine  *  bedeutende  Lücke  auszufüllen. 
Der  über  80000  Artikel  umfassende  Inhalt  gliedert  sich  nach  folgenden 
Gesichtspunkten:  1.  eigentliche  Dialekt  worte,  die  in  der  Umgangs-  und 
Schriftsprache  nicjjt  vorkommen  und  nur  im  betreffenden  Dialekte  existieren : 
2  Dialektworte  der  Bedeutung  nach,  d.  h.  Worte,  die  in  der  gewöhnlichen 
Sprache  wohl  vorkommen,  aber  im  Dialekt«  eine  ganz  abweichende  Bedeutung 
haben,  3.  Dialektworte  der  Form  nach.  d.  h.  Worte,  welche  im  Dialekte 
eine  phonetisch  abweichende  Form  aber  dieselbe  Bedeutung  wie  in  der 
Bücher- Sprache  haben.  Nebenbei  wird  die  Ammensprache  (Kindersprache) 
Berücksichtigung  linden,  ebenso  die  dialektischen  Formen  der  Taufnamen, 
die  Eigennamen  der  Tiere,  die  Lock-  und  Schenchrufe  für  Tiere.  Wir  Volk- 
forscher  freuen  uns  im  Vorhinein  auf  dies  für  uns  so  wichtige  Werk,  be- 
dauern abei-,  dass  wir  ungefähr  5  Jahre  lang  warten  müssen,  bis  dies  Buch 
uns  complet  vorliegt,  nachdem  es  in  jährlich  circa  3  Heften  zu  10  Bogen 
(a  2  Kronen  per  Heft)  in  zwanglosen  Zeiträumen  erscheinen  wird.  Wir  kön- 
nen dies  bedeutsame  Werk  eines  der  tüchtigsten  magyarischen  Sprachkenner 
allen  Volksforschern  aufs  Wärmste  anempfehlen.  A.  H. 


Kiihiidin/  LajoH.  Vilagnnk  alakulasai  nyelvhagyomanyainkban.  Mytholo- 
giai  tanulmany.  (Die  Gestaltungen   unserer  Welt  in  unsern  Sprachüberlie- 
terungen.   Eine   mythologische  Studie)   Szeged,   i«!»3.   75   S.  gr.  8°  Preis  1 
Krone.  —  A   csillagok  nyelvhagyomanyainkban.   Neprajzi   tanulmany  (Die 
Sterne  in  unsern  Sprachüberlieferungen,  Eine  ethnographische  Studie).  Szeged. 
1893.  2(>S.  8".  Preis  10  Heller.— Wir  hatten  Gelegenheit,  den  wesentlichen  Inhalt 
dieser  eine  reiche  Fülle  überraschender  neuer  Daten  enthaltenden  wichtigen 
Studien  noch  vor  der  Verötf'entlicnung  im  Original  auch   denjenigen  Volks- 
t'orschern  zugänglich  zu  machen,  die  der  magyarischen  Sprache  nicht  mächtig 
sind.  (S.  ,. Ethnologische  Mitteilungen  aus  Ungarn14  II.  3—11,  13!»  — 14«.  —  Mit- 
theilungen   der  anthropologischen   Gesellschaft    in   Wien.    181*3.  Sitzungs- 
berichte.   10—12.   —   Globus.   18! »3.  333—388.  —  Am  Cr<|uell.  1893.)  Indem 
wir  hiemit  das  Erscheinen  dieser  für  die  noch  immer  wenig  gepflegte  Kenntnis 
magyarischen  Volkstums  so  bedeutsamen  Specialstudien  einfach  registrieren, 
können  wir  nicht  umhin,  zu  bemerken,  dass  der  Verfasser,  der  eifrigste  und 
glücklichste   Sammler  und    Bearbeiter  magyarischer  Volkstiberlieferungen, 
•>eit  1«  Jahren  als  armer  Dorfkaplan  in  verschiedenen  Gemeinden  Südungarns 
(gegenwärtig  in  Nemet-Elemer,  Torontaler  Komitat)  dem  nicht  nur  schwie- 
rigen, sondern  auch  ziemlich  kostspieligen  Berufe  der  Volkserforschung  in 
erspriesslichster  Weise  obliegt.   Noch  tüchtigeres  könnte  Kaiman  leisten, 
wenn  er  in  sorgenloser  Stellung  noch  mehr  Müsse  und  Geld  auf  seine  Stu- 
dien verwenden  könnte.  Eine  grosse  Stadt,   der  Kaiman   das  geistige  Erbe 
ihrer   Vorzeit,    die    köstlichsten   Schätze   der   Volksüberlieferung  gerettet 
und  in  mehreren  Bänden  zum  Gemeingut  heimischer  Wissenschaft  gemacht 
hat,  hätte  unlängst  Gelegenheit  gehabt,  Kaiman  zum  Seelsorger  zu  gewinnen. 
Aber  Abderitismus  und  persönliche   Nebeninteressen  vereitelten  das  hierauf 
gerichtete  Streben  der  Besten,  hie  Masse  hat  dort  eben  noch  keine  Ahnung 
von  der  hohen  Bedeutung  des  Volkstümlichen,  noch   davon,  wie  ausseror- 
dentlich wichtig  die  Volkspsychologie,  das  verständnisinnige,  tiefe  Kingehen 
auf  die  Volksseele  für  alle  ist,  welche  leitend,  bildend,  vervollkommnend,  trö- 
stend auf  das  Volk  einzuwirken  berufen  sind,  in  allererster   Reihe   für  den 
Seelsorger.  A.  U. 


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Magyarische  Zeitschriften  aur  Volkskunde. 

Ethnographia.'  Organ  der  Gesellachalt  für  die  Völkerkunde  Ungarns  und 
des  ungarischen  Nationalmuseums.  Vierteljahrlich  ein  Heft,  5  Bogen,  mit 
Illustrationen.  Mitgliedtaxe  jährlich  3  fl.  —  m.  Jahrgang,  1892.  September- 
Dezember.  7—10.  Heft.  (Den  Inhalt  der  Hefte  1—6.  s.  Ethnol.  Mitt.  II. 
3.  Heft,  Umschlag).  Redacteur  Dr.  J.  Jankö.  —  Xantus  J.,  Geschichte  der 
ethnogr.  Abteilung  des  ung.  Nat.  Museums  und  Vorschlag  bezüglich  der 
Zukunft  derselben.  S.  298.  —  Herman  Otto,  Meisterwerke  ungarischer 
Hirten,  S.  310.  —  Jankö  J.,  Mitteilungen  aus.  dem  ung.  ethnogr.  Museum. 
I.  FischereigerÄte  aus  Neu-Seeland,  S.  321.  —  Beledi  P.  M.  Orientalische 
Motive  iu  einem  westlichen  Märchen,  S.  326.  —  Goldziher  I.,  Die  ethno- 
graphischen  Beziehungen  der  vergleichenden  Mythologie.  S.  335.  —  Istvanfty 
Oy.,  Beilage  zum  Aberglauben  der  Palovzen.  S.  351.  —  Wlislocki-Dörfler  A., 
Kalotaszeger  Volksglauben,  S.  302.  —  Besprechungen:  A.  R.  Hein,  Die  bil- 
denden Künste  bei  den  Dayak,  von  J.  Jankö.  S.  367.  —  Vereinsangele- 
genheiten. —  IV.  Jahrgang.  1893.  Jan.— März.  Papai  K.,  Der  Holzbau  der 
Palovzen.  S.  1.  —  Munkacsi  B.,  Die  Urreligion  der  heidnischen  Wogulen. 
S.  32.  —  Jankö  J.,  Finnische  Fischereigeräte,  S.  55.  —  Popovioh  M.  Gy., 
Ivanyt  und  die  Ethnographie  der  Bunyevaczen,  S.  60.  —  Lazar  B.,  Entgeg 
nung,  S.  66.  —  Wl.  H.  Die  ethnographische  Abteilung  der  Millen» ialaus- 
stellung,  S.  68.  —  Litteratur :  Bogdanov  A.,  Die  älteste  Menschenrasse  Mittel- 
vusslands,  von  Jankö  J.  S.  70.  —  Repertorium  von  Herrmann  A.  S.  76.  — 
Verein  sangel  egen  h  eiten . 

ErSly.  (Siebenbürgen).  Zeitschrift  für  Turistik,  Balneologie  und  Eth- 
nographie (von  Siebenbürgen).  Organ  des  Siebenbttrgischen  Karpathen- Vereins 
(in  Kolosvar.)  Illustrierte  Monatsschrift.  Mitgliedgebühr  .jährlich  2  fl.  Fach- 
referent fftr  Volkskunde:  A.  Herrmann.  Der  I.  Jahrgang  (Redacteur  D.  Rad- 
nöti)  1892.  enthält,  an  ethnographischen  Mitteilungen :  Czirbusz  G.,  Ethnogra- 
phische Sonderbarkeit.  S.  203.  (Der  Szolcsvaer  Rumäne  nimmt  den  Namen 
seiner  Frau  an,  wenn  er  in  deren  Besitz  hineinheiratet).  —  Hiezu  Beitrag 
von  Jankö  J.  S.  300.  (Ahnliches  aus  Kalotaszeg.)  —  Jankö  .1.  Über  das 
Ungarntum  in  Kalotaszeg  und  in  Siebenbürgen,  S.  21,  63.  116.  Hierüber  noch 
S.  o4.  —  Gr.  Kuun  G.,  Über  die  Brodnik.  (Rumänen  in  Siebenbürgen).  S.  8. 
—  Hiezu  noch  Veress  G.  S.  382.  —  Wlislocki  H.  Die  Wanderzeichen  der 
siebenbürgischen  Zeltzigeuner.  S.  3H.  (Aus  Ethnol.  Mitt.  II.  133.)  —  Bericht 
über  Herrmanns  ethnographische  Studienreisen  und  Vorträge  in  Sieben- 
bürgen, S.  53,  102.  —  Anzeige  und  Besprechung  von  PubTicationen  zur 
Volkskunde  Siebenbürgens.  -  II.  Jahrgang  (Redacteur  Veress  Endre)  1898. 
1—5.  Heft.  Hemnann  A.,  Der  Höhenkult  bei  den  Völkern  Siebenbürgens. 
I.  Sachsen,  S.  24.  II.  Zigeuner,  S.  100.  IDT.  Magyaren.  S.  137.  —  Veress  E., 
Die  Rumänenfrage  in  Ungarn,  S.  41.  —  Rosenberger  Fani,  Die  Sage  von 
Leanyvar,  S.  149.  Litterarische  Anzeigen.  —  Dieser  sehr  reichhhaltigen 
Zeitschrift  gebührt  das  Verdienst,  die  grosse  Bedeutung  der  Volkskunde  für 
die  Turistik  nachdrücklich  betont  zu  haben  und  zielbewnsst  zur  Geltung  zu 
bringen. 

tipittezeti  Szemle.  (Revue  für  Bauwesen).  Herausgegeben  von  J.  Bobula 
in  Budapest.  Illustrierte  Monatsschrift.  Jährlich  8  fl.  I.  Jahrgang,  1892. 
Herrinann  A.  Die  Architekten  im  Dienste  der  Volkskunde,  S.  15.  —  H.  A. 
Hausbau  in  der  Provinz  S.  121.  (empfiehlt  die  Anwendung  volkstümlicher 
Stile  und  Motive)  —  H.  A.  zum  Studium  des  Gewohnheitsbaues,  S.  216.  — 
Der  zweite  Jahrgang  wurde  bisher  vom  Hilfsredacteur  A.  Herrraann  geleitet,' 
der  diese  Zeitschrift  zu  einem  bedeutsamen  und  in  seiner  Art  einzigen  Organ 
für  das  Studium  des  volkstümlichen  Baues  in  Ungarn  gestaltete  und  mit 
sehr  instructiven  Abbildungen,  hauptsächlich  von  interessanten  Holzkirchen 
in  Ungarn  versaK  I — V.Heft.  Papai  K.  Der  Holzbau  der  Palovzen  und  die  Ent- 
wicklung des  ungarischen  Hauses,  S.  13.  —  H.  A.  Die  Gebäude  der  ethno- 
graphischen Ausstellung  in  Budapest  1896.  S.  18.  —  Huszka  J.,  Szekler 
Kunst.  S.  20.  —  Lehoczky  T.,  Holzkirchen  in  Oberungarn,  S.  45.  —  Wlislocki 
H.  Die  Bauart  unserer  Zigeuner,  S.  68.  —  Arrivederci,  Hausbau  am  Karst, 
S.  75.  —  H.  A.  Zur  Geschichte  unseres  volkstümlichen  Bauwesens,  S.  85.  — 
Jankö  J.  Dur  Gewohnheitsbau  in  Torda,  Aranyosszek  u.  Toroczkö,  S.  9(i.  — 
T.  K.  Beiträge  zur  Geschichte  des  ungarischen  Bauwesen«  im  Mittelalter, 
S.  107.  —  Papai  K.  Der  Holzbau  der  Palovzen.  S.  lltf. 


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In  dem  Verlage  von  Emil  Felber,  Berlin,  8.  W.  4*»,  Halleache-Strasse  4. 
ist  erschienen  und  durch  alle  Buchhandlungen  zu  beziehen  : 

IDEALE  WELTEN 

NACH  UllANOGRAPHISCHEN  PROVINZEN  IN  WORT  UND  BILD. 
ETHNOLOGISCHE  ZEIT-  UND  STREITFRAGEN. 
NACH  GESICHTSPUNKTEN  DER  INDISCHEN  VÖLKERKUNDE 

von 

A.  BASTIAN. 

Drei  Bftnde,  grösstes  8°  mit  22  Tafeln.  Ladenpreis  45  Mark. 

Band  I. 

Reisen  auf  der  Vorder-indischen  Halbinsel  im  Jahre  18f0  für  ethnolo- 
gische Studien  und  Sammlungszwecke.  Mit  *J  Tafeln. 

Band  II. 

Ethnologie  und  Geschichte  in  ihren  Berührungspunkten  unter  Bezug- 
nahme auf  Indien.  Mit  9  Tafeln. 

Band.  in. 

Kosmogonien  und  Tbeogonien  indischer  Religionsphilosophien  (vor- 
nehmlich derjainistischen).  Zur  Beantwortung  ethnologischer  Fragestellungen. 
Mit  4  Tafeln. 


Am  Urquell.  Monatschrift  für  Volkkundr.  Herausgegeben  von  Friedrich  S. 
Kraus«.  (Wien,  VII.  Neustiitgasse  12)  Preis  ganzjährig  1  Mark  oder  5  Kronen.  — 
Diese  billigste  und  interessanteste  Zeitschrift  tür  Volkskunde  sei  allen  Volks- 
forschern und  allen  Freunden  des  Volkstümlichen  aufs  angelegentlichste 
empfohlen. 


INHALT. 


Anton  Ilnrmann.  Als  Vorwort   I 

Erzherzog  Josef,  Mitteilungen  über  die  in  Alcsüth  angesiedelten  Zelt- 
zigeuner   ii 

Pmf,  J>r.  Aurtl  r.  Torölr,  Der  palaeolitbische  Fund  aus  Miskolcx  und  die 

Frage  des  diluvischen  Menschen  in  Ungarn  (Mit  <»  Figuren)  ...  8 

Dr.  Heinrich  r.  Wlitlocki,  Neue  Beiträge  zur  Volkskunde  der  Siebenbürger 

Sachsen   10 

Dr.  Fr.  S.  Kraus*,  König  Mathias  und  Peter  Gereb.  Ein  bulgarisches 

Guslarenlied  aus  Bosnien   46 

.-!.  If.,  Dokumente  zur  Geschichte  der  Zigeuner.  1   55 

Litteratur  :  Ad.  Bastion,  Ideale  Welten,  von  H.  v.  Wlislocki   5ü 

t'/i.  (i.  Lelantl,  Etruscan  Roman  Reinains,  von  L.  ^-Jonu  ....  58 

Szinnt/ry  ./.,  Magyar  Tajsz6tai%  von  A.  H   6W 

h'uhiulny  Lajnn,  Vilagunk  alakuiasai,  und:  A  esillagok  nyeivhagyo- 

manyainkban,  von  A.  H.   .   (!Ü 


Auf  dein  Umschlag:  An  die  Mitglieder  der  «Jypsy  Lore  Soeiety.  —  Mngvarische 
Zeitschriften  zur  Volkskunde.  —  Annoncen, 


IIJ.  BAND. 


1893.  Juli. 


3-4  HEFT. 


Ethnologische  Mitteilungen 

aus  Iii lgarn. 

Zeitschrift  für  die  Völkerkunde  Ungarns 

der  damit  in  ettnograpiilsenen  Belebungen  stehenden  linder. 

Unter  dem  Protektorate  und  der  Mitwirkung 
Beiner  kaia.  und  kOnigl.  Hoheit  des  Herrn  Erzherzogs  Jcsef 

redigierr  uml  herausgegeben,  von 

Prof.  Dr.  Anton  Herrmann. 


Monatlich  1    2  Hefte.  2-4  Bogen.  Pres  des  III.  Bandes  (1893)  8  Kronen 
o.  3  Mark;  für  Mitglieder  irgend  eines  Vereins  für  Volkskunde  6  Kronen 
-  oder  6  Mark.  Wird  auch  irn  Tausch  ß-egen  Publikationen  zur  Volks- 
kunde ab^e^eben.       Nur  direot  vom  Herausgeber  zu  beziehen 


H.'.lsriion  un.l  A.lmiiiNTrjttinu  : 

huclnpost,   I.,   S /  n  1 1  •  C  >•  (i  r  « y  -  u  t  c  /  n  2. 

i 

i. 

Budapest,  1893. 

Riit;liclrticfUc*roi  Me/ei  Aufil. 


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An  die  g.  Mitglieder  der  „Gypey  Lore  Society." 


Nachdem  das  Journal  unserer  Gesellschaft  nach  dreijährigem 
Wirken  vor  einem  Jahre  eingehen  musste,  ist  die  Zigcunerkuudc 
wieder  ohne  eigenes  Organ  geblieben,  und  diese  Lücke  wird  von  den 
Zigeunerforschern  ausserordentlich  lebhaft  empfunden,  Um  diesem 
fühlbaren  Mangel  im  Wesentlichen  abzuhelfen,  geruhte  c^et*  erlauchte 
und  höchstverdiente  Förderer  und  Pfleger  der  Zigeunerkunde,  Seuie 
kaiserl.  und  königl.  Hoheit,  Herr  Erzherzog  Josef  der  von  AnUm 
Hertmann  gegründeten  Fachzeitschrift  „  Ethnologische  Mitteilungen 
aus  Ungarn, "  welche  Jahre  hindurch  der  Wissenschaft  von  den 
Zigeunern  eine  hervorhebende  Beachtung  angedeihen  liess,  aber 
bisher  der  Ungunst  der  Verhältnisse  wegen  nicht  erwünsehter- 
maassen  erstarken  konnte,  die  materiellen  und  moralischen  Bedin- 
gungen des  erspriesslichen  Gedeihens  endgiltig  zu  sichern.  Die  ge- 
nannte Zeitschrift  erscheint  unter  dem  Protectorate  und  der  Mit- 
wirkung Sr.  Hoheit  auch  femer  unter  der  Redaction  von  Anton 
Herrmann,  dem  der  Zigeunerforscher  //.  r.  Wlislocki  als  ständiger 
interner  Hauptmitarbeiter  zur  Seite  steht,  vom  Juni  I.  Jahres  au  in 
Budapest  regelmässig  in  halbmonatlichen  Heften.  Die  »Ethnolo- 
gischen Mitteilungen  *  wollen  den  Gypsy-Lore  von  nun  an  in  noch 
hervorragenderer  Weise  pflegen  und  sich  zum  Organ  internationaler  ' 
Zigeunerkunde  gextalten,  wofür  die  Namen  der  erwähnten  drei  Forscher 
die  sicherste  Bürgschaft  bieten. 

Wir  Unterfertigte  ersuchen  alle  Mitglieder  der  ^Gypsy  Lore 
Society",  die  genannte  Zeitschrift  bestellen  und  ihr  je  häufiger  Ar- 
beiten aus  dem  Gebiete  der  Ciganologie  zuwenden  zu  wollen.  Die 
Mitglieder  unserer  Gesellschaft  können  diese  ausserordentlich  reieb-, 
haltige  Zeitschrift  zum  ausnehmend  billigen  Preise  von  3  II.  Ö.  W. 
(h*  Kronen,  6  Mark,  5  Sh,  7  Frcs)  jedoch  nur  direct  vom  Heraus- 
geber Anton  Hert  mann  (Budapest,  I.  Szent-György-utcza  2.)  beziehen. 

David  MacRitehie  Charles  G.  Leland 

Hon.  Secretttr.  Präs.  «ler  Gypsy  Lore  Society. 

1 
\ 

Bureau  der  Gesellschaft  für  die  Völkerkunde  Ungarns.  * 

Vorstand:  Graf  Geza  Kuun.  \  orstandstell Vertreter:  A.  Herrm&nu  und 
B.  Munkacsi.  Secretitr:  B.  Vikar  (Budapest,  I.,  Gelltithfgy  lO.HJs,  Villa  Vikir). 
Sclirii'tfiihrer:  G.  Nagy.  Cassier:  A.  Papp.  Bibliothekar:  .1.  Jankö.  Hedactt-tire 
des  Vnri'insorgjiitB  „Ethnographia":  A.  Horrinann  und  J.  Janku. 


: 


: 


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I 

i 


Ethnologische  Mitteilungen  ans  Ungarn. 


UNTER  OEM  PROTECTORATE  UNO  DER  MITWIRKUNG 

iSr.  kais.  1 1.  Icönigl.  Holneit  de®  Herrn  Erzherzogs  Josef 
REDIGIERT  U.  HERAU$GEGEBEN  VON  &NTON  J^ERRMANN. 


m.  Band.  Budapest,  1893.  Juli.  3—4.  Heft. 


Ueber  die  heidnisohe  Religion  der  Wogulen.1 

Von  Dr.  B.  Munkdcsi. 

Nach  den  amtlichen  Ausweisen  sind  die  Wogulen  heute  schon 
Kristen.  Die  Anfange  ihrer  Bekehrung  greifen  in  jene  Zeit  zu- 
rück, wo  sie  zum  erstenmal  mit  den  Russen  in  Berührung  kamen. 
Schon  in  jenen  Raubzügen,  welche  die  Nwogoroder  im  12.  Jahr- 
hundert ins  Land  der  Juguren  unternahmen,  kann  man  Spuren  der 
Beteiligung  von  Priestern  nachweisen,  die  dort  wohl  nicht  nuV 
den  Lagerdienst  zur  Aufgabe  hatten,  sondern  auch,  dass  sie  die 
Kirchen  —  welche  nach  Brauch  jener  Zeitperiode  auf  erorberten 
Gebieten  als  Zeichen  der  Unterwerfung  erbaut  zu  wei  den  ptlegten  — 
einweihen  und  der  Kirche  Anhänger  verschaffen.2  Aber  der  religiöse 
Einflnss  der  Nowgoroder,  konnte  hier  ebenso  wenig  erstarken,  als 
ihre  äussere  Herrschaft;  und  auch  der  Bekehrungseifer  des  hl. 
Gerasim,  den  er  in  dieser  Sache  als  Bischof  zu  Perm  im  An- 
fang des  15.  Jahrh.  bei  den  Wogulen  entfaltete,  scheint  von 
keinem  grossen  Erfolge  gewesen  zu  sein.  Voj#  intensiverer  Wir- 
kung auf  das  geistige  Leben  der  Wogulen  ^^^T)stjaken  waren  die 
Tataren  des  sibirischen  Khanats,  durch  derc^^ ermittlung  die  Lehren 
des  Islam  in  der  Weise  sich  zu  verbreiten  begannen,  dass  man 
Spuren  davon  auch  in  Brauch  und  Sprache  der  Wogulen  nach- 
weisen kann  (z.  B.  im  Konda-Wognlisehen  Kuoreü  Buch,  arab.  Koran. 
Buch,  Koran :  oyer-sameu  Tag  des  jüngsten  Gerichts,  arabisch : 
dyer  zemän  Ende  der  Zeit :  asraj  Teufel :  azrdit  Todesdämon ;  ogSel 
Tod :  ar.  e  el  Tod,  Todesstunde  usw.)  Aber  die  formalen  Bekehrun- 

1  S.  Ethnographia.  1SÖ3.  S.  32.  ft'. 

2  Quellen:  Kratkoje  opiaanjije  o  narodje  astjackoin,  socinjennoje  Grigorijetn 
Novickim  t>  1715  godu.  (Kurze  Beschreibung  des  Ostjaken- Volkes,  welche  Gr. 
Novicki  im  Jahre  1715  verfasst  hat.)  Herausgegeben  von  L.  Majkov,  Peters- 
burg 1884.  —  Opisanjije  '  Berjozorskavo  Kraja  (Beschreibung  des  Gebietes  von 
Berezov).  Verfasser  N.  A.  Abramov.  Erschienen  1858  im  XII.  Bd.  der  „Za- 
piski"  der  Geograph.  Gesellsch.  zu  Petersburg.  —  Materialy  dlja  jittoriji  yristi 
Anskato  prosvjescenija  Sibirji  so  vremenji  pokorenija  ejo  v  15*1  godu  do  nacala 
XIX.  stoljetjija.  (Beiträge  zur  Geschichte  der  kristl.  Aufklärung  in  Sibirien 
seit  dessen  Eroberung  im  J.  1581  bis  zu  Anfang  des  XIX.  Jahrh.)  Von  N. 
Abramov.  1854.  —  Snosenjija  Novgoroda  Veljikavo  8  jugorskoj  zjemljej.  (  Das  Ver- 
hältnis Gross-Nowgorod's  zum  ugrischen  Lande.  Iiistor. -geogr.  Skizze  zur 
ältesten  Geschichte  Sibiriens.;  Von  A.  Oksenov.  Erschienen  in  dem  von  N. 
M.  Jadrincev  herausgegebenen:  Ljitjrraturnyj  Sbornjik,  Petersburg,  1885. 

Ethnol.  Mitteil.  a.  Ungarn  III.  5 


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62 

gen.  welche  -eitens  des  Mohamedanisinus  um  die  Mitte  de-  15.  Jahr- 
hunderts Ahmet  Girej,  der  Bruder  des  letzten  sibirix  ln  11  Khan's, 
Köcüih.  begonnen  hatte,  erreichten  gar  hald  ein  Knde  durch  das 
Vordringen  der  Hussen.  15S1  eroberte  Jermak  Tinmfejer,  Anführer 
einer  Kosaken-Häuberbande  die  am  Zusammcntluss  des  Tobol  und 
Litis  erbaute  tatarische  Hauptstadt,  Sibir.  worauf  ein  Teil  der  wu- 
gulischeu  und  ostjakisehen  Häuptlinge  sich  freiwillig  ergab,  ein  an- 
derer Teil  aber  gezwungen  war  der  vordringenden  Waflenmacht 
nachzugeben.  Die  Küssen  vernic  hteten  nicht,  sofort  die  kleinen  ug- 
rischen  Fürstentümer,  deren  Herren  ihnen  unter  den  bestehenden 
Verhältnissen  gute  Dienste  leisten  konnten  in  der  Verwaltung  der 
Gegend  und  beim  Eintreiben  der  Kellsteuer  (jazak.)  Als  Gegendienst 
für  genossene  Schonung,  und  um  die  Gunst  ihrer  Beherrscher 
auch  fernerhin  für  sieh  zu  erhalten,  zeigten  sich  die  ugrischen 
Fürsten  allmälig  auch  zur  Annahme  des  Kristentums  geneigt.  Schon 
zur  Zeit  der  Regierung  Feodnr  lianovic'x  trat  der  obdorsker  Fürst, 
mit  späterem  Namen  Vasilij  in  den  Schoss  der  orientalischen 
Kirche  über,  der  aus  Moskau  in  sein  Vaterland  heimkehrend,  da- 
selbst auch  eine  Kirche  zu  Ehren  des  gleichnamigen  Heiligen  er- 
bauen liess.  Seinem  Heispiel  folgten  die  Mutter  und  der  eine 
Sohn  des  Fürsten  am  Mittel-Ob  (Kondin)  Jiyi'tj.  des  Sohnes  Alai's. 
nach  deren  Heimkehr  der  Fürst  selbst  nach  Moskau  reiste  und  sieh 
taufen  Hess.  Heimgekehrt  liess  auch  er  1602  eine  Kirche  baucn.und 
sandte  auch  noch  seinen  anderen  Sohn  in  die  russische  llesidenz- 
stadt,  der  dort  eine  Hofwürde  erhielt.  Aehnüche  Fälle  wiederholten 
sieh  im  Laufe  des  17.  Jahrhunderts  mehrmals,  aber  sie  waren 
schliesslich  doch  nur  isolierte  Ausnahmserscheinuiigeu  ;  in  der  Volks- 
masse selbst  aber  erwachte  die  Neigung  zur  neuen  Keligion  nicht 
im  Geringsten,  ja  selbst  Nachkommen  der  bereits  Getauften  fielen 
ins  Heidentum  zurück,  z.  \i.  die  der  erwähnten  obdorsker  Fürsten, 
nach  dessen  Nachfolgern  Maninil:,  MoVuk,  Gynda*  Turnhaida  nur 
Tajsa,  der  Ahne,  der  später  unter  dem  Namen  Tajsin  berühmten 
Fürstenfamilie,  1714  wieder  das  Kristentum  annahm. 

Krnster  nahm  sich  der  Kekehrungssache  erst  Peter  der  Grosse 
an,  der  mit  seinem  politischen  Scharfsinn  wahrnahm,  dass  es  zum 
Gedeihen  seiner  Nation  unendlich  viel  beitragen  würde,  wenn  die 
Kristianisierung  der  sibirischen  Heiden  durchgeführt  werden  könnte. 
1706  sandte  er  daher  eine  Verordnung  an  den  berjozover  Militär- 
kommandanten, damit  dieser  den  an  den  (  fern  der  Sigva  regieren- 
den nordwogulischen  Fürsten.  Sek  na  und  den  obdorsker  Fürsten 
Tuvahalda  vor  sich  lade  und  sie  frage:  ob  sie  geneigt  sind  sich 
zum  Kristentum  zu  bekehren.  Diesem  Befehle  folgten  bald  Missio- 
näre nach,  welche  der  sibirische  Metropolite  Fl/ofej  Jss  inskij  unter 
die  Wogulen  und  Ostjaken  aussaudte.  Aber  wie  das  seit  1657  be- 
stehende kondiner  Kloster,  so  hatten  auch  diese  neueren  Vorkeh- 
rungen gar    wenig    Krfnlg   bezüglich    der    religiös»Mi  Aufklärung  des 

'  y  =  tiet'lauteu'les  i. 


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Volke*  aufzuu ei*cn.  bis  schliesslich  Lescinskij  selbst  seine  Metropole 
verliess  und  die  Sache  selbsl  in  die  Hand  nahm.  Ln  der  Hand  den 
kaiserlichen  lTkas.  welcher  die  Ausrottung  der  ostjakischen  und  \vo- 
guliscbcn  Götzenbilder  anordnet,  macht  er  sich  1712  zu  Schiff,  von 
zahlreicher  Mannschaft  begleitet,  auf  seinen  apostolischen  Weg  und 
zwar  den  litis  abwärts  zum  Ob-Fluss.  Ungeheuerer  Schrecken  be- 
mächtigte sich  der  Ostjaken.  als  sie  die  grosse  Gefahr  bemerkton, 
die  ihrer  alten  Kcligion  drohte,  und  ihre  Aufregung  steigerte  sich 
beinah«'  zu  einer  Empörung,  als  sie  wahrnahmen,  dass  die  Hussen 
ihre  heiligen  Stätten  und  Gegenstände  zum  Kaub  der  Flammen  ma- 
chen. An  mehreren  Orten  schaarten  sie  sich  zu  bewaffnetem  Wider- 
stand zusammen  und  waren  bereit  selbst  auf  Kosten  ihres  Lebens 
ihre  Götzen  zu  verteidigen ;  indessen  sahen  sie  noch  bei  Zeiten  ein, 
dass  dem  ausgesprochenen  Willen  des  Garen  gegenüber  jeder  Wider- 
stand fruchtlos  sei.  ja  vielleicht  zum  verhängnisvollen  Untergang 
des  ganzen  Volkes  führe,  und  sie  ergaben  sich  allmächtig  in  ihr 
Loos.  Viele  jedoch,  deren  Gewissen  sich  mit  den  neuen  Zuständen 
nicht  befreunden  konnte,  flüchteten  in  das  Gebiet  von  Obdorsk,  wo 
sie  mit  vielen  tausend  Ostjaken  und  Samojeden  zusammen  auch 
noch  heutigen  Tages  einen  starren  Hamm  gegen  die  Ausbreitung  des 
Kristentums  nach  dem  Norden  hin  bilden.  1714  bekehrte  LesÖinskij 
und  seine  Priester  die  pelimer,  unterlosvaer.  tavdaer.  sowie  die  in 
den  Gebieten  der  Sosva  und  Sigva  Flüsse  wohnenden  nördlichen 
Wogulen  :  und  schliesslich  1715  nach  schweren  Kämpfen  die  kon- 
<laer  Wogulen.  Auf  welche  Weise  diese  Bekehrungen  geschahen, 
das  stellt  uns  ein  von  Itoiuhj  aufgezeichnetes  wogulisches  historisches 
Lied  recht  charakteristisch  dar,  dessen  Held  wahrscheinlich  kein  an- 
derer ist.  als  der  bekannte,  letzte  kondaer  Fürst  .Sr//>X.1  Wir  teilen 
hier  die  t'ebersetzung  dieses  Liedes  mit: 

Lied  beim  Taufgang. 

iPernün  tum  «ry'). 

Auf  der  vielgegendigen  Erde  überall,  so  höre  ich,  Mann : 

viereckige  eckige  Kreuze  erwähnt  man. 

Auf  vielgegendiger  Frde  Gegenden  überall,  so  hör'  ich : 

1  Ueber  den  energischen  "Widerstand  Salik's,  oder  wie  ihn  die  Rus- 
sen nennen  Satiga's,  schreibt  ausführlich  Novicky,  woher  wir  erfahren,  dass 
derselbe  auf  Aneiferung  eines  tobolsker  Tataren  ungefähr  000  bewaffnete 
Männer  um  sich  geschaart  habe,  um  —  wie  es  heisst  —  den  Missionär,  den 
Erzbischof.  samt  seiner  Begleitung  niederzumetzeln.  Diesen  Plan  verriet  ein 
Wogule  den  Missionären,  die  erschreckt  vom  angetretenen  Wege  zurückzu 
kehren  beabsichtigten;  aber  sie  führten  ihre  Absicht  in  der  Furcht  davor 
doch  nicht  aus,  dass  sie  nämlich  durch  das  unter-kondaer.  bereits  getaufte 
Volk,  vernichtet  werden,  sobald  man  ihre  Flucht  bemerkt.  Als  sie  am 
Fürstensitze  einlangten,  so  wagte  der  Fürst  und  sein  Volk  doch  nicht  den 
Kampf  zu  beginnen,  sich  vor  der  bevorstehenden  Todesstrafe  fürchtend. 
„I)u,w  sprachen  sie,  laut  Novicky.  zum  Fürsten.  —  „du  tobst  und  willst  mit 
dem  Kaiser  hadern:  du  selbst  wirst  deshalb  sterben  und  wirst  dadurch  auch 
uns  zu  Grunde  richten!" 


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'J4 


viereckige  eckige  Kreuze 
5  hängt  man  jedem  an  : 

In  meinem  von  meinem  Mann-Vater  gezimmerten, 
aus  einem  Zimmer  bestehenden  Balken-Hause 
sass  ich,  Mann.  —  (Da  auf  einmal  nur)  irgendwoher  erhebt  sich, 
mächtig  schallender,  schalliger  donnernder  Lärm  erhebt  sich. 
10  Auf  den  Marktplatz  meiner  marktplatzversehenen  Stadt 
geh'  ich  hinaus ; 

mit  meinen  schwarzen  Johannisbeeren  gleichenden  beiden  (Augen) 

zu  meinem  Erhabenen-Himmel-Vater  blick*  ich  empor : 

wie  gross  eines  Leuciscus-Fisches  Aug'  ist,  nicht  so  viel  YY'olken- 

15  Dasein  erblick'  ich.  [stückleins 
Ans  Ende  der  unteren  Stormwendung,  dahin  seh"  ich : 
dem  Schnabel  einer  Henne  ähnliches,  schnabligcs  ausgezeichnetes 
ist  von  dorther  erschienen.  [Schiff 
Starke  Flinten  mit  eisernem  Innern 

20  lässt  man  erdröhnen  von  dorther: 
Viele  Kanonen  mit  eisernem  Innern 
lässt  man  erdröhnen  von  dorther: 
unsere  Mutter  Schwarz-Erde  erzittert  nur  so  darob. 
Meinen  seh  wareisernen  pfeilbesetzten  Köcher 

25  in  meine  beiden  zehnfingrigen  Hände  nehmend. 

stell'  ich  Mann  mich  an  die  Spitze  der  sich  erhobenen  Schaar, 
und  wende  das  huhnschnablige  ausgezeichnete  Schiff  zurück. 

Dann  ein  aus  zwei  Stuben  bestehendes  Balken-Haus 
erbaue  ich,  Mann ; 
30  in  diesem  aus  zwei  Stuben  bestehendem  Balken-Haus 
lieg'  müssig  ich,  Mann. 
(Auf  einmal)  irgendwoher  erhebt  sich, 

mächtig  schallender,  schalliger  donnernder  Lärm  erhebt  sich. 
Ich  gehe  abermals  hinaus  : 
35  im  blossen  aus  russischer   Leinwand   bestehenden    Hemde  ans 
dorthin  blick"  ich:  [Ende  der  unteren  Stromwendimg, 

sieh  da!  viele  Kanonen  mit  eisernem  hinein 
erdröhnen  dorten. 

Als  ich  die  Geistesgegenwart  verloren  hatte  : 
40  gestutzt-schössige  zwei  Kosaken 
ergriffen  mich  irgendwie, 

wie  eine  in  diesem  Sommer  ausgebrütete.  sich  zu  erheben  un- 
ergriffen sie  mich  irgend  wie.  [fähige  Kriechente 
Als  ich  genauer  umblickte : 
45  den  verdammten  Bischof,  ihn  selber  brachte  mau. 
Was  man  meinem  Vater  nie  anlegte,  FussM-hellen 
legte  man  mir  an.  dem  Manne  an  ; 
an  hundlngerglcichc,  unflätige  Stätte 
warf  man  mich,  den  Mann. 


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*5 

50  Lange  oder  kurze  Zeit  trug  man  mich. 

v<m  meines  Mann-Vaters  7  (Sehatz)  Kisten  das   letzte  (übrigge- 

Kistchen  nehm'  ich  mit  mir.  [bliebene) 

(Einmal  nur)  ins  Innere  jener  vielerwähnten. 

dem  strahlenden  Morgenstern  gleichenden  Stadt  Tobolsk 
55  gelange  ich,  Mann. 

Was  mein  Vater  nie  gesehen, 

ins  Innere  irgendeines  lausigen  Hauses 

wirft  man  mich,  den  Mann. 

Eine  sich  erneuernde  Mondwoche  hindurch 
60  ernähre  ich,  Mann,  dort  die  Läuse. 

Die  mein  Vater  gefüllt  hat, 

der  viereckigen  Schatzkiste  Ecken 

leere  ich  aus.  —  Dann 

ein  seidenknöpfiger  mächtiger  Herr  tritt  zu  mir  herein. 
05  Wie  ein  zungenhängendes  zungiges  Tier. 

so  fleht  er  dort  zu  mir,  dem  Mann.1 

Die  mein  Mann-Vater  gefüllt  hat, 

der  viereckigen  Schatzkiste  Oeffnung 

ward  weiträumig  (d.  h.  das  Geld  verschwand). 
70  Womit  mein  seidenknöpfiger  mächtige  Herr 

sich  unten  am  Halse  zu  knöpfen  pflegt. 

mit  solchem  brotförmigen  Knopfe 

knöpfelte  ich  mich.2 

Viereckiges  goldenes  Kreuz 
75  hängte  ich  dort  mir  um,  mir  dem  Manne. 

Die  mein  Vater  (als  Opfer  vor  die  Götzen)  zu  stellen  pflegte,  die 

[an  Füllenfett  reiche  Schüssel 

ist  nun  bis  zum  tausendsten  Tage  des  Gottes  (für  immer)  wegge- 
blieben. 

Nach  Leseiuskij's  Tode  schickte  dessen  Nachfolger,  der  Metro- 
polite  Anton  Sfachocxkij  der  hl.  Synode  den  Bericht:  „In  Sibirien 
wurden  ungefähr  40,000  Andersgläubige  getauft  und  unter  ihnen 
37  Kirchen  erbaut.  Die  Andersgläubigen  wurden  weder  durch  Ge- 
walt, noch  durch  Furchteinjagen  oder  sonstige  Androhungen  zum 
Kristentum  bekehrt,  sondern  einzig  und  allein  durch  des  Evan- 
geliums Verkündigung  und  infolge  seiner  eigenen  Bemühungen  * 
(Abramov). 

Seither  sind  nahezu  180  Jahre  verflossen,  in  welcher  Zeit  im 
Interesse  der  Kultur  der  Wogulen  nichts  anderes  geschehen  ist,  als 
dass  man  in  die  volkreicheren  Gegenden  Pfaffen  mit  gehörigem  Per- 
sonal aussandte,  die  —  wie  alle  Reisenden  im  allgemeinen  erfahren 
haben  —  überall,  wo  sich  nur  Gelegenheit  bot,  wahrhafte  Tyrannen 
des  Volkes  wurden.  Auf  dem  ganzen  riesigen  Gebiete,  welches  die 
Wogulen  bewohnen,  gibt  es   heutzutage  weder  eine  Schule,  noch 

1  <1.  h.  er  überredet  mich  zur  Taute. 

'-'  <1.  h.  zur  Taufe  gab  man  mir  prächtige  Kleider. 


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66 


Landstrassen,  noch  einen  Arzt  oder  auch  nur  (»inen  Chirurgen,  noch 
einen  Gewerbtreibenden,  ja  selbst  einen  Schmied  findet  man  nicht 
vor,  obwohl  die  Wogulen  des  ganzen  südlichen  Gebietes  Pferdezucht 
betreiben.  Wo  unter  die  Wogulen  sich  Russen  niedergelassen  haben, 
dort  verschwanden  jene  entweder. spurlos  bis  auf  den  letzten  Mann, 
wie  z.  B.  im  Gebiete  der  Flüsse  Cusovaja  und  Tura.  der  südlichen 
Sosva  und  im  Gebiete  der  oberen  Tavda  (wo  ja  doch  an  letzteren 
Orten  noch  Ifajult/  wogulische  Gesänge  aufzeichnen  konnte),  oder 
sie  sind  dem  Aussterben  gar  nahe,  wie  z.  B.  an  den  Flüssen  Losva 
und  Pelim,  im  Gebiete  der  unteren  Tavda,  wo  ungefähr  nach  einein 
Halbjahrhundert  kaum  mehr  als  anthropologische  Spuren  und  geo- 
graphische Namen  Zeugen  der  einstigen  ethnographischen  Zustände 
sein  werden.  In  Anbetracht  solcher  Verhältnisse  ist  es  gar  leicht 
verständlich,  dass  das  Wogulentum  dort,  wo  es  sich  in  grösseren 
Gruppen  aufrecht  erhalten  hat  —  wie  z.  B.  am  Oberlaufe  des  Konda- 
und  am  Laufe  des  nördlichen  Sosva-Flusses  —  mit  Selbstbewußt- 
sein an  seinen  volkstümlichen  Eigenheiten  hängt,  un,d  dass  beson- 
ders in  der  zuletzt  erwähnten  Gegend  auch  das  uralte  religiöse 
Leben  und  Anschauung  in  vollkommener  Unversehrtheit  fortbesteht. 
Das  einzige  Anzeichen  des  Kristenturns  in  diesen  Gegenden  bestellt 
sozusagen  nur  darin,  dass  gegen  Neujahr  mit  den  Steuereintreibern 
zugleich  auch  der  Priester  des  Bezirkes  erscheint,  die  ihm  gebüh- 
renden Abgaben  und  freiwilligen  Geschenke  einsammelt  und  dann 
durch  den  wogulischen  Unter-Richter,  den  jasewolä  die  noch  unge- 
tauften,  oft  10 — 13  jährigen  Kinder  zusammentreiben  lässt  und  die- 
selben auf  einmal  tauft.  Irgend  eine  Bekräftigung  seitens  der  Kirche 
hält  man  für  überflüssig,  selbst  bei  Ehebündnissen,  denn  au  die 
Kirche  wenden  sich  Eheleute  gewöhnlich  nur  im  Falle  der  Braut- 
entführung, d.  h.  wenn  gegen  das  eventuelle  Auftreten  der  Braut- 
eltern das  Eingreifen  und  der  Schutz  der  Behörde  gerade  bequem 
und  erwünscht  erscheint. 

Grundstock  und  bedeutsamster  Bestandteil  der  Ur-Religion  der 
Wogulen  ist,  wie  ursprünglich  bei  allen  altaier  Völkerschaften,  der 
Naturcult.  Im  Kreise  desselben  nimmt  den  höchsten  mythischen  Rang 
der  Himmel  ein,  dessen  Gemeinname  taarem,  torem,  zugleich  einen 
Ausdruck  für  den  BegrilT  der  Gottheit  bildet,  wie  das  ostjak.  töremy 
tärem,  sürjenisch  jen,  wotjak.  inmar,  mordwin.  skaj,  osttürk.  und  mon- 
gol.  taFlri,  tschuwas.  tür»1  „coelum*  und  zugleich  auch  „deus"  bedeuten. 
Neben  dem  Himmel  war  Gegenstand  besonderer  Verehrung  auch  die 
Erde,  die  nach  wogujischer  Weltanschauung  eigentlich  nur  ein  ergän- 
zender Teil  des  Himmels  ist,  d.  h.  der  „untere  Himmel"  (joli  taare'im 
dem  Himmelreiche,  dem  „oberen  Himmel"  (numi  taarem)  gegenüber. 
In  der  mythischen  Rangordnung  und  Genealogie  nehmen  den  zweiten, 
aber  in  der  religiösen  Praxis  wohl  den  vornehmsten  Platz  die  Manen 
ihr  Xationalhelden  ein  und  von  diesen  stehen  in  erster  Reihe  die 
sogenannten  ,Himmelssöhne*"  (taarem-pytfiet).  Diese  Heroeninanen,  — 

1  9       tietVs  e. 


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67 


von  denen  ein  Teil  gewiss  reininythischeii  und  von  diesen  der  eine 
oder  andere  solarischen  Ursprungs  ist,  —  wohnen  der  Vorstellung 
ihrer  Verehrer  nach,  an  der  Stätte  ihrer  einstigen  Tätigkeit,  wo  man 
sie  sieh  in  Götzengestalten  darstellt.  Diese  Götzenbilder  heissen:  pupg\ 
während  der  durch  sie  dargestellte  innewohnende  lebendige  Geist,  der 
auf  den  Zauber  „gottbeschwörender  Sprüche**  wo  immer  mit  Blitzes- 
schnelle erscheint,  aater  „Fürstenheld**,  oder  wenn  er  weiblich,  ndj 
..Fürstenfrau**  heisst.  Die  Götzenbilder  werden  oft  durch  natürliche 
Stein-  oder  Felsengebilde  (jelpiil  naan  ersetzt,  die  dem  Volksglauben 
gemäss  zauberhafte  Verwandlungen  der  Helden  sind.  Das  den  Sitz 
der  Heldenmanen  bildende  Revier  ist  «vom  Weibe  unberührbare  (d. 
h.  unverletzbare),  vom  Manne  unberührbare  heilige  Krde"  (ne  rautal, 
xum  rautnl  jelpiil  md).  wo  unheilige  Sachen  zu  treiben,  unnötiger 
Weise  oder  iti  unreinem  Zustande  zu  gehen,  Gras  zu  klauben.  Zweige 
zu  brechen  oder  aus  dort  befindlichem  Wasser  zu  fischen,  kochen,  trin- 
ken, ebenda  das  Ufer  mit  dem  linder  zu  beschädigen,  für  eine  mit 
Verdamnis  verbundene  Sünde  (nak)  gilt.  —  Mythische  Wesen  niederen 
Ranges,  aber  deshalb  auch  hervorragende  Objekte  des  Cultes  sind 
die  heiligen  Tiere  (jelpiil  uj),  besonders  der  Bär,  das  Elentier  und  an 
manchen  Orten  der  Hecht  und  die  Schlange ;  ferner  einzelne  Fetisch- 
gegenstände, von  denen  am  häufigsten  das  Schwert  ist :  schliesslich  die 
unterirdischen,  Wasser-,  Feuer-,  Berg-  und  Walddämonen,  beziehungs- 
weise Feen  und  auch  die  Seelen  der  Toten  geben  die  Hausgötzen  ab. 

Alle  diese  grösseren  und  kleineren  Mächte  haben  einen  gewissen, 
bestimmten  Wirkungskreis,  innerhalb  dessen  des  Menschen  Lebensloos 
und  der  Lauf  der  Welt  von  ihrer  Gnade  abhängt.  Daher  ist  die  Siche- 
rung ihrer  Gunst  sehr  wichtig,  was  durch  strenges  Ein  halten  der 
religiösen  Vorschriften  und  besonders  durch  häufige  Opfer  bewirkt 
werden  kann.  Die  Arten  dieser  Opfer  sind:  1.  das  Blutopfer  (jir). 
wozu  man  am  liebsten  Pferde  verwendet,  besonders  weisshaarige.  Diese 
Tiere  können  sich  die  Nordwogulen  nur  mit  schwerer  Mühe  und  grossen 
Kosten  von  den  diesseitigen  Abhängen  des  Ural  oder  aus  dem  Ob- 
gebiete  verschaffen,  weshalb  sie  auch  verhältnismässig  selten  und  nur 
bei  wichtigen  Vorkommnissen  den  Göttern  damit  gefällig  zu  sein 
pflegen.  Die  gewöhnlichen  Opfertiere  sind  das  Rentier  und  bei  den 
Südwogulen  der  Hahn.  2.  Die  Speiseopfer  (puri),  die  aus  gekochten 
oder  gebratenen  Speisen,  besonders  aus  Fleisch,  Fett,  ferner  Mehl- 
speisen und  Getränken  (heutzutage  regelmässig  Branntwein ;  in  alten 
Zeiten,  wie  wir  es  aus  den  Liedern  ersehen,  Bier  und  Hirsemet,  auf 
wogul.  sur  u.  pusä (magy.  sör  u.  hoza).  3.  Opfergegenstände,  besonders  wert- 
volle Tierfelle,  Seiden-  und  Tuchstücke,  oder  Kleiderstücke;  Pfeile. 
Speere ;  Silber-,  Gold-  und  Kupfergeldmünzen,  ebenso  verschieden 
gestaltige  Gussarbeiten  aus  diesen  Metallen. 

Diese  Opfer  sind  nicht  an  bestimmte  Zeiten  gebunden,  sondern 
an  Gelegenheiten,  welche  die  gesammten  wichtigeren  Vorkomnisse  im 
Leben  darbieten,  z.  B.  Anfang  und  Schluss  der  Fischerei-  und  Jagd- 
zeit, ferner  persönliche  Wünsche.  Geburt,  Hochzeit  und  besonders 
Krankheit,  Todesfall  oder  sonst  ein  Unglücksfall.  Bezüglich  der  Art 


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uimI  Meng»*  «Irr  von  der  ( iottheit  gewünschten  < »pfer  gilt  als  Krkeimer 
-owie  als  Vermittler  zwischen  der  Gottheit  und  dem  Menschen  über 
haupt.  der  Schamane  (üajt).  der  sich  für  seinen  Beruf  von  zartest»- 
.lugend  an  vorbereitet  und  zwar  nicht  nur  dadurch,  dass  er  die  reji 
giÖsen  Satzungen  pünktlich  einhält  und  an  den  gemeinschaftlich* 
(Zeremonien  teilnimmt,  sondern  auch  dadurch,  dass  er  ernstlich  be 
strebt  ist.  die  religiösen  (Gesäuge  und  Sagen,  sowie  die  Kenntnis  der 
gottheitbeschwöreiiden  Sprüche  sich  anzueignen.1  Wenn  der  Sch.v 
mane  von  der  Gottheit  Willen  Kenntnis  erhalten  hat.  so  muss  der- 
selbe sogleich  erfüllt  werden:  „mein  am  Abend  begehrtes  Opferen^ 
verschiebet  nicht  auf  den  Morgen:  mein  am  Morgen  begehrtes  Opfercher 
verschiebet  nicht  bis  zum  Abend".  pflegt  die  Mahnung  der  <iöttrr 
in  den  Hc-chwüruiigsliedem  rler  Schamanen  zu  >ein.  Wenn  die  rasch« 
Krfüllung  unmöglich  ist.  so  wird  ein  aus  Birkenrinde  geschnitzt»*- 
Bildm>  des  Opfergegenstandes  |pl.  ein  Boss  oder  Bentier  aus  Bir 
kenrinde  l  gleichsam  als  Schuldschein  neben  da.>  Götzenbild  gelegt, 
welcher  dann  nach  Krlangung  des  begehrten  Opfergegenstandes  ver- 
nichtet wird.  Ines  ist  das  sogenannte  Gelöbnis-Bild  (kastne  yuri/ 

Der  Verlauf  eines  blutigen  Opfers,  wie  ich  ihn  im  Gebiete  de» 
oberen  Losva-Flusses.  in  der  Nähe  von  Pay  uefl-tit-paul  zu  beobach- 
ten Gelegenheit  hatte,  \A  der  folgende:  Vor  allem   wird  die  Opfer 
Stätte    taarewkan   oder  jir-yafne-kan    eiligst    hergestellt,  d.  h.  auf 
dem  Schnee  oder  Basen  wird  ein  gutes  Stück  kreisförmig  nieder 
gestampft  und  in  dessen  vorderen  Teil  stellen  sie  den  als  Ruhplatr 
für  das  herabzubeschwörende  Götzchen    dienende    heilige  Birken 
setzling  y'H'-py'-tiri,  welcher       wenn  sie  dem  Herrn  der  Dämonen, 
den»  kul'-ater  opfern,  durch  einen  Gypressensetzling  (ur-fnl-tirf  ersetz: 
wird.  Dann  bringen  sie  den  Hausgötzen  heraus,  und  zwar  nicht  zur 
Türe,  sondern  so  wie  die  Leiche  und  am  Schluss  des  Totenmahl> 
den  Bärenkopf.  zum  Fmttrr  heraus,  und  mit  ihm  zugleich  werdet* 
die  ihm  zu  Khren  dargebrachten  Opfergegenstände  herausgeschafft 
Felle.  Kleider.  Silberzeug  udgl.:  das  letztere  wird  auf  zu  diesem 
Zwecke   eigens   hergerichtete   Stangen   gehängt.    Dann   fuhrt  der 
Schamane  die  an  einen  Strick  gebundenen  Opfertiere  hervor  um! 
ruft  dann,  vor  dem  tir  stehend  mit  eine  besondere  Aufregung  an- 
drückender, gebrochener  Vortragsweise  au>  voller  Kehle  zum  Himme 
hinauf  die  beschwörenden  Sprüche  und  Flehungen.  Nach  Beendigung 
derselben  töten  auf  den  Wink  de-  Schamanen  seine  Gehilfeu  <i\>- 
Tiere  (indem  sie  hinter  denselben  >tehen)  mit  einem  Beilhieb  utic 
stechen  sie  durchs  Herz  :  in  manchen  Gegenden  werden  die  Tiere 
mit  f'feilen  und  Spiessen  getötet.  Das  ihnen  entströmende  Blut  wiri 

1  Bfi  jeder  wichtigeren  religiÖM-n  Handlung  —  und  dahin  ffelwrt  lr 
Prophezeiung.  Zaubere»  und  Heilkumle  —  i>t  er  der  Leiter  und  Führer.  :«e. 
welchen  (ielegenheit^n  er  die  Werk/enge  bei  sich  hat.-  Zaubertrommel  • 
den  mit  Tierhaut  überzogenen  Zauber.«  lab  'su  jihk  .Schwerter.  Pfeile  uc-i 
andere  Gewath-n.  Zu  seinen  »i  n« ersten  Autgaben  gehört  die  Gotth»'itbe$cbvf- 
rang  /aätth.  .leren  ^rschk-dene  Formen  au>  h  bei  den  wirksamsten  «piriti»'.- 
stlieu  AurtÜhrungeu  am  Flatz>-  wären. 


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6!> 


in  Gefässe  aufgefangen  und  nach  Zerlegung  des  Tieres  essen  sie 
einen  Teil  des  Fleisches  in  dieses  Blut  getaucht,  roh.  der  andere 
Teil  aber  wird  auf  dem  Opferplatz  in  Kesseln  gekocht  und  später, 
oder  erst  am  nächsten  Tage  verzehrt.  Einen  Teil  des  Blutes,  des 
Fleisches  und  anderer  Opferspeisen  stellt  der  Schamane  vor  den 
tir  hin,  damit  der  Duft  und  Geruch  derselben  hinaufdringe  zu  dem 
den  tir  umschwebenden  Geiste  des  Götzchens.  Obendrein  schmiert 
—  wie  es  heisst  —  der  Schamaue  mit  dem  Blute  und  dem  Fleische 
der  Opfertiere  auch  das  Antlitz  des  Götzenbildes  ein,  es  dadurch 
zum  essen  nötigend.  Nach  Schluss  des  Opfermahles  werden  die 
Felle.  Geweihe  und  Schädel  der  Opfertiere  auf  hohe  Bäume  ge- 
hängt, die  übrigen  Knochenreste  aber  bleiben  auf  dem  Opferplatze 
liegen. 

Speiseopfer  werden  gewöhnlich  nur  untergeordneten,  kleineren 
Gottheiten  dargebracht:  diese  Opfer  werden  gar  oft  erwähnt  in  den 
Bärenliedern  und  in  den  die  Götzen  behandelnden  Schauspielen,  in 
denen  gewöhnlich  die  Opferspender  Füllenschenkel  und  „an  Fett 
reiche  Schüsseln"  vor  das  angebetete  Götzenbild  hinstellen.  Zeuge 
einer  anderen  Art  von  Speiseopferspendung  hatte  ich  Gelegenheit  in 
Satr-fxivl  zu  sein,  im  oberen  Gebiete  des  Loswa-Flusses,  als  nämlich 
meine  Leute  vom  Heiligen  des  Losva- Wassers  i Lusmoit-jelpu) )  sich 
verabschiedend,  auf  das  Eis  des  Flusses  einen  Napf  voll  Branntwein 
und  rings  um  denselben  herum  brezelförmige  Kuchen  legten,  dann 
gen  Süden  sich  wendend  unter  Beugungen  die  Beschwörungsformel 
der  Gottheit  hersagten,  nach  deren  Beendigung  sie  ein  wenig  vom 
Branntwein  auf  den  Schnee  gössen,  den  Best  aber  samt  den  Bietzen 
selbst  verzehrten. 

Die  Darbringung  der  Opfergegenstände  geschieht  auf  die  Weise, 
dass  man  dieselben  neben  das  Götzenbild  der  im  Gelübde  erwähnten 
Gottheit  hinstellt  (dem  Wassergotte  wirft  man  sie  ins  Wasser),  oder 
man  verfertigt,  wenn  diese  Gegenstände  dazu  geeignet  sind,  Kleider 
und  Zierrat  für  die  Gottheit  daraus.  Im  Gebiete  des  Ob-Flusses 
werden  diese  Gegenstände  von  besonders  dazu  Betrauten  von  Dorf 
zu  Dorf  eingesammelt,  die  heimgekehrt,  mit  den  gebrachten  Kleidern 
und  anderen  Gegenständen  ihren  Götzen  so  sehr  behängen,  dass 
derselbe  dadurch  überaus  dick  wird ;  trotzdem  bleiben  noch  viele 
Gegenstände  übrig,  die  man  dann  an  den  Wänden,  auf  Stangen  und 
sonstwie  unterbringen  muss.  Zwischen  den  Opfergegenständen  spielt 
eine  sehr  wichtige  Rolle  das  Geld  und  Silberzeug,  dass  von  altersher 
Jahrhunderte  hindurch  neben  den  Götzen  aufgehäuft,  oft  zu  sehr 
grossem  Werte  angewachsen  ist  und  dem  Volke  oft  bedeutende 
Dienste  geleistet  hat,  inwieweit  nämlich  dasselbe  in  Notjahren  wie 
aus  einer  Sparkasse  von  dem  Gelde  der  Götter  sich  Anleihen  machte, 
die  es  dann,  sobald  es  nur  möglich  war,  gewissenhaft  zurückerstattete. 
Im  Zusammenhang  mit  der  Bekehrung  ward  die  Aufmerksamkeit 
auch  auf  diese  Schätze  hingelenkt,  welche  von  den  Ostjaken  und 
Wogulen  samt  ihren  Götzen  in  die  verborgensten  Schlupfwinkel  der 
Wälder  versteckt  wurden,  aber  von  den  sich  unter  sie  angesiedelten 


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72 

Zbogom  <>.-taj  draga  poses- 
Ti  alali  meni  i  gjogatu,  |trime! 
ja  >e  vi>e  vidjet,  ja  ne  vidjet. 

Oto  re'e.  skoci  iz  inejane ; 
prid  mex'nnm  uzjasi  gjogata ! 

* 

l)oj<  in  igje  kako  gjogat  more, 
pa  u  akAam  u  livade  dojgje. 
u  liva<iarn  <"-ador  razapeo.  180 
pa  prid  njime  priveza  gjogata. 

Malo  vrinif  za  (Ingo  ne  bilo, 
al  eto  ti  singe  Mijovila 
snese  njemu  piva  i  jediva. 

Dojriri,  sio,  ladno  pije  vino, 
do  po  nori  ladno  pijo  vino, 

Kada  bjefc>  oko  pola  nori 
ondar  sjede.  sitnu  knjigu  pi*e: 

„Eto  knjiga  rare  ot  Stambola! 
ajde  rare  na  rnegdan  izijgji 
pot  Krojana  u  moje  livade! 

Ako  rare  ne  smijes  izijtfi, 
eto  mene  ni  je  Biograda 
ja  do  Habe,  do  vode  studene; 
svn  cu  tvojn  rastferati  vojsku 
i  na  Nabu  vodw  nagoniti 
a  tebe  <  u  ziva  u  jititi : 
svu  cu  tvoju  bradu  poguliti, 
na  svake  te  pate  udariti!" 

Pa  na  knjigu  pe 'atudario:  200 

—  0  Mijate,  moje  drago  djete ! 
Ajde  sine  Habi  vodi  ladnoj. 
knjigu  nosi  caru  restitome ! 

Kako  dojgjes.  u  vojsku  unigji, 
lijest  knjigu  nosi  u  rukama ; 
kad  opazis  earova  radora. 
—  na  njeniii  su  tri  jabuke  zlatne  — 
pravo  ajde  carovu  radoru  ; 
pa  ti  sine  pot  eador  nnijgji, 
poljubi  inu  nogu  i  nanulu. 
pa  tnu  knjigu  na  krilu  osüivi. 
Pa  se  vrati  u  Krojana  grada. 
Meni  ajde  u  rusne  livade ! 

Kada  Mijat  r-uo  lakrdiju. 
on  proljeva  suze  niz  obraze : 

—  0  Dojeine,  mili  gospodine! 
Evo  danas  devet  godin  dana. 
kako  dvorim  tebe  go^podara, 


nijesam  ti  (nie  u  iniu. 

ni  ot  sad  je  uriniti  ne  du!  22»» 

Ne  Salji  me  uize  Biograda  ! 

Tko  c  toliku  silu  pruditiV 

tko  ee  earu  knjigu  donijeti. 

kaee  tnrci  nioju  osjee  glavu? 

Ti  ni  osjcci  u  tvojoj  livadi. 

svoju  ru  ti  krfcu  aialiti!  [mija: 
Na  njeg  s  Doj«un  grovotoin  za^- 
—  O  Mijate,  moje  drago  djete! 

I'zmi  knjigu,  k  Rabi  vodi  ajde. 

u  po  noci  ko  kad  u  po  daua: 

knjigonosi  nitko  ni*ta  ne  «V. 
Valja  ii'i  pa  da,  ee  ne  do«'-i. 

l'ze  knjigu,  na/e  niz  livade. 


Kada  snijgje  Habi  vodi  ladnoj, 
kat  rare vu  opazio  vojsku, 
\Utii*  mili  «Hida  golemoga! 
nije  sala  tri  sta  iljad  vojske. 
pod  Mijatom  noge  pokleruju. 
iri  valja,  da  ee  poginuti ! 
Kako  dojgje,  u  vojsku  unijgje.  240 
Sitru  knjigu  nosi  u  rukama. 
Knjigonosi  s  mjesta  uklonjaju; 
Nitko  njemu  ni  inukajet  nije. 

On  opazi  rarova  radora: 
Kako  dojgje,  pot  eador  unijgje. 
Poljubi  mu  nogu  i  nanulu. 
pa  mu  knjigu  na  krilu  ostavi. 
Pa  izijgje  Mijat  is  radora. 
Odr  Mijat  pot  Krojana  grada. 

Xa  njoj  rare  peCat  prilomio. 
Knjige  gleda  a  jazije  ne  zna. 
Dade  knjigu  do  sehe  prvome: 
nitko  knjige  prouöit  ne  moze; 
dokle  dojgje  Cuprilie  vezim, 
jer  on  znade  knjigu  svakojaku. 
Pa  on  vidje,  sta  mu  knjiga  kaza. 
pa  on  raru  naustice  kaze : 

—  Sultan  rare,  sunce  ogrejano ! 
Tebe  vlase  na  megdan  saziva; 
ta  njekakav  Dojrin  kapetane.  26»  > 
da  izijgjes  pot  Krojana  grada 
u  njegove  zelene  livade. 
Ako  rare  ne  smijeA  izijei. 
da  «  r  k  nama  k  Habi  vodi  snij«-j 


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Iii 


i  svu  tvoju  rastjerati  vojsku, 
tobe  care  ziva  ujititi, 
na  svake  te  pate  udariti 
i  svu  tvoju  bradu  poguliti ! 

A  kat  rare  <  un  lakrdiju. 
on  proljeva  suze  niz  obraze, 
pa  on  pusca  tri  telara  mlada. 

Oni  vieu  ljetni  dan  do  podne, 
svu  carovu  prolazi:o  vojsku: 

—  Nije  1  majka  rodila  junaka, 
tko  b  za  eara  na  megdan  iziso 
pot  Krojana  Dojein  kapetanu? 

Car  in  11  daje  dvore  kot  svojije 
i  ako  je  junak  neozenjen, 
svojom  «V  ga  eeri  ozeniti,  |280 
svojom  eeri  sultanijom  mlariom ! 

Dok  se  najgje  Susic  Mehmedaga, 
is  Stambola  bijeloga  grada. 
jer  s  lakome  o<"i  pri  poga-  i 


i  turciuu  za  carsku  rijevojku, 
za  carovu  sultaniju  niladu. 

Pa  debela  istjera  dorata ; 
pa  on  ode  pot  Krojana  grada 
da  eadora  Dojein  kapetana ; 
natjera  mu  konja  na  eadora. 

Dojein  sio.  pije  pot  cadorom : 

—  Lako,  lako,  carov  rnegdan- 
uinorna  si  mene  prikobio!  [dzija ! 

Ondar  skoei,  uzjasi  gjogata. 
Natjerase  jedan  na  rirugoga, 
al  je  Dojein  junak  na  mejdanu. 
pa  Memeda  prije  izvadio, 
izvadio  sablju  ot  pojasa 
i  Memoria  prije  ujagruio. 
Osjece  mu  sa  ramena  glavu, 
pa  zatjera  konja  niz  livarie.  3(X) 

Ode  riorat  Kabi  vodi  larinoj, 
brez  Memeda  u  vojsku  unijgje. 


—  Ach  geh,  mein  Hau,  Gebieter  dieses  Boichs  100 
verfass  doch  einen  feinen  Brief  an  Doj-in 
und  übergib  den  Brief  dem  Diener  Dojeins, 
er  soll  von  Stadt  zu  Stadt  auf  Wander  ziehen, 
wo  immer  sieh  er  seinen  Herren  finde, 
er  küss  ihm  gleich  den  Fuss  und  den  Pantoffel 
und  leg  ihm  auf  den  Schoss  das  Briefchen  hin. 
die  Arme  kreuzend  zieh  er  sich  zunicke 
und  eile  sclileunigst  heim  zurück  nach  Gran  ! 

Kin  hundert  Meergaleeren  rüste,  Bau, 
bewehr  sie  mit  Kanonen.  Todverbreitern, 
und  zu  den  Waffen  ruf  das  Heer,  o  Bau ! 

Man  eil  herbei  zum  Kloster  und  zur  Kirche, 
ich  will  dein  ganzes  Heer  in  Beichte  nehmen: 
ich  stell  mich  an  des  Heeres  Spitze,  Bau, 
und  trag  voran  das  Banner  mit  dem  Kreuz 
und  auf  dem  Banner  stellen  grosse  Zeichen ! 

Wir  ziehen  niederwärts  von  Beograri, 
wir  lassen  uns  am  kalten  Babiluss  nieder, 
erwarten  da  des  türkischen  Kaisers  Ankunft ! 

Entweder  retten  wir  die  Veste  (Iran.  120 
oder  wir  sterben,  Bruderherz,  vereint! 

So  sprach  er  und  zur  Kirche  kehrt  er  wieder. 

*. 

Ks  setzt  der  Bau  sich  hin  den  Brief  zu  schreiben 
und  übergab  den  Brief  dem  Diener  I ins : 


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74 

•    O  Mirhai'I.  o  du  mein  trauter  Knabe! 
mach  auf  die  Suche  dich  nach  deinem  lierrn. 
mein  Sülm,  zieh  aus  ins  türkische  Tiirkenland: 
wo  immer  du  den  Hauptmann  hoj -in  findest, 
küss  ihm  den  Tu>s  und  kiiss  ihm  den  Pantoffel 
und  leg  ihm  auf  den  Schoss  das  Briefchen  hin. 
die  Anne  kreuzend  zieh  dich  dann  zurück ! 

W  er  l'ntertan.  gehorcht  otin  Widerrede. 
Von  (irau  flussabwärts  reiste  Michael, 
durchzog  die  Städte  in  dem  Tiirkenland. 
«loch  jenen  könnt  an  keinem  Oj-t  er  finden 
und  keine  Kunde  über  ihn  erkunden. 

So  kehrt  er  heim  zurück  zur  Ve>te  <oan. 
Als  Michael  zur  Schenke  angelangt, 
zur  Scheukenwirtin  Angelikus  Schenke, 
erblickt  er  einen  feistgenährten  Schimmel.  1-44 * 

erkannte  leicht  allda  den  Renner  hojcins. 

l  ud  Michael  hielt  Einkehr  in  die  Schenke. 

Herr  Uojcin  sitzt  und  labt  sich  in  der  Schenke. 
Kr  küsste  ihm  den  Kuss  und  den  Pantoffel, 
die  Arme  kreuzend  zog  er  sich  zurück, 
als  er  den  Brief  ihm  auf  den  Schoss  gelegt. 

Herr  Dojcin  sah.  was  ihm  der  Brief  besagt, 
und  sprach  ein  leises  Wort  zu  Michael: 

—  <>  Michael,  o  du  mein  trauter  Knabe! 
Geh  in  die  Veste  (iran,  mein  Sohn,  hinauf! 
Sobald  die  Abenddämmerung  beginnt, 
bring  mir  herab  zum  Abendmahl  die  Speisung 
auf  ineine  Wiesenfluren  unter  (Iran. 
Fürs  Nachtmahl  reicht  der  erste  beste  Hissen, 
nur  schmälre  mir  den  kargen  Schoppen  nicht! 
ich  aber  mag  nicht  in  die  Veste  Uran, 
ich  geh  vielmehr  auf  meine  grünen  Wiesen 
und  spanne  mirs  (iezelte  dorten  auf! 

So  kehrte  Michael  zurück  nach  (»ran. 

Herr  Dojcin  setzte  sich  zum  kühlen  Weintrunk.  ItfO 
Nachdem  sich  Doj.-in  mit  dem  Wein  vereinigt, 
da  rief  die  Schenkin  Angja  er  herbei : 

—  Komm  her  zu  mir,  o  meine  Herzensschwester! 
Ks  tlog  zu  ihm  die  Schenkenwirtin  Angja. 

—  Wie  viel  beträgt,  o  teure  Heizeusschwester, 
die  Schenkenscliuld  von  mir  und  meinem  Schimmel  V 
wieviel  im  Lauf  von  einem  Jahr  und  Tag? 

—  0  llerzensbruder.  Dojcin  Kapitän. 

die  Schuld  von  dir  beträgt  und  deinem  Schimmel 
in  einem  Jahr  zwei  hundert  tJolddukaten. 

ha  mochte  Dojcin  gar  nicht  Antwort  geben, 
er  reich!  ihr  hin  drei  hundert  (iolddukateu  : 


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Verbleib  mil  *  iott.  n  teure   Herzenv>r!i  weiter  ! 
Vergib  mir  jede  Schuld  und  meinem  Schimmel  : 
wir  sehn  uns  jemals  «»der  niemals  wieder! 

Kr  sprach  also  und  sprang  hinaus  zur  Schenke 
und  seliwaujr  sich  auf  den  Schimmel  vor  der  Schenke. 

Herr  Hojcin  reitet  mit  verhängten  Zügeln 
und  trilft  zur  Däminrung  auf  den  Wiesen  ein. 
Nun  spannt  er  auf  den  Wiesen  das  Gezelt  auf...  ISO 
und  bindet  vor  dem  Zelt  den  Schimmel  an. 

Nach  kurzer  Krist.  es  währte  nicht  zu  lange, 
da  nahte  schon  der  Diener  Michael, 
er  bracht  ihm  Speisen  und  Getränk  herab. 

Herr  Doj  'in  setzte  sich  zum  kühlen  Weintrunk 
und  trank  vom  Kühlwein  bis  gen  Mitternacht. 

So  um  die  Zeit  der  Mitternacht  herum, 
setzt  er  sich  hin  und  sehrieb  ein  zierlich  Briefcheu  : 
-Ein  Fordrungsbrief,  o  Kaiser  von  Istatubol! 
-Wohlan,  o  Kaiser,  rück  heraus  zum  Zweikampf 
..auf  meine  Wiesen  unterhalb  von  Gran! 

»Hast  du  den  Mut  nicht.  Kaiser,  dich  zu  stellen. 
_so  komm  ich  dir  wohl  unterhalb  von  Heigrad, 
„wohl  hin  zum  Rabtluss,  zu  dem  kalten  Wasser! 
-leb  werde  dein  gesammtes  Heer  vertreiben 
.und  in  die  Hab  hinein,  ins  Wasser  treiben, 
-doch  dich,  dich  krieg  ich  in  die  Hand  lebendig 
..und  werd  dir  deinen  ganzen  Hart  zerschinden 
..und  Folter  jeder  Art  dir  auferlegen!" 

I  >rauf  drückt  er  auf  das  Schreiben  auf  das  Sigel.  2<  K  » 

—  0  Michael,  o  du  mein  trauter  Knabe! 
<>  zeuch,  mein  Sohn,  zum  kalten  P'Iuss.  der  Hab. 
und  überbring  den  Hrief  dem  edlen  Kaiser. 

Sobald  du  in  des  Heeres  Lager  kommst, 
so  trag  das  Schreiben  sichtbar  in  den  Händen. 
Fnd  wann  du  das  Gezelt  erschaust  des  Kaisers 

—  drei  goldne  Apfel  zieren  wohl  das  Zelt  — 
schreit  gradenwegs  aufs  Zelt  des  Kaisers  zu. 
und  dann,  mein  Sohn,  tritt  unter  das  Gezelte. 
küss  ihm  den  Fuss  und  küss  ihm  den  Pantoffel 
und  leg  ihm  auf  den  Schoss  das  Schreiben  nieder 
und  kehre  zu  der  Yeste  Gran  zurück. 

zu  mir  hieher  auf  tauigfrische  Wiesen! 

Als  Michael  die  Weisung  wohl  vernommen, 
vergoss  er  Thränen  übers  Angesicht: 

—  0  du  mein  Hojcin,  teuerster  Gebieter! 
neun  Jahre  -ind  wohl  heilt  dahingeflossen, 
seit  deiner  ich,  Gebieter,  treulich  warte. 


doch  niemals  dient  ich  hinterlistig  dir, 

und  derlei  möeht  ich  nun  und  nimmer  tun!  220 

0  schick  mich  nicht  dort  tieferwärts  gen  Belgrad  ! 
Wer  soll  durch  solche  tibermacht  durchdringen, 
wer  soll  dem  Kaiser  dieses  Schreiben  bringen, 

wenn  mir  vom  Kumpf  das  Haupt  die  Türken  schlagen? 

Schlags  lieber  ab  auf  deiner  Wiese  mir, 

Vergebung  dir  für  mein  vergossen  Blut! 

Drauf  lacht  ihm  Dojcin  schallend  ins  Gesicht : 
—  0  Michael,  o  du  mein  teurer  Knabe! 

da  nimm  den  Brief  und  eil  getrost  zur  Rab! 

Hm  Mitternacht  als  wärs  zur  Mittagstunde, 

wer  Briefe  trägt,  vor  jedem  ist  gefeit! 

Da  gilt  es  gehn  und  gab  es  keinen  Bückweg! 

Kr  nahm  den  Brief  und  lief  die  Wiesen  abwärts. 

♦ 

Als  er  zur  Bab,  dem  kalten  Fluss  gelangte, 
als  er  allda  des  Kaisers  Heer  gewahrte, 
—  du  lieber  Gott,  ein  gar  gewaltig  Wunder ! 
drei  hundert  tausend  Mannen  sind  kein  Spass !  — 
erfasst  die  Füsse  Michaels  Gezitter. 

1  >a  gilt  es  gehn  und  gieng  es  in  den  Tod ! 

Sobald  er  kam,  begab  er  sich  ins  Heer  240 
das  zierlich  Schreiben  in  den  Händen  tragend; 
man  macht  dem  Träger  eines  Briefes  Platz, 
mit  keiner  Silbe  tritt  ihm  jemand  nahe. 

So  sah  er  letzt  das  kaiserlich  Gezelte. 
(rat  ohne  Zaudern  unter  das  Gezelte; 
küsst  ihm  den  Fuss  und  küsst  ihm  den  Pantoffel, 
er  legt  ihm  auf  den  Schoss  das  Schreiben  nieder. 
Pnd  Michael  gieng  aus  dem  Zelt  hinaus, 
zur  Veste  Gran  zog  Michael  zurück. 

Der  Kaiser  brach  das  Sigel  auf  vom  Schreiben, 
er  schaut  den  Brief,  doch  kennt  er  nicht  die  Schriftart, 
trat  ab  den  Brief  dem  ersten  Nebenmanne, 
doch  niemand  ist  im  Stand  den  Brief  zu  lesen, 
bis  endlich  Küprülii  der  Vezier  nahte, 
der  kennt  sich  aus  in  Schriften  jeder  Art. 
und  als  er  sah.  was  ihm  das  Schreiben  meldet, 
da  sprach  er  Wort  für  Wort  zum  Kaiser  also: 

O  Sultan,  Kaiser,  Sonnenglanz  und  Leuchte! 
zum  Zweikampf  fordert  dich  ein  Kristel  auf. 
halt  ein  gewisser  Dojciu  Kapitän:  2*10 
du  sollst  ihm  unterhalb  der  Veste  Gran 
auf  seiner  grünen  Wiesenflur  erscheinen. 
Fehlts  dir  an  Mut,  o  Kaiser,  zu  erscheinen, 
so  werd  er  uns  am  Flusse  Bab  besuchen 


und  samt  und  sonders  dir  «lein  Meer  verjagen, 
dich,  Kaiser,  bei  lebendigem  Leibe  fangen, 
mit  Foltern  jeder  Art  dich  martern  lassen, 
dazu  dir  deinen  ganzen  Bart  zerschinden! 

Als  nun  der  Kaiser  solche  Red  vernommen, 
vergoss  er  Thränen  übers  Angesicht. 
Drei  junge  Heeresrufer  sandt  er  aus ; 
die  schrein  den  Sommertag  hindurch  bis  Mittag, 
die  schritten  durch  des  Kaisers  ganzes  Heer : 

—  Gebar  denn  keine  Mutter  solchen  Helden, 
der  für  den  Kaiser  auf  dem  Plan  erschiene 

gen  Hauptmann  Dojcin  unterhalb  von  Gran? 

Dem  schenkt  den  Hof  er  nächst  dem  Kaiserhofe, 
und  falls  der  Held  ein  Ohneweib  geblieben, 
mit  seiner  Tochter  ihn  beweibt  der  Kaiser, 
mit  seiner  Tochter,  mit  dem  Jung-Prinzesschen !  28<) 

Letzt  trat  hervor  Herr  Sustf  Mehmedaga, 
ein  Bitter  aus  der  weissen  Stadt  Istambol ; 
auf  frischen  Fladen  macht  man  grosse  Augen, 
und  sehr  begehrt  der  Türk  die  Kaisertochter, 
die  Kaisertochter  wohl,  das  Jung-Prinzesschen. 

Er  jagt  hinaus  auf  seinem  feisten  Braunen 
und  zog  dort  unterhalb  der  Veste  Gran 
bis  zum  Gezelte  Dojcin  Kapitäns, 
er  spornt  ihm  aufs  Gezelt  das  Boss  hinauf. 

Es  sitzt  Herr  Doj('in  unterm  Zelte  trinkend: 

—  Gemach,  gemach,  du  kaiserlicher  Kämpe! 

du  trafst  mich  an,  dieweil  ich  müde  bin.  [mel, 
Dann  sprang  er  auf  und  schwang  sich  auf  den  Schim- 
sie  stürmten  gen  einander  hoch  zu  Bosse, 
doch  ist  ein  Held  Herr  Dojcin  auf  dem  Plane, 
er  zog  heraus  viel  flinker  noch  als  Mehmed, 
er  zog  heraus  den  Säbel  aus  dem  Gürtel, 
viel  flinker  griff  er  an  den  Partner  Mehmed, 
er  hieb  ihm  von  den  Schultern  ab  das  Haupt 
und  jagt  entlang  den  Wiesen  fort  das  Pferd.  3ÜJ 

Zum  kalten  Babtluss  rannte  fort  der  Braune, 
ohn  Mchemed  ins  Heer  zurück  er  kam. 

(Fortsetzung  lol^t.) 


Ethnol.  Mitteil.  a.  Injtani  III 


TB 


Nachlese  zu  den  kosmogonischen  Spuren  in  der 
magyarischen  Volksüberlieferung.1 

Von  Ludwig  Kdlmdny. 

1.  Schöpfungssagen. 

Als  Gott  die  Welt  erschallen  hatte,  verlangte  der  Teufel  von 
Gott  die  Seele  des  besoffenen  Menschen;  er  sagte,  dass  die  Seele 
desjenigen  Menschen,  der  sich  einmal  berausche,  ihm  gehören  solle. 
Gott  sah,  dass  der  besoffene  Mensch  auf  dem  Totenbette  sich  bekehrt, 
und  er  willigte  nicht  ein,  sondern  sagte,  dass  wenn  er  (der  Teufel) 
vom  Meeresgrunde  Sand  mit  einem  Stricke  heraufbringe,  er  ihm 
dann  die  Seele  des  besoffenen  Menschen  übergeben  werde.  Der 
Teufel  gieng  auch  auf  den  Meeresgrund  hinab,  aber  er  konnte  keinen 
Sand  heraufbringen;  so  bekam  er  denn  die  Seele  des  besoffenen 
Menschen  nicht.  (Aus  Magyar-Szent-Mihäly)  -  —  In  einer  anderen 
Sage  wird  erzählt:  War  auf  der  Welt  ein  Mann,  der  hatte  einen 
Lidvercz;  die  eine  Woche  war  der  Lidvircz  bei  ihm  und  was  er 
(der  Mann)  ihm  auf  der  Welt  sagte,  das  alles  brachte  er  ihm ;  die 
andere  Woche  war  der  L.  bei  dem  Sohne  (des  Mannes):  und  der  L. 
sagte  immer  nur:  „Was,  was,  was  (soll  ich  bringen)?*  Er  sagte 
ihm:  „Bring  mir  jetzt  Mais!*-  Der  L.  brachte  nun  soviel,  dass  der 
Hof  damit  voll  wurde;  dann  sagte  er:  „Bringe  Geld!"  Er  brachte 
(ihm)  soviel,  dass  er  ein  gar  reicher  Mann  wurde.  Als  er  nun  ein 
reicher  Mann  geworden  war,  war  es  ihm  eine  Last,  den  L.  zu  halten ; 
er  gieng  in  die  Nachbarschaft  (nachfragend),  was  er  mit  dem  L. 
machen  solle,  denn  stets  hält  er  sich  ihm  unter  der  Achsel  auf? 
(Man  antwortete  ihm),  er  möge  ihn  in  die  Mitte  des  Meeres  senden, 
damit  er  mit  einen  Strick  Sand  bringe.  Gieng  der  Mann  nach  Hause, 
sprach  der  Lidvercz:  „Was,  was,  was?*  —  „Geh',  bring'  aus  des 
Meeres  Mitte  mit  einem  Strick  Sand!"  Der  L.  gieng  fort,  kam  nimmer- 
mehr zurück.  (Aus  Magyar-Szent-Mihäly).3 

1  S.  Hand  IL,  S.  3—11:  S.  139—148. 

-  Vgl.  dazu  Munkacsi,  Vogul  nepköltesi  gytijtemeny  L  160. 

*  Der  Lidvercz  oder  Lidercz,  auch  Ludvercz  genannt,  ist  ein  Buhlgeist, 
gewöhnlich  in  der  Gestalt  eines  struppigen  Hühnleins;  s.  darüber  ausführlich 
Wlislocki,  Aus  d.  Volksleb.  d.  Magyaren,  sub.  Lidercz.  —  Die  Erschaffung  der 
Erde  aut  ähnliche  Weise  kommt  noch  vor:  in  Munkdcsi's  o.  a.  Werke  139: 
bei  den  Mordwinen  s.  Bttrna,  A  mordvaiak  pogany  istenei  8 ;  bei  den  Tschere- 
missen  s.  Bartta,  A  Votjakok  pogany  vallasarol  20:  Ertnan:  Archiv  für 
wissonsch.  Kunde  von  Russland  XVII.  389:  bei  den  Wotjaken  s.  Munkdcsi, 
Votjak  nepkölteszeti  hagyomanyok  50:  vgl.  noch  die  Ueberlieferung^  der 
Bukowiner:  Zeitschrift  f.  deut.  Myth.  u.  Sittenkunde  I.  179.  In  der  Leber 
lieferung  der  Siebeubürger  Rumänen  sendet  Gott  den  Krzengel  Gabriel  nach 
Erde,  s.  Müller.  Siebenbürg.  Sagen  :  Die  Schöpf,  d.  Welt ;  bei  den  Burjaten 
und  Russen,  s.  Ausland  1866.  §.  534:  1872,  S.  1178;  bei  den  Zigeunern, 
s.  Wlislocki,  Sag.  u.  Märchen  d.  transsilv.  Zigeuner  (Berlin  1887)  Nr.  I.  Vgl. 
noch  Andrej  Die  Flutsagen  S.  78-82. 


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79 


Bezüglich  der  Erde  lieisst  es  in  der  magyarischen  Volksüber- 
lieferung :  Die  ganze  Welt  wird  von  drei  Walfischen  gehalten ;  in 
jedem  dritten  Jahre  drehen  sie  sich  auf  die  andere  Seite,  dann 
erbebt  die  Erde.  (Aus  Temesköz-Lörinczfalva).  In  Magyar-Szent-Mihäly 
berichtet  man  von  4  Walfischen. 

Aehnlich  wie  der  wogulische  Elmpi  auf  Numi  Tarom's  Rat 
rAus  Schnee  einen  Menschen  macht,  knetet,  denselben  in  Bewegung 
setzt,  er  in  Stücke  fällt*,1  heisst  es  in  der  magyarischen  Ueber- 
lieferung:  „Der  Teufel  konnte  Menschen,  Pferde  formen,  aber  wenn 
sie  sich  bewegten,  zerfielen  sie  zu  Staub*4  (aus  Jäszova).2  Der  Teufel 
kann  zwar  Menschen  formen,  aber  ist  nicht  imstande,  ihnen  eine 
Seele  zu  geben  (vgl.  diese  Zeitschr.  Ii.  5  ff).  So  heisst  es  in  Temes- 
köz-Lörinczfalva:  „Den  Elias  und  Enoch  formte  der  Lucifer,  aber 
er  konnte  ihnen  keine  Seele  geben,  da  gab  ihnen  denn  eine  Gott, 
aber  er  nahm  sie  auch  in  den  Himmel  hinauf,  woher  sie  aber  auf 
die  Bösen  schiessen.''  Eine  Sage  aus  Magyar-Szent-Märton  berichtet: 
.Als  Gott  den  Menschen  erschallen  hatte,  wollte  auch  der  Teufel 
einen  erschaffen.  Aus  Kot  war  schon  die  Menschengestalt  geformt, 
aber  eine  Seele  war  nicht  darin.  Also  Gott  segnete  sie,  gab  eine 
Seele  in  sie  (aber  es  war  kein  Loch  an  der  Form);  da  sagte  er 
dem  Teufel,  dass  er  eines  bohren  solle.  Als  es  der  Teufel  bohrte, 
sagte  das  Knarren  des  Bohrers  stets:  Cro-at,  Cro-at!  Fragte  Gott 
den  Teufel,  was  der  Bohrer  sage?  Sagte  der  Teufel:  Cro-at!  So 
ward  der  Croate  (erschaffen)."  In  einer  Variante  dieser  Ueberlieferung 
tritt  Set.  Peter  als  Demiurg  auf:  „Als  Gott  das  Weib  erschaffen 
hatte,  bohrte  Set.  Peter  das  slovakische  Kind  an  (denn  es  hatte  kein 
Loch) :  daraus  ward  der  Raize :  denn  als  er  es  anbohrte,  sprach  sein 
Bohrer  ineinemfort:  Raz,  raz,  raz !  Set.  Peter  sagte  dann,  dass  dies 
also  der  Raize  werde :  seither  sind  Raizen  (Serben)  auf  der  Welt" 
(aus  Egyhäzas-Ker).  Nach  einer  Ueberlieferung  aus  Szöreg  bohrt 
Set.  Peter  den  Raizen  aus  einem  Deutschen.3 

Eine  Sage  aus  Magyar-Szent-Mihäly  erzählt:  „Als  die  ersten 
Menschen  erschaffen  worden  waren,  hielten  die  drei  göttlichen  Personen 
Rat,  welche  (von  den  in  verschiedenen  Zeiten  lebenden  Menschen) 
die  schlechtesten  werden  sollten?  Die  eine  göttliche  Person  sagte, 
die  zu  Anfang  (lebenden),  die  andere  göttliche  Person  aber  sagte, 
die  in  der  Mitte  (lebenden);  Gott-Vater  sagte,  die  zu  allerletzt 
(lebenden)  sollten  die  schlechtesten  sein,  dann  bedauere  Gott  nicht, 
die  Welt  zu  vernichten." 

Nach  magyarischer  L'eberlieferung  gibt  Noe  den  einzelnen 
Tieren  die  Namen,  aber  nicht  bei  ihiem  Herauslassen  aus  der  Arche, 
sondern  schon  bei  der  Aufnahme  in  dieselbe.  In  Torontäl-Monostor 
heisst  es:  „Als  Noe  die  Tiere  in  die  Arche  aufnahm,  wollte  auch 
die  Fliege  hinein,  aber  Noe  sprach  zu  ihr:    ^Fliege,   hier  soi!u 

1  Ilun/alvtf,  Reguly  hagyomanyai  (Rrs  Nachlass)  I.  126. 

2  Vgl.  dazu  die  Sage  aus  Majdan  in  dieser  Zeitschrift  IL  8.  5. 
J  S.  diese  Zeitschrift  II.  S.  8. 


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so 


(Legy,  itt  legy !  —  ttgy  heisst  magyarisch :  Fliege  und  auch :  sei, 
bleib' !)  Seither  heisst  man  sie  Fliege  (legy)u.  In  Magyar-Szent-Mihäly 
gibt  Set.  Peter  dem  Esel  den  Namen.  Als  die  Tiere  ihre  Namen 
erhalten  hatten,  mussten  sie  am  folgenden  Tage  erscheinen,  damit 
jedes  einzelne  seinen  eigenen  Namen  hersage.  Jedes  konnte  seinen 
Namen  sagen,  nur  der  Esel  hatte  den  seinen  vergessen ;  da  zupfte 
ihn  Set.  Peter  am  Ohre  und  sprach  zu  ihm:  „Esel  bist  du.  nicht 
einmal  deinen  Namen  weisst  du!"  Seither  heisst  man  ihn  Esel  und 
seither  hat  er  lange  Ohren  .  .  . 

Eine  demigursche  Rolle1  hat  der  Teufel  beim  Branntwein- 
brennen, das  er  den  Menschen  gelehrt  hat:  -Früher  fluchten  die 
Menschen  nicht ;  als  aber  dem  Landwirt  soviel  Korn  gedieh,  dass  er 
nicht  imstande  war  es  zu  verkaufen,  lehrte  der  Teufel  die  Menschen 
das  Branntweinbrennen ;  darüber  verzankten  sich  die  Menschen ;  da 
bekam  der  Teufel  Seelen,  denn  einer  erschlug  den  andern"  (aus 
Magyar-Szent-Mihäly).  Die  Mordwinen  lehrt  der  Saitan  das  Bierbrauen, 
die  Wotjaken  werden  vom  Diabolus  Keremet  im  Kumyska-Kochen 
unterrichtet;  die  Finnen  lernen  das  Bierbrauen  ebenfalls  vom 
Demiurgen  Osmatar  .  .  . 

Den  ursprünglichen  Zustand  des  Feuers  verderbte  der  Teufel 
also:  „Dem  Teufel  starb  die  Mutter;  die  Menschen  sassen  rings  um 
das  Feuer  herum;  kam  hin  der  Teufel,  sprach:  „Meine  Mutter  ist 
gestorben,  beweinet  sie!"  Die  Menschen  sagten:  „Wir  beweinen  sie 
nicht  !**  —  „Nun,  wenn  ihr  sie  jetzt  nicht  beweinen  wollt,  so  werdet 
ihr  sie  bald  euer  Leben  lang  beweinen!"  Der  Teufel  sprang  nun 
über  das  Feuer  hinweg  u.  Hess  einen  Wind  hinein ;  sogleich  begann 
grosser  Rauch  zu  werden ;  seither  beweint  man  stets  seine  Mutter, 
besonders  wenn  das  Brennholz  nass  ist*4  (aus  Szeged-Gajgonya).- 

Bei  der  Schöpfung  des  Weibes  läuft  nach  Berichten  aus  xMagyar- 
Szent-Mihäly  ein  grosser,  weisser  Hund  mit  Adams  Rippe  davon.* 
In  Magyar-Szent-Märton  erzählt  die  Ueberlieferung :  „Als  Gott  den 
Menschen  erschaffen  hatte,  nahm  er  ihm  eine  Rippe  heraus,  aus 
der  er  die  Eva  formte ;  aber  als  er  die  Rippe  (auf  die  Erde)  nieder- 
legte, stahl  dieselbe  die  Katze;  Gott  haschte  nach  ihr,  riss  den 
Schweif  der  Katze  ab,  daraus  schuf  er  die  Eva ;  deshalb  ist  das 
Weib  so  aufpassend  und  unbeständig*4. 


2.  Vom  Sündenfiall. 

Eine  Sage  aus  Magyar-Szent-Mihäly  erzählt:  „Als  der  alte  Gott 
das  Paradies  anpflanzte,  war  auch  Lucifer  dabei ;  Gott  gab  ihm  die 
Samen,  damit  er  sie  aussäe.  Lucifer  säte  jeden  Samen  aus,  nur  den 
Samen  der  verbotenen  Frucht  säte  er  nicht  aus :  den  steckte  er  sich 

'  S.  ebenda  II.  Bd.  S.  8  oben. 

-'  Andere  Werke  der  Verschlechterung  s.  in  dieser  Zeit  sehr.  II.  S.  5*. 
J  S.  ebenda  S.  6. 


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81 

unter  die  Zunge.  Gott  hatte  dem  L.  aufgetragen,  wohin  er  die 
(einzelnen)  Samen  setzen  «olle;  an  jedem  Orte  war  ein  Samen,  nur 
an  einem  Orte  fehlte  er.  »Wo  ist  von  hier  der  Same?"  fragte  Gott. 
—  .Er  ist  da,  mein  Herr  und  Schöpfer!"  —  „Er  ist  nicht  da! 
Streck'  deine  Zunge  heraus!"  Er  streckte  sie  heraus  und  da  war 
der  Same.  „Steck'  ihn  in  die  Erde!"  (sprach  Gott).  L.  steckte  den 
Samen  in  die  Erde,  er  keimte,  aber  er  wuchs  nicht.  „Herr,  mein 
Schöpfer,  er  wächst  nicht;  segne  ihn,  dann  wächst  er!4"  (sprach  L.) 
Gott  segnete  ihn  dann,  es  wuchs  auch  der  Baum,  aber  er  (Gott) 
sagte  dem  Adam,  dass  er  von  dessen  Früchten  nicht  essen  dürfe. 
I..  aber  sprach  so  lange,  sagte  so  lange:  „Esset  davon!"  bis  sie 
assen.  da  trien  (Gott)  den  Adam  aus  dem  Paradiese. 

Einen  EinfUiss  des  Islam  finden  wir  in  der  Ueberlieferung  aus 
Magyar-Szent-Märton:  „Als  Gott  den  Menschen  erschuf,  kam  auch 
der  Teufel  hinzu,  sah  zu,  wie  Gott  es  beim  Schaffen  anstelle,  damit 
er  bald  es  auch  so  mache :  er  fieng  auch  an,  machte  bereits  die 
Form  aus  Lehm,  damit  er  (also  einen)  erschaffe,  aber  er  konnte  ihm 
eine  Seele  nicht  erschaffen.  Gott  sprach,  dass  er  ihn  auf  die  Füsse 
stellen  solle :  aber  wie  er  sie  immer  stellte,  seine  Form  fiel  immer 
um ;  was  sollte  er  machen ?  als  Gott  einmal  anderswohin  hinblickte, 
so  lehnte  er  (seine  Form)  an  den  Zaun,  aber  wer  hat  den  Zaun 
geflochten?"  1 

An  gnostische  Lehren  erinnernde  Züge  enthalt  folgende  Ueber- 
lieferung aus  Magyar-Szent-Märton:  „Als  die  stolzen  Engel  sagten, 
dass  sie  mehr  können,  als  Gott  der  Vater,  denn  sie  können  auch 
so  einen  Menschen  formen,  wie  er  einen  aus  Sand  und  Lehm  geformt 
hat,  —  da  sagte  Gott,  sie  mögen  ihn  denn  lebendig  machen !  Sie 
sprachen,  sie  könnten  das  nicht  tun.  Da  hauchte  Gott  hin,  sprach : 
.Steh'  auf,  verfolge  deine  Schöpfer!"  Da  warf  sie  Elias  so  lange 
hinab,  bis  Gott  nicht  sagte:  ..Amen!"  Wo  einen  jeden  das  Amen 
antraf,  dort  blieb  er  und  wird  von  Elias  mit  Blitzen  beschleudert, 
manchmal  aber  trifft  er  auch  einen  andern  (einen  Menschen),  denn 
der  böse  Engel  zieht  sich  (oft)  hinter  den  guten  Menschen  zurück".2 

In  einer  Variante  der  Bukowiner  Magyaren  wirft  auch  der 
hl.  Elias  die  bösen  Engel  herab.  Eine  Ueberlieferung  aus  Magyar- 
Szent-Mihäly  lautet:  „Als  Gott  den  Elias  erschaffen  hatte,  sprach 
Lueifer  zum  Erzengel  Set.  Michael:  „Wohin  ist  Gott-Vater  gegangen? 
Wir  sind  schon  genug  vorhanden,  wozu  (noch)  dies  Menschen- 
geschlecht?" Ein  Wort  gab  das  andere,  einen  grossen  Streit  begann 
Lueifer.  Da  stieg  der  Erzengel  Set.  Michael  Gott-Vater  nach  herab : 
.Mein  Herr,  mein  Schöpfer,  Lueifer  hat  einen  grossen  Streit  gegen 
die  Engel  begonnen!"  Da  kam  Gott,  da  kam  auch  der  Prophete  Elias 
hinauf  zum  Streit.  Sprach  Gott :  „So  lange  fallet,  bis  ich  mein  Amen 
sage!"  Elias  warf  sie  sofort  hinab.  Als  Gott  sein  Amen  aussprach, 
da  blieb  jetler  dort,  wo  ihn  das  Amen  antraf.  Als  da  Jesus  in  die 

1  S.  eb.  S.  10. 
"  S.  eb.  S.  140. 


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82 


Hölle  stieg,  sprach  ein  Engel  zum  Propheten  Elias:  „Was  suchst 
du  hier  mit  Leib  und  Seele,  hier  ist  kein  Platz  für  dich?"  Sprach 
der  Prophete  Elias:  „Bis  zum  jüngsten  Gericht  werde  ich  in  diesem 
Zustande  hier  bleiben.*  Dann  muss  er  auch  herabkommen,  dann 
muss  er  auch  sterben. " 


Eine  Heldensage  der  Süd-Ostjaken. 

Mitgeteilt  von  Dr.  Karl  Päpal. 

Während  wir  aus  dem  Schatze  wogulischer  Volksüberlieferung 
namhafte  und  zahlreiche  Aufzeichnungen  von  Bernhard  Munkdcsi 
besitzen,1  so  haben  wir  aus  der  Volkspoesie  der  an  Zahl  und  Aus- 
breitung bedeutenderen  Ostjaken  bislang  kaum  eine  nennenswerte 
litterarische  Mitteilung.  Neben  seinen  handschriftlichen  Aufzeichnun- 
gen wogulischer  Volksdichtungen  bewahrt  die  ungarische  Akademie 
der  Wissenschaften  von  Reguly  auch  das  Manuscript  einiger  ost- 
jakischer  Heldenlieder  und  zwar  in  der  Originalsprache,  aber  bislang 
haben  dieselben  noch  keinen  Erklärer  gefunden.  Nach  Reguly  hat 
sich  Ahlquist  mit  der  Sprache  der  Nord-Ostjaken  befasst  und  in 
seiner  „Chresthomatie"  einige  ostjakische  volkspoetische  Texte  und 
zwar  so  gehaltlose  Märchen  und  Lieder  veröffentlicht,  dass  wir 
daraus  nicht  einmal  eine  Ahnung  von  der  reichen  Sagen-  und 
Heldendichtung  der  Ostjaken  gewinnen.  In  neuerer  Zeit  hat  der 
russische  Forscher  S.  Patkanov  drei  Heldenlieder  und  zwei  Sagen 
der  Ostjaken  am  Irtis-Fluss  in  ostjakischer  Sprache  und  15  kurze 
Märchen  in  russischer  Ueberzetzung  mitgeteilt.2  Ein  anderer  russischer 
Reisende,  Herr  Adrijanov  aus  Tomsk  hat  vor  mir  die  vas-juganer 
Ostjaken  besucht  und  wie  er  mir  mündlich  mitteilte,  mehrere  ost- 
jakische Volksdichtungen  aufgezeichnet.  Ob  er  dieselben  im  Druck 
veröffentlicht  hat,  weiss  ich  nicht. 

Ich  selbst  habe  während  meiner  Studienreise  in  Sibirien 
mehrere  ostjakische  und  ostjakisch-samojedische  Heldenmären,  Sagen 
und  Märchen  nach  in  russischer  Sprache  gehaltener  Mitteilung  auf- 
gezeichnet, —  zu  dem  Zwecke  blos,  um  mich  mit  der  Volksseele 
näher  bekannt  zu  machen  und  die  Aufmerksamkeit  der  Volksforscher, 
besonders  meines  Freundes  Munkdcsi,  der  sich  nach  Beendigung 
seiner  wogulischen  Studien  auch  hiemit  befassen  wollte,  auf  dies 
sozusagen  unbekannte  Gebiet  hinzulenken.  Meine  Sammlung  umfasst 
ungefähr  1Ü  Druckbogen  und  mag  besonders  für  den  vergleichenden 
Folklore  von  Wert  sein. 

1  Aus  Munkdctfs  wogulischer  Sammlung  ist  bislang  im  Verlag  der 
nngar.  Akademie  der  Wissenschaft,  vom  I. — III.  Bande  je  ein  Heft  erschienen, 
wogulische  Originaltexte  nebst  magyarischer  Uebersetzung  enthaltend. 
Herrmann  hat  im  11.  Band  dieser  Zeitschrift  mehrere  Stücke  in  deutscher 
Uebersetzung  veröffentlicht. 

8  S.  Patkanov,  Tip.  ostjackav  bogatyrja  (Typus  ostj.  Heldenlieder). 
Petersburg  1891.  71  S.  (Sonderabdruck  aus  ..Zivoi  Starina"  III. -IV.  Band). 


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88 


Im  Folgenden  will  ich  eine  Heldensage  der  Süd-Ostjaken  mitteilen, 
die  ich  in  der  Jurte  Kalümskij  (Kalem-puchel)  am  Ob  oberhalb 
Surgut  nach  der  Mitteilung  des  als  „  Liederkenner  **  berühmten  Vasüij 
Öerdakov  genau  aufgezeichnet  habe.  In  ihrer  gegenwärtigen  Gestalt 
ist  die  Sage  sehr  zusammengezogen,  bruchstückartig:  trotzdem 
bildet  sie  ein  zusammengehöriges  Ganze.  In  mythologische  Aus- 
einandersetzungen mich  hier  einzulassen,  habe  ich  nicht  die  Absicht, 
und  will  hier  nur  einige  Bemerkungen  über  die  in  der  Sage  auf- 
tretenden Gestalten  mir  erlauben. 

Der  Held  der  Sage  ist  Üljunky  was  „  Unter-Götzchen  **  bedeutet; 
junk  im  nordostjakischen  tonx  =  Götze,  Götzenbild  (Ahlquht),  im 
irtiser  ostj.  tonx  =  1.  Tschude.  2.  Götterbild  (Castr6n)\  im  ostj. 
oberhalb  Surgut  und  im  vasjuganisch-ostj.  bedeutet  junk  in  den 
Heldenliedern  auch  „Götzchen",  daneben  aber  bezeichnet  es  auch 
die  aus  Holz  udgl.  geformten  Götzenbilder.  Die  Zahl  der  junk  wäre 
sehr  gross,  wenn  sie  sich  nicht  —  wie  es  in  den  Sagen  heisst  — 
gegenseitig  vernichtet  hätten. 

Ül-junk's  Aufenthaltsort  wird  unter  die  Erde  verlegt,  weshalb 
wir  das  in  seinem  Namen  vorkommende  «Unter*4  wohl  für 
„Unterirdisch*1  nehmen  können.  Seine  Farbe  ist  schwarz,  und 
schwarze  Tücher  oder  Kleider  werden  ihm  geopfert.  Seinen  einstigen 
Wohnort  versetzt  man  auf  den  bei  ,  Samarova,  an  der  Mündung  des 
Irtis  gelegenen  „ hohen  Berg"  (il-junge-vac)  „wohin  kein  Schiff 
hinfahrt  und  woher  kein  Rauch  sich  erhebt".  Im  Dörfchen  Salagaei, 
am  Vas-jugan-Fluss  gelegen,  sah  ich  eine  kleine  aus  Holz  geschnitzte 
Menschengestalt,  deren  Besitzer  sie  für  das  Bildnis  des  VI- junk 
ausgab. 

Noch  zwei  Gestalten  treten  in  der  mitgeteilten  Sage  auf;  die 
eine  ist  Jak-kolte-junk's  Sohn,  die  andere  Terön-junk. 

Jak-kolte-junk  bedeutet :  „  Volk  -  sterbenmachendes  -  Götzchen" 
(jax-Volk).  Der  Erklärung  meines  Gewährsmannes  gemäss  ist  das 
der  Teufel,  der  den  Tod  der  Menschen  verursacht.  Ob  diese  Gestalt 
mit  der  des  Jay-vtnt-junk  („  Volk-nehmendes  [vernichtendesj-Götzchen") 
gleich  ist,  weiss  ich  nicht.  Von  Letzterem  hörte  ich,  dass  er  in  der 
Erde  wohne  und  man  ihm  schwarze  Tücher  und  Kleider  opfere.  — 
Die  Bedeutung  des  im  Namen  Teren-junk  vorkommenden  teren  können 
heute  selbst  die  Ostjaken  nicht  mehr  geben.  Patkanoo  glaubt,  dass 
es  Feuer  bedeute.1  Diese  Deutung  bestätigen  auch  meine  Erhebungen, 
denen  gemäss  Teren-junk's  Farbe  rot  ist  und  Gegenstände  von  roter 
Farbe  werden  ihm  geopfert;  und  von  einem  vas-juganer  Ostjaken 
hörte  ich,  dass  sein  Haus  deshalb  abgebrannt  sei,  weil  er  dem 
Teren-junk  kein  Opfer  dargebracht  habe.  Auch  wird  ein  Unterschied 
zwischen  Möghe-teren-junk  (mögh  =  Erde)  und  Num-teren-junk  (num  = 
oberer)  gemacht;  letzterer  verursacht  mehr  das  Glück,  ersterer  das 
Unglück  des  Menschen.  Nach  süd-ostjakischer  Auffassung  hat  die 
Erde  sieben  Schichten,  in  deren  Mitte  wir  leben,  während  in  den 

1  a.  a.  0.  S.  9. 


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34 


unter  uns  befindlichen  Schichten  die  Teufel  hausen,  die  unser  Unheil 
verursachen. 

In  unserer  Sage  wird  auch  ein  grosses  Feuermeer  erwähnt, 
über  das  ich  nur  soviel  erfahren  konnte,  dass  sich  dasselbe  dort 
befinde,   wohin  alle  fliessenden  Gewässer  hintliessen.  und   welches  \ 
Feuermeer  bewirkt,  dass  sich  die  Gewässer  auf  Erden  nicht  noch 
mehr  ausbreiten  können. 

Üljunk. 

Üljunk  war  mich  klein,  er  lag  in  der  Wiege  und  dachte  hei 
sich,  dass  er  allein  sei.  Ein  Mütterchen  schaukelte  ihn.  Da  auf 
einmal  von  der  Strasse  her  ward  Lärm  vernehmbar :  hin  und  her 
geht  man.  «Was  für  ein  Volk  geht  da  draussen  herum?"  fragte 
Cljunk.  „Kleine  Kinder  spielen,"  versetzte  das  Mütterchen,  das  sich 
nicht  getraute  ihn»  zu  sagen,  er  möge  nicht  hinausgehen ;  denn  es 
wusste,  dass  aus  ihm  ein  Held  wird. 

Indessen  fängt  das  Volk  dort  draussen  Wild  und  Fische.  Cljunk 
spricht:  „Lass  mich  hinausgehen,  lass  mich  sie  ansehen!"  Er  geht 
hinaus  und  sieht,  dass  dort  kleine  Kinder  mit  verschiedenen  Tiereu 
spielen,  die  nur  von  erwachsenen  Menschen  erlegt  werden.  Er  sieht, 
dass  ihm  gegenüber  hohes  Ufer  sich  befindet,  und  wie  er  in  des 
Flusses  Richtung  auf  und  ab  blickt,  eine  grosse,  unübersehbare  s 
Stadt  breitet  sich  vor  ihm  aus.  Auch  er  bekommt  Lust  zum  Fisch- 
fang und  auch  zur  Jagd,  aber  er  hat  nicht  die  dazu  nötigen  Geräte. 
Er  geht  hinein  ins  Haus  und  spricht:  ...Mütterchen,  das  städtische 
Volk  fängt  allerlei  Fische  und  Wild,  so  müssig  vermag  ich  nicht 
fortzuleben!''  Wieder  geht  er  hinaus  auf  die  Strasse,  betet  zum  Gott, 
Tannenfackel  bringt  er  ihm  dar,  dann  legt  er  den  Panzer  an  und  ohne 
Bogen  macht  er  sich  auf  der»  Weg. 

Da  war  es  schon  Nacht.  Vljunk  geht  hinab  zum  Wasser,  setzt 
sich  in  einen  grossen  Kahn,  stösst  ihn  hinaus  aufs  Wasser  und 
fahrt  ab.  Deshalb  gieng  er,  damit  er  die  Schnappfallen  besichtige, 
ob  er  nicht  etwa  aus  denselben  Birkenhühner  stehlen  köunte.  Wie 
er  nun  die  Schnappfallen  besichtigt,  sieht  er.  dass  in  jeder  sich  ein 
Birkhuhn  befindet ;  eines  von  diesen  nahm  er  mit  sich.  Dann  gieng  i 
er  zurück  zu  seinem  Kahne,  zog  denselben  aufs  Ufer  und  machte 
dich  zu  Fuss  auf  den  Weg.  Wie  er  so  lange  oder  kurze  Zeit  gieng, 
da  erhob  sich  nächtlicher  Sturmwind,  so  dass  er  vor  sich  gar  nichts 
sah ;  aber  er  schritt  dennoch  vorwärts.  Er  gelangte  an  eine  mit 
Rottannen  bewachsene  Stelle,  aber  auch  da  gefiel  es  ihm  nicht,  und 
er  bedachte  bei  sich,  wie  besser  es  wäre,  jetzt  daheim  zu  sein. 
Dämmerung  brach  an  und  er  gelangte  zuerst  an  ein  bäum- 
bewachsenes,  bald  aber  an  ein  baumloses  Moor.  Auf  einmal  nur 
begann  er  sich  aufwärts  zu  erheben,  er  stieg  ineinemfort  höher  über 
die  Erde  empor,  und  wie  er  sich  so  erhob,  gelangte  er  bis  zum 
Himmel  .  .  .  Dort  oben  traf  er  eine  grosse  Stadt  an.  Er  kam  an  eine 
waldige  Stelle,  woher  er  auf  Flügeln  in  die  Stadt  sich  schwang. 


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So 


Wie  er  dort  auf  seine  Kleider  blickt,  sieht  er.  dass  dieselben  ganz 
aus  Binsenmatten  (gemacht)  sind. 

In  der  Stadt  war  allerlei  Volk  versammelt,  denn  um  die  Tochter 
des  dortigen  Fürsten  war  man  gekommen  zu  werben.  Vljunk  fragt: 
„Was  für  ein  Volk  ist  dies?*  —  „Man  ist  um  des  Fürsten  Tochter 
gekommen,"  antwortet  der  eine,  „ein  Fürst  ist  gekommen,  dem  gibt 
man  die  Maid:  komm'  auch  du  mit  uns."  —  „Wie  sollte  ich  gehen ! 
da  ich  ein  Bettler  bin?"  —  „Wir  bekommen  wenigstens  etwas  zu 
essen!"  Hierauf  brachen  sie  auf  und  gelangten  zum  Hause  des  Fürsten. 
Dort  tanzten  einige,  andere  spielten  und  tranken  Branntwein.  Hervor- 
kam der  Bruder  der  Braut,  der  so  stark  war,  dass  man  mit  ihm 
nicht  auskommen  konnte,  und  sie  begannen  mit  ihm  Branntwein  zu 
trinken.  Ein  Mensch  von  den  sich  Unterhaltenden  spricht:  „Ihr  trinkt 
nur  selbst;  diesem  Armen  da,  warum  gebt  ihr  nicht  auch?**  Der 
Bruder  der  Braut  antwortet  hierauf:  „Einem  solchen  da  warum 
sollten  wir  denn  geben !"  Sie  begannen  zu  tanzen  und  langsam 
sanken  sie  alle  vom  Getränk  zu  Boden,  die  Jünglinge  sowohl,  als 
auch  die  Helden.  Nur  unsere  beiden  Leute  blieben  nüchtern,  ihnen 
konnte  der  Branntwein  nichts  anhaben. 

Wie  sie  also  lange  oder  kurze  Zeit  dort  verweilten,  blieb 
l'ljnnk  allein.  Er  gieng  auf  die  südliche  Seite  des  Hauses;  dort  fand 
er  die  Braut:  er  ergriff  sie  und  steckte  sie  wie  einen  Handschuh 
in  seine  Tasche.  Er  selbst  verwandelte  sich  dann  in  irgend  eine 
Schlange,  kroch  in  die  Erde  hinein  und  gieng  fort.  Er  gelangte  zum 
Ob  und  kroch  am  Rande  desselben  aus  der  Erde  hervor.  Lange, 
oder  kurze  Zeit  war  er  dort,  auf  einmal  nur  stand  er  auf  (und  nahm 
seine  menschliche  Gestalt  an). 

Inzwischen  erhob  sich  in  der  Stadt  auf  einmal  ein  solcher 
Lärm,  dass  es  grässlich  war:  sie  haben  die  Braut  verloren.  Einige 
sagten,  dass  man  die  Braut  gestohlen  habe.  Auf  denn,  suchen  wir 
sie !  Der  Bräutigam  machte  sich  denn  auf  die  Suche ;  in  seinen 
Kahn  stellte  er  auch  einen  Mast  ein,  damit  der  Wind  seine  Fahrt 
beschleunige.  —  Lange  oder  kurze  Zeit  fuhren  sie,  da  auf  einmal 
nur  begann  der  Himmel  zu  donnern  und  ein  solcher  Regen  entstand, 
als  ob  man  ihn  aus  Eimern  giessen  würde.  Der  Blitz  fuhr  herab, 
zertrümmerte  alles  und  das  Volk  ertrank  im  Wasser. 

Vljunk  ging  inzwischen  an  das  Ufer  des  Wassers,  wo  er  eine 
Stadt  erblickte.  Da  verwandelte  er  sich  wieder  in  irgend  ein  Tier, 
gieng  an  des  Meeres  Küste  und  gelangte  in  eine  Stadt.  Dort  gieng 
eine  Maid  um  Wasser  zu  holen  zum  Fluss  und  fand  ihn.  „Welch 
ein  schönes  Tier  ist  dies!"  dachte  bei  sich  die  Maid;  dann  ergriff 
sie  ihn  und  hob  ihn  ans  Ufer.  Als  sie  ihn  ins  Haus  hineintrug, 
begannen  sie  dort  zu  fragen:  „Was  kann  dies  wohl  sein?" 

Vljunk  steckte  auch  die  wasserholende  Maid  in  seine  Tasche ; 
diese  dachte  er  seinem  Bruder  als  Frau  zu.  Dann  gieng  er  aus  zu 
jagen,  und  erlegte  ein  Elentier.  Er  zog  dem  Elentiere  das  Fell  ab, 
aus  dem  Fleische  kochte  er  einen  Kessel  voll,  er  ass  auch  das 
Herz :  dann  gieng  er  weiter.  Wie  er  so  geht,  hört  er  Lärm  und 


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zurückblickend  sieht  er,  dass  zahlreiches  Volk  ihm  nachfolgt,  t* 
geht  aber  weiter  und  denkt  bei  sich :  Diese  wollen  mich  töten, 
er  so  hinblickt,  sieht  er,  dass  das  Volk,  dessen  Kahn  zertrümmert 
ward,  ihm  nachfolgt,  damit  es  mit  ihm  kämpfe.  Hierauf  betete  e- 
zum  Gott:  Gib  mir  Kraft !  Wie  er  so  dastand,  auf  einmal  nur  hört  er 
eine  grosse,  hellklingende  Schelle  und  ein  Hund,  mit  goldenem  Vlie-«?. 
kommt  zu  ihm,  am  Halse  mit  einem  eisernen  Seil.  Uljunk  <tutzV 
und  suchte,  den  Hund  zu  fangen.  Nachdem  er  ihn  denn  jrefanjreij 
hatte,  sah  er  auf  dessen  Rücken  die  Schrift:  Gott  habe  ihm  gestattet, 
dass  der  Hund  sein  Gefährte  werde.  Da  verwandelten  sich  auf  einma. 
auch  alle  seine  Kleider:  goldene  Kleider  erhielt  er.  die  von  allen 
Seiten  wie  Feuer  glänzten.  Er  gürtete  sich  den  Gürtel  um  und  jfieng 
weiter. 

Lange  oder  kurze  Zeit  gieng  er :  er  gelangte  ans  Meer,  u  «# 
grosses  Feuer  brennt.  Das  Heer  folgte  ihm  einfach  auch  dahin  na.  h. 
Der  Bräutigam,  dessen  Braut  er  fortgetragen  hatte,  ruft  ihm  zu: 
„Du  hast  meine  Braut  fortgetragen,  aber  ich  habe  dich  ja  schon 
gefunden ;  ich  werde  dir  schon  deinen  Panzer  abnehmen!"  Hierauf 
begannen  sie  zu  kämpfen.  Als  sie  den  Kampf  begannen.  Heng  Vljunk'* 
Hund  an  das  feindliche  Heer  in  die  Füsse  zu  beissen  und  erwürgte 
vierzig  Mann  desselben.  „Wie?  du  kämpfst  also  mit  einem  Hunde 
gegen  uns?  Das  ist  deiner  nicht  würdig!  So  wie  wir  kämpfen,  also 


niederzustrecken.  „ Binde  deinen  Hund  an.  und  kämpfe  so  wie  wir." 
rufen  sie  ihm  zu:  worauf  er  den  Hund  bei  dem  am  Halse  desselben 
befindlichen  eisernen  Seil  an  eine  Steinsäule  anband.  Da  begann 
der  Kampf  von  neuem. 

Lange  oder  kurze  Zeit  kämpften  sie  also,  da  auf  einmal  befreite 
sich  der  Hund  und  begann  von  neuem  das  Heer  in  die  Füsm»  zu 
beissen.  Wieder  rufen  sie:  .Binde  deinen  Hund  an,  wozu  bei*-t  er 
uns  denn!  Wer  hat's  gehört,  dass  Menschen  mit  Hunden  kämpfen?"  — 
„Mein  Schwert  ist  gebrochen,  was  kann  ich  damit  machen?  Gott 
hat  mir  einen  Hund  verliehen,"  sagt  Cljunk,  und  seinen  Hund  wieder 
anbindend,  kämpfte  er  mit  seiner  Lanze  weiter. 

Auf  einmal  nur  kam  Jak-koUe-junk's  Sohn  auf  einem  schwarzen 
Bosse  zu  ihm  (dies  ist  der  Sohn  desjenigen  Teufels,  der  den  Tod 
der  Menschen  bewirkt).  -Ich  bin  zu  dir  gekommen,"  ruft  er  ihm  zu. 
-der  du,  seitdem  du  auf  die  Welt  gekommen  bist,  so  viele  Menschen 
durch  deinen  Hund  getötet  hast.  Ich  werde  dir  nun  die  Haut  vom 
Schädel  herabschinden ;  mir  kannst  du  mit  deinem  Hunde  nicht« 
anhaben!''  Sie  begannen  zu  kämpfen  und  gelangten  (kämpfend) 
dahin,  wo  das  grosse  Feuer  brennt.  „Du  tötest  schon  wieder  -o 
viele  Menschen  mit  deinem  Hunde!"  —  „Nicht  mein  ist  dieser 
Hund;  Gott  schickte  ihn  (mir)."  —  „Bind'  ihn  also  an!"  Kr  band 
den  Hund  aufs  neue  an  und  sie  kämpften  weiter. 

Cljunk'*  Kleider  brennen  wie  das  Feuer.  Herausgeschlagen 
aus  seiner  Hand  hatte  man  sein  Schwert  und  seine  Lanze,  so  das* 
diese  eine  Klafter  weit  vom  grossen  Feuer  zu  Boden  fiel.   Da  nef 


kämpf  auch   du!"  Hierauf 


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87 


er  seinem  Hunde  und  dieser  reisst  sich  wieder  los,  stürzt  sich  auf 
das  Heer  und  würgt  es.  Neues  Heer  langt  an  und  der  Hund  beisst 
ineinemfort  die  Menschen,  während  er  selbst  wie  das  Feuer  brennt. 
Zuerst  tötete  er  vierzig  Menschen,  dann  sechzig.  Er  machte  dem 
ganzen  Volke  den  Garaus,  nur  Jak-kolte-junk's  Sohn  und  Teren-junk 
blieben  am  Leben. 

Ihrer  drei  waren  sie  nur.  Üljunk  band  aufs  neue  seinen  Hund 
an,  denn  er  selbst  begann  sich  nun  vor  ihm  zu  fürchten:  golden 
war  dessen  Vliess,  seine  Augen,  sein  Seil.  „Wir  waren  auch  in  der 
jenseitigen  Welt."  sprachen  sie  zu  Üljunk,  „aber  wir  fanden  nie- 
manden, der  geriebener  als  du  gewesen  wäre.  Schliessen  wir  Frieden, 
denn  sonst  gehen  wir  alle  zugrunde  und  dann  nimmt  die  Sage  von 
uns  ein  Ende.  Auch  in  der  jenseitigen  Welt  gibt  es  keinen  Grösseren 
als  du  bist;  Üljunk,  dir  bringen  wir  ein  Opfer  dar."  Der  Gott  hatte 
die  Botschaft  gesandt,  dass  sie  Frieden  schliessen  sollten,  nachdem 
1700  Menschen  zugrunde  gegangen  waren :  viele  waren  im  Kampfe 
umgekommen,  viele  im  Wasser  ertrunken. 

Alle  drei  giengen  sie  von  dannen,  lasen  des  Gottes  Botschaft, 
tranken  Branntwein  und  versöhnten  sich.  Jak-kulte-junk's  Sohn  setzte 
sich  aufs  Ross,  auf  sein  braunes  Ross,  und  wie  er  denn  weiterzog, 
folgte  Feuer  und  Rauch  seiner  Spur.  Auch  Teren-junk  zog  auf 
braunem  Rosse,  das  wie  Feuer  brannte,  ab  in  sein  Gebiet. 

Da  besah  sich  Üljunk  und  bemerkte,  dass  seine  ganze  Kleidung 
aus  glänzendem  Golde  bestehe.  „Gott  hat  mir  geholfen,"  dachte  er 
bei  sich  (denn  früher  war  er  arm  gewesen).  Er  beugte  sich  Gott 
(dem  Himmel)  zu,  dann  beugte  er  sich  nach  allen  Seiten  hin.  Wie 
er  auf  seinen  Hund  blickt,  so  sieht  er,  dass  demselben  Flügel 
gewachsen  sind  und  dass  derselbe  in  einen  glänzenden  Goldschlitten 
eingespannt  ist.  Seine  Frau  nahm  er  aus  seiner  Tasche  heraus  und 
stellte  sie  auf  einen  Tisch,  worauf  auch  diese  solche  Kleider  bekam, 
wie  er  anhatte.  Dann  spricht  er  zum  Hunde:  „Mein  Hund,  lass  uns 
in  unsere  Gegend  ziehen!"  Er  setzte  sich  in  den  Schlitten  und  fuhr 
davon.  Des  Hundes  Vliess  und  Zähne  brannten  wie  das  Feuer ;  er 
gieng  aufwärts  und  ward  wie  ein  Stern ;  er  brannte,  wie  das  Feuer. 

Wie  also  lange  oder  kurze  Zeit  Üljunk  fuhr,  erreichte  er  seine 
eigene  Gegend.  Hinter  ihm  kam  so  zahlreiches  Volk  einher,  dass  es 
schrecklich  war.  Es  waren  die  Verwandten  der  in  seiner  Tasche 
befindlichen  Frau,  die  ihm  nachfolgten  und  ihn  einholten. 

Wie  er  nun  lange  oder  kurze  Zeit  fuhr,  erhob  er  sich  auf 
einmal  aufwärts.  Wie  er  also  einherfuhr,  belud  er  sich  immer  mehr, 
wurde  immer  reicher,  und  sein  Hund  ward  immer  grösser.  Glänzendes 
Feuer  brennt;  und  sichtbar  wird  der  Irtis  und  der  weisse  Ob.  Seine 
Stadt  war  so  gross  geworden,  dass  man  ihre  Grenzen  nicht  über- 
sehen konnte.  Während  er  bei  seiner  Geburt  arm  gewesen,  und  als 
er  aus  seiner  Stadt  fortgieng,  daselbst  nur  1500  Menschen  waren, 
hat  er  jetzt  dort  3000. 

Üljunk  begann  in  seiner  Stadt  zu  leben.  Sein  Volk  spricht  zu 
ihm:  „Während  du,  Üljunk,  fort  warst,  haben  wir  inzwischen  auch 


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88 


mehr  Fische  und  mehr  Wild  gefangen. ~  —  Das  Haus  seiner  Eltern 
gefiel  ihm  nicht  mehr.  Seine  Frau  spricht  zu  ihm:  -So  gross  ist 
deine  Stadt,  deine  Wohnung  aber  so  elend."  Da  nahm  die  Frau 
irgend  etwas  von  der  Wand  herab  und  blies  das  nach  aufwärt*. 
Lange  oder  kurze  Zeit  gieng  dies  aufwärts,  da  auf  einmal 
konnte  man  sehen,  dass  ein  Haus  herankommt,  ein  so  grosses.  wie 
ein  Hügel,  und  nicderlässt  es  sieh  in  die  Mitte  der  Stadt.  Das  Hau.-, 
welches  der  Gott  geschickt  hatte,  hesass  zwei  Stockwerke  und 
allerlei  Tiere:  Hären,  Füchse,  Wildgänse  waren  darauf  gemalt. 
Heide  verbeugten  sich,  beteten  zum  Gott  und  gierigen  hinein  ins 
Hiius. 

Im  Hause  landen  sie  Fische  und  mit  Speisen  gefüllte  Schüsseln. 
Sie  setzten  sich  neben  einander.  \Yrar  dort  allerlei  Branntwein  ;  und 
sie  schmausten  nun.  Alle  die  HOHO  Menschen  versammelten  sich  und 
riefen:  „Seitdem  du.  unser  Herr,  fortgiengst.  begann   unsere  Stadt 
zuzunehmen,  zahlreiches  Volk  wuchs  heran  und  es  stirbt  auch  nioht.- 
Sie  setzten  sich  im   Kreise  um  den  Tisch  herum  und  begannen  zu 
essen.   Weisse  Silberschüsseln,  Feuer-  und  Goldlichter  waren  dort. 
Ganz  im  Glänze  war  alles.  Sie  beteten  zum  Gott,  küssten  einander, 
dann  sprach   l^ljunk  also:   „Was  nur  Volk  auf  der  Welt  ist.  soll 
anerkennen,  dass  meine  Kraft  die  grösste   ist.  Alle  sollen  an  den 
Gott  glauben  und  nicht,  an  den  Teufel!" 


Märchen  der  Siebenbürger  Armenier. 

I.  Gove. 

—  Zargile  uzem  gienach£s  vienhi  sehate  —  gase  hokevark 
hajre  ergu  ortun.  —  Im  edevanc  miajn  tuk  gimenak.  In«  polor 
gienaches  nie  ■  hargivoruthiamp  khaghilim,  cezi  githoghum.  Abrechek 
miamid.  bantard  u  meg  degh ;  <'hi  päinevik  mcgA  inegalen,  zeram 
pa  nevadz  garogh  chi  bi  ellak  miedz  arudur  anelu :  in ''hu  meg£ 
inda*  vastege,  na  megal£  ankhove  bikene.  Ez  eiere  mi  thoghuk. 
ezozgaine  mi  gamenak.  Ganueh  elechek:  arache  zäm  kenacek  badarak 
leselu.  anor  edevanc  pacecek  chanut.  Theor  meg  ore  dase  gro* 
vastegik.  na  miajn  uthe  ehardsechek.  .lerp  «okodol  erthak,  darechek 
cier  hed  ezpatere  u  amare  ham  bunda.  Dsamphove  hed  odar  martikac 
mi  paregemvik:  chanchaz  mart  ella,  um  timac  ez-serdieröd  pauak. 
Sirechek  ez-Astvadz,  pernechek  ezirjen  badvirankniere,  eghechek 
voghormadzasird ;  bahechek  ez  im  anune  u  hisadag^,  u  Deni  mier, 
um  timace  himbig  g'ertham.  na  bi  orthne  ezeiez  .  .  . 

Dsorov  thaghilin  ezrneradze,  miedz  achpare  rnorchevile  voghor- 
madzhoki  bore  «  hoskerun  verajen,  u  varile  danen  ezbizdige ;  chi 
duvi  iren  jkhmal.  miajn  meg  govme.  Khic  iamangi  vera  zan  al  jed 
uzile.  Chi  duvi.  na  tadestAnov  arile.  Himbig  aghkhad  achpare  aphA 
g'arnu  ezn^eharhe  u  dsampha  g'elle.  Giertha  «ad  u  khi«\  Giganni  u 


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89 

meg  dzari  m£  dag  gihankii.  Guka  ergu  akrav  u  nujn  dzarine  ginestin. 
Gigechin  zurucelu. 

—  Inc  nor  pan  ga  cier  ergire? 

—  Kone  gi  mernin  martike  dzarvun. 

—  Hiest  b'ellar  adore  acoghelu.  Theor  bazar£  meg  phes  me 
phorein  u  meg  davor  martme  zan  polorer,  na  bol  cur  bi  el'er. 

—  U  cier  mod  chika  ikhmal  nor  pan? 

—  Thakavor£  zor  hivant  e,  u  öhide  mart  al  zinkhe  lavchönelu. 

—  Ga  harnin  siemin  dage  meg  kordmä,  theor  anor  jeghove 
khesein  zinkhe,  na  bi  lavnar. 

Aghkhade,  ov  dzarin  dagen  amen  chosk  agheg  lesile,  alindan 
g'ertha.  Gihasni  ajn  khaghakhe,  ur  ceri  bagsuthiun  unachilin. 
G'ane  meg  eisvor  me,  vorin  med  ancha  cur  khaghvile,  or  tus  al 
vothile.  Entunadz  thang  baschesove  g  ertha  majrakhaghakhe,  ur 
thakavore  penagile.  Gilavchenu  zinkhe.  Ancha  kandz  g'udan  iren, 
or  dsorov  gßüa  dun  danelu.  9 

Dune  miedz  achpare  leselov,  the  inc  hedzemadz  ban  perile  — 
ajc  g  arnu  zinkhe. 

—  Uch  is  kendevi  zad  sad  mal  u  kandze? 

G'ase.  Anore  inkhen  al  dsampha  g'elle  Sagheäelov,  the  inkhen 
al  ajnbes  bi  khale.  Giganni  dzarin  dage  inkhen  al ;  pajc  khiö 
iamangi  vera  kogher  g'ukan  u  gisbannin  zinkhe. 

Ov  ezozgajine  g'arnu, 
Na  zirjenön  al  gigorsenu. 

Die  Kuh. 

—  Meines  Lebens  letzte  Stunde  hat  schon  geschlagen,  —  sprach 
der  sterbende  Vater  zu  seinen  beiden  Söhnen ;  —  nur  ihr  bleibt  nach 
mir.  Was  ich  in  meinem  ganzen  Leben  mit  Redlichkeit  gesammelt 
habe,  lasse  ich  euch  zurück.  Lebet  einträchtig,  ruhig  und  an  einem 
Orte,  trennet  euch  nicht  von  einander,  denn  getrennt  von  einander 
werdet  ihr  nicht  im  Stande  sein  den  Handel  in  Grossem  zu  betreiben ; 
während  der  eine  hier  gewinnt,  kauft  dort  jener  ein.  Das  Eurige  lasset 
nicht,  das  des  anderen  begehret  nicht.  Stehet  zeitig  auf ;  geht  vorerst 
in  die  Kirche,  die  Messe  zu  hören  und  nur  dann  öffnet  eueren  Laden. 
Wenn  ihr  an  einem  Tage  zehn  Groschen  gewonnen  habt,  so  ver- 
ausgabt davon  nur  acht.  Wenn  ihr  auf  den  Jahrmarkt  fahret,  nehmt 
mit  euch  den  Rosenkranz  und  im  Sommer  auch  den  Pelz.  Auf  dem 
Wege  befreundet  euch  nicht  mit  fremden  Leuten ;  ein  seltener  Mann 
sei  es,  dem  ihr  euere  Herzen  öffnet.  Liebet  Gott,  haltet  seine 
Gebote ;  seid  barmherzig ;  bewahret  meinen  Namen  und  mein 
Andenken  .  .  .  und  unser  Herr,  dem  ich  entgegengehe,  wird  euch 
segnen  .  .  . 

Kaum  hatte  man  den  Toten  beerdigt,  und  der  ältere  Bruder 
vergass  schon  des  seligen  Vaters  Worte :  er  vertrieb  den  jüngeren 
Bruder  vom  Hause ;  er  gab  ihm  nichts  anderes,  ausser  einer  Kuh. 
Aber  nach  kurzer  Zeit  verlangte  er  auch  diese  zurück.  Dieser  gab 


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90 


sie  nicht  her,  deshalb  nahm  sie  jener  auf  gerichtlichem  Wege  zurück. 
Nun  machte  sich  der  arme  Bruder  auf  den  Weg  und  zog  in  die 
Welt  hinaus  und  er  gierig  und  gieng.  Er  bleibt  unter  einem  grossen 
Baum  stehen  und  rastete.  Kamen  herbei  zwei  Raben  und  setzten 
sich  auf  denselben.  Sie  begannen  mit  einander  zu  reden. 

—  Was  neues  gibt  es  in  euerer  Gegend? 

—  Vor  Durst  sterben  beinahe  alle  Menschen. 

—  Da  könnte  man  leicht  helfen.  Wenn  sie  auf  dem  Markt- 
platz eine  Grube  grüben  und  dieselbe  ein  Reiter  umkreisete,  so  würd«* 
Wasser  reichlich  hervorsprudeln. 

—  l  ud  bei  euch  gibt  es  nichts  neues? 

—  Der  König  ist  schwer  krank  und  niemand  kann  ihn  heilen, 
l'iiter  der  Schwelle  seines  Stalles  ist  ein  Frosch,  wenn 

man  ihn  mit  dieses  Frosches  Fett  einriebe,  so  würde  er  gesunden. 

Der  Arme,  der  unter  dem  Baume  her  jedes  Wort  gehört  hatte, 
geht  weiter.  Ei"  gelangt  in  die  Stadt,  wo  man  an  Wasser  Not  litt. 
Er  macht  einen  Brunnen,  in  dem  sich  so  viel  Wasser  sammelte, 
dass  es  iibertloss.  Mit  den  erhaltenen  kostbaren  Geschenken  geht  er 
in  die  Hauptstadt,  wo  der  König  wohnte.  Er  heilte  ihn.  Dafür  gibt 
man  ihm  so  viel  Schätze,  dass  er  sie  kaum  nach  Hause  tragen  kann. 

Als  sein  Bruder  daheim  hörte,  wie  unendlich  viel  Geld  er 
gebracht  —  besucht  er  ihn. 

—  Wo  hast  du  diese  vielen  Schätze  bekommen? 

Er  sagt  es  ihm.  Hierauf  macht  er  sich  auch  auf  den  Weg ; 
denn  er  glaubte,  dass  es  ihm  auch  so  gehen  werde.  Er  bleibt  unter 
demselben  Baume  stehen;  aber  nach  kurzer  Zeit  kommen  Räuber 
und  —  töten  ihn. 

Wer  wegnimmt  eines  andern  Gut. 
Das  eigne  auch  verlieren  tut. 

(Vgl.  Hecht  und  Furecht.  Ethnol.  Mitteil,  aus  1/ngarn  II.  Jahrg. 
38.  u.  150.) 

II.  Gachine. 

Hcdcvag  g'etha  haje  sokodol,  barab  cerokh,  haje  elinkhe 
kondsugov.  Dsamphan  uzem  moriin  mec.  gidani,  jerph  timace.  g'ele 
meg  characht'hi  nie,  um  cere  miedz  gachin  gab.  Haje,  ansarä  e;  ou 
gimodigna,  g'arnu  moden  ezbnnc  u  guze  heranaiu.  —  Poje  nie 
paregam.  gase  haje.  Theor  jes  aranc  bau  ertham  dun,  na  adsap 
im  h  base  geniges?  Kide  the  karta  «him  chagha,  oe  «hurug  deghrankh 
chirn  khali :  zun  al  kide,  the  suduruv  ch'im ;  paje  theor  zan  asiiu 
jes  iren.  the  mart  arile  mode>  ezbanes,  na  «Iii  bihavada.  Asor  seb«1 
dur  ikhme  ni-an.  Dada  hos  e  si  butuke,  veran  gitenim  ezmade*. 
gedre  /.an  var:  ajs  bela  ni>anc. 

Ghara'hin  giverehenu  czgachinc.  haje  angardzagi  gikha^e 
eznuule :  gachine  hntiikiu  mec  gimednu.  Himbig  haje  vezen  gichek' 
ezcharachehin.  kedine  gizarne  zinkhe.  jed  ganiu  moden  ezbane,  tu« 
gikha*e  butuken  ezgachine.  cere  garnu  zan  u  alisdan  g'etha  .  .  . 


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Hl 


Das  Beil. 

• 

Zu  Fuss  geht  der  Armenier  auf  den  Jahrmarkt,  mit  leerer 
Hand,  aber  voller  Tasche.  Sein  Weg  führt  ihn  nun  in  den  Wald, 
als  ihm  ein  Räuber  entgegentritt,  der  in  der  Hand  ein  grosses  Beil 
hat.  Der  Armenier  ist  unbeweglich;  aber  der  Räuber  nähert  sich 
ihm,  nimmt  ihm  das  Geld  ab  und  will  sich  entfernen.  —  Warte  nur, 
mein  Freund,  —  sagt  der  Armenier,  wenn  ich  ohne  Geld  nach 
Hause  gehe,  was  wird  dazu  meine  Frau  sagen?  Sie  weiss,  dass  ich 
nicht  Karten  spiele,  noch  an  verrufene  Orte  gehe;  auch  das  weiss 
sie,  dass  ich  nicht  verlogen  bin;  aber  wenn  ich  ihr  sagen  werde, 
dass  mir  jemand  das  Geld  abgenommen  hat,  wird  sie  mir's  nicht 
glauben.  Deshalb  mach  mir  irgend  ein  Zeichen.  Sieh,  da  ist  ein 
Baum  Strunk,  ich  lege  meinen  Finger  darauf,  schlag'  ihn  ab :  das 
wird  das  Zeichen  sein. 

Der  Räuber  hebt  sein  Beil,  worauf  der  Armenier  seinen  Finger 
plötzlich  wegzieht ;  das  Beil  dringt  in  den  Baumstrunk  ein.  Nun  packt 
der  Armenier  den  Räuber  an  der  Kehle,  wirft  ihn  zu  Boden,  nimmt 
von  ihm  sein  Geld  zurück,  zieht  aus  dem  Baumstrunk  das  Beil 
heraus,  nimmt  es  in  die  Hand  und  geht  weiter  .  .  . 

Sznmosujvär.  Mitgeteilt  von  Kristof  Szongott. 

(Zur  Vergleichung  Hesse  sich  das  Fingereinzwängen  im  Thema 
vom  Meisterdieb  heranziehen.) 


