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Full text of "Monatshefte für Politik und Wehrmacht auch Organ der Gesellschaft für Heereskunde"

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MONATSHEFTE 
FÜR POLITIK UND 

WEHRMACHT 
[AUCH ORGAN DER 
GESELLSCHAFT... 




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/ 



Jahrbücher 



für die 



deutsche Armee und Marine. 



Verantwortlich geleitet 



von 



Oberetlieutenant a. D. 



Sechsundsiebzigster Band. 

Juli bis September 1890. 



BERLIN. 

BICHARD WILHELM! 

1890. 



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Inhalts-Verzeichnis. 



s«h* 



L 




1 


II. 




26 


III. 


Über das Schiefsen des Infanteristen im Felde, mit Bezugnahme auf 






die neue Schiefsvorschrift. Vortrag gehalten in der militärischen 






Gesellschaft zn München von Reisner Freiherrn vonLichtenstern, 






k. b. Major im 1. Infanterie-Regiment „König 4 ' 


38 


IV 


Der Kinflufs des ranchschwachen Pulvers auf die Th&tipkeit Ver- 






wendunc und Führuncr der Feld -Artillerie im Gefecht deren Aus- 






hilriunp und OriyaniRAtioTi 


54 


v. 


Umschau in der Miutar-Litteratur: 








90 






99 






112 




IV. Verzeichnis der zur Besprechung eingegangenen Bücher . 


115 


VI. 




117 


VII. 




189 


VIII. 


Die Befestigungen Italiens. Von Obermaier, Hauptmann . . 


156 


IX. 


Über den heutigen Stand der Militär-Rechtswissenschaft und Ge- 








179 


X. 


Die Forts und das Melinit 


202 


XI. 


Die Bedeutung des Mannesmann' sehen Röhren walzverfahrenB für 








204 


XII, 


Umschau in der Militar-Litteratur: 








211 






218 






228 




IV. Verzeichnis der zur Besprechung eingegangenen Bücher 


232 


XIII. 


Die Schlacht von Tel-el-Kebir (am 18. September 1882) .... 


235 


XIV. 


Nachrichten über die königlich italienische Armee und Marine, 








259 



Seite 

XV. Die Befestigungen Italiens. Von Obermaier, Hauptmann . . 376 

XVI. Die Panzerschiffe und deren Verwejdung im Kampfe bis ir 

Gegenwart 298 

XVIL Pferdebeine nnd Hnfbeschlag • 311 

XVDIL Umschau auf roilitär-technischem Gebiet 320 

XIX. Umschau i n der Mili tär- Li tteratur: 

I. Ausländische Zeitschriften 335 

II. Bücher 343 

III. Seewesen 364 

IV. Verzeichnis der zur Beaprechnng eingegangenen Bflchcr 866 

<o>- 



L Betrachtungen über Englands Heerwesen. 



Die politische Bedeutung eines Staates, war zu allen Zeiten 
abhängig von seiner Machtentwickelung, der Tüchtigkeit und 
Stärke seiner Wehrkraft. — Bis zum Ende des vorigen Jahr- 
hunderts hat England in kontinentalen Kriegen seinen Verpflichtungen, 
Bundesgenossen gegenüber, in der Hauptsache durch Zahlung von 
Subsidien nachzukommen gewufst, obschon es nicht versäumte, 
allzeit sein kleines, tüchtiges Heer für die gemeinsame Sache ein- 
zusetzen. Es war die Subsidien-Zahlung alsNbundesgenössische 
Leistung mit dem Wesen der Kabinetskriege des vorigen Jahr- 
hunderts durchaus in Einklang, zumal es den Kontinentalmächten, 
im Gegensatz zu dem meerbeherrschenden England, wohl am Uelde, 
nicht aber an dem nötigen Menschen-Material zum Kriegführen 
gebrach. War doch selbst ein »Friedrich« nicht in der* Lage, auf 
englische Subsidien verzichten zu können, wie andererseits es 
deutsche Regimenter vielfach waren, welche Englands Schlachten 
schlugen. 

Die Zeiten haben sich geändert. Nicht von seiuen finan- 
ziellen Hü 1 fsniitteln wird in Zukunft Englands Weltstellung ab- 
hängen, sondern von dem Werte seiner Wehrkraft. 

Die Wehrkraft des modernen Kulturstaates beruht in den 
Streitkräften, d. h. der Zahl der wehrhaften Männer, dann in 
den bereiten Mitteln von Pferden, Waffen, Geschütz und Kriegs- 
Material jeder Art, zu welchem in weiterem Sinne auch die 
Festungen und die Kriegsschiffe gerechnet werden müssen; endlich 
in den Geld- und Arbeitskräften des Landes und der kriegerischen 
Erziehung der Bevölkerung. Die Verbindung Beider, der Streit- 
kräfte und Streitmittel, bildet das Heer, beziehungsweise die 
Kriegsmarine. Damit diese Elemente zur Wehrkraft werden, 
bedürfen sie aber der Organisation. Daraus folgt, dafs die Be- 
deutung der Wehrkraft nicht allein von der Stärke jener Elemente 

Juhri-rhor lit ft-nt.'-h» V,r.„# ..n.< Mario». M. t.XXVI„ l J 



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2 



Betrachtungen »bor Knglamls Heerwesen. 



abhängig ist, sondern ebensowohl von ihrem organisatorischen Werte. 
Dies um so mehr, je rascher die Wehrkraft im Kriegsfall in 
Thätigkeit zu treteu hat. Bei dem heutigen Stand der kulturellen, 
staatlichen und militärischen Entwicklung Europas ist es nicht 
zweifelhaft, dafs der Ausbruch eines Krieges meist ein plötzlicher, 
überraschender sein werde, dafs ferner bei der jetzigen Spannung 
aller Kräfte die Kriege zu rascher Entscheidung hindrängen. Das 
aber verlangt ebenso schleunigen Einsatz der gesamten Wehrkraft. 
Nur fertige Organisationen sind hierzu befähigt. Was nicht im 
Frieden vorbereitet ist, darauf kann für die Entscheidung nicht mit 
Sicherheit gerechnet werden. Bei der gewaltigen Entwicklung der 
Verkehrsmittel schützt vor dieser unerbittlichen Logik der be- 
stehenden Verhältuisse keine noch so günstige geographische Lage, 
eine Thatsache, die mau in weiten Kreisen Englands noch immer 
nicht in vollem Umfang anzuerkennen geueigt ist. 

Der Schwerpunkt der englischen Wehrkraft liegt bekanntlich 
in der Flotte und steht diese naturgemäfs bei jedem Engländer im 
Vordergrunde des Interesses. Bei Gelegenheit der gTofsen 
Flotteuschau im August vorigen Jahres gab die »Times« diesem 
Gedanken in folgenden Worten Ausdruck: »Wie sich die deutsche 
Armee zur deutschen Marine verhält, so sollte sich die britische 
Marine zur britischen Armee verhalten. Unsere Grenzen lassen sich 
uicht, wie die Deutschlands, durch Soldaten und Festungswerke 
verteidigen. Sie sind viel ausgedehnter und doch sehr verwundbar. * 
Wenn wir Rücksicht nehmen auf die Gröfse, Mannigfaltigkeit und 
Schwierigkeit der Dienste, welche unsere Flotte im Kriegsfalle zu 
verrichten haben würde, ist unsere Marine, so imponierend sie sein 
mag, dennoch unzureichend.« Die Richtigkeit dieser Aus- 
führungen ist zweifellos. Trotz der überwiegenden Bedeutung 
der Flotte für die Weltstellung Englands kann das letztere jedoch 
nicht mit dieser allein seine über alle Erdteile zerstreuten Be- 
sitzungen verteidigen wollen. Dazu bedarf es eines gut organisierten, 
starken und kampfbereiten Heeres. 

Die Beurteilung der englischen Wehrkraft zur See, der 
Flotte, berufenerer Feder überlassend, bezwecken die nachstehen- 
den Zeilen nur, die englische Wehrkraft zu Lande, das englische 
Heerwesen soweit es für europäische Verhältnisse in Betracht 
kommen kann, einer kurzen Betrachtung zu unterwerfen. 

Das englische Heer besteht aus dem stehenden Heer 
(arniy) und den Hülfstruppen (auxiliary forces), wie Miliz und 
Freiwillige gewinnt werden. 



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Betracht nnp'n über Enpland* Heerwesen. 



3 



I. Das stehende Heer. 

L Der Ersatz. Für Heer und Miliz gilt als Grundsatz der 
Ergänzung: Freie Werbung im Inlande. Ausländischer Werbung 
bedient sich England in neuester Zeit nicht mehr; auch das so- 
genannte Pressen hat seit Jahrzehnten aufgehört. Diese dem 
englischen Heere eignende Art der Ergänzung ist es, welche vor- 
nehmlich den charakteristischen Unterschied bildet zwischen dem- 
selben und den Heeren der anderen europäischen Grofsmächte. Die 
üblen Folgen dieses Systems machen sich nicht nur insofern geltend, 
als es die tüchtigsten Volkskräfte ungenützt läfst und überwiegend 
die ärmeren Klassen zu den Fahnen führt, sondern auch das eng- 
lische Heer unverhältnismäßig klein an Zahl erscheinen läfst, endlich 
auch in Folge dessen die Masse der männlichen Bevölkerung 
jeglicher Schulung in den Waffen entbehrt. Nicht Englands 
Volk kann im Augenblick der Gefahr, zu wirksamer Verteidigung 
des heimatlichen Heerdes aufgeboten werden, sondern nur ein ver- 
hältnismäfsiger Teil desselben. 

Gewinnt es doch den Anschein, als ob der Maugel allgemeiner 
militärischer Schulung auch auf die Politik des englischen Volkes 
nicht ohne Einflufs geblieben wäre, denn in allen Fragen, welche 
nur das Schwert zu entscheiden vermag, befleifsigt sich dasselbe 
seit geraumer Zeit einer auffälligen Zurückhaltung. Gleichwohl hat 
das englische Heer in neuerer Zeit einen Fortschritt gemacht auf 
dem Wege, welcher zur »Allgemeinen Wehrpflicht« führt: es ist 
ein nationales geworden, was es in den Kriegen bis zu Anfang 
dieses Jahrhunderts nur zum Teil war. Wellingtons Heer bei 
Waterloo zählte zahlreiche Deutsche und Niederländer in seinen 
Reihen; noch im Krimkriege stand eine deutsche Fremdenlegion 
unter Englands Fahnen. Das englische Heer der Gegenwart kennt 
keine ausländischen Söldner mehr. Als ein fernerer Vorzug darf es, 
in Anbetracht gewisser politischer Verhältnisse gelten, dafs das 
vormals stark vertretene irische Element in der Zahl erbeblich 
zurückgegangen ist, von 30,8 Prozent 1808 auf 15,7 im Jahre 1888; 
wogegen die Zahl der Engländer (weniger der Schotten) entsprechend 
stieg. Schwer nur gelingt es, die nötige Zahl an Rekruten durch 
freihändige Werbung aufzubringen; schlimmer noch steht es um die 
körperliche Brauchbarkeit derselben. Der englische Rekrut 
hat von Haus aus mit der Möglichkeit zu rechnen, in den aus- 
ländischen Besitzungen der englischen Krone Verwendung zu finden. 
Hieran liegt für jugendliche, dem Abenteuer geneigte Gemüter 
allerdings ein gewisser Reiz; so kommt es denn, dafs sich besonders 

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I 



Betrachtungen über Englands Heerwesen. 



viele juuge Leute von 17 uud 18 Lebensjahren zu den Fahnen 
drängen. In Ermangelung einer amtlichen Kontrolle des Lebens- 
alters, sah man sich, um dem Eintritt körperlich unreifer Rekruten 
zu steuern, 1882 genötigt, der Festsetzung eiues Minimalalters von 
19 Jahren*) die Bestimmung beizufügen, dafs die körperliche Ent- 
wicklung diesem Alter entsprechen müsse. Dies ist der Grund, 
dafs fortdauernd über Abnahme der körperlichen Tüchtig- 
keit des Zugangs d. h. der Körperlänge und des Brustnmfanges, 
geklagt wird. 

Nach dem Jahresbericht des Generalinspektors des Rekru- 
tier nngswesens inEngland verursacht die An Werbung von Rekruten 
für die Armee ziemliche Schwierigkeiten. Das Mafs für die 
Garde zu Fufs und der Artillerie hat herabgesetzt werden müssen, 
trotzdem aber hatte die Garde zu Fufs bei Ausgabe des Berichts 
nicht die etatsmäfsige Stärke an Mannschaften. Ein grofser Strike 
ist keine Veranlassung, dafs sich mehr Leute zum Dienst in der 
Armee melden. »Der Civilstand«, so sagt Generalmayor Rock, »hat 
jetzt mehr Anziehungskraft als früher.« Um den Erfolg der Werbe- 
trommel nachhaltend gröfser zu machen, sieht der General nur ein 
Mittel, nämlich Soldaten nach 7jähriger Dienstzeit eine Civilver- 
sorgung zu verschaffen, weifs aber sehr wohl, dafs unter den be- 
stehenden Verhältnissen und Anschauungen wenig Hoffnung dafür 
besteht. 

Nach dem oben erwähnten Bericht dos Generalinspektors 
des Rekrutiernngswesens, Generalmayors Rocke, wurden während 
des Jahres 1889 29,401 Rekruten in das stehende Heer eingestellt; 
in den vier vorhergehenden Jahren betrug die Anzahl: 1885: 39,971, 
1886: 39.409, 1887: 31,225 und 1888: 25,153. Das Gröfsenmafs 
mufste, weil- keine genügende Anzahl hierzu geeigneter Leute vor- 
handen, für die Kanoniere der Royal Artillery von 5 Fufs 6 Zoll 
auf 5 Fufs 5 1 /, Zoll und für die Foot Guards von 5 Fufs 8 Zoll 
auf 5 Fnfs 7 Zoll herabgesetzt werden. 

Die Schul-Bildung des Ersatzes scheint nicht so tief zu 
stehen, als man bei dem Mangel eines Schulzwangs glauben sollte. 
Man schickt in England die meisten Kinder freiwillig in die 
Schule. 1887 hatten 93.8% des Heeres die Volksschule besucht, 
völlige Analphabeten gab es nur 3%- Diese, wie die teilweisen 
Analphabeten werden in Garnisonssehulen weitergebildet. Ungleich 
tiefer steht die moralische Bildung. Es ist bekaunt, wie grofs 



*) 1884 wieder 18 Jahre! 



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Betrachtungen Ober Englands Heerwesen. 



die Zahl der Desertionen, gerichtlichen und Disziplinarstrafen im 
britischen Heere ist. Die Fahnenflucht wird von manchen Indi- 
viduen förmlich geschäftsmäfsig betrieben, des Handgeldes wegen. 

Desertionsfalle kamen 1890 4261 gegen 4291 im vergangenen 
Jahre vor, zwei Drittel dieser Deserteure dienten noch nicht ein 
Jahr, und von diesen wieder ein Drittel weniger als drei Monate. 
Diese bedenkliche Erscheinung fallt zweifellos zum Teil der Her- 
kunft des Ersatzes zur Last. Es sind nicht, wie bei uns, die 
tüchtigsten Volks - Elemente im Heere die zahlreichsten; der 
Mittelstand ist fast gar nicht, der Bauernstand sehr spärlich ver- 
treten, desto stärker die Kategorie der Handlanger und städtischen 
Arbeiter. Sie bildeten 1882 60%, die besseren Arbeiter- und 
Handwerkerkreise 30% des Zuganges; 10% entstammten kauf- 
männischen Kreisen u. s. w., meist Individuen, die in ihrem bis- 
herigen Beruf gescheitert waren; diese Kategorie mag die schlechtesten 
Elemente des Heeres in sich begreifen. Für diese Zustände mufste 
bislang zum Teil die nicht immer menschenwürdige Behandlung des 
englischen Soldaten verantwortlich gemacht werden. Erst 1881 
wurde die berüchtigte »neunschwänzige Katze« abgeschafft. Der 
Soldat wurde bis dahiu in der Kaserne und im Lager fast wie ein 
(lefaugener gehalten; für die früheren Zustände bezeichnend ist, 
dafs dem Soldaten erst seit 1887 gestattet wurde, auf der Strafse zu 
rauchen. Die Rekruteu-Ziffer ist darum teilweis nbbäugig von den 
Verhältnissen des Arbeitsmarktes, da der Rekrut vorzugsweise den 
Arbeiterkreisen entstammt und der Kriegsdienst, bei dem Werbe- 
system, ein Geschäft ist, wie jedes andere. 

2. Die Heeresstärke. Die Sollstärke des stehenden Heeres 
im Frieden ohne Reserve betrug nach den Army-Estimates für 
1889-1890: 224,706 Köpfe (eiuschliefslich 9997 Offiziere) und 
25,584 Pferde, in Wahrheit aber am 1. Januar 1890 nur 210,218 
Mann, sonach noch nicht die Hälfte kontinentaler Friedensstärken. 
Wenn mau bedenkt, dafs über 100,000 hiervon stets in Indien und 
den Kolonien stehen, so verbleiben im Königreich rund 104,000 Mann, 
also kaum */ A der französischen oder deutschen Friedensstärke. Gleich- 
wohl kostet diese Armee Eugland jährlich au 360 Millionen (1889/90 
355 Millionen Mark), also etwa eben soviel wie das deutsche weit 
über das doppelte stärkere Reichsheer. Dies Mifsverhältnis wird 
bleiben, »so lange,« wie Lord Derby einmal sagte, »die Bildung 
und das Selbstgefühl des Engländers zu entwickelt sind, um ein 
anderes Rekrutierungssystem (die Konskription) ertragen zu 
können.« 



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6 



Betrachtungen über l'nplaiuls Heerwesen. 



Es entfallen auf die Infanterie (einschliefslich Garden) 146,138, 
Kavallerie 19,375, Artillerie 36,258, Genie 7118, Sanitäts- 
Corps und Administrationen 9480, Kolonial-Corps 2989 
Mann. 

England hat in neuerer Zeit seine Heeresstärke nicht unbe- 
deutend vermehrt. Vor dem Krimkriege betrug dieselbe 178,645 
Mann, um dann bis 1858 (Zeit des indischen Aufstandes) bis auf 
203,711 zu steigen. Das Wachsen der Heeresstärke hat mit dem- 
jenigen der Bevölkerung freilich nicht gleichen Schritt gehalten, 
im Gegenteil verhältnismäfeig eher Rückschritte gemacht, welchem 
Mifsstande durch Einführung einer »Reserve«, wie wir sehen werden, 
teilweis abgeholfen worden ist. 

3. Ausbildung. Die Straffheit der englischen Disziplin ist 
bekannt. Trotz aller Mängel des Ersatzes ist die Haltung des 
britischen Soldaten im Felde eine vorzügliche, diu Disziplin hat in 
Glück und Niederlage stets Probe gehalten — ein Beweis für die 
Tüchtigkeit des Offizier-Corps und die hervorragende militärische 
Beanlagung des englischen Volkes. 

a) Die Linien-Infanterie. Dieselbe zählt 3 Regimenter 
Garde- (7 Bataillone) und 68 Regimenter (141 Bataillone) Linien- 
Infanterie. Die britische Infanterie galt noch 1815 für »die beste 
der Welt«, wie selbst Napoleons Marschälle bezeugten. — Die jetzige 
englische Infanterie wird auf eine derartige hohe Wertschätzung 
nicht mehr Anspruch machen können. Der qualitative Rückgang 
der englischen Infanterie stammt, wie Engländer meinen, daher, 
dafs man den Soldaten nicht zu viel üben lassen dürfe, weil ein 
Hauptreiz für den Diensteintritt darin liege, dafs die hier geforderten 
körperlichen Anstrengungen geringere seien als die des Arbeiters. 
Eis dürfte der Hauptgrund, unseres Erachtens, doch wohl in den 
berührten körperlichen Mängeln liegen; die Armee besitzt in 
ihren Reihen solch altgediente, stämmige Gestalten nicht mehr, wie 
jene »Löwen von Waterloo« es waren. — Die Geringschätzung, 
mit welcher da und dort die Kriegstüchtigkeit, vornehmlich die 
Marschfähigkeit der englischen Infanterie behandelt wird, ist 
keineswegs berechtigt. Der Krieg in Afghanistan hat das Gegenteil 
bewiesen. — Der Marsch Sir Frederic Roberts' von Kabul nach 
Kandahar gehört zu den schönsten Leistungen, welche die Kriegs- 
Geschichte kennt. Mit 10,000 Mann und einem Trofs von 8000 
Trainknechten nebst 11,000 Packtieren 8 Tage hintereinander täg- 
lich 21,6 km, die folgenden 8 täglich 27 km, dann nach dem ein- 



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IMraclitungen über Englands Heerwesen. 



7 



zigen Rasttage des ganzen Marsches nochmals täglich 26,3 km 
zurücklegen — und dies im Feindesland in unwirtlicher Gegend; 
im Hochsommer im Gebirge, dann in dem auf nur 1000 m Meeres- 
höhe liegenden Tarnaktale, unter dem Breitengrad vou Tunis, 
umgeben von einem wilden, aufständischen Bergvolke, hie und da 
selbst bei Wassermangel — das ist eine glänzende Leistung. Man 
hat die Langsamkeit der Märsche und das Lagergefolge britischer 
Heere in Asien bekrittelt, aber man möge bedenken, dafs die Krieg- 
führung in den Tropen und uichteivilisierten Ländern andere 
Forderungen stellt als auf europäischen Kriegsschauplätzen. Der 
National- Engländer hat nicht mehr Bedürfnisse als der Nord- 
Europäer überhaupt; die national-indischen Truppen freilich bedürfen 
eines gröfseren Lagergefolges. Lord Napier's Corps in Abessinien 
zählte auf 14,650 Soldaten 26,214 camp-followers mit 44 Elefanten 
und 27,705 Trage-Tieren. Nicht minder abfällig als über die 
Marsch fähigkeit wird über die taktische Schulung geurteilt, 
Die alten Reglements beruhten im Wesentlichen auf der Taktik 
des vorigen Jahrhuuderts; aber im Januar 1889 erhielt die Infanterie 
ein neues Reglement (lnfantry Drill), das zwar manche überlebte 
Formen beibehalten hat, im Ganzen jedoch den Forderungen der 
neueren Taktik voll entspricht. Dem Feuer wird die Entscheidung 
zugesprochen, der Entschlossenheit der Sieg in Aussicht gestellt; 
der offensive Geist und die Initiative sollen Grundlage und End- 
ziel der militärischen Erziehung bilden; der Schützensch warm ist 
als Normalkampfform anerkannt. Es wird versichert, das neue 
Reglement sei in der Armee mit Befriedigung aufgenommen 
worden. 

Die Einzelausbildung des britischen Soldaten, wenn man 
darunter Erziehung, nicht Drill versteht, wird ungünstig beeinflufst 
durch die mit dem Werbe-Systein zusammenhängende Einstellung 
von Rekruten während des ganzen Jahres. Zwar werden die 
Rekruten 3 Monate in Brigade-Depots ausgebildet, aber der fort- 
währende Nachschub mufs die Truppe in ihrer Ausbildung benach- 
teiligen. Das Bataillon z. B. kann nie in voller Friedensstärke 
exerzieren. Bei der Schwäche der Compagnien müssen stets je 2 
zu einer Kanipfeseinheit zusammengestellt werden. So verteilt sich 
auch die Ausbildung der Compagnien ungleichmiifsig über das 
ganze Jahr. Eine alte Klage ist es, dafs sich der englische Offizier 
im Allgemeinen wenig mit dem einzelnen Soldaten beschäftigt, 
dessen Ausbildung vorwiegend in den Händen der Unteroffiziere 
liegt. Dies betrifft besonders den theoretischen Unterricht. 



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8 



Betracht nnjren über Englands Heerwesen. 



Die Bestimmungen des neuen Reglements über den Marschdienst 
sind zweckmäfsig und den unseren vielfach älinlich. Thatsache ist 
es freilich, dafs Überraschungen englischer Truppen nicht zu den 
Seltenheiten gehören; noch 1886 nahm Lord Wolsoley Gelegenheit, 
die Nachlässigkeit im Sicherungsdienste scharf zn tadeln. Da die 
Einzelausbildung vorwiegend deu Unteroffizieren überlassen ist, 
so kommt es beim Schiefsen weniger auf eine Erziehung zum 
Schützen, als vielmehr auf eine Sch n eil -Dressur hinaus. Seit 
1880 ist die dritte Schiefsvorschrift in Kraft, ohne hierin wesent- 
liche Änderungen geschaffen zu haben. Es wird viel nach der 
Scheibe geschossen; 150 Patronen sind pro Mann ausgeworfen, aber 
alle Übungen werden in verhiiltnismäfsig kurzer Zeit erledigt. Eine 
besonders beliebte Entfernung ist die von 300 yards ( 280 tu). 
Das Präzisions-Schiefsen auf den nahen Entfernungen gilt nicht 
als Grundlage der Schiefsausbildung, dagegen wird auf gefechts- 
gemäfse Schiefsübungen hoher Wert gelegt; der Mann erhält 
hierfür 40 Patronen. Obwohl die Schiefs-Vorschrift das gefechts- 
mäfsige A bt eilu ngsschiefsen, bataillonsweise, unter Zugrundelegung 
einer taktischen Idee, kennt, enthält sie doch keine Gesichtspunkte 
für die Verwertung der Waffe im Gefecht, also die Feuerleitung, 
über welche sich hingegen das neue Reglement, mit gröfster Gründ- 
lichkeit verbreitet. Bislang war die Infanterie noch mit dem 
Martini-Henry-Hinterlader bewaffnet; es ist jedoch ein kleinkalibriger 
(7,7 mm) Mehrlader mit abnehmbarem Magazin für 8 Patronen in 
der Einführung begriffen. Das Gewicht der Waffe beträgt ohne 
Bajonett und Magazin 4,309 kg. An Munition werden pro Gewehr 
180 Patronen mitgeführt. Für den Munitionsersatz im Gefecht 
bestehen leicht gepanzerte Handkarren, die gleichzeitig mit dem 
neuen Gewehr in Gebrauch genommen werden sollen. — Wenig 
Günstiges verlautet über die Geschicklichkeit der höheren Führer 
in der Leitung gröfserer Truppen-Körper. Es üben jährlich 
im Lager von Aldershot etwa 14 Bataillone, im Lager von Curragh 
in Irland 7 in größeren Verbänden, in beschränktem, durch die 
vielen Lagerübungen genau bekanntem Gelände. Diese Manöver 
treffen demnach nur einen kleineu Bruchteil der in Grofsbrittanien 
stehenden Infanterie. Herbstmanöver im Sinne der nnsrigen giebt 
es nicht. Trotz erwähnter Mängel darf die englische Infanterie 
als eine tüchtige, gut bewaffnete und leistungsfähige be- 
zeichnet werden. 

b) Die Kavallerie. Dieselbe hat. eiue Stärke von 3 Garde- 
und 28 Linien-Regimentern und vielfach eine ähnlich abfällige 



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Betrachtungen über Kurland* Herwegen 



Kritik erfahren müssen, wie die Infanterie. Ihre Marsch fähigkeit, 
besonders ihre Ausbildung im Felddienst, wird bemängelt. Sehr 
zu Unrecht. Im letzten afghanischen Kriege hat die englische 
Kavallerie im strategischen Auf klärungsdienst oft unter den schwierig- 
sten Verhältnissen hervorragendes geleistet und außerordentliche 
Marschtüchtigkeit bewiesen. Wenn die Brigade Massy auf ihrem 
Marsch durch aufständisches Gebirgsland in 3 Tagen 200 km zurück- 
legt, dann auf felsigem Boden in rascher Folge sechs energische 
Attacken reitet, nach der sechsten, trotz eines Verlustes von '/s 
ihres Bestandes, in fester Haltung weiter marschiert, so können wir 
Rolcher Kavallerie gewifs nur unsere gröfste Anerkennung zollen. 
Die Reitfertigkeit der englischen Kavallerie wird allgemein — 
Dank der 7 bis 12 jährigen Dienstzeit — als eine treffliche bezeichnet. 
Die Ausbildung für das Gefecht in gröfseren Verbänden 
läfst zu wünschen. Es ist dies im Mangel an Übungen in eben 
solchen Verbänden begründet. Zum ersten Male ist im vergangenen 
Jahre in den Lagern von Aldershot und Curragh je eine Kavallerie- 
Division zu längeren Übungen zusammen gezogen worden. — Der 
schwächste Punkt der englischen Kavallerie ist der niemals auch 
nur annähernd vollzählige Pferdestand. 1888 zählte sie auf 19,358 
Mann nur 12,407 Pferde. Mehr als ein Drittel der englischen 
Reiterei ist also unberitten! Dies ist für ihre Schlagfertigkeit sehr 
bedenklich. Ein Land, das an Pferden überreich ist, wie England — 
das Land des Pferdesports, mufs seine Kavallerie-Remonten zum 
Teil von Aufserhalb beziehen. 1888 wurden 165 Remonten aus 
Kanada, 700 aus Irland, nur 1174 aus Grofsbrittanien eingestellt, 
1879 aueh ungarische Remonten bezogen. Es fehlt an tauglichen 
Remonten zu annehmbaren Preisen im Inland; Staatsgestüte giebt 
es nicht; zu dem soll ein Teil der Pferde nicht felddienstfähig, d. h. 
zu alt oder noch zu jung sein. 

c) Die Feldartillerie. Dieselbe hat eine Stärke von 22reitenden. 
84 Feld- und 10 Gebirgs-Batterien. Sie ist, vornemlich die reitende, 
der Stolz der Engländer. Ihre Ausbildung im Schiefsen ist gut, 
die Bespannung vorzüglich; aber die Bewaffnung, also die Haupt- 
sache, lag lange Zeit hindurch im Argen. Man hat neuerdings, wie ver- 
sichert wird, ein vorzügliches Feld- Geschütz zur Einführung ge- 
bracht. Der neue stählerne Zwölfpfünder (10 cm) soll an Anfangs- 
geschwindigkeit und Leichtigkeit keinem Geschütz der anderen 
Mächte nachstehen. Aber die Neubewaffnimg macht sehr langsame 
Fortschritte. 1887 waren von den 107 Feld- Batterien erst 15 mit 
der neuen Watte ausgerüstet, noch vor kurzem berichtete »United 



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10 



Betrachtungen über Englands Heerwesen. 



