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Full text of "Sexualleben und Nervenleiden"

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Sexualleben 

und 



Nervenleiden 





Leopold Löwenfeld 




Library of 

Dr. Martin Krotoszyner 



SEXUALLEBEN 

NERVENLEIDEN. 

VON 

Dr. l Löwenfeld. 



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SEXUALLEBEN os^ 



UND 

wj NERVENLEIDEN. 

DIE 

NERVÖSEN STÖRUNGEN 

SEXUELLEN URSPRUNGS. 

iNEBSl EINEM ANHANG 
Ober 

PROPUUäX£ UKD BEHÄNDLUMG der S£Xü£LL£N li£üfiAäIU£l(I£ 

VON 

Dr. l Löwenfeld, 

SPKZIALARZT FQR NERVkNKRANKBEITEN IN MONCHEiT. 



I/I£RT£ VÖLLIG UMQEARBtlTETE UNO SEHR VERMEHRTE AUFLAGE. 



WIKSBADEN. 
VERLAG VON J. F. ßERGMANN. 
19i>6. 



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Alle Rechte vorbehalten. 



Kgl, Uni veniUto- Druckerei von II. SlOru, Wflrtburff. 



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Inhaltsübersicht. 



Seit« 

Vorwort ?urerstenAuflage Vtl 

V 1) r \v ü r t z 11 r z \v c i t e n A 11 1 1 a ^ e VII 

Vorwort z u r d r i tt en A ufi age IX 

VorwortzurvicrtenAuflagc. . . . X 

Vorbemerkungen i 

I. Sexualtrieb und l'ubcrtat^entwickluni; 6 

Aiiliaiig. Zur I'liysiologie dt's Srxiialtriebs 14 

lt. Die nervösen Störungen der Pubertätszeit 20 

III. Die nervösen und psychisclien Störungen der Menstruationszoit 23 
^Vnhang. Lintluss der Mcnstruatiou auf bestehende iNcrven - 

krankheiten und Psychosen 29 

IV. Die nervösen und ps)'chischen StörtiiiL;* n der Schwangerschalt 32 
Anhang. Uber den Einfluss der Schwangerschaft auf Neurosen 

und Psychosen 46 

V. Die nervOsen Störungen im natürlichen und künstlichen Kli - 

inakti riLim iKlimaklcrische Neurose) • 50 

VI. Die sexuelle Abstinenz beim Manti«.- . .. . . , .. .. . .. 6a 

VII. Sexuelle Abstinenz und Mangel sexueller Befriedigung beim 

Weibe 90 

VIII. Sexuelle Kxzesse und Ähnliche Schädlichkeiten 97 

IX. Onnnie . . , , . . . , , , . , . . , . . . LL2 

X. Der sexuelle Präventivverkehr ■ . . . 1^ 

XI. Uber den Kinfluss sexuellen V^erkehrs auf bestehend»- Nerven - 

krankheiten und die Disposition zu solchen .... 189 
XII. Krkrankungen der Sexualorgane bei Mflnnern als Ursache 

von Nervenleiden . 199 

Anhang. Uber Pollutionen und pollutionsartigc Vorgange bei 

beiden Geschlechtern i;o4 

XIII. Krkrankungen der Sexualorgane bei Frauen als Ursache von 

Nervenleiden 2i«> 

XIV. Die Freud'^che Theorie von der Sexualität in der Ätiologie 

der Neurosen 237 

XV. Eigene Untersuchungen über die sexuelle Ätiologie der neu - 
rotischen Angstzustande 256 



VI 



Inbaltsüber!* ich t . 



XVl. Die Anomalien des Sexualtriebes 267 

L Quaatilative Anomalien des Geschlechtstriebes a68 

A. Mangel und krankhafte Herabsetzung des Geschlechts* 

tricbcs. 

Sexuelle Anästhesie, Anaphrodisic (Lulenburg) . . . a68 
Krankhafte Steigerung des Geschlechtstriebes!. 
Sexuelle Übererregbariceit. Sexuelle Hyperästhesie, 

sexuelle Hyperlagnie (Eulenburg), Lil>ido nimia . . . 270 
IL Qualität; vr Anr^malien des Geschlechtstriebes a8a 

A. Homosexualität 

KoDhrSre Sexualempfindung a6a 

L KontrAre SexualempHndung beim Manne. 

I 'r.inisnius, I 'rn!n<^tiim Sfla 

IL Die kontrare Scxualemptindung beim Weibe. 

(Viraginität, Maskulinität, Gynandrie) . . . 301 

B. Substitutive Formen heterosexudler Perversion. 
Geschlechtlicher SymboUsmus 307 

I. Fetischismus 307 

IL Andere subsiiiuuve Formen heterosexueller Per- 
version. 

Exhibitionismus 319 

C. Algolagiiic. 

Sadi.smu-s und Masochismui* 330 

I. Sadismus 32a 

IL Maaochismus 33a 

Anhang. Periodisches Auffareten von Anomalien des 

S« xualtricbes 339 

XVIL Prophylaxe und Behandlung der sexuellen Ncurastlienie . . 343 

Uteratur 388 

Sachregister 397 



Vorwort zur ersten Auflage. 

Ob die Schrift, welche ich hiemit der Öffentlichkeit Ober- 
gebe, einem allgemeiner gefühlten Bedürfnisse entgegenkommt, 
weiss ich nicht. Dass sie aus einem subjektiven Bedürfnisse 
des Verfassers hervorgegangen ist, kann ich dagegen versichern. 
Dem noch immer erheblichen Widerstreite der Meinungen über 
die Rolle, welche sexuelle V'organ^'e als Ursache von Nerven- 
krankheiten spielen, und dem bei Behandlung einzelner ein- 
.sciilägiger I'Vagen in der jüngsten Literatur liekundcten wenig 
kritischen Eifer ijegenüber scheint es nur am 1 laize, die Tat- 
sachen zu Worte kommen zu lassen, welche eine streng objek- 
tive Sichtung meiner eigenen Erfahrung wie des in der Literatur 
angesammelten Beobachtungsmateriales ergab. 

München im Mai 1891. 

L. Löwenfeld. 



Vorwort zur zweiten Aul läge. 

Die zweite Auflage der Schrift ,,Nervöse Störungen sexuellen 
Ursprungs*', die ich hiemit der Öffentlichkeit übergebe, weist 
gegenüber der ersten derartige Veränderungen auf, dass man 
fast von einer neuen Arbeit sprechen kann« Die Zahl der 
Kapitel ist von 6 auf 14 gestiegen, und die von der ersten Auf- 
lage übernommenen Abschnitte haben zum grössten Teil eine 
weitgehende Umarbeitung erfahren. Dem Texte wurde eine 



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vin 



Vorwort 2ur zweiten Auflage. 



grosse Zahl von Beobachtungen emgctügt, welche meinen Aus- 
führungen als Belege dienen werden. 

In den 8 Jahren seit dem Erscheinen der ersten Auflage 
ist die Literatur, welche sich mit den verschiedenen Problemen 
des Sexuallebens beschäftigt, bedeutend angewachsen. Auch 
Ober die der Sexualsphäre angehörenden und mit derselben 
ursächlich xusammenbängenden Nervenkrankheiten wurde eine 
grössere Zahl von Arbeiten und darunter manche wertvolle 
publiziert. Hiedurch ist jedoch meines Erachtens die hier vor- 
liegende Schrift in keiner Weise QberflQssig geworden. Dieselbe 
behandelt ein sehr wichtiges Gebiet der Nervenpathologie, das 
in keinem anderen Werke unserer g^enwärtigen IJteratur eine 
selbständige Beart>eitung erfahren hat: die Ätiologie und Sym- 
ptomatologie der Nervenkrankheiten, welche in der Sexualsphäre 
ihre Quelle haben. Der Leser findet hier, abgesehen von den Ergeb- 
nissen meiner eigenen, den Gegenstand betreflTenden Erfahrungen, 
in zusammenhängender Darstellung vereinigt, was er sonst nur m 
zahlreichen Arbeiten zersttcut fmdcn kann, Durch gleichmässige 
und streng kritisclie Bot ücksichtigung der Liter.it ui ^<i .\\ ie meiner 
perstinlichen Beobachtung liabe ich auch auch t>einuht, eine voll- 
stänifit,'e Übersicht üb» r den derzeitigen Stand unseres Wissens 
auf dem von mir bchandrltcn Gebiete zu j^eben. 

Die erste Auflage hatte sich in den Kreisen der Fach- 
genossen einer freundlichen Aufnahme zu erfreuen. Bezüglich 
der hier \orliegenden zweiten Auflage glaube ich mich der 
Hoffnung hingeben zu dürfen, dass man, wie immer auch das 
Urteil Ober die Einzelheiten meiner Ausführung lauten mag, 
jedenfalls das ernste Bestreben meinerseits nicht \*erkennen wird, 
unsere Kenntnis der in der Sexualsphäre wurzelnden Nerven- 
leiden zu fördern. 

München, im März 1699. 

L. Löwenfeld. 



L.ijiu<_cü üy Google 



Vorwort zur dritten Auflage. 



Die hier vorliegende dritte Auflage weist ihrer Vorgängerin 
gegenfiber nicht nur lahlreiche kleinere Zusätie und Änderungen 
In den einselnen AtMchnitten, sondern auch eine Erweiterung 
durch ein neues Kapitel auf, das den Anomalien des Sexual- 
triebs gewidmet ist. Zur Besprechui^ dieser Anomalien ^er« 
anlasste mich sowohl das mediiinisdie Interesse, welches den- 
selben an sich zukommt, wie deren Bedeutung als nervenschädi- 
gendes Moment. Ich war auch bei Abfassung des neuen Kapitels 
in der Lage, meiner Darstellung sum grossen Teile eigene Be- 
obachtungen zu Grunde zu l^en, und darf wohl annehmen, 
dass durch dieselbe die Schrift eine fQr den Praktiker wertvolle 
Ergänzung gefunden hat. 

Der Arzt hat gegenwärtig mehr denn je Veranlassung, sich 
mit den Problemen des Sexuallebens ernsthaft zu beschäftigen. 
Wohl und Wehe l iigezahlter hängt von der Gestaltung ihres 
Sexuallebens ab, und wenn wir auch nicht alle Misstände auf 
diesem Gebiete veihütcn oder beseiligen k^innen, so sind wir 
(if)ch oft genug in der Laj^c, durch imseren Rat in sexuellen 
Angeh^feiiheiten G« sundhcitsst( irungen hintanzuhalten, oder be- 
stehende L!>el durch unser I'^m^reiten zum Schwinden zu bringen. 
L'm den Antorderuniien der Praxis in dieser Hinsicht genügen 
zw können, nmss der Arzt selbstverständlich mit dem derzeitigen 
Stande unserer Kenntnisse über die Beeinflussung des Nerven- 
systems durch Zustände und Vorgänge in der Sexualsphärc ver- 
traut sein. Was auf diesem Gebiete die Mitteilungen in der 
Literatur der letzten Jahre und meine eigene fortschreitende Er- 
fahrung gelehrt haben, fand in der vorit^enden Auflage sorg- 
fältige Berücksichtigung. 

München im Oktober 1902. 



L. Löwenfeld. 



Vorwort zur vierten Auflage. 



Die Probleme der Physiologie und Pathologie des sexuellen 
Lebens bilden, fortgesetzt einen Gegenstand besonderen ärzt- 
lichen Interesses. Diesem Umstände wurde auch in der hier 
vorliegenden vierten Auflage tunlichst Rechnung getragen Die- 
selbe weist neben mehreren neuen Abschnitten zahlreiche Ände- 
rungen und kleinere Zusätze auf. Die Erweiterungen betreffen 
die Physiologie des Sexualtriebes, die nervösen und psychischen 
Störungen der Schwangerschaft und eine kurze Darstellung der 
Freud 'sehen Theorie Ober die Rolle der Sexualität in der 
Ätiologie der Neurosen aus der Feder des Autors. 

Unter den N«ierungcn, welche die vorliegende Auflage 
bringt, möchte ich hier nur die Verwertung der chemischen 
Theoi^ie des Sexualtriebs auf pathologischem Gebiete erwähnen. 
So hypothetisch auch die Anschauungen sind, zu welchen 
ich auf diesem Gebiete gelangen konnte, so sind dieselben doch 
das Ergebnis vielfacher Erwägungen, und ich darf daher wohl 
hoffen« dass sie von den Fachgenossen einer Prüfung wert er- 
achtet werden. 

München, Dezember 1905. 

L. Löwenfeld. 



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Vorbemerkungen. 



Die Vorgänge des sexuellen Lebens stehen unter dem 
Einflüsse des Nervensystems; sie sind von der Funktion gewisser 
zentraler Apparate abhängig. Von Budge, Eckhard und Goltz 
wurden auf experimentellem Wege Zentren für die Akte der 
Erektion und Ejakulation im Lendenmark von Tieren nachge- 
wiesen, und es unterliegt keinem Zweifel, dass in dem gleichen 
Markabschnitte beim Menschen ebenfalls Zentren für den Ge- 
schlechtsakt vorhanden sind. Auch in der Grosshirnrinde hat 
das sexuelle Leben seine Vertretung; die demselben angehörigen 
psychischen Geschehnisse, Vorstellungen, Gefühle und Dränge 
sind jedenfalls an gewisse kortikale Territorien gebunden. Ob 
jedoch eine einhcitliclu-, umschriebene Zentralstelle für den Ge- 
schlechtssinn in der Cir« »s^hii nrinde existiert, blieb bis in die 
neuere Zeit >:weil"clhaft ' ». Die Ihciiie Galls, nach welcher 
das Kleinhirn den Sitz des Fi rtjiilanzungstriebes beherbergen soll, 
ist schon lange als irrtümlich erkannt. Ferrier glaubte aus 
gewissen cx{)erinientellen Tatsachen schliessen zu können, dass 
die Zentren der sexuellen V<irstellungen w ahrsrhcinlicli in jenen 
Regionen des Gehirns zu suchen seien, welche den 1 iinterhaupts- 
lappen mit dem tieferen und inneren Teile des Schläfenlappens 



So hielt ca z. B. v. K raft t-Ebing für gerechtfertigt, als Stelle für die 
Ati-slf'i-iin;^ -sexual IT Gefühle, Vorstellungen uml Dränge eine bestimmte Region der 
Hirnrinde (zerebrales Zentrum) zu vermuten. J, Roux (Psychologie de l'Inblinct 
sexual, Paris 1899) erachtete e« dagegen (üt nuttlo«, nach «iocm bestimmten Zentrum 
fttr die sezudle Funktion im Gehirn zu suchen, da ein solches Zentrum nicht existiert. 

L0w«afeld, SeaueU-aen.'Sie StiSniagea. Vierte Aufl. 1 



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2 



Vorbemerkungeo. 



verbinden. Die fraglichen Beobachtunj^en Fcrrier's sind jedoch 
mehrdeutiger Natur*) und die darauf basierte Vermutung hat 
bisher weder durch physiologische, noch durch pathologische Be- 
obachtungen eine weitere Stütze erhalten. Nach Flechsig sind 
die Wollustgefühle, „soweit sie durch die Haut und Schleimhaut 
der äusseren Geschlechtsteile %*ermittelt werden", in der Körper- 
fühlsphäre (Zentralwindungen, hintere Partie der Stimwindungen, 
Parazentrallappen, gyrns fornicatus) lokalisiert, da auch diese Teile 
der Körperoberfläche bei Zerstörung des Stabkranzes der Körper- 
fühlsphäre unempfindlich werden. Ob jedoch auch der Geschlechts- 
trieb, welcher von den inneren Sexualorganen, insbesondere den 
Keimdrüsen abhängt, in der Körperfühlsphäre repräsentiert ist, 
hält der Autor für fraglich. Neuerliche Experimente an Tieren 
haben zwar die Existenz eines umschriebenen Rindenzentnims 
für den Geschlechtstrieb beim Menschen sehr wahrscheinlich ^'e- 
macht, für die La^'e desselben jedoch keine 1 ingorzci<*e j^eliefLi t ■ j. 

Nach den Untersuchungen Eckhard 's und G<»lt/s an 
Tieren stehen das Gehirn inid .lir li iheren Rückenrnail;sali.schniltc 
mit den genitalen Ruckcnnias k>/t ntren durcli Bahnen in Ver- 
bindung, welche diesen erregende und henunende Einflüsse über- 
mitteln. Pathoi* li^ischt Tatsachen und Erfahrun;^en des tät- 
lichen Lebens lehren, dass solche Verbindungen zwischen den 
höheren Zentralteilen und den si)ina]<'n Zentren des Geschlechts- 
aktes auch beim Menschen existieren l;< i Erkrankungen und Ver- 
letzungen höherer Rückenmarksal)schnitte werden Erscheinungen 
sexueller Keizun^^ andauernde Erektionen, selbst Samenergiess- 
ungen) beobachtet ; bei Rückenmarksaffektionen mit ausgedehnterer 

') S. Fcrrier, Die FuuklioncD des ücbirus, deutsch von Obcrstcincr 
1879, Sw ai6; uml Philosophical TransactioM oF the Royal Society of Londoo, 
Tol. 165, p. 484. Eid AlfCi welchem Fcrrier 'lie Hinte ih.iui>t>lap}>en tlcs 
Gt'liirns alijjetrageo hatte, maihte naih der <])]i<-ration wicletbolt einem mfinnlichcn 
GclMirtcn ^f^enüt)or Vcr^^uchc sfMicller Aniiabemn^. Kciricr ;;laubt dies auf 
Heizung eines ZcnUums fiir die .«.exuellcu EtnptinUungen in Ucr Xacbbarschafl der 
Lä9ioRS9teUe beziehen cu dArfen. 

L. Pttssep: (Über die Gebirn/entic» (ier Eiektion des Penis und der 
Samenabsonderurif;, ihs^^.■rt >t Ion I002 St. lV-Ktsb>it i Pusscp fand bei Hunden 
tine unmittelh.>r hinter dem Snlais cruci.Uus g<.Jci;i no kleine Kindenstcllc, deren 
tickliiscbc Kcwung Ereiition und Ejakulation und deren Ex^ttrputioa Seilwinden 
der Libido «ur Folge hatte. 



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Vorbemerkungen. 



3 



Leitungsunterbrechung kommt es mitunter bei KinNvirk\in<4 peri- 
pherer Reize, die unter normalen Verhältnissen sich unwirksam 
zeigen, zu reflektorischer Auslösung von Erektionen. Wir wissen 
ferner, dass psychische Vorgänge, Vorstellungen sinnlichen In- 
haltes, geschlechtliche Erregungen wachrufen, dass aber ebenso 
gut gewisse Vorstellungen vorhandene sexuelle Regungen hemmen 
oder deren Eintritt verhindern können. Indess sind es nicht 
blos xentrifugate, sondern auch zentripetale Bahnen, welche die 
Lendenmarkszentren mit dem Gehirne verknüpfen. Die Nerven, 
welche die Sexualorgane versorgen, laufen in den Lendenmarks- 
zentren zusammen, und so strömen die Erregungen, welche von 
diesen Organen dem Gehirne übermittelt werden, zunächst in 
diese Zoitren, um von hier aus erst nach oben geleitet zu werden. 

Der innige Konnex der einzelnen Zentralteile unter ein- 
ander bedingt es, dass Tätigkeiten und Zustände des einen 
Teiles nicht ohne Belang für die übrigen sind. Erschöpfende 
Inanspruchnahme eines Zentrums wirkt erschöpfend auf das 
Nervensystem im Allgemeinen, Steigerung der Erregbarkeit eines 
Teiles ^ieht ähnliche Vei äiuioi uni;cn in anderen Zentralteilen 
nach sich. Vei^leiclien wir die Intensität und AuslireitunL; der 
Krret;ungen, die sich an die Funkt kui der genitalen Lenden- 
mark^zenlren beim (jeschlechl^akle oder bei der Sainenentlee- 
rung überhaui't knüpfen, mit der jener Erregungen, welche /. Ii. 
die Entleerung der Blase und des Mastdarms oder die 1 ätigkeit 
des Magens begleiten, so sehen wir, dass die sexuell-nervösen 
Vorgänge an sich besonders geeignet sein müssen, das Nerven- 
system in weitem Umfange und in intensivster Weise zu affizieren. 
Ebenso zeigt sich, dass die von den Generationsorganen den 
Lendenmarkszentren kontinuierlich zufliessenden und deren Er- 
regbarkeitszustand modifizierenden Eindrücke von grosser Be- 
deutung für das Nervensystem im Allgemeinen sind. Es genügt 
hier ein Hinweis auf die Veränderungen der Gemütslage und 
Vorstellungswelt bei männlichen und weiblichen Individuen 
während der Pubertätsperiode, den Einfluss der Kastration auf 
den Charakter bei Menschen und Tieren und die Störungen in 
den verschiedensten Nervengebteten infolge gewisser Erkran- 
kungen und abnormer funktioneller Zustande der Sexualorgane. 



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4 



Vorbe«Mrkiiii(eii. 



Die Natur hat den Akt, an welchen sidi <fie Erhaltung 
der Art knüpft, mit Sensationen ausgestattet, deren Be- 
sdiaiTenheit viele Personen bestimmt, den Genass derselben 
unabhängig von irgend welchen weiteren Zwecken zu erstreben. 
Dies führt sowohl zur Unmässigkeit im sexuellen Verkehre wie 
zu sexuellen Verirrungen, deren Kosten in erster Linie das 
Nervensystem zu tragen hat. Andererseits ist das, was man 
gewöhnlich als >cxucllc> Bedürfnis bezeichnet, nicht ein so 
klar und unzweideutig sich kundgebender Zustand wie bei den 
meisten anderen Ikdürfnissen. Wenige Menschen sind im Zweifel 
darüber, ob sie gewisse Gefühle als Hunger oder Dur^t deuten 
sollen, und das Uedürfnis der Nahrung^- und Getränkeaulnahme 
wird \()n Niemand geleugnet. Dagegen i7iachcn sich sexuelle 
Regungen auch nach der Pubertät sjK riode noch bei sehr vielen 
Personen (insbesondere solchen weiblichen (Geschlechts) nur in 
nebelhaft ver>ch\vcunmener Wei<^e oder in völliger Idealisierung 
bemerklich, in l-'orm eines gegenstandslosen Sehnens oder einer 
Ciefühisschwärmerei für Personen oder Dinge, deren innerer 
Wert zum leil den entgegengebrachten Kultus nicht recht- 
fertigt. In den Fällen hinwiederum, in welchen Gefühle vor- 
handen sind, welche unverkennbar auf sexuelle Erregtheit hin- 
weisen, m»Vgen diese ebensf>\\ ohl durch die J-^inwirkung von Vor- 
stellungen auf die genitalen Zentren des Lendenmnrke< als durch 
auf rein somatischem Wege erzeugte Erregungszustände der 
spinalen und kortikalen Sexual/entren bedingt sein. So kommt 
es, dass manche ihre sexuellen Leistungen psychisch erzeugten 
d. h. imaginären Bedürfnissen anpassen, während andere durch 
äussere Verhältnisse oder irrtümliche Anschauungen verhindert 
werden» dem physiologischen Drange ihrer Natur Rechnung 
zu tragen. 

Alle diese l 'mstünde machen es begreiflich, dass Vorgänge 
im sexuellen Leben häufig L'rsache von Störungen im Nerven- 
system werden. In der Tat hat sich bereits von altersher die 
Aufmerksamkeit der Arzte auf die nervösen T.eiden gerichtet, 
welche durch geschlechtliche Tätigkeit oder Zustände d r Ge- 
neration sorgane hervorgerufen werden. In der Neuzeit, in welcher 
die Lebensverhältnisse und angeborene Konstitution das Nerven- 



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VorbemerkiUBgeii. 



5 



System bei einer ungeheueren Anzahl von Menschen für Reize 
jeder Art empfanglicher machen, drängt sich dem beobachtenden 
Arzte der Zusammenhang vieler nervöser Erkrankungen mit Vor« 
gängen und Zuständen in der Sexualsphäre in überzeugenderer 
Weise auf als wobl je in früherer Zeit. Auf der anderen Seite 
haben wir aber auch in neuerer Zeit für viele Nervenübel, deren 
Quelle man früher auf geschlechtlichem Gebiete suchte, andere 
Ursachen kennen gelernt. Im Nachstehenden werden wir die- 
jenigen Verhältnisse des sexuellen Lebens und pathologischen 
Veränderungen der Genitalorgane besprechen, welche am häufig- 
sten zu Störungen im Nervenbereiche fuhren, deren patho- 
genetischer Einfluss sohm das Interesse des Arztes am meisten 
in Anspruch nimmt. 



L 



Sexualtrieb und Pubertätsentwicklung. 

Jener mächtige Naturtrieb, von dessen Betätii,'un<,' bei Mensch 
und Tier die Fortpflanzung^ der Art abhängt, hat beim Kultur- 
menschen durch dessen fortgeschrittenere Intelligenz, die sozialen 
und kulturellen Verhältnisse gewisse Modifikationen erfahren. Man 
nimmt gewcihnlich an — urs{)rünglich mag es auch so gewesen 
sein — dass der Geschlechtstrieb sich aus zwei ihrem Wesen 
nach verschiedenen und auch für die Erhaltung der Art nicht 
gleich wichtigen Partialtrieben zusammensetzt: der Libido sexualis 
(Begattungs- , Kopulationstriebl und dem Fortpflanzungstriebe. 
Bei dem zivilisierten Manne der Jetztzeit beruht jedoch das Ver- 
langen nach Nachkom menschaft, wo dassell)e überhaupt vor- 
handen ist, in der Regel lediglich auf vollbewussten, kühlen 
Überlegungen, denen nichts Triebartiges anhaftet. Für ihn 
reduziert sich daher der (ieschlechtstriel) auf die Libido, die 
sich jedoch nicht mit dem Begattungstriebe deckt, sondern 
allgemeiner als Trieb zur Erlangung der spezifisch-sexuellen 
Wollustgefühle und zur Beseitigung gewisser, der Sexualsphäre 
entstammender l'nlustgefühle aufgefasst werden muss M. Diese 
beiden Komponenten sind in der Libido des Einzclindividuums 
je nach der Stärke derselben, der Gestaltung seines sexucllon 
Lebens (Abstinenz oder Xichtal)stinenz), seiner psychischen 

') Die Libido dc> Masturbantcn. die nicht ausser Betracht hlciiicn kann, jst 
kein Be|;aUun>;5tricb, sondern icdijjlich ein Trieb zur Herbeiführung gcvi-i>.ver 
sexueller Lustgefühle und im Grunde auch zur Beseitigung gewisser der Scxual- 
sphäre entspringender Unlustgcfühle, 




1 



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Sexualtrieb und PubetUitseulwicklung. 



7 



Veranlagung und anderen Umständen in sehr iiiv^lcichcr Weise 
vrrtrrtrn, und es kann zeitwfiüg oder auch dauernd ledic^lich 
die eine Komponente mit Au>schhis,s der anderen sich gehend 
machen. So reduziert sich z. B. für den ethisch hochstehenden 
in Abstinenz !el)enden Mann die Libido im wesentlichen auf 
die zweite Komponente, während für das sinnlich vcrnnlaytc In- 
dividuum mit häufigem sexuellem Verkehr dieselbe im wesent- 
lichen durch die erste Komponente gebildet wird. 

Auch bei dem geistig normalen zivilisierten Weibe der Jetzt- 
zeit kann von einem eigentlichen Fortpflanzungstriebe nicht die 
Rede sein. Das Verlangen nach Kindersegen mag sich bei dem- 
selben in sehr lebhafter Weise und unabhängig von irgendwelchem 
sexuellen Begebren einstellen, bekundet sich auch häufig schon 
vor der Entwictdung irgend eines Grades von Libido sexualis. 
Hiebet handelt es sich jedoch um Äusserungen des mütterlichen 
Instinktes, der sich schon im späten Kindesalter oft in deut- 
lichster Weise kundgibt (Bemotterung jüngerer Geschwister, 
Zärtlichkeit gegen fremde Kinder etc.) und eine sehr bedeutende 
Entwicklung aufweisen kann, während die Libido sexualis sehr 
gering ist oder auch noch ganz fehlt. 

Moll sondert den Geschlechtstrieb in SPartialtriebe: Detumeszenz* 
trieb und Kontrektationstrieb. Ersterer ist auf Beseitigung der Spannung 

dpf Srxtinlorsjari'" gerichtet, letztrrer auf k<"rpi rliche Berührung einer 
Person, gewöhnlich des anderen Geschlechtes. Moll hat die Bezeichnung 
Detumeszenztrieb aus dem Grunde gewählt, weil den Geschlechtsakt 
eine Abschwellung beschliesst. Er legt hiebei jedoch auch auf die 
llcrausbcfördening des Samens Gewicht. Diese beiden M.wiitntt >ind 
jedoch nicht d;i^ Ofijf^kt fl*;s Triel" '.; wfdrr dir .\ti--chw( linni; des 
äusseren genitnlr beim Manne, noch die Anhäufung von Sperma sind 
für die Anregung der Libido nötig. Diese kann auch bei Impotenz, i. e. 
Mangel der Erekttonsfthigkeit sehr wohl bestehen und kurze Zelt nach 
Wied' I In ilti I Kohabitation sich schon wieder geltend machen, in Fallen 
als>i. in \vi Ichen von einer Spermaanhä'ifunu; keine R> d- «ein kann. 
Andererseits wissen wir, dass die mechanisch bedingten morgendlichen 
Erektionen, auch wenn sie sehr kräftig sind, mit keiner Libido vcr- 
knOpft sind, d. h. keinen Detumeszenstrieb auslösen. 

Was den Moll 'sehen Kontrektationstrieb betrifll, so füllt derselbe 
bei der Lüiidr. viel- r Masturbanten ganz weg; es gilt die*^ insbesunders 
für jugendliche Individuen, welche sexuellen Verkehr noch nicht .^^i pflogen 
haben. Ausserdem ist der Trieb nach körperlicher Berührung von Indi- 
viduen des anderen Geschlechts bei Männern äusserst verschieden ent* 
wickelt und beim weiblichen Geschlechte im allgememen geringer als 



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3 Sexualtrieb und Pubertätscntwicklung. 



beim rolmiliclieii. I^ser Trieb kann sdion im Kindesalter vor da* Ent- 
wii^eliing der Litudo sezualis sich geltend machen und nach dem 

Schwinden derselben und der Potenz im Greisenaltcr noch erhalten 
bleiben. Hierauf sind die von Greisen verübten unsittlii hcn H;indliinj!jen 
zumeist zurückzuführen. Dass der BerUhrungstrieb nicht eine der Libido 
gleichwertige Komponente des Geschlechtstriebes bildet, erhellt auch aus 
den Wirkungen der Befriedigung beider. Die Befriedigung des Be> 
rührungstriebes hat lediglich Steigerung der Libido zur Folge» wflhrend 
Befriedigung der Libido den Berührungstrieb aufliebt. 

Havelock Kl Iis saniert an dem Sexualtrie b zwr i Stadi- n od» r 
Prozesse: Tumeszenz und Detumeszenz. Der erstere hat das Ziel, eine 
gewisse sexuelle Spannung herbeizuführen, der zweite, diese Spannimg 
zur Entladung zu bringen und instinktiv das Ereignis herbdzuRlhren, 
durch welches die Art for^epflanzt wird. Der Tutnc^zenz[ji ozess beim 
Mnr^nf s>»ll zugleich das Ziel hat» ii. einf-n ähnlichen Vorgang beim 
Weihe t.itkktive Erregung und sexuell« l"urL:e-^zcnz) herheizufohren. 

Nach meiner AutTassung bilden die oben angefühlten Momente, 
Erlangung der spezitisch sexuellen WoUustgefiihle und Beseitigung 
spezifisdi sexueller Unlustgefähle, den Kern des Sexualtriebes» um 
weichen sich im EinzeUalle, je nach der Veranlagung des Individuums und 

der Ce-^taltUHi: seiner vita sexual"-^ andere Elemente von mehr oder 
weniger triebartisiem Charakter gruppi<-ren. Für die Untersciieidung 
emes besonderen Tumcszcnztriebcs als erster Phase des Geschlechts- 
triebes nach El Ii« gilt das Gleiche wie von dem MolTschen Konirek» 
tationstrirbc . \\>n einem auf HerbeinihruDg sexueller Spannung ge* 
richteten Truhe ist bei vielen zivilisierten Menschen nichts nacluvr :?bar. 
I>ie sexuelle Spannung stellt sich häufig iiüolge innerer und äusserer 
Vorging;« ein, ohne dass derselben ein bewusstes Verlanj^en vorhergeht, 
ja selbst trotz energischen Ankflmpfens gegen jede sinnlidie R^ung 
und Meldung jeder Gel« genheit, die solche herbeilbhren könnte. Man 
kr.nnte ~e-g.\rb'-i majuhen Individuen <tatt eines Tumeszenztriebes einen 
Atititunie^zenztrir h unterscheiden. Dagegen unterliegt es kerne m Zweifel, 
QASS aie sexut.Ilc Sponnur.g einen Trieb auslast, der auf Be:!'eiugang 
derselben gerichtet isL 

An Tereinzelten Vorgan j^cn, welche als Äusscrtin^en eines 
gewissen Geschtechtstriebes aufzufassen sind, mangelt es imd 

zwar unter r. nnalen Verhältnissen schon im &|>atercn Kindesalter 

nich: Krekti 'nen bei Knaben. Frcun<i!>chaft mit Liebe>farbung 
zu;-chen Kna^en u-^.d Manchen etc.'. Durch krankb.atte Zu- 
^tar.vic r.an-.e n:!!ch im Bereiche der Ger.italien i v. i.'natue', zu- 
fa!'-_:e Ii:r.\\ -kur.^en KnaSon z B- ^chKii^'e auf Jen Hinteren' 
ut-id \'e::,.:-.:ur.i^ k.-.nn die I-:b:d" in voller Starke auch schon 
Ici Kindern g^^-.veck: werden. In der Norm ist iedr'ch da^ 
deutliche Hervortre:en des St^xualinclc:? an eine geui^ae Au*- 



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Sexualtrieb und FuberlftUenlwicktung. 9 



bildung • — Reife — der Sexualorgane gebunden. Die Zeit, 
innerhalb welcher sich die Weiterentwicklung dieser Drgane von 
dem kindlichen Typus zu der für die Fortpflanzungszwecke er- 
forderlichen Reife vollzieht — Pubertätszeit — beginnt bei beiden 
Geschlechtern im Allgemeinen bei den Bewohnern j>üdlicher 
Länder früher, als bei den Völkern des Nordens. Ganz zuver- 
lässige Anhaltspunkte für das Bestehen dieser Unterschiede be- 
sitzen wir übrigens wesentlich nur für das weibliche Geschlecht, 
weil bei diesem der erste Eintritt der Menstrualblutung leicht 
festzustellen ist und den Beweis liefert, dass die sexuelle Ent- 
wicklung bereits eine gewisse Stufe erreicht hat. Während in 
unseren Breiten die Menses gewöhnlich zwischen dem 13. und 
16. Lebensjahre erscheinen, werden die Mädchen im schwedischen 
Lappland erst mit 18 Jahren, in Indien dagegen mit 12 Jahren, 
in Egypten schon mit 10 Jahren menstruiert. Bei männlichen 
Individuen beginnt die Pubertätsentwicklung, die, abgesehen von 
den Veränderungen im Sexualapparate, noch durch Tieferwerden 
der Stimme (Mutation), Bartwuchs und Haarentwicklung am 
Möns Veneris und anderen Stellen sich kund gibt, bei uns im 
Allgemeinen mit dem 15. oder 16. Lebensjahre, die volle ge- 
schlechtliche Reife wird ungefähr um das 18. Jahr erreicht*). 
Beim Weibe hält die Tätigkeit der Generationsorgane, an welche 
die Fortpflanzungsfähigkeit gebunden ist, Ovulation und Men« 
struation, im Durchschnitte 30 — 35 Jahre an. Der iMann gelangt 
erst um das 35. Lebensjahr zum Höhepunkt der Potenz; von 
dieser Zeit an sinkt dieselbe und zwar im ersten Dezennium 
wenig und langsam, im zweiten Dezennium dagegen schon viel 
erheblicher und noch mehr im dritten Dezennium, um gegen 
die Mitte der 60 er Jahre, wenigstens bei der Mehrzahl der 
Männer, zu erlöschen. Die Libido kann jedoch die Erektions- 
fähigkeit längere Zeit überdauern; auch mangelt es nicht an 
Männern, welche ihre Potenz bis in die 70er Jahre bewahren, 
wie es andererseits nicht an solchen fehlt, bei welchen schon 
Ende der 50er Jahre die Attribute der Virilität schwinden. 

^) Nach Scvcd Kibbiog fällt die FubcrUUzcit beim Manne mcibi 
swiscbeo das 17. und 21. Lebensjahr; diete Angabe kann jedoch nur fQr nCrd- 
liehe Lflnder wie Schweden Geltung beanspruchen. 



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tffit ';*htVn flf.x r»4*»ir liehen, d'<rr.h äussere Einvirkungeti 
»tu\i*'*:%uV,*tk%U'.n S«x*i;i>rf':(v» bd bdd«i) Gescbfechteni und in$> 
\,* \'$ti*i»'s*' \i^un •A»'{it\ifY»*tn \sX #:tn Falct'>r, dc^cn Beurteilung 
mti S' ftviri«'rff{l('Titrrn %\i'^M und über den daher auch die 

AunuUUiU weit «ij«»dnanrJer y*'h*:n. Während z. B. v. K raffte 
t'Jif fftf in fl«*ffl*' Iticn nmtm Naturtrieb erblickte, „der allgewaltig, 
\\U*'tm'At\}\% ttafJt KrHilltin^' vr;rlan($t/' und das Geschlechtsleben 
<h'M „|{(-w<ilti(;4ilrn l'aktor im individuellen und sozialen Da- 
M'iri"i iifn tfiiif lili);*tcn zur Betätigung und die Wurzel 

allri iMliik lNitiac1il4'tr, glaubt Ifcgar, dass der naturgemässe 
( it'ni hlncbtiitrifflt bei dem j(-t>;i^cn zivilisierten Menschen gar nicht 
Ml rH/r«iMv Mfllk Mii, alt er schildert wh-d, wohl aber durch 
kOii*!!!« Im, in unHfron gcrHclIxchaftlichen und kulturellen Zuständen 
iM'giOiMipln lMi<i;mn;rn ^{«•sitrij^crt wird. Aufschluss über die 
SltiiUr TilrlH s p,«'l>cn uns nur die subjektiven Empfindungen 
»«♦siH'Ilru |)iaii^»t"s und ihr tatsächlichen sexuellen Leistungen 
\\t*H i'Ui/rlnen ludividuunis, j'aUtoren, welche c rfalmin<^^^emass 
duith aiii'Mie l'iiillli-si' (suuilieh erregende Mmdiückc \eischic- 
drnnlei ( it leju'uheit /u p.esrhli clulichem Vorkehr etc i und 

iiim ie \ ( Prnk);ewohnheiten, reliiMtise, ethische, iiv^ie- 

\\\:\ h< ( .Miudvat/e) in diiei ItUensitäl, ic^i'rktp.e Frequenz cbenso- 
vNuhl i;« s(» i;;eii <iK heiabi;esei /t werden können. Da wir einen 
M.i-. .l.ib lUt du las,u iui»i; di's subiektiven 1 iii] iiiu!« ns sexu- 
\\\<.\\ l^ainn"> ^d>i 1 ilMdoi n\eht brsit.'eu. niu»<n wir, wenn 
UM ims V iiu- \\u Nlelluiivj \A>n dei Starke des Sexualtriebes bei 
.un>k n \l intu M> m d» n kiltiv-n vier ,;^^'■^•^ten kot pei liehen und 
■.v-\M« ''- M 1 ',,':',i:;kt it wi >-v"liatKMi U(.-',Ie!i. die Fteijui-Tu 

sie«. .s li\ . ' :> !u n b;M v.a':\'; :;d. i^'.oiohe;- Gelci^en- 

he'.t, ( e be> \'e;b.'n at>".v-t> tn l^ ; ae'~: : vviv-n l\i bei;.- „-u-n 
w u i\ ai!Tb»lUMHl>u t\ Sx l'.u.e';(vu:i^eu. k ;; l;.»". e er . r-ei:> ^^ v-.cr 
k>»* u (v ,>ven^u wvvv'V u,;oh th:vi Ve:*'.- - v r :: ^ : \ 




Sexualtrieb und Pubertltsenlwtddung. 



11 



jetzt im Dienste stehenden gesunden Beamten, welcher '^cit 
Reginn seiner nunmehr 24jähric^cn Elle nur (iuich schnittlich 
zweimal im Jahre mit seiner erheblich jün^^eren Gattin Verkehr 
pflog. Berücksichtigen wir auch den Umstand, dass manche 
Männer von Bcj^^inn ihrer Ehe an aus hygienischen oder anderen 
Rücksichten sich gewisse Beschränkungen im sexuellen Genüsse 
auferlegen, während andere dem momentanen Verlangen jeder- 
zeit ohne irgend welche Bedenken nachgeben, auch die sexuc IK n 
• Ansprüche der Fraiien sehr verschieden sind, so sind wir doch 
zu dem Schlüsse genötigt, dass die Libido bei normalen Männern 
ganz au«;Rprordentlichcn Schwankungen unterliegt. Auch gän?- 
licher Mangel des Geschlechtstriebes (Frigiditas) bei sonst völlig 
gesunden Männern ist beobachtet worden, doch sind Fälle dieser 
Art sehr selten 

Noch schwieriger zu beurteilen und daher noch kontroverser 
ist die Stärke des Geschlechtstriebes beim Weibe, bei welchem 
Sitte, Erziehung, und nicht zum wenigsten Erwägungen der 
Folgen geschlechtlichen Umganges auf eine Verhüllung des 
sexuellen FQhfens hinwirken. Wenn ich meine eigenen Erfahr- 
ungen berücksichtige, so scheint mir das von einzelnen Schrift- 
stellern wie Kisch zu Gunsten einer überwältigenden Gewalt 
des Sexualtriebes und speziell des Kopulationstriebes beim Wdbe 
Angeführte ebenso wenig auf allgemeine Geltung Anspruch zu 
haben als die insbesondere von He gar vertretene Annahme, dass 
die natürliche Neigung zur i)hysischen Liebe beim Weibe im 
Allgemeinen gering sei. Die sexuellen Funktionen spielen im Leben 
des Weibes eine weit grössere Rolle als beim Manne und 
sein Denken und Fühlen wird daher auch von der Scxualsi)härc 
aus mehr bcrintlus>t als dcs.Mannt":; trot/.tiem ist das Verlangen 
nach sinnlicher Befriedigung bei nonualcii weiblichen Wesen im 
Durchschnitte weniger lebhaft als f ieim Manne ; i ulschictien grösser 
ist bei demselben nur da» crotiM he hllcnient, das l'cduttnis, 
ideell zu lieben und geliebt zu werden, das zur Sexual-; tli iie. 
ebenso in Beziehung steht, wie das rem smnlichc Verlangen. 



') Hammond teilt zwei biebergehOrige Beobacbtongen mit. 



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12 



Sexujütrieb und Pubertäucntwkklnng. 



1 läufig werden Äusserungen dieses ideellen Bedürfnisses 
(Verliebtheit) irrtümlicherweise auf sinnlichen Drang zurück- 
geführt, der jedoch ganz fehlen kann, wo das erotische Element 
sehr ausgeprägt ist. Physiologisch mangelt die Libido gänzlich 
bei jungen Mädchen vor der Pubertätszeit und bei älteren Frauen. 
Dieser .Mangel der Libido hält bei Mädchen auch nach dem Eintritt 
der Geschlechtsreife noch unbegrenzte Zeit an, so lange dieselben 
von sexuellen Reizungen jeder Art unberührt bleit)en. In dieser 
Hinsicht besteht ein sehr beachtenswerter Unterschied zwischen 
den beiden Geschlechtern. Der Jüngling lernt im mannbaren 
Alter durch das Eintreten von Pollutionen specifisch sexuelle 
Lustgefühle kennen, infolge dieses Umstandcs kann sich bei 
ihm der Trieb nach Erlangung dieser Gefühle entwickeln, mit 
welchem der Drang nach Beseitigung der mit den Erektionen 
verknüpften Unlustgefühle sich verbindet — die Libido — . 

Bei normalen Mädchen fehlen Pollutionen und ähnliche 
Vorgänge in der Regel, die spezifisch sexuellen Gefühle bleiben 
ihnen daher das absolute I n c o n n u , weshalb es auch nicht zum 
Entstehen einer eigentlichen Libido bei denselben kommen kann 
und, soferne ein Verlangen nach sexuellem Umgänge auftritt, 
dieses sich nur als Begehren nach einem seiner Natur nach ganz 
unbekannten Genüsse charakterisiert. Der Zustand ganz fehlender 
Libiilu (absolute Frigidität) verbleibt aber bei einem nicht 
unerheblichen Teile der Frauen auch nach der Einleitung des 
Geschlechtsverkehrsund zwar für die Dauer — Effertz taxiert 
denselben auf 10% — und bei einem noch grösseren Teile 
ilerselben erhebt sich die Libido nie über ein .sehr bescheidenes 
Niveau (relative l'rigidität). •) Wenn Fürbringer geneigt ist, 
ilie Eigenschaft sexueller Frostigkeit sogar der grösseren Mehrzahl 
der deutschen 1 lauslrauen zuzuschreiben, so möchte ich ihm jedoch 
nur mit einer sehr wesentlichen Einschränkung beiptlichten. 

nie grosse Zahl aussi-relu licher Schwängerungen und von 
Verhältnissen mit geschlechtlichem Verkehr in unseien unteren 

') l'fixtri. »Ir-»« » Anj;«l»<*n nuI» hu( S» liwcirrtiniifn luvicluii. ciniittcllo 
uiUrr rs Kijiuon. Iki wrUlicn Pi. K w Ii » in St. li.illtn die 0|HMali.<n der 
K 11 » 1 1 II 1 10 n v.>ii:cii.'miiirii hrtttc. um W\ > i;.tii/luhrii Maiij;ol mul hei 8 sehr 
Ktiinur I nlwukUuij: dci I.il'ul.. mIi.«h v..i doi Oi-n.iiion. 



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Sexualtrieb nnd PabetUHtsentwicklung. 



13 



Hevolkcrun^'sschichten, wobei das Verlangen nach Kintlern im 
Allgemeinen keine Rolle spielt, die Fortpflanzung sogar sehr 
häufig direkt verhindert wird, spricht zu deutlich dafür, dass 
die geringe Entwicklung des Begattungstriebes sich bei den 
deutschen Frauen vorherrschend in den sozial höher stehenden 
Klassen findet. Wahrscheinlich wirken hier ererbte Anlage, 
Erziehung u. z. T. vielleicht auch der höhere Stand der Intelligenz 
zusammen, das Durchschnittsniveau der Libido hcrabzudrücken. 

Neben den frostigen Naturen finden sich jedoch beim weib- 
lichen Geschlecht — glücklicherweise allerdings verhältnismässig 
selten — Personen von grösster sexueller Leidenschaft, deren 
Bedürfnisse kein Mann befriedigen kann. Man darf jedoch das 
Messalinentum keineswegs als eine Erscheinung auffassen, welche 
noch in den Bereich der Norm gehört. Die gekrönten und un- 
gekrönten Messaiinen ^ind Entartete, welche neben ihrer unstill- 
baren Libido gewöhnlich noch andere Zeichen der psychopathischen 
Degeneration aufweisen. Unter den Prostituierten gewöhnlichen . 
Schlages findet sich wohl nur ein kleiner Teil, welcher dem 
Gewerbe durch exzessive Libido allein zugeführt wurde. Zustände 
gesteigerter sexueller Erregbarkeit können auch bei wohl erzogenen, 
ethisch völlig intakten Frauen infolge von Affektionen im Bereiche 
der Sexualorgane (Pruritus genitalis insbesondere) vor* 
kommen; hierdurch können sehr bedeutende Beschwerden ver- 
ursacht werden, allein ein liederlicher Lebenswandel muss keines- 
wegs die Folge sein 

M Seht ticil rul li.it H.iuieiling in seinem ,,Ahasver in Rom" die 
gro&scn Unterschiede in dem »exucUen Xemperaoientc der Fiaueu gekeimzeicbiiel ; 
„Das W«b ist'«, das fiiB Hen sucht, nicht Geauss, 
Dm Weib ist keusch in seinem tiefsten Wesen, 

Und was die Scham ist, weist doch nur ein Weib! 
Doch wird es fnTh, so ist es fifchT n'tch 
AU selbst der Ircchstc Faun, un<l wird a lüs>lcrn, 
Hat e« das Hecht der UnersattHchlMit ! 



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14 



Sexuatlneb und rubenat!><:ntWKkiung. 



Anhang. 
Zur Physiologie des Sexualtriebs. 



Was die Umsiändc anbt:lanj:^t, von welclien die St hw anklingen 
in der Stärke des Sexnaltrielis abhängen, so sind dic^eltten mit 
den l'nterschit ilen der Körpcr^rus-bc und Konstitution nicht in 
Zusammenhang zu bringen. Wir finden auf der einen Seite 
Männer von hünenhaftem Hau und an-^rlu int n<l von Kraft strotzend 
mit selir Ijcscheiilenen sexuellen ßedürtni'-Mn und ebenso be- 
scheidmer Potenz, und auf der anderen Seite yan/ unan^i lin- 
liche .Menschen, welche durch ihre scxiicllLn Lei^tuni^u n sich her- 
vortun. Ähnlich verhält es sich beim zarten Geschlechte ( irosse, 
stattlich «i<rbaute Frauen von kTäf!ii;er Konstitution ^ind nicht 
selten frigider Natur, und ich haln i lu r diesen Punkt manche 
Kiaj^e von Ehemännern vernommen ; auf der anderen Seite 
bege;4net man kleinen, zartgebauten Frauen, deren sexuelle Be- 
gehren nicht sehr bescheiden sind. 

Bei Miinnern besteht auch keine bestimmte Proportion 
zwischen der Entwicklung der äusseren Genitalien und der Stärke 
des Sexualtriebs. Wenn auch Individuen mit starker Libido 
scxualis häutig äussere Genitalien vc»n beträchtlicher Grösse zeij^en, 
so begegnen wir andererseits wieder Männern, die bei gleicher 
Beschaffenheit der Genitalien nur eine bescheidene Libido besitzen. 

Zweifellos sind für »lie Stärke des .Sexualtriebs neben RasSM- 
cinAüssen, Unterschiede der familiären Veranlagung von keiner 
untergeordneten Bedeutung. Es gibt Familien, <! :rn männliche 
Glieder sich durch Lel)harti^keit ihrer sexuellen XeiguiiL^en aus- 
zeichnen und dabei ihre Potenz auch bis in höhere jähre be- 
wahren und andere, in welchen das (ic ^enteil /u finden ist, ge- 
ringe sexuelle Bediii fuisse und h ülies Erlö.schcn derselben. 

Ahnlich vi rhält es sich mit der si xncllen Veranlagung der 
weiblichen Individuen in manchen l'\nnilieu. 

Über die körperliclu n Vorg inL:e, durch welche der Sexual- 
trieb angeregt uml untei halten uml <lessen Intensität bestimmt 
wird, besteht noch i rliebliclu- I nUlaihcit. A piiori liegt der Ge- 
danke gewiss nahe, dass die Libido durch l'^iregungsvorgängc 





S«xtuütrieb wkl Pubertltsenlwidclttos. 



15 



Im Bereiche der kortikalen Sexualzentren zu Stande kommt, 
Erregungsvorgänge, welche durch von den peripheren Sexual- 
organen ausgehende Reizungen ausgelöst und in ihrer Intensität 
bestimmt werden. Für eine derartige Annahme liesse sich der 
Umstand geltend machen, dass mit der Reife des Geschlechts- 
apparates auch die völlige Ausbildung des Sexualtriebes zusammen- 
fällt und die jeweilige Stärke desselben von wechselnden Zu- 
ständen des Sexualapparates abhängt (beim Manne slarice Libido 
bei längerer retensio semlnis, sinkender Libido nach sexuellen 
Akten und Pollutionen, menstruelle Steigerung der Libido bei 
der Frau). Auf der anderen Seite mangelt es nicht an Tat- 
sachen, welche <.lic Abhängit^keit des Sexualtriebs von den peri- 
pheren Sexualorganen, speziell dem l-"unktioiiicrcn der Keim- 
drüsen üwcik'lhalt I I scliemen lassen. 1 lieher ijehörcn vor Allem 
die Erfahrungen über die Wirkung der Ka^t^.ltio^ bei Mmschen 
und Tu rcn. Nacli Kntfcrnung der Keinidiüsi-n kann bei beiden 
Geschlechtern tiie Lihiilo erhalten bleibm I'.i im Manne kann 
auch die I''itcnx forlbesuhen. Im alten Korn erlreute sich eme 
gewisse Gattung Ka<ti i( t ter, die als Spadones bezeichnet wurden, 
hei den Lebedamen einer besonderen Beliebtheit. Auch bei 
kastrierten Tieren, Ochsen, Wallachen, mangelt es nach den Er- 
fahrungen der Tierärzte nicht an Äusserungen eines Geschlechts- 
triebs. Wallache können auch ihre Potenz behalten. Hiemit 
stimmen die experimentellen Erfahrungen Steinachs*) an 
weissen Mäusen uberein. Dieser Autor fand, dass die Kastration 
bei reifen Tieren die sexuelle Erregbarkeit nicht aufhebt und 
die Vornahme des Eingriffs vor der Pubertät die Entwicklung 
einer beträchtlichen sexuellen Erregbarkeit nicht verhindert. An 
diese Erfahrungen reihen sich andere Tatsachen an: das Be- 
stehen eines rudimentären Geschlechtstriebs unter normalen Ver- 
hältnissen im Kindesalter, die vorzeitige Entwicklung erheblicher 
Libido vor der Pubertätszeit in pathologischen Fällen, das Fort- 
bestehen beträchtlicher Libido un Greisenalter trotz Atrophie 



') Steinacb, Tü'.ersuchunjien 7«r ver;;!cir1ir:idcn Flu >ii iIoi^k' dct m^inn- 
licbeo Geschlecbtsorganc, insbesondere der akicessurt*«chen üeschlccbtsdribcu. (Arch. 
r, d. ecsamte Physiologie, 1894. Bd. 56, S. 304—338.) 



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16 



Sexuahrieb und PubcrtäUentwickluog. 



der Scxualor ^'anc, die in Kiaiikheitsfällcn (bei Neurasthenie etc.) 
zu beobachtende Steigerung der Libido bei Herabsetzung der 
sexuellen Leistunfjsfähiykcit , ferner der Umstand, dass bei 
Mannern Orgasmus mit folc^endem Sinken der Libido ohne 
Ejakulalioii eintreten und andererseits das Zustandekommen 
letzterer beim sexuellen Verkehr ohne Emtiuss auf die Libido 
bleiben kann. 

Schon bei Erwägung aller dieser Momente wird man zu 
der Annahme gedrängt, dass die Intensität der Erregun;^ der 
kortikalen Scxualzentren, die sich subjektiv als Libido lu]iU)ar 
macht, nicht leili^Hch und niclit hauptsächlich durch von den 
peri|)heren Sexualni ganen ausgehende niech;inisch ulurch Druck, 
Spannung; I \ erursachte Reizvnrgänge bedingt wird, sondern 
in erster Linie von der Einwirkun;^ i^ewisser chemisch im Blute 
kreisender Stoffe abhän«^t. Zu euier derartigen Auffassimg ist 
bereits Jastrow itz speziell durch Berücksichtigung des Verhahcns 
der Tiere zur Brunstzeit gelangt, und er hat die in Frage 
stehenden chemischen Stoffe als erogene oder eragoge be- 
zeichnet, ich habe dieselben a. O. als libidogene benannt und 
halte diese Bezeichnung für zutreffender, weil die in Betracht 
kommende Wirkung bei Menschen und Tier lediglich die 
Libido betrifft, mit der der Affekt der Liebe nicht notwendig 
zusammenhängt. 

Eine Iiesonders wertvolle Stütze hat die Annahme libidogener 
Stoße durch Bcoljachtungen La n z s (Amsterdam) an thyreopriven 
Tieren und Menschen erhalten. Der genannte Autor stellte an 
einer Reihe von Tieren (Ziegen, Hunden, Katzen, Hühnern) 
sehr sorgfältige Experimente ül>i'r den Einfluss der Thyrco- 
dcktomie auf die Fortpflanzungstahigkeit an, und er fand, dass 
diese durch tlen fraglichen Eingriff bei l>eiden Geschlechtern in 
der Regel dauernd aufgehoben wird. Die Erfahrungen, welche 
der Autor bei Menschen in zwei Fällen machen konnte, stimmen 
damit vollkommen Qbercin. Bei einem Manne, bei welchem 
nach vollständiger Thyreodektomic die sexuellen Funktionen 
erloschen waren, machten sich dieselben nach Gebrauch von 
Jodoth>Tin wieder geltend. Bei einer Frau, bei welcher nach 
der gleichen Operation die Menses ccssiert hatten, stellten sich 




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* 



Sexualtrieb und Puberlät&cntwicklung. 

dieselben nach der Darreichung von Schilddrübentabletten 
wieder ein 

Die zur Zeit vorliegenden Erfahrungen sprechen dafür, dass 
die Keiiiidrüien bei beiden Geschlechtern zu den Organen mit 
sogenannter innerer Sekretion zählen, d. h. Umsatzprodukte 
liefern, welche für die Gestaltun^^ des ^c^amtcn Stoffwechsels 
von Bedeutung sind. Was die männiiclu-n Keimdrüsen antx'laiv^t, 
so geben die Veränderungen in der ph\ tischen und psyciiischen 
Organisation, die nach Entfernung derselben eintreten (XeigunLj 
zur Fettbildung, weihlicher Typus der Körperf(»rmen, spärlicher 
Bartwuchs, weibischer ( harakter liei Kastraten; gewichtige 
Fingerzeige für die Bedeutung dieser Organe für den Stoft- 
wcchscl, Ebenso verhält es sich mit den .St<inm^en, die bei 
Frauen nach lüufemung der < Ovarien luid im natiirhchen Klimak- 
terium eintreten, auf die wir an späterer Stelle zu sj)rechcn 
kommen werden. Über die Produkte der inneren Sekretion 
der Keimdrüsen ist, wenn man von dem P "> h 1 sehen Spermin 
absieht, z. Z. nichts N.Hheres bekannt. Letzteres soll nach 
Pohl die Eigenschaft besitzen, ,,die durch verschiedene 
Momente herabgesetzte Oxydation-sfähigkeit des Blutes wieder 
herzustellen und die sogenannte „intraorganc Oxydation" zu 
fördern". Nach meinen Erfahrungen über die Wirkungen des 
Pöhl'schen Spermins kann demselben kaum eine libidogcne 
Eigenschaft zugeschrieben werden. Diese muss in der Haupt- 
sache anderen, noch nicht näher bekannten Stoffen zukommen. 
Es besteht jedoch kein genügender Grund zu der Annahme, 
dass die betreffenden Stoffwechselprodukte im Haushalte des 
Organismus lediglich I r Libidoerrcgung dienen. Dieselben 
mögen für den normalen Abiauf der Stoffwechselvorgänge in irgend 
einer Richtung von grösserer oder geringerer Bedeutung sein 
und die libidoerregende Eigenschaft nur dadurch gewinnen, 
dass die kortikalen (vielleicht auch die spinalen) Sexualzentren 



') Ge^en die Aniiahnic einer Abhängigkeit der Libido von im Blute 
krei-cndcn che mischen, unter Umständen toxisch wirkenden Stoficn hat in jüngster 
Zal Müll (M«:ii>£iuis<:hc Klinik 1905, No. 12 und 13) Einwände ctboUcn, die 
mir nklit »tidiluiltig erscfacineo, wahrend Fr «od (3 Abhudlungen zur Sexual« 
tbcoiie 1905) <Ur dieselbe eintritt 

LS «es fei d, Sexuell-iiervltoe Stürungen. Vierte Aufl. 2 



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18 



Sezualtneb und PiibertätsentwicUtti|[. 



eine besondere Empfindlichkt'it für ihre Einwirkung besitzen. 
Die Erfahrungen über den Einfluss der Kastration auf den 
Sexualtrieb sprechen dafür, dass die Bildung der libidogenen 
Stoffe sich nicht auf die Keimdrüsen beschränkt. Diese bilden 
unter normalen Verhältnissen allem Anscheine nach die Haupt- 
erzeugungsstätten dieser Stoffe« doch nehmen an deren Pro- 
duktion wahrscheinlich noch andere Teile des Sexualapparates 
(beim Manne Prostata und Samenblasen, vielleicht auch andere 
Organe [Niere]) Anteil, so dass bei Ausfall der Funktion der 
Keimdrüsen ein gewisses Vikariieren anderer Organe möglich ist. 

Dass nicht die Anhäufung von Spermaflüssigkeit in den 
Samenblasen, sondern ein im Blute kreisendes Agens die 
Intensität der Libido bedingt, hierfür sprechen auch noch andere 
Momente, auf die schon von Jastrowitz hingewiesen wurde. 
Zunächst kommt das Verhalten vieler Tiere zur Brunstzeit in 
Betracht, ihre Unruhe, Reizbarkeit, Wildheit, Kampfeslust etc., 
was mdir auf die Wirkung eines im Blute kreisenden, gewisser- 
massen toxischen Stoffes, als eine vom Sexualapparate aus- 
gehende mechanisch verursachte Erregung hinweist. Auch die 
Erscheinungen, die bei in sexueller Abstinenz lebenden Menschen 
mit beträchtlichem Sexualtriebe gelegentlich beobachtet werden 
^ Zustände hochgradiger allgemeiner Erregtheit — lassen sich 
kaum auf die mechanische Wirkung der Spermaanhäufung 
zurückfuhren. Wir haben ein Analogon für letztere seitens des 
Darmes in den Obstipationszuständen, die nie zu ähnlichen 
Folgeerscheinungen führen. Dieser Erfahrung steht die Tat- 
sache zur Seite, dass bei sehr beträchtlicher Libido durchaus 
nicht selten auch durch in kurzen Zwischenräumen aufeinander- 
folgende sexuelle Akte keine nachhaltige Herabsetzung derselben 
herbeigeführt wird. 

Ans dem Angeführten dürfte sich ergeben, dass, wenn 
auch für die Entwicklung des Sexualtriebes die von den peri- 
pheren Sexualorganen ausgehenden Erregungen von Bedeutung 
sind, die Intensität der Libido doch von anderen Faktoren im 
wesentlichen abhängt. 

Als solche kommen in Betracht ; i . die Erregbarkeit der 
kortikalen Scxualzcntren (vielleicht auch die der spinalen;. Dass 



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bexiutltrieb und Pabertätsealwickluog. 



19 



in dieser Beziehung bedeutende, auf angeborener Veranlagung 
beruhende Unterschiede vorkommen, hierfür sprechen insbesonders 
die I' alle, in welchen schon vor der Pubertätszeit, unabhängig von 
Verleitung zur Onanie und von peripheren Reizungen ir'^'cnd- 
welcher Art, Zustände sexueller Erregung,' nnftreten, z. B. beim 
AnbUck von Vorgängen, die auf normale Kinder keinerlei Ein- 
druck machen. Die Bedeutung des kortikalen Momentes erhellt 
auch deutlich aus der Beeinflussung der Libido durch verschie- 
dene GehtmafTektionen und krankhafte Zustände des gesamten 
Nervensystems. 

Den zweiten für die Intensität des Sexualtrkbcs in Betracht 
kommenden Faktor bildet die Produktion der libidogencn StofTe« 
die allem Anscheine nach höchst bedeutenden Schwankungen 
unterliegt, die mit Rassen- und Familienanlagen, dem allgemeinen 
Gesundheitszustände, Lebensalter, der Ernährungsweise und 
äusseren Verhältnissen zusammenhängen mögen. Für den Mann 
liegt die Annahme nahe, dass die libtdogenen Stoffe in grösserer 
Menge in der Spermaflüssigkeit enthalten sind und mit dieser 
in den Samenblasen angesammelt werden. Die vorliegenden 
I'xfahrun'^cn weisen jedoch tlaraut hin, dass der Übergang:,' der 
hljidoj^cncu Substanz in das lihit nicht IcdiiOich von den Sanirn- 
bhi-^cn aus erfolgt. Bei beirachtliclicr I:nt\vicklung der Libicio 
finili i \valir>cheinlich bestündig eine Kr^ni ption gewisser Mengen 
hbido^^rncr Substanz von ck-n Kciindrüscn und vielleicht auch 
anderen liildungsstälti:n au^ statt, währmd bei geringerer Ent- 
wicklung des Triebes erst nach einer gewissen Anhäufung des 
Stoffes in den Samenblasen der Übertritt desselben in das Blut 
erfolgt. Beim weiblichen Geschlechte kann nur ein direkter Über- 
gang libidoL^ener Substanz von den Keimdrüsen und den etwaigen 
anderen Bildungsstätten in das Blut in Frage kommen. 



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II. 

Die nervösen Störangen der Pubertätszeit 



Das erste Auftreten der Alen.struation — die Menarche 
nach Kisch's Bezeichnung' — kann sich ohne jede Beschwerde 
vollziehen; häufig gebt n jedoch diesem für das jung^' weibliche 
Wesen so wichtigen Ereignisse Beschwerden vorher, ähnlich 
denjenigen, welche auch später in vielen Fällen die Menses be- 
gleiten: Kreuzschmerzen, Gefühle von Druck, Schwere oder 
Ziehen im Unterleibe, Empfindlichkeit der Ovarialgegend. Er- 
heblich seltener sind nervöse Herzstörungen, auf deren Vor* 
kommen in der Zeit der Menarche insbesondere von Kisch 
die Aufmerksamkeit gelenkt wurde. Nach den Beobachtungen 
dieses Autors handelt es sich zumeist um Herzklopfen, das 
auch bei bis dahm gesunden Mädchen auftreten kann, vor dem 
ersten Erscheinen der Menses anfallsweise sich einstellt, die 
erste Periode überdauert und nach mehrmaliger regelmässiger 
Wiederkehr derselben sich wieder verliert. Hierbei besteht nicht 
immer eine objektiv nachweisbare Veränderung der Herzaktion. 
In der Mehrzahl der Fälle ist jedoch Pulsbeschleunigung vor* 
banden (120—140 Schläge), der Puls hierbei voll, mitunter auch 
unregclmässig ; hiermit vergesellschaften sich Schmerzen in der 
Herzgegend, Brustbeklemmung und Angstzustände. Mit den 
Herzbeschwerden, welche von Kisch teils auf psychische Vor- 
gänge, teils auf von den Ovarien ausgehende, reflektorisch auf 
die Herznerven wirkende Reize zurückgeführt werden, stellen 
sich mitunter noch andere nervöse und psychische Erscheinungen 



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Die ncrvöbCD Slünuigen der Pubertätszeit. 



21 



ein: unruhiger Schlaf, auliallige gemütliche Reizbarkeit, Ver- 
stimmungszuständc, Unlust zur Beschäl tigung, Verdauungsstö- 
rungen. Kisch fand, dass die jungen Mädchen, bei welchen 
diese Zustände zur Beobachtung kamen, zum grüssten Teil 
lebhaft erregbare Naturen, Kinder nervöser Eltern waren, 
wtkhe frühzeitig schon Tanzstunden und B;illc besucht hatten. 

Anfalle von Herzklopfen, ähnlich den erwähnten, treten 
auch bei Mädchen auf, bei welchen sich das erste I>scheiiien 
der Menses auflallig verspätet oder die Menses nach ihrem ersten 
Erscheinen einige Zeit hiinhnch sich sehr unrej^elniässig ver- 
halten, länger ganz ausbleiben oder nur in Sinnen sich /eigen. 
In diesen Fällen lie^t zumeist Chlorose vor und mangeln auch 
andere bei Chlorotischen gew<>hnliche nervöse Beschwerden nicht. 
Neben diesen zeigen sich bei Mangel der Menstruation in Zwischen- 
räumen von drei oder \ icr Wochen mehr oder minder erheb- 
liche Molimina men.strualia. 

Mit Störungen in der Entwicklung der Menstruation hängt 
auch eine bei Mädchen in der Pubertätszeit auftretende perio- 
dische geistige Erkrankung allem Anscheine nach zusammen, 
deren Kenntnis wir Schönthal und Friedmann verdanken, 
die primordiale menstruelle Psychose (menstruale Ent- 
wicklungspsychose). Nach den Mitteilungen der genannten 
Autoren stellt sich die Krankheit bei jungen Mädchen mit ver- 
zögerter oder im ersten Beginne unterbrochener menstrueller 
Entwicklung ohne irgend welche erhebliche Gelegenhcitsursachen 
ein und äussert sich in brüsk einsetzenden Anfällen, die einige 
Zeit hindurch regelmässig in 3 — 4wöchentlichen Terminen wieder- 
kehren und mehrere Tage anhalten. Auf psychischem Gebiete 
zeigen sich hierbei Benommenheit mit ausgesprochener manischer 
Unruhe oder mit schwerer gemütlicher Depression und Angst- 
zuständen, gegen Ende der Erkrankung nur leichtere Err^ungs- 
zustände, in der somatischen Sphäre insbesonders vasomotorische 
und Pulsphänomene, so mitunter rasches Ansteigen des Pulses 
vor dem Anfalle, so dass dessen Wiedericehr sich vorhersagen 
lässt. Das Leiden endet nach den bisherigen Erfahrungen ge- 
wöhnlich mit andauernder Genesung, die mit der definitiven 
R^elung der Menstruation eintritt. Erbliche psychopathische 



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22 



Die nervösen öturungen der l'ubcrtäUzeit. 



Belastung mnssit^er Art war zwar in der Mehrzahl der bisher 
beobachteten 1-alle, aber nicht in allen voriiaiiiien 

Dass die F'ubertätsentwicklun^ beim niäniillcheii ( ieschlcclite 
als Ursache ausL^esprochcncr nervöser St<>ruii,4en wiiksam wird, 
hierfür iir^^t kein Beweis vf>r. Dagej^-en la^st sich nicht in Ab- 
rede stellen, dass die gesteigerte nervöse Erregbarkeit während 
dieser Lebensepoche bei beiden Geschlechtern das Auftreten 
einzelner ncr\ r)ser Störungen, so insbesondere der Epilepsie, be- 
günstigen mag. G o w e r s fand, dass bei fast *ri seiner Fälle 
die Epilepsie zwischen dem 13. und iS. und zwar zumeist im 
14., 15. oder 16. Lebensjahre ausbrach. Der Einfluss, welchen 
die Entwicklung der Menstruation bei Mädchen auf die Epilepsie 
äussert, ist jedoch, wie wir an späterer Steile seilen werden, 
verschiedenartiger Natur. 

Weniger deutlich ist der Einfluss der Reifung des Ge- 
schlechtsapparates auf die Entwicklung der Hysterie. Briquet 
fand bei einer statistischen Verwerttmg von 426 Fällen von 
Hysterie, dass sich ein Fünftel der Fälle in Frankreich vordem 
Alter der Pubertät (dem 1 5. Lebensjahre) entwickelt, vom 15. 
bis 20. Lebensjahre sowohl die Häufigkeit der hysterischen Dis- 
position als der matiifesten Hysterie bedeutend wächst, dagegen 
vom 20. bis 25. Jahre wieder erheblich herabsinkt. Briquet 
betont jedoch, dass die rasche Zunahme der Hysterie in der er- 
wähnten Lebensperiode keineswegs lediglich auf den Einfluss des 
Scxualapparates, sondern auch auf eine Reihe psychischer 
Momente zurückzuführen ist, die sich beim weiblichen Geschlechte 
in den betreffenden Jahren geltend machen. Beim männlichen 
Geschlechte tritt nach Batault's Statistik, welche 192 Fälle 
umfasst, die Hysterie am häufigsten zwischen dem 10. und 20., 
sodann zwischen dem 20. und 30. Lebensjahre auf. 

Ich habe bei meinen Beobachtungen von Hysterie, die auf 
das Alter vom 10. bis 20. Lebensjahre fallen, ein besonderes 
Überwiegen einzelner Jahre bisher nicht finden können, so dass 
ich die Bedeutung der Pubertätsvorgänge für das Auftreten 
hysterischer Zustände nur gering veranschlagen kann. Das 
Gleiche gilt für die Neurasthenie. 



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III. 

Die nervösen und psychischen Störungen 
der Menstruationszeit 



Die immer mehr sich einbOrgemde Bezeichnung der Men- 
struation als Unwohlsein bt nicht lediglich eine Redefigur. Die 
Zahl der Mädchen und Frauen, bei welchen der Vorgang der Men- 
struation ohne Beschwerden irgend welcher Art verläuft, ist zwar 

nicht so gering, dass man sie mit dem englischen Frauenarzte 
Kmmct als Ausnahmen von der Ke^el betracliten inüsste, und unter 
unserer ländlichen Bevölkerung sind jedenfalls diese Glücklicheren 
noch immer reichlich vertreten, allein m den Städten sind otTenbar 
diejenigen weiblichen Wesen bei weitem in der Überzahl, iTir 
welche die Menstruation in der Tat eine Zeit des Unwohl scin> 
bedeutet und insbesonders mit nervösen Stoinni^cn verschiedener 
Art einheri^eht. Da die ohne Bcscinverden Mensti liierenden 
gewöhnlich Personen von robuster nervöser Konstitution sind, 
darf man wohl annehmen, dass die während der Menstruation bei 
im übrigen gesunden weiblichen Personen auftretenden nervösen 
Störungen die Fnlfren einer erhöhten Reizbarkeit des Nerven- 
systems, die angeboren oder erworben sein mag, sind. 

Man kann die mit der Menstruation zusammenhängenden 
nervösen Störungen in lokale, entferntere und allgemeine sondern. 
Unter den lokalen Beschwerden sind wohl Schmerzen in den 
unteren Partien des Abdomens oder im ganzen Abdomen, im 
Kreuz und in den Beinen die häufigsten. Denselben reihen sich 
die bei einer sehr grossen Zahl von Frauen vorkommende 
Neigung zu häufigen, zum Teil diarrhoischen Darmausleerungen 
und als seltenere Erscheinui^ai Schmerzen im After und ver- 



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24 



Die ncrvCfieu und ptydiiwh«!! StOnuigen der Mcnstioatioiiueit. 



mehrter Harndrang an. Von den entfernteren Störungen sind 
zu erwähnen: Rücken* und Kopfschmerzen, Kopidruck, Magen- 
beschwerden in <iU:r Form von Übelkeit, Erbrechen und Car- 
dialgien, mehr oder minder erhebliche Schmerzen in den Brüsten 
(Mastodynie), seitens des Zirkulationsapparates Herzpalpitationen 
— Kisch fand bei 8, 5°.j der Frauen mit normalem Herzen 
und regelmässiger Menstruation eine Beschleunigung der Herz- 
tat ij^ktit um lo — 28 Schläge in der Minute — und vasomoto- 
rische StöniiiL;en. Kälte der I laiidf und Füssc, Wallungen nach 
dem Kopfe, da uml dort auftretende tlieifende Hitzen. Sclnveiss- 
ausbruch. Oft wird auch Uber ein allgemeines kürjjcrliches 
Angegriffensein und Neigung zu rascher Ermüdung bei jeder 
einigermassen anstrengenden Tätigkeit geklagt. 

\'< in l)esi)nden:m Interesse sind die während der Mensti uations- 
]ierio>le auftretenden psychischen Veränderun*,'en, die wn den 
hannlo-sesten Erscheinungen alle l'bergängc bi^ zu ^len schwi rsten 
j)sychotischcn Zustanden aufweisen. Abweichunj^en in dem ge- 
mütlichen Verhalten, erh<Wite euiotionclle Erregbarkeit mit Nei- 
gung zum Weinen, Gm iztlieit, K icht<>re Verstinniiuugs/uständc 
und rascher Stimnuin^^^wech-d finden sich sehr häufig Die 
gemütliche Reizbarkeit eneiclit bei Beki-^teien mitunter s«« liohc 
Grade, dass äusserst ^erin'jfu:jij<' Anl.isse 7:u tdbsuchtartigen 
Aii-l)iüchen tulucn. 1h 1 l'rauen, da- an Zw.m ^san^st/.ust.imlen 
leiden, nehmen solche wahrend der .Menses an Intensität und 
Häufigkeit gewöhnlich zu. Manche ueil>!iche Personen, deren 
gemütliches Vt.rhalten in tler nitermenstruellen Zeit völlig normal 
ist, werden während der Menses von Zwangsverstinimungen heim- 
gesucht, die sich gelegentlich bis zum völligen Lcbensüberdruss 
steigern kfmnen, wobei jedoch (Jie äusscrliche Ruhe nach meiner 
Erfahrung gewahrt bleiben kann. Die Menses i)egünstigen auch 
das Auftreten anderer Zwangserscheinungen, was unter Umständen 
fotense Bedeutung erlangen kann; insbesonders kommen hier 
gewisse Zwangsimpulse» Kleptomanie, Pyromanie und Dipsomanie 
in Betracht^). 

Die Impulse können auch dem sexaellcn Gebiete «ngelidren. In einem 
von Anj«l (Arch. f. Pfeych. XV. Hft. a) mitgeleitten Falle stellte &icb bei einer 
erblich schwer beUsteten, dem Klimakterium nabcttebeudeu Frau «ährend der 



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Die nervösen und psychischen Sioningcn der Mcnstruatiunszcit, 



25 



In manchen l'allen nehmen «Jic seelischen Veränderungen, 
welche sich mit der Menstruation verknüpfen, den Charakter 
einer ausgesprochenen Psychose an. Das „menstruelle Irrsein*' 
(Menstrualionspsycliose) ist eine Form periodischer Geistesstö- 
rung, deren Anfälle sich in ihrem zeitlichen Auftreten an den 
Ovulations\ (iri^'ang gelnmden zeigen, brüsk einsetzen und ge- 
wniinlich ebenso enden. Die Anfälle sind weit vorherrschend 
prämenstniell, selten postnienstruell und werden oft durch ge- 
wisse Prodromalerscht inungen, Schlafmangel, l^nterleibsbeschwcr- 
den , Her/kli)pfen , Beklcmmungsgefühlc etc., eingeleitet. Bei 
prämenstruellen» Einsetzen zessieren sie mit dem Eintreten der 
Blutung, Nach Beobachtungen von v. Kra f f t - E b i n kann in 
Fällen, die mit Dysmenorrhoe cinhergehen, auch bei Ausbleiben 
der Blutung die Psychose zur Zeit der Menses wiederkehren. 

In klinischer Hinsicht zeigt das mcn^tmelle Irrsein die ver- 
schiedensten Formen. Melancholie und Manie finden sich am 
häufigsten (letztere oft mit sexueller Färbungj, Verworrenhcits- 
zustände mit massenhaften Halluzinationen sind ebenfalls nicht 
selten. Nach Ziehen kommt bei belasteten Frauen prämen- 
struell ein systematisierter Eifersuchtswahn vor, der in der 
übrigen Zeit nicht nachzuweisen ist. Die Anfälle menstruellen 
Irrseins währen meist nur einige Tage, können aber auch eine 
Dauer von i — 2 Wochen erreichen. Der Genitalbcfund iat zu- 
meist negativ (v. K r a f f t - E b i n g). 

Der sogenannte ,,Ovulati<insreiz" bildet natürlich nicht die 
einzige oder wesentliche Ursache dieser Psychosen, sondern 
eher lediglich den Tropfen, der das Gefäss zum Überlaufen 
bringt. Die in dieser Weise Erkrankten sind zumeist Personen 
von jugendlichem Alter und erblicher neuropathischer Belastung, 
die zum Teil schon früher von neurotischen Leiden (Hysterie) 
oder nicht periodischer Geistesstörung heimgesucht wurden. 
Körperhche Leiden und gemütUche Erregungen spielen öfters 
die Rolle der Agents provocateurs der Krankheit, zu deren 

Menses nehcr. Irisomrip f^in Dranjj ein, Knaben unter lojahicn an «-irh m Ir'-krn, 
2U küs&cn und ihre Genitalien zu belasten. Die Frau, welche intermeniinjeü 
keinerlei aexoelle Begebrlichkeit seigte, verbngle selbst Oberwadinng in der kri- 
tiadien Zeit. 



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26 ^><i nervösen und pä^ychischen Slürungen der Mcnstnmttoosxeit. 



Ausbrucli die nächste Menstruation den letzten Anstoss gibt. Die 
Anfälle schwinden zumeist wieder, nachdem sie sich einige >Tn!e 
wiederholt haben; doch kommen auch Fälle vor, in welclien die 
einzelnen Anfälle sich immer mehr verlängern und schliesslich 
in dauernde Geistcsstöiung überj^ehcn. 

Es ist begreiflich, dass Menstruationsanomalien in noch 
höherem Masse geeignet sind, nervöse Störungen herbeizuführen, 
als die normal veilaufcndc Menstruation. Am crhc!)lichs1en sind 
zweifellos die lieschwerden, welche durch dy.stncnorrhoische Vor- 
gänge veranlasst werden, deren Ursachen hinwiederum sehr ver- 
schiedenartig sind. Anfallswcisc eintretende wehenartige Schmerzen 
im Unterleibe (Uterinkoliken) oft von grosser Heftigkeit, häufiger 
Harndrang, Schmerzen in den Beinen, im Kreuz und Rücken, 
ähnlich wie zum Teil auch bei normaler Menstruation, nur noch 
erheblicher, Cardialgien, I helkeit und Erbrechen sind gewöhn- 
liche Erscheinungen bei Dvsmenorrhoe; seltener sind reflek- 
torische Störungen der Herztätigkeit, Anfälle \'on beschleunigter 
Herzaktion mit kardialer Dyspnoe bei geringen Bewegungen 
und Angst oder Anwandlungen von Herzschwäche mit kleinem, 
sehr frcquentcm Pulse, unter Umständen bis zur völligen Ohn- 
macht (Kisch) '). 

Nach Theilhaber stellt sich die L'tcrinkolik manchmal 

I oder gar mehrere Tage vor dem Eintritte der Blutung 
ein. Nach dem Auftreten der Blutung dauert sie häufig nur einige 
Stunden, zuweilen jedoch auch noch einen bis zwei Tage an 
(selten während der ganzen Dauer der Menstnialblutung). So 
lange die Schmerzen sehr heftig sind, fliesst häufig das Blut 
nur tropfenweise ab. 

Die Anschauungen über die Verursachung der dysmenor- 
rhoischen Beschwerden haben sich in den letzen Jahren erheb- 
lich geändert. Man hat früher und zwar insbesonders unter dem 
Einflüsse von Marion Sims vorwaltend angenommen, dass es 
sich um eine Retention des Menstnialblutes infolge verschieden* 

' i F 11 n k c 1 s t c i 11 -ti ]!te fest, d.iss bei ;;csunden Fraiten während d<-r 
normalen .Mci):»triiatiün eine Kiiischrankuug des ütsichtsfcldes ciniritt ; diese Ein- 
scbrftnkuog ist Dach den Untersuchungen Salo Cohns bei Dystinenorrbuc in 
den Tagen der grOasten Beschwerden am erheblidisten. 



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Die nervösea und psycbUcben Störungen der MeostruationszeiL 27 



artiger krankhafter Veränderuni^c n des l tcru.s( Lageveränderun^en, 
Cervix'itenosen, Tumoren, Endometritis ptc ^ handle. Thoi!- 
habiT und Wille fanden jedoch, dass in der i^rosvcii I\h'lirz;ihl 
der Fälle von 1 )ysmenorrIiöe f)r^ani^chc X'im ändtTunt^en nicht 
nachweisbar sind ^nach Theilhaber in ' i der Fälle sohin 
eine idiopathische Dysmenorrhoe \()rliej^t. Nach dem letzt- 
genannten Autor werden die wehenartigen Schmerzen der Dys- 
menorrhöe durch spastische Kontraktion der zirkulären Muskel- 
fasern am inneren Muttermunde fdes Sphincter orificii interni) 
herbeigeführt. Eine Retention des Menstrualblutes hält Theil- 
haber für die Entstehung der Lterinkolik nicht für nötig, da 
Kolikschmerzen auch bei krankhaften Kontraktionen anderer 
muskelhaltiger Organe (Darm, Magen etc.) entstehen. Für das 
Auftreten der in Frage stehenden Spasmen bei Mangel lokaler 
Veränderungen halten Theilhaber und Wille eine gewisse ner- 
vöse Disposition f neuropathische Veranlagung, Neurasthenie, 
Hysterie 1 für erforderlich. Wille weist darauf hin, dass mit 
dieser Disposition noch gewisse Gelegenheitsursachen sich ver- 
knüpfen müssen, wenn es zur Entwicklung der Dysmenorrhoe 
kommen soll. Er konnte mehrfach wie Krönig konstatieren, 
dass die Dysmenorrhöe nicht von der Pubertät, sondern erst von 
einer bestimmten Gelegenheit (Oberanstrengui^) an bestand. 
Hiermit stimmen auch meine Erfahrungen überein. Ich habe 
ebenfalls Fälle beobachtet, in welchen bei nervösen Personen 
die Einwirkung gewisser Schädlichkeiten um die Zeit der Menses 
(gemütlicher Erregungen, Oberanstrengungen) Dysmenorrhöe 
zur Folge hatte und dieser Zustand längere Zeit hindurch sich 
wiederholte, ohne dass weitere Gelcgenheitsursachen tm Spiele 
waren. Für den weit vorherrschend nervösen Ursprung der 
dysmenorrhoiscben Beschwerden spricht auch der Umstand, 
dass sich dieselben sehr häufig durch verschiedenartige Einwir* 
kungen auf bestimmte Stellen der Nasenschleimhaut (Ätzungen, 
Kokaincinpinselungen, unter Umständen auch durch Einpinselung 
mit aq. dest.) beseitigen lassen ^). 

'f Man bat, um dif Recintlussunj; der Dysmenorrhöe von der Nasf aus zu 
erklären, komplizierte Rclkxlhcoricn au^i^c^onaen. Die menstriiclkn VciaiiUc-ruogcu 
im Uten» sollen auf rcikkiorischem Weg« An9cbweiluni;fn bestimmter Stellen 



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28 



Die nervOse» und pcychiscbea StSrangen der Meii»tntiitMiimeit. 



Die Beziehui^en zwischen Uterus und Nasenscbldmhaut 
bildeten bis in die jüngste Zeit den Gegenstand von Diskussionen 
in der Literatur, wobei zum Teil sehr abweichende Ansichten 
zu Tage traten. So berichtet Mal herbe') (Paris), dass er 
eine Anschwellung der Schwellkörper der Nasenschleimhaut zur 
Zeit der Menstruation fand und bei heftigen dysmenorrtioischen 
Schmerzen eine besonders intensive Kongestion am vorderen 
Ende der unteren Nasenmuschel und am Tuberculum septi 
beobachtete. Nach den Erfahrungen Malherbe's sind nicht 
nur die Fälle rein nervöser Dysmenorrhöe, sondern auch ein 
Teil der Fälle mit Erkrankungen des Genitalapparates durch 
nasale Therapie günstig zu beeinflussen. 

Kuttner') auf der anderen Seite erklärt es ffir unrichtig, 
dass sidi bei den „meisten" oder gar „allen" Frauen zur Zeit 
der Menses Veränderungen der Nase finden; er erachtet dies 
nach seinen Erfahrungen geradezu für eine Ausnahme. Für richtig 
hält Kuttner nur, dass menstruelle B«»:hwerden von der Nase 
aus beeinflusst werden können, aber nicht lediglich durch Be- 
pinselungcn des Tuberculum sojni. und der Muscheln durch 
Kokain etc. Der gleiche Erfolg ist durch Bepinselung des Kachens 
und Kehlkopfes mit verschiedenen anästhesiei cn« itn J ühunj^cn 
und soi^'ar mit Brunnenwasser /u nzK-Kn. Kuttner erachtet 
dt'n Zui^aintiienlian^ zwisclien Na^e iind Mcnsti uatioiisbcschwerden 
für eine KrscliciiuinL; i'cr liwstcru'. Bei ktiti'-chtr W'urdij^uni^ 
dfi zur Zeit vorlicj^niilcn Iii laliiunj^en kann man sich wohl dem 
Schlüsse nicht i ni/.ichcn, dass es sich bti der Becintlussung der 
I )ysmenorrhöe von iler Nasenschleiinhaut aus nicht um reflek- 
torische Vori;;ii)^c, ^(-ntiriii um Sui^f^estivw ii kungen handelt. 

I)ic Auieuiti i , 1 <■. das Au >! leihen der monathchen 
Blutung l>ei einer I is d ilun regelmassig mciisi i uu t ten, nicht 
schwangeren weilihcheu i'« ts()n führt an sich \vemgst<'ns sehr 
häufig /u keiner Belustigung, wahrend die dieselbe veranlassenden 

Ucr Na»etiM;bleiiiibuul bcibitlübuii uiul <ii«->r biiiwiok-iuin it'lleklori»di die dys- 
menonrboiiichen Erscheinungen iiu*l«ispa | S r h i f f, F 1 i c ■ »). 

<) Mulberb*. I^rii <U Itull. nWd. Ni». H), l«|Ol). 

*i A. Kl) (tu er: Dir nasnkn KHlrsiirut«wn und dl« normalen Xasen« 
rcHcxe. Uetlia 1904. 



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Die nervösen und psycbUcben Stdningen der Meostniationszeit. 29 



Krankheitsziistände und psychischen Kinllüsse (Kummer. Angst 
etc.) mannigfache ncrvüsc Störungen nach sich ziehen können. 
Nach Kisch kommt es hierbei zuweilen zu tachykardischen 
Anfällen, welche entweder unregelmässig oder in bestimmten 
Perioden, d. h. einige Tage vor dem Termine, an welchem die 
Menses erscheinen sollten, wiederkehren. Bei amenorrhoischen 
Hysterischen werden mitunter vikariierende Blutungen aus inneren 
Organen (Blutbrechen, Hämoptoe) beobachtet, deren Eintritt 
mit verschiedenen Beschwerden verknüpft sein kann. Plötzliches 
Zessieren der bereits im Gange befindlichen menstruellen Blutung 
infolge heftiger Gemütserr^ungen kann verschiedenartige nervöse 
Zufalle sur Folge haben, wobei es jedoch fraglich bleibt, was 
auf Rechnung der ursächlichen gemütlichen Erregung zu setzen 
und was der Suppressio mensium zuzuschreiben ist. Die Krank- 
heitserscheinungen seitens des Nervensystems, welche bei zu 
starker Menstrualblutung (Menorrhagie) auftreten, sind in der 
Regel auf hierdurch verursachte AnSmte oder das Grundleiden 
zurückzufahren, durch welches der übermässige Blutverlust be- 
dingt ist (Neubildungen im Uterus, Endometritis etc.). 

Anhang. 

EinfiiiBS der Menstruation auf bestehende Nerven« 
krankheiten und Psychosen. 

Berücksichtigen wir den Einliuss, welchen der Menstruations- 
vorgang auf das Nervensystem bei gesunden und nur nervösen 
Frauen äussert, so kann es nicht befremden, dass bei verschiedenen 
Nervenkrankheiten die Menses mit einer Steigerung beständig 
oder zeitweilig vorhandener Symp' "mt - einhergehen und unter 
Umständen auch zum Auftreten von Erscheinungen Anlass gel)en, 
welche in der übrigen Zeit fehlen. Eine derartige Einwirkung 
des Menstrtiationsvorganges zeigt sich am meisten bei den Neu- 
rosen. Bei an Neurasthenie leidenden Frauen ist es etwas 
Gewöhnliches, dass während der Menses und schon vor Einleitung 
derselben die Kopf- und Rückenbeschwerden, die Gefühle all- 
gemeiner körperlicher Schwäche oder speziell der Schwäche und 



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30 



Die nervfiten and ptychrächen Störungen der Ueottrafttkutaieit. 



Müdigkeit in den &inen sich fnehren« Schwindel, Angstzustände 
und ZwangsvorstcHungen stärker hervortreten und, wo Erschei- 
nungen der nervösen Herzschwäche bestehen, sich diese im 
besonderen Masse geltend machen. Dabei ist es bemerkens- 
wert, dass diese periodische Verschlimmerung des Zustandes 
nach meinen Bi nbachtungen im allgemeinen bei geringfügiger 
menstrualer Blutung, also rchiüv ci .\nienorrhoe viel et heblicher 
ist als bei reichlichem LUutabgange. Bei der Angstneurose und 
der Hysterie verhall es sich ähnlich. Bei Hysterischen, welche 
an Kramj)fanfällen oder Attacken anderer Art (hysterischem 
Somnambulismus, Schlaf/ustandcn etc.) leiden, treten diese Anfälle 
mit V<.>rliel>e iulcr mit l»i'S(jndcrer Schwere zur Zot der Menses 
auf; es mangelt auch nicht an Fällen, ni wi Iclu n sich hysterische 
Anfälle lediglich zur Monsti uaii< oiszcit einstellen. In diesen 
I'^ällen jvt liic Beziehung des Mcn.struaiicins\ oi |:^'an^'is lu. den 
Anfällen nicht inniu-r die gleiche. Bei manrhcn Patientinnen 
ist der Zusammenhang ein zufälliger, psychisch verniitt« her. 
Die Anfälle traten zum er.steniale zur Zeit der Menses infolge 
zufälliyer Finwirkungen ^gemütlicher Ivrre^iiiiL^rn etc. auf, und 
es scheint hier di< Wiederkehr der Erinnerung an die betretTendcn 
Vorfälle zur Mrn>ti uationszeit als nnfaüauslOsendes Moment zu 
wirken. Hier kann m der Zeit zwi'^chcn den einzelnen Mcnstruaiions- 
periodcn das Befinden ein ganz befi icdigcndcs sein. In anderen 
I-'ällen handelt es sich dni^e,.t( ii um Hysterische, deren Nerven- 
system beständig in einem solchen Zustande erhöhter Erregbarkeit 
sich befindet, dass die mit der Menstruation verknüpfte Erregung 
genügt, Krampfattacken oder Anfälle anderer Art (Asthma uti rinum, 
Tremor etc.) herbeizuführen. Hie Menstruation begünstigt auch 
das Auftreten von Migräneanfällen. Von den mit Migräne 
behafteten Frauen leiden manche nur während oder vor der 
Menstruationszeit an dem Übel, und bei anderen bevorzugen 
die Anfälle diese Zeit, oder sie stellen sich während derselben 
in besonderer Schwere ein. Ähnlich ist die Beziehung der 
epileptischen Anfälle zur Menstruation. Bei epileptischen Frauen, 
bri w elchen die: All fälle nicht häufig sind, treten dieselben mit 
Vorliebe um die Zeit der Menses und zwar zumeist vor Beginn 
derselben auf; ich habe auch Fälle gesehen, in welchen in der 



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Die nervOsen und psychiscben StOniogeii der Menstniationseeit. 



31 



Zeit zwischen den Menstruationsperioden lediglich leichte Anfälle 
(Petit mal) bestanden, während der Menses dagegen Anfalle 
schwerster Art in grösserer Zahl regelmässig sich abspielten*). 
Der EinflusSf welchen das erste Erscheinen der Menses in bezug 
auf die Epilepsie äussert, ist ein sehr verschiedener. Wir begegnen 
einerseits Fällen, in welchen die ersten epileptischen Anfalle 
sich mit dem Einsetzen der Menstruation zeigen; andererseits 
kommt es aber auch vor, dass bei an Epilepsie erkrankten 
Mädchen die Anfälle nach dem Beginne der Menstruation auf- 
hören; ich habe dieses Verhalten namentlich in Fällen ^^ctundcn, 
in welchen lediglich Anf^le von Petit mal voriianden waren. 
Auch auf die neuralgischen Aflfektionen äussert die Menstruation 
häufig eine ungünstige Wirkung; besonders aufTäUig macht ^h 
dieselbe mitunter bei Trigeniinusneuirtlgu. n bemerklich. 

Der Einfluss der Menstruation auf bestehende Psychosen 
ist in der Re*^el ein ungünstiger. Errcgunf^szustände erfahren 
wahrend dieser Zeit meist eine Steigerung, treten mitunter auch 
bei sonst ruhigen Kranken auf. 

Es muss hier ferner bemerkt werden, dass die Psychosen 
häufig zu Störungen der .Menstruation und zwar vorherrschend 
in der Form der Anienorrlioe führen. Am häufigsten begegnet 
nian letzterer bei ujelanciioiischen Zuständen. Beim zirkulären 
Irrsein wird mitunter in der Depressionsphase Zessieren der 
Menses beobachtet, während sie in der manischen Phase nicht 
ausbleiben. Bei akuten Geist rsst» .run<^en stellt sich (Vir Men- 
struation gewöhnlich mit der licsseiung ilcs Zustandes wieder 
ein. Bei manchen Geisteskrankheiten (so hei D( iiu ntia ])i:icox 
nach Kräpelin) ist jedoch auch der Übergang in Verblödung 
von der Wiederkehr der Menses begleitet. 

*) Diese Erfahruiig besieht ^ andl auf Fülle, in welchen orj^nifiche 
GdurDerknnkungen mit «pUeptiBcfaeo Symptoin«ii bestandcit. 



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IV. 



Die nervösen und psychischen Störungen 
der Schwangerschaft 



I\Iit dem I{influs^c der Schwanj^erschaft auf das Nerven- 
system verhält es sich in gewissem Masse ähnlich wie mit dem 
der Menstruation. Wir begf^nen Frauen, welche die Schwanger- 
schaft von Anfang bis zu Ende ohne jede auf den Zustand zu- 
rückzuführende nennenswerte Störung des Beiindens durchmachen, 
und daneben wieder anderen, welche während der Schwan;^'cr- 
schaft von mehr minder bedt utenden, zum Teil selbst das Leben 
bedrohenden nervösen Störungen heimgesucht werden Die Ver- 
änderungen, weiche der weibliche Organismus während der 
Gravidität erfährt, das allmähliche Anwachsen des Uterus, die 
Modifikation der BlutbcschalTenheit und des Stoffwechsels und 
der Übertritt fötaler St < ff Wechselprodukte in das mütterliche 
Blut, machen es begreiflich, dass Personen, deren Nervensystem 
die Merkmale der reizbaren Schwäche (i. e. der sogenannten 
neuropathischen Disposition) in irgend einem Grade aufweist, 
während der Schwangerschaft von nervösen Zufällen hi-im gesucht 
werden, während Personen von robuster Nervenkonstitution unter 
sonst gleichen Vorhältnissen verschont bleiben. Dass übrij^ens 
auch bei gesunden Frauen die Schwangerschaft an sich, d. h. 
infolge der mit ihr verknüpften physiologischen Veränderungen 
des Organismus die Erregbarkeit des Nervensystems nicht unbe- 
einflusst lässt, ist sehr wahrscheinlich. Hierfür spricht der Um* 
stand, dass Neumann bei den meisten von ihm untersuchten 



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Die nervösen und psychischen Störungen der ^»chwangersdiafl. 



33 



II 

1« tt 



Schwangeren eine Sti igerung des Kniephänomens fand, die im 
Verlaufe der Schwangerschaft zunahm. 

Die am häufigsten zu beobachtenden nervösen Beschwerden 
sind gastrischer Natur: Übelkeit, Brechreiz und Erbrechen. Diese 
Erscheinungen treten zuweilen schon in den ersten Wochen der 
Gravidität ein und bilden für manche Frauen ein Symptom, das sie 
noch vor dem Ausbleiben der Menses über die stattgehabte Kon- 
zeption in untrüglicher Weise aufklärt. Häufiger stellt sich 
das Erbrechen im zweiten und dritten Schwangerschaftsmonate 
ein. Nach einer Zusammenstellung von Horwitz trat das Er- 
brechen unter 179 Fällen von Schwangerschaft 

zwischen der 5. und 6. Woche bei 16 
„ 11 6. und 8, ,» „ 38 
„ 8. und 10. „ „ 43 
10. und u. „ „ 60 
„ II. und 12. „ „ 22 

Frauen auf. 

Zwischen Übelkeit und Erbrechen besteht in der Schwanger- 
schaft keine konstante Beziehung. Das Erbrechen stellt sich 
zum Teil nach grösserer oder geringerer Nausca bei leerem 
Magen (z. B. des Morgens) (.der nach den Mahl/eiten, zum Teil 
nur nach letaleren ohne X'oi hergehen iigendwelclier Beschwerden 
em. Der Ernähruni^szu stand der Schwangeren wird durch das 
ICrbrechen gewöhn hch nur wcnii; od«T überhaupt nicht beein- 
trächtigt. In TTianchen Fällen Itestlnänkt sicli die Stmunc^ auf 
zeitweilig auüretende oder mehr andauernde Übelkeit. Nicht 
selten ist auch Appel itni.in^el und insbesonders Abneigung gegen 
einzelne Speisen, namentlich Fleischspeisen. Das Auftreten der 
erwähnten gastrischen Störungen schon in der ersten Zeit der 
Gravidität spricht für deren reflektorische Verursachung, die 
wahrscheinlich vom l'terus ausgeht. 

Die gewöhnliche Einesis gravidarum, die von manchen wegen 
ihrer Häufigkeit und relativen Belanglosigkeit als eine physio* 
logische Erscheinung betrachtet wird, erfährt in vereinzelten 
F^len eine Weiterentwicklung, durch welche sie nicht nur einen 
sehr ernsten, sondern selbst lebensbedrohlichen Charakter an- 
nehmen kann. Man spricht dann von Hj^eremesis gravidarum 

LSwanfetd, Seuidl-BOTvilie Stänutfen. Viert« Anfl. $ 



34 Du DcrvOien und psychisdien SUbutg^n der Sdiwi^endidt 



(dem unstillbaren Erbrechen der Schwangeren). Die Brechanfäite 
nehmen in den betrefTenden Fällen allmählich an Häufigkeit und 
Intensität zu ; sie stdlen sich sowcdil nach der Nahrungsaufnahme 
als zwischen den Mahlzeiten ein, und die Art der aufgenommenen 
festen oder flüssigen Speisen bleibt ohne Einfluss. Appetitmangel 
und Schmerzen in der Magengegend gesellen sich hinzu, mit- 
unter auch Diarrhöen und lästiger Speichelfluss. Die Zeichen 
hochgradiger Störungen der All^emeinei nähi un^ bleihon nicht 
lan aus nasch zunehmende Abmagerung, Jlcsclileiinigung und 
Kleinwci den des Pulses, Sinken der Urinsekretion, mitunter mit 
Kiweissgehalt des Urins, schliesslich auch Inanitionsdelirien). 
f ielingt c.-> in diesem Stadium nicht, dem Erbrechen auf die eine 
oder andere Weise eine Ende zu machen, so erfolgt der Exitus. 
Walzer hat in einem scliweren Falle vnn llyperemesis gravidarum 
die Ehrlich 'sehe Diazoereakliun nachgewiesen und leitete darauf 
hin den künstlichen Abortus ein. 

Über die Pathogenese der Hypereme^is gravidarum sind zur- 
zeit die Ansichten noch geteilt. Früher waren die Gynäkologen 
vorwaltend geneigt, das T,eiden mit pathologischen Zustanden 
des Uteru.s ( I .aL^everilnilerim^en etc.i in Verl)indun;^ zubringen. 
In neuerer Zeit hat sich die Anschauung mehr und mehr Bahn 
gebrochen, dass das unstillbare l'.i brechen der Schwani^eien ein 
Symptom der Hysterie ist. Kaltenbach hat diese Auflassung 
mit dem Hinweis auf den ganz unbercrhenhnren Verlauf des 
Leidens und insbesonders das oft ganz pleit/liche Aufh«">icn des- 
selben nach psychischen oder somatischen Einwirkungen be- 
gründet. Mehrere von Alt veröffentlichte Beobachtungen be- 
st.ntigon die Ansicht Kaltenbachs vollkommen. Beide Autoren 
nahmen bei ihren Patientinnen die Ausspülung des Magens vor 
und suggerierten nach dieser, dass, nachdem nun alles Schädliche 
aus dem Magen entfernt sei, das Erbrechen notwendig aufhören 
müsse. Diese Suggestion erwies sich auch als wirksam, und die 
Kranken erholten sich alsbald. Seitdem hat nicht nur unter den 
Neurologen, sondern auch in den Kreisen der Gynäkologen die 
Auffassung des in Frage stehenden Leidens als Aussenmg eines 
hysterischen Grundzustandes sehr an Anhang gewonnen. Manche 
Gynäkologen, so z, B. Theilhaber, glauben jedoch, dass in 



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Die DcrvOseo ood p^cbUchen Stönu^en der Schwangerschaft. 



35 



einem Teile der Fälle das Erbrechen nicht hysterischen, d. h. 
psychischen Ursprungs ist, sondern auf AutoIntoxikation beruht 

Wie die Hyperemesis bildete auch die Schwangcrschafts- 
chorea bis in die jüngste Zeit den Gegenstand zahlreicher Dis- 
kussionen. Dieselbe ist kein häufiges Vorkommnis und soll nach 
Mongeri in den südlichen Ländern Europas seltener auftreten 
als in den nördlichen. Die Erkrankung befällt vorwaltend jagend- 
liche Individuen und Primipare und kann in jeder Periode der 
Schwangerschaft zum Ausbruch gelangen ; doch ist, wie aus den 
Statistiken von Gower's und Krön er sich ergibt, die erste 
Hälfte*) der Schwangerschaft entschieden bevorzugt. Bestand 
schon vor der Schwangerschaft Giorea, so kann es während 
derselben zu einem Rezidiv kommen. 

In ätiologischer und symptomatologischer Hinsicht präsentiert 
das Leiden kein einheitliches Krankheitsbild. Ein Teil der hierher- 
gehörigen Fälle ist offenbar der Hysterie zuzurechnen und auf 
psychische Traumen zurückzuführen. So bestanden in zwei von 
mir beobachteten Fallen neben den choreatischen Erscheinungen 
andere hysterische Symjitome und war das Leiden infolge ge- 
mütlicher Erregungen (bei der einen Tatienlin nach ^bsbhandlllng 
seitens des Gatten') aufgetreten. Die Ätiologie der übrigen 
Fälle ist noch unklar und wahrscheinlich ki-ine gleichartige. Ein 
Teil derselben mag infektietsen l'rsprungs stin [rheumatisches 
Virus), während bei einem anderen Teile vielleicht eine gewisse 



') Tbellhaber: Der ZusBinmeDliaiie vtxn NervenerkiuikuBg^B mit StSnin^ 

io den weiblichen Geschlechlsorgancn. 1902. S. 16 

'} Nach der 125 Falle umfassenden Statistik von Ktoaer bcsuindie Chorea 



im 


I. 


Monat 


in 


to 


Fällen 


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2. 


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8. 


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9. 




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10 


»1 




10. 


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t 


Fall. 



*) Dieser Fall nahm nach der Tran&ferierung der Patientin in eiaes der hiesigeo 
Hoftpitller einen tCdlidien Ausgang. 

8* 



35 I^ie oervüsen und p&ycbiscben Störuugeu der Schwangersduft. 

Antoint- 'xikation vorliegt. Mongeri erblickt in letzterem Mo- 
nu-nte die Hau;'tur>;ic-hp drr Sclnv an^eT->chaftschorea. und or f];laiibt 
ini Anschlii>si" an die Tlu-uru' \ Mn I . a b a d i e- I- a i; r a \ r Stö- 
rungen der Leberfunknon al^ die ( juelle der in Frage stehenden 
Autointoxikation betrachten zu dürfen. Die Chorea gravidarum 
verliert sich zumeist schon im Laufe der Schwangerschaft, nur 
selten hält sie bU zur Entbindung an, um dann gewöhnlich in 
den ersten Tagen des Puerperiums zu schwinden. Ein tödlicher 
Ausgang bildet keine Seltenheit, doch ist derselbe in der Regel 
auf Komplikationen, namentlich seitens des Herzens, zurückzu- 
führen. Der Prozentsatz der Todesfälle bei Chorea gra\-idarum 
schwankt in den bisher mitgeteilten Zusammenstellungen von 

12—32%. 

Bezüglich der Eklampsia gravidarum et parturientium wollen 
wir uns auf die Bemerkung beschränken, dass dieselbe nach den 
neueren Untersuchungen ebenfalls auf eine Autointoxikation zu- 
rückgeführt wird, und zwar soll es sich hierbei nach den neueren 
Forschungen um die Einwirkung vom Fötus gebildeter Toxine 
handeln, welche infolge einer Störung der Nierenfunktion im 
Körper zurückgehalten werden. Endlich ist hier noch zu er- 
wähnen, dass in einzelnen Fällen wiederholtes Auftreten einer 
anderen, wahrscheinlich ebenfalls auf Autointoxikation beiuhenden 
Krkrankuni;. der Tetanie, während der Schwangerschaft bei Frauen 
beobachtet wurde, die ausserhalb der Gravidität von dein Leiden 
verschont Ijlielien. 

Unter den son>tigen während des Schwan;;erschall auftreten- 
den nervt >en Leiden stehen die Neuralgien und neuralgilormcn 
AtTekiionen obenan. Wir müssen dieselben in zwei Gruppen 
iiondcrn : 

ai in solche, welche durch mechanische Einwirkungen des 
wacliNcnden Uterus auf benachbarte Nerven.stäinme zustande 
kommen, 

b) in s. liehe, welche in entfeintet en Nervengebieten infolge 
nicht naher l>ekanntor Ursachen auftreten. 

Die Neuralgien der er>tci wähnten Gruppe treten gewöhnlich 
in den letzten Schwangerschaftsmonaten und vorwaltend einseitig 
im Gebiete des Nervus ischiadicus auf. Unter den entferntere 



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Die nervösen and psychischen StAnineen der Schwangenehaft. 



37 



Nervengebiete befallenden Neuralgien finden wir die Trigeminus- 
ncuralgien am häufigsten; dieselben setzen meist in den ersten 
Schwangerschaftsniunaten ein und können eine ausserordentliche 
Intensität erreichen. Windscheid berichtet über zwei Fälle, 
in welchen die SchTnerzattacken schliesslich einen so exorbitanten 
Charakter annahmen und so unbeeinHussbar wurden, dass man 
sich veranlasst sah, die künstliche Frühgeburt einzuleiten, was 
beidemale das sofortige Schwinden der Neuralgie zur Folge hatte. 
Die Neuralgien im Trigeminusgebiete treten häufig in Form von 
Zahnschmerzen bei gesunden Zähnen auf und kehren bei manchen 
Frauen während jeder Schwangerschaft wieder. Von neuralgi- 
formen Affektionen sind die anfallsweise in der Brust eintreten- 
den Schmerzen (Mastodynie) wohl die häufigsten. Man darf 
dieselben wohl mit fluxionären Vorgängen nach der Brustdrüse 
in Verbindung bringen, wie dies bei der menstruellen Mastodynie 
der Fall ist. 

Im Verlaufe der Schwangerschaft können sidi ferner die 
verschiedensten organischen Erkrankungen des Gehirns, Rücken- 
marks und der peripheren Nerven entwickeln, da dieser Zustand 
die Wirksamkeit keines der ätiologischen Momente ausschliesst, 
die zu organischen Erkrankungen des Nervensystems führen. 
Der Verlauf der die Gravidität komplizierenden organischen 
Aflektionen des Nervensystems kann sich in derselben Weise 
gestalten wie beim Auftreten derselben unter anderen Verhält- 
nissen, auch muss durch dieselben der Fortgang der Schwanger- 
schaft keine Störung erfahren. So erlitt, um ein Beispiel zu 
geben, in einem Falle meiner Beobachtung eine im achten 
Schwangerschaftsmonate befindliche I ;au durch einen Stur/ aus 
dem Wagen eine traumatische Gehinihlutung, welche eine leichte 
Hemiplegie und A])hasi<- zur I\)lgc hatte. Die /erelnalen Funk- 
tion s.stönmgen hc-^erten sich alsbald, und die F.ntbinduni; erfolgte 
zur noruialen Zeit ohne Sttiruni;. Ai)L;eselieii v'>ii den als reine 
Komplikationen zu betrachtenden kr.nnen jeiloch im Verl.uife 
der Schwangerschaft auch organische Krkrankungen des Noi ven- 
systems sich entwickeln, denen eine ursächliche Beziehung zu 
dem bestehenden Zustande nicht abzusprechen ist. Mit diesen 
Erkrankungen hat sich in den letzten Jahren insbesonders 



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38 



Die nervCs«n und psychischen Störungen der Schwangerschaft 



von Hoesslin*) eingehend beschäftigt, dessen Ausführungen 
im folgenden in erster Linie Berücksichtigung finden werden. 

Was zunächst die Erkrankungen des Gehirns betrifft, so hat 
man eine genuineSchwangerschaftsapoplexie unterschieden, 
deren Ätiologie jedoch noch wenig geklärt und allem Anscheine 
nach keine einheitliche ist. So berichtete Ahlfeld') über den 
Fall einer Frau, welche an dem Tage, an welchem sie die Menses 
erwartete, die jedoch wegen inzwischen eingetretener Gravidität 
ausblieben, von einer Hemiplegie befallen wurde. Hier liegt 
die Annahme nahe, dass eine sogenannte vikariierende Men- 
struation im Spiele war. In der grössten Mehrzahl der Fälle 
treten die hier in Betracht kommenden Apoplexien jedoch erst 
in der letzten Schwangerschaftszeit auf; Lebensalter und Zahl 
der Schwangerschaften scheinen hierbei keinen Kinfluss zu äussern. 
L'nter 27 von von Hoesslin zusammengestellten Fällen') be- 
trafen 12 Frauen unter, 15 solche über dem 30. Lebensjahre. 
L'nter den Befallenen sind Erst- bis Drittgebärende zwar in der 
Mehrzahl vertreten, doch finden sich unter denselben auch Frauen 
mit zahlreichen Schwangerschaften. In einzelnen Fällen wurden 
Frauen während mehrerer Schwangerschaften wiederholt von 
Apoplexien heimgesucht. Von Hoesslin hält es für möglich, 
dass bei den in Frage stehenden Apoplexien eine mit der 
Schwangerschaft Hand in Hand gehende Herzhypertrophie und 
die Erhi>hung der Widerstände im Gefässysiem der unteren 
Extremitäten während der letzten Schwangerschaftsperiode eine 
Rolle spielen. Er hält auch durch Toxine bedingte Gefässver- 
änderungen nicht für ausgeschlossen. Was die Symptome der 
^ogenannten genuinen Schwangorschaftsapople.xien betrifft, so 
handelt es sich hierbei zumeist um jäh einsetzenden Verlust des 
Bewiisstseins, begleitet von Hemiplegie, die sehr häufig mit 
Aphasie verknüpft ist. Der Fortgani^ der Schwangerschaft er- 
fährt hierdurch gewöhnlich keine Störung. 

M Von Hoe*>lin: Münchener medizinische WcKhcnschiift 1904. Nr. 10 
tmd Archiv für P-jchialric. Bd. 3S. H. 3. 1004. ferner Munchener meillzinische 
\\\<henj<hrift Xr. 14. IQ05. 

»I Archiv für Gyniik. Rd. XI. S. 584. 

*. In dieser Zahl sind jc\lixh auch F.iile mit Gchirnb!utunj;en eingeschlossen, 
«Sic inter partum und während des Wochenbettes auftraten. 



Die nervösen und psycbUcben Störangen der Scbwangertdiaft. 



39 



Zu Gehirnblutungen kann es ferner in den während der 
Schwangerschaft so häufig sich entwickelnden urämischen, durch 
parenchymatöse Nephritis bedin^'ten Zustanden konuuen. Der 
L mstand. dass hierbei nicht scheTi mchreie iikitherde sich finden, 
spricht, wie von Hoessiin mit Recht bemerkt, dafür, dass 
hierbei eine Erkrankung der Bhitgefässe vorht-gt. Schwere zere- 
brale Funktionsst()run^en, insbesondcrs liemi- und ^hln(>]>legien 
und Aphasie können aber hei den fraglichen urämischen Zu- 
ständen auch unabhängig von Gehirnblutungen auftreten. In 
einem Teile der betreffenden Fälle wurde zirkumskriptes ( )deni 
des Gehirns und der Meningen gefunden, in einem anderen 
mangelten makroskopische Läsionen. Den schweren Gehirn- 
erscheinungen bei der Schwangerschaftsurämie gehen meist kürzere 
oder längere Zeit neben der Albuminurie noch andere Protromal- 
symptome vorher, besonders häuAg Kopfschmerzen und Übel- 
keiten. Die Kopfschmerzen können eine ausserordentliche Inten- 
sität erreichen und die Nachtruhe andauernd stören. Zum 
Eintritt von Lähmungen kommt es in der Mehrzahl der Fälle 
erst nach einem oder mehreren eklamptischen Anfällen; letztere 
können aber auch, wie von Hoessiin hervorhebt, an die 
Lähmung sich anschliessen oder auch ganz ausbleiben. Der 
Verlauf der Lähmungen ist von ihrer anatomischen Gnmdlage 
abhängig; bei Mangel einer Gehirnblutung können dieselben sich 
rasch zurQckbilden. Die Prognose der durch Blutergüsse ver- 
ursachten Lähmungen ist viel ungQnstigor. Von Hoessiin er- 
mittelte, dass von 40 Frauen mit aibuminurischen Lähmungen 
nur II am Leben biteben. Zu erwähnen ist hier femer, dass 
alte Endokarditiden während der Gravidität exazerbieren oder 
rezidivieren können, wodurch Embolien von Gehirnarterien ver- 
ursacht werden m<^n. Von O Ii vier wird jedoch eine der 
Gravidität eigentümliche schleichende Endokarditis beschrieben, 
die in ihren Sjmnptomen und ihrem anatomischen Bilde völlig 
mit der rheumatischen übereinstimmen und ebenfalls zu Embolien 
der Gehirnarterien führen soll Mir erscheint die Existenz einer 
besonderen Schwangerschaftsendokarditis vorerst noch zweifelhaft. 

Chronische organische Rückenmarksaffektionen, insbesonders 
Tabes, die schon vor der Gravidität bestanden, werden durch 



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40 



Dk DcrvÖMB und piyehttdieii Stönmgen d« SdtwAOgmchkft. 



diese zumeist nicht beeinflusst ; umgekehrt wird auch der Ver- 
lauf der Schwangerschaft und der Geburt durch die fraglichen 
Erkrankungen gewöhnlich nicht alteriert. Bei vorgeschrittener 
Tabes kann es jedoch vorkommen, dass die Geburt sich ver- 
zögert (Beobachtungen von Macdonald und L i t s c h k u s) ') 
und die Wehen nur in sehr geringem Grade schmerzhaft emp- 
lunden werden. 

I>ezÜL,'licli der Fraj^c, ob eine Rückfniuaikserkrankvmi^, wilche 
während einer Schwangerschaft sich entwickelt, in .iti<«k)^»i.scher 
Beziehung zu dieser steht, i^t ein gewisser .SkeiJti/isnuis sehr 
gerechtfertigt. Man hat früher öfters die Schwangei schalt als 
Ursache \ on Spinalei kiankunt^on in Fällen an^ent-minen . in 
welchen andere äliolugiische Moniente im Spiele waren oder libcr- 
haupi kein Spinalleiden vorka*^. Wind scheid äusserte sich 
dahin, dass mit der zunehmenden KcnntniN <ier Ätiologie mancher 
Rückcnmarksei krankungen, die sog. spnialen Schwangerschafts- 
lähtTunigen mehr und mehr verschwinden werchn Wenn wir 
die z. Z. vorliegenden DeobachtunL;en {nüten, ergibt sich 
jedoch, dass ein ätiologischer ZusammenhauL; zwischen Spinal- 
erkrankung und Gravidität nicht in allen m Hetraeht kommenden 
Fällen anszuschlu ssen ist. Es sind hier zwei Reihen von Be- 
obachtuniu'n zu bi i ückNichtigen : In der ersten Kcih«- handelt es 
sich um m\( htisclie Prozesse, die wähtcnd der Gravidität sich 
entwickelten . nach derselben sich besserten , bei folgenden 
SchwaniHTschatlen exazerbicrtcn. Grössere Beweiskr itt kommt 
jedoch den viel selteneren Fällen von rezidivierender Schwanger- 
schaf tsmyeUtis zu. Fin sehr beachtenswerter Fall dieser Art 
kam in von 1 1 o e s s I i n s Beobachtung : 

„Ganz uv T kwOrdig war me.iii rit^'-ner Fall. Ein<^ Krntikr kam mit 
ausigcsprociien inyt litischen Erscheinungen zu mir, die in der letzten Zeit 
der Gravidität eingesetzt hatten und sich nach dem Wochenbett noch 
steiiiertcn. Die Kranke wurde gclx ilt entlassen. Nach c-inigei Zi it kam 
die Kranke wirdt-r zu mir in die An.slalt mit einer -j^i-iischen Parese 
der untt.ren Extremitäten, Bkist-nstörnnj^ und St.:nsibilitatsstörungcn von 
aus^« Sprüchen scgmentalem Typus. Das Krankheitsbild war im grossen 
und ganzen das gleiche wie frQher, die Frau war im vierten Monat der 



*) Zitiert bei Mftller: Krankheiten des weiblichen KGrpera in ihren 
Wcchsdbexiebungen zu den Gescblecbufnnktioneo, 5. 3;, 



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Die nervösen und psycbUcben Störunj^en der Schwangerschaft. 41 



Gravidität, und seit zwei Monaten hatten sich die Symptome bis zur 
jettigeti Höhe entwickdt. Da der Zustand sich noch andauernd ver- 
schliinmerte und die Krankheit, wie aus der Mitbeteiltgimg der Respirations« 

miiskulattir ajrsohlosscn \v<'rd' ti kennt- , l int^m ausgesprochen aszendieren- 
den und somit akut bedrohlichen Charakter hatte, entschlossen wir uns 
— Gehennrat von Ziemssen war damab noch am Leben — lur Ein« 
leituttg dea kflnsdiehen Aborts, die Herr Professor Gustav Klein 
durchführte. Nach dem Abort trat im Verlaufe einiger Monate wieder 
völlige Genesung ein. Die Kranke kam »»in drittes Mal, diesmal nicht 
gravid; sie wurde wieder geheilt entlassen. Ein weiteres Mal kam sie 
wieder im vierten Monat der Gravidität und, da auch diesmal wieder 
ein d( utlirlies Aszendieren des Krankheitsprozesses — wir konnten von 
einer Winhe zur anderen das Krgriffenwerden höherer I>nr«;nl<=ci;mente 
durch die Sensibilitfltsbestimmung nachweisen — konstatiert wurde, 
mussten wir uns wieder zur Einleitung des Aborts entschliessen. Wieder 
rasche Genesung. Nun kam die Frau ein fllnftes Mal mit spastischer 
Paraplegie der unteren Extremitäten und Sensibilitatsstörungen, die bis 
ins erste Dorsalsegm<Mit hinaufreichten. Ich konstatierte eine faustgrosse 
Geschwulst, die links vom Uterus und sehr hart war. Ich empfahl der 
Kranken, einen Gynäkologen aufzusuchen; erst einige Monate später ent* 
schloss ^e sich zu einer Operation, die Herr Dr. Simon in NOmberg 
ausführte; er entfernte ein kindskopfgrosses Fibrom des linken Ovariums 
und ein kleines des rechten. Der /instand der Myr-ütis hli'-b unbeein- 
flusst durch die Operation; die Kranke war Jalir spätct auch wieder 
fiDr längere Zeit in meiner Anstalt, aber ohne Erfolg. Ungefähr V* Jahr 
später bericht« te sie mir ober ihre völlige Wiederherstellung. Seitdem 
ist eine neue Erkrankung nicht eingetreten." 

Der Autor glaubt , dass die Markerkrankun<T in dem ge- 
schildertem Falle auf eine Autointoxikation zurückzuführen ist, 
wie sie auch anderen während der Schwangerschaft auftretenden 
Nervenleiden zugnmdc liegt. Ein sehr Itcncs Vorkommnis 
bei Schwangeren sind die Spinalapople.Nien, die unter denselben 
Verhältnissen aufzutreten scheinen, wie Gehirnblutungen (in Ver- 
bindung mit ICklampsie bei Urämischen). Was die Beziehungen 
der multiplen Sklerose zur Schwangerschaft betrifft, so kann 
diese Erkrankung während der Gravidität bedeutende Verschlimme- 
rung erfahren. Es sind aber auch Fälle beobachtet worden, in 
welchen die ersten Erscheinungen des Leidens während der 
Schwangerschaft auftraten. Ob hier ein ätiologischer Zusammen- 
hang mit der Gravidität vorlag, bleibt vorerst zweifelhaft. 

Die während der Schwangerschaft einsetzende Neuritis ist 
in einem Teil der Fälle zweifellos durch ätiologische Momente 
bedingt, die auch ausserhalb der Gravidität diese Erkrankung 



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42 



Die uervöten und psychischen Stdruogen der SchwangenduJt. 



venirsachcn ( insbesondcrs Alkoholismus und Infektionskrankheiten). 
Daneben finden sich jedoch nicht selten Fälle, in denen der 
Schuan^^erschaft selbst eine ätiologische Bedeutung zuerkannt 
werden nuiss, so dass man von einer s]>cziellen Neuritis gravi- 
tlarinn .sprechen kann Besonders bemerkenswert ist hier der 
Umstand, dass die Schwaiigerschaftsneuritis öfti rs in Verbindiin;^' 
mit Hypeicniesis gravidarum aul tritt und mehrfach auch in 
Frillen bcifbachtet wurde , in welchen eine abgestorbene Frucht 
längere Zeit im l terus /.urückgehalicn wurde. Die Aiuiahme 
einer Toxinwirkung liegt in diesen Fällen gewiss nahe. Bei der 
Kombination von Hypercmcsi^ nut Neuriii.s ^inJ zwei Möglich- 
keiten in Betracht zu ziehen. Besteht das Erbrechen längere 
Zeit vor fl« in Auftreten der Neuritis, x) kann die durch die Inani- 
tion Ijcdini^te schwere St^.ruiv^ der Allgemeinernährung die Ur- 
sache der Neui itis !)ilden i clyskra^i^che oder kachekti'^che Neuritis). 
Es sind aber auch l-'alle tteobaclUet worden, in welchen Hyper- 
emesis und Neuritis (Polyneuritis) fast gleichzeitig auftraten oder 
du- Neuritis nach kurzer Dauer des Er!>rcrhens einsetzte, so dass 
man, wie von II oe sslin mit Recht bemerkt, an die Möglich- 
keit einer Verursachung beider A^ektionen durch das gleiche 
toxische Agens denken kann. 

Die Symptomatologie der Neuritis gravidarum zeigt je nach 
der Ausbreitung und Intensität de< Pn zesses alle die Schwan- 
kungen, die bei Neuritis überhaupt beobachtet werden. Fast 
ebenso häufig wie die Beschränkung des Prozesses auf ein ein- 
zelnes Nervengebict oder eine Extremität kommt die generelle 
Polyneuritis mit schweren atrf)phischen Lähmungen der Extremi- 
täten, öfters auch mit Beteiligung der Gehirnncrvcn vor. Letz- 
tere Form di s Leidens zeij{t nicht selten einen ausgesprochen 
aszendicrendcn Charakter; bei demselben kann auch Lähmung 
der Blase und ties Mastdarms eintreten, was diagnostische Se]n\ i< rig- 
keiten herbeiführen mag. Die in der Liter.itur gcw()hnlich als 
Korsa k o w'scher Syni[)tomcnk<>mplcx bezeichneten, in der Tat 
von G. Fischer^) und mir*) zuerst beschriebenen psychischen 
Störungen, unter denen die Gedächtnisschwäche eine besonders 

Fitcber Archiv tüt Pt>ychlaltie lUmI i). I. Heft. 1883. 
^ Locwenreld ibidem Baiid 1$. Hclt a. 




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Die nervösen und p-sycbischen Störungen der Schwangerschaft. 



43 



hervorras^'entle Rolle spielt, bilden eine häufige Komplikation der 
Schwan ^^erschafts-Poiyneurilis. 

DtT Verlauf der Neuritis gravidarum {gestaltet sich nicht 
verschieden von dem anderer toxischer Ncuritidcn. Bei i.okaU- 
sation des Prozesses ist Heilung das Gewöhnliche. Bei den 
schweren polyneuritischen Formen zeigt sich nach der Entbindung 
nicht immer sofort ein Rückgang der Symptome. Die Heilung 
erfolgt hier mitunter cr^t im Verlaufe von mehreren Jahren. Nicht 
selten kommt es jedoch hier wie bei anderen Formen der Neuritis 
auch zum letalen Ausgange. 

Im Anschlüsse sei hier erwähnt, dass sich im Verlaufe der 
Schwangerschaft auch selbständige Muskelerkrankungen ent- 
wickeln können; zumdst handelt es dch um dte die Osteomalacie 
häufig komplizierende Dystrophia musculorum. Ungleich seltener 
begegnet man der Polymyositis. Wie mit dieser verhält es sich 
mit der Myasthenia gravis, einem Leiden, dessen anatomische 
Grundlage noch nicht aufgeklärt ist. In vereinzelten Fällen ist 
das Auftreten dieser Affektion während der Schwangerschaft, 
deren Rückgang nach der Entbindung und die Exacerbation bei 
Wiederkehr der Gravidität beobachtet worden. 

Die psychischen Störungen der Schwangerschaft. 

Unter den während der Schwangerschaft auftretenden psy- 
chischen Störungen sind die krankhaften Gelüste (Picae) allbe- 
kannt. Dieselben richten sich zum grossen Teile auf unver- 
dauliche Stoffe, wie Kreide, Si( i^ellack, Kaffeebohnen etc. Es 
handelt sich hier um Erscheinungen, die dem Gebiete des 
psychischen Zwanges angehören und nicht mit Anomalien der 
Geschmacksempfindung, wie man vielfach annimmt, zusammen» 
hängen. Dieselben treten wahrscheinlich nur bei hereditär 
psychopathisch belasteten Individuen (insbesonders hjrstertschen) 
auf. Die Schwangerschaft kann jedoch auch das Auftreten 
weniger harmloser Zwangstriebe brünstigen, von denen wir hier 
zunächst nur die Kleptomanie erwähnen wollen*). Häufig be- 



*) Bei den von nnbesdiolteaen Schwangeren ansgeAthrten Diebctftblen handelt 
CS »ich jedoch nicht immer mn Zwaogstriebe. Von Fischer wurde in jflngster 



44 vervÖMa und psfdiidiett Stdrangea der Schwaogcrscbaft. 



gegnet man bei Schwangeren, nannentltch Ers^resdiwängerteiit 
Zuständen leichter gemütlicher Depression, und Mongert ist Sf^ar 
geneigt, diese als eine regelmässige Begleiterscheinung der Gravi- 
dität zu erachten. Diese Auffassung ist entschieden irrtOimlich. 

Wir begegnen gemütlicher Depression insbesonders in den Fällen, 
in welchen die Konzeption für die Frau ein unerwünschtes Er- 
eignis oder geradezu ein Unglück bedeutet i .s«> insbes' inders bei 
ausserehelicher Schwängerung, nach Vuihertjang schwerer Ge- 
burten oder Erkrankungen und deri^l i, sc» da^s es zumeist an 
einer gewissen Motivierung der Verstimmung nicht tehlt. Aul der 
anderen Si ite kann aber auch die Schwangerschaft, namentlich 
wenn sie nach längerer vergeblicher Erwartung von Kindersegen 
sich einstellt, eine Oiiellc freudiger F.ricgung iulden. 

Die eig(Mit iichcii Schwangcrschaltsi)sychosen sind keine sehr 
häufigen Vorkonuiini&se , die an solchen erkrankten Frauen 
bilden nur 3% von den Patientinnen der Irrenanstalten. Die 
erste, resp. die ersten Schwangerschaften geben am häutigsten 
den Anstoss zu diesen I'2rkrankungen, und das Auftreten dcr- 
'-ilben fällt uberwiegend in die zweite Hälfte der Schwanger- 
schaft, in kUnischer Hinsicht zeigen die einzchicu l'älle eine 
sehr verschiedene ( icstaltuni;. Die Schwangersciiaft^iisychüsen 
bilden keine einheitHciu-, scib.-^landige Gruppe gci^tii^cr Störungen, 
wie dies norh in ncucicr Zeit von Mungeri angenommen 
wurde Am häuligsten tutt sie in der l <»rm der Melancholie 
auf ( nach F ü r s t n <• r in So '* 0 , nach K i p p i n g in H4 , j " 0 der 
Fället; an zweiter Steile tangiert die Manie. Nach Kräjielin 
scheint tiie Schwangerschaft auch nicht selten zur I.ntwicklung 
der Dementia pra* tox den Anstoss zu geben. Im Zusammen- 
hang mit den melancholischen Zuständen kann es zum Auf- 
treten suizidaler und krimineller Impulse (Mord, Brandstiftung) 
kommen, die mitunter auch zu den betreffenden Handlungen führen. 

Die Pathogenese der in Frage stehenden psychischen Er- 
krankungen ist noch sehr wenig geklärt. Dass den in der 



Zeit (Allg. Zeilscbr. f. ]>!»)xhialne fid« 61. Kft. der Fall einer acbwang^eo 
Frau mitgeteilt, welche in einem hysterischen IMImmcrznstande wührend eine« 
Gescbiftsganges eine Anzahl von DiebfitMilen au)>f(lhrte. 



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Die neivöseu und psycbischea Störungen der Schwangerschaft. 



45 



Schwangerschaft sich entwickelnden Veränderungen in der Blut- 
beschaffenheit und den Zirkulationsves h.ilitus.sen '^Ansbildun;^ des 
Plazentarkrcihlaufes) ein Einfluss nicht zuzuerkennen ist, hierfür 
spricht schon die relative S(;ltenheit der Gravidiläts{)sychosen. 

Mongeri will die Geisteskrankheiten ilcr Schwangeren auf 
Intoxikationsvorgange, verursacht durch St()iungcn der Leber- 
funktion, zurückführen und deshalb in die Gruppe der von ihm 
nach Klippel als „Folie hcpatique" bezeichneten Fälle ein- 
reihen. Dass es sich in einem Teile der in Betracht kommen- 
den Fälle um Autointoxikationsvorgänge handeln mag. ist nicht 
bestimmt in Abrede zu stellen; ilaliir, dass hierbei Störungen 
der Leberfunktion die Hauptrolle Spiek a, liegt jedoch keinerlei 
Beweis veir. In eim lu Teile der Fälle handelt es sich um schwere 
psychische Traumen, s< > namentlich bei ausserehelich Geschwänger- 
ten, die auf dem B(»den ererl)ter oder erworbener neuropsycho- 
pathischer Dis}>osition ihre Wirkung enttalten. Letzterer wird 
auch in den hallen \ on Autointoxikation eine entschiedene Be- 
deutimg /ugeschriebin werden müs.sen. Verlauf und Ausgang 
der Schwangerschaftspsychosen sind verschieden, was sich schon 
aus der differenten klinischen Gestaltung der einzelnen Fälle 
erklärt. Die Ansichten der Autoren über diesen Punkt sind 
jedoch geteilt. Während z. B. v Krafft-Ebing .sich dahin 
aussprach, dass die Schwangerschafts-, Puerperal- und Laktations- 
psychosen in der .Mehrzahl der Fälle hl Genesung enden, er- 
achten andere die Prognose der Schwangerschaftspsychosen im 
allgemeinen als ungünstig. 



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46 



Die nervösea ood psychischen Störungen der bcbwamger&cbalt. 



Anhang. 

Ober den Eiofluss der Schwangerschaft auf Neurosen 

tmd Psychosen. 

Es ist nicht selten, dass nervöse Frauen während der 
Schwangerschaft eine Besserung ihres Befindens erfahren und 
von Beschwerden verschont bleiben ^ von welchen sie in der 
extragraviden Zeit hein^esocht wurden. Diese Erfahrung hat 
dazu geführt, dass manche Ärzte in der Sdiwangerschaft eine 
Art Heilmittel für gewisse neurotische AITektionen erblicken. Es 
ist nicht immer klarxustellen, wodurch der günstige Einfluss der 
Schwangerschaft zustande kommt. Die unbehinderte Befriedigung 
der sexuellen Bedurfnisse, die Ablenkung der Gedanken in eine 
neue Rtditung, mitunter auch die Freude über den bevorstehenden 
Familienzuwachs, vielleicht auch die Änderung in den Stoffwechsel* 
\*erhähnissen mögen hier eine Rolle spielen. Ungleich häufiger 
äussert jedoch die Gravidität keine ausgesprochene oder eine 
ungünstige Einwirkung auf bestehende Neurosen. Schwerere 
nervöse Erschöpfungszustände, namentlich solche, die mit schlechter 
All^'cmeinernährung einher»jchcn, werden durch die Schwanger- 
schaft gcwühnhch verschlimmert, und rasch aufeinanderfolgende 
Schuanmerschaften können I'tam n niu derariigen Alicktionen in 
einen beklagenswerten Zu.staiiil vtr-rt/en 

Die Erfahruni^en über den Einl]u>s der GraviJiiat auf die 
Hysterie sind anscheinend sehr wider^y i t chcnd ; man wird dies 
jedoch begreiflich finden, wenn man 1h : i.ck^'.ehtigt, wie \ er^-Lhieden- 
artig die Einwirkung der Gravidität aut die l's\che der Frauen 
an sich sich gestaltet und wie sehr die durch die Lebensverhält- 
nisse und die Umj^ebung bedingte psychische Atmosphäre vari- 
iert, in welcher die Schwangere lebt und wirkt. In dem einen 
Falle bildet die Gravidität für die Frau eine Quelle angenehmer 
gemütlicher Erregungen und wird dieselbe von der Umgebung, 
insbesondcrs dem Gatten, in lieln vollster, schonendster Wei-^e 
behandelt. Im anderen Falle bildet die Schwangerschaft den 
Gegenstand schwerer Sorgen oder geradezu ein Unglück und ist 
die Gravide roher Behandlung seitens des Mannes oder des Ge- 



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Die nervotea und psychischen Störungen der Schwangerschaft. 



47 



liebten ausgesetzt. Es ist wohl verständlich, djiss in ersterem 
Falle die Gravidität zum Schwinden gewisser hysterischer Zufälle 
führen mag. während sie in letzterem Falle vorhandene Beschwerden 
steigert und das Auttrctcn neuer hysterischer I j scheinungen be- 
dingt. Indess können auch bei zweifellos gün>ti;4en äusseren Ver- 
hältnissen und in Fällen, in weichen die Schwangerschaft an sich 
keine jieinlichen gemütlichen I jiei^ungen verursacht, zufällig ein- 
wirkende I mstande zur SteiL;«^'! un;^ vorhandener hysterischer Be- 
schwerden oder zum Auftret«Mi neuii hysterischer Symiitome 
führen, die sich kürzere oder längere Zeit erhalten und von 
grösserer oder geringerer Tragweite sem mögen. Insbesonders 
begünstigt die Gravidität das Auftreten einzelner hysterischer 
Zufölle; als solche haben wir bereits das unstillbare Erbrechen und 
gewisse Formen der Chorea kennen gelernt. Dazu gesellen sich 
Lähmungen , die mitunter durch plötzliches Auftreten und rasches 
Verschwinden schon ihren hysterischen Charakter kundgeben. 

Dass bei Personen mit hysterischer Konstitution es während 
der Schwangerschaft zur erstmaligen Entwicklung ausgesprochener 
hysterischer Symptome kommen kann, ist nach dem Angeführten 
wohl verständlich. Man darf jedoch in diesen Fällen die Gravi- 
dität an sich, wenn auch der mit derselben einhergehenden ner* 
vösen Erregbarkeit eine gewisse Bedeutung nicht abzusprechen 
ist, nicht als agent provocateur der Hysterie betrachten. Ge- 
wöhnlich sind hier psychische Traumen im Spiele, die bei der- 
selben Konstitutioii auch ausserhalb der Schwangerschaft nicht 
ohne pathogene Wirkung bleiben würd«i. 

Was den Einfluss der Gravidität auf die Epilepsie anbelangt, 
so ist derselbe ebenfalls sehr verschieden und dabei einer Er- 
klärung kaum zugänglich. Während in einem Teil der Fälle 
Abnahme der Attacken an Zahl und Intensität, selbst ein völl^es 
Zessieren derselben beobachtet wird, zeigt sich in anderen Fällen 
eine mehr oder weniger erhebliche Verschlimmerung des Leidens. 
Je nach den persönlichen Erfahrungen der Autoren schwanken 
daher auch die Ansichten derselben über den Einfluss der 
Schwangerschaft. So berichtet Finard^) dass unter Ii epilep- 



^) Art Grossesse (Dict. encyd. des sciences medicsles). 



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48 nervOsen und psychisdicn StduDgeii der Schwangerscbtiit. 



tischen Frauen bei vier die Anfälle während der Schwangerschaft 
ausblieben, bei fünf sich verringerten und bei xwei keine Ände- 
rung erfuhren. F^r^ ^) beobachtete eine seit ihrem 15. Lebens* 
jähre an £])ilep.sie leidende Frau, welche im Atter von 23 Jahren 
heiratete und von ihrer ersten Schwangerschaft anfangend bis 
zu ihrer dritten Entbindung fünf Jahre später von Anfällen ver- 
schont blidl>. Guder") andererseits, weldier die Erfahrungen 
der Binswanger'schen Klinik zusammenstellte, fand, dass die 
Epilepsie in den meisten Fällen durch die Gravidität eine Ver- 
schlimmerung erfuhr. Es kommt auch vor, dass während der 
Schwangerschaft epileptische Anfälle zum erstenmale auftreten, 
die nach der Entbindung zcssicren oder fortbestehen können. 
Man darf in derartigen Fällen jedoch die Gravidität keineswegs 
ai-s die einzige oder auch nur die Hauptursacche der Erkrankung 
betrachten Bei einer Bauerntochter, die vor Jahren sich vn 
meiner Bent)ai htuni; befand, k.uu es wahrend einer ausserehe- 
lichen Schuaugcrschatt zum erstmaligen Auftreten epileptischer 
Anfälle, die nach der Entbintlung nicht srliwanden und nanient- 
lich zur Zeit der Menses ijeli.iuli sich einstellten. Zu den An- 
fällen geselittn sich im Laufe der Zeit ErscluinunL^en, welche 
auf das Bestehen eines Hirntumors hin\Mes( n. In einem weiteren 
Falle meiner Beobachtung kam es « henfalk bei einer Fiimipara 
während der Gravidität zum Ansbiucli einer F.|)i!ejisie, die in 
der I-\jlL;e mit schwankendem X'eilaufe sich erhielt, ohne dnss 
jedoch weitere ze!-el)iale Sym[iiome hinzutraten. Nacli den 
vorliegenden l.ifahiungen kann es auch wahrend der Gra\i- 
dität zum Rezidivieren einer anscheinend geheilten Epilepsie 
kommen. 

Bezüglich des Einflusses der Gravidität auf bestehende 
Psychosen sind die Ansichten geteilt. Marce, Rij>ping und 
Dittmar äussern sich dahin, dass eine im Verlauf einer Psy- 
chose eintretende Schwangerschaft deren Prognose äusserst un- 
günstig gestaltet. Gegen diese Auffassung wurde von Erlen- 

*) t tTi-; Lcs cpilepsicb cl ksi vpücpti^m s iSw. S. 285. 

Guder, siebe Binswanger: Artikel K])iU-|i!>ie in der Eulenburg'adien 
RealcncykloiKblie, zitiert von Win4»cbeid (Nenropatfaologie nod Gyn&kologie 
189;. S. 63). 