Der  palaeolithische  Fund  aus  Miskolcz  und  die  Frage 
des  diluvischen  Menschen  in  Ungarn. 

Von  Prof.  Dr.  Aurel  v.  Török,  Director  des  anthropologischen  Museums  zu 

Budapest. 

II. 

Aus  den  Ergebnissen  dieser  Messungen  ist  die  Ähnlichkeit  und 
Verschiedenheit  dieser  6  Silexinstrumente  ohne  Weiteres  zu  ersehen. 
Die  grösste  Ähnlichkeit  ist  demzufolge  zwischen  Miskolcz  Nr.  1  und 
St.  Ächeul  Nr.  7001  vorhanden,  da  ihre  Indices  nur  um  0*91  ver- 
schieden sind;  ferner  ersehen  wir  aus  den  Indices,  dass  die  Form  der 
drei  Miskolczer  Äxte  im  Verhältnis  breiter  wird  wie  48'08 :  56  25 : 73'59 
oder  wie  1:117:  153. 

3.  Da  der  Autor  die  bedeutende  Grösse  der  zwei  ersten  Mis- 
kolczer Äxte  hervorhebt,  so  will  ich  behufs  der  Vergleichung  die 
mir  bekannten  prössten  Exemplare  vom  Chelles'schen  Typus  hier  in 
einer  Tabelle  in  abnehmender  Reihenfolge  zusammenstellen : 


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92 


Steinäxte  vom  Chelles'schen  Typus 


i 

2 1 

8 
4 

5 

6 
7 
7« 


8 
9 

10  1 
11 

I 

12 
13 


14 
15 
1« 

t 

17 
18 

19 

I, 


Shrub  hill  (hngl.)  Samml.  Christy  

Beauvais  (Dep.  Oise)  Samml.  Caix  de 

St.  Aymour  

Acton  (England)  

Mautord  (Musee  de  St.-Germain 

Nr.  18,915)  

Saint  Aeheul  (Collection  de  Caix  de 

St.  Aymour)  

Thennes  (Somme,  Collection  d'Acy) . . . 

Saint  Achetd  (Collection  d'Acy)  

Vaudrirourt  (Pas  de  Calais,  Collection 

de  Beaulaincourt)  die  Silex-Spitze 

abgebrochen  

Miskolcz  Nr.  1  (Sammlung  des  Herrn 

Otto  Herman,  Budapest)  

St.  Acheul  (Collection  d'Acy)  

Salisbury  (Mus.  Blackraore,  Engl.).... 
Thuison-Menchecourt  (M.  de  St.  Germain 

Nr.  18,891)  

•SV.  Acheul  (Mus.  de  St.  Germain,  Nr. 

11,908)  

Montquillain  (Oiset  M.  de  St.  Germain 

Nr.  22.GI6  

Redhill  Thet/ord  (Engl.)  Sammlung  des 

Herrn  Evans  

Abberille  (Somme)  Musee  de  St.  Ger- 
maine, Nr.  18,916  

Porte- Mercadt   (Somme)  Musee  de  St. 

Germaine,  Nr.  18,890  

St.-Acheul  (Somme)  Collection  d'Acy  . 
Hendignenl  (Pas  de  Calais)  Musee  de 

St.-Germaine,  Nr.  23,488  

Miskolcz  Nr.  2  (Sammlung  des  Herrn 

Woltgang  Szell,  Debreczen)  


Länge 

Breite  Gewicht 

mm. 

mm. 

Kilogr. 

300 

130 

nicht 
bestimmt 

288 
280 

146 

1-966 

265 

130 

1-640 

258 
247 
246 

155 
122 
114 

2  040 
l  1-778 
1-430 

245 

108 

— 

238 
236 
230 

110 
91 

|  110 

nicht 
bestimmt 
1-005 

1  - 

222 

92 

i 

1155 

219 

94 

0-870 

218 

132 

0-945 

210 

i 

205 

92 

0-885 

204 
201 

102 
131 

1005 
1-270 

199 

93 

0-915 

»  ; 

Aus  dieser  Zusammenstellung  ergibt  sich,  dass  die  Miskolczer 
Steinaxt  Nr.  1  der  Grösse  nach  den  8-ten,  die  Miskolczer  Steinaxt 
Nr.  2  aber  erst  den  19-ten  Platz  einnimmt.  Schade,  dass  Herr  Otto 
Herman  weder  von  der  einen  noch  von  der  anderen  Steinaxt  das 
Gewicht  bestimmt  hat. 


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93 


4.  Ein  wichtiges  und  einer  weiteren  Untersuchung  bedürftiges 
Moment  bildet  hier  der  auch  vom  Autor  hervorgehobene  Mangel 
einer  Patina,  sowie  der  anderen  vom  Autor  nicht  erwähnten  Auten- 
ticitäts-Charaktere  (caracteres  d'authenticite)  derartiger  Artefacte,  was 
umso  auffallender  ist,  da  es  sich  hier  um  diluvial  sein  sollende 
Artefacte  handelt.  Die  Frage  nach  derlei  Autenticitäts-Oharakteren 
spielt  eine  sehr  wichtige  Rolle  bei  der  Untersuchung  von  prähi- 
storischen Funden,  und  zwar  nicht  nur  wegen  Fälschungen,  (welchen 
Fall  wir  hier  einfach  für  ausgeschlossen  betrachten),  sondern  viel- 
mehr wegen  einer  sichereren  Beurteilung,  beziehungsweise  Reeti- 
tication  des  Altertums  der  Funde. 

Die  durchsickernden  Regenniederschläge  führen  Salzlösungen 
mit  sich,  von  welchen  der  sich  auf  die  Objeete  niederschlagende 
kohlensaure  Kalk,  sowie  Eisenverbindungen  in  den  meisten  Fällen 
eine  eminente  Rolle  spielen.  Eisenincrustationen  kommen  auch,  wie 
oben  hervorgehoben  wurde,  bei  allen  drei  Miskolczer  Steinäxten  vor, 
ob  aber  Niederschläge  (Krusten)  von  kohlensaurem  Kalke  vorhanden 
sind  oder  nicht,  ist  nicht  erwähnt;  gewiss  könnte  es  sich  hier 
höchstens  nur  um  Spuren  handeln,  denn  sonst  hätte  der  Autor  ihrer 
Erwähnung  getan.  Es  wäre  gewiss  interessant,  die  Miskolczer  Steinäxte 
hierauf  nochmals  einer  genauen  fachkundigen  Untersuchung  zu  unter- 
ziehen, sowie  darauf :  ob  nicht  Dendriten  auf  der  Oberfläche  mittels 
einer  Loupe  wahrzunehmen  sind,  deren  Vorkommen  hier  vermutet 
werden  kann,  da  stellenweise  eine  eisenhältigc  Incrustation  in  der 
Tat  vorhanden  ist  und  Mangan  (aus  welchem  sich  die  Dendriten 
bilden)  mit  Eisen  in  Gemeinschaft  vorzukommen  pflegt.  Solche 
Dendriten  sind  ganz  gewöhnliche  Charaktere  bei  in  Löss  gelagerten 
Objecten,  wie  auch  solche  und  namentlich  die  spiegelnden  Dendrit- 
Krystallisationen  (cristallisations  miroitantes)  bei  den  Chelles  schen 
Artefacten  von  Abbeville  und  Saint-Acheul  vorkommen.  Ein  jeder 
frische  Bruch  verursacht  an  einem  Gestein  eine  mehrminder  glanz- 
lose, also  mehr  matte  Oberfläche;  mit  der  Zeit  bekommt  diese 
Oberfläche  einen  Glanz  oder  Glasur  (lustre,  vernis);  wodurch  man 
einen  alten  Bruch  von  einem  frischen  sofort  unterscheiden  kann. 
Dieser  Glanz  wird  teils  den  chemischen  Agenden  (minimalen  Auf- 
lösungen der  Oberfläche),  teils  den  langwährenden  Reibungen  der 
Oberfläche  mit  der  Umgebung  zugeschrieben,  (diese  Reibungen  sind 
oft  minimal  den  einzelnen  Zeitpunkten  nach,  aber  ihre  Wirkung 
summiert  sich  durch  den  langen  Lauf  der  Zeiten).  Die  Miskolczer 
Steinäxte  weisen  in  der  Tat,  wie  erwähnt  wurde,  einen  solchen 
Glanz  (lustre)  auf  —  was  unbedingt  ein  Zeichen  ihres  Altertumes  ist 
(woraus  aber  noch  nicht  gefolgert  werden  kann,  dass  sie  aus  der 
Diluvial-Periode  herstammen,  da  auch  die  neolithischen  Steinai  tefacte  - 
das  Lustre  auf  ihrer  Oberfläche  ebenso  aufweisen).  Der  Grad  der 
Entwickelung  der  Glasur  und  des  Glanzes  hängt  also  von  mehreren 
Momenten  ab;  am  mächtigsten  aber  bildet  sich  die  Glasur  bei 
Silexäxten,  wenn  die  Reibung  durch  Sand  hervorgebracht  wird. 
Endlich  die  Patina  besteht  in  einer  Veränderung  der  oberflächlichen 

Ethnol.  Mitteil.  a.  Ungarn  III.  7 


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94 


Schichte  der  Objeete,  welche  oft  1  —  2  mm.  tief  eindringt;  es  gibt 
aber  Fälle,  wo  diese  (physikalische,  chemische)  Veränderung  durch 
die  ganze  Dicke  hindurch  dringt,  was  die  Franzosen  mit  dem  Aus- 
druck „cacholong*  bezeichnen,  z.  B.  wenn  der  Silex  ganz  weiss 
geworden  ist.  Es  geht  der  Patinabildung  immer  ein  gewisser  Substanz- 
verlust an  der  Oberfläche  voraus,  diesem  folgt  die  ätzende  Ein- 
wirkung gewisser  chemischer  Bestandteile  der  umgebenden  Schichten : 
und  von  der  Beschaffenheit  dieser  letzteren  hängen  auch  die  physi- 
kalischen und  chemischen  Eigenschaften  der  entstehenden  Patina 
ab  —  weshalb  es  so  wichtig  ist,  die  chemischen  und  physikalischen 
Eigenschaften  der  umgebenden  Schichten  der  Funde  zu  kennen,  wie 
ich  dies  schon  weiter  oben  hervorgehoben  habe  und  worauf  bezüglich 
wir  leider  keine  Daten  für  die  iMiskolczer  Steinäxte  zur  Verfügung 
haben. 

Wie  wir  aus  den  Erörterungen  in  diesen  4  Funkten  ersehen 
können,  wäre  es  sehr  erwünscht,  wenn  dieser  für  die  Palaecthnologie 
Ungarns  so  eminent  wichtige  Miskolczer  Fund  einer  abermaligen 
und  zwar  minutiösen  Untersuchung  unterzogen  würde,  da  die  wissen- 
schaftliche Frage  desselben  als  noch  nicht  erschöpft  betrachtet 
werden  kann. 

Das,  was  wir  aus  den  uns  zu  Gebote  stehenden  Daten  mit  ganzer 
Bestimmtheit  über  diesen  Fund  aussagen  können,  beschränkt  sieh 
lediglich  darauf:    dass  auch   wir  die  zwei  ersteren  mandelförmigen 
Steinäxte  (Ar.  1  und  2)  als  dem  Chelles' sehen  Tifptis  angehörig  erkläret, . 
wobei  wir  gerne  die   Gelegenheit  ergreifen,  um  die  Wichtigkeit  dient r 
Entdeckung  des  Herrn   0.   Herman  herrorzuheben,  da  mittels  diese> 
Entdeckung  die  palaeolithische  Industrie  (wenigsten*  der  Form  nach) 
für  Ungarn  zum  ersten  Male  sicher  eonstatiert  wurde.  Ob  aber  diese 
Steinartefacte    unbedingt  aus   der  diluvialen   Zeit  herstammen:  diese 
Frage  müssen   wir  aus  den  sachlich  wissenschaftlichen  Gründen,  di> 
wir  angeführt  haben,  auch  weiterhin  für  eine  vollkommen  off ene  erklären . 
d.  h.  wir  müssen  behaupten  •  dass  die  Existenz  des  diluvialen  Menschen 
in  Ungarn  auch  mittel*  der  Miskolczer  Steinartefacte  bisher  noch  nicht 
mit  Sicherheit  nachgewiesen  werden  konnte.  Es  ist  wol  richtig,  dass  für 
Frankreich  die  nach  dem  Chelles'  sehen   Typus  zugeschlagenen  Steinäxte 
bisher  als   die   ältesten    Artefaete  gelten   und   dieselben    in  zweifellos 
diluvialen    Schichten   aufgefunden   wurden;  daraus  folgt  aber  weder 
dass  der  Chelles' sehe  Typus  für  alle  übrigen  Länder  gerade  die  älteste 
Industrie  repräsentirt, 1   noch  ah  r,   dass  derartig  typische  Steinäxte  in 
späteren  Epochen  nie  wieder  verfertigt  worden  wären. 

Es  würde  hier  zu  weit  abseits  führen,  wollte  ich  hierauf  bezüg- 
lich ausführliche   Vergleiche  der  bisher  bekannten  Funde  Europa's. 

1  Ich  kann  nicht  umhin  hervorzuheben,  «las»  die  (  helles'.schen  so  regel 
massig  und  schön  „mandelförmig*1  zugeschlagenen  Silexäste,  schon  eine  gross« 
Gewandtheit,  Ünung  in  der  Zubereitung  des  Materials  aufweisen,  weshalb  die 
von  der  Mem-chenhand   wirklich  im  allerersten  Anfang  zubereiteten  Stein- 
äxte nicht  diese  Chellesrschen  Typen  sein  können,  wie  auch  in  der  Tat  bei 
mehreren  echt  diluvialen  Steinartefacten  viel  gröbere  Formen  vorkommen. 


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Asieivs,  Amerikas  machen;  ich  will  hier  nur  so  viel  betonen,  dass 
die  Epocheneinteilung  von  Herrn  de  Mortület  (age  de  la  pierre  taillee : 
1.  epoque  chelleenne,  2.  e.  mousterienne,  3.  e.  soluträenne,  4.  e. 
magdalenienne),  wenn  überhaupt  ihre  Richtigkeit  definitiv  über  alle 
Zweifel  steht,  nur  für  Frankreich  eine  wissenschaftliche  Giltigkeit 
haben  kann ;  und  es  ist  für  die  übrigen  Länder  Europa's  —  geschweige 
die  übrigen  Continente  —  eine  solche  Einteilung  nicht  gelungen. 
Um  nicht  viele  Worte  zu  verlieren,  will  ich  hier  nur  kurz  darauf 
hinweisen,  dass  man  in  echt  diluvialer  Schichte  auch  solclie  Artefacte 
aufgefunden  hat,  die  man  streng  genommen  schon  der  neolithischen 
Epoche  zuschreiben  müsste,  wie  z.  B.  fein  polierte  knöcherne  Werkzeuge 
(ein  Lasso),  wovon  weiter  unten  bei  Besprechung  des  berühmten 
Mammutfeldes  in  Predmost  (bei  Prerau)  noch  die  Rede  sein  wird. 

Man  darf  also  einer  solchen  Zeiteinteilung  nur  eine  allgemein 
orientierende,  d.  h.  eine  schematische  Bedeutung  zuschreiben.  Es 
wäre  ja  doch  zu  naiv,  dem  bequemen  Schema  zu  Liebe  die  Tat- 
sachen der  Theorie  und  nicht  diese  den  Tatsachen  zu  unterordnen. 

Ausserdem  muss  hervorgehoben  werden,  dass  bisher  der  Syn- 
chronismus der  einzelnen  Steinindustrie- Epochen  für  die  einzelnen 
Länder  Europa's  oder  der  übrigen  Continente  streng  wissenschaftlich 
d.  h.  mit  Sicherheit  nicht  im  Mindesten  nachgewiesen  werden  konnte. 
Wie  es  noch  vor  Kurzem  wilde  Völker  gab,  die  sich  in  der  vollen 
Steinzeit-Cultur  befanden,  so  gab  es  gewiss  auch  im  längst  ver- 
gangenem Altertum  Länder,  wo  eine  gewisse  Cultur-Periode  viel 
länger  dauerte  oder  viel  später  begann  als  anderswo.  Wir  können 
uns  deshalb  nicht  der  Argumentation  des  Autors  anschliessen  :  dass 
weil  die  die  palaeolithische  Zeit  charakterisierenden  speziellen  Stein- 
instrumente überall  aus  derselben  geologischen  Schichte  (?)  her- 
stammen und  diese  Schichte  älter  ist  als  diejenige,  worin  sich  die 
neolithischeo  Artefacte  befinden,  hieraus  unbedingt  der  Schluss  gezogen 
werden  müsste:  dass  eine  in  irgend  einem  Lande  zum  ersten  Male 
aufgefundene,  der  Form  und  der  Bearbeitung  nach  palaeolithische 
Steinaxt  an  und  für  sich  schon  als  ein  aus  der  diluvialen '  Zeit  her- 
stammendes Artefact  betrachtet  werden  könnte.  Für  uns  genügt 
nicht  ein  solch  allgemein  gehaltenes  Argument,  wir  fordern  einfach: 
dass  für  einen  jeden  einzelnen  Fall  nicht  nur  das  geologische  Alter 
der  betreffenden  Schichte  zweifellos  bestimmt  werde,  sondern  dass  zugleich 
auch  die  Intactheit,  die  Ungestörtheit  dieser  Schichte,  d.  h.  die  Gleich- 
alterigkeit  der  Objecte  und  der  einschliessrnden  Erdschichte  zweißeüos 
nachgewiesen  werde.  Kann  diesen  zwei  unerlässlichen  Bedingungen  aus 
welcher  Ursache  immer  nicht  Geniige  geleistet  Herden,  dann  ist  auch  die 
chronologische  Frage,  d.  h.  das  Alter  des  Fundes  nicht  lösbar.  Der  Typus 
der  Industrie  oder  auch  das  Material  selbst  kann  an  und  für  sich 
nichts  entscheiden.  So  z.  B.  wären  bei  den  Skeleten,  die  ich  aus  den 
Hügeln  und  Grabfeldern  Ungarns  ausgrub,  keine  Münzen  vorgefunden 
norden,  so  hätte  ich  diese  wegen  der  Bronzgegenstände  viel  älter  —  also 
aus  der  Bronzperiode  stammend  —  halten  müssen  ;  so  aber  ergab  sich 
das  Alter  dieser  Funde  als  ein  viel  recenteres,  nämlich  aus  dem  11-ten 

7* 


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9« 


- 


und  12-ten  Jahrhundert  unserer  Zeitrechnung.  Die  Industrie  an  und 
für  sich  kann  also  für  die  Zeitbestimmung  der  Einzelfälle  nicht  den 
Ausschlag  geben,  und  so  ist  zum  Mindesten  auch  jene  Möglichkeit  nicht 
ausgeschlossen:  dass  die  der  Industrie  nach  der  palaeolithischen  Periode 
zugehörigen  Miskolczer  Steinäxte  irgend  wann  in  der  jetzigen  geologischen 
Zeit  von  der  neolithischen  Epoche  angefangen  verfertigt  wurden. 

Also  nun  soweit  wäre  die  Frage  des  Miskolczer  Fundes  bisher 
gelöst. 

Da  von  einzelnen  vaterländischen  Altertumsforschern  schon 
öfters  die  Existenz  des  diluvialen  Menschen  in  Ungarn  behauptet 
wurde  und  da  auch  Otto  Rerman  dieser  Funde  erwähnt,  so  will  ich 
hier  über  dieselben  einige  sehr  wichtige  Momente  hervorheben. 

Herr  Otto  Herman  stellt  folgende  Funde  (nach  dem  sehr  sorg- 
fältigen Sammelwerk  des  tüchtigen  Gelehrten  Herrn  Dr.  Th.  Ort  vag' : 
Összehasonlitö  vizsgalatok  etc.  A  magv.  tud.  Akadämia  ertekezesei 
a  törtenelmi  tudom.  köreböl,  XII.  Bd.;  Nr.  VIII.,  Budapest,  1885) 
aus  Ungarn  zusammen: 

1.  Den  Fund  in  Alvincz:  Steinaxt  mit  Mammutzahn; 

2.  Den  Fund  in  Kolozsmonostor :  Topfscherben,  Knochen  vom 
Rhinoceros ; 

3.  Den  Fund  in  der  Höhle  bei  O-Ruzsin:  Objecte  aus  der 
Steinzeit ; 

4.  Den  Fund  in  der  Höhle  Nandor :  menschlicher  Knochen, 
Cervus  megaceros; 

5.  Den  Fund  in  Zimony :  Topfscherben  in  Löss ; 

ß.  Den  Fund  in  Xagy-Sap :  Menschenschädel  in  Löss : 
zu  diesen  reiht  Otto  Herman  noch  den  folgenden  Fund : 

7.  Den  Fund  aus  der  Höhle  Baräthegy:  menschliche  Schädel- 
knochen und  Steinartefacte. 

Behufs  einer  vorläufigen  Orientierung  über  diese  Funde  muss 
ich  vorwegs  hervorheben:  dass  mit  Ausnahme  des  Nagy-Säp-er 
Fundes,  wo  sich  zwei  Geologen  von  der  echt  diluvialen  Lössschichte 
des  Fun'des  überzeugen  konnten,  und  des  Ö-Ruzsiner  Fundes  von 
verkohlten  Höhlenbärenknochen,  alle  übrigen  für  den  Nachweis  des 
diluvialen  Menschen  in  Ungarn  wegen  Mangels  der  elementarsten 
nötigen  Beweise  als  nicht  geeignet  erklärt  werden  müssen :  wie  dies 
namentlich  für  den  Fund  in  der  Höhle  Baräthegy  auch  von  Otto 
Herman  hervorgehoben  wurde. 

(Fortsetzung  folgt.) 


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07 


Estnische  Volksmärchen.* 

I.  Kirjud  lehmad. 

Kui  Jmnal  Iza  maailma  oli  loonud,  siiz  loos  tema  ka  elajaid 
oma  meeleheaks  ja  inimeste  kazuks.  Kurat  tahtis  temale  kohe  järele 
teha  ja  tegi  niisamuti  lambaid,  kitsezi  ja  topraid,  aga  köik  hoopis 
iihekaivalized,  valged,  punazed  ja  mustad.  Need  ajas  ta  nüüd  ka 
karjainaale,  sai  aga  scal  keskpäeva  palavuzest  varzi  väzinuks  ja  heitis 
magama.  Need  temast  enezest  maailma  vaevaks  loodud  parmud, 
erilazed  ja  muud  vereimejad  tegivad  nüüd  lehmad  nii  rahutumaks, 
et  nad  vihazelt  senna  ja  tänna  jooksivad,  sabadega  peksivad  ja  takka 
ülesse  löivad.  Haleda  meele  pärast  nende  vaeste  loomade  vasta  tegi 
Jumal  neile  ühe  lauda  ukse  lahti,  kuhu  nad  palavuze  ja  parmude 
nöelamize  eest  pögenezivad.  Siiz  käiz  ta  seal  ümber  ja  puutus  iga 
Iooma  külge  ühe  toore  pajukepikezega,  mille  küljest  koor  jaolt  ära 
oli  kooritud,  nii  et  see  valgekriipsuline  oli.  Niikohe  muntsivad  elajad 
oma  karva  ja  saivad  kirjuks :  möned  saivad  valge  selja,  moned  valge 
pea  ja  valged  jalad.  Seile vahel  oli  kurat  ülesse  ärganud  ja  hakka- 
nud  oma  elajaid  taga  otsima.  Jumal  laskis  neid  välja,  aga  kurat 
ei  tunnud  omatehtud  loomi  mitte  enam  ja  ei  vöinud  neid  sellpärast 
mitte  omale  nöuda,  vaid  tahtis  aga  oma  ühekarvalizi  loomi  tagazi. 
Et  ta  rahule  pidi  jääma,  jättis  Jumal  koik  toprad  temale,  mis  hoopis 
üht  karva,  nimelt  mustad,  ilma  ühe  ainza  teist  värvi  karvata 
sünnivad,  mis  aga  väga  harva  ette  tuleb.  Kui  aga  möni  hoopis 
punane,  valge  ehk  must  vazikas  ilma  tuleb,  siiz  ei  kozu  see  mitte, 
vaid  sureb  varsti  ära,  sest  et  see  kuradi  jagu  olevat,  mbpärast  seda 
niipea  kui  voimalik,  tapetakse  ehk  raüüakse. 


Die  bunten  Kühe. 

Als  Gott  der  Herr  die  Welt  erschaffen  hatte,  da  schuf  er  auch 
die  Tiere  sich  zum  Wohlgefallen  und  den  Menschen  zum  Nutzen. 
Der  Teufel  wollte  es  ihm  gleich  nachtun  und  machte  ebenfalls  Schafe, 
Geise  und  Rinder,  aber  alle  ganz  einfarbig,  weisse,  rote  und  schwarze. 
Diese  trieb  er  nun  auch  auf  die  Weide,  ward  aber  da  in  der  Schwüle 
des  Mittags  balde  matt  und  legte  sich  schlafen.  Die  Bremsen,  Wespen 
und  die  anderen  Blutsauger,  die  er  der  Welt  zur  Fein  selber  erschaffen, 
machten  nun  die  Kühe  so  unruhig,  dass  sie  wütend  umherrannten, 
sich  mit  den  Schwänzen  peitschten  und  hinten  ausschlugen.  Aus 

*  Ich  folge  gern  dein  Wunsche  des  Herausgebers  dieser  Zeitschrift, 
indem  ich  aus  den  Stoffen,  die  für  den  III.  Band  meiner  „Märchen  und 
Sagen  des  estnischen  Volkes"  bestimmt  sind,  die  folgenden  an  dieser  Stelle 
veröffentliche.  Die  handschriftlichen  Originaltexte  sind  unmittelbar  im  Volke 
aufgezeichnet. 


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9b 

Barmherzigkeit  gegen  die  armen  Tiere  öffnete  ihnen  der  Herr  das 
Tor  von  einem  Stall,  wohin  sie  sich  vor  der  Hitze  und  den  Bremsen- 
stichen retteten.  Dann  gieng  er  da  umher  und  berührte  jedes  Tier 
mit  einer  frischen  Weidengerte,  der  man  die  Rinde  zum  Teil 
abgeschält  hatte,  so  dass  sie  weissstreifig  war.  Alsbald  wandelten 
die  Tiere  ihre  Farbe  und  wurden  bunt:  etliche  bekamen  einen 
weissen  Rücken,  andere  einen  weissen  Kopf  und  weisse  Füsse.  — 
Derweil  war  der  Teufel  erwacht  und  hatte  angefangen  sein  Vieh  zu 
suchen.  Der  Herr  Hess  es  hinaus  (aus  dem  Stall),  aber  der  Teufel 
erkannte  sein  selbstgemachtes  Getier  nicht  wieder  und  durfte  es  also 
nicht  zurückfordern,  sondern  verlangte  nur  sein  einfarbig  Vieh. 
Damit  er  sich  zufrieden  gäbe,  teilte  ihm  der  Herr  alle  Rinder  zu, 
die  völlig  einfarbig,  ohne  ein  einziges  Haar  von  anderer  Farbe, 
geboren  werden,  insonderheit  die  schwarzen,  —  was  aber  gar  selten 
vorkommt.  Wenn  aber  ein  gänzlich  rotes,  weisses  oder  schwarzes 
Kalb  zur  Welt  kommt,  so  gedeiht  es  nicht,  sondern  geht  über  kurz 
auf  den  Lauf,  weil  ein  solches  des  Teufels  Anteil  wäre.  Darum 
schlachtet  oder  verkauft  man  es  sobald  als  möglich. 


2.  Vanapagana  maja. 

Kui  inimezed  endile  hakkazivad  majazid  ehitama,  tuli  kurat 
Jumala  juure  ja  ütles :  Köik  inimezed  ehitavad  endile  nüüd  majazid, 
siis  mina  tahaksin  enezele  ka  ühte  teha.  Kas  Sa  ei  luba  mulle,  et 
ma  enezele  ühe  maja  ehitan?  —  Jumal  vastas:  Mine  metsa.  ja  kui 
Sa  sealt  puid  leiad,  mis  ei  ole  oiged  ega  koverad,  ei  suured  ega 
väiksed,  siis  void  Sa  need  maha  raiuda  ja  neist  oma  tahtmize  järele 
maja  ehitada. 

Vanakurat  läks  nüüd  metsa.  aga  ta  ei  leidnud  kuzagilt  niisugust 
puud,  mis  ta  oleks  vötta  tohtinud ;  alles  öhtul  leidis  ta  ühe  ainza, 
mis  temal  mitte  öige  ega  köver,  ei  suur  ega  väike  ei  paistnud  olema. 
Paha  meelega  ja  väzinud  läks  ta  Jumala  juure,  jutustas  temale  oma 
azjata  vaeva,  mis  ta  päeva  otsa  näinud,  ning  palus  tema  käest  ühte 
teist  am,  sest  seilest  ühest  puust  ei  voida  tema  ju  kedagi  maja 
ehitada.  Jumal  aga  vastas:  Sa  näed,  et  Sinu  tarvis  mitte  puid  ei 
ole  kasvanud  ja  et  Sa  ilma  majata  maa  peal  alati  hulkumas  ja 
pögenemas  pead  olema  ! 

Des  Teufels  Haus. 

Als  die  Menschen  anfiengen  sich  Häuser  zu  bauen,  kam  der 
Teufel  zu  Gott  und  sprach :  Alle  Menschen  bauen  sich  jetzt  Häuser, 
da  wollt'  ich  mir  auch  eins  machen.  Erlaubst  du  wohl,  dass  ich 
mir  ein  Haus  baue?  —  Gott  antwortete:  Geh  hin  in  den  Wald, 
und  findest  du  Bäume  allda,  die  nicht  grad  und  nicht  krumm,  nicht 
gross  noch  klein  sind,  so  magst  du  sie  schlagen  und  dir  daraus  ein 
Haus  bauen  nach  deinem  Gefallen. 


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Der  Teufel  gieng  nun  ins  Holz,  traf  aber  nirgends  auf  einen 
Baum  von  der  Art,  dass  er  ihn  hätte  nehmen  dürfen :  erst  am  Abend 
fand  er  einen  einzigen,  der  ihm  nicht  grade  und  nicht  krumm,  nicht 
gross  noch  klein  zu  sein  schien.  Mürrisch  und  müde  kam  er  zu  Gott, 
gab  ihm  Bericht  von  der  vergeblichen  Mühe,  die  er  den  ganzen  Tag 
gehabt,  und  bat  ihn  um  einen  anderen  Bescheid,  denn  mit  dem 
alleinigen  Stamm  könne  er  sich  kein  Haus  bauen.  Gott  aber 
antwortete:  Du  siehst,  dass  für  dich  keine  Bäume  gewachsen  sind 
und  dass  du  auf  Erden  ohne  Heim  immerdar  in  Flucht  und  Wander- 
schaft verbleiben  musst! 

Mitgeteilt  von  Harry  Jannsen. 


Sammeln  ungarischer  Volksweisen. 

Von  Btta  Sztanku. 

Der  kgl.  ung.  Minister  für  Cultus  und  Unterricht  hat  sich  entschlossen 
die  Schöpfungen  der  volkstümlichen  magyarischen  Musik  sammeln  zu  lassen, 
ans  welchem  Grunde  er  am  10.  Oktober  vorigen  Jahres  an  den  Präsidenten 
der  Gesellschaft  für  die  Völkerkunde  Ungarns  einen  Erlass  tibersandte,  der 
ditse  Sache  um   einen   mächtigen   Schritt   vorwärts  zu  bringen  berufen  ist. 

Der  Erlass  geht  von  dem  Umstände  aus.  dass  unter  den  zur  Schaffung 
magyarischer  Kunstmusik  nötigen  Vorbedingungen  gleich  die  erste,  nämlich 
eine  Sammlung  volkstümlicher  Schöpfungen  und  historischer  Ueberliet'erun- 
gen  der  Musik,  fehlt.  Der  Minister  fordert  nun  die  genannte  Gesellschaft  auf, 
dahin  zu  wirken,  dass  die  betr.  Fachreterenten  der  Gesellschaft  sich  mit  dem 
Sammeln  dieser  Schöpfungen  magyarischer  Musik  befassen,  indem  er  ohnehin 
die  Absicht  habe  auch  bei  der  Ausarbeitung  der  übrigen  Teile  des  geplanten 
Werkes  ihre  Hilfe  in  Anspruch  zu  nehmen. 

Der  Ausschuss  der  Gesellschaft  übergab  diesen  Erlass  behufs  Begut- 
achtung den  Mitgliedern  Stefan  Bartalus,  Julius  Käldy  und  HHa  Sztank6,  Nach 
eingehendem  Studium  der  Sache  wurde  ein  ausführliches  Memorandum 
vertagst,  welches  der  Präsident  der  Gesellschaft  Graf  Gizn  Kuun  dem  Minister 
Graf  Albin  Csdky  im  Monate  Februar  übergab.  Letzterer  versprach,  das  Me- 
morandum eingehend  zu  studieren  und  demgemäss  dann  seine  Verfügungen 
treffen  zu  wollen. 

Das  von  mir  verfassto  Memorandum  teile  ich  hier  in  seinen  wesent- 
lichsten Momenten  mit. 

Der  Erfolg  einer  Sammlung  der  Schöpfungen  magyarischer  Musik  wird 
an  drei  Vorbedingungen  geknüpft:  1.  Allgemeinheit,  2.  Ständigkeit,  ;).  Ver- 
öffentlichung der  Sammlung.  Um  diese  leitenden  Gedanken  gruppieren  die 
im  Memorandum  enthaltenen  Reflexionen,  die  wieder  in  zwei  Gruppen  zerfallen. 

Im  I.  Abschnitt  wird  die  Ansicht  der  Referenten  mitgeteilt :  in  wie 
weit  und  auf  welche  Weise  die  Mitglieder  am  Sammeln  sich  beteiligen  kön- 
nen;  im  II.  Abschnitt  wird  ausgeführt:  auf  welche  Weise  die  Referentenden 
Erfolg  des  Sammeins  gesichert  glauben. 

I.  In  Anbetracht  dessen,  dass  jede  freie  Gesellschaft  auf  die  Richtung 
der  Tätigkeit  ihrer  Mitglieder  nur  innerhalb  gewisser  Schranken  einen  Ein- 
fluss  ausüben  kann ;  ferner,  dass  die  meisten  der  Mitglieder  in  Knotenpunk- 
ten der  Kultur  wohnen,  wo  sich  bekanntermaassen  nicht  das  geeignete  Gebiet 
für  dergleichen  Sammlungen  vorfindet,  so  kann  daher  die  Sammlung  unter 
den  Mitgliedern  zu  keiner  Allgemeinheit  erhoben  werden,  wenigstens  mit  dorn 
erwünschten  Erfolg  nicht. 

Auch  können  nicht  einzelne  Mitglieder  speziell  mit  einem  systemati- 
schen Sammeln  betraut  werden,  denn  niemand  wird  dies  für  einen  eigenen 


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Lebensberuf  erachten  können:  und  somit  wird  jedes  Sammeln  nur  ein  gele- 
gentliches sein.  Von  einer  Stfindigkeit  des  Sammeins  kann  daher  keine 
Rede  sein.  Und  wenn  anch  solche  ständige  Sammler  hie  und  da  ein  tradi- 
tionelles Stück  finden,  so  kennen  sie  doch  als  Fremde  an  dem  betreffenden 
Fundort  nicht  des  Stückes  äussere  und  innere  ethnische  Züge,  auch  haben 
sie  nicht  Zeit,  das  Stück  an  seinem  Fundorte  nach  jeder  Richtung  hin  zu 
studieren,  indem  sie  ja  einen  bestimmten  Reiseplan  verfolgend,  weitergehen 
müssen  und  nicht  einem  Stücke  zuliebe  lange  an  einem  Orte  verweilen 
können. 

Ii.  Referenten  glauben  die  Sache  auf  folgende  Weise  lösen  zu  können: 

1.  Eine  Allgemeinheit  im  Sammeln  kann  nur  dann  erreicht  werden,  wenn 
im  ganzen  Lande  leicht  verständlich  geschriebene,  orientierende  Flugschriften 
(Fragebogen)  verbreitet  werden,  welche  die  Aufmerksamkeit  der  ganzen  Ge- 
sellschaft auf  diese  Sache  hinlenken,  so  dass  jeder,  der  sich  dazu  berufen 
fühlt,  die  betreffenden  Gewährsmänner  seiner  engeren  Heimat  aufsucht  und 
von  ihnen  die  diesbezüglichen  Ueberlieierungen  übernimmt.  Im  kleinsten 
Dörfchen  sollte  wenigstens  ein  solcher  Mann  sein,  der  sich  dieser  schöner; 
Aufgabe  unterzieht.  Wenn  auch  der  Erfolg  dieser  Flugschriften  kein  durch- 
schlagender sein  sollte,  so  würde  doch  ein  Teil  der  Bevölkerung  an  dieser 
Sammlung  sich  beteiligen,  und  wenigstens  könnte  man  auf  Grund  dieser 
Sammlungen  bestimmen,  in  welchem  Teile  des  Landes  die  meisten  und  wert- 
vollsten der  diesbezüglichen  Traditionen  sich  noch  erhalten  haben.  Dann 
könnte  an  solchen  Orten  ein  entsendeter  Fachmann  gar  leicht  eine  reich«? 
Nachlese  halten. 

2.  Was  nun  die  Ständigkeit  anbelangt,  so  möge  die  Regierung  aus 
Fachmännern  ein  stehendes  < 'omite  ernennen,  dessen  Autgabe  es  wäre: 

a)  Das  Interesse  für  das  Sammeln  beständig  wach  zu  halten. 

b)  Das  eingelaufene  Material  aufzubewahren. 

c)  Dasselbe  zu  prüfen,  nach  Art  und  Gattung  zusammenzustellen  und 
für  den  Druck  vorzubereiten. 

d)  Wo  der  Impuls  dazu  von  den  auswärtigen  Sammlern  gegeben  wird, 
oder  wo  eine  Controlle  oder  neue  Aufzeichnung  eines  Stückes  sich  für  nötig 
ergibt,  mögen  Mitglieder  dieses  Oomite's  auch  auf  Sammlerfahrten  siel, 
begeben. 

e)  Die  Bibliotheken  sowol  der  Hauptstadt,  als  auch  der  Provinz  sollen 
von  diesem  Comite  durchforscht  werden. 

ß  Ueberhaupt  soll  dies   Comite   ein   lebendiges   Band   zwischen  den 
Sammlern  und  allen  denen  sein,  die  ein  Interesse  au  der  Sache  haben.  Bei 
diesem  Punkte  wurde  auch  die  Errichtung  einer  Fachbibliothek  und  die  Zu 
sammenstellung  eines  Volkslieder-Repertoriums  anempfohlen. 

i>.  In  Bezug  auf  die  Veröffentlichung  der  Sammlungen  wurde  seitens  der 
Referenten  die  Herausgabe  einer  Monatsschrift,  3—4  Bogen  stark,  vor 
geschlagen,  und  zwar  sollen  die  Stücke  genau  so.  wie  sie  sich  in  der  Ueberliefe- 
rung  erhalten  haben,  samt  Text  und  Melodie  veröffentlicht  werden.  Anmer- 
kungen, Erläuterungen  und  wissenschaftliche  oder  populäre  Abhandlungen 
sollten  den  Inhalt  abgesonderter  Bände  oder  Hefte  bilden. 

Die  Sammler  sollten  ein  Honorar  für  die  von  ihnen  gesammelten  und 
im  Druck  veröffentlichten  Stücke  erhalten. 

Bis  die  diesbezüglichen  Arbeiten  in  Fluss  kommen,  wurde  im  Memo- 
randum die  Herausgabe  der  Sammlung  Adam  r.  IlorrtUh's,  des  ersten  Samm- 
lers von  dergleichen  Ueberlieierungen :  „ötüd-fil  szäz  tnekek"  <=  4% hundert 
Lieder);  ferner  der  handschriftlichen  Sammlung  von  Liederweisen  des  gros- 
sen verstorbenen  Dichters  Johann  Arany  angeraten. 

Die  Weltgeschichte  zeigt  uns,  dass  einzelne  grosse  Zeitperioden  von  gros- 
sen Sammelwerken  eröffnet  und  abgeschlossen  wurden.  Die  ungarische  Nation 
wird  in  einigen  Jahren  ihr  erstes  Millennium  abschliessen,  damit  sie  da> 
zweite  Jahrtausend  ei'öffne.  In  allen  Zweigen  des  Culturlebens  werden  aus 
mächtigen  Abrechnungen  nun  die  Bilanzen  gezogen.  Sollten  wir  mit  den 
Melodien  wegbleiben?  Wir  glauben,  nein!  .  .  . 


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101 


Deutsohe  Einderreime  aus  der  Gegend  von  Eörmöczbanya. 

Von  Dr.  Georg  Verae'ntfi. 

Körmöczbanya  (Kremnitz)  ist  eine  uralte  oberungarische  Bergstadt 
Ueber  ihre  Gründung  berichtet  die  Sage,  das»  hier  ein  endloser  Wald  sich 
ehemals  ausbreitete,  in  dem  ein  Jäger  ein  Rebhuhn  erlegt,  und  im  Kröpfe 
desselben  Goldpliittchen  gefunden  habe.  Er  begann  nun  die  Gegend  zu  durch  - 
forschen  und  entdeckte  das  reiche  Goldlager.  So  ward  die  Stadt  Körmöcz- 
banva  gegründet,  die  in  1850  2210  deutsche,  1485  slovakische  und  488  magya- 
rische Einwohner  hatte.  In  der  Umgegend  befinden  sich  folgende  Dörfer  mit 
deutscher  Bewohnerschaft,  (die  sogenannten  Krickeheuer):  Johannisberg  oder 
Berg  (700  Kinwohner).  Honeshaj  (878  E.),  Blautusz  (556  E.)  und  Koneshaj 
(10211  E.),  welche  mit  noch  3  kleinen  slovakischen  Dörfern  zur  Jurisdiction 
von  Körmöczbanya  gehören.  Im  Folgenden  will  ich  einige  deutsche  Kinder- 
reime aus  genannter  Gegend  mitteilen. 

Handeklatschreim  : 

Zibu,  zap-zap,  zibu,  zap,  Um  ein  Kreutzer  Schnupftabak! 

oder : 

Schrekn,  Schrekn,  der  Tata  kommt.  Wird  er  was  mitbringen : 
Butterkipfel,  Hajnal  («.  eine  Art  Gebäck*. 

Fingerzählreim : 

Dieser  ist  der  Daumen,  Der  trägt  sie  hinein, 

Der  schüttelt  die  Pflaumen,  Der  schluckt  sie  gar'  ein.1 

Der  klaubt  sie  auf, 

Zum  Laohen : 

Strizala,  Mizala  unter  dem  Dachal!  Wer  da  wird  lachen,   wird  Pfand 
hergeben.  Aubi-aubi,  das  ist  a  krummi  Nasi,  a  schlutziges  Gesicht. 

Wiegenlieder : 

Schlaf  SepalTs  Schlaf!  Die  schwarzen  und  die  weissen, 

Im  Garten  weiden  die  Schaf,  Werden  den  Sepal  beissen.1 

oder : 

Haja  Pupeda,  du  grosskopfetes  Kind! 
Wenn  gleich  du  nicht  einschläfst, 
So  hauy  ich  dich  hin ! 

Ferner : 

Kommt's  Pechmandel  mit  da  Schnua, 
Druckt  dem  Kindl  d'  Aug'n  zua.1 

Beim,  um  Kinder  zu  beruhigen: 

Pischketelein,  Pischketelein.  Rote  Schuh'  und  weisse  Strümpf, 

Was  wird  der  Tati  bringen?  Wird  die  Madi  springen. 


1  Varianten  bei  Simroek,  IX  Ü.  Kinderbuch,  b-te  Ann.  Basel,  27,  2&. ;  Frischbier,  Preus- 
sisclie  Volksreime  und  Volksspiele  (Berlin,  1887)  128. 

5  Sepp  =  .loset'.  '  Die  swei  letstnn  Strophen  lauten  auch  so:  Haja  Bubaja,  hnju 
mein  Bub.  die  Peitschen  (Pflaumen)  sind  teuer,  die  Peitschen  sind  gut.  Verl-  Simroek  236; 
Frischtür  1. 

»  Vgl.  in  Andersen  s  Märchen  Ole  Luk-Oie;  ferner  .1.  N.  Alpenburg.  Deutsche  Alpen - 
BiiKt  u  (Wien,  1881);  Th.  Vertuxltken  u.  Fr.  Branky,  Spiele  n.  Keime  der  Kinder  in  Oesterreich 
(Wien.  W76). 


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oder : 


Krault  im  «.»Arten.  Kr  aar  im  «rarTe-n. 
Sitzt  a  Babi  drinnen. 

Sacht  die  Mutter,  sucht  Ii*  Matter. 
Kann  sie  nimmer  rinden. 


Geh'  nicht  "naur.  gen'  nich?  'naur. 
<reh'  nur  arrad  hin  i  ha. 
Wo  die  -ücken  Baume 
Wirst  die  Mutta  rinden. 


Beim  Stehen -Lernen  : 

Lani.  Lani.  Sdöne  Babi! 


Kniereiter 

Hot.  hot  Sepal! 
In  die  Mühl'  geht  ein  freszai. 
Weiz'  werd'n  wir  mahlen. 
Knchal  werd'n  wir  backen. 


Zieh'  Schimmel,  zieh'. 

l>as  Waaaer  bis  zum  Knie! 

Morgen  werd  n  wir  Haler  dreschen. 


Kuchat  werd'n  wir  den  Zipai 
Zipai  wird  uns  Koical  geb~n. 
K^jcal  werd'n  wir  dem  PfarF  geben. 
Pfatf  wird  uns  a  Tasch  geben.' 


Werd'n  wir  den  Scriimm»rl  besser  iness'n 
Zieh"  Schimmel,  zieh".  mästen?! 
I>aa  Wasser  bis  zam 


Beim  Sehen  der  ersten  Schwalbe  im  Frühling 


Wann  ich  zurückkommen, 

Hab'  ich  ihm  wieder  schon  verloren. 


Mein  lieber  Wirt,  mein  lieber  Wirt. 
I  ;h  bitte  dich  um  einen  Sporn." 

Beim  Hören  de*  Kuckuckrufes: 

Heute  gehen  wir  nicht  nach  heim.         Bis  nicht  der  Kuckuck  -.hreit 

Hab'n  wir  denn  alleweil  schöne  Zeit. 

Beim  Anblick  eine.-.  Stieres  : 

Bike-bake.  Serohfrea»er  ! 

I>as  Marien käfwrchen.  Herrgottskäferchen  ■  oc  inella  -Tptempunctata' 
legen  »ich  die  Kinder  auf  den  Handrücken  und  sprechen  : 

Herrgott*kalh<:her.,  Herrgott.-kälhchen.  nimm  deine  Truhe  und  geh'  in 
Himmel,  wirst  deine  Mutter  dort  finden.7 

oder: 

Herrgottskälbchen,  Herrgottskäl  beben,  wo  wirst  inline  Truhe  hintrügen? 
in  den  Himmel  oder  in  die  Hölle? 


Tragen  sie  meine  Truhe  hinauf,  hinunter,  hinüber  und  herüber? 
—  Wenn  das  Käferchen  tortfliegt,  wird  rKrnhn.  kruhn  !a  gerufen. 

Für  den  Maikäfer. 

Maikäfer,  fliege!  Deine  Mutter  ist  im  Pommerland. 

Dein  Vater  ist  im  Kriege.  Pommerland  ist  abgebrannt. 

Maikäfer,  fliege!" 

Der  Schnecke  wird  gesagt : 
Schneck',  Schnede,  Schnierer,  Wirst  du  sie  mir  nicht  zeigen, 

Zeig'  mir  deine  Vierer!   Fühler?,  Schlag*  ich  dir  dein  Häusel  ein!1 

Wirft  das  Kind  den  ausgefallenen  Zahn  ins  Mausloch,  so  spricht  es: 

Müuschen,  Mäuschen,  gib  mir  nen  eisernen  Zahn,  ich  gib  dir  einen  beinernen  ! 


*  Retial      Rödichen.  Zepal      Hahn.  Koka!  Ei. 

*  Sparren. 

7  Vgl.  Busch,  Kleine  Kinder  n.  klein«  Tiere,  in  d<  r  Neuen  Illustr  Ztg.  1881.  II.  2. 

*  Vgl.  Stmrock  M6:  Fritchbier  2«.  -  •  Simrock.  571  S.  V3.  Fritchbier  5». 


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103 

Der  sog.  Knackkäfer  (sieb,  sächsisch:  Kirschenknatseher)  wird  aut'  den 
Rücken  gelegt  und  dabei  gesprochen : 

Schusterlinko,  Schusterlein,  Nicht  zu  gross  und  nicht  zu  klein, 

Mach'  mir  schöne  Schuerlein.  Schusterlinko,  du  bist  mein! 

Bei  Regenwetter  wird  die  Sonne  also  hervorgelockt: 

Sunal,  Sunal,  komm  herüber,  Redal,  Redal10  hinter  die  Tür, 

Monal,  Monal,  bleib'  darüber.  Lass'  mir  mein  herzige«  Sunal  für! 

Basti  ösereim : 

Wirst  nicht  saftig  werden,    Werd*  ich  dich  ins  Bachal  werfen, 
Werd'n  dich  die  Fröschal  fressen.11 

Das  Kind  zieht  im  Sand  32  Striche  und  spricht  dabei : 

Ein  Kuckuck  auf  dem  Baum  sass,  Es  kommt  ein  warmer  Sonnenschein, 
Es  kommt  ein  Regen,  er  wird  nass,       Es  müssen  zweiundreissig  sein.12 

Auszählreime  : 

Eins,  zwei,  Neun,  zehn, 

Polizei ;  Lass'  mich  gehn  ; 

Drei,  vier,  Elf,  zwölf, 

Granadier ;  Ins  Gewölb ; 

Fünf,  sechs,  Dreizehn, 

Alte  Hex' ;  Komm'  mit  mir  nach  Waitzen, 

Sieben,  acht,  Komm'  mit  mir  nach  Polen, 

Gute  Nacht ;  Dort  soll  dich  der  Kuckuck  holen. 11 

Wenn  in  den  letzten  Tagen  des  Faschings  die  Hirten  mit  Musik  von 
Haus  zu  Haus  ziehen,  so  rufen  ihnen  die  Kinder  nach : 

Hätt'  der  Vetter  Michel  nicht  gegaidet,  Hej,  Vetter  Michel,  spielt  ja  noch  a  mul, 
Hätt'  ich  mir  die  Stiefel  nicht  zerteufelt,  Mul,  mul, 

,   Zerteufelt,  zerteufelt.  Hab'  ja  noch  a  Stick  1  von  die  Suhl, 

Suhl,  Suhl,  Suhl! 

Wird  jemand  von  den  Kindern  zum  Märchenerzählen  genötigt,  so 
beginnt  er  mit  der  Frage:  „Soll  ich  von  der  grünen  Sau  erzählen?-*  Wenn 
die  Kinder  antworten:  „Ja!*4,  so  spricht  er:  „Nicht  das  hab'  ich  gesagt,  son- 
dern: soll  ich  von  der  grünen  Sau  erzählen?"  Und  damit  neckt  er  die  Kin- 
der. Oder  er  beginnt:  „Es  war  einmal  ein  Jemand  und  Niemand.  Der  Jemand 
ist  bei  der  Tür  Hinausgegangen,  der  Niemand  beim  Fenster :  wer  ist  drinnen 
geblieben  ?"  Das  Kind  antwortet  darauf  gewöhnlich :  ,,Niemand  !M  die  Antwort 
aber  lautet:  „und  !** 


Spottreim  auf  den  Namen  Jakob  : 

Jakob  hier,  Jakob  her,  Jakob  macht  sich  nichts  daraus, 

Jakob  ist  ein  Strudelbär  ;  Hat  kein  Branntwein  nicht  zuhaus. 

Auszählreime  : 

Ich  und  du,  Müllners  Esel, 

Müllners  Kuh;  Der  bist  du." 

oder: 

Eutentinus,  Saraka-tikitaka, 
Sarakatinus,  Ene-bene,  bumbus." 

m  Reif,  Ring.  —  "  Vgl  Simrock  705.  —  "  Simrock.  6%;  Rochholz,  Alemannisches 
Kinderlied  225;  Frischbier  216:  Vernaleken-Br.,  S.  119.  —  "  Vernaleken-Br.  101.  106.  Frisch- 
bier  667. 

«♦  Vgl.  Simrock  810;  Rochholz  214;  221.  -  11  Vgl.  Vc  rnaleken- B  r.  104. 


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Ex  Brot  in  der  Not. 
Wija.  waja.  von!17 


oder : 

Ene-wene,  witi-wene,  Zine.  zang, 

Kommen  wir  aus  Ungarland.  In  der  langen  Gasse 

Ungarland  ist  zugeschlossen,  Liegt  a  volle  Flasche. 

Goldener  Schlüssel  abgebrochen.  Trink'  aus,  sauf  aus. 

Du  bist  recht  wohl  aus.1* 

oder  : 

Enkeri.  penketi,  zukuti  ine. 
Abri,  fabri  domine, 

oder : 

Karl  ist  in  Garten  gangen,  Eins,  zwei,  drei, 

Wie  viel  Vögel  hat  er  fangen?  Du  bist  recht  wohl  frei! 

oder : 

Messer,  Bandl,  Fingerhut,  Stita  (=  Stadt .  Bauer,  ist  kein  gut.  Kommt 
der  Engel  mit  dem  Licht,  Abraham,  du  gehst  ganz  hinaus. 

oder : 

Einzahl,  zweizahl,  dreizahl,  vierzahl,  fünfzahl,  sechszahl,  siebenzahl, 
achtzahl,  neunzahl,  zehnzahl!  (Beim  letzten  Wort  bricht  die  Kinderschaar  in 
grosses  Gelächter  aus,  weil  in  Körmöczbanya  ein  Idiote  Zenzal  heisst.) 

Ein  beliebtes  Spiel  ist:  Ein  an  beiden  Enden  zugespitzter  kurzer  Holz- 
cilinder  wird  über  eine  kleine  Höhlung  gelegt,  und  von  da  mit  einem  Stabe 
hinausgeschnellt.  Der  Stab  wird  dann  quer  auf  den  Boden  gelegt.  Die  Gegen- 
partei ist  bestrebt,  das  Holzstück  im  Fluge  aufzufangen  oder  mit  ihm  den 
Stab  zu  treffen.  Um  dies  letztere  zu  verhüten,  gilt  die  Besprechungsformel: 
„Du  wachst  Zwiefal,  da  wachst  Knofal." 

Die  Kinder,  einander  die  Hände  reichend,  singen: 

Grünes  Grass,  grünes  Grass,  Welche  wird  die  schönste  sein, 

Unter  meinen  Füssen;  Diese  werd'  ich  küssen." 

oder  sie  singen : 

Blauer,  blauer  Fingerhut,  Schäflein.  Schäilein  kniee  dich, 

Steht  der  Jungfrau  all  zu  gut.  Kniee  dich  zu  Füssen! 

Jungfrau,  die  muss  tanzen  Gestern  hab'  ich  Zeit  gehabt, 

In  den  grünen  Kränzen.  Einen  Knaben  küssen, 

Küsse,  wem  du  willst.»» 

Im  Kreise  sich  drehend,  wird  —  während  ein  Kind  im  Kreise  kniet, 
gesungen  ; 

Hier  liegt  die  alte  Jungfrau  Kipfel  und  Kaffee. 

Im  Regen  und  im  Schnee,  Zipfen.  Zapfen,  alte  Krapfen, 

Wass  geben  wir  ihr  zu  essen?  Alte  Jungfrau  knie  dich." 

Die  Kinder  bilden  einen  Kreis,  eines  kniet  mitten  im  Kreise,  während 
die  auderen  mit  beiden  Händen  sein  Gewand  angreifen  ;  ein  Kind  geht  um 
den  Kreis  herum,  während  gesungen  wird: 

Hier  kniet  die  junge  Königstochter,      Mauer  muss  man  brechen. 
Sie  ist  ganz  vermauert.  Ziegel  muss  man  stechen 

Eine  Hand  herab ! 

Beim  letzten  Wort  schlägt  das  ausserhalb  des  Kreises  stehende  Kind 
einem  der  Mitspielenden  den  Arm  vom  Gewände  des  knienden  Mitspielers 


•*  Vgl.  Simrock  822-928;  Frischbier  546.  —  ';  Vgl.  Vera.  107. 

"  Vgl.  Vera.  50;  Kits  A.  in  der  Ztschr.  „Ethnographia"  III.  88.  — '*  Vera.  48;  Simr 
832.  Vgl.  Korrespondemblatt  d.  Ver.  f.  »iebenb.  Landeskunde.  XII.  Jahrg.  1898.  Nr.  4.  S. 
57.  -  »  Vgl.  Veraal.  52.  Wligloeki  in  der  .Kthnographia»  in.  25. 


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105 


weg ;  wessen  beide  Arme  schon  weggeschlagen  sind,  der  ergreift  das  Gewand 
des  im  Kreise  herumlaufenden  und  singt  dabei: 

Alte  Hex',  häng'  dich  an, 

An  den  schönen  W andersmann  ! 

Wenn  beide  Arme  aller  Mitspielenden  weggeschlagen  sind,  ist  das  Spiel 
zu  Ende.21 

Im  Kreise  sich  drehend,  singt  einer  in  der  Mitte : 

Jakob  hatte  12  Söhne,  heisassa!  Machten  alle  so,  so,  so! 

Eva  hatte  das  kleinste  am  liebsten,  hopsassa!  Machten  alle  so,  so,  so!8* 

Nun  macht  der  im  Kreise  Stehende  etwas  (z.  B.  er  hebt  die  Arme  oder 
einen  Fuss  in  die  Höhe,  reckt  die  Zunge  heraus)  und  alle  müssen  ihm  dies 
nachmachen. 

Im  Kreise  sich  drehend  singen  die  Kinder: 

Dort  und  da,  dort  und  da 
Steht  ein  Fleckel  Tannen, 
Wenn  die  alten  Weiber  sterben, 
Kriegen  die  Madeln  die  Männer. 

Oder  es  wird,  während  ein  Kind  mitten  im  Kreise  steht,  gesungen: 

Pischketelein,  Pischketelein,  Einmal  um,  zweimal  um. 

Ich  bin  ein  armes  Mägdelein.  Liebe  Anna,  dreh'  dich  um  !** 

Dessen  Namen  nun  ausgesprochen  wird,  der  dreht  sich  vom  Kreise 
nach  auswärts.  Wenn  alle  nach  auswärts  gekehrt  sind,  hat  das  Spiel  ein  Ende. 
Bei  diesem  Spiele  wird  auch  gesungen  : 

Gloria,  Gloria,  hat  gedient  7  Jahre; 

Sieben  Jahre  um,  dreht  sich  schön  die  Anna  um : 

Die  A.  hat  sich  umgedreht, 

Hat  den  goldenen  Kranz  verdreht. 

Die  Kinder  stellen  sich  in  eine  Reihe  auf  und  während  eines  auf  und 
abgeht,  singt  es  mit  der  Reihe  abwechselnd : 

A.  Es  kommt  ein  Mann  aus  Linafe,  B.  Was  will  der  Mann  aus  Linafe, 

Kaiser  von  Pilatus.             [Linafe !  Kaiser  von  Pilatus.           [Linafe  ? 

A.  Er  will  die  jüngste  Tochter  haben,  B.  Wirgebendie  jüngste Tochternicht, 

Kaiser  von  Pilatus.  (Tochter  haben!  Kaiser  von  Pilatus.  (Tochternicht! 

A.  So  schlagen  wir  die  Fenster  ein,  B.  So  legen  wir  die  Bretter  vor,  die 

Kaiser  von  Pilatus.     [Fenster  ein!  Kaiser  von  Pilatus.     [Bretter  vor! 

A.  So  stecken  wir  das  Haus  in  Brand,  B.  So  rufen  wir  die  Polizei,  Polizei! 

Kaiser  von  Pilatus.  [Haus  in  Brand !  Kaiser  von  Pilatus. 

A.  Die  Polizei  die  hilft  auch  nicht,  hilft  B.  So  nimmt  Euch  die  jüngste  Tochter 

Kaiser  von  Pilatus.      [auch  nicht!  Kaiser  v.  Pilatus.  [Inn,  Tochter  hin! 
Dann  tritt  das  zweite  Kind  vor  das  erste  der  Reihe  hin  u.  s.  f.24 

Bei  einem  anderen  Spiel  stellen  sich  die  Kinder  hintereinander  der 
Reihe  nach  auf,  während  vor  der  Reihe  2  Kinder  mit  emporgehobenen  Armen 
ein  „Tor'  bilden:  letztere  stellen  die  Fragen,  worauf  die  übrigen  im  Chor 
antworten : 

A.  Von  wo  kommt  Ihr  her?  B.  Vom  schwarzen  Meer. 

A.  Was  habt  Ihr  dort  gemacht  ?  B.  Weisse  Wäsche  gewaschen. 

A.  Ihr  seid  ja  kohleuschwarz.  B.  Wir  haben  keine  Seife  gehabt. 

A.  Habt  sollen  kaufen.  B.  Wir  haben  kein  Gold  gehabt. 

A.  Habt  sollen  stehlen.  B.  Stehlen  ist  verboten. 

A.  Was  gebt  zum  Pfand?  B.  Das  letzte  Kind  zu  Eurer  Hand. 

»  Vgl.  Voraal.  S.  52.  -  »  Vgl.  Vernal.  «».  Simrock  Hut».  -  a  Vgl.  Ki>«  in  der  Ztscbr. 
.Ethnograph!««  III.  ».  -  «  Vgl.  Verna).  S.  56:  Simr.  803;  Frischbier  TO>. 


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106 


Die  Kinder  gehen  nun  durch  das  ,,Tor"  hindurch,  das  letzte  wird  ab- 
gefangen und  genagt,  wohin  es  gehen  wolle:  zur  Lilie  oder  Narcisse?  Eine 
Blume  is  nämlich  der  Engel,  die  andere  der  Teufel,  und  nur  zu  Ende  des 
Spieles  erfahrt  jedes,  welche  von  den  beiden  Blumen  Teufel  oder  Engel 
gewesen."* 

Die  Kinder  setzen  sich  in  einer  Reihe  nieder:  eines  von  ihnen  gibt 
jedem  einen  Blumennamen.  Dann  kommt  der  Engel  und  folgender  Dialog 
entspinnt  sich: 

Wer  ist  draussen?  Der  Engel. 

Was  will  er  ?  Eine  Blume. 

Was  für  eine?  Eine  Pelargonie.'* 

Errat  der  Engel  ein  Kind  mit  solchem  Blumennamen,  so  führt  er  es 
mit  sich.  Nun  kommt  der  Teufel  und  derselbe  Dialog  wird  abgehalten. 

Folgende  zwü  Reime  werden  bei  keiner  besonderen  Gelegenheit,  son- 
dern nur  scherzweise  hergesagt: 

Kann  nicht  bindisch*7,  kann  nichtdeutsch,  Kommt  der  Vater  mit  dem  Stecken. 
Kommt  die  Mutter  mit  der  Peitsch.        Schlägt  der  Mutter  blaue  Flecken. 

oder : 

Kaschamster  Diener!  Sie  legen  Eier. 

Was  machen  denn  die  Hühner?  Wie  teuer? 

Zwei  Kreutzer.  Hol'  sie  der  Geier! 


Aus  dem  Dobsioaer  Volksglauben.9" 

Das  Volksleben  der  alten  oberungarischen  Bergstadt  Dobsina  (Dobschau) 
bietet  noch  manches  Ursprüngliche  und  Eigentümliche  ;  viel  slavisches  hat 
sich  eingemengt.  Ein  System  des  Volksglaubens  Hesse  sich  aber  nicht 
zusammenstellen.  Die  meisten  Ueberlieferungen  haften  natürlich  am  Berg- 
werksleben. 

Man  glaubt,  das»  die  Kuh  Erzlager  in  den  Bergen  entdecken  könne. 
Die  Zwerge,  welche  „steenalt"  genannt  werden,  helfen  den  Bergleuten;  sie 
arbeiten  für  sie  ..in  der  Mittagsruh'4:  bei  Nacht  aber  schärfen  sie  den  Bohrer 
und  Meissel  der  Bergleute:  zünden  das  Grubenlicht  an,  zeigen  Erzlager  und 
halten  das  Wildwasser  auf.  Schlechte  Bergleute  töten  sie  durch  ein  zufällig 
seheinendes  Grubenunglück.  I>as  Kobalterz  (dobschauerisch :  der  Kobold)  hat 
seinen  Namen  vom  Kobold  erhalten  ;  da  es  beim  Schmelzen  kein  Metall  gab, 
wurde  es  früher  als  boshaftes  Spiel  feindlich  gesinnter  Zwerge  angesehn. 
Auch  das  Nickel  hat  seinen  Nau  en  vom  neckenden  Berggeist.  Im  Stollen 
und  Schacht  darf  man  nicht  pfeifen,  sonst  verschwindet  der  Gang. 

In  der  Volksüberlieferung  tritt  der  Hund  als  Hüter  vergrabener 
Schätze  auf:  auch  die  Dobschauer  nennen  den  Stollenkarren  ,Hund4.  Der 
Frosch  wird  auch  als  Schatzhtiter  betrachtet.  Er  ,,schiesst  Gift"  und  bezaubert 
mit  dem  Blick.  In  seiner  Gestalt  erscheint  auch  die  Trud,  ein  weibliches 
Ungeheuer,  das  der  Mahr  entspricht.  Der  pulverisierte  Frosch  ist  ein  Heil- 
mittel bei  Epidemien.  Menschen  können  sich  oft  auch  in  Kröten  und  Frösche 
verwandeln.  Wenn  man  einen  Fros-ch  im  Stalle  antrifft,  soll  man  ihm  ein 
Bein  abschlagen,  denn  dadurch  wird  auch  der  betreffende  Mensch,  der  sich 
eben  in  einen  Frosch  verwandelt  hat,  einbeinig.  Besonders  nehmen  die  Hexen 
(Strigen)  die  Gestalt  von  Fröschen  und  Katzen  an.  Eine  Hausfrau,  erzählt 
die  Sage,  knetete  den  Brotteig.  Ihre  Kinder  waren  dabei  unartig.  Da  sagte 

M  Vgl.  Vernal.  S.  54.  —  *  Vgl.  Vernal.  t>2;  i  .  Rollan<l,  Kimes  et  jenx  de  l'enfanoe. 
Parii  IWSi.  S.  I3ö.  Francisco  MaspouB  Y  Labros  S.  «Jl.  —  **  windisch. 

*  Vgl.  Szojka  Gyula:  A  tenneszet.  a  nepbitben,  tokintettel  a  dobsinai  babonAkra 
es  nepmondahra.  Debroczen,  1W*4.  3ö.  1.  (Enthalt,  trotz  viel  vorsprechendem  Titel,  wenig 
bieher  Gehörigem  Hnndfichriftliche  Aufzeichnungen  von  J.  Mikulik  und  lgn.  Nagy.  ■- 
Ethnol.  Mitteilungen  aus  Ungarn.  11.  B.,  S.  iB*.  —  Eigene  Aufzeichnungen  au  Ort  und  Stelle. 


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107 


die  Mutter  zu  einer  Katze,  die  eben  auf  der  Türschwelle  sass:  „Katze,  nimm 
die  Kinder  beg.  die  beinen  (weinend!"  Die  Katze  fragte:  „Bolenes  ?"  (welches). 
Darüber  erschrak  die  Mutter,  versetzte  der  Katze  einen  tüchtigen  Schlag 
mit  der  teigigen  Hand,  worauf  das  Tier  verschwand.  Die  Frau  wusch  sich 
die  Hände  und  gieng  hinüber  zur  Nachbarin,  um  ihr  das  Wunder  zu  erzählen: 
diese  aber  reinigte  sich  eben  das  Gesicht  vom  Teige.  Sie  war  nämlich  die 
Katze  gewesen. 

Besonders  die  Kühe  können  von  den  Hexen  bezaubert  werden.  Deshalb 
ist  es  gut,  Knoblauch  im  Stalle  aufzuhängen.  In  der  Krist nacht  kann  das 
Gespräch  der  Kühe  belauscht  werden.  Wenn  die  Kühe  zuerst  aufgetrieben 
werden,  so  wird  ein  Küchenmesser  über  die  Stalltür  gestochen,  und  über 
die  Schwelle  legt  man  eine  Kette,  über  welche  hinweg  die  Kuh  schreiten 
mu&s.  Dies  beschützt  sie  vor  jedwedem  Unglück.  Zu  gleichem  Zwecke 
werden  auch  die  Eierschalen  nach  dem  Ausbrüten  zu  Pulver  gestossen  und 
damit  die  Küchlein  geräuchert.  Eine  tote  Schlange  im  Frühling  am  Wege 
bedeutet  einen  Todesfall  im  Hause. 

Eine  alte  Frau  warnte  ernstlich  davor,  mit  dem  Finger  in  die  Sonne 
zu  weisen.  Eine  schwarze  Kuh  an  der  Spitze  der  heimkehrenden  Heerde 
bedeutet  schlechtes,  eine  weisse  aber  gutes  Wetter.  Bei  einer  Feuersbrun*  t 
wird  der  Tisch  umgestürzt,  die  Füsse  nach  oben.  Ein  im  Ofen  vergessenes, 
,überbackenes'  Brot  wird  auch  gegen  Feuersgefahr  aufbewahrt. 

Die  Gänseblume  oder  das  Maasliebchen  wird  als  Liebesorakel  gebraucht. 
Beim  Abzupfen  der  Blätter  sagt  man  :  „Farra  —  Rekter  —  Bidmon  —  Knecht" 
(Pfarrer,  Rektor-Schulmeister,  Witwer,  Knecht);  daher  heisst  die  Blume 
„Farrarekter."  Beim  Erdbeerensamnieln  werden  die  erstgepflückten  hoch 
über  den  Kopf  hinweg  nach  rückwärts  geworfen,  sonst  ist  kein  ergiebige- 
Sammeln  im  Jahre  zu  erhoffen. 

Folgender  Diebzauber  wird  geübt:  Wenn  was  gestohlen  wird,  geht 
vom  Gesinde  jemand  auf  einen  Kreuzweg,  schüttelt  dort  tüchtig  einen  Zaun 
und  spricht  dabei:  „Ich  schüttel  dich  Zaun;  und  du  Zaun  den  Lucifer;  und 
du  Lucifer  den,  der  meines  Meisters  gestohlen  hat." 

In  der  Mitternachtsstunde  geht  es  um.  „Die  Toten  kömman  anhöm  " 
Das  Unglück  kommt  selten  ohne  „Onzechen".  Mancher  Leute  Blick  macht 
krank.  „Es  kimmt  oin  von  Hep.  von  Agen:  man  ethid  öm  6nw  =  bezaubert 
ihn.  Allenthalben  gibt's  „vörbonnte"  Geister,  „Peagtuännln"  u.  dgl. 

Ein  Herg  bei  Dobsina  heisst  „Teiblsköp".  Im  „Steengaresch",  einem 
felsigen  Wald,  soll  eine  höhlenarti^e  Bergschlucht  die  Wohnung  von  Drachen 
oder  Räubern  gewesen  sein  und  labelhafte  Schätze  enthalten. 

Von  der  Gläsernen  Frau  in  der  dritten  Maron.  einem  Waldteil  bei 
Dobsina  folgt  hier  eine  Sage  im  lokalen  Dialekt:1 

Die  gleserna  fraa.' 

Beit  nbu3  dien  en  der  drettn  Maron  enderan  glesernan  steen  es  a 
gleserna  truh,  en  der  glesernan  truh  a  gleserna  fraa.  Die  leit  dat  öw-an 
schotz  und  dear  es  vörbönschn.  Olla  siebn  joar  öm  sieb'ntn  tog  vön  sieb'ntn 
möneit  hebt  sich  der  steen,  die  truh  mecht  sich  öf  und  die  gleserna  fraa 
kimmt  raus.  Benn  abear*  z6  dear  zeit  doar  kimmt  und  dat  net  derschreckt, 
hebt  die  gleserna  fraa  ihra  hont  und  binkt-öm  beg.  Hod-er  sich  emgadret 
uml  leeft-er  beg,  heart-er  öw-eemöl,  dos  abos&  hender-öm  kault.*  Benn  er 
zoreckschaat,  gasied-er  a  kuf  tuet  gölt  gafellt,  die  hebt  ober  gleich  on  sich 
zöreck  zö  kauln  und  es  öw-eemöl  beg.  Schaad-er  sich  ober  net  em,  pis  er 
aheem  kimmt.  kault  die  kuf  kuntanier7  hender-öm  hear  und  gaheart  denn  ihm 
und  aus-öm  bif  a  strenreieher  moon.  En  die  dretta  Maron  tarr-er*  ober  net 
gehn  und  ooch  ollas  ondera  muss-er  vörgess'n.  Benn  net,  es  der  gonza  schotz 
bieder  beg.  Mitgeteilt  von  A.  H. 

1  S.  Sjiojha  Cyula.  a.  a.  0.  S.  32. 

1  «  knrzu»  geschlossenes  e.  6  langes  geschlossenes«.  6  zwischen  <>  u.  u.  b  gemein- 
deutsch \v. —VrI.  die  Bearbeitung  von  J.  Klein.  Die  Jungfer  aus  der  Maron.  —  'wo,  irgendwo. 
«  wer,  irgendwer.  —  '•  t-twas.  —  *  kollert.  —  :  fortwährend.  -    "wird.  —  •  darf  er. 


108 


Splitter  und  Späne. 


Besprechingsformeln  aus  dem  XVI.  Jahrhundert. 

Der  Ot'ner  Buchhändler  Jakob  Schaller  liess  1512  das  1475  zu  Augsburg 
erschienene  Werk :  „Postilla  Guillermi  super  Epistolas  et  Evangelia  etc.'1  zu 
Venedig  neu  drucken.  Ein  Exemplar  dieses  Werkes  war  im  Besitz  des  Blasius 
literatus  de  Serench,  später  kam  es  in  den  Besitz  der  Pauliner  zu  Szent- 
Lörincz  und  befindet  sich  nun  in  der  Universitätsbibliothek  zu  Budapest. 
Auf  dem  Vorblatte  und  der  Rückseite  des  Titelblattes  befinden  sich  ungarisch 
und  lateinisch  geschriebene  Besprechungsformeln  aus  dem  Beginne  des  XVI. 
Jahrhunderts,  die  wir  hier  (die  ungarischen  in  Uebersetzung)  mitteilen. 
(S.  Irodalomtörteneti  közlemenyek  III.  S.  122—123.) 

„Mein  Herr,  allmächtiger  Herr  und  Gott,  mir  ist  am  heutigen  Tag 
in  meinem  Munde  dein  teuerer  heiliger  Leib,  dein  heiliges  Blut:  ich  nehme 
es  heraus  aus  meinem  Munde,  ich  teile  es  in  zwei:  die  Hälfte  lasse  ich  mir, 
die  Hälfte  gebe  ich  meinem  Herrn  und  meinem  Feinde,  damit  ich  vor  ihnen 
so  lieb,  so  erfreulich  sei,  wie  der  lieben  Mutter  ihr  Sprössling  wäre.1' 

„Mein  Herr,  allmächtiger  Herr  und  Gott;  allem  Volke,  klein  und  gross 
dieser  Welt  binde  ich  mäuniglich  ihre  Zungen,  ihre  sehenden  Augen,  ihre 
sinnenden  Herzen,  mit  unerbittlichen  Banden,  mit  Samson's  Ring,  dass  nie- 
mand über  mich  reden  kann,  nicht  verleumden  kann,  mit  Gottes  Wort  sage 
ich  es,  mit  der  Macht  der  lieben  Frau.  (Annis  1B10.)U 

Nota.  Que  mulier  non  potest  parere  masculum  vel  feminara.  debet 
scribere  istas  Hteras  et  debet  ligare  ad  ventrem  parientis  et  statim  pariet 
sine  dolore,  si  quis  quum  ligat  tunc  unum  Pr  nr  et  unum  Ave  et  Credo  ligat. 
Sequitur  -f-  Elizabet  -f-  peperit  -f-  Sanctum  ~\-  Joannem  -j-  Baptistam  4 
Anna1  -|-  peperit  -\-  matrem  domini  4-  nostri  4"  J^su  4~  Cristi  sme  4" 
dolore  -\-  conjuro  -f-  te  -f-  Intans  4-  per  patrem  4~  et  filiura  4-  et  spiritum 
-\-  sanctum  4-  ut  ~\-  sive  -\-  sis  -j-  masculus  4-  sive  4-  femina  4-  sive  4- 
sis  4-  vivens  4*  8*ve  4~  mortuus  -j~  venias  -\-  ad  lucem  -J-  Xpi  -\-  Infans  -|~ 
veni  4*  foras  -j~  locum  -j-  aperu  .  .  et  eduxit  -f-  eum. 

Alia.  Domini  est  terra  etc.  Hunc  Psalmum  debet  scribi  et  poni  sub 
pede  dextra  et  s  tat  im  pariet. 

Sequitur  alia  de  morbo  raduco.  -j-  Ebrum  ~\~  Intebrum  4-  Critio  4-  merit 
4-  Pal  4~  Pater  4-  ventus  4"  rtl«  •  •  ~h  remedium  -}-  spiritus  4"  sanctus  4~ 
custodi  4~  fftmulum  4~  tuum  N.  vel  anc  

Contra  morbum  kaducum.  Ecce  vidimus  eum  non  hab.  .  .  requiem  In 
cena  domini  In  matutino  etc.  Oratio.  O  Jesu  crisfee  salu.  mundi  propter  hec 
verba  et  per  tuam  amarissimam  passionem  Üb  .  . .  me  famulum  tuum  X.  de 
morbo  caduco  et  ab  alijs  intirmitatibus  ut  dign  ...  ti.  laudare  in  Omnibus  diebus 
et  noctibus  vite  mee.  O  sancte  Valentine  episcope  inartir  et  pontiiex  ora  pro 
me  famulo  tuo  N. 

Contra  renenum  kaducum.  Stetit  unda  fluxus  congregate  sunt  abissi  in 
medio  matris. 

Contra  mundum  morbum,  Elim,  melim  zelim,  unum  pr.  nr.  Ave.  .  credo. 
—  Item  in  lingua  groka:  Inola  iarus  Ibas  Ibol  -j-  gargary  4"  gargalay  4"  I" 
4-  nomine  -f-  patris  4"  et  n'y  4"  et  spiritus  s.  .  . 

Contra  rundem  morbum.  Herrgott,  was  sagte  er,  was  befahl  er,  als  Herr- 
gott ans  hohe  Kreuze  gehaltet  war,  und  man  sein  Herz  durchstach  und 
blieben  in  ihm  drei  Tropteu  Blut:  stieg  hinauf  der  hl.  Apostel  Johannes.  .  . 

1  Ueber  <lie  hl.  Anna  als  Geburtshelferin  s.  Kälmätty.  BoldosfnasEony  üsv«UÄsunk 
UtenMszouvii,  und  Wlislocki,  Ana  <1.  Volksleben  «ler  Magyaren  15Ö  n~. 


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100 


gab  ihn  unter  die  Arme  unserer  Jungfrau,  der  Jungfrau  Maria,  ihn  vom  hohen 
Kreuze  herabnehniond,  wie  damals  der  Schiloh  (bach)  stockte,  mit  Gottes 
Gebot,  sage  ich  und  mit  der  Macht  der  seligen  Frau,  damit  in  dir  N.  stehen 
bleibe  die  Krankheit.  Adait.  .  .  -f-  guet  4-  guttau ry  -f"  habet  -f- 

Contnt  eundem  morbum.  .  .  factus  Jesus  In  agonia  prolixus  orabat  et 
factus  est  sanctor.  .  (?)  sicut  gutte  sanguinis  deaureatis  (?)  In  v.  um  p.  .  . 

Contra  mormm  rabidi  canim  ad  oblatam  vel  ad  panem.  Sequitur:  zaro 
zarahia  zarabista  zarabuntur  alem.  .  Palera  In  alenti  es. 

A.  II. 

* 


Kerbholz  aus  Lemnek.  In  dem  siebenbürgisch-sächsischen  Dörfchen 
Lemnek  (Leblang,  früher  Löbling)  wurden  vor  einigen  Jahren  beim  Abtragen 
der  alten  romanischen  Kirche  in  einer  seit  einem  Jahrhundert  verschlossenen 
Nische  vier  ineinander  gehörige,  zusammen  etwa  5  m.  lange,  achteckig  roh 
geschnitzte  Holzstäbe  mit  X  u.  I  förmigen  Kerbeinschnitten  gefunden.  An 
den  Stäben  hiengen  in  verschiedenen  Abständen  zusammen  23  viereckige 
Holzstückchen,  welche  ausser  mit  Kerbeinschnitten  noch  mit  Namen,  Jahres- 
zahlen (älteste  1501)  und  andern  (Haus?)  Nuramern  und  verwischten  Bibel- 
sprüchen (in  lateinischen,  deutschen  und  auch  gemischten  Lettern)  versehen 
waren.  Nach  der  Ansicht  des  dortigen  evang.  Pfarrers  Pildner,  welche  auch 
Stefan  Teglas  teilt,  der  diese  Daten  zuerst  publiciert  hat*,  entspricht  die 
Vierzahl  der  Stäbe  den  4  Nachbarschaften  des  Ortes  und  wurden  auf  dem 
Holze  die  von  den  Bewohnern  an  Gemeinde  und  Kirche  geleisteten  Abgaben 
und  Öffentlichen  Arbeiten  (Zehnten,  Fuhren,  Tagwerke)  mittelst  Kerbeinschnitte 
durch  den  Pfarrer  angemerkt;  dies  Holzprotokoll  aber  wurde  zur  allgemeinen 
Evidenz  in  der  Kirche  aufbewahrt.  A.  II. 


* 


Das  graue  Mandl.  In  den  Colonien  Südungarns  mit  gemischter  deutsch- 
serbischer Bevölkerung  tiiesst  Volksglaube  und  Brauch  beider  Stämme  man- 
nigfach ineinander.  Das  graue  Mandl  in  Bresztovaez  nächst  Pancsova  scheint 
aber  ein  rein  deutsches  Gebilde  zu  sein.  Dieses  Gespenst  ist  im  Orte  an  ein 
einzelnes  Haus  gebannt,  wo  es  im  Keller  haust,  beim  Rauchfang  heraus- 
schaut, auf  dem  Dach  oftmals  lustwandelt.  Manchmal  erschreckt  es  in 
Hundsgestalt  auf  der  Gasse  die  Nachtschwärmer,  begleitet  sie  auch  stre- 
ckenweise. In  dem  Hause,  wo  es  seinen  ständigen  Sitz  hat,  ist  es  als  Glücks- 
bote und  Schätzesammler  bekannt,  in  wichtigen  Familienfällen  steht  es 
mit  Rat  und  Tat  aber  immer  nur  dem  Herrn  im  Hause  bei.  Im  ganzen 
Dorfe  ist  diese  Gestalt  wol  bekannt  und  mit  Scheu  und  Furcht  wird  das 
Haus  gemieden,  verspöttelt  und  bewitzelt.  Auch  meidet  man  mit  dem  Hausherrn 
freundschaftlichem  Verkehr  anzuknüpfen,  weil  niemand  mit  dem  grauen 
Mandl  zu  tun  haben  will,  das  nach  dem  Volksglauben  ein  Schüler  des 
Teufels  ist  und  der  Hölle  entstammt. 

Mitgeteilt  von  A.  Schwan/dder. 


♦  ArchaeoloKiai  Ürteaitß.  Üj  folyam.  X.  kfitet.  i960,  lflft. 


Ethnol.  Mitteil.  a.  Ungarn.  III. 


8 


110 


Anzeigen. 

Berührungen  zwischen  den  westflnnischen  und  slavischen  Sprachen. 

Von  Joos.  J.  Mikkola,  Heisingtors  181  »3. 

In  dem  als  akademische  Abhandlung  Heulings  erschienenen  ersten  Teile 
(iH.  S.)  dieses  Werkes  wird  der  slavisehe  Eintluss  auf  die  westfiuuischcn 
Sprachen  behandelt.  Der  junge  Verfasser  hat  sich  eingehend  mit  den  slavi- 
schen  »Sprachen  beschäftigt,  ist  auch  aut  dem  Gebiete  der  finnisch-ugrischen 
Sprachforschung  heimisch  und  zeichnet  sich  durch  seine  korrekte,  dein 
jetzigen  »Standpunkte  der  Sprachwissenschaft  durchaus  entsprechende 
Methode  aus.  Besonders  dieser  letztere  Umstand  gibt  ihm  einen  entschie- 
denen Vorrang  vor  W(*kt\  der  dasselbe  Thema  in  einem  umfassenden  Werke: 
„Slavjano-fingkija  kulturnyja  otnoschenyja  po  dannym  jazyka,  Kasan  18!K)," 
behandelt  hat.  Weske  wird  auch  vielfach  vom  Verf.  korrigiert,  so  auch  be- 
züglich der  Frage  nach  dem  Alter  des  respektiven  slavi  sehen  Einflusses. 
Nach  der  Darstellung  Mikkola's  ist  dieser  Einfiuss  jüngeren  Datums  als  der 
(ältere)  germanische  bezw.  gotische,  welcher  seinerseits,  wie  Thomsen  gezeigt 
hat,  dem  litauischen  am  Alter  nachsteht,  während  Weske,  indem  er  gewisse 
lautgeschichtlicho  Kriterien  übersah,  den  slavischen  Eintluss  von  dem  litau- 
ischen gebührend  zu  sondern  nicht  vermocht  hat.  Zur  Stüt/.e  seiner  Behaup- 
tung von  dem  zeitlichen  Verhältnis  des  slavischen  Einflusses  zum  germani- 
schen weist  der  Verf.  auf  folgende  Umstände  hin.  Erstens  werden  Goten  au 
den  süd-östlichen  Küsten  der  Ostsee  schon  vor  Kr.  genannt  und  am  Ende 
des  zweiten  Jahrhunderts  erzählt  Ptolemaeus,  dass  sie  in  der  Nähe  der 
Weichsel  und  wahrscheinlich  östlich  von  derselben  wohnten,  während  die 
Einwanderung  der  Slaven  nach  Norden  hin  unzweifelhaft,  wie  Thomsen, 
„Beroringer  mellein  de  tinske  og  de  baltiske  Sprog*4  S.  1H  bemerkt,  in  Zu- 
sammenhang mit  den  anderen  Wanderungen  der  Slaven  zu  stellen  ist..  Zwei- 
tens ist  besonders  zu  bemerken,  das«,  während  wir  in  allen  westtinnischen 
»Sprachen  für  alle  gemeinsame,  zu  allen  Gebieten  des  Lebens  gehörende 
gotische  Lehnwörter  antreffen,  in  denselben  Sprachen  nur  verhältnismässig 
wenige  gemeinsame  slavisehe  Lehnwörter  vorkommen,  ein  Umstand,  der 
deutlich  darauf  hinweist,  dass  die  westfinnischen  Völker  in  der  Zeit,  wo  sie 
mit  den  nach  Norden  vordringenden  Slaven  in  Berührung  kamen,  schon,  und 
zwar  wahrscheinlich  zufolge  dieses  Druckes  von  Süden  her,  im  Begriff 
waren,  sich  nach  verschiedenen  »Seiten  nach  ihren  jetzigen  Wohnsitzen  hin 
zu  trennen.  Jedenfalls  sind  die  ältesten  slavischen  Lennwörter  nach  dem 
Verf.  schon  vor  der  Einwanderung  der  Finnen  in  Finnland  aufgenommen, 
welche  wenigstens  schon  um  das  Jahr  800  n.  Kr.  beendet  war ;  aber  wahr- 
scheinlich hatte  die  Bewegung  schon  früher  begonnen. 

Abgesehen  von  der  ältesten  slavischen  Lehnschicht,  giebt  es  in  allen 
westfinnischen  Sprachen  parallele  und  einzelne  Entlehnungen  aus  dem  Russi- 
schen aus  früherer  und  späterer  Zeit.  Am  wenigstens  sind  sie  in  den  auch 
geographisch  meist  entlegenen  westlichen  Dialekten  des  Finnischen  zu  ge- 
wahren. Besonders  in  k\ilturhistorischer  Hinsicht  interessant  sind  einige  auch 
im  Finnischen  und  Estnischen  vorkommende  kirchliche  Termini,  die  auf  einen 
ziemlich  alten,  vor  der  Einführung  des  katholischen  Kristentums  stattgefun- 
denen Bekehrungsversxich  zur  griechisch-katholischen  Lehre  hindeuten.  .Solche 
sind:  kuoma  'Pate',  pakana  'Heide',  pappi  'Priester',  raamattu  'die  heil.  Schrift', 
risli  'Kreuz',  estn.  nodal  'Woche'. 

Für  die  Sprachforscher,  sowohl  für  die  finnisch-ugrischen  als  auch  für 
die  Slavisten  bietet  das  Buch  viel  Interessantes.  Die  Ungenauigkeiten  im 
Einzelnen  können  den  Wert  der  verdienstvollen  Arbeit  in  erheblicherem 
Grade  nicht  verringern:  die  Hauptergebnisse  werden  jedenfalls  von  ihnen 
nicht  beeinträchtigt. 

Heinrich  Paasonen. 


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111 


Zeitschriften  zur  Völkerkunde  Ungarns. 

Archaeologiai  Ertesitö.  (Archaeologischer  Anzeiger).  Organ  der  archaeo- 
logischen  Kommission  der  ung.  Akademie  der  Wissenschaften  und  des 
Landesvereins  für  Archaeologie  und  Anthropologie.  Redigiert  von  Josef 
Hampel.  —  Es  gibt  wol  keine  Zeitschrift  in  Ungarn,  welche  besser 
redigiert  und  reicher  ausgestattet  wäre,  als  dieser  Anzeiger,  der  jährlich 
"vniat  in  vortrefflich  illustrierten,  6  Bogen  starken  Heften  in  grösstcm 
8°  erscheint  (Preis  t»  ff.)  Der  gediegene  Inhalt  dieser  Zeitschrift  verdient 
in  erster  Reihe  der  allgemeinen  Fachwissenschaft  bekannt  zu  werden. 
Die  Ungarische  Revue  veröffentlicht  auch  seit  Jahren  die  Hauptaufsätze 
mit  den  Original-Illustrationen.  Die  Mitteilungen  der  Wiener  Anthropologischen 
Gesellschaft  bringen  in  neuerer  Zeit  einen  (allen  Fachkreisen  gewiss  will- 
kommenen) Auszug  aus  den  letzteren  Jahrgängen.  Wir  werden  es  uns  auch 
angelegen  sein  lassen,  den  Inhalt  der  das  Gebiet  der  ,,Ethnologischen  Mit- 
teilungen aus  Ungarn"  berührenden  Aufsätze  dem  Auslande  unverweilt  zu 
vermitteln.  —  Die  Zeitschrift  ist  tatsächlich  das  Organ  des  Ungarischen 
Nationalmuseums,  und  die  überaus  bedeutenden  prachistorischen  Schätze 
desselben  zu  publicieren,  ist  wol  ihre  wichtigste  Aufgabe.  Daneben  findet 
die  auf  den  Umfang  des  jetzigen  Ungarns  bezügliche,  mit  barbarischen 
Elementen  sich  manigfach  berührende  Antike,  sowie  die  ungarische  Altertums- 
kunde ergibige  Berücksichtigung.  Die  eigentliche  Anthropologie  jedoch  ist 
fast  ganz  ohne  Vertretung.  —  Aus  den  3  Heften  des  laufenden  Jahrganges  (Neue 
Folge,  XIII.)  wollen  wir  hervorheben:  I.  H.,  Herman  O..  Der  palaeolithische 
Fund  von  Miskolcz  (im  Auszüge  in  den  Mitt.  d.  Wiener  Anthrop.  Gesellsch. 
XXIII.  2—3.  H. ;  vgl.  Ethnol.  Mitt.  a.  U.  III.  8.  91.  usw.)  —  Zwei  Purgstaller 
Geffisse.  —  Die  Kumanenhügel  bei  Als6-Szt-Iväny.  —  Die  Erdburg  Hradek 
im  Saroser  Komitat.  —  Neue  Funde  von  Csab-Rendek.  —  Praehistorische 
Ansiedlung  von  Szamosudvarhely.  —  Grabfund  von  Nagy-Kürü.  —  2.  H. 
Gab  es  im  Neusiedlersee  Pfahlbauten  ?  —  Die  Bestattungsweise  der  alten 
Kumanen  —  Horn-  und  Beingerate  von  Lengyel.  —  Die  praehistorischen 
Kupferfunde  der  Gegend  zwischen  Donau,  Theiss  und  Maros.  —  Bronzfund 
von  Nagy-Dem.  —  Nagyvärader  Fund.  —  Deckengemälde  der  Szmrecsanyer 
Kirche  (volkstümliche  Motive)  —  Alt«  Wappentafeln  als  Totenmale.  —  Funde 
von  Tiszazügh,  von  „Hamvas  part"  (Szabolcser  Komitat),  von  Galainbok,  von 
BoMog  usw.  --  Halavats  und  Herman,  Zum  Miskole/.er  Fund.  —  3.  Heft. 
Die  polierten  Steingeräto  von  Lengyel.  —  Die  Schale  von  Gundestrup  und 
die  J>ilberplatte  von  Csora.  —  Grabfeld  aus  der  Völkerwanderungszeit  bei 
Bezenye  (Piecen  mit  germanischen  Runen,  über  die  wir  eingehender  berichten 
werden.)  —  Reitergräber  in  Ungarn.  —  Die  Kirche  von  Topporcz  (volks- 
tümliche Ornamente).  —  Erdschanzo  von  Muutjana ;  Funde  von  Tisza-Szt- 
Marton,  aus  dem  Beregher  Komitat.  in  Dunakeszi.  bei  Sze'kesfehervar. 

Armenla.  Ungarisch-armenische  Revue.  Redigiert  und  herausgegeben 
von  Kristof  Szongott  in  Szamosujvar.  Jährlich  I  ff.  —  Aus  dem  reichen 
Inhalt  des  VI.  Jahrganges  (1H92)  heben  wir  folgende,  auf  Volkskunde  bezüg- 
liche Aufsätze  hervor:  EH*ahrth  Abraham,  Das  Salzen  des  neugeborenen 
Kindes  (S.  113).  —  fxid.  Etztegdr,  (,'hinesicher  Brauch  bei  den  Armeniern 
(aus  den  „Ethnol.  Mitt.  aus  Ungarn")  (S.  Iii)).  —  Lad.  Oopcsa,  Anzahl  der 
einheimischen  Arm.  (S.  281,  334).  —  Ani.  ilerrmann,  Arm.  Märchen  (über 
Wlislocki's  Märchen  handelnd  (S.  21),  und :  Pflegen  wir  die  arm.  Ueberliefe- 
rungen  (S.  27).  —  Aut.  Molndr,  Aus  d.  Reiseskizzen  eines  arm.  Schriftstellers 
(S.  39).  --  Jos.  Xnricmi»,  Chemie  arm.  Küche  (S.  139,  170).  —  Luk.  f'atrttbdny, 
Das  Armenische  als  indogermanische  Sprache  (S.  283,  306).  —  Krintof  Szon- 
yott.  Arm.  und  Türken  (S.  82).  Hochzeit  in  Arabgir  (S.  121),  Aus  arm.  Volks- 
tiberlieferung (S.  144).  Hochzeit  in  Van  (S.  177).  —  Aus  dem  laufenden 
VII.  .lahrgang  merken  wir  an:  Abrahdmnf  Gdmdn  Erzsi,  Armenische  Märchen 
und  Sagen  (Nach  Wlislocki's  Buche).  (1.  H.)  —  Herrmann  A.,  Zur  Ethnologie 
der  Armenier  (2.  H.)  —  Wlislotkint  Dnrfler  F.,  Das  armenische  Kind  (2-3.  H.) 
—  Sz.  M.,  Die  Armenier  in  Oesterreich  (3 — 4.  H.)  —  Dr.  Molndr  Antal,  Ararat 
und  Quanivatha  (6.  H.)  —  Dr.  Wlisloclci  ff .  Die  Arm.  in  der  Bukovina  (5—7.  H.). 

8* 


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112 


Zur  Z i »• u ne r kund e 

Zigeuner-Sagen  udgl.  über  Erzherzog  Josef. 

L 

Der  durch  seine  Studien,  humane  Colonisationsbestrebung  und 
liebevolle  Behandlung  der  Zigeuner  diesem  Volke  nicht  nur  in  Ungarn, 
sondern  auch  im  Auslande  weit  und  breit  bekannte  Erzherzog  Josef 
ist  bei  einzelnen  Ziegeunerstämmen  sozusagen  zu  einer  mythischen 
Gestalt  geworden.  Wol  jeder,  der  sich  mit  Zigeunerkunde  eingehend 
und  Jahre  lang  befasst  hat,  wird  dergleichen  Anekdoten  und  Legenden 
im  Kreise  der  Zigeuner  gehört  haben,  die  sich  auf  Seine  Hoheit, 
unseren  Protector  beziehen. 

Mein  Freund  und  Gefährte  H.  Wlislocki  hatte  vor  2  Jahren  zu 
Bürger's  allbekanntem  Gedicht  „Der  Kaiser  und  der  Abt"  folklori- 
stische Beiträge  in  der  von  Prof.  Max  Koch  herausgegebenen  , Zeit- 
schrift für  vergleichende  Literaturgeschichte*  veröffentlicht  und  fand 
dabei  die  folgende  zigeunerische  sagenhafte  Erzählung,  die  er  aber 
in  seinen  Aufsatz  aufzunehmen  für  ungeeignet  fand,  weil  ihm  der 
Inhalt  derselben  damals  noch  unklar  war.  Die  hier  mitgeteilte  Sage, 
die  sich  wol  auf  Seine  Hoheit,  den  Erzherzog  Josef  bezieht,  hat 
Wlislocki  am  24.  Mai  1891  in  der  südungarischen  Ortschaft  Bezdän 
nach  mündlicher  Mitteilung  eines  bosnischen  Wanderzigeuners, 
namens  Peter  Karrte"  genau  und  wörtlich  aufgezeichnet.  Der  im  mit- 
geteilten Stücke  vorkommende  Name  Josipo  ist  eben  die  slavische 
Form  von  Josef  und  Kuiel'a  dürfte  vielleicht  der  Wohnsitz  Seiner 
Hoheit,  die  magyarische  Ortschaft  Alcsüth  sein.  Seine  Hoheit,  über 
dieses  Wort  befragt,  meinte,  foros  kucel'a  könnte  die  billige  Stadt, 
bedeuten,  d.  h.  einen  Ort,  wo  man  umsonst  leben  kann.  —  In  gram- 
matikalischer Beziehung  ist  der  zigeunerische  Originaltext  auch  von 
Bedeutung,  weil  er  u.  a.  die  Formen  des  Hilfzeitwortes  bald 
nach  ungarischem  (avlas),  bald  nach  türkisch-zigeunerischem  (iai, 
isus)  Idiom  gebraucht.  Es  bleibe  dahingestellt  ob  jiiipo  them* 
vielleicht  eine  Reminiseenz  an  das  bei  ihrer  Einwanderung  in 
Mitteleuropa  erdachte  Aegypten  (Klein-Aegypten)  der  Zigeuner  ist, 
wie  Wlislocki  (alles  andere  nur  nicht  „Philologe")  vermutet. 

Curko  bare  dadenm. 

Avlas  jekvar  jek  <  ore  gakkija,  te  o  saibidäo  penelas  romenge : 
„INn,  dzas  amen  andro  romengre  thein,  dzas  amen  kija  Josipo. 
amare  kraj.u  Phure  daj  penelas :  .Oh  cave,  na  dzas  amen  kija 
Josipo  kraj,  uva  andro  foros  Kucel'a,  taisa  the  kerel,  taisa  the  kapalel 
hum;  penav  turnen,  na  isi  amenge!"  Roma  na  asimas  te  gele  dures, 
dures  andro  foros  Kucel'a.  Odoj  sinjaki  romengre  them.  Odoj  penelas 
Josipo  kraj :  „Gule  rome!  andro  miro  them  isine  jeka  bari  romnji,  maj 
bari  romnji,  sare  kalt  andro  ve  .  Ada  bare  romujake  isi  -ov  singa,  te 
chal  e  romnji  *ov  iingensa  dzives  jek  manu«es.  Mire  manusen,  mirc 


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113 


gule  manusen;  chal'as  joj  saven.  Te  me  rovav, .  rovav,  oh  gule  roma, 
nasci  mange  manuSa  !"  Te  penelas  soralo  Curko:  „Oh  najbareder 
kalc  krajeja!  Me  na  darav;  me  dsav  asonalis  kija  bari  romnji  te 
me  la  chav.  Isan  mange  bare  danda!"  Ternechar  gel'as  andro  rupuni 
bari  foros,  odoj  be*elas  romengre  coro  Josipo  kraj  te  e  kali  romnji 
sov  Singensa.  Siges  isas  odoj  te  penelas  kija  ternechareske  te 
penelas:  „Ac  tu  kija  mange;  me  na  chav  tut,  kana  tu,  mange  penes: 
sode  bala  upro  sero  isine  Josipeske,  krajeske  ?*  Curko  penelas : 
.Mange  tu  pen,  sode  cerchena  isi  upro  eero,  adji  bala  isi  upro  sero 
Josipeske  kraleske."  —  „Laces*,  penel  romnji,  „uva  pen  tu  mange, 
sode  bara  isi  upre  lime?"  0  coro  ternechar  dikhelas  upro  rupune 
foros  te  penelas:  „Adji  kera  isi  andro  rupune  Kutel'a,  sode  bara  isi 
upre  lime,  tu  kale  romnjije!"  —  „Laces",  penelas  kale  romnji,  „pen 
tu  mange  akana,  sode  Singa  isi  mange  ?*  —  Ternechar  asunelas, 
the  lake  th'isi  sov  singa,  jov  penelas:  „Tute  isi  sov  singa!"  Kale 
romnji  penelas:  „Dikh,  mange  isi  panö  Singa.  Tut  me  chav!"  „Chal'as 
core  ternechares.  Te  avelas  beng  andral  dzipothem(?),  te  chal'as  core 
krajes  .losipes.  Amenge  akana  avl'ahas  them,  te  kana  nasci,  amen 
kurelas(?)  te  dias,  te  amenge  nasci  buter  gule  them.  .  . 

Curko  mit  dm  grossen  Zähnen. 

«War  einmal  ein  armer  (Zigeuner)-Stamm,  und  der  Saibidso 
(Führer)  sprach  zu  den  Leuten :  „Auf,  gehen  wir  in  das  Land 
der  Zigeuner,  gehen  wir  zu  unserem  König  Josipo/  Die  alte  Mutter 
sagte :  „0  Kinder,  gehen  wir  nicht  zum  König  Josipo,  denn  in  der 
Stadt  KureVa  muss  man  immer  arbeiten,  immer  mit  der  Haue 
arbeiten;  ich  sage  euch,  nicht  ist  es  für  uns!"  Die  Männer  (Zigeuner) 
hörten  nicht  (drauf)  und  sind  gegangen  weit,  weit  in  die  Stadt 
Ku'-eVa.  Dort  ist  gewesen  das  Land  der  Zigeuner.  Dort  sprach  (zu 
ihnen)  der  König  Josipo:  „Liebe  (süsse)  Zigeuner!  in  meinem  Land 
ist  eine  grosse  Zigeunerin,  eine  sehr  grosse  Zigeunerin,  wie  der 
Raum  im  Wald  (so  gross).  Diese  grosse  Zigeunerin  hat  sechs  Hörner1 
und  frisst  mit  ihren  6  Hörnern  täglich  einen  Mann.  Meine  Männer, 
meine  süssen  Männer,  sie  frisst  euch  alle.  Und  ich  weine,  weine,  o 
süsse  Zigeuner,  icli  habe  keine  Männer  (mehr)!"  Und  es  sprach  der 
starke  Curko :  „0  grösster  schwarzer  König!  ich  fürchte  mich  nicht; 
ich  gehe  sogleich  zur  grossen  Frau  und  ich  fresse  sie.  Ich  habe 
grosse  Zähne!"  Der  Bursche  ist  gegangen  in  die  silberne  grosse 
Stadt,  wo  wohnte  der  arme  Josipo,  der  König  der  Zigeuner  und  die 
schwarze  Frau  mit  den  sechs  Hörnern.  Schnell  war  er  da  und  (sie) 
sprach  zum  Burschen  und  sagte:  „Bleib' du  bei  mir:  ich  fresse  dich 
nicht,  wenn  du  mir  sagst:  wie  viel  Haare  auf  dem  Haupte  sind 
des  Josipo,  des  Königs?"  Curko  sprach:  „Mir  du  sag',  wie  viel 
Sterne  sind  am  Himmel,  so  viel  Haare  sind  auf  dem  Haupte  des 
Königs  Josipo."  —  .Gut",  sprach  die  Zigeunerin,  „aber  sag'  mir, 

'  Dem  Volksglauben  bosnischer  Zigeuner  gemäss  hat  auch  die  Königin 
der  Krsal'i,  dor  Gebirgsfeen,  die  sogenannte  Ana  6  Hörner  am  Kopfe. 


114 


wie  viel  Berge  sind  auf  der  Welt?"  Der  arme  Jüngling  blickte  auf 
die  silberne  Stadt  und  sprach:  „Wie  viel  Häuser  sind  im  sil- 
bernen Kuöer<t,  so  viel  Berge  sind  auf  der  Welt,  du  schwarze 
Frau!"  —  „Gut,"  sagte  die  schwarze  Frau,  „sag'  du  mir  jetzt, 
wie  viel  Hörner  habe  ich  ?"  —  Der  Jüngling  hatte  gehört,  dass 
sie  sechs  Hörner  habe,  er  sagte:  .Du  hast  sechs  Hörner!"  Die 
schwarze  Zigeunerin  sprach:  „Siehe,  ich  habe  fünf  Hörner.  Ich  fresse 
dich!"  „Sie  hat  den  armen  Burschen  gefressen.  I'nd  kam  der  Teufel 
aus  Egypten1  und  hat  gefressen  den  armen  König  Josipo.  Wir 
hatten  damals  ein  Land,  jetzt  haben  wir  keins,  wir  plagen  uns  (?) 
und  gehen,  und  wir  haben  kein  süsses  Land.  . 

Mitgeteilt  von  A.  IL 


Dokumente  zur  Geschichte  der  Zigeuner. 

[. 

OPZNIO. 

De  domiciliationo,  et  Regalationo  Zingarorum. 
(Fortsetzung.) 

Titulm  Z. 

De  Zingaris  Aurilotoribus. 

Articulus  Novellaris  VIII.  Anuo  1747.  conditus,  Zingaris  qui  ad  Auri- 
loturani  exercendam  privilegiatos  in  Transilvania  caetus  obtinuerunt  nti 
superius  liiemorarum  est,  eariem  addicit  Privilegia,  quao  caetoris  Urburariis 
coucessa  sunt,  reliquis  Zingaris  ab  Aui'iloturae  exercitio  penitus  exclusis. 

Hos  Aurilotores  Zingaros  qui  juxta  conscriptionem  anno  1781.  pcractam 
1291.  Familias  numerabant,  Aerario,  Publicoque  utile«  esse,  vel  inde  patet, 

?|Uod  teste  Repraesontatione  Thesaurariali  sub  8-va  Fehmarn  anno  1781. 
tegio  Gubernio  exhibita  illi  vernali,  et  aestivali  tempore  praeter  id,  quod 
ipsi  pro  auro  supra  (Quantum  800  circiter  Pisetarum  administrato  in  2000  flor. 
sibi  acquirunt,  et  praeter  Taxam  Contributionalem  quam  referente  auuo  1781. 
sub  Hi-ta  Maji  Exactoratu  Provinciali  ipsis  a  Capito  in  1.  RH.  a  facultatilms 
ad  instar  aliorum  ordinarioruin  Oontrihuentiiiru  iinpositam  pendunt.  purum 
adhuc  lucrum  in  3802.  H.  Aerario  Regio  interant,  praeterea  autem  tabricata 
lignea,  quae  ipsi  sub  Hybernio,  quo  soilicet  ab  aurilotura  vacant,  Ovitatum 
Oppidorum,  et  Pagoruui  Incolis  pro  variis  necessitatibus,  et  usibus  Domosticis 
accomodata  exiguo  pvetio  subministrent,  et  opera  quam  ruricolis  tempore 
messis  in  demetendis  eornm  frugibus  praestant,  laboribusque  tarn  Aerario 
Regio,  quam  Publieo  utilibus  oeeupentur. 

Illos  proinde  ab  exereenda  aurilotura  arcere  cum  manifeste»  amittendi 
aunui  exinde  provenientis  Lucri.  quod  eo  praeeipue  nomine  consideratione 
dignum  est,  quia  novam  metalli  nobiiissimi  quautitatem  <|UOtaiuüs  proereando 
universam  massam  communis  rerum  pretii  äuget,  talitcrque  in  hac  praesertim 
Provincia  externo  commercio  destituta  DivitiU  tain  Aerarii  Regii  quam  certo 
respectu  publici  incrementum  addit,  periculo  conjunetum  foret. 

1  l):ipo  heisst  im  Dialekt  der  südungarischen  Zigeuner  =  Knirps.  Aut 
WH.slocki'H  Frage,  was  (/:»'/«>  tem  sei,  sagte  ihm  sein  Gewährsmann,  das 
.sei  ein  Land  weit,  weit,  wo  ein  „stolzer  König"  wohne. 


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115 


Ex  hac  Aurilotoruin  conditione,  et  vivendi  ratione  videbatur  quidein 
1.  Thesau rariatui  in  Montanisticis  in  praet'ata  sua  Repraesentatione  de  8-va 
Febr.  a.  1781.  Regio  Gubernio  exhibita  Domiciliationem  Zingatorum  auriloto- 
ruin, et  ad  fixa  habitacula  revocationem  inpracticabiieni  esse,  bis,  praeter 
alia  in  praecitata  sua  Repraesentatione  adducta  momenta,  ex  rationibus, 
quod  ipsi  stante  eorundem,  ut  praemissum  est,  vitae  gunere,  et  stante  quae 
vigebat,  actuque  viget  auriloturae  manipulatione  in  uno  fixo  Domicilio  per- 
mancre  uequcant  :  nun  tempore  vernali,  et  aestivali,  ab  experientia  euim 
coguitum  esse,  quod  aurum  <}iiod  ipsi  omni  anno  ad  Aerariutn  a<I  in  in  ist  rare 
obligantur,  non  in  uno  loco  semper  eluatur,  verum  quod  illud  ex  ara  quam 
Fluvii,  Amnes,  et  Hivuli  aurivehi  per  totam  Provinciam  difussi  vel  maxime 
exundationum  tempore  diversis.  et  ab  invicem  valde  dissitiis  locis  deponunt, 
quamque  ipsi  aurilotores  pluribus  saepc  tcntaminibus  incassum  factis  ad 
<listantiam  plurium  inilliarium  indagare  solent,  extrahatur,  consequenter 
auriloturae  tempore  continuo  migrare  cum  tota  Familia  debeant,  ast  nec 
tempore  •Hyemali  continuo  in  uno  lixo  domicilio  permanere  queant.  <)uia 
certum  esset,  praefatos  aurilotores  ex  sola  auri  eluitione  vi  tarn  sustentare 
non  posse,  verum  depurato  per  aestatem  auri  quanto  aunuatim  ad  Aerarium 
Regium  administrando  Hyemalem  praecipue  subsistentiam  ex  fabricatione 
vasorum  ligneorum  sibi  procurare,  hac  proinde  ex  ratione  eosdem  appro- 
pinquante  tempore  brumali  loca  subalpestria  fagis  praesertim  abundantiora 
quaerere,  Ligna  pro  fabricatione  vasorum  necessaria  a  territoriorum  ubi 
bveinalem  suam  raansionem  h'xerunt  Dominis  Tei*restribus,  aut  Communita- 
tibus  solnta  moderata  aliqua  Taxa  ipsis  assignari,  ipsos  vero  Zingaros  pro 
qualitate  emporii  ad  distractionera  fabricatorum  suorum  necessario  in  uno 
loco  diutius,  quam  in  altero  permanere,  ac  ad  sedes  suas  hybernales  pro 
ratione  tarn  Lignorum,  quam  propriae  subsistentiae  ex  uno  loco  in  aliuin 
transterendas  necessitate  adigi. 

His  tarnen  Thesaurariatus  Regii  in  Mouetariis,  et  Montanisticis  factis 
ReÜexionibus  non  obstantibus  ad  praehabitam  fotamque  inter  Regium  Guber- 
nimn,  et  I.  Thesaurariatum  Regium  sub  17-a  X-bris.  a.  1781.  mutuam  concer- 
tationem  Sacratissimae  suae  Majestati  sub  10-ina  Junii  a.  1782,  Numeroque  48, 
et  187.  substratam  approbata  medio  Deereti  sub  14-ta  Augusti  ejusdem  anni 
Nro.  Guberniali  6525.  siguati  illius  opinione,  et  factarum  in  illius  conformitate 
sub  12-ma  7- bris  dispositionum  cautum  t'uit. 

1-  mo  :  Ut  cum  e  praeexistentibus  tunc  juxta  suhmissam  L'onsignationem 
1291.  Familiis  Aurilotorum  261».  Familiarum  hybernales  mansioncs  explorari 
nequiverint,  genuina  singulorum  Auriolotorum  praescripta  certiori  modalitate 
instituatur  consi-iptio. 

2-  do :  Comperiundis  ex  hac  Conscriptione  Auriolotorum  Familiis  decla- 
retur  in  praesentia  Provincialium,  et  Cameralium  Officialium  eam  esse 
Sacratissitnae  Suae  Majestatis  determinationem,  ut  illae  ad  terta,  et  tixa 
Domieilia  reducantur,  ita  tarnen;  ut  tarn  auriloturae  per  menses  vernales,  et 
aestivales,  quam  fabricandis  vasis  ligneis  per  reliquum,  quod  auriloturae  non 
impenditur  tempus  pro  futuro  quoqiie  sedulo  incumbere  possint  quidein, 
cum  tarnen  antea  nulli  Pagorum  Comniunitati  adscriptae  pro  arbitrio  per 
totam  Provinciam  vagari  consveverint  imposterum  Communitatibus  in  quas 

Fro  exigentia  Circumstantiarum,  quantitate  Tcrrenorum,  et  numero  reliquoruin 
ncolarum  auditis  Possessovatibus,  et  Communitatibus  illocabuntur  adscri- 
bendae,  earumque  Tabtdlis  Contributionalibus  sub  titulo  illocatorum  Fiscalium 
int'erendae  erunt,  teneantui'que  quolibet  anno  absoluta  Aurilotura  ad  Terri- 
torium ejusdem  Cominunitatis  cui  praevio  modo  adscripta  sunt  redire,  apud 
.Judicem  Loci  semet  insinuare,  praesertim  vero  tempore  Rectificationis  coram 
Rectificatoribus  Commissariis  pro  connotatione  e  vivis  decedentium  vel 
natorum  comparare,  tacultatem  quidem  ligna  pro  fabricandis  vasis  necessaria 
ex  aliis  etiam  locis  procurandi,  fabricataque  sua  in  majori  bus  etiam  Emporiis, 
distrahendi  liberam  eis  relinquendam  esse,  ea  tarnen  cum  restrictione,  ut  id 
ipsum  semper  cum  praescitu  Judicum  Pagensium  facere  obligenrur  contra- 
venientes  raox  ad  loci  Magistrat  um  deferendi,  et  12.  baculorum  ictibus 
pulsandi  erunt. 


llfi 


3-  tio:  Communitates.  et  Domini  Terrestres  in  quoram  quarumve  Terri- 
toriis  domiciliandi  erunt,  terram  pro  erigende  Tuguriolo,  aut  Casula  neces- 
sariam  erga  pendendain  annuatim  moderatam  taxam  pro  tundo  Dotnus,  sen 
Tugurii,  libera  item  in  eommuui  Pascuutione,  et  ex  Silvia  non  vetitis 
lignatione,  et  pro  extruendo  Tugurio,  aut  casula  neeessariis  Lingnis  pro 
prima  saltem  illocatione  succurere  teneantur.  ^Pi-ivilegiis  caeterum,  et 
iramunitatibus  Zingaris  aurilotoribus  tenore  articuli  Novellaris  VIII -vi 
Anni  1747.  indultis  in  salvo  remanentibus. 

4-  to  :  Quemadmodum  Zingaris  Equi  pro  rurali  aeconomia  deserviente? 
etiain  in  Regno  Hungariae  adraissi  sunt,  ita  et  Zingaris  aurilotoribus  equi 
pro  devehendis  auriloturae  Instrumentis  aulmittendi  sint,  de  quoruiu  pabulo 
tarnen  tarn  hybernali,  quam  aestivali  tempore  ipsimet  providebunt.  Denique 

6-to :  Siquis  Aurilotoruin  Zingarorum  praeter  locum  habitationis 
externas  etiam  appertinentias  pro  tractanda  rurali  aeconomia  a  Possessoribus 
locorum,  vel  l-espective  Communitatibus  peteret,  et  obtineret,  talis  in  eo 
casu  id  praestet,  quod  quivis  alter  Inquilinus  praestare  tenetur. 

Benignae  huic  ordinationi  Regiae  de  domiciliandis  praedictis  Zingaris 
aurilotoribus  in  parte  satistactum  etiam  esse  perhibent  Consignationes,  ad 
diversa  ad  quae  praevie  conscripti  erant  Principatus  hujus  loca  magno 
numero  illocatorum  hujusmodi  Zingarorum.  per  Indium  Thesaurar iatum  in 
Monetariis,  et  Montanisticis  sub  17-ma  8-tris  A.  17HB,  sub  Nro  Ouberniali  8502. 
Regio  Gubernio  transpositae,  qua  occasione  una  adhuc  ordinatum  exstitit, 
ut  cum  hujusmodi  Zingari  jam  illocati,  elapsis  altissime  a  pendenda  Contri- 
hutione  ad  triennium  indultae  immunitatis  annis  in  supportandis  etiam 
communibus  oneribus  reliquis  Contribuentibus  auxilio  futuri  sint,  usus  ille 
sicubi  viguisset,  nt  Carnincibus  taxa  aliqua  solvatur  rospectu  illocatorum 
similium  Zingarorum,  penitus  abrogetur,  Negotio  pendendae  per  hos  Zingaros 
Communitatibus,  aut  Possessoribus  Pagorum,  ubi  illocati  sunt,  pro  beneiicio 
soli,  pascuationis,  et  lignationis  taxae  ad  eventum  sub  incude  existentis 
tunc  urbarialis  regulationis  relegato.  (Fortsetzung  folgt.) 


Die  Reconstituierung  der  „Gypsy  Lore  Society" 

ist  von  einigen  der  hervorragendsten  Mitglieder  dieser  Gesellschaft  angeregt 
worden.  Der  reactivierte  Verein  würde  als  Hauptaulgabe  auch  fernerhin  die 
wissenschaftliche  Erforschung  des  Zigeunert  ums  betrachten,  sich  aber  auch 
die  praktischen  Fragen  ihrer  Ansiedlung  und  Kultur,  überhaupt  der  Ver- 
besserung ihrer  Luge  angelegen  sein  lassen.  Ausserdem  würde  der  Verein 
in  den  Bereich  seiner  Wirksamkeit  ziehen:  das  Studium  der  mit  den  Zigeunern 
in  mannigfacher  Beziehung  stehenden  Vaganten  aller  Art,  überhaupt  all  jener 
Volkselemente,  die  sich  durch  weitgehende  besondere  Eigenheiten  in  Lebens- 
weise und  Sprache  von  der  übrigen  Bevölkerung  auffällig  abheben.  Eingehende 
und  vergleichende  Forschungen  solcher  Art  würden  gewiss  sehr  lehrreiche 
und  interessante,  für  Volkskunde  und  Sociologie  wichtige  Resultate  liefern. 

Zum  Protector  der  Gesellschaft  ist  Se.  k.  u.  k  Hoheit,  Herr  Erzherzog 
Josef  ausersehen;  Präsident  wäre  Charles  G.  Leland,  der  Vorsteher  der 
Gypsy  Lore  Society,  Honorarsecretär  MacRitchio.  Die  administrativen  Agen- 
den hätte  der  Redacteur  der  „Ethnologischen  Mitteilungen  aus  Ungarn"  zu 
versehen.  Diese  Zeitschrift  wäre  auch  das  Organ  der  Gesellschaft  für  inter- 
nationale Zigeuner-  und  Vagantenkunde.  Ausser  dein  Pränumerationsbetrage 
für  diese  Zeitschrift  (für  Mitglieder  3  fl.)  wäre  keine  Mitgliedstaxe  zu  be- 
zahlen. Die  genannten  vier  Herren  wären  mit  der  Ausarbeitung  der  Statuten 
udgl.  zu  betrauen. 

Wir  ersuchen  die  Mitglieder  der  Gypsy  Lore  Society,  sowie  alle  die- 
jenigen, die  sich  für  diese  Angelegenheit  interessieren,  ihre  diesbezüglichen 
Meinungsäusserungen  der  Redcation  der  „Ethnologischen  Mitteilungen"  ge- 
fälligst ehestens  zukommen  zu  lassen. 


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In  dem  Verlage  von  Emil  Felbel-,  Berlin,  S.  W.  46,  Hallesche-Strasee  4. 
Ist  erschienen  and  durch  alle  Buchhandlungen  zu  beziehen  : 

IDEALE  WELTEN 

NACH  URANOGR APHISCHEN  PROVINZEN  IN  WORT  UND  BILD. 
ETHNOLOGISCHE  ZEIT-  UND  STREITFRAGEN, 
NACH  GESICHTSPUNKTEN  DER  INDISCHEN  VÖLKERKUNDE 

VON 

A.  BASTIAN. 

Drei  Bände,  gro.sst.es  8°  mit  22  Tafeln.  Ladenpreis  45  Mark. 

Band  I. 

Reisen  auf  der  Vorder-indischen  Halbinsel  im  Jahre  1890  für  ethnolo- 
gische Studien  und  Sammlungszwecke.  Mit  9  Tafeln. 

Band  II. 

Ethnologie  und  Geschichte  in  ihren  Berührungspunkten  unter  Bezug- 
nahme auf  Indien.  Mit  9  Tafeln. 


Kosmogonien  und  Theogonien  indischer  Religionsphilosophien  (vor- 
nehmlich derjainistisrhen).  Zur  Beantwortung  ethnologischer  Fragestellungen. 
Mit  1  Tafeln. 

*  « 

Beiträge 


/UV 


Volks-  und  Völkerkunde. 

Von  diesem  in  zwanglosen  Bänden  erscheinenden  Sammelwerk  Rind  bis 
jetzt  zur  Ausgabe  gelangt:  \  ' 

Band  I. 

Volkiglauba  und  Volkabrauoh  dar  Siebenbürger  Baohaan. 

V  on  Hr.  Ilnnrirk  von  Wtialorki.  -  Preis  5,-  Mark. 

Band  II. 

Dia  Entwicklung  dar  Ehra.  Von  Tk.  AeMi».  -  Preis  2,G0  M. 

Im  Herbst  1893  wird  erscheinen: 

Lieder  und  Oeiohiohtan  der  Suaheli. 

Von  C  CS.  Büttner. 


Am  Urquell.  Monatschrift  für  Volkkunde.  Herausgegeben  von  Friedrich  S. 
Kmwm.  (Wien,  VII.  Neustiftgasse  12)  Preis  ganzjährig  4  Mark  oder  5  Kronen.  — 
Diese  billigste  und  interessanteste  Zeitschrift  für  Volkskunde  sei  allen  Volks- 
torschern  und  allen  Freunden  des  Volkstümlichen  aufs  angelegentlichste 
empfohlen. 


Publicationen  zur  Völkerkunde  Ungarns. 

Von  «len  vom  Herausgeber  der  „Ethnologischen  Mitteilungen"*  edierten, 
früher  angezeigten  Puolioatiouen  sind  erschienen :  Coiuen  Gfza  Kuun,  ßelatio- 
nuin  Huugarovum  cum  Oriente  gentihnsque  Orientalin  originis  historia  anti- 
iiuissima,  l.  Bd.  (Zu  beziehen  von  der  Verlagsanstalt  Kihnn'hrlödrM  in  Kolossrdr. 

—  A.  Hrvrmnm».  Beitrage  zur  Vergleich ung  der  Volkspoesie.  Mit  Musiknoten 
1  fl.  —  //.  r.  WHslorki,  Zauber-  un«l  Bobprcchungsforraeln  der  Ziegeuner  ÜÄ3  kr  , 
Ober  den  Zauber  mit* Körperteilen  bei  den  traussilvanischen  Zigeunern  30  kr. 

—  Ih\  S.  Fr.  Ki-mw,  Das  Burgfrnulein  von  Pressburg.  II',  v.  Srhultnbur(tf 
Die  Frau  bei  den  Sudslaven.  ./.  r.  A»b6t/i,  Das  Lied  von  Gusinje,  50  kr.  — 
AV«n/*»,  A.il'olh,  Thalhkzjfy  Südslavisches,  150  kr.  —  Zu  beziehen  nur  von  der 
Administration  der  „Ethnologischen  Mitteilungen  aus  Dngam." 

♦ 

Ethnologische  Mitteilungen  aus  Ungarn.  I.  Bd.  4  Hefte,  5  fl.  (Das  noch 
rückständige  4.  Heft  wird  in  kurzem  erscheinen,  und  denjenigen  Besitzern 
der  !l  ersten  Hefte,  die  den  III.  Bd.  bestellt  haben«  kostenfrei  nachgeliefert 
werden.)  -  IT.  Bd.  10  Hefte,  !;  tl.  —  III.  Bd.  (1KK-J)  Monatlieh  2  Hefte,  4  fl.  -  - 
."Cur  diree.t  vom  HeratisgeW  zu  beziehen,  t  Budapest,  I.  Szent  György-uteza  2. 

'  • 

Dienern  Hefte  der  „Ethnologischen  Mitteilungen11  liegt  Titel  und  Inht.  'tu- 
vrsrfrhm*  dt»  II.  Ta »dm  bei,  von  dem  etwa  60  Exemplare  noch  zum  Ver- 
kaufe* bestimmt  sind.  Preis  H  fl. 


INHALT. 


th\  lt.  Munkthny,  Ueber  die  heidnische  Religion  der  Wogulen  ...  01 
/*/•.  Fr.  S\  Krüns»,  König  Mathias  und  Peter  Gereb.  Ein  bulgarisches 


Guslarenlied  aus  Bosnien   71 

l.it<luig   KiUtndmj,  Nachlese  zu  «len  kosmogonischen  Spuren   in  der 

magyarischen  Volkauberlieterung   78 

Dr.  Karl  hipai.  Eine  Hcldeusago  der  SUd-Ostjaken   H2 

Kri*U\f  ^ionjfttti,  Mttichen  der  »Siebeubürger  Armenier  .  .  ■  .  88 
l'i'of.  Dr.  Aurtl  r.  Tonil,;  Der  palacolithisehe  Fund  aus  Miskolcz  und  die 

Krug«  des  diluvischeu  Menschen  in  l'ngarn   .'   i!>1 

Harry  Jitim*4H,  Ktduische  Volksmärchen   !»7 

IKhi  SttanfaS.  Sammeln  ungarischer  Volksweisen   .tfl 

t>r.  iieorjf  Vn*'mji,  Deutsche  Kinderreime  ans  der  Gegend  von  Körmöcz- 

banya   101 

A.  7/.,  Aus  dein  Dobsinaer  Volksglauben   10« 

Splitter  und  Spfine  *  .  108 

Anzeigen                                                                           ....  110 

Zur  Zutriitorkttiulr. 


A.  II..  Zigeuner-Sagen  udgi   über  Erzherzog  dosef  1 12 

—    —  Dokumente  zur  Geschichte  der  Zi#«  nner  IM 

Die  Reconstituieiung  der  „liypsy  Lore  Society'  |  Ii; 

Auf  dem  l/mschla«?:  An  die  K.  Mitglieder  der*,,« iv|.sy  Lore  Society". 
Annoncen.  —  Publicationen  zur  Völkerkunde  l'ngarn». 


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III. 


I.  AUGUST. 


5-6.  HEFT. 


ETHNOLOGISCHE  MITTEILUNGEN 

aus  Ungarn. 


Zeitschrift  für  die  Völkerkunde  Ungarns 


und 


der  damit  in  ethnographischen  Beziehungen  stehenden  Länder. 

(Zugleich    Organ  für  allgemeine  Zigeunerkunde 

Unter  dorn  Protortoi-utu  und  dm-  Mitwirkung 
Seiner  kais.  und  königl.  Hoheit  des  Herrn  Erzherzogs  Josef 


tvuiiri» 


Prof.  Dr.  ANTON  HERRMANN. 


Mi 


8  Kv< 


l'uhll 


Budapest,  I..  Szent-György-utcza  8. 


AmilNISTUATION  : 


Budapest,  V..  Bälväny-utcza  8.  <  ..Nemzeti  kcriyvnyomda - ) 


BUDAPEST,  1893. 

ßnehdruckerui  ..NKMZK TI  KÖN Y VNYOMDA"  HulvAnv-utczß  2. 


An  die  (/.  Mitglieder  der  Gypsy  Lore  Society. 

Nachdem  das  Journal  unserer  Gesellschaft  nach  dreijährigem 
Wirken  vor  Ylt  Jahren  eingehen  mussfe,  ist  die  Zigeunerkunde  toieder 
•>hrw,  eigenen  Organ  geblieben)  und  diese  Lücke  wird,  von  den  Ztgen- 
nerforschern  ausst  rordentiuh  lebhaft  empfunden.  Um  diesem  fühlbar*'» 
Mangel  im  Wesentlichen  abzuhelfen,  geruht»  der  erlauchte  und  Höchst- 
rerdiente  Förderer  und  Pfleger  der  Zigeunerkunde,  Seine  kaiserl.  und 
königt.   Hoheit,  Herr  Erzherzog  Josef  fer  cmi  Antmi  Ibrmmnx 
gtsgrüiiäe^n  Fachzeitschrift  ^Bknolofieehe  Mitteilungen  aus  Ungarn,* 
welche  Jahn-  Hindu rrh  der  Wissenschuft  ron  den  Zif/eunern  eine  her* 
eorh'lietid'-  Beachtung  migedeihen  Hess.  tih>-r  bisher  der  Ungunst  der 
Verhältnisse    wegen  n'wht    erwünschtermussen    erstarken   konnte,  »IC 
materiellen  und  moralischen  Bedingungen  des  erspriessUchen  Gedeihen» 
end(/ilti(f  zu   sichern.    Die  genannt*'   Zeitschrift  erscheint  unter  dem 
Protedorate  und  der  Mitwirkung  8r.  Hoheit  auch  ferner  unhr  der 
ffadactum  von  Anton  Herrmann,  dem  der  Zigeunerforscher  II.  >: 
Wlislocki  als  ständiger  interner  Uaupttnüarbeiter  zur  Seite  steht, 
com   dum   l.   Jahres  un  in  Budapest  regelmässig  in  hallimonntuchen 

nun  an  in  noch  hervorragenderer  Weise  pflegen  und  sich  zum  Orr/an 
internationaler  Zigeunerknnde  gestalten,  wofür  die  Nanum 
der  erwähnten  drei  Forscher  die  sicherste  Bürgschaft  bieten* 

Wir  FnterfertigU    <  rsachen    alle    Mitglieder   der    ^Ogpsg  Lote 
Socic'u",  du  qenannle  Zeitschrift  bestellen  und  ihr  jV 'hänfner  Arbeiten 


zum  uus)n  fimcna  oitiiucn  t  reist  con  •>  p.  ti.  m  .  (*>  t\ruuen,  rj  .'/"jat, 
$  Sh.  7  Frcs)  icAoch  nur  direct  vom  Hcmusm-her  And lon  Herr mann 


David  Mao  Ritohle  Charles  6.  Leland 

Hon.  Socretür.  Prä*,  der  Gypay  Lore  fl 

Bureau  der  Gesellschaft  für  die  Völkerkunde  Ungarns. 

Vorstund  '    Graf  Crttu    Kutui      Vorntitndxtrllrerfrrtrr  '    A  HcrrnMUH 


des 


Ethnologische  Mitteilungen  aus  Ungarn. 

l'NTKK  DEM  PKOTECTOKATK  CXI)  DHU  MITtt  liJKL  NO 

Sr.  kais.  und  königliche  Hoheit  des  Herrn  Erzherzogs  Josef 

ivditfim-t  und  heniusgoffolmn  von  Anton  Hernnann. 
IIL  Band.  Budapest,  1893.  August.  5—6.  Heft. 


Der  palaeolithische  Fund  aus  Miskolcz  und  die  Frage  des  diluvi- 

schen  Menschen  in  Ungarn. 

Von  Prof.  Dr.  Aurd  v.  T>iriik,  I>in<ctor  dos  anthropologischen  Museums 

zu  Budapest. 

III. 

Der  Hinweis  auf  den  sich  jetzt  vollziehenden  l'mschwimg 
in  der  Auffassung  des  Alters  der  Menschheit  in  meinem  ersten 
Aufsatz,  auf  S.  9—10,  Heft  12  :  dass  nämlich  auf  Grund- 
lage der  bisherigen  Tatsachen  der  Mensch  mit  dem  Mammut 
nicht  zusammen  leben  konnte  (Jap.  Stt'nt.<(rnp)  und  dass  das 
Alter  der  Menschheit  nicht  über  die  sog.  Kentierzeit  hinaus 
sicher  verfolgt  werden  kann  f  Virrlton-j:  hat,  ,  wie  ich  mit  Freude 
hervorheben  mnss,  die  Veranlassung  zu  einer  Äusserung  von  Seite 
eines  der  allercompetentesten  Forscher,  des  Herrn  Prof.  Dr.  Alfnil 
Xt'hriv'/  (Herlin):  ..I  ber  die  Gleichzeitigkeit  des  Menschen  mit 
Hyaena  spelaea."  (Mittheilungen  der  Anthropologischen  Gesell- 
schaft in  Wien.  Bd.  XXIII.  der  neuen  Folge  Bd.  XIII  -  304 
-311  Wien  1893)  gegeben,  worin  der  hochverehte  Forscher  mittels 
seiner  Ausgrabungen  im  Thwhr  (t'ipshruch  (zwischen  Braun- 
schweig und  Wollenbüttel)  den  zweifellosen  Nachweis  über  das 
Zusammenleben  des  Menschen  mit  Hyaena  spelaea  -  einein 
charakteristischen  Mitgliede  der  Fauna  der  Mammutzeit  —  liefert, 
womit  also  auch  das  Zusammenleben  des  Menschen  mit  dem 
Mammut  für  erwiesen  betrachtet  werden  muss.  Wenn  ich  also 
meinen  in  Rede  stehenden  Hinweis  hiermit  gerne  berichtige,  so 
ändert  dies  nichts  an  der  Sache  selbst:  dass  man  nämlich  seit  den 
letzten  Jahren  viel  an  Sanguinismus  verloren  hat.  Denn  jetzt 
begnügt  man  sich  nicht  mehr  einfach  mit  dem  Argument,  dass 
Menschenreste  oder  menschliche  Werkzeuge  mit  irgend  einem 
fossilen  Tierknochen  zusammen  aufgefunden  wurden  da  man 
auch  den  strengen  Beweis  der  Contemporaneitüt  derselben  fordert 
und  dies  gewiss  im  Interesse  der  Wissenschaft  nicht  hoch  genug 
angeschlagen  werden  kann.  Dass  ich  mich  der  Ansicht  des  hoch- 
verehrten Nestors,  Jap.  $twisfrnjt  anschloss.  rührt  daher,  dass  ich 
der  freundlichen  Einladung  Herren  Dr.  HV/w/v/V (im  Sommer  1887) 
folgend,  mit  ihm  das  Mammutfeld  in  Przedmost  besuchte  ;  und  ich 
inuss  jetzt  noch       auch  nach  der  Äusserung  AV//W////V  meine 

Kthn.  Mitt.  a.  Ungarn.  III.  9 


4 

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IIS 

Überzeugung  aussprechen,  dass  für  Przedmost  die  Auffassung  St*n- 
strup'n  dir  plausiblere  ist.  Die  auffallend  vielen  Mammute  könnt** 
der  diluviale  Mensch  nicht  selbst  dort  anhäufen,  sie  waren  so  umge- 
kommen, wie  z.  B.  in  den  Tundren  Sibiriens,  wo  sie  dann  im 
erfrorenen  Zustande  lange  .Jahrhunderte  hindurch  conserviert  Mir 
ben,  und  wo  sie  die  Jäger  in  der  diluvialen  Zeit  ebenso  unversehrt 
antreffen  konnten,  wie  jetzt  noch  die  Tungusen  in  Sibirien. 

Nun  können  wir  auf  diejenigen  Funde  übergehen,  welche 
zum  Nachweis  des  diluvialen  Menschen  in  l'ngarn  bisher  auge- 
führt  worden  sind. 

Wenn  wir  die  bisherigen  Ansichten  über  die  Frage  des  diluvialen 
Menschen  in  Ungarn  gegenseitig  abwägen,  so  können  wir  uns  weder 
denjenigen  Forschem ansehliessen,  die  gewissermassen  auch  schon 
die  Möglichkeit  der  Existenz  des  diluvischen  Menschen  in  Ungarn 
leugneten,  noch  aber  denjenigen,  die  die  Existenz  desselben  schon 
über  alle  Zweifel  bewiesen  erachten. 

Nach  der  Ansicht  der  um  die  Geologie  Ungarns  hoch  ver- 
dienten Gelehrten  Prof.  v.  Szahti  und  Prof.  Koch  war  die  pontisehe 
Depression  während  der  Zeitperiode  der  Lössablagerung  von  einein 
Süsswasser  See  bedeckt,  und  Ungarn  bildete  einen  Husen  des- 
selben, weshalb  weder  der  quaternäre  Mensch  noch  die  quatcr- 
niiren  Landtiere  im  grössten  Teile  Ungarns  existieren  konnten. 
Wir  brauchen  auf  die  Discussion  der  damaligen  geologischen  Ver- 
hältnisse Ungarns  hier  nicht  einzugehen,  wozu  wir  uns  nicht  für 
berufen  halten,  und  können  doch  aus  den  zahlreichen  Knochen 
des  diluvialen  Höhlenhären,  die  in  den  Höhlen  und  Grotten  ent- 
lang der  Karpaten  und  ihrer  Ausläufer  aufgefunden  wurden,  den 
untrüglichen  Beweis  für  die  Existenz  der  quaternären  Landfauna 
schöpfen:  ein  grosser  Teil  Oberungarns  und  ein  noch  grösserer 
Teil  Siebenbürgens  musste  auch  während  der  quaternären  politi- 
schen Depression  für  die  Existenz  der  Landtiere  geeignet  gewesen 
sein.  Dass  aber  noch  vor  der  grossen  Eiszeit  Europa's  in  Niederun- 
gen lebende  Tiere  in  l'ngarn  existierten,  beweisen  die  ziemlich 
vielen  Knochenreste  des  Mammuts  und  die  weniger  zahlreichen 
Uberreste  des  Khinoceros.  die  man  im  Stromgebiet  der  Donau. 
Theiss  und  Save  aufgefunden  hat. 

Da  also  l'ngarn  eine  ziemlich  verbreitete  quaternäre  Fauna 
aufweist,  so  war  die  Möglichkeit  der  Existenz  des  quaternären 
Menschen  gewiss  vorhanden,  und  da  schon  in  der  unmittelbaren 
Nachbarschaft,  nähmlich  in  Mähren  der  diluviale  Mensch  bereits 
nachgewiesen  ist,  so  müssen  wir  es  sogar  für  wahrscheinlich 
halten,  dass  der  diluviale  Mensch  auch  in  Ungarn  vorkam, 
wenn  es  auch  bisher  nicht  gelungen  ist,  den  Beweis  für  seine 
Existenz  sicher  zu  erbringen. 

Diejenigen,  die  die  Existenz  des  diluvialen  Menschen  Ungarns 
für  schon  bewiesen  halten,  gehen  entweder  von  der  geologischen  Be- 
stimmung derjenigen  Erdschichtc  aus.  in  welcher  die  betreffenden 
Monschenknochen  oder  Artefacte  gefunden  worden,  oder  aber  von 


i 

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119 


der  Coexistenz  der  Menschenknoehcn  mit  diluvialen  Tierknochen 
—  aber  ohne  auf  das  einzig  entscheidende  Moment  einzudringen  : 
ob  auch  etwa  die  Gleichalterigkeit  der  betreffenden  Erdschichte 
und  der  darin  aufgefundenen  Menschenknochen  und  Artcfacte 
schon  als  sicher  angenommen  werden  könnte. 

Unter  den  hier  bereits  weiter  oben  angeführten  Funden  aus 
der  angeblichen  diluvialen  Zeit  verdienen  hier  nur  die  folgenden 
zwei  in  Betracht  gezogen  zu  werden  :  der  Schädel  aus  Nagy-Säp 
und  die  angebrannten  (verkohlten)  Knochen  des  Höhlenbären  aus 
der  Höhle  bei  O-Ruzsin. 