Service Gazette«, dafs die Durchführung der Neubewaffnung noch 
nicht abzusehen sei. 

d) Die Fufsartilleri e, iu England »garnison batterie« ge- 
nannt, ist zahlreich; aufser den 114 englischen Batterien .giebt es 
ansehnliche Hilfs- Formationen in Malta, Sierra Leone, Hongkong, 
Singapore, Ceylon. Die Fufs- Artillerie ist in Belagerungstrains zu 
30 Geschützen zusammengestellt. Die Schiefsausbildung wird 
mit Eifer betrieben. Bekannt sind die Klagen über die Mängel 
der schweren Küsten- und Schiffs- Artillerie. Selbst hochstehende 
englische Offiziere werfen ihr Konstruktionsfehler vor und urteilen, 
dals die schweren Geschütze zum Teil für die Bedienung gefähr- 
licher seien, als für den Feind. 

e) Pioniere und Genie. Das >Royal Eugineer-Corps 
gilt in militärischer und technischer Ausbildung als vorzüglich. 
Neben den 62 Pionier-Compagnien besteht 1 Telegraphen, l Eisen- 
bahn, 1 KÜ9ten- und 1 Submarine- Bataillon u. s. w. Die tech- 
nischen Truppen üben besonders den Signaldienst fleifsig; der Helio- 
graf hat in tropischen Ländern und im letzten afghanischen Krieg 
gute Dienste geleistet; Ballon -Fahrten werden fast sportmäfsig be- 
trieben. Die Offiziere — in Feld- und Festuugs-Corps getrennt — 
haben in Indien und den Kolonien reichliche Gelegenheit, ihre 
Kenntnisse durch die Praxis zu erproben. 

II. Die Htilfstruppeil (auxiliary fores). 

Dieselben bestehen aus zwei in keinem Zusammenhang stehenden 
Teilen: 1. Der Miliz (militia). 2. Den Freiwilligen (volunteers). 

1. Die Miliz. Sie ist die eigentliche verfassuugsmäfsige Wehr- 
kraft Englands, denn die »Constitution of rights«, das Grundgesetz der 
englischen Verfassung von 1088, verbot dem Könige »das Halten eines 
stehenden Heeres« ohne Einwilligung des Parlaments. Aber schon 
am 28. März 1689 mufste das letztere für das laufende Jahr die 
bill of mutiny d. h. ein stehendes Heer genehmigen. Es wurde nie 
wieder entlassen; aber bis auf den heutigen Tag wird seine Stärke 
durch diese »army diseipline aet« genannte Bewilligung vom Parla- 
ment bestimmt. Diese Vorsicht hat iu Cromwell's Schreckensherr- 
schaft, deren Spitze sich vorzüglich gegen die Tories richtete, ihre 
Begründung. Der konstitutionell denkende Engländer betrachtet noch 
heut die Miliz als den einzigen verfassungsmäfsigen Teil des 
englischen Wehrwesens. Dieselbe beruht auf dem Grundgedanken 
des alten, angelsächsischen Heer- Bannes. Zur Zeit der Restauration 
(Karl II.) glich ihre Organisation einigermafsen der Heerbannordnung 



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Betrachtungen über Englands Heerwesen. 



11 



Karls des Grofsen. 1685 zählte sie bei einer Bevölkerung von 5 
bis 6 Millionen rund 130.000 Mann. Die alte Ordnung ist auch in 
die neue Verfassung übergegangen; denn die »Constitution of rights« 
bestimmt im Prinzip, dafs jeder Brite vom 16. bis zum 60. Lebens- 
jahr zur Verteidigung des Vaterlandes verpflichtet sei — also die 
allgemeine Wehrpflicht — aber nur innerhalb der Landesgrenzen; 
eine Verwendung aufserhalb derselben unterliegt der Zustimmung 
des Einzelnen. Die Zahl der jährlich nötigen Milizen wird durch 
das Parlament bestimmt und durch den altgermauischen Brauch des 
Losens das Jahreskontingent aus der Zahl der Dienst-Verpflichteteu 
entnommen. Das Miliz-System in seiner ehemaligen Gestalt ist jetzt 
nur noch auf den Kanalinseln in Kraft. Nach den Napoleonischen 
Kriegen schon begann der Verfall dieser über ein Jahrtausend 
bestandeuen Heerbann -Einrichtung. 1832 zum ersten Mal, und 
seither alljährlich, hat das Parlament das Gesetz über die Losung 
suspendiert und an ihre Stelle die Werbung gesetzt, also die 
Pflicht der Landes- Verteidigung mit Geld abgelöst. Alljährlich 
wird die nötige Anzahl Leute gemietet, welche zu fünfjähriger 
Dienstzeit in die Miliz eingestellt werden. Dieselben dürfen 
höchstens 35 Jahre alt sein; da auch genug junge Leute sich zum 
Eintritt melden, so hat die Miliz Alters- Unterschiede von 19 bis 
40 Jahren aufzuweisen, ein für die Ausbildung nicht eben günstiges 
Verhältnis. — 

Nach den »Army-Estimates« für 1889- 90 hat die Miliz 
folgende Stärke: 

Infanterie, 139 Bat.: 3076 Offiz., 111,172 Mann, Summa 114,248 
Kavallerie, 39 Corps: 743 » 13,117 » » 13,860 

Artillerie, 35 Brigaden 

(196 Batterien): 605 * 18,930 » • 19,535 

Genie, 8 Corps: 107 » JM35 » *_ 2,542 

4531 Offiz., 145,654 Mann, Summa 150,185 

dazu 14,000 Pferde. 

Seit Cardwell's Reformen sind die Miliz-Infanterie-Bataillone 
mit den in ihren Bezirken stehenden Regimentern der Linie in ge- 
wisse Beziehung gebracht; sie führen deren Uniform und Namen, 
auch die Bewaffnung und taktische Einteilung dieser Patailloue ist 
denen der Linie gleich. 

Die Miliz-Rekruten werden 56 Tage ausgebildet; iu den dann 
folgenden Jahren sollen sie alljährlich 27 Tage üben, in Summa 
also in 4 Jahren 164 Tage einschliefslich Sonn- und Feiertagen. 
Da aber z. B. 1886 nicht alle Bataillone Schiefsübungen abgehalten 



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12 Betrachtungen über Englands Heerwesen. 

haben, so scheinen selbst diese kurzen Übungs-Zeiten nicht voll 
ausgenützt zu werden. Die Schiefsleistungen gelten als minder- 
wertige. Die Art der Ausbildung stellt die Milizen unserer Ersatz- 
Reserve etwa gleich. 

Von den Offizieren gehören nur 2 bei jedem Bataillon zum 
stehenden Heere. Zwar hat ein Teil der eigentlichen Miliz-Offiziere 
einige Zeit in der Linie, die Mehrzahl jedoch nur in der Miliz ge- 
dient. Das Gleiche gilt von den Unteroffizieren. 

Einen eigenartigen Charakter hat die Miliz- Kavallerie (die 
Yeomanry). Sie ergänzt sich aus Land- Pächtern und kleinen 
Grundbesitzern, die sich selbst beritten machen, und zerfällt in 
39 Corps, von je 4 bis 11 troops (in Summa 241). 

Die »yeomanry« übt jährlich 7 bis 8, hier und da auch 
14 Tage. Eine solide kavalleristische Ausbildung fehlt derselben. 
Eine leistungsfähige Kavallerie sind sie nicht. Ein grofser Teil 
der yeomanry ist überdies sehr mangelhaft beritten. 

Es erübrigt die Frage, was von der »Miliz« im Kriegsfall 
billiger Weise erwartet werden darf. 

Von der englischen Armee steht etwa die Hüllte ständig in 
den Kolonien, wo sie unentbehrlich ist; sie kommt für europäische 
Verwickelungen folglich nicht in Betracht. Für die Landes- Ver- 
teidigung sind nur die andere Hälfte (zur Zeit rund 110,000 Mann), 
die Reserve und die auxiliary forces verfügbar. Wenn man die in 
der Heimat dislozierten Rekruten und vorübergehend Felddieust- 
Untauglichen mit rnud 32,000 Mann abrechnet, so verbleiben 
78,000 Manu Linieutruppen, zu denen 60,000 Mann der beiden Re- 
serve-Klassen treten. Dies ergäbe für operative Zwecke etwa 
138,000 Mann des stehenden Heeres. 

Von der Miliz treten etwas über 30,000 Mann, die sogenannte 
»Miliz-Reserve«, zur Feld- Armee, welche mit den obengedachteu 
32,000 Rekruten u. s. w. eine Ersatz-Armee von etwa 60,000 Mann 
ergeben. Der Miliz verbleiben demnach nur noch etwa 
90,000 Mann. Diese sollen selbstständige Truppenkörper bilden. 
Ein Teil wird wohl noch zu Besatzungszwecken verwendet*) wer- 
den müssen, der Rest an schon bestehende Liuienformationen ange- 
schlossen. Denn diesen Sinn hat wohl die Zuteilung im Frieden 
von einem oder mehreren Miliz-Bataillonen an die Linien-Regimenter. 
Diese für Verwendung im Felde bestimmten Miliz- Bataillone haben 
an der Linien -Infanterie-Kavallerie und Feld- Artillerie allerdings 
einen <:ewissen Halt. Die Zahl der letzteren freilich — 60 Eska- 
*) Für 8 Regimenter ist eine Verwendung in Gibraltar und Malta vorgesehen. 



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Betrachtungen über Englands Heerwesen. 



13 



drons und 54 Feld -Batterien mit 324 Geschützen — steht dann 
kaum im richtigen Verhältnis zur Zahl der Infanterie, es kämen auf 
je 1000 Mann des letzteren nur etwa 80 Reiter und 2,16 Geschütze. 
Die yeomanry als selbstständige Kavallerie- Korper ins Feld zu 
schicken, kann nicht in der Absicht liegen. Die besserberittenen 
und tüchtigeren Elemente werden den Linien-Kavallerie-Regimentern 
einverleibt, aber nicht wesentlich zur Verstärkung derselben bei- 
tragen können. Das Mifsverhältnis an Feld- Artillerie läfst sich je- 
doch nicht beseitigen. 

In neuerer Zeit verlauteten seltsame Nachrichten über die Ist- 
Stärke der Milizen. Die »Array und Navy Gazette« behauptete, 
von den vorgeschriebenen 150,000 Mann seien nur 61,000 vorhanden, 
Transport- und Medizinalwesen, sowie Vorbereitungen für die Mobil- 
machung fehlten gänzlich; sie wirft der Regierung vor, dafe die- 
selbe diese in der Armee bekannten Mängel leugne. In der That hat 
die alte Wehreinrichtung des Landes fortwährende Rückschritte 
gemacht; fast hat es den Anschein, als ob dieselbe — wohl zu Gunsten 
der Volunteers — mehr und mehr dem Verfall entgegenginge. 

2. Die Volunteers. Sie zählen nach den »Array Estimates« 
für 1889—90: 257,675 Köpfe (einschliefslich 8435 Offiziere) und 
430 Pferde. Man rühmt in England, dafe kein anderes Land je 
eine so zahlreiche Freiwilligen- Armee besessen habe. Auf Grund 
dessen glaubt man die allgemeine Wehrpflicht entbehren zu können; 
der Patriotismus werde , so rühmt man, wie ehedem, im Falle 
einer Invasion hunderttausende neuer Freiwilligen den Fahnen zu- 
führen. In der That standen im Jahre 1803 über 1 Million Frei- 
williger unter den Waffen, 1804 meldeten sich neuerdings 479.000. 
Auch in Zukunft wird es England im gegebenen Falle an Frei- 
willigen gewifs nicht fehlen, nur ist nicht zu übersehen, dafe die 
Kriege der Gegenwart mit Gewitterschuelligkeit hereinbrechen 
und die Entscheidung fallen kann, noch ehe diese Massen — von 
ihrer Ausbildung zu schweigen — auch nur halbwegs organisiert 
sein können. Seit 1859 hat man ans diesen Gründen, vornemlich 
auf Betreiben des verstorbenen Prinzen Albert, die Volunteers als 
ständigen Teil des Heerwesens geschaffen. Jüngere Männer aus 
allen Schichten der Bevölkerung, besonders der besseren Stände, 
treten freiwillig zu den Fahnen dieser Corps.*) Ihre Stärke beziffert 
sich auf 206 Bataillone zu 6— 12 Compagnien von je 60 bis 100 Mann, 
54 Artillerie -Corps mit 565 Battorien, von je 50 bis 80 Mann, 
16 Genie-Corps mit 105 Ingenieur-, 6 Eisenbahn-, 13Torpeder und 

*) In Irland dürfen Milizen oder Volunteer-Corps nicht aufgestellt werden. 



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14 



Betrachtungen Aber Englands Heerwesen. 



10 Seemineur-Compagnien, von je 00 bis 80 Mann; auch diese tech- 
nischen Truppen sind grösstenteils in Bataillone zusammengestellt. 
Die Uniformierung ist ähnlich jener der entsprechenden Linien- 
Truppen. Waffen und Munition liefert der Staat; sie werden unter 
persönlicher Verantwortlichkeit der Commandeure in Zeughäusern 
aufbewahrt. Die Feldausrüstung hat der Einzelne zu beschaffen, 
sie ist indessen selten vorrätig. Die >Army-Estimates« ergeben für 
1889—90 folgende Zahlen: Infanterie 194,678, Artillerie 46,833, 
technische Truppen 14,542, Kavallerie 420, verschiedene Corps 202. 

Um als ausgebildet erklärt zu werden, — der Staat gewährt für 
jeden Ausgebildeten eine Prämie — müssen die Volunteers eine ge- 
wisse Zahl von Tagen (in den ersten beiden Jahren, je nach der 
Waffengattung, 30 bis 36, im dritten und vierten 9 bis 15) üben. 
Die Übungen finden in Verbänden bis zum Bataillon aufwärts statt 
und bestehen, obschon seit einigen Jahren auch Felddieust und Ge- 
fecht geübt werden, vorzüglich in Schulexerzieren; sie werden in der 
Regel nicht in unmittelbarer Aufeinanderfolge mehrerer Tage, son- 
dern an Sonn- und Feiertagen abgehalten. Die Infanterie schiefst 
fleifsig ; manche Corps sollen Vorzügliches hierin leisten ; aber im 
Allgemeinen gelten die Bedingungen als nicht schwierig. Die Ar- 
tillerie, welche mit Munition gut dotiert wird, hält jährlich Schiefs- 
übungen in den Küstenforts u. s. w. Viele Volunteers üben auch 
häufiger, als es verlangt wird. In letzter Zeit fandeu mehrfach, in 
Verbindung mit den Linien-Truppen, kurze Lagerübungen statt. — 
Es versteht sich von selbst, dafs diese Ausbildung nicht genügt, um 
die Volunteers völlig kriegstüchtig zu machen, obschon sie bei Pa- 
raden, Dank ihrem vorzüglichen Ersatz und dem fleifsig betriebenen 
Schulexerzieren, nach allgemeinem Urteil stets einen guten Eindruck 
machen. Es fehlt derselben gleichwohl, dem Einzelnen wie der 
Truppe, die für das moderne Gefecht erforderliche gründliche 
Schulung und Gewöhnung an die Disziplin. Die Volunteers legen 
viel Eifer und guten Geist an den Tag, sie können nicht mit 
Nationalgarden oder Bürgerwehren verglichen werden, aber eine den 
Infanterieu anderer Heere ebenbürtige Truppe sind sie nicht. 

An Kavallerie besitzen die Volunteers nur 4 Corps mit 
420 Mann. Man hat ferner in den Infanterie- Bataillonen ganze 
Sektionen tüchtiger Radfahrer, die kürzlich nicht blofs zum Melde-, 
sondern auch Aufklärungsdienst verwendet worden sind, angeb- 
lich mit gutem Erfolg. — Seit 1888 giebt es 67 bespannte 
Batterien, zunächst pro Batterie mit 4 Geschützen und teilweis 
3 Fahrzeugen. Die Geschütze sind die von der Liuie abgegebenen 



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Betrachtungen über England* Heerwesen. 



15 



16-, 20- und 24 Pfünder, letzere Positions-Geschütze. Die Batterien 
müssen jährlich viermal bespannt exerzieren. Bei früheren Ver- 
suchen machte man mit den nicht eingefahrenen und feuerscheuen 
Pferden schlimme Erfahrungen; über die neueren Erfolge ist nichts 
in die Öffentlichkeit gekommen. Ausrüstung, Bespannung und Be- 
dienung müssen vorläufig als minderwertig gelten. 

Man beabsichtigt, 117 Volunteer-Bataillone, die im Jahre 1888 
in 19 Feld -Brigaden vereinigt waren, — 86 andere wurden in 
12 Besatzungs- Brigaden zusammengestellt — der Feld-Armee zuzu- 
führen. Ein besonderer übelstand ist es, dafs es ihnen au Kavallerie 
fast gänzlich fehlt. Ferner mufs bezweifelt werden, dafs die Volunteer- 
Artillerie als eine solche wirklich nützen kann. Die technischen 
Truppen werden gelobt; sie bestehen meist aus Fachleuten und 
dürfen um so mehr als tüchtige Beihülfe der Landes- Verteidigung 
gelten, je weniger ja diese Waffe in nächste Berührung mit dem 
Feinde kommt. 

Das Offizier- und Unteroffizier-Corps. Die Comman- 
deure der Corps sollen zwar aus den Volunteers selbst hervor- 
gehen, es sind indes gröfsteuteils Offiziere, die längere Zeit in der 
Linie gedient haben, also ihrer Aufgabe gewachsen sind. Die 
unteren Führer haben gegen früher in Bezug auf ihre militärische 
Brauchbarkeit Fortschritte gemacht. Sie werden nicht mehr von 
den Corps gewählt, sondern von den Lord-Lieutenants der Graf- 
schaften (welche ehemals die Stellung der alten karolingischen 
Heerbann -Grafen in der Miliz bekleideten) mit Hilfe der Offizier- 
Corps aus den Reihen der Volunteers auserlesen und auf ihren Vor- 
schlag von der Königin ernannt. Vor dem Vorschlag haben sich 
dieselben einer theoretischen und praktischen Prüfung zu unter- 
ziehen, ebenso vor jeder Beförderung. Die Offiziere können auf 1 
bis 3 Monate zur Linie, Miliz oder Schiefsschule, oder zu Kursen 
ihrer Waffen einberufen werden. Die Annahme einer Offizierstelle 
ist aber mit so bedeutenden Kosten verknüpft, dafs 1888 an 
1600 Stellen unbesetzt bleiben mufsten. Es sollen beiläufig 1888 
von 8000 Offizieren nur 904 sich der taktischen Prüfung unterzogen 
haben. Das ist sehr wenig, besonders, wenn man bedenkt, dafs 
diese Prüfung von Freiwilligen wohl kaum allzu streng genommen 
werden wird. Man wird, ohne unbillig zu sein, bezweifeln müssen, 
dafs diesen Führern jenes Mafs von Diensterfahrung eignet, welches 
nötig ist, um Truppen, vollends so mangelhaft geschulte, zu führen. 
— Die Unteroffiziere werden von den Commandeureu der Corps 
gewählt. Nur die Sergeanten haben eine leichte Prüfung zu be- 



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16 



Betrachtungen über Englands Heerwesen. 



stehen. Da diese Unteroffiziere für die Ausbildung der Mann- 
schaften nicht genügen, so ist jedem Corps als >permanenter Stab« 

1 Instruktions-Offizier und für 2 bis 3 Compagnien je 1 Sergent der 
Linie zugeteilt. 

III. Befehligung und Verwaltung des Landheeres. 

Dieselbe geht vom Kriegs-Ministerium (war-office) aus, das in 

2 Abteilungen zerfallt. Das Militär-Departement (die 1. Ab- 
teilung) steht unter Leitung des Oberkommandiereudeu und seines 
Generaladjutanten, nach unseren Begriffen des Generalstabschefs 
der Armee. Unter ihm, aber zum Ministerium gehörig, stehen die 
obersten Waffen-Inspektionen (für Artillerie, Ingenieur-Corps und 
Festungswesen), das Militär-Erziehungs- Wesen, das Militär-Kahinett 
und 3 Sektionen, deren Geschäfte bei uns teils der Generalstab 
teils die Intendantur wahrnehmen: Die Kanzlei des Geueralstabs- 
Chefs, jene des Quartermaster-Geuerals (Verpflegung, Unterkunft, 
Transport und Remontierung) und das Nachrichten-Bureau; endlich 
Sektionen für Sanitäts-, kirchliche und Veterinär-Verwaltung. Das 
»civil departement« des »war-office« besteht aus der Finanz- und 
der Abteilung für Bekleidung und Herstellung von Ausrüstung, 
Bewaffnung und Munition. 

Die einzelnen Truppenkörper der aktiven Armee sind nicht zu 
höheren Verbänden — weder waffenweise für sich, noch verbunden 
— zusammengefafst. Nur die Volunteers-Batailloue bat man kürz- 
lich zu Brigaden verbunden. Es giebt nur kommandierende Generale 
für grofse Garnisonen, denen eiu gewisser Bezirk unterstellt und 
zur Handhabung des Befehls jetzt ein Truppen-Generalstab an die 
Seite gegeben ist — in allen organisatorischen Angelegenheiten 
verkehren die Truppen direkt mit dem Ministerium. Daraus kann 
man entnehmen, welch' ungeheure Arbeitslast auf diesem Amte 
liegen mufs, und es erklärt sich, warum Reformen so langsam 
durchgeführt werden. Die Vereinigung der Truppen zu höberen 
Verbänden (Divisionen, Corps) erfolgt erst im Mobilmachungsfall, 
ein Zustand, über den man nichts zu sagen braucht, als dafs es 
derjenige der preufsischen Armee vor 1806 und der französischen 
vor 1870 war. 

Der Kriegsminist er Card well hat anfangs der siebziger Jahre 
das Territorialsystem in England eingeführt, welches trotz 
anfänglich heftigem Widerstandes sieb gut bewährt hat. Dem- 
zufolge tritt die grofse Mehrzahl der Rekruten bei dem Regiment 
ihres Ileimatsbezirkes ein. Die Verbindung von Linie und Miliz 



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Betrachtungen Aber Englands Heerwesen. 



11 



wurde schon erwähnt. Jedes Miliz- Regiment untersteht einem Sub- 
Distriks-Brigade-Commandeur, der dem Linien-Regiments-Comman- 
deur gleichgeordnet ist und mit seinem Hilfsoffizier die Funktionen 
unseres Bezirks-Commandeurs versieht. Doch leitet er auch die 
Ausbildung der »auxiliary forces« des Bezirks und hält ihre Waffen 
und Vorräte in Kontrole. — Durch diese Territorialeinteilung 
wurden sämtliche Elemente der Wehrkraft zu Lande nach einem 
einheitlichen System gegliedert und so die Mobilmachung wesentlich 
erleichtert. 

IV. Die Mobilmachung. 

In neuester Zeit ist man mit grofsem Ernst daran gegangen, 
die Mobilmachung planmäßig vorzubereiten. Ohne Zweifel liegen 
auf diesem Gebiet die wichtigsten Fortschritte, welche die englische 
Armee seit Jahren gemacht hat. Die Leitung liegt in den Händen 
des Militär- Departements des war-office. Die Truppen machen in 
ihren Standorten unter Leitung ihrer Commandeure, die Hilfs- 
truppen in ihren Bezirken unter Leitung der Volunteer-Brigade- 
Kommandos und Subdistrikts-Brigade-Commandeure mobil.*) In 
wieweit hierbei die vorerwähnten Generale mitwirken, ist nicht 
bekannt. Es besteht für die Mobilmachung des Landheeres eiu 
Plan, der das Zusammenwirken der verschiedenen Behörden und 
Truppen vorsieht. Ebenso ist ein Plan für die Reichs- und im 
Besonderen für die Küsten -Verteidigung vorbereitet. — Über die 
Ergänzung des Offizier-Corps auf Kriegsstärke ist nichts bekannt. 
Die englische Armee ist mit Linien-Offizieren reichlich ausgestattet, 
im Jahre 1888-89: 9944 auf 211,414 Mann, ein Verhältnis, das 
sogar dem der deutschen Armee überlegen ist. Dazu kamen 250 
Offiziere der Reserve, meist ehemalige Linien-Offiziere. Die auxiliary 
forces zählteu 1888—89: 12,857 Offiziere. Wie erwähnt, sind die 
Commandeure meist aus der Linie hervorgegangen, die Masse der 
niederen Führer aber unseren Offizieren des Beurlaubtenstandes 
nicht gleich zu achten. An pensionierten Offizieren giebt es stets 
an 14,000. Viele davon sind in Civilstellungen oder bei den 
auxiliary forces untergebracht, ein Teil nicht mehr dienstbrauchbar. 
Doch darf man annehmen, dafs ein erheblicher Prozentsatz dieser 
Offiziere sich zur Verfügung stellen und ein ausgezeichnetes Führer- 
inaterial für Neuformationen und Ersatztruppen abgeben wird. 



•) Die Volunteere dürfen jetzt schon bei drohendem Kriegsausbruch mobili- 
siert werden (national defence-act von 1888). 

J»krbS«b«r fir «• Dmtaeh* An»»« »d Mirtne. Bd. LXXVI , 1. <> 



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18 Betrachtungen über Englands Heorweaen. 

Für die Ergänzung an Mannschaften steht zunächst die 
Reserve zur Verfügung. Die Schaffung dieser zur Deckung des 
Bedarfs bei eintretender Mobilmachung ist das Hauptverdienst von 
Cardwell's und Childers 1 Reorganisation. Schon vor dem Jahre 
1870 verpflichtete d. h. mietete man ausgediente Leute zum Wieder- 
Eintritt für den Fall des Krieges. Von Erfolg wurde diese Schöpfung 
erst, als man anfangs der siebziger Jahre die bis dahin 10 und 
12 jährige Dienstzeit in eine 6 und 12 jährige teilte, zwischen 
welchen der Eintretende zu wählen hatte. Wie jede neue Mafsregel, 
fand auch diese Gegner; aber sie erwies sich als nützlich, denn 
der bis dahin spärliche Zugang zur Armee hob sich, und die meisten 
Rekruten — 23 von 25 — wählen die kurze Dienstzeit, so dafs 
die Zabl der Reserve, für die sie sich bei Wahl der kurzeu Dienst- 
zeit verpflichten mufsten, bald wuchs. Indes befand sich die Mehr- 
zahl in der II. Klasse, die nur im Inland verwendet werden durfte. 
Da setzte 1881 Childers die Dienstzeit auf 7 Jahre »at home« und 
8 »abroadc fest und verpflichtete jeden Eintretenden, den Rest der 
12 Jahre, also 5 beziehungsweise 4 Jahre in der Reserve I. Klasse, 
die ohne Weiteres im Ausland verwendet 'werden kann, zu dienen, 
natürlich gegen Bezahlung. Bei grofsem Rekrutenzugang sollte, 
um Stellen frei zu machen, die Entlassung schon nach 3 Jahren 
erfolgen können. Auch wird ein Neuverpflichten nach Ablauf der 
12 Jahre auf weitere 4 für die II. Klasse vorgenommen. Die Re- 
servisten sind demnach in der Regel in den kräftigsten Jahren, 
zwischen 26 beziehungsweise 23 und 32 Jahren in der T., zwischen 
32 und 3(5 eventuell 37 Jahren in der II. Klasse. Die I. Klasse 
zählte 1888: 50,950, die IL 4118 Köpfe. 1885 war erstere seit 
8 Jahren zum dritten Male eingezogen. Die Leute folgten stets 
willig und rasch dem Rufe und bewährten sich vorzüglich, so be- 
sonders auch 1882 in Ägypten. An sich bodeuten diese 55,000 
Mann einen bedeutenden Zuwachs der Wehrkraft, besonders aber 
der Offensivkraft des englischen Heeres, denn ihre Einberufung 
gestattet nicht blofs — nach Ausscheidung der Rekruten u. s. w. — 
die gesamte Linie auf Kriegsstärke zu bringen, sondern 
ergiebt noch einen erheblichen Überschufs (über 20,000 Mann). 
Ferner werden sich im Fall eines grofseu Krieges auch viele, der 
Reserve nicht mehr angehörende, altgediente Soldaten — 1888 
waren von 27,825 Entlassenen nur 15.920 zur Reserve eingereiht 
worden — zum Wieder-Eintritt melden. 

Für den Nachersatz der Armee im Kriege dient deren 
jüngster Jahrgang (1887 88 30,751, welche nur im Mutterland 



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Betrachtungen über Englands Heerwesen. 



19 



stehen) nnd die schon erwähnte Miliz-Reserve (1888: 31,474), 
sowie die Neu -Anwerbung. Wie hoch diese letztere ausfallen wird, 
kann naturgemäfs nicht genau berechnet werden; es ist dies eine 
der Schattenseiten des Werbesystems. Doch darf man für einen 
grofsen Krieg die Neurekrutierung auf 50 bis 100,000 Mann, je 
nach Bedarf, veranschlagen. Aufserdem ist es sehr wahrscheinlich, 
dafs viele Milizen und Volunteers — einzeln und in Verbänden — 
sich zur Verwendung im Ausland bereit erklären werden. 