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Die nenrOsea und psychischen Stanutgen der Schwangeradiaft 



49 



meyer unter Hinweis auf günstige eigene Erfahrungen Einspruch 
erhoben, denen jedoch die sehr abweichenden Beobachtungen 
Perettis gegenüberstehen. Dieser Autor fand, dass in 15 
Fällen psychischer Erkrankung, während deren Verlauf es zu 
einer neuen Schwangerschaft kam, nur bei zwei Genesung eintrat ; 
in den übrigen Fällen äusserte die Gravidität einen verschlimmern- 
den Einfluss auf die Psychose, und blieb diese ungeheilt. Mongeri 
äusserte sich in den letzten Jahren dahin, dass die Schwanger- 
schaft auf akzidentelle Geisteskrankheiten einen günstigen , bei 
erblich schwer Belasteten dagegen einen verschlimmernden Ein- 
fluss ausübt und den Übergang in chronische Formen fördert. 
Letztere Ansicht dürfte nicht ganz der Begründung entbehren. 
Es kann nicht als wahrscheinlich erachtet werden, dass an und 
für sich heilbare und nodi nicht lai^e bestehende psychische 
Störungen durch den Hinsutritt der Gravidität allein den Qiarakter 
der Unheilbarkeit anndimen. 



l.Sw*al«ld, SeattteU-Dervficc Stihviigaa. Vierte Aufl. 



4 



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Y. 

Die nervösen Störungen im natürlichen und 
künstlichen Klimakterium. 

(Klimakterische Neurose.) 

Im Durchschnitte zwischen dem 40. und 50. (zumeist 
zwischen dem 43. und 50.) Lebensjahre tritt in dem Geschlechts- 
leben des Weibes eine wichtige Veränderung (der sogenannte 
„Wechsel'*) ein, die sich am auffälligsten durch das Aufhören der 
Menstruation — die Menopause — kund gibt Auf den 
früheren oder späteren Eintritt der Wechselzeit haben verschie- 
dene Umstände, insbesonders Kasse, vorhergehende sexuelle 
Tätigkeit , Allgemeinkonstitution und äussere Lebensverhält- 
nisse Einfluss. Plötzliches Sistieren der Menstruation ist selten ; 
in der Regel gehen dem gänzlichen Ausbleiben der Blutung 
kürzere oder längere Zeit Unregelmässigkeiten der Periode 
vorher , Abkürzung oder Verlängerung der Intervalle zwischen 
denselben oder der Dauer des Blutabganges, Verringerung oder 
Mehrung des Blutverlustes. Die Dauer der Unregelmässig- 
keiten wechselt ebenfalls sehr erheblich; sie können sich nur 

') Die Menopause tritt nicht selten schon in den 30er Jahren, andererseits 
aber auch nach dem 50. Jahre ein. Kiscb fand unter 500 klimakterischen 
Frauen das Aufhören der Menses 

im AUer vom 35. — 40. Lebensjahre bei 48 Frauen 
f» >• »I 4'' 45* >• '4' 

fi ti ti 5'* — 55* »» »I ^9 it 



Die nervOwn StOinii^cn im natfirliclicB oad kfinstUehcn Klimakterittm. 5] 



über einige Monate erstrecken, im Durchschnitte währen dieselben 
jedoch 2 — 3 Jahre. Der weitaus grösste Teil <ler Frauen ^tsch 
glaubt sogar */io derselben) wird während dieser als Klimak* 
terium bezeichneten Lebensepodie mehr oder minder von ner- 
vösen Beschwerde heimgesucht. Diese verschonen Frauen mit 
völlig gesunden Nerven ebensowenig als nervenschwache» wenn 
auch nicht su leugnen ist, dass die nervöse Konstitution für die 
Art, Intensität und Dauer der Störungen von erheblicher Be- 
deutung ist, und jungfräuliche Personen bleiben ebenso wenig 
frei als solche, welche zahlreiche Geburten hinter sich haben. 
In sehr vielen Fällen beschränken sich auch die in Frage 
stehenden, mit den regressiven Veränderungen in den Sexual- 
organen zusammenhängenden nervösen Störungen nicht auf die 
sogenannte Wechselzeit. Sie machen sich nicht selten schon 
einige Zeit vor Bej^inn der Menstruations- Unrcgclmässigi^eiten 
bcmciklich und überdauern da:s völlige Schwinden der Blu- 
tung oft noch jahrelang. Ich hatte eine Frau von 60 Jahren 
in Beobachtung , l)ei welcher im 54. Jahre bereits die 
Menopause einsetzte und bis zur Beobachtungszeir in mehr- 
monaHichen Zwischenräumen Anfälle von tagelangein , aub t ibt 
heftigem Herzklopfen mit allgemeiner Erschöpfung ohne jede 
äussere Veranlassung auftraten. Derartige Anfälle waren vor 
der Menopause nicht vorhanden. Man darf daher, wie dies 
schon von Börner betont wurde, die Bezeichnung „Wechsel" 
(Klimax oder Klimakterium) nicht auf jene Lebensepoche der 
Frau beschränken, welche zwischen Beginn der menstruellen 
Unregelmässigkeiten und dem völligen Ausbleiben der Men- 
struation liegt. Die in Betracht kommenden Veränderungen 
im weiblichen Organismus und speziell im Sexualapparat be- 
ghmen wenigstens häuüg schon früher und endigen wahrschdn- 
lieh meist erst geraume Zeit nach dem Sistieren der Blutungen 
(Börner). 

Die klimakterischen, i. e. unter dem Einflüsse des Klimak- 
teriums sich entwickelnden nervösen Störungen sind nicht so 
zahlreich, wie von manchen Autoren angenommen wird. Es 
handelt sich hierbei zum Teil um Erscheinungen, welche sich 
mdir oder minder ausgeprägt bei den meisten Frauen in der 



52 nervösen Störungen im natürlichen und künstlichen Klimakterium. 



fraglichen Lebensepoche finden und so charakteristisch sind, 
dass sie auch v on Laien ohne weiteres als Symptome des Wechsels 
diagnostiziert werden, zum Teil um Zufälle, welche wenigstens 
so häufig im Klimakterium vorkommen, dass man für dieselben 
einen Zusammenhang mit den um diese Zeit im weiblichen 
Organismus sich abspielenden Veränderungen annehmen darf. 

Hierher gehören gewisse Veränderungen auf psychischem 
Gebiete: erhöhte gemütliche Reizbarkeit, Launenhaftigkeit, 
häufiger noch Neigung zu melancholischer oder hypochondrischer 
Verstimmung. Man hat diese Veränderungen in dem gemütlichen 
Verhalten durch den Umstand erklärt, dass die Frauen in den 
kritischen Lebensjahren sich trauriger Reflexionen über den 
Verlust ihrer körperlichen Reize, i. e. das Altern, kaum ent- 
schlagen können , häufig auch von Angst wegen der vermeint- 
lichen Gefährlichkeit der Wcchselzeit heimgesucht werden. Diese 
psychologische Erklärung der klimakterischen Verstimmung kann 
jedoch nur für eine Minderzahl von Fällen als berechtigt aner- 
kannt werden. Gewiss fehlt es nicht an Frauen , welche sich 
nur höchst widerwillig in die für sie schmerzliche Erkenntnis 
finden , dass Jugend und Anziehungskraft für die Männerwelt 
unwiederbringlich dahin sind, auch nicht an solchen, welche sich 
wegen der Einwirkung des Wechsels auf ihr Befinden über- 
triebenen Sorgen hingeben; allein wir begegnen der Verstim- 
mung auch bei Frauen, welche auf ihr Äusseres nie grosses Ge- 
wicht gelegt und mit der Tatsache des Älterwerdens schon 
lange sich abgefunden haben, wie nicht minder bei solchen, 
welche das Schwinden der Menstruation mit ihren Belästigungen 
sehnsüchtigst herbeiwünschen. 

Häufiger als die eben erwähnten psychischen Erscheinungen 
sind gewisse zirkulatorische und sekretorische Störungen. Vor 
allem sind hier die Wallungen und fliegenden Hitzen zu 
erwähnen, plötzliches und ohne besondere Ursache auftretendes, 
oft von einer gewissen Beängstigung begleitetes intensives 
Hitzegefühl, welches zum Teil lokalisiert, in.sbesonders im Gesicht, 
am Halse und der Brust sich geltend macht und häufig auch 
mit Hautrötung einhergeht, zum Teil über den ganzen Körper 



Die nervISfletk Störaofen im iwtarUdieD und känstlicheB Klimakteiiani. 53 



sich ausbreitet. Beim Aufenthalte in einem geschlossenen Räume 
besteht dabei oft das Geftühl, als ob es in demselben zu heiss, 
oder nicht genügend Luft vorhanden sei. Mit den (liegenden 
Hitzen verknöpfen sich öfters Schweissausbrüche, die aber auch 
häufig isoliert auftreten, zum Teil ohne jede äussere Veranlassung, 
zum Teil infolge gemütlicher Erregungen oder geringer körper- 
licher Anstrengungen. Häufig sind ferner Herzbeschwerden, 
zumeist in der Form von Herzklopfen , das anfallsweise in ver- 
schiedenen Litervallen, se|ir oft ohne jede äussere Veranlassung 
bei voller gonütlicher und körperlicher Ruhe eintritt. Die Be- 
schleunigung der Herzaktion ist hierbei nicht immer sehr erheblich; 
doch kommen auch tachykardische Anfälle mit einer Pulsfrequenz 
bis 1 80 und darüber vor. Die Anfälle können Minuten, Stunden 
und. wie der erwähnte l*^all zeigt , .selbst Taiie andauern, dabei 
bestehen oft peinliche Sensationen in der Herzgegend, Empfin- 
dungen von Brustbeklemmung, Angstzustände und hochgradige 
allgemeine Scliwäche. Eine weitere sehr häufige Klage der 
Frauen in den Wechseljahren bilden Schwindelanfalle von ge- 
ringerer oder gr()sserer Intensität und Dauer, die zum Teil in 
Znsammenhang mit den erwähnten Anwandlungen von Herz- 
klopfen, häufiger jedoch unabhängig von solchen auftreten. Der 
Schwindel kann von solcher Stärke sein, dass es zum Taumeln, 
selbst zum Hinstürzen kommt. Man hat sich mit der Erklärung 
dieses klimakterischen Schwindels viel Kopfzerbrechen gemacht. 
Selbstverständlich mangelt bei den Frauen in der Wechselzeit 
keiner der Anlässe, die überhaupt und insbesonders bei nervösen 
Personen zu SchwindelaniäUen führen (so gewisse Bewegungen 
des Kopfes und der Augen, gemütliche Erregungen, Störungen 
im Verdauungsapparate, Alkoholgenuss etc.), und man darf daher 
keineswegs bei allen Frauen im betreffenden Alter den Schwindel 
auf eine reflektorische, von den Veränderungen in den Sexual» 
Organen ausgehende Beeinflussung der Gehimzirkulation zurüdc- 
führen; allein für einen grossen Teil der Fälle dürfte diese 
Auffassung jedenfalls der Berechtigung nicht entbehren. Wind- 
scheid glaubt, dass man in einer Reihe von Fällen den Schwindel 
im Klimakterium durch arteriosklerotische Gefassverändeningen 
erklären müsse, weil sdche in di«em Lebensalter nicht zu den 



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54 DOTdsen Stönuigen im mtürlicben und kfinstlkheo Klimakterium. 



Seltenheiten gehören. Letzteres ist allerdings richtig, doch dürften 
die arteriosi<lerotischeii Veränderungen der Gefaimgefasse in den 
hier in Betracht kommenden Jahren nur sehr selten einen soldien 
Grad ereichen, dass sie Schwindeianfälle bedingen; der arterio- 
sklerotische Schwindel tritt gewöhnlich erst im höheren Alter 
(in den 6oer Jahroi und später) auf. 

Im Vorstehenden haben wir diejenigen nervösen Störungen 
zusammengefasst, welche mit einiger Sicherheit mit den klimak- 
terisdben Veränderungen des Sexualapparates m Zusammenhang 
gebracht werden können. Diese Störungen stimmen im wesent- 
liehen mit den nach operativer Entfernung der Ovarien (Kastration) 
beobachteten überein, nur sind letztere im allgemeinen von 
stürmischerem Charakter, entsprechend der jähen Unterbrechung 
der Ovarialfunktion. Der erwähnte Eingriff hat bekanntlich zu- 
meist (nach Glaeveke bei ungefähr 90%, nach der Kuhn'schen 
Statistik bei 95 %) Erlöschen der Menstruation zur Folge. Man 
spricht daher auch von einem künstlichen Klimax" (Ho(4ar> 
als Folgei:iistand der Kastration. Die nervösen Beschs Lulen 
(Ausfallerscheinungen, G I a eveke), welche durch die Entfernung 
der Ovarien und das hierdurch bedingte Aufhören der Menses 
hervori^enifen werden, treten zum Teil zur Zeit der nicht wieder- 
kehrenden .Mi-nstrualblutunt^ ein — Molimina inenstrualia — , zum 
Teil in der intermeuistruellen Zi it, wenn auch nicht ausschliess- 
lich in dieser — klimakterische He-^clnverden — . Glaeveke 
fand nur bei 50 '*ü der kastrierten brauen, Pf ist er sogar nur 
bei 30^ 0 Beschwerden zur Menstruationszeit, die vorherrschend 
in ziehenden, krampfhaften Schmerzen zu beiden Seiten des 
Uterus und Kreuzschmerzen bestanden, welch letztere nach oben 
in den Rücken oder in die Oberschenkel angestrahlten. 

In der menstruationsfreien Zwischenzeit konnte Glaeveke 
konstatieren: In erster Linie fliegende Hitzen oder Wallungen, 
gewöhnlich mit Angstgefühl und Beklemmung in der Herzg^end 
vergesellschaftet (bei 90 '"o der Fälle), dann unmotivierte Schweiss- 
ausbrüche, Schwindel häufiger oder seltener (nur in 18,6% der 
Fälle\ Veränderungen der Gemütsstimmung in 67^« der Fälle 
und zwar melancholische Verstimmung in 50*^.0 ; in mehreren 
Fällen zeigte sich auffällige Gereiztheit und Heftigkeit oder fort- 



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Die nervöseo Störuogeo im natürlichen und künstlichen KUnnakterium. 55 



währender Stimmungswechsel, ein Geniütsverhalten , das vor 
der Kastration nicht bestand und sich später wieder verlor. 
! lerzpalpilationen waren nur in 9"/o der Fälle vorhanden, ebenso 
häufig wurde über Kopfschmerzen geklagt, die zum Teil sehr 
heftig waren 

Pf ister fand als Wirkungen der Kastration anf das Nerven- 
system: Wallungen bei 98%, die allerdings in etwa der Hälfte 
der Fälle schon vor der Operation bestanden hatten, dann Kopf- 
schmerzen (bei ungefähr der Hälfte der Fälle), viel seltener ner- 
vöses Erbrechen, Neuralgien, Herzklopfen, Schlaflosigkeit und 
noch einige andere nervöse Beschwerden. BeiQOVon 1 löOperierten 
bestanden Veränderungen der Gemütsstimmung und zwar ge- 
mfitltche Depression, Reizbarkeit, Launenhaftigkeit bei 50^/0 ; 34 
beseicbneten ihren Gemütszustand als besser, heitn-er als vor 
der Operation« Pf ist er betont jedoch, dass bei vielen schon 
vor der Operation gemütliche Verstinunung bestand und man das 
psychische Verhalten nach der Operation nicht ohne weiteres auf 
Rechnung der Kastration setzen darf. Eine mit der Kastration 
dirdet in Zusammenhang stehende Verschlechterung der Gemüts» 
Verfassung ist nach den Zusanomenstetlungen Pf isters jedenfalls 
eine Ausnahme. Nach Pfister wird von kastrierten Frauen häufig 
(ui mehr als der Hälfte der Fälle) über Abnahme des Gedächt- 
nisses geklagt; das gleiche wird von anderen Beobachtern 
(Brodnitz, P^an etc.) erwähnt. In einem von mir beobach- 
teten Falle von Kastration und Totalexstir])ati. >n des Uterus be- 
standen während einer Anzahl von Wochen fa.sl beständig Hitze- 
gefühle und schwere Angstzustände 

Will man die vcin Klimakterium ausgehenden nervösen 
Störungen als Ausserungrn eintr besonderen Nervenati'ektion, 
einer klimakterischen Neurose auffassen, so können als Symptome 
dieser Neurose nur die »m Obigeti angefiihrten Erscheinungen be- 
trachtet werden \'on einzelnen Autoren, sn insbe.sonders \on 
Börner und Windscheid, wird jedoch das Klimakterium auch 

') Kupf<>chnicrzen (abgesehen von Migräne) figurieren auch nicht selten unter 
den Klagen d«r Fiwen im rotfirliclicn Klinmktcriam ; ihr Znsaminenluiiig mit 
des kllnwkterischen Veriliidcnmeen endieint mir jedoch im aUgemeinen sehr 
zweifelhaft. 



50 Die nervösen Störungen im natürlichen und kdn&tlichen Klimakterium. 



als Quelle einer Menge von rein neurasthenischen und hysterischen 
Beschweidcn angesehen. Als solche werden erwähnt: Hyper- 
ästhesie der Sinnesorgane, Schmerzen, Parä.sthesien und An- 
ästhesien an den Extremitäten, Rücken- und Kreuzschmerzen, 
motorisclie Schwächezustände, die Erscheinungen der nervösen 
Dys|)epsie und Enteropathie, Singultus, Zwangsvorstellungen und 
Phobien etc. Alles dies soll das Verschwinden der Menstruation 
verschulden. ,,So entsteht im Klimakterium auf dem Boden 
des durch das Verschwinden der Menstruation erregten Nerven- 
systems eine Neurasthenie, eine Hysterie, welche sich aber in 
keiner Weise von den durch andere Momente bedingten Neur- 
asthenien oder Hysterien unterscheidet." i W i n d s c h e i d. ) ' i 

Diese klimakterische Neurasthenie und Hysterie existiert 
jedoch nach meiner Erfahrung und der anderer kompetenter 
Beobachter nicht. Ihre Annahme beruht nicht auf exakten 
klinischen Beobachtungen, sondern lediglich aut" irrtümlicher 
Dentimg gelegenthcher Vorkommnisse bei Frauen in den kritischen 
Jahren, ich habe in meiner Pra.xis nie einen Fall von Neurasthenie 
oder Hysterie gesehen, welcher auf die klimakterischen Vorgänge 
als einzige Ursache zurückzuführen gewesen wäre und, soweit ich 
die Literatur kenne, wird auch von keinem der Autoren, die 
sich eingehender mit der Ätiologie dieser Neurosen beschäftigt 
haben, das Klimakterium zu den Ursachen dieser Erkrankungen 
gezählt. Auch erfafirrne Gynäkologen erklärten mir, dass sie 
von einer durch das Klimakterium allein verursachten Neur- 
asthenie oder Hysterie nichts wüssten. Ähnlich lauten die Er- 
fahni" . n Krün ig 's. Dieser Autor bemerkt dass keineswegs 
alle Frauen im KUmakterium erkranken und er von jeher einen 



') Windscheid polemisiert auch ^cgvn Matusch, welcher eine ab- 
weichende Ansicht vertritt, iti l(^m er Ibrtfiihrl : ,,Ich k.nnn d.-»her nicht mit 
M a t u s c h übereiD.stinunen, welcher die kliiimkteriM:be NeuroM als eine Fort* 
Setzung oder Vermehning einer icboD frOlier Torhanden gtynstnen Hysterie oder 
Neurasthenie beseichnet wissen will und Fälle, in denen man das KUmakteriam 
a]s ,\tiolo),'ie der Neurose annehmen darf, für „recht selten" erklärt. Er deutet 
die klimakterische Neurose t;cradc/;u als eine teilweise .Vusserung einer krank- 
haften Konstitution, nicht al» Symptom des Klinjakleriuuis." 

*) Krön ig: Ober die Bedeutung der funktionellen Nervenkrankbetten fflr 
die Diagnostik and Therapie in der Gynäkologie. 190a. 



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Die nenröflcn Störunge im natürlidieo and kotutlicbeQ KUmakteriam. 



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bemerkenswerten Unterschied zwischen früher gesunden und nervös 
beanlagten Individuen sah ; „letztere zeigen die schweren nervösen 
S>*mptome, während früher vollständig normale Individuen auch 
das Klimakterium ohne irgend welche erhebliche Störungen im 
allgemeinen überstehen*'. Auch Wüte erwähnt, dass die klimak- 
terischen Beschwerden bei nervengesunden Frauen sehr unbe- 
deutend sind. Natürlich können Frauen in den klimakterischen 
Jahren so gut wie jüngere und ältere von neurastbeniscfaen und 
hysterbcben Zustanden heimgesucht werden oder solche Zustände, 
wenn dieselben schon früher bei ihnen vorhanden waren, durch 
die klimakterischen Jahre fortschleppen. Die klimakterischen 
Veränderungen im Organismus mögen das Auftreten solcher 
Leiden sogar einigermassen begünstigen oder zur Steigerung der- 
selben beitragen ; allein für sich ohne Hinzutreten irgend welcher 
weiterer ursächlicher Momente, die auch unabhängig vom Klimak- 
terium ihre schädigende Wirksamkeit entfalten würden, fuhren 
sie weder zur Neurasthenie noch zur Hysterie. 

Das Verhalten der Libido im natürlichen und künstlichen 
Klimakterium verdient hier noch einige Bemerkungen. Im natür- 
lichen Rliijiaktcriuni liaii man die Abnahme der Libido als 
das Normale betrachten ; es entspricht die.s den Jahren , in 
welchen die betreffenden Veränderungen im weiblichen Organis- 
mus vor sich gehen, und dem Umstände, dass auch beim Manne 
in den 40er Jahren 1 jedenfalls von der Mitte der 40er an) und 
mehr noch in den 50er Jahren gew<>hnlich eine \'errin;^erun^f 
des sexuellen Verlangens sich bemerklich macht. Dass auch 
nach der Menopause eine gewisse Geschlechtslust oft noch Jahre 
lang sich erhält, wie Kisch angibt, erachte ich für ganz zu- 
treffend. Es mangdi jedoch auch nicht an Fällen, in welchen 
während der Wechseljahre bei Frauen mit bis dahin normaler 
Libido sich eine ganz auffällige und jedenfalls krankhafte Steige- 
rung der sexuellen Erregbarkeit einstellt, die zu bedeutenden 
Beschwerden führen kann. Bdrner konnte in diesen Fällen des 
öfteren abnorme Genitalbefunde (Fibrome, Knickungen etc.) nach- 
weisen; auch der so lästige Pruritus genitalium ist mitunter im 
Spiele. Die älteren Angaben über den Einfluss der Kastration 
auf die Libido lauten nicht ganz übereinstimmend; einzelne Beob- 



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58 nervösen Störungen im utürlicfaeii und künstlichen Klimakterium. 



achter fanden nach diesem Eingriffe Abnahme oder Schwinden 
der sexuellen Neigungen , aricJcre dagegen unverändertes Fort- 
bestehen derselben. Nach den Mittciluncjen Cjlacvekc's, der 
über diesen Punkt eingehende Nachforschungen bei 27 k.iiiricrten 
Frauen anstellte, ist nicht nur bei der grössten Mehrzahl ifast 
80 "a) der kastrierten Frauen das geschlechtliche Verlangen 
vermindert oder ganz erloschen, sondern auch ibei jo^io) 
das Wollustgcfühl beim sexuellen Verkehr bedeutend abge- 
schwächt. Pf ist er, welcher von 99 Kastrierten zuverlässige 
Anj^aben iil)er das Verhalten der Libido \ind des Wollustgefühles 
zu erhalten vermochte, fand: den (leschiechtstrieb unvermindert 
bei 19 26 °;o), vermindert bei 24 ( .^o*'o), erloschen bei 35 
( 43 V) überhaupt nie vorhanden bei 21, das VVollust- 

gefühl unverändert bei 18 ( 22*^0^, vermindert oder er- 
loschen bei 60 76,4 °o). Libido und ( irgasmus verhielten sicli 
zumeist konform, nur in einer kleinen Zahl \ on Fällen wurden die- 
selben in ungleicher Weise beeinflusst. L'm das differente Ver- 
halten der Libido nach der Kastration zu erklären, weist Pf ister 
auf den Umstand hin, dass bei Frauen, die geschlechtlichen Ver- 
kehr kürzere oder längere Zeit geübt haben, die Erinnerungs- 
bilder der sexuellen Akte (die Libido centralis) den Geschlechts- 
trieb unabhän^i»,' von peripheren Erregungen zu unterhalten im- 
stande sind. Beimler fand auch, dass Hündiniu n, welche kastriert 
wurden, nachdem sie geboren hatten, noch brünstig wurden, 
während dies bei Hündinnen, welche nicht geworfen hatten, nach 
der Kastration nicht der Fall war. Dann wird auch, wie Pfister 
mit Recht erwähnt, die geschlechtliche Neigung bei der Frau 
durch individuelle Anlage, Lebensweise und die Gesundheits- 
verhältnisse beeinflusst. Pfister schliesst aus seiner Statistik, 
dass bei jugendlichen und unverheirateten Individuen der Ge- 
schlecfatstrieb nach der Kastration konstant erlischt^), während 



*) Bei vier Kastrierten unter 2$ Jahren, weldie ledig und Virgines waren, 

war nach Pfister der (iesclitechtstrieb vollsläDtlig ,.crlo>chcn", bei wci Ver- 
heirateten im j^lcicben Lehensalter vci mindert. Die ilczeichmin^j „ctioschen" 
ist hier jcilenfallä irrlüinlich, sniera bei ucii bctrcflcndcri Virgines eiue Libido 
nicht vorbanden war und daher auch nicht eril^hen konnte; die Operation 
konnte nur die spätere Eotwickluoj; einer Libido verhindern. 



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Die nervösen Störungen im natürlichen und künstlichen Klimakterium. 59 



bei Personen, welche bereits sexuellen Umgang hatten, sich die 
Libido nicht mit der gleichen Gesetzmässigkeit ändert. 

J a y 1 e ') fand unter 33 kastrierten Frauen die Libido bei 
18 unverändert, bei drei vermindert, bei acht erloschen und bei 
drei gesteigert. Der Orgasmus war bei 1 7 unverändert, bei drei 
vermindert, bei vier aufgehoben, bei fünf gesteigert. In sechs 
Fällen war die Kohabitation schmerzhaft. In zwei anderen Gruppen 
von Fällen, in welchen neben den Ovarien der Uterus oder dieser 
allein exstirpiert worden war, zeigte sich in bezug auf Libido 
und Orgasmus ähnliches Verhalten. 

Bloom*), ein amerikanischer Autor, konnte bei Frauen, 
die vor dem 33. Lebensjahre kastriert worden waren, nie völligen 
Verlust der Libido konstatieren. In den meisten Fällen erfuhr 
diese keine wesentliche Veränderung, einigemate sogar eine 
Steigerung. Bei fast allen Operierten war jedoch die vaginale 
Sekretion beim Koitus verringert. Bei den nach dem 33. Lebens- 
jahre operierten Frauen, bei denen einigemal auch der Uterus 
mit entfernt worden war, trat gewöhnlich eine allmähliche Ab- 
nahme der Libido sowohl als des Orgasmus ein. 

Lawson Tait und Bantock') berichteten, dass in manchen 
von ihnen beobachteten Fällen nach Entfernung des ganzen 
inneren Geschtechtsapparates eine erhebliche Steigerung der 
Libido sich einstellte. Von Interesse sind hier auch die Fälle, 
in welchen bei Mangel oder Verkümmerung der inneren Ge- 
schlechtsorgane bei Frauen ein ausgesprochener Geschlechtstrieb 
sich geltend machte. So hat Barrus Ober einen Fall beriditet, 
in welchem, wie die Sektion ergab, kongenitaler Mangel des 
Uterus und der Ovarien bestand und der Geschlechtstrieb so 
entwickelt war, dass die Person in ausserehelichen Verkehr sich 
einliess. Die betreffende Person litt an periodischer Manie und 
cr;^ab sich im Anfalle der Masturbation in schamloser Weise. 
In einem von Bridgc-man bei iclueten Falle, in welchem eben- 
falls Uterus und Ovarien fehiten, war der Geschlechtstrieb eben- 



') Revue de <jyn' r*>loj;ic 1897. S. 403 — 457- 
'1 Medical Standarr l8yO. S. 121. 

*) BiitUh medical jounul 1899. S. 975. 



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Die nervösen Störungen im natürlichen und künstlichen Kiimaktcriuro. 

falls bedeutend und der Orgasmus bei sexuellem Verkehr leb- 
haft. Ahnliche Beobachtungen werden von anderer Seite mit- 
geteilt. 

Wenn wir uns die Frage vorles^en, in welcher Weise sich 
die verschiedenen im Gefolge des natürlichen und künstlichen 
Klimakteriums auftretenden nervösen Störungen erklären lassen, 
so können wir heutzutage uns mit der Annahme einer reflek- 
torischen Entstehung derselben, ausgehend von den Nerven des 
anatomischen Veränderungen unterliegendenSexualapparates, nicht 
mehr begnügen. Verschiedene Tatsachen, nicht lediglich die 
Erfolge der Darreichung von Ovarialsubstaiiz bei den klimak- 
terischen Beschwerden, weisen darauf hin, dass die Ovarien zu 
den Organen mit sogenannter innerer Sekretion <9hlen, t. e. nicht 
ohne Bedeutung für den Stoffwechsel sind. Vk^ie es sich mit 
dieser inneren Sekretion des näheren verhält, stdit allerdings 
noch ganz dahin. Es ist mir jedoch wahrscheinlidi, dass im 
Ovarium Körper gebildet werden, welche entweder aus der Um- 
wandlung an sidi toxischer Stoffwechselprodukte hervorgehen, 
oder die toxische Wirksamkeit solcher normal sich bildender 
Produkte der regressiven Metamorphose aufheben, so dass also 
mit dem Wegfalle der Ovarialfunktion eine Autointoxikation 
eintreten muss. Es ist bei dieser Auffassung verständlich, dass 
im natürlichen Klimakterium infolije der allmählichen Vermin- 
derung der Ovarialtätigkeit und der dadurch ermöglichten An- 
passung des Organismus an die veränderten Stotiwechselver- 
hältnisse nur leichlere nervöse Störungen resultiereu, wahrend 
der brüske F.ingrill in die Ki 'ri'ernkonitrnie, der mit der opera- 
tiven Wcynahme der Ovarien geschieht, /.u stürmischeren Er- 
scheinungen Anlass giebt. Dass von den .Sexualorganen aus- 
gehende retlektin ische l*>regungen nur eine untn geordnete Rolle 
bei der Verursachung der klimakterischen Beschwerden spielen, 
hierfür spricht auch der Umstand, dass nach Entfernung des 
ganzen Uterus (Totalexstirpation) viel geringfügigere Folgezu- 
stände beobachtet werden als nach der Kastration. Nach 
Glaeveke, der auch mit dieser Frage sich eingehend be- 
schäftigte, bestehen dieselben zumeist lediglich in Molimina 
menstrualia, t. e. Unterleibs» und Kreuzschmerzen, welche zur Zeit 



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Die ncrvOsen Störungen im nalürlichen und künstlichen Kiimakterium. Ql 



der nicht mehr eintretenden Periode sich einstellen, allmählich 
sich verrini;c-rn und gewöhnlich nach Jahresfrist verschwunden 
sind. Wo auch in der menstruationsfreien Zeit Beschwerden 
von der Art iler klimakterischen sich zeigen, lassen sich dieselben 
auf zufällige Komj)likat tonen (Mitverletzung der Ovarien bei der 
Operation) zurückführen. Der Geschlechtstrieb wird durch die 
Entfernung des Uterus allein nie zvun F.rloschen gebracht, er- 
fährt hierdurch gewöhnlich «^ogar keine wesentliche X'eränderung. 
Gemiltlirhr Depre<?sion , selbst l)i.s zur ausgesprochenen Melan- 
cholie gehend , wird dagegen nicht selten im (icfoli^e der 
Operation beobachtet. Es ist jedoch zu berücksichti<^'en , dass 
es sich in den betreftenden Fällen um Krebslciden handelt, bei 
welchen die Turcht vor einem Rezidiv etwas si hr Naheliegendes 
und Motiviertes ist, und dieser Furcht, sowie den gemütlichen 
Erregungen, welche der Operation vorhergehen, scheint der 
Ilauptanteil an der Verursachung der in Frage stehenden psy* 
chischen Alterationen zuzufallen. 



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I 



VI. 



Die sexuelle Abstinenz beim Hanne. 



Wenn wir den Einflius der sexuellen Entlialtsamkeit auf 
das Nervensjrstem studieren wollen, müssen wir, um schwer- 
wiegende Irrtümer za vermeiden , auf die Verhältnisse soi^fältig 
Rücksicht nehmen, unter welchen die Abstinens statthat. Wir 

haben nicht bloss Alter, Geschlecht, körperliche (nervöse) Konsti- 
tution, äussert- LehensstelluriL,' und Lebensweise des Individuums, 
sowie etwa j^fleichzeilig auf das Nervensystem einwirkende Schäd- 
lichkeiten, sondern auch den Umstand in Betracht zu ziehen, 
ob die Abstinenz eine absolute oder nur temporät e, d. h. nach vor- 
herj^'chc inleni rcgelmässiL^ein Geschlechtsvcrkehre eingetreten ist. 
im Folgenden wollen wir uns zunächst mit dem Einflüsse der 
Abstinenz bei Männern beschäftigen. 

Man darf hier vor allem die Tatsache weder ausser acht 
lassen, noch verschleiern, dass die Zahl derjenigen Männer nicht 
sehr erheblich ist» welche bis in das reife Manncsalter jeden sexu- 
ellen Verkehr meiden und dabei auch Selbstüberwindung genug 
besitzen, um auf abnorme Befriedigung ihrer gcschleehtlichen 
Bedürfnisse zu verzichten. Manche neuere Autoren sind in ihren 
Ansichten bezüglich des Vorkommens absoluter Abstinenz noch viel 
pessimistischer. Gyurkovechky erachtet dieselbe für eine solche 
Seltenheit, „dass darüber gar nicht wert ist zu sprechen"; die 
s(^enannten Keuschen halt er „mit sehr, sehr geringen Ausnahmen*' 
für Onanisten. Ich kann wie Fürbinger und Eulenburg diesen 
Pessimismus nicht teilen, muss aber zugleich zugeben, dass die 
Befriedigung, welche uns die nicht allzugrosse Seltenheit absoluter 



"V 





Die sexuelle Abslineiu beim Maooe. 



63 



Enthaltsamkeit bereiten könnte, durch einen Umstand einiger- 
massen beeinträchtigt wird. Schon Lallemand sprach sich 
dahin aus, dass diejenigen, welche in i landlungen und in Gedanken 
dem Ideale der Keuschheit am meisten sich nähern, deshalb 
keineswegs als Muster sittlicher Vollkommenheit zu erachten 
sind. „Eine solche voUkommene Tugend liegt nicht in der 
menschlichen Natur, oder, um genauer zu sprechen, es ist dies 
überhaupt keine Tugend ; denn in allen diesen Fällen fand kein 
heftiger Kampf, kein dauerndes Ringen statt; wenn sich etwas 
dergleichen xeigte» so war die Versuchung so schwach, das« man 
sidi eines Sieges gar nicht hätte rühmen können. Wenn es 
so leicht ist, sich so lange gut aufsufQhren, so ist dies stets 
ein schlimmes Zetdien fQr die männliche Potenz.** 

Lallemand mag die Bedeutung fester Grundsätze und eines 
energischen Willens für die Beherrschung der sinnlichen Triebe 
zu gering taxiert haben. Indes erklären auch neuere Autoren, 
Gyurkovechky und FQrbringer, dass die Enthaltsamen 
recht häufig von Hause aus mit abnorm geringem sexueltem 
Vermögen ausgestattet sind und dass „hier gerne aus der Schwäche 
eine Tugend gemacht wird." Ich kann dieser Auffassung nach 
meinen Wahrnehmungen im wesentlichen beipflichten. Für den 
gesunden, geschlechtUch normal veranlagten, in der Vollkraft 
des Lebens stehenden Mai in machen einerseits die Stärke des 
Naturtriebes, andererseits d\c last überall sich bietende Gelegen- 
heit zum sexuellen Verkehre den Kampf gegen das cij^cne Fleisch 
zu einer keineswegs leichten Aufgabe, deren konsequente Durch- 
führung abgesehen von hygienischer Ro<^elung der Lol)ens\veise 
noch besondere geisti^^c Hilfsmittel erheischt. Solche bilden in 
erster Linie religiöse Motive, in /weiter hygienische Rücksichten 
(Furcht vor Ansteckung), während rein ethische oder ästhetische 
Bedenken weit seltener den Ausschlag geben. 

Man könnte, um den Einfluss der Abstinenz bei einer 
grösseren Gruppe von Personen festzustellen, zunächst die Ge- 
sundheitsverhältnisse des katholischen Klerus in Betracht ziehen. 
Diese würden für eine nachteilige Einwirkung der Abstinenz 
auf das Nervensystem im grossen und ganzen jedenfalls nicht 
sprechen. Mir ist von besonderer Häufigkeit nervöser Erkran* 



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Die $exaeüe Abstinenz beim Manne. 



kun^cn, speziell der Neurasthenie, beim katholischen Klerus nichts 
bekannt geworden, und namentlich unsere Landgeistlichen er- 
freuen sich zumeist sehr rüstiger Nerven. Bei den Neurasthenikem 
geistlichen Standes, die im Laufe der Jahre wegen ihres 
Ner\ enzustandes meinen Rat einholten, war mit geringen Aus* 
nahmen kein Anlass zu der Annahme gegeben, dass die sexuelle 
Kontinenz als Ursache der vorhandenen nervösen Beschwerden 
eine Rolle spiele; es fanden sich zumeist genügende andere 
Veranlassungen. Die exzeptionelle Stellui^, welche der katho- 
lische Klerus einnimmt, gestattet uns jedoch nicht, das, was 
bezüglich des Einflusses der sexuellen Abstinenz bei demselben 
beobaditet wird, ohne weiteres auf andere Kreise zu Gbertragen. 
Der katholische Geistliche wird zumeist schon in früher Ji^end 
für seinen künftigen Beruf ausersehen und dementsprechend 
seine Erziehung und sein Verkehr in einer Weise geleitet, 
welche der Unterdrückung sexueller Regungen möglichst fÖrder« 
lieh ist. Dieses Moment fehlt bei der grossen Mehrzahl der in 
anderen Berufen tätigen imd für solche sieh vorbereitenden 
Männer. Das Weib bildet hier nicht physisch und psychisch 
da^ absolute Noli me tangere; Erziehung. Verkehr. Lektüre, 
Beschäftigung bilden keinen Damm gegen die natui liehe Knt- 
wickeluni; de-^ Sexualtriebes ; ja wir können nicht leuynen, dass 
manche r.inrichtiin^cn und Erzeugnisse unst-res modernen Kultur- 
lebens, deren Einwirkungen sich ein gebildeter junger Mann 
kaum entziehen kann — Bälle, Theater, RoinniiHtcratur, Kim'^t- 
wcrkc etc. entschieiien geeignet sind, .schiumniernde sinnliche 
Regungen wachzuruten. Trotz alledem muss ich konstatieren, 
dass bei gesunden, nicht neuropathisch veranlagten Männern mit 
normalem Geschlechtstriebe völlige Abstinenz ohne Schädigung 
des Nervens) stems möglich ist, und dass die Durchführung der- 
selben auch keineswegs zu jenen schweren Seelenkämpfen führen 
muss, die sich in manchen Heiligenlegenden und Erzählungen 
jüngeren Datums berichtet finden. 

Man konnte indes daran denken, dass es sich bd den Indi- 
viduen, für welche die anhaltende sexuelle Abstinenz keine schwere 
Bürde bildet, um mangelhafte Entwicklung des Sexualtriebes 
infolge angeborener Veranlagung handelt. Diese Annahme trifft 



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Di« sexuelle Abitinens beim Manne. 



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jedoch nach meinen Erfahrungen nur für einen Teil der be* 
treffenden Männer zu. 

Die Individuen mit mangelhaftem Sexualtriebe verhalten sich 
gewöhnlich indifferent gegen das weibliche Geschlecht — die 
ausgesprochenen Weiberfeinde gehören wohl zum grössten Teile 
hierher — und bekunden im Falle der Verheiratung den bei ihnen 
bestehenden Mangel dadurch, dass sie die ehelidie Pflicht nur 
sehr sehen leisten. Unter den Männern meiner Beobachtung, 
die vor ihrer Verheiratung abstinent lebten, befinden sich jedoch 
auch solche, die weder vor noch nach der Eheschliessung ein 
fflr mangelhafte Entwicklung des Sexualtriebs sprechendes Ver- 
halten zeigten und trotzdem die Abstinenz im grossen und ganzen 
ohne Beschwerden ertrugen. Es handelt sich dabei um Männer 
von sehr nfichtemer, arbeitsamer Lebensweise, welche durch 
ihre Berufstätigkeit ganz und gar in Anspruch genommen wurden. 

Ziehen wir das Lebensalter in Betracht, so ergibt sich aus 
meinen Beobachtungen, dass bei Männern unter dem 24. Jahre 
jedenlall?, seltener nennenswerte Belästij^ungen infolge der Ab- 
stinenz erwachsen, als bei solchen im Alter von 24— 36 Jahren, 
den Jahren voller Mannesi^ratt und voller sexueller Leistungs- 
fähigkeit. Auch bei diesen letzteren nehmen, wenn nicht gleich- 
zeitig andere Schädlichkeiten auf das Nervensystem einwirken, 
die durch die Enthaltsamkeit allein bedingten Störungen äusserst 
selten einen Charakter an. der zu iuztlichem liingreiten Anlass gibt. 
Zumeist handelt es sich um vermehrte Follutionen , lästige Ge- 
fühle im Bereiche der Samenstränge, der Hoden und des Dammes 
fSamenkollcr), Zustände allgemeiner Erregtheit, leichtere gemüt- 
liche Depression und insbesonders eine mehr oder minder aus- 
gesprochene sexuelle Hyperästhesie. Der Anblick an sich un- 
verfänglicher Dinge erweckt sinnliche Vorstellungen, und Gedanken 
sexuellen Inhalts drängen sidi in unliebsamer Weise in den 
Verlauf der Assoziationstätigkeit. Die Neigung zum Abschweifen 
der Assoziation auf sexuelles Gebiet kann zeitweilig einen Grad 
erreichen, dass die geistige Arbeit mehr oder weniger er- 
Schwert wird. Von in den 30er Jahren stehenden Männern, 
die in vollständiger oder relativer Abstinenz lebten, vernahm ich 
mehrfach auch Klagen über zeitweilige kongestive Anwandlungen 

L««eiif«liJ, Svxnell-iiervliii! StihnngeB. Vierte AoB. 5 



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Die sexuelle Abstiaeoz beim Maouc. 



(Schwere und Völle im Kopfe, leichte Schwindelanfalle), welche 
Beschwerden sie selbst mit der Nichtbefricdigung ihrer sexuellen 
Bedürfnisse in Verbindung brachten. 

Dir (liiich die Kontinenz hervorgerufenen Beschwerden 
können indes eine erhebliche Steigerung erfahren und sich 
zu einer ausgeprägten Neurasthenie entwickeln, wenn während 
des Festhaltens an der Abstinenz Umstände einwirken, welche 
die sexuelle Reizbarkeit in der einen oder anderen Weise er- 
höhen oder die Widerstandsfähigkeit des Nervensystems allge- 
mein herabsetzen. Als solche Umstände müssen hit r erwähnt 
werden: üppige Ernährung bei mehr sitzender Lebensweise, 
wodurch der Hlutzufluss zu den Genitalien und den unteren 
Riickenpartien vermehrt wird, reichlichi r Alkoholgenus^, hatiituclle 
Obstipation, Mangel regelmässiger Beschäftigung, Lektüre von 
Romanen mit sinnlich errettenden Schilderunu;en und anderen 
p*»rnographischcn Literaturerzeugnissen , Besnr-hr von Tingel- 
Tangcl- Vorstellungen mit den bekannten auf Sinnlichkeit berech- 
neten Darbietungen, anhaltender intimerer Verkehr mit Ange- 
hörigen des anderen (jcschlechts , wie ihn z. B. ein längerer 
Bräutigamstand bedingt , endlich ganz besonders die direkte 
sinnliche Err^ung ohne Befriedigung (fnistrane Erregung)^). 

Andererseits sind versdhiedene Umstände geeignet, die 
durch die Abstinenz bedingten Belästigungen erheblich zu be- 
schränken und selbst ganz zu beseitigen: Meidung sinnlich 
erregenden Umganges jeder Art, schlüpfriger Lektüre und der- 
artiger Schaustellungen, frugale Ernährung, sehr massiger G«nuss 
und noch besser gänzliche Enthaltung von geistigen Getränken, 
körperliche Abhärtung und reichliche Bewegung, ganz besonders 
aber die volle geistige Mingabe an die Anforderungen und 
Interessen eines Berufes. Zwei französische Autoren, Gr im and 
de Caux und Martin St. Ange glaubten, speziell mathema* 
tische Studien als ein wirksames Mittd zur Unterdrückung über- 
mässigen sexuellen Dranges empfehlen zu dürfen. Den gleichen 
Dienst leisten jedoch im allgemeinenjede intensive und andauernde, 



') V. K r a f f t- E b i n t; faad uotcr I14 FiiUeu von NcurasthctUA scxualis 
13 ni«l fnutnne Erregung als Ursache. 



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Die sexuelle Abstinenz beim Manne. 

das Interesse voll in Anspruch nehmende ^^eistigc Beschäftigung 
und noch mehr regchnässij^e, an«;trengende korperliclie l htingon. 

Es lässt sich eben nicht vcrkcnnrn. da'is das Gesetz der 
Akkommodation an gegebene Anf«)ril('i ungen tür dasbexualsystcm 
wie für andere Köi jierorgane gilt. Die I-'unktionsfähigkeit der 
Nervenzentren, Muskeln wnd Drüsen wird durcli ein gewisses 
Mass von inanspruchnahine gunstii; IiecintUisst. So wird auch 
durch einen mässigen geschlechtlichen Verkehr die Tätigkeit 
der samenbereitenden Organe angeregt, die sexuelle Leistungs- 
fähigkeit unterhalten und gefördert, hiermit aber auch das Be- 
dürfnis geschlechtlichen Verkehrs gesteigert; andererseits wirkt 
anhaltende Abstinenz im Laufe der Zeit jedenfalls auf die Sperma- 
produktion (trotz zeitweiligen Auftretens häufigerer Pollutionen), 
wahrscheinlich auch auf die Produktion der libidogcnen Stoffe 
und hiermit auf das sexuelle Verlangen, die Libido, beschränkend, 
soferne nicht geschlechtlich erregende Momente gleichzeitig einen 
Einfluss in entgegengesetzter Richtung äussern. Deshalb kann 
es nicht befremden, dass bei jüngeren Männern, welche nach 
längerer Übung regelmässigen Geschlcchtsverkehres aus irgend 
welchen Gründen zu gänzlicher Enthaltsamkeit für längere Zeit 
genötigt sind, in der ersten Zeit der Entbehrung etwas erheb- 
lichere Molesten sich einstellen als bei solchen, die im Zustande 
anhaltender Abstinenz leben. Indes nehmen diese Belästigungen 
bei völlig gesunden Männern und zweckmässiger Einrichtung 
der Lebensweise nie einen ernsteren Charakter an; sie redu»eren 
sich vielmehr allmählich auf das Niveau der Vorkommnisse bei 
anhaltender Abstinenz; die Akkommodation an die neuen Ver- 
hältnisse kann sogar schliesslich, wie eine Beobachtung von 
Gyurkovechky*) zeigt, zu einer Verringerung der Potenz 
fuhren. 

Im Vorstehenden habe ich im Wesentlichen meine eigenen 
Erfahrungen berücksichtigt, welche Männer im Alter von 20 — 40 



*) Gyurkoveebky erwlbot, dass die Ottemicbiacheii Offiziere, welche 

den bosniNcbcn Fckl/ug mitgemacht hatten and nach ihrer Rückkehr iofolge 
der langen Entbehrung sexueller GenOssc sich zu besonderen ge^chk•l:hlIicbcn 
Leistungen bciabigt glaubten, in dieser Hinsicht eine grosse Enttäuschung erlebten; 
ihre Potenz erwies sich eotadiieden veninKert und erholte sich erst allmShiich, 

S« 



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Die sexuelle Abstiuenz beim Manne. 



Jaiiren betreffen. Die populären Ansichten über die Vor- und 
Nachteile des Verzichtes auf geschlechtlichen Verkehr gehen 
auseinander. 

Im Altertum schrieben sowohl Hellenen als Römer der sexu- 
ellen Abstinenz der Jünglinge einen entschieden günstigen Ein- 
fluss auf die körperliche Entwicklung und Leistungsfähigkeit zu. 
Sehr bemerkenswert ist in dieser Beziehung das Zwiegespräch» 
welches Aristophanes in seinem Lustspiele „die Wolken" den 
Gerechten mit dem Ungerechten führen lässt. Der Gerechte 
schildert hier den in einfacher Lebensweise erzogenen, in sexu- 
eller Abstinenz lebenden Jüngling als Muster von Kraft und 
Gesundheit, den Unkeuscben dagegen ab Schwächling mit bleich* 
süchtiger Farbe, schwindsüchtiger Brust und mit grossem Mem- 
bnim. Im alten Rom wurde die sexuelle Abstinenz als ein 
Erfordernis der athletischen Ausbildung betrachtet; ,,abstinuit 
vtno venereque", berichtet Horaz vom Wagenkämpfer. Die alten 
Germanen legten nach den Schilderungen, die uns Tacitus ge* 
liefert hat, Gewicht darauf, dass die jungen Leute erst spät zum 
Liebesgenusse gelangten. Tacitus bringt die inexhausta pubertas 
seiner germanischen Zeitgenossen mit dieser sera juvenum Venus 
in Zusammenhang. Diejenigen, welche die geschlechtliche Ab- 
stinenz in hygienischer Beziehung schlechterdings für eine Schäd- 
lichkeit erachten — und deren Zahl ist Ljegenwärtig noch eine 
sehr grosse — berufen sich i^erne auf die bekannten W ui ic Lutlu-rs, 
mit welchen dieser das P>ckämptcn dc^ Naturtriebes als Unnatur 
bezeichnet, oder die Äu>serungen Buddhas über den Geschlechts- 
trieb. Allein auch die Anschauunijen, denen man in den medi- 
zinischen Kl eisen über den gesundlu itHchen Finfluss der sexuellen 
Abstinenz huldigt, sind noch sehr widt*rsi)rt'(, lu nd ; auf der einen 
Seite W'ird andauernde 1 nth.ilt'-anikeit untii allen Umständen 
als gesundheitsschädlich, aul der anderen Seite unter allen Um- 
ständen als das für den unverheirateten Mann moralisch und 
hygienisch Zuträglichste bezeichnet. Von alteren Ärzten, die 
ersterc Anschauung vertreten, ist hier insbesondere Lallcmand 
zu nennen. „Eine absolute Keuschheit", bemerkt Lallcmand, 
„ist früher oder später selbst jenen schädlich, die sie mit Leichtig- 
keit ertragen". Spermatorrhoe und Impotenz bilden nach diesem 



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Die «exoelle Abstinenz beim Manne. 



69 



Autor die gewöhnliche und notwendige Folge der Enthaltsam- 
keit; bei Personen mit sehr energischen Z^ei^ngsorganen soll 
bei zu langer Andauer absoluter Enthaltsamkeit früher oder 
später der Organismus in eine allgemeine Aufregung geraten, 
,,die sich auf das Gehirn fortsetzend bis zum erotischen Wahnsinne 
gehen kann". Von Autoren der Neuzeit stellt Gyurkovechky 
die Kontinenz hinsichtlich ihrer schädlichen Wirkungen auf eine 
Stufe mit den sexuellen Exzessen. Hammond spricht von 
Fällen» in welchen die Abstinenz, in abnormer Weise durch 
religiöse Gesetze oder durch Aberglauben veranlasst, im Laufe 
der Zeit zu dauernder Impotenz fuhrt. 

Nach V. Schrenk-Notzing kann erzwungene Abstinenz 
die Willensfreiheit tjcfährdcn und zu Satyriasis und Perversitäten 
des geschlechtlichen Handelns führen. Dieser Autor ist der 
Ansicht, dass der keusche Jüngling Enthaltsamkeit üben soll, 
so lange er seine Triefie zu zügeln vermag ohne Nachteil für 
seine Gesundheit. ,, Läuft er aber Gefahr bei zunehmender 
Mächtigkeit des Triebes der Onanie, der Satyriasis oder einer 
perversen Betäti^juntj zum Oiifer zu fallen, so ist es Ptlicht 
seiner Mrziehor und seines Arztes, die Ausübung des C. zu 
veranlassen". Freud betrachtet die sexuelle Abstmenz, ms- 
bcsonderc bei erheblicher Libido (resp Mangel sexueller Be- 
friedigung) als eine Ursache der Angstzuslände beiNeurasthenischen 
und Hysterischen (seiner Angstneurose) ; dieser Auffassung ist 
Gattel auf Grund einer Anzahl von Beobachtungen in dem 
V. Kr af ft-Ebing 'sehen Ambulatorium beigetreten. 

In den letzten Jahren hat Erb darauf hingewiesen, dass 
die sexuelle Kontinenz je nach Entwicklung des Sexualtriebs 
sehr verschiedene Wirkungen äussert. Während die sogenannte 
Naturae frigidae dieselbe ausserordentlich leidit und ohne alle 
üblen Folgen ertragen, können gesunde Männer mit regem 
Geschlechtstriebe nach seiner Erfahrung durdi die Enthaltsam- 
keit geschädigt, jedenfalls sehr belästigt und in ihrer psychischen 
Leistungsfähigkeit, Arbeitslust und Stimmung entschieden be> 
schränkt werden. „Zweifellos aber gilt dies in höherem Grade 
für neuropathisch belastete Individuen, deren Zahl ja ausser* 
ordentlich gross ist; dieselben sind häufig von liause aus mit 



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70 



Die sexuelle Ab&tiQcuz beim Manne. 



einem besonders rc^'cn Geschlechtstrieb ausgestattet und leiden 
durch dessen unbefriedigte Anforderungen durch Pollutionen, 
Zwangsonanie, Störung der Nachtruhe und der Arbeitsfähigkeit, 
auch durch die Entwicklung der verschiedenen Formen «»sexueller 
Neurasthenie** in hohem Masse". 

Jastrowitz erwähnt, dass nach seinen Erfahrungen so- 
wohl in der Jugend wie in der mannbaren Periode durch er* 
zwungene Enthaltsamkeit leichtere und schwerere Verstimmungen 
entstehen, die bei Veranlagung Lebensüberdruss erzeugen können. 
Der Autor, welcher sich Erb 's Ansichten völlig anscbliesst, 
weist auch auf die in früheren Zeiten berüchtigte Premierlieut- 
nants- und Assessorenmelancholie und Hypochondrie hin, die 
sich bei den Betreffenden erst mit der Gründung eines eigenen 
Haussundes und regelmässiger Befriedigung ihrer geschlecht' 
liehen Bedürfnisse verloren. 

Auch W. Hammer (Berlin) und Marcuse (Berlin) haben 
sich in jüngster Zeit mit den gesundheitsschädigenden Folgen 
beschäftigt, welche die Abstinenz bei beiden Geschlechtem nach 
sich ziehen kann. Letzterer Autor ist zu dem Schlüsse gelangt, 
dass in den Fällen, in welchen derartige Folgen zutage treten, 
der Ai/.t die Pflicht habe, dem Patienten den geschlechtlichen 
Verkelir zu verordnen. 

Dagegen wird von einer Reihe hervorragcntlcr englischer 
Ärzte, Acton, Beale, Paget, Gowcvs und ebenso von dem 
schwedischen Arzte Scved Ribl)ing (Prufessor an der l niversität 
Lund) mit Entschiedenheit in Abrede gestellt, dass der sexuclkn 
Enthaltsamkeit irgend welche gesundheitsschädliche Folgen zu- 
kommen. Ihnen haben sich von deutschen Autoren He gar, 
Eulenburg und Für binger im wesentlichen angeschlossen. 
He gar, dessen Polemik banpt^;ichlich gegen die Behauptungen 
Bebels in dessen Buch „die Frnn imd der SoziaHsmus" sich 
richtet, hält es unter anderem für durchaus nicht berechtigt, 
die Nichtbcfriedigung des Geschlechtstriebes als kausales Moment 
der Satyriasis und Nymphomanie anzunehmen. Eulen bürg 
bezweifelt es, dass schon irgend jemand bei sonst vernünftiger 
Lebensweise durch geschlechtliche Abstinenz allein krank, speziell 
neurasthenisch oder sexualneurasthenisch geworden ist. Er hält 



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Die senelle Abftüneoz beim Uanne. 



71 



auch die Freud 'sehe Annahme einer Angstneurose als Folge 
sexueller Abstinenz für verfehlt. Es lässt sich a priori annehmen, 
dass, wo sich solche Gegensätze offenbaren, die Wahrheit nicht 
ausschliesslich auf einer Seite liegt. Zweifellos trifft das» was 
wir im Obigen von den Folgen der Abstinenz erwähnten, völlig 
für gesunde, nicht von Haus aus neuropathisch veranlagte Per- 
sonen zu. Dass für die Nerven- und Geiste^esundheit dieser 
die Abstinenz keine Gefahr bringt, wird auch von deutschen 
Irrenärzten (Arndt, Forel, v. Krafft-Ebing) zugegeben. 
Dagegen trifft das Bemerkte nicht mehr ganz zu fOr Individuen, 
welche durch sexuelle Missbräuche ihre geschlechtliche Reizbar- 
keit erhöht haben (Sexualneurastheniker) und noch weniger 
für jene neuropathisch Belasteten, welche info^e ihrer konsti' 
tutionellen Veranlagung mit einem sehr mächtigen (krankhaft 
gesteigerten) Sexualtrieb behaftet sind. v. Krafft^Ebing hat 
zuerst *) und jedenfalls mit Recht darauf hingewiesen, dass bei 
den Belasteten mit krankhaft gesteigertem Sexualtrieb erzwungene 
Abstinenz ernste Gefahren beziiglich der Kntstehiing von Nerven- 
und Geisteskrankheiten herbeiführen und durchaus antihygienisch 
sein kann. Nach diesem Aut()r kann hier als Folge der Unter- 
drückung; des machtigen Triebes ein allgemeiner nervöser Er- 
regungszustand entstehen, aus dem sich bei längerer Andauer 
schwere Neurosen, Satynasis (bei Frauen Nymphomaniet, imter 
l'mständen selbst Psychosen entwickeln *j. Das Material für 
derartige Beobachtungen ist indes, wie v. Krafft-Ebing zugibt, 
ein sehr beschränktes, da in dem Kampfe zwischen Sinnlichkeit 



') „über Ncurnsea und Fkychosea duidi AbstincDS", Jihrbttchcr ffli Psych* 
»trie, 8. Band 1889, S. i. 

') An anderer Stelle (P s y t Ii o p a t h i a <; e ^ 15 a 1 j s, n. Aufl. S. 49) bemerkt 
der Autor: „Die Gewalt des bexualthcbcs kann bei ihnen (den Belasteten mit 
kmüdiaft gesteigertem Sexiudtriebe) zeitweise geradezu ^ BedeutuDg euer oiga> 
otecben N<ttignng gewtoDeD und die Willensfreüieit eroftlich gef&brden. Die 
Niditbefiiedigiui)^ <!rs Dranskes kann hier eine wahre Brunst oder eise mit Angst- 
empfinclunwcn ciniierj;chendc psychische Situation herbeiführen, in welcher das 
Individuum ihm Triebe ctlieirt und seine Zurechnunf^sfähipkeit zweifelhaft wird. 

Unterliegt das Individuum nicht seinem mächtigen Drang, so steht es in 
Gefkbr, durch die eixwuDgene Abittuenz seia Nervensystein im Sinue einer Neur« 
■sthenie zu ruiniereii oder eine bereits vorhandene bedenklidi zu steigern**. 



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72 ^i*^ sexuelle Abstinenz beim Manne. 

und X'crminlt die erstere in der Regel Siegerin bleibt und der 
Geschlccht-^ti icl) alle Schranken der Sitte durchbricht oder 
wenij^atcns durch Mastui bation befriedigt wird. 

Ich habe eine Anzahl einschlägiger Fälle beobachtet, über 
ut lche ich mit Rücksicht auf die Seltenheit derartiger Beobach- 
tungen hier wenigstens in Kürze berichten will. 

Beobftchtttiiff L 

Der Fall betrifik einen Ordensfrater^ einen jungen Mann von a6 
Jahren^ dessen Gebabren im l^fe der Zeit so auffallend geworden war, 

dns<5 «eine Ordensvorgesetzten sich veranlasst sahen, mir denselben be- 
hüls ärztlichtr Untersuchung zuführen zu lassen. Der Patient, in dessen 
Gesichtszügen sich ein gewisser Stupor ausprägte und der anßlnglicii 
sich sehr verschlossen und wortkarg zeigte, beriditete auf Iftngeres ein« 
dringliches Befragen Folgendes: Er ist von bAuerlicber Herkunft und 
schon '^clu junp; fniit r8 oder 19 J.ihrenj ganz aus freiem Antriebe, 
lediglich emer religiösen Neigung folgend, in das Kloster eingetreten, 
woselbst er vorzugsweise mit Gartenarbeit beschäftigt wurde. Er hat 
nie sexuellen Verkehr gepflogen, nie Masturbation geObt In den ersten 
Jahren seines klosterlichen Lebens war sein körperliches Befinden und 
sein Gemütszustanti ganz befriedigend. Sf it Llngerer Zeit dr;lngen sich 
jedoch in seine tjedankenwclt fortwülirend und zwar stetig zunehmend 
sexuell-siniüiche Vorstellungen, die er als sündhaft erachtet und nach 
Kräften, aber vergebens» zurflckzudrflngen sich bemOht. Dieses unauf- 
hörliche Ringen, die sich regenden sinnlichen Begehren ta unterdrücken, 
und die Seclenqualen, weicht- d.i- strtiir sich erneuernde VnrdrSnj^en 
der sündhaften Gedanken und die vernienitliche Schädigung seine«. Seelen- 
heiles durch dieselben ihm bereiten, haben allmählich seinen Nervenzu- 
stand hochgradig alteriert und tiefe gemütliche Depression herbetgefilhrt 
Kr erschrickt und zittert bei dem geringfügigsten Anlasse, ist aur Arbeit 
fast unbrauchbar und menschenscheu geworden und nfeidet sogar den 
Verk« hr mit seinen Ordensbrüdern soweit als möglich. Der Schlaf ist 
mangelhaft, er kann niu- auf einem sehr harten Lager sich der ihn quälen- 
den sinnlichen Vorstellungen einigermassen erwehren; der Anblick 
eines weiblichen Wesens versetzt ihn in die höchste Aufregung. Dabei 
b(>stehcn keine übermä>i.igen Tollutionen. Dieser krankhafte Zustand 
cntwickche ^-ich trotz noti^cdrung» n sehr frugaler Lebeu-swcisi- und 
reichlicher Heschatti^ung im Freien. Ererbte Aidage zu Geisteskrank* 
heiten ist bei dem Patienten nicht erweislich; doch ist derselbe wahr* 
scheinlich von Hau.se aus nervenschwach. Da es sich um einen Laien- 
bruder handelte, dem die Rückkehr in das weltliche Leben freistand, 
konnte ich bt i di« '«er S.n lilai^e mich nur dahin aus.sprechen, dass der 
Patient infolge seiner Konstitution sich zur Fortsetzung des klösterlichen 
Lebens nicht eigne; dem jungen Manne selbst erteilte ich den Rat, 
nach seinem Austritte aus dem Kloster eine Verheiratung anzustreben. 



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Die sexuelle Alntineiu beim Manoe. 



73 



Beobachtung S. 

Herr L.» 30 Jahre alt, ledig, im subalternen Staatsdienst. Die 

Mutt' 1 des Patienten war nielancholi^^ch, starb 74 Jahre alt; der Vater 
noch lebend und angeblich gesund; 3 Geschwister, von welchr n «-ine 
Schwester luelanchuUsch. Im Alter von 13 Jahren eine Kopfverletzung 
durch einen berabCUlenden Stein mit folgender Bewusstlc»sigkcit ; seit- 
dem Schmerzen an der betreifenden Kopfstelle (rechtes Seitenwandbein). 
Vor 8 Jahren, w.ihrend der Militärdienstzeit, luetische Infektion. Mastur- 
bation fraher viel tieObt, jedoch seit mehremi Jahren bereits gänzlich 
autgegeben. Vor a Jahren Versetzung auf das i^and. Seitdem trotz 
bedeutender Libido v&iligc sexuelle Abstinenz, teils wegen mangelnder 
Gelegenheit^ teils wegen religiöser Skrupel. Die dienstlichen Verhalt» 
nissi ni^ti^en den Patienten ausserdem zu vielem Alleinsein. Unter 
drill l.influsse dieser ^!lnT1e^te entwickeln sich allniühlifli Iiachi;rndiiie 
nervöse Reizbarkeit und gemütliche iK'pression mit Angstzustl4nden, 
namentlich beim Alleinsein, Kopfschmerzen, Schlafstörung, sexuelle 
Zwangsvorstellungen, zu welchen sich nadits bei mangelndem Schlafe 
öfters erotische llallu^nationen gesellen. Patient sieht eine nackte 
Krauengestal t vnr sich oder neben sich im Bi ttr, wodurch 
Seine Aufregung erheblich gesteigert wird. Unter anstaltlicher Behand- 
lung erfolgte allmählich Besserung. 

Beobactitttiig 3. 

Herr I. M., Privatier, 43 Jalire alt, seit 19 Jahren verheiratet, 
Vater von a Kindern ist erblich mtttteriicherseite belastet (Mutter epi> 
lepttsch). In den Kinderjahren Croup, Scharlach und andere Kinder- 
krankheiten, später keine schwere Erkrankung, auch kein»- Infektion, 
dagegen Masturbation bis zum 18 J iIik , Seit 4 Jnliren lei<iet Patient 
an nervösen Beschw'erden, deren Auftreten er auf geistige Uberanstren- 
gung und gemtttliche Erregungen zurftckfUhrt, Kreuzschmerzen, GefOhl 
von Rieseln tlber den ganzen KOrper, Ameisenkriechen an verschiedenen 
Stellen, gro;?se Empfindlichkeit für Gerftusche etc. In neuerer Zeit macht 
»kh oft t in Gefühl beiri' r klich, als ob nu> dir Mündung der 
Harnröhre Käfer herauskröchen, oder als wenn die Mün- 
dung der Harnröhre sich schliessen and wieder öffnen wOrde, 
Dieses GefOhl tritt namentlich gern auf, wenn sich Patient in Gesell- 
schaft befindet. Öfters stellt sich auch ein Gefühl ein, als ob das 
Glied immer kleiner und kleiner würde und sich ganz in 
den Bauch zurückziehen wollte, während tatsächlich an dem 
Gliede nichts Besonderes zu bemerken war. Patient gerflt in Auf- 
regung, wenn er nackte weibliche Figuren (Zeichnungen, Gips oder 
dergl.) sieht; dab<i zuckt es durch den Penis, und es tritt mitunter eine 
gering»' lileimige Absonderung auf Auf !i förmliche Tag' spollutionen 
sind sclion aufgetreten, näclitliche Pollutionen stellen sich alle 3—4 
Tage ein. 



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74 



Die »ezuelle Abstinenz beim Minne. 



Patient hat seit lo Jahren auf jeden geschlechtlichen Verkehr ver- 
zichtet und zwar aus Schonung für seine Frau, welche bei dem letzten 
Kinde eine schwere Entbindung hatte. Diese Abstinenz fällt ihm gegen- 
wärtig angeblich nicht mehr schwer, während sie anfänglich für ihn 
eine sehr harte Aufgabe bildete. 



34jähriger Volksschullehrcr vom Lande, ledig (erblich belastet). 
Hat bisher nach seiner Versicherung weder sexuellen Verkehr, noch 
Masturbation aus religiösen Gründen geübt. Seit einer Anzahl von 
Jahren leidet er an zunehmender sexueller Erregtheit, die sich anfäng- 
lich nur in der Schule alteren Schülerinnen gegenüber zeigte, in neuerer 
Zeit jedoch auch ausserhalb der Schule beim Verkehr mit jüngeren 
weiblichen Personen jeder Art in so lästiger Weise geltend macht, dass 
Patient diesen Verkehr möglichst meidet, weil er sich nicht mehr die 
nötige Selbstbeherrschung zutraut; allmählich stellten sich unter der 
Einwirkung dieser sexuellen Hyperästhesie gemütliche Verstimmung, 
Angstzustände, Schlafmangel, andauernde Kopfeingenommenheit ein, und 
diese Beschwerden haben in letzter Zeit so zugenommen, dass Patient 
um Urlaub nachsuchen musste. Pollutionen nicht abnorm häufig (etwa 
alle 14 Tage». Dem Patienten wurde zunächst ein Gebirgsaufenthalt 
und später Verheiratung empfohlen. 



5ojähriger Beamter, ledig, erblich belastet; zeigte schon in den 
Knabenjahren Hang zu sexuellen Phantasien und ergab sich vom 11. oder 
12. bis zum 17. Lebensjahre der Masturbation. Er entsagte dem Laster, 
nachdem er an nervösen Magenbeschwerden erkrankt und von dem 
Arzte auf das Schädliche seiner Gepflogenheit aufmerksam gemacht 
worden war. In der Folge stellten sich öfters cerebrasthenische Be- 
schwerden ein, welche ihn jedoch nicht hinderten, seine Studien zu 
vollenden und später als Beamter seinen Obliegenheiten zu genügen. 
Sexuellen Verkehr übte er nur selten aus Furcht vor Ansteckung und 
seit 6 Jahren lebt er in völliger Abstinenz. Seit fast 3 Jahren wird 
Patient durch sinnliche Vorstellungen bel.lsiigt, welche sich in seine 
Gedanken eindrängen ; seine Phantasie malt sich sexuelle Vorgäng«-, 
z. B. frühere Beischlafsakte aus, und er ist unfähig, sich von diesen 
Vorstellungen, deren Sciiüdlichkeit er völlig einsieht, loszureissen ; seil 
mehreren Monaten haben die sexuellen Zwangsgedanken so zugenommen, 
dass ihm das Arbeiten hocligradig erschwert ist und sein ganzes Befinden 
darunter gelitten hat. Der Kopf ist In ständig eingenommen, und diese 
Eingenommenheit strigert sich bei geistigen Anstrengungen zu ausge- 
sprochenen Kopfschmerzen, die von kongestiven Ersclicinungcn (llitze- 
gefühlen im Kopf, .Schwindel etc.) begleitet sind. Pollutionen treten nur 
alle 4—6 Wochen auf und bewirken gewöhnlich für kurze Zeit ein 



Beobachtung 4. 



Beobachtung 5. 





Die sexuelle Abstinenz beim Manne. 



75 



Nachlassen des sexuellen Zwangsdenkens. Nach geistigen und körper- 
lichen Anstrengungen öfters Verschleierung des GesiditeSf der GemOts* 
zustand wechselnd, gewisse Zwangsbef&rchtungen, insbesonders Noso* 

phobii II fAn<:;>t vru SchlnganfTiIli n, vor dem Irrsinnigwerden, Herzleiden, 
auch Furcht vor üngiucksläUcn) niachrn sich sehr häufig geltend. I)fr 
Schlaf it.t nur dann leidlich, wenn Patient stundenlang vor dein Zubett- 
gehen geistige Anstrengung und Unterhaltung meidet Bromgebrauch 
und spftter Behandlung in einer Waaserhdianstalt brachte Besserung. 

Beobachtung 6. 

Kin weiterer Fall meiner Beobachtung, auf dessen Details ich hier 
nicht n.lher eingehen kann, b> trifft einen in den 50 rr Jahren stehenden 
Herrn, bei welchem sich in den 30er Jahren schon inloige erzwungener 
Abstinenz eine sexuelle Hyperästhesie entwickelte, die sich im Laufe 
der Jahre nicht verminderte und allmählich zu einer hochgradigen 
GynAkophobie ftlhrte. 

Seitens derjenigen, welche die Abstinenz für völlig harmlos 

erklären, mag, wie dies schon früher geschah, noch immer der 
Einwand ujhobcn werden, dass die auf sexurllc Abstinenz zn- 
riickt^eführten nervösen imd psychischen Störungen durch andere 
ätiologische Momente bedingt sind. Hieraus erwächst für uns 
die Verpflichtung, die At\o\no'\c der oin/.t hien Falle, in welchen 
sexuelle Abstinenz eine Rolle siiirlt, n.ich allen Seiten zu er- 
forschen imd darzulegen wie die Ahstnienz eine pathogene 
Bedeutung erlangen kann. Die Nachforschungen, welche ich 
m den hier in l^etracht kommenden Fällen meiner eigenen 
Beobachtung anstellte, haben mich zu der Ansicht geführt, dass 
die Abstinenz nur unter gewissen Bedingungen die Bedeutung 
eines pathogcnen Faktors gewinnt. Ich will nicht leugnen, dass 
auch bei gesunden, nicht erblich belasteten Individuen die Ab* 
stinenz zeitweilig zu einer schweren Bürdi wird, namentlich 
bei jungen Männern mit regem Geschlechtstriebe; allein es 
handelt sich dabei nach meinen Erfahrungen immer nur um 
transitorische Störungen, deren Auftreten durch besondere die 
Libido steigernde Momente bedingt wird und mit denen die 
betreffenden durch Anwendung hygienischer Massnahmen ge- 
wöhnlich fertig werden. In den Fällen, in welchen unter dem 
Einflüsse der Abstinenz andauernde krankhafte Zustände auf- 
treten, liegt dagegen in der Regel eine Konstitutionsanomalie 
vor, die angeborene oder erworbene neuro-psychopathische Dis- 



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76 



Die sexuelle Abstinent beim Manne. 



Position. Ganz besonders j»ilt dies für die Angstneurose. Man 
könnte zunächst daran denken, dass die Intensität und Aus- 
dehnung der nervösen und psychischen Folj^en der Abstinenz 
von der Stärke des Sexualtriebs abhängt. \n der Tat werden 
ja auch die schwersten Störungen in jenen Fällen beobachtet, 
in welchen in Verbindung mit neuro-psychopathischer Veranlagung 
exzessive (krankhaft gesteigerte) Entwicklung des Sexualtriebs 
besteht. Die Intensität der vorhandenen Libido kann jedoch 
die Stärke und Art der in den einzelnen Fällen unter dem 
Einflüsse der Abstinenz auftretenden Störungen nicht genügend 
erklären. Wir haben es hier, wenn wir von den Angstzu- 
ständen zunächst absehen, mit einer etwas komplizierten /Xtiologie 
zu tun, bei der verschiedene nervenschädigende Momente eine 
Rolle spielen. Zunächst ist zu betonen, dass eine Autointoxikation 
durch Anhäufung libidogener Stoffe im Blute bei den nerven- 
schädigenden Wirkungen der Abstinenz nicht jene Rolle spielt, 
die man a priori vermuten möchte. Die Erregungen, welche 
die libidogene Substanz in den Zentralorganen auslöst, können, 
wenn keine Ausgleichung durch sexuelle Akte stattfindet, unter 
günstigen Verhältnissen auf die Bahnen geistiger oder körper- 
licher Tätigkeit übergeleitet und dergestalt verarbeitet werden. 
In dieser Weise kann die Erregung der Libido sich sogar nütz- 
lich erweisen, indem sie die Energie und Tatkraft des Indi- 
viduums anfacht und unterhält. Auf der anderen Seite liegt 
es nahe, dass ein Übermass von libidonöser Erregung, welches 
einer vollständigen Verarbeitung in neutralen Bahnen nicht zu- 
gänglich ist, Schaden verursacht. In der grossen Mehrzahl der 
Fälle wirkt jedoch die Libido bei anhaltender Abstinenz, wenn 
wir von den Angstzuständen absehen, nicht direkt schädigend, 
sondern indirekt. Es geschieht dies dadurch, dass sie zu er- 
schö|)fenden geistigen Anstrengungen, welche durch die auf 
Überwindung der Sinnlichkeit gerichteten Kämpfe veranlasst 
sind, und damit zusammenhängenden depressiven Erregungen 
führt. Vis handelt sich hier also um intellektuelle und emotio- 
nelle Erschöi)fung des Gehirns, seltener um spinale Folgezu- 
stände. Je widcrstandsfähi^^er das Nervensystem an sich ist 
und je mehr die Aufmerksamkeit des Individuums durch beruf- 




Di« »exaeUe Abstiocnx beim Manne. 



77 



liehe (geistige oder körperliche) Tätigkeit in Anspruch i^'onomnnen 
wird» um so leichter wird die Abstinenz im allgemeinen er- 
tragen. Auf der anderen Seite sehen wir, dass alle Momente, 
welche schwächend auf das Nervensystem wirken, insbesonders 
diejenigen, welche 2Ugleich die sexuelle Reizbarkeit erhöhen 
(Masturbation, Exzesse in venere), auch das Ertragen der Ab- 
stinenz erschweren. Der Entstebungsmechanismus der unter 
dem Einflüsse der Abstinenz sich entwickelnden nervösen und 
psydiischen Störungen ist indes in manchen Fällen kompli- 
zierter, als im vorstehenden angedeutet wurde. Hierher gehören 
vor allem die Fälle, in welchen die Abstinenz bei erheblicher 
Libido nach schweren inneren Kämpfen immer wieder zu ex- 
zessiver Onanie führt, wobei sich zu der physisch - nervösen 
Schädigung die psychisch-moralische dmt:h gewaltsame geistige 
Ablenkungsversuche, Vorwürfe, Scham usw. gesellt. 

Eine besondere Herücksichtigung erheischt hier noch die 
Beziehung der sexuellen Abstinenz /.u den neurotischen Angst- 
zuständen (den Angstzuständen bei Neurasthenie, Hysterie, 
AnL;stncurose in dem von mir angenommenen Sinne i. Schon 
Bcard führt unter den L rsachen der krankhaften l'urcht bei 
Xeurasthenischen neben sexuellen i'lxzessen langdauernde, (]ual- 
volle Enthaltsamkeit mit sexueller Erregung beim männlichen 
Geschlechte an. Freud und Gattel betrachten ebenfalls die 
Abstinenz ircsp. Retention der Libido), wie wir sahen, als Ur- 
sache von Angstzuständen. Auch unter den mit Angstzuständen 
Behafteten meiner Beobachtung sind Abstinente in erheblicher 
Zahl vertrete. Selbstverständlich darf man aus dem Zusammen- 
treffen von sexueller Abstinenz mit Angstzuständen nicht ohne 
weiteres auf einen ursächlichen Zusammenhang schliessen. Eine 
skrupulöse Prüfung meiner Beobachtungen lässt jedoch keinen 
Zweifel, dass der Abstinenz eine ätiologische Rolle den Angst- 
zuständen gegenüber und zwar bei beiden Geschlechtem tat- 
sächlich zufällt. Unter den von mir behandelten Leidenden mit 
Angstzuständen befindet sich eine Anzahl, bei welchen, abge- 
sehen von neuropathischer Konstitution, keine weitere Ursache 
der Angstzustände als sexuelle Abstinenz zu ermitteln war. Es 
seien zum Belege hier nur einige Fälle angeführt. 



Dlgitlzed b 



78 



Die sexuelle Abstinenz beim Manne. 



Beobachtung 7. 

Herr R., 32 Jahre alt, ledig, Kaufmann, mit angeborener neuro- 
pathischi.r Veranlagimg (von Jugend auf etwas s« hvvflchlich, ner\'ös und 
ängstlich) wurde vor etwa 4 Jahren dahier auf einem grösseren freien 
Platze plötzlich von Schwindel (Angst) befallen ; in der Folge wieder- 
holten sich diese Angstanfillle sowohl hier als beim Aufenthalte in 
anderen grösseren Städten, insbesondcrs beim Überschreiten von freien 
Platzen, seltener beim Überschreiten von Strassen. In der Folge traten 
auch Kopfschmerzen öfters ein, diese haben sich jedoch seit einiger Zeit 
wieder verloren. Seit längerer Zeit stellen sich Angstzustände auch aus- 
wärts beim Übernachten in Hotels, ferner beim Besuche von Theatern, 
Konzerten, beim Aufenthalt in Restaurants etc. ein. Häufig werden die 
Angstzustände durch ein Frostgefühl eingeleitet, welches sich über den 
ganzen Körper ausbreitet und mit Zittern in den Beinen verknüpft ist. 
Dieses Angstgefühl mit Zittern b«fallt den Patienten seit mehrenn 
Monaten auch schon, wenn derselbe sich in gewisse Situationen be- 
geben (z. B. in das Theater gehen, einen wichtigen Besuch machen oder 
eine Geschäftsreise antreten) will. Patient versichert, nie Masturbation 
getrieben, auch nie geschlechtlichen Verkehr geübt zu haben, und diese 
Angaben wtrrden auch von nahestehender Seite bestätigt. Die Abstinenz 
verursacht keine Beschwerden. Von Pollutionen wurde Patient in früherer 
Zeit ziemlich häufig heimgesucht; seit mehreren Jahren bereits sind 
dieselben viel seltener geworden. 

Beobachtung 8. 

Herr X., 42 Jahre alt, ledig. Privatgelehrter, erblich belastet (die 
Mutter in einer Irrenanstalt gestorben), war nie erheblich krank und hat 
sich nie geistig überanstrengt. Seit einer Reihe von Jahren wird er von 
Angstzustanden heimgesucht, wenn er irgend etwas öflentlich. z. B. in 
einer Vereins -Versammlung, zu tun hat, was früher nicht der Fall war. 
Die Angst bezieht sich nicht auf die Möglichkeit einer Blamage, sondern 
den Eintritt irgend eines körperlichen Unwohlseins. Im Theater,Konzert etc. 
kann er es nicht aushalten, wenn er nicht einen Platz in der Nähe der 
Türe findet. Auch auf der Strasse machen sich mitunter Angstanwand- 
lungen bemerklich, doch gelingt es gewöhnlich dem Patienten, dieselben 
durch seinen Willen zu Oberwinden. Patient hat vorzugsweise aus 
religiösen Motiven überhaupt nur wenig sexuellen Umgang gepflogen, seit 
einer Reihe von Jahren lebt er völlig abstinent; dabei mangelt es nicht an 
Libido. Pollutionen, früher häufig, sind seit Jahren bereits selten geworden. 

Beobachtung 9. 

Herr X., 24 Jahre alt, Medizinstudierender, erblich belastet (der 
Vater Sonderling, die Mutter n- r fiat Diphtherie und Typhus vor 
Jahren durchgemacht; Mosturi < bis 15. Lebensjahre häufig 



( 



Die sexuelle Abstinenz beim Manne. 



79 



und auch noch später gctlbt Vor 7 Jahren Gedächtnisschwäche, Zittern 
in den Händen bei Aufregungen, Schlafroangel. Der Zustand besaerte 
sich, Patient konnte unbehindert seine Studien fortsetzen, er hat vor 

kiirrcm in T' ntnrnen physicum bestanden. ric;<e;-:\v'ii tig glaubt er, 
dass seine geistig«- Arbeitskraft vt>rmindiTt si i ; vr kann jeddch studieren, 
ohne dabei rasch zu ermüden, auch das Gedächtnis erweist sich gut. 
Was ihn besonders belftstigt» ist Angst in Gesellschaft von Menschen; 
diese Angst bezieht sich darauf, dass er glaubt, einen ungünstigen 
Eindruck zu machen, sich zu blamieren etc.; es ist ihm dalur sehr 
peinlich, beobachtet zu werden. Auch Nosophobien (speziell Angst 
vor Paralyse) suchen ihn ^itweilig heim. Sexuellen Verkdir hat 
Patient seit mehr als 2 Jahren aufgegeben, obwohl es nicht an Libido 
fehlt. Pollutionen waren noch vor i Jahre hlufig, in letzterer Zeit 
etwa nur alle a Monate einmal. 

Beobachtung 10. 

Der hier folgende Fall ist deshalb von Interesse, weil au^ demselben 
sich ergibt, dass unter Umstanden Abstinenz von kurzer Dauer das 
Auftreten von Angstzuständen bcgQnstigt. Der Fall betrifft einen 
46jAhrigen Lehrer vom Lande, welcher wenigstens seit 15 Jahren schon 
an ncurasthcnischen (zum Teil rei ehr nstlitmischen , zum Teil myel- 
asthenisrhrii , doch vorherrscliend iny lasthenischen) Besrhwcrden litt, 
dabei jedoch nie von AngstzusUlnden oder Erscheinungen, die man als 
Äquivalente solcher hätte betrachten kdnnen, heimgesucht wurde. Der 
Patient gebrauchte vor ehugen Jahren — nicht auf mein Anraten — 
längere Zeit eine Kur in VVörrishofen, wobei er, da seine Frau zu Hause 
blieb , auf den gewohnten ehelichen Verkehr verzichten musste. Die 
Güsse und andere ihm verordneten Prozeduren bekamen ihm vom An- 
fange an nicht gut, was ihn jedoch nicht abhielt, die Kur fortzusetzen, 
da er immer in der Erwartung lebte, dass doch noch ein gOnstiger Lim- 
Schwung eintreten müsse. Das Endresultat war, da-^s die neurastheni^rhcn 
Beschwerden, wegen welcher er Wörrishofen aufgesucht hatte, schlimmer 
als früher waren; zu denselben hatten sich jedoch schon während des 
Aufentfialtes in WOrrishofen noch schwere Angstzustflnde gesellt, die 
auch zu Hause, zumal sich der Patient wegen seines verschUmmerten 
Zii'?tande> anCinglich sflir t:ro-;sf Beschränkung im ehclichrn Verkehre auf- 
erlegte, sich nicht sofort, sondern erst nach einiger Zeit wieder verloren. 

Beobachtung 11, 

Frau X., Profes-^orswitwe, 37 lahrc alt, < rblich belastet (war schon 
als Kind nervös), seit 7 Jahren verwitwet, kinderlos, lebt mit ihrer Mutter 
in sehr rahigen, angenehmen Verhaltnissen. Patientin hat keine ernstere 
Erkrankung durchgemacht Seit mehreren Jahren wird sie von Angst- 
zuständen, vcrrjescllscliaftet mit einem (jefühle, als ob -.ie wanken, nni- 
fallen würde, beim Gehen auf der Strasse heimgesucht; die Angst tritt 
meist schon beim Verlassen des Hauses ein; sie stellt sich aber auch 



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80 



Die aextieUe Abstinenz beim Manne. 



beim Besuche des Theaters, der Kirche etc., mitunter auch in der Woh- 
nung beim Alleinsein ein. Die Patientin leidet ferner häufig an Herz- 
klopfen, womit ?i( h gewöhnli !: < ine gewis-. ürrr s^nnr,' (Angst) verknüpft. 
Objektiv: Abgesehen von massiger Struma nidits. 

Beobachtung 12. 

Frau D., Kaufmannswitwo, \2 Jahre, Mutter von 3 Kindern, erblich 
in geringem Masse belastet , jedoch von sehr ruhigem Temperamente, 
seit iV* Jahren verwitwet. Patientin war nie ernstlich krank. Seit etwa 
'/« Jahre leidet sie an Angstzustanden mit Globus adscendens (früher 
derartiges nie vorhanden). Die Angstzustftnde treten insbesonders in der 
Zeit vor und nach den Mi iini^, di» ^ranz rrgelmJlssig sich vprhnlten, 
seltener in der Zwischenzeit aiil. l'atu ntin hat seit dem Ableben ihres 
Mannes nicht unerheblich an Gewiciil zugenommen (etwa 10 ÄJ. 

Beobachtung 13. 

Der Fall betrifft einr Mitte d<-r .^or r |ahr< >ii lu nde unverheiratete 
Dame von geringer neuropathischer Heiastung (Mutter nervds), welche 
im Laufe von 4 Jahren mehrfach wegen Angst- und Verstimmungszu* 
ständen in meine Behandlung kam. Der Fall war längere Zeit ätio« 
logisch unklar, s ifenif nti'^'^rr gelegentlichem abusus sptritiiosorum sich 
nichts Bestimmtes eruieren Hess und eine sexuelle No.xe nur zu ver- 
muten, aber nicht nachzuweisen war. Erst im Verlaufe der letzten 
Krankhettsattaque erfuhr ich, dass die Patientin seit einer Anzahl von 
Jahren intime Beziehungen zu einem Herrn unterhielt, der mehrfach 
für Monate zu verreisen genötigt war. D' r Beginn der Krankheits- 
perioden licl iuuner in diese Zeiten sexueller Abstinenz, die der 
Patientin nach ihrem eigenen Geständnis durchaus nicht leicht fiel. 

Der in Frage stehende Utif)lo<j;i.schc Einfluss der sexuellen 
Abstinenz äussert sich nicht nur in den Fällen, in welchen vor 
dem Verzichte auf ge.schlechtliche Genüsse kürzere oder längere 
Zeit se.xueller Verkehr j^ei)n(>|v;en oder Masturbation in mässi<ier 
Weise yeübt wurde, sondern auch hei völligem und andauerndem 
Verzichte auf geschlechtlichen Verkehr sowohl, als auf Be- 
friedigung durch Masturbation (wie in dem angeführten Falle i). 
Auch eine erhebliche Beschränkung des sexuellen Verkehrs, 
welche den vorhandenen sexuellen Bedürfnissen keine Rechnung 
trägt, erweist sich als ein Umstand, der das Auftreten von Angst- 
zuständen begünstigt. Ich habe mich hievon in einer Reihe von 
FlUlen überzeugt Bei den an Angstanfällen leidenden Männern, 
insbesondere bei verheirateten, stellt sich häufig die Idee ein. 



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Die sexuelle Abstinenz beim Mjuioe. 



81 



dass ihnen sexueller Umgang schaden, oder Enthaltsamkeit in 
bezug auf ihr Leiden nützen könnte, was sie gewöhnlich zu 
mehr oder minder weitj^chcndcr F.inschränkiing des Verkehrs 
veranlasst. Die erwartete vorteilhafte Wirkung dieser relativen 
Abstinenz bleibt jedoch in der Regel aus. Unter dem Einflüsse 
derselben nimmi souar die Intensität und Häufigkeit der Anji^st- 
zustände oft zu. Bei Frauen ist die relative Abstinenz mitunter 
eine ganz unfreiwillige; die Folgen sind natürlich die gleichen. 
Iki mehreren Frauen meiner Heobachtung, welche ältere, sexuell 
wenig leistungsfähige und bedürftige Männer geheiratet hatten, 
stellten sich schon in den ersten Jahren der Ehe Angstzu- 
stände ein. 

Was nun die besonderen Umstände anbelangt, unter welchen 
die Abstinenz zu Angst^uständen führt, so haben meine Nach- 
forschungen Ffjlgcndes ergeben : In allen Fällen meiner Be- 
obachtung bestand eine gewisse ererbte oder wenigstens an- 
geborene neuropathischc Veranlagung. Bei den Männern waren, 
von vereinzelten Ausnahmen abgesehen, nur wenig Pollutionen 
vorhanden, und in den in Frage stehenden Ausnahmsfällen 
bestanden neben der Abstinenz Verhältnisse, welche das Auf- 
treten der Angstzustände erklärten. So handelte es sich in 
einem Falle um einen Studierenden, welcher erblich schwer 
belastet war, schon in der Jugend an Angstaiständen gelitten 
hatte und riurch die Vorbereitung für das Examen zu bedeutenden 
geistigen Anstrengungen veranlasst war. In einer grossen Zahl 
von Fällen waren früher häufigere Pollutionen vorhanden und 
stellten sich die Angstzustände offenbar erst mit dem Seltener- 
werden derselben ein. Meine Erfahrungen stimmen daher be- 
züglich des Verhaltens der Samenverluste bei den an Angst- 
zuständen leidenden Abstinenten mit denen Freuds in der • 
Hauptsache überein Was das Verhalten der Libido in den 
in Betracht kommenden Fällen anbelangt, so war dasselbe kein 
gleichmässiges ; in manchen Fallen wurde die Abstinenz als 

''i Wie es scheint, wirkt regclm;lssij:!<*, jH^rh nicht zu häutige Wiederkehr 
voD FuUutionen bei Abstioenten dem AuUreten voo .<\iigstzu&täadea entgegen; 
dies gilt jedoch oicbt fOr ttbenidb«ig häufige (krankhiifte) PoUutioiien, wie wir 
«piter Beken werden. 

LSwesfvId, Se>ii«ll-iieni-<Bae Stflrnngen, Vierte AaH. g 



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82 



Die sexuelle Abstinenz beim Manne. 



entschieden lästig empfunden und bestand wenigstens zeitweilig 
erhebliche Libido, in anderen war diese nur gering und wurde 
die Abstinenz ohne jede Beschwerde durchgeführt. Auf die 
Vorgänge, durch welche die sexuelle Abstinenz zu Angstzu- 
ständen den Anstoss gibt, werden wir an späterer Stelle näher 
eingehen 

Wie wir aus Vorstehendem ersehen, ist die Behauptung 
Lallemands, dass die Abstinenz unter Umständen die geistige 
Gesundheit gefährdet, wenigstens nicht ganz aus der Luft ge- 
griffen. Wir dürfen uns daher auch einer Prüfung der Frage 
nicht entziehen, wie es sich mit den übrigen Störungen verhält, 
die Lalle man d als notwendige Folgen der Abstinenz be- 
zeichnet. Was zunächst die Spermatorrhoe betrifft, so wird 
das Auftreten krankhafter Samenverluste infolge von .sexueller 
Enthaltsamkeit von Fü bringer sehr bezweifelt. Nach Cursch- 
mann kommen dagegen derartige Fälle vor, aber äusserst selten 
und nur bei Zusammentreffen begünstigender Umstände, vor 
allem bei allgemeiner konstitutioneller oder akquirierter Nervo- 
sität und lebhaftem, durch äussere Eindrücke noch besonders 
genährtem Geschlechtstriebe. 

Ich selbst habe von manchen Abstinenten, die der Mastur- 
bation zu verdächtigen keinerlei Grund vorlag, wie schon an 
früherer Stelle angedeutet wurde, Klagen über zeitweiliges 
häufigeres Auftreten von Pollutionen vernommen. 

Nur sehr selten erreichen diese aber einen Grad, dass sie 
zu einer ernstlichen Belästigung für den Kranken werden und 
dessen Nervenzustand in ausgesprochen ungünstiger Weise be- 
einflussen, wie dies in der folgenden Beobachtung der Fall war. 

Beobachtung 14. 

Der Fall betrifft einen Ende der 20er Jahre stehenden, in geringem 
Grade ncuropathisch belasteten Kollegen (die Mutter nervös, eine 
Schwester derselben längere Zeit melancholisch), welcher während seiner 
Universitätsstudien in Baccho, resp. Gambrino et V'enere ziemlich viel 
geleistet hatte. 



*) In einem Falle meiner Beobachtung bestanden neben Anpstruständen (?0T 
sittlichem Falle) gewisse Zwangstriebe spe/.. zu sexuellen Handlungen Kindern 
gegenüber. 



Die sexuelle Abttinens beiui Manoe. 



83 



Nachdem Dr. X. das Approbationsexamen bestanden hatte, lies«; 
er sich zunächst als Schiflsarzt engagieren und unternahm als solcher 
eine Anzahl von Reisen nach sQdlichen Gegenden. Das Schifislcben 
behagte Uim jedoch wenig, weshalb er seine schiflsärzdiche SteUiing 
naidi einem Jahre aufgab und sich in seiner Heimat an einem kleinen 
Ort»* auf dem Land»- als praktischer Arzt niederÜLSS. Ilirr musste er 
mit Rücksicht auf seine Stellung auf geschlechtlichen Verkehr verzichten, 
seine Verhältnisse gestatteten auch noch keine Verheiratung. Unter detn 
£influsee dieser erzwungenen Abstinenz, deren DurchflDhning durch eine 
erhebliche Libido erschwert wurde, stellten sich zunächst häufigere 
nächtlii h<: Püllutiortpn cm, wclolie nv hr und mehr myela^tlu iusrh«-" und 
cerebrasthcnische Erscheinungen (Müdigkeit in den Beinen, Rücken- 
schmerzen, Kopfeingenommenheit und Verstimmung) nach sich zogen. 
Die mit der Praxis verknüpften körperlichen Anstrengungen (weite 
Wege in gebirgiger Gegend) und gemütliche Erregungen wirkten eben- 
falls ungünstig auf den NervPTiziistand. Die J'olltitionon trntrn allmählich 
3— 4 mal in der Woche und schliesslich täghch auf. Da hiermit auch 
die körperliche Leistungsfähigkeit des Patienten erheblich abnahm und 
seine Stimmung sich mehr und mehr verdOsterte, sah er sich veranlasst, 
seinen Posten zu verlassen und in meine BehandUmg zu treten. Als 
Patient in meine Renbachtung kam, war er in tien letzten 5 Wochen 
keine Nacht pollutionsfrei gewesen. Abgesehen von diesem Umstände 
bezogen sich seine Klagen hauptsächlich auf andauernde Kopfeinge> 
nommenheit, Gedflchtnisschwache, geringe körperliche Leistungaßülüg' 
keit, Rückenschmerzen und hypochondrisch-melancholische Verstimmung. 
T'nti r di r eingL-ldteten Behandlung (Kühlsoiuit-, Halbbäder, Elektrizität 
etc.) setzten die Pollutionen vom 3 Tage an schon für 14 Tage (ohne 
geschlechtlichen Verkehr) aus. Das Gesamtbefinden besserte sich dem- 
entsprechend rasch und Patient konnte mich 2 Monaten seine Praxis 
wieder aufnehmen. 

Dass es im Gefolge andavierndci sexueller Abstinenz auch 
zu Tagcspollutionen kommen kann, zeigt unsere Beobachtung 3, 
welche auch noch in anderer Hinsicht von Interesse ist. Wir 
sahen, dass in diesem Falle offenbar unter dem Einflüsse der 
Abstinenz neben sexueller Hyperästhesie, häufigen nächtlichen 
und Tagcspollutionen verschiedene Zwangsempfindungen im Be- 
reiche der Genitalien auftraten. Spermatorrhoe, d. h. grössere 
oder geringere Beimengung von Samenbestandteilen im Urin, 
beobachtete ich mehrfach bei verheirateten Männern in mittleren 
Jahren, die infolge chronischer Leiden längere Zeit auf den 
ehelichen Verkehr verzichtet hatten. Es handelte sich dabei 
immer um unbemerkte Samenverluste. In diesen Fällen wurde 
die Wirkung der Abstinenz jedenfalls durch eine gewisse kon- 



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84 



Die sexaelle Ab»tiiiei» beim Manne, 



stitutionelle Schwäche, welche die Ductus ejaculatohi nicht un* 
beeinflusst gelassen haben mochte, verstärkt. 

In der nachstehenden Beobachtung begegnen wir der Spet- 
matorrhoe neben anderen sexuellen Reizerschetnungen als Folge 
der Abstinenz, wobei es jedoch nicht an prädisponierenden 
Momenten mangelt 

Beobachtung 15. 

Herr X., Fabrikbesitzer, 29 Jahre, ledig, erblich nur wenig belastet 

(die Mutter nervös), hnt ausser Kinderkrankhcitm keine emste Erkrankung 
durchgemacht. Masturbation vom 15. — 20. Lcb( nsjaht e, doch nur selten. 
Keine Exzesse in venere. Gonorrhöe vor 8 Jahren, in deren Folge 
Striktur» welche schon vor mehreren Jahren durch Dehnung beseitigt 
wurde. Vor 3 Jahren bei einem C. präzipitierte Ejakulation. Seit dieser 
Zeit Verzicht auf sexuellen Verkrhr, da Patit-nt eine Wiederholunjj der 
erwähnten Lnannehmhchkeit befürchtete, aucli ktine Belriedigung durch 
Masturbation. Unter dem Einflüsse der Abstinenz verschlechterte sich 
sein Nervenzustand; Patient wurde sehr reizbar und sdireckhaft, seit 
längerer Zeit machen sich bei ihm auch unangenehme Sensationen, 
Gefühle von Ziehen und Spannuni: in der unteren Bauchgrs^end und in 
den Hoden bemerklich. Anfänglich kam es auch zu häuhgereni Auf- 
treten von Pollutionen, die sich jedoch allmälilich auf ein normales Mass, 
etwa alle 14 Tage, reduzierten. Patient erwähnt femer, dass er bei 
Erektionen Gefühle halx , als ob es zu einer Pollution kommen sollte 
und früher a'.ich sulehe einii;« Male eintraten, und daSS in den letzten 
Jahren sich mitunter Miktionsspermalorrhöe zeigte. 

Für das Auftreten letzterer Störung bildete wohl die vorhergegangene 
gcmorrhoische Urethritis ein prädisponierendes Moment. 

Im folgenden Falle ist wahrscheinlich nnr ein indirekter 

Zusammenhang der Spermatorrhöe mit der Abstinenz anzu- 
nehmen. 

Beobachtuog 16. 

Es handelt sich um einen sojahrigen Herrn, welcher, nachdem 

er von seinem 18. Lebensjahre an mehrere Jahre hindurch regelmässigen 

geschlechthclien Verkehr geübt hatte, .ui^ 3u'^'<eren Gründ» n dens« Iben 
wälirend einer langen Reihe von Jahren autgab und dabei die in der ersten 
Zeit nicht sehr häutig auftretenden Pollutionen als krankhafte Erschei- 
nungen durch äusserst spflrliche Ernährung und Übermass von Muskel» 
Übungen l>ekämpfen zu müssen glaubte. Als unter diesem unvernünftigen 
Regime ein neurastheiiischer Zustand sieh entwiekelte und dir Pi.'IlutiMnen, 
statt zu weichen, sich noch vcrmehrte-n, bemühte er sich, wenn er nachts 
vom .Schlafe erwachend das Nahen oder den Beginn einer Pollution 
bemerkte, dieselbe mit aller Willensanstrengung zu hemmen. Die Pol- 



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I>ie sexaelle Abstinens beim Manne. 



85 



lutionen Vfi-rrinjit'i tcn sich erst, als der Patient srinr I,cbensweise änderte 
und geschlechtlichen Umgang wieder in regelmässiger Weise pflog; 
allein es machte sich dafllr eine Spennatonhöe bemerklich, die in ge» 
ringem Masse auch noch nach Jahren bestand. 

Bezüglich der Einwirkung der Abstinenz auf die geschlecht- 
liche Potenz Ulsst sich wohl nicht bezweifehi, dass diese durch 
eine bis in die reiferen Jahre fortgesetzte ToUkommene Enthalt- 
samkeit herabgesetzt werden kann; es ist dies eine einfache 
Folge des Nichtgebrauches der betreffenden Organe. Ob dem 
Etnzelindividuum hierdurch ein wirklicher und nachhaltiger Scha- 
den erwächst, ist Jedoch fraglich. Für die Entstdiui^ andauern- 
der völliger Impotenz infolge von Kontinenz allein liegen da- 
gegen meines Erachtens keine stichhaltigen Beweise vor. Wenn 
Hammond in dieser Beziehung z. B. bemerkt, dass in gewinen 
Sekten die Priester, welche das Cölibat gelobt haben, mit der 
Zeit frei von jedem sexuellen Hange und impotent werden, so 
halte ich letztere Annahme für sehr problematisch. Wo Ver- 
suche zu sexuellem Verkehre nicht unternommen werden, lässt 
sich bei im übrigen gesunden und in entsprechendem Lebens- 
alter befindlichen Männern ein völliger Verlust der Potenz nicht 
konstatieren, v. Schrenk-Notzing teilt den Fall eines jungen 
Mannes mit, der schon mit i 5 Jahren an üb<:rmässiL,'em sexuellem 
Drange gelitten hatte und später auf energisches Zureden seines 
Bruders seinen Hang unterdrückt und 5 Jahre vollständige Ab- 
stinenz geübt hatte. Als derselbe dann wieder den sexuellen 
Verkehr aufnehmen wollte, erwies er sich als impotent. Der 
FaU stand jedoch nicht längere Zeit in Beobachtung, so dass 
es unentschieden bleibt, ob die Impotenz eine dauernde war. 
Ich selbst habe nur einen hier in Betracht kommenden FaU 
beobachtet. 

Beobachtung 17. 

Ein anfangs der 30er Jahre stehender Offizier, welcher sich 

immer einer sehr erheblichen Potenz erfreut und von derselben auch 
ausgicbi-^t n r.< brauch gemacht hatte, verhielt sich infolg. einer Liaison, 
die er mit einein anständigen Mädchen angeknüpit hatt(% mehrere Monate 
abstinent bei gleichzeitiger erheblicher sexueller Krregung. Die Folge 
war eine so bedeutende Abnahme der Erektionen, dass der Betreffende 



36 I^ic sexuelle Absünezu beim Manne. 



gänzlichen Verlust seiner Potenz befürchtete und in eine schwere ge- 
mOdiche Depression verfiel, welche natürlich die sexuelle SchwAdie 
steigerte. Die Potenxstoning verlor sich hier unter geeigneter Be* 
bandlung allmählich ivieder. 

Auf der andern Seite steht fest, dass selbst in den Jahren 
vorgeschrittene Männer vollständig sexuelle Karenz sehr lange 
Zeit ertragen können, ohne dadurch ihrer Potenz verlustig zu 
gehen. Fürbringe r erwähnt, dass ihm Greise von 60—65 
Jahren bekannt sind, die, nachdem sie ein Jahrzehnt lang ab* 
stinent gdebt, den Coitus in normaler Weise zu leisten ver- 
mochten. Ich selbst hatte vor mehreren Jahren Gelegenheit, 
einen Mitte der 50er Jahre stehenden verwitweten Herrn w^en 
eines hier nicht in Betracht kommenden Zustandes zu unter- 
suchen. Derselbe teilte mir bei Erhebung der Anamnese mit, 
dass er nach etwa 8 jähriger Ehe infolge von Erkrankung seiner 
Frau, an welcher er mit j^rösster Zärtlichkeit hini^, bis zu deren 
AhK lien — 16 Jahre hindinch — weiterem ehelichem Verkehre 
zu entsagen genötigt war, dabei jed^ich aus Rücksicht für seine 
Frau und moralischen (jiunden, obwolil ihm die Alistiuenz 
schwer fiel, auch aul jede anderweitii^e l'^ntschridii^uuL; verzichtet 
hatte. Trotzdem fanti er, aN ei . Witwer i^eworden, wieder 
sexuellen l nigang aufsuchte, seine Potenz wohl erhalten; die 
Wiederaufnahme des sexuellen Verkehrs erwies sich auch für 
sein Befinden von entschieden günstigem Einflüsse. 

Unter den ungünstigen Folgen, welche der sexuellen Ab- 
stinenz zugeschrieben werden, wird auch der Umstand angeführt, 
dass dieselbe die Entwicklung sexueller Perversitäten, speziell 
homosexueller Triebe, verursachen oder begünstigen soll. Diese 
Behauptung entbehrt nicht ganz der Begründung. Unter den 
Individuen, welche zu den Konträrsexualcn gezählt werden, ist 
das psychosexuale Zwittertum nicht spärlich vertreten. Bei den 
betreffenden Individuen bestehen neben homosexuellen Neigungen 
normale Gefühle für das weibliche Geschlecht, so dass sie audk 
ohne besondere Schwierigkeiten den normalen sexuellen Verkehr 
pflegen können. Sind derartige Individuen genötigt, längere 
Zeit auf sexuellen Umgang zu verzichten, so machen sich bei 



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Die aenieUe AlMtineas beim Manne. 



87 



ihnen die homosexuellen Neigungen starker bemerklich*). Dass 
man aber, wie Marcuse glaubt, die Abstinenz gelegentlich 
auch als Ursache homosexueller Triebe anzusehen habe, kann 
nicht ohne weiteres zugegeben werden. Die Abstinenz allein 
führt bei sexuell normal Veranlagten nie zur Entwicklung homo> 
sexueller Neigui^en. Die Häufigkeit dieser Perversität bei Ge- 
fängnisinsassen, Intematsz^lii^en usw. ist nicht lediglich auf 
die erzwungene sexuelle Abstinenz, sondern auch auf das aus- 
schliessliche Zusammenleben mit Angehörigen des gleichen Ge- 
schlechtes oder psychische Infektion, also eine Kombination 
ätiologischer Faktoren zurückzuführen. Ich habe keinen Fall 
gesehen, in dem bei Mangel tetztgenannter Momente die Ab- 
stinenz bei Männern zur Entwicklung homosexueller Triebe ge- 
führt hätte. 

Wir haben uns im Vorhcrj:;chcnden hauptsächlich mit den 
Folj^en län^tr dauernder Abstinenz beschäftigt. Unter s^ewissen 
Um.ständen kann jedoch auch ein durch äussere Verhältnisse 
veranlasster Verzicht auf sexuellen Umgang schon nach kurzer 
Frist einen ungünstigen Einfluss auf das Befinden äussern. Ver- 
schiedenfacli habe ich die Wahrnehmung gemacht, dass bei 
neurasthenischen Männern und zwar nicht ledigHch bei mit 
sexueller Neurasthenie Behafteten zeitweilige Unterbrechung des 
gewohnten regelmässigen sexuellen Verkehrs durch Reisen, län- 
geres Unwohlsein der Frau etc., entschieden verschlimmernd 
auf die vorhandenen Beschwerden wirkte, Steigerung von Rücken- 
schmerzen, Kopfeingenommenheit, Hodenschmerzen (in einzelnen 
Fällen auch schon nach acht Tagen) nach sich zog. Derartige 
Fälle sind jedoch nicht sehr häufig und die dabei in Frage 
stehenden Veränderungen des Befindens in der Regel von 
vorübergehender Natur. — 

Überblicken wir das im Vorstehenden bczüfjlich der Folgen 
der Abstinenz hei Männern Dargelegte, so müssen wir zunächst 
zugeben, dass unter gewissen be>'>nderen Umständen die Ab- 
stinenz beim Manno zu einer Schädhchkeit für das Nervensystem 
werden kann; wir müssen jedoch zugleich konstatieren^ dass im 



Ober einen hierher gehörigen Fall wird an spiteier Sldle beriditet wodn. 



88 



Die texneUe Abstinenz beim Hanne. 



grossen und ganzen die aus der sexuellen Enthaltsamkeit re- 
sultierenden Beschwerden keineswegs schwerwiegender Art sind 
und nur relativ selten hierdurch ernste Störungen auf nervösem 
und psychischem Gebiete hervorgerufen werden. Der sexuell 
normal veranlagte Mann, der seine Widerstands- 
fähigkeit gegen sinnlich erregende Eindrücke nicht 
durch sexuellen Missbrauch herabgedrttckt hat, kann 
sogar bei arbeitsamer» hygienisch geregelterLebens» 
weise die Abstinenz dauernd ohne nennenswerte 
Molesten ertragen, und sicher fällt die Enthaltsam- 
keit im allgemeinen um so leichter, je konsequenter 
dieselbe unter allen Verhältnissen durchgeführt 
wird. 

Als nächstliegender Ausweg würde sich in Fällen, in welchen 
durch die Abstinenz anhaltende Belästigungen entstehen, natür- 
lich die Verheiratung empfehlen. Leider ist bei unseren der- 
zeitigen sozialen Verhältnissen nur einem geringen Teile der 
in Frage stehenden Männer die Möglichkeit gegeben, ihren 
sexuellen Bedürfnissen auf diesem Wege Genüge zu leisten. 
Wo die Umstände eine Verheiratung nicht gestatten, müssen 
wir trachten, durch hygienische und therapeutische Massnahmen 
die vorhandenen Molesten zu beseitigen oder wenigstens zu 
beschränken, was in den meisten Fällen gelingen wird. Da- 
gegen müssen wir uns nachdrücklichst gegen die Unbe- 
denklichkeit mancher Ärzte aussprechen, die es mit ihrem 
medizinischen Gewissen vereinbar finden, junge Menschen auf 
den Verkehr mit Prostituierten als eine Art Vorbeuge — oder 
Heilmittel für die aus der Abstinenz resultierenden Molesten 
zu verweisen. 

Mit einer vereinzelten und gelegentlichen sexuellen Be- 
friedigung ist den Bedürfnissen junger Männer nicht abgdiolfen ; 
hierdurch wird eher die sexuelle Appetenz gesteigert. Bei der 
derzeitigen enormen Verbreitung der Syphilis in den Kreisen 
der Prostituierten aber einem jungen Manne regelmässigen Ver- 
kehr mit solchen zu empfehlen, erscheint uns entschieden ver- 
werflich. Die durch die Abstinenz verursachten Störungen 



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Die sexuelle Abstinenz beim Manne. 



89 



sind, wie wir sahen, im allgemeinen nicht von einer Art , dass 
wir einen Rat verantworten könnten, der irgend jemancl an- 
haltend den Gefahren syphilitischer Ansteckung aussetzt. Hier- 
bei kommt noch der Umstand in Betracht, dass die Mittel, 
welche Männer anwenden können, um die Herbeiführung einer 
Konzeption zu verhüten, keineswegs einen genügenden Schutz 
der S3rphUis g^enüber gewähren, da diese bekanntlich ihren 
Eingang an jeder Körperstelle finden kann. 



VII. 



Sexuelle Abstinenz und Mangel sexueller 

Befriedigung beim Weibe. 



Über die Folgen mangelnden geschlechtlichen Verkehrs bei 
weiblichen Personen wurden von den alten Ärxten und Philo- 
sophen bekanntlich die seltsamsten Fabeln zutage gefördert. 
Der Uterus sollte nach Plato ein Tier sein, das ein glühendes 
Verlangen nach Schwängerung hegt und, wenn diesem Verlangen 
längere Zeit nach Entwicklung der Pubertät nicht entsprochen 
wird, aus Verdruss hierüber den ganzen Körper durchwandert, 
hierbei die Luftwege verlegt und die Atmung hemmt, dergestalt 
die grössten Gefahren fär das Leben herbeiführend. Die Idee 
der Wanderung des Uterus infolge sexueller Nichtbefriedigung 
erhielt sich durch das Mittelalter bis in die letzten Jahrhunderte 
und wurde allmählich durch die Anschauung verdrängt, dass 
sich bei mangelndem sexuellem Verkehre im Uterus eine grossere 
Ansammlung von (hypothetischem, weiblichem) Samen entwickle, 
der einem Zersetzungs- und Fäulnisprozesse unterliege und hier- 
durch eine Art Vergiftung des Körpers bedinge. In dieser 
Zurückhaltung des Samens (und des Menstrualblutes) erblickte 
man die Hauptursachen der hysterischen Zufälle. Mit der Er- 
kenntnis, dass im weiblichen Körper keine Samenflüssigkeit 
produziert wird, musstc diese Theorie natürlich hinfällig werden. 
Die Anschauung, dass die Abstinenz beim weiblichen Geschlechte 
unter allen Umständen ein den Nerven ungunstiges Moment und 
eine wichtige Quelle hysterischer Beschwerden bilde, hat sich 



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SesucUe AbttiMiu nnd MaDg^l Mxneller Befriedigmie beim Weibe. 91 



jedoch in Laienkretsen (und in den Köpfen vereinzelter Ärzte) 
bis zum heutigen Tage erhalten. Für die Wissenschaft ist die- 
selbe jedoch seit langem bereits ab^tan. 

Für die Beurteilung des Einflusses der absoluten Abstinenz 
steht beim weiblichen Geschlechte ein viel grösseres Erlahrungs- 
material zur Verfügung als beim iiiaiiniichen. Unsere derzeitigen 
sozialen Verhältnisse verurteilen bekanntlich ein sehr grosses 
Kontingent weiblicher Personen zur Ehelosigkeit, deren gesell- 
schaftliche Stellung, Bildun^^f und moralisches Niveau einen 
illegitimen Verkehr ausschliessen lassen und bei denen zur An- 
nahme unnatürlicher Befriedigung auch keine Veranlassung vor- 
liegt. Soweit meine Wahrnehmungen reichen, ertragen weib- 
liche Personen die Abstinenz im grossen und ganzen noch viel 
leichter als Männer. Es erklärt sich dies aus dem rmstande, 
den wir an früherer Stelle schon erwähnten, dass die Jungfrau, 
welche von sexuellen Reizungen jeder Art unberührt bleibt, von 
einer eigentlichen Libido nichts weiss, was allerdings Neigung 
für das andere Geschlecht — Verliebtheit — nicht ausschliesst, 
und dass bei vielen Frauen nach Einleitung des ehelichen Ver- 
kehrs die Libido auf einer sehr niederen Stufe bleibt. 

Allerdings bestehen heim zarli-n Geschlcchte ähnliche Tempe- 
ramentsunterschiede wie l)ei den Männern, und es fällt daher der 
Verzicht auf physischen Liebesiienuss, nachdem derselbe ein- 
mal gekostet oder die Libido in anderer Weise wachgerufen 
wurde, manchen schwer, wahrend viele andere keinerlei ausge- 
sprochenes Verlangen in dieser Hinsicht kennen. Wir müssen 
atich zugeben, dass durch ungeeignete Lebensweise, übelgewählte 
Lektüre, Bätle und Theater, unpassende Gesellschaften etc. bei 
an sich sinnlich veranlagten weiblichen Personen die sexuellen 
Begehren, nachdem dieselt>en einmal geweckt sind, eine Steigerung 
erfahren können, welche bei andauernder erzwui^ener Abstinenz 
im Vereine mit anderen den Nerven schädUdien Momenten 
neorasthenisdi'hjrsterische Zufalle herbeiführt. Allein dass die 
Abstinenz an sich bei von Hause aus gesunden, unverheirateten 
weiblichen Personen als Krankheitsursache sich wirksam zeigt, 
hierfür liegt, soweit meine Kenntnis reicht, kein unumstösslicher 



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92 Sexuelle Abstinenz und Mangel sexueller Befriedigung beim Weibe. 



Beweis vor. Die Zimpfct lichkcit und Nervosität alter Jungfern, 
so vielfach Gegenstand des Spottes, hat ihre Quelle jedenfalls 
nicht in der Nichtbefriedigung sexueller Bedürfnisse, sonst 
würden sich diese JM^entümlichkciten viel häufiger bei jüngeren 
Frauenzimmern zeigen, bei denen doch ähnlich wie bei jüngeren 
Männern die geschlechtlichen Inklinationen sich eher geltend 
machen. Die Ehcschliessung bildet für sehr viele, insbesondere 
der berufslosen weiblichen Personen das I ' ben^ziel, da dieselbe 
materielle Versorgung und Befriedigung ideeller Bedürfnisse in 
sich schliesst, das Ledigbleiben auf der anderen Seite nicht 
bloss Verzicht auf geschlechtlichen Genuss und die Freuden des 
Familienlebens, sondern auch Unsicherheit der Lebensstellung für 
sie bedeutet. Es ist daher wohl begreiflich, dass die Nicht- 
erreichung dieses Zieles häufig genug ein Gefühl der Verbitterung 
oder wenigstens nachhaltige Verstimmung erzeugt, die einen un- 
günstigen Einfluss auf das Verhalten des gesamten Nerven- 
apparates äussert. Hierza kommt der Umstand, dass den alten 
Jungfern zumeist die geistige Anregung des Familienlebens und 
hiermit die so nützliche Ablenkung der Aufmerksamkeit von dem 
eigenen Befinden durch die Fürsoi^e für andere mangelt. 

Anders» gestaltet sich die Sachlage bei weiblichen Personen 
von neuropathischer Disiios^ition mit sehr starkeni (krankhaft 
gesteigertem) Sexualtriebe '\ Die Mehrzahl dieser IVrsonen er« 
gibt sich, wenn normale sexuelle rM-fViedi^unL; unnK)^lich ist, 
der Masturbation. In den jedenfalls nie Ii t häufigen Fällen da- 
ge^^en. in welchen dem Triebe zur Selbstliefrieili^aing andauernd 
\\ iderstand geleist( t oder das Laster nach kurzer oder iänt^erer 
Übung wieder ganz aufgegeben wird, entwickelt sich infolge 
der Abstinenz wie bei Männern unter ähnlichen Verhältnissen 
neben anderen mehr oder minder zahlreichen neurasthenischen 



') In dcrarligcn Fällen bcgcgacl man auch öfters einem abnorro frühzeitigen 
Aaftreten der Libido. Ob dieselbe hier» soweit nicbt VerfQbnuig vorlieft» in- 

{o\gv der krankhaften Veranlagung spontan sich geltend macht, was unter DOr' 

ni.il' ;i \'" rli:ilt;ii--' :i nicht vorkommt, oder durch zufällige äussere Einwirkxjnjjen 
geweckt wird, welche bei normalen Individuen diese Folge oicbt haben, muni 
kh dabingesteltt sein lassen. 



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Sexuelle Abstiaenz uod Mangel sexueller Befiiedij^ung beim Weibe. 93 



Erscheinungen ein gewohnlich sehr beschwerlicher Zustand 
sexueller Hyperästhesie, welcher die Gemütsverfassung in un- 
günstigster Weise beeinflusst. 

Ehefrauen sind nich^ selten durch die Gesundheits- und 
Potenzverhältnisse ihrer (latten, mitunter auch durch andere 
Umstände (Abwesenheit des Gatten, Verkehr desselben mit 
Mätressen etc.) zu längerer oder dauernder Al)stinenz verur- 
teilt, deren Einfluss auf die Gesundheit in den einzelnen Fällen 
sich sehr verschiedenartig gestaltet. Ich habe manche Fälle 
gesehen, in welchen Frauen durch das Zusammenlehen mit 
impotenten Männern keinen Schaden an ihrer Gesundheit er> 
litten ; ähnliche Beobachtungen wurden auch von anderen Ärzten 
gemacht. In anderen Fällen himviedenim entwickeln sich unter 
dem Einflüsse der Abstinenz hystero-neurasthenische Zufälle 
verschiedener Art, sowie Angst- und Verstimmungszustände, 
letztere inbcsonders als Folge :?eitweUig auftretenden stärkeren 
sexut:llen Dranges. Ob derartige Störungen eintreten oder aus- 
bleiben, hängt nicht lediglich von der Konstitution der Frau, 
dem Vorhandensein oder Mangel neuropathischer Veranis^ng 
und dem Masse der Libido derselben, sondern auch von dem 
Verhalten des Mannes ab. ^ne Frau hat sweifellos viel mehr 
Aussicht, die ihr auferlegte Abstinenz ohne Nachteil zu ertragen, 
wenn sie seitens des impotenten Mannes in sexueller Hmsicbt 
völlig in Ruhe gelassen wird, als wenn sie öfteren sexuellen Er- 
regungen ohne Befriedigung aasgesetzt ist. Auch Witwen ver- 
halten sich dem ihnen aufo'legten Verzichte auf geschlechtlichen 
Crenuss gegenöber verschieden. Bei jüngeren, etwas sinnlich an- 
gelegten Personen, welche sich längere Zeit hindurch vollständiger 
sexueller Befriedigung zu erfreuen hatten, kommt es namentlich 
bei vorhandener neuropathischer Disposition und erheblicher 
Libido zur Entwidmung hystero-neurasthenischer Affektionen 
und insbesonders von Angstzuständen, wobei natärlich auch ge- 
mütliche Momente, Kummer über den Verlust des Mannes, 
über die Änderung der äusseren Verhältnisse etc. mitspielen 
mögen. Die grosse Mehrzahl der Witwen erleidet jedoch 
durch die Entziehung geschlechtlicher Genüsse keinen aufföltigen 
Schaden an ihrer Gesundheit. Oft bedingt längere Erkrankung 



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Sexuelle Abstinenz und Mangel sexueller Befriedigung beim Weibe. 



des Mannes sclion eine i nluoiiniing in bezug auf sexuelle Be« 
friedigung. Die Fürsorge für die Kinder und den Haushalt, 
matt rielle Sorgen und die Ptln^e gewisser Erinnerungen genügen 
wenigstens bei selir Vielen, die sinnlichen Regungen entsprechend 
niederzuhalten. Die Jahre tun das übrige, sofern es zu keiner 
Wiedel Verheiratung kommt. 

Ähnliche Folgen wie die vollständige Ab.stincnz kann l)ei 
neuropathisch disponierten Krauen auch die relative Abstinenz, 
i. e. seltener, dem vorhandenen Ik•dürtnis^(' keineswegs ent- 
sprechender sexueller Verkelir liahi ii Insbesondere sind es 
Angstzuständc, die unter diesen l inständcn, wie schon an 
früherer Stelle erwähnt wurde, auftreten, dabei scheint das Ver- 
halten der Menses mitunter eine vermittelnde (oder bei^ünstigcndc) 
Rolle zu spielen. Mehrfach fand ich bei Frauen, denen sehr 
selten sexuelle Befriedigung zuteil wurde, dass die Menses 
ausserordentlich spärlich waren und das BefitnU n zur Zeit der- 
selben eine auffallende Verschlimmerung erfuhr, insbesonders 
schwere Angstzustände sich einstellten. 

Endlich haben wir hier noch des Umstandes zu gedenken, 
dass beim Weibe vorübergehend sowohl als dauernd die .sexuelle 
Befriedigung trotz sexuellen Verkehr^ mangeln kann. In dieser 
Beziehung befindet sich das Weib in einer entschieden ungünsti- 
geren Lage als der Mann. Bei diesem findet der sexuelle Akt, 
gleichgültig, ob derselbe in vollständig normaler oder abnormer 
Weise (präzipitierte Ejakul., Congress. interr. etc.) verläuft, durch 
den Vorgang der Ejakulation einen Abschluss, der mit einer 
gewissen Entladung der sexuell-nervosen Spannung einhergeht. 
Beim Weibe findet bei dem in normaler Weise sich abwickelnden 
Congressus ein ähnlicher Vorgang statt; durch Reizung der 
sensiblen Nerven der Klitoris und Vagina werden reflektorische 
Vorgänge im Zentrum genitale im Lendenmarke ausgelöst, welche 
eine transitorische Erektion der Portio vaginalis des Uterus und 
Ausstossung einer aus dem Uterus und den Bartholinschen 
Drüsen stammenden Schleimmassc zur Folge haben. Mit letzterem, 
von einem spezifischen Wollustgcfühle begleiteten Vorgange ge- 
langt ebenso wie bei der Ejakulation des Mannes, die zur 
maximalen Höhe gesteu^te sexuell »nervöse Erregung rasch 








Sexuelle Abstinenz und Mangel sexueller Befriedigung beim Weibe. 95 



zum Absinken und damit wird auch die Ausgleichung,' der 
durch den Akt herbeigeführten Hyperämie der Gciuialoigane 
eingeleitet. Diese reflektorische Aktion (Orgasmus) mit ihren 
subjektiven Begleiterscheinungen kann aus verschiedenen Grün- 
den ganz ausbleiben oder nur ungenügend otier zeitweilig ein- 
treten und damit die sexuelle Befriedigung des Weibes mehr 
oder minder Not leiden oder gänzlich zum Wegfalle kommen. 
Mit den in gesundheitlicher Beziehung sehr wichtigen I'olgen 
dieses Missstandes werden wir uns an späterer Stelle (Congress. 
mterr.) befassen. Hier sei nur bemerkt, dass. soweit für die 
mangelnde Befriedigung des Weibes überhaupt Krankheitszu- 
stände in Betracht kommen, die l"^rsache wohl vorherrschend 
auf der männlichen Seite und zwar in Potenzmängeln des (iatten 
(präzipit. Ejakulation), seltener auf seiten der Frau zu suchen 
ist; bei letzterer kann infolge ungünstiger Lagebeziehung der 
Klitoris zur Vagina, angeborener abnormer nervöser Veranlagung 
oder von sexuellen Missbräuchen (Masturbation, Exzesse im 
natürlichen geschlechtlichen Verkehr) die Fähigkeit zur Aus- 
lösung des Orgasmus vermindert sein oder auch ganz fehlen 
(Anaphrodisie Eulenburg, Dyspareunie Kisch, sexuelle An- 
ästhesie). Mangelnde Zuneigung tum Partner des sexuellen 
Aktes scheint auch in manchen Fällen eine Rolle zu spielen. 
Angeborener gänzlicher Mangel der Fähigkeit zum Orgasmus 
ist in der Regel mit Mangel der Libido verknüpft und bildet 
jedenfalls ein selteneres Vorkommnis als die mangelhafte Ent- 
wicklung der orgastischen Fähigkeit» die ziemlich verbreitet 
scheint und sowohl mit geringer als mit erheblicher Libido 
einheil^ehen kann. Letzterer Zustand kommt bei Frauen vor, 
welche im übrigen nichts Pathol<^tsches aufweisen. Die Frauen 
mit angeborener vollständiger sexueller Anästhesie leiden in 
der Regel von der sexuellen Nichtbefriedigung in keiner Weise. 
Ihr Nervensystem ist Schädigungen durch sexuelle Erregungen 
unzugänglich; die gesundheitlichen Nachteile mangelnder sexu- 
eller Befriedigung, deren wir noch zu gedenken haben, betreffen 
nur Frauen, welche die Fähigkeit zur Auslösung des Orgasmus, 
wenn auch nur in sdir geringem Maasse, besitzen oder die- 
selben wenigstens früher besassen; aUein auch die Frauen, 



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96 Sexuelle Abstinenz und Mangel sexueller Befriedigung beim Weibe. 

welche von Hause aus mit ^crin<;er sexueller Empfindlichkeit 
ausgestattet sind, leiden unter diesem Zustande, wenn dabei 
keine rege Libido besteht, gewöhnlich durchaus nicht. Sic 
bescheiden sich mit ihrem kärglich bemessenen Teile an ehe- 
lichea Genüssen ohne Klagen, auch ohne nachteilige Folgen, 
wenn nicht etwa der Gatte sich über ihre geringe Teilnahme 
an dem Akte beschwert oder dieselbe als Konzeptionshinder' 
nis in Frage kommt. 




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VIII. 

Sexuelle Exzesse und ähnliche Schädlichkeiten. 



Es ist wohl eine uralte medizinische Erfahrung, duss über- 
mässige Hingabe an sexuelle Genüsse ( lesundheitsstörungen nach 
sich 7ieht. Die ältesten medizinischen Schriftsteller teilen be- 
reits bezügliche Beobachtungen mit, und manche derselben be- 
mühten sich sogar, die Folgen allzueifrigen Venusdienstes in 
kräftigen Farben zu schildern. Auch der Volksinstinkt hat, so- 
weit sich derselbe in der Volkssage ausspricht, die Gefahren 
treffend gekennzeichnet, welche ein I bermass in sinnlicher Liebe 
für Leib und Seele nach sich zieht. Tannhäuser, der den Venus- 
berg flieht und beim Papste für seine Sünden Ablass sucht, ist 
ehi gebrochener Mann, und sein physisch-psychisches Elend er- 
fährt durch den Umstand keine Milderung, dass er innerlich 
widerstrebend, lediglich durch die Künste eines dämonischen 
Weibes gefesselt wurde. Auch für die Neuzeit lässt sich nicht 
behaupten, dass dieselbe den pathogenetischen Einfluss sexueller 
Exzesse aus den Augen verloren oder gering geschätzt hat 
fnabesonders in den Werken über Impotenz und Spermatorrhöe 
Ist denselben die eingehendste Berücksichtigung zuteil geworden. 
Trotz alledem müssen wir zugestehen, dass unsere Kenntnisse 
über die Wirkungen, welche geschlechtliche Ausschweifungen 
auf das Nervensystem ausüben, noch in niehi lache r Hinsicht 
lückenhaft sind. Was aber noch auttallendcr ist, ist der Um- 
stand, tlas^ noch nicht entfernt irgend eine Übereinstimmung 
unter den Schriftstellern darüber besteht, was als ,, sexueller 
Exzess" aufzufassen ist. Von manchen wird als solcher sowohl 

Ldwenfeid, Seiurll-netvdsc Störungen. Vierte Aufl. 7 

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98 



Sexuelle Eizesse und ähnliche Schädlichkeiten. 



Übermass im natürlichen Geschlecbtsgenusse als exzessive Onanie 
bezeichnet. Dem gegenüber müssen wir hier zunächst V)emerkcn, 
dass wir als „sexuellen Ex^css*' nur die natürliche, aber 
übermässige Ausübung des Geschlechtsaktes betrachten. Mit 
dieser Definition ist jedoch das Wesentliche der Sache nicht 
genügend charakterisiert. Eäne bestimmte, etwa in Zahlen aus- 
drückbare Grenzlinie, wo der mäss^e Geschlechtsgenuss auf* 
hört und die Ausschweifung beginnt, lässt sich nicht feststellen. 
Die sexuelle Leistungsfähigkeit unterliegt beim männlichen Ge- 
schlechte, wie wir sahen, ausserordentlichen Schwankungen, die 
durch das Lebensalter, den momentanen Gesundheitszustand, 
individuelle Anlage und Rassenverschiedenheiten bedingt sind. 
Es hängt wohl mit letzterem Umstände zusammen, dass einzelne 
Beobachter ein gewisses Mass geschlechthchcr Leistungen be- 
reits als ivrankhaft bezeichnen, das nach den Erfalirungen anderer 
noch in die Breite dis Phvsiologischen lallt. So erwähnt 
Troussean als eine Neurose der Zeugungsor^anc bei Atak- 
tikcrn eine merkwürdige Fähigkeit, den Beischlaf sehr oft und 
in sehr kurzer Zeit zu wiederholen , als Beispiele führt er zwei 
Tabetiker an, von welchen der eine vor seinem Eintritte in das 
Spital den ikischlaf in einer Nacht 8 — 9 mal, der andere binnen 
24 Stunden 9 — lomal ausführen konnte. ,,lm physiologischen 
Zustande", bemerkt Trousseau, „finden wir keine solche her« 
kulischen Leistungen, und es kann der Zeugungsakt weder so 
schnell, noch so leicht vollzogen werden." Was Trousseau 
unter physiologischen Verhältnissen für unmöglich hielt, bleibt 
jedoch noch erheblich hinter den mir bekannt gewordenen ge- 
schlechtlichen Leistungen einzelner junger Männer zurück, die 
sicher zur Zeit der fraglichen Potenzentfaltung sich votler Ge- 
sundheit erfreuten und auch Jahre hernach keine nervösen Krank- 
heitserscheinungen darboten. Es scheint mir dies darauf hin- 
zuweisen, wofür auch die Bevölkerungsstatistik spricht, dass die 
germanische Rasse der französischen an sexuellem Vermögen 
überlcj^en ist. 

Wenn uir nun ai:ch mit Riicksiclu auf die aus^erordent» 
liehen Schwankungen der ge^^chlccht liehen Potenz bei den Einzel- 
individuen in zitlerniässigei Weise niciit feststellen können, was 



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Sezttdte Exxesse und ftfaolieiie Scbidlicbketten. 



ab Übermass im Geschlechtsverkehre zu erachten ist, so haben 
wir doch gewisse Kriterien, aus welchen sich ergibt» ob die 
Grenze des Ratsamen überschritten ist. Als Exzess ist nach 
meinem DafOrhalten jeder Einzelakt oder jede Häufung von 
Akten zu erachten, welche längerdauernde ungunstige 
Wirkungen irgend welcher Art hmterlässt. Wo der sexuelle 
Verkehr einem tatsächlichen Bedürfnisse entspricht und in 
adäquatem Verhältnisse zu dem vorhandenen geschlechtlichen 
Vermögen und zu den übrigen Leistungen des Körpers steht, 
dürfen, abgesehen von der vorübergehenden Ermüdung nach 
dem Akte, unerwünschte l-olgcerschcinungcn nicht auftreten; 
das Gesamtbefinden darf hierdurch nicht in tmgün->ti^er Weise 
verändert werden. Bei Heurtcilung der Folge n sexueller Aus- 
schweifungen müssen wir in erster TJnie die /citdnuer der- 
selben, sodann aber auch Alter und Gesundheitszustand des 
Individuums in }>etracht ziehen. 

Exzesse in Venere, die sich über eine Anzahl von Tagen 
und selbst von Wochen erstrecken, werden von jüngeren, völlig 
gesunden Männern im allgemeinen ohne bleibenden Nachteil 
ertragen. Es lässt sich ja nicht verhehlen, dass wenigstens ein 
grosser Teil der Neuvermählten sich derartiger Sünden schuldig 
macht und doch der Arzt selten Gelegenheit hat, sich mit den 
Folgen derselben zu beschäftigen. Allerdings ist immerhin noch 
ein Untersdiied zwischen den sozusagen bescheidenen Exzessen 
vieler Neuvermählter und dem mitunter ganz sinnlosen, brutalen 
Venusdienste, dem manche junge Männer im Verkehre mit 
Halbweltdamen obliei*en. Ich habe nach solchen un\eranl wort- 
lichen Extravaganzen bei einzelnen votdem ^anz gesunden 
Junijen Männern hochgradige Erschöpfungszustände des ganzen 
Nervensystems beobachtet und möchte nicht behaupten, dass 
sich an derart ij^cs Vf>rgehen nicht auch ernstere und bleibende 
Schädigungen des Nervensystems knüpfen können Bei neuro- 



') Wenigstens spricht eine Beobachtung Hammonds dafür. £io Patient 
H.'s iilite in kaum 8 Stunden 1 1 m.il den C. aus, wobei nur die ersten 3 Akte 
eine £tni»->io seminis zxir Folge hatten. Kurz nach dem II. Male hatte Patient 
rincn cpileptikfacfi Anfall und wunfe dauernd impotent, indem er niemals mehr 
eine Erektion zustande bringen konnte. 

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100 



S««nelle Exsesse ond llmlicbe Sdildlidikeiteo. 



pathtsch veranlagten Personen und gleichzeitiger Einwirkung 
anderer Schädlichkeiten — von Trinkexzessen, Aufregungen, 
gcii>ti^er Cbcianstrt'n<^ung — bilden selbst mässi^o transitorische 
Exzesse nicht selten den Anstoss zur Kntwickelung hartnäckiger 
und schwerer nervuser Schuiichezustände, speziell spinaler Neur- 
asthenien. Da von einer gewissen Altersgrenze — wie wir 
sahen, vom 36. Lebensjahre an — die Potenz in stetit^'er Weise 
abnimmt und zuyU ich die Fähigkeit des Nervensysti ms, irgend- 
wie in seinem Bereiche verursachte Störungen an^^zut^Ieichen, 
sich stetii^ verringert, so erweisen sich geschlecluliche Ex/esse 
von kiu zer Dauer bei Personen , welche das 40. Lebensjahr 
i'iberschrilten haben, relativ viel häutiger von nachteiliger Wukung 
aui das Nc-rvi'ns\ sti-ni als bei ji'ingeren Männern. Indes handelt 
es sich wenigstens l)ei den noeh in mittlerem Alter stehenden 
Personen zumeist nur um Störungen, die in das Gebiet der 
Neurasthenie gehören. 

Viel ernster kann sich die Sachlage bei Leuten gestalten, 
welche in die senile Periode eingetreten und deren Gehimgefässc 
durch Atheromatose oder andere Veränderungen brüchig ge- 
worden sind. Iiier kann der Coitus bekanntlich zu Gefässruptur 
und Bluterguss ins Gehirn führen. Um Exzesse im medizinischen 
Sinne braucht es sich hierbei nicht immer zu handeln; es ist 
ohne weiteres verständlich, dass unter der energischen Ver- 
stärkung der Herzaktion (von den Stauungsvorgängen ganz ab- 
zusehen), welche der Geschlechtsakt bedingt, ein Blutschwall 
nach dem Gehirn dringt, der zerreissliche Gefässe zum Bersten 
bringt. Je grosser die Anstrengung und Aufr^ung, die der 
Akt erheischt, um so leichter tritt natürlich dieses Resultat ein. 

Allein auch ernstere Zufälle anderer Art können sich an 
sexuelle Exzesse im höheren Lebensalter, und zwar schon nach 
kurzer Zeit knüpfen. Einen Fall dieser Art habe ich vor nicht 
sehr langer Zeit beobachtet. Ein Mitte der 60er Jahre stehender 
Herr heiratete eine etwa um 30 Jahre jüngere Frau, mit welcher 
er in den ersten vier Wochen nach der Vermählung 7 oder 
8 mal ehelichen Umgang hatte. Schon alsbald nach der Hochzeit 
stellten sich bei dem Herrn Verdauungsstörungen und Schwindel* 
anfalle ein, hierzu gesellten sich Schwäche- und Ohnmachtsanwand- 



4 



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Sexoeiie Eitesse und tbnlidie SchAdlickkeiten. 



101 



langen, die ihn nötigten, das Bett zu hüten, das er erst nach 
mehreren Wochen wi^er verlassen konnte. Auch dann zeigte 
sich noch längere Zeit ein Schwichezustand der Beine, der 
früher nie vorhanden war. 

Sehen wir von den cbi-n i! wähnten, mehr exz<-']>tioneIli n 
Vorkommnissen ab, so erweisen sich im i^'an/.en die Fol^'en 
andauernder, über Monate und Jahre sich erstreckender sexueller 
Überanstrenguni^en im«jleich schwerer und nachhaltiger, als die 
der transitorischen Extravaganzen. Lebensalter und ailgomriner 
Gesundheitszustand spielen aber auch hier eine wichtige Rolle. 
Noch sehr jugendliche, k(jrperlich nicht völlig entwiclcelte Indi* 
viduen und solche, weiche die Jahre der vollen Manneskraft 
schon hinter sich haben, werden im allgemeinen rascher und 
intensiver geschädigt, als robuste, noch in der Blüte des Lebens 
stehende Männer. Die Erscheinungen, mit weichen wir es in 
diesen Fällen zu tun haben, gehen meist zunächst vom Rucken- 
marke aus: Gefühle von Schwäche in den Beinen, denen anfäng- 
lich keine erhebliche Abnahme der Leistungsfähigkeit entspricht, 
abbald aber deutliche und auffallende Verringerung der Gehfähig- 
keit, Gefühle von Unsicherheit, Taubsein und Kälte in den 
Beinen, Schwäche und dumpfe Schmerzen im Rücken, die durch 
ihre Hartnäckigkeit sehr lästig werden und oft nach al)',\ürts in 
die Oberschenkel oder nach \ nme in die Sainenstrani^ijcj^end 
und (In- liodcn ausstrahlen. Iliei/^u gesellen i>icli früher oder 
Spall r die Frschcinun^'en der geschlechtlichen Schwäche: erhöhte 
Reizbarkeit L;eL;t niiber sexuell-sinnlichen Eindrücken, häufigere 
Pollutionen'), verfrühte Ejakulation, Abnahme und selbst Verlust 
der Erektionsfähigkeit (ImpotenzJ. 

Ob diese Erscheinungen, wie z. B. Roscnthal annahm, 
von einer Hyperämie, oder nach Hammond von einer Anämie 
des Röckenmarkes (speziell des Lendenmarkes) abhängen, will 

'> Von Gyurkovcchky wird das Auftreten haufifjercr Pollutionen und 
vo!) Spermatorrhiic als Folge ü^lcrn1;i■>^igcn sexuellen Verkehrs allein bestritten, 
wälirend Fürbrini:er auf Grund zahlreicher eiadeutiger Beobachtungen für 
deren Vorkommen infolge »xueller Exzesse (ohne Ooamc) eintoitl. Ich mus$ nach 
meinen Beobncb langen, soweit wenigsten» die Pollnlinnes nimiae in Frage »iml, 
die AniMihauanf; Gyurliovechkys cbenfalU als unslidibaltig bezeicfancn. 