Der  Schädel  von  Nagy-Säp  ist  auch  in  die  Weltliteratur 
eingeführt  worden  und  spielt  noch  bis  zum  heutigen  Tage  die 


Auffindung  dieses  Schädels  wollen  wir  den  Bericht  dos  durch  seine 
bahnbrechenden  Untersuchungen  der  Foraminiferen  Ugarnns 
berühmten  Palaeontologen  Herrn  Prof.  Hantken  mitteilen,  welchen 
derselbe  im  Jahre  1872  an  Herrn  Dr.  Felix  v.  Luschan  (damals 
in  Wien)  brieflich  gerichtet  hat:  ..Durch  Herrn  Brzoräd,  Gutsbe- 
sitzer in  Mogyorös  bei  Gran  brachte  ich  im  verflossenen  »Jahre 
in  Erfahrung,  dass  in  einem  Wasserrisse  bei  Nagy-Säp  Knochen 
vorkommen.  Die  mir  damals  von  Herrn  Brzoräd  gezeigten  Stücke 
(Oberarm-  und  Schenkelknochen),  die  er  selbst  von  der  Fund- 
stelle gebracht,  erkannte  ich  sogleich  als  menschliche  und  bat 
ihn  daher,  mich  an  Ort  und  Stelle  zu  führen.  Dort  angelangt, 
gelang  es  uns  nach  längerem  (traben  einen  vollständigen  Men- 
schenschädel zu  erlangen,  ausserdem  fanden  wir  noch  Teile  eines 
zweiten  Schädels  und  eine  Reihe  anderer  Knochen.  Vor  allein  lag 
es  mir  nun  daran,  zu  constatieren,  ob  die  Knochen  nicht  etwa  später 
in  den  Löss,  in  welchem  sie  vorkommen,  eingegraben  worden 
sein  konnten.  Die  f/enauesten  Untvrsuchtuujen  Hessen  nicht  das  min- 
deste Zeichen  wahrnehmen,  aus  dem  nvin  zu  der  Folf/erunj  yelannen 
konnte,  dass  die  Knochen  mit  dem  Löss  nicht  t/leichalteriy  wären.  Hier- 
auf sind  in  einer  Sitzung  der  ung.  genlog.  Gesellschaft  einige 
Herrn  mit  der  Mission  betraut  worden,  an  Ort  und  Stelle  weitere 
Erhebungen  zu  pflegen,  besonders  aber  zu  constatieren,  ob  die 
Knochen  gleichalterig  mit  dem  Löss  seien,  oder  nicht,  da  ich  immer- 
hin die  Möglichkeit  annahm,  dass  ich  und  Herr  Brzoräd  uns  doch 
täuschen  konnten.  Mit  dieser  Mission  wurde  unter  Anderen  auch 
Herr  Prof.  Dr.  Szabö  betraut,  der  dann  auch  im  Laufe  des  Som- 
mers den  Fundort  besuchte  und  yanz  ausser  allem  Zweifel  findet, 
dass  die  Knochen  der  Lösszeit  anyehören.  Die  Fundstelle  befindet 
sich  in  dem  Gebiete  der  Ortschaft  Nagy-Säp,  doch  näher  zu  dem 
Dorfe  Epöly.  Durch  den  Wasserriss,  in  dem  die  Knochen  vorge- 
kommen, wird  der  Löss  auf  eine  Tiefe  von  1' *  Klafter  entblösst. 
Etwa  5  bis  b  Fuss  von  der  Oberfläche  sind  die  Knochen  vorgekom- 
men, wie  es  aus  der  beigefügten  Skizze  ersichtlich  ist.  Der  Löss 
ist  typisch,  wie  in  der  ganzen  Umgebung,  in  welcher  man  an 
vielen  Stellen  schon  Mammutreste  gefunden.  Die  Knochen  lagen 


der  diluvialen  Zeit.    Über  die 


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Il>() 


wirr  durch  einander  und  rüluvn  von  mindestens  zwei  Individuen 
her  da  zwei  Schädel  gefunden  wurden.  Die  nähere  anato- 
mische l'ntcrsuchuitg  wird  in  dem  hiesigen  anntomischen  Insti- 
tute vorgenommen  werden.  Sollten  Sie  es  wünschen,  so  hin  ich 
Iiereit,  den  vollständigen  Schädel  zur  Vorlegung  in  einer  Sitzung 

der  anthrop.  < iesellschaft  einzusenden  **  (s.  Die  Funde  \on 

Xagv-Säp,  v.  Felix  Luschan,  stud.  med.,  in  den  Mittheilun^eu 
der  anthrop.  (iesellschaft.  1872.  II.  801-  3Mi.) 

Der  Schädel  summt  einer  rechtsseitigen  Elle  ( l'lna)  ist  durch 
Schenkung  von  Seite  meines  ('olleren   Herrn  Prof.  v.  H«utk<u 
in  die  Sammlung  des  anthropologischen  Museums  übergegangen. 
Da  mich  «lieser  Fund  ausserordentlich  interessierte,  Iiahe  ich  über 
die  Einzelheiten  der  Auffindung  öfters   mit   meinem  Collogvu 
Rücksprache  genommen.  Die   Erdschicht,  worin  die  Knochen 
lagen,  ist  in  der  Tat  eine  diluviale  Dössschicht  und  ein  (Jestört- 
sein  derselhen  konnte  v.  Hantken  nicht  im  mindesten  entdecken  ; 
so  dass  nach  der  älteren  Anschauungsweise  dieser  Fund  als  der 
diluvialen  Zeitperiode  angehörig  betrachtet  werden  miisste.  Ich  habe 
schon  weiter  oben  auseinandergesetzt,  dass  man  bei  knochenlageni 
.ms  alteren  Zeiten  (H()0    HH!0  Jahren ),  die  Spuren  einer  Störung  mit 
freiem  Auge  in  den  meisten  Fällen  gar  nicht  oder  nur  in  schwachen 
Spuren  entdecken  kann.  Die  bei  der  Störung,  Auiwühlung  und 
dem  Begraben  hervorgebrachte  Lockerung  des  Krdbodens  wird  durch 
den  continuierlicb  wirkenden  Seitendruck  und  egalisierende  Vor- 
teilung der  Erde  im  Verlaufe  von  mehreren  Jahrhunderten  voll- 
kommen ausgeglichen,  so  dass  in  Bezug  auf  die  Compact heit  gar 
kein    rmerschied   zwischen   der  aufgewühlten   Stelle   und  der 
rmgebung  beobachtet  werden  kann,  folglich  auch  zur  Erkennung 
der  einstmaligen  Störung  nur  geringe  Spuren  von  verschieden  ge- 
färbten Streiten,  Flecken  übrigbleiben       und  auch  diese  nicht 
immer.   Ich   habe  weiter  oben   bereits  angegeben,   dass  in  den 
•inen  Fallen  diese  farbigen  Spuren  nur  oberhalb  der  begrabenen 
Knochen,  in  den  anderen   wieder  nur  ganz  unmittelbar  um  die 
Knochen   herum  aufzufinden   sind.   Da   Herr  v.  llnntkvn  bei  der 
Ausgrabung  der  oberflächlicheren  Schichten  nicht  zugegen  war, 
so  konnten   hier  die   farbigen  Spuren  von  den  Arbeitern  sehr 
leicht   übersehen   werden,  somit   die  Aufwühlung  des  diluvialen 
Lüsshodens  gänzlich   unbemerkt   bleiben.   Dass  Herr  v.  Ilautkni 
in  der  unmittelbaren  rmgebung  der  Lossschichte  keine  Spuren 
einer  Aufwühlung  sah.  ist  also  noch  kein  sicherer  Beweis  dessen, 
dass  die  menschlichen  Knochen  mit  der  Bildung  der  Lösschichte 
gleichalterig  sein   müssten.  Das  Sonderbarste  dieses  Fundes  be- 
steht aber  darin,  dass.  wie  v.  ffinith-n  mir  bei  den  wiederholten 
Besprechungen  öfters  \ orsicherto,  bei  dem  weitereu  (traben  der 
Lossschichic  in  der  Nahe  der  Knochen  ,-in*-  eiWw*  Schnalir  auf- 
gefunden   w  urde.  Kin    ilihi>i>tl>r    Mritscln  n»rhi'iii*'l    ttn>l  >iu>'  rifTtir 
Sihn<ilt<  !  Diese  zwei    Dinge  müssen   sich  doch   gegenseitig  aus- 
schliesseti.  r.  Il>utlk>n  versicherte  mir  auch,  dass  mit  der  AiriTui- 


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1-21 


dung  dieser  Schnalle  ihm  der  ganze  Fund  vollends  rätselhalt 
erschien.  Weder  der  Schädel  noch  der  Ellenknochen  unterscheidet 
sich  von  den  recenten  Menschenknochen,  und  zwar  weder  in 
Hinsicht  der  KnochenbeschafTenheit  (Erhaltungszustand),  noch  in 
Hinsicht  der  Formation.  Die  Farbe  der  Knochen  ist  hellbraun, 
die  Rindenschichte  (tabula  ossea)  ist  mit  Ausnahme  der  vielen 
verzweigten  oberflächlichen  Furchen,  die  schon  Lusehan  mit  den 
Gängen  des  Bostrichus  chalcographus  verglich,  erhalten  geblieben. 
Auf  dem  ganzen  Scheitel  (im  Intervall  der  beiderseitigen  oberrii 
Schläfenlinien)  bemerkt  man  die  Knochenoberfläche  wie  mit  feinen 
Punktierunifen  besäet.  Diese  feinen,  punktförmigen,  seichten  Vertiefungen 
haben  dieselbe  Anordnung  wie  die  Haare  auf  der  Kopfschwarte,  ich 
hnlte  sie  auch  für  die  Abdrücke  der  Haarzwiebeln.  Ich  habe  schon 
riete  solche  Gräberschädel  gesammelt,  wo  noch  das  Kopfhaar  in  Form 
einer  Perrücke  lose  am  Schädel  lag,  und  beim  Abheben  dieser  Perrückr 
fand  ich  den  einzelnen  Haarzwiebel-Gruppen  entsprechende  Punkt- 
Gruppen  in  die  tela  ossca  der  Schädelknochen  wie  eingestichelt.  Diese 
gestichelten  Punkt-Gruppen  kommen  immer  nur  in  der  mittleren 
Partie  des  Schädeldaches  vor  —  also  in  der  von  den  Muskeln 
nicht  bedeckten  Schädelregion ;  während  sie  an  der  Schläfengegend 
nie  zu  sehen  sind,  wie  dies  auch  beim  Nagy-Saper  Schädel  der 
Fall  ist.  (Schon  dieses  einzige  Charakteristikum  zeugt  gegen  ein 
sehr  hohes  Alter  —  allenfalls  muss  der  Schädel  schon  über  mehr 
als  100  Jahre  unter  der  Erde  gelegen  haben,  wie  dies  auch  die 
erwähnten  Umstände  bei  seiner  Auffindung  beweisen.)  Was  seine 
Form  anbelangt,  ist  es  ein :  kurzer  (brachycephal,  Cephalin- 
dex  =  82*02),  hoher  (hypsicephal,  Längenhöhenindex  =  79-13), 
schmalgeskhÜger  (leptoprosop  Index  nach  Virchow  —  12b'*  14), 
lyreitgaumiger  (brachystaphylin,  Gaumenindex  —  9U'74),  schmal- 
nasiger  (leptorrhin,  Nasenindex  —  41 '81),  hoch  (lang)  angenhöhliger 
(hypsikonch,  Aiigenhöhlenindex  =  85*51 )  Schädel,  dessen  Gesiehts- 
profil  nur  mittelmässig  vorspringt  (mesognath,  deutscher  Profil- 
winkel =  89*1").  Wir  tiaben  also  hier  einen  Schädeltypus  vor  uns, 
welcher  mit  den  bisher  bekannten  ScJiädeln  aus  der  Diluvial-Zeit  nichts 
gemein  hat  — ja  sogar  zu  diesen  einen  gegensätzlichen  Typus  aufweist. 
Bs  ist  ein  alter  Schädel  aus  der  recenten  geologischen  Zeit,  nach 
seiner  charakteristischen  Form  imd  namentlich  wegen  seiner 
seichten  Wangengruben  (fossae  caninae)  weist  er  einen  Typus 
auf,  welcher  im  Osten  Europa's  auch  heute  vorkommt.  Carl  %Vog< 
nannte  halb  scherzweise  diesen  Schädel  einen  echt  sarma- 
tisehen  Schädel. 

Dieser  recente  Schädel  wurde  von  den  Gelehrten  bisher 
als  ein  zur  sogenannten  Cannstadt-Rasse  gehöriger  Schädel  an- 
geführt. Nun  diese  sog.  Cannstadt-Rasse  wurde  im  vorigen  Jahre 
in  der  deutschen  Anthropologen- Versammlung  in  Ulm,  auf  Grund- 
lage der  Aufdockung  des  bisherigen  Irrtums  in  Bezug  auf  das 
angebliche  diluviale  Alter  des  Cannstädter  Schädels  (welcher 
sich  als  Reihengräberschädel*  entpuppte,  wenngleich  in  dem  be- 


1+2 

treffenden  Gräberfeld  auch  Mammutknoehen  gefunden  worden 
sind)  feierlich  zur  ewigen  Ruhe  bestattet.  Nachdem  <  rrundsatze: 
«De  mortuis  nihil  nisi  bene",  wollen  wir  auch  den  Nagy-Saper 
Schädel  zum  Andenken  in  die  Gruft  der  Cannstadt 'sehen  Kasv 
beilegen. 

Nicht  minder  interessant  ist  die  Frage  der  verkohlten  Hohlen- 
biirenknochen  aus  der  Höhle  hei  Ö-Ruzsin. 

Der  durch  seine   geologischen    Forschungen   bekannte  und 
in  seiner  vollen    Tätigkeit  vom  Tode  dahingeraffte  Loutscliau  r 
Professor  Dr.  Stnnw-I  Hüih  gelangte  im  Jahre  1S81  auf  <jrun<i 
der  in  der  Höhle  von  O-Ruzsin  hei   Leutschau  gefundenen  ver- 
kohlten Knochen  des   Höhlenbären   zu  dem  Schluss:   dass  der 
diluviale  Mensch  auch  in  l'ngarn  lebte.  Diese  Kunde  hat  in  den 
wissenschaftlichen  Kreisen  rngarns    eine  sehr  grosse  Sensation 
erregt,  weil  die  eingesendeten   verkohlten   Härenknochen  in  der 
Tat  von    Itsus  spelaeus   herrührten,   so  dass  die  k.  n.  Natur 
wissenschaftliche  Gesellschaft   in   Budapest   sich  veranlasst  sah. 
eine  Kommission  damit  zu  betrauen,   um  an  Ort  und  Stelle  den 
Fund  einer  controlierenden    Forschung  zu   unterziehen.  Dies«- 
Kommission    bestand   aus   meiner   Person    und    aus    Herrn  v. 
Lrn'sij  und  dem  schon  Hingangs  hier  erwähnten  Landes-Haupt 
geologen  Herrn  L.  v.  h'otii.  Wir   begaben  uns  tun  2ö.  Mai 
noch  O-Ruzsin,  um  unter   Führung  des  weil.   Prof.  Sutmttl  Koth 
die  Stelle  zu  besichtigen,  wo  die  verkohlten  Hühlenbärenknociien 
von  ihm  aufgefunden  wurden.  Da  Prof.   S.  h'dtlt  im  Höhlenlehui 
eine  Kohlenschichte  entdeckte,   so  war  für  uns   die  Aufgabe  bei 
der  Controle  präzis    voryezeiclinet,  denn  es  handelte  sich  um  die 
Kntscheidung :  ob  die  Kohlenschicht«'  des    Höhlenlehms    und  ob 
das  Anbrennen  der  Knochen  des  t'rsus  spelaeus   in   der  Tat 
vom  diluvialen  Menschen   herrührt  ?   Wir   haben   teils  an  der 
bezeichneten  Stelle,  teils  an  den  bisher  ungestörten  Partieen  der 
Höhlenerde  Nachgrabungen   ausgeführt.  Auch   w  ir  fanden  ange- 
brannte, verkohlte   Höhlenbärenkiiochen.  auch  wir  constatierten 
eine  (von  Asche  herrührende)  graulichte  mit  schwarzen  Striemen 
durchzogene   Kohlenschichte,   wir   fanden   ausserdem  noch  zwei 
Stück«'  von  Thongeschirren,  die  mit    wellenförmigen,   im  Bogen 
zusammenlaufenden  Strichen  verziert    waren.   Ja   wir  haben  an 
einer    der  aufgegrabenen   Stellen    sogar  zwei  Kohlenschiehten 
nachgewiesen.  Die  obere  Kohlenschiehte   latr   von   der  Krdober- 
flache   in   einer    Tiefe    von    10    cm.,    deren  durebsehuittljehe 
Dicke    ebenfalls     10.     cm.    war:     hierunter    folgte    eine  mit 
Gerollen  gemengte  l.cluiischichtc.  in  welcher  die  zweite  Kohlen- 
schichte <in  einer  Tiefe  von  1  m.   von   der  .  KrdobeHlm  he)  lag. 
Sowol  in  der  oberen  wie  auch    in   der  unteren  KohJeiischichte 
fanden  wir  angebrannte   Knochen  von  l'rsus  speliums     -  o\»r 
ho  h  Knoi  hrn  iati  twalnt  H  nmn        »n>»l  ( '<  rt  i<ht-Art<'n.  Insgesamt 
haben  w  ir  die  Hohlenerde  an  fünf  Stelleu  aufgegraben.  ti'iJ.H'i  im 
iiuch  tf*  i>)!lt>         nicht  nntj*  drntnif tnr/,t    r,;knhit«  Kn'H.hru  r/etf 


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123 


lTrsus  spelaeus  antrafen,  aber  nirgends  fanden  wir  Menschen  knochrn 
and  Steinartefacte  vor. 

Infolge  der  von  uns  ausgeführten  Ausgrabungen,  an  welchen 
Prof.  S.  Roth  ebenfalls  teilgenommen  hat,  mussten  wir  zu  fol- 
genden Resultaten  gelangen:  1.  Ks  ist  richtig,  dass  in  der 
O-Ruzsiner  Höhle  verkohlte  Knochen  von  Ursus  spelaeus  vor- 
kommen, wie  dies  Prof.  S.  Roth  zuerst  entdeckt  hat.  2.  Die  ver- 
kohlten Knochen  dieses  diluvialen  Tieres  landen  sich  aber  immer 
nur  in  einer  schon  früher  aufgewühlten  Schichte  des  Höhlenlehms 
in  Gemeinschaft  mit  Aschenresten,  Thonscherben  und  Knochen 
von  reconten  Tieren  vor.  3.  Hingegen  war  unter  den  in  der  tief- 
sten, bisher  unaufgewühlt  gebliebenen  Schichte  des  Höhlen- 
lehms —  aulgefundenen  Knochen  des  Höhlenbären  kein  einziges 
Stück  angebrannt,  verkohlt,  und  hier  waren  auch  weder  Aschen- 
reste noch  Thonscherben  oder  Knochen  von  recenten  Tieren  vor- 
handen. —  Aug  diesen  Resultaten  mussteii  wir  also  den  Schlaf* 
ziehen:  dass  der  diluviale  Mensch  in  der  6-Ruzsiner  Höhle,  trotz  der 
durch  Menschenhand  verkohlten  Knochen  des  Ursus  spelaeus,  nicht 
nachgewiesen  werden  konnte. 

Da  aber  in  der  O-Ruzsiner  Höhle  verkohlte  Knochen  eines 
echt  diluvialen  Tieres  in  dor  Tat  vorkommen,  so  musste  die  Kom- 
mission sich  auch  mit  jener  Frage  beschäftigen:  wann  diese 
diluvialen  Knochen  vom  Menschen  verkohlt  wurden.  Ob  in  prä- 
historischer oder  in  historischer  Zeit  V  In  Bezug  auf  diese  Frage 
kamen  wir  zum  folgenden  Resultat.  Ks  ist  anzunehmen,  dass  die 
Verkohlung-  im  selben  Zeitalter  stattfand,  welchem  die  Thon- 
geschirre selbst  angehören.  Man  ist  also  hier  nur  auf  die  Thon- 
scherben angewiesen ;  denn  ausser  ihnen  wurde  kein  anderes 
Kunstproduet  oder  Werkzeug  vorgefunden,  Da  aber  die  Thon- 
scherben gut  gebrannt  und  mit  den  erwähnten  Verzierungen  ver- 
sehen waren,  welche  Verzierungen  wir  der  sogenannten  slavischen 
Ornamentik  zuschreiben,  müsste  man,  -  -  wenn  es  berechtigt 
wäre,  aus  einem  einzigen  Zeichen  eine  chronologische  Bestim- 
mung mit  Sicherheit  machen  zu  können  —  die  Verkohlung  der 
Slavenzeit  zuschreiben.  (Unser  Bericht  erschien  in  der  „Terme- 
szettudomänyi  Közlöny"  Budapest  1883.  März.) 

Wie  wir  also  sehen,  konnte  der  diluviale  Mensch  in  Ungarn 
auch  durch  den  O-Ruzsiner  Fund  nicht  bestätigt  werden,  und 
somit  muss  auch  dieser  Fund  fortan  aus  der  Liste  des  diluvialen 
Zeitalters  gestrichen  werden. 

Wen7{  wir  also  alle  bisherigen  angeblich  aus  der  diluvialen  Zeit 
'herstammenden  Funde  Ungarns  eines  such ge müssen  Kritik  unterziehen 
so  müssen  wir  (janz  offen  gestehen >:  dass  die  Ejistnz  des  dilw inten 
Meteehen  in  l  ngarn  sichher  nachzuweisen  bisher  noch .  nicht  gelungen 
ist,  somit  auch  die  Miskolczer  zugeschlagene  Sile.re.rte  —  eben  wegen 
Ermangelung ,  eines  prüzisen    Xachweises   der  diluvialen  Schichte*) 

*)  KbenaU  ich  diese  Zeilen  schrieb  erhielt  ich  die  neueste  Nummer 
»los  Arrhaeol.  Krtesitö  (IHS'A  No.  2.  15.  April),  in  weit  her  ein  energischer  Protzt 


124 


sowie  des  Xach weises  der  Intactheit  dieser  Schichte  —  nicht  mehr  als 
Beweis  des  diluvialen  Menschen  in  Ungarn  angeführt  werden  dürfen. 
Andererseits  müssen  wir  aber  in  Anbetracht  dessen,  dass  der  diluvial*- 
Mensch  in  dem  benachbarte))  Mähren  bereits  nachgewiesen  wurde  dir 
Wahrscheinlichkeit  der  Existenz  des  diluvialen  Menschen  auch  für 
Ungarn  voraussehen  —  es  kann  kein  emsiges  Moment  angeführt 
werden,  welches  eine  solche  Annahme  auszuschliessen  vermöchte.  Di*' 
höchst  interessante  Entdeckung  der  Miskolczer  S'dexäxte,  sollte  ein 
Sporn  zu  neueren  Forschungen  sein ;  und  in  Eigenschaft  als  Professor 
der  Anthropologie  trachte  ich  es  einfach  für  meine  Pflicht  der  hohen 
Regierung  und  der  ungarischen  Akademie  der  Wissenschaften,  denen 
es  obliegt  die  wissenschaftliche  Cultur  Ungarns  auf  das  Niveau  der 
europäischen  Wissenschaftlichkeit  zu  heften,  zur  Reherzigung  zu  em- 
pfehlen: dass  es  schon  die  höchste  Zeit  wäre,  in  geeigneter  Weise  dafür 
zu  sorgen,  um  die  anthropologischen  Ausgrabungen  systematisch  d.  h. 
mit  den  nötigen  Mitteln,  ausführen  zu  können.  Bisher  waren  wir 
wegen  der  geringen  Hülfsmittel  immer  auf  die  Zufälligkeiten  folglich  auch 
auf  die  sog.  Raubwirtschaft"  angewiesen  und  in  den  meisten  Fället* 
war  dns  Eingreifen  von  Seite  der  Sachverständigen  schon  zu  spät.  Ehen 
bei  derartigen  Forschungen  kann  mann  sagen,  dass:  was  man  der 
Minute  ausgeschlagen,  bringt  keine  Ewigkeit  zurück. 

Budapest,  den  17.  April  1893.  (Anthropologisches  Musem). 


Ueber  die  heidnische  Religion  der  Wogulen. 

Von  Dr.  R.  Munhivst. 

IL 

Nach  wogulischer  Auffassung  gibt  es  auch  ein  Leben  nach 
dem  Tode.  Auf  einer  Insel  des  nördlichen  Eismeeres  befindet  sich 
der  Wohnort  der  Verstorbenen,  wohin  sie  aber  nicht  gleich  nach 
ihrem  Tode  gelangen,  sondern  erst  nach  40  Tagen,  während 
welcher  Zeit  die  Seele  oft  heimkehrt.  Deshalb  darf  man  das  Feuer, 
welches  der  Tote  zurückgelassen  hat,  40  Tage  lang  nicht  erlöschen 
lassen  ;  wenn  aber  dies  doch  geschieht,  so  kann  man  auf  ver- 
derbliche Folgen  rechnen.  Die  Gewogenheit  der  Seele  des  Toten 
sichert  man  sich  durch  Speiseopfer,  die,  solange  er  noch  un- 
beerdigt  ist,  jeden  Tag,  dann  aber  nach  Ablauf  seiner  „heiligen 
Woche"  (jelpih  sät)  und  im  Lauf  des  ersten  Jahres  3 — l  mal 
dargebracht  werden.  Die  Opferdarbringung  geschieht  im  Fried- 
hofe auf  die  Weise,  dass  vor  dem  Grabe  ein  Feuer  angezündet 
und  Wasser  ins  Sieden  gebracht  wird,  in  das  man  Lebensmittel 
wirft,  die  man  dann  in  ein  besonderes  Gefäss  giesst  und  unter 

gegon  die  diluvial*?  Deutung  derjenigen  Schichte,  worin  die  Miskolczer  Silex- 
äxt»?  aufgefunden  wurden,  von  dem  kön.  Sectionsgeologen  Herrn  J.  HnlavaU 
veröffentlicht  ist  (a.  a.  O.  S. 


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125 


Hersagen  von  Gebeten  neben  den  das  Grab  bezeichnenden,  um- 
gestürzten Schlitten  oder  den  daselbst  wachsenden  Baum  stellt. 

Mit  bestimmten  Jahrestagen  wiederkehrende  twUu/e  Tnge 
kennen  die  Wogulen  nicht,  was  eben  zur  Folge  hat,  dass  bei 
ihnen  die  Zeitrechnung  noch  sehr  unentwickelt  ist.  Das  .Jahr, 
welches  bei  ihnen  den  Namen  .Winter"  (tat)  oder  „Winter-Sommer" 
(taüuso)  hat,  teilen  sie  in  Monate  ein,  und  zwar  nach  dem  Mond- 
wechsel in  18;  aber  das  Zählen  der  Tage  und  Wochen  innerhalb 
der  Monate  ist  bei  ihnen  nicht  in  Brauch.  Das  Wort  sät  „Sieben : 
Woche"'  ist  zwar  als  Ausdruck  der  Zeiteinheit  in  Gebrauch,  aber 
nur  von  einem  eventuellen  Ereignisse,  oder  von  irgend  einem 
bestimmten  Tage  an  gerechnet.  Nur  dort,  wo  das  Wogulentiun  sich 
russische  Gebräuche  angeeignet  hat,  sind  Tagenamen  in  Anwen- 
dimg gekommen,  wie:  süt-puhk  Sonntag  (eigentlich  ..Wochen- 
Haupt"),  sät-aulyatm  yatel  Montag  (eigentl.  „Woche  beginnender 
Tag%  kitit  yatei  Dienstag  (eigentl.  ..zweiter  Tag"),  yurmit  yattl 
Mittwoch  (eigentl.  „dritter  Tag"),  usw.;  oder  wie  im  Gebiete  des 
Konda-Flussos:  soäten  tum  kliotrt  Sonntag  (eigentl.  „in  die  Woche 
hineinreichender  Tag"),  soäten  tum  möt  khotä  Montag  (eigentl.  „in 
die  Woche  hineinreichender  zweiter  Tag" )  soät  jät  khottl  Donnerstag 
(eigentl.  „der Woche  mittlerer  Tag").  Wenn  indessen  die  Wogulen 
auch  keine  an  bestimmte  Zeitpunkte  gebundenen  Feste  haben,  so 
haben  bei  ihnen  doch  alle  namhafteren  Opfer  eine  festliche 
Bedeutung,  zu  denen  auch  das  mit  zahlreichen  wichtigen  (Zere- 
monien verbundene  Bärentotmmnhl  gehört. 

Der  treueste  Spiegel  und  die  charakteristischeste  Form  aller 
dieser  in  religiösen  Ceremonien  und  Gebräuchen  ausgedrückten 
Grundideen,  sowie  des  geistigen  Lebens  des  Wogulenvolkes  über- 
haupt, ist  die  reiche  relvfiöso  Dichtung,  die  von  undenkbar  alten 
Zeiten  her  von  Geschlecht  auf  Geschlecht  sich  traditionell  ver- 
erbend, auch  noch  heutzutage  im  Munde  des  Volkes  fortlebt  und 
fürdie  Wissenschaft  der  ugrischen  Völker  eine  fast  ebenso  grosse 
Bedeutung  hat,  wie  auf  indogermanischem  Gebiete  die  homerischen 
Gesänge  und  die  vedischen  Hymnen.  Ein  womöglichst  reichhaltiges 
Sammeln  dieser  religiösen  Dichtungen  war  eine  der  Hauptbestre- 
bungen meiner  sibirischon  Studienreise.  Schon  bei  den  Bericht- 
erstattern des  vorigen  Jahrhunderts  über  die  ugrischen  Völ- 
ker des  Uralgebietes  finden  wir  Spuren  des  Vorhandenseins 
dieser  Producte  des  Volksgoistes ;  diese  Berichterstatter  wissen 
%.  R:  dass  bei  den  Bärenfesten  das  Lob  dieses  Tieres  in  Liedern 
ausgedrückt  wird;  ferner,  dass  über  die  wundervollen  Taten  ihrer 
Götzen  allerlei  „unglaubliche  Mären"  von  Mimd  zu  Mund  kreisen. 
Die  erste  bestimmte  Nachricht  über  diesen  Gegenstand  indessen 
und  daneben  auch  zahlreiche  Proben  verdanken  wir  Rwfuli/s 
von  dem  auch  der  Teil,  welchen  Hunfalvy  herausge- 
geben hat  —  mit  Ausnahme  des  einen  Märchens  Väta-yum  (Kauf- 
mann), nur  zu  dieser  Haltung  gehörige  Stücke  enthält.  Nach 
Rejuly  besuchte   Ahlquist  dreimal  die  Wogulen  ;  aber  bei  allen 


12t> 


diesen  seinen  Reisen  konnte  er  zu  keinem  noch  so  geringen  IVi- 
trage  zu  der  wogulisch  religiösen  Dichtung  gelangen,  was  zur 
Verbreitung  der  Ansicht  Veranlassung  gab,  dass  diese  1  >icrhtiin^ 
dem  Volksbewusstsein  ganz  und  gar  entschwunden  und  AV'/n/r, 
der  letzte  gewesen  sei,  dem  es  vergönnt  war,  die  letzten  Host.- 
noch  aufzuzeichnen.  ')  Desto   mehr  steigerte  sich  daher   in  mir 
der  Wunsch,  wenigstens  die  in  ttryulij*  Nachlass  vortindliohen 
und  selbst  in  ihrer  Unklarheit  sich  als  sehr  wertvoll  erweisenden 
Sammlungen  vollständig  verstehen  und  der  Wissenschaft  zugüji£rli«h 
machen  zu  können.  Aber  schon  in  den  ersten  Wochen  mein'" 
Forschens  ward  es  mir  klar,  dass  der  Dialekt,  in  welchem  K*yjni*j > 
südwogulisehe  Texte  verfasst  sind,  ausgestorben  ist,  und  wenn  e* 
mir  auch   gelingt,  mit   Hille  benachbarter  Dialekte  dieselben  im 
<i rossen  und  Plauzen  zu  verstehen,  so  ist  doch  eine  Erklärung 
der  in  der  religiösen  Dichtung  vorkommenden,  seltenen  und  archai- 
stischen Ausdrücke,  besonders  der  mythischen   Anspielungen,  auf 
(.■rund  des  jedweder  alten  Eigentümlichkeit  nunmehr  baren  süd- 
lichen Wogulentums  nicht  zu  erhoffen.  Und  diese  nieine  Hefürch- 
t ungen  rechtfertigten  mein«' im  .Jahre  1888  im  ( Jebicte  des  unteren 
Loswa-Flusses.  des  Konda- und  Tawda-Flusses.  sowie  im  polymer 
(ielüete  unternoinnienen  Studienreisen,  in  welcher  Zeit  ich  trotz 
aller  meiner  Hcmühungcn  nicht  imstande  war,  einen  namhaften 
Erfolg  aufzuweisen,  durch  welchen  ich  das  Material  der  bisdahin 
bekannten  religiösen  Dichtung  mit  neuen  Heitragen  vermehrt  und 
dadurch  gleichsam  einen  Schlüssel  zu  7rVyi////'s  unklaren  Samm- 
lungen  hätte  liefern   können.  Heinahe  ganz  verzagt,  kehrte 
am  Schluss  des  Jahres  auf  meine  erste  Station  am  Mittellaufe  des 
Loswa-Flusses  in  der  Absicht   zurück,  mit  Zuhilfenahme  meiner 
dort   wohnenden   intelligenten   <  iewährsmanncr    und  mit  Hilfe 
meiner  nunmehr  erweiterten  Sprachkenn  Uns  AV^i/f/s  süd wogu- 
lischen Nechlass  von  neuem  vorzunehmen  und  darin  diejenigen 
Teile  festzustellen,  deren  Sinn  mir  irgendwie  deutlich  erscheint. 
Nacli  solchen  Prämissen  war  es  für  mich  eine  erfreuliche  Uel>er- 
raschung,   als  ich  zu  Anfang   des  Jahres  ins  Uebiet  der 

Nordwogulen  gelangend,  bemerkte,  dass  dies  Volk  nicht  nur  in 
seinen  äusseren  <*chrüuchcu.  sondern  auch  in  seiner  religiösen 
Denkungsart   und  in  seinem   religiösen    Leben  den  Traditionell 


')  Ifunfalvtj  /'.  uiifilt  danün r  in  mummi  Work«-  :  ..  \'<urul  f<dd  nt'«|»~ 
(Land  und  Volk  <I«t  \V<»uu|fH(  S.  t;t>  alsn  :  „l'nstr  Ibus-iuh-r  H.  i.  Uuifu!j> 
Uraihu«  von  senior  •  •stimrdlu  lnm  K»«is»'  rihht  nur  \\'«>i  fi  -•»ammlunip'u.  irramiu»- 
tikalisch«*  Aur/.cichuuutf'i-u,  kf»'«doi<i«Mdu'  und  » thn>>;r rajdiis*  hi*  hatfii  In-nu,  ifh'M'b 
andttvn  H»-iH.'n.|i  t).  sondern  au«  h  soli  h.-  I i.  rikin  di  r.  wir  s..|rh<-  v..r  ihm  imch 
nii-mand  jH»rarht  hat  und  mu-h  ihm  nu-mand  l»rinir*Mi  wird,  denn  innti  wird 
Kolrhi»  srhon  nn  ht  m»-hr  vorfinden.  Audi  dort  ist  das  nrsitriinulirhi1  ••U2,«,ntiim- 
lUdn-  I.oImmi  und  d«\ss«m  C'i-litft'  \V«d1  im  Krlos»  ln-n  h^jfritt'.'n.  K.'^ulv  hrarfito 
vuii  dort  das  heim,  was  w.tin  <-s  d<r  Knun>run^  d«r  M«-n.»<  lum  ••nNcli wiudfl, 
für  immer  verloren  v 'ht.  1  > •  ♦  •  Natur  und  ihre  W.-rk--  ld.-ii.-  ii,  >ln>  Nb-nm-Iien 
ändern  sich  und  v«tl"'*-«'!»  die  alten  Zustand«,  ihr-n  «.l;iul»'ii,  dire  ifei-ttiifefi 
l'piitu«  to.- 


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127 


seiner  Ahnen  treu  geblieben,  und  dass  hier  noch  zahlreiche  Ver- 
treter der  religiösen  Sang-  und  Märenkunde  vorhanden  sind,  die 
sieh  mir  mit  Vertrauen  und  Bereitwilligkeit  zur  Verfügung  stellten. 
Auf  Grund  der  Mitteilungen  dieser  war  ich  vor  allem  bestrebt, 
die  Varianten  der  Reguly'schen  Texte  aufzuzeichnen,  die  nicht  nur 
das  auf  diesen  lagernde  Dunkel  lichteten,  sondern  auch  noch 
obendrein  wertvolle  Ergänzungen  zu  ihnen  sownl  in  inhaltlicher, 
als  auch  in  formeller  Beziehung  enthalten.  Zu  beträchtlicher 
Menge  vermehrte  sich  das  ganz  und  gar  neue  Material,  das  sich 
mit  dem  vorigen  zusammen  zu  einer  solchen  Sammlung  wogn- 
lischer  religiöser  Dichtung  entfaltete,  wie  eine  gleiche  auf  Grund 
mündlicher  Ueberlieferung  auf  primitiver  Stufe  der  Kultur  imd 
Religion  stehender  Völker  man  aufzuzeichnen  kaum  imstande 
war,  und  welche  demzufolge  aus  verschiedenen  Rücksichten  die 
Aufmerksamkeit  europäischer  Wissenschaft  auf  sich  lenken  wird. 
Nur  jotzt  hatte  ich  Gelegenheit  zu  einem  Urteil  über  den  wahren 
Wert  dieser  volksdichterischen  Schöpfungen,  sowie  zu  einer  lT eber- 
sieht ihrer  verschiedenen  Arten  und  der  sich  in  ihnen  zeigenden 
Entwickelungsschichten. 

Kurz  dargelegt:  den  Gegenstand  wogulischer  religiöser 
Dichtimg  bildet  die  Gestaltung  der  gegenwärtigen  Weltordnung 
—  oder  wie  der  wogulische  technische  Ausdruck  lautet  :  „Der 
Welt  des  Menschenzeitalters,  der  Menschenepoche"  ehm-yale? 
jittin  üuirmH,  Hem-yales  natin  taarem) ;  --  sowie  diejenigen  Mittel, 
durch  welche  sich  der  Mensch  mit  den  Lenkern  dieser  Welt- 
ordnung in  Berührung  setzen  kann.  Hingehender  angeführt,  bildet 
ihren  Gegenstand  :  1.  die  Koumwpmie ;  besonders  die  Erschaffung 
des  Himmels,  der  Erde,  der  Beige,  ebenso  des  Menschen  und  der 
Tiere,  die  Entstehimg  der  Krankheit  und  des  Todes,,  die  die  Welt 
in  ihrem  ersten  Stadium  zerstörende  Feucrilut,  und  die  Ent- 
wicklung der  Kultur;  --  2.  die  Theoyonie  die  Abstammung  der 
Götter,  ihre  herrlichen  Taten,  die  Einweihung  ihrer  heiligen  Orte, 
ihr  Wirkungskreis>  sowie  die  Begründung  der  bei  ihrer  Verehrung 
gebräuchlichen  Cercmonien;  —  3.  //////mc«,  beziehungsweise  götter- 
beschwörende  Sprüche  Die  Form  des  Vortrags  ist  teils  sagen- 
mässig  (tnöjt),  die,  im  Falle  sie  vollkommen,  in  einer  eigen- 
tümlichen, künstlerischen  Prosa  erscheint,  teils  (icmncj  (cri)% 
den  die  Saiten  der  sähweltep- Harfe  begleiten  und  den  äusserlich 
formelle  Regelmässigkeit,  Gedanken  und  Tonrhythmus  charak- 
terisieren. In  sprachlicher  und  rhythmischer  Beziehung  gleicht 
Letzteren  die  Form  der  beschwörenden  Sprüche  (mtmil):  das  kaj-sow, 
welche  diese  Benennung  von  dem  interjectionförmigen  Zwischen- 
ruf (knj!)  erhalten  hat.  Die  religiöse  Dichtung  kosmogonischen 
Inhalts  liebt  mehr  die  Form  der  Sage,  die  theogonischen  Inhalts 
aber  mehr  die  des  Gesanges;  ja  man  kann  sogar  voraussetzen, 
dass  sich  neben  den  aus  letzterer  Gruppe  aufgezeichneten 
prosaischen  Texten  auch  noch  liedförmige  \  arianten  vorfinden, 
beziehungsweise  einmal  vorhanden  waren.  Aus  der  Gruppe  reli- 


:12H 


giöser  Mythen  sondern  sich  inhaltlieh  die  heilir/m  Mytlum  (jelpin 

•  möjt)  aus,  die  mit  Berücksichtigung  besonderer  Ceremonien  her- 
gesagt werden.  Unterarten  religiöser  Gesänge  sind:  1.  Heldenliwler 

■  (ifonifi  oder  %nantlnxtne  erfet),  welche  die  Kämpfe  und  Heldentaten 
der  Götter  behandeln;  -  2.  IMrenlieder  (uj-enet),  bei  denen  eine 
besondere  Gruppe  [die  das  Herabsteigen  vom  Himmel  (numel 
ra'ilem  cr(ä),  behandelnden  Lieder,  die  Weck-  oder  Morgenlieder 
(yoli,  oder  uj-äiis  ketiseltene  erret),  die  Hinausbegleitungslieder 
(sayjväsane  (irret),  ferner  dio  Geschehnisse  des  ..Herabsteigenlassens" 
d.  h.  „Niederstreckens"  behandelnden  Lieder,  schliesslich  dieje- 
nigen, welche  don  Bärenschwur  und  die  Bärenrache  zum  Inhalte 

:  haben ;  —  3.  Elentierlie.dm ;  —  4.  Schauspiele  der  Götter  und  Geister. 

Der  Volksglaube  verleiht  der  religiösen  Dichtung  einen  gött- 
lichen LTrsprung  und  mutet  besonders  den  götterbeschwörenden 
Sprüchon  und  Heldenliedern  eine  Heiligkeit  zu.  Bezüglich  der 
Entstehung  Letzterer  berichtet  mir  einer  meiner  Gewährsleute, 
dass  im  kriegerischen  Zeitalter  {y fintierte  jidt)  die  Heldenfürsten, 
aus  denen  nämlich  beim  Eintritt  des  Menschenzeitalters  die 
Götzchen  entstanden,  einander  umbrachten,  Pfeil  und  Bogen 
handhabten  sie,  das  Volk  tödteten  sie,  auch  von  den  Helden 
blieben  nur  1 — 2  übrig ;  sein  Klagegesang  ist  termin-eri :  bald 
seinen  Vater,  bald  seinen  Bruder  bringt  man  um ;  darum  weint  er ; 
sein  Klagewort  ist  das.  Und  da  das  termin-eri  die  Klage  der 
Gottheit  selber  ist,  beziehungsweise  im  allgemeinen  ihre  poetische 
Schaffimg,  darum  spricht  sie  in  erster  Person  von  sich  selber,  „sie 
besingt  ihre  eigenem  Taten,  ihre  Grösse  und  Macht,  sie  schildert 

*  im  Moment  ihrer  eigenen  Seelenwelt,  ja  auch  die  seitens  der 
Menschen  ihr  bezeugte  Verehrung  und  die  hieraus  folgenden 
Handlungen.  Die  Person  des  Sängers  verliert  sich  ganz  im  Vor- 
trage, höchstens,  dass  ihrer  in  dritter  Person  erwähnt  wird,  als 
Objectes,  nicht  aber  als  Subjectes  des  Gesanges"  (s.  hierüber 
ausführlicher  meinen  Aufsatz  im  Hunfalvy-Album  S.  182—188.) 
Dieselbe  Vortragsweise  beobachten  auch  die  Bärengesänge,  durch 
den  Mund  d^s  Menschen  spricht  das  Götzchentier  selber  und 
singt  seinen  Zuhörern: 

_In  d«m  vom  hehren  Himmel,  meinem  Vater  hewohnten. 
Silberstangigen,  Stangen  versehenen  Hause 
Wuchs  das  Glied  meiner  wachsenden  Hand  heran. 
Wuchs  das  Glied  meines  wachsenden  Fusses  heran." 

(Fortsetzung  folgt. 


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121) 


König  Mathias  und  Peter  Gergb. 
(Ein  boU&risohes   Gaslarenlied  aus  Bosnien.) 

Von  Dr.  Frinlruh  S.  Km  ums. 
III. 

Herr  Dojcin  setzt  sich,  schreibt  ein  zweitos  Schreiben  : 
„Knipfnng  dies  Schreiben,  Kaiser  von  Istambol ! 
..Erscheine  mir  als  Partner  auf  dem  Plan,  305 
..sonst  komm'  ich  dir  zur  Rah,  dem  kalten  Flusse  ; 
„ich  werde  dir  dein  ganzes  Heer  verjagen 
..und  in  die  Hab  hinein,  ins  Wasser  treiben, 
..doch  dich,  dich  fang'  ich  bei  lehend'gem  Leibe, 
„dir  werd'  ich  deinen  ganzen  Bart  zerschinden,  310 
..mit  Foltern  jeder  Art  dich  martern  lassen! 

Kr  gab  ihn  wieder  Michael,  dem  Diener: 

Trag  fort  das  Schreiben  hin  zum  edlen  Kaiser. 
Trittst  Michael,  du  unter  das  Gezelto, 
küss  ihm  den  Fuss  und  küss  ihm  den  Pantoffel  315 
und  leg  das  Schreiben  auf  dem  Schoss  ihm  nieder, 
gekreuzt  die  Arme  zieh  dich  dann  zurück, 
bis  dass  du  siehst,  was  ihm  der  Brief  verkündet. 

Olm'  Antwort  zog  von  dannen  Michael. 
Sobald  er  kam,  begab  er  sich  ins  Heer;  320 
und  als  er  zu  des  Kaisers  Zelt  gekommen, 
so  trat  er  gleich  zum  Kaiser  unters  Zelt, 
küsst'  ihm  den  Fuss  und  küsst'  ihm  den  Pantoffel 
und  legt'  das  Schreiben  auf  den  Schoss  ihm  nieder. 

Gekreuzt  die  Arme  harrte  Michael.  325 
Ks  schaut  den  Brief  der  Kaiser  von  Istambol, 
er  schaut  den  Brief,  doch  kennt  er  nicht  die  Schriftart. 

Von  Hand  zu  Hand  so  geht  das  Schreiben  weiter, 
doch  niemand  ist  im  Stand  den  Brief  zu  lesen. 

Als  ihn  der  Vezier  Köprülü  bekam,  330 
da  sah  er  gleich,  was  ihm  der  Brief  vermeldet : 

Auch  dieser  Brief  ist  wiederum  von  Dojcin. 
I)u  sollst  ihm  auf  den  Plan  zum  Kampf  erscheinen, 
sonst  sucht  er  heim  uns  an  dem  Flusse  Hab, 
er  werde  dir  dein  ganzes  Heer  verjagen  335 
und  in  die  Hab  hinein,  ins  Wasser  treiben, 
dich  aber  bei  lebend'gem  Leibe  fangen; 
er  will  dir  deinen  ganzen  Bart  zerschinden, 
mit  Foltern  jeder  Art  dich  martern  lassen. 


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IM) 

Als  da  der  Kaiser  solche1  Red'  vernommen,  .4J4H 
vergoss  er  Thrünen  übers  Angesicht, 
drei  junge  Rufer  sandt'  er  wieder  aus: 

Wer  für  den  Kaiser  auf  dem  Plan  erscheint, 
dem  schenkt  den  Hof  er  nächst  dem  Kaiserhofe 
und  schenkt  zur  Frau  ihm  die  Prinzess  die  Tochter!  1)4-"» 
Letzt  aus  dem  Heere  flog  herbei  ein  Türke, 
Herr  Zezderlic  Halile  von  dem  (Jrenzland, 
zu  Rappen  wie  auf  einer  Alpenvila. 
ein  Rürschlein  jung,  cssprosst  ihm  erst  der  Flaumbart  : 
Den  Helden  hier  die  Mutter  hat  geboren,  3~>U 
der  für  dem  Kaiser  auf  dein  Plan  erscheint! 

Fr  jagt  den  Rappen  aus  dem  Heer  heraus 
und  legt  sich  an  die  Rüstung  eines  Spaniers. 
Fr  mocht  nicht  nach  den  tauigen  Wiesen  ziehen, 
er  wandte  lieber  sich  zur  Veste  (Jran,  «l.V, 
gerad  zu  Dojcins  weiss  getünchtem  Hofe. 
Fr  trieb  den  Rappen  hart  bis  an  das  Hoftor 
und  pochte  mit  dem  Schlager  an  das  Tor, 
indem  er  Dojcin  bei  dem  Namen  rief. 

Da  meldet  sieh  die  Fheliebstc  Dojcins:  IM» 

-  Wer  pocht  da  mit  dem  Schlager  an  das  Tor? 
wenn  ihn  der  Hauptmann  Dojcin  überrascht, 
bezahlt  er  mit  dem  Haupte  seine  Kühnheit! 

Durchs  Fenster  hatte  sie  den  Kopf  gesteckt. 
Drauf  sprach  Halile  zu  der  Fdclfrau:  oVw 

-  0  edle  Frau,  des  Dojcins  Fheliebstc, 
wo  mag  dein  Dojcin  Kapitän  dir  weilen? 

Der  Kerl,  der  lagert  dort  auf  tauiger  Wiese! 

O  gab'  es  (Jott  und  (ilück  von  (iott  besehieden, 

dass  ihn  ein  türkisch  Schwert  ums  Haupt  verkürze!  Ü70 
Sobald  Halile  solche  Red'  vernommen: 
-    ()  Fdelfrau,  des  Dojcins  Fheliebstc, 

geh,  ofTnc  mir  die  Tore  des  (ielioftes! 

Zur  Antwort  gibt  des  Dojcins  Fhelieb: 

Künd'  früher,  werdubist,  von  wannen  kommst  du?  37ö 

Leicht  bist  dn  einer  von  der  Türkengrenze, 

da  scliliess'  ieh  gern«-  auf  das  Tor  zum  Hofe! 

Hin  wohl  ein  Kämpe  von  der  Türkengrenze, 

vom  Haupt  zu  Kusse  Zezderlic  Halile, 

tun  einen  Strauss  mit  Dojcin  auszufechten !  «JH) 
--  Halile,  dn  mein  liebster  Fdelmann  ! 

Du  kannst  den  Dojcin  nicht  ums  Leben  bringen, 

neun  Flügel  selbst  wenn  dir  zu  eigen  waren! 

Doch  sag  mir  frei  heraus  die  lautre  Wahrheit, 

hast  du,  ein  Held,  ein  Weib  dir  schon  genommen?  :JS."> 
Drei  Zaubetstüeke  sind  dein  Dojcin  eigen: 

das  eine  sind  die  Flügel  seines  Schimmels, 


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131 


das  andre  wohl  ein  heilig  Amulct. 

als  drittes  noch  das  Schwert,  das  an  dein  Gürtel. 

Wofern  du  Held  dich  noch  nicht  hast  beweibt,  390 
ist  härter  denn  ein  Fels  dein  Wort  der  Treue, 
dass  du  mich  in  das  Grenzgebiet  entführen 
und  mich  zum  treuen  Eh'lieb  trauen  wirst  ? 
da  wirst  du  leicht  ums  Leben  Dojcin  bringen ! 

O  Edelfrau,  des  DojcJns  Eheliebste!  3t>ö 
Icli  Held,  nah'  keine  Frau  mir  noch  genommen, 
und  härter  denn  ein  Fels  ist  meine  Treue ! 
Ich  werd'  dich  in  das  Türkengrenzland  führen, 
du  wirst  mein  Lieb  sein  bis  ans  Lebensende, 
in  Seide  wandeln  und  auf  Seide  ruhen,  400 
vier  Kammermädchen  werden  deiner  warten ! 

Sie  eilte  hurtig  ins  Gehöft  zum  Tore, 
sie  schloss  ihm  auf  das  Eingangtor  zum  Hofe, 
sie  führt'  ihm  weg  den  Rappen  in  die  Keller 
und  schloss  das  Eingangstor  vom  Hofe  zu  40ö 
und  führt'  ihn  in  die  weisse  Burg  hinauf. 

Als  in  der  Früh  der  Morgen  ungebrochen, 
Halile  lag  im  weichen  Pfühl  gelagert, 
sprang  auf  von  seiner  Seite  Dojein's  Ehlieb, 
und  leid  ihr's  tat  Haiden  aufzuwecken.  410 
Zwei  Flaschen  füllte  sie  mit  Rrantwein  an, 
zwei  Flaschen  wohl  mit  überbranntem  Braut  wein 
imd  gab  dazu  hinein  Betäubungsmittel. 

So  gieng  das  Ehlieb  aus  der  Veste  (Iran, 
und  beide  Flaschen  trug  sie  in  den  Händen  41 5 

imd  Thränen  ihrem  Angesicht  entströmten. 

Als  sie  hinabkam  in  die  tauigen  Wiesen, 
als  Dojcin  hier  sein  Ehelich  erblickte, 
flog  aus  dem  Zelt  der  Liebsten  er  entgegen : 

—  Was  führt  dich  her  zu  mir,  o  Sophrosyne?  420 
Warum  begiessen  Thränen  deine  Wangen  ? 

ja,  was  für  Not  hat  dich  denn  hingemacht  V 

und  warum  ist  dein  Angesicht  so  blass? 

und  warum  sind  die  Augen  dir  so  trüb? 

wie  so  sind  dir  die  Haare  so  verworren  i  425 

—  O  Dojcin,  du  mein  teuerster  Gebieter! 
Wie  soll  mir  nicht  mein  Angesicht  verdunkeln 
und  meine  Augen  trüben  GJanz  erlangen, 
dieweil  bei  Tag  und  Nacht  ich  jammerklage  i 

Drei  Jahre  sind  am  heutigen  Tag  verflossen,  430 
seitdem  mich  junges  Ding  du  heimgeführt : 
mir  schenktest  du  nur  eine  einzige  Nacht 
und  dann  verliesst  du  Gran  und  dein  Gehöfte, 
mich  liesest  du  allein  darein  zurücke. 


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132 


allein  mit  uns'rem  Diener  Michael !  43ö 
Ich  jamm're  Tag  und  Nacht  ohn'  Unterlans! 

Nun  würtT  ich  seihst  auch  solches  leicht  verwinden, 
doch  weisst  du  nicht,  mein  teuerster  Gebieter, 
der  Kaiser  mit  drei  hundert  tausend  Mann, 
der  naht,  um  unser  Gran  uns  auszuplündern,  440 
um  einzulangen  uns'ren  Hau  lebendig 
und  umzubringen  uns'ren  Fra  Johannes! 

Darauf  entgegnet,  Dojein  seinem  Kh'lieb : 

Zurück,  du  Laff,  ich  hau'  dir  sonst  den  Kopf  ab! 
Ist's  deine  Sorg'  um  den  Bestand  von  Gran  445 
und  um  das  Wohl  von  uns'rem  Bau  von  Gran? 

Kntriss  ihr  schon  die  beiden  Flaschen  Brantwein 
und  jagt  die  Frau  in  die  betauten  Wiesen, 
dann  kehrte  Dojein  ins  Gczelt  zurück.  - 

So  will  es  Gott  und  's  Glück  von  Gott  gegeben,  4-~>0 
er  hub  zu  leeren  an  die  Brantweinfiaschen, 
bis  mit  dem  Haupt  er  nicht  auf  Polster  schlug. 

Herr  Dojein  sank  besinnungslos  darnieder, 
und  aus  den  Wiesen  sah  ihm  zu  sein  Kh'lieb. 

Als  Dojein  unterm  Zelte  niedersank,  4ö.r> 
zum  Zelte  kehrte  wohl  sein  Lieb  zurück, 
von  seinem  Schimmel  nahm  sie  weg  die  Flügel, 
sie  raubte  ihm  sein  heilig  Amulet, 
sie  inachte  beide  Kleingewehre  feucht, 
auch  seine  blanko  Damaszeuerflinte,  4<i0 
und  brach  ihm  auch  den  Säbel  an  dem  Griff, 
dann  gieng  das  Kh'lieb  hin  zur  Veste  Gran. 

Die  zweite  Nacht  verbracht'  sie  mit  Haiden. 
Bei  Mnrgcnanbrueh  und  bei  Sonnenaufgang, 
Haide  schlief  noch  tiefen,  festen  Schlaf,  4(m 
als  ihn  des  Dojcins  Kheliebste  weckte: 

Frwache,  Xarrchen,  Zezderlic  Halile! 
.Jetzt  ist  es  Zeit,  zum  Zweikampf  aufzubrechen, 
noch  hat  ihn  das  Getränk  nicht  losgelassen! 

Sie  legt'  ihm  an  den  Braunen  an  die  Flügel  470 
und  gab  das  heilige  Amulet  dem  Buhlen 
und  führt'  ihm  ins  Gehöft  das  Koss  heraus. 

Halile  stieg  zu  seinem  Braunen  nieder 
und  schwang  sich  auf  den  feist  genährten  Braunen, 
er  jagt'  auf  ihm  hinaus  zur  Veste  Gran  47ö 
und  lenkt'  ihn  abwärts  nach  den  tauigen  Wiesen. 

Herr  Dojein  liegt  und  weiss  von  nichts  zu  sagen. 
Zwei  Herzensschwestern  hat  Herr  Dojein  eigen. 
Zu  Dojein  kamen  beide  hingeflogen, 
sie  heben  ihn  empor  auf  ihren  Händen  —  4H0 
ein  Leib,  wie  leblos,  kann  sich  nicht,  erheben. 
Da  fühlten  sie  darob  ein  innig  Mitleid, 


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sie  hoben  ihn  hinauf  auf  seinen  Schimmel, 

sie  gaben  ihm  das  Schwert  entzweigebrochen, 

bis  Dojcin  halb  und  halb  zu  Sinnen  kam.  .  485 

—  0  Dojcin,  unser  liebster  Herzensbruder! 
Schon  hat  der  Türke  fast  das  Zelt  erreicht, 

er  kommt  hieher  zu  dir  zimi  Heldenzweikampf. 

Dein  Lieb  hat  einen  Trug  dir  angetan, 
die  Flügel  deinem  Schimmel  weggetragen,  490 
auch  weggetragen  dir  dein  Amulot 
und  alle  deine  Flinten  feucht  gemacht, 
das  Schwert  dir  an  dem  Griff  entzweigebrochen. 

Doch  fürchte  nichts,  o  teurer  Horzensbruder ! 
wir  werden  dir  zu  Hilf  und  Beistand  sein !  495 
Sobald  der  Türke  hoch  zu  Braunem  ankommt, 
wird  unverzüglich  dich  heraus  er  fordern : 

„Willst  du  verfolgen  oder  fliehen,  Hure?" 
Schau,  ihm  entgegnen  wirst  du  solcher  Art : 

„Ich  werde  fliehen,  du  verfolge,  Hure !  500 
Behalt  getrost  dir  meines  Schimmels  Flügel, 
behalt  dir  auch  mein  heilig  Ainulet!" 

Zur  Stell'  indes   kam  Zezderliö  Halile 
und  spornte  bis  an  ihn  hinan  den  Braunen : 

—  willst  du  verfolgen  oder  fliehen,  Hure  •  505 

—  Ich  werde  fliehen,  du  verfolge,  Hure  ! 
Behalt  getrost  dir  meines  Schimmels  Flügel, 
behalt  dir  auch  mein  heilig  Amulet! 

Ereilst  mich  wo,  so  schlag  mir  ab  das  Haupt ! 

Zu  fliehn  begann  Herr  Dojcin  Kapitän,  610 
Darnach  verfolgt  ihn  Zezderli6  Halile! 
Beim  ersten  Anlauf  hat  er  ihn  ereilt, 
er  zückt  das  Schwert,  um  ihn  ums  Haupt  zu  kürzen  ; 
es  wehrten  ab  die  beiden  Herzensschwestern, 
das  Schwert  entwanden  sie  ihni  seinen  Händen  515 
und  übergaben's  Dojcin  Kapitän. 

Da  riss  heraus  er  beide  Kleingewehre ; 
es  wehrten  ab  die  beiden  Herzensschwestern, 
entwanden  die  Gewehre  seinen  Händen 
und  reichten  sie  dem  Dojcin  Kapitän.  520 

Da  nahm  das  helle  Langrohr  er  herab; 
es  wehrten  ab  die  beiden  Herzensschwestern, 
entwanden  auch  das  Langrohr  seinen  Händen 
und  reichten  's  hin  dem  Dojcm  Kapitän. 

Der  Türke  sah  vor  sich  sein  Lebensende  .525 
und  wandte  sich  zur  Flucht  auf  grüner  Flur, 
doch  ihn  verfolgt  mm  Dojcin  Kapitän. 
Die  Vilen  hoben  ihn  und  seinen  Schimmel, 
im  schnellen  Flug  hat  er  ereilt  Hahlen, 
im  schnellen  Flug  das  Haupt  er  ab  ihm  schlug  530 

10 


1H4 

Drauf  nahm  herab  vom  Braunen  er  die  Flügel 
und  legt'  sie  wieder  seinem  Schimmel  an, 
er  nahm  an  sieh  sein  heilig  Amulet 
und  zog  geradenwegs  zur  Veste  Gran. 

Vom  Tor  aus  ruft  den  Diener  er  herbei :  5:V» 

—  O  Michael,  eröffne  mir  das  Tor! 

Der  Diener  flog  herab,  ersehloss  das  Tor. 
Der  stieg  vom  müdgehetzten  Schimmel  ab. 

(ich,  führ*  mein  Sohn,  den  Renner  in  die  Keller, 
den  Futtersack  mit  Gerste  steck  ihm  auf  54t  > 

und  komm  darauf  mir  nach  in  das  Gehöfte. 

Der  Diener  führte  gleich  den  Kenner  ab 
und  steckt'  ihm  auf  den  Futtersack  mit  Gerste, 
darauf  verfugt'  er  sich  zu  seinem  Herrn. 

()  Michael,  o  du  mein  teurer  Knabe,  ."Vlö 
geli.  schaff  hieher  mir  eine  Flasche  Wein  ! 

Gleich  war  behend  zu  Fussen  Michael, 
er  bracht'  ihm  eine  volle  Flasche  Wein. 

Das  Khelicb  verbirgt  sich  in  Gemächern 
und  traut  sich  nicht  vors  Angesicht  des  Herrn.  5öO 

Die  volle  Flasche  trank  Herr  Dojcin  aus. 
O  Michael,  o  du  mein  teurer  Knabe, 
ei,  sueli  mir  auf  doch  mein  getreues  Kh'lieb 
und  bei  den  Haaren  schleif  sie  mir  herbei ! 

Hei  Michael  ist  nimmer  Widerrede. 
Kr  fand  sie  in  der  vierten  Kemenate 
und  schleifte  bei  dem  Haar  sie  hin  zu  Dojcin. 

Da  sprach  Herr  Dojcin  so  zu  seinem  Khlieb: 
()  du  mein  Lieb,  o  du  mein  L  ieb verrat ! 
In  meinem  stolzen,  weissgctümchten  Schlosse 
wie  viel  es  ungezählter  Schatze  gibt, 
und  lebtest  du  ein  volles  tausend  Jahre, 
noch  konntest  du  mein  Lieb,  sie  nicht  verbrauchen! 

Li  meinem  stolzen,  weissgetnnchten  Schlosse 
wie  viel  an  Seiden  und  an  Sammt  vorhanden,  5ft5 
in  Seidenkleidern  und  auf  Seide  ruhend, 
und  lebtest  du  ein  volles  tausend  .Jahre, 
das  konntest  du  doch  nicht,  mein  Lieb,  verreissen ! 

In  meinem  stolzen,  weissgetünehten  Schlösse 
wie  vicl  s  da  Speisen  und  «tetrank«'  gibt, 
und  lebtest  tili  ein  volles  tausend  Jahre, 
die  könntest  du.  mein  Lieb,  doch  nicht  verbrauchen! 

<>  warum  übtest  Treubruch  du  an  mir? 
weleh  schwere  Not  ist  dir  zu  Last  geworden  ? 
Leicht,  weil  u-l i  nieht  mit  dir  in  Gran  verweile?  .">7.% 

Hatt'  irh  mit  dir  zu  Gran  die  Zeit  verbracht, 
gewann  ich  nimmer  solches  Heldentum, 
noch  hätt'  ich  uns're  \Y<te  Gran  bewahrt. 


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135 


bewahrt  die  Annsten.  uns're  Schutz  befohl' neu, 

und  uns'ren  Reichsgebieter,  uns'ren  Herrn.  580 

Drauf  rief  er  zu  dem  Diener  Michael, 
doch  zog  das  Schwert  heraus  er  aus  der  Scheide, 
es  ist  das  Schwert  des  Zezderlic  Halile, 
ein  besser  Schwert  als  das  dem  Dojci  n  eigen : 

—  O  Michael,  o  du  mein  teurer  Knabe,  586 
ei  schleif  sie  nach  mir  in  den  Hof  hinab ! 

Und  Michael,  der  zerrt  sie  an  den  Haaren. 
Gleich  wilder  Viper  winselt  die  Geliebte, 
sie  schaut  vor  sich  ihr  unvermeidlich  Ende: 

—  O  Dojcin,  du  mein  teuerster  Gebieter!  590 
Ich  war  zu  töricht  und  bin  irr  gegangen, 

du  könntest  selber  auch  einmal  dieh  irren ! 

Des  achtet  Dojcin  viel,  so  viel  wie  garnicht. 
Ks  schleift  ihm  nach  die  Liebste  Michael, 
er  zerrte  fort  das  Ehliob  aus  dem  Hofe.  595 
er  führt  sie  hin,  wo  sich  die  Wege  kreuzen, 
zerhieb  sie  dort  in  vier  zerteilte  Stücke, 
auf  dass,  wann  ihre  Freundinnen  vorbeigeh'n, 
sie  sich  an  ihr  ein  Heispiel  nehmen  mögen. 

Zum  Ban  von  Gran  verfügte  sieh  Her  Dojiöin  :  600 

—  O  du  mein  Ban,  Gebieter  dieses  Reiches, 
hast  zu  den  Waffen  du  das  Heer  gerufen? 

Wohl  tat  ioh's,  Sohn,  mein  Dojcin  Kapitän ! 

—  O  du  mein  Ban,  Gebieter  dieses  Reiches, 
steh'n  schon  bereit  die  hundert  Meergaleeren  605 
und  steh'n  bereit  Kanonen,  Todverbreiter? 

—  Bereit  und  fertig  ist  schon  alles,  Sohn, 
nur  deiner  harrt'  ich  noch  in  Vrestc  Gran! 

—  Wird  Fra  Johannes  mit  im  Zuge  sein 

und  vor  dem  Heer  voran  das  Banner  tragen?  610 

—  Ja  wohl,  mein  Söhnchen,  Doj6in  Kapitän ! 

—  Wohlan,  o  Ban,  macht  marschbereit  das  Heer, 
indes  ich  geh  »u  meinem  weissen  Hofe 

und  führe  meinen  Schimmel  mir  heraus 

und  zünde  meinen  Hof  und  Lehen  an;  615 

mein  Eheheb  hat  meinen  Hof  vergiftet 

mit  einem  Türken  aus  der  Türkengrenze. 

Da  kam  der  Ban  auf  einen  sehön'ren  Einfall, 
da  gab  der  Ban  dem  Dojcin  bessVen  Rat: 

—  0  du  mein  Sohn,  mein  Dojcin  Kapitän!  ßiiO 
Steck  dein  Gehöfte  nicht  in  Brand,  o  Sohn! 

Vor  Gottes  Thron  ist's  eine  grosse  Sünde 

und  vor  den  Menschen  eine  mächtige  Schande, 

sein  weiss  Gehöfte  seliger  anzuzünden. 

Verschenk's  zum  Wohl  von  Witwen  und  von  Waisen  625 

10* 


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136 

Wenn  (iott  es  gibt,  dazu  «las  Glück  von  Gott, 

und  wir  zurück  den  Türkenkaiser  schlafen 

und  Gran  die  Veste  von  dem  Fall  bewahren, 

erbau'  ich  dir  ein  stattlicher  Gehöfte, 

vermähle  dich  mit  meiner  eignen  Tochter.  »>;30 

Kr  gab  dem  Rate  seines  Herrschers  Folge, 
mocht'  nicht  in  Brand  sohl  weiss  Gehöfte  stecken, 
sehwang  sich  vielmehr  auf  seinen  feisten  Schimmel; 
sie  machten  marschbereit  von  Gran  das  Heer 
und  vor  dem  Heer  Johannes  Franziskaner,  635 
der  trägt  voran  das  lianner  mit  dem  Kreuz, 
auf  welchem  grosso  Zeichen  Angebracht. 

Zum  kalten  Habiluss  führten  sie  das  Heer 
und  stellten  an  der  Kab  die  Truppen  auf. 
Sie  warfen  nieder  hundert  Stück  Kanonen,  *>40 
des  Kaisers  Meergaleeren  sanken  unter. 

Du  lieber  Gott,  welch  mächtig  grosses  Wunderl 
Als  Glaub'  und  l'nglaub'  hier  zusammenstiessen, 
die  Hab  so  trüb  und  blutig  kam  zu  fiiessen, 
Hei,  welch  ein  wirr  Gedräng  am  Hand  der  Kab!  64ö 
Kin  Dunkel  fiel  vom  Himmel  bis  zur  Erden  ! 
Sie  drängen  alle  Türken  in  die  Hab, 
Die  springen  in  die  Hab  gesunderheit. 
Die  rufen  an  den  heiligen  Mohammed: 
„Wo  weilst  du  heute,  heiliger  Mohammed  ?  *w0. 
»wo  weilst  du  heut  und  beutst  uns  keine  Hilfe?' 
.was  treibt  man  für  ein  Spiel  mit  deinem  Volke? 
l'nnülz  den  Heiligen  da  herbeizurufen! 
Drei  helle  Tage  währte  hier  die  Schlacht, 
drei  Tage  und  drei  dunkle  Nächte  lang,  ft55. 
ohn'  l'nterlass  hei  Tage  und  bei  Nacht. 

Die  Hab.  sie  trägt  die  abgeschlagenen  Köpfe, 
die  Hab  so  trüb  und  blutig  kam  zu  lliessen! 

Als  dann  der  vierte  Morgen  angebrochen, 
und  um. die  Hab  das  Dunkel  sich  zerschlagen,  b*>0 
war  von  den  Türken  keiner  mehr  zu  sehen, 
doch  auch  das  Heer  des  Hans  war  mitgenommen, 
mehr  als  die  Hälfte  fehlte  bei  der  Zahlung. 
Der  Sultan  kehrte  wieder  heim  nach  Stambol. 
Du  nahm  das  Wort  Herr  Dojein  Kapitän:  t>*M> 
<>  mein  Gebieter,  Herr  der  Veste  Gran! 
Der  Kai>er  nach  Jstamhnl  mir  entwich, 
ich  werd"  ihn  bis  zur  Stadt  Istambol  jagen, 
ich  werd"  ihn  noch  lebendig  fangen  ein 
und  werd'  ihm  seinen  ganzen  Hart  zerschinden,  07Ö 
wo  nicht,  den  meinen  in  Istambol  hissen. 

Lass  gelTn,  mein  Sohn.  «.  Dojciu  Kapitän! 
Der  Kaiser  zieh»-  ruhig  nach  Istamhol. 


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137 


noch  kennst  du  nicht  das  Leid  des  Kaiserseins, 

Er  gab  dem  Rate  seines  Herrschers  Folge.  ($75 
Was  noch  vom  auserlesenen  Heer  verblichen, 

das  kehrte  in  die  Veste  Gran  zurück. 
Sobald  der  Kaiser  angelangt  zu  Stambol, 

der  Abend  sah  ihn  frisch,  der  Morgen  tod. 

Nachdem  sie  in  die  Veste  Gran  gekommen,  (>80 

liess  ein  Gehöft  der  Ban  dem  Dojcin  bauen 

und  tat  mit  seiner  Tochter  ihn  vermählen. 


Dojcin  sjede  drugu  knjigu  pisc: 

Eto  knjiga,  care  ot  Stanibola ! 
Ajde  meni  na  megdan  izijgji,  305 
jä  eto  me  Rabi  vodi  ladnoj ! 
svu  6u  tvoju  vojsku  rastjorati 
i  na  Rabu  vodu  nagoniti 
a  tebe  6u  ziva  ujititi, 
svu  6u  tvoju  poguliti  bradu.  810 
na  svake  te  päte  udariti !~ 

Opet  dade  Mijojilu  slugi: 

Nosi  knjigu  caru  cestitoine ! 
Kad  Mijate  pot  cador  unijgjcs 
poljubimu  nogu  i  nanulu,    8 1  r» 
pa  si  skuci  pa  podavi  ruke 
a  knjigu  mu  na  krilu  ostavi, 
doka  vidi,  sta  mu  knjiga  kaze. 

Ode  Mijat,  odgovora  nejma. 
Kakodojgjeu  vojsku  unijgje  320 

Kada  dojgje  carovu  cadoru. 
odma  caru  pot  cador  unijgje, 
poljubi  mu  nogu  i  nanulu 
pa  mu  knjigu  na  krilu  ostavi. 

Mijat  stade  a  podavi  ruke.  325 
Knjige  gleda  care  ot  Stambola, 
knjige  gleda  a  jazije  ne  zna. 
Oda  knjiga  od  ruke  do  ruke, 
nitko  knjige  prouöit  ne  more. 

Kada  dojgje  Oiprili«"*  veziru  330 
odma  vidje  sta  mu  knjii/a  kaza: 

Ova  knjiga  opet  od  Dojcina. 
da  mu  igjes  na  megdan  izijci, 
jä  eto  ga  k  narna  vodi  Rabi : 
svu  ce  tvoju  vojsku  rastjorati  335 
1  na  Rabu  vodu  nagoniti 
a  tebe  ce  ziva  ujititi. 
svu  ce  tvoju  bradu  poguliti, 
na  svake  te  päto  udariti! 


Kada  care  cuo  lakrdiju  340 
on  proljeva  suze  niz  obraze. 
Opet  pusca  tri  telara  mlada, 

-Tkoe  zacara  na  megdan  izijöi. 
car  mu  daje  dvore  kot  svojije 
\  daje  mu  sultaniju  oereu !  345 

Dok  iz  vojske  turein  izletio 
is  krajine  Zezderlic  Alile 
na  vrancieu  ko  na  gorskoj  vili, 
mlado  momee,  istor  nausniee : 

Evo  majka  rodila  junaka,350 
t  k« >  c  za  cara  na  megdan  izijci  1 

Pa  iz  vojske  istjera  vranjuga. 
On  obucc  spanjulske  aljino, 
on  ne  cede  u  rnsne  livade 
vie  on  ode  u  Krojana  grada,  355 
jä  bijelu  dvoru  Dojcinovu. 

Do  avlije  dotjera  vranjuga 
pa  on  alkom  na  avliji  zveknu 
a  Dojcina  po  imenu  viknu. 
Oziva  se  Dojcinova  ljuba:  3ti0 

—  Tkotozvekcealkomna  avliji? 
ako  dojgje  Dojcin  kapetane, 
sat  ce  svoju  izgubiti  glavu! 

A  krospcndzor  promolila  glavu. 
Ondar  Alil  ljubi  bjosjedio :  ,%5 
0  gospojo,  Dojcinova  ljubo  ! 
ja  gje  ti  je  Dojcin  kapetane  V 

—  Ta  ono  ga  u  rosnoj  livadi. 
Da  bog  dade  i  sreca  bozija, 
turskasabl  ja  osjeklamu  glavu!  370 

Kada  Alil  cuo  lakrdiju: 
O  gospojo.  Dojcinova  ljubo  1 
otvori  mi  na  avliji  vrata ! 
Odgovara  Dojcinova  ljuba: 
-  Kazi  nii  se  ko  sii  otkle  siV375 
Njesi  1  kogod  is  turske  krajine, 


!3H 


pa  t  otvorit  im  avliji  vrata! 

Jeaam  j  unak  is  tnrske  krajine, 
jesam  glavom  Zozderlie  Alilc 
daz  hojeinom  megdan  podijelim. 

—  (')  Alile,  dragi  gospodiue ! 
ti  ne  moros  pogubit  hojcina, 
da  s  u  tobe  devotem  krüa ; 
vec  se  pravo  po  istini  kazi, 
jesi  Ii  se  juimk  ozcnio?  3K> 

V  Dojcina  tri  zlanionja  ima : 
jedno  inu  je  u  gjogata  krila 
adrugo  je  sveta  aniajlija 
a  treo-e  je  sablja  ot  pojasa. 

Ako  h  jiuiak  11  jesi  ozonio  MO. 
je  Ii  tvrgja  vjera  ot  kaincna  ? 
da  cos  mene  vodit  na  krajinu 
i  vjoncati  zu  vijernn  Ijubii  ? 
pa  cx»s  lako  pogubit  hojcina. 

—  Ogospojo.  ljubo  hojciuova  ! 
ja  *m*  n  jesam  junak  ozonio; 

a  tvrgja  j<-  vjera  ot  kamma 
\odicu  to  na  tursku  krajinu, 
bices  moja  do  viji'ka  Ijuba. 
svilu  dornt,  u  svili  lezati,  400. 
dvorice  to  öotiri  iiioinkiiij«' ! 

Ona  skoei  k  vratina  i  k  avliji, 
otvori  inu  na  avliji  vrata, 
odvode  inu  u  podiumo  vranea, 
pa  catvori  na  avliji  vrata,  40Ö. 
odvede  ga  u  bijelo  dvore. 

Kad  ii  jutrii  jutro  osvanulo, 
Alil  l«*zi  n  nieku  siltetu : 
od  njog  skiH?i  Dojcinova  Ijuba 
a  zao  joj  probudit  Alila.  410. 

( >na  nali  dvi  boeo  rakije. 
ona  u  nju  metrii  bcitdziluk«'. 

Odo  Ijuba  nis  Kmjann  grada. 
I>vije  booc  nosi  ti  rnkaina.  415. 
a  laoljt-va  suz<*  niz  obruzo. 

Kada  bjcso  u  rosm«  Iivad<\ 
kada  hojoin  Ijubu  opazio 
18  cadora  k  ljubi  izb-tio  :  |gino  ? 

Kuei'H  kmcni  ji-dna  Sopbru- 
slo  pndjex  assuze  niz  obrazr  v 
ja  kakva  ti  imzda  <iojadila  v 
a  sto  ti  j«'  priblidilo  Ii«*««  - 
a  sto  su  ti  <»ei  pomm  viir  y 
n\  sto  ti  jekosurazbnuijana r4m2~*. 


( )  Dojeine,  inili  goapodine ! 
kako  m  ne  6o  poatavniti  lioe. 
i  moje  ae  <ku  poiuutiti 
jii  oviloci  i  danoni  i  noci? 

Kvu  dauas  tri  godiue  dana, 
kako  si  me  dovodio  roladu.  4:*». 
sa  innoin  ciglu  priau6io  iukVu. 
pa  odusto  dvora  i  Krojana, 
samu  mene  u  njem  oatavio 
i  nasega  Mijojila  slugu  !  43»r>. 

Sveja  eviliin  i  danom  inoci! 
I'a  i  t<i  bi  lako  priboljela 
a  zar  ne  znas  mili  gospodare, 
care  igjo  sirista  iljad  vojake, 
da  porobi  ua.sega  Knijana  4*40. 
a  da  ujti  nascg  iivog  bana. 
i  pogubi  pra  lvana  pratra? 

Ondar  I>ojcin  Ijubi  odguvara : 
Natrag  more,  oajeo  cu  ti  glavu! 
zar  je  tvoja  briga  za  Krojana  445 
i  nasega  ot  Krojana  bana  Tf 

Odnje  ote  dvi  laieo  rakije. 
zatjera  je  uz  rosne  livade. 
A  hojcin  sc»  pol  c>adora  vmti. 

Tak  Bogooe  i  sicca  bofcija!  470. 
Stade  piti  ix  bot-ji  rakijiu 
<lok  udari  zglavom  brezuzgiavlja. 

hojcin  padnni  za  8to  neznad<* 
a  sve  Ijuba  ^leda  iz  livada. 

Kada  hojcin  padepot  cadonaii. 
Ijuba  inu  sc  do  cadora  vrati. 
paskide  tun  sa  gjogata  knlu. 
ndih'se  inu  svetu  aiuajliju. 
zakvasi  um  dvijc  puskr  male, 
i  njrgova  bintra  d^vnlaiia:  -MWI. 
lialomi  mu  sablju  u  balcaku. 

<  ><lc  Ijuba  ii  Krojana  grada. 

hrugu  Mujrii  prinoci  s  Alilotn. 
Istor  svanu  i  huiioc  izij^e. 
Alilspava  ni  zaslo  ia>  zimde  44Wi. 
a  budi  ga  hujcinova  Ijuba: 

l  sian  bnlau  Zezderlic  Aide! 
sad  je  vakat  in  na  mediana: 
jos  «ja  1 1 i j «*  pivo  popustilo. 
I  'a  iih't  ni  mu  na  vranjn^a  krila  47* ) 
i  dade  um  sv»*tu  amajliju 
i/.v«'dr  tun  kmija  na  a\  lijn. 

Alil  <ni.|LrJ«'dH  vranjuvra  syu^i, 


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pa  uzjasi  debela  vraiijuga, 
istjeraga  is  Krojana  grada,  475. 
okrenu  ga  niz  rosne  livade. 

Dojßin  lezi  ni  za  sto  ne  znade. 
t»  Dojcina  dvijo  posestrime, 
pa  Dojcinu  oblje  «Joletise, 
diio  njoga  na  rukam  podizu,  480. 
mrtvo  tilo  dignut  so  no  more. 

Ja  njlma  se  sazalilo  bilo, 
digose  ga  ua  konja  gjogata, 
dadose  mu  sablju  nalomljenu, 
dok  s  Dojcniu  malo  razabralo.  485. 

(  )  Dojcine  mili  pobratime! 
gotov  turcin  stigo  do  cadora, 
tebi  igjo  na  mogdan  junacki ! 
Ljuba  ti  je  in lu  ueinila. 
odnijela  sa  gjogata  krila,  490. 
odnijela  tvoju  amajliju 
a  sve  tvoje  puske  zakvasila, 
nalomüa  sablju  u  balcaku ! 

AI  no  boj  so  mili  pobratimo 
mi  oemo  ti  biti  u  pomoci.  495. 

Kakotiu'üinnavraujugudojgje, 
an  oo  tebi  nama  bjesjediti : 

II  oos  gonit  il  ces  bjezat  kurvo ! 

Kvako  oos  njomu  odgovarat : 
a  ja  eubjezatatigoni  kurvo!  50t). 
pa  nek  su  ti  m»g  gjogata  krila 
a  i  moja  svota  amajlija  ! 

V  to  doba  Zezderlic  Alilo, 
i  do  njoga  dotjera  vranjuga  : 

II  oos  gonit  il  Cos  bjezat  kurvo. 

Ja  cu  bjezat  a  ti  goni  kurvo! 
pa  nok  su  ti  mog  gjogata  krila, 
i  nok  ti  je  moja  auiajlia 
Gjegod  stignos  osijoci  glavu ! 

Naie  bjezat.  Dojcin  kapotano 
a  goni  ga  Zozdorlio  Alilo. 
Na  prvom  ga  skoku  sastignuo, 
trzo  sablju  da  inu  sjece glavu, 

No  dadoso  dvije  posostrimo, 
Iz  ruku  mu  sablju  otimase  515 
pa  dadoso  Dojcin  kapotanu. 

l*a  on  trzo  dvijo  puske  malo. 
No  dadoso  dvijo  posostrimo. 
Iz  ruku  mu  puske  izmakose, 
dodadoso  Dojcin  kapotanu.  5^0 

.lal  on  skido  bistra  dzevrdana. 


139 

No  dadoso  dvije  posostrimo, 
a  i  njeg  mu  iz  ruku  oteäe, 
dodadoso  Dojcin  kapotanu. 

Vidje  turcin  gje6e  poginuti. 
naze  bjezat  poljom  zelenijom 
a  goni  ga  Dojcin  kapotano 

Vilo  digle  njoga  i  gjogata  ; 
letociva  sastize  Alila 
loteeJvu  osjeäc  mu  glavu.  530 

Pa  on  skido  sa  vranjuga  krila, 
opet  metru  na  gjogata  svoga  ; 
uze  svoju  svetu  amajliju 
pa  on  ode  u  Krojana  grada. 

Sa  kapijo    slugo  dovikujo  : 

—  O  Afijate  otvori  mi  vrata. 
Sluga  sletjo,  otvori  mu  vrata. 
On  odjasi  umorna  gjogata. 

—  Vodi  sine  konja  u  podrume; 
ustakni  mu  arpu  ogruvanu  540 
pa  ti  za  mnoni  u  dvor  unijigji ! 

Odma  sluga  konja  odvodila  : 
ustaee  mu  arpu  ogruvanu. 
pa  unijgjo  svomu  gospodaru. 

O  Mijate  mojo  drago  djete  ! 
Donosi  mi  jodnu  bocu  vina. 

Mijat  nama  na  nogo  skoöio, 
doneso  mu  punu  bocu  vina. 
Ljuba  mu  so  krijo  po  odajam 
a  no  smije  svome  gospodaru.  550 

Dojcin  popi  punu  bocu  vina : 
O  Mijate  mojo  drago  djete, 
dora  najgji  moju  vjornu  ljubu, 
do  mene  je  za  kose  dovuei ! 

V  Mijata  odgovora  nejma. 
IJ  cetvrtoj  najgje  je  odaji, 
do  Dojcina  za  kose  dovueo. 

Ondar  Dojcin  ljubi  bjesjodio: 
I.J  ubo  moja,  moja  nevjernieo! 
a  u  inDiiii1  dvoru  bijolome,  5H0 
sto  imade  nobrojena  blaga, 
da  si  ziva  iljadu  godina 
a  no  bi  ga  potrosila  ljubo  ! 

A  u  mome  dvoru  bijolome 
sto  imade  svile  i  kadif'o,  5H5. 
svilu  doros  a  u  svili  lozis, 
da  si  ziva  iljadu  godina 
a  no  bi  je  podorala  ljubo! 

A  u  mome  bijolome  dvoru 


140 


sto  imade  piva  i  jediva  ">70. 
da  si  ziva  iljadu  godina 
a  ne  hi  ga  potrosila.  Ijulx • ! 

Sasta  meni  nevjem  ueini  ? 
kakva  ti  je  nuzda  dojadila  ? 
zasto  n  jesam  stobam  u  Krojaim  ? 

Da  sam  stobam  u  Krojaim  bin, 
110  bevakog  dobin  junastva, 
ni  Krojana  grada  uruvavo, 
ucuvavo  nas<»  sjerntinje 
i nasega  zomskoggospodara  !580 

Ondar  viknu  Mijojila  singe, 
a  is  k«»m  sablju  izvadio 
a  saldja  j»'  Zezderlir  Alila, 
bolja  sablja  neka  Dojeinova: 

O  Mijate  mojc  drago  djete  ! 
der  jr  za  iniioin  na  avliju  svuei  ! 

A  Mijat  je  za  kose  poteze. 
Ljuba  evili  kann  Ijuta  imja, 
vece  vidi  da  ec  pngimiti:  ."><M> 
( )  I  Jnjcine  Illlll  gospudilie  ! 
Lada  bila  pa  sc  privarila, 
i  ti  bi  sc  mogo  privariti ! 

A  tu  I  >ujoin  nje  pa  ne  aje, 

Mijat  ljubu  za  DojciiHan  \  iirc 
1z  avlije  ljubu  izvodio, 
izvede  je  na  raskrslje  puta 
rasjei-e  je  na  ceteri  trupa, 
kada  prnde  druirarirc  njene. 
neka  od  nj#»  ibivt  uziinaju. 

I  >ojein Milrot  Krojana  bauu:  b(HI 
A  m»»j  bam'zemljt'n  gospodn- 
jesi  1  diLr<»  na  oruZje  vojsku?  |  re  ! 
.lesam  sin»\  !  >»»jcin  kupctauc! 

-  A  in«»j  bau  ♦•  znnljeii  g»»spn- 
je  1  gotnvu  stotinu  yalija  jdare! 
i  L'Otovi  1 1 ) > * » J 1 1  i  topnvi  ? 

-  S\  je  sine  sp  nun  im  i  Lfotnvo. 
vir  t»'  cfkaiii  u  Kmjanu  gradu. 

-  ( )»•»•  I  pojci  pra  Ivane  pratur 
i  prid  v«»j»koui  barjak  ponijeti? 

( >«'•••  sin»-.  I  >ojrin  kap»«tane! 

D"'ia  baue  ukr»'<  it<'  vnj^ku, 
dokle  »>d«'iu  bijflomc  dvoru 
i  izvedein  svojcira  trj<»Lrata 
i  zapalini  dvore  i  tiuiare:     < i  1 
ljuba  itn  je  dvor»'  otr«»vala 


sa  turcinom  is  turske  krajine, 

Ondabanu  kodov  na  um  dojgje 
»mda  bann  bjesjedi  Dojciiiu  : 

O  moj  sino.Dojein  kapetane  '. 
nemoj  sine  zapaliti  dvora  ! 
od  bosra  je  velika  grijota 
a  od  ljudi  golema  sramota, 
svoje  bjele  dvore  zapaliti  : 
pokloni  ji  kakvoj  sjerotinji. 

Ako  Bot?  da  i  sreea  bozija 
pa  turskogn  eara  povratimu 
i  Krojana  grada  ueuvamo, 
bolje  en  ti  dvor»'  naciniti 
svojom  cu  le  6eri  ozeniti, 

On  poslusa  svoga  gospodara. 
Ne  tje  l)jela  zapalili  dvora, 
vie  uzjasi  debela  gjogata 
pa  digose  ot  Krojana  vojsku 
a  prid  vojskom  pra  Ivan»«  pratar 
i  on  nosi  barjaka  krstasa, 
na  kome  su  velika  zlanienja. 

Svedose  je  Habi  vodi  ladnoj 
pa  kod  Kala«  zastavise  vojsku. 
Oborise  stotinu  topova  *>40 
potopise  earove  galije. 

Koze  mili  euda  goleuioga  ! 
Kad  udari  vjera  na  nevjeru, 
Kaba  dojgje  inutna  i  krvava. 
st«»  s»'  radi  oko  vode  Habe! 
Taina  päd»'  od  neba  do  tala 
a  na  Kabu  sve  nagoin1  Türk»', 
pra  vi  zdravi  sve  u  Kabu  skaeu. 

Turei  vieu  sveea  Muam»»da  : 
L'j»'  si  danas  sveee  Muaun'de  ? 
Lrj»'  si  danas.  sta  nam  ne  imuiui- 
sto  s«>  radi  od  >uneta  tvnga  *[gn«»s 

Nejma  fajde  sveea  dovikivat  1 
l^(»j  einise  tri  eijela  dana, 
ja  Iii  dana  i  tri  noei  tavne  »»ö"> 
bivs  prisianka  i  danoni  i  not*!. 

I'aba  n<>si  osjecen»'  glave  ; 
«l'>ji:.i<'  Kaba  inutna  i  krvava! 

Kat  »-eivrto  jutn»  usvanulo. 
razliila  *e  luina  (tko  Kabe. 
•  >t  Turaka  wiiz'y  nik»>tr  nejma  : 
i  bain»\a  izirimda  vojska, 
visa  pol  i  na  t » ' t"t ♦  •  r  Hin  le'jina. 

rar  >»•  \'rati  >:radu  rariirradu. 


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141 


a  bjosjedi  Dojcin  kapetane :  0H5  jos  ti  ne  znas  sto  je  earovanje  ! 

—  Gospodine  ot Krojana  baue!  On  poslusa  svoga  gosDodara. 
lzmace  mi  eare  ka  Stambolu  !  Sto  ostalo  iza braue  vojskc, 

ji?oni6u  ga  do  Stambola  grada,  vratise  so  u  Krojana  grada. 
ja  6u  njega  ziva  ujititi.  Kako  eare  doso  do  Stambola, 

svti  njegovu  bradu  poguliti,  o70  zdrav  onirce  a  mrtnv  osvane. 
jä  ostavit  svoju  u  Stambolu.  Kad  dojgose  u  Krojana  grada, 

Projgj  se  sine,  Dojcin  kapeta-  Bau  Dojcinu  dvore  sagradio 

Neka  igje  eare  ka  Stambolu,  |  ne !  1  svojom  ga  ceri  ozenio.  ti&2 

(Fortsetzung  folgt.) 

Der  Holzbau  der  Palovzen. 

Von  Jh:  Karl  Fripai.  * 

Der  magyarische  Stamm  der  Palovzen,  welcher  sich  am  nörd- 
lichen Rande  der  grossen  ungarischen  Tiefebene  ausbreitet,  hat 
manches  Eigen-  und  Altertümliche  in  Sprache  und  Sitten  bewahrt. 
Im  Folgenden  will  ich  den  Gewohnheitsbau  skizzieren,  besonders 
wie  er  sich  vom  Tale  der  Eipel  bis  zu  dem  des  Sajö  darstellt, 
mit  besonderer  Berücksichtigung  des  Marktfleckens  Apatfalu  im 
Nordwesten  des  Bikk-Gebirgs. 

Einzelhöfe  sind  selten,  die  Gemeinden  nahe  zu  einander. 
Das  mittelgrosso  Langdorf  lagert  sich  am  geschützten  Ufer  eines 
Flusses  oder  an  beiden  eines  Baches  hin.  Diesem  zumeist  paralle  l 
läuft  die  breite  Hauptstrasse,  von  der  oft  unregelmässige  Seiten- 
gassen sich  den  Unebenheiten  des  Bodens  anpassen.  Die  Häuser 
stehen  dicht  mit  der  Giebelfront  gegen  die  Gasse,  hinten  wenige 
Nebengebäude,  der  Hof  umzäunt.  Vor  den  Häusern  mitunter 
Baumreihen  und  Schöpfbrunnen.  In  der  Kegel  kein  Marktplatz. 
Die  älteren  Kirchen  aus  Stein  und  Ziegeln,  ohno  Turm,  mit 
kleinen  Fenstern,  angeblich  zumeist  von  den  Hussiten  erbaut, 
zur  Verteidigung  geeignet,  selten  in  der  Mitte  des  Dorfes,  stehn 
auf  einer  Anhöhe,  zum  Schutz  gegen  Überschwemmung,  wol  auch 
als  Survival  des  Höhencultus. 

Die  zu  einem  Hausgrund  gehörige  Session  besteht  aus  4 
Vierteln  ifertri),  ein  Viertel  in  Apatfalva  aus  10  Joch,  u.  zw.  (> 
Joch  Acker,  wovon  2  in  der  Ebene,  4  Stück  zu  ein  .loch  auf 
den  Anhöhen;  1 ,  Joch  Hanffeld,  's  Joch  Krautfeld,  3  Joch  Wiese. 
Dann  Weide  für  3  Stück  Grossvieh  und  3  Schweine,  endlich  4 
mtr  Brennholz  aus  dem  Walde.  Dem  Grundbesitzer  gegenüber 
hat  der  Käthner  nur  einen  Hausgrund  und  ein  kleines  Kartoffel- 
feld ;  dann  Weide  für  ein  Vieh  und  einen  Wagen  Brennholz. 
Der  Grundbesitz  zerteilt  sich  immer  mehr  und  auch  der  Haus- 
grund ist  durch  Teilungen  oft  bis  zur  Unkenntlichkeit  der  Grund- 
form zerstückt. 

*  Der  lleissige  junge  Volksforsch»«!*  ist  im  N'uvomber  d.  J.  in  CJ-örz 
an  Phthysis  gestorben.  Wir  werden  unserem  verdienten  Mitarbeiter  nächstens 
einen  Nachruf  widmen.  (Vgl.  Kthnogi aphia.  IV.  I— :i  Heft.i  Die  Red. 


142 


Der  Hausgrund  ist  um  friedet,  den  Hof  scheidet  «'in  Zaun, 
mitunter  zwei,  vom  inneren  und  äusseren  Garten.  Der  Zaun  weist 
drei  anfänglichere  Formen  auf:  l.  eine  Art  von  Palllsaden,  mit 
kleinen  Lücken,  neben  einander  gesteckte  oben  spitze  Eiohenseheite 
zur  Befestigung  oben  mit  einem  Rutenband  verbunden;  diese 
Zaunform,  früher  hersehend,  wird  bei  zunehmender  Holzknapphoit 
seltener.  2.  Flechtzaun :  Dünne  Stangen  mit  einem  Kutengoflecht 
zumeist  aus  Birkenzweigen,  mitunter  Weiden.  3.  Ein  Dornhag; 
statt*  des  Geflechtes  worden  Dornenäste  zwischen  die  Stangen 
gelegt.  In  Rimöcz  gibt's  auch  Lelnnwäudc,  mit  einem  Sehutzdache 
wus  Stroh  oder  Rebenzweigen. 

Die  Lage  des  Wohnhauses  und  der  Nebengebäude  ist  aus  dem 
Plane  ersichtlich.  Eine  Scheune  findet  sich  nur  bei  Wolhabenderen, 
an  ihrer  Stelle  ist  mitunter  ein  an  den  Seiten  offener  oder  mit 
Bretterwänden   geschlossener    Schuppen,    bisweilen    nur  eine 


Geflügel.  Bei  den  meisten  Wohnungen  fehlen  die  Nebengebäude. 

Das  Wohnhaus  wird  aus  verschiedenen  Stoffen  gebaut.  Auch 
hier  mag  die  in  Niederungarn  allgemeine  Form,  das  Haus  aus 
gestampfter  Erde,  von  Alters  her  gebräuchlich  gewesen  sein. 
Parallele  Bretterwände,  bis  20  Zoll  von  einander,  werden  aussen 
mit  je  #  Stangen  befestigt,  diese  oben  mit  Ketten  verbunden, 
zwischen  diesen  Bretterwänden  werden  Lagen  von  Erde  mit  Keulen 
lest  gestampft. 


Fitf.  I.  Hauphof  in  Apatfalu.  An  der  « iasMcnscitc  (Af  Kind:  a)  Tor,  bf 
TWi\  c)  .Sitzbank.  Teile  des  Hannos  (Ii):  d)  Wohnstube,  >■)  Flur,  />  Küche,  y) 
Kammer,  h)  Viehstall.  Im  Hofe  (V):  I>)  Schweinstall,  R)  Düngerhaufen,  F7 
Scheune.  Teilt'  der  letztern:  i)  Tonne,  j)  Tennenhals,  k)  Xebenscheune.  I)  Scheu« 
nenlade.  G)  Garten,  H)  Hintertor. 

Wo  Stein  reichlich  vorhanden,  wird  daraus  gebaut,  ohne 
Lehm  und  (' 'ement,  nur  mit  Kot  gebunden  und  mit  Mörtel  ver- 
schmiert. Tür-  und  Kensterwölbung  wird  mitunter  aus  Ziegeln 
hergestellt.  Der  Ziegelbau  greift  nur  bei  wolhabenderen  Platz. 
Stein-  und  Ziegelhäuser  baut  gewöhnlich  der  Maurer. 

In  neuerer  Zeit  wird  viel  aus  Lehmziegeln  gebaut,  auf  ein 
Stcinfundainent. 

Früher  mag  wol  der  Holzbau  der  gebräuchlichste  gewesen 
s«'in.  Findura  erwähnt  (Földrajzi  Közlemenyek,  18SH.  S.  2(H).),  dass 
einigt»  Häuser  noch  aus  jener  Zeit  stammen,  da  man  im  Wald 
stehende  .Baumstämme  in  den  Kau  einbezog.  Auch  soll  in  Mnczonka 
1S7S  noch  ein  1587.  gebautes  Haus  gestanden  sein. 


offene  Tenne.  Der  obere  Teil 


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144 


Das  Fundament  ausgenommen  wurde  das  ganze  Haus  aus 
Holz  gebaut,  ohne  Stein  und  Eisenbestandteile.  Besonders  in  den 
entlegenen  Dörfern  kann  man  noch  100  Jahre  alte  Holzhäuser 
finden,  welche  manche  Vorteile  vor  den  Steinbauten  haben,  doch 
infolge  des  Holzmangels  und  der  Feuersbrünste  immer  seltener 
werden.  Das  Holzhaus  wird  vom  Volke  selbst  in  herkömmlicher 
Weise  gebaut  ;  dieser  gegenüber  zeigen  die  neuem  Steinbauten 
nur  im  einzelnen  eine  Entwickehmg. 

Heim  Bau  gibt's  noch  manchen  überlieferten  Brauch.  In 
Lapujtö  helfen  10—12  Bekannte  bei  der  Herbeischaffung  des 
Materials  und  werden  dann  vom  Bauherrn  bewirtet.  Ärmeres  Volk 
sammelt  zum  Decken  Gaben  an  Stroh  ein.  Bei  der  Grundlegung 
wird  ein  Kind  ..gemustert*,  d.  h.  es  erhält  massige  Schläge,  damit 
es  sich  der  Zeit  des  Baues  erinnere ;  als  Schmerzensgeld  bekommt 
es  einige  Kreuzer.  Bei  der  Grundlegung  wie  bei  der  Fertigstellung 
gibt's  einen  Gedenktrunk  für  die  Arbeiter,  wobei  der  Hauswirt 
einen  Spruch  ausbringt,  den  ein  Teilnehmer  erwidert.  In  Apätfalva 
wird  nur  bei  der  Fertigstellung  getrunken,  und  der  kurze  Spruch 
gesagt:  „Gott  bewahre  das  Haus  vor  Feuer  und  Wasser!"  Ebenda 
deutet  ein  Brauch  auf  Baüopfer  hin.  Vor  der  iunern  Einrich- 
tung wird  das  Haus  von  einem  der  Arbeiter  (nicht  vom  Bauherrn  i 
geheizt,  ein  Hund  oder  eine  Katze  hineingebracht,  und  die  Türe 
geschlossen,  so  dass  das  Tier  nur  beim  Fenster  entrinnen  kann. 
Dies  geschieht,  um  Unglück,  z.  B.  den  Tod  des  Hauswirtes  oder 
der  Wirtin  in  selbem  Jahre  zu  verhüten.  Die  Wirtin  besprengt 
das  neugebaute  Haus  mit  Weihwasser  in  allen  Winkeln,  den 
Boden,  den  »Stall,  u.  s.  w.  in  den  drei  heiligen  Namen,  um  dem 
Bösen  zu  wehren. 

Bei  der  Grundlegung  wird  ein  Graben  gezogen  und  darein 
Bruchsteine  gestampft,  und  als  Grundmauer  etwas  über  das 
Bodenniveau  gehoben.  Keller  gibt  es  keine,  doch  wird  z.  B.  in 
Pilis  unter  der  Wohnstube  eine  Kammer  aus  Stein,  aber  ganz 
oberirdisch  gebaut,  wie  sie  in  den  slovakisehen  Häusern  häufig 
vorkommt. 

Das  Holzwerk  ist  zumeist  Eichen,  dem  Holzwurm  weniger  aus- 
gesetzt als  Buchen;  in  Kelenye  werden  auch  Pappeln  verwendet. 
Auf  die  Steinlage  kommt  die  Grundschwelle,  aus  starken  ver- 
kerbten Balken.  In  diese  werden  die  Ständer  und  Pfosten  einge- 
zapft. Zwischen  diese  kommen  die  Blockwände  aus  etwas  roh 
behaltenen  Stämmen  mit  Lücken  für  Türe  und  Fenster.  Die 
Wand  wird  oben  von  der  Dachbalkenlage,  (Mauerbank:  mujor- 
jHiwf)  abgeschlossen.  Auf  den  Mittelständern  der  Schmalseiten 
ruht  der  Haupthaiken  {»wuteryvrendfi),  ein  massiver  Tram,  in 
Lapujtö  durch  eine  aufgelegte  Spreitze  (pmjc*),  sonst  mitunter 
durch  einen  Pfosten  in  der  Mitte  der  Stube  (/w/w/-/ih//»i ^selige 
Mutter)  gestützt.  Auf  der  Mauerbank  und  dein  Hauptbalken  ruhen 
die  Deckenbalken,  Kreuzbalken;  aufgelegte  Dielen  werden  mit 
Lehm  geglättet.  Die  Fug  zum  Wohlnd  werden  mit  Lehm  gedichtet, 


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145 


beiderseits  mit  Kot  (oft  mit  Spreu  gemengt)  verpatzt  und  mit 
Kalk  oder  einem  weissen  Ton  geweisst. 

Herrschend  ist  das  Strohdach.  Der  Dachstuhl  besteht  ge- 
wöhnlich aus  Eichen-Sparren,  auf  die  Kreuzbalken  (zumeist 
auf  jeden  zweiten)  aufgekämmt  und  oben  mittelst  Schlitzzapfen 
verbunden,  mitunter  in  der  Mitte  durch  Hahnenbalken  unterstützt. 
Die  Sparren  haben  etwa  */,  der  Kreuzbalkenlänge.  Beim  Walm- 
dach werden  auch  die  Giebelseiten  von  Sparren  getragen.  Auf  die 
Sparren  kommt  die  Lattung.  Die  Latten  waren  ehedem  nicht  ge- 
zimmert, stehen  etwa  18  Zoll  von  einander  ab,  auf  eine  Dachfläche 
.entfallen  ungefähr  12.  Auf  diese  kommen  die  Strohschauben.  Am 
Grat  sitzen  oft  zwei  sich  kreuzende  Lattenpaare  auf. 

Früher  gab  es  eine  primitivere  Form  des  Dachstuhles.  Auf 
drei  Gabelpfosten,  an  den  beiden  Firstenden  und  in  der  Mitte  des 
Hauses  wurde  ein  fussdicker  Gratbalken  (Eichen)  gelegt,  sein 
Kopf  ragte  an  beiden  Enden  hervor.  Abgerindete  dünne  Stämme 
wurden  dann  in  einander  gezapft  und  in  der  Entfernung  von  je 
2 — 3  Fuss  auf  den  Gratbalken  gelegt,  dass  sie  über  die  Mauer- 
bank überhiengen.   Hierauf  kam  dann  der  Lattenrost. 

An  diesen  werden  die  Getreidestroh-Schauben  mittelst  Stroh- 
bänder gebunden.  Hinsichtlich  der  Herrichtung  und  Anbringung 
der  Schauben  unterscheidet  man  drei  Hauptformen:  1.  die  flache 
oder  glatte  Schaube  am  Fussende  gebunden,  hängt  mit  dem  Kopf- 
ende abwärts,  liegt  also  glatt  auf.  Erfordert  das  Minimum  an  Stoff 
und  Arbeit,  ist  aber  auch  am  wenigsten  dauerhaft.  2.  Die 
Schwalbenschwanz-  oder  Winkelschaube  wird  an  dem  Ährenende 
gebunden  und  an  den  Kanten  verwendet.  3.  Bei  der  Kopfschaube 
wird  das  zurückgedrehte  Ahrenende  gebunden  und  dies  kommt 
nach  oben;  es  gibt  ein-  und  zweiköpfige  Schauben,  letztere  kön- 
nen nur  wenige  machen.  Auch  diese  Form  findet  meist  an  den 
Kanten  Anwendung;  wenn  die  ganze  Dachfläche  so  hergestellt 
ist,  heisst's  ein  Schichten- oder  Staffeldach;  ein  solches  soll  50 
Jahre  dauern. 

Gegen  die  Hoflangseite  zeigt  die  Dachfläche  eine  grössere 
Ausladung  der  Dachtraufe  über  die  Wand,  und  schützt  diese,  wie 
auch  Türen  pnd,Fenster  vor  Schlagregen.  Unter  der  Traufe  läuft 
spannenhoher  Efrdatafwurf,  dessen  Böschung  eine  Holz-  oder  Stein- 
bekleidung schützt.  Unter  dem  Dachüberhang  hängt  auf  oft  ge- 
schnitzten Holzliakcn  die  Gewandstange.  Von  da  führt  die  Leiter 
auf  den  Aufboden;  ein  schräger  Balkencilinder  mit  treppenförmigen 
Einschnitten  ist  die  Stiege  fürs  Geflügel.  Sommers  steht  oft  eine 
Bettstätte  hier.  Bei  vollkommeneren  Häusern  wird  dieser  Ort  zum 
Gange  (ambitus),  indem  die  Dachkante  auf  eckigen  Pfosten  oder  ge- 
weissten  Backsteinsäulen  aufliegt,  welche  zuweilen  auf  einer 
Mauer  ruhen.  Auch  an  der  Gassen  front  au  der  Giebelseite  ragt 
ein  Vordach  über  oine  Vi  Schritt  breite  Eid-  oder  Steinbank, 
deren  Kante  meist  von  einem  Balken  gebildet  wird.  Hier  sitzt  es 
sich  im  Frühling  und  Sommer,  besonders  an  Festtagen  gar  behäbig. 


146 


Fig.  III. 


Weiterbildungen  des  Strohwalmdaches:  1.  Geschlossener  Giebel,  2.  Gie- 
bel mit  Rauchlooh,  3.  Giebel,  statt  des  Rauchloches  vertikal  verschallt.  4.  Aua- 
breitung  der  vertikalen  Wand  (bei  Schindeldeckung),  6.  Vom  Wahndach  bleibt 
nur  ein  ornamentäres  Rudiment  (bei  Ziegeldeckung),  6.  Entwicklung  in  andrer 
Richtung,  wobei  vom  Walmdaoh  nur  ein  Schopf  übrig  bleibt.  (In  Dedes). 


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147 


Manchmal  (doch  immer  seltener)  reicht  der  hintere  Wahn  des* 
Daches  bis  zum  Erdboden  hinab  und  dient  dann  als  Remise. 

Nach  der  ober  der  Vorderwand,  an  der  Oasaenfront  befind- 
liehen (tiebelseite  des  Daches  (Fig.  HM.) lassen  sich  mehrere  Ty- 
pen unterscheiden.  Die  primitivste  Form  findet  sieh  bei  den  alten 
Häusern  ohne  Rauch  fang:  unterm  Giebelfirst  des  Strohwalmes  ist 
ein  Rauchloch  drei-  oder  viereckig:,  oder  auch  andrer  Form.  (No. 
2.)  Wo  der  Rauchfang  auftritt,  wird  das  Rauchloch  als  überflüs- 
sig mit  Brettern  verschlagen  und  durch  ein  kleines  Luftloch  er- 
setzt. Die  Bretterwand  ist  aber  nicht  schräg,  sondern  vertikal. 
(Nr.  8.)  Besonders  wenn  das  Material  des  Hauses  und  Daches 
ein  anderes  wird,  zieht  sich  diese  Bretterwand  immer  mehr  hinab 
(Nr.  4.),  um  endlich  als  ornamentales  Rudiment  am  Gesims  zu 
erscheinen  (Nr.  5.);  zugleich  tritt  ein  zweites,  meist  viereckiges 
Luft-  und  Lichtloch  auf.  Das  Ziegeldach  ist  niedriger,  der  First- 
winkol  stumpfer.  Bei  einer  andern  Entwicklung  der  primitiven 
Form  bleibt  am  First  ein  kleines  Stück  Walmdach  mit  Stroh  gedeckt, 
(Schopf)  während  den  grösseren  unteren  Teil  eine  trapezförmige 
vertikale  Bretterverschallung  mit  Luftlöchern  bildet.  (Nr.  ft.) 

Bei  einer  andern  Form  des  vertikalen  Abschlusses  der  Schmal- 
seiten des  Daches  (auch  bei  Schweineställen  gebräuchlich)  wird 
an  den  Fuss  der  Kantonsparren  ein  (ortbrettförmiges)  flaches 
Holz  genagelt  und  darein  je  einen  Fuss  weit  Haselruten  gestellt, 
welche  dann  horizontal  durchflochten  werden.  Wenn  kein  Rauchfang 
vorhanden,  ist  am  First  ein  Rauchloch,  bei  dem  im  Sommer  oft 
ein  Zwiebelkranz,  im  Herbst  rote  Maiskolben  hinausgehängt 
werden.  Bei  neuem  Häusern  wird  die  GiebelÜäche  von  einer 
Bretter-,  Lehm-,  Stein-  oder  Ziegelwand  gebildet;  rückwärts  aber 
findet  sich  auch  bei  diesen  noch  häufig  die  Flechtwand. 

An  der  Giebelwand  befinden  sich  Luft-  und  Liohtöfthungen 
in  verschiedener  Zahl  und  Form.  Zwischen  zwei  Öffnungen  ist  mit- 
unter ein  Kreuzrelief  oder  eine  Bogennische,  in  dieser  mir  in  der 
Gegend  von  Nyek  bisweilen  ein  Heiligenbild.  Nur  bei  neuern 
Bauten  wird  das  Baujahr  am  Giebel  aufgezeichnet,  an  seine  Stelle 
tritt  das  Jahr  der  Renovierung.  Reichere,  bunte  Ornamentik  findet 
sich  nur  an  der  Grenze  des  Slovakentums  oder  in  den  sporadi- 
schen slovakischen  Siedlungen. 

(Fortsetirons  folgt.) 
Das  grosse  Sammelwerk  für  bulgarischen  Folklore. 

Ein  Berieht  von  Friedrich  S.  Kraut». 

Seit  dem  J.  lrtHfl  bis  zxun  Frühling  IKJHJ  sind  zu  Hotija  unter  der  Aegido 
dos  fürstlichen  Ministerium»  für  Volkaufklärung  acht  dicke  Quartbände  einen 
„Sammelwerkes  für  Volktum,  Wissenschaft  und  Literatur"  erschienen  (Sbornik 
za  narodni  umotvotonija.  nauka  i  kniznina  izdava  miniaterstvoto  na  nurodnoto 
prosvjeatenio).  Abgesehen  von  kurzen  Anzeigen  im  .Urquell"  und  wiederhol- 
ten Verweisungen  in  meinen  Studien  aus  den  jüngsten  drei  Jahren  habe  ich 
über  dieses  Unternehmen  nichts  geschrieben,  obgleich  ich  von  mehreren  Seiten 


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148 

um  ausführliche  Berichte  angegangen  wurde,  indem  man  mir's  nahelegte,  da- 
durch gewisserniassen  meiner  Berichterstattorpllicht  den  westlichen  Fachgv- 
nossen  gegenüber  zu  erfüllen.  Es  ist  jedoch  nicht  nur  eine  Pflicht,  sondern 
auch  eine  Ehrensache,  die  Leistungen  unserer  l>ulgarischen  Mitarbeiter  am 
Ausbau  dos  Völkergedankens  gebührend  zu  würdigen.  Nur  der  riesigt»  Umfang 
und  die  grosso  wissenschaftliche  Bedeutung  des  vorliegenden  achtbändigen 
Werkes  schreckten  mich  ab,  die  Verantwortung  für  eine  Rezension  zu  über- 
nehmen ;  denn  ich  fürchtete,  dass  ich  nicht  im  Stande  sei,  den  Herausgebern 
und  den  deutschen  Lesern  gerecht  werden  zu  können.  Der  eindringliche  Wunsch 
meines  Freundes,  des  Herrn  Dr.  Herrmann  besiegte  alle  meine  Bedenken.  Was  ich 
in  Kürze  tun  kann,  ist  allein,  eine  Ubersicht  über  das  (Gebotene  darzubieten. 
In  diesem  Falle  ist  dies  auch  nicht  wenig,  und  das  Wenige  nicht  ohne  Nutzen. 

Man  findet  es  als  eine  nahezu  aus  Wunderbare  grenzende  Erscheinung, 
dass  die  Bulgaren,  die  vor  kaum  zwei  Jahrzehnten  noch  sozusagen  „leibeigene 
Hörige*'  waren,  in  einer  so  kurzen  Spanne  Zeit  auf  allen  Gebieten  der  Volk- 
wirtschaft und  Kultur  so  herrlich  sich  emporgearbeitet  haben.  Bewuudern  ist 
recht  und  billig,  doch  wer  sich  verwundert,  stellt  sich  da  selber  ein  Armut- 
zeugnis  betreffs  der  Ethnographie  aus.  Die  heutigen  Bewohner  Bulgariens  sind 
sowohl  körperlich  als  geistig  ebenso  gut  oder  schlecht  veranlagt,  wie  irgend 
welches  Volk  Europas.  Unter  der  fünfhundertjährigen  türkischeu  Herrschaft 
gieng  es  ihnen  auch  niemals  schlecht,  und  selbst  zur  Zeit  des  allerhärtesten 
Druckes  nicht  im  Entferntesten  so,  wie.  um  ein  allgemein  bekanntos  Beispie, 
zu  wählen,  den  Juden  und  polischen  Katholiken  Russlands   in  der  Gegenwart 

Jahrhunderte  laug  standen  die  Bulgaren  unter  dem  Einflüsse  byzanti- 
nisch-griechischer und  dann  türkisch-arabischer  Kultur.  Man  ist  in  christlich- 
klerikalen  Kreisen  noch  immer  allzuleicht  geneigt,  den  Wert  und  die  Bedeutung 
dieser  Kulturen  arg  zu  unterschätzen.  Nur  zu  sehr  mit  Voreingenommenheit, 
die  dem  Hass  und  der  Bosheit  gegen  Andersgläubige  entspringt.  Der  Ethno- 
graph geht  nicht  zu  weit,  wenn  er  der  Meinung  Ausdruck  gibt,  dass  die  Bul- 
garen mit  ihrem  Volktum,  ihrer  eigentlichen  Kraft,  in  jenen  Kulturen  wurzeln, 
ähnlich,  wie  die  altgriorhische  Kultur  auf  die  aegyptische  und  semitische  zu- 
rückgeht. 

Seit  den  dreissiger  .Jahren  begannen  die  Bulgaren  auch  die  abendlan- 
dische Kultur  näher  kennen  zu  lernen.  Ums  J.  IH41  entstand  zu  Salonichi  die 
erste  bulgarische  Buchdruckerei  und  eines  der  allerersten,  oder  vielleicht  das 
erste  Büchlein,  das  die  neue  Aera  eröffnete,  war  ein  Sprachführer,  dessen  er- 
stes Kapitel  vom  Blutrituale  der  Juden  handelt  (tajna  kriena  ninje  ze  otkriena 
radi  evreite).  Siehe  Sbornik  HL  S.  55  ff.  Es  ist  freilich  nur  eine  Ubersetzung 
aus  dem  Neugriechischen.  Das  Original  war  wohl  deutsch.  Die  neue  tienera- 
tion  wuchs  sonst  unter  günstigen  Auspizien  heran.  Bulgarische  Gemeinde-  und 
Privatschulen  wurden  an  allen  Ecken  und  Enden  ins  Leben  gerufen.  Bemit- 
telte Leute  sandten  ihre  Kinder  nach  Österreich-Ungarn,  Deutschland  Russ- 
land und  Frankreich  zum  Besuch  der  Mittel-  und  Hochschulen.  Als  vollends 
Bulgarien  von  der  Türkei  sich  loslöste,  war  eine  der  Kauptaufgaben  der  jun- 
gen Regierung  die  Errichtung  von  Schulen  und. Hebung  der  literarischen  Bil- 
dung des  Volkes. 

Nach  meiner  beiläufigen  Schätzung  haben  in  den  jüngsten  vierzig  Jahren 
.sechstausend  Bulgaren  an  abendländischen  Hochschulen  ihre  Ausbildung  er- 
langt. Hochgerechnet  haben  darunter  fünfzig  Leute  über  das  alltägliche  Mass 
der  Durchschnitlbildung  sich  erhoben.  Dreissig  hievon  zählen  zu  den  Mitarbei- 
tern des  Sbornik.  und  von  den  eigentlichen  Kapazitäten  darf  man  ruhig  sagen, 
dass  es  ahandlündischo  Gelehrte  sind,  die  sieh  der  bulgarischen  Sprache  als 
Ausdruckmitt«'ls  in  ihren  Arbeiten  bedienen. 

Kür  uns  liegt  der  Hauptwert  nicht  darin,  zu  wissen,  wer  im  Sbornik 
schreibt,  sondern  was  uns  dargereicht  wird.  Und  da  Werden  unsere  Erwartun- 
gen fast  übertreffen.  Ein  Volktum.  das  bei  uns  in  deutschen  und  romanischen 
Landen  zum  Teil  sagenhaft  verblasst  ist,  tritt  uns  hier  in  eohtmittolalterlicher 
Frische  entgegen.  Kiu  äusserst  ergiebiges  und  lohnendes  Korschunggebiet  für 
den  Ethnographen.  In  keinem  Kulturlaude  des  Welt,  soweit  das  Christentum 
siegreich  vorgedrungen,  ausser  in  Mexiko,  wo  noc  h  vor  fünf  Jahren  eine  Hexe 


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14!) 


zum  Tod  auf  dorn  Scheiterhaufen  vorurteilt  wurde,  wäre  ein  Process,  wie  der 
seit  drei  Jahren  in  Vraea  geführte,  <lenkbar  und  möglich,  ein  von  der  fürstli- 
chen Staatanwaltschaft  geleiteter  Process  wegen  Blutzauberei !  Vor  einigen  Mo- 
naten hatte  ich  aus  Paris  eine  wörtliche  Abschrift  des  Anklageaktes  erhalten 
und  meine  blauen  Wunder  dann  gelesen.  Das  ist  unverfälschter,  brutaler 
Volkglaube,  wofür  uns  auch  der  Sbornik  praehvolle  Belege  darbietet.  Ich  bin 
überzeugt,  dass  der  Herausgeber  dieser  Zeitschrift,  ebenso,  wie  ich  in  meinem 
Urquell,  mit  Vergnügen  jenen  Akt  zum  Abdruck  bringen  würde. 

Wir  wollen  uns  dabei  nicht  weiter  aufhalten,  sondern  mit  Hinweis  auf 
den  Sbornik  feststellen,  dass  die  Voraussetzungen  für  einen  kulturellen  Fort- 
schritt des  bulgarischen  Volkes,  für  dessen  Emanzipierung  von  wüsten  und 
unheilvollen  sozialen  Wahnvorstellungen  glücklicherweise  vorhanden  sind.  Man 
sagt :  „soviel  Köpfe  soviel  Sinne",  doch  trifft  dieser  Spruch  der  W  eisheit,  die 
auf  der  Gasse  predigt,  nicht  auf  ein  Volk,  und  auf  ein  im  Werden  begriffenes 
schon  gar  nicht  zu.  Es  hat  niemals  ein  Volk  von  Denkern  gegeben.  Immer 
haben  nur  einige  wenige  als  Vordenker  für  die  Masse  gedacht  und  gearbeitet. 
Der  Volkshaufe  ist  die  Herde,  die  Leithammeln  folgt.  Viel  helles  Licht  und 
Zufuhr  gesunder  Luft  ist  bei  allen  Organismen  die  Grundbeilingung  für  eine 
gedeihliche  Entwicklung.  Die  kurze  Geschichte  des  jungen  bulgarischen  Staa- 
tes lehrt  uns  zwingend,  dass  zu  einem  Fortschritt  im  Handel  und  Wandel, 
namentlich  in  der  Wissenschaft  nur  ein  bescheidenes  Mass  individueller  Frei- 
heit notwendig  sei,  dass  schon  die  blosse  Freimachung  vom  Fatalismus  und 
die  Abschüttlung  des  durch  eine  Herrscherkaste  ausgeübten  geistigen  Druckes 
einen  ungeheueren  Kulturgewinn  bedeute. 

Der  Sbornik  ist  kein  fertiges,  sondern,  wie  jede  Zeitschrift  für  wissen- 
schaftliche Interessen,  ein  sich  entwickelndes  Werk.  Es  ist  ein  Werk  zur  Ver- 
anstaltung von  Umfragen  und  daher  auch  von  volkserziehliehem  Gesichtspunkte 
aus  von  grossem  Belang.  Wer  irgend  etwas  Wissenswertes  aus  der  Vergan- 
genheit oder  Gegenwart  des  bulgarischen  Volkes  inne  hat,  was  immer  einer 
Treflliches  und  Brauchbares  vorfindet,  entdeckt  oder  erfindet,  im  Sbornik  mag 
er  sich  darüber  aussprechen.  Der  Sbornik  ist  nach  russischen  Vorbildern  an- 
gelegt, und  gerne  stellt  man  der  Redaction  das  Zeugnis  aus,  dass  sie  es  ver- 
steht, mit  ausserordentlicher  kritischer  Umsicht  ihrer  schweren  Aufgabe  gerecht 
zu  werden.  Abgesehen  von  einigen  ärgerlichen  Missgriffen,  die  man  sich 
im  Vertrauen  auf  die  Echtheit  böhmischer  Korallen  aus  der  Götterwelt 
des  ordentl.  Grazer  Univ.  Prof.  Krek  zu  Schulden  kommen  liess,  ist  der  Sbor- 
nik die  vollendeteste  Leistung  in  der  gesamten  ethnographischen  Literatur  der 
Südslaven.  Für  die  Bulgaren  ist  er  noch  etwas  mehr,  nämlich  die  Grundlage 
einer  unverfälschten  nationalen  Literaturentwicklung,  eine  Emanzipation  von 
fremdländischer  Tagströmung  in  der  Literatur.  Der  neue  bulgarische  Literat 
wird  hoffentlich  auch  noch  die  letzten  Lappen  der  kirehenslavischen  Kloster- 
zellensprache und  die  überflüssigen  Schnörkel  der  russischen  Schule  abstreifen  ; 
einen  allen  Ansprüchen  genügenden  nationalen  Wortschatz  bietet  ihm  zum  Er- 
satz der  Sbornik  dar  und  dazu  an  Stoffen  aus  dem  echten  Volksleben  eine  für 
Generationen  ausreichende  Auswahl.  Weder  der  Gelehrte,  noch  der  schaffende 
Künstler,  noch  der  Dichter,  und  auch  nicht  der  Staatsmann,  vermissen  hier  aus- 
giebige Bolehrung  und  Anregung. 

Noch  einen,  zum  mindesten  in  meinen  Augen  ungemein  hohen  Vorzug 
besitzt  der  Sbornik  vor  verwandten  südslavischen  älteren  und  neueren  Sammel- 
büchern, den,  dass  die  üblichen  exaltierten  nationalen  Expoctorationen,  das  Ge- 
winsel und  Geflenne  um  eine  grosse?  Vergangenheit,  die  gewohnheitmässige 
Verunglimpfung  fremdsprachiger  Völker,  das  ockolhafte  Gebelfer  gegen  An- 
dersgläubige, mit  einem  Worte,  dass  das  sozialpolitisioronde  und  wissenschafi- 
elnde  Sumsenbachertum  hier  sogut  wie  ausgeschlossen  ist.  Im  Sbornik  sprechen 
sich  tatkräftige,  besonnene  Männer  aus,  die  wirklich  etwas  zu  sagen  haben. 

Allen  anderen  voran,  in  seiner  Spezialität,  der  vorgloichonden  Sagenkunde, 
einer  der  vorzüglichsten  Forscher  in  Mitteleuropa,  ist  Michael  Drogomanov,  der 
in  Bulgarien  zum  Bulgaren  gewordene  Kleinrusae,  mit  gebührender  Hochach- 
tung zu  nennen.  Seine  Beiträge  erheischten  eine  besondere  Besprochung.  Er 
lieferte  für  den  Sbornik  folgende  Arbeiten  : 

11 


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150 


Di»»  slavisoh.m  Lobenden  von  clor  Hitiopferuni?  de*  eigenen  Kinde*  l 
«5— «7.  -  Slavischo  Lebenden  von  der  Gehurt  Konstantins  des  (irossen.  Ii 
1»2  1S4.  III.  LMM»- -24t».  —  Slavischo  Varianton  einer  evangelischen  Legend- 
IV.  257  -270  Kiott,  tl.-r  Herr,  als  Holzhauer,  verwandelt  zwei  Popen,  iwi 
s.  g.  Allesbesserwisser  zu  Ksoln  un«l  liisst  sie  schwere  Laaton  Holz  au*  dem 
Gebirge  einem  Kaufmann«»  zuführen).  —  Slavischo  Fassungen  der  Oedipua- 
sago  V.  2«7  .U0;  VI.  »j:i!!--:UÜ  («»im«  methodisch  mustergiltige  Leistung  und 
stofflich  reichhaltig).  -  Bemerkungen  über  slavischo  religiöse  und  ethische 
Legenden  VII.  245—1110  (Gottes  Gerechtigkeit;  Vom  Engel,  der  nasi'Wf  is  ge- 
wisi'ii,  weshalb  ihn  < i«»tt  vorbannt;  Was  Gott  tut,  ist  wohlgetan  >  ;  VIII. 
257— :U4  (Dualistische  Woltschopfung  ;  Erschaffung  und  Segnung  der  Weh 
durch  ti-»lt  ti mf  Sataniol). 

Dragomanov  kouir»'nial  ist  der  in  Paris  lebende  Kleinrusse  Th.  K.  \  olkor, 
der  itn  Soornik  vorderhand  nur  mit  einer,  zu  dem  nicht  einmal  noch  abge- 
schlossene) Arbeit  debütiert,  die  aber  schon  jetzt  als  die  vortrefllichste  oller 
bisher  veröffentlichten  Studien  über  »Die  Hochzoilgehräucho  der  Slavischen 
Volk,  i-  dasteht  (III.  1:57  178;  IV.  194  -2.M)  -240  ;  V.  205—232  ;  VIII.  21Ü  — 25«i». 
Das  W»«rk  ist  in  des  Verfassers  eigener  Bearbeitung  auch  teilweise  französisch 
in  „I."  Anihopologio.  II.  Bio  -184.  408-4:17,  5d7  587  und  III.  541— 58H  z\i  Pa- 
ris unter  dem  Titel  .Kites  et  usagos  nuptiaux  en  Ukraine"  erschienen.  VolkoY 
berücksichtigt  hauptsächlich  die  Nordslaven  und  bezieht  mehr  der  Parallelen 
halber  die  anderen  Slaven  sowie  sonst  Volker  in  die  Betrachtung  mit  ein.  Kr 
meint  auch,  dass  in  Fülle,  wie  bei  den  Kleinrnssen,  bei  keinem  anderen  ab» vi- 
schen Volk.'  Hochzeitgohi-auch-Mannigfaltigkcit  vorkäme.  Daa  ist  selbstver- 
ständlich eine  irrige  Annahme,  insbesondere  mit  Hinblick  auf  die  kaum  üb*-r- 
nfhl"ire  Monire  einschlägiger  serbischer  und  bulgarischer  Brauche.  Ich  möchte 
bei  dieser  i  ielogenhoit  zugleich  bemerken,  das*  man  in  jüngsten  .lahren.  wie 
erscheint,  eine  denn  doch  zu  hohe  Bedeutung  den  grossenteils  auf  eine  verklä- 
rende, phantasievulle  Symbolik  zariick/ufuhrenden  Hochzoitgebi  auchen  beizu- 
legen anfange.  Den  Ethnographen  interessiert  aber  vor  allein  die  Ehcfonn  und 
das  Kechtverh.dtnis.  Man  übersieht  nur  zu  leicht,  dass  eine  Anzahl  von  „lloch- 
zeitbrain  hen"  in  de«  gleich,.  Katey..rio  mit  Liebezauber  und  verwandten  An- 
schauumren  zu  stellen  ist.  Wenn  man  in  diesen  Dingen  der  Anschaulichkeit 
halber  die  we-entlu-heii  Momente  von  den  Begleiterscheinungen  nicht  sorgfäl- 
tigst sondert,  kann  es  leicht  geschehen,  dass  auch  unsereiner  in  den  Fehler 
»ltjüdiseher  oder  strenggläubig  jüdischer  Ausleser  des  Talmuds  verfalle,  <iie 
vor  lauter  minhagim  (Brauchen)  den  minhag  (Brauch»,  auf  den  es  eigentlich 
jeweilig  ankommt,  nicht  mehr  heraustinden. 

Ivan  I>.  Stimm»-!',  der  Kidam  Dragonianovs  und  Sectionchef  im  fiirstL 
bulgar.  rnteirichtmmisienum  lieferte  gewissei-maasen  «|s  eine  Einleitung  in 
den  Sbomik  eine  »!4  Seiten  umfassen,!,.  Betrachtung  über  „Die  Bedeutung  und 
Aufgabe  unserer  Ethnographie.-  Der  Aufsatz  zeugt  von  einem  achtunggohioton- 
den  bibli.lirraphiM-henWisst.n  und  einer  schönen  Klarheit  der  Disposition  eines 
riesigen  Materiales.  Befremden  muss  freilich,  dass  der  ( iottcrerzouger  Professor 
Dr.  Gregor  Kiek  zu  Gra.-/.  unter  den  slavischen  Folkloristen  als  einer  der  er- 
sten aus  fuhrt  wird.  Für  den  Foklore  hat  doch  de  ser  Mann  tue  irgendwas  g*>- 
leistet.  Seine  „Einleitung  m  de«  slavischo  Literaturgeschichte-  kann  füglich  nur 
als  ein  absehre.  ke,id<  >  B-isp^d  denen,  wie  man  sich  am  Folklore  nicht  ver- 
p.h.'ii  dürfe.  Auf  bleiMMirev-ehichtlicheiu  (i. -biete  beweist  sich  auch  die  zweit« 
Abhandlung  Si«manovs  :  Alte  Ib-isen  durch  Bulgarien  im  Verfolg  der  römi- 
schen Militartitrass,.  von  Itelirrad  bis  Konstmitinoj.el-  |  V.  H21     4S:t  ,  VI.  172  I7ti, 

die  schon  «larain  äusserst  \ erdi-msthch  ist,  weil  so«  uns  lehrt,  wie  j««ncn  Wan- 
derern sozusagen  da«,  geistige  Auge  für  ethnographisch.«  Ei  schoimmgon  UUnd 
war.  Die  Noti/en  sind  von  einer  klaglichen  l  »urfiej-koit  und  <>  bei  11  Lieblichkeit. 
Die  Mehrzahl  der  Bei--, id. m  waren  in  .iM,l ., malisch. -r  Mission  und  derart  von 
ih;er  eigenen  weltiren. ductuli«  li.  ti  Bedeutung  erfüllt,  dass  sie  m,m,,r  nur  sich 
gelber  sahen  uml  M»"h  m  .b-r  fremden  FmiMuiinr  bewunderten.  Die  Folklore- 
sammlunK'»'"  •'•'1,*!4  sb..nukb.indeH  uewahron   uns  neununduounzigmal 

mehr  Kinbbcke  m  de-  ethuoci  apnis.  n,n  \  erhuitms,,,  der  Sadslaveti.  als  ^Umtliche 
älU»re    HeisebcschreibunK'.  'i    zusummeiureuommeu.    Si>m»noT    hat  es  trotzdem 


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über  sich  gebracht,  die  langwierige  und  langweilige  Arbeit  zu  machen,  um 
vielen  anderen  Forschern  ein  zeitraubendes  und  zweckloses  Nachstöbern  in  al- 
ten Schmöekern  zu  ersparen.  Dankenswerte  Ergänzungen  zur  Studie  Sismanovs 
bieten  noch  dar  L.  Miktic :  Alte  Roisen  durch  Bulgarien  I.  und  II.  im  VI.  B. 
113 — 1B6  und  Dr.  Ch.  Kesjakov  :  III. — VI.  107— 171,  dazu  von  demselben:  Die 
Lage  Bulgariens  zum  Endo  dos  XV.  Jahrh.  VI.  177 — 181,  VII.  438  --447.  Letz- 
tere Arbeit  streift  nur  nebenbei  das  Gebiet  der  Ethnographie,  ist  jedoch  aus 
anderen  Gründen  auch  lesenswert. 

Im  speciell   bulgarischen  Folkloro   versucht  sich   G.  I'opov  mit  seinen 
Charakteristiken  der  Hauptgestalten  bulgarischer  Volkepen  HL   247—282  und 
IV.  271—279.  Er  behandelt  hier:   Das  Kindlein  Sekula  ;   d.  Kind  Dukadineo ; 
das  Kind  Golomjose  ;  Gruica  das  Kindlein  ;  das  Kind  Maloökovo  ;  den  Prinzen 
Marko  ;  den  kranken  Dojein  ;  den   Helden    Mi  los,  den  Helden  Momcilo  und 
Helja  mit  den  Flügeln,  sowie  zum  Schluss  die  Lieder  von  der  Schlacht  zu 
Leitengeben.  Ich  will  nicht  leugnen,  dass  sich  diese  Serie  Hott  geschriebener 
Aufsätze  angenehm   lese,   doch  meine   ich,   dass  damit  die  wissenschaftliche 
Erkenntnis  kaum  gefördert   worden  sei  und  auf  diese  Weise  auch  nicht  rich- 
tig gefördert  werden  könne.  Der  Verfasser  stellt  sich  alle  Epen  zusammen,  in 
denen  der  eine  Hold  N.  N.  genannt  wird  und  sucht  aus  den  verschiedenartigen 
Taten  des  Betreffenden  ein  einheitliches  Bild   zu   entwerfen.  Dreht  os  sich  um 
eine  s.  g.  historische  Persönlichkeit,  die  in   der  Welt  irgendwo  einmal  eine 
Rolle  gespielt  hat,  so  ist  os  klar,  dass  der  Biograph  den  Briefwechsel,  sonstige 
Schriften  und  die  Handlungen  seines  Helden  und  die  Stimmen  der  Zeitgenoa- 
sen über  ihn  aufs  Gewissenhafteste  zu  Rate  ziehen  muss.  Volkepen  sind  jedoch 
keine  archivalischen  Urkunden  in  diesem  Sinnes,  sondern  vorwiegend  Schöpfunr 
gen  dor  Volkpsyche,  die  sich  nach  eigenem  (ieschmacke    Charaktere  zurocht 
legt  ohne   jede  Rücksicht  auf  historische  Pragmatik.   Was  ist  Prinz  Marko  ? 
was  Dukadince,  was  Momcilo?  Doch  keine  historischen  Gestalten?  1  Füllsel  sind 
es,  weiter  nichts  ;   denn  auch  im  Epos,  das   eine  Sago,  oder  ein   Märchen  in 
Versen  ist,  muss  das  Kind,  der  Träger  der  ersten  Rolle,  einen  Namen  haben. 
Beliebte  Namen  dringen  mit  der  Zeit  in  Stoffe  ein,  die  mit  den  ursprünglichen 
Inhabern  der  betreffenden  Namen  nicht  das  allergeringste  zu  tun  hatten.  Mein 
Postulat  gienge  also  dahin,  dass  uns  in  Hinkunft  statt  der  das  Wesen  der  Sache 
nur  flüchtig  streifenden  Charakteristiken   der  Helden,  lieber  Charakteristiken 
der  Stoffe,  die  in  epischer  Verarbeitung  ühorhaupt  vorkommen,  vorgelegt  wer- 
den. Die  Helden  sind,  wenn  ich  mich  ausdrücken  darf,  das  Zufällige,  die  Stoffe 
das  Bleibende  im  Wechsel  der  epischen  Entwicklungen.  Nicht  die  Helden,  son- 
dern die  Stoffe,  die  Fabeln  sind  international.  Vergleiche  zwischen  den  „Helden" 
der  Epik  verschiedener  Völker  gezogen,  sind  so  gut  wie  unfruchtbar,  dagegen 
die  zwischon  epischen  Stoffen  lehrreich  und  gewinnbringend.  Es  wäre  eine  be- 
deutende Erleichterung  für  das  Studium  des  bulgarischen  Folklore,  unterzöge 
sich  einer  dor  Mühe  alle  Sagenstoffe,  die  vorkommen,  zu  skizzieren   und  dazu 
alle  in  Zeitschriften   und  sonst  für  den  Abendländer  unzugänglichen  Büchern 
abgedruckton  Varianten  im  Auszüge  mitzuteilen.  So  eine  Arbeit  könnte  gerade 
im  Sbornik  durch  fortwährende  Zusätze  und  Ergänzungen  aus  allen  bulgari- 
schen und  vielleicht  auch  serbischen  Gegenden  vervollständigt  werden. 

A.  T.  Hiev  stellt  sich  im  1.  B.  »7— 13a  mit  einem  Rückblick  auf  die  bul- 
garische Numismatik  ein.  Die  hiozu  gohörigen  Tafeln  entbehren  auch  für  den 
FolJdoristen  eines  regeren  Interesses  nicht,  wie  auch  die  Studie  Iliovs  gegen- 
über dem  weniger  kritischen  numismatischen  Sammelwerk  Simeon  Ljubics 
einen  ernsten  Fortschritt  bedeutet.  In  eine  den  übrigen  Südslaven  nur  wenig 
bekannte  Vorstell ungwelt  versetzt  uns  Hiev'*  Abhandlung  über  bulgarische 
Volküberlioferungon  betreffs  der  Riesen,  die  Hellenen  (clini),  Juden  (zidove)  und 
Lateiner  (latini)  genannt  worden.  III.  179—205.  IV.  231—256.  Das  sind  relativ 
junge,  durh  die  mönchische  Klosterliteratur  importierte  Sagen  und  Märchen, 
die  durch  die  türkische  Sagen litoratur,  bekaimllich  einor  sehr  reichon,  wenr- 
gleich  wenig  originellen,  viele  Zufuhr  erfahren  hat.  Vorzüglich  in  ihrer  Art  ist 
Uiovs  dritte  Studie  (VII.  311—412)  über  die  Flora  in  der  Volkpoesie,  den  Ge- 
wohnheiten, religiösen  Bräuchen  und  im  Glauben  der  Bulgaren.  Es  wird  sich 
noch  Gelegenheit  findon  darauf  zurückzukommen. 

11* 


151' 


Recht  nützlich  ist  Ephrnn  Ktinmor's.  eines  alten  Mitarbeiters  des  Perio- 
dik osko  spisanic,  Zusammenstellung  «ler  in  den  bis  zum  J.  1889  gedruckten 
Sammelwerken  für  Folklore  vorkommenden  Varianten  zu  den  Liedern  der  Samm- 
hing der  Gebrüder  Milndinov  1.  157— 175.  Von  ihm  ist  auch  im  IV.  B.  280  -31» 
eine  kritische  Auseinandersetzung  über  -Ethnographisch»'  Materialien  bezüg- 
lich einiger  Örtlichkeiten  in  Nordmazedonion"  (Unter  Hinblick  auf  die  Streit- 
frage, ob  das  Gebiet  von  Bulgaren  oder  Serben  bevölkert  sei.)  Karanov  teilt 
scharfe  Hiebe  gegen  die  nationalserbischen  Tendenzen  Jastrebovs  und  Draga- 
novs  aus. 

Eine  ungemein  schätzbare  Sammlung  von  1H7  Originalmitteilungon  zur 
Vulkmedizin  der  Bulgaren  rührt  von  C  (ii.r'rr  im  III.  B.  70 — 136  her.  Obwohl 
der  Sbornik  sonst  noch  sechsmal  soviel  verwandter  Materialien  enthält  und  auch 
frühere  Sammler  (Balm  Jaga)  treffliches  zu  Tage  gefördert  hnben.  so  bleibt  es 
doch  —  wenn  ich  nicht  irre  -  Gincevs  Verdienst,  dass  nun  an  eine  zusammen- 
fassende Darstellung  der  bulgarischen  Volktnediein  geschritten  werden  kann. 

Hin  Buch  in  vier  Bruchstücken  und  nicht  eine  Abhandlung  sind  Dr. 
Vtutil  T.  ßaldziec's  „Studien  über  das  Personalehorecht  bei  den  Bulgaren-,  in 
denen  er  das  Gowohnheitrecht  eingehend  und  sachverständig  mit  berücksich- 
tig. Hald'ziev  zeichnet  sich  auch  durch  eine  nicht  gewöhnliche  Beherrschung 
des  Kirchenrechtes  aus  und  hat  ein  feines  Verständnis  für  die  historische 
Kechtentwichlung. 

Das  Bild  von  der  bulgarischen  communistischen  Wirtschaft,  das  uns  lv. 
Elf.  Uchov  im  Period.  Spisanic  (XXXII  —  X X XII 1)  gegeben  und  worüber  ich  dem 
deutschen  Publikum  im  „Ausland**  seinerzeit  ausführlich  berichtet,  vervollstän- 
digt in  erwünschter  Weise  die  kurze  Studie  l).  Vsta-Crrnvnv's  :  „Schnittergenos- 
senschaften im  Ti-novo-Bezirke.**  VII. +84— 4515,  Nicht  minder  schätzbar  ist  X.  Xa- 
cor's  daran  sich  anschliessender  Aufsatz  über  bulgarische  Kerbhölzer  und  Kerb- 
zeichen VII.  59«>  -605.  Die  Zeichen  gehen  auf  römische  Ziffern  und  das  alt- 
slavische  Alphabet  zurück.  Man  kann  angesichts  der  Dürftigkeit  der  Mitteilungen 
nur  lebhaft  bedauern,  dass  uns  keine  Kerbhölzer  aus  älteren  Zeiten  aufbewahrt 
geblieben  sind. 