Die Ergänzung an Pferden. Für diese war bis 1888 nichts 
vorgesehen. Die der Schaffung einer Inspektion des Remontewesens 
im Sommer 1888 folgende >national defence bill« hat gründlich ge- 
holfen. Es können ihr gemäfs alle Besitzer von Pferden im Mobil- 
machungsfall zum Verkauf derselben an die Militärbehörden ge- 
zwungen werden. Bei Englands Pferde-Reichtum ist der Bedarf 
an Reit- und Zugpferden somit sichergestellt. 

Die Ausstattung der Truppen und die Trains. Hier 
scheinen noch wunde Punkte der Mobilmachung zu sein. Die 
Ausstattung der Truppen mit Waffen, Bekleidung und Ausrüstung 
kann wohl direkt aus den Magazinen erfolgen, da zahlreiche 
Neu-Eiustellungen nicht erfolgen, und Truppen, sowie auxiliary 
forces diese Dinge in Händen haben. Das Lagergeräte dagegen 
war noch 1886 für die ganze Armee in den 6 Depots zu Woolwich, 
Portsmouth, Plymouth, Aldershot, Dublin und Cork, die Fahr- 
zeuge für Truppen und Trains waren, wenigstens kürzlich noch, 
für die gesamte Landstreitmacht in Woolwich vereinigt. Auch das 
erinnert an die französische Mobilmachmig von 1870. An diesen 
Mängeln kann aber eine sonst wohl vorbereitete Mobilmachung 
scheitern. Die Volunteers haben übrigens keine Fahrzeuge; nur 
deren Beschaffung ist planinäfsig vorgesehen. 1888 haben 10 ihrer 
Bataillone wenigstens Versuche gemacht mit Truppenfahrzeugen zu 
üben. — Der Train, 37 Compagnien stark, soll bei einer allge- 
meinen Mobilmachung auf 74 Compagnien gesetzt werden. Da für 
1 Armee-Corps 15 berechnet werden, könnte man 5 Corps aus- 
rüsten. Die auxiliary forces haben selbst keine Trains, ihre mobile 
Verwendung in voller Stärke mufs sich also unabsehbar verzögern. 
Da Train-Trnppen und Material nicht beisammen liegen, kann im 
Mobilmachnngsfall gefahrliche Verwirrung entstehen. Für die 
Munitious- Kolonnen fehlt es an Personal und man ist auf den nicht 
eben glücklichen Ausweg verfallen, der ohnehin schon zu schwachen 
Feld -Artillerie der Linie 8 Batterien zu nehmen, um sie in Kolonnen 
zu verwandeln. 

2» 



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20 



Betrachtungen Ober Englands Heerwesen. 



Die Eisen bahn- V orbereitu ng. Die national defence bill 
von 1888 giebt der Regierung bei drobendem Kriege die Verfügung 
über die Eisenbahnen in die Hand. Über den Plan der Benutzung 
ist nichts Verlässiges bekannt. Vorgesehen sind die Konzentrations- 
Transporte, und in den letzten Jahren hat man in diesem Zweig 
der Kriegs-Vorbereitung viel gethan. Mufs er ja doch der wesent- 
liche Teil des erwähnten Landes-Verteidigungs-Planes sein. Die 
Entwicklung des Bahnnetzes ist ja die verhältnismäßig gröfseste in 
Europa, die Sicherheit und Raschheit des Betriebes bekannt Bei 
sorgfältiger Vorbereitung werden die Bahnen den höchstgespannten 
Forderungen sicherlich genügen. 

Trotz der Oeifsigen Arbeit der letzten Jahre dürfte doch noch 
viel zu thun übrig sein, bis Organisation und Mobilmachung so 
geordnet sind, dafs ein sicheres und zugleich rasches Funktionieren 
des komplizierten Heeres -Apparates gewährleistet ist. Die Mobil- 
machung ist eine Kraftprobe auf die Organisation einer Armee, 
insonderheit ihre Befehligung. Hohe englische Militärs haben sich 
dahin geäussert, dafs, Dank der allzustraffen Centralisations-Methode, 
im Fall einer allgemeinen Mobilmachung die Arbeitslast im »horse 
guarde-housec so überwältigend würde, dafe das gesamte Ministerium 
unter ihr zusammenbrechen müsse. Je straffer die Centralisation, 
um so gefährlicher dieser Zusammenbruch. Der dauernde Bestand 
von Befehlstellen zwischen dem Oberbefehl und den Truppen ist 
für die Sicherheit und Energie der Befehlsgebung unentbehrlich. — 
Die Lagerung des Materials bei den Truppen und Stellen, welche 
Formationeu mobil zu machen haben, verbürgt allein die Ordnung 
und ruhige Sicherheit der Mobilmachung, sowie die Gewifsheit, dafs 
alle Truppen operationsfahig ausmarschieren. Dann verkürzen sich 
von selbst die Zeiträume, innerhalb welcher die einzelnen Teile der 
Armee schlagfertig werden. Warum kann die Miliz, wenn die 
Reserve in 4 Tagen marschbereit ist, das nicht? Sie braucht 
14 Tage hierzu. Je weniger fest aber der innere Halt der auxiliary 
forces ist, desto rascher mufsten sie kriegsbereit gemacht werden, 
um bei einem Einbruch sofort in Überzahl auf den an mili- 
tärischem Wert wohl weit überlegenen, anfangs aber noch wenig 
zahlreichen und operationsfertigen Gegner geworfen werden zu 
können, sowie um jedenfalls noch Zeit zu haben, sich fester zu 
fügen und in die Waffen zu gewöhnen, noch ehe der Zusammen- 
stofs erfolgt. Sonst mag es geschehen, dafe die Miliz noch kaum 
versammelt ist, währeud der Feind schon landet, oder im Offensiv- 
krieg, dafs die längst bereite Linien -Armee nicht ausfahren kann, 



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Betrachtungen ober England* Heerwesen. 



21 



weil die Hülfstruppen, welchen man den Schutz des Landes anver- 
trauen will, noch nicht zur Stelle sind. 

Es ist merkwürdig zu beobachten, wie wenig die öffentliche 
Meinung in England die doch teilweise bedenklichen Mängel in der 
Landarmee beachtet, obwohl man von der Unzuverlässigkeit der 
Lage Europas überzeugt ist, und die meisten Briten für die Sicherheit 
ihres indischen Besitzes besorgt sind. In höheren militärischen 
Kreisen sieht man sie ein, aber im grofeen Publikum — und das 
ist mafsgebend in einem von der öffentlichen Meinung regierten 
Lande — kümmert man sich wenig darum. Das kommt nicht 
zuletzt von der weit verbreiteten Anschauung her, dafs England 
unangreifbar sei, solange es zur See herrsche, darum müsse es 
hierauf das Hauptgewicht legen. Natürlich verleiht die in Europa 
beispiellose Isoliertheit der geographischen Lage England einen ge- 
wissen Grad der Sicherheit; immerhin hat es schon fünfmal eine 
Invasion erlebt. (Römer, Angelsachsen, Dänen, Nonnannen, Wil- 
helm von Oranien.) Der Schrecken von 1804 und wieder von 1859 
sind lebhafte Beweise der Landungsgefahr, und englische Militärs 
rechnen es ihren Landsleuten vor, dafc bei der dermaligen Rüstung 
Europas zu Wasser und zu Lande eine französische Invasion recht 
wohl denkbar, eine Landung von den jenseitigen Küsten her nicht 
unmöglich sei. Selbst wenn England, trotz seines Aufeenbesitzes, 
sich auf sich selbst zurückziehen könnte, würde es eines tüchtigen 
Landheeres nicht entbehren können. 

V. Die Küsten -Verteidigung. 

Der wichtigste Faktor derselben ist die Flotte.*) Eine Be- 
trachtung der maritimen Streitmittel fällt jedoch aufserhalb des 
Rahmens dieser Arbeit; es erübrigt also auf die anderweitigen Mittel 
derselben noch einen Blick zu werfen. Die Kästen -Verteidigung 
Englands ist von der Natur aufserordentlich begünstigt. Die Süd- 
küste ist eine an vielen Stellen steile Felsenküste; diese Gestaltung 
und die Heftigkeit der Brandung hindern Flotten vielfach, anzulegen. 
Die grolsen Häfen derselben, so Plyraouth und Portsmouth, haben 
leicht zu verteidigende Einfahrten, die vorliegenden Inseln (nor- 
männische, die Scillys, Wight) gewähren der britischen Flotte will- 
kommene, feste Anhaltspunkte zum Ausfall auf feindliche Flotten. 
Die vielen vorspringenden Punkte, meist hochgelegene Warten, er- 
leichtern die Beobachtung der See. — Die Ostktiste ist fast in 
einem Zuge von South-Foreland bis Berwick upon Tweed von 

•) Vergl. „Jahrbücher f. d. D. A. u. M.", Bd. LXXV. Heft 1: „Rückblicke 
auf die englische Marine im Jabre 1889." 



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22 



Betrachtungen über Englands Heeiwesen. 



gefahrlichen Klippen, Sandbänken, Untiefen umgürtet. Nur die 
Mündungen der Flüsse bahnen einen Weg zum Lande: Themse- 
Medway, Stour (Harwich), Humber, Tees, Tyne. Die Verteidigung 
derselben ist nicht allzuschwer. Die ohnehin schon nicht mehr in 
erster Linie in Betracht kommende Westküste ist von Gretnagreen 
bis Anglesea wenig zugänglich (sumpfige Ufer, Sandbänke), auch 
die Küsten von Wales sind teils hohe Felsenküsten , teils mit ge- 
fährlichen Saudbänken verlagert und in der Severn-Mündung wandern 
die Sandbänke, von der ungeheuren Flutwelle des Bristol-Channels 
(20 m!) geschoben, beständig. Die Nordküsten von Devon und 
Coruwallis sind steil, schroff, felsig wie die südliche. Auch hier 
überall nur wenige Häfen und die Mündungen der Flüsse. Schott- 
land liegt wohl zu fern für grofse Unternehmungen d. h. grofse 
Landungen, es genügt also hier der Schutz der grofsen Mittelpunkte 
des sozialen Lebens und Verkehrs. Auch in Irland ist kaum eine 
grofse Landung möglich, ohne dafe die britische Flotte rechtzeitig 
dazwischen käme. Eine Diversion aber ist noch keine grofse Ent- 
scheidung, ihr Erfolg hängt vom Ausgang der letztern ab, die doch 
immer nur in England zu suchen ist. 

Der Nachrichtendienst an der Küste ist gut organisiert. 
Die ganze Küstenlinie ist von einer Semaforen- Anlage umzogen. 
Die 4000 Mann Küsten wache werden allerdings bei der Mobil- 
machung in die Flotte eingestellt; sie könnten im Kriegsfall wohl 
erst recht von Wichtigkeit werden, während die Flotte leicht eine 
andere Quelle der Ergänzung ihres Personals zu finden vermöchte. 
Die Befestigung der Haupthäfen und die Sicherung der meist an 
den Flufsmündungen gelegenen grofsen Handelsplätze kann man 
jetzt kaum mehr als vollkommen kriegstüchtig erachten. Auch hier 
spielt eine eigentümliche Anschauung herein, die in letzter Zeit des 
öfteren zu hören war. Man sagte: wozu die Millionen ausgeben, 
um Werke zu bauen, die in Folge der Fortschritte der Technik 
doch bald wieder unbrauchbar werden? Man lege diese Summen 
besser gleich in Schiffen an und baue eine Flotte, so stark, dafs 
keine europäische Koalition im Stande ist, Landungsversuche zu 
wagen. Man bedachte nicht, dafe auch der Schiffsbau den Fort- 
schritten der Technik unterliegt! Und wie soll denn eine Flotte 
ohne gesicherte Häfen bestehen? Wo soll sie Kohlen und Proviant 
entnehmen, Ausbesserungen besorgen, vor Stürmen sich bergen? 
Soll zur Deckung jeder einzelnen dieser Lebensfunktionen stets eine 
andere Flotte bereit seiu, und ist eine Flotte ohne jene Hilfsmittel 
nicht wie eine Armee ohne Verbindungen und ohne Basis? 



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Betrachtungen ober Englands Heerwesen 



Offiziell beruhigt man sich dabei, dafs es an den nötige» Hülfs- 
mitteln zur Küsten- Verteidigung, einer starken Artillerie, Seeminen 
und Torpedos nicht fehle; — aber auch diese toten Mittel der 
Verteidigung sind nicht durchweg mehr auf der Höhe der Zeit Die 
Bauten von Chatham und Sheernefs, Dover, Portland und Pembroke, 
vom Anfang der 60er Jahre stammend, sind zum Teil veraltet; die 
Werke von Portsmouth, Plymouth und Harwich, teils schlecht armiert, 
teils unvollständig in ihrer Zusammenwirkung. Die Neubefestigung 
hat indessen begonnen, in Chatham und Sheernefs sind Strand- 
Batterien, in Plymouth und Pembroke neue, grofse Batterien, in 
Portamonth ein völliger Umbau geplant. Überall findet eine neue 
Armierung mit Hinterladern statt. 

Die Grundsätze, dafs die Flotte überall die aktive, und bei 
Häfen, die offen am Meere liegen, überhaupt allein die Ver- 
teidigung zu führen habe, dafs die Einfahrten und Mündungen mit 
Seeminen gesperrt und diese (mit Schnellfeuerkanonen und schwersten 
Kalibern) aus Strand- Batterien verteidigt werden sollen, werden 
wohl allseits als die richtigen anerkannt. Freilich müssen viele 
Bauten neuangelegt werden. 1888 sind für Zwecke der Armierung 
der Kriegshäfen 35 Millionen, für Beschaffung der Verteidigungs- 
mittel der Handelshäfen an 63 Millionen Mark angesetzt worden. 
Für Kohlendepot», deren Anlage schon weit vorgeschritten sein soll, 
und für unterseeische Verteidigungsmittel waren an 16 Millionen 
Mark verlangt. Die passag ere Befestigung Londons ist ins Auge 
gefafst, zur Vorbereitung derselben sind kürzlich 400,000 Mk. be- 
willigt worden. London hat eine Handelsflotte von über l'/j Mill. 
Tons Gehalt, sein Handel beträgt 2 /s des gesamten britischen, d. h. 
seine Flotte und sein Umsatz stehen dem Frankreichs wenig nach. 
Seine Verteidigung liegt aber vornemlich in den Händen der »auxiliary 
forces«, darum ist wohl die oft gestellte Forderung ständiger Be- 
festigungen gerechtfertigt. — In den letzten Jahren ist die Reichs- 
Verteidigung durchgreifend verbessert worden. Die Verteilung und 
Verstärkung der Flotten detachements ist planmäfsig vorgesehen, die 
Anlage befestigter Kohlenstationen, Verstärkung der Kriegshäfen und 
Organisation lokaler Streitkräfte vielfach in Gang gebracht und teil- 
weise schon durchgeführt. 

Das Geheimnis, warum die Mängel der Flotte und der grofsen 
Landes- Verteidigung verhältnismäfsig rasch behoben wurden, während 
in der Armee nur langsame Fortschritte zu verzeichnen sind, liegt 
in den dargelegten englischen Anschauungen über die geringere Be- 
deutung des Landheeres für die Machtstellung Englands. 



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24 



Betrachtungen Aber Englands Heerwesen. 



Es ist nicht erfindlich, warum eine Invasion Englands absolut 
aussichtslos sein sollte, wenn besondere Umstände, wie z. B. Tauschung 
und Abziehung des Gros der britischen Flotte, oder eine Koalition 
mehrerer Seemächte sie begünstigen. Gewifs noch weniger aber 
ist die Verteidigung Indiens, des Juwels des britischen Reiches, zu 
Lande sichergestellt. Die vielfachen Interessen, welche Grofebritannien 
auf dem ganzen Erdkreis zu vertreten hat, lassen es bei strengster 
Neutralität nicht ausgeschlossen erscheinen (siehe Egypten), dafs es 
mit einer Grofemacht, die ihren Schwerpunkt zu Lande bat, in 
Konflikt gerat. Eine solche kann aber nur zu Lande niedergekämpft 
werden, denn den Sieg bringt nur die Offensive und diese kann 
gegen eine Landmacht von der Flotte wohl unterstützt, aber nicht 
durchgeführt werden. Für solchen Landkrieg ist England nicht ge- 
nügend gerüstet. Es kann wohl nicht die Rede davon sein, den 
auxiliary forces allein die Verteidigung Englands anzuvertrauen; 
man hält es auch in England für nötig, dafs ein Teil der Linie ihre 
Stütze bilde. Wie früher dargelegt, übersteigen aber die im Mutter- 
laude fürs Feld sofort verfügbaren Kräfte die Zahl von 133 000 Mann 
kaum. 60.000 Mann für die Verteidigung des Landes abgerechnet, 
bleiben für auswärtige Verwendung nur an 73,000 Mann! 

Die Beseitigung der organisatorischen Mängel des britischen 
Landheeres liegt im Bereich der Möglichkeit, ein Anderes ist es mit 
der Erhöhung der Streiter- Zahl. Das britische Heer kostet soviel, 
dafs bei dem herrschenden System eine bedeutende Steigerung 
kaum denkbar ist Von den Kritikern des englischen Heerwesens 
wird deshalb betont, dafs dasselbe sich der Einführung der Allge- 
meinen Wehrpflicht auf die Dauer nicht entziehen könne. Es ist 
zu erwidern, dafs die mafsgebenden Kreise Englands sich bislang 
mit diesem Gedanken noch nicht haben befreunden können und 
wollen. Man denke au Lord Derby's früher erwähnte Äußerungen! 
Der bekannte Parlaments -Redner, Charles Düke, sagte vor nicht 
langer Zeit einmal: »Ohne Zweifel werden wir in diesem Lande die 
allgemeine Wehrpflicht wahrscheinlich nie einführen. Die Stimme 
des Landes ist vollständig dagegen, und ich glaube nicht, dafs 
ein verantwortlicher Politiker je die Annahme dieses Systems vor- 
schlagen wird.« Auch Lord Beaconsfield war, wie der gegenwärtige 
Premier, Marquis von Salisbury, ein Gegner dieser »Bluttaxe«. Der 
Oberbefehlshaber der Armee selbst hat einmal darauf hingewiesen, dafs 
England die allgemeine Wehrpflicht nicht brauche, nicht brauchen 
könne, da man die Kolonien und Indien mit einem Volksheer nicht 
verteidigen könne; noch im vorigen Jahre hat der (Civil-) Kriegs- 



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Betrachtungen über Englands Heerwesen. 25 

minister England glücklich gepriesen, dafe es in Folge seiner Lage 
»nicht gezwungen sei, zur Konskription seine Zuflucht zu nehmen.« 
Schärfer noch hat er sich seiner Zeit im Parlament geaufsert. 
Weitaus die meisten Offiziere freilich treten für die allgemeine 
Wehrpflicht ein, aber selbst einer ihrer wärmsten Fürsprecher, 
Kapitän Hozier, gesteht, er glaube, dafe die Konskription nie an- 
genommen werde. Das ist der Stand der Sache. 

Kann demnach in absehbarer Zeit von Einführung der Allge- 
meinen Wehrpflicht nicht die Rede sein, so schliefet dies doch nicht 
aus, dafe die jetzige Wehr Verfassung einer Reform, im Anschlufs 
an die bestehenden Einrichtungen unterzogen werde. Dies 
kann, unseres Erachtens, auf die einfachste Weise bewirkt werden, 
wenn das Parlament die Werbung der Miliz beseitigt und das alte 
Gesetz über die Losung nicht mehr suspendiert. Damit würde 
eine Kontrole über die Wehrpflichtigen und somit die Grundlage 
für die Organisation einer National -Miliz gewonnen werden. Die 
Milizpflicht dauert bekanntlich bis zum 60. Lebensjahre, umfafst also 
auch die aus dem aktiven Heere scheidenden Offiziere und Mann- 
schaften, deren Zahl sich alljährlich auf 28,000 bis 30,000 Mann 
belaufen mag. Die Mehrzahl der Mannschaft vollendet mit dem 
33. Lebensjahre ihre Dienstzeit im Heere. Wenn man nuu diese 
ehemaligen Liniensoldaten noch bis zum 45. Lebensjahre zum Dienste 
in der Miliz verpflichtete, so ergäbe das (nach Abzug des üblichen 
Abganges durch Tod, Invalidität und Auswanderung) doch noch die 
stattliche Zahl von mehr als 200,000 voll ausgebildeter Milizsoldaten 
aller Waffen. Dieser vorzüglichen Landwehr würden sich die übrigen 
»auxiliary forces« mit Leichtigkeit angliedern lassen. Selbstver- 
ständlich bedürfte diese Truppe, welche im Frieden fast gar nichts 
kosten würde, der planmäfsigen Formation; der Bedarf an Waffen, 
Munition und Ausrüstung müfete jederzeit vollzählig vorhanden sein. 
Das Vorhandensein einer derartigen, gut organisierten Landwehr 
würde aber zweifelsohne einen bei Weitem grösseren Teil der regu- 
lären Armee für operative Verwendung aufeerhalb der Landesgrenzeu 
verfügbar machen. Noch günstiger würde sich die Offensivkraft 
Englands gestalten, wenn des erfahrenen Sir Frederic Robert's Vor- 
schlag angenommen würde: Vollständige Treunung der indischen 
von der Königlichen Armee, erstere mit 12-, letztere mit 3 jähriger 
aktiver Dienstzeit. Dies ergäbe, bei einem Jahresbedarf von 45 000 Re- 
kruten für die Königliche Armee, für 9 Jahrgänge doch mindestens 
300,000 zur Reserve entlassener, völlig ausgebildeter Mannschaften, 
deren es, bei den zahlreichen, nach mehrjähriger Dienstzeit aus- 



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26 



Dotachements-Übnngen. 



scheidenden Offizieren, welche zum Dienste in der Miliz noch ver- 
pflichtet sind, an Führern nicht fehlen dürfte. Die Beschaffung 
der erhöhten Rekrutenzahl würde, in Anbetracht der kürzereu Dienst- 
zeit, kaum Schwierigkeiten bereiteu. 

Diese wenigen Andeutungen bezwecken lediglich, darauf hinzu- 
weisen, dafs die englische Wehrverfassung, auch ohne Einführung 
der Allgemeinen Wehrpflicht, einer bedeutend gesteigerten Kraft- 
entwickelung fähig ist. Einer solchen wird sich England bei Kämpfen 
der Zukunft, welche seine Weltstellung in Frage stellen, nicht ent- 
ziehen können. 53. 



n. Detachements-Ütungen. 



Anläfslich derselben will Schreiber dieses den »Marschsicherungs- 
dienst«, dann den »Angriff und die Verteidigung« im Rahmen jener, 
den Divisions- und Corps-Manövern voraufgeh enden kleinen Übungen 
in Nachstehendem zum Gegenstande einiger, dem Nachdenken der 
Kameraden empfohlener Betrachtungen machen, welche sich auf 
praktische Erfahrungen bei diesen wichtigen Übungen stützen. 

1. Der Marschierungsdienst. 

Die in der neuen Felddienstordnung enthaltene Angabe, dafs 
als Avant- oder Arrieregarde ein bestimmter Teil der Gesamtstärke 
zu verwenden ist, soll nur als ganz allgemeiner Anhalt dienen. 
Abweichungen hiervon nach der einen oder anderen Richtung werden 
häufig notwendig, daher die Stärke dieser Abteilungen sich nicht für alle 
Fälle schematisch präzisieren läfst. Sie richtet sich vielmehr ganz nach 
den gegebenen Verhältnissen und stellt auch hier den Detachements- 
führer vor eine Aufgabe, deren Lösung einen wohlüberlegten, selbst- 
ständigen Entschlufs notwendig macht. Unbedingt aber ist daran 
festzuhalten, dafs Avantgarden stets auf demselben Wege wie das 
folgende Gros marschieren. Die nicht selten vorkommende Anord- 
nung, dafs Avantgarde und Gros schon durch den ersten Detache- 
ments- Befehl verschiedene Marschstrafsen angewiesen erhalten, ist 
durchaus fehlerhaft. Wird dio Benutzung verschiedener Anmarsch- 



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Detachements-Übungen. 



27 



wege für zweckmäfsig gehalten, so sind entweder zwei oder mehrere 
Kolonnen zu bilden, deren jede ihre eigene Avantgarde vorschiebt, 
oder Avantgarde und Gros marschieren auf der einen, ein rechtes 
beziehungsweise linkes Seitendetacheraent auf der anderen Strafee. 

Bei den geringen Truppenstärken, die gelegentlich der Detache- 
ments-Übungen und Feldmanöver zur Verfugung stehen, wird es sich 
aber meistens nicht nur empfehlen, vielmehr als Grundsatz fest- 
zuhalten sein, für das gesamte Detachement nur eine und 
zwar die beste Marschstrafse zu wählen, da das Detachement 
dann geschlossen in der Rand seines Führers bleibt und der Auf- 
marsch meist aus einer Kolonne schneller bewerkstelligt wird. Wir 
betonen ganz geflissentlich die gute Beschaffenheit der Strafse, da 
die Bequemlichkeit der Truppe ein wesentlich mitsprechender Faktor 
ist, um nicht Kräfte unnütz zu vergeuden. Anders liegen die 
Dinge bei grösseren Verhältnissen, wo es darauf ankommt, in 
Erwartung einer Schlacht, mit einer Truppen masse den passenden 
beziehungsweise angewiesenen Punkt zu erreichen. Da trägt man 
kein Bedenken, dieselbe nötigenfalls durch die schwierigsten Seiten- 
wege dahin gelangen zu lassen. 

Sehr wohl können aber Rücksichten auf Sicherung einer 
Flanke die Formierung eines Seitendetacheraents er- 
forderlich machen. Tritt diese Notwendigkeit erst während des 
Marsches ein und hält es der Detachementsführer für zweckmäfsig, 
die Avantgarde dazu zu verwenden, so verliert die letztere auch 
ihre bisherige Bezeichnung und aus dem Gros ist eine neue Avant- 
garde zu bilden. Das vorstehend Gesagte findet sinngemäfse An- 
wendung auch auf die Fälle wo Arrieregarden zu bilden sind. 

Wie die Stärke der gesamten Avantgarde, unterliegt auch die 
derselben zuzuteilende Zahl von Schwadronen und Batterien don 
jedesmaligen besonderen Verhältnissen. Von der Artillerie wird 
selten mehr wie eine Batterie in die Avantgarde zu nehmen sein, 
denn der Detachementsführer darf die Bestimmung über Ort und 
Zeit der Verwendung der Hauptmasse der Artillerie nicht aus der 
Hand geben. Dafs dieselbe zum frühzeitigen Eingreifen bereit ist, 
wird durch ihren Platz in der Marschkolonne des Gros erreicht. 
Anders stellen sich die Verhältnisse bei Formierung einer Arriere- 
garde. Hier kann es häufig geboten sein, derselben starke, be- 
sonders reitende Artillerie zuzuteilen, um sich ihrer als wirksamsten 
Mittels zur Aufhaltung des Gegners zu bedienen. Die Fähigkeit 
dieser Waffe, nicht zu grofse Entfernungen in beschleunigtem Tempo 
zurückzulegen und den zersetzenden Einflüssen des Gefechts mehr 



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2H 



Detacheraent«- Übungen. 



Widerstand zu leisten als die anderen Waffen, schliefst eine Gefahr 
für dieselbe aus. 

Die Kavallerie tritt beim Manöver im Verhältnis zur In- 
fanterie in größerer Stärke auf als dies im Kriege der Fall sein 
würde. Trotzdem hat sieh ihre Thätigkeit auf die im Ernstfall der 
Divisious-Kavallcrie zufallenden Aufgaben zu beschränken. Dies 
beeinträchtigt aber keineswegs ihre Gesamt- Verwendung dahin, dafs 
bei weiter Entfernung des Gegners und vollständiger Unkenntnis 
der Stärke und Absichten desselben, wie solches zu Beginn der 
Detachements-Übungen resp. Feldmanöver der Fall ist, von der 
Eigentümlichkeit dieser Waffe, welche im schnellen Zurücklegen 
grofser Entfernungen besteht, ausgiebiger Gebrauch gemacht wird. 
Eine Zersplitterung derselben durch Teilung an Avantgarde und 
Gros würde eine unrichtige Verwendung in sich schliefseil. Wir 
verstehen hierunter aber nicht die nebenher laufende unbedingte 
Zuteilung von Reitern an Gros und etwaige Detachierungen, die 
zum Verbindung halten und aufsuchen, zur Beförderung von 
Meldungen und Befehlen u. s. w. durchaus notwendig sind; denn 
zu diesen Verrichtungen genügen 1 Zug, meistens sogar nur 8 bis 
10 Pferde, wir stellen es aber als Grundsatz hin, der Avant- wie 
der Arrieregarde in der Regel die gesamte Kavallerie zuzuweisen, 
Abweichungen hiervon könnten nur besonders schwierige Terrain- 
bedingungen erforderlich machen, was ja nur ausnahmsweise in die 
Erscheinung treten wird. Die Kavallerie hat ja die Verpflichtung, 
mit dem Feinde Fühlung zu nehmen und die einmal gewonnene 
Fühlung nicht zu verlieren, die der Arrieregarde insonders, auf 
Versuche des Gegners, unsere Flanken zu überholen, ihr besonderes 
Augenmerk zu richten. 

Die selbstständig und unabhängig vom Avantgarden-Comman- 
deur vorzusendende starke Kavallerie nun eilt dem Detachement 
weit voraus, klärt das Gelände, sucht den Feind auf, bemüht sich 
Einblicke in die Verhältnisse beim Gegner zu gewinnen und meldet 
das Erkannte dem Führer, der damit in den Stand gesetzt wird, 
seine Entschlüsse rechtzeitig zu fassen und noch unbehindert vom 
Gegner einzuleiten. Haben die Detachements bereits ein oder 
mehrere Tage sich gegenüber gestanden, so vereinfacht sich die 
Aufgabe der Kavallerie wesentlich. Man wird dann mit bedeutend 
geringeren Kräften für Zwecke der Aufkläruug auskommen. Auch 
in diesem Fall ist die Kavallerie jedoch nicht an die langsame Vor- 
bewegung der Infanterie zu binden, sondern der Avantgarde, zu der 
sie dann tritt, vorauszu>>eiulen. Selbstverständlich ist dabei, dafs 



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Detacheniente-Übungeii. 