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102 



Sexuelle Exzesse und &halidic ScbftdiidiketleD. 



ich dahingestellt sein lassen. Sicher ist, dass die vielen und 
intensiven Erregungen des Rückenmarkes durch Exzesse in 
Vcnerc eine Veränderung in diesem Organe und zwar zunächst 
in den Lendenmarkszentren herbeiführen, die — nach den Folgen 
zu schliessen — sich als ein Zustand gesteigerter Reizbarkeit 
und funktioneller Schwäche (reizbare Schwäche) darstellt. Das 
Wesen der fraglichen Verämleiunr,» entzieht sich vorerst noch 
gänzlich unserer Erkenntnis. £s ist aber jedenfalls von Interesse, 
dass ich nach Überanstrengung der Arme durch Schr( ibcn, 
Zeichnen, Violin- und Klavierspiet, sowie durch feine Hand« 
arbeiten genau dieselben Erscheinungen an den Armen beob- 
achten konnte, wie sie an den Beinen nach Exzessen in Venere 
auftreten. Die sexuelle Oberreizung wirkt also auf das Lenden- 
mark wie übermässige Inanspruchnahme anderer Rückenmarks- 
partien durch Oberanstrengung gewisser Muskelgruppen. 

Indes beschränken sich die Folgen des unmässigen Venus- 
dienstes nicht auf das spinale Gebiet. Sehr bald treten neben 
den Rückenmarks-Symptomen, mitunter auch gleich anfangs, 
Störungen von selten des Gehirns auf: Kopfeingenommenheit, 
seltener eigentlicher Kopfschmerz, Schwindel, Sehstörungen, 
Schlafmangel, Angstanwandlungcn usw.; hierzu können sich 
nervöse Funktionsstörungen von selten des Herzens, des Magens, 
des Darmes und der Blase und Steigerung der Haut- und Sehnen- 
reflexe gesellen. Es entsteht dergestalt das Bild der allgemeinen 
Neurasthenie, dessen Züge in jedem Einzelfalle variieren, aber 
auch bei demselben Patienten im Laufe der Zeit erheblich 
wechseln. Bald sind die Beschwerden von selten des Kopfes, 
bald die von selten des Rückens und der Beine, bald die Er- 
scheinungen der nervösen Herzschwäche, bald die der nervösen 
D) spepsie im Vordergrunde. Zufällij^e, oft nicht näher eruier- 
bare Umstände drängen den einen Syniptomenkomplcx zurück, 
während sie den anderen mehr hervortreten lassen. 

Dass anhaltende L'nniässij^kcit im sexuellen Genüsse die 
vorstehend an^^'eführten Störun^t^n nach sich ziehen kann, hier- 
über besteht unter den kompetenten Beobachtern kaum ein 
ZweiU:!. Man darf es auch als feststehend erachten, dass der 
Schaden sieh nicht in allen Fallen hierauf beschränkt. Allein, 



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Sexuelle Exzesse und abolicbe Scbädlicbkeiten. 



103 



wenn wir uns bemühen, die Krankheitszustände genauer zu 
ermitteln, die sich, abgesehen von der Neurasthenie und ihren 
Anhängseln (Pollutionen, Spermatorrhöe, Impotenz), an die sexu« 
eilen Exzesse knüpfi-n, so stossen wir auf eine Reihe von 
Schwierigkeiten. Genchlechtliche Ausschweifungen sollen nach 
zahlreichen Autoren bei der Entstehung von Geisteskrankheiten, 
Epilepsie und manchen organischen Rückenmarksleiden eine 
Rolle spielen. Daneben fehlt es aber nicht an Stimmen, welche 
die Exzesse in Venere in den betreffenden Fällen schon als 
Äusserung tünes Krankheitszustandes des Nervensystems be- 
traditen und in den Folgen derselben nur einen Circutus vitiosus 
gegeben sehen. Ausserdem linden wir sehr häufig neben ge- 
schlechtlichen Extravaganzen andere Schädlichkeiten wirksam, 
vor allem Missbrauch geistiger Getränke, Syphilis, Aufregungen 
und geistige Oberanstrengung, körperliche Strapazen. Es ist bei 
einer solchen Konkurrenz von Ursachen jedenfalls sehr schwierig, 
oft sogar g«iz unmdglicb, auszuscheiden, was dem einen und 
was dem anderen ätiologischen Momente zur Last fallt. 

Betrachten wir zunächst den Einfluss sexueller Exzesse 
auf die Entstehung von Psychosen, so müssen wir konstatieren, 
dass derselbe nach den genaueren Ermittelungen der neueren 
Zeit in der Ätiologie dieser Erkrankungen nicht die hervor- 
ragende Rolle spielt, die man frOher demselben zuzuschreiben 
geneigt war, und jedenfalls hinter dem der Onanie bedeutend 
zurücksteht. 

Nach V. K rafft- Ebing können sich schwere Cercbr- 
astbenien, Senium praecox und schwere Melancholie mit hypo- 
diondrischer Färbung unter dem erschöpfenden Einflüsse über- 
mässiger Kohabitationen entwickeln. „In der Regel sind aber 
dabei noch andere Hilfsursachen wirksam." Diese Ililfsmomente 
sind sicher oft von iiberwiei^endeni Kintlussc. 

Früher wurde von nianchi ii geschlechtliche ( iiinä.ssi^kcit 
als eine dci wichtigsten Ursachen der Paralyse betrachtet. Diese 
Auffassung hat gegenwärtig kaum uwhv Anhänger. Man kann 
sexuellen Exzessen in der AtioI()t»ic der Paralyse nicht mehr 
als die Bedeutung eines i^rädisjnmierendcn Momentes zugestehen. 
In den meisten Fällen, in welchen bei Paralytikern die in Frage 



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104 



SeztwU« ExsesK und Sbnlicbe Scbldliclikeilen. 



Stehenden Exzesse nachweisbar sind, fallen dieselben übrigens 
in die Anfangsperiode der Erlcrankung und bilden sonach ein 
S> mptom, nicht eine Ursache derselben. Auf der anderen Seite 
lässt sich aber nicht bezweifebi, dass der durch sexuelle Ober- 
reizung bedingte neurasthenische Gehimzustand eine gQnstige 
Basis für die Wirksamkeit weiterer Schädlichkeiten, speziell des 
Alkohols (wahrscheinlich auch der Syphilis), bildet. 

Von älteren Beobachtern wurden Exzesse in Venera als 
eine häufii;c und wichtige Ursache der Epilepsie bezeichnet. 
Man verj^lich auch vielfach oder identifi/.ioi te in gewissem Masse 
den G< schlcchtsak.t mit der I-^jülcpsic i^Coitus cpilepsia parva 
oder brcvis, Caelius Aurelianis, Scnnert, Ettmüllcr 
u. a): Bocrhave ging noch weiter, indem er geradezu 
erklärte, coilum esse veran\ ej)ik-i)siaiu ' i. In neuerer Zeit ist 
man allgemein in der Taxierung dt r ;itiuIogischcn R ille sexueller 
I'.xzesse in hezut; auf die Epilepsie m Hi zurückiialtuiid geworden. 
Nothnagel benu^rkt. dass auch anhaltende und starke Exzesse 
in Venere, wenn je überhaupt, so mir als sehr seltene Ursache 
der epileptischen Veränderung betrachtet werden dürfen. Von 
manchen (so in j(in<^ster Zeit von Sti üiii|iell und Christian) 
wird geschlechtlichen Ausschweifungen eine Bedeutung als Ursache 
der Ei)ilepsie ganz abgesprochen I Iahen wir uns an das tat- 
sächlich Festgestellte, so finden wir, dass der erste Coitus bei 
hereditär veranlagten I'ersonen öfters den ersten Anfall herbei- 
führte und dass es bei anderen bei jedem Beischlafe oder 
Versuche hierzu zu einem Anfalle kam, so dass der geschlecht- 
liche Verkehr ganz aufgegeben werden niusste. Sicher ist auch, 
dass häufiger geschlechtlicher Umgang bei Epilej)tischen die 
Anfälle vermehrt. Delasiauve bemerkte, dass Kranke, die 
während ihres Aufenthaltes in A-^Nlen nahezu Uc] von Anfällen 
sind, nach dem Verlassen der Anstalt und Wiederaufnahme 
selbst massigen sexuellen Verkehrs neuerdings von Anfällen 



'i .\utli cini;^!.- neuere Autoren (K o u l> .n u il , Hammond, Kowalcwsky 
und M-ib-.! Frri j wollt-n eine i"-\v\--ü .Ähnlichkeit z\vi>thfn dem C. und dem 
tjnJtpUstln.n Anülic (iudcu. IJi i^.uin nur Clirislian ^Epilepsie, tolic cpilcp- 
liquc 1S90, S. 91) beipdicbten, weon er erklärl: „Kien, abüolument rien, k non 
sens n'tttttoriüc k rapprocber ce» deux ordre» de raiu". 



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Sexuelle Eiaewe und ihnlkbe Sdiidlichkeiten. 



heimgesucht werden, bei Exzessen natOrltcb um so stärker^). Ich 
selbst beobachtete einen Patienten mit hereditärer Betastung, 
bei welchem der erste epileptische Anfall kurze Zeit nach der 
Verheiratung auftrat. Bei zwei anderen Kranken, die während 
ihrer ersten Ehe nur an seltenen Anfällen von Petit Mal gelitten 
hatten, stellten sich alsbald nach ihrer Wiederverheiratung mit 
einer erheblich jüngeren Frau häufigere und stärkere Krampf- 
anßUie ein. In einem 4. Falle endlich kehrten AnßUIe von 
Petit Mal, die in den Kinderjahren infolge von Masturbation 
entstanden, dann aber viele Jahre we^'i^feb lieben waren, zurück, 
nachdem der Patient einige Zeit hindurch mit ungewohntem 
ICiler seinen ehelichen PlliclUen nachgekommen war. Anderer- 
seits hatte ich aber Gelci^cnheit, eine Anzahl l^pilcpUhcher zu 
beobachten, bei welchen sexueller Verktrhr sich in bezui; auf 
Au>l()snnL,f Von Anfällen unwirksam erwies. Nach alledem dürfen 
wir wohi sagen, dass Exzesse in Venere eine bestehende 
lepsie verschlimmern, das latent gewordene Leiden wieder wach- 
rufen, unter Umständen auch die erste Explosion der Krank- 
heit herbeiführen können; ein Beweis dafür, dass dieselben bei 
nicht veranlagten Personen Epilepsie erzeugen können, liegt 
jedoch nicht vor'). 

Für keine Krankheitsgruppe wurde seit alter Zeit mit solcher 
Bestimmtheit ein ursächlicher Zusammenhang mit sexuellen Ex- 
zessen behauptet, als für die (organischen) Erkrankungen des 
Rückenmarkes. Die Grundlage dieser Anschauung bildet unleug- 
bar die Schilderung, welche Hippokrates von der als RQcken- 
darre (Nmttas ^^iaig) bezeichneten Erkrankung gibt: „Die 
Rückenschwtndsucht entspringt aus dem Rückenroarke. Sie er- 
greift vornehmlich Unverheiratete und WottÜstlmge. Sic sind 
ohne Fieber, essen gut, aber sie schwinden dahin. Wenn man 

') Auch Ftrt «rwShnt, dass Kraoke, weldie im Hospitot von AnfUlen ver« 

schont bleiben, nach dem Austritte von solchen immer wieder heiinr:r«ucbt 
wrden Nach <*<.iner AnMcht i».t ir lorh hierbei ofl schwierig, den Anteil 
des Alkohols und des sexuellen Verkehrs zu üonderu. 

') Auch die oben erwülinte Beohacbiuni; H«ntmonds kann nicht «U 
Beweb in dieser Beziehol^[ angegeben werden. Es bändelte sich hier oflfenbAr 
um einen vcreinieltcn Krampfonfall, nicht nm eine andauernde epileptische Ver- 
inderong. 



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106 



Scittdle Exxease und ihnlicbe ScbldUehkeitea. 



sie fragt, so werden sie angeben, dass sie das Gefühl haben, 
als ob ihnen Ameisen vom Kopfe längs des Rückens herablaufen. 
Wenn sie urinieren oder zu Stuhl gehen, so verlieren sie viel 
wässerige Samenflüssigkeit; aber Fruchtbarkeit findet nicht mehr 
statt. Im Schlafe haben sie wollüstige Träume. Beim Gehen 
oder Laufen, besonders beim Berg^ oder Treppensteigen, stellt 
sich Asthma und Schwäche ein. Schwere im Kopf und Sausen 
in den Ohren. Später werden sie vom hitzigen Fieber ergriffen 
und gehen schwindsüchtig zugrunde.'* Dass diese Schilderung 
dem Bilde der heutzuta^'e als Tabes dorsalis bekannten Erkrankung 
nicht ent>piicht, unterließt wohl keinem /weitel. Allein die 
Anschauungin Jcr Arzte hinsichtlich der l'i.sachcn dei Tabes 
dorsalis wurden noch in den ersten Dezennien des letzten Jahr- 
hunderts v<)Ilig diu eh die hippukratische Lehre von der Rücken- 
darre beherrscht. Sexuelle l'.xzcssc mid Onanie ^^alten als hauhiiste 
Veranlassung der Rückenmarksschwindsucht und anderer Rücken- 
marlcsleiden. Johannes Müller, der berühmte Physiologe, 
bezeichnete die Tabes als eine nur von Ausschweifungen her- 
rührende Krankheit. Schon Niemeyer wandte sich mit Nach- 
druck gegen diese Behauptung und wies auf die ungerecht- 
fertigten Verdächtigungen hin, denen hierdurch so manche be- 
dauernswerte Rückenmarksleidende ausgesetzt würden. SchuUze 
konnte sogar unter 46 Fällen von Tabes nur bei einem sexuelle 
Ausschweifungen als Ursache finden. 

in den letzten Dezennien hat sich die grosse Mehrzahl 
der Beobachter hinsichtlich der Bedeutung geschlechtlicher Un« 
mässigkeit als eine Ursache organischer Rückenmarkskrankhetten 
und speziell der Tabes zu einer der früher herrschenden ganz 
entgeL,'engesetzten Anschauung bekannt. Eine Reihe von Autoren 
(B e a r d , C u r s c h m a n n . S c l i g m ü 1 1 c r, G o w c r s , H i r t h, 
Leyden, Goldsc heider) «gesteht den sexuellen I'!\zcsscn in 
der .•\tioki;^ic der Tabes cntwcdei überhaupt keine Ikdeutung, 
oder nur tlie eines prädisponierenden Momentes zu. Nach Ray- 
mond scheinen l^xzesse in Venere ähnlich ICrkTiltunijen, l ber- 
anstreni^unt^en und Trannien mitunter eine Gele^'enheitsursachc 
zur l-lntwickeluni^ der Tai »es bei durch hereditäre Belastung 
Disponierten zu bilden. Erb fand, dass unter 27 1 Tabcsfällcn 



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Sexuelle Extesse nnd abnllclie SchSdUdikeiten. IQ? 



seiner Beobachtung nur bei 1 5,8 V sexuelle Exzesse zugestanden 
wurden. Er hält diese Exzesse für ein entschieden wirksames 
Moment in bezug auf die Verursachung von Tabes, doch fast 
ausschliesslich bei hietisch Infizierten. Nur in drei Fällen seiner 
Beobachtung bildeten sexuelle Exzesse die einzig nachweisbare 
Schädlichkeit. Wenn dagegen ein amerikanischer Beobachter 
Neftel in seinen sämtlichen Tabesföllen allzureichliche Be^ 
tätsgung des Geschlechtstriebes konstatieren konnte, so handelt 
es sich hier wohl um eine Zufälligkeit des Materiales, die nicht 
weiter in Betracht kommen kann. 

Meine eigenen Erfahrungen sprechen zwar nicht dafür, dass 
bei der Verursachung organischer Rückenmarkski ankhcitcn ]-.\- 
zesse in Vcnere eine hervorragende Rolle spielen, sie gestatten 
mir aber auch nicht, dicM' Mxzesse in fraglicher Beziehung für 
ganz belanglos anzusehen. W ir müssen zunächst berücksichti;^^en, 
dass andauernde geschlechtliche Ausschweifungen nicht so hiiutig 
sind, als wohl viele glauben mögen ; es hängt dies damit zu- 
sammen, dass die Natur selbst für eine Art von Hemmvorrichtung 
gesorgt hat, welche den zu sexueller Misswirtschaft Geneigten 
in gewissem Masse gegen fortgesetzte Selbstschädigung schützt 
Auf die Obersättigung mit sexuellen Genüssen folgt bei dem 
Gesunden naturgemäss die Erschöpfung und damit ein zeitweiliges 
erhebliches Sinken (wenn nicht Erlöschen) der Libido wie der 
Potenz, wodurch das Individuum von weiterer Kraftvergeudung 
vor setner Wiedererholung abgdialten wird, soferne nicht äussere 
Anreize die sexuelle Appetenz anfachen^). Bei dieser Sachlage 
erscheint es mir immerhin beachtenswert, dass unter den von 
mir beobachteten Tabetikcrn sich eine gewisse, allerdings be- 
schränkte Anzahl von solchen befindet, welche andauernd sich 
geschlechtlichen Exzessen hingegeben hatten und zwar lange 
Zeit vor dem Auftreten der ersten Krankheitserscheinungen, so 
dass das Verhalten der Betreffenden m sexueller Beziehung 
nicht als i\usserung der Erkrankung !>etrachtet werden kann. 
Manche dieser Patienten hatten selbst den Eindruck, dass üir 

*) Die FflUe, in welchen auf ein Obermass sexueller Leistung keine ent* 
sprechend nadibaltige Minderung der gescMechtticfaen Appetenz erfolgt, sind meines 
Enchtens durcbg^hends pathologischer Natur. 



108 



Sexuelle Exzesse und ähnliche Schädlichkeiten. 



lockeres Leben nicht ganz ohne Zusammenhang mit ihrer Er- 
krankung sei, und dieser Annahme konnte ich mich ebenfalls 
nicht entziehen. Was dieselbe noch erheblich stützt, ist der 
Umstand, dass die Mehrzahl der betreffenden Leidenden durch 
ihren Beruf genötigt war, viel auf den Beinen zu sein (Agenten), 
und es bei denselben auch an mancherlei geschäftlichen Auf- 
regungen nicht fehlte. Es ist wohl nicht zu bezweifeln, dass 
unter dem Einflüsse geschlechtlicher Exzesse das Rückenmark 
namentlich bei solchen Individuen leiden muss, die nicht in der 
Lage sind, in der Zwischenzeit dem erschöpften Organe die 
nötige Ruhe zu gönnen. Andererseits muss ich aber zuge- 
stehen, dass meine Beobachtungen keinen strikten Beweis dafür 
liefern, dass geschlechtliche L'nmässigkcit ohne Mitwirkung anderer 
Schädlichkeiten bei ursprünglich gesunden Personen Tabes her- 
vorzurufen vermag. Das gleiche gilt für andere organische 
Rückenmarkskrankheiten, speziell die chronische Myelitis. Ich 
beobachtete unter einer immerhin ansehnlichen Zahl von Fällen 
letzterer Erkrankung nur einen einzigen (schwere Myelitis trans- 
versa), in welchem sexuelle Ausschweifungen sicher vorhanden und 
ein andeics ätiologisches Moment nicht zu eruieren war, woraus 
jedoch noch nicht gefolgert werden darf, dass crstcre die alleinige 
Ur.sache der Erkrankung waren. Im allgemeinen scheinen mir 
daher sexuelle Exzesse eher der Entwicklung der Tabes al.s 
irgend einer anderen organischen Rückenmarkserkrankung Vor- 
schub zu leisten'). 

In ähnlicher Weise wie übermässige Häufigkeit geschlecht- 
lichen Umganges können auch bei mässigem sexuellem Verkehic 
gewisse denselben begleitende oder demselben folgende L'mständc 
nachteilig werden. Die Schäillichkeit des Coitus in statione ist 
fast allgemein zugegeben. 



') Mehrere Beobachter ((> r a n , O p p c n h c i n» e r . D i c ni c r) wollten auch 
die progressive M uskel.il rophie in ursächlichen Zus.ininienh;inj; mit geschlechtlichen 
Exzessen bringen. Kinc meiner Beobachtungen von spinaler progressiver Muskel« 
atrophie Hesse sich zugunsten dieser Auflassung verwerlen. Doch kann es »ich 
jedenfalls nur darum handeln, dass die durch die geschlechtlichen Vorgänge er- 
si h< pitvii Kikk innark</cnti<n der Einwirkung anderer SihädlichUeitcn g<'genub«r 
der Widei>lanil.>fähigkeil ermangeln. 




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Scivdlc Exzcfie nad ihslkhc Sdaidiichkeiten. 



109 



Schon ältere Autoren (Sanctorius, Morgagni, Tissot) 
haben auf dieselbe aufmerksam gemacht. Tissot und Olli vier 
d'Angers berichten öber Fälle» in welchen Lähmung der Beine 
im Gefolge gewc^nheitsmfissiger Obung des geschlechtlichen 
Verkehrs im Stehen eintrat. Carr6 führte sexuelle Exxesse, 
tnsbesonders solche, die im Stehen begangen werden, als Ur- 
sache der Tabes (Ataxie locomotrice) an; nach der Meinung 
dieses Autors sollen hierdurch Kongestionen des Rückenmarkes 
(erstes Stadium der Tabes) herbeigeführt werden. Hammond 
erwähnt, dass er wiederholt ernste Folgen von der beständigen 
Obung der Kohabitation in der erwähnten Stellung sah. Ein 
ältlicher Herr seiner Beobachtung, der längere Zeit der in P räge 
stehenden Art ilca sexuellen Verkehrs gehuldigt hatte, wurde 
bei dieser Gelegenheit von einem heftigen Tremor in beiden 
Beinen erij;riffcn , der zwei Tage anhielt, nach welcher Zeit 
Lähmung' der Beine und Impotenz sich bemerl^lich machten. 
Die Lahmung besserte sich bedeutend, wiihremi die Impotc-nz 
verblieb. Ein anderer Patient, der an den Coitus in statione 
nicht gewöhnt war, wurde nach demselben von einer Ohnmacht 
befallen, an welche sich partielle Lähmung beider Beine und 
Incontinentia urinae anschloss. Die Lähmung der Beine verlor 
sich in wenigen Wochen, der Spbincter vesicae war noch nach 
5 Jahren geschwächt. Wenn ich meine eigenen £rfabrui^(en 
berücksichtige, so verhalten sich manche jüngere Männer 
wenigstens auflßliltg resistent gegen die Schädlichkeit des in Frage 
stehenden Vorgehens, während andere schon nach kurzem das- 
selbe büssen müssen. Indes handelt es sich hierbei gewöhnlich 
nur um Erscheinungen spinaler Neurasthenie. 

Sexueller Umgang nadi dem Essen wird ebenfalls von 
den älteren Ärzten als schädlich bezeichnet F6r^ erwähnt, 
dass bei manchen Personen der Beischlaf nach der Itihhlseit 
eine Erschöpfung der Alagentätigkcit und Verdauungstörungen 
herbeiführt. 

Körperliche Anstrengungen unmittelbar nach dem Actus er- 
weisen sich ebenfalls häufig von entschieden ungünstiger \Viik.un<j;. 
< urschmann erwähnt eines lüngercn kräftigen Mannes, der 
jahrelang oluie Nachteil für seine Gesundheit 4 mal wucbent- 



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110 



Sexuelle Exzesse und iholiche Scbädlicbkeilen. 



lieh mit seiner (jclicbten Um^Miii^ hatte; als diese jedoch eine 
entferntere Wohnung bezo^ und cUr Betreffende jrenötigt war, 
einen Weg von einer Stunde nach dem Akte zurückzulegen, 
wurde er alsbald mn sehr angreifenden Nacht- und Tagespol- 
lutiuiu-n heimgesucht. Vereinzelte ähnliche Beobachtungen habe 
ich ebenfalls gemacht. 

Bei einem Ende der 30er Jahre stehenden verheirateten 
Herrn meiner Beobachtung, welcher öfters den ehelichen Verkehr 
am Morgen, kurze Zeit vor dem Aufstehen pflegte und nach 
dem FrühstQckc in sein Geschäft einen weiten Weg zurückzu- 
legen hatte, kam es binnen kurzer Zeit zu einer auffälligen Ab< 
nähme der Potenz. 

. Auch die Ausübung des C. nach erheblichen körperlidien 
Anstrengungen kann entschieden schädigend wirken. Bei einem 
jungen Manne meiner Beobachtung, der unmittelbar nach einer 
anstrengei^en Velozipedtour den Beischlaf ausgeübt hatte, ent- 
wickelten sich im Anschlnss an diesen Akt die Erscheinungot 
einer schweren spinalen Neurasthenie, die sich noch nach Jahren 
nicht ganz verloren hatte. 

Manche Männer besitzen die Fähigkeit, den Eintritt der 
Ejakulation beim Kopulationsakte willkürlich hinauszuschieben 
und dadurch den Akt nach Belieben zu verlängern. Nament- 
lich bei der Übung des Congr. intcrr. wird von dieser Kunst- 
fertigkeit Gebrauch gemacht und hierdurch die nachteilige 
Wirkung dieser Art des Congr. gesteigert. Allein auch bei 
normaler Beendigung des Aktes muss die übermässige Aus- 
dehnung desselben als ein den Nerven schädliches Moment be- 
zeichnet werden. 

Unstreitig wird das Nervensystem des Weibes durch de^ 
Geschlechtsakt weniger nachhaltig er<^riffen, als das des Mannes. 
Man darf hier nur auf das naheliegende Verhalten der öffent- 
lichen Frauenzimmer hinweisen. Es mag sein, dass das Nerven- 
system dieser etwas robuster veranlagt ist, als das der durch- 
schnittlichen weiblichen Personen und dass speziell die Nerven 
der Se.xualsphärc l)ei denselben eine Abstumpfung der I'.mpfmdung 
aui\v< isen. Allein dies zugestanden, verbleibt es imnu thin be- 
merkensucrt, dass bei diesen Geschöpfen Fälle nervöser Uber- 



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Sexuelle Exseise und tthnÜche Scbidtkbkeileo. 



III 



reizung infolge vnn Aiisül^unj^ ilircs Gewerbes sehr selten vor- 
kommen, und wo sich ncurasthenische oder h\slerische Zu- 
stände bei denselben finden, zumeist andere Ursachen im Spiele 
sind. Auch bei gesunden Frauen, die nicht der Venus vulgi- 
vaga huldigen, ist häufig wiederholter geschlechtlicher Verkehr^ 
soferne derselbe in ganz normaler Weise statt hat, im allgemeinen 
ohne jeden nachteiligen Einfluss. Das Verlialten des Mannes 
und der Frau kontrastiert in diesem Punkte in manchen Fällen 
in sehr auffalliger Weise. Ich habe mehrfach Gelegenheit ge- 
habt, junge Ehepaare zu ?;chen, \vobi i der Gatte infolge des 
Eitt ts, mit welchem er der Erfüllung seiner ehelichen Pflichten 
oblag, in seinem Allgemeinbefinden und Nervenzustande in be- 
klagenswerter Weise heruntergekommen war, während die Gattin 
zugenommen hatte und fortdauernd der besten Gesundheit 
sich erfreute. 

Indes bleibt auch bei Frauen Übermass im sexuellen 
Verkehr nicht immer ohne nachteilige Folgen für das Nerven- 
system. Mitunter kommt es dadurch ähnlich wie beim Manne 
zu einer Erschöpfung der genitalen Lendenmarkszentren, infolge 
welcher beim Geschlechtsakte der Orgasmus sich schwerer und 
in geringerem Maasse einstellt oder auch ganz ausbleibt. Diese 
mangdhafte Befriedigung oder Nichtbefricdigung kann, wie aus 
meinen Beobachtungen sich ergibt, zur Entwickelung von Angst- 
niständen führen oder dieselben b^nstigen. Hammond 
berichtet, dass er in zwei Fällen Lähmung beider Beine bei 
Frauen beobachtete, die in einer Nacht steh übermässig oft dem 
sexuellen Genüsse hingegd^en hatten, und ausserdem sehr häufig 
Spinalirritation und andere nervöse Störungen als Folgeer- 
scheinungen der gleichen Ursache sah. Bei der von Hammond 
erwähnten Lähmung der Beine dürfte es sich lediglich um Symp- 
tome eines hochgradigen spinalen Erschöpfungszustandes oder 
hysterische Erscheinungen gehandelt haben. Für das Vorkommen 
organischer Erkrankungen dos Nervensystems im Gefolge sexueller 
Exzesse beim Weibe liegen keinerlei stichhaltige Beweise vor. 



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IX, 

Onanie. 



Unter den verschiedenen Übeln, deren Quelle der Geschlechts- 
trieb bildet, ist unstreitig das verbrcitetste und verderblichste : 
die Onanie; wir verstehen unter U tztcrer jede künstlich, nicht 
veriTiittflst j^i'schlochllichcn Verkehrs ijescheheiide Herbeiführunj^ 
der normalerweise an die Koliabitation sich knüpfenth^n ner- 
v<Wcn F.rref*unj^en und Empfindungen. Die in Rede stehende 
Art sexuelKr Betricdigung ist nicht, wie von verschiedenen S<;iten 
behauptet wird, lediglich ein Ausfluss der modernen Kultur 
oder eine Teilerscheinung der sogenannten modernen Sitten- 
verderbnis. Das Übel beschränkt sich gegenwärtig auch keines- 
wegs auf die zivihsierten Nationen; es hat bei halbwilden Völker- 
schaften, selbst bei auf der niedersten Stufe menschlicher Kultur 
stehenden Wilden Eingang gefunden. Auch bei Tieren wird 
dasselbe beobachtet AfTen sind bekanntlich der Masturbation 
in sehr hohem Masse ergeben, und es ist kein seltenes Vor* 
kommnb, dass solche in unfreiem Zustande ihren onanistischen 
Neigungen in solchem Masse fröhnen, dass sie an den Folgen 
zugrunde gehen. Auch bei Pferden, insbesonders Rassepferden 
und Hunden begegnet man nicht selten onanistischen Akten. 

Im kLi -1 cheii Alu itume scheint die Selbstbefriedigung 
allerdings weniger in l bung gewesen zu sein ; dieser Umstand 
ist jedoch keineswegs auf einem ht'hiMPn moral -Standard jener 
Zeit, Sondern wesentlich darauf ztiuick^utuhu ii. dass Päderastie 
und reichlichere Geleginheit zur natürlichen Befriedigung der 
sexuellen Bedürfnisse die Veranlassungen zur Masturbation 



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Onanie. 



113 



minderten. Die Frage, ob letztere in der Gegen v. an hei den 
KulUii Völkern eine grössere Ausbreitung erlangt hat als in frülu'i en 
Jahrhunderten, ist nicht mit \olIer Bestimmtheit zu beantworten. 
Sicher ist, dass das l'bcl derzeit eine un<^feheure Verbreitung in 
allen Schichten der Bevölkerung, namentlich in den Städten er- 
reicht hat. Wenn wir neben dieser Tatsache die unverkennbare 
Zunahme der Nervenkrankheiten, speziell der Neurasthenie, in 
den letzten Dezennien, die Steigerung der Konkurrenz auf allen 
Erwerbsgebieten und die dadurch bedingte Erschwerung und 
Verzö^'ening der Verehelichung für zahllose Individuen berück- 
skhtigen, so dürfen wir jedenfalls eher auf eme Zunahme denn 
eine Verringerung des Missbraucfaes schliessen. 

Wie Obel es jedoch audi mit der Veibreituog der Masturbation 
geKttnwflrtig stehen mag, so schlimm ist es nach meinen Erfahrungen 

keinf<;\vrgs, wie die Übertreibungen mancher Autoren ersrlieinrn 
lassen. O. Berger z. B. bemerkte vor Jahren (1876), „die Masiui baiion 
ist eine so verbreitete Manipulation, dass von joo jungen Männern und 
Mädchen 99 sich zeitweilig damit abgeben und der Hundertste, wie ich 
zu sagen pflege, der reine Mensch, die Wahrheit verlieimücht". In 
Hergcr's Fii';'5stnpfen sind später M e. Clanahan und Rohh litr ge- 
treten. Ersterer Autor ist der Ansicht, dass fast .illr iii.miili< lim In ii- 
viduen einmal der Masturbation ergeben waren. iNach Roliledcr ona- 
nieren mindestens 95% aller Menschen zur Zeit der Pubertfltsentwickiung 
und in den nächst folgenden Jahren. „Fast jedes Kind whd während 
der S, hiil/i it von dem Laster angesteckt." Diese und .ihnlit he Behaup- 
tungen sind in gar keiner Weise besjrOndet und charakt. risieren sich als 
auf Sensation berechnete Übertreibungen, wie sich leicht zeigen lässt. 
Die Erfahrungen des Einzelnen mögen bezQgUch des Vorkommens der 
Onanie unter der Jugend beider Geschlechter noch so ausgedehnt und 
noch so ungünstig sein, sie können immer nur einen sehr beschränkten 
Kreis bctretlr n und las«!en daher nh^nliit krinr Vfrn!!a:emrincnin^ zii. 
Wenn ich, der ich auf eine raclir als drei Dezennien umfassende ärzihcho 
Tätigkeit in Manchen zurflckblicken kann, auch durch den Schul- resp. 
Gymnanenbesuch meiner Kinder sowie durch den Verkehr mit Lehrern 
und Lehrerinnen an Volks- und Mittelschulen und mit Kollegen viele 
Aufschlösse Über das Verhalten der hiesigen Jugend erhalten habe, 
wenn ich ein bestimmtes, in Prozenten auszudrui kcndes Urteil üt>er die 
Verbreitung der Onanie unter der hiesigen Jugend im Alter bis zu 
18 Jahren abgeben sollte, so würde ich mich hierzu ainser Stande sehen. 
L'm wie viel weniger ist irgend jemand in der Lage, die Verbreitung 
der Onanie m dem in Frage stehenden Alter ganz allgemein für Stadt 
und Land, auch nur für irjiend eine Provinz Deutsclilands {\on weiteren 
Gebieten ganz abzusehen) abzuschätzen; hierfür fclilt jegliche tatsäeh- 
Uche Grundlage, und die Angaben verschiedener Beobachter Ober ihre 

LBwcafeld, Se«oeU-nMvü« Stitnmtfn. Vi«rte Aufl. 



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114 



Erfahrungen an diesem oder jenem Orte, so interessant sie im Einzelnen 

sein mögen, haben nicht die geringste Geltung tOr irgend eine andere 
Gcgt-nd. Mi inc i i;;rnpn, an verschiedenen Orten, nicht lediglich in 
München gesammelten Erfahrungen und die Aufklärungen, die ich von 
zahlreichen Patienten aus den verschiedensten Gegenden Deutschlands 
und ausserdeutschen Lflndem erhalten habe, will ich hier nur dahin 
resümieren, dass nach denselben die oben angeführten Hi haujjtunKen 
RohicdL-r?, soweit sie sich auf das nuliinlichc Geschlecht beziehen, 
schon jedenfalls eine sehr bedeutende, soweit sie das weibliche Geschlecht 
berühren, dagegen eine geradezu ungeheuerliche Übertreibung in sich 
schltessen. Sowreit stimmen meine Erfahrungen mit denen verschiedener 
Ik'obarhtrr flbcrcin, dns^ in den rciisionaten, insbe^-nnders den Knahrn- 
pensionalcn und Seniin.irien die Onanie infolge des Jüntlusscs einzelner 
verderbter Schüler auf ihre Mitschüler iiauhg arg grassiert, dagegen ist 
mir kein Fall bekannt gevirorden, dass ftusserbdb eines Internats unter 
den Schülern oder Schülerinnen irgend einer Klasse einer Volks- oder 
Mittelschule hier oder andernoi t?> die Omnie eine ijrössere Verbreitung 
erlangte. Was Schiller, H. Cohn, Rohleder u. a. über Onanie- 
epidemien an emzeincn Gymnasien mitteilen, halte ich ihr mehr exzeptio- 
nelle Vorkommnisse, die durch liessere Überwachung der Schüler leicht 
hatten vermieden werden kdnnen. 

Die ärztliche Beurteilung der Onanie und ihrer Folgen hat 
im Laufe der Jahre manche Wandlungen erfahren und zeigt 
noch heutzutage erhebliche Abweichungen. Bekannt ist das 
düstere Gemälde, das Tissot von den Folgen geheimer Sünden 
entwarf, und die ebenfalls noch sehr mit Übertreibungen be- 
haftete Darstellung Lalle mands in dessen Werke über die 
unwillkürlichen Samenverluste (3. Teil). Diese Arbeiten bildeten 
die Haupt fundgrube für jene zahlreichen populären Schriften 
(der persönliche Schutz, die Selbstbewahrung, der Jugendspiegel 
etc.), deren unheilvollen Einfluss auf die Gemüt.sstimmung der 
ohnedies zum Pessimismus sehr neigenden Gewohnheitsonanisten 
wir Jetzt noch häufig genug zu konstatieren in der Lage sind. 
Indes dürfen wir nicht übersehen, dass die ältere wissenschaft- 
liche Medizin in dieser liinsicbt nicht viel weniger auf dem 
Kerbholze hat. In den Werken über spezielle Pathologie^ Nerven- 
und Geisteskrankheiten aus der ersten Hälfte des letzten Jahr- 
hunderts finden wir noch fast überall die Folgen der Onanie 
in höchst kritikloser und übertriebener Weise geschildert. So 
bemerkt van Hoven in seinem „Versuche über die Nerven- 
krankhcitcn" 1813, nachdem er die zerrüttende Einwirkung 



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Onanie, 



115 



sexueller Exzesse auf das Nervensystem geschildert: „Aber 
die fürchterlicben Folgen dieser Schwäche und Erschöpfung 
der Nervenkräfte, Epilepsie, Katalepsie, Blödsinn etc., zeigen 
sich vorzüglich nur bei den Onantsten. Die meisten Epileptischen, 
Kataleptischen, Blödsinnigen, ja selbst die meisten Wahnsinnigen 
waren, wie die Geschichte der Irrenhäuser lehrt, in ihrer Jugend 
Onanisten, und wenn nichts beweist, wie sehr dieses Laster 
das Nervensystem angreift, so beweist es die schlimmste aller 
Nervenkrankheiten, die Rückendarre (Tabes dorsalis), eine Krank- 
heit, wodurch die Natur dasselbe noch strenger bestraft, als die 
Unzucht durch die I ustseuchc". Ellis') führte auf Onanie die 
Mehrzahl aller in olTcntlichcn Irrenanstalten behandelten Fälle 
zurück, und noch bei (anstatt-) finden wir dieses Übe! als 
die bei weitem haufi^^stc. alle übrigen ätiolorjischen Momente 
in den Schalten stellende Ursache der Tabes dorsalis erwähnt. 
l>st die genauere Kenntnis* der Symptomatolo^ue der organi- 
schen Rückennnarkskrankheiten und der verschiedenen nervösen 
Schwächezustände, welche uns die letzten Dezennien brachten, 
führte zu einer sachgemässen Beurteilung der Folgen der Mastur- 
bation Es unterliegt für uns heutzutage keinem Zweifel, dass 
das Schreckbild der Tabes, das unsere Vorgänger den einge- 
fleischten Onanisten vorhielten, nicht auf tatsächlicher Beob- 
achtung, sondern auf einer Verwechslung schwerer spinaler 
Erschöpfungszustände mit Tabes beruhte. Von den neueren 
Autoren (Christian, Leyden, Erb, Rosenthal, Bcard, 
Hammond, Curschmann, Fürbringer, v. Krafft-Ebing u. a.) 
wird allgemein die Entstehung spinaler Neurasthenie als Folge 
von Onanie zugegeben. Für eine Verursachung von Tabes 
durch exzessive Masturbation sind dagegen von keiner Seite 
stichhaltige Beweise beigebracht worden^). Auch die Rolle, 
welche man der Selbstbefriedigung bei der Entstehung von 

') EI Iis, trailc de ralicnatioii, Irad, p. Arcliamhault, Paris 1840, p. 13 5. 
'j Canstfttt, Handbuch der mcdisinischen Klinik, 3. Band, I. Abt. 
1S43» S. 202. 

*} Audi eine «on Hamm od d mitgeteilte, n sich «dir bonerkenswerte 
Beobacbtang ist durehaa» nicht eiDwandfirci. Ein junger Mann gab sich wShrend 
einer Olgie in einem Bordell etwa neunmal in einer Stunde dem Onan falsch- 
Üdienretse zugeschriebenen Laster hin, wobei nur flie ersten 3 Male Ejakulation 

8* 



U6 



Oiuuiie. 



Psychosen früher zuschrieb, ist Jurch die neueren Ennittchin^en 
gewaltig eingeschi änkt worden. Man ist auch in dieser Hin- 
sicht früher olfenbar häufig dem Irrtum unterlegen, dass man 
als Ursache der Erkrankung ansah, was bereits Symptom der- 
selben war. 

Der Akt der Selbstbefriedigung wird von männlichen so- 
wohl als weiblichen Individuen auf sehr verschiedene Weise 
geübt, und man kann nach der Art der dabei hauptsächlich 
einwirkenden Reize zwei Formen der Masturbation unter- 
scheiden: a) eine peripher- mechanische, b) eine psychische 
(geistige, Gedankenonante). 

a) Die peripheiMnecbaiiische Onanie. 

Der sexuelle Orgasmus wird hier ausschliesslich oder 
hauptsächlich durch mechanische, zumeist auf die Haut-, resp. 
Schleimhäute der Genitalien einwirkende Reise ausgelost. Die 
gewöhnlichste Art dieser Onanteform und der Onanie Oberhaupt 
und zwar bei beiden Geschlechtem ist dtc manuelle, auf deren 
Details wir nicht weiter einzugehen brauchen. Auch bei der 
mutuellen Form der Onanie, wie sie vorzugsweise von Konträr- 
sexualen geübt wird, handelt es sich gewöhnlich um die manuelle 
Art der Prozedur. 

Bei Knaben und jüngeren !.< uten fuhren mitunter sexuelle 
Empfindungen, die beim Klettern oder Rutschen nul F)alken, 
Geländern etc. durch Druck auf Penis und Hoden /utällig aus- 
gelöst wi'idi n, /.u onanislischcn Gepilo'^cnhciten, bei denen die 
erw ihnlen Prozeduren in der einen oder anderen Weise wieder- 
holt werden. Ein Patient berichtete mir, dass er mit der Onanie 
im Alter von 13 Jahn n in der Turnstunde beim Mastklettern 
bekannt wurde niul sjtäter im Alter von 16— iQ Jahren der 
( )nanie vermittelst l mklammerung einer eisernen .Stange, d. h. 
durch Druck des Körpergewichts auf Hoden und Penis mit 

eintrat. Am n.khslcn Morgen batlc er bereits luconlincnlia urinae, und allniabiich 
entwickelte sidi eine Tabes. Meioes Eraditen» kt ein io migpvOliiilicbcr und 
«innloser Exzcss nur bei einem krankhaften Zuitande erklirlidi, und so luUte icb 
es für da> WalirstbcinliclK-ic, d.'i>.> bei licm DetreflTenden benits beginoeode Xdbcs 
vorUg, als er ach die erwikbote UnbiU xufugte. 



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Onaow. 



117 



Leidenschaft frdhnte (ca. 2oomal im Verlauf von 3 Jahren) und 
nach dem onanistischen Akte oft noch schwere Kraftübungen 
vornahm. Der masturbatorische Akt erfolgte, wie der Patient 
weiter berichtete, ohne jede begleitende erotische Fantasie und 
führte zur Auslösung des Orgasmus ohne vorhergehende Erektion. 
In der Mehrzahl der Fälle meiner Beobachtung wurde jedoch 
die Vornahme von Kletter- und Rutschübungen zu onanistischen 
Zwecken alsbald witdcf aiiftjegeben. 

Von Frauen werden zum Zwecke masturbatorischer Reizung 
auch die verschiedensten und sonderbarsten Gegenstands von 
weicher und harter Beschaffenheit in die Vagina eingeführt, wo- 
durch dann auch öfters entzündliche Prozesse im Genitaltrakt 
hervorgerufen werden. Manche weibliche Personen erreichen 
die Selbstbefriedigung, indem sie durch reibende, drückende 
Bewegungen der Oberschenkel gegenebiander auf die Klitoris 
emwirken. Ungleich seltener werden Fremdkörper zum Behufe 
ooanistischtt Reizung von Frauen in die Harnröhre eii^eführt 
und noch seltener von Männern. Dass letzteres Vorgehen wegen 
der Möglichkeit, dass die eingeführten Fremdkörper in die Harn- 
blase gelangen, besonders gefährlich ist, liegt nahe. Bei Er- 
wachsenen, die Kenntnis von sexuellen Dingen haben, wird der 
masturbatorische Akt wohl zumeist von sexuelisinnlichen Vor« 
Stellungen (erotischen Bildern) begleitet, welche als unterstützen- 
des Moment bei der Auslösung des Orgasmus beteiligt sind. 

b) Psychische Onanie^). 

Bei dieser Fortn der Masturbatir>n wird der Orgasmus 
lediglich durch zentrale Reize — Vorstellungen — ohne Mit- 
wirkung irgend welcher Manipulationen an den Genitalien aus- 
gelöst. Die in dieser Richtung wirksamen Vorstellungen sind 
zumeist Phantasievorstellungen lasziven Inhalts oder Erinnerungen 
an sexuelle Erlebnisse, bei welchen der Masturbant absichtlich 

') Die AuMlriicke ,,j»iychi>ch( '"5nanic'*, ..'"ini.iiikinonanie" weiden in vrr- 
aciuedcDem Sinne gebraut-Ui. Äian versteht darunter nichl lediglich die Hcrbci- 
ffllkraog des mtieJIca Orgasmus durch Vorsiellongen, sondern »ucb die Neigung 
dt* Vonlelleos, forlwibrend auf lexuelte Dinge absuBcbweifen, sidi lasisive Bilder 
ftiuxDiiutten und bei solcben mit Behagen tu verweilen. 



118 



Onanie. 



verweilt und auf welche er seine ganze Aufmerksamkeit kon- 
zentriert ; nur dadurch erlangen diese Vorstellungen die Intensität, 
dass sie, ähnlich den erotischen Traumvorstellungen, Orgasmus 
herbeiführen. In manchen Fällen wird der Anblick weiblicher 
Personen zur Anknüpfung der «itsprechenden sexuellen Phan- 
tasten (einer ideellen Kohabitation) benützt. Im Vergleich zur 
peripher-mechanischen (insbesondere der manuellen) Form der 
Masturbation ist die rein psychische eine Rarität und zwar aus 
dem einfachen Grunde, weil dieselbe seitens der Praktizierenden 
Eij^entümlichkciten auf nervösem und psychischem Gebiete 
erheischt, die sich nicht all/.u häufi}f finden. Die ps>chiiche 
Onanie erfDitU rt auf geistigem Gebiete eine ijroße Lebhaftig- 
keit der Phantasie und die Fähit^keit, die Aufinerksainkeit ganz 
lind ^ar auf das Phantasie^cbiet /.u konzentrieren, dadurch allein 
kennen die auslosenden sinnhchen Vorstellungen die nötige 
Lebhaftigkeit erlangen; die Wirksamkeit derselben setzt jedoch 
noch einen Zustand sexueller Schwäche, eine abnorme Erreg- 
barkeit des Ejakulationszentrums im Lendenmarke voraus; ohne 
diese würden Vorstellungen des Wachbewusstseins nie genügen, 
den Orgasmus auszulösen. Die Gedankenonanie kann als erster 
und einziger Modus der Selbstbefriedigung geübt werden'); 
ich habe einige Fälle dieser Art beobachtet. In der Mehrzahl 
der Falle geht jedoch, wie es scheint, derselben manuelle Mastur- 
bation vorher und wird erst durch diese die Basis zur Aus- 
führung rein psychisch-onanistischer Akte g^chaifen (die oben 
erwähnte sexuelle Schwäche). 

Wenn man die Schädlichkeit der verschiedenen Arten der 
Masturbation für die Psyche und das Nervensystem taxieren will, 
muss man die geistige zweifellos als die an sich schlimmste 
erkl.'iien. liire grö'^seic Schädlichkeit wird nicht in erster Linie 
dadurch bedingt, dass bei dersclL^en wegen der nutwendigen 
Erhitzung der Phantasie wahrscheinlich ein grösserer Verbrauch 
von r<ervcnkräften statt hat, als bei anderen Arten der Mastur- 

') RuhleJer bczwcifcM, aber jcdenlUUs mit Unrecht, das primäre Vor- 
kommen der pKjrebiüchen Onani«. „Gant abnorm selten*'» l>ein«rkt er, „oder 
ttchti^er ülieibaupt nicbtf gibt ts Ncurasthemkcr» die von Anfang iiiK* Lasteit 
an dei geistigen Onanie frObnten." 



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Ooulie. 



119 



bation, sondern durch andere Umstände. Es ist begreiflich, 
dass das häufige Sichausmalen sexueller Vor^^^e oder sinnlich 
erregender Bilder und die absichtliche Steigerung solcher Bilder 
zur grössten Lebhaftigkeit dem sexuell-sinnlichen Elemente im 
Vorstellen eine ganz aussergevvöhnliche Reproduktionstendenz 
verleiht, infolge welcher beim Denken fortwährend ein Ab- 
schweifen auf das sexuelle Gebiet sich bemerklich macht und 
jede ernstere geistige Arbeit hochgradig erschwert wird. Wir 
werden auf diesen Punkt an späterer Stelle zurückkommen. Es 
ist ferner ohne weiteres begreiflieb» dass bei einem Menschen, 
welcher es dahin gebracht hat, dass er durch reine Phantasie- 
vorstellungen willkürlich Ejakulationen herbeizufuhren vermag, 
solche auch unwillkürlich durch zufällig einwirkende sinnliche Reize 
au^eldst werden, also auch Tagespollutionen auftreten und bei 
Koitusversuchen es zu präzipitierter Ejakulation kommt. Diese 
Erscheinungen figurieren auch als Folgezostände der gewöhn- 
lichen (manuellen) Art der Onanie, doch finden wir sie hier 
nicht als gewissermassen notwendige Folge, wie beider psychischen 
Onanie, sondern lediglich abhängig von exzessiver onanistischer 
Tätigkeit. 

Die Onanie wird unstreitig in der grossen Mehrzahl der 
RUIe von Gesunden j^cübt und kann bei diesen, soferne es sich 
um eine unnatürliche oder, besser gesagt, abnorme Art sexueller 
Befriedigung handelt, je nach dem Masse der Übung nur als 
Verirrung oder Laster angesehen werden. In einer nicht 
gerinfjcn Anzahl von Fallen steht die masUirbatorische Tätigkeit 
jedoch in ursaclilicheni Zusammenhange mit einem vi irhandcnen 
Krankheitszustande. Zuniichst kommen hier örtliche Verände- 
rungen an den (ienitalien in Betracht, die an sich unbedeutend 
sein mögen l^k/em, Prurigo, Phimosis nnt konsekutiver Sniei^nia- 
anhäufung, V'ulvitis bei jungen Mädchen, Dxyurisj, aber, indem 
sie (iftcrc Berührungen der Genitalien veranlassen, namentlich 
bei Knidern oft zur .Masturbation führen. Bei ilrw achsem ii 
und namentlicii beim weiblichen Geschlcchte bildet auch der 
Pruritus genilalium eine häutige Veranlassung zur Masturbation. 
Wir begegnen dieser Afifektion bei jungen sowohl als bei älteren 
weiblichen Personen, doch vorwaltend nach dem 40. Lebensjahre 



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120 



Onanie. 



und die grossen mit dem Leiden an sich zumeist verknüpften 
Beschwerden erfahren durch die onanistischen Akte, zu welchen 
der fortwährende Juckreiz den Anstoss gibt, ge^vöhnHch eine 
erhebliche Zunahme. I nter den L'rsachen des Pruritus figuriert 
aber namentlich bei Mädchen nicht selten die Masturbation, und 
es ist begreiflich, dass in diesen Fällen der Hang zur Selbst- 
befriedigung und die sexuelle Erregtheit durch den Juckreiz 
bedeutend gesteigert wird. 

Sehr häufig müssen abnorme Zustände des Nervensystems 
als Ursache oder wenigstens prädisponierende Momente in An- 
spruch genommen werden. Vor allem ist hier die angeborene 
reizbare Schwäche des Nervensystons — die neuropathische 
Disposition — zu nennen, die für sich bestehen, aber auch mit 
allgemeiner konstitutioneller Schwäche einhergehen kann. Soweit 
meine Erfahrung reicht, ist in der Mehrzahl der Fälle, in welchen 
Onanie bereits in den Knabenjahren hinge vor der Pubertätsent- 
wicklung getrieben wird, die neuropathische Disposition vorhanden ; 
das gleiche gilt für die Fälle, in welchen ältere Knaben bereits 
in rezessiver Weise der Masturbation sich ergeben. Den nächsten 
Anstoss zur Entwicklung des Obels mögen auch hier äussere Ein< 
Süsse, schlechtes Beispiel von Mitschülern, zufällige Einwirkungen 
auf die Genitalien etc. liefern. Es ist hier eine Beobachtung 
von Interesse, deren Kenntnis ich einem befreundeten Herrn 
verdanke. Derselbe, früher Direktor emer Korrektionsanstalt für 
jii^endliche Verbrecher, teilte mir mit, dass unter diesen zumeist 
noch im Knabenalter stehenden Kriminellen die Blasturbatkm in 
einer wahrhaft erschreckenden Weise verbreitet sei und von 
einzelnen bis zum Abgange blutiger Entleerungen betrieben werde. 
Unterden jugendlichen Verbrechern befitulen sieh aber erfahrungs- 
gemäss viele erblich belastete, d- genci ierti- hidividucn. Sciion 
Trouhscau erwähnt, dass unter den nut Spermatorrhoe und 
Impotenz Behafteten häutiL,' solche sie h Imdcn, die von geistes- 
oder nervenkranken lütern stammen, s..hin heieditär neiiro- 
palhisch belastet sind, als Kinder an nächüichcin Iklipibsen und 
später an übermassigen rolluti"iu'n litten oder der Onanie 
eAzcsbiv huldi'.'trn Letztere ist in diesen Fällen nach Trousseau 
ebenso von einem abnormen Zustande der Innervation abhängig. 



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OoMiie. 



wir- das nächtliche Bettpissen und die Pollutionen. Christian 
hält die habituelle (chronische) Masturbation überhaupt für 
Symptom einer bereits bestehenden nervösen Störung. Einer 
ähnlichen Auffassung begegnen wir auch bei anderen Irrenärzten» 
so bei Kräpelin, der sich dahin äusserte, dass sexuelle Exzesse 
und Onanie nur dort sehr erhebliche Dimensionen annehmen und 
nw dort einen wirklich verderblichen Einfluss auszuüben ver- 
mögen, wo sie auf bereits prädisponiertem Boden erwachsen sind, 
bei Forel, nach dessen Ansicht bei weitaus den meisten Fällen, 
wo sich die Onanie mit nervösen Symptomen kombiniert, sie nicht 
Ursache sondern Mitaymptom ist. Auch Oppenheim ist der 
Ansidit, dass der Hang zur Masturbation vielfach Symptom 
einer neuropathischen Diathese ist, und er hält es für nicht 
xweifelhaft, dass dieser Hang auch direkt vererbt werden kann. 

Es lässt sich nun allerdings nicht leugnen, dass die exzessive 
Bbsturbaticm sidi besonders häufig bei neuro* und psycho* 
pathisch Belasteten (den D^£quilibr6s und D^6n^£s der Fran- 
zosen) findet, doch beschränken sich die onanistisd^ Aus- 
schreitungen nach meinen Erfahrungen nicht auf solche Indivi- 
duen. Auch ursprünglich gesunde und von gesunden Eltern 
staiuincndc junge Leute können allL^cniach tiefer und tiefer in 
den Sumpf der .Masiurbaliun bich hineinarbeiten, und auf 
anderen Seite nuiss betont werden, dass die neuropathische Be- 
lastung nicht notwendig und regelmässig^ zur Onanie fuhrt, 
sondern nur in jenen Fällen, in welchen als Teilcrscheinungen 
derselben gewisse Anomalien auf nervösem und psychischem 
Gebiete bestehen. Am häuügsten spielt die Rolle dt^s ursäch- 
lichen Momentes ein ererbter iibenuässiger labnorm miichti^^er) 
Sexualtrieb. Einem solchen begei;nen wir jedoch weder 
überhaupt b<'i allen erblich neuro pathisch Disponierten, 
noch bei allen erblich belasteten Onanisten *). Bei einem 



') Wenn Rcili'cder beliaiiplet, es sei eine wissenschaftlich wir pi.iktis. h 
fcstßesteiUc Kiiahrungslatsache, dass nervtVs belastete Individuen auch tut j;e- 
wubnlich eine erhöhte Libidu !»e.\ualib zeigen, hl dic^ entächicdca unrichtig; 
weder die WissenacbafR, docK die Praxis weiss etwas von einer derartigen Er- 
fahrungstatsache; die nervös bc).i>tct< n weiblichen Personen r. B. «eigen nngemein 
viel btofiger io »esucUer Bexiebung Fcigiditftt als echohte Libido. 



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122 



Onanie. 



ansehnlichen Teile dieser hängen die onanistischen Gewohnheiten 
mit einer ererbten Willensschwäche zusammen, auf Grund welcher 
dieselben, nachdem einmal durch irgend welche Einwirkung der 
Anstoss zur Masturbation gegeben wurde, nicht mehr imstande 
sind, von der Übung derselben sich los zu reissen. In sehr 
seltenen Fällen endlich macht sich bei Belasteten periodisch ein 
Zwangstrieb zur Onanie geltend, der so mächtig zur Befriedigung 
drängen kann, dass das Individuum selbst alle Rücksicht auf 
seine momentane Umgebung und die etwaigen Folgen seines 
Vorgehens beiseite lässt In Anbetracht der Seltenheit der 
Fälle will ich zwei Beobachtungien dieser Art hier folgen lassen, 
von welchen die eine um so mehr Interesse beansprucht, als 
dieselbe einen im Greisenalter stehenden Mann betriJft. 

Beobachtung 18. 

Herr X., 33 Jahre alt, den gebildeten Standen angchöiig, seit 
II Jalircii vtthciratct, Vnter eints gesunden Kindes, ist erblich von 
beiden Scacn belastet. Sein Vater war nervenleidend und von sehr 
hitzigem Temperamente, mehrere Geschwister seiner Mutter starben in 
Irrenanstaltoi^ auch seine Grossfnutter mOtterlicherseits war vor ihrem 
Tode geisteskrank. Pat- hat mit 10 Jahren einen Typhus durchgemacht, 
mit t6 Jahren erlitt er durch einen Sprung von Storkwerkshöhe, wobei 
er bewusstlos liegen blieb, eine Gehirnerschütterung, und vor 8 Jahren 
wurde er mit Lues infiaert. Pat^t ist seit inelen Jahren der Onanie 
ergeben und setzte diese Gewohnheit auch nach seiner Verheiratung 
fort, obwohl er an der Befriedigung seiner sexuellen Hedürfnisse durch 
den ehelichen Verkehr in keiner Weise gcliindert ist. Es machte sich 
bei ihm auch bei regelmassiger Ausübung des Congrcssus bis m die 
jüngste Zeit der Drang zur Masturbation zeitweilig in flbermis mächtiger 
Weise geltend. Mitunter flberftlU ihn der onanistiscbe Impuls sogar mit 
soldier Gewalt, dass er demselben sofort, ohne ROcksicht auf die äugen* 
blicklichc Umgebung und die etwaigen Foli^f^n nachgeben muss; diese 
Anwandlungen sind von Koptschmerzen, Zusammenschnüren im Halse, 
Herzklopfen und lebhaltcn Angstgefühlen begleitet. Pat. ist durch seinen 
Zwangstrieb auch bereits in gerichtliche Fatalitäten geraten. Ausserdem 
leidet er infolge seiner onanistischen Exzesse an einer Reihe neur« 
asthenischer Beschwerden. Kopl'schmerzet), Schwindel, Ki euzschtnerzen, 
Ziehen in den Beinen etc. In diesem Falle äusserte hypnoti-chr P.ehjndkmg 
einen sehr günstigen Eiiifluss, doch blieb der Patient nicht lange genug 
in Beobachtung, dass ein dauernder Erfolg konstatiert werden konnte. 

Beobachtung 19. 

Herr , Privatier, 69 Jahre alt, ist erhiirh von miUterlirher 

Seite belastet. Seine Mutter litt an periodischer Melancholie und AniJu'opo- 



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Onjiiiie. 



123 



phobie; Patient hat ausser einer Lungenentziindunf; vor vielen Jahren 
keine schwere Erkrankung durchgemacht Mit 30 Jaliren übte er zum 
ersten Male Masturbation und befriedigte dann etwa 90 Jahre auf diesem 
Wege seine g( schlechtUchen BedOrfntsse, ohne dabei besondere Exzesse 
zu begehen. Mit 50 Jahren hattp er zum ersten Male gcsdil« clitlii lirn 
Verkehr, mit 51 Jahren verheiratete er sich. Er vertrug si( h jedoch 
mit seiner Frau nicht und licss sich deshalb nach einigen Jahren von 
derselben scheiden. In der Folge ergab er sich wieder der Masturbation 
und konnte von dieser sich aurh nicht losmachen, als er in die 60er 
Jahre kam und mit Rücksicht auf sein Alter und die möglichen gesund- 
heitlichen Nachteile ernsthaft gegen seine onanistische Neigung an2u* 
kflmpfen versuchte. BromkaU längere Zeit gebraucht und eme Wasser* 
kur hatten keinen Erfolg. Noch gegenwärtig im 69. Lebensjahre macht 
sich periodisch, etvv.i alle 11 12 Tage, drr I>ranf^ zur ^Tasturl)atiM^ mit 
solcher Vehemenz geltend, dass Patient trotz aller Bemühungen dem- 
selben in der Regel unterliegt 'j. 

Wir l>eg^neii ferner dem Hange zu exzessiver Onanie bei 
Zuständen ausgesprochener GeisteEStörung, insbesonders bei 
Maniakalischen, femer bei Idioten, Schwachsinnigen und }-^pi- 
Icptischen. Bei letzteren werden masturbatorische Akte als 
Teilerscheinungen von Anfällen (psyschischen Äquivalenten) be- 
obachtet Bei den auf tiefster Stufe stehenden Idioten bildet 
die Masturbation einen rein automatischen Akt, eine Art Tic, 
wie So Iiier bemerkt, der mit dem Geschlechtstrieb nichts zu 
tun hat. Das gleiche gilt für die Onanie der Kinder in den 
ersten Lebensjahren. Dann ist auch nicht in Abrede zu stellen, 
dass bei geistig normalen Erwachsenen und älteren Kindern in- 
folge zufliHiger Umstände (Juckreiz an den Genitalien insbe^ 
sonders) Masturbation unbewusst im Schlafe ausgeübt werden 
kann. Hierbei erfolgt bei männlichen Individuen wenigstens 
gewöhnlich in den letzten Momenten des Aktes das Erwachen. 
Fürbrtnger erwähnt eines würdigen verheirateten Verwaltungs- 
beamten, der im deutsch-französischen Kriege der Onanie im 

•) Ober einen Fall von Zwangstrieb zur Onanie bei einer 2y jährigen Frau» 
bei der auch aii(!f'r<' Zwan-^simpiiKc bestanden, berichtet Kaan (der neuraslb- 
enistche Any^tafTckt bei /wangsvorslcllun}jcn S. 70). 

*) Auf die Zustände psychiadier Erregung, in welchen ein ^nt ausser* 
ordentlich gesteigerter Sexualtrieb daa henrorstecbeodate Symptom bildet und 
xomeist r.u exzessiver ^[.lstu^batioD führt — Satyriasis beim Manne und Nympho^ 
manic lieini Weibe — wor<Icn wir an späterer Stelle (Anomalieu des GescblecbtS» 
trtebcsj zu S(>reclien kumiiicu. 



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124 



Ooanie. 



Sclilafc verfiel und ausser stände war, der Gewuhnheit zu ent- 
sagen. Ein junger Mann meiner Beobachtung (Student) von 
durchaus glaubwürdigem Charakter berichtete mir, er mache zu 
seinem grossen Leidwesen seit längerer Zeit die Wahrnehtnun;^, 
dass er im Schlafe ( )nanie treiben müsse, ohne hiervon ein 
deutliches Bewusstscin zu haben und dass er lediglich durch die 
an der Wäsche verbleibenden Spuren von dem betreffenden 
Vorkommnisse Kenntnis erhalte. Ein weiterer hierher gehöriger 
Fall meiner Beobachtung betrifft eine sehr achtbare und völl^ 
glaubwürdige, unverheiratete Dame in den 30er Jahren. Dieselbe 
war sehr peinlich berülirt von dem Umstände, dass sie zur Zeit 
der Menses öfters ihre Finger des Morgens mit Blut verunreinigt 
fand. Der Ernst, mit welchem sie gegen die Wiederholung 
derartiger Vorkommnisse vorging — sie scbafi^e sich eine sack- 
artige UmhOllang fOr den Unterleib und die Beine an, welche 
jede Berührung der Genitalien ausschloss — seugt zur Genüge 
dafür, dass hier lediglich unbewusste Manipulationen vorlagen. 

Endlich haben wir hier noch des Umstandes zu gedenk«i, 
dass bei Frauen eine nicht seltene Ursache der Masturbation 
Mangel der sexuellen Befriedigung bei ehelichem Verkehr bildet. 
Dieser kann, wie wir schon an früherer Stelle sahen, durch sehr 
verschiedene Umstände bedingt sein, solche, die auf seilen des 
Mannes liegen (Congn interr., praec. Ejacul.), wie solche, welche 
die Frau selbst betreffen. Ist der Akt beim Manne bereits 
beendet, während die Frau noch in der Phase zunehmender 
sexueller Erregung sich befindet, so ist dies für ihr Befinden in 
der nächsten Zeit meist nicht ganz gleichgültig. Die sexuelle 
Erregung, welche keine Entladung findet, kann durch ihre 
Andauer den Schlaf stören, zu Kopf- und Rückenschmerzen, 
allgemeinem Unbehagen etc. führen. Es ist daher begreif- 
lich, dass die Frauen nicht selten durch manuelle oder sonstige 
Friktionen den Abschluss herbeizuführen suchen, den ihnen 
der Koitus nicht gewährt; mitunter hilft auch der Ehegatte 
manuell nach. 

Betrachten wir die F'olgen der Onanie für das Nerven- 
system des Näheren, so zeigt sich, dass dieselben von vctschie- 
dcncn Umständen bceindusst werden. Zunächst kommt auch 



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OaMiie. 



125 



hier das Lebensalter in Betracht. Es ist an sich naheliegend, 
dass das verschiedene Verhalten des Nervensystems in den ver- 
schiedenen Lebensepochen für den Effekt der onanistischen Ret- 
Zungen mitbestimmend ist. So sehen wir, dass bei Kindern 
infolge der grösseren Erregbarkeit des unentwickelten Nerven- 
systems die Masturbation Erscheinungen herbeiführt, die sie bei 
Erwachsenen nicht verursacht. Aber auch bei Kindern gestalten 
sich die Wirkungen der Masturbation einigermassen verschieden, 
je nachdem dieselbe früher oder später geübt wird. Eine An- 
zahl neuerer Autoren (Steiner, Jacobi, Hirschsprung, 
F leis c h ni a n n , Cur sc h mann u. a.) bezeuget, dass schon in 
den ersten Lebensjahren bei Knaben sowohl als IVIädchen keines- 
wegs selten Vors^änge beobachtet werden, die unverkennbar in 
das Gebiet der Masturbation gehören. Jacobi betont, dass alle 
Umstände, welche direkt oder indiifkt eine Reizung der Nei \ en 
des IVo^enitalapparates bedingen, geeignet sind, bei jungen 
Kindern Masturbation zu veranlassen. Als solche Umstände sind 
besonders oft juckende Ausschläge an den Geschlechtsteilen 
und in deren Umgebung und Verengerung der Vorhaut (bei 
Mädchen Oxyuren) wirksam, Momente, auf weiche wir bereits 
hingewiesen haben. Hirschsprung erwähnt als weitere häufige 
Ursachen Saugen an den Fiogem, Lippen und Zehen (Ludein, 
Wonne saugen), Reibung verschiedener Körpertdlc aneinander, 
worauf bereits von Steiner und Lindner die Aufmerksamkeit 
gelenkt worden war, und Stublverstopfui^f. Als prädisponierendes 
Moment Hegt, wie auch Hirsch Sprung erwähnt, in vielen Fällen 
zweifellos angeborene erhöhte Reizbarkeit des Nervensystems vor. 
Mit den Folgen der Masturbation in der Kindheit beschäftigte 
steh bereits L allem and, der auch hierbei seiner Neigung zur 
Obcrtrcibun^ keine Zügel anlegte. ,,S() jung die Kinder auch 
sein mögen*', bemerkt dieser Autor, „so magern sie stets in 
„Folye der Masturbation ab, werden blass, wunderlich, mürrisch, 
„20rnii% ihr Schlaf ist kurz, unruhig, unterbrochen; sie vi-rfallen 
„in den komiilctesten Marasmus, und k()nnen seilest unterliegen, 
,,wenn man sie nicht ihrer schädlichen Leidinschaft entzieht. 
„Kalle solcher Art sind allgcmcm bekannt; und ich brauche sie 
„deshalb nicht anzuführen. 



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126 



OoaDie. 



Analoge Syraptomc manifestieren sich bei Erwachsenen, 
„sie haben ungefähr denselben Verlauf und können zu dem näm- 
„liehen Ende führen. Allein bei den Kindern beobachtet man 
..zugleich mehr oder weniger bedeutende Nervenzufälle, was nicht 
„leicht bei solchen der Fall ist, die nach der Pubertätszeit Mastur- 
„bation treiben, jedenfalls nicht in so hohem Grade. Nerven- 
„zufalle obiger Art sind spasmodische Kontraktionen, örtliche 
„oder allgemeine Konvulsionen, Eklampsie, Epilepsie, und eine 
„Art mit Kontraktur der Glieder begleiteter Paralyse. Solche 
„spasmodische Erscheinungen habe ich bei allen Kindern gc- 
„sehen, die ich 2U beobachten Gelegenheit hatte, und die Schrift- 
„steller sind voll ähnlicher Fälle." — 

Den spasmodischen Charakter der Symptoinc inlOlj^c Miss- 
brauches der Geschlechtsteile in der Kindheit lietont Lal le- 
in and auch an anderer Stelle. Zur Beseitigung der Ma<;tnr- 
bafion b( i Kindern empHehit Lallemand ein Mittel, das licut- 
zutage nicht viele Verclirrr ') finden dürfte, das Emiegen eines 
elastischen Katheters, um eine Entzündung in der Harnröhre 
hervorzurufen, wodurch die iierührung der Geschlechtsteile sehr 
schmerzhaft gemacht werden soll. Jacobi, welcher die Wir- 
kungen der Onanie im jugendlichen Alter etwas nüchterner be- 
urteilt als Lallemand, sah im Gefolge derselben bei Kindern 
Moräne und heftige Trigeminusneuralgien, Erscheinungen von 
Spinalirritation, Gelmkneurosen, hysterischen Husten und in 
vereinzelten Fällen auch Lähmungen auftreten *). Ich selbst be* 
obachtete mehrfach bei der Masturbation ergebenen Kindern im 
Alter von 7 — 10 Jahren Zustände von hochgradiger allgemeine' 



Soviel ich ersehen kann» empfiehlt von neaeren Autoren nur Ulf** 
mann (Euienbnrgfi Realenxyklopadie, Art. Onanie) ein ahnliches AOUel gegen 

Oii;inii,' bei Kimlcrn. naiulkh die Eiiifübrung von Mtlallsonden in die HarorÖhfe. 
Fürbrin^jer bemetkt bezüglich dieses Verfahrens, dass dasselbe kaum je voo 

nut/.cn ist. 

') Tobltr; Muncbn. med. Wochenscbiift Xo. 12, lyoj, S. 5"6, berichtet 
ttber den Fall eines 6jährtgen Nfftdchens, welches seit dem t, Lebensjahre 
,.Anfillen** litt, bei denen es sich um eine forcierte, durch reibende and zudKeivde 

Hi-wi L_Hin;,' des rvihttn ntiiic«. -^m d.is Imkc ausgeübte Ma-^ttiib.ition handcl 
Bei dem Müdiln-n hatte si<b im Laufe der [alire am rechten lieinc ein«» l->t'' 
ira>cbtli4.he Mu»kt;lhypcrliopbte und tiue Kuitliaktur der Fuss^bcugvr entwickeil. 



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ODaoie. 127 

Nervosität, Schlafstörung, Anf:^stanfällc \ind Zurückbleiben der 
geistigen £ntwickhm<:^; in einem Falle kam es y.u Anfällen von 
Petit Mal, die mit dem Aussetzen der üblen Gewohnheit schwanden, 
ich muss indes hier betonen, dass nach den Mitteilungen, die 
mir «ahlreicbe Patienten über in ihren ICnabcnjahrcn geübte 
Onanie machten, diese Verirrung, wenn in bescheidenen Grenzen 
verbleibend, wenigstens bei älteren, von Hause aus gesunden 
Knaben meist nicht zu auffälligen Störungen von Seiten des 
Nervensystems führt. Wo sich solche in der späteren Kindheit 
bei massiger Masturbation bereits einstellen, liegt gewöhnlich 
neuropathische Disposition oder allgemeine konstitutionelle 
Schwäche vor. Im aligemeinen nähert sich die Masturbation 
der Jahre unmittelbar vor der Pubertätsentwicklung in ihren 
Folgen dem bei Jünglingen unter den gleichen Verbältnissen 
Beobachteten. Nur dürfen wir nicht ausser Acht lassen, dass 
die vor der Mannbarkeit begonnene Selbstbefriedigung auch bei 
Maogel unmittelbarer ungunstiger Folgen noch leichter und 
entschiedener als die in späteren Jahren geübte eine Schwäche 
des Nervensystems begründet, die sich noch lange Zeit nach 
Aufgabe der üblen Gewohnheit dokumentieren kann, wenn 
die Anforderungen des Berufes hCher gespannt werden oder 
der Kampf ums Dasein mit seinen Sorgen und Aufregungen 
den Nerven zusetzt 

Nächst dem Lebensalter ist die Frequenz der masturba- 
torischen Akte hinsichtlich der Folgen von grösstem Belang. 
Es verhält sich hier ähnlich wie beim normalen sexuellen Verkehr. 
Der an sich unschädliche Einzclakt kann durch seine Häufung 
selbst bei ursprünglich viillig gesunden Personen rihebliche 
Störungen hervorrufen. Da die Onaim uedi-i an di« Mit- 
wirkung, noch an die Zustimmung einer zweiten Person gelnnuJen 
ist, ja, wie vielfache Erfahrungen zeigen, ihre Iktätitjung nicht 
einmal eine gewi--se Pr»tonz erhtM'^clit, sofornc die^eU^e noch bei 
mangelnder Erektion möglich so kunn es auf dem Gebiete 
der Masturbation natürlich \ i( 1 leichter zu einem Übermasse 
kommi n auf dem des natürlichen sexuellen Genusses. Zweifel- 
los finden auch in der Jetztzeit wenigstens unendlich häufigere 
und wüstere Exzesse auf dem Wege der Selbstbefriedigung als 



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128 



Onanie. 



im normalen ricschlechtsvei kehre statt. Nach den Mitteilungen, 
die ich von verschiedenen Patienten erhielt, bildet mehrmalige 
Masturbation, täglich eine Anzahl von jahnn hindurch geübt, 
kein allzuseltenes Vorkommnis; manche Beobachter waren in 
der Lage, noch viel erheblichere Leistungen auf dem Gebiete 
der Jugendsünden zu verzeichnen. Dass solche rücksichtslose 
Kraft- und Stofifvergeudung den Organismus ungeschädij^t lässt, 
ist jedenfalls sehr selten ; aber es liegen vereinzelte unbestreit- 
bare derartige Beobachtungen vor. Curschmann erwähnt 
eines jungen geistvollen Schriftstellers, der bei seit dem r i. T.obens- 
jahre in exzessiver Weise geübter Onanie körperlich und geistig 
frisch verblieben war und eine sehr erfolgreiche Uterarische 
Tätigkeit entfaltete. Farbringer berichtet Shnliches von einem 
Dozenten, der sogar in der Ehe nicht von masturbatortechen 
Rüdcfälien freigebiieben war und trotz alledem seine robuste 
Konstitution und geistige Arbeitskraft sich gewahrt hatte. Im 
ganzen ist es jedoch ein Glück — wir dürfen dies getrost 
sagen — , dass die höheren Grade onanistischer Verirrang doch 
nicht allzu häufig über längere Jahre sich erstrecken. Zumeist 
bilden ii^endwie erlangte Aufklärungen über das Schädliche und 
Unmoralische des geheimen Treibens, wachsende sittUch-religiöse 
Skrupel oder bereits in der einen oder anderen Sphäre sich 
fühlbar machende ungünstige Folgen, mitunter auch Gelegenheit 
EU normalem sexuellem Verkehre den Anlass zur Beschränkung 
oder Aufgabe der üblen Gewohnheit. Und so ist der Arzt 
denn doch nicht so häufig veranlasst, sich mit den 
Folgen der Onanie für das Nervensystem thera- 
peutisch zu beschäftigen, als man bei der ausser* 
ordentlichen Verbreitung dieses Übels annehmen 
könnte. 

Schon aus dem eben Bemerkten «^^eht hervor, dass neben 
dem Lebensalter und der llaufi-keit des Aktes für die W'irkimg 
der Onanie auf das Nervensystem noch weitere i aktoren be- 
stimmend sein müssen. Wenn ich die Keihe mir bekannter 
Peisiinen, die .sieh durch Jugendsünden schädigten, Revue 
|i issu!en lasse, so fmdei ^ich unter denselben eine nicht uner- 
hebliche Zahl solcher, die erst iui Jünglingsalter (z. T. noch später) 



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Onanie. 



129 



der schlimmen Gewohnheit anheimfielen und derselben weder 
sehr lange Zeit, noch in exzessiver Weise ergeben waren. Es 
können also unter Umständen auch massige onanistische Vor- 
irrungen nach relativ kurzer Zeit schon zu Gesundheitsstörungen 
führen. Dieser auffallende Umstand erklärt sich z T. aus der 
physischen, z. T. aus der geistigen Konstitution der betreffenden 
Individuen. Die sexuelle Leistungsfähigkeit ist bei Männern, wie 
schon erwAhnt wurde, sehr verschieden, luid so kann der Grad 
von Masturbation, der > dem sexuellen Vermögen des einen so- 
zusagen entspricht, dieses Vermögen beim anderen bereits er- 
heblich übersteigen (Vermögen — Fähigkeit der Leistung ohne 
Nachteil). Hierzu kommt der Umstand, dass bei manchen 
dieser sexuell schwach Veranlagt«i noch angeborene neuro- 
pathische Disposition besteht, infolge welcher nervenerschöpfende 
Einflüsse jeder Art bei denselben eine intensivere und nach- 
haltigere Wirkung ausüben als bei anderen Individuen. Häufiger 
ist jedoch in den hier in Frage stehenden Fällen die geistige 
Konstitution des der Scibstbefi iedigung Huldigenden für die 
Folgen derselben in Anspiucti zu nehmen. Der Gedanke, dass 
das Verübte eine schwere Siindi- bildet und das Seelenheil 
gefährdet, verfolgt den religiös Gesinnten unal)lässig. verursacht 
ihm die ^rcissten Seelenqualen und i>t trotzdem oft :^enug nicht 
imstande, den Hang zur Masturbation zu unterdrücken *). Jedem 
neuen Akte folgen neue Vorwürfe, neue Gewissensbisse; diese 
selbstaufertegte, andauernde geistige Tortur versetzt allmählich das 
Nervensystem in einen Zustand icizbarer Schwäche, auf Grund 
dessen die Masturbation einen schädigimden Einfluss ausübt, der 
ihr an sich nicht zukommen würde. Ähnlich verhält es sich 
in den Fällen, in welchen lediglich das Bewusstsein der mora- 
lischen Verwerflichkeit der Selbstbefriedigung oder die Kenntnis 
ihrer gesundheitsschädigenden Folgen das Gemüt bedrückt. 
Auch hier sehen whr, dass das moralische oder vernünftige Ego 
das Tun des Onanisten verurteilt, selbst perhorresziert, trotz- 

*} Treffend charakterisiert Tolttoj in seiner Kreuienonate mit weni|>eD 

Weiten diesen Scck-niu>tatnl : ,,Icli quälte mith und Sic li.il)cn sich ;;t^vi^^ anih 
gequält, und so qtrii'cTi skh ncnnnmhi'-nn/ijx von hundert unter !in«fr<^n Knal>ca. 
ich (jiitset/lc ihilI), \ih litt, uh bcltlc und tiel inioicr wieder /uiuck." 

LüwcDlold, ä«tUL*U-acrTÜ*e Slörungeo. Viotle Aufl. 9 



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180 



Ouaic. 



dem jedoch nicht die Kraft hat, das sinnliche Hgo zu über- 
wältigen. Die Kampfe, welche die zwei Seelen in der Brust 
gegeneinander führen, haben auch hier unstrdt^ den grdssten 
Anteil an der Zerrüttung der Nerven, die sich als Fo^e der 
Selbstbefriedigung einstellt. Endlich ereignet es sich nicht ganz 
selten, dass junge Männer, welche nur mässig der Masturbation 
huldigten und eine merkliche Schädigung ihrer Gesundheit hier* 
durch nicht herbeiführten, durch Mitteilungen, welche sie zu* 
fallig von Bekannten erhalten, oder durch die Lektüre von 
Schriften der oben erwähnten unheilvollen Art (persönlicher 
Schutz etc.) in Angst und Sorgen über die möglichen Folgen 
ihrer geheimen Sünden ve rsetzt werden und unter dem lunilussc 
dieser gemütlichen Erregungen erst sich bei denselben neiir- 
asthenische Zustände, gewöhnlich mit exquisit hypochondrischer 
Verstimmung, entwickeln. 

Wenn wir nunmehr zur näheren Betrachtung der Folgen 
der Onanie für das Nervensystem übergehen, so miisscn wir 
zuvörderst mit anderen Beobachtern (Christian, Erb, Für- 
bringer, Forel u. a.) konstatieren, dass die Selbstbefriedigung 
in beschränktem Masse, d. h. in grösseren Zwischenräumen ge- 
übt, bei gesunden jüngeren Männern in der grössten Zahl der 
Fälle keine nachteiligen Folgen für die Gesundheit hat, und wo 
sich solche zeigen, gewöhnlich komplizierende Umstände, auf 
die wir bereits eingingen, vorliegen. Auch jene Grade der Ver- 
irrung, die über das sexuelle Bedürfnis des Durchschnittsgesunden 
sicher hinausgehen, wobei es zu täglicher Samenvergeudung 
durch Jahre hindurch kommt, bedingen häuüg, wie ich hervor- 
heben muss, zunächst keine auffälligen Störungen von selten des 
Nervensystems. Wird hier der sexuelle Missbrauch noch relativ 
zeitig eingestellt, so können unter gimstigen Verhältnissen, I. e. 
wenn auf das Nervensystem des Betreffenden keine weiteren 
Schädlichkeiten einwirken, günstige Ernährungs- und Arbeits- 
verhältnisse obwalten und ein mässiger nornialer Geschlechts- 
verkehr eingelciti t w ird, sog.ir für die Dauer iiljle Folgen aus- 
blcti>cn. Iliennil wiil ich jedoch keineswegs behaupten, dass in 
diesen Fällen die Onanie das Nervensystem ganz unbeeinflusst 
liess. Meine Wahrnehmungen sprechen vielmehr dafür, dass 



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Onanie. 



131 



dies nicht der Fall ist, dass auch hier das Nervensystem eine 
Verminderung seiner Widerstands- und Leistungsfähigkeit er- 
fiüirt» die sich aber wegen der vorhandenen gunstigen Aussen» 
Verhältnisse nicht auffällig fühlbar macht und bei Fortdauer 
dieser Umstände allmählich wieder ausgleicht. In der grossen 
Mehrzahl der Fälle nehmen die Diw^c jedoch keine so befriedigende 
Gestaltung, weil die hierzu nötigen günstigen äusseren Umstände 
mangeln, und so sehen wir, dass bei einer weiteren zahlreichen 
Gruppe von Individuen die Masturbation zwar nicht unmittelbar 
zu lästigen nervösen Symptomen führt, aber den Boden für die 
Wirksamkeit weiterer Schädlichkeiten in entschiedener Weise 
vorbereitet. Bei einem grossen, sehr grossen Prozentsätze der 
Neurastheniket . mit welchen wir alltäglich zu tun haben, figuriert 
Onanie, kürzere oder längere Zeit in jedenfalls über dns i^e- 
schk'chtliche Bedürfnis hinausgehender Weise geübt, unter den 
ursächlichen Momenten, die wir eruieren. Dabei zeigt sich oft 
deutlich, dass erst der Hinzutritt weiterer Noxen, geistiger 
Überanstrengung, Sorgen, körperlicher Strapazen etc,, zu der 
exzessiven Onanie, also eine Kombination nervenzerrüttender 
Momente den Ausbruch des bestehenden Leidens herbeiführte, 
oder dass die Neurasthenie erst geraume Zeit nach dem 
Sistieren der masturbatorischen Tätigkeit infolge der Ein« 
Wirkung neuer Schädlichkeiten, für welche erstere das Terrain 
ebnete, sich entwickelte. 

In einer dritten Gruppe von Fällen führt endlich die Onanie 
direkt und als einzige Ursache zu Schädigungen des Nerven- 
systems mehr oder minder weitgehender Natur. 

Wenn man die nervösen Vorgänge beim Geschlechtsakte 
in Betracht zieht, so zeigt sich, dass hierbei von den Zentral- 
Organen das Rückenmark in erster Linie beteiligt ist. Im Lenden- 
marke, im Bereiche des Centrum genito-spinale spielen sich 
die Vorgänge ab, welche die ICjakulation unniiiiclbar hci beituhren. 
Man sollte daher a priori klauben, dass, wo es überhaupt zu 
einer Schädi«^nnfj des Nervensystems durch Masturbation kommt, 
immer das K'jrlrnmark zuerst und am intensivsten betroH'en 
ist. v. Kraffl-Lbing unterschied auch zwei Phasen der sexu- 
ellen Neurasthenie, von welchen die erste als genitale Neurose 

r 

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1S2 



Onanie. 



mit Beteiligung der Lendenmarkszentren, die zweite als all- 
gemeine Neurasthenie sich darstellt. Eine derartige Reihenfolge 
der durch Onanie bedingten nervösen Störungen kommt unleug- 
bar oft vor, altem, dass dieselbe die Regel bildet, kann ich nach 
meinen Erfahrungen nicht zugeben 

Die ersten Erscheinungen von seilen des Rückenmarkes 
bei Mastarbanten sind gewöhnlich Gefühle von Müdigkeit, Ab- 
geschlagenheit, Schwere, KSlte oder Taubsein in den Beinen, 
die sich anßinglich nur an einxdne onanistische Akte knüpfen, 
später aber andauernd werden; hiermit ist zunächst noch keine 
auffällige Verringerung in der Leistunf»sfähigkeit der Beine ver- 
knüpft, doch kommt es zu solcher im Laufe der Zeit, so tlass 
nach kurzen Spazicrr^ängen schon hochgradige ICrmüdiing < in- 
tritt. Hierzu gesellen sich Schmerzen oder lästige Gefühle von 
Druck oder Spannung im Rücken, die häufig Tabesbefürchtungen 
wachrufen. Nach dem Aufgeber» der Masturbation, ebenso auch 
bei erheblicher Beschränkung derselben, steilen sich häufigere 
Pollutionen ein, anfänglich nur nächtliche, später auch Tages- 
pollutionen, womit sich dann auch Spermntorrhoe verbinden 
kann. Zu gleicher Zelt mit den häufigeren Pollutionen kommt 
es bei den Versuchen zu natürlichem sexuellem Verkehr zu 
verfrühter Ejakulation, des weiteren zur Abnahme der Erektioiis^ 
ßlbigkeit, schliesslich zu dem Verluste derselben, der völligen 
Impotenz. Diese Rethenfolge der Symptome findet sich jedoch 
durchaas nicht bei allen oder nur der Majorität der exzessiven 
Onanisten. In der Mehrzahl der Fälle bleibt es, soweit die 
Störungen in der Sexualsphäre in Betracht kommen, bei der 
präzipitierten Ejakulation und den vermehrten Pollutionen, aber 
an diese schtiesst sich eine Reihe weiterer Symptome in anderen 
Innervationsgebieten an. Es ist hier zunächst die für viele so 
unheilvolle Wechselwirkung zu berücksichtigen, die sich zwischen 
den durch die fortwährenden onanistischen Reizungen in einem 

■) Dks mitde bereits w der eisten Auflage dieser Sdiritt konslBlierr. 
twiKhen hat sieb aadi POrbringcr dabin ausgesptocben, dass er das von 

V, K r a ff t -E b i n K angenommene Schettta für die EnlwiL-KIung tlcr sexuellen 
KciiriHthcnie i:icht :iU Rr;^' !, sondern nur als einen häufig su beoliacbtenden 
£Btwicklungsgang betrachtra kann. 



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OiMnie. 



133 



Zustande gest(M<4crter Erregbarkeit erhaltenen lumbalen Zentren 
des Geschlechtsaktes und dem Gehirne, resp. der Psyche aus- 
bildet. Die krankhafte Reizbarkeit der spinalen Zentren bewirkt, 
dass eine Menge psychischer Akte, Vorstellungen, Wahr- 
nehmungen äusserer Eindrücke, die den normalen Menschen 
sexuell gleichgültig lassen, beim Masturbanten zu geschlechtlichen 
Erregungen (mit und ohne Erektion) durch Einwirkung auf die 
spinalen Zentren fühten, wodurch die dmorme Erregbarkeit 
dieser erhöht wird. Andererseits wirkt der krankhafte Zustand 
dieser Zentren auf das Gehirn und hiermit auf die geistige 
Sphäre zurück. Die Geffihle ständiger sexueller Erregtheit 
(Appetenz), die sidi an den fraglichen Zustand der Lendenmarks- 
senlren knüpfen, beeinflussenp wenn sie auch nicht immer deut- 
lich zum Bewusstsein gelangen, wie andere Organgeföhle die 
Gedankenrichtung, indem sie dieselbe selbst bd entfernten Be- 
rührungspunkten auf das Sexuellsinnliche hinüberlenken und 
zugleich von ernsteren, sittlichen Vorstellungsreihen abziehen. 
So entsteht das, was man auch als Gedankenonanie ') (Gedanken- 
unzucht) bezeichnet hat, jene Tendenz des Vorstellens, fort- 
während auf sexuelle Dinge abzuschweifen und an diesen haften 
zu bleiben, eine Tendenz, unter welcher Wille und Fähigkeit zu 
ernsterer geistiger Tätigkeit mehr und mehr abnehmen und 
schliesslich ganz schwinden. Hier handelt es sich zweifellos 
schon um psychopathische Zustände, allerdings noch nicht von 
einer Art. die die tJbci Weisung an geschlossene Anstalten nötig 
macht , aber die Basis tür die Entwicklung ausgesprochener 
Psychosen ist hiermit jedenfalls gegeben. 

Die frngliche psychische Anomalie findet sich ebenfalls 
nur bei einem Teile der Onanistcn. Da, wo tlieselbe be- 
steht, erschwert sie natürlich in ausserordentlich hohem Masse 
das Aufgeben der schlimmen Gewohnheit. Mitunter kommt 
es aber erst nach letzterem zu dem Überwuchern des La- 
sciven in der Phantasie; dieser Umstand trägt dann zu dem 
Auftreten der Pollutiones nimiae und der Spermatorrhöe sehr 
wesentlich bei. 

»j s. s. 83. 

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134 



In vielen Fällen steilen sich Erscheinungen von Seiten des 
Gehirns als erste Störung im Nervensystem ein, und in anderen 
treten sie schon auf, nachdem die Rückenmarkssymptome sich 
nur kurze Zeit und in geringfi^ger Weise geltend machten. 
Zum Teil sind hier jedenfalls individuelle Verschiedenheiten in 
der Widerstandsfähigkeit des Rückenmarks und Gehirns und 
in der psychischen Konstitution der Masturbanten im Spiele. 
Personen, welche sich ernste Skrupel über ihr geheimes Treiben 
machen, sind im allgemeinen mehr disponiert, zerebrasthenisch 
zu werden, als andere, die sich über ihr Tun keinen weiteren 
Gedanken hingeben. Das psychische Verhalten der ersteren 
macht deren Gehirn zu einem Locus minoris resistentiae für die 
Wirkungen der Onanie. Den gleichen Einfluss äussern andere 
Umstände. Es ist gewiss kein Zufall, dass bei einer grossen 
Anzahl von jun;^en Leuten meinet Beobaclituiii^. vor allem bei 
Studierenden, aljei auch bei junj^en Lehrern, Amtsgehilfen, Konimis, 
sich lediL;lich oder vorwaltend Erscheinungen zerel)raler Neur- 
asthenie ( Kopfeingcnoninienheit, Kopfschmerz, verrins^erte geistige 
Arbeitskraft, Schwmdcl, Sehslörnngen , Gemütsvcrstinimung, 
Angstzustande etc.) als Koliken andauernder onantstischer Ge- 
pflogenheiten einstellten. Die ausschliessliche oder vorwaltende 
Beteiligung des Gehirns in diesen Fällen erklärt sich aus dem 
Umstände, dass die Betreffenden ausnahmslos schon während 
ihrer Schul- (resp. Gymnasial- oder Seminar-) jähre der Mastur« 
bation sich ergaben. £s ist naheliegend, dass das Zusammen- 
treffen geistiger Anstrengungen und onanistisdier Reizungen 
während der Entwicklungsperiode des Gehirns speziell dieses 
Organ in seiner Widerstands- und Leistungsföhtgkeit schädigt 
Diese Schädigung kann soweit gehen, dass jede ernstere geistige 



*) Dass d«r eisdi6pfcnde Einfluss der Omnie vonngswcise im Bereiche 

»olclicr ZentraUeilc sich geltend macht, die >ich anhaltend io Tiügiceit befinden, 
zcij;l auch d.^s Vdi kommen von Schrcibckrampf bei der Masturbation crceHenrn 
ScliK-ibern. Bcrgcr (Eulcnburgs Eiuyklopädit; B»ud 11, Artikel bei>cbälti- 
gungsncuroäi Dj beobachtete zwei jugendlich« Individuen, welche von Ihrem bis tm 
volisUndigeo Scbreibunfähigkeit fortgeadiritteaen Leiden dauernd gehdlt wurden, 
nacbikin diese Sthädlicbkeit mt^lidbst beseitigt war. Auch bei einem der O. 
er<:^^t^'•fl iiirt'fn Kaufmann njciner Beobathtunji trat als rr-^le Störung Er- 
bcbwcruii); deb bchreibeus duich SiJinterzcu uud iai>cbeä Ernuuku de& Armes auf. 



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Onainie. 



135 



Tätigkeit zur Unmöglichkeit wird. Meist tritt jedoch die 
Schwächung des Gehirns erst deutlich zuta<^e, wenn erhöhte 
Arbeitsanforderungen herantreten oder Sorgen, Aufregungen, 
anhaltender Är^er, grössere oder kleinere Verdriesslichkeiten 
einwirken. Einige Zeit mag auch dann noch ein eners^ischer 
Wille die verlandeten Letstuni^^en erzwingen; aber das Arbeilen 
wird immer mühsamer, das Resultat unbefriedigender, während 
die mit dem Arbeiten verknüpften Beschwerden stetig anwachsen. 
In dieser Weise kommt es schliesslich notwendig zu höheren 
Graden von Hirnerschöpfung und damit zu völliger Arbeits- 
unfähigkeit. 

In einer erheblichen Zahl von Fällen treten, wie schon 
erwähnt wurde, nach der Aufgabe oder erheblicher Beschränkung 
der Masturbation häufigere Pollutionen auf und stellen sich 
erst während der Periode dieser Samenabgänge Kopfbeschwerden 
ehi> Gewöhnlich kommt es im Anschlüsse an die Pollutionen 
zu einer aufialligen Verschlimmerung der Kopf Symptome (stärkerer 
Kopfeingenommenheit und Gemütsverstinunung insbes.), so dass 
es erklärlich wird, dass die Leidenden nunmehr in diesen die 
Quelle aller sie heimsuchenden Obel erblicken. Es scheint, dass 
hier die spinalen Vorgänge, welche die Pollutionen herbeiführen, 
ähnlich onanistischen Akten zu einer weithin irradiierenden und 
daher auch das Gehirn in Mitleidenschaft ziehenden Nerven» 
erschfltterung führen. 

Neben den Erscheinungen, die man auf Neurasthenie des 
Gehirns und Rückenmarks zu beziehen zweifellos bereditigt ist, 
begegnen wir unter den Folgezuständen der Onanie noch einer 
Reihe nervöser Funktionsstörungen innerer Oi^ane, die z. T. 
aber ebenfalls auf Erschöpfung von Gehirn- und Rückenmarks- 
zentren zurückzuführen sind. Hier sind zu erwähnen: die 
mannigfachen Erscheinungen der Herzneurasthenie (unregeU 
mässiger, aussetzender Puls, Anfälle von Tachykardie, Schmerzen 
und Beklemmungsgefühlc in der Herzgegend etc.) das nervöse 

') DieM &rscheiouii£^a können als Fol^e der Hastarb»tioii anch gans isoliert 
amftreten. Ein ^ojihnger Herr, <kn ich wegen Her/.neura>tlieiiie in Bcband. 
lun;^ hatte, halte von seirc^Ti) i?. bis iX. I.cbcnsj.jbic M.i-iuil ation gcül t. Im 
10. Lebensjahre »tellUu ^ich bei dcm&elbeo ohne Vorhragang irgendwelcher 



136 



Onanie. 



Asthma, die nervöse Dyspepsie mit ihren zahlreichen, mehr 
minder beschwerHchcn Varietäten, die nervöse Enteropathie, 
die reizbare Blase und die reizbare Prostata, Symptomenkom- 
plexe, die häufig ernstere organische Leiden vortäuschen und 
auf deren genauere Detaillierung wir hier verzichten müssen. 
Auch die Sinnesorgane werden bei Masturbation in das Bereich 
der Neurasthenie gezogen. Die bezüglichen Erscheinungen sind: 
Gefühle von Druck und Schwere oder Schmerzen in den Lidern 
und Augäpfeln, spontan und bei geringfügiger Augenanstrengung 
auftretend, Lidkrämpfc, gesteigerte Lichtempfindlichkeit, sub- 
jektive Lichterscheinungen (Photopsien H. Cohn), Herabsetzung 
der zentralen Sehschärfe — nervöse oder neurasthenische Asthen- 
opie — , ferner Ohrensausen, Hyperästhesie des Gehörorgans, auch 
Herabsetzung der Hörschärfe. Endlich ist zu erwähnen, dass 
sowohl die einfache als die sogenannte Augenmigräne zu den 
durch Masturbation herbeizuführenden nervösen Störungen zählen. 
Für die Entstehung organischer Rückenmarkskrankheiten ledig- 
lich infolge von Onanie gewährt andererseits meine Erfahrung 
keinen Beleg; in dieser Hinsicht völlig beweiskräftige Beob- 
achtungen sind auch in der Literatur nicht enthalten. 

Wir haben oben bereits erwähnt, dass die Rolle der Onanie 
als Ursache von I*sychoscn früher entschieden überschätzt wurde. 
Indes ist die Zahl der Fälle geistiger Erkrankung, bei welchen 
l^Iasturbation als ursächlicher Faktor wirksam ist, auch nach den 
genaueren Erhebungen der Neuzeit immerhin eine beachtens- 
werte. Ellingcr fand Masturbation unter 383 Geisteskranken 
in S3 Fällen 21,5 Hagenbach unter 800 Kranken 69 mal, 
Peretti unter 300 männlichen Irren in 59 Fällen ( 19*3*0) 
als mitwirkende Ursache der Geistesstörung. Nach Burr (Pontiac 
im nordamerikanischen Staate Michigan) ist bei 10 "jo aller im 
Eastern Michigan Asylum behandelten Geisteskranken Mastur- 



andeiot Krankheitssymptome erhebliche nervöse HcribcschwerJcn (Aniülle voo 
hoch(;radi(;em llcr/klopfen mit Beklcmmun);, (.)bninachtsanwan(llurigen etc.) ein. 
Stiltlem litt dieser Herr öfters für kürzere oder längere Zeit an EfKheinungen 
der Hctzncura.sthcnic, wilhrend spinale .Symptome (Lendenmarksneurosc) bei dem- 
selben sich nie zeigten. Hier muss wohl eine individuelle Trädisposition de« 
Herznervensystems (resp. der bulbäten Herzitincnationszentien) vorliegen. 




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Onanie. 



137 



bation als Causa morbi zu betrachten. Geringer sind die Zahlen, 
welche in Schweden und England ermittelt wurden. Nach einer 
Notiz, die sich bei Ribbing angeführt findet, betrug die Zahl 
der in den Hospitälern Schwedens aufgenommenen Geistes- 
gestörten, deren Leiden durch Masturbation herbeigeführt war, 
in den Jahren 1883—1887 Zt7^h ^ Gesamtzahl der auf- 
genommenen Irrsinnigen. In England betrug die ProzentzaU 
der Fälle von Geistesstörung inlolge von C^ianie 1885: 1,3, 
1886: 1,1, 1887: t,4*/o der Gesamtsahl. 

Das Irrsein der Onantsten stellt gewöhnlicb eine Weiterent- 
wicklung primär neurasthenischer Zustände dar. Nach v. Krafft- 
Ebing ist fOr die Umgestaltung der Neurasthenie zur Psychose 
bei Masturbanten ausser verschiedenen Hilfsursachen fast immer 
eine originär neuropathische Konstitution (Belastung) erforderlich 
und wird bei Unbelasteten durch onanistische Exzesse kaum je 
das Gebiet der asthenischen Neuropsychose ( Neu: ai>ihenie) über- 
schritten. Die Voigäntjc, welche zur Entwicklung der Psychose 
führen, sind in den einzelnen Fällen verschieden, zum Teil 
soniaii eher, zum Teil psychischer Natur, und ihre spezielle 
Beschaftenheit ist für die Art des sich entwickelnden Leidens 
von erheblichem Belanf^^ 

V. Krafft-Kbing sciüldert die Pathogenese der onanistischen Psy- 
chosen i. e. derjenigen Psychospn, die sicli auf der ( Irundlagr eirtcr durch 
Masturbation erworbcut n NcurasLhenif entwickeln, in Iblgtndcr Weise: 

„a) Sie ist eine psychische, durch Vermittlung psychischer Hilfinir* 
Sachen. Diese sind spontane Affekte der Reue, Scham, Angst vor den 
Folgen des Lasters in Verbindung mit dem peinlichen Bewusslsein, denk 

selben aus eigener Kraft nicht entsagen zu können. Oder diese rn-mnts- 
bewegtingen sind durch dir. Leklürr gewisser populärer spekulaUver, die 
Kolgen der Selbät>ieliändung in üb«ririebener Weise darstellender Bücher 
hervorgemren. Überdies kann bd Ehestandskaodidatcn usw. die wirk* 
liehe oder relative organische oder die psychische Impotenz ex mssttttv 
bati<Mie die bezügliche psychische Ursache darstellen. 

In diesen Fällen entste hen Melancholien mit stark (hypocliundrisch) 
nosophobischcr Ausprnping im Sinne von Tabes-, Phthisis- nd'^r Wsania- 
furcht, je nach vorwaltenden Symptomen dtr begleitenden rsuurastht-nic. 

b) Die Vermittlung ist eine somatische durch Hinzutreten schwächen- 
der Ursachen (ungenQgende Nahrung, Schlaflosigkeit, klHperliche Er* 
krankung, geistige oder körperliche Überanstrengung usw.). Die 
Gestaltung dc^ Ki ankh- it'^iiildcs scheint hier wesentlich bedingt durch 
konstitutionelle belastende Momente. 



138 



Onanie. 



Sind diese geringgradig, so entstehen als reine Erschöpfungspsycho- 
neurosen Stupidität oder Wahnsinnszustände. 

Auf degenerativer Grundlage (vielleicht auch ohne solche bei ex- 
zessiver Onanie in sehr jugendlichem Alter) entwickeln sich Zustände 
primärer progressiver Demenz. Einleitend und episodisch können hier 
halluzinatorisch-delirante Zustände, Raptus, Primordialdelirien, kata- 
tonische Erscheinungen, manieartige Erregungszustände mit ganz im- 
pulsiven Akten bestehen. F'rüh zeigen sich schon in diesem Entartungs- 
zustande sittlicher Schwachsinn, Verlust der ethischen und ästhetischen 
Gefühle (Unreinlichkeit, Trieb zum Eckelhaften), absolute Gcmütlosigkeit 
und Abulie, mit dem Ausgang in tiefste Verblödung. 

Als weitere entschieden degenerative Krankheitsbilder sind gewisse 
Zustände von Paranoia und von Irrsinn in Zwangsvorstellungen zu 
erwähnen." 

Die Formen, in welchen das masturbatorische Irrsein sich 
darstellt, sind sehr mannigfaltig, was zum Teil mit der Ver- 
schiedenheit der Genese des Leidens, zum Teil mit den kon- 
stitutionellen Verhältnissen der Erkrankten zusammenhängen 
dürfte. Dass Zustände von Melancholie, namentlich mit hypo- 
chondrischer Färbung, Manie, Paranoia und gewisse Demenz- 
formen auf onanistischer Basis vorkommen, wird allseitig zuge- 
geben Manche Beobachter beschrieben auch besondere Formen 
von geistiger Störung als Folge der Masturbation, so Peretti 
und Skae ein „onanistisches Irrsein'*, Spitz ka einen ,,mastur- 
batorischcn Wahnsinn". Von anderer Seite wird dagegen das 
Vorkommen einer onanistischen Psychose sui generis bestritten'). 

') ,,Atn häufigsten", bemerkt Kräpelin, stellt sich bei Onanisten eine 
progressive Abnahme der psychischen I-eistungsfähigkeil ein, Unvermögen zur Auf- 
fassung und intellektuellen Verarbeitung äusserer Eindrücke, Gedächtnisschwäche, 
Interesselosigkeit, Gemütsstumpfhcit ; in .mdcrcn Fällen treten mehr die Er- 
scheinungen erhöhter Reizbarkeit in den Vordergrund, barocke Ideenverbindungen. 
Neigung zu Mystizismus und exaltierter Schwärmerei oder hypochondrische und 
melancholische Depression. Dazu gesellen sich dann mannigfaltige nervöse Stö- 
rungen, besonders abnorme Sensationen, aus denen sich nicht selten absurde Wahn- 
ideen von dämonischer oder geheimnisvoller physikalischer (magnetischer, elek- 
trischer, sympathischer) Beeinflussung herauscntwickeln." 

*) Seltsamerweise hat sich in jüngster Zeit ein Nichtfacbmann auf psych- 
iatrischem Gebiete, K o h 1 c d e r , veranlasst gesehen, die Bedeutung der Mastur- 
bation als ursächliches Moment für schwerere Psychosen in Abrede zu stellen. 
Seine Ansicht kann natürlich den bestimmten Angaben zahlreicher erfahrener 
Psychiater ( v. K i a f 1 1- Ebi ng, El 1 i ngcr , Pcrc 1 1 i, Spit/.ka, Kräpelin u.a.) 
gegenüber nicht weiter in Betracht kommen. 




Onanie. 



139 



Häufig bei Onanisteii r.n beobachtende psychopathische 
Erscheinunfjen sind Zwangsvorstellungen und andere Zwangs- 
phanomene, die bald nur als untergeordnete Tcilerscheintingen 
des ncurasthcnischen Zustandes sich geltend machen, bald im 
Krankheitsbilde stärker hervortreten und durch ihre Hartnäckig- 
keit zu einer ernsten Belästigung für den Kranken werden, mit- 
unter aber auch durch ihre Menge oder Andauer alle übrigen 
Krankheitssymptome in den Schatten stellen und das gante 
geistige Leben und Handeln des Kranken beherrschen (Zwangs- 
vorsteliungskrankheit , Irrsein in Zwangsvorstellungen), über 
einen interessanten Fall letzterer Art, den ich vor Jahren be- 
obachtete, will ich hier wenigstens in Kürze berichten. 

Beobachtung 90. 

Franz G., Funktionflr an einem Gerichte, 18 Jahre alt (durdi Kollege 
Dr. Sch. an midi verwiesen), gibt an, dass er seit etwa 6 Wochen mit 

folgend' n St«")rungen behaftet ist. Er kann seinem Dienste als Schreiber 
nicht mehr nachkommen, da er mir wenige Zeilen ohne Unterbrechung 
zu schreiben vermag. Versucht er das Schreiben länger fortzusetzen, 
so mus8 er mit der Feder immer dieselben Stellen des Papiers wieder 
berühren ; ein unwiderstehlicher Zwang nötigt ihn hierzu; dabei befallt 
ihn eine heftige Beklemmung auf der Bni^t, Hitze und Druck im Kopfe, 
und er wird so erschöpft, dass fr erst nadi < iner halben Stunde imstande 
ist, die Arbeit wieder auf/unehmen. Berührt er mit einem Beine zu- 
fiüligerweise einen Gegenstand, so muss er nach demselben wiederhoh 
mit dem Heine stossen. Bei Tische ist er nicht imstande, nch von 
Sf^inem Teller, beim Morgenkaffee von seiner Tasse zti trennen. Ähn- 
liche Zwangshandlungen und Zwangsvorstellungen existieren in Menge 
bei dem Patienten; die verschiedensten Anlasse geben den Anstoss zu 
deren Auftreten. So erwAhnt die Matter des G., dass derselbe nie nachts 
vor 2 Uhr zu Bette geht, dass er stundenlang nachts in der Wohnung 
sich herumtreibt, fortwährend damit beschäftigt, Türen und Türschlösser 
zu untersuchen, und durch kein Zureden bestimmt werden kann, von 
diesem Gebahren abzustdien. G. sieht das Krankhafte sdnes Zustandes 
vOX&g ein und wQnscht sehnlichst von demselben befteit zu werden. 
Seine Gemütsstimmung ist sowohl wegen des Leidens an sich, ab wegen 
drohenden Verlu«;{es seiner Stellunjx eine -ehr deprimierte; er äussert 
gelegentlich sogar Selbstmordgedanken, die jedoch kaum ernst zu nehmen 
sind. Die Geschivister des Patienten sind gesund (Eltern?); er selbst litt 
in seiner Jugend an Krampfanfkllen, ist also jedenfalls von neuropathischer 
Konstitution und gesteht zu, erheblich Onanie getrieben zu haben. 

Dn eine Behandlung des I'.iticnten in häuslichen Vcrh.lltnis.sm 
keinen Erfolg versprach und demselben in Anbetracht seiner Mittellosig- 



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140 



Onanie. 



kcit der Eintritt in eine Nervenhetianstait unmöglich war, wurde er mit 
seiner vollen Zustimmung fllr die Aufnahme in die Kreisirrenanstait 
begutachtet. 

Vorstehender Fall ist dadurch ausgezeichnet, dass die massen« 
haft vorhandenen, an sich ganz verschiedenen Zwangshandlui^en 
wesentlich auf einer Grundzerstörung beruhteUi der Unfähigkeit, 
eine einmal begonnene Handlung zur gdiörigen Zeit zu unter* 
brechen. Diese Störung fährte auch zu einer Behinderung beim 
Schreiben, ähnlich dem Schreibekramp fe und damit zur Dienstes» 
Unfähigkeit des Kranken. 

Ein Umstand, der bisher noch wenig Beachtung gefunden 
hat, ist, dass Masturbation bei jugendlichen Individuen auch zu 
Zufällen führen kann, welche in das Gebiet der Epilepsie ge- 
hören 'Petit mal). Ich habe mehrere Fälle beobachtet, in 
welchen masturbatorische Gepflogenheiten zweifellos den An- 
stoss zum Auftreten epileptischer Anwandlungen gaben. Zwei 
hierher gehörte Fälle wurden von mir schon vor Jahren a. O. 
mitgeteilt. 

Beobachtung 2r). 

J. M . VolksschuIlehrfT in B. ; 38 Jahre alt, verheiratest; aufgenommen 
27. Marz iböö. Der Vater des i'aUenten vcruuglücktc durch einen Schuss, 
seine Mutter ist noch lebend und magenleidend. Von den vier Ge» 
schwisteni desselben starben zwei an Phthisis. Von Nervenleiden ist 
in dL-ssen Familie nirhts bekannt. In St hn v Kindheit machte Patient 
Masern und Siiiarlach mit Ne|>hritis durch, hii Alter von 10 oder 11 
Jahren iitt er zirka '/i Jaiir Ijüutig an AnläUcn, die mit Rötung des 
Gesichts einhergingen und im Qbrigen sich Ähnlich den jetzt vorhan> 
denen verhielten. Diese AnfUle, welche Patient selbst mit der in jener 
Zeit geübten Onanie in Zusammenhang bringt, verloren sieh in dt r Folge 
voltständig, nachdem er von seinen onanistischen Gewohnheiten abge- 
kommen war, und kehrten erst vor zirka drei Jahren wieder. Patient 
verheiratete sich in ziemlich frohem Lebensalter; Lues und Potatorinm 
stellt er entschieden in Abrede, auch erlitt er nie eine Kopfverletzung. 

Die in Frage stehenden Antlllle haben seit ihrem Wiederaoftreten 
nie fftr längere Zeit pausiert. Unter dem nchraiuiie von Bromfcali wurden 
dieselben jedesmal seltener. Doch stellten sie sieii nach dem Ausseuen 
dieses Mittels alsbald wieder in der frQheren Hautigkeit ein. Mitnnter 
traten sie bis zu 15 Malen an einem Tage auf. Seit einem Jahre kommt 
es gewohnlich nur zu einem Anfalle innerhalb 34 Stunden. Das Bewuasfr 

*} Schon S. 71 kurz erwähnt. 



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Oiiui«. 



141 



«sein gfht bei den Attacken nie ganz verloren, und als Aura tritt meist 
ein Gefühl von Beklommenheit ein, an welches sidi eine ErnpfindLing des 
Aufsteigens von der Magengegend nach dem Schlünde zu anschliesst 
Im Qlnigen zeigen jedoch die AnfUIe grosse Verschiedenheiten Je nach 
der Situation, in welcher der Patient von denselbt n überrascht wird. 
Im Sitzen Drehungen des Körpers nach rechts; im Gehen G« Tillil«' der 
Lrlahmung der linksseitig,'« n Kxtrrmitate n, tnitnnter nur Zuckungen tim r 
Hand etc. Patient gestellt, dass er vor dem Wiederaultreten des Leidens 
in sexueller Beziehung einige Zeit hindurch sich Exzessen hingab. In 
den letzten Monaten hatte er ausserdem viel von einseitigem Kopfschmerz 
zu leiden (zumeist linke Kopfseite). Die l'ntcrsuchung des über mittel- 
grossen, innssi«; ir nthrten Patienten ergibt ausser hochgradiger Calvities 
nichts Bemerkenswertes, 

Beobachtung 22. 

Herr K. (;ml\:'"rn'inTneti Juni 1894), 20 Jahre alt, Kaufmann, ist der 
Sohn eines gesunden und seiir rüstigen Vaters und einer etwas nerven- 
schwachen Mutter; in der Familie beider Eltern sind weder Nerven-, 
noch Geisteskrankheiten bisher vorgekommen. Der Patient^ welcher von 
Kinderkrankheiten nur Masern durchmaditep ist im fernen Wild- West 
der Vereinij^tcn Staaten und zwar unter Verhilltnissen aufgewachsen, 
welche alles eher als Nervosität begünstigen konnten. Trotzdem leidet 
der junge Mann seit seinem 13. oder 14. Lebensjahre an Erscheinungen, 
die in das Gebiet des Petit mal gehören: AnflÜle von Bewusstlosigkeit 
von kurzer Dauer (einige Minuten höchstens) mit leichten ^ckungen im 
Gesichte, zum Teil auch nur leichte Absenzen mit Gesichtsblflsse und 
Stnrrwerdcn des Blickes, die nur eine Anzahl von Sekunden währen, 
oder Anfalle, in welchen das Bcwusstsein nicht ganz verloren geht, aber 
das Sprechen behindert ist Die Anwandlungen stellten sich in den 
ersten Jahren nach ihrem Auftreten hftufig, mitunter audi mehrere Male 
an einem Tage ein und sind in den letzten Jahren viel aeltener geworden; 
sie kehren aber noch immer wenigsten!^ in Pannen von mehreren 
Monaten wieder. Die geistige Entwicklung des Patienten hat durch die- 
selben in keiner Weise gelitten. Der Pat. gesteht, dass er von Kameraden 
verleitet, im Alter von ix Jahren der Masturbation sich ergab und 
dieselbe in den ersten Jahren häufig betrieb; seitdem er älter und ver- 
ständiger geworden, habe ei- die Kx/e^'se zwar aufgegeben, doch sich 
von seinem Hang noch nicht ganz frei zu machen gewusst. Kein sexu- 
eller Verkehr bisher. Objektiv 0. 

Das eingehendste Examen des Fat und dessen Vaters ergibt ftlr 
die im Vorstehenden erwähnten AnfiUle kein anderes veranlassendes 
Moment als die Masturbation. 

Beobachtung 23. 

Herr X., 34 Jahre alt, Chemiker (aufgenommen 4. Januar 189a), 

ist nicht ganz ohne erbliche Belastung: Der Vater von sehr erregtnrem 
Naturell, leicht aufbrausend, die Mutter und zwei Schwestern nerveth 
schwach. 



142 



Patient war, abgesehen von leichten Kinderkrankheiten, bis zu 
seinem i6. oder 17. Lebensjahre immer gesund. Vom 14. Jahre an trieb 
er Onanie und zwar sehr erheblich, und seit dem 16. oder 17. Lebens* 

jähre bestehen bei ihm die im folgenden naher zu beschreibenden 
Krampferscheinungen, deren Auftreten er selbst iiüt der f^eObtcn Onanie 
in Zusammenhang bringt Pat. absolvierte das Gymnasium, brachte auch 
seine Universitfltsstudien zu einem gOnstigcn Abschlüsse. In die Uni- 
versitUsseit fallen mandie sexuelle Exzesse, zu welchen der Patient 
durch seinen ungemein lebhaften Sexualtrieb verleitet wurde. Exz e ss e 
in Alcoholiris werden negiert, auch spezitische Infektion. 

Bezüglich der Umstände, unter welchen die fraghchen Krampf* 
erscheinungen auftreten, gibt Patient folgendes an: Die AnfilUe stellen 
sich zumeist auf der Strasse ein, wenn ein Bekannter ihm tmversehens 
begegnet oder ihn unversehens anspricht, oder wenn sonst rtwns ganz 
Unerwartetes plötzlich an ihn herantritt. Ausserdem uciden dieselben 
regelmässig durch das Aufstehen nach längerem Sitzen unter Leuten 
hervorgerufen. Eingeleitet werden die Anfillle gewöhnlich durch ein 
eigenartiges Gefühl (eine Art Angstgefühl) in der Herzgegend, welches 
sich mit Herzklopfen verpescllschaftel ; dann erfolgen krampfhafte Be- 
wegungen der Finger des linken Armes — diese nehmen eine Art 
Krallenstellung ein — , der Vorderarm wird gegen den Oberarm gebeugt, 
die linke Ge^ichtshfllfte etwas verzogen, auch <fie Zvacige weicht nach 
links ab und die Sprache ist etwas behindert. Gewöhnlich dauern diese 
Anfälle nur einis^e Sekunden. Wenn der Patient sich jedoch heobaehtet 
glaubt, oder wenn er überhaupt erregter ist, so währen die Anfalle 
länger, bis ZU dner halben Minute und darftber. Der Krami^ breitet 
sich dann auch auf die rechte Seite (rechten Arm und redite Gesichte 
hälfte) und den Rumpf aus; der Rumpf führt drehende Bewegungen aus. 
Pas Gelicn ist jedoch hierbei nie gestört ; die Reine sind unbeteiligt. 
Das Bewusstsem bleibt ebenfalls unberührt. Naeh dem Anfalle ist Pat 
nidit imstande, mit der befallenen Hand etwas zu leisten; er kann 
keinen Druck damit ausflben; diese Schwache hftit jedoch nur 10— ao 
Sekunden nn. Pntient kann diirrh verschiedene Akt»- die Entwicklung 
des Anfalles hemmen, so, wenn er in Bewegung sich befindet, dadurch, 
dass er sich auf eine Lippe beisst, die Nägel einzelner Finger lest gegen 
die Hohlhand oder den Daumen presst, auch durch energische stampfende 
Trittbewegungen der Beine. Dcu h g< lingt es ihm nicht immer, nament» 
lieh wenn er erregter ist, den Anfall auf die'^e Weise zu verhindern. 
D«-"n Kuitriu eines Anfalles nach dem Aufstehen von einem Sitze kann 
er dadurch vermeiden, dass er einige Augenblicke vor dem Weggehen 
ruhig stehen bleibt Objektiver Befund völlig negativ. 

Die weitere I chtung deS Pat. ergab, dass bei schlechtem Be- 
finden bei demselben Anfälle von der ^cm hildi r ti 11 Art auch ansch» inend 
spontan auftraten, die Anfälle auf der Strasse beim Begegnen von Be- 
kannten und beim Aufstehen nach längerem Sitzen dagegen unzweifeU 
haft durch gewisse unter diesen Verhältnissen konstant wiederkehrende 
Zwangsvorstellungen mit b- L;!eitenden Angslzuständen („man werde an 
ihm etwas Auffälliges wahrnehmen") ausgelöst wurden. Die Entwicklung 



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Onanie. 



U3 



dieses Zusammenhaages erklärt sich aus dem Umstände, dass die An- 
fidle anfänglich spontan und selten auftraten und es dem Patienten längere 
Zeit gelang, dieselben vollständig (selbst seiner Familie gegenüber) zu 
verheimlichen. Dieser Umstand erzeugte im Laufe der Jahre bei ihm 
die Bt'fOrchtung, dass bei ihm doch einmal in Gegenwart oder in der 
Sehweite eines Beliannten ein Anfall vorkommen und das ängstlich ge- 
wahrte Geheimnis dadurch verraten werden könnte. Diese Befllrchtung 
nahm allmählidi den Charakter einer Zwangsvorstellung an, die sich 
sowohl auf der Strasse beim Anblick von Bekannten, als nach Iflngerem 
Sitzen beim Aufstehen, wenn sein Vcrhaltf n seitens Dritter beobachtet 
werden konnte, einstellte und durch den begleitenden Angstzustand das 
befbrchtete Ereignis — den Anfall — herbeifllhrte. 

Der Zustand des Pat. erfuhr im Verlaufe einiger Jahre eine be* 
deutende Besserung, die KrampfafTektion reduzierte sich auf ein Minimum 
und dieser ifOnstige Status hat sich, soweit ich unterrichtet bin, erhalten« 

Im vorltegenden Falle traten, wie wir saben, im Gefolge 
exzessiver Masturbation Krampfanfälle auf, welche wir mit Rück- 
sicht auf ihre Lokalisation, sowie ihre Begldt' und Folgeer- 
scheinungen als kortikale (Jackson'sche) Epilepsie und zugleich 
dem Gebiete des Petit Mal angehörig zu betrachten haben. 
Die Anfalle wurden jedoch später überwiegend zum Anhängsel 
einer Art Phobie und dadurch ihres epileptischen Charakters 
entkleidet. 

Die nervösen Folgezustände der Onanie wurden früher 
vorwaltend auf den erschöpfenden Einfluss der übermässigen 
Samenverluste bezogen. Man sah in dem Sperma ein fOr den 
Körper ganz besonders wertvolles Fluidum. Noch Trousseau 
bemühte sich, diese Anschautuig zu verteidigen, indem er auf 
den Umstand hinwies, dass beim Weibe trotz der mindestens 
ebensogrossen, wenn nicht grösseren Erregung des Nervensystems 
beim Geschlechtsakte häufige Wiederholung desselben in kurzen 
Zwischenräumen keinen Erschöpfungszustand hinterlässt. In 
neuerir Zeit ist man fast allgemein der Anschauung, dass der 
Spcrmaverlust für die Wirkungen der sexuellen Ausschweifungen 
und der Masturbation belanglos ist, weil das selbst durch häuti<^c 
Sanienentleerungen dem Körper entzogene Eiweissquantum für 
die Allgemeinernährung nicht ernsthaft in Betracht kommen 
kann, und dass sonach die Benachteiligung des Nervensystems 
durch die genannten sexuellen Missbräuche sich nur aus dem 
Einflüsse der Einzelakte erklären 'ässt. Hierbei wird zumeist 



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144 



Ooaoie. 



angenommen (Erb, Fürbringer, Curschmann, Hammond 
u. a ), dass, sowie der Schlusseffckt, ilii^ Kjakulation, so auch 
die Einwirkung auf das Nervensystem bei der Masturbation und 
der Kohabitation völlig oder im wesentlichen gleich sei. Der 
Schaden, den die Onanie anrichtet, würde demnach nur aus der 
Häufigkeit der Eioxelakte und dem relativ frühen Beginn der* 
selben bei noch unentwickeltem Nervensystem erwachsen. Ob- 
wohl ich letzterer Anschauung mich im wesentlichen ^) an- 
schliessen muss, kann ich doch die Prämisse bezfiglich der 
Identität der Rüdewirkung auf das Nervensystem beim natür- 
lichen Geschlechtsverkdire und bei der Hibsturbation nicht ganz 
zugeben"). Erb bemerkt bezüglich dieses Punktes: ^^«i^t 
auf das Nervensystem muss doch für den Mann im wesentlichen 
derselbe sein, ob die Friktion der Glans in der weiblichen Vagina 
oder irgendwie sonst ausgeübt wird ; die nervüse Erschütterung 
bei der Ejakulation bleibt dieselbe; eher dürfte wohl anzundimen 
sein, dass beim Gebrauche eines Weibes die nervöse Aufregung 
noch grösser sei." Die Annahme wäre ganz zutreffend, wenn 
die Friktion der Glans das einzige bei der Kohabitation die 
Ejakulation herbeiführende Moment wäre. Dies ist aber nach 
meinem Dafürhalten gewöhnlich nicht der Fall. Es spielen auch 
psychische Einflüsse *) mit — die EindrUdce, welche der Anblick 
der weiblichen Person, die Berührung derselben, Zärtlichkeiten etc. 
hervorrufen, und die daran sich knüpfenden Vorstellungen; diese 
psychischen Einflüsse mangeln bei der Onanie, sie müssen er- 

*) Im «esentlidico, i. e. idi nfidite nidit behaapten, dass die SamenW' 
loste bei exzessiver Masturbation für die K(">rperOkonoinie ganz gleichgültig sind. 

Allein wir '^tnrl vtulruifip awksf-r >t,ni<3c /u beurteilen, welche BciJciituufj denselben 
zukommen mag, wahrt-nd die direkte nervcnschädigcndc Wirkung der mastur- 
batoriacheD Entidakie ganz xwdfelloa ist. 

Auch roa Scbrenk^Notxing und Rohleder babeo sidi gegfo die 
Anaabmc einer IdentitAt der Wirkutigeii des onaaistiachen Einzelaktes und des 
KnifTis auf ilrt-. Nerven^v^tem i\^ n^wr^r Zei* aTisfj^^prochon. Kr*tfrer Aiitor 
betont die intensive psycbiitciie Mitwirkung, weiche die Onanie erfordert, er bält 
«B auch fOr fraglich, ob rein körperlich BeiscbiaT und Masturbation gleichwertige 
Akte und. Robleder erachtet in mehrfacber Hinsicht die Onanie fllr acfald- 
Hdier als den in gleichem Masse betriebenen Koitus. 

') T'-ychische Momente können auch, wie viele Fälle präzipitierter Ejakakltioil 
zeigen, unter Umsliaden aliein die Ejakuiatioa herbeifübrcfl. 



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Onanie, 



145 



setzt werden durch sdilupfrige Phantasievorstellungen, also eine 
Phantasietätigkeit, die um so intensiver sich gestalten muss, je 
häufiger der ooanistisdie Akt geübt wird, je mehr die Erreg- 
barkeit des Ejakulationszentnims gesunken ist. Ich kann daher 
nicht umhin, anzunehmen, dass auch der Einzeleffekt des ona« 
nistiscben Aktes sich in gewissen Beziehungen von dem des 
normalen Geschleditsverkehrs unterscheidet und zwar nicht in 
vorteilhafter Weise. Aber dieser Unterschied ist immerhin 
nicht erheblich genug, um bei seltener geübter Masturbation 
und guter Konstitution ernsthaft in Betracht zu kommen 



'1 Wrnn schon der Vergleich des onanistischen Ehizelaktes mit dem 
normalen Gochlechtsvcrkohr im all(;cindnen zu Ungunsten de"? ersteren ausHÜIt, 
so rou'iS natürlich der Vergleich der Onanie mit dem normalen Ge^cblecht*.vcrkehr 
mit einer geliebten weiblichen Person sieb fiu erstcre noch ungünstiger geütaitcn. 
Der «eeHschen Befriedigung, die int ieuteren Falle mit der lomatiacfaea sidt ver« 
bindet und sicher incb für das körperliche Befinden nicht gleichgültig ist, — man 
berücksichtige nur, wie altere M;iikben nach glücklicher Verheil atutij; sich ver- 
jüngen — steht l)ci <ler Misturhalion jedenfalls das unerfreuliche Bewusstsein 
gegenüber, einen unnaiurlicheu Akt begangen zu haben. Auf der anderen Seite 
katm idi jedodi der «SMig geObten Onanie nidit jene naditeilig^n Snwirkangeii 
auf den Chaiaktcr de» Indifidmiina nadireibeD, den dieselbe iiadi v. Schrenk- 
Notzing besitzen soll. Nach diesem Beobachter schädigt auch die massig geübte 
Selbstbefriedigung den Charakter des Individimms dadurch, ,,d,i«;s «ie die physio- 
K -i^chen Beziehungen zum anderen Geschlecht und damit eine der wichtigsten 
yucllea rar Bctitigung der Kilfte im iadiTidudlen und Nzialen Dasein an der 
WuemI anteigrilit (Etwloslgkeit elc.) und durch gewobt)heU»mlasig« Zflditnng 
der unphysiologischen Erregung einen triebartigen Charakter verleihen kann." Ich 
habe bisher nie finden krinnen, dass selten oder massig oeübte Masttirhation den 
Mmw für die Reize des weiblichen Geschlechts weniger empfänglich oder dem 
natArlidien Geiddeditivcrkehr abhold mac&t. Ifienand wird auch bebauptm 
können» dass duvdi die Ausbreitung der Masturbation die Zahl der Eheackllessungen 
in merklicher Weise Terriogcrt wird; eher Hesse sich etwas Derartiges noch 
von dem Verkehr mit Prostituierten behaupten. Die Gefahr, welche der Mastur- 
bation anter allen Ümständea anhaftet, ist darm begründet, dass dieselbe, da sie 
ein weiblicfaes Objekt nicht erheischt, jederzeit geübt werden kann und d^halb 
bei dersdben die Verleitnag stt Esxcssen viel grösser ist als beim natttrlichen 
Gcschleditsverkehr. Auch der Ärmste kann der Selbstbefriedigung im Übermass 
fr^ihncn. Anliallende nc-chr.nikung in der Selbstli'-fiiedigung crf>idert mehr 
WHlenskraft und mehr Selbstüberwindung aU Beschränkung im uurtimlen sexuellen 
Genuss; da die nötige Willenskraft Vielen fehlt, ebenso auch die Aufklftrung 
aber die Folgen roasturbatorisdier Exzesse» so entwickelt sich nur allzu oft aus 
der Terelnxeiten geleg^ntlidien Selbstbefiiedigung jener so sdiwer abstreifbare 
Hang^ wekher Leib und Seele «errüttet. 

l.»wnMd, S«xdeU-»«nr(|li* St&imfea. Vierte Aul. 1^ 



146 



Onaai«. 



bei onanistischen Exzessen ist derselbe dagegen für den Ge- 
samtelfekt wohl nicht belanglos. Jedenfalls aber resultiert die 
direkte nervenzerrüttende Wirkung der Onanie in der Haupt- 
sache aus den Erregungen des Nervensystems bei den Einzel« 
akten. Bevor die erschöpfende Einwirkung des einen Aktes 
sich durch Ruhe und Ernährung ausgetrlichcn hat, kommt die 
naclistc Erschüttcruni^, dctcn Einfluss um so nachltaltigcr und 
ausgebreiteter ist. als das noch geschwächte Nervi nss sti ni der 
Ausbreitung der neuen Erregung nur geringeren Widerstand 
entgegensetzen kann. So entwickelt sich alhnälilich ein neur- 
asthcnischer Zustand, der je nach besonderen Verliältnissen 
mehr in dem einen oder anderen Abschnitte des Nervensystems 
hervortritt oder gleichzeitig in verschiedenen Innervationsgebieten 
sich gehend macht. Hierbei kommt noch ein Umstand in Be- 
tracht. Im Gefolge masturbatorischer Exzesse wird öfters eine 
Hyperacmie der Schleimhaut der Pars j^rostatica der Harnröhre 
mit Hyperaesthesie beobachtet. Ob dieses Verhalten eine direkte 
Folge der mit den onanistischen Einzelakten einbergehenden 
Kongestionterung der Pars prostatica ist oder lediglich ein 
ncurasthenischcs, vom Lendenmark ausgehendes Lokalsymptom 
darstellt, steht dahin. Man darf aber jedenfalls annehmen, dass 
der in Rede stehende Zustand för das durch die onanistischen 
Exzesse schon direkt geschädigte Lendenmark eine Quelle 
weiterer Irritation bildet, durch welche dessen Ansprechbarkeit 
für zentrale und periphere Reize erhöht und damit das Auftreten 
von Erektionen und Pollutionen begünstigt wird. Durch letzteren 
Vorgang wird hinwiederum nicht nur die reizbare Schwäche des 
Lendcnmarkes, sondern auch die Erschöpfung weiterer durch 
Ahleiregun^' beteiligter ZeiUralteile gesteigert. Eine geuiclitige 
Rolle si)i( len aber aucli, wie wir sahen, in zahlreichen Fällen 
die i)svchiijchen Bcgleitmomente. Die schmerzlichen Gemüts- 
vorgänge, die sich oft mit grausamer I\cgclmässi|^keit an die 
stetig '^ich eincucinden Sünden des eingetieischten C)nanisten 
knüpfen, wirken duekt nervenerschöpfend, benachteiligen aber 
auch indirekt das Nervensystem durch Beeinträchtigimg des 
Schlafes, des Appetits und der Verdauung. Das fahle Aussehen vieler 
Onanisten möchte ich besonders auf letzteren Umstand bezieben. 



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Omnk. 



147 



Beim weiblichen Geschlechte ist die Onanie zweifellos 
weniger verbreitet als beim männlidien, im ganzen jedoch 
häufiger als gemeinhin von Laien und selbst von manchen 
Arsten angenommen wird. Ich muss in dieser Hinsicht auf 
Grund meiner eigenen Erfahrungen und der Mitteilungen, die 
ich von Seiten erfahrener Gynäkologen erhielt, Eulenburg 
völlig beipflichten Unleu^fbar .sj>ielt auch bei weiblichen PcrsoucTi 
angeborene neuropathische Disposition iiaufi|^ eine ursächliche 
Kelle, sofern sich diese in verfrühten sexuellen Regungen oder 
in einer übermässigen sexuellen Begehrlichkeit kundj^ibt, welche 
mangels natürlicher Befriedigimg zur Masturbation führt. Die 
fragliche Konstitution bildet zugleich eine sehr günstige Basis 
für die Entwicklung nervöser Folgezustände. Wo dieselbe fehlt, 
scheint die JVlasturbation nur selten und bei ganz exzessivem 
Vorgehen zu ausgesprochenen nervösen Störungen zu führen *). 

Was die Art der nervösen Erscheintmgen betrifft, die im 
Gefolge der Masturbation bei Frauen beobachtet werden, so 
handelt es sich vorwaltend um neurasthenische Symptome, die 
in ihrer Lokalisation und Ausbreitung einer gewissen Oberein- 
stimmung mit den beim Manne unter den gleichen Verhältnissen 
auftretenden nicht ermai^eln. In einem Teile der Fälle ent- 
wickelt sich die sexuelle Form der Myelasthenie, charakterisiert 
hauptsächlich durch Kreuz» und Rückenschmerzen, Hyper- und 
Parästbesien im Bereiche der Sexualorgane (Ovarie, Pruritus 
vulvae et vaginae etc.), vermehrten Harndrang und Blasentenes- 
mus, Coccygodynie, Schwäche und Parästbesien (Müdigkeit, 
Kältegefühle etc.) in den Beinen, dann das Auftreten von 



') Kröni;:j hSit meine Ansicht (Iber die Häufigkeit der Onanie beim 
weiblichen Gescblecbte für nicht zutreil'-mi. Er glaubt, dass die Masturbation 
btim «dUidien Gtwhteehte viel zn hTiuiig aiigcuonamen und in ihrer Wirkung 
weit iKbersdiitxt wird. Dengegenaber muss ich dtmai hinweisea, dasB, wie im 
Texte magj^jA&a ist, meine Ansicht sich nicht lediglich auf meine eigenen Er- 
fahrungen, sondern auch auf Mitteilungen erfahrener hiesiger Gynäliologen stQtxt. 

Die Bedeutttn^' der Konstitution fiii die Wirkungen der Onanie beim 
weiblichen Geschlechtc bebt auch Beard hervor. Er erwähnt« dass bei den 
krlAfgen und vollblStigen iri«dien Arbeitermidchcn die Mastarbation» auch wenn 
sie derselben viele Jahre hindurch ergeben sind, keinen wesentlichen Nachteil iUr 
ihre Gesundheit hervorruft. 

10' 

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148 



Onanie. 



Pollutionen. Wir haben an früherer Stelle erwähnt, dass bei 
der Frau beim sexuellen Akte mit dem Orgasmus ein Schleim- 
erguss aus den Genitalien erfolgt. Derartige ErgOsse — Polln- 
tionen — können ähnlich den Samenergüssen beim Manne bei 
weibikhen Personen, bei welchen sich infolge von Mastur- 
bation und ähnlichen sexuellen Schädlichkeiten eine reiibare 
Schwäche des Lendenmarkes (speziell des Ejakulationszentrums 
in diesem) entwickelt hat, unabhängig von sexuellem Verkehr 
durch psychische Reize, erotische Traumbilder, bei weiter fort- 
geschrittener Reizbarkeit der betreftenden Zentren auch durch 
sinnliche Vorstellungen im wachen Zustande (insbesonders durch 
willk irürhes Verweilen bei solchen, psychische Onanie") und 
schliesslich seihst durch mechanische Einwirkungen, Korper- 
erschütterung etc.. herbeigeführt werden. In letzteren Fällen 
sind die Pollutionen gewöhnlich nicht von Wollustgefühlen, 
sondern von unangenehmen, selbst peinlichen Sensationen be- 
gleitet, und es fehlen auch nicht die ungünstigen Rückwirkungen 
auf den AUgcmeinzustand oder einzelne besonders lästige neur- 
asthenische Symptome, die wir bei Mflnnem beobachten., Die 
masturbatorische Überreizung der genitalen Lendenmarkszentren 
kann auch zu einer Erschöpfung derselben f fihren, infolge welcher 
die Auslösung des Orgasmus und WoUustgeffihle beim sexuellen 
Verkehr sehr erschwert oder ganz unmöglich wird, ein Umstand, 
der für das dieliche Leben und vielleicht auch die Konzeptions- 
föhigkeit nicht ganz belanglos ist. Die durch Onanie hervor- 
gerufene Hyperästhesie der Vulva und des Scheideneinganges kann 
ferner bei Verheirateten unter dem Einflüsse von Koitusver- 
suchen zur Entwicklung eines Vaginismus und damit zu einer 
Erschwerung und selbst Verhinderung des ehelichen Verkehrs 
führen. 

Zu den angetuhrten Symptomen treten in vielen Fällen 
im Laufe der Zeit wie hei männlichen Onanisten Erscheinungen 
zerebraler und viszeraler Ncuiasthenie i K« )j)l'schinerzen, Schlaf- 
mangel, n< t vös-dyspeptischc iieschwcrdcn, Herzklopfen etc.), 
so dass nichi minder sich das Leiden zur allgemeinen Neurasthenie 
gestaltet. Doch ist es durchaus nicht notwendig, dass die £>• 
scheinungen der Lendenmarksneurasthenie eine gewisse Aus- 



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Onanie. 



149 



bildung erreichten, bevor Symptome einer Schädigung anderer 
Nervengebiete sich geltend machen. Das gleiche Verhalten 
haben wir bei Männern gefunden. Es können neurasthenische 
Femsymptome verschiedener Art, insbesonders zerebrasthenische 
Beschwerden, Kopfschmerzen, Abnahme der geistigen Arbeits- 
kraft, Verstimmung und Angstzustände auftreten, während spinale 
(oder sexuelle) Störungen nur in sehr geringem Masse vor- 
handen sind, oder auch ganz fehlen — nachstehende Beobachtung 
bildet ein Beispiel in dieser Richtung, — ausserdem können steh 
zu den neurasthenischen Beschwerden mannigfache hysterische 
EracheiDui^en gesellen. 

Beobachtung 24. 

Frl , Bcamlentochter, 20 Jahre alt, ist erblich belastet; beide 

Eltern sind nervös, ihr Grossvater von mütterlicher Seite starb in einer 
Irrenanstalt, eine Schwester derselben ist mit Agoraphobie und anderen 

Topophobien behaftet. Pat. ist von Jugend auf nervös und reizbar und 
leidet seit 5 Jahren nn Kopfschmerzen. Sie befand sich als Pensionärin 
in einem Institute, als der Kopfschmerz begann und wurde deshalb, 
zumal ausserdem Erschdnongen von Chlorose sich zeigten, von ihren 
Eltern nach Hanse genommen. Hier verlor sich der Kopfschmerz zwar 
nicht, doch trat derselbe in den ersten Jahren nicht sehr häufig und an- 
haltt-nd auf; allmählich stellte er sich jcdueh lulufiirer ein, zugleich nahm 
er an Inteasität, Dauer und Ausbreitung zu, so dass schliesslich auch 
das Gesicht, die Zahne und die rechte Halsseitc befallen wurden. Hierzu 
gesellten sich in den letzten Jahren weitere Störungen, ungenügender 
Schlaf, AngstzuStOnde und motivlose Wutanf&Ue, auch Anfälle von Ver* 
wirrlheit uud zwangfsinAssigcm Ausstossen von Schinipfwört- rn (Kopro- 
lalie). Den Angehungen wurde der Verkehr mit der Fat. immer s.chwerer, 
da der geringste Widerspruch bei ihr die heftigsten Ausbrüche, die mit» 
unter bis zu Gewalttätigkeiten gingen, herbeiführte. Die Pat. hat in den 
beiden letzten Jahren mehrmonatliche Kuren in Wasserheilanstalten ge- 
br. lucht; die zuletzt besuchte Anstalt verliess sie in verschlechtertem 
Zustande. 