Einen  gut  lesbaren  Beitrag  zur  Frage  über  den  Ursprung  der  Trojasage 
verfassto  Ii.  Conev,  VII.  224—244. 

Damit  ist  die  Reihe   der  eigentlich   folkloristischen  Abhandlungen  der 
VIU   Bände  des  Sbornik  aufgezählt.  Von  den  übrigen  Studien  und  Aufsätzen, 
die  mehr  oder  weniger  auch  in  unser  Fach  einschlagen  oder  an  und  für  sich 
geeignet  erscheinen,  unsere  Aufmerksamkeit  zu  fesseln,  sind  noch  anzuführen  : 
vom  berühmten  und  hochverdienten  Historiographon  der   Bulgaren,  Prof.  Dr. 
Kotifff.  Jirecek:   Ethnographische  Wandlungen  in  Bulgarien  seit  der  Gründung 
des  Fürstentums,  V.  500 — 517.  von  den  Gebrüdern   Skorpilnr:  Mittelalterliche 
Kirchen  und  Grabstätten  in  Sonja  II.  46    00 ;  Archaeologische  Untersuchungen 
an  den  Gestaden  des  Schwarzen  Meeres  und  den  benachbarten  Teilen  der  al- 
kanausläufer  in  Südbulgarien,  III.  3 — 40  ;   IV.  102—255  ;   Nordostbulgarien  in 
geographischer  und  archaeologischer  Beziehung.  VII.  3—83,  VIII.  3—58  ;  und 
alt«?  Inschriften  aus  verschiedenen  Teilen  Bulgariens  VII.  84— 110.  VIII.  59—81. 
—  Von  V.  Dobruski :  Archaeologische  Forschungen  in  Westbulgarien  II.  1 — 45; 
und   Einige  historiseh-arehaeologiseho  Notizen  (Burg  Batil  an  der  Bojana.  In- 
schriftenfunde) III.  41 — 47.  —  Von  P.  R.  Slavejkov  :  Ein  Auszug  aus  der  Chro- 
nik des  Priesters  Jovca  von  Trjevno  II.  310  -310  ;  III.  381—394  :  IV.  001— 609. 
Über  einige  alte  Heerführer  (Pavel  Bakie,  Cavdar  vojvoda  und  Lalus,  Levent 
Koreo,  Ceko  vojvoda  und  Ivan  vojvoda.)  11.  317 — 327.  —  Von  .1.  Sopov :  Eine 
Urkunde  (aus  dem  St.  Johannes  Vladimir-Kloster  bei  Durazzo)  zur  bulgarischen 
Geschichte  II.  115—132.  —  Von  P.  Cemovjezd:  Eine  Chronik  aus  dem  Anfang 
dieses  Jahrhunderts  VI.  379 — 425.  —    Von  Tran  8larov:  Die  Ausdehnung  des 
Fürstentums  Bulgarien  I.  312 — 315.  —  D.  Matov.  Probe  eines  bulgar.  Wörter- 
buchos  VII.  448—483.  Wäre  ein  ausgezeichnetes  modernes  Seitenstück  zu  Wolf 
Karadzics  serb.  Wörth.       Von  Ch.  P.   Konstantinov  :  Materialien  zur  Erfor- 
schung der  Rhodopeer  Mundart  I.  134—156  ;  II.  269—284.  —  Cepino.  Ein  bulg. 
Landstrich  in  der  nordwestlichen  Senkung  der  Rhodopealpen.  (Nur  teilweise 
ethnogr.  Mitteilungen  enthaltend)  III.  355—380,  IV.  586—595.  —  Von  einem  Un- 


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153 


genannten  :  Bitolsko,  Prjesna  und  Ochrida.  Reiseskizzen  IV.  3—101.  Die  Mit- 
teilungen zeigen  den  scharfen  Beobachter,  sind  reich  und  wertvoll.  —  Von  Dr. 
J.  Bassanovic  :  Der  Lomor  Bezirk  V.  3— 185.  —  Von  K.  A.  Sapkarev :  Einige 
Bemerkungen  über  die  Aufsätze  (Böhmische  Korallen  aus  Mazedonien  !)  dea 
Herrn  F.  Draganov  in  den  Berichten  der  St.  Petersburger  Slav.  Wohltätigkeit- 
Gesellschaft  II.  326—352.  Ein  Seitenstück  einer  gründlichen  kräftig  satirischen 
Abfuhr  eines  Korallenfabrikanten  ist  Dr.  Iv.  D.  Si&manovs  Referat  über 
das  „Geographische  Wörterbuch  der  westslavischen  Länder  und  angränzender 
Gebiete"  des  Jakob  Holovuckij  (Wilna  1884»  II.".  S.  178—198.  Etwas  spät  hat 
sich  Sismanow  besonnen,  aber  doch  :  dann  aber  ausgiebig  !  —  Von  .V.  Jurinic : 
Die  Höhle  Policki  beim  Drjenovacer  Kloster  des  Erzengels  Michael  VI.  362—378. 

Jeder  Band  des  Sbornik  gliedert  sich  in  drei  Teile  ;  der  erste  enthält 
wissenschaftliche  Aufsätze,  der  zweite  Belletristik  und  Kritiken,  der  dritte  aus- 
schliessüch  Folklore.  Von  den  nicht  in  unser  Fach  einschlägigen,  gewiss  auch 
tüchtigen  Arbeiten  will  ich  nicht  sprechen  und  überlasse  das  Urteil  den  hiezu 
berufenen  Sachverständigen.  Der  zweite  Teil  mehrerer  Bände  enthält  in  Fort- 
setzungen einen  ausgedehnten  sozialpolitischen  Roman  aus  Bulgariens  junge f 
Vergangenheit  :  »Unterm  Joche"  von  Johanne*  Vazov.  Ich  habe  nur  ein  Bruch- 
stück davon  gelesen  und  mit  Vergnügen  wahrgenommen,  dass  der  Verfasser 
es  vorsteht,  den  Folklore  auch  im  Romane  zu  verwerten,  trotzdem  hatte  ich 
nicht  die  Zeit  und  Ausdauer,  schon  jetzt  alles  zu  lesen.  Die  Kritiken  sind  im 
allgemeinen  sachlich  und  ausführlich  gehalten,  doch  inuss  es  befremden,  dass 
z.  B.  einer  miserablen  bulgarischen  Ubersetzung  von  V.  Hngn'n  „Les  Miserables" 
volle  acht,  und  einem  Lesebüchlein  für  die  3.  Klasse  der  Elementarschule  vier 
Seiten  gewidmet  werden.  Ähnlichen,  breitspurigen  Auseinandersetzungen,  die 
mitunter  für  die  betroffenen  Verfassor  eine  Katastropho  bodeuten  mögen,  be- 
gegnet man  zu  öfterem  in  der  ersten  Serie  der  Arbeiten  der  Agramer  Südslav- 
ischen Akademie  der  Wissenschaften  und  Künste.  Mehr  Wohlwollen  Anfängern 
gegenüber  wäre  allenfals  am  Platze.  Auch  Schweigen  ist  zuweilen  Wohlwollen. 

Die  dritte  Abteilung  —  ich  möchte  sie  die  Fundgrube  für  bulgarisches 
Volktum  benennen  —  ist  für  uus  wieder  ausserordentlich  wichtig.  Soviel  wert- 
volles und  gediegenes  ältere  und  jüngere  Sammlungen  auch  darbieten  mögon, 
man  kann  sie  nahezu  entbehren  angesichts  des  hier  aufgestappolten,  gediege- 
nen und  wohl  übersichtlich  geordneten  Reichtums  an  Stoffen.  Hier  kommt  der 
Charakter  des  Sbornik  als  eines  Umfragenwerkes  am  prägnantesten  zun»  Aus- 
druck. .Jeder  neuo  Band  ergänzt  und  vervollständigt  die  in  den  vorhergehenden 
Bänden  angeschlagenen  Themen.  Einem  Leser,  der  sich  mit  Folklore  nicht 
wissenschaftlich  beschäftigt,  muss  die  dritte  Abteilung  natürlich  etwas  monoton 
vorkommen.  Ihn  halten  dafür  die  ersten  zwei  Abteilungen  reichlich  schadlos. 

Es  drängt  sich  einem  bei  der  Lektüre  dieser  riesigen  Sammlungen  bald 
die  Frage  auf,  wiefern  sie  uns  Neues  für  die  Volkkunde  der  Südslaven  ins- 
besondere als  für  die  Wissenschaft  vom  Menschen  im  Allgemeinen  bringen.  Es  kann 
darauf  nur  eine  Antwort  gelten  :  der  Sbornik  fördert  nicht  eine  einzige  neuo 
Gestalt  des  Volkglaubens,  keine  einzige  neue  Volkanschauung  zu  Tage,  die 
nicht  auch  anderweitig  durch  bulgarischen,  serbischem,  chrowotischen  und  slo- 
venischen  Volkglaubon  und  Brauch  zu  belegen  wäre.  Natürlich  kommen  ent- 
sprechende Parallelen  auch  aus  dem  Folklore  nichtslavischer  Völker  in  Be- 
tracht. Ich  wüsste  kein  sichereres  Kriterium  für  die  Zuverlässigkeit  und  Echtheit 
der  Sbornik«-Mitteilungen  anzuführen.  Ihr  wahrer  uad  über  jedem  Zweifel  er- 
habener Wert  gipfelt  darin,  dass  sie  das  Bekannte  nach  allen  Richtungen  ver- 
tiefen, sicher  stellen  und  aufklaren.  Die  bisher  nur  mehr  gemutmassteti  Über- 
gänge und  Verbindungen  zwischen  asiatischen  und  europäischen  geistigen 
Strömungen  werden  deutlicher,  sozusagen  in  nrmchea  Fallen  greifbar.  Sitten 
und  Gebräuche  und  Volküberliefeningen,  die  mitunter  weiter  westwärts  bloss 
als  Rudimente  oder  Uberlebsel  bekannt  waren,  sind  zum  Teil  in  Bulgarien  in 
einer  ursprünglichen  Frische  bewahrt,  so  gut  wie  andere  in  ihrer  Verblassthoit 
kaum  zu  erkennen  wären  ohne  serbisches  Volktum.  Man  muss  sich  selbst- 
verständlich immer  vor  Augen  halten,  dass  wir  werler  die  Serben  noch  die 
Bulgaren  gleichsam  als  Raven-  oder  Naturvölker  betrachten  dürfen.  Die  Ver- 
schmelzung dieser  Spraehvölker  ist  unter  der  türkischen  Herrschaft  hinsichtlich 


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dos  Volktums  derart  fortgeschritten,  dass  man  im  Ernste  noch  nicht  daran 
denken  kann,  spezifisch  bulgarisches  und  spezifisch  serbisches  Volktum  zu  son- 
dern. I)i»>  Unterschiede  betreffen  im  Grunde  genommen  gewöhnlich  üusserlieh« 
Nebenumstände  und  vorzugweise  sprachliche  Besonderheiten.  Mögen  daraus 
bulgarische  und  serbische  Zeitungschreiber,  wie  bisher,  auch  fernerhin  poli- 
tisches Kapital  zur  Begeisterung  oder  Verhetzung  der  Massen  schlagen,  ihren 
Spuren  zu  folgen  verbietet  uns  Ethnographen  unsere  wissenschaftliche  Über- 
zeugung. Aus  politischen  Gründen,  d.  h.  Abonnentenfanges  halber,  oder,  wenn 
es  hochgeht,  um  ein  Mandat  fürs  Parlament  zu  ergattern,  zupft  man  aus  ethno- 
graphischen Sammelwerken  lose  Brocken  heraus  und  knetet  sich  daraus  nach 
Belieben  einen  patriotischen  Teig,  mit  dem  man  einfaltigen  Wählern  die  Ver- 
standporen verkleistert.  Ein  solches  Schicksal  hat  z.  B.  auch  Jastrebov'a  im 
übrigen  äusserst  verdienstvolles  Sammelwerk  aus  Altserbien  erfahren.  Es  ist 
leichter  Ethnograph  zu  sein,  als  kein  Satiriker  zu  werden. 

(Fortsetzung  folgt.) 


Kartenspielerglauben  aus  Ungarn. 

Von  -4.  Herr  mann. 

Der  Kartenspielorglauben  ist  meines  Wissens  von  der  Volks- 
kunde bislang  noch  nicht  in  den  Kreis  ihrer  Betrachtung  gezo- 
gen worden,  obwol  er,  wie  alles  Volkstümliche,  auch  die  Aufmerk- 
samkeit der  Forscher  und  Sammler  verdient.  Indem  sich  unsere 
Zeitschrift  (s.  S.  116)  als  Organ  der  JJynsy  Lore  Society"  von 
mm  an  auch  mit  Sitte  und  Brauch  der  Vaganten  aller  Art 
befassen  wird,  so  halte  ich  es  für  angezeigt,  all  den  Karten- 
spielerglauben  des  gemeinen  Volkes  in  Ungarn  hier  mitzuteilen, 
der  mir  eben  bislang  bekannt  geworden  ist. 

Heinahe  unter  allen  Völkerschaften  Ungarns  ist  der  Glaube 
verbreitet,  dass  beim  Aus-  oder  Verteilen  der  Karten  der  betref- 
fende Austeiler  ausspeien  muss,  damit  er  dadurch  das  „Glück  an 
sieh  binde."  Hei  den  Bunjewazen  in  Südungarn  berührt  jeder, 
bevor  er  die  ihm  zugeteilten  Karten  in  die  Hand  nimmt,  diesel- 
ben vorerst  mit  dem  Mittelfinger  seiner  linken  Hand  und  speit 
dann  aus.  Siebonbürgisch-süchsische  Landleute  glauben,  dass  man 
die  Karten  mit  der  linken  Hand  vom  Tische  aufheben  muss,  um 
Glück  zu  haben.  Die  Wanderzigeimer  Ungarns  suchen  einander 
bei  jedem  Kartenausteilen  im  Ausspeien  zu  übertreffen.  „The  dav 
leske  the  pijol,  hoj  kija  mange  th'avel"  (damit  ich  ihm  zu 
trinken  gebe,  damit  es  | nämlich  das  Glück |  zu  mir  komme!), 
sagt  ausspeiend  der  Wanderzigenner,  wenn  er  eine  Tour  verloren 
hat,  und  wechselt  zugleich  die  Lage  seiner  Heine;  legt»  z.  B.  das 
rechte  Bein  über  das  linke,  wenn  letzteres  vordem  sich  auf  dem 
rechten  befand.  Siebenbürger  Walachen  speien  auf  ihren  Sitz- 
platz, bevor  sie  sich  zum  Kartenspiel  hinsetzen.  Magyarische 
Kartenspieler  setzen  sich,  wenn  sie  verlieren,  verkehrt  auf  den 
Stuhl  oder  tauschen  denselben  ein. 

Auch  aus  gewissen  „Vorzeichen"  wird  auf  Glück  oder  Un- 
glück geschlossen.  Allgemein  glaubt  man,  dass  kein  Zuschauer 
denjenigen,  der  gewinnt,  auf  seinen  Gewinst  aufmerksam  ma- 
chen darf,  sonst  verscheucht  er  vom  Betreffenden  das  Glüek.  Bei  den 


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1 55 


Magyaren  verscheucht  besonders  der  „Kibitz"  (Zuschauer)  durch 
sein  Schwatzen  das  Glück.  Derselbe  muss  stets  schweigen,  höch- 
stens darf  er  demjenigen,  dem  er  beim  Spiel  zusieht,  die  Zigarre 
anbrennen,  ihm  Geld  leihen,  ihm  Getränk  einschenken.  Die  Ver- 
haltungsmassregeln  der  „Kibitze"  sind  magyarisch  auch  im  Druck 
erschienen.  Kriecht  eine  Spinne  auf  dem  Kartentisch  herum,  so 
wird  nach  magyarischem  Volksglauben  derjenige  gewinnen,  in 
dessen  Richtung  sie  hinkriecht.  Nach  rumänischem  und  sächsi- 
schem Glauben  verliert  derjenige,  welcher  schluckst,  niest,  öfter 
hustet,  oder  dem  ein  ..Wind"  entschlüpft,  denn  dadurch  schreckt  er 
das  Glück  von  sich.  Allgemein  glaubt  man,  dass  derjenige  gewinnen 
wird,  der  in  der  rechten  Handfläche  ein  Jucken  spürt.  Wanderzi- 
geuner  glauben,  dass  derjenige,  welcher  beim  Spiel  in  den  Fusszehon 
einen  juckenden,  stechenden  Schmerz  spürt,  sofort  aufhören  muss, 
denn  die  bösen  Dämonen  umkreisen  ihn  und  er  wird  verhören; 
desgleichen  verliert  ihrem  Glauben  gemäss  auch  derjenige,  wel- 
cher an  dem  Tage  Fische  oder  Krebse  gegessen  hat,  denn  das 
Glück  „schwimmt  von  ihm  weg".  Siebenbürger  Rumänen  meinen, 
dass  derjenige  gewinnt,  der  die  vorgeschriebenen  Fasten  nicht 
einhält.  Fast  allgemein  verbreitet  aber  ist  der  Glauben,  dass  wenn 
der  Mensch  auf  dem  Wege  zum  Kartenspiel  zuerst  einem  Manne 
begegnet,  er  verlieren,  wenn  er  aber  zuerst  einem  Weibe  oder 
Melktioro  begegnet,  gewinnen  wird.  Siebenbürgisch-sächsisehe 
Landleute  glauben,  dass  derjenige,  welcher  eine  Katze  totschlägt, 
7  Jahre  lang  kein  Glück  habe,  also  auch  im  Kartenspiel  nicht 
gewinne.  Unsere  Wanderzigeuner  meinen,  man  dürfe  nicht  Kar- 
ten spielen,  wenn  man  nachts  vorher  von  einem  Toten  geträumt, 
oder  kurz  vorher  einen  Kadaver  abgeschunden  hat ;  ferner  glau- 
ben sie,  dass  sich  das  „Glück  wendet",  d.  h.  wer  bis  dahin  ge- 
wonnen, nun  verlieron  werde  und  umgekehrt,  sobald  sich  eine 
Schwangere  den  Spielern  nähere.  In  manchen  Ortschaften  herrscht 
bei  Sachsen  und  Rumänen  der  Brauch,  dass  man  aus  der  Stube, 
wo  gespielt  wird,  die  Katze  hinauswirft ;  denn  man  glaubt,  dass  sie 
durch  ihre  Gegenwart  Streit  unter  den  Spielern  verursache,  der 
mit  Schlägerei,  ja  mit  Totschlag  endigt.  1881)  wurde  in  Mühlbach 
ein  Kliman c  ven  seinen  Spielgenossen  erschlagen  ;  seine  Mutter 
klagte,  dass  dies  deshalb  geschehen  sei,  weil  sie  vergessen 
hätten,  die  Katze  aus  der  Stube  zu  jagen.  Die  Slovaken  hin- 
gegen halten  die  Katze  für  glückbringend ;  an  den  sie  sich  beim 
Kartenspiele  schmiegt,  der  gewinnt,  und  das  Kind,  welches 
gerne  mit  Katzen  spielt,  wird  ein  grosser  Kartenspieler  wer- 
den. Die  magyarische  Bevölkerung  des  Kalotaszeger  Bezir- 
kes glaubt,  dass  der,  zu  dessen  Füssen  sich  während  des 
Kartenspiels  ein  Hund  niederlegt,  verlieren,  den  er  beleckt,  ge- 
winnen wird.  In  ebendemselben  Bezirk  ..dreht"  der  Spieler,  der 
nacheinander  verloren  hat,  seinen  Hut  oder  die  Mütze,  d.  Ii.  setzt 
den  vorderen  Teil  nach  rückwärts,  speit  rechts  und  links  aus 
und  spricht :  ..Dreh'   sich  das  Glück!"  (Forduljun  a  szerenese.) 


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Magyaren  und  Sachsen  glauben,  dass  derjenige  gewinnt,  der  an 
dem  Tage  sein  Hemd  oder  seine  Unterhose  unabsichtlich  auf  der 
verkehrten  Seite  angezogen  hat. 

Es  gibt  aber  auch  Mittel,  durch  deren  Anwendung  der 
Mensch  fortwahrend  gewinnen  muss.  Slovaken  und  Szekler  glau- 
ben, dass  wer  die  Nabelschnur  eines  ungetauft  verstorbenen 
Kindes  isst,  im  Kartonspiel  stets  gewinnt.  Nach  magyarischem 
Volksglauben  soll  man  zu  diesem  Zwecke  etwas  Blut  von  einem 
Enthaupteten  oder  ein  Charfreitagsei  bei  sich  tragen.  Kalota- 
szeger  Magyaren  glauben,  dass  wer  stets  gewinnen  wolle,  sich 
mit  einem  neuen  Messer  um  Mitternacht  ein  liegendes  Kreuz 
in  die  linke  Handfläche  zu  schneiden  habe;  das  entströmende 
Blut  sauge  er  auf  und  speie  es  auf  ein  Kartenspiel  aus,  welches 
er  dann  in  den  Grabhügel  eines  als  berühmter  Kartenspieler 
bekannten  Mannes  vergrabt.  Erscheint  ihm  dabei  der  Teufel,  so 
soll  er  nicht  davonlaufen,  sonst  wird  er  von  demselben  zerrissen. 
Nach  magyarischem  Volksglauben  gewinnt  auch  derjenige  stets, 
welcher  die  berühmte  ..nagyfügyöker"  ( — -  (1  rossgras  wurzel, 
Atropa  belladonna)  am  nackten  Leibe  bei  sich  trägt,  Diese 
Wurzel  kann  man  in  der  Georgsnacht  auf  einem  Berge  graben, 
auf  welchem  sich  die  Hexen  der  Umgegend  bisweilen  zu  ver- 
sammeln pflegen.  Auf  die  Stelle  der  ausgegrabenen  Wurzel  muss 
man  ein  Brotstückehen  legen,  in  welches  man  ein  Pfefferkorn, 
etwas  Gewürz  und  Salz  hineingokuetet  hat,  sonst  wird  man 
vom  Teufel  getödtet.  Nach  siebenbürgisch-sächsischem  Volks- 
glauben ist  es  die  „Springwurzel",  die  zu  Gewinn  verhilft.  Wer 
sie  findet,  schneide  sich  in  die  linke  Handfläche  und  stecke  die 
Wurzel  in  den  Schnitt.  l)io  Wurzel  wächst  schnell  in  das  Fleisch 
hinein  und  mit  dieser  Hand  kann  man  die  stärksten  Schlösser 
erbrechen  ;  teilt  der  Spieler  mit  dieser  Hand  Karten  aus,  so 
gewinnt  er.  In  Südungarn  glaubt  man,  wer  d  e  Pflanze  ,.szarka- 
läb"  (=  Elsterfuss,  astragalus  glyciphillus)  hei  sich  trägt,  stets 
gewinnt.  Dem  Volksglauben  der  Bunjewazen  gemäss  gewinnt 
derjenige  stets,  welcher  eine  Schnur  am  blossen  linken  Ober- 
arm trägt,  die  aus  Eselshaaren  und  den  Haaren  einer  im  Kind- 
bett verstorbenen  Frau  geflochten  ist.  In  Zombor  (Südungarn) 
erzählt  man  sieh  von  einem  berüchtigten  Kartenspieler,  er  trage 
am  Leibe  ein  Hemd,  das  aus  Eselshaaren  und  den  Haaren  seiner 
beiden,  im  Kindbett,  verstorbenen  Gattinnen  gewirkt  sei;  deshalb 
gewinne  er  stets  und  kein  Bekannter  wolle  mit  ihm  spielen. 
Siebenbürger  Humanen  glauben,  dass  mnn  stets  gewinne,  wenn 
man  am  hl.  Droikonigstage  die  Schwimmhäute  einer  Ente  sich 
in  das  Innere  der  Stiefel  näht:  oder  wenn  man  ein  Iltisfell  als 
Fusslappen  in  den  Stiefel  anzieht.  Die  Wanderzigeuner  gebrau- 
chen dazu  aus  gleichem  Grunde  das  Fell  der  Zieselmaus.  l) 
Wenn  nach   zigeunerischem   Glauben   jemand    seine    Hände  mit 


l  Wi.  F.  Ii.  Kain'U  in  <l"i-  Berlin. t  „Z.-its;-hr.  f.  Ktlm  .i  -.srj,.         1S!);S.  1.  H.-ft. 


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dem  zu  Staub  getrockneten  Blute  einer  im  Kindbett  verstorbenen 
Frau  bestreut,  wird  er  unbedingt  gewinnen.  *) 

Schliesslich  einige  Mittel  gegen  die  Kartenspielsucht.  Das 
magyarische  Volk  nennt  die  Karten  auch  „dos  Teufels  Bibel" 
und  glaubt,  dass  die  Seelen  leidenschaftlicher  Kartenspieler  dem 
Teufel  verfallen.  Siebenbürger  Rumänen  tauchen  ein  Spiel 
Karten  in  Weihwasser  imd  verbrennen  sie  auf  Kohlen,  die  aus 
dem  Weihrauchbockon  der  Kirche  gestohlen  wurden;  die  Asche 
wird  dann  dorn  Manne  in  Speise  und  Trank  gemischt,  um  ihm 
das  Kartenspielen  zu  verleiden;  oder  man  tröpfelt  ihm,  während 
er  schläft,  auf  die  Herzgegend  einen  Tropfen  Wachs  von  einer 
Kerze,  welche  in  der  Kirche  gebrannt  hat.  Nach  rumänischem 
Glauben  treibt  dies  aus  dem  Leibe  des  Mensehen  den  ..Teufels- 
haueh"  (fiune  dracului),  der  ihn  zum  Kartonspiel  antreibt. 
Sächsinnen  mischen  zu  gl  Mühein  Zwecke  pulverisierte  Krebs- 
schalen in  die  Speisen  der  Männer,  während  die  Magyarin  ein 
Haar  von  ihrem  Kopfe  in  2  Teile  schneidet,  den  einen  Teil  dem 
Manne  in  die  Hose,  den  anderen  aber  ins  Ehebett  einnäht,  damit 
der  (iatte  beim  Kartenspiele  „keine  Ruhe  habe  und  heimkehren 
müsse."  Oder  sie  formt  aus  mehreren  Karten  ein  Kreuz,  indem 
sie  dieselben  zusammennäht,  und  legt  dies  Kreuz  unter  das 
Kopfpolster  des  Mannes.  Schläft  er  nun  auf  diesorn  Polster,  so 
„träumt  er  so  schreckliche  Dinge,  dass  ihm  die  Lust  zum 
Kartenspiel  vergeht/4 


Kerbhölzer  der  Wanderzigeuner. 

Von  Anton  Herrmann. 

Auf  die  Wanderzigeuner  passt  ganz  und  gar  das  lateinische 
„Omnia  mea  mecum  porto.u  Charakteristisch  genug  drücken  dies 
die  Schmiedzigeuner  also  aus :  „Kalapncaha  andro  rast"  (mit  dem 
Hammer  in  der  Hand).  Ihr  Hab  und  Gut  macht  ihnen  nicht  viel 
Sorge  und  ihre  finanziellen  Operationen  können  der  doppelten 
Buchhaltung  entraten.  Deshalb  aber  können  sie  im  allgemeinen 
gar  gut  rechnen  und  viele  von  ihnen  leben  vom  Handel ;  insge- 
sarnmt  lieben  sie  das  Handeln  und  Feilschen  und  hausieren  mit 
ihren  Erzeugnissen  im  Lande  herum ;  in  Ungarn  sind  sie  als 
Pferdernäkler  allgemein  bekannt  und  selbst  als  Trödler  kommen 
sie  hie  und  da  vor.  Im  Handel  mit  Nichtzigeunern  sind  gewöhn- 
lich nicht  sie  die  Betrogenen. 

Aber  auch  unter  sich  liegen  sie  Geld-  und  Kreditgeschäf- 
ten ob,  sie  kennen  die  daraus  sich  ergebenden  Verhältnisse  und 
haben  in  ihrer  Art  auch  Handelsgehräuche  und  Urkunden  ;  sie 
wissen,  was  Einnahme  und  Ausgabe  ist ;  sie  kennen  den  Gläu- 
biger (iuisoljo),  den  Wechsel  (rinitori),  ja  selbst  den  Wucherer-Begriff. 


*)  Vgl.  den  Diobsglauben  in  Wlislocki's  Werk:  „Aus  dorn  inneren  Leben 
der  Zigouner-  (Berlin  1HH2,  Fulbor)  S.  »0. 


158 


Letzterer  wird  bezeichnend  ,.nägligcrtt    (karfino)  genannt.  de!::, 
wer  mit  Wucherern  zu  tun   hat,  ruht  Tag  und   Nacht  \vi<- 
Nägeln  (dvirw  racijp  pre  knrfine  pasijol). 

Die  Zigeuner  können  weder  lesen  noch  schreiben:  vi» 
von  ihnen  sind  nicht  imstande  bis  KM)  zu  zählen  ;  aber  diejerjii". 
welche  von  ihnen  Handel  betreiben  :  die  Schweine-  und  l*ftrv 
händler,  die  Wucherer  und  die  sich  mit  Kreditgeschäften  }; 
fassenden  führen  über  ihre  Geschäfte  ein  genaues  Yerzeirhr.  • 
suwol  bezüglich  des  Namens  des  Schuldners,  als  aucli  beziurli'. 
der  Simnne,  der  Fälligkeilszeit  und  der  Interessen.  Hiebei  k»»u;. 
das  Kirhholz  (cinipr)  in  Verwendung.  Dies  Wort  bedeutet:  Sehn." 
Kitz,  Schrift  ;  von  ciuvl  ~  er  schneidet,  schreibt,  was  mit  kiwl - 
er  kauft,  zusammenhängt:  ..Kr  hat,  viel  auf  dem  Kerbbolz"*  her- 
zigeunerisch  :  Hut*'  hin  L'tke.  pro  vinipv. 

Zum  Kerbholz  wird  ein  1    4  Spannen   langer,  12  Firn.- 
breiter,  vierkantiger,  glattgeschnittener   Birken-  oder  Buchen*- 
benützt.  Form  und  Zahlenwert  der  Kerbzeichen   entspricht  \- 
1    10  (mit  Ausschluss   der  Coinbinationen   IV.   und    IX. ) 
betreffenden  römischen  Zahlzeichen.    Für   Werte    über    10  -s: 
keine  besonderen  Zeichen  in   (ichrauch.   Das   Korben  geschi»" ' 
der  Stabbreite  nach  in  horizontaler  Richtung. 


Fi*.  IV. 


Aber  nicht  nur  die  Summe,   sondern   auch  der  Fälliirk-'i- 
tennin  wird  durch  Einschnitte  in  das  Kerbholz  ausgedrückt.  1» 
Zigeunerstämme    Mitteleuropa'*   rechnen    die  Zeit  nach  den  dr- 
Hauptfesten  der  kristlichen    Kirche  und  dem  St.    Michaelsu^  * 
Das  .Jahr  zerfällt  demnach    in   vier   Abschnitte,   indem   es  .:. 
Weihnachten  beginnt.  Der  betreffende   Tag   wird   auf  die  W.-i- 
näher  bestimmt,  dass  die   seit    Heginn   eines  .laliresabsclmi:*- 
verflossenen  Sonntage   und   «Ii**   auf  den    betreffenden  Sniur;: 
folgenden  Wochentage  durcli   je   einen    Einschnitt  ins  Kerl»!.-  ■ 
bezeichnet  werden.   Hat  jemand  z.  B.  I*J   (iulden  zu  zahlen 
ist  diese  Summe  am  Mittwoch    nach  dem  vierten    Sonntag  iw  • 
Bfinirsten  fälliir,  dann  wird  auf  dem   Kerbholz   folgendes  ein- 
schnitten :  das  Zahlenzeichen  X  Villi,  dann  das  Zeichen  des  'i<-'u 
Hauptfestes  ( l\'im:sien ) :  drei  nach  rechts  liegende  Einschnitt, 
ferner  die  von  Pfingsten   an    zu   zahlenden    vier  Sonntage;  \  -' 
eckig«'  Einschnitte  in  eine  Kante   des    Kerbholzes,  und  scMii«1»- 

•l  Wlitlorki  im  II.  IM.  <!ir-<»r  Z>iNrhrift  S.  1:»:{„  und  „Au*  d-rn  in:v  ■ 
Lehen  <l«-r  Zitf.'Uu.T-  (H.  i-!in  lss-j,  F.«1!>.t|  S.  10.",  IT. 


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159 


lieh  dor  Mittwoch  als  dritter  Tag  der  Woche :  drei  nach  links 
liegende  Einschnitte  (s.  Figur  IV.) 

Dies  ist  die  Form  des  zigeunerischen  Wechsels,  der  in  zwei 
Exemplaren  ausgestellt  wird,  und  zwar  so,  dass  zwei  gleich  lange 
und  womöglich  gleich  breite  Kerbhölzer  so  aneinander  ge- 
passt  werden,  dass  beim  Einschneiden  der  Zeichen  dieselben 
gleichzeitig  und  in  entsprechender  Lage  und  Form  auf  beiden 
Hölzern  (gleichsam  mit  einander  korrespondierend)  erscheinen. 
Die  Hölzer  haben  an  einem  Ende  ein  Loch,  in  welches  das  per- 
sönliche Abzeichen  des  Aecoptanten  d.  h.  Schuldners  gesteckt 
wird,  im  Falle  der  Betrettende  ein  solches  besitzt.  Ein  eigenes 
Abzeichen  zu  besitzen,  ist  eine  besondere  Ambition  des  Wander- 
zigeuners. Zu  Winterszeit,  wenn  eben  die  Mitglieder  des  Stammes 
beisammen  sind,  oder  sich  wenigstens  nahe  zu  einander  befinden, 
pflegt  dor  Wojwodo  in  öffentlicher  Sitzung  dem  verdienstvollen 
Mitglied«?  des  Stammes  ein  solches  Abzeichen  zu  verleihen;  er 
erklärt  die  Form  des  verliehenen  Abzeichens,  worauf  dann  eino 
allgemeine  Zecherei  auf  Kosten  des  Ausgezeichneten  folgt.  Hin- 


/                                          Kig.  V. 

X — V--XIII-XX  -Vm- 

•  1 

X— A-XlU-XX-Aw. 

L... 

Zigeunorkonto. 

länglichen  Grund  für  eine  solche  Auszeichnung  liefert  auch  schon 
der  Umstand,  wenn  der  Wojwode  bei  irgend  einem  seiner  Mit- 
glieder eine  bedeutendere  Geldsumme  spürt,  die  eben  für  ein 
etwas  ausgibiges,  allgemeines  Zechgelage  genügt.  Solche  per- 
sönliche Abzeichen  können  bestehen  :  aus  einer  gewissen  Anzahl 
von  Längs-,  Quer-  oder  Kreuzschnitten  auf  einem  Stückchen 
Holz,  einer  gewissen  Anzahl  von  Ruten,  Pferdehaaren,  Schweine- 
borsten, Kürbiskernen,  udgl.  m. 

Das  persönliche  Abzeichen  des  Schuldners  wird  in  Gegen- 
wart zweier  Zeugen  in  ein  Säckclien  gelegt  und  so  durch  das 
erwähnte  Loch  hindurch  an  dasjenige  Kerbholz  gebunden,  das 
beim  Gläubiger  zurückbleibt.  Wird  die  Schuld  getilgt,  so  werden 
beide  Kerbhölzer  in  Gegenwart  der  beiden  Zeugen  vernichtet. 
Das  Ableugnen  der  Giltigkeit  eines  solchen  Wechsels,  die  Fäl- 
schung oder  unrechtmässige  Vernichtung  desselben  wird  für  ein 
grosses  Vergehen  gehalten,  wofür  der  Wojwode  den  Betreffenden 
gewöhnlich  für  ehrlos,  beschimpft  (melales)  erklärt  und  aus  dem 
Verband  des  Stammes  ausstösst.  Nur  wenn  der  Betreffende  eine 
bestimmte  Zeit  lang  allein  gewandert  ist,  den  Schaden  ersetzt 
und  die  Kosten  eines  allgemeinen  Gelages  gezahlt  hat,  kann  er 
wieder  in  den  Stamm  aufgenommen  werden. 


160 


Auf  ein  und  denselben  Stab  können  auch  zu  verschieden!-:. 
Zeiten  geliehene  Simulien  eingekerbt  werden,  in  welchem  Kali- 
die  einzelnen  Summen  durch  bohrlochartige  eingekerbte  Vertie- 
fungen von  einander  getrennt  werden.  Die  Zinsen  werden  auf  <l> 
andere  Fläche  des  Kerbholzes,  wohin  gewöhnlich  auch  die  W 
fallszeit  kommt,  verzeichnet. 

Aber  es  treten  im  Lehen  der  Wanderzigeuner  auch  solch»- 
Fälle  ein,  wo  nicht  blos  ( leldsummen,  sondern  auch  andere  l^- 
liehene  (legenstünde  auf  dem  Kerbholz  verzeichnet  werden  mii- 
sen.  Die  Zeltzigeuner  leihen  einander  nicht  nur  i  Seid,  senden: 
auch  verschiedene  Lebensmittel  und  andere  Sachen,  für  welch- 
es allgemein  gebräuchliche  Kerbzeichen  gibt.  So  z.  K.  bedeute: 
1  (in  Figur  VII.)  -  Höhnen,  2  —  Frbsen,  <\  —  Linsen,  4  -  Mm*, 
ö  —  Maismehl,  6  =  Brotmehl,  7  —  Brot,  8  Kuchen.  II  - 
Weizen.  10  Haler,  11  —  (leiste,  12  -  Kürbis,  Vi  Kehl. 
14  =  (Wirken,  15  Kürbiskerne,  16  -=  Speck,  17  -=  Fleisch. 
1H  Salz,  V)  -  Pfeifer,  20  Tabak.  Diese  Zeichen  stehm 
unmittelbar  nach  den  Zeichen,  welche  die  Quantität,  bezielmiurs 
weise  den  Wert  der  betreffenden  (legenstände  angehen. 

Die  Zauber-Frauen  der  Zeltzigeuner,  die  durch  Wahrsag 
und  I Ieilkünstlerei  udgl.  von   ihren   Stammesgenossen  uml  »l^n 
Dorfbewohnern  sieh  (leid  und  Victualien  oft  in  Menge  erwerbe 

Fiir.  VI. 


A*  |h^»|-6-»{  ED 


Ziiffunoi-ti'Ktaint'nt. 

sind  zugleich  die  Kapitalisten  und  (Ireisler  ihres  Stammes  un-i 
vermehren  ihr  Vermögen  durch  Wucher  und  andere  Kredit- 
geschäfte. Ihren  Stammesgenossen  leihen  sie  nicht  nur  (  leid,  son- 
dern auch  Lebensmittel,  und  führen  darüber  besondere  Kerl- 
hölzer, welche  die  (Sattung  und  den  Geldwert  des  betreffend-a 
Gegenstandes  aufweisen.  Im;  einzelnen  Posten  werden  auch  in 
diesem  Falle  durch  loehförmige  Finkerbungcn  von  einander 
schieden.  Ist  für  die  Rückzahlung  ein  Tennin  vereinbart  worden, 
so  wird  dieser  so  wie  beim  Wechsel  durch  die  angegebenen  KerN- 
Zeichen  auf  dem  Kerhholze  angeführt.  Hat  ein  (legenstaml  kc;ü 
allgemein  bekanntes  Zeichen,  so  wird  nur  sein  (Seidwert  »-mitt- 
kerbt.  Auch  diese  Konti  werden  in  zwei  Fxempluren  auslest«'!!:, 
wobei  das  persönliche  Abzeichen  des  Schuldners  ebenfalls 
Anwenduiur  kouiiut. 

Dem  in  Figur  V.  abgebildeten    Konto  gemäss  wurden  .'üf 
Kredit  folgende  ( regcnstündc  eingekauft:  für  ">  Kreuzer  1 5> •  ri i - 
für  ö  Kr.  Frbsen,  für  10  Kr.  Maismehl,  für  »>  Kr.   Hafer,  für 
Kr.  Kohl,  für  20  Kr.  Fleisrh  und  für  ö  Kr.  Tabak. 

Futer  den   Wanderzigeunern   in   Südungaru   gibt  es  vi<v 
wohlhal)ende.  Viele  \  ou  ihnen  befassen  sieh  mit   Sehweine-  u: : 


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101 


Pferdehandel;  in  den  Balkanländorn  kauten  sio  ganze?  Schweine- 
herden auf  und  treiben  dieselben  an  die  ungarische  Grenze,  wo 
sie  sie  mit  Gewinn  verkaufen.  Diese  Zigeuner  pflogen  testamen- 
tarisch über  ihren  Nachlass  zu  verfügen ;  solche  Testamente  wer- 
den ebenfalls  auf  Stäbe  eingekerbt  und  in  Gegenwart  von  Zeugen 
vom  Erblasser  den  Erben  übergeben.  Nach  dem  Tode  des  Erb- 
lassers weist  der  betreffende  Erbe  das  Testament  dem  Wojwoden 
seines  Stammes  vor,  worauf  dieser  nach  Zahlung  einer  Taxe  seine 
Erbschaft  anerkennt  und  ihn  im  Besitze  derselben  bestätigt.  Im 
Testamente  werden  die  im  zigeunerischen  Heimwesen  gebräuch- 
lichen Sachen  durch  besondere,  allgemein  bekannte  Kerbzeichen 
ausgedrückt.  Die  in  Figur  Vit.  vorgeführten  bezüglichen  Zeichen 
bedeuten :  21  -  Schwein,  22  =  Pferd,  23  =  Wagen,  24  -  Zelt. 
Die  im  Jahre  1880  verstorbene  Zigeunerin  Garie  stellte  für  ihre 
beiden  Söhne  das  in  Figur  VI.  hier  mitgeteilte  Testament  aus, 
demzufolge  jeder  ihrer  beiden  Söhne  je  8  Schweine,  1  Pford, 
1  Wagen  imd  1  Zelt  erbte;  den  übrigen  Nachlass  bekam  ihre  Tochter. 


Fig.  vir. 


X    V-A  WA 
11       «  *>       %\      z%  ii 

Kerbzoichon  der  Wanderzigeunor. 


14 


Die  hier  mitgeteilten  Kerbzeichon  sind  bei  den  südimga- 
rischen  und  syrmischen  Wanderzigeunern  allgemein  in  Gebrauch; 
für  andere  Gegenstände  gebrauchen  die  einzelnen  Stämme  von  ein- 
ander abweichende  Zeichen,  zu  deren  Kenntnis  wir  aber  bisher 
noch  nicht  gelangt  sind.  Von  einer  alten  Zeltzigeunerin,  namens 
Marie  Gernako,  die  Sommers  im  Bäckaor  Komitat  herumzusehwei- 
fen  pflegt,  hörte  1890  Wlislocki,  dass  in  ihrer  Jugendzeit  die  Zi- 
geuner viele  solcher  Zeichen  gebraucht  hätten,  die  aber  mm  in  Ver- 
gessenheit geraten  sind.  Sie  selbst  habe  in  ihrer  Jugendzeit  ihrem 
Gatten,  der  im  Kerker  zu  Baja  gefangen  sass,  mit  solchen  Kerb- 
zoichen  Nachrichten  ins  Gefängnis  hineingeschmuggelt;  ihr  Gatte 
habe  dieselben  verstanden,  aber  zufällig  verraten,  worauf  auch 
sie  eingesperrt  wurde.  Als  1883  drei  Wanderzigeuner  im  Kerker 
zu  Hermannstadt  verhaftet  sassen,  suchten  sie  sich  während  der 
Zeit,  da  sie  im  Gefängnishof  Bewegung  machten,  durch  in  den 


162 


Sand  gemachte  Zeichen  zu  verständigen;  ihr  Vorhuben  aber 
wurde  durch  die  Wachsamkeit  dos  Gefangenaufsehers  vereitelt. 

Nachdem  nun  die  Ziffern  und  die  allgemeineren  Zeichen 
beinahe  jeder  Stamm  der  Wanderzigeuner  Ungarns  kennt  und 
gebraucht,  so  kann  vielleicht  vorausgesetzt  werden,  dass  diese 
Kerbzeichen  oin  uraltes  Erbe  aller  Zigeuner  bilden.  Zur  Bestä- 
tigung der  Richtigkeit  dieser  Vermutung  müssten  freilich  diesbe- 
zügliche Forschungen  auch  im  Kreise  der  Zigeuner  andrer  Länder 
gemacht  werden. 


Aus  dem  Volksglauben  der  Schwaben  von  Solymar  u.  Szent-Ivän 

I.  Besprechungsformeln  (Ansp rochungen  *)) 

1.  Für  Jicschreia. 


a)  Bist  du  beschrieen  '■ 

Hot  di  beschriec  Weib  oder  Mann. 

Mogd  oder  Knecht, 

So  komm  du  zurück 

In  dein  voriges  Gesehlocht. 

Hilf  Gott  Vater,  Gott  Sohn  und 

|Gott  hl.  Geist  ! 

c)  Hot  di  b'schrieen  an  Mädchen, 
Hilf  dir  Gott,  der  Vater  ; 
Hot  di  b'schrieen  an  Knäblein, 


b)  Bistdu boschrioen  und  Horzgospier') 
Und  unterwachsen   zwischen  deine 

|  Hippen, 

Lnser  lieber  Horr  Jesus  Christus 
Liegt  in  seiner  Grippen.  *) 
Hilf  Gott  Vater  usw. 

(Solymar) 

Hilf  dir  Gott,  der  Sohn  ; 
Hot  di  b'schrieen  alti  Person, 
Hilf  dir  Gott,  der  heilige  Geist  ! 


V.  Für  Jihahtüllim. 


a)  Blud  rinn 

Und  rinn  nimmer  ; 
Christus  ist  gestorben 
Und  stirbt  ober  nimmer. 
Hilf  (»ott  Vater  usw. 

c)  T  stülle  dir  dein  Gohliet, 

So  wahr  Jesus  Christus  am  Kreize 

[hängen  tut, 

So  wahr  Jesus  Christus  in  Betelheim 
Im  Fluss  .Tordan  getauft,  (geboren, 

d)  Blud  du  rinnst, 

Du  rinnst  ober  nimmer  l 
Christus  is  g'storben, 
Er  stirbt  ober  nimmer  ! 


b)  (Man  nennt  den  Namen  der  betref- 
fenden Person  und  spricht  dann  :) 
Er  bot  si  g'hackt1)  bis  auf  das  Ban  r'), 
Es  soll  net  g'schwirich  wem,  wie  der 
Hilf  Gott  usw.  |Stan. 

Und    in    Jerusalem   gekreizigt  ist 

[worden, 

Soll  dir  dein  Gebliet  bleiben  stehn. 
Hilf  dir  Gott  Vater  usw. 


Hopf  !  Stopf  !  Stull  ! 
Sei  in  Gottes  WiüT  ! 
Hilf  Gott  Vater  usw. 


(Solymar.) 


3.  Für  Fieber. 

a)  Jesus  Christus  fahrt  auf  das  Acker-        Und  der  dritte  war  rod, 
Er  ackert  3  Dornen  aus  ;  [feld,        Und  des  macht  alle  77 

Der  erste  war  schwarz,  Fieber  und  Gedirmon  ;)  tod. 

Und  der  zweite  war  weiss,  (5  Vaterunser.) 

l>  Xachburdorfor,  doutsch«  Kolonien  in  der  NAhe  von  Hu<l»|>ett,  in  dnr  Odwr  Uortrtreireud. 
2i  Nach  oiner  Angabe  sollen  »ich  <lie  «ose  h  lochtet-  nur  (fetfenseititf  besprechen  kontiert. 
3)  H<)«ifOHchwUr(?)  4)  Krippe.  5l  Gonchnittan.  ü)  Bein.  7)  Getrrubol  Grimmen. 


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163 


b)  (Man  sted  früh  auf,  und  man  kniet  gegen  Sonnenaufgang  und  sagt  :) 

Griesst  Gott,  hellichter  Tog,  Von  aller  siobensiebezigerlnt  Fieber 


Hilf  mein'  Kind  (Mann.  Weib)  Hilf  Gott  usw. 

(Dann  sagt  man  den  Orangen  s^in  Nomen.) 


[ab. 
(Solymar) 


4.  Für  Hmuwirrm  (Ausschlag.) 


Der  Bauer  fahrt  am  Acker, 
Was  ackert  er  'raus  ? 
An'  Wurm, 
Was  für  an'  V 
An'  grienen  V 


Keinen  grienen. 
An'  roden  ? 
Koinen  roden, 
An'  toden  ! 
Hilf  Gott  Vater  usw. 


(Solymar) 


5.  Für  Kopfrchmi,  Kopfschmerz. 

a)  Unser  Herr  Jesus  fahrt  aus,  Und  der  war  von  n'and  ; 

Kr  fahrt  aufs  Feld  hinaus,  Er  nimmt  das  güldene  Band 

Er  fahrt  aus  mit  güldenem  Pflug,  Und  kiüpft  ihm  zam'. 

Er  ackert  aus  einen  Kopf,  Hilf  Gott  Vater  usw. 


b)  Die  Maria  geht  übers  Land, 

Sie  find't  an  Kopf,  dor  is  von'  nand  : 
Sie  hobt  'n  auf, 


Und  druckt'n  zam. 
Hilf  Gott  Vater  usw. 


(Solymar.) 


ß.  Für  Rodlauf. 


Maria  geht  über  das  Land, 

Sie  steckt  aus  ihre  rechte  Hand, 


Sie  tnt(?)  den  Hodlauf  und  den  Brand, 
Hilf  Gott  usw. 


7.  Für  Verränyen,  FustsrmnUwvhm  (Flochsen.) 

a|  Host  du  dir  dein  Gliede  verrückt  oder  verrängt, 
So  wahr  wie  Jesus  Christus  am  Kreiz  is  g'hängt ; 
Kospar,  Molchen  und  Haidhäuser  gehn  über  den  Wald, 
Da  steht  ein  Brindlein  Wasser  so  kalt, 
Sie  wollten  daraus  trinken; 
So  ihnen  das  Trinken  net  schadt, 
So  dir  das  Vorrängen  not  schadt. 
Hilf  Gott  Vater  usw. 

b)  Es  hupft  ein  Hirschlein  aus,  c)  (Z'allerorst  den  Nomen  ansagon). 

Es  hupft  in  Wald  hinaus,  [Stein,  Hast  du  dir  dein  Fuss  überstaucht 
Es  hupft  über  Stock  und  Stauen  und  oder  verrängt, 


Das  Boinlein  soll  net  verstauet  sein  ! 
Hilf  Gott  usw. 


Wie  Jesus  Christus  ist  an  den  Kreiz 
Hilf  Gott  usw.  [gehängt. 

(Solymar.) 


IL  Alltagsglauben. 

1.  Wenn  der  Dachs  vor  dorn  2.  Februar  aus  seinem  Verstecke  hervor- 
kriocht,  so  tritt  lindes  Wetter  ein  ;  kriecht  er  nicht  heraus,  so  bestimmt  das 
Wetter  dos  2.  Februar  die  kommende  Witterung  ;  ist  nämlich  das  Wetter  an 
diesem  Tage  angenehm,  so  ist  linde  Witterung  zu  erwarten  ;  ist  es  aber  un- 
angenehm, so  dauert  dor  Winter  noch  40  Tage  an.  —  2.  Die  Witterung  des 
kommendon  Jahres  kann  man  aus  dem  Wetter  der  Zeit  von  19.  —  31.  März 
bestimmen.  Ist  das  Wetter  am  19.  März  (als  am  erston  Tage  des  erwähnten 
Zeitraumes)  schön,  so  ist  es  auch  im  ersten  Monat  (also  Januar)  des  kom- 
menden Jahres  ;  ist  es  am  20.  März  (also  am  zweiten  Tage  des  erwähnten 
Zeitraumes)  rauh,  so  ist  der  zweite  Monat  (also  Februar)  rauh  usw.  —  3.  Um 
wie  viel  Tage  die  Frösche  vor  dem  Georgstago  quackun,  so  viele  Tage  werden 
sie  nach  diesem  Tago  schweigen,  d.  h.  so  viele  rauhe  Tage  werdon  auf  Goorgi 
unmittelbar  folgen.  —  4.  Die  Schlange,  welche  sich  vor  dorn  Michaelstag  nicht 


li>4 


für  den,  Winter  verkriecht,  wird  vom  Wagen  überfahren  werden  (d.  h.  sie 
erfriert).  —  5.  Wie  das  Wetter  am  Sonntag1  vor  der  Mosso  ist,  so  wird  es  auch 
die  ganze  Woche  hindurch  sein.  —  (>.  Wer  zu  Pfingsten  näht,  der  wird  in  dem 
Jahre  vom  Blitze  erschlagen  werden.  —  7.  Trocknet  man  in  den  vier  Fasten- 
wochen des  Quatembers  nach  Fasching  auf  dem  Aufhoden  Wäsche,  so  wird 
man  im  Laufe  des  Jahres  ebenda  das  Fell  irgend  eines  seiner  Haustiere  aus- 
breiten. —  8.  Begegnet  man  am  Morgen  im  ersten  Ausgang  ein  Weib,  so 
wird  man  am  Tage  Unglück  haben.  —  0.  Frisst  der  Hund  Gras,  so  sagt  man: 
„Jetz  krieg'n  mar  an  Regen".  —  10.  Legt  sich  die  Katze  im  Winter  auf  den 
Herd  hinauf,  so  sagt  man  :  ..Jetz  krieg'n  mar  no  gressoro  Kalt".  —  11.  Brennt 
ein  Haus,  so  nimmt  man  von  dort  einen  verkohlten  Holzspan  und  schreibt 
damit  auf  die  nächstliegenden  Häuser  die  Worte  :  „Hilf  Gott  Vater,  Gott  Sohn. 
Gott  hl.  Geist",  damit  diese  Gebäude  nicht  auch  Feuer  fangen.  —  12.  Die 
erste  Frucht  eines  Obstbaumes  gibt  man  einer  Schwangeren  zu  essen  ;  so  wie 
diese  gebiert  (ob  leicht,  schwer,  ob  ein  starkes  oder  schwaches  Kind)  so  wird 
auch  der  Baum  tragen.  —  13.  Beim  Brotbacken  bäckt  man  auch  einen  dünnen 
Fladen  für  die  Kinder,  der  aber  mit  dem  Messer  nicht  geschnitten  werden 
darf,  sonst  verdirbt  das  Brot. 

III.  Schätze. 

Auf  der  neben  Solymar  befindlichen,  „Sehlossberg"  genannten  Anhöhe 
stand  einst  eine  Burg  des  Königs  Mathias.  Die  Steine  der  verfallenen  Mauern 
benützton  die  Dorfleute  zum  Bau  ihrer  Häuser.  Vor  ungofähr  10  Jahren  war 
ein  gewisser  Josef  Schmied  (recte  Lang)  mit  dem  Auslösen  der  Bausteine  aus 
den  Burgmauern  beschäftigt,  als  ihm  gerade  beim  Mittagsläuten  die  soir. 
„Schlossfrau*  oder  „Schlüsselfrau"  erschien,  die  man  seither  zu  dieser  Zeit 
oft  gesehen  hat,  wie  sie  mit  zahlreichen  Schlüsseln  am  Leibgürtel  auf  einige 
Augenblicke  auf  der  Anhöhe  erscheint, 

Als  eines  Tages  Schmied  wieder  auf  dieser  Anhöhe  Steine  löste,  schlu- 
gen neben  ihm  Flammen  auf.  Er  wollte  nun  den  sichtbar  gewordenen  Schatz 
heben,  aber  da  kam  ein  Bauer  daher,  und  weil  er  mit  diesem  redete,  ver- 
schwand der  Schatz. 

Bei  einer  anderen  Gelegenheit,  als  er  wieder  Flammen  emporzüngeln 
sah,  warf  er  Brotkrumen  und  Rosen  in  dieselben;  als  er  aber  die  Schätze  an- 
rühren wollte,  da  schlugen  ihm  Teufelsgestalten,  die  in  den  Flammen  sassen. 
auf  die  Hand.  Er  lief  erschrocken  von  dannen. 

Den  -Anfechtungen  böser  Geister"  sind  die  Leute  in  der  Nähe  dieser 
Anhöhe  oft  ausgesetzt.  Einmal  kam  in  der  Abenddämmerung  ein  Solymarer 
Bauer  mit  seiner  Frau  auf  dem  Wege,  der  sich  unter  der  Anhöhe  hinzieht. 
Auf  einer  Brücke  fanden  sie  einen  Korb  voll  Kirschen,  welchen  der  Mann 
aufheben  wollte;  da  bekam  er  aber  2  so  tüchtige  Ohrfeigen,  dass  selbst  seine 
Frau  über  den  lauten  Schall  erschrak.  Hierauf  verschwand  der  Korb,  aber 
niemanden  konnte  man  in  der  Umgegend  erldicken.  Einmal  sah  man  auch  bei 
der  neben  der  Brücko  befindlichen  Rochus-Kapelle  einen  Soldaten  sitzen.  Als 
man  ihn  ansprach,  verschwand  er. 

Dem  Volksglauben  der  dortigen  Einwohner  gemäss  kann  nur  ein  solcher 
Mensch  einen  Schatz  heben,  der  an  einem  Sonntag  zu  Neumond  geboren  ist. 
„Brennt  der  Schatz",  so  ist  dies  ein  Zeichen,  dass  dort  eine  unschuldige  Seele 
von  bösen  Geistern  gequält  wird.  Sie  kann  nur  von  einem  solchen  Menschen, 
wie  oben  erwähnt,  auf  die  Weise  erlöst  werden,  dass  der  Betreffende  Brot- 
krumen und  Rosen  in  die  Flammen  wirft,  worauf  der  Schatz  sichtbar  wird 
und  er  denselben  heben  kann.  Tut  es  aber  ein  zu  anderer  Zeit  geborener 
Mensch,  so  ergeht  es  ihm,  wie  dem  oben  erwähnten  Schmied. 

Einmal  gieng  ein  am  Sonntag  zu  Neulicht  geborener  Mann  im  Walde 
der  Gemeinde  spazieren  und  sah  an  einer  Stolle  Flammen  emporzüngeln.  Er 
hob  eine  Kohle  auf  und  steckto  sie  in  soine  Tabackspfeife.  Dann  trat  er  die 
Flammen  aus  und  gieng  weiter.  Seine  Pfeife  wollte  aber  nicht  brennen,  und 
als  er  den  Inhalt  derselben  in  seine  Handfläche  leerte,  fand  er  statt  der  Kohle 
ein  Goldstück  vor. 


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11)5 


Ein  Waldhütor  gienjr  fast  allnächtlich  in  den  Wald,  um  auf  das  Auf- 
flackern der  bläulichen  Flamme  zu  lauern,  aber  das  Glück  war  ihm  nicht  hold. 

Jobannes  Friedl,  mit  dem  Übernamen  Daunor  Jobann,  war  als  Schatz- 
gräber bekannt.  Einst  kam  ein  Mann  aus  dem  nahen  Dorfe  Pomaz  zu  ihm 
und  forderte  ihn  auf,  gemeinschaftlich  einen  Schatz  zu  heben.  Sie  giengen 
auf  den  Kalvarienberg;  der  Pömäzer  legte  die  Wünschelrute  (Glücksrute )  auf 
den  Boden  ;  die  Rute  soll  eirien  Winkel  beschrieben  haben.  In  der  so  gewie- 
senen Richtung  begannen  sie  iu  graben,  nachdem  sie  übereingekommen 
waren,  kein  Wort  zu  reden.  Als  sie  etwa  1  M.  tief  gegraben  hatten,  trieb  der 
Kuhhirt,  der  sie  nicht  bemerkt  hatte,  seine  Herde  auf  die  Grabenden  zu. 
Friedl  riof  erschrocken:  „Gib  Olbocht,  die  Kih  kumra'n!"  Nun  war  das  Schweigen 
gebrochen  und  das  Graben  vergeblich. 

In  der  Dorfkirche  befindet  sich  die  Gruft  der  Familie  Majthenvi,  deren 
dort  ruhertde  Mitglieder  dem  Volksglauben  gemäss  auch  „erlöst"  werden 
müssen,  denn  schon  oft  sah  man  in  der  Nähe  der  Gruft  Flammen  emporzüngeln. 

Mitgeteilt  vou  Ludwig  Mdtyds. 

Zigeunersagen  u.  dgl.  über  Erzherzog  Josef. 

//.  Der  Xebrlkönitj. 

Im  Zigeunerstammo  Tekau,  der  im  Herbst  1886  bei  Arad 
Jiorumwaridcrto,  befand  sich  der  etwa  40-jährige  Saufbold  Danku 
Cutak.  Von  Wlislocki  über  den  Nobelkönig  befragt,  erzählte 
er:  „Erzherzog  Josef  wohnt  auch  dort  im  Reich  des  nebulo 
kraj  (Nobelkönigs);  or  hat  an  der  Stirne  einen  Mond,  aber  an  der 
Brust  die  Sonne.  Niemand  kann  kommen,  der  ihm  den  Mond 
und  die  Sonne  wegnehmen  kann.  Das  kann  tun  nur  ein  199  Jahre 
alter  Zigeuner  aus  Aegypten  ( Dsipto  dromengro  —  aegypt.  Wanderer  ). 
Der  nimmt  den  Mond  und  die  Sonne  .  .  "*  Diese  Erzählung 
hörte  Wlislocki  mit  wenig  Abweichungen  auch  im  Stamme 
Gajdake,  der  in  demselben  Jahre  aus  Bulgarien  her  kommend 
in  der  Gegend  von  Orsova  sich  herumtrieb. 


///.  Ohrister  Josef. 

In  der  Umgebung  von  Ofen  hoisst  es  bei  der  schwäbischen 
Landbevölkenmg,  der  Erzherzog  Josef  sei  ein  so  grosser  Freund 
der  Zigeuner,  dass  er  mit  ihnen  als  Zigeuner  verkleidet  oft 
wochenlang  das  Land  durchschweift  Einm»!  kam  ci  mit  den 
Zigeunern  hungrig  und  durstig  zu  einem  Schwaben  und  bat  um 
ein  Stückchen  Brot.  Der  Schwab  warf  ihm  ein  Stück  hartes  Brot 
hin  und  bei  sich  denkend,  er  werde  das  nicht  beissen  können, 
rief  er:  „Ob  isst  er  solches?"  Da  liefen  die  Zigeuner  mit  Erz- 
herzog Josef  davon,  und  sprachen  zu  ihm :  -Herr,  man  hat  dtrh 
erkannt,  denn  der  Schwabe  rief  dir  zu:  Obrister  Josef !u  Da- 
mals war  Erzherzog  Josef  noch  Oberst  in  einem  Regiment. 
(Mündlieh  vom  Ofner  Sehwaben  Franz  Krainer) 

Mitgeteilt  von  Anton  Hrrrmann. 
VAhn.  Mitt.  a.  Ungarn.  III.  12 


im 


Volkslieder  bosnisch-türkischer  Wanderzigeuner. 


Nikada  kam  tu  luludja, 
Kaua  the  üj  sukar  isi, 
Au  leskori  sukaripon, 
Sar  o  bar  bidsipo  isi. 
Me  kamjom  govlo  luludja, 
Javer  cinas  sukaripen 
Corolas  ov  mango  dsipen, 
Isom  akana  barensa. 


I. 

Trag  nach  keiner  Blum'  Verlangen, 
Wenn  sie  noch  so  schön  und  zart  ist, 
Da  doch  ihrer  Schönheit  Prangen 
Leblos  wie  der  Stein  und  hart  ist. 
Zarte  Blume  war  so  lieb  mir; 
Andrer  hat  sie  abgerissen, 
Hat  das  Leben  mir  zersplisson: 
Nur  des  Steines  Härte  blieb  mir. 


Upre  mara  barval  phurdel, 
Posik  andre  sile  pangel; 
Upre  tire  guc  hatav 
Bigado  kam  ta  bachta. 


Kana  rovav,  na  asa, 
Cumidjom  tut  ta  rovav; 
Dsandsir  mand'  isi  pharo-?, 
Ka  taja  tu  man  kames: 
Mande  n'ehi  katuna. 
Tute  olii  bare  kher, 
Avalesk'  isi  javer, 
T'  avokja  mange  dukhal! 


Lokipe  isi  dsipe, 
An  lova  isi  mange; 
Ani  isom  me  phures, 
Len  e  romna  man  caces! 


II. 

Auf  dem  Meere  Sturmgebraus, 
Erde  bebt  in  Frostes  Graus; 
Doch  ich  find'  in  deinem  Schoss 
Glück  und  Stern  auch  hemdelos. 

HL 

Wenn  ich  wein',  nicht  lach  dein  Mund, 
Küsst'  ihn  und  ich  wein'  jetzund; 
Liebtest  du  mich  noch  so  sehr, 
War'  mir  meine  Kette  schwer: 
Nicht  ein  kleines  Zelt  ist  mein, 
Dein  jedoch  ein  grosses  Haus; 
Andrer  geht  drin  ein  und  aus.... 
Und  das  macht  mir  schwere  Pein. 

IV. 

Lebe  leicht  wol  auf  der  Welt, 
Wenn  ich  habe  Gut  und  Geld; 
Zähl'  ich  auch  so  manches  Jahr, 
Möcht'  mich  mancher  Mann  fürwahr! 


Penes  tu,  the  me  muljom, 
Tro  pirano  na  isom; 
l'pro  kast  melve  porel, 
Soske  melve  na  merel ! 

Ani  tu  man  na  kamos, 
Javra  käme]  man  caces, 
Ta  me  dsidav  bitusa, 
Sar  e  molva  biknstal 


V. 

Sagst,  dass  ich  gestorben  bin, 
Als  dein  Schatz  verdorben  bin; 
Auch  die  Frucht  vom  Baiune  bricht, 
Doch  darum  verdirbt  sie  nicht! 
Willst  du  mich  nicht  lieben  mehr, 
Liebt  mich  bald  sonst  irgend  wer, 
Leb'  auch  ohne  dich  fürwahr, 
Wie  die  Frucht,  des  Baumes  bar! 


Mittft>t«ült  von  .4.  }ferrmann. 


(Fortsetzung  folgt.) 


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Iß7 


Srjati  Gvrgi. 

Tregnal  mi  e  svjati  Gergi 
Rano  mirano  na  Gergev  den, 
Da  si  ubifcda  zelon  sinur, 
Zolen  sinur,  ziten  sinur. 
Na  sresta  mu  tri  sinzirja, 
Tri  sinzirja  öcrno  robi., 
frvi  sinzir  se  oraci, 
Ci  sa  moljat  svjati  Gergja: 
Izmoli  ni,  svjati  Gcrgc, 
Ot  cernoto  robsko! 
ba  ta  darime  dobra  dara, 
Dobra  dara,  pestim  ljaba. 
Nesto  Gergi  pestim  ljaba, 
Noi  isti  Gergi  previt  kravai, 
Da  go  davat  rano  na  Gergev 
Prodi  slnce  s'  se  srce.  |den, 
Vtari  sinzir  se  kupanci, 
Ci  sa  moljat  svjati  Gergja: 
Izmoli  ni,  svjati  (Jorge, 
Ot  cernoto  robsko! 
Sa  ta  darim  dobra  dara, 
Dobra  dara,  vedro  vinu. 
Neste  Gergi  vodro  vinu, 
Noi  iste  Gergi  uka  vinu, 
Da  go  davat  predi  slnee, 
Predi  slnce  s'  se  srce. 
'IVeti  sinzir  se  ovcari, 
(Ji  sa  moljat  svjati  Gergja: 
Izmoli  ni,  svjati  (Jorge, 
Ot  cernoto  robsko! 
Sa  ta  darim  dobra  dara, 
Dobra  dara,  trigodison  oven. 
Neste  Gergi  trigodison  oven, 
Noi  iste  (iergi  saro  agne, 
Da  go  davat  predi  slnee, 
Predi  slnce  s'  se  srce. 
Tobe  pesme,  Boga  molimo: 
Ot  Boga  ti  mnogo  zdrave! 
Ot  druzena  dobor  vecer! 


*)  Aus  dem  Munde  des  83-jä 
und  mitgeteilt  von 


s  Georgslied.  * )  ... 

Set.  Gv.org. 

Macht  sich  auf  der  heiige  Georg 
Morgens  früh  am  Goorgstage, 
Zu  begehn  die  grünen  Felder, 
Zu  begehn  die  grünen  Saaten. 
Da  begegnen  ihm  drei  Ketten, 
Ketten  drei  mit  schwarzen  Sklaven. 
Kiste  Kette:  Ackerbauer, 
Und  sio  Hehn  zum  heiigen  Georg  : 
O  erlös  uns,  heiiger  Georg, 
Von  der  Sklaverei,  der  schwarzen  ! 
Geben  dir  gar  gute  Gaben, 
(Jute  Gaben,  Brot  gebacknes. 
Georg  braucht  kein  Brot  gebacknes, 
Sondern  braucht  gollochtnon  Ku- 
|hm  zuweihn  am  Georgstage,  |  eben. 
Morgens,  eh  die  Sonne  aufgeht. 
An  der  zweiten  Kett'  sind  Hauer, 
Und  sie  Hehn  zum  heiigen  Georg : 
O  erlös  uns,  heiiger  Georg, 
Von  der  Sklaverei,  der  schwarzen  ! 
Geben  dir  gar  gute  Gaben, 
(»tito  Gaben,  Kimer  Weines, 
Georg  braucht  nicht  Kimer  Weines, 
Braucht  vom  Wein  nur  eine  Oka, 
Ihm  zu  weihn  am  Georgstage, 
Morgens,  eh  diu  Sonne  aufgeht. 
An  der  dritten  Kett'  sind  Schäfer, 
Und  sie  Hohn  zum  heiigen  Georg: 
0  erlös  uns,  heiiger  Georg, 
Von  der  Sklaverei,  der  schwarzen  1 
(  leben  dir  gar  gute  (iahen, 
Gute  ( raben  :  Schaf,  drei  Jahr  alt. 
Georg  braucht  kein  Schaf  Jj  Jahr  alt, 
Sondern  braucht  ein  buntes  Lämm- 
Ihm  zu  weihn  am  Goorgstage,  |  lein, 
Morgens,  oh  die  Sonne  aufgeht. 
Dir  wir  singen,  Gott  wir  bitten: 
Dir  von  Gott,  stets  viel  Gesundheit, 
Von  den  Freunden  guten  Abend! 

i^eu  Hiev  im  Dorf.«  Spahlar  aufgezeichnet 

Adolf  Sirausz. 

12* 


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Dokumente  zur  Geschichte  der  Zigeuner. 

I 

Opinio.  De  DomicUiatione  et  Regulation«  Zingarornm. 

(Fortsetzung.) 

Ktsi  autem  subsecuta  hac  rationo  majori  ex  parte  Zingarorum  aurilo- 
torum  ad  certa  et  defixa  habitaeula  reductione,  statu  minataque  modalitate 
qualiter  i  11  i  ot  auriloturae,  vernali  et  acstivali  tempore  incumbero,  et  tempore 
hyljernali  fabricatomm  distractionom  tum  publiei,  et  privatorum  propriaque 
utilitate  exercere  possint,  liberiori  eorundem  divagationi  liraites  positos  esse 
creditum  sit ;  experientia  nihilominus  serius  edocuit,  hos  ipsos  aurilotores  sab 
speeie,  et  praetoxtu  exereendae  auriloturae,  magis  adhuc  reliquos  Zingaros 
qui  se  aurilotores  mentiebantur,  ut  ante  libere,  impuneque  de  loco  in  lorum 
circumvagari  haud  dosiisse ;  ad  tollendos  itaque  nocivos  hos  usus  per  Crrcti- 
lares  sub  30-ma  Juüi  A.  1787  Nro  7551  pro  stricta  obsorvantia  respectu 
aurilotorum  per  rcgium  Gubernium  cautujn  erat  : 

1-  mo.  Ut  hi  finita  aurilotione  ad  defixa  per  suscoptam  antea  Conscrip- 
tionen  loia,  et  habitationes  continuo  revertantur. 

2-  do.  L't  dum  e  locis  habitationum  moveri  intendunt,  semet  teneantur 
attestato  superiorum  munire  „quod  illi  conscripti  aurilotores  sint,  et  ad 
exercendam  auriloturam  proflciseantur.  Cum  secus  tali  attestato  non  munitus 
non   pro  aurilotore,  sed  pro   vagabundo  reputabitur,  et  qua  talis  tractabitur. 

3-  to.  Attestata  haec,  et  respective  Passuales  in  singulis  locis  ubi  moras 
nectent,  Notario  Pagensi,  vel  Pagi  praepositis,  quibus  adventum  suiim  signi- 
ftftahunt  exhibero  teneantur;  discossuri  vero  terapus  nexae  in  illo  loco  mor&e, 
et  locum  ad  quem  proticisci  üitondunt  per  loci  Notarium  aut  Pagi  antistites 
adnotari  curent. 

4-  to.  Uxores  prolesque  illorum  in  Civitatibus,  oppidis,  et  pagis  a 
mendicationibns  tanto  rertius  abstineant,  quod  secus  contravenientes  poena 
in  mendieantes  statuta  certo  certius  affieiendi  erunt,  denique  : 

o-to.  l't  hujus  modi  absque  Passualibus  praescriptisque  attestatis 
oberrantes  sequo  nullatouus  legitimare  valentes,  auditis  ad  quos  consrripti 
sunt,  Circidis  promprita  prius  poena  afiferti  ad  habitationum  suarum  loca 
remittantur. 

Quarum  quidem  dispositionum  offieaeia,  si  debita  per  Officiales  in 
illnrum  strictain  observantiam  adhibuatur  vigilantia,  cum  sperari  possit 
Zingaris  aurilotoribus  non  facile  libere  hinc  inde  divagandi  eopiain  fieri,  nihil 
aliud  superost,  quam  ut  singulis  his  salutaribus  dispositionibus  in  memoriam 
revncatis  ad  illarum  strictissimam  observantiam  Officiales  serio  eommone- 
antur,  eo  adhuc  quoad  aurilotores  hos  Zingaros  adnexo,  ut  cum  iisdem 
porro  quoqu»  liberum  sit,  tempore  hibernali  eonfeetione,  et  distractione 
vasorum  aliorumque  fabricatomm  ligneorum  necessaria  vitae  adminieula  pro- 
curare,  ne  iisdem  hac  ratione  ad  devastandas  sylvas  occassio  Hat,  illi  ad 
comparanda  nun  indultu  Dominorum  Terrestrium  pro  necessitate  suorum 
artefaetorum  ligna  ad  Plagam  Sylvarum  succisioni  annuali  destinatam  prae- 
existentemque  pro  aedilibus  et  fabrilibus  necessitatibus  ligni  provisionem 
inviiMitur.  in  oxstructione  vero  Üomorum  de  quorum  structura  inferius  agetur 
et  habitationum  sepimentorumque  ad  observantiam  Sylvestris  ordinis  com- 
pellantur. 

T  i  I  ii  I  ii  s  II. 

De  Ziwjaris  sie  di»ti<*  Fisculibtdi  Ta.uilistis. 

Zingari  auriloturam  non  exercentes  erant,  ut  supra  dictum  Fiscales 
Taxalistae  sub  separate  Zingarorum  Inspeetore  existentes,  et  certam  annuam 
Taxain  Camerao  dependontes.  Iii  juxta  eouscriptionon  per  Inclytum  Thesaura- 
riatuin  sub  24-ta  X  bris  A.  17H1 .  Uegio  ( riibernio  transpositam,  sub  2U  Vajvodis 
1239.  tentoria  numerabant,  et  taxatn  Cameralern  933  fl.  H1  r  xr.  solvohant. 

De  horum  quoque  Zingarorum  perinde  ae '  aurilotorum  ad  eertas  et  fixas 
sedes  fienda  reductione,  et  doiiiiciliatione  iteratae   emanarunt  altissimae  ordiria* 


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IM 


tioncs  Regiae,  et  quidom  ad  suhmissum  sub  8-va  April.  Anni  1873,  Xroquo 
2454.  per  Regium  üubernium  praehabitao  inter  membra  Regii  Uubernii,  ot 
Thesaurariatus  Regii  concortantionis  Protocollum  medio  Decreti  Aulici  de  27-ma 
Augusti  exarati  Nroque  (Juberniali  7642.  signati  cautum  est  : 

1-  ino.  Ut  e  praedictis  Zingaris  per  Thesaurariatum  Regium  ad  Salis 
Oeconomias,  et  alia  loca  Fiscalia  ubi  varua  reperirentur,  tot  quot  possihile 
foret,  familiae  illocentur,  iisdernque  requisita  ad  procuranda  flxa  domicilia, 
domorum  utpote  erectionem,  et  instrumentorum.  ad  promotioucn  assignandaa 
ipsis  ruralis  Oeconomiao  necossariorum  comparationom  subsidia,  orga  prae- 
standam  ab  iisdem  cum  tempore  boniticationon  suppeditentur. 

2-  do.  Reliquae  vero  horutn  Zingarorum  Familiae,  si  de  fixo  domicilio 
ipsae  providorent,  ud  ipsum  publicis  Tostimoniis  romprobarent,  erga  15.  fl. 
intra  trimestre  spatium  a«l  Aerarium  Oarnerale  pendondos  a  subditcla  Fisci 
Riegii  manumittantur. 

3-  tio.  Familiae  vero  <|uae  nee  ad  bona  Fiscalia  illocari  possent,  nec  de 
flxo  domicilio  sibi  ipsae  providorunt,  erga  25.  fl.  ad  aerarium  Regium  dopoai- 
üonem  privatix  etiam  Dominis  terrestribus  pro  subditis  cedantur  ut  assignontur, 
Quorum  crit  illos  congruenter  illocare. 

4-  to.  Oinnos  praerecensitis  modis  illocandi  Zingari  per  tres  continuos 
annos  a  Contributione  Regia  immunes  sint,  et  prastationibus  etiam  sorvitiisque 
Dominalibus  duraute  hoc  teinporis  spatio  in  leviori  duntaxat  monsura  subsint, 
sub  qua  exprensa  conditione  Hominis  Terrestribus  transponcndi  erunt.  evoluto 
autem  triennio  tarn  Contributioni  Regiae.  quam  legalihus  servitiis,  ot  praestan- 
tionibus  subjici  queant. 

5-  to.  Illocandis  Zingaris  sub  comminatione  sevorae  animadversionis  per 
Oflficiales  praecipiatur,  nec  loco  Domicilii  absque  Passualihus  Dominorum 
terrestrium  quorsumounque  e  territorio  Possessionis  ad  quam  illocati  sunt,  dis- 
cedore  audeant,  et  si  qui  absque  Passualibus  deprehenderentur  illico  compre- 
hendantur,  et  ad  proximum  OfTicialem  Oomitatensem  doducti  12.  baculorum 
ictibus  pulsentur,  et  iterum  ad  locum  Domicilii  roducantur,  in  reliquo  autem 
et  hi  Zingari  puncta  per  Regium  (jubornium  rcspectu  reli<piorum  Zingaro- 
rum sub  12  Septembris  Anno  1782.  Nro  6525  publ  icata  inferiusque  recen- 
senda  stricte    observare  teneantur. 

Singula  haec  autem  per  Sacratissimam  Suam  Majestatem  praoscripta 
puncta  modio  Ordinationis  sub  18  Augusti  anni  1784.  Xumoroquo  6902.  cxa- 
ratao  publicata  extiterunt,  an  etiam  nominanter  quad  illocationem  haec  omnia 
effectui  sint  tradita,  et  quid  porro  eatenus  adhuc  constituendum  desideretur 
sequonti  Titulo  pertractabitur. 

Titulus  III. 

De  Zinyaris  ad  priraUw  Pnminox  Tn-rcntrcs  vcl  Communitatex  Ape<tantibux. 

Notandum  praevie  est  Zingoros  hos  juxta  C'onscrii)tionem  Anni  1781. 
peractam,  et  per  Oirculos  Xro  4868  subrnissam,  Patres  et  Matresfamilias  Nro 
1268t».  animas  vero  35539.  constituisse,  ex  his  autem  familias  8598.  domiciliatas, 
et  4088.  vagas  oensitas,  ex  iisdem  praedictis  familiis,  .Jobbagionales  10947. 
Inquilinares  vero  1739.  numeratas  fuisse,  de  his  quoque  Zingaris  in  ductu 
B.  Decreti  Aulici  de  14-ta  Augusti  Anni  1782.  exarati  Nroque  (»uber- 
niali  6525.  signati  sub  12-ma  7-bris  Xroque  6525.  cautum  erat  per  Cireularos, 
ut  illae  ad  fixa  domicilia,  et  .Juris<lictionem  alieujus  Domini  torrestris  conscri- 
bantur,  eisque  divagatio,  et  sub  tentoriis  habitatio  serio,  et  sub  incursione 
poenae  corporalis  interdicatur,  praoterea  vero  cum  impossibile  fermo  sit  eosdem 
Zingaros  in  Cives  Patriae  utiles  aliter  transmutatum  iri,  quam  si  mores  <piibus 
Imbuti  erant  penitus  exuant.  et  principiis  tarn  religionis,  quam  etiam  vitae 
socialis  imbuantur,  hinc  sequontia  per  eosdem.  ut  et  reliquns  omnes,  seu  au- 
rilotores,  seu  sie  dictos  Taxalistas  Fiscales  Zingaros  strictissime  observanda 
praescripta  sunt  puncta  :  et  quidem  in  re  Religionis,  ut 

1-mo  :  In  iis  quao  ad  fidom  necossaria  sunt  semet  erudiri  curent,  pro- 
lesque  suas  a  teneris  adhuc  imbuant. 


170 


2-do  :  Nuditatem  prolium  quaqua  possunt  ratione  tegant,  nec  per  illorum 
nuditatem   seu   doini   sive  juxta   vias   publica»   atque  Platcas,  transeuntibus, 
ai>ominanduni  praeboant  spcctaculum. 

tt-tio  :  In  suis  habitaculis  sexus  diversitate  obscrvata,  separationom  insti- 
tuant,  ut  gravissima  mala  dehinc  anteverti  possint. 

4-  to  :  Ecclesias  frequentcnt,  praosertim  Dominieis  et  Feativis  diebus,  et 
signa  Christianac  pietatis  exhihoant,  hinc 

5-  to  :  Oertis  Antistitibus  semot  subjiciant,  eorumque  directioni  actione» 
suas  subjiciant. 

Rolato  vero  ad  socialis  politiorisquc  vitao  modum  haec  adjecta  sunt 
p'umta. 

1-  ino  :  In  victu,  vestitu  ac  lingua,,  semot  illi,  cujus  apud  incolas  loci  quo 
degunt,  usus  est  confonnont:  ab  animalium  porountium  osu  abstiueaat,  vestituni 
varium,  et  linguam  propriam, 

2-  do:  Pallia  quae  eondendis  rebus  furtivis  peroportuna  sunt  ponitus 
deponaut. 

3-  tio:  Equis  nulli  Zingarorum  praeter  Aurilotores  uti  licitum  sit, 
sed  et  his 

4-  to  :  Permutationes  occasione  nundinarum  interdictae  sint. 

5-  to  :  Pagorum  Iudicibus  serio  imj>onatur,  ne  Zingaros  otiosos  esse 
sinant.  Sed  si  Domcsticum  aut  Doininalein  laborein  nulluni  habuerint,  alienum 
pro  mereede  peragere  cogantur. 

6-  to  :  Ruralibus  praosertim  laboribus  assvefiant,  hi:ic  : 

7-  mo  :  l.'bi  fieri  poterit,  eo  res  dirigatur.  nt  Doruini  teilest  res  oosdem 
Zingaros  recepturi,  terras  etiam  colendas  illis  assigncnt.  Et 

8-  vo  :  Qui  laboros  Canipestres  seqnius  perageront  pocnam  corpnralem 
subeant. 

fJ-no  :  Excrcitium  opiiieii  tunc  tantuin  illis  concedatur  dum  tempus  110:1 
admittil  ruri  laborare.  quod  etian  ratione  Musicaruiu  intelleitum  esto. 

Etsi  autem  in  ductu  exaratarum  a  Parte  Rugii  Gubcrnii  aeque  ac  Inclyti 
Thesaurariatus   Ordinationum  Conscriptio   horum  Zingarorum  rite  peraeta  sit, 
seriaeque  factae  sint  dispositionos,  ut  hi  quoque  ad  certas  et  fixas  habitationes 
praemissa   inodalitalo   revocentur,   divagatioquo   de  uno  loco  ad  alium  iisdem 
severe  prohibeatur,  observatum  tarnen  est  postea  quoque  Zingaros  hos  incertis 
laribus.  quandoque  sub  praetextu  auriloturae,  nonnunquam  vero  distrahendorum 
artefactorum.  liberius  de  loci»  in  locum   circumivisse.  hacque  ratione  salutares 
quasvis  i!e    illorum   ad   certas   Sedes  reductione  et  meliori   regulatione  editas 
Ordinationcs  irritas  redditas  esse,  hinc  a<l  inpediendam  haue  noxiam  divagandi 
libertatem    Kegium   Oubernium   medio  Circularium  sub  :IU.  Julii  A.  1787.  Nro 
7551.  exaratarum  respectu  cumprimis  Zingaromm   qui   distrahendorum  diver- 
8orum  e    cupro.  ferro  lignoque,  et  aliis   rebus  confectonnn  fabricatorum.  hinc 
inde   liberius   divagari   needum   desierant.   ordinandum  invenit,  ut  hujusmodi 
Zingari  e  loeis  ad  quae  conseripti  sunt,  nonnisi  passualibus  muniti  egredi  nec 
sine  illis  ex  uno  loco  ad  alterum  additus   admitatur,  hujusmodi   illorum  pas- 
suales  in  quovis  loco,  ad  quem  pervenerint,  signanter  veio  in  quibus  distra- 
hendorum fabricatorum  causa  plurium  dierum  moram  nectero  vellent,  per  illos 
exhibeantur   et   si  inde   ulteiius  prolieisci  cuperent,  locus  ad  quem  lendunt 
designotur,   et   tarn   locus,   quam   nexae  ibidem  morae  tempus  per  Notaiium 
Pagensem    vel   in   hujus   defuetu   per  aliquem  Circuli  Officialem  passualibus 
indorsetur.    Absque  similibus  passualibus  deprehensi,  locaque  e  quibus  vone- 
runt  et    tempus    commorationis    legitimare   noqueuntes,    ideoque    pro  trans- 
gressoribus  hujus  ordinationis  comperti  Zingari,  illico  in  loco  illo  qui  Passualibus 
insortus  non  est.  detineantur,  fotaque  cum  jurisdictione  loci,  cui  illocati  sunt 
de   edictis   illorum  eointelligenlia  si  illos  illicite   vagari   compertum  fuerit, 
puniantur  et  ad  loca  habitationum  reducantur. 

Mendicare  autem  tarn  illis,  quam  et  Uxoribus  prolibusque  sub  poena  in 
mendicantes  statuta  prohibitum  est. 

(Fi  rtsetzung  folgt.)  / 


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171 


Kinderschrecker  und  Kinderräuber  im  magyarischen  Volksglauben ! 1 ) 

Von  Ludteig  Kdlmdny. 

I.  Sztpasszonyok  =  Sohöne  Frauen. 

Vor  allem  lauclit  die  Frage  nach  der  Anzahl  der  Szcp- 
a&Mtniy  auf,  das  heisst,  wie  viele  dergleichen  Wesen  es  gibt. 
Unsere  Quellen  weichen  in  dieser  Beziehung  von  einander 
ab.  In  den  Szegeder  Hexenprozesson  aus  dem  vorigen  Jahr- 
hiuidert*)  imd  in  einigen  aus  Siebenbürgen  stammenden  Da- 
ten1) kommen  mehrere  tizepasszoiiy  vor ;  heutzutage  aber 
kennt  das  Szegeder  Volk,  sowie  einige  Ueberlieferungen  aus 
Siebenbürgen,  nur  eine  Szepasuzony.*)  Ebenso  gehen  unsere  Quellen 
auch  in  der  Bestimmimg  des  Wesens  der  Szopasszuvy  aus  ein- 
ander. In  den  erwähnten  Hexenprozessen  wird  über  die  Gelage 
und  Unterhaltungen  der  Hexen  berichtet.  An  einer  Stelle  sagt 
Angeklagter  (Daniel  Közsa):  „Dies  Leben  ist  eine  Herrlichkeit; 
siehe,  wie  schön  wir  leben;  es  gibt  viele  Szepasszonyok".  Aus 
anderen  Hexenprozessen  wissen  wir,  dass  die  sich  also  unter- 
haltenden Wesen  Hexen  sind.  Auch  die  Sztpusszonyok  der  Szekler 
können  wir  für  Hexen  halten,  weil  sie  dem  Volksglauben  gemäss 
den  Mund  desjenigen  schief  machen,  der  ein  am  Freitag  ge- 
waschenes Hemd  anzieht.  Aenliches  wird  eben  auch  von  den 
Hexen  berichtet.  Hingegen  werden  die  tizepnsszonyok  in  folgenden 
Ueberlieferungen  als  Feen  dargestellt:  In  Siebenbürgen  heisst  in 
der  Nähe  des  Dorfes  Körispatak  ein  Erddamm  ,.Szepasszonyok 
ütja*4  (Weg  der  8z.),  der  aber  auch  „Tünderek  ütja"  (Weg  der 
Feen)  genannt  wird;  dies  weist  also  auf  das  feenhafte  Wesen 
der  Sz.  hin,  worauf  auch  die  Sage  der  Szekler  über  die  Lein- 
wand )  hinweist.  Die  Szepasszonyok  sind  in  den  verschiedenen 
magyarischen  Gegenden  zu  verschiedenen  Gestalten  ausgebildet 
worden ;  in  manchen  Gegenden,  z.  B.  bei  den  Szeklern  in  Härom- 
szek  sind  sie  Hexen,  anderswo,  wie  z.  B.  in  der  Gegend  von 
Körispatak  aber  sind  sio  den  deutschen  Feen  und  den  slavischen 

')  S.  Ethnographia,  1Ö98.  S.  225. 
*)  Ipolyi,  Magyar  mythologia  S.  589. 

a)  S.  die  ungar.  Ztschr.  „Ethnographia"  II.  Bd.  S.  3U0;  und:  Kozma, 
Mythologiai  elemek  a  sz6koly  n^pkölteszet-  es  n6p£letben  (  Myth.  Elemente 
in  d.  Volksdicht,  u.  im  Volksleb.  d.  Szekler)  S.  24  ;  ferner  in  d.  ungar.  Ztschr. 
„Földrajzi  közlemonyek"  (—  Geogr.  Mitteil.)  XXI.  Bd.  S.  240. 

♦)  Ztschr.  ,Üj  magyar  muzeuiu"  1855  Jahrg.  1.  253. 

*)  Die  Sz.  ward  ihrem  Goliebten  unü-eu,  weshalb  sie  dieser  ins  Gesicht 
schlug  und  in  den  bodenlosen  Kristallsee  untertauchte,  die  Worto  sprechend  : 
„Erwarte  du  mich  1000  .Jahre  lang  !*  Seither  erwartet  allnächtlich  die  Sz.  ihren 
Liebsten  und  breitot  ihre  Loinwand  aus,  welche  die  «Milchstrasse-  am  Him- 
mel bildet.  Allnächtlich  begiesst  sie<  ihre  Leinwand,  von  der  dann  dass  Wasser 
als  Tau  herabfallt  (s.  d.  Ztschr.  „Üj  magyar  muzeum  I.  253).  Hiezu  ist  noch 
zu  bemerken,  dass  die  Milchstrasse  magyarisch  neben  Orszdgüt  < Landstrassej 
auch  „Feengang"  (Tünderek  jarasa),  „Feenweg"  (T.  ütja),  heisst  Is.  meine  Ab- 
handlung :  „ A  csillagok  nyelvhagyomänyainkban"  S.  22,  23;  deutsch  in  der  Ztschr. 
»Am  Ur-Quell"  IV.  Bd.) 


172 


Vilun  verwandte  Wesen ;  der  magyarischen  Volksüberlieferung  der 
Szegeder  Gegend  nach  sind  sie  weder  Feen,  noch  Hexen.  Die 
Szepasszony  gefährdet  wol  auch  die  Menschen,  aber  den  Tie- 
ren fügt  sie  kein  Leid  zu,  was  eben  die  Hexe  auch  bezüglich 
der  Tiere  tut;  letztere  kann  verschiedene  Gestalten  annehmen, 
die  Sz.  verändert  ihre  Gestalt  nie,  auch  kann  sie  nie,  wie  die 
Hexen,  gefangen  und  körperlich  gezüchtigt  werden ;  die  Hexe 
erlernt  die  Zauberkunst,  während  die  Szepasszony,  als  Tochter 
der  alten  Fr  t  '  Vördönf/Öa,  (aus  Majdan,  Szöreg)  gleich  bei  ihrer 
Geburt  die  Zauberkraft  in  sich  hat.  Nach  Szegeder  Ueberlieferung 
kann  also  die  Sz.  nicht  zu  den  Hexen  gerechnet  werden,  aber 
auch  nicht  zu  den  Feen.  ..Die  Feen  waren  zaubermächtig;  sie 
konnten  alles  werden,  was  sie  wollten ;  sie  flogen  mit  Flü- 
geln in  der  Gestalt  eines  Schwanesu  (aus  Egyhäzas-Ker) ;  wer 
der  Fee  (Tünder)  das  Kleid  raubt,  kann  sie  zu  seinem  Weibe 
machen1) ;  dies  kann  mit  der  Sz.  nicht  vorgenommen  werden, 
die  sich  überhaupt  mit  Männern  nie  einlässt.  Die  Sz.  ist  nach 
magyar.  Volksglauben  der  Szegeder  Gegend:  ein  Fluch  der  Mensch- 
heit ;  das  Kind  ist  kaum  geboren,  so  „lauert  schon  die  Sz.  ums 
Haus  herum,  wenn  sie  aber  hinein  gehen  kann,  so  geht  sie  hin- 
ein und  gibt  zum  Fenster  hinaus  das  Kind  den  Hexen"  (aus 
Szöreg).  „Nur  zwischen  11 — 12  Uhr  nachts  geht  die  Sz.  Wein 
trinken ;  7-mal  trinkt  sie  ;  was  übrig  bleibt,  giesst  sie  zum  Fen- 
ster hinaus  ans  Hausende,  denn  sie  hat  mehrere  durstige  Hexen 
zu  Hegleiterinnen-  (aus  Szeged).  Wichtig  ist  die  Ueberlieferung 
aus  Szöreg,  in  der  berichtet  wird,  dass  „als  Gott  die  bösen  Ku- 
gel herabwarf,  eine  Frau  dazu  gieng;  diese  ward  von  ihnen  ver- 
führt; seither  heisst  sie  Szepasszonv".  Ein  solches  kinderraubon- 
des  Wesen  ist  auch  die  Lilith  der  Hebräer,  die  sich  ebenfalls  in 
ein  Liebesverhältnis  mit  den  Engeln  eingelassen  hat.  Lilith  war 
der  Sage  nach  Adam's  erste  Frau,  sie  verliess  ihn,  nachdem  sie 
mit  ihm  böse  Geister  erzeugt,  und  schloss  sich  dem  Samael  an.») 
In  magyar.  Ueberlieferung  ist  die  Sz.  zwar  nicht  die  Frau  des 
Adam,  aber  der  Teufel  giesst  aus  Neid  das  „Wasser  der  Szep- 
asszony" (Sz.  vize)  auf  ihn.  In  einer  magy.  Ueberlioferung  aus 
Szöreg  wird  erzählt:  „Der  Löffel  der  Sz.  bedeutet  Gastmal- 
freuden. Als  Adam  und  Eva  im  Paradiese  waren,  hatten  sie  kei- 
nen (eisernen)  Löffel,  nur  einen  Holzlöffel;  sie  sagten,  dass  sie 
damit  nicht  essen  könnten,  denn  er  breche  ihnen  in  den  Mund. 
Gott  machte  ihnen  dann  einen  eisernen  Löffel.  Sie  hielten  nun 
ein  grosses  Gelage;  seither  heisst  man  die  Freuden  des  Gast- 
mals: Löffel  der  Szepasszony  (Sz.  kanala)u.  In  dieser  dunklen 
Uoberliefenmg  wird  die  Sz.  ebenfalls  mit  Adam  in  indirekte  Ver- 
bindung gebracht.    Nach  jüdischer  Ueberlieferung  ladet  Gott 

')  S.  meine  Sammlung:  Szeged  nepo  (Szeged's  Volk)  I.  130. 

*)  Roskof  Gesch.  d.  Teufel«  1.  254;  May^r,  Allg.  Myth.  Lex.  I.  81:  Ztschr. 
d.  D.  morgenländ.  iiesellaohaft  IX.  484;  Abh.  f.  d.  Kunde  des  Morgenlandes 
IV.  Nr.  3.  S.  H7;  die  Ztschr.  „Am  Ur-Quell"  II.  6.  144. 


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173 


Adam  und  Eva  zu  einem  Gastmal  ein1).  Die  Lilith  verlässt  ihren 
Gatten,  den  Adam;  die  Sz.  verlässt  ihren  Gcmal,  den  „lahmen 
Bettler*  (santa  koldus),  der  ihr  seither  als  Sternbild  am  Himmel 
nachgeht*).  Aber  Lilith  wird  von  Gott  aus  Erde  geformt,  während 
nach  magy.  Ueberlieferung  die  Szepasszony  die  Tochter  der  al- 
ten Krau  Vördo'ngöü  ist  (diajckt.  =  ördöngos,  teuflisch).  Nach- 
dem sie  ihren  Gatten,  den  Smda  koldus  treulos  verlassen  und  sich 
mit  den  gefallenen  Engeln  abgegeben  hat,  ist  sie  als  schlechtes 
Wesen  die  Anführerin  der  Hoxen  geworden,  der  man  aber  kern 
Leid  zufügen  kann.  Dies  also  ist  nach  der  magyarischen  Uebor- 
licferung  in  der  Szegeder  Gegend  die  Szepasszony. 

(Fortsetzung  folgt.) 

Vehmgerichte  bei  den  bosnischen  und  bulgarischen 

Wanderzigeunern. 

Von  Itr.  Heinrich  v.  Wlislocki. 

In  das  tiefste  Geheimnis  gehüllt  ist  jene  sociale  Einrichtung 
der  Wanderzigeuner  der  Balkanländer,  die  wir  als  eine  Art  von 
..Vehmgericht"  bezeichnen  können  und  die  bei  ihnen  unter  dem 
mir  im  verständlichen  Namon  mmdado  bekannt  ist.  Fremden  ge- 
genüber bewahren  die  Zigeuner  über  diese  Einrichtung  tiefes 
Schweigen,  und  zwar  schon  aus  Furcht  vor  diesem  Vchmgerieht, 
vor  dessen  Verfolgimg  kein  Wandorzigeunor  der  Balkanländor 
sicher  ist.  Tag  und  Nacht,  in  jedem  Augenblick  kann  er  daraut 
gefasst  sein,  üi  seinem  Zelte  eino  kreisrimde  Holzscheibe  zu  fin- 
den, durch  deren  mit  einem  Bohrloch  versehene  Mitte  ein  Holz- 
stab gezwängt  ist.  Hat  diese  Scheibe  ihre  natürliche  Holzfarbe, 
so  gilt  sie  dem  Manne ;  ist  sie  aber  rot  angestrichen,  so  hat  das 
Weib  vor  dem  Vehmgericht  zu  erscheinen.  Schon  im  Jahre  188t> 
hatte  ich  eine  Ahnung  von  diesem  Vehmgericht,  das  bei  den 
Wanderzigeunern  Ungarns  und  Siebenbürgens  nicht  bekannt  ist, 
obwol  auch  bei  ihnen  die  Einrichtung  besteht,  dass  eine  Ehe- 
brecherin, von  ihrem  Gatten  Verstössen,  bei  dessen  Lebzeiten 
keine  giltige  Ehe  mit  einem  anderen  Manno  eingehen  kann.  Eine 
„Zeitohe"  aber  ist  erlaubt  und  zwar  nur  mit  Einwilligung  des 
Wojwoden  des  betreffenden  Stammes,  welchem  der  Mann,  der 
eine  solche  Ehe  eingehen  will,  angehört.  Eine  solche  „Zoitehe" 
(zigeunerisch  jrpastpa  =  Halbheit  genannt)  musste  ich  auch  mit 
der  serbischen  Wanderzigeunerin  Rosa  Saric  eingehen,  um  das 
volle  Vertrauen  meiner  Zigounergenosson  zu  erlangen.  Doch  da- 
rüber an  anderom  Orte  bald  ausführlicher;  hier  nur  so  viel,  dass 
diese  meine  jepiw  romni  (Halb-Frau)  einem  serbischen  Wander- 

')  Mayn-  h.  a.  O.  I.  ')2, 

*)  S.  meine»  Abh.  „Die  Sterne  im  magyar.  Volksglauben"  in  der  Ztschr. 
„Am  Ur-Quell'  IV.  Bd. 


174 


zigeunerstamm  angehörte,  von  dessen  manUislo  sie  nicht  nur  aus 
dem  Stamme,  sondern  auch  aus  dessen  ganzem  Wandergebiet 
wegen  überführten  Ehebruches  verbannt  worden  war  und  nach 
langem  Horumirren  in  Siebenbürgen  eine  Aufnahme  fand.  Von 
ihr  erfuhr  ich  einige  Daten  über  dies  Vehmgericht.  die  sich  mir 
während  meines  verhältnismässig  kurzen  Aufenthaltes  in  Bos- 
nien (Frühling  1891)  bewahrheiteten. 

Kein  Wanderzigeuner  setzt  sich,  trotz  seiner  überaus  aus- 
gebildeten sexuellen  Triebe,  über  die  eheliche  Treue  seiner  Gat- 
tin gar  so  leicht  hinweg,  wie  dies  einige  oberflächliche  Forscher 
uns  weiss  machen  wollen.  Experto  crede  Ruperto.  Kann  er  den 
Ehebruch  seiner  Gattin  beweisen,  so  macht  er  hievon  dem  Woj- 
woden  seines  Stammes  Anzeige,  worauf  dieser  das  Weib  für  „be- 
schimpft" (melales)  erklärt  und  auf  eine  bestimmte  Zeit  aus  dem 
Stamme  verbannt;  schliesslich  auf  Wunsch  des  Gatten  bei  dem 
Pfarrer,  der  das  Paar  getraut  hat,  die  kirchliche  Trennung  der 
Ehe  einleitet.  Dies  ist  das  Vorgehen  in  Ehebruchsfällen  bei  den 
Wanderzigeunerstämmen  in  den  Ländern  der  St.  Stefanskrone. 
Anders  ist  es  bei  den  Zigeunerstämmen  der  Balkanländer,  bei 
denen  der  Gatte,  ohne  auch  nur  eine  Ahnung  vom  Ehebruch  der 
Gattin  zu  haben,  gar  oft  mit  der  Nachricht  überrascht  wird,  seine 
Frau  sei  vom  manhutlo  verbannt  und  seine  Ehe  gelöst  worden. 
Welch  schwere  Folgen  dies  für  beide  Ehehälften  hat,  lässt  sich 
leicht  denken,  wenn  man  eben  weiss,  dass  nun  nicht  nur  die  Frau, 
sondern  auch  der  Mann  keine  Ehe  mehr  eingehen  darf,  höch- 
stens eine  „Zeitehe"  schliessen  kann. 

In  erster  Reihe  ist  also  dies  Vehmgericht  für  den  Ehebruch 
eingesetzt,  um  -  wie  ich  erfahren  —  der  mohamedanischen  Viel- 
weiberei einen  Damm  zu  setzen,  die  bei  mohamedanischen  Zi- 
geunern auch  in  anerkanntem  Krauch  steht  und  bei  der  gewöhn- 
lichen Mittellosigkeit  des  Mennes  zum  Ehebruch  dos  einen  oder 
des  anderen  seiner  Weiber  führt,  die  sich,  durch  die  lockeren 
Verhältnisse  verleitet,  gerne  „weissen"  Leuten  anschmiegen.  Die 
meisten  zigeunerischen  Tänzerinnen,  die  in  den  Balkanländern, 
ja  auch  bei  uns  oft  in  Orsova,  öffentlich  auftreten,  sind  solche 
vom  Vehmgericht  verbannte  Gattinnen,  die  nun  das  erreicht  ha- 
ben, wonach  ihr  Sinn  stand,  nahm  lieh  die  „eheliche*  Freiheit. 

Findet  die  Frau  in  ihrem  Zelte  oder  in  ihrer  Hütte  (gewöhn- 
lich während  der  Abwesenheit  ihres  Gatten)  die  obenerwähnte, 
rotgefärbte  Holzscheibe,  so  darf  sie  davon  niemandem  eine  Mit- 
teilung machen,  sondern  muss  sich  bei  Anbruch  der  Nacht  an 
das  nächste  fliessende  Wasser,  das  gen  (hten  liegt,  begeben,  wo 
sie  ein  vermummter  Mann,  dessen  Gesicht  eine  aus  Tierfell  ver- 
fertigte Maske  bedeckt,  in  Empfang  nimmt  und  weit  weg  an  einen 
einsamen  Ort  führt,  wo  um  ein  Feuer  herum  zwei  ebenfalls  mas- 
kierte Männer  lagern.  Furcht  und  Grauen  erfüllt  die  Frau,  sobald 
sie  vor  diesen  unheimlichen  Menschen  steht,  von  denen  sie  nicht 
einmal  ahnt,  wer  sie  eigentlich  sind.  Denn  es  sind  nicht  Mitglie- 


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175 


der  ihrer  Gakkija  (Truppe),  ja  oft  nicht  einmal  ihres  Stammes, 
die  nun  über  sie  zu  Gerieht  sitzen  und  deren  Yorbannungs-Ur- 
teilssprueh  sie  unverzüglich  zu  erfüllen  hat.  Aus  Furcht  für  ihr 
Leben  eilt  sie  von  dannen  und  verlässt  ihre  Truppe  oder  gar  das 
Land,  ohne  auch  nur  ein  Sterbenswörtchen  über  den  ganzen  Vor- 
fall jemandem  sagen  zu  dürfen.  Nur  die  Wojwoden  kennen  die 
jeweiligen  Mitglieder  dieses  manlaslo,  die  sie  beim  Antritt  ihres 
Amtes  für  zeitlebens  zum  Teil  aus  ihrem,  ziun  Teil  aber  auch 
aus  anderen  Stämmen  für  ihre  Angehörigen,  im  Geheimen 
ernennen,  die  dann  dies  Amt  übernehmen  und  das  Geheimnis 
ihrer  Würde  zeitlebens  bewahren  müssen.  Daher  kommt  es,  dass 
nur  die  Wojwoden  es  wissen,  wer  ein  Mitglied  des  manlaslo  ist. 

Männer  werden  wegen  Ehebruch  nie  vor  den  manlaslo  ent- 
boten, wol  aber  wegen  Kaub  und  Mord  im  Kreise  der  eigenen 
Genossen,  oder  in  Fällen,  wo  durch  eine  Tat  des  Betreffenden 
der  ganze  Stamm  gefährdet  wird  und  der  Verfolgung  der  ..Weis- 
sen" (Nicht  Zigeuner)  ausgesetzt  werden  könnte.  Die  gewöhn- 
liche Strafe  ist  zeitweilige  Verbannung  oder  in  schweren  Fällen 
Ausschliessung  aus  dem  Stamme  für  immer.  Nicht  jeder  kann 
irgend  jemanden  vor  den  manlaslo  fordern;  dies  kann  nur  der 
Wojwode  und  das  auch  nur  im  Geheimen.  Selbst  bei  der  grössten 
Beeinträchtigung  und  beim  denkbar  grössten  Schaden  wagt  es 
niemand,  den  Wojwoden  um  eine  Vorladung  des  betreffenden 
Schädigers  vor  den  manlaslo  anzugehen.  So  gross  ist  die  Furcht 
vor  diesem  unheimlichen  Gerieht,  das  in  früheren  leiten  zur  Be- 
festigung der  Macht  der  Wojwodendynastie  wol  auch  so  manchen 
Mord  begangen  haben  mag,  ehe  es  heutzutage  sozusagen  zu 
einem  moralischen  Schreckpopanz  des  Ehebruches  herabgesunken 
ist.  Doch  gibt  es  einen  Ausnahmsfall,  der  sich  auf  die  „Zeitehe" 
und  auf  die  Wiederverheiratung  einer  der  geschiedenen  Ehehälften 
bezieht,  in  welchem  Falle  der  manlaslo  nicht  als  Straf-,  sondern 
als  Civilgericht  fungiert. 

Ich  habe  schon  oben  erwähnt,  dass  die  vom  manlaslo  in- 
folge des  Ehebruchs  der  Frau  getrennten  Ehehälften  keine  regel- 
mässige Ehe,  sondern  nur  mnQjepasipe  mit  einer  anderen  Person  ein- 
gehen können.  Stirbt  nun  die  eine  Ehehälfte,  so  kann  die  andere, 
falls  sie  keine  «Zeitehe"  eingegangen,  oder  letztere  bereits 
regelrecht  von  Mann  und  Weib  aufgelöst  worden  ist,  sich  wieder 
rechtmässig  verehelichen.  In  diesem  Falle  muss  die  überlebende 
Ehehälfte  vor  dem  manlaslo  den  Nachweis  liefern,  dass  die  ein- 
gegangene jepasipe  regelrecht  gelöst  und  sie  zu  einer  regel- 
mässigen Ehe  berechtigt  sei.  Dies  war  auch  bei  mir  der  Fall, 
als  ich  nach  Lösung  meiner  jepnsipe  meine  ..weisse"  Frau  gehei- 
ratet hatte  und  gleich  darauf  in  Südungarn  hauste.  Ich  wurde 
in  Nacht  und  Nebel  ans  jenseitige  Donauufer  gelockt,  um  auf 
Anzeige  meiner  gewesenen  jepase  romni,  der  Hosa  Saric,  vor  dem 
mir  bis  dahin  sozusagen  ganz  unbekannten  manlaslo  die  Erklä- 
rung abzugeben,  dass  meine  jepasipe  mit  ihr  gelöst  sei.  Anfangs 


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176 


glaubte  ich  Wegelagerern  in  die  Hände  gefallen  zu  sein  und  bot 
ihnen  all  mein  Hab  und  Gut  an.  Meine  japane  romni  lachte  mich 
aus  und  erklärte,  mir  die  Sache,  Sie  hatte  mit  recht  zigeuneri- 
scher Beharrlichkeit  meinen  Aufenthalt  erforscht  und  mich  über 
die  Donau  hinübergelockt.  Meine  Aussago  wurde  vom  matäojtlo 
entgegengenommen,  worauf  wir,  ich  und  meine  gewesene  je/mw 
romni  in  dunkler  Nacht  allein  weitergehen  konnten.  Ihr  Mann 
war  gestorben,  und  sie,  aus  Siebenbürgen  zu  ihrem  Stamme  zurück- 
gekehrt, wollte  sich  wieder  „rt-relrecht"  verehelichen ;  dazu  aber 
war  mein  Verhör  vor  dem  manltutlo  unbedingt  nötig.  An  Freiern 
fehlte  es  ihr  nicht,  denn  Geld  hatte  sie  sich  aus  meinem  Sacke 
so  ziemlich  ..erspart".  —  Später  hatte  ich  während  meines  kurzen 
Aufenthaltes  an  der  Ostgrenze  Bosniens  Gelegenheit  wieder  ein- 
mal einem  manlado  bulgarischer  Zigeuner  als  „Sachverständiger*4 
beizuwohnen. 

Dies  wäre  in  Kürze  all  das,  was  ich  bezüglich  des  manhutlo 
in  Erfahrung  bringen  konnte. 

Dass  diese  Hinrichtung  vor  Zeiten  möglicherweise  allen 
Zigeunerstämmon  bekannt  gewesen  sei,  dafür  scheint  vielleicht 
indirekt  der  Umstand  zu  sprechen,  dass  auch  bei  siebenbürger 
Zeltzigeunern  die  infolge  Ehebruchs  getrennten  Ehehälften  nur 
oine  jepasipe  eingehen  dürfen.  Im  Anhang  hiezu  erwähne  ich  noch 
den  bei  letzteren  üblichen  Brauch,  dass  die  Stammgenossen  dem- 
jenigen Manne  die  Zeltleinwand  zerreissen,  beziehungsweise  seine 
Winterhütte  abdecken,  der  von  seiner  Frau  Prügel  bekommen 
hat.  Er  kann  dieser  Strafe  nur  dadurch  entgehen,  dass  er  den 
Genossen  eine  gewisso  Quantität  Branntwein  gibt. 


Litteratur. 

Krauss  F.  S.,  Böhmische  Korallen  aus  der  Göttorwelt.  Folkloristischo  Börse- 
berichte vom  (.1  ött er-  und  Mvthenniarkte.  Wien  IHM.  Gebrüder  Knbinstein, 
gr.  8   147  S. 

Ks  ist  eine  längst  wahrgenommene  Tatsache,  dass  gerade  die  Völker- 
und  Volkskunde  beim  Sammeln  des  Materials  der  Mitwirkung  der  weitesten 
Kreise  bedarf.  Da  ist  denn  auch  Gelegenheit  geboten,  das  liebe  „Ich"  heraus- 
zustreichen und  auf  die  billigste  Art  als  Sammler  und  ..Literat"  eine  Rollo  zu 
spielen.  Mühe  und  Kosten  werden  von  gewissenlosen  Leuten  gescheut  und 
Märchen  und  Mythen,  Sitten  und  Gebräuche  erdichtet  und  als  mühselig  er- 
worbene Sammlung  auf  den  Büchermarkt  geschleudert.  Fachleute  erkennen 
zumeist  freilich  den  Wert  solcher  Sammelsurien,  zucken  mitleidig  die  Achsel 
und  gehen  schweigend  zur  Tagesordnung  über.  Die  Wissenschaft  aber  wird 
als  solche  verunglimpft  und  gar  oft  durch  unbewussto  odor  bowusste  Fälschun- 
gen auf  kürzere  oder  längere  Zeit  in  mancher  Beziehung  auf  falsche  Fährte 
geführt.  Es  war  daher  an  der  Zeit,  dass  ein  Mann,  wie  der  verdienst  volle 
Volksforscher  Kraus«,  diesem  Unfug  mit  zermalmendem  Humor  und  ätzendem 
Witz  zu  Leibe  gieng  und  in  einer  köstlichen  Satire  die  „böhmischen  Koratlen- 
labrikanteii".  die  Mythen-  und  Gölte rerzouger  geisselto.  In  der  Form  eines 
Börsenberichtes  macht  or  uns  mit  einigen  der  auffälligsten  unwissentlich  oder 
wissentlich  begangenen  Fälschungen  auf  dem  Gebiete  der  Volkskunde  bekannt 


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177 


und  hat  sich  auch  in  dieser  Beziehung  ein  neues  Verdienst  um  unsere  Wis- 
senschaft erworhen.  H.  v.  TU. 

JankÖ  J„  Torda,  Aranyosszek,  Torockö  Magyar  (Szekely)  Nepe  (—  Das 
magyarische  (SzGkler-)  Volk  von  Torda,  Aranyossz6k  und  Torockö.)  Budapest. 
IHM,  Revai.  294  S.  X  Tafeln. 

Jankö  ist  wol  der  strebsamste  und  begabteste  magyarische  Ethnograph 
der  jüngeren  Goneration.  Vor  zwei  Jahren  hat  er  eine  Monographie!  des  Kulota- 
szogor  Bezirkes  herausgegeben  und  nun  veröffentlicht  von  ihm  die  Ungarische 
Geographische  Gesellschaft  das  obige  umfangreiche  Werk  ebenfalls  über  einen 
siebenbürgischen  Bezirk  mit  vorwiegend  magyarischer  Bevölkerung.  Dies  Werk, 
obwol  das  Ergebnis  einer  Forschungsreise  von  nur  einigen  Sommerwochen, 
bezeichnet  für  J.  doch  einen  Fortschritt  auf  dem  Gebiete  seiner  Studien.  In 
acht  Abschnitten  behandelt  der  Verfasser  ziemlich  eingehend:  die  topogra- 
phischen Hattertbenennungen,  die  Elemente  der  Bevölkerung,  anthropologische 
Daten  (darunter  Messungen);  Bau,  Kleidung,  Nahrung;  Beschäftigung;  Ge- 
brauche bei  Hochzeit,  Taufe  und  Leichenbegängnis,  Aberglauben;  Volkspoesie. 
Bei  den  Gebrihichen  hatte  der  Verfasser  gar  leicht  auf  ähnliche  oder  gleiche 
Erscheinungen  im  magyarischen  Volksleben  anderer  Gegenden  hinweisen  kön- 
nen. Das  Kapitel  über  den  Aberglauben  hatten  wir  Folkloristen  ausführlicher 
und  die  diesbezüglichen  Mitteilungen  weniger  oberflächlich  gewünscht.  Abge- 
sehen von  einigen  Mängeln  und  Missverständnissen  ist  das  Werk  für  magya- 
rische Volkskunde  eine  nicht  zu  unterschätzende  Bereicherung,  und  wir  müs- 
son  der  ungarischen  geographischen  Gesollschaft  aufrichtig  Dank  wissen,  dass 
sie  dem  Verf.  die  Herausgabe  dieses  Buches  ermöglicht  hat.  Wünschenswert 
wäre  es  im  Interesse  heimischer  Volkskunde,  wenn  wir  solche,  wenn  auch 
nicht  erschöpfende  Monographien  über  jeden  Bezirk  des  Landes  besässen.  An 
hiezu  geeigneten  Forschern  würde  es  vielleicht  nicht  fehlen,  wol  aber  an  der 
nötigen  materiellen  Unterstützung.  H.  v.  W. 

SzongOtt  Kristof,  Szamosujvär,  A  magyar  örmeny  Metropolisz.  frasban 
£s  kepekben  ( =  Szamosujvär,  die  magyarisch  armenische  Metropole,  in  WTort 
und  Bild».  Szamosujvär,  Todoran." 272  S. 

Szongott  hat  sich  durch  die  Herausgabe  der  magyarischen  Zeitschrift 
„Armenia",  die  bereits  im  7.  Jahrgang  erscheint,  um  die  Erforschung  arme- 
nischen Volkslebens  in  Siebenbürgen  nicht  geringe  Verdienste  erworben,  ob- 
wol seine  Zeitschrift  nicht  gerade  den  Anspruch  auf  Fachwissenschaftlichkeit 
erhebt,  sondern  vielmehr  unsere  einheimischen  Armenier  mit  dem  Leben  und 
den  Schicksalen  ihrer  Vorfahren  und  auswärtigen  Stammgenossen  bekannt 
machen  will.  Bei  alledem  findet  der  Volksforscher  in  dieser  Zeitschrift  ein  nicht 
zu  unterschätzendes  Material  zur  Volkskunde  der  ungarischen  und  auch  aus- 
wärtigem Armenier.  Dasselbe  ist  auch  der  Fall  bei  dem  vorliegenden  Werke, 
das  sich  in  erster  Reihe  mit  der  Vergangenheit  und  Gegenwart  der  armeni- 
schen Metropole  in  Siebenbürgen,  der  Stadt  Szamosujvär,  beschäftigt,  bei 
seinem  lokalen  Interesse  aber  auch  für  die  Volkskunde  manchen  Beitrag  lie- 
fert. Das  mit  zahlreichen,  ziemlich  gelungenen  Illustrationen  geschmückte 
Werk  zerfällt  in  l\  Hauptabschnitte,  in  welchen  die  Reste  der  daselbst  bestan- 
denen römischen  Kolonie,  die  Einwanderung  der  Armenier,  die  Vergangenheit 
und  Gegenwart  der  Stadt  Szamosüjvär  in  Wort  und  Bild  zur  Darstellung  ge- 
langen. 

Für  uns  haben  nur  die  Abschnitte  ethnologischen  Inhaltes  ein  beson- 
deres Interesse.  Szamosüjvär  hatte  noch  bis  zu  Ende  dieses  Jahrhunderte^ 
einen  reinarmenischen  Typus.  Die  Einwohner  bedienten  sich  unter  einander 
ausschliesslich  der  armenischen  Sprache;  selbst  die  Nachtwächter  riefen  bis  zu 
Ende  der  50-er  Jahre  die  Stunde  armenisch  aus:  „Aghothkh  areezhekh,  f-z 
Asduadz  clumtroezhekt,  ez  Diramajr  snrp  Asduadzadzine  parechos  chentreezhekt, 
ezg<*rag6  agheg  thaghoezhekh  ezdsiraehe  anczhuc/.hekt,  ze  sehathe  inn  e!"  (= 
Botet,  bittet  Gott,  rufet  die  Gottesmutter,  die  jungfräuliche  Gottesgebärerin 
zur  Fürsprechorin  an,  deckt  das  Feuer  gut  zu,  löscht  die  Kerze  aus,  denn 
es  ist  9  Uhr.) 

Die  alten  armenischen  Hochzeitsgebräuche  sind  hierzulande  dem  Votks- 
bewusstsein  beinaho  ganz  entschwunden.  Das  Freien  geschieht  gewöhnlich  zur 


178 


Mittagszeit,  wobei  der  Freior,  der  von  seinen  männlichen  Verwandten  bogleitet 
wird,  die  versteckte  Maid  erst  suchen  muss.  Während  des  Brautstandes  be- 
sucht die  Braut  nur  einmal  die  Eltei-n  des  Bräutigams,  wooei  ihr  dieselben  ein 
Hochzeitsgeschenk  übergeben.  Noch  vor  einigen  Jahren  trugen  am  Vorabend 
des  Hochzeitstages  erwachsene  Knaben  einen  mit  Geschenken  gefüllten  Korb 
aus  dorn  Hause  des  Bräutigams  in  das  der  Braut.  Wenn  die  Braut  den  Korb 
leer,  d.  h.  ohne  Gegengeschenke  zurücksandte,  so  galt  dies  für  ein  Zeichen, 
dass  sie  die  Verbindung  auflöst.  In  früheren  Zeiten  besprengte  der  Prister  die 
Kleider  des  Bräutigams,  kurz  bevor  dieser  zur  Trauung  gieng.  Die  Braut  ver- 
steckt sich  auch  noch  heutzutage  kurz  vor  dem  Kirchengango  und  muss  vom 
Bräutigam  gesucht  worden.  Beim  Eintritt  des  jungen  Paares  ins  Hochzeitshaus 
wird  demselben  Salz  und  Brot  überreicht.  Zu  Anfang  dieses  Jahrhunderts 
wurde  am  folgenden  Tage  die  Wohnung  des  jungen  Paares  vom  Priester  ge- 
weiht; am  dritten  Tag  aber  gieng  der  jungo  Ehemann  mit  dem  Brautführer  in 
die  Kirche  und  ward,  eine  brennende  Kerze  in  der  Hand  haltend,  vom  Prie- 
ster eingesegnet;  nach  8  Tagon  gieng  er  mit  seiner  Frau  abermals  zur  Kirche, 
wo  nun  beide  gesegnet  wurden.  —  Am  Kristabend  gehen  die  Kinder  Krippen- 
lieder singend  von  Haus  zu  Haus,  bei  welcher  Gelegenheit  in  den  früheren 
Jahren  armenische  Lieder  gesungen  und  mit  folgenden  Worten  Geschenke  be- 
gehrt wurden:  „Hisus  g'ula,  Palul  ehika ;  Phiose  gedradz,  Na  paluladz  .  '.  . 
Duveczhekh  ezbanes,  Os  ertham  panes-"  (  =  Es  weint  Jesus,  Denn  er  hat  keine 
Windeln;  Schneidet  solche  die  jungfräuliche  Muttor  aus  ihrem  Kleide,  Und 
wickelt  ihn  in  diese  .  .  .  Gebt  mir  das  gebührende  Geld,  Dass  ich  meiner  Sa- 
che nachgehen  kann.)  Schliesslich  teilt  Sz.  ausser  zahb'eichen  Sprichwörtern 
auch  4  volkstümliche  armenische  Lieder  aus  Siebenbürgen  mit,  deren  Ver- 
fasser bekannt  sind.  Die  von  ihm  mitgeteilten  2  Märchen  sind  s.  Z.  auch  in 
dieser  Zeitschrift  veröffentlicht  worden.  Von  den  Spielen,  welche  Sz.  mitteilt, 
wird  das  „arba"  d.  h.  Wagenspiel  ähnlich  wie  das  bekannte  ..Zwickelmühle" 
gespielt.  Das  „Kari"-Spiel  hält  Sz.  unrichtig  für  ein  ausschliesslich  armeni- 
sches Spiel;  es  ist  beinahe  über  die  ganze  Erde  verbreitet  und  wird  mit  Glied- 
knochen von  Lämmern  oder  Zicklein  gespielt.  Schade,  dass  der  Verf.  uns  nicht 
eingehendere  Mitteilungen  aus  dem  Volksleben  unserer  Armenier  gemacht  hat; 
doch  hoffen  wir,  dass  er  uns  in  Zukunft  mit  manchem  Beitrag  zur  Volkskunde 
erfreuon  wird.  Er  ist  der  Mann  dazu,  um  auch  auf  diesem  Gebiete  etwas  Tüch- 
tiges zu  leisten.  Dr.  H.  v.  Wlinloeku 

Das  erste  grosse  ungarische  Conversatlonslexikon  wird  von  der  littera- 

rischon  Gesellschaft  „Pallas"  in  Budapest  in  16  Bänden  herausgegeben  und 
ist  bis  zum  V.  Bande  gediehen.  In  Bezug  auf  Ausstellung  und  allgemeine 
Gediegenheit  steht  das  Lexikon  keinem  in  der  Weltliteratur  nach;  betreffs 
ungarischer  Verhältnisse  steht  es  natürlich  einzig  da.  Die  uns  berührenden 
Disciplinen  fanden  folgende  Vertreter:  für  Anthrophologie  Prof.  Dr.  Aurel  v. 
TörÖk,  für  Folklore  Prof.  Dr.  Ludwig  Katona,  dossen  einzelne  Artikel  zugleich 
Quellenstudien  für  ungarischen  Folklore  bilden;  für  Ethnographie  Dr.  iL  v. 
Wlislocki  und  der  Herausgeber  dieser  Zeitschrift.  Im  IV.  Band  werden  die 
Zigeuner  vom  Erzherzog  Josef  und  von  H.  v.  Wlislocki  auf  etwa  4  Bogen 
mit  vielen  Illustrationen  behandelt:  in  gedrängtester  Form  eine  fast  erschö- 
pfende gediegene  Monographie  über  die  Zigeuner. 

Von  der  Zlgeunergrammatik  des  Hrn.  Erzherzogs  Josef  schreitet  der 
Druck  der  deutschen  Ausgabe  nun  rascher  vorwärts;  das  grosso  Werk  wird 
im  Frühling  d.  J.  gewiss  erscheinen. 

Ethnographia.  Organ  der  Gesellschaft  für  die  Völkerkunde  l'ngarns.  IV. 
Bd.  IHW.i.  4  -6.  Heft.  Bela  Vikar,  Sammeln  ethnographischer  Gegenstände  für 
die  Millennialausstellung — A.  Herrmann,  Cber  die  Kolonisierung  der  Zigeuner 
—  Fanny  I).  Wlislocki,  Das  Kind  im  magyarischen  Volksglauben  —  A.  Herr- 
mann, Der  Nagel  im  Volksglaubon  —  Eugen  Binder,  Der  l'ilgrim  u.  der  Engel 
Gottes.  —  Vereinsangelegenheiten  —  Bibliographie  —  Notizen  —  7  —1:2.  Heft. 
B.  Munkacsi,  Die  Terminologie  der  volkstümlichen  ungarischen  Fischerei  — 
Fanny  Wbslocki,  Das  Kind  im  magyar.  Volksglauben  —  Ludwig  Kalmany, 
Kindersch recker  und  -Räuber  in  der  ungarischen  Volksüberlieferung  —  A. 
Herrmann,  Ergänzungen  zum  Nagel  —  B.  Munkacsi,  Ursprung  eines  magyar. 


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m 


Märchenschlussos  —  Vereinsangelogenhoiten  —  Bibliographie  —  Notizen  — 
A.  Herrmann,  Kerbhölzer  der  Wanderzigeuner  —  Bela  Vikar,  Vermehrung  der 
ethn.  Sammlungen  des  National-Museums  —  Ausländische  Littoratur.  — 

Erdely.  Illustrierte  Monatsschrift  für  Turistik,  Ethnographie  und  Balneologie 
(Siebenbürgens).  Organ  des  siebenbürgischen  Karpathenvereins  in  Kolozsvar. 
II.  Jahrgang.  1893.  6—12.  Heft.  —  A.  Herrmann,  Der  Höhenkult  bei  den  Völ- 
kern Siebenbürgens  (HI.  Magyaren,  IV.  Rumänen,  V.  Armenier)  —  L.  György, 
Der  Mädchenmarkt  von  Gainä.  —  AI.  Borbely,  Torda-Aranyosor  Volkssagen  — 
L.  Matyas,  Die  Sage  von  Leanyvär. 


Splitter  und  Späne. 

Ungarlsohe  National-Ausstellung.  Die  ungarische  Nation  veranstaltet  1896 
zur  Feier  des  tausendjährigen  Bestandes  des  ungarischen  Reiches  eine  Landes- 
ausstellung in  Budapest.  Es  ist  gelungen,  der  Üborzeugung  in  den  leitenden 
Kreisen  Geltung  zu  verschaffen,  dass  der  festlichen  Gelegenheit  vor  allem  eine 
umfassende  Darstellung  der  Entwicklung  und  gegenwärtigen  Gestaltung  des 
Volkslebens  in  Ungarn  entspricht.  Ausserdem  dass  in  der  retrospoctiven  Aus- 
stellung auch  die  ethnischen  Momente  berücksichtigt  werden  sollen,  wird  ein 
ethnographisches  Dorf  hergestellt,  desson  typische  Häuser  genau  volkstümlich 
eingerichtet  werden  und  so  das  ethnographische  Inventar  der  verschiedenen 
Völkerschaften  des  Landes  zur  Anschauung  zu  bringen  haben.  Nach  der  Aus- 
stellung sollen  möglichst  alle  ethnographischen  Gegenstände  einem  Landes- 
musoum  für  Volkskunde  übergeben  werden.  Das  wäre  jedenfalls  eines  der 
wertvollsten  und  nachhaltigst  wirkenden  Resultate  der  Ausstellung.  Bei  dem 
Umstände,  dass  die  wissenschaftliche  Erforschung  des  volkstümlichen  Gewohn- 
hoitsbaues  in  Ungarn  noch  kaum  begonnen  und  gerado  hier  sehr  interes- 
sante, aber  zugleich  sehr  complicierto  Gebilde  zu  bestimmen  hat,  wäre  es  wol 
übereilt,  wollte  man  schon  jetzt,  auf  Grund  der  bisherigen  ganz  lückenhaften 
Erhebungen,  die  zur  Darstellung  zu  gelangenden  Formen  endgiltig  fixieren. 
Jedenfalls  muss  das  Jahr  1894  zu  Hausformstudien  gehörig  ausgenützt  werden; 
für  solche  Studien  ist  der  Wintor  natürlich  nicht  die  entsprechende  Jahreszeit. 

H.  v.  WlUlockL 

Die  Kolonisierung  der  Zigeuner  In  Ungarn,  eines  der  schwierigsten  und 
wichtigsten  demographisch-nationalökonomischen  Probleme,  beschäftigt  den 
gegenwärtigen  ungarischen  Minister  des  Innern,  dor  dieser  grossen  Aufgabe 
gewachsen  zu  sein  scheint.  Er  Hess  am  31.  Jänner  v.  J.  eine  allgemeine  Con- 
scription  der  Zigeuner  im  Lande  vornehmen,  welche  bei  einer  Gcsammtbevöl- 
kerung  von  15,133.494  Seelen  (1890)  als  Endresultat  an  Zigeunern  ergab:  Sess- 
hafte:  120*986  männlichen  u.  122.446  woiblichen  Geschlechts;  mit  längerem 
Aufenthalt  in  Gemeinden  :  10*602  miinnl.  u.  9*804  woibl.;  Wanderzigeuner:  4*563 
männl.  u.  4375  weibl,;  beim  Militär  905  männl.  und  5  weibl;  verhaftet  1014 
männl.  u.  240  w.,  zusammen  138*070  m.  u.  136*870  w.,  d.  h.  274.940  Seelen. 
(Die  Detailergebnisse  der  Zählung  worden  wir  nächstens  veröffentlichen.) 
Der  Gemeindenotär  von  Kunagota,  Ladislaus  Bajcsy  hat  in  einem  eingehenden 
Elaborat  recht  praktische  Vorschläge  in  der  Kolonisierungsfrage  gemacht, 
welche  auch  Sr.  Hoheit,  dem  Herrn  Erzherzog  Josof,  als  dor  ersten  Autorität 
auf  dem  Gebiete  der  Zigeunersprache  sowol,  als  auch  der  praktischen  Zigeu- 
ner-Kolonisierung, vorlagen  und  mit  einigen  wichtigen  Bemerkungen  gutge- 
hoissen  wurden.  Zur  Sicherung  des  Erfolges  ist  es  jedenfalls  unerlässlich,  dass 
man  bei  dor  Behandlung  dieser  Angelegenheit  auch  solche  Volksforscher  zu- 
ziehe, die  sich  nicht  nur  mit  der  äussern  Lebensweise  der  Zigeuner,  sondern 
auch  mit  ihrem  Seelenleben  eingehend  beschäftigt  haben. 

Sie  Gesellschaft  für  die  Völkerkunde  Ungarns  hat  wieder  eine  be- 
deutsame Phase  ihrer  Entwickoluug  durchgemacht.  Ein  hervorragendes  Ver- 
dienst gebührt  hiebei  dem  Vicepraesidenlen  Dr.  Bernhard  Munkacsi,  der  sowol 
die  finanziellen  und  sonstigen  administrativen  Angelegenheiten  erfolgreich  re- 
gelte, als  auch  die   Rodaction   des   Vereinsorgans   „Ethnographia"  übernahm 


ISO 


I 


und  mit  grossem  Verständnis  leitet.  In  seinen  Händen  gewinnt  diese  Zeitschrift 
eine  neue  Bedeutung  dadurch,  das«  sie  den  für  die  allgemeine  Wissenschaft 
wie  für  die  magyarische  Linguistik  und  Ethnologie  so  wichtigen  finnisch-ugri- 
schen Stndien,  die  in  der  Ungarischen  Akademie  der  Wissenschaften  in  neu- 
erer Zeit  in  den  Hintergrund  getreten  zu  sein  scheinen,  eine  hervorragende 
Stelle  einräumt.  Die  .,  Ethnograph  ia-  erscheint  in  ihrem  V.  Jahrgange  (1894) 
in  zweimonatlichen  Heften  zu  4  Bogen  und  wird  gegen  die  MitgliedgebtHlT 
von  8  fi.  abgegeben. 

Kröten-  and  Sohlangensteine  waren  in  Ungarn  von  jeher  als  Amulette 
in  Verwendung.  Baron  Bela  Rudvänszky  erwähnt  in  seinem  dreibändigen  Werke: 
„Magyar  csaladelet  £s  haztartas  a  16.  es  17.  szazadban"  (=  Magyar.  Familien- 
leben und  Haushaltung  im  Vi.  und  17.  Jahrh.:  Budapest  1879)  an  11  Stellen 
solche  Steine,  die  in  Ringe  gefasst,  in  alten  magyarischen  Testamenten  unter 
den  vermachten  Gegenständen  aufgezählt  werden. 

Zum  Fingerabsobneiden  der  Witwe.  In  der  Berliner  „Zeitschrift  für 
Ethnologie-  (18!W.  Heft  V.  S.  278)  wird  mitgeteilt,  „dass  die  Sitte  des  Finger- 
abschneidens, teils  als  Opfer  für  die  Gottheit,  teils  als  Ausdruck  der  Traner 
bei  dem  Tode  des  Ehegemahls,  bei  verschiedenen  Stämmen  Nord-  und  Süd- 
Amerika^  bestand".  Hiezu  ist  der  Brauch  der  Wanderzigenner  der  Balkan- 
länder  heranzuziehen,  wo  die  Witwe  kurz  vor  ihrer  abermaligen  Verheiratung 
ihre  abgeschnittenen  Nägel,  einige  ihrer  Haare  und  etwas  von  ihren  menses 
in  den  Grabhügel  des  verstorbenen  Gatten  vergräbt. 


Mitteilung  der  Redaction. 

In  dem  Erscheinen  der  „Ethnologischen  Mitteilungen  aus  Ungarn"  ist 
wieder  eine  unvorhergesehene  Verzögerung  eingetreten,  und  wir  können  das 
August-Heft  von  1898  erst  jetzt  liefern.  Doch  werden  wir  das  Versäumte  bald 
nachholen  und  dann  die  Termine  regelmässig  einhalten  können.  Wir  bitten 
unsere  Leser,  unserer  Zeitschrift  neue  Mitarbeiter  und  Abnehmer  zuzuführen. 
An  angegebene  Adressen  senden  wir  bereitwilligst  Prospecte  und  Probenummern. 

Herrn  v.  V.-Z.  in  W  arschau.  Ihre  wertvollen  Beiträge  gelangen  im  nächsten 
Hefte  zur  Veröffentlichung. 

Herrn  F.  in  Pancsova.    Ihre  interessante  Studie   ist  fürs  nächste  Heft, 
bestimmt. 

Budapost,  Mitte  .Jänner  1894. 


Publicationen  zur  Völkerkunde  Ungarns. 

Von  den  vom  Herausgeber  der  „Ethnologischen  Mitteilungen"  edierten, 
früher  angezeigten  Publicationen  sind  erschienen:  Cotnes  (rtea  Kmm,  Rela- 
tionum  Hungnrorum  cum  Griente  gentibusque  orientalis  originis  historia  ahti- 
quissima,  I.  Bd.  fZu  beziehen  von  der  Verlagsanstalt  Kozmürrlod&t  in  Knlozsvdr.i 

—  A.  Herrmann,  Beiträge  znr  Vergleichung  der  Volkspoosie.  Mit  Musiknoton 
1  fi.  —  H.  v.  Winlncki,  Zauber-  und  Besprechungsformeln  der  Zigeuner  80  kr. 
Über  den  Zauber  mit  Körperteilen  boi  den  transsilvanischen  Zigeunern  30  kr. 

—  Dr.  Fr.  8.  Krams,  Das  Burgfräulein  von  Pressburg.  \V.  v.  S'chultnburij. 
Die  Frau  bei  den  Südslavon.  J.  v.  Anb6th,  Das  Liod  von  Gusinje,  50  kr.  - 
Krams,  A*b6th,  ThallAeztf,  Südslavisches,  80  kr.  —  Zu  beziehen  nur  von  der 
Administration  der  „Ethnologischen  Mitteilungen  aus  Ungarn." 

Ethnologische  Mittellungen  aus  Ungarn.  I.  Band  4  Hefte  5  11.  -  11.  Bd.  10 
Hefte  8  fi.  —  III.  Bd.  (1K98)  Monatlich  2  Hefte,  4  11.  Nur  direct  vom  Heraus- 
geber zu  beziehen.  (Budapest,  l.  Szent  György-utcza  2.) 


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Iii  tli 


IDEALE  WELTEN 


MISCHEN    PROVINZEN     IN     WORT    INI)  HILL). 
KUSCHE    ZEIT-   INI»  STREITFRAGEN, 
LINKTEN  I»  ER  INDISCHEN  VÖLKERKUNDE 

A.  BASTIAN. 

rossics  B1  mit  22  Tafeln*  Ladenpreis  45  Mark. 
Band  I. 

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il  Thootfonioa  indischer  Rxligionsphitosophien  (voruohin- 


A.  B.  (Adolf  Bastian).  WIE  DAS  VOLK  DENKT.  Bin  Beitrag  rar  Bcant- 
ag  804  ial"r  I'rugon,  —  auf  Grundlage  ethnischer  Elemohtargodsnkßn  in 
ehre  vom  Manschen.  18'Ji».  XVIII.  2U  s.  Cr.  S '.  Preis  5  Mark. 


Beiträge  zur  Volks-  und  Völkerkunde. 


Volksglaube  und  Volksbrauob  der  Siebenbürger  Sachson.  v 


Die  Entwicklung  der  Ehe.  Von  Th.  AchelU,  -   Preis  u.i'.d  Mk. 

Im  Htü-bst  lHOfl  erscheint:  Lieder  und  Gesohichten  der  Suaheli.  Von 


Bartels  Max,  HIE  MEDH  IN 
nr  Urflr<»fu:hichte  der  Medioin. 


Am  Urquell 


■ituiiiliclji-ii  iuil 


Cirkvenica.  Seobad  und  klimatischer  Curort,  Winteraufenthalt.  Eine 
Stunde  von  Fiume,  oino  halbe  Stunde  von  der  Eisenbahnstation  Plase.  Gün- 
stigste Lago  ara  Quamero,  schönster  Punkt  des  herrlichen  Vinodoltales.  — 
Die  Badeunternehmung  steht  unter  dem  werktätigen  Protectorate  Seiner  k.  u.  k. 
Hoheit,  des  Herrn  Erzherzogs  Josef.  Der  Landtag  hat  beschlossen,  dem  Cou- 
sortium  alle  Begünstigungen  zur  Eutwickelung  des  Seebades  zu  gewähren. 
Alle  Bedingungen  vereinigen  sich,  um  dem  Curorte  einen  ungemein  raschen 
Aufschwung  und  eine  glänzende  Zukunft  zu  sichern. 

Nähere  Auskunft  erteilt  zufolge  Bevollmächtigung  seitens  des  durch- 
lauchtigsten Protectors  und  des  competenten  Consortiums :  Prof.  Dr.  Anton 
Herrmann,  Budapest,  I.,  Szent-György-uteza  2. 

Elet.    Halbmonatsschrift.    Einzige  durchaus  moderne,  vollständig  unab- 
hängige, unbodingt  liberale  magyarische  Zeitschrift.  Vornehmer  Inhalt,  besau., 
ders  sociologischer,  ethnographischer  und  demographischer  Richtung.  Geistvolle, 
originelle  Aufsätze.  Vierteljährlich  150  fl.  ö.  W.  —  Budapest,  Mozaar-ntcza  8. 

WestöstUohe  Rundsoh&n.  Politisch-literarische  Halbmonatsschrift  «tu 
PUego  der  Interosson  des  Dreibundes.  Redacteur  Dr.  Karl  Siegen,  Vorlag  Carl 
Reisznor,  beide  iu  Leipzig. 

Grossangelegtes,  hochzioliges  Programm.  Gediegene  Aufsätze  der  vor- 
züglichsten Schriftsteller  aller  Nationen.  Vierteljährlich  30  Bogen  grösstes  8*, 
Preis  3  Ii.  Bureau  für  Ungarn:  Budapest,  Mozsar-utcza  8. 


INHALT. 