29 



sich der Führer der Kavallerie stete seiner unbedingten Zugehörigkeit 
zu den anderen Waffen bewirfst bleibt und, sobald seine Aufgabe es 
gestattet, wieder die engste Verbindung mit denselben sucht. 

Der Führer der Kavallerie erhält vom Detachementsf (ihrer 
seinen allgemeinen Auftrag unter Angabe der Richtungen in welchen 
eine Aufklärung besonders wünschenswert ist. Die Zahl der zu 
entsendenden Patrouillen — zu deren Führern je nach der Wich- 
tigkeit man zumeist Offiziere erwählt — so wie die einzuschlagenden 
Wege und die Begrenzung der Aufklärung nach rechts und links, 
dies zu bestimmen, ist als Detail der Ausführung lediglich Sache 
des Führers der Kavallerie. Sein Vorgehen hat, sobald das Terrain 
und im Frieden die Kulturverhältuisse es gestatten, nicht in Marsch- 
kolonne auf den Wegen, sondern in breiter Front seitwärts der- 
selben zu geschehen. Weit voraus und in die Flanken gesandte 
Patrouillen sichern vor überraschenden Angriffen, unbeabsichtigten 
Attacken oder plötzlichem feindlichen Feuer, Eclaireurs vor der 
Front geben rechtzeitig Nachricht über Hindernisse im Gelände. 
Niemals darf eine geschlossene Abteilung ein Dorf oder Defile be- 
treten, bevor dasselbe von Patrouillen durch- beziehungsweise um- 
ritten worden ist. Am Besten ist es, aufserhalb der Ortlichkeiten 
zu bleiben, um dieselben herum zu gehen. — Die Führer sind 
ihren Abteilungen stets weit voraus, um durch ihre Patrouillen, 
denen sie desto näher sind, möglichst frühzeitig Meldungen zu er- 
halten, sich durch eigene Beobachtung von der Richtigkeit der 
Nachrichten zu überzeugen und um endlich für ihre Truppe die 
verdeckteste Annäherung zu ermitteln. — Wird beim Vorgehen 
feindliche Kavallerie angetroffen, so würde es fehlerhaft sein, die- 
selbe sofort zu attackieren, falls nicht die Stärkeverhältnisse oder 
besonders günstige Umstände einen sicheren Erfolg versprechen. 
Abgesehen davon, dafs durch eine mifslungene Attacke die Erfüllung 
des Auftrages — d. h. Aufklärung des Feindes und Verschleierung 
der Bewegungen des eigenen Detachements — vollständig in Frage 
gestellt wird, verliert die geworfene Kavallerie auch die Fähigkeit, 
den ihr später, während und nach dem Gefecht zufallenden Auf- 
gaben gerecht zu werden. Unter Vermeidung jedes unnützen Ba- 
taillierens, beschränkt sich der Führer dann zunächst darauf, den 
Gegner zu beobachten und am weiteren Vordringen zu hindern, 
während geschickt dirigierte und umsichtig geführte Patrouillen die 
Flügel des Feindes umgehen und von seitwärts Einblick in die 
Bewegungen der Hanptkräfte desselben zu gewinnen suchen. Dafs 
diese hier, wie überall, die Waffenwirkung des Gegners zu berück- 



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30 Detachementa-Übungen. 



sichtigen haben und sich feindlichen Truppen nicht in unnatürlicher 
Weise nähern dürfen, ist besonders zu beachten. Eine sorgfältige 
Instruktion der Patrouillenführer über die allgemeine Lage sowohl 
wie über die Absichten des Detachementsführers, wird denselben ihre 
Aufgabe wesentlich erleichtern. 

Es liegt uns durchaus fern, die Initiative der Kavallerieführer 
lähmen zu wollen. Halten dieselben die Chancen für günstig und 
glauben sie, dafs es ihnen nur nach Zurückwerfung des Gegners 
gelingen wird die gewünschten Nachrichten zu erlangen, so bleibt 
es ihnen selbstverständlich unbenommen, von der Attacke Gebrauch 
zu machen. Mit vorstehenden Auslassungen verbinden wir nur die 
Absicht, einem wilden Darauflosstürmen Einhalt zu thun, wie sich 
solches wohl hier und da bei den Manövern abspielt, wenn der Eine 
im Gefühl seiner Stärke über den an Zahl schwächer Erscheinenden 
herfallt, um diesen zum Rückzug zu zwingen und die eigene Vorwärts- 
bewegung fortsetzen zu können. Wer giebt aber dem Attackieren- 
den die Gewähr, dafs nicht hinter oder seitwärts des schwächer 
auftretenden Gegners, begünstigt vom Gelände stärkere Kräfte 
lauern und im Moment des Chocs vernichtend eingreifen! 

Die Kämpfe, welche mit der feindlichen Kavallerie geboten 
sein können, dürfen daher nie weiter ausgedehnt und durchgeführt 
werden, als es zur Erreichung des Zweckes der Aufklärung und 
Sicherung durchaus notwendig erscheint. Die Führer der Kavallerie 
haben den Gesichtspunkt als mafsgebend festzuhalten, dafs ihre 
Thätigkeit der oberen Leitung die Grundlagen für ihre deuinächstigen 
wichtigen Entschliefsungen liefern und den anderen Waffen vorzeitige 
Entwickelungen oder Detachierungen möglichst ersparen soll. Nächst 
der Gefechtsbereitschaft ist die Schonung der Truppen ganz wesent- 
lich ins Auge zu fassen. — Geht die Kavallerie zurück, geschehe 
dies gezwungen oder nach Erfülluug ihres Auftrages, so müssen die 
Führer derselben besorgt sein, die Feuerwirkung der anderen Waffen 
nicht zu maskieren. 

Der Detachementsführer hat während des Marsches nicht nur 
das Recht, sondern auch die Pflicht, seinen Platz au der Tete 
beziehungsweise Queue das Gros zu verlassen und — zur Avant- 
resp. Arrieregarde oder auf seitlich gelegene Aussichtspunkte reitend 
— sich durch eigene Wahrnehmung über die Sachlage zu unter- 
richten. Er hat jedoch Vorkehrungen zu treffen, dafs ihn ein- 
treffende Meldungen rechtzeitig erreichen, und dafs der Befehl über 
das Gros von dem Nächstaltesten übernommen wird, so dafs er 
Anordnungen für dasselbe treffen kann, ohne sich persönlich zurück- 



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DetacheraentB-Übungen. 



31 



zubegeben. — Ganz besonderes Augenmerk ist auf eine sehr sorg- 
fältige Handhabung der Marschordnung und namentlich 
auf die Freihaltung der Strafsen zu richten. Eine Seite der 
Marschstrafae ist stets frei zu lassen, um eiuen ungehinderten Verkehr 
der Vorgesetzten, Adjutanten, Ordonnanzen, Meldereiter u. s. w. 
zu ermöglichen. Wenn Kavallerie bei Ortschaften zum Gefecht zu 
Fufs absitzt, dürfen auch die Handpferde niemals auf der Dorfstralse 
stehen, wo sie nur die Bewegungen anderer Truppenteile hemmen 
können. Es wird sich bei einiger Umsicht in der Regel Gelegenheit 
bieten, die Pferde gedeckt und unter Berücksichtigung des Grund- 
satzes aufzustellen, dafe sie von den abgesessenen Mannschaften leicht 
erreicht werden können. — Die peinlichste Ordnuug und Disziplin 
innerhalb jeder Truppe ist daher auf das Strengste aufrecht zu 
erhalten. 

2. Etwas über Angriff und Verteidigung. 

Es ist eine beim Manöver oft wiederkehrende Wahrnehmung, 
dafs Detachements oder einzelne Truppen derselben eine 
gröfsere Frontausdehnung annehmen als ihrer Stärke an- 
gemessen ist und macht sich dieser Fehler vorzugsweise bei dem 
Angreifer bemerkbar, wenngleich wir ihn auch in der Verteidigung 
nicht immer vermieden sehen. Dieses dünne Gewebe birgt aber 
eine grofse Gefahr in sich, denn einem entschlossenen und auf- 
merksamen Gegner, der nicht in denselben Fehler verfallt, wird es 
jederzeit gelingen, mit konzentrierter Kraft an irgend einem — 
natürlich dem ihm bemerkbar werdenden günstigsten — Punkt durch- 
zustoßen und sich den Erfolg zu sichern. 

In der Schlacht ist die Truppe meist eingeengt durch andere 
Truppenteile und kann nur die ihr zukommende Breite einnehmen, 
sich also auch nur innerhalb eines genau begrenzten llahmeus be- 
wegen. Es ist demnach unbedingte Notwendigkeit, an diesem Bilde 
der Wirklichkeit festzuhalten, es zum grundlegenden Gedanken 
der Gefechtshandlung zu machen, dann wird es auch gelingen, die 
normale Entwickelungsbreite in Fleisch und Blut von Truppe und 
Führer aller Grade übergehen zu lassen und die den Grundsätzen 
des Gefechts zuwiderlaufenden Fehler der Zersplitterung werden ver- 
bannt sein. 

Die Überlegenheit der Zahl auf dem entscheidenden Punkte 
ist der wichtigste Faktor in dem Resultat eines Gefechts, und hängt 
von der Geschicklichkeit in der Verwendung der Truppen ab. 
Richtige Würdigung des entscheidenden Punktes, Entschlossenheit, 



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32 



Detachements-Übnngen. 



das Unwichtige zum Besten des Wichtigen fallen za lassen d. h. 
seine Kräfte in überwiegendem Mafee vereinigt zu halten, ist die 
Norm, und jede Trennung und Teilung eine Abweichung, die mo- 
tiviert sein mufs. Der grofse Friedrich und Napoleon I. geben 
uns in dieser Beziehung das beherzigenswerteste Vorbild. 

Im Gefecht treten die Waffen in fortdauernden eng- 
sten Verkehr zu einander, sie müssen sich also als gemein- 
sam funktionierende Glieder eines Körpers betrachten 
und unterstützen. Das Wesen jeder Waffe bezeichnet ihre Auf- 
gabe. * Die Infanterie ist es, welche im gemeinsamen Gefecht die 
Entscheidung giebt, die Kavallerie ermöglicht die richtige Verwendung 
der anderen Waffen und nutzt deren Erfolge in der Verfolgung aus, 
die Artillerie ebnet mit ihrer wuchtigen Kraft der Infanterie den 
Weg zum Angriff uud erhöht die Kraft der Defensive. Wir betonen 
hier geflissentlich die Zusammengehörigkeit der Waffen im Gefechta- 
verbande — über dereu Notwendigkeit theoretisch Niemand in 
Zweifel sein wird — weil das Gefühl solcher Zusammen- 
gehörigkeit in der Praxis nicht immer vorherrscht. Sache 
des Führers gemischter Truppenkörper ist es, das wichtige Inein- 
andergreifen der verschiedenen Waffen durch seine Anordnungen zu 
ermöglichen und das allgemeine Gefechtsziel zu bezeichnen. Anderer- 
seits liegt es aber auch den einzelnen Waffen ob, die gebotenen 
Gelegenheiten auszunutzen und in richtiger gegenseitiger Würdigung 
helfend und unterstützend für das gemeinsame Ziel zu handeln. 
Es würde geradezu eine Gefahr für das Gelingen einer allgemeinen 
Gefechtsbewegung in sich schliefsen, wenn einer oder der andere 
Unterführer, durch günstige Gestaltung des Geländes verführt, der 
Bewegung des Ganzen vorauseilen oder nicht rechtzeitig — sei es 
in der Offensive oder Defensive — folgen und sich dadurch los- 
sagen wollte von der Pflicht des gemeinsamen Handelns. Um dieses 
letztere für jeden Augenblick zn wahren, haben die Commandeure 
der verschiedenen Truppen -Abteilungen, beziehungsweise die Führer 
der verschiedenen Waffen, sich gegenseitig darüber unterrichtet zu 
halten, wie sie die ihnen zugegangenen Befehle auszuführen ge- 
denken. Insbesondere darf auch die Kavallerie thnnlichst nicht 
versäumen, von einer beabsichtigten Attacke die zunächst fechtenden 
Infanterie-Abteilungen — wenn irgend angängig — zu benach- 
richtigen. Freilich wird dies nicht immer möglich sein. 
Während des Gefechts der Infanterie nimmt die Kavallerie, falls 
sie nicht besondere Auftrage, wie z. B. Sicherung einer Flanke 
erhält, in gedeckter Stellung außerhalb des wirksamen Feuers eine 



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DeUchements-Übangen. 



ab wartende Haltung ein. Nach Mafegabe des Vorschreitens des 
Gefechts rückt auch sie in geschickter Benutzung des Geländes vor. 
Der Führer ist seiner Truppe weit voraus, um Momente zu er- 
spähen, welche ihm ein wirksames Eingreifen durch überraschendes 
Vorbrechen auf den Flügeln oder unter Benutzung der Intervallen 
gestatten. Solche Gelegenheiten werden sich bieten, es kommt nur 
darauf an, dafs sie schnell erfaist und schneidig benutzt werden. 
Der Führer darf daher nicht auf Befehle warten, wo er durch 
selbstständigen Eutschlufs einen Erfolg erringen kann. 

Der die Batterien führende Offizier mufs niemals vergessen, dals bei 
den Friedensübungen die Gefechtslagen schneller wechseln und die Ent- 
scheidungen rascher aufeinander folgen, als im Kriege, daCs daher die 
Artillerie-Positionen je nach dem Gange des Infanterie-Ge- 
fechts im Manöver häufiger geändert werden müssen als im 
Ernstfall, damit das Einsetzen der Artilleriekraft in den einzelnen ent- 
scheidenden Momenten, wie bei Dorf- und Wald-Angriffen u. s. w. 
zum Ausdruck gelangen kann. Keinesfalls darf eine Artillerie- 
Position so lange beibehalten werden, dafs die durch Vorwärts- 
schreiten des Gefechte sich vergröbernde Eutfernung zum Feind die 
Treffwirksamkeit der Geschütze in Frage stellt. Demgemäß hat die 
Artillerie auch eventuell selbstständig, ohne besonderen Befehl ab- 
zuwarten, getragen von dem Gefühl der Zusammengehörigkeit, beim 
Abzug des Feindes neue Positionen aufzusuchen, aus denen sie 
weiterhin wirken kann, oder zurückzugehen, falls ihr durch feind- 
liche, auf wirksamste Gewehrschufs weite herangekommene Infanterie 
Vernichtung droht — es sei denn, dafs besondere Verhältnisse ein 
Ausharren gebieten. Wenngleich der Detachemeuteführer der Ar- 
tillerie die ihr in jeder Phase des Gefechts zufallenden Aufgaben 
und die Art, in welcher sie die Ausführung seiner Absichten unter- 
stützen soll, anzugeben hat, so bleibt der Artillerieführer doch für 
Placierung und Verwendung seiner Waffe mit verantwortlich. 

Denken wir uns nun in einen Tag der Detachements- 
Übu ngen, diesem kleinsten Rahmen zur Schulung der gemein- 
samen taktischen Handlung, hinein und verweilen wir zunächst beim 
Angreifer. — Ist die Fühlung mit dem Feinde derartig gewonnen, 
dafs seine Absichten, die Stellung seiner Hauptkräfte u. s. w. er- 
kannt sind, zu welchem Zweck der Detachementsführer sich am 
Besten zu seineu vordersten Abteilungen begiebt, um sich persönlich 
zu orientieren — so fafst der Führer seinen Entschlufs und ordnet 
den Aufmarsch unter dem Schutz der Vortruppen mit Rücksicht 
auf die beabsichtigte Verwendung seiner Abteilungen an. Dem 

J«*rt>äck«r «r die Dentich» Anw« and Marti« M. I.XXM, | 



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34 



DeUchetnento-Übungeu. 



Entschlufs mufs eine ruhige Prüfung der Verhältnisse 
vorausgehen, es sei denn, dafs es gilt, einen abziehenden Gegner 
festzuhalten. Aufmarsch und Entwickelung zum Gefecht dürfen nicht 
früher stattfinden und nur in dem Malise, als es die Stärke der 
gegenüberstehenden feindlichen Truppen zur Erreichung des augen- 
blicklichen Gefechtszweckes fordert, da anderenfalls nicht nur Zeit 
verloren geht, sondern den Truppen auch unnötige Anstrengungen 
zugemutet werden. 

Die Absicht, den Gegner mit der Verteilung der eigenen Kräfte 
zu überraschen, die günstige Stellung desselben nicht in der 
Front anzugreifen, sich vielmehr — unter gleichzeitiger Beschäftigung 
dieser letzteren — gegen einen Flügel zu wenden, giebt die Veran- 
lassung zur Zerlegung des Ganzen. Je mehr die Starke der Front 
hervortritt, um so berechtigter ist der Angriff der Flanke. Diese 
grundsätzliche Anordnung ist daher auch durchaus richtig, aber 
nur so lange, als hierbei die tiefe Gliederung des Detachements und 
die durch Echelonnierung zu bewirkende Sicherung der eigenen 
Flanken nicht vergessen wird, die zur Bedrohung der feindlichen 
Flanke erforderlichen Bewegungen derart angesetzt werden resp. 
angesetzt werden können, dafs sie dem Feuer und der Kenntnis des 
Feindes bis zum Beginn ihrer Wirksamkeit entzogen bleiben und 
die dadurch eintretende Gruppierung des Detachements räumlich 
nicht so weit seitlich ausgreift, dafs die Gegenseitigkeit der Unter- 
stützung aller Teile ausgeschlossen wird. Denn Frontal- und Flanken- 
Angriff stehen in Wechselwirkung zu einander, richtiges Zusammen- 
wirken ist daher Hauptsache. Andererseits würde das beabsichtigte 
Aufallen der gegnerischen Flanke den Charakter der Umgehung 
annehmen und bei den kleinen Detachements, die einander gegen- 
übertreten, eigentlich immer einen Fehler darstellen, der doch nur 
äufserst selten mit der Wirklichkeit in Einklang zu bringen ist. 
Nur grofse Überlegenheit an Truppenzahl giebt die Berechtigung zu 
dem Mittel der Umgehung. Stets hat solcher Anordnung aber die 
Überlegung vorherzugehen, ob der dadurch zu erreichende Erfolg 
im Verhältnis steht zu dem damit verbundenen Zeitverlust und 
Verbrauch an physischen Kräften der Truppe. Durchaus fehlerhaft 
würde es beispielsweise sein, eine schwach besetzte Avant- oder 
Arrieregarden - Stellung vermittelst weit ausholender Umgehungen 
nehmen zu wollen, welche dem Gegner nicht nur den gewünschten 
Zeitgewinn gewähren und die eigenen Truppen frühzeitig ermüden, 
sondern auch der späteren, vielleicht nach einer ganz anderen Rich- 
tung erforderlichen Verwendung der Truppen Schwierigkeiten be- 



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Detachements-Übungen. 



35 



reiten können. In solchen Fällen wird ein schneller, mit ge- 
nügenden Kräften unternommenen Angriff besser zum 
Ziel führen und grösseren Gewinn bringen. 

Der Umstand, dafs bei den Friedens -Übungen die Führer 
die beiderseitigen Stärke Verhältnisse annähernd genau kennen 
und das zum geschützten Heranführen des Angriffe auf die gegnerische 
Flanke fehlende Gelände, verführen gar oft zu diesem fehlerhaften 
weiteren Ausgreifen. Im Felde aber hat man nicht nur spärliche 
und wenig sichere Nachrichten über den Feind und ist, so lange 
man nicht die völlige Gewifsheit der Überlegenheit hat, wohl nicht 
sehr geneigt, die rückwärtigen Verbindungen schnell preiszugeben, 
weite Trennungen der einzelnen Glieder eintreten zu lassen. So 
wird es zumeist auch nicht rätlich erscheinen, sein kleines De- 
tachement auf verschiedenen Wegen derartig marschieren zu lassen, 
dafe die Vereinigung erst auf dem Gefechtsfelde eintreten kann. 
Denn ein leichtes Mifsverständuis, eine Differenz der Uhren, Ände- 
rungen in den allgemeinen Verhältnissen, unerwartete Mafsnahmen 
des Gegners, können in solchen Fällen die schwerwiegendsten Folgen 
nach sich ziehen. 

Treffen nun die den Flankenangriff begünstigenden Terrain- 
bedingungen zu und entziehen dem Gegner die Einsicht in die Rich- 
tung des Hauptstofses, zu welchem Zweck der Führer an der Hand 
der Karte und durch ausgesandte berittene Offiziere das Vorfeld 
schnell und möglichst genau rekognoszieren mufs, daun gilt es aber 
auch entschlossen und energisch zu handeln. Die Artillerie — so 
wird sich's wohl in der Regel gestalten — fafst bei dem die feind- 
liche Front beschäftigenden Teil Position, die gesamte Kavallerie 
geht in der beabsichtigten Stofsrichtung gedeckt vor und verschleiert 
die Seitwärtsbewegung. Ohne Zaudern, ohne Zögern bewirkt die 
Stolstruppe ihren Aufmarsch, ihre Ordnung, indem die hinteren 
Treffen nach der auswendigen Seite debordieren. Dann öffnet sich 
der Schleier, die Kavallerie setzt sich, die Bewegungen der Infanterie 
begleitend, auf den äufseren Flügel. Überraschend und unaufhaltsam 
dringt die Infanterie vor; auf eine längere Feuervorbereitung, ein 
Festsetzen im Vorgelände mnfs sie verzichten; nur heran ans Ziel. 
Denn, will man angreifen, so mufs dies mit Entschiedenheit ge- 
schehen, nur Kraft und Zuversicht reifsen die Truppe mit sich fort 
und geben Erfolg. In dieser Gestaltung wird sich ein ideales 
Manöverbild lehrreich darstellen. 

Bietet sich nun aber die Möglichkeit nicht, dem Hauptangriff 
die an und für sich wünschenswerte Richtung gegen die feindliche 

3* 



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36 



Detacheraents-Übunpen. 



Flanke zu geben, indem das Gelände oder sonstige Verhältnisse 
derartige Unternehmungen ausschliefen, dann mufs man sehen, viel- 
leicht kleinere, verhältnismäfsig schwache Abteilungen auf einen 
Punkt zu schieben, von wo sie durch ihr Feuer gegen eine Flanke 
des Feindes wirken, während der Angriff vorzugsweise gegen den 
entsprechenden Flügel gerichtet ist. Im Übrigen darf man änfsersten 
Falls aber auch vor einem reinen Frontalangriff nicht zurückschrecken. 
Einer sorgfältigen Ausnutzung des Geländes, einer peinlichen Ver- 
wertung aller die Annäherung begünstigender Formen desselben, 
ist jedoch dann doppelte Beachtung zuzuwenden. 

In der Defensive ist ebenfalls vor allen Dingen eine zu frühe 
Entwickelung und Verausgabung der Kräfte zu vermeiden. Die 
Truppen sind so lange als möglish verdeckt und intakt zu halten. 
Selbst die zur ersten Besetzung der Verteidigungsstellung bestimmten 
Abteilungen sind zu Beginn des Gefechtes nie ganz zu entwickeln, 
von den Bataillonen vielmehr Compagnien, von den Compagnien 
Züge in Reserve zu halten und erst nach Mafsgabe des vorschreiten- 
den Angriffs, und wenn sich die Absichten des Angreifers ent- 
wickelt haben, einzusetzen. Nur dann hat man die Gewähr, an 
demjenigen Punkte, gegen welchen der Hauptangriff sich richtet, 
auch die gröfste Kraft der Verteidigung zu entfalten. 

Die zur Verfügung des Führers zurückgehaltenen Reserven 
sind nur im äufsersten Notfall zur Verstärkung der Feuerlinie zu 
verwenden, grundsätzlich gehören sie debordierend hinter den nicht 
angelehnten Flügel. Ist keiner dieser letzteren durch Terrain- 
hindernisse geschützt, so sind die zurückzuhaltenden Abteilungen 
hinter beide Flügel zu verteilen, eventuell auch durch Batterie- 
stellungen zu verstärken, je nach dem Grade der Gefahrdung resp. 
der Wichtigkeit derselben. Es kann nicht genug hingewiesen wer- 
den auf diese Etablierung einer zweiten, seitwärts, rückwärts ge- 
legenen Gefechtslinie, weil diese die Umgehungs- resp. Flanken- 
Truppen des Feindes ihrerseits wieder flankiert, falls sie den An- 
griff ausführen. In vielen Fällen wird auch ein energischer Gegen- 
stofs, womöglich auf die Flanken des Angreifers, mit Vorteil anzu- 
wenden sein. Ebenso kann man, um den Zweck eines erkannten 
FlankenRtofses zu paralisieren, durch Reserven die Front verlängern 
oder den bedrohten Flügel zurückbiegen, das wirksamste, die Leitung 
und einheitliche Führung sichernde Mittel, liegt aber immer in der 
seitwärts, rückwärts placierten zweiten Gefechtslinie, nur mufs die 
Aufstellung so weit rückwärts liegen, dafs die Abteilungen selbst 



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Detacbemeutn-Übungen. 



37 



durch die Umfassung des Gegners nicht gegen den Willen des 
Führers in das Gefecht verwickelt werden können. 

Daraus geht auch für die Defensive die Wichtigkeit hervor, 
die Kräfte konzentriert und sich nach der Tiefe gegliedert zu 
halten. 

Um nun die Kunst der sachgemäfsen Aufstellung der Reserven, 
der rechtzeitigen Verwendung der Kräfte am entscheidenden Punkte 
üben zu können, ist es für den Verteidiger von nicht zu unter- 
schätzender Wichtigkeit, sich beim Einnehmen der Stellung in die 
Lage des Gegners zu denken. Aus der Frage, was dieser wohl 
zweckmässiger Weise nach der Gestaltung des Geländes und der ge- 
gebenen Lage thun könne, ergiebt sich die beste Richtschnur 
für das eigene Handeln. — Die Truppen sind nach Gruppen, nach 
der Wichtigkeit der Geländepunkte zu ordnen, nicht aber nach dem 
Gesichtspunkte zusammenhängender Linien. Dann wird es auch mög- 
lich werden, die Reserven ihrer Hauptaufgabe zu erhalten, 
d. h. dem Führer jederzeit die Möglichkeit zu gewähren, den offen- 
siven Gedanken, welcher der Verteidigung niemals fehlen 
darf, zur That werden zu lassen. Ihr rechtzeitiges Vorbrechen 
gegen den durch Feuer aus der Defensivstelluug erschütterten An- 
greifer verbürgt fast immer den Erfolg, zumal wenn auch die Ka- 
vallerie zum Nachhauen bereit gehalten und ein Teil der Artillerie 
möglichst aufserhalb der eigentlichen Verteidigungsstellung derart 
placiert wird, dafs durch denselben der feindliche Angriff enfiliert 
wird. 

Dörfer und Waldparzellen werden vielleicht in Zukunft seltener 
als früher Punkte sein, um welche iu stundenlangem Ringen der 
Ausgang des Kampfes hiu und her schwankt, denn bei den heutigen 
Schufsweiten vermag der Augreifer ein überwältigendes Feuer auf 
dieselben zu konzentrieren. Terrainerhebungen dagegen gewähren 
mehr Deckung, meist auch ein weiteres und freieres Schufsfeld und 
werden deshalb mehr die Stärke einer Stellung ausmachen. Immer- 
hin aber haben darum doch Dörfer und Gehöfte ihre Bedeutung im 
Gefecht nicht verloren, es lassen sich vielmehr Fälle sehr wohl 
denken, in welchen beide vorteilhaft als Stützpunkte einer Stellung 
zu verwerten sein werden, aber nur, falls ihre Lisiere sich zur Ver- 
teidigung eignet und Deckung gewährt, und, falls ihre Lage im 
Gelände eine günstige ist. Treffen diese Bedingungen nicht zu, so 
ist von einer Besetzung von vornherein abzusehen. 

In wieweit Örtlichkeiten, welche vor der eigentlichen Stellung 
liegen, in den Bereich der direkten Verteidigung zu ziehen sind, 



38 



Über das SchieJCsen des Infanteristen im Felde, 



hängt zu sehr von den jedesmaligen Verhältnissen ab, um im All- 
gemeinen angegeben zu werden. Doch ist darauf hinzuweisen, dafs 
die Besetzung sogenannter Vortsellnngen meist nur unbedeutenden 
Zeitgewinn bringt und, sofern der Rückzug aus denselben nicht sehr 
frühzeitig angetreten wird, leicht den Verlust der Besatzung oder 
eine Maskierung der Hauptstellung durch dieselbe herbeiführt. 
Andererseits ist nicht zu verkennen, dafs derartig gelegene Örtlich- 
keiten, wenn sie unbesetzt bleiben, die Annäherung des Gegners er- 
leichtern. Zum Schluls möge noch ausdrücklich hervorgehoben 
werden, dafs bei der Verteidigung von Örtlichkeiten die Stellung 
der Batterien seitwärts derselben liegt, niemals in der Lisiere, und 
dafs mit Beginn des Gefechtes und während desselben der Platz des 
Führers auf einem rückwärtigen, Übersicht gewährenden Punkte 
liegt, von wo er das Gesamtbild im Auge behalten kann, ohne sich 
durch Details der Ausführung von der Leitung des Ganzen abziehen 
zu lassen. — 51. 



HI. tfter das Schiefsen 
des Infanteristen im Felde, mit Bezugnahme 
auf die neue Schiefsvorschriffc. 