St. pr. : Pat ist eine schlank gebaute, uberniitlelgrosse Persönlich- 
keit von guter Gesichtsfarbe und guter Allgemeinernahrung, die jedoch 
verschiedene Degenerationszeichen aufweist (Asymmetrie des Gesichtes 
tind S( hwächere Innervation der linken Ge.sichtshälfte etc.). In ihrem 
Benehmen macht sie den Eindruck eines be?ehtidenen, völlig wohl- 
erzogenen Mädchens. Bezüglich ihres augenblicklichen Befindens gibt 
sie folgendes an: Kopfsctunerz ist nicht beständig vorhanden, doch wenn 
derselbe fehlt, macht sich dafUr gewAfanlich umsoniehr ein Zustand 
innerer Erregung — Angst — geltend, der auch sonst zumeist vorhanden 
ist. Beim Aufenthalt in menschenerfaUten Räumen steigert sich diese 



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150 



Onanie. 



Angst gewohiilicli vnrubtrigcIuMid in sehr bc'dcutendein Masse. I>er 
Schlai' ist äclir mangeiiialt, auch weuii Beschwerden, die denselben ver* 
hindern konnten, fehlen, öfters macht sich eine gewisse Unruhe in den 
Annen und Beinen bemerklich. Der Appetit ist wechselnd, Stuhlgang 
in Ordnung, die körperliche Leistungsfähigkeit nicht herabgesetzt; im 
Bereiche der Sexualorgane ausser nicht sehr crhebhchem Pruritus vulvae 
keine Beschwerden. Pat. gesteht zu, eine Anzahl von Jahren Masturbation 
getrieben zu haben, sie will jedoch von der Qblen Gepflogenheit wieder 
abgekommen sein. Die Beobachtung der Kranken in der folgenden Zeit 
ergab jedoch, dass diese Angabe nicht ganz richtig war, die Pat. viel- 
mehr sich von ihrem unglücklichen Hange noch nicht völlig befreit hatte. 

Unter hypnotischer Behandlung, die in erster Linie auf Beseitigung 
des onanistischen i langes gerichtet war, stellte sich nach mehrfachen 
Schwankungen sehr bedeutende Besserung ein, die auch, soweit idi 
unterriditet bin, lange Zeit anhielt 

Im vorliegenden Falle unterliegt es kein«n Zweifel, dass die Pat 
bereits während ihres Aufenthaltes im Institute der Masturbation anheim* 

fiel und als erst»' dadurch verursachte Beschwerde Kopfschmerzen auf- 
traten (vielleicht infolge der Vorwurfe, welche sich die Pat. über ihr 
Tun machte); auch in der Folge beherrschten zerebrale Symptome 
vollständig das Gebiet Der nicht sehr erhebliche Pruritus war dent 
Anscheine nach durch eine leichte Vulvitis bedingt 

Nach von K r a 1" f t - H b i n g soll die durch Mast urliation, 
unphysiologischen Koitus (Congr. interr.), zuweilen auch durch 
Abstinenz quasi gezüchtete Neurose in ihrer Entwicklung einen 
ganz bestimmten Gang einhaUen. ,,Sie beginnt a) mit reizbarer 
Schwäche des Ejakulations;^cntrums in Gestalt von abnorm leicht 
und unter pathologischen Zeichen auftretenden Pollutionen. Es 
kommt dann weiter b) zur Ausbreitung der reizbaren Schwäche 
auf das ganze Lendenmark und c) weiter auf das Zentralnerven« 
System mit Einschluss des Gehirns." Bei der Entwicklung einer 
Neurasthenia spinalis diffusa macht sich nach des Autors Be- 
obachtungen zuweilen eine Obererregbarkeit des Erektions- 
Zentrums und ein peinlicher Zustand von Erethismus genitalis 
zugleich mit Klitorismus (analog dem Priapismus des Mannes) 
geltend. Hierbei handelt es sich um kontinuierliche Unruhe 
und Aufregung in den Genitalien, „peinliches GefOhl, Genitalwn 
zu haben", Brennen, Hitze, Vibrieren, Pulsieren etc. in Vulva 
und Vagina, einen Zustand, der zu hochgradiger psychischer 
Depression führt. ,,Die E.\j)Io! ation ergibt Tui L^eszcnz der 
kleinen Schamlippen, fast permanente Erektion der Klitoris, 



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Onuii«. 



15t 



heisse hyperämische Vagtmi, mit offenbar erweiterten und stark 
pulsierenden Arterien, meist auch Fluor". Des weiteren be- 
trachtet V. K rafft- Ebing die Pollution des Weibes immer 

als initiales Symptom einer funktionellen Erkrankung des Rücken- 
markes, die sich unter der fortdauernden shockarligen Ein- 
wirkung dieses Vorganges immer weiter zur Neurasthenia sexualis 
entwickelt. 

Der von v. Krafft-Ebing angenommene Entwicklungs- 
gang der Neurasth. sexualis mag für viele Falle von Mastur- 
bation und Congr. interr. bd weiblichen Personen ratrefifen, 
doch kann derselbe keinesw^s als die R^d betrachtet werden. 
Wir haben oben bereits gesdien, dass das Auftreten von Fem- 
symptomen bei Masturbantinnen nicht an dne gewisse Entwick- 
lung der Lendenmarksneurose gebunden ist, und wir werden 
spater bei Besprechung der Folgen des Congr. interr. erfahren, 
dass sogar sehr häufig neurasthenische Fernsymptunie zur Knt- 
wickkin<4 kommen ohne \'orhergang irgendwelcher Störungen 
seitens des Lendenniarks. Auch der Auffassung, dass die Pollution 
des Weibes immer Symptom einer funktionellen Erkrankung 
des Rückenmarks ist, kann ich nach meinen Erfahrungen und 
den m der Literatur zur Zeit vorliegenden Mitteilungen, auf 
welche ich an späterer Stelle eingehen werde, nicht beipflichten. 

Über die Art und Weise, in Acicher die masturbator Ischen 
Vorgänge beim Weibe nervöse Störungen herbeiführen, gehen 
die Ansichten auseinander. Manche Autoren (so Jolly und 
Strümpelli sind geneigt, die schädlichen \Virkuni;en haupt- 
sächlich den begleitenden psychischen Momenten iVorwiirfen 
oder Gewissensbissen über die lasterhafte Gewohnheit etc.) 
zuzu-^chreiben. Hcgar bezieht die üblen Folgen der Onanie 
beim Weibe auf die direkte lokale Reizung, welche selbst zu 
anatomischen Veränderungen, besonders Katarrhen und Hyper- 
trophien führen kann, und ausserdem. die hochgradige allgemeine 
nervöse und psychische Erregung, v. Krafft-Ebing leitet 
die Lendenmarksneurose der Masturbantinnen lediglich von der 
sexudKnervösen Oberreizung her; psyschischen Momenten ge- 
steht er lediglich die Bedeutung zu, dass sie die Weiterent- 



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152 



Onanie. 



Wicklung der Neurose zur allgemeinen Neurasthenie fördern. 
Nach meinen Wahrnehmungen spielt bei der Masturbation der 
Frauen das psychische Moment der rein somatischen Schädigung 
gegenüber eine sehr wechselnde und jedenfalls häufig nur eine 
untergeordnete Rolle. Auch sehr jugendliche Onanistinnen, die 
kaum ein Bewusstsein von der Bedenklichkeit ihrer Gewohnheit 
haben, bleiben von üblen Folgen, wie ich mehrfach sah, nicht 
verschont. 



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X. 

Der sexuelle Präventiv verkehr^). 



Es ist nicht zu leugnen, dass der sexuelle Präventivverkehr 

heutzutage bei allen Kulturvölkern eine Ausdehnung gewonnen 
hat, welche es zut (jenüge tcchtfertii^t, dass sicli die A-.zLe nui 
den gesundheitlichen Folgen desselben ernsthaft beschäftigen. 
In der Tat ist auch bereits seil einer Anzahl von Jahren dieser 
Modus geschlechtlichen Umganges Gegenstand zahlreicher medi- 
zinischer Arbeiten geworden, von welchen jedoch nur eine 
Minderzahl Anspruch darauf erheben kann, unsere Kenntnisse 
wirklich gefördert zu haben. Die Neurologen haben längere 
Zeit der Frage des Präventiv Verkehrs gegenüber Uterarisch eine 
aufTallende Zurückhaltung beobachtet, was nicht allein darauf 
curückzuführcn ist, dass man in den Kreisen derselben sich erst 
aUmähiich daran gewöhnen musste, auf den Fräventivverkehr 
(speaell eine Form desselben) als eine Quelle nervöser Schädi* 
gung die erfotderltche Aufmerksamkeit zu richten. Was manche 
abhielt, in der in Rede stehenden Angelegenheit sieb vernehmen 
2u lassen, war wohl auch der Umstand, dass in der Diskussion 
derselben von Ärzten und Laien Medizin, Moral und Sozial- 
politik in unglückseliger Weise verquickt worden waren. Um 
zu zeigen, wie dies kam, müssen wir etwas ausholen. 

In seinem am Ende des vorletzten Jahrhunderts (1798) ver> 
öffentlichten berühmten Essay „On the principles of population" 

*) Sexaetler PrSventivverkelir = Coitos v. Congresaiai reserviBtua. Con» 

giessus intcrniptus i^t jene Form des C. rciictv., wobei das Glied vor dem Ein* 
tttlte der EjftkuUtioo aus der Vngin» RDtfemt wird. 



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154 



Der sexuelle Präventivverkehr. 



empfahl bekanntlich M a 1 1 h u s , aiisg^ehend von der Tatsache, 
dass ein mit den vorhandenen Subsistcnzmitteln nicht in Ein- 
klang stehender Kinderreichtum Familien notwendig zum 
Paui)crismus führen müsse, als Mittel zur Besserung der öko- 
nomischen V^erhältnisse der unteren Volksklassc kluge Gewohn- 
heiten in Bezug auf die Ehe". Hierbei hatte er jedoch nur 
Hinausschiebung der Verheiratung bis zu einem die natürliche 
Fruchtbarkeit beschränkenden Alter und moralische Enthalt- 
samkeit im ehelichen Leben im Auge. Dass diese sehr wohl- 
gemeinten Malthus'schen Ratschläge bei den breiten Massen 
des Volkes in England oder anderweitig Eingang fanden und 
dadurch zu einer grossen praktischen Bedeutung gelangten, ist 
nicht ersichtlich. Dieser Umstand war es wohl| der eine Anzahl 
menschenfreundlicher und auf die Verringerung des Elendes, 
speziell der grossen Kindersterblichkeit in den unteren Volks- 
klassen bedachter Personen, Arste und Michtärzte veranlasste, 
dem Volke ein Verfahren im dielichen Leben zu empfehlen, 
dessen Ausführung nicht die grosse moralische Anstrengung er« 
heischt, wie die Malthus'schen Ratschläge, und von welchem 
man daher eine grössere Verbreitung erwarten konnte: den 
Priventivverkehr. Einzelne Arzte und Nichtärzte haben dann 
auch im Verfolge dieser Idee gewisse Mittel oder Verfahren als 
besonders dienlich empfohlen, die dann in der Folge wieder als 
unzuverlässig oder gesundheitsstörend erklärt wurden. Näher 
auf diese Details können wir hier nicht eingehen. Geht man 
von der Anschauung aus, die zweifellos ihre Berechtigung hat, 
dass die Empfdilung der moralischen Enthaltsamkeit im die- 
lichen Leben, selbst wenn dieselbe von Staatswegen oder von 
der Kanzel aus geschehen würde, keine Aussicht auf praktischen 
Erfolg in den unteren Volksschichten hat, dass aber unter allen 
Umständen etwas geschehen muss, um die nanicntlich in den 
Grosstädten horrende Kniderstert>Hchkeit und all das Elend, 
das hiermit zusainnienhänj^'l, zu verringern, so wird man in der 
Emplclilung des Präventivverkehrs nichts Unschickliches oder 
Unsittliches erblicken kennen, l'nleu^'bar bildet derselbe ein 
Milte!, das zur Verringermiy des Xotstcuules der unteren Klassen 
und der hohen Kindersterbhchkcit entschieden beitragen kann, 



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Der «esuelte Prtventivmkelir. 



155 



wenn auch keineswegs das Allheilmittel für alle sozialen Ge- 
brechen unserer Zeit, wie manche annehmen. 

Allein auch in den besser situierten Klassen verlangen schwer- 
¥riegende Rücksichten (die Gesundheitsverhftitnisse der Frau und 
z. T. der Kinder) in vielen Fällen zeitweiligen oder selbst 
dauernden Verzicht auf normalen geschlechtlichen Verkehr, so 
dass auch hier, da der Arzt mit der Forderung völliger Ent- 
haltung doch nur selten durchdringen wird, und diese auch bei 
Eheleuten häufig nicht ohne gesundheitliche Nachteile durch- 
führbar wäre, die Empfehlung des Präventivverkehrs des ge- 
ringeren Übels unter IJiTiständen zu einer Art N otw t- ndigkeit 
wird. Diese Anschauungen haben jedoch eine entschiedene, 
zum Teil geradezu fanatische Gegnerschaft gefunden. Die Not- 
wendigkeit einer Beschränkung in der Familie auf diejenige 
Kinderzahli „die man angemes.sen behausen, nähren, kleiden 
und erziehen kann", wird zwar ziemlich allgemein anerkannt, 
auch zugqgeben, dass die Gesundheit der Frau einer gewissen 
Berücksichtigung bedarf, allein das vom Neomalthusianismus 
empfohlene Mittel des Präventivverkehrs zur Verhinderung 
weiterer Konzeptionen als unsittlich und unnatürlich verurteilt. 
Hätte man sich hiermit begnügt, so könnte man es den ärzt- 
lichen G^nern des Neomalthusianismus nachsehen, sofeme eben 
über jede Angelegenheit verschiedene Meinui^en möglich sind 
und speziell über Fragen der Ethik in unserer, heutigen Gesell- 
schalt die Ansichten vielfach auseinandergehen. Allein die in 
Frage stehenden medizinischen Schriftsteller haben sich z. T. 
durch einen wahrhaft pharisäischen Eifer zu den ungeheuer- 
lichsten Behauptungen hinreisten lassen. Nach denselben soll 
der Neomalthusianismus geradezu die moraUschen Grundlagen 
unseres derzeitigen Staatswesens gefährden, eine Quelle der 
grössten Schcusslichkeiten, von wechselseitiger ehelicher Untreue 
anfangend bis zum Incest und Kindsiriurde bilden und ausser- 
dem cme Reihe körperlicher und geistiger Krankheiten herbei- 
führen. Dabei geberdeten sich einzelne dieser Autoren, als ob 
ihnen speziell die Natur ihre Satzungen anvertraut hätte und 
als ob ii^end eine andere Auffassung über das Naturgemässe 



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156 



Der lexuelle Präventivverkebr. 



und Sittliche als die ihrem beschränkten Gesichtskreise er- 
wachsene gar nicht möglich sei. 

Es ist erfreulich, dass wenigstens dieser widerwärtige Zelo- 
tismus in der ärztlichen Presse in neuerer Zeit verstummt ist; 
allein von einer streng sachlichen, den tatsächlichen Verhält- 
nissen in nüchterner Weise Rechnung tragenden Beurteilung 
der immensen hygienischen Bedeutung des Präventivverkehrs 
ist ein grosser Teil der Ärzte noch weit entfernt. 

Werfen wir einen Blick auf die Sachlage, so wie sich die- 
selbe bei uns präsentiert, so sehen wir, dass der Präventivver- 
kehr in den breiten Schichten der unteren Volksklassen, welchen 
die Empfehlung der ehelichen Klugheit in erster Linie galt, noch 
verhältnismässig wenig Eingang gefunden hat. Seine Anhänger- 
schaft gehört in der Hauptsache dem Mittelstande und zwar 
insbesonders den unteren Schichten desselben an. 

Fragen wir nach den Motiven, welche die erwähnten Kreise 
zur Annahme des Präventivverkehrs bestimmen, so lässt sich 
nicht leugnen, dass dieselben nicht durchgehends ethischer 
Natur sind. Der Horror mancher Frauen, welche ein oder zwei 
Kinder besitzen, vor weiterem Familienzuwachs und anderer vor 
Kindern überhaupt kann nur auf Abneigung vor den Unbequem- 
lichkeiten der Schwangerschaft und Furcht vor Beeinträchtigung 
ihrer äusseren Reize durch dieselbe oder Scheu vor den Un- 
annehmlichkeiten und Störungen, welche die Pflege und Er- 
ziehung weiterer Kinder mit sich bringen würde, zurückgeführt 
werden. Bei Männern spielt ebenfalls letzteres Motiv mitunter 
eine Rolle, häufiger wohl der Wunsch, den grösseren Aufwand, 
den ein weiterer Familienzuwachs erheischen würde, zu ver- 
meiden. Allein in der gros.sen Mehrzahl der Fälle lässt sich 
nicht verkennen, dass sittlich berechtigte Motive massgebend 
sind: der Wunsch, mit den vorhandenen, mehr oder minder 
beschränkten Subsistenzmitteln der Familie ein geordnetes, an- 
gemessenes Auskommen zu erhalten, oder Rücksichten auf die 
Gesundheitsverhältnisse der Ehefrau. Es ist sicher irrig, wenn 
man, wie Eulen bürg, die gegenwärtige Ausbreitung und stetige 
Zunahme des Präventivverkehrs einfach als eine Äusserung der 
Dekadenz betrachtet. Jeder, der ein offenes Auge für die sozialen 



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Der Mitteile PrtveaÜwcrkelu'. 



157 



Verhältnisse der Gegenwart hat, kann nur in diesen die Haupt- 
qudle des Präventiwerkehrs erblicken, und diesen gegenüber 
bedeutet derselbe nicht moralischen Niedergang, sondern eher 
das Gegenteil, eine Hebung des monüischen Niveaus. 

In ähnlichem Sinne bat sich Hegar xur Frage des Mai> 
thusianismus geäussert: „Soll die Fortpflanzung zweckmässig 
geregelt sein, so muss sie sich vor allem nach dem Alter und 
der Gesundheit der Eltern riditen. Aber auch Beschäftigung, 
Wohnort, äussere Mittel sind zu berücksichtigen. Das Richt^e 
ist nicht schwer zu finden. 

„Man ist auch In den gebildeten Klassen unseres Vaterlandes all* 
mflhiich 2U einem Einblick in diese Verhaltnisse und zu richtigen An> 

schauungen gelangt. Dagegen ist bei der Arbeiterklasse und liesonders 
bei der Fnhrilcbevölkcnmg nichts davon zu merken, und das atis der 
rücksichtslosen Befriedigung des Geschlechtstriebes hervorgehende Un- 
heil enorm. 

Man kann den Untergang der Familien genau verfolgen. Solange 

nicht mehr als zwei bis drei Kinder vorhanden sind, geht alles ganz guL 

Die Frau hilft dur<h I^r-chriftigiüi-^ in und nussfr dem Hause dem Ver- 
dienste des Mannes etwas nach. Die Kinder sind ^ut gen.lhrt, sauber 
gehalten. Sowie jene Zahl übersehritten iät, tritt fast stets ein Umschwung 
dn. Die Mutter ist kaum noch imstande, ihren Haushalt zu besorgen, 
geschweige denn noch etwas nebenher zu erwerben. Die Kinder laufen 
verlottert herum, d- i- Maim vM liei t jedrii Halt und wandert zur Sehnaps- 
kneipe. D;is Endi- vnm Lied ist [;e\v<>hiili< h, da^s dir Frau ins Hospital 
geht, oft auch stirbt, der Manu verkouiuit, nicht selten durchgeht, und 
die Kinder der Gemeinde zur Last fallen." 

Wenn wir nunmehr in der Literatur Umschau halten, um 
zu ersehen, was bisher iiber den Einliuss des Malthusianisinus 
auf die (iesundheits Verhältnisse ermittelt wurde, miissen wir der 
Begrenzung unseres Themas entsjjrechend unsere Aufmerksam- 
keit hauptsächlich den Einwirkungen auf das Nervensystem zu- 
wenden. Die ersten Mitteilungen über durch Präventivverkehr 
verursachte Krankheitszu->tände stammen von amenkani-^chen 
Ärzten, denen allerdings auf diesem Gebiete ein sehr aus- 
gedehntes Beobachtungsmaterial zu Gebote steht. Gaillard 
Thomas (New- York) erwähnt in seinem Handbuche der Frauen- 
krankheiten, dass der Gebrauch antikonzeptioneller Mittel oft 
Ursache von Uterinleiden wird. Min anderer amerikanischer 
Gynäkologe, GoodcU» machte auf Verlängerungen der Cervix 



158 



Der sexuelle Prlventiwerkebr. 



uteri, als Folge einer durch Präventivverkehr erzeugten Kon- 
gestion aufmerksam. Im Anschlüsse an diese Mitteilungen be- 
richtete Valenta (Laibach) über Beobachtungen an Frauen, 
die nach glücklicher Geburt von zwei bis drei Kindern, obwohl 
in günstigen Lebensverhältnissen befindlich, zur Verhinderung 
weiterer Konzeptionen den C. reservatus und zwar vorwaltend 
in der Form des Congressus intcrruptus geübt hatten. Mit der 
Sterilität sah Valenta hier mehr und mehr „das Heer hysterischer 
Erscheinungen", genauer eine sich immer mehr steigernde Nervo- 
sität, von Seiten der Sexualorganc kolossale Hyperämie der 
etwas vergrösserten Gebärmutter, Erosionen um den Mutter- 
mund etc. auftreten. Valenta erklärt diese Zustände durch 
die Annahme, dass die beim C. reserv. erzeugte Kongestion des 
Uterus und der Scheide nicht mehr gelöst wird, daher die Teile 
kongestioniert bleiben. 

An die Veröffentlichungen Valentas reihten sich alsbald 
z. T. in rascher Folge weitere ärztliche Publikationen von Nicht- 
neurologen, die sich in erster Linie mit den Schädigungen des 
Nervensystems durch den Präventivverkehr, in specic den 
Congressus interruptus, teilweise auch mit den Einwirkungen 
desselben auf die Sexualorgane bei beiden Geschlechtern be- 
schäftigten (Bergeret, Panthel, Stille, Hasse, Capell- 
mann, Mettenheimer, Mantegazza, Taber Johnson, 
Food Thompson, Lindner, Payer u. a). Als nervöse 
Leiden, die durch den Congr. interr. verursacht werden sollen, 
wurden angeführt : Hysterie, Neurasthenie, Hypochondrie und 
selbst Psychosen. Mantegazza will auch organische Rücken- 
markskrankheiten auf das Konto des Congr. interr. setzen. 
Als örtliche Folgen im Bereiche der Sexualorgane und deren 
Nachbarschaft bei Männern finden sich erwähnt: Harnröhren- 
katarrhe, Prostatalcidcn, Impotenz (Bergeret), passive Hyper- 
ämie des Genitalapparates und seiner Adncxa, Varicocele, Hä- 
morrhoidalzuständc, Blasenkrampf (C. Hasse). Es fehlt aber 
auch nicht an Stimmen, welche die behaupteten üblen Folgen 
des Präventivverkehrs bestreiten (Stille, Food Thompson). 

Im i^anzcn in objektiverer und kritischerer Weise als von 
den meisten der im vorstehenden angeführten Autoren wurden 



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Der Mindk PilT«DtiTtrcifcdir, 



159 



von Anbeginn an die Folgen des Congr. interr. fOr das Nerven- 
system von neurologischer Seite beurteilt. Beard, der sich 
zuerst Ober die Angelegenheit äusserte, bemerkt : „Eine unnatür- 
liche Art des Koitus und zugleich eine sdiädliche Gewohnheit 
mancher Leute ist diejenige, den C. vorzeitig zu unterbrechen; 
manchen Individuen erwächst wohl hierdurch kein wesentlicher 
Schaden, auch wenn sie jahrelang dieser Gewohnheit obliegen, 
doch in Fällen bedeutender Nervosität erfolgen hierdurch hoch- 
gradige funktionelle nervöse Störungen, die wohl mit der Zeit 
und durch eine entsprechende Therajjic fast gänzlich behoben 
werden können." H i r t (Breslau 1 erwähnt, dass in der Rhe bei 
sonst geregeltem Geschlcchtsvcrkehre durch den C. interru[itus 
Gelegenheit zur Entwicklung neurasthcnischer Erscheinungen 
g^eben ist, und dass nur relativ wenige Männer jahrelange 
Ausübung des C. interr. ungestraft ertragen, v. Hösslin hält 
es für ausser Zweifel stehend, dass der Congr. uiterr., wenn der- 
seU>e nicht zur völligen Befriedigung führt, nervöse und speziell 
ncurasthenische Beschwerden, vorwiegend im Bereiche der Sexual- 
organe hervorrufen kann; doch glaubt er, dass die Fälle, in 
welchen der Nachweis geliefert werden kann, dass der Congr. 
interruptus die ausschliessliche oder vorwi^ende Ursache einer 
Neurasthenie war, verhältnismässig sehr selten sind, v, Krafft- 
Ebing fand unter 114 Fällen von Neurasthenia sexualis bei 
Männern nur einmal Congr. interr. als Ursache und zwar bei 
einem Belasteten. Bei der Frau betrachtet der Autor den Congr. 
interr. (wie überhaupt den unphysiologischen Koitus) als eine 
der Masturbation in ihrer Wulvun^ gleichwertige, sehr wichtige 
Ursache der sexuellen Neurasthenie. Merkwürdig divergent lauten 
die Angaben der Berliner Autoren. Oppenheim hält die atio- 
lr>gische Bedeutung des Congr. interr. für die Neurasthenie für 
nicht genügend sicher gesteilt, während Eulenburg (1895) 
demselben bei gewohnheitsmässiger Ausübung einen schädlichen 
Einfluss auf das Nervensystem entschieden zuerkennt und be- 
merkt, dass ihm in den letzten 10 Jahren in „fast erschreckender 
Häufigkeit'* Fälle entgegentraten, wobei auf Befragen oder auch 
spontan die gewohnheitsmässige Ausübung des Coitus rcscrvatiis 
als mitwirkendes oder (wohl mit Unrecht) sogar als alleiniges 



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160 



Der Mineile Präveotivvcrkelir. 



ätiologisches Moment angeschuldigt wurde. Für bringer hin- 
wiederum vermochte bei seinen Kranken nachteilige Wirkungen 
seitens der in Frage stehenden Art des Präventivverkehrs viel 
seltener zu konstatieren. Er gesteht zu, dass in einem Teile 
seiner Fälle während der andauernden Gewohnheit sexual-neur* 
asthenische Erscheinungen sich mehr und mehr ausprägten. 
„Allein diesen Fällen steht eine grössere Zahl solcher gegenfiber, 
welche den unvollständigen Geschlechtsverkehr ohne wesentliche 
Rückwifkung viele Jahre lang ertragen. Und was noch wichtiger, 
die Patienten, von denen keiner an pathologischen Samen- 
verlusten litt, vermochten nicht anzugeben, dass die Zeiten, in 
denen der genannte Usus herrschte, gegenüber den ebenfalls 
langen Phasen, während welcher zum Kondom gegriffen wurde, 
eine anders geartete Wirkung geäussert." Ffirbringer arg' 
wöhnt daher, dass der Congr. intern fast nur bei bereits vorher 
au^sprochener reizbarer Schwäche des Nervensystems be- 
deutungsvolle Verschlimmerung auszulösen geeignet sei. „Die 
Gewohnhdt — der Exzess schadet, nicht die „Unnatur" des 
Einzelaktes.** >). 

Auf den Congr. interr. als eine Ursache der An^^vst^ustände, 
welche sich insbesonders bei Neitrasthcntschen und I l\'sterischcn 
finden (Angstneurosc Freud), hat zuerst Freud die Aufmerk- 
samkeit gelenkt. Der Autor hat bei seiner ersten Mitteilung 
über diesen Gegenstand zugleich erwähnt,^ dass der unvoll- 
Ständige Verkehr für die Frau nur dann zur Schädlichkeit wird, 
wenn dieselbe hierbei keine Befriedigung findet, i. e. der Koitus 
vor dem Eintritt des Orgasmus bei ihr unterbrochen wird. 
Auf diesen Umstand habe ich schon in der ersten Auflage dieser 
Schrift hingewiesen. 



1) Auch He gar Sussert sidi besfiglicb der Fragen des PriventiTverkehn 

mit Einschtuss des Congr. intcrr. bei Flauen sehr /.iirfickh.iHciuJ. ,,Der Gebrauch 
der I'r;i--(.'i vativinittcl", liemerkt er, „und andtn r ilio K(iii/c(jtii>n verhindernder 
Vci fahren ist wenigstens für juoge Frauen schudlich und bedingt Zustände der 
Blntleere, sowie nerrdser Schwäche und Erregtheit, jedoch Bur lehen erkehüdieie 
Störangen, ww «och daraus hervoTfeht, das» die Sterblidikeit der verhcinteten 
Frauen ge^^cnüber der der ledigen in Frankreich eine geringere ist als io anderen 
Ländern." 



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Der »esudle PlftventitrTerkclif. 



161 



Für den Mann soll der Congr. interr. nach Freud tat 
Schädlichkeit werden« wenn derselbe, um die Befriedigung der 
Frau 2U eraelenj die Ejakulation willkürlich venögert *), und als 
Folge selten reine Angstneurose» md$t eine Vermengung der- 
selben mit Neurasthenie auftreten. 

V. T schieb (Dorpat) fand in 17 Fällen von Neurasthenie 
Congr. interr. als ausschliessliche lirsachc ; erbliche Prädisposition 
fehlte in allen 1 alli n. Besonders bemerkenswert ist dabei nc)ch 
der Umstand, dass die neurasthenischen Erscheinungen bei fast 
allen Kranken sich schon nach zweimonatlicher Übung des in 
Frage stehenden Präventivverkehrs einstellten. Unter den Symp- 
tomen waren besonders prägnant ; Furchtsamkeit, An'^stziistände 
und peinliche Gleichgültigkeit gegen die l'mgebung. Unter 
56 weiteren Fällen von Neurasthenie, in welchen Congr. interr. 
neben anderen ätiologischen Momenten figurierte, waren 29, in 
welchen die Kranken über Angstzustände klagten. Aufgeben 
des schftdigenden Modus des Präventivverkehrs erwies sich in 
allen Fällen wohltätig Dass der Congr. interr. zu den Ursachen 
der neurotischen Angstzustände zählt, wurde von mir ebenfalls 
in einer früheren Arbeit bestätigt. 

Nach Gattel, der sich im wesentlichen den Freud'schen 
Ansicht«! ansdiliesst, spielt der Congr. interr. eine wichtige 
Rolle in der Ätiologie der Angstneurose (im Freud'schen Sinne) 
Ruver berichtet über 3 Fälle, in welchen im Gefolge von Congr. 
interr. psychische Depression mit Angsttuständen in Verbindung 
mit erheblicher Abnahme des Kor pergewichtes auftrat. 

Auch unter den Gynäkologen hat in den letzten Jahren 
eine vorurteilsfreiere Beurteilung' der sozialen Bedeutung des 
Präventivverkehrs und seiner gesundheitlichen Folgen sjieziell 
für die Frau Platz gegrifien. Krönig hat sich Hegar's und 

*) Wir mttiwn hia schon beifigfn, da» diese Ansicht unseren Erfahmogeo 
Didkt enlspriebt; nacb denselben ksna der Congr. interr. fttr den Mann enr SdiSd* 
liebkeit werden, auch wenn bei demselben keinerlei «uf Hinanssdiiebatic der 

£jalcQlAtir>n iicriclitctf Künsteleien vcHlht werden. 

') Der gleiche Autor beritlilct .nith uber einen l all von Epilepsie bei 
einem 46jäbrigen Manne, bei welchem sich keine andere Noxa als seit einer 
Reihe Ton Jahren geübter Congr. interr. entdecken Uess ; er glaubt daher, letileren 
als Ursadie der Epilepsie in diesem Falle ansprechen su dOrfen. 

LSweafald, SenwU^amai« Stanmgcn. Vierte Avil. 1| 

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162 



Der Mmelle Prlventhrverkdir. 



meinen Anschauungen über die Notwendigkeit einer Beschränkung 
der Kinderzahi in jeder Familie schon mit Rücksicht auf die 
Gesundheitsverhältnisse der Frau und der Nachkommenschaft 
rflckhaltlos angeschlossen. 

Der Autor schildert in treffender Weise die Sysiphusarbeit, 
welche der Gynäkologe leistet, der einer durch viele Wochen- 
bette 2ur Ruine gewordenen Proletarierfrau zu einer Besserung ihres 
Gesundheitszustandes verhelfen will, „Kaum ist die Frau etwas 
gebessert in die Häuslichkeit zurückgekehrt» so wird sie wieder 
geschwängert, und meistens schcm während der Sdiwangersd»ft 
stellen sich die alten Beschwerden wieder ein. Ohne malthu- 
sianiscfae Vorkehrungen ist in solchen Fällen die Besserung des 
nervösen Zustandes unmöglich, ohne diese verfallt die Frau — 
besonders bei ungenügenden äusseren lilütteln — unfehlbar den 
schwersten Erschöpfungszuständen." 

Bevor ich nunrodir zur Darlegung meiner eigenen Be- 
obachtungen übergehe, muss ich einige Punkte berühren, deren 
NtchtberÜcksiditigung vielfach zu Sdilflssen geführt hat, die den 
tatsächlichen Verhältnissen nicht entsprechen. 

1. Wenn wir die Folgen des Präventiwerkdirs für die Ge- 
sundheit der Beteiligten ermitteln wollen, dürfen wir — selbst- 
verständlich, könnte man sagen, wenn dies nicht von ver- 
schiedenen Seiten übersehen worden wäre — nicht lediglich 
diejenigen Fälle ins Auge fassen, in welchen unsere arztliche 
Intervention wegen irgendwelcher im Laufe der Zeit hervor- 
getretener Gesundheitsstörungen in Anspruch genommen wurde. 
Wir müssen unseren Gesichtskreis vielmehr möglichst zu er- 
weitern suchen und nicht bloss alle diejenigen Fälle in Rechnung 
ziehen, in welchen znaegebencrniasscn der Präventivverkehr seit 
kürzerer oder läni^erer Zeit <^'cübt wird, sondern auch die noch 
grössere Anzahl derjenigen, in weichen man bei Mangel direkter 
Angaben doch nach Lage der Dinge zu der Annahme berechtigt 
ist, dass irgendwelche Präventivvorkehrungen gebraucht werden. 

2. Müssen wir in denjenigen Fällen, in welchen bei dem 
Präventivverkehr ergebenen Personen nervöse Störungen auf- 
treten, in sorgfältiger Weise nachforschen, ob und welche andere 
Umstände bei der Herbeiführung dieser Störungen im Spiele 



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Der Bexndle Fiftveotivmkebr. 



163 



waren, und soweit es angeht, den Emfluss dieser anderen 
Momente feststellen. 

3. Müssen vnr die Art des Präventivverkehrs, die Häufig' 
keit desselben im Verhältnis zum Lebensalter und der Konstitution 
der Beteiligten, endlich die begleitenden Umstände in Erwägung 
ziehen« 

Meuie Erfahrungen ergeben bei Berücksichtigung dieser 
Punkte, dass selbst lange Zeit geübter Präventiwerkehr nur bei 
einem kleinen Prozentsätze von Männern gesundheitliche Nach- 
teile zur Folge hat. Hierbei ist zunächst allerdings die Art des 
Präventiwerkchrs nicht in Betracht gezc^en. Diejenigen Formen 
desselben, wobei die Frau die Reservation auf sich nimmt, wie 
z. B. beim Gebrauche des Pessarium occlusivum, von Schwämmen 
u. dergl., können natürlich für den Mann irgendweldie Nachteile 
an sich nicht haben. 

Auch von dem Gebrauche der Kondoms habe ich bei Männern 
bisher ausgesprochene gesundheitliche Nachteile nicht ermitteln 
können, und solche sind auch von anderer Seite nicht k<»istatiert 
worden. Die Abstumpfung der Empfindung, welche die Benützung 
derselben Ijedingt, mag den Genuss beim Aktus vermindern, unter 
Umständen auch — bei wenig potenten Männern — eine grössere 
Anstrengung erheischen, doch scheint letzterer I ni stand bei 
massigem, i. e. lediglich einem ausgesprochenen Bedürfnisse 
entsprechenden sexuellen Verkehr keine unt^ünstigcn Nach- 
wirkungen zu hinterlassen. Die Schädigungen der Gesundheit, die 
ich als Folge des Präventivveri<chrs bei Männern beobachtete, 
beziehen sich lediglich auf den Congressus interruptus. Für die 
Frau ist der Präventivverkehr an sich von ungleich grosserer 
hygienischer Bedeutung als für den .Mann, weil dieselbe die 
natürlichen Folgen des fruchtbaren Geschlechtsverkehrs allein 
zu tragen hat. Die Frage, ob Frauen häufiger als Männer durch 
den Präventivverkehr Schaden an ihrer Gesundheit erleiden, 
muss ich unentschieden lassen, weil es an jeder zti verlässigen 
Grundlage für die Beantwortung derselben fehlt; doch kann 
ich nach meinen Erfahrungen nicht glauben, dass der Prozent- 
satz der Frauen, bei welchen die Prävention einen ausgesprochen 
ungünstigen Einfluss in sanitärer Hinsicht äussert, bedeutend 

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164 



Der sexuelle Präventivverkehr. 



grösser als der der Männer ist. Wie dem aber auch sein mag, 
den Fällen mit nachteiligen Wirkungen steht eine jedenfalls 
sehr bedeutende, sicher ungleich grössere Zahl solcher gegen- 
über, in welchen von Haus aus schwächlichen oder durch 
frühere Geburten oder Krankheiten entkräfteten Frauen die Prä- 
vention sich von ganz eminentem Nutzen zur Erhaltung eines 
leidlichen Gesundheitszustandes sowie zur Vermeidung ent- 
schiedener Lebensgefahr erweist. 

Dabei dürfen wir auch nicht übersehen, dass in den Fällen, 
in welchen der Präventivverkehr nicht ohne ungünstige Wirkung 
in der einen oder anderen Richtung bleibt, der normale Ge- 
schlechtsverkehr mit den sich daran knüpfenden mehr oder 
minder zahlreichen Schwangerschaften, Wochenbetten etc. 
wenigstens sehr häufig für die Frau noch ungleich erheblichere 
gesundheitliche Nachteile bringen würde. Die Art der Prävention 
ist aber auch bei der Frau nicht gleichgültig. Der Gebrauch 
der Okklusivpessarien und ähnlicher Vorrichtungen behindert 
den Eintritt der Befriedigung beim Actus in keiner Weise und 
kann daher direkt zu nervösen Störungen nicht führen. Dagegen 
soll das längere Verweilen der Okklusivpessarien im Scheiden- 
raume in manchen Fällen örtliche Afiektionen verursachen; 
eigene Erfahrungen über diesen Punkt besitze ich nicht '). 

Der Gebrauch von Kondoms kann bei genügender Potenz 
des Mannes der Frau ebenfalls keinen Schaden bringen, da 
derselbe die Auslösung des Orgasmus nur etwas erschweren 
(bei nicht sehr erregbaren Frauen), aber nicht verhindern kann. 
Meine eigenen Erfahrungen über nachteilige Wirkungen des 
Präventivverkehrs auf das Nervensystem betreffen auch bei 
Frauen nur den Congr. interr , und auch dieser gestaltet sich 
zur Noxa für die Frau offenbar nur in den Fällen, in welchen 
wegen unzulänglicher Potenz des Mannes oder geringer Erreg- 
barkeit der Frau die Unterbrechung des Aktes vor der Auslösung 
des Orgasmus erfolgt. Die Entstehung von lokalen Veränderungen 
im Sexualapparate durch den Präventivverkehr als solchen scheint 
von denselben Bedingungen abzuhängen wie die der nervösen 



'} Kn'inig erwähnt, dass durch den Gebrauch von Okklasivpessarieo bei 
manchen Krauen Scheidcnkatarrhe entstehen. 



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165 



Polgezustände. Erfahrene Gynäkologen sprachen sich auch mir 

gegenüber dahin aus, dass der C. reserv. nur dann zur Entwick- 
lung von Sexualleiden Anlass gibt, wenn die Frau hierbei keine 
sexuelle I?efriedigung findet, also jedenlalis nur m einem 1 eile 
der Fälle^). 

Hinsichlich der Rolle, welche der Präventivverkehr aU 
Ursache neurasthenischer Zustände im Vergleiche mit anderen 
nervenzerrOttenden Momenten spielt, muss ich konstatieren, dass 
bei dem von mir im Laufe der Jahre beobachteten Materiate 
von Nerventeidenden beider Geschlechter neben dem Einflüsse 
geistiger und körperlicher Anstrengungen, von Sorgen und Auf> 
regungen, der Onanie und schmerzhafter oder die Konstitution 
schwächender Krankheiten der des Präventiwerkehrs im ganzen 
zwar bedeutend zurücktritt, in neuerer Zeit sich jedoch von 
Jahr zu Jahr mehr beroerklich macht. Es hängt dies jedoch 
nicht lediglich mit dem Umstände zusammen, dass ich dieser 
SdiädUchkeit in den letzten Jahren eifriger nachgeforscht habe, 
sondern zweifellos zum Teile auch damit, dass der Präventiv- 
verkehr in neuerer Zeit auch in Kreisen Eingang gefunden hat, 
welche sich früher durch Kinderreichtum auszeichneten (^Lehrer, 
Kleingewerbetreibende, Arbeiter, Landbevölkerung}. 

Da nicht nur über die Bedeutung des Congress. interr. als 
nervenschädigendes Moment, wie wir im Vorstehenden sahen, 
sondern auch über die Art der hierdurch verursachten nervösen 
Störungen gegenwärtig noch erhebliche Meinungsverschieden- 
heiten bestehen, so erscheint mir die Mitteilung eines grösseren 
Beobachtungsmaterials angezeigt, bei welchem die ätiologischen 
Verhältnisse in gleich eingehender Weise wie die klinischen Er- 
scheinungen festgestellt wurden. In nachstehender Tabelle sind 
50 Fälle meiner eigenen Beobachtung zusammengestellt, welche 
zur Klärung der Frage nach der ätiologischen sowohl als der 
symptomatischen Seite beitragen werden. 



•) Bcrocrken-iwert ist, dass K r -"i n i ^ in L^-ipri;;. nlnmhl in Sachsen nach 
seiner £rf«brung der Congr. interr. sehr verbreitet ist, niemals in der Lage war, 
nit Sidierhdt ctwi^e lokate StOnmg^n oder amOw EndMimnigM dincr Art 
des FrtvenlivTerkclirs cumschrab««. 



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Zeitweilig auch Ah 
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Congr. interr. seit 8 
1 9 Jahren. 


Seit Geburt des ers 
Kindes mit Ausnali 
der Zeit w.ihrend 
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Congr. interr., se 
starke Libido, dah 
nicht häufiger Verk 
aus r Urem sicn 
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174 



Der sexuelle Pr&veotiTTerkebr. 



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Der sexueUe Präveativverkehr. 



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176 



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Der sexuelle Präventivverkehr. 177 









Heilung. 


Besserung. 


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Wiederaufnahme 
Congr. interrupti 
sofortige erheblic 
Verschlechterung 



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Erbliche Belastung 
wahrscheinlich. 


Geringe erbliche Be- 
lastung. Die erste Ent- 
bindung sehr schwer 

(Elklampsie, Zangen- 
geburt unter Chloro- 
formnarkose). Die 2. 

Entbindung normal. 


Erblich belastet, schon 
alsKind nervenschwach, 
als Mädchen etwas cblo- 
rotisch. Schwere Er- 
holung nach den Ge- 
burten. Menses sehr 
reichlich. 




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;iratet seit 
4 Kinder, 

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28 Jahre, 
verheiratet 
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178 



Der sexuelle PrävcntiTTerkehr. 



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180 



Der lesnelle P tly grt ivwfk^f. 



Von den in der vorstehenden Tabelle angeführten 50 Fällen*) 
betreflfcn 35 Männer, 15 Frauen. Die Angabe „Heilung" in der 
5. Rubrik wurde nur in Fällen gemacht, in welchen längere 
Zeit, zum Teil jahrelang das Ausbleiben der bei der Aufnahme 
vorhandenen Stüruni^en konstatiert werden konnte. In den 
übrigen Fällen, in welehcn icli über den weiteren Verlauf unter- 
richtet bin, wurde, auch wenn das Befinden des Patienten bei 
Austritt aus der BehandlunLj. re.sp Beobachtung ein ganz be- 
friedigendes war, nur Besserung angenommen. Wenn wir niln 
zunächst die Ätiologie der Fälle, welche Männer betreffen, näher 
ins Auge lassen, so finden wir, dass nur bei einem i'eringen 
Teile derselben der Congr. interr. die ausschliessliche Ursache 
der angeführten Störungen bildet; bei einem grösseren Teile 
figuriert neben der in Frage stehenden sexuellen Noxa erbliche 
Belastung, und in einer weiteren Gruppe von Fällen Hessen sich 
noch andere ätiologische Faktoren ermitteln. Solche bestanden 
auch bei einem Teile di r Fiille, in welchen erbliche Belastung 
mangelt oder fraglich ist. Die Rolle dieser Faktoren — körper> 
liehe und geistige Überanstrengung, gemütliche Erregungen, 
akute AUgemetnkrankheiten und allgemeine Ernährungsstörungen 
— ist eine verschiedene. Nur bei einem kleinen Teile der 
Patienten handelt es sidi um mit dem Congr. interr. gleichzeitig 
und gleichsinnig wirkende Momente oder um Noxen, deren 
Einwirkung der Übung des Congr. interr. vorhergegangen und 
bis zum B^inne desselben ohne ausgesprochene nervöse Folgen 
geblieben war; bei den meisten Patienten hatte der Congr. interr. 
bereits längere oder kürzere Zeit seinen schädigenden Einfluss 
auf das Nervensystem ausgeübt , bevor weitere Noxen zur 
Einwirkung gelangten, die dann das Mass sozusagen voll machten. 
In manchen Fällen führte das Hinzutreten weiterer Schädlich- 
keiten sofort zur Entwicklung nervöser Beschwerden; insbe- 



1) Seit der VerOffientUchung obiger Tabelle In der i. Attflige iit die Zdil 
meiner Beobadiltuigeo, In welchem Codbt. interr. als nenrcnadihMgendea Moment 

sich erwies, so erheblich gestiegen, das* ich die mitgeteilte Zahl verdoppeln 
könnte. Ich i-ehe jedoch von weiteren Mitteilungen hier ab, da die in den 
letzten Jahren von mix beobachteten FäUe in Ätiologischer und symptomatologiscber 
Hinsicht nichts Neues ergaben. 



V 



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Der Mxaelle Priveiitiweikdir. 



181 



sonders bei schweren gemütlichen Erregungen und akuten AU- 
gemeinkrankheiten (Influenza) b^egnen wir diesem Verhalten, 
und es ist begreiflich, dass in solchen Fällen der Pat. keinen 
Zweifel hegt, dass sein Leiden von den in Frage stehenden 

Noxen allein herzuleiten sei. Bei anderen Pattenten äussern die 

hinzutretenden Schädlichkeiten nicht diesen direkt auslösenden 
Einfluss; sie führen nur ^anz allmählich zur Ausbildung nervöser 
Störungen. Was den unmittelbaren Effekt des einzelnen Aktes 
auf das Befinden der männlichen Patienten anbelangt, so mangelt 
es, wie wir sahen, nicht an solchen, welche früher oder später 
fühlen, das.s ihnen diese Art des Verkehrs nachteilig ist; in der 
grossen Mehrzahl der Fälle fehlt jedoch die unmittelbare un- 
günstige Beeinflussung des Befindens, oder dieselbe ist so uner- 
heblich, dass darauf keinerlei Gewicht gelegt wird, so dass die 
Patienten weit davon entfernt sind, einen Zusammenhang ihres 
nervösen Zustandes mit der geübten Prävention anzunehmen 
oder auch nur zu vermuten. 

Betrachten wir die in der Tabelle angeführten Beobachtungen 
nach der symptomatischen Seite, so sehen wir, dass die Er- 
scheinungen der einzelnen Fälle zum Teil sehr bemerkenswerte 
Unterschiede darbieten und auf Grund dieser sich mehrere 
Gruppen absondern lassen. 

Bei der ersten sehr kleinen Gruppe (5 Fälle) handelt es 
sich fast lediglich um Störungen, welche der Sexualsphäre an- 
gehören (Abnahme der Libido, mangelhafte Erektionen, präzip. 
Ejak., Spermatorrhoe); nur in einem dieser Fälle b^tand neben* 
bei noch eine andere myelasthenische Erscheinung (abnorme 
Müdigkeit der" Berne). Bei einer weiteren, ebenfalls kleinen 
Griipp)e (Beob. 26 — 29) begegnen wir dem umgekehrten Ver- 
halten ; Erscheinungen von Myelasthenie fast ohne jede Be- 
teiligung der Sexualsphäre; nur in einem dieser Fälle, der einen 
in den Jahren schon ziemlich vorgeschrittenen Herrn mit Diabetes 
betraf, bestand präzipitierte Ejakulation 

*) Ob die zerebraleil Encheinungen, welche io diesem F«lle «ettweilig auf- 
tnten — Schwindel and Kopfsdimerteii — als nettrastbeiiisdie lu betraditeD 
oder auf ArtcrioakfenMe xa besicheii siod« maas ich dahingestellt sein lassen« 



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182 



Der sexodle PrSventivTerkehr. 



Ein Fall dieser Grappe ist dadurch besonders bemerkens- 
wert, dass die myelasthenischen Beschwerden (Schwäche, MQdig- 

keit, Taubheitsgefühl) sich längere Zeit auf das rechte Bein 
beschränken, also eine ausgesprochene 1 leunncurasthenie vorlag. 
I m solche handelt es sich anschcinentl auch in Beob. 30; doch 
möchte ich hier die Annahme einer Hcminourasthenie nicht als 
so sicher begründet erachten wie in Beobachtung 2S, da »icr 
Fall nicht länjjere Zeit in meiner Beobachtung war. Die beträcht- 
liche Abnahme der Potenz bei dem betrcti'enden Patienten kann 
mit den Jahren zusammenhängen und spricht nicht für eine 
organische Affektion des Rückenmarkes. Bei der 3. Gruppe, die 
nur 2 Fälle umfasst, entwickelten sich als Folgen des Congr. 
interr. zunächst Erscheinungen von Myelasthenie, zu welchen 
sich im Laufe der Zeit noch Symptome zerebraler Neurasthenie 
gesellten (insbesonders Kopfbeschwerden und Angstzustände). 
An die erwähnten 3 Gruppen schlksst sich als vierte und 
Hauptgruppe, fast *}» der Gesamtzahl der Beobachtungen um- 
fassend, eine Reihe von Fällen an, in welchen Symptome der 
Zerebrasthenie oder der Angstneurose in dem von mir ange- 
nommenen Sinne, sowie der nervösen Herzschwäche nicht nur 
als erste Krankheitserscheinungen auftraten, sondern auch weit- 
aus prädominieren, myelasthenische Beschwerden dagegen zumeist 
(i. e. in '/i der Fälle) gänzlich fehlen und auch da, wo sie nicht 
mangeln, überwiegend erst im weiteren Verlaufe dts Leidens 
sich geltend machten, dabei auch nie eine besondere Intensität 
erlangten. Unter den zerehrasthcnischen Symptomen treten die 
Angstzustände durch ihre IPiufigkeit und Hartnäckigkeit ganz 
besonders hervor'); sie finden sich in der .Mehrzahl der l-^älle 
und zwar zum Teil in der Form einfacher inhaltsloser Angst- 
zustände, zum ieil in der Form der verschiedensten Phobien 
(insbesonders Nosophobien, Topophobien, Monophobie etc.). In 
einer Anzahl von Fällen Nr. 33, 35, 38, 59, 60, 64, 65 finden 
wir die Angstsymptome in einer Isolation, welche zur Auffassung 

') Auch in <kn FSlIeii von Congr. interr., di** kh >eit der Publikation 
obiger Tabelle io Ucr XI. Aufbge dieber Schrift beobachtet habe, bildeten Angst» 
<o«tA»d« und EncheiDuiigeii df r nervfisen Hensdiwlclit dit wdtsttl verhcmcbcn* 
den Symptom«. 



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Der sexuelle Präventivverkehr. 



183 



der betreffenden Fälle als Angstneurose berechtigt. Neben den 
Angstzustanden und mit diesen zumeist zusammenhingend be- 
gegnen wir in einem erheblichen Teile der Fälle Erscheinungen 
nervöser Herzschwäche (Anfällen von Herzpalpitationoi, Sdimerzen 
in der Herzgegend, Erscheinungen neurasthenischer Angina 
pectoris, Unregelmässigkeit des Pulses etc.). Die Beziehungen 
der nervösen Herzsymptomci zu den Angstzuständoi sind ver- 
schiedenartig; zum Teil bilden die Herzbeschwerden Folge- 
erscheinungen der Angstzustände, zum Teil gesellt sich aber 
auch die Angst erst sekundär zu den primär vorhandenen 
Herzst^ungen ; mitunter treten diese audi isoliert als Äqui- 
valente des Angstanfalles auf. Ungleich seltener als Angst- 
zustände findoi wir Zwangsvorstellungen im engeren Sinne. 

Ziehen wir nunmehr die Ätiologie der Fälle, welche Frauen 
betreffen, in Betracht, so finden wir hier neben dem Congr. 
interr. erbliche Belastung noch häufiger als bei den Männern; 
solche war bei mehr als V» der Fälle bestimmt nachweisbar 
und lässt sich in den verbleibenden 2 Fällen nicht sicher aus- 
schliessen. Daneben figurieren im ganzen weniger andere ätio- 
logische Momente als bei den Männern: gemütliche Erregungen 
und Blutarmut in je 2 Fällen, fieberhafte Erkrankung, Trauma 
(Fall auf den Kopf), Störung der Nachtruhe in je einem Falle. 
Auch nach der symptomatischen Seite zeigen diese Fälle un- 
gleich mehr Obereinstimmung als die der Männer. Eine in 
allen Fällen konstant wiederkehrende Erscheinung bilden Angst- 
zustände (einfach inhaltslose Angstanfälle und Phobien) oder 
Symptome der nervösen Herzschwäche, die als Angstäquivalente 
zu deuten sind. Den Ang st zuständen gegenüber treten andere 
zerebrasthenische Erscheinungen (Kopfschmerzen, Schlafmai^el 
etc.) weit zurück, myelasthenische Beschwerden fehlen fast voll- 
ständig und, was iK»ch besonders bemerkenswert ist, nervöse 
Störungen in der Sexualspbäre mangeln gänzlich* 

Beachtung verdient femer der Umstand, dass in 3 Fällen 
bei Frauen die Angstzustände und die gemütliche Depression 
einen Grad erreichten, dass wir die betreffenden Fälle dem 
Gebiete der Melancholie zuzuweisen berechtigt sind; ähnliche 



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184 



Der sexuelle Präventivverkehr. 



Beobachtungen mangeln dagegen unter den die Männer be- 
treffenden Fällen. 

Was den Verlauf der Erkrankung in den einzelnen Fällen 
und den Einfluss der Beseitigung des Congr. interr. in dieser 
Richtung betrifft, so findet sich unter meinen Beobachtungen 
eine grössere Zahl, in welchen Ersatz des Congr. interr. durch 
normalen geschlechtlichen Verkehr oder eine andere Art der 
Prävention unverkennbar günstig wirkte, zum Teil sogar ohne 
sonstige Behandlung zur Heilung führte. Es mangelt unter 
meinen Beobachtungen jedoch auch nicht an Fällen (namentlich 
bei Frauen), in welchen das Aufgeben des Congr. interr. erst 
nach längerer Frist, oder innerhalb der Beobachtungszeit über- 
haupt nicht die erwartete Besserung herbeiführte. Mitunter mag 
sich dieses Verhalten dadurch erklären, dass an Stelle des Congr. 
interr. eine andere sexuelle Schädlichkeit tritt. Mehrfach fand ich, 
dass die Patienten mit dem Verzicht auf den Congr. interr. eine 
grössere Einschränkung in dem geschlechtlichen Verkehr über- 
haupt sich auferlegten, in dem Glauben, derselbe schade ihnen, 
so dass also den Congr. interr. ein Zustand relativer Abstinenz 
ersetzte, welcher ebenfalls das Auftreten von Angstzuständen 
begünstigt. 

Bei langjähriger Übung des Congr. interr. kommt jedoch 
z. T. jedenfalls noch ein anderer Umstand in Betracht , auf 
welchen wir später noch näher zu sprechen kommen werden. 
Durch lange dauernde Einwirkung irgend welcher No.xen her- 
vorgerufene (oder mitbedingte) und unterhaltene neurasthenische 
Zustände können allmählich eine gewisse Unabhängigkeit den 
ursächlichen Momenten gegenüber erlangen und dann trotz Be- 
seitigung dieser fortbestehen. Dieser Satz scheint namentlich 
für die im Gefolge des Congr. interr. auftretenden Angstzustände 
Geltung zu beanspruchen. 

Dann verdient hier noch der Umstand Erwähnung, dass in 
den von mir beobachteten Fällen es nie zu gleichzeitiger oder 
sukzessiver Erkrankung beider Ehegatten infolge des Congr. 
interr. kam. Ich habe es nie unterlassen, bei den Männern, 
welche mich konsultierten, mich nach dem Ge.sundheitszustandc 
der Frauen zu erkundigen, und umgekehrt ; häufig kamen auch 



Der tcsuelle Pitvenliwerkelir. 



18S 



beide Ehegatten zu mir, so dass ich mich direkt an beide wenden 
konnte. Waren, wie es einige Male vorkam, beide Ehegatten 
mit nervösen Leiden behaftet, so Hessen sich dieselben doch 
immer nur bei einem der Gatten mit dem Congr. interr in Zu- 
sammenhang bringen. 

In welcher Weise kommen nun die mit dem Congr. interr. 
ursächlich zusammenhängenden nervösen Krankheitserschein- 
ungen zu Stande? Die Beantwortung dieser Frage bt von 
mandierlei Schwierigkeiten umgeben, nicht nur wegen der ver- 
schiedenen klinischen Gestaltung der einzelnen Fälle und der 
häufigen Komplikation der ätiologischen Verhältnisse, sondern 
auch wegen der Verschiedenheit im Ablaufe des sexuellen Aktes 
bei beiden Geschlechtern und zum Teil auch bei den Männern. 

Die im Gefolge des Congr. interr. bei Männern auftreten- 
den neurasthenischen Zustände hat Peyer durch die Annahme 
zu erk'artn versucht, dass bei Hif-^er Art sexuellen Verkehrs 
der blutüberfüllte Genitalschlauch nur unvollständig entleert wird, 
wodurch bei häufiger Wiederholung des Aktes sich allmählich 
ein chronischer Irritations- und ErschlafTungszustand der Pars 
prostatica der Harnröhre entwickelt. Dieser gibt sich in Hyper- 
ästhesie der Harnröhre beim Katheterisieren kund und führt zu 
Spermatonrhoe, verminderter Potenz oder Impotenz und dem 
ganzen Komplexe neurasthenischer Beschwerden. 

Zur gleichen Auffassung bekennt sich v. Krafft-Ebing, 
während sich Eulen bürg der von mir schon in der ersten 
Auflage dieser Arbeit vertretenen Ansicht angeschlossen hat. 

Wenn ich meine Beobachtungen zu Rate ziehe, so er- 
weisen sich dieselben der Feyer'schen Theorie im Ganzen ent« 
schieden ungQnstig. In 2 von 3 Fällen mit Spermatorrhoe fand 
sich keine besondere Hyperästhesie der Harnröhre bei Ein- 
führung von Instrumenten. Auch sonst waren nur vorüber» 
gehend in einzelnen Fällen Erscheinungen vorhanden, die auf 
einen Reizzustand der Pars prost, urethr. bezogen werden !.< nntcn: 
vermehrter Harndrang und (Jcfühle von Schwere und Völle in 
der Dammgegend ^^reizbare Blase). Die Voraussetzung, von welcher 
Peyer ausgeht, die mangelhafte Entleerung des blutüberfüllten 
Genitalschlauchcs beim Congr. interr. trifft auch sicher nicht 



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186 



Der wxaelle Prftventivrerkehr. 



für alle Fälle zu. Es kommt hier auch ein Umstand in Betracht, 
welchen Peyer nicht in Rechnung zieht: die vis a tergo i. e. 
die Höhe der sexuellen Erregung, die im Einzelfalle schwankt. 
Wo dieselbe sehr bedeutend ist, findet auch beim Coogr. interr. 
die Ejakulation in gewöhnlicher Weise statt und ist daher auch 
die Blutentleerung des Genitalschlauches wahrscheinlich eine voll- 
ständige. Man wird daher auch, wenn man die Peyer' sehe An- 
nähme eines IrritetiiHis- und Erschlaffungszustandesder Pars prostat, 
für gewisse Fälle*) ab zutreffend erachtet, für die Entstehung 
der fraglichen nervösen Störungen doch noch einen anderen 
Faktor verantwortlich machen müssen. Einen solchen können 
wir nur in der Störung erblicken, welche der normale Ablauf 
des sexuellen Innervationsvoiganges im Lendenmarke beim Congr. 
interr. erfährt. Schon die Aufmerksamkeit, welche nöt^ ist, 
um die ersten Anzddien der sich einleitenden Ejakulation auf- 
zufassen, wirkt als hemmender Emfluss auf den spinalen Vor- 
gang. Die Entfernung des Gliedes, der „Rückzug vor der End- 
katastrophe" dagegen muss die zur höchsten Intensität ge- 
diehenen und nach tnächtiger motorischer Entladung tendierenden 
&regung5vurgänge im Lendenmarke in ihrem natürlichen Ab- 
laufe erheblich alterieren. Die Auslösung des Ejakulationsvor- 
^»anges wird hierdurch zwar nicht verhindert, allein, da der phy- 
siologische Abfluss der Erregung in motorische Bahnen zum Teil 
gehemmt i^t, su greift dieselbe auf Bahnen üljtr, die gewöhnlich 
an dem Akte nicht beteiligt sind ; nnch koimnt es nicht zu der 
raschen und vollständigen Ausgleichung der sexuellen Spannung 
wie beim normalen Verlaufe des Aktes. 

Ist das Lendenmark noch völlig normal und widerstands- 
fähig, so verbleiben von dem Übergreifen und der längeren 

') Wahrscheinlich tühtt der Congr. inlcrr. zu einem Rcizzu&tandc der Pars 
proHt. nur bei Perüuoen, bei welchen hierzu eine spezielle PrSdi&position besteht. 
Diete kann dnrdi «ngeborene Schwicbe des SemiaUppantes, vorhei^g^angene ex- 
zosive Mastarbation und frühere Gonorrhöen bedingt sein. Auch för die Fällen 
in welchen dif fia^litli'- PrridispAs-ifioii bestellt, liefet kein Bpwei« vnr, dass die im 
Gefolge de<> Congr. interr. auftretenden nervösen Störungen lediglich reflektoriscb 
von der Pars prost, aus zustande kommen; ebenso mangelt «• «n BewdMn flir 
die von Peyer in diesen FSllen angenommenen, mehr oder minder hoebpadifcn 
patfaologisdi'inatouiMilien Verlndenmgen der Fftn pnwlnt uiethne. 



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Der tesnetle Pitventivverkdkr. 



187 



Fortwirkung der Erregung Sttilächst keine nachhaltigen Störungen. 
Dieses Verhalten kann unter sonst günstigen Verhältnissen un- 
bestimmte Zdt fortdauern. In einem Teile der Fälle fuhrt jedoch 
die immer wiederkehrende Störung im Ablauf des physiologischen 
Err^ngsvorganges beim Actus früher oder später zu nervösen 
Störungen, für deren Art und Lokalisation die individuellen Ver- 
schiedenheiten in der Widerstandsfiihigkeit des Rückenmarkes 
und des Gehirnes bestimmend sind, ähnlich wie wir dies bei 
der Masturbation sahen. Ist das Lendenmark von Haus aus 
nicht sehr kräftig organisiert oder durch andere Schädlichkeiten 
in einen Zustand reizbarer Schwäche geraten, so wird dasselbe 
von den abirrenden Erregun-^en beim Actus intensiver und nach- 
haltiger ergriffen, und es kommt dann zu den erwähnten Er- 
scheinungen (Schwäche, Müdigkeit in den Beinen etc.), du- nach 
(öfterer Wiederkehr antlauernd w'erden können. Die Irradiation 
der Errce^un^' kann dann, wenn die Widerstandsverhältnisse 
im Lendenmark erheblich verändert sind, auch auf entferntere 
zentrale Gebiete, die höher gelegenen Markabschnitte und das 
Gehirn, sich erstrecken und diese allmählich mehr und mehr in 
das Gebiet der Neurasthenie hereinziehen, hi der Mehrzahl der 
Fälle findet jedoch, nach den klinischen Erscheinungen zu 
schliessen, ohne dass das Lendenmark eine merkliche Schädigung 
erleidet, eine Irradiation der Erregungan nach dem Gehirn und 
speziell den bei dem Angstvorgange beteiligten bulbären Zentren 
statt, wodurch diese aUmählich in einen Zustand abnormer Er- 
regbarkeit versetzt werden, zumal denselben beim Actus auch 
von kortikaler Seite aus Erregungen zufliessen*). 

Auf die Pathogenese der bei Frauen im Gefolge des Congr. 
interr. auftretenden nervösen Störungen werden wir an späterer 
Stelle eingehen. 



') Dancl)en mu5s mit der Möglichkeit gerechnet wcnien, dass der f ongr. 
interr. auch die l'rudukUon der libidogencn StoiTe beeinflusitt. Man kann sich 
s. B. denken, dus der nonnal verbnfeade «exnelle Akt fllr eine gewisse Zeit die 
Pradttkikitt dieier Stoffe herabsetzt und die» beim Coogr. interr. nicht der Fsll 
ist. Es würden dsaa in gewissem Messe tholiche Folgen wie hei sexaeller Ab» 
slinenz entstehen« 



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188 



Der miieUe PfSvcBtivvericehr. 



Wenn ich nunmehr versuche, das Fazit zu ziehen am 
meinen eigenen Beobachtungen und den in der Literatur mitge- 
teilten Erfahrungen, soweit diese auf Berücksichtigung Anspruch 
erheben können, so erhebt sich in erster Linie die Frage: Sind 
die Befürchtungen gerechtfertigt, welche eine Anzahl von Autoren 
mit Rücltsidit auf die derzeitige Verbreitung des Malthusianismus 
för die Gesundheit der betreffenden Bevölkeningskreise äussert? 
Ich muss gestehen, dass ich dies, soweit mein Blick reicht, im 
Grossen und Ganzen nicht finden kann. Wenn wir Alles, was 
in Betracht zu zidien ist, erwägen, auf der einen Seite die Vor- 
teile, welche der Präventiwerkehr vielen Familien in Ökonomischer 
und damit in gesundheitlicher Beziehung bringt, auf der anderen 
Seite die Gesundbeitsschädigungen, die in manchen Fällen vor- 
kommen, so wird man die seitens verschiedener Ärzte gegen 
den Malthusianismus erhobenen Anklagen nicht als ganz zu- 
treffend erachten können. Dieses Urteil findet noch eine wesent- 
liche Stütze in dem Umstände, dass die beobachteten gesund- 
heitlichen Nachteile nicht dem Präventivverkehre ganz allge- 
mein, sondern fast ausschliesslich einer Art desselben zur Last 
fallen und dass bei der Herbeiführung dieser Nachteile jeden- 
falls in der Mehrzahl der Fälle noch eine Reihe weiterer Schäd- 
lichkeiten im Spiele ist. Auf die weiteren l'^olgerungcn, die wir 
aus Vorstehendem ziehen können, werden wir an späterer 
Stelle, bei Besprecliung der Prophylaxe der sexuellen Neu- 
rasthenie eingehen. 



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X. 

über den Einfloss sexuellen Verkefars 
auf bestehende Nervenkrankheiten und die 

Disposition zu solchen. 



Die Frage nach der Einwirkung, welche der sexuelle Verkehr 
auf bestehende Nervenkrankheiten und die Disposition zu solchen 

ausübt, ist von eminenter praktischer Bedeutung. Denn sehr 
häufig sieht sich der Arzt in der verantwortungsvollen Lage, seine 
Meinung darüber abgeben zu müssen, ob bei einer mit einem 
Ner\ enlcidt'ii oder ererbter neuro- und psychopathischer Belastung 
behafteten Persönlichkeit eine Eheschliessung rätlich ist. Ziehen 
wir zunächst die verbreitetstt n nervösen Krankheitsformcn, Neur- 
asthenie, Ih'steric und Angstneurose in Betracht, so haben wir 
im Vorstehenden bereits gesehen, dass bei Belasteten die sexuelle 
Abstinenz (rcsp. der Mangel sex. Befriedigung) unter Umständen 
eine l'rsache, beziehungsweise Mitursache dieser Leiden werden 
kaiui. Diese Tatsache lässt schon folgern, dass bei den er- 
wähnten Leiden in gewissen Fällen sich gercL'eher sexueller 
Verkehr nützlich erweisen muss. Früher, als man die Hysterie 
noch lediglich als eine Virginum et viduarum affectio betrachtete, 
d. h, von geschlechtlicher Nichtbefriedigung ableitete, wurde die 
^e als wichtigstes Heilmittel für diese Erkrankung angesehen, 
eine Anschauung, die bezüglich der Virgines et viduae noch 
heute manche Anhänger hat und mitunter auch auf gewisse 
Formen der Neurasthenie übertragen wird. Tatsächlich lehrt 
jedoch die Erfahrung, dass bei Hysterischen und Neurastheni- 
sehen der Einfluss sexuellen Un^anges sich sehr verschieden 



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190 



über den Eiaduss sexuellen Verkehrs etc. 



gestaltet. ITnleiigbar äussert derselbe in massiger Weise geübt 
bei zahlreichen mit nervösen Schwächezuständen Behafteten 
einen günstigen Einfluss auf das Befinden. Diese Wirkung be- 
schränkt sich nicht auf die an sexueller Neurasthenie Leidenden 
und nicht auf die besonders sinnlich angelegten Naturen. 
Andererseits bilden aber die sexuellen Leistungen in und ausser 
der Ehe nicht selten die Ursache von Verscblhnmerungen be- 
stehender nervöser Erschöpfung. Von der selbstverständlich 
schädigenden Wirkung der Exzesse in Venere will ich hier gans 
absehen. Ich habe jedoch bei einzelnen verheirateten Neur* 
asthenikem sogar nach selten geübter Kohabitation über mehrere 
Tage sich erstreckende intensive nervöse Prostration beobachtet *). 
Selbst bei sexuellen Neurasthenikern mit zeitweiliger geschlecht- 
licher Erregtheit sieht man zuweilen dieselben ungünstigen Folgen 
von sexuellem Verkehre wie von Pollutionen, imd es erzeugt 
dann gewöhnlich tiefe gemütliche Depression, wenn das Mittel, 
von welchem Besserung erwartet wurde, die gegenteilige Wirkung 
äussert *). 

Fc*re crwälmt, dass bei einzelnen Neurasthcnischen der 
sexuelle Verkehr eine alli^cmeine Abstumpfung der Sinne, ins- 
besonders des Gehörs und (iisiclits nach sich zieht; selbst eine 
wirkliche Amaurose von kurzer Dauer wird beobachtet Der 
gleiche Autor berichtet über einen Fall von transitorischer 
Lähmung post coitum bei einem Neurasthcniker. Der Patient, 
ein 48 jähriger Mann, zeigte von Jugend auf geringe Leistungs- 
fähigkeit der Beine; doch äusserte der eheliche Verkehr auf 
deren Zustand längere Zeit keinen Einfluss. Als der Pat. jedoch 
infolge von Sorgen in Neurasthenie verfiel, stellte sich nach dem 
CcHigressus, der nur in Zwischenräumen von 5 — ^4 Wochen aus- 
geübt wurde, TaubheitsgefQhl und eme solche Schwäche in den 

^) Die ungünstige Beeinflus.sung des Befindens kann aber auch \iknga 
danern. So bcricLtctc mir ein in d'-n 30er Jalirtn ^tchcnclcr. seit etwa Jahres- 
frist verheirateter Neura&tbeniker, der mich vor einiger Zeit konsuitierle, dass 
jeder C. bei ihm eine ncrvtee Proitration hintcrlä^st, von der er rieh e«st hn 
VerUmfe eioer AnnU von Wodien erholt. 

*) Auch gegen tu häufige Pollutionen gewährt der sexuelle Verkehr bei 
Neurasth'jm^clR-n «lunhaus k<AnQ Alihüfe. Mitunter crfnigt in der Nachl, IB 

weldier der Beischlaf atisgeübt wurde, noch eine Pollution. 



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über den Einiltiss tesueUeo Verkdin etc. 191 



Beinen ein, dass das Stehen unmöglich war; die Störungen 
gingen jedoch jedesmal rasch vorüber und schwanden gänzlich, 
nachdem der Patient von seinen neurasthenischen Beschwerden 
befreit war. 

Bei nervösen und neurasthenischen Frauen werden im 

■ 

ganten seltener als bei Männern ungünstige Folgen seitens des 
Nervensystems vom sexuellen Verkehr beobachtet, sofeme die- 
selben hierbei Befriedigung finden. Die nervöse Erschöpfung 
kann jedodi, wie schon erwähnt wurde, dazu führen, dass beim 
gesdileditlichen Verkehr der Orgasmus ganz ausbleibt oder 
schwer auslösbar wird. Auf diesen Umstand dürfte es haupt- 
sächlich zurückzuführen sein, dass bei nervös sehr herunter- 
gekommenen Frauen die Erfüllung der ehelichen Pflichten mit- 
unter ihr Befinden in ungünstiger Weise becinflusU. Für die 
grosse Mehrzahl Neurasthenischer (Männer und Frauen i erweist 
sich jedoch, wie man namentlich bei Verheirateten wahrnimmt, 
niässiger normaler Geschlechtsverkehr von keiner nachteiligen 
Wirkung; man sieht sogar öfters, wie schon erwähnt wurde, 
unter dem Eintiusse ungewohnter Abstinenz eine Steigerung 
vorhandener Beschwerden eintreten. 

Was nun die Hysterie betrifft, so lehrt wohl schon die 
Unzahl hysterischer Frauen, dass es mit der Heilkraft des ehe- 
lichen Lebens bei dieser Krankheit nicht glänzend bestellt sein 
kann. Es lässt sich allerdings nidit leugnen, dass bei manchen 
Hysterischen die Verheiratung eine vorteilhafte Veränderung 
des Gesamtbefindens nach sich zieht; man darf jedoch die 
Tragweite solcher Beobachtungen nicht überschätzen. In der 
Regel handelt es sich um eine Einschränkung oder Beseitigung 
zeitweilig vorhandener Krankheitserscheinungen^ nicht aber um eine 
Tilgung der hysterischen Disposition. Diese verbleibt auch nach 
Beseitigung aller temporär vorhandenen nervösen Symptome, um 
früher oder später bei Einwirkung von nervenschädigenden Momen- 
ten insbes. psychischen Traumen sich wieder zu dokumentieren. 

Aul der anderen Seite können aber bei Hysterischen durch 
den sexuellen Akt auch mancherlei Zufalle hervorgerufen werden: 
Anästhesien (Amblyopie und selbst Amaurose, Herabsetzung des 
Hörvermögens, kutane Anästhesien), Lähmungszustände der Glieder 



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192 über den Einilass sexuellen Verkeluts etc. 



in hemiplegischer und i)araplegischer Form, Krampf- und Schlaf- 
anfälle (F^r^). Allerdings dürften derartige Erscheinungen in 
der Regel nur in Fällen auftreten, in welchen dieselben schon 
früher durch andere Ursachen herbeigeführt wurden, wie dies 
F6r6 speziell mit Bezug auf die Lähmungen bemerkt. Ich 
selbst beobachtete s. B. eine Hysterische, bei welcher, nachdem 
sie einige Zeit an Anf^len gelitten hatte und grossere sexuelle 
Erregtheit euigetreten war, auch der eheliche Verkehr gewöhn- 
lich mit einem Anfalle abschloss^). 

Für den Arzt kann, wenn er in der Frage der Ehoschliessung 
bei neurasthenischen und h> sterischen Mädchen einen Rat er- 
teilen soll, der voraussichtliche Einfluss deü sexuellen Verkehrs 
nicht allein bestimmend sein ; er muss, wie ich bereits andern- 
orts') bemerkt habe, alle vorliegenden Verhältnisse in Erwägung 
ziehen. ,,l )er geregelte geschlechtliche Verkehr, wie ihn die Ehe 
, .ermöglicht , äussert allerdings in zahlreichen Fällen auf vor- 
„handene nervöse Schwächezustände einen günstigen Einfhiss» 
„Allein es wäre sicher zu weitgehend, wollten wir die gute 
„Wirkung des ehelichen Lebens bei derartigen Zuständen ledig* 
„lieh auf den geschlechtlichen Verkehr beziehen. Dieser ist nur 
„ein Faktor neben anderen, die nicht minder von Belang sind. 
„Als solche kommen in Betracht: die Annehmlichkeiten einer 
„geordneten Häuslichkeit, die Ablenkung der Aufmerksamkeit 
„von dem eigenen Zustande zum Teil durch die hSusUchen 
„Pflichten und Sorgen, zum Teil durch den geselligen Verkehr 
„der Gatten unteremander, die Befriedigung, die besonders bei 
„den Frauen aus dem Bewusstsein entspringt, eine Stütze für 
„das Leben gefunden zu haben, endlich die Freuden, welche 
„Kinder bereiten. Indess handelt es sich hier um Faktoren, 



An die Schlafanfälle kann sich auch Amnesie anschliessen. Ftr^ fuhrt 
den Fall einer Hysterischen nn. die nur selten zum Orpasmus gHanfite. weil die 
Erregung bei ihr fast immer Gesteh Ishatiuzinationen, gewöhnlich schreckenerregender 
Alt, hervorrief; sie verfiel denn in dnen komaUsen Schlaf, wi weldicm eie cnt 
nach ndareien Stunden mit einer temporirea retroaktiven Amnesie enracbtc^ 
weldie mehrere Stunden vor dem Akte omfaaile. 

') Löwenfeld, Die moderne Behandlung der Nerveudiwichie (New* 
atthenie) etc., 3. Aufl. S. 40, 4. And. S. 43. 



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über den Einfluss »exaellen Verkehrs etc 



198 



ffdie nicht in jeder Ehe gegeben sind; wo dieselben nach aller 
„Voraussicht fehlen werden, wo die Ehe eine Quelle sich meh- 
„render Sorgen infolge ungenügender materieller Basis oder 
„von VerdriessUchkeiten und Aufr^ngen wegen nicht genü- 
„gender Übereinstimmung des Charakters der Beteiligten bildet, 
„da ist entschieden abzuraten, da der geregelte geschlechtliche 
„Verkehr diese Nachteile nicht auszugleichen vermag. Altein 
„auch bei zweifellos günstigen AussenverUlltnissen und genügen- 
„der Obereinstimmung der Charaktere der beiden in Betracht 
„kommenden Personen müssen wir uns wenigstens temporär 
„gegen eine Verheiratung aussprechen, i. e. eine Veischiebung 
, »derselben herbeiführen, wenn schwere hysterische oder neur- 
asthenische Zustände vorHegen. Es sind mir zwar Fälle be- 
„kannt, tn welchen auf letztere die Verchclichung keine un- 
„günstige Wirkung äusserte; allein trotzdem muss ich mich zu 
,.der eben ausgesprochenen Ansicht bekennen. Haben sich 
, .schwere hysterische oder neurasthenische Leiden auf dem 
„Boden ausgesprochener hereditärer Belastung entwickelt, so ist 
„sowohl wegen der unter solchen Verhältnissen zu erwartenden 
„Nachkommenschaft, als wegen der Unsicherheit betretTs der 
„wetteren Gestaltung des nervösen Leidens eine Eheschiiessung 
„ganz und gar zu widerraten/* 

Namentlich müssen wir uns da gegen eine Verheiratung 
aussprechen, wo psychische Anomalien neben den neurastheni* 
sehen oder hysterischen Beschwerden sich anhaltend stärker 
vordrängen, bei jenen borderliners, die unter sehr günstigen 
Verbältnissen allerdings sich eine gewisse Stellung im Leben zu 
erhatten wissen, bei widrigen Schicksalen dagegen sich alsbald 
für eine geschlossene Anstalt qualifizieren. 

Zu einer direkten Empfehlung der Verehelichung hat ande- 
rerseits der Arzt selten ausreichende Veranlassung, Ich selbst 
habe mich bisher zur Erteilung eines bezüglichen Rates weni- 
ger durch die sexuelle Bedürftigkeit der HetrelTenden als deren 
psychische Heschaffenheit und Lebensstrilung bestinunen lassen. 
Für jene liypc •chc»ndi ischen Neurastheniker, deren Gemütszustand 
offenbar iiauptsächlich durch ^eistij^e Isolierung bedingt und unter- 
halten wird, erweist sich die Ehe mit einer verständigen, nicht 

Ljtwenfeld, ScAuell-aerWiie Stäningeii. Vierte Aufl. 

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194 



Ober den Einilim sexuellen Verkehrs etc. 



allzu sinnlich angelegten Person gewöhnlich entschieden vorteil- 
haft. Wenigstens hat dies meine bisherige Erfahrung ergeben. 
Es ist daher keine Entwürdigung des Institutes der Ehe, wenn 
dieselbe gelegentlich als Heilmittel in Vorschlag gebracht wird, 
soferae bei der ärztlichen Verordnung das Hauptgewicht nicht 
auf die Gelegenheit zu sexueller Befriedigung, sondern auf die 
geistige Gemeinschaft mit einer Person gelegt wird, welche 
durch Eigenschaften des GemQtes und Verstandes befittugt ist, 
auf die geistige Verfassung des Patienten einen günstigen Einfluss 
auszuüben. 

Ober den Einfluss des sexuellen Verkehrs bei Epilepsie 
haben wir uns bereits an früherer Stelle geäussert. Hier sei nur 
erwähnt, dass bei einem von F€r6 beobachteten Epileptischen, 
bei welchem an die AnföUe sich transitorische Lähmungen an- 
schlössen , solche auch nach dem sexuellen Akte auftraten. 
Fcrc erwähnt auch, dass bei manchen lCpilei)tischfn gewisse 
sensorielle St<>rungcn (Erythiopsio, Farbenschen, subjektive Gc- 
ruchseinpfindungenj sowolil während des epileptischen Anfalles 
als beim sexuellen Akte auftn tin. 

Dass bei I'ersonen. welche an Anfallen von Angina pectoris 
leiden, auch der sexuelle Verkehr /.um Auftreten von Anfällen 
führt, ist ohne weiteres verständlich. Bei mit Migräne be- 
hafteten Frauen stellt sich der Kopfschmerz namentlich dann post 
congressum ein, wenn derselbe nicht mit völliger Befriedigung 
verknüpft war. 

Bei Neuvermählten kann die Einleitung des ehelichen Ver- 
kehrs zu schweren psychischen Störungen führen. Ich habe selbst 
bei 2 jungen Frauen, von welchen die eine allerdings erblich sehr 
belastet war, die andere dagegen keine sicher nachweisbare 
Belastung aufwies, kurze Zeit nach der Verheiratung schwere 
Melancholie mit Nahrungsverweigerung beobachtet. Da es sich 
in beiden Fällen um Neigungspartien handelte und die ersten 
Zeichen der Erkrankung schon wenige Tage nach der Hochzeit 
auftraten, können als Ursache der psychischen Störung hier ledig- 
lich sexuelle Vorgänge angcnonmien werden. Die zarte nervdse 
Konstitution der beiden Frauen einerseits, andererseits ein wahr- 
scheinlich zu stürmisches Vorgehen seitens der Gatten gestaltete 




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über des Einfloss sexuelleo Verkehrs etc. 



195 



die Einleitung; des sexuellen Verkehrs für die Betreffenden zu 
einem shockartigen Eingriffe, welchem deren Nervensystem nicht 
gewachsen war. In beiden Fällen trat übrigens Genesung ein, 
seltsamerweise bei der hereditär belasteten Frau schon nach 
4 Monaten ungefähr, bei der anderen Patientin erst nach mehr 
als Jahresfrist i). 

Ausserdem habe ich 2 Fälle leichterer Melancholie bei Neu- 
vermählten beobachtet, bei welchen ebenfalls zweifellos Ncigungs- 
partien vorlagen. Die eine der beiden Patientinnen, eine in 
den 30er Jahren stehende, erblich wenig t>elastete Dame, hatte 
in den letzten Monaten vor ihrer Verheiratung viel Aufregungen 
und Anstrengungen durchzumachen und erkrankte während der 
Hochzeitsreise. Die andere Patientin, eine Ende der 20er Jahre 
stehende, erblich väterlicherseits erhebBch belastete Dame, hatte 
ebenfalls in den letzten Monaten vor ihrer Verheiratung viel 
Aufregungen und zeigte schon vor der Hochzeit eine gewisse 
Verstimmung. In beiden Fällen trat Genesung im Verlaufe 
von weniger als 3 Monaten ein. Die Einleitung des sexuellen 
Verk^rs erwies sich auch hier, obwohl dieselbe in schonender 
Weise geschah, von ungünstiger Wirkung auf den psychischen 
Zustand. 

Melancholie als Folge nicht exzessiven geschlechtlichen 
Verkehrs ist auch bei Männern beotmchtet worden. Schüle 
sah bei zwei verheirateten Männern, von denen der eine längere 
Zeit nervös verstimmt war und an Darmkatarrh mit Anämie 
litt, eine vollständige und schwere Melancholie unmittetbar im 
Gefolge eines einmaligen Beischlafes auftreten. 

Nicht selten tritt an den Arzt die l*>ai;;e heran, ob bei einer 
Person, die bereits geiste>krank war oder mit einer ererbten 
Anlage zu Geistc<;störiin;^f behaftet ist, sich die Eheschliessung 
emi)tiehlt. In dieser Beziehung sind die Ansichten der Irren- 
ärzte zum Teil von einer Art, die mir allzu optimistisch erscheint. 
Die Tatsache, dass unter den erblich Belasteten die Ledigen 
häufiger erkranken als die Verheirateten — eine Tatsache, die 



') Letztere Kranke %erfiel später wiederholt in geistige Störung und starb 
scbUessUch in einer Irreiuuistalt, während erstere bisher getstesgesuod blieb. 

18* 



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196 



über den Kinflu&s »exuellen Verkehrs etc. 



sich auch aus den Untersuchungen Hagens, wenn auch nicht 
für alle AlUrsklassen ergibt — hat dazti geführt, dass man die 
Heirat geradezu als Präservativ ^i-L;en den Ausbruch des erb- 
Hchen Irrsinns ansah, v. K ra f ft - K b ing z. R. bemerkt bezüglich 
dieses Punktes bei KrorierunL; der Prophylaxe der GeisteS' 
Störungen: ,, Bei männlichen Individuc-n mindert frühe Heirat die 
Gefahr der l>krankung, bei wcibhchcn ist die Verehehchung 
erst nach erreichter körperHcher Reife wünschenswert.". Der von 
V. Krafft-Ebing angenommene prophylaktische Wert früher 
Heirat bei belasteten Männern findet jedoch in den sehr sorg- 
fältigen statistischen Erhebungen Hagens keine Stütze. Nach 
Hagen erkranken vom 26. bis 30. Jahre mehr Verheiratete 
als das Verhältnis der allgemeinen Statistik ergibt. Das Plus 
der grösseren Erkrankungsfähigkeit für die ledigen belasteten 
Männer beginnt erst mit dem 30. Jahre. Bei den Frauen über- 
wiegen vom 16. bis 30. Jahre die Verheirateten, vom 30. Jahre 
an ebenfalls die Ledigen. Das Überwiegen der ledigen erblich 
disponierten Kranken ist bei den Männern stärker als bei den 
Frauen. 

Berücksichtigen wir femer den Umstand, dass trotx des 
anscheinend günstigen Einflusses der Ehe doch noch sehr viele 
erblich belastete Verheiratete erkranken so werden wir der 
Ehe nur eine sehr beschränkt«; prophylaktische Bedeutung auer- 
kennen dürfen und deshalb unsere Zustimmung zur Verhei- 
ratung bei nicht zu schwer Belasteten nur bei befriedigendem 
körperlichem und geistigem Zustande und günstigen Lebens- 
verhältnissen geben. 

Wo sehr schwere, namentlich doppelseitige erbliche Be- 
lastung vorliegt und sich in Erscheinungen psychopathischer 
Degeneration äussert oder auf Grund der Belastung steh bereits 
einmal eine Psychose entwickelt hat, wird von einer Verheiratung 
entschieden abzuraten sein. 

Eine Mitteiking des verstorbenen Direktors der Irrenanstalt Klingen- 
mOnster, Dick (Wanderversainnilung der sodwestdeutschen Irrenflrzte 



') Nach Hagen 's Ermittelungen bettut; dir Z:ih! der erblicli liclasictcn 
Verheirateten von der Gesamtzahl der verbeiratelea Erkrankten bei den Männern 
32^/0, bei den Fraaen 40 "/o. 



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über den BnÜttit aezadko Verkehrs etc 



197 



zu HeppenhoiDf Mai 1875) bildete lange Zeit eine gewichtige StQtze Air 
die I-fhre von der Schutzkraft der Ehe. Dick berichtete, das«; von 22 
früher gei.stig gestörten aber geheilten Mädchen nach liirer Verheiratung 
nur eine rücktäUig wurde, während von 80 ebenfalls genesenen aber 
ledig gebUebenen Mädchen aa rezidivierten. Gegen die Lehre von der 
Sihutzkraft der Ehe hat sich indes schon Erlenmeyer (1882, Zentral- 
blatt ffir Nervenheil kundf;, 5. Jahrg. Nr. 14, S. 331) mit Nachdruck ge- 
wendet, 'ndetn er aut die Gefährlichkeit iiircr praktischen Verwertung 
schon mit Rucksicht auf die Nachkommen hinwies. 

Zu einer ahnlichen Auffassung bekannte sich der englische Irren- 
arzt Sa vage (1683) bei Besprechung der Frage, wie es mit der Ehe* 
Schliessung bei nervenkranken und vormals ^^ri teskranken Personen zu 
halten sei. „Es gibt", bemerkte der Autor, „in der Tat hysterische 
Personen itU: die die Ehe das beste und wirksamste Heilmittel ist, das 
man verordnen kamu Ich sage dieses nichts weil ich glaube, dass die 
Befriedigung des sexuellen Bedürfnisses für die Hysterie gOnstig sei, 
sondern weil ich zu der Uberzeugung gekommen bin (diese habe ich mir 
durch eine ausführliche Führuni» von Krankenjoumalen erworben), dass 
liysterische Personen einen besonderen und eigenen Aflekt nötig haben. 
Wir finden in der Tat durch eine genaue Führung von Krankenjoumalen, 
dass junge Mftnner, die sich oft sexudle Vergnügungen gestatten» trot» 
dem hysterisdl werden, wdl sie das Bedürfiiia verspQren, ein Wesen 
lieben zu mfissen, welches eine Ergänzung der eigenen Person darstellt 
Ich habe verschiedene sehr hysterische junge Mädchen gekannt und be- 
handelt, die jetzt verheiratet sind und gar kein Zeichen von Neuropathie 
mehr aufweisen. Unter ihnc» gibt es einige, die durchaus nicht mehr das 
BedOrfhis haben, den sexuellen Instinkt zu befriedigen, ja sogar ihre ehe- 
lichen Pflichten ungern erfüllen, obgleich sie ihren Mann sehr lieben und 
ausserordentlich glücklich mit ihm leben. Ich wiederhole daher, dass 
nach meiner Ansicht die Ehe ein souveränes Mittel darstellt für solche 
neuropadiische Wesen, die eines Haltes, einer StQta» bedürfen, in einer 
Persönlichkeit, die mit ilim n den Kampf ums Dasein aufnimmt. Daher 
darf der Arzt ni -clnvanken, solchen Personen das Eingehen der Elie 
anzuempfehlen, wciin der andere Teil gesund ist, eine gute Konstitution 
aufweist und von jeder nervösen Prildisposition frei ist Er darf dagegen 
auf der anderen Seite niemals die Ehe Frauen anraten, die schwere 
Formen von Geisteserkrankung Qberstanden haben und zwar nicht allein 
der Gefahren we;;en, denen er die Kinder aussetzt, denn davon gibt es 
zahlreiche Ausnahmen, sondern weil die Ehe fa«'t stets solche Personen 
emcm Rückfall, ja sogar emer bedeutenden Verschlimmerung ihrer Geistes- 
erkrankung aussetzt" 

Mendel (Krankheiten und Ehe, herausgegeben von Senator, S, 614a) 
ist der Ansicht, dass Personen, welche infolge erblichet Belastung von 
Geistesstörungen befallen wurden, die Ehe zu widerraten ist, insbesonders 
dann, wenn die Psychose ohne äussere Veranlassung auftrat Eine Aus- 
nahme gesteht er nur bez(iglich der Menstrualpsychosen zu; Mftdchen, 
welche von solchen heimgesucht vrarden, bringt nach Mendel die Ehe 
nidit nur keine Gefahr, sondern oft Besserung oder Heilung ihrer ab- 



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198 



Ober den EioAius «exuellen Verkehrs etc. 



normen psychischen Reizbarkeit. Dies dürfte jedoch nur tür die Fülle 
zutreffen, in welchen die Erkrankung den von Mendel angenommenen 
hysterisdien Charakter zeigte. 

Nicht ohne Bedeutung fQr die Entstehung nervöser und 

psychischer Erkrankungen bei Frauen ist das Lebensalter zur 

Zeit der Eheschliessung. Verheiratung vor dem Eintritt volN 

ständiger körperlicher Reife, i. e. vor dem 21. Lebensjahre, setzt, 
wie schon v. K 1 a i l t E b i r. hervorgehoben hat, die Frauen 
der Gefahr aus, Schwani^erschaft und Puerperium mit einem 
nicht genügend gekräfteten Körper durchmachen zu müssen und 
auch durch die mit dem ehelichen Leben häufii^ verknüj)ftcn 
ungünstigen Einflüsse in ihrem Nervensystem geschädigt zu 
werden . 

Beyer*) hält es für erforderUch, auf das Bestehen nervöser 
Symptome in Fällen, in welchen eine Eheschliessung in Frage 
steht, mehr zu achten, als bisher üblich war. Man kann ihm 
hierin wohl nur beistimmen, doch geht er etwas zu weit, wenn 
er glaubt, dass anscheinend wenig verdachtige Fälle oft von 
der Heirat ausgeschlossen werden sollten, weil es in denselben 
später zur Entwicklung chronischer Neurasthenie, Hysterie oder 
Hypochondrie kommen kann, wodurch das eheliche Let>en weit 
gründlicher und nachhaltiger gestört wird, als durch eine akute, 
völlig heilbare Psychose. Die blose Möglichkeit, dass es in der 
Ehe zur Entwicklung eines der genannten krankhaften Zustände 
kommt, kann einen so schwerwiegenden Eingriff in die Lebens- 
gestaltung einer weiblichen Person, wie es das Verbot der Ver- 
heiratung darstellt, nicht genügend rechtfertigen. 

*) Beyer: t)ber die Bedeutiug ftüher Heirat ßlr die EnUteliaiig oenrflMr 
Erkrankaogen der Frauen. ZeotnlbUli für Nerventieitkiinde, 1$, Januar 1905, 

s. 73. 



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YIL 

Erkrankungen der Sexualorgane bei Männern 

als Ursache von Nervenleiden. 



Neben den im Vorstehenden besprochenen sexuellen Miss- 
bräuchen können auch primäre Erkrankungen und gewisse Ab- 
normitäten der Sexualorgane bei Männern die Veranlassung zum 
Auftreten nervöser (neurasthenischer) St6rui^en bilden. Die Rolle, 
welche den in Frage stehenden Genitalaffektionen in der Ätiologie 
der Neurasthenie zufällt, weicht jedoch erheblich von der der 
sexuellen Missbräuche ab. Die schädigende Wirksamkeit letzterer 
tritt zwar besonders rasch und intensiv bei neuropathisch Ver- 
anliB^ten hervor, doch ist dieselbe keineswegs an das Vorhanden- 
sein einer Prädisposition gebunden ; dagegen führen primäre Ge- 
nitalaffektionen allem Anscheine nach lediglich bei Belasteten und 
Individuen mit erworbener nenropathischer Disposition zu neur- 
asthenischen Störungen. Hierfür spricht schon der Umstand, dass 
die betreffenden GcniUilattcktionfii bei der grossen Mehrzahl der 
damit Behafteten nervöse Beschwerden nicht nach sich ziehen '). 

*) Die Bedeutung der PrSdispotttion in den Ftlleii, io weldien snudle 
Ncunsdieiiiie im Gefolge von Sextudaliiektkiiieii •nfUittt wurde aebon von Bcard 
betont. Er bemerkt u. a. : „In<iividuen voo hodignuliKer Nervosittt, insbesonders 

Aiiu rikaner, werden zumeist infnif^e des erregenden Kinfliis«!?^? iTf;<"nd eine« der 
erwähnten pathologischen Zustände von sexueller Neurasthenie befallen. Die 
Phimoie oder die Striktar kfionte allein jene nerv4)sen StSmngcn nidit herbei« 
fUiKn, wenn nicht gegebenenfalls eine durch die Un^nst des Klimas, Arbeits- 
abcrb&rduo^ Sorgen, ftbcrmissigen Gcnuss von Nikotin und Alkohol, infolge 
traumn(i«cher Einwirkungen und allerlei £»zes$en herbeigeführte nenrOse Kon- 
stitution zugleich vorbanden wäre." 



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200 



Erkrankungen der Sexualorgane bei M&Dnen etc. 



Ferner kommt in Betracht, dass unter den Ursachen der (sexuellen) 
Neurasthenie deti scxiu-llcn Missbräuchcn gegenüber dif i)rimären 
Genitalleiden ganz gewaltig zurücksLehen und überhaupt nur 
von untergeordneter Bedeutung sind; so fand z. B. v. Krafft- 
Ebing unter 1 14 Fällen von Neurasthenia sexualis bei Männern 
lo6mal sexuelle Missbräuche, dagegen nur 8 mal I.okaiatTektionen 
(Urethritis posterior). Aiu häufigsten vergesellschaften sich die 
chronischen, durch gonorrhoische Infektion bedingten l^ntzün- 
dungen der Pars prostatica der Harnrohre (die Urethritis posterior) 
mit ihren Folgeerscheinungen seitens der Ductus ejaculatorii 
(ICrschlaffung und Erweiterung derselben ) mit neurasthenischen Zu- 
ständen. Man hat diese als Trippcrncura>thenie bezeichnet und 
als ihre nächste Ursache die andauernde Reizung der Nerven in 
der Pars prost, ureth. durch die chronisch entzündlichen Verände- 
rungen derselben angenommen. Nach meinen Wahrnehmungen 
kommen bei der sogenannten Tripperneurasthenie jedoch noch 
andere Momente .sehr in Betracht. Zumeist sind die mit dieser 
Neurasthenie Behafteten hypochondrisch veranlagte Individuen, 
denen der GedankCt an einer GenitalafTektion zu leiden, an^ 
dauernde Verstimmung und oft ganz übertriebene Sorgen wegen 
etwaiger Folgen verursacht. Infolge dieser Gedankenrichtung 
beschäftigen sie sich beständig mit dem Zustande ihrer Harn- 
röhre, überwachen die Absonderung derselben mit ängstlicher 
Spannung und unterziehen sich endlosen Kurversuchen mit 
Adstringentlen und Ätzungen, um den oft nur minimalen Aus- 
lluss zu beseitigen. So dürfen wir uns denn nicht wundem, 
dass die sogenannte Trippemeurasthenie, wie ich mich schon 
andern Orts ausgesprochen habe, öfters mehr ein ankuriertes 
Leiden, mehr bedingt durch chronische Misshandlung der Harn- 
röhre durch Lokalbehandlung (und die hiermit einhergehenden 
Gemütserregungen), denn unmittelbare Folge der chronisdien 
Urethritis ist. 

Neben den Fällen, in welchen irgendwelche ursächliche Be- 
ziehungen zwischen der Urethritis post. und dem neurasthenischen 
Zustande bestehen, begegnen wir aber auch solchen, in welchen 
die HamröhrenafTdction ofTenbar nur die zufällige Komplikation 
einer durch andere Momente herbeigeführten Neurasthenie bildet. 



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Erkrukungen der Sexnafaicguie bei Mlimera etc 



201 



Neben der chronischen Urethritis posterior gonorrhoischer 
Provenienz soll jedoch — nach den Behauptungen mancher Be- 
obachter — eine einfache Mkatarrhalische" Urethritis posterior 
chronica vorkommen, welche sehr viel neurasthenisdies Unheil 
zur Folge hat. .Seit Lallemand wurde von einer Reihe von 
Autoren (in neuerer Zeit insbesonders von Ultzmann, Gyur- 
kovechky, GrQnfeld und Peyer) die Ansicht vertreten, dass 
durch exeessive Mbsturbation Entzündungssustände im Bereiche 
der Harnröhre und 2war speziell in der Umgebung der Mündungs- 
stellen der Ductus ejaculatorit (des Caput gallinaginis) herbeigeführt 
werden. Die gleichen Veränderungen der Pars prost, der Ham- 
führe sollen aber auch Kxzcsse im natürlichen (leschlcchts- 
genussc und der Congressus interruptus nach sich ziehen. 
Diese Annahmen hat man seit Einführung der Endosk()f)ie der 
Harnröhre auch durch den Hinweis auf gewisse endoskopische 
Befunde (Hyperämie der Pars prostatica etc.) m stützen gesucht. 
Die Anhänger dieser ILntzündungstheorie glauben, dass die Ent- 
zündung der nervenreichen Pars prostatica urethrae auf dem 
Wege des Reflexes die nervösen Störungen verursacht, die wir 
als Folgen sexueller Missbräuche kennen, und die direkte Ein- 
wirkung der betrefTenden sexuellen Vorgänge auf das Nerven* 
System nur eine prädisponierende Reizung oder Überreizung 
desselben bedingt. Für die behauptete Entstehung entzündlicher 
Vorgänge im prostatischen Teile der Harnröhre infolge sexueller 
Missbräuche mangelt jedoch jeder stringente Nachweis. Die 
gel^enttiche endoskopische Entdeckung von Hyperämie in diesem 
Teile kann in dieser Beziehung nicht emsthaft in Betracht 
kommen, und für die bei Einführung von Instrumenten sich 
kundgebende Hyperästhesie gilt das Gleiche, zumal diese Er- 
scheinung auch bei Neurasthenikem sich findet, bei welchen 
sexuelle Missbräuche nicht statt hatten, Fürbrtnger erklärt 
auf Grund einer grossen Reihe eigener, auf diesen Punkt 
gerichteter Beobachtungen mit aller Entschiedenheit, dass er 
Entzündung der Harnröhre niemals gefunden hat wofern nicht 

*) Peyer glaubt, dass «tie Veridiiedeiüieit der Auiditeii Aber das Vor» 

kommen oder Nicht%'nrkommcn einer ein/ümlliclien Reizung der Pars prost, aus 
Vmcbiedenkeitco des BeobachtangsmateriaU sidi erklären l&»it und erwihot, 



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202 



ErkmokaogCD der Sezualorg^e bei Mftimeni etc. 



Tripperprozesse als Komplikation bestanden. Die Ansicht, dass 
die im Gefolge sexueller Missbräuche sich einstellenden neur- 
astbenischen Erscheinungen lediglich auf dem Wege des Reflexes 
von dem prostatischen Teile der Harnröhre aus zu Stande 
kommen, ist ebenfalls ganz und gar unhaltbar. Die Versuche, 
der Pars prostatica aus anatomischen Gründen eine ähnliche 
neuropathogenetische Bedeutung wie dem Uterus suzuweisen, 
sind heutzut^e um so weniger berechtigt, als wir g^enwflrtig 
wissen, dass die grosse Mehrzahl der früher vom Uterus herge- 
leiteten nervösen Störungen anderen Ursprungs ist, und anderer- 
seits sind die Thatsachen, welche für eine direkte nervenier- 
rüttende V^rkung der sexuellen Missbräuche sprechen, so zahl> 
reich und gewichtig, das sich ernsthafte Einwände dagegen nicht 
erheben lassen. 

Ausser der chronischen Urethritis werden noch verschiedene 
andere Anomalien im Bereiche der inännltchen Sexualorgane als 
Ursache neurasthenischer Störungen an^cfiiht t Strikturen der 
Harnri'jhre, chronische Prostatitis (und funkt if>ncllc Frostata- 
reizungi, chronische Hodenentzündung, Hypertroi)hie und Ver- 
längerung des Präputiums, Smegmaanhäufung und daher rührende 
ßalanitis bei etwas enger Vorhaut oder ausgesprochener Phimose. 
Die Bedeutung dieser Momente als Quelle neurasthenischer Er- 
scheinungen wird von manchen bezweifelt. Wenn ich meine 
eigenen Erfahrungen berücksichtige, so gab nur in einem Falle 
meiner Beobachtung — bei einem Belasteten eine chronische 
Orchitis den Anstoss zur Entwickelung eines neurasthentschcn 
Zustandes. Strikturen äussern nach meinen Wahrnehmungen in 
manchen Fällen einen verschlimmernden Einfluss auf eine be- 
stehende Neurasthenie ; nicht selten bilden sie jedoch nur eine 

da$s er bei MaMurbaaten, weldie nie den Koitui geObt batlcB, Öfters Urethral 
fluten, bestdiend aus Letikocyleo niid kleioen ninden Epitbelien» fand. Diett 

Angabe kann den negativen und jcdenfillls an einem grösseren Beobachtaog> 
niaterial*; erhobenen bcfiiiiil'jn Furhringcrs gf^eniilior nidit in Betracht kommen. 
„Wenn hie und da," bemerkt dieser Autor, „im endoskopischen Bilde katarrh«' 
lische Schwel langen der hinteren Harnröhre, in&besooders des Collicalt» semiaalis 
beobachtet oder Urelbralßiden im Harn als Auadnick von EnttOBdang gefundCB 
weiden, so mag es sich um Reste von Gonorrhoe, um Katheterreizung, fortge* 
leitete Katarrh«' u. vlcrgl. also um •irsiichlichr. b'vi'.-hungsweise bcgleiteade Pko> 
«e»se, nicht aber um Folgezost^de gehandelt haben. 



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ErknukaiigCD 6er Sexaalorgane bei Männern etc. 



203 



Komplikation derselben, deren Beseitigung auch ohne jede Ein- 
wirkuiq; auf das Leiden bleibt. Auch von dem nervenscfaädigen- 
den und insbesonders das Gemüt beiastenden Einflüsse der 
chronischen Prostatitis mit Prostatorrhoe konnte ich mich öfters 
überzeugen, zumal die prostatorrhoischen Abginge in manchen 
Fällen ähnliche Erscheinungen 2ur Folge haben, wie die krank- 
haften Pollutionen (Müdigkeit, Abgeschlagenheit etc. Smegma- 
anhäufungen und Balanitis bei etwas enger Vorhaut führten in 
mehreren Fällen metner Beobachtung zu übermässigen Pollutionen, 
welche sich mit der Beseitigung des Reizzustandes der hoch- 
empfindlichen Glans sofort verloren. Bezüglich der kongenitalen 
Phimose ist hier noch zu erwähnen, dass dieselbe nicht nur zu 
neurasthenischen Beschwerden führen, sondern auch als Ursache 
einer Reflexepilepsie figurieren kann. Es sind in der Literatur 
Falle mitgeteilt, in welchen die Heilung einer Epilepsie durch 
die Zirkumzision gelang. Die Phimose kann jedoch, wie F€t€ 
bemerkt, auch auf indirektem Wege Epilepsie nach sich ziehen, 
indem sie Masturbation veranlasst, welche zuweilen epileptische 
Zufälle zur Folge hat*). 

*) V. Notthafft (Mfinchner med. Wochenschrift 1905 Nr. 4) erwihot, 

dass Prcistatorrhoe und Frostataneurastbenie ganz im Gegensatze zu der vor- 
herrschenden Aiisii;ht nui seltene Bcj^lf-itet x hfinuriL^cn der l hroni!>chcn Pro-tatitis 
bilden. Die Prostatorrhoe kann bei ganz leichten wie bei ganz schweren sub. 
jektiven Symptomen gefunden werden. Die lotensitiU der tnbjektiven Symptonne 
steht in keinem Verhlttnisse zu den objektiven Untenndiongsersebnissen. Nach 
dem Autor sind die Schmerzen bei chronischer Prostatitis vielfach an Orten 
lokalisiert, die einen Zusammenhang mit dem Leiden nicht erwarten Iri'-'ifn (Ischias, 
Kniegelenkschmerzen etc.). Aus der Beseitigung der betreflienden Beschwerden 
duBch BdumdlnDg der FhwtitB glaabt da Autor diesen ZuMmncnliang folgern 
SU dfirfen. 

') R. M. S i m n n berichtete ttbcf 3 Fülle v«i Rdlexneurosen, die anscheinend 
tturch ein adhäientes Präputium verursacht waren und durch die opcrativf» Be- 
seitigung der Anomalie cur Heilung gelangten. Die reflektorischen Störungen 
waren in den einzelnen Fflllen sdir veiachiedaer Natur: plötzlich dnsetscade 
Schmenen in der Httflgegend und Hochziehen des betreffenden Beines, schwere 
IntestioalkoUkeo, nichtliches Aufschrecken mit Klagen Sher Leibschmerzen. 



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Anhang: 



Über Pollutionen und pollutionsartige Vorgänge 



Unter den Erscheinungen der sexuellen Neurasthenie bean- 
spruchen die krankhaften Pollutionen, welche wir im Vorstehen- 
den bereits zu berühren Gelegenheit hatten, die ärztliche Auf- 
merksamkeit in besonderem Masse, weil dieselben nicht ledig- 
lich wie viele andere Symptome die Äusserung eines g^ebenen 
pathologischen Zustandes, sondern auch eine Quelle weiterer 
und z. T. erheblicher neurasthenischer Beschwerden bilden. 
Dieser Umstand veranlasst uns, denselben und einigen ver« 
wandten Vorgängen in der Sexualspbäre hier noch eine kurze 
gesonderte Betrachtung zu widmen, durch welche auch die 
Unterscheidung zwischen Physiologischem und Pathologischem 
im Bereiche der Pollutionen erleichtert werden soll* 

Bezeuch der Frage, ob der als Pollution bezeichnete Vor- 
gang beim männlichen Geschlechte unter irgend welchen Ver- 
hältnissen als normal oder physiologisch zu betrachten ist, sind 
die Ansichten geteilt. Die Gründe, welche gegen das physio- 
logische Vorkommen von Pollutionen geltend gemacht werden, 
können jedoch nicht als stichhaltig betrachtet werden. Es ist 
nicht gerechtfertigt, wenn man wie Eulenburg den Pollutions- 
vorgang mit Husten oder Erbrechen vcr!;leicht ; Husten und Er- 
brechen treten gewühnlich nur bei gewissen Krankheitszuständen 
oder Reizemwtrkunt;en ein, und zahlreiche Männer bleil)en von 
diesen Erscheinungen verschont. Dagegen stellen sich Pollutionen 



bei beiden Geschlechtern. 




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Ober FoUationen und pollationsartig» VorgUge. 



205 



bei gesundeo, erwachsenen männlichen Individuen, welche keinen 
oder keinen genügenden geschlechtlichen Verkehr haben, so 
regelmässig, wenn auch in sehr verschiedener Häufigkeit ein, 
dass wir aus dem gänzlichen Fehlen derselben unter den in Rede 
stehenden Verhältnissen auf einen krankhaften Zustand schliessen 
müssen. Auf der anderen Si-ite besteht unter den kompetenten 
Beobachtern kaum eine Meinungsverschiedenheit darüber, dass 
unter gewissen Umstanden die Pollutionen einen krankhaften 
VcMTgai^ bilden. Als Kriterien der normalen Pollution können 
folgende Momente gelten: Auftreten derselben bei Individuen 
im gescUechtsreifen Alter, nicbt zu häufig, nur im Schlafe, mit 
Erektionen und gewissen mehr minder ausgesprochenen Wollust- 
gefiuhlen, reichlicher Samenentleemng und Mangel jeder un- 
günstigen Rückwirkung auf das Befinden. Die Abweichungen 
vom Tsrpus, wodurch die Pollution einen krankhaften Charakter 
gewinnt, können alle die angeführten Momente betreffen. 

Das Erscheinen von Polluticmen bei im Alter von 13 — 15 
Jahren stehenden oder noch jüngeren Knaben, gewöhnlich eine 
Folge von Masturbation, ist eo ipso w^en des verfrühten Auf- 
tretens als pathologisch zu betrachten. 

Bezüglich der Häufigkeit lässt sich dagegen eine genaue 
Grenze, von welcher anfallend die Pollutionen als krankhaft an- 
zusehen wären, nicht festsetzen. Meines Erachtens darf man 
wöchentlfeh einmal auftretende Pollutionen bei in anhaltender 
Abstinenz lebenden jungen Leuten, selbst das vorübergehende Auf- 
treten von Pollutionen an mehreren aufeinanderfolgenden Tagen 
im Gefolge sexueller F-rre^ungcn noch nicht in das Gebiet des 
Patholoj^ischen verweisen. In dieses i^'ehören dagej^en sicher die 
Fälle, in welchen Polhitionen längere Zeit hindurch wöchentlich 
mehrere Male oder selbst taglich oder trotz regelmässigem, 
dem vorhandenen Bedürfnis entsprechendem geschlechtlichem 
Umgange Tifters sich einstellen. Das Vorkommen von Pollu- 
tionen während des wachen Zustandes — Tagespollutionen — , 
auf welche Kinwirkung hin dieselbe auch erfolgen mag 1 me- 
chanische oder psychische ^, verrät ebenfalls imitier einen krank- 
haften Zustand; das gleiche gilt fiir den im (Manzen seltenen 
Mangel der Erektion (die Ejakulation bei schlaffem GUede). 



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206 übet FoUationen uod pollutionsartige Vorgttaee. 



Mangel des Wollustgefühles scheint insbesonders bei gehäuften 
Pollutionen durchaus nichts Ungewöhnliches, und man darf den- 
selben als ein Symptom spinaler Erschöpfung deuten. Ein un- 
gleich selteneres Vorkommnis ist dagegen das Auftreten von 
Schmerzen im Gliede und in den Hoden ni^rend des Ejaku- 
lationsvorganges, bei Mangel irgendwdcher örtlicher Verände- 
rungen, welche dieselben erklären könnten. In einem Falle meiner 
Beobachtung traten diese fieschwerden nach längerer Abstinenz 
bei relativ seltenen und im übrigen normal verlaufenden Pollu- 
tionen in erheblicher Intensität auf; der betreffende Patient» ein 
in den 40er Jahren stehender Herr, hatte früher zeitweilig an 
Symptomen der reizbaren Blase und anderen Erscheinungen 
sexueller Neurasthenie gelitten. In einem anderen Falle, welcher 
einen in den 30ger Jahren stehenden Neurastheniker betraf, 
nahmen die Pollutionen nur bei gehäufter^») Aaftit^tin den 
schmerzhaften Charakter an. Bei länger be-stchenden gehäuften 
Pollutionen ist es nicht selten, dass sinnlich erregende Traume 
derselben nicht vorhergehen, respektive die Patienten sich 
solcher wenigstens nicht erinnern, in vereinzelten Fällen kommt 
es auch vor, dass Angstträume die Rolle des auslösenden 
Momentes üliernehmen. Der Pollutionsvorgang kann aber auch, 
ohne hinsichtlich des auslösenden Traumbildes, der Erektion, 
des begleitenden Gefühles und der Rückwirktmg auf das Befinden 
eine Veränderung aufzuweisen, dadurch von dem typischen 
Ablaufe sich entfernen, dass die Samenentleerung auf Abgang 
eines oder einiger Tropfen Sperma sich beschränkt oder auch 
gänzlich ausbleibt. Über diese Form des Pollutionsaktes ist 
bisher meines Wissens noch von keiner Seite berichtet worden. 
Den tropfenweisen Samenabgang beobachtete ich insbesonders in 
Fällen, in welchen früher tägliche Pollutionen bestanden, und zwar 
üi der ersten Zeit der Besserung des Zustandes, wobei es nebenbei 
noch zu Pollutionen mit reichlicher Spermaentleerung kam. In 
einem Falle meiner Beobachtung, über welchen ich schon vor 
Jahren anderen Orts berichtete*), mangelte bei den Pollutions- 



') Löwenfeld, Pftthoi. und Therapie der Neurutbeoie und H)'sterie. 
Seite 215. 



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über Pollutionen und pollutionsartige Vorgänge. 



207 



Vorgängen häufig der Saniciiabgang gänzlich. Der l'all ijctiaf 
einen in den 50er Jahren stehenden Herrn, welcher mit einer 
erheblich iüni^eren Frau verlieiratct war. Bei dem Patienten 
bestanden wenigstens seit 15 Jahren häufige nächthche Samen- 
ergüsse, deren Andauer der regelmässig gepflogene eheliche 
Verkehr in keinerlei Weise zu beeinflussen vermochte. Meist 
wurden die Pollutionen durch ein sinnliches Traumbild (eine 
nackte Frauengestalt etc.), das jedoch nur ganz flüchtig, mit- 
unter nur einen Moment auftrat, provoziert. In den letzten 
Jahren kam es öfters nach diesem Antecedens nicht zu einer 
Ejakulation, sondern nur zu einer nervösen Erschütterung, welche 
dieselbe Abspannung für den folgenden Tag zurflckliess wie die 
Pollutionen mit Ejakulation. In zwei anderen Falten kam es 
bei Neurasthenischen, die nicht an übermässigen Pollutionen aber 
einer gewissen Potenzschwäcfae litten, zeitweilig während des 
Schlafes zu Vorgängen, welche subjektiv völlig einer Pollution 
entsprachen, während jede Samenentleerung mangelte, fai diesen 
Fällen zeigte sich keine ungünstige Rückwirkung auf das Be- 
finden am folgenden Tage. Die im Vorstehenden angeführten 
Beobachtungen suid in zweifacher i linsicht beachtenswert: Sie 
lehren uns zunächst, dass die in vielen Fällen so ausgesprochene 
ungünstige Rückwirkung der krankhaften nächtlichen Pollutionen 
auf das Befinden nicht auf den Samenverlust, sondern lediglich 
den nervösen, im Lendenmarke sich abspielenden Vorgang 
zuriickzuführen ist. Man liat früher vielfach 1 Lalle man d und 
seine Schüler insbesondersj die nervösen Folgen der gehäuften 
Pollutionen durch den erschöpfenden Einfluss der Spermaver- 
luste erklärt, durch welche dem Kcirper bestimmte wertvolle 
Stoffe entzogen werden sollten. Diese Auffassung wurde in 
neuerer iSeit von der grossen Mehrzahl der Beobachter verworfen, 
von Donner jedoch wieder mit Nachdruck vertreten. Nach 
diesem Autor käme bei den unfreiwilligen Samenverlusten, „bei 
denen die Nervenerschütterung meist unbedeutend, oft gleich 
Null ist,** in erster Linie der Verlust des Samens in Betracht, 
der, wie schon die älteren Autoren annahmen, ein besonders 
hochdifferenziertes, wertvolles Fluidum darstellt. Aus dieser 
Eigenschaft des Samens glaubt Donner es erklären zu können, 



208 Ober Follutiooen nnd poUutionttftige Voiflnfe. 



,,(l:iss nach dem Abgange einiger Tropfen Samen z. B. bei der 
Defäkationsspermatorrhoe, wo jegliche Erregung des Nerven« 
sjrstems feUt, oft augenblicklich grosse MOd^keit^ Unbehagen, 
Schmerzen im Kreuz, Kopfdnick usw. sich einstellen." 

Die Tatsache, dass genau die gleichen nervösen Polgen 
eintraten, ob der Pollutionsvorgang mit Abgang reichlicherer 
Spermamen^ oder eines Tropfens oder selbst ohne jede Sperma« 
entleerung abschliesst, spricht deutlich genug dafür, dass fOr die 
Folgezustände unmittelbar nur die nervöse Erschütterung im 
Loidenmarke heranzuziehen ist In gleichem Sinne lassen sich 
verschiedene andere Beobachtungen deuten, auf welche wir noch 
zu sprechen kommen werden. In zweiter Linie erseiicn wir aus 
dem Angeführten, dass das ZustancitKrMiKf'^en jener Nervener- 
schütteruncf im Lendenniarke, von weicliLT die ungünstigen 
Riickwirkungon auf das Befinden bei Pollutionen abhängen, nicht 
lediglich an die Erre^un^svorgänge gebunden ist, welche den 
Ejakulationsakt herbeiführen. Dies ergibt sich auch aus den 
noch zu erwähnenden Rcobachtungen. 

Am wichtigsten und für die krankhafte Natur der Pollutionen 
am häufigsten entscheidend ist die Art der Beeinflussung des 
Allgemeinbefindens oder einzelner Krankheitserscheinungen durch 
dieselben. Die im Bereich des Normalen sich abspielende Pollu- 
tion wirkt auf das Gesamtbefinden nie ungünstig, ja des öfteren 
(bei in sexueller Abstinenz lebenden Individuen mit zeitweilig 
etwas mehr hervortretender Libido) sogar entschieden das Wohl- 
befinden fordernd. Bei an sexueller Neurasthenie Leidenden 
mit starker sexueller Erregtheit und sexuellen Zwangsvorstel- 
lungen habe ich von nicht zu häufigen Pollutionen einen ausge- 
sprochen günstigen Einfluss auf diese Erscheinungen gesehen. 
Als krankhaft müssen wir daher Pollutionen betrachten, an 
welche sich eine sonst nicht vorhandene allgemeine Abspannung, 
Mattigkeit oder speziell Müdigkeit mit Abgeschhgenheit der 



') Dass der Sanitnvcrlust bei den gehäuften Pollutionen für Jen Korper 
^.tnz gleichgültig ist, möchte ich duidims nidit behaupten; atleia desMO Wir- 
kungen abzuschätxeD, tiod wir vorerst ausser Stande, und jedenfills spielt erat die 
SummieroDg der Verluste eine Rolle» nicbt der eiaselne Ab^g, wie Donaer 
glaubt. 



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Ober PolluUoneii und poUttüonsaitig« Vorginge. 209 



Beine oder irgend welche andere nervöse Beschwerden oder 
Steigerungen solcher anscbliessen. Diese Folgeerscheinungen 
finden sich nicht lediglich bei sehr gehäuften Pollutionen; wir 
begegnen denselben mitunter in Fällen, in welchen nur in 
Zwischenräumen von 8—14 Tagen Samenergusse eintreten, und 
wir vermissen dieselben mitunter wenigstens lange Zeit bei In- 
dividuen p welche wöchentlich mehrere Male von Pollutionen 
heimgesucht werden. Dieselben sind also keineswegs an eine 
gewisse Häufigkeit der nächtlichen Ergüsse gebunden. Auf der 
anderen Seite begegnen wir diesen Erscheinungen aber auch 
nicht selten bei spcriiiatonhoischen Abgängen und zwar sowohl 
bei Miktions- als bei Defäkationsspcrnialoi rhoe. Auf dicken Um- 
stand wurde schon von Pcycr und Donnii, wie wir oben 
sahen, aufmerksam ^'t-macht; ich kann die Angaben dieser Be- 
obachter nach nu-inen k>fahrungen nur bcstätiijcn. Aber auch 
bei rein prostatorrhoischen Er<^nissen und selbst bei der ein- 
fachen Urinentleerung ohne spermatorrhoischen oder sonstigen 
Abgang k<"mncn die gleichen Folgeerscheinungen sich einstellen. 

Mendelsohn erwähnt, dass nach dem Abgange einer 
grossen Menge von Prostatasekret die Kranken oft das Gefühl 
grosser Mattigkeit und Abspannung haben; ich habe in den 
letzten Jahren zwei Fälle beobachtet, in welchen diese Erschei- 
nungen nadi prostatorrhoischen Ergüssen in sehr ausgesprochener 
Weise neben anderen Beschwerden (unangenehmen Empfin- 
dungen in der Dammgegend, den Hoden, Kreu2schmenen etc.) 
sich geltend machten. Bei einem an sexueller Neurasthenie 
leidenden Herrn meiner Beobachtung, der schon früher mit- 
unter nach dem Urinieren namentlich im Gefolge spermatorrhoi- 
scher Abgänge von einer sehr lästigen Müdigkeit insbesondere 
im Rucken heimgesucht worden war, trat längere Zeit hindurch 
nach jeder Urinentleerung, obwohl die Spermatorrhoe beseitigt 
war, diese Müdigkeit auf ). 

Aus dem Angeführten ergibt sich, dass neben den typi- 
schen Pollutiuncn uut Erektion und durch Ejakulaiu'n erlulgcnder 
reichlicher Spcrmaentlecrung bei Männern noch eine Reihe von 



') über den Fall wird an t>päterer Stelle au.sfubrlicher berichtet. 
Ltfweafel4i Scxuell-nerWtae htCrunsen. Vierte Aufl. 14 



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210 



über Pollutionen und pollutionsarlige Vorgänge. 



VoiL,'än^en in der Sexualsphäre htH^hachtct werden, welclu-. ob- 
wohl bei denselben das Ejakulationszenlrum nicht in Tätii^kiMt 
tritt, besrü'^lich der nervösen F«)lL^eerscheinungen den krankhaften 
Pollutionen ^k iclnvertig sind und deshalb unter der Bezeichnung» 
„p o 1 1 u t i o n s a 1 t i LI c V o r g a n g e" sicli zusatnmenfassen lassen. 

\\ ie lassen sich nun die erwähnten Nachwirkungen dieser 
Vorgänge und der Pollutionen erklären ? 

Über die näheren Umstände, welche bei der Spermatorrhoe 
den Übertritt von Samen in die Harnröhre bedingen, sind wir 
noch nicht genügend aufgeklärt und deshalb auch die An- 
sichten über diese Frage noch geteilt. Allem Anscheine nach 
ist der mechanische Hergang bei der Spermatorrhoe nicht immer 
der gleiche. Bei den hier in Rede stehenden spermatorrhoischen 
Abgängen handelt es sich wahrscheinlich um Mitbewegungen 
der Samenblase, wdche durch die Tätigkeit des Darmes und 
der Bauchpresse oder der Blase angeregt werden, i. e. ein 
Obergreifen der Erregungen von den Zentren des Defäkations» 
aktes oder der Blasenbewegungen im Lendenmarke auf das (zu 
supponierende) Zentrum für die Muskulatur der Samenblasen. 
Dieses Obergreifen kann nur infolge einer Verringerui^ der 
Widerstandsverbältnisse, einer erhöhten Irritabilität im Bereiche 
des Lendenmarkes eintreten, und die klinische Beobachtung 
spricht dafür, dass, je grösser die reizbare Schwäche in diesem 
Markabschnitte ist, um so leichter das Obergreifen stattfindet 
und daher auch spermatorrhoische Abgänge erfolgen. Wir sehen, 
dass die Neii^ung zu diesen Entleerungen vorübergehend nach 
sexuellen Erregungen oder erheblichen körperlichen Anstren- 
gungen, also erschr>})fend auf das Lendenmark einwirkenden 
Momenten, zunimmt. Bei den mitunter nicht unerheblichen 
Prostataergüssen findet dagegen wahrscheinlich eine von den 
Prostatanerven ausgehende reflektorische Erregung des Lenden- 
markes statt. Die in Fra^e stehenden Erregungen müssen im 
Lendenniarko /u einer weiter »im sich i^reifenden nervösen Er- 
schütterung^ führen, we:.u die erwiihnten ungünstigen Nach- 
wirkungen sich einstellen. Die jedenfalls i^erinL^e Intensität der 
ErrigunL^en kann die^e Fol^e nicht erklären, sondern nur ein 
kiaiikhafier, mit erhöhter hiitabihtat verknüpfter Zustand des 



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über PollutioDen aod pollationiarttge Vorgänge. 



211 



Lendeninarkes. Mit einem solchen Zustande haben wir es aber 
auch bei den gehäuften krankhaften Pollutionen gewöhnlich zu 
tun, wenn dieselben einmal längere Zeit bestehen; auch in den 
Fällen, in welchen die Pollutionen ursprünglich nur durch von 
der Peripherie ausgehende Reize (wie z. B. bei enger Vorhaut 
und Balanitis) ausgelöst werden, entwickelt sich allmählich eine 
gewisse reizbare Schwäche des Lendenmarkes, und dieser Zu- 
stand bedingt einen Circulus vitiosus: er begünstigt» resp. ver* 
aniasst einerseits das Auftreten von Pollutionen, indem er eine 
erhöhte Ansprechbarkeit des Erektions- und Ejakuiationszentrums 
für pcrii>hcre und zentrale Reize nach sich zieht, andererseits 
führt er dazu, dasb an das in Tätigkeittreten speziell des Eja- 
kuiationszentrums eine über dieses mehr minder weit hinaus- 
gt hciule, 7. T. auch nach dem Gehirn inadiierendc Ncrvcn- 
er^chüttcrung sich knüpft. Die häutii^erc l-,rre^ning des Kjaku- 
lationszentrums steigert die reizbare Schwäche und damit die 
Ansprechbarkeit desselben, und die sich immer wiederholende, 
weiterhin sich ausbrcitt iide Nervenerschütterung, die sich an 
die Tätigkeit des Ejakuiationszentrums anschliesst, fördert die 
allmähliche Ausbreitung des neurasthenischen Zustandes über 
weitere Abschnitte der Zentralorgane und die Verstärkung des- 
selben. So bilden die gehäuften krankhaften Pollutionen einen 
Vorgang, welcher nicht nur gewissermassen sich selbst unter- 
hält und damit speziell die Genitalsphäre schädigt, sondern das 
Nervensystem in immer weiterem Umfange in den Bereich der 
Störung ziehen kann. Inwieweit dies der Fall ist, hängt im 
Einzelfalle natürlich von der Resistenzfähigkeit des Nerven- 
systems im allgemeinen und einzelner Abschnitte desselben im 
besonderen ab. Zu der direkten schädigenden Wirkung der 
Pollutionen kommt noch vielfach die indirekte durch übertriebene 
Befürchtungen, welche sicli an die Fortdauer der Saincnvcrluste 
knüpfen, und die hierdurch verursachte gemütliche Verstimmung 
des Patienten. 

Wir wissen heutzutage, dass die Schreckbilder, mit welchen 
Tissot und I.alleniand die an krankliaften banienverlusteii 
Leidenden ängstigten — hnpdten/., Tabes, Bicidsinn — speziell 
was die beiden letzteren Erkrankungen anbelangt, keineswegs 

14* 

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212 



Ober Pollttlionen und poUutioOBMrtige VoislBge. 



der Erfahrung entsprechen und nur arge Obertreibungen dar> 
stellen. Allein auf der anderen Seite können wir auch die Gleich- 
gültigkeit und den Optimismus nicht gerechtfertigt erachten, die 
so viele Ärzte noch den fibermSssigen Pollutionen gegenflber 
bekunden. Wenn manche glauben, dass, da doch so viele Männer 
wöchentlich zwei-, dreimal und noch öfters sexuellen Umgang 
ohne Kachteil pllegen, Pollutionen von ähnlicher Häufigkeit 
keinen wesentlichen Schaden bringen können, so übersehen ijie, 
dass die in Frage stehenden sexuellen Leistungen nur bei 
Gesunden ohne Nachteil bleiben, die gehäuften Pollutionen 
dagegen an sich schon 1- olgen eines krankhaften Zustandes sind, 
welcher durch die Fortdauer der Samenvcrluste genährt und 
gesteigert wird. Auch die Annahme, der wir nicht selten 
begegnoi, ist ganz unhaltbar, dass es sich bei den PoUutionisten 
im wesentlichen nur um hypochondrischen Jammer handle und 
die Pollutionen gewöhnlich ein vorübergehendes Übel bilden, 
das kein ernstes Eingreifen erheischt. Die Klagen der Poliu> 
tionisten über zunehmende Nervenzerrttttung, wenn bei den* 
selben mitunter auch Übertreibungen mit unterlaufen, beruhen 
doch keineswegs lediglich auf Einbildung und übermässiger 
Ängstlichkeit, und die Erwartungen, die man bezüglich alS' 
baldigen spontanen Schwindens der gdiäuften Samenverluste 
h^t, erfüllen sich zumeist nicht. Ich habe Fälle gesehen, in 
welchen PoUut. nim. so Jahre und noch länger anhielten. Wir 
sind allerdings in der Lage, auch nach sehr langem Bestehen 
derselben noch wirksam dagegen vorzugehen, allein wir dürfen 
durciiaus nicht annehmen, dass die Schädigung, welche das 
Nervensystem durch die lani^e Jahre hindurch uiimer wieder- 
kelirendc vom Lendeniuarkc ausgehende nervöse Erschüttci uug 
erfahren hat, mit der Beseitigung der I'ollutiunen sich ohne 
weiteres rMln auch nur allmählich wieder au^^gleichen wird Die 
neurasthenischen Veränderungen des Nervensystems, welche sich 
unter diesen Verhältnissen entwickelt haben, sind in der Regel 
einer völligen Reparation nicht mehr zugänglich. 

Dass es auch bei Frauen an Vorgängen nicht fehlt, die den 
Pollutionen beim Manne entsprechen, haben wir an früherer 
Stelle bereits gesehen. Nach von Krafft-Ebing sollten die 



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Ober PoUuüooen und pollationsartige Vorgänge. 



213 



Pollutionen beim Weibe nur ein Symptom einer funktionellen 
Erkrankung des Rückenmarks bilden, eine Auffassun^^ der ich 
nicht betpflichten kann. In wie weit in der Breite des Physio- 
lojtischen Pollutionen hei Frauen vorkommen, lässt sich zur Zeit 
allerdings nicht feststellen. Dass bei gesunden (europäischen) 
Frauen Pollutionen häuhg sind, möchte ich nicht behaupten, 
allein vereinzelte Mitteilungen, die mir gelegentUcIi gemacht 
wurden, sprechen dafür, dass sie bei solchen unter gewissen 
Umständen wenigstens (bei längerer Entbehrung des gewohnten 
ehelicbra Umgangs z. B.) vcurkommen^). Bei den Indierinnen 
sdieinen dieselben häufiger zu sein ; wen^stens weist eine Stelle 
in Oupnek'hat*) darauf hin, dass dieselben schon Jahrtausende 
vor Christi Geburt den altindischen Verfassern der Veden be- 
kannt waren und von denselben als eine ganz gewöhnlwhe Er- 
scheinung betraditet wurden. Die betreffende Stelle lautet: 
„Und wenn die Gattin zu der Zeit, wo die gleichen Nächte zur 
Erzeugung eines Sohnes und die ungleichen zur Erzeugung einer 
Tochter bestimmt sind, träumt, es mache sich der Gatte mit 
ihr zu schaffen, und ihr Same ergiesst sich, so wird diese, wenn 
die Frucht bleibt, ein Stück seelenloses Fleisch (Mondkalb) ge- 
bären, und wenn sie nicht gebiert, wird ihr Leib anschwellen!" 
Zum Verständnis dieser Stelle sei beigefügt, dass in dem Ab- 
schnitte, der dieselbe enthält (Oupnek'hat Porschi), Vor- 
schriften zur Erzeugung gesunder Nachkommenschaft und speziell 
auch zur willkürlichen KrTieugung von Söhnen imd Töchtern 
gegeben werden, Vorschriften, die mprk\vürdii;er\vcise den in 
neuerer Zeit so viel besprochenen Schenk'schen Ideen nicht 
ganz ferne stehen. 

In der Mehrzahl der Fälle dürfte nach den zur Zeit vor- 
liegenden Erfahrungen das Vorkommen von Pollutionen bei 

') Freud: Drei Abhandlungen rur Sf xualtheorif. S. 4"^ erwähnt das Vor- 
kommen pollutionsartiger Vorgänge bei Mädchen vor den Pubertätsjabren und 
fOgt bei, dass dieses Vochomnanb oft (oidit leselmlise^) eine Periode frflberer 
aktiver Oneitie tat VonnuneCzuiig zu kaben scheine. 

*) Das Oupnek'hat, die aus den Veden zusammcngCM t/te Lehre von 
dem Pr;ihm. Aus der sanskrit-per'^isrhen Ül'cisetzung des Fürsten Mohammed 
Darascbekob in das I^teinisiche von Duperron, deutsch von F. Michel. 
Dresden 188s. S. 303. 



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214 



Über Pollutionen und pollutionsartige Vorgänge. 



weiblichen Individuen auf eine durch Masturbation und ähnliche 
sexuelle Schädlichkeiten verursachte reizbare Schwäche des 
Lendenmarks zurückzuführen sein. Bei sehr beträchtlicher Ent- 
wickelung dieses Zustandes kann es, wie schon erwähnt wurde, 
auch zum Auftreten von Tagcspollutionen infolge der Einwirkung 
psychischer und mechanischer Reize kommen, welche Vorgänge 
gewöhnlich von unan^^'enehmen, selbst peinlichen Sensationen 
begleitet sind. Ein von Bernhardt mitgeteilter Fall zeigt, 
dass Tagespollutionen Jedoch auch unabhängig von Einwirkung 
sexueller Noxen auftreten können. Bei einer 25 jährigen Iland- 
näherin, welche nur einige Male vor dem 20. Lebensjahre sexu- 
ellen Umgang gehabt hatte, der Masturbation nicht ergeben und 
sexuell wenig bedürftig war, kam es im Gefolge schwerer ge- 
mütlicher Erregungen zur Entwickelung hysterischer Beschwerden 
und von Tagcspollutionen. Letztere stellten sich bei jedem 
Ärger, namentlich wenn derselbe mit einer gewissen Ängstigung 
verknüpft war, ein und waren von keinerlei Lustgefühl begleitet. 
Die Pat. fühlte sich hierbei vielmehr „kreuzelend". Wenn es 
ihr manchmal gelang, durch Willensanstrengung die sexuelle Er- 
regung im Entstehen niederzukämpfen, stellten sich andere 
Beschwerden : Ohrensausen, Schwäche im Arm, ein Gefühl der 
Leere in der Oberbauchgegend um so stärker ein, und sie war 
für den Rest des Tages völlig arbeitsunfähig. Die gleichen Er- 
scheinungen traten bei der Pat. auch nach Träumen von ärger- 
lichen Vorgängen auf. 



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XIII. 



Erkrankungen der Sezualorgane bei Frauen 
als Ursache von Nervenleiden. 



Die Erkrankungen der Sexoalof|[ane spielen beim Manne, 
wie wir gesehen haben, im Allgemeinen als Ursache von ner- 
vösen Krankheiten eine sehr bescheidene Rolle ; wigleich grösser 
ist die Bedeutung, welche Krankheitszustände der weiblichen 
Sexualorgane für die Ätiologie der bei Frauen vorkommenden 
Nervenleiden beanspruchen. Wir zählen keineswegs zu den An- 
hängern der Göth ersehen Theorie: 

„Es ist ihr ewig Weh und Ach 
So tausendfach 

Aus einem Punkte zu kurieren." 

Allein, wenn wir auch alles in Abzug bringen, was von den Be- 
hauptungen über nervöse Folgezustände der speziellen Frauen- 
krankheiten einer strengeren Kritik nicht Stand hält und was 
noch strittig ist, bleiben letztere noch immer als ein seht be- 
achtenswerter Faktor unter den Ursachen der nervösen Affek- 
tionen des zarten Geschlechts bestehen. 

Die Beziehungen zwischen weiblichen Sexual- und Nerven- 
leiden haben in der Literatur der letzten Dezennien den Gegen- 
stand sehr zahlreicher Abhandlungen gebildet, die nicht ohne 
Nutzen geblieben sind und Vieles zur Klärung der Sachtage 
und zur Anbahnung einer Verständigung zwischen den zunächst 
interessierten ärztlichen Kreisen beigetragen haben. Während 
froher in der Auffassung der Beziehungen zwischen den in Rede 
stehenden Krankheitsgruppen die Gynäkologen einerseits und die 
Inieiuistcn und iseurologen andererseits weit auseinandergingen, 



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216 



Erkrankungen der Sexiialorganc bei Frauen etc. 



ist heutzutage, wenn auch noch keine volUj^o Ubereinstimmung, 
so doch weni^->tcns eine sehr eihcbliclic Anniihcrung in den in 
Betracht kouunenden Ansichten der beiden medizinischen Lager 
zu verzeichnen 

Die Gynäkologien haben sich im Laufe der jähre mehr und 
mehr daran gewöhnt, den Lrfahruiigen der Neuropathologen 
hinsieht h'ch der Ätiologie der ^'rossen Neurosen bei beiden 
Geschiecluern Ivechnung zu tragen und aus der Koexistenz von 
Genital- und Nervenleiden noch nicht ohne weiteres die Be- 
rechtigung zur Annahme eines ursächlichen Zusammenhanges 
zwischen beiden abzuleiten. Diese Wandlung in den Anschau- 
ungen der Gynäkologen hat sich aucli auf ])raktischcni Gebiete 
bereits fruchtbar erwiesen, sofern hierdurch der Übereifer in der 
Lokalbehandlung der weiblichen Sexualleiden wesentlich ein- 
geschränkt und die Wertschätzung der ncurotherapcutischen Me- 
thoden auch seitens der Gynäkologen bedeutend gefördert wurde. 

Die nervösen Störungen, bei welchen ein Zusammenhang 
mit' Erkrankungen des weiblichen Sexuaiapparates öberiiaupt in 
Frage kommt, müssen nach den dabei beteiligten nervösen 
Gebieten in lokale Affekttonen und allgemeine Neurosen ge> 
schieden werden. Es ist ohne weiteres verständlich, dass Er- 
krankungen der weiblichen Beckenorgane, indem sie durch Druck 



') So bemerkte Theilhaber schon vor 8 Jahren (VerbandlttDgen der 
deutstlicn Gesellschaft für Gynäkologie J. 1807 S. .,Nnc!i vfsr ?wei Jahr- 

zehnten bestand bei sehr vielen Ärzten der Glaube an die alte bippokrati*che 
Lehre^ dass die Hysterie zumeist ihre Ursache in Anomalien des Uterus habe. 
Die Statzen dieses Glaubens sind von Jahr zu Jahr mehr ersdiflttert trorden. 
Heute wird für die Hysterie d r Hauptgrund in der erblichen Belastung und in 
der verkehrten JCrriehung j^:- funji u. Internisten und Neurologen lassen einen Zu- 
sammeuhaog mit Utemsctkrankungea entweder gar Aicbt mehr gelten, oder 
erkennen die Anomalien des Utenn doch nur aia einen untergeordneten Faktor 
fUr die Entstehung eines kleinen Prosentsattei von FiUen von Hysterie an. Bei 
den Gynäkologen ist der Skepti/ismt» bcttglidi des kausalen Zuaoinienhanges 
von Hysterie und UteriiNerkrankurigcn zwar noch nicht so weit vorgeschritten, wie 
bei den Internisten. Doch schrumpft auch bei ihnen der Glaube an diesem Zu- 
sammeahang von Jahr zu J:Uir mehr xusammen. Den besten Beleg hteifttr Wetet 
ein Blick in die verschiedenen Auflagen mancher Lehrbttcber fOr Gynikologi«. An 

ihnen liisst sich deutlich erk( inien, wie durch die inzwischen erschienenen Publi- 
kationen der Neurolnf^en so tn.n 1 r Wunderglaube /crstiirt w<>r<!cn ist. Almltrh 
wie mit der Hysterie gehl es mii dem Glaubeu an die ietlekturi»chen Neuralgien." 