Prof»  Dr.  Antrl  v.  Töriik,  Der  palaeolithische  Fund  von  Miskolcz  nnd  die 

Frage  des  dilu  vischen  Menschen  in  L'ngarn.  DI.  (Schluss)     .    .    .  117 
Dr.  B.  Munkdcsi,  über  die  heidnische  Religiou  der  Wogulen.  iL  (Fort- 
setzung)   .    ,  134 

Dr.  Friedrieh  S.  Kraus»,  König  Mathiaa  und  Peter  Geröb.  (Ein  bulga- 
risches Guslarenlied  aus  Bosnien).  IU.  (Fortsetzung)  129 

Dr.  Karl  Päpai,  Der  Holzbau  der  Palowzen.  (Mit  8  Illustrationen)  .  .  .  141 
Friedrich  S.  /Civ/twx,  Das  grosso  Sammelwerk  für  bulgarischen  Folklore  147 

A.  Herrmann.  Karteuspielerglaubcn  aus  Ungarn   L>4 

Ludwig  MdUjds,  Ans  dem  Volksleben  von  Solymar  und  Szent-Ivan  (L 

Besprochungsfonueln.  U.  Alltagsglauben.  III.  Schätze)  HUI 

Adolf  Strausz,  Bnlgarisches  Georgsliod  IßT 

Ijudiciy  Kdlmdny.  Kinderschrecker  und  Kindorräuber  iu  der  magyari- 
schen Volksüberlieferung.  (1.  Szepasszonyok  =  »Schöne  Frauen)  .  1 71 
Litteratur.  Kram*  Fr.  S.,  Böhmische  Korallen  (H.  v.  Wl.)  —  Janktf  J„ 
Torda,  Aranyosszek,  Toroczkö  (H.  v.  Wl.)  —  Szonyott  Kristöf,  Sz.a- 
mosüjvar  (Dr.  H.  v.  Wlislocki)  —  Ungarisches  Conversationslexi- 
kon.  —  Erzherzog  Joaef  Zigeunergram  roatik.  —  Ethnographie.  — 

Erdely  17* 

Splitter  und  Späne.  Ungarische  Xationalausstollung  —  Kolonisiemng 
der  Zigounor  in  Ungarn  —  Gesellschaft  für  die  Völkerkunde  Un- 
garns —  Kröten-  und  Schlangensterne  —  Zum  Fingorabschneidou 
der  Witwe  —  Mitteilung  der  Redaction  —  Publicationen  zur  Völ- 
kerkunde Ungarns  1Ö0 

Zur  Zigeunerkunde. 

Aufm  Herrmann,  Kerbhölzer  der  Wandorzigounor  (Mit  4  lllustrationom  .  lf>7 
,           .       ,  Zigeunorsagen  u.  dgL   über  Erzherzog  Josef.  (H.  Der 

Nobelkönig.  UJ.  Obrister  Josef.)   ltf 

„  »      ,  Volkslieder  bosnisch-türkischer  Wanderzigeuner.  (I— V)  104 

,  „      ,  Dokumente  zur  Geschichte  der  Zigeuner  (1.  Gpinio  de 

domiciliatione  et  regulatione  Zingarorum.)  —  (Fortsetzung)  1 6* 

H.  v.  Wlislocki,  Das  Vehmgerieht  der  bosnischen  und  bulgarischen  Zigeuner  ITH 
Auf  dem  Umschlag:  An  die  g.  Mitglieder  der  Gypsy  Lore  Society*  — 
Bureau  der  Gesellschaft  für  die  Völkorkundo  Ungarn«  —  Anzeigen. 


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1893.  SEPTEMBER.  7    8.  HEFT. 


III.  BAND. 


ETHNOLOGISCHE  MITTEILUNGEN 

aus  Ungarn. 


Zeitschrift  für  die  Völkerkunde  Ungarns 

und 

der  damit  in  ethnographischen  Beziehungen  stehenden  Länder. 

(Zugleich  Organ    für  allgemeine  Zigeuner  künde 

Unter  dein  Protectirste  und  der  Mitwirkung 
Seiner  kais.  und  königl.  Hoheit  des  Herrn  Erzherzogs  Josef 

redigiert  und  herausgegeben  von 

PTof.  Dr.  ANTON  HERRMANN. 


Monatln  h  1—2  Hefte,  2 — 4  Bogen.  Preis  jührlich  H  Kronin  o^LMnrk 
für  Mitglieder  irgend  eines   Verein?  für  Volkskunde  *i  Kronen  od»*r 
5  Mark.  Wird  auch  im  Tausch  gegen  Pultliratinnen  zur  Volkskunde 
abgegeben.  —  Nur  direct  vom  Herausgeber  zu  beliehen. 


Budapest,  I..  Sient-György-utcza  9. 

ADMINISTRATION  : 

Budapest,  V..  Bälvany-utcza  2  („Nemzeti  köuyvnyomda'*). 


Buchdrücken 


BUDAPEST,  1893. 

ETI  K«  »NYVNY«  I 


vanv-u 

I 


Art  die  g.  Mitglieder  der  (rt/psg  Lore  Society. 


Nachdem  das  Journal  unserer  GeseUschafl  nach  dreijährigem 
Wirken  vor  lVt  Jahren  eingehen  musste,  ist  die  Zigeunerkunde  wieder 
ohne  eigenes  Organ  geblieben,  und  diese  Lücke  wird  von  den  Zigeu- 
nerforschem ausserordentlich  lebhaft  empfunden.  Um  diesem  fühlbaren 
Mangel  im  Wesentliclwn  abzuhelfen,  geruhte  d**r  erlauehte  und  höchst- 
verdiente Förderer  und  Pfleger  der  Zigeunerkunder  Seine  kaiserL  und 
könujl.  Hoheit,  Herr  Erzherzog  Josef  der  von  Anton  Herrmann 
gegründeten  Fachzeitschrift  „Ethnologische  Mitteilungen  aus  Ungarn," 
welclie  Jahre  hindurch  der  Wissensehaft  von  den  Zigeunern  eine  her- 
rorhebende  Beachtung  angedeihen  liess,  aber  bisher  der  Ungunst  der 
Verhältnisse  wegen  nicJit  erioätmhtermassen  erstarken  konnte,  die 
materiellen  und  moralischen  Bedingungen  des  erspriesslichen  Gedeihens 
emlgüHy  zu  sichern.  Die  genannte  Zeitschrift  erseheint  unter  dem 
Protedorate  und  der  Mitwirkung  »SV.  Hoheit  auch  ferner  unter  der 
Hedaction  von  Anton  Herrm<annf  dem  der  Zigeunerforscher  H.  v. 
WM&locki  als  ständiger  interner  HauptmUarbeiter  zur  Seite  steht 
vom  Juni  l.  Jahres  an  in  Budapest  regelmässig  in  hol  fnnonat  liehen  . 
Heften.  Die  ..Ethnologischen  Mitteilungen''  wollen  den  Ggpsg-Lore  von 
nun  an  in  noch  hcrtwragender<  r  Weise  pflegen  und  sich  zum  Organ, 
internationaler  Zigeunerkunde  gestalten,  wofür  die  Kamen 
der  erwähnten  drei  Forscher  die  sicherste  Bürgschaft  bieten. 

Wir  Unterfertigte  ersuchen  alle  Mitglieder  der  „Ggpsy  Lorr 
Society",  die  genannte  Zeitschrift  bestellen  und  ihr  je  häufiger  Arlteiten 
aus  dem  Gebiete  der  Ciganologit  zuwenden  zu  wollen.  Die  Mitglieder 
miserer  Gesellschaft  können  diese  ausserordentlich  reichhaltige  Zeitschrift 
zum  ausnehmend  billigen  Preise  von  3  f.  ö.  W.  (6  Kronen,  6  Mark, 
6  Sh.  7  Fres)  jedoch  nur  direct  iwn  Herausgeber  Anton  Her r mann 
(fiudapest.  I.  Szentggörgy-utcsa  ?.)  beziehen. 

Dafld  Mao  Ritohle  Charles  9.  Leland 

Hon.  Secretär.  Präs.  der  Uypay  Low  Socirty 

Bureau  der  Gesellschaft  Tür  die  Völkerkunde  Ungarns. 

Vorstand :  Graf  Gtza  KuHtu  Vnrstandstellvertreter :  A.  Herrmann  und 
ti.  Munkäesu  Secretur :  B.  Vikar  (Budapest,  /.,  GeUeVthegy  10,64b',  Villa  Vikar \ 
Schriftführer  :  G.  Nagy.  Coitier :  J.  Zalnai.  Bibliothekar  :  J.  Javkö.  Redacttur 
des  Vereinsorgans  „Rthnngraithia*  :  B.  MunkdcM  (Budapest,  Zergenicsa  27). 


Ethnologische  Hitteilungen  aus  Ungarn, 

UNTER  DKM  PROTECT* »KATE  INI)  DER  MITWIRKUNG 

Sr.  kais.  und  königlichen  Hoheit  des  Herrn  Erzherzogs  Josef 

redigiert  und  hermispvtfi'lnMi  von  Anton  Hommuin. 

III.  Band.  Budapest,  1893.  September.  7—8.  Heft. 


lieber  die  heidnische  Religion  der  Wogulen. 

Von  Ih:  Ii.  Mnnkäcsi. 
III. 

Naeli  diesen  auf  des  wogulischen  Volkes  alte  Religion  und 
deren  praktische  Offenbarung  bezüglichen  allgemeinen  Bemer- 
kungen wäre  am  Platze  eine  methodische  Behandlung  der 
einzelnen  mythischen  Gestalten,  der  an  sie  sieh  knüpfonden  Vor- 
stellungen und  Geschichten,  sowie  der  Art  ihrer  Verehrung;  jedoch 
passt  der  Umfang  dieser  Aufgabe  durchaus  nicht  in  den  engen 
Rahmen  gegenwärtiger  Abhandlung,  weshalb  ich  derselben  aus- 
weichend, an  dieser  Stelle  nur  mit  einigen  Worten  zu  antworten 
wünsche  auf  die  billiger  Weise  aufgeworfene  Frage:  ob  wir  aus 
den  für  wissenschaftliche  Forschung  neuerdings  eröffneten  Kennt- 
nissen der  alten  Religion  der  sibirischen  Ugrier  mehr  Klarheit 
auch  bezüglich  der  nUm  Mi/tholof/ie  und  Relifiwn  des  mtu/y  arische 
Volkes  erhoffen  dürfen? 

Und  die  auf  diese  Frage  zu  gebende  Antwort  vereinfacht, 
glaube  ich,  jene  Wahrheit,  dass  der  Grund  des  Mythos  und  der 
religiösen  Denkungsart  eines  jeden  Volkes  —  insoweit  nämlich 
sich  diese  auf  natürlichem  Wege  entwickelt  haben  zurückreicht 
in  die  uralten  Zeiten  der  Sprachbildung.  Wenn  nun  die  Wissen- 
schaft mit  unbezweifelhafter  Sicherheit  dargelegt  hat,  dass  die 
magyarische  Sprache  eine  ugrische  Sprache  ist,  und  zwar  die 
nächste  Verwandte  der  wogulisehen  und  ostjakischen  Sprache  ; 
wenn  uns  ferner  Gelegenheit  sich  bietet,  auf  Grund  der  Volks- 
gcbräuche  und  Sprachüberliefenmgen  in  die  ureigentümlichen 
mythischen  und  religiösen  Gebilde  derselben  hineinzublicken:  so 
können  wir  ganz  bestimmt  voraussetzen,  dass  ebendieselben  auch 
die  Elemente  der  Urrcligion  der  Magyaren  enthalten.  Aber  das 
Bestimmen  der  Details  wird  nur  auf  dem  ganz  mühevollen  und 
langen  Wege  der  Forschung  möglich  sein.  Wir  müssen  dabei  in 
Betracht  ziehen,  dass  trotz  ihrer,  wie  immer  grossen,  konserva- 
tiven Natur,  auch  die  Religion,  gleichwie  die  Sprache,  einer  unfrei- 
willigen Fntwickelung,  Veränderung  und  äusseren  Einflüssen 
unterworfen  ist,  und  dass  demgemäss  dasjenige,  was  wir  heute 
bei  den  Wogulen  und  Ostjaken  erforscht  haben,  mag  dasselbe 
immerhin  ein  gerader  und  natürlicher  Trieb  des  uralten  Kerns 

Ethn.  Mitt.  a.  Ungarn.  III.  13 


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182 


sein,  doch  nicht  den  ursprünglichen  Zustand  rein  zurückspie- 
gelt. Ein  flüchtiger  Mick  auf  die  Productc  der  religiösen  Dichtung 
und  die  Einrichtungen  der  Wogulen  liisst  uns  klar  und  deutlich 
wahrnehmen:  dass  dieselben  ältere  und  neuere  Schichten,  ur- 
eigene und  in  stattlicher  Menge  auch  fremde  Elemente  enthalten. 
Unter  letzteren  sind  deutlich  als  neuestes  Element  erkennbar:  der 
Eintluss  des  Tatarentums,  beziehungsweise  des  Islams;  diesem 
geht  der  Eintluss  der  heidnischen  permer  Volker  vorher,  älter 
noch  sind  die  Spuren  der  herrschenden  asiatischen  Religionen, 
des  Rursisnius  und  Buddhismus.  Damit  wir  also  da-  mvthologiseho 
Material  der  Wogulen  zum  Zwecke  der  Vcrglcichung  benutzen 
können,  müssen  wir  vor  Allein  mit  philologischer  Methode 
ausscheiden  und  gruppieren  alle  diejenigen  Bestandteile,  welche 
die  Resultate  neuerer  Kntwickchmg  oder  fremden  Einflusses  sind, 
und  nur  das  Material,  welches  nach  solchem  Vorgehen  noch  üb- 
rig geblieben  ist,  werden  wir  zur  Darlegung  der  auf  Grund  der 
Sprachverwandtschaft  voraussetzbaren  gemeinsamen  Züge  ver- 
werten können. 

Einer  gleichen  Untersuchung  müssen  wir  auch  das  Magya- 
rentum  unterziehen,  hei  dein  wir  die  Aufgabe  weil  aus  dem 
Heidentum,  wie  bei  den  meisten  verwandten  Völkern,  grösser- 
angelegte  religiöse  Ueberlielerungen  nicht  mein-  vorhanden  sind, 
-  bei  einem  mich  primitiveren  Punkte,  d.  i.  mit  d"in  Sammeln 
und  Ordnen  des  überallhin  verstreuten  Materialschiittes  in  An- 
griff zu  nehmen  haben.  Wir  müssen  mit  möglichster  Vollständig- 
keit und  Genauigkeit  alles  dasjenige  zusammenstellen,  was  wir 
diesbezügliches  in  historischen  Aufzeichnungen  und  in  der  Lite- 
ratur, ferner  im  Volksglauben  aller  Gebiete  des  Landes,  in  den 
Gebräuchen  und  sprachlichen  Ausdrucken  vorfinden.  Aus  dem 
also  gewonnenen  Material  muss  als  allerneuestes  Element  alles 
das  ausgeschieden  werden,  was  den  Stempel  des  Kristeiitums 
und  des  Einflusses  der  uns  benachbarten  N  idker  an  sich  tragt. 
Nach  Abschürfung  dieser  oberen  Sehichte  mosmmi  wir  auf 
eine  tiefer  liegende,  allere  Schichte,  welche  das  Resultat 
der  Berührung  mit  demselben  tschuvasischen  Türkentum  ist. 
dessen  Sprachdenkmäler  durch  die  magyarischen  Kulturwörter 
erhallen  worden  sind.  Zweifelsohne  bezeugl  das  Vorhandensein 
dieser  Schichte  das  magyarische  Wort  hosiorhiiitii  (Hexe),  dem 
das  wotjakisch-tschuvasische  l»islnninn  entspricht,  im  Volksglau- 
ben die  Mahr  oder  der  Danion  des  Alpdrucks  i  Nyelvtud.  Közl. 
20.  Bd.  4b* 7.  S.);  ferner  die  Wörter  rnrhiuij  <  kumanisch :  .«nugati ) 
Drache  (s.  ebenda  llH):  for.  Totenmahl  (tschagataisch  tor, 
geineintürk:  t»j)%  Zauber  (türkisch  höji'<J><'»iit)  und  vielleicht 

auch  ör((üi/{f,<jnf(>'(/  (Teufel),  dem  entsprechend  Vämhery  im  Kir- 
gisischen rrtniff  in  der  Bedeutung  böser  (hast  nachweist. 

Es  lässt  sich  vermuten,  dass  sich  unter  dieser  Schichte 
noch  eine  altere,  nämlich  die  des  l'arsismus  befindet,  die  aber, 
wenn  sie  nachweisbar  ist,  wahrscheinlich  schon  in  der  Zeit  der 


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183 


östlichen  Hinsehen  Spraeheinheit  fällt,  was  sich  daraus  schlies- 
scn  lässt,  dass  im  W  ogidisch-Ostjakisehon,  Sürjeniseh-Wotjaki- 
schen  und  im  Magyarischen  gemeinschaftliche  Kulturwörter  per- 
sischen Ursprungs  vorhanden  sind,  wie:  z.  B.  magy.  arany  (Gold), 
iiiist  (Silber),  hir<I  (Schwert;  Sürj.-Wotjakisch  kort,  kört;  Ostjak. 
kaiia  Eisen),  magy.  szdz  (ICK))  und  vzvr  ( 1000).  Nur  nach  Ab- 
schürfung aller  dieser  Schichten  gelangen  wir  auf  den  Grund, 
wo  wir  der  Sprachverwandtschaft  entsprechend  eine  Gemeinschaft 
der  ugrischen  Völker  auch  bezüglich  anderer  Offenbarungen 
ihres  geistigen  Lehens  und  besonders  ihres  mythischen  und  re- 
ligiösen Denkens  rinden  werden,  Und  dass  wir  bei  diesen  For- 
schungen auf  Krfolg  rechnen  können,  dafür  liefern  uns  vielleicht 
folgende  sprachliche  Daten  einen  Beweis: 

J.  Das  magy.  Wort  imp  (Sonne,  Tag),  dessen  Ursprung  und 
Grundbedeutung  bislang  noch  nicht  gehörig  erklärt  ist,  kann 
nicht  für  ein  Fremdwort  angesehen  werden,  aber  auch  seine 
strengentsprechenden  Paria  lassen  sich  aus  den  verwandten  Spra- 
chen nicht  erbringen  (vgl.  finn.yw>VmJapp./ic/rc,mordw.»/,c/.tscliorem. 
kece,  sürj.  sondy,  wotjak.  sirndt/,  wogul.-ostj.  jutel,  khotcl,  —  Sonne), 
was  um  so  aurfallender  ist,  weil  das  Synonim  von  magyar.  hold 
(Mond),  nämlich  magyar.  hö  (Mond,  Monat)  seine  entsprechenden 
Formen  im  finn.  k»m,  mordw.  kov.  kou,  ..luna,  mensis"  hat  und 
rsiUiuj  (Stern)  in  seiner  altmagyar.  Form  hnyy  (auch  heutzutage 
kaszahayy  —  Orion),  wogul.  ./uns,  ostj.  jus,  wotj.  kidziVi,  sürj. 
kodzul  -  Stern,  entspricht.  Schon  dieser  Umstand  an  und  für 
sich  kann  in  uns  die  Vermutung  erwecken,  dass  magy.  nap 
nicht  blos  ein  gewöhnliches  Nomen  ist,  sondern  dass  in  ihm  ein 
bestimmter,  mythischer  Apperzeption  entsprechender  Ausdruck  und 
daher  ein  Residuum  der  Urreligion  sich  birgt.  Und  was  wäre 
denn  auch  natürlicher,  als  dass  ein  in  nördlichen  Gegenden  mit 
Fischfang  und  Jagd  sich  befassendes  Volk  von  allen  Himmels- 
erscheinungen die  Sonne  als  seinen  grössten  und  mächtigsten 
Wohltäter  betrachtet  und  sich  mit  Gebeten  an  ihn  wendet.  Und 
tatsächlich  ist  in  der  Mythologie  der  Wogulen  nicht  Xumi-Törem, 
der  Ur-Gott  die  gefeierteste  Gestalt,  sondern  sein  jüngster  Sohn, 
der  Sonnenheld,  der  ..Weltbeobachtende  Mann*,  der  7  Welten 
itws<hie<  ifende.  strahlende  'Heiter,  sonn<  nstnihlenlockh/e,  heil'uje  Gold- 
Fürst,"  der,  wenn  er  sich  aus  dem  Hause  der  Dunkelheit  erhe- 
bend, ..sein  Lorkeni/'flecht  löst,  dir  Sonne  dort  auf  seinem  Haargeflecht 
steht''.  In  begeistertstem  Tone  wird  er  in  Sagen  und  Liedern  ver- 
herrlicht, er,  dessen  ..Auge  von  der  Grösse  des  Ob-Flusses"  ist, 
d.  h.  der  die  ganze  Welt  überblickt  und  gnädig  überallhin  seine 
Strahlen  sich  ausbreiten  lässt  ;  an  ihn  wenden  sich  die  Notdürf- 
tigen, von  ihm  hoffen  sie  Hilfe.  Und  dieser  angebetete  Sonnen- 
held, dessen  heiliger  Ort  von  der  Irtis-Mündung  nordwärts  neben 
dem  Ob-Flnss  sich  befindet,  wird  mit  gewöhnlichem  Namen 
Weibes-Sohn-Söhnlein  ( Ekwä-ptf-pyri s)  genannt.  Wogulischer  Mythe 
gemäss  ward  seine  Mutter  sündigen  Verhältnisses  wegen  von 

13* 


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184 


ihrem  Gatten,  Xwni-Tartm  (Erhaboner-Himmcl).  vom  Herrn  der 
Welt,  aus  dein  Himmel  auf  die  Erde  Ii  inabgeschleudert,  wo  sie 
angelangt,  das  von  Xumi-Tunm  herstammende  goldige  Kind  ge- 
bar, das  in  seiner  Verlassenheit  von  seiner  Schwester,  der  Kaltes- 
Fran  (Kalte*  ckwü),  der  Göttin  der  Morgendämmerung  bemitlei- 
dete und  im  Himmel  zur  Freude  der  Götter  und  zur  Wonne  der 
Welt  erzogen  ward.  Vorausgesetzt,  dass  wir  dem  magyarischen 
Worte  nap  auch  ein  „Weib-Sohn"  (magy.  nü-fia)  Etymon  zu- 
sprechen können,  so  kann  sein  Lautbestand  unanfechtbar  erklärt 
werden.  Xap,  oder  wie  aus  den  uralten  Formen  tenwip  (gestern), 
minap  (neulich)  man  sehliesscn  kann,  ursprünglicher  nüp\  wäre 
demgemäss  eine  vollkommen  entsprechende  tieftonige  Form  des 
magyar.  Wortes  wp,  welches  —  wie  das  wotjak.  ni/l-pi  ( Hausvolk, 
Kinder)  zeigt  eine  Zusammensetzung  ist  aus:  m;.  itd  (Weib) 
und  //  (mit  dem  ursprünglicheren  //  im  Anlaut)  Sohn.  Das  magy. 
nt>,  nö  hat  tatsächlich  seine  tieftönenden  Entsprechungen  auch  in 
den  ugrischen  Sprachen,  wie  wogul.  und  ostjak  mij,  naj 
(Herrin,  Frau),  finn,  wiisr  (feniina  nubilis,  uxor,  nupta),  lapp. 
■»hun  (in  derselben  Bedeutung),  zu  denen  neueren  Forschungen 
gemäss,  auch  magy.  h'dntj  (statt  dessen  auch  lajany,  nnjäuy  ge- 
braucht wird,  nord-wogul.  näj-<ink,  Fräulein)  gehört.  Demge- 
mäss würde  nap  (mij>)  entsprechend  einem  Compositum  näj-py\ 
in  seiner  ursprünglichen  Bedeutung  nö-fin  -  Weibes-Sohn,  auf 
eine  gemeinsam  ugrischo,  mythische  Aulfassung  hinweisen. 

2.  Ein  zweiter  ähnlicher  Fall  erg'bt  sich  beim  magyar. Worte 
hiijnal.  Diese  Himmelserseheinnng  -  wie  ich  bereits  oben  erwähnt 
habe  —  appereipiert  der  wogulisclie  Mythos  als  weibliche  Gestillt, 
wie  dies  z.  B.  deutlich  auch  aus  dem  Bären-Wock-Liede  ersicht- 
lich ist,  welches  das  Tier  folgender  Maasen  apostrophiert:') 

Barchen,  Barchen,  wach'  «In  auf. 

Bärchen,  Barchen,  erhob"  du  dich  ! 

Die  morgonstrahligc  Herrin,  deine  Mutter 

Siehe,  sie  ist  zu  des  hohen  Baumes  tieästsehiriu  gelangt; 

.Siehe,  «ie  bat  sich  zu  dos  niederen  Baunies  Wipfel  erhoben  ! 

Sobald  dein  Morgenrot-Mütterchen  tagt. 

Sobald  dein  Morgenrot-Kaltes-Mütterchen  tagt, 

Werde  du  mit  grossen  (.iot'.es  Kleid  bekleidet  ! 

Wenn  das  magyar.  n<>p  in  seinen  Grundbestandteilen  mit 
dein  wogulischen  Mythus  übereinstimmend,  ..Mmgenrot-Frau- 
Solur  bedeutet,  was  ist  dann  natürlicher,  als  dass  hnjual  \\\  seinen 
Grundbestandteilen:  „Morgenrot Trau"  bedeute.  Fnd  dass  dies 
also  ist,  bezeugt  wogul.  kimj,  khujr)  (Morgenrot)  und   finn.  k>i 

')  S.  meine  Sammlung:  „Vogul  uepköltesi  g.vüjtemenv"  -  Wogul.  volks- 
poet.  Samml,  III.  S.  ISS  und  102. 

->  (.iewöhnliche  Ausdrücke  für  Morgenrot  sind  :  im  obor-losvaisch-wogul. 
.Fuj-punk,  im  mittel-losvaisih-wognl.  klotj-i'ättk  d.  h.  ..Morgendämmerungs-Haupt" 
(vgl.  tavdaiseh-wogul.  fürrm  /»in  Himmel,  eigentlicli  Himmels-Haupt),  tavdaisch* 
wogtd.  khni-pun  eigentl.  -  ..Morgenrot-«  ilanz'1.  Aber  khuj  kommt  auch  selbst- 
ständig vor  z,  B.  in  der  Redensart  ;  khitjk  niti  —  es  vergeht,  schläft  ein  dorMor- 
gendämmerung  Purpur ;   vgl.  mittol-losvaisch-wogul.  ji-khttj  Abendrot. 


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185 


(stria  Iuris,  prima  lux  matutina),  die  das  Wort  hajmil  als  eine 
Zusammensetzung  erscheinen  lassen  und  zum  Vorderteil  haj  in 
dem  Verhältnis  stehen,  wie  südwogul.  llwj  (erines)  zu  mag}',  haj 
(Haar),  wogul.  ruj  zu  magy.  raj  (Butter),  wogid.  suj  zu  magy. 
2>ij  (Ton,  Geräusch).  Der  zweite  Teil  von  huj-nal  ist  offenbar  von 
nö  (Weih),  der  ticitönigon  Form,  eine  solche  deminutive  Bildimg, 
wie  sürjen.-wotjak.  nyl  (Maid)  [vgl.  wogul.  töremli'  Götzchen, 
ostjak.  rojlfi  Tierchen  |,  denen  die  regelmässigen  west-ugrischen 
Formen  entsprechen :  finn.  twitr.  nvitn  (virgo,  sponsa),  lapp.  nvita 
(dass. ).  Höchstwahrscheinlich  bildet  dies  veraltete  magy.  nal,  und 
nicht  irgend  eine,  dem  wogul.  naj  entsprechende  suffixlose  Form 
den  Vonlerteil  des  Wortes  nnp  (vgl.  magyar.  w'p  Volk  und  wot- 
jak.  nyl-pi :  magy.  vp  heil,  ganz,  gesund  und  wogul.  jelj>,  jelpt 
heilt,  bringt  zu  Leben,  Gedeihen;  jrlf  heil,  gesundet  ;  jrlpih  heilig, 
stark)  welche  übrigens  aus  der  Lautform  nalp  unter  Einwirkung 
des /' leicht  in  HoHitönigkeit  übergehen  konnte  (vgl.  magy.  nö,  ne). 

H.  Ein  gleicher  Beweis  für  die  gemeinsame  mythische  Auf- 
fassung ist  istrn  in/ila  (Gottes  IMeil)  für  das  gewöhnliche  rill/tm 
(Blitz)  und  der  damit  gleichbedeutende  nordwogul.  Ausdruck 
fdrem-näl.  Der  Wogule  stellt  sieh  den  Ahnen  aller  Götter,  Xnmi- 
Tfimn  als  .///V/er  vor.  der  dem  Bäreid iede  gemäss,  als  er  seine 
liebe  Tochter,  d.  h.  den  Büren,  ..in  seinem  silberstangigen  stan- 
gigem  Obdach"  zurücklässt,  ..seinen  zwanzig-zähnigen  gezahnten 
Mund  also  öffnet  " : 

.lunfTfriiulirlihriisti^nr  Itiisigcr  S|»ri»sslin«f  mein,  o  erhiire  mich! 

.lun^fräiilirh/.il/i^cs  l>nsi»ys  Kindchen  mein.  <•  erhöre  mich! 

['eher  dieser  meiner  solhstireschaffenen  tfoldstrahli^en  slrahlcnden  Sonne, 

ühcr  meiner  tfoldschöncn,  schönheitsvollon  Sonne 

auf  inardorfan^cndcn,  siehenschliuyiyen  \\V«r,  sieh  da  !  fjoli'  ich. 

auf  elentierfantfcndcn.  sicbcnschlintfi^cu  Wetf,  sieh  da!  steh'  ich. 

Und  als  er  von  der  Jagd  heimkehrt,  ..an  der  Spitze  stumpf 
gebrochenes  viel  Brecheisen  in  grosser  Zahl  sammelt  er;  an  der 
Schneide  schartig  gebrochenes  viel  Mordgewaffen  in  grosser 
Zahl  sammelt  er,"  damit  er  dieselben  zu  neuem  Gebrauche  her- 
richte. 

4.  Des  Mmsrhm  Name  ist  im  Wogulischen  Rt  in-xoles  (im 
südwogul.  ilm-Lhüh),  welcher  Ausdruck  wörtlich  ..der  Luft  Sterb- 
liche" bedeutet,  in  Uebereinstimmung  mit  der  mythischen  Auf- 
fassung der  Kalevala,  dergemäss  der  Urmensch,  Väinämöinen 
von  der  Fee  der  Luft,  der  Ilmatar  geboren  worden  ist.  Auf  den 
ersten  Blick  fällt  es  auf,  dass  der  erste  Teil  von  magyar.  etn-hcr 
(Mensch)  regelrecht  dein  Vorderteile  von  wogul.  tthn-xolt's  ent- 
spricht, d.  h.  nichts  anderes  ist,  als  die  dem  wogul.  C'lem,  Um, 


mel,  Wetter)  entsprechende  Form.  Was  nun  den  zweiten  Teil  hr 
anbelangt,  so  glaube  ich,  entscheidet  darüber  der  Umstand,  dass 
das  Wort  m'mhir  (Weib),  d.  h.  nö-fwlor,  (ähnlich  wie  jamhor  •—- 
j<i-i>mber  fromm,  guter  Mensch ),  im  Wiener  und  Münchener  Codex 


ostjak.  jclhu  ;  finn.  ilma.  lapp.  ahne, 


186 


eonsequent  nrwherj  gesehrieben  wird,  woraus  deutlieh  zu  erkennen 
ist,  dass  dies  nur  die  im  Anlaut  assimilierte  Form  von  fn  j  (Gatte), 
früher  per]  (vgl.  tseherem.  y>//-e/v/c-=Mann)  ist.  F t'rj  hat  in  der  äl- 
teren Sprache  und  auch  noch  heutzutage  in  einigen  (iegenden 
die  Bedeutung  von  „Gattin.  Frau",  woraus  ersichtlich  ist,  dass 
seine  ursprünglichere  Bedeutung  allgemeiner  und  als  solche  ge- 
eignet war  zur  Bezeichnung  des  Begriffs  ..Mensch".  Das  magyar. 
einher  drückt  daher  in  seine  Bestandteile  zerlegt,  etwa  dies  aus: 
„der  Luft  Sohn-  und  hat  den  gleichen  Inhalt  mit  dem  mythischen 
Ausdruck  der  Wogulen  rl<'-m-.roh's  (s.  „Ethnographia"  I.  290) 

5.  Im  Hunfalvy-Album  habe  ich  bei  der  Behandlung  des 
Bärenschwures  eingehend  begründet,  weshalb  wir  das  magyar. 
Original  für  den  aus  dem  Slavischen  entlehnten  Namen  medrr 
dieses  Tieres  nicht  kennen  {med-rrtf  magy.  inrrfrr,  d.  h.  Ho- 
nig-Esser), und  weshalb  wir  szarms,  (Hirsch,  eigentl.  Hörniger) 
und  fnrkus  (Wolf,  eigentl.  ( Jesehwänzter)  als  unischreibendes 
Epitheton  gebrauchen,  und  nicht  wie  eh  (Hund),  rtikn  (Fuchs), 
nijnszt  (Marder),  Ui  (Pferd)  und  wie  viele  andere  Tiere  mit  ihrem 
eigentlichen  Nenn-Namen  belegen.  Ich  habe  nachgewiesen,  dass 
dieselben  Erscheinungen  auch  im  Wogulisehen  vorkommen,  „was 
nicht  ein  blosser  Zufall  sein  kann,  sondern  nur  das  Resultat  des 
Umstandes,  dass  tlir  ttlfni  }ftttftftttrtt  rhnisn.  wir  dir  Wotptlm,  (}sl- 
jaken  und  ntrhrnr  and  vre.  renetDidtr  Yölfrrr  ans  Khrfnrehf.  odrr  atts 
religiöser  Sehnt  dir  traft  rv  Jivnvnuntitf  mit  finr.  Hirseft  an-l  Wolf 
nieht  tmssprachvn" .  In  Anbetracht  dessen,  dass  der  Hechl  im  Wo- 
gulischen „heiliger  Fisch"  (jrlpih  .ml)  ist  und  dass  für  ein  „hei- 
liges Tier,  Götzenbild"  (jrlpin  ttj,  Konda- Woirul.  papi-kliwor) 
auch  die  Schlange  gilt  ;  so  kann  am  geeignetesten  auch  diese 
eigentümliche  Erscheinung  mit  ebendenselben  Gründen  erklärt 
werden,  dass  wir  in  der  magyar.  Sprache  für  diese  Tierarten  nur 
Wörter  fremden  Ursprungs  zur  Verfügung  haben  (magy.  rsuku 
Hecht,  slav.  seukn,  sinkt t ;  magy.  kit/t/o  Schlange,  ältere  Form  kehftpJ, 
vgl.  tungusisch  kulin,  mongol.  .rtdiifhitn);  wobei  wir  keineswegs 
voraussetzen  können,  dass  z.  B.  die  alten  Magyaren  den  in  nörd- 
lichen Flüssen  in  sehr  grosser  Menge  vorkommenden  Hecht  nieht. 
gekannt  haben. 

iS.  Für  den  Begriff  der  Srhöpfun,/  ist  im  Wogulischen  einer 
der  gebräuchlichsten  Ausdrücke  :  tdräti  „lässt  herab,"  z.  B.  rinn- 
xules  unlrtir  tun  tdrälttnkwr  Ii  Idrnntiislt'n  ~~  Die  Menschen  be- 
wohnbare Erde  zu  erschaffen  :  du  hast  sie  also  erschaffen  -  eigent- 
lich:  herabzulassen,  du  hast  sie  also  herabgelassen  (s.  meine 
Samml.  „Vogul  nepköltesi  gyüjtenieny"  I.  8b) :  am  i'nräp-naj 
ankw  tdrälr'im  ich  lasse  herab  die  Baräp-Frau  Mutter  (einen 
gleichnamigen  Berg)  |d.  h.  erschaffe;  ebenda  HO]:  Xnmi-Tärrnt 
äs'itw  kwoss-kr-jH'l  rit-.ntl  euss  tdrätüsen,  n)r  ttj  ross  It'trätnsru  !  —  Er- 
habener Himmel  unser  Vater,  o  möchtest  du  doch  herablassen 
(erschaffen)  Fische,  möchtest  du  doch  herablassen  Wald-Wild 
(eh.   S.   7ii.)  Auf  welche  Weise  das  „Herablassen"  bedeutende 


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187 

Zeitwort  zum  Träger  dos  die  „Erschaffung*  bezeiehnendon  Be- 
itrittes geworden  ist,  ergibt  sich  klar  und  deutlich  aus  den  aus- 
führlicheren Sehöpfungsboschreibungen,  aus  denen  wir  ersehen, 
dass  Numi-Tdn'w,  der  Gott-Ahne,  die  Erde  und  ihre  Erschei- 
nungen nicht  durch  blosses  Wort  ex  nihilo  erschafft,  sondern  die- 
delben  aus  seiner  himmlischen  Wohnung  hernhlässt  und  zwar 
gewöhnlich  auf  eine  sehr  beschwerliche  Weise:  vermittelst  Stricken 
oder  Leitern.  Hier  lesen  wir  bezüglich  der  Erschaffung  der  Welt : 
-Unterer-Himmel  (d.  h.  Erde),  unsere  Mutter  in  ihrer  am  Ende 
einer  siebenfachen  eisernen  Kette  zwischen  2  Luft-Himmeln,  zwi- 
schen 2  Himnicl-Keichen  hangenden  Burg  sass.  Lange  Zeit  sasssie, 
oder  kurze  Zeit  snss  sie,  da  auf  einmal  nur  kam  das  Zeitalter 
der  Erschaffung  der  Erde  heran.  Erhabener-Himmel,  ihr  Bruder 
spricht  :  „Hu  Schwester,  steige  jetzt  herab  auf  den  unten  befind- 
lichen Raum,  des  Menschen  zeitige  Welt  muss  ich  erschaffon  !u 
Die  siebenfache  eiserne  Kette  wurde  jetzt  abgeschnitten  und 
_  Unterer-Himmel,  unsere  Mutter  stieg  also  herab"  (eb.  I.  128). 
Den  Ursprung  des  ersten  Menschenpaares  erzählt  die  Sage  also: 
„Eine  Frau  und  ein  Alter  leben;  Himmel-Vater,  Himmel- Väter- 
chen hat  sie  in  silborw  ölbiger,  gewölbter  Wiege  herabgelassen." 
Die  morgens  und  abends  mit  der  Erde  sich  berührenden  Ver- 
treter der  Sonne  und  Dämmerung,  den  Gold-Fürsten  (Sorni-äter) 
und  Gold-Kaltes  (Sorni-Kitltts)  legt  dem  Liede  gemäss  „Gold-Sir, 
ihre  Mutter  und  Gold  Kworcs,  ihr  Vater,  in  goldreifige  2  Wiegen, 
binden  7,  silberquastige  Silberketten  an  sie  und  lassen  sie  auf 
diese  unten  befindliche  Erde  herab"  (eb.  S.  66).  Die  Fische,  das 
Wild,  die  Pllanzen  werden  auch  aus  dem  Himmel  herabgelassen. 

Der  von  unserer  Mutter  Unterer  Himmel  ^unserem  Vater, 
dem  Erhahenen-Himniel"  gesandten  Botschaft  gemäss:  »deine 
bogenergreifenden  7  Männer  zu  erschaffen,  hast  du  nun  erschaf- 
fen;  aber  jetzt  ihre  essbaren  Kutonknosnon,  essbaren  Grasknospen, 
—  was  wird  sein  ?  Du  eine  Silberleiter  lasse  herab  ;  ihre  essbaren 
Kutenknospen  seilen  längs  dieser  Leiter  —  von  da  herabkommen  ; 
ihre  essbaren  Grasknospen  sollen  längs  dieser  Leiter —  von  da 
herankommen  !  Ihre  hungrigen  Herzen  hungern  sehr.  Erhabener- 
Himmel  fragt:  ..Längs  der  Silberleiter  was  für  ein  Dings  soll 
ich  herablassen  V  Obongehender-gofiügolter-Kalm  (der  himm- 
lische Bote)  spricht  :  ..Im  Herbste,  wenn  kurze  Tage  eintreten, 
aus  dem  sielienhschschaarigen  Wasser  deiner  gänsebolaufenen, 
entenbelaufeneii  7  Flüsschen,  deiner  gänsetauchenden,  ententau- 
chenden 7  Flüsschen  kloinrückenfiossige,  rückenboflosste  Fi- 
sche lass  kommen :  hinter  unsere  rückenteiligo  Stadt  lasse  sie- 
ben elentierige,  elentierversehene  Moosweiden  herab  !*  (ob.  132). 
In  einer  interessanten  Variante  finden  wir  dieso  Beschreibung  in 
den  die  Frsehaffung  des  Bären  behandelnden  Liedern,  von  denen 
z.  B.  hier  nur  eins  stehen  möge  (eb.  III.  12): 

Manlerfangender,  siebon-jagdschlingiger, 
wiMfan^'nder,  sieben-jagdschlingigor  Mann, 


188 


mein  Väterchen, 
schneidlose  viele  Heile 
in  grosser  Zahl  sammelt ; 
spitzlose  viele  Brecheisen 
in  grosser  Zahl  sammelt. 
Eisenbereitonden  7  Schmieden 
gibt  er  os  hin. 

Dreihundert  klnftrige  Eisenketto 
bereitet  er: 

silberwölbige,  gewölbte  Wiege 
bereitet  er. 

zu  jenes  gewalttütighändigen,  .gewaltigen  Tieres- 
Tochter  (dem  Büren) 
tragt  er  sie  hin. 

In  jene  silberwölbige.  gewölbte  Wiege 
setzt  er.  sieh  da!  mich  «den  Baren), 
mit  der  dreilmndertklaftrigen  Eisenkette 
bindet  er,  siehe  dji!  mich. 
Auf  das  vom  t'nlerwelt-Volk  bewohnte 
mit  gelber  Farbe,  mit  roter  Farbe  bedeckte 
Kleingans,  Kleinente  beschnatterte  Erdchen 
lässt  er.  siehe  da  !  mich  herab. 

Mit  der  wogul.  Bildung  t'h-ät,  momentan  himnt  stimmt  for- 
mell und  inhaltlieh  magyar.  twiat  (erschaffen)  gei  au  überein, 
und  wenn  der  Ausdruck  so  identisch  ist.  so  haben  wir  wohl  auch 
die  darin  enthaltene  (irundvorstellung  für  identisch  zu  halten. 

All  dies  glaube  ich,  liefert  genug  bedeutsame  Spuren  be- 
züglich dessen,  dass  der  Forscher  magyarischer  Mythologie  und 
Religion  die  religiöse  Dichtung  der  Wogulen  und  Ostjaken  für 
eine  wichtige  Quelle  der  Vergleichung  zu  halten  hat. 

Kinderschrecker  und  Kinderräuber  im  magyarischen  Volksglauben. 

Von  Lud w'uj  Kulmdny. 

IL 

I.  Szepasszonyok       Schöne  Frauen. 

Ueber  die  ördonyö*  vm  ns.<?ontf  heisst  os,  dass  sie  der  Bösen 
Böseste  sei,  die  machtiger,  gefährlicher  als  der  Teufe)  selbst,  die- 
sem, wenn  ihn  sein  Wissen  und  Können  verlässt,  hilfreich  bei- 
steht, weshalb  sich  auch  der  Teufel  vor  ihr  fürchtet.1)  Besonders 

')  Eine  Sage  berichlot:  »Als  der  Teufel  zur  OrdnnyÖH  rrmiHsztwy  gieng. 
sagte  er  zu  ihr,  sie  sollte  es  versuchen:  ob  sie  dies  junge  Paar  verfuhren 
könnte.  Sie  sagte:  sie  verführe  es  um  ein  Paar  Schuhe.  (Ücng  die  iirdiiiiyis 
v£nas82ony  zur  jungen  Frau:  ..()  mein  liebes  Kind,  welch  schönes  Leben  herrscht 
unter  euch;  aber  noch  schöner  würdet  ihr  hben.  wenn  du  auf  mein  Wort 
hören  würdest;  lege  das  Rasiermesser  unter  den  Polster,  darauf  dein  Mann 
sich  hinlegt,  dann  gibts  ein  noch  schöneres  Leben  unter  euch!"  Dann  gieng 
sie  hinaus  in  den  Weinberg,  wo  der  junge  Mann  mit  der  Haue  arbeitete.  -U 
welch  schönes  Leben  gibt  es  unter  euch,  mein  Kind,  nur  Schade,  dass  es  zu 
Ende  geht!  Deine  Frau  hat  das  Rasiermesser  unter  deinen  Polster  gelegt,  damit 
sie  dir  den  Hals  abschneide;  schau  es  dir  nur  an."  Als  der  Mann  heimkam, 
nachtmalte  er,  entkleidete  er  sich,  und  da  fiel  ihm  ein.  was  die  alle  Frau  ge- 
sagt hatte.  Kr  hob  den  Polster  auf:  darunter  war  das  Rasiermesser.    Da  griff 


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1S!I 


für  die  Ivindbetterinnen  ist  die  Szv.iHisnnmij  mit  ihrer  HtmLfloitc»r- 
schnür  gefährlich.  In  Egyhazas-Ker  glaubt  mau,  dass  die  Sz. 
und  die  sie  begleitenden  Hexen1)  aueh  die  Kindbetterinnen  vom 
Bette  lieben  und  sie  nächtlicher  Weile  zerstückeln.  In  Klarafalva 
hoben  sie  einmal  die  Wöchnerin  aus  dem  Bette  und  legten  sie 
in  den  Backtrog.  Das  Volk  hält  nur  die  Anführerin  dieser  Schaar 
für  eine  S/,.  Ihr  Bestreben  ist,  die  Wöchnerin  ins  Freie  hinaus- 
zuschaffen, wo  sie  mit  ihr  leichter  fertig  werden  können.  „Meine 
Freundin",  erzählte  ein  altes  Weib  aus  Szeged-Madarasztö,  ..lock- 
ten sie  aus  dem  Kindbett  hinaus  und  sie  hätten  dieselbe  auch 
getötet,  wenn  ihr(iatte  es  nicht  wahrnimmt."  ..Wenn  sie  zur 
Kindbetterin  kommen,  saugen  sie  nächtlich  an  den  Brüsten  der- 
selben; dann  versiegt  die  Milch  dieser  Frau"  (aus  Szöreg).  Das 
Kind  soll  man  nicht  auf  den  Tisch  legen,  denn  die  Bösen 
werfen  es  herab  und  es  gesundet  nimmer  (aus  Szöreg).  Um  diese 
gefährliche  Schaar  abzuwehren,  legt  man  Messer  und  Gabel  ins 
Bett  der  Boldogngszomj  ( Boldoffaggtonii-dg  ij) ;  Sehneide-  und  Stech- 
werkzeuge weinen  die  Bösen  ab.')  Damit  das  Kind  nicht  berufen 
werde,  legt  man  in  Szöreg  ein  Messer  unter  seinen  Polster;  und 
damit  man  die  Hexen  vom  Hause  fernhalte,  steckt  man  am  ( ieorgs- 
tage  Stecknadeln  in  die  Fensterbalken.  In  Szoged-Rökus  legt 
man  ins  Badewasser  eines  solchen  Kindes,  das  mager  ist  oder 
gar  von  den  Hexen  ausgetauscht  wurde,  Messer  und  (Jabel.  Die 
Wöchnerin  darf  nie  allein  bleiben;  man  muss  wenigstens  die  Katze 
bei  ihr  lassen.  Die  Katze  ist  also  ein  der  Sztpiis  *iony  feindlich 
gesinntes  Tier.  In  Algyö  zieht  man  durch  das  erste  Hemd, 
welches  man  jemandem  näht,  eine  Katze  hindurch,  damit  die 
Bösen   den    Betreffenden  nicht    schädigen    können*).    B<'i  den 

er  seine  Frau  bei  dun  Haaren  uml  schnitt  ihr  »Ion  Hals  al».  Der  Teufel  trug 
sogleich  die  Paar  Schuhe  zur  nrib'iwj(1s  renasszont/;  er  reichte  sie  ihr  vermittelst 
einer  Stange  hinein,  denn  er  getraute  sich  nicht  zu  ihr  hineinzugehen, 
..Schon  seit  7  Jahren  hemühte  ich  mich,  jene  zu  betrügen,  aber  ich  konnte 
sie  nicht  betrügen:  du  bist  ein  grosserer  Teufel  als  ich."  (Aus  Szöreg.) 

')  Der  alte  \'<tn/a  berichtete  mir,  dass  er  in  seiner  Jugend  die  Hexen 
belauscht  habe;  „so  gegen  II  l'hr  gieng  er  nach  Hause;  er  zog  seine  l'nter- 
hose  |gatya>  aus:  <t  kroch  durch  dieselbe  hindurch  (d.  h.  durch  den  einen 
Fuss  derselben:  die  <5atyen  sind  nämlich  sehr  weit»;  er  sah  die  rote  Fahne 
auf  jedem  Hause,  in  welchem  sich  eine  Hexe  befand;  er  zog  sich  bei  Seite; 
gar  bald  fuhr  eine  Kutsche  di»>  «J.-sse  entlang;  in  diese  stiegen  die  Hexen  ein, 
es  waren  10.  Sie  gienger.  auf  den  (Berg)  Nagyhalom  (bei  Szeged);  der  alte 
Varga  schlich  ihnen  nach;  er  sah  wie  sich  die  Hexen  unterhielten;  Musik  er- 
klang, aus  goldenen  Bechern  tranken  sie;  sie  hatten  einen  goldenen  Tisch; 
dann  tanzten  sie,  aber  es  waren  dort  alle  (nur)  Hexen.  Am  andern  Tage  fand 
der  alte  Varga  an  diesem  Orte  Pferd»?-  und  Fselknoehen"  (aus  Magyar-Szent- 
Mihaly;  vgl.  ferner  meine  Sammluug:  Szeged  nepe  —  Sz.'s  Volk  II.  Bd.  220.» 

M  S.  meine  Abhandlung:  ..Bohlogasszonv  ösvallasunk  Istenasszonya  (  = 
B.  eine  (iöttin  unserer  1'rreligion).  S.  14,  IG  und  Wlislocki,  Aus  dem  Volks- 
leben der  Magyaren  S.  IM. 

J)  In  Szöreg  erzählt  mau.  ein  Hirtenjunge  habe  einmal  sein  Taschen- 
messer in  den  Wirbelwind  geworfen:  die  Bosen  öffneten  es  und  warfen  es 
dein  Jungen  in  den  Fuss.  In  Magyar-Sz.-Mihälv  erzählt  man  von  der  Tochter 
eines  gewissen  Källav,  dass  sie  mit  einem  grossen  Messer  nach   dem  Wirbel- 


IM 


Indern    ist  dir  Katze   das   Sinnbild   des  kinder-beschützenden 

Trotz  aller  Vorsorge  verwechselt  die  tery^*?*»)/;/  und  ihre 
Begleiterinnen  oft  das  Kind:  von  einem  solchen  sagt  man  dann: 
„ICs  ist  im  Bette  der  Sz.  geboren."  Dies  ..Bett  der  Sz."  ist  eben 
das  Kindbett,  sofern  nämlich  die  Sz.  und  ihre  Begleiterinnen 
dem  Kinde  ein  Leid  zufügen:  sonst  aber  heisst  es  Liebfrauen-Bett, 
i  Hotdofjn^oi) y-atfi/aß  und  die  hl.  Marin,  die  sog.  Boldogasszonv 
ist  die  Beschützerin  der  Gebürerin.  l'm  den  Besitz  des  Kind- 
bettes streiten  sieh  die  Boldogasszony  und  die  Sz.:  jede  will, 
dass  das  Kind  in  ihrem  Bette  geboren  werde.  Krreicht  die  Sz. 
ihr  Ziel,  so  wechseln  die  Hexen  das  Kind  üogen  eines  der  ihrigen 
ans.  Ein  solches  Kind  ist  haarig,  dickköpfig,  lautlos  und  heisst 
vältott  (  -  gewechselt).  In  Kg.\ häzas-Ker  erzahlt  man  über  den 
l'rsprung  des  Weehselhalges  folgendes:  ..Während  die  Frau  das 
Kind  gebärt.  kommen  die  Hexen  heran,  spiessen  Eierschalen  auf 
einen  Kochlöffel;  daraus  entsteht  ein  dickköpfiges  Kind,  das 
lassen  sie  der  Mutter,  das  Kind  aber  tragen  sie  mit  sich  fort. 
So  wie  man  mit  ihrem  Kinde  umgeht,  so  behandeln  sie  auch  das 
Kind  (der  Frau).  Wenn  eine  Katze  in  der  Stube  ist.  oder  wenn 
der  Vater  seinen  Hut  auf  das  (Jelsennetz  (Bettgardinen  aus  Or- 
gantin u.  dgl.)  legt,  dann  können  sie  das  Kind  nicht  austauschen.** 
In  Szöreg  erzählt  man:  „Als  der  Wechselbalg  lange  nicht  gehen 
und  sprechen  konnte,  nur  der  Kopf  wuchs  ihm;  es  hatte  schon 
einen  sogrossen  Kopf,  wie  ein  (erwachsener)  Mensch,  sagte  man: 
man  möge  ihm  einen  neuen  Napf,  einen  neuen  Löffel  kaufen ; 
es  mochte  stets  nur  Milch  essen:  der  Napf  soll  klein,  der  Löffel 
gross  sein;  dann  soll  man  durch  das  Schlüsselloch  beobachten, 
was  das  Kind  macht;  man  gab  ihm  Milchhirse;  begann  das  Kind 
dreimal:  „Hm,  hm,  hm!  (i rosser  Löffel,  kleiner  Napf;  wie  soll 
man  daraus  essen.  Man  wusste,  dass  es  ein  Wechselbalg  sei; 
dann  legte  man  es  auf  eine  Brotschaufel."  Man  glaubt  nämlich, 
dass  wenn  man  den  Wechselbalg  auf  die  Brotschaufel  logt  und 
so  vor  die  Oeffnung  des  Backofens  bringt,  die  Hexe  das  Kind 
zurücktausche.  Im  Bette  der  Sz.  ist  ein  solches  Kind  geboren, 
das  mit  Zähnen  auf  die  Welt  kommt;  dies«  Zähne  muss  man 
ihm  ausbrechen,  sonst  holen  es  die  Bösen  ab.  Aus  solchem  Kinde 
wird  ein  Tutos,  d.  h.  ein  Mensch,  der  übernatürliche  Kräfte  be- 
sitzt.") De:1  Zahn  ist  das  Zeichen  des  künftigen  Tutos.  Wer  in 
Zuckungen  verfällt,   wem  aus  Nase  und  Mund  Blut   ltiesst.  gilt 


wind  gehauen  habe,  worauf  sit*  die  Hexen  gh'ich  schädigten.  Vgl.  Knuts* 
Volksglaube  und  relig.  Brauch  der  Südslavcn  117. 

')  Vgl.  loch  über  die  Katze  als  T " •  * i*  der  M<ddogasszony  d.  h.  der  HI. 
Maria:  „Kthn.  Mitteil."  II.  Bd.  S.  noch  die  Zeitsehr.  ..Am  rr-iueU"  III.  lf>:?: 
(ittlfitmlia,  Die  Tiere  in  der  indogerm.  Mvth.  'Ml.  Auch  hei  den  Slaven  ist 
die  Katze  ein  kindersrhiitzendes  Tier,  s.  Kr<m*s  Volksgl.  und  rel.  Brauch  «1er 
Siidslaven.  67. 

')  S.  darüber  Wlishuki,  Volksgl.  u.  rel.  Brauch  der  Magyaren  S.  124. 


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191 


bi'i  den  Tunguscn  für  einen  künftigen  Schamanen.')  Hin  solches 
Kind  holen  nicht  die  Hexen  ah,  sondern  der  Tente!  (ursprüng- 
lich wol  der  Schamane)  trägt  es  fort,  um  es  zu  unterrichten. 

Die  Szepasazonif  hat  auch  für  Erwachsene  ein  Bett,  in  wel- 
chem derjenige  liegt,  der  an  der  hinfallenden  Krankheit,  oder 
an  der  Syphilis  leidet  (aus  Szegcd).  „Wer  an  solchem  Orte  geht, 
wo  er  nicht  hätte  gehen  sollen,  dem  verdirbt  der  Leih,  so  dass 
er  krank  liegen  muss;  der  liegt  im  Bett  der  Sz."  (aus  Klara- 
falva).  Das  Bett  der  Sz.  gehört  also  auch  den  an  ..garstiger 
Krankheit"  (c^unya  b.  fi'f/srr/)  Leidenden.  Vgl.  das  Bett  der  ger- 
manischen Hei,  inwieweit  dasselbe  die  Bedeutung  von  Erschöp- 
fung, Krankheit  hat.  Auf  wen  die  Sz.  speit,  der  bekommt  „so 
eine  schlechte  Krankheit",  d.  h.  Syphilis  (aus  Klarafalva).  -Wenn 
das  kleine  Kind  von  der  Bank  herabfällt  und  sich  dabei  nicht 
anschlägt,  so  fällt  es  in  die  Schürze  der  Boldogasszony ;")  schlägt 
es  sich  aber  an.  so  ist  es  in  die  Schiirzo  der  Szepasszony  gefallen* 
(aus  Szöreg,  Majdän).  Von  den  Erwachsenen  fallen  nur  die 
schlechten  Mensehen  in  die  Schürze  der  Sz.  ..Wenn  ein  Betrun- 
kener fällt  und  sich  dabei  anschlägt,  der  fällt  in  die  Schürze  der 
Sz. ;  die  Sz.  zerschlägt  ihn,  damit  es  ihm  im  Gedächtnis  bleibe" 
(aus  O-Szent-lvän).2)  Weil  der  Betrunkene  gar  leicht  hinfällt,  so 
ist  vor  ihn  die  Schürze  der  Sz.  hingespreitet,  damit  er  beim  Fal- 
len sich  verletze.  Die  gefährlichste  Zeit  beginnt  für  einen  solchen 
Menschen  nach  Sonnenuntergang,  wo  er  am  leichtesten  in  die 
Schürze  der  Sz.  fallen  kann.  Die  Macht  der  Sz.  beginnt  also 
nach  Sonnenuntergang  sich  am  stärksten  zu  offenbaren.  „Abends 
ist  es  nicht  gut  nach  Sonnenuntergang  Spülicht,  oder  des  Kin- 
des Badwasser  auszugiessen,  denn  die  Szepasazony  hält  dann  im- 
mer ihre  Schüssel  hin  und  auch  ihre  Schürze;  und  wer  dann 
dahin  tritt  und  krank  wird,  der  steigt  in  die  Schüssel  der  Sz.; 
wenn  er  aber  fällt  und  sich  anschlägt,  so  fällt  er  in  die  Schürze 
der  Sz.u  (aus  Szßreg).')  Für  die  meisten  Menschen  ist  eben  die 
Schüssel  der  Sz.  {^repfi^zony  t/tla).  oder  auch  Teller  der  Sz. 
(Sze))(is$?o)u/  hinywja)  genannt,  unheilvoll.  ..Am  Tage  gen  12  Uhr 
und  in  der  Nacht  gegen  12  Uhr  geht  die  Sz.  herum  und  streut 
Verderhen  aus,  schädigt  den  Menschen;  des  Nachts  geht  sie  im 
Hattert  herum"  (aus  Egyhäzas-Ker).  ..Gegen  12  Uhr  ist  es  weder 
am  Tage,   noch  in  der*  Nacht  gut,   in  der  Mitte  des  Fahrweges 

'(  (icnrifi,  Bemerkungen  einer  Heise  im  russischen  Reich.  S.  2S0. 

-)  IVhcr  die  Schürze  der  B.  s.  meine  o.  n.  Abhandlung  und  Wlislocki, 
Aus  dem  Volksleben  der  Magy.  S.  1GH. 

*)  In  Ö-Szent-Ivan  beginnt  der  Glaube  Verbreitung  zu  finden,  duss  der 
schlechte  Mensch  nicht  in  die  Schürze  der  Boldogasszony.  sondern  nur  in  die 
der  Sz.  fallen  kann.  Daselbst  fiel  einmal  ein  bekannter  Saufbold  vom  Dache 
berauscht  herab,  ohne  Schaden  zu  leiden:  er  brüstet«»  sich,  in  die  Schürze  d«»r 
B.  gefallen  zu  sein.  Die  alten  Weiber  schimpften  ihn,  ind«»m  si<»  meinten: 
ein  schlechter  Mensch  falle  nie  in  die  Schürze  der  B..  Bei  einer  anderen  (le- 
h'genheit  fi»»l  er  so  arg  hin.  dass  er  sich  schwer  verletzte;  da  glaubte  jeder- 
mann, dass  der  Saufbold  in  die  Schürze  der  Sz.  gefallen  sei. 

l)  Vgl.  Krauts,  Südslavische  Hoxousageu  :U. 


zu  gehen,  denn  die  Schüssel  der  Sz.  ist  dann  in  der  Milte  dos 
Fahrweges;  wer  dann  in  die  Schiissel  der  Sz.  tritt,  gesundet 
nimmer"  (aus  Szeged-Madaräszto).  Verbreitet  ist  der  Glaube,  dass 
die  auf  Kreuzwegen  befindlichen  Pferdehute  und  Kinderklauen 
die  Schüssel  der  Sz.  bilden;  diese  Dinge  sind  die  Ueberreste  der 
nächtlichen  Gastereien  der  Hexen;  wer  auf  sie  tritt,  wird  lahm  ). 
Diesbezüglich  heisst  es:  „Die  Pferdehufe  sammeln  die  Hexen; 
daraus  machen  sie  sich  Becher,  goldene  Hecher;  aus  diesen  trin- 
ken sie,  wenn  sie  nachts  sich  versammeln"  (aus  O-Szent-Ivan ). 
Manche  halten  die  Heindarre,  die  Abmagerung  der  Schenkel,  für 
eine  Folge  des  Hineintretens  in  die  Schüssel  der  Sz..  „Wessen 
Hein  verdorrt,  der  ist  in  die  Schüssel  der  Sz.  getreten"  (Kgy- 
hazas-Ker).  Nach  anderer  Erklärung  ist  die  Schüssel  der  Sz.  die 
Dachtraufe,  wenn  man  diese  verunreinigt;  dies  glauben  auch  die 
szöreger  Serben,  mit  dem  Unterschiede»,  dass  bei  ihnen  die  Vila 
die  Dachtraufe  verunreinigt.*)  Das  Volk  der  Szegeder  Gegend 
nennt  die  Schüssel  der  Sz.  auch  die  „Schüssel  der  Bösen"  ( ttoxz- 
szak  tdlja).  In  Szflreg  und  Gyala  heisst  es:  „Abends  pflegt  man 
das  Fressen  dem  Hunde  hinzuschütten;  ist  dann  der  Hund  nicht 
da,  so  tritt  der,  welcher  hievon  nichts  weiss,  darüber  hinweg, 
er  tritt  (dadurch)  in  die  Schüssel  der  Bösen;  er  bekommt  ein  un- 
heilbares Siechtum,  woran  er  stirbt."  Diese  Bösen  sind  die  Hexen 
selbst.3)  Wieder  anderswo  glaubt  man,  dass  die  verunreinigte 
Dachtraufe  nicht  die  Schüssel,  sondern  der  Speichel  der  Sz.1)  sei: 
..Es  ist  nicht  gut,  in  die  Dachtraufe  seine  Not  zu  verrichten, 
denn  darin  ist  der  Speichel  der  Sz.,  wenn  der  Mensch  hineintritt" 
(aus  Klarafalva).  lieber  die  Schüssel  der  Vila  berichten  die  Ser- 
ben in  Szöreg  und  Svrmien  dasselbe,  während  die  Magyaren 
Südungarns  ausserhalb  Szeged's  von  der  Sz<:jta*sz(mu  überhaupt 
nichts   wissen.  In  Gyala  sagen  die   Serben:  „Bda  Vila  a  itwah 

')  S.  meine  Samml.  „Szcged  nepe"  II.,  22U.  „In  der  IMingstnacht  tanzen 
die  Hexen  in  einem  Kreise;  wer  in  diesen  Kreis  tritt,  der  bekommt  ein  sol- 
ches .Siechtum,  von  dem  er  nie  geheilt  werden  kann.  Dieser  Kreis  ist  der 
Tanzplatz  der  Hexen;  dort  grünt  selbst  das  Gras  nicht,  es  ist  versengt"  laus 
Szöreg).  Derselbe  Glaube  findet  sich  auch  bei  den  Szöreger  S/.erben  vor;  vgl. 
den  südslavischen  Glauben  bei  Krauts  a.  a.  O.  S.  11H. 

l|  Die  Serben  in  Szerb-Elemer  glauben,  dass  die  Kolcia  durch  die  Ver- 
unreinigung der  Strassen  durch  die  weisse  Frau  entsteht.  Am  25,  Nov.  1K!<2 
zogen  4  nackte  Jungfrauen  einon  Pflug  um  das  Dorf  herum,  von  zwei  12  -14 
jährigen  Mädchen  getrieben.  Sie  zogen  eine  Furche  um  das  Dorf  und  glaulv» 
ten.  dass  nun  die  Kolera,  die  weisse  Frau,  in  den  Friedhof  gegangen  sei  und 
dort  weine.  Als  dies  Mittel  nicht  half,  zündeten  sie  im  Dorfe  allerwärts  Feuer 
an,  und  warfen  in  dasselbe  Fusslappen,  Bundschuhe  udgl..  damit  die  Kolera 
a u  sge  r ä  u c  h  e  rt  wer d  e. 

*)  In  einem  Szegeder  Hexenprozess  aus  dem  vorigen  Jahrhundert  wird 
Saroh  Koncz  augeklagt,  „dass  sie  auch  den  Sohn  des  G.  Katona  behext  habe, 
sie  sei  in  die  Schüssel  der  Hexen  getreten  und  habe  dieselbe  angespieen;  und 
er  habe  Geschwüre  bekommen  und  so  habe  sie  ihn  geschädigt;  und  jetzt  habe 
sie  ihn  geheilt." 

*)  lieber  das  Hinointreten  in  gewisse  Sachen  vgl.  Kr.tusi  in  -^une- Zeit- 
schrift -Am  rnpiell"  Üd.  III.  IV.  sub:  J\at%em*purn." 


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193 


nayazio"  (er  ist  in  die  Schüssel  der  weissen  Fee  gestiegen),  was 
der  magyar.  Redensart:  „A  tzepusszony  ttiltiba  häyott"   (er  ist  in 
die  Schüssel  der  Sz.  gestiegen).   Wer   in   die  Schüssel   der  Sz. 
tritt,  kann  geheilt  werden,  wenn  dieselbe  nicht  für  ihn  aufgestellt 
worden  war  (Algyö).  Hieraus  folgt,  dass  die  Sz.  gewisse  Men- 
schen sich  auswählt,  für  welche  sie?  dann  ihre  Schüssel  hinstellt,') 
Bezüglich  des  Speichels  oder  Ausspeiens  der  Sz.  heisst  es:  „Das 
Speien  der  Sz.  befindet  sich  an  dem  Menschen,  der  so  eine  böse 
Krankheit  (Syphilis)  hat"  (aus  Klarafalva).  Dies  stimmt  mit  oben 
erwähnter  Erklärung  des  Bettes  der  Sz.  überein.  Das  Speien  der 
Sz.  verursacht  auch  Katharr  (Szöreg,  Klarafalva),  Kopfschmerzen: 
„die  Dachtraufe  ist  nicht  gut  zu  verunreinigen,  denn  wer  hinein- 
tritt, bekommt  Kopfschmerzen,  Katharr;  dies  ist  der  Speichel  der 
Sz.,  nämlich:   der  Kopfschmerz   und  Katharr"  (aus  Szöreg).  In 
Klarafalva  nennt  man  auch  die  Warzen  also.  Dergleichen  Speien 
wird  auch  in  Szegeder  Hcxenprozessen  häufig  erwähnt.  Das  Speien 
der  Sz.  ist  demnach  eine  Krankheit,  das  der  der  Hexerei  Ange- 
klagten aber  nur  krankheiterregend;  (ähnlich  wie  der  Hexenspei- 
chel der  Slaven-).  Auch  aus  dem  Speichel   des  Demiurgen  der 
ugrischen  Völker  entstehen  Krankheiten.   Die  Krankheit  nennt 
man   in  Szöreg  auch  das  „Wasser  der  Sz."  {Szepassztmy  vize). 
Anderwärts  hält  man  das  Wasser  der  Sz   für  ein  Zaubermittel, 
mit  Hilfe  dessen  man  das  Siechtum  erkennen  kann.  „Das  Was- 
ser der  Zauberin  ist  das  Wasser  der  Sz.;  nachts  um  12  Uhr 
schöpft  man   es  schweigend   aus  dem  Brunnen,  man  trägt  es 
aber  nicht  hinein,  man  stellt  es  unter  einen  Baum;  bis  Tagesan- 
bruch darf  man  es  nicht  hineintragen.   Aus  diesem  ersieht  die 
Zauberin  das  Siechtum,  die  Schädigung;  denn  im  Wasser  befin- 
det sich  der  (d.  Ii.  sein  Bild),   welcher  geschädigt  worden  ist" 
(aus  Szöreg).  Unsere  Ueberlieferungen   zeigen,  dass  im  Volks- 
glauben früherer  Zeiten  die  Sz.  sowol  als  Schädigerin   als  auch 
als  Helferin  eine  Holle  gespielt  hat.  In  Egyhäzas-Ker  kennt  man 
das  „Wasehwa-ser  der  Sz.";  wer  hineintritt,  wird  krank;  in  Sie- 
benbürgen kennt  man  auch  den  ..Brunnen  der  Sz.U3)Die  Sz.  hat 
auch  ein  Handtuch.   In  Egyhäzas-Ker  glaubt  man,  dass  sie  es 
deshalb  wegwirft,  damit  der  Finder  krank  werde.  Keine  Krank- 
heiten verursachen  diejenige  Pflanzen,  welche  nach  dem  Namen 
der  tizipaaxzony  benannt  sind,  wie:  Sz.  tcnyere  (flache  Hund  der 
Sz.);   Sz.  fiirv  ((Jras  der  Sz.)   Sz.  kaluoa  (Kuchen  der  Sz.;  rar- 
lina  aoudis).   Sz.   rcszketötiijv  (zitternde   Nadel  der  Sz.,  scabvsa 
(ttroparpurm);  Sz.  htm  (Hirse  der  Sz.,  frduca  puitamY)  Hingegen 
ist  der  „Wind  (Schlagfluss)  der  Sz."  gefährlich.  „Der  Wind  der 
Sz.  hat  denjenigen  getroffen,  dessen  Mund  verzogen  ist"  (aus 
Kübekhäza).Krankh('iterregendistauchder„Be<-her  der  Sz."(  Szöreg). 

'l  Alto  Leute  können  durch  diese  .Schüssel  nicht  geschädigt  werden. 

'-)  Kraus»,  Südsl.  Hexensagen.  '">3. 

3)  fpolt/i,  a.  a.  O.  S.  589.  Auch  die  Vilen  der  Slavon  treten  oft  als  hel- 
fende Wesen  auf;  Kraus*,  Volksgl.  u.  rel.  Br.  d.  Südsl.  95;  76,  87. 

■)  Ipolyi,  a.  a.  O.  S.  445;  Wlitloeki,  Volksgl.  u.  rel.  Br.  dor  Magy.  S.  158. 

(Fortsetzung  folgt.) 

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194 


Seelenloskauf  bei  den  mohammedanischen  Zigeunern 

der  Balkanländer. 

Von  Dr.  IL  v.  W  Iis  locht. 

Die  Seele  klammert  sieh  au  alles,  was  der  Verstorbene  im 
Leben  besessen  hat,  und  muss  daher  von  seinem  Besitz  förmlich 
losgerissen  werden.  Dies  ist  der  elementare  Grundgedanke  der 
Totengebrauche  aller  Völker  zu  allen  Zeiten;  auf  diesem  Gedanken 
ruhen  logisch  erklärbar  alle  die  zahlreichen  Bräuche,  welche 
darin  übereinstimmen,  dass  sie  nach  einem  Todesfälle  keinen 
Gegenstand  des  Hauswesens  ungerückt  an  seiner  Stelle  lassen 
und  so  gewissermaassen  ..das  Haus  umstürzen".  Die  vertrauliche 
Beziehung,  in  welcher  der  Verstorbene  einst  zu  seinem  Hauswesen 
stand,  liess  bei  den  l'eberlebenden  gar  leicht  den  Gedanken 
aufkommen,  dass  der  Tote  das  Seine  mitnehmen,  oder  es  wenig- 
stens für  weiteren  Gebrauch  schädigen  könne. 

Auf  diesem  Gedanken  ruht  auch  der  sogenannte  ..Seelen- 
loskauf**, der  sich  in  verschiedener  Form  in  den  Totengebräuchen 
verschiedener  Völker  vorfindet,  so  auch  bei  den  mohammeda- 
nischen Zigeunern  der  Balkanländer. 

Stirbt  ein  ansässiger  mohammedanischer  Zigeuner,  so  w  ird  er 
von  seinen  Angehörigen  mit  dem  Gesicht  gegen  Sonnenaufgang 
gelegt  und  bis  zur  Ankunft  des  Imam  mit  einem  Leintuch  zuge- 
deckt. Nachdem  der  Imam  das  Totenhemd  verfertigt,  die  Leiche 
gewaschen  und  angekleidet  hat,  nimmt  er  die  Geremonie  des 
Seeleuioskaufes  itomnisapen  muleskoro  -=  Handel,  Feilschen  des 
Toten)  vor.  Zu  diesem  Behüte  muss  der  Aelteste  der  Hinterblie- 
benen bei  einer  männlichen  Leiche  zwei  fremde  Männer,  bei 
einer  weiblichen  aber  zwei  fremde  Weiber  herbeischaffen  und 
dem  Imam  sechszehn  Silbergeldstücke  übergeben.  Ist  die  Familie 
so  arm,  dass  sie  diese  Summe  nicht  herbeischaffen  kann,  so  gehen 
die  beiden  Männer,  beziehungsweise  die  beiden  Weiber  so  lange 
von  Haus  zu  Haus,  bis  sie  die  erforderlichen  Geldstücke  zusam- 
mengebettelt haben.  Ausser  diesem  Silbergeide  müssen  die  Hin- 
terbliebenen auch  noch  101  Stück  der  kleinsten  Geldmünze  her- 
beischaffen und  dieselben  sammt  dem  Silbergeide  dem  Imam 
übergeben.  Der  Imam  logt  nun  dem  Toten  je  eine  Silbermünze 
zwischen  je  zwei  Fusszehen  und  je  zwei  Handfinger  und  bindet 
die  kleinen  Geldmünzen  in  ein  Tüchel  ein,  das  er  den  beiden 
Männern,  beziehungsweise  Weibern  übergibt,  die  sich  rechts  und 
links  vom  Toten  auf  die  Erde  niedersetzen.  Während  der  Imam 
Gebote  hermurmelt,  reichen  sie  das  Tüchel  mit  dem  G ekle  einan- 
der über  die  Leiche  hinüber  101  -mal  zu,  wobei  jedesmal  der 
(Jeher  die  Worte  spricht:  ..Wir  feilschen,  Toter!"  (Amen  tomui- 
surtis.  oh  nrulejn !),  der  das  Tüchel  Uebernehmende  aber  sagt 
jedesmal :  „Ja  ich  nehme  das  Geld"  (auva,  me  luv  lova).  Ist  dies 
101-mal  wiederholt  worden,  so  wird  das  Tüchel  samt  dem  Gelde 


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195 


dem  lmam  übergeben,  der  das  (leid  in  drei  Teile  teilt,  von  denen 
er  zwei  Teile  der  Familie  des  Verstorbenen  zur  Bestreitung  der 
noch  übrigen  Leichenkosten  zurückgibt ;  den  driten  Teil  aber 
wieder  auf  drei  Teile  teilt,  von  denen  er  je  einen  Teil  den  beiden 
Männern,  beziehungsweise  Weibern  schenkt,  den  dritten  Teil 
aber  und  das  zwischen  den  Zehen  und  Fingern  des  Toten  be- 
findliche Silbergeid  für  sieh  und  für  fromme  Zwecke  einsteckt. 
Schliesslich  sieht  der  Imain  bei  einer  männlichen  Leiche  nach, 
ob  der  Betreflcnde  beschnitten  ist  oder  nicht.  Ist  der  Tote  unbe- 
sebnitten  geblieben,  so  bl  icht  ihm  der  Imain,  bevor  noch  die  üb- 
rigen Leichenceremonien  ihren  Anfang  nehmen,  den  kleinen 
Finger  der  rm-htm  Hand  und  wickelt  um  denselben  einen  roten 
Seiden  faden. 

Bezüglich  dieser  letzten  Ceremonic  weichen  die  mohammeda- 
nischen Wanderzigeuner  von  den  ansässigen  wesentlich  ab.  Bei 
ersteren  gilt  der  kleine  Finger  der  Inden  Hand  nicht  nur  für  den 
Sitz  des  Lebens,  sondern  auch  für  den  Sitz  männlicher  Potenz. 
Ist  der  Tote  aber  uubesehnitten  geblieben,  was  bei  den  moham- 
medanischen Wanderzigeunern  gewöhnlich  der  Fall  ist,  so  bricht 
ihm  der  älteste  seines  Stummes  den  kleinen  Finger  der  linkt n 
Hand  und  bindet  denselben  mit  einer  eigens  zu  diesem  Zwecke 
von  den  Z;mbei  hauen  verfertigten  Schnur  an  die  Handfläche, 
und  zwar  so,  dass  er  um  das  ei  ste  <  Jlied  des  gebrochenen  kleinen 
Fingers  mit  der  Schnur  eine  Schlinge  windet,  das  eine  Hude 
derselben  um  den  Handrücken  zieht  und  dann  beide  Huden  der 
Schnur  um  das  letzte  (Jlied  des  Mittelfingers  windend,  zusam- 
menknüpft. Bei  einigen  Stämmen  werden  in  diese  Schnur  auch 
Haare  von  den  hinterblicbenen  Frauen  des  Verstorbenen  oinge- 
tlochten,  damit  der  Tote  sich  nicht  nach  seinen  Weibern  sehne. 
Nach  dieser  Ceremonic  stiebt  jene  der  <  Jattinnen  des  Toten  in  diesen 
gebrochenen  kleinen  Finger  mit  einer  Nadel  einmal  hinein,  damit 
der  Tote  dadurch  in  geschlechtlicher  Beziehung  zur  Buhe  komme 
und  seine  Weiber  nachts  nicht  beunruhige.  l)ies  nehmen  die 
Weiber  auch  dann  vor.  wenn  der  Tote   beschnitten  gewesen  ist. 

Aber  auch  bezüglich  des  Seelenlo^kaufes  weichen  die  mo- 
hammedanischen Wanderzigeuner  von  den  ansässigen  wesentlich 
ab;  bei  letzteren  hat  wohl  der  oben  erwähnte  Seelenloskauf 
durch  fremden  Finlluss  seine  jetzige  Form  erlangt,  wahrend  er 
sich  bei  den  mohammedanischen  Wanderzigeunern  wohl  mehr 
in  seiner  uralten  Reinheit  erhalten  hat.  Stirbt  ein  mohammeda- 
nischer Wanderzigeuner,  so  wird  in  den  seltensten  Fallen  der 
Imam  gerufen,  sondern  es  verrichtet  alle  ( Vremouicn  der  Aeltestc 
der  Sippe.  Bei  ihnen  besteht  der  Seelenloskauf  in  einem  Abwägen 
der  Leiche  gegen  ein  (Jewieht  von  Lebensmitteln.  Stirbt  ein 
mohammedanischer  Wanderzigeuner,  so  wird  er  im  Beisein  des 
Sippenältesten  von  seineu  Angehörigen  in  hockender  Stellung  in 
ein  Leintuch  eingebunden,  dessen  zusammengebundene  Zipfel  an  das 
eine  Ende  einer-    etwa  zwei  Meter  langen  Stange  befestigt  wer- 


um 


den ;  an  das  andere  Ende  wird  ebenfalls  ein  mit  den  verschie- 
densten Lebensmitteln  gefülltes  und  an  den  vier  Zipfeln  zusam- 
mengebundenes Leintuch  befestigt.  Die  Stange  wird  nun  in 
horizontaler  Lage  mit  ihrer  Mitte,  einem  Wagebalken  gleich,  auf 
die  Spitze  eines  in  die  Erde  senkrecht  eingetriebenen  Pflockes 
gelegt,  und  das  Gleichgewicht  zwischen  den  Speisen  und  der 
Leiche  durch  Hinzugabe,  beziehungsweise  Wegnahme  von  Lebens- 
mitteln hergestellt.  Die  Leiche  wird  nun  aufgebahrt  und  die 
Speisen,  zu  denen  jedes  Mitglied  der  Sippe  beisteuern  muss, 
werden  je  nach  ihrer  (Qualität  in  drei  Teile  geteilt ;  ein  Teil  davon 
wird  den  Tieren  der  Sippe  vorgeworfen,  ein  Teil  gehört  den 
beiden  Klageweibern,  die  hei  der  Leiche  wachen  und  die  Toten- 
klagen  singen,  der  dritte  Teil  aber  und  zwar  gewöhnlich  der 
schlechteste,  gehört  dem  Toten  und  wird  an  irgend  einem  ein- 
samen Orte  in  die  Krde  eingegraben.  Bevor  dies  Abwägen  der 
Leiche  stattfindet,  wird  beziehungsweise  das  erwähnte  Finger- 
brechen vorgenommen.  Hiernach  und  nach  geschehenem  Abwägen 
des  Toten  nehmen  die  übrigen  Leieheneeremonien  ihren  Anfang. 
Dem  Glauben  mohammedanischer  Wanderzigeuner  gemäss  wer- 
den durch  obiges  Abwägen  der  Leiche  alle  Ansprüche  des  Toten 
an  die  Lebendigen  beglichen;  er  hat  von  seinen  zurückgeblie- 
benen Genossen  nichts  mehr  zu  fordern  und  wird  sie  auch  nach 
seiner  Beerdigung  nicht  mehr  durch  etwaige  Besuche  beunruhi- 
gen. Sollte  er  aber  dies  dennoch  tun,  und  dem  einen  oder  dem 
anderen  der  Genossen  im  wachen  Zustande  oder  im  Traume  er- 
scheinen, so  gilt  dies  für  ein  Zeichen,  dass  der  Betreffende  sich 
nicht,  in  genügendem  Maasse  vom  Toten  losgekauft,  d.  h.  ihm 
nicht  genug  gute  Speisen  beim  Abwägen  der  Leiche  gegeben  hat. 
Hiefür  gebrauchen  die  mohammedanischen  Wanderzigeuner  die 
recht  bedeutsame  und  charakteristische  'Redensart :  „er  hat  den 
Toten  wenig  betrogen"  (»tuU*  <;<tni</  vormhixh  Erscheint  ihm  nun 
der  Tote  oft  im  Traume,  so  muss  er  gelegentlich  ein  Stück  Fleisch 
irgendwo  in  die  Erde  eingraben,  um  sich  auf  diese  Weise  nach- 
träglich loszukaufen. 

Dass  diese  letztere  Art  von  Seelenloskauf  einst  vielleicht  bei 
allen  Zigeunern  üblich  gewesen  war,  dafür  scheint  ein  ähnlicher 
Brauch  der  serbischen  und  südungarischen  Wanderzigeuner  zu 
sprechen.  Bei  diesen  Zigeunerstämmen  ist  es  nämlich  Brauch, 
dass  ein  Ehepaar,  dessen  Kinder  bald  nach  der  Geburl  sterben 
oder  gar  tot  auf  die  Welt  kommen,  den  Leichnam  der  toten 
Kinder  gegen  ein  Gewicht  von  Hirse  oder  Kürbiskernen  abwägen 
lassen  und  diese  Menge  der  betreffenden  Frucht  auf  einem  Berge 
in  der  Erde  vergraben  Diesen  Ort  besuchen  die  Gatten  dann 
zeitweilig  coituin  faciendi  causa.1  • 

')  S.  mein  WYrk  :  A us  dem  inneren  Lel>en  «I*-r  Zigeuner"  (Berlin  1902 
K.  Kt-Hx-ri  S.  70;  vyl.  «Ii.-  indische  Situ«  ..tuhipiirushn",  s.  Haht  ilamif  M.,  Ueber 
tuläpurusha  der  Inder  (in  der  Festschrift  zur  Begriissung  der  Teilnehmer  am 
Anthropologen-Congress  in  Wien  1889). 


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197 


Eine  xYrt  von  Scelcnloskauf  finden  wir  auch  in  den  Hoch- 
zoitsgebräuchcn  der  mohammedanischen  Wanderzigeuner,  die  eben 
für  die  Polygynie  gar  eingenommen  sind.  Jeder  von  ihnen  trach- 
tet, wenn  nicht  3—4,  so  doch  wenigstens  2  Frauen  zu  be- 
sitzen ;  je  mehr  er  für  ihn  arbeitende  Frauen  hat,  desto  bes- 
ser und  leichter  lebt  er  ja.  Gewöhnlich  nimmt  sich  der  Mann 
die  erste  Frau  aus  seinem  Stamme,  die  folgenden  aber  aus  frem- 
den Stämmen.  Heiratet  der  mohammedanische  Wanderzigeuner  eine 
zweite,  dritte  usw.  Frau,  so  führt  er  dieselbe  tiefverschleiert,  neun 
Tage  vor  der  Hochzeit  in  sein  Zelt  zu  seiner  ihm  bereits  ange- 
hörigen  Frau,  wo  dieselbe  neun  Tage  lang  wortlos  und  ver- 
schleiert vor  dota  Zelte  sitzt  oder  steht.  Am  Hochzeitsabeud  wird 
sie  auf  ähnliche  Weise  wie  der  Tote  abgowogen,  nur  mit  dem 
Unterschiede,  dass  sie  selbst  ihr  Gegengewicht  an  Speisen,  Klei- 
dern usw.  hergeben  muss,  was  dann  den  bereits  früher  angetrauten 
Frauen  ihres  Gatten  als  Hochzeitsgeschenk  gehört.  Sind  die 
Frauen  mit  den  im  Gegenge wicht  enthaltenen  Geschenken  zufrieden, 
so  tanzen  sie  am  Hochzeitsabend  mit  Kerzen  in  der  Hand  um  die 
jüngstoGattin  ihfes  Mannes  herum,  nehmen  ihr  den  Schleier  herab 
und  führen  sie  dann  zum  Gatten  ins  Brautzeit  und  lassen  dort  die 
ganze  Brautnacht  hindurch  ihre  Kerzen  brennen,  damit  die  bösen 
Geister  der  neuen  Ehe  nicht  schaden  mögen.  Die  erste  Frau  wird 
nicht  abgewogen,  nur  die  ihr  nachfolgenden  Ehegenossinnen.  Nach 
zigeunerischer  Aussage  geschieht  dies  Abwägen  der  Braut  nur 
deshalb,  damit  die  Schwere  (phariben)  ihres  Herzens,  ihrer  Seele 
(godji)  auch  unter  die  bereits  vorhandenen  Frauen  verteilt  werde 
imd  keine  Eifersucht  unter  ihnen  herrschen  solle.  Ist  aber  eine 
der  Gattinnen  des  Zigeuners  schon  gestorben,  so  muss,  sobald 
er  sich  zu  seinen  bereits  vorhandenen  Ehefrauen  noch  ein  Weib 
nimmt,  beim  Abwägen  dieser  zum  Gegengewicht  noch  die  Hälfte 
von  dem  getan  werden,  wie  viel  die  verstorbene  Gattin  seiner 
Zeit  beim  Abwägen  ihrer  Leiche  gewogen  hat.  Auch  diese  Hälfte, 
welche  gewöhnlich  aus  abgetragenen,  unwertbaron  Kleidungs- 
stücken, ungeniessbaren,  verdorbenen  Speisen  besteht,  wird  an 
irgend  einem  einsamen  Platze  in  die  Erde  für  die  Verstorbene 
vorgraben,  damit  die  neue  Gattin  sie  nicht  beunruhige.  Sind  dem 
Gatten  zwei  oder  mehrere  Frauen  gestorben,  so  muss  von  der 
neuen  Frau  für  eine  jede  der  Verstorbenen  eine  solche  Hälfte 
geliofert  werden. 

König  Mathias  und  Peter  Ger£b. 
(Bin  inlgarlsohes    Gaslarenlied  ans  Bosnien.) 

Von  Dr.  Friedrich  S.  Krams. 

(Fortsetzung.) 
Erläuterungen. 

Zu  V.  1.  Divan  öini.  Divan  der  Ehrcnsitz  der  Würden  des 
Gesetzes.  Hummer,  Gesch.  d.  Osm.  Reiches  II.  217.  Hier  in  der 
Bedeutung  Staatrat,  vrgl.  Hammer  II,  223.  Divan  efendi  ist  ein 

Ethn.  Mitt.  a.  Ungarn.  III.  14 


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198 


Botechaftsekretär,  Hammer  VI.  169.  Im  Sinne  von  consilium,  col- 
loquium  in  die  serbische  und  bulgarische  Sprache  allgemein  auf- 
genommen, siehe  Rjecnik  hrv.  ili  srpskoga  jezika,  Agram  1884. 
IL  S.  419.  Das  porsisch-türkisch-arabische  Wort  divan  mit  dem 
Zeitwort  ciniti  (sonst  auch  uciniti)  verbunden.  Auf  die  ethnogra- 
phische Tragweite  dieser  auf  den  ersten  Blick  unauffälligen  Ver- 
bindung eines  Hauptwortes  mit  dem  Zeitworte  cmiti  wies  ich 
schon  im  Commentar  zu  meinem  Smailagic  Meho  (Ragusa  1885) 
hin,  wo  ich  auf  S.  171  und  187  siebemmdfünfzig  Fälle  besonders 
anführte,  die  in  dem  einen  Guslarenliede  vorkommen.  Wir  haben 
hier  eine  durch  die  türkische  und  die  arabische  Sprache  (des 
Korans)  hervorgerufene  Erscheinung  vor  uns,  die  schon  derart 
in  der  serbischen  und  bulgarischen  Sprache  des  Volkes  überhand 
genommen,  dass  sie  deren  Charakter  in  syntaktischer  Hinsicht 
mitzubestimmen  anfängt.  In  ganz  gleicher  Weise  hat  die  türkische 
und  arabische  Sprache  auch  noch  andere  Sprachen  beeinflusst, 
auf  die  sie  einzuwirken  in  der  Lage  waren.  Zu  beachten  ist,  was 
darüber  einer  der  gründlichsten  Konner  der  semitischen  Sprachen 
,M.  Grünbaum  in  München  in  seinem  jüngsten  Werke,  Neue  Bei- 
träge zur  semitischen  Sagenkunde,  Leiden  1893,  S.  11  so  tref- 
fend darlegt:  „Wie  gross  der  Einfluss  einer  Religionurkunde  auf 
Sprache  und  Literatur  eines  Volkes  ist,  ersieht  man  aus  der  ara- 
bischen Literatur  weit  deutlicher  als  aus  der;  jüdischen,  da  man 
bei  jener  die  vorislamische  Literatur  mit  der  nachislamischen  ver- 
gleichen kann.  In  der  letzteren  weht  ein  durchaus  verschiedener 
Geist,  da  der  ganze  Ideenkreis  und  also  auch  die  vorkommenden 
Ausdrücke  ganz  anderer  Art  sind  als  die  früheren,  und  da  der 
Koran  als  klassisches  Buch,  als  unerreichbares  Vorbild  und  Mu- 
,  stör  betrachtet  wird,  dessen  Ausdruckweise  man  so  gut  als  mö- 
glich nachzuahmen  sucht.  Dazu  kommt,  dass  mit  den  neuen*. Be- 
griffen auch  neue  Wörter  einwanderten,  die  aus  anderen  semi- 
tischen Sprachen  --  aus  dem  Aramäischen  und  Späthebräischen 
—  stammen,  Diese  Wörter  —  wie  auch  ganze  Redeweisen 
haben  mit  der  Ausbreitung  des  Islam  auch  in  andere  Sprachen 
Eingang  gefunden  und  bilden  so  eine  gewisse  sprachliche  Ein- 
heit zwischen  den  verschiedenen  Idiomen  des  Islam,  Persisch, 
Türkisch,  Hindustani,  die  diese  —  zumeist  der  Religionsphaere 
.  angehörigen  Ausdrücke  aufgenommen  haben,  trotzdem,  dass  ihr 
Organismus  ein  ganz  anderer  ist  als  der  der  semitischen  Sprachen, 
in  folge  wovon  oft  ein  arabisches  Zeitwort  durch  das  entspre- 
chende arabische  Hauptwort,  verbunden  mit  dem  persischen,  .oder 
Hindustaniwort  für  -machen",  wiedergegeben  werden  muss.  Ahn- 
lich verhält  es  sich  mit  den  der  arabischen  Sprache  entnommenen 
persischen  und  türkischen  Personcnnamen,  die  der  Rcligionsphäre 
angehören."  Vorgearbeitet  und  mitgearbeitet  an  der  Zersotzimg 
der  serbischen  Syntax  hat  von  einer  Seite  die  italienische,  von 
der  anderen  die  deutsche  Sprache.  Man  muss  hiebei  die  deutsche 
^olksprache  im  Auge  behalten,  die  lieber  „Lärm  machen"  als 


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199 


„lärmen",  „eine  Reise  machen"  als  ..reisen"  oder  gar  „machen 
tun"  sagt,  z.  B.  „wer  eine  Reise  machen  tut."  Zahlreiche  Bei- 
spiele vom  VIII.  Jahrh.  angefangen  im  Rjecnik  h.  ili  s.  j.  II.  S. 
29  ff.,  wo  dor  oder  die  Lexikographen  die  Tragweite  dieses  Sprach- 
zerfallvorganges nicht  genügend  erkannt  zu  haben  scheinen.  Alles 
weist  darauf  hin,  dass  auch  im  serbischen  einiti  und  im  bulga- 
rischen cinim  neben  storim  und  napraim  in  oiner  vielleicht  nicht 
allzufernen  Zeit  eine  gleich  bedeutende  Rolle  wie  do  im  engli- 
schen spielen  wird.  Miklosich,  ein  vielgefeierter  Grammatiker, 
hatte  es  glücklik  zu  Wege  gebracht,  .auf  Grund  der  mönchischen 
Bibel  und  anderer  kirchenslavischer  Obersetzungen  aus  dem  grie- 
chischen, eine  slavische  Syntax  zu  schreiben,  die  zum  Teil  das 
Bild  einer  karikierten  griechischen  Syntax  ist.  Jene,  man  darf  es 
ruhig  behaupten,  durchgehend  minder  gebildeten  Dolmetsche 
übersetzten  mit  sklavischer  Treue  Wort  für  Wort,  Form  für  Form, 
für  das  griechische  ein  entsprechendes  slavisches  Wort  einsetzend. 
Der  Einfiuss  einer  derartigen  Klosterzellenliteratur  konnte  natur- 
gemäss  auf  die  Volksprachcn  äusserst  gering  sein.  Dagegen 
wirkten  die  italienische,  deutsche  und  türkische  Sprache  durch 
den  regen  Verkehr  in  Handel  und  Wandel  ein.  Das  Zeitwort 
»machen"  ist  eine  grosse  Bequemlichkeit  und  Erleichterung  für 
die  gegenseitige  Verständigung;  denn  es  braucht  bloss  mit  einem 
Substantiv  vereinigt  zu  werden,  um  einen  Vcrbalbcgriff  zu  schaffen. 
Somit  entfällt  das  Erlernen  und  der  Bedarf  nach  den  feiner  dif- 
ferenzierenden älteren  Zeitwörtern,  und  die  Spracho  vergröbert 
sich,  sie  wird  reicher  an  Substantiven  und  ärmer  an  Verben.  Die 
Grammatik  versimpelt  mit  ihrem  Formenreichtum. 

Für  Nachbildungen  italienischer  Ausdruckweise  führt  der 
Rjecnik  a.  a.  0.  aus  dalmatischen  Schriftwerken,  hübsch  viel 
Beispiele  an.  Für  Nachbildung  deutscher  Wendungen  seien  hier 
zwei  Beispiele  notiert.  Jaso  hjnjatoric,  einer  der  besten  serbischen 
Erzähler,  schreibt  im  Brsljan  1886,  Nr.  2.  S.  10,  6.  Zeile  10.  v. 
U. :  Kad  je  na  pragu  rat  i  zakukala  tica  kukavica.  —  bas  onda 
cinim  pohodeV  (Wann  der  Krieg  auf  der  Schwelle  und  der  Ku- 
ckuk  seinen  Klageruf  erschallen  lässt,  gerade  dann  mache  ich 
Besuche?)  statt  zu  sagen  pohagjam  oder  idem  u  pohode  oder 
obilazim.  Auch  schon  das  Kirchenslavische,  soweit  es  Verkehr- 
sprache gewesen,  behielt  mehr  nur  die  alten  Formen,  schloss 
sich  im  übrigen  aber  gern  dem  deutschen  syntaktisch  an.  So  drückt 
sich  z.  B.  Athanasij  Stojkovic  im  J.  1795  in  einem  an  seine 
Mutter  gerichteten  Briefe  (abgedruckt  im  Javor  B.  XIII.  S.  91) 
so  aus:  objestaniju  moemu  zadovolnost  uciniti,  prvo  rnoe  djelo 
byti  mislio  sam  Vami  sto  skorie  javiti  (um  meinem  Versprechen 
Genüge  zu  leisten,  soll  mein  erstes  Werk  sein,  dachte  ich,  Jhnen 
ehestens  zu  melden).  Besser  serbisch  wäre  zadwoljiti  oder  unter 
Vermeidung  beider  Substantiva:  sto  obrekoh  da  ne  porekoh  zu 
sagen.  Zu  jener  Zeit,  als  die  slavische  Sprache  der  Bewohner 
Serbiens  und  Bulgariens  noch  nicht  der  Einwirkung  des  Westens 

14? 


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200 

und  Ostens  'unterlegen  war,  herrschte  das  Vernum  vor,  das  das 
Objekt  mit  in  sich  einschliefst;  die  fremde  Einwirkung  lässt 
sich  genau  verfolgen,  indem  zuerst  das  der  fremden  Sprache  ent- 
lehnte Hauptwort  aufgenommen  und  mit  ciniti  verbunden  und 
erst  später,  nachdem  die  neue  Form  schon  eingebürgert  war. 
häufig  durch  ein  genuines  slavische  Wort  verdrängt  wurde.  Das 
schwer  biegsame  Lehnwort  muss  weichen,  gleichsam  als  ob  sich 
die  Sprache  der  aufgezwängten  Eindringlinge  zu  erwehren  suchte. 
Zur  Klarstellung  führe  ich  Belege  aus  zwei  serbischen  und  drei 
bulgarischen  Liedersammlungen  an. 

Vor  allem  zwei  typische  Heispiele:  pa  je  snjome  razgovor 
cinio  (und  er  unterhielt  sich  mit  ihr)  Davidovic,  Srpske  n.  pj. 
Pancevo  1884,  8.  49.  Nr.  67,  für  ein  älteres  und  daneben  in  der 
Sprache  einhergehendes  divan  cinitiy  wie  in  unserem  Schlagworte. 
Richtig  serbisch  wäre:  razyovarao  se  Bulgarisch  (C'dakovs  Sbor- 
nik  S.  846,  Nr.  101)  Zakljel  se  Stojan,  prekljel  se  s  druzina 
karya  da  up  cini  (Es  schwur  und  verschwur  sich  Stojan,  mit  den 
Genossen  nicht  zu  streiten,   wörtlich:    nicht  Streit  zu  machen). 

Sorbisch,  aus  B.  Petranovic:  Srpske  nar.  p.  iz  Bosne  1867. 
S.  16,  18:  velik  cu  ti  zulum  uciniti;  27,  25:  kakav  Ii  je  griieh 
ucinio  für  sgrijesio;  35,  29:  nekveselje  ucine  cobani,  sonst  senluk 
uciniti;  37,30  und  38:  pak  veliku  radost  ueinise;  38,30:  poklon 
cini  precistoj  gospozi  für  poklanja  so;  42,33:  svi  ce  Srbi  ciniti 
veselje;  75,72:  serr  com"  kolo  i  djevojke  f.  ogledaje;  151,155:  ETceg 
Stjepan  dva  veselja  cini;  166,166:  tu  junaci  seir  eine;  184,195: 
svom  6u  sreu  sabur  uciniti  wörtlich:  ich  werde  meinem  Herzen 
Geduld  machen;  207,221:  u  dvoru  ti  konak  uciniti;  220,241:  moja 
snaa  iznict  uciniti  f.  posluziti,  d.  h.  Bedienung  machen  f  bedie- 
nen; 223,244:  tu  mi  care  cesto  divan  cini;  269,990:  ti  si  meni 
gadar  ucinio,  hast  mir  einen  grossen  Schaden  gemacht.  —  Aus 
L.  Marjanoric:  Hrvatske  n.  p.  Agram  1867.  S.  5.  Vers  163:  i  snjimc 
sam  tormin  ucinio,  habe  mit  ihm  einen  Tennin  gemacht,  d.  h. 
eine  Frist  festgezetzt,  richtig  wäre:  rok  utanacio,  ugovorio;  13,445: 
Öini  kuma  Kelju  od  Budima,  für  kimia  kumi;  13,449:  pir  cinio 
kraljevicu  Marko;  30,174:  bila  bi  me  mrtva  ucinila  für  ubila, 
umrtvila,  tot  gemacht,  für:  getötet;  51,159:  megdan  cemo  o  picea 
ciniti:  54,45:  na  soldate  rsum  ueinili  für  navalila,  navalice,  uda- 
rila;  57,15:  na  Udbinu  zatrko  cincci:  57,29:  ovdi  cenio  mira  uci- 
niti, Frieden  machen;  72,134:  timar  cini  dorn  konja  svoga  f.  timari; 
162,436:  na  kolinih  temena  cinio;  164,527:  na  Otin  juris  cinio; 
194,  Nr.  XXX III:  pod  Budimom  plandiste  cinili,  unterhalb  Ofen 
machten  sie  Weide,  d.  Ii.  weideten  sie  die  Herde. 

( Fortsetzung  folgt.) 

Esthnische  Volksmärchen. 
III.  Tori  herra  soit. 

Mufctne  Tori  herra  nnnud  kord  kutsarilc  kiün  h(>hn:id  keskho- 
miku  ajal  tülla  die  pannn.  Ktrtmt  painnicf  hvbutcd  rite,  söitnnd  trepi 


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201 


etti',  oodanud,  oodanud,  aga  ei  herrat  tule.  Oodanud  löuneni,  ei  tule 
ikka  veel  kedagi. 

■  Löunagi  läinud  mööda.  Korraga  söitnud  röeras  saks  ukse  ette: 
must  töld,  kaks  musta  hoost  tölla  ees,  kutmr  mustas  rüdes  puki  peal! 
Kuhe  oma  herra  toast  rälja,  ruttu  tölda,  kutsurile  käsk  kälte:  Söida 
sinna,  kuhu  röerad  eez  söidarad! 

Söitnud,  söitnud  .  .  .  päera  ajal  pole  viga  midagi  olnud,  aga  öhtu 
jöudnud  suurde  laande.  Seal  pole  tetd  enam  sugugi  olnud,  söitnud 
mööda  kända  ja  nii  ruttu  kui  hobured  jaksanud. 

Herra  kutsari  keelma:  Ära  Sa  tagazi  vaata!  Hoia  ennast  seile  eest! 

Kutmr  vasta:  Ei  raata.  kulla  herra!  Aga  miks  me  ometi  niisu» 
gust  hirmus  santi  teed  möüda  söidame?  Pole  ntuud  kui  selge  kännuorg. 

Herra  aga  vasta:  Ole  vait,  ära  räägi!  Pole  nced  kännud,  kelle 
otsas  söidnme.  Söidame  kirikutornide  otsas. 

Kutsar  kohkunud  hirmus  ära,  ega  pole  umher  vaadata  julgenud. 
Kui  aga  rette  plaginat  kuulnud,  vuaiUinud  ometi  natukeze  selja  taha. 
Näinud:  söidarad  mere.  peal;  eez  ja  taget  mikseid  mehi  nuyu  piliu  ja 
pörmu,  vötavad  tagant  lau  du  ja  pa?ievad  ette.  Töld  aga  kihutab  niisu- 
gust  nahksilda  mööda  tuhat  -nelja  edazi. 

Viimaks  saanud  mere  otsa  ja  jöudnud  suurde  pölizetse  laande. 
Laanes  olnud  ütlemata  tore  loss,  see  hiilganud  jo  säranud  üsna  tuledes, 
Lossil  olnud  suur  raudaed  ümber  ja  raudvärav  eez. 

Senna  lossi  söitnud  nad.  Lossi  saksa  hobuzed  vöetud  eest  ära  ja 
riidud  talli,  Tori  herra  aga  läinud  sisse  ja  jätnud  oma  kutsari  ootama. 

Kutsar  oodanud,  oodanud  .  .  .  näinud  korraga  endize  kärneii 
Prüm.  Prits  aga  olnud  jo  viie  aasta  eest  sumud. 

Kutsar  koke  küzima:  Kust,  tont,  Sinn  siia  said?  Oled  ja  ometi 
riiz  aastat  sumud? 

Teine  vasta:  Olen  küll,  aga  nüüd  on  mu  vaim  siin  teenimas. 
Hoia  aga  enwist,  kutsar,  et  Sa  löksu  ei  satuf  Siin  vöib  Su  käzi 
kergelt  halvasti  käima  hakata. 

Kutsar  küzinud:  Xo  mis  siin  siiz  öige  karta  on? 

Kärner  kostnud:  Kas  Sa  ei  uzu?  Kas  tahad  oma  betrat  näha 
saada? 

Kutsar  vasta:  Kus  ta  siw  on? 

Teine  jälle:  Tule  kaaza,  küll  ma  näifan  f 

Kärner  viinud  kutsari  ühe  körvalize  akna  juurde  ja  käskinud 
läbi  akna  vaadata.  Kutsar  vaadanud:  toas  suur  luud  ja  laua  ümber 
köik  vanad  paganad  ringis.  Laua  peal  olnud  Tori  herra  nende  käes 
kui  titt:  igaüks  kiskunud  enezele  ja  rnatsutanud  ize  löugu. 

Seda  nähes  töuznud  kutsari  ihukarvad  püsti.  Karanud  pttkki  ja 
tahtnud  koju  söita. 

Kärner  aga  kohe  keelma:  Ära  söida,  uota  natuke  reelf  Sülle 
tuuakse  kannuga  ölut  ja  tükk  röidleiba.  Aga  ära  Sa  seda  öiut  joo, 
ruid  viska  razaknt  kätt  üle  ölu  maha.  See  ölut  on  pörgu  kihvt,  kui 
sedu  jood,  oled  igaresti  siin.  Aga  leib  pista  pöue,  see  on  üks  kiri,  sel- 
lega  vöid  ennast  hädast  päästa. 

Kutsar  teinud  nii,  nagu  öpetatud;  söitnud  siiz  koju  poole.  Arva- 


20-2 


ttud  ize,  et  ta  koiyest  kolm  piieru  koffn  ihn  olnud.  kuns  kund  ke.<t- 
nud  ayay  emie  kni  kojn  jöudnud.  Tulnud  ptka  tee  peal  niily  mezelc. 
niily  ka  hoostele.  Xälja  pä'rast  müünud  hohuzed  ihn,  kerjates  jöud- 
nud ize  koju. 

Kui  »enl  }rroun  juurde  luinud,  pöryanud  see  penle:  Ktm  herra'f 
Kns  hohuzed '?  Oot,  oot.  kiill  ma  Sülle  tahnn  näidntn! 

Kiill  palunud  kutmr  amleks.  pronu  pole  onieti  sed  midayi  hooli- 
iiud,  annnd  mehe  kohtn  kätie.  Kiill  kohns  Stille  herra  kaotamize  eeat 
pnlka  nmksnbj  iitelnud  proua. 

Kohtus  rötnud  kutmr  kirja  pöuest  ja  annnd  kohtumkm  kälte 
luyeda.  See  rötnud  rastn,  luyenud,  mu  pole  mam  aönayi  hinynnud. 
Käskinud  aya  kntmri  mit  ollu  ja  oma  terd  minna. 

Kutsar  rääkinud  ometi  sedu  luyu  rülja.  Xii  on  aiiz  w  luyu 
minuyi  körru  ulatanud. 


3.  Die  Fahrt  des  Herrn  von  Torgel. ') 

Ein  ehemaliger  Herr  von  Torgel  gab  einst  seinem  Kutscher 
Befehl,  die  Pferde  am  Frühmorgen  vor  die  Kutsche  zu  spannen. 
Der  Kutscher  spannte  die  Pferde  an,  fuhr  vor  die  Treppe  und 
wartete,  aber  der  Herr  kam  nicht.  Kr  wartete  bis  zum  Mittag, 
aber  noch  immer  kam  niemand. 

Auch  der  Mittag  gieng  vorüber.  Plötzlich  fuhr  ein  fremder 
Herr  vor  die  Tür:  die  Kutsche  schwarz,  zwei  schwarze  Rosse 
vor  der  Kutsche,  auf  dem  Hock  ein  Kutscher  in  schwarzen  Klei- 
dern! Alsbald  trat  der  eigene  Herr  aus  dem  Zimmer,  schnell  in 
die  Kutsche  und  befahl  dem  Kutscher:  Fahr'  dahin,  wohin  die 
Fremden  vorausfahren  1 

Sie  fuhren  und  fuhren  .  .  .  am  Tage  hatte  es  keine  Not, 
abends  aber  gelangten  sie  in  einen  grossen  Wald.  Da  gab  es  gar 
keinen  Weg  mehr,  sie  fuhren  über  Baumstümpfe  hin  und  so 
schnell,  als  es  die  Pferde  nur  vermochten. 

Der  Herr  gebot  dem  Kutscher:  Schaue  nicht  zurück  !  Hüte 
dich  davor! 

Der  Kutscher  antwortete :  Ich  will's  nicht  tun,  lieber  Herr. 
Warum  fahren  wir  aber  einen  so  entsetzlich  schlechten  Weg? 
Das  ist  ja  nichts  als  eine  Schlucht  voller  Stümpfe  ! 

Aber  der  Herr  erwiderte  :  Schweig  still,  rede  nicht  !  Keine 
Stümpfe  sind  es,  über  die  wir  fahren.  Ueber  Kirchtürme  fah- 
ren wir! 

Der  Kutscher  erschrak  gewaltig,  hat  sich  auch  nicht  ge- 
traut zurück  zu  schauen.  Als  er  aber  ein  Geräusch  von  Wasser 
vernahm,  hat  er  doch  ein  wenig  umgeblickt.  Da  sah  er,  dass  sie 
auf  dem  Meere  dahinfuhren ;  vorn  und  hinten  wimmelte  es  von 
kleinen  Männchen,  die  griffen  von  hinten  Bretter  auf  und  setzten 

•>  Torgel  i«*t  ein  grosso*  livländisches  Rittergut,  an  dessen  Gebiet  sieh 
zahlreiche  Sagen  und  Märehen  knüpfen. 


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208 


sie  vorne  hin.  Die  Kutsche  aber  jagte  auf  dieser  Notbrücke 
rasend  vorwärts. 

Endlich  gelangten  sie  an  das  Ende  des  Meeres  und  kamen 
in  einon  grossen,  alten  Wald.  Im  Walde  stand  ein  wunderbar 
prächtiges  Schloss,  das  glänzte  ganz  im  Feuer.  Ein  ehernes  Git- 
ter umgab  das  Schloss  und  davor  stand  ein  ehernes  Tor. 

In  dieses  Schloss  fuhren  sie  ein.  Die  Rosse  des  Schlossherrn 
wurden  ausgespannt  und  in  den  Stall  geführt,  der  Herr  von  Tor- 
gel aber  gieng  ins  Schloss  und  Hess  seinen  Kutscher  warten. 

Der  Kutscher  wartote  und  wartete  .  .  .  plötzlich  erblickte 
er  Fritz,  den  einstigen  Gärtner.  Fritz  war  abor  schon  vor  fünf 
Jahren  gestorben. 


her?  Bist  ja  doch  schon  seit  fünf  Jahren  tot?  , 

Der  andere  antwortete :  Das  bin  ich  freilich,  jetzt  aber  steht 
mein  Geist  hier  in  Diensten.  Aber  hüte  dich,  Kutscher,  dass  du 
in  keine  Falle  gerätst!  Es  kann  leicht  werden,  dass  es  dir  hier 
böse  ergeht! 

Der  Kutscher  fragte  :  Na,  was  gäbe  es  denn  hier  zu  fürchten? 

Antwortete  der  Gärtner:  Du  glaubst  es  nicht?  Willst  du 
deinen  Herrn  zu  Gesicht  bekommen? 

Wo  ist  er  denn  ?  sprach  der  Kutscher. 

Dor  andere  versetzte :  komm  mit  mir,  ich  will  ihn  dir  schon 
zeigen ! 

Der  Gärtner  führte  den  Kutscher  unter  ein  Seitenfenster 
und  Hess  ihn  durch  das  Fenster  schauen.  Der  Kutscher  erblickte 
in  der  Stube  einen  grossen  Tisch  und  um  don  Tisch  im  Kreise 
alle  alten  Teufel.  Auf  dem  Tisch  lag  wie  eine  Puppe  unter  ihren 
Händen  der  Herr  von  Torgel;  jeder  riss  ihn,  mit  dem  Maule 
schmatzend,  an  sich. 

Bei  diesem  Anblick  stiegen  dem  Kutscher  die  Haare  zu  Berge. 
Er  sprang  auf  den  Kutschbock  und  wollte  nach  Hause  fahren, 
der  Gärtner  aber  hielt  ihn  sogleich  zurück :  Fahre  nicht,  warte  noch 
ein  wenig!  Man  wird  dir  in  einer  Kanne  Bier  bringen  und  em 
Stück  Butterbrot.  Trink'  aber  dieses  Bier  nicht,  sondern  schütte 
es  links  über  die  Schulter  aus.  Dies  Bier  ist  höllisches  Gift,  wenn 
du  es  trinkst,  bleibst  du  ewig  hier.  Das  Brot  aber  stecke  in 
den  Busen,  das  ist  oin  schriftliches  Zeugnis,')  womit  du  dir 
aus  der  Not  helfen  kannst. 

Der  Kutscher  tat,  wie  ihm  gelehrt  worden  war  ;  dann  fuhr 
er  heimwärts.  Ihn  selber  dünkte,  er  wäre  in  allem  drei  Tage 
von  Hause  fort  gewesen,  es  hat  aber  sechs  Monate  gedauert,  bis 
er  zu  Hause  anlangte.  Auf  der  langen  Reise  kam  ihn  selbst  und 

')  Das  scheinbare  Brot  vorwandelt  sich  hier  in  ein  Schutz-  und  Recht- 
fortigungsmittel  für  den  Sterblichen,  während  die  gewöhnliche  Transmutation 
der  höllischen  Gaben  keineswegs  zum  Vorteil  ihres  Kmpfängers  auszuschlagen 
pflogt,  sobald  dieser  der  Gewalt  des  Teufels  ♦»ntnnnt 


Teufel,  wo  kommst  du  denn 


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204 


auch  die  Pfordo  der  Hunger  an.  Aus  Hunger  verkaufte  er  die 
Pferde  und  gelangte  selber  bettelnd  nach  Hause. 

Als  er  da  vor  die  gnädige  Frau  trat,  fuhr  diese  auf  ihn  los: 
Wo  ist  der  Herr  ?  Wo  die  Pferde  ?  Warte  nur,  ich  will  dich  schon 
kriegen ! 

Wohl  bat  der  Kutscher  um  Entschuldigung,  die  gnädige 
Frau  hat  aber  nicht  darauf  geachtet  und  hat  ihn  dem  Gericht 
übergeben.  —  Das  Gericht  wird  dich  schon  für  das  Verschwinden 
des  Herrn  bezahlen,  sprach  sie. 

Vor  Gericht  zog  der  Kutscher  das  Zeugnis  aus  dem  Busen 
und  händigte  es  dem  Richter  zum  Durchlesen  ein.  Der  nahm  es 
entgegen,  las  und  las  und  hat  kein  Wort  weiter  verlautbart. 
Er  hiess  nur  den  Kutscher  stillschweigen  und  seines  Weges  gehen. 

Der  Kutscher  hat  aber  die  Geschichte  dennoch  ausgeplau- 
dert. So  ist  sie  auch  nn  mein  Ohr  gelangt. 

Mitgeteilt  von  Hnn'tj  Jannsen. 

Zigeunersagen  u.  dgl.  über  Erzherzog  Josef. 

IV.  Das  -umlaufen*  Land. 

* 

Der  Zigeuner  Faid  Öokor,  aus  dem  Somogyer  Komitat  ge- 
bürtig, der  den  Winter  als  Handlanger  in  <Jer  Umgebung  von 
Budapest  zubringt,  erzählte  folgendo  Sage: 

«Jekvar  si/lahi  jek  coro  rom ;  geljas  rom  nah  a  te  cavensa 
andre  them  bare  krajeskero  Joskoskcro.  Mangelas  krajes,  hoi 
manro  leske  the  del.  Akor  penelas  baro  kraj,  raj  Joska:  „Tu  ro- 
meja,  hosko  tu  na  butjikeres?  Me  dav  tute  jek  lade  grajes  to 
bare  phuv,  kana  tu  andre  jek  dsives  prastes.  Ada  phuv  tute 
övela."  O  rom  gindelas:    Kana  tute  bare  phuv,  bare  mal,  bare 

vesa  övena,  tu  ada  bikines  te  baro  raj  övesa  O  raj  Joska 

penelas:  „Uva  tu  ratji  prasta;  kana  na  övel  kham,  ein  avel 
kham.u  Ratji  coro  rom  prastelas  te  prastolas  ein  avelas  kham  te 
gindelas:  Most  tute  övel  bare  phuv  .  .  .  Uva  kham  avelas,  guta 
marelas  coro  romes.  Te  o  kraj  Joska  penelas:  ..Mordjas  tu,  ro- 
meja;  most  tute  andro  hrobos  sifie  phuv.u 


War  oinmal  ein  armer  Zigeuner;  er  gieng  mit  Weib  und 
Kind  ins  Land  des  grossen  Königs  Joska.  Er  bat  den  König, 
dass  er  ihm  Brot  gebe.  Da  sagte  der  reiche  König,  Herr  .Joska : 
„Du  Zigeuner,  warum  arbeitest  du  nicht  ?  Ich  gebe  dir  ein  gutes 
Pferd  und  viel  Land,  wenn  du  es  an  einem  Tage  umläufst.  Dies 
(von  dir  umlaufone)  Land  wird  dein  sein."  Der  Zigeuner  dachte: 
Wenn  du  grosses  Land,  grosses  Feld,  grosse  Wälder  haben  wirst, 
du  diese  verkaufst  und  wirst  ein  grosser  Herr  sein  .  .  .  Der  Herr 
Joska  sagte:  „Aber  du  laufe  nachts;  wenn  nicht  sein  wird  die 
Sonne,  bis  die  Sonne  kommt"  (von  Sonnenuntergang  bis  Son- 
nenaufgang). In  der  Nacht  lief  der  arme  Zigeuner  und  lief,  bis 


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205 


kam  die  Sonne  und  er  dachte:  .letzt  wirst  du  ein  grosses  Land 
habon  .  .  .  Als  aber  die  Sonne  kam,  traf  (in  Folge  des  andau- 
ernden Laufens)  der  Schlag  den  armen  Zigeuner.  Und  der  König 
Joska  sagte:  „Du  bist  gestorben,  Zigeuner;  jetzt  hast  du  im  Grabe 
(genug)  Erde." 

Mitgeteilt  von  Anton  Herrmann. 

Das  grosse  Sammelwerk  für  bulgarischen  Folklore. 

Ein  Bericht  von  Friedrich  S.  Krauts. 
(Foitsetzung.) 

Die  erste  Gruppe  umfasst  Lieder,  die  an  periodisch  wiederkehrenden 
Festtagen  und  sonst  anliisslich  religiösor  Feierlichkeiten  gesungen  werden,  vor- 
zugsweise Weiuachtlieder  (Koledafest)  und  Palmsonntag  (Lazarev  dan) -Lieder, 
bzw.  Lieder,  die  am  Lazarussonntag  zum  Vortrag  gelangen.  Gleich  den  deutschen, 
französischen  und  englischen  Weihnachtliedern,  halten  auch  diese  einmal  einen 
Dichter  gehabt,  dessen  Name  verschollen  ist.  Kult  und  Kirche  haben  deren 
Verbreitung  und  Behauptung  gesichert,  und  Generationen  frommer  Sänger  an 
den  Texten,  umgestaltend,  mitgedichtet.  Es  sind  nur  wenige,  spärlich»*,  dem 
Christentum  fremde  Züge  mithinoinvorwoben  worden.  Ab  und  zu  wird  oin  rein 
„profanes"  Lied  mitgesungen.  Es  wäre  gewagt,  daraus  den  Schluss  auf  Rück- 
fällo  ins  Heidentum  zu  ziehen.  Wenn  man  einmal  der  Frömmigkeit  genüge 
getan  und  alkoholische  Getränke  Kopf  und  Magen  beherrschen,  stimmt  man 
zur  Abwechslung  auch  minder  erbauliche  Lieder  an.  Solche  Stücke  sind  genug 
selten  im  Sbornik,  der  seiner  Anlage  nach  aus  paedagogischen  Erwägungen 
alles  von  der  Aufnahme  ausschliosst,  was  die  Moral  prüder  Leser  verletzen 
könnte.  So  gleicht  denn  der  Sbornik  einem  botanischen  Garten,  in  dem  aus 
Schonung  der  aesthetischen  Sinno  der  Besucher,  übolriechendo,  unschöne  oder 
giftige  Ptlanzen  verbannt  sind. 

Da  dem  Sbornik  vorderhand  noch  kein  Schlagwörterveizeicbnis  beige- 
geben ist,  dürfte  folgende  detaillierte  Inhaltangabe  den  Fachgelehrten  willkom- 
men sein. 

L,  1— Hl.  Beschreibung  der  Koledagebräuche,  Lieder  und  Segensprüche  aus 
Gornja  Ii  an  ja,  Hadzieleskovo,  Priljepsko.  (40  Lieder)  Lazarlieder  aus  der 
Gegend  von  Soflja,  Achrcelebija,  Ochrid  (Interessant:  St  Georg  und  die 
Lamie)  28  L. 

IL,  1—29.  Koledalieder  (Grosses  und  kleines  Koledafest)  10  L.  Johannistag- 
lieder mit  Festbeschreibung.  (0  L.)  Lazarlieder  (20  L.)  —  Ueligiöse  Lieder 
(Opfer  Abrahams,  O.  Isaaks,  O.  Stojans  O.  Theodore;  St.  Theodor,  Hl.  Sonn- 
tag, Teilung  des  Himmels  (ein  auserordentlich  im  Süden  bekanntes  Stück);, 
Prozess  zwischen  Himmel  und  Erde,  Die  Gnadenfrau  und  das  Treskaec- 
kloster,  der  Hirte  und  Juda)  10  Lieder. 

III.  ,  3—89.  Koledafestbeschreibung  aus  dem  SoHjaer  Kreise  (St.  Petka;  Car 
Stefan,  St.  Petka  und  St.  Nedelja;  Michael  «1er  Erzengel  (S.  23  )  38  Lieder, 
wenig  verschieden  von  serbischen  Koledaliedern.  —  Lazarlieder  (22  Nr.). 
Beschreibung  des  Festbrauches  aus  Dobricko  (S.  32).  —  Religiöso  Lieder. 
St.  Georg;  die  Himmelteilung;  St.  Maria  und  die  Sünder;  der  HERR  und 
die  kinderlose  Magda;  der  HERR  und  die  Russalka;  Seelenwandorung  (En- 
i-ica  kraai  raj  boii)  (S.  39).  1  Lieder. 

IV.  ,  3—22.  Koledalieder  (26  Stück);  Lazarlieder  (6  St.)  mit  Beschreibung;  Os- 
ternlieder (11  St)  —  Religiöso  Lieder:  SL  Peter  und  Nikolaus;  Lieder  für 
den  Nikolaus-  und  Georgitag  (aus  Mazedonien). 

Vu  3—30.  Koledagebräuche,  Lieder  und  Segens] »rüche  (34  Stücke).  Lazarlieder 
samt  Festbeschreibung.  19  Lieder.  -  Lieder  zum  FeBt  der  hl.  drei  Könige 
(9  Stück).  —  Festliche  Trinklieder  in  Form  von  Segonsprüchon  (7  St.)  von 
Prilip  und  Struga  in  Mazedonien." 

VI.,  3—19.  Beschreibung  der  Koledagebräuche  aus   Lovcen  (7  Lieder).*  Be- 


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206 


Schreibung  der  Lazarfcstgehräucho  aus  Kostursko  in  Mazedonien  (33L.|uttd 
Caribrod  5  L.— Rel.  Lieder  am  St.  Georgtag  (2  L.). — Das  Opfer  für  St.  Georg. 
Vn.j  3 — 17  Schilderung  der  Koledagobräuche  aus  Jarabol  (mit  28  L.).  —  La- 

zarlieder  aus  Razgrad.  (11  L.). 
VIII.'  3 — 30  Schilderung  der  Koledagebräuche    aus  der  Novoseler  Gegend 
(6  Lieder.  Rada  und  das  kleine  Frl.  Samodiva.  Drei  Brüder  und  die  Samo- 
diva).  Eine  weitere,  ausführliche  Darstellung  des  Festbrauches  aus  Varna 
mit  36  Liedern.  —  Lazarlieder  von  Ochrid  und  Tikvesko. 

Die  zweite  Gruppe  umfasst  lyrische  Gelegenheit lieder  (pjosni  iz  licnija  zivot). 
Das  sind  keine  Stegreiflieder,  keine  Schnadahüpfln  und  Gstanzln,  vielmehr 
ausgewachsene,  fast  könnte  man  sagen,  stereotype  lyrische  Lieder,  zu  denen 
es  Parallelen  auch  aus  nichtbulgarischen  Gebioten  des  slavischen  Südens  gibt. 
Es  ist  immer  dieselbe,  bekannte  Phraseologie.  Zuweilen  kommt  es  vor,  dass 
aus  mehreren  älteren  Liedern  ein  neues  zusammengeschweisst  wird,  oder  die 
neuen  sind  hauptsächlich  Variationen  gebrauchter  Stoffe.  Es  will  mir  erschei- 
nen, als  ob  ein  neuer  Dichter  im  Volke  noch  viel  schwieriger  als  ein  Kunst- 
dichter zur  Geltung  und  allgemeinen  Anerkennung  gelange,  umsomehr  als  der 
Bauerndichter  zugleich  ein  Componist  sein  muss.  Für  das  Volk  sind  Lie- 
der ohne  Melodien,  ebenso  wie  Lieder  ohne  Worte,  ein  Unding.  Darum  bleibt 
man  am  liebsten  beim  Althergebrachten. 

I.  j  32—86.  Lieder  aus  Achr-Celebija  und  Sestrimo.  14  Lieder.  —  Nr.  14:  los 

arbres  entrelacees.  '  ' 

II.  «  30—42.  Von  Prilip,  Sonja,  Cepino  (aus  dem  Pomakenlande),  Rupcos  und 
humoristische  Liedchen  aus  Achr-Celebija.  41  Lieder.  —  Reigenlieder.  S.  42: 
Frauenkauf;  8.  43:  Gelsenhochzeit.  Ein  internationales  Thema.  Man  vrgl. 
die  Umfrage  S&illots  in  der  Revue  des  trad.  pop.  1887.  und  Krams  im  Smai- 
lagic  Meho  (Schlusslied).  Es  gibt  noch  viele  sorb.  und  kroat.  Varianten. 

III.  ,  89-48.  Aus  Pirdon,  Trnovo,  Dobric,  Tulc,  Arch-Celebija.  (S.  41 :  Kinder- 
pflege) 56  Lieder.  Meist  Spinnstubenlieder  mit  Anspielungen  auf  Liebespaare. 

IV.  ,  23—32.  Neunundzwanzig  Reigen-  und  Spottlieder  aus  Rupöa,  Dupn.,  De- 
mis-Hisar.  und  Prilip. 

V.  ,  30—35,  Aus  Ichtiman,  Achr-Cel.,  und  Gorn.  Dzumaja.  16  Lieder. 

VI.  ,  20—29.  Siebenundzwanzig  Texte  aus  Orohanie,  Trnovo,  Malko  Trnovo, 
Razlosko  und  Salonichi. 

VII.  ,  22 — 35.  Aus  Dupnicko,  Debrsko,  Cirpansko  und  Achr-Cel.  66  Lieder. 
VDTI.,  31—37  Zwanzig  Lieder  aus  Melnicko  und  Dramsko  in  Mazedonien. 

Wichtiger  und  lehrreicher,  weil  ergiebiger  an  sachlichen  Mitteilungen 
ist  die  dritte  Gruppe,  die  auf  häusliche  und  Familienereignisse  bezügliche 
Gebräuche  und  Lieder  enthält.  Es  sind  Bilder  aus  dem  vollen  Volkaleben, 
dankbare  Vorwürfe  für  den  Berichterstatter  und  den  Leser. 
I.,  36 — 45.  Hochzeitlieder  aus  Vrbovo,  Airoka  Luka,  Demirziler,  Cepino,  Gro- 
mada  (Bemerkenswert:  Der  Soldat  Stojan  und  die  Königin.)  12  Lieder.  — 
Trauer  und  Klagelieder  um  Verstorbene.  12  Lieder. 
IL,  44—66.  Aus  Sofija  Lieder  bei  der  Geburt  eines  Kindes  (na  pogaca,  sinidal) 
2  St.  —  Beschreibung  von  Hochzeitgebräuchen    aus  Hudzielleko,  mit  6  Lie- 
dern; aus  Cepino  9  L. ;  aus  Siroka  Loka  3  L.;  aus  Arch-Cel  2,  aus  Grachovo 
pole  3  L.  und  aus  Kratoyo  26  L.  (51  St.). 

III.  ,  56—72.  Hochzeitgebräuche  und  Lieder  aus  Debrsko,  Razlozko  und  Panag- 
juriste  (19  L.)  —  Klagelieder  8  Nr. 

IV.  ,  34—55.  Hocbzeitgebräuche  von  Demir  Hisar  mit  40  Liedern.  Eine  aus- 
führliche Schilderung  der  Hochzeitgebräuche  und  15  Lieder  von  Rupdansko. 
—  Zwei  Trauerklagen  von  Prilip. 

V.  ,  3G — 63.  Besonders  eingehende  Beschreibungen  der  Hochzeitbräucho  aus 
der  Gegend  von  Razlozko,  Pirdon  und  Sonja  mit  41  Liedern.  —  Ein  Trauer- 
lied aus  Prilip.  Der  Text  umfasst  163  Verse. 

VI .  29—48.  Ausführliche  Hochzeitbeschreibung  aus  Samokov  und  Lieder  aus 
Ichtiman  und  Görna  Dzumaja  (38  Lieder.) 

VII.  ,  48— 80  Sehr  eingehende  Darstellungen  der  Hocbzeitgebräuche  in  ('opino. 
Pestersko  und  Debrsko  mit  l'-9  Liodern. 


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207 


Villi  157—85.  Desgleichen  ausführliche  Berichte  aus  Razlozko,  Dupnicko  und 
Silistrija  mit  57  Liedern. 

Vierte  Gruppe:  Lieder  aus  dem  gesollschaftüchen  Loben. 

I.,  46—50.  1  Ackerhauerlied  aus  Achr-Öelebija.  3  Mäherlieder  (1  aus  Panag- 
juristo).  1  Schäferlied  (Siroka  Loka),  1  Wuchororlied  aus  Karadzovrem  (Wu- 
cher war  his  in  die  jüngsten  Zeiten  im  ganzen  Süden  ein  offenes  Gewerbe. 
Auch  chrowotische  und  serbische  Bauern  wuchern  leidenschaftlich  gerne. 
Für  einen  Gulden  täglich  einen  Kreuzer  ist  der  übliche  Zinsfuss  unter  Bau- 
ern gegenwärtig).  4  Bettlerlieder  aus  Prilip.  Summa  1  Lieder. 

IL,  67—80.  Spottlieder  auf  Städte  und  Dörfer.  (Ein  Dorf  ist  dem  anderen  in 
der  Regel  ein  Abdera).  Bauopferliedor,  Tischlieder,  Spinnstubenliedor,  Mähor- 
lieder  22  Texte  aus  Sonja,  Küstendil,  Pindop,  Panagjuriste,  Cepino,  Siroka 
Loka,  Curen,  Skobelevo,  Acbr-Celebija,  Kotel  und  Prilip. 

III.  «  73  85.  Ars  Achr-Oel.,  Trnovo  und  Dobricko  24  Lieder  (Beachtenswert 
Nr.  4  vom  Schicksal).  (Nr.  17  Bauopfer).  2  Mäherliedor. 

IV.  3  56—63.  Aus  Trojan,  Orchanie,  Sonja,  Demir  Hisar  und  Achr-Celobija  14  L. 
(Stojan  aus  Sonja  und  die  Juden,  eine  Distanzrittwetto.  Ein  sehr  beliebter 
$toff  auch  in  der  serbischen  Poesie.  S.  56  und  59  f.  Hier  verlieren  Juden, 
im  serb.  Guslarenliedo  Moslimen  die  Wette). 

V.  s  64 — 76  Aus  Görna  Dzumaja,  Demir  Hisar,  Dupnik,  Soüja,  Trnovo  23  Lie- 
der meistens  Handel  und  Gewerhe  betreffend.  (Ferner  aus  Elena,  Trjevna, 
Gabrovo,  Lovcen,  Televen.) 

VI.  3  44—59  Zwölf  Liedertexte,  auch  meist  auf  Handel  bezüglich,  zur  Kennt- 
nis der  Rochtbräuche  wertvoll. 

VII  3  81— 93k  Aus  Chaskovo,  Cirpansko  und  Trjevna  21  Lieder:  Spott-,  Trink- 
und  Sennerinnenlieder. 

V1II.3  86—90  Aus  Eski  Zagra  und  Orchanie  8  Lieder  -  S.  87:  Einer  Frau 
wegen,  wie  aus  einem  vom  Himmel  herabgefallenen  Buche  ersichtlich,  drei 
jährige  Dürre  übers  Land.  Zur  Strafe  wird  die  Schuldigo  vom  ganzen  Dorfe 
auf  einem  Scheiterhaufen  verbrannt.  S  90:  Ein  sprechender  Ochse  gibt 
Aufschluss  üher  die  Verwandtschaftverhältnisse  des  Eigners. 

In  der  fünften  Gruppe  gelangen  die  Guslaronlieder  zum  Ausdruck.  Wir 
kennen  aus  den  früheren  Sammlungen  die  Art  der  bulgarischen  Guslaronlieder 
und  sehen  uns  nun  in  der  Hoffnung  enttäuscht,  neue  Stoffe  und  bessere  Ver- 
arbeitung im  Shornik  zu  finden.  Neu  ist  nur  die  beträchtliche  Länge  der  ein- 
zelnen Lieder.  Gut  der  dritte  Teil  der  Guslarenlieder  serbischer  Orthodoxer  weist 
auf  althulgariscbcn  Ursprung  hin,  namentlich  die  Lieder,  die  des  bulgarischen 
Prinzen  Marko  Taten  verkünden.  Bei  dem  gänzlichen  Mangel  an  Aufzeichnun- 
gen epischer  Lieder  aus  der  Zeit  der  türkischen  Einfälle  können  wir  über  diese 
Erscheinung  blosse  Vermutungen  aufstellen,  um  sie  zu  deuten.  Entweder  war 
die  Epik  der  Slaven  Bulgariens  jener  Zeit  noch  unentwickelt  und  hat  erst  auf 
serbisches  Gebiet  verpflanzt  unter  günstigeren  Bedingungen  ihren  späteren 
Reichtum  entfaltet,  oder  sie  war  schon  damals  in  voller  Blüte  und  ist  nach- 
träglich im  Entstohunglande  verkümmert.  Andererseits  lehrt  uns  gerade  der 
Sbornik,  dass  eine  immerhin  perzentuoll  ansehnliche  Anzahl  epischer  Lieder 
aus  dem  Westen  nach  Bulgarien  gelangt  und  einheimisch  geworden  sei.  Cha- 
rakteristische Typen  des  bulgarischen  Guslarenliedes  sind  das  Wunderkind 
und  das  Heldenmädchen.  Im  übrigen  wiegt  das  Klephtenlied,  wie  in  G  iechen- 
land,  vor,  die  Verherrlichung  der  sinn-  und  zwecklosen  Menschenabschlächterei, 
die  Lust  und  das  Vergnügen  am  Massenmord.  Die  Zeiten  der  schöpferischen 
epischen  Dichtung  sind  unter  den  Bulgaren  gänzlich  dahin.  Wir  haben  hier 
Ueberlebsel  einer  in  Verkümmerung  begriffenen,  sich  abbröckelnden  epischen 
Tradition,  in  der  das  Märchon  der  Sage  den  Boden  streitig  macht  Die  Phrase- 
ologie des  bulgarischen  deckt  sich  mit  dem  des  serbischen  Guslarenliedes,  doch 
ist  das  Versmaass  häufig  vorschieden  Der  Bulgare  gibt  den  kürzeren  Zeilen 
den  Vorzug,  als  hätte  er  grösser  •  Eile  denn  der  Serbe,  und  Ebenmässigkeit 
des  Versbaues  macht  ihm  geringe  Soige  Das  bulgarische  Epos  hat  vielen 
dichterisch  stilistischen  Schmuck  gleichsam  als  einen  Ballast  ausgeschieden. 
Es  ist  einfacher,  nüchtornor,  prosaischer  als  das  Epos  der  Serben. 


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208 


I.  3  61 — 70.  Aus  Gernja  Bnnja,  Soiija,  Trnovo,  Jarluvo,   Doinbeni,  Uradober, 

Bansko  und  Kotel.  (Dio  grichische  Königin;  Nikolaus  der  Tatar;  Prinz  Marko 
und  der  Kreuzadler;  -Prinz  Marko,  Ive  und  das  Kind  Dukadince  (8  7  V.): 
Prinz  Marko,  Milos  und  die  Vila  vom  weissen  Berge;  Georg  von  Temesvar; 
Prinz  Marko,  das  Kind  GolomeSe  und  der  Araber  (359  V  );  Das  Kroaten- 
mädchen und  die  dreissig  Kämpen,  denen  Marko  durch  Hinterlist  den  Garaus 
macht  (155  V  );  Jankula  der  Heerführer  raubt  dio  Albanesin  Weiss-Magda 
für  den  alten  Novak;  Prinz  Marko  sucht  das  Kind  Dukatence  tückisch  zu 
töten;  Tod  des  Holden  Momcil;  Veürkos  Ende  (ein  Guslarenlied  aus  den 
ziebenziger  Jahren) ;  Hadzi  Demeter  ergreift  das  Räuberhandwerk  [neuzeitig']). 

II.  3  81—144.  Aus  SoHja,  Küstendil,  Saraokov,  Bansko,  Kukus,  Bitolsko,  Ochrid, 
Debr,  Prilip,  Tatar-Pazardzik,  Panagjuriste,  Cepino,  Rupeos,  Achr-Celebija, 
Trnovo,  Gornja  Orjehovica  und  Kotel  (Kaiser  Jasen  (2  Lieder);  Eroberung 
Konstantinopels;  König  Petrusin  raubt  Momcils  Ehefrau;  Vukasin  und  Mom- 
cil (Variante  zum  vorigen  Lied);  Sultan  Murat  und  der  Bansohn  Peter; 
Subasa  Mehmed  und  der  Pasa  Polivan;  Königin  Georgine;  Gruica  heiratet 
Fräulein  Nedeljica;  Jurus  der  Heerführer;  Prinz  Marko  und  da*  arabische 
Mädchen;  Das  Mädchen  Rada;  Kaiser  Milutin  und  Kaiser  Konstantin;  Stefan 
der  Serbenkaiser  (353  V.:  Vier  kurze  Markolioder;  Prinz  Marko  begegnet 
seiner  Schwester  und  befreit  sie  aus  der  Sclaverei;  Prinz  Marko  zu  Gast; 
Prinz  Markos  Ehescheidung;  Rusalka  und  die  drei  Helden;  Philipp  der  Ma- 
gyare endet  durch  Prinzen  Markos  Hand ;  Prinz  Marko  und  Belco  eilen  zum 
Entsatz  des  Kaisers  Konstantin ;  Kapitän  Siko  oder  Stojans  Tod  in  der  Stara 
planina;  Jankula  und  Sekula  schmachten  in  den  Verliessen  Salonichis;  Das 
Mädchen  Helene  als  Wegelagerer:  Ein  Mädchen  Bandenführer  in  Bitol;  Das 
Mädchen  Denika  und  die  Helden;  Der  Wegelagerer  Grujo;  Marko  raubt 
Angelina  (368  V.);  Volkasin  und  Marko;  Die  Plevener  Schlacht;  Sormen  der 
Rottenführer  und  das  Mädchen  Bogdana  im  kaiserlichem  Heer;  Kaiser  Milos; 
13  kleine  Lieder;  Prinz  Markos  Pford;  Der  bosnische  Kämpe;  Der  Rotten- 
hauptmann  Mihal ;  Der  Räuber  Stojan  ;  Das  Mädchen  Bela  Neda  als  Rotten- 
hauptmann.) 

ilLs  85=116.  Aus  Razlosko,  Samokov,  Sollja,  Nova  Zagora,  Trnovo.  (Die 
Schlacht  auf  Leitengo ben  (Kosovo)  850  V.;  Markos  Nachtmahl;  Dojcin  und  die 
Samovila;  Duladza  Tudor;  Kolos  Mustapha  tötet  des  Prinsen  Marko  Wahl- 
bruder Andreas;  Sultan  Selim,  ein  Araber  und  Prinz  Marko  (305  V.);  Marko 
pirscht  mit  dem  Kaiser;  Kaiser  Soliman,  Ban  Kulevic  und  Marko;  Sultan 
Sehm,  ein  Araber  und  Marko;  Demeter  von  Kulevo  und  Soliman  pasa;  Der 
Arnauto  Gine,  Adzi  Leja  und  Adzi  Baba;  Ankul  und  dessen  Bruder  Rotten- 
hauptmann Nikola;  Indze  vojvoda  und  Kole;  Hajduk  Nedelko;  Pena  die 
Räuborin;  Der  bosnische  Pilgram  und  Musa  der  Beutelschneider;  Die  ver- 
witwete Moskauer  Kaiserin). 

IV.  8  64—75.  Aus,  Soiija,  Brjoznik,  Razlosko,  Pijanoöko,  Dupnica,  Vidin  und 
Gabrovo.  (Kaiser  Jasen;  Sekula  das  Kind  und  sieben  Könige;  Kosan  voj- 
voda; Marko  und  Held  Philipp  (267  V.);  Heirat  dos  wackeren  Helden  mit 
Vida  von  Ochrid;  Königin  Milica  und  deren  zwei  Brüder;  Held  Todor: 
Belagerung  Belgrads;  Marko  und  Philipp  der  Magyare;  Skenderpascha  und 
Peter;  Held  Marko  und  Philipp  der  Magyare;  Demeter«  Ende  (146  V).) 