Vortrag gehalten in der militärischen Gesellschaft zu München 

TOB 

Reisner Freiherrn v. Lichtenstern, 

k. b. Major im 1. Infulerio-ftefiment .König*. 



Die vor Kurzem erschienene Schiefsvorschrift hat wichtige und 
einschneidende Änderungen gebracht. Dieselben beziehen sich meist 
auf das kleinkalibrige Gewehr und sind in der militärischen Litte- 
ratur und politischen Tagespresse schon vielfach eingehend be- 
sprochen und gewürdigt worden. Ich möchte es versuchen, einige 
Punkte der neuen Instruktion zu besprechen, welche bisher weniger 



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mit Bezugnahme auf die neue Schiefsvorechrift. 



39 



beachtet worden sind, obgleich sie einen ausgezeichneten Fortschritt 
unseres militärischen Schiefsens darstellen. Ich meine insbesondere 
die Neufassung der Vorschrift in Bezug auf Anschlagen und 
Zielen. Dieselbe stellt das Ende einer langen Entwicklung dar, 
welche genannte Schützenthätigkeiten in Preufsen und nunmehr in 
Deutschland durchgemacht haben. 

Es dürfte vielleicht nicht unangemessen sein, zuvorderst diese 
Entwicklung des Anschlags und Zielens eingehender zu verfolgen, 
da ihre Besprechung für das Verständnis unseres heutigen Schiefsens 
nicht ohne Nutzen sein mag. Sie reicht bis zur Zeit der Linear- 
taktik zurück. 

Der Freund des Schieishan dwerks ist erstaunt, wenn er zum 
ersten Male ein Gewehr der Infanterie zu Gesicht bekommt, mit 
der Friedrich der Grofse seine Siege erfocht. Der Kolben ist un- 
gewöhnlich kurz und so gerade znm Laufe angesetzt, dafe der Kopf, 
wenigstens ohne besondere Schwierigkeit, sich nicht genügend zu 
ihm herabzubeugen vermag, um ein eigentliches Zielen zu bewerk- 
stelligen. Das Erstaunen des Betrachters wächst aber noch mehr, 
wenn er eine ältere preufsische Muskete, die noch mit einem hölzer- 
nen Ladstocke versehen ist, damit vergleicht. Zwar ist diese be- 
trächtlich länger, als jene mit dem eisernen Ladstocke, aber wie 
vortrefflich läfst sich mit ihr anschlagen und zielen 1 Sie unter- 
scheidet sich eben hierin nicht von den gleichzeitigen Feuerwaffen 
der übrigen Heere. Um sich über diese auffallende Erscheinung 
klar zu werden, empfiehlt es sich, ein preußisches Reglement aus 
jener Zeit zur Hand zu nehmen und zu versuchen, die eigentlichen 
Handgriffe, sowie jene der Chargierung, auszuführen. Bald wird 
man bemerken, wie förderlich der gerade angesetzte, kurze, nach 
der Seite der Kappe hin stark verjüngte, daher sehr handsame 
Kolben für die angestrebte, beziehungsweise strengstens anbefohlene 
»Schönheit«, Genauigkeit und Geschwindigkeit der »Griffe« war. 
Nicht blofs der schwere eiserne Ladstock und die zu seiner Auf- 
nahme bestimmten weiten Führungshülsen, sowie die Einführung 
des Pulverhorns ermöglichten das ungemein rasche Schieten — bis 
zu 5 mal in der Minute — auch die äufeere Gestalt der Gewehre 
hatte gleichem Zweck zu dienen. Das schnelle Schiefsen galt eben 
damals in der preufsischen Infanterie mehr, als die Fähigkeit zu 
treffen. 

Es hatte in jener Zeit zwei Wege gegeben, um das Feuer des 
Fufsvolks zur größtmöglichen Wirksamkeit gelangen zu lassen: den 
des thunlichst genauen oder den des thunlichst raschen Schiefsens. 



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40 



Über das Schiefsen des Infanteristen im Felde, 



Beide Wege zusammen zu beschreiten, indem im selben Kampfe 
bald dem einen, bald dem andern eine gröfsere Wichtigkeit bei- 
gelegt worden wäre, wie es heutzutage der Fall ist, verbot sich von 
selbst durch die Mangelhaftigkeit des Soldatenmaterials und der 
Gewehre. 

Man betrat in Preufsen den Weg der Feuergeschwindigkeit. 
Die ausschliefslich geschlossene Form, in welcher die Truppen 
kämpften, war einer individualisierenden Ausbildung, wie sie zum 
genaueren Schiefsen nötig gewesen wäre, nicht günstig. Das 
Vorherrschen des Drills führte unter Leopold von Dessau natur- 
gemäß zur Geschwindigkeit und exerziermäfsigen Auffassung des 
Schiefsens. Indessen wurde von König Friedrich II. doch auch das 
Zielen, soweit es mit dem damals unvollkommenen Gewohre 
möglich war, keineswegs ganz aufser Acht gelassen. Am 1. Juni 
1745, also 4 Tage vor der Siegessch lacht von Hohenfriedberg, 
befahl der König iu der »Disposition, wie es bei vorgehender Ba- 
taille soll gehalten werden «, »dafs der Soldat beim Chargieren 
recht in's Feuer sehen und gut auf halben Mann anschlage solle, 
damit nicht Pulver und Blei mal a propos verschossen werde, wes- 
halb auch die kommandirenden Offiziere den Mann im Anschlage 
gut und fest, damit er recht fest zielen könne, liegen lassen müssen.« 
Die Flinkheit im Schiefsen war aber das ausschlaggebende Moment 
und sie war auch in der That von vorzüglichem Werte, wenn nur 
dafür gesorgt wurde, dafs durch sie die Truppe nicht aus der Hand 
der Führer käme, und dafa sie entsprechenden Trefferfolg erziele, 
nicht einfach zur Munitionsverschwendung führe. Diese Bedingungen 
wurden erreicht durch die schärfste Ausbildung im wagrechten 
Anschlag und in der Abgabe von Salven. — Durch den wag- 
rechten Anschlag erhielten die Gewehre eine sehr praktische mittlere 
Lage in Bezug auf die jeweilige Stellung des Gegners, welcher sich 
ebenfalls in breiten zusammenhängenden Linien und zumeist auf 
offener Ebene gegenüberbefand. Auch kounte sich der Manu diesen 
Anschlag leicht aneignen, sowie er anderseits von den Vorgesetzten 
durch das Augenmafs genau zu kontrolieren war. Das erste, 
knieende Glied schlug horizontal, die beiden hinteren, stehenden 
Glieder mit etwas gesenkten Mündungen an, alle Gewehre wann 
nach rechts ausgerichtet. Der Kopf senkte sich, soweit es eben 
ging, zum Laufe herab, über welchen hinweg der Schütze nach dem 
Korn und ius Feuer dreiste hinein sehen mufste: »Dann ein Soldat 
wissen mufs, wo er hinschiefset, nemlich nicht in die Luft oder in 
die Erde, worauf die Officiers wohl Achtung haben müssen.« — 



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mit Berugnahuie auf die neue SchiefsTorschrift. 



41 



Und was das ausschließlich angewandte Kommandofener betrifft, so 
war dies nicht blofs ein vorzügliches Mittel zur gröfstmöglichen 
Steigernng der Raschheit Aller im Laden und Schiefsen nach dem 
Willen des Vorgesetzten, sondern ermöglichte auch, das Schiefsen 
jeden Augenblick einstellen und die Truppe zu einer anderen 
Thätigkeit übergehen zu lassen. 

Die Salve gewährte indessen noch andere grofse Vorteile. Kein 
Mann behinderte in Reih' und Glied bei Abgabe des Feuers den 
anderen, das Schufsfeld war jeweils frei von Rauch, jeder Soldat 
wurde schon dadurch auf die exakteste Weise kontroliert, dafs die 
ganze Abteilung wie ein Mann zu handeln hatte, keiner bei irgend 
einem Tempo »herausfallen« durfte. Das gewohnte, zu allen 
Tempos scharf abgegebene Kommandowort erleichterte wesentlich 
den richtigen Vollzug der Vorschriften. Denn darin li«'gt ja der 
zu allen Zeiten und in jeder Gefechtsform sich äufeernde merk- 
würdig gute Trefferfolg der Salve, dafs dem Manne bei jedem 
Schusse durch das bestimmte Kommaudo der Wille des Komman- 
dierenden formlich aufgedrungen wird: Der Schütze wird z. B. auf 
das immer wiederkehrende »Legt an!« gewöhn heitsgemäfs jedes- 
mal heiläufig in der befohleneu Richtung anschlagen, er wird nach 
dem Anschlage nicht gleich losdrücken, wozu er in der Aufregung 
des Kampfes allerdings die Neigung hat, sondern gezwungen sein, 
abzuwarten, bis das Kommando hierzu erfolgt, und wird die zwischen 
Anschlagen und Abziehen entstehende Pause voraussichtlich durch 
Zielen ausfüllen u. dergl. m. Der Wert der Salve beruht also 
vorzüglich auf der Möglichkeit durchgreifender Einflufsnahme des 
Vorgesetzten auf die Schiefsthütigkeit der Mannschaft. 

Wenn es erlaubt ist, beim Schiefsen die Begriffe Exerzier- 
disziplin und Feuerdisziplin einander gegenüber zu stellen, so möchte 
ich sagen, dafs beim Kommandofeuer mehr die Exerzierdisziplin, 
beim Schtttzenfeuer aber mehr die Feuerdisziplin zum Ausdruck 
zu gelangen habe. Die Exerzierdisziplin ist aber sicherer zu hand- 
haben, als die Feuerdisziplin, weil ihr kräftigere und durchgreifendere 
Mittel zu Gebote stehen. Es ist daher leichter, mit Salven eine 
gute Wirkung zu erzielen, als mit Schützeufeuer. Hingegen pflegt 
die Wirkung des Schützenfeuers jene des Kommandofeuers zu über- 
treffen, wenn es von wirklich guten Schützen abgegeben wird, 
da dabei Jeder nach seiner Individualität und überhaupt mehr nach 
seinem Belieben schiefsen kann. Unsere Schiefsvorschrift stellt also 
sehr hohe Anforderungen an uns, indem sie, abgesehen von 
sonstigen Verhältnissen, die heutzutage zur vorzugsweisen Anwendung 



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Über du Schieten de» Infanteristen im Felde, 



des Schützenfeuers führen, demselben auch die »Wahrscheinlichkeit 
größerer Treffwirkung« zuspricht. 

Um auf die preufsische Feuertaktik in den schlesischen Kriegen 
zurückzukommen, so war ihr Erfolg bekanntlich ein ungeheurer. 
Schnelligkeit des Schiefsens und horizontaler Anschlag, basierend 
auf Drill und Kommandofeuer hatten ihn hervorgebracht. — 

Die kommenden franzosischen Kriege brachten natürlich wesent- 
liche Veränderungen in der Schiefeweise des preufsi sehen Fufevolkes 
hervor. Ich brauche nur daran zu erinnern, dafe man sich nunmehr 
in jedem Gelände schlug, wo immer man sich traf, dafs das Vor- 
bereitnngsfener durch Plänklerlinien gefuhrt wurde, und dafs die 
einzelnen Bataillone eine bisher nicht gekannte Selbstständigkeit 
und Beweglichkeit gewannen, um sofort die Richtung zu kenn- 
zeichnen, in der sich oben erwähnte Veränderungen vollzogen. 
Geschwindigkeit im Schiefsen mutete doch wenigstens im Prinzipe 
gröfserer Genauigkeit weichen, die Salve konnte nicht mehr allein 
das Feld behaupten, es trat das sogenannte Bataillenfeuer an ihre 
Seite und bezüglich des Feuers der Schützenlinien sagt das Regle- 
ment vom Jahre 1812, »dafs es für diese überhaupt keine bestimmte 
Ghargirungs-Art gebe, sondern dafs jeder Einzelne schiefsen solle, 
wenn er glaube, durch seinen Schufs etwas bewirken zu können.« 

Kommandofeuer und Raschheit des Schiefeens waren also nun- 
mehr eingeschränkt beziehungsweise vermindert worden. Nicht so 
aber der horizontale Anschlag. Die besondere Vorliebe, die dem- 
selben entgegengebracht wurde, beruhte, wie schon ausgeführt, teils 
darauf, dafs er den Hoch- und auch den Kurzschufe zu mindern 
geeignet erschien, wohl hauptsächlich aber darauf, dafs er, gleich 
einem gewöhnlichen Handgriff, besonders rasch und stramm aus- 
geführt werden konnte. Allerdings war genaues Schiefsen wichtiger, 
als schnelles geworden, und hatte ein exerziermäfsiger Drill des 
Anschlagens schon damals keinen rechten Sinn mehr. Aber man 
übersehe nicht, dafe gerade diese Art des Drills eine der Grundlagen 
war, auf welchen die Ruhmesthaten der preufeischen Armee be- 
ruhten, sowie dafe sie es war, welcher derselben, gegenüber anderen 
Armeen, ein besonders charakteristisches Aussehen verlieh. Es er- 
scheint daher wohl begreiflich, dafs sich der horizontale Anschlag, 
als eine Aufserung des strammen Drills, auch dann noch erhielt, 
als er schon nicht mehr in die Übrige Ausführung des Schiefsens 
pafete. Freilich waren auch kaum die Voraussetzungen in ge- 
nügendem Grade vorhanden, um einen individuelleren Anschlag 
ausführen lassen zu können. Zwar hatten die mit Büchsen 



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mit Berognahme auf die neue Schiehvorschrift. 43 

bewaffneten preußischen Schützen schon zu Ende des vorigen 
Jahrhunderts jedes Jahr eine vierzehntägige Übung im Scheiben» 
schieisen durchzumachen und schofe sogar die gesamte, nunmehr 
mit zum richtigen Schiefsen geeigneteren Gewehren ausgerüstete 
Infanterie vom Jahre 1808 an den Sommer über auf die Scheibe, 
allein man darf wohl annehmen, dafs die Resultate dieser Übungen 
erst nach Verlauf einer längeren Zeit zu Tage traten. Auch war 
im preufsischen Volke — im Gegensatze zu anderen deutschen 
Ländern, wie z. B. Bayern,*) Österreich, Hessen — eine Fertigkeit 
des Schieisens nur in sehr geringem Grade verbreitet, daher man 
in der Armee umsomehr veranlafst war, durch exerziermäfeige 
Fertigkeit diese Lücke auszufüllen. 

Der horizontale Anschlag hielt sich aber sehr lange un ge- 
schwächt in den Vorschriften, nämlich bis in die Mitte unseres 
Jahrhunderts, und auch heute noch hat er, obgleich er seit nun 
etwa 100 Jahren veraltet ist, noch nicht alle Anhänger verloren! 
Er ist veraltet, seitdem die Coupiertheit des Geländes kein Hindernis 
mehr ist, sich darin zu schlagen, die Ziele sich daher in jeder 
beliebigen Höhenlage zum Schützen zu befinden pflegen. Denn 
seit dieser Zeit ist zwischen wagrechtem Anschlag und Zielerfassen 
eine vollständige Zweiteilung entstanden, die früher in dem Grade 
nicht bestand, als sich die Gegner auf offener Ebene in beiläufig 
gleicher Höhe gegenüber standen. In den französischen Kriegen 
hatte der Soldat zuerst stramm horizontal anzuschlagen, dann sollte 
er mit der Visierlinie das im Gelände mehr oder weniger geborgene 
Objekt aufsuchen, um es zu fassen. Durch solch' schwierige Schiefs- 
methode aber war das Zielen, welches im Felde ohnehin den gröfsten 
Schwierigkeiten unterworfen zu sein pflegt, fast zur Unmöglichkeit 
gemacht worden. 

Für die trotz alledem treu gebliebenen Anhänger gedachten 
Anschlags aber noch ein paar Worte. Was heilst denn eigentlich 
horizontaler Anschlag des Gewehres? Das kann doch nur horizon- 
tale Lage der Visierlinie heifsen! Daher wäre er blofe in Anwendung 
des niederen Standvisiers leicht und schnell auszufuhren, bei höheren 
Visieren aber, deren Gebrauch heutzutage die Regel bildet, gehörte 
schon eine bedeutende Übung dazu, um unter wechselnden Ele- 
vationen des Gewehrlaufes den Kolben jeweils so richtig an der 

*) In bergigen und waldigen Gegenden wurde die Kunst des Schiefsens be- 
sonders gepflegt. So besafsen schon i. J. 1507 von den 6428 wehrpflichtigen 
Bewohnern des bayerisch -böhmischen Waldes (Mittelgebirge nördlich der Donau 
zur böhmischen Grenxe) 1442 Büchsen und 1662 Stahlarmbruste. 



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44 



Über das Schiefsen des Infanteristen im Felde, 



Schulter anzusetzen, dafs die Visierlinie eine wagrechte Lage er- 
hielte. Daher böte ein wagrechter Anschlag jetzt nicht einmal 
mehr den Vorteil einer besonderen Einfachheit dar. Und noch 
eins. Die im Kampfe natürliche grofse Anspannung der Nerven 
wurde stets noch mehr erhöht durch ein sehr rasches und ins- 
besondere tempomäfsiges Erheben und Einsetzen des Gewehres in 
die Schulter, wie es beim horizontalen Anschlage von jeher ge- 
bräuchlich war. Reifsen am Abzüge ohne Zielen mufste die fast 
unvermeidliche Folge gewesen sein. Dafs aber dergestalt zu schiefseu 
für unsere heutigen sehr weiten Entfernungen und sehr schwierig 
7.u nehmenden Ziele unzweckraäfsig wäre, dürfte wohl zugegeben 
werden. 

Ich habe bisher nur vom Anschlagen und Zielen gesprochen, 
es erübrigt nur, noch die dritte, der Bedeutung nach aber keines- 
wegs letzte Schützenhau dlung, nämlich das Abziehen, wenn auch 
nur flüchtig, zu erwähnen. Dasselbe hatte zur Zeit der Lineartaktik, 
unter der Herrschaft des Schnell- und Kommandofeuers, rifsähnlich 
zu geschehen, in den napoleonischen Kriegeu sollte »der Hahn 
ruhig abgezogen weiden« und im Jahre 1842 wurde sogar ange- 
ordnet, dafs das Kommando »Feuer!« gedehnt abzugeben sei, »damit 
an dem Abzüge nicht gerissen werde«. Man sieht, die Vorschriften 
über das Abziehen schlugen ein rascheres Tempo im Sinne des 
Fortschrittes ein, als jene über deu Anschlag, ja, die Anordnung 
vom Jahre 1842 darf sogar als etwas zu weit gehend bezeichnet 
werden. 



Von der Mitte unseres Jahrhunderts an war der Anschlag 
nach den preufsischen beziehungsweise deutschen Vorschriften in 
eine Art Übergangsstadium eingetreten. Von grundsätzlich wag- 
rechtem Anschlage war nun allerdings keine Rede mehr; wo aber 
die Visierlinie während des Anschlagens hingerichtet werden sollte, 
genau in welcher Lage also das Gewehr in dem Augenblick zu 
stehen hätte, wo der Kolben an der Schulter eintraf, wurde lange 
Zeit hindurch gar nicht gesagt. Später wurde allerdings eine Be- 
stimmung hierüber getroffen, zugleich aber eine für den Ernstfall 
wohl zu umständliche Schiefsmethode angeordnet. Denn — man 
erlaube mir die Frage — ist es gut denkbar, dafs der Soldat im 
Kampfe, wie es Vorschrift war, das Gewehr beim Anschlagen zu- 
nächst etwa einen halben Meter unter den Haltepunkt richte und 
es dann erst gegen den letzteren selbst hebe? Im Kriege gilt nur 
das Einfache, sagt der Taktiker; sollte das nicht auch für den 



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mit Beiugnahme auf die neue Schiefsvorecbrift 



45 



Schützen wahr sein, der angesichts des Todes mitten im Streite 
steht? Nein, solche Art zu schiefsen hat nur ihre vollste Be- 
rechtigung für die Vorschule, die anfängliche Ausbildung, ins- 
besondere dann, wenn mau mit dem Heben des Gewehres zugleich 
das Abkrümmen verbindet, da hierdurch Mucken und Reifsen wirk- 
samst beseitigt wird, — für den Ernstfall und dessen Ersatz aber, 
das gefechtsmäfsige Schiefsen, palst sie nicht. Im Gegensatze zu 
solcher Art stehend zu schiefsen, war für das Knieen und Liegen, 
wo Oberkörper und Arme ziemlich unbeweglich sind, vorgeschrieben, 
da£s das Gewehr schon beim Hereinziehen des Kolbens in die Schulter 
möglichst genau auf den Haltepunkt seihst zu richten .sei; an der 
Richtung des, in der Schulter einmal feststehenden, Gewehres 
durften dann nur mehr ganz geringe Verbesserungen nötig sein. 
Da jedoch der Anschlag stehend vorschriftsmäßig die Grundlage 
für das gesamte Schiefsen bildet, so nahm seine wenig kriegsmäfsige 
Art zugleich auf die anderen Anschlagsarten einen ungünstigen 
Einflufs. Möglichst genauem Erfassen des Haltepunktes schon durch 
den Anschlag allein wurde daher auch bei ihnen durchgängig nicht 
die gebührende Wichtigkeit beigelegt. 



Das gedachte Übergangsstadium seit der Mitte unseres Jahr- 
hunderts fand nun einen ausgezeichneten Abschluß* in der kürzlich 
erschienenen Schiefs Vorschrift, welche bezüglich des Anschlagens und 
Zielens sagt: »Bei dem Anschlag stehend freihändig ist wie in 
allen anderen Anschlagsarten anzustreben, dem Gewehr sogleich die 
. ungefähre Richtung auf den Haltepunkt zu geben und sofort mit 
dem eigentlichen Zielen zu beginnend Ein Nachsatz, der auch das 
Heben des Gewehres zum Haltepunkt mit gleichzeitigem Ab- 
krümmen gestattet, ist lediglich als Lehrmittel aufzufassen, was 
schon daraus hervorgeht, dafs er im Exerzier- Reglement nicht auf- 
genommen ist. 

Nunmehr ist der Wichtigkeit feldmäfsigen Anschlagens wieder 
volle Rechnung getragen, jetzt ist man in der Lage, dem Schützen 
genau sagen zu können, worauf er denn beim Anschlagen sein 
Hauptaugenmerk zu richten habe: Nämlich darauf, dafs schon in 
dem Augenblicke, wo der Anschlag vollendet ist, d. h. wo der 
Kolben an der Schulter eintrifft, die Visierlinie möglichst scharf auf 
das Objekt selbst gerichtet sei, so dafs das eigentliche Zielen, 
welches unmittelbar darauf zu folgen hat, wesentlich erleichtert 
werde. Dieses eigentliche Zielen aber hat darin zu bestehen, dafs 



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46 



Ober das Schieben des Infanteristen im Felde, 



der Schütze die Visierlinie ganz genau in die Richtung anf das 
Ziel einstellt. 

Ich mochte den nun vorgeschriebenen Anschlag einen »ziel- 
gerechten« nennen und zwar um deswillen, weil dabei die Visier- 
linie unmittelbar auf das Ziel selbst gerichtet wird, auf welches 
aus natürlichen, psychischen Gründen auch das Auge geheftet ist. 
Diese einfachste und natürlichste Art anzuschlagen, erscheint als 
ein Ergebnis unseres nunmehr beständigen Fortschreitens nach der 
Seite des Kriegsmäfsigen hin und steht in vollem Einklang mit 
unseren übrigen ausgezeichneten Vorschriften. Und wahrhaft feld- 
mäfsig ist dieser Anschlag in der That! Gewinnt doch der Schütze 
im Einzelkampfe durch ihn entschiedene Überlegenheit über einen 
Gegner, welcher es nicht versteht, schon beim Anschlagen die Visier- 
linie auf das Ziel selbst zu bringen. Dieser Gegner wird, bis sein 
gezielter Schufs fällt, voraussichtlich länger, als jener Schütze 
brauchen, weil bei ihm das Iueinandergehen von Anschlagen und 
Zielen ein umständlicheres, längerdauerndes sein wird. Beim Feuern 
einer Abteilung aber kommt der zielgerechte Anschlag zu ganz 
besonderer Bedeutung. Denn in der furchtbaren Erregung des 
Schiefsens inmitten einer Masse gegen eine Masse ist es den Leuten 
oftmals nicht möglich, die feinere Arbeit des eigentlichen Zielens 
auszuführen. Es fehlt ihnen dann hierzu, wie leicht begreiflich, 
die nötige Ruhe, das ungetrübte Auge, ■die sichere Hand! In diese 
Lücke des Schiefsens wird nun in ganz besonders günstiger Weise 
der zielgerechte Anschlag eintreten, da schon durch ihn allein ziem- 
lich geschlossene Geschofsgarben und daher gute Treffresultate 
erreicht werden köunen. 

Namhafte Schriftsteller besonders des Auslandes gehen indessen 
noch weiter und stellen die Behauptung auf, es sei iu Anbetracht 
der inneren Erregung der Schützen im Gefechte, welche erfahrungs- 
getnäfs zu rascheu Handlungen führe, nur ein wurf artiger An- 
schlag auszubilden. Durch denselben soll das Gewehr in raschem 
Zuge in die Richtung des Zieles gebracht werden; eine langsamere 
und sorgfältigere Art anzuschlagen, oder gar ein eigentliches 
Visieren, seien wertlose, weil im Ernstfalle nicht auszuführende 
Künsteleien. 

Dieser Ansicht darf vor allem der Vorwurf einer gewissen 
Einseitigkeit gemacht werden. Denn die Art und Weise des 
Schiefsens im Felde ist doch nicht bei allen Gelegenheiten die 
gleiche! Im sogenanut kleinen Kriege, aber auch im grofsen Ge- 
fechte auf weitere Entfernungen u. s. w. wird z. B. gewifs ruhiger 



■ 

mit Bezugnahme auf die neue Scbiefavorschrift. 



47 



nnd genauer geschossen werden können, als etwa mitten im Brenn- 
punkte einer Schlacht. Und dann ist bei Anwendung des Wurf- 
schusses, selbst von Seiten einer Abteilung, irgend ein Treffergebnis 
nur bei niederen Visieren anzunehmen. Bei höhereu Visieren aber 
könnten mit einem sehr raschen, wurfartigen Anschlage, wegen der 
durch sie bedingten verschiedenartigen Haltung des Kopfes, sowie 
wegen des wechselnden Ansetzens des Kolbens an der Schulter, 
die Visierlinien nicht einmal mehr ungefähr auf das Ziel gebracht 
werden. 

Daran müssen wir festhalten, dafs überall da, wo sorgfaltige 
Ausbildung vorausgegangen ist und scharfe Disziplin besteht, wo 
die Führer es verstehen, in energischer Feuerleitung ihre Persön- 
lichkeit geltend zu machen, je nach den Umstanden, ein mehr oder 
minder präzises Schieben wird erwartet werden dürfen. In der 
höchsten Hitze des Kampfes mag allerdings im Allgemeinen ein 
Wurfschufs herauskommen, der deshalb aber noch nicht den Typus 
für das gesamte militärische Schiefsen abzugeben braucht. Gerade 
in der deutschen Armee hat man sicher keiuen Grund, einem wurf- 
ähnlichen Anschlag ohne Zielen zu huldigen, wir thun vielmehr 
sicher gut daran, die L bei unserem Volke sich besonderer Vorliebe 
und vielfaltiger Übung erfreuende Fertigkeit genauen Schiefsens 
militärisch möglichst zu verwerten. Auch stünde eine durch einen 
wurfartigen Anschlag bedingte Schießausbildung mit unserer ganzen 
übrigen sorgfaltigen Einzelausbildung im direktesten Gegensatze. 

Allerdings dürfen wir uns nicht verhehlen, dafs die Ausbildung 
im Frieden eine sehr feste Grundlage schaffen mufc, damit auch 
unter den gewaltigen Eindrücken des Kampfes verhältnismäfsig 
ruhig und sicher geschossen werden könne. Was insbesondere den 
Anschlag anbetrifft, der mir der wichtigste Teil des Schiefsens im 
Gefechte zu sein scheint, so müssen die Hände in den drei 
Stellungsarten lernen, die Visierlinie völlig gewohnheitsgemäfs 
in die Linie Auge — Ziel zu schieben. Man kann sich vielleicht 
den Jagdschützen anschliefsen*) und sich kurz so ausdrücken: 
»Hände und Auge müssen zusammengehen.« — Ebenso wie zur 
Zeit der Lineartaktik unablässige Übungen die Gewohnheit horizon- 
talen Anschlagens hervorbrachten, so dafs dasselbe auch unter den 
schwierigsten Verhältnissen ausgeführt wurde, ebenso mufs nun 
rationelles und konsequentes Üben ein allerdings schwierigeres, 



*) Die churfurstl. bayrische Verordnung v. J. 1754 sagt auf S. 29: . . . „Das 
ist: Es wird angeschlagen und geiiehlet, wie es die Jager machen.» 



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48 



Über das Schieben des Infanteristen im Felde, 



weil individuelleres, Anschlugen auf das Ziel für alle Fälle des 
Ernstfalles sicher stellen. 