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Erkrankungen der Sexualorganc bei Fr«ueo etc 217 



oder Zerrung zu mechanischer Becinträchtii,'un^f der in den 
erkrankten Organen oder in deren Nachl)arschart verlaufi-nden 
Nerven oder zu diese schädigenden Zirkulationsstt)runf,'cn führen, 
nervöse Beschwerden verursachen. Ks muss auch ohne weiteres 
zugegeben werden, dass bei den mannigfachen Verbindungen 
der Nerven der Genitalorgane untereinander und mit denen 
benachbarter Teile die durch Erkrankung eines Abschnittes des 
Sexualapparates verursachten nervösen Reizungen sich über die 
nächste Umgebung hinaus fortpflanzen können. 

Als Affektionen, welche lokale nervöse Störungen hervor» 
zurufen geeignet sind, kommen in Betracht: Tumoren des Uterus, 
chronische entzündliche Prozesse desselben und der Ovarien, 
Exsudate, Schrumpfungsprozesse» Narben und Geschwüre^) 
(mit Freil^ung der Nervenendigungen), dann auch gewisse 
Lageveränderungen des Uterus und der Ovarien» Senkung und 
Prolaps des Uterus descensus ovariorum. Von den Beschwerden, 
welche bei diesen Leiden auftreten, stehen Schmerzen und 
Parästhesien im Vordergrunde. Die Schmerzen können in der 
Tiefe des Beckens lokalisiert sein und sich mit Empfindungen 
der Schwere, des Druckes oder Drängens verknüpfen; sehr häufig 
haben sie ihren Sitz in der Kreuz- und Gesässgegend, auch an 
den Oberschenkeln und hier sowohl im Gebiete des N. cruralis 
als des N. ischiadicus, seltener in den Verbreltui^sbezirken 
dieser Nerven am Unterschenkel und Fusse, auch die untere 
Bauch- und Steissbeingcgend (Coccygodynie) wird des öfteren 
heimgesucht. Zu diesen Schmerzen gesellen sich häufig Schwäche- 
zustände der Beine und Gefühle abnormer Müdigkeit in den- 
selben und im Rücken, in manchen Fällen auch Beschwerden 
bei der Harn- und Stuhlentleerung (Tenesmus vesicae et recti, 
Schmerzen im After bei der Entleerung etc.). Diese Erschei- 
nungen sind jedoch, soweit man dies gegenwärtig beurteilen 



Die Bedeutung der Erosionen an der P ttio. welche man früher tinc 
Quelle vieler aerwOser Störungen bclrachleic, wird >;t;|;€nwAiii^ von den Gynäkologen 
fshr geriog laxiert. So bemerkt Krflnig, dass dieselben nach ■llfffmeiner Ansicht 

der Gynäkologen wohl geringe lokale Störungen, Ausflugs, event. auch Blutungen 
hervorrufen können, dass sie aber wohl niemals nervöse Symptome in eotferotCr 
liegenden Gebieten rellektoriich oder durch Irradiation bedingen. 



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218 ErkrankuDgcn der Sexualorgaae bei Frauen etc. 



knnn, mir zum Teil direkt von irntationszuständcn der Becken- 
nerven abhängig, sie finden sich auch bei Frauen mit jresunden 
Sexuaiorganen (Hcgar') und entsprechen überwiegend denSym- 
ptomeHi die bei der Lendenmarksneurasthenie des Mannes auf- 
treten. Diese Umstände legen die Annahme nahe, dass sie zum 
Teil auch durch Fortpflanzung von Reizungsvorgängen im Be- 
reiche der Beckennerven nach dem Lendenmark und dadurch 
bedingte reizbare Schwäche dieses Markabschnittes zu Stande 
kommen. Hegar bezeichnet die betreffenden Symptome auch 
schlechtweg als ««Lendenmarksymptome", wodurch jedoch zur 
Klärung der Sachlage nichts getan ist. 

Die oben angeführten GenitalafTektionen führen nicht sämtlich 
gleichmässig zu den in Frage stehenden Beschwerden, sondern je 
nach ihrer Art und Lokalität vorwaltend zu der dnen oder anderen 
Gruppe derselben. Die Intensität und Ausbreitung der auftretenden 
nervösen Störungen steht dagegen in keiner konstanten Beziehung 
zu der Alt und Lrikalilät der Erkrankung. I".rhel)Uche 6cxual- 
aückliunen bestellen nicht selten ohne- alle 1 .cndeniiiarkssymptome 
(Hegar)'), dies weist scliun daraut hin, dass für das Ziistandckninnien 
der angeführten Lokalsymptome ein Faktor von grosser Bedeutung 
ist, der auf Seiten des Ner\ ensystenis li< i^t. Die hier in Betracht 
kommenden Scxualleiden können natiirlich ebenso wie nerven- 
gesunde auch neuropathisch disponierte und bereits neurasthenische 
Frauen heimsuchen, und es ist begreiflich, da wir die gleichen 
Erscheinungen bei anderen Erkrankungen finden, dass das sexuelle 

'* H'.'gar erwähnt, d;«s«^ hri i5°'(,<lcT I'r.incn niit l.cnfhnmarkssyinploroeo 
sich keu;(. pa-tholo^jisthe VerUntlciuiig der Sexuaiui^iri' n.i. hwi i-.fn licv-,. 

'j Da>> Mi!><>vcrbäUiUä zwiitcbea dem pathulogiscbc» Befunde in den SexuiU* 
Organen und den bestehenden nervösen Störungen hat schon Spencer Wells 
hervorgehoben. Krönig erwihnt, dsss man roerIcwOrdtgerweide vom jeher nicht 

die MJliwer^tcn GeniUiterknuikungeD, wie z.B. Uteruskarzinome, .sundern nur die 

j»eiiii^fii^i^<'ii Krkr;inku(i^;en, wie liro-^ioii am Muttermunde, T,^<^' vf-r:'tndcnins; des 
UleiU!), ^H:b^ualp^uo|4cu un t'arametrtum, k]cincy:>lUcb<; Degeneration der <.>varicoetc. 
in urüächlicbe Besiehnngcn zu lokalen und al^meinen Nemosen gebracht hat» 
und er betont, dass es etwa» Gezwungene» an sich bat, dass gerade so anatomisch 
geringe Veranderunt;en .in den Genitalien so schwi n m rv(')>e ErscbcinungCB her- 
vorrufen sollt n. Auch 1 hcilhabcr hebt den Umstand hervor, dass in neuenr 
Zeit ^'.hr selten crn^teec -yii ik<.. -j;i-vche Erkr.>iikui;^;en, /umeist leichlere Affcktionen 
^^Retrortcxio, Ero^io) als Ursache von Rcllcxncurusen angL-.ehea wurden. 



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Erkrankungen der Sesualorgiuie bei Frauen etc. 



219 



Leiden um so intensivere und verbreiteterc Nerven Störungen 
hervorruft, je geringer die Widerstandsfähigkeit des Nerven- 
systems ist. Mit der mechanischen Irritation der Heckennerven 
verbinden sich bei den weiblichen SexuaUeiden häutig Blut* und 
Säftevertuste, welche zu Beeinträchtigung der Altgemeinernäh- 
rung und damit auch zur Schwächung der nervösen Konstitution 
oder zur Steigerung einer bereits bestehenden neuropathischen 
Disposition führen. In ähnlichem Sinne wirken bei vielen weib> 
liehen Personen psychische Vorgänge, welche durch das Sexual- 
leiden angeregt werden: die gemütliche Alteration, welche 
der Gedanke, sexualkrank zu sein» hervorruft, die Sorgen wegen 
der möglichen Folgen des Leidens für das eheliche Glück 
(Sterilität) oder wegen dessen Weitergestaltung (Karzinomfurcht), 
die peinlichen Erregungen, welche die notwendig werdende 
gynäkologische, oft lange Zeit sich hinziehende Behandlung ver- 
anlasst, der Verdruss über die Behinderung in der gewohnten 
häuslichen oder geschäftlichen Tätigkeit etc. Schon in den 
Fällen, in welchen das Sexiiallei^Ien allein den Anstoss /.ur Ent- 
wickelung der nervösen Störungen gibt, haben wir es daher 
häufig mit komplizierten Verhältnissen zu tun; Ihm der grössten 
.Mehrzahl der Falle, m welchen wir nervöse Leiden mit Genital- 
affektionen verknüpft finden, führen jedoch, wie Engelhard an 
dem Materiale der Hegar'schen Klinik nachgewiesen hat, die 
Sexualleiden nur im Vereine mit einer Mehrzahl anderer Schäd- 
lichkeiten die nervösen Störungen herbei ; hierdurch wird natür^ 
lieh die Beurteilung des Einflusses, welchen das Sexualleiden 
direkt auf das Nervensystem äussert, noch mehr erschwert. 
Dieser Umstand macht es aber auch einigermassen begreiflich, 
dass wir so häufig bei sexualkranken Frauen nicht lediglich 
Lendenmarksymptome oder solche Oberhaupt nicht, sondern Zu- 
stände allgemeiner Neurasthenie oder neurasthenische Funktions- 
störungen einzelner innerer Organe finden, neben welchen andere 
mehr untergeordnete neurasthenische Erscheinungen bestehen 
oder auch wenigstens zeitweilig mangeln. Die Entwickelung und 
Gestaltung speziell letzterer Fälle weist darauf hin, dass, wenn 
es von der Sexualerkrankung aus zu einer Beeinflussung höher 
gelegener Abschnitte des zentralen Nervensystems kommt, diese 



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220 



Erkraolouigen der Sexualorgane bei Frauen etc. 



nicht lediglich auf dem Wege kontinuitrlicher Aiisbreituu«^ einer 
reflektorisch voti den Sexualorganen aus erzeui^ten neurasthe- 
nischen Veränderuni^ durch das Gesamtrückenmark hindurch 
nach oben geschehen muss Bei den sexualkranken Flauen 
machen sich einerseits el.)enralls die verschiedenen Widerstands- 
Verhältnisse der einzelnen Gebiete der Zentralorgane geltend, 
deren Bedeutung für die ivokalisation neurasthenischer Störungen 
wir schon früher kennen gelernt haben, andererseits der Umstand, 
dass zwischen einzelnen Organen, resp. Organsystemen und dem 
Sexiialapparate offenbar intimere Beziehungen bestehen, daher 
die Funktionen dieser Organe durch Zustände des Sexualappa- 
rates leichter auf reflektorischem Wege gestört werden ab die 
anderer Organe. 

Unter den Organen, deren Funktionen solcher reflekto» 
rischer Beeinflussung von den weiblichen Sexuak>fganen aus 
unterliegen, steht der Verdauuhgsapparat obenan. Allbekannt 
sind die Magenbeschwerden (Übelkeit, Brechreiz und Erbrechen), 
welche bei so vielen Frauen in den ersten SchwangerschaftS' 
monaten auftreten. Durch Kretschy und Fleischer wurde 
nachgewiesen, dass der physiologische Vorgang der Menstruation 
eine Verlangsamung der Magenverdauung bedingt, und mit dem 
Aufhören der Blutung der Verdauungsprozess wieder normal 
wird, (iastrointestinale Störungen finden sich ferner bei sehr 
vielen Krauen mit Scxuallciden, und dieselben haben schon lange 
die Atifmerksamkeit der GynäkologtMi a\if sich gezogen; ein- 
gehendere Untersuchungen über die Art dieser Störungen und 
ihre Be:iriehTmg zu den SexualatTektionen smd jedoch erst in 
neuerer Zeit auLiestellt worden. Selbstverständlich sind 
die Magen- und Darmbeschwerden mit Sexualaf- 
fektionen behafteter Frauen nicht immer durch 
letztere verursacht. In zahlreichen Fällen bildet die Genital- 
erkrankung lediglich eine zufällige Komplikation nervöser oder 
organischer Magenleiden ; mitunter — so bei Enteroptose — sind 
die gastrointestinalen Störungen und die Lageveränderung des 
Uterus KoefTekte derselben Ursache (hochgradiger Erschlaffung aller 
Bandapparate im Bauchraume, der Douglas'schen Bänder etc.); 
in manchen Fällen ist auch die gynäkologische Affektion durch 



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Erkrankungen der Sexualorgane bei Frauen elc. 



221 



eine primire Anomalie des Verdauungsappaiates bedingt. T h e i l • 
haber macht hier insbesonders auf die Atonie des Darmes und 
die dadurch bedingte Anhäufung von Gasen und Kotmassen 
aufmerksam, welche zu venösen Stauungen im Uterus und da- 
durch zu Metrorrhagien, Dysmenorrhoe und Fluor albus führt. 
In einer weiteren Reihe von Fällen endlich gibt die Sexualer» 
krankung auf reflektorischem Wege den Anstoss zur Entwicklung 
gastrointestinaler Beschwerden. Was nun die Art dieser betrüft, 
so glaubte Kisch eine besondere „uterine Dyspepsie" unter« 
scheiden zu dürfen, welche durch Veränderung der Magensekrete, 
Hemmung der Darmbewegung und Erbrechen charakterisiert sein 
sollte. Durch Frank, Panecki und die MQnchener Beobachter 
Theil haber und Crämer wurde jedoch nachgewiesen, dass 
die von den Sexualorganen ausgehenden nervösen Ma^cuaffek- 
tionen keine gleichförmige Symptomatologie aufweisen und eine 
besondere „uterine Dvspepsie" nicht existiert. Die genannten 
Beobachter fanden L>ci l-Vauen mit Geuitalanomalicn und gastrischen 
Beschwerden in der grossen Mehrzahl der Fälle die Sekretion und 
Verdauungskraft des Magens normal (Theilhaber-Crämer 
unter 4$ Fällen nur einmal Anaciditas und cinnial 1 1> pt raziditärX 
ferner Erbrechen relativ selten. Die gastrischen Störungen geiü- 
talen Ursjiiuns^s zi i-^^cn ganz die gleichen Variationen wie die 
Erscheinu!T;_;en der nervösen Dyspepsie anderer Herkunft. NlIk h 
der finfaclu-n neiAÖsen Dyspepsie im 1 . e u be sehen Siime \ohne 
Alteration des Chemismus und der motorischen Tätigkeit des 
Magens^ u erden Herabsetzung der Motilität ( AtoniiM und Stö- 
rungen des Chemismus des Magens, auch Darmatonie angelroüen ' ). 
Auch periodische Gastralgien kommen mitunter vor (Theil- 
haber-Crämer). In bezug auf die reflektorische Auslösung 
gastrointestinaler Beschwerden verhalten sich die einzelnen Teile 
des weiblichen Sexualapparates allem Anscheine nach nicht gleich- 
wertig. Am tiäufigsten bilden Erkrankungen des Uterus eine Quelle 



M Crämcr f.ind in allen Fällen cinf.icher nerv(">>cr Dy>|)ep>ic atoniscUc 
Zustände tifs Kolons mit K^prostase, die er als das l'rimäre und Ursache der 
gasUiiichcu StöruugL'ii '.lowic auch anderer gleichzeitig vorh-iudcncr nervcscr Sym- 
ptom«) betrachtet. Tbeithaber vertrat fraher die Ansicht, dass die Atonie 
dei Kolon« anf rcßelclorischem Wege voo den Sexualorganen aus entfciebt. 



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Erkrankunijen der Sexualorgane bei Frauen etc. 



dieser Störungen. Ungleich seltener sind Afiektionen der Ovarien 
im Spiele, Veränderungen der Vagina und Vulva bleiben in der 
fraglichen Richtung ganz ohne Einfluss. Besonders auffällig 
äussert sich mitunter die Einwirkung gewisser Lageveränderungen 
(Senkungen) des Uterus. Ich habe wiederholt Damen behandelt, 
bei welchen neben anderen neurasthenischen Beschwerden völliger 
Appetitmangel, Nausea und Brechreiz bestand. Diese Erschei- 
nungen trotzten längere Zeit jeder Behandlung, sie schwanden 
dagegen sofort nach Einführung eines Pessars und kehrten wieder, 
wenn dieses aus der Lage kam. 

An die gastrointestinalen Beschwerden reihen sich an Häufig* 
keit die Herzstörungen sexualkranker Frauen an. Es handelt 
sich hier um die verschiedenen Erscheinungen nervöser Herz- 
schwäche, wie sie auch unabhängig von SexualalTektionen bei 
Neurasthenischen angetroffen werden: Zumeist anfallsweise auf- 
tretende Beschleunigung der Herztätigkeit mit Gefühl des Herz- 
klopfens, echte Tachykardie mit einer Pulsfrequenz bis 1 80 und 
selbst 200, begleitet zumeist von Brustbeklemmung und Angst- 
zuständen, zum Teil auch von schnicr/liattcn Sensationen m der 
Ilei /gi-gcnd, die nach einem oder heulen Armen ausstrahlen 
können irscudo angina pectoris), seltener Vei langsamung oder 
Unregelmässigkeiten der 1 lerztätigkeit flctztere mitunter den 
tachykardischcn Antail einleitend), oder ausgesprochene Merz- 
schwäche, dabei auch öfters vasomotorische Störungen an der 
Peripherie (Erkalten der Hände und Kii^se etc.). Kisch fand 
untei 126 weiblichen Pi-rsonen im Alter \un 17 — 4S jähren mit 
Funkt ioii>storun;en ctder pathologischen Veränderungen des 
(ienitalapparates bei 38 (=32,7";o) Herzbeschwerden und zwar 
nervöse Tachykardien in 21 und Pseudo-angina pectoris in 
3 Fällen, l'nter den verschiedenen Sexualerkrankungen scheinen 
nach den vorliegenden Frfahnmgen die Metritis chronica und 
die Tumoren des L'terus (insbesonders Myome) am häufigsten 
den Anstoss zum Auftreten nervöser Herzbeschwerden zu geben. 
Von den Menstruationsanomalicn sind in dieser Richtung 
Auunorrhoe, Menorrhagie und Dysmenorrhoe häufig wirksam 
(Kisch). Die Hczieh^rn-^en , wel iie zwischen den Herzbe- 
schwerden und den Sexuaierkrankungen oder Störungen bei 



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Erknulkuogen der Sexnalorgaoe bei Fnnen etc. 



228 



Frauen bestehen, sind jedoch in den einzelnen Fällen sehr ver- 
schieden. Wir haben es hier mit ähnlichen Verhältnissen wie 
t>ei den gastrotntestinalen Störungm zu tun. Die Erscheinungen 
der nervösen Herzschwäche können natürlich bei Frauen mit 
sexuellen Anomalien durch dieselben nervenschädigenden Mo- 
mente hervorgerufen werden, wie bei Frauen mit normalen 
Genitalzuständen (gemütliche Erregungen, toxische Etnwir- 
kui^en etc.). Die Herzstdrungen können daher jeder ursächlichen 
Beziehung zur Genitalaffekttcm ermangeln. In nicht seltenen 
Fällen bildet diese nicht das einzige ursächliche Moment, welches 
zum Auftreten von Herzbeschwerden Anlass gibt. So habe ich 
mehrfach Fälle beobachtet, in welchen zur Zeit der Menses 
tachykardische Anfälle sich einstellten, solche aber auch in der 
intramenstruellen Zeit durch verschiedene Anlässe (Aufregungen, 
KafTeegenuss etc.) herbeigeführt wurden. Die gynäkologische 
Aifektion kann auch auf indirektem Wege Herzbeschwerden 
nach sich ziehen, resp. zum Auftreten solcher beitragen, indem 
sie durch reichlichen Blutverlust zur Verschlechterung der All- 
gemeinernährung und dadurch zur Schwächung der nervösen 
Konstitution führt, oder indem sie peinliche gemütliche Er- 
regungen veranlasst wegen Behinderung des ehelichen Verkehrs 
oder Verursachung von Sterilität, Furcht vor einem operativen 
Eingriff etc. Daneben begegnen wir Fällen, in welchen allem 
Anscheine nach lediglich auf rotkktorischem Wege die lierz- 
stÖrungen zu Stande kommen 

Von sonstigen noch in das Gebiet der Neurasthenie falten- 
den Störungen, die mit Genitalaffektionen bei Frauen in reftek> 
torischen Zusammenhang gebracht werden, seien hier nur die 
das Auge betretenden erwähnt. Nach den Mitteilungen Salo 
Cohn's und Mooren's können Erkrankungen sowohl der äüsseren 
als der inneren Genitalien bei Frauen und Menstruationsanomalien 



•) Kisch erwähnt, d.i>s er auch l-iille sah, in denen nicht das gynilko- 
logiscbe Leiden selb&l die Hc>/beschwerJeii vcrurs>acblt:, sondern diese ietitcten 
eine Folg« der. gegen die Sexnalerlcrmkuiig aogeweodeten ArzUicben Behandlung 
waren, wobei er ausser intrauterineii EtngriflTeD, wi« Sondierung, Atsung, besonders 
die moderne gynäkologische Massage anschuldigt. 



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224 



Erknuikungco der SexmlorgRBe bei Frauen etc. 



neurasthenische Asthenopie (Hyperästhesie und Anästhesie der 
Retina) nach sich ziehen'). 

Es ist zweifellos sehr erfreulich, dass man in neuerer Zeit auch 
in dl 11 Kreisen der Gynäkologen von der früher so verhrcitcteii Thtr 
Schätzung der Sexualerkranknng bt i Fraiu n als einer 'Judlr rcdckton^clKT 
nervöser Störungen mehr und mehr abgekonnnen ist und Versuche, die 
Alteren Anschauungen zu stQtzen (Krantz), energisch zurQekge wiesen 
werden. Man darf jedoch das Kind nicht mit dem Bade ausschütten. 
Wenn man frOher in dem Eifer, genitale Reilexnf iirosen aufzufinden, 
zweifellos vir] zu weit ^epangen ist, so schtiin mir Krön ig ebenfalls 
zu weit zu gehen, wenn er die Existenz derartiger Neurosen gänzlich in 
Abrede stellt Speziell hat sich der genannte Autor gegen die Annahme 
gewendet, dass zwischen Erkrankung des GenttalaiH>arates bei Frauen 
und nervösen Störungen des Verdauungsapparates und des Herzens ein 
rclh ktorischcr Zusammenhang bestehen könne. Indes sind die Argumente, 
wclciie Krönig gegen diese Annahme vorbringt, nicht völlig stichhaltig. 
Soweit der Verdauungsapparat in Betracht kommt, stfltzt der Autor seine 
Auffassung wesentlich auf den Umstand, dass die sogenannte uterine 
Dyspepsie sich nicht durch besondere Eigentümlichkeiten von der ner- 
vösen Dyspep-^ie anderen Ursprung«; unterscheidet und dir Hyperemf'si« 
gravidarum zwcuellos ein hysterisches Symptom ist. Damit ist aber 
gegen eine reflektorische Ausktoimg gasn^t^nte8tinaler Störungen vom 
weiblichen Sexualapparate aus ebensowenig etwas bewiesen, als durch 
die Tatsache, dass die sogenannte uterine Dyspepsie sich nicht durch 
besondere Symptome auszeichnet. Krön ig Obersicht bei seiner Theorie 
eine ganz banale Erfahrung. Ungleich häufiger als das übermässige tX' 
brechen sind, wie wir gesehen haben, Magenstörungen leichterer Art In 
den ersten Schwangerschaibmonaten, Appetitmangel, Widerwillen gegen 
einzelne Speisen, Übelkeiten und Urechreiz nach der Nahrungsaufnahme 
sowie zeitweiliges l!rbrrc!iM) ; d\cs<- Sturtingen kommen aiu h bei rmuen 
vor, welche vor dem Eintritte der Schwangerschaft sich volligen Wohl- 
befindens erfreuten, und verlieren sich sehr hüufig wahrend der weiteren 
Entwickelung der Schwangerschaft ohne jede Behandlung. Es besteht 
keinerlei Berechtigung, diese oft ganz isoliert auftretenden Magenbe» 
schwcrden als neurasthenische oder hysterische Symptome zu deuten, 
wenn aui h zugegeben werden mag, dass dieselben an eine gewisse 
nervöse Prüdisposition geknüpft sind. 

Auch der Einfluss, welchen die Korrektion von Uterussenkungen 
in einzelnen Fallen meiner Beobachtung auf vorhandene Magensymptome 
Äusserte, lässt midi einen rellektorischen Zusammenhang nicht nbwri-'-n. 
In einem dt_-r in Frage stehenden Fülle, der eine du! < h geistige Uber- 
anstrengung schwer neurasilieniseh gewordene, in den 30er Jahren 
Stehende Lehrerin betraf, gelang es, durch die Qbliche Behandlung« s8mt> 



*) Nach Mooren »Ucn Genital»ITektionen bei Frauen auf rcflekioiisfhCTn 

\Vf;;e auch Akkonimo'lalii':i-kr.inipf>'. MyJri.i>is iiiul Miosis hethcifühu-ii. Die*e 
inlerptetation d«r belietiendea Falle scheint mir jedoch keinesweg» einwjuidliei. 




Erkrankungen der Sexualorgane bei Frauen etc. 



225 



liehe neurasthenische Erscheinungen mit Ausnahme der Magensymptome 
zu beseitigen. Letztere wichen erst, nachdem die vorhandene Uterus- 
Senkung die erforderliche BerQcksichtung gefunden hatte. 

In bezug auf Hervorrufung nervöser HerzstOnmgen durch vom 
weibh'chen Genitalnpparate ausgehende Reflexreizungen, will ich hier 
nur einen Fall anl'tiluTn. 

In mriner Beohaciiiung befindet sich seit vielen Jahren « iiie jetzt 
Anfangs der 50 or Jahre stehende imverheiratctc Iiamc. Dieselbe verfiel 
Ende der 30 er Jahre ihres Lebens infolge jahrelanger geistiger Überan- 
strengung und vieler gemfltlicher Erregungen in schwere Neurasthenie 
mit besonders Iv^rvortrctcnden Herzsymptnmpn. Die Patientin wurde 
häufig von schwer- II tachykardischen Anfallen heimgesucht, di^ durch 
verschiedene Momente (Katteegcnuss, geistige /Vnslrengung, Schrecken etc.) 
hervorgerufen wurden und keinen Zusammenhang mit den Menses 
zeigten« Mit der Besserung des neurasthenischen Allgemeinzustandes 
wurden diese Anfälle seltener und seltener, und während einer Anzahl 
von Jahren verloren sie sich ganz. Seit etwa 3 Jahren befindet sich die 
Dame im Klimakterium. Seit dieser Zeit sind tachykardische Anfälle 
leichterer Art wieder aufgetreten. Dieselben stellten sidi aber fast aus- 
schliesslich zur Zeit der Menses ein, die in der Regel, wie schon früher 
mit dysmenorrhoisthon Beschwerden verknOpft sind. Oft kam es vor, 
da<^s die Uii iiyk irdis. h< n .\n(:\lle die ganz unregelin?\?sig auftretenden 
Menses durch ihr fcirscheinen ankündigten. Spätesten« innerhalb 12 — 24 
Stunden nach dem Anfalle stellten sich die Menses in der Regel ein, 
wenn dieselben zur Zeit des Anfalles noch nicht bestanden. Einer der- 
artigen durch Jahre liindurch fortgesetzten Beobachtung gegenüber dflrfte 
e«; 'wo!il recht schwer sein, von einer bloss zufiUligen Koinzidenz zu 
sprechen. 

Wenn ich nach dem Dargelegten an dem Vorkommen genitaler 
Reflexneurosen bei Frauen Krön ig gegenüber festhalten muss, so bin 
ich andererseits weit davon entfernt, diesem Autor entgegen zu treten, 
wenn er einen reflektorischen oder konsensuellcn Zusammenhang: von 
Nervenleiden speziell mit gewissen Sexuah^rkrankungen ( Endometritis, 
Erosion, .Stenose der Cervix etc.i aL uneruic^: n bezeichnet. 

Das hier Bemerkte gilt auch der Auflassung Theilhaber's 
gegenüber, welcher Autor sich in neuerer Zeit sehr skeptisch 
in Betreff des Vorkommens genitaler Reflexneuroscn geäussert 
hat. Th. glaubt nicht, „dass durch gynäkologische Anomalien, 
die sonst keine oder nur ganz geringfügige Symptome machen 
und die keine Verschlechterung der Blutbeschaffenheit verur- 
sachen, Nervengebiete afHziert werden können, wddie von den 
Genitalien weit entfernt liegen". 

Ober die Beziehungen der Sexualkrankheiten bei Frauen 
zur Hysterie gingen bis in die jüngste Zeit die Ansichten nicht 

I,Aw«nfeid, Sexaell-oerväM Sioiuni^cu. Vierte Aufl. J5 



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226 



Erkrankungen der Sexualorgane bei Frauen etc. 



nur zwisclicn Gynäkologen und Ncuiologen auseinander ; es be- 
standen in diesem Punkte auch unier den Neurologen sehr er- 
hebliche Meinungsverschiedenlieiien, die selbstverständlich auch 
für die therapeutischen Anschauuni^en der Betreffenden nicht 
ohne Kintluss blieben. Nach den Äusserungen einzelner Neuro- 
logen konnte man glauben, dass die Annahme eines Zusammen- 
hanges der Hysterie mit Genitalleiden eine Art Köhlerglauben 
darstelle, der keiner ernsthaften Widerlegung mehr bedürfte. 
So bemerkte Möbius: „Die törichte Meinung, dass der Uterus 
etwas mit der Hysterie zu tun habe, wie der Name ausdrückt, 
wird jetzt hoffentlich von niemand mehr gehegt/* Wind scheid 
dagegen trug noch in seiner 1897 veröffentlichten verdienst- 
vollen Arbeit „Neuropatholc^ie und Gynäkologie" kein Bedenken, 
die Hysterie su den reflektorisch von den weiblichen SexuaU 
Organen ausgelösten Neurosen zu zählen; er erklärte sogar, dass 
es die Hysterie ist, welche sich in ihrem Proteusbild als diejenige 
allgemeine Neurose zeigt, die in erster Linie von lolcalen Genital- 
erkrankun^en abhängig ist '). 

Nicht minder weit gehen die praktischen Konsequenzen 
auseinander, zu welchen einzelne Neurologen auf Grund ihrer 
Auffassung von den Beziehungen zwischen Hysterie und Sexual- 
erkrankungen gelangten. So erklärte ein hervorragender amerika- 
nischer Neurologe Der cum: (On tbe relation of the great 
neuroscs to pelvic disease, The American Gynaecologtcal und 
Obstetrical Journal, August 1898): „Vor Allem muss jede Idee, 

') WintI scheid hat hier auch dit- Hysterie als die einzige von den Sexaal« 
erkrankun^cn bei I t ti!»rn reflektorisch :ius(;ohendc ail^jciiicinc Neurose in Bftrarbt 
gezogen. Dah \ orkomuicn ein« allgciiieineo Neuia^lbenie aU Folge von Sexual- 
l«idea erw&hnt er nkbt einmal. Oer Autor hat auch einen allcrdingi nidkts 
weniger al» gelungenen Versuch gemacht, die Auffassung der Hy»terie alt genitaler 
Hc-llcMiciiic^c mit der Möbius'schen Derinition der Hysterie ah einer „Kraak- 
heit di,r \'otst< tlunj^LH", i. e. einer v(»n N'orsti-IIun^jct) au>;;chcnfien Krankheit zu 
vereinbarcu. In neuerer Zeit isi Windsckeid i» der Auaaluxie genitaler 
Reflexncurosen jedoch, wie wir konstatieren müsseoi vUA zurflckhaltender geworden. 
In einem in der Geburtshilflichen Gesellschaft au Leipzig gehaltenen Vortrage 
(zitiert bei Krön ig S. 41) erörterte er die Momente, welclie n;ich !iei Der Ansicht 
die Di.!;ji.ft>.e einer ^•■kiLiIlii Ketl-xiu uro^c reelitfertij^en ; Li- ibci Im tonte er 
?u^l<_Kh, wie -thwtr b< i uii-''t';n ^.;< ;;<-tuv artij^en Kenntnii>t>cu der Nachweis fBr 
dji Bestellen tiner solchen NeuroiC zu cibiinj;cu ist. 



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Erkraaknagcn der Scxualorgaoe bei Ffanen etc. 



227 



Neurasthenie oder Hysterie durch Operationen an den Becken- 
Organen zu heilen, vollständig aufgegeben werden. Glücklicher- 
weise haben wir die Zeit schon beinahe hinter uns, da man 
solche Operationen unternahm." Fast zu gleicher Zeit teilte 
V. Krafft-Ebing (Arbeiten aus dem Gesamtgebiete der 
Psychiatrie und Neuropathologie 3. Heft 1898) einen Fall von 
Hysteria gravis mit, in welchem auf sein Andrängen zuerst das 
linke und später wegen eines Rezidives der hysterischen Be- 
schwerden auch das rechte Ovarium entfernt worden war, ob- 
wohl die gynäkologische Untersuchung keinerlei anatomische 
Veränderungen des linken Ovariums zu konstatieren vermochte 
und vor der zweiten Operation zu keiner bestimmten Diagnose 
bez. der noch vorhandenen Adnexa geführt hatte. Es fand 
sich in den Ovarien lediglich kleinzystische Degeneration, em 
Zustand, der von Nagel noch als physiologisch angesehen wird. 
Da der Erfolg beider Operationen ein günstiger war, erachtete 
es V. Krafft-Kbin^ für eine Tatsache, ,,dass so geringfügige 
anatomische Vciandcrungcn im Stande sind, so weitgehende 
klinische Reaktionen hervorzurufen." Er hielt es sogar für 
möglich, ,,dass auch blosse sogenannte funktionelle Störungen 
in den Ovarien" die Ursache schwererer Nervenkrankheiten 
bilden >). 

Die Vorstellungen, welche wir uns von der Art der Be- 
ziehungen zwischen hysterischen Erscheinungen und Sexuallciden 
hei Frauen bilden, hängen von der Auffassung ab, die wir 
bezüglich des Wesens und der nosologischen Stellung der Hysterie 

Diesen Meintinc':verschiedenhpitf*n im ncnrolnfji'^chen Lager gegenüber 
erschciat es sehr crlreulich, da^ü von den Gynnkologen die Kastration bei Hysterie 
io netterer Zeit fast aUgemein verworfen wird. So bemerkt KrOoig: „Trotz 
aUer begeisterten Fttrsprecber flir die Kastration ist in den letzten Jahren kaum 
noch eine Publikation erschienen, in welcher bei funktionellen Nervenkrankheiten 
Kastration befürwortet wird, ja im Gcj;cntfil, man warnt Uberall vor der Operation, 
nicht bloss deswegen, weil man gelernt bat, dass die Kaülration wohl niemals 
einen Danererfolg gehabt bat, aoodern auch deshalb, ireil die Kastration als soldie 
geeignet ist. besonders bei hereditär belasteten Individuen schwerste Nervenstfirungen 

herbeizuführen." Heute nimmt man fast allgemein an, dass die früher 

mitgeteilten vorübergehenden Etfolge nach Kastration unter der Abhängigkeit 
der niorali.schcD Impression und der Suggestion, welche die Operation ausübt, 
gestanden haben." 

18* 

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228 



Erkrankungen der Sexiuüorgane bei Fraaea etc. 



hegen, und wir nüissen uns deshalb hiermit hier wenigstens in 
Kürze zunächst beschäftigen. Gegenwärtig stehen sich haupt- 
sächlich zwei Anschauungen gegenüber, eine ältere und eine 
neuere. Nach der neueren AuiTassung, in welcher deren An- 
hänger einen gewaltigen Fortschritt erblicken, handelt es sich 
bei der Hysterie lediglich um eine gewisse Form geistiger 
Störung, eine Psychose, und somit ein Leiden, das seinen Sitz 
in der Grosshirnrinde hat. Die Vertreter dieser Theorie berufen 
sich gerne auf Charcot, welcher jedoch in der letst^ Zeit 
seines Lebens die Hysterie nur als eine ,^um grossen Teil 
geistige Erkrankung" erklärte. Die ältere Anschauung, welche 
bereits in den 6oer Jahren auftaudite und gegenwärtig noch 
die Mehmhl der Neurologen für sich hat, geht dahin, dass die 
Hysterie als eme allgemeine Neurose oder Psychoneurose zu 
betrachten ist, i. e. eine Erkrankung, welche sich nicht auf die 
Grosshirnrinde beschränkt, sondern das ganze Nervensystem 
betrifft, allerdings mit sehr wechselnder Beteiligung der einzehien 
Abschnitte desselben. Ich habe mich dieser Auffassung eben- 
falls in meiner „Pathologie und Therapie der Neurasthenie und 
Hysterie" (Wiesbaden 1893) angeschlossen. Wddie von den 
beiden in Frage stehenden Ansichten mit den uns derzeit be- 
kannten Tatsachen besser vereinbar ist, wntl aus den folgenden 
Darlegungen erhellen. 

Zu einem Verständnisse der hysterischen Erscheinungen 
künncn wir nur gelangen, wenn wir zwisclien z\\ci Dingen unter- 
scheiden: dem mehr oder minder laliilen Nervenzustande, weicher 
das Auftreten hy sterischer S>m{ttome ermöglicht, der hystc-rischen 
Konstitution oder Diathese, und den Symptomen, die auf dici>er 
Basis sich entwickehi. Letztere variieren bekanntlich nicht nur 
bei vci '-chiedcncn Kranken, sondern in den einzelnen Fällen zu 
verschiedenen Zeiten gaiu ausserordentlich. Sehen wir zunächst 
zu, wodurch sich die hysterische Konstitution charakterisiert. 
Die Autoren sind hierüber keineswegs einer Meinung. Manche 
derselben glauben, dass die in Betracht kommende Anomalie, 
lediglich auf psychischem Gebiete zu suchen die hysterische 
Konstitution auf ein eigentümliches psychisches Verhalten zurück- 
zuführen sei. So spricht Strümpell von einer kongenitalen 



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EritraaltaDgen der Sestnloifui« bei Fnneii de 229 



abnonnen psychischen Veranlagung. Nach Möbius besteht das 
Wesen der hysterischen Konstitution darin, dass Vorstellungen un- 
gewöhnlich leicht und ungewöhnliche körperliche Veränderungen 
bewirken. 

Andere Beobachter (so Benedikt, Oppenheim, Hirt) 
betrachten als das Wesen der hysterischen Konstitution die 
sogenannte reisbare Schwäche des Nervensystems. Jolly war 
der Ansicht, dass zum Zustandekommen hysterischer Phänomene 
neben der erwähnten BeschaiTenheit des Nervensystems noch 
gesteigerte Einbildungskraft (Suggestibilität) erforderlich ist; er 
nahm neben der somatisch-ncM \ ösen Anlage noch eine psychische 
an. Zu einer ähnlichen Autfassung bin ich durch verschiedene 
Erwägungen gelangt. 

Bekanntlicli bildet die hereditäre Belastung einen sehr 
wichtigen Faktor in der Ätiologie der Hysterie. Charcot er- 
klärte als die Grundursache derselben, la cause primordiale, die 
neuropathische Heredität. Diese Ansicht hat auch in Deutsch- 
land Anhänger, allein die Vererbung ist bei der Hysterie, wenn 
auch sehr häufig, doch keineswegs — wenigstens nach meinen 
Beobachtungen — in der Mehrzahl der Fälle eine gleichartige. 
Auch Nervosität und Neurasthenie der Aszendenten bilden viel- 
fach eine Quelle der Prädisposition. Ob jedoch die Vererbung 
eine gleichartige oder ungleichartige ist, übertragen wird immer 
eine gewisse „reizbare Schwäche" des Nervensystems, und in 
den Fällen, in welchen keine erbliche Anlage besteht, können 
wir gewöhnlich eine durch Erkrankung oder andere Umstände 
akquirierte derartige Schwäche als Disposition auffinden. Das 
VcMrfaandensein einer solchen dürfen wir daher bei den hysterisch 
Veranlagten immer annehmen. Allein neben dieser ist noch 
etwas erforderlich, wenn es zur Entwicklung eines hysterischen 
Zustandes kommen soll. Wir stehen, dass von einer Anzahl 
ncrven??ch wacher Personen, unter der Einwirkung derselben 
Schädlichkeit — eines Schreckens c. B. — die einen an einem 
neurasthenischen, andere an einem hysteronenrasthenischen Zu- 
stande und wieder andere nur an hysterischen Zufallen erkranken. 
Die Ungleichheit der Folgen derselben Einwirkung: kann nicht 
in einer Ungleichheit der somatisch^nervösen Konstitution, sondern 



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230 



Erkrankungen der Sexualorgane bei Frauen etc. 



nur in Vei schicdenhcitcn der psychischen Konstitution der 
Einzelindividuen begründet sein Wir wissen ja anch, da?'^ das 
Weib als solches schon zur Hysterie mehr disponiert ist als der 
Mann. Man hat zwar in neuerer Zeit in Frankreich diesen alten 
Erfahnmgssatz bestritten. In Paris wurde von mehreren Be- 
obachtern die schwere Plysterie unter den Angehörigen der 
unteren Bevölkeningsschtchten bei Männern häut^er gefunden 
als bei Frauen. In Deutschland, speziell SQddeutschbnd , ist 
nach den vorliegenden statistischen Daten und meinen eigenen 
Beobachtungen an der grösseren Disposition des weiblichen 
Geschlechtes (in allen Bevölkerungskreisen) nicht zu zweifeln. 
Diese fit»erwic^ende Disposition kann nicht in dem Besitze einer 
Gebärmutter, überhaupt nicht in sexuellen Verhältnissen, sondern 
nur in der psychischen Konstitution des Weibes begründet sein. 
Das, was das Weib in seinem seelischen Verhalten vom Manne 
unterscheidet, das Zurücktreten des kalt abwägenden Verstandes, 
die stärkere Ausprä^un^ des Gefühlslebens, die geringere Willens- 
energicund die hiermit zusammenhängende grössere Sugtjestihiliut, 
bedingen auch dessen erheblichere Veranlagung zur Ihstcrie. 
Natürlich ist auch bei Männern, welche das gleiche srelische 
Verhalten — einen weil)ischen Charakter — aufweisen, eine 
Disposition zur Hysterie vorhanden. 

Die hysterische Konstitution führt an sich nicht notwen- 
dig zur Entwickelung hysterischer Symptome. Wo dieselbe sehr 
wenig ausgeprägt ist, bedarf es zur Hervorrufung hysterischer 
Erscheinungen mächtiger lüinwirkungen (gewaltiger gemütlicher 
Erschütterungen etc.). Bleibt das Individuum von solchen ver- 
schont, so kann es trotz seiner Veranlagung ein vorgerücktes 
Alter erreichen, ohne hysterisch zu werden. Bei sehr bedeuten* 
der Ausbildung der hysterischen Konstitution treten andererseits 
meist schon frühzeitig und auf geringfi^ige Anstösse hin oder 
auch ohne ersichtliche Ursache — anscheinend spontan — 
hysterische Zufälle auf ). Letzteres Verhalten findet sich glück- 

'j Auch Freud bemerkt betrefl,s des» von ihm als hysterische Konstitution 
ugenommeoea Zostaades: „Eine attsgesprochene Konstitution wird etwa der 
Untersttttauog darcb die Lebenseindnicke entbehren können, eine atugiebice Er* 

srhültf rurjg im I,ehen etwa die Neurose auch hei durchschnittlicher KOMtltlltieil 
zustande bringen (3 Abhjuadlungen zur äeKuaitbeorie, S. x8)." 



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Erknulkungen der Sexualorgane bei Frauen etc. 



231 



licherweise selten. Zumeist sind die ersten Manifestationen der 
Hysterie an die Einwirkung bestimmter äusserer Veranlassungen 
gebunden. Der gegenwärtige Stand unserer Kenntnisse lisst 
auch keinen Zweifel darüber zu, dass jedes Symptom, resp. 
jeder Symptomenkomplex der Hysterie sein bestimmtes veran« 
lassendes Moment hat und die Beschaffenheit dieser Momente in 
weitgehendem Masse die spezielle Gestaltung der Symptome 
beeinflusst. 

Diese Erkenntnis dürfen wir als einen gewichtigen Fort- 
schritt betrachten, dessen Bedeutung auch durch den Umstand 
nicht beeintrachtiijft wird, dass wir häufig einen siieziellen Aus- 
gangspunkt des einen oder anderen hysterischen Symptoms nicht 
zu eruieren vermögen. 

Für die Beobachter, welche die hysterische Konstitution 
lediglich auf eine abnorme psychische Veranlagung zurück- 
führen, sind die veranlassenden Momente der einzelnen hyste- 
rischen Phänomene ausschliesslich psychischer Natur, Vor- 
stelltmgen (Suggestionen) oder emotionelle Vorgänge ; die übrigen 
nehmen neben den psychischen auch rein somatische Veran« 
lassungen an. 

Was nun erstere Annahme betrifft, so handelt es sich hier- 
bei wesentlich um eine nicht gerechtfertigte Verallgemeinerung 
der Folgerungen, die sich aus den bekannten Versuchen C h ar c o ts , 
hysterische Symptome auf suggestivem Wege hervorzurufen, 
ergeben. Charcot selbst war, nachdem ihm der Nachweis des 
ideogenen Ursprungs für eine Reihe hysterischer Erscheinungen 
gelungen war, doch keineswegs der Meinung, dass alle hysterischen 
Symptome diesen Ursprung haben müssten. Allein andere gintjen 
auf dem von ihm eröffneten Wege weiter, indem sie kalkulierten: 
Wenn dieses und jenes hysterische Symptom von Vorsteihmgen 
ausgeht, warum sollen nicht auch andere, warum schlic-^slich 
nicht alle hysterischen .Symptome auf gleiche Weise zw Stande 
kommen.^ So hat denn auch lS!öbius bekanntlich den Aus- 
spruch getan: ..Hysterisch sind alle diejenigen krankhaften Ver- 
änderungen des Körpers, welche durch Vorst. Hungen bedingt 
sind." Allein eine Abhängigkeit von Vorstell un^^cn oder über- 
haupt von psychischen Vorgängen ist, wie ich schon anderen 



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232 EiktaokungeD der Sexualorgane bei Frauen elc. 



Ortes betont habe, bisher für alle hysterischen Erscheinungen 
von keinem Autor auch nur wahrscheinlich gemacht worden. Auf 
der anderen Seite habe ich in einer früheren Arbeit den Nach- 
weis erbracht, dass eine Reihe hysterischer Symptome nicht 
durch VorsteHungen und überhaupt nicht auf psychischem Wege 
zu Stande kommt. Es würde uns hier zu weit führen, auf die 
Details dieser Beweisführung emzugehen; ich muss bezüglich 
derselben auf die betrefTende Publikation verweisen Hier sei 
nur erwähnt, dass einerseits Lokalaffektionen auf rein somatisch« 
nervösem Wege, andererseits krankhafte Allgemeinzustände 
toxischer und infektiöser Natur hysterische Zufölte hervorzurufen 
im Stande sind. Unter den Lokataffektionen, die hier in Betracht 
kommen, spielen die Sexualerkrankungen der Frauen allem 
Anschehie nach keine ganz untergeordnete Rotte. Der Etnfluss 
der Genitalleiden beschränkt sich jedoch nicht auf die Herbei- 
führung einzelner hysterischer Symptome. Die ätiologischen 
Beziehungen der .Scxualaffektionen zur Hysterie sind verschieden- 
artig, und dit; I^curteilung der hiage, ob solche Beziehungen 
bebtehen und welcher Art dic'^rlhen sind, unterliegt in den 
em/elnen l'iillen sehr hrinfit^' grossen Schwicrij;keiten. Sexual- 
erkrankungen bei Frauen können zweifellos die Disposition zur 
Hysterie durch nervöse Irritationszuständc (Schmerzen), welche 
sie hervorrufen, steigern, ebenso durch Blutverluste und gemüt- 
liche Erregungen, zu welchen sie Anlass geben. Letzteres 
Moment kann auch direkt den Anstoss zum Auftn ten hysterischer 
Zufälle geben. Eine Patientin meiner Beobachtung regte sidi, 
wie bereits an früherer Stelle (S. 179) erwähnt wurde, über die 
Erfolglosigkeit des bei ihr wegen chronischer Endometritis v<m^ 
genommenen Curettements in solcher Webe auf, dass sie von 
schweren hysterischen Antällen heimgesucht wurde, die lange 
sich wiederholten. Eine andere Patientin meiner Beobachtung 
wurde während einer gynäkologischen Exploration zimi ersten 
Male von schweren Glottiskrämpfen befallen, welche dann 
während einer Anzahl von Wochen häufig und zum Teil ohne 
nachweisbare Veranlassung wiederkehrten. Die Mehrzahl der 

') 1. 5 w c n Tcld, Hysterie und Sugge&tioD, Mfindi. med Wocbcnscbnft 

Nr. 7 und ö, 1J>94. 



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Erkrankuneen der Scrnaloiiguie b«i Fmnea eto. 



288 



Beobachter (speziell der Gynäkologen), welche überhaupt eine 
ursächliche Beziehung zwischen Erkrankungen der weiblichen 
Sexualorgane und der Hysterie annehmen, huldigt der Anschau- 
ung, dass insbesonders auf reflektorischem Wege von den Sexual- 
organen aus hysterische Erscheinungen ausgelost werden. Die 
Gegenwart ir (,'cndwelcher pathologischer Zustände 
im Sexiialapparat bei Hysterischen ist jedocli selbst- 
verständlich noch kein Beweis für die sexual -re flek- 
torische Entstehung der vorhandenen hysterischen 
Beschwerden, und zweifellos wird dieser Modus der Verur- 
sachung hysterischer SN inptome auch viel hänfiger angenommen, 
als die Umstände es rechtfertigen. Zumeist lasst man sich von 
dem therapeutischen Erfolge einer Lokalbehandlung zur Annahme 
eines Kausalzusammenhanges verleiten. Weil mit der Besserung 
oder Beseitigung der gynäkologischen Affektion auch gemsse 
hysterische Symptome schwanden, wird die Abhängigkeit letzterer 
von ersterer als erwiesen erachtet Dieser Schluss ist jedoch 
für die grosse Mehrzahl der Fälle ganz und gar unzuverlässig. 
Es lässt sich nicht bezweifeln, dass eine gynäkologische Lokal- 
behandlung so gut als irgend ein anderer therapeutischer Ein* 
griff suggestiv wirken kann und wohl auch sehr häufig suggestiv 
wirkt. Der Patientin wird durch den Arzt die Vorstellung bei- 
gebracht, oder sie bildet sich die Vorstellung selbst, dass die 
lokale Therapie auch auf ihre nervösen Beschwerden einen 
günstigen Einfluss ausQben wird, und diese Vorstellung kann 
bei einigermassen suggcstiblen Personen eine Heilwirkung erzielen. 
Ganz be:>onilers gilt dies tür die I.ageveräitderun^en, Flexionen 
und Versionen des Uterus. Wenn man die gynäkologische 
Literatur durchsieht, kann man sich eines gewissen Staimcns 
nicht erwehren, wenn man vernimmt, welch verschieden- 
artii.u- Sv-niptome schon durch 1 .a^everanderungen der Gel.)är- 
mutter verursacht und durch mechanische Korrektur dieser Ab- 
weichungen beseitigt worden sein sollen. Und doch erklärt 
mein hiesiger gynäkologischer Kollege Theilhaber auf Grund 
sorgfältiger Beobachtungen, dass l'lexionen und Versionen in 
der Regel keine Störungen hervorrufen. Die Beschwerden, welche 
durch dieselben verursacht werden sollen, sind nach Theilhaber 



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234 



Erknskangeo der SezualorgKac bd Fnaeii etc. 



meist bedingt durch chronische entzündliche Afifektiooen des 
Uterus, Darmatonie, primäre Neurasthenie etc., und das Pessar 
ist nach diesem Beot>achter manchmal ein recht geeignetes 
Mittel Kur Erzielung eines suggestiven Effektes Selbst in 
jenen Fällen, in welchen die hysterischen Erscheinungen nicht 
allein mit der Beseitigung der lokalen Veränderungen oder 
Störungen ini Bereiche der Sexualorgane schwinden, sondern 
auch mit der Wiederkehr dieser sich wieder einstellen fein Ver- 
halten, das insbesonders In j den Flexionen und Versionen des 
Uterus beobachtet wird), ist die Annahme eines Kaiisalnexus keines- 
wegs ohne Weiteres berechtigt Hier können eben! wie 
Theilhaber schon andeutete, suggestive Einflüsse im Spiele 
sein. Auch das Auftreten hysterischer Zufälle zur Zeit der 
Menses darf, wie wir schon gesehen haben, nicht unter allen 
Umständen als Beweis für einen Ausgang der betreffenden ZM" 
fälle vom Sexualapparate angesehen werden. Selbst die Aus* 
lösbarkeit gewbser hysterischer Erscheinungen durch Druck auf 
die eine oder andere Stelle im Bereiche des Sexualapparates 
(Kompression der Ovarien etc.) bildet keinen Beweis für eine 
sexual^reflektorische Entstehung der betreffenden Störungen. Wir 
müssen daher wohl zugestehen, dass bei dem jetzigen 
Stande der Wissenschaft ganz zuverlässige Kriterien 
für die reflektorische Abhängigkeit irgendwelcher 
hysterischer Sym ptome von Leiden der Sexualorgane 
bei Frauen nicht bekannt sind. An dieser Tatsache 
ändern die massenhaften Berichte über günstige Wirkungen gynä- 
kologischer und speziell operativer Behandlung bei hysterischen 
Zustanden nicht das Geringste Wir \v->llen jedoch auch hier 
das Kind nicht mit dem Üade ausschulten, sondern jrugebon, 
da'^s einerseits der Verlauf des Leidens, die Aufeinanderfolge 
der Ailektion im Bereiche des Sexualapparates und der nervösen 
Störungen, andererseits die Kr folge gynäkologischen Eingreifens 
wenigstens für eine Anzahl von Fällen Indizien hefem, welche 

') Don übt'U erwähnten Ansichten T hei Ih aber s hat sich in den letitfn 
Jahren eine Reibe von GynäkuH>;^rn, so Jcnkin, Landau, Freudenberg» 
KrOaii;, Feuchtwan{;er. Winter. SchrSder, Wormter und Wille 
im Wesentlichen «ngescblossen. 



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ErkrtDkttBgen der Sexiuknigane bei Fnncn etc. 



235 



eine reflektorische Auslösung gewisser hysterischer Beschwerden 
plausibel machen. Allein dieser Entstehungsmodus findet sich 
sicher ungleich seltener, als viele G3mäkologen früher anzu- 
nehmen geneigt waren. Des Weiteren k<nnmt in Betracht, dass 
keine Art weiblicher Sexualerkrankung mit Notwendigkeit 
hysterische Erscheiniin^on nach sich zieht, und das Auftreten 
solcher auch nicht an eine gewisse Schwere der Sexualerksaiikung 
gebunden ist. Die schiinQiiisten Genitaileiden, wie Uteruskarzinome, 
können bestehen, ohne zu irgendwelchen hysterischen oder über- 
haupt nervösen Beschwerden zu führen. 

Wir haben im Vorstehendem bezüglich der Ätiologie der Hysterie 
und des Mechanismus der einzelnen hysterischen Erscheinungen lediglich 
das berOcksichtigt, was allgemeiner Eifahrung zugänglich ist. V/ir dQrfen 
jedoch nicht unterlassen, darauf hinzuweisen, dass unsere Anschauungen 
in betreff der erwflhnti n Funkte < inem Umbildimi::<=pro7c<?se rntgegen- 
gellen, an welchem die im nächsten Ab^rhnitte behandelten Freud- 
sehen Theorien in erster Linie beteiligt sein werden. Inwiew-eit die ol>cn 
vertretenen Ansichten mit den Anschauungen Freud*s In betreff der 
Hysterie sich verknflpren lassen, kann hier nicht eingehend dargelegt werden. 
Wir müssen uns nuf einige Andeutungen beschränken, Eine Vi rknfipfung 
der beiden AufYa-^suni^en rrschrint wohl möglich, dn Freud, wie wir 
später sehen werden, gegenwärtig ebenfalls eine konstitutionelle Grund- 
lage der Hysterie annimmt ; doch erblickt er diese nicht in der neuro* 
patbiscben Disposition, sondern in einer gevnssen sexuellen Konstitution 
des Individuums. Diese wird aber nach Freud's AuSSsssung nicht durch 
ein rein '='nmatisches, sondern ein gewisses psycho-sextiaU s Verhalten, 
genauer gesagt, die psychische Reaktion auf infantile sexuelle Erlebnisse 
gebildet I^e infantilen sexuellen Erlebnisse der Hysterischen, welche 
fbr die Entwickelung der Erkrankung bestimmend sind, müssen nicht von 
denen Gesunder sich unterscheiden. Verschieden ist lediglich die psy- 
chische Reaktion auf dieselben, die von der [)-\rhischcn Kon^stitution 
des Individuums abhängt- Man könnte sich daher sehr wohl vorstellen, 
dass die überwiegende Disposition des weiblichen Geschlechtes für die 
Hsrsterie darauf beruht, dass bei demselben infolge seiner besonderen 
seelischen Artung die für die Entwickelung der Hysterie bestimmende 
Reaktion nuf infantile Suxiialr i Ir !>iii^>r (\'crdr.'\nfjiin£j'^npi<Tring) leichter 
und hfSuti^i f /iistande koniint, al> Ix-iiii iD.uinliclicn Geschltchti-. Die Be- 
deutung der Gelegenheitsursachen ^veranlassenden Momente) der einzelnen 
hysterischen Symptome wird von Freud ebenfalls nicht einfach negiert, 
er glaubt nur. dass mit denselben immer eine gewisse, lediglich durch 
die Psychoanalyse crujerbarc sexuelle Komponente verbunden ist, welche 
zur Auslosung des Symptomes führt 

Anomalien und pathologische Veränderungen der weiblichen 
Sexualorgane werden nicht selten erst anlässlich der Einleitung 



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236 Erkrankungen der Sexualorgane bei Frauen etc. 



des sexuellen Verkehres zu einer Quelle nervöser Stdrungen. 
Bei Missbildung der äusseren Geschlecbtateile, Scheidenatrene, 
rudimentärer Entwickelung der Vagina, ebenso bei zu straffem 
Hymen können infolge fortgesetzter fruchtloser Kohabitations- 
versuche nicht bloss Neurosen, sondern auch bedeutende patho- 
logische Veränderungen der Sexualorgane entstehen (letztere 
teils durch lokale Irritation, teils indirekt durch Vermittlung des 
Nervensystem^ bedingt, H e g a r). Femer können in der Vulva, 
am Introitus vagmae (rcsp. am Hymen) oder in der Scheide 
örtliche Veränderungen (Entzündungen oder Einrisse der Schleim- 
haut infolge ungeschickter Koitusversuche etc.) vorliegen, welche 
wegen der hierdurch bedingten Hyperästhesie — Vaginismus — 
bei Kohabitationsversuchen zu lebhaften Schm^ i/cn und reflek- 
torischem Krämpfe des Constrictor cunni und der Muskulatur 
des Beckenbodens führen. Hierdurch kann der geschlechtliche 
Verkehr ganz unmöglich gemacht oder hochgradig erschwert 
werden. Werden unter diesen Verhältnissen die Kohabitations^ 
versuche, resp. der sexuelle Verkehr längere Zeit fortgesetzt, 
so kommt es zumeist zur Entwickelung hystero-neurasthenischer 
Beschwerden!). 

') über (iio Fr,-i<;f der kausalen Bc?ii,lnjngcn zwischen Frauenleiden und 
GeUtcskrankheitcn hat in den letzten Jahren Rai mann (Beiträge zur Geburts- 
hilfe und Gynäkologie, Chrobak-Feütscbrirt Wien 1903) eine interessante Mit* 
tettni« Terdffentticht. In 12 Fillcn Ton fnaktioDeUeo P^duMen, bei «ekilea 
nun eine Beziehung zu VorgAngeo im SexulappKaite «luiebm«« tn dfiden ^nb» 
und deshalb die Kastration vorgenommen hatte, war der Erfnljj zumeist nc^^ativ. 
DfT Autor h^tnnt, dass man nach den vorlief;<?nden Erfahninf^cn nur sehen ':l;e 
Hoffnung hcjjen darf, eine Geisteskrankheit durch cme cingreiicnde Operation zur 
HeUnng za biingqa, dass andcrerseitB denrtige Eingriffe eine Fsydnom ▼endiliiik<' 
nwn, mtn Um«tind«ii »nd» mm Auftreten einer sokben bei einer foAer ge> 
«unden Person fikhien können. 



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XIV. 



Die Freud 'sehe Theorie von der Sexualität in 
der Ätiologie der Neurosen. 



Wir haben im Vorstehenden gesehen, dass Vorgänge und 
Zustände im sexuellen GeViiete bei beiden Geschlechtern eine 
wichtige Quelle neurotischer Leiden bilden. Ein hervorragender 
Forscher auf neurologischem Gebiete, Freud in Wien, vertritt 
jedoch seit einer Reihe von Jahren Anschauungen bez. der Ätto> 
logie der Neurosen, nach welchen sexuellen Einflüssen eine Be- 
deutung für die Entwickelung dieser Leiden zukommt, welche 
weit über das hinaus geht, was im Vorstehenden von mir dar- 
gelegt wurde und was von fast allen übrigen zeitgenössischen 
ärztlichen Schriftstellern angenommen wird. „Durch eingehende 
Untersuchungen", bemerkt er in einer seiner Publikationen über 
den Gegenstand (Die Sexualität in der Ätiologie der Neurosen. 
Wiener klin. Rundschau Nr. 2, 4, $ u. 7, 1898) „bin ich In den 
letzten Jahren zur Erkenntnis <^clani^t, dass Momente aus dem 
Sexualleben die nächsten und praktisch bedeutsamsten Ursachen 
eines jeden I'alks von neurotischer Erkrankung darstellen." 
Mehrere Jahre hatte es den Anschein, als sollte Freud mit 
seinen Ansichten Prediger in der Wüste bleilien. Von einem 
Teile der Autoren, die sich mit den Neurosen literaiisch be- 
schäftij*ten , wurde denselben überhaupt keino Hcachtunf^ ^e^^ollt 
andere wiesen dieselben direkt und zwar ohne eingehende 
Prüfung zurück. Auch in der Gegenwart ist wohl der Stand- 
punkt, welchen die grosse Mehrzahl der Neurologen und Psy- 



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238 



Die Freud'sche Theorie von der Sexualität etc. 



chiater den Freud 'sehen Theorien gegenüber einnimmt, ein 
ablehnender oder wenigstens äussert reservierter; doch haben 
sich in neuester Zeit die Stimmen gemehrt, welche einzelne 
der von Freud vertretenen Ansichten für begründet oder 
wenigstens sehr beachtenswert und weiterer Prüfung würdig 
erachten. Ich selbst habe in anderweitig veröffentlichten Arbeiten 
bisher nur Veranlassung gehabt, mich mit den Anschauungen 
des Autors von der Ätiologie der Angst- und der Zwangsneu- 
rose zu beschäftigen. Hier erheischt jedoch sowohl das Thema 
unserer Arbeit alsdie Beachtung, welche Freud 's Untersuchungen 
seitens eines jeden ernsthaften Forschers beanspruchen, dass 
wir seine Theorie im Zusammenhange wenigstens einer kurzen 
Betrachtung unterziehen. 

Wir müs.sen zunächst die allgemeinen Gesichtspunkte berück- 
sichtigen, von welchen der Autor bei Beurteilung der ätiologischen 
Verhältnisse der einzelnen Neurosen ausgeht. Freud sondert die 
bei den Neurosen in Betracht kommenden ätiologischen Momente 
nach ihrer ursächlichen Bedeutung und unterscheidet: a) Be- 
dingung, b) spezifische Ursache, cj Hilfsursachen (konkurrierende 
oder akzessorische Momente, zum Teil auslösende Ursachen). 
Als Bedingungen sind nach Freud solche Momente zu bezeichnen, 
bei deren Abwesenheit der ICfiekt nie zu Stande käme, die aber 
für sich allein auch unfähig sind, den Effekt zu erzeugen. Als 
spezifische Ursache gilt diejenige, die in keinem Falle von Ver- 
wirklichung des Effektes vcrmisst wird und die in entsprechender 
Quantität und Intensität auch hinreicht, den Effekt zu erzielen, 
wenn nur noch die Bcdingimgen erfüllt sind. Als konkurrierende 
(Hilfs) -Ursachen fasst Freud dagegen solche Momente auf, welche 
weder jedesmal vorhanden sein müssen, noch im Stande sind, in 
beliebigem Ausmass ihrer Wirkung für sich allein den Effekt 
zu erzeugen, welche aber neben den Bedingungen und der 
spezifischen Ursache zur Erfüllung der ätiologischen Gleichung 
miiwiikcn. Der Kern der Freud'schen Theorie lässt sich dahin 
formulieren, dassjede der vier Neurosen — Hysterie, Zwangsneurose, 
Neurasthenie und Angstneurose — ihre s|)ezifische Ursache hat, 
welche im sexuellen Leben des Individuums imd zwar entweder 
in einer Störung des gegenwärtigen sexuellen Lebens oder in 



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Die Fretid*ic)ie Thwvie von 4«r ScmiUtit etc. 



239 



gewissen früheren Ereignissen lieyt , und diese spezifische Ur- 
sache, sofern sie übeihaujit zur KntstehunL» einer Neurose führt, 
nur eine bestimmte Neurose und ki inc andere hervorrufen kann. 
Die Schädlichkeilen, welche man bisher als diicktc Ursachen der 
Neurosen ansah, gemütliche Erregungen, geistige Überanstrengung, 
akute Krankheiten , Intoxikationen etc. , sind für F r e u d nur 
konkurrierende (oder akzcssorische)äliologischc Momente, die auch 
fehlen können, die Erblichkeit ist nur eine Bedingung, eine mäch- 
tige und oft unentbehrliche, doch nichts weiter, ohne Hinzutritt 
der spezifischen Ursachen bleibt sie unwirksam. Bezüglich der 
spezifischen Ätiologie der Hysterie ging Freud's ursprüngliche 
Ansicht dahin» dass sich dieselbe auf die Erinnerung an einen 
vor der Pubertät vorgefallenen Akt sexuellen Vericehrs mit Reizung 
der Genitalien durch Missbrauch seitens einer anderen Person 
(Akt sexueller Passivität) reduziere. Der sexuelle Vorgang zieht 
zunächst keine oder nur geringfügige Feigen nach sich, aber die 
psychische Spur davon erhält sich und wird im Pubertätsalter 
auf die eine oder andere Weise geweckt. Die Erinnerung wirkt 
dann, als wenn es sich um ein Ereignis aus jüngster Zeit 
handle, so dass also die Nachwirkung eines sexuellen Trauma- 
tismus vorliegt. Alle Ereii^nissc nach der Tubcrtät, welchen 
ein Einfluss auf die Entwickehin^ der Neurose und die Ge- 
staltung ihrer Symptome zugeschrieben wird, sollten tatsächlich 
nur konkurrierende Ursachen bilden. 

In der Ätiologie der Neurose der Zwangsvorstellungen sollte 
nach Freud's früherer Auffassung die Erinnerung an einen 
sexuellen Vorgang vor der Pubertät eine ähnliche RoUe spielen 
wie bei der Hysterie ; die pathogene Erinnerung betraf hier jedoch 
einen Akt, welcher nicht wie bei der Hysterie Angst und Ab- 
scheu, sondern Vergnügen verursacht hatte; „Zwangsvorstel- 
lungen sind jedesmal verwandelte, aus der Verdrängung wieder- 
kehrende Vorwürfe, die sich immer auf eine sexudle, mit Lust 
ausgeführte Aktion der Kinderzeit beziehen** 

') Dics> die Äas^crung des Autor» in seinem Aubatze; Weitere Beiner- 
InwBen Uber die Abwebr — Neurop»y€bosen Neurol. Centnlbhlt 1896, No. lo. 

tn einer späteren VerÖflentlidiuoe (Zur Ätiologie der Hysterie, Wiener klinische 
Rundschau 1896 No. 22 — 26) spiach er sich schon zurückhaltender libcr den Ein- 
fluH der Art des Sexualvorganges auf die Gestallung der späteren Neurose aus 



240 



Die Freud'scbe Theorie von der Sexualität etc. 



Vm Freiul's Anschauungen über die Ätiologie der Neur- 
asthenie richtig zu würdiLjcn, müssen wir zunächst berücksich- 
tigen, dass der Autor von dem S\ mi>tomenkomp!ex dieses Leidens, 
wie er gemeinhin aufgcfasst wird, eine Gruiipc von Symji^'^mon, 
die Angsterscheinungen und deren Äquivalente, abgetrennt und zu 
einer selbständigen Neurose, einer Angstneurose mit spezi- 
fischer Ätiologie, vereinigt hat. Was nun die Ätiologie der 
Neurasthenieneurose nach der Freud'schen Abgrenzung anbe- 
langt, so gestaltet sich dieselbe nach dem Autor sehr einfach. 
Die Neurasthenie lässt sich jedesmal auf einen Zustand des 
Nervensystems zurückführen, wie er durch exzessive Mastur- 
bation erworben wird oder durch gehäufte Pollutionen spontan 
entsteht. 

Die sexuellen Noxen, welche zur Angstneurose führen, sind 
nach Freud wesentlich verschieden von den die Neurasthenie 
bedingenden Momenten, und diese angenommene Verschieden- 
heit hat allem Anscheine nach den Autor in erster Linie zur 
Abtrennung seiner Angstneurose von der Neurasthenie bestimmt 
Es handelt sich wie bei der Neurasthenie um Schädlichkeiten, 
die dem aktuellen Sexualleben angehören, hauptsächlidi Con- 
gressus interruptus, Abstinenz bei erheblicher Libido und fru- 
strane Erregtin g. Das spezifische Moment, das allen bei der 
Angstneurose in Betracht kommenden sexuellen Einflüssen ge- 
meinsam ist, sollte nach Freud's früherer Auffassung in dem 
Umstände . liegen , dass die Entladung der aufgespeicherten 
somatischen (heim Manne von den Nervenendigungen der Samen- 
blasenwandungen ausgehenden) Sexualerregung ohne entspre- 
chende psychischt.' Iünlai,lunLS i. e. Hcfrjedi;j;unj4 \()r sich i^eht. 
,,Die Erschemungen der Anijstneur ose kommen /u Stande, indem 
die von der J'syche abgelenkte somatische Sexualerre^ung sich 
subkurtikal. m j^.uu und gar niciit adätjuatt:n Kraktiuncn ausgibt.'* 

Die Ansicht, n über die Ätiologie der Neurosen, insbe- 
>oiidere der r'sychoueun '^en (Hysterie und Zwangsneurose), 
welche Freud in seinen l'ublikationen in den Jahren i8o^ — 
bekannt gab, haben, wie ich duich private Mitteilung( n des 
Autors erfuhr, in neuerer Zeit mannigfache Andctungen eifahien. 
Soweit dieselben die Zwangsneurose betreffen, wurde ich, durch 



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Die Frend'sche Theorie von der Sexnalitftt etc. 



241 



die Gäte meines verehrten Freundes in den Stand gesetzt, bereits 
in meinem 1904 veröffentlichten Werke die „psychischen Zwangs- 
erscheinungen" das Wichtigste mitzuteilen. 

Um den Leser auch mit den Anschauungen, zu welchen 
Freud bezuglich der übrigen Neurosen in den letzten Jahren 
gelangt ist, bekannt machen zu können, wandte ich mich an 
den Autor um Auskunft, und dieser hatte die grosse Liebens- 
Würdigkeit, mir nachstehendes Expose, welches die Beziehungen 
der Sexualität zu den Neurosen im Zusammenhange und in 
grossen Umrissen behanddt, zur PaUikation zu überlassen. 



L0weaf«14» SemcIl-nerWlM StSryiifni. Vierte Aull. 



16 



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Meine Ansichten über die Rolle der Sexualität in der 

Ätiologie der Neurosen. 



„Ich bin der Meinung, dass man meine Theorie Ober die 
ätiologische Bedeutung des sexuellen Momentes für die Neurosen 
am bestra wQrdigt, wenn man ihrer Entwickelung nachgeht 
Ich habe nämlich keineswegs das Bestreben, abzuleu^^iien, dass 
sie eine Entwickelung durchgemacht und sich während derselben 
verändert hat. Die Fach^enossen könnten in diesem Zugeständ- 
nis die Gewähr finden, «.lass diese 'I lieoi ie nichts anderes ist, 
als der Niederschlag fortjjjesetzter und vertiefter Erfahrungen. 
Was im Gegensatze hiei /.u der Spckululion entsprungen ist, das 
kann allerdings leicht mit einem Schlage vollständig und dann 
unveränderlich auftreten. 

Die Theorie bezog sich ursprüncjlich f)lnss auf die als „Neur- 
asthenie" zusanirncngefassten Krankheitsbilder, unter denen mir 
zwei, gelegentlich auch rein auftretende, Typen auffielen, die ich 
als ,,ei ge n tlic he N e u rasthcnie*' und als ,, A n g s tneur o se" 
beschrieben habe. Es war ja immer bekannt, dass sexuelle 
Momente in der Verursachung dieser Formen eine Rolle spielen 
können, aber man fand dieselben weder regelmässig wirksam, noch 
dachte man daran, ihnen einen Vorrang vor anderen ätiologischen 
Einflüssen einzuräumen. Ich wurde zunächst von der Häufigkeit 
grober Störungen in der Vita sexualis der Nervösen überrascht; 
je mehr ich darauf ausging, solche Störungen zu suchen, wobei 
ich mir vorhielt, dass die Menschen alle in sexuellen Dingen 
die Wahrheit verhehlen, und je geschickter ich wurde, das 
Examen trotz einer anfänglichen Verneinung fortzusetzen, desto 
regelmässiger Hessen sich solche krankmachende Momente aus 



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Die Fmd'Miie Theorie von der SesoeUtlt etc. 



243 



dem Sexualleben auffinden, bis mir zu deren Allgemeinheit 
wenig xa fehlen schien. Man musste aber von vornherein auf 
ein ähnlich häufiges Vorkommen sexueller Unregelmässigkeiten 
unter dem Drucke der sostalen Verhältnisse in unserer Gesell- 
schaft gefasst sein, und konnte im Zweifel bleiben, welches 
Mass von Abweichung von der normalen Sexualfunktion als 
Krankheitsursache betrachtet werden dürfe. Ich konnte daher 
auf den regelmässigen Nachweis sexueller Noxen nur weniger 
Wert legen als auf eine zweite Erfahrung, die mir eindeutiger 
erschien. Ks ers'ab sich, dass die Form der Erkrankung, ob 
Neurasthenie oder Angstneurose, eine konstante Beziehung zur 
Art der sexuellen Schädlichkeit zeige. In den typischen Fällen 
der Neurasthenie war regelmässig Masturbation oder gehäufte 
Pollutionen, bei der Angst neurose waren Faktoren wie der 
Coitus interruptus, die „frustane Erregimg" u. a. nachweisbar, 
an denen das Moment der ung«iügenden Abfuhr der erzeugten 
Libuio das Gemeinsame schien. Erst seit dieser leicht su 
machenden und belieb^ oft zu bestätigenden Erfahrung hatte 
ich den Mut, für die sexuellen Einflüsse eine bevorzugte Stellung 
in der Ätiologie der Neurosen zu beanspruchen. Es kam hmzu, 
dass bei den so häufigen Mischformen von Neurasthenie und 
Angstneurose auch die Vermengung der für die beiden Formen 
an^nommenen Ätiologien aufzuzeigen war, und dass eine solche 
Zweiteilung in der Erscheinungsform der Neurose zu dem polaren 
Charakter der Sexualität (männlich und weiblich) gut zu 
stimmen schien. 

Zur gleichen Zeit, während ich der Scxualuat diese Be- 
deutung für die Entstehung dw einfachen Neurosen zuwies'), 
huldigte ich noch in betreff der Psychoneurosen (Hysterie und 
Zwangsvorstelhin^^'cn) einer rt-in psychologischen Theorie, in 
welcher das sexuelle Moment nicht anders als andere emotionelle 
Quellen in Betracht kam. ich hatte im Verein mit J. Breuer 
und im Anschluss an Beobachtungen, die er gut ein Dezennium 
vorher an einer hysterischen Kranken gemacht hatte, den Mecha- 



*) Ober die Bcfcchtigung» vod der Nettruthenie «inen bestimmten Sym* 
ptomeokoinplex «Is „AnBatneuroae" abtatrennea. Neuro). Zentralblatt 1895. 

16* 

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I 

244 Freud'sche Theorie von der Sexualität etc. 



nismus der Entstehung hysterischer Symptome mittelst des Er- 
weckens von Erinnerungen im hypnotischen Zustande studiert, 
und wir waren zu Aufschlüssen gelangt, welche gestatteten, die 
Brücke von der traumatischen Hysterie Charcot's zur gemeinen, 
nicht traumatischen, zu schlagen'). Wir waren zur Auffassung 
gelangt, dass die hysterischen Symptome Dauerwirkungen von 
psychischen Traumen sind, deren zugehörige Affektgrösse durch 
besondere Bedingungen von bcwusstcr Bearbeitung abgedrängt 
worden ist und sich darum einen abnormen Weg in die Körper- 
innervation gebahnt hat. DieTermini,,e ing ek Ic m m ter A f fekt", 
„Konversion" und ,,Ab reagieren" fassen das Kennzeich- 
nende dieser Anschauung zusammen. 

Bei den nahen Beziehungen der Psychoneurosen zu den 
einfachen Neurosen, die ja soweit gehen, dass dem Ungeübten 
die diagnostische Unterscheidung nicht immer leicht fällt, konnte 
es aber nicht ausbleiben, dass die für das eine Gebiet gewonnene 
Erkenntnis auch für das andere Platz griff. Überdies führte, von sol- 
cher Beeinflussung abgesehen, auch die Vertiefung in den psych- 
ischen Mechanismus der hysterischen Symptome zu dem gleichen Er- 
gebnis. Wenn man nämlich bei dem von Breuer und mir 
eingesetzten „kathartischen" Verfahren den psychischen Traumen, 
von denen sich die hysterischen Symptome ableiteten, immer 
weiter nachspürte, gelangte man endlich zu Erlebnissen, welche 
der Kindheit des Kranken angehörten und sein Sexualleben 
betrafen, und zwar auch in solchen Fällen, in denen eine banale 
Emotion nicht sexueller Natur den Ausbruch der Krankheit 
veranlasst hatte. Ohne diese sexuellen Traumen der Kinderzeit 
in Betracht zu ziehen, konnte man weder die Symjjtome auf- 
klären, deren Determinicrung verständlich finden, noch deren 
Wiederkehr verhüten. Somit schien die unvergleichliche Bedeutung 
sexueller Erlebnisse für die Ätiologie der Psychoneurosen für 
unzweifelhaft festgestellt, und diese Tatsache ist auch bis heute 
einer der Grundpfeiler der Theorie geblieben. 

Wenn man diese Theorie so darstellt, die Ursache der 
lebenslangen hysterischen Neurose liege in den meist an sich 



•) Stadien über Hysterie, 1905. 



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Die Fread'ache Th«orie von der SezuaKtlt etc. 



24$ 



geringfügigen sexuellen Erlebnissen der frühen Kinderzeit, so 
mag sie allerdings befremdend genug klingen. Nimmt man aber 
auf die historische Entwickelung der Lehre Rücksicht, verl^t 
den Hauptinhalt derselben in den Satz, die Hysterie sei der 
Ausdruck eines besonderen Verhaltens der Sexualfunktion des 
Individuums, und dies Verhalten werde bereits durch die ersten 
in der Kindheit einwirkenden Einflüsse und Erlebnisse mass- 
gebend bestimmt, so sind wir zwar um ein Paradoxon ärmer, 
aber um ein Motiv bereichert worden, den bisher arg vernach- 
lässigten, höchst bedeutsamen Nachwirkungen der Kindhetts- 
eindrücke überhaupt unsere Aufmerksamkeit zu schenken. 

Indem ich mir vorbehalte, die Frage, ob man in den sexuellen 
Kindererlebiiissen die Ätiologie der II\sterie (und Zwant^'sneiirose) 
sehen dürfe, weiter unten gründlicher zu behandein, kehre ich 
zu der Gestaltung der Theorie zurück, weiche diese in einigen 
kleinen, vorläufigen Publikationen der Jahre 1895 und 1896 an- 
genommen hat Die Hervorhebung der angenommenen ätio- 
logischen Momente gestattete damals, die gemeinen Neurosen 
als Erkrankungen mit aktueller Ätiologie den Psychoneurosen 
gegenüber zu stellen, deren Ätiologie vor Allem in den sexuellen 
Erlebniss«! der Vorzeit zu suchen war. Die Lehre gipfelte in 
dem Satze: Bei normaler Vita sexualis ist eine Neurose unmdglicb* 

Wenn ich auch diese Sätze noch heute nicht für unrichtig 
halte, so ist es doch nicht zu verwimdem, dass ich in zdin 
Jahren fortgesetzter Bemühung um die Erkenntnis dieser Ver> 
hältnisse über meinen damaligen Standpunkt ein gutes Stück 
weit hinausgekonunen bin und mich heute in der Lage glaube, 
die UnVollständigkeit, die Verschiebungen und die Missverständ- 
ntsse, an denen die Lehre damals litt, durch eingehendere Er- 
fahrung zu korrigieren. Ein Zufall des damals noch spärlichen 
Materials hatte mir eine imverhältnisniässig grosse Anzahl von 
Fällen zugeführt, in deren Kindergeschichtc die sexuelle Ver- 
führung durch Erwachsene oder andere ältere Kinder die Haupt- 
. rolle spielte. Ich überschätzte die Häuhgkeit dieser (^sonst nicht 



') Weitere Bemerkungen ühcr die Abwehr Neiiropsychosen. Neurol. Zentral- 
bl»tt i^9b, — Zar Ätiologie der Hysterie. Wiener klinische Rundschau 1S96. 



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246 



Die Freutl'acbc Ihcori« von der Sexualität elc. 



anzuzweifelnden) Vorkommnisse, überdies da ich zu jener Zeit 
nicht im Stande war, die Eriiinerungstäuschungen der Hysterischen 
über ihre Kindheit von den Spuren der wirklichen Vorgänge 
sicher zu unterscheiden, während icli »citdenj gelernt habe, so 
manche V'erführungsphanta.sie als Abwehrversuch gegen die Er- 
innerung der eigenen sexuellen Bt'<ätigung ( Kindermasturbation) 
aufzul()sen. Mit dieser Aufklarung entfiel die Betonung des 
„traumatischen" Elementes an den sexuellen Kin lererlebnissen, 
und es blieb die Einsicht übrig, dass die infantile Sexual- 
betätigung (ob spontan oder provoziert) dem späteren Sexual- 
leben nach der Reife die Richtung vorschreibt. Dieselbe Auf- 
klärung, die ja den bedeutsamsten meiner anfängliebeii Irrtümer 
korrigierte, musste auch die Auffassung vom Mechanismus der 
hysterischen Symptome verändern. Dieselben erschienen nun 
nicht mehr als direkte Abkömmlinge der verdrängten Erinnerungen 
an sexuelle Kindheitserlebnisse, sondern «wischen die Symptome 
und die infantilen Eindiücke schoben sich nun die (meist m 
den Pubertfitsjahren produzierten) Phantasien (Erinnerungs- 
dichtungen) der Kranken ein, die auf der einen Seite sich aus 
und über den Kindheitserinnerungen aufbauten, auf der anderen 
sich unmittelbar in die Symptome umsetzten. Erst mit der 
Einführung des Elementes der hysterischen Phantasten wurde 
das Geföge der Netirose und deren Beziehung zum Leben der 
Kranken durchsichtig; auch ergab sich eine wirklich über- 
raschende Analogie zwischen diesen unbewussten Phantasien 
der Hjrsteriker und den ab Wahn bewusst gewordenen 
Dichtungen bei der Paranoia. 

Nach dieser Korrektur waren die „infantilen Sexuahraumen** 
in gewissem Sinne durch den „Infantilismus der Sexualität" er- 
setzt. Eine zweite Abänderung der ursprünglichen Theorie lag 
nicht ferne. Mit der angcnommcnrn Häufigkeit der Vei iuhi ung 
in der Kindheit rnttici auch die übergrussc Betünung der ak- 
zidentellen Beemllus>ung der Sexualität, welcher ich bei der 
Verursachung des Krankseins die Hauptrolle zuschieben wollte, 
ohne darum konstitutionelle und hereditäre Momente zu leugnen. 
Ich hatte sf>gar gehofft, das rroblcm der Neurosenwabl, die 
Entscheidung darüber, welcher Form von Fsychoneurose der 



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Die Freud'sche Theorie von der Senslitit etc. 



247 



Kranke verfallen aolle, durch die Einzelheiten der sexuellen 
Kindererlebnisse m lösen, und damals — wenn auch mit Zu- 
rückhaltung — gemeint, dass passives Verhalten bei diesen 
Szenen die spezifische Disposition zur Hysterie, aktives dagegen 
die für die Zwangsneurose ergebe. Auf diese Auffassung musste 
ich später völlig Verzicht leisten, wenngleich manches Tatsäch- 
liche den geahnten Zusammenhang zwischen Passivität und 
Hysterie, Aktivität und Zwangsneurose in irgend einer Weise 
aufrecht zu halten gebietet. Mit dem Rücktritt der acctdentellen 
Einflüsse des Erlebens mussten die Momente der Konstitution 
und Heredität wieder die Oberhand behaupten, aber mit dem 
Unterschiede gegen die sonst herrschende Anschauung, dass 
bei mir die sexuelle Konstitution" an die Stelle der allgemeinen 
neuropathi seilen Disposition trat. In meinen jünyst erschienenen 
,,drei Abhandlunf^'en zur Sexualtheorie" (1905) habe ich den 
Versuch gemacht, die Mannigfaltigkeiten dieser isexuellen Kon- 
stitution, sowie die ZiisanimengeseUthcit des Sexualtriebs über- 
haupt und dessen Herkunft aus verschiedenen Beitragsquellcn 
im Organismus zu schildern. 

Immer noch im Zusammenhange mit der veränderten Auf- 
fassung der „sexuellen Kindertraumen" entwickelte sich nun die 
Theorie nach einer Richtung weiter, die schon in den Ver- 
öffentlichungen der Jahre 1894- 96 angezeigt worden war. Ich 
hatte bereits damals, und noch ehe die Sexualität in die ihr 
gebührende Stellung in der Ätiologie eingesetzt war, als Be- 
dingung für die pathogene Wirksamkeit eines Erlebnisses an «be- 
geben, dass dieses dem Ich unerträglich erscheinen und ein 
Bestreben zur Abwehr hervorrufen müsse *). Auf diese Abwehr 
hatte ich die psychische Spaltung — oder wie man damals 
sagte: die Bewusstseinsspaltung — der Hysterie zurückgeführt. 
Gelang die Abwehr» so war das unerträgliche Erlebnis mit seinen 
AiTektfolgen aus dem Bewusstsein und der Erinnerung des Ich's 
vertrieben; unter gewissen Verhältnissen entfaltete aber das 
Vertriebene als ein nun unbewusstes seine Wirksamkeit und 

') Die Abwehr Neuropsycluiscn. Versuch einer psycholo};ischen Theorie 
der acquiricrten Hysterie, va-lcr Phobien und ZwangsvorsjtcUuugeu und gewisser 
limtlaxiiiatorischcr Psjdiosea. Neurol. Zentnlblatt 1894. 



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248 



Die Freud'sche Theorie von der Sexualität etc. 



kehrte mittelst der Symptome und der an ihnen haftenden 
Affekte ins Bewusstsein zurück, so dass die Erkrankung einem 
Missglücken der Abwehr entsprach. Diese Auffassung hatte 
das Verdienst, auf das Spiel der psychischen Kräfte einzugehen 
und somit die seelischen Vorgänge der I lysterie den normalen 
anzunähern, anstatt die Charakteristik der Neurose in eine 
rätselhafte und weiter nicht analysierbare Störung zu verlegen. 

Als nun weitere Erkundigungen bei normal gebliebenen 
Personen das unerwartete Ergebnis lieferten, dass deren sexuelle 
Kindergeschichte sich nicht wesentlich von dem Kinderleben 
der Neurotiker zu unterscheiden brauche, dass speziell die Rolle 
der Verführung bei ersteren die gleiche sei, traten die acci- 
dentellen Einflüsse noch mehr gegen den der „Verdrängung" 
(wie ich anstatt „Abwehr" zu sagen begann), zurück. Es kam 
also nicht darauf an, was ein Individuum in seiner Kindheit an 
sexuellen Erregungen erfahren hatte, sondern vor Allem auf 
seine Reaktion gegen diese Erlebnisse, ob er diese Eindrücke 
mit der „Verdrängung" beantwortet habe oder nicht. Bei spon- 
taner infantiler Sexualbetätigung Hess sich zeigen, dass dieselbe 
häufig im Laufe der Entwickelung durch einen Akt der Ver- 
drängung abgebrochen wurde. Das geschlechtsreife neurotische 
Individuum brachte so ein Stück , .Sexualverdrängung" regel- 
mässig aus seiner Kindheit mit, das bei den Anforderungen des 
realen Lebens zur Äusserung kam, und die Psychoanalysen 
Hysterischer zeigten, dass ihre Erkrankung ein Erfolg des Kon- 
flikts zwischen der Libido und der Sexualverdrängung sei, und 
dass ihre Symptome den Wert von Kompromissen zwischen 
beiden seelischen Strömungen haben. 

Ohne eine ausführliche Erörterung meiner Vorstellungen von 
der Verdrängung könnte ich diesen Teil der Theorie nicht 
weiter aufklären. Es genüge, hier auf meine ,,Drei Abhandlungen 
zur Sexualtheoric" (1905) hinzuweisen, in denen ich auf die 
somatischen Vorgänge, in denen das Wesen der Sexualität zu 
suchen ist, ein allerdings erst spärliches Licht zu werfen ver- 
sucht habe. Ich habe dort ausgeführt, dass die konstitutionelle 
sexuelle Anlage des Kindes eine ungleich buntere ist, als man 
erwarten konnte, dass sie ,, polymorph pervers" genannt zu 



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Die Freud'sche Theorie von der SexualiLai etc. 



249 



werden verdient, und dass aus dieser Anlage durch Verdrängung 
gewisser Komponenten das sojt. normale Verhalten der Sexual- 
funktion her\'orgeht. Ich konnte durch den Hinweis auf die 
infantilen Charaktere der Sexualität eine einfache Verknüpfung 
zwischen Gesundheit, Perversion und Neurose herstellen. Die 
Norm ergab sich aus der Verdrängung gewisser Partialtriebe 
und Komponenten der infantilen Anlagen und der Unterordnung 
der übrigen unter das Primat der Genitalzonen im Dienste der 
Fortpilanzungsfunktion ; die Perversionen entsprachen Störungen 
dieser Zusammenfassung durch die übermächtige zwangsartige 
Entwickeiung einzelner dieser Partialtriebe, und die Neurose 
fährte sich auf eine zu weit gehende Verdrängung der libidi- 
nösen Strebungen zurück. Da fast alle perversen Triebe der 
infantilen Anlage als symptombildende Kräfte bei der Neurose 
nachweisbar sind» sich aber bei ihr im Zustande der Verdrängung 
befinden, konnte ich die Neurose als das „Negativ" der Per- 
version bezeichnen. 

Ich halte es der Hervorhebung wert, dass meine Anschau- 
ungen über die Ätiologie der Psychoneurosen bei allen Wand- 
iungen doch zwei Gesiditspunkte nie verlängnet oder verlassen 
haben, die Schätzung der Sexualität und des Infantilismus. 
Sonst sind an die Stdle accidenteller Einflüsse konstitutionelle 
Momente, für die rein psychologisch gemeinte „Abwehr** ist die 
organische „Sexualverdrängung" eingetreten. Sollte nun jemand 
fragen, wo ein zwingender Beweis für die behauptete ätiologische 
Bedeutung sexueller Faktoren bei den Psychoneurosen zu finden 
sei, da man doch diese Erkrankungen auf die banalsten Ge- 
mütsbewegungen und selbst auf somatische Anlässe bin aus- 
brechen sieht , auf eine spezifische Ätiologie in Gestalt beson- 
derer Kindererlcbnisse verzichten muss, so nenne ich die psycho- 
analytische Erforschung der N( iir(»tikcr als die Quelle, aus 
welcher die bestrittene t'bcr/eugun;^ zufliesst. Man erfährt, wenn 
man sich dieser unerset /liehen üntersuchungsmethode bedient, 
dass die Symptome dicSexualbctätigung derKranken 
darstellen, die ganze oder eine partielle, aus den Quellen 
normaler oder perverser rartialtricl>e der Sexualität. Nicht nur, 
dass ein guter Teil der hysterischen Symptomatologie direkt 



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250 



Die Freud'scbe Theorie von der Sexualität «tc. 



aus den Äusserungen der sexuellen Erregtheit herstammt, nicht 
nur, dass eine Reihe von eroyenen Zonen in der Neurose in 
Verstärkung iniantiler ICi^'cnschaften sich zur Bedeutung von 
Genitalien erhebt; die kompliziertesten S\ mptome selbst ent- 
hüllen sich als die konvertierten Darstellungen von Phantasien, 
welche eine sexuelle Situation zum Inhalte haben. Wer die 
Sprache der Hysterie 2U deuten versteht, kann vernehmen, dass 
die Neurose nur von der verdrängten Sexualität der Kranken 
handelt. Man wolle nur die Sexualfunktion m ihrem richtigen, 
durch die infantile Anlage umschriebenen Umfange verstehen. 
Wo eine banale Emotion sur Verursachung der Erkrankung 
gerechnet werden muss, weist die Analyse r^elmässig nach, 
dass die nicht fdilende sexuelle Komponente des traumatischen 
Erlebnisses die patfaogene Wirkung ausgeübt hat. 

Wir sind unversehens von der Frage tiacfa der Verursachung 
der Psychoneurosen zum Problem ihres Wesens vorgedrungen. 
Will man dem Rechnung tragen, was man durch die Psycho- 
analyse erfahren hat, so kann man nur sagen, das Wesen dieser 
Erkrankungen Hege in Störungen der Sexualvorgänge, jener 
Vorginge im Organismus, wdche die Bitdung und Verwendung 
des geschlechtlichen Libido bestimmen. Es ist kaum zu ver- 
meiden, dass man rieh diese Vorgänge in letzter Linie als 
chemische vorstelle, so dass man in den sog. aktuellen Neurosen 
die somatischen, in den Psychoneurosen ausserdem noch die 
psychischen Wirkungen der Störungen im Sexualstoffwechsel 
erkennen »lurftiv Die Ähnlichkeit der Neurosen mit den Intoxi- 
katious- uiui Abstinenzerscheinungen nach gewissen Alkaloiden. 
nut (Uui M. BasL-döwi und M. Addisoni drangt sich ohne 
weiteres klinisch aut, und sowie man diese beiden letzteren Er- 
krankungen nicht mehr als „Nervenkrankheiten" beschreiben 
darf, so werden wohl auch bald die echten „Neurosen" ihrer 
Namengebung zum Trotze aus dieser Klasse entfernt werden 
müssen. 

Zur Ätiologie der Neurosen gehört dann alles, was schädigend 
auf die der Sexual funktion dienenden Vorgänr^c einwirken kann. 
In erster Linie also die Noxen, welche die Sexualfunktion selbst 
betreffen, insofern diese von der mit Kultur und Ersiehung vcr- 



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Die Fiend'idie Tbcofk von der Sexmlitlt tie. 



251 



änderiichen Sexualkonstitution als Schädlichkeiten angenommen 
werden. In zweiter Linie stehen alle andersartigen Noxen und 
Traumen, welche sekundär durch Allgemeinschädigung des Orga- 
nismus die Sexualvorgäi^e in demselben au schädigen ver- 
mögen. Man vergesse aber nicht, dass das ättolqgisdie Problem 
bei den Neurosen mindestens ebenso komploiert ist wie sonst 
bei der Krankheitsverursachung. Eine einzige pathogene Ein- 
wirkm^ ist fast niemals hinreichend; zu allermeist wird eine 
Mehrheit von ätiologischen Momenten erfordert, die einander 
unterstützen, die man also nicht in Gegensatz zu einander 
bringen darf. Dafür bt auch der Zustand des neurotischen 
Krankseins von dem der Gesundheit nicht sdiarf geschieden. 
Die Erkrankung ist das Ergebnis einer Summation und das 
Mass der ätiologischen Bedingungen kann von tigend einer Seite 
her voll gemacht werden. Die Ätiologie der Neurosen aus- 
schliesslidi hi der Heredität oder in der Konstitution zu suchen, 
wäre keine geringere Einseitigkeit, als wenn man einzig die acci- 
dentellen Beeinflussungen der Sexualität im Leben zur Ätioloj^ie 
erheben wollte, wenn sich doch die /Aulklärun^ ergibt, dass das 
Wesen dieser Erkrankungen nur in einer Störung der Sexualvor- 
gänge im Organismus gelegen ist." 
Wien, Juni 1905. 

Wenn ich nun meinen Standpunkt zu den im Vorstehenden 
mitgeteilten Theorien Freud's dark^cn soll, --o nuiss ich zu- 
nächst bctrelis der Hysterie bemerken, dass die Anscliauungcn, 
zu weichen der Autor gelangte, das Ergebnis der von ihm ge- 
übten psychoanalytischen Methode darstellen, deren Technik er 
z. Z. allein beherrscht , so dass eine Nachprüfung seiner Be- 
funde von anderer Seite vorerst ausgeschlossen ist. Ich hege 
keinen Zweifel, dass für die von Freud untersuchten Fälle seine 
Annahme bezüglich der Ätiologie der Krkrankimg und des Me- 
chanismus der einzelnen Symptome Berechtigung besitzt. 

£s darf Jedoch nicht übersehen werden, dass die Freud'sche 
Theorie einen Punkt in sich schliesst, der die Allgemeingültig* 
keit derselben vorerst mindestens fraglich erscheinen lassen 
miiss. Der Autor hat diesen Punkt in der dritten seiner jüngst 



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252 



Die Freud'scbc Theorie von der Sexualität etc. 



publizierten „Abhandlungen zur Sexualtheorie" selbst hervor- 
gehoben: „Wegen der gegensätzlichen Beziehung zwischen Kultur 
und freier Sexualitätsentwicklung", bemerkt er hier, „deren Fol- 
gen weit in die Gestaltung unseres Lebens verfolgt werden 
könnten, ist es auf niedriger Kultur- oder Gesellschaftsstufe so 
wenig, auf höherer so sehr für s spätere Leben bedeutsam, wie 
das sexuelle Leben des Kindes verlaufen ist". Die Entwicklung 
der Hysterie ist nach Freud von der Reaktion auf infantile 
Sexualcrlebnisse abhängig, die durch gewisse (durch Erziehung 
und auf anderem Wege beigebrachte) ethische Vorstellungen 
betreffs der sexuellen Vorgänge bedingt ist. Die Wirksamkeit 
derartiger Vorstellungen auch bei halbzivilisierten und ganz un- 
kultivierten Völkern anzunehmen, ist jedoch kaum zulässig. 
Wir finden aber von Hysterie die Frauen der Lappen, Samo- 
jeden, Kamtschadalen in gleicher Weise heimgesucht wie Abes- 
sinierinnen, Hottentottinnen und Madagesinnen. Ja in Mada- 
gaskar herrschte in den Jahren 1863 — 64 eine Epidemie von 
hysterischen Zufällen (einer Art Chorea major) insbesonders unter 
den Mädchen und Frauen im Alter von 15 — 20 Jahren. Wenn, 
wie Freud selbst bemerkt, auf niedriger Kultur- oder Gesell- 
schaftsstufe der Verlauf des infantilen sexuellen Lebens von so 
geringer Bedeutung ist, ist das Auftreten der Hysterie bei den 
Frauen der erwähnten Völker nach seiner Theorie kaum zu 
erklären. Eine weitere Schwierigkeit bildet die gelegentlich 
epidemische Ausbreitung der Hysterie. Wir brauchen hier nicht 
an die mittelalterlichen Epidemien von hysterischer Dämono- 
pathie und Chorea major zu erinnern. Auch die Neuzeit hat 
manche hysterische Epidemien, insbesonders Schulepidemien, 
aufzuweisen. Bei der epidemischen Verbreitung der Hysterie 
spielt aber der Einfluss der Suggestion eine Hauptrolle, deren 
Wirksamkeit wir auch in äusserst zahlreichen Fällen isoliert auf- 
tretender Hysterie konstatieren können. 

Die weitere F'orschung kann demnach wohl erst ergeben, 
inwieweit neben der Freud'schen Theorie die älteren Auffas- 
sungen zu Recht bestehen. 

Bezüglich der Modifikation, welche die Ansichten Freud's 
betreffs der Zwangsneurose erfahren haben, muss ich ergänzend 



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Die Freud'sclie Theorie von der Scimiitit etc. 



258 



beifügen, dass der Autor (ähnlich wie bei der Hysterie) die 
Symptome der Zwangsneurose nicht direkt von realen sexuellen 
Erlebnissen, sondern von an solche sich knöpfenden IHiantasien 
abhängig erachtet, welch letztere demnach wichtige Mittelglieder 
zwischen den betretenden Erinnerungen und den Krankheits- 
erscheinungen bilden. „In der Regel sind es Pubertätserlebnisse, 
die als Noxe wirken und die bei der Verdrängung ins Infantile 
zufuckphantasiert werden, unter Anlehnung an die in der Krank- 
heit erlebten acctdentellen oder aus der Konstitution fliessenden 
Sexualeindrücke (briefliche Mitteilungen des Autors)." An den 
Grundelementen der Theorie : Verdrängung einer peinlichen, 
dem Sexualleben angehörenden Vorstellung und 1 lan-sposition 
des mit dieser verknüpften Affektes, wird durch diese Modifi- 
kation nichts geändert M. 

Meine eigene Auffassung iibcr die Ätiologie und den 
Mechanismus der Zwangsvorstellungen, habe ich in meinem 
Werke (Die psychischen Zwangserscheinungen, 1904) ausführUch 
dargelegt. Ich habe midi dort dahin geäussert, dass ich, wenn 
ich auch in meinem eigenen Beobachtungsmateriale einen striktoi 
Beweis für die Abstammung bestimmter Zwangsvorstellungen 
von verdrängten Erinnerungen des Sexuallebens nicht finden 
kann, doch eine derartige Provenienz von Zwangsvorstellungen 
in einer Anzahl von Fällen für wahrscheinlich halte. Bei einer 
weiteren Prüfung meiner Erfahrungen habe ich den Eindruck 
gewonnen, dass für die selbständige Zwangsneurose (Zwangs- 
vorstellungskrankheit) die Freud'sche Annahme in der Haupt* 
Sache zutrefien dürfte. Die Fälle selbständiger Zwangsneurose 
bilden jedoch unter den Erkrankungen mit Zwangsvorstellungen 
nur einen relativ bescheidenen Prozentsatz. Die Entwickelung 
der weit häufigeren im Rahmen der Neurasthenie, Hysterie, 
Angstneurose, Melancholie etc. auftretenden Zwangsvorstellungen, 
wird, wie ich in dem erwähnten Werke dargelegt habe, durcii 
andere als die von Freud angenommenen Momente bedingt. 

I) Gegenwärtig fasst der Aalor dM Wesentliche seiner Theorie in folgende 
swci Satte: a) Der {»ychiache Ztreng rtthrt immer von Verdiflngung her. b) Die 
verdr.ingten Regungen und Vorstellungen, aus denen d«S Zwang^wodukt hervor- 
geht, stammen gant allgemein aus dem Sexualleben. 



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254 



Die Freud'Kh« Theorie wen der SexwUtUt etc. 



In betrete der Neurasthenie kann ich ledigUch bei der schon 
in den beiden letzten Auflagen dieser Schrift vertretenen An- 
steht verharren. Die Zahl der von mir im Laufe der Jahre 
beobachteten Fälle von Neurasth«»iie ohne jegliche Kompli- 
kation mit Angstsymptomen ist recht erheblich, und meine Er- 
fahrung lehrt, dass die Neurasthenie un engeren, d. h. Freud* 
sehen Sinne, bei beiden Geschlechtern keineswegs lediglich durch 
exzessive Masturbati<Ni oder gehäufte Pollutionen entstdit 

Unter meinen Beobachtungen finden sich nicht wenige Fälle, 
welche jeden Zweifel in dieser Besiehung ausschliessen lassen. 
Dieselben betreffen sum Teil filtere, verheiratete Männer mit 
zahlreidier Familie, zum Teil auch Männer in kindtf loser Ehe, 
mit durchaus normalem geschlechtlichem Verkehre, bei welchem 
ich die Entwickelung der Neurasthenie im Gefolge nicht sexu- 
eller Schädlichkeiten geistiger und körperlicher Überanstrengung 
emotioneller Noxen, erschöpfender Krankheiten etc.) genau ver> 
folgen konnte. Ähnlich verhielt es sidi in zahlreichen, verhei- 
ratete Frauen betreffenden Fällen. 

Die Fr eud'sche Annahme lässt sich nur dadurch erklären, 
dass Freud ein seltsamer Zufall ein Krankenmaterial zuführte, 
bei welchem lediglich die in Frage stehenden ätiologischen 
Momente vorlagen. 

Was schliesslich die Ätiologie der Angstneurose betrifft, 
so habe ich alsbald nacii dem Erscheinen der ersten Mitteilung 
Freud's über die Angstneurose gegen die Annahme einer ein- 
heitlichen und rein sexuellen Ätiologie der i»emeinhin als rteur- 
astheni<=ch betrachteten Ans^si/.ustände in einem kleinen Aulsatze 
eine Reihe vt)n Bedenken geltend gemacht, welche den Autor 
zu cinei Entgegnung m der Wiener klmischen Rundschau 1S95 
veranlassten. In dieser bemühte sich der Autor, nicht nur 
meine Einwände gegen seine Theorie zu entkräften, sondern 
auch seine Ansichten über die Ätiologie setner Angstneurose 
(und der Neurosen überhaupt) schärfer zu formulieren, als dies 
früher geschehen war. Sein Schema für die Ätiologie der Angst- 
neurosc formulierte er hier folgendermassen : Bedingung : Heredität, 
spezifische Ursache: Ein sexuelles Moment imSinne einer Ablenkung 
der Sexualspannung vom Psychischen, Hilfsursachen: Alle banalen 



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Die Freud'sche Theorie von der Sexualität etc. 



255 



Schädigungen, Gemütsbewegung, Schreck, wie physische Erschöp- 
fung durch Krankheit oder Oberletstung. Indes konnte ich auch 
dieses Schema mit meinen Erfahrungen nicht m Einklang bringen. 
Diese Diskrepanz bildete für mich eine Aufforderung, nunmehr 
die Ätiologie der neurotisdien Angstzustände eingehender und 
an einem grösseren Materiale zu studieren, bei welchem neben 
den übrigen in Betracht kommenden Momenten die Verhältnisse 
der Vita sexualis in sorgfältigster Weise berücksichtigt wurden. 
Von den h-igebnissen dieser Untersuchungen, über welche schon 
andern Orts berichtet wurde, soll in folgendem Abschnitte haupt- 
sächlich das auf die sexuelle Ätiologie der Angstzustände sich 
Beziehende mitgeteilt werden. 



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XV. 

Eigene Untersuchungen über die sexuelle 

Ätiologie der neurotischen Angstzustände, 



I 



AngstzustSnde, die dem Gebiete der psychischen Zwangs - 
erscheinungen angehören und wegen ihrer Entwickelung auf neu- 
rotischer Basis als neurotische (zum Unterschiede von den bei 
Psychosen auftretenden, den psychotischen) sich bezeichnen 
lassen, finden sich zwar ganz vorwaltend, aber doch nicht ledig- 
lich bei Neurasthenie; wir begegnen denselben auch bei Hysterie, 
ti)ilepsie und Migräne; daneben findet sich noch eine Reihe \on 
Fällen, in welchen Angstphänomene isoliert bestehen oder nur mit 
Erscheinungen vergesellschaftet sind, welche in das Gebiet der 
Nervosität oder der hereditären psychopathischen Minderwertig- 
keiten gehören, dagegen andere ausgesprochene Symptome der 
Neurasthenie oder einer anderen Neurose mangeln. Diese Fäilc, 
in welchen Angsterscheinungen das Wesentliche bilden, habe ich 
zu einer Angstneurose sui generis zusammengefasst *). Das 
für meine ätiologischen Untersuchmigen verwertete Kranken- 
material setzt sich lediglich aus Fällen von Neurasthenie, Hysterie, 
resp. Hysteroneurasthenie und Angstneurose nach meiner Unter- 
Scheidung zusammen, im Ganzen 210 Fälle. 

*) Di« von mür ttntendiiedene Angstueorose deckt «ich keineswegi mit 

der von Freud angenommenen. Die Freud'scbe ADj»sUieurose schlics^t di<* 
Angst/nstSnde der N"'ir:.sthetii!>chcn in sich ein; wo sieb h>:-i Nrur.istheniscbeü 
Angsl2u^!lkndc Enden, handelt es üicb nach Freud um eine Komplikation der 
NeurMlbeoie mit seiner Angstneurose. Meiner Angstneurose gebOren dagegen 
die Angsttustinde der Neinastheoisdieii nicht m ; ich betrachte diese nicht ils 
Komplilcationen, sondern als Symptome des neunsthenischen Grandxnstaodes. 



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Eigene Uotersodmogn fiber die sexnelle Ätiologie etc. 



257 



Was zunächst das Geschlecht der Patienten betrifft, so fand 
sich in metnem Krankenmateriale ein auflalliges Oberwiegen der 
Männer; das Verhältnis der beiden Geschlechter ist fast 2:1. 
Zum Teil ist dies wohl auf ZuMigkeiten des Materials anirüdc- 
sufuhren, i. e. den Umstand, dass sich Männer mit Angstzuständen 
aus verschiedenen Gründen häufiger an den Nervenarzt wenden 
als Frauen, zum Teil mag aber auch dieses Missverhältnis darin 
begründet seini dass bei Männern sich gewisse ursächliche Mo> 
mente der Angstzustände (speziell sexuelle Noxen) häufiger geltend 
machen als bei den Angehörigen des weiblichen Geschlechtes. 
Die Beteilit^uriL,' der einzelnen Altersklassen zeigt bemerkens- 
werte Verschiedenheiten. Das Hauptkontingent kommt auf die 
Zeit vom 20. — 50, Lebensjahre, und die Altersklasse vom 30. 
bis 40. Jahre ist bei beiden Geschlechtern am stärksten vertreten. 
Bei Frauen zeigt sich schon vom 40. Lebensjahre an ein sehr 
erheblicher Rückgang in der Zahl der Fälle, bei Männern erst 
vom 50. Jahre an; das höhere Lebensalter ist nur in sehr ge- 
ringem Masse beteiligt. 

Hereditäre Belastung bestand sicher in 80*^/0 der Fälle, 
und nur in io**/o der Fälle Hess sich solche ausschliesen, 
soweit dies überhaupt möglich ist. Dabei ist bemerkenswert, dass 
ich bei Männern keinen Fall fand, in welchem mit Sicherheit ausser 
der Heredität kein ätiologisches Moment im Spiele war, und bei 
Frauen nur einen Fall, in welchem die Heredität vielleicht sich 
als ausschliessliche Ursache der Angstzustände betrachten lässt, 
sofern dieselbe eine Besonderheit der Vita sexualis im Freud- 
schen Sinne bedingte, weldhe geeignet ist, zu Angstzuständen zu 
föhren. Es handelt sich um eine junge Frau, welche ebenso wie 
ihre Schwester sexuell anästhetisch ist. Was die Beziehung der 
erbHchcn Belastung zur Intensität und Hartnäckigkeit der Angst- 
erscheuuuigen anbelangt, so ist zwar nicht in Abrede zu stellen, 
dass die schUmmcn phobischen Zustände sich vorwaltend bei 
Hereditaricrn finden , doch kommen auch bei Nichtbelasteten 
intensive und hartnäckige Phobien und die schwersten inhaltlosen 
Angstzustände vor. Ferner ergab sich, dass die Schwere der 
erblichen Belastung in keinem bestimmten Verhältnisse zur 
Schwere der Angstsymptome steht. Es dürfte sich dies aus 

LSwcvfalil, Scmell'.neiTciM StanNigen. Vi«rl« Au8. 17 

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258 



Higeiie TJntcnnciiiiiigeD ftber die lenidle Atiolofie cic. 



einem Umstände erklären, auf welchen meine Beobachtungen hin- 
weisen. Es scheint, dass in manchen Fällen mit erblicher Be- 
lastung neben einer geringen, zum Teil sogar sehr geringen 
allgemeinen neuropathischen Anlage (vielleicht auch ohne solche) 
eine spesielle Disposition zu Angstzuständen vererbt wird *). 

Eine sexuelle Ätiologie fand sich nur in ann&hemd 75®/« 
der F^lle, d. h. in diesem Prozentsatz der Fälle liessen sich 
irgendwelche als Schädlichkeiten anzusprechende Verhältnisse im 
Bereiche der Vita sexualis eruieren, welche bereits vor dem Ein- 
treten der Angstzastiinde ihren Einfluss geltend machten. Ich 
muss hier betonen, dass für die Feststellung dieses Prozent« 
Verhältnisses selbstverständlich nur ein Material von Einzel- 
beobachtungen verwertet wurde, bei welchem die Anamnese 
bez. der Vita sexualis mit der erforderlichen Giundliclikeit er- 
hoben wurde. In ihrer Art waren die sexuellen Schädlichkeiten, 
die sich in den einzelnen Fällen ermitteln Hessen, sehr verschieden. 
Bei Männern fand sich: absolute und relative Abstinenz, fru- 
stranc Erregung, Congressus interruptus, Masturbation mit fol- 
gender Abstinenz und ohne solche, Exzesse im normalen ge- 
schlechtlichen Verkehre, übermässige Pollutionen ; bei Frauen : 
Congressus interr. und mangelnde sexuelle Befriedigung aus 
anderen Ursachen (sexuelle Anästhesie etc.), Abstinenz (absolute 
und relative), Masturbation. Die Bedeutung der sexuellen Schäd- 
lichkeiten schwankt jedoch in den einzelnen Fällen sehr; auf 
der einen Seite haben wir eine allerdings nur sehr geringe Zahl 
von Fällen, in welchen keine Ursache ausser der sexuellen Noxa 
nachweisbar ist, auf der anderen Falle, in welchen neben dem 
sexuellen Momente offenbar noch andere ätiologische Faktoren 
eine sehr wichtige (vielleicht die überwiegende) Rolle spielen. 



') llicrfiir spricht der Umstand, dass wir nicbt sclteo bei einer Mebrzabl 
Ton GUcdetv eiaer Familie, deren allgciueiner Nerveiuasland kdnenregi bcKnidcis 
wizfimtig ist (oidi meinen Bcobadttungen bei i, 3, 4 Gecdiwisteni oder Matter 

und Kindern), Angstzuständen begegnen, an deren Entstehung psychische Infektion 
offenbar keinen Anteil hat. Ks handelt sich hier um Fälle, in welchen die Angst- 
zustände bei verschiedenen Gliedern einer Familie zu ganz verschiedenen Zeilen 
anfinten und mm Teil bd den Erstbefällenen wbon lange wieder geachwniidea 
waren, als sie bei anderen Famitiengliedern sieb entwidcelten. 



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Eigene Untersudmogen Aber die i«raelle Ätiologie etc. 



259 



Zwischen diesen Grenzföllen li^ die grösste MdinabI der 
Fälle mit sexueller Ätiologie. Bezüglich dieser Gruppe ergaben 
meine Nachforschungen, dass die Zahl der Fälle, in welchen 
neben den sexuellen Schädlichkeiten nur erbliche Belastung sich 

findet, nahezu ebenso gross ist (etwa %) als die derjenigen, in 
welchen noch ausserdem ililtsui machen sich nachweisen lassen, 
während die Zahl der Fälle, in welchen erbliche Behistung 
mangelt und neben den sexuellen Schädlichkeiten nur andere 
ätiologische Momente wirksam sind, oder solche auch mangeln, 
erheblich geringer ist (etwa Der Mangel hereditärer Be- 

lastung wird bei Männern zum grössten Teil durch einen äqui- 
valenten Umstand ausgeglichen, die in früher Jugend, i. e. schon 
vor der Pubertät geübte, oder wenn auch später erst begonnene, 
so doch extessiv betriebene Masturbation. 

Dem Umstände gegenüber, dass wir lediglich in annähernd 
75*/e der Fälle eine sexuelle Ätiologie fanden, muss erwähnt 
werden, dass Freud schon in seinem Aufsatze „Ober die Angst- 
neurose" auf die Tatsache hingewiesw hat, dass die Angst- 
neurose und zwar bei beiden Geschlechtem auch durch Ober- 
arbeit, erschöpfende Anstrengungen, z. B. Nachtwachen, Kranken- 
pflege und schwere Krankheiten, herbeigeführt werden kann. 
Diesen Fällen fdilt zwar nach Freud*s Ansicht eine sexuelle 
Ätiologie, aber nicht em sexueller Mechanismus der Angst- 
produktion. Die organisch sexuellen Vorgänge können nämlich, 
wie durch Schädlichkeiten aus dem Sexualleben selbst, auch 
durch tiefergreifende, das Nervensystem allgemein beeinflussende 
Noxen Störungen erfahren, ähnlich wie dies z. B. auch bei den 
Funktionen des Verdauungsapparates der Fall ist. Der Prozent- 
satz der Fälle, in welchen hei der Angstproduktion sexuelle 
Faktoren eine Rolle spielen, muss demnach als 75*/« über- 
steigend angenommen werden. 

Bei einer Prüfung der im Vorstehenden mitgeteilten Unter- 
suchungsergebnisse lässt sich nicht verkennen, dass dieselben 
der früheren Freud'schen Theorie (Aufspeicherung somatischer 
Sexualerregung, Ablenkur^ vom Psychischen und subkortikaie 
Entladung derselben) keine Stütze gewähren. Auf der einen 
Seite haben wir Fälle mit sexueller Ätiologie, in welchen eine 

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260 



£i^e UaCcnwlitiiige» Ober die BMacHe AtioloBiie etc. 



Aufspeicherung somatischer Sexual erregung auszuschliessen ist 
(Exzesse im normalen geschlechtUchen Verkehie, Masturbatioa 
ohne Abstinenz, gdiäufte Pollutionen), auf der anderen Seite 
Fälle, in welchen zwar eine Aufspeicherung von Sexualerregung 
sich annehmen lässt, die Ablenkung vom I^ychtschen jedoch 
fehlt. Als Zeichen letzterer betrachtet Freud Abnahme oder 
Schwinden der Libido. Unter den Fällen meiner Beobachtung 
mit sexueller Abstinenz finden sich jedoch solche mit sehr er- 
heblicher Likttdo ebensowohl vertreten als solche mit gesunkener 
Libido. In einzdnen Fällen bestanden sc^ar zeitweilig Zustände 
hochgradiger sexueller Erregung Hierzu kommt der Umstand, 
dass die erwähnte Theorie Freud's, wie der Autor selbst zu- 
gesteht, für die Erklärung des Auftretens und Ausbleibens der 
Angstanfälle bei den Phobien sich unzulänglich erweist. Der 
Agoraphobe z. B. kann sich, wie immer es mit seiner Vita 
scxualis bestellt sein mai;, von Angstanfällen frei halten, wenn 
er die ihm j^'efährlichen Plätze meidet oder sich beim Ausgehen 
begleiten lässt. 

Freud hat jedoch seine Ansicht in betreff der Provenienz 
der neurotischen Angst in jüngster Zeit in einer Weise niodi- 
hziert, gegen welche sich ungleich weniger Bedenken erheben 
als gegen die frühere Foi nuiliernnt» seiner Auffassung. Seine 
derzeitige Anschauung geht dahin, ,,dass die neurotische An^st 
somatischer Herkunft ist, aus dem Sexualleben stammt und 



') Bc/ü(^ul1i iloi Fare von Angslneurosc mit SteigeniDg der Libido bemerkt 
der Autor in scituni RcTciate über mein Werk: ,,Üie psychisclun Zwanj^^er- 
scbcinungen" (Journal für Psych, und Keurol. Bd. III, 1904) , dass in denselben 
nichts anderes als ein Oszillieren swiscben libidinöser und in Angst (teilweise) 
verwandelter EneBong vorliegt. Ich hatte vor knncin GelegeDheit, über die 
Beriehungen der Angst cur !.il)ido in einem Falle von Angstneorose bei einer 
in sexueller A'n-tiupnT' !cbf n.lcn jüngeren weiblichen Person, welche zeitweilig von 
sehr lä-ttiger senueiler Erregtheit heimgesucht wurde, Genaueres zu ermitteln, wo- 
bei sich folgendes ergab: In schweren AngstanfiÜlen ist von libidinöser Erregung 
nie etwas bemerklich ; mitssig^ AngstzastSnde können sich dagegen sehr wohl mit 
sexueller Erregtheit verknüpfen. Letztere kann sogar hicbei einen sehr erheblichen 
Grad erreichen. Wir sehen aus dem Angeführten, dass eine Ablenkung ilct I.ibi lo 
vom Psychischen für die Auslösung der Angst durch dieselbe uicht notwendig 
ist. Dass das von Freud erwähnte Oszillieren vorkommen mag, möchte ich 
trotzdem nicht bestreiten. 



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Eigene UoieisuchaDgen Ober die sexnclle Ätiologie etc. 



261 



einer verwandelten Libido entspricht". Zur richtigen Würdigung 
dieser Ansicht muss ergänzend beigefügt werden, dass Freud 
die Angstzustände, welche durch Schrecken und andere emo- 
tionelle Momente verursacht sind, dem Gebiete der Hysterie 
zuweist Ich muss hier auf eine Erörterang der Frage ver- 
zichten, inwieweit diese Annahme berechtigt ist, und mich auf 
die Bemerkung beschränken, dass, da die Hysterie eine Neurose 
ist, auch die hysterischen Angstzustande sich von den neuro- 
tischen nicht abtrennen lassen. 

Wenn ich die Summe meiner derzeitigen Erfahrungen be- 
züglich der Ätiologie und des Mechanismus der neurotischen 
Angstzustände Oberblicke, so komme ich zu einer Auffassung, 
die sich der Freud'schen wesentlich nähert. Auch für mich 
unterliet^t es keinem Zweifel mehr, dass die neurotischen 
A n g s t u s L a Fl ( 1 e , soweit d i e s e I b e n n i c h t e m o t i o n e 1 1 e n 
Ursprun^'s sind, aus somatischen, dem Gebiete des 
Sexuallebens angehört ^»en Störungen entspringen. 

Die an sich naheHegendt Annahme, dass es sich hierbei um 
einen einheitlichen , in allen Fällen stets gleichartigen Mecha- 
nismus der Angstproduktion handelt, stösst jedoch bei näherer 
Betrachtung der Sachlage auf ernste Schwierigkeiten. Die ein- 
zelnen in Frage stehenden sexuellen Noxen sind in ihrer Art 
so verschiedenartig, dass a priori wenig Aussicht zu bestehen 
scheint, in denselben ein einheitliches Moment aufzufinden. Dies 
zeigt sich schon, wenn wir die unter den sexuellen Schädlich- 
keiten weit prädominierenden, die sexuelle Abstinenz und den 
Congr interr, in Betracht ziehen. Bei der Abstinenz beim 
Manne haben wir neben der Spermaansammlung in den Samen- 
blasen eine Anhäufung libidogener Stoffe im Blute anzunehmen. 
Beim Congr. interr. kann, wenn derselbe nicht allzu selten aus- 
geübt wird, d. h. mit Abstinenz sich verknüpft, das erste der 
beiden erwähnten Momente jedenfalls nicht in Betracht kommen. 
Die Möglichkeit einer Anhäufung libidoi^ener Stoffe im Blute 
lasst sich zwar nichi auijschliessen , doch k.mn dieselbe jeden- 
falls luclit den Grad erreichen, wie bei andauernder Abstinenz. 
Die hier V(ji liegende Schwierigkeit schwindet jedoch, wenn wir 
die Erfahrung berücksichtigen, dass anscheinend ganz ver- 



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262 



Eigene Untersuchungen über die sexuelle Ätiologie etc. 



schiedcnartigc Vorgänge die Erregbarkeitsverhältnisse des Nerven- 
systems in ähnlicher Weise verändern und andererseits gleiche 
Mengen eines toxischen Stoffes (z, B. Alkohol, Koffein) bei ver- 
schiedenen Individuen je nach dem Zustande ihres Nervensystems 
sehr differenle Wirkungen produzieren können. Neuere Tier- 
versuche haben, wie wir sahen, die Existenz eines umschriebenen 
kortikalen Zentrums für den Geschlcchtssinn sehr wahrscheinlich 
gemacht. Die für die Angstzustände in Betracht kommenden 
sexuellen Noxen haben das Gemeinschaftliche, dass sie sämtlich 
geeignet sind , abnorme Erregbarkeit oder Erregungszustände 
dieses Zentrums herbeizuführen. Berücksichtigt man ferner die 
Erfahrungen mit anderen toxischen Stoffen , so muss man zu 
der Annahme gelangen , dass je nach dem Grade der Erreg- 
barkeitsveränderungen des kortikalen Sexualzcntrums verschie- 
dene Mengen libidogener Stoffe ähnliche Wirkungen auf dasselbe 
äussern mögen, und daher das, was in einem Falle durch eine 
Anhäufung dieser Stoffe im Blute herbeigeführt wird, im anderen 
Falle durch geringere Mengen derselben zu Stande kommen kann. 
Es mangelt also, wie wir sehen, bei allen hier in Betracht kommen- 
den sexuellen Noxen nicht an einheitlichen Momenten: Ände- 
rungen des funktionellen Verhaltens des kortikalen 
Sexualzentrums und Einwirkung libidogener Stoffe 
auf dasselbe. Wenn wir jedoch einen Einblick in die Vorgänge 
gewinnen wollen, durch welche die in Frage stehenden sexuellen 
Momente Angstzustände herbeiführen oder bei der Herbeiführung 
derselben mitwirken, müssen wir etwas näher auf die Art und 
Weise eingehen, in welcher dieselben die Elemente des korti- 
kalen Sexualzentrums affizieren und wie die von hier ausgehende 
Beeinflussung der bei den Angstzuständen beteiligten kortikalen 
und subkortikalen Apparate zu Stande kommt. 

Wenn wir uns zunächst mit dem ersten Teile der uns vor- 
liegenden Doppelfrage beschäftigen, so sehen wir, dass Exzesse 
im normalen geschlechtlichen Verkehre und in masturbatorischen 
Leistungen durch allzu häufige Erregung der sexuellen Rinden- 
zentren einen Zustand reizbarer Schwäche in diesen nach sich 
ziehen können. Abnorme Erregbarkeit dieser Zentren kann aber 
auch durch sexuelle Abstinenz herbeigeführt werden, wenn diese 



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Eigene Uotcnuchangen über die sexoeUe Ätiologie etc. 



263 



mit unverändert bleibender oder allmählich sich steigender Libido 
einhergeht, ganz besonders bei frustrancr Erregung oder Ein- 
wirkung von anderen die Libido erhöhenden Momenten (Ge- 
dankenonanie, Lektüre pornographischer Romane etc.). Den 
Fall der Abstinenz mit verringerter Libido müssen wir vorerst 
ausser Betracht lassen. Bei dem Congr. interr. haben wir es 
mit komplizierteren und wechselnden Verhältnissen zu tun. 
Filhrt derselbe, wie es namentlidi bei Frauen oft der Fall Ist, 
SU keiner Befriedigung, so liegen die Dinge ähnlich wie bei der 
Abstinenz, soweit die Einwirkung auf die kortikalen Zentren in 
Betracht kommt. Durch den sexudlen Akt wird die molekulare 
Spannung in diesen 2^ntren nicht herabgesetzt, in manchen 
Fällen sogar gesteigert, sofeme sich an den Koitus örtliche 
Veränderungen (Hyperämien) im Bereiche der Sexualorgane 
knüpfen, welche die von der Peripherie den Zentren zufliessen- 
den Reize vermehren >). 

Die dem Geschleditssinne dienenden Rindenterritorlen stehen 
offenbar in enger Beziehung zu den kortikalen und subkortikalen 
Apparaten, welche bei dem Angstvorgange beteiligt smd. Wir 
dürfen dies schon aus dem Umstände folgern, dass die Erregung 
beim sexuellen Akte, ähnlich wie bei den Affekten, in Verände- 
rungen der Tätif^keit des zirkuiatorischen und respiratorischen 
Apparates sich äussert (entlädt), also bei diesem Akte ein Ab- 
strömen kortikaler Erregung nach den bulbären Zentren hin 
stattfindet. Für die in Frage stehende Beziehung spricht des 
Wetteren das Auftreten von Angstanfällen im Anschlüsse an 
gewisse sexuelle Vorgänge (Menses z. B. bei Frauen, Pollutionen 
bei Männern) und ein allerdings selteneres, von mir zuerst kon- 
statiertes Gegenstück dieser Beobachtungen: die Hervonufung 
sexueller Erregung durch Angstzustände Die sexuellen Noxen, 

') Ähnlich liegen die Verhältnisse bei sexueller ADästbe»ie (Mangel, rcsp. 
hochgradige HeraUetsniig d«r orga<>tiseheD Fähigkeit) bei Fnuen. Der sexuelle 
Verkehr fflhrt hier lu keber Eotladung der kortikalen sesndleii Zentren. 

') Auf das Auflreten sexueller Erregung bei Angstanfällen wurde von mxr 
zuer-st in dem Aufsätze „riir I.chrc von den neurotischen Angstzusländen", Münch, 
med. Wochenschr. Nr. 24 und 25, 1897 biogewiesen. Über bierbergchCrige Vor- 
kommnbse haben in der P'olge auch andere Beobachter (Janet, Bernhardt 
nnd Frend) beikblet. Beroetkenswert ist «odi der Mhon frfther erwähnte Um* 



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264 



Eigene Untersuchungen über die sexuelle Ätiologie etc. 



welche eine reizbare Schwäche oder Erschöpfung der sexuellen 
Rindenzentren herbeiführen, können infolge des erwähnten 
Konnexes die beim Angstzustande beteiligten kortikalen und 
subkortikalcn (bulbären) Apparate in Mitleidenschaft ziehen; in- 
wieweit dies der Fall ist, ob sich ein ausgesprochener patho- 
logischer Erregbarkeitszustand dieser Apparate entwickelt oder 
nicht, hängt von deren Widerstandsfähigkeit ab. Bei jenen 
Noxen dagegen, welche infolge Mangels einer physiologischen 
Entladung eine abnorme Spannung im Bereiche der sexuellen 
Rindenzentren bedingen, findet entweder andauernd oder periodisch 
ein Abströmen eines Erregungsquantums nach den beim Angst- 
zustande beteiligten kortikalen und subkortikalcn Apparaten statt; 
dieselben können hierdurch andauernd in den Zustand gesteigerter 
Erregbarkeit oder periodisch, wenn die Spannung in den sexuellen 
Zentren eine aussergewöhnliche Höhe erreicht (z. B. während 
der Menses), in Tätigkeit versetzt werden (Angstanfällc '). 

Es ergibt sich aber nunmehr eine weitere Frage : Wirken 
die angeführten Noxen nur via Cortex schädigend auf die bulbären 
beim Angstvorgange beteiligten Zentren oder beeinflussen sie 
diese auch direkt? Letzteres lässt sich für einen Teil der Fälle 
jedenfalls nicht in Abrede stellen. Wenn sexuelle Exze.sse eine 
allgemeine nervöse Erschöpfung nach sich ziehen, bleiben auch 
die bulbären Zentren für die Regulation der Herzbewegungen 
und Vasomotion gewöhnlich nicht verschont ; wir begegnen aber 
auch Fällen, in welchen diese Zentren infolge primärer Ver- 



stand, dass durch Angsttrüume - - ähnlich wie durch lascive Träume — Pollutionen 
hcrvurgctufcn werden können. So traten bei einem an Poll. nim. leidenden 
Studierenden meiner Beobachtung Pollutionen mitunter im Gefolge von Angst- 
oder V<ilcgcnheitsltaunicn ohne Erektion auf. Bei dem gleichen Patienten kam 
CS während seiner letzten Gyninnsialjahre einige Male zu Pollutionen, wenn er in 
der Klasse mit einer Arbeit, z. B. einer Matbematikaufgabe , nicht fertig 
werden konnte. 

') Ks muss dies jedoch nicht in allen Fällen eintreten; vielmehr wird es 
(wie bei den Noxen, welche tcizbare Schwäche etc. in den sexuellen Rindcnccntrcn 
herbeiführen) zum Teil von der Intensität der abströmenden Erregung, zum Teil 
▼on der Widerstandsfähigkeit der in Betracht kommenden kortikalen und sub* 
kortikalen Apparate abhängen, ob in denselben ein pathologischer Erregbarkeits» 
zustand sich entwickelt. Bei völlig normalem Vcihalten dieser Apparate bleiben 
ewiue Mengen zufliessender Erregung wirkungslos. 



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Eigene UotertucbungcD Uber die sexuelle Ätiologie etc. 



265 



anlagung oder Schädigung durch gewisse Noxen (gemütliche 
Erregungen, Gifte wie Koffein, Nikotin) zu einem Locus 
minorts resistentiae geworden sind und daher durch sexuelle 
(insbesonders masturbatorische) Exsesse affiziert werden, ohne 
dass es ni allgemeiner nervöser Erschöpfung kommt. Was die 
von Freud angenommene subkortikale Verausgabung der Sexgal- 
erregung bei Abstinenz mit gesunkener Libido betrifft, so lässt 
sich die Möglichkeit eines derartigen Vorganges nicht in Abrede 
stellen ; in der Mehrzahl der Fälle von Abstinenz mit verminderter 
Libido beruht letztere jedoch jedentalls nicht ledi^licii auf 
Ablenkung der in nuiinaler Weise produzierten Sexualerre^ung 
vom Psychischen, sondern auf verminderter Produktion von 
Sexualerregun^» Man sieht in diesen l-'ällcn, dass auch die 
Pollutionen seltener wetdcn und die Potenz abnimmt. Es ist 
aber auch möglich, dass die in geringerem Masse produzierte 
Sexualerregung genügt, um die bulbären Affektzentren in einen 
Zustand abnormer Erregbarkeit zu versetzen. 

Wie es sich mit der Produktion und Wirkung der libidngenen 
Stoffe bei allen den im Vorstehenden erwähnten sexuellen Noxen 
verhält, hierüber lässt sich vorerst noch nicht viel sagen. Bei 
der Abstinenz dOrfen wir, wie schon erwähnt wurde, eine An- 
häufung dieser Stoffe im Blute annehmen, welche (beim Manne) 
die durch dieSpermaansammlung bedingte Erregbarkeitssteigenmg 
im Bereiche des kortikalen Sexualzentrums erhöht Wir dürfen 
jedoch nicht glauben, dass in den übrigen Fällen dki Quantität 
der im Blute kreisenden libidogenen Stoffe entsprechend der 
Zahl der sexuellen Akte abnimmt. Wir müssen vielmehr mit 
der Möglichkeit rechnen, dass die Produktion der libidogenen 
Stoffe durch gewisse sexuelle Vorgänge wie auch durch psychische 
Prozesse (laszive Vorstellungen etc.) becinflusst wird, so dass 
die im Blute kreisende Menge der fraglichen Stotfe nicht der 
jeweiligen Spermaansammlun£j in den Samiii blasen entspricht. 
Ferner ist der schon früher erwähnte Ihnstand zu bcrücksich- 
tij^en, dass bei erhöhter Erregbarkeit der kortikalen Sexual- 
zentren auch geringe Mengen libidogener Stoffe, die unter 
normalen Verhältnissen wirkungslos bleiben, in denselben Er- 
r^ngszustände auslösen mögen. 



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266 



Eig^e Untersucfaungea Aber die aexaelle Ätiologie etc. 



Wir haben im Vorstehenden lediglich eine Bceinflussun«; 
der kortikalen Sexualzentren durch die libidogenen Stoffe an- 
genommoi. Es muss jedoch auch die Möghchkeit zugegeben 
werden, dass diese Stoffe auf die bei den Angstvorgängen be- 
teiligten kortikalen und subkortikalen Apparate nicht lediglich 
von den Sexualsentren aus, sondern direkt eine gewisse Wirkung 
ausüben. 

Wenn wir das im Vorstehenden Angeführte Überblicken, 
so lässt stdi nicht in Abrede stellen, dass wir mit der Erkrantnis 
der grossen Bedeutung, welche sexuellen Momenten in der Ätio- 
logie und dem Mechanismus der neurotischen Angstzustände 
zukommt, einen sehr wichtigen Fortschritt gemacht haben, dessen 
Hauptanteil den Forschungen Freud's zu danken ist Dabei 
dürfen wir jedodi nicht übersehen, dass die Beziehungen der 
Sexualität zu den Angstcuständen noch immer ein recht dunkles 
Gebiet bilden, dessen Aufhellung in nächster Zeit kaum zu 
erwarten ist Es wird dies nicht auffällig erscheinen, wenn man 
berücksichtigt, dass die Vorgänge des sexuellen Lebens nach 
ihrer physiol<^isch«chemischen Seate nodi eine völlige terra 
incognita darstellen und man bis in dte jüngste Zeit die Rätsel, 
die hier der Lösung harren, zumeist nicht einmal geahnt hat. 
Ich möchte schliesslich nicht unterlassen, darauf hinzuweisen, 
dass, wenn auch Vorgänge im Gebiete des Sexuallebens die 
wichtigste unter den essentiellen L'rsachen der neurotischen 
Angstzustände bilden, an der Angstproduktion in den einzelnen 
Anfällen zumeist noch andere Faktoren beteiligt sind und auch 
nach Beseitigung der ursächlichen sexuellen Noxen die Angst- 
produktion durch andere Momente unterhalten werden kann. 



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XVI. 

Die Anomalien des Sexualtriebes. 



Die Anomalien im Bereiche des sexuellen Trieblebens 
wurden erst in den letsten Dezennien von psychiatrisdier und 
neurologischer Seite mm Gegenstande besonderer Stwfien ge> 
macht. Das Hauptverdienst auf diesem Gebiete hat sich zweifel- 
los V. Krafft-Ebing erworben, welcher in seiner Psychopathia 
sexualis nicht nur die erste zusammenfassende Darstellung und 
Sichlun<^ des hicrhergehöri^'cn klinischen Materials gab, sondern 
aucli duicli Mitteilung zahlreicher eigener Beobachtungen und 
sorgfältige Analyse der Kasuistik unsere Kenntnis der psycho- 
pathologischen Erscheinungen im Bereiche des Sexuallebens in 
grundlegender Weise förderte. 

Es erscheint uns am zweckmassigsten, die Anomalien des 
Sexualtriebes, die wir hier in Betracht m ziehen haben, mit 
Lacassagne und Eulenburg in quantitative und qualitative 
zu sondern. Bei den quantitativen Anomalien betrift't die Ab- 
weichung lediglich die Intensität des an sich normalen Sexual- 
triebs, bei den qualitativen — den sogenannten Perversionen — 
die Art der psychischen Reize, durch welche sexuelle Erregung 
ausgelöst wird. Wir müssen hier sogleich darauf aufmerksam 
machen, dass die sexuellen Perversionen nicht immer zu perversen 
sexuellen Akten führen müssen und Perversitäten der sexuellen 
Befriedigung nicht immer von Anomalien des Geschlechtstriebes 
ausgehen. So kann, um ein Beispiel zu geben, ein Ehemann 
mit seiner Frau den K. per anum ausfuhren, bei völlig normalem 



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268 



Die Anomalien des Sexualtriebes. 



Geschlechtstriebe, lediglich aus dem Grunde, weil er eine Schwan* 
gerang vermeiden will. Wir werden uns hier mit den von Ano- 
malien des Gescbiechtsti ichcs unabhängigen perversen sexuellen 
Handlungen nicht weiter beschäftigen. 

I. Quantitative Anomalien des Geschlechtstnebci). 

A. Mangel und krankhafte Herabsetzttog des 
Geschlechtstriebes. 

Sexuelle Anästhesie, Anaphrodisie (Eulenbiirg). 

Gänzlicher Manj^el des Geschlechtstriebes bei normaler Ent- 
wicklung der Ge^chlechtsor^jane wird als angeborener psychischer 
Defekt bei Mai ncri; nur selten beobachtet. Hicrhergehörige Fälle 
wurden von v. K i a f ft-Ebi n^^ , Maniniund und Forel niitL;o- 
teilt'). Nach den bisherigen Erfahrunt^cn kommt dieser Defekt nur 
in Vcri)indunp mit anderen psychischen und nervösen AnomaUen 
vor und darf daher als eine Entartungserschi inimc; gedeutet werden. 

Enc^'leich häutiger lindet sich, wie wir schon an früherer 
Stelle sahen, gänzliches Fehlen der Libido (nach Einleitung des 
geschlechtlichen Verkehrs) als anf^cborener Mangel l)ci Frauen. 
Da dieser Defekt bei Frauen sich nicht immer mit anderen 
ausgesprochenen psycho- und ncuropathischen Erscheinungen 
vergf^< 11 rli t'rt mag für einen Teil der betreffenden Fälle 
die AonahmeEuienburg's zutreffen, dass es sich bei denselben 
um eine Art sexualer Entwicklungshemmung (psychosexualen 
Infantilismus) handelt. 

Angeborener Mangel des Geschlechtstriebes kann aber auch 
durch periphere Ursachen, Verkümmerung oder Mangel der 
Sexualorgane (bei Idioten, manchen Hermaphroditen) bedingt sein. 

Viel häufiger als dem gänzlichen Mangel begegnen wir bei 
beiden Geschlechtern sehr geringer Entwicklung des Sexual- 
triebes; ganz besonders gilt dies für das weibliche Geschlecht. 
Einzelne Autoren haben den Prozentsatz der frigiden Frauen 



Auch Fürbringer h«t F&Ue kongenitaler sexueller Anistbesie bei 
Männern beobachtet und erachtet deren Vorkommen nidit für gans so aclteh wie 
von anderer Seite asgenommcD wird. 



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Die AnomalieD des Sexnaltriebei . 



269 



bis auf 40% taxiert. Berücksichtigt man die ausserordentlichen 
Schwankungen in der Intensität des Sexualtriebes bei zweifellos 
gesunden Individuen, so begreift es sich, dass sich bei geringer 
Ausbildung der Libido eine Grenze zwischen Iliysiologischem 
und Pathologischem schwer ziehen lässt. Die ausserordentliche 
Häufigkeit der Frigidität bei Frauen gestattet auch kaum die 
Annahme, dass es sich hierbei immer um eine pathologische Er- 
scheinung handelt, zumal auch ein grosser Teil der frigiden 
Frauen zweifelbs in psychischer und nervöser Hinsicht keine 
Störungen aufweist. 