V.  8  77—93.  Aus  Razlozko  und  Sonja:  Radulbeg,  Mireo  vojvoda  und  König  Si.s- 
manin  (574  V.);  Sultan  Murat  und  Bansohn  Peter  (547  V.);  Marko  und  der 
gelbe  Jude;  Marko  und  der  gelbe  Kaufmann  [441  V.|). 

VI  3  50—67.  (Kaiser  Muratbeg,  Jankula  vojvoda  und  Sekula  das  Kind  (267  V.); 
Das  Kind  Dukadince,  Jankula  und  Sekula:  Marko  und  das  Kind  Michael; 
Sechs  Lioder  von  Marko;  Dojcin  der  Kranke;  Dio  vertluchten  Kroaten;  Bog- 
dan und  dio  Vila;  Ivan  Panov,  Gatjas  Mutter;  Walachen  und  Türken». 

VI  1.3  95  106.  Aus  Debr,  Küstendil.  Demir  Hisar  und  Gabrovo.  (Prinz  Mark<» 
hebt  den  Ehezoll  auf  (148  V.);  Grujo  der  Beutelschneider;  .Jankula  und  Dzan 
Grujce;  Das  Wunderkind  und  Philipp  dor  Magyare;  Prinz  Marko  und  das 
Kind  Dukatinoo;  Ljutica  Bogdan:  Sultan  Murat  und  Marie  die  Bulgarin.) 

VIII.3  91  —  1.4.  Aus  Koprivstk-a.  (Prinz  Marko  und  Philipp  der  Magyare;  Prinz 


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•20?  I 


Marko  und  der  schwarz«  Araber;  Prinz  Marko  und  der  Beutelschneider: 
Demeter  General;  Stojan  der  Uäubcr;  Bojaiia,  die  Uäuberin,  gebiert  ein 
Wunderkind). 

Sechste  Gruppe:  Volklieder  mit  Melodien. 

Die  Zusammengehörigkeit  der  geographischen  Provinz  „Südslaven4*  tritt 
am  deutlichsten  in  den  Volkmelodien  zu  Tage.  Die  meisten  der  im  Sbomik 
vorgemerkten  Melodien  sind  ebenso  in  Serbien,  Montenegro,  Dalmatien.  Bos- 
nien, im  Herzogtum,  in  Slavonien  und  Kroatien  dem  Volke  geläufig  So  manche 
vornahm  ich  zwar  auch  unter  Magyaren,  und  es  würde  sich  verlohnen,  die 
Verwandtschaft  oder  besser,  die  Beziehungen  zwischen  magyarischer  und  süd- 
alavischer  Volkmusik  und  den  Melodien  einmal  festzustellen. 

II.  3  145—160.  Sechzehn  Melodien  aus  Mazedonien.  (Nr.  1.  Potfatila  Sar  planina. 
Nach  derselben  Melodie  hörte  ich  in  Dalmatien  das  Lied  singen:  Slavulj 
pojc  po  dubravi.  cno  sam  ga  ja;  Nr.  5:  Cija  jo  taja  devojka?  Im  Westen: 
Cija  je  ono  djevojka  =  IV. s  S.  G9  Nr.  3.  —  >r.  9:  Bogda  bie  Memed  aga. 
Auch  im  Westen  allgemein;  Nr.  14:  Oj  devojce  bugarce,  allgemeinst). 

III.  a  117—133.  Sechsundzwanzig  Melodien.  IV.3  76—89.  Fünfundzwanzig  Me- 
lodien. 

V.  a  94—108.  Zwanzig  Melodien.  (Auf  S.  99.  Nr.  6  das  international  bekannte 
Passahlied  der  Hagada:  „Echod  mi  jodea"  in  bulgarischer  Passung,  ein 
Trinklied,  wie  bei  Deutschen  und  Griechen). 

VI.  3  68—88.  Achtunddreissig  und  VII.8  107—124  Einundzwanzig  Melodien. 
VIII.s  105—136.  Sechsundsiehcnzig  Molodien.  Die  Melodie  zu  „Sednala  0  .Jana" 

auf  S.  135  bekannt  auch  in  Slavonien  zu  dem  Ständchen:  Labko  tebi  draga 
u  krevetu  spati. 

(Fortsetzung  folgt.) 


Volkslieder  bosnisch-türkischer  Wanderzigeuner. 

VI. 


Daseste  maro  tu  de, 
Cum  del  tinri  roninate; 
Cum  tu  do  Gipetesto, 
Corel  ov  grajes  tute! 


Mande  isi  sukar  dimni, 
Mande  isi  bare  enri; 
Mara  lesa  tro  romes, 
Dimni  uvel  mand'  loles, 
Sarvar  tu  man  eumidos! 


Minro  piren  puterdo, 
Bismarija  les  cindo, 
Mi  uro  godi  puterdi, 
An  pirani  la  cindi. 

Piren  me  hum  tho  kerav, 
Na  hum  kores  tu  goda, 
Na  thavesa,  abcinesa, 
Ani  jek  gule  öumesa. 


Ulinas  pro  karadsin 
Jeka  sukari  patrin, 
Sosko  barval  la  cordjas 


Gib  du  Brot  dem  Slaven,  gib, 
Küsst  er  dir  dein  Ehelieb; 
Küsse  nur  den  Kipetar, 
Stiehlt  er  duino  Pferde  gar. 


VII. 


Habe  eine  Hose  fein, 
l'nd  ein  Messer  gross  ist  mein, 
Damit  tot'  ich  deinen  Mann, 
Bot  wird  meine  Hoso  dann, 
Und  du  küsst  mich  immerwaun! 


VIII. 


Moine  Kappe  ist  zerfetzt, 
Katze  hat  sie  so  zerhetzt; 
l'nd  mein  Herz  ist  auch  zerfrlzt, 
Liebchen  hat  ihm  zugezetzt. 

Kappe  llick'  ich  unverweilt, 
Doch  mein  Herz  wird  nicht  geheilt, 
Zwirn  und  Nadel  unnütz  sind, 
Doch  dein  Kuss  tut's,  süsses  Kind! 


IX. 


An  dorn  kräftig  grünen  Baum 
Sprosst'  ein  schönes  junges  Blutt, 
Das  dor  Wind  gestohlen  hat. 


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210 


Sukar  caj  man  ulinas, 
Moriben  mando  cordjas. 
Karadsin  haöel  patrin, 
Caja  haca  nikarin; 
Minri  caj  luludji  isas. 
Hilasa  rae  kast  uvavast 


Daslo  man us  nie  isom, 
Kana  kajekes  mardjom, 
Kriskav:  „Dsanes,  dat  isom!" 
Kana  man  daberos, 
Pcnav:  „Na  mar  tu  romos!" 


Phirdo  isi  minro  duvar, 
Avol  mro  cavoro  sukar; 
Kana  dsal  psandlo  isi, 
Sar  aarestH  mri  godi! 


O  ciriklo  upre  drom: 
„Karin  dsal  avaka  rom?„ 
E  luludji  andro  bar: 
„Avaka  rom  karin  dfsal?" 
Ta  len  upro  man  dikkel: 
,/Ta  rom  karin  ov  sigol?" 
Va,  va,  va,  ta  m«  dsav 
Andre  minro  katuna; 
Ani  marol  man  romni, 
Lesti  is'  andre  burni, 
Avokja  lake  pisdav 
Ta  baros  lasniovav! 
Va,  va,  va,  ta  me  dsav; 
Na  lokes  isi  ciba, 
Va,  va,  va,  ta  me  dsav! 


Eine  Tochter  schön  und  lieb 
Raubte  mir  der  Tod,  der  Dieb. 
Blätter  wohl  der  Baum  noch  tind't, 
Aber  nimmer  ich  ein  Kind; 
Sie  war  meine  Blüt\  mein  Stolz, 
Nun  bin  ich  ein  dürres  Holz! 


X. 


Stolz  bin  ich  ein  Slave,  traun, 
Hab'  ich  jemand  durchgehau'n ; 
Das  bin  ich,  ihr  könnt  es  schaun! 
Schlägt  man  mich,  so  klag  ich  laut: 
Den  Zigeuner,  ach,  nicht  haut! 


XI. 


Weit  geöffuot  ist  mein  Tor, 
Kommt  mein  schöner  Knab'  davor  ! 
Wenn  er  geht,  gesperrt  ist's  dann. 
Wie  mein  Herz  für  jedermann ! 


XII. 


Vogel  auf  dorn  Wege  späht: 
„Wohin  dieser  Mann  wohl  geht?" 
Blume  in  dem  Garton  fragt: 
„Wohin  dieser  Mann  wohl  jagt?" 
Auch  der  Bach,  er  blickt  mich  an : 
»Wohin  eilt  wohl  dieser  Mann?" 
Ja,  ja,  ja,  ich  gehe  fort, 
Bis  zu  meinem  Zelte  dort; 
Frau,  gib  acht,  wenn  du  mich  haust, 
Knoblauch  hab'  ich  in  der  Faust, 
Steck'  ihn  dir  ins  Maul  hinein, 
Werde  bass  darob  mich  freu'n! 
•Ja,  ja,  ja,  ich  geh'  sofort, 
Schwerer  wird  dir  dann  das  Wort, 
Ja,  ja,  ja,  ich  geh'  sofort! 

Mitgeteilt  von  Anton  Herrmann. 


Dokumente  zur  Geschichte  der  Zigeuner. 

I 

Oplnlo.  De  Domioillatione  et  Regulattone  Zingarorum. 

(Fortsetzung.) 

Factis  praemissis  quoad  singulas  praerencensitas  Zingarorom  seu  Neo- 
Rusticorum  classes  providis  dispositionibus  accedente  praesertim  Officialium 
solertia,  et  quao  ceTto  certius  sporabatur  in  exequendis  Altissimis  jussis  promp- 
titudine  nihil  quidera  amhigi  poterat,  quin  non  Sacratissimao  Suae  Majostatts 
ad  meliorem  gentis  hujus  ipsi  aequo  ac  toti  Provinciao  utilem  regulationem 
directa  benigna  intantio  optatum  fortitura  sit  eventum,  submissao  nihilominus 
ad  Ordinationem  R.  Gubernii  de  11  Novembris  A.  1791  Numeroquo  9529.  ex- 
aratam  ordinationem  Relationcs  Cirkulorum,  de  statu  illocatorum  vel  ad  hin- 
vagam  vitara  ducentium  Zingarorum  docent,  necdum  seu  antea  taxalistas  Fis- 
calos,  sive  aurilotores  omnes  aliosque  Zingaros  fixa  tenere  domicilia,  sod  plu- 
rimos  adhuc  retonto  tontoriorum  usu  vagaque  et  instabili  conditione,  incertis 
hodiedum  laribus  oberrare,  vagamque  ducere  vitam,  hinc  ut  Landein  iteratis 
Altissimis  Ordinationibus  satisüat,  singulispraemissisOnlinationibus  in  qnant  un 


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211 


illae  juxta  inferius  recensenda  abrogatae  vel  alteratae  non  sunt,  in  memoriam 
revocatia,  inculcatisque,  denuu  strictissirua  illarum  observantia  rospoctu  nocdum 
fixa  habitacula  tenentium  Zingarorum  necesse  viderctur  vagis  adhuc  his  Zin- 
garorum seu  Fiacaüum  sive  Aurilotorum,  aliisque  fixam  habitationom  non 
babentibus  familiis  instituta  ubivis  locorum  noviori  publicatione  a  die  receptae 
et  publicatae  ordinatiunis  unius  anni  törminum  praofigero,  intra  quem  singulae, 
in  locis  ad  quae  oonscripti  sunt,  de  certa  et  flxa  habitatione  eo  certiua  pro- 
videre  tenerentur,  quod  secus  et  aurilotores  a  solita  hybemali  tempore  manu- 
facturorum  cenfectiono  prohibendi,  indultaque  ipsia  immunitate  privandi,  et 
reliqui  omues  interdicto  opificii  exercitio,  fabricatorumquo  distractione  e  Pro- 
vincia  climinabnntur.  Ad  faeilitandum  vero  hocece  illoeationis  negotium  tarn 
ipsi  Domini  terrestres  Communitatesquo  monendi  oxcitnndique  erunt,  ut  in 
illorum  receptione  so  haud  difficilos  pracbcant,  nee  in  exstruendis  ordinatis  in 
serie  pagorum  doraibus  in  necessariorum  matcrialium  suppeditatione  auxiLia 
sua  denegent,  quam  et  ipsi  Offlciales  in  horum  effectuationem  sedulo  invigi- 
laturi  omnem  sua  quoquo  ex  parte  praebituri  sunt  assistentiam ;  quo  pro  do- 
miciliationis  termino  eisdem  Zingaris  praeftxo  anno  elapso  tenebuntur  Circu- 
lorum  Offlciales  de  facta  Zingarorom  Domiciliatione  Relationo  R.  Oubernio 
submittere,  ipsi  vero  Zingari  iu  locis  ubi  domiciliati  fuerint  degere,  nec  libe- 
rum Ulis  sit,  aliter  nisi  sub  conditionibus  in  articulo  Novellari  statutis  ad  alium 
locum  ti*ansire.  Cumque  medio  praecitatae  Ordinationis  de  11.  Novembris  Nro. 
9520.  Relationes  et  Gonsignationes  Domiciliatorum  Zingarorum  eo  fine  sunt 
dosidoratae,  ut  qui  jam  domicilia  fixissent  altissimao  indultae  triennalis  a  Con- 
tributione  immunitatis  poliri  posaint,  Relationes  illae  pro  elaboranda  immuni- 
tandorum  Consignatione  Exactoratui  via  Kxcolsi  R.  Gubernii  transponendao 
esse  viderentur,  ut  visa  domiciliatorum  hac  «xomtiono  aliis  quoque  ad  flgandas 
Sedea  sponde  etiam  sua  magis  alliciiantur.  Caetoroquin  modo  taxa  ionis  a  capito 
aurilotorum,  qui  nempe  unam  aurt  pisetam  et  sex  denarios  ad  auri  Cambio- 
ratus  Officium  so  administrasse  tes  imonio  praedicti  Offtcii  comprobaverint,  ab 
1.  fl.f  rehquorum  vero  a  2.  fl.  Ordinationibus  sub  1.  Noverabris  Anni  1701. 
Nro.  9520  et  7.  Julii  A.  1792.  Nro.  4553.  exaratis,  huc  tarnen  non  intelloctis 
immunitatis  annis  in  salvo  manentibus.  Siquidem  autem  multi  Zingarorum  ad 
privatos  Dominos  torrestros  antea  pertinentium  ante  adbuc  sublatam  perpotuam 
Colonorum  obligationem  personalem  et  in  adultam  liboram  migrationem  relictis 
Domin is  torrestribus  ad  alia  loca  so  contulerint  Sedemquo  ibidem  llxorint,  Ar- 
ticulo vero  Diaetali  26.  A.  1792  Zingaros  qui  sine  Dominorum  Terrestrium 
indultu  migrassent,  antiquis  Dominis  Torrestribus  rostituendos,  generalomquo 
emaneipationem  et  liberam  migrationem  non  nisi  ad  Zingaros  domiciliatos  ru- 
ralemque  Aoconomiam  exercentes  oxtendendam  esse  innuatur,  ot  iam  multi 
domiciliatorum,  utut  non  rnralem  Aeconomiam,  utilo  tarnen  Opificium  exer- 
centium  ab  antiquis  eorum  Dominis  Torrestribus  restituendi  Hagitontur;  hinc 
siquidem  notorium  sit  parte  ex  una  Zingaros  si  alias  fixas  teneant  habitationes 
diversorum  opiliciorum  exercitio  publice  utiles  magis  quam  onerosos  esse  ex 
eo,  quod  Uli  praesortim  Incolis  locorum  a  locis  Emporialibus  dissitis,  ot  a 
potioro  fabris  ferrariis  aliisque  opifleibus  destitutis  manufacta  usu  vitiata  erga 
levissimam  morcedem  rofleere,  alia  vero  cumprimis  fabrilia  praesertim  ad  ru- 
ralis  Aeconomiae  exercitium  desorvientia  ipsi  quoque  non  male  conficerc,  indi- 
gentibusquo  erga  naturalia  aut  alio  vilissimo  protio  divendere  soleant:  ita  qui- 
dem  ut  plobs  praesertim  tributaria  aeris  alioquin  in  hoc  Principatu  indiga,  si 
talia  a  realibus  opifieibus  in  Civitatibus  constitutis  procurare  aut  per  eos  iv- 
parari  curare  deberet,  praetor  fatigium  intermissosque  interea  domesticos  la- 
bores  triplicato  etiam  pretio  vix  obtinere  posset,  alia  vero  ex  parte  c  nistet, 
Terrena  agriculturae  utilia,  plagam  campestrem  excipiendo,  quae  tarnen  aliis 
ad  humanae  vitae  indigentiam  iisque  praeeipuis  articulis,  ligno  utpnte  ot  aqua 
destituitur,  tarn  aretis  in  hoc  Principatu  circumscripta  esse  limitibus,  ut  vix 
pro  necessitatibus  modern  omni  etiam  Incolarum,  operi  huic  asvetorum  sufli- 
ciafft,  ideoquo  sporn  vix  adosse  ut  tili  a  Dominis  Torrestribus  reeipiantur,  ipsis- 
que  ad  oxorcendam  ruralem  Aeconomiam  terrae  arabiles,  et  Foeneta  adsignari, 
•aut  assignata  ab  iisdem  debite  procurari  possint,  praesertim  quod  gens  haec 
a  natura  ita  eomparata  sit,  ut  ruricolaros   Labores  piano  abhorroat,  avorsetur- 


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212 


que,  et  idoo  nee  vi  compolli  possei,  quao  si  adhiborotur  profugium  potius  ten- 
taront,  inccrlisquo  porro  oliam  laribus  oborraront,  rorumque  alienarum  controc- 
tationi  ad  quam  alioquin  a  natura  propendent  se  devovere  satius  osse  ducerent, 
quapropter  articulus  ille  ita  tnodificandus  esse  videretur,  ut  emancipatio  ad  illos 
qui  domiciliati  sunt,  idest  ordinatas  ad  normam  aliorum  loci  Incolarum  ex- 
structas  domos,  praeter  tompus  illud,  quo  pro  distractione  fabrioatorum  suorum 
neccssaria  tarnen  cum  legitimatione  domo  abesse  coguntur,  inhabitant,  et  Con- 
tributionem  etiam  de  facultatibus  suis  pendunt,  oneraque  communia  suppor- 
tant,  intolligatur,  nec  tales  repcti  ampüus  possint.  (Schluss  folgt.) 

Mitgeteilt  von  A.  Herrmann. 


Litteratur. 

Bartels  Max,  Die  Medicin  der  Naturvölker.  Ethnologische  Beiträge  zur 
Urgeschichte  der  Medicin.  Mit  175  Original-Holzschnitten  im  Text.  Leipzig. 
1893.  Th.  Grieben's  Verlag  (L.  Fernau).  XII,  -361  fe.  Preis  9  Mk.,  geb.  11  Mk. 

„Es  liegt  nicht  in  der  Absicht  dieser  Schrift,  die  Krankheitsarten  zu 
besprechen,  welchen  die  Naturvölker  unterworfen  sind,  und  wie  dieselben  bei 
ihnen  verlaufen.  Solche  Untersuchungen  gehören  in  die  Werke  über  medici- 
nische  Geographie.  "Hier  soll  wesentlich  nur  erörtert  werden,  was  für  medici- 
nische  Anschauungen  unter  niederen  Culturverhältnissen  herrschon  und  was  für 
Mittel  und  Wege  die  Naturvölker  benutzen,  um  sich  mit  den  Krankheiten  ab- 
zufinden", sagt  in  der  Vorrede  (S.  VI.)  der  Vorfasser  dieses  trefflichen  Werkes, 
der  sowohl  als  praktischer  Arzt,  wio  als  Ethnologe  in  den  weitesten  Kreisen 
rühmlich  bekannt  ist  ;  und  als  solcher  ist  gerade  er  vor  allen  anderen  Fach- 
genossen  berufen  gewesen,  uns  ein  klares  Bild  von  der  Entwickhing  der  Me- 
dicin bei  den  Naturvölkern  zu  geben.  Und  diese  Aufgabe  hat  der  Verf.,  wie 
nicht  nnders  zu  erwarten,  in  mustergültiger  Weise  gelöst.  Wir  bekommen  vor 
allem  einen  klaren  Begriff  davon,  dass  dio  Medicin  sich  selbst  bei  Culturvöl- 
korn  aus  dor  Volksmedicin  entwickelt  hat,  die  wir  moderne  Culturmenschen, 
ob  wir  nun  selber  Aerzte  oder  nur  Laien  sind,  so  gerne  mit  mitleidigem  Lä- 
cheln über  die  Achsel  anzusehen  pflegen,  ohne  dabei  zu  bedenken,  dass  die 
Volksmedicin  dem  allgemein  vorbreiteten  Instinkt  der  Volksseele,  die  die 
Existenz  der  Menschen  gefährdenden  Krankeiten  zu  bannen,  entsprungen  ist 

Welch'  einen  reichen  Inhalt  das  Buch  in  sioh  fasst,  und  in  wie  klarer 
Uebersichtlichkeit  derselbe  vom  verdienstvollen  Verf.  geordnet  worden  ist,  das 
ist  schon  aus  der  kurzon  Bozoichnung  der  einzelnen  Abschnitte  ersichtlich. 
Nach  einer  Einleitung  über  die  Quellen  zu  einer  Vorgeschichte  der  Medicin 
folgen  die  Abschnitte  über  dio  Krankheit,  die  Aerzte,  die  Diagnostik  der  Na- 
turvölker, dio  Medicamente  und  ihre  Anwendung,  die  Arzneiverordnungslehre 
der  Naturvölker,  die  Wasserkur,  die  Massagekuren,  Verhaltungsvorschriften 
für  den  Kranken,  die  übernatürliche  Diagnose  und  Krankenbehandlung,  über 
die  Epidemien,  die  kleino  und  grosse  Chirurgie. 

Ich  habe  in  meiner  ungarischen  Anzeige  dieses  trefflichen  Werkes  („Etb- 
nographia".  Zeitschr.  d.  ung.  ethnoL  Gesellsch.  IV.  S.  332  ff.)  einige  Parallelen 
beigebracht,  welche  unsere  heimischen  Völker  darbieten;  hier  will  ich  nur 
zwei  derselben  u.  zw.  aus  dem  Volksglauben  eines  „Naturvolkes",  nähmlich 
der  Zigeuner  anführen.  Nicht  nur  boi  den  Papua  (S.  18),  sondern  auch  bei  don 
Wanderzigeunern  der  Donauländer  darf  eine  soeben  zur  Witwe  gewordene 
Frau  eine  Zeit  hindurch  mit  keinem  Menschen  reden,  denn  der  noch  immer 
herumirrende  Geist  des  verstorbenen  Gatten  könnte  dem  Betreffenden  eine 
Krankheit  anhauchen.  Heiratet  eino  Witwe  der  Wanderzigouner,  so  gräbt  sie 
in  den  Grabhügel  des  verstorbenen  Mannes  oder  wenigstens  unter  ihr  Lager 
(ante  primura  coitum)  einen  Lappen  irgend  eines  ihrer  Kleidungsstücke  in  die 
Erde  ein,  sonst  kriecht  der  Geist  des  Verstorbenen  in  don  Leib  des  zweiten 
Gatten  und  treibt  letzteren  an,  die  Gattin  stets  zu  misshandeln  ls.  don  indi- 
schen Glauben  bei  Bartels  S.  19).  Aehnlich  wie  auf  Djiailolo  und  don  Kei-Iitselu 
glauben  auch  unsere  Wanderzigeuner,  dass  der  Geist  einer  infolge  Schwanger- 
schaft verstorbenen  Maid  ihren  Verführer  impotent  machen  könne  (eb.  S.  19). 

H.  v.  WlUlocki. 


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In  dorn  Vorlage  von  Emil  Folber,  Berlin.  S.  W.  4C.  Uallesche-Straase  4. 
ist  erschienen  und  durch  die  Buchhandlungen  zu  beziohon  : 

IDEALE  WELTEN 

NACH    URANOGRAPHISCHEN    PROVINZEN    IN    WORT    UND  BILD. 

ETHNOLOGISCHE   ZEIT-  UNI)  STREITFRAGEN, 
NACH  GESICHTSPUNKTEN  DER  INDISCHEN  VÖLKERKUNDE 

von 

A.  BASTIAN. 

Drei  Bände,  grösstes  8*  mit  22  Tafeln.  Ladenpreis  46  Hark. 

Band  I. 

Ketsen  anf  der  Vorder-indisrhen  Halbinsel  im  .Jahre  1890  für  ethnolo- 
gische Studien  und  Saminlmigszwcckc.  Mit  9  Tafeln. 

Band  H. 

Ethnologie  und  Geschichte  in  ihren  Berührungspunkten  unter  Bezug- 
nahme anf  Indien.  Mit  9  Tafein. 

Band  HI. 

Kosmogonien  und  Theogonicn  indischer  Religionsphilosophien  (vornehm- 
lich der  juinistisehenj.  Zur  Beantwortung  ethnologischer  Fragestellungen. 
Mit  4  Tafeln. 


A.  B.  (Adolf  Bastian).  WIE  DAS  VOLK  DENKT.  Ein  Beitrag  zur  Beant- 
wortung socialer  Fragon,  —  auf  Grundlage  ethnischer  Elementargedanken  in 
der  Lehre  vom  Menschen.  1892.  XVIII.  224  S.  Gr.  8 ».  Preis  5  Mark. 

Adolf  Bastian,  VORGESCHICHTLICHE  SCHÖPFUNGSIJEDER  in  ihreu 
ethnischen  Kk>menturgedanken.  Ein  Vortrag  mit  ergänzenden  Zusätzen  nnd 
Erläuterungen.  Mit  zwei  Tafeln.  1898.  146  S. 


Beiträge  zur  Volks-  und  Yölkerkuflde, 

Von  diesem  in  zwanglosen  Banden  erscheinenden  Sammelwerk  sind  bis 
jetzt  zur  Ausgabe  gelangt : 

Band  L 

Volksglaube  nnd  Volkabranoh  der  Slebenbnrier  Saonseo.  Von  Dr.  Hen- 
rich ton  Wlülocki.  -  Preis  5  Mk. 

Band  IL 

Die  Bntwtoklnnt  der  Ehe.  Von  TL  Achdi*.  —  Preis  2.60  Mk. 

Im  Herbst  1893  erscheint :  Ueder  oad  Oeiohiohten  der  SaaaelL  Von 

C.  6.  Büttner. 


Tb.  Griebels  Verlag  (L.  Ferna») ;  Leipzig,  Bartels  Max,  DIE  MEDIC1N 
DER  NATURVÖLKER.  Ethnologische  Beiträge  zur  Urgeschichte  der  MeiUcin. 
1893.  Preis   geh.  9  Mk.;  geb.  11  Mk. 

Am  Urqneli.  Monatschrift  für  Vntkkunde.  Herausgegeben  von  Friedrich 
S.  Kraus*.  (Wion,  VII.,  Neustiftgasse  12.)  Preis  gansjährig  4  M.  oder  6  Kronen. 
—  Diose  billigste  und  interessanteste  Zeitschrift  für  Volkskunde  sei  allen  Volks- 
fonohern  und  allen.  Freunden  des  Volkstümlichen  aufs  angelegentliche 
empfohlen. 


und  Kiimaiiscner  v  urort,  \\  imcrauietunaii.  i\, 
stünden  von  Fi  u  nie,  eine  Stunde  von  der  Eisenbahnstation  Plase.  Gün- 
stigste Lage  am  Quarnero,  schönster  Punkt  des  herrlichen  VinodolUües.  — 
Die  Badcunternekm u« g  steht  unter  dem  werktätigen  Protectorate  Seiner  k.  u.  k. 
Hoheit,  des  Herrn  Frz  Herzogs  Josef.  Die  Regierung  hat  beschlossen,  dem  Con- 
Rortium  alle  Begünstigungen  zur  Entwickelung  des  Seebades  zu  gewähren. 
Alle  Bedingungen  vereinigen  sic  h,  um  dem  Curorte  einen  ungemein  raschen 
Aufschwung  und  ein«'  glänzende  Zukunft  zu  sichern. 


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igston   Protectors  und  des  competenten   Gonsortiums:   Prof.  l»r 

Biet,    Halbmonatsschrift.    Einzige  durchaus  moderne,  voUstÜndij 

ociologischer,  ethnographischer  und  demographischer  Richtung.  Ge 
ttUe  Aufsätze.  Vierteljährlich  1Ö0  fl.  ö.  W.  —  Budapest.  Mozsar- 


uuab- 


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Wcstöstllohe  Rundschau.  Politisch-literarische  Halbmonatsschrift  zur 
Pflege  der  Interessen  des  Dreibundes.  Hedacleur  Dr.  Karl  Siegen,  Verlag  Carl 
Reiszner,  beide  in  Leipzig. 

t :  i  MSsangelogtes,  hochzieliges  Programm.  Gediegene  Aufsätze  der  vor- 
zügliehsten  Schriftsteller  aller  Nationen.  Vierteljährlich  30  Bogen  grösstes  8  " 
Preis  3  fl.  Bureau  für  Ungarn:  Budapest,  Mozsär-utcza  8. 

Ethnologische  Mittellungen  am  Ungarn.  I.  Hand  4  Hefte  5  11.  —  IL  Bd. 
10  Hefte  3  fl.  —  111.  Bd.  (1893)  12  Hefte,  4  fl.  Nur  direct  vom  Herausgeber 
zu  beziehen.  (Budapest,  1.  Szent  < Jyörgy-utcza  2.) 


INHALT. 

Ihr.    Ii.    Munk'icni,    Über   die  heidnische  Religion  der    Wogulen.  III. 

uSchluss)    .    ,  181 

Ludtcifi  Kdhmitiy,  kinderschrecker  und  Kinderräuber  in  der  magyari- 
schen Volksüberlieferung.  (1.  Szepasszonyok  =  Schöne  Frauen). 
(Fortsetzung.)    .......   188 

Dr.  Friedrich  S.  Krams,  König  Mathias  und  Peter  Gereb.  (Ein  bulga- 
risches (iuslarenlied  aus  Bosnien).  IV.  (Fortsetzung)  Erläuterungen  197 

Harry,  Jannxen,  Ksthnischo  Volksmärchen.  III.  Sori  herra  söit,  (Die  Fahrt 

des  Herrn  von  Torgol)  200 

Friedrich  S.  Krttius,   Das  grosse  Sammelwerk  für  bulgarischen  Folklore 

.Fortsetzung)     .....       ■  205 

l.itteratur.  Sftur  Rartrln,  Die  Medicin  der  Naturvölker  (v.  H.  v.  Wlislokii  212 

Znr  Zigeunerkunde. 

hr.  H.  v.  \Vlinlwki,  Seelenloskauf  bei  den  mohammedanischen  Zigeunern 

der  Italkanländcr  »    .    •  IM 

Anton  Ilrrrmann,  Zigeunorsagen-  u.  dgl.   über  Erzherzog  Josef.  (IV.  Das 

umlaufeno  Land.)  204 

—  VoUtslieder  bosnisch-türkischer  Wanderzigeuner.  (VI  — XII)     ....  109 

—  Dokumente  zur  Geschichte  der  Zigeuner  (I.  Opinio  de  domiciüatione 

et  regulatione  Zingarorum.)  —  (Fortsetzung)  210 

Auf  dem  Umschlag:  An  die  g.  Mitglieder  der  Gvpsv  Lore  Society  — 
Bureau  der  Gesellschaft  für  die  Völkerkunde  lrugarn>       Ai: zeigen. 


»  * 

Ethnologische  Mitteilungen 

aus  Ungarn. 

Zeitschrift  für  die  Völkerkunde  Ungarns 

und  der  damit  io  ethnographischen  Bellenden  steheüenden  Länder. 

(Zugleich   Organ    für   allgemeine   Zlgeunei  künde.) 
Unter  dem  Protectorate  und  der  Mitwirkung 

Seiner  kais.  und  königl.  Hoheit  des  Herrn  Erzherzogs  Josef 

redigiert  und  herausgegeben  von 

Prof.  Dr.  Anton  Herrmann. 


III.   BAND.  Ö-IO.  HEFT. 


Red&ction  and  Administration  : 

Budapest,        Saent-Oyörfy.otcza  2. 


BUDAPEST,  1894. 

BUCHDRUCKEREI  E.  BORUTH 


Cirkvenioa. 

Seebad  und  klimatischer  Karort.  1VS  Stunden  von  Fiume,  2  Stunden 
von  der  Eisenbahnstation  Plase.  Angenehmster  Sommer-  und  Winteraufent- 
halt. Günstigste  Lage  am  Quarnero;  schönster  Punkt  des  herrlichen  Vino- 
doltales.  Überaus  bequeme  und  heilkräftige  Seebäder.  Ungewöhnlich  billige 
Preise. 

Das  Kurort-Unternehmen  steht  unter  dem  werktätigen  Protectorate 
Seiner  kais.  u.  kön.  Hoheit,  des  Herrn  Erzherzog  Josef,  der  in  seinem  dor- 
tigen prachtvoll  gelegenen  Schlosse  ein  wohltätiges  Sanatorium  für  Honved- 
ofn'ciere  gestiftet  hat. 


Ethnologische  Mitteilungen  aus  Ungarn.  1.  Band  4  Hette  5  fl.  — 
IL  Bd.  10  Hette  3  fl.  —  III.  Bd.  (1893)  12  Hefte  4  fl.  Nur  direct  vom  Heraus- 
geber au  beziehen.  (Budapest.  L  Szent  György-utcza  2.) 


Weitöstliohe  Bunds ohau.  Politisch-literarische  Halbmonatsschrift 
zur  Pflege  der  Interessen  des  Dreibundes.  Redaction  und  Verlag  von  Rosen- 
baum und  Hart,  Berlin. 

Grogsangelegtes,  hochzieliges  Programm.  Gediegene  Aufsatze  der  vor- 
züglichsten Schriftsteller  aller  Nationen.  Vierteljährlich  30  Bogen  grösstes  3°. 
Preis  8  fl.  Bureau  für  Ungarn:  Budapest,  Mozsar-utcza  8. 


Etat.  Halbmonatsschrift.  Einzige  durchaus  moderne,  vollständig  unab- 
hängige, unbedingt  liberale  magyarische  Zeitschrift.  Vornehmer  Inhalt,  beson- 
ders sociologischer,  ethnographischer  und  demograpbis-  her  Richtung.  Geist- 
volle, originelle  Aufsätze.  Vierteljährlich  1-60  fl.  ö.  W.  —  Budapest,  Mozsar- 
utcza  8. 


Am  Urquell.  MonaUchrift  für  Volkkuttd*.  Herausgegeben  von  Friedrich  S. 
Krauu.  (Wien,  VTL,  Neustiftgasse  12)  Preis  ganzjährig  4  Mark  oder  &  Kronen. 
—  Diese  billigste  und  interessanteste  Zeitschrift  für  Volkskunde  sei  allen 
Volksforschern  und  allen  Freunden  des  Volkstümlichen  aufs  angelegentlichste 
empfohlen.  _ 

-  -  -  —  .  —    .  -  — r 


Bureau  der  Gesellschaft  für  die  Völkerkunde  Ungarns. 

Vorstand:  Graf  Geza  Kuun.  Vorstandstellvertreter:  A.  Herrmann  und 
B.  Munkicsi.  Secretär :  B.  Vikar  (Budapest-,  L,  Gellerthegy  10,648,  Villa  Vikar). 
Schriftführer:  G.  Nagy.  Cassier:  J.  Zolnai.  Bibliothekar:  J.  Janko.  Redacteur 
des  Vereinsorgaus  „Ethnographiaw:  B.  Munkicsi  (Budapest,  Zerge-utcaa  27.J. 


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Ethnologische  Mitteilungen  ans  Ungarn. 

UNTER  DEM  P  ROTE  CTORATE  UNO  DER  MITWIRKUNG 

^Sr.  Unis*,  ti.  Uöriijrl.  Holieit  de«  Herrn  Erzlierzog  Josef 
REDIGIERT  U.  HERAUSGEGEBEN  VON  ÄNTON  J^ERRMANN. 

III.  Band.       Budapest,  1893.  Oktober — November.      9—10.  Heft. 


Kinderschrecker  und  Kinderräuber  in  der  magyarisch  en 

Volksüberlieferung. 

—    Von     Ludwig   Kälmdny.  — 
(Schluss.) 

Die  meisten  dieser  durch  die  genannten  Dinge  erregten  Krankheiten 
werden  vermittelst  Besprechungsformeln  geheilt.  Man  erzählt:  „Es 
war  ein  kleines  Mädchen  in  Monostor  (bei  Szeged);  das  Spülicht, 
welches  man  dem  Hunde  in  die  Traufe  trug,  führte  der  Wind  auf 
das  kleine  Mädchen.  Der  ganze  Körper  des  kleinen  Mädchens  war 
voll  Wunden :  es  begann  schon  zu  faulen,  aber  man  konnte  mit 
nichts  auf  der  Welt  ihm  helfen.  Eine  Frau  sagte:  dass  das  kleine 
Mädchen  in  die  Schüssel  der  Sz.  gestiegen  sei ;  man  solle  mit  ihm 
nichts  anderes,  nur  dies  vornehmen  :  Wenn  man  bäckt,  wasche  man 
sich  die  Hände  in  v$inem  Gefäss;  wenn  man  den  Sauerteig  aufgiesst, 
wasche  man  die  Härfde  gleichfalls  im  Wasser;  wenn  man  abgeknetet 
hat,  wasche  man  sich  die  Hände  gleichfalls  in  demselben  Wasser; 
wenn  man  einfrtjfzt  und  die  Laibe  abteilt,  wasche  man  sich  eben- 
falls in  demselben.  Dann  soll  man  das  kleine  Mädchen  dahin  führen, 
dann  soll  es  (seine  Wunden)  vor  dem  Backofen  nach  abwärts  mit 
diesem  Wasser  waschen;  hierauf  soll  es  das  Wasser  mit  der  Hand 
in  den  Backofen  giessen,  dann  spreche  es:  ,Szepa*$zonij,  du  hast  es 
gegeben,  du  nimm  es  weg!'  Dreimal  tat  man  dies  bei  dreimaligem 
Backen,  dann  gesundete  das  kleine  Mädchen  so,  dass  es  nur  kleine 
Wunden  hatte."1  „Wenn  der  Mensch  ein  Geschwür  hat,  soll  er  es 
mit  einem  Vierkreuzerstück  umkreisen,  werfe  das  Geldstück  mit  der  lin- 
ken Hand   weg ;   wer  es  findet,  auf  den  geht  das  Geschwür  über" 

•  Vgl.  Wenzig,  Westslav.  Märchenschatz  219.  —  Bei  Homorod-Karacson- 
tfrilva  (Siebenbürgen)  ist  ein  „Verpatak"  genannter  Bach,  zu  dem  die  Leute 
am  Georgstage  nicht  hingehen,  weil  dann  die  Szepasszonyok  dort  ihren  Un- 
fug treiben.  Vor  etwa  40  Jahren  kam  ein  Mann,  namens  Mihaly  Pali,  um 
Ruten  in  die  Gegend.  Er  «stieg  auf  einen  Baum,  um  sich  Ruten  zu  schneiden. 
Ks  war  gerade  Georgstag.  Da  kumen  zu  Mittag  die  Sz.  wie  der  Sturmwind 
heran;  unter  ihnen  befand  sich  auch  die  Frau  des  Mihaly  Pali.  Sie  ergriffen 
den  Mann,  tanzten  mit  ihm  herum  und  schleuderten  ihn  dann  in  den  tiefen 
Bach,  wo  er  lange  Zeit  hindurch  bewusstlos  lag.  Er  lebte  noch  viele  Jahre 
hindurch,  aber  er  hatte  die  Sprache  verloren  und  konnte  nur  die  Worte 
stottern  :  „J6,  harn,  jö  !"  (Gut,  mein  Sohn,  gut).  Sein  Söhnchen  war  bei  die- 
se© Vorfall  zugegen  gewesen. 

Http.  Mit*,  a.  Ungarn.  III.  15 


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214 


(aus  Szöreg).  Aehnlich  werden  Warzen  mit  Knochen  umkreiselt. 
„Warzen  soll  man  mit  ungesuchtem  Knochen  umkreisein,  denselben 
an  seinen  Ort  zurücklegen,  dies  2 — 3  Mal  tuend,  verschwindet  die 
Warze"  (aus  Klärafalva).  Nicht  die  Warze,  sondern  die  Erde  wird 
umkreiselt  beim  folgenden  Verfahren  :  .Wenn  jemand  Warzen  auf 
der  Hand  oder  auf  dem  Fusse  hat  und  will  sie  verschwinden 
machen,  so  ziehe  er  (mit  dem  Finger),  sobald  er  eine  Kröte  findet, 
um  selbe  auf  die  Erde  einen  Kreis,  so  wie  (die  Kröte)  eben  steht : 
dann  hebe  er  die  Kröte  auf,  reibe  mit  ihr  die  Warzen  ;  dann  lege  er 
sie  so  zurück,  wie  sie  vordem  gestanden"  (aus  Klärafalva).  Auch 
durch  mündliche  Mitteilung  glaubt  man  sich  von  Uebeln  befreien  zu 
können :  „Wenn  jemand  Katarrh  hat  und  darüber  sehr  klagt,  und 
man  darauf  nichts  erwidert,  so  geht  (der  Katarrh)  auf  den  über,  der 
stillschweigend  zuhörte;  wenn  man  aber  sagt:  ,Auch  unser  Ofen  ist 
davon  zersprungen!'  dann  schadet  es  nicht"  (aus  Szeged).  .Wer  an 
Hand  oder  Fuss  Warzen  hat,  reibe  sie  mit  dem  Blute  des  Maul- 
wurfes ein,  welchen  er  vor  dem  Georgstag  gefangen  hat"  (aus  Klära- 
falva). „Wenn  der  Mensch  Ausschlag,  Geschwüre  hat,  soll  man  Don- 
nerstag Kleinfrüchte  (Hirse  u.  dgl.)  kochen,  damit  abends  und  vor 
Sonnenaufgang  die  Wunden  nach  auswärts  waschen"  (aus  Szeged). 
Durch  Hirseopfer  vertreiben  auch  die  Mordwinen  die  Epidemien 
und  andere  Krankheiten.1 

Die  magyarische  Szipatsznny  ist  in  mancher  Beziehung  ein 
der  germanischen  Hei  verwandtes  Wesen.2  Der  Ueberlieferung  ge- 
mäss hat  die  Szepaxszonif  diesen  ihren  Namen  erst  dann  erhalten, 
als  sie  sich  vergass  (d.  h.  treulos  ward).  „Es  ist  nicht  gut,  ihren 
Namen  zu  erwähnen,  denn  es  kann  Unheil  bringen"  (aus  Szöreg).:{ 
Wenn  auch  heutzutage  die  Krankheiten  im  magyar.  Volksglauben 
als  .Gegenstände"  erscheinen,  welche  von  der  Sz.  erzeugt  werden, 
so  mögen  sie  doch  in  früheren  Zeiten  Krankheitsgeister  und  zwar 

1  Borna.  A  mordvaiak  pogany  istenei  (D.  heid.  Götter  der  Mordw.)  3f>, 
88.  —  *  Die  Türschwelle  von  Hel's  Wohnung  ist  die  List.  Im  Magyarischen 
hat  auch  die  Hölle  eine  Schwelle,  an  der  sich  betrunkene  Menschen  die 
Köpfe  schlagen.  „Von  dem  Menschen  sagt  man,  dass  er  seinen  Kopf  an  die 
Schwelle  der  Hölle  geschlagen  habe,  welcher  (im  Rausch«)  sich  beschädigt" 
(aus  Szeged).  —  3  Furcht  bewog  auch  die  Bewohner  des  Honter  Komitates. 
das«  sie  den  Oespenstern  (Kitfrtet)  den  Namen  Csifraa&szony  (schmuckes 
Weib)  gaben  ;  Ipolyi  a.  a.  O.  445.  Einmal  sagte  ich  :  „Der  Regen  rieselt",  (az  e»i> 
szemzik)  (szem  =  Auge,  Kern),  sofort  machte  man  mich  aufmerksam,  dass  es 
nicht  gut  sei,  so  zu  sprechen,  weil  sich  dann  der  Teufel  treue,  indem  sein 
Sohn  auch  Szomzik  heisse  (Szöreg).  Bei  einer  anderen  Gelegenheit  kam  die 
Rede  auf  die  Abzweigungen  der  Milchstrasse;  leicht  konnte  ich  erfahren, 
dnss  der  eine  Weg  in  den  Himmel  führt,  aber  erst  nach  langem  Zaudern 
und  Hin-  und  Herreden  sagte  mir  mein  Gewährsmann,  dass  der  andere  Weg 
in  die  Hölle  führe.  (Szeged— Kiralyhahna.)  Ein  anderes  Mal  sammelte  ich 
Daten  über  den  magyar.  Krankheitsgeist  Fene;  da  wollte  mein  Gewährsmann 
die  Krankheit:  Krebs,  welche  das  Volk  fene  heisst,  durchaus  nicht  bei  diesem 
Namen  nennen,  sondern  nannte  sie  umschrieben :  „schlechte,  hässliche 
Krankheit".  Die  Wogulen,  den  Bären  für  eine  rächende  Gottheit  haltend, 
nennen  ihn  umschrieben  :  Honigptbte,  Waldapfel  u.  s.  w.  s.  //«n/n/ry,  Reguly 
hagvomanyai  (Reguly's  Nachlas«)  I.  105,  ÜJo,  225.  Auch  die  Slaven  nennen 
die  Vilen  oft  nur  „sie*. 


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215 


die  Kinder  der  Szepas,<zontj  gewesen  sein.  Die  Kinder  der  finnischen 
Loviatar  sind  Geister  und  Krankheiten.1  Bei  den  Mongolon  sind  die 
Kinder  der  w Bergfrau "  auch  Krankheitsgeister.2  Die  Szfpasszonii  ist 
in  jeder  Beziehung  der  Gegensatz  der  liolthx/as^zorti/,  wovon  uns 
seihst  die  flüchtigste  Vergleichung  überzeugt.  Ursprünglich  waren 
beide  Wesen  eins.  Das  Schamanentum  teilt  die  überirdischen  Wesen 
nicht  abgesondert  in  gute  und  böse  ;  sie  sind  sowol  gut,  als  auch 
böse.  Die  Sz"pa.*szony  und  auch  zum  Teil  die  Hohioyassznni/  vereini- 
gen noch  im  letzten  Nachklang  beide  Eigenschaften  in  sich.  Nur  in 
der  Szegeder  Gegend  hat  sich  der  diesbezügliche  Volksglaube  in  den 
vorgeführten  Zügen  erhalten.  Dass  die  Szepaaszoni/  nicht  mit  den  süd- 
slavischen  Vilen  identificiert  werden  kann,  zeigt  u.  A.  auch  der 
Umstand,  dass  die  Sz.  nicht  stirbt  und  sich  keinem  Sterblichen  hin- 
geben kann. 

II.  Köpe. 

Viel  ist  in  der  magyar.  Philologie  um  dies  Wort  herumgestritten 
worden.  Die  einen  leiten  es  von  rumänisch  copilu  (infans,  puer,  filius. 
natus),  andere  wieder  vom  deutschen  Kobold  ab;  einige  bringen  es 
sogar  mit  altgriech.  xöfia>.o;  in  Verbindung.  Die  Ableitung  von  mpilu 
wird  allgemein  für  die  richtige  gehalten.3  K6p4  bedeutet  im  Csanader 
Komitat  und  in  der  Temes-Gegend :  pfiffiger,  hinterlistiger,  unartiger 
Kerl;  in  der  Szegeder  Gegend  hat  es  dieselbe  Bedeutung;  in  den 
alten  magy.  Sprachdenkmälern  bedeutet  KöpL  Köbe.  Gäbe  =  scurra. 
nebulo,  joculator.  Ferner  bedeutet  dies  Wort  in  der  Szegeder  Gegend 
beim  sog.  Köpe-Spiel  die  erste  und  letze  der  in  einer  Reihe  aufge- 
stellten Nüsse.4 

1  Ca»trrn,  Vöries,  über  die  finn.  Mvthol.  132.  —  4  Bastian,  ü.  Yölk.  d. 
westl.  Asiens,  VI.,  583. 

1  S.  die  Ztschr.  „Magyar  Nyelvör"  XVI.,  29,  182.226.;  Simonyi,  Magyar 
nyelv  (magy.  Sprache^.  I.,  11H.  —  4  Dies  Spiel  besteht  aus  folgenden:  Die 
Anzahl  der  Spieler  ist  eine  beliebige:  gewöhnlich  spielen  es  8 — 10.  Jeder 
gibt  2  Nüsse:  alle  Nüsse  werden  dann  in  eine  Reihe  der  Grösse  nach  aut 
die  Erd«*  gelegt;  die  grösste  heisst  der  „grosse  KöpeM,  die  kleinste  der 
„kleine  K6p6u.  Von  dieser  Nussreihe  aus  rollt  nun  jeder  Spieler  eine  Nuss 
hinaus:  wo  dieselbe  stehen  bleibt,  dort  stellt  er  sich  aut  Wessen  Nuss  am 
nächsten  zur  Reihe  steht,  hat  das  Vorrecht,  sich  hinter  die  Reihe  zu  stellen 
und  die  „Kartätsche"  (eine  nussgrosse  eiserne  Kugel,  mit  welcher  die  ande- 
ren Spieler  auf  die  Nussreihe  losrollen)  mit  dem  Fuss  aufzuhalten  und  dem 
kommenden  Spieler  zuzuschieben.  Will  aber  ein  anderer  diese  Stelle  hinter 
der  Nussreihe  einnehmen,  so  muss  er  dafür  2  Nüsse  neben  den  „kleinen 
Köp6u  hinstellen.  Nun  rollt  mit  der  Kartätsche  auf  die  Nüsae  derjenige  los, 
welcher  von  der  Reihe  am  entferntesten  steht.  Trifft  er  mit  der  Kartätsche 
den  ,.grossen  K6pe"  so  gehört  ihm  die  ganze  Nussreihe  ;  trifft  er  aber  z.  B. 
die  siebente  Nuss,  so  gehören  ihm  die  nachfolgenden  Nüsse,  einschliesslich 
des  „kleinen  K6p6w.  Dann  rollt  der  zweit  entfernteste  u.  8.  w.  Wenn  alle 
geschoben  haben,  so  gehört  der  Rest  der  Nussreihe  demjenigen,  welcher  hin- 
ter derselben  gestanden  ist  (aus  Szeged).  [Ganz  so  wird  es  auch  in  der  nur 
von  Juden  bewohnten  Siebenbürgischen  Gemeinde  Intradam  (bei  Naszöd)  am 
Laubhüttenfest  gespielt.  Anmerk.  der  Redact.j 

15* 


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•21») 


Ferner  ist  der  K.  ein  kinderschreckendes  Wesen  und  hat 
mehrere  .seinesgleichen.  In  einem  Kinderlied»?  aus  Hödmezövasarhely 
stellt  der  K.  mit  einer  grüuhutigen  Hexe  in  Verbindung.1  Die  K. 
hausen  unter  der  Erde,-  sie  sind  militärisch  organisiert  und  haben 
einen  Anführer.  .Die  K.  sind  ihrer  viele;  sie  gehen  mit  grosse» 
Stöcken  herum,  aber  nur  einer  ist  der  Kii/n;  ihr  Anführer;  die  an- 
deren sind  seine  Soldaten;  unterhalb  dieser  Erde  gibt  es  noch  eine 
Welt:  dort  ist  ihr  Reich;  der  K.  ist  ein  erschreckender  ((iei^-t).' 
(aus  Szöreg).  1  >a  nur  der  Anführer  der  eigentliche  K.  ist,  so  mag 
dies  Wort  vielleicht  einmal  eine  Würde  bezeichnet  haben.  Im 
mitgeteilten  Spiel  heissen  auch  nur  die  beiden  Nüsse  Küpe,  welch»' 
sich  an  den  beiden  Huden  der  Reihe  befinden.  Stephan  Sandor* 
hält  K.  für  =  ioculator ;  möglich,  dass  das  Volk  einst  dem  Anführer 
der  herumreisenden  Spassmacher  auch  K.  nannte.  Als  WatTe  wird 
ihnen  auch  das  Messer  verliehen.  .Der  K.  beunruhigte  da>  Kind  im 
Sziget  mit  einem  Messer"  (aus  U-Szent-Ivan).  Vergl.  Simrok.  D 
Myth.  457.  „Fr  hat  eine  rote  Hose  und  einen  schwarzen  Schnur- 
bart,  einen  langen  Hart;  er  ist  2  Spannen  gross,  in  Sziget  hat  man 
sich  mit  ihm  auch  schon  herumgestritten.  Der  K.  hinkt  auf  einem 
Fusse :  seine  Nase  steht  schief;  seine  Augen  glänzen  wie  die  der 
Katze,  er  hat  so  lange  Nägel,  wie  ein  Finger  des  Menschen  lang  i>t , 
sein  Handrücken  ist  so  gross,  wie  ein  grosser  Hut"  (aus  Szöreg). 
„Einmal  kam  der  K.  in  den  Keller  herauf,  da  war  ein  kleines  Kind, 
er  bat  Brot  und  Salz.  Das  kleine  Kind  lief  hinaus  und  erschrak 
sehr.  Der  K.  sticht  mit  seiner  Stiefelnase  die  Krde.  Fr  hat  ein 
grosses  Messer  bei  sich.  Wenn  er  in  die  Frde  hinab  will,  so  stiehl 
■  er  die  Krde  nur  mit  der  Spitze  seiner  Stiefel.  Wen  er  ergreift,  den  trägt 
«er  weg:  auch  die  Hundejungen  schleppt  er  fort:  er  bittet  stet- 
Gott,  dass  er  Kinder  morden  könne.  Man  muss  Steine  in  die 
Frde  stampfen,  hinahstossen,  damit  der  K.  heraufkomme*  um- 
Ö-Szent-Ivaiu.  Von  mehreren  Leuten  in  Ü-Szcnt-lvän  erzählt  man 
sieh,  dass  sie  sich  mit  dem  K.  herumgebalgt  haben.  Aber  auch  al- 
hilfreiches  Wesen  erseheint  der  küp.  .Kinmal  verlangte  eine  Maul 
vom  K.  (ield  auf  Schuhe.  Kam  zu  ihr  ein  Mann  herein,  nahm  sie 
mit  sieh  und  führte  sie  in  ein  baufälliges  Haus.  Fr  gab  ihr  Hehl, 
enlliess  sie  nach  Hause;  und  die  Maid  gieng  3  Wochen  lang,  und 
dofh  gelangte  sie  kaum  heim:  mit  dem  (jelde  kaufte  sie  sich  Schuhe" 
(au-  Lörinczfalva).  In  Lörinc/.falva  erzählt  man:  „  Das  ist  der  Teufel : 
denn  einmal  versammelten  sich  die  Menschen,  damit  sie  vom  K. 
(ield  verlangen.  Sie  begannen  -eine  Historie  zu  lesen;  da  hörten  sie 
auf  einmal  grosses  Kauschen.  Sie  erschraken  so  sehr,  dass  ein  Teil 
starh,  ein  Teil  krank  ward.  Der  K.  verwandelt  sich  in  das,  in  wa> 
er  eben  will.  Er  sagte  t  damals  i:  wer  Geld  brauche,  der  komme  mit 
ihm:  und  keiner  getraute  sich,  mit  ihm  zu  gehen."  —  Den  K.  kann  man 
vermittelst  eines  Messers   heraufbeschwören.    „In    Kis-Sziget  stach 

Magyar  nttpkültesi  gyüjtetntMiv  ^s»»mutl    magv.  VoJksdicht.i   II.,  '2*;.' 
*  Vgl.  d.  imlisrhe  U*p4;  Kotrm,  iK  K«l.  d.  Budhn  I  .  lk).  -  3  Zuehr.  Magyar 
Nvelvör  XVI.  30.  -  V 


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217 


man  bei  der  Rosa  Csipak  ein  grosses  Messer  in  die  Erde ;  dann 
legte  man  auf  eine  Brotkrume  Salz;  auch  die  Maid  war  in  der 
verdunkelten  Stube  zugegen.  Dann  sprach  man :  ,Steh  auf,  Kopi,  um  zu 
klopfen,  den  hl.  Georg  zu  erschrecken!  Hier  dein  Vater,  hier  deine 
Mutter  essen  gesalzenes  Brot  !4  Man  erzählt,  dass  K.  dann  ein  halbes 
Brotlaib  und  3  Pfannen  Kuchen  heraufgebracht  habe ;  es  (Brot)  war 
ganz  schimmelig,  die  Maid  musste  aber  davon  essen,  denn  sonst  hätte 
sie  der  K.  gefressen  oder  sie  getötet"  (aus  Ö-Szent-Ivan).  In  Szöreg 
berichtet  man :  „Wenn  man  den  K.  heraufruft,  so  legt  man  anf  die 
4  Ecken  des  Tisches  Salz,  Brot,  Löffel,  Gabel.  Die  Frau  kriecht  unter 
das  Bett;  die  anderen  treibt  sie  aus  der  Stube,  dann  spricht  sie: 
„Komm  herauf,  K.,  um  zu  schrecken!"  Dann  kam  der  K.  unter 
der  Erde  hervor,  rasselte,  klapperte,  stampfte  das  Bett,  unter  dem 
sich  die  Frau  befand ;  bis  die  Frau  nicht  wie  ein  kleiner  Bock 
blockte,  gieng  er  nicht  hinaus/  In  Särret  (nicht  in  der  Szegeder 
Gegend)  singen  die  Kinder,  während  sie  Gebärden  des  Schreckens 
machen,  dies  Lied :  „Komm  herauf.  Koppe,  Um  zu  klopfen'  Auf  gol- 
denem Wagen,  Den  Georg  Lengyel  zu  hauen,  Auf  silbernem  Wagen. 
Sieh,  dort  kommt  der  Teufel  In  seinem  grünen  Kleid,  Auch  Georg 
L.  erscheint,  Von  seinem  roten  Haarschopf  Tropft  der  Russ."  — 
In  andern  Lockliedern  wird  er  hervorgerufen  um  „Kerzen  des  hl. 
Georg  zu  besuchen"  {Szrnt  György  gyertydt  lätogatni),  oder  „hl. 
Georg  zu  besuchen"  (Szent  György  Gyurkdt  Idtoqatni),  „goldenen 
Frosch  zu  besuchen"  (Arany  he"  hat  Idtogatni),  „hl.  Georg's  Pilse  zu 
begrüssen"  (Szent  György  gomhdt  kffuzönteni),  „Set.  Georg's  Fahne  zu 
schwenken*  (Szent  György  zdtzW  lobogtatni).  Zu  bemerken  ist,  dass 
nach  magy.  Volksglauben  die  Hexen  in  der  Georgsnacht  mit  Fahnen 
nach  ihrem  Versammlungsort  ziehen. 

In  Tape  nennt  man  den  Köpe  auch  Pope",  wozu  das  deutsche: 
Popele  heranzuziehen  ist.  Spuren  der  deutschen,  aus  Wachs  ver- 
fertigten Koboldfiguren  finden  wir  auch  in  der  Szegeder  Ueber- 
lieferung,  der  zufolge  der  Küpt  mit  Figuren  d.  h.  Puppen  (buka) 
die  Menschen  schädigt.  In  Lörinczfalva  erzählt  man:  „Der  K.  isst 
gerade  so  wie  ein  Mensch,  Salz,  Paprika,  Brot;  er  nimmt  gesal- 
zenes Brot,  wickelt  es  in  einen  weissen  Fetzen,  das  legt  er  demjenigen 
ins  Bett,  den  er  schädigt;  dieser  denkt,  es  sei  eine  Puppe,  und  wirft  sie 
hinaus;  das  ist  eben  Behexung."  Auch  in  der  tamulischen  Sprache2 
hat  noch  Koppu  die  Bedeutung  des  magyarischen  /w>/V,  der  seinen 
Eigenschaften  nach  dem  deutschen  Kobold  entspricht,  und  keines- 
wegs dem  rumänischen  eopilu,1  welches  nur  die  Bedeutung  von: 

1  Vgl.  Das  ungarische  Insurgentenlied  am  Ende  des  vorigen  Jahrhun- 
dert: Gyere  kop6  kopogtatni,  Magyar  földet  bujtogatni  (komm,  K6p6  klopfen. 
Ungarisches  Land  autwiegeln.)  vorgetragen  von  .1.  Kaldy  am  20.  Mai  I.  J. 
im  (Joncert  der  Gesellsch.  tür  Völkerkunde  Ungarns.  —  *  Vt^l.  Grimm,  D.  M. 
285.  618.  —  1  (Jahr.  Jidlint,  in  der  Ztschr.  „Az  erdelyi  Muzeumegyl.  kiadv.4* 
V.  21S.  —  *  Im  Lappischen  heist  Kropes  =  Hexe ;  Castre»,  a.  a.  O.  125.  Im 
Wogulischen  kvojp  =  Zaubertrommel,  welche  lapp.  Gobodes,  Gobdas  heisst: 
ein  Musikinstrument  der  alten  Magyaren  heisst  koboz,  ein  Zauberinstrument 
bei  den  Türken  in  Centraiasien  Kobuz. 


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■jjs 


Kind,  Sohn,  Knabe  hat.  Im  Finnischen  heisst  nach  Renvnll  KöujfH  — 
Waldgespenst,  nach  Ganander  aber  ist  es  ein  menschlicher  Gei^t, 
der  den  Menschen  gefährlich  ist.  Castren  leitet  dies  Wort  aus  dem 
deutschen  Kobold  ah.  Indem  aber  der  magyarische  ÄV»/»e;  sich 
sprachlich  und  mythisch  bei  den  verwandten  Völkern  nachweixn 
lässt.  so  ist  an  eine  Entlehnung  aus  dem  Deutschen  wohl  kaum  zu 
denken. 

III.  Ärkus-barkus,  Bagus,  Bubusf  Mumus.  Konkus.  Lele,  Mokan. 

l'eber  diese  kinderschreckenden,  beziehungsweise  kinderrauben- 
den W  esen  können  wir  vorderhand  gar  wenig  mitteilen.  1.  A rktt* -hat  - 
hu-.  In  einer  dunklen  Stube  versteckt  sich  ein  Kind  :  ein  anderes,  das 
gewöhnlich  nichts  hievon  weiss,  wird  in  die  Stube  hineingeschickt. 
oder  zum  Hineingehen  durch  das  Los  bestimmt.  Wenn  das  Kind 
hineingeht,  ziehen  seine  Kameraden  die  Türe  an,  damit  es  nicht 
heraus  kann,  und  rufen:  «Arkus  bärkus.  Komm  herauf  zur  Tür!  Iiier 
ist  dein  Vater,  deine  Mutter:  Gesalzenes  Hrod  essen  sie.  Mit  Kür- 
bissen lauten  sie."  Das  versteckte  Kind  ergreift  nun  das  andere, 
worauf  dieses  erschreckt  aufschreit  ivon  einem  aus  Felegyhäza  nach 
Szeged  Eingewanderten).  Mit  Borkn*  stimmt  lautlich  Barlcö  überein. 
über  welchen  wir  nur  so  viel  verzeichnet  finden:  „Bmko  en<jr»i  not/ 
ftft/illifrn,  ü  h'k  nthi.  hotfit  wt'inj  nojuon  <t  f,olnirhttn  .'"  i=  B.  möge  mir 
so  helfen,  ich  fürchtete,  dass  sich  Gift  im  Hecher  befinde. » 1  B<ui{mst 
ist  der  Xame  eine-  Kobolde-  in  England;-  vgl.  den  deutschen  Vm-yu* 
—  Wolf  und  das  serb.  und  slovak.  nv«/,  poln.  uroq  =  Teufel :<  — 
'2.  Buijtts,  B»!u*  Balkus  Wenn  in  Szöreg  das  Kind  weint,  geht 
jemand  aus  der  Stube  hinaus  und  klopft  an  die  Türe,  worauf  die 
im  Zimmer  befindlichen  sagen:  „Es  kommt  der  Bakkus!*  Ein  aus 
einem  Tueli  geformter  ..Hase",  welchen  man  streichelt  und  dann 
dem  Kinde  zuwirft,  heisst  auch  Bakku*.  In  Egvhazas-Ker  sagt  man: 
.Dort  kommt  der  Bukkus!  Wehe,  es  kommt  der  Boius  .'"  Vgl.  den 
slavischen  Gott  Bnuju  ffrmtiti*.  Bowjfndtis,*  den  ostjakischen.  un- 
terirdi-cheii  Gott  B'tnfjuu.*7'  I].  Buhns,  Barnims.  Munnt*.  „Bald  trägt 
dich  der  Buhns  fort !"  mit  diesen  Worten  schreckt  man  die  Kinder 
in  Egvhazas-Ker.  .Man  klopft  ans  Bett,  das  Kind  erschrickt:  man 
sagt  ihm:  .Schweig,  denn  es  kommt  der  Buhns"  <aus  Lörinczfalva •. 
In  Szöreg  sagt  man  auch  Mutnus.  —  4.  K»ko>\  Koku*.  Konkus.  Kon- 
kus .Es  kommt,  trägt  «lieh  fort,  frisst  dich  der  AM/.ok  ."*  »Szeged- 
Madaräsztö.)  Ebenda  nennt  man  auch  den  erwähnten  .Hasen"  : 
Kokös.  .Schweig,  denn  es  kommt  iler  K<>kus.  trägt  dich  fort  !*  (Gsanäd- 
Palota).  In  Felegyhäza  heisst  er  Konkos.  Konkus.  .Bleib  sitzen :  denn 
sonst  trägt  dich  der  Kunku*  fort!  Es  kommt  der  Konkos  l"  —  .">.  Ltlt. 
In  Szeged  ereignete  es  sich  im  vorigen  Decennium  bei  der  Wallfahrt 
5.  AugA  dass  Frauen  aus  Felegyhäza  von  «1er  Ankunft   der  Wall- 

1  Magyar  nvelvtört^n^ti  szötar  [  =  magy.  •»jirnclihist  L*-x  )  1..  — 
-'  ft rtmm,  Mvth.  '2\*2.  —  *  Onmm.bbl.  —  *  S<A»o/i\\  Mvtli.  tl.  Slav.  122.  —  *  Outrin, 
a.  a.  0.  _'*s. 


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2r.t 


f ahrer  aus  der  Gemeinde  Lele  hörten,  und  darüber  sehr  erschraken, 
indem  sie  fortwährend  sagten:  „Wehe,  es  kommen  die  Lele!"  Der 
Sache  nachforschend,  erfuhr  ich,  dass  Lrle  ein  spukender  Geist 
sei;  dass  er  in  letzterer  Zeit  in  Felejryhäza  zwei  kleinen  Mädchen 
unreife  Kirschen  gebracht,  vordem  aber  Kinder  geraubt  habe  ;  vgl. 
die  hie  der  Slaven.1  —  6.  \I6kd,  Mokdn.  Ital.  macnn  =  Kind,  kelt. 
makan  =  Jüngling,  rum.  mocan  =  Dorfbewohner,  simpler,  unerfah- 
rener Mensch,  magyarisch :  mokdny  =  wild,  wildes,  unbändiges  Kind. 
Ausserdem  ist  im  Magyar.  Mokdn  auch  als  kinderschreckendes 
Wesen  bekannt:  „Schlafet,  es  kommt  der  M. !"  Lieber  ihn  konnte 
ich  etwas  nur  von  einem  Manne  erfahren,  der  lange  in  der  Fremde 
geweilt  hat:  .Der  M.  ist  einbeinig.  Der  M.  haust  unter  dem  Bett, 
oder  unter  der  Feuerstätte;  er  ist  so  wie  eine  Euleu  (aus  Magyar- 
Szent-Märton4'.  Bei  den  Slaven  fand  ich  einen  verwandten  Geist,  den 
Macha,2  der  jedoch  nicht  die  Gestalt  einer  Eule  hat.  In  Nagy- 
Becskerek  sagt  man:  -Schweig,  es  kommt  der  Pdczö :  er  trägt  dich 
fort!"  Pdczd  ist  die  volkstümliche  Form  von  poezok  ==  Ratte.  Mög- 
lich, dass  in  alten  Zeiten  auch  Mokdn  der  Name  eines  Tieres  (etwa 
der  Eule)  gewesen  ist,  bevor  daraus  ein  kinderschreckendes  Wesen 
geworden. a 


Beiträge  zur  Geschichte  des  Vampyrismus  in  Sttdungarn 4 


Joannes  Räcz  de  Mehadia,  Verwalter  de»  Lugos-Facseter  Districts 
machte  im  Jahre  1725  über  einen  zu  Herinbiesch  grassierenden  Vainpyr  an  den 
Oberinspector  Baron  v.  KebenstichBericht,  worauf  dieser  unterm  81.  Marz 
d.  J.  den  Verwalter  beauftragte,  die  in  Verdacht  verfallene  Zauberin  von 
ihrer  dermaligeu  Grabstätte  zu  erheben  und  zu  besichtigen,  von  dem  wah- 
ren Befund  aber  zuverlässigen  Bericht  zu  erstatten. 

Hierauf  berichtete  der  Verwalter  unterm  3.  April  n.  J.  Folgendes: 

.,Auss  Kiner  I.öbl.  Kays.  Administration  Gnädigen  Betehlich  habe  we- 
gen der  zu  llninbiesch  in  Verdacht  gehabten  Zauberer  den  Gegenschreiber 
dahien  geschickt,  dass  Grab  eröffnen  zu  lassen:  Welcher  auch  Befunden,  dass 
derselbte  Verstorbene  Also  friescher  undt  unversehrter,  ja  die  rechte  handt 
Beym  Mündt,  Gehabter,  mit  dem  Kopf  Gegen  die  rechte  seithen  Verwendeter 
Gelegen  undt  Unter  dem  Kopf  b'uth  gesehen  worden  :  Also  dass  kein  andere 
Muthmassung,  weilen  der  Körper  doch  schon  über  drey  Monath  in  der  Er- 
den lieget,  undt.  keine  Versehrung  an  Ihme  Gefunden  kann  werden,  dass  die- 
ser der  Biutlisaugerer  sein  muss.  Wessentwegen  Von  Einer  Löbl.  Kayserl. 
Administration  gewärtig  Bien  dehro  Gnädigen  Befehlich,  wass  fernerhieu  mit 
diesem  Körper  zu  thuen  sey,  weilen  solcher  in  eröffnetem  Grabe  mit  dabey 
haltender  Wacht  lieget." 

Auf  diesen  Bericht  des  Verwalters  lolgte  unterm  10.  April  1726  der 
Bescheid,  dass  „nachdem  sich  in  genauer  Untersuchung  gezaiget,  dass  der 
in  Verdacht  gewesene  Zauberer  auf  die  beschriebene  arth  und  weise  auss 
billichen  verdacht  alss  ein  blutsaugerer  zu  achten,  So  kan  derselbe  (nämlich 


1  Harnisch,  Wissensch.  d.  Sl.  Mythus  848.  —  s  Hanusch,  834.  —  »  Diese 


ist  mittlerweile  auch  ungarisch  „Kthnographia"  IV.  225— üi7  und  31 1—3 :2  er- 
schienen, sowie  hieraus  in  Separatabdruck :  Gyermekijesztök  es  rablok  nyelv- 
hagyomanyainkban.  Budapest  1SH3.  82.  S.  Red. 
*  Vgl.  Ethnologische  Mitteilungen  aus  Ungarn,  I.  Sp.  162—164. 


höchst  verdienten  Mitarbeiters 


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'2.V 


der  Verwalter}  nach  mit  dem  körper  ohne  weiters  dasjenige  vol  führen  las- 
sen, was  man  sonsten  in  »lerley  begebenheiten  dieser  Zeithero  zu  beobachten 
gewöhnet  und  practicirt  hat."  (l'ng.  Landesarchiv,  Temesvarer  Adm.  Acten, 
Fase.  Nr.  Vit).; 

L'ebrigens  finden  sich  in  alten  Schritten  der  ehemaligen  Banater  Lan- 
desadministration tulgende,  auf  Vainpyre  bezügliche  I  >afen  vor,  welche  zu 
Genüge  beweisen,  dass  der  Glaube  au  Blutsaurer  in  dortiger  Gegend  alige- 
mein verbreitet  war: 

t,l72*i.  1.  Aug.  ■—  Der  Fnterverwalter  des  Lugos-Facsetcr  Districts 
bittet,  womit  Anlass  des  zu  liabscha  verbrannten  Blutsaugers  die  Excommo- 
nieirung  der  Bahschaer  Gemeinde  bei  dem  hiesigen  Bischof  unentgeltlich 
widerrufend  gemacht  wolle.  (Rot.  Lugos-  Faeseter  Verwalteramt,  I  1 72.").  IS. 

I72n\  21.  .Jänner.  —  Oberverwalter  des  nämlichen  Districts  Räcz  be- 
richtet, dass  er  nach  Absterben  vieler  lAtgow  Insasse n  ein  verstorbenes 
altes  Weib  als  Blutsängerin  ans  der  Grabstatt  erhober.  derselben  nach 
kennt  liehen  Wahrzeichen  den  Kopf  mit  einer  Schaufel  abstoßen  liest*  und 
wegen  derselben  Verbrennung  sich  unter  einem  die  Weisung  erbittet.  Rot 
Lug.-Facseter  Verwalteramt,  I,  1726,  2.  ) 

174.S.  12.  Juni.  —  Karsnsebeser  Verwalteramt  erstattet  Bericht  auf  die 
unterm  h.  ejusdem  erlassene  Verordnung  in  Bette  ft  des  dortigen  Protopopen. 
nämlich  dass  selber  die  Kirche  sperren  und  auch  die  Todten  durch  die  unter 
stehendtn  Popen  nicht  gehörig  beerdigen  lassen  hat.  Derselbe  äusserte  sieb, 
dass  ihm  dieser  Befeiil  von  seinem  Bis»  bot  ertheilt  wordtn,  weil  er  ihm  an- 
zeigte, dass  die  dortigen  Insassen  11  Todte  ausgegraben,  welche  sie  als 
Blutsäugers  angeschen,  selbe  fheils  verbrannt,  theils  aber  mit  siedendem 
Wasser  begossi  n  und  solche  sodann  wieder  beerdigt,  ohne  Vorwissen  der 
Kirche,  —  damit  selbe  von  dein  Aberglauben  gestört  (sie  .( Rot.  Karanscbeser 
Verwalteramt  III,  r>'.U 

I7*i!.  'J6.  Feber.  Pancsovaer  Verwalteramt  zeigt  an.  dass  in  dem  Ort 
Kubin  ein  Blutsauger  sie  alle  Nacht  so  behellige,  dass  sie  das  Dorf  meiden 
wollen:  daher  der  hierwegen  in  Verdacht  gekommene  verstorbene  Marinko 
Kalaritt  in  (Gegenwart  der  Gemeinde  und  Offiziere  ausgegraben,  durch  den 
Ar/ten  visitirt  und  voll  frischen  Bluts  gefunden:  daher  auch  zur  Beruhi- 
gung der  Gemeinde  verbrannt  worden  sei.  'Rot.  Pancsovaer  Verwalteramt 
III,  10b. 

17">2.  Feber.  —  A  ministration  bedeutet  dem  Pancsovaer  Verwalter- 
«mt,  dass  nach  einer  an  das  Generalkommando  in  »-einem  Wege  geschehenen 
Anzeige,  einige  Ihliblatrr  l'nterthanen  vier  verstorbene  Körper  als  vermeinte 
Vampir  ausgegraben,  das  Herz  gekocht  und  zerschiedene  abergläubische 
l'nternehnuirgeii  gemacht:  dieser  vom  Amte  nicht  beobachtete  Fall  wird 
»lein  Verwalteranit  nachdrucksamst  verhoben  und  die  Krörterung  der  Thäter 
verordnet.  (Rot.  Pancs.  Vit«  ramt  III.  1*>0.) 

1752.  20.  Feber.  —  Karansebeser  Verwalteramt  zeigt  «n,  dass  die  N/<i- 
tinaer  dortigen  Disti  ictsuntertbanon  wegen  eingerissenen  häutigen  TodfUllen 
unter  «lern  Voi wände  Blutsauger  4  Menschen  bei  »  r  Geschlechts  au-  dem 
Gottesacker  ausgegeben,  das  r  ingeweide  herausgeschnitten,  sodann  ver- 
kehrter wieder  beerdiget,  welches  «lenenselben  sowohl  von  Sei'e  des  Ver- 
walteramts, als  auch  der  Geistlichkeit  nuter  schä-rfoster  Strafe  verboten 
ward.  iRot.  Karnns.  Vlt»ramt  III.  Hü'.j 

l7fi3.  II.  .Dinner  —  Ftpalaukaer  Verwalteranit  berichtet,  dass  zu  h'lrin- 
Dikran  in  einer  kurzen  Zeit  :ut,  und  zu  Haknxdm  io  Personen,  muthmasslich 
wegen  »1er  Vampir-,  verstorben  sind  und  bittet  in  hachen  das  »forderliche 
einzuleiten.    Rot    l'.ipal.  Viteramt,  III.  2M.. 

175!.  .2.  .Dinner.  —  Administration  befiehlt  dem  Verv» altoramte  die- 
jenigen Schrbrllrr  l'nterthanen.  weiche  sich  erkle.-ket  sie  .  <»hne  Vorwissen  der 
Beamten  »Irei  Per-onen.  niitulich  zwei  Männer  und  ein  Weib,  aus  Verdacht 
Vampirs  zu  sein,  eigenmächtig  auszugraben  und  zu  verbrennen,  auf  1  l  Tage 
beim  Amte  in  Arrest  zu  halten.  (Rot.  <\iku\acr  Verwaheramt.  II.  5:*>.j 


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221 


I7c3.  7.  F.-'ber.  —  Csakovaer  Verwalteramt  macht  der  Administration 
die  Anzeige,  da.ss  der  Ortsknes  von  Stamora  die  Anzeige  gemacht  habe,  dass 
in  dem  Ort.  sich  die  sogenannten  Vampirs  eingestellt  haben.  (Rot.  Csak.  Vlter- 
amt,  II.  534.) 

1758.  14.  Feber.  —  Csakovaer  Verwalteramt  zeigt  an,  das*  in  dem 
Districtsort  Wennetuh  die  Vampire  grassiren  sollen.  (Rot.  Csak.  Vlteramt. 
II,  512.) 

1756.  27.  April.  —  Temesvarer  Verwalteramt  berichtet,  dass  „30  Seelen 
in  dem  Dorf  Knrz  seit  zehn  Tagen  gestorben  sind  nnd  selbes  auf  Wambim 
den  Argwohn  habe." 

Mitgeteilt  von  Prof.  Dr.  L.  Baruli. 


Dokumente  zur  Geschichte  der  Zigeuner. 

i. 

Opiaio.  De  Domicillalione  et  Regnlatione  Zingarorum. 

(Schluss.) 

(^aandoquidem  autem  praecipuus  domiciliationis  praedictoruni  Zinga- 
rorum tinis  is  sit,  ut  per  hanc  praecipue  ad  politiorem  vitae  modum,  mo- 
resque  honestos  tradaci.  princiisque  Religionis,  et  vitae  Socialis  imbui  tanto 
i'aciiius,  et  certius  posxint,  etsi  ad  hunc  etiam  finetn  assequendum  salutaria 
per  Regium  Guberninm  sub  12.  Septem  bris  Nroque  (352 uf.  superius  memo- 
ratuin  ü*t,  praescripta  sint  puneta,  illa  tarnen  minus  observuri  quotidiana 
testis  est  experientia,  et  alia  praetereundo,  hodiedum  non  raro  visibilis  propu- 
diosa  puerorum,  ae  Foeminarum  nuditas,  lintenminumque  usus  aft'atim  do- 
cet,  strictior  itaque  praememoratorum  punetorum  observantia  Otficialibus 
injungenda.  et  signanter  imponendum  iisdem  esset,  ut  nuditatem  l»anc  effi- 
caciter  inHictis  etiam  virgarum,  et  scuticarum  ictibus  abrogent.  Praeterea 
autem  illa  quoqne  superius  memorata  puneta  ad  melioi-em  gentis  Zingarae 
regulationein  directa  ita  comparata  es.se  comperiuntnr,  ut  pro  modernis  cir- 
cumstantiis  illorum  nonnulla  alteranda.  alia  explananda  magis  atque  ainplianda 
genioque,  et  indoli  gentis  ab  eo  tempore  vel  per  subsecutam  plurium  illo- 
cationem,  et  domicialitionem  multum  emendatae  aecomndanda  videantur  et 
quidem  • 

1.  Quod  attinet:  ut  veslitum  ra/*/«»»,  et  linguain  urnpriam  drponent,  arduum 
esset  illos  cumprimis  ad  linguain  propriam  relinquendam.  ac  quem  plerumque 
vili  distractorum  l'abrioatorum,  vel  impensarum  fabrilium  operarum  pretio 
conquirunt  vestituin  deponendum  vi  cogere,  nec  aliis  mediis  hoc  eousque 
donec  Zingari  rumulatim  in  !oco  distineto,  et  a  reliquo  Incolarum  consortio 
separati  quasi  degunt  obtineri  posse  videtur,  verum  in  id  enitendum  esset, 
ut  in  quantum  fieri  potest.  Zingari  ad  tigeiidas  in  serie  I'agorum.  reliquo- 
rumque  Incolarum  habitationes  suas  stringantur.  ha---  enim  ratione  magis  spe- 
rari  posset,  ut  illorum  quibus  cum  quotidianus  il Iis  est  vicinitatis,  et  mutui 
«onsortii  nexus  mores,  vestes,  et  linguam  citra  etiam  ahibendam  vim  quam 
facillimi  assumniant. 

2-  do:  Vi  uxns  Valliorum  quibus  res  furto  subduvta*  legere  nolent  interdictu* 
«it,  videtur  absque  aliquali  injuria  usum  vestinienti  hnjus,  cjuo  illi  quoque 
perinde,  ac  alii  semet  adversus  aeris,  tempeatatit-qne  injuria*  defendere 
possint  simpliciter  interdid  non  i»osse,  verum  potius  ita  esse  circumscriben- 
dum,  ne  i  1  Jo  abuti  po>sint.  ad  hoc  assequendum  hoc  solum  illis  prohiben- 
dum  foret,  ne  Nundinas.  et  Fora  Hebdomadalia,  in  quibus  furta  ut  plurimum 
contingunt,  palliati  accedere  ausint. 

3-  tio:  Ne  fijuis  ptaeter  Zingaros  aurilotores  aliist  uti  licilum  «//,  jam  medio 
Decreti  Aulici  de  27-ma  Marti i  Anno  17-4.  exaiati  Nroqu«  MfilU.  signati  in- 
dultum  erat,  praeter  Aurilotores  melioris  quoque  nofae  Zingaris  equis  uti. 
cum  autem  praecipuus  Interdicti  hujus  finis  js  fuerit,  ut  per  illuni  t'requen- 
tia  equorum  furta  impediantur,  hinc  praeter  ea,  quae  circa  impedieada  dete- 


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222 


gendaque  equoruro  furta  in  Provincia,  generaliter  per  Deputationein  Com- 
inercialem  jam  praescripta  sunt,  speeialiter  quoad  Zingaros  sequentia  sta- 
tu ein  la,  et  usus  equorum  illis  pro  tuturo  quoque  sequenti  solum  cum  Cir- 
cuniscriptone  induigendus  esse  videretur. 

a/  Yt  Zingaris  qui  fixa  jam  tenent  Domicilia,  et  utilis  alicujus  Opi- 
ticii  exercitio  vitae  adminicula  merentur  ac  alias  etiam  de  probitate  noti  sunt, 
licitnm  quidem  sit  e«(uos  servaie,  ita  tarnen  :  ut  necessaria  publicitate  pro- 
visas  literas  facultatorias  typis  excussas  desuper  cum  doniinorum  Terrestrium 
assensu  ab  OHlcialibus  obtiuere  studeant,  quibus  in  publicis  Nundinis  exhi- 
bitis  libere  equos  eniere,  et  divendere,  permutareque  possint, 

b)  Si  qui  Zingarorum  absque  obtentis  similibus  literis  facultatoriis 
equis  uti  comperientur,  velut  de  furto  suspecti  penes  confiscationem  equi 
cujus  pretium  aut  certa  illius  pars  ad  exstructionem  domicilii  vel  compa- 
randa  pro  exercendo  utili  quodam  opificio  instrumenta  convertenda  erit, 
intercipiantur.  et  quoad  seiner  legitimare  poterunt  in  aresto  detineantur, 
quin  et  ubi  semet  legitimere  valuerint,  ideo  tarnen  quod  absque  obten- 
tis tacultatoriis  e<|uis  usi  sint  restitutis  in  tali  casu  equis  corporaliter 
puniendi  eruut,  prout  et  Uli  qui  obtentas  pro  se  facultatorias  Literas  alter i 
illis  in  fra  dem  hujusmodi  dispositionis  abutenti  cedtrent.  ad  quod  praepe- 
diendum  juvaret  Literis  his  Facultatoriis  praeter  nomen.  locum  Domicilii. 
Dominumque  Terrestrem,  etiam  personalem  descriptionem  Zingari  cui  facul- 
tas hujusmodi  data  est,  accurate  inserere. 

<  >  Aurilotoribus  Zingaris  quibus  alioquin  equis  uti  indultum  est,  hujus- 
modi Literae  Facultatoriae  nunc  illico  ea  tarnen  cum  conditione  elargiendae 
essent,  quod  si  qui  iilorum  in  furto  equorum  deprehenderentnr.  praeter  in- 
Higendam  legalein  poenam  ademtis  tahbus  Literis  Facultatariis,  equis  quoqe 
in  futurum  uti  ainplius  licitum  non  sit. 

d)  Quot  ieseunque  Ziugarorum  qnispiam  equos  emerit,  vendiderit,  vel 
permutaverit  de  forma,  colore,  aetate,  et  aliis  emti,  divenditi,  vel  permutati 
equi  qiialitatibus,  prout i  etiam  a  quo,  cujusque  loci  Incola  emerit,  vel  cui 
vendiderit  Testimonium  erga  dependeudam  exiguam  aliquam  Taxaiii  extra- 
liere  obstrictus  erit,  qui  absque  tali  Testimonio  equis  usi  fuerint,  de  furto 
se  suspectos  reddent,  et  examini,  coinpertO'|iie  nelors  reutu  condignae  etiam 
poenae  subjicientur.  Operae  pretium  sane  foret  ubivis  in  publicis  Nundinis 
certas  con.stituere  Personas.  quae  simiiia  Testimonia  erga  exiguam  Taxam 
expediient,  et  de  singulis  emptionum.  venditionum,  et  permutationum  Casibus 
üdedigna  Protocolla  ducerent. 

Quae  modalitas  si  stricte  ubivis  observaretur,  et  bonae  tidei  emtores 
contra  varias  impetitiones  tutj  reddi,  et  furta  facilius  praeverti,  detegique  er 
puniri  possent. 

•1.  t't  Zingaris  Orificii  exmitium,  et  Sfusica  lunr  tantum  indulta  #it,  dum 
tentpux  non  admittit  Huri  luborare.  superius  jam  attactum  est  quibusnam  e 
rationibus  Zingari  omncs  ad  agricult uram  exerceudam  stringi,  et  ab  Opifi- 
ciorum  cultura  quam  cum  notabilt  Incolarum  utilitate  exercent,  simplioiter 
prohiberi  non  possinr.  ijuin  Statuum,  et  Ordinum  quoque  teste  Articulo  2<!. 
Anni  lTi«2.  ea  mit  intetitio,  ut  illi  etiam  ad  Opifkiorum  Culturam  adstrin- 
gantur,  nee  musica  simplicitei  interdicenda,  sed  illis  solis  concedenda  esse 
videretur,  qui  certo  domieiiio  provisi  sunt  et  fors  etiam  utili  cuidam  Opifi- 
cio inc.uuifiunt. 

Cum  porro  observatum  est  illos  Ziugarorum  qui  Fabros  Forrarios  agunt, 
aut  alias  utiles  mechanicas  artes  exercent  ita  cumulatim  quandoque  in  uuo 
eodem  loco  degeiv,  ut  et  ipsi  subsistere,  et  semet  sustentare  vix  possint, 
et  alia  loca  praesertim  Fabris  Ferrariis  destituta  defectum  ideirco  patiantur, 
liitic  in  iilorum  Doiniciliatione  cuuiprimis  per  Dominos  Terrestress  in  amplio- 
ribus  Possessionibus  numerosiores  hujusmodi  Zingaros  j>ossidentes  eo  eni- 
teudum  l'oret  ne  in  uno,  eodemque  Pago  plures  uui  opiticio  dediti  serventur, 
sed  pro  meliori  ipsorummet  etiam  procuranda  subsistentia,  et  Incolarum  etiam 
<  onimodo.  ad  alia  etiam  loca  fabris  piaesertim  Ferrariis  destituta  trf.nsferan- 
tur,  illocentunjue. 


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223 


Ut  a ute in  in  rebus  quoque  Religionen!  spectantibus  necessarns  Princi- 
piis,  moribusmie  Christianae  vitae  Regulis  magis  contbrmibus  imbuantur, 
Line  non  sufnciet  Parentibns  qui  ipsimet  rudissimi  sunt  proles  necessariis  in 
negotio  prae8ertim  Religionis  frincipiis  imbuendas  relinquere,  verum  publica 
quoque  authoritate  Diebus  Dominicis,  et  Festivis  ad  recipiendas  Christianas 
lnstructiones  cogendi  sunt,  Antistitihus  vero  quarumvis  Keligionum  serio 
injungantur,  ut  per  Paroehos,  et  Ludirectores  tain  pueros,  quam  adultos  in 
rudimentis  fidei  Christianae  sedulo  erudiri  taciant. 

Mentio  hie  demum  injicienda  esse  videtur  de  Zingaris  quoque  Lintea- 
tis,  seu  sie  dictis  Egyptiacis;  hi  extreina  quasi  hominum  Colluvies  nullibi 
habitant,  vero  quasi  in  ludUuiuin  generis  humani  consociati,  totoque  quo  atra 
corpora  tegunt  habitu  deformati,  aut  plane  nudi.  lacerique  continuo  errant, 
et  impositos  Cucullis  e  centone  consutis,  ac  de  interscapulo  suspensis 
Infanten  vagientes  circutnierendo,  horrendum  adeo  praebent  spectrum  ut 
qui  non  antea  oculis  usurpaverint,  metu  pereulsi  facile  diilugiant. 

Hos  cum  ad  fixas  Sedes  reduci  posse  vix  sperari  possit,  ac  si  domici- 
liari  etiam  possent  Incolis  per  f'urta  et,  rapinas,  quibus  suiumopere  vilissimutn 
hoccc  hominum  genus  deditum  est,  continuaque  incenttiorutn  pericula  perni- 
ciosi,  noxiique  magis.  >juam  utiles  evaderent,  nullibi  admittendi,  verum  sub 
secura  comitiva  ne  videlicet  in  laciendo  itinere  Incolis  locorum  vindictae  stu- 
dio furta,  rapinastiue  exercendo.  auf  plane  incendia  excitando  noeivi  esse  pos- 
sint,  in  vicinas  exteras  oras  depeilendi  erunt. 

Mitgeteilt  von  A.  llemnann. 


Zur  Volksmedizin  der  Bulgaren. 

Von  Adolf  Straus;. 

Die  Heilkünstlerinnen  und  Besprecherinnen  heissen  bei  den 
Bulgaren  bnjtickn  oder  rntcku.  Am  berühmtesten  von  ihnen  sind  die- 
jenigen, welche  an  einer  Krankheit  leidend,  im  Delirium  gelegen 
sind.  Von  diesen  heisst  es,  dass  ihnen  während  des  Deliriums  in 
der  anderen  Welt  viele  Heilmittel  offenbart  worden  sind.  Das  Heil- 
verfahren ist  bei  Kindern  anders  als  bei  Erwachsenen,  anders  bei 
Jungen  als  bei  Alten,  und  anders  bei  Weibern  als  bei  Männern. 

Im  IJm-Qv  Bezirk  führt  die  Heilkünstlerin  das  kranke  Kind 
oder  den  alten  Menschen  hinaus  in  den  Hof,  wo  sie  mit  dem  Mit- 
telfinger ihrer  rechten  Hand  an  seine  Stirno  klopft  und  dreimal  die 
Formel  hersagt:  „Im  Namen  der  hl.  Mutter  Gottes  gehe  das  Böse 
dahin,  wo  die  Hähne  nicht  krähen,  wo  die  Hunde  nicht  bellen,  wo 
die  Hühner  nicht  gackern,  wo  der  Baum  nicht  spriesst,  wo  das 
Wasser  nicht  tliesst,  wo  die  Sonne  nicht  scheint,  wo  der  Mond  nicht 
leuchtet,  in  die  öden  Wälder,  an  öde  Orte,  auf  öde  Felsen."  Dann 
wäscht  die  Hajachi  das  Gesicht  des  Kranken  mit  einem  Wasser, 
über  das  sie  die  obige  Formel  hergesagt  hat. 

Wenn  das  Kind  beim  Z'ihnen  krank  wird,  oder  der  Alte  an 
Rheumatismus,  Gicht  (».Wer- Wind  genannt)  leidet,  hält  die  B.  in  der 
rechten  Hand  ein  Ei,  mit  dem  sie  den  Kopf  des  Kranken  umkreist 
und  die  Worte  spricht:  „Wenn  vom  Teufel  kam  das  Böse,  gehe  es 
der  schwarzen  Krähe  nach,  dem  schwarzen  Bären  nach,  in  öde 
Wälder,  in  Wüsten;   wenn  es  von  der  schönen,   honigsüssen  Lilie 


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•2  .'4 

kam,  reibe  ich  es  mit  Honig  ein,  damit  es  die  Bienen  hintragen  auf 
Weinreben,  auf  Kornelbäume,  auf  Hirnbäume,  und  auf  Blumen; 
wenn  es  von  den  Allerheiligen  kam,  vertreibe  es  die  Muttergottes, 
werfe  es  zwischen  die  Teufel,  auf  Steine,  in  die  Sterne,  wo  der 
Mensch  nicht  gehen  kann,  wohien  der  Hahn  nicht  fliegen  kann,  wo 
das  Wild  nicht  leben  kann."  Dann  ölTnet  sie  das  Ei  an  einem  Ende, 
trinkt  das  Eiweiss,  mit  dem  Dotter  aber  reibt  sie  die  kranke  Kör- 
perstelle ein.  Schliesslich  macht  sie  2  Löcher  in  die  Eierschale, 
zieht  einen  Faden  hindurch  und  bindet  sie  an  den  Hals  des  Kranken. 

Gegen  das  F'n-f^r  wird  dem  Kranken  um  das  Handgelenk  ein 
roter  Faden  gebunden.  Das  Fieber  vergeht,  wenn  man  den  Kran- 
ken auf  dem  Grabe  eines  Türken  mit  Speck  räuchert.  Zur  Zeit  der 
Türkenherrschaft  wurde  dies  auf  dem  Grabe  eines  Zigeuners  vor- 
genommen. 

Dasselbe  Heilverfahren  wird  auch  bei  der  l  r<in»t  angewendet, 
welche  Krankheit  dadurch  entsteht,  dass  die  Xedelkn  (Fee)  oder  die 
.lud«  (ein  weibliches  mythisches  Wesen)  dem  Menschen  einen  Schlag 
ins  Gesicht  versetzt. 

Gegen  das  Weinen  der  Kinder  spricht  die  Bajaeka  folgende 
Formel:  .Ei,  mein  Kind  weint  nach  der  Sonne;  weine  die  Sonne 
nach  meinem  Kinde!"  oder:  -Mögen  die  Schafe  nach  meinem  Kinde 
blocken,  nicht  aber  dieses  nach  den  Schafen  und  dem  Feuer  der 
Schäfer". 

Ist  ein  Kin  l  scluriichlich,  so  ruft  die  Mutter  10,  20  oder  40 
Menschen  an  einem  Samstag  in  ihren  Hof  zusammen.  Weniger  als 
10  dürfen  nicht  zugegen  sein.  Sind  40  gerufen  worden.,  so  bringt 
jeder  1,  sind  zwanzig,  so  2,  sind  10  gerufen  worden,  so  bringt  jeder 
4  Zweiglein  mit  sich.  Dann  wird  ein  kupferner  Kessel  mitten  im 
Hofe  auf  3  Steine  gestellt  und  darunter  mit  den  Zweigen  ein  Feuer 
angemacht,  jedoch  so,  dass  die  Zweige  nicht  mit  Flammen  lodern, 
sondern  mehr  qualmen  als  brennen.  Die  Mutter  stellt  nun  i><r  nack- 
tes Kind  auf  einige  Minuten  in  den  Kessel,  damit  es  dadurch  erstarke. 
Schliesslich  badet  sie  das  Kind  in  warmem  Wasser. 

Allgemein  verbreitet  ist  der  Glaube,  dass  man  die  Krankheit 
aus  einem  Dorfe  in  ein  anderes  überführen  kann.  Die  VnnL<i  be- 
fiehlt zu  diesem  Zwecke  den  Weibern,  aus  reinem  Weizenmehl  einen 
Kuchen  zu  backen,  einen  Biumenstrauss  mit  einem  roten  Faden  zu 
binden  und  an  denselben  einige  Geldstücke  zu  befestigen,  schliess- 
lich  eine  tn,  l»i  (Tasche)  zu  nähen  und  den  Kuchen  sammt  dem  Strauss 
in  dieselbe  hineinzustecken.  Ein  Mann  schleicht  sich  nun  nachts  in 
ein  fremdes  Dorf  und  hängt  dort  die  Tasche  an  einen  Baum  oder 
Zaunpflock.  Wer  sie  herabnimmt.  in  dessen  Haus  «iedelt  die  Krank- 
heit über.  Oft  sehen  die  B.  im  Traume  das  Herannahen  einer 
Krankheit  voraus  und  sammeln  dann  im  Dorfe  Gaben,  für  die  sie  ein 
Opferschaf  kaufen  und  es  abends  auf  dem  Wege,  auf  welchem  die 
Krankheit  einherziehen  wird,  schlachten.  Am  nächsten  Morgen  ist 
es  verschwunden.  Der  Krankheitdäneni  hat  sich  gesättigt,  zieht  be- 
befriedigt  vorüber  und  verschont  das  Dorf. 


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22.> 


Gegen  Kopfschmerz  und  Gelbsucht  werden  die  gleichen  Mittel 
angewendet.  Die  B.  scliöpft  mit  einem  grünglasierten  Tongefäss  an 
der  Stelle  des  Baches  Wasser,  wo  die  Kinder  den  Bach  zu  über- 
schreiten pflegen.  Dann  nimmt  sie  vom  Herde  mit  einer  Scheere 
drei  glühende  Kohlen  heraus,  macht  damit  das  Zeichen  des  Kreu- 
zes über  das  Wasser,  und  wirft  sie  dann  ins  Get'äss  hinein.  Das 
Wasser  mit  der  Scheere  umrührend,  nimmt  sie  die  erloschenen  Kohlen 
heraus  und  spricht  die  Formel: 

.Wundervolle  Völker  giengen,  bewunderten  die  wundervollen; 
Wundervolle  Axt  sie  trugen,  bewunderte,  wundervolle; 
Auf  wunderbaren  Berg  sie  gelangten,  auf  bewunderten,  wunderbaren ; 
Wunderbare  Bäume  sie  fällten,  bewunderte,  wunderbare : 
Wunderbare  Hürde  sie  machten,  bewunderte,  wunderbare; 
Wunderbare  Heerde  sie  trieben,  bewunderte,  wunderbare ; 
Wunderbare  Milch  sie  melkten,  bewunderte,  wunderbare  ; 
Melkten  sie  in  wunderbaren  Zuber,  in  bewunderten,  wunderbaren; 
Seiliten  sie  in   wunderbaren  Kimer,  in  bewunderten,  wunderbaren; 
Kochten  wunderbaren  Käse,  bewunderten,  wunderbaren ; 
Seihten  ihn  durch   wunderbares  Sieb,  durch  bewundertes,  wunder- 
bares; 

Mit  wunderbarem  Messer  schnitten  sie  ihn,  mit  bewundertem,  wun- 
derbarem ; 

Mit  wunderbarem,  schwarzen,  mit  bewundertem,  wunderbarem ; 

Nach  8  Richtungen  trugen  sie  ihn  fort. 

Forltragen  sollen  sie  auch  Ivan's  Siechtum, 

Wie  vom  Weg  den  leichten  Staub, 

Wie  den  Nebel  von  der  Donau, 

Wie  die  Frau  aus  der  Kirche, 

Wie  den  Mann  vom  Felde, 

Wie  das  junge  Weib  vom  Horotanze, 

Wie  die  Maid  von  der  Bleiche, 

Wie  das  junge  Weib  aus  dem  Bade.44 

Dies  spricht  sie  beim  Herausnehmen  jeder  Kohle.  Dann  macht 
sie  mit  den  Kohlen  abermals  das  Zeichen  des  Kreuzes  über  das 
Wasser,  und  spricht: 

„Teufel  fliegt  oben  am  Himmel, 
Teufel  sitzt  oben  am  Rauchfang; 
Teufels  Seele,  Teufels  Körper,  — 
Nur  Ivanka  gehe  nicht  fort!" 

Dies  wiederholt  sie  dreimal,  worauf  sie  9  Kohlen  ins  Wasser 
wirft,  und  es  dann  mit  einer  Axt  und  der  Scheere  einigemal  durchschnei- 
det. Axt  und  Scheere  legt  sie  dann  auf  den  Herd  und  gibt  nun  von 
diesem  Wasser  dem  Kranken  zu  trinken. 

Wenn  das   Kind  vor  etwas  erschrickt,   spreizt  die  Frau  ihre 


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22»; 

Finger  auseinander,  und  berührt  mit  der  Hand  die  Erde,  worauf  sie 
die  Hand  auf  den  Kücken  des  Kindes  legt,  und  spricht:  „Die  F.rde 
soll  erschrecken,  du  aber  erschrick  nicht !"  Hat  das  Kind  auch  Herz- 
hldpfen  bekommen,  so  schneidet  man  das  Herz  einem  abgefange- 
nen Sperling  heraus  (dn  deka  ie  oste  zivio)  und  lässt  es  vom  Kinde 
hinabschlnckcn :  daher  die  Redensart:  Gletne  fcivo  srce  =  er 
hat  lebendes  Herz  verschlungen. 

Gegen  ILihirrh  bindet  man  gewärmten  Zwiebel  oder  mit 
Schmalz  gemengten  warmen  Sauerteig  an  die  Kehle;  oder  man  gibt 
dem  Kranken  mit  erhitzten  Eisennägeln  erwärmten  Branntwein  zu 
trinken. 

Gegen  Hruxttrch  trinkt  der  Kranke  40  Tage  hindurch  täglich 
einen  Löffel  voll  Frauenmilch  auf  nüchternen  Magen :  ist  der  Kranke 
ein  Mann,  so  muss  das  betreffende  Weib  einen  Knaben  geboren 
haben:  ist  aber  ein  Weil»  brustleidend,  so  trinkt  es  die  Milch  einer 
solchen  Frau,  die  ein  Mädchen  geboren  hat. 

Gegen  den  lü«  rinn*  tolhn  Hundt*  lässt  man  den  Kranken 
Gitronen  essen  und  räuchert  ihn  mit  den  Haaren  des  betreffenden 
Hundes.  Wer  einen  tollen  Hund  erschlägt,  legt  ihn  auf  Stroh  und 
verbrennt  ihn,  während  er  selbst  einigemal  übers  Feuer  hinüber- 
springt, damit  er  die  Tollwut  nicht  bekomme. 

Gegen  Ko/ifinh  bindet  man  dem  Kranken  ein  Stück  blaues 
Papier  an  den  Kopf,  das  man  vorher  mit  einer  Nadel  durchstochen 
und  mit  Weihrauch  bestreut  hat. 

In  Dobrie  wird  bei  einer  Kinderkrankheit,  deren  Namen  ich 
aber  nicht  kenne,  ein  eigentümliches  Verfahren  beachtet.  Die  Krank- 
heit lässt  sich  daran  erkennen,  dass  das  Kind  niemanden  kennt, 
selbst  seine  Eltern  nicht,  wenn  es  sie  auch  früher  wohl  gekannt 
hat.  Die  Mutter  darf  das  Kind  nicht  anrühren,  sonst  stirbt  es.  Die 
Haja«'ka  nimmt  nun  ein  schwarz  gewordenes  Messer,  schwenkt 
es  dreimal  um  den  Kopf  des  Kindes  herum,  nimmt  dann 
die  Kopfbedekung  dem  Kinde  herab  und  dieselbe  anzündend, 
schwenkt  sie  den  brennenden  Gegenstand  dreimal  um  den  Kopf 
des  Kindes  herum.  Hierauf*  fordert  sie  die  Mutter  auf,  sich  ganz 
nackt  zu  entkleiden.  Während  die  B.  das  Zimmer  verlädst,  entklei- 
det sich  die  Mutter,  bedeckt  das  Kind  mit  einem  schwarzen  Tuche 
und  dreimal  um  das  Kind  sehreitend,  spricht  sie:  „Wer  dich 
geboren  hat,  soll  dich  auch  heilen !"  Dann  nimmt  sie  eine  Has- 
pel, schreitet  dreimal  um  das  Kind  herum  und  zerbricht  dann  über 
dem  Kinde  die  Haspel.  Nun  kleidet  sie  sich  an  und  geht  in  den 
Hof,  wo  sie  die  entzweigebrochene  Haspel  wegwirft.  Mit  der  H.  ins 
Zimmer  zurückkehrend,  schlägt  letztere  an  der  Stelle,  wo  das  Kind 
mit  dem  Herzen  gelegen  ist,  einen  langen  Nagel  in  den  Erdboden. 
Schliesslich  gräbt  sie  ein  Loch  in  den  Erdboden  und  findet  dort 
eine  Kohle,  die  sie  in  Wasser  legt.  Nun  verwundet  sie  die  Ferse 
des  Kindes  und  fängt  das  entströmende  Blnt  in  den  Wasserbecher 
mit  der  Kohle  auf.  Ausserdem  wird  bei  Knaben  ein  Hahn,  bei 
Mädchen   eine  Hernie  geschlachtet,  und  das   BJnt  des  Tieres  eben- 


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227 


falls  in  diesen  Becher  aufgefangen.  Diese  also  bereitete  Arznei  wird 
dem  Kinde  eingegeben.  Hierauf  geht  die  B.  mit  der  Mutter  auf  die  Strasse 
hinaus,  und  heisst  diese  40  Steinehen  sammeln.  Die  Steinehen  lässt 
sieh  nun  die  Mutter  in  den  Busen  hinab  und  löst  dann  ihren 
Leibgürtel  auf,  worauf  die  Steinehen  unter  ihrem  Kittel  zur  Erde 
hinabfallen.  Diese  Steincheu  werden  mit  der  Henne,  beziehungs- 
weise mit  dem  Hahne  in  die  Erde  eingescharrt.  Die  hierauf  folgen- 
den 40  Tage  hindurch  kocht  die  Mutter  jeden  Morgen  Honig  und 
Reis  in  Wasser  und  giesst  dies  dann  auf  die  Stelle,  wo  das  Huhn 
und  die  Steinchen  vergraben  liegen,  wobei  sie  spricht:  -So  lange 
du  mich  brennst,  brenne  ich  dich  auch!"  In  diesen  4ü  Tagen  darf 
man  dem  Kinde  die  Kleider  nicht  ausziehen,  man  darf  ihm  nur 
die  Hände  waschen  ;  auch  ist  es  nicht  erlaubt,  es  auf  einen  Wagen  zu 
setzen,  es  in  die  Kirche  oder  über  ein  Wasser  zu  führen.  Die  Mut- 
ter darf  nach  dem  Brotkneten  ihre  Finger  vom  daranhaftenden 
Teige  nicht  reinigen.  Dies  alles  wird  nach  Ablauf  der  40  Tage  in 
Gegenwart  der  Bajaeka  unter  gewissen  Ceremonien  vorgenommen. 

Gegen  das  heisse  /wVfor  wird  der  Kranke  an  eine  solche  Stelle 
des  Bachufers  geführt,  wo  aus  dem  Wasser  Gräser  hervorspriessen. 
Die  B.  reisst  dies  Gras  heraus,  taucht  es  ins  Wasser  und  um  den 
Kranken  dreimal  herumgehend,  bespritzt  sie  ihn  damit  und  spricht: 

«In  Brand  gerieten  des  Zaren  Paläste, 

Nichts  kann  das  Feuer  löschen; 

Aber  das  kalte  Wasser  wisd  es  bald  löschen. 

Das  grüne  Gräschen, 

Das  gelblichte  Hirslein!' 

Bei  Augentreh  legt  die  B.  den  Daumen  ihrer  rechten  Hand  ans 
obere,  den  der  linken  ans  untere  Augenlid,  und  nachdem  sie  die 
Augenlider  hin  und  herbewegt  hat,  sagt  sie  die  Formel  und  bläst 
aufs  Auge: 

„Von  unten  her  kommt  die  Samodive, 
Breitet  aus  ihren  rechten  Flügel, 
Rechten  Flügel,  grauen  Flügel ; 
Sie  bestäubt  ihr  rechtes  Auge. 
Rechtes  Auge,  eignes  Auge! 
Streute  sich  selber  Staub  hinein. 
Selber  soll  sie  es  sich  heilen." 

Oder  man  stellt  ein  mit  Wasser  gefülltes  Gefäss  unter  einen 
Bienenkorb  und  wäscht  damit  gegen  Osten  gekehrt  bei  Sonnenauf- 
gang das  kranke'  Auge;  hierauf  macht  man  über  das  Auge  drei- 
mal das  Zeichen  des  Kreuzes.  Augenkrankheiten  werden  auch  mit 
Honig,  Salz,  Ohrenschmalz  und  Rosenwasser  geheilt. 

In  der  Gegend  von  Tirnov  wird  die  Glietlerentzundung  (kara- 
janek,  cerno  izgovelo  =  schwarzes  ausgebranntes)  folgendermaassen 

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geheilt :  Ein  frischer  Pflaumenzweig  wird  erwärmt  und  auf  das 
kranke  Glied  gebunden.  Eitert  die  Entzündung,  so  legt  man  erwärm- 
ten Honig  darauf,  wobei  man  an  eine  Spindel  Wollfäden  wickelt, 
dieselben  in  den  Honig  eintaucht,  und  so  die  Wunde  betupft.  Dann 
wird  die  \Yrunde  mit  Seifenwasser  und  Branntwein  gewaschen.  Beginnt 
die  Wunde  zu  heilen,  so  legt  man  darauf  Charpie  und  Terpentinöl. 

In  derselben  Gegend  bindet  man  sich  gegen  Hutten  (remat, 
kihavic)  über  Nacht  den  Strumpf  (comp)  um  den  Hals. 

Gegen  Mitiultceh  reibt  man  die  Lippen  mit  erwärmtem  Honig 
ein,  der  wenigstens  ein  Jahr  alt  sein  muss. 

Der  Eifrunkfn«  wird  von  einem  starken  Manne  bei  den  Füs- 
sen an  gefasst  und  im  Kreise  herum  gedreht,  damit  das  Wasser 
aus  ihm  herausfliesse.  Oder  man  legt  ihn  auf  einen  Abhang,  mit 
dem  Kopf  nach  abwärts  und  schlägt  ihn  in  den  Rücken,  damit  das 
Wasser  herausfliesse.  Oder  man  hält  ihm  die  Nase  zu  und  bläst 
ihm  in  den  Mund,  damit  er  zu  Atem  komme.  Bisweilen  bläst  man 
ihm  auch  Tabackrauch  in  den  Mund  und  reibt  seinen  Körper. 

Blff Z'j>'t inß'rnf  werden  in  eine  Grube  eingescharrt  und  mit  Erde 
ganz  bedeckt,  jedoch  so,  dass  das  Gesicht  frei  bleibt. 
Gegen  lir*chir  'n>n  wird  die  Formel  gesprochen : 

„Schwarzer  Kuh 
Ihr  schwarzes  Kalb: 
Hat  es  selber  geboren, 
Hat  es  selber  geleckt, 
Heilt  es  auch  selber." 

Bei  Tuherkulase  sucht  die  Baja<'ka  die  Teufel  und  Samodiven 
aus  dem  Leibe  des  Kranken  zu  vertreiben,  indem  sie  verschiedene 
Kräuter  kocht  und  Zauberformeln  murmelt.  Dem  Volksglauben  ge- 
mäss versammeln  sich  dann  die  Teufel  und  Samodiven  um  den 
Herd  herum  und  flehen  kniefällig  zur  B.  Schliesslich  führt  die  B. 
den  Kranken  zu  einem  Baum,  wo  sie  ihn  mit  Wasser  begiesst, 
worauf  die  Teufel  und  Samodiven  aus  dem  Leibe  weichen  und  auf 
den  Baum  fliehen.  Von  jedem  verdorrten  Bauine  heisst  es  im  bul- 
garischen Volksglauben,  dass  man  unter  ihm  einen  Kranken  begos- 
sen habe.  Hilft  dies  Verfahren  nicht,  so  ist  das  Febel  ,ednomesecna" 
(einmonatlich).  Es  ist  dann  nämlich  ein  Verwandter  des  Kranken 
gestorben,  der  mit  ihm,  wenn  auch  nicht  einem  Jahre,  so  doch  in 
gleichem  Monat  geboren  wurde.  Die  Bajarka  führt  nun  den  Kran- 
ken vor  der  Morgendämmerung,  zum  Grabe  des  Verwandten,  wo  er 
sich  mit  dem  Rücken  ans  Kreuz  gelehnt  niedersetzt.  Hierauf  bindet 
ihn  die  B.  mit  einer  Kette  ans  Kreuz  und  steckt  einen  Schlüssel 
in  ein  Glied  der  Kette.  Der  Kranke  fragt  sie  nun:  „Was  machst 
du?fc  Die  B.  antwortet:  »Ich  binde  dich  mit  einer  Kette  ans  Grab." 
Nach  einigen  Minuten  nimmt  sie  die  Kette  herab  und  führt  den 
Kranken  nach  Hause,  wo  sie  festlich  bewirtet  wird. 


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229 


Gegen  Fieber  gibt  man  dem  Kranken  in  der  Gegend  von  Lan- 
palanka  Branntwein  zu  trinken,  in  dem  man  vorher  einen  Frosch 
ertränkt  hat. 

Die  Auszehrung  (suha  boles)  wird  mit  dem  Fett  des  Meerbären  (?) 
und  Adlers  geheilt. 

Bei  der  „schwarzen  Krankheit"  (Epilepsie)  hütet  man  sich  den 
Kranken  mit  der  Hand  oder  mit  dem  Fusse  anzurühren,  denn  da- 
durch —  heisst  es  —  würde  des  Kranken  Hand  oder  Fuss  verletzt 
werden.  Dem  Kranken  wird  Ochsen-  oder  Pferdemist  in  Wasser 
aufgelöst  zu  trinken  gegeben.  An  der  Stelle,  wo  er  beim  Fallen  mit 
dem  Kopfe  gelegen  ist,  vergräbt  man  in  die  Erde  eine  schwarze 
Henne.  Der  Kranke  darf  sein  ganzes  Leben  hindurch  weder  Hühner- 
noch  Ziegenfleisch,  noch  Fische  essen. 

Bei  Knechenbruch  wird  ein  mit  Essig  angerührter  Teig  aufge- 
legt und  das  Glied  zwischen  Holzstücke  eingeschient. 

Gegen  Schrecken  gibt  man  der  betreffenden  Person  abgeschab- 
tes Blei  zu  schlucken.  Das  allgemein  bekannte  Bleigiessen  nehmen 
auch  die  B.  vor.  und  sagen  dann  aus  den  Formen  des  Bleies  das 
Tier  oder  den  Gegenstand  an,  vor  dem  die  betreffende  Person 
erschrocken  ist. 

Epidemien  können  nicht  geheilt  werden,  sondern  müssen  auf 
die  bereits  erwähnte  Weise  in  ein  anderes  Dorf  überführt  werden. 
Alle  Krankheiten  sind  personifizierte  Wesen  und  werden  Bolki  blayi 
< selig)  oder  Bolki  medeni  (honigsüsse  Bolki)  genannt.  Diese  Wesen 
wohnen  gewöhnlich  in  solchen  Häusern,  wo  viel  Wolle  oder  Hanf 
aufgehäuft  ist.  Auf  diesen  Sachen  liegen  sie  den  Tag  über,  nachts 
aber  streifen  sie  auf  den  Wegen  herum.  Bei  herschender  Epidemie 
sorgt  man.  dass  die  Bolki's  nicht  noch  mehr  gereizt  werden.  Die 
Hunde  werden  nachts  angebunden,  damit  sie  die  herumstreifenden 
B.s  nicht  angreifen.  Selbst  gewisse  Speisen  werden  nicht  gekocht, 
damit  der  Geruch  derselben  diese  Wesen  nicht  aufreize.  Zopf- 
artig geflochtenes  Gebäck  wird  mit  Honig  eingerieben  und  an  die 
Türe  gehängt,  damit  die  etwa  hinkommenden  Bolki's  ihren  Hunger 
stillen  können.  Auch  werden  frische  Fita  (Gebäck)  gemacht,  von 
denen  man  einen  nebst  einem  Topf  voll  Honig  unter  das  Bett 
des  Kranken  stellt,  damit  die  Bolki  sich  sättige  und  den  Kranken 
nicht  gar  zu  arg  quäle.  Die  übrigen  Pita's  werden  im  Dorfe  mit 
den  Worten  verteilt:  „Nehmt  es  für  die  Seligen  und  Honigsüssen  !tt 
worauf  die  Antwort  lautet:  „Mögen  sie  ruhig  und  leicht  sich  ent- 
fernen!" Die  B.  s  werden  stets  mit  aller  Ehrfurcht  erwähnt  und  mit 
verschiedenen  Kosenamen  belegt.  Dem  Kranken  gibt  man  keine 
Arznei  ein,  damit  die  B."s  nicht  gereizt  werden.  Gewöhnlich  gehen 
drei  B/s  miteinander,  von  denen  eine  jede  einem  anderen  Volke 
angehört.  Die  eine  ist  eine  Djaurin  (Kristin  1,  die  andere  eine 
Türkin,  die  dritte  eine  Jüdin.  Die  Djaurin  hat  Mitleid  mit  den  Kris- 
ten  und  bewegt  auch  ihre  Gefährtinnen  zum  Abzug. 

Ueber  die  bulgarische  (  u/na  (Pest)  erzählte  ein  Bauer:  Die 
Pest  hatte  auch  meinen  Vater  getroffen.  Er  lag  bewusstlos  im  Bette. 

Ethn.  Mitt.  a.  l  ugm-n  III.  1H 

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als  er  einmal  nachts  Schellengeklingel  und  l'ferdegestampf  vernahm. 
Er  gieng  vor  das  Tor  hinaus  und  sah  dort  eine  Karawane  von  unten 
her  kommen.  Zusammengekoppelte  Rosse,  mit  allerlei  Wunderdingen 
beladen  (Frauenkleidern  udgl.),  wurden  von  walachisehen  Zigeunern 
angetrieben.  Auf  dem  Bündel  des  letzten  Rosses  sass  ein  Weib  mit 
schrecklichem  Gesicht,  verworrenem  Haar,  furchtbar  langen  Händen, 
in  der  rechten  eine  schartige  Sense  haltend.  „Sei  gesund,  Kosta!" 
sprach  das  Weib  zu  meinem  Vater!  —  «Bleib  auch  du  gesund 
Mütterchen!"  versetzte  mein  Vater,  „ich  kenne  dich  nicht:  wer 
bist  du,  dass  du  mich  bei  meinem  Namen  anredest V"  —  „Ki,  mein 
Sohn,  wie  sollte  ich  dich  nicht  kennen,  wenn  ich  dich  ja  auf  der 
Stirne  gezeichnet  habe.  Ich  bin  die  Pest;  hier  werde  ich  nun  nicht 
mehr  arbeiten;  ja  das  bin  ich,  mein  Sohn  Kosta!"  Hierauf  eilte 
das  Weib  der  Karawane  nach.  Die  Hausgenossen  schliefen  und  erst 
spät  bemerkte  meines  Vaters  Schwester  Dafa  seine  Entfernung.  Sie 
eilte  hinaus  und  da  erzählte  ihr  mein  Vater  den  Vorfall.  Von  der 
Stunde  an  starb  dort  niemand  mehr  an  der  Pest. 

Ein  ähnliches  Wesen  ist  die  liaba  mrku  oder  Hoyinje  ( Variola 
vera).  Gegen  diese  Krankheit  wird  keine  Arznei  angewendet,  höch- 
stens gibt  man  darauf  Acht,  dass  die  Mutter  des  Kranken  nicht  ar- 
beite, dass  man  während  der  Krankheit  nichts  kaufe,  dass  man  das 
aus  dem  Krankenbette  herausfallende  Stroh  nicht  verbrenne.  Wer 
an  dieser  Krankheit  stirbt,  wird  gewöhnlich  von  den  Geistlichen 
nicht  zu  Grabe  geleitet,  damit  der  Weihrauch  nicht  die  Baba  sarka 
reize  und  sie  alle  Bewohner  des  Dorfes  töte. 

Selbst  der  Gesunde  wagt  es  nicht,  sich  mit  seiner  Gesundheit 
zu  brüsten,  damit  die  personifizierten  Krankheiten  dies  hörend,  ihn 
nicht  krank  machen.  Auch  Gott  und  Teufel,  die  Samodiven  und  Russal- 
ken können  den  Menschen  krank  machen.  Der  grösste  Feind  der 
Menschen  ist  aber  der  Teufel,  der  im  Sturmwind  dijavolsko  horo 
=  Teufelshoro :  Horo  =  südslav.  Tanz)  heranbrausend,  in  den 
Menschen  fährt,  oder  wenn  der  betreffende  abends  oder  nachts 
Wasser  trinkt,  ohne  sich  vorher  zu  bekreuzigen.  Auch  Menschen, 
die  ein  „böses  Auge"  haben,  können  ihre  Nebenmenschen,  besonders 
Kinder,  krank  machen.  Die  Samodiven  machen  denjenigen  krank, 
der  auf  ihrem  Aufenthaltsort  herumschweift.  Dem  bulgarischen 
Volksglauben  gemäss  sind  sie  der  Entstehungsgrund  von  Gangrea 
pedum,  Euleralgia.  Typhus,  Nephritis.  Vitium  cordis.  Krankheiten, 
und  zwar  0<j>'<un<i  (Paraplysis  hemiplegia,  paraplegia>  ja  selbst 
Wahnsinn,  können  die  liussalki  1  erzeugen. 

1  Die  Uussalki's  oder  Russenici's  waren  Nymphen,  welche  die  Suatt-n 
schädigten  und  den  Menschen  Krankheiten  verursachten.  Die  alten  Bulgaren 
brachten  ihnen  an  besonderen  Tagen  Opfer  dar.  und  auch  heute  noch  ist 
eine  ganze  Woche  (rus.salka  nedeljaV  ihrer  Verehrung  gewidmet,  ja  in  der 
(iegend  von  Kukusch  (Mazedonien)  wird  sogar  '20 Tage  hindurch,  an  den  sog. 
„pogani  dni*  -Tagen,  ihre  Feier  begangen.  Zu  diesem  Zwecke  bildet  sich  eine 
(iesellschat't  irussalki  dru>ehini  =  (Jesellsch.  di  r  H. i,  die  in  Bezug  auf  Kleider. 
W'atlen  u.  s.  w.  besondern  unabänderlichen  Bestimmungen  unterworfen  ist. 
Am  ersten  Weihnachtstage  versammeln  sich  die  Mitglieder   beim  Dorfgeist- 


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231 


In  den  Nächten  der  sog.  Mrsnite-TiLge  (11  —  14.  Januar)  sau- 
gen die  verzauberten  Bären  und  Wölfe  allen  denen  das  Blut  aus, 
welchen  sie  nachts  begegnen. 

Albanixmus  partialis  entsteht  dann  auf  der  Haut,  wenn  der 
Betreffende  auf  einer  solchen  Stelle  der  Erde  geschlafen  hat,  wo 
„ weisses  Geld"  (Silbergeld,  beli  pari)  vergraben  liegt.  Hautkrankheiten 
entstehen  auch  dann,  wenn  die  Mutter  während  ihrer  Schwanger- 
schaft etwas  gestohlen  hat.  Enteralgia  bekommt  der  Mensch,  wenn 
er  auf  eine  Stelle  tritt,  wo  sich  Hunde  gebalgt  haben.  Gelbsucht 
wird  durch  langes  Schlafen  verursacht.  Rheumatismus  bekommt  man, 
wenn  man  an  Feiertagen  arbeitet.  Wenn  Jemand  den  Neumond 
anblickt  und  dann  unmittelbar  auf  einen  Menschen  sieht,  so  bekommt 
dieser  das  heisse  Fieber.  Blattern  erzeugen  die  bereits  erwähnten 
lioginja  oder  Baba  sarka.  Husterische  Weiber  haben  sich  bulgarischem 
Volksglauben  gemäss  mit  den  mythischen  Wesen,  den  sog.  Smefs 
geschlechtlich  vermengt,  welche  oft  das  Herz  eines  solchen  Weibes 
„trinken-  (pijat  srceto).  Häufig  kommen  Brustleidende  zum  Arzte 
und  versichern,  dass  sie  ihr  Leiden  dadurch  bekommen,  weil  man 
ohne  ihr  Wissen  ihre  Körperlänge  abgemessen  und  in  ein  Gebäude 
eingemauert  habe.  Hundegeheul  zeigt  Krankheit  oder  Tod  an.  Wenn 
eine   Schwangere  über   einen    Strick   springt,   gebiert  sie  schwer. 

liehen,  um  von  seiner  Wohnung  aus  sich  auf  den  langen  Weg  zu  hegeben. 
Unter  Küssen  und  Umarmungen  nehmen  sie  Abschied  von  den  Ihrigen,  denn 
oft  kommt  es  vor,  dass  der  eine  oder  andere  auf  dem  Wege  stirbt  und  dort, 
wo  er  gestorben,  auch  begraben  wird.  Während  der  ganzen  Festzeit  dürfen 
die  Mitglieder  kein  einziges  Wort  aussprechen,  weder  sich  bekreuzigen,  noch 
beten,  noch  einen  Gruss  sagen.  Eine  Ausnahme  hievon  bilden  die  beiden 
Anführer  der  Gesellschaft.  Wenn  die  Gesellschaft  Horo  tanzt,  muss  jeder 
darauf  achten,  dass  er  seinen  Fuss  an  die  Stelle  setzt,  woher  sein  Vorder- 
mann den  Fuss  aufgehoben  hat.  Den  Tanzkreis  darf  Niemand  verlassen,  aus- 
genommen die  Kranken,  die  mitten  im  Kreise  stehen  und  von  dem  nach  dem 
Tanze  ihnen  auf  die  Stirne  gezeichneten  Kreuze  Wiedererlangung  ihrer 
Gesundheit  erhoffen.  Wenn  die  Mitglieder  dieser  Gesellschaft  aus  einer  Ort- 
schaft in  die  andere  ziehen,  dürfen  sie  in  kein  Wasser  treten,  sondern  müs- 
sen über  dasselbe  hinwegspringen  oder  auf  Wagen  sich  hinüberfuhren  lassen. 
Von  Dorf  zu  Dorf  geht  diese  aus  20— 40  Bursehen  bestehende  stumme  Gesell- 
schaft, die  überall  feierlich  empfangen  wird,  weil  man  glaubt,  dass  wo  sie 
erscheinen,  dort  Jedermann  gesund  bleibt.  Begegnen  sie  einem  Leichenzuge, 
so  wird  der  Sarg  auf  die  Erde  gestellt  und  jedes  Mitglied  der  Gesellschaft 
springt  darüber  hinweg.  Wenn  zwei  solcher  Gesellschaften  sich  auf  den»  Wege 
begegnen,  so  weicht  keine  der  anderen  aus:  es  sei  denn,  dass  die  eine  an 
Zahl  bedeutend  schwächer  ist,  u.  dann  als  Zeichen  der  Ehrerbietung  und  Er- 
gebenheit ihre  als  Waffen  gebrauchten  Brettscheite  mit  dem  »pitzen  Ende  in 
die  Erde  sticht.  Diese  Scheite  eignet  sich  dann  die  stärkere  Gesellschaft  an. 
Gewöhnlich  aber  kommt  es  zu  blutiger  Schlägerei,  wobei  früher  auch  Tote 
die  Wahlstatt  bedeckten  und  dann  ohne  kirchliche  Ceremonie  dort  beerdigt 
wurden.  Heutzutage  gehen  jeder  Gesellschaft  Kundschafter  voraus,  um  das 
Begegnen  zweier  Gesellschaften  womöglich  rechtzeitig  zu  verhindern.  Den 
Schluss  dieser  Feier  bilden  dann  christliche  Ceremonien  (Gebet,  Kreuzküssen, 
Segen  u.  dgl.)  Bei  der  Heimkehr  werden  sie  vom  Geistlishen  in  der  Kirche 
erwartet,  worauf  jeder  nach  Hause  geht.  Auf  dem  Wege  küsst  er  Jedem,  der 
ihm  begegnet,  dio  Hand,  als  Zeichen  der  Freude,  dass  er  im  christlichen 
Glauben  hat  von  Neuem  geboren  werden  können.  Am  letzten  Festtage  wird 
ein  Schaf  geopfert, 

lb*  ^ 

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232 


Schaukelt  man  die  leere  Wiege,  so  erkrankt  das  Kind.  Speit  nur. 
beim  Entfernen  aus  dem  Hause  nicht  auf  das  kleine  Kind,  so  i«rm 
man  es.  In  diesem  Falle  zeigt  man  oft  den  Nachlässigen  dem  Tor- 
richter an  und  verlangt  seine  Bestrafung.  Wäscht  man  des  kleiner, 
Kinde«  Kleid  am  Samstag  mit  Seife,  erkrankt  das  Kind.  Wenn  da* 
Kind  mit  Gebäck  spielt,  bekommt  es  kalte  Füsse  und  wird  kranl 

Wer  die  Sterne  zählt,  bekommt  an  den  Händen  Wurztn:  mit 
wer  >i«-h  im  Frühjahr  beim  ersten  Donnern  nicht  auf  der  Erde  wäli*. 
bekommt  das  Fieber.  Wer  sirh  Salz  ausleiht  und  es  nicht  zunVkgtt: 
oder  wer  Salz  stiehlt,  bekommt  Aufjeniceh. 

So  wie  man  au  gewissen  Tagen  besonders  leicht  krank  werd*- 
kann,  so  ist  man  auch  im  Stande,  an  bestimmten,  dazu  geeigneter 
Tagen  seine  Gesundheit  zu  befestigen.  Zu  diesem  Zwecke  wird  an. 
ö.  Januar  Weizen  gekocht:  nachts  geht  der  Hauswirt   zu  einer 
ouelle,  um  Wasser  zu  schöpfen,  das  für  alle  Krankheiten  ein  Hei 
mittel  ist.  An  leichterem  Siechtum  Leidende  waschen  am  t>.  Jonas' 
im  Bache  ihre  Kleider,  damit  sie  ihre   Krankheit  los  werden.  Am 
IS.  Januar  trägt  die  Hausfrau  ein  Tuch  zur  Kirche,  damit  die  FamilK 
gesund  bleibe.  Am  2.  Februar  backen  die  Frauen  .Pita"  und  ver 
teilen  dies  Gebäck,  damit  ihre  Kinder  gesund  bleiben  :  zu  gleiche- 
Zwecke  backen  sie  am  Aralatage  «10.  Febr.;   Honigkuchen.  An, 
Vlas-Tüge    11.  Febr.)  werden  Speisen  auf  den  Weg  gelegt,  dam: 
die  Weiber  nicht  schwer  gebären.  Am  Marthatag   1.  März  bind* 
man   sich   rote   und   weisse   Fäden  i  mnrtinirn  genannt    ans  Hand- 
gelenke, damit  man  kein  Fieber  bekomme.    Wer  am  Blagiivec-Taff 
(2Ö.  März    einen   Storch  erblickt,   bleibt  das  ganze  Jahr  hindur< '. 
gesund.   Der  Georgstag  (25.  April)   ist  auch  bei  den  Bulgaren  d^* 
Tag  der  Hexen.  Was  für  Kräuter  immer  die  Baja<  ka's  an  diesem 
Tage  sammeln,  alle  werden  heilkräftig.    An  diesem  Tage  tötet  d- 
unfruchtbare  Frau  eine  Schlange,  schneidet  ihr  den  Kupf  ab  um 
steckt  ihr  ins  Maul  eine  Bohne,  worauf  sie  den  Kopf  in  die  Eni- 
einscharrt  und  zwar  ausserhalb  des  Dorfes  an  eine  solche  Stell«*, 
wo  man  den  Hahnenruf  aus  dem  Dorfe  nicht  mehr  vernehmen  karr 
Sprichst   die   Bohne  aus  der  Erde   hervor,  so  wird  die  betrenVikl- 
Frau  ein  Kind  gebären.  Wer  am  Lissei-Tage  (14.  Juli)  arbeitet,  »im 
krank,  bekommt  gewöhnlich  Gesichtsschinerz.  Am  15.  Juli  badet 
die  Kmder  nicht,  damit  dieselben   nicht   bis  Abend  sterben.  Di»««*- 
Tag  i-t  besonders  den  Kindern  gefährlich.  Am   1.  August  isst  Jedr; 
Knoblaucli  zu  Abend,  damit  er  das  Fieber  nicht  bekomme.  AugiK 
wird  überhaupt  für  einen  unglücklichen  Monat  gehalten.  Am  24.  um' 
2~>.  September  feiern  die  Schwangeren,  damit  sie  keine  unglücklieb 
Geburt  haben.  Am  14.  Oktober  darf  man  nichts  arbeiten.  son*t  wi^ 
man  wahnsinnig.    Der  Demetertag   24.  Okt.»  hat  dieselbe  Bedeutusu 
wie  der  Georg^tag.  Der  1.  November  heisst  *r/7i  mir  und  gilt  au*' 
für  einen  Feiertag  der  Krankheiten.  Am  4.  Dezember  (Rarbarata; 
giesM  man  Kerzen  i  \'>nr  t><kn  ,<n-*ti  und  zündet  sie  vor  dem  r>>» 
an,  damit  man  von  Krankheit  verschont  bleibe.  Diese  Kerzen  wt-nitv, 
auch  während  des  Gebarens  angezündet. 


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23.'$ 


Amuhte  (sapissü  gelten  auch  für  ein  kräftiges  Abwehrmittel 
gegen  Krankheiten.  Die  Anmiete  bestehen  gewöhnlich  aus  einem 
Leinwand-  oder  Lederstückchen,  das  an  der  Brust  getragen  wird. 
Besonders  gebrauchen  die  türkischen  Bewohner  Bulgariens  derglei- 
chen Talismane  (talasum)  und  Amulete  (amamli). 

Für  ein  approbates  Heilmittel  gilt  der  Aäerlats.  In  jedem  Dorfe 
gibt  es  1 — 5  Personen,  die  sich  damit  oft  in  unmenschlichster  Weise 
befassen  und  häufig  den  Tod  der  Patienten  (infolge  Anemie)  ver- 
ursachen. Das  Gesetz  von  1888  scheint  jedoch  heute  diesem  über- 
flüssigen Blutvergiessen  einen  Damm  gesetzt  zu  haben. 

Massage  wird  gegen  mancherlei  Krankheit  angewendet ;  zur 
Einreibung  wird  Spermacet,  Hasen-  oder  Bärenfett  gebraucht. 

Heilkräuter  werden  an  gewissen  Tagen,  besonders  an  Enov-Tag 
gesammelt.  Der  Gebrauch  vieler  Kräuter  blieb  noch  von  den  Griechen 
und  Hörnern  zurück ;  die  Anwendung  so  manches  Krautes  wurde 
aber  von  den  Türken  erlernt.  Bilere,  Wunderärzte,  nannte  man  die 
Kräuterverkäufer.  Eine  bulgarische  Sage  berichtet:  Als  Gott  den 
ersten  Menschen  geformt  hatte,  machte  er  in  ihn  ein  Loch  und  Hess 
ihn  dort  liegen,  um  ihm  am  nächsten  Tage  durch  das  Loch  hindurch 
eine  Seele  einzuhauchen,  lieber  Nacht  kam  der  Teufel  und  durch- 
löcherte den  ganzen  Körper,  indem  er  glaubte,  Gott  werde  denselben 
nun  liegen  lassen  und  sich  einen  neuen  formen.  Gott  aber  stopfte 
am  nächsten  Tage  alle  Löcher  des  Körpers  mit  Heilkräutern  zu, 
worauf  er  Seele  in  den  Körper  hauchte  und  denselben  lebendig 
machte.  Gott  segnete  nun  diese  Heilkräuter,  damit  sie  dem  Menschen 
bei  Krankheiten  nützen  sollen.  Diejenigen  Kräuterarten,  mit  welchen 
Gott  die  Löcher  des  Kopfes  verstopft  hatte,  nützen  nun  gegen  Kopf- 
weh ;  diejenigen,  welche  in  den  Löchern  des  Bauches  waren,  dienen 
gegen  Bauchschmerz  ;  mit  denen  die  Löcher  des  Fusses  verstopft 
waren,  gegen  Fussweh  u.  s.  w.  Entdeckt  nun  ein  Mensch  ein  solches 
Kraut  und  teilt  er  seine  Entdeckung  seinen  Nebenmenschen  nicht 
mit,  so  versündigt  er  sich  gegen  Gott  und  erweist  dem  Teufel  einen 
Gefallen.  Deshalb  nehmen  die  Bajacka's  auch  kein  Geld  für  die 
Heilkräuter  an.  höchstens  einen  Para  (7s  Kreuzer) ;  daher  die 
Bedensart  auf  einen  Armen  angewendet:  „Er  kann  nicht  einmal  die 
Arzenei  bezahlen!"  In  Bulgarien  kennt  man  ungefähr  200  volks- 
tümliche Heilkräuter,  von  denen  viele  in  dem  vom  bulgarischen 
Zaren  Simeon  verfassten  Zbornik  erwähnt  sind.  Interessante  BegrifFe 
hat  das  bulgarische  Volk  von  der  medizinischen  Wissenschaft.  Häufig 
kommt  der  Kranke  nur  deshalb  zum  „carski  doktor*  (kaiserlichen 
Arzt),  damit  dieser  ihm  sage,  woran  er  leidet.  Sagt  der  Arzt  dem 
Kranken  das  Leiden,  dann  wendet  er  sich  an  die  Bajacka  um  Hilfe 
gegen  dasselbe.  Verschreibt  der  Arzt  ein  Medicament,  so  lässt  es 
sich  der  Kranke  häufig  in  der  Apotheke  nicht  machen,  sondern  legt 
das  Becept  in  ein  wassergefülltes  Gefäss  und  trinkt  dann  dieses  Wasser  ; 
oder  er  verbrennt  das  Papier  und  nimmt  die  Asche  desselben  ein, 
auf  diese  Weise  Heilung  für  sein  Uebel  suchend. 


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234 


König  Mathias  und  Peter  Gereb. 

Ein  1  >nl^arlsiches  Giilnrenliec  1  ;ms  Bosnien. 
Von  Dr.  Friedrich  S.  Kraus*. 