Wenu wir den Drill so definieren — wie es wohl zutreffend 
sein dürfte — dafs er die konsequente Übung einer Handlung dar- 
stellt, welche darauf abzielt, letztere aus einer Willenshandluug in 
eine automatische zu verwandeln, so müssen wir zugestehen, 
dafs auch der zielgerechte Anschlag drillinäfsig zu üben sei. Doch 
erscheint der Drill zum zielgerechten Anschlag als ein so zu sagen 
höherer, wie jener zum horizontalen Anschlag, weil bei ihm der 
Intellekt mehr in Anspruch genommen wird, als bei letzterem, wo 
das gleichförmige, exerziermäfeige Moment das vorherrschende ist — 

Ks ist vielleicht nicht ohne Interesse, die auf Anschlagen und 
Zielen bezüglichen Vorschriften der ebenfalls neu erschienenen 
österreichischen und französischen Reglements kurz anzu- 
führen. Der österreichische Schütze bringt »das Gewehr mit etwas 
gesenkter Mündung rasch in den Anschlag . . . und zielt, indem 
er dasselbe mit der linken Haud gegen den Zielpunkt hebt.« Der 
französische Soldat schlägt ebenso an, nur hat er den Blick von 
Hause aus auf den Zielpunkt selbst gerichtet, so dafs sich im An- 
schlage die Visierlinie unter der Linie Auge — Zielpunkt befindet. 
Die französische Vorschrift stimmt sonach mit der Schiefsart überein, 
welche die englische Infanterie vor drei Jahren noch angewandt 
hatte, seit dieser Zeit aber aufgegeben hat, indem sie nun, gleich- 
wie jetzt die deutsche, schon beim Anschlagen mit der Visierlinie 
direkt auf das Ziel geht. Die österreichische Art dürfte geeigneter 
für genaues Scheibeuschiefsen, die französische aber, weil bei ihr der 
Blick stets auf das Ziel gerichtet ist, passender für den Ernstfall 
sein. Während das österreichische Reglement grundsätzlich auf ein 
rasches Anschlagen und Zielen sieht, ordnet das französische nur 
ein möglichst rasches Anschlagen au, das Zielen hingegen soll 
langsam geschehen. Es sagt nämlich: »Der Mann soll so schnell 
als möglich laden und anschlagen, um die nötige Zeit zum guten 
Zielen zu gewinnen.« Diese Bestimmung scheint mir aber die 
Nerven der Schützen zu wenig zu berücksichtigen, denn, dessen bin 
ich überzeugt, wer im Kampfe rasch anschlägt, wird, wenn über- 
haupt auch rasch zielen. Infolge der deutschen Vorschrift entsteht 
hingegen ein viel naturgemäfseres Verfahren: Durch das Bestreben 
nämlich, die Visierlinie schon im Anschlage möglichst genau 
auf das Ziel zu bringen, wird der Anschlag etwas langsamer, 
das eigentliche Visieren aber, wie begreiflich, schnell ausgeführt 
werden. 



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mit Bezugnahme auf die neue Schiefcvorechrift. 



49 



Unsere Art zu schiefsen dürfte allen Anforderungen entsprechen, 
welche an ein kriegsinäfsiges Verfahren gestellt werden können. 
Namentlich wird sich auch das förmlich automatische An- 
schlagen in der Richtung des Blickes gegen den so verderblichen 
Hochschufs als sehr wirkungsvoll erweisen. Es giebt erfahrungs- 
gemäß im Gefechte einen Hochschuis geringeren und einen solchen 
bedeutenderen Grades. Der geringeren Grades entsteht dadurch, 
dafs der Schütze das Korn zu voll ansieht, oder dadurch, dafs er 
nur über das Korn zielt, indem er den Kopf nicht genügend zum 
Visier herabbeugt. Wohl auch seinetwegen ist die Kimme des neuen 
Gewehres erweitert worden, wodurch man das Korn besser sehen 
kann, und vor allem tritt ihm die Schiefsvorschrift wirksam ent- 
gegen, wenn sie jetzt bestimmt, dafs man im Abteilungsfeuer auf 
allen Entfernungen die Ziele aufsitzen zu lassen habe. Während der 
geringere Hochschufs über die Abteilungen, die beschossen werden 
sollen, hinweggeht und die rückwärtigen Gefechtskörper zu bedrohen 
pflegt, verlieren sich die bedeutenderen Hochschüsse mehr oder 
weniger wirkungslos in dem hinter den Kämpfenden liegenden 
Räume. Sie kommen häufiger vor, als mau gewöhnlich annimmt, 
ja sie pflegen bei nicht genügend disziplinierten und ausgebildeten 
Truppen in äufserst bedenklicher Anzahl aufzutreten. 

Die Klagen über diese Erscheinung gehen bis ins 16. Jahr- 
hundert zurück. Dieselbe wird in der Regel einfach als die Folge 
liederlichen Schiefsens aufgefafst. Dem ist aber nicht so, ihre Ur- 
sachen stecken vielmehr in der Regel tiefer. Der Schütze wird 
durch den Kampf, zumal den in der Masse, ungeheuer aufgeregt, 
seine Nerven verlangen nach Muskelthätigkeit, er ist von dem 
Triebe nach Gegenwirkung beherrscht. Besitzt er nun nicht ge- 
nügend Selbstüberwindung, oder vermögen ihm seine Vorgesetzten 
nicht den nötigen Halt zu geben, so werden alle seine Bewegungen 
hastig, unzweckmäfsig, ja er verliert, wie man gewöhnlich sagt, den 
Kopf. In dieser Verfassung ist es ihm nur noch darum zu thun, zu 
schiefsen, zu knallen, an einen wirklichen Erfolg denkt er nicht mehr. Er 
erhebt — und das gilt für alle A Uschlagsarten — das Gewehr zum 
Anschlage, — soweit reicht seine Gewöhnung, — aber nicht bis zur 
Schulter, ferner streckt er den linken Unterarm nicht nach vor- 
wärts aus, sondern stellt ihn gerade in die Höhe und reifst ab. 

Auf solche Weise giebt er mit einer Art von Anschlag einen 
möglichst raschen Schufs unter gröfster Schonung seiner Kräfte ab. 
Und Schonuug der Kräfte ist unter solchen Umständen nur zu be- 
greiflich! Denn man kann sich wohl denken, dafs das arme Gehirn 

Jahrbücher für die Pcit.cl.e Armee und Marine. Bt I N XVI, 1. 4 



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50 



Über das Schiefoeu des Infanteristen im Felde, 



sehr darunter leiden ruüfete, wenn der Kopf bei langem nnd über- 
eiltem Schiefsen immer am Kolben wäre, und auch die Arme könnten 
bei überhastetem Schieben, zumal wenn der Schütze durch voraus- 
gegangene Strapazen und Entbehrungen an Kräften sehr eingebüfst 
hat, einfach den Dienst versagen. Übrigens braucht dien nicht ein- 
mal so weit zu kommen, der Körper pflegt sich schon instinktiv vor 
Insulten und Überanstrengungen möglichst zu bewahren. 

Der Hochschufs bedeutenderen Grades ist also hauptsachlich als 
eine Folge geschwächter physischer und körperlicher Kraft anzu- 
sehen. 

Aus diesen Auseinandersetzungen ergiebt sich wohl, wie nütz- 
lich es sich erweisen inufs, wenn es dem Manne durch sorgfaltige 
und beständige Übungen förmlich in Fleisch und Blut übergegangen 
ist, beim Anschlagen seiner Waffe stets die Richtung auf das Ziel 
zu geben. Es dürfte aber auch daraus hervorgehen, welche Wichtig- 
keit man im Gefechte einem ruhigen, die physischen und körper- 
lichen Kräfte des Schützen thunlichst schonenden Schiefsen zuerkennen 
müsse. Damit wäre ich wieder bei der Frage der Feuergesch windig- 
keit angelangt. 

Als die Preufeen in den 40 er Jahren von allen Armeen zuerst 
ein Hinterladungsgewehr einführten, folgteu sie der Friedericianischen 
Tradition der Überlegenheit eines schnellen Feuers. Aber im Gegen- 
satze zur Zeit der Lineartaktik hatten sie mit dem Zündnadelgewehr 
gegenüber der Bewaffnung anderer Armeen den Vorteil gewonnen, 
trotz gröfserer Raschheit, an Genauigkeit des Schiefsens nicht nach- 
zustehen. Heute sind wieder alle Infanterien mit etwa gleich- 
wertigen Feuerwaffen ausgerüstet, und abermals liegt es der Aus- 
bildung ob, das Übergewicht über den Gegner zu erringen. Die- 
selbe kann sich aber nicht mehr einseitig auf irgendeine Feuerart 
beschränken, sie mufs sich vielmehr auf das gesamte Gebiet des 
Schiefeens erstrecken, will sie anders die Konkurrenz mit den übrigen 
Heeren bestehen. Sie nimmt eben immer mehr an Ausdehnung und 
Schwierigkeit zu. 

Allerdings erscheint eine Frage, die seit der Einführung der 
Hinterlader grofse Besorgnisse erweckte, neuesteus, trotz des ver- 
vollkommneten Lademechanismus an Bedeutung eher ab-, als zuzu- 
nehmen, ich meine die Frage des Haushaltens mit der Muni- 
tion. Der Infanterist wird ja jetzt sehr reichlich mit Patronen 
versehen, und sind für den Muuitionsersatz sehr zweckmäfsige Ein- 
richtungen getroffen. Aber dafür besteht eine andere Sorge un- 
vermindert fort, nämlich die um die physische und körperliche 



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mit Bezugnahme auf die neue 8chiefsvorechrift. 



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Leistungsfähigkeit des Schützen. Derselbe ist aus Gründen, die 
ich bereit« bei Besprechung des Hochschusses erwähnt habe, trotz 
leichteren Gewehrs und geringeren Rückstofses nicht im Stande, die 
Raschheit seiues Schuellladers und die grosse Menge seiner Patronen 
nach Belieben zu verwerten. Dazu reichten seine Kräfte keineswegs 
aus! Abgesehen von entstehenden körperlichen Übelständen, miifste 
sich bei andauernd schnellen Schiefshantierungen, die ohnehin im 
Gefechte vorhandene grofse Aufregung ins Aufserordentliche steigern. 
Es würde sich ein Schiefsen ergeben, das stofs weise, also mit 
zwischenliegenden Pausen nach je mehreren Schüssen, erfolgte, bei 
dem somit der so nötige Zusammenhang verloren ginge. Dafs 
darunter auch die Güte des Anschlags sehr leiden müfste, versteht 
sich von selbst. Hier entgegen zu wirken, ist ohne Zweifel heute 
eine der Hauptaufgaben der Schiefsausbildung und der Fenerleitung. 
Zu diesem Behufe haben wir vor allem, wie das Reglement sich 
ausdrückt, >den Schützen so zu erziehen, dafs er der Regel nach 
den Erfolg nicht im schnellen, sondern im wohlgezielten Schiefsen 
suche.« Und als eines der Mittel dieser Erziehung wird an- 
gegeben, dafs der Schütze in der Regel mit seinem Nebenmanne im 
Schiefsen abwechseln solle; auf den Ernstfall jedoch bezieht sich 
dieses wechselweise Schiefsen aus naheliegenden Gründen nicht. 

Aber wir wollen nicht nur langsam schiefsen, wir wollen auch 
möglichsten Nutzen aus unserm schnellladenden Gewehre ziehen. 
Und in dieser Beziehung bestimmt die Schiefsvorschrift, dafs 
schnelles und gewandtes Anschlagen und Zielerfassen unablässig zu 
üben seien, damit, wie das Exerzier- Reglement sagt, ^der Schütze 
auch im Stande sei, aus jeder Körperlage einen einzelnen Schufs, 
wie mehrere Schüsse hintereinander schnell und mit Sicherheit 
abzugeben.« Es hat also ein angemessener Wechsel im Tempo des 
Schiefsens einzutreten, das Feuer soll anwachsen und nachlassen, je 
nach den Umständen. Dasselbe kann als Salve, oder, was nach den 
heutigen Verhältnissen die Regel ist, als Schützenfeuer abgegeben 
werden; letzteres kann langsam, lebhaft und schnell sein. 

Die die Lebhaftigkeit des Feuers bestimmenden Ursachen 
liegen vorschriftsgemäfs im Gefechtszweck, der Beschaffenheit des 
Ziels und der vorhandenen Munition. 

Im Geiste des Schütze nfeuers ist es, dafs die Führer nicht 
grundsätzlich auf das langsamere oder lebhaftere Schiefsen einwirken 
dürfen. Das Kommando lautet reglementär einfach: »Schützen- 
fener!« und das Tempo mufs sich in der Regel von selbst ergeben. 
Zeigen sich z. B. verhältnismäfsig leicht zu beschiefsende Objekte, 

4' 



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Über das Schiefsen des Infanteristen im Felde, 



so werden die Schützen eben mit Anschlagen und Zielen früher 
fertig, als wenn jene schwieriger zu fassen wären. Das ganze 
Schiefsen erhält dann an und für sich einen lebhafteren Charakter. 
Erheischen aber taktische oder andere, dem Verständnis des Mannes 
weniger zugängliche, Verhältnisse einen Tempowechsel, so werden 
denselben wohl in den meisten Fällen die Vorgesetzten zu veranlassen 
haben, indem sie je nach Bedarf »Lebhafter« oder »Langsamer 
feuern« kommandieren. 

Das Schützenfeuer kann auch ein Schnellfeuer sein, d. h. 
ein Feuer so rasch abgegeben, als es der Mechanismus des Gewehrs 
und die Schiefsfertigkeit des Mannes zulassen. Beim Schnellfeuer 
ist heute noch, wie zu jeder Zeit, der moralische Effekt bedeutender, 
als der materielle. Auch das Reglement sagt in diesem Betreff: 
Je mehr die Feuerwirkung der Zeit und dem Ziele nach zusammen- 
gedrängt wird, desto gröfser ist ihr moralischer Eindruck auf den 
Gegner. Aber nicht blofs der Beschossene wird durch das Schnell- 
feuer erschüttert, die Schützen selbst verbrauchen bei dem heutigen 
rapiden Feuer ihre Kräfte in hohem Grade. Schon aus diesem 
Grunde ist das Schnellfeuer nur in wenigen Gefechtsmomenten und 
dann blofs auf möglichst kurze Zeit abzugeben. 

Am Ende meiner Ausführungen sei es erlaubt, noch ein paar 
Worte über das Schiefsen der Offiziere und älteren Unteroffiziere 
im Felde, also über das Schiefsen mit dein Revolver, zu sagen. 
Ich weifs wohl, dafs diesbezügliche andauernde Übungen dem nur 
geringen Werte nicht entsprechen würden, den man dem Revolver- 
schiefsen beizumessen pflegt, darf aber vielleicht doch erwähnen, 
welche Art mir als die kriegsgemäfseste erscheint. Es ist jene ori- 
ginelle Methode, welche die berühmtesten Revolverschützen der 
Welt, die amerikanischen Hirten (Cow-Boys), gegen Menschen und 
Wild anzuwenden pflegen. Sie deuten nämlich einfach mit dem 
Laufe auf das Objekt und drücken dann sofort ab, ohne noch ein 
eigentliches Zielen vorzunehmen. Vielp nnter ihnen weuden über- 
dies eine besonders sinnreiche Art an, indem sie mit dem Zeige- 
finger auf das Ziel deuten, den sie zu diesem Behufe längs des 
Schlofskastens ausstrecken, um dann sogleich mit dem Mittelfinger 
abzudrücken.* In Wahrheit müssen natürlich auch sie mit dem 
Laufe deuten, weil ja dieser und der ausgestreckte Zeigefinger nicht 
gleichlaufend sind. Da es dem Menschen aber am geläufigsten und 
daher auch am leichtesten ist, ein genaues Deuten mit dein Zeige- 
finger zu bewerkstelligen, so benützt der Oow-Boy diese nntürliche 
Anlage zu seiner Art zu schiefsen: Durch häufige Übung findet 



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mit Bezugnahme auf die neue Schiefsvorschrift. 



nämlich eine Übertragung des Deutens vom Zeigefinger auf den 
Lauf statt, ohne dafe der Schutze sich dessen wohl stets bewufst 
wäre. Die Cow-Boys schlagen selbstverständlich von jeder Lage des 
Unterarms aus au, ziehen es aber vor, wenn derselbe nach aufwärts 
steht, denn die Hand braucht dann nur, auf das Ziel deutend, nach 
abwärts zu fallen, wodurch schnellstes SchieXsen entsteht. Hier 
kommt also das mehrfach erwähnte gewohnheitsmäßig sichere 
Zusammengehen von Auge und Hand zum vollendetsten Ausdrucke. 

Und es mufe auch so sein, denn beim Schiefseu mit dem Re- 
volver, das Angesichts des Gegners auf nur wenige Schritte ausge- 
führt zu werden pflegt, dürfte ein eigentliches Zielen allerdings 
nicht thunlich sein, der TrefFerfolg vielmehr lediglich auf gewandtem 
und sicherem Anschlagen beruhen. — 

Doch nun wieder zurück zu dem Schießen mit dem Gewehre. 
Die Technik schreitet immer mehr und mehr fort, die Gewehre 
tragen immer weiter, es läßt sich immer rascher mit ihnen schiefsen. 
Der Mensch aber bleibt im Grunde derselbe. Es wäre daher ein 
Irrtum, zu glauben, Disziplin und Ausbildung könnten es dahin 
bringen, dafs der Infanterist die Leistuug seiner Waffe stets voll 
auszunützen vermöchte. Schon heute ist man z. B., wie bereits aus- 
geführt, nicht mehr im Stande, längere Zeit hiudurch dem Lade- 
inechauismuh entsprechend schnell zu schiefseu. D. h., man kann 
schon längere Zeit raschest feuern, aber nicht das Gewehr an der 
Schulter, mit der Richtung auf das Ziel. — Wir müssen daher 
sorgfältigst auch auf die Natur des Menschen beim Schiefseu im 
Felde achten. Diese in Einklang mit der Leistung der Waffe zu 
bringen, ist eine der lohnendsten und interessantesten Aufgaben der 
Schiefeausbildung und Feuerleitung. 

Die Schielsausbildung enthält das Ergebnis genauer Beobach- 
tungen in dieser Richtung. Wie sehr es ihr geglückt ist, auch bei 
den eigentlichen Schützenthätigkeiten das Richtige zu treffen, d. h. 
Einfachstes anzuordnen, das zugleich die Gewähr größter Erfolge 
in sich schliefst, habe ich versucht darzuthun. 



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IT. Der Einflufs des rauchschwachen Pulvers 

auf die Thätigkeit, Verwendung und Führung 
der Feld -Artillerie im Gefecht, deren Ausbildung und 

Organisation. 



Zu diesem Zweck sind in Erwägung zu ziehen: I. Die sich 
durch die Anwendung eines ranchsch wachen Pulvers, ein für alle 
Male ergebenden Vorteile, ferner der Einflufs, welchen der 
Wegfall des die eigene Feuerstellung verratenden, aher auch die 
eigene Thätigkeit dem Feinde verschleiernden starken Pulver- 
rauches, auf: IT. Die Wahl und die Erkundung der Feuer- 
stellung, den Anmarsch in diese, sowie deren Besetzung, dann 
III. Die Feuerthätigkeit der Feld -Artillerie, ausüben wird. 
— Endlich ist zu erörtern, in welcher Weise, das rauchschwache 
Pulver: IV. Die Verwendung und Führung der Feld- 
Artillerie im Gefecht. V. Die Ausbildung im Frieden, und 
VI. deren Organisation, beeinflussen wird. 

ad I. Der ungünstige Einflufs, welchen der eigene 
starke Pulverrauch auf die Thätigkeit der Artillerie aus- 
übte, fällt in Zukunft weg. Staffelforinige Aufstellung, mit 
Berücksichtigung der Windrichtung, ist nicht mehr geboten. Die 
Beobachtung des vor und neben der Feuerstellung gelegenen Ge- 
ländes, sowie jene der eigenen Feuerwirkung, inglciohen das Richten 
der Geschütze, wird durch den Pnlverrauch nicht mehr erschwert. 
Die Feuergeschwindigkeit kann daher in viel unbeschränkterer 
Weise den taktischen Anforderungen des Augenblicks angepafst 
werden. — Alle diese, nicht zu unterschätzenden Vorteile kommen 
aber auch der feindlichen Artillerie zu Gute! 

ad II. Der Pulverrauch wird weniger zum Verräter der Feuer- 
stellung, zugleich wird aber auch die Thätigkeit einer der Sicht 
des Feindes ausgesetzten Abteilung nicht mehr durch den Pulver- 
rauch verschleiert. Eine Folge hiervon ist, dafs diejenige Artillerie, 
welche zuerst die feindliche Artillerie erblickt, um so leichter und 
rascher die Überlegenheit im Kampfe gewinnen wird, je unbe- 
merkter vom Feinde sie ihre Feuerstellung erkunden, erreichen 



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Der Einflufs des rauchschwachen Pulvers u. s. w. 



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und besetzen konnte. Letzteres ist wünschenswert, das Erkennen 
(die Sicht) des Ziels ist aber unbedingt die Hauptsache. Daraus 
folgt, vor Allem: 1. Feuerstellungen, in welchen die Geschützo der 
Sicht des Feindes entzogen aufgestellt werden können, sind nur 
unter der Bedingung zulässig, dafs hierdurch die für die Wirkuug, 
jetzt noch mehr wie früher, unbedingt nötige Sicht des Ziels er- 
möglicht bleibt. Um treffen zu können, mufs die Artillerie ihro 
Geschütze richten und ihre Schüsse beobachten können. Für das 
Richten ist es vorteilhaft und daher wünschenswert, dafs das Ziel 
von den Geschützen aus eben noch über Visier und Korn sichtbar 
ist. Um die Schüsse beobachten zu können, ist nnerläfslich, dafs 
das zu bekämpfende Ziel von einem, in gesicherter Verbindung 
mit der Feuerstellung befindlichen Punkte aus, überblickt werden 
kann. — Gegen ein, sich durch den Pulverrauch verratendes Ziel 
konnte der Batterieführer die Schüsse seiner Batterie, fast immer, 
von einem, sich neben den Flügeln der Feuerstellung darbieteuden 
Punkte aus, beobachten. Um hierin nicht durch den Pulverrauch 
der eigenen Geschütze behindert zu werden, wählte der Batterie- 
führer seinen Aufstellungspunkt seither mit Vorteil neben dem der 
Windrichtung zugewendeten Flügel seiner Batterie. Diese Rück- 
sichtnahme ist beim neuen Pulver nicht mehr geboten. Dagegen 
wird es jetzt besonders wichtig, dafs die Batterieführer Punkte zu 
ihrer Aufstellung wählen, welche ihnen die beste Sicht des zu be- 
kämpfenden Ziels gestatten. Eine notwendige Folge hiervon Ist, 
dafs der Batterieführer nicht blofs die Aufstellung der Geschütze in 
der von seiner Batterie einzunehmenden Feuerstellung, sondern vor 
Allem auch seinen eigenen Aufstellungspunkt in besondere Er- 
wägung nehmen mufs. Läfst sich ein, die Sicht des Ziels ge- 
währender Aufstellungspunkt, neben, zwischen oder rückwärts den 
Geschützen für den Batterieführer ermöglichen, so wird dieser die 
Schüsse seiner Batterie sogar leichter wie seither beobachten können. 
Andernfalls kann auf Wirkung gegen das Ziel nur gehofft werden, 
wenn sich, von einem, in gesicherter Verbindung mit der Feuer- 
stellung befindlichen Punkte aus, die Sicht des Ziels ermöglichen 
läfst, und »auf diesem Punkte« vom Batterieführer ein Beobachter 
(Offizier oder geeigneter Meldereiter) aufgestellt wird. — Wie das 
Richten von Seite derjenigen Geschütze, welchen das Ziel nicht 
sichtbar ist, bethäti<,'t werden kann, ist bereits in der Anleitung 
zur Ausbildung der Richtkanoniere vorgesehen. 

2. Nicht nur beim Anmarsch und Einrücken der Feld -Artillerie 
in die für sie bestimmte, vor Allem der vorstehend ad II. 1 angegebeneu 



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Der Einflufc des rauchsch wachen Pulvers u. a. w. 



Bedingung entsprechende Feuerstellung, sondern bereits heim 
Erkunden letzterer mufs mehr, wie seither, angestrebt werden, dafs 
nicht nur diese Thätigkeiten, sondern auch die Feuerstellung selbst 
der Sicht des Feindes möglichst entzogen bleiben. 

a) Die Erkundung der Feuerstellung obliegt den Führern der 
Feld -Artillerie, hierfür und zur Erkundung des Geländes haben sie 
ihre Adjutanten und Meldereiter zur Verfügung. An letzteren sind 
mindestens: für jede Batterie 2, für jede Abteilung, die deren 
Batteriezahl, für jedes Regiment, die dessen Abteilungszahl, für jede 
Brigade, die deren Regimenterzahl entsprechende Anzahl nötig. In 
welcher Weise Adjutanten und Meldereiter benützt werden können, 
um rasch den entsprechendsten Anmarsch für die ihrem Commandeur 
unterstellte Artillerie zu ermitteln, wurde im August-Hefte 1889 
dieser Zeitschrift (»Zur Ausbildung der Feld-Artillerie«) betrachtet. 
Nicht erst der Führer der in die Feuerstellung befohlenen Artillerie- 
Truppe, sondern der dieser vorgesetzte Artillerie - Commandeur, 
welcher die Feuerstellung auswählte, mufs durch Adjutanten und 
Meldereiter den Anmarsch für die Artillerie -Truppe ermitteln 
lassen. 

b) Die Artillerie- Führer, welchen die Auswahl der Feuer- 
stellung und Ermittelung des Anmarsches der Artillerie in diese 
obliegt, sind die, während des Marsches, im Stabe des Avantgarde- 
Commandeurs, beziehungsweise der höheren Truppenführer befind- 
lichen Commandeure der in der Avantgarde und im Gros der 
Marschkolonne eingeteilten Artillerie. Aufgabe di.ser Artillerie- 
Führer ist es, mit Zuhülfenahine ihrer Adjutanten und Meldereiter, 
die in Rede stehenden Ermittelungen, ohne die Aufmerksamkeit des 
Feindes zu erregen, sicher, gewandt und rasch zu bethätigen. Denn 
es ist höchst wünschenswert, dafs sie beendet sind, ehe die in der 
Marschkolonne befindliche Artillerie den Funkt der Aumarschstrafse 
erreicht hat, au welchem sie diese verlassen mufs, um in die 
Feuerstellung gelangen zu können. 

c) Bei einer selbstständig auftretenden beziehungsweise auf 
einer eigenen Strafse anmarschierenden Division ist deren Avantgarde 
mindestens 1 Batterie, unter Umständen eine Abteilung ü 3 Batterien, 
zugeteilt. Der Commandeur der Avantgarden -Artillerie befindet sich 
mit seinem Adjutanten, den Meldereitern und dem vom Führer der 
zweiten Staffel der Avantgarden -Artillerie zu ihm kommandierten 
Unteroffizier währeud des Marsches im Stabe des Commandeurs der 
Avantgarde. Gemäfs Ziffer 217, Teil I der Felddienst-Ordnung ist 
die Artillerie in der Marschkolonne so weit vorzunehmen, als ihre 



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Der Einflufs des rauchschwachen Pulvers u. s. w. 



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Sicherheit es erlaubt. Diese Rücksicbtuahme bedingt, dafe die 
Avantgarden -Artillerie stets im Haupttrupp, und auch hier erst 
hinter dem Teten-Bataillon marschiert. Folgt die Artillerie erst am 
Schlüsse der im Haupttrupp der Avantgarde befindlichen Infanterie- 
Bataillone, so hat sie ein ganzes Infanterie- Regiment (3 Bataillone) 
vor sich und ist 400 m weiter von der Tete der Avantgarde ent- 
fernt. Diese etwas gröfsere Entfernung würde einige Minuten mehr 
Zeit gewähren, die Feuerstellung und den zweckentsprechendsten 
Anmarsch in dieselbe zu ermitteln. Ferner würde dadurch die 
Avantgarden -Artillerie mehr davor gesichert sein, dafe sie, ehe sie 
aus der Marschkolonne nach ihrer Feuerstellung abgezweigt werden 
kann, nutzlos und wehrlos der Sicht eines bereits entwickelten 
Feindes und dem Feuer desselben bloßgestellt werde. Übereiltes 
Vornehmen der Artillerie, in eine, nicht durch die eigene Infanterie 
oder doch weit ausgeholte Beobachtung der eigenen Kavallerie, vor 
überraschendem feindlichen Infanterie-Feuer aus wirksamer Ent- 
fernung (1500 m) gesicherte Feuerstellung, wird in Zukuuft noch 
mehr wie seither, namentlich danu vermieden werden müssen, wenn 
die Feuerstellung der Sicht des Feindes nicht entzogen ist. — Durch 
das Folgen der Avantgarde -Artillerie am Schlüsse der Infanterie 
des Haupttrupps wird zudem deren Eintreffen in der Feuerstellung 
kaum verzögert werden, da, sobald die letztere und der Anmarsch 
in dieselbe ermittelt ist, die Artillerie wohl immer im Trabe dahin 
vorrücken kann. 

d) Bei einem auf einer Strafsc marschierenden Armee-Corps ist 
dessen Avantgarde in der Regel eine Abteilung ä 3 Batterien zu- 
geteilt. Im Vortrupp einer so starken Avantgarde werden nicht 
1, sondern 2 Bataillone Infanterie eingeteilt sein. Daher wird es 
hier, namentlich in denjenigen Fällen, in welchen der Avantgarde 
ein oder beide Kavallerie- Regimenter des Armee- Corps zugeteilt 
sind, und die Masse dieser Kavallerie über die Avantgarde hinaus 
vorgetrieben ist, entschieden vorzuziehen sein, die im Haupttrupp 
der Avantgarde marschierende Artillerie, wie seither, hinter dem 
Teten-Bataillon, mithin ebenfalls mit einem Iufanterie-Regiment vor 
sich, statt erst am Schlüsse der Infanterie des Haupttrupps folgen 
zu lassen. Das Letztere würde gleichbedeutend mit einer um etwa 
1200 m grösseren Entfernung der Artillerie von der Tete der Avant- 
garde sein, und könnte dadurch das, insbesondere beim Begegnungs- 
gefecht so sehr erwünschte Gewinnen des Vorsprungs im Auf- 
marsche verloren gehen. 