Ahnlich scheint es sich bei Männern zu verhalten, Mangel 
und hochgradige Herabsetzung der Libido kann ferner durch 
Entfernung der Geschlechtsdrüsen (Kastration) sexuelle Exzesse 
und dner Reihe von KrankheltszustätKien, Entartung der Ge- 
schlechtsdrüsen, erschöpfende Krankheiten, Intoxikationen (Al- 
koholismus, Morphinismus), Diabetes, organische Rückcnmarks- 
und Gchirnkrnnkhciten , Neurosen (^Neurasthenie und Hystcrif) 
und Psychosen bedingt werden. Zu direkten gesundheitlichen 
Nachteilen führt weder der gänzliche Mangel, noch die Herab- 
setzung der l.iindo. Doch sind beide Zustände durchaus nicht 
gleichgültii,'. Der Mangil sexueller Bedürfnisse kann für den 
Mann ein Hindernis für die Eheschliessung und damit die Er- 
langung von I'^amilienfreuden bilden^). Ijhelthche Herabsetzung 
der Libido bei früher sexuell normal veranlagten, im Alter noch 
nicht vorgeschrittenen Männern führt nicht selten zu melan- 
cholischen Verstimmungszuständen, die gewöhnlich von Befürch- 
tungen eines Verlustes der Potenz ausgehen. Bei weiblichen 
Personen bildet die sexuelle Anästhesie, da dieselbe gewöhnlich 
erst in der Ehe sich manifestiert, kein Hindernis für die Ver- 
heiratung, Dagegen bedingt dieselbe manche Störungen in dem 

•) Bei Männern kann, wie wir sahen, nach Entfernung der Hoden Libido und Erek- 
tionsfäbigkeit noch l.mge Zeit bestehen. Anomalien in beziig auf die Samenbereitnng 
(Aspermatiiimus und Azoospermie) bleiben überhaupt ohne £influ&& auf die Libido. 

') Westpb&l beobaditete einen jungen Mann» der vegen melanchoUsdier 
GewteMlftniog und wiedeHwlter Selbstmordvenuclie in die Imnabteilung der 
Charit^' aufgenommen wurde und bei welchem von jeher vollständiger M.ingel des 
Gc^chk-chtsUicbcs bc^t.md. „Die Scllistmordvcrsucbe waren zum Teil durch die 
quälende Voiilellung die«.cs Zustande^ bcdiugl." 



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270 



Die Anomalien des Sexaaltriebes. 



ehelichen Leben. Da der Mangel der Libido sich gewöhnlich 
mit Ausfall der orgastischen Fähigkeit verknüpft, kann derselbe 
ein Konzeptionshindernis bilden. Manche der frigiden Frauen 
bemühen sich, ihrem Gatten zu Liebe ihre Interesselosigkeit für 
den sexuellen Verl-ehr möglichst zu verschleiern, während andere 
— und deren Zahl ist nicht gering — aus ihrer Abneigung gegen 
den K. keinerlei Hehl ihrem Gatten g^enüber machen. Zu 
welchen ehdidien Verhältnissen dies unter günstigeren Umständen 
führen mag, hierfilr sei nur ein Beispiel gegeben. Der Gatte 
einer jui^en, sehr hübschen Frau von blühendem Aussem er- 
zählte mir gelegentlidi, dass er mit Rücksicht auf die hoch- 
gradige Aversion seiner Frau gegen den ehelichen Verkehr seine 
sexuellen Bedürfnisse dfters durch Masturbation befriedige, und 
dabei handdte es sich um einen Mann von bescheidenen Be> 
dflrfnissen. Unter mindor günstigen Umständen bildet die 
Frigidität der Frau häufig eine Quelle ehelicher Dissidien, die 
fOr beide Tefle die peinlichsten Folgen nach sich ziehen können. 



B. Krankhafle Steigerung des Geschlechtstriebes. 

Sexuelle Übererregbarkeit. Sexuelle Hyperästhesie, 
sexuelle Hyperlagnie (Eulenburg), Libido nimia. 

Die Intensitiit des Geschlechtstriebes kann z.vcifellos eine 
Steigerung erfahren, welche wu als krankhaft betrachten müssen. 
Die Umstände, unter welchen die exzessive Libido auftritt, wie 
die Arten ihrer Äusserung lassen hierüber keinen Zweifel. Eine 
Grenze zwischen noch Normaleni und Pathologischem ist jedoch 
hier wie bei dem ent^egeni^csctztcn Verhalten des Geschlechts- 
triebes schwer zu ziehen, da einerseits die Stärke der Libido 
durch verschiedene Faktoren (Lebensalter. Rasse, Ernährungs- 
weise etc.) beeinflusst wird, andererseits bei Individuen in gleichen 
Lebensverhältnissen, wie schon öfter früher erwähnt wurde, sehr 
erhebliche, konstitutionell bedingte Schwankungen in den ge' 
schlechtlichen Bedürfnissen vorkommen. Die bisherigen Ver- 
suche, die pathologische Steigerung der Libido genauer zu 
definieren, haben denn nuch zu keiner einwandfreien Annahme 
geführt. Wenn z.B. Emminghaus das unmittelbare Wieder- 



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Die AnomaliMi des Sexualtriebe«. 



271 



erwachen der Libido nach der Befriedigung mit Inbeschlagnahme 
der ganten Anfmerksamkeit und ebenso das Erwachen der 
Libido bei an und für sich sexuell nicht err^endem Anblick 
von Personen und Sachen als entschieden pathologisch betrachtet, 
so kann diese Auffassung nicht für aUe Fälle als gerechtfertigt 
erachtet werden. Die Libido kann vorQbergehend auch bei 
gesunden Individuen durch verschiedene Umstände (Abstinenz, 
LektOre, Umgang mit weiblichen Personen etc.) eine sehr be- 
deutende Steigerung erfahren, die sich jedoch nicht als krank- 
haft l>r,'cichnci^ lasst. 

Waiirend die sexuelle Frigidität bei P tauen weit häufiger 
als bei Männern sich findet, ist das umgekehrte Verhältnis bei 
der sexuellen Übererregbarkeit der Fall Die krankhaft gestei- 
gerte Libido ist als psychisches Phänomen immer zeirlual 
bedingt. Wir müssen nach unseren derzeitigen Erfahrungen an- 
nehmen, dass hierbei ein abnormer Erregungszustand derjenigen 
Rindenelemcnte vorliegt, an welche der Geschlechtssinn gebunden 
ist. Dieser Erregungssustand muss jedoch nicht immer durch 
krankhafte Gehimvorgänge hervorgerufen werden; er kann auch 
durch von der Peripherie oder dem spmalen Genitalzentnim 
ausgdiende Erregungen bedingt sein. Die verschiedenen Ur- 
sadien sind, wie wir sehen werden, nicht ohne Bedeutung für 
die Symptomatologie, und wir werden im Folgenden eine peri- 
phere, eine spinale und eine zerebrale Form der krankhaften 
Libido zu unterscheiden haben. Diese zeigt aber in den Einzel^ 
ßUlen auch sehr erhebliche Unterschiede in Bezug auf die Inten* 
sit&t und Dauer der Symptome, so dass wir eine leichtere und 
eine schwerere Form unterscheiden können. Auf letztere be- 
schränken wir die Bezeichnungen Satynasis und Nymphomanie. 
Die krankhaft erhöhte Libido kann femer als andauernder Zu- 
stand mit zeitweiligen Remissionen und erheblichen Exazer- 
bationen, aber auch intermittierend und periodisch, selbst in Form 
ausgesprochener transitorischer Anfälle auftreten Bei den chro- 
nischen Formen handelt es sich fast ausschliesslich um die 
leichteren Grade der Störung; die schwereren Formen anderer- 
seits treten vorzugsweise intermittierend, die schwersten in der 
Regel nur anfallsweise auf. 



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272 



Die Anomalien des Sexualtriebes. 



Bei den leichteren Formen der ktankhaften Libido drängen 
sich Vorstelinngen sexuell-sinnlichen Inhalts abnorm häufig und 
auch bei femerliegenden Assoziationen in das Bewusstsein und 
bUden dadurch oft eine Belästigung für den Patienten. Die ven 
den sexuellen Vorstellungen ausgehenden Impulse versetzen das 
spinale Gcnitalzentrum in Erregung und beeinflussen durch 
dessen Vermittlung auch den Zustand der Sexualorgane. Die 
hierdurch ausgelösten Erregungen (Empfindungen) wirken ihrer- 
seits wiederum auf das Gehirn und fördern die Prodtiktion ond 
Dauer sexueller Vorstellungen. Das bidtviduum ist hierbei immer 
imstande, durch energische Willensanstrengungen die sexuellen 
Vorstellungen 2u verdrängen und den Einfhiss derselben auf sein 
Handeln auf das mit seiner socialen Stellung Verträgliche zu 
beschränken. Wir sehen oft genug Individuen, die durch ihre 
sexuelle Hj^erästhesie sich weder zu kriminellen, noch auch 
nur zu ausgesprochen unmoralischen oder perversen Handlungen 
verleiten lassen. 

Bei der schweren Form beherrschen sexuelle Vorstellungen 
wenigstens zeitweilig vollständ^ das Bewusstsein. Weder das 
Aufgebot des Willens, noch die durch die augciiblicklichen Ver- 
hältnisse geweckten Vorstellungen (Rücksichten irgend welcher 
Art) vermögen diese Gedanken zu verdrängten und ihren Hin- 
fluss auf das Handeln ganz zu verhindern. Bei den höchsten 
Graden sexueller Krregung kann es zu einein rauschartigen Zu- 
stande mit Trübung des Bewusstseins und folgender Amnesie 
kommen. Das hidividuum sucht einen wutartigen Drang ohne 
Rücksicht auf Zeit und Ort an der nächstbesten weibhchen 
Ferson zu befriedigen. Jung oder alt, blutsverwandt oder nicht, 
macht keinen Unterschied. Bei Mangel eines weiblichen Ob- 
jektes kann Befriedigung durch perverse Sexuaiakte (Päderastie 
und Bestialität) oder exzessive Masturbation gesucht werden. 
Exzessive sexuelle Erregung äussert sich wohl nur selten, man 
darf sagen ausnahmsweise, bei nicht an ausgesprochener Geistes- 
störung leidenden oder sonst gehirnkranken Individuen in An- 
fällen der geschilderten Art. In der grossen Mehrzahl der Fälle 
bildet die exzessive, blind nach Befriedigung drängende sexuelle 
Erregung lediglich Teilerschcinung einer transitorischen psychi- 



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Die Anomalien des Sexualtriebes. 



27:5 



sehen Störung (psychbch-epileptisches Äquivalent) oder an- 
dauernder Geisteskrankheiten. Auf das Vorkommen psychisch- 
epileptischer Äquivalente in der Form von Satyriasisanfallen hat 
insbesonders Lombroso die Aufmerksamkeit gelenkt. Der- 
artige paroxysmale Zustände zeigen sich femer auf der Höhe 
nisniakaliscber Erkrankungen, in der manischen Periode des zir- 
kulären Irrseins und namentlich auch in den Erregungsphasen 
der progressiven Paralyse. Ein verheirateter Paralytiker meiner 
Heobachtung machte kurze Zeit, nachdem er durch eine Schmier- 
kur gebessert schien, einen äussert brutalen Notzuchtsversuch 
an einem i ^jalirigen Mädchen. Ein anderer zeigte sich zeitweilig 
so erregt, dass er ohne Kiicksicht auf die Unv^c bnn^» seine 
Fran zum Beischlaf aufforderte. Ein paralytischer Lehrer, den 
ich zu begutachten hatte, verging sich, nachdem er seiner Frau 
schon durch seine übermässige sexuelle Begehrlichkeit lästig ge- 
worden war, mit Schulmädchen. Man hat ferner satyriastiscbe 
Anfälle bei früher geistig normalen Individuen nach Kopftraumen, 
bei zerebralen Herderkrankungen, namentlich Tumoren des Cere- 
bellum und Pons und bei Idioten beobachtet. 

Die chronische, kontinuierliche und gewöhnlich leichtere 
Form der sexuellen Hyperästhesie ist am häufigsten Teiler- 
scheinung einer ererbten neuropathischen Konstitution. „Derlei 
Individuen," bemerkt v.Krafft-Ebtng, „tragen einen grossen 
Teil ihres Lebens schwer unter der Last dieser konstitutionellen 
Anomalie ihres Trieblebens." Häufig ist aber auch die in Frage 
stehende Form erworben. Wir begegnen derselben namentlich 
bei Neurasthenikem , deren Nervenzustand durch Exzesse im 
natürlichen Geschlechtsverkehr oder durch Masturbation verur- 
sacht, resp. mitbedingt wurde, ferner im Gefolge relativer oder 
absoluter Abstinenz bei ncurasthenischen und neuropathisch ver- 
anlagten Männern. Ectzterer Faktor bedin<^t nach meinen Be- 
obachtungen eine cigenarti;^e Form .sexueller Hyperästhesie, die 
meines Wissens von anderer Seite noch niclit geniif^end ge- 
würdigt vsT^irde. Die Patienten meiner Beobachtung waren vor- 
herrschend verheiratete Männer in den Vierzigern und anfangs 
der fünfziger Jahre, die zum Teil aus Rücksichten für die eigene 
Gesundheit den ehelichen Verkehr bedeutend eingeschränkt hatten 

LSweafold, Seiaell-«erv8M Sütrunceit. VUrt* Aul. 18 



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274 



Die Anomalien des Sexualtriebes. 



oder wegen Erkrankung der Frau auf denselben gänzlich (oder 
fast gänzlich) verzichten mussten. Zwei der betreffenden Pa- 
tienten standen in den dreissiger Jahren tmd übten aus hygieni- 
schen und moralischen Gründen Abstinenz. Dieselben hatten 
eine lange Behandlung wegen Urethritis posterior hinter sich. 
Bei sämtlichen Patienten bestand von Haus aus eine gewisse 
neuropatbische Veranlagung. Bei Tage waren die in Frage 
stehenden Männer von sexuellem Drai^ im Altgemeinen nicht 
sehr belästigt, dagegen waren ihre Beschwerden bei Nacht um 
so erheblicher. Alsbald, oder einige Stunden nach dem Ein- 
schlafen (nicht erst gegen Morgen) stellten sich bei denselben 
Erektionen ein, die häufig so intensiv und andauernd wurden, 
dass sie zu Schmerzen im Gllede und den benachbarten Teilen 
führten, den Schlaf hochgradig störten und am Morgen ein Gefühl 
der Abspannung und Schwache hinterliessen, in diesen !• allen 
handelte es sich offenbar um eine abnorme Erregbarkeit des 
genitalen Erekiions iiti ums, die nicht psychisch vorn kortikalen 
Zentrum des Geschl' chtssinnes, sondern peripher durch von den 
Sexualorganen ausgehende Erregungen bedingt wurde. Die Über- 
erregbarkeit des Erektionszentrums, die sich beim Ausfall der 
kortikalen hemmenden Impulse im Schlafe sofort geltend machte, 
wirkte erst sekundär erregbarkeitssteigemd und dadurch Libido 
wachrufend auf das Rindengebiet. Dieser nächtliche beschwer- 
liche Priapismus kann nach meuioi Beobachtungen sdbst Jahre 
hindurch sich geltend machen. 

Im Folgenden will ich Bruchstacke aus der Leklensgeschlchte 
eines dieser Patienten mitteilen, die um so mdur Interesse be- 
anspruchen durfte, als es sich um ein^ Ende der 50 er Jahre 
stehenden Mann handelt. 

Beobachtung 75. 

Der Patirnt, ein den gebildt-ten Staiidcn angclinrc-ndfr v-rheirateter 
Herr nahm vor etwa i8 Jahren mciiirn Rat wegen einer lange bestehen- 
den schweren Neurasthenie in Anspruch. Schon damals wurde der Patii nt, 
welcher durch ehelidie MissverhÄltnisse mehrere Jahre zu vdlstftndiger 
Abstinenz genötigt war, durch sehr hartnftcklge nüditUehe Erektionen 
heimgesucht. Im Verlaufe von Jahren, unter dem Einflüsse verschiedener 
Kuren und wohl auch wieder geregelten geschlechtlichen Verkehrs trat 
bei Herrn X. eine so weitgehende Besserung ein, dass er sich fast als 



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Die Amtmlien dtt SciiMltiiebes. 



275 



g( sund betrachten konnte. Dieser günstige Zustand hielt an, bis es Herrn 
X. infolge andauernder Erkrankung seiner Frau nur mr-hr selten und 
noch dazu nn ist unti r ungünstigen Umstanden möglich wurde, scitie 
noch inuner mächtigen sexuellen Bedurhiisse zu befriedigen. Diese 
relative Abstinenz filhrte mit ihren Folgezuständen (Störungen des 
Schlafes etc.) allmählich wiedei zti einer Verschlechterung des Nerven* 
zustandes, welche im Laufe der Zeit durch gemütliche Erregungen wegen 
des Zustandes d« r P'ravi noch gesteigert wurde. Zu den nerviisen Be- 
schwerden gesellte sich hochgradige Verstimmung. Der Zustand besserte 
sich im Verlaufe emes Jahres erheblich; doch verUieb eine ausser- 
ordentliche gemütliche Reizbarkeit, die bei Aufregungen gelegentlich zu 
tobsuchts.ihnlichen Ausbrüchen führte. Diese waren von äusserst heftigen 
Hintt rkopfschmerzen begleitet und hinterliessen eine gewisse GemOts- 
verstimmung. Bezüglich dieser Anfälle bemerkt Patient: „Auch bei 
diesen zum QOck nur «Stärkere Aufregungen erfolgenden tuid wieder 
vorabergehenden Explosionen spielten, soweit ich mich entsinne, nachts 
zuvor vorausgegangene, sdir mühsam niedergekämpfte £rektio«ien hflufig 
ihre Rolle, so dass man es wohl eine Art Hysterie nennen konnte.* 
Dem Patienten gelang es, durch verschiedene Massnahmen auch diese 
abnorme Reizbarkeit mehr und mehr einzudämmen und seine Nerven 
derart zu kraftigen, dass er Uneingeweihten als gesund erschien. Ober 
seben Zustand berichtet Patient weiter: 

„Ich bruuciie niemals Schlalnuttel, kann zu jeder Zeit leicht ein- 
schlafen, erwache aber immer bei den Erektionen, die meist schon nach 
3- 4 stündigem Schlafe eintreten, und deshalb kommt es fast niemals zu 
Polluiioiu n. Durch Kneten und Massieren der Bein- und Armmii^keln ete. 
gelingt es mir zwar, das Blut momentan zu vertreiben; aber sobald ich 
wieder 1—3 Stunden geschlafen, bcgimit die Szene wieder von Neuem 
und oft noch heftiger tmd brOnstiger als zuvor. Ich muss dann oft den 
nach Schlaf dantenden Körper nach einer kalten Ganzwascbung gflnzüch 
aus dem Bett heben und aufstehen, wobei ich dann natOrlicli das höchst 
unbehagliche Gefühl des Nichtausgeschlafenhabens, öfters auch Anuantl- 
lungen einer melancholischen Verstimmung stundenlang mit mir führe ! 
Zum vollen Kraftgefühl komme ich, wenn ich nach Tisch midi nochmals 
I— a Stunden niederlege und dadurch den nAchtlichen Schlafmangel aus» 
gleiche. Dann stehe ich m i t so gekräftigt und frisch an Geist und 
K<"rp»r auf, dass ich im Schneiischritt giosse Wege zurücklegen, auch 
gei;3tjg mich tätig zeigen kann. Leider aber ist alles Laufen (bis zur 
vollkommenen ErmQdtmg) und alle Gymnastik nicht genügend, mich vor 
den nächtlichen Beschwerden zu bewahren. Ja, je wohler tmd leistungs- 
fähiger ich mich am Nachmittage fühle, um so sicherer ist mir eine recht 
schlechte darauffolgende Nacht. Oft wecken mich die Erektionen dann 
schon nai h den ersten zwei Stunden Schlafs, und ganz erschöpft stehe 
ich am andern Morgen auf. Ja, es ist etwas ganz Gewöhnliches, das3 
ich nach solchen Tagen des kräftigsten Wohlbefindens infolge der mass- 
los auftretenden Erektionen, welche sich zuletzt durch teihv( iscs Abgehen 
des Sperma beim Urinieren Luft zu machen suchen, in einen hoch* 



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276 



Die Anomalieo des Seiiialtriebes. 



gradigen Zustand von Krschrtpfun^ vr rt'allc. Abgcsclilagcnhrit in den 
Gliedern, Rückenschmerzen, Ziehen in den Waden und Gelenken, dazu 
geistige Trflgheit tind Arbettsunlust bei konstanter Schlflfrigkeit, Brennen 
in der Harnröhre beim Abgange des UrinS und bftuflger Harndrang, 
mnnclinial s«i;;ar Si h\viiuJ> lg<ifnhl im Bett markieren dann deutlich den 
wohl durch teilweisen .Sprt tiiavt i lust entstt li« iidcii Schwfirliczustand- 
Sehr mühsam und langsam, iueisl nur in Woclien und nach Fusswande- 
rungen (im Gebirge) gelingt es mir dann wieder einmal, dieses Zustandes 
Herr zu werden, um nach einigen vielleicht recht guten Tagen, in denen 
ich mich \vi( (i< r x hr pl( thori<ich fühle, infol^f (!er öbermfissigcii Kk kiionen 
in den alten Zustand zu verfallen. So kann ich nie wirkhcli zu Kräften 
und zu einer geistigen Arbeitsfäliigkeit gelangen, obgleich mich alle Welt 

als ganz besonders kräAig und gesund anspricht.* Patient 

bemerkt weiter, da5s er sehr frugal lebt und Hier und Wein nur aus- 
nahmsweise geniesst. Er fährt dann fort: „Stünde ich noch in d< n 
dreissiger oder vierziger Jahren, so wäre der Zustand ja leicht crklärlicli. 
In meinem Alter aber muss es doch wohl pathologisch sein, zumal ich 
gleichzeitig, namentlich frflh zur Zeit der Erektionen, an Taubheit der 
Fing« I spitzen leide. Eine fast regelmässige Begleiterscheinung bei den 
Krektioneu ist auch d« f Hist konstante Abgang von Bläininfien (Dann- 
gascn, geruchlos), bei deren Eintritt dann die Erektionen meist allmählich 
nachlassen. Dass gleidizeitig der Rflcken, auch der Bauch (Blasen- 
gegend), kurz der ganze Unterleib und ganz besonders das PerinSum 
(Pars prostatica} von Blutfülle förmlich brennt, habe ich wohl schon 
bemerkt. Die'^'"! unablässige Dri\nsrcn f an«=fjch( nd von der Pars ]>ro>-.t.) 
macht mich am Tage natürlich sehr reizbar, und es ist bt greiOich, dass 
anderweitige starke Aufregungen (Arger, Angst etc.) grosse Explo^onen 
(bis zum Schreiet^ hervorzidmngen vcrmügcn. Ai^aiblickUch habe ich 
meine Widerstandskraft durch Gebirgsaufenthalt gehoben. Aber es kann 

wieder kommen " 

Auch in dem folgetnlon Falle, der einen nahezu 50 Jahre 
alten, in anstrengender Praxis tätij^cn Kollegen betrifft, handelt 
CS sich vorwaltend um die oben geschilderte spinale Form sexu- 
eller Hyperästhesie. 

Beobachtung 76. 

Der Patient, nach seiner Mitteilung, obwohl von gesunden Eltern 
stnmmend. etwa'; netimprithisc h vemnlagt, dabei iedoeh von sehr kräftiger 
Konstitution und von sanguinischem Temperament, lebt seit mehr als 
ao Jahren in durchaus glücklicher Ehe und war vor derselben Exzessen 
weder in Baccho noch in Venere ergeben. Er war nie erheblich krank 
und in seinem Berufe früher sehr leistungsfähig. Aus seinem Berichte 
gestatte ich mir, nachslehcndes Bruchstück wiederzugeben : „Seit 5 Jahren 
indessen leide ich an Neurasthenie, die lange Zeit alle müglichen Er» 
scheinungen machte, Parflsthesie in den Beinen, motorische Schwflche, 
1 lerzpalpitationen, SchrnndelanfäUe, Schlaflosigkeit und namentlich zere- 
brale Erschöpfungszustände. Letztere haben viele Monate das Krank* 



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Die Anomalien des Sexualtriebes. 



277 



lifitsbild b< herrscht. Das Gewöhnliche der täglichen Praxis konnte ich 
wohl bewältigen, aber Abends war ich so fertig, dass ich keine Zeile 
mehr lesen, kautn mehr denken konnte. Vernünftige Lebensweise, 
7 Monate Alkoholabstinenz, Gebirgstouren altjfthrlich, Venneiden fast 
jeder Geselligkeit usw. hatten mich all dieses Oberwinden lassen, als 
vor nunmdira^/i Jahren, teilweise noch hineinragend in die geschilderten 
gruppenweise niirjietrrtenen mannigfachen Erschöpfunpfserscheinungen, 
nächtliche Priapismen sich einstellten, die seitdem das ganze Krankheits- 
bild beherrschen und mir traurige Freunde Nacht fQr Nacht geblieben 
sind. Seit November 1901 habe ich im ganzen 3— 4 mal ungestörten 
Schlaf gehabt, oft sogar während der Siesta unter Erektionen leiden 
niOs«=cn. Ich habe niemals sinnliche Tr.lume, niorrKiIs Polluti.nifn oder 
Sp'Tinatorrhoe gehabt; die Anfälle selber luiben mit sexuelh n Vor- 
stellungen oder Lustgefühlen nichts zu tun, nicht eine der zahllosen 
Erektionen ist von irgend einer derartigen Erscheinung begleitet gewesen. 
So wie ich im ersten Schlafe liege oder in Zeiten iler Besserung erst in 
den tVahesten Morgenstunden, tritt mit dem Ausfall der kortikalen 
Hemmungszentren eine gewöhnlich leichtere Erektion ein; ich schlafe 
wieder ein, sehr bald folgt eine stärkere, andauerndere und eine noch 
Stärkere, oft bis 6mal in eber Nacht. Fast stets folgt auf die Erektion 
eine gewisse vasomotorische Schwache im Abdomen, es bebt in dem 
unteren Menschen bei lebhafterem gespanntem Pulse. Schmerzhaft sind 
die Priapi-^men nicht, nur zuweilen ist eine gewisse Spannung im Penis 
unangenehm. Gewöhnlich nehme ich die Knie-Lllenbogeniage ein, bei der 
widirsebeUiUch durch den negativen Druck in den Gei&ssen des Unter» 
leibs» der hiedurch entsteht, eine raschere Entleerung der corpora cavemosa 
herbetgefiUirt wird. Diese it izbare. Schwäche des lumbalen Erektions- 
zentrums wird durt Ii alle in' glichen nervösen Rei/( befördert, die am 
Tage oder Abends noch einsetzen; es isi wie ein Akkumulator, der sich 
immer wieder neu mit Energie speist und sie Nachts in Form von 
Erektionen abgibt Mein Allgemeinbefinden ist dabei im Allgemeinen 
gut, ich bin mit 3—4 Stunden Schlaf zufrieden, namentlich wenn ich 
Nachmittnps ein Stniulchen nachholen kann. Aber das ganze Verhalten 
dieses abnormen Zustandes an sich und sein Verhältnis zu mir selbst 
ist ein gänzlich regelloses und kapriziöses. Was einmal mir miserabel 
bekommt, macht das nächste Mal wenig Eindruck. Mein Befinden und 
meine nervöse Energie Stehen oft gerade in umgekehrtem Verhältnis zu 
den nächtlichen Störungen. Was mein sexuelles Vcrfi.ilt< n I-i trifft, so 
besteht (ob Ursache, nb Wirkung, vermag irli niclu zu entscheiden), ein 
stark erotischer Zustand; das Scxuelbinnliche steht unangenehm im 
Vordergrunde und mischt sich mir unendlich peinlich in mein Vor* 
Stellung»* und Gedankenleben; es sind Vorgänge, die sich wohl meist 
ohne mein Zutun unter der Sclnvellc dos Bewussiseins vollziehen. Mein 
ästhetisches Empfinden in Ktin-^t und Literatur hat sieh geändert, nicht 
dass ich absichtlich Sinnlicherregendes mir ansähe oder lese, das tue ich 
niemals, aber sexuelle Vorstellungen knflpfen sich an alles, was das Weib 
betrifiV, auch wenn eigentlich filr jeden anderen Menschen absolut nichts 
Sexuelles dabei sein wQrde, seien es Erzeugnisse der bildenden Kunst 



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278 



Die Anomalien des Sexualtriebes. 



oder Lektüre. In der ganzen sexuellen Sphäre besteht ein hyper- 
flsthetischer Zustand, eine staike Reaktion auf alles Sinnfidie, der keine 
Hemmung, keine Willensenergie gegenflbersteht Jede aktive oder 

passive Zärtlichkeit im ehelichen Zusanim ! ' n venirsacht Erektionen 
oder wenigstens den Beginn dazu und als Folge der venösen Stase 
schmerzhafte Emplindungen in den Testikcln und im Penis. Impotent bin 
ich bis dato eigentlich nicht gewesen, wiewohl mandierlel Störungen 
p^chiacher und funktionelter Art zeitweise vorgekommen aind, aber 
eben nur vorübergehend. Seit zirka 6 Wochen scheint es aber damit zu 
Ende zu gehen; es besteht bei Kohabitationsversuchen Mangel an 
Erektionsfähigkeit bei fortwährender Gefahr der präzipitierten Eja- 
kulation, mangelnde Voluptas und, wenn auch sonst alle Bedingungen 
erftollt sind, Ausbleiben der Ejakulatkio; der ganze Vorgnig bt wie mit 
einem Messer plötzlich abgeschnitten. — Die Ursachen der Erkrankung 
sind, glaube ich, nur zu klar. Tabes ist ausgeschlossen, an den Genitalien 
hat der Urologe endoskopisch nichts gefunden, d. h. vor einem Jahre 
ausser einer unbedeutenden mir selbst verborgen gebliebenen Striictur. 
Der Versuch, sie zu beseitigen, musste aufgegeben werden, weil die 
Dilatationen die Pr iapismen entsetzhch steigerten." 

Bei Besprechung der .Ätiologie «eines Falles äussert sieh Dr. X. 
dahin, dass wohl die Hauptscliuld an seinem Leiden der Mangel weiser 
Massigung im ehelichen Verkehr trage, der auch nach d«n Atiftreten 
neurasthenischer Erscheinungen in gewohnter Weise fortgesetzt worden 
Sf i. Im Übrigen war seine Lebensweise t iuc durchaus hygienische, 
Alkohoigenuss nur sehr mässig, Ranrhin nikotinfreier Zigairen etc. 

Über die Resultate der bisher geübten Behandlung berichtet Dr. X. 
Folgendes: 

„.An meiner Gesundheit arbeite ich nun schon seit 5 }a\\ren und 
bin j.i auch alle neurastlienischen Beschwerden losgeworden bis auf die 
sexuellen Zustände, aber diese isolierte Kt krankung des spin.ilcn Genital- 
zentrums trotzt jeder Behandlung. Ich iiabe gebraucht alle möglichen 
Badeformen, Kdhlscblange im Rücken, Kdhlkaiheter, viele Medikamente, 
Bromverbindungen pfundweise, war 1902 und 1903 in Sanatorien, machte 
die verschiedensten Prozeduren durch, Galvanisieren des Rückenmarks, 
faradischc Bäder, Wach'-uggestion, Galvanisieren des Centrums lumbale 
auch während leichter Hypnose. Die KuUegen haben sich redlich bemüht, 
mir zu helfen in ihren Anstalten, Alles umsonst. In beiden Sanatorien 
wurde ich schliesslich fast schlaflos, bis ich durch Brom das gestörte 
nervöse Gleirhgewicht wieder herstellte und meine gemütliche .Stimmung 
wieder gewann. Der Eindruck, den ich bisher von allen örtlichen Me- 
thoden der Behandlung erhalten habe, ist der gewesen, dass alle 
Stärkeren thermischen Reize, alles shockartig Einwirkende nur schadet, 
den Reizzustand erhöht und dass die Gedanken viel ZU sehr dadurch 
und durch di< Besprechungen mit den Kollegen auf den locus morbi 
hingelenkt werden.* 

In Betreff des weiteren Verlaufs des Falles sei hier nur erwähnt, 
dass Dr. X, durch Übergang zur vegetarischen Lebensweise zdtweiUg 
Erleichterung fand. Der Gebrauch eines Seebades wirkte auf das All- 



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Die Anomaliea des Sesualtriebes. 



279 



jj^meinhefinden sehr vorteilhaft, auf die sexuellen Störungen ungünstig. 
iNach dem letzten, ungefähr ein jaiir nach dem ersten mir zugegangenen 
Berichte ist das Allgemeinbefinden befriedigendi wahrend die Erschei- 
nungen der sexuellen Hyperästhesie nach der phobischen wie der 
somatischen Seite (Priapismen), wenn auch unter mannigfachen Schwan- 
kungen, andauern. Bezüglich der Priapismen betont der Patient, dass 
dieselben keineswegs ausschliesslich durch sexuelle Reize hervorgerufen 
oder voRStBrlct werden, aoodem in dieser Riditnng aüe mAglichen Insulte, 
die das nervOse oder pqrchtfche Gleichgewicht störe», stdi wirlcsam 
erweisen. 

Bei Personen, welche durch Masturbation oder Exsesse in 
Venere sich schadigten, habe ich eine Belästigung durch über* 
roässige nächtliche Erektionen nie konstatteren können. Die 
sexueDe HyperSsthesie dieser Individuen fitthrt meist zu ge- 
häuften Pollutionen, wodurch übermässige nächtliche Erektionen 
verhindert werden. Nur in seltenen Fällen kommt es auch bei 
den Exzedenten in Venere zu Erscheinungen von Priapismus, 
welche aber dann nicht lediglich während der Nacht auftreten 
und nicht durch den Ausfall 1 ntikaler Hemmungen, sondern 
durch die Lebhaftigkeit und Andaucr sexuell-sinnlicher Vor- 
stellungen, die ihre Gedankenwelt ganz und gar beherrschen, 
bedingt sind. 

Zustande krankhaft erhöhter sexueller Erregbarkeit können, 
abgesehen vom Priapismus, noch zu anderen lokalen Beschwerden 
führen, wie folgende Beobachtung zeigt. 

Beobachtuns 77« 

Dr. X., 36 Jahre alt, ohne erweisliche erbliche Belastung, kam als 
Knabe durch einen Zufiüi dazu, Masturbation zu Oben, der er jedoch auch 

spater sicli noch ergab. Im Alter von 22 Jahren wurde (.r infolgr von 
übermässigem Studium von Si hlafmangd heimgesucht. Glrichzt itig ge- 
riet er durch ein platonisches Liebesverhältnis, das er damals uiit< r- 
hiel^ in emen Zustand hochgradiger sexueller Erregung, der zeitweilig 
zu Zuckungen der Hodenmuskeln f&hrte. Diese Beschwerden verloren 
sich allmählich, kehrten jedoch in den dreissiger Jahren in zunehmender 
Intensität wieder, wnhl in Folge d< > l'mstandes, dass Patient aus reli- 
giösen Motiven trotz seiner hochgradigen Libido seit Jahren in vollstän- 
diger sexueller Abstinenz lebt Die Andauer der sexuellen Erregung 
erschwert dem Patienten die gdstige Arbeit ausserordentlich. Auch die 
Betastigung durch Muskelzuckungen ist sehr erheblich; diese betrefTen 
nicht nur den M. t remnstcr, «sondern sie erstrecken sich zum Teil offen« 
bar auch auf das Gebiet der t'eriaealmuskeln. 



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280 



Die AnoniaUen des Sexualtriebes. 



Ausser in den erwähnten Fällen be^cfj^nen wir der sexuellen 
Hyperästhesie noch insbesonrirrs in den Anlan|:jsstadicn der pro- 
gressiven Paralyse und in 'Irr manischen Phase des zirkulären 
Irrseins, ferner bei den erwähnten or<janischen Gehirnerkran- 
kungen, Von den Paralytikern ist bekannt, dass dieselben häufig 
in der ersten Krankheitsperiode sich durch einen von ihren 
früheren Gewohnheiten abstechenden liederlichen Lebenswandel 
(Verkehr mit Dirnen etc.) auffällig machen. Wo eine gewisse 
sexuelle Hyperästhesie schon früher bestand, erfährt dieselbe 
durch die Paralyse gewöhnlich eine bedeutende Steigerung* Das 
Gleiche gilt nach meinen Beobachtungen von der arteriosklero- 
tischen Demenz. 

Es ist noch zu erwähnen, dass auch durch rein periphere 
Ursachen von länger dauernder Einwirkung (Pruritus und Ekzem 
der Genitalien mit starkem Juckreiz) und toxische Einflüsse 
(Omthariden) Zustände abnormer sexueller Erregbarkeit hervor- 
gerufen werden können. 

Bei weiblichen Personen entwickelt sich die Nymphomanie 
unter den gleichen pathologischen Verhältnissen wie bei Männern 
die Satyriasis. Auch die leichteren Formen der sexuellen Hyper- 
ästhesie treten unter denselben Bedingungen wie bei Männern auf. 

Was die Hysterie anbelangt, so hat man früher den mit 
diesen Leiden Behafteten vielfach besonders lebhafte erotische 
Neigungen zugeschrieben. Diese Ansicht hat sich jedoch als 
irrtümlich erwiesen. Die Hysterie als solche führt im Allge- 
meinen keineswegs zu stärkerem Hervortreten sinnlicher Nei- 
gungen ; die sexuell Anästlietischcn mit .Mangel der orgastischen 
l'.ihigkcit iind unter den Hysterischen sogar häutig vertreten. 
Nur vorübergehend und im Zusammenhang mit Zustanden all- 
gemeiner Erregung, sowie bei einzelnen Formen h\sterischer 
Anfalle zei;4t sich mitunter gesteigerte sexuelle Apjietenz. Bei 
zwei hy.stcrischen Frauen meiner Beobachtung, die im Allge- 
meinen durchaus kein ausgeprägtes sinnliches l emtH rament auf- 
wiesen, machten sich nach der Mitteilung ihrer Gatten zu ge- 
wissen Zeiten neben grosser allgemeiner Erregtheit auffällig 
vermehrte sexuelle Bedürfnisse bemerklich, deren Befriedigung 
bei der einen derselben noch überdies mit einem leichten hyste- 



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Die Anomalien des Sexnnltriebei. 



281 



fischen Anfall gewöhnlich abschloss. Brügelmann und Stadel- 
mann beobachteten bei zwei Patientinnen in br i^notischen Zu- 
ständen, die durch h> sterische Somnambulie kompliziert waren, 
hochgradige sexuelle Erregung. Die Patientin Brügelmann's, 
ein Mädchen aus guter Familie, und im Wacbsustande völlig 
woh^ftittet, machte dem behandelnden Arzt in Gegenwart Dritter 
Liebeserklärungen und forderte denselben in unzweideutiger Weise 
zu Annäherungen auf, gerierte sich aber in gleich sexuell er- 
regter Weise auch einer den Arzt gelegentlich vertretenden 
weiblichen Person gegenüber. Man darf jedoch hieraus keines- 
wegs folgern, dass die hj^terische Somnambulie an sich unter 
Umständen sexuelle Beehren wachruft. In beiden Fällen be- 
stand offenbar auch im Wachzustande ausgesprochene sexuelle 
Erregtheit, die sich in der Somnambulie nur unverhöUt kundgab^). 

Aus dem Vorstehenden dOrfte erhellen, dass die krankhafte 
Steigerung des Geschlechtstriebes einen Zustand bildet, welcher 
die ärztliche Beachtung in hohem Masse verdient. Dieselbe kann 
einerseits zm Exzessen im natürlichen Geschlechtsverkehr und 
2u masturbatorischen Gepflogenheiten führen, durch welche das 
Nervensystem mehr oder weniger geschädigt wird, andererseits 
die andauernde sexuelle Abstinenz zu einem Zustande machen, 
welcher ebenfalls das Nervensystem in ausgesprochen ungünstiger 
Weise bccinflusst. Wir verweisen in letzterem Punkte auf das 
an früherer Stelle (^Abschnitt Vi und VII) I'emcrkie. 

Nicht minder wichtig ist aber, dass die sexuelle Hyper- 
iisthesie auch zu perverser sexueller Befriedigung führen und 
den Anstoss zu kriminellen Handlungen geben kann, also auch 
für das Individuum noch Gefabren anderer Art in sich birgt. 

*) S. Löwcnfeld: Der lij'pnolismuH, Handbuch der Lehre von der Ilyp« 

now und der Suggestion. Wietbadctt 1901. S. 209. 



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282 



Die Anomalieii des Sexualtriebes. 



II. Qualitative Anomalien. 

A. Homosexualität. 

Konträre Sexualempfindung. 

I. Konträre Sexualempfindung beim Manne. 

Uranismus, Urntngtum. 

Unter den qualitativen Anomalien des Gesdilechtstriebes 
bildet die als konträre Sexualempfindung (nach Westphal), 
Homosexualität, biversion des Geschlechtstriebes, bei Männern 
auch als Uranismus oder Umingium beseichnete Perversion die 
häufigste und praktisch wichtigste Erscheinung. Das Wesent> 
liehe dieser Anomalie besteht darin, dass bei den damit Be- 
hafteten sexuelle Neigunj^en für Personen des gleichen Ge- 
schlechtes bestehen, das sexuelle Triebleben also eine dem 
normalen Verhalten entgegengesetzte (konträre) Richtung zeigt. 
Die Homosexualität bildet, obwohl dieselbe schon bei den Kultur- 
völkern des Altertums wahrscheinlich nicht weniger verbreitet 
war als in der Gegenwart, doch erst seit mehreren Dezennien 
den Gegenstand eingehender medizinischer Studien. Der Grund 
dieses auffälligen Umstandes ist darin zu suchen, dass man 
früher die Homosexualität beim Manne einfach mit der Päderastie 
identifizierte, die von altersher nicht als Äusserung eines krank« 
haften Zustandes, sondern als widernatürliches und deshalb von 
den Gesetzen der meisten Staaten mit schweren Strafen belegtes 
Laster galt. Als solches konnte die Homosexualität nur den 
Juristen und den Gerichtsarzt interessieren, und letzterer be- 
schäftigte sich mit der Sache auch nur so weit, als der Nach- 
weis päderastischer Akte in Frage kam. Den ersten Versuchen, 
tiefer in das Wesen der Homosexualität einzudringen und deren 
psychopathologischen Ursprung darztilegen, begegnen wir bei 2 
Gertchtsärzten, Caspar in Berlin und Tardieu hi Paris. 

Caspar wies sciion 1852 der älteren Auffassung gegen- 
über, welche die honio'^extiellcn Beziehungen lediglich als eine 
Fonr\ gtschh'chtlicher Ausschweifuntj h.-i jnorali^rh verkom- 
menen Individuen betrachtete, darauf hm, dass jedenfalls bei 



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Die AnonuüieD des Sexualtriebes. 



288 



Teile der in Betracht kommenden Individuen eine an- 
geborene Anomalie des sexuellen Trieblebens bestehe und in- 
folge dieser die geschlechtlichen Bedürfnisse der Betreffenden 
nur auf homosexuellem Wege (aber nicht ausschliesslich durch 
Päderastie) sich befriedigen Hessen. 

Ähnlich wie Caspar gelangte Tardieu 1858 auf Grund 
eines sehr reichen Beobachtungsmaterials zu det Anschauung, 
dass es sich bei einem Teile der Päderasten um eine angeborene 
Abnormität der sexuellen Neigungen handle. Er konnte auch 
mehrfach bei Urningen weiblichen Habitus und Vorliebe für 
weibliche Beschäftigung konstatieren. 

Ungleich mehr Anregung als die Mitteilungen der beiden 
genannten Autoren gab die Arbeit Westphals über konträre 
Sexualempfindung (1869). EHeser Autor folgerte aus seinen Be- 
obachtungen, dass die von ihm so benannte Anomalie der Vita 
sexualis bei beiden Geschlechtem „angeboren als Symptom eines 
pathologischen Zustandes auftreten kann". Diesen Zustand als 
einen psychopathischen zu bezeichnen, trug der Autor Bedenken, 
weil bei demselben andere Erscheinungen seitens des Zentral- 
nervensystems die psychischen überwiegen und letztere sogar 
fehlen können; er hielt deshalb den Ausdruck „ncuropathisch" 
als umfassender für entsprechender. VV. betonte zugleich, dass 
es ihm nicht in den Sinn komme, alle Individuen, welche sich 
widerrnatürlicher Unzucht hingeben, für pathologisch zu erklären. 

Durch die WestphaTsche Arbeit wurde die Homo- 
sexualität dem Gebiete der Psychopathologie einverleibt und 
das Interesse der Psychiater und Neurologen fQr dieselbe in 
gleich nachhaltiger Weise geweckt. In der Folge wuchsen die 

Publikationen über konträre Sexualempfindung ganz ausser- 
ordentlich an. In besonders eingehender Weise haben sich 
mit derselben von deutschen Autoren von Krafft-Ebing, 
V. Sehr enk- Notzing, Moll und in neuerer Zeit Hirsch feld 
und I w a n B 1 o c k beschäftigt, von welchen Autoren crstercr, abge- 
sehen von Detailarbeiten, auch in seiner Psychopathia sexualis der 
Anomalie eine sehr ausfuhrliche Darstellung gewidmet hat. 
Durch die Forschungen der genannten und zahlreicher anderer 



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284 



Die Anoin«li«o des Sextuiltriebes. 



Autoren (es seien hier nur von französischen Ärzten Lacas- 
sagne» Magnan, Chevalier, Binet und Laurent, von 
russischen Tarnowsky erwähnt) ist unsere Kenntnis der Homo- 
sexualität bei beiden Geschlechtern nach ihrer klinischen wie 
ätiologischen Seite sehr bedeutend gefördert worden; doch 
harren namentlich in letzterer Hinsicht noch manche wichtige 
Punkte der Aufklärung. 

Die Anomalie des sexuellen Fühlens, weiche die Homo- 
sexualität darstellt, ist nicht immer in gleicher Weise entwickelt. 
Man hat deshalb mehrere Grade oder Abstufungen der Anomalie 
bisher unterschieden, die sich jedoch nicht strenge von einander 
abgrenzen lassen, da die Erfahrung lehrt, dass von den leichtesten 
Andeutungen bis zur fortgeschrittensten Anomalie fliessende 
Obergänge sich finden. Wenn ich meiner eigenen Erfahrung 
folge, so lassen sich nachstehende 3 Stufen unterscheiden. 

I. Ein Zustand psychosexualen Zwtttertums (Hermaphro- 
disie). Bei den betreffenden Individuen bestehen neben normalen 
Gefühlen für das weibliche Geschlecht homosexuelle Neigungen. 
Das Verhältnis der hetero- und homosexuellen Neigungen zu 
einander ist ein sehr wechselndes. Man begegnet, wie wir aus 
den naclistclitnd mitt^eteilten Beobachtungen ersehen werden, 
liehen Fallen, in welchen deutliche hoiiiü.sexuellc Res^uni^'en nur 
vuriibers^ehend und ausnahmsweise sich geltt-nd machen, anderen, 
in welchen beide Arten sexueller Neigungen net)cneinander in 
nicht wesentlich verschiedener Stärke bestehen, und dann einer 
weiteren Grui>]»e, in welcher die hüuiosi xuellen Neigungen ent- 
schieden das l l)ergewicht ha!)en. Die Fülle letzterer Kategorie 
scheinen die Mehrzahl zu bilden. 

Beobachtung 78. 

Herr X , :\\ Jahre alt, lien gohildeien Standen angelu'irig, ohne er- 
weij^Hche erbliche Belastung, verfiel mit 12 oder r3 Jahren auf MasUir- 
bation und übte dieselbe btä zu seinem 18. oder 19 Lebensjahre in erheb- 
lichem Masse. Der erste masturbatorisehe Akt wurde dadurch angeregt» 
dass er sich vorstellte, er bekomme Sehlage auf das Ges.lss. Dabei legte 
er sich auf einen Stuhl, sodass ein Druck auf den Hoden ausgeübt wurde, 
welcher eine sexuelle Erregung herbeiführte. Später wurde die Mastur- 
bation mit der Vorstellung verknüpft, dass er Knaben auf das Gesäss 
schlage, jedoch ohne Ihnen Schmerzen zuzufügen. Wie die angefahrte 
Ideenverblndung bei der ersten Masturbation enlstand, hierüber weiss 



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Die AiMWulieD de$ Sez«*ltriebes. 



285 



Patient nichts Nftheres zu sagen. Herr X, entbehrte nie, seitdem er er- 
wachsen ist, des normalen sexuellen Gcfülils jjef^enüber dem weiblirlKii 
Geschlechlr ; Neigung zn paderasti^rhi tu ud< r ?i>nstigem homos» xucllem 
Verkehr trat bei iluu nie zu Tage. Kr unterhielt vor Jaliren längere 
Zeit ein platonisches Verhältnis mit einem achtbaren Madchen, das er 
jeiloch wegen Mangel an Subsistenzmitteln nicht heiraten konnte. Sexu- 
ellen Vt ikelir mit Frauen hat er l)i!«her aus mornlisrhcn und hygienischen 
Gründen nicht gepflogen. Kr hat sich dp'^halb auch von der Mastuibattnn 
noch nicht ganz frei zu machen vermocht, die er jedoch nur sehr selten 
Obt Dabei sind die oben erwfthiMen Ideen in letzlerer Zek znrAckgetreten. 
Dagegen ist es ihm neuerdings passiert, dass er im Gespräche mit 
Knaben, mit welchen er beruflich zu verkehren hatte, plötzlich Erektionen 
bck.im, was ihm höchst peinlich war. Patient wünscht lebhaft, sich zu 
verheiraten, nachdem er schon seit einiger Zeit sich eine gesicherte 
Stellung errungen hat; doch ist er wegen seiner Potenz besorg^ da 
nächtliche Erektionen sich bei ihm nicht hAufig zeigen und Pollutionen 
ein sehr Seltenes Vorkommnis bilden. Objektiv ist bei dem ^und aus- 
sehenden Manne nichts zu konstatieren. 

Der Fall ist in mehrfacher Hinsicht von Interesse. Wir 
finden hier in den Vorstellungen, mit welchen steh die ^Tastllr- 
bation verknüpfte, Rudimente einer homosexuellen und zugleich 
sadistischen Neigung. Diese hat sich jedoch im Verlaufe vieler 
Jahre nicht weiter ausgebildet und die Entwicklung normaler 
heterosexueller Gefühle nicht zu verhindern vermocht. Sehr 
bemerkenswert ist das gelegentliche Auftreten sexueller Erregung 
beim Verkehre mit Knahen nach dem Zurücktreten der homo- 
sexuell sadistischen Ideen bei der Masturbation. Es ist sehr 
wahrscheinlich, dass eine unterbewusstc Reproduktion der frag- 
lichen Assoziationen beim Verkehr mit Knaben die sexuelle 
Erregung auslöste. 

BeobachtuDif 79. 

Der Fall betrifft einen ledigen Privatier E., der im Alter von 
53 Jahr«'n wegen M.-lani In iHc in meine Behandlung kam und 1)!S zu 
Seinem ii Jahre spater eriuigien i ode in meiner Behandlung blieb. 
Ich beschränke mich hier darauf, aus der Lebens- und Leidensgeschichte 
des Patienten das uns hier Interessierende mitzuteilen. Herr E. war in 
geringem Masse erblich neuropathisch belastet (sein Vater ein sdiruUen* 
hafter, jähzorniger Mann, seine Muttf ' i ' r^rvrn'^rhwnrhe Frati, die 
schon in junj^f^n Jahren an Phthisis starbj. Die < r^t«- scxm 11c l.ri«-.i:t:iig 
wurde bei ihm im Alter von la oder 13 Jahren durch eine körperliche 
Zflchtigung seitens seiner Stiefmutter — Schläge auf den Hintern — gjt- 
weckt. Die Folge dieses Umstandes war, dass der Anblick des betreffen* 
den Teiles bei jungen Leuten ihn ebenfalls sexuell erregte und er sich 



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286 



Die Anomalien des Sexualtriebes. 



der Onanie ergabt Er fröhnte diesem Missbrauche in erheblichem Masse 
bis zu Anfang der zwanziger Jahre. Sein Nervensystem wurde hierdurch, 
zumal er in der fraglichen Zeit noch anderen Schädlichkeiten (Arbeiten 
in der Nähe eines Ofens bei 22—38° R) ausgesetzt war, mehr und metu* 
zerrüttet Schon im 93. Lebensjahre bestand bei dem Patienten ein aus* 
geprägter neurastln nischer Zustand. Die homosexuellen Regungen er^ 
hielten sich bei dem Patienten bis in die fünfziger Jahre seines Lebens, 
in spiUcrtT Zeit wnrd«- er insbcsoncltr.s durch den Anblick krflfiig 
gebauter Männer in knapp anliegender Kleidung, welche die Pusteriora 
plastisch hervortreten Ueas (2. B. von Kunstrdtem) sexuell err^ Zn 
paderastischen oder sonstigen homosexuellen Verirrungen Hess sich der 
Patient jedoch nie verleiten. Seine Angaben in dieser Meziehung sind 
durchaus glaubwürdig, da er ein Mann von streng religiöser (iesinnung 
und durchaus ehrenhaftem Charakter war. Neben den homosexuellen 
Inklinatioaen, deren Abnormitlt Herr E. selbst wohl erkannte, bestand 
bei demselben, wenigstens in den jflngeren Jahren^ anch Neigung dir 
das andere Geschlecht Er unterhielt Ende der zwanziger Jahre seines 
Lebens einige Zeit ein Verhältnis mit einem achtbaren Mädchen, in der 
Absicht, dasselbe zu heiraten. Die Realisierung dieses Vorhabens wurde 
lediglich dadurdi verl^der^ dass ihm sein Vater die Ifittel zur Erwerbung 
eines eigenen Geschäftes verweigerte. Die Trennung von seiner Ge» 
liebten, die hierdurch notwendig wurde, fiel ihm sehr schwer. Auf 
sexuellen Verkehr mit PVautn hat Patif-nt verzichtet, nachdem es bei 
dem ersten Versuche (wohl infolge übermässiger Erregung) zu einem 
Fiaüku gekommen war. 

Im obigen Falle handelt es sich um einen Patienten mit 
geringer Libido, wodurch demselben die Abstiiien/C von homo- 
sexuellen I landlunL;en jedenfalls erleichtert wurde. Ein Seiten- 
stück zu unserer Beobachtung bildet der von Fürbringer 
mitgeteilte Fall eines Schauspielers mit sehr macht iger Lil)ido, 
welcher in dem Betasten der Genitaliim eines Mannes die höchste 
Befriedigung seines impulsiven Dranges fand, dabei aber trotz 
reiferen Alters und onanistischer Exzesse halberwachsenen 
Mädchen gegenüber noch leidlich potent war. 

Beobachtung 80. 

Herr X., 23 Jahre ak, Student, ist erbhch belastet (die Mutter 
hysterisd), zwei Schwestern sehr nervös) und wurde im Alter von 13 
oder 13 Jahren von einem Mitschfiler aur Onanie verleitet. Im 15. Jahre 
bereits marhten ^ii Ii hei ihm ausgesproclirnc kontrSrsexuale Ncipinj^en 
geltend. Der bald starke r, bald schwächer sicli n gendi; honios*-xucllc 
Drang wurde bis vor etwa einem halben Jahre durch mutuelie und soll- 
tflre Masturbation befriedigt Ober die Vorgänge, wodurch es bei ihm 
zur Entwicklung der homosexuellen Aberration kam, geben die Mit* 
teilungen des Patienten keinen genügenden Aufschluss. Der homosexuelle 



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Die Anomalien des Sexaal triebe». 



287 



Trieb vermochte, obwohl sich di rselbc im Laufe der Jahre stärker ent- 
wickelte, bei Herrn X. doch das Interesse für das weibliche Geschh*rht 
nicht ganz zu verdrängen. Ein gewisser Mädchentypus tschlankei gra- 
ziöse Figur) erregte bei dem Patienten immer entschiedenes Wohlgefiülen. 
Zu sezuellmi Verkehr mit weiblidien Pertonen seh er sich jedoch autaer 
Stande. Infolge geistiger l Überanstrengung traten bei dem Patienten 
wiederholt zerebrasthcnische Heschwerden auf, die jedocl) bei entsprechen- 
der Ausspannung sicli alsbuld wieder verloren. Herr X., ein sehr begabter 
und gebildeter junger Mann, sah das Krankhafte und sodal Bedenkliche 
seines sexuellen Verhaltens völlig ein und hatte sidl dedialb schon vor 
einem halben Jahre einer hypnotischen Behandlung unterzogen, die nicht 
ohne Erfolg war. Die homosexuellen Neigungen, waren, als Patient in 
meine Beobachtung kam, zwar noch nicht völlig Uberwunden, doch war 
derselbe bereits im Stande, mit einem Madchen, mit welchem er ein 
Verhältnis angeknüpft hatte, sexuell zu verkehren, wobei er völlige Be- 
friedigung fand. Ich verlor Herrn X. alsbald aus den Augen, da der- 
selbe Familienverhältnisse halber abreisen musste und sah denselben 
erst nach mehreren Jahren wieder. Die Besserung hatte inzwischen noch 
Fortschritte gemacht^ und die homosexuellen Regungen machten sidi bei 
dem Patienten nur mehr ganz vorObergehend, wenn es ihm an Gelegen- 
heit zum sexuellen Verkehr mit ihm zusagenden Mftdchen gebrach, geltend, 
so z. B. auf Reisen. 

2. Ein Zustand exklusiver Homosexualität. Sexuelle Re- 
gungen werden ausschliesslich durch Personen männlichen Ge- 
schlechtes wachgerufen. Die Gefühle diesen f^egenübcr be- 
schränken sich nicht auf das sexuell sinnliche Element; auch 
alle Nuancen erotischer Neigungen, von der einfachen Sympathie 
bis zur glühendsten Liebesleidenschaft und abgöttischer Ver- 
ehrung für Personen des gleichen Geschlechtes kommen nicht 
selten vor. 

Beobachtung 81. 

Herr X., 23 Jahre alt, Kommis, stammt nach seiner Erzählung 
von geistig völlig normalen Eltern. Sein Vater starb im Alter von 
5a Jahren an LungenentzQndimg, seine Mutter mit 40 Jahren angeblich 

an Gehirnentzündung. In seiner ganzen Familie sollen Geistes- und 
Nervenkrankheiten nicht vorgekommen sein; doch sind diese Angaben, 
da er über die Gesundheitsverhalmisse eines Teiles der Familienmitglieder 
nicht naher unterrichtet ist, nicht ganz zuverlAssig. Herr X. bat ausser 
Kinderkrankheiten keine erhebliche Krankheit durchgemacht Nach dem 
Tode seiner Eltern kam er, 13 Jahre alt, in ein von katholischen Geist- 
lichen geleitetes Krzichungsinstitnt, wo er bis zu seinem t8. I.rbensjahre 
verblieb. Dort verkehrten die Knaben sehr viel onanistisch untereinander 
und er wurde ebenfalls zu dem Laster verleitet. Nach dem Veriassen 
des Pensionates trat Patient als Lehrling in ein Geschäft^ in welchem er 



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288 



Die Anommlien des Sexultriebei. 



zwei Jahre lang verblieb, worauf er seiner zweijährigen Mililar|>nii ht 
Genüge leistete. Zurzeit hat er in einem hiesigen Geschäfte eine Stelle 
als Kornniis. Was den Patienten veranlasst, meinen Rat in Anspruch 
zu nehmen, ist sein sexuelles Verhalten. Er ist, wie er selbst angibt, 
konträrsexual, und diese Anomalie macht sich bei ihm bereits seit einer 
Reihe von Jahren deutlich geltend. Ob dieselbe erst in dem Pensionate 
infolge mutueller Onanie entstand, oder ob schon früher Andeutungen 
konti'ärsexualer Neigungen bei ihm vorhanden waren, geht aus den Anr 
gaben des Patienten nicht mit Sicherheit hervor. £r selbst ist der An* 
sieht, dass die im Pensionate allgemein geObtc Onanie an (I< r Kntwtek* 
lung seiner perversen Neigungen die Mmiptsrlnild tr.igt. Fdr w ililiclie 
Personen hat er keinerlei Interesse, dagegen ausgesprochenes Verlangen 
nach Verkehr mit mannliehen Individuen mid zwar speziell mit jungen 
Leuten von i6— ao Jahren. Seine Begierde ist jedoch lediglich aur mu> 
tuelle Onanie gerichtet; Päderastie wird mit Entschiedenheit in Abrede 
gestellt. l'ati< nt sieht die Perversion Seines Scxunitriebe«; vi"\llig ein und 
wünscht, von derselben befreit zu werden. Bisher gelang es ihm nur 
einmal, mit einer weiblichen Person den K. auszuQbaa. Es war dies 
nach einer Karnevalsunterhaltung (Alkoholwirkung ?), und die Betreffende 
befand sich in Knabenkleidun^. Patient wurde einige Zeit, und, wie es 
schien, nicht ohne Erfolg, hypnotisch behandelt 

Beobachtung Sa. 

Herr X. aus W. (Engl iml), 27 Jahre alt, wurde mir von einem aus- 
wärtig' n Kollegen zur l 'ntersuchung fibrrwiesr>n, weil bei dem Patienten 
Verdacht auf labes bestand. Herr X. ist erblich schwer belastet; sein 
Vater starb in einer Irrenanstalt, seine noch lebende Mutter ist sehr 
nervfls. Eine Schwester desselben war zeitweilig melancholisch. Patient 
hat als Kind Masern und Seharlach und im Alter von 16 Jahren eine 
Pneumonie durehg'-inacht. Mit y od. r to jalii r^i begann er, verleitet von 
einem älteren Spielkameraden, zu masturbieren. Mit 14 oder 15 Jahren 
machten sich bereits neben erheblicher Libido deutlich homosexuelle 
Neigungen geltend, auf deren Entwicklung der Umstand von Einfluss ge> 
Wesen sein mag, dass der Patient auf dem Land«" aufwuchs und wenig 
l'mgang mit \v< ihüchen Prrsnncn hatte. Dt n liomosexuellen Dr.ing, der 
mit den Jahren immer mächtiger wurde, befriedigte Patient anfänglich 
nur durch mutuelle Masturbation, seit einer Reihe von Jahren aber zum 
Teil (wahrscheinlich sogar ganz vorwaltend) durch Päderastie, was durch 
den L'nisland erlcirlitf rt wird, dass Patient sich sehr viel auf Reisen 
bchndct und dab- ; v .1 /n^sweise sich in Grossslüdten aufhält, wo ihm 
bei seinen Geldmitteln die mannliche Prostitution jederzeit zur Ver- 
fligtmg steht. Daneben flbt aber Patient, um seiner Libido nimia Genüge 
zu leisten, auch reichlich Masturbation. Vor vier Jahren wurde Patient 
und zwar jedenfalls auf päderastischem Wege infiziert. Dieser Unistand 
hat seinen pervcr-^en Inklinationen nicht den geringsten Eintrag getan. 
Personen weiblichen Geschlechtes haben Herrn X. nie irgend ein Inter* 
esse eingcflosst; mit solchen sexuell zu verkehren, ist ihm ganz unmög* 
lieh. Der Gedanke an etwas Derartiges flösst ihm schon Abscheu ein« 



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Die AnoiDttteii des Senaltriebes. 



289 



In dem homosexuellen Verkehre andererseits erblickte er weder etwas 

Unmoralisches, noch etwas Krankhaftes. Er weist daher auch den 
Gedankm einer Behandlung in dtc^^r Richtung rntfchieden von sich. 
Auch die aus dem Verkehre mit mannlichen Prostituierten erwacbst otn 
soaalen und strafrechüidien Gefabren lassen Herrn X. völlig gleichgültig. 
Alle Vorstellungen, die man ihm in dieser Beziehung macht, sind nutzlos. 
Bei dem Patienten, \v( U Iirr, wie es scheint, in intellektueller Hinsicht 
gut hrpabt ist. bestt lit otfenbar ein morahscher Defekt. Nervöse Bc« 
schwerd( n sind bei Herrn X., und zwar wohl infolge sexueller Über- 
anstj'engungen, vorübergehend schon zu Beginn der zwanziger Jahre auf- 
getreten (Kopfdruck, Rfickenschroerzen, Schwache in den Beinen etc.). 
In den letzten zwei Jahren haben sich solche B< srliwordcti dau* mder 
eingestellt und namentlich seit einem Vierteljahre bedeutt nd gesteigert. 
Es bestf»hen u, a. ROckenschmerzen und ein ricfühl von Schwache im 
Rücken, sehr hartnäckige Parästhesien an den Bemen (Kälte-, iaubiieits- 
gefbble etc.), rasches ErmQden und eine gewisse Unsicherheit in den 
Beinen beim Gehen, ferner öfters intensive Kopfschmerzen und leichte 
Schwindclanfhlle; auf psychischem Gebiete zeitweilig Vl i siimmungs- 
zustände und hothgradiprc Reizbarkeit (letztere Erscheinungen schon in 
früheren Jahren nicht ganz sehen). 

Patient ist ein grosser, schlank, aber krflfUg gebauter Mann, der in 
seiner Äusseren Erscheinung den mflnnlichen eng^isehen Typus gut re« 
präsentiert; Gesichtszüge von energischem, männlichem Charakter, Bart- 
wuchs spärlich. Seitens de« Nrrvcnsy«tems au'^si r Steigerung des Knie* 
Phänomens und der Bauch iv flexi • nichts nachweisbar. 

In den vorgeschrittenen Stadien zeigt der Urning, namentlich 
wenn derselbe die passive Rolle spielt, weibliche Neigungen und 
eine mehr minder ausgesprochene Imitation des weiblichen 
Wesens. Auch der Charakter kann eine Veränderung ins 
Vi^eibische erfahren (Putzsucht, Gefallsucht, Lügenhaftigkeit etc.). 

3. Die Veränderung des psychischen Wesens kann noch 
weiter gehen, so dass die ganze Richtung des Denkens» Fühlens 
und Wotlcns den weiblichen Typus annimmt. Man spricht in 

diesen Fällen von Effcminatio 

Mit den der 2. und 3. Stufe angehorigen psychosexuaicn 
Anomalien kann sich eine mehr oder minder ausgesprochene 



V. Krafft-Ebtng nahm noch eine 4. Enlwicklungutttfe der Anoin.i]ie 
an. welche d.idurch zu Stande kommt, da>i' nnf rrrnn 1 schwerer crbüchrr Be- 
lastung die Wahnidee ge^blechtlicber Verwandlung sich bildet (Mctamorphusis 
Kxtutlis panmoica). Da es sich Iiier nm eine Form der FaranoiA bandelt, kGnnen 
wir die in Fia^e «tehenden FZÜe nicht mehr als bierberg«bArig betracbten, wo 
wir tedi'slkb die Anomalien des Gescblecbtstriebcs behandeln. 

t.4iweaf«Id. Sezuell-nen-rise StSrupgen. Vierte AeA. 12 



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290 



Die Anomalien des Sexualtriebes. 



Annäherung der Körperform an den weiblichen Typus (Andro> 
gynie) verknöpfen. 

Die Körperkonturen sind abgenimfeter als beim normalen 
Manne. Hirsch fei d legt besonderes Gewicht auf das Verhältnis 
des SchuItergOrtels zum Beckengürtel. Während beim normalen 
Manne der Schuttergürtel etwas breiter ist als der Beckengfirtel, 
begegnet man beim umischen Manne oft dem umgekehrten 
Verhalten, wie es für das Weib normal ist. Dass es sich bei 
der Androgynic um eine Anpassung des Körpers an den 
psychischen Habitus handelt, erscheint mit Rücksicht auf die 
Beteili(,'ung der Skeletteile ausgeschlossen. Die vorliegenden 
Beobachtungen weisen entschieden darauf hin, dass die Ab- 
weichung der Körperform vom männlichen Typus ebenso durch 
erbliche Veranlagung bedingt ist wie die psychische Anomalie, 
und beide koordinierte Erscheinungen bilden. Nachstehende 
Beobachtung aus meiner Praxis betrifft einen Urning mit sehr 
ausgeprägtem androgynem Typus. 

Beobachtung 83. 
H. B., Bauemsohn aus H. (Oberbayern), 33 Jahre alt, i»t wahr' 
scheinlich erblich neuropathisch belastet. Sein Vater starb mit 7a Jahren 

an einem Lungenleiden, seine Mutter in den viersiger Jahren (Ursache 
unbekannt). Von zehn Geschwistern ist nur eine Stiefschwester am 
Leben, neun starben in den ersten Lebensjahren angeblich an Krämpfen. 
Patient war schon ab Knabe kränklich und nervenschwach. Wfthrend 
der Schulzeit litt Patient zweimal an akutem Gelenkrheumatiamus. Kon- 
trftrsexuale Neigungen zeigten sich bei ihm schon von Jugend auf, doch 
machen sich dies« Iben erst sr-it acht Jahren stärker geltend. Er hatt»- 
vorher Männern gegeauljer kein aiisges])ri>cht'n sexuelles Verlangen emp- 
funden; erst vor acht Jahren kam es bei ihm beim Verkeitre mit einem 
Manoe» an den er sich wegen eines Ihm sympathischen Ausseren naher 
anschloss, zu Erektionen. Er erfuhr damals näheres Über das sexuelle 
Vi^rhalt« ri eini-r verstorbenen hochgestellten Persönlichkeit, hierdurch 
wurde er auf das Pathologischi- seines ( igcnen Zustandes aiifnn rk'-ani 
gemacht und veranlasst, sich über denselben durch Lektüre Auikiaruug 
ZU verschaffen. Er las unter anderem MoUs Schrift über konträre 
Sexualempfindung. Patient Int sich bis jetzt auf Umarmung und mu- 
tuf llc Masturbation beschränkt. Die soh*tär geübte Masturbation ver- 
schaffte ihm keine rechte Befriedigung. Wenn er Bier trinkt und sich 
dabei unter Männern befindet, ist die sexuelle Erregung sehr gros&. 
Wahrend des Sommers macht sich die Belästigung durch homosexuellen 
Drang immer am meisten bemerklich. bi Bezug auf das weibliche Ge* 
schlecht bemerkt Patient, dass ihm ein gewisser Typus von Frauenzimmern 



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Die Anomalien des Sezuattnebe<i. 



201 



2WMr besser gefüllt als ein anderer, dass er jedoch mit keiner weiblichen 
Person ü'""'' hlechtlichen Verkehr üben könnte. Patient hat vollkommene 
Ki anklicitseinsicht bezüglich seiner sexuellen Perversion; er verkennt 
auch die Getai^ren nicht, welche dieselbe für ihn in gesundheitlicher und 
sonstiger Beaehung In «ch schliesst 

Die Untersuchung ergibt: Grosses, schlankes und auffallend grazil 
gebautes Individuum mit ausgesprochen weiblichen Gesiclitszttgen. Bart 
rasiert; Hals lan^^ und schmächtig; leichte Skoliose. Die Brust ziemlich 
behaart, dabei jedoch sehr bedeutende Entwicklung der beiden Manunae, 
SO dass die vordere Thoraxpartie entschieden weiblidien Habitus zeigt> 
Das Fettpolster an den Armen und dem Rumpfe dürftig, die Muskulatur 
an den Armen straff, aber nicht sehr voluminös, Hände und Füssc klein. 
Penis f3;nt entwickelt, kcinf Phimosis, Hoden etwas klein. Kremaster und 
Bauchreilex sehr lebhaft, im Übrigen seitens des Nervensystems nichts Be* 
merkenswertes» ebenso auch betreiSs der Organe derBmst-undBaudihdhle. 

V. Krafft-Ebing betrachtete die Androgy nie als eine be- 
sonders hohe Stufe der Entartung. Indes lehrt wie die im 
Vorstehenden angeführte auch eine von dem Autfir selbst mit- 
geteilte Beobachtung', dass die Androgynic sich nicht an die 
fortgeschrittenste Entwicklung des I i nmi^tums knüpfen muss, da 
der Patient, dessen Kiankciiijesrhii-hlt; v. Krafft-Ebing mit- 
teilt, in der Lage war, mit weiblichen Personen geschlechtlich 
zu verkehren und sogar bereit gewesen wäre, sich zu verheiraten, 
wenn ihn nicht die ehelichen Ptiichten, deren Leistung ihm ge- 
sundheitlicb nicht zusagte, abgehalten hätten. 

Was die Auffassung der Patienten bezüglich der bei ihnen 
bestehenden Anomalie des Geschlechtstriebes betrifft, so kann 
volle Krankheitseinsicht bei allen Entwicklungsstufen vorhanden 
sein. Diese felilt bei den leichteren Formen niemals, aber aucli 
dem Effeminierten kann der Widersprudi zwischen der Richtung 
seines Sexualtriebes und seiner männlichen KdrperbescfaalTenheit 
als etwas Krankhaftes zum Bewusstsein kommen. Bei den tjrpi- 
schen Urningen besteht jedodi die Auffassung sehr häufig, dass 
ihr gcschtechtUches Fühlen, wenn auch von dem anderer männ- 
licher Individuen abweichend, doch in seiner Art dem gewöhn- 
liehen (heterosexuellen) gleichbegründet und gleichberechtigt und 
deshalb weder unmoralisch noch krankliaft sei^;. Die Urninge 

IKete AatdiMiwgai wordeo meist (von Mitte der 6o. Jahre an) von dem 
Aitenor Ulrichs Tcrlretett» wddiar, sellMt Urning, unter dem Namen „Nama 
Nnmanliits** lahliekbe Schriften fiber das Uroingtom reröiTeiitlkhte. Ulrichs, von 

19* 



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292 



Die Anomalien des SenuütrielMt. 



dieser Kategorie wollen nach meiner Erfahrung konsequenter- 
weise auch von einer Behandlung ihrer Anomalie nichts wissen, 
sie sind mit ihrer perversen Neigung ebenso zufrieden wie der 
gesunde Mann mit seiner normalen Libido. 

Was die Arten sexueller Befriedigung bei homosexuellen 
Männern anbelangt, so ist vor AUetn zu betcmen, dass die Päderastie 
(C. per anum), welche man früher als das Gewöhnliche annahm, nach 
den derzeitigenErfahrtmgen relativ selten geQbt wird. Bei der grossen 
Mehrzahl der aktiven und passiven Päderasten spielt das Urning- 
tum keine Rolle. Bei ersteren bandelt es sich zumeist um dne 
durch sexuelle Ausschweifungen herbeigeführte Abstumpfung des 
Geschmackes für normalen Geschlechtsverkehr, seltener um Be- 
friedigung einer abnorm starken Libido bei Mangel eines weib- 
lichen Objektes. Die passiven Päderasten andererseits gehören 
zumeist der Klasse der männlichen Prostituierten an, der es 
lediglich um Gelderwerb zu tun ist. Diese Individuen zählen 
zu dem gefährlichsten Gesindel, welches unsere Grossstädte be- 
herbergen, und die zahlreichen Erpressungen und Erpressungs- 
versuche, welche sie an den sich mit ihnen einlassenden Konträr- 
sexualen vci üben, haben mit dazu geführt, dass eine grosse Anzahl 
angesehener Manner aus allen Berufskreisen in Deutschland sich 
für eine Änderung der in Frage stehenden Strafgesetze aussprach'). 

Ober die Häufigkdt der Homosexualität «mrden In den 
letzten Jahren von Hirsch feld und Römer Untersuchungen 
angestellt. Nach einer Berechnung Hirschfetd's, welche sich 
auf die Ergebnisse einer bei den Studierenden der Charlotten« 
burger Hochschule und 5700 Metallarbeitern angestellten Enquete, 
sowie auf die Resultate einer von Dr. von Römer bd Amster- 
damer Studierenden vorgenommenen Umfrage und verschiedene 
Stichproben^ stützt, sollen auf looooo Einwohner 5400 sexuell 
abweichend Veranlagte und unter diesen 1500 rein Homosexuelle 

welchem die Beseichnttog Urning hentlirt, ffMg soweit, die stMtUche Anerkennung 

der homosexuellen Liebe und die Zulassung von Ehen unter Urningen zu verlangen. 

') Nach d^fi von dic^<cr Seite ficrnachtfn VorsrhlSfjon '>r.\\ der homosexuelle Ver- 
kehr nur unter gewissen Bedingungen (^Verluhrung Mimicrjahriger etc.) stralTjar sein. 

') Die Stichproben betrafen Gruppen von Berafieenoasen, Kauficnten, 
Offizieren etc. 



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Die AaomaUeii des Seraaltriebes, 



298 



sich befinden. Dies würde für Deutschland 1200000 sexuell 
Abnorme und dnen Prozentsatz von i rein Homosexueller 
ei^eben. Das Material, auf welches Hirschfeld seine Berech- 
nungen stützte, ist jedoch, wie schon Bunke gezeigt hat, 
keineswegs einwandfrei, so dass wir die von ihm angegebenen 
Zahlen nur als Beweis dafür erachten können, dass die Homo- 
sexualität viel häufiger sidi findet, als man früher gemeinhin annahm. 

Die homosexudQe Veranlagung ofTenlurt sich oft schon 

im Kindesalter; Knaben zeigen auffallende Vorliebe für weib- 
liche Beschäftigungen und Spiele, Mädchen bekunden in ihren 
Neigungen und ihrem Benehmen Knabeniuitui j. 

Daneben mangelt es nicht an Fällen, in welchen die 
Homosexualität sich scheinbar erst im späteren Lebens- 
alter geltend macht. Von v. Krafft-Ebing wurde nach- 
gewiesen , dass in einem Teile dieser Fälle Anzeichen 
konträrer Sexualcmpfindung schon während der Pubertätszeit 
und selbst vor dieser bestehen. In einem weiteren Teile der 
bierhergehörigen Fälle handelte es sich nach dem Autor um 
bisexuell Veranlagte, bei welchen die ursprünglich vorherrschende 
heterosexuelle Neigung durch äussere Umstände (Furcht vor An- 
steckung etc.) in den Hintergrund gedrängt wurde. Daneben 
finden sich Individuen, bei welchen neben im Allgemeinen 
heterosexueller Empfindung eine latente homosexuelle besteht, 
die nur im Traume und in psychischen Ausnahmszuständen 
(Rausch etc.) sich offenbart. 

Der Ätiologie der konträren Sexualempfindung wurde in 
den beiden letzten Dezennien besondere Aufmerksamkeit zuge- 
wendet. Die zahlreichen Erörterungen hierüber in der Literatur 
haben jedoch noch zu keiner völligen Klärung der Sachlage 
geführt. Wir haben es yogenwUrtig noch mit sehr erheblichen 
Meinungsverscliiedenhciten zw tun und zwar stehen sich noch 
imme; haujUsächlich zwei Ansichten gegenüber, deren Haupt- 
repiäsenlanten früher v. Krafft-Ebing und v. Schrenk- 
Notzing waren. Nach der Auttassung des erstgenannten 

*) Kadi Hirscbfeld bleibt bei Knaben in der PaberUltszeit oA der 
Slimmircdisel aus, blufig tritt er aucb venpttet dn. 



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294 



Die Aaomalten de» Sexo«ltrteb«s. 



Autors ist die Homosexualität nur in einer Minderzahl der 
Fälle eine meist auf Grund ncuropathischer Disposition er- 
worbene Anomalie des Geschlechtstriebes, überwiegend dagegen 
Äusserung einer angeborenen abnormen psychosexuellen Veran- 
lagung, aohin ein funktionelles D^enerationszeichen. Für die 
angeborene Natur des echten Urningtums soll nach v. Kr äfft > 
Ebing eine Reihe von Momenten spredien, insbesonders: Prä- 
kozität und abnorme Starke des Geschlechtstriebs, auffällig 
frühzeitiges Hervortreten kontrarsexualer Regungen, zumeist 
zwischen dem 5. und 15. Lebensjahre und vor Übung der 
Masturbation, Vorhandensein anderweitiger funktioneller und 
anatomischer Degenerationszddien. Zur Erklärung des kon- 
genitalen Charakters des echten Urningtums wurde von v. Krafft- 
Ebing die zuerst von Gley (1884) vertretene Annahme einer 
bisexuellen Anlage beim Embryo herangezogen. Nach dieser 
Theorie sind sowohl der periphere Sexualapparat wie die zuge- 
hörigen spinalen und zerebralen Zentren normaliter ursprünglich 
bisexuell veranlagt. Bei normaler Entwicklung kommt es jedoch 
lediglich zur Ausbildung der einem bestimmten Geschlcchtc 
entsprechenden Gcschlecht«;drüsen und der dazu gehörigen Ge- 
hirnzentren. HoinDsexuulität entsteht dadurch, dass im Laufe 
der iMilvMcklung das Gehirnzenlruni, welches dem durch die 
Geschlechtsdrüse repräsentierten Geschlechte gegensätzlich ist, 
den Sieg über das korrespondierende, zur Herrschaft prädestinierte 
davonträgt. 

Den Ansichten v. Krafft-Ebing's gegenüber wurde von 
V. Schrenk - Notzing ausj^eführt, dass zweifellos bei der 
grossen Mehrzahl Konträrsexualer eine angeborene (hereditäre) 
neuro-psychopathischc Belastung besteht, aber nie allein im 
Stande ist, die perverse Richtung desSexualtriebes m bestimmen. 
Die abnorme Determination des sexuellen Empfindens auf be- 
stimmtcObjekte ist nach V. Schrenk-Notzing nie angeboren, 
sondern durch zufällige, okkasionelle Momente (Schädlichkeiten) 
bedingt, v. Schrenk*Notzing betonte zugleich, dass als 
solche Schädlichkeiten nicht lediglich mutuelle Onanie und 
solitäre Masturbation mit homosexuellen Vorstellungen hi Be- 
tracht kommen, sondern auch das Zusammenfallen gescfalecht* 



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Die ADomalien des Sexualtriebes. 



295 



lieber Erregungen mit gewissen Sinneseindrücken wirksam werdoi 
kann. ,,Die aus den körperlichen Sexualvorgängen resultierenden 
lustbetonten Organempfindui^n, welche bei belasteten Individuen 
abnorm früh auftreten können (schon im $. Lebensjahr), werden 
infolge der Unkenntnis der Individuen auf gleichzeitige Stnnes- 
eindrücke, also falsch bezogen und in diesem Sinne gedeutet 
Die Beziehung zwischen gleichzeitiger Objekt- und Körper- 
empfindung fOhrt zu einer inhaltlichen Störung der Urteils- 
assoziation, und, wenn in der Wkterstandsunfähigkeit des Nerven- 
systems, in der fehlenden Korrektur weitere günstige Vor- 
bedingungen geboten sind, so kann sich dieselbe zu einer 
bleibenden Zwangsempfindung entwickeln und schliesslich das 
ganze Geschlechtsleben beherrschen.*' 

Die Auflassung Krafft-Ebing's hat in den letzten Jahren 
in Möbius und Forel sehr entschiedene Verfechter gefunden, 
während die Annahme v. Schrcnk-Notzing's in Iwan 
Bloch einen Verteidiger erhielt. Möbius geht in seinen An- 
sichten noch etwas über v. Krafft-Ebing hinaus, indem er 
bemerkt „Alle Abweichungen des Geschlechtstriebes sind Formen 
der Entartung; es gibt kehien Unterschied zwischen angeborener 
und erworbener Abweichung dieser Art. Alle beruhen auf an- 
geborener Anlage.** Die Gründe, welche man für das Vor- 
kommen erworbener Homosexualität anführt, sind nach Möbius 
nicht stichhaltig. Die okkasionellen Momente, welche die Ab- 
weichung des Geschlechtstriebes bedingen sollen, äussern nur 
dann dne Wirkung, wenn der Mensch eine bestimmte Anlage hier- 
für mitbringt. Möbius betrachtet auch die bei den alten Griechen 
so verbrettete Knabenliebe als eine Äusserung der Entartung 
und glaubt , dass die Athener nach P e r i k 1 e s in Bezug auf 
Degenerationserscheinungen den heuiigcn Parisern viel ähnlicher 
waren, als man gewöhnlich denkt. 

Nach l- orei ist und bleibt das IVningtum wenigstens in 
der weitaus überwiegenden Zahl der Italic das Produkt abnormer 
sexueller psychopathischer Anlagen. Nahezu alle Urninge sind, 
abgesehen von ihrer sexuellen Abnormität, mehr oder minder 

*) Möbius: Geäcblccbl und Entarluog 1903 S. 2%. 



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296 



Die AnomiHeD des SMndtriebes. 



ausgeprägte Psychopathen, deren Geschlechtstrieb in der Regel 

gesteigert ist. 

Iwan Bloch ist dagegen der Ansicht, dass die verschie- 
denen Abweichungen des Sexualtriebs nicht krankhafte Äusse- 
rungen einer angeborenen oder ererbten abnormen Anlage, 
sondern erworbene Perversionen sind. Die Homosexualität ist nach 
Bloch nicht immer ein Zeichen von Krankheit oder Entartung, 
sondern meist, wenn nicht immer, im Leben erworben. 

Gegen die Annahme v. K r af f t - h' b i n " s von geborenem 
Urning soll die Völkerpsychologie zahlreiche Beweise liefern. 
Als wichtigste, die homosexuelle Triebrichtung bestimmende 
Momente führt Bloch an: Übersättigung, Onanie, Furcht vor 
Geschlechtskrankheiten, abnorme Beschaffenheit der Analgegend, 
Flagellation, künstliche Verweiblichung dvs Mannes, psychische 
Infektion durch das Urningtum selbst, bei Weibern auch Ekel 
vor der Geschlechtsgier des Mannes, falsche Eniansipations- 
bestrebungen. 

Wenn man die beiden im Vorstehenden angeführten Theo- 
rien einer näheren Prfifung unterzieht, ergibt sich, dass keine 
von beiden eine befriedigende Lösung des vorliegenden Pro- 
blems liefert. Bei der ausserordentlich wetten Fassung, die man 
heutzutage nach Möbius dem Begriffe der Entartung gibt, kann 
man die Frage unerörtert lassen, ob und inwieweit das Urningtum 
an sich eine Degenerationserscheinung bildet und sich mit Kon> 
statierung der Tatsache begnügen, dass es Urninge gibt, welche 
ausser ihrer sexuellen Inversion keinerlei ausgesprodiene Ent- 
artungszeichen aufweisen. Eine grössere Schwierigkeit bildet die 
Frage, wie man sich die angeborene Veranlagung zum Urning- 
tum vorzustellen hat. Der Verwertung der Bisexualitätstheorie, 
wie sie V. Krafft-Ebing in dieser Beziehung versuchte, liegt 
ein fundamentaler Irrtum zuGiiinLle Der Geschlechtstrieb (die 
Libiduj lies Marines, des Weihes und de^ Urnings ist in seini:ni 
Wesen nicht verschieden, verschieden ist lediglich bei beiden 
Geschlechtern und bei dem Urninge von der Norm abweichend 
das Sexualübjekt (Freud), i. e. das Objekt, von dem die Li- 
bido aus angeregt und durch welches die Befriedigung der- 
selben angestrebt wird. Dass dieses Sexualobjekt aber durch 



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Die Anomalien des Sexualtriebes. 



297 



angeborene zerebrale Vei anlagung schon bestimmt ist, hierfür 
liegt keinerlei Anhaltspunkt vor. Die Annahme v. Krafft- 
Ebing's einer doppelten Veranlagimf,» der Sexualzcntrcn im 
Gehirne, entsprechend der Differen2 der Sexualobjekte, und einer 
Verküramerung des dem normalen Sexualobjekte, zugehörigen 
Zentrums ist daher rein phantastisch und unhaltbar. Ungleich 
beachtenswerter erscheint die schon von Chevalier vertretene 
Auffassung, dass ein morphologisch dem männlichen Geschlechte 
angefaöriges Individuum in seiner psychischen, i. e. zerebralen 
Veranlagung den weiblichen Typus aufweisen kann. Wir wissen, 
dass viele Urninge in ihrenni psychischen Verhalten, ihren Nei' 
gungen und ihrem Charakter nch sehr dem Wdbe nähern, und 
man hat diese Erfahrung in der Behauptung einer anima mulieris 
virili corpore indusa zusammengefasst. Man kann sich da- 
her sehr wohl vorstellen, dass die weibliche, resp. weibische 
psychische Veranlagung unter der Hinwirkung gewisser begün> 
stigender okkasioneller Momente (verweiblichende Ersiehung, 
Mangel an Gel^enheit zu natürlichem Gesdilechtsverkdir bei 
fräh auftretender Libido, VerfQhrung zur Onanie, speziell zur 
mutuellen, Furcht vor Ansteckung, Verkehr mit Urningen) zur 
Entwicklui^ der Homosexualität führt. Unter den Urningen sind 
jedoch auch solche vertreten, die in ihrem geistigen Habitus die 
Zöge der Männlichkeit in vollem Masse aufweisen, für wdche 
daher die vorstehende Annahme keine Verwendung finden kann. 
Gegen die von Schrenk-Notzing, Iwan Bloch u. A. an- 
genotnmene atioloj^ische Bedeutung okkasioneller Momente für 
die Entstehung der I lomosexualität lassen sich ebenfalls, wie 
auch l*'reud in jiinj^'stcr Zeit hervorgehoben hat, wichtige Be- 
tlenken geltend machen. I >en okkasionellen Schädlichkeiten, 
\\ eiche nach den erwähnten Autoren allein die Ablenkung des 
Geschlecht«;triebe-. in die homosexuelle Bahn iH-dingen sollen, 
sind zahlreiche Indivi<iuen im Laufe ihres Lebens ausi^esctzt, 
deren (ieschlechtstrieb den normalen heterosexuellen t harakier 
besitzt. Auch bei hereditär neuropathisch veranlagten Personen 
können die fraglichen Schädlichkeiten ohne Einfluss auf die Ge- 
staltung des Sexualtriebes bleiben. So habe ich mit manchen 
Nervenleidenden zu tun gehabt, bei welchen trotz hereditär neuro- 



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298 



Die AnonuUieQ d«s SexiMltriebes. 



pathischer Konstitution die Erziehung in Pensionaten und in 
der Jugend mutuell geübte Onanie keine Spur von homo- 
sexueller Perversion zur Folge hatte, während hinwiederum in 
einzelnen anderen FiUlcn Individuen mit homosexuellen Nei- 
gungen an deren Verursachung in der Jugend geübter niutueller 
Onanie einen wesentlichen Anteil zuschrieben (vergl. Beob. Nr. 81). 

Mit dem Probleme der Inversion hat sich in jüngster 
Zeit auch Freud beschäftigt^), und er ist dabei zu einer Auf- 
fassung gelangt, welche als ein entschiedener Fortschritt den 
beiden erwähnten Theorien gegenüber betrachtet werden muss. 
Freud betont, dass man sich die Verknüpfung des Sexualtriebes 
mit dem Sexualobjefcte gewöhnlich zu innig vorstellt Die Er- 
fahrung bei den Invertierten lehrt, dass hier nur eine Verlötung 
vorliegt, die man unter normalen Verhältnissen leicht übersieht. 
Der Geschlechtstrieb ist wahrscheinlich zunächst unabhängig 
von seinem Objekte und verdankt wohl auch nicht den Reizen 
desselben seine Entstehung. 

Durch das Stuciuini der SexualiLät bei den Neurotikern kam 
der Autor zu dem Schhjsse, dass die Anlagen zu den verschie- 
denen sexuellen Perversionen keine Scltenlieit, sondern ein Stück 
der als normal geltenden Konstitution bilden, dass diese An- 
lagen in ihrer Intensität Schwankungen unterliegen und der 
Hervorhebung durch Lebenseinflüsse warten. ,,Es handelt sich 
um angeborene, in der Konstitution gegebene Wurzeln des 
Sexualtriebes, die sich in der einen Reihe von Fällen zu den 
wirklichen Trägern der Sexualtätigkeit entwickein (Perverse), 
andere Male eine ungenügende Unterdrückung (Verdrängung) 
erfahren, so dass sie auf einem Umweg als Krankheitssymptome 
einen beträchtlichen Teil der sexuellen Energie an sich ziehen 
können, während sie in den günstigen Fällen zwischen beiden 
Extremen durch wirksame Einschränkung und sonstige Ver- 
arbeitung das sogenannte normale Sexualleben entstehen lassen." 

Als Mächte, welche den Sexualtrieb hemmen und seine 
Richtung bestimmen, bezeichnet Freud Eckel, Schamgefühl, 
die ästhetischen und moralischen Vorstellungsmassen. Hierbei 

I) Frevd; 3 Abbandluageo cur Sexiultheorie, Leipsig und Wien 1905. 



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Die Anomalien des Sexualtriebes. 



299 



handelt sich nach Ficud nicht lediglich um ein Werk der 
Erziehung; die Kntuicklung ist eine organisch bedingte und 
kann sich gelegentlich ohne Mitwirkung der Erziehung vollziehen. 

Für die normale Objektwahl sind neben der Anziehung, 
welche die entgegengesetzten Geschlechtscharakterc auf einander 
ausüben, und der Autorität der Gesellschaft Erinncriint^'i^n aus 
der Kindheit (bei Männern an die Zärtlichkeit der Mutter und 
anderweitiger Pfle|;. [ er sonen von entschiedenem ICinflusse. Die 
Erziehung der Knaben durch männliche Personen fördert die 
Entwicklung der Homosexualität. 

Für die Entstehung der Perversionen kommt nach Freud 
m erster Linie die Verschiedenheit der angeborenen sexuellen 
Konstitution in Betracht, die er durch Überwiegen der einen 
oder anderen der mannigfachen Quellen der Sexualerregiing ab 
bedingt erachtet, doch ist durch die verschiedenen Komponenten 
der sexuellen Konstitution die Gestaltung des Sexuallebens noch 
nicht einseitig l>estinunt. 

Unter den Momenten, welche speziell für die Entwicklung 
der Homosexualität von Bedeutung sind, spielt die sexuelle 
Frähreife keine unerhebliche Rolle ; diese wird dadurch zu einer 
Qudle von Störungen, dass sie Sexualäusserui^oi veranlasst, 
die sowohl wegen des Mangels ausreichender Hemmungm als 
wegen des unentwickelten Genitalsystems nur den Charakter 
von Perversionen annehmen können. Verstärkt wird der Ein- 
fluss der sexuellen Frühreife durch die bei Neurotikem und 
Perversen nachweisbare erhöhte psychische Haftbarkeit infantiler 
Sexualerlebnisse. „Die Letzteren," schliesst der Autor, „(VerfQhrung 
durch andere Kinder oder Erwachsene in erster Linie), bringen 
das Material bei, welches mit Hilfe der ersteren (der erhöhten 
Haftbarkeit) zur dauernden Störung fixiert werden kann. Ein 
guter Teil der spater bcoliachteten Abwt ichungen vom nonualca 
Sexualleben ist so bei Xrurotikcrn wie bei Perversen durch die 
Eindrücke der angeblich .srxualfreien KHidlieU^j)eriode von An- 
fang an festgelegt. In die Verursachung teilen sich das Ent- 
gegenkommen der Konstitution, die Frühreife, die Eigenschaft 
der erhöhten Haftbarkeit und die zufällige Anregung des Sexual- 
triebes durch fremden Einfluss/* 



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300 Aooroalien des Sexuallhebes. 

Wie wir sehen, legt auch Freud okkasionellen Schädlich- 
keiten eine gewichtige ätiologische Bedeutung bei. Ihre Wirk- 
samkeit ist jedoch von dem V'orliandensein anderer Momente 
abhängig, einer gewissen sexuellen Konstitution, deren Wesen 
erst noch des Näheren zu erforschen ist, sexueller Frühreife 
und der gesteigerten Fixierbarkeit der Erinnerungen infantiler 
Sexualerlebnissc. Letzteres Moment, das wohl ebenfalls eine 
konstitutionelle Grundlage besitzt, ist es wohl in erster Linie, 
was den okkasionellen Schädlichkeiten zu ihrer Wirksamkeit 
verhilft. Es muss schliesslich auch erwähnt werden, dass die 
Erfolge, welche bisher durch Behandlung, insbesonders hypno- 
tische Suggestivtberaple, bei emer erheblichen Ansahl Konträr- 
sexualer erzielt wurden, sich nicht mit der Annahme vereinigen 
lassen, dass diese Anomalie ausschliesslich durch eine angeborene 
krankhafte Veranlagung verursacht sein kann^). 

Die durch die Homosexualität bedingte Gestaltung des 

Geschlechtslebens ist nicht ohne nachteiligen Einfluss auf das 

Nervensystem. Nach v. K ra f f t -E 1) i n g ist bei den geborenen 
Urningen fast immer temporär oder dauernd Neurasthenie nacli- 
wcisbar. Diese ist nach dein genannten Autor in der Regel 
eine konstitutionelle in angeborenen Bedingungen wurzelnde. 
„Geweckt und untetlialten wird sie durch Masturbation oder 
durch erzwungene Abslmcnz Iki männlichen Individuen kommt 
es auf Grund dieser Schädlichkeiten oder schon angeborener 
1 )isi)osition zur Ncurasthenia sexualis, die sich wesentlich in 
reizbarer Schwäche des Ejakulationszentrums kundgibt." 

V. K rafft -Ebing gegenüber hat Eulenburg jedoch 
betont, dass die konträre Sexualcmpfindung keineswegs Neur- 
asthenie zur unbedingten Voraussetzung und ebensowenig zur 
notwendigen Folge zu haben braucht, so häufig auch das Eine 
oder das Andere entschieden der Fall ist. Meine Erfahrungen 

*) In neuerer Zeit ist zwar von verschiedenen Seiten die thcrnpcutischc Un- 
/ngäri^lidikcif der reinen H o m <> s <• x u a I i t ;i l behatiptrt wrn Jcn, doch findet 
diese Aulstellung in dcu biäbcri^en h.rluhrun^cn keine ausreichende Stütze. Fuchs 
Jahrb. f. sexuelle Zwiscbemtafen. 4. Jalug. 1902) hat vkh sogar dahin aus« 
gesprochen* dass fOr die Behandlung Konträrsexualer besondere, «Ug«meta sagliig» 
liehe Anstalteo erriditet werden sollen. 



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Die Aninnilkii des Sexualtriebes. 



m 



stimmen mit denen Eu1enburg*s überein. Die Homosexualität 
bildet swar nidit immer aber jedenfalls sehr häufig eine Quelle 
von Schädlichkeiten für das Nervensystem, deren Wirksamkeit 
zumeist durch eine in der angeborenen nervösen Konstitution 
begründete geringe Resistenzfähigkeit begünstigt wird. Bei den 
m<Malisch auf niederen Niveau stehenden Individuen mit starker 
Libido kann es zu Exzessen im homosexuellen Verkehr kommen, 
deren schädigender Einfluss auf das Nervensystem nicht hinter 
dem des exzessiven normalen Geschlechtsgenusses zurückbleibt. 
Die Folgen bcschiankcn sich auch hier nicht ihuik i auf das 
sexuell-nervöse Gebiet ; nach meinen Beobachiuii^cii kann es 
auch zur Entwickhing allgemeiner Neurasthenie kommen. Kon- 
trärsexuale dagegen, welche auf Grund sittlicher oder religiöser 
Bedenken oder auch aus Furcht vor den Konsequenzen auf 
homosexuellen Verkehr jeder Art verzichten, werden sehr hrnifig, 
da ihnen der Verkehr mit Frauenzimmern, soferne derselbe 
überhaupt möglich ist, keinerlei Befriedigung gewährt, mitunter 
auch ihr Nervensystem ausserordentlich angreift, zu mastur« 
batorischer Befriedigung ihrer Libido veranlasst und kommen 
dadurch alUnähKch dazu, ihr Nervensystem auf onanistischem 
W^e mehr und mehr zu zerrütten. Ebenso wichtig als die 
genannten Schädlichkeiten ist aber der Gemütszustand, welchen 
das Bewusstsein von der krankhaften Gestaltung ihres Sexual- 
triebes und die Ervraigung der Folgen dieses Zustandes bei sehr 
vielen Konträrsexualen herbeiführt. In den Autobtographieen 
vieler Urninge, die von verschiedenen Autoren veröffentlicht sind, 
füllen die Klagen über den inneren Zwiespalt, unter dem sie zu 
leiden haben, den Kontrast zwischen ihrem körperlichen Wesen 
und den Antuiderungcn des Lebens uiid ihren sinnlichen und 
erotischen Neigungen, sowie die Schwierigkeiten und Gefahren, 
welche ihnen letztere bereiten, einen breiten Raum. 

2. Die konträre Sexualempfindung beim Weibe. 
(Viraginität, Maskulinität, Gynandrie.) 

Das Vorkommen homosexueller Neigungen hei weiblichen 
Individuen war schon im Altertume wohl bekannt, und es ist 
auch nicht zu bezweifeln, dass derartige Neigungen insbesonders 



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302 



Die Aoouuiliea des Scxualtiiebes. 



in der Verfallzeit Roms unter den sozial höherstehenden Klassen 
der weiblichen Bevölkerung sehr verbreitet waren. Von ärzt- 
licher Seite wurde der Inversion des Geschlechtstriebes beim 
Weibe bis in die Neuzeit noch weniger Aufmerksamkeit geschenkt, 
als der gleichen Anomalie beim männlichen Geschlechte» was 
zum Teil sich aus dem Umstände erklärt, doss die Gesetzgebung 
zur gerichtlich medizinischen Beurteilung der in Betracht kommen- 
den Fälle kerne Veranlassung gab. Wie es gegenwärtig mit der 
Verbreitung der sogenannten lesbischeo Liebe steht, ist schwer 
zu beurteilen, weil homosexuelle Besiehungen unter Frauen sich viel 
leichter der Beachtung entziehen als unter Männern, solche auch 
seltener zur Kenntnis der Ärzte gelangen, da die Homosescualität für 
das Weib nicht dieselbe Bedeutung hat wie ffir den Mann. Der 
Eindruck, den ich bezfiglich dieses Punktes gewonnen habe, 
geht dahin, dass die rudimentären und wahrscheinlich auch die 
Zwitterformen der Homosexualität beim weiblichen Geschlechte 
sich sehr viel häufiger, die ausgebildeten Formen der konträren 
Sexualempfindung dagegen seltener finden als beim männlichen 
Geschlechte, Als rudimentäre P'ormen der Homosexualität lassen 
sich die so häufigen schwärmerischen l-"rcundschaftcn unter Mäd- 
chen, welche selten t)is ins reifere Alter sich erhalten, und die eben- 
falls recht häufige schwärmerische Verehrung von Lehrerinnen. 
Sängerinnen, Schauspielerinnen und anderen fernstehenden weib- 
lichen Pers('>nlichkeiten \'in schöner Erscheinung, der man bei 
jungen Mädchen begegnet, deuten. Diesen rudimentären, d. h. 
über die ersten, leicht verwischbaren Ansätze nicht hinausLjehenden 
homosexuellen Neigungen bei Mädchen stehen auf der männ- 
lichen Seite ähnliche Vorkommnisse nur in sehr beschränktem 
Masse gegenüber Das gänzliche Fehlen der Libido bei von 
sexuellen Erregungen unberührten Jungfrauen und die geringe 
Entwicklung derselben bei einem erheblichen Prozentsatze der 
nicht jungfräulichen weiblichen Personen bilden andererseits 



') Nach meinen Erfahrungen <>ind schwänncriscbe i' leuniiscbuften iür ihres- 
gleichen bei Knaben und Jünglingen ungleich hcltciicr als bei Mädchen. Der 
tehwSnQeriKh«n Verehrang ferasteheader ftUerer Personeia {Ldirer etc.), die man 
bei Müdeben so oft antTifft, bin idi bei Knaben Qberbaopt nie beg^net 



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Die Aoonuüien des Sexueltriebes* 



303 



Umstände, welche die Entwicklung ausgeprägter Homos^ualität 
erschweren. 

Ebenso wie beim Manne sind auch bei der Frau homo- 
sexuelle Akte ii^end wdcher Art nicJit notwendig durch eine 
Anomalie des psycbosexualen Fühlens, i. e. Erregbarkeit sexueller 
Neigungen lediglich durch Personen des gleichen Geschlechtes 
bedingt. Es kann sich hierbei lediglich um eine perverse Be- 
friedigung, nicht um eine Perversion des Geschlechtstriebes handeln, 
und nach den vorliegenden Erfahrungen schemt ersteres sogar 
bei einem grossen Teile der Fälle zuzutreffen. Nach Eulen- 
bürg 's Schilderung, welche jedoch sich hauptsächlich auf Pariser 
Verhältnisse bezieht, rekrutieren sich die Anhängerinnen des 
homosexuellen Verkehrs zum grüsstcn Teile aus zwei zwar sozial, 
aber nicht ethisch von einander entfernten Kreisen , nämlich 
Damen der «.'rossen Welt, reichen Müssij^gängerinncn , welche 
durch alle muglichen Genüsse übersättigt und blasiert in dem 
homosexuellen Verkehr einen neuen Reiz suchen, und feineren 
Prostituierten, welchen durch ihr Gewerbe der Verkehr mit 
Männern zum Ekel geworden ist und die homosexuelle Befrie- 
digung als etwas Reineres, In schuldigeres erscheint. In nicht 
ganz seltenen Fällen mag aber der homosexuelle Verkehr auch 
faute de mieux, d. h. eines Mannes oder aus Furcht vor den 
Folgen heterosexuellen Umgangs geübt werden. 

Halten wir alle diese Umstände zusammen, so können wir 
den Sdiluss nicht abweisen, dass eine zweifellose Anomalie des 
Geschlechtstriebes wohl nur bei einer nicht sehr erheblichen 
Minderzahl der der lesbischen Liebe Huldtgoiden vorliegt. Die 
konträre Sexualempfindung äussert sich klinisch beim Weibe in 
anal<^er Weise wie bei Manne, zeigt auch vom psydiosexualen 
Zwittertume anfangend ähnliche Abstufungen in ihrer Ent- 
wicklung. Die Frauen, bei welchen homo- und heterosexuelle 
Neigungen nebeneinander bestehen, aber auch diejenigen mit 
ausschliesslich homosexuellen Inklinationen müssen in ihrem 
übrigen psychischen Verhalten ebenso wie in ihrer äusseren Er- 
scheinung nichts von dem weiblichen Typus Abweichendes auf- 
weisen. Bei einem Teile der ausges|)rf)chen konträrsexualen 
Frauen begegnen wir aber auch wie bei den Männern einer 



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304 



Sie Anomatieii dca Sexnaltriebes. 



Assimilierung der Neigungen und Gewohnheiten an das sexuelle 
Fühlen: Vorliebe für männliche Beschäftigungen, Neigung, ^di 
als Mann zu verkleiden, männliche Haartracht etc. (Viragimtät). 
In den fortgeschrittensten Fällen iSsst die ganze psychische 
Persönlichkeit einen ausgeprägt männlichen Charakter konstatieren. 
Die spezifischen seelischen Eigentümlichkeiten des Weibes 
(grössere Emotivität und Suggestibilität, geringere Entwicklung 
der Willensenergie als beim Manne} fehlen gänslich ; im Denken, 
Fühlen und Wollen tritt die Art des Mannes zu Tage. Hiermit 
kann sich auch eine mehr oder minder weitgehende Annäherung 
der Körperform an den männlichen Typus verknüpfen (männ- 
liche (lesichtsziige, massiver Knochenbau, geringe Entwicklung 
des Fettpolstors und der Mammae, rauhe, tiefe Stimme etc.). 
Wir dürfen hier aber nicht unberücksichtigt lassen, dass äusser- 
lichc und psychische Gynandrie nicht notwendig mit konträrer 
Sexualempfindimg einhergeht. Ein grosser Teil der typischen 
Mannweiber zeigt ganz normale sexuelle Neigungen, und ein 
weiterer Teil gehört zur Kategorie der Frigiden ohne homo- 
sexuelle Perversion — das sogenannte III. Geschlecht — . 

Bei den weiblichen Konträrscxualen kommen nicht nur 
Lieb^verhältnisse untereinander, sondern auch eheähnliche Ver* 
bmdungen vor, wobei die ältere gewöhnlich die Rolle des aktiven 
Teiles (des Mannes), die jüngere die des passiven Teiles über- 
nimmt. Diese Rollen werden von den homosexuellen Frauen 
nicht immer beibehalten, da die ursprünglich Verleitete im Laufe 
der Zeit an dem homosexuellen Verkehr so viel Gefallen finden 
kann, dass sie bei Gelegenheit aktiv, d. h. Verführerin wird. 
Wie bei den männlichen varriert auch bei den weiblichen Homo- 
sexuellen die Art der geschlechtlichen Befriedigung sehr. Die 
moralisch höherstehenden und wenig sinnlich veranlagten Personen 
begnügen sich mit Küssen und L'marmungen; bei sehr reizbaren 
Naturen mag ei> hierbei zu Orgasmus kommen i v. Kr a t f t - E hing). 
Atich soütäre Onanie ist nicht selten. /weitVllus am häutigsten 
wild jedoch die Befriedigung durch mutuelle Masturbation er- 
zielt, an welche sich noch verschiedene, die sexuelle Erregung 
fordernde Akte knüpfen können. Auf diese Praktiken weist 
auch schon die im Altert ume übhche Bezeichnung der An- 



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Die Anomaliea des Sexualtriebes. 



305 



häni^crinncn der lesbischen Liebe als Tribaden (von v(fißuv, 
reiben) hin. 

Dass der homosexuelle Verkehr auch bei Frauen zu 
Schädigungen des Nervensystems führen kann, unterliegt wohl 
keinem Zweifel, wenn man erwägt, dass hierbei die Masturbation 
eine erhebliche Rolle spielt und die Friktion der Sexualteile 
hierbei zum Teil auf instrumentellem Wege , durch Benützung 
künstlicher Nachbildungen des Membrum virile geschidit. Zu 
berücksichtigen ist auch, dass durch die konträre Sexual- 
empfindung, sofeme dieselbe als krankhafte Erschemung erkannt 
wird, der Gemütszustand des Weibes ebenso ungünstig beein- 
flusst wird, wie der des Mannes. Da homosexuelle Neigungen 
bei einer Frau den C. mit einem Manne nicht unmöglidi 
machen, ist es begreiflich, dass konträrsexuale und hermaphro' 
ditisch angelegte weibliche Personen sich öfters verheiraten. 
Die i-iaii kann durch Fortsetzung homosexuellen Verkehrs in 
der Ehe sich für den Entgang heterosexueller Genüsse ent- 
schuldigen. Nicht selten führt aber die Perversion des Geschlechts- 
triebes zu einem Abscheu get^'en den ehelichen Verkehr und 
zunehmende Abneigimg gegen die Persönlichkeit des Mannes, 
so dass eine Trennung der Ehe notwendig wird. Dass die.se 
Verhältnisse für den Nervenzustand der Frau nicht gleichgültig 
sind, liegt nahe. 

In den letzten Jahren wurde von v. Krafft-Ebing, M&bittS, 

Näcke u. A. gegenüber von manchen Autoren (Magnus Hirscli- 
f' Ifi. ^Terzbnrh u. A.) die Ansicht vertreten, dass das echte Urning- 
tum i>tets aul angeborener Veranlagung beruht, dabei jedoch tiicht ein 
EntartutigS2eichen, sondern eine der ncHrmalen Triebrichtung gleich* 
wertige Erscheinung darstellt. Nach dieser Auffassung zAUen die Ur* 
ningc trotz ihrer abweldienden vita se.xualis ZU den gesunden Individuen, 
sie sind nur zur Zeugung nnd Fortpflanzung untaugürh. Damit ver- 
knüptt sich mitunter die Ansctiauung, dass die Homosexuellen höher 
oder feiner organisierte Naturen sind, d. h. aber dem normalen Durch- 
schnittsmenschen stehen, eine Ansicht, der wir schon im Altertum be* 
gegnen *). Die bbherigen Erfahrungen gewähren jedoch dieser Annahme 



*) So bemerkt M ersbacb: „Der Arst imm weiter andi wissea, dass 

Homosexuelle psychisch feiner organisierte Menschen sind als I leterofiezuelle, ja 

da"> sir ,-utn T<_il auf li'.heirr ^eivii^'cr "^tufe stelicii". Diese Auflassunj? wird 
in V'cihindui)^ mit ili r Annuhinc Ut r koii|;t nitalLn Nalur dsa Urningtums bereits 

LSwenteld, Scxuell-nervüM: Stüriutgea. Vierte AuS. 20 



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806 



Die Anomalien des Sexualtrieb». 



keine genügende Stütze. Nach denselben Usst sich nur sagen, dass die 
Homosexualität, obwohl dieselbe dem Gebiete der Entartung im allge^ 
metnsten Sinne angehOrt, sich nicht mit Defekten oder anderen krank« 
haften Ersrlicinungen auf intpllcktuollcm und moralischem Cicbiete ver- 
knüpfen muss, ja dass sogar manche Homosexuelle zweifellos intelkktuell 
und moralisch sehr hochatehen. Dies scheint insbesonders bei den weib- 
lichen Homosexudlen öfters der Fall zn sein. 

Mit der im vorstehenden Absdinitte bdiandetten Homo- 

sexualitSt können sich andere mehr oder minder ausgesprochene 
sexuelle Perversionen verknüpfen, die ihrerseits aber auch selb- 
ständig wie in Verbindung mit anderen heterosexuellen Ano- 
malien des Geschlechtstriebes vorkommen. 

So begegnen wir in der Praxis einer langen Reihe psycho- 
sexualer Aberrationen, die auf der einen Seite ohne scharfe 
Grenze mit den noch physiologischen Eigentfimitchkeiten des 
sexuellen Geschmadees zusammenhängen, auf der anderen Seite 
aber uns in den Ausartungen des Sadismus, dem Lustmorde und 
der Leichenschändung, zu den grauenhaftesten Vorkommnissen im 
Bereiche der Nachtseite des menschlichen Seelenlebens führen. 

Wir haben hier — wo wir uns wesentlich mit dem Ein- 
flüsse des Sexuallebens auf das Nervensystem zu beschäftigen 
haben ™ etfreiilicherwei.se keine Veranlassung, auf all die zahl- 
reichen Nuancen der in Frage stehenden Perversionen, weiche die 
neuere Forschung aufgedeckt hat, einzugehen, und werden uns des- 
halb begnügen, im Folgenden tliejeni;^en Anomalien 7\i 1 erühren, 
deren Kenntnis für den Arzt von besonderer Wichtigkeit ist. 



in Piaton'» Gastmaiil von Arittophsnea mit £iit«chi«de»b«it Tertreteo. 
Ari»topli*nes sUUzt seine DediAtiooea anf den MyChns, nadi wcidicm Zeus 

die gegenwärtig vorhandenen Menschen dadurch schuf, dass er die uf'-iniinglich 
Torh;>i)(kiuii, tltii Cu- schlechtem (Mann, Weib und Mannweib) aii^L-lK'>ri^c-i\ Irnli- 
viduen zerschnitt. Jeder Mensch sucht nach der Ariätophani'schen AutTassung 
das ihm entsprechende Stfldc. Die Individuen, welche Stüdw eines Mannwabes 
sind, haben Neigung Ku das andere Gescbledit, wSbiend die Weiber, welche Ath 
schnitte eines Weibes sind, sich um hfSooer nidlt hfimmern, sondern ihrem Ge> 
schlechte ztipctan >ind ; ebenso zeigen die Männer, welrbc Schnitte eines Mannes 
sind, sieb nur von dem Männlichen angezogeu. Aristo ph an es betrachtet das 
Urningtum als einen geistigen Vorzug, L e, eine h^lhere Art von Hlnnlldikeit, 
und als Beweis hieittr fflhrt er an, dass die betreffenden Minner fflr die Be> 
sorgung der Staatsgeschäfle besonders gecigcn schaffet sind. Vevgl. Piato's 
Gastmahl, Übers, von Dr. M. Ober breyer, S. 34. 



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Die Annmalien des Scxvialtrichcs. 



307 



B. Substitutive Formen heterosexueller Perversion. 
Geschlechtlicher Ssrmbolismus. 

L Fetischismus. 

Unter den hier noch in Betracht kommenden sexuellen 

Perversionen bildet die von v. Ki a f f t - E b ing im Anschlüsse 
an Binet und Lombroso als Fetischismus*) bezeichnete die 
relativ harmloseste und den noch der Breite des Physiologischen 
angehörenden Vorkommnissen am nächsten stehende Anomalie 
der Vita sexualis. 

Das Wesen des Fetischismus besteht daiin, dass bei dem- 
selben Pars pro tote substituiert wird, d. h. dass die unter 
normalen Verhältnissen der ganzen weiblichen Persönlichkeit 
zukommende sexuelle Reizwirkung von einem emzelnen, jedoch 
nicht zum Geschlechte in Beziehung stehenden Körperteile, oder 
sogar nur von einem leblosen, von weiblichen Personen als 
Kteidungsstfick oder zu anderem Zwecke benützten Objekte 
ausgeübt wird. Der pathologische Körperteilfetischismus lässt 
sich, wie V. Kl at ft-Ebing mit Recht hervorhebt, nicht strenge 
von gewissen nucii als physiologisch zu erachtenden Eigentüm- 
iickeiten des erotischen Geschmackes abtrennen. Wir wissen, 
dass bei vielen Männern eine Schwärmerei für einzehie Körper- 
teile, sofcrne dieselben eine gewisse Beschaffenheit aufweisen, — 
AiH'en, Haar, Nacken, Hände und Küsse insbesonders — besteht 
und diese Teile nicht lediglich eine Quelle ästhetischen Wohl- 
gefallens bilden, sondern auch an dem von dem weiblichen 
Körper ausgeübten sexuellerregenden Gesamteindruck einen 
wesentlichen Anteil besitzen. Während aber bei diesem noch 
physiologischen Fettschismus, wie gross auch immer die Schwär- 
merei für den attraktiven Körperteil sein mag, die Gesamt- 
persönlichkeit des Weibes doch ihre Bedeutung nicht verliert. 



') V. K rafft -Ebing bezeichnete die Schwärmerei für einzelne Teile des 
weiblichen Körpers oder weibliche Kleidungsstücke ab Fetischismus, weil die- 
selbe an die den Reliquien vnd andeien KultosgegemtSaden gewidmete leligiSse 
Veiehnmg crhmert. 

20* 

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308 



Die Anomalien des Sexualtriebes. 



äbernimmt bei dem pathologischen Fetischismus der betreffende 
Körperteil ausschliesslich die Rolle des Sexualreizes. 

Das Abnorme bei dem Fetiscbisten liegt, wie schon 
V. Krafft-Ebing hervorgehoben hat, nicht in dem, was auf 
ihn sexuell erregend wirkt, sondern in der Einsdiränknng des 
Gebietes der sexuellen Reize. Nidit nur der weibliche Gesamt« 
körper, sondern auch diejenigen Teile desselben, welche unter 
normalen Verhältnissen in erster Linie sinnlich erregend wirken, 
lassen den Fetiscbisten vöDig unberührt. Nur der eine Teil 
oder das eine Objekt ist im Stande, sexuellen Drang in ihm 
wachzurufen, und dieser Drang kann so bedeutend werden, dass 
er das Individuum zu lächerlichen, unanständigen und selbst zu 
kriminellen Handlungen fortreisst. 

Unter den Körperteilen, welche bei den Fetiscbisten das 
sexuelle Interesse in Beschlag nehmen, figurieren in erster Linie 
dieselben, die auch physiologisch am häufigsten einen gewissen 
Zauber ausüben: Augen, I laar, Nacken, 1 liinde, Füsse. Ähnlich 
können aber auch das Ohr, der Mund, das ganze Bein wirken. 
Die Nuancierung der Perversion kann aber auch weiter gehen; 
häufig muss der attraktive Teil in bestimmter Weise bekleidet 
oder von einer besonderen Beschaffenheit (Färbung) sein, um 
seinen Einfluss als Fetisch zu äussern. So kommt es bei den 
Fussfetischisten vor, dass nur der mit einem Strumpfe von 
gewisser Farbe oder mit schmutzigen Schuhen bekleidete oder 
aber auch der nackte und schmutzige Fuss einen Reiz auszu- 
üben vermag. Nachstehende Beobachtung ForeTs, die sich 
bei V. Krafft-Ebing mitgeteilt findet, bildet ein typisches Bei> 
spiel der hier in Frage stehenden Perversion. 

Fu s sf ett sch ismus bei dauernder Hetero- 
sexual i i ä t. 

Herr X., 50 Jahre, ledig, den höheren Ständen angehörig, kon- 
sultierte den Arzt wegen «nervAser* Beschwerden. Er ist belastetv vor 
Kindesbeinen an nervös» sehr empfindlich gegen Kälte und Wärme, seil 
Jahren von Zwangsvorstellungen geplagt, die d« n Charakter « incs korri- 
gierten und vorübergehenden V'erfolgungswahiiLS habcti. Wenn er z. B. 
an einer Wirtstafel sitzt, kommt es ihm vor, als wären aller Augen auf 
ihn gerichtet und alle Anwesenden flOsterten und spotteten Ober ihn. 
Sobald er aufgestanden is^ ist dieses Gefühl vorbei und glaubt er nicht 



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Die Anomali«!! des Sexualtriebes. 



309 



mehr an seine vermeintlichen WahrnehmunLjen. Kr fühlt sich nirgends 
auf die Dauer wohl und zieht deshalb von cmem Orte zum anderen. 
Gelegentlich passierte es ihm, dass er in einem Gasthole Zininier bestellt 
h«tte und nicht hinkonnte, weil bezQgliche Zwangsvorstellungen ihn daran 
hinderten. Die Libido dieses Mannes war nie gross. Er empfand nie 
anders als hcternsexual. Seine einzige Befriedigung war angeblich nor- 
maler (seltener) Koitus. X. gestand dem Arzte, dass er in seinem Sexual- 
leben von Jugend auf sehr eigentümlich sei. Weder durch Frauen noch 
durch MAnner werde er geschleditlidi gereizti sondern ausschliesslich 
durch das Sdien von nackten Fflssen welblidier Individuen, gleichgOltig 
ob es Kinder oder Erwachsene sind. Alle übrigen Körperteile von 
Frauen lassen ihn vollständig kalt. Hat er Gelegenheit die nackten 
Füsse von Personen, die sich „im Sande** herumtreiben, zu sehen, so 
kann er stundenlang stehen, um sie zu betrachtra, und empfindet dabei 
den yfllrchterlichen* Trieb» terere genitalis propria ad pedes illarum. 
Bis jetzt ist es ihm gelungen, sich nicht zur Befriedigung dieses Dranges 
hinreissen zu lassen. Was ihn am meisten ärgert, ist der Sclunutz, mit 
welchem gewöhnlich die nackten Füsse der sich Tummelnden bedeckt 
sind. Er möchte sie gerne recht schön rein haben. Wie er zu diesem 
Fetischismus gelangt sd, wusste er mdtt anzugeben. 

Den C bergang zu der Gruppe der Kleidungsstückfetischisten 
bilden einerseits die Individuen, bei denen das vom Körper 
abgetrennte Haar als Sexualreiz fungiert, andererseits die noch 
ungleich widerlicheren Perversen, bei denen die Exkrete des 
weiblichen Körpers die gleiche Rolle spielen (Kopronuuiie). Die 
Verehrer des vom Körper getrennten Frauenhaares werden 
durch ihre Perversion nicht selten verleitet, sich ihres Fetisch's 
widerrechtlich zu bemächtigen. Gewöhnlich sind es die Zöpfe 
jüngerer weiblicher Personen, die ihrer Gier zum Opfer fallen, 
und der Erfolg, mit welchem manche dieser Perversen längere 
Zeit hindurch ihren Neigungen fröbnen konnten, bevor es zu 
ihrer Bestrafung kam, ist sehr merkwürdig'). 

Unter den Stücken der weiblichen Toilette, welche Fetisch- 
eigenschaften gewinnen krmnen, spielt die Leibwäsche eine her- 
V(>rragcnde Rolle (Hemden, Unterkleider, Strüm|)fe), aber auch 
die weniger intimen Teile der Toilette, wie Schürzen, Schuhe, 
Unterröcke, Nachthauben, Kragen und selbst Gegenstände, die 



I) So wurden in d«r B«tiansang eines in PMfis festgenommenen Zopfab* 
•chneideis. ftber dessen FaU Voisin, Sooittet, Motet berichteten, 6$ Zfipfe und * 
HanrAecbten vorgefnnden. 



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310 



Die Aaomaiien des Sexiultricbes. 



nicht zur eigentlichen Toilette gehören, wie Taschentücher, 
figurieren nicht selten als Fetische. 

Ich will hier Bruchstücke aus zwei brieflichen Mitteilungeo 
über die Lebens- und Leidensgeschichte eines Fetischisten, der 
meinen Rat in Anspruch nahm, folgen lassen. Dieselben werden 
genügen, die wichtigsten Charaktere der in Frage stehenden 
Perversion und deren Einfluss auf die Lebensgestaltung eines 
Individnums zu illustrieren. Von einer vollständigen Wiedergabe 
der betreffenden Mitteilungen muss ich aus räumlichen Gründen 
und mit ivuck:>icht auf den heiklen Inhalt absehen. 

,Jch bin im AprO .... geboren, daher jetzt im 35. Lebensjahr 

stehend. Der Vater war ein in sittlicher Beziehung durchaus einwand- 
freier Mann, einfach und schli' ht in Allem, grachtrt von A!1en, dir ihn 
kannten. Kr >tarb im 70. Lebensjahre an einer Lungenerweilerung und 
Asthnialeiden, das er sicii ein Jahr vor seinem Tode durch eine In- 
fluenzaerkrankung zuzog. Die Mutter steht jetzt im 6a. Jahre, lebe 
gesund und rQstig. Von Verwandten des Vaters kann ich angeben: 
I. einen Bruder, der in den 30er Jahren starb; 2. einen anderen Rrudt r, 
der jetzt noch lebt, verheiratet, hat 7 Kinder, \ on denen einige eben- 
falls verheiratet sind; alles normale, gesunde Menschen. 

Von mütterlicher Seite zwei Brüder, verheiratet, ebenfalls nur normale 
Umstände zu verzeichnen. Ich habe zwei Schwestern, bdde verheiratet, 
die eine hat zwei Kinder, die andere gegenwartig kinderlos, em Kind starb 
bald nach der Geburt 

Die erste Spur einer perversen Neigung merkte ich an mir schon 
in meinen Kinder- beziehungsweise Knabenjahren, damals empfand ich 
schon eine wollüstige Empfindung, wenn ich an anderen Knaben 
Rohrstiefet mit stdfoi Sdiflflen sab, boonders aoldie mk Lackleder. 
Ich muss hier vor Allem einschalten, dass der Vater von Beruf 
Schuhmacher war, ich also ein grosses Feld für meine Leidenschaft 
liatte. Deutlich erinnere ich mich noch, in den ersten Schuljahren Öfter 
einem Knaben nachgeschlichen zu sein, der solche Stiefel trug. Diese 
Neigung nahm aber bald einen grösseren Umfang an und richtete sich 
auch auf Madchen, die weisse Strümpfe und Sehuhe mit Spangen trugen, 
wie man dies früher oft sehen konnte. Ais Kundschaft hatten wir unter 
Anderen auch einen Professor H., der drei htibsche, reizende Madchen 
hatte, die oli bei uns plauderten und bei der Arbeit zusahen. 

Damals schon verstand ich es, wenn diese Mädchen da waren, mir 
einen geeigneten Platz zu suchen und mit der raflinierten SinnUchkeit 
eines Erwachsenen diese Mädchen zu beobachten, wie ihre Fflsse in den 
verschiedensten Paraden sich zeigten, wie sie neue Schuhe anprobierten 
usw. Auch trieb ich damals schon Onanie. Ich konnte mich im Bette 
in eine gewisse wollüstige Stellung bringen, mich meinen Gedanken an 



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Die Anomalien dei Sextnltricbet. 



311 



Schuhe hingeben und ein gewisse^ Tl'rhstgefühl von Wollust haben. 
SpStcr einmal las ich etwas über Onanie der Kinder, über Abgang eines 
gewissen Samenhauches und erinnerte mich an meine damaligen Hand- 
lungen. Wenn su Jener Zeit Schuhe von diesen hObsdien Kindern da 
waren, konnte ich sie nidit genug betasten, beriechen und vor Allem 
hineingreifen. 

So vergingen Jahre. Mein schrecklicher Hang für Schuhe ver- 
mehrte sich nur und dehnte sich auch auf Knopfstielel , hübsche hohe 
SchnQrstiefel aus. Ich wurde im Gesdimack fonnlich raffinier^ vor Allem 
verehrte ich solche Stiefel und Schuhe, die Mfldchen und Frauen ange- 
horten, die nur vt&ng oder gar keinen Fussschweiss hatten. Die Schuhe 
von solchen verglich ich im Geiste nur mit einem „engelreinen Kelche*. 
Es reizten niieh auch vor Allem solche Knopfstiefel, die mit weissem 
Flanell gefüttert waren, der Duft eines solchen Stiefels konnte mich 
flVrmlich berauschen. 

In meinen ersten Schuljahren hatte ich auch öfters ohne allen Grund 
eintretf-ndf^ Frektionen; diese Steifheit des Gliedes war aber mit keinem 
Wollustgefühl, sondern mit einem Brennern ini Glied, allgemeinem Unbe- 
hagen im Unterleibe verknüpft. Auch litt ich zu jener Zeit an Bett- 
tOaaai, dies Alles verlor sich aber wieder. Noch mehr aber, als die 
Leidenschaft filr Stiefel, machte sich nach und nach eine schrecklichere 
und nachhaltigere in mir breit, eine merkwürdige Neigung, unter der 
ich jetzt schon über 20 jaiire leide, mid der ich ungezählte schmerzliche 
Stunden zu verdanken habe, ich mochte vielleicht 10 — 12 Jahre zählen, 
als ich anfing, soldie Knaben und Haddien mit Interesse zu beobaditen, 
die steife Kragen trugen. Zu jener Zeit waren gewisse breite Leinen- 
chemisetten für Knaben und Mädchen im Gebrauch, und es machte mir 
ein Wollustgeföhl, an diesen steifen Kragen zu kratzen. Ich erinnere 
mich an einen kleinen Verwandten, damals einem hQbschen Jungen, der 
dn solches Ding am Hslse hatte; er sagte zu mir, es ad ihm zu eng 
und zeigte mir eine wunde Stelle am Halse, die ihm der Kragen ver» 
ursacht hatte, damals empfand ich eine heftige geschlechtliche Erregung. 
Seit jener Zeit war ich wie von einem hollisrhcn Zauber umstrickt, die 
Gedanken an steife, weisse Kragen gewannen immer mehr Raum, ins- 
besondere konnte mich der Anblick eines solchen Kragens an einem 
hübschen Madchen ganz rasend machen. Ich bdcam jedesmal heftiges 
Herzklopfen und geschlechtliche Erregung ; wenn der Kragen hoch war, 
ein ftirniHches Gefühl von Sehwind( l. Dazwischen kamen auch noch 
die Neigungen für Schuhe, Kncpfstiefel usw. In meinem 13. jähre hatte 
ich schon eine iiiiuuiig von dt in unseligen Drang, der mich erfasst hatte, 
obwohl mir der eigentliche Begriff „pervers" noch fremd war, so glaubte 
ich bereits, dass mein Zustand ein besonderer sei, ein unheilbarer, wie 
ich dies eigentlich auch jetzt noch glaube. Damals schon his ich einzelnes 
Ober Sclbsthefleckung usw. Ich sollte nun auch irgend einem Beruf 
mich widmen; einige Handwerksmeister verschiedener Professionen 
schflderten ihr Gewerbe aber selbst in ungünstigem Lichte, warnten 
ftyrmlich vor ihrem Handwerk, und so kam es, dass ich damals das Ge- 
schäft des Vaters lernen sollte. Trotz meiner Leidenschaft Ahr Stiefel 



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312 



Die Anomalien des Sexualtriebes. 



verspürte ich hierzu keine rechte Lust, das Sitzen wollte mir nicht be- 
hagen, auch hatte ich ein Gefühl, dass ich hier ewigen Anfechtungen 
ausgesetzt sei, es wäre besser für mich, etwas anderes zu ergreifen. 
Um keinen Preis aber hätte ich mich entdecken mögen. So kam es 
also, dass ich zu 1 lause blieb und mich der Schuhmacherei widmete. LJber 
ein Jahr verging so, ich wurde geschlechtlich reifer, bei meinen Selbst- 
befriedigungen erfolgten bald Samenabgänge, was ich aber nicht weiter 
beachtete. Nach einiger Zeit aber verspürte ich die Folgen der Onanie, 
besonders wenn ich dieselbe masslos getrieben hatte. Eine sdirecklirhe 
Angegriflcnhcit des ganzen Körpers, Kreuzschmerzen, Kopfweh zeigten 
sich nun. Diese Anzeichen steigerten sich in den folgenden Jahren, ich 
werde daher dieses im besonderen schild»*rn. Immer aber wieder kamen 
die schrecklichen wollüstigen Vorstellungen." Es folgt hier die Schilde- 
rung der Leidenschaft für eine hübsche Köchin, von der nur erwähnt 
werden mag, dass der Patient deren Schuhe kOsste, in die er auch 
Wasser goss, um dasselbe auszutrinken. 

„So vergingen Jahre, bald mehr bald weniger meinem unseligen 
Drange folgend. Ich wechselte meinen Beruf in jener Zeit, denn ich 
sah nur zu deutlich, dass ich es auf diesem Felde zu nichts bringen 
würde. Das Sitzen war mir eine Qual, auch peinigten mich wieder jene 
schon erwähnten Erektionen dazu, so kam es, dass ich in ein Handlungs- 
haus eintrat, wo ich harte Tage, lange Arbeitszeit hatte, in späterer Zeit 
fand ich wieder andere Stellung. In meinem 20. Jahre endlich g«'Iang 
es mir in einem grossen Geschäft, in dem viele Angestellte beiderlei 
Geschlechts beschäftigt waren, eine ganz nette Stellung, wenn auch nicht 
besonders gut bezahlt, zu erlangen. Zu jener Zeit raffte ich mich oft 
auf, um meiner Leidenschaften Herr zu werden, und es gelang mir dies 
auch zeitweise ; leider aber kamen immer wieder die Rückfälle. Ich 
möchte hier noch benierken, dass ich schon von jeher ein grosser Lese- 
freund gewesen bin — nicht von gewöhnlichem Schund. In dieser letzt- 
erwähnten Stellung, in der ich vor Allem mich einer grossen freien Zeit 
erfreuen konnte, erweiterte ich mein Wissen durch ganz begeistertes 
Li-sen populär wissenschaftlicher Werke, die ich mit grosser Aufmerk- 
samkeit durchnahm. Ich entsagte dem Laster, um morgens Lust zum 
Aufstehen zu haben, und fand bald den schönen Wert und Genuss her- 
aus, den wirkliche Bildung gibt. Ich muss hier noch eines Herrn ge- 
denken, mit dem ich im Geschäfte bekannt wurde, er war, wie ich bald 
herausfand, Urning und stand mit einem anderen jungen Manne in dies- 
bezüglichem Briefwechsel. Von diesem jungen Manne nun er[ii«.lt ich 
eines Tages auf kurzi- Zeit das bekannte Werk Dr. K r af f t - K b i n g * s 
zum Lesen. Dies Buch traf mich wie ein Donnerschlag. Mit Entsetzen, 
starkem Herzklopfen und Aufregung ersah ich, dass ich mit meinen 
Gefühlen nicht allein war, wie ich immer glaubte — eine fremde Well 
voll Schauder, der also auch ich angehören sollte, tat sich vor mir auf. 
Auch das Werk Dr. M o 11 ' s kam damals in meine Hände, im 22. Jahre. 
Ich möchte hier noch erwähnen, dass ich auch in jener Z«-it mit einem 
Bekannten zu « iner Prostituierten ging, der Erfolg war der bekannte. 
Uber eine anfängliche Erektion brachte ich es nicht hinaus; ich ging mit 



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Die Anomalien des Sexiultriebes. 



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der halben Überzeugung, impotent zu sein, und ähnlich den Personen in 
Krafft-Ebing's Werke verspüne ich keine Lust mehr, zu einer Öffent- 
lichen Dirne zu gehen. 

Ich möchte hier auch noch die Anfechtungen erwähnen, die mir 
die weiblichen Angestellten durch Kleidung, Schuhwerk erregten. Zu 
jener Zeit war srhon längst in mir der Wunsch rege geworden, auch 

« in Mädchen zu hnlien, nach Herzenshist kO??en und alle die perversen 
Triebe einmal befriedigen zu können. Das I lOchüte wäre mir gewesen, 
einem weiblichen Wesen die Scliuhe auszuziehen, um, w'ie ich mich im 
Geiste ausdrflckte, den wannen Lebenshauch spüren zu können. Schreck- 
lich Utt ich zu damaliger Zeit an dem Anblick der vielen steifen weissen 
Kragen, die die Fi ilulcin, besonders gewisse, oft trugen. Masslose Onanie 
war oft die Folge. So verging die Zeit. Ich kam wieder in andere 
Stellung, verbesserte mich in Bezug auf Einnahmen usw. Von den 
Mitteln, die ich damals crgrifT, meiner schrecklichen Triebe Herr zu 
zu werden, mochte ich audi die weiten l^aziergflnge nennen, die ich 
damals unternahm, um nur recht mtide zu werden. Die Freude an den 
Schönheiten der Natur ist es Itauptsächlich auch heute, die mir mein 
Los erträglicher macht. 

Es kommt nun eine neue Periodr; es gelang mir, eine erste Be- 
kanntschaft anzuknüplen im 25. Jahr ' Das Mädchen meiner Wahl hatte 
einfache regelmässige ZQge, ebenmässige Figur und selbstverständlich 
ht^bsche Füsse. Ich glaubte damals, für meine gewissen Wünsche nun 
endlich Befriedigung gefundr n zu haben, dodt sah ich bald, dass ich 
mich eret.luscht hatte. Die Ijctreflendr war von sehr nornialtMU Tem- 
perament, harmlos, ziemlich religiös gesinnt, sie glaubte ohne weiteres, 
dass einer Bekanntschaft mit einem ihr anständig erscheinenden jungen 
Mann sicher eine Heirat folgen wQrde. Noch erinnere Ich mich ihres 
verwunderten Blickes, ab ich sie bei nächster Gelegenheit bat, ihr doch 
die Knopfstif fei ausziehen zu dürfen. Sie liess mich gewahren, ohne 
irgendwie weiter Anteil zu nehmen oder zu fragen. Die lang unbefriedigte 
Glut meiner Wflnsche war indes gestillt, ich konnte mich wenigstens 
satt kOssen, und ich tat dies auch, buchstäblich gesprochen, ich konnte 
das Mfldchen minutenlang kOssen; sie liess mich immer willenlos ge> 
wJihren. Ahlehnrnder aber zeigte «ie sir h selmn meinem zweiten haupt- 
säciilichen Wunsche, einen steilen weissen Kragen recht hoch zu tragen; 
sie machte kein Hehl daraus, dass ihr dies unsinnig vorkomme, doch 
gelang meinen Bitten und Drängen auch hier die Erfüllung meines 
Triebes. Sie selbst blieb aber kalt, ähnlich den Urningfreunden, die 
keinen Sinn Stkr die Gefühle ihrer Verehrer haben." ..*.... 

Es folgt hier weitere Schilderung des sexuellen, z. T. perversen 
Verkehrs zu dem fraglichen Mädchen, auf die nicht n;lher eingegangen 
werden kann. P. bemerkt hierbei auch, dass er damals Masturbation 
ohne Heibeifhhrung der Ejakulaten trieb und hiervon dieselben nach< 
teiligen Folgen, wie von dem vollständig durchgef&hrten masturbatorischen 
Akte, wahrnahm. Das Verhältnis zu dem bctit flVnden Madchen wurde 
nach mehrmonatltcber Dauer gelöst, und einige Zeit später knQpfte 



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Die Anomaliot dei Sexualtiiebe«. 



Patient eine neue Liaison an. Es heis<?t dann weiter in dem Heriehte. 
„Mein Erstes war, ihr meine Komplimente Ober ihre kleinen Küsse zu 
inachenf und ich konnte beobaditen, dass sie hierftlr Sinn zeigte. Bei 
einem Spaziergang mhrte ich sie ebenfalb an einen geeigneten Platx, 

bat sie, ihr die S< Imlit- ausziehen und ihr den Fuss küssen zu dürfen. 
Mit reizender Verlegenheit, aber freundlicher üereitwilligkeit ging sie 
auf meinen Wunsch ein, mit raschem Blick hatte ich mich von Uirer 
Reinheit Oberzeug^ meine Lddenschaft stieg. Ich hatte damals oft das 
Gefbhly es sei mir eigentlich mehr um Befriedigung perverser Triebe 
als um Befriedigung des normalen Geschleihtstriebes zu tun. Wie 
intensiv mich der perti r^e Trieb beherrschte, müchte ich am besten in 
einer Detailschildcrung darlegen, bei anderen pervers veranlagten Per* 
sonen werden wohl fttmlidie Verhältnisse vorliegen. Wenn Ich x. B. 
eine (am besten schwarz gekleidete) Dame sah, die einen hohen, engen, 
\vei<;sen Kragen trug, so ginj^ ich ihr oft so lange nach, bis sie mit der 
Hand eine Bcwep^ung an dem Kragen machte, oder beim Umsehen oder 
Seitwärti>selien eine gewisse KopHialtung machtCi als ob der hohe Kragen 

ihr ebe UnbequemlichlEeit verursache in diesem Mommte flkMte 

ich immer einen Schlag, einen Druck am Herzen, den ich am Besten 
mit einer Blutwelle vergleichen mOclue. Sobald aber di'^e obencrwJ^hnte 
Bewegung an Kopf oder Hand des weiblichen Wesens geschah, blieb 
immer ein gedankenerzeugender Moment dazwischen, in dem sich der 
BegriflT herausschalte; ,,Krflftig wirkt der Zauber, und so bist du ver> 
loren!" und gleich darauf fühlte ich prompt den Druck, die Blutwelle in 
der Brust. L'iui so ist es aiu h heute noch. 

kii kaufte dem Mädchen damals einen hohen Leinenkragen, ein 
paar Manschetten und freute mich wahnsinnig, einen genussreichen Abend 
zu haben. Sie zeigte auch hierftlr viel Sinn, ich konnte mich nidit satt 
sehen jenen Abend an ihr, buchstäblich gesprochen, sie musste mir un* 
zählige Male immer wiedi r den Kragen, den .«.i« ^ich auf mein glühendes 
Bitten recht eng gerichtet hatte, mit dem Fmger lockern, und als ich 
bemerkte, dass an ihrem Hals eine aufgescheuerte Stelle entstand, ver* 
Sporte ich die Sinneslust, wie sie ein Sadist vielleicht empfindet So oft 
sie die Hand an den Kragen legte, gingen mir die sinnlichen Wellen 
durch den K<^rper. .\hnliches kannte ich schildern, als sie rinst nnie 
Knopfsticfcl trug; als ich die neuen hübschen Stiefel sah, stand mir schon 
wieder der Genuss vor Augen, den mir das Ausziehen geben wOrde. 

Das Verhältnis blieb aber nicht immer so ungetrQbt und wurde 
ebenfalls nach kurzer Dauer gelost." 