V.  Erläuterungen. 
—    Fortsetzung-  — 

Mibidinovci  (Bolgarski  nar.  pjesni,  Agram  1861).  S.  V.  Koga  sje 
svorsit  druga  ta  pjesna,  pak  vtora-ta  horovodka  sje  faStal  na  kraj-ot, 
a  laja  sto  je  po  nea  sje  cinit  horovodka  a  taka  so  red  si-te  momi 
sje  C-inat  horovodki  nekolku  poti.   Ebenda:  tanci-te   oste  sje  einat 
pod  zvuk-ot  od  gajda-ta.  Takvi  narodni  hora  sje  cinele  i  v  drugi  te 
gradiSta.  S.  11.   Nr.  12:  uc*ini   te   golem  junak  za  zenenje;  porva 
godina  Oes  sum  cinila  na  moj-ot  tatko,  vtora  godina  na  mila  majka. 
19,  19:   ein   me   boze   malko  pile:  23,  27:  rako'i-te  svadba  cinjet 
(die  Krebse  machen   Hochzeit);    Nr.  27,  b):  ezo'i-te  scir  cinjet  die 
Igel  schauen  zu:  5.24:  golem  aink  da  mi  Cinis,  grosses  Freudenfest 
machen  :  25,  29 :  Tatko  ti  ke  doit  zertva  da  cinis  (Opfer  machst),  a 
ti  sinu  wir  da  (jUda*  (zweimal):  29.31  :  sto  se  endo  ucinilo  vo  grada 
Troema?  Was  hat  sich  für  Wunder  gemacht:  29,  31  :  kail  sje  cini'a 
troemski  hristjani :  30:  on  je  kadar  i  zorbalok  da  Cinit,  Gewalttat 
machen:  4t),  38:  habet-  ti  stori  na  tvoji  tatko:  58,49:  grjeh  sto  si 
storil :  48,  44:  i  na  tfas  sje  pisman  stori;  49.  45:  nesto  milost  da 
im  storis;  45,  48:  a  egidi  mladi   kalugeri,  da  vi  kazam  sto  ke  mi 
cinite !  —  ne  mozemo  nisto  da  storime,  tuku  gospod  derman  da  ni 
storit :  S,  55:  oti  car-ot  nisto  ne  im  storit:  70,  75:  vo  dvore'i  korf 
da  ne  cinite,  Ihr  sollt  im   Hofe  kein  (Menschen-)Blut  machen,  d.  h. 
vergiessen:  80,  59:  svadba  cinit:  82,  60:  za  da  vidim  Sto  uner  cinite, 
Wunder  m.:  92,  66:  mi  za  tebc   rizda  cinirna  (bis);  96.  67:  ridza 
im  cinit,  molba  sje  niolit:  115,  82:  s  krilje  mu  senka  cinele;  110, 
78:  velikden  ke  cinarri ;  116,  84:  svadba  cinit;  122,  84:  so  latini 
pobratimstvo  einiS;   127.  88:  alal  da  mi  cinit  für  alalis ;   143,  97: 
divan  da  mu  eine :  144,  97 :  s  griba  mu  senka   eine^e,  mit  den 
Mähnen  beschatten  sie  ihn;  153,  102:  150  konja  lakardii  cinil,  und 
er  sprach  vom  Pferd  herab :  164 ;  110:  Janika  sje  storila  dobra 
moma  za  mozenje:  177,  170:  aj  druzina  da  si  sje  cinime,  dass  wir 
uns  zu  einer  Gesellschaft  vereinigen:  183,  127:  vino  pijet,  muäafere 
cinjet  S.  184.  127  =  203,  124,  trinkt  Wein,  macht  Gespräche;  188, 
139:  na  svobota  svadba  Cini :  205.  142:  da  ti  storit  Oudo  i  golemo, 
dafür  82,  60:  232,  147:  uner  c,:  208.  143  izmet  e. :  214,  143: 
metani  eine  na  nebo,  na  zemlja,  v^Txvoiav  -oisTv  ;  218.   144;  263, 
161;  324,  206;  golem  aink  cinjet;  219,  144:  veselba  e.;  220,  144: 
ke  sje  cina  mladi   mustuklzija  ;  228,  146:  dzejnk  da  cinis  s  edna 


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2;sr> 


zenska  pola,  Kampf  machen;  248  158  •  miada  robina  divan  mu 
rinit ;  25h  läiLi  saber  cini:  254,  lü3_:  sluga  ti  ke  ö. :  260,  liüh 
izmet,  armas  cini'a ;  ebenda :  oblok  ne  iMnihme,  eda  da  sje  obloiimc 
wir  haben  keine  Wette  gemacht,  wohlan,  wetten  wir  nun ;  26(5,  173 : 
zbor  öinile  do  edna  nedelja ;  282.  181  :  izmet  e. ;  2Öä :  izmet  mi 
storila;  287,  18.2 :  kabul  cina;  294,  184:  uner  napra'i,  uner  mi 
storila,  svadba  mi  Cinila;  306,  lakardiji  cinjet;  314,  1Ü8:  ako 

mozem  sem  sluge  da  cjnam,  ja  ne  mozem  sem  ljubov  da  bidara, 
wenn  ich  auch  alle  bedienen,  allen  Schätzchen  .sein  kann  ich  nicht; 
315,  1^8:  svadba  e. ;  323,  205 :  pomost  da  mi  C-ine,  Hilfe  machen; 
324,  205;  izmet  c. ;  348,  240:  alal  cini  bjela  riza ;  356,  252_l  na 
sablja-ta  delba  ne  sje  öinit,  Teilung  machen;  366,  2ü2:  ^teta  da 
mu  cinjet;  377,  222j  seir  c, ;  380,  300 :  s  nevjesti  zbor  si  cinese; 
381,  301  :  ergeni  oblok  si  einat;  406,  370  i  cinit  golemi  zulum ; 
ees  cinit;  407,  374:  kabul  cinese;  411,  381:  kail  cinis;  412,  383: 
ti  Bista  los  cinuvase,  Kista  pijan  cinuvase;  429,  425:  Cini  stramota; 
434,  438 :  benka  menje  cini,  hat  mich  gezeichnet ;  448,  475 :  vecer 
cinime  porviee,  abends  machen  wir  die  Erstlinge:  498,  643:  majka 
me  rezil  cinila :  503.  633 :  sinovi  mu  kuluk  cinat,  die  Söhne  machen 
ihm  Dienstbarkeit :  —  —  121,  8Ai  pisman  sje  storila;  131,  88 : 
stori  golema  unera ;  131,  88 :  da  storis  golema  donamba ;  154,  102; 
keif  da  je  storis,  serbisch:  ceif  grabiti,  e. ;  182,  126:  svadba  da 
storime:  185,  121:  uner  stori  Mitreica ;  210,  143 :  noke  ke  sje  storit: 
228,  146 :  molba  storit.  da  mi  sje  zastojet,  er  bittet,  er  möge  war- 
ten ;  232,  147 :  da  sje  storit  golema  teptili ;  263,  170 :  da  mi  sje 
storis  dobra  devojka,  da  m.  s.  s.  mosne  bogata;  349,  242:  ova 
eudo  sto  stori;  350  243:  stori  teska  magija;  386,  312:  sje  storihme 
dva  goloba :  452,  488 :  mome  sje  pisman  storilo ;  508,  650 :  dzeink 
sje  storilo;  509,  656:  di  si  mi  magija  storila*?;  —  Aus  /.  Bni/orov  : 
Bulgarski  nar,  pjesni.  L  Sofija  1879.  Siehe  T.  L  1 :  hair  da  ocine, 
14,  14j  =  60,  54;  ÜL  15j  24,  24_;  35,  Ml  djelba  ciniha -  4h  40; 
ÜLL  54  usw.  —  —  Aus  V.  Kacanovskij :  Sbornik-zapadno  bolgar- 
skih  pjesen,  St.  Ptbg  1882,  S.  89,  Nr.  2L  V.  5_:  mir  da  öini,  Frie- 
den machen;  90,  22.  23:  zifet  da  c.  Lilo  kasapin ;  90,  01,  3i 
divan  da  c.  (bis);  107,  39,  54_*  metanija  mu  cini;  127,  52,  LL: 
devet  sem  kervi  uciuil,  deseto  dete  Stojano,  zivju  go  na  razen  pekoh 
neunmal  machte  ich  Blut,  das  zehnte  tötete  ich  Stojan,  briet  ihn 
lebendig  am  Spiess ;  138,  66,  4 '  cinilo  zakon,  machte  Gesetz,  d. 
h.  vereinbarte ;  147 ;  69.  94 :  da  kum  mu  mjesto  einja ;  1 K7,  70, 
13 :  svadba  pravil  =  151,  71,  1 1  :  1 79,  87,  1Z_:  kakva  ti  e  steta 
ucinelo:  =  181,  88,  iü ;  —  185.  89,  46:  otu  si  pakost  napravila? 
—  187.  91,  18 :  zlo  il  — ,  197.  94,  58.  golem  sem  oblog  napravil; 
214,  106,  Ll  car  Fetar  svadba  pravese;  225,  112,  1 12:  Kavga  da 
si  pravi ;  232,  114,  V.  M  u.  62_;  izmet  c.  243,  119,  V.  9Q  u. 
232  :  teslim  ucini,  Geschenk  machen ;  247,  189,  317  :  ater  da  strosim, 
sonst:  cinim  ;  249,  120,  62 :  sala  da  prava;  257,  122,  70:  tovra  da 
prava.  Übermut  machen,  d.  h.  sich  übermütig  betragen;  24V), 
135,  Li  tembi   cini  cara  Sulejmana;  314,  142,  24 :   steta  e. ;  314, 


23« 


142,  52,   mjesto  nacinise  :   330,  148.  Ii:   sekoj  junak   ispitie  «'ins, 
jeder  Held   macht  Fragen,  frägt:  3811,   150.  128:  gajlet  da  m'iaa 
378,  1<>4,  37       46;  dobro  da  cinam  :  ce  se  napravim  mlado  jant 
eerce:  416,  177,  155;  dva  brata  se  prigernaha.  cinija  zdravo.  tix<. 
sie  taten  einander  „gut  Heila.  »sollst  leben'  (sagen):  439.  181.  10 
cana  ucinilo,  veräussern,  verkaufen.   Preis  machen  auf  dem  Markte 
er  will  nämlich  seine  Frau  verkaufen:  453,  185.  39:  timar  rineba 
453,  185,  48:  alal  da  mi  cini:  467,  189,  35:  pazar  napravili. 
wurden  handeleins:  471,  191,  2:  gosba  da  si  cini,  machten  Mahl 
zeit,  essen;  494,  200,  63;  sabor  stori   Pctrovitin.  In  Westbnlgaim 
ist  diese  Phrase  äusserst  selten.  502,  200,  322:  poklon  napravii 
515,  209,  7 :  konee  mu  cini  tri  grada  —  kolko  Sofija  i  sotijska-U 
nahija  ;  517.  210.  5:  teferice  eine;  523.  214,  5:  zulum  mi  napravii. 
523,  214,  9;  zalba  storile  golema,  sie  trauerten  sehr;  524.  214 
23:  golem  mezlik  storia :  536,  216,  169:  tri  nedelji  svadba  pravil< 

Zu  V.  2.  An  drei  Freitagen  und  drei  Montagen,  her  Freit« 
ist  bei  den  Moslimen  ein  Ruhe-  und  Festtag  und  der  Montag  p'r 
für  sich  als  ein  glücklicher  Tag  für  jeden  Geschäftbeginn  und  jed>- 
lTnternehmung.  Auch  die  bosnisch-herzögischen  Bezirkhäuptlinge  de* 
Guslarenlieder  pflegen  sich  gewöhnlich  an  Freitagen  und  Montaner, 
in  den  Weinkneipen  oder  in  Kafleschänken  zu  Beratungen  oder 
heldenmässigen  Aufschneidereien  zu  versammeln. 

Zu  V.  4—5,  Gospoda.  Der  Titel  gebührt  nach  dem  alte: 
Sprachgebrauche  nur  den  ein  hohes  Regierungamt  innehabenden 
Befehlhabern,  die  dem  Landherrn  gegenüber  wieder  ihrerseits  nu- 
Knechte,  Diener,  Lastträger  sind.  Lala,  Hofmeister  ist  der  alljr? 
meine  Name  für  einen  höheren  Hofbediensteten.  Hammer  a.  a.  «■ 
IV.  17.  In  einem  Guslarenliede  spricht  der  Sultan  seinen  erster. 
Vezier  so  an : 

■ 

lajo  moja,  muhur  sahibija. 

sto  mi  zemlje  i  gradove  cuvas! 

O  Lala  mein,  des  Sigels  Herr  und  Hüter. 

der  Länder  mir  und  Städte  du  behütest! 

Ueber  den  Sigelbewahrer  mühürdar  siehe  Hammer  V.  443 
VIII.  12,  496.  IX.  28.  Er  heisst  auch  mumejiz  der  Durchseher  der 
Geschäftaufsätze  IL  230,  IX.  30,  Die  Veziere  waren  Paschen  toi, 
drei  Rossschweifen,  Vorsteher  der  Pforte,  mit  anderen  Worte  rid- 
Zalen,  Minister,  Hammer  VII.  513,  567,  VIII.  391.  Pascha  ist  wir 
dem  pers.  pai-sah,  Fuss  des  Schah.  Das  ist  ein  Rest  jener  uralter, 
persischen,  von  Xenophon  überlieferten  Staateinrichtung,  vermag 
welcher  Cyrus  die  von  ihm  eingesetzten  Staatbeamten  seine  Küsse 
Hände,  Augen  und  Ohren  nannte  (Xenophon.  Kyropaed.  L.  VIII.  2. 
Die  Spur  dieser  alten  morgenländischen  bildlichen  Vor?tellung  hat 
sich  bis  auf  heute  in  dem  Titel  Pasa  erhalten;  die  Pasen  als  Statthalter 
Heeranführer  und  Veziere  sind  die  Füsse  des  Königs.  Hammer  I  • 
S.  141.  f. 


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Zu  V.  7.  Betreffs  der  7  Könige,  der  Herren  von  7  Landen  vrgl. 
Krauss:  Orlovic,  Der  Burggraf  von  Raab,  zu  V.  177,  S.  81—93.  Die 
Wendung  ist  nicht  buchstäblich  zu  nehmen ;  denn  dem  Guslaren  ist 
es  nur  darum  zu  tun,  hier  den  Machtbezirk  des  Sultans  anzudeuten. 
Bulgarische  Ueberlieferung  weiss  sonst  auch  von  noch  mehr  Königen 
zu  sagen  (Miladinov,  Bulg.  n.  p.  Nr,  341.  S.  395): 

sabrale  sje  sedumset  kralevi, 
megju  sebe  tie  zboruvaet: 

—  Kolku  imat  ot  more  do  Dunav, 
sedumdeset  i  sedum  gradoi, 

ot  Legena  pogolem  grat  nemat. 

Versammelt  waren  siebzig  Könige, 
und  gaben  ihre  Meinung  leise  kund: 

—  So  weit  vom  Meer  es  bis  zum  Donaustrom 
wohl  siebenundsiebzig  Städte  geben  mag, 

an  Umfang  misst  mit  Legen  keine  sich. 

Zu  V.  7  Vrgl.  Krauss:  Smailagic  Meho,  zu  V.  738,  S.  111.  Ha- 
rac  und  porez  bedeuten  dasselbe :  Steuer.  Die  Nebeneinandersetzung 
des  fremden  und  entsprechenden  slavischen  Wortes  (coordinirt)  sehr 
häufig,  Vrgl.  Beispiele  in  meinem  Sm.  Meho  zu  V.  841.  S.  94.  Das 
zweite  Wort  ist  regelmässig  in  solchen  Fällen  eine  Uebersetzung  des 
Fremdwortes.  Im  nichtpoetischen  Sprachgebrauche  seltener,  doch 
finde  ich  bei  neuesten  serbischen  Erzählern,  die  doch  genauer  zu 
entscheiden  wissen,  für  Rose  gjulrujica.  Gjul  =  gül  ist  Rose.  Klingt 
auch  ihnen  etwa  solche  Tautologie  poetischer? 

Zu  V.  8.  Schlüsselübergabe  als  Symbol  der  Unterwerfung  und 
Auslieferung  auch  unter  Slaven  und  Orientalen  üblich.  Wer  die 
Schlüssel  besitzt,  gebietet  im  Haus  und  Hof,  so  auch  die  Schaflherin. 
Vrgl,  Krauss,  Sitte  und  Brauch  der  Südslaven,  Wien,  1885.  S.  91. 
Z.  V.  g.  jogunica,  türk.  jogun,  dick,  unbeholfen,  schwerfällig;  als 
Lehnwort  im  serb. :  ein  übermütiger,  zu  tollen  Streichen  aufgelegter 
Mensch.  Jogunluk,  dreiste,  frevle  Streiche.  2.  V.  11.  Zwölf  Jahre: 
wir  würden  sagen :  seit  einer  geraumen  Zeit  von  Jahren.  —  Bei  der 
jeweiligen  Tributablieferung  mussten  die  Abgesandten  der  Vasallen 
jedesmal  nach  türkischem  Hofceremoniell  gleichsam  als  Unterworfene 
mit  dem  Zeichen  der  Botmässigkeit  versehen,  der  Pforte  nahen.  Die 
Entgegennahme  des  Tributes  erfolgte  als  ein  Gnadenakt  des  Siegers. 

Z.  V.  16.  300.000  Mann,  nur  als  runde  Zahl,  für  unendlich  viel. 

Zu  V.  18.  galija,  vom  it.  galea,  galia,  Dreiruderschi  ff,  Galeere, 
türk.  gemi  und  dann  serb.  gjemija;  mala,  tanka,  velika  gj.  kleines 
LangschifT,  grosses  Schiff,  auch  für  Nachen.  In  einem  Guslarenliede : 

preko  mora  sam  vozi  gjemiju, 
sam  je  vozi,  sam  je  domeniäe; 
docerao  dedo  pod  brdo. 


2tfS 


pa  do  kraja  doeera  gjemiju ; 
u  ledinu  kolac  udario, 
za  kolac  privezao  gjemiju. 

er  fährt  allein  das  Schifflein  übers  Meer, 
er  fährt  s  allein  und  lenkt  es  auch  allein; 
es  trieb  der  Greis  es  gen  das  Ufer  hin, 
und  trieb  das  Schilf  hart  ans  Gestade  auf; 
er  rammte  in  den  Rasen  einen  Pfahl 
und  an  den  Pfahl  das  Schifflein  band  er  fest. 

Auf  grossen  Galeeren  warf  man  gebotenen  Falles  auch  Anker 
aus.  Die  „hundert" Schilfe  dienten  vor  allem  für  die  Beförderung  der 
Kanonen  und  der  Munition.  Flussaufwärts  halfen  aus  dem  Tross 
Sclaven  als  SchilTschlepper  mit. 

Zu  V.  ID.  In  Guslarenliedern  kommen  verschiedene  Namen  für 
Kanonen  vor,  z.  B,  baljemez  topovi,  grosse  Kanonen  oder  scharfe  Metzen 
(vrgl.  Hammer  a.a.O.  III.  l'.K).  VII,  34);  sibe  pregonice  Feuermörser ; 
halkali  topovi  Pöller;  matice  kumpare  schw  ere  Karthaunen ;  carak 
topi  mali  Viertelknithaunen,  z.  B. : 

dok  na  gradu  drmnuse  topovi. 
pet  stotina  baljemez  topovä, 
zapucaSe  nbe  pregonice  .... 
oder :        nek  nam  dade  jedan  miljun  vojske 
i  hiljadu  halkali  topova, 
i  pet  stotiu  matica  kumpara 
i  stotinu  carka  topa  mali 
na  svu  vojsku  kuvet  i  zahiru, 
ua  topove  haznu  i  dzebhanu, 
pot  topove  konje  i  volove 
pa  hocemo  s  carom  zaratiti. 

Was  sich  ein  Guslar  unter  diesen  Namen  für  Geschütze  vor- 
stellen magen,  ist  kaum  sicher  zu  ermitteln,  jedenfalls  imponirt  er 
damit  sich  und  seinen  Zuhörern.  Im  allgemeinen  knüpft  sich  an  den 
Namen  eines  Geschützes  eine  gewisse  Vorstellung  von  dessen  Grösse, 
aber  in  den  verschiedenen  Ländern  und  auch  zu  verschiedenen  Zeiten 
ändern  sich  diese  Begriffe.  Der  Grösse  nach  wurden  am  Ende  des 
16.  und  am  Anfange  des  17.  Jahrb.  die  zu  Graez  gegossenen  eigent- 
lichen Kanonen  in  folgender  Weise  geordnet :  Karthaunen,  Notschlan- 
gen, Singerinnen,  Feldschlangen,  Falcaunen,  Doppelfalconet,  Halb- 
karthaunen,  Viertelkarthaunen.  Öuartierschlangen  und  Schlangen, 
Feuermörser,  Haubitzen,  Pöller.  Die  Türken,  zur  Zeit  der  Entstehung 
unseres  Guslarenliedes  pflegten  Kanonen  erst  vor  den  belagerten 
Festungen  zu  giessen.  In  den  älteren  Zeiten  war  die  türkische 
Kriegführung  auf  Belagerung  von  starken  Festungen  gar  nicht  ein- 
geführt. Die  Kunst  der  Kriegführung  bestand  meist  darin,  das  Land 


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zu  verheeren  und  den  Festungen  jede  Zufuhr  anzuschneiden.  Oer  in 
V.  20  ff.  ausgesprochene  Vorsatz  blieb  in  der  Regel  keine  leere 
Drohung.  Das  Pfählen  war  meist  nur  die  Strafe  für  Spione  und 
Buschklepper.  Gefangene  verkaufte  man  in  die  Selaverei  oder  behielt 
sie  zum  Austausch  zurück.  Solcher  Brauch  bestand  sowohl  im  tür- 
kischen, als  christlichen  Lager.  Hüben  und  drüben  zogen  Sclaven- 
händler  mit  dem  Tross  mit. 

Zu  V.  19.  Heber  die  Namen  für  Ungarn  s.  Kraus»  im  Orlovic, 
S.  84.  V.  1 10. 

Zu  V.  20.  Knezovi  Dorfschulzen,  Kmetovi  Lehensbauern.  Vrgl. 
Salamon  a.  a.  0.  Gap.  XL 

Zu  V.  23.  Franziskaner,  Fratres  als  Klosterbewohner,  popovi 
Pfarrer  der  griechisch-orientalischen  Christen.  Zu  Führern  des  Vol- 
kes stempelte  sie  erst  recht  die  türkische  Verlassung  und  machte 
sie  häufig  für  politischen  Aufruhr  der  Bevölkerung  verantwortlich, 
selbst  wenn  sie  daran  unbeteiligt  geblieben  waren. 

Zu  25.  vodi  ladnoj.  Dem  an  warme  (Schwitz  )  Bäder  gewohn- 
ten Orientalen  und  dann  dem  südslavischen  Bauern  ist  offenes  Fluss- 
wasser kalt.  W  enn  der  Sänger  kein  anderes  Epitheton  einem  Flusse 
zu  geben  weiss,  vielleicht  aus  Unkenntnis  der  jeweiligen  Verhältnisse, 
so  nennt  er  ihn  kalt. 

Zu  V.  29.  In  15  Tagen.  Im  Commentar  zu  ,La  (in  du  roi 
Bonaparte4,  Paris  1889,  S.  22  bemerkte  ich:  Comme  d'apres  la 
vieille  coutume  judiciaire  en  France  on  dit  .quinze  jours4  aussi  chez 
les  slaves  du  Sud.  Pourtant  le  delai  ne  comporte  que  deux  fois 
sept  jours.  On  y  ajoute  un  delai  en  sus  d'un  jour,  pour  rendre 
plus  possible  rexaetitude  ä  eelui  qui  est  assigne.  D'apres  les  cnan- 
sons  des  Guslars  le  temps  qui  s"  ecoule  entre  les  fiancailles  et  le 
mariage  comporte  generaleinent  quinze  jours  (14-f-l  >.  Par  exemple 
dans  Smailagic  Meho  le  heros  dit  ä  sa  belle  mere  pretendue : 
V.  849:  s. :  Ma  chere  vieille.  tu  devras  m'attcndre  moi  et  les  hötes 
pour  les  noces  pendant  Lespace  de  quinze  jours".  Si  le  fiance  est 
inexaet,  et  s'il  ne  s'en  tient  pas  au  terme  convenu,  le  prix  qu'il  a 
paye  pour  Ia  fiaucee  devient  caduc,  la  demoiselle  recouvre  sa  liberte 
et  peut  en  epouser  un  autre'.  Meine  Auslegung  des  Zuschlagtages 
zu  der  Frist  von  zwei  Wochen  linde  ich  auch  durch  den  deutschen 
Rechtbrauch  gerechtfertigt.  Bei  IL.  linrefnml  (Die  sprichwörtlichen 
Redensarten  im  deutschen  Volksmund  nach  Sinn  und  Ursprung  er- 
läutert, Leipzig  1S8S)  steht  auf  S.  245  zur  Erklärung  der  Wen- 
dung ,nach  Jahr  und  Tag' :  .Eine  altdeutsche  Rechtformel,  die 
sich  bis  auf  unsere  Zeit  erhalten  hat.  Ursprünglich  bezeichnete  der 
Ausdruck  die  Verjährungfrist,  also  den  Zeitraum,  der  verflossen 
sein  musste,  um  im  unangefochtenen  Besitze  eines  Grundstücks  zu  sein  : 
ferner  als  Bestimmung  für  die  Dauer  des  Aufenthaltes1.  „Sachsenspiegel" 
1,  34;  1,  38:  2.  31;  41,  42.  44:  3,  38.  53,  83.  Diese 
Frist  galt  nun  nicht  so  viel  wie  ein  Jahr  und  ein  voller  Tag, 
sondern  war  gewöhnlich  normirt  auf  ein  Jahr,  sechs  Wochen  und 
drei  Tage.  (Gaupp,  .Schlesisches  Landrecht.-  L  28  (Leipzig  1828.) 


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240 


—  Ein  verkaufter  Knecht  wurde  nach  altfränkischem  Recht  auf  Jahr 
und  Tag  gesund  garantiert  (usque  ad  annum  et  diem).  Vrgl.  Grimm, 
Rechtaltertümer,  222  f.),  d.  i.  ein  Jahr  und  dreimalige  Wie- 
derholung der  vierzentägigen  Frist  mit  drei  Tagen  Zugabe.  Die  Zu- 
gabezahl haben  wir  auch  in  der  achttägigen  Frist  (7-j-l);  desgleichen 
in  dem  französischen  quinze  jours  (14-f-l)Ä  Die  Anmerkung  Bor- 
chardts,  dass  dieser  Ausdruck  offenbar  auf  deutschen  Einfluss  zu- 
rückzuführen sei,  ist  ohne  Begründung.  Auch  der  Südslave  rechnet 
zum  Jahr  eine  Zugabefrist  hinzu.  In  der  Zugabezeit  erfüllte  sich  die 
Hoffnung  manches  Gefangenen,  der  einen  Boten  heim  um  Lösegeld 
gesandt.  Der  Befreier  trifft  infolge  unvorhergesehener  Verspätung  auf 
der  Reise  gewöhnlich  im  letzten  Augenblicke  ein,  wann  die  Geduld 
des  grausamen  Burgherrn  und  die  gesteckte  Frist  fast  abgelaufen 
ist.  Es  ist  die  Vermutung  erlaubt,  dass  auch  bei  den  Südslaven 
dieser  rechtgewohnheitliche  Brauch  des  Zuschlagens  zur  runden 
Zahl  auf  ein  altes,  staatlich  festgesetztes  Recht  hinweist.  Es  ist  ge- 
stattet, hiebei  zu  erinnern,  dass  auch  die  Truppenabteilungen  von 
30,  81)0,  3000  u.  s.  w.  Mannen  durch  die  Führer,  die  Offiziere  Zu- 
gabe erhalten. 

Zu  V.  31.  Es  mag  dahingestellt  sein,  ob  meine  Verdeutschung 
.das  Volk  von  Gran  muss  über  Klingen  springen'  richtig  ist,  obgleich 
sie  der  Auffassung  meines  Guslaren  entspricht.  Die  Phrase  ,unter  den 
Säbel  nehmen1  kann  nämlich  auch  eine  Form  der  Subhastation  be- 
deuten, wonach  man  die  Einwohner  der  eroberten  Stadt  unter  dem 
Zeichen  des  Säbels  samt  und  sonders  in  die  Sclaverei  verkauft,  was 
dem  oben  besprochenen  Brauch  betreffs  der  Krieggefangenen  gemäss 
wäre,  während  der  König  und  dessen  Instigator  langsam  zu  Tode 
gepeinigt  werden  sollen. 

Zu  V.  36.  metrut  für  metnut,  so  auch  V.  241 :  sitru  für  sitnu. 
das  ist  eine  Spracheigentümlichkeit  dieses  einen  Guslaren,  der  auch 
regelmässig  mregju  für  megju  sagt. 


Eine  alte  Beschwörungsformel. 

Von  Prof.  K.  Furhs. 

Weiland  Johann  von  Tomka,  evang.  Pfarrer  zu  Zurndorf  im 
Komitate  Wieselburg,  ein  geborener  Zipser,  teilte  mir  vor  etwa 
30  Jahren  als  siebzigjähriger  Greis  Folgendes  mit: 

„In  meiner  Jugend,  am  Anfange  unseres  Jahrhunderts,  sangen 
in  Zipsen  die  Kinder  bei  verschiedenen  Anlässen  noch  viele  alte 
Lieder.  Wenn  wir  im  Freien  spielten,  und  eine  Wolke  die  Sonne 
verdeckte,  unterbrachen  wir  das  Spiel  und  sangen: 

Schein',  du  liebe  Sonne ! 

In  Krakau  ist  eine  Nonne ; 

In  Wien,  da  ist  ein  Glockenhaus, 


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241 


Da  schauen  die  drei  Narren  heraus. 

Die  eine  ist  die  Kola, 

Die  andere  ist  die  Stola, 

Die  dritte  hält  ein  Kind  im  Arm ; 

Schein',  du  liebe  Sonne,  warm ! 

So  sangen  wir,  bis  die  Sonne  wieder  heil  schien." 
Soweit    meine    Quelle.     Einige    Bemerkungen    seien  daran 
geknüpft. 

Das  Interessanteste  am  Liede  sind  die  Namen.  Der  Name  Kolt 
kommt  meines  Wissens  in  keiner  europäischen  Mythologie  vor.  VVol 
aber  gibt  es  eine  deutsche  Holla  und  einen  slavischen  Kolada.  Beide 
Namen  knüpfen  sieh  an  die  Wintersonnenwende  und  können  daher 
demselben  urarischen  Begriffe  entsprungen  sein.  Frau  Hulda  hält  um 
Weihnachten  ihren  segenspendenden  Umzug  durch  die  Lande,  der 
Friedensgott  aber  wurde  um  dieselbe  Zeit  durch  mehrere  Tage  mit 
Tanz,  Gesang.  Spiel  und  bunte,  auch  pantomimische  Umzüge  gefeiert, 
als  deren  Nachklang  die  Dreiköuigsfeier  angesehen  werden  kann. 

Ein  Name,  der  an  Stola  anklingt,  kommt  meines  Wissens  in 
der  europäischen  Mythologie  auch  nicht  vor. 

Krakau  wird  im  Liede  genannt.  Für  Zipsen  ist  Polen  das  Land 
der  Poesie,  des  Reichtums,  der  Herrlichkeit.  Den  glänzenden  polni- 
schen Edelleuten  lieferten  die  schwergeprüften  deutschen  zipser  Kauf- 
leute  die  Mittel  des  Prunkes  und  vor  Allem  Wein.  Das  königliche 
hoehgepriesene  Krakau  steht  hier  vielleicht  vicariierend  für  einen 
Ort  der  Vorwelt,  dessen  Ruhm  aber  im  Cultus  seine  Wurzeln  hatte. 
Wien  soll  im  Liede  wol  auch  nur  einen  weit  entfernten  hochgeprie- 
senen Ort  voll  Herrlichkeit  und  Macht  bezeichnen.  Vielleicht  vicariiert 
es  auch  nur  für  irgend  ein  irdisches  oder  himmlisches  Götterheim. 

Was  ist  ein  Glockenhaus,  und  wer  sind  die  drei  Narren,  die 
herausschauen?  Ein  Glockenhaus  ist  ein  offenes  Balkengerüst  inmitten 
eines  grossen  freien  Platzes,  das  ein  Dach  trägt,  unter  welchem  die 
Glocken  hängen.  Es  ist  sehr  wahrscheinlich,  dass  das  kristliche 
Glockenhaus  ursprünglich  etwas  ganz  anderes  war,  gleichwie  die  krist- 
liche Basilika  ursprünglich  eine  Markthalle  war.  Wenn  man  die  Leute 
ruft,  ruft  man  sie  doch  vernünftigerweise  dorthin,  wo  man  sie  haben 
will.  Nun  ruft  wol  das  Glockenhans  die  Leute,  nicht  aber  zu  sich, 
sondern  zu  der  oft  abseits  liegenden  Kapelle  oder  Kirche.  Wahr- 
scheinlich rief  das  Glockenhaus  ursprünglich  die  Leute  zu  sich  sel- 
ber ;  es  war  aber  kein  Glockenhaus,  sondern  eine  offene  Halle,  ein 
von  Säulen  getragenes  Dach,  inmitten  eines  grossen  freien  Platzes, 
ein  offener  Tempel,  unter  welchem  das  Götterbild  stand,  weithin 
sichtbar  nach  allen  Seiten :  und  die  Leute  wurden  nicht  mit  Glocken, 
sondern  mit  den  in  den  Bergwerken  und  in  der  orientalischen  Kirche 
noch  heute  üblichen,  an  Seilen  hängenden  Schallbrettern  oder  Schall- 
blechen gerufen. 

Das  Lied  sagt,  dass  aus  dem  Glockenhaus  drei  Narren  heraus- 


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242 


schauen.  Dies  waren  wol  ursprünglich  drei  Götzengesichter.  Der 
Zipser  spottet  überlegen,  aber  er  nennt  sie  Narren,  nicht  Teufel. 

Man  nimmt  gewöhnlich  an,  die  dreieinigen  Götzen  waren  von 
philosophischen  Dichtern  erfunden,  und  dann  von  den  Bildnern 
geschnitzt  worden.  Ich  glaube,  die  umgekehrte  Annahme  ist  die 
natürlichere.  Die  Stammesgenossen  kamen  jährlich  nur  einmal,  beim 
grossen  Frühlingsfeste,  oder  zweimal  auf  den  heiligen  Plan.  Da  aber 
kamen  sie  gleichzeitig,  in  Massen,  von  allen  Seiten,  und  umlagerten 
im  weiten  Kreise  die  heilige  Linde  oder  Eiche,  oder  das  an  ihre 
Stelle  getretene,  von  Säulen  getragene  Dach,  den  Tempel.  Wo  man 
Steine  zu  bearbeiten  wusste,  ersetzte  man  die  Holzsäulen  durch  im 
Kreis  gestellte  Monolithe,  die  das  Gebälke  des  Daches  trugen,  wie 
man  sie  in  Preussen,  in  Irland  etc.  noch  heute  findet.  Jedermann 
musste  erwarten,  dass  der  allsehende,  allherrschende,  allumfassende 
Gott  ihm  direct  ins  Auge  sehen  werde,  Huldigung  fordernd,  Opfer 
empfangend,  Segen  bringend.  Der  Herr  ist  Herr,  so  lange  er  mit  der 
Peitsche  in  der  Hand  dem  Knechte  ins  Auge  blickt.  Der  Herr  darf 
keine  Rückenseite  haben,  und  ein  Gott,  dem  der  Andächtige  in  die 
Hinterseite  schauen  muss,  ist  kein  Gott.  Da  blieb  den  Priestern  nichts 
übrig,  als  dem  Götterbilde  nach  jeder  Seite  ein  Gesicht,  und  wo 
Anne  vorhanden  waren,  nach  jeder  Seite  Arme  zu  geben.  Wenn 
man  nun  ein  Stück  Holz  nimmt,  oder  einen  Thoncy linder  von  gege- 
bener Dicke,  dann  überzeugt  man  sieh  leicht  durch  den  Ver- 
such, dass  es  kaum  möglich  ist,  mehr  als  drei  Gesichter  herauszu- 
arbeiten. Zwei  sind  für  einen  geschlossenen  Kreis  von  Andächtigen 
zu  wenig,  drei  genügen  zur  Not. 

Nach  dieser  Auffassung  würden  also  die  dreieinigen  Götzen, 
die  Dreiköpfe,  die  Triglaw,  ihren  Ursprung  lediglich  einer  technischen 
Schwierigkeit  verdanken,  gleichwie  die  assyrischen  Flügelstiere  durch 
eine  technische  Schwierigkeit  fünffüssig  geworden  sind.  Das  abson- 
derliche dreiköpfige  Resultat  wirkte  dann  wie  ein  Sauerteig  auf  die 
Phantasie  der  Dichter,  die  jeden  Kopf  individualisierten,  ihm  einen 
besonderen  Charakter  verliehen,  den  Götzen  in  drei  Wesen  spalteten, 
oder  ihm  auch  hundert  Köpfe  und  hundert  Arme  andichteten,  je 
nach  der  geistigen  Disposition  des  Volkes.  Wie  sauerteigartig  die 
kleinsten  technischen  Zufälligkeiten  auf  die  Phantasie  wirken,  wenn 
sie  nur  unwegdisputierbare  Wirklichkeit  sind,  sieht  mau  an  den  abson- 
derlichen Sagen,  die  sich  daraus  entwickelt  haben,  dass  beispiels- 
weise die  Löwen  der  Budapester  Kettenbrücke  keine  Zunge,  oder 
das  Pferd  Josefs  II.  in  Wien  keine  Hufeisen  haben. 

Später  machte  man  Götterbilder  für  den  alltäglichen  Gebrauch, 
so  dass  das  Publikum  sich  nie  in  Massen  anzudrängen  brauchte; 
man  stellte  sie  nicht  in  entlegene  Warten,  sondern  in  die  Cultur- 
region,  von  Verkehrsstrassen  aus  von  einer  Seite  zugänglich.  Da 
war  es  natürlicher  sie  vor  einen  Hintergrund  zu  stellen ;  da  fiel  der 
Grund  weg,  ihnen  mehr  als  ein  Gesicht  zu  geben. 

I'nser  Lied  scheint  also  von  einem  offenen  Tempel  mit  einem 


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243 


dreieinigen  oder  dreifachen  Götzenbilde  zu  sprechen.  Wen  stellte 
diese  Trimurti  vor? 

Alle  arischen  und  viele  nichtarische  Völker  lassen  die  Sonne 
gegen  das  Ende  des  Jahres  immer  mehr  ihre  Herrlichkeit  einbüssen 
und  in  der  Zeit  der  Sonnenwende  in  völligem  Erliegen  sein.  Dann 
interveniert  aber  eine  höhere  Macht,  und  die  Sonne  wird  erlöst,  oder 
neu  belebt,  oder  neu  geboren.  Diese  höhere  Macht  scheint  die 
Trimurti  unseres  Liedes  zu  sein.  Dabei  scheint  es  eine  weibliche 
Sonnwendgottheit  mit  dem  neugeborenen  Sonnenkinde  im  Arme  zu 
erwähnen.  Das  Lied  scheint  also  ursprünglich  etwa  folgenden  Sinn 
gehabt  zu  haben : 

„Du  dreifache  Gottheit  von  .  .  .  (Krakau/,  die  du  sogar  die 
sterbende  Sonne  zur  Wintersonnwende  neu  erstehen  machen  kannst, 
hilf  ihr  auch  aus  der  jetzigen  Gefahr!" 

Leider  ist  es  nicht  möglich  eine  Vermutung  darüber  aus- 
zusprechen, wo  der  berufene  Tempel  gestanden  haben  mag,  ob  auf 
slavischem  oder  auf  deutschem  Grunde.  Für  einen  deutschen 
Ursprung  spricht  es,  dass  das  Lied  in  seiner  heutigen  Gestalt  so 
zerrissen,  geradezu  sinnlos  ist.  Die  ältesten  germanischen  Poesien 
haben  eine  so  zerrissene,  ausrufartige  Form,  dass  der  Sinn  fast 
verloren  geht,  wenn  man  sie  in  unsere  heutige  Sprache  übertragen 
will.  Im  Hebraeischen  ist  dies  noch  ärger.  Im  Slavischen  besteht 
diese  Schwierigkeit  weit  weniger.  Anderseits  aber  scheint  die  Drei- 
gestalt eher  slavischen  als  germanischen  Ursprungs  zu  sein.  Die 
slavische  Volksmasse  liebt  mehr  den  Kreis,  das  Umschwärmen  oder 
Umfluten,  im  Kampfe  das  Ersäufen  des  Feindes  in  unsehbaren 
Wolken,  in  denen  der  einzelne  Slave  der  Gefahr  entrückt  ist,  wie 
dies  von  Darius  bis  Napoleon  alle  Feinde  empfunden  haben.  Das 
slavische  Dorf  ist  im  Kreise  gebaut.  Der  Deutsche  liebt  mehr  die 
Front,  den  Keil ;  er  ruft  trotzig  den  Blitz,  auf  sich.  Er  baut  sein 
Dorf  in  einer  Zeile,  und  er  wird  auch  seinem  Gotte  lieber  von  einer 
Seite  genaht  sein;  er  stellte  sich  vor,  nicht  um  den  Altar.1 

Pancsova. 


1  Wir  veröffentlichen  diese  anregende  Hypothese  unseres  g.  Mitarbeiters, 
ohne  dieselbe  vollinhaltlich  zu  approbieren.  Red. 


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■2U 


Aus  dem  Volksglauben  der  Schwaben  von  Solymar, 
Szent-Ivan  und  Hidegküt.1 

I.  Besprechungen  (Atutprechungm).  1.  Bei  einer  Feuerabrunst  pflegt  man  an 
<lie  Wände  der  vom  Brande  noch  nicht  ergriffenen  Häuser  mit  toter  Kohle 
folgenden  Spruch  aufzuschreiben  : 

Jesus  von  Nazareth,  Dies  Haus  steht  in  Gottes  Hand, 

Der  Kenig  der  Juden  !  Das  heiliger  Florian 

Beschitzet  von  Feiers brand!  fSzt-Ivan). 

2  Wann  anen  a  voitig  Tier  (wütendes  T  )  entgeg'n  kämmt,  spricht  man, 
die  Fänst'  entgeg'n  halteini : 

Halt  ein  dein  Mund, 
Halt  ein  dein  Zand  ! 
Wie  der  hl.  Albertus 

Seine  Hand!  Hilf  Gott  Vater,  G.  Sohn,  G.  hl.  Geist.  (Solymar). 

3.  Wann  anen  au  Hduber  überrascht: 

Unt'n  her  sieg'  i  dich,  Obn  ttberwind'  i  dich  ! 

In  der  Mitt'  bind'  i  dich,  Hilf  Gott  Vater  u.  s.  w.  (Solymar). 

4.  Für  Fieber.   Am   Ostersunntag  geht  man  ungeweckt  vor  Sunnen- 
aufgang  am  Kalvarienberg,  knit  si  nieder  und  sogt  mit  ausgebreitete  Anne  : 

I  kni  mi  auf"  den  Stan, 

I  bin  Gott  Vu*er  ganz  allan  : 

Gott  ifs  an  gerechter  Mann, 

Der  wo  vor  alle  77-erlas  Fieber  höhe  kann.  (Szt-Ivan). 

5.  Für  Brand  und  Hutlnuf : 

Maria  ir  Müli  und  Kristi  Bind 

Is  für  lirancl  und  ltodlauf  gut. 

Per  hl.  Lauren/ius  sitzt  am  Ross, 

Kr  bittet  um  Hülf  und  Trost: 

Kr  bittet  für  .long  und  Alt, 

Untl  auch  für  Warm  und  Kalt ; 

Kr  bittet  für  innerlich  und  äusserlich. 

Kr  bittet  für  Weis*-,  Gelb-.  Schwarz-  und  Fluchbrand  ; 

So  will  der  Iii.  Loren/.i  mit  seiner  starken  Hand! 

Dazu  helfe  dir  Gott  Vater  u.  s.  w.  (Solymar). 

ti.  Für  Mumiünu,-  : 

her  hl   .Job  gebt  über's  Land. 

Kr  hat  den  Stab  in  seiner  Hand; 

Begegnet  iiüu  Herr  Jesu  Krist, 

Warum  er  so  traurig  i>t  ? 

„Warum  soll  ich  nicht  trauern. 

Mir  will  mein  Muud  ausfaulen''. 

....Nimm  du     Tropfen  Wasser  auf  dein  Mund 

So  wird  gesund  dein  Zung  und  Mund  !i4B 

Gott  Vater  u.  s.  w.  Hidegküt). 
1  S.  Seit.-  W>  -lies.-s  BiuxIps 


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21Ö 


7.  Für  Maulweh  ;  sich  den  Mund  beim  Bache  waschend  : 

Wasser,  i  hob  das  Maulweh  :  3<>  Meil\ 

1  sog  der  's,  du  trägst  es  leichter         Wier  i  a  klani  Weil' ! 

Hilf  Gott  Vater  u.  s.  w.  (Solyniär.j 

8.  Für  Vieh- Auf plautm  (Anschwellen).  Am  Ostersunntag  steht  man 
ungeweckter  auf  und  streicht  vor  Sunnenaufgang  den  Tau  von  den  Was'n 
ab  und  sagt : 

1  geh  auf  das  hl.  Ostertau, 
Dass  unter  meine  Hand  dies  Jahr 
Kan  Vieh  aufplauert ! 
[7  Vaterunser  und  das  Glaubensbekenntnis.]  (Sorymär). 

II.  In  Solymar  ist  der  „wilde  Jäger"  allgemein  bekannt.  Er  hat  einen 
bis  an  die  Kniee  reichenden  langen,  grünen  Bart,  seine  feurigen  Augen  dreh* 
er  wild  herum  und  schreit  mit  kreischender  Stimme  dem  Menschen,  dem  er 
im  Walde  hegegnet,  zu:  „Der  Jacher  kummt  !a  Er  ist  in  einen  Jägeranzug 
gekleidet,  hat  hohe  Stiefel  an,  trägt  eine  Flinte  in  der  Hand  und  ist  von 

2  grossen  Jagdhunden  begleitet.  Gewöhnlich  erscheint  er  dem  Menschen 
nachts  im  Walde.  Ein  kurzanhaltender  Sturmwind  uud  der  schrille  Ton  seine:. 
Jagdhornes  zeigt  seine  Ankunft  an.  Blitzschnell  erscheint  und  verschwindet 
er,  und  niemandem  hat.  er  je  ein  Leid  zugefügt. 

IU.  In  der  Kristnacht  sieht  man  von  der  SolymArer  Rochus-Kapelle 
einen  Lichtstreifen  bis  zum  sog.  Windberg  sich  hinziehen  ;  dann  heisst  es  : 
„Der  Latcrnmtnsch  geht  'rum  !* 

IV.  Eine  Stiefmutter  in  Vörösvar  hielt  ihr  weinendes  Kind,  um  es  zu 
schrecken,  zum  Fenster  hinaus,  sprechend  :  „Pack  di  aussi !"  Iki  verschwand 
da*  Kind  aus  den  Annen  der  Mutter,  die  nur  das  Weinen  desselben  in  den 
Lüften  vernahm.  In  kurzem  stürzte  das  Kind  zerschmettert  zu  Boden. 

V.  Hexen  und  Trut'n.  In  Szent-Ivan  glaubt  man,  dass  Weiber  „Hexn". 
Männer  aber  „Trut'n"  werden  können  und  als  solche  Tiere  und  Menschen 
schädigen.  In  Solymar  und  Hidegküt  dagegen  glaubt  man,  dass  sowohl 
Männer,  als  auch  Weiber  Hexu  und  nuch  Trutn  werden  können  ;  die  Hexn 
ererben  ihre  Kunst,  die  Trutn  aber  erlernen  sie.  In  Szent-Ivan  heisst  es. 
dass  die  Hexen  um  Mitternacht  ihren  Höllenspuk  treiben.  Zu  dieser  Zeit 
kann  man  sie  sehen,  wie  sie  ihre  Hituser  anstreichen,  oder  ihre  Röcke  auf 
den  Kopf  gestürzt,  einen  Milchkübul  in  der  Hand  ausziehen,  um  den  Melk- 
tieren die  Milch  zu  rauben.  Gibt  die  Kuh  blutige  Milch,  so  ist  sie  behext, 
worden  und  muss  mit  geweihten  Kräutern  geräuchert  werden.  In  Vörösvar 
wird  zur  Brechung  des  Zaubers  die  Milch  auf  einen  Kreuzweg  gegossen. 
Nicht  nur  alte  Weiber,  sondern  auch  junge  Mädchen  können  Hexen  sein. 
Es  befand  sich  einmal  in  der  Spinnstube  unter  den  Maiden  eine  junge  Hexe. 
Die  Burschen  beredeten  sich  unter  einander,  dass  sie  dieselbe  bis  nach 
Mitternacht  nicht  aus  der  Spinnstube  lassen.  Aber  über  11  Uhr  konnten  sie 
dieselbe  nicht  länger  zurückhalten.  Die  Burschen  schlichen  der  Maid  nach, 
und  sahen  nun.  wie  dieselbe  bei  einem  Heuschober  zu  Boden  fiel.  Im  Mond- 
>chein  bemerkten  sie  auch,  dass  aus  dem  Munde  der  Maid  eine  Maus  sprang 
und  davonlief.  Die  Burschen  verstopften  nun  den  Mund  der  Maid  mit  einein 
aus  Heu  geformten  Knebel.  Die  bald  darauf  zurückkehrende  Maus  konnte 
nicht  mehr  durch  den  Mund  in  die  Maid  zurückschlüpfen.  Die  Maid  blieb 
für  ewig  tot  liegen.  Dio  Trut'n,  die  in  Szent-Ivän  Riesengestalt  haben, 
saugen  das  Blut  aus  der  Brust  der  Säuglinge.  Bei  der  mitternächtlichen 
Weihnachtsmesse  sind  alle  Hexen  und  Truten  in  der  Kirche  zugegen,  und 
zwar  sitzen  sü»  mit  dem  Rücken  gegen  den  Altar  gekehrt.  Nur  der  Pfarrer 
sieht  sie  durch  die  beim  Segen  zusammengelegten  Hände,  verrät  sie  aber 
nicht,  weil  sie  ihn  sonst  vernichten,  (legen  Hexen  uud  Truten  kann  man 
sich  so  wehren,  dass  man  in  den  Fensterbalken  eine  Schoere  oder  ein 
Messer  sticht,  und  einen  Besen  verkehrt  hinter  die  Türe  stellt. 

In  Hidegküt  sah  man  in  früheren  Zeiten  in  der  Adventzeit  allnächtlich 
ein  schwarzes  Schwein  durch  die  Gassen  rennen.  Dies  war  eine  Hexe.  Hexen 

Ethn.  Alitt.  n.  Ungarn.  III.  1< 

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216 


können  sich  auch  in  Vögel  und  Frösche  verwandeln.  In  Hidegküt  erzählt 
man:  ,A  Mann  hot  a  Weib  g'hot :  de  war  a  Hex.  Er  nimmt  'mal  a  G'wehr 
mit  zum  spazieren.  Auf  amol  schaud  er  am  Bam  'nauf;  da  sitzt  a  Yogi. 
Er  schirst  auf  ihm  :  er  tollt  oba :  da  is  er  a  Orot  (Kröte)  gwest.  Er  hat  ihm 
das  G'wehr  aufs  Maul  g'stessen.  dass  ihm  das  Blud  bei  der  Nas'n  ausarinnt. 
Er  hot  ober  scho  g'wisst.  was  das  is.  Wier  er  ham  kummt,  liegt  sei  Weib 
im  Bett.  No.  sogt  er.  wos  is  denn  mit  dir?  Sogt  sie:  Da  host  die  Hacka 
(Haue)  da  herg'lant  und  i  hob'  wölln  von  Bett  obisteign  ;  fall'  i  in  die  Hacka 
n'ein,  dass  mir  die  Darm'  ausserhenga.  Das  hot  hie  zu  eini  Ausred'  g'numma. 
Sie  hot  sterb'n  miss'n  .  .  ." 

Die  Hexen  schädigen  die  Kindbetterin.  besonders  wenn  sie  vor  der 
kirchlichen  „Einsegnung*  (Firnsegning  =  Firmsegnnng?  Haus  und  Hof  ver- 
lässt.  Sie  tauschen  das  Kind  aus  und  legen  an  seine  Stelle  einen  „Wechsel- 
bur'  oder  „Wechsel halg''.  Der  W.  ist  hässlich,  am  ganzen  Körper  behaait. 
grossköptig,  immer  „raunzig",  lebt  nicht  lange,  wächst  nicht  gross,  lernt 
spät  geben  und  kann  von  der  Mutter  nicht  gegen  ihr  eigenes  Kind  zurück- 
getauscht werden.  Ein  schlechtes  Kind  wird  „du  verfluchter  Wechsel t«alg~ 
geschimpft, 

Dass  die  Hexen  auch  fliegen  können,  berichtet  eine  Sage  aus 
Solvmar  :  Ein  Bursche  wartete  abends  lange  Zeit  auf  seine  Liebste,  die  bei 
einem  Bauern  diente.  Da  blickte  er  durch  eine  Türritze  in  die  Küche  hinein 
und  sah.  dass  die  Maid  nackt  auf  dem  Herde  stand  und  sich  mit  einer  Salbe 
einrieb.  Dann  stellte  sie  den  Salbentiegel  auf  den  Schrank  und  sprach  :  .,Obn 
aussi,  und  niederst  ani !"  Hierauf  verschwand  >ie.  Der  Bursche  trat  nun  in 
die  Küche,  rieb  sich  auch  mit  der  Salbe  ein.  sagte  aber :  „Obn  aussi,  und 
überall  am  !u  Da  schlug  er  seinen  Kopf  ans  Gesimse.  Schliesslich  flog  er 
zum  Rauchfang  ins  Freie,  wo  er  an  jeden  Gegenstand  anstiess.  Da  kam 
endlich  seine  Liebste  mit  einem  anderen  Weib  herangeflogen,  und  er  musste 
ihnen  nun  versprechen,  dass  er  von  der  ganzen  Begebenheit  niemandem 
etwas  sagen  werde.  Sie  lehrten  ihn  nun  den  richtigen  Spruch  :  ,,Ubn  aussi. 
und  niederst  ani  !w.  worauf  er  mit  ihnen  zur  Hexenversammlung  flog,  wo  sie 
ihn  mit  Wein  und  Gebäck  bewirteten  und  seine  Wunden  mit  einer  Wunder- 
salbe einrieben,  dass  sie  sogleich  heilten.  Er  flog  nun  nach  Hause  und  sprach 
bei  Lebzeiten  der  Maid  kein  Wort  von  dieser  Begebenheit.  Das  Haus,  in 
welchem  die  Maid  vor  etwa  100  Jahren  gewohnt  hat,  zeigt  man  noch  heute. . . 

Die  „Truden"  drücken  im  Schlafe  Kinder  und  Erwachsene  und  saugen 
ihnen  das  Blut,  aus  den  Brüsten,  worauf  diese  anschwellen.  Von  einem 
Burschen  in  Hidegküt  erzählt  man.  er  sei  auch  ein  „Trudre*1  gewesen  und 
habe  als  solcher  bei  einer  Gelegenheit  einen  Baum  solange  lest  umarmt, 
bis  er  kraftlos  zusammengebrochen  sei.  In  Solymar  erzählt  man  :  Einen 
Witwer  drückte  die  ..Trudre."  Auf  den  Rat  seiner  Freunde  zündete  er  in 
der  Nacht,  als  ihn  die  T.  drückte,  einen  Strohhahn  an.  Da  sah  er  eine 
wunderschöne  Maid  vor  sieh,  die  ihm  so  sehr  gefiel,  dass  er  schnell  das 
Schlüsselloch  verstopfte  und  die  Maid  bei  sich  hielt.  Sie  ward  seine  Frau 
und  gebar  ein  Kind.  Da  traute  ihr  der  Mann  so  sehr,  dass  er  ihr  einmal 
erzählte,  dass  die  Leute  sie  für  eine  T.  halten.  Aber  das  sei  nicht  wahr 
und  er  werde  auch  das  Schlüsselloch  nicht  mehr  verstopfen.  Er  öffnete  nun 
das  Schlüsselloch,  worauf  die  Frau  hinausflog  und  verschwand...  Vor  dem 
Schlafengehen  soll  man  sich  gegen  H.  und  T.  mit  Weihwasser  waschen. 
Wer  von  T.  gedrückt  wird,  der  stelle  einen  Besen  hinter  die  Kirchentün«. 
und  bei  seiner  Heimkehr  findet  er  die  betreffende  Person,  die  ihn  als  T. 
drückt,  in  seinem  Hause  zugegen.  Damit  das  ganze  Jahr  hindurch  weder  Ii., 
noch  T.  ins  Haus  kommen  können,  schreibt  man  am  hl.  Dreiköuigstag  mit 
geweihter  Kreide  auf  die  Haustüre  die  Anfangsbuchstaben  der  hl.  Dreikön'ge 
(K.  M.  B.)  und  nach  jedem  Buchstaben  einen  „Trudenfuss"  Pentagramm.; 
Kommt  dennoch  eine  H.  ins  Haus,  so  blickt  man  auf  diese  Schrift  und 
spricht  :  ..Komm  moring  um  Salz  !"  Die  H.  entfernt  sich  dann  weinend. 

VI.  AUtugsglaubm.  1.  Hört  man  von  Weindorf  JJoros-.leno  h  it'n,  so 
wird's  hell  ;  hört  man's  aber  von  Vudikes  (Budakesz).  so  kummt  an  Wetter.  — 
2.  Maria-Lichtmess  hell  und  klar.  Bedeit  an  gut's  Weinjahr.  —  :».  Geht  der 


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Dachs  in   Maria-Lichtmess   aus   ober  ein,   So   muss   noch   sechs  Wochen 
Winter  sein !  —  4.   Wann  in  Maria-LiehtmeHS  die  Sunn  dem  Pfarrer  ofs 
Oldor  (Altar)  scheint,  so  wird  no  40  Toch  Winter.  —  5.  Wann  in  Fascbing- 
sunntoch   sehen   ist,   so   is   an  gut's   Lesn  (Weinlese,.  —  b\  Regnet's  in 
Faschingmontag,  so  g'rat  der  Hovr  f  Hafer:-.  —  7.  Geht  in  Blasiustoch  der 
Wind,  so  g'rat  die  Gerst'n.  —  8.  Wann  si  in  Winzenzi  der  Spatz  in  Wagn- 
glas  (Geleise)  badn  k  «nn,  so  wird  an  gut's  Weinjahr.  —      Wann's  in  Urban- 
toch  regent.  so   lall'n  nach  die  Blih  die  Kern  weg  von  die  Weinpern.  — 
10.  Regnt's  in  Barnabas,  so  faul'n  die  Weinpern  bis  ins  Fass  . .  .  (Aus  Hideg- 
küt».   —    11.   Wann   in   Georgi   der   Wind   geht,   so  geht  er  no   1C0  Tog 
nachanand.  —   12.  Wann  im  Oatersunntag  es  regont,  so  regent's  7  Suuntag 
hintanand  (wird  ein  fruchtbares  Jahr).  —   13.  Früh  Dunner,  Spot  Hunger; 
Spot  Dunner.  Fruli  Hunger  (d   h.  donnert  es  schon  im  Februar,  so  wird  eiu 
fruchtbares  .Jahr  :  donnert  es  erst  im  März  oder  noch  spater,  bricht  Hungers- 
not aus  .  —   14    Um  den  Sturmwind  zu  verscheuchen,  wirft  man  i>  Brock; 
Salz  hinein  und  spricht:  „Hilf Gott  Vater,  G.  Sohn,  G.  hl.  Geist!'1  dann  wirft 
man  3  Brrtckl  Brot  und  spricht  ebenso  ;  dann  spritzt  man  Weihwasser  hinein 
und  spricht  dasselbe.  {Aus  Solymär).  —  15.  In  Szent-lvän  sucht  Mancher  den 
„Dunnertsteinr*.   Dieser  Stein  kommt  mit  dem  Blitze  auf  die  Erde  herab, 
in  die  er  hineinfahrt  und  erst  nach  7  Jahren  auf  die  Erdoherlläche  zurück 
kehrt.  Wer  einen  solchen  dreieckigen  Stein  besitzt,  hat  sein  ganzes  Leben 
hindurch  Glück.  —  U>.  In  abnehmenden  Mond  dart  man  keine  Zucht  abspeunen 
<vom  Muttertier!,  sunst  zehrt  das  Vieh  ab.  —   17.  Damit  der  Baum  reichlich 
Früchte  trage,  soll    man    ihn    :l  Tage   vor  und  3  Tage    nach  Vollmond 
versetzen.    —    18.    Für   die  Solvinärer    ist    der    Wett  erprophet-    der   Alt  - 
ofner-Berg :    ist  er  von   Nebel   bedeckt,  so  regnet  es  bald.  —  U».  Am  Neu- 
jahrsmorgen   darf  kein   fremdes  Weib  ins  Haus   treten,   dunu  dies  bring: 
Unglück.  —  20.  Uer  am  Schwarzen-Sunntag  frische  Wäsch'  anlegt,  der  kriegt 
viel  Fleh.   —   21.  Am  Freitag  darf  man  nichts  unternehmen.   —   22.  Hot  a-. 
Weib  an  klans  Kind  gburn.  oder  das  Vieh  ausg'schitt,  darf  man  nix  /.'leih.i 
geb'n.   —  23.  Fallt  an  Messer  oder  Gabi  ro  (herab;,  so  kummt  an  fremder 
Gost.   —  24.   In  Szt-Ivän  heisst  es:  Won  die  Kotz  si  auf  der  recht'n  Seit:, 
woscht.  so  sogt  mon  •   Es  kummt  a  Gost  von  Filis-Csaba ;  und  wo«  sie  s: 
auf  der  linkn  Seitn  woscht,  so  sogt  mon  :  Ks  kummt  a  Gost  von  Solymur.  - 
25.   Den   Ofenruss  darf  man  nicht  auf  die  Gusse  streuen  :  wer  hineintritl. 
wird  verzaubert.       2b.  Wann  an  Jud  auf  der  Uhr  fragt,  soll  man  nix  sag?n  ; 
er  will  anen  san  Glick  habn. 

Mitgeteilt  von  Ludwig  Mdtgaa. 


Das  grosse  Sammelwerk  für  bulgarischen  Folklore. 

Ein  Bericht  von  Friedrich  S.  Krauts. 
Fortsetzung.) 

Wiederholt  habe  ich  in  Büclierreferaten  und  ötVentlichen  Vorträgen  mit 
Nachdruck  hervorgehoben,  dass  Sammlungen  von  Volküberlieferungen.  die  von 
Einzelnen  veranstaltet  und  verünentlieht  wer-ien.  unbeschadet  aller  Vorzüge, 
die  man  ihnen  nachrühmen  kann.  Stückwerk  genannt  werden  müssen,  solange 
nicht  förmlich  statistische  Aufnahmen  über  die  geographische  Verbreitung 
einer  Sitte,  eines  Glaubens,  eines  Textes  u.  s.  w.  vorgenommen  weiden.  Es 
gibt  unläugbar  eine  wissenschaftliche  Methode,  die  titdunk-ernftatisti'.'  heisseu 
darf.  So  vieles,  was  als  eine  vereinzelte  Mitteilung  aus  irgend  einer  Gegend 
fast  wertlos  erscheint,  gewinnt  unter  allen  Umständen  eine  Bedeutung,  sobald 
die  geographische  Verbreitung  des  ..Gedankens"  genau  ermittelt  ist.  Der  For- 
scher, dem  es  obliegt,  das  Material  zu  verarbeiten,  zieht  nun  aus  der  Summe 
gerade  und  offen  allgemein  leicht  kontrollierbare  Schlussr'olgemngen.  und 
immer  mehr  wird  das  Gebiet  kühner  Aufstellungen  und  Vermutungen  einge- 


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24S 


engt.  Für  den  der  Volkforschung  etwas  Fernstehenden  mag  die  Ansammlung 
eines  auf  den  ersten  Blick  ungeheueren  Wustes  einander  ähnlicher  Mittei- 
lungen etwas  Niederdrückendes  haben,  dagegen  wird  der  Berufarbeiter  sich 
angesichts  eines  solchen  Stoßes  ermutigt  und  gehoben  fühlen. 

So  wird  und  muss  es  jedem  ergehen,  der  die  Schlussabteilung  der  Sbornik- 
bände  durchnimmt.  Für  einen  Bezirk  der  südslavischen  geographischen  Pro-  . 
vinz  ist  liier  zum  erstenmale  ein  grossartig  angelegter  und  nach  jeder  Rich- 
tung hin  erfolgreicher  Anlauf  zur  Schaffung  einer  Gedankenstatistik  des  bul- 
garischen Volkes  genommen  worden.  Diese  Arbeit  kann  nur  mit  den  berühmtet» 
Sammlungen  der  finnischen  Folklore-Gesellschaft  zu  Helsingfors  würdig  ver- 
glichen werden.  "Wer  nicht  selber  vom  Handwerk  ist,  vermag  die  kolossale 
Leistung  der  Sbornikredaction  nicht  hinreichend  abzuschätzen.  In  dem  soeben 
mir  zugekommenen  neunten  Bande  leistet  sie  zur  freudigen  1;  eberrasch ung 
aller  Leser  des  Sbornik  noch  ein  Uebriges  durch  dankenswerte  Verweise  auf 
Parallelen  sowohl  in  den  früheren  Bänden  als  in  den  Literaturen  anderer 
Völker.  Eine  kurze  Erinnerung  genügt  oft,  um  einen  näheren  Contact  zwischen 
Redakteur  und  Leser  herzustellen,  anzuregen  und  zu  fördern. 

Bisher  sind  in  den  neun  Bänden  folgende  Rubriken  eingeführt : 
I.  Naturerscheinungen,  verschiedener  Volkglauben  und  Ahnungen  oder 

Prophezeiungen. 
IT.  Zaubersprüche,  volkthümliche  Heilkunde  und  Verwandtes. 

III.  Böse  Geister,  Spukgestalten,  Erscheinungen  des  2.  Gesichtes  u.  s.  w., 
Verstorbene  u.  s.  w. 

IV.  Küsterglaube  und  Dazugehöriges. 

V.  Familien-  und  gesellschaftliches  Leben. 
VI.  Personen-  une  Lokalsagen. 
VII.  Tiersagen. 

VIII.  Phantastische  und  humoristische  Sagen  (Lügenmärchen  u.  s.  w.). 
IX.  Sprichwörter. 
X.  Rätsel. 


XII.  Kinderreime.  Spuele  u.  s.  w. 

XIII.  Fest-  une  Rechtbräuehe,  hauptsächlich  mit  Hinblick  auf  das  Gewohn- 
heitrecht (common  law). 

XIV.  Beiträge  zu  einem  Wörterbuche  bulgarischer  Mundarten. 
XV.  Geheimsprachen  und  geheime  Sprachweisen. 

XVI.  Trachten,  volktümliche  Hausgerätschatten.  Hausbau.  Ackerbau,  Instru- 
mente. Technik  der  Handwerke  u.  s.  w.,  u.  s.  w. 

Wie  man  aus  dem  einfachen  Verzeichnis  ersieht,  gebricht  es  dem 
Sbornik  durchaus  nicht  au  l  ebersichtlichkeit  und  bester  Ordnung.  Die  Zahl 
der  Sprichwörter,  Rätsel.  Zungenübungen  und  kleiner  Bemerkungen  zum 
Alitagglauben  geht  in  die  hunderte  und  tausende.  K.  F.  A.  Wuitkr.  ein  deutscher 
Theologe,  vertasste  ein  vielgenanntes  und  vielgebrauchtes  Werk  über  den 
.deutschen  Volkaberglauben  der  Gegenwart.-.  Bei  einer  tiefen  Durchdringung 
des  verwandten  Stoü'cs,  der  im  Sbornik  aulgespeichert  i>t,  dürfte  es  nicht 
allzuschwer  fallen,  ein  ungleich  bedeutsameres,  jedenfalls  kritisch  sichereres 
Werk  über  den  Volkglauben  der  Bulgaren  aber  ohne  .Aber'  zu  verfassen, 
vorausgesetzt,  der  Arbeiter  verstünde  es.  den  hiehergehörigen  Volkglauben 
der  übrigen  Südslaven  gründlich  in  der  Darstellung  auszunutzen  und  zur 
Erklärung  heranzuziehen.  Namentlich  wird  dadurch  die  Einsicht  in  den  Volk- 
glauben der  Serben  eine  Vertiefung  erfahren:  denn  nachweislich  kam  den 
Serben,  sowie  auch  den  Chrowoten  mit  den  epischen  Liederu  ein  gutes  Stück 
sonstigen  Volktums  aus  Bulgarien.  Der  Ur«iuell  südslavischen  Zauberglaubens 
rloss  seit  altersher  in  Bulgarien.  Man  darf  keinen  Augenblick  ausser  Acht 
•  assen,  dass  bulgarische  Klosterliteratur  den  südslavischen  Büchermarkt,  wenn 
•s  mir  gestattet  ist,  diesen  modernen  Ausdruck  zu  gebrauchen,  Jahrhunderte 
iiindurch  beherrschte.  Ein  Beispiel  will  ich  mir  nicht  versagen  anzuführen, 
•;a.s  zum  mindesten  für  mich  eine  klassische  Beweiskraft  besitzt. 

Im  ..Ausland"  1H!'0,  Nr.  17  ff.  verötftntliehte  ich  eine  Studie  über  .Die 
«Quälgeister  bei  den  Südslaven4  und  besprach  im  I.  Abschnitt  die  Moni  (Mar, 


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24i< 


Trut,  Alp).  Aut  S.  331  teilte  ich  eine  34  Zeilen  umfassende  Beschwörungformel 
wider  die  Mar  mit  und  bemerkte,  dass  .sie  jenen  Bannformeln  gleiche,  die  man 
gegen  Krankheitgeister,  die  Geister  dos  Waldes  und  Windes  ausstösst.  Aber 
eine  Mar  ist  kein  Krankheitgeist,  vielmehr  ein  menschliches  Wesen,  das  durch 
bösu.-n  Zauber  verhalten  wird.  Schlafende  zu  plagen.  Die  Beschwürung  passi 
ganz  und  gar  nicht  auf  eine  Mar  und  vorträgt  sich  mit  den  anderweitigen 
Abwehrmitteln  gegen  Maren  nicht,  wie  dies  meine  Ausführungen  a.  a.  0. 
dartun.  Zudem  kommen  in  dem  Bannspruch  Namen  vor.  an  deren  Deutung 
der  Witz  eines  Erklärers  wich  abstumpft.  Die  Lösung  des  Rätsels  liefert  uns  der 
Sbornik  B.  III.,.  S.  144,  wo  aus  (ßrhanie  eine  110  Verszeilen  lange  Beschwörung 
einer  Art  Kotiauf  dobra  genannt,  abgedruckt  ist.  Der  Krankheitgeist,  der  die 
Krankheit  verursacht,  heisst  Dobra  oder  im  euphonischen  Deminutiv  Dobn'ct. 
Daraus  ist  in  Dalmatien  eine  Mora  bora,  meines  Textes  im  .Auslande'  und  aus 
dem  bulgarischen  Namen  l'rna  eine  neue  katholische  heilige  Lena  plena 
geworden !  Ich  behaupte  nicht  etwa,  dass  uns  die  orhanier  Formel  die  Vor- 
lage der  dalmatinischen  darstelle,  sondern  meine,  dass  beide  aus  ein  und 
derselben  bulgarischen  älteren,  ich  sage  gleich  literarischen  (Quelle,  her- 
stammen. Von  der  gleichen  Sorte  ist.  auch  die  Geistbeschwörung  im  Sbornik 
II.,.  S.  }>(>:  Kuianje.  od  Angeleta  Mazgala.  Das  sind  eigentlich  stereotype  For 
mein,  die  dem  Volkforscher  auch  aus  den  germanischen  und  romanischen 
Literaturen  geläuiig  sind.  Man  ziehe  /..  B.  zum  Vergleich  Dr.  M.  Hofier1*:  .Volk- 
niedi/in  und  Aberglauben  in  Oherbayerns  Gegenwart  und  Vergangenheit" 
«.München  1**8.  S.  öl  —  30)  und  R.  KaindPs :  .Deutsches  Beschwörungsbuch • 
'Berlin  1*9:;>  heran.  Hofier  meint  ..mundus  vult  decipi''  und  verweist  auf  die 
gedruckte  Vorlage  solcher  deutscher  Zauber-  und  Bannsprüche  hin.  deren 
Titel  lautet : 

„Der  wahre  geistliche  Schild,  so  vor  300  Jahren  von  dem  hl.  Papst 
Leo  X  (1513 — 1521)  bestätigt  worden,  wider  alle  gefährlichen  bösen 
Menschen  sowohl  als  aller  Hexen-  und  Teufelswerk  entgegengesetzt  etc. 
Ao.  1047  impress.  (1802)." 

Dieses  Buch  .stellt  uns  dar  die  Wissenschaft  klösterlicher  Heilkunde  des 
Mittelalters  und  viel  früherer  Zeiten.  Wir  dürfen  mit  Sicherheit  annehmen, 
dass  die  ursprünglichen  Texte  lateinisch  oder  gar  griechisch  abgefasst  waren 
und  selber  auf  ehrwürdige  Ahnen  zurückreichen.  Es  hat  wohl  nicht.  blo>s 
eine,  sondern  es  muss  ihrer  viele  handschriftliche  bulgarische  Uebersetzungen 
medizinischer  Werke  gegeben  haben.  Es  ist  die  Möglichkeit  nicht  ausge- 
schlossen, dass  ein  Zufall  ein  derartiges  altes  Schriftstück  noch  bescheert. 
Erst  gegen  Ende  des  15.  und  mit  dem  Beginne  des  10.  Jahrhunderts  lernten 
die  Südslaven  und  namentlich  die  Bulgaren  eine  andere  medizinische  Wissen- 
schaft, durch  die  aus  Spanien  vertriebenen  Juden  kennen.  Bei  den  Spaniolen 
erbte  sich  diese  \\  issenschaft  als  ein  kostbares  und  teueres  Vermächtnis  durch 
Generationen  fort.  Im  Guslarenliede  werden,  so  oft  ein  Kranker  voll  den  hei- 
mischen Heükünstlern  als  unrettbar  autgegeben  wurde,  od  mora  ec'imi.  d.  b. 
überseeische  Aerzte  zu  Hilfe  gerufen.  Darunter  sind  fast  immer  spanische  Juden 
zu  verstehen.  Hinsichtlich  der  Zauber-  und  Bannsprüche  wird  der  Bearbeiter 
einer  bulgarischen  Volkmedicin  nach  den  alten  griechis-chen  und  bulgarischen 
Zauherhüchern  greifen  müssen,  betrells  der  anderen  praktischen  Mittel  aber 
die  Werke  spaniolischer  Aerzte  zu  Rate  zu  ziehen  haben  "Was  dann  noch  an 
besonderen  Mitteln  übrig  bleibt,  ist  n'rllrieht  specilisch  bulgarisch,  echt  aber 
nur  in  dem  Falle,  wenn  nachweislich  alltägliche  Erfahrung  das  Mittel  finden 
Hess  oder  es  ein  unbezweifelbarer  Ausfiuss  des  wirklich  alten  Volkglauben-- 
oder  Volkbrauehes  ist. 

Die  im  Sbornik  dargebotenen  Sagen  und  Märchen  sind  durchgehends 
AVandergut.  Ein  endgiltiges  Urteil  über  sie  abzugeben,  wird  erst  an  der  Zeit 
sein,  bis  die  vorhandenen  Motive  uns  allseitig  bekannt  werden.  Beachtung 
gebührt  ihnen  gewiss:  denn  Bulgarien  zeigt  sich  als  Durchgangstation  zwi- 
schen Europa  und  Asien  und  es  ist  von  Belang  zu  wissen,  welche  Gattung 
von  Erzählungen  den  grössten  Anklang  gefunden  und  gleich  im  Lande  ..picken'* 
geblieben.  Wenn  es  zulässig  wäre,  schon  jetzt  darüber  zu  entscheiden,  müsste 
man  glauben,  dass  die  Schauersagen,  die  ungeheuerlichen  Fabeleien  auf  beson- 


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«lera  dankbare  Zuhörer  zu  rechnen  haben.  Ich  setzte  dies  lieber  auts  Kerb- 
holz der  Sammler,  die  da  meinen  mögen,  mit  den  angedeuteten  Berichten 
am  ehesten  turore  zu  machen.  Ich  denke,  der  Sammler  der  schlichten 
Erzählung,  die  der  Lebensfreude,  dem  Familiensinn  und  der  Alltäglichkeit 
gewidmet  ist,  muss  Mch  mit  der  Zeit  doch  noch  einstellen.  Der  Sbornik 
bringt  leider  nur  wenige  humoi'istische  Erzählungen  und  Proben  von  Volk- 
humor und  Volkwitz,  aber  das  Wenige  ist  so  beschaffen,  dass  man  mit 
Spannung  einem  Mehr  entgegen  sieht.  Beim  Bulgaren  entdecke  ich  etwas, 
was  dem  Serben  sehr  selten,  dem  Chrowoten  nie.  mitunter  jedoch  dem 
Dalmatier  zu  eigen  ist :  ein  weltmännischer  Esprit.  Das  ist  nicht  ein  Witz, 
nicht  eine  Satire,  kein  Humor,  sondern  geistreiches  Wesen,  das  Ergebnis 
einer  Veranlagung  und  weltklugen  Erziehung.  Selbst  das  Sprichwort  des 
Bulgare«,  das  Volkr&tsel  minder.  zei«;t  uns  den  Mann  von  geschäftiger 
Phantasie,  die  durch  Handel  und  Wandel  Ausblicke  über  die  engen  Gemar- 
kungen des  Dorfes  und  Dorfbezirkes  gewonnen.  Zuweilen  glaubt  man  einen 
Hamburger  Rheder  und  einen  geriebenen  Wiener  Börsensensal  des  Lebens 
Weisheit  zum  Nutzen  des  jüngeren  Geschlechtes  breitschlagen  zu  hören. 

(Schlugt»  folgt.) 


Die  Abstammung  der  polnischen  Zigeuner  nach  ihrer 

Tradition. 

Wie  die  ungarischen,  teilen  auch  die  polnischen  Zigeuner  ihre 
Stämme  in  zwei  Kasten.  Die  Kofomrc ,  die  nomadisierenden  oder 
Zelt-Zigeuner  verabscheuen  die  ansässigen,  die  zur  Kaste  der 
„(fletvconira^  (spracharm'  gehören.  Die  Scheidung  zwischen  diesen 
Kasten  wird  sehr  streng  beobachtet.  In  Polen  findet  man  dieselben 
vier  Stämme  der  Kotorär,  wie  in  Siebenbürgen.  Die  Familie  der 
Paezkowski  führt  ihre  Abstammung  auf  den  Stamm  Leile  zurück, 
die  der  Wisnieski  nuf  den  Stamm  ralö,  die  der  G/'owacki  auf  den 
Stamm  Asani  und  die  der  Wolski  auf  den  Stamm  Kukuja.  Ein  jeder 
Stamm  stützt  seine  Abkunft  auf  eine  fantastische  Legende.  Der 
Keile-Stamm  erzählt  folgende  Genoveva-Sage:  Eine  Königstochter 
Isib:  nach  dem  Tode  ihrer  Eltern  aus  dem  väterlichen  Mause  und 
dem  Königreiche  durch  ihren  Bruder  verwiesen,  irrte  im  Walde 
umher,  fiel  durch  Hunger  und  Verzweiflung  entkräftet  nieder  und 
war  bereits  dem  Tode  nah.  In  diesem  Augenblicke  erschien  die 
Kee  Kr-üttitt ;  von  Mitleid  ergriffen,  riss  sie  ans  ihrem  Haarzopfe  drei 
Haare,  und  gab  sie  der  Prinzessin  zum  verschlucken.  Leile  war 
gerettet  und  gebar  bald  einen  Sohn.  Als  der  Prüder  Leile's  hievon 
Kunde  bekam,  schickte  er  in  den  Wald  zwei  Henker  mit  dem  Befehle, 
die  Leile  und  ihren  Sohn  hinzurichten.  Die  gute  Fee  konnte  die 
Leile  nicht  mehr  retten,  rettete  aber  ihren  kleinen  Sohn,  der  von 
ihr  erzogen,  zum  entzückend  schönen  Jünglinge  heranwuchs.  In  der 
Folge  heiratete  der  Sohn  Leilcs  eine  Prinzessin  und  gab  seinen 
Nachkommen  den  Geschlechtsnamen :  Li\U  . 

Laut  dieser  Legende  stammt  also  das  Geschlecht  der  Leile  in 
Ungarn  und  Polen  vom  Sohne  der  Königstochter  Leile. 

Vor  vielen   Jahrhunderten   lebte  ein  Manu,  der  mehr  als  eine 


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251 


ganze  Schaar  von  Männern  essend,  seinen  Hunger  nie  stillen  konnte. 
Seine  Gefährten,  die  an  seinen  Heisshunger  nicht  glaubten,  nannten 
ihn:  X'alo"  umgar.  C  s a  1 6  =  Betrüger),  und  seit  dieser  Zeit  führen 
seine  Nachkommen  den  Namen  der  Calo's. 

Laut  der  Legende  der  As<tni  lebte  zur  Zeit,  als  das  Paradies 
existierte,  ein  Ehepaar,  welches  ungeheure  Reichtümer  aber  keine 
Kinder  besass.  Nach  langem  liesinnen  beschloss  das  Ehepaar  einen 
Rat  beim :  Chwjrin  (Teufel)  zu  holen.  Der  dienstfertige  Chagrin  ver- 
sprach dem  Ehepaare  Kinder,  wenn  es  ihm  treu  dienen  und  alle 
seine  Refehle  erfüllen  wird.  Das  Ehepaar  nahm  die  Bedingung  an, 
und  Chagrin  befahl  dem  Ehepaare,  auf  einem  Kreuzwege  eine 
schwarze  Kuh  zu  tödten  und  sie  zu  verbrennen,  und  dem  Weibe, 
die  Asche  derselben  aufzuessen.  Der  Befehl  des  Chagrin  wurde  aus- 
geführt, und  bald  hatte  das  Ehepaar  eine  Tochter,  die  so  schön  wie 
ein  Frühlingsmorgen  war,  und  jeden  durch  ihr  immerwährendes 
Lächeln  erheiterte.  Das  Ehepaar  gab  dem  Kindeden  Namen:  As<mi.'1 

Die  entzückend  schöne  Asani  ehelichte  in  ihrem  16.  Jahre 
einen  reichen  Pächter.  Im  zwölften  Jahre  ihrer  Ehe  verfiel  der 
Gemahl  Asani's  in  eine  gefährliche  Krankheit.  Trotzdem  er  dem 
Tode  nahe  war.  lachte  Asani  immer,  und  nicht  eine  Träne  benetzte 
ihre  Augen.  Dies  überzeugte  den  Pächter,  dass  Asani  liebe-,  mitleid- 
und  herzlos  ist.  und  er  verjagte  daher  die  lachende  Asani  sammt 
ihren  zwölf  Kindern  aus  seinem  Hause.  Die  Nachkommen  dieser 
Kinder  sind  die  Almen  des  Geschlechtes  Asani  geworden. 

Der  vierte  Zigeunerstamm  stammt  laut  seiner  Tradition  vom 
Weibe  des  unterirdischen  Monstrums  oder  des  Teufels  Fant*  ab. 
Das  Fuvusweib  verlieble  sich  einmal  in  einen  reizenden  Jüngling 
und  bat  den  Fuvus,  ihr  zu  erlauben,  den  Jüngling  su  heiraten.  Der 
Fuvus  villigte  ein,  aber  unter  der  Bedingung,  dass  alle  Kinder,  die 
diesem  Bunde  entspriesseu,  ihm  gehören  sollen.  Nach  zehn  Jahren, 
als  das  gewesene  Fuvusweib  bereits  zehn  Söhne  hatte,  erschien  der 
Fuvus,  um  die  Kinder  mit  sich  zu  nehmen.  Als  der  Fuvus  die 
Kinder  erblickte,  rief  er  „Fnkn-I.-Hkftjn^ .  Aber  die  Mutter  widersetzte 
sich  dem.  dass  die  Kinder  mit  dem  Fuvus  in  die  Hölle  gehen,  und 
gieng  lieber  selbst  mit  ihm  dort  hin.  woher  sie  gekommen.  Die 
Kinder  des  Fuvusweibes  sind  die  Vorahnen  des  Kiiku')(i-<j<>*<*hUu-hte* 
der  Zigeuner. 

Wie  die  siebeubürgischen.  so  huldigen  auch  die  polnischen 
Zigeuner,  trotzdem  sie  scheinbar  die  christliche  Religion  bekennen, 
verschiedenen  übernatürlichen,  abergläubischen  Wesen,  z.  B.  dem 
Chayrin  (Teufel».  Fnnts  (Scheusal.  Monstrum).  Cu/noman«*  (Liliput), 
Mchk'i  (Gnom,  Beigmandel),  KwiHa  (Fee.  Nimfe),  Cnmi  t  schützender 

'  Im  polnischen  war  Asau  und  Asani  noch  im  Anfange  laufenden 
Jahrhunderts  als  Titel  im  Gebrauch,  wenn  ein  hochgestellter  Edelmann,  ein 
Senator,  Gutsbesitzer  u.  drgl.  einen  Manu  (Asan)  oder  eine  Frau  (Asani) 
ansprach,  deren  Abstammung  wohl  adelig,  deren  Stellung  aber  untergeordnet 
war.  Zur  Etymologie  vgl.  :  W  a  s  z  a  M  o  s  c  h  i  P  a  n.  =  \V  a  s  p  a  n,  =  A  s  a  n  — 
(.Eure  Gewaltigkeit,  Herr). 


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•252 


Genius).  Polnische  nomadisierende  Zigeuner  stehen  hei  der  einheimi- 
schen Bevölkerung,  namentlich  hei  den  Hauern  in  Verachtung  und 
man  hütet  sich  vor  ihnen,  als  vor  notorischen  Dieben  und  Betrügern. 
Die  ansässigen  Zigeuner  sind  arbeitsam,  demütig  und  willig,  werden 
aber  von  der  einheimischen  Bevölkerung  doch  missachtet  und  als 
Eindringlinge  behandelt. 

Sowohl  die  nomadisierenden,  als  auch  die  ansässigen  Zigeuner 
sprechen  unter  sich  zigeunerisch,  „romanes*.  Der  Dialekt  der  polni- 
schen Zigeuner  besitzt  viele  Wörter,  die  aus  dem  polnischen  stammen, 
z.  B.  Karodos  (Volk,  polnisch:  Naröd;,  KiLdi  (niemals,  polnisch: 
n  i  g  d  y),  Kehns  (Himmel,  polnisch:  n  i  e  b  o),  Olduszky  (Yeröflent- 
lichung,  polnisch:  ogfoszenie),  Popirkos  (Papier,  Banknote,  pol- 
nisch: papier),  Chlibos  'Brot,  polnisch:  chleb),  Dornas  (Haus, 
polnisch:  dorn),  Peczonka  (Braten,  polnisch:  piazeii',  Iiemeslos 
Handwerk,  polnisch  :  r  z  e  m  i  o  s  fo),  Ksendz  i Geistlicher,  Priester, 
polnisch  :  k  s  i  a  "  d  z i,  Rodni  (Vater,  polnisch  :  r  o  d  z  o  n  y.  d.  i.  leiblich, 
also:  leiblicher  Vater  .  Podnicu  (Mutter,  polnisch:  rodzona.  leib- 
liche Mutter',  Sirnta  -Waise,  polnisch:  sierota'.  B'^os  (Gott,  pol- 
nisch: bö g),  Xa*i  (unser,  polnisch:  naszi  u.  s.  w. 

Die  Sitten  der  polnischen  Zigeuner  sind  auch  sehr  lax.  Nicht 
selten  unterhält  der  Bruder  ein  Liebesverhältnis  mit  seiner  leiblichen 
Schwester.  Das  Weih  (romwöri),  das  Mädchen  (dpa.)  wird  kaum 
als  Mensch  betrachtet,  eher  als  ein  Ding,  welches  bestimmt  ist,  die 
tierischen  Begierden  des  Mannes,  ihres  Herrn  zu  stillen.  Sie  kann 
und  soll  ihren  Leib  einem  jeden  preisgeben,  wenn  dadurch  ein 
Xutzeu  in  Aussicht  steht . 

Laut  unlängst  (18H3)  veröffentlichtem  Gesetze,  ist  sowohl  in 
Russland,  als  auch  in  Polen  das  Nomadisieren  der  Zigeuner  verboten 
worden  und  die  Zelt-Zigeuner  werden  nun  zur  Ansiedelung  ge- 
zwungen. 

Warschau.  Juni  IBM. 

Vhidishtc  Kornel  Riff  er  von  Zielinski. 


Kroatische  Volkslieder  aus  Cirkvenica* 

1. 

Cvice  moje.  i  ja  bin  te  brala,         Xa  konopu.  na  neu  ernen  nioru. 
Nimam  druga.  komu  bin  te  dala.     Ako  sarn  ja  sirota  ostala : 
Neg  jednoga  na  moru  mornara,      Nije  moja  vera  na  dno  mora  pala. 
Komu  spava  na  konopu  glava.        A  koj  pala,  jos  <-e  na  vrh  splavat. 

*  <  iikvenica  im  kroatischen  Küstenlande,  wo  es  dein  Herausgeber 
dieser  Zeitschrift  vergönnt  war,  im  Schlosse  des  holten  Protectors  derselben 
den  Sommer  1W»4.  zuzubringen,  veroinigt  nebst  allen  Bedingungen  eiue> 
Seebades  und  klimatischen  Kurortes  den  Vorteil,  als  bequemster  Ausgangs- 
punkt für  sehr  interessante  ethnographische  Studien  im  Küstenstrich  und 
auf  den  Inseln  des  (Juarnero  zu  dienen. 


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253 


2. 

Ca  se  ono  po  sred  mora  beli? 
II  su  vali,  il  mladi  mornari. 
Nit  su  vali,  ni  mladi  moniari, 
Vec  je  ono  mladofcenja  Ivo, 
Na  rijem  mi  se  kosuljica  beli. 
Nit  je  prala  niajka  ni  sestrica. 
Vec  juj  prala  tiha  godinica. 
A  susila  sajna  misecina. 


3. 

Da  bi  Bog  dal,  da  nedilja  dojde. 
Da  moj  dragi  mimo  dvora  projdc, 
Mimo  dvora  mile  majke  moje. 
Milo  drago  ne  srdi  se  na  ine. 
Zar  ako  se  ja  rasrdim  na  te, 
Pasat  oee  i  godina  dana. 
Da  nece  bi t  med  nami  divana. 


4. 

Po  polju  >e  narancica  vije. 
Ni  od  vetra,  ni  od  sum-a  zarka, 
Meg  od  jada  rad  inlade  divojke. 
Da  ju  majka  za  udovea  daje. 

5. 

iPoskoeniea  u  kolu.) 
Setala  se  Marica  divojka. 
Ispred  dvora  dragoga  svojega. 
L*  dvore  mu  jabuke  hitala. 
Iz  dvora  joj  drago  progovara : 
„Xemoj  u  dvor  jabuki  liitali. 
Za«'-  te  moja  neda  uzet  majka!" 
Ne  pasala  nediljica  dana, 
Mari  pred  dvor  svaca  dohajala. 
Ivana  je  majka  za/.ivala  : 
„Semo  hodi  Ivo  drago  moje. 
Hodi  videt  svaeu  Marieinu!" 
Ivan  majki  tiho  odgovara  : 
..()'}  starke  moja  mila  majko, 
Prokljeto  ti  i  staro  i  mlado. 
Hastala  si  i  milo  i  drago!" 


1. 

Meine  Blumen,  wol  möcht"  ich  euch  ptlüeken, 
Niemand  hab*  ich,  den  ihr  möget  schmücken, 
Kineo  nur,  der  fährt  auf  Meereswegen. 
Nur  auf  Taue  kann  sein  Haupt  er  legen. 
Nur  auf  Taue,  auf  dem  schwarzen  Meere. 
Hin  ich  eine  Waise  auch  geblieben  : 
In  die  See  nicht  sank  mein  treues  Lieben. 
Wenn's  auch  sank,  wird  wieder  auf  es  tauchen. 


± 

• 

Was  ist  das  in  Meeres  Mitte  Weisses? 

Sind  es  Wellen,  sind  es  junge  Seeleut"? 

Sind  nicht  Wellen,  sind  nicht  junge  Seeleut'. 

Sondern  's  ist  der  Bräutigam,  der  Ivo, 

lud  an  ihm  so  weiss  das  llemdchen  scheinet. 

Mutter,  Schwester  haben's  nicht  gewaschen. 

Linder  Regen  hat  es  ihm  gewaschen. 

l  ud  getrocknet  hat's  der  helle  Mondschein. 


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254 


3. 

Gebe  Gott,  dass  ich  den  Sonntag  sehe, 
Dass  mein  Schatz  vorm  Hof  vorübergehe, 
Vor  dem  Hofe  meiner  lieben  Mutter! 
Mein  Geliebter,  sei  nicht  auf  mich  böse, 
Denn  wenn  ich  wcrd"  einmal  auf  dich  böse, 
Werden  Jahr  und  Tag  vorübergehen, 
Ohne  dass  ich  dir  werd'  Rede  stehen. 

4. 

Auf  dem  Felde  wehn  Orangenbäume, 
Xicht  vom  Winde,  nicht  vom  Sonnenbrande, 
Sondern  wegen  einer  Maid  sich  härmend, 
Denn  die  Mutter  gibt  sie  einem  Witwer. 

5. 

(Wird  zum  Koloreigen  gesungen.) 
Ks  ergeht  sich  Marica,  das  Mädchen, 
Vor  dem  Hofe  ihres  Herzgeliebten. 
In  dem  Hol  mit  Äpfeln  sie  bewirft  ihn. 
Aus  dem  Hofe  spricht  da  ihr  Geliebter: 
«Wirf  in  meinen  Hof  du  keine  Apfel, 
Xicht  zum  Weib  mir  gibt  dich  deine  Mutter." 
Woche  und  Tag  sind  noch  nicht  vergangen, 
Vor  Mariens  Hof  Brautführer  kamen. 
Da  den  Ivan  also  ruft  die  Mutter: 
„Komm  berein  doch.  Ivan  du  mein  lieber, 
Komm  und  schau  dir  an  Mariens  Svaten." 
Da  versetzt  der  Mutter  Ivan  also : 
„Oh  du  meine  liebe  alte  Mutter. 
Sei  verflucht  so  alt  wie  jung  dir  alles; 
Hast  geschieden,  was  sich  lieb  und  teuer!" 

Xach  den  Aufzeichnungen  des  Herrn  Professors  Vinko  Delak 
in  Kostajnica,  mitgeteilt  von  Antun  Hpmuann. 

Zigeunersagen  u.  dgl.  über  Erzherzog  Josef. 

F.   Wir  Jo.o  f  Kuniy  wurde. 

Der  bereits  erwähnte  l'aul  Co  kor  erzählte  auch  folgende  Sage  : 
Joseste  avlas  jek  pcral.1  Akor  dsidelas  meg  leske  dad.  I'enelas 
phuro  dad:   -Dsan   turnen  kija  legbareder  kraj.  kija  F'erenc  Joska, 
te  jov  kerel  turnen  kraja!"   Dsanenas  duj  rakla.  Lpro  drom  andro 
jek  gav  avlas  jek  ker;  andre  ker  nasvales  has  gadsio  te  gadsi  te 

;  v  =  ch. 

I 

i 
i 

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255 


eavora.  Tora  na  ketenas  te  legbokhaleder  jon  has.  Lende  delas  Joska 
leskre  bute  lova  te  butjikerelas.  hoj  na  andro  bokh  nieren  jon. 
Leske  pcral  dsanelas  kija  legbareder  kraj.  0  legbareder  kraj  Ferenc 
Joska  phutelas  les :  „Kaj  hin  tiro  pcral?"  0  pcral  penelas  save.  To 
o  legbareder  kraj  penelas :  „Jov  hin  legfeder  eavo,  te  jov  avel  cigno 
kraj;  nva  tu  misee  sal.  tut  nie  na  kerav  krajes!"  Joska  avelas 
krajes,  leskre  pcral  coro  manus  dsidel  andre  Tisabät. 

Josef  hatte  einen  Bruder.  Damals  lebte  noch  sein  Vater.  Sprach 
der  alte  Vater:  „Gehet  ihr  zum  grössten  König,  zum  Franz  Josef, 
und  er  macht,  euch  zu  Königen!"  Giengen  die  beiden  Söhne.  Auf 
dem  Wege  in  einem  Dorfe  war  ein  Haus  ;  in  dem  Hause  krank  war 
der  Hauer  und  die  Bäuerin  und  die  Kinder.  Die  armen  nicht 
arbeiteten  (konnten  nicht  arbeiten)  und  sehr  hungrig  sie  waren. 
Ihnen  gab  Josef  sein  vieles  Geld  und  arbeitete  für  sie-,  damit  nicht 
in  Hunger  sie  sterben.  Sein  Bruder  gieng  zum  grössten  König.  Der 
grösste  König  Franz  Josef  fragte  ihn:  „Wo  ist  dein  Bruder?"  Der 
Bruder  sagte  alles,  lud  der  grösste  König  sagte:  „Er  ist  ein  sehr 
gutes  Kind,  und  er  wird  kleiner  König,  aber  du  bist  schlecht,  dich 
ich  nicht  mache  zum  König!"  Josef  wurde  König,  sein  Bruder  (als) 
armer  Mann  lebt  in  Tiszaliät  f?i. 

Mitgeteilt  von  A.  H. 

Deutsche  Volkslieder  aus  der  Körmöczbänyaer  Gegend* 

i. 

Paters  Gürtal.  Paters  Gärtal 
Sitzt  a  Regap  teilen. 
Hut  ka  Floiga,1  hur  ka  Floiga, 
flieht  man  ihm  die  Seit'n. 

II. 

Bin  ein  jung's  Biirschtl, 
Hin  ein  jung's  Blut, 
l"nd  wie  der  Tanz  gehf, 
So  setz'  ich  mein  Hut. 

III. 

Heut'  ackre  ich  ut*  an  Oke,-' 
Maug'n'  ackre  ich  ut'  an  Kän. 
Heut'  schlaf  ich  bu  mein  Schatz). 
Maug'n  meusz  ich's  hiede1  allan. 

IV. 

Ken-  die  Lind  da-  LAb  veleisr.1 
Trauern  alle  Äste, 
Alle  hübsche  Madelein 
Tragen  das  Kränzlei n  feste. 

'  Vgl.  Kthn.  Mitt.  I.  Band.  S.  101 -IOC. 

1  Flügel.  -  Acker.  1  morgen.  '  wieder  '  wenn.  '•  verliert.  :  Winter. 
"  heim. 


Wie  soll  ich  denn  noch  t'ester  tragen. 
Wann  e>  nicht  will  bleiben  V 
Kaut"  ich\s  mir  ein  Schleierlein 
Von  Sammet  und  von  Seide. 

V. 

Ist  denn  das  Süsze  so  angemessen, 
]>ass  man  .lie  Gläslein  lullen  soll. 
Auf  unsern  Herrn   Schullehrer  nicht 

zu  vergessen. 
l>enn  es  geht  uns  ewig  wohl. 
I'ruinm  leben  wir  Alle.  Alle.  Alle, 
Schüler,  wir  leben  so  wühl' 

VI. 

Schatzelein.  ich  lieb  dich  gerne, 
Wenn  ich  dich  nur  seh'  von  lerne. 
Wenn  ich  dien  nur  kann  erblicken, 
.So  thut  sich  mein  Herz  erquicken. 

VII. 

Iuei  Biuttv  drei   Summa,  drei  Apal 

am  liäm. 

Kommen  die  lustigen  Soldot'n  in  Häm." 


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256 


Der  erste  im  Kappl,  der  zweite  im  Hut, 
Der  dritte  mein  Schatz),  den  kenn' 

ich's  so  gut. 

VIII. 

Mein  Schatz   hat   mir  an  Brief  ge- 
schrieben, 
Dass  ich  soll  kein  Andern  liehen. 
Ich  soll  noch  ihm  treu  verbleiben. 
Bis  er  mir  wird  wiederum  schreiben. 

IX. 

Ach  ich  armes  Mädelein! 
"Wo  find  sich  meines  Gleichen? 

(Kekello). 


Alle  hübschen  Knäbelein 

Nehmen  nur  die  Heichen. 

Wenn  ich's  auch  nicht  reicher  bin. 

Hab'  ich  noch  meine  Ehre. 

Alle  hübschen  Knabelein 

Lieben  mich  wohl  mehre. 


X. 

Ist  es  Binte  oder  Summa. 
Zu  mein  Schätzt  muss  ich'»  kumma. 
Thut  es  regen  oder  schneien, 
Zu  mein  Schatzl  thut*s  mich  treuen. 

Mitgeteilt  von  Prot".  Dr.  (ieory  Yer*hnji. 


LITTERATUR. 

Wesfmiunch'  /•>/.,  Geschichte  der  menschlichen  Ehe.  Einzig  autorisierte 
deutsche  Ausgabe.  Aus  dem  Englischen  von  L.  Knischer  und  (irnzer.  Be- 
vorwortet  von  A.  h'.  Wallaer.  Jena  iH!»:J.  H.  Costenoble.  LIV.  u.  5M*  S. 

Die  Vortreftlichkeit  des  englischen  Originals  ist  seiner  Zeit  von  den 
namhaftesten  Forschern  einmütig  anerkannt  worden;  mit  Freuden  begrüssen 
wir  nun  die  deutsche  Ausgabe  dieses  gediegenen  Werkes.  Verfasser  spricht 
sicli  in  der  Einleitung  ausführlich  über  seine  Forschungsweise  aus  :  ..es  gäbe 
nämlich  nur  Min  richtiges  Verfahren:  Man  muss  zunächst  die  Ursachen  der 
sozialen  Erscheinungen  ausfindig  machen;  gelangt  man  nachher  zu  der  zwin- 
genden Annahme,  dass  diese  Ursachen  ohne  Störung  durch  andere  Ursachen 
tatig  gewesen  sind,  so  ist  man  berechtigt  von  ihrem  Vorhandensein  auf  das 
Vorherrschen  der  Erscheinungen  selbst  zu  schliossenu  <S.  LI).  In  24  Ab- 
schnitten behandelt  Verfasser:  den  Ursprung  der  Ehe:  die  menschliche 
Paarungssaison  in  der  Urzeit  :  das  Alter  der  Kheeinrichtungen ;  Kritik  der  Pro- 
miscuitiitsle!:re ;  Ehe  und  I Ehelosigkeit ;  Werbung  und  Verwandtes:  Anzie- 
huugsmittei  :  die  Freiheit  der  Wahl;  die  geschlechtliche  Zuchtwahl  bei  den 
Tiereu:  die  bei  den  Menschen:  ferner  Schönheitstypen;  das  Aehnlichkeits- 
gesetz:  Verbore  der  Ehen  zwischen  Verwandten  :  Beeinflussung  der  geschlecht- 
lichen Zuchtwahl  durch  Zuneigung,  Sympathie  und  Berechnung;  Raubehe  und 
Kaufehe:  Niedergang  der  Kaufehe  und  das  Heiratsgut:  Hochzeitszeremonien 
und  Vermählungsgehrauche;  Formen  und  Dauer  der  Khe.  Was  Verfasser 
über  das  Matriarc  iat  hin  und  wieder  erwähnt,  können  wir  nicht  in  seinem 
ganzen  Umfang  für  giltig  erklären.  Die  Tatsache  des  Mutterrechtes  lässt 
sich  beim  heutigen  Stande  der  Forschung  nicht  mehr  bezweifeln  :  ja.  es  kann 
als  vereinzelte  Bildung  oder  gar  als  Zersetzungsprodukt  nicht  mehr  auf- 
gefasst  werden.  Hätte  Verl.  ausser  Liebich  auch  die  neueren  Zigeunerfor- 
schungen in  den  Kreis  seiner  Betrachtungen  gezogen,  so  hätte  er  eben  eine 
Art  von  Matriarchat  auch  bei  den  Zigeunern  vorgefunden.  In  einigen  ma- 
gyarischen und  rumänischen  Gegenden  Ungarns  nennt  das  Landvolk 
einen  Gatten  dann  nach  dem  Zunamen  seiner  Frau,  wenn  dieselbe  das  einzige 
Kind  ihrer  Kitern  gewesen  ist.  Eine  ..instinktive  Scheu"  vor  den  üblen 
Folgen  der  Eben  zwischen  Blutsverwandten  scheint  uns  die  weitverbreiteten 
Blutschandeverbote  nicht  hinlänglich  zu  erklären :  diese  instinktive  Scheu 
ist  mehr  das  Erziehungsergebnis  gewisser  Zwangsmassregeln,  welche  die 
Eltern  von  jeher  dem  geschlechtlichen  Verkehre  der  Kinder  unter  sich  an- 
wandten, damit  sich  dieselben  nicht  schon  vor  der  geschlechtlichen  Keife 
aufreiben.  In  späterer  Zeit,  als  bei  der  Kaufehe  die  Tochter  ein  materielles 
Vermögen  repräsentierte,  musste  eben  gesorgt  werden,  dass  sie  nicht  vor 
dem  Verkauf  geschlechtlich  ausgenützt  werde.  Das  Buch  gehört  zweifelsohne 
zu  den  unentbehrlichsten  Werken  ethnologischer  Forschung.  Ein  Sachregis- 
ter, oder  besser  gesagt  ..Schlagworte",  hätten  den  Wert  des  Buches  al* 
Nachschlagewerkes  bedeutend  erhöht.  //.  r.  Wlislochi. 


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257 


Der  Typus  der  Ugrier. 

Von  Dr.  Karl  Pdpai. 1 


Die  Litteratur  über  den  anthropologischen  Typus  der  den 
Magyaren  sprachverwandten  Völker  ist  sehr  lückenhaft.2  Dies  bewog 
mich,  von  den  am  wenigsten  bekannten  die  Wogulen,  Ostjaken, 
Zürjenen  und  Samojeden  in  ihrer  Heimat  aufzusuchen.  Hauptzweck 
dieser  Arbeit  ist,  den  ursprünglichen  Typus  der  Wogulen  und  Ost- 
jaken oder  den  Grund typus  der  Ugrier  wenigstens  annäherd  fest- 
zustellen. Zur  Verglcichung  werden  in  erster  Reihe  die  den  Ugriern 
sprachlich  zunächst  stehenden  Völker  herangezogen,  dann  diejenigen, 
welche  zufolge  nachbarsehaftlicher  Berührung  von  Einlluss  auf  den 
physischen  Typus  der  Ugrier  waren. 


Die  Statur. 

Vor  allem  wäre  auf  Grund  der  Vergleichung  der  Daten  ver- 
schiedener Gegenden  und  Forscher  die  ursprüngliche  Statur  der 
Wogulen  und  Ostjaken  festzustellen. 

Demzufolge  zeigt  die  Statur  der  Ugrier  und  der  ihnen  sprach- 
verwandten und  benachbarten  Völker  folgende  Verhältnisse : 

Wogulen  a.  d.  Lozwa  (Malijcw)    (>  Individuen  1.5*24 

im  Norden  (Päpai) 

im  Süden  (Päpai) 
Ostjaken  (Päpai) 

t  Sommier) 
reremissen  iMalijew) 

!.  Sommier) 
Wotjaken  iMalijew) 
Permjaken  iMalijew» 
Zürjenen  (Sommier) 

(Päpai) 
Erzä-Mordwinen  (Majnow) 

1  Aus  des  um  die  Ethnographie  der  Ugrier  hochverdienten  Verfassers 
nachgelassenem  Werke  über   Wogulen,  Ostjaken,  Zürjenen  und  Samojeden. 

;  Ausser  eigenen  Beobachtungen  und  Sommiers,  Malijews  und  Topinards 
ott citierten  Werken  standen  mir  folgende  Arbeiten  zur  Verfügung:  St.  Snmmier: 
Note  di  viaggio.  Firenze,  188!*.  (('her  Tschereinissen  und  Kalmuken).  —  Der- 
selbe :  Due  Coinunicazioni  sui  Lapponi  e  sui  Finlandosi  settentrionali.  Estratto 
dall*  Archivio  per  l'Antrop.  e  l'Etnol.  Vol.  XVI.  1SS(». i  —  Derselbe:  Fra  i 
Baskiri.  (Ebenda  Vol.  XI.)  —  X.  Malijrw.  Antrop.  o'erk  plem.  Permjakow 
Kasan.  1887.  Ebenda.  Antrop.  o'erk  Baskir.  Kasan.  187fi  —  X.  Majnow: 
Rezultatii  antropol.  isled.  sredi  Mordvii-Erzi.  S.- Peterburg.  188;i.  —  Ii.  Bona- 
partc  :  Note  on  the  Lapps  of  Finnmark.  Paris.  188ti.  —  G.  ltetzius:  Finnland. 
Herlin,  IbHb.  —  <>.  Grube  :  Anthrop.  Untersuchungen  an  Esten.  Dorpat.  1^78.— 
/■'.  Wahlhauer:  Zur  Anthrop.  der  Liven.  Dorpat,  is7«>.  —  K.  de  l'jfatey: 
Resultats  antliropol.  d'un  Voyage  en  Asie  centrale.  Paris,  1880. 


105 

1.575 

25 

1.007 

144 

1.559 

115 

1.503 

1.5S1 

•• 

im 

1.013 

100 

•• 

1.018 

1>D 

1.63t) 

51 

- 

1.037 

1.040 

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258 


Finnen  'Beddoe) 


1.617 
1.H73 
1.720 
1.714 


von  Tavasland  (Retzius» 
in  Kardien  (Retzius) 
<  Bonsdorf) 


Esten  (Grube» 
Liwen  <  Waldhauer) 


ICH  Individuen  1.042 
100         „  1.73«) 


Lappen  (Sommier  und  Mantegazza) 
■Bona  parte» 

Samojeden  (Sommier»  t)2 

(Uapai)  32 

'ZografV*  17 

.lenisseer  Ostjaken 


1.524 

1.53 

1.54 

1.574 

1.5«  15 

1.53 


Ba.skiren  in  der  Steppe  (Malijew)  30 
im  Wald  <  Mali  jew  ■  10 
tSommien  74 


1.IH) 

1 .732 

IM 

1.71» 

U>(>3 

1.Ü7 


Kirgisen  (Topinard' 


Kalmüken  (Sommier«  28 


Die  Statur  der  Nord-Ostjaken  zeigt  nach  Sommier's  und  meinen 
Daten  eine  übereinstimmende  Mittelzahl:  1*50  m.  Diese  kann  als 
bezeichnend  betrachtet  werden,  mit  Rücksicht  auf  die  genug  grosse 
Zahl  der  Fälle  231) i  und  darauf,  dass  sie  das  ganze  Gebiet  der 
Nord-Ostjaken  als  der  Hauptmasse  des  Ostjakentums  umfasst,  und  dass 
ihr  meine  Beobachtungen  bei  Süd-Ostjaken  wesentlich  nicht  wider- 
sprechen. 

Nicht  so  übereinstimmend  sind  unsere  Daten  bezüglich  der 
Wogulen,  wo  sich  zwischen  nördlichen  (1575  m.t  und  südlichen 
(l  t')07  m.i  ein  erheblicher  Unterschied  zeigt.1  Die  Süd-Wogulen, 
vom  Gebiet  der  untersuchten  Ostjaken  isoliert,  südwestlich  von  diesen, 
zeigen  eine  höhere  Statur,  als  die  Nord-Wogulen,  welche  in  der 
Nachbarschaft  der  Ostjaken,  unter  gleicher  geographischer  Breite  und 
ähnliehen  Verhältnissen  leben.-  Die  Statur  der  Nord-Wogulen  mit 
derjenigen  der  Ostjaken  verglichen,  weist  einen  sehr  geringen  Unter- 
schied auf,  so  das.-  in  Bezug  auf  die  Statur  ein  viel  grösserer 
Unterschied  zwischen  den  Süd-  und  Nord-Wogulen  als  zwischen 
diesen  und  den  Ostjaken  besteht.  Wir  haben  also  den  Grund  des 
Unterschiedes  der  Statur  der  Wogulen  und  Ostjaken  einem  fremden 
Finlluss  von  Süden  oder  Südwesten  her  zuzuschreiben,  der  sich  nach 

1  Auf  M;vlij«"\vs  Ansähe  i  l\>  12  m.,  von  Majnow  unrichtig  als:  l  b\*l  m. 
eiti»>rt  .  welche  sich  aul'  ein  %*u/.  kleines  Gebiet  uii'I  nur  aut  H  Individuen 
erstreckt,  können  wir  kein  grösseres  Gewicht  b-^en  :  «loch  erhält  sie  dadurch 
einige  Hftli'uruii^.  dah*  .~ie  tlie  M  it feizahl  der  Nord- Wogulen  derjenigen  der 
<X»tjuken  ni.iier  bringt. 

•  «-iiiein  kleinen  Bruchteil  der  Ü.-tjaken  vom  Konda  ist  die  Statur 
höner  und  nähern  sich  diese  überhaupt  den  Sud- Wogulen. 


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,59 

Norden  und  Nordosten  abschwächt.  Von  diesem  Einfluss  abgesehen 
kann  die  Statur  der  Wogulen  und  Ostjaken  im  Grund  genommen  als 
übereinstimmend  betrachtet  werden  und  besteht  diese  l  bereinstim- 
mung  im  Norden,  an  der  Linie  ihrer  Berührung  an  der  Soswa- 
Mündung  auch  heutzutage.  Wenn  wir  die  Daten  bezüglich  der  Statur 
der  Ostjaken  i23!l  Männer,  und  der  Nord- Wogulen  (105  Männer) 
zusammenlassen,  erhalten  wir  als  Durchschnitt  1*51)5  m..  wovon  das 
Süd-Wogulentum  so  erheblich  abweicht,  dass  auch  andre  Momente 
(Kopfindex  u.  s.  w.)  in  Betracht  gezogen,  ihre  Scheidung  nötig 
erschien.  Die  resultierende  Mittelzahl,  (rund  i'55  m.)  zeigt  die 
wogulisch-ostjakische  Körperhöhe  an  und  kann  als  ursprüngliche 
Grundhöhe  derselben,  ja  annäherungsweise  des  gesammten  l'gricrtums 
betrachtet  werden,  da  besonders  die  fremden  Tartaren  vergrössernd 
einwirken. 

Diese  Statur  kann  entschieden  untersetzt  genannt  werden  und 
erhebt  sich  nur  zufolge  fremder  Klnllüsse  bis  zur  obern  Grenze  des 
Untersetzten,  und  der  untern  Grenze  der  Untennittelgrösse  (bei  den 
Süd- Wogulen  mit  1.007  m.>. 

Den  Ugriern  stehen  an  Statur  zunächst  ihre  nördlichen  Nach- 
bern, die  Samojeden.  besonders  wo  sich  beide  unmittelbar  berühren. 
Gegen  Westen,  an  der  Westseile  des  Kral  vergrössert  sich  die  Statur, 
gegen  Osten  nach  dem  Jenissei  hin  nimmt  sie  ab.  An  der  Westseite 
des  l'ral  beträgt  die  Körperhöhe  der  Samojeden  nach  Zogralf  1.595 
in.,  wobei  der  gegenwärtige  zürjenische  Kinfluss  zweifellos  ist  und 
auch  früherer  wogulisch-ostjakischer  angenommen  werden  kann.  Meine 
Beobachtungen  an  beiden  Seiten  des  l'ral  zeigen  eine  niedrigere 
Zahl  0*574  m.)  Sommier's  Daten,  welche  sich  zumeist  auf  die  Ge- 
gend des  Ob-Busens  beziehen,  eine  noch  niedrigere  Zahl  (154  in. ), 
welche  bei  den  Ostjaken  am  .jenissei  gar  auf  1  50  m.  herabsinkt. 
Die  am  Ob,  südlich  von  den  Ostjaken  wohnenden  ostjukischen  Sa- 
mojeden sind  auch  untersetzter  als  die  Ostjaken.  Kine  solche  und 
noch  niedrigere  Statur  linden  wir  nur  im  europäischen  Norden  bei 
den  Lappen  :  1*53—1*52  m.  Die  Lappen  mögen  auch  territorial  mit 
den  Samojeden  zusammenhängend  gewesen  sein  und  ihr  Wauder- 
gebiet  i-t  auch  gegenwärtig  nur  auf  einem  verhältnismässig  kleinen 
Gebiete,  in  der  Gegend  von  Kanin  und  südlich  davon  durch  das  sieh 
zwischen  sie  einkeilende  Bussentum  geschieden.  Es  sind  daher  die 
Völker  von  kleinster  Statur  des  europäisch-asiatischen  Contingentes 
nach  dessen  nördlichsten,  kärglichsten  Tundra-Gegenden  gedrängt,  und 
zwar  nicht  nur  durch  ihre  südlichen,  sondern  zugleich  durch  ihre 
westlichen  und  «istlichen  Nachbarn,  so  dass  ihr  Wohnort  fast  in  die 
Mitte  der  nördlichen  Bandlinie  des  Doppeleontinentes  fällt.  Ks  wäre 
nicht  uninteressant,  die  Ursachen  dieser  Erscheinung  mit  genauer 
Berücksichtigung  der  geographischen  und  historisch-ethnographischen 
Verhältnisse  einer  eingehenderen  rntersuchnng  zu  unterziehen. 

Im  allgemeinen  eine  höhere  Statur  als  die  l'grier  zeigen  ihre 
westlichen  und  südwestlichen  Verwandten:  die  Zürjenen.  IVrinjaken 
und  die  Wolga-Kinnen,  mit  denen  sie  vor  der  russischen  Coloni- 


2t0 


sierung  territorial  zusammenhiengen.  Die  Statur  dieser  weist  auf  einen 
Zusammenhang  mit  dem  südwestlichen  Teil  der  Ugrier  von  grösster 
Statur:  den  Südwogulen  (1'6Ü  m.).  Dieser  zunächst  stehen  die  Cere- 
missen  (1*58 — 1*60  m.),  dann  folgen  die  Wotjaken  (161),  Perm- 
jaken  (1*62),  Zürjenen  (1*63),  Mordwinen  (1*64),  lauter  finnische 
Völker,  bei  denen  sich  die  Statur  —  von  den  ügriern  gegen  Westen 
und  Südwesten  sich  entfernend  —  vergrössert.  Dies  setzt  sich  fort 
bei  den  südlichen  und  östlichen  türkisch-tartarischen  und  mongoli- 
schen Nachbarn  dieser  Völker,  bei  den  Baskiren  (1*66),  den  Kirgisen 
(1*66),  den  Kalmüken  (1*67).  Diese  Völker  und  ihre  Verwandten  haben, 
sich  von  Osten  und  Südosten  nach  Westen  und  Nordwesten  aus- 
breitend und  mit  den  nachbarlichen  finnisch  -ugrischen  Völkern 
kreuzend,  nebst  andern  physischen  Eigenschaften  auch  auf  die 
Statur  derselben  modificierend,  vergrößernd  eingewirkt. 

Doch  nur  insofern,  als  sie  die  Statur  der  östlichen  Finnen  von 
niedrig  auf  [Tnterrnittel  erhöht  haben;  die  Mittelgrösse  ihrer  süd- 
lichen Nachbarn  haben  sie  nicht  erreicht.  Die  Richtung  und  Grösse 
der  staturerhöhenden  fremden  Einflüsse  macht  die  Annahme  wahr- 
scheinlich, dass  die  Statur  der  finnisch-ugrischen  Völker  ursprünglich 
niedrig  war,  wie  gegenwärtig  die  der  Wogulen  und  Ostjaken  (rund 
1*55  m.)  und  sich  zufolge  der  türkisch-tartarischen  Kreuzung  von 
Südosten  her  bei  den  meisten  bis  l'ntermittel  gehoben  hat.  —  Der 
Einfluss  der  russischen  Kreuzung  ist  viel  neuern  Datums  und  unbe- 
deutender, und  kann  kaum  in  Betracht  kommen. 

Die  Statur  der  westlichen  Finnen  (1'67 — 1*71)  hat  sich  durch 
ganz  andere  Einflüsse  bis  zum  t'bermittel  gehoben,  als  die  ihrer 
östlichen  Vorwandten ;  unzweifelhaft  waren  es  germanische  Ein- 
wirkungen. Aber  auch  bei  jenen  zeigen  sich  noch  die  Spuren  der 
niedrigen  Statur,  deren  obere  Grenze  Beddol's  Maasse  kaum  über- 
schreiten (1'67  in.),  wobei  aber  auch  lapponischer  Einfluss  gewirkt 
haben  kann.  Auch  bei  den  Esten  bleibt  die  Statur  untermittel,  ob- 
wol  sich  auch  hier  andere  fremde  Wirkungen  geltend  gemacht 
haben. 

(Schluss  folgt.) 


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In  dem  Vorlage  von  Emü  Felber,  Berlin,  S.  W.  46,  Hallesche-Strasse  4 . 
ist  erschienen  und  durch  alle  Buchhandlungen  zu  beziehen : 


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nahme auf  Indien,  Mit  9  Tafeln. 


Kosmogonien  und  Theogonien  indischer  Religionsphilosophien  (vor- 
nehmlich der  jainistisohen).  Zur  Beantwortung  ethnologischer  Fragestellungen. 
Mit  4  Tafeln. 


A.  B.  (Adolf  BaatUa).  WIE  DAS  VOLK  DENKT.  Ein  Beitrag  zur 
Beantwortung  socialer  Fragen,  —  auf  Grundlage  ethnischer  Elementargedan- 
ken in  der  Lehre  vom  Menschen.  1892.  XVUl.  224  S.  Gr.  8*.  Preis  5  Mark. 

Adolf  Bastian,  VORGESCHICHTLICHE  SCHÖPFUNGSLIEDER  in 
ihren  ethnischen  Elementargedanken.  Ein  Vortrag  mit  ergänzenden  Zusätzen 
und  Erlauterungen.  Mit  zwei  Tafeln.  1893.  146  S. 


Volks-  und  Völkerkunde. 


Von  diesem  in  zwanglosen  Bänden  erscheinenden  Sammelwerk  sind  bis 
jetat  zur  Ausgabe  gelangt: 


Volksglaube  und  Volksbrauoh  dor  Siebenbürger  Saohsea. 

Von  Dr.  Heinrich  von  Wlbiocki.  —  Preis  5,—  Mark. 


Band  III. 


Band  L 


Band  II. 

Dia  Entwicklung  dar  Ehe.  Von  Th.  Acheli*.  —  Preis  2,60  M. 

Band  HL 

Lieder  and  Gesohiohten  der  SaaktlL  Von  C.  G.  Büttner. 


Di 


INHALT. 


L.  Kdhtuiny,  Kinderschrecker  und  Kinderräuber  hl  der  magyarischen 

Volksüberlieferung.  fSchluss)   213 

D>>.  L.  Baroti,  Beiträge  zur  Geschichte  des  Vampyrismus  in  Südungarn  219 

Adolf  Strauss,  Zur  Volksmedizin'  der  Bulgaren   223 

Dr.  Friedrich  S.  Krams,  König  Mathias  und  Peter  Gereb.  Ein  bulgarisches 

Gnslarenlied  aus  Bosnien.  (Erläuterungen)   234 

K.  Fuchs,  Eine  alte  Beschwörungsformel   210 

Ludwig  Mdtyds,  Aus  dem  Volksglauben  der  Schwaben  von  Solymar, 

Szent-Ivan  und  Hidegkut   i  .    .  244 

Friedrich  S.  Krauts,  Das  grosse  Sammelwerk  für  bulgarischen  Folklore. 

(Fortsetzung)    .'   247 

Anton  Herrmann,  Kroatische  Volkslieder  aus  Cirkvenica   252 

Georg  Versengt,  Deutsche  Volkslieder  aus  der  Körmöczbanyaer  Gegend  255 
H.  v.  Wlislocki,  Westermarck  Ed.,  Geschichte  der  menschlichen  Ehe. 

(Besprechung)   256 

Dr.  Karl  Pdpai,  Der  Typus  der  Ugrier  257 

1 

Zur  Zigeunerkunde. 

A.  H.,  Dokumente  zur  Geschichte  der  Zigeuner.  I.  (Schiusa)  ....  221 
Vladislav  Kornel  Ritter  ton  Zielinski.  Die  Abstammung  der  polnischen 

Zigeuner  nach  ihrer  Tradition  250 

A.  H.y  Zigeunersagen  n.  dgl.  über  Erzherzog  Josef.  V.  Wie  Josef  König 

wurde  254 


Ethnologische  Mitteilungen 

aus  'Ungarn. 

■ 

Zeitschrift  für  die  Völkerkunde  Ungarns 

and  der  damit  iE  ethnograpnlscben  Beilenongen  stehenden  Länder. 

(Zugleich   Organ    für   allgemeine  Zigeunerkunde.) 

i 

Unter  dem  Protectorate  und  der  Mitwirkung 

*  ■  i 

Seiner  kais.  und  königl.  Hoheit  des  Herrn  Erzherzogs  Josef 

- 

redigiert  und  herausgegeben  von 

Prof.  Dr.  Anton  Herrmann. 

■ 

- 

III.   BAND  11-12.   H  EFT. 
Kedactioii  und  Administration  : 

Budapest,  X.,  Szent-Györgyotcit  2. 


BUDAPEST,  1894. 

BUCHDRUCKEKKI    E.  HORUTH. 


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In  der  geographischen  Verlagshandlung 

Dietrich  Reimer  (Hoefer  &  Vohsen)  Berlin 

ist  erschienen  und  durch  alle  Buchhandinngen  zu  beziehen: 

Unter  den  Naturvölkern  + 
+  ßentral-Brasiliens. 

Reiseschilderung  und  Ergebnisse  der  zweiten 
Sehingü-Expedition  1887  1888. 

Von 

Prof  Dr.  Karl  von  den 

Mit  190  Abbildungen  und  Tafeln,  sowie  1 
1894.  -  Preis  gebunden  12  Mark. 

Aus  den  zahlreich  eingelaufenen  Besprechungen  erwähnen 
wir  folgeude  : 

Prof.  Ferd.  von  Riohthofen:  Ks  ist  tür  dun  Ethnographen,  vor 
Allem  für  denjenigen,  der  die  naiven  Urzustände  des  Menschen 
philosophisch  betrachteu  will,  eine  Fundgrube,  die  meines 
Wissens  nicht  ihres  Gleichen  hat. 

Prof.  Friedr.  Müller  (Wien):  Ein  klassisches  Buch,  tür  den 
Kthnologeu,  den  Volkerpsychologen,  den  Philosophen,  den 
Soziologen,  den  Sprachforscher,  sowie  überhaupt  für  jeden 
Gebildeten. 

Prof.  A.  Kirohhoff:  l»ie  ethnologischen  Forschungen  des  an- 
ziehenden  Buches  verdienen  das  allgemeinste  Interesse,  das 
ihnen  auch  wohl  nicht  versagt  bleiben  wird  bei  der  spanneu» 
den  Forin  der  Darstellung  un>l  ihrer  volligen  Freiheit  von 
abstruser  Gelehrsamkeit. 

Prof.  Jon  Ranke  (München):  Ks  ist  Jas  erste  Lehrbuch  der 
Völkerpsychologie,  dargestellt  in  der  klassischen  Beschreibung 
eines  Naturstein  nies.  Die  Lehren  unseres  Meisters  Bastian 
treten  liier  dem  Leser  gleichsam  lebendig  entgegen.  Dabei 
ist  das  Werk  so  fesselnd  geschrieben,  dass  es  seines  Ein- 
druckes aul  jeden  Gebildeten  sicher  ist. 

NB.  Von  diesem  erst  in  diesem  Jahre  erschienenen  hoch- 
bedeuttunlen  Werke  >ind  bereit.»  über  10.0  Exemplare  abgesetzt 
und  durfte        erste  Auflage  (1500/  in  nächster  Zeit  vergriffen  «ein. 


--. 


1 

Ii 

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Ethnologische  Mitteilungen  aas  Ungarn. 

UNTER  DEM  PROTECTORATE  UNO  DER  MITWIRKUNG 

Sr.  tcais.  u.  tcöniRl.  Hoheit  de«  Herrn  Erzherzog  Josef 
REDIGIERT  U.   HERAUSGEGEBEN  VON  ÄNTON  JF"£eRRMANN. 


EX  Band.  Budapest,  1893—1894.  U— 12.  Heft. 


Der  Typus  der  Ugrier. 

Von  Dr.  Karl  Pdpai. 
(SctalusB.) 

Der  Kopfindex  bei  den  Ugriern  und  den  ihnen  sprachverwandten  und 

benachbarten  Völkern. 

Es  stehen  uns  folgende  Daten  zur  Verfügung : 

Wogulen  a.  d.  Lozva  (Malijew)    13  Individuen  77  31 

„       im  Norden  (Papai)      105  -  79- 26 

im  Süden  (Papai)  84-69 

Ostjaken  (Sommier)                   95  v  79  26 

Papai                        144  „  8170 

Ceremissen  (Malijew)  78  80 

„         (Sommier)                38  n  79-40 

Wotjaken  (Malijew)  81.86' 

Permjaken  (Malijew)                 100  „  822 

Zürjenen  (Sommier)                   24  „  82.44- 

(Papai)  8343 

Erza-Mordwinen  (Majnow)  83  30 

Esten  (Grube)                        100  „  79  26 

Liven  (Waldhauer)                  100  „  79  9 

Finnen  in  Karelien  (Retzius)  812 

„       in  Tarastland  (Retzius)  82  3 

„       (Beddoe)  83  69 

Samojeden  (Zograff)  82  61 

„         (Papai)                     31  „  8372 

„         (Sommier)                66  „  8444 

Lappen  (Beddoe  und  Retzius)  85  63 

n       (Bouaparte)  87  63 

„       (Sommier  und  Mantegazza)  87*64 

Baschkiren  im  Walde  (Malijew)  10  „  79*10 

v       in  der  Steppe  (Malijew)  30  „  82*20 

Ethn.  llitt.  a.  Ungarn,  m.  18 


262 


Baschkiren  (Sommier)  74  Individuen  83  52 

(Ujfalvy)  12        „  85  75 

Kalmuken  (Sommier)  36         „  82'08 

aus  Kuld2a  (Ujfalvy)    4        „  80  89 

Kirgisen  (Topinard)  „  81  40 

am  Aral-See  (Ujfalvy)  11         ,  8719 

Bei  den  Ugriern  und  den  verwandten  Völkern  zeigt  sich  ein 
gewisses  Verhältnis  zwischen  dem  Kopfindex  und  der  Statur. 
Schon  im  Kreise  der  Ugrier  ist  der  Unterschied  des  Kopfindex 
(wie  der  der  Statur)  zwischen  Nordwogulen  und  Ostjaken  auf- 
fallend ;  bei  jenen  zeigt  sich  durchschnittlich  mesaticephaler 
Typus,  bei  diesen  schon  entschiedene  Brachycephalie  (84  69)  ; 
und  es  ist  der  Unterschied  des  Kopfindex  zwischen  diesen  zwei 
ngrischen  Völkern  bedeutender,  als  zwischen  den  Ugriern  und  den 
Wolga-Finnen. 

Bei  diesen,  auch  die  Zürjenen  hinzugerechnet,  finden  wir  in 
unserer  Tabelle  in  ähnlicher  Reihenfolge  eine  Steigerung  gegen 
die  Brachycephalie  hin,  wie  wir  sie  bei  der  Statur  beobachtet 
haben,  nämlich  im  wesentlichen  von  den  Ugriern  in  nordwest- 
licher und  südwestlicher  Richtung  fortschreitend.  Wie  bei  der 
Statur,  so  stehen  den  Ugriern  auch  hier  die  mesaticephalen  C'ere- 
inisseu  am  nächsten.*  Diesen  reihen  sich  östlich  die  Wotjaken 
an  :  nördlich  von  diesen  finden  wir  bei  den  Permjaken  und  noch 
mehr  bei  den  Mordwinen  eine  Steigerung  der  Brachycephalie  bis 
zu  ihrer  oberen  Grenze,  einigermassen  auch  darüber  hiuaus. 

Wenn  wir  die  Verhältnisse  des  Kopfindex  und  der  Statur 
geographisch  betrachten,  finden  wir.  dass  die  an  die  Ostseite  des 
Ural  gedrängten,  dort  am  meisten  isolierten  Wogulen  und  Ostjaken 
den  mezaticephalen  Typus  am  reinsten  bewahrt  haben  :  die  Mesati- 
cephalie  folgt  an  der  Westseite  des  Ural  der  ost westlichen  Rich- 
tung des  Kaniaflnsses  und  setzt  sich  gegen  Westen  auch  iu  der 
Gegend  der  mittleren  Wolga  oberhalb  der  Kamamündung  fort. 
Diese  Kamalinie  können  wir  als  eine  der  Wanderlinien  und  Haupt- 
niederlassungsstellen der  Finnen  betrachten,  wo  die  Hauptmasse 
des  Volkes  von  fremden  Einfiüssen  am  meisten  verschont  war 
und  das  Meiste  von  den  ursprünglichen  Rassenzügen  bewahren 
konnte,  während  die  Schwärme  nördlich  und  östlich  dieser  Linie, 
fremden  Einflüssen  mehr  ausgesetzt,  grössere  Umwandlungen 
erlitten. 

Diese  Steigerung  des  Kopfindex  können  wir.  uns  vom  Kama- 
fiusse  nach  Süden  hin  entfernend.  b»d  den  Baschkiren  genau  be- 
obachten. Während  im  Norden  die  Bergbaschkireu  den  mesatice- 
phalen Typus  zeigen,  findet  sicli  südlicher  auf  den  Steppen  sub- 

*  Nahe  stolien  diesen  die  im  Süd  n  benachbarten  Cuwasen,  nach 
Malijew  in  17  Fällen  7<;3  Schädelindex,  was  7 7 'S  Kopfindex  entspricht.  Bei 
17  Berg*'ere  missen  gibt.  Malijew  den  Schädel  index  mit  7»>  5  an.  [Malijew: 
Katalog  kraniolog.  koliek.  Kasansk.  Univers.  Kasan.  1888.  2A-  2!>.) 


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263 


brachycephaler,  ja  auch  rein  brachycephaler  Typus.  Bezüglich 
des  Koptindex  zeigen  sich  hier  dieselben  Unterschiede  zwischen 
den  Wald-  und  südlichsten  Steppen-Baschkiren,  wie  zwischen  den 
nördlichen  Soswa-  und  den  südlichen  Konda- Wogulen. 

Im  Allgemeinen  finden  wir,  dass  sowohl  bei  den  Ugriern,  als 
bei  den  östlichen  Wolga  Finnen,  die  im  Grunde  genommen  einen 
mesaticephalen  Schädeltypus  zeigen,  südliche  mongoloide  Einflüsse 
die  Brachicephaiie  verursacht  haben. 

Gleichfalls  mongoloide  Einflüsse  macheu  sich  auch  von  Norden 
her  bei  den  Samojeden  geltend.  Während  bei  den  europäischen 
Samojeden,  wo  die  finnisch-ugrischen  Einflüsse  am  intensivsten 
sind,  die  Brachyeephalie  am  kleinsten  ist.  steigen  sie  sich  vom 
Ural  nach  Süden  bis  zur  wirklichen  Brachyeephalie.  Doch  während 
im  Süden  im  Ganzen  genommen  die  Brachycephalin  mit  der  Statur 
zunimmt,  zeigt  sich  im  Norden  bei  den  Samojeden  ein  verkehrtes 
Verhältnis,  und  dies  steigert  sich  zum  Extrem  bei  den  Lappen, 
die  gleichsam  eine  westliche  Fortsetzung  der  Samojedeu  bilden, 
die  aber  heute  durch  Einkeiluug  fremder  Elemente  unterbrochen 
ist.  Bei  den  Lappen  finden  wir  nämlich  neben  der  kleinsten  Statur 
die  grösste  Brachyeephalie.  Während  also  in  Bezug  auf  die  Körper- 
grösse  die  Woguien  und  Ostjaken  den  Samojeden  und  Lappen 
sehr  nahe  steheu.  unterscheiden  sie  sich  au  Kopfindex  bedeutend 
von  einander,  so  dass  wir  aus  der  Annäherung  der  Staturinaasse 
nicht  auf  die  nahe  Verwandtschaft  des  Typus  dieser  Völker 
schliess<r'U  können  und  in  der  niederen  Statur  der  Ugrier  noch 
keinen  samoj«*dischen  Einfluss  zu  suchen  haben. 

Bemerkenswert  ist  es,  dass  die  westlichen  Finnen,  die  in 
Bezug  auf  Statur  sich  von  den  Samojeden  so  bedeutend  unter- 
scheiden, ihnen  an  Kopfindex  ganz  nahe  stehen.  Fraglich  ist  es. 
welchen  Anteil  hierin  der  Gruudtypus  hat,  und  weichen  jene 
fremden  Einflüsse,  die  eine  Steigerung  der  Statur  bewirkt  haben. 

Die  Farbe  der  Haut,  der  Haare  und  der  Augen. 

Bei  Wogulen  und  Ostjaken  ist  weisse  Hautfarbe  vorherrschend, 
an  unbedeckten  Stellen  mit  dunklerem  Ton  und  im  allgemeinen  mit 
etwas  gelblicher  Schattierung.  Am  dunkelsten  bei  den  Süd-Wogulen, 
doch  nicht  so  sehr,  wie  bei  den  Samojeden. 

Der  dunklern  Nuance  der  weissen  Hautfarbe  entspricht  bei  den 
Ugriern  dunkleres,  ja  ganz  dunkles  Haar.  Herrschend  ist  braun,  als 
kastanien-  und  dunkelbraun,  seltener  die  mittlem,  noch  seltener 
die  helleren  Töne.  Bei  den  Süd-Wogulen  hier  wieder  dunkelbraun 
vorherrschend,  oft  schwarz. 

Die  Augen  sind  dunkel,  mit  überwiegend  helleren  Übergangs- 
tönen;  vor  allem  kastanienbraun,  dann  dunkelbraun  und  hellbraun, 
oft  auch  grau.  Bei  den  Süd- Wogulen  mehr  Uebergangstöne. 

Im  gegenwärtigen  Typus  der  Ugrier  herrscht  also  dunkel  weisse, 
etwas  gelbliche  Hautfarbe  vor,  mit  dunkelen  Haaren  und  Augen, 

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2t»4 


erstere  mit  stärker,  letztere  mit  weniger  dunklen  Nuancen.  Beide 
vorherrschend  braun,  Augen  oft  grau. 

Unter  den  verwandten  Völkern  finden  wir  wieder  bei  den  Cere- 
raissen  viel  Ähnlichkeit.  Ihre  Hautfarbe  ist  nach  Sommier  weiss,  an 
unbedeckten  Stellen  bronzefarben ;  beim  Haar  dunkle  und  sehr  dunkle 
Töne  überwiegend,  doch  oft  auch  hellere  vorkommend;  beim  Auge 
nebst  den  dunkeln,  auch  die  Mittel-  und  helleren  Töne  häufig,  ja  bei 
Frauen  letztere  überwiegend. 

Von  den  Ugriern  (und  den  Ceremissen)  sich  durch  hellere 
Töne  unterscheidend,  stehen  die  Wotjaken,  Permjaken  und  Zürjenen 
einander  nahe.  Nach  Malijew  ist  die  Hautfarbe  der  Wotjaken  weiss ; 
bei  63  von  100  mit  hellerer,  bei  32  mit  dunklerer  Färbung.  Bei  den 
Zürjenen  ist  nach  Sommiers.  und  meinen  eigenen  Beobachtungen 
hell  weiss  fast  allgemein,  bei  der  Jugend  mit  roten  Wangen.  Das 
Haar  ist  meist  kastanienbraun,  dann  folgen  die  mittlem  und  helleren 
Töne,  bei  Männern  ist  auch  dunkelbraun  nicht  selten ;  schwarz  ist 
ausgeschlossen.  Bei  den  Augen  sind  die  mittlem  (zumal  grau)  und 
die  hellem  Töne  (besonders  himmelblau/  vorherrschend.  Wotjaken 
und  Permjaken  sind  zumeist  blondhaarig,  bei  letztern  ist  auch  dunkles 
Haar  häufig,  selbst  schwarzes.  Die  Augen  sind  meist  hell  (blau), 
nebstbei  sind  bei  den  Permjaken  die  mittlem,  bei  den  Wotjaken  die 
dunklen  Töne  häufiger.  Den  kastanienbraunen  Ugriern  gegenüber 
zeigen  also  ihre  westlich  benachbarten  Verwandten,  die  Zürjenen, 
Wotjaken  und  Permjaken  im  ganzen  einen  blonden  Typus :  lichte 
weisse  Haut,  blondes  Haar  und  blaue  Augen. 

Von  dieser  Gruppe  entfernen  sich  bezüglich  der  Farben  die 
Mordwinen,  mit  lichter  weisser  Hautfarbe  aber  meist  dunkelm  (nach 
Mainow  grossenteils  zimmtfarbenem)  Haar  und  zumeist  lichten  (blauen) 
oder  mittelfarbigen  Augen. 

Unter  deu  West-Finnen  sind  die  von  Tarastlaud  und  die 
Esten  von  blondem  Typus,  die  Liwen  und  die  Karelier  mehr  von 
kastanienbraunem.  Die  Hautfarbe  der  Esten  ist  in  66  von  100  Fällen 
weiss,  in  den  übrigen  braun,  auch  bei  den  Finnen  in  Tarastland 
licht,  doch  nicht,  so  rem,  mit  durchschimmerndem  Rosa,  wie  bei 
den  blonden  Germanen,  geht  oft  ins  schmutziggraue  über,  bis 
olivengrau  ;  bei  den  Kareliern  hingegen  ziemlich  bräunlich  oder 
schmutziggrauiich.  Auch  bei  den  Liwen  scheint  die  Haut  bräun- 
licher zu  sein,  als  bei  den  Esten.  Bei  diesen  und  den  von  Tarast- 
land ist  auch  das  Haar  lichter  ;  bei  jenen  herrschen  die  lichteren 
Nuancen  des  Braun  sowie  gelb  vor,  bei  diesen  ist  das  Haar  am 
Scheitel  blond,  oft  flachsfarben,  sonst  aschblond  ;  bei  den  Kare- 
liern zumeist  kastanienbraun,  mitunter  dunkel  aschfarben,  auch 
bei  den  Liwen  ist  kastanien-  und  dunkelbraun  vorherrschend.  Die 
Augen  sind  in  Tarastland  und  bei  den  Esten  hellgrau,  blau  und 
häufig  blaugrau,  bei  den  Kareliern  ziemlich  dunkelgraublau,  bei 
den  Liwen  meistens  mitteldunkelgrau. 

In  der  Nachbarschaft  der  kastanienbraunen  und  blonden 
Ugrier  und  Finnen  fiuden  wir  nördlich  und  südlich  dunklere 


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26«; 


türkisch-t art arische  und  mongolische  Völker  von  charakteristischer 
Brochycephalie  :  oördlich  von  den  Ugriern  die  Samojeden,  von 
den  Finnen  die  Lappen.  Bei  den  Samojeden  ist  die  Hautfarbe 
gelblich,  von  dunklerem  Tone  als  bei  d*n  Ugriern;  charakteristisch 
ist  die  Röte  der  Backengegend  zufolge  der  Blutausammlung ; 
bei  der  Haarfarbe  herrscht  stark  dunkel  vor  :  schwarz  und  schwärz- 
lich, obwohl  auch  dunkel-  und  kastanienbraun  häufig  ist,  gleich- 
sam als  Uebergang  zu  den  Ugriern ;  bei  den  Augen  überwiegt 
dunkel-  und  kastanienbraun.  Bei  den  Lappen  ist  die  Hautfarbe 
nicht  mehr  gelblich;  schwarzes  Haar,  früher  wohl  häufiger,  tritt 
gegenwärtig  seltener  auf,  und  im  Allgemeinen  beginnen  lichtere 
Nuancen  zu  überwiegen,  worin  Sommier  das  Ergebnis  finnischer 
Kreuzung  erblickt. 

Wie  im  Norden  die  Samojeden.  so  bilden  im  Süden  die 
Baschkiren  gleichsam  einen  Uebergang  zu  den  Mongoloiden.  Nach 
Sommier  ist  die  Hautfarbe  der  Baschkiren  etwas  dunkler,  uls  die 
der  italienischen  Bauern,  und  gelblich  ;  nach  Malijew  dunkelbrnun. 
Haare  und  Augen  sind  sehr  dunkel,  jene  vorwiegend  schwarz  und 
schwärzlich,  diese  dunkelbraun,  doch  sind  auch  die  übrigen  Töne 
vertreten.  Bei  den  Kalmuken  sind  nach  Sommier  Haare  und  Augen 
mit   ganz   seltenen  Ausnahmen   ganz  dunkel,    besonders  schwarz. 

Es  ergibt  sich  also,  dass  die  Ugrier  dunkler  sind  als  die 
Finnen,  und  dass  die  nördlich  und  weifer  südlich  wohnenden 
Völker  von  mehr  mongoloiden  Charakter  noch  dunklere  Töne 
aufweisen  als  die  Ugrier.  Dar.  <;Jeib  der  Hautfarbe  scheidet  diese 
von  den  Finnen  und  bringt  sie  den  Samojeden  uud  Baschkiren 
näher.  Bezüglich  der  Haarfarbe  ist  bei  den  Ugriern  gegenwärtig 
der  sehr  dunkle  Ton  vorherrschend,  bei  den  Finnen  aber  dunkle 
uud  mittlere  Töne.  Wenn  bezüglich  der  letzteren  die  lückenhaften 
Daten  unserer  Tabelle  ergänzt  werden  könnten,  erhielten  die  mitt- 
leren und  hellen  Töne  unzweifelhaft  ein  grösseres  Uebergewicht . 
Dunkler  als  die  Haare  sind  die  Augen  :  bei  den  Ugriern  vorherr- 
schend dunkle  und  mittlere  Töne,  bei  den  Finnen  auch  hier  lichtere. 