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Der Einflufs des raachsch wachen Pulten« u. 8. w. 



e) Für die im Gros der Marschkolonne marschierende Divisions- 
Artillerie empfiehlt sich, wie seither, das Folgen hinter dem Teten- 
Bataillon, spätestens Teten-Regiment des Gros. Bezüglich der Ein- 
teilung des Corps- Artillerie -Regiments auf dem Marsche bleiben 
ebenfalls die zur Zeit bestehenden Grundsätze in Kraft. Das Corps- 
Artillerie-Regiment wird mithin spätestens am Schlüsse der Teten- 
Division, wenn nicht bereits vor dem letzten Infanterie-Regiment 
derselben folgen. Dagegen würde es sich beim Marsche des Armee- 
Corps auf einer Strafse empfehlen, das Divisions-Artillerie-Regiment 
der rückwärts marschierenden Infanterie- Division nicht hinter dem 
Teten-Bataillon dieser, sondern bereits vor demselben, mithin der 
voraus befindlichen Division und deren Artillerie, sowie dem Corps- 
Artillerie-Regiment so nahe als möglich folgen zu lassen. — Beim 
Vormarsch eines Armee-Corps auf zwei Strafsen wird das Corps- 
Artillerie- Regiment in der Regel in der Marschkolonne, bei welcher 
sich der kommandierende General, mithin der Commandeur der 
Feld -Artillerie -Brigade befindet, eingeteilt sein. Dieses schliefst 
nicht aus, dafs auch jeder Marschkolonne je eine Abteilung des 
Corp8-Artillerie-Regiraents zugeteilt werde. Der Commandeur des 
letzteren wird sich dann bei der Abteilung seines Regiments be- 
finden, mit welcher der Commandeur der Feld -Artillerie- Brigade 
marschiert. Die andere Abteilung des Corps-Artillerie-Regiments 
tritt, bis zur Wiedervereinigung mit ihrem Regiment, unter den 
Befehl des Commandeurs des Divisions -Artillerie -Regiments der 
Marschkolonne, welcher sie zugeteilt ist. 

f) Für die abteilungsweise zusammengezogeneu zweiten Wageu- 
staffeln der Batterien empfiehlt sich, wie bisher, das Folgen un- 
mittelbar au der Queue der selbstständig formierten Verbände. 
Mithin werden auch in Zukunft die zweiten Wagenstaffeln der in 
der Avantgarde eingeteilten Artillerie unmittelbar am Schlüsse der 
Gefechtstruppen der Avantgarde, jene der im Gros marschierenden 
am Schlüsse der Gefechtstruppen ihrer Division, jene der Corps- 
Artillerie am Schlüsse ihrer letzten Gefechts-Batterie marschieren. 

3. Bereits seither war besonderer Wert darauf zu legen, dafs 
sich die Artillerie dem Feinde erst durch die Eröffnung ihres Feuers 
bemerkbar mache. Uni die Überlegenheit im Kampfe mit der 
feindlichen Artillerie zu gewinnen, ist jetzt entschiedener 
wünschenswert geworden, die Geschütze der Sicht des Feindes 
nicht mehr bloßzustellen, als dieses für deren Wirkung gegen das 
zu beschiefsende Ziel unbedingt nötig ist. Die vorteilhaftesten 
Feuerstellungen sind jetzt, mehr wie bisher, diejenigen hinter dem 



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Per Einfloß des raachachwachen Palvers u. s. w. 



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Kamm von Anhöhen, so dafs die Mündungen der Geschütze den- 
selben noch eben überragen (Ziffer 275 d. F.-Art.-E.-Regl.) Ohne 
zwingende Gründe wird also die Artillerie ihre Feuerstellung nicht 
auf den Kämmen oder gar auf gegen den Feind abfallenden, dessen 
Sicht ausgesetzten Abhängen nehmen. Die Aufstellung in unmittel- 
barer Nähe von besonders hervortretenden Gegenstanden, ins- 
besondere dicht vor denselben, mufs mehr wie seither vermieden 
werden. 

a) Bei Herstelleng von Geschütz-Einschnitten, überhaupt allen 
Erdarbeiten zum Schutz gegen feindliches Feuer, wird besonders 
darauf geachtet werden müssen, da(s sich dieselben von dem um- 
gebenden Gelände nicht in auffallender Weise abheben. Dieses 
kann nur erreicht werden, wenn sich der Einschnitt ohne zu 
grofeen Zeitaufwand so herstellen läfst, dafs die Müudungen der 
Geschütze den natürlichen Boden noch eben überragen, und die aus- 
gehobene Erde nicht zum Verräter der Feuerstellung wird. Aus 
diesem Grunde empfiehlt es sich, die ausgeschachtete Erde an einer 
der Sicht des Feindes entzogenen Stelle oder, wenn sich dieses 
nicht ermöglichen läfst, in gröfserer Entfernung von der Feuer- 
stellung zu lagern. Der Sicht des Feindes sich bomerklich 
machende Geschütz-Einschneiduugen u. s. w. würden dem 
Feinde die Beobachtung seiner Schüsse wesentlich er- 
leichtern, und daher dem Feinde leicht mehr als uns von Vorteil 
sein können. 

b) Die Zwischenräume der Geschütze einer Batterie müssen, 
innerhalb der Grenzen von 10 bis 30, höchstens 40 Schritten, mit 
der Mafsgabe genommen werden, dafs die Geschütze, soweit sich 
dieses ohne Beeinträchtigung der Wirkung ermöglichen läfst, der 
Sicht des- Feindes entzogen sind. Ein derartiges Anschmiegen 
der Artillerie an das Gelände mufs bis zur höchsten Fertigkeit ge- 
bracht werden. Dieses, dann die vor Allem gebotene rasche Er- 
mittelung eines in gesicherter Verbindung mit der Feuerstellung 
befindlichen Punktes, von welchem aus ein ausgedehnter Überblick, 
jedenfalls aber die Sicht des zu bekämpfenden Ziels, ermöglicht ist, 
erfordert viele Übungen im wechselnden Gelände. Aus diesem 
Grunde, sowie durch die nicht minder gebotene Ausbildung der 
Offiziere, insbesondere der Adjutanten und Meldereiter, in zweck- 
entsprechendster, die Aufmerksamkeit des Feindes nicht erregender 
Erkundung des Anmarsches und Eindickens in die Feuerstellung, 
sind Feld-Artillerie-übungsreisen, (deren grofser Wert bereits 
im März- und September-Hefte 1889, in dem Aufsatze: »Zur Aus- 



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Der Kinflufs des rauchschwachen Pulvers u. s. w. 



bildung der Feld - Artillerie« hervorgehoben wurde) noch mehr ein 
unabweisbares Bedürfnis geworden. 

4. Feuerstellungen, in welchen die Geschütze der Sicht des 
Feindes entzogen aufgestellt werden können, sind nur dann zulässig, 
wenn von einem in gesicherter Verbindung mit ihnen befindlichen 
Punkte aus ein freier Überblick, jedenfalls aber die Sicht des zu 
bekämpfenden Ziels, ermöglicht ist. Feuerstellungen, welche diesen 
beiden Bedingungen entsprechen, gewähren den doppelten Vorteil, 
dafs sie dem Feinde nicht mehr durch den eigenen Pulverrauch ver- 
raten werden und andererseits die Beobachtung der eigenen Wir- 
kung nicht mehr durch den starken Pulverrauch des Ziels erschwert 
wird. Die Folgerung, dafs deswegen der Angriff gegen eine, das 
Vor-Gelände weithin überblickende, selbst aber wenig sichtbare Ver- 
teidigungs-Stellung noch schwieriger werde, liegt nahe. Aber auch 
in Zukunft wird beim Angriff grundsätzlich zwischen dem Begegnungs- 
gefecht und dem Angriff auf einen bereits entwickelten Feind unter- 
schieden werden müssen. Beim Begegnungsgefecht, im Bewegungs- 
kriege so häufig , wird wie seither , derjenige der beiden 
Gegner Aussicht auf Erfolg haben , dem es gelingt , die 
feindliche Artillerie niederzuhalten. Auf Letzteres wird aber, aufser 
der Zahl der in Thätigkeit gebrachten Artillerie, noch mehr wie 
bisher von Einflute sein, welche der beiden Artillerien, bei Wahl 
und Besetzung ihrer Feuerstellungen, in der Benützung des Ge- 
ländes, mit Rücksicht auf Wirkung und Deckung begünstigter und 
gewandter war. Auch beim Angriff auf eine entwickelte und vor- 
bereitete Verteidigungsfront (der nur dann Aussicht auf Erfolg hat, 
wenn die Herbeiführung der Feuerüberlegenheit gelingt, und zwar 
zunächst diejenige der Artillerie) wird es darauf ankommen, eiue der 
Verteidigung überlegene Zahl von Batterien in Feuerstellungen zu 
bringen, welche bezüglich Wirkung und Deckung entsprechen. 

ad III. Die taktischen Aufgaben, welche die Feld- 
Artillerie im Gefecht zu erfüllen hat, werden auch nach 
Einführung des rauchschwachen Pulvers dieselben bleiben. 
Niederkämpfung der feindlichen Artillerie, deren Vorbereitung und 
Unterstützung des Angriffs der eigenen Infanterie durch Beschiefsung 
des anzugreifenden Teils der feindlichen Stellung, beziehungsweise 
Abwehr des gegen uns gerichteten Angriffs der feindlichen Infanterie, 
werden sicher nicht weniger nötig und wichtig — wie seither sein. Die 
Erfüllung dieser Aufgaben wird jedoch wesentlich sch werer, wenn der 
Gegner, mit rauchschwachem Pulver, aus dem Gesichtskreise unserer Ge- 
schütze entzogenen Feuerstellungen thätig ist. Das Erkennen der 



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Der Einflnfc des rauchschwachen Palvers o. s. w. 



Gl 



feindlichen Artillerie, ihrer Verteilung, ihrer Zahl wird nicht mehr 
durch deren eigenen Pulverrauch erleichtert. Da beide Gegner be- 
strebt sein werden, ihre Geschütze der Sicht thunlichst zu ent- 
ziehen, wird das Schielsen, aus verdeckter Stellung gegen eine in 
verdeckter Stellung befindliche Artillerie, voraussichtlich häufiger 
wie früher vorkommen. Dieses wird jedoch stets nur unter der be- 
reits ad II mehrfach hervorgehobenen Bedingung zulässig sein, dafs 
die Beobachtung des zu bekämpfenden Ziels, wenn auch nicht von 
der Feuerstellung selbst, so doch von einem hierzu geeigneten 
Übersichtspunkte aus ermöglicht ist. Im Nachfolgenden sollen zu- 
nächst die Mittel erwogen werden, deren Anwendung über die in 
Zukunft dem Schiefsen sich entgegenstellenden gröfseren 
Schwierigkeiten hiuweghelfen kann. Alles hier und in der 
Folge bezüglich der feindlichen Artillerie erwähnte gilt mehr oder 
minder auch bezüglich der Bekämpfung feindlicher Infanterie, welche 
durch ihre Aufstellung der Sicht mehr oder weniger entzogen ist. 

Die von der Feuerstellung aus sichtbaren, als Hülfsziele 
geeigneten Punkte oder Linien, bei welchen oder in deren Nähe 
feindliche Artillerie Aufstellung genommen hat, gewiunen, wenn 
letztere von unseren Geschützen aus nicht sichtbar ist, die höchste 
Wichtigkeit. Diese Hülfsziele, sowie ihre Lage, in Bezug auf die 
zu bekämpfende, sich — günstigen Falls — nur durch schwach 
sichtbar werdende, rasch verschwindende Rauchwolken, oder Feuer- 
strahlen ihrer Schüsse, von der Umgebung abhebende Batterie, 
müssen besonders ins Ange gefafst werden. Dieses kann aber, so- 
bald die eigene Artillerie ihre Feuerstellnng eingenommen hat, nicht 
mehr von der aufklärenden Kavallerie und auch nicht allein von 
den die Feuerstellung ermittelt habenden Artillerie-Führern verlangt 
werden. Diese fortgesetzte Beobachtung ist unbedingt Aufgabe der 
in ihrer Feuerstellung eingetroffenen Batterien. 

1. Jede Batterie mufs daher das zu bekämpfende Ziel in diesem 
Sinne selbst heobachten. Bei jenen Batterien, bei welchen der 
Batterie-Führer von seinem Aufstellungspunkte aus die zu bekämpfende 
Batterie erblicken kann, wird sich die Beobachtung in ähnlicher 
Weise wie seither, ja sogar, des wegfallenden starken feindlichen 
Pulverrauches wegen, leichter bethätigen lassen; es wird dann nur 
die Ansführuug des Richtens für diejenigen Geschütze schwieriger 
werden, welchen der Anblick der feindlichen Geschütze entzogen ist. 
Das Richten in diesen Fällen ist in der Anleitung zur Ausbildung 
der Rieht- Kanoniere der Feld-Artillerie vom Jahre 1887 bereits vor- 
gesehen. Ist durch die Meldungen der aufklärenden Kavallerie oder 



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Der EinflufB des rauchschwachen Pulvere u. s. w. 



durch eigene Wahrnehmung eine Stelle im Gelände bekannt ge- 
worden, in deren Nähe die zu bekämpfende Batterie Aufstellung ge- 
nommen hat, so wird diese Stelle, namentlich dann, wenn sie von 
den diesseitigen Geschützen aus sichtbar ist, mit Vorteil als Hülfs- 
ziel für die Richtung der Geschütze — wenigstens die Seiten- 
richtung — bestimmt werden können. Es ist jedoch unbedingt 
nötig, dafs die als Hülfsziel gewählte Stelle nicht verdeckt werden, 
sondern stets wieder aufgefunden werden kann. Das Hülfsziel wird 
um so besser entsprechen, je schärfer es sich gegen den Hintergrand 
abhebt und je näher es dem zu bekämpfenden Ziele liegt. 

Ist es aber auch dem Batterieführer von seinem Aufstellungs- 
punkte aus nicht möglich, die zu bekämpfende Batterie, oder 
wenigstens die schwach sichtbaren und rasch verschwindenden Rauch- 
wolken oder Feuerstrahlen beobachten zu können, so kann der 
Batterie- Führer, auf Grund eigener Beobachtung, nur die Entfernung 
nach der Stelle im Gelände, in deren Nähe die zu bekämpfende 
Batterie Aufstellung genommen hat, ermitteln. Um die feindliche 
Batterie wirksam zu bekämpfen, ist es dann unbedingt nötig, dafs 
bereits beim Ermitteln der Feuerstellung ein in gesicherter Ver- 
bindung mit dieser befindlicher Übersichtspunkt, oder ein Gegen- 
stand,*) von welchem aus die Übersicht gewonnen werden kaun, er- 
kannt worden ist. Von diesem Übersichtspunkte aus mufs dann der 
Batterie-Führer die Beobachtungen durch einen Offizier oder geeigneten 
Meldereiter bethätigen lassen. 

Erste Aufgabe des jedenfalls mit Fernglas ausgerüsteten 
Beobachters ist es, die Entfernungen zu erkennet, in welchen die 
zu bekämpfende Batterie: »rückwärts oder vorwärts und seitwärts« 
der als Zielpunkt bestimmten und auch ihm bekannt gegebenen 
Geländestelle beziehungsweise der vorerst gegen dieses Hülfsziel ge- 
richteten Schüsse der eigenen Batterie liegt. Das Ergebnis dieser 
Beobachtungen muls dem Batterie-Führer, wenn sich unmittelbare 
Berichterstattung vermittelst des Telegraphen**) nicht ermöglichen 
lassen sollte, durch den zweiten Meldereiter übermittelt werden. 



*) Baum u. s. w. — Es wurde bereits von auderer Seite vorgeschlagen, bei 
jeder Batterie eine zusammenlegbare Leiter oder Steigleiter von Eisen mitzufuhren. 

**) Das vielfach eingeführte Buchholz'sche Vorpostenkabel oder das, von der 
Firma Mix & Genest in Berlin versuchte , mit dem Mikrophon verbundene 
Telephon. Bei Anwendung des Letzteren möfste der Beobachter mit dem zum 
Umhängen eingerichteten, einschließlich Trockenbatterie, Mikrophon, und Telephon 
etwa 3 kg schweren Apparatkasten ausgerüstet sein, um durch die etwa 3 bis 
4 km lauge Leitschnur in stetem Verkehr mit seinem Batterie -Führer bleiben zu 



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Der Eiuflufa des rauchschwachen Pulvers u. ». w. 



G3 



Der Batterieführer kann dann, mit Berücksichtigung der Entfernung, 
um welche die feindliche Batterie rückwärts oder vorwärts des Ziel- 
punktes und der seither gegen diesen abgegebenen Schüsse von dem 
Beobachter erkannt wurde, seine Batterie nach der bisherigen Ziel- 
Gelände-) Stelle richten lassen. Auch einem nicht zu beträcht- 
lichen seitlichen Abstände, in welchem sich die feindliche Batterie 
von diesem Zielpunkte befindet, kann durch entsprechende Seiten- 
verschiebung Rechnung getragen werden. — Nachdem der Beobachter 
von diesen Verfügungen des Batterie- Führers Mitteilung erhalten 
hat, ist es seine Aufgabe, zu erkennen, ob die Batterie richtig nach 
einem Geschütze der feindlichen Batterie und welchem eingeschossen 
ist, oder um welches Mafs nach Seite und Länge noch abweichend. 
Hiervon, und von dem Verhältnisse (Zwischenraum u. s. w.), in 
welchem der Beobachter inzwischen die übrigen Geschütze der feind- 
lichen Batterie zu demjenigen, auf welches sich seine Beobachtungen 
beziehen, erkannte, mufs dem Batterie- Führer natürlich Kenntnis 
gegeben werden. Letzterem wird dadurch ermöglicht, das Feuer 
seiner Batterie nicht nur bezüglich der Entfernung berichtigen, son- 
dern auch auf die gesamte feindliche Batterie thunlichst zutreffend 
verteilen zu können. — Um jedoch die Feuerverteilung gegen eine 
von der Feuerstellung aus nicht sichtbare und durch ihren Pulver- 
rauch wenig bemerkbare feindliche Batterie bethätigen zu können, 
erscheint es geboten, dafs der hintere Rand des Schlitzes des in dem 
oberen Ende der Aufsatzstange festgelötheten Visierstückes vom 
Nullstrich aus nach beiden Seiten in möglichst viele Teilstriche 
(Sechzehntel -Grade) eingeteilt werden kann, also das Visierstück 
des Aufsatzes thunlichst verlängert wird. Nachdem aber, bei 
dem zur Zeit bestehenden Aufsatz das Visierstück nicht 
wohl wesentlich verlängert werden kann, wird der Wunsch 
nahe gelegt, es möchte, aufeer dem seitherigen Aufsatz und Richt- 
bogen, noch ein eigenes Seitenrichtungsmittel vorhanden sein, 
welches eine gröfsere Verlegung der Schüsse nach der Seite, mit 
Berücksichtigung der bekannten Gedächtnisregel: »ein Teilstrich der 
Seitenverschiebung verlegt den Treffpunkt nach der Seite um '/ low 
der Entfernung des Zielpunktest — ermöglicht. 

2. Treten die Batterien im Abteilungs- Verbände in den Kampf, 
so wird der Abteilungs -Commandeur deren Feuer wie seither, also 

können. Ob dieser Verkehr zwischen dem Beobachter und dem Batterieführer, 
oder einem in unmittelbarer Nähe des letzteren befindlichen Trompeter, überhaupt 
befriedigend ausführbar ist, mfifste erprobt uud dann , selbst im günstigsten 
Falle, immer noch erwogen werden, ob auch im Ernstfälle darauf gehofft werden kann. 



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Der Einflute des rauchschwachen Pulvers a. s. w. 



möglichst mit Aufrechterhaltuug der Selbstständigkeit der Batterie- 
Führer leiten. Gleichzeitiges Einschiefsen mehrerer Batterien gegen 
dasselbe Ziel ist nur dann angezeigt, wenn die Schüsse der einzelnen 
Batterien zuverlässig in der Beobachtung auseinander gehalten wer- 
den können. Die Entfernung nach ein und derselben feindlichen 
Batterie läfst sich also im günstigsten Falle nur durch zwei dies- 
seitige Batterien gleichzeitig ermitteln. Ist nur eine der feindlichen 
Batterien von der Feuerstellung aus sichtbar, so mufs jedenfalls der 
dritten diesseitigen Batterie — ist keine der feindlichen Batterien 
sichtbar, jeder Batterie — eine von ihrer Feuerstellung aus min- 
destens dem Batterie-Führer sichtbare Geländestelle, in deren Nähe 
die Aufstellung feindlicher Artillerie bekannt geworden ist, als Ziel- 
punkt zugewiesen werden. — Seine eigene Aufstellung wird der 
Abteilungs-Commandeur, wenn sich in Nähe der Feuerstellung ein 
Punkt darbietet, welcher Überblick Über die zu bekämpfenden feind- 
lichen Batterien ermöglicht, auf diesem nehmen. Läfst sich dieser nur 
von in größerer Entfernung gelegenen Punkten aus gewinnen, so 
müssen diese schon bei Einnahme der Feuerstellung den Batterie- 
Führern bekaunt gegebeu werden, damit letztere ihre Beobachter 
dort aufstellen und dadurch das Einschiefsen ihrer Batterie ermög- 
lichen. Dem Abteilungs-Commandeur stehen als seitliche Beobachter 
seine Meldereiter zur Verfügung. Die Ausrüstung dieser, überhaupt 
aller Meldereiter mit Ferngläsern und, wenn sich telegraphische Ver- 
bindung ausführbar erweisen sollte, auch mit den hierfür erforderlichen 
Mitteln, ist wünschenswert. — Bis die unterhabenden Batterien die Ent- 
fernung nach dem ihnen zugewiesenen Ziele ermittelt und nach er- 
folgter Gabelbildung die Gabelgrenzen*) dem Abteilungs-Commandeur 
auf vorbereiteter Meldekarte gemeldet haben, niufs dieser sich 
schlüssig machen, welche der zu bekämpfenden Batterien vor allem 
zu bewältigen ist. Gegen diese kaun dann, während die Batterie, 
welche die Entfernung ermittelte, unter Feuerverteilung auf die 
ganze feindliche Batterie zum Schrapnelfeuer übergegangen ist, eine 
zweite Batterie, sobald sie die ihr mitgeteilte Entfernung berichtigt 
hat, ihr Grauatfeuer verteilen.**) Ist für letztere Batterie die 
Beobachtung nach dem ihr zugewiesenen Ziele, von der Feuer- 

*) Hierbei raufa besonders hervorgehoben werden, ob es nur gelangen ist, die 
Gabelgrenzen nach der als Zielpunkt angewiesenen Geländestelle, oder, nach der 
in deren Nähe aufgestellten feindlichen Batterie selbst, zu ermitteln. 

**) Auch kann es sich empfehlen, beide Batterien mit Schrapnels und dann 
jede gegen die ihr entsprechend gegenüber befindliche Hälfte der feindlichen 
Batterie feuern zu lassen. 



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Der Einfluts des ranchschwachen Pulvers u. s. w. 



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Stellung beziehungsweise dem bisher von ihrem Beobachter einge- 
nommenen Aufstellungspunkte aus nicht möglich, so muXs sich deren 
Beobachter nach dem Punkte begeben, von welchem aus die das- 
selbe Ziel schon seither bekämpfende Batterie ihre Schüsse beobachten 
lalst. Nachdem die mit Übermacht bekämpfte feindliche Batterie 
fiberwältigt ist, kann die seither nur mit einer Batterie niederge- 
haltene nächst wichtige feindliche Batterie mit zwei Batterien, und 
aufserdem eine bisher nicht beachtete feindliche Batterie mit einer 
Batterie bekämpft werden. 

3. Tritt ein Regiment in den Feuerkampf, so wird der Regi- 
ments-Commandeur jeder seiner Abteilungen den zu bekämpfenden 
Teil der feindlichen Artillerie und zwar jeder den ihr gegenüber 
befindlichen zuweisen. Die Abgrenzung empfiehlt sich, mit Be- 
nutzung leicht erkennbarer Gelände- Merkmale, in der Weise, dais 
der Teil der feindlichen Artillerie, dessen Überwältigung vor Allem 
geboten erscheint, mit Übermacht bekämpft werden kann. Unter 
Umständen kann es sich empfehlen, den wenigst wichtigen Teil der 
feindlichen Artillerie vorerst ganz unberücksichtigt zu lassen, um die 
hauptsächlich in Betracht kommende feindliche Artillerie desto 
kräftiger bekämpfen zu köuuen. — Der Regimen ts-Commandeur 
muJCs bestrebt sein, sich Kenntnis der von seinen Abteilungen er- 
zielten Wirkung zu verschaffen. Zu diesem Zweck Btehen ihm, 
wenn sich erst in grüfserer Entfernung vom Regiment ein Über- 
sichtspunkt bietet, seine Meldereiter zur Verfügung. — 

Ist es einer Abteilung des Regiments geglückt, den ihr zur 
Bekämpfung zugewiesenen Teil der feindlichen Artillerie zu über- 
wältigen, so niufs der Regiments - Commandeur die zweckent- 
sprechendste Anordnung für die weitere Bekämpfung der noch 
thätigen feindlichen Artillerie treffen. Von den Verhältnissen wird 
es abhängen, ob nun vorteilhafter wieder jeder Abteilung des 
Regiments der ihr entsprechend gegenüber befindliche Teil zuzu- 
weisen ist, oder ob es sich empfiehlt, die Abteilung, welche ihre 
Aufgabe erfüllt hat, mit schrägem (kreuzendem) Feuer gegen die 
noch nicht niedergekämpften feindlichen Batterien zu beauftragen. 
Im letzteren Falle wird der Commandeur der Abteilung, welche 
unterstützt werden soll, dem Commandeur der Abteilung, welche 
diese Unterstützung zu gewähren hat, mitteilen müssen, gegen 
welche feindliche Batterien dieses kreuzende Feuer erwünscht ist, 
ferner, mit wie vielen Batterien jede der feindlichen Batterien zur 
Zeit schon beschossen wird, und mit welcher Geschofsart, sowie, 
welche Entfernung gegen jede derselben und ohne oder wie vielen 

Jthrbficbar für di. D.uUcb» kirnt« und Maria«. Bd. LXXVI . 1. 5 



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Der Einflute des rauchsch wachen Pulvers u. 8. w. 



Aufsatzplatte u, ermittelt wurde. Ist eine der feindlichen Batterien 
von der Feuerstellung aus nicht sichtbar, so mufs auch das Nötige 
über deren Lage, in Bezug auf eine — bei den Abteilungen sicht- 
bare — Geländestelle, sowie der Funkt, von welchem aus die in 
Rede stehende feindliche Batterie überblickt werden kann, mit- 
geteilt werden. 

4. Tritt mehr als ein Regiment in den Feuerkampf, so wird 
der Brigade-Commandeur, ist dieser nicht zur Stelle der älteste 
Regiments-Conimandeur, jedem Regiment den entsprechend gegen- 
über befindlichen Teil der feiudlicheu Artillerie zur Bekämpfung 
zuweisen. Auch hier empfiehlt sich Abgrenzung nach leicht er- 
kennbaren Gelände-Merkmalen, in der Weise, dafs der Teil, dessen 
Überwältigung vor Allem geboten erseheint, mit Übermacht be- 
kämpft werden kann. Die Regimen ts-Comniand»'ure grenzen den, 
ihrem Regiment zugewiesenen Teil entsprechend für ihre Abteilungen 
ab. — Da es dem Brigade-Commandeur noch weniger als den 
Roginients-Goinmaudeuren möglich ist, von seinem Aufstellungs- 
punkte ans die Wirkung der unterhabenden Regimenter zu über- 
blicken, mufs er besonders Sorge tragen, mit Hülfe seiner Adjutanten 
und Meldereiter, Kenntnis bezüglich der Wirkung der Regimenter 
zu gewinnen. — ist es einem Regiment geglückt, den ihm zur 
Bekämpfung zugewiesenen Teil der feindlichen Artillerie zu über- 
wältigen, so wird der Brigade- Gommandeur, durch das Feuer dieses 
Regiments vor Ali«>m demjenigen Regiment Unterstützung ge- 
währen, das derselben bedarf. Die hierdurch bedingt werdeudeu 
Thätigkeiten sind bereits ad III. 3 betrachtet worden. 

ad IV. Der Wechsel der Feuerstellung unterbricht 
nicht nur die Feuerthätigkeit gegen den Feind, sondern 
giebt, wenu sich der Stellungswechsel der Sicht des Feiudes nicht 
entziehen läfst, der in Stellung befindlichen feindlichen 
Artillerie auch die Möglichkeit der wesentlich erleichter- 
ten Beobachtung ihrer Schüsse, was dereu Wirksamkeit zu 
Gute kommen kann. Aus diesem Grunde wird es sich, abgesehen 
von den Fällen, in welchen die allgemeine taktische Lage die rasche 
Einnahme einer undereu Feuerstelluug gebieterisch fordert, weniger 
darum handeln, die ueuo Feuerstellung bald und sehneil, als un- 
eingesehen vom Feinde zu erreichen und zu besetzen. Nicht der 
nächste Weg in die neue Feuerstellung, sondern der dem Anblicke 
des Feindes entzogenere, wenn auch der weitere, wird sich dann 
empfehlen. — Die Entfernung, auf welcher der Kampf mit der 
feindlichen Artillerie am wirksamsten geführt w nlen kann, wird 



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Der Einflute des rauchschwachen Pulvere u. a. w. 