Es folgte eine dritte Liaison, die'^mal mit einem Mfldchen, das sieh 
als geschwängert und von ihrem Liebhaber verlassen erwies. Es heisst 
dann weiter: ^Ich darf hier nicht vergessen, eine neue Liebhaberei zu 
erwähnen, die sich bei mir schon seit geraumer Zeit gebildet iiatle: 
die Liebhab. i rl für enge Ärmel. Dein Mädchen mm wusste ich hierfür 
Interesse emzullössen. Sie war von etwas vmH, i Fignr, und es machte 
mir üenuss, ihr unter den Arm zu greifen und den Si hweiss spüren zu 
können, wenn sie eine anschliessende Taille getragen hatte. Ich ver- 
stand es jetzt vortreßltch, das Madchen mir abzurichten. Grosse Bered- 



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Die Anomalien des Sexualtriebes. 



315 



samkeit, listige Komplimente, immerwährende Schmddidei über ihre 
körperlichen Vorzöge wandte ich an, um sie fOr meine perversen Lieb- 
habereien empfänglich zu machen, und ich kann sagen, es gelang mir 
auch. Im Laufe der Monate entstand ein fdimlicher Briefwechsel in 
dieser Hinsicht zwischen uns; ich schrieb ihr die phantasiereichsten 
Schildeningen, und sie antwortete entsprechend. Diese Briefe habe ich 
verbrannt, um dem Reiz zu entgt-hcn, den sie doch immer gehabt hAtten. 
Der Inhalt ist mir aber dot h noch im Gedächtnisse." 

Auch die weitere Schilderung des sexuellen Verkehrs mit diesem 
Mädchen muss nhcrj^angm werden. „Seit jrner 2< it li ute ich kein Ver- 
hältnis mehr, es kamen wieder Rückfalle trotz Bemühungen, dem unsitt- 
lichen Sumpf zu entrinnen. Oft habe ich mich liestrebt, dem hflUiscben 
Zauber zu entkommen und mir vorgestellt, wie es denn nur möglich 
sei, dass ein wris^t r Leinwandstrcifi n von einem gewöhnlichen Gesicht 
{getragen, mir dieselbe als anzicliendsti s Wesen erscheinen lasse, während 

ohne denselben sie mir absolut gleichgültig wäre lunsonst — — 

bei nftchster Gelegenheit (Ülilte ich wieder die Kraft, die reizt und wirkt, 
und ich konnte mich ihr nicht erwehren. 

Aus der zweiten Mitteilung. . . . „Die verschiedenen Schriften, die 
ich Ober diesen Gegenstand las, um über meinen eigenen Zustand klarer 

zu werden, braclitcn mir nicht die KiklSrung, die ich eigentlich erwartet 
hatte." . . . „Eine Bemerkung, die ich in einem bezüglichen Werke 
fand, möchte ich vor allem hier erwähnen und ausnehmen, in der ge- 
sagt wird, dass «Ue Mode mit ihrem Weclisel die Perversität fördere. 
Mit dieser Bemerkung, in der ich gewissermassen mit Trauer und Be- 
friedigung meine eigenen Gedanken wieder fand, ist wohl sicher das 
Richtige getrotfen .Ich hatte in meinem Geschäfte einmal ein Ge- 
spräch mit einem jungen Mann, der sicii mir gegenüber als Stiefelfetischist 
zu erkennen gab. Er sprach sich ganz ungeniert aber ihm als hOchst 
rdzvoU erschdnende Änderungen in der Schuhmode aus. Wie ungemein 
stark das moderne Damenschuhwerk auf die Sinnesreize wirkt, ist ja 
sicher schon beschrieben worden; die ungeheuere Verbreitung und 
Wirkung dieses Reizmittels kann aber kaum genug wirkhch geahnt 
werden.* . . . »Wie stark das rein Perverse bei mir zum Aus<fruck 
kommt, geht daraus hervor, dass sogar eine weibliche Person in vor« 
gerQckten Jahren, sofern sie nur eine regelmässige Figur noch zeigt und 
vor allem den bewussten Halsschmuck zeigt, mich vollständig aufregen 
kann." . . . „Über eine andere Gelühlserscheinung möchte ich noch be- 
richten; nämlich, dass eine weibliche Person, die einen Zwicker trägt, 
mir auf jeden Fall nur wenig oder kein Interesse einflössen kann, wenn 
sie auch die betreffenden Attribute am Leib hat. Sonderbar ist es mir 
auch bclion erschienen, dass mich sogar im Traum diese schreckliclicn 
Bilder verfolgen, niclit nur einmal, öfters, tmd merkwürdigerweise immer 
dieselbe Handlung. Ich muss hier vorausschicken, dann ich alljährlich 
mindestens an« oder zweimal eine gewisse Landschaft aufeuche; einen 
mir absolut ideal erscheinenden Platz, der mir als eine Zuflucht vor 
allen unreinen Dingen erscheint — — von dieser stillen Gegend nun 



316 



Die Anomalien des SexutUnebes. 



bringt mir der '1 räum ein Bild vor die Sf f lc, dass hier i>luizli« fi ein 
Gebäude steht, und wenn ich erstaunt unwillig um die Kckt- des Hauses 
gehe, so begegnet mir plötzlich eine ältere Frau, die zu Boden siebt, 
gefolgt von drei hflbschen Madchen, die «s meiner Bestflracung das zeigen, 
dem zu entfliehen ich gekommen war. 

Es gibt Zr'acn, wo ich glaube, der ganzen Sache gegenüber ge- 
klärter zu ptehen, dann wieder kommen Momente von tiefsinniger ent- 
setzlicher Traurigkeit. In formlichen Schrecken und sinnliche Aufregung 
Icana mich auch etwas Gedruclctes bringen, das meine Leidenschaft be* 

rOhrt Ich möchte nun zu dem tlbergehen, was mir als das Wichtigste 

und Bedeutendste erscheint, nämlich zu dem Gcrnlil des doppelten Ich, 
da«? mir bei besonderem Auftreten der pervers; ii Gefühle zum Ausdrui k 
kommt. Wie schon berichtet, bemühe ich mich ja fortwährend, die per- 
versen Gefühle und die damit verbundenen Laster zu unterdrücken, teil* 
weise gelingt es, aber immer Icommen die Zeiten der RackOlle; es ist 
wie mit einer auf* und absteigenden Periode. Cs gibt Zeiten, wo die 
perversen Neigungen starker als sonst nuftrelen, der Körper befindet 
sich wie in emeni firbrrhatt « iitzüiidlichcii Zustand, d.is DruckgefOhl, 
unter einer Lcidenschait zu stehen, die von Nornmlcn nur nm äusscrstera 
Spott bedacht wird, die Meinung, dass audi der beste Arzt hinterher 
scldiesslich auch nur ähnlich denkt, wirkt lähmend auf Alles. Und wenn 
dann wieder ein b< ;-onder5 reizvoll erscheinendes weibliches Wesen mir 
über den Weg kommt, dann tritt der }i<Turchtete Augenblick wieder ein, 
wo ich sehe, wie schrecklich tief das übel Wurzel gefasst hat. Manche 
Schilderung konnte ich hieraber geben, es kann aber eine für viele gelten. 
Ich sah mich einmal zwei Madchen gegenOber» von denen die eine den 
bewussten Halsschmuck zeigte, inächtigsetztesolbit die schon l» srliri« h«„ ne 
Blutwelle, der S< hing am Herzen ein. Und nun entstand ein sc» lisi lic 
Kampf, der Streit zwischen Vernunft und Sinnlichkeit, der, oft gelührt, 
mir nur zeigte, dass es vergebens sei, gegen eine Leidenschaft sich zu 
stemmen, die Ibrmlich unabhängig von alten Gedanken und alier klaren 
Vernunft, wie in einer besonderen Kammer von Herz und Hirn verborgen 
liege und, wenn geweckt, als «brnnftchtig allc^ Andere zurückdränge. 
Das Mädchen machte die bcwu^.ste Kopfbewegung — — — , wie es nm Ii 
durchfieberte; ein förmliches Schwindclgcfühl überkam mich, wie nach 
einem starken Laufe musste ich lief atmen, fortwährend sparte ich, wie 
heftig in mir das Herz klopfte; und nun war es mir, wie wenn zwei 
unabhängig voneinander lauf« nd< Gedankenstreifen sich ablösten: auf 
der einen Seite die Vernunft, die mir sagte: „Ruhe, es ist ja nichts — — 
das eben ist die Sünde, du aber herreche über sie!" Mit einer wirk- 
lich gewissen Gedankenruhe und Beobachtungsgabe konnte ich mich 
wundern und nachdenken, beobachten förmlich, dass die Erregung so 
heftig einsetze, sobald die Kopn:>cwt^gung von Seiten des Mädchens kam. 
Sofort setzte die Welle am Herzen ein, unabhängig vom G^-fOhl der 
sich lusreisbendcn befreienden Vernunft, wie festgebannt, überwältigt 
mich der Zauber und unterlegen kommt der Gedanke zum Ausdiuck: 
„Was soll man da tun, wenn uns so die Versuchung gleich einem Ge» 
waj^neten überfällt!*' In diesem Moment ist es mir nicht anders, als 



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Die ADomalien des SexuiiltriebeB. 



317 



wenn der Sitz der Sinnliclikeit nirhr im Herzen alle OucUcn und Reize 
hätte wie im Hirn. Ich kann es nicht lebhaft genug schildern, diese 
förmliche Trennung aller Gedanken, so wahrhaft vdlkommen kommt 
alles zum Ausdruck; die gewissermasaen vollständige Beobachtung des 
sinnlich angelegten Teiles meiner Person trägt nur dazu bei, das Gefbhl 
von Bestürzung tmd Hilflosigkeit zu vermehren/' 

Der vorstehend mitgeteilte Fall ist in mehrfacher Hinsicht 
von besonderem Interesse. Er seigt uns das Auftreten ausge- 
sprochener sexueller Erregungszustände und fetischistischer Nei- 
gungen schon im Kindesalter, die Vervielfältigung, welche letztere 

im Laufe der Jahre ci langen können und den hierbei zutage 
tretenden Einfluss der Mode sowie die Kombination fetischistischer 
mit sadistischen Elementen. Hierher ist der Umstand zu rechnen, 
dass die sexuelle T.ust, welche dem Patienten der AnbHck imd 
das Betasten steifer Halskiagen bei weiblichen Personen ver- 
ursacht, durch die Wahrnehmung der Unannehmlichkeiten, welche 
diese Toilettestücke den Trägerinnen bereiten (Aufscheuern des 
Halses etc.), gesteigert wird. Über den Entstehungsmodus des 
Fetischismus gibt der Bericht des Patienten keine direkte Auf- 
klärung , aber es war wohl in dieser Hinsicht nicht ganz ohne 
Belang, dass Patient als Sohn eines Schuhmachers Gelegenheit 
hatte, viel mit weiblichem Schuhwerk sich zu beschäftigen. Dieser 
Umstand durfte in Verbindung mit der Präkozität der sexuellen 
Err^imgen zur Entwickeiung des Schuhfetischismus geffihrt 
haben. 

Den reinen Kleiderfetischisten stehen die Individuen nahe, 
welche nur mit Frauen in einer bestimmten Toilette geschlecht- 
lich zu verkehren imstande sind und deren Potenz bei Fehlen 
dieser BeklcidunL^, wi(- sehr auch die betrefifende weibliche Person 
ihrem Gcsclimacke entsprechen mag, völlig versagt. 

Sehr bcmcikenswert ist ferner . dass wenigstens bei einem 
Teile der Fetischisten die Befriedigung des perversen I ricbcs 
nicht durch einen sexuellen Akt (Masturbation oder Kohabita- 
tion), sondern durch eine für normale Individuen indifferente 
Handlung, Manipulationen an dem Fetischteile oder Gegenstande, 
erreicht wird, die dadurch zu einem Äquivalente des Scxual- 
aktes sich erhebt. 



818 



Die Anomalien des Sexualtriebes. 



Der Fetischismus ist , wenn auch die Vertreter desselben 
in der Regel neuro- oder psychopathisch belastete Individuen 
sind, doch immer eine erworbene Anomalie, bei deren Entstehen 
das zufailit!;c Zusammentreffen gewisser Sinneseindrücke mit 
sexueller Erregung im Spiele ist • Man hat daher den Fetischis- 
mus einfach auf eine Zwangsassoziation zurückführen zu können 
geglaubt. Diese Annahme lässt jedoch die Einschränkung des 
sexuellen Interesses auf ein bestimmtes, bei normalen Individuen 
nicht sinnlich wirkendes Objekt unerklärt. Neben der durch einen 
Zufall bedingten Verknüpfung von bestimmten Sinneseindrücken 
mit Mxuellen Lustgefühlen müssen beim Fetischisten Umstände 
wirksam sein, durch welche das dem Geschlechtssinnc dienende 
kortikale Gebiet für die normalen Err^pungsquellen (Vorstellungs« 
reise) unzugänglich gemacht wird. Hierüber fehlt es noch an 
Aufklärung. 

Die fetischistische Perversion hat für ihre Träger eine 
negative und eine positive Seite. Es ist begreiflich, dass der 
Fetischist sich das Vergnügen, das ihm das Manipulieren mit 
seinem Fetisch gev^rt, öfters zu verschaffen trachtet und dass 
dies nicht immer auf einwandfreiem W^e gelingt. Bei grosser 
Stärke des perversen Triebes kommt es daher nicht sdten und 
zwar auch bei sonst unbescholtenen Individuen zu kriminellen 
Handlungen. Die Haarfetischisten werden, wie wir sdion er« 
wähnten, Zopfabschneider und die Kleiderfetischisten setzen sich 
oft durch Diebstahl in den Besitz der für sie attraktiven Objekte. 
Manche Diebsspeztalitäten, so insbesondcrs die Diebe von Frauen- 
schürzen und Taschentüchern, gehören der Kategorie der Feti- 
schisten an, und es sind Falle bekannt, in welchen selbst wieder- 
holte Bestrafung den perversen Drang nicht zu unterdrücken 
vermochte. Die negative Seite des Fetischismus ist dadurch 
gegeben, dass derselbe das damit behaftete Individuum unfähig 
zu normalem gcschlechtiichcm Verkehr mit weiblichen Personen 



^) Freud erwähnt, dass io einem Teile der Fälle von Fetiscbisinus eise 
d«ii Betroffenen meist nicht bewusst« symboliMbe CtdaalcenverbiwIniiK den Ernte 
de« oomialen Sesaatobjektefl durch den Fetisch herbeigeführt bat; dodi «cheint 
u dem Autor diese Symbolik nicht immer unabhängig von sexuellen Erlebninen 
der Kinderzeit. Ich glaube, da»» solche Erlebnisse hiebei immer dne Rolle spielein. 



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Die Anomalien des SeKoalUiebe». 



319 



macht oder wenigstens die Befriedigung bei demselben ver- 
hindert, sofern der Fetischist nicht imstande ist, mit Hilfe seiner 
Phantasie an Stelle des vorhandenoi Weibes den Fetisch als 
sexuell erregendes Medium zu setzen. 

Man hat dem Gebiete des Fetischismus auch noch manche 
oben nicht erwähnte Anomalie im sexuellen Triebleben einver- 
leibt. So unterscheidet v. Krafft-Ebing neben dem Körperteil- 
und Kleidungsstfickfetischismus noch einen Stoff> und einen 
Tierfetiscimmus. Bei den betreffenden Individuen werden durch 
das Berühren von gewissen Stoffen, Seide, Samt, Pelz oder 
durch das Streidieln von Tieren (Hund, Katse) sexuelle Er- 
regungszustände hervorgerufen. Da es sich hierbei, wie auch 
V. Krafft-Ebing annimmt, um eine e^enartige Wirkung von 
Tasteindrficken handelt, Schemen mir diese Fälle mehr in das 
Gebiet der sexuellen Idiosynkrasien als der sexuellen Perver- 
sionen zu gehören. Einen den erwähnten nahestehenden Fall 
habe ich vor Jahren beobachtet. 

Bei einem 22 jährigen Studenten bestand seit mehreren 
Jahren die Eigentümlichkeit, dass die Berührung der Kopfhaare 
mit kaltem Wasser Erektionen hervorrief, und bei ausgedehnter 
oder fortgesetzter Durchnässung der Haare es soj^ar zu Ejakula- 
tionen kam. Der junge Mann musste deshalb darauf verzichten, 
sich den Kopf mit kaltem Wasser zu waschen, und beim Baden 
das Untertauchen vermeiden. 

n. Andere substitutive Formen heterosexueller 
Perversion. Exhibitionismus. 

1-2 Ulenburg hat unter dem Titel „geschlechtlicher oder 
erotischer Symbolismus" mit dem Fetischismus eine Reihe anderer 
sexueller Perversionen zu einer Gruppe vereinigt, „die das ge- 
meinschaftlich hat , dass an Stelle des eigentlichen adäquaten 
Sexualreizes, als Aciuivalentc dafür, eigentümliche, scheinbar 
paradoxe, aber doch bestimmten sexualen Ideenassoziationen 
entspringende oder wenigstens irgendwie damit zusammen- 
hängende Reizvorstellungen treten." 

Da in den hier in Betracht kommendai Fällen jedoch nur 
die normalen und adäquaten Sexuakeize konstant durch abnorme 



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Die Anomalien des Sexualtriebes. 



Reize ersetzt werden, die Befriediijiin^ dagegen zum Teil durch 
sexuelle Akte (Masturbation etc.), und nur zum Teil durch 
einen aiiuivalentcn ideellen (s\ nibolischen i Vorgan»,' erreicht wird, 
scheint es mir zweckmässiger, von ,, substitutiven Formen" hetero- 
sexueller Perversion zu sprechen, nachdem bei denselben durch- 
wegs die Beziehung zum weiblichen Gcschlechte gewahrt ist. 
Hierher gehören die Frotteurs, die sexuelle Befriedigung dadurch 
suchen, dass sie sich an Frauen im Gedränge reiben, ferner die 
Pygmalionisten, welche dureh weibliche Statuen oder lebend^e 
imiUition derselben (lebende Bilder) sexuell, resp. erotisch erregt 
werden und sich entweder durch Masturbation befriedigen oder 
sich mit dem Betrachten begnügen, auch die Voyeurs, deren 
Begierden sich auf die ZuschauerroUe bei den sexuellen Ver- 
gnügungen Anderer (Kohabitation oder Masturbation) beschränken. 
Von den widerlicheren Nuancen letzterer Kategorie wollen wir 
hier absehen. Auch der sogenannte Exhibitionismus wurde dem 
sexuellen Symbolismus zugeteilt. Bei demselben handelt es sich 
um die Vornahme unzQchtiger Akte (Entblössung der Genitalien, 
Masturbation etc.) durch Männer in Gegenwart fremder weib- 
licher Personen, jedoch ohne weitere aggressive Absichten. Die 
Kasuistik lehrt jedoch, dass bei den Exhibitionisten ganz ver- 
schiedenartige pathok>gische Zustande vorliegen. I^e meisten 
der betreffenden Individuen sind sexuell impotente Geistesschwache 
(an Dementia senilis, paralytica, Alkoholtsmus etc. Leidende), die 
durch eine mächtige Libido zu dem läppischen Gebahren ver- 
anlasst werden. In anderen Fällen liegt dem exhibitionistischen 
Akte Epilepsie zugrunde (psychisch- epileptisches Äquivalente. 
Auch /w.iMi;^- und Däinmer/u^tändc bei Neurasthenischen und 
Degenerierten können zu exhil)ition!Rtischen Akten führen, und 
wohl nur ganz El iten dm fte, wie in dorn v. Ho che niit^'eteiltcn 
Falle, eine ]is\ chopathi^che Grundlage für die exhibitionistischen 
Neigungen nicht nachweisbar sein. 

C. Algolagnie. 

Sadismus und Masochismus. 
Unter drn Anomalien des Sexualtriebes haben in neuerer 
Zeit die als Sadismus und Masochismus bezeichneten ganz be- 



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l)ie Anomatiett des Sexnahriebes. 



321 



sonderes und weit fiber die medizinischen Kreise hinausgehen- 
des Interesse erregt. Beide Anomalien lassen sich auf den- 
selben Grundzug, die Verknüpfung von Grausamkeit mit Wol- 
lust, genauer gesagt, die Vciknüptung von psychischem oder 
physischem Schmerz mit sexuellen Lustgefühlen und sexuellen 
Erregungen zurückfuhren. Beim Sadismus handelt es sich um 
einem anderen Individuum zugefügten, beim .Ma'-ochismus um 
selbst erduldeten Schmerz. Die Bezeichnungen Sadismus und 
Masochismus sind von den Namen zweier Schriftsteller, Marquis 
de Sade und v. Sacher-Masoch, abgeleitet, welche beide in 
doppelter Ikziehui^ zu der nach ihnen benannten Perverston 
standen. Beide waren nicht nur in eigener Person hervorragende 
Repilteentanten der betreffenden Perversion, sie schilderten und 
verlierrltcfaten dieselbe auch in einer Reihe von dichterischen 
Werken und lieferten so den Beweis, wie sdir krankhafte Zu- 
stände im Bereiche des Sexuallebens auch das Denken und 
damit die literarische Tätigkeit geistig hochstehender Männer 
beeinflussen können. 

Der Ausdruck Sadismus wurde schon frOher von französischen 
Autoren, jedoch in schwankendem und weitergehendem Sinne ge- 
braucht, so dass darunter sehr verschiedene psychosexuelle 
Anomalien zu verstehen waren. Die in der neueren und insi)eson- 
ders der deutschen Literatur üblich gewordene Beschränkung der 
Bezeichnung auf die sexuelle Perversion, welche durch die Ver- 
bindung von zugefügtem Schmerze und Wollust charakterisiert 
ist, rührt von v. Krafft-Ebins^ her; hiermit ist der Sadismus zu 
einer scharf umgrenzten psychosexuellen Anomalie geworden, 
die sich den übrigen Anomalien auf diesem Gebiete, wenn auch 
gerade nicht an Häufigkeit, so doch an wissenschaftlichem 
Interesse anreiht. 

Viele dem Gebiete des Sadismus angehdrige Tatsachen 
sind schon lange bekannt und haben auch oft genug die Gerichte 
in älterer wie neuerer Zeit beschäftigt. 

Die Kenntnis der dem Masochismus angehörigen Erschei- 
nungen ist dagegen eine Errungenschaft neuerer Zeit und in 
erster Linie v. Krafft -Ebing zu verdanken, welcher Autor 
auch die Bezeichnung Masochismus in die Literatur einführte. 

L4iir*iif«l4l. Sewell-HcrvSt« St0twi(CB. Vlarte Aullstia. 21 



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322 



Die ABOBnlkn des SomallridMi. 



Das Stadium des früher ganz und gar unbeachtet gebliebenen 
Masochismus musste auch die Aufmerksamkeit in erbdMem Masse 
auf sein G^enstüdc, den Sadismus, lenken, und infolge dieses 
Umstandes haben sich auch unsere Kenntnisse in Betreff dieser 
letzteren Perversion beträchtlich erweitert. Einen deutlichen 
Beweb hierfür liefern u. A. die geistvolle Abhandlung Eulen- 
burg' s (Grenzfragen des Nerven- und Seelenlebens Nr. XIX) 
und das Kapitel „Erotik und Schmerx" in dem Havelock- 
Ellis 'sehen Werke „Das Geschlechtsgefühl", deutsch von 
Kuiclla, 1903. 

Nach der ursprünglichen Autiasäung v. Krafft-Ebing's sollten 
der Sadismus und Masochismus sich auf den Mann beschränken. Der 
Sadismus sollte dadurch charakterisiert sein, dass Grausamkeitsakte an 
Weiblichen Personal nicht bloss zum Zweck«? sexueller Stimulation, sondern 
auch als Selbstzweck zur Befriedigung eines krankhaften Triebes verübt 
werden. Das Wesen des Masochismus sollte darin liegen, dass der 
Mann auf Grund sexueller i:.mphndungen und Dränge sich vom Weibe 
erniedrigen und misshandehi Iflsst und in der Rolle des Unterworfenen 
seine Befriedigung findet, v. K r a f f t - E b i n g ist jedoch das Vorkommen 
sadistischer nnd masochistischer Neigungen bei Frauen später nicht ent- 
gangen; er hat hierhergehörige Fälle in den neueren Auflagen seiner 
Fsychopathia sexualis mitgeteilt und dementsprechend auch seine früheren 
Definitionen geflndert. 

V. Schrenk*Notzing hat fbr die durch die Verbindimg von 
Woltttst und Grausamkeit chsrakterisieiten sexuellen Penrersionen die 
gemeinschaftliche Bezeichnung „Algolagnie" (von aXpc und Xcrpioc) und die 
Unterscheidung einer aktiven und einer passiven Algolagnie vorge- 
schlagen; erstere entspricht dem Sadismus, letztere dem Masochismus. 

Eulenburg halt die Bezeichnung y^^agnlnomanie" f&r Sadismus 
und „MachiSnomanie" für Masochismus fttr zutrefTeDder. 

Die iimere Verwandtschaft, welche beide Perversionen trotz ihrer 
scheinbaren Gegensätzlichkeit besitzen, macht es verständlich, dass Sadis- 
mus und Masochismus auch nebeneinander bei demselben Individuum 
bestehen können. Das Weib z. B., das einem Manne gegenQber sadi" 
stisch verfthrt, kami einem anderen gegenQber sich masocbistisch vei^ 
halten. Bemerkenswert ist ferner, dass die sadistischen Neigungen sich 
nicht lediglich Personen des anderen Geschlechtes gegenüber 3ussem; 
bei Männern sowohl als bei Frauen kommt es vor, dass sie an Personen 
des eigenen Geschlechtes ihre sadistisciie Perversiun betätigen; bei 
Frauen sdidnt «lies sogar das Vorwaltende zu sein. 

I. Sadismus. 
Das Wesentliche dieser Perversion ist dadurch gegeben, 
dass bei den mit derselben behafteten Individuen die Wahr- 



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Die AaoaMlin d«> Sexoiltitaib««. 



828 



nehmung oder auch nur die Vorstellung von Akten, durch welche 
einem anderen Menschen oder auch einem Tiere körperliche 
oder seelische Pein verursacht wird, sexuelle Lustgefühle und 
sexuelle Erregung hervorruft. Mit diesem abnormen Verhalten 
verknüpft sich sdir häufig, aber glücklicherweise nicht immer 
der Drang, durch anderen Individuen zugefügtes Leiden sich 
sexuelle Lust zu verschaffen, Meme eigene Erfahrung veranlasst 
mich, von vereinzelten Ausnahmen abgesehen, v. Krafft-Ebtng 
beizustimmen, wenn er den Sadismus als eine angeborene, auf 
degenerativer Grundlage basierende psychosexiialc Anomalie be- 
trachtet. Es ist notwcndiL;, dies hervorzuheben, weil man manchen 
von Sadisten veiül)ten Scheiisslichkeiten gegenüber geneigt sein 
mag, neben dem Vei hi echerischen und Unnatürlichen das Krank- 
liaftc in der Hctat guni^f ihres Sexuaknebes ganz zu übersehen. 
In einer Anzahl von Fällen meiner eigenen Beobachtun;^ machten 
sich schon bei Kindern und zwar wohlerzogenen und ethisch in 
keiner Weise defekten sadistische Erscheinungen bemerklich. 

Beotmchtung 84. 

Dr. X., Jurist, 26 Jahre alt, stammt aus einer neuropathiflcfaen 
Familir. Sein Vater, der an . iiii m Drüsenleiden starb, war nervf^s; seine 
nuch lebende Mutter hat niancherlei nervöse Zustande ; auch seine zwei 
Geschwister sind nervös. 

Der Patient hat als Kind im Alter von 6—8 Jahren Masern und 
Pneumonie durchgemacht und war später bis zur Pubertätszeit körper- 
lieh gesund, diich zeigten sich bei ihm schon in diesen Jafiren vi rsrhiedcne 
psychische Anomalieu: Neigung zu Verstiianiungs- und Angstzuständen, 
Furcht vor dem Tode, auch Zwangsvorstellungen und Zwangshandlungen, 
insbesonders ein peinlicher zwangsmassiger Ordnungssinn, Beidtten 
seiner Mutter gegenober jede Nacht, weil er glaubte, dass ihm sonst 
etwas passieren kAnntf, anrh andere Zwangshandlungen, durch welche 
verhütet werden sollte, dass ihm etwas Schlimmes with i talire. Patient 
glaubt, dass die Zwangsvorstellungen (Zwangshandlungen) nach einem 
schrecklichen Traume bei ihm auftraten. Femer machte sidi bei ihm 
schon sehr früh eine die Vita sexualis betreffende Anomalie geltend. Er 
sah als Knabe einmal zufällig in der Nähe einer Ei«<'nbahnstation junge 
Tiere schlachten. Der ihm ganz und gar ungewohnte, an sich peinliche 
Anblick rief bei ihm eine gewisse wollüstige gcschlechtlidie Lrr» gung her- 
vor. In der Folge stellten sich bei ihm beim Anblick junger Tiere, weiche 
geresselt zum Schlachten transportiert wurden, Erektionen ein. Auch 
entwickelte sich eine gewisse Zwani^sneii^iini;, solche gefesselte Tiere 
aufzusuchen und zu streicheln ; die geschleciitliche Erregung wurde hier- 
bei allmählich lebhafter. Zu gleicher Zeit kam es bei ihm aber auch bei 

21* 



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324 



Die AnomaUen des Seneltriebe«. 



Vorgangen, die ihn selbst betrafen und ihn mit Angst erfilllten (Angst- 

zustandcn* 711 FTv-ktiontn. Patient fasste erster«? Erscheinung zwar als 
etwas Abnorme^!, aber nicht als eigentliche Perversion, sondern lediglich 
als eine abnorme Äusserung des Mitleids auf. Mit 14 oder 15 Jahren 
wurde Patient von einer fieberhaften, mit einem Exanthem verbundenen 
Erkrankung befallen; er wurde in der Folge anämisch und von ver* 
ScirK'derR-n, früher niclit vorhandenen nervösen Beschwerden belästigt. 
Patient überanstrengte sich geistig schon während seiner Gymnasialzeit 
zeitweilig, noch mehr aber während der Univcrsiiätsjahre durch Studium. 
In seinem st. Lebensjahre Rlhlte er sich daher bereits sehr schwach und 
erschöpft (häufige Pollutionen); audl traten damals öfters heftige Magen* 
beschwerden (Magenkrampf 1 bei ihm auf, ^ve^^halh ihm eine Kur in 
Karlsbad verordnet wurde. Auch während dieser Kur studierte Patient 
ileissig, und bei der Rückkehr an sein Domizil bestand Darmatonie und 
machten sich noch längere Zeit Vordauungsbeschwerden geltend. Im 
folgenden Jahre trank Patient zu Hauae mehreremal 1- 2 Wochen lang 
Karlsbader Wasser und ;^war sehr warm. Dies bekam ihm sehr Obel; 
er konnte in der Folge kautn gehen, war ganz arbeitsunfähig und wurde 
ausserdem von SchwächeanlckUen und verschiedenen nervösen Magen- 
beschwerden heimgesucht. Patient gelntnichte wegen dieses Zustandes 
zuerst eine Massagekur mit Gymnastik, spiitet eine Art Mastkur, beides 
ohne wesentlichen Erfolg. Noch im gl« ielien Jalire besuchte Patient iNorder- 
ney; während des Aufenthaltes dortselbst fühlte sich Patient nicht wohler; 
im folgenden lierbste trat jedoch eine entschiedene Besserung bei ihm 
ein. Auch das sexuelle Verhalten des Patienten in diesen Universütflts» 
jähren bot manches Bemerkenswerte. Er verliebte sich zwar wiederholt 
in hdbschc Mfldchen, seine Neigung ging jedot h nie über eine gewisse 
platonisciie Schwärmerei hinaus; die sexuelle Seite der /\ngelegenheit 
machte sieh bei ihm gar nicht fühlbar. Wäln end der Zeit seines schlim- 
meren Befindens bestand keineriei Neigung zu geschlechtlichem oder 
Qberiiaupt irgendwelchem Verkehre mit weiblichen Personen. Patient 
betrachtet dieses Verhalten als einfache physische Folge seines Nerven- 
zustandes. Trotz seiner Abneigung wurde dem Patienten von einem 
Arzte sexueller Verkehr empfohlen. Ein V ersuch in dieser Richtung 
schlug jedoch fehl, da die Erekti<m ausUieb ; dagegen stellte sidi nach 
gewissen Traumen nachts enorme sexuelle Erregung ein. 

In der Folge machte sich periodisch abnorm heftige Libido geltend; 

der Kohabitationsversuch gelang dann auch. Pat. erwfthnt jedoch , dass 
hierbei die eigentliche Befriedigung fehlte; tlie Psyche war naeh seiner 
Ansicht bei diesem Akte nidit beteiligt; es handelte sich nur um eine 
physische Entlastung. 

Im 23. Lebensjahre strengte sich Pat. wiederum durch Studium 
sehr erheblich an, wodurch sein Befinden sich neuerdings veraddechterte. 
Er versuchte es deshalb mit dem Gebrauche von Moorbädern und Ge- 

birgsaufcnthalt, und es gelang ihm auch in der Folge, sein Schlussexamen 
zu lie^tehen. Sexueller Verkehr wurde während dieser Zeit bald mit, 
bald ohne Erfolg vcrsuci)t. Im folgenden Jahre wurde dem Pat. von 



Die Anomalien des Sexualtriebes. 



32» 



einem Arzte an seinem Domizile eine Seereise empfohlen, er unternahm 
auch eine solche im mittelllndiachen Meere, akquirierte jedoch wibrend 
eines Absteehers, den er nach Kairo unternahm, eine leichte Dysenterie, 

deren Behandlung 8 Tage erheischte. Mehrere kleine Seereisen, die er 
in der Folge unternahm, wirkten auf sein Befinden entschieden günstig, 
desgleichen ein Aufenthalt im Obercngadin. Pat trat bei der Rückkehr 
an sein DomizD in die Rechtspraxia. In beireff 6er Potenz änderte sich 
damals sdn Zustand nur wenig, dagegen kam es öfters vor, daas er im 
Gerichtssaale Erektionen bekam, wenn eine Person verurteilt wurde. 
Pat. trat spater wieder in ärztliche Behandlung, ohne jedoch die ge* 
wünschten Krfolge zu erzielen. 

Als derselbe in meine Beobaclitung kam, betrafen seine Klagen 
hauptsächlich: GeflUü andauernder MQdigkeit und Erschöpfung, Arbeits- 
unfähigkeit, nervös dyspeptische Beschwerden. In sexueller Hinsicht 
erwähnte Pat. seltenes Auftreten von Pollutionen trotz längeren Ver^ 
siebtes auf sexuellen Verkehr. 

Objektiv O. 

Ich sali den Pat noch einige Male in Zwischenräumen von einem 
Jahre. Sein Nervenxustand war trotz wiederholten längeren HochgebtrgS' 

aufenthaltcs und verschiedener anderer Kuren immer unbefriedigend, und 
unter den Klagen dfs Ptit. fij^nrierte auch immer Mim^' l an Interesse ftlr 
das weibliche Geschlecht, ein Umstand, der ihm den Verkehr io Damen- 
krdsen und damit auch die psychische Ablenkung von seinem Zustande 
ersdiwerte. 

Der hi«r mitgeteilte Fall ist sehr lehrreich, sofeme er die 
kongenitale Natur der sadistischen Anomalie in redit deutlicher 
Weise zeigt. Wir sehen, dass bei einem wohlerzogenen Knaben, 

bei dem keinerlei Hang zur Grausamkeit, überhaupt kein 

moralischer Defekt, sondern eher eine moralische Cberciiipfmd- 
lichkeit besteht, der Anblick einer Tierschlachiung sexuelle 
Erregung hervorruft und später ähnliche Wahrnehmungen (An- 
blick gefesselter Tiere) dieselbe Wirkung' äussern. Wir sehen 
zugleich, dass der hei dem Knaben sich entpuppende sadistische 
Keim keinerlei Wcitcrentwickelung erfährt und zu keiner sadi- 
stischen Handlung führt, auf der anderen Seite aber auch nicht 
völlig schwindet , da Äusserungen dcssell^en noch in späteren 
Jahren nicht mangeln. Bemerkenswert ist ferner der Umstand, 
dass auch der Angstaffekt bei dem Pat. zu sexueller Enegung 
führte, dass also hier die sadistische Anomalie mit ein^-r anderen 
verknüpft war, die man als dem Gebiete des Masochismus an- 
gehörig betrachten kann (Verursachung sexueller Erregung durch 
selbsterduldete p.sychische Pein). Wir können daher den Fall 



326 



Die Aoomalien des Sexualtriebes. 



als einen Beleg für die innere Verwandtschaft und Zusammen- 
gehörigkeit beider Perversionen betrachten. 

Ebenso deutlich wie der vorstehende Fall werden uns die 
beiden folgenden die kongenitale Natur des sadistischen Grund- 
zugs und dessen Unabhängigkeit von jedem moralischen Defekte 
dar tun. 

Beobachtung 85. 

Herr X.. 42 Jahre alt, dem Gelehrtenstande angctiürig, aus Russ* 
land, stammt von einem hochgradig neurasthenfechen Vater und einer 
gesunden Mutter. Auch ein Bruder des Pat. ist ncurasthenisch. Herr 

X. war schon als Kind sehr ncrvtSs und rt izbar und bis zum 15. Leben'?- 
jähre mit Knuresi> noct. behaftet. Er hatte das Fnfrlück , seine Mutter 
trul) ^u verlieren und eine Stiefmutter zu bekoninien, die ihn ^ehi schhnun 
behandelte» was nicht ohne nachteitigen Einfluss fttr seine Nerven blieb. 
Von frühester Jugend an machte sich bei Herrn X. eine äusserst lebhafte 
Phantasie brmcrklich, so dass er die (u bildc seiner Kit^jiklungskraft deut- 
lich vor Au^'cn sieiit. Infolge dieses üiUbtandes konnte er sich als Kind 
mit sinnlicher Deutlichkeit vorstellen, dass er von seinen Eltern gestraft 
werde oder selbst als Vater, wie dies in den Kinderspielen geschieht, 
ein anderes Kind bestrafe. Den Vorgang dachte er sidi in letzterem 
Falle als eine auf das entblösste Gesflss applizierte Züchtigung, welche 
ein Mädchen, und zwar ein braves Mädchen betraf, so dass es sich also 
um eine unverdiente Bestrafung hanclelt( . Mit diesen Phantasievorstel» 
lungen verknflpfte sich bei ihm anAinglich schon ein deutliches Ver> 
gnOgen, spater mit 9 oder 10 Jahren bereits auch £rektion. Bei der 
Bildung dieser Vorstellungen wirktr nffenbar die Erinnerung an manche 
unverdiente '/.ücht'igwng, welche Tat. tiuich seine Stiefmutter erlitten hatte, 
mit. Die erw abnti n Phantasien, denen sich Pat. bis in die jüngste Zf^it 
hingab, erregten, als Pat. älter wurde (während der letzten Gymnasial- 
jahre und der Universitfttszeit), sehr starice und andauernde Erektionen 
ohne Ejakulation, wodurch bei der häufigen Wiederkehr des Vorganges 
seine Nervi n sclir irritiert und erschöpft wurch n. T>< f^ünstigt wurde diese 
nachii ihge Wirkung jiocii durch den Umstand, das> Herr X. während 
der fraglichen Zeit in sehr ungünstigen äusseren Verhältnissensich befand; 
er mttsste wflhrend seiner Universitätsstudien, jnun Teil audi schon froher, 
seinen Unterhalt durch Instruktionen gewinnen und wurde infolge dflrf- 
tiger Ernährung bei geistiger Überanstrengung allmählich anämisch. 
Diese Verhältnisse führten (etwa vom 20. Lebensjahre an) zu Schlafmangel 
und Kopi besciiwerden, welche Störungen mehrere Jahre anhielten imd 
ihm die geistige Arbeit sehr erschwerten. Nach seinen Univerailäts» 
Studien widmete sich Herr X. einem wissenschaftlichen Berufe, in wd* 
chcm er infolge seiner hohen intellektuellen Begabung bedeutende Er* 
folge erzielte, (»egen Ende der 20er Jahre fand Herr X. Gelegenheit, 
mit einem Mädchen aus niederem Stande sexuellen Umgang zu pflegen; 
dieses Verhältnis währte jedoch nicht lange, imd Herr X. übte in der 



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Die Anomaliea des Sexualtriebes. 



327 



Folge bis zu seiner Verheiratung, jedoch nur selten, Masturbation, da 
ihm, nachdem er den geschlechtlichen V^kehr kennen gelernt hatte, die 
Hervomifung von Erektionen durch Pbantasievorslellungen nicht mehr 
genOgte. 

Vor neun Jahren verheiratete er sich, und seiner Ehe sind zwei bisher 
pesnnde Kinder entsprossen. Sein ehelifhi«»^ Leben gestaltete sich jedoch 
intüige erheblicher Charakterverschiedenheit der beiden Gatten allmählich 
recht ungünstig; die immer wiederkehrenden Dissidien veranlassten ihn, 
zu seben vorehelichen Gepflogenheiten zurOckzukehren, d. h. seine sexuelle 
Befiiedigung aufmasturfoatorisdiem Wege nach vorhergängiger Inanspruch- 
nahme seiner Phantasie zu suchen. Seit ungefähr i'/i Jahren hat er auf den 
ehelichen Verkehr gänzlich verzichtet und Oberhaupt von seiner Frau .sich 
möglichst fern gehalten. Diese Abstinenz blieb für Herrn X. nicht ohne un- 
günstige Folgen ; es hat sich bei iiun alhnAhlnh eine erheblkhe sexuelle 
Hyperttsthesie entwidcelt, so dass er bei relativ unbedeutenden Anreizen 
von Erektionen geplagt ist, auch ist er der Masturbation ganz und gar 
verfallen. Der Anstoss zu dieser geht immer von den erwähnten Phan- 
tasievorstellungen aus, die zum Teil von ihm willkürlich produziert 
«rerden, zum Teil aber auch unabhängig von seinem Willen bei belie- 
biger Besdiftftigung sidi einatdlen und immer andauernde Erektionen 
hervorrufen. In den Phantasievorstellungen ist in neuerer Zeit jedoch 
insofeme eine Änderung eingetreten, als in densf lhrn nicht m i r ledig- 
hch kleine Mädchen, sondern auch erwachsene weibliche Pei -oiKu als 
Strafobjekte iigurieren. Da diese Vorstellungen läglicli metuereinai auf 
dem einen oder anderen Wege bei dem Fat auftaudien, kommt es bei 
ihm ebenso häufig zu masturbatorischen Akten. Dieser sexuelle Miss> 
brauch , dem Pat. durch die Kraft seines eigenen Willens ein Ende zu 
machen nicht imstande ist, obwohl er von dessen Schädlichkeit vdlfig 
überzeugt ist, hat bei Herrn X. schon Suicidideen hervorgerufen. 

Die Klagen des Pat. betreten indes noch einige andere Umstände, 
mangelhaften Schlaf, zeitweilige Unregelmässigkeit der Herztätigkeit und 
Anfidle von Herzschwäche, besonders aber ein gewisses Zwangsdenken. 
Pat. hat sich gewöhnt, beim Alleinsein stundenlang über Gegenstände 
nach/ud' nk» ri, die ihn an sich wenig interessieren, z, B. politische Tages- 
fragen, oder auch endlos in Erinnerungen sich zu verlieren. Dieses 
Nadidenken setzt sich oft die Nacht hindurch bis zum Morgen fort, und 
er ist nidit imstande, dasselbe abzubrechen, obwolü er deutlich f&hlt, 
dass er dadurch aberanstrengt und aufgeregt wird, 

Obj^tiv negativer Befund. 

Im vorstehenden Falle sehen wir, dass sexuelle Erregungen 

und Lustgefühle schon im frühen Knabenalter durch die Vor- 
stellung der unverdienten körperlichen Züchtigung, also Miss- 
handlung eines weiblichen Wesens hervorgerufen werden. Die 
Auslösung von Lustgefiihlen durch die Vorstellung eines Grau- 
samkeitaaktes ist auch in diesem Falle unabhängig von einem 



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328 



Die ADomnlien des Seuallrieb«. 



Hange zur Grausamkeit und überhaupt irgend einem moralischen 
Defekte. In späterer Zeit ma^ bei dem Patienten neben der 
Vorstellung der Misshandlung wohl auch die des entblössten 
Körperteiles sinnlich erregend gewirkt haben, ursprünglich handelte 
es sich jedoch jedenfalls um eine rein sadistische Erscheinung, 
die, was auch in diesem Falle sehr bemerkenswert ist, im Laufe 
von Dezennien keine weitere Entwickelung erfuhr und nie zu 
sadistischen Akten führte. 

Schon in einer früheren Beobachtung haben wir die Hervor- 
hebung sexueller Erregung durch die Phantasievorstellung der 
Vornahme einer körperlichen Bestrafung gefunden; in diesem 
Falle waren die Objekte der Phantasiestrafe Knaben, und die 
Verknüpfung der sexuellen Erregung mit der Vorstellung der 
Strafe ist auf einen äussere zufälligen Umstand zurückzuführen, 
während im vorstehenden Falle ein solcher nicht nachweisbar 
ist und daher die Verbindung der ideell verübten Misshandiung 
mit Lustgefühlen etc. nur auf angeborene Veranlagung zu be- 
ziehen ist. 

Noch deutlicher tritt die Bedeutung der kongenitalen An- 
lage in fo^endon Falle hervor. 

Beobachtung 86. 

Der Fall betrifft eine unverheiratete Dame, welche im Alter von 
38 Jahren wegen periodischer Deprcssionszuständc und Zwangsvorstel- 
lungen in meine Behandlung kam. Aus der aemlidi langen Kranken- 
geschichte der Patientin seien nur die uns hier interessierenden Vorkomm- 
nisse angeführt. Patientin, eine sehr feinfühlige und in moralischer Hin- 
sicht hochstehende rs^nlichkeit, ist erblic h nvuropathisch und zwar von 
Seiten ihrer beiden Litern belastet. Da ihr Vater, ein sehr jähzorniger 
und nusstrauischer Mann, schon frflh starb, war ae als Kind ganz dem 
Einflüsse ihrer Mutter fiberlassen. Diese erzog ihre Tochter, wohl ver- 
anlasst durch den Umstand, dass sie in ihrer kurzen Ehe mit ihrem 
Manne sehr unglürklich geli In li.ute, in Fm cht und Abscheu vor den 
Männern. 1:1s mag wohl mit eine Folge dieses Unistandes gewesen sein, 
dass dw Patientin sdion kurze Zeit, nachdem sie in die Schule kam, 
eine schwärmerische Verehrung (tar ihre Lehrerinnen zeigte und im Ver- 
kehr mit Kindern sich von Knaben g.tnzlich fern hielt. Im Alter von 
12 ofler 13 Jahren hörte Frl. X. ziiffilli.: beim Vorübergehen an zwei 
Arbeiterfrauen, dass die eine derselben zur anderen sagte: „Das L.... 
hat mich heute wieder sehr geärgert, ich habe ihr aber daflür auch den 
Hintern ordentlich verbauen.'* Diese Bemerkung machte einen tiefen 
Eindruck auf die junge Hörerin; dieselbe musste sich das ihr höchst 



Die Aoomalien des Sexualtriebes. 



829 



widrrwilrtigr I^ild des Züchdgungsvorgangrs Ipbhaft vin stf llrii und l'iihlte 
dabei in den Genitalien eine sehr intensive Erregung, verbunden mit 
einzelnen schmerzhaften Rissen und Zudcungeni die aber mit einer An* 
deiitung von WoUustgefilhlen verknQpft waren. Dieser Zustand hielt 

etwa ','4 Stunde an und behinderte fast das Gehen, In der Folg(> wieder- 
holte sich derselbe Zustand, nicht nur wenn Patientin zuralli<;crwei.-5e 
Zeugin einer aui° das Gcsäss vcrabrcicliieti Züchtigung bei Maddien war, 
sondern auch, wenn sie durch irgend einen Umstand veranlasst war, 
sich eine derartige Szene vorzustellen, oder wenn dieselbe anscheinend 
spontan in ihrer Erinnerung auftauchte. Die gleiche Szene liess sie im- 
bceinflusst, wenn sie Knaben betraf. Auch spielten in ihrer I'hanta^ie 
Ziiciitigungävorgänge an Knaben nie eine Rolle. An dem sexuell er- 
regenden Einflüsse der erwfthnten Vorstellung (oder Wahrnehmung) hatte 
neben dem Gedanken der Züchtigung das Bild d i tblössten Teiles 
jedenfalls nur einen geringen Anteil, tia die Wahrnehmung dieses 
Teiles in natura oder auch in Abbildung von weiblichen Personen nur 
zuweilen eine Andeutung von sexueller Erregung hervorrief und Ab- 
bildungen nackter Mflnnergestalten ttberhaupt keinen Eindruck auf die 
Patientin ausübten. Die erwtfwten Vorstellungen und MadchenzQchti> 
gungen behielten auch im späteren Lehen der Patientin ihre si xuell er- 
regende Wirksamkeit, und dieselbe luaclite sich naTiientlich zur Zeit der 
Menses geltend. Daneben traten aber auch gewisse homosexuelle Er- 
scheinungen mehr und mehr hervor. Das mflnnliche Geschlecht inter- 
essierte sie Oberhaupt in keiner Weise, weshalb sie auch verschiedene 
Heiratsanträge zurückwi« s. Die Freundschaft zu euuelnen ihrer weib- 
lichen riefiihrtinnen nahm dagegen lange Zeit liindurch einen ausser- 
ordentlich schwärmerischen Charakter an, ohne dabei jedoch irgendwie 
Aber das rein Platonische hinauszugehen. 

Im vorstehenden Falle haben wir eine Kombination von 
sadistischen mit homosexuellen Zögen. Während letztere wahr* 
scheinUch ein Produkt der Erziehung bilden und sohin erworben 
sind, lassen sich erstere nur auf kongenitale Veranlagung zurück- 
führen. Bemerkenswert ist auch hier, dass die sadistische Ge- 
fühlsanomalie sich nicht mit einem moralischen l)eU kte, sondern 
umgekehrt mit moralischer l bcrempfindlichkeit verbindet und 
das sadistische ment in keiner Weise eine weitere ICntwicke- 
lung im Laule der Zeit erfuhr 

Ein hierbergehörigsr Fall wvrde Buch von W. Hammer (Ober einea 
Fall von Algplagnie im KindcMlter. Mooalssclirift Ar HamkrankheUcn uod 
Minelle Hygiene. i.Jabrg. S. 131) mitgeteilt. Ein Lehrer berichtete dem AtttOff 

dass er ah Sjährincr Knabe bereits sexuelle Wollustgefühle halle, wenn andere 
Knaben auX das Ge&ibs geschiageo wufden. Die Vot&tellung derartiger Zücb> 
tigungsszenen in der Phantasie oder das Anbflren der Schilderang derselben er- 
rate bei ihm in den folgenden Jahren die gleidien sexuellen Gelflhle. Ahnlicbe 



380 



Die AootnalicQ de« Sexaaltriebes. 



Der Grundzug der sadistischen Anomalie, die Erregung 
sexueller Lustgefühle durch die Wahrnehmung oder Vorstellung 
von Leiden anderer Individuen, ist, wie wir gesehen haben, nicht 
immer mit einem Triebe, sich sexuelle Lustgefühle durch Grau- 
samkeitsakte zu verschaffen, verbunden. Wo die sadistische 
Perversion sich in entsprechenden Akten äussert, dürfen wir 
daher amiehmen, dass die moralischen Widerstände bei dem 
Individuum sehr gering sind oder auch ganz fehlen (moralischer 
Irrsinn), oder das Handeln des Individuums durch Antriebe von 
Zwangscharakter bestimmt wurde. Die einxelnen sadistischen 
Akte sind sehr verschieden, und es ist gegenwärtig noch keines- 
wegs aufgeklärt, wodurch diese Verschiedenheiten bedingt sind. 
Es handelt sich um eine hinge, traurige Reihe, die mit rehitiv 
harmlosen, un Grunde nur läppischen Handlungen, wie z. B. 
Kleiderbesudelung, beginnt und mit den scheusslicbsten Ver- 
brechen, grausamer Tötung von Menschen (Lustmord) und 
Leichenschändung endet. Es liegt in der Natur der Dinge, dass 
sadistische Akte von geringerer krimineller Bedeutung häufiger 
verübt werden als andcic von grosser Atrozital, einerseits weil 
die moralischen und intellektuellen Widerstände gegen Hand- 
lungen letzterer Kategorie grösser sind, andererseits auch der- 
artige Akte in der Regel sofortige energische gerichtliche Ver- 
folgung nach sicii ziehen. Am häufigsten wird wohl der sadistische 
Grausanikcitstrieb durch .Misshandlung in Form der Flagellation 
betätigt, und unter diesen sadistischen (aktiven) Flagellanten 
bilden wieder die Knabengeissler eine besondere Spezies. Es 
ist begreiflich, dass die noch heute sehr verbreitete Verwertung 
körperlicher Züchtigung als Erziehungsmittel dieser Form sadisti- 
scher Betätigung grossen Vorschub leistet, die denn auch vor- 
waltend von Lehrern und Erziehern geübt vrird. Welche Schändlich- 
keiten dabei mitunterlaufen und welche traurigen Folgen diese für 
Leben und Gesundheit der sadistischen Opfer nach sich ziehen 
können, hierfür hat der berüchtigte Fall Dieppold erschütternde 
Bel^e geliefert. Den Knabengeisslem stehen Mädchenstecher 

Wirkung äusserte aber auch der Gedmoke, selbst von einem gewissen Lehrer ge- 
schlagen za werden. 

Die in Vnfß itebeode Penrcnlon veclor skii la den so«r Jabiea vfiUiBi 



DU Ammulien des Sesnaltriebes. 



381 



gegenüber, deren sexueller Drang auf den Anblick fliessenden 
Blutes gerichtet ist, und von diesen ist nur ein Schritt zu den 
Lustmordem. Unter den sadistischen Akten figuriert auch das 
Stuprum, wobei jedoch weniger die gewaltsame sexuelle Be- 
friedigung, als die Entehrung und Misshandlung des Weibes 
das eigentische Ziel des Attentaters bildet. Die Beziehung der 
sexuellen Vorgänge zu den sadistischen Akten wechselt in den 
einzelnen Fällen. Bei der Mehrzahl der Sadisten scheinoi Ge- 
walttätigkeits> oder Grausandceitsakte ledtglidi die Rolle dnes 
präparatoriscben Vorgangs, eines sexuellen Stimulans, bei tem- 
porär oder überhaupt verminderter Potenz zu spielen. Bei 
Anderen bilden die sadistischen Akte Begleitvor^änge der Koha- 
bitation, die zur Erzielung völliger Befriedigung dienen. Bei 
fehlender Potenz kann der sadistische Akt auch die Bedeutung 
eines Äquivalentes für den C. gewinnen, d. h. nicht bloss 
I'rektion, sondern auch Ejakulation hervorrufen. Endlich kann 
der sadistische Antrieb sich auch erst post coitum geltend 
machen. Nach v. Krafft-Ebing soll es sich in diesen Fällen 
um Nichtbefriedigung einer Libido nimia handeln. 

Der sadistische Drang richtet sich beim Manne im Allgemeinen 
gegen Frauen, doch kann der Sadist» wie wir schon früher ge- 
sehen haben, zur Befriedigung seines Triebes auch männliche 
Objekte auf Grund homosexueller Neigungen oder faute de mieux 
wählen, selbst an Tieren seine Perversion betätigen. 

Ungleich seltener als beim Manne begegnen wir dem 
Sadismus beim Weibe, obwohl diesem em gewisser Hang zur 
Grausamkeit quasi als ein psychisches Geschlechtsmerkmal 
zugeschrieben wird. Eulenburg ist sogar der Ansicht, dass 
rein sadistische Züge dem Weibe überhaupt ursprünglich nicht 
eigen, sondern nur durch den inasochistischen Mann bei dem- 
selben provoziert sind. Der an sich so seltene Sadismus des 
Weibes dürfte in der Tat zumeist durch das masochistische 
Verhalten des Mannes geweckt und ausgebildet worden sein. 
Allein der sadistische Keim kann auch bei dem Weibe auf 
Grund angeborener Anlage, wie wir schon gesehen haben, 
bestehen. Dies wird auch durch nachstehende Beobachtung 
erhärtet. 



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332 



Die Anomalien des Sexualliicbcs. 



Beobachtung 87. 
Von einem völlig glaubwürdigen Herrn wurde mir mitgeteilt, dass 
ein demselben persönlich wohlbekannter hiesiger Gewerbsmeister sich 
nach kaum einjähriger Ehe von seiner noch sehr jungen Gattin scheiden 
liessi weil diesell» beim ehelichen Verkehr ihn regelmässig derart durch 
Hisse und Zerkratzen, insbesondere der Brust, maltrntierte, dass er auf 
die Fortsetzung der ehelichen Beziehungen verzichten musste. Es 
handelte sich dabei um einen zwar gutmütigen, aber keineswegs maso- 
chistisch angelegten lUIann, wie schon aus dem Umstände hervorgeht, 
dass derselbe an der Maltratierung durch seine Frau keineswegs Gefallen 
fand ; diese war ihrers« its drr Kohabitation an sich durchaus nicht ab- 
geneigt, so dass man ihr Verhallen nicht mit cmcm Abwehrbestreben 
in Verbindung bringen kann. 

IL Masochismus. 

V. Krafft'Ebing, welcher, wie wir schon erwähnten, den 
Masochismus wissenschaftlich entdeckt hat, bezeidinete den- 
selben als „eine eigentümliche Perversion der Vita sexualis, welche 
darin besteht, dass das von derselben ergriffene Individuum in 
seinem geschlechtlichen Fühlen und Denken von der Vorstellung 
beherrscht wird, dem Willen einer Person des anderen Gesdilechts 
vollkommen und unbedingt unterworfen zu sein, von dieser 
Person herrisch bcdiandelt, gedemütigt und selbst misshandelt 
SU werden." Da diese Vorstellungen mit sexuellen Lustgefühlen 
verknüpft sind, sucht der Masochist , wenn auch niclit immer, 
so doch häutig dieselben in die I raxis umzusetzen, d. h. von 
weiblichen Personen Misshandlung zu erfahren, um sich dadurch 
sexuellen Gcnuss zu verschaffen. 

Die einzelnen masochistischcn Akte differieren wie die sadisti- 
schen; \on einfach läppischen und nur niorah^ch verletzenden 
finden sich l bcrgange zu schweren und raffinierten körperlichen 
Misshandlungen. Selbstverständlich fehlen auf masochistischem 
Gebiete die Endglieder der sadistischen Scheusslichkeiten, schwere 
Körperverletzung und Tötung, da derartigen Begierden, sofern 
dieselben überhaupt vorkommen, der Selbsterhaltungstrieb ent- 
gegenwirkt. Das am häufigsten von den IMasochisten in An- 
spruch genommene Mittel ist zweifellos die passive Flagellation, 
was sich schon aus dem Umstände erklärt, dass Schläge auf das 
Gesäss ähnlich anderen in dieser Gegend applizierten Hautreizen 
(z. B. der Faradisation) wenigstens in vielen Fällen auf rein 



Die Aoomfttlei» de« Seki»hriebes. 



333 



spinal - reflektorischem We^e sexuelle Erregung (Erektion) aus- 
lösen. Die passive Flageliation iiai denn auch in einzelnen Ländern, 
so namentlich in England und Frankreich, zahlreiche Anhänger 
gefunden , und in den erstklassigen Bordellen finden sich dort, 
wie Eulen bürg mitteilt, Einrichtungen für die Vornahme der 
Flageliation , die den Ansprüchen der verwöhntesten I labitui's 
genügen. Die Flageliationsliebhaber sind jedoch keineswegs 
sämtlich und nicht einmal vorherrschend Masochisten. Häufig 
wird die Flageliation von Wüstlingen mit gesunkener Potenz 
und noch sehr reger Libido einfach als sexuelles Stimulans in 
Anspruch genommen, ohne dass dabei ein masochistischer Ge- 
danke von Unterwerfung unter das die Prozedur vornehmende 
Weib im Spiele ist. Für den echten Masochisten ist aber dieser 
Gedanke die Hauptsache, die Flageliation, der er sich unterzieht, 
nur von sekundärer Bedeutung als Ausdruck seiner Unterwerfung 
unter die Gewalt des Weibes. Dass aber dabei auch die rein 
reflektorisch vermittdte Wirkung der Flageliation zur Geltung 
kommt, ist nicht zu bezweifeln. 

Wie die Flageliation dienen auch andere .Misshandlungen 
dem Masochisten zu präparatorischem Zwecke zu dem im übrigen 
normal ausgeführten C. Manche Masochisten sind in der Lage, 
auch ohne derartige Stimulation mit weiblichen Personen sexuell 
zu verkehren, während bei anderen dies nicht der Fall ist, sohin 
eme Art psychischer Impotenz besteht. Bei Individuen mit sehr 
herabgesetzter oder fehlender Potenz kann auch die masochi- 
stische Prozedur allein als Äquivalent für den C. zum Zwecke 
sexueller Befriedigung herangezogen werden. 

Wenn wir nach einer Erklärung der beiden im Vorstehenden 
besprochenen, in ihrem inneren Wesen trotz scheinbarer G^en- 
sätzlichkett verwandten Perversionen suchen, so finden skh für 
den Sadismus ungleich leichter Anknüpfungspunkte an Erfahrungs- 
tatsachen, die noch dem Bereiche des Physiologischen angehören, 
als lür den Masochismus. Der Sadismus, dessen Vertreter doch 
weit überwiegend dem männlichen Geschlechte angehören, lässt 
sich mit dem aggressiven Charakter des Mannes, gewissen noch 
normalen Äusserungen seines Sexualtriebes und der heutzutage 



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334 



Die Anomalien des Sexualtriebes. 



noch sehr verbreiteten Lust am Grausamen in Verbindung 
bringen, während der Masodhismus, dessen Repräsentanten eben- 
falls zumeist Männer sind» wie v. Krafft-Ebing mit Redit 
bemerkte, nur eine Ausartung spezifisch weiblicher psychischer 
Eigentümlichkeiten darstellt. 

Wenn wir hier zunädist den Sadismus in Betracht ziehen, 
so muss in erster Linie daran erinnert werden, dass der Affekt 
der Liebe mu einem Dran^^ zu motorischer Entladung (Äusserung) 
verknüpft ist, welcher sich gegen das Objekt der zärtlichen Ge- 
fühle richtet. Diese motorische Ausseiung kann in ihrer Form 
sich schon cinigermasscn der Misshandlung nähern (Totdrücken-, 
Totküs.senwollen des geliebten Gegenstandes) und geht im 
sexuellen Affekt direkt in solche über, wenn Bisse an Stelle der 
Küsse treten, welch' letztere übrigens wahrscheinlich nur eine 
S3rmbolisierte Form des Beissens aus Zärtlichkeit bilden. Von 
diesen Bissen zu den schweren sadistischen Akten finden sich 
fliessende Übergänge. Hierzu kommt der Umstand, dass der 
sexuelle Drang, wenigstens beim Manne, den Trieb in sich 
schliesst, des reizenden und beehrten Objektes sich voll und 
ganz zu bemächtigen und dasselbe sich zu unterwerfen und 
dieser Trieb durch Widerstand gesteigert wird. Während wir 
dergestalt im Bereiche ddt normalen Vita sexualis Andeutungen 
einer Verknüpfung sexueller Erregung und sexueller Lust mit 
gewaltsamen, resp. schmerzerregenden Akten finden, begegnen 
wir andererseits der Hervorrufung von Lustgefühlen durch Grau- 
samkeitsakte, i. e. dem Vergnügen am Grausamen als normaler 
Erscheinung auch bei den zivilisierten Nationen der Jetztzeit noch 
in sehr ausgedehntem Masse. Bei den Menschen der Vorzeit 
war der llanr^^ zur Grausamkeit, dem wir auch in der Tierwelt 
überall beyegnen, zweifellos viel verbreiteter und mächtiger als 
bei den Kulturmenschen der Jetztzeit. Dieser Umstand hat dazu 
geführt, dass man den Sadismus dadurch zu erklären versuchte, 
dass man denselben als atavistische Erscheinung hinstellte. Gegen 
diese Auffasstmg hat Eulenburg geltend gemacht, dass sich 
algolagnistische Instinkte bei den höher organisierten Tieren 
nicht entdecken lassen und auch für den Menschen, soweit unsere 
geschichtlichen Kenntnisse reichen, eine grössere Verbreitung 



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Die Anomalien des Seinaltsiebes. 



8S5 



sadistisdier Neigungen nicht nacbniweisen ist. Allein der Autor 
ist trotz dieser Einwände genötigt, einen gewissen Kern der 
atavistischen Theorie als berecht%t tu erklären. Der Kampf 
ums Dasein mosste bei dem Menschen dazu führen, dass sich 
bei demselben der anderen Wesen zum Zwecke der Selbst- 
erhaltung zugefügte Sdimerz mit Lustgefühlen verknüpfte. Diese 
Lustgefühle steigerten sich wohl im Laufe der Zeit und asso- 
ziierten sich, wie das nahe liegt, nicht mehr lediglich mit Grau- 
samkeitsakten , die der Selböterhaltung dienten, sondern auch 
mit anderen, an sich unnötigen. So entstand der Hang zur 
Grausaiuktiii, das Vergnütjen an der VerÜbung und an der Wahr- 
nehmuno[ von Grausamkeitsakten, das sich bei den Kulturvölkern 
des Altertums, v'ie das Interesse an den Gladiatorenkampfen, 
die barbarische Art der Kncgsführung etc. zeigen, noch ganz 
unverhüllt äusserte. Die fortschreitende Kultur hat diesen vom 
Urmenschen herrührenden Hang zwar gewaltig zurückgedrängt 
und in gewissem Masse verfeinert, aber keineswegs ausgerottet. 
Die Freude an Stier- und Hahnenkämpfen, an gefährlichen Schau- 
stellungen, das Jagdvergnügen, das Interesse für Hinrichtungen, 
manche Details der modernen KriegsfQhrui^r und noch ver- 
schiedene andere Tatsachen zeigen uns zur Genüge, dass die 
Raubtierinstinkte dem Kulturmenschen keineswegs vollständig 
abhanden gekommen sind. 

DieBeadiung der Grausamkeit zur Sexualität ist aber eine 
viel eifere, als man nach dem eben Angeführten glauben mdcfate. 
Die sinnlichen Lustgefühle und die diesen nahestehenden ide- 
ellen wirken in gewissem Masse sexuell erregend. So erklärt 
es sich, dass ein schwelgerisches Mahl oft sexuelle Orgien ein- 
leitet und in den Kriegen früherer Jahrhunderte an Mord und 
Plünderung sich häufig Schändungen anschlössen. Auch der 
sogenannte Tropenkoller , eine der ehemaligen Soldnerzügel- 
losigkeit analoge Erscheinung, verbindet sich häutig mit sexuellen 
Exzessen. Wir sehen demnach, dass von zwei Seiten aus eine 
Verknüpfung von SchmerzzufÜgung und sexuellen Lustgefühlen 
möglich ist, indem einerseits der sexuelle Affekt zur Verübung 
gewaltsamer und grausamer Akte führen, andererseits die Ver- 
Übung solcher Akte sexuell erregend wirken kann. Diese Ver- 



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336 



Die Anomalien des Sexualtriebes. 



bältnisse machen es bis tu einem gewissen Masse verständlich, 
dass bei manchen Individuen auf Grund ererbter krankhafter 
Veranlagung als funktionelle Degenerattonserscheinung die sadi- 
stische Gefählsanomalie auftritt. Es lässt sich aber vorerst nicht 
ausschliessen, dass diese gelegentlich auch durch zufällige asso> 
ziative Verbindi*ngen, wie es v. Schrenk-Notzing annimmt, 
entstehen nuig. Ein Beleg in dieser Richtung bildet unsere 
Beobachtung Nr. 78. Nach den bisherigen Erfahrungen dürften 
jedoch derartige Fälle nur sehr selten — man daif ^■volii sa^cn 
ausnahmsweise — vorkommen. Die Annahme Rinet's, weicher 
den Sadismus wie den Masochismus als eine in der Re^'el durch 
zufällige Assoziationen erworbene Anomalie betrachtet, erscheint 
mir schon meinen eigenen Beobachtungen gegenüber völlig un- 
haltbar. 

Von den bisherigen Versuchen, den Masochismus zu er- 
klären, kann meines Erachtens keiner als völlig gelungen be- 
trachtet werden. Die Erklärung des Masochismus muss auch 
differieren, je nachdem man als das Wesentliche bei demselben 
die Verbindung von erduldetem Schmerz und sexuellen Lust- 
gefühlen oder die mit Lust betonte Vorstellung der Unter- 
werfung unter das Weib betrachtet. Von Kraftt-Ebing, welcher 
letzterer Auffassung zuneigte, wollte eine Wurzel des Masochtsmus 
in dem Umstände finden, dass im Zustande wollüstigen Affektes 
dem Erregten jede Einwirkung von Seiten der erregenden Person, 
unabhängig von der Art derselben, willkommen ist. Der Autor 
legte diesem Umstände, der jedenfalls nur in einer beschränkten 
Anzahl von Fällen ziUrilTt und für die Genese des Masochismus 
kaum m Betracht konunen kaim. nur eine untergeordnete Be- 
deutung bei. Die Hauptwurzel des Masochismus erblickte er in 
dem von ihm als geschlechtliche Hörigkeil" bezeichneten ab- 
normen i)S> chi'-chen Verhalten, der völligen l 'nterwerfung eines 
Individuums unti r d( 11 Willen einer Person anderen Geschlechts 
(Pantoftelhcldentum etc.). Aus der geschlechtlichen Hörigkeit 
kann sich nach v. Krafft-Ebing ein leichter Grad von Maso- 
chismus entwickeln, indem durch die Gewöhnung an die Tyrannei 
diese allmählich zu einer Quelle der Lust wird. Der echte 
Masochist ist aber in der Regel geboren. Die kongenitale Natur 




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Die AnomalieD des Ses«altriebe*. 



337 



des Masochismus ist nach v. Krafft>£bing darauf zurück- 
zufQhren, dass die Anlage zur geschlechtlichen Hörigkeit auf ein 
psychopathisches Individuum vererbt und dabei zur Perversion 

des Masochismus transformiert wird. „Aus diesen beiden Ele- 
menten", bemerkt v. Kraffl iiibing, „aus der geschlccht- 
Hchen Hörigkeit einerseits, aus jener oben erörterten Disposition 
zur geschlechtlichen Ekstase, welche selbst Misshandlungen mit 
Lustbetonnng apperzipiert, andererseits, aus diesen beiden Ele- 
menten, deren Wurzeln sich bis in das Gebiet psychologischer 
Tatsachen zurückverfolgen lassen, entsteht auf einem geeigneten 
psychopathischen Boden der Masochismus, indem die sexuelle 
Hyperästhesie allerlei zuerst physiologisches, dann nur abnormes 
Beiwerk der Vita sexualis zur krankhaften Höhe der Perversion 
steigert." 

Dieser Auffassung gegenüber ist geltend zu mad^, dass, 
wenn auch die geschlechtliche Hörigkeit eine Art Vorstufe des 
Masochismus bildet, doch das regelmässige Vorkommen dieses 
abnormen I^änomens bei den Eltern oder anderen Vor&hren 
der Masochisten nicht nachgewiesen ist, andererseits die Abstam- 
mung von einem geschlechtlich hörigen Vater bei dem Sohne trotz 
psychopathischer Veranbgung nicht zum Masodiismus führen 
muss (eigene Beobachtung). Eegt man beim Masochismus das 
Hauptgewicht aui die- Verbindung von ei dulde tcni Schmerz und 
sexuellen Lustgefühlen, so lässt sich zur Erklärung desselben, 
wie es von Binet geschehen ist, die sexuell erregende Wirkung 
der passiven Flagellation heranziehen Auch die von mir zuerst 
konstatierte Tatsache der Auslösung sexueller Erregung durch 
Angstzustände kann als hierher gehörig in Betracht kommen. 
Indes ist auch die Entstehung des Masochismus aus der pas- 
siven Flagellation allein beim Mangel kongenitaler Veranlagung 
nicht nachgewiesen. Die Wirkung letzterer scheint über die 
sexuelle Stimulation meist nicht hinauszugehen. Wir sind daher 
verantesst, nach der Möglichkeit einer anderen Erklärung Umschau 
zu halten. Diese ergibt sich aus dem Umstände, dass der Maso- 
chist sich als Weib seinor Herrin gegoiüber fühlt, wdche er in 
seiner Phantasie wenigstens mit männlichen Eigenschaften aus- 
stattet. Dadurch charakterisiert sich der Masochismus im Grunde 

LS«r«ar«ld, SanieD>Mn4lH Stitnufaa. Viart« AnfUfli. 22 

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338 



Ste AaoBuüisa det Senudtriebn. 



als eine Abart der konträren Sexualempfindung*). Hierdurch 
wird aber eine Annahme nahe gel^, welche die hypothetische 
Übertragung einer Anlage rar geschlechtlichen Hör^jkdt über- 
flüssig macht. Nadidem der HCasocbismus lediglich eine Steigerung 
spezifisdi weiblicher psychischer EigentOmlichkeiten darsldlt, ge- 
nügt nur Erklärung seines kongenitalen Ursprungs die Voraus- 
setcung, dass dem Masochisten eine weibliche (resp. weibische) 
psychische Veranlagung angeboren ist. Es muss hier jedoch 
beigefügt werden, dass, wie die psychischen EigentOmlichlceiten 
des Weibes bei den euizelnen weiblichen Individuen variieren, 
dieselben auch bei den männlichen Individuen von weiblichem 
psychischem Habitus in ihren Komponenten Abstufungen der 
Entwicklung darbieten können. Aus diesen Variationen mag 
e.s sich erklären, dass in dem einen Fall Masochismus, im an- 
deren eine Kombination von Urningtum mit masochistischen 
Zügen entsteht. Bei dieser Annahme bleibt auch dem Einflüsse 
anderer Momente, wie der passiven Flagellation, zufälliger be- 
günstigender Assoziationen, der Erziehung, des Milieu's, der 
Lektüre etc cm ;^cnüi{cnder Spielraum gewahrt. 

Der Sadismus hat neben dem psychopathologischen fast aus- 
schliesslich forenses h:iteresse, während dem Masochismus auch 
eine Bedeutung als nervenschädigendes Moment zukommt. Der 
Masochist ist, wie wir schon erwähnten, häufig zum normalen 
geschlechtlichen Verkehr unfähig; da ihm zudem die Befriedigung 
seiner masochistischen Begierden nur selten möglich ist, so ver^ 
fiUlt er gewöhnlich der Onanie und zwar recht oft wegen Libido 
nimta in exzessivem Masse. Die Folgen für das Nervensystem 
sind die an früherer Stelle geschilderten. Es unterliegt aber 
auch keinem Zweifel, dass die sexuelle Stimulatioa oder auch 
Befriedigung durch körperliche Mtsshandlungen, in welcher Form 
dieselben auch geübt werden m^en, kein für den Nervensustand 
gleichgültiger Faktor ist; der gewaltsamen Anregung der Libido 
bei meist verringerter Potenz muss eine grössere Erschöpfung 

1) MA V. Krafft-Ebiag kan ra d«m Sch l anf, dan der MMnrMwiitt» 

im Grande eine ndimenllie Form der konträren Sexualempfindimg ist, eine par- 
tielle Erfeminatio, welche nur die seknndiien Gescbtochtscharakteie der peycbitdien 
Vita sexuaUa et^riffea hat. 



Die Anomalien des Scxu;iltricl)cs. 



des Nervensystems folgen, als bei dem normalen geschlecht- 
lichen Verkehr. Der Masochismus ist daher geeignet, nervöse 
Stöfungen verschiedener Art za verursachen und solche su stei- 
gern, gleichgültig, ob dem Masochisten eine Befriedigui^ seiner 
perversen Neigungen möglich ist oder nicht. 



Anhang: 

Periodisches Auftreten von Anomalien des Sexualtriebes. 

In den periodisch auftretende Geistesstörungen (Manie, 
zirkuläres Irrsein insbesonders) können nicht nur, wie wir schon 
sahen, quantitative, sondern auch qualitative Anomalien des Ge- 
schlechtstriebs (Homosexualität etc.) sidi geltend machen. Da- 
neben werden jedoch auch Fälle beobachtet, in welchen periodisch 
Anomalien des Sexualtriebes, inbesonders homosexuelle Impulse, 
als isolierte psychische Störungcai auftreten oder wenigstens im 
Vordergrund der psychischen Veränderungen stehen. Von 
Krafft -Ebing hat diese Fälle unter dem Titel „Psycbopathia 
periodica" zusammeng^asst. Tarnowsky, der auf diesem 
Gebiete umfängliche Erfahrungen sammelte, erwähnt, dass die 
Patienten nicht selten verheiratete Männer und Familienväter 
sind und sich in Zwischenräumen der Päderastie ergeben, wie 
Di])S(iiiianen der 'IVuuksucht. Derartige perverse Triebe (neben 
der Faderastie insbesonders auch Flagellation) machen sich nur 
zwei- oder dreimal im Laufe eines Jahres geltend, während der 
übrigen Zeit verkehren die betrelienden in normaler Weise mit 
Frauen. 

Die periodische Perversion kommt bei Frauen wie bei 
Männern vor. Ein hierher gehöriger Fall wurde von Anjel*) 
mitgeteilt : Eine erblich stark belastete, dem Klimakterium nahe 
stehende Frau, welche in jungen Jahren an Petit Mal gelitten 
hatte und stets exzentrisch, dabei jedoch streng sittlich war, 
wurde vor mehreren Jahren nach gemütlichen Erregungen von 
ehiem hystero^epileptischen Anfalle mit folgendem mehrwdchent- 



1) Aiij61 (Aldi. f. Psychiatrie, XV, Heft 2). 



22* 



340 



Die Anomalien des Seiultriebei. 



Uchem Irrsein heimgesucht. Daran schloss sich mehrmonatlicher 
Schlafmangel. In der Folge machte sicli bei ihr während der 
Menses neben Insomnie ein Drang geltend, Knaben unter lo Jahren 
an sich zu locken, zu küssen und ihre Genitalien zu betasten; 
Drang zu sexuellem Verkehr mit Erwadisenoi bestand dabei 
nicht Die Frau, welche intervallär keinerlei gescfalecbtlkhe Be- 
gehrlichkeit zeigte, verlangte während der Icritischen Zeit Über- 
wachung, da sie sich ihrem Drange gegenüber nicht sicher fühlte. 

Die folgende Beobachtung, die schon anderweitig mitgeteilt 
wurde, entstammt memer eigenen Praxis. 

Beobachtung 88. 

Periodische homosexuelle Zwangsneigung. 

Frl. A., anfangs der 40er Jahre stehend, erblich belastet (Mutter 
hysterisch), seit langem neurasthentsch, mit Zwangsvorsteitmif«! und 
Ventimnrangszuattndeii behaftet, wird seit ebigen Jahren periodisch 

von einer ganz Oberschwänglichen Neigung für eine ungefähr gleidi* 
alterige, ihr befreundete Dame B. befallen, welche sich Her ihr gewid- 
meten Verehrung gegenüber ziemlich passiv verhalt. Von irgendwelchen 
sexuellen Intimitäten zwischen den beiden Damen ist keine Rede, es 
handelt nch um rein platoniadie Beziehungen. Die Liebesanwandlimgen 
treten bei Frl. A. nur in Perioden besonderer nervöser Angegriffenhett 
auf und währen nie langer als einige Monate. Während dieser Affekt« 
phasen schwankt die Neifjnng nicht unerheblich. Sieht Frl. A ihre An- 
gebetete längere Zeit nicht, so nimmt die Verehrung für dieselbe 
betrftchdieh ab, um jedoch bei jedem neuen Zusammentreffen wieder 
mflchdg angefacht zu werden. Bei Letzterem ihhlt sie beständig den 
Drang, ihrer Freundin Zärtlichkeiten zu erweisen, insbesonders aber ihr 
die Hand zu kOssen, was sie auch soweit als ttmlich ausführt. Triftt sie 
mit ihrer Freundm in emer Gesellschal^ oder in einem öffentlichen Lokale 
sttsaramen, in wetdiem die Veihfllmisse die Betätigung ihres Zlrtlicb« 
keitsdranges nicht gestatten, so gerät sie b eine qualvolle Aufir^(vaig* 
In den Zeiten stärkerer Neigung muss sie sich in Gedanken beständig 
mit Frl. B. beschäftigen, und dieses Zwangsdenken setzt sich mitimter 
auch wahrend der Nacht fort, so dass das Einschlafen verhindert wird. 
Dabei macht sich auch der Drang, ihrer Freundin die Hand zu kOssen, 
in lebhaftester Weise geltend, dem «e dadurch eine gewisse Befiiedigung 
verschafft, dass sie sich selbst die I^and unzählige Male kösst. Die Pat 
sieht das Krankhafte ihrer Neigung best.lndig ein; aucli in den Zeiten, 
in weichf-n der Affekt sie ganz und gar beherrscht, mangelt es bei ihr 
an Krankheitseinsicht nicht. In den afiektfreien Zeiten beurteilt sie ihre 
Freundin sogar mit siemHcher Sdiirfe und kritisiert ihren Chankter 
mit geringerer Nachaidit als andere Person«i. Dabei Algert sie sich 
sehr häufig, dass sie von der, wie sie selbst wohl erkennt, durch die 
Persönlichkeit ihrer Freundin keineswegs motivierten Ndguog sich nicht 



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Die AnoDalica des Sesualtnebci. 



dauernd freimarhen kann In der aflektfreien Zeit sucht sie auch den 
Verkehr mit Frl. Ii. keineswegs, ja sie vernachlässigt diese mitunter 
derart dass sich dieselbe darflber beklagt 

Die VersdinmungszustAiule, von weldien Frl. A. sdion Mtutr zdtp 
weilig heimgesucht wurde, sind seit dem Auftreten der bomoeexuellen 
Zwangsneigung nirht ausgeblieben, 'sondern nur vielleicht etwas seltener 
geworden. Es niai g* U auch in den Atrcktperinden nicht an Deppressions- 
anwandlungen von kürzerer oder liUigerer (tagelanger) Dauer, in welchen 
jedoch die Veralimmung zumeist an die bestehende Zwangsneigung und 
die dadurch verursachte geistige Unfreiheit anknQpft. Nur in den Zeiten 
stärkerer Entwickdung der Zwangsneigung bleiben die Veratimoningea 
völlig weg. 

In Bezug auf die Sexualemptindung bei Frl. A. ist noch bcizuitlgen, 
dass dieselbe auch schcm froher einzelnen ihrer Freundinnen gcgenOber 
homoseanielle Neigungen zeigte. Diese waren jedoch immer von jähre* 
langer Dauer und zeigten nie die nufTallenden Schwankungen, die sich 
wahrend der oben erwähnten Anfälle geltend machten. Auch fehlte bei 
diesen Neigtmgen jedes Bewusstsein des Krankhaften. Frl. A. glaubte, 
dass es sidi bei ihrem schwärmerischen Empfinden für einzelne ihrer 
Freundinnen lediglich um ein gewöhnliches vrarmes FreundsdiaftsgeAlhl 
handelte. 



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XVIL 



Prophylaxe und Behandlung der sexuellen 

Neurasthenie. 



Die neurasthcnischon Zust.mik , welche wir unter dem 
Titel „sexuelle Neurast Ii enie" zusammenfassen und %-on 
anderen Varietäten der Neurose unterscheiden, bilden nicht eine 
ätiologische, sondern eine klinische Einheit, i. e. wir dürfen 
„sexuelle Neurasthenie" nicht als gleichbedeutend mit sexuell 
verursachter Neurasthenie betrachten. Ich habe anderenorts 
schon dargelegt , dass wir der sexuellen Neurasthenie nur jene 
Fälle zuweisen können, bei welchen Störungen der sexuellen 
Verrichtungen entweder allein vorhanden sind, oder wenigstens 
hervorstechende Züge im Krankheitsbitde darstellen. Diese 
klinische Form der Neurasthenie tritt aber, wie auch schon von 
anderer Seite (Beard und v. Kraf ft-Ebing) hervorgehoben 
wurde, nicht lediglich als Folge sexueller Noxen und anderer- 
seits die durch diese herbeigeführte Neurasthenie nicht immer 
in der Form der sexuellen auf. Dabei muss jedoch betont 
werden, dass unter den Ursachen der sexuellen Neurasthenie 
die der Sexualsphäre entstammenden weitaus überwiegen, ein 
Umstand, der auch liir die Prophylaxe und iherapie dieses 
Leidens nicht belanglos ist. 

Die Prophylaxe der sexuellen Neurasthenie fällt einerseits 
zus.imnu 11 mit der Prophylaxe der Neurasthenie überhaupt, 
andererseits mit der sexuellen Hygiene. Wir können natürlich 
nicht daran denken, diese Themata, von welchen das eine 
schon von Ripping zum Gegenstande einer besonderen, treff- 



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i'rupbylaxe und Bebandlaog der sexuellen Ncttraäthenie. 



848 



liehen Arbeit gemacht wurde, hier erschöpfend zu behandeln; 
wir müssen uns darauf beschränken, cinii^e für die Prophylaxe 
der sexuellen Neurastbeoie besonders wichtige Umstände kurz 
zu besprechen. 

Die Schäden, welche die Masturbation für das Nerven» 
System nach sich zieht, haben wir im Vorstehenden kennen ge* 
lernt Mit der Verhötimg der Masturbation ist daher schon für 
die Prophylaxe der sexuellen Neurasthenie viel erreicht Da 
die Onanie im Alter vor der Pubertätsentwickelung besonders 
nachteilige Wirkui^en äussert und schleich bei kindlidien bidi- 
viduen ungleich leichter bei entsprechender Sorgfalt Untan- 
fuhalten ist als bei Erwachsenen, so muss auch ärztlicherseits 
die vollste Aufmerksamkeit der Verhütung der Onanie im Kindes- 
alter zugewendet werden. In erster Linie kommt hier die Be- 
seitigung örtlicher Affektionen in Betracht (Ekzem, Prurigo etc.), 
welche Veranlassung zu öfteren Berührungen der Genitalien 
bilden und damit zur Onanie führen können. Des Weiteren 
ist es Aufgabe des Arztes, auf stetige Überwachung der Kinder 
bei Tag und Nacht, speziell im Hinblick auf die Möglichkeit 
onanistischer Vorkommnisse und zwar von den ersten Lebens- 
jaliren an zu dringen. Diese Überwachung hat sich nicht bloss 
auf das Verhalten der Kinder in der HäusUchkeit und beim 
Alleinsein derselben, sondern ganz besonders auf den Verkehr 
derselben mit anderen Kindern unablässig zu erstrecken. Von 
wekiher Wichtigkeit letzterer Umstand ist, ei^ibt adi aus der 
Tatsache, dass in der grossen Mehrzahl der Fälle Onanie bei 
Kindern auf Verführung durch Spidgefilhrten oder Gefährtinnen, 
Mitschüler etc. zurückzuführen ist. Selbst bei Kindern, die noch 
nicht im schulpfUcfatigen Alter stehen, darf man die Iföglichkeit 
einer Verführung durch Spielgenossen nicht ausser adit lassen; 
eine Beobachtung, die ich vor einiger Zeit machte, zeigt dies zur 
Genüge. Der 4jährige Knabe einer mir bekannten Familie wurde 
durch einen 5 jährigen, einer benachbarten Familie angehörigen 
Knaben, den er öfters ohne Aufsicht besuchte, zu onanistischen 
Manipulationen verleitet. Selbstverständlich sollte seitens der 
Eltern auch dafür Sorge getragen werden, dass der VVahrneiimun^^f 
der isinder alles entzogen bleibt, was geeignet ist, eine verfrühte 



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344 



Piopbybixe «od Bchaadlnnc d«r lesoellfln Nountthenie. 



Libido in ihnen lU wecken oder nur ihre Aufmerksamkeit auf 
das Sexuelle zu lenken. In dieser Beziehung wird auch von 
den Eltern, denen an ^'uter Erziehung der Kinder und Bewah- 
rung^ derselben vor gesundheitlicher Schädigung zweifellos ge- 
legen ist, aus Unverstand und Nachlässigkeit nicht selten ge- 
sündigt, nicht nur dadurch , dass sie den Kindern gänzlich un- 
passende Lektüre überlassen oder ihnen den Besuch von sinnlich 
erregenden Schaustellungen gestatten, sondern zuweilen sogar 
dadurch, dass sie dieselben — allerdings unbeabsichtigterweise — 
zu Ohren- oder Augenzeugen ihrer sexuellen Genüsse machen. 
Wiederholt haben mir junge Leute, welche ihre Nerven durch 
Masturbation schwer serrfittet hatten, mitteilt, dass der erste 
Anstoss zur Onanie bei ihnen durch die sexuelle Erregung ge- 
geben worden sei, welche bei ihnen durch gewisse aus dem 
Schlafzimmer ihrer Eltern durch eine offenstehende Tür dringende 
Geräusche hervorgerufen wurde. 

BezQgUch des Einflusses sexueller Abstinenz auf das Nerven- 
system wurde bereits an früherer Stelle das Nötige bemerkt 
Wir haben dort dargelegt, dass andauernder Verztdit auf ge- 
schlechtlichen Umgang bei gesunden Erwachsenen ohne gesund- 
heitlichen Nachteil sehr wohl möglich ist , und können hier 
beifügen, dass alle die an früherer Stelle angeführten Umstände, 
welche die konsequente Durchfuluung sexueller Abstinenz er- 
leichtern, zugleich als \'orbeugemittel gegen masturbatorische 
Inklinationen wirksam sind. Dass wir ausserehelichen Ge i hlechts- 
verkeiir nicht als geeignetes Prophylaktikum gegen Onanie er- 
achten, wie dies allerdings seitens mancher Arzte geschiebt, 
wollen wir zugleich ausdrücklich konstatieren ; die Gefahren, mit 
welchen diese Art der Prophylaxis umgeben ist, sind zu nahe- 
liegend, als dass iiigend ein seiner Verantwortlichkeit in vollem 
Masse bewusster Arzt dieselbe empfehlen könnte. Zudem haben 
immer wiederkehrende Erfahrungen mich gelehrt, dass der Ver- 
kehr mit Prostituierten keineswegs immer zur Beseitigung ein- 
gewurzelter onanistischer Neigungen führt. Bei Personen mit reger 
Libido, bei welchen die Gefahr vorliegt, dass sie bei andauernder 
Abstinenz der Masturbation anheimfallen, mag man, wenn die äus- 
seren Verhaltnisse kein Hmdemis bilden, die Eheschlaessung anraten. 



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Pkophylue ood fiehaadlmic der aexneUeii Neumtheiik. S45 



Ein Punkt von grfisster prophylaktischer (und therapeuti- 
scher) Tragweite , dem seitens des grössten Teiles der Ärzte 
bisher weder das richtige Verständnis entgegen gebracht, noch 
die nötige praktische Berücksichtigung geschenkt wurde, ist die 
Meidung schädlicher Arten sexuellen Verkehrs in der Ehe. Das 
bisherige Verhalten der grossen Mehrsahl der Arzte in dieser 
wichtigen Angelegenheit erklärt sich aus mehreren Umständen. 
Gar manche Arzte sind, wie ich aus gelegentlichen Äusserungen 
von Kollegen ersehen konnte, noch in Unkenntnis darQber, dass 
der sexuelle Umgang, auch abgesehen von Exzessen, zu einer 
Quelle nervöser Schädif,fungen werden kann; sie erachten die 
Art des sexuellen Verkehrs, ob normal oder nicht, für in gesund- 
heitlicher Beziehung gleichgültig ; auch an solchen fehlt es nicht, 
welche sich den MitteiUingcn über nachteilige Folgen des Prä- 
ventivverkehrs gCL^cnubcr einfach unglaiibii^^ verhalten, sie 
zufällig eigener Erfahrung in dieser Beziehung ermangeln. Die 
natürliche Folge dieses Verlialtens ist, dass die Betreffenden 
es für überflüssig erachten, sich um die Art der sexuellen Be- 
Ziehungen der ihnen sich anvertrauenden Eheleute zu bekümmern, 
selbst wo Grund zu der Annahme vorliegt, dass malthusiantsttsche 
Tendenzen bestehen, und dass des öfteren die in der vita sexualis 
liegende Ibuptquelle nervöser Obel nicht erkannt und in Um- 
ständen gesucht wird, die von nebensächlicher oder gar keiner 
Bedeutung in dem zu beurteilenden Falle sind. Ungleich grösser 
als die Zahl der ununterrichteten und der Aufklärung sich ver« 
schliessenden Praktiker ist nach meinen Wahrnehmungen die Zahl 
derjenigen, welche es mit ihrer StandeswQrde oder ihren Moral- 
begriffen nicht vereinbar erachten, Eheleuten emen Rat bezüg- 
lich einer die Gesundheit nicht schädigenden Art des Präven- 
tivverkehrs zu geben. Diese allzu Subtilen sind gewöhnlich der 
Anschauung, dass das heutzutage so verbreitete Bestreben Ver- 
heirateter, die Nachkommenschaft zu beschränken, zumeist nur 
auf Bequemlichkeit oder andere verwerfliche Motive zurück- 
zuführen sei, und deshalb der Arzt keinerlei moralische oder 
sonstige Verpflichtung habe, einen Rat zu erteilen, wie das 
angestrebte Ziel ohne Gesundheitsschädigung zu erreichen ist, 
oder sich überhaupt nur um diese Privatangelegenheit der Ehe- 



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346 



Prophylaxe ood Bebandluos der sexueUett Nearuthenie. 



leute zu kümmern. Wie unberechtigt und verkehrt diese Auf- 
fassung und das auf derselben basierende ärztliche Verhalten ist, 
ergibt sich aus einigen einfachen Erwägungen. He gar, dessen 
Unbefangenheit in der Frage des Malthusianismus gewiss Nie- 
mand bestreiten kann, bemerkt: „Wann wird nun die Zahl der 
Kinder in einer Familie zu gross? Eine gewisse Maximalgreoze 
ist letcfat festzustellen. Die passendste Zeit für Kindererzeugung 
liegt für eine Frau zwischen dem 20. und 40. Lebensjahr. Vor- 
her und nachher leidet sowohl das Weib als auch die Nach- 
kommenschaft zu leicht Not. Zwischen der Geburt eines jeden 
Kindes sollte ein Zwischenraum von etwa 2'^ Jahren liegen, so 
dass wir also acht Kinder hätten. Nimmt man an, dass die 
Schwangerschaft neun Monate dauert, weitere 9—12 Monate das 
Kind zu stillen ist, oder, wenn die Frau nicht selbst stillt, die 
wachsame Beaufsichtigung der Amme oder der kfinstlichen Er- 
nährung durchgeführt werden muss, so wird man die weitere 
Frist von 6 — 9 Monaten zur vollständigen Eihülung der Frau 
nicht für zu hoch gegriffen halten. Sie ist doch auch nicht 
dazu da, um während zweier Dezennien allein der Fortpflanzung 
zu dienen. Dieses Maximum setzt einen guten Gesundheits- 
zustand vor Allem der Frau , gute Luft und genügend äussere 
Mittel voraus. Krankhcitrii, Schwäche oder Gebrechlichkeit des 
Weibes, welche die Fuhrung des Haushaltes und die Pflege der 
vorhandenen kleinen Kinder erschweren, erfordern häufig eine 
weitere Beschränkung oder sollten dieses wenigstens tun." 
Nehmen wir ntm an, wir haben es mit einem Ehepaare zu tun, 
von welchem der Gatte zur Zeit der Eheschliessung im 30., die 
Gattin im 20. Lebensjahre stand. Dieses Ehepaar hat im Zeit' 
räum von 20 Jahren acht Kinder und der beliebe Verkehr 
wurde während jeder Schwangerschaft, selbst bis an das Ende 
derselben, was doch gewöhnlich nicht der Fall sein dfirfte, fort- 
gesetzt, so ergibt sich, dass für dieses kinderreiche Ehepaar 
innerhalb der 20 Jahre nur während einer Frist von sechs Jahren 
der eheliche Verkehr in normaler Weise möglich war; in den 
übrigen 14 Jahren musste entweder Abstinenz oder irgend eine 
Alt des Präventiwerkebrs geübt werden. Indess schliessen die 
sexuellen Bedürfnisse beim Manne nicht mit dem 50. und bei 



Praphylaxe und Bebandlm^ der lesneUen Neturaiüicnie. 



347 



der Fcau mit dem 40. Lebensjahre ab. Nehmen wir des 
Weiteren an, dass diese Bedürfnisse bei dem in Frage stehenden 
Ehepaare 30 Jahre lang (beim Mann bis zum 60., bei der Frau 
bis zum 50. Lebensjahre) sich geltend machen, so ergibt sich, 
dass das Ehepaar trotz seines Kinderreichtums von 30 Jahren 
ehelichen Lebens nur den fünften Teil der Zeit s«ne sexudlen 
Bedürfnisse in normaler Weise zu befriedigen vermochte. Heut* 
zutage sind jedoch bekanntlich nicht allzu viele Familien in der 
Lage, für den Unterhalt und die Enkhung einer so zahlreichen 
Nachkommenschaft genügend Sorge zu tragen. Nehmen wir an, 
das betreffende Ehepaar ist aus dem einen oder anderen Grunde 
genötigt, sich mit sechs Kindern zu begnügen, so beschränkt 
sich bei demselben miierhalb eines Zeitraums von 30 Jahren die 
Zeit normalen sexuellen Verkehrs auf 4 V« Jahre. Wir ersehen 
aus dem Angeführten , dass maithusianischc Vorkeh- 
rungen in jeder Ehe, in welcher die Frau ihre Kon- 
zeption sfähigkeit behält und der Mann es nicht für 
sein unantastbares Recht hält, in brutaler Weise, 
ohne jede Rücksicht auf Wohl und Wehe der Frau 
und der bereits vorhandenen Kinder seine sinn* 
liehen Bedürfnisse zu befriedigen, früher oder später 
zur Notwendigkeit werden; bei zahlreicher Nackkdmmen- 
Schaft nicht minder ab bei dem sogenannten Zweikinder- oder 
Einkindsystem. 

Glücklicherweise nimmt auch bei uns die mitunter sogar 
noch mit einem Scheine von Moralität sich umhüllende ehe- 
herrlwhe Brutalität mehr und mehr ab, zum Teil auch in den 
unteren Bevdlkerungsschicbten« Eine notwendige Folge dieses 
Umstandes ist es, dass in neuerer Zeit nicht nur der Gebrauch 
antikonzeptioneller Mittel gewaltig zugenommen , sondern auch 
die Cbun<^ des Congr. interr. als der cintachsten Form des 
Präventivverkehrs bedeutend sich ausgebreitet hat und dabei 
auch, wie schon an frülierer Stelle erwähnt wurde, in Kreise 
eingedrungen ist , welche sich früher durch Kinderreichtum 
(resp. durch die Zahl der (ieburtcni i^esonders auszeichneten 
(Lehrer, kleine Geschäftsleute, Arbeiter, Landbevölkerung). 
Dieser Umstand ist nach meinen Wahrnehmungen nicht ohne 



a48 



Prophylaxe uod Bebaadiong der üexucllen NetuMthcnie. 



beachtenswerte Folgen geblieben. Ich habe anderen Orts schon 
erwähnt, dass wir es in neuerer Zeit mit einer Zunahme der 
neurotischen Angstzustände zu tun haben, welche weniger auf 
das allgemeine Anwachsen der Nervosität als 'die grössere Ver- 
breitung gewisser sexueller Schädlichkeiten zurückzuführen ist, 
unter welchen der Congr. intenr. eine Hauptrolle spielt. Dabei 
mnss ich kcmstatiereD, dasa unter den verheirateten Patienten 
memer Beobacbttmg, welche sich durch jahrelange Obung des 
Congr. intenr. nervöse Obel zugetogen hatten, gar manche waren, 
welche einen Hausarst seit langer Zeit hatten und doch erst 
durch mich auf das Schädliche ihrer sexuellen Beziehungen auf- 
merksam gemacht werden mussten. 

Ober die Pflichten, welche sich aus dieser Sachlage für den 
Arzt, speziell den Hausarzt ergeben, kann unseres Erachtens 
kein Zweifel bestehen. Es gehört zu den Obliegenheiten des 
wahren Hausarztes, dci ja auch Freund und Berater der FamDie 
in allen die Gesundheit berührenden Angelegenheiten sein soll, 
nicht nur eintretende Krankheiten zu behandeln, sondern solche 
soweit als moglicli bei den hich liiiii Ari\ crtrauenden zu verhüten. 
Er hat daher auch die Pflicht bei Ehepaaren, bei welchen nach 
Lage der Dinge die Übung irgendwelcher Prävention anzunehmen 
ist, sich darüber in diskreter Weise zu informieren, in welcher 
Weise dieselbe geschieht, und, falls er vernimmt, dass dem 
Congr. interr i^ehuldigt wird, vor demselben nachdrücklich zu 
warnen und beziaglich eines minder schädlichen Modus der 
Konzeptionsverhinderung seinen i^t zu erteilen. Er darf sich 
dieser Pflicht auch dann nicht entziehen, wenn er die Motive, 
welchen die malthusianischen Tendenzen entspringen, nicht ganz 
billigen kann, da es seine Aufgabe nicht ist, seinen Klienten 
gegenüber den Wächter der Moral zu spielen. Femer hat er 
die Obliegenheit, in den Fällen, in welchen er selbst aus dem 
emen oder anderen Grunde vor einer weiteren Schwangerschaft 
der Frau überhaupt oder innerhalb emer gewissen Frist warnen 
muss, dies nicht lediglich den Gatten anzukündigen, sondern 
ihnen auch mit Rat behilflich zu sein, wie sie es künftig mit 
Ihren ehelichen Beziehungen halten sollen. Durch ein derartiges 
Verhalten kann der Hausarzt, ohne der Würde unseres Standes 



Pvophylaie und Bebudlung der sexueUen K«nra«tli«me. 



349 



das Geringste zu vergeben, sicher viel zur Verhütung sexueller 
Neutasthenie und damit zugleich zur Erhaltung des eheUcben 
Friedens und ^elicfaen Glückes ia vielen Familien beitragen. 
Die Unsicherheit der antikonfeptionellen Mittel und die Miss- 
stände, welche mit dem Gebrauch einzehier derselben (Okklustv- 
pessarien) verlmüpft sind, veranlassten in neuerer Zeit Krönig, 
welcher bezflgtich des Pdiventiwerkefara sich meinen Anscbao^ 
ungen völlig angeschlossen hat, fOr gewisse Fälle die operative 
Sterilisierung der Frau zu empfehlen. Der Autor bezeichnet den 
Eingriff, den er vom vorderen Scheidensdinitt aus vermittelst 
der keilförmigen Exzisicm des uterinen Tubenstfickes aus der 
Gebärmutter wand ausführt, als einen absolut lebenssicheren und 
leichten. Krün ig glaubt, dass die Berechtigang zur Vomalime 
der operativen Sterilisierung bei schweren neurasthcni sehen Zu- 
ständen infolge schnell aufeinanderfolgender Geburten im 
Allgemeinen gegenwärtig kaum mehr ernstlich bestritten werden 
kann. Selbstverständlich kommen neben dem Nervenzustande 
der Frau auch die sozialen Verhältnisse und die Sinnlichkeit des 
Mannes in Betracht^). 

Die Behandlung der sexuellen Neurasthenie, so wie sie 
derzeit gelehrt und geObt wird, umfasst nicht nur manchen 
strittigen Punkt; noch immer machen sich auf dem Gebiete 
derselben zwei Richtungen bemeiklidi, wdche man als die 
lokalistische und die konstitutionelle unterscheiden kann. Die 
erstere erachtet die Lokalbehandlung vorhandener, respektive 
angenommener — hypothetischer — Veränderungen der Sexual- 
organe, spc/icil der Pars prostatica der männlichen Harnröhre, 
als das Haupterfordernis ; die andere erblickt das Wichtigste 
in der Einwirkung auf das Nervensystem, ohne dabei übrigens 
die Lokalbehandlung ganz zu verwerfen. Diese Verschieden- 
heiten des therapeutischen Standpunktes rühren oftenbar haupt- 
sächlich davon her, dass die Behandlung der betreffenden Krank- 

Krönig wiU jedoch die operative SteriliüeruBg auch als prophylaktische 
Mtwnwhnic «ir Venneiduiig eiblidi bebsteter Nachkommenschaft aogewendet 
winen. Di« ladikatkni bUt er dun fOr gegeben, wenn am der Ebe sweier 
hereditär nervAs belasteter Personen schon einige Kinder kei'V(W^gS{MI{gen MOdi 
wdcke fiflb die dcntlicben Zeichen der Deg^ncmtion se^en. 



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350 



PropliyUaM uad Bdundliug der tendkii Neunstlieiii». 



beitsfiUle die Vertreter sweier medinnischer Sp^ialfächer, der 
Nervenkrankbetten und der Harn- und Geschlechtskrankheiten 
(Neuropatiiolt^en und Urologen) beschäftigt und von einem Teile 
der letzteren hinstchtiicfa der Whricungsweise der sexuellen Miss- 
bräuche allen Anfechtungen gegenüber an jener oben (S. 201) 
bereits berührten Auffassung fe8t;gdialten wird. Es ist begreif- 
lich, dass die Vertreter dieser Anschauung bei ihrer Therapie 
ein sehr grosses Gewicht auf die Lokalbefaandlung der Pars 
prostatica legen, als desjenigen Teiles, der den supponierten 
Aus^ngspunlet des ganzen Leidens darstellt. Die fragliche Auf- 
fassung entbehrt jedoch, wie wir gesehen haben, der Begründung. 
Sic würde aber auch, wenn sie völlig berechtigt wäre, die weit- 
gehenden I^>wartungen nicht rechtfertigen, welche noch gegen- 
wärtig so manche Urologen bezüglich der Wirksamkeit einer Lokal- 
behandlung der Pars prostatica bei sexueller Neurasthenie he*^en. 
Denn, selbst wenn die in Betracht kf)mmendcn nervösen Stö- 
rungen ursprunglich lediglich reflektorisch von der Pars prostatica 
aus zu Stande kämen, könnten dieselben nach längerem Be- 
stehen durch eine ausschliesshch lokale Behandlung in der 
R^el nicht mehr beseitigt werden. Wie ich bereits vor 1 8 Jahren 
(Die moderne Behandlung der Nervenschwäche etc. i. Aufl. 1887) 
darlegte, haben die Veränderungen des Zentralnervensystems, 
die dem neurasthenischen Zustande zu Grunde liegen, bei 
längerem fiestdien eine Neigui^, sich von den ursächlichen 
Momenten kmulösen, so dass die Beseitigung dieser an der 
Fortdauer des Leidens nichts mehr ändern kann. Dies gilt für 
die nervösen Schwächezustände, die durch sexuelle Noxen ver- 
ursacht sind, in dem gleidien i/lasse wie für Neurasthenieen 
anderen Ursprunges. Ist aber einmal die Unabhängigkeit des 
Nerveniddens von der ursprünglichen Ursache ein^treten, so 
kann die ausschliessliche Bekämpfung letzterer nicht nur nutz- 
los dem NervenQbel gegenüber seui, sondern geradezu ver- 
schlimmernd auf dasselbe einwirken. Ich habe in der erwähnten 
Schrift von manchen Erfahrungen dieser Art den Fall eines 
jungen Geschäftsreisenden erwähnt, der wegen einer chroni- 
schen Urethritis, an die sich verschiedene neurasthenische Be- 
schwerden knüpften, eine Reihe von Kurvcrsuciien bei vcr- 



FropliyUKC und Bebandlnag der sesndlen Nenrutbenie. 



851 



schiedenen Ärtten an verschiedenen Orten, darunter aiieh bei 
anerkannten Facfaautoritäten auf dem Gebiete der Geschlechts^ 
krankheiten unternahm. Das Endresultat aller dieser Bemähungen 
war, dass der junge Mann eine Neurasthenie schwerser Form 
besass, die ihn voUstindig arbeitsunfähig machte; die Kur- 
versuche hatten überdies sein nicht sehr beträchtliches Vermögen 
vollständig versdilungen. 

Man darf wohl sa^en, dass gegenwärtig auch die Mdurzahl 
der Urologen bereits die verdert^chen Wirkungen Schablonen- 
mSssiger Be- resp. IbGsshandlung der Van prostatka ericannt 
und die Bedeutung antineurasthenischer Allgemembehandlung 
bei sexueller Neurasthenie mehr oder minder schätzen gelernt 
hat. Allem die Tatsache, dass lange bestehende neurasthenische 
und zwar auch der Sexualsphäre angchörige Störungen von 
gleichzeitig vorhandenen Veränderungen der Pars prostatica 
gänzlich unabhängig sein können, wird noch keineswegs ge- 
nügend gewürdigt, weshalb es nicht überflüssij^ sein wird, wenn 
ich hier eine Beobachtung aus neuerer Zeit anführe, welche 
nicht nur diese Unabhängigkeit in geradezu klassischer Weise 
seigt, sondern auch lehrt, dass selbst bei an sich völlig sach- 
gemässer, lange fortgesetzter Behandlung der Pars prostatica unter 
Umständen unerwünschte Wirkungen nicht su vermeiden sind. 

Beobachttto; 89. 

Der Fall betriflfk einen 4ojAhrtgen, verheirateten, neurasthenischeti 

Herrn, bei welclicm infolge von Masturbation schon im t6. Ltbensjahrp 
häutige Pollutionen auftraten und seit vielen Jahren (auch schon lange 
vor seiner Vei hciratung) neben Sperniatorrhoe und gesteigerter geschlecht- 
fidier Erregbarkeit dne psydiisdi^nervOae PotenzstOning bestand. Ob- 
wohl es bei dem Patienten an kralligen Erektionen bei Tag und Nacht 
durchaus nicht mangelte und solche bei etwas längerer Abstinenz sich 
^vf^ar in belnstif^ender W« i^p < instel1t(*n, waren beim clx lichen Verkehr 
die Erektionen gewöhnlich mangelhaft — ein Umstand, der nur aut 
psychische Einflösse zurOdtgefilhrt werden konnte ~ ausserdem erfolgte 
die Ejakulation in der Regel in sehr präzipitierter Weise. Der Zustand 
verschlechterte sich alhn.lhlich derart, dass schon bei Zärtlichkeiten der 
l'Yau gej^ciuiber Kiakulation erfolgte. Die Pars prostatica erwies sich 
bei Sondeneintührung äusserst empfindlich. Die Verschlimmerung wurde 
unter hydriatisdier Behandhmg, Gebrauch der Kflhbonde etc. rückgängig^ 
doch blieben die Erektionen zumeist mangelhaft, die Ejakulation prä- 
zipitiert. Als spater die endoskopische Untersuchung durch einen sehr 
erfahrenen hiesigen Urologen vorgenommen wurde, ergab sich bedeutende 



352 



ProphyUze und Bebandlaog der lexuellen NeurastheiiieL 



Hyperämie und leicht blutende Hcschaftenhcit der Schleimhaut der Pars 
prostatica; ausserdem wurden zirkumskripte, knötchenartige Härten in 
der Prostata gefunden. Der Uber eine Anzahl von Monaten sich er* 
streckenden Behandltmg des erwähnten Kollegen mit Ätzungen, Sonden- 
einführung etc. gelang es, die HypcrSmie und Hyperästhesie der Pars 
prostatica völlig zu beseitigen, so dass schliesslich die dicksten Sonden 
ohne erhebliche Beschwerden eingefOhrt werden konnten. Iliennit ver- 
lor sich zwar die Spermatorrhoe, an der vorhandenen PotenzstOnmg 
wurde jedoch, obwohl der behandelnde Kollege audi das Ailgemeiii' 
befinden nicht unberücksichtigt Hess, nicht das Geringste geändert. Da- 
gegen liatte sich unter dem Einflüsse der sicher mit grossem Geschick 
durchgeführten Lokalbehandlung ein dem Patienten sehr lästiges Symptom, 
das sidi schon Irtkher zeitweilig gezeigt hatte, in sdir hartnackiger Weise 
wi^er eingestellt. Längere Zeit hindurch trat nach dem Urinieren 
regelmassig ein Gefühl ausgesprochener Müdigkeit, namentlich im Rücken, 
ein. Diese Erscheintmf,' war schon in früheren Jahren mitunter, aber 
immer nur ganz vorübergehend nach dem Urinieren, insbesonders nach 
spermatorrhotschen Abgängen aufgetreten; es mnsste sich also, wfthrrad 
die Empfindlichkeit der Pars prostatica f&r mechanische Reize eine so 
hochgradige Herabsetzung erfuhr, eine Hyperästhesie derselben für 
Wärmereize entwickelt haben, infoltre welcher das einfache Hinweg- 
strömen des Urins über die Schleimliaut bei der bestehenden erhöhten 
Irritabilität des Lendenmarkes genügte, in diesem refldctorisch dnen 
shockartigen Vorgang auszulosen. Eine Erklärung fbr dieses Verhalten 
dflrfle in dem Umstände gesucht werden, dass der Patient Längere Zeit 
einen MastdarmkQhlapparat gebrauchte, welcher, während er in anderer 
Hinsicht sich wohl nützlich erwies, die in Frage stehende Hyperästhesie 
der Pais ^nat. f&r Wärmereize herbetgefllhrt haben mag. 

Es muss als ein besonderes Verdienst FQrbringer*s anerkannt 
werden, dass er, nach seiner eigenen Aussage ehemals ein sehr ent- 
schiedener Vertreter einer rationellen Lokalbehandlung ä tout prix, seit 
Jahren bemüht ist, den spezialistischen Übereifer in mechanischer und 
chemischer Behan«Uung der Pars proslaticA auf Grund seiner reichen 
Erfahnmg naehdrOcklichst zu bekämpfen. 

„Nichtsdestoweniger", erklärt er, „warnen wir nochmals eindringlich 
vor einer systematischen, einseitigen „speziaUstischen" Behandlung der 
^Harnröhre bei solchen Formen, in welchen die nervösen Symptome 
„die entzflndiichen Veränderungen überwiegen, und itubesondere bei 
i^reui neurasthenischen Fällen, die mit froherer Gonorrhoe gar niehts zu 
»tun haben. Die Fälle, die wir einfach durch Sistierung der von Lokal- 
„fanatikcrn geübten Misshandlung der armen Harnröhre, allenfalls unter 
„Hinzufügung des Aufenthalts an einem geeigneten Kurort, sich von Tag 
azu Tag haben bessern, ja selbst heiloi sehen, sind viel zu bedeutend, 
«als dass wir nicht an dieser Stelle unserer durch breite Erfahrung 
«gestOtzten Überzeugung Ausdruck geben mflasten." 

Es würde indes der Wahrheit nicht entsprechen» wenn 
wir nicht zugeben wollten, dass hinsichtlich der Oberschätsung 



Prophylaxe und Behandlung der sexuellen Neurasthenie. 



353 



des pathogenetischen Einflusses der Pars prost, und damit der 
Lokalbdiandlung mcht gelegentlich auch von neuropatholo^cher 
Seite gesfind^t wurde und vielleicht noch gesündigt wird. Das 
Unglaubliche hat in dieser Hinsicht gerade Beard^ der um 
unsere Kenntnis der Neurasthenie sidi so hervorragende Ver- 
dienste erwarb, geleistet. Was dieser Autor in der Lokal- 
behandlung sexueller Neurasthenikcr gelegentlich verübte, könnte 
bei Unbefangenen den Eindruck hervorrufen, dass mitunter 
selbst bedeutende Ärzte es für Pflicht halten, in therapeutischen 
Dingen wie in Glaubcnsangclcgcnheitcii von ihrem Denkvermögen 
möglichst wenig Gebrauch zu machen. 

Bei der Behandlung der in Frage stehenden Zustände 
müssen wir unser Augenmerk in erster Linie den ursächlichen 
Umständen zuwenden; dabei dürfen wir jedoch nicht ausser 
Acht lassen, dass aus den eben ant^'eführten Gründen mit der 
Beseitigung der ursächlichen Momente häufig nur eine conditio 
sine qua non für die Wirksamkeit weiterer notwendiger thera- 
peutischer Massnahmen erfüllt ist. Was die Onanie bei Kindern 
betrifft, so glaube ich, dass im Allgemeinen neben der Be- 
kämpfung etwa vorhandener lokaler Erkrankungen (Ekzem etc.) 
strenge Überwachung, wo solche durchführbar ist, zur Verhin- 
derung weiterer Schädigung genügt und nur in Ausnahmsfallen 
— bei ganz besonderer S^ke des onanistischen Hanges — 
weitere Massnahmen, wie hypnotische Behandlung oder die 
Vornahme schmerzhafter Eingriffe an den Genitalien (z. B. des 
Abkappens eines Teiles der Vorhaut), nötig werden. Die künst- 
liche Erzeugung einer Urethritis und Cystitis nach Lalle- 
mand würd heutzutage Niemand mehr emsthaft in Vorschlag 
bringen wollen. 

Bei Erwachsenen darf man sich durch <üe Versicherung, 
dass libsturbation „früher** geübt wurde, nicht ohne Weiteres 
zu dem Glauben bestimmen lassen, dass das Laster ein über- 
wundener Standpunkt ist ; denn häufig genug wird dcm.selben 
noch ^fefrcihnt, nachdem die l*".rkenntnis der schälllichen Wir- 
kungen desselben sich bncits aufgedrängt hat. Energischer Appell 
an die WiUenskiatL des l.eideniU n und B< lehrung über die mög- 
lichen Folgen eines Fortfahrens in der üblen Gewohnheit sind 

Li) weafeld, Sexuell-nervöse Stärungeo. Vi«rt« Aufl. 23 



^4 Froplijrhse nnd Bcbaiidliiiig der Mxnellen Nennttlieiite, 



in diesen Fällen zwar nicht zu umgehen; man tut jedoch immer 
gut, wenn man auf den Erfolg dieser psychischen Beeinflussung 
sich nicht zu sehr verlasst und durch strenge Regulierung der 
Lebensweise dafür Sorge tn^, dass dem Patienten nicht viel 
Zeit bleibt, sinnlichen Gedanken nachzuhängen, und auch die 
äusseren und inneren — körperlichen — Anreize zu solchen 
möglichst beschränkt werden. Wer nach redlicher Tagesarbeit 
noch stundenlang angestrengt turnt oder eine Idarschleistung 
von lo— 12 Stunden hinter sich hat, wird nicht von sexuellen 
Regungen beftstigt. Energisdie Muskelfibung jeder Art drOckt 
entschieden die Erregbarkeit der sexuellen Zentren herab. 
Speziell jenen Onanisten, bei welchen Beruf oder Neigung vieles 
Stui^ensitzen veranlasst, ist daher reichliche Bewegung im Freien 
oder eine andere Art körperlicher Beschäftigung während einer 
Anzahl von Tagesstunden (aber nicht Reiten und Velozipcd- 
fahrcn) dringend zu empfehlen. Intensive geistige Anspannung 
bildet dagegen kein durchwegs geeignetes Ablcitungsmittel gegen 
den sexuellen Dran^' des eingefleischten Mastiirbanten. Dieselbe 
erweist sich zwar bei dem in sexueller Abstinenz Lebenden 
förderlich zur Bekämpfung der gelegentlich sich stärker geltend 
machenden sexuellen Regungen; bei den neurasthenischen Mastur- 
banten kann dieselbe dagegen die bestehende nervöse Er« 
Schöpfung steigern und hierdurch das Auftreten übermässiger 
Pollutionen und der Spermatorrhoe begünstigen. Leider kommt 
ein grosser Teil der Masturbanten uns erst in einem Stadium 
zu Gesicht, in welchem die geistige und körperliche Leistungs- 
fähigkeit derselben bereits erheblich gesunken ist. Auch bei 

') Bei zwei jungen MTinncm meiner Beobachtung, dii- längere Zeit exzessiver 
Maiiturbation ergeben waren, steilten sich nach Reitversuchen Anzeichen von 
SpennMonAioe «In. Dms das VetonpctUahi«» in demticeii FSll«n Sholidi« Folgen 
bnben kann, iat nabctiegend. Bei einem von mir tMhandtltea, seit Jahicn an 

FoUatinn. nimiae leidenden Neurasdieniker traten beim Veloziped fahren auf 
holperigen Wegen öfters Pollutionen ein. Von Intertsse sind hier auch die Mit- 
teilungen Ilaminond's über die „Mujerados" unter den Ji^ebloindiaoem in 
Keu-MexUto. Diese ersetzen bei sieb dnrcb häufiges Mastuibicfen und fast 
kontinuicrlidics Reiten anf ungesattelten Pferden «ne andauernde Spennatotrhoe, 
welche .iil^nalilikli zur Verkümmerung der Sexualorgane und Impotenz führt. Die 
wciterr 1 "t^' tlir.er kiinstlahcn Entmarrn^mj; ist, dass Charakter und KOrperlMUi 
bei den Mujerados alimäbltcb einen exquisit weiblichen Typus annehmen. 



PropÜylaxe md Behandlung der aekttellen NenmUieme. 



355 



diesen Patienten liegt es uns ob, auf eine entsprechende, den 
vorhandenen Kräften sorgfältig angepasste Beschäftigung hin- 
zuwirken. Des Weiteren ist in dien Fällen für r^elmassige und 
leichte Stuhlentleerung Sorge za tragen, der Genuss geistiger 
Getränke zu untersagen und bei körperlich heruntergekommenen 
Individuen auf Verbesserung der Allgemeinemährung hinzuwirken. 

Sehr wichtige Dienste kann uns, wo es sich um die Be- 
seitigung eingewurzelter masturbatorischer Gewohnheiten han- 
delt, die hypnotische Suggestion leisten, v. Schrenk-Notzing 
glaubt sogar, dass bei Onanie keine andere Behandlungsmethode 
in Beziig auf Schnelligkeit und Sicherheit der Wirkung mit der 
hypnotischen Therapie sich vergleichen lässt und dieses Heil- 
verfahren berufen sei, zukünftig in der Behandlung der Onanisten 
die Hauptrolle zu spielen und die bisher üblichen Heilmethoden 
nur ergänzungsweise heranzuziehen seien. Auch Berillon, 
Forel, Wetterstrand u. A. rühmen die Wirksamkeit der 
Hypnotherapie bei Masturbation. Nach einer Zusammenstellung 
V. Schrenk-Notzing's wurden von 20 Onanisten 13 geheilt 
(hiervon 10 mit späterer Nachricht) und 6 gebessert. Nach meinen 
bisherigen Erfahrungen empfiehlt sich die Anwendung der hyp- 
notischen Suggestion bei älteren Kindern» deren andauernde 
Oberwachung auf grosse Schwierigkeit«! stösst und z. T. 
überhaupt nicht durchführbar ist, dann bei Erwachsenen, deren 
Willensschwäche einen nachhaltigen Erfolg auch von energischen 
Mahnungen und Belehrungen im wachen Zustande nicht erwarten 
lässt, femer in den Fällen, in welchen der Impuls zur Onanie 
ausgesprochenen Zwangscharakter aufweist. Bei Kindern jedoch 
sowohl als Erwachsenen dürfen wir auch bei Anwendung der 
Hypnotherapie die vorstehend erwähnten diätetischen Mass- 
nahmen keincsweLjs ausser Acht lassen. 

Bei den Exzedenten in Venere mit gesunkener Potenz ist 
oft ein Aussetzen des sexuellen Verkehrs für länj^'ere Zeit not- 
wendig. Dabei ist natürlich jede Gelegenheit zu sexueller Er- 
regung zu meiden. Bei Verheirateten führt in diesem Funkte 
nicht selten nur eine zeitweilige Trennung von der allzusehr 
geliebten oder begehrlichen Gattin zum Ziele. Dass wir ausserdem 
auf Meidung des Congressus interr. und frustraner Erregung 

23' 



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356 



Prophylaxe und Behandlung der sexuellea Neurasthenie. 



hinzuwirken haben, ist selbstverständlich. In den Bereich der 
ursächlichen Behandlung gehört ferner die Beseitigung von Er- 
krankun^'on und Abnormitäten der Sexualorgane bei beiden 
Geschlechtern, bezüglich welcher wir auf die einschlägigen 
SpezialWerke verweisen müssen. 

Wenden wir uns nun zu jenen Mitteln, welche auf den 
Zustand des Nervensystems direkt einwirken, so ist vor Allem 
SU bemerken, dass die Neurasthenie sexuellen Ur* 
Sprungs kein anderes Eingreifen erheischt als jede 
Neurasthenie anderer Verursachung. Welchen Weg 
wir bei der Behandlung jedoch audi einschlagen wollen, immer 
mOssen wir uns von zwei Klippen ferne zu halten suchen, zwei 
Klippen, an welchen so viele therapeutische Unternehmungen 
zu Grande gehen: der Oberschätsiing wie der Unterschätzung 
der einzelnen gebräuchlichen Heilverfahren. Bei der Behandlung 
aller sogenannten funktionellen Nervenkrankheiten werden be- 
kanntlich mit den verschiedensten Mittehi — physikalischen 
Heilagentien, Massage, Luftkuren, Arzneien, lokaler Behandlung 
der Sexualorgane etc. — häufig auffallende Erfolge erzielt. Dieser 
Umstand und die spczlalistische Bcschäftigimg mit einzelnen 
Bchandlungsaicthodcn habeii einen grosse n I eil der Arzle zui 
Überschätzung der Leistungsfähigkeit und dem entsprechend zu 
einem übermässigen Kuhns einzelner Mittel geführt, mit dem 
sich gewöhnlich ungerechtfertigte Vernachlässigung anderer Mittel 
verbindet. An die Polypharmazie amerikanischer und englischer 
Ärzte, an den Missbrauch, der mit den sogenannten Ncrvinis, 
narkotischen und hypnotischen Mitteln noch immer in grossem 
Massstabe getrieben wird, reiht sich der mit gänzlicher Ver- 
werfung arzneilicher Behandlung einhergehende Wasserfana- 
tismus deutscher Hydropathen, der übermässige Kultus einzelner 
elektrotherapeutischer Verfahren, der Massage und der schwedi- 
schen Heilgymnastik, gewisser Diätkuren, die gynäkologische 
Behandlung nicht voriiandener oder irrelevanter UterinafTektionen 
und die planlose Matträtierung des Caput gaUinagmis an, von 
der Bäderreklame ganz zu schweigen. Die nicht zu leugnenden 
Wirkungen der Suggestion haben andererseits hervorragende 
Vertreter der suggestiven Behandlung (Bernheim, Forel) 



Proptiylwe und BebaAdlniig der seradleii Nenmtliepie. 357 



dazu geführt, die grosse Mehrzahl der Heilwirkungen der eben 
genannten Verfahren auf si^estive Einflüsse za beziehen. Zum 
Glück hat diese Anschauung in weiteren ärztlichen Kreisen bisher 
keinen Eingang gefunden; sie müsste, wenn nicht zum thera« 
peutisdien Nihilbmus, jedenfalls zu einer Vernachlässigung der 
durch vielfältige Erfohrungen erworbenen Grundsätze für die 
Anwendung der physikalischen, klimatischen und arzneilichen 
Heilmittel führen. Wenn die Wirkungen der Hydrotherapie 
z, B. hauptsächlich auf Suggestion beruhen würden, so könnte 
es keinen grossen Unterschied ausmachen, ob wir in einem 
gegebenen Falle kalte Vollbäder und Douchen oder nur temperierte 
Halbbäder anwenden; die kalten Prozeduren inüs ten sogar eme 
intensiven- Suggestivheilwirkung äussern. Für d n Elektro- 
therapeuten wäre es an sich gleichgültig , wenn seine Erfolge 
hauptsächlich durch Suggestion bedingt sind, ob er am Kopfe 
mit einer Stromdichte von ^/lo oder ^/loo operiert, sofern er nicht 
die grössere Stromdichte etwa wegen ihrer intensiveren Suggestiv- 
wirkung vorziehen wollte. Die Erfahrung lehrt jedoch, dass es 
sich keineswegs so verhält. Die ungeheuere Zahl von Miss- 
erfolgen, die bei der Anwendung der physikalischen Heilmethoden 
in unerfahrenen Händen beobachtet werden, die Vor- und Um- 
sicht, deren auch der Geübteste bei Verwertung derselben 
bedarf, um das der Individualität des dnzehien Kranken ^t- 
sprechende zu treffen, sie zeigen in unverkennbarer Weise, dass 
die Erfolge dieser Heilverfahren nicht in dem Masse von sugge- 
stiven Einflüssen herrühren können, wie die Vertreter der Nancyer 
Sdiule annehmen. Wir dürfen auch hier das Kind nicht mit 
dem Bade ausschütten. Die ungerechtfertigte und verwerfliche 
Reklame, die mit einzelnen Kurmethoden getrieben wird, darf 
uns nicht verleiten, denselben den ihnen immanenten therapeu- 
tischen Wert abzusprechen. Immerhin müssen wir aber Bern- 
heim und Forel das Verdienst zugestehen, zu einer strengeren 
Kritik der Wirksamkeit der bei nervösen Schwächezuständen 
gebrauchten Kurmittel den Anstoss gegeben zu haben. 

Von arzneilichen Mitteln ist bei Bekämpfung neurasthcni- 
scher Affektionen — sohin auch bei der sexuellen Neurasthenie — 
wenigstens in Bezug auf Hebung des krankhaften Allgemein- 



358 



Prophylaxe und Bebandlung der sexuellen Neurasthenie. 



zustandes der Nerven erfahrungsgemäss nicht sehr viel Erspriess- 
liches zu erwarten. Seltsam kontrastiert mit dieser Tatsache 
allerdings das stetige Anwachsen der Zahl der Nervenmittel, von 
denen eines das andere nach den Versicherungen der Fabrikanten 
und gläubiger Ärzte an Wundcrlcistungen überbieten soll. In 
der Tat hat aber die Menge der neueren und neuesten Nervina 
unser therapeutisches Vermögen im Wesentlichen nur in sympto- 
matischer Hinsicht vermehrt. Wo es sich z. B. um Beseitigung 
von Schmerzen und anderen Reizzuständen handelt, leisten uns 
neben den Brompräparaten Antipyrin , Phenazetin, Citrophen, 
Aspirin, Trigemin etc. schätzbare Dienste; diese Mittel ermög- 
lichen es uns auch, den Gebrauch der Narkotika auf gewisse 
seltene Einzelfälle zu beschränken. Aber eine direkte Kräftigung 
des Nervensystems wird durch keines der derzeit bekannten 
Nervina erzielt. Die Hoffnungen , welche man auf die organo- 
therapeutischen Präparate tierischer Provenienz, insbesonders die 
subkutane Anwendung von Nerven.substanz und Brown-Se- 
quard'schen Hodenextrakt, setzte, haben sich nicht erfüllt. Auch 
über die Leistungen des Pöhl'schen Spermin besteht noch 
keineswegs genügende Klarheit '). Wo es sich um Förderung 
der Ernährung des Nervensystems handelt, verdienen die organi- 
schen Phosphorpräparate Sanatogen, Lecithin, Protylin (Roche), 
Phytin Verwertung, wenn auch die hiermit erzielten Resultate 
im Ganzen hinter den Anpreisungen der Fabrikanten und mancher 
Arzte entschieden zurückbleiben. 

Zu den am meisten bei Neurasthenie in Gebrauch gezogenen 
Mitteln zählen noch immer neben den Hrompräparaten Eisen und 
Arsenik , und es ist nicht zu leugnen , dass auch gegenwärtig 
noch die Prüfung der Frage, ob für das eine oder andere dieser 
Mittel eine besondere Indikation vorliegt, häufig verabsäumt wird. 
Es ist begreiflich, dass bei diesem kritiklosen V^orgehen die er- 
warteten Erfolge oft ausbleiben und nicht selten statt einer 

') Die Wirkungen des Spermin wird von Vielen auf Sufyjestion rurück- 
geführt, wozu der hohe l'rcis des Mittels Veranlassung gehen kann. Ich selbst 




GoogI( 



Froi>hyUxe und Behandlung der sexuellen Neunstbeoie. 



359 



Besserung des Nervenzustandes lediglich eine Beeinträchtigung 
des Magens resultiert. 

Ich möchte nicht missverstanden werden. Eisenmittel leisten uns 
in manchen Fallen von Neurasthenie entschiedene Dienste; ihre Verord- 
nung ist jedoch nur in den FAUen am Pktie, wo Bhitamint und die 
daraus resultierende Herabsetzung der Allgemeinemlhrung zweifellos 
das Primare, die nervOsen Störungen deren Folgezustand bilden, also 
insbesondere in Fällen, wo direkte Blut- oder länger dauernde Säfte- 
verluste infolge irgendwelcher Krankheiten vorhanden waren oder durch 
schwere AUgemeincrkrankungen die Ernährung herabgesetzt wurde. In 
diesen FtUen empfehlen sich auch die verschiedenen HAmoglobtnprA» 
parate, welche den Vorzug haben, dass sie den Magen nicht belästigen; 
dieselben können auch bei sekiindiiren (im Gefolge der Xciirastlunie sich 
entwickelnden) anflmischen Zustanden Anwendung tindeii. Eine Korn- 
bmation von Mitteln, unter wekhea Eisen und Mangan eine wichtige 
Rolle spielen, enthfllt Fdlow's Sirup hypophosphites (Chinin, Strychnin, 
^en, Mangan, Kalzium, Kali, gebunden an unterphoq>horige Sfture). 
Der in neuerer Zeit unter dem Titel „Sirupus Kolae compositus" in den 
Handel gebrachte Sirup enthalt neben den Hauptbestandteilen des 
Feilow'scheu Sirup Kolaextrakt. Ich glaube, von beiden Siruparten bei 
manchen mit Anftmie zusammenhängenden neurasthenisehen Afiektionen 
gute Wirkung gesdien zu haben; doch empfiehlt sich die Anwendung 
dieser Sirupe nur in Fallen, in Welchen s^ueUe Reizzustftnde fehlen und 
der Magen frei von Störungen ist. 

Entschieden Beträchtlicheres als arzneilicbe Agentien leisten 
bei vielen Neurasthenikern klimatische Kuren. Schon ein ein- 
facher Landaufenthalt in waldreicher Gegend erweist sich dem 
Städter mit heruntergekommenen Nerven oft in hohem Masse 
fSrderlicb; noch grössere Vorteile bietet namentlich bei länger 
bestehenden Leiden ein Aufenthalt im Gebirge oder an der See. 
Der Einfluss der Luft, der übrigens nicht zu unterschätzen ist, 
bedingt natarltch nicht allein den Heilerfolg der klimatischen 
Kuren. Die geistige Ausspannung, die hiermit gewöhnlich ver- 
bunden ist, die angenehmen und umstimmenden Eindrücke der 
neuen Umgebung, bessere und regelmassigere Ernährung und 
reichliche Körperbcwc^un^^ haben oft sogar den HauptenteÜ 
an dem Heilerfolge /u beanspruchen. Reisen sind clagrgen nur 
solchen zu empfehlen, die über ein gut Teil kürperlichcr und 
geistij^er Leistungsfähigkeit verfügen. Ich habe mehrfach bei 
sexuellen Hypochondern, die anhaltend über Parästhesien und 
Schmerzen in den Genitalien, dem Rücken etc. klagten, von Reisen 
in Gesellschalt eines reundes den günstigsten Einfluss gesehen. 



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360 



Prophylaxe und Behandlung der sexuellen Neurasthenie. 



Zu den mit Recht am meisten in Anspruch genommenen 
Hilfsmitteln zählt die Hydrotherapie , die bei der Mannigfalt 
und Abstufbarkeit ihrer Prozeduren bezüglich der thermischen 
und mechanischen Reizeinwirkung für die grosse Mehrzahl Neur- 
asthenischer in irgend einer Form sich anwendbar erweist. Wenn 
wir auch zugeben wollen, dass häufig die Wirksamkeit der Wasser- 
kuren insofern überschätzt wird, als dem Einflüsse derselben zu- 
geschrieben wird, was anderen hiermit verknüpften Faktoren (der 
geistigen Ruhe, Landkift etc.) zukommt, so müssen wir andererseits 
doch, wie wir oben schon andeuteten, entschieden davor warnen, die 
Bedeutung der Art der angewandten Prozeduren zu unterschätzen, 
etwa in der Annahme, dass die Suggestion die Hauptsache leiste. 
Die wahrhaft abschreckenden Resultate, welche der Kaltwasser- 
fanatismus der Wasserärzte älteren Schlages lieferte, sind schon ge- 
nügend, diese Illusion gründlich zu zerstören. Die von einem mäch- 
tigen Glauben ausgehenden Suggestiveinflüsse können zwar, wie 
manche in Wörishofen und anderweitig erzielte Erfolge lehren, die 
Wirkungen einer an sich schädlichen Behandlung paralysieren und 
sogar überkompensieren, so dass trotz aller dem Körper zugefügten 
Unbill eine günstige Änderung des Befindens eintritt. Solch mäch- 
tigen Glauben erwecken jedoch, wie der Nimbus lehrt, 
der seinerzeit eine Hohenester und in neuerer Zeit Pfarrer Kneipp 
umgab, in der Regel nur Heilkünstler nicht ärztlichen 
Standes. Der Arzt, der bei einem Patienten eine Wasserkur 
für angezeigt hält, tut jedenfalls gut, soferne er auf hydriatischem 
Gebiete nicht zureichende Kenntnisse und Erfahrungen besitzt, 
seinen l'aticnten einer Anstalt zu überweisen, deren Leiter Bürg- 
schaft für wissenschaftliche und strenge individualisierende An- 
wendung der Wasserkur bietet. Bei der hydriatischen Behandlung 
der sexuellen Neurasthenie ist, abgesehen von dem allgemeinen 
Nervcnzustande, speziell der Umstand zu berücksichtigen, ob 
sexuelle Reizsymptome vorhanden sind oder nicht. Kalte Duschen 
auf den Rücken und die Genitalien, ebenso kalte Sitzbäder sind 
bei Reizzuständen (belästigenden Erektionen, Pollutiones nimiae 
etc.) zu meiden ; tliese Prozeduren eignen sich nur für die Fälle 
mit herabgesetzter Potenz ohne Reizerscheinungen. Bei Neigun}^ 
zu übermässigen Pollutionen, verfrühter Ejakulation etc. sind da- 



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Propbylue uod Behiodlaiig der «exuellcn Nenrasthenie. 



361 



gegen mehr temperierte Sitzbäder (16—22*» R.) am Platze. Halb~ 
bäder von 22 — 24® R entsprechen den Anforderungen der grossen 
Mehrzahl der Fälle, sie können bei Vorhandensein sowohl als 
bei Mangel von Reizerscbeinungen Anwendung finden. Warme 
Bider (Thermen, warme See-, Sool- und Stahlbäder) sind be- 
sonders bei in ihrer Ernährung sehr herabgekommenen, blut- 
armen Nervenschwachen angezeigt. Einfache Fluss- und Binnen- 
seebSder leisten indes auch in vielen Fällen erspriessliche Dienste; 
selbst während der kalten Jahreszdt ist bei vorhandener Ge- 
legenheit in einer entsprechend eingerichteten Badeanstalt die regel- 
mässige Benutzung eines Schwimmbades öfters empfehlenswert. 

Die Anwendung der Elektrizität gestattet uns, auf den Ge- 
samtziistand des Nervensystems wie auf den Zustand einzelner 
Abschnitte desselben einzuwirken. Beeinflussung des Gcsamt- 
nervensystems erzielen wir durch die Methoden der aligemeinen 
Elektrisation, wovon meines Erachtens nur die sogenannte all- 
gcmeme Faradisation und das elektrische Bad Beachtung ver- 
dienen. Die Galvanisation des Kopfes wenden wir bei Er- 
schöpfungszuständen des Gehirns, die Galvanisation des Rückens 
bei Myelasthenie, die Galvanisation am Habe vorzugsweise bei 
den mannij^fachcn Erscheinungen der Herzneurasthenie an. Die 
statische Elektrizität, die in ihrer physikalisch-therapeutischen 
Wirksamkeit dem galvanischen und faradischen Strome nacfa- 
st^t, dgnet sich besonders zur Ersielung psychischer Wirkungen. 

Massage und Heilgymnastik erweisen sich bei höheren Graden 
von Muskelschwäche oft von Nutzen, die Massage namentlich bei 
Erschöpfungszuständen, die wen^ aktive Bewegung zulassen. 
Sehr gute Dienste leisten diese Faktoren auch bei Bekämpfung 
der habituellen Obstipation, die bei den sexuellen Neurasthenikem 
oft wesentlich zur Steigerung ihrer Beschwerden beiträgt. 

Die 14 rosse Bedeutung einer sachgemässen und konsequenten 
psychischen Behandhing bei neurasthenischen Zuständen hat in den 
letzten Jahren mehr und mehr Anerkennung gefunden. Die Mass- 
nahmen, welche in das Gebiet der Psychotherapie gehören, sind 
jedoch sehr vcrschicdem-r Art und die Ansichten über den Heil- 
wert einzehu-r derselben bei Neurasthenie geteilt. Dies gilt 
insbesonders für die hypnotische 5uggestivbehandlung, viel weniger 



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362 Prophylaxe und Bchandiung der sexuellen Neurasthenie. 



für die Siiggostivtherapie im Wachen ; doch scheinen die Vor- 
urteile, welche j^e(,'en die Verwertung der Hypnotherapie im 
Allgemeinen und daher auch bei Neurasthenie sich geltend machten» 
mehr und mehr abzunehmen. Das hypnotische Heilverfahren 
kann sich nicht direkt gegen den neurasthcnischen Allgemein* 
zustand richten, sondern nur gegen einzelne Symptome, mit deren 
Beseitigung allerdings in der Regel auch der Allgemeinzustand 
gttnstig beeinflusst wird; das Gleiche gilt für die Wachsuggestion. 

Zur Vornahme von Mastkuren ist bei sexuellen Neur« 
astiienikem tm Ganzen nicht häufig Veranlassung ; ihre Anwendung 
kann auf die Fälle hochgradiger Nervenerschöpfung mit gesunkener 
Potenz ohne sexuelle Reizerscheinungen beschränkt werden. 

Indem ich nun bezüglich der Details der Gebraudisweise 
der angeführten Kurverfahren auf meine a. a. O. gegebene aus- 
führliche Darstellung verweise*), will ich hier nur noch in KQrae 
auf die Behandlung der wichtigsten nach sexuellen Missbräuchen 
in der Genitalsphäre auftretenden Störungen emgefaen. 

Was zunächst die Therapie der übennSss^en Libido be- 
trifft, die wir als eine sehr beschwerliche Erscheinung nicht 
nur bei Ledigen, sondern mitunter auch bei Verheirateten mit 
Gelegenheit zu regelmässigem Geschleciitsverkchr, ferner bei an 
Jahren vorgeschrittenen Personen nicht minder als bei jüngeren 
antreffen, so ist auf die hier erforderlichen Massnahmen z. T. 
schon fri!h(n hingewiesen worden. Die Wichtigkeit der Fürsorge 
für stete und leichte Stuhlentleerun'^» möchte ich hier nochmals 
betonen; bei vollblütigen Individuen mit sitzender Lebensweise 
erweist sich öfters längerer Gebrauch von abführenden Mineral- 
wässern von günstigem Erfolge. In den in Betracht kommen- 
den Fällen ist femer eine gewi<^^e <^iedankcndisziplin notwendig ; 
die betreifenden Patienten haben alles zu meiden, was tigend 
geeignet ist, sexuelle Erregimg zu verursachen oder auch nur 
die Gedanken auf das sexuelle Gebiet zu lenken» wie intimeren 



') S. Löwenfeld, die moderne Behandlung dt-r Nervenscbwfldbc (Nctt* 
asthfnie\ ilor Hysterie und vcrw.in<ltcr leiden; 4, Aufl. Wic-haden 1904; be- 
züglich der psychischen Behandlung des Weiteren : Lehrbach der gesamten Psycho« 
tberapie, Wtesb«deii 1897 and der Hypnotismiu, Handbodi d«r Lehre von der 
Hypnose und der Sii(gestioa, Wiesbideii 1901. 