Das  früher  die  Färbung  auch  bei  den  Ugriern  lichter  war, 
ist,  kaum  zweifelhaft,  wenn  man  erwägt,  dass  sie  ausgenommen  in 
Westeu,  wo  die  Natur  auch  sonst  schärfere  Grenzen  zieht,  von 
allen  Seiten  von  Hassen  dunklerer  Färbung  begrenzt  werden,  deren 
Einfluss  auch  gegenwärtig  tätig  ist  und  wohl  auch  in  der  Ver- 
gangenheit wirksam  war.  Dass  früher  der  lichteren  Färbung  eine 
grössere  Bedeutsamkeit  zukam,  darauf  scheint  die  Autfassung  der 
körperlichen  Schönheit  hinzuweisen,  wel<  he  sich  in  den  uralten 
Heldengedichten  der  Irtiser  Ostjaken  offenbart  und  wonach  das 
Weisse  und  Durchschimmernde  des  Körpers  als  Schön  heitsz^ichen 
galt;  bei  den  schonen  Menschen  „scheint  das  Mark  durch  den 
Knochen  uud  der  Knochen  durch  das  Mark."  Doch  erblickte  man 
hierin  zugleich  physische  Schwäche  gegenüber  der  grösseren  Com- 
pactheit, des  Organismus  und  dem  Mangel  an  Dut  cnschetnbarkeit . 
(S.  Patkanow  :  Tip  osrjaekawo  bagai  urja.  St.  Fei.  rshnrg.  1S91.S  *24.  > 


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267 


Nase  und  Gesicht. 

Das  Nasensegment  ist.  bei  den  Ugriern  wenig  entwickelt. 
Die  Nase  ist  mesorhin,  mit  tief  eingedrücktem  Rücken  uud  grossen 
sich  verflachenden  Nasenflügeln.  Auch  leptorhin  und  platyrhin 
treten  auf  ;  auf  die  Verbreituug  der  ersteren  haben  auch  die 
gegenwärtig  benachbarten  Völker  Einfluss,  nördlich  die  Samojedeu, 
westlich  die  Zürjeneu,  südlich  wahrscheinlich  die  Tarraren  ;  platy- 
rhiue  Einflüsse  aber  machen  sich  gegenwärtig  i.icht  geltend. 

Hinsichtlich  der  Nase  nähern  sich  wieder  die  (Jeremiasen 
den  Wogulen,  deren  Nase,  nach  Sommier,  klein,  niedrig,  oft  der 
ostjakischen  ähnlich  ist  ;  ein  anderer  Typus  zeigt  vorspringendere 
gerade  Nasen,  wie  auch  ich  sie  bei  deu  südlichsten  Wogulen 
gefuuden  habe. 

Bei  den  westlichen  Nachbarn  der  Ugrier.  den  Zürjeneu. 
Wotjaken  und  Permjaken  ist  die  grade  Nase  vorherrschend,  be» 
letztem  kommt  nach  Malijew  auch  die  breite,  platt  gedrückte 
Nase  genug  häufig  vor.  Die  Mordwinen  sind  leptorhin  (H6.90.) 

Von  den  westlichen  Finnen  haben  die  in  Tarastland  kleine, 
breite  Nasen,  mit  breiten  Flügeln  und  kleiner  Spitze ;  bei  den 
Kareliern  ist  sie  lang,  gerade,  spitz.  Der  erste  Typus,  dem  wie- 
der die  Esten  nahe  stehen,  kann  als  charakteristisch  für  die 
West -Fiuuen  angesehen  werden.  Bei  den  Li  wen  ist  die  Nase 
mittelgross,  gerade,  an  der  Spitze  etwas  hervorstehend.  Die  Nase 
der  Lappen  ist  mesorhiu  (74  59).  klein,  stark  vorspringend. 

Hei  den  Ugriern  und  Finnen  ist  also  das  Kiechorgan  weuig 
entwickelt.  Bei  jenen  ist  die  coneave.  niesorhine  Nase  vorherr- 
schend, bei  diesen  die  gerade,  wahrscheinlich  leptorhiue.  Die 
Lappen  bildeu  auch  hier  eine  Ausnahme  und  stehen  mit  meso- 
rhinem  Index  den  Ustjakeu  nahe.  Diesen  Index  finden  wir.  wo 
sich  die  Wirkungen  fremder,  dunkler  Rassen  am  meisten  geltend 
gemacht  haben,  der  leptorhiue  Typus  kann  also  sowohl  bei 
Finnen  als  auch  bei  Ugriern  als  ursprünglich  betrachtet  werden. 
Und  da  die  Ugrier  gegenwär  ig  von  leptorhinen  Völkern  (Samo- 
jeden,  Zürjeneu,  Tariaren)  umgehen  sind,  können  wir  die  jetzigen 
Nasen-Typen  als  ein  Resultat,  älterer  Kreuzung  mit  inesorhinen 
oder  mit  platyrhinen  Rassen  betrachten.  Von  solchen)  Eiiifluss 
hätten  auch  die  Kahnüken  sein  können,  mit  tieueu  sie  in  ge- 
schichtlichen Zeiten  in  Berührung  standen,  doch  dies  konnte 
nur  von  locaier  Wirkung  sein  und  sich  nicht  auf  die  ganze 
Kasse  erstrecken.  Darum  ist  jene  Kreuzung  in  vorhistorische 
leiten  zu  versetzen. 

Wahrend  hinsichtlich  der  Nase  eine  Vergleichum;  «um-  Ugrier 
mit  den  verwandten  Völkern  noch  möglich  ist,  fehlen  bezüglich 
der  übrigen  Verhältnisse  des  Gesichtes  die  zur  Vergleichuug  ge- 
eigneten Zahlen,  ohne  welche  die  desct  iptiven  Epn  heta  keine  ge- 
nügende Basis  abgeben.  Daher  müssen  wir  uns  auf  einige  bei- 
läufige Bemerkungen  beschränken.  Hiebei  können    wir    aber  die 

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26H 


Süd-Wogulen,  von  denen  wir  Gesichtsmessuugen  besitzen,  nicht 
zur  Grundlage  nehmen,  da  nicht  sie,  sondern  ihre  nördlichen 
Verwandten,  vornehmlich  die  Ostjaken  den  gegenwärtigen  ugri- 
schen  Typus  am  reinsten  zeigen.  Diese  Gesichtsform  kann  oval 
genannt  werden,  mit  schmaler  Stirn  und  sieh  verschmälernder 
Kinnspitze.  Zufolge  der  Schmalheit  dieser  beiden  Teile  wird  die 
Verbreiterung  der  Jochbogen  und  der  Kieferwiukel  etwas  auf- 
fällig. Bezeichnend  ist  die  Erhebung  des  Schädelteiles  über  die 
Stirne.  Die  Augen  sind  klein,  tiefliegend  mit  schmaler  Lidöffnung. 
Die  Gesichtsform  der  Ugrier  nimmt  also  gleichsam  die  Mitte 
zwischen  dem  finnischen  und  mongolischen,  zwischen  dem  kurzen 
breiten  und  dem  längeren  schmalen  Gesichte  ein,  aus  welchen 
beiden  es  hervorgegangen  zu  sein  scheint.  Diese  Mittelstellung 
zeigt  auch  die  Augeutorni.  bei  der  bald  der  eine,  bald  der  andere 
Rassenzug  in  den  Vordergrund  tritt. 

Wie  Middendorf  von  den  Samojeden  bemerkt,  treten  auch 
bei  den  Ugriein  im  Kindesalter  im  Gesichtstypus  die  mongoli- 
schen Züge  mehr  hervor,  während  die  filmischen  Züge  mehr  im 
vorgerückten  Alter  zur  Geltung  kommen.  Am  mehr  mongoli- 
schen Ausdruck  im  Kindesalter  hat  die  durch  die  grössere  An- 
schwellung der  Augenlider  verursachte  schmalere  LidöfFuung 
ihren  Teil,  sowie  die  platte  Nasenwurzel  und  die  volleren  Backen, 
welche  das  Gesicht  sehr  flach  erscheinen  lassen. 

Von  den  verwandten  Völkern  finden  wir  wieder  bei  den 
C'eremissen  eine  Annäherung  an  die  Ugrier.  Bei  einem  Typus 
derselben  ist  mit  der  kleinen  Nase  ein  breites,  niederes  Gesicht 
verbunden,  der  andere  zeigt  eine  vorspringendere  regel massigere 
Nase  mit  höherem  längerem  Gesichte.  Die  Augen  sind  klein, 
wenig  offen,  sehr  tiefliegend;  manchmal  etwas  schief,  mougolisch 
geschlitzt. 

Sowohl  bei  den  Permjaken,  als  auch  bei  den  Zürjeueu  (von 
finnischem  Typus)  ist  die  charakteristische  Gesichtsform  mittellang, 
in  der  Jochgegend  sich  etwas  verbreiternd :  mit  nicht  grossen, 
tiefliegenden  Augen.  Im  Ganzen  könueu  die  Wotjakeu  hieher  ge- 
rechnet werden,  und  ein  Typus  der  Mordwinen. 

Bei  den  Esten  und  Tarastland-Finuen  ist  das  Gesicht  mit- 
tellang und  breit.  Bei  den  Kareliern  länger  und  weniger  breit. 
Bei  den  zwei  erstem  ist  das  kleine  Auge  vorherrschend,  mit 
schmaler  Augenöflnung ;  bei  den  zwei  letztern  ist  das  Auge  mittel- 
gross. Der  Gesichtstypus  bei  den  Esten  und  Tarast  lau  d-Finuen 
steht  dem  der  Wolga-Finnen  nahe.  Bei  den  Liwen  ist  langes 
oder  ovales  Gesicht  und  grosse  oder  mittelgrosse  Angeu  vor- 
herrschend. 

Das  Gesicht  der  Ugrier  ist  etwas  kürzer  und  breiter  als  das 
der  Finnen  ;  auch  die  Augenform  nähert  sich  der  mongolischen. 
Bei  den  Ugriern  zeigt  sich  also  auch  in  der  Gesichtsform  mon- 
golische Kreuzung. 

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26» 


Der  ugrische  Typus. 

Auf  Grund  unserer  Beobachtungen  und  Vergleichungen  wol- 
len wir  versuchen,  den  Typus  der  Ugrier  kurz  zu  kennzeichnen 
und  dann  einige  Mutmassungen  wagen  bezüglich  der  ursprünglichen 
Elemente  und  Proces.se,  die  den  gegenwärtigen  Typus  geschaffen. 

Bei  den  Ugriern  ist  die  Hautfarbe  weiss  mit  gelblicher 
Schattierung  und  kalter  !■  ärbung.  Das  Haar  ist  dunkel- odnr  kasta- 
nienbraun, der  Bart  etwas  lichter;  das  Ergrauen  tritt  spät  ein. 
Die  Augen  sind  dunkel,  oder  zeigen  Uebergangsfarben.  zumeist 
braune  Töne. 

Das  Haar  ist  schlicht,  matt,  geschmeidig  Der  Haarwuchs 
ist  reich,  lang,  oft  auch  bei  den  Männern  zwei  Flechten,  was 
früher  allgemein  Brauch  war.  Kahlkopf  kommt  kaum  vor.  Schnur- 
nnd  Backenbart  treten  sehr  spät  auf,  und  sehr  spärlich,  letzterer 
zumeist  nur  am  Kinne,  oft  nur  eine  Spur.  Viele  raufen  beide  aus. 

Die  Statur  ist  untersetzt,  etwa  1  65  m.  Die  Constitution 
ist  kräftig,  die  Musculatur  gut  entwickelt,  obwohl  bei  schlechter 
Nahrung  schmächtig;  das  Fettgewebe  unentwickelt,  ohne  Hang 
zur  Beleibtheit.  Das  Verhältnis  von  Rumpf  und  Gliedinasseu 
zu  einander  uud  zur  Statur  ist  symmetrisch.  Brustumfang  und 
Schuh  erbreite  beträchtlich.  Hände  und  Füsse  klein. 

Der  Kopf  ist  mittelgross,  mit  mesocephalom  Index.  (79.0) 
erscheint  vorn  durch  Erhebung  des  St.irnbeius  genug  hoch.  Das 
Gesicht  ist  oval,  mittellang.  bei  den  Jochbogen  und  den  Kinn- 
backen winkeln  sich  meist  auffällig  verbreiternd,  bei  deu  hohen, 
oft  gewölbten  Schläfen  uud  besonders  gegen  die  Kinnspitze  zu 
wird  es  sehr  schmal.  Das  charakteristische  Riechorgan  ist  sehr 
unentwickelt,  der  kürzeste  Teil  des  Gesichtes.  Die  Nase  ist  klein, 
stark  concav.  mit  grosseu,  flachen,  sich  verbreiternden  Flügeln, 
stumpf  auslaufend,  von  mesorhinem  Index.  Die  tief  liegenden 
Augen  sind  klein  oder  mittelgross,  mit  schmaler  Oeffnung.  Der 
Mund  ist  mittelgross,  die  Lippen  mehr  schmal.  Oft  tritt  Progna- 
tismus  der  oberen  Zahnalveolen  auf.  Die  Zähne  sind  klein,  weiss, 
dauerhaft.  Die  stumpfe  Nase  mit  den  etwas  vorragenden  Backen 
macht  das  Gesicht  etwas  platt. 

Im  Typus  der  Ugrier  finden  wir  die  Elemente,  die  Kreuzung 
zweier  Rassen.  Eine  Gruppe  der  Rassenelemente  bringt  sie  den 
weissen  Finnen,  die  andere  den  gelben  Mongoloiden  näher,  was 
auch  in  der  gelblich-weissen  Hautfarbe  zum  Ausdruck  ge- 
langt. Zweierlei  Elemente  finden  sich  ferner  in  der  Farbe  der 
Haare  und  Augen  (dunkel  uud  hell),  in  der  Statur  (niedrig  oder 
unter-mittel),  im  Kopfindex  (dolichocephal  und  brachycephal),  bei 
der  Nase,  (leptorhin  und  platyrhin)  u.  s.  w.  Wenn  wir  die  ver- 
schiedenen Elemente  unter  die  zwei  Rassen  verteilen,  ergeben 
sich  folgende  Hauptzüge  der  beiden  sich  kreuzenden  Rassen : 

Die  weisse  Rasse,  den  Finnen  nahe  stehend,  mag  die  ursprüng- 
liche ugrische  Rasse  gewesen  sein,  mit  einer  der  finnischen  ver- 


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270 


wandten  Sprache.  Der  Einfluss  des  gelben  Elementes  ist  als  ein 
fremder  zu  betrachten.  Die  weisse  Rasse  mag  dolichocephal  ge- 
weseu  sein  .  ihre  Spuren  fiuden  sich  auch  bei  den  finnischen. 
Völkern,  sie  hat.  aber  ihre  ursprüngliche  Reinheil  früh  eingebüsst. 
Mit  dieser  Kopfgestalt  und  weisser  Hautfarbe  sind  lichte  (rötliche 
oder  flachsblonde)  Haare,  helle  Augen,  leprorhine  Nase,  ovales 
Gesicht,  und  der  europäischen  ähnliche  Augenform  verbunden. 
Die  Statur  dieser  Rasse  war  vielleicht  miter-inittel. 

Bei  der  gelben  Rasse  mögen  ueben  der  gelben  Hautfarbe 
sehr  dunkle  Haare  und  Augen  vorherrschend  gewesen  sein.  Die 
Kopfform  ist  braehycephal.  die  Nase  mesorhin  oder  gar  platyrhiu  \ 
das  Gesicht  ist  niedriger,  breiter  sowol  bei  den  Jochknochen  als 
den  Kieferwinkeln,  die  Backen  sind  vorstehend,  die  Augen  mongo- 
loid ;  für  die  Kopfform  mag  die  Erhebung  des  Stirnbeins  be- 
zeichnend gewesen  sein.  Die  Statur  war  wohl  ganz  niedrig,  die 
Behaarung,  mit  Ausnahme  des  Kopfhaares  überaus  spärlich. 

Die  Anciennität  des  weissen  Typus  dem  gelben  gegenüber 
können  wir  i  uf  die  Sprachverwandtschaft  der  Ugrier  mit  den 
weissen  Finnen  basieren.  Die  Ur-Ugrier  hatten  denselben,  oder 
doch  einen  sehr  ähnlichen  Typus,  wie  die  weissen  Finnen,  seine 
Elemente  aber  gelangen  in  ihrem  gegenwärtigen  Typus  mehr 
nur  in  Rudimenten  durch  Atavismus  zum  Ausdruck  :  man  kann 
auf  sie  durch  die  Analyse  uns  jetzigen  Typus  folgern.  In  die 
weisse  Rasse  ist  das  gelbe  Element  und  die  dazu  gehörigen  Cüa- 
rakterzüge  in  Folge  späterer  Kreuzung  geraten.  Welches  Volk 
diese  gelbe  Rasse  war,  in  welchem  Verhältnis  sie  zu  den  weissen 
Ugriern  gestanden,  wann  und  wo  die  Kreuzung  vor  sich  gegan- 
gen :  sind  Fragen,  auf  die  wir  gar  nicht  oder  nur  mit  Ah- 
nungen autwoiten  können. 

Bezüglich  des  Ortes  der  Kreuzung  liisst  sich  annehmen,  dass 
diese  in  der  von  der  Wissensehaft  vorausgesetzten  südlichem  Hei- 
mat der  Ugrier  geschehen.  Zu  dieser  Annahme  berechtigt  der 
Umstand,  dass  die  Ugrier  weder  in  der  Gegenwart,  noch  nach 
geschichtlicher  Erinnerung  je  mit  ein-in  Volke  in  näherer  Be- 
rührung gestanden,  welches  die  oben  angeführten  Rasse-Eigen- 
tümlichkeiten Z'  igt.  Zu  der  Annahme,  dass  sie  sich  mit  einer  im 
Gebiete  ihrer  jetzigen  Heimat  angetroffenen  Bevölkerung  gekreuzt 
haben,  fehlen  bisher  sowol  hi*t< »rische.  als  archaeologisehe  und  lingui- 
stische Stützen.  Ihre  Ueberlieferungen  und  Heldengesänge  beziehen 
sich  alle  auf  ihr  jetziges  Wohngebiet  und  erwähnen  nur  unter- 
einander und  mit  den  Nach  i 'arvblkern.  als  Samojedeu,  Tartaren 
U.  s.  w.  geiührte  Kämpfe.  Ihre  sociale  Organisation,  welche  nur 
das  Gemeinvolk,  aber  keine  Sclaven  kennt,  lässt  auf  kein  unter- 
jochtes Volk  schliessen.  Eine  hochgradigere  Vermenguug  mit  den 
Samojeden,  die  sie.  wie  es  scheint,  auf  ihrem  Wege  vor  sich  her 
gedrängt  haben,  hätte  einen  von  dem  gegenwärtigen  abweichenden 
Typus  ergeben  musseu.  wie  M<-h  aus  dem  jetzigen  Sainojedeu- 
typus  erweist 


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271 


Nach  all  diesem  kann  also  angenommen  werden,  dass  sich  die 
Kreuzung  der  weissen  und  gelben  Has-e  muh  in  der  südlichen  Hei- 
mat der  Ugrier  vollzogen  hatte. 

Der  Umstand,  dass  die  weisse  Kasse  ihre  Sprache  bewahrt 
hat,  scheint  auf  ihre  I  Überlegenheit  an  Zahl,  Macht  oder  Intellekt, 
oder  auf  ihre  grössere  Fruchtbarkeit  hinzuweisen,  der  gelben  Rasse 
gegenüber,  mit  der  sie  vermutlich  in  feindliche  Berührung  gekommen. 
Diesem  gegenüber  aber  sprechen  weder  historische  und  sprachliche 
Gründe,  noch  Ueberliefernng  und  Volkseharakter  für  einen  Zustand 
der  Unterjochung  bei  den  Ugriern. 

Die  weissen  Ugrier  also  sind  mutmasslich  noch  in  der  Ur- 
heimat mit  einem  Volke  weisser  Masse  in  Berührung  gekommen, 
das  aus  uns  unbekannten  Gründen  zum  Kampf  ums  Dasein  weniger 
ausgerüstet  war.  und  aus  dieser  Kreuzung  ist  der' Typus  der  Ugrier 
hervorgegangen,  welcher  längs  des  Ob  nach  Nordwesten  vordringend 
in  sein  jetziges  Gebiet  gelangt  ist. 

Die  Tradition  hat  in  den  lleldengcsängen  bis  zum  heutigen 
Tag  die  Erinnerung  an  die  Ueberlegenheit  der  weissen  Rasse  bewahrt, 
in  weichet-  ne  das  Zeichen  der  Schönheit  und  Vornehmheit  erblickt. 
Doch  indem  sie  die  grössere  phvsische  Tüchtigkeit  nicht  bei  ihr 
sucht,  scheint  sie  darauf  hinzudeuten,  dass  die  andere  Rasse  mehr 
von  dieser  hesass.  und  duss  nicht  der  Mangel  derselben  der  Grund 
war.  dass  sie  in  der  weissen  Rasse  aufgieng.  Ja,  es  ist  wahrscheinlich, 
dass  das  weisse  dolichncephalc  Ugriertum  dem  gelben  Kiemente  seine 
Erhallung  verdankt. 

V<>n  den  zwei  sibirischen  ugrischen  Völkern,  den  Wogulen  und 
Ostjaken.  sind  die  letzteren,  der  östliche  Zweig,  mehr  vom  gelben 
Element  imprägniert  worden,  mit  dem  e-  vermutlich  von  Südosten  her 
sich  berührt  hat.  Das  westlichere  Wogulentuni.  im  Osten  und  Westen 
von  \  erwaudten  Stämmen  umgeben,  hat  in  den  inneren  Gegenden 
seinem  Gebiete-  (z.  R.  an  der  W  olga  die  Züge  seines  älteren  Tvpus 
besser  bewahrt,  wurde  aber  andererseits  an  -einen  Südgrenzeu  zufolge 
fremder  Einflüsse  neueren  Datums  am  meisten  umgestaltet. 

Die  Magyaren. 

Im  Anschluss  an  die  Kennzeichnung  des  Tvpus  der  sibirischen 
Ugrier  wollen  wir  auch  des  Tvpus  eines  weit  abgezweigten  Gliedes 
der  ugrischen  Gruppe,  nämlich  der  Magyaren  erwähnen.  Die  Sprach- 
wissenschaft hat  dargetan,  dass  die  Magyaren  sprachlich  den  Wo- 
gulen und  Ostjaken  um  nächsten  verwandt  sind.  Es  ergibt  sich  nun 
von  selbst  die  Krage,  ob  dieser  in  der  Gegenwart  deutlich  erkenn- 
baren sprachlichen  Affinität  auch  die  Verwandtschaft  des  physischen 
Typus  entspricht.  Die  Frage  Hesse  sich  im  Allgemein  u  so  formulieren  : 
In  welchem  Verhältnisse  stand  und  steht  der  physische  Typus  der 
Magyaren  mit  dem  der  Ugrier V  Dies  üesse  sich  am  einfachsten  auf 
Grund  eines  hinlänglichen,  richtigen  und  verlässlichen  Materials  aus 
Vergangenheit  und  Gegenwart  beider  Völker  beantworten.  Doch  fehlt 


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272 

uns  bisher  bezüglich  der  Magyaren  nicht  nur  dies  Material,  sondern 
selbst  ein  solches,  wie  es  uns  für  die  Ugrier  zu  Gebote  steht.  Be- 
obachtungen an  Lebenden,  die  hier  in  erster  Reihe  ins  Gewicht  fielen, 
sind  bezüglich  der  Magyaren  kaum  gemacht  worden,  oder  doch  nicht 
mit  solch  sorgfältiger  Auswahl  des  Materials,  welche  bei  Beobachtun- 
gen in  geringer  Anzahl  unerlässlich  ist.  Wir  können  uns  daher  vom 
magyarischen  Typus  oder  richtiger  von  den  Typusgruppen  keine 
solche  Vorstellung  machen,  wie  sie  als  Grundlage  zu  nur  einiger- 
maassen  genauen  Vergleichen  dienen  kann.  Wenn  wir  nun  auf  eine 
solche  Vergleichung  des  magyarischen  und  sibirisch-ugrischen  T^pus 
derzeit  noch  verzichten  müssen,  so  können  wir  uns  doch  auf  Grund 
unserer  Ergebnisse  irgendwelche  Schlüsse  und  Annahmen  erlauben, 
welche  beim  Studium  des  magyarischen  Typus  berücksichtigt  werden 
könnten.  Unsere  Andeutung  bezog  sich  vornehmlich  auf  die  vorsich- 
tigere, richtigere,  genauere  Formulierung  der  einschlägigen  Fragen 
und  richtet  >ich  hauptsächlich  gegen  jene  übereilte  Folgerungsweise, 
welche  auf  Grund  der  gegenwärtig  augenfälligen  Typuseigentümlich- 
keiten auch  die  Verwandtschaft  des  Typus  in  längstvergangenen 
Zeiten  entschieden  verneint.  Wir  möchten  betonen,  dass  die  gegen- 
wärtigen Unterschiede  im  Typus  der  Magyaren  und  der  Sibirier  noch 
nicht  gegen  die  frühere,  ursprüngliche  Verwandtschaft  dieser  Völker 
entscheiden,  ja  dass  die  Annahme  einer  solchen  noch  einigermaassen 
gerechtfertigt  werden  kann.  Der  gegenwärtigen  Sprachverwandtschaft 
muss  nicht  notwendigerweise  die  Verwandtschaft  des  gegenwärtigen 
Typus  entsprechen,  sowie  andererseits  aus  dem  gegenwärtigen  ab- 
weichenden Typus  nicht  auf  die  ursprüngliche  Verschiedenheit  des 
Typus  geschlossen  werden  kann.  Sprache  und  Typus,  Vergangenheit 
und  Gegenwart  sind  bei  diesen  Fragen  auseinander  zu  halten.  Es 
darf  nie  ausser  Acht  gelassen  werden,  dass  weder  die  Sprache  noch 
der  Typus  etwas  beständiges  ist,  beide  sind  der  Entwicklung  und 
Umwandlung  unterworfen. 

Das  Studium  des  Physischen  verfolgt  im  wesentlichen  dieselben 
Wege,  wie  die  Sprachforschung.  Gleichwie  der  naive  Sucher  der 
Verwandtschaft  die  Forderung  aufstellt,  dass  die  sprachverwandten 
Völker  einen  fast  ganz  übereinstimmenden  Sprachschatz  besitzen  und 
einander  verstehen,  so  fordert  die  naive  Auffassung  besonders  die 
auffallende  Aehnlichkeit  des  Gesichtstypus  zur  Begründung  der  phy- 
sischen Verwandtschaft.  Dieser  Auffassung  gegenüber  geht  die  streng 
wissenschaftliche  Sprachforschung  mit  Eliminierung  späterer  Bildungen 
auf  die  Grundelemente  der  Sprache  zurück  und  unterzieht  diese 
dem  Vergleiche.  So  ist  es  auch  bei  der  Erforschung  und  Vergleichung 
des  physischen  Typus  erforderlich,  auf  den  Urtypus,  auf  die  Grund- 
elemente zurückzugehen.  Bei  der  Erforschung  des  magyarischen  Ty- 
pus lässt  sich  die  Frage  nicht  so  aufstellen,  ob  derselbe  gegenwärtig 
ein  finnischer  oder  türkischer  ist,  sondern  aus  welchen  Elementen 
hat  er  sich  geformt,  welche  Elemente  sind  die  spätem,  welche  die 
frühem,  was  ist  das,  was  nach  Ausscheidung  der  nachweisbar  frem- 
den Elemente  als  ugrischer  Typus  zurückbleibt.  Diese  Analyse  ist  auf 


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27:i 

dem  Gebiete  der  Rassen-Anthropologie  schwieriger,  als  auf  dem 
sprachlichen,  denn  dort  ist  das  Material  schwerer  zugänglich  und 
dort  gibt  es  auch  noch  keine  so  subtilen  Methoden,  wie  bei  der 
Sprachwissenschaft ;  der  Forscher  ist  da  noch  mehr  dem  Irrtum 
ausgesetzt,  spätere  fremde  Elemente  als  ursprüngliche  zu  betrachten. 

Bei  der  Untersuchung  des  Typus  oder  der  Typusgruppen  der 
Magyaren  müssen  wir  uns  bestreben  den  Typus  all  jener  Völker 
kennen  zu  lernen,  mit  denen  der  Typus  des  magyarisch  sprechenden 
Volkes  im  Laufe  seiner  Geschichte,  seiner  Wanderungen  in  Berüh- 
rung kam,  sich  kreuzte  und  die  auf  seine  Ausgestaltung  von  Einfluss 
sein  konnten.  Den  Kreis  und  die  Richtung  dieser  Untersuchungen 
kann  neben  dem  hauptsächlich  auf  die  neuere  Zeit  bezüglichen  Ge- 
schichtsstudium die  archäologische,  ethnographische  und  linguistische 
Forschung  andeuten.  Dies  berücksichtigend  hätte  eigentlich  die  Er- 
forschung des  magyarischen  Typus  von  der  Gegenwart  ausgehend, 
den  historischen  Weg  in  umgekehrter  Richtung  verfolgend,  zum  Grund- 
und  Urtypus  zu  gelangen.  Diese  Aufgabe  lässt  sich  in  zwei  Haupt- 
teile teilen.  In  der  einen  Richtung  wären  vom  gegenwärtigen  Typus 
des  Magyarentums  ausgehend  die  fremden  als :  germanischen,  sla- 
vischen,  türkisch-tartarischen  u.  s.  w.  Elemente  zu  erkennen  und 
auszuscheiden,  welche  sich  in  der  gegenwärtigen  Heimat  geltend 
gemacht  haben,  um  so  annähernd  den  Typus  oder  die  Typusgruppe 
der  Magyaren  bei  der  Landnahme  zu  bestimmen.  Der  andere  Teil 
der  Forschung  hätte  die  Grenzen  des  tausendjährigen  Vaterlandes 
überschreitend,  nach  Osten  hin  die  Wanderwege  zu  verfolgen,  die- 
jenigen Typen  zu  untersuchen,  welche  auf  diesen  Wanderungen  von 
Eintluss  waren,  und  bis  zu  jenen  Gegenden  vorzudringen,  wo  die 
nächsten  Sprachverwandten  zu  finden  sind.  Wir  haben  zu  dem  letzten 
Teile  der  zweiten  Hälfte  dieser  Aufgabe  unsere  Daten  beigetragen, 
auf  Grund  deren  wir  versuchten,  den  gegenwärtigen  und  bedingungs- 
weise den  ursprünglicheren  Typus  der  den  Magyaren  am  nächsten 
sprachverwandten  und  in  ihrer  Urgeschichte  an  sie  grenzenden  sibi- 
rischen Ugrier  zu  bestimmen,  so  sind  wir  zu  Ergebnissen  gelangt, 
aus  denen  mittelst  Analogien  auch  auf  die  Urgestaltung  des  magyari- 
schen Typus  hypothetisch  gefolgert  werden  kann. 

Wir  haben  gesehen,  dass  der  ursprüngliche  Typus  der  sibiri- 
schen Ugrier  eine  bedeutende  Umwandlung  durchgemacht  hat,  wäh- 
rend die  Sprache  sich  constant  gezeigt  hat.  Als  ursprünglichen  Typus 
der  Ugrier  haben  wir  einen  weissen,  blondhaarigen,  dolichocephalen, 
leptorhinen  Typus  angenommen,  dessen  Kreuzung  mit  einer  gelben, 
sehr  dunhelhaarigen,  brachycephalen,  mesorhinen  Rasse  den  gegen- 
wärtiger» sibirisch-ugnschen  Typus  hervorgebracht  hat.  Dieser  fremde 
Einfluss  mag  in  der  südlichen  Heimat  der  Ugrier  in  Folge  einer 
Einwirkung  von  Südosten  her  erfolgt  sein.  Einen  andern  starken 
fremden  Eintluss  neueren  Datums  finden  wir  bei  den  Südwogulen, 
dem  südwestlichen  Zweige  der  sibirischen  Ugrier,  welcher  von  dem 
herrschenden  Typus  der  sibirischen  Ugrier  durch  bräunlichere  Haut- 
farbe, höheren  Wuchs,  dunkleres  Haar  und  stärkere  Brachycephalie 


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274 


absticht.  Dabei  hat  sieh  aber  die  Sprache  wohl  geändert,  aber  nicht 
umgewandelt.  In  letzter  Zeit  aber  macht  sieh  bei  den  Südugriern 
die  siavisch-russische  Kreuzung  immer  mehr  geltend,  welche  den  ur- 
sprünglichen Typus  mittelst  neuer  Elemente  umgestaltet,  zugleich 
aber  die  genuine  Sprache  zum  Opfer  fordert.  So  war  also  der  Ur- 
typus  des  fremden  Einflüssen  am  meisten  exponierten  südwestlichsten 
feiles  der  sibirischen  Ugrier  zuerst  den  Einwirkungen  einer  gelben, 
dann  einer  mongoloiden  Rasse  ausgesetzt  und  geht  in  neuester  Zeit 
immer  mehr  im  Slaventum  auf. 

Bei  den  Magyaren  machte  der  Typus  im  ganzen  und  wesent- 
lichen dieselben  Wandlungen  durch,  wie  bei  den  Südwogulen.  Un- 
seren bisherigen  Kenntnissen  gemäss  mögen  die  Magyaren  in  einer 
gewissen  Periode  ihrer  Geschichte  von  Südwesten  her.  irgendwo  am 
Uralflusse  an  die  jetzigen  sibirischen  Ugrier  gegrenzt  haben,  die  da- 
mals mehr  nach  Süden  reichten.  Zu  diesen  Zeiten,  oder  jedenfalls 
in  vorhergehenden  Epochen,  kann  auf  Grund  der  nahen  Sprachver- 
wandtschaft und  Nachbarschaft  die  nahe  Verwandtschaft,  wenn  auch 
nicht  die  Identität  des  Typus  der  Wogulen-Ostjaken  und  der  Magyaren 
angenommen  werden,  so  dass  das  magyarisch  sprechende  Volk  den 
ursprünglichen  Typus  der  Ugrier  hatte:  weisse  Hautfarbe,  blondes 
Haar,  Dulichocephalie  und  Leptorhine. 

Die  Magyaren  bildeten  den  südwestlichen  Theil  der  Ugrier; 
als  der  westlichste  waren  sie  vermutlich  am  wenigsten  jener  gelben 
Einwirkung  ausgesetzt,  welche  im  Typus  ihrer  ("istlichen  Verwandten, 
vornehmlich  in  der  gelblichen  Hautfarbe,  ihre  Spuren  zurückliess. 
Andererseits  aber  gerieten  sie  als  südlichster  Zweig  am  weitesten 
in  den  Strom  des  türkiseh-tartarischen  Völkergewoges.  Dieses  Volks- 
element hat  ihren  physischen  Typus  ganz  umgewandelt,  auf  analoge 
Weise,  wie  wir  dies  bei  den  heutigen  Südwogulen  finden,  oder  bei 
einigen  Teilen  der  Wolga-Finnen  (z  B.  der  Mordwinen),  bei  letz- 
teren übrigens  in  Folge  späterer  Einflüsse  An  die  Stelle  des  ur- 
sprünglichen oder  vielleicht  schon  fi  '":her  einigermassen  modilicierten 
ugrischen  Typus  trat  in  der  Wolga-Heimat  der  Magyaren  ein  brachy- 
cephaler  Typus  mit  dunklerer  Haut,  dunklen  oder  sehr  dunklen  Haaren. 
Bei  dieser  durch  Kreuzung  bewerkstelligten  Umwandlung  bewahrten 
sie  aber,  wie  die  Südwogulen,  ihre  ererbte  Sprache. 

Die  Ugrier  und  die  Finnen,  dem  starken  Einfluss  türkisch-tar- 
tarischer  Elemente  ausgesetzt  und  Kreuzungen  mit  diesen  eingehend, 
nähern  sich  im  Allgemeinen  dem  physischen  Typus  derselben,  assi- 
milieren viel  von  ihrer  Bildung  und  Sprache,  geben  aber  ihre  eigene 
Sprache  nicht  auf.  Der  türki-ch-tartarische  Einfluss  ist  für  die  finnisch- 
ugrischen  Völker  sehr  günstig,  er  stärkt  ihren  physischen  Typus, 
hebt  ihre  Bildung  und  steigert  ihre  Widerstandsfähigkeit,  ohne  ihre 
Nationalität  zu  gefährden.  Am  mächtigsten  machte  sich  dieser  Ein- 
fluss bei  den  Magyaren  geltend  und  bei  dem  südwestlichen  Teil 
der  ihnen  vermutlich  benachbarten  Wogulen.  Wie  ihre  Geschichte 
lehrt,  zeichneten  sich  diese  durch  Tapferkeit  aus  und  zeigten  die 
grösste  Widerstandsfähigkeit  dem  erobernden  Russentum  gegenüber. 


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275 


Die  Magyaren  aber,  durch  den  türkisch-tartarischen  Einfluss  unter 
den  Ugriern  am  meisten  gekräftigt,  drangen,  dem  Druck  von  Osten 
nachgebend,  gegen  Westen  vor;  dann  als  Eroberer  auftretend,  ge- 
langten sie  in  den  Besitz  eines  so  günstigen  Gebietes,  wo  sie  seit 
tausend  Jahren  ihre  nationale  Existenz  wahren  und  ihre  Kultur  ent- 
wickeln konnten.  Die  verhältnismässig  weniger  widerstandskräftigen 
Wogulen  wurden,  obwohl  nicht  ohne  harte  Kämpfe,  nach  Norden, 
in  unwirtsamere  Gegenden  gedrängt. 

Während  so  das  Gros  der  Südwogulen  und  Magyaren  dem 
türkisch  tartarischen  Einflüsse  gegenüber  Sprache  und  nationalen 
Charakter  wahren  konnten,  gierig  ein  zurückgebliebenes  kleines  Bruch- 
stück der  beiden  Völker  zufolge  seiner  geringen  Zahl  in  dem  türkisch- 
tartarischen  Elemente  auf  und  bildete  einen  Teil  der  Baschkiren. 

Die  aus  ihrer  Wolga-Heimat  nach  Westen  ziehenden  Magyaren 
gelangten  unter  den  Einfluss  eines  neuen  anthropologischen  Factors, 
des  Slaventums.  Dieser  Einfluss  war  im  neuen  Vaterlande  besonders 
stark,  wie  sich  aus  den  den  Slaven  entnommenen  ethnographischen 
und  sprachlichen  Elementen  erweist.  Hiedurch  erfuhr  der  herrschende 
Typus  von  türkisch-tartarisehem  Charakter  eine  neue  Umwandlung, 
was  sich  besonders  in  der  helleren  Haut-  und  Haarfarbe  zeigte, 
während  der  brachycephale  Charakter,  als  auch  den  Slaven  eigen, 
im  wesentlichen  gewahrt  blieb.  So  erhielt  der  ursprünglich  ugrische, 
dann  tarlarisch  modificierte  Typus  der  Magyaren  durch  die  Slavi- 
sierung  einen  europäischen  Charakter,  indem  sie  sieh  den  arischen 
Völkern  im  Typus,  wie  später  auch  in  der  Kultur  näherten. 

Ihre  Sprache  über  bewahrten  die  ugrischen  Magyaren  wie  früher 
der  tartarischen,  so  später  der  slavischen  Kreuzung  gegenüber.  Der 
Hauptgrund  hiefür  ist  wohl  in  der  türkisch-tartarischen  Kreuzung, 
Kultur  und  Organisation  zu  suchen.  Die  von  diesem  Einflüsse  freier 
gebliebenen  sibirischen  Ugrier.  sowie  auch  die  Wolga-Kinnen  ver- 
schmelzen umso  leichler,  je  weniger  sie  mit  türkisch-tartarischen 
Elementen  imprägnirt  sind.  Während  so  derslavische  Einfluss  neueren 
Datums  die  sibirischen  Ugrier  ausrottet,  wurden  die  Magyaren,  welche 
demselben  früher,  aber  gekräftigter  und  unter  günstigeren  Verhält- 
nissen ausgesetzt  waren,  durch  diesen  Einfluss  noch  stärker  und  für 
lange  Zeit  dem  Sklaventum  selbst  gegenüber  widerstandsfähiger. 

Demgemäss  sind  die  Magyaren  sowohl  in  Bezug  auf  Sprache 
als  auf  Typus  erst  türkisch-tartarisch  modificierte,  dann  slavisierte 
Ugrier.  Aber  während  die  türkischen,  nachher  die  slavischen 
Elemente  in  der  ursprünglichen  ugrischen  Sprache  aufgiengen,  ver- 
schmolz hinwieder  im  physischen  der  ursprüngliche  ugrische  Typus 
in  den  türkisch-tartarischen  und  hernach  sammt  diesem  in  den  slavi- 
schen Elementen,  einen  eigentümlichen  Typus  der  weissen  Basse 
bildend.  W  ährend  in  der  Sprache  die  uralten  Elemente  herrschen, 
erlangten  im  Typus  die  neuen,  widerstandsfähigeren  das  Uebergewicht. 

Der  so  ausgestaltete  Typus  der  Magyaren  wurde  im  Laufe  der 
Zeiten  nach  der  Landnahme  verschiedenen  weiteren  fremden  Ein- 
flüssen, besonders  durch  Kolonisierungen  ausgesetzt.    Unter  diesen 


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machten  sich  neben  den  germanischen  hauptsächlich  neuerdings 
türkisch-tartarische  (Rumänen  u.  s.  w.)  und  slavische  geltend.  Die 
Ausscheidung  dieser  letzteren  Einwirkungen  wird  dem  Erforscher  des 
magyarischen  Typus  besonders  grosse  Schwierigkeiten  verursachen 
und  erheischt  grosse  Vorsicht  bei  der  Arbeit,  welche  im  magyarischen 
Typus  in  der  Gegend  der  Wolga  und  des  Urals  den  türkisch-tarta- 
rischen  und  in  der  Zeit  der  Niederlassung  im  neuen  Vaterlande  den 
slavischeu  Einfluss  nach  Qualität  und  Quantität  zu  bestimmen  sucht. 

Aufgabe  des  Erforschers  des  magyarischen  Typus  ist:  mit 
historischen,  archäologischen,  linguistischen  und  ethnographischen 
Hilfsmitteln  die  Völker  zu  bezeichnen,  die  mit  den  Magyaren  in  Be- 
rührung gekommen ;  den  Typus  derselben  und  das  Maass  ihres  Ein- 
flusses zu  bestimmen.  Dann  mit  der  Ausscheidung  der  neuesten,  der 
neueren,  der  älteren,  der  ällesten  Beeinflussungen  in  die  Vergangen- 
heit fortschreitend,  für  die  einzelnen  Epochen  den  herrschenden 
Typus  oder  die  Typusgruppe  festzustellen,  soweit  tunlich  zurück- 
folgernd auf  einen  nicht  weiter  analysierbaren  Grundtypus.  Der 
Typus  ist  nicht  ständig,  sondern  veränderlich,  und  das  magyarisch 
sprechende  Volk  war  den  Typuswandlungen  in  besonderer  Weise 
ausgesetzt.  Wer  den  magyarischen  Typus  in  seinen  heutigen  Ge- 
staltungen nach  seiner  Wesenheit  bestimmen  und  erklären  will,  hat 
dessen  Formierung  in  den  geschichtlichen  und  vorgeschichtlichen 
Zeiten  zu  verfolgen.  Wir  glauben,  dass  diese  Analyse  durch  eine 
lange  Reihe  von  Wandlungen  zurückführen  wird  auf  den  ugrischen 
Typus  als  Urtypus.  Die  Spuren  desselben  aber  im  heutigen  Typus 
der  Magyaren  klar  nachzuweisen,  wird  schwer  wöglich  sein, 
vielleicht  mittelst  vervollkommneter  Methoden  und  gleichsam  mikro- 
skopischer Beobachtungen. 


König  Mathias  und  Peter  Gereb. 

Ein  hvilRariscnes  Guslaren lieci  ans  Bosnien. 
Von  Dr.  Friedrich  S.  Kratiss. 
VI.  Erläuterungen. 
—    Schluss.  — 

Zu  V.  37.  Mujezine  (türk.  muezzin),  die  [Gebet-]Ausrufer  sind 
keineswegs  Kinderlehrer,  wie  unser  Guslar  annimmt;  der  Kinderunter- 
richt liegt  den  Hodzen  ob.  Die  Dzami  ist  aber  bei  den  Moslimen 
nicht  mehr,  als  bei  den  strenggläubigen  Juden  eine  „Schur*.  Uciti 
bedeutet  übrigens  dem  slavischen  Moslim  nicht  allein  , lernen*  und 
„lehren",  sondern  auch  speziell  das  Gebet  (dovu)  verrichten  (uöiti). 
Der  christliche  Guslar  betrachtet  die  Umwandlung  einer  Kirche  zu 
einer  Moschee  für  eine  Entweihung  der  heiligen  Stätte,  der  Moslim 
meint  aber  seinerseits  Gott  zu  ehren,  indem  die  Baulichkeit  keinem 


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277 

anderen  als  nur  wieder  einem  religiösen  Zwecke  gewidmet  wird.  In 
der  engen  Verbindung  der  Religionübung  mit  dem  Volkunterrichte 
liegt  das  Geheimnis  der  Widerstandkraft  und  Ausbreitungfähigkeit 
des  Islam,  aber  zugleich  ein  Kulturfaktor,  dessen  ethnographische 
Bedeutung  noch  viel  zu  wenig  Würdigung  gefunden  hat. 

Zu  V.  39  f.  Die  Wendung  ,ako  Bog  daP  (so  Gott  will)  führt 
der  Serbe  ständig  im  Munde.  Sie  ist  für  gewöhnlich  nicht  so  sehr 
der  Ausdruck  eines  tieferen,  sittlich  religiösen  Gefühles  als  vielmehr 
fetischistischer  Anschauimgweise.  Auch  der  Buschklepper,  der  auf 
Raub  und  Totschlag  auszieht,  ruft  Gott  zum  Beistand  an  und  gelobt 
seinen  speziellen  Schutzpatronen  WTeihegaben.  Im  Wtb.  der  südl. 
Ak.  B.  I.  S.  471—479  hat  Danißie  trotz  der  Unzahl  beigebrachter 
Beispiele  die  volkreligiösen  Momente  nicht  deutlich  herausgefunden. 
Auch  fehlt  die  einer  Erklärung  bedürftige  Phrase :  toga  Boga  nema. 
—  Unsere  2  Verse  sind  stereotyp  im  Sprachschatz  der  Guslaren. 

2.  V.  40  f.  Das  Militär  wird  angeworben,  nicht  aber  unmittelbar 
in  seiner  Gänze  aufgeboten  oder,  wie  man  in  modernen  Militär- 
staaten zu  sagen  pflegt,  mobilisirt.  Dreimalhunderttausend  dient 
hier  nur  zur  Bezeichnung  einer  unzählbaren  Menge  Volkes,  dessen 
Hauptbestandteil  der  Tross  ausmachte,  wie  dies  in  türkischen  Heeren 
jener  Zeit  üblich  war.  Ein  Heer  auf  dem  Marsche  war  im  Grunde 
genommen  nur  eine  riesige  Karavane  auf  Raub  ausziehender  Krieg- 
scharen. 

V.  43  f.  Der  Zug  bewegte  sich  Donau  aufwärts  zu  Pferd  und 
zu  Fuss.  Zu  SchifT  fuhr  man  mit  Proviant  und  Munition  nebst  den 
schweren  Stücken.  Ubojni  topovi  übersetzte  ich  wahrscheinlich  un- 
richtig mit :  .Kanonen,  Tod  Verbreiter',  denn  es  liegt  nahe  an  Feld- 
geschütze zu  denken  :  od  boja  topovi,  wie  es  sonst  heisst : 

dok  se  hagi  uöinilo  bilo 
da  od  boja  drmaju  topovi, 
ondar  haga  na  noge  skoöio. 

Zu  beachten  ist  die  Nebeneinanderstellung : 

sve  izvadi  ubojno  odilo, 
vec  pucaju  ubojni  topovi, 

wo  ubojno  odilo  nur  mit  Schlachtrüstung  zu  übersetzen  ist ;  ferner 

a  za  ujima  ubojita  vojska, 

i  ta  vojska  pade  na  Pozdravlje, 

also  ein  kampfgerüstet,  schlachtbereit  Heer. 

V.  52.  Belgrad  ist  dem  Guslaren  eine  der  bekanntesten  Städte. 
In  ihre  Nähe  verlegt  er  am  liebsten  die  Szenerie,  wenn  ihn  sonst 
seine  geographischen  Kenntnisse  im  Stich  lassen. 

Zu  Vers  54.  pa  on  *jede,  d.  h.  er  schrieb  unverzüglich. 

Zu  V.  72.  crkva  namastir,  eine  Kirche,  an  die  ein  Kloster 
angebaut  ist. 

Zu  V.  75.  Knjigu  i  jaziju,  Brief  und  Schrift.  Schreibebrief,  ein 
beliebtes  Hendiadys. 

Kthn  Mitt.  a.  Ungarn.  III.  H» 

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278 


Zu  V.  Na  svake  pate  (Folter  jeder  Art).  Die  Kriege  zwischen 
der  Türkei  und  den  christlichen  Staaten  waren  im  Grund  genommen 
Religionkriege  mit  den  angedeuteten  Begleiterscheinungen.  In  den 
Pausen  schlachteten  Christen  und  Muslimen  einander  ab.  Damals 
kannte  man  noch  kein  Kacen-  und  kein  Nationalitätprinzip,  sondern 
erblickte  das  staaterhaltende  Arcanum  in  der  Glaubeneinheit.  Wenn 
die  Kriegführenden  einander  habhaft  wurden,  pflegten  sie  tatsächlich 
mit  allerlei  Folter  die  Gefangenen  zu  beglücken. 

Zu  V.  70.  Peeat.  „Das  Sigel  hatte  immer  im  Oriente  einen 
gewissen  Grad  von  IJnverlctzlichkeit  und  gab  jedem  Dokumente  erst 
wahren  legalen  Wert,  und  darum  empfahl  sich  dazu  der  unverletz- 
bare Lehm",  sagt  Dr.  Sam.  Spitzer  in  seinem  Büchlein  über  den 
Brief  bei  den  alten  Völkern,  namentlich  Hebräern,  Römern  und 
Griechen.  (Essek  1894.  S.  56.)  Das  Briefsigel  ersetzte  häufig  auch 
die  fehlende  Unterschrift,  namentlich,  wenn  der  Absender,  der  den 
Brief  schreiben  liess,  illiterat  war.  Die  einschlägigen  Darlegungen 
Dr.  Spitzers  haben  in  den  meisten  Stücken  auch  für  die  Moslimen 
Wert. 

Je  mehr  Sigel petschafte  desto  wichtiger  und  bedeutsamer 
der  Brief: 

Als  dies  der  Pasa  SeTdi  vernommen, 
Verfasst'  er  wohl  ein  fein  Verhaltungschreiben  ; 
Die  beiden  Pasen  drückten  drauf  ihr  Sigel, 
Sie  setzten  auf  den  Brief  vier  Petschaftstücke. 
Der  Brief  gieug  von  den  Temesvarer  Paschen  an  den  Sultan 
ab  und  enthielt  die  Bitte  um  Hilfe  gegen  Räköczy.  Wenn  vollends  der 
Sultan  an  jemand  schreibt,  muss  der  Brief  der  Würde  des  Absenders 
entsprechend  mit  einer  ansehnlichen  Zahl  von  Sigeln  versehen  sein. 
So  hat  z.  B.  ein  wichtiger  kaiserlicher  Ferman  ihrer  zwölf  auf  einmal : 
na  njem  slomi  dvanajest  peöeta, 
stade  uöit  careva  fermana. 
Zu  V.  71.  Der  Südslave  erblickt  ebensowenig  als  der  Grieche 
der  Heroenzeit,    im   Träuenerguss    hervorragender  Männer  etwas 
Schimpfliches  oder  Entehrendes.    Der  wackerste  Mensch  mag  sich 
auch  wacker  ausweinen.  Bei  Übertreibungen  in  dieser  Hinsicht  scheint 
es,  dass  den  Guslaren  das  zulässige  Maass  fehlt.  In  einem  Guslaren- 
liede  wird  uns  erzählt,  dass  ein  bosnischer  Raufbold  den  Grossherrn 
zu  einem  Zweikampf  brieflich  herausfordert.  Dem  Guslaren  fällt  es 
nicht  ein  daran  zu  zweifeln,   dass  den  Herrn  des  Reiches  der  erst- 
beste Strauchritter,  wie  seinesgleichen  anfallen  darf.  Kurzum,  der 
Sultan  empfängt  den  Brief : 

Als  nun  der  Kaiser  tät  erschaun  das  Schreiben, 
entrinnen  Thränen  seinem  Augenpaar, 
ihm  perlen  Thränen  und  er  zählt  die  Jahre, 
vor  Gram  und  Leid  vom  Thron  hinab  er  kollert, 
von  seinem  Throne  wohl  hinab  er  sinkt. 
Z.  V.  80.  Bei  einem  Heer-  oder  grossem  Hochzeitzuge  wird 
gewöhnlich  vor  dem  Ausmarsche  eine  Zählung  der  Teilnehmer  ver- 


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anstaltet,  Vrg.  Krauss :  Smailagic  Melio,  Ragusa  1885.  S.  43.  V. 
135U  IT.  <  valja  brojit  kicene  svatove).  Die  ständige  Wendung :  tefteriti, 
na  tefter  uzeti  oder  auch  na  pero  u.,  z.  H. : 

i  silnu  je  vojsku  sakupio 
pa  je  vojsku  na  pero  uzeo 
ima  Bosne  trideset  hiljada. 

Zu  V.  84.  Kapetana.  Im  Mittelalter  beruhte  die  Landverteidigung 
auf  dem  Adel,  und  zwar  nicht  für  Sold,  sondern  als  Verpflichtung 
nach  dem  Grundbesitz.  Jedermann  genoss  soviel  Rechte  als  er  Pflich- 
ten zu  erfüllen  hatte,  und  auf  diese  Weise  besass  der  hohe  Klerus 
und  Adel  mehr  Bedeutung  als  der  kleine  Adelige  oder  gar  das  Volk. 
Ein  Volk  im  Sinne  unseres  Staatsrechtes  kannte  man  unter  jenen 
gesellschaftlichen  Gliederungen  so  gut,  wie  gar  nicht 

Zu  V.  93  IT.  „Das  ungarische  Landverteidigungheer  hatte  eine 
eigentümliche  Art  von  Bewaffneten,  die  zwar  rechtlich  am  wenigsten  im 
türkischen  Gebiet  zu  suchen  halten,  aber  auf  Abenteuer  am  häufigsten 
dorthin  ausgiengen.  Es  waren  das  die  Hajduken,  die  Truppe  jener 
„freien  Burschen",  die,  sei  es  für  Monatsold  oder  für  einen  bestimmt 
ausgemachten  Zweck,  auch  auf  kürzere  Zeit  sich  gleicherweise  in 
den  Sold  von  Magnaten,  Adeligen  und  Hauptleuten  begaben,  und 
waren  sie  der  unbeliebten  Disziplin  überdrüssig  geworden,  hinaus- 
gingen auf  die  türkischen  Ortschaften  „Glück  suchen"  oder  „Türken 
fangen"  und  das  Räuberabenteuerleben  zum  Brodverdienst  machten. 
Diese  ohne  Auftrag  und  Befehlhaber  handelnde  Truppe  schadete 
in  doppelter  Weise.  Auf  eigenen  Kopf  Feindseligkeiten  beginnend, 
reizten  sie  auch  in  Friedenzeiten  ohne  Grund  den  Türken,  und  dann, 
wenn  sie  keine  türkische  Beule  fanden,  schmarotzten  sie  oder  ver- 
gewaltigten sie  wohl  auch  jene  so  schon  hinlänglich  armen  ungari- 
schen Bewohner  des  unterworfenen  Gebietes.  Aus  der  unerschöpf- 
lichen Quelle  des  fortwährenden  Notstandes  und  Ruins  des  Landes 
entsprang  dieser  wilde  Haufen  Soldaten,  denen  weder  der  Staat, 
noch  der  Privatfestungbesitzer  regelmässigen  Dienst  zu  geben  ver- 
mochten. So  sehr  die  ungarische  Gesetzgebung  sie  auch  verurteilt, 
bei  einer  Gelegenheit  würdigen  gerade  die  ungarischen  Gesetze  die 
durch  sie  geleisteten  Dienste.  Sie  werden  unentbehrlich  genannt  in 
den  Grenzfestungen ;  denn  sie  seien  es,  die  den  unterworfenen  Leib- 
eigenen in  Gehorsam  halten,  und,  indem  sie  als  Fussgänger  die 
unwegsameren  Orte  besser  aufsuchen  können,  als  die  Reiter,  seien 
sie  geeigneter  für  Einfälle  ins  türkische  Gebiet.1 

Zu  V.  99.  „Der  christliche  Soldat  jener  Zeit  in  Ungarn  war 
kaum  etwas  besseres,  als  der  Janh'ar  und  der  Spahi.  Den  Krieg 
wünschte  er  hauptsächlich  darum,  um  Gelegenheit  zu  haben,  auf 
fremdem  Boden  Beute  zu  machen  und  den  Verdienst  des  armen 
(arbeitenden)  Volkes  aufzuzehren.  Rechnet  man  noch  die  Grossmacht- 

1  Corpus  Juris  H.  lotiH.  XXIII.  C  A.  Salamou:  Ungarn  im  Zeitalter 
u  s.  w.  S.  2!J7. 

Ii.* 


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gelüste  der  Herrscher  hinzu,  so  ist  klar,  dass  die  christliche  Welt 
sehr  kriegerisch  geworden  war"  (Salamon.) 

Zu  V.  98—99.  Im  Sinne  des  Volkes  enthalten  diese  zwei 
Zeilen  weder  einen  Tadel,  noch  einen  Vorwurf,  vielmehr  eine  aus- 
gesprochene Anerkennung.  Einmal  will  ein  Kämpe  bei  Mujo  erwirken, 
dass  er  ihm  seinen  Bruder  Halil  als  Begleiter  zu  einem  Brautraub- 
unternehmen mitziehen  lasse,  doch  Mujo  schlägt  das  Ansuchen  ah : 
ja,  kennst  du  meinen  Unglückbruder  nicht, 
der  beim  Gelag  ein  schwerer  Trunkenbold, 
bei  Streiterei'n  ein  Oberstreiter  ist? 

Zu  V.  169  f.  heischt  die  Schenkin  für  die  Verpflegung  Dojcins 
und  dessen  Rössleins  für  ein  Jahr  den  Betrag  von  20Ü  magyarischen 
Dukaten,  stellt  also  eine  ungeheuere  Forderung,  die  aber  dadurch 
gerechtfertigt  erscheint,  dass  Dojöin  an  seinem  Pferd  einen  Zech- 
genossen hatte.  In  einem  bulgarischen  Liede  (Bei  Kaßanovskij  S.  419, 
V.  177,  V.  209)  heisst  es  von  einem  Helden :  se  napi  rakija  tri  paty 
prevarena  i  kone-to  vino  napoia  (Er  trank  sich  an  mit  dreimal  über- 
branntem  Branntwein,  und  das  Pferd  tränkte  er  mit  Wein). 

V.  107.  nek  .«*/  ist  kein  Druck-,  sondern  ein  sprachlicher  Fehler 
des  Guslaren. 

V.  115  f.  barjak  krstas  ist  die  Kirchenfahne,  die  grossen  Zei- 
chen das  Kreuz  mit  den  Symbolen,  bzw.  Heiligenbildern,  denen  der 
Bauer  Fetischkraft  beimisst. 

V.  198.  Den  Bart  ausreissen  ist  der  schlimmste  Schimpf,  den 
man  einem  Moslim  antun  kann.  Mir  erzählte  ein  Franziskanermönch, 
das  Ärgste,  was  man  einem  Moslim  sagen  könne,  wäre :  redim  ti  se 
u  bradu  (ich  kacke  dir  in  den  Bart).  Der  Beschimpfte  eile  flugs  sich 
den  Bart  waschen,  dann  aber  greife  er  nach  einer  Waffe,  um  den 
Schimpfer  zu  töten. 

Zu  V.  205.  den  Brief  in  den  Händen.  Gewöhnlich  trug  der 
offizielle  Rote  den  Brief  in  einem  Kloben : 

Pogledao  Jankovic  Stojane 
sa  pendzera  pa  do  Vuöijaka 
i  ugleda  samokonjanika ; 
u  ruci  mu  knjiga  u  proeipu, 
uprav  ide  kuli  Gavranovoj. 
Näher  besprach  ich  diesen  Brauch  in  meinein  Referate  über 
tGrixtbeck*  Weltverkehr'  in  den  Mitt.  der  Wiener  Anthrop.  Ges.  1887. 

Zu  V.  231.  Der  Briefträger  galt  als  eine  unantastbare  Person, 
selbst  wenn  er  nebenbei  die  Dienste  eines  Spions  versah,  wie  z.  B. 
Rade  der  Überläufer.  Mustaphagas  Frau  und  Ajkuna  seine  Schwester 
befanden  sich  einmal  allein  auf  der  Warte  und  lugten  beim  Fenster 
hinaus,  als  sie  einen  jungen  Mann  herankommen  sahen.  Ajkuna  ver- 
mutete in  ihm  einen  Späher  und  wollte  ihn  niederschiessen,  doch 
Mujos  Frau  meinte,  es  wäre  ein  Briefbote,  den  man  nicht  töten 
dürfe ;  denn  Mujo  würde  es  übel  aufnehmen. 

Ein  gleicher  Wortwechsel  entspann  sich  bei  einer  ähnlichen 
Gelegenheit  zwischen  Halil  und  seinem  Neffen  Klein-Omer,  der  Osman 


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2-1 

niederschiessen  wollte.  als  er  mit  einem  Briefe  aus  dem  feindlichen 
Lager  herannahte. 

Zu  V.  233.  Die  Form  n>'i>  «für  nuqnn  [nagbe],  altsl.  nagubon) 
gebraucht  mein  Guslar  Milovan  mit  Vorliebe  fast  in  jedem  seiner 
Lieder.  Auch  tüchtige  Guslaren  haben  ihren  individuellen  Sprach- 
gebrauch, der  unter  Umständen  für  die  Feststellung  des  Alters  eines 
Textes  und  die  Sicherheit  der  Überlieferung  von  Belang  sein  kann. 

Zu  V.  241.  Si'ni  für  sitnu,  wie  oben  me'ni.  Milovan  sagt  aber 
auch  gewöhnlich  noegju  für  megju.  Das  ist  *'ine  Eigentümlichkeit. 

Zu  V.  29H.  prije  ist  hier  ausnahmsweise  der  Caesur  nach  der 
vierten  Silbe  wegen  zur  Postposition  geworden.  Sonst  stereotyp:  pre 
Mehmeda  sublju  izvadio. 

Zu  V.  315.  Das  ist  nicht  das  übliche  höfische  Ceremoniell ; 
selbst  der  Sigelwart  des  Sultans  muss  demütiger  und  unterwürfiger 
dem  Prophetensprössling  nahen.  Nach  der  Meinung  der  Guslaren 
war  es  in  ritterlichen,  christlichen  Kreisen  Brauch,  dass  ein  Mann 
mit  kreuzweis  über  die  Brust  geschlagenen  Händen  auch  zwanzig 
bis  dreU-ja  Bücklinge  vor  einem  Fräulein  inachte,  «lern  er  nahte;  so 
erscheint  z.  B.  Halil  der  Falke  als  spanischer  Fähnrich  verkleidet 
vor  einem  Burgfräulein  im  Küstenlande.  Der  Sultan  oder  auch  der 
Grossvezier  bleiben  sitzen,  wenn  ihnen  jemand  grüssend  kommt, 
nur  in  Ausnahmfällen  erbeben  sich  zum  Grusse  auch  höehstgestellte 
Persönlichkeiten,  wenn  ganz  aussergewöhnlicher  Anlass  zur  Ehrung 
des  Besuchers  vorliegt. 

Zu  V.  353.  Unser  Gusl.ir  bedenkt  gern  seine  Helden  mit  spa- 
nischer Rüstung,  die  er  für  eine  besonders  kostbare  Ausstattung 
hält.  Das  bulgarische  Original  entbehrte  unzweifelhaft  diesen  Vers, 
aber  unser  Milovan  kennt  ein  Lied  von  Kraljevic  Marko,  der  seine 
Frau  an  einen  Spanier  (Spanjug  latinin)  verkauft,  und  oft  gab  er  es 
zum  Boten.  Ich  veröffentlichte  es  in  meiner  Studie  übers  Munihrhaft- 
rrrfif  (1SMJ). 

Zu  V.  420.  Sn/ihrit'/ino.  Milovan  spricht  sehr  selten  oder  nur 
x  hwer  /"  aus,  sondern  setzt  dafür  />  oder  />//  ein:  für  fratar:  pratar 
oder  phratar.  s0  dass  man  deutlich  die  Aspiration  heraushört.  Der 
Bulgare  sprach  wohl  :  Sofmqinn,  griech.  Sophrosync.  Sonst  ist  mir 
aus  serbischen  Guslarenliedern  diese  Form  nicht  bekannt.  Unser 
Gislar  schien  sich  übrigens  darüber  gar  nicht  klar  gewesen  zu  sein, 
ob  S.  ein  Kigenname  oder  vielleicht  ein  bulgarisches  Schimpf- 
wort sei. 

Zu  V.  457.  »Nahm  weg  die  Flügel",  Boss  und  Reiter  waren  tat- 
sächlich bellügelt  !  Eine  sehr  seltsame  Mode,  die  von  einigen  chro- 
wotischen  Auslegern  epischer  Dichtung  mythologisch  erklärt  wurde. 
Darüber  vrgl.  meine  Bemerkung  im  Am  Urquell  B.  I.  S.  45  f.  Relja 
krilatica.  R.  der  Beflügelte  heisst  in  serbischen  und  bulgarischen  Gus- 
larenliedern ein  Fleld,  der  in  Mazedonien  ein  unabhängiges  Reich  mit 
der  Hauptstadt  Strumiea  gegründet  hatte.  Er  starb  im  J.  1342  und  liegt 
im  Biler  Kloster  unter  dem  Namen  eines  Mönches  Chariton  'Sbornik 
zh  nav.  umotv.  HI.  1890.  S.  281».  Ein  deutscher  Chronist  aus  der 


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Mitte  der  17.  Jahrh.  berichtet  über  die  Bewaffnung  und  Rüstung 
türkischer  Grenzritter:  -Im  Kampfe  ist  das  Erscheinen  dieser  Leute 
auf  Effekt  berechnet.  Sie  gehen  darauf  aus.  die  Pferde  der  Gegner 
zu  erschrecken  und  dadurch  eine  Unordnung  in  die  festgeschlossenen 
Reihen  zu  bringen.  Zu  diesem  Zwecke  pflegen  sie  auf  ihrem  Rücken 
und  am  Sattel  vor  dem  Oberschenkel  Adlerflügel  oder  solche  von 
anderen  grösseren  Vögeln  anzubringen.  Durch  die  Schnelligkeit  der 
Bewegung  oder  bei  starkem  Winde  geraten  diese  Flügel  in  starke 
Bewegung,  bieten  einen  unheimlichen  Anblick  dar  und  rufen  ein 
erschreckendes  Geräusch  hervor,  das  schon  manche  fe-tgeschlossene 
Schwadron  in  Verwirrung  brachte."  Damit  stimmt  auch  die  übliche 
Schilderung  der  Guslaren  überein,  nur  dass  sie  den  Flügeln  auch 
den  Nutzen  eines  Panzers  und  Regenmantels  zusprechen.  Derartige 
Flügel  verfertigte  man  ab  und  zu  auch  aus  Gold-  oder  Silberblceh. 
wie  ein  solches  Paar  noch  im  Besitze  eines  Begs  im  Herzogtum 
erhalten  ist.  Es  ist  nicht  befremdlich,  dnss  naive  Gemüter,  wie  der 
Sänger  unseres  Liedes,  den  Flügeln  eine  gleiche  Fetischkran,  wie 
den  Amuleten  andichten. 

Zu  V.  575  u.  570.  stolcm  ist  ein  Druckfehler  für  stöbern. 

Zu  V.  578.  Worin  Dojr-ins  Heldentaten  eigentlich  bis  dahin 
bestanden,  wissen  wir  nicht.  Die  ßesiegung  des  Partners  Zezderlie 
mil  Hilfe  der  Vilen  ist  nach  unserer  Empfindung  entschieden  keine 
bemerkenswerte  Leistung. 

Zu  V.  595  ff.  Der  Mann  gelangte  in  den  Besitz  einer  Frau 
durch  Kauf  oder  Raub.  Damit  gieng  sie  ganz  und  gar  in  sein 
Eigentum  über  und  er  durfte  daher  gegebenen  Falles  nach  Ciutdün- 
ken  über  sie  verfügen,  soweit  seine  Entscheidung  nämlich  gegen  den 
Rechtbrauch  nicht  verstiess.  Es  stand  dem  Manne  frei,  seiner  Frau 
durch  Verkauf  sich  zu  entledigen,  zumal  wenn  ihn  die  wirtschaft- 
liche Notlage  hiezu  trieb,  und  töten  konnte  er  sie  <>hne  weiters.  wenn 
sie  des  Ehebruchs  überwiesen  war.  Mir  erzählten  alte,  glaubwürdige 
Leute  im  .1.  1884,  dass  ein  moslimiseher  Edelmann  unweit  Derventa 
in  Bosnien  um  das  J.  1830  seine  treulose  Frau  mit  einem  Hahn 
und  einer  Schlange  in  einen  ledernen  Sack  eingenäht  und  in  den 
Usorafluss  geworfen  habe.  In  Guslarenliedern  trifft  die  Ehebrecherin 
gewöhnlich  die  Strafe  des  Feuertodes  bei  lebendigem  Leibe.  Der 
liebe  Ehegemahl  bestreicht  die  Frau  mit  Teer  und  zündet  ihn  an.  Bei 
der  Leuchte  tut  er  sich  an  Speise  und  Trank  gütlich  und  weidet 
sich  an  den  Qualen  seines  Opfers.  Bekannt  ist  auch  die  Strafe  der 
Fesselung  an  Rossschweife  (konjrna  na  repovei.  Ein  Mann  fand 
unterm  Kissen  seiner  Frau  ihres  Buhlen  Messer  vor.  berichtet  ein 
bulgarisches  Lied  (bei  Miladinov.  Big.  n.  pj.  Nr.  130.  S.  1KS.  I").  Er 
tat  nichts  dergleichen,  sondern  berief  seine  gesamte  Verwandtschaft 
und  auch  den  Khebrecher  zum  Gastmahl  ein.  Er  sprach  zur  ver- 
sammelten Freundschaft  (druiino  vjarna,  zgovoma!)  ..Ich  habe  eine 
grüne  Wiese,  dahin  pflegt  ein  brauner  Hirsch  zu  kommen.  Soll  ich 
den  braunen  Hirschen  töten  oder  die  Wiese  abmähen?  Darauf  der 
Ehebrecher:   .Lieber  Wahlbruder  Johannes!  Besser  ists,  die  Wiese 


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abzumähen:  denn  wenn  du  auch  den  Hirschen  tötest,  kommt  doch 
wieder  ein  anderer  auf  die  Wiese  grasen!"  Darauf  erfasste  Jung- 
Johannes  seine  Frau  Katalm,  bestrich  sie  mit  schwarzem  Teer  (cern 
katran),  beklebte  sie  mit  ^weisser  Wolle  und  steckte  sie  in  Brand. 
Sie  leuchtete  ihnen  drei  Tage  lang."* 


Der  Holzbau  der  Falovzen. 

Von  Dr.  Karl  l'iif,a>. 

(Schlu-s.: 

Das  Wohnhaus  fasM  drei  Räume:  1.  die  Stube,  den  gewöhn- 
lichen  Aufenthaltsort,  wo  gearbeitet,  gegessen,  geschlafen,  oft  auch 
gekocht  wird,  2.  die  Küche  mit  dem  Flur.  3.  die  Kammer,  welche 
als  Frauen-chlafstätte  und  zum  Aufbewahren  von  Kleidern  und 
Nahrungsmitteln  dient.  Zu  diesen  Räumen  führt  vom  Hofe  nur  eine 
Tür,  u.  zw.  in  den  Flur.  An  die  Kammer  ist  unter  d-miselbem  Dache 
gewöhnlich  ein  Stall  angebaut,  mit  dem  Hingang  vom  Hofe  aus. 

Zu  dem  Flur  führt  eine  Türe,  jetzt  aus  Fichtenhoz.  früher  aus 
Eichen.  5  Fuss  hoch.  4  Fuss  breit,  mit  Holznägeln.  Klinke  und 
Schloss  sind  noch  niinuntei  ans  Holz,  letzteres  ziemlich  complicierter 
Construction.  mit  hölzernem  Schlüssel  zu  öiTnen.  Ausserhalb  der 
Brettertür  ist  mitunter  eine  niedrige  Laltentüre  angebracht,  um  im 
Sommer,  wenn  der  Türflügel  offen  steht.  Vieh  und  Geflügel  abzuhalten. 

Der  Flur  dient  als  Yorhaus,  von  ihm  aus  gelangt  man  in  die  an- 
geführten drei  Räume.  Von  hier  führt  gewöhnlich  eine  Leiter 
durch  das  Rodmloeh  auf  den  Dachboden.  Im  Flur  wird  das 
Trinkwas.-er  gehalten,  entweder  neben  der  KüchentüröfTnung  in 
Eimern,  auf  einer  Rank,  einem  Stuhl  oder  einem  Strunk,  mit- 
unter steht  in  einer  Wandnische  der  Wasserkrug.  Zuweilen  werden  in 
einer  Ecke  Arbeitsgeräte  gehalten,  oder  Oberkleider  aufgehängt.  Sel- 
tener sind  an  der  Wand  einige  Teller  und  Krüge. 

Die  Küche  ist  vom  Flur  gewöhnlich  durch  eine  Zwischenwand 
mit  türloser  Türöffnung  getrennt,  durch  diese  fällt  Licht  in  die  Küelie 
und  entweicht  der  Rauch,  wenn  der  Herd  frei  steht.  Von  der  Küche 
aus  wird  der  Stubeuofen  geheizt.  An  diesem  wird  bei  neuern  Häusern 
oft  ein  Sparherd  angebracht,  auf  dem  alles  gekocht  und  gebraten 
wird,  das  Rrot  ausgenommen.  Doch  wird  der  Stubenofen  häufig 
schon  von  der  Stube  aus  geheizt:  die  Küche  verliert  ihre  Bedeutung, 
verschmilzt  mit  dem  Flur  und  dient  zum  Unterbringen  von  Küchen- 
geräten; oder  sie  erhält  eine  Türe,  und  dann  werden  Schränke, 
Fässer  und  dergleichen  hineingestellt,  was  sonst  in  die  Kammer  gehört. 

In  der  Küche  belindet  sich  der  Türöffnung  gegenüber  eine  Bank 

4  Raummangels  halber  musste  ein  guter  Teil  der  Krläuterungen  zum 
(tuslarenliede  in  Wegfall  kommen 


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mit  Töpfen,  Brotkörben.  Mörser  u.  dgl.,  darüber  ein  Fach  mit  Töpfen 
und  anderein.  An  derselben  Wand  hängen  Schüssel,  Teller,  Salz- 
büchse, Reibeisen,  Kürbis-  und  Krauthobel,  Küchenbrett  u.  s.  w.  An 
einer  Ecke  dem  Hackofen  gegenüber  steht  die  Brotschaufel  und  der 
Ofenquast. 

Wo  man  in  der  Küche  kocht,  dort  wird  in  den  Ofen  nicht  nur  Brot 
eingeschoben,  sondern  auch  Kochgefässe  werden  hingestellt.  Vor 
dem  Ofenloch  ist  eine  Ofenbank  mit  Kochgeschirr.  Im  Sommer  wird 
^ie  oft  als  freier  Kochherd  benützt.  Darunter  ist  ein  Hohlraum  fürs 
Brennholz,  darüber  bisweilen  eine  Wandnische  fürs  Salzfass. 

Der  aus  dem  Ofen  steigende  Rauch  berusst  die  Decke,  legt  die 
feuergefährlichen  Funken  ab  und  zieht  sich  durchs  viereckige  Rauch- 
loch der  Küchendecke  auf  den  Aufhoden  und  von  da  durch  die 
Rauchlueke  ins  Freie.    Mitunter  entweicht  er  auch  durch  den  Flur. 

In  altern  Häusern,  oder  wo  die  Armut  die  Bewohner  auf  einen 
einzigen  Raum,  die  Stube,  zusammengedrängt,  wird  der  Ofen  von 
der  Stube  aus  geheizt.  Aber  auch  dann  nimmt  er  immer  die  ganze 
Ecke  an  der  Küchenwand  ein  und  seine  OelFnung  ist  stets  den 
Gassenfeusterii  gegenüber,  so  dein  Lichte  zu-  und  dem  Luftzüge 
beim  TürölTnen  abgewendet. 

Mitunter,  /..  B.  in  einem  allein  Hause  in  Apätfalu  findet  sich 
folgende  (lonstruction  :  Der  Rauch  entweicht  nicht  durch  die  Ofen- 
türe.  sondern  oberhall»  derselben,  durch  einen  Rauchfang,  welcher 
in  Form  einer  Stutzpyramide,  mitunter  eilindrisch  oder  als  Stutz- 
kegel, aus  dünnen  Ruten  gellochten,  mit  Lehm  beworfen  und  aussen 
geweisst.  am  untern  Bande  mit  einem  (Jesims  für  kleinere  Koch- 
requisiten versehen,  durch  die  Stubeiulecke  in  einen  auf  dem  Auf- 
hoden befindlichen  sogenannten  kleinen  Ofen  mündet,  der  aus  einem 
mit  Lehm  beworfenen,  gellochtcnen  f.ilinder  von  etwa  Jl  cm.  Durch- 
messer und  5  cm.  Höhe  bildet  und  den  Zweck  hat.  Rauch  und 
Funken  aufzufangen,  damit  letztere  nicht  geradenwegs  ins  Dach 
fallen.  Der  Rauch  gelangt  durch  die  scilwärtige  bogenförmige  Oefl- 
nung  des  kleinen  Ofens  auf  den  Dachboden  und  durchs  Rauchloch 
ins  Freie. 

Im  Winter  wird  der  Rauchfang  zuweilen  mit  der  Rauchsperre 
abgesperrt,   um   die  Wärine  nicht   so  schnell  entweichen  zu  lassen. 

Mitunter  hat  der  Rauchfang  nicht  den  kleinen  Ofen  zur  Forl- 
setzung sondern  eine  .in-  ähnlichem  Material  wie  der  Bauchfang 
bestehende,  am  Aul'boden  in  der  Lange  des  Bodens  geleitet«4  Bohre. 
Früher  war  diese  Röhre  im  Innern  der  Stube  geleitet,  auf  dem 
Rauchfange  und  dem  Kreuzbalken  aufliegend,  was  den  Vorteil  hatte, 
dass  die  Wärine  in  der  Stube  gehalten  wurde,  und  dass  man  leichter 
merken  konnte,  wenn  die  Röhre  einen  Sprung  bekam  und  Feuers- 
gefahr drohte. 

Die  Rauchfiingc  sind  auch  in  der  entwickeltem  Form  feuer- 
gefährlich und  werden  immer  seltener. 

Der  Ofen  dient  nicht  nur  zum  Kochen,  sondern  im  Winter  als 
Kamin  auch  zum  Heizen,  die  Wärme  kann  durch  die  kleinen,  nicht 


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zu  öffnenden  Fenster  nicht  entweichen.  Mitunter  dient  das  Feuer 
auch  zur  Beleuchtung 

Die  Ofendecke  ist  entweder  gewölbt,  oder  flach,  oder  terrassen- 
förmig, die  Abstufungen  und  die  flache  Decke  werden  besonders  im 
Winter  als  Schlafstätten  benutzt. 

Der  Kuppelofen  hat  einen  fast  bis  an  die  Decke  reichenden 
„Schopf",  dessen  sich  verjüngender  Oberteil  zuweilen  abgestutzt  ist. 
Diese  Form  beginnt  jetzt  sich  zu  verbreiten,  wohl  vom  Flachland 
her,  und  vielleicht  ist  die  Kuppel  das  Rudiment  des  Rauchfanges. 
Zufolge  der  Einführung  der  Bettstätten  verliert  die  Ofendecke  ihre 
Bedeutung  als  Schlafstatte,  die  Kuppel  wird  als  Zimmerzier  betrachtet 
und  mitunter  tritt  der  Kachelofen  an  ihre  Stelle.  Der  Kuppelofen 
wird  immer  von  der  Küche  aus  geheizt.  An  der  Türwand  des  Ofens 
ist  eine  Bank  als  Wärmesitz  und  auch  als  Schlafstätte,  gewöhnlich 
des  Hauswirtes.  An  manchen  Orten  wird  an  der  ins  Zimmer  rei- 
chenden Kcke  des  Ofens  ein  Sparherd  angebracht,  mit  einer  Brat- 
röhre. Zwischen  diesem  und  der  Wand  ist  mitunter  die  sogenannte 
kleine  Bank  für  Küchengeräte,  oder  im  Winter  als  Sitz  beim 
Spinnen. 

Die  WnliHnttihr.  welche  „Haus"  genannt  wird,  nimmt  gewöhnlich 
die  Gasseufront  ein  und  ist  je  nach  der  Lage  der  Gasse  rechts  oder 
links  vom  Flur.  An  der  ganz  niedriegen  Türe  ist  gewöhnlich  eine 
Schwelle  Gegenüber,  gegen  die  Gasse  sind  zwei  Fenster,  nicht  nahe 
zu  einander,  an  der  llofwnnd  ein  drittes.  In  alten  Häusern  sind  sie 
viereckig,  mit  Vierteilung  etwa  2  cm.  breit  und  sind  nicht  nur  nicht 
zu  öftnen.  sundern  auch  gar  nicht  herauszuheben.  Stellenweise  trat 
die  Obrigkeit  gegen  .-olche  Fetaler  auf.  und  sie  wurden  mitunter 
eingeschlagen,  so  dass  sie  jetzt  alle  wenigstens  ausgehoben  werden 
können,  was  im  Sommer  auch  geschieht.  In  neuem  Hamern  sind 
grössere,  zum  Oeflnen  bestimm  e  Fen-Ier  mit  Stehsteilung  angebracht. 

Der  Stubenboden  i-t  nieht  gedielt,  sondern  gestampfte  Erde, 
an  manchen  Orten  mit  Lehm  ausgestrichen  Die  Zimmerdecke  ruht 
auf  den  Kreuzbalkeri,  welche  sich  auf  den  längs  der  Decke  gelegten 
Haupttram  stützen.  Die  Lücken  zwischen  diesem  und  den  Kreuzbalken 
dienen  zum  Aufbewahren  kleinerer  Gegenstände.  Mitunter  wird  eine 
kleine  Latte  angenagelt  und  darein  die  Messer  gesteckt,  was  für 
höher  gewachsene  Personen  gefährlich  werden  kann. 

Bemerkenswert  ist  ein  vierkantiger  oder  cilindrischer  Ständer, 
der  die  Milte  des  Hauplbalkeus  stützt  und  bodog  anya  •=  selige 
Mutter'  genannt  wird.  Dieser  wird  jetzt  seltener  angewendet,  gewöhn- 
lich wenn  der  Hauptbalken  schon  zu  bersten  droht,  wurde  aber 
früher  schon  beim  Bau  aufgestellt,  mitunter  nur  aus  Aberglauben, 
denn  man  glaubte  .stellenweise,  dass  sonst  das  Haus  einstürze.  Jetzt 
wird  er  mitunter  auch  bei  älteren  Häusern,  wo  tunlich,  beseitigt,  um- 
sornehr.  als  er  auch  die  Bewegung  um  den  bereits  häutigen  Spar- 
herd hindert.  Mitunter  dient  er  zum  Aufhängen  und  Trocknen  von 
Oberkleidern  und  Schnappsack.  Bei  altern  Häusern  werden  zuweilen 
zwei  solche   Säuleu  erwähnt,    die  eine  in  der  Mitte  der  Stube,  den 


28« 


Hauptbalken  tragend,  (bälvany  =  Holzstatue,  Götze)  die  andre  gleich 
beim  Herde  (bödog  anyai  mit  eingeritzten  Zeichen  bedeckt;  diese 
wurde  von  den  Kindern  nach  dem  Abendgebet  gekiest,  oft  auch  zur 
Strafe,  wenn  sie  schlimm  waren. 

Charakteristisch  sind  die  selbstgefert  igten  Bänke,  die  breiten,  starken 
aus  Eichen-,  die  kleinem  aus  Fichtenholz.  Hei  Wohlhabendem  gibt's 
auch  Lehnbänke  beim  Tische  von  geschickter  Arbeit.  Die  einzelnen 
Bänke  haben  nach  Standort  und  Bestimmung  verschiedene  Namen. 
Ober  der  Feuerbank  hängt  die  Trockenstange. 

Der  Tisch  befindet  sich  an  der  Ofenseite  in  der  Gassenecke, 
das  ist  der  Ehrenplatz  des  Hauswirtes.  Den  Tisch  verfertigen  die 
Leute  oft  selbst  aus  Ahornholz  mit  eichenen  Füssen.  Die  Füsse  ver- 
bindet ein  Krcuzhnlz.  In  der  Schublade,  die  sich  gegen  die  Türe 
öffnet,  hält  man  Brot.  Salz,  Esszeug,  welche  auf  dem  Tische  liegen, 
wo  dieser  keine  Lade  hat.  Mitunter  steht  unter  dem  mit  grobem 
Tuche  bedeckten  Tisch  der  Wasserkrug,  ober  demselben  hängt  ge- 
wöhnlich die  Petroleumlampe,  zuweilen  der  Erntekranz. 

Als  Zimmerschmuck  dient  überall  Geschirr,  ein  Zeichen  des 
Wohlstandes,  der  Stolz  der  Hausfrau.  Sie  hängen  an  einem  Bechen 
oder  an  Nägeln,  an  der  Gas-enwand  und  um  die  Tischecke.  Es 
sind  buntgelarbte,  mannigfaltig  de— inierle  Kannen,  Krüge.  Teller, 
Schüsseln,  nur  bei  festlichen  Gelegenheiten  im  Gebrauch,  -oiist  zur 
Aufbewahrung  kleinerer  Gegenstände  benützt.  Aeltere  Stücke  sind 
selten  ;  sie  rühren  meist  aus  der  Apätfalucr  Steingutfabrik  her,  und 
werden  dort  bei  stark  besuchten  Wallfahrten  angekauft,  bilden  einen 
Teil  der  Aussteuer  und  dienen  auch  aN  Ge-chenke.  lTnterhalt  dieser 
Gefässe  sind  oft  billige,  grellfarbige,  ordinär  gearbeitete  Heiligen- 
bilder, inzwischen  mitunter  ein  kleiner  Spiegel. 

Wenn  in  der  Stube  gekocht  wird,  werden  auch  die  verschieden- 
sten Schüsselbrelter,  Löflelhölzer.  Wandbretterund  dgl.  untergebracht. 

Die  Bettstätte  steht  in  der  Hofecke  der  Eingangsseite,  eine 
etwaige  zweite  in  der  freien  Ecke  an  derselben  Wand.  Zwischen 
dem  Bett  und  dem  Ofen,  sowie  dem  zweiten  Bett  und  dem  Tische 
werden  Truhen  gestellt  Eine  etwaige  Wanduhr  hängt  an  der  Gassen- 
oder Hofwand,  der  Weihwasserbehälter  neben  dem  Eingang. 

Die  Kammer  ist  kleiner  als  die  Stube,  und  hat  weniger  und 
kleinere  Fenster,  zum  Teil  zur  Vermeidung  der  Besteuerung.  Sie 
dient  zur  Aufbewahrung  von  Lebensmitteln  und  Kleidern  und  in 
grössern  Familien  zur  Schlafstelle  für  Frauen  und  Kinder.  Dort  ist 
die  Getreidelade,  der  Mehlkasten,  die  Brotschwinge,  die  Kleiderstan- 
gen,  die  bunten  Kleidertruhen  mit  Falldeckel  und  die  geschnitzten 
Gewandkästen  mit  Auszugläden.  Betten,  oder  oft  nur  Betlslühle  mit 
hochgetürmtem  Bettzeug  belinden  sich  an  der  Tischseite.  Hier  werden 
noch  die  Requisiten  zum  Waschen.  Brotbacken,  Spinnen  und  Weben 
und  die  Kindermöbel  und  mitunter  auch  Rümpel  werk  aufbewahrt, 
das  übrigens  seinen  Platz  auf  dem  Aufbodeu  hat. 

Der  Aufboden  ist  über  dem  ganzen  Wohnhaus  geteilt.  Vorn 
wird  Mais  und  Bohnen  aufbewahrt,  dann  Werkholz,  rückwärts  Vieh- 


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2o7 


futter;  dies,  wenn  dem  Rauche  ausgesetzt,  in  geringerer  Quantität 
aufgehäuft,  wird  durch  die  offene  Ilinterwand  hinabgeworfen. 

.\rb>nitehäinlt\  Der  Viehstall  ist  in  der  Hegel  an  das  Haus  gebaut, 
der  Eingang  stets  vom  Hofe.  Die  Krippe  ist  entweder  dem  Eingange 
gegenüber  oder  an  der  linken  breiten  Seite.  Die  Pferde  sind  näher 
der  Türe  und  w-erden  von  den  Kühen  durch  ein  Streifholz  getrennt. 
Neben  dem  Eingang  ist  der  Aufgang  zum  Heuboden,  im  rechten 
Winkel  der  Heukasten  und  an  entsprechenden  Orten  verschiedene 
Stallgeräte.  Mitunter  gibt's  im  Stall  auch  Kaninchen. 

Der  Schweinestall  befindet  sich  in  seltenern  Fällen  an  der  vor- 
deren Giebelfront  des  Hauses  vom  verlängerten  Strohdach  geschützt. 
Gewöhnlich  steht  er  gesondert  und  ist  oft  aus  Brettern  primitiv 
gefügt,  manchmal  aus  Weidengeflecht.  Eine  entwickeltere  Form  steht 
den  Kammerfenstern  gegenüber,  ist  aus  Holz  gezimmert  und  mit  der 
Diele  durch  eine  Türe  verbunden,  am  anderen  Ende  ist  der  Gänse- 
stall und  im  oberen  Teil  ist  der  Getlügelstall.  zuweilen  mit  einer 
Abteilung  für  Tauben.  Das  Dach  ist  aus  Stroh,  die  beiden  Dach- 
wände sind  Flechtwerk. 

Wandgeripp  und  Dach  der  Scheune  werden  im  wesentlichen 
so  errichtet,  wie  beim  Wohnhaus.  Die  Wände  bestehen  aus  Brettern. 
Den  grösseren  Teil  der  Scheune  nimmt  die  beiderseits  otTene  Tenne 
ein;  über  einem  Teile  derselben  sind  Balken  fürs  Viehfutter  Scheu- 
nenhals).  In  der  ganz  geschlossenen  Nebeuseheuue  wird  da-  Getreide 
aufbewahrt,  mitunter  in  einem  abgesonderten  Teil  dieses  Baumes 
(Scheunenlade!  die  Hobelbank  sammt  verschiedenen  Geräten  und 
•Werkzeugen  untergebracht.  In  Form  und  Anordnung  der  Neben- 
gebäude zeigen  sich  in  einigen  Gegenden  einzelne  Unterschiede. 

Die  Erdäpfel  werden  in  Erdgruben  im  Hof  oder  Garten  unter- 
gebracht. An  manchen  Orten  zeigen  die  ausserhalb  der  Wohnzeilen 
befindlichen  Weinkeller  mannigfache  Formen. 


Heanzische  Sprichwörter. 

—  Mitgurhcilr  von  J.  R.  Blinker,  ftd.-nburg.  — 

Ueber  die  Heanzen  oder,  ich  will  besser  sagen,  über  die  west- 
ungarischen Deutschen  sind  sich  selbst  bedeutende  Ethnographen  im 
Unklaren.  Gewöhnlich  stellt  man  die  Deutschen  des  Eisenburger- 
Comitates  mit  ihren  Grenznaehbaren.  den  Steirern,  unter  einen  Hut, 
und  was  im  Oedenburger-Comitate  deutsch  spricht,  wird  einfach  zum 
ninderösterreichischen  Volksstamme  gerechnet.  1  Keines  von  beiden 
ist  richtig.  Die  Eisenburger  sprechen  nicht  die  steirische  Mundart, 
wohl  aber  beide  zusammen  rinr  Mundart,  die  sich  erheblich  sowohl 

1  Vergl.  ,.Brock)mus  <  onversHtions-Lexikon."  U.  AuH  .  Hd.  .  ..  Seit« 
HO  und  'M. 


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2gs 


von  der  niederösterreichischen,  als  auch  von  der  steirischen  Mund- 
art unterscheidet,  nämlich  die  heamhche  Mundart} 

Die  Ursache  davon,  das*  man  über  die  westungarischen  Deut- 
schen und  ihre  Mundart,  das  Heanzische.  so  vollkommen  im  Un- 
klaren ist,  ist  wohl  die,  dass  eben  über  diesen  Volkszweig,  der, 
wenn  er  auch  zum  grossen  bayrisch-österreichischen  Volksstarame 
wird  gerechnet  werden  müssen,  doch  ein  in  sich  abgeschlossenes 
Ganze  bildet,  dem  etwa  noch  die  Bewohner  im  niederösterreichischen 
Viertel  unter  dem  Manhartsberge  der  gleichartigen  Mundart  wegen 
zuzuzählen  wären,-'  noch  so  wenig  in  dieOeflfentlichkeit  gedrungen  ist.3 

Ich  habe  es  mir  nun  zur  Aufgabe  gestellt,  dieses  bis  jetzt  so 
arg  vernachlässigte  Gebiet  vom  Standpunkte  der  Ethnographie  zum 
Gegenstand  meiner  Studien  und  Forschungen  zu  machen«  Als  erste 
bescheidene  Frucht  meines  Bemühens  erschien  vor  Kurzem  in  den 
.Mittheilungen  der  Anthropol.  Gesellschaft  in  Wien"  die  oben  er- 
wähnte Arbeit  über  das  Bauernhaus  um  (Dodenburg,  der  als  zweite 
in  kurzer  Zeit  eine  Studie  über  das  Bauernhaus  der  eigentlichen 
Heanzerei  in  derselben  Zeitschrift  folgen  wird;  und  als  dritte  Frucht 
unterbreite  ich  im  Nachfolgenden  eine  Anzahl  heanzischer  Sprich- 
wörter. Das  Gebiet,  aus  welchem  sie  stammen.  i-.t  ein  äusserst  be- 
schränktes. Mit  wenigen  Ausnahmen,  die  besonders  hervorgehoben 
erscheinen,  wurden  sie  alle  im  Dorfe  Markau  nächst  Oedenburg  ge- 
sammelt. Wie  weit  sie  ausserhalb  Markau  verbreitet  sind,  kann  ich 
heute  noch  nicht  feststellen.  Trotz  der  Mühe,  die  sieh  mit  mir  mein 
College  >.  /Vmsv,  Lehrer  in  Markau,  dem  ich  auch  hier  für  seine 
freundliche  Unterstützung  herzlichen  Dank  sage,  gab,  die  Sammlung 
der  Sprichwörter  aus  Markau  so  vollkommen  als  möglich  zu  erhalten, 
bin  ich  doch  der  Ueberzeugung,  dass  sie  nicht  vollständig  ist.  Welch 
bedeutenden  Schatz  an  Volksweisheit  das  heanzische  Volk  in  seinen 
bis  jetzt  noch  ungezählten  Sprichwörtern  besitzt,  mag  nach  dem  aus 
rinem  Dorfe  Gebotenen  abgeschätzt  werden.  Der  Wunsch,  auch 
andere  anzuregen,  dass  dieser  Schatz  recht  bald  in  seiner  ganzen 
Grösse  und  Schönheit  gehoben  werde,  mag  die  Unvollkornmenheit 
des  vorläufig  Dargereichten  entschuldigen.4 

1.  W»/s  Gott  wüll  a'quiek'n.  D*is  lasst  ea'  ni't  ta'stick'n.1  j 

2.  Wen  unsa'  Mea'gott  zan  NnaV-  wüll  Iv/b'n,   tein  hfsst  ea'  's 
Wai'3  steab'm. 

1  Vergl.  auch  mein«  Arbeit  :  „Typen  von  Bauernhäusern  aus  der  Ge- 
gend von  Oedenburg  in  Ungarn",  Mitth.  der  Antbrop.  Gesellschaft  in  Wien, 
Hd  XXIV  .  8.  155  fl". 

*  \ergl.  ..Die  österreichisch -ungarische  Monarchie  in  Wort  und  Bild". 
Bd.  II.  „Niedc-rösterreich"  >.  >bb  fl'. 

s  Das  einzige  mir  bekannte  grössere  Werk,  welches  sich  mit  den  He- 
anzen  in  etwas  ausführlicher  Weise  betasst,  ist  „Schwicker.  Die  Deutschen 
in  Ungarn" 

*  In  Bezug  auf  die  Schreibung   im  Dialekt   bemerke  ich  Folgendes: 

$  —  Mittellaut  zwischen  a  und  o;  ü  =  Mittellaut  zwischen  e  und  ö;fi  = 
nasaliertes  u  ;  st  im  Anlaut  immer  seht,  im  Auslaute  dagegen  nur  nach  vor- 
angehendem r  (Wuast  =  Wuascht). 

1  ersticken.  —  -  Narren.  —  J  Weih. 


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289 


3.  Ali  prav'n  Maim  stia'bt  sai/i  Waf  ni't. 

4.  An  ua'ntlich's*  Wai'  muiss  g'schlag'n  wea'n. 

5.  V  Schainhait  va'geht,  Ti  Tug'nd  besteht. 

6.  Wea'  a'f  sai/i'  LaiwR  niks  h*?lt,  halt  a  niks  a'f  sai/i  Ena'." 

7.  Wia  ta'  Hea',  sou  ta'  Knecht. 

8.  Mit  ten  Pau'n7  steht  es  guit,  Tea',   was  ea'  pefühlt,  glai'  selwa' 
tuit. 

9.  Selwa'  Vmn,  selwa'  hab'm. 

10.  Namli  Hean'l,  nanili  Aal.8 

11.  Eila9  Hea/Tl,  eila  Aal.  (Oedenburg.) 

12.  Wea'  niks  macht,  tea'  is'  niks. 

13.  Wea1  aus  si'  selwa  niks  macht,  Wia't  a'f  t'leitzt  nua'  ausg'lacht. 

14.  Wea'  eh'  kimpt,10  tea'  mahlt  eh'. 

15.  Wea'  ni't  kimpt  za'  rechta'  Zait,  Tea'  muiss  w</a't'n,was  iba'  plaipt. 

16.  Mit  ta'  Gabi  is  an  Eha',  Mit  'n  LeifFl  kriagt  ma  meha'. 

17.  Wea'  z'leitzt  lacht,  lacht  an  peist'n. 

18.  Gaa'  z'guit  is  halvv  liada'Ii  .11 

19.  Tea'  in  Wald  geht,  tea'f12  's  Rausch/ n  ni't  fia'cht'n.  (Oedenburg.) 

20.  Wea'  a'f  t'Gass'n  geht,  muiss  t'rauf  g'fasst  sai/i,  tyss  ihn  t'Hunt' 
^nkalb'm.13 

21.  Wia'  ta  ^cka'  sou  ti  Ruib'm,  Wia  ta'  Vata',  sou  ti  Pui  »'m. 

22.  Wia  t'Muida',  sou  ti  Techta',  Ouft  a  nou  a  biss'l  schlechta'. 
(Oedenburg.) 

23.  Muida',  sait  ma  nua'  ni't  gram,  Ta'  Apfl  fallt  ni't  wait  von  Stamm. 

24.  Aatu  van  Aat  lasst  ni't. 

25.  A  jeda  Pruida'  find't  sai/V  Schweista'. 

26.  Wea'  ti  Frucht  in  Tau  unt  ti  Tian16  a'fn  Tanzpoud'n  anschaut, 
petruigt  si'  ouft.  (Oedenburg.) 

27.  A'f  an  groub'm  Sack  g'heat  a  grouba'  Fleick. 

28.  Schwaa'z  gebaa'n,  Hat  's  Waschn  va'laa'n.1*1 

29.  Wea'n  ni't  frett'n17  kau/i,  kau/t  ni't  wia'tschaft'n. 

30.  Frett'n  hilft  haus'n. 

31.  Wea'  Schuld'n  zahlt,  va'pessu't  sai/ii  Giata'.18 

32.  Sou  wait  ti  Tuchent19  g'lengt,  sul  ma'  si'  nua'  zuidecka'. 

33.  A  schlechta'  Paua',  tea'  ni't  alli  Jaha'  a  Fuha'  Mist  frisst. 

34.  A  schlechta'  Paua',  tea'  pam  Wai'  schlaft,  so  lang  ea'  'n  Waaz 
paut.  (Oedenburg.) 

35.  A  guita'  Hau«  wia't  inain  Leipta20  ni't  faast.21  (Oedenburg.) 

36.  Speick  und  Prat  Macht  Wanga  rat. 

37.  Kned'l  und  Kraut  Füll'n  in  Paua'n  t'Haut. 

38.  's  Wai'   kaun  mit'n  Fia'tta'22  meha'  va'zah'n,23  wia  ta'  Maim 
mit'n  Wpg'n  zuifiah'n  kau/*. 

39.  Is'  ni't  nathwenti',  tass  Pett'llaif  Hunt'  halt'n. 

4  ordentliches  —  *  Leib.  —  e  Ehre.  —  7  Bauern.  —  •  Viele  Hühner, 
viele  Eier.  —  *  Viele.  —  10  kommt.  —  1  Gar  zu  gut  ist  halb  liederlich.  — 
"  darf.  —  '*  anbellen.  —  14  Art.  —  *  Dirn.  —  •  Verloren.  —  "  sich  mühen. 
—  «•  Güter.  -  >•  Ueberall.  —  *°  Lebtage.  —  «'  feist.  —  »  Fürtuch.  - 
"  verzerren. 


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2bO 


40.  An  g'schenkt'n  Gaul  Schaut  ina'  ni't  ins  Maul. 
4L  Aa«'  Pfoat24  is  wiama":i  wia  trai  Röck. 

42.  's  Hemat  is'  ällwail  nclia'  wia  tu'  Rouck. 

43.  Is*  ni't  guit,  wemma'  si'  auszuigt.  eh'  rna'  si'  schlaf n  leigt. 

44.  Peissa26  V  hab'  als  i"  het. 

45.  Ea'  suicht  sou  hing  inta27  t'Schaita',  pis  ea'  an'  recht'n  Prig'l 
ta'wischt. 

46.  Van  Ea'b'm28  kriagt  ma'  kaani  Platta'n.29 

47.  A  jeda  Spaara'  find't  an  Zeara. 

4£.  Wenni  Gelt,  wennii  Musi'.  (Oedcuhurg.) 

49.  Niks  hab'm  is'  a  laichts  Leibm.  (Oedenburg.  • 

50.  Was  ana'  ni't  ma',30  Is'  ta'  and'ri  /.'Tat31  frah. 

51.  Teis  Rouss,  teis  in  Haba'n32  vä'deant.  kriagt'n  ni't. 

52.  Kaan  Wag'n  is'  sou  vull,  tass  ni't  uou'  was  t'rauf  gingat. 

53.  Reign'ts  ni't,  sou  treipflt's  ton". 

54.  Tein  t'Kui33  g'hea't34,  tea'  nimpts'  pan  Schwaaf.  (Oedenburg.) 

55.  Wenn  t'Schouf  Wull  hah'm,  muiss  ma's  schea'n. 

56.  Wea's  Lampl  hat  unt  schea'ts  ni't.  tein  sull  ma*  a'f  t'Finga' 
schlag'n.  'Oedenburg.« 

57.  Wca'    friah  a'fsteht,  tea'   frisst   si'  aa'm,35  Wea  lieg'n  plaipt, 
plaipt  's  Peitt  schai#  waa'm. 

58.  Wea'  ni't  hea't  a'f's  Sag'n.  WiaTs  mit  Schcidn  tafad'n.36 

59.  Wea'  ni't  heo't  af  guil'n  Rat,  Wia't's  tafad'n  mit  ta'  Tat. 

60.  Was  in  Hahn  ni't  is',  is'  in  Kamp.37 

61.  Pai  an  schait38  nm's,  pain  anda'n  find't  ma's. 

62.  Ta'  G'sehaitari  gipt  nach. 

63.  Wea'  nachgipt,  is'  a'  a  Mentsch. 

64.  A  jeda  Mentsch  is'  anda's39  tumm. 

65.  Wia  timma40  ta'  Paua',  testa  gressa  ti  Krumpia'n.41 

66.  Ta'  Turnmi  hat's  Glick. 

67.  A  Plant  Glick  is'  meha'  wea't  wia  a  Zentna'  Va'stant. 

68.  An  sai/i 42  Tat  Is'  in  anda'n  sain  Prat. 

69.  Umasunst  is'  ta'  Tat.  unt  tea'  kost't's  Leib'm. 

70.  h  Krankhaft  spaat  niks  als  t'Schui. 43 

71.  T'Fiasaach44  is'  guit  fia'  s  Unglick. 

72.  Selt'n  a  Schad'n,  woa  ni't  a  Nutz'n  a  tapai  is. 

73.  A  Hazat  unt  a  Lai'  Macha  alias  a'f  t'Glai'.45 

74.  Giv/ssa  Prahla'  Schlechta  Zahla'. 

75.  Tem,  wea'  si'  prahlt,  sull  ma'  was  scheinga,46  tem,  wea'  si* 
klagt,  kann  ma'  was  neihma'. 

76.  Wea'  schimpft,  tea  kaft. 

77  A  Fuah'mann,  tea  ni't  meha'  fahd'n 45  kaufi,  tuit  gaa'  gea'n 

schnalz'n. 

24  Hemd.       24  wärmer.  —  "besser.  —  "unter.  —  "Erben.  —  89 Blasen 

—  ,0  mag.  11  zu  Tode  =  sehr.  —  ss  Hafer.  —  "  Kuh.  —  **  gehört.  —  "  arm. 

—  M  erfahren.  —  "  Kamm.  —  89  scheut.  —  59  anders.  —  40  je  dümmer.  —  41  Grund- 
birnen (Erdäpfel).  —  4S  einen.  —  41  Schuhe.  —  44  Fürsorge.  —  44  Eine  Hochzeit 
und  eine  Leiche  briugen  alles  in  die  Gleiche.  —  44  schenken.  —  4T  fahren. 


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21*1 


<8.  A  Viilfrass  wia't  ni't  gepaan,  sundan  ta'zog'n.4*; 
79.  Pinda'  und  Fäss  Hab'm  gea'n  nass. 
SO.  SaiÄ  Kivig'n49)  I<  waita'  wia  ta  M-rg'n 

81.  Nia'  ta'  easchti  Lita  is'  tai,ja'.50i 

82.  In  Gb/s  ta'sauf n  meha'  wie  in  Mea'. 

83.  's  Maul  is'  a  klaan's  Lou',  nbii  ganzi  Haisa'  saiÄ  schaun  abi- 
g'rutscht. 

84.  An  P'sofTatian  sull  ma'  mit  a  Faha'  Hai  auswaicha'. 
85   Wann  t'Veig'l  vullg'fress'n  sai-v,  na  singau  s'. 

86.  Klaani  HeifaT r,t  gaih'Ä  schnell  iha'. 

87.  An  alti  G'wohnhait  unt  an  aisa'nas  Hernpt  z'raiss'n  nit. 

88.  An  'Tili  G' wohnhaft  unt  an  aisa'ni  Pfaat  z'raiss'n  gaa'  haa't.52 
(Oberschützen.) 

89.  Wea'  si'  in  t'Klaib'm  mischt,  tein  fress'n  t'Sau. 

90.  Mit  was  mn'  umgeht,  peschmia't  ina'  si' 

91.  Vül  geduldige  Schouf  hab'm  in  an  Stall  Platz. 

92.  Peissa'  Naa'  mit  als  Naa  allaan.™ 

93.  Wou  ta1  KrauÄ5*  sitzt,  tuat55  meld't  ea'  si'. 

94.  Tua'ch's  Reid'n  55  kemma  t'Lait'  z'sarnm. 

95.  Kinda'  unt  Naan  sag'n  t' Waa'hait.57 

96.  A  schecht's  G'spül r,s,  was  in  Kinda'n  ni't  g'fallt. 

97.  VaVea't  is'  ni't  g'scholt'n.59 

98.  Ta'  Pfairnsack  hat  kann  Poud'n. 

99.  A  Laus  am  Kraut  is  peissa  wia  gaa  kaan  Flaisch. 
100.  Is'  guit  anhöib'm,80  is  guit  a'fhea'n. 


Parallelen  und  Bemerkungen* 

zu  Stellen  in  den  „Ethnologischen  Mittheilungen  aus  Ungarn"'. 

I.  Beiträge  aus  Schleswig-Holstein. 

Fingerabzählreim.  Zu  Bd.  III  H.  3-4  8.  101. 

Das  ist  der  Daum,  Der  sammelt  sie  auf, 

Der  schüttelt  die  Pflaum,  Der  trägt  sie  nach  Haus, 

Und  der  kleine  Schelm  hat  sie  alle  aufgegessen. 

Blickstedt  im  Dänischen  Wohld. 

Zieh'  Schimmel,  zieh',  Morgen  woll'n  wir  Hafer  dreschen, 

Im  Dreck  bis  an  die  Knie  ;  Das  soll  unser  Schimmel  fressen. 

Zieh'  Schimmel,  zi  h\ 

Ganz  Schleswig- Holstein, 
Wird  gesungen,  wenn  einer  beim  Kuudgesangnicht  rein  ausgetrunken  hat. 

49  Hals,  Schlund.  —  iü  Nur  der  erste  Liter  ist  teuer.  —  41  Häfen.  — 
**  hart  (schwer).  —  M  Besser  Narr  mit  (anderen)  als  Narr  allein.  —  M  Krähe. 
—  »*  dort.  —  &*  Durch  das  Reden.  —  57  Wahrheit.  —  19  Spiel.  —  "  —  Ver- 
sprochen ist  nicht  gescholten.  —  60  anheben  (anzufangen). 

*)  Wir  bitten  aufmerksame  Lesor,  ihre  werten  Bemerkungen  zu  den  Aufsätzen 
unserer  Zeitschrift  uns  gefälligst  zukommen  lassen  zu  woher.. 


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292 


Snaierlus.  krup  ut  din  Hus, 
Stick  din  veer  fiet  Hörn  ut, 


Tingel,  tauge  1  Tuts, 
Strek  dien  Hörn  herut, 


Snigh,  krup  ut  dien  Hus 


Sohne  oke. 

Wullt  du  se  nich  utnteeken. 

Will  ick  di  Hus  un  Holl  tobreeken. 

Stapelholm. 

Wenn  du  dat  ni  dais, 

81a  ick  die  Hus  un  Hoti'  entwai. 

Koldenbüttel  i.  Eiderstedt. 

Un  dien  Hus  verbrennt. 

Bordesholm  h.  Kiel. 


Snaierlus,  krup  ut  dien  Hus, 
Dien    Hus  dat  brennt,  dien  Kinner 

de  schriegt, 

Snaierlus,  krup  ut  dien  Hus, 
Dien    Hus  dat  brennt,  dien  Kinnei- 
de slap, 


Dien  Fru  de  liggt  in  Weeken  ver- 
stecken. 
Heide  in  Dithmarschett 

Dien  Fru  de  liggt  in  'n  Weeken, 
Kann  'k  gar  keen  Woord  mit  spreeken. 

Gegend  von  Hanerau. 


Der  ausgefallene  Zahn  wird  vom  Kinde  ins  Mauseloch  geworfen  mit 
den  Worten  : 

Mus,  ick  geef  die'n  olen  Tan,  Gert  mi  'n  ni'n  wedder. 

NorderdithmarHchtti . 
(Vrgl.  Am  Urdsbrunnen  Jahrg.  VII.  79  J 


Hergottskon, 

Stüff  weg,  flüg  weg, 


Maik&i'er,  fleeg  weg, 


Bring'  mi  morrn  gut  Wedder  mit. 

Norderdithmarschen . 

T. 

Bring'  mi  morrn  gut  Wedder  mit. 

Norderdithmarschen . 


II.  H.  9-10  S.  262 ) 

Un  spinnt  en  Spol  vull  Flissengarn. 

Slap,  Kindjen,  slap. 

Norderdithmartcheu . 


(Zu  Bd. 

Slap,  Kindjen,  slap, 
Dien  Vad'r  bött  de  Schap, 
Dien  Moder  sik  in'n  Rosengaru 

Zu  Bd.  III  H.  :i—  4  S.  10r». 

Die  Mädchen  bilden  einen  Kreis  und  singend  setzt  «ich  der  Kreis  in 
Bewegung.  Bei  dem  5.  Vers  dreht  sich  jedesmal  ein  Kind  um. 

Luise.  Luise,  Und  die  Jüngste  kehrt  sich  um. 

Eine  kleine  Liese,  Die  Jüngste  nat  sich  umgekehrt 

(56  6  6  7  Jahr,  Und  hat  sich  in  dem  Kreis  vermehrt. 

7  Jahr  sind  bald  herum  Luise  u.  s.  w.  von  vorn. 

Stapelholm,  Dithtn 

Zu  Bd.  III  H.  :i— 4  S.  105. 
Die  Kinder  stellen  sich  in  2  Reihen  einander  gegenüber.  Abwechselnd 
bewegt  sich  nun  die  eine  Reihe  gegen  die  andere  und  singt: 

Es  kommen  drei  Herren  aus  Ninive  zum  Pontio  Pilato. 
Was  wollen  die  Herrn  aus  Ninive  beim  Pontio  Pilato  ? 
Sie  wollen  die  jüngste  Tochter  frein  zum  Pontio  Pilato. 
Und  welche  Tochter  soll  das  denn  sein  zum  Pontio  Pilato  ? 
Das  soll  N.  N.  sein  zum  Pontio  Pilato. 
So  nehmet  sie  mit  Freuden  an. 

M.  Carstens.  Süderttapel  i.  Stapelholm. 

Das  im  Band  II.  H.  9—10  beschriebene  Paradiethilpfen  ist  hier  Überall 
bekannt  unter  dem  Namen  ,.Hinkelpottu. 


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293 


Abzählreim.  Zu  Bd.  III  H.  3— 4  S.  104. 
Ich  und  du,  Müllers  Kuh;  Müllers  Esel,  das  bist  du. 

Elmshorn. 

Die  Königstochter  im  Turm.  Zu  Bd.  III  H.  3-4  S.  103. 
Kling'  klang'  gloria,  De  Müer  de  will  ni  bräken. 

Wer  sitt  in  diesen  Toria,  De  Steen  de  will  ni  stäken. 

Das  sitt  en  Königsdochter  ni,  So  kutnin  du,  so  kuniin  du 

De  kann  ick  ni  to  sehn  kriegu.  Un  tat  mi  achter  an. 

Nee,  nee  !  Ja,  ja  !  >«   .  Stapelholm. 

(S.  Am  Urdsbrunnen  VI,  S.  10-M,  Gl— 64,  141— 143;  VII  S0.^ 
Dahrenwurth  bei  Lunden.  Mitgeteilt  von  //.  (Jnrstens. 

II.  Aus  Elberfeld. 

Zu  dem  Artikel  „Eine  alte  Besch wörungs t ormel1'  von  Professor 
K.  Fuchs  in  Heft  9— 10  der  „Ethnologischen  Mitteilungen  aus  Ungarn"  möchte 
ich  zwei  Varianten  anführen.  Die  von  mir  aus  dem  Volksmund  aufge- 
zeichnete und  in  Elberfeld  sehr  verbreitete  Strophe  lautet: 

Zu  Köllen  steht  ein  Vogelhaus, 

1  >a  schau'n  drei  schöne  Jungfern  'raus ; 

Die  eine  trinkt  ein  Gläschen  Bier; 

Die  and're  spielet  das  Klavier; 

Die  dritte  ging  nach  Bonn 

Und  wurde  eine  Nonn'. 

Wichtiger  scheint  mir  die  folgende  Lesart  zu  sein,  welche  ich  in  den 
handschriftlichen  Aufzeichnungen  de*  Th.  Bindewald  aus  Oberhessen  (im 
Nachlass  von  Prof.  J*'.  CrrcAius  in  Elberfeld)  fand.  Bindewald  hat  die  Strophe 
als  Kinderlied  bezeichnet.  Sie  lautet: 

Zu  Köllen  ist  ein  Glockenhaus, 

Da  schauten  drei  Hexen  zum  Fenster  hinaus, 

Die  erste  trinket  ein  Glas  Bier, 

Die  zweite  spielet  auf  dem  Klavier. 

Die  dritte  geht  zur  Sonne 

Und  kauft  dem  Kind  'ne  Wonne. 

Mitgeteilt  von  O.  Schell. 

III. 

Zu  „Ethn.  Mitth."  1.  S.  35ä.  ..Ich  hab  halt  a  Hilusl  am  ltanu  machte 
uns  vrau  v.  Finäezy  aufmerksam,  dass  das  Lied  von  Castelli  ist  Säuimtl.  Werke, 
Wien  1845.  Bd.  11,  S.  37).  Es  ist  aber  auch  im  Volksmunde  weit  verbreitet, 
vgl.  die  drei  Fassungen  in  „Deutsche  Volkslieder  aus  Böhmen*'  S.  209—210. 

IV.  Aus  Westpreussen. 

„Ethnol.  Mitt.  III.  218.  Zu  ArkuH-bdrku*.  Vgl.  den  Abzählreim  aus 
Pillau  in  den  40er  Jahren  :  ^    ^ . 

Ankus-bankus  iss  biankus, 
Zederloppe,  Zedennann, 
Hokus  bokus  iss  biokus, 
Bertinos. 

Vielleicht  kann  Arku*-barkus  auch  mit  Hokuspokus  zusammengestellt 
werden  Auch  könnte  man  an  die  Gewohnheit  der  Kinder  denken,  eine  ge- 
schaffene Schreckgestalt  mit  einem  Vokale  in  der  Namengebung  zu  beginnen 
und  ihrer  folgenden  Vervollständigung  einen  Consouanten  vorzusetzen.  — 
Zu  Mumm  vgl.  litauisch  Muromatsch:  ferner  in  einer  Kinderpredigt  aus 
Graudeuz  (Mühlhausen),  „Schatten  sind  keine  Möen"  =  Gespenster,  vielleicht 

Kthn.  Mitt,  a.  l'ngarn.  III.  20 


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294 


Anlehnung  an  Muhme  oder  Mahr.  —  Zu  Lele  vgl.  Lelö  in  0.  Knoop,  Sagen 
und  Erzählungen  aus  Posen,  S.  1,  ferner  den  Namen  einer  slavischen  Gottheit 
mit  geschlossenem  Munde. 

*  'Hoch-Paleschken  bei  Alt-Kischau.  Alexander  Treichel. 

V. 

„Ethnol.  Mitt."  III.,  S.  UJ2.  Herzgespier  ist  =  Herzgesperr,  Angina 
pectoris ;  Gedirmen  sind  =  die  Ge  lärme  als  Sitz  der  77-erlei  Fieber. 

Tölz.  Dr.  M.  Höfler. 


Das  grosse  Sammelwerk  für  bulgarischen  Folklore. 

Ein  Bericht  von  Friedrich  S.  Krau»». 
(Schluss.) 

Die  Beschreibungen  der  Festbräuche  dürften  auch  einen  anspruchvollen 
Folkloristen  befriedigen.  Jedes  Fest  des  Jahres  hat  seinen  treuen  Schilderer, 
aber  hauptsächli  h  die  Feste  der  Orthodoxen,  während  die  Moslimen  und 
Katholiken  zu  kurz  kommen,  die  Juden  aber  mit  Stillschweigen  ubergangen 
werden.  Gegenwärtig  eignen  sich  die  Spaniolen  Bulgariens  immer  mehr 
religiöse  und  gesellschaftliche  Bräuche  ihrer  deutschen  und  französischen 
Glaubensgenossen  an,  sie  „entnationalisiren"  sich  und  werden  zu  modernen 
Bulgaren  mit  westeuropäischem  Anstrich.  Die  äussere  Notwendigkeit  oder 
vielmehr  der  Zwang,  eine  eigene  confessionelle  und  sprachliche  Nation  zu 
bilden,  schwindet  für  das  Handvoll  Juden  in  Bulgarien  zusehends.  Es  wäre 
hoch  an  der  Zeit,  so  lang  es  noch  möglich  ist,  das  seltsame  Volktum  der 
Spaniolen  ernstlich  zu  erheben  und  zu  erforschen. 

In  Bulgarien  gibt  es  auch  serbische  und  griechische  und,  wenn  ich  gut 
unterrichtet  bin,  türkische'und  rumänische  Siedlungen,  der  grossen  Anzahl  der 
Zigeuner  nicht  zu  vergessen.  Das  Volktum  aller  dieser  gehört  in  den  Sbornik 
hinein. 

Über  das  Gewohnheitrecht  handeln  nur  einige  kurze  Berichte  und 
Mitteilungen.  Das  ist  befremdend;  denn  die  Bulgaren  haben  einen  Cfcsor, 
der  diese  Studien  mit  Verstand  und  Erfolg  betreibt.  Sollten  uns  da  nicht  die 
weiteren  Sbornik-Bände  Ersatz  schaffen  können? 

Nicht  genug  danken  können  wir  für  die  einzelnen  Beiträge  zu  einem 
bulgarischen  Idiotikon.  Ein  bulgarischer  Sanders  möge  recht  bald  erstehen, 
damit  einem  die  Pforten  zum  bulgarischen  Sprachschatz  erschlossen  werden, 
das  ist  wohl  jedermanns  Wunsch,  der  den  Sbornik  zur  Hand  nimmt.  Unter 
uns  gesagt,  ich  bin  nicht  einmal  fest  überzeugt,  dass  jeder  geborene  Bulgare, 
der  das  Gymnasium  zu  Sonja  zurückgelegt  hat,  über  alles  und  jedes  Wort, 
im  Sbornik  genügenden  Ausschluss  zu  geben  im  Stande  ist.  Man  übersehe 
nicht,  dass  im  Sbornik  ausserordentlich  viel  Bildungsstoff  aufgesammelt  ist, 
der  für  die  heranwachsende  Generation  ungloich  fruchtbringender  gemacht 
werden  kann,  als  der  dürftige  und  dürre  Unterricht  in  den  „alten"  Sprachen 
Roms  und  Griechenlands  es  je  für  die  Jugend  des  Landes  war.  Der  junge 
Bulgare  erkenne  zuerst  sein  eigenes  Volktum,  er  werde  zum  gebildeten  Bul- 
garen erzogen,  dann  wird  er  ein  ganzer  Mann  werden. 

Die  Trachtenbilder  sind  prachtvoll,  manche  Charaktertvpen  wertvolle 
Vorbilder  für  Künstler,  aber  wir  wünschten  jedesmal  zu  jedem  Bilde  aus- 
führliche Beschreibungen  zu  erhalten.  Die  Stick-,  Strick-  und  Webemuster 
fesseln  den  Beschauer  ungemein.  Das  Studium  der  Ornamentik  soll  nicht 
vernachlässigt  oder  minder  geschätzt  werden.  Im  Gesammtrahmen  des  Volk- 
tums  ist  auch  derlei  häufig  von  bedeutender  Wichtigkeit.  Uns  kann  man 
nie  genug  Belehrung  gewähren,  denn  ein  Volkforscher  will  und  muss  alles 
erfahren  und  alles  erkunden. 

Ueber  die  neuern  Bände  des  Sbornik  wird  im  nächsten  Bande  der 
„Ethnologischen  Mitteilungen"  weiter  ausführlich  berichtet  werden. 


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295 


Magyarischer  Volksglauben  aus  Lozsad.* 

1.  Wenn  eine  Schwalbe  unter  dem  Bauch  der  Kuh  hinwegfliegt,  so 
gibt  letztere  blutige  Milch.  2.  Sieht  man  am  Morgen  des  St.  Georgstages 
einen  frischen  Beilhieb  am  Torpfosten,  so  haben  Hexen  die  Milch  der  Kuh 
genommen;  um  sie  von  Melktieren  fernzuhalten,  steckt  man  am  Vorabend 
dieses  Tages  Dörner  aufs  Tor.  'X  Am  Freitag  und  Mittwoch  darf  man  keine 
Milch  vom  Hause  geben,  sonst  verliert  die  Kuh  ihre  Milch.  4.  Die  Braut 
muss  während  ihrer  Trauung  weinen,  damit  ihre  Kuh  viele  Milch  habe. 
5.  Damit  das  Kalb  nicht  berufen  werde,  soll  man  es  mit  etwas  Wagenschmiere 
einreiben.  6.  Trägt,  man  die  Pflanze  Löwenzahn  ins  Haus,  so  legen  die 
Hühner  nicht.  7.  Bruthennen  soll  man  an  einem  Fasttag  (Dienstag,  Freitag) 
setzen;  legt  man  die  Eier  aus  einem  Hute  unter  die  Bruthenne,  so  wird  sie 
mehr  Hähne,  legt  man  sie  aber  aus  einer  Schürze  unter  sie,  so  wird  sie  mehr 
Hennen  ausbrüten.  8.  Am  Freitag  soll  man  keinen  Sauerteig  aus  dem  Hause 
geben,  denn  man  gibt  damit  das  Glück  weg.  ü.  Wenn  man  das  geschlachtete 
Schwein  sengt,  soll  man  ihm  die  Ohren  nicht  abschneiden,  sonst  springt  es 
vom  Rauch  weg  (d.  h.  das  zum  Räuchern  aufgehängte  Fleisch  wird  gestohlen.) 
10.  Wenn  Jemandem  der  Krug  zum  trinken  überreicht  wird,  soll  er  ihn  auch 
wieder  an  seinen  Platz  zurückstellen,  sonst  bekommt  man  eine  so  grosse 
Nase  wie  der  Krug.  11.  Legt  man  das  Holz  mit  dem  dickeren  Ende  aufs 
Feuer,  so  wird  in  dem  Hause  stets  nur  halbes  Glück  sein.  12.  Läuft  einem 
n  Hase  über  den  W  eg,  so  wird  man  Unglück  haben.  13.  Begegnet  man 
auf  der  Fahrt  einem  Pfaffen,  soll  man  ihm  eine  Handvoll  Heu  nachwerfen. 
14.  Auf  wessen  Rocken  zu  Weihnachten  sich  Werg  befindet,  der  bekommt 
vom  Engel  was  Übles  zum  Geschenk.  15.  Kraut  soll  man  nicht  am  Samstag 
einsäuern,  denn  es  wird  weich,  verdirbt.  16.  Es  ist  eine  Sünde,  der  Sonne  zu 
zu  kehren  (den  Kehricht).  17.  Wer  nach  Sonnenuntergang  den  Kehricht  aus 
der  Stube  trägt,  bekommt  Koptweh.  18.  Ferkelt  die  Sau  zu  Neulicht,  so 
bekommen  die  Jungen  grosse  Hauer,  die  man  ihnen  abbrechen  muss. 
19.  Zu  Neulicht  ist  es  nicht  gut,  Pflanzen  zu  setzen;  sie  tragen  nur  Blüten 
und  keine  Früchte.  20.  Zu  Neulicht  »soll  man  die  Stube  nicht  weissein,  denn 
die  Wanzen  vermehren  sich  dadurch.  21.  Wer  im  Mondschein  schläft,  be- 
kommt Warzen  im  Gesicht.  22.  Bei  Gewitter  muss  man  läuten,  damit  es  sich 
verziehe.  2H.  Hagelt  es,  so  soll  mau  den  Ofenquast  und  die  Brotschaufel 
ins  Freie  legen,  eine  Axt  aber  in  die  Erde  schlagen,  damit  der  Hagel  auf- 
höre. 24.  Geht  die  Sonne  hinter  Wolken  unter,  so  regnet  es  am  nächsten 
Tag.  25.  Warzen  soll  man  uicht  zählen,  denn  sie  vermehren  sich  dadurch  ; 
hat  man  sie  schon  gezählt,  so  soll  man  sie  rückwärts  wieder  abzählen. 
2t>.  Halte  einen  Laubfrosch  so  lange  in  deinem  Busen,  bis  er  krepiert,  dann 

fiesse  auf  ihn  ein  Getränk  und  gib  dies  dem  zu  trinken,  dessen  Gegenliebe 
u  erlangen  willst.  27.  Will  man  zwei  Liebende  entzweien,  so  werfe  man 
eine  Handvoll  Staub  von  der  Stelle  zwischen  sie,  wo  sich  zwei  Hunde  gebalgt 
haben.  28.  Wenn  der  heiratslustige  Bursche  am  Morgen  des  Neujahrtages 
mit  dem  Fuss  an  den  Schweinestall  stösst,  so  heiratet  er  so  viele  Janre 
lang  nicht,  als  er  mit  dem  Fusse  anstossen  muss,  bis  das  Schwein  ein  Grun- 
zen von  sich  gibt.  29.  Am  Sylvesterabend  kippt  man  b  Töplcheu  um,  unter 
eines  legt  man  einen  Kamm,  unter  das  zweite  Haare,  unter  «las  dritte  Kohlen 
oder  Russ,  unter  das  vierte  Salz,  unter  das  fünfte  Brot,  unter  das  sechste 
einen  Ring.  Wer  nun  über  sein  zukünftiges  Ehegespons  etwas  erfahren  will, 
hebt  um  Mitternacht  eines  der  Töpfchen  auf:  ist  darunter  der  Kamm,  so 
wird  das  zukünftig  Gemahl  grosse  Zähne  haben ;  ist  darunter  Kohle  oder 
Russ,  bo  wird  er  schwarz,  sind  aber  Haare  darunter,  so  wird  es  alt  sein : 
befindet  sich  unter  dem  Töptchen  Salz  oder  Brot,  so  wird  es  reich  sein:  ist 
der  Ring  unter  dem  Töpfchen,  so  wird  es  schön  sein.  30.  Geht  man  in  ein 
Haus,  wo  sich  ein  kleines  Kind  befindet,  so  muss  man  dort  etwas  zurück- 
lassen, sonst  benimmt  man  dem  Kind  den  Schlaf.  31.  Setzt  sich  ein  Mann 
aufs  Wochenbett,  so  bekommt  er  Milch  in  seinen  Brustwarzen. 

Deva.  Mitgeteilt  von  Prof.  Sam.  Kolumban. 

•  Eine  magyarische  Intel  anter  Kunifcnen  im  Htmyader  Komitat  in  Siebenbürgen. 
S.  Kthnographia,  V.  8.  838. 

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2ÖC 


Splitter  und  Späne. 
Zipser  Beschwörungsformeln 

(auch  heut«  bei  Krankheiten  von  Weibern  angewendet). 

1.  Beim  Hotlau/.  „Rot,  rot,  rot:  lauf,  lauf:  weiss  von  Fleisch  und 
Blut,  wie  die  Sonne  am  Himmel  streichen  tut,  im  Namen  Gottes,  de* 
Vaters,  des  Sohnes  und  des  h.  Geistes."  Nun  wird  dreimal  auf  die  kranke 
Stelle  geblasen  und  der  Rotlauf  —  vergeht.  —  2.  Bei  Brand  tcund*ti.  „Im 
Namen  GotteH  des  Vaters,  den  Sohnes  und  des  h.  Geistes,  heiliger  Florian 
nehme  die  Schmerzen  weg4  und  die  Brandwunde  vergeht.  —  !i.  Bri  Schlangen- 
stichen. „Dovolali  pan  Jezus,  Panenko  Maria  hadovi  kuszat,  ale  ne  dovolali 
zleho  jadu  ospuseacz.  Im  Namen  Gottes  des  Vaters,  des  Sohnes  und  des 
h.  Geistes."  Zu  deutsch:  „Ks  erlaubten  Herr  Jesus.  Jungfrau  Mariader 
Schlange  zu  stechen,  aber  sie  erlaubten  nicht  das  böse  Gift  auszulassen.  Im 
Namen  ...  —  4.  Bei  Bfrrdeknlik.  „Ihr  Wurm  lein  seid  klein,  steckt  zwischen 
Haut,  Fleisch  und  Bein,  ihr  Würmlein  seid  weiss,  ihr  Würmlein  seid  blau, 
ihr  Würmlein  seid  rot,  den  Augenblick  sollen  sie  bleiben  todt*',  <bei  dem 
Wort  wird  ein  Händschlag  in  die  linke  Seite  des  Pferdes  geführt  und  dann 
fortgesetzt)  „Im  Namen  Gottes  des  Vaters,  des  Sohnes  und  des  h.  Geistes." 

Mitgeteilt  von  S.  Weber  in  Szepes-Bela. 

Die  Wunder-  und  Heilkraft  des  Frosches  in  der  Zips. 

161!»  wurde  in  Alt-Lublau  eine  Hexe  zum  Tode  veiterteilt.  Sie  machte 
unter  Anderem  das  freiwillige  Geständnis:  eine  Freundra,  Elise  Klischen, 
wäre  zu  ihr  gekommen  und  habe  sie  um  Hülfe  angesucht,  dass  ihr  Mann 
Elias  nicht  möchte  zur  Frau  des  Hans  Bittner  gehen.  Die  Hexe  Spelendrern 
belehrte  die  Freundin  nun  folgenderma&ssen :  „sie  solle  eine  grüne  Krott 
nehmen,  dieselbige  mit  Salz  beschütten  und  in  einen  Topf  legen,  und  wenn 
der  Saft  wird  von  der  Krott  gegangen  sein,  so  solle  sie  den  Tirnel  voraus 
in  der  Tür  besprengen!*'  —  Kin  getrockneter  Frosch  wird  dem  erkrankten 
Vieh  auch  heute  über  den  Rücken  gestrichen.  Auch  der  lebendige  Frosch 
spielt  in  der  Tierarzneikunde  des  Volkes  eine  Kolle.  Wird  das  Rindvieh 
gebläht  und  zum  Zerplatzen  gefährdet,  dann  wird  ihm  flugs  ein  lebendiger 
Frosch  zu 'Verschlucken  gegeben.  —  Die  Erinnerung  an  die  Hexe  starbauch 
nicht  aus.  Wer  einen  Frosch  an  einem  Fusse  beschädigt,  und  am  nächsten 
Tage  eine  Frau  mit  frisch  verbundenem  Finger  oder  einer  verletzten  und 
auch  verbundenen  Zehe  wahrnimmt,  der  kann  wissen,  dass  diese  Frau  eine 
Hexe  ist.  Mitgeteilt  von  Samuel  Wrber  in  Szepes-Bela. 

Zu  K.  Fäpai's  Aufsatz:  „Holzbau  in  Apatfalu". 

(Maasstab  1-800.) 


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Gegen  die  Gasse:  a)  Sitzbank.  Im  Hofe:  b)  Erderhöhung  läug^  der 
Traufe.  Aj  der  Flur:  darin:  c)  die  Leiter  zum  Dachboden;  d)  die  Wasserbank. 
B)  die  Küche;  darin  (wenn  der  Ofen  von  hier  geheizt  wird):  e)  die  grosse 
Ofenbank  mit  den  Ofenloch;  f)  das  Rauchloch:  g)  Bank,  C)  das  Haus,  darin: 
h)  der  Ofen,  dessen  Teile;  »>  der  Rauchfang;  j)  die  kleine  Ofenbank:  k>  der 
Sparherd  :  l)  die  Bratröhre;  m)  die  grosse  Ofenbank:  ferner:  n)  Stützpfoste*' : 
o)  der  Tisch;  p)  Bänke.  D)  Die  Kammer;  d  ariu  ;  <\)  Bettstatt ;  r)  Mehlla***« 
s)  Getreidekasten :  t)  Kleidertruhen.  E)  Kuhstall:  darin:  u)  die  Krippe :  r>  <iie 
Diele;  x)  der  Heukasten. 


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In  dem  Verlage  von  Emil  Falber,  Berlin,  8.  W.  Ltf,  Hallesohe-St  raa*e 
.  4.  ist  erschienen  und  dur>:h  alle  Buchhandlungen  zu  he/.iehen  : 

IDEALE  \\'ELTE  N 

NACH  ÜKANOGRAPHISCHKN  PROVINZEN  IN  WOBT!  I  M»  BILD. 
ETHNOLOGISCHE  ZEIT-  END  STREITFRAGEN 
NACH  GESICHTSPUNKTEN  DER  IN  J>  I  SCH  I.  N  VO  LK  E  R  K  V  N I » E 

von  A.  BASTIAN. 

Drei  Bände,  großes  8°  mit  22  Tafeln.  Ladenpreis  45  Mark. 


A.  B.  (Adolf  Baetian).  WIE  DAS  VOLK  DENKT.  Bin  Beiträgst» 
Beantwortung  socialer  Fragen,  —  hui  Grundlage  ethnischer  Elementargedan- 
ken  in  der  Lehre  v.oui  Menschen.   If&l   XVUl.  924  S  Qr  ffr  Preis  n  Mark. 

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VERLAG  VON  HEBMANN  COSTENOBLE  in  JENA. 


GESCHICHTE  DER  MENSCHLICHEN  EHE. 

Von  Eduard  Westermarok,  Dozenten  an  der  Universität  zu  Helsingfors. 
Einzig  autorisirte  deutsche  Auegabe. 

Aua  (i«ai  »ngliachen  von  Leopold  Kataober  und  Bomuloi  Oraler.  Bevorwortet 
von  Alfred  Batiul  Waliao«.  —  Kin  starker  Band   Gr.  V  von  40  Bogr>n.  IS  Hk.,  nh 

in  Halbfr.  14  Mk.  SO  Pf. 
Koin  Geringerer  aln  Alfrsd  Ru»tol  Wallaca  t>evorwortet  >iak  Werk  und  prophtosett, 
dasa  dio  originellen  Oarlogungon  Waatarmaroka  in  Flaiach  und  Blut  dar  Wissenschaft  übergeben 
wurden 

Wir  haben  ea  mit  •  inom  bei  aller  strengen  Wia  eeoaoba/tllcbkeit  höchst  an- 
stehend und  populär  geschriebenen  Bach  Über  einen  der  interessantesten  Gegenstande 
■  ler  Atifhropologi».  ru  ihun. 

Das  literarische  Centralblatt  und  die  atanchener  Allgemeine  Zeitung  haben  schon  langst 
auf  dieaea  hochbodontende  Werk  eingehend  hingewiesen  und  eine  gute  deutsche  He* 
arbeitung  gewünscht  und  ala  notwendig  erkannt 

Sprachvergleichung  und  Urgeschichte. 

Linguistix  h-historische  Beiträge  zur  Erforschung  tles  indogertnaui»chen 

Altertums.  Von  Dr.  O.  Bohrader. 
mm  Zweite  vollständig  umgearbeitete  und  beträchtlich  vermehrte  Auflage  — 

Ein  sehr  starker  Band  von  4")  Bogen  gross  8°.  14  Mk. 

Linguist iseh  historische  Eorschungen  zur 

BC and clage schlichte   und  Waarenkunde. 

Von  Dr.  0.  8chrader.  Erster  Teil.  8°.  Mk.  8.—. 

Ethnographische  Analogien. 

Eiu  Beitrag  zur  Oestaltungs-  und  Entwicklungsgeschichte  der  Religion. 
Von  Sofie  von  Torina.  1HÖ4.  8".  76  S.  mit  127  Illustrationen.  Mk.  4.—. 


Cirkvenio*. 

Seebad  and  klimatischer  Karort.  I1/,  Stunden  von  Fiume,  2  Standen 
von  der  Eitsenbahnnfation  Plase.  Angenehmster  Sommer-  und  Winteraufent- 
halt. Günstigste  Lage  am  Quarnero;  schönster  Punkt  des  herrlichen  Vino- 
doltales.  überaus  bequeme  und  heilkräftige  Seebäder.  Ungewöhnlich  billige 
Preise. 

Das  Kurort-Unternehmen  steht  anter  dem  werktätigen  Protectorate 
Seiner  kais.  u.  kön.  Hoheit,  des  Herrn  Erzherzog  Josef,  der  in  seinem  dor- 
rigen prachtvoll  gelegenen  Schlotte  ein  wohltätiges  Sanatorium  für  Honved- 
offietere  gestiftet  hat. 

~T  ~~~~  " 

An  Urquell.  Monatschrtft  für  Volkkund*.  Hera:  gegeben  vofc  **iedrich  $ 
Krau**.  (Wien,  VII.,  Neust iftgasse  12.)  Preis  j^nzjtUujg  4  Mark  ofar 5  Kronen. 
—  Diese  billigste  und  interessanteste  Zeitschrift  pte  Volkskunde  sei  allen 
Volksforachern  und  allen  Freunden  des  Vo*46tü  ullichen  aufs  angelegentlichste 
empfohlen. 


Bureau  der  Gesellschaft  für  die  Völkerkunde  Ungarns. 

Vorstand:  Graf  Geza  Kaum.  Vorstandstellvertreter:  A.  Herrmann  und 
B.  Munkacsi  (Geschäftsleiter).  äecret%r :  B.  Vikir  (Budapest,  Baross>titcza  40.}. 
Schriftführer:  G.  Nagy.  Cassier:  J.  Zolnai.  Bibliothekar:  J.  Jankö.  Redacteur 
des  Vereinsorgans  „Ethnographia* :  B.  Münk«  «i  (Budapest,  Zerge-utoza  27.) 


Mitteilung  der  Redaotion. 

Mit  diesem  Hefte  schliesst  der  III.  Band  (18^8— 18D4>  der  „Bthnologi- 
schen  Mitteilungen  aus  Ungarn".  Das  erste  Haft  den  Bandes  erscheint 
im  Jänner  1895.  Das  noch  rückständige  4.  Halt  des  I.  Bandes  wird  anfangs 
des  nächsten  Jahres  ausgegeben. 

INHALT. 

Dr.  Karl  Fdjtai,  Der  Typus  der  \3gfiw  (Schlass)  2dl 

Dr.  Friedrieh  S.  Kram*,  König  Mathias  und  Peter  Gereb.  Ein  bulgari- 

sches  Guslarenlied  aus  Bosnien.  VI.  Erläuterungen  (Schluss).  .  .  27k 
Dr.  Karl  Pdyai,  Der  Holzbau  der  Palovzen(Mit  einer  Illustration.  Schluss)  28» 

./.  K.  BQnker,  Heanzische  Sprichwörter  2M7 

Parallelen  ttnd  Bemerkungen  zu  Stellen  in  den  „Ethnologischen  Mittei- 
lungen aus  Ungarn44.  I.  Aus  Schleswig-Holstein,  von  //.  Garsten». 
-  II.  Aus  Elberfeld,  von  0.  Scheit.  —  HI.  Von  Frau  Jneefine  v. 
Fimkzjf.  —  IV.  Aus   W.  stpreuasen,  von  AI  Treichel.  —   V.  Von 


Dr.  M.  Mfier  291 

Dr.  Friedrich  S.  Kraus»,  Das  grosse  Sammelwerk  für  bulgarischen  Folklore 

(Schluss  2JH 

Samuel  Kolumbdn,  Magyarischer  Aberglauben  aus  Lösend  

Splitter  und  Späne.   Zipser  Beschwörungsformeln,   von  S.  Weber.  In« 

Wunder-  und  Heilkraft  des  Frosches  in  der  Zips,  von  &  Weher  .  • 


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