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auch in Zukunft die von etwa 2000 ra, nicht über 2500 m, sein. 
Lädst es sich ermöglichen, in dieser Entfernung die erste Feuer- 
stellung, der Sicht des Feindes und dem wirksamen Bereiche des 
feindlichen Gewehrfeuers entzogen, einnehmen zu können, so mufs 
dieses nicht minder wie seither geschehen. Die Rücksichtnahme 
darauf, dafs die erste Feuerstellung aufserhalb des wirk- 
samen feindlichen Gewehrfeuers, mithin etwa 1500m von 
feindlichen Iufanterie -Abteilungen entfernt liegt, ist viel wich- 
tiger als die, einen späteren Stellungswechsel der Ar- 
tillerie zu vermeiden. Die Artillerie kaun die Niederkämpfung 
der feindlichen Artillerie nur dann mit Aussicht auf Erfolg be- 
thätigen, wenn sie durch ihre Entfernung von der feindlichen 
Infanterie gegen Verluste durch Gewehrfeuer gesichert und nicht 
genötigt ist, sich der feindliehen Infanterie zu erwehren, statt die 
feindliche Artillerie mit ganzer Kraft zu bekämpfen. Dieses, und 
der Umstand, dafs namentlich bei einem Begegnungs-Gefecht bei 
Einleitung des Kampfes (Auffahren der Artillerie) noch nicht der 
endgültige Eutschlufs gefafst sein kann, gegen welchen Teil des selbst 
noch im Aufmarsch begriffenen Gegners der Hauptangriff mit der 
Infanterie gerichtet werden kann, werden voraussichtlich öfter wie 
seither nötigen, die Artillerie ihre erste Feuerstellung nicht auf etwa 
2000 in höchstens 2500 m Kntfernung von der feindlichen Artillerie, 
sondern auf gröfserer Entfernung von dieser, bis zu 3500 m, unter 
Umständen noeb weiter entfernt, nehmen zu lassen. 

1. Den Befehl zum Vorgehen in die nähere, für den Eut- 
scheiduugskampf mit der feindlichen Artillerie geeignetere Feuer- 
stellung, wird «iie Gefeehteleitung erst erteilen können, nachdem sie 
die Ausdehnung der feindlichen Hauptstellung erkannt hat und es 
gelungen ist, die über diese vorgeschobene feindliche Infanterie so 
weit zurück zu drängen, dafs die neue Feuerstellung sich aufserhalb 
deren wirksamen Gewehrfeuers (etwa 1500 m) befindet Aufserdem 
mufs sich die Gefechtsleitung bis dahin schlüssig gemacht und ihrem 
obersten Artillerie-Führer angegeben haben, gegen welchen Teil der 
feindlichen Stellung der Hauptangritt" der Infanterie gerichtet wird. 
So weit es sich mit der vor Allem zu bethätigenden Niederkämpfung 
der feindlichen Artillerie vereinbaren läfst, kann dann die Artillerie 
ihre neue Feuerstellung gleich so einnehmen, dafs sie, von derselben 
aus, nach Erfülluug ihrer ersten Hauptaufgabe, auch den Angriff der 
Infanterie, durch Beschiefsung des von dieser anzugreifenden Teiles 
der feindlichen Stellung mit der thunlichst gröfsten Zahl ihrer Ge- 
schütze, entsprechend vorbereiten, also auch ihre zweite Ilaupt- 

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Der Einflute des rauchschwachen Pulver« u. s. w, 



aufgäbe erfüllen kann. Vorteilhaft ist es, die Beschießung 

der AngrifF88telle aus seitlicher Richtung erfolgen kann (Ex.-Regl. 
f. d. F. -Art. Ziffer 323). — Die zweckentsprechendste Leitung des 
Vorgehens in die neue Feuerstellung und Besetzung dieser ist Sache 
des obersten Artillerie-Führers, mithin bei einer selbstständig 
kämpfenden Infanterie-Division des Commandeurs des Artillerie- 
Regiments, beim Armee-Corps des Brigade-Commandeurs der Ar- 
tillerie. Letzterer mufs hierbei Sorge tragen, dafe, in der neuen 
Feuerstellung, die Divisions-Artillerie-Regimenter auf dem ihrer 
Infanterie-Division näher gelegenen Flügel zu stehen kommen. — 
Über die Bekämpfung der feindlichen Artillerie aus der neuen 
Feuerstellung und die hierauf bezügliche Thätigkeit der Artillerie 
und ihrer Führer bleibt dem bereits ad III. Erwähnten nichts 
Wesentliches beizufügen. 

2. Ehe die feindliche Artillerie niedergekämpft oder wenigstens 
gedämpft ist, wird es sich nicht empfehlen, die Infanterie ihren 
Hauptangriff beginnen zu lassen. Um der Infanterie ihre schwere 
Aufgabe zu erleichtern, wird außerdem wie seither spätestens vom 
Beginn des Hauptangriffs ab geboten sein, dafe ein thunlichst grofser 
Teil der Artillerie sein Feuer gegen den anzugreifenden Teil der 
feindlichen Stellung (Einbruchstelle) richtet. Den Zeitpunkt, von 
welchem ab dieses zu geschehen hat, bestimmt die Gefechtsleitung. 
Welche Aufgaben hierbei an die Artillerie herantreten und in welcher 
Weise diese durch ihr Feuer den Hauptangriff der Infanterie vor- 
bereiten und fördern kann, wurde im Juni-Hefte 1888 dieser Zeit- 
schrift, rücksichtlich des im Verbände einer selbstständig kämpfenden 
Infanterie-Division befindlichen Divisions -Artillerie-Regiments, und 
im Februar-März-Hefte 1889 in dem Aufsatze: »Zur Ausbildung der 
Feld -Artillerie« eingehend betrachtet. Durch die inzwischen er- 
folgte Annahme eines rauchschwachen Pulvers kann sich hierin nur 
ändern, dafs, in wenig übersichtlichem Gelände, das Erkennen der 
Ortlich keiten, wo, und der Zeitpunkte, in welchen der feindliche 
Widerstand besonders kräftig, also hauptsächlich niederzukämpfen 
ist, noch schwerer wird. In übersichtlichem Gelände wird dagegen 
die Schwierigkeit, eine vom feindlichen Feuer beherrschte Fläche 
zu durchschreiten, durch den Wegfall der die eigene Thätigkeit 
verschleiernden Rauchwolken, wesentlich gesteigert werden. Über 
diese gröfsere Schwierigkeit kann, aufser den Mitteln, welche 
die Exerzier-Reglements der Infanterie und Feld -Artillerie bereits 
angeben, nur das wirksame Feuer der in Feuerstellung be- 
findlichen Artillerie hinweghelfen. Bevor die Infanterie eine 



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Der Einflute des ranchschwachen Pulvere u. b. w. 



69 



vom Feinde eingesehene und beherrschte Fläche betritt, müssen die 
feindlichen Abteilungen, welche mit ihrem Feuer diese Fläche be- 
herrschen, von der diesseitigen Artillerie niedergekämpft werden. 

Nachdem in Zukunft nicht mehr starke Rauchwolken über die 
Stellungen und Thätigkeiten von Freund und Feind orientieren, 
müssen die Artillerie-Führer aller Grade bestrebt sein, durch ver- 
mehrte Beobachtungen, sich die ihnen notige Kenntnis über den 
Gang und Verlauf des Infanterie-Angriffs zu sichern. Auch eine 
gesteigerte Verbindung — wechselseitige Benachrichtigung — zwischen 
der Artillerie und der den Angriff ausführenden Infanterie, ver- 
mittelst der Adjutanten und Meldereiter der leitenden Artillerie- 
Führer, wird, namentlich in nicht sehr übersichtlichem Gelände, 
nötig sein. Diese vermehrten Beobachtungs- und Benachrichtigungs- 
Bedürfnisse werden sich auch dahin zu erstrecken haben, ob nicht 
der Gegner, trotzdem er sich im Artillerie-Kampfe überwältigt 
ergab, bevor dieses von uns wirklich erreicht war, freiwillig 
Batterien schweigen liefs, um sie ungeschwächter zur Abwehr unseres 
Infanterie -Angriffs erneut in Thätigkeit bringen zu können. Sobald 
sich letzteres ergiebt, kann es, behufs Ermöglichung der baldigen 
Niederkämpfung der gegen unseren Infanterie -Angriff mit verstärkten 
Kräften thätigen feindlichen Artillerie, nötig werden, diese mit dem 
gröfseren Teile, dagegen die Ei nb ruchstelle inzwischen nur mit 
dem hierfür verfügbar bleibenden Reste der diesseitigen Artillerie 
bekämpfen zu lassen. Ist die den Hauptangriff ausführende Infanterie 
noch nicht im wirksamen feindlichen Gewehrfeuer angelangt, so wird, 
bevor die Infanterie eine vom feindlichen Feuer beherrschte Fläche 
betritt, vor Allem die Niederkämpfung der wieder thätig gewordenen 
feindlichen Artillerie, dann erst ein überwältigendes Artilleriefeuer 
gegen den anzugreifenden Teil, insbesondere gegen jene Teile der 
feindlichen Stellung, welche mit Infanteriefeuer die von unserer 
Infanterie zu durchschreitende Fläche beherrschen, geboten sein. 

3. Die Leitung der Thätigkeit der Artillerie, im Sinne der 
Absichten des Truppenführers und mit klarer Beurteilung der Ge- 
fechtslage, obliegt beim Kampfe einer selbstständigen Division dem 
Commandeur des Divisions-Artillerie-Regiments. Beim Kampfe im 
Armee-Corps-Verbande wird, in so lange die mit der Ausführung 
des entscheidenden Angriffs beauftragte Division noch nicht mit 
ihrer Infanterie in den Kampf eingetreten ist und deshalb auch die 
andere Division — deren Avantgarde deu Kampf eingeleitet hat — 
diesen nur hinhaltend führt, die obere Leitung der gesamten Artillerie 
dem Artillerie- Brigade-Commandeur obliegen. Es wurde bereits 



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Der EinflufB des rauchschwachcn Tulvers u. s. w. 



ad IV. 1. erwähnt, dats dieser Sorge getragen haben wird, die 
Divisions-Artillerie-Regimenter in der für den entscheidenden Artillerie- 
kampf und die Vorbereitung des Infanterie -Angriffs ermittelten Feuer- 
stellung auf dem ihrer Division näher gelegenen Flügel aufzustellen. 
Dadurch wird dem Brigade-Commandeur ermöglicht, mit der Feuer- 
thätigkeit der Divisions -Artillerie-Regimenter die dem AugrifF ihrer 
Division entgegen stehenden Hindernisse überwältigen und nach 
Bedarf das Feuer der ersteren durch die Feuerthätigkeit des zwischen 
ihnen aufgestellten Corps-Artillerie-Regiments unterstützen zu lassen. 
Spätestens von dem Augenblicke an, in welchem die mit Ausführung 
des entscheidenden Angriffs beauftragte Division mit ihrer Infanterie 
in den Kampf tritt, und deshalb auch der seither hinhaltend ge- 
führte Kampf der anderen Division wieder vorzuschreiten beginnt, 
müssen die Divisious -Artillerie- Regimenter unter den unmittelbaren 
Befehl des Divisious-Commandeurs zurücktreten. Dem komman- 
dierenden General und dem Brigade-Commandeur der Artillerie ver- 
bleibt also, nach Beginn des entscheidenden Infanterie-Angriffs nur 
mehr über das Corps-Artillerie-Regiment die Verfügung. Mit dem 
Feuer dieses Regiments mnfs der Kampf der Divisionen da unter- 
stützt werden, wo solches durch die Verhältnisse geboten ist. In 
den Fällen, in welchen das Corps -Artillerie- Regiment, im Vereine 
mit einem neben demselben befindlichen Divisions-Artillerie-Regiment 
ein und dasselbe Ziel bekämpft, übernimmt der Artillerie-Brigade- 
Commandeur die Feuerleitung über beide Regimenter, indem er 
jedem Regiment den ihm entsprechend gegeuüber liegenden Teil 
des gemeinschaftlichen Ziels zur Bekämpfung zuweist. 

4. So lange die Artillerie, aus der für den entscheidenden 
Artilleriekampf eingenommenen Feuerstellung, den Infanterie- 
Angriff zweckentsprechend unterstützen kann, und die 
für eine sichere Feuerleitung in Betracht kommenden Verhältnisse 
— Unterscheidung von Freund und Feind, Streuungen der Geschosse, 
Beobachtung der Schüsse u. s. w. — eine Gefährdung der eigenen 
Truppen ausschliefsen, ist ein Stellungswechsel unnötig (Ex.- 
Regl. f. d. F. -Art., Ziffer 323). — Von den besonderen Verhält- 
nissen des Gefechts und des Geländes, sowie der Entfernung der 
eingenommenen Feuerstellung von der feindlichen Stellung, wird es 
abhängig sein, ob die Artillerie aus dieser Feuerstellung die Durch- 
führung des Infanterie -Angriffs bis zum Sturm unterstützen und 
fördern kann. Ist dieses aus der inne habenden Feuerstellung 
möglich, so liegt, namentlich wenn dieselbe wenig über 2000 m von 
der feindlichen Stellung entfernt ist, kein Grund zu einem Stellungs- 



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Der Einflnfs des rauchsehwaehen Pulvere u. 8. w. 



71 



Wechsel vor, denn jeder Stellungswechsel unterbricht die Feuer- 
thätigkeit und gereicht nicht dem Angreifer, sondern dem Verteidiger 
um so mehr zum Vorteil, je weniger derselbe der Sicht des letzteren 
entzogen werden kann. Auch läfst sich auf eine Wirkung aus der 
neuen Feuerstellung erst nach dem aus derselben bethätigten Eiu- 
schiefsen hoffen. Anders liegen natürlich die Entscheidungsgründe, 
wenn die für den Artilleriekampf und die Vorbereitung des In- 
fanterie-Angriffs eingenommene Feuerstellung 2500 m oder noch 
weiter von der feindlichen Stellung entfernt ist, und — der feind- 
lichen Stellung nähere — für die Unterstützung des Iufanterie- 
Augriffs erst ganz entsprechende oder wenigstens günstigere Feuer- 
stellungen, mit Rücksicht auf den wirksamen Bereich des feindlichen 
Infanteriefeuers (1500 m), für die Durchführung des Artillerie- 
kampfes nicht eingenommen werden konnten. In diesem Falle wird, 
sobald die feindliche Infanterie durch unseren Infanterie -Angriff 
beschäftigt ist, namentlich dann, wenn sich das Vorrücken in die 
neuen Feuerstellungen der Sicht des Feindes entziehen läfst, von 
den Divisions -Artillerie-Regimentern unbedingt in dio dem Kampfe 
ihrer Division entsprechenderen (erforderlichenfalls zwischen den 
Brigaden der Division gelegenen) näheren Feuerstellungen vorgerückt 
werden müssen, sobald dieses durch das Vorschreiten des Angriffs 
ermöglicht ist. — Erste Bedingung, welcher diese näheren, aber, 
wie schon erwähnt wurde, mindestens 1000 m von der feindlichen 
Stellung entfernten Feuerstellungen entsprechen müssen, ist »ein 
ausgedehntes freies Srhufsfeld und die Möglichkeit der Bestreichung 
des Geländes bis auf die nächsten Eutfernungenc. Vorteilhaft ist 
auch hier die Aufstellung hinter, wenn auch noch so unbedeutenden 
Gelände-Erhebungen, so dafs die Mündungen der Geschütze dieselben 
noch eben überragen. Von diesen, dem Feinde nähereu Feuer- 
stellungen aus ist die feindliche Stellung, wenn sie erobert wurde, 
schneller zu erreichen, im entgegengesetzten Falle kann von ihnen 
aus der Verfolgung des Feindes sofort kräftig begegnet werden. — 
Ob für beide Abteilungen oder nur eine Abteilung (vielleicht auch 
nur einzelne Batterien) der Divisions-Artillerie-Regimenter das Vor- 
gehen in diese näheren Feuerstellungen nötig ist, hängt von den 
besonderen Verhältnissen des Gefechts und Geländes ab. Jedenfalls 
können aber nur diejenigen Abteilungen u. s. w. der Divisions- 
Artillerie-Regimenter, in der für die Durchführung des entscheiden- 
den Artilleriekampf, s und die Vorbereitung des Infanterie-Angriffs 
eingenommenen Feuerstellung belassen werden, welche von dieser 
aus den Kampf ihrer Infanterie-Division zweckentsprechend unter- 



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72 



0er Einflnfe des rauchschwachen Polrers u. s. w. 



stützen können. Ob auch das Corps-Artillerie-Regiment mit seinen 
beiden Abteilungen oder nur einer derselben dem vorschreitenden 
Infanterie -Angriff folgen mufs oder nicht, ist, wie bei den Divisions- 
Artillerie-Regimentern, von den besonderen Verhältnissen abhängig. 
Erster Grundsatz wird hierbei sein müssen, dafe auch das Corps- 
Artillerie-Regiment die für den Erfolg des Infanterie-Angriffs ge- 
botene Unterstützung des Feuers der Divisions -Artillerie in wirk- 
samster Weise gewähren könne. Läfst sich diese Unterstützung 
aus der für den Entscheidungskampf mit der feindlichen Artillerie 
eingenommenen Feuerstellung bethätigen, so ist dieses um so günstiger. 
Andernfalls mufs darauf Bedacht genommen werden, dafs das Vor- 
gehen in die neue, jedenfalls über 1000 m von der feindlichen 
Stellung entfernte Feuerstellung der Sicht des Feindes thunlichst 
entzogen werde. Gegenangriffe werden wohl meistens von demjenigen 
feindlichen Flügel aus, gegen welchen unser Hauptangriflf gerichtet 
ist, erfolgen. Die Unterstützung unserer, zur Abwehr des Gegen- 
angriffs in Thätigkeit tretenden Reserve, beziehungsweise die rasche 
Einnahme einer, die äufeere Flanke unseres Angriffs sichernden 
Feuerstellung durch eine Abteilung des Corps -Artillerie-Regiments, 
kann dann nötig werden und um so rascher gewährt werden, wenn 
sich in der Corps -Artillerie reitende Batterien befinden. — Bei dem 
Teile der ihrem Befehlsbereiche unterstellten Artillerie, von welchem 
aus die beste Übersicht über den Gefechts verlauf gewonnen werden 
kann, müssen sich die höheren Commandeure der Artillerie befinden. 
Namentlich in nicht ganz übersichtlichem Gelände werden sie häufig 
nur von dem, dem Kampffelde genähertsten Teile ihrer Artillerie 
aus die den Gefechts-Verhältnissen der kämpfenden Infanterie ent- 
sprechendste Thätigkeit der Artillerie erkennen und demgemäß auch 
über die, bis nicht hierher vorgerückte Artillerie mit klarer Be- 
urteilung der Gefechtslage verfügen können. 

Ob die Artillerie, insbesondere jene der den Hauptangriff aus- 
führenden Division, noch näher als mindestens 1000 m von feind- 
licher Infanterie entfernt, wiederholt neue Feuerstellung (mit einer 
Abteilung oder mit einzelnen Batterien) zu nehmen hat, hängt von 
den besonderen Verhältnissen ab. Seither empfahl es sich, um den 
Angriff der Infanterie zu erleichtern, ihr Vorgehen durch einzelne 
Batterien bis auf nächste, wirksamste Entfernung begleiten zu lassen 
(Ex.-Regl. f. d. F.- Art. Ziffer 324). Nachdem aber, seit Erscheinen 
dieses Reglements, die Feuerkraft der Infanterie so wesentlich ge- 
steigert worden ist, wird ein Herangehen der Artillerie an 
die feindliche Infanterie bis auf 1000 m oder weniger 



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Der Einflufs des rauchschwachen Pulvers u. s. w. 



73 



Entfernung, voraussichtlich viel häufiger zur Vernichtung 
der Artillerie, als zum Vorteil des Infanterie -Angriffs 
gereichen, und deshalb wohl nur selten zu empfehlen sein. Denn 
einer intakten feindlichen Infanterie gegenüber wird die Artillerie, 
wenn sie eine so nahe Feuerstellung nicht unbemerkt vom Feinde 
erreichen und besetzen kann, voraussichtlich kaum zum Abprotzen, 
geschweige Einschieben, gelangen. 

5. Bei der Verfolgung des Feindes, beziehungsweise beim 
Angriff auf die vom Feinde eingenommene Aufnahmestellung, bleibt, 
ebenso wie im Falle eines mifslungenen Angriffs und des etwa nötig 
werdenden Rückzuges, der hohe Wert der Artillerie-Unterstützung 
unverändert. Nur die Bethätigung der Aufgaben, welche der 
Artillerie bei der Verfolgung obliegen, wird, namentlich in einem 
nicht übersichtlichen Gelände, wegen der nicht mehr durch die 
beiderseitigen starken Rauchwolken erleichterten Erkennung und 
Beobachtung der von eigenen und feindlichen Truppen erreichten 
Linien u. s. w. schwieriger werden. 

6. Auch in der Verteidigung, also, wenn »in einer hierzu 
geeigneten Stellung das Vorschreiten des Gegners vorerst nur auf- 
gehalten werden soll,« werden, wie ad III. erwähnt wurde, die von 
der Artillerie zu erfüllenden Aufgaben, durch die Annahme eines 
rauchschwachen Pulvers, nicht geändert. Diese Aufgaben sind und 
bleiben: »Bekämpfung der feindlichen Artillerie, bis die Infanterie 
zum Angriff vorgeht. Alsdann mufs die Artillerie, ohne das feind- 
liche Geschützfeuer zu beachten und, erforderlichenfalls unter Auf- 
gabe der Deckung, die Infanterie zum Ziel nehmen (Ex.-Regl. f. d. 
F.-Art. Ziffer 331)«. Das Letztere ist auch, wenn wir selbst den 
Angriff beabsichtigen, geboten, falls uns der Gegner mit dem von 
ihm ebenfalls beabsichtigten Angriff zuvorkommt. — Um aber dem 
Infanterie -Angriff mit aller Kraft begegnen zu können und so mehr 
Aussicht zu haben, diesen — also die Hauptsache — abzuweisen, 
kann der Verteidiger, aus dem Wegfall der, die eigene Feuerstellung 
seither weithin verratenden Rauchwolken, in der bereits ad IV. 2 
angedeuteten Weise Nutzen ziehen. Werden, nicht erst, nachdem 
sich die Fortsetzung des Artilleriekampfes aussichtslos zeigt, sondern 
sobald sich die Überlegenheit der feindlichen Artillerie erkennbar 
macht, auf Befehl des Truppenführers, die Batterien der Wirkung 
des feindlichen Feuers entzogen, so kann der Verteidiger dem 
Angriff der feindlichen Infanterie mit seiner ungeschwächten Artillerie 
mit aller Kraft entgegentreten. 



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74 



Der Einflute des ranchsch wachen Pulvers u. s. w. 



Durch den Wegfall der starken Rauchwolken, welche seither 
die Mafsnahmen und Thätigkeiten des Angreifers verschleierten, 
wird, wie bereits mehrfach erwähnt wurde, die Schwierigkeit, eine 
vom Feuer des Verteidigers beherrschte Fläche zu durchschreiten, 
noch gröfser. Der Angreifer wird deshalb, wie schon ad IV. 2 
angegeben wurde, eine vom feindlichen Feuer beherrschte Fläche 
erst dann mit seiner Infanterie betreten, nachdem es seiner Artillerie 
gelungen ist, die feindlichen Abteilungen, welche mit ihrem Feuer 
diese Fläche beherrschen, niederzukämpfen oder wenigstens zu 
dämpfen. Für den Verteidiger wird, ähnlich wie beim ein- 
leitenden Artilleriekampf, das Bestreben sich geltend machen, 
seine Artillerie, wenn die Überlegenheit der Augriffs- 
Artillerie fühlbar zu werden beginnt, der Wirkung des 
feindlichen Feuers vorübergehend wieder zu entziehen, 
um sie, sobald die feindliche Iufanterie die von seinem Feuer be- 
herrschte Fläche betreten hat, mit thunlichst ungeschwächter Kraft 
gegen den Infanterie -Angriff wirken lassen zu können, diesen auf- 
zuhalten und, wenn möglich, abzuweisen. 

Die Folge eines derartigen Verfahrens des Verteidigers mufs 
aber sein, dafs für die Artillerie des Angreifers die Bekämpfung 
der feindlichen Artillerie, auch nach Beginn des Infanterie -Angriffs, 
mehr, wie seither, nötig sein wird. Der Angreifer wird also, ins- 
besondere bis die Angriffs-Infanterie sich den feindlichen Batterien 
auf 1000 m Entfernuug genähert hat und so Aussicht hat, durch 
ihr Feuer die Überlegenheit über das feindliche Artilleriefeucr ge- 
winnen zu können, jeweilig richtig bemessen müssen, mit welchem 
Teile seiner Artillerie die feindliche Artillerie, mit welchem der 
anzugreifende Teil der feindlichen Stellung bekämpft werden mufs, 
um das Vorschreiten und den Erfolg des Infanterie -Angriffs zu 
ermöglichen. 

7. Eine Verminderung des seither als nötig erkannten Stärke- 
Verhältnisses der Artillerie zur Infanterie erscheint also, in Folge 
Einführung eines rauchschwachen Pulvers, weder für den Augriff 
noch für die Verteidigung zulässig. Dagegen wird, in Zukunft, 
ein noch innigeres Zusammenwirken des Feuers beider 
Waffen in der Weise geboten sein, dafs für die Artillerie des 
Verteidigers die Abweisung des Infanterie- Angriffs, für die 
Artillerie des Angreifers die Niederkämpfung der mit ihrem Feuer 
gegen die Angriffs- Infanterie thätig werdenden Verteidigungs- 
Artillerie — in so lange bis letztere von der Angriffs-lnfanteric 
selbst wirksam bekämpft werden kann, und daun ausschliefslich 



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Der Kinflufs des rauchschwachen Pulvere u. s. w. 



7f> 



gegen den anzugreifenden Teil der feindlichen Stellung — noch 
mehr, wie seither, die Hauptsache wird. 

ad V. Der Einflufs, welchen das rauchschwache Pulver auf 
die Thätigkeit, Verwendung und Führung der Feld -Artillerie im 
Gefecht ausübt, mufs bereits bei der Ausbildung der Feld- 
Artillerie im Frieden, der Vorbereitungszeit für den Krieg, volle 
Berücksichtigung finden. Die Aufgaben, welche die Feld -Artillerie 
im Gefecht zu erfüllen hat, bleiben dieselben. Die Artillerie wird 
jedoch ihre Thätigkeit mehr mit Rücksicht auf die für die Infanterie 
gebotene, in der Weise entfalten müssen, dafs sie beim Augriff vor 
Allem die Erleichterung des Infanterie -Angriffs, bei der Verteidigung 
die Abweisung des feindlichen Infanterie- Augriffs im Auge hat. 
Aufserdem wird die Verwertung des Geländes für bestmögliche 
Feuerthätigkeit gegen den Feind und für Erschwerung der Feuer- 
thätigkeit des Feindes, unter Voranstellung des erstgenannten Be- 
dürfnisses, eine noch grofsere Wichtigkeit, gewinnen. Die Thätig- 
keit, mit welcher die Artillerie die ihr im Gefecht zukommenden 
Aufgaben erfüllen kann, das Schiefsen, und die zweckentsprechendste 
Anpassung dieser Thätigkeit an jene der Infanterie, wird aber dann 
wesentlich schwieriger werden, weuu der Gegner in der Verwendung 
und Aufstellung seiner Infanterie und Artillerie durch das Gelände 
begünstigt ist und diese Gunst richtig zu verwerten verstanden hat. 
Die Gewandtheit, Geschicklichkeit, mit eiuem Worte die Kunst im 
Schiefsen, auch unter für die Beobachtung schwierigen Verhält- 
nissen, und in der Benutzung des Geländes für eigenen Vorteil und 
Verhinderung des feindlichen, wird zweifelsohne eine wesent- 
lich erhöhte Bedeutung gewinnen. 

Die gesteigerten Anforderungen, welche au die Führer der 
Feld-Artillerie, bei der Wahl, Erkundung, Erreichung und Besetzung 
der Feuerstellungen, der Thätigkeit aus letzteren und während des 
gesamten Gefechtsverlaufes herantreten, müssen von diesen mit Zu- 
hülfenahme ihrer Adjutanten und Meldereiter gelöst werden. Daraus 
folgt: 1. Nicht nur die Ausbildung der Führer und der Offiziere 
der Feld -Artillerie, sondern auch jene der Meldereiter mufs mit 
Rücksicht auf die Überwindung der, in den erwähnten Richtungen 
gesteigerten Anforderungen bethätigt werden. Übungsreisen, 
nach Art derjenigen, welche sich bei der Kavallerie seit länger als 
einem Jahrzehnt und bei der Infanterie seit Erscheinen der neuen 
Felddienst-Ordnung so sehr bewähren, uud deren grofser Wert für 
die Feld-Artillerie bereits im März- und September-Hefte 1880 
dieser Zeitschrift eingehend besprochen wurde, sind ein noch 



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76 



Der Einflufs des rauchschwachen Pulvers n. s. w. 



unabweislicheres Bedürfnis geworden. Rasche Erkennung, Erkundung 
und Verwertung des Geländes muls nicht blofs in dem der Garnison 
nächst gelegenen, sondern in wechselndem Gelände gefördert werden. 
Diese wichtigen Übungen gewinnen an Umfang und Wert, wenn sie 
von den Offizieren einer Feld -Artillerie-Brigade, mit Beiziehung der 
Meldereiter, unter Leitnng des Brigade-Commandeurs, ausgeführt 
werden, und hierfür, nicht wie bei den Übuhgsritten , nur einige 
Stunden, sondern einige Tage nach einander verwendet werden 
können. 

2. Die Meldereiter sind den Batterien, Abteilungen, Regi- 
mentern, Brigaden der Feld -Artillerie nicht nur für die Auf klärung 
der Gangbarkeit des Geländes, sondern, namentlich den Batterie- 
führern, häufiger wie früher, für die Beobachtung der Wirkung 
gegen das zu bekämpfende Ziel unentbehrlich. Wenn schon 
seither für jede Batterie mindestens 