Prophylaxe und Behandlui« der sexueUea Neun»tb«iiie. 



363 



Verkehr mit Angehörigen des anderen Geschlechts (bei Ver- 
heirateten Beschränkung der gegenseit^en Zärtlicbkeitisn), ge* 
wisse Arten der Lektüre, Besuch mancher Schauspiele, Operetten 
und insbesonders der Varidt^vorstellungen, Betrachtung obszöner 
Bilder etc. 

Dagegen kann ich vieles Alleinbleiben, das Meiden jeder 
geselligen Unterhaltung durchaus nicht empfehlen. Ich habe 
gefunden, dass gerade bei Männern, welche infolge Mangels 
geeigneter Gesellschaft oder von Abneigung gegen geselligen 
Verkehr in einer Art beständiger Isolierung lebten, das Über- 
wuchern des Sexucllsinnlichen in der Gedankenwelt besondere 
Dimensionen annahm. ICine gewisse Beschäftigung ist ebenfalls, 
wie wir schon erwähnten, unentbehrlich, um das Abschweifen 
der Gedanken auf das sexuelle Gebiet m<jglichst zu verhindern; 
hierbei muss der krirperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit 
der Patienten sorgfältig Rechnung getragen w-erden. 

Dass die hypnotische Suggestion uns bei exzessiver Libido 
grosse Dienste leisten kann, erhellt schon aus dem an früherer 
Stelle bei Besprechung der Therapie des onanistischen Hanges 
Erwähnten. In manchen Fällen ist die Wirkung der Hypnose 
äusserst prägnant und über alles auf anderem Wege Erreich- 
bare weit hinausgehend. So genügte bei einem von mir be- 
handelten, Ende der 20 er Jahre stehenden Fraulein, welches 
nach dem Aufgeben lange geübter Masturbation zeitweiltg an 
Schlafmangel und grosser geschlechtlicher Erregtheit litt, Wiedel^ 
holt eine einmalige Hypnotisierung mit entsprechenden Sugges- 
tionen, um der Betreffenden für Wochen ruhigen Schlaf und 
Befreiung von der sehr lästigen sexuellen Erregung zu ver- 
schaflTen. Allerdings war diese Patientin eine vorsGgliche Som- 
nambule, die in \v( nit^en Sekunden sich tief einschläfern liess, 
und auch in einzelnen anderen Fällen, in welchen Somnambulis- 
mus erzielt wurde, waren die Erfolge sehr befriedigend, wahrend 
bei den Patienten, bei welchen nur leichtere Grade der Hypnose 
sich herl)eiführen Hessen, die Wirkun;^ der einzelnen hypnoti- 
schen Sitzungen z. T. weniger ausgesprochen und nachhaltig war. 

Von medikamentösen Mitteln erweisen sich häufig grössere 
Gaben von Bromsaizen (4—6 Gramm pro die) von deutlichem 



364 



Prophylaxe und Behandlung der sexuellen Neurasthenie. 



Nutzen, in manchen Fälk-n auch Campher pur oder in Ver- 
bindunj^ mit Brom als Canipliora monobromata. 

Wirksamer als die j^^enannten Medikamente erscheint mir 
jedoch eine Kombination von Mitteln, mit welcher ich in neuerer 
Zeit bei sexueller Hyperästhesie und anderen sexuellen Reiz- 
zuständen entschieden günstige Resultate erzielte. Es ist dies 
die als Liquor sedans bezeichnete Mischung, die in neuerer Zeit 
insbesonders von der Firma Parke, Davis & Comp, in den 
Handel gebracht und für dysmcnorrhöische Beschwerden emp- 
fohlen wird. Die von mir gebrauchte Formel für die Liquor 
sedans hat folgende Zusammensetzung: 
Rp. 

Hydrastin. muriat. 0,6 
Fluid Extract. Piscidiae crythr. 18,0 
Fluid ExtracL VOmmi pniniTolil. 24,0 
Tinct aromat. 9/> 
3X tAgL ao— 40 Tropfen. 

In diätetischer Hinsicht habe ich bei sexueller Hyperästhesie 
von v^etarischer Lebensweise, i. e. Verzicht auf Fleisdigenuss 
und vollständiger Alkobolabstinenz ausgesprochen günstige Wir- 
kungen gesehen. 

Bei der Behandlung der übermässigen nächtlichen Pollu- 
tionen ist vor allem ein gewisses diätetisches Regime unerlässlich. 
Sind diese Samenabgänge Teilerscheinung eines nervösen £r- 
schüpfungs;£ustandes, der mit Herabsetzung der AUgemetnemäh- 
rung und Blutarmut vergesellschaftet ist, so ist eine roborierende 
Diät , Meidung erheblicher geistiger und körperlicher Anstren- 
gui)i;en und während der besseren Jahreszeit reichlicher Aufent- 
halt im Freien angezeigt. Bei gut genährten, kör})crlich nicht 
hcrabj^ekommenen Pollutionisten ist daye<4en reizlose, frugale 
Ernährunj^ mit Einschränkung der Fleischspeisen und Enthaltung 
von geistigen Getränken am Platze. Bei beiden Kategorien von 
Leidenden ist nur ein frugales Abendbrod (l>ei den Gutgenährten 
nur eine leicht verdauliche Mehl- oder Milchspeise) zu gestatten; 
dieses soll zeitig \ (M/ehrt und zwei Stunden vor dem ZubeUe» 
gehen, wenn tunlich, überhaupt keine Getränke mehr genossen 
werden. Der Zweck dieser \'erordnung ist ein doppelter: sowohl 
die reflektorische, durch den Druck einer stark ausgedehnten 



Prophylaxe und Behandlung der sexuellen Neurasthenie. 



365 



Blase vermittelte, als die von den psychischen Zentren aus — • 
durch sinnliche Traumvorstellungen — erfolgende Erregung des 
Centrum ^cnito^pinale zu verhüten. Von arzneilichen Mitteln 
leisten gegen die Foil. nimiae die Brompraparate in manchen 
Fällen gute Dienste. Das Gleiche gilt für das Atropin, wie ich 
mich namentlich in Fällen überzeugen konnte, in welchen kein 
anderes Mittel zur Anwendung gelangte. Am wirksamsten 
schönt jedoch nach meinen bisherigen £rfahrungen das in 
neuerer Zeit von Teleki in Budapest und König in Braunau 
empfohlene Fluid. Extract. HydrastU canadensis, das in Dosen 
von i5~>3o und mehr Tropfen täglich 3 mal gegeben wird. Ich 
kann mich jedoch den enthusiastischen Lobeserhebungen, welche 
die genannten Autoren dem Mittel bei Poll nimiae spenden, 
nicht gans anschliessen. Ein Erfolg tritt auch bei Anwendung 
des Fluid. Extr. Hydrastis nicht selten nur zögernd ein, und die 
Anwendung anderer therapeutischer und namentlich diätetischer 
Massnahmen darf hierbei nicht verabsäumt werden. Von elek- 
trischen Behandlungsmethoden kommen bei Poll, nimiae die 
horisontate Durchströmung des Lendenmarks (+ Pol unter Dorsal- 
und oberste Lendenwirbel, — Pol Abdomen), die Galvanisation 
längs der Wirbelsäule mit besonderer Berücksichtigung des Lenden- 
niaiks und absteigende Ströme von der Lendenmarksregion der 
Wirbelsäule zum Damme in Betracht ; die Stromdichte soll hierbei 
2-—^ IVl «A 

io>'S cnT' Sitzungsdauer fönf Minuten nicht übersteigen. 

Eine lokale Behandlung der Pars prostatica der Harnröhre 
ist nur in einer Minderzahl jener Fälle, in welchen es sich 
nicht um chronische Urethritis handelt, ci forderlich. Das wirk- 
samste unter den hier in Betracht zu ziehenden Verfalnt t^ und 
dabei ganz gefahrlos ist jedenfalls die Anwendung der von W 1 n t e r- 
nitz empfohlenen Kühisonde (Psychrophor). Die Kühlsonde, 
ein Katheder ä double courant ohne Fenster und mit einem 
Zu- und Ablaufschlauche versehen, durch welchen man Wasser 
von einer Temperatur von 20—8" R. in der Dauer von höchstens 
12 Minuten durchfliessen lässt, wird bis an den Blasenhals ein- 
gefQhrt; hierdurch wird die Hamröhrenschleimhaut mit dem 
Caput gallinaginis und seinen Ringmuskdn dem mechanischen 



366 



Prophylaxe und Bebandlunf; der sexuellen NcurastbcDie. 



Einflüsse des Druckes und dem thermischen der gewählten Tem- 
peratur ausgesetzt. Ultzmann pflegte dem Gebrauche der 
Kühlsonde die Einführung dicker Metallsonden vorauszuschicken; 
diese vorbereitende Behandlung scheint mir jedoch überflüssig, 
da nichts entgegensteht, anfänglich die Anwendung der Kühl- 
sonde auf ganz kurze Zeit zu beschränken, um die Harnröhre 
an den Eingriff zu gewöhnen. Die Erfolge, welche Winternitz 
mit der Kühlsonde erzielte, sind ausserordentlich günstig'). Ob 
dieselben jedoch lediglich auf die mechanische und thermische 
Lokalwirkung des Instrumentes zurückzuführen sind, erscheint 
mir mindestens zweifelhaft. Die Anwendung der Kühlsonde 
ist eine Prozedur, die einer erheblichen Suggestivwirkung 
fähig ist. In den Fällen meiner Beobachtung Hessen sich durch 
die Kühlsonde nicht immer andauernde Erfolge erzielen. In 
der ersten Zeit der Applikation war die Wirkung allerdings fast 
immer eine günstige, zum Teil sogar — bei täglichem oder 
fast täglichem Auftreten von Pollutionen — eine höchst frap- 
pante; diese günstige Beeinflussung lässt jedoch in manchen 
Fällen bei Fort.setzung der Applikationen wieder nach, so dass 
schliesslich von denselben abgesehen werden muss. Auch die 
Berichte in der Literatur zeigen, dass die Wirkung der Kühl- 
sonde bei Poll. nim. keine gleichmässig gute ist. Wir dürfen 
auch nicht unerwähnt lassen, dass die Einführung des Psychro- 
phors bei Pollutionisten zumeist durch eine bei denselben vor- 
handene beträchtliche Hyperästhesie der ganzen Urethra oder der 
Pars prost, allein erschwert wird. Mit geduldigem Vorgehen 
und eventuell Anwendung von Suppositorien mit Extr. Belladonn. 
oder Opii, die einige Zeit vor der Anwendung in das Rektum 
eingeführt werden und neben ihrer pharmakodynamischen jeden- 
falls auch eine Suggestivwirkung der Hyperästhesie der Urethra 
gegenüber äussern, kommt man zwar wenigstens in den Fällen, 
in welchen keine Striktur besteht , gewöhnlich ans Ziel ; die 
anfänglich erhebliche Schmerzhaftigkeit oder Unannehmlichkeit 

Winternit/. erwähnt, dass in den meisten Fällen bei abnorm häufigen 
nächtlichen Samenenlleerunjjen unter dem Gebrauche der Kühlsonde die Pollutionen 
seltener wurden. Sämtliche Fälle, die mit grösserer Hyperästhesie der Harn- 
röhrenüchleitiibaut einherginjjen, wurden geheilt. 




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Prophylaxe und Behandlung der sexuellen Neurasthenie. 367 

der Pkxjzedur verliert sich mit öfterer Wiederholung dersdben 
mdir und mehr. Doch sind auch bei behutsamster Einführung 
des Instrumentes Ohnmachtsanwandlungen während oder noch 
einige Zeit nach derselben in der ersten Zeit der Behandlung 
nicht sicher zu vermeiden. Wiederholt ist es mir auch vor- 
gekommen, dass bei der Entfernung des Instrimientes aus der 
Harnröhre Samenergiessungen (ohne Erektion etc.) erfolgten, so 
dass aus diesem Grunde von dem weiteren Gebrauche des 
Psychrophors abgesehen werden musste. Auch das regelmässige 
Auftreten von Erektionen nach der Kinführung des Insti uaientcs 
haljf irh beob ü btet, was ebenfalls den weiteren Gelirauch 
dej>sclL)en verhinderte in Fallen, in welchen die Anwendung 
der Kühlsonde wegen zu grosser Empfindlichkeit oder Ängst- 
lichkeit des Patienten zunächst nicht ratsam erscheint, kann 
man den Arzberger'schen oder einen anderen der verseht«- 
denen Mastdarmlcühlapparate mit Nutzen verwenden. Was da- 
gegen die Anwendung von Ätzmitteln im prostatischen Teile 
der Harnröhre in Form von Einspritzungen etc. bei Mangel 
von Entzflndungszustanden gonorrhoischer Provenienz anbelangt, 
so sind die mir bekannt gewordenen Resultate dieser Therapie 
im Allgemeinen so abschreckend, dass ich diesbezQglicb nur 
meine Warnungen den von sehr berufener Seite bereits vor- 
liegenden beifügen kann. 

Bezf^lich der hydriatischen Behandlung haben wir an 
fr^erer Stelle bereits das Nötige bemerkt. Hier sei nur noch 
erwähnt, dass wir dem von manchen Seiten empfohlenen Ge- 
brauche des C hapnian'schen Rückenschlauches bei Poll. nim. 
kaum eine andere denn eine suggestive Wirkung zuzuerkennen 
vermögen. 

Besondere Beachtung erheischt auch das psychische Ver- 
halten der Pollutionisten. Infolge der ungünstigen Rückwirkung, 
weiche die nächtlichen Samenergüsse auf das Allgemeinbefinden 



') Buxbaum -glaubt gcfunclcn zu haben, dass hochf^adige Hyperästhesie 
der Harnröhre für die Anwenduiij; der Kühlsonde keine günstige Pro^Mii ^,'ibt, 
dieselbe sogar direkt kontraindiziert. In deu betieffendeo Fällen sab er günstige 
Rendtat» von der Anwendniic des KflhLwlilatiehcs llogs der Wirbebinte, Flehet* 
doudicii und Halbbidcrn. 



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368 



Prophylaxe and Bcbaodlaog der Mzuelien KcurutheDie. 



oder einzelne neurasthenische Symptome äussern, riditet sich 
die Aufmerksamkeit sehr vieler dieser Patienten — auch bei 
nicht sehr erheblicher M^rung der Pollutionen — mehr und 
mehr auf die Samenverluste, und unter dem Einflüsse einer 
allmählidi sieb entwickelnden oder versUrkmden hypodiondrischen 
Verstimmung gelangen sie schliesslich dahin, in diesen euien 
Umstand zu erblicken, der früher oder spater zu ihrem körper- 
liehen und gebtigen Ruine führen muss. . Wir dürfen natürlich, 
wo wir derartigen pessimbtischen Anschauungen begegnen, nicht 
unterlassen, dieselben durch Aufklärungen und beruhigenden 
Zuspruch zu bekämpfen. Daneben müssen die Patienten zu der 
an früherer Stelle (S. 362) erwähnten, dem Abschweifen der 
Gedanken auf das sexuelle Gebiet entgegenarbeitenden geistigen 
Disziplin energisch angehalten werden. Bei Leuten, welche 
vor dem Zubettegehen sich mit der Lektüre pornographischer 
Romanwerke die Zeit vertreiben, i^;t es i^ehr schwer, den über- 
mässigen Pollutionen Kinhalt zu tun. Als Mittel direkter psychischer 
Beeinflussung kommen hier die larvierte und die hypnotische 
Suggestion in Betracht. Die larvierte Suggestion z. B. in Form 
indifferenter Pulver oder Pillen hat mir schon in manchen Fällen 
Dienste geleistet ; wirksamer ist jedoch im Allgemeinen die 
hypnotische Suggestion; doch genügt es nicht, einfach das 
Wegbieiben der Pollutionen für eine gewisse Zeit zu suggerieren; 
die Suggestion muss g^en die Quelle der Pollutionen, die sinn- 
lich erregenden Träume, gerichtet sein. Die diversen mechani- 
sehen Pollutionsverhinderungs- Instrumente belästigen in der 
Regel den Leidenden erheblich, ohne ihren Zweck auf die Dauer 
zu erfüllen. 

Bei an Spermatorrhoe Leidenden erscheint mir eine Lokal- 
bdundlung immer indiziert, wenn Samenat^änge bereits seit 
längerer Zeit r^elmässig oder wenigstens sehr häufig bei der 
Stuhl- oder Harnentleerung oder beiden Verrichtui^en sich 
zeigen. Wir dürfen indes auch hier keineswegs soi^fältige Re- 
gulierung der Lebensweise, des Stuhlganges und die Anwendung 
von auf Kräftigung des Nervensystems hinwirkenden Mitteln ver- 
nachläss^en. Eine umfängliche Erfahrung hat mich belehrt, dass 
bei entwickelter Spermatorrhoe verschiedene Momente einen un- 



1 



Piopbylue und Behandlniis der sesndka Ncamthenie. 369 

verkennbaren Einfloss auf die Menge und Hftufigkeit der Samen' 
abginge Sussern. Sexuelle Aufregungen, geistige und körper- 
liche Oberanstrengungen können entschieden verschlimmernd ein- 
wirken und sind deshalb natürlich zu vermeiden. Andererseits 
ist aber, wenn nicht ein höherer Grad nervöser Erschöpfung be- 
steht, eine mässi<^e, das geistige Interesse in Anspruch nehmende 
Beschäftigung keineswegs zu widerraten, da das mit anhaltender 
Untätigkeit gewöhnUch verknüpfte Brüten über das vorhandene 
Leiden der Heilung nicht förderhch ist. Von den in Betracht 
komnicnden ^lethoden lokaler Behandlung kommt der Anwendung 
des elektrischen Stromes in den Fällen, in welchen es sich nicht 
um chronische Urethritis handelt, wohl die ausgedehnteste Wirk- 
samkeit zu ; dieselbe leistet aber auch bei chronischer Urethritis 
oft gute Dienste. Bei leichteren Graden des Samenflusses ge* 
nugt häufig schon die äusserliche Applikatton (Durchleitung an- 
schwellender faradischer oder kräftiger galvanischer Ströme mit 
öfteren Wendungen vom Damme zur Symphyse); hiermit ver- 
binde ich gewöhnlich absteigende Galvanisation vom Lenden- 
marke zum Damme. In einem Teile der Fälle führt jedoch 
intraurethrale Behandlung rascher und sicherer zum Ziele, und 
in den scUimmeren Fällen ist solche immer notwendig. Diese 
innerliche Behandlung geschieht vermittelst einer Katheterelek- 
trode, die bis in die Pars prostat, vorgeschoben wird, während die 
andere Elektrode in Form einer Platte am Damme plaziert ist. 
Ich verwende hierzu nur mehr den faradischen Strom. Dieser 
bietet, intraurethral angewandt, den Vorteil, dass er keine Atz- 
wirknr.g entfaltet und bei sachtem Steii.jern der Stromstärke die 
Anwendung sehr kräftiger Ströme gestattet, ohne selbst sehr 
eniptindUchen Neurasthcnikcrn Schmerzen oder nur l'nbeliagen 
zu verursachen; infolge dieses Umstandes gestattet derselbe 
immer eine energische Einwirkung auf die Kontraktilität der 
muskulösen Elemente der Samenausfühningsgänge. Die Tatsache, 
dass selbst bei hyperästhetischer Pars prost, bei allmählicher 
Steigerung der Stromintensität Ströme leicht ertragen werden« 
die an der äusseren Haut intensiven Schmerz verursachen, lässt 
sich nur dadurch erklären, dass der faradische Strom die Emp- 
findUchkeit der Schleimhautpartien, auf welche er einwirkt, herab- 

LSw«Bf«14, S«tiidl*Bi«r«Oie StanmiMU Viort« AiiA. 24 

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370 



Prophylaxe und Behandlang der sexuellen Nearastbenie. 



setxt. Bezüglich des konstanten Stromes andererseits sind wir 
noch im Unklaren, bei welcher Stromdichte Anatiung der Harn- 
röhrenschleimhaut sicher vermieden wird. Die allseitigen Mah- 
nungen zur Anwendung schwacher Ströme besagen gar nichts, 
da sich mir bei Anwendung einer Stromstärke von '/t Miliiamp., 
die nach elektrotherapeutischen Begriffen sehr gering ist, schcm 
deutliche Anzeichen einer Kauterisation der Schleimhaut der Pars 
prost. (Auftreten eines geringen bräunlichen Ausflusses) ergaben, 
obwohl der betretTcnde Patient während der Stromanwendung 
keinen Schmerz empfunden hatte. Die Atzwiikung erklärt sich 
in dem betrctTenden Falle daraus, dass die Oberfläche der Metall- 
spitze meiner Katheterelektrode nur zirka 1,7 cm beträgt, die 

Stromdichte demnach oder ungefähr */> und sohm trotz der 

geringen angewandten Stromstärke erheblich war. Man müsste 
daher, um Ätzwirkungen zu verhüten, noch erhe!>lich Geringere 
Stromdichten anwenden, bei weichen dann wieder eme erregende 
Einwirkung auf die erschlafften Muskelelemente zweifelhaft ist. 
Mit der intraurethralen Elektrisierung lässt sich mit Vorteil die 
äusserliche Behandlung (Durchleitung vom Damme zur Symphyse) 
mit dem galvanischen oder faradischen Strome und die absteigende 
Galvanisation vom Lendenmarke zum Damme verbinden. Die 
elektrische Behandlung der Spermatorrhoe (nicht gonorrhoischen 
Ursprungs) lässt nur in wenigen Fällen im Stiche ; sie erheischt 
aber immer Geduld. Ich habe von derselben nie wunderartige 
Erfolge, sondern immer nur allmähliche Wirkungen gesehen; bei 
lange bestehender Spermatorrhoe darf n»n immer mdirmonatliche 
Behandlung ins Auge fassen. In einer Anzahl von Fällen von Samen* 
fluss erweist sich der Psychrophor von deutlichen Nutzen ; welche 
Fälle sich für diesen Behandlungsmodus b^nders eignen, hier- 
über besteht jedoch noch keine Klarheit. Ich muss nach meinen 
Wahrnehmungen jedenfalls bei veralteten Fällen vonSpemuitorrhoe 
der Anwendung der Elektrizität den Vorzug geben. Bezüglich der 
lokalen Anwendung ätzender Mittel begnüge ich mich, auf das bei 
der Therapie der übermässigen I^olhitionen Bemerkte zu verweisen. 

Was nun die Behandlung der l'olenzmän^el anbelangt, die 
dem Gebiete der sexuellen Neurasthenie angehören, so muss 



Propliylase und Bebandlung der sexuellen NearMtbenie. 



371 



dieselbe selbstverständlidi der Art der vorhandenen funktionellen 
Störungen angepasst werden; dies ist bisher iceineswegs von 
allen Seiten berücksichtigt worden. Die der Impotentia coeundi 
zu Grunde liegenden Störungen sind in den einzdnen Fällen 
verschieden, und man kann im Allgemeinen bei den hier in Be> 
tracht kommenden Pattenten zwei Formen des Obels unterscheiden : 
bei der einen bildet die präzipitierte Ejakulation das Haupt- 
phänomen ; die Ercktionsfalngkeit kann dabei intakt sein oder auch 
gelitten haben (cretische oder irritative Form). Bei der anderen 
ist die Ercktionsfähigkeit mehr oder minder verringert oder 
auch ganz erloschen, während die präzipitierte Ejakulation mangelt 
(atonische oder paralytische Form, z. T. psychischen Ursprungs). 
Als pathologische und Impoten? beE^ründonde Erscheinung kann 
die präzipitierte Ejakulation nur in den Füllen angesehen werden, 
in welchen dieselbe konstant (nicht lediglich vorübergehend) un- 
mittelbar nach der Immissio penis oder noch vor derselben, 
selbst schon bei sexuellen Aufr^ungen sich einstellt 

Bei der Behandlung beider im Vorstehendem unterschiedenen 
Formen der Impotenz können wh neben der anthieurasthenischen 
AUgemeinbefaandhing, welche bei einem erheblichen Teile der 
Fälle zunächst m Betracht kommt, einer gewissen Lokalbehandlung 
nicht entraten. Bezüglich der Notwendigkeit, resp. Erspriess- 
lichkeit dieser beiden Heilverfahren bei Potenzstörungen sind 
jedoch die Ansichten geteilt. Einzelne sehr vorsichtige und 
erfaluene Autoren wie Fürbringcr und Eulen bürg legen 
das Hauptgewicht bei ncrvTiser Impoteiu auf die Allgemein- 
behandhmg des Xervensysti ms und t rachten eine Lokalbehand- 
lung zumeist für entbehrlich, wenn nicht gar für nachteilig^). 

') LeUteres ist speziell Eulcnburg's Ao&icht. Dic&er Autor erachtet 
dae LokalbehaBdlttng sexueller NeoiMtheitie im AUgemetoen nur insoweit be> 
rechtigt, als sie der ErfülluDg bestimmt nadiweislMicr KnasaliDdikationen (Uie- 

tlirv- 1 hron. etc.) dient. Eine wesentlich symptomatische Behandlung mit örtlichen 
Hilfsmitteln \vil! lt nur ausnahmsweise zulassen, und ;;war weil nach seiner An- 
sicht eine ihrer Natur nach meist sehr chronische örtliche Behandlung sexualer 
Funkdoiuetörungcn (wie Pollatiooeii, Speniutorrhoe» Impotcns etc) in der Regel 
nur nachteilig wirkt; die betreffendea VerGdiren soUen nur allzn geeignet sein, 
die ürlliilic Reizung zu unterhalten oder neu zu entfachen und jedenfalls die Auf* 
roerkäamkeit der Kranken beständig auf diesen Locus aifectus hinzulenken, eine 

24- 



372 



Prophylaxe und Behandlung der sexuellen Neurasthenie. 



Es ist nach dem Schaden, welchen die achablooenmissige Miss* 
handltmg der Pars prost inshesonders mit Atsongen in sahl- 
retchen FlUen verursacht hat, zu wohl l>egreiflicb, dass sich bei 
den genannten Autoren und anderen Imtischen Beobachtern ein 
wei^ehendes Misstrauen gegen die uretlirale Therapie der Po- 
tenzstdrungen entwickelt hat. AUdn man darf durdi dieses be^ 
rechtigte Mtsstrauen weder su enier Vemadilässigung der Lolcal- 
behandlung überhaupt, noch su dner Überschätzung der Wir- 
kungen der Allgemeinbehandlung sich verldten lassen. Neben 
der beschwerlichen und zum Teil gefahrlichen Lokalbehandlung 
der Impotenz mit Atzungen und crhcblichci mechanischer In- 
sulticrung der Harnröhre verfügen wir noch über eine andere, 
bei sachgemässer Anwendung völlig harmlose Lokaltherapie, die 
Anwendung der Elektrizität und der Kuhlsunde. Die Heran- 
ziehunc? dieser Hcilfaktoien scheint mir in der grossen Mehr/,ahl 
der Fälle nervöser Impotenz unentbehrlich. Wenn ich die Be- 
deutung der antineurasthenischen Allgemeinbehandlung in den 
von mir beobachteten Fällen noch so günstig taxiere, so kann 
ich doch nur zugeben, dass dieselbe in etwa */* der Fälle die 
Hauptrolle spielt und die Lokalbehandlung ganz entbehrlich 
oder von untergeordneter Bedeutung ist. Bei etwa der Hälfte 
der Fälle muss ich die elektrische Lokalbehandlung (und zum 
Teil auch die Anwendung der Kühlsonde) als mmdestens ebenso 
wichtig für die Erzielung günstiger Erfolge erachten wie die 
antineurasthenische AllgemeinhehaiMUung, und b^ einem geringen 
Prozentsatze der Fälle fand ich letztere sogar ganz entbehrlich. 

Die Unzulänglichkeit der Allgemembehandlung in der Mehr- 
zahl der Fälle mit Potenzstdrungen darf uns nicht zu sehr be- 
fremden; sie erklärt sich wenigstens z. T. aus dem Umstände, 
dass die Störungen im sexuellen Bereiche bei sexudler Neur- 
asthenie hl ihrer Art und Intensität in kdnon bestimmten Ver- 
hältnisse zu dem allgemeuien Nervenstatus stehen. Ich habe 
anderen Orts erwähnt, dass wir es bei einer Gruppe von Fällen 
sexueller Neurasthenie lediglich oder fast Icdiglieh mit Funktions- 
störungen in der Scxualsphäre, i. e. einer Neurose der genitalen 

ah7ich(?ndc und berahigeiMle pqrdUwhe Wirkuog dadoicli m enw&««t«D oder 
gaoz zu vereiteln. 



Prophylaxe und BeluuidloDg der seKueüeo Neurasthenie. 



373 



J.endenmarkszentren zu tun haben. Als besonders bemerkens- 
wert heziigHch dieser Gruppe führte ich den Umstand an, dass 
die Schädigung im Bereiche der Sexualfunktioncn selbst die 
höchsten Grade erreichen kann, ohne dass eine merkliche Be- 
dnträchtigung anderer nervöser Verrichtungen sich zeigt. Ähn- 
lidi sind die Erfahrungen Fürbringer's. „Die Impotenz", 
bemerkt dieser Autor, „kann das einzige Symptom der Neur- 
asüienle sein,*' AHetn auch in den Fällen, in welchen ach zu 
den Eracheiniingen sexueller Schwäche Symptome neurastiienischer 
Affektion anderer Abschnitte des Nervensystems oder Zust&nde 
allgemeiner Neurasthenie gesellt haben, beobachten wir häufig, 
dass die sexuellen Störungen sich durch Konstans und Intensität 
von den flbdgen neurasthenischen Symptomen wesentlich unter- 
scheiden. Es ist daher begreiflich, dass Massnahmen, welche 
auf das Nervensystem aOgemehi roborierend wkken, sich der 
tieferen funkttooellen Schädigung der genitalen Lendenmarks^ 
Zentren gegenüber in diesen Fällen unzureichend erweisen, weil 
sie sich in ihren anregenden und sedierenden Wirkungen den 
durch den Zustand der genitalen Lendenmarkszentren gegebenen 
Erforderriii>scn nicht an})assen lassen, icli kann das elektrische 
Agens in der einen oder anderen Form, in grösserer oder ge- 
ringerer huenbität, an dieser oder jener Stelle anwenden; auch 
der Gebrauch der Kühisonde gestattet manche Modifikationen 
durch Anwendung dünnerer oder stärkerer Sonden, verschiedene 
Dauer der Sitzungen und Anwendung' von Wasser von ver- 
schiedener Temperatur. Allein an den Wirkungen eines Seebades 
oder der Höhenluft können wir nichts regulieren und nichts ändern. 

Was ich hier von der Unzulänglichkeit der antineurasthe* 
nischen AUgemeintherapie sa^te, ^ilt auch für die Anstaltsbe- 
handlung, sofern mit dieser nicht die erforderliche Lokalbehand- 
lung verknfipft ist. Mit den Leistungen mancher (ich dürfte 
vielleicbt sagen vieler) Anstalten auf diesem Gebiete sieht es 
jedoch nach meinen Wahrnehmungen sehr prekär aus, und dieser 
Obelstand wird sich noch verschlimmern, wenn noch öfters als 
in den letzten Jahren Anstalten in den Besitz von Praktikern 
ohne spedalistische (neurologische und elektrotherapeutische) 
Ausbildung gelangen. 



374 Prophylaxe und Behandlung der saueltcn Neunsthenic. 



Wir werden uns im Folgenden zunächst und zwar iii etwas 
eingehenderer W'eisc mit der elektrischen Behandlung der Potenz- 
störungen beschäftigen, zumal über diese noch gar manche Un- 
klarheiten bestehen. Wer in den Lehrbücliern der Elektro- 
therapie und den i^rösscren Abhandlungen und Journalaufsätzen 
über Imi)otenz und deren Behandlung nachsieht, findet eine 
Menge verschiedenartiger elektrotherapeutischer Prozeduren emp- 
fohlen, so dass ein mit der Sache nicht Vertrauter leicht auf 
die Idee kommen kann, das Wirksame bei allen diesen \^'r- 
fahren bilde die larvierte Suggestion. Galvanisation und Faradi- 
sation werden vorwaltend angewendet, doch hat auch der Ge- 
brauch des kombinierten Stromes, die Galvanofaradisatioii, und 
die Franidinisation Anhänger. 

Die Behandlung mit dem galvanischen Strome geschieht 
in der Form der Durchteitung vom Kopfe zum Halssympathikus 
und zur Wirbelsäule nach Grier wohl nur sehr selten, sumeist 

in der Form der Galvanisation am Rücken oder vom I^endcn- 

niark (untere Duisalwirbcl und erster Lendenwirbel) zum Damm 
stabil oder labil über Glied, Damm, Samenstränge bei fixer 
Applikation einer Elektrode über dem Lendenmarke oder an 
anderer Stelle; ferner wird Durchleitung des Stromes von der 
Symphysengegend zum Damm oder lünführun^ einer ]"lektrode 
in die Pars prost, der Harnröhre, der anderen in da« Rektum 
f)der Applikation derselben an den Damm oder das Kreuzbein, 
auch Durchleitung des Stromes durch die Hoden angewendet. 
Der faradische Strom wird mit feuchter Elektrode in ähnlicher 
Weise gebraucht, daneben jedoch auch faradische Pinselung der 
Genitalgegend, des Gesässcs, der Oberschenkel (ebenso auch 
galvanofaradische Finseiung^). Auch die Franklinisation wird 



■) Weinberger sah gute Erfolg« bei Impotem und Spem»torr1ioe von 
einer Faradintion der ProsUU (nach Poroas), die er in folgender Weite aus» 

führt : Die positive Elektrode wird zunächst auf den Baucb appti/ieit, die negative 
in das Rektum <»in<;rführt Nach fünf Minuten wiiil die posiiivc Flcknodc an 
die Gegend den eri^ten und zweiten Lendenwirbels transferiert, während die n^a- 
tive im Rektuaj bleibL Die Metbode» bei ^ren swdtcr Fhaie nicht led^id 
die Faradisatbn der Prostata in Betracht hommt, verdient nach meinen Erfah* 
ruDgen nur bei PotenaitCmngen atonijchen Chataktets Verwertnng. 



Prophylaxe uod BchaDdloog der sezneUen Nconatlmie. 



375 



in verschiedener Weise peübt, indem man Funkenströme oder 
sogenannte Büschelentladun^'en auf die Wirbelsäule, das Gesäss 
oder dieGenitai^'egend einwirken lässt etc. Unzweifelhaft liegt hier 
eine Überfülle von Behandlungsmethoden vor; allein, wenn man 
aus derselben folgern wollte, dass es ganz gleichgültig sei, welche 
Prozedur im Einzelfalle angewendet wird, da es doch nur auf 
eine psychische Beeinflussung ankommt, so wäre dies ein ent- 
schiedener Irrtum. Dass die Elektrizität, unabhängig von jedem 
^gestivcn Elemente, auf die genitalen Lendenmarkszentren er- 
regende Wirkungen auszuüben vermag, hierfür habe ich anderen 
Orts einwandfreie Beobachtungen beigebracht, auf weiche ich 
hier verweisen muss^). 

Wenn wir die verschiedenen bei Impotenz angewandten 
elektrotherapeutischen Prozeduren überblicken, so lassen sich die- 
selben, abgesehen von dem Grier 'sehen Verfahren, welchem nur 
ehie Suggestivwirkung zukommen kann, in zwei Gruppen teilen : 
hl solche, welche direkt auf den Zustand der genitalen Lenden- 
markszentren einwirken, und solche, welche denselben reflektorisch 
beeinflussen. Der ersteren Gruppe gehören lediglich die Gal- 
vanisation und Faradisation am Rücken, resp. die Durchlettung 
des Stromes von derLendenmark^egend in absteigender Richtung 
nach dem Damme etc. an, der zwdten Gruppe alle übrigen 
Methoden. Wenn nun auch eine Einwirkung auf dem einen 
Wege e bensogut wie dem anderen möglich ist, so ist doch die 
Behandlungsmethode, welche wir im einzelnen Falle wählen, 
keineswegs gleichgültig ; das Verfahren, welches im einen Falle 
nützt, kann im anderen unwirksam bleiben oder sogar schaden. 
Es liegt nahe, dass bei der irritativen Form der Impotenz die 
abnorme Erregbarkeit der Lendenmarkszentren, auf welcher diese 
Störung beruht, durch die Anwendung starker Strüme am Rücken 
und reflektorisch von der Haut der Genitalgegend und deren 
Nachbarschaft aus wirkende Prozeduren eher gesteigert als herab- 
gesetzt wird. Bei den in Frage stellenden Zuständen empfiehlt 
sich daher nur Galvanisation des Rückens, resp. des Lenden- 
marks mit schwachen Strömen (+ Pol unterster Dorsal- und 



>) Tlief»p«utisdie Monatshefle, Febniir tSgS. 



376 



Ftapbylue und Bcbradluag der tcnetlcn NencHlheiiie. 



oberster Lendenwifbel, — Pol Abdomen oder am Damm; Strom- 
dichte bei Verringerung der Erektionsfähigkeit ^^^^g^ )' 

Besteht dabei Hyperästhesie der Pars prostatica der Harnröhre, 
so lässt sich gegen diese Durchleitung eines schwachen kon- 
stanten Stromes vom Damm ztii S)mphysc ^ ^^^^ anil)amnicj 

oder intraurethraie Faradisation (Kathcterelektrodc in die Pars 
prostatica urethrae, die andere Elektrode an den Damm), auch 
das Porosz- Weinberger 'sehe Verfahren (i. Teil) zur An- 
wendiii^ bringen; doch erweist sich zur Beseitigung der H3rper* 
ästhesie die KQhlsonde im Allgemeinen geeigneter. 

Bei der atonischen oder paralytischen Form der Im|)oteiu 
haben wu einen weit grösseren Spielraum sowohl in der Aus- 
wahl der elcktrothcrapcutischen Metlioden als der Bemessung der 
zu gebrauchenden Stromstärke; wir können hier, wenn nicht 
andere Symptome Gegenanzeigen bilden, und keine organische 
Erkrankung des Rückenmarks vorliegt, bei der zentralen Behand- 
lung galvanische und faradische Ströme von erheblicherer Stärke 
und mit Volta sehen Alternativen anwenden; auch bei der direkten 
Behandlung der Genitalorgane (speziell bei der Durchleitung vom 
Damme zur Symphyse) können wir uns kräftiger galvanischer 
und faradischer Ströme bedienen , femer die faradische oder 
galvanofaradische Pinselung der Genitalien und der benachbarten 
Teile mit so intensiven Strömen vornehmen, wie sie eben der 
Patient erträgt. Dass man die elektrische Behandlung zu einer 
Tortur für die Pattenten gestaltet, halte ich jedoch weder für 
notwendig, noch für nützlich. Ob es sich darum handelt, den 
Torpor des Centn genitospinale zu uberwinden oder dem Kranken 
die Vorstellung beizubringen, dass er von der angewendeten 
Prozedur die Herstellung seiner Potenz zu erwarten hat, macht 
in dieser Beziehung keinen wesentlichen Unterschied. 

Bei der erethischen Form der Impotenz leisten uns auch 
die Kühl'^ondc und der .Alastdarmkuhlapparat zumeist sehr gute 
Dienste. Der Heilwert der örtlich wirkenden hydriatischen Pro- 
zeduren (Sitzbäder, lokale Douchen) tritt gegen den der Elek- 
trizität und der erwähnten Kühlvorrichtungen erheblich zurück. 



Prophylaxe und Bdiandlung der sexaellen NetirasÜienie. 



377 



und man tut im Allgemeinen gut , von denselben nicht viel zu 
erwarten. Die Dienste, welche uns die Hydrotherapie bei Po- 
teiustörungen leistet, sind im Wesentlichen die einer antineur- 
asthenischen AUgemeinbebandlung. 

Von manchen Seiten werden die Erfolge kohlensäurehaltiger 
Bäder (natürlicher wie kfinstUcher) bei nervöser Impotenz gerühmt. 
Nach meinen Erfahrungen empfidilt sidi die Anwendwig der- 
selben nur bei der atonischen Form der Impotenz, insbesonders 
wenn dieselbe mit höheren Graden allgemeiner Neurasthenie 
zusammenhängt. 

Auch die Mechanotherapie ist zur Bekämpfung der ner- 
vösen Impotenz herangezogen worden. Zabludowski (Berlin) 
wendet folgendes Verfahren an^): „Man ergreift mit der Hohl- 
hand einen Hoden, ohne diesen zu drücken, und führt mit ihm 
bakl in der einen, bald in der anderen Richtunt» unter leichter 
Anspannung und Zeitung des Samenstran ljcs kreisförmitje Be- 
wegungen aus, zirka i- i^jt Minuten, dann folgt eine intensive 
Durchknetung der Adduktoren des gleichseitigen Oberschenkels 
in Verbindung mit kräftigem Tapotement; schliesslich eine ener- 
gische Klopfung und Hackung der Rückenpartie über dem Lenden- 
mark. Danach folgt die gleiche Behandlung des anderen Hodens 
mit den gleichen sich anschliessenden Massageprozeduren." Eine 
unmittelbar sexuell erregende Wirkung soll der Prozedur, speziell 
der Hodenbehandlung, nicht zukommen. 

Das Verfahren mag zur Unterstützung anderer therapeu- 
tischer Methoden bei der atonischen Form der Impotenz heran- 
gebogen werden, bei der erethiscben scheint es mir kontra- 

indiziert. 

Den verschiedenen Arzneimitteln, welche fi uher bei Potenz- 
stiirungen gebraucht wurden, kommt nach meiner Erfahrung, ab- 
gesehen vom Strychnin (resp. Extr. nuc. vom.) mit em Suggestiv- 
wert zu, und ihre Wirksamkeit hat .sich daher vorwaltend bei der 
psychischen Impotenz kundgegeben. Das Strychnin erweist sich 



') Die Schilderung der Details des Z abl u dowaki'schen Ver&hiCIIS ver« 
danke ich einer Mittcilunj; des Kollegen Dr. Büdinp;cn in Konstanz, welcher 
dasselbe in einem der Zabludowi ki'schen Massagekur&e kennen lernte. 



378 



Prophylaxe und Behandluag der sezuelteii Neuiaitlienie. 



mitunter bei der atonischen Form der nourasthenischen Impotenz 
nützlich. Bei etwas anämischen Individuen kann die Darreichung 
des Strychnin zweckmässig in der Form des Fellow'schcn Sirups 
geschehen. Wir sind jedoch in den letzten Jahren in den Hesitz 
eines Mittels j^elangt, welches bei geschwundener oder herabge- 
setzter Fl clitionsfähif^keit uni^leich bts: . i c Dienste leistet als das 
Strychnin und alle übrigen truher als Aphrodisiaca verwerteten 
Mittel, es ist dies das „Yohimbinum muriaticum" (^Spiegel), ein aus 
der Rinde des Yohimbehebaumes dargestelltes Alkaloid. Die Rinde 
dieses Baumes steht bei den Eingeborenen in KameruD als Mittel 
gegen männliche Impotenz in Gebrauch. Die Wirkung des 
Yohimbin an Tieren wurde von Oberwarth und Loewy ge- 
prOft. Es stellte sich dabei heraus, dass grössere Dosen sehr 
rasch bedrohliche Erscheinungen und nach kOrzerer oder längerer 
Zeit den Tod der Tiere durch HerselShmung hervorriefen. Bei 
der Anwendung kleinerer Dosen (0,005—0,01 g der Substanz) 
wurde bei den Versuchstieren (Kaninchen, Katze, Hund) neben 
grösserer Lebhaftigkeit eine rasch sich entwickelnde hyper- 
ämische Anschwellung der Hoden und des Penis (beim Hunde 
ausgesprochene Erektion) beobachtet. Wochenlang täglich fort- 
gesettte Injektion des Mittels hinterliess keine ungünstigen Wir- 
kungen. Das Mittel ist bereits vielfach in Gebrauch gezogen 
worden. Mendel, Eulenbuig, Berger, Posner, Duhot 
(Brüssel, Franz Weisz (Budapest), G. diLorenzo (Neapel), 
N. ßairucco (Bologna), \V. Wilcox (New- York) u. A. er- 
zielten damit bei ncurasthenischer Impotenz sehr bemerkens- 
werte Resultate. Ich habe ebenfalls in einzelnen Fällen dieser 
Kategorie ausgesprochen günstige Wirkungen beobachtet. Diese 
machen sich zumeist erst nach mehreren Tagen, mitunter auch 
erst am En<ie der ersten Woche des Gebrauchs geltend Man 
beginnt mit der Darreichung von 5 mg in Form von Tabletten 
oder in Lösung dreimal täglich und kann diese Gabe , wenn 
nach Ablauf einer Woche der gewünschte Erfolg sich nicht zeigt, 
auf das Doppelte steigern. In schweren Fällen, in welchen die 
innerliche Darreichung des Mittels erfolglos bleibt, kann man 
nach Eulenburg die subkutane Anwendung versuchen. Man 
spritzt zunächst einen halben Gramm einer zweiprozentigen Losung 



Prophylaxe und Behandlung der sexuellen Neurasthenie. 



379 



tai^lich einmal ein und steigert die Dosis bei un?:uläng!icher oder 
ausbleibender Wirkung auf ein Gramm. Nach eingetretener 
Wirkung werden die Injektionen nur alle zwei oder drei Tage 
oder in noch grösseren Zwischenräumen wiederholt ; nach etwa 
20 Einspritzungen wird die subkutane Medikation jedenfalls zu- 
nächst für längere Zeit unterbrochen. Von Nebenwirkungeiii 
die bei Anwendung des Yohimbin in den erwähnten Dosen vor- 
kommen, scheint eine leichte Hyperämie der Konjunktiv» die 
häufigste zu sein. Ausserdem wurden in einzelnen Fällen Sdiwhidd, 
Speichelfluss , leichte Schwäch^efflhle, geringer Frost mit (ol- 
gendem Schweissausbruch, erhöhte Pulsfrequenz, Herzklopfen 
und Angstzustände beobachtet. In den meisten Fällen zeigen 
sich diese Erscheuiimgen nur vorübergehend und geben zum 
Aussetzen des Mittels keine Veranlassung. Wo dieselben er^ 
heblichere Grade erreichen und sich regelmässig einstellen, ist 
jedenfalls zunächst eine Herabsetzung der Dosis erf<»-derlich. 
Bedrohliche ZufiUle sind bei den angegebenen Dosen nicht be- 
obachtet worden. 

Die Wirkung des Yohimbin ist, was wir besonders betonen 
müssen, eine lediglich vorübergehende, dieselbe schwindet ^'c- 
wühnlich mchn-re Wochen nach dem Aussetzen des Mitiels. 
So erheblich daher auch der temporäre therapeutische Erfolg 
des Yohimbin sein majj, so dürfen bei Anwendung desselben 
doch die übrigen hei l'otenzstörungen bewährten Verfahren 
keini swcgs vernachlässigt werden, da diese allem emen dauernden 
Erfolg in Aussicht stellen^). 

Neben den verschiedenen Arten somatischer Behandlung 
findet auch die Psychotherapie bei den Potenzstörungen ein 



') Dem Y> bimbin i^t in jüngster Zeit ein Konkurrent in dem unter der 
Rezcichnurf; ..Miiiracithiu" in den Handel gebrachtrn I'räp.TratP er<^tanden. Das- 
selbe wird aus dem Verdanipfunysruckstaßde des flüssigen PJxtraktes von I.ignuin 
Muirac Puamae, das von den Brasilianern als Aphrodtsiacum beoüut wird, und 
Ovo Ledlhin hergestellt und in Pillenfenn gebraadit. Das Lignam Mnime Puaxnae 
enthält Harze, welche eine reizende Wirkung auf die Schleimhaut der Harnivege 
ausüben, daneben aber auch üestanilteilo, welche da-; T ^ndenmark ilii''kt crrej;en 
sollen. Über die therapeutische Verwcrtb;irkeit des MilteU müssen wir uns vor- 
er.st noch jeglichen Urteils enthalten, zumal die reizende Wirkung des!>elbcn auf 
die Sdkldinbattt der Hamwege »u Bedenken AoUss gibt. 



380 



Prophylaxe und Behandlung der sexuellen Neurulhenie. 



lohnendes FeIH, ganz besonders — von der rein psychischen 
Impotenz seilen wir hier ab - in jenen Fällen von sexueller 
Neurasthenie, in welchen die Potenz zwar durch den Nerven- 
zustand gelitten hat, aber erst durch psychische Momente, welche 
sich zu der neurastheoischen sexuellen Schwäche gesellten — 
Angst vor dem Misslingen des Aktes, übermässige Aufregung 
bei Kohabitationsversuchen — eine faktische Impotenz herbei- 
geführt wird. Hier ist es Aufgabe des Arztes, dem Patienten 
wieder Vertrauen sa seiner Manneskraft su verschaffen, die 
hypochondrischen BefOrchtungen durch Darlegung des wirklichen 
Sachverhaltes und beruhigenden Zuspruch xa beseitigen; hiermit 
allein kann schon sehr viel erreicht werden. Femer ist darauf 
Bedacht zu nehmen, dass der Patient sich in semen Gedanken 
nicht allzusehr mit seiner sexuellen LeistungsflÜiigkeit beschäftigt. 
Von den angeführten somatischen Heilmitteln besitzt die Elektri- 
zität neben ihrer physikalischen auch eine erhebliche suggestive 
Wirksamkeit; wo diese sich nicht ab ausreichend erweist und 
auch der Gebrauch anderer Büttel versagt, kann man zur hypno- 
tischen Suggestion seine Zuflucht nehmen ; dieselbe kann sowohl 
bei der erethischen als bei der atonischen Form der Impotenz 
mit ?\ut/en Anuenduiig tinden. Man darf jedoch nicht glauben, 
dass die psychischen Hemmnisse der Erektion, wenn es sich um 
seit längerer Zeit mit autijmatischer Regclmässigkcit sich ein- 
stellende Vorgänge handelt, durch die hypnotische Behandlung 
sehr rasch und leicht zu beseitigen sind, vielmehr ist zumeist 
geduldiges, längere Zeit hindurch fortgesetztes Bemühen erfordere 
lieh, wenn dauernder Erfolg erzielt werden soll. 

Die Dauer des Kurverfahrens ist überhaupt ein sehr wichtiger, 
in seiner Bedeutung noch vielfach nicht genügend gewürdigter 
Umstand. Bei allen einigermassen eingewurzelten Potcnzstö- 
rungw muss sich die Behandlung meist über eine Reihe von 
Monaten ^/a Jahr) und darüber erstrecken; sie erheischt 
also grosse Geduld und Ausdauer seitens des Arztes wie des 
Patienten. Hierin liegt eine grosse und häufig unüberwindliche 
Schwierigkeit für nicht am Domizile des Arztes wohnende Pa- 
tienten. Eine kontinuierliche Fortsetzung der Behandlung während 
der ganzen angegebenen Zeit ist jedoch nicht unmer notwendig, 



Propliykse und BcImikUiiiic der sexoeUen NenntUMiiie. 



381 



man kann mitunter nach einer zwei- bis dreimonatlichen Kur, 
durch welche bereits ein gewisser Erfolg erreicht wurde, eine 
Pause von 1—2 Monaten eintreten lassen, welche man lediglicb 
mit hygienischen Massnahmen ausfüllt In manchen Fällen habe 
ich auch entschiedenen Nutsen von der Wiederholung emer mehr- 
monatlidben Behandlung in aufeinanderfolgenden Jahren gesehen. 

Wie es bei geschlechtlidien Schwächemstanden mit dem 
sexuellen Verkehr tu halten ist, hierüber lassen sich aUgememe 
V<Mrschriften nicht geben. Es madit natürlich einen wesent- 
lichen Unterschied, ob man es mit verheirateten oder unver- 
heirateten Patienten zu tun hat. Wir haben bereits erwähnt, 
dass bei Exzedenten in Venere oft längere Karens erforderlkh 
ist. Besteht eine Neigung zu häufigeren Pollutionen, so rouss 
auf tunliclibte Vermeidung oder wenigstens Linschränkung der- 
selben Rücksicht genommen werden. Sind psychische Einflüsse 
beim Misshngcn eines Kohabitationsversuches im Spiele, so wird 
man immer gut tun, den nächsten Versuch nicht zu bald unter- 
nehmen zu lassen und während der Zwischenzeit den Patienten 
von dem Verhalten seiner Potenz möglichst abzulenken. 

Von Rosenthal wurde Geschlcchtsinvaliden zur Konser- 
vierung ihrer reduzierten Manneskraft Eingehen einer Ehe mit 
einer „verständigen Person" empfohlen. Theoretisch ist dieser 
Rat zweifellos berechtigt. Denn so nützlich sexuell Geschwächten 
zeitweilige Enthaltsamkeit sein mag, so kann doch andauernde 
Abstinenz nicht als zur Hebung ihrer Potenz förderlich erachtet 
werden. Allein einerseits haben die Gescblechtsinvaliden zum 
grossen Teile im Bewusstsein ihrer Unzulänglichkeit eine heilige 
Scheu vor der Ehe, andererseits kann die „Verständigkeit" der 
Gattin allein den Geschwächten gegen weitere Schädigung auf 
sexuellem Wege nicht schützen. Eine direkte Empfehlung der 
Verehelichung scheint mir daher in diesen Fällen nicht am Platze, 
wohl aber dürfen wir unter gewissen Kautelen unsere Zustim- 
mung geben, wenn von Seiten des Patienten bezügliche Wünsche 
geäussert werden. 

Wir müssen schliesslich lnkr noch zweier Gattungen von 
Hilfsmitteln gedenken, die bei Mannesschwäche in Gebrauch 
sind und über deren lleilwert durch die Reklamen ihrer Er- 



382 



Praphyltxe und Behaodluag der sexitellen Neutasthtaie. 



Ander nicht nur das in Betracht kommende leidende Publikum, 
sondern z. T. auch die Ärzte in Täuschung versetzt werden. 
Seit vielen Jahren werden immer wieder mit mehr oder weniger 
Absatzerfolg den Impotenten an den Genitalien zu applizierende 
elektrische Ketten und Platten angepriesen, deren angeblich 
wunderbare Leistungen von den Verfertigem durch theoretische 
Erörterungen über Elektrizitatswirkungen erklärt werden, wo- 
durch selbst mancher auf elektrotherapeutischem Gebiete un> 
erfahrene Afzt irre geführt werden mag. Abgesehen von einer 
möglichen Suggestivwirkung kommt allen diesen Apparaten 
keinerlei therapeutischer Wert zu')* 

Mechanische Hrektionsbeförderungs- und Einführiingsinstru- 
mente sind ebenfalls schon seit längerer Zeit in Gebrauch und 
insbesondcrs sogenannte Schlitten, Vorrichtungen aus zwei federn- 
den, durch Ringe verbundene Metallschienen bestehend, um die 
Einführung des untjcnügend erigierten Gliedes zu erleichtern oder zu 
ermöglichen, mitunter auch von ärztliclier Seite empfohlen worden. 
In neuerer Zeit beschäftigt sich der Zivilingenieur Gassen 
speziell mit der Anfertigung solcher Apparate, deren Absatz auch 
infolge äusserst schwunghaft betriebener Reklame unter den an 
Potenzmängeln Leidenden kein geringer zu sein scheint. Was 
Gassen bei den Anpreisungen seiner Apparate, die nach seiner 
Versicherung unfehlbare Hilfsmittel für die verschiedene Impotenz- 
formen darstellen^ besonders zu statten kommt, ist der Umstand, 
dass er in der Lage ist, sich auf ein Gutachten zu berufen, das 
ihm Professor v. Krafft-Ebing bezüglich der Wirksamkeit eines 
seiner Instrumente, des Erektor, in einer Prozessangelegenheit 
aumestellt hat und dessen spätere Ausnfitzung zu Reklame» 
zwecken der genannte Autor zu seinem Leidwesen nicht zu ver* 
hindern vermochte. Es sind vier Apparate, welche Gassen in 



') Dies gilt auch für tlie von Dr. Borosody hergestellten bis vor wenigen 
Jahren infolge einer sehr lebhaften Reklame von gar niaiiehen aexneU Getidivrlditen 
bentttiten Platten. Den minimalen ElektmiUtsmengen. welche diese Platten daidb 
Reibong an der Haut «nengea, kann eine thcrapcutisclie Bedeutung nicht zu- 
kommen. Eine Supgestivwirkung könnte diißcg«*n ihr Imlir Preis «kr Platten 
(ioo Gulden üsterr.) ilussern; doch fehlte auch diese Wirkung in den Fällen 
meiner BeobMihtung, in welchen <He AnsdudToAg riskiert worden war* 



Prapbylase und Bebandlang der seiuellaii NennsdicBie. 



88S 



den Handel bringt; dieselben werden von dem Erfinder ak 
Erektor, Kompressor, Kumulator und Ultimobezeichnet. Von diesen 
ist der Erektor eine vergoldete Spirale, welche den Zweck hat, 
auch bei ungenügender Erektion die Immissto penis zu ermög- 
lichen, indem sie demselben eine gewisse mechanische Rigidität 
verleiht. Der Kompressor, welcher in zwei Fa(;-ons zu haben ist 
(vor und hinter dem Skrotum zu applizieren), ist ein Apparat, 
welcher durch Dnick auf den Damm oder die Wurzel des Penis die 
Blutstaining in den Hohlräumen desselben fördern soll, der Kumu- 
lator, eine schröpflsOpfartitic Vorrichtung, welche über dem Penis 
angebracht wird und durch Luftverdünnung mechanisch eine stärkere 
Blutfüllung des Penis und damit Erektion herbeiführt. Bei dem 
vierten ,,l"ltimo" bezeichneten Apparate, der auch in verzweifel- 
ten Fällen Hilfe bringen soll, handelt es sich gewissermassen 
um ein künstliches, dem mangelhaft erigierten Gliede sich an- 
passendes Schwetlgewebe. Wenn wir ermitteln wollen, bei welchen 
Fällen von Impotentia coeundi diese Apparate einen Nutzen 
versprechen, müssen wir zunächst die zu Grunde liegenden 
Störungen näher ins Auge fassen, nach welchen man, wie wir 
sahen, zwei Formen unterscheiden kann. Bei der irritativen 
Form, welche unter den fär die Behandlung in Betracht kom- 
menden Potenzstörungen, wenigstens nach meinen Erfahrungen, 
bedeutend vorherrscht, liegt immer enie reizbare Schwäche der 
genitalen Lendenmarkszentren vor, infolge welcher psychische 
Reize (sexuelle Vorstellungen) allein oder imter Beihilfe momen- 
taner peripherer (mechanischer oder thermischer) .ml die Glans 
einwirkender Reize imstande sind, den Ejaki ilatic nsvorgang 
auszulösen. Uaneben besteht in vielen Fällen wenigstens eine ab- 
norme Erregbarkeit des kortikalen (jebietes für die sexuellen 
Vorstellungen und Gefühle. Es ist ohne Weiteres begreif- 
lich, dass für diese Gruppe von Impotenzfällen und 
sohin für die Mehrzahl derselben die Gassen'schen 
Mittel wie Uberhaupt mechanische Apparate jeder 
Art absolut nutzlos, wenn nicht schädlich sind und, 
was Gassen Gegenteiliges behauptet, jeder Glaub- 
wttrdigkeit entbehrt Keine Art mechanischer, die Blut- 
stauung im Gliede verstärkender Einwirkung kann die abnorme 



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3S4 PraphyUxe nnd Bcbaodlaog der sexuellen NennsüieQie. 



Reaktion der i^enitalen Lendenmarkszentren auf psychische £r> 
regungen verhindern ; es liefet dagegen sehr nahe, dass derartige 
Einwirkungen das Übel leicht verschlimmern. Besonders ver- 
werflich erscheint in diesen Fällen die von Gassen zum Behufe 
sexueller Gymnastik empfohlene Anwendung seines Kumulatois. 
Durch denselben soll die ttbermlssig^ Empfindlichkeit der Harn- 
röhre, die Hauptursache des su frflhen Samenergusses, derart 
abgeschwächt werden, dass eine völlige Heilung dieses Dbds 
erzielt wird. Eine widersinnigere, frivolere Behauptung ist nicht 
leicht aufgestellt worden. Alle Ärzte, welche auf dem Gebiete 
der Potenzstörungen Erfahrung besitzen, halten es für ein 
wesentliches Erfordernis der Heilung bei der irritatlven Foim 
der Impotenz, dass die Beschäftigung des Patienten mit Vor« 
Stellungen sexuell-sinnlichen Inhaltes möglichst verhindert, sexuelle 
Erregungen jeder Art überhaupt hintangehalten und dadurch den 
erschöpften und übcnculcn genitalen Zentren Ruhe verschafft 
wird. Im Gegensatze zu diesem bewährten Verfahren verlangt 
Gassen „sexuelle Gymnastik", i.e. künstliche tägliche Erzeugung 
von Erektionen vermittelst seines Kumulators. Dass diese Gym- 
nastik nur geeignet ist, die in Fiaj^e stehenden Patienten zu 
schädigen, hierüber wird bei keinem sachverständigen Arzte ein 
Zweifel bestehen \). 

Die Anwendung mechanischer Mittel kann nur bei der 
atonischen oder paralytischen Form der Impotenz in Betracht 
kommen. Allein auch bei dem grössten Teile der hierher ge- 
hörigen Fälle sind wir in der Lage, durch sachgemftsse genügend 
lange fortgesetzte Behandlung günstige Erfolge zu erzielen, so 
dass tatsächlich nur ein kleiner Prozentsatz von Fällen bleibt, 
in welchen man veranlasst ist, den Patienten auf die Gassen- 
sche Hilfe faute de mieux hinzuweisen. Selbst die komplete 
paralytische Impotenz ist der Behandlung nicht unzugänglich. 



*) Vor einiger Zeit kam ein NeorutheDiker in meine BebandJuns, 
der die Zenftttnng seiner Nerven «af den Gebrandi des Kmnalalor sorttckfOlirti^ 

wcldicn er zur Hebung seiner von Hause ;ius etwas Hchwüchlichen Potenz in 

AiiwtTKlung f^ezogrn hatte. Wenn <V\c Aw^ahcn de^ P.it. ;auh gewisse Üner- 
treibungen enthielten, so Hess sich doch feststellen, da.ss tur denseii>en der Ge- 
bnuicb des Gassen'scben Apparates von entschieden nachteiliger Wiriiung war. 



l'rophyiaxe und bchaniiiung der sexuellen Neurasthenie. 385 

und icli kann bezüglich derselben der pessimistischrii Autfassung 
F i\ r b r i n c r ' s weni^steiiN bei iicuiastlienischern L i Sprunge des 
I.eidLns mich nicht anschliessen. Ich hal)c in nu-hriTcn Fällen 
dieser Art, in einem sogar x hon nach zweimonaihchc r Behand- 
lung, befriedigenden Erfolg gesehen. Was die Ai:\\endung des 
Kumulators bei rein psychischer Impotenz betrifft, so ist die- 
selbe weder nötig, noch empfehlenswert, weil den betreffenden 
Patienten I'2rektioncn nicht mangeln und die artitiziell herbei- 
geführten und mit der Entfernung des Instrumentes sogleich 
wieder schwindenden Erektionen kaum geeignet sind, denselben 
die Überzeugung von dem Vorhandensein einer normalen Po- 
tenz beizubringen. Auf einen Nutzen ist von dem Gebrauche 
dieses Apparates nur bei auffallender Kleinheit oder schlaffer, 
welker Beschaffenheit des Gliedes zu rechnen, vorausgesetzt» 
dass in den sonstigen Verhältnissen keine Kontraindikation gegen 
sexuelle Gymnastik vorliegt '). 

Dass die Verbreitung der Gassen'schen Apparate sich 
nicht auf die Fälle beschränkt, in welchen die ärztliche Kunst 
versagt oder von denselben überhaupt irgend ein Nutzen zu 
erwarten ist, ist ein Übelstand, den wir bedauern, aber auch 
wohl ins Auge fassen müssen. Da der Laie nicht in der Lage ist, 
zu beurteilen, was von den dreisten Behauptungen Gassen 's 
über den Wert seiner Apparate und den Unwert ärztlicher 
Behandlung bei Potenzstörungen der Wahrheit entspricht, so 

') Dicnc Aiisful)iut)t;cii Mnd /uci>t in emcni Aulsat^e in ilen ilierapeuti- 
»cbeu Monatühtlicn (l-Lbruar vciulknllicbt wurden. i^t mir criiculicb, 

dass Fftrbringer ganz unabbiincig von mir in einer spsileren Publikation (ZeiU 
sdiiift für diätetische und phy&iifali».che Tbciapie, Band I. Heft I) beicüglich des 

Wertes der d a > - e n 'M,lirti Appaiati- zu rdiidiclu ii .Sc1iIü<n»-i> gclan^lo, wie icb. 
Insbesondeie ;;ilt die-- :ur ticn rulirantli dt r G a s s <• n "sclien Ajjpaiato ))ei ilcr 
irriuüvcii i-urin der hiipiileii/:. f uiUriiigcr btiucil»l u A. ; „I criicr ^öycr» 
wir oicbt, die umfassende Kategorie der Scxualneuratttheniker, bei welcher die ver- 
fiüble Ejakulation den Hauptinbalt ihrer Fntenxstuninj; bildet, im Allgemeinen 
»len Kuiitiuin ;ikati(>ni :i fiir den (icbtam ii des Kri ki<ii^ /u/ii/iddt n Srluin die 

^laniptd.ilUiln:l1 dos .Vtilt^i n- (k's Ap|t.n.>li - \ i | llir •j^rll dein I.oideil I liu M Ix-d'-nk- 
licbcn Vüischub zu Ici.slcu. Jiici biidei sell,>Ucr.Ntaiidliih das dt-i rci/batcn 

Schwicbe vetfalleiic Nervensystem den AngrifTspunkt für eine rationelle Therapie.** 
Auch gegen den Gebrauch de» KumuUtors äussert Förbringcr gewichtige Be- 
denken. 

Luw^nfeld, SeiweU-nrrvüse Störung«!). Vierte AuA. 



386 



Prophylaxe und Behandlung der sexuellen Neurasthenie. 



dürfen wir uns nicht wundern, dass viele von den in Betracht 
kommenden Leidenden es vorziehen, einen Versuch mit den 
zwar sehr kostspieligen, aber auch — anjjcblich — so wunder- 
tätigen Gassen 'sehen Mitteln zu machen, statt sich in die 
Umständlichkeiten einer längeren ärztlichen Behandlung ein- 
zulassen. Gar mancher n\a\i auch zu Gassen seine Zuflucht 
nehmen, weil ihm sachgemässe ärztliche Hilfe aus dem einen 
oder anderen Grunde unzugänglich ist. Bei wie vielen von diesen 
Leidenden die Hoffnungen, welche sie bezüglich der Wieder- 
herstellung ihrer Manneskraft auf die (iassen sche Hilfe setzen, 
zu Wasser werden, kann man sich nach dem oben Dargelegten 
leicht vorstellen. Der Eifmder berichtet natürlich nur von 
Heilungen. Der Arzt , welcher wegen etwaigen Gebrauches 
Gassen 'scher Apparate zu Rate gezogen wird, darf sich sell)st- 
verständlich durch die Anpreisungen des Verfertigers in keiner 
Weise beeinflussen lassen. Kr muss die Art der vorliegenden 
sexuellen Störungen, deren Ursachen und den Gesamt zustand 
des Patienten in Betracht ziehen und darnach ermessen, ob für 
den vorliegenden Fall von den Gassen' sehen mechanischen 
Mitteln irgend ein Nutzen zu erwarten ist. Bei solchem Vor- 
gehen werden die Arzte dazu gelangen, die Empfehlung Gasscn- 
scher Apparate jedenfalls auf eine sehr bescheidene Zahl von 
Fällen zu beschränken und hierdurch viele Patienten vor Geld- 
verlusten, sehr unliebsamen Enttäuschungen und Schädigung 
ihrer Gesundheit zu bewahren 

Wir wollen zum Schlüsse eines Verfahrens gedenken, das dem Ge- 
biete der Chirurgie angehört. A. Strauss (Härmen) hat in den letzten 
Jahren die Epiduralinjektion nach Cathel in 's Methode in einer Anzahl 
von Fällen funktioneller Erkrankungen der Harn- und Geschlechtsorgane 
angewendet und will hiermit z. T. überraschend giJtJstige Resultate, bei 
Impotenz und Spermatorrhoe völlige Heilung, bei Poll, nimiae erheb- 
liche Besserung erzielt haben. Bei dem Verfahren wurde durch Punktion 
des Sakralkanals in den Raum zwischen Periost der Wirbelsäule und 



') Von C. Gerson wurde in jüngster Zeil als mechanisches Mittel bei 
mangelhafter oder fehlender Erektion die Anwendung einer besonder» präparierten 
Binde, Aidosis-Hinde, von Beiersdorf- Hamburg vcrferliKt, empfohlen, deren 
Anlegung eine besondere Unterweisung erheischt. 

Wir können uns auch von diesem Hilfsmittel nicht viel versprechen. 



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Prophylaxe udU Bebaodlung der sexuellen Neurasthenie. 



387 



der Dura mater z. T. physiologbchc Kochsa ziösung, z. T. eine Lösung 
von folgender Zasammensetzung injiziert: 

Cocain, hydrochlor. o,oi 

Natr. chlorat. 0,2 

Aq. desuH. sterilis. ad. 100,0 

add. 

Aq. carbol. 5 Proz. gtts. II. 
Wenn wir jedoch die von dem Autor mitgeteilte Kasuistik etwas 

näher betrachten, so kann man sich eines gewissen Staunens darüber 
nicht erwehren, dass Jemand auf sn beschränkte Hrtahrungen hin ein 
Vertaiirrn zu empfehlen unterninnnt, das nirht als ganz harmlos be- 
zeichnet werden kann, da im Gefolge der fraglichen Injektion Btflsse, 
Schwetssausbruch und selbst ohnroachtüinliche Zustande vorkommen. 
Der Autor hat im Ganzen zwei Fälle von Poll, nimiae nach seiner Me- 
thode behandelt, von welchen bei dem einen das Resultat unsicher ist, 
da der Patient wegblieb. 

Auch von Impotenz und Sperroatorrhoe wurde nur je ein Fall be- 
handelt und bei keinem der beiden Pat. ein dauernder Erfolg festgestellt 
Es wird jedenfalls noch zalilreicher Erfahrungen bedürfen, bevor man 
Über den therapeutischen Wf rt der Epiduralinjektion bei den genannten 
Leiden sich ein Urteil bilden kann. 



25* 



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Wormser, München, med. Wocbenschr. 1902. Nr. 2b u. 27. 

In Betrefl der Literatur über die sexuellen Perversionen, welche in den 
letzten Dezennien sehr angeschwollen ist, inuss ich mich begnügen, auf <lie in 
Betracht kommenden Werke von v. K r a f f t • E b i n g , Eulen bürg und Moll, 
die Literaturzusammenstellungen über die Psychologie und Psychopathologie der 
vita sexualis von v. S c h r e nck • N o t z i ng in der Zeitschrift für Hypnotismus 
Bd. VII, VIII, IX und X und die bisher erschienenen sieben Jahrgänge des \on 
Magnus Hirsch feld herausgegebenen Jahrbuches für sexuelle Zwischenstufen 
zu verweisen. Es sei hier noch auf das umfängliche Literaturverzeichnis rn 
Eulcnburg's bereits erwähnter Arbeit „Sadismus und Masochismus" Grenz- 
fragen des Nerven- nnd Seelenlebens, Heft XIX, Wiesbaden, J. F. Bergmann 
1902 aufmerksam gemacht. In demselben (inden sich neben der belletristischen 
Literatur sadistischer und masochistischci Richtung, speziell die Publikationen 
über Flagellantismus in grösstcr Vollständigkeit zusammengestelU. 



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Sachregister. 



• Dil- l>rj|;i-s<'Ut<'n /iffcrn Iwlrutfti lür jeweiligen S<-itenxjhlrn l 



A b s t i 11 L' n 7. , sexiii.ll«'. lu'im niännlkhen 
(leM-hlechte ()2. 

— Wirkunj;en (icrst-lbttn bei rie»im- 
den 6^ 

— bei neiiropatbisih V'cranhipten 

— EintliiNS (lcrst;ll)cn auf Entslt-huti^ 
von Anjjsl7«sl;iinicn 22i 

— F.iiifluss «lerselbcn auf Knt>tehiinji 
von Spcrinatorrhoc 8^ 

— auf die männliche Polen/. f<v 

— beim wcihhchen ricsLblfcbtc oo. 

— I'ol^cn der^flljcn bei <icsuniien 

— liintluss deiselben bei n«tiito[>athi>t;h 
Veranlajjten <)2^ 

A r\ u Iva! e ii t c , psvchisrh-epileptisi hi: 

Al^unj;. des pro^taii^cben Teile-, 

der Harnröhre .^T". 
A I )i (> 1 .1 n i e , aktive und passive ^2 2. 
A m e II <) r r It f> e . zü. 
Amnesie, bei Anf^iilen Sa(\Tia-i* 



A n p s l z u s I ii n d e . I-Olfjc soxuciicr 
Abstinenz 22^ Js^- 
l'td^e von sexuellen Ex/'>ssen i o2. 



Amor le-bicus ^02. 

Anästhesie, sexuelle <j^, 2bX. 

A n a ]•> 1) r o d i s i e . -lehc »e\ui Hu Aii- 

astllc^ii\ 

A n d r o ;j V n i e 2> 1 ^ 

Anf;illc, h\ steti>i !ie, Be/n-hiüi^ dei- 

NeKirii /ur Mcii^lrualiMii ^vk 
A n ^; s t n e u r o s e , Üctinitiuii <!er--Llbeii 

256 

— iT'ud'v Theorie \(in der >cxui lU n 
A(io|r.;;;i- dL-r>i li'tn 2 5?. 



— b i>l<^e von .Mastuibation 1 34 . 

— Folge von FracventivveiUelir 1 60, 
1H2. 

— UiUersuchunjjen über <bc sexuelle 
.\lioloyic derselben 2-;6. 

A n f> m a I i e n des Gescbkthtslriebs 
7 I , ijz, 2b7. 

(juantitulive 2b^, <|ualilalivc 2>]b. 

2H2 . 

Anstrengungen, körperliche, post 
loituin, Kolj;eri (!tT>cibeii lOf>. 

— vor dem Koitus 1 1 o. 
-Vati 1 1 \ r i n ,^ yS. 

.\ p o j) I e X 1 e j; e n u i n e rler Schwanjjer- 

-clialt ^ 
Arsenik ; ^X. 

A r / n e i I i c h e H e h a n d I u n g der 

Nturastlicnie ^^7. 
.\ - p e r m a t i s rii u s 2(u). 
A s p 1 1 i n 

A N t h c n op i e, noiitavthenisibc. als Fol;:'- 
\<>n Se\u,il(:rkr:ird<uti;:<'ri l>ri Krauen 

22J. 



— .iN Ff>l>^<- von < iiiaiuc I V>. 
A s t Ii ni .1 , llelVti•^(-s 136. 
.\ s 1 ii it) a u t e r i ü u m ^ 
A t r 0 p 1 u Vi ^. 

.A II ^ e n a t ( e k 1 1 II 11 <• 11 . 1''m;^c von 
< )naiiie I?»'. 



) 



I 



398 



Sachregister. 



Aagenmigr&ne, Folge von Onanie 

Iii 

A u t o i n t o X i k a t i o n bei Schwangcicn 

35. iki 4«. 
Azoospermie 269. 

Badekuren bei Neurailbenie ^60, ^61. 
Bäder, warme 361. 
Balanitis 202, 203. 
Bedürfnisse, sexuelle it_, IJ. fyj, 

Befriedigung, sexuelle. Mangel der- 
selben bei Frauen <jo, Ursachen 
des Mangels 2^ Folgen desselben 

2i, Ülit £<iL 

B e g a 1 1 u n g s t r I e b (j^ 

Berufstätigkeit, Einflus> derselben 
bei sexueller Abstinenz hh^ 

Beschäftigung, Regulierung der- 
selben bei Onanisten 334. 

Bestialität 2-2. 

Bisesualitätstbeorie 204. 

Blase, rei/.bare 1 36, 1 S;;. 

Blutungen, vikariierende bei Ame- 
norrhoe 2JL 

B r o m p rä pa r at e 3^8, ^b3, 361;. 

C a m p h e r 3O4. 

Camphora monobromata 3^>4. 
Castratiun bei Frauen, nervttsc Be- 
schwerden im Gefolge derselben 

Si. all i«i 39. 

— bei Hysterie 227. 

— bei Männern i_5^ 26«). 
Cenlruni für den Geschlechtsakt im 

Kückenmark (genitospinale) l. 

Centrum für den Geschlechtssinn im 
Gehirn {, i. 

Cerebrasthcnie s. Gehirnerschöpfung. 

Chorea gravidarum 

C i t r o p b e n 35S. 

C I i t o r i s m u s 1 ^o. 

Coccygodynie 2 17. 

Coilus in Station c, Folgen des- 
selben loX, 109. 

Condoms, < iebrauch derselben als 
antikonzeptionelle-. Mittel 163. 164. 



Congressus inlerruptus 1^ u. 
f.. £6^, 

— reservat US 1 ^3. 
Contr.ire Sexualempfindung 

86^ iÄi u. L 

Darmatonie bei sexualkranken I' raucn 

2 2 1 

Defäkationsspermatorrhoe 200. 
Depression, gemütliche bei Frauen 
in den Wechseljahren 5^ 

— als Folge der Kastration bei Frauen 

Ü 

— bei Masturbanten 130. 

— bei Schwangeren 
Diätetische Behandlung der über- 
mässigen Pollutionen 364. 

Disposition, neuropathische , Be- 
deutung derselben bei sexueller 
Abstinenz 21i <j2_ 

— als l^rs.tche der Masturbation bei 
Kindern 1 20. 

— Einfluss derselben auf die Ent- 
stehung des onanistiscben Irrsinns 

>3r- 

— Einfluss derselben auf die Wir- 
kungen des Präventivverkehrs 180, 
183. 

Douchen 360. 
Dysmenorrhoe 2li. 
Dyspepsie, nervrisc 102. 

— uteiinc 221. 



ib, 221. 



Effemination 280. 

Eh csch I i e s s u n g, piophylaktische 
Kraft tlerselben m bezug auf Geistes- 
störungen iqS. 

— Einfluss derselben bei Hypochondern 
»93- 

— Einfluss derselben bei Hysterie 191 . 
Eisengebrauch bei Neurasthenie 

E j a k u I a t i o n s ze n t ru m L. 
Ejakulation, präzipitierte <2ii 'Q'. 

Eklampsie gravidarum et par 
t u r i e n 1 1 u m j6. 



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Sachregister. 



399 



Ekzem der Genitalien als Ursache von 

Masturbation 1 1') 
Elektrizität. Anwendung derselben 

bei Neurasthenie 
Elektrisation, allgemeine 
• — intraureihrale :^h9. 
Elektrisches Bad i,bi. 
Elektrische Behandlung der 

Polluliones nimiae ^6;. 

— der Spermatorrbof ^<n» u. f. 

— der Impotenz ^74. 
Enthaltsamkeit, sexuelle, s. sexuelle 

Abstinenz. 
En t w ic kl u n g s ps ychosc , nien- 

struale 2 1 . 
Epilepsie, Beziehung derselben zu 

sexuellen Exzessen 104. 

— Beziehung derselben zur Men- 
sti-uatjon 30. 

— Beziehung derselben zur Schwanger- 
schaft 

— Verursachung derselben durch 
Onanie 140. 

Erbrechen bei Schwangeren 
Erektionszentrum im Lenden- 
mark i. 

Erektion sfäbigkeit, Abnahme 

derselben 1.^2. i8i. 
Erethismus genitalis 1 ^o. 
Erogene Stoffe Lk. 
Erotik, weibliche Li. 
Erregung, frustrane üIl 
Exzesse, geschlechtliche ^tx), 279. 

— neurasthenische Folgen derselben 
loi- 

— Einfluss derselben auf Entstehung 
von Psychosen 10 >. 

— Beziehungen derselben zur Epilepsie 
104. 

— Beziehlingen zu den organischen 
Rückenmaricskrankheiten lOy 

— Folgen derselben beim weiblichen 
Geschlechte 1 m 

Exhibitionismus ,^19 

Faradisation, allgemeine jbt. 
Fei low 's Syrup 3S9. 
Fetischismus ^07 u. f. 



I p'ussfetischismus ^08. 
Flagellation y^o. 
Flussbäder .^6i. 
Fortpflanzungstrieb 
Franklinisation ^74. 
Freud's Theorie von der Sexualität 
in der Ätiologie der Neurosen 2^7. 
Frigidität, sexuelle 12^ 268. 2«»Q, 
220, 

Frotteurs ^20. 

GalTs Theorie von dem Sitze des 

Gcschlechtssinnes L, 
Galvanisation des Kopfes ^() 1 . 

— des Rückens (längs der Wirbel- 
säulei ;^6i, ^74- 

— am Habe 361. 
Gassen' sc he Apparate 384. 
G a s t r a 1 g i c n bei Sexualkrankheiten 

der Frauen : : i . 
Gebirgsuufenlhalt .^S9. 
Gedankendisziplin bei sexuellen 

Rei/.iuständen ^62. 
Gedanken onanie 1 18, 1 > > . 
Gehirnblutung als Folge sexuellen 
Verkehrs loo. 

— — bei Schwangeren ^S. 
Gehirnersthöpfung (zerebrale Neur- 
asthenie, Cerebrasthenic) 102. i.^4- 

Gehörstörungen bei Masturbation 
1^6, 

Geistesstörung als Folge sexueller 
Abstinenz 

— als Folge sexueller Exzesse 103. 

— als Folge von Onanie ijO. 
Gelüste bei Schwangeren ^ 
Genitalleiden, siehe Sexualerkran- 

kungen. 

Geschlechtstrieb 6^ im Kindes- 
alter 2i 249, beim Manne 9, bei 
der Frau Physiologie 1^ Ein- 
Huss der Kastration auf dens. 
LL lli iL krankhafte Steigerung 
desselben Ij, £20 u. f.. 294, Folgen 
der sex, Abstinenz bei dieser 2 1 u. f., 
Angeborener Mangel desselben 

2b8. 

I — perverser 2&2 u. f. 



400 



Sachregister. 



Grausamkeit, Vcrknüpfiiny ilcr- 

bclbcti mit sex. Lust ^20. 
Gynandrie ^Ol, .^04. 

H a a r f c t i s c h i s m u s ^08 . 
H a a r f c t i s c h i s t e n ^08. 
Haftbarkeit, erhöhte infanlitcr 

Sexualerlebnissc 2()<). 
H a 1 b bä cl e r 361 . 

H äm o ^ 1 o b i n p r ä p a r a te , Gebranch 
«icr'-elben bei Neura^lhen^e 3=; 9. 

II a r ;i r (» h r e n s c h I e i m h a u t , II > per- 
;islhesie tiorselben 1 46. 18^. 

Ii a r n r r» h r c n s t r i k t u r c n 2r>2. 

Heilgymnastik 3> 1 . 

Heiraten bei vormals Geisteskranken 

1 1 f r ni H p h r o <l i s i e , sexuelle 284, 

Herzneurasthenie 102, t ^i;, 1 S^. 
H e r / s c b w ii c h e , nervöse, siehe Her/- 

neurasthenie. 
H 0 (1 e n e X t r a k t Ii r o w n-S e i\ na r d 's 

Homosexualität 282 u. f. 

H (") r i j; k e i t, j;eschlechlliche ^ ^<>. V^7. 

H y d r a s t i s t a n a d c n s i s jb.;. 

Hydrotherapie ^(>o. 

Hyperästhesie, sexuelle l>ei sex. 
Enthaltsamkeit O^^ als l-ol.^e von 
Onanie 1 3 y klinische l'ormen ders. 
270 u. f. 

— der H.irnrrihre [ 4('), 1 8^. 

— der Vulva und <les Scheiiieni-in- 
j^iinjji's 14S, 2 ^(>. 

— der l<<tina 224. 

H \ p c r e m e s i s r a v i d a ru m 
J I y p e r i a D i e 270, 
Hypnotische Behandlung 3(1 1 . 

— - der Onanie 3 ^, der ex/esMven 
Libido ^(i ^. der nlx-rniasNijjen l'<il- 
hiliiJiu n 30s. cler l'olenzni.tnt^el ^So. 

1 1 y p o e h o ri il r 1 e . Kiniluss tier Ver- 
ehelichun;; bei dei-clben 103. 

Hysterie, Ke/itluin;; dfiM-liten zur 
sexueili-n .Vbstinenz 'jo. <) 1 . (»3. 

— - Hivifluin^ drr^ellx ii /n dm '"cxual- 

kiden bei Frauen 22s n. f. 



Hysterie, Freuil's Theorie von »icr 

.Xtiolojjie derselben 242. 
Hysterische Konstitution 230 

u. {. 



I Idiosynkrasien, sexuelle \ ig. 324. 
I m p o t e n z als Folge von sexueller Ab- 
stinenz 83, von sex Exzessen loi, 
von Onanie 132. verschiedene For- 
men derselben 37t. 

— Behandlung derselben 370. 
Iiifantilismus psychohcxuali.s 

2(.S 

Injektion in den Spinalkanal 38b. 
Inversion, sexuelle 282. 
Irrsein, mensiruales 2X. 

— zitkuläres 273, 280. 

K a t h e t e r e I e k t r o d c 3(39. 

K I c i d e r f c t i s c h i s t e n 309, 3 18. 

Klimakterische Neurosen 

Klimakterium, natürliches, Eintritt 
und Dauer <lesselben ^ nerv<»e 
Si<'irunj;en im Gefolge desselben ^ 
Verhalten iler Libiilo M'ährend der- 
selben 37. 

— künstliches, s. Castration. 
Kleptomanie bei Schwangeren ^ 
Klimatische Kuren 359. 

K n a b c n g e i s s 1 e r 330. 
Kopromanie 309. 
K II r |> e r f e t i s c h i s t e n 308. 
K rümpfe, Folge «ler Masturbation 
140 

K li Ii I •« o n d c 36;;. 



Lage v c r ;i n d e r u n g e n des Uterus 
als L'rsache nei viiser Störungen 2 1^ 
'.•<■>• 

. a g n ä n o ni a ti i e 322. 

. a h m u ti g p o t congressum 100. 



n <1 a u I e n t h a 1 t 



. e c i 1 h i n 3 ^S. 

. e i c h e II s c h ä n d u n g 306, 33t 
. e n d e n ni a r k > / e n t r e n des 
schlechl^akles ]_. 



< le- 



bt s i. h e L i c b I 



- i b i d o s e \ u a I i s s. Geschlechtstrieb 



Sachregister. 



401 



Libido 11 i m i a 2'0. 

- Behandlung derselben 

- Mangel derselben fdH 

I^i hidogcne S t <> f f c 26 y 
I, i q u ü r s e d a n s .^G^. 
I- o k a 1 b e h a n d I u I) des ptostatiscbcn 
Teiles der IlarnnUne 352, j57, 3"o. 
L u <> t m o r d J,oh, y^o. 

M a c h 1 ;in n ni a n i e ^22. 
M ä d c h c n s t o t h c r 330. 
Malthusianismus, s Pravcntiwer- 
kchr. 

M a s k u I i n i t ä t ^oi. 
M a s o c h i s m u s 32;. 
M a s s a c I . 

- - t)ei I*otcn/str>runf;en 377. 
Mastkur 3(1 2. 



M a s t d a I m k u h 1 a ]i p a r a t 3 ( » 7 . 

M a s l ur t) a t i o 11 s. ( >riante. 
-• nuituelic Z^y. 2f)~, 2').^. 304. 

M a s t o <1 \ n i L- bei SlIiw ant^'-icn _J2: 
- menstruelle 2j_. 

M c c h a n i Si ii e Mittel liei Pottn/.- 
storunj^i.-n 3X4. 

Melancholie bei Neuvcrinrdilten i n \. 
im (iefol^c von Conjjr. inteir. 1 83. 

M e n a t i- h c üL 

M c n (I p .1 u s e JO. 

M >- ti o r r h a i e ^«r. 

Menstruation, irst«. r Eintritt lier- 
sellx 11 '), Andauer drr-ilben 0. 
ncr\i>>e Stotun^cti widu« rid der- 
selben 2^ u. f., Men-tiiiati(>ris|i^y- 
cboseiL 2v M' ii>ttualn ii:v.iii'>tn.ilieii. 
ncrvi)ie l'c>l<;( n dir-< ll"-n 2i<, Kiti- 
fluss der Mtr.slMi ilii 'ti !ii;-ti-h< rulc 
Ncr\eiikraniiliciteii 2it, jilMt/litlie 
Untcrduii kil:ij^ dut st II ictl 2ij_ 

M e s s a l i 11 1 ■ !1 ü 

M e t a m o r p h o s i - s e x \1 a I i s p :i r a- 

n n i c a 281). 
M i k I i I ) n s s p e r lu a i o i r h o e 2uo. 
Migräne 1 3*1. 

M is s b 1 1 d u n ;4 di-r r.Li -scn Ii ( t.jsi hli i l.ts- 
teile bei Im.iucii al-. T'i-,.ujiir von 
Neurogen 2 ><>. 

Molimina 111 1 11 s i r vi a ! i .1 im. 



M u j e r a d o s 354. 
^f u i r a c i I h i a ^rq. 
Muskclatrophic. projjressive io8. 
Muskelübung, Eintluss derselben 

bei geschlechtlichen Rcizzustauilen 

354- 

M ye La s t heu ic.s. spinale Neurasthenie. 

Myelitis, chronische, Eintluss der 
scxuelicn Exzesse auf Entstehung 
derselben io8. 

M )■ f > m e al<i Ursache nervciser Herz- 
beschwerden ?32. 

Nekrophilie 330. 

N c o in a 1 1 h 11 s i a n i s ni 11 s s Pra> cii- 

livvtrkehr. 
Neuralgien, bei Schwangeren 
Neurasthenie als 1-olge sexueller 

Abstinenz. b(y, lo. 

— als Fol;^e sexueller Exzesse ifio 

— als p'olgc von Onanie 1 32. 

— als Fttlge von I'iävenlivvcrkehr 1 ^8 
u. f 

— des (jehiriis, s. Gehirncrsch<')p!ung. 

— «les Rückenmarks (spinale Neur- 
asthenie) IUI, 132. 182. 

— allgemeine I02, 133 

— viszerale I02. 1 1 83. 

— bei Kontrarsexualen 300 

- sexuelle, l'ropliylaxe und Bt Iviiidlung 

derselben 342 
Neurosen, Einllu^s dt r Men^truatioo 

auf dieselben 2^ 
N \ m p h o ni a n i e ^7 *t 280. 

Obstipation. Eint;u-s derselben bei 
sexueller Abstillen/ Ob. 

O U k I u s i V p e s s a r 1 e n H)3, 349. 

Onanie, Vcrbrcitving ders. 113, iir/tl 
IV urteilung ders. 1 1 4 u. f., ver- 
si liied«.!)«- Eoiiiitn dei-. II'), 1 1 7, 
jieii|dif.T iiiechaiiisi he I i <> , p>y- 
cllische 117, Bcirieluiiig dtisclbtn 
/.u \orhatidci)eii Krarkheils.aivtan- 
ikn und der neutopathistln'n l)is- 
jHi^ition 1 20, 203. 
Zw.iiigstrieb zur * »rianic l_i2, uti- 
li< wii>ste OniiU"-" 124. 



402 



S;Rl»reKi'»tet. 



Onanie, Koljje/ustilinle derselben bei 
Kindern 12h 11 f. 

— Rinfluss der IKiulijikfit des Akte-» 
bei Erwachsenen 1 27 . 

— Einfluss psychischer u. physischer 
Konstitution 1 20. 1 ^4. 

— neurasthcnische Folj;e/uslände der- 
selben 1^2. 

— Psychosen als Fol^;c derselben l ^i. 

— Epilepsie als Foltjc deiselbcn 140 

— Erklärung der Einwirkung deis. auf 
«las Nervensystem 1 4 j. 

— beim weiblichen Geschlechte 1 47. 

— nervöse Folgen ders. 147. 

— Wirkungsweise ders. beim weib- 
lichen Geschlechtc < > 1 . 

— solitilre ^04. 

— Behandlung ders. \ 1; u f. 
() n a n i s i i s c h e s Irrsein 1 ^b. 
Örgano-therapeutische Prä- 
parate 

Orgasmus • Verringerung und 
Mangel der Filhigkeil zu demselben 

— Ursachen dieser Erscheinung of. 

räderastie 272. 2X2. 2S3, 202. 
I^aralysc, progressive, sex. Hyper- 
ästhesie bei <lers 273. jSo 

— Einlluss sexueller Exzesse auf Ent- 
wicklung ders 10^. 

Pars prostalica der Hartiiohrc, lle- 
zjehung derselben zur sexuellen 
Neurasthenie 185. 2uu. 

l'erversc Sexuulakte ;()7. 

1' er Version des Oe-.cbk-chtslriebes 



P o I 1 11 1 i o n s a r t i g e Vorgänge 20^. 
Pullutions Verhinderungsmittel, 
I mechanische ^6o. 

: Polenz, geschlechtliche Entwicklung 
derselben 2i 
— Si h wr.nkungen «Icrselben unter nor- 
I malen Verhältnissen Lü u. f. 

I Po t e a ' * • o !■ u n g e n , s. Iinpolen/.. 
j P r ii c o c i t ä t des Geschlechtstriebs 2')4, 

I 20'V 

Präputium, Verlängerung desselben 



P h e II ii Ceti n ;;S. 

Phimose 202, 2')^. 

P h f< b i c n aN !• fil;;c sexueller Ab>li:icri/ 

LI " • L 

- - als Ki»lgc dfs ("i.ngr. inlcrr. 1 S ; 11 f. 
P h y 1 1 n 

1' u 1 1 u t i o II e n bi i .Mäniu rn i_2^ 204. 

— übci massige il'i'llut. iinni.n.') 0^, 
101. 1X2, ^ni; 



lU-h;iiidUii 14 tk-fsribcn ;''4 11 f. 
bei Fi..;u ii 1 4H, 151, 21:! 



Präventiv verkehr, sex ueller I ^ 

— Die Mahhus'sche Lehre und der 
Neomalthusianisinus l ■;4. 

— Verschiedene Beurteilung des letz- 
teren in arztlichen Kreisen 154. 
Moiivc desselben l 5 y 
Ansichten der Autoren iiber die 
gesundheitlichen Folgen desselben 
1 j^7, Eigene Beobachtungen über 
die nervösen Folgen desselben 163. 

— Erklärung der Einwirkung desselben 
I auf das Nervensystem 1 8=;. 

i - Svhlussfolgerungrii 1 -HS. 
Priapismus 2^ 274 . 
Prostata f a r a d i s a t i o n 374. 
Prostatitis, chronische 202. 
Prostatorrhoe, nervöse Folge-Er- 

schiMnungcn derselben 20'). 
1* ro I y 1 i n (Roche) ^yS. 
l'ruTilus genit.ilis ?Sn 

.tIs Ursache von .Masturbaticjn i tg. 
1' s c 11 il o ■ a n g I n a p e c 1 1) r i s bei 

sexualkrankcn Frauen 222. 
Psvch Ische Behandlung der Neui- 
I asilicnic 3<)l. licr ex/cssivcn Libido 

I 3()2 u. f , der PoiUuionisten 3(>7, 

der Pr>ti.-nzsir>rungcn 380. 
P s y c h o ]) a t h i a s o x u a I i s 267. 
Psychose, pi iinonliale, menstiuclle 

ZI. 

! Ps\ ( hosrn bei Neuvermählten 194. 

— k.uis.ilc Ho/K'liuni;«.-n derselben zu 
-Sexu ileikratikun^en bei l- rauen 23b. 

P s y i h r 1) p h 0 r s. Külilsonde. 
P u Ii e 1 t 1 1 s / (• 1 1 2i nerviisL' Störungen 
I li' l -eilten ZI. 



Sachregister. 



Pubertätsentwicklung 
Pygraalionisten ^^o. 

Reizbare Schwäche tJes Lenden- 
markes i;^a, 146, 148. 211. 
Reizzustände, sexuelle i jj, 148, 

— ßehandlung derselben 362. 
Reisen ^SO- 

Reiten als Ursache von Spermatorrhoe 
354- 

Rückenmarkserschüpfung siehe 
spinale Neurasthenie. 

Rückenmarkskrankheiten, or- 
ganische, Einfluss der sexuellen Ex- 
zesse auf Entstehung derselben io;> 
u. 107 ■ 

— bei Schwangeren ^o. 

— Beziehung der Masturbation zu den- 
selben 1 36. 

Rückenscblauch, Chapnian'scher 

Sadismus ^22. 
Samenfluss s. Spermatorrhoe. 
Samcnvcriuste, krankhafte, s. Sper- 
matorrhoe und Pollution. 
Sanatogen .^>8. 

Sapphismus 302. 
S a t y r I a s i s 20, 2J_. 27 l, 272, 27\. 
Schreibkrampf als Folge von Onanie 
'34- 

Schuhfetischisten jo«). 
Sch w :lch e, geschlechtliche, angeborene 
186. 

— erworbene tüLi ' lÜL 

— Behandlung dtrselbcn \ 1 7. 
Schwangerschaft, Kintluss dcr- 

>clbcn auf Neurogen und Psychosen 

Schwangerschaflslähmungcn, 

periphere £2, zentrale ^ ^ 
Schwangerschaft>p?*ychosen 44. 
Schwindel im Kliinakteiium 5^ 

— bei Neurasthenie i j }• 
Sehstörungen als Foli^e von Onanie 

Sekretion, iniicre 17, ÜIL 



Scxualzentrum, s. Zentrum l. d. 

Geschlechtssinn. 
Sexualerkrankungen bei Männern 

als Ursache von Nervenleiden 199. 

bei Frauen infolge von Masturbation 

»sO. 

— infolgevon Präventivverkehr 157U. f. 

— als Urs.'»che von Nervenleiden 2 1 

— als Ursache lokaler nervöser Stö- 
rungen 217. 

— als Ursache von allgemeiner Neui- 
•istbenie 3 IQ. 

— als Ursache nervöser MagenafTek- 
tionen 2212^ 

— als Ursache nervöser Herzstörungen 

— der Frauen, Beziehungen derselben 
zur Hysterie 22 

— als Ursache abnormer sexueller Er- 
regbarkeit Q, 280. 

Sexualtrieb s Geschlechtstrieb. 

Sexueller Verkehr, Einfluss des- 
selben auf l>estchendc Nervenkrank- 
heiten und die Disposition zu solchen 
»8o. 

S i t z 1) ;i d e r 360, 361. 
Solbäder jbi. 
1 S p a d o n e s 

j Spermatorrhoe 82. 132. 181. 

— Behandlung der>elbcn 3(>8. 
S p e r m i n Pohl ij\ 3 ^8. 

I S Iah I bade r ^01. 
I Statintik der Honio>exucllcn 292. 
Sterilisier ung, operative der Frau 
349 

S t o f I f c t i s c h i s m u s 3 ly. 
I S t u p r u m 331. 

I Substitutive Formen hetero- 
sexueller Perversion 307. 
Suggestion, hypnotische, s Sugi;e-.liv. 
liL-h:in<llung. 
- larMCtte j()H. 
S u g e s t i V e H e h a ti d I u n g 3<i l . 
S y m t> o 1 i s m u s , gcschlechtl. 3 1 ■ ) . 
Syrupus Kolac com pos i t u s ,\^'). 

Tabes d n r > a 1 i •> , Beziehung der 
sexuellen F.v'. ss^- /u ii<,'t>< !btn it><> 



404 



Sachregister. 



Tabes d o r sal i s , Beziehung der Ona- 
nie zu derselben 115. 

Tachykardie bei Sexualloankhcit der 
Krauen 12^ 

Ta^cspollutionen l ^2, 20^. 

Tetanie bei Schwangeren ^b. 

T i e r f e t i s c hi s m u s ;^ 19. 

T r i b a d e ^o^. 

T r i j; em i n t,^S. 

Tripperneurasthenie 3r>n 

Tropenkoller 33s. 

Obererregbarkeit, sexuelle 270. 
Uranismus 282 

Urelhrili«. posterior chronica, 
Beziehungen derselben zu den 
sexuellen Missbräuchen 201 

— Beziehung derselben zur Neur- 
asthenie 201. 202. 

— Beziehung derselben zur Anomalie 
des (leschlcchtstriebcs 274. 

Urning 

Urningtum s. Uranismu;«. 
Uterusexstirpation, Foigezuständc 
derselben 60, 



Uterinkoliken ih^ 

V a g i n i s m u s 236, 
Vegetarische Lebensweise bei 

Libido nimia 364. 

Verdrängung bei Hysterie 248. 

Viraginität 30». 304- 

Vorstellungen als Ursache hyste- 
rischer Symptome 22b. 23 1. 

V o y e u r s 320. 

Wasserkur s. H ydrotherapie. 
Wallungen, khmaktcriscbe !^ 
Wechsel s. Klimakterium. 

Yohimbin 378. 

Zopfabschneider 3 18. 

Zwangstriebe m der Schwanger- 
schaft 43 

Zwangstrieb zur Onanie 122. 

Zwangsvorstellungen bei Ma- 
sturbanten 130. 

Zwangs vorstcllungsncurose, 
Freud's Theorie von der Ätiologie 
derselben 239. 242 

Z w i 1 1 e r t u m , psychosexuales 284, 303^ 



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Seite 90 — 112. — Warme und kalt« Gemü»e, Eingesotteues und Dürr- 
gemüae, Seile L21 — 136. — Bäckereien und M v Ii Inpe isen , Seite 141 — 153. 
■ — Gefrorenen, Spitr t.'i" — I.')8. — Kriaubte Getränke, Seite 161 — 164, 

Henry Hoole 

Das l^'rai Iii ereil zum Sport. 

llaiidbucli für Sportsleute jeder .\rt. 

Für deutsclii' Vor Ii ;i It n isse bearbeitet 
von Dr, C. A, Neufeld, München, 

/'.rw M. 'J. — . Cehnndtu M. 2 50. 

Kochbuch für N i e r e n s t e i n k r a n k e 

nebst einem Anhang für die körperliche Pflege der Kranken. 

Nach Urztliclien Anordnungen und eiyeneu langjilbrigen Erfahrungen 

zu>>aiiitnoni.'Ost«>llt von 

Louise Scick. 
Zweite vermehrte Ausgabe. 

/'.VI* .Mk. -J.—. 



C. W. Kreidels Verlag in Wiesbaden. 

Sonnige Welten. 

Ostasiatische Reise-Skizzen 

voll 

Emil und lienore Selenka. 

Boroeo. — Java. — Sumatra. — V orderiadieo. — Ceyloo. — Japaa. 

Mit zahlreichen Abbildungen im Text, 4 faksimilierten Voll- 
bildern und dem Porträt von Emil Selenka. 

Zweite umgearbeitete und ergänzte Außage, 

Einbanümotiv nach einem japanischen Gobelin. 

Preis gebunden Mk. ifl.6o. 



Neben dem Inhalt bilden die vornehme Ausstattung^ und 

das herrliche Illustrationsmaterial eine besondere Zierde des 
Werkes. Unter den Abbiidungcn verdii iu-n (he zahlreichen 
Vcikcrtvpcn besondere Erwähnung. Eiiu* <^ros>v Anzahl der 
Abbildungen ist nach eigenen photographischen Aufnahmen 
oder nach zeichnerischen Darstellungen und Öiskizzen der Gattin 
des Forschers hergestellt worden. Wir wissen unser Referat 
nicht besser zu schliessen als mit einem Satz aus unserer Be- 
sprechung der ersten Auflage des Werkes: Dieses Buch wird 
nicht im Bücherschrank dessen, der es sich angeschafft und 
einmal gelesen hat, verstauben, sondern immer wieder zur Er- 
heiterung und Belehrung hervorgeholt werden. Es dürfte 
Wenige geben, die an einem solchen Werke, in dem Text 
und Ausstattung sicli Imruionisch ergangen, keine t reude haben 
werden. 

(Hamburger Nachrichten.) 



C. W. Kreideis Verlag iu Wiesbaden. 



Soeben ist erschienen: 

Paul und Fntz Sarasin 

Reisen in Celebes. 

Mit 240 Abbildungen im Texte, 
12 Tafeln in Heliogravüre und Farbendruck und 11 Karten. 

Preis für zwei Bände gebunden 24 Wn. 



Dieses Buch ist die Frucht mehrjähriger, mühevoller Reisen 
und Studien auf d*^r Insel Crlebes (1893^ oh und 100:» 1Q03), 
(Icron Fntdorkun'^'-'^geschiclite hif^rdtsrrh /u « inom g^ewii?sen Ab- 
schlüsse gelangt ist. Die Ver[a^s>-r haben au! dieser Insel 
neben zahlreichen kleinen Exkursi' iien /.ehn >^rös^cre Reisen 
durch noch V''>llii:r unbek<innie oder nur Tiiangelhatt bekannte 
Strecken ausgeumiL, unter anderem lum ersten Male an zwei 
Stellen das mächtige Zenlralstück der Insel, wo die vier Halb- 
inseln zusammenstossen, durchquert. Diese Reisen sind nur 
durch ein weitgehendes Entgegenkommen und eine energische 
Unterstützung seitens der holländischen Kolonialregierung mög' 
lieh gemacht worden. 

Bas Buch soll in erster Linie die mannigfaltigen Erlebnisse 
auf diesen Reisen und die Eindrücke wiedergeben, welche eine 
zum guten Teil noch jungfräuliche Natur und die bald freund- 
lichen, bald düster ernsten Kulturbilder des heidnischen Innern 
auf die Verfasser gemacht haben. Der bleibende Wert des 
Buches mag vor allem darin gesucht werden, dass eben diese 
merkwürdigen Kulturen, die bis in lair / r Zeit durch die rasch 
fortschreitende liuropaeisierung und Islamisierung des Landes 
für immer vom Erdboden verschwunden sein werden, in diesem 
Werke noch literarisch festgehalten werden konnten. 

Die beigegebenen Bilder sind durchweg Originalaufnahmen 
der Verfasser, und es sollten diese um so willkommener sein, 
als die bisherige Celebes. TJtcratur so gut wie nichts an bild- 
lichen Darstellungen enthält. 



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Veiiag von J. V. ßergmaun in Wiesbaden. 



Handbuch 

der 

allgemeineD and speziellen Hydrotherapie. 

Für Studierende und Arxte 

Voll 

Dr. Ludwig Schweinburg, 

Ifttvktof und Chefant de» ÜMiittoriunis in Zackmantei. 

hiebst eiDem Beitrage 

Vün 

Dr. Oskar Frankl, Fr«ueiMnt tu Wieo. 

Die Hydrotherapie in der Gynäkologie üiid Geburtsliilfe. 

Jfif 4a AbhUduw/en. «— PheU: M. (?.— , jfeh. M. 7, — 
Auszüge ans Besprechungen: 

Ein vorzügliches Lehrbuch für Studierende und Aritte, das trotz seiner 
Knapptii'it (Idcb ttWes bringt, was für die Praxi« von Uedeutnug, da eben hi<T 
der erfulitx'ue, atif echt wisKenschaftlichcni Uodcu Ktohende Arzt seine Krfahrungen 
der ärztlichen Welt überliefert. Den Standpunkt des Autor« cbaraktcrisierl wohl 
am b««leo «ein im Vorwort abgegeben« Uekeuatoie; „Prinzipiell freilich wftre 
ee nur wflnscbenswert, wenn die Hydrotherapie als eelbstlndlite Dipsiplin ab- 
danken und, im Verein mit auderon, auf anatomiscli-physinlnj^ifchor Basis auf- 
gebauten Theorien zu einer allgemeinen Ther»pie vereinigt würde." Der 
Beitrag von Fmokl dürfte (;loicbfalIs dem voriiegenden Kueh zu einer rascheo 
Aufeiuanderfolge rom neuen Auflagen verhelfen, wa« wir im latereue der A,uf(iabme 
der Hydrotherapie in das Rüstzeug drs pr«kti«c1)«n Arete« nur wQnwhen kOnneo. 

Briegcr-Bßrli:! i. </. M",:fi.-M'hnff f. oTth«p. Chmtryie 
u. phyaikal. licilmeihodvn. 

Ein neuea Lehrbach aui« der Wintemttzschen .Schule und, wie gteieh mit 

Vergnügen koiistatiiTi sti, riti j^nles. Hr. S c !: \v f i i: hn r g •< [ ! ai.dltiich 7,»;ic)niot 
sieb durch wohltuende Knappheit und VollatUudigkoit aus. Uute Abbildangeo 
erhöhen die Klarheit der DaratelluDir. 

Archic /". ph ihafrurh tfiiiletisehe Therapie i. d. ärztl. I\azit. 

Das beb weioburgsche Handbuch bat den groeseu Vorteil, nichts Über^ 
Odasiges ta ssKen, sieb nicht in Disknraiouen Qbor Theorien einsniassen, die Ton 

einer 8eito mit Ilartnftcltigkeit \ t^i f i ctpn, von airlerf.n -n h -Irr lipstritfrn und als 
erledigt betrachtet wenleti. Nun tlieureiisclicii &(ictutjigt>u will weaar der i^tu- 
iliereiidr, noch der praktische Arzt etwas wissen, wenn e« sich um Hfdrotberapie 
handelt. Wenn aber der praktisch« Arat ein kuntgefaaates, klaree, übersicht- 
Ifehes Handbuch — wie das Seh weinb u rgsche ist — sur Hand nitnmt. wird 
• ■r es mit Vergnügen durchsrudiertii utni cini u klaren Einblick in uns. le Dis- 
ziplin gewinnen. Er wird auch die — mittcUt 6uhi- guter pbotugrapbischer Auf- 
nafaflsen eriluterte — Technik i^ut fassen und anwenden können. 

S 1 (i w e i n b 11 r hat in liu -^r? liiicb .inrh fl iv.nj tias Neueste aufgenommen, 
was lu uiloi'Jütigster Zeit niclit uur in der H ydrotiierapie, sonileru auch iu elek* 
trisehen und Koiiiensiinribädcrn, Ueissluftapparaten uaw, teebuiseh, metbodisoh 
und therapeuiiscii wettvoll isi. 

Der geringe Preis von 6 Marli wird wohl auch sn der wohlrerdientcn 
Verbreitung deiselben beitiagen. Ungmruche med. iVMSe. 



Verlag von J. F. ßerginann in Wiesbadeu. 



Über 

die geniale Geistestätigkeit 

mit besonderer Berücksichtigung 

des Genies für bildende Kunst 

Von 

Df. L. Loeweaietd in Mflncben, 

iVet« If. 2.80. 

In diaser S»aiiniaiig, di« das (jirei)&(;abi«t xwisob«D aorm«|«r and krank- 
hafter Nerr«»- nnd Seelantiltigkatt barQfareo, müobtan wir gleiob hiar gabildeta 

l^e-er. (He für iliii' ;:eis;ige Xdlirutig mel]r boatispruclieu «Is Mussc Uiitorhaltutigs- 
lektüre, uud die scharies ^achdeukeu uicht scheueo, ia vurerwähnter Sammlung 
«in vonflgiiebea Hilfsmittel ntr Erweiterung und Varlleroag ibrea Wlaaena 6nden. 

.... Zu den Hauptvorzügeu des Werkes recliuen wir den Hcweis, dn^n 
das iieuie, weil vom UurchschuittsmeiiAcheD nicht dem Wesen. Bondfiu nur dem 
Grade nach verschieden, nicht unter entwickelungsgeschieli t liehe , ethiüche uud 
payohologiacke Anaaehmiigesetze f%Iit. Glünseod int die Aualyse des Lebens 
Too sw6l? berflhmten Malern; Liouardo, Michelangelo, Tizian, Raffael, 
Dürer, llolbt^in jiii) , Kubana, Rambrandt, M i ss o n i er, Millet, 
U ö c k 1 i n und Feuerbacb. „Neu- Yorker StaatszcUung". 

.... Eine notwendige Verknüpfung der neuropathiachen Disposition oder 
gnr dfi" psychiNchfii ."^t'H'iii);^«<ii mit cIloj (■'i'iiic ist sii-lici' ;iiis.',iischl icssrii : Im 
ailgemeiaeo wurzelt vielwubr seine Kraft im Gesunden, nicht im 
Kranken. Wir eiod alao au einer erfrealloberen Anffeasung dea Oeniea ge» 
kommen als I. omhroao uud mmche atnlero neuere AtitDreu. Die geniale 
(ieistcHtüligkeit tiiu nicht aus <i<-in ivütutien der psycho-phyätuiogischeu Ge- 
achobuiaae heraus, sie arbeitet niit dnu j^leichen Kleiaentül wie alle flbrigen 
Denkproseaaa und braucht uicht durch krankhafte Prosaaaa bedingt an aein. 
Waa daa Zuaammeiitreffen mit psycbopathologischen Zutaten betrifft, so haben 
wir t's mit ilrci '•"ru].peu zu tun: tiu- t rste reprilM-iitici t (ius fieulo <»1iir' patln'- 
logieche Züge (Kant), die swette, das (ieuiu, bei welchem das Krankhatte eine 
Begleiteraeheinung der ausserordentlichen Hegabuiig bildet (Goethe), die dritte 
das ffpnio, welches in einer kreinkhaften Geljii imr^faniriati m 1ii-|^r(iiiilct ist 
(J5 c h u j) e 11 h a n e ri. Krstere dürtle die seltenste Art darstellen, die let/.tc ubei 
ihrerseits weit seltener sein ala mau in gewissen Kreiaen anaunehinen geneigt war. 

Diese Aufl'asauug Loewenfclda wird zwar weniger aenaaiionell als die 
L.ombruaü scbe, aber allgemeiner anerkannt und durch weitere Untersnohungeu 
beatitigt werden. „ilfi(iieAen«r Nenette NaehrieHlen". 



Ueber das Pathologische bei Nietzsche. 

Von 

Dr. P. J. Möbln« in Letpitg. 

if. 2.80. 

l. Der uraprfin gliche Nietaaebe: 1, Die Abatammung. S. Die PeraOalich« 

kcit. 

U. Die Krankiieit; 1. Die Migräne. 2. Die Entwicklung der prugresi>iv«^u 
Paralyae. Daa Ende. 

Behloaabamerknngen. 



Verlag von J. F. Bergmaun in WiesbadeD. 



Slimesgenflsse Jind Kuiistflenuss. V»Li:i„^5,.Ci5Id,Ä 

Tode herausgegeben von Dr. J I .« n s K u r e 1 1 a in Breslau. 

(i( li( Itct Mk 2.- Gebunden Mk. 2.70 

Das lincli bedeutet emc Rcvulution iin Reieiic der Ästhetik. Mit einer 
umfassenden und tiefen Kunstkennerschaft ausgerüstet, die der seines 
Bruders Julius Lange gleichsteht, unternimmt es der berühmte Kopen* 
haj^ener Pathologe, die gesamte Kunst als eine Summe von Genussmtiteln 
zu bt trachten, welche die direkt auf unsere Sinne oder vom Blute aus auf 
unsere Nerven einwirkerden Genu^Miuttel ergänzen, um dem ewig regen 
Genussverlangen der Menschen zu genügen 

In einer meistei h iften, von Geist, Ironie und ^Iühendem Kun^t Knthu- 
siasnius sprühenden Skiz^ierung der Geschichte und des gegenwüj ligen 
Standes der dekorativen Künste (Kunsthandvverk), der Malerei, 
Dichtkunst und BQhnenkunsl zeigt L., dass andere als diese drei 
Kunstmitte] nicht als heilende Kräfte der gesamten Kunstcntwickelung 2U 
finden sind. 

Ein Schlussabschnitt lehnt alles Reden und Schreiben über das Schöne 
ab. Ein einleitender Abschnitt gibt die Physiologie des Genusses, die auch 

die des Kunstgenusses ist 

In zahlreichen feinen Einzelbemerkungen werden auch die bc-^onderen 
Kunstmittel der einzelnen Künste hell beleuchtet. Der geistige Reichtum 
des Verfassers verstreut eine Falle glänzender Apercus, die unser ganzes 
Kulturleben beleuchten. 

Dabei i^-t die Sprache einfach, klnr, >rh mucklos, frei von jedem Ver- 
suche, durch die Form zu blenden ; d.is Revolutionärste, Paradoxeste wird 
mit einer Spinozas würdigen Ruhe un<l Bestimmtheit gesagt 

So lialicn wir auf wenigen Seiten eine Enttlironuni: aller idealistisch 
versciiwuuinier.en Ästhetik, den ersten glänzend ;;elnnj;encn VerMJch, eine 
allgemeine Kunstlehre auf pln siologischcr Gruiui! zu geben, gestützt 
auf die Herausschalung der allen Künsten gemeinsamen Mittel, und der 
Nachweise do* einfachen physiologischen Wirkung derselben. 



Obe r Enfgrfun g, Von Dr. P. J. Moebius in Leipzig. Mk. I. - 

Diese Abhandlung ist ein Muster gemeinverst.'lndlicher und doch streng 
wissenschaftlicher Behandlung eines Gegenstandes, der in neuerer Zeit zu 
den widersprechendsten Urteilen yeführt hat. M bemüht sich vor allem, 
eine schärfere Fassung des Begritts „Entartung" zu geben, durch welche 
die anhaftende odiuse Nebenbedeutung der Verworfenheit beseitigt wird; 
nach seiner Auflassung ist Entartung jede Abweichung vom Typus, welche 
die Nachkommen schädigen kann. Er weist auf wie man zu einem brauch- 
baren Massstabe gelangen kann, von dem aus die Abweicliungcn vom Typus 
speziell auf geistigem Gebiete sich beurteilen lassen, und schliesst mit 
tretfenden Beinerkungen über den Verbrecliertypus und das Genie, welches 
letztere, sofern es auf Disproportionalität beruht, auch nach Muebius dem 
Gebiete der Entartung zuffllh. 

Somnambulismus und Spiriiismus« y^^^^^; ^' ^"^'^Mk 

In dieser Abhandlung schildert der Verfasser die verschiedenen Formen 
des Somnambulismus und bespricht die gewöhnlichen sowohl als ausser 
gewöhnlichen (occulten) Erscheinungen dieser Zustände. !-et«eren gegen- 

Ober nimmt der Autor nicht einen negativen, sondern lediglich einen r^tr. ng 
kritisihcn Standpunkt ein, und er zeigt, dass das betrelVs der occulten 
Phänomene des Somnambulismus Feststehende ebenso wenig als die ge» 
wohnliebcn Erscheinungen dieses Zustandes d' n iritistischen Theorien 
irgend eine Stütze gewähren. Die neuere Litei alur weist , wie von der 
Kriük auch anerkannt ist, keine schärfere und zugleich elegantere Ab* 
ertigung des Spiritismus, wie die in dieser Abhandlung enthaltenci auf. 



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Verlag von J. F. Berginauu in Wiesbaden. 



Abnorme Chorakfere. vonDr. j. l a. Koch m Cannstatt. Mk.i- 

Kociib Abhandlung vcdolstt den Zweck, Verständnis lür die abnormen 
Charaktere, die so oft ungerecht beurteilt werden, zu eröfi'nen, indem er 
deren krankhafte Natur nachweist. Sp'^ziell beschäftigt sich der Verfasser 
mit den dem Grenzgebiete zwisclien geistiger üesundheit und ausgeprägter 
Geisteskrankheit angehörenden abnormen Charakteren an engeren Sinne. 

Ober die sogen, nioral Insan lly. {JSS^^iS?. '"Mfc''lil! 

.... Tlicma, Inhalt und Darstellungsweise sind geeignet, die LektOre 
des Buches nicht bloss für ^rzte, sondern auch fQr Juristen. Soziologen 
und Gebildete überhaupt empfehlenswert erscheinen zu lassen. 

Centratblo!! / d Grenz^^ebiete d- r Medisi». 

.... Das Werkchen Nacckes, welches sich an die Gebildeten aller 
Kreise wendet, verdient vor allem auch die Aufmerksamkeit der Juristen, 
\vt:il es diesen zeigt» dass die Psychiater nicht gegen sie, sondern uu sie 
arbeiten. AUgetmine Zeiluttg. 



Funktioneile und or goiiisdie nervenkrankh e iten. Von Professor 

Dr. H. Obersteiner in Wien. Mk. 1. — 

Die Abhandlunf; des berühmten Wiener Forschers bietet viel mehr» 
nl^ der Titel rrwartcn lA'^st. Oberslcincr b«;handeU nicht nur die Unter« 
seine de zwischen den organischen und sogenannten funk» 
tiunellen Nervenkrankheiten m einer für Arzte wie Laien gleich 
interessanten Weise« er entwickelt auch bezOglich letzlerer eine neue, sehr 
beachtenswerte Theorie und macht dm Leser en passant sozusagen mit 
(I< I) wichtigsten Ergebnissen der neueren Gehirnforschung 
bekannt. 

l>ic Arbeit unseres hervorragendsten Nervenanatonien, sehr 

inhaltsreich und durchaus gediegen in der Form, verdipnt volle Beachtung 
seitens der Fachgenossen. . Ir^//. Zcntrulzettung. 



Wahnideen im Völkerleben, von ür. M. Fried mann in Mann. 

hemi. Mk. 2.— 

Aus der interessanten Sammlung der ^Grenzfragen" ist dies eines 
der feinsten und lesenswertesten Stocke 

Kurrt'spondeiizhlatt für Sr/i;i'>i:fr Arzte. 

. . . Möge das Heft viele Leser hnden und in weiten Kreisen aul- 
klärend wirken. /trati. Sachwrständigett-Zeihittg. 



Ober die gelsttge Arbeitskraft und ihre Sqfllenfe von Dr. 

L. Loewenfeld in Manchen. Mk. L40 

Das Buch i>t für gebildete Leser fjes« hricben. Es behandelt in < in- 
gehender Weise das Thema ui zwei llanptkapiteln, von denen tias erste 
der Lehre von der geistigen Arbeitskraft Oberhaupt gewidmet ist, wobei 
hc'^ondcrs dir CrsacTien der pliysioK)i;isrlnM) und pathologisc.ien Schwank« 
ungen au^iuhrlich besprochen werdt ii. Der zweite Teil ist der Hygiene 
der geistigen Arbeitskraft gewidmet. Diese Lektüre mochten wir 
vor allem auch den Lehrern unser er. Schulen empfehlen, sie 
werden dem Buche manche Anregung, viel Belehrung eni- 
iifhrnen können. Es -< i nuii dir auf hingewiesen, da>s es s;rh kt iiv ^- 
we^s um eine rein medizinisch-hygienische üchrift handelt, sondern es kun^nt 
ihr m grösserem Masse volkswirtschaft'liche Bedeutung zu. 

Aorautr Tageblatt- 



\' erlag von J. V. Bergmann in Wiesbaden. 



Die örosshlrnrinde als Organ der Seele. Y:" 

^ vVdamKiewicz in 

Wien. Mk. 2.- 

Die intcre«5snntcn Pufilikiitionen, weiche drr berühmte Verfasser im 
Laufe tief J ilwf ulitT die Funkiion der Grosshitnrinde und ihrer Ganglien 
vcföffcnlliciit liat, bilden die Grundlage der vorliegenden höchst interei^santen 
Schrift, die boÜ'enilich schon wegen ihrer klaren gemeinfasslichen Darstel* 
lung weiteste Verbreitung finden wird .... MttHvmisch* Blätter^ 

Ober den Traum« von Dr. S. Freud in Wien. Mk. 1.- 

Der Verfasser hat in obiger Arbeit die so oft vergeblich angestrebte 

Lösung dei TraumrätseJ auf einem ganz tu iu ii wissenschafttic he n We^e 
in Angriff genommen und ist dabei zu Resultaten gelangt, welche jeden 
Gebildeten in hohem Masse interessieren müssen. 

Er führt uns an der Hand seiner Untersuchungen sozusagen in die 
Traumwcrksiatt; er zeigt uns das f^- i^ti^e Material, welches für das 
Ti auniSLU ;jc verwendet wird, (in- ['ru/e-se. dr-m n dieses Mattnal uti:- :-- 
liegen muss, um zu Traumbcstandtcilen umgestaltet zu werden, und wie 
durch Berücksichtigung dieser VorgAnge sich Sinn und Zusammenhang in 
die srheiiili.i: verworrensten, sinnlosesten Traumbilder bringen lAsst. 
1 lauuic Mild iiicli Knud nicht lediglich Sc Ii au nie, sie geben mit- 
unter Ober die dunklen, vom Bewusstsein nicht beleuchteten 
Seiten unseres Seelenlebens die oberr aschendsten Auf* 
sc blasse. 



Das Selbs^bewussteeln, Empfindung u. 6eHlhL von i r .fessur 

" Dr. Tii. Lipps 

in Mönchen. Mk. 1.— 

Der gelehrte \'rrtas t r, einer der bedeutendsten deiii-^ehr-n !'*-ve!i. .], ic-rii 
der Gegenwart, bi Ii iii lelL lu vui hegender Arbeit mehrere der wichtigsten 
psychologischen Fr . t 1- nie in einer Form, weiche auch dem Venständnisse 
des in der Psychologie Unbewanderten keine -Schwierigkeiten bereitet und 
geeignet ist. sein Interesse fttr den (icgenstand lobhaft anzuregen. 

Im Einzelnen bespricht Lipp^ untr. (udercm: den verschiedenen .Sinn 
des „Ich", das Icli und den Zusammenhang der Bewusstseinserscheinungen, 
das Ich als Kinheit der Kmplindungen, Vorstellungen etc., »Ich*, GeFOhl 
und Kmpfinduri:rii, die Affekte, Unabhängigkeit der Getfihle von Körper- 
ctirpfindungen, das „reale Ich". 

Die treflende Kritik, in welcher der Autor in seinen Ausführungen 
die Ansichten anderer Autoren unterzieht, und die Auffassungen, zu welchen 
er selbst bezQgllch der einzelnen behandelten 1- ragen gelangt, dürften die 
Beacluun^ aller Jener beanspruclien. welche über die Fortschritte der 
psychologiächea I^rkcnnlnis sich orientieren wollen. 



Individuelle Gelstesnrtung und 6eistesstgrunfl« Von Direktor 

Dr. Tb. Tili ng in Petersburg! Mk. 1.60 

Die Freiheit des Willens Pom Siandpunkte der Psydio« 

pafhologie. Von Prof. Dr. A. Hoche in Strassburg. Mk. 1.— 

Die Arbeit H.'s zeichnet sich durch Klarheit, Knappheit und Eleganz 
der .Sprache forninl, durcli di«; .Anwendung psychiatrischer Erfahrungen 
auf das schwierige I'robicm inhaltlich aus und steht hoch Uber dem Meisten, 
was auf dic'^cm Gebiete geschrieben worden ist ... . Den Geiuiss der 
Lektüre sollte sich jeder inachen, den das Problem der Willensirciheit 
tntere- siert. Schniidts Lehräüchtr der Medium. 



Verlag von J. F. Bei^mann in Wiesbaden. 

IHuskelfunktlon und BeWUSSfsein. von Dr. E, Störchin Breslau 
^ Mk. l.JÜ 

Eine äusserst anregende und gehaltreiche Schrift, durchaus den Geist 
der Wernickeschen Lehre atmend ... 

Zentralblatt f. ä. Grenzgebiete der Metltsin u. Chirurjfie 

Storch ist m mehreren Untersuchungen erfolgreich der Rolle nach* 

;;«.-gangen, welche die Mu-kelfunktion, d. h ihre psyrlii-* lu- X'crirettnii];, in 
dem Oesamtbewusstsein spielt. Er bietet in der vorlicj.;' ndt ii Studie seine 
Lehre in VoriQglicher Gedr^lngthcit und Gedankenpr.lzision. 

ZtHiraiblati f. NervtHheilkunäe u. Peychialrie, 



Psychialrle U. Dichtkunst . Von Prof. Dr. a W ol ff in Basel. Mk. L 

Der Vortr il; wurde so abgedruckt, wie er am 2-^. Februar gehalten 
worden ist, olmc der „Darstellung durch weitere Auslöhrung oder durch 
Beigahe von Anmerkungen mit Literaturnachweisen u. dgl. den Schein 
der \'. iH-tilndigkeil zu ^^t f» ir. weil \"i .Ilstitndigkeit in einem ein«^tündigt m 
Vortrag sowieso unmöglich zu erreichen ist. Die Arbeit bietet des An- 
regenden und Interessanten auch so genujc. 

.... Wir bed.Titrrtrn h« i der I ct- türe bloss, dass d i- Heft nur 
20 Seiten umfasst und so wird es gewiss ^edein Leser ergchen, der sich 
dem Genüsse dieser ausgezeichneten Studie hingibt. Basler Zntung. 



Die E nergie des lebenden Organismus und ihre psydio« 
bioioflisdie Bedeutung, ^^''st^pete^^^^^^^^ " ' ' ^^^'^lira^ 

Dil- an? rrirlicm Wi'^'^rn .-ii;fE;( h.mtc umfangreiche Abhan<llung ist um 
so interessanter, als sie uns die .Ansichten vieler russischer Forscher über- 
mittelt, die uns bisher unbekannt geblieben waren. 

Schmidts Jahrbücher der Mfdizin, 



BeWUSStSeln- SefÜhl. K;nc psycl.o.physiolog. f nter-u, l,ung. Von Prof. 
Dr. Uppenhcimer in lieidtllierg. Mk. -l — 

In der vorliegenden Schrift behandelt der Verfasser die Bewusst«<ieins. 

fV.ipc nach naturv. ,--. :i-chattlichcr Mt-thod« Mit [jf 'iilicher Vermeidiui'^ iIht 
spekulativen Voraussetzungen und Lrörterungcn beruht seine Beweisführung 
auf anatomischen und phx'siologischen Erfahrungen, die er schon froher in 
drei Abhandlungen veronentlicht hat. 



Der Füll Otto Weininger, j inc psyrhatr ' r. Studie. Von Dr Ferd. 

i ruhst in München. Mk. 1. — 

Keine literarische Erscheinung der neuesten Zeit hat wohl so viel 

AufaLhcn t rrrjit und so widt-t -pn i iicrid«^ Bturti-ilnngen gf fund< n. als die 
Schrift „(^e SU ii l cch l und L Ii .1 r a kl e 1". deren jiiL^'eiidln iifr Vcrtas^er 
Otto WriniiiLjcr in Beethovens .Sterbehaus in Wien ^♦■incrn Lebrn durch 
einen K«rv(i| vcrsclmss ein Ziel <t.tztc. In der vt)rtic::etidcri Abhand- 
lung wird der (M ist<-/u-land (k:s nn^i^l■ klu licn junLren Gci<rhrten aul Grund 
noch niciit vor Dltetitlicliten bi' >i:r;i])ii:srti< ii Materrais und "^L-iner W'.-rke einer 
eingehenden psychiatrischen ünlersuchung unterzogen. Ls gelang dem 
Amor hierdurch in überzeugender Weise darzutun, dass eü sieh in den 
Si hrilicn \Vfir.ini;ci " iiuiit um r>t'l<-nbarunL'<rn eines gevunripti piiil'>si)|tiiis(:lien 
Genies, s<^ndern icdiglaii üm die l.r^eiigiiisse eines Geisteskranken handelt, 
die zun) Teil allerdings den Stempel aussergewöhnlicher Begabung an 
&iih tragen. 



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Verlag von. J. F. Ber|i;niatin in Wiesbaden. 



Srudieu zur Psudioloaie des Pessimismus. „ . 

2 ° KowalewsKi 

in Königsberg. Mk. 2.80 

Ober die Bewertung des Pessimismus war bisher eine Veretändi^iung 
ni< Iit zu (_T/ieIen. <!a Anhäni;rr uve Gc^iirf dt-i sr-lbi n sich nur auf ein- 
seitige und unsichere Beobachtungen zu stützen vermochten. 

Das Unternehmen des Autors, für die Beurteilang des Pessimismus 
eine neue einwandfreie Grundlage zu schafien, darf daher als ein «sehr 
dankenswertes bezeichnet werden. Die vorliegende Arbeit will einmal 

Sans vorurteilslos vom streng empirisch*psychoiogischcn Standpunkte aus 
en Wahrheitsgehalt des Pessimismus ergründen. Mit Hilfe experimen- 
teller und statistischer Methoden wird das tatsächliche Verhältnis der 
Lust- und l^ilustfunktion im nixinalen Durcli^i linittstypus tiienschlicher 
Gefühlsweisc nach den mannigtaclisten Richtungen genauer verfolgt. £s 
stellen sich hierbei nierkwürdigc Asymmetrien heraus, die entschieiMn die 
Entwickeltmf: einer pps-^iiniisti^^clu-u Scclt tu rrTa'-^nnc: begünstigen. Dem- 
gegenüber aber werden auch autajit'nisti--« Ik Faktoren nachgewiesen, die 
IUI allgemeinen das Gleichgewicht des Gemüts zu wahren vermögen, deren 
Stönuig oder Hemmung mit Notwendigkeit zum ausgesprochenen Pessi» 
mismus führt. Der verschrieetie Pessimismus dOrfte nach dieser Unter- 
suchung 7um Teil in etwas freuntllicherein lachte ersclieineti, da /ii ihm 
nicht nur eine pathologische, sondern auch eine bedeutsame normale Kom- 
ponente gehört 



Der Zusammenhang von Iieib und Seele, das Grundproblem 

der Psydioiofl ie. Von Prof. Dr. W. Schuppe in Greifswald. Mk. I.CO 



Berufswahl und Rervenleben. vcnProrpr August Hoffmann 

— . Hl Düsseldorf Mk. —.>?«.• 

Die vorliegende Schrift beansprucht das Interesse weitester Kreise, 
da sie eine Fra^e \<>n eminenter Bedeutung fnr die Volksgesundheit be- 
handelt. Viele verfehlte und unglückliche Existenzen sind darauf zurück* 
zufbhren, dass das Nervensystem der Betreffenden den Anforderungen des 

von ihnen rrcw.lhken Berufes nicht gewachsen i^^t \uf der anderen 

Seite lehn die arztliche Erfahrung, dass die Walil eines gceigiiclen Berufes 
ein Mittel bildet, durch welches bei ncrvc'ts Veranlagten und allgemein 
schwächlichen Individuen die Leistungs^ und Widerstandsfähigkeit des 
Nervensystems gefordert und damit nicht nur Erkrankung verhindert, son- 
dern aucl> eiiv '1 •^pirie^sliche berunielie T.*Uic;l:cit ernin^Iicht wird. 

Eltern und Vormünder, die bei der so schwerwiegenden Entscheidung 
Ober den Beruf ihrer Kinder und Pflegebefohlenen sieh vor Kehlgriflen 
schützen wollen, wird die Schrift H.'s ein sehr wertvoller Ratgeber sein. 



Wirtsdiatt und [Tlode. Von W, Sombart in Breslau. Mk.— ,P0 

Die vorliegende glänzend und |)rickclnd geschriebene Abhandlung des 
Breslauer Naiionalokonomen und Sozialpolitikers ist das zweite derjenigen 
Essays dieser Sammlung, welche das Grenzgebiet zwischen sozi- 
alen und p sy t ii " ■ lg 1 sc h c n Krschemungen behandelt Es wird izeze tjt, 
wie das Seelenleben des G r o s ssl äd le r s in seiner Rastlosigkeit, 
seinen nervösen Bedorfniss» n nach Verfeinerung und immer neuer, 
inuncr raflinierterer Anregung «ies Verlangens nach («el)raueli-L:iUern die 
Grundla;ie der K nl w i e k e 1 u n der Nlude bildet, und wie der mo- 
derne Kapiialisnnis auf tiies<-r (irutuilayc erst das innerste Wcscn der 
Mode zur vollen Entfaltung gebracht hat. 



Verlag von J. F. Bergmann in Wiesbaden. 



niusik und Reruen. Ernst jentsch in Breslau. I. Natur- 
gtscniclite des 1 onsinnes. Mk. 1. — 

Der Autor vorliegenden Heftes hat sich die dankbare Auff^abe gestetlt. 

die Grundlage des musikali-^chcn Genusses, den Tcn^inn und di> diesem 
ditnciulcM wunderbaren Einrichtungen des mensctiln 1r n üigaiirsnius nacli 
dem derzeitigen Standpunkte der Wissenschaft in jrosen Zügen zu schildern. 
Im Anschluss daran behandelt er den Tonsinn in der Tierwelt und die 
merkwürdige Tatsache der Existenz musikalischer Rassen. Die überaus 
khuen, /um Tril clur( Ii Abbildungen « ilauter ten Ausführungen des Autors 
dürften das Interesse aller Musikfreunde beanspruchen. Ein zweites Heft 
wird einige weitere interessante Kapitel aus dem Gebiete Musilc und Nerven 
bringen. 



Die Frau In der Kulturbeweflung der geflenwart ^jy^JJj 

Bftumer in Berlin Mk. IJHO 

Betrachtungen über Frauenfragc als inneres Ptohlcm, Frauenwillc in 
Liebe und Ehe, Kulturleistung der Frau und Mutlcisehalt, Ausgleirhung 
des alten und neuen Prinzips Jn der Frauenbewegung bilden den Inhalt 
der Schrift. Mit viel Geist und Überlegung werden diese Fragen ht hanfitlt. 
Was Verfasserin gegen „das Recht auf Mutterschaü" sagt, hübe ich schuner 
und herzlicher nirgends gefunden Aus dem von der geistigen Bewegung 
der Gegenwart ergriffenen Selb»tbewusst$ein der Frau heraus werden die 
Probleme der Frauenfrage entwickelt und der Weg ihrer Losung voi^e* 
zeichnet: Au^^gl'-ieh des alten Prinzips — Forderun!; tat^fieliücher MAnner« 
rechte — mit dem neuen — Raum für das Weibesschicksal 

Pädagogiac/n WarU, 



gehirn u. Sprache. Von Dozent Dr. Heinr. Sachs in Breslau. Mk.3 — 

Zur yergleldienden Psydioloflle der uersdiiedenen Sinnes« 

qualüflten« von Fror. H. Obersteiner in Wien, Mk. L60 



Die Tempemmente. Wesen, ihre Bedeutung iür das seelische 

^ Erleben und ihre besonderen Gestaltungen. 

Von Dr. E. Hirt in Manchen. Mk. 1.80 



Die B^deutuna der Suggestion im soziuleu Leben. 

" ■ I rdtessor 

Dr. W. von Bechterew in St. Petersburg. iVlk. y.— 

Inhalt: Ansehamiogen Uber die Natur der Suggestion. — De- 
finition des Suggestionsbegriffs. — Sucrtrf" tion und Überzeujiung. - 
Hypnotischeäuggeütion. — Suggestion im Wachzustande. — Suggestion 
und Glauben. — UnwillkOrlicbe und gegens^tige Suggestion. — Kol* 
lektiveoderMasaenillaaionen u.-Hallaalnationen.— Stereotype Sinnes- 
t&nschungen and die Bedeutung der Autosuggestion. — Suggestion als 
F ikt 1 1 . i sektiererischen Selbst Verrichtungen - Histor isclie Krampf- 
epideniien. - Epidemische Zauberei und Teufelsbesessenheit. — Kli- 
kuschentum und Verdorbenheit. — ReligtdS'psycbopath. Epidemien. — 
Epidemische Verbreitung mystischer Lehren. Paniken bei Mensch 
und Tier. — Psychische Epjüemiea bei hi&tor. Volksbewegungen. — 
Einfluss von Massenversammlungen auf die Entstehung psychischer 
Epidemien. — Die Bedeutung der Suggestion in den sozialen Gruppen. 



Die 



Verlag von J. F. Bergmann iu Wiesbadeo. 

Die normalen Sdiwankungen der Seelentatiflkeiten. j ''p, ///i 

in Florenz, Obersetzt von Dr. E. Jentsch in Bre«:Iau. Mk. 1 — 

Der Verfasser hat in vorliegender Abhandlung sich die verdicnsivoile 
Aufgabe gestellt, den Leser mit den ebenso interessanten, als praktisch 
wichtigen Schwankungen der normalen Seelentätigkeitcn 
bekannt zu machen. Er schildert die Veränderungen, welche d..s Seelen- 
leben unter der Einwirkung phyi-iologischer Ursachen i Anregung, Erniudi ng, 
Gewöhnung, L>iät, Milieu etc.) erfährt, und zeigt, dass zwischen geistiger 
Gesundheit und Geisteskrankheit keine Kluft besteht, vielmehr schon im 
normalen Scclenlcbeti die Elemente der Geistesstönmg, wenn auch nur 
rudimentär, sich ßuden. 



Der ginüuss des Alkohols auf das neruen» und Seelenleben. 

Von Dr. Eduard Hirt in Manchen. Mk. l.flO 

Jeden), tf'-r .in der .Mk rhoHVage das Interesse nimmt, das ihr bei 
ihrer sozialen iiedeutung zukommt, wird das Hirtsche Buch höchst will- 
kommen sein. 



Die LüUIie. von IV. Km«?? Jentsth in Breslau. Mk. 1.20 

Was ist „Laune" .'' Wie äussert sie sich? Wie ist sie zu erklären? 
Was macht man dagegen? Dies sind im wesentlichen die Fragen, deren 
Klarstellung und Hr intwortiing in grossen Züirrn mit Hilfe dessen, was 
die wissenschattliche Scelenkuudc und Scclenheilkunde au die Hand gibtt 
sich die Arbeit zur Aufgabe gestellt hat. 

r)ir- Ht trai fitniifj i?t. abgesehen von dem tirztlichen Praktiker, welchem 
ein weites Kiadi iiigcii in besondere Ei.izelgebicte nicht immer möglich ist, 
vornehmlich für solche Nervöse bestimmt« denen es mit der richtigen Be- 
urteilung und Beseitigung vieler vermeidlMtrer Beschwerden ernst ist. Aber 
auch wer nervöse Pfleglinge in Obhut oder solche heranzubilden hat, wird 
mit Nutzen Kenntnis d.ivun nehmen, Wer sich für die Wunderwelt des 
menschlichen Seelenlebens interessiert, dem dürfte die Arbeit vielfache 
Anregung zum Nachdenken geben. Auch wird sie dazu beitragen, man< he 
Misshclü^keitcn des alltäglichen Lebens anders aufzufa-^^rn und vielem Ge* 
wohnten und Bekannten eine neue Seite abgewinnen iiellcn. 



Übunn und GedddliniS- physiol. Studie. Von Dr. Semi Meyer 
^ in Danzig. Mk> 1.30 

PsydliQtrie und PddQflOflik. ^^]^'- ^""""^^ Wanke in Jjjcdndij 



Trunksucht und Temperenz In den Vereinigten StüQten. 

Studien und Eindrücke von Dr. B. Laquer in Wiesbaden. Mk. l.öO 



flber d(iS BeWUSStSSin ^^ine Anomalien und ihre forensische 

■ * Bedeutung. Von Dr. med. L. M. Kötsclicr 

in Hubertusburg. Alk. 2.40. 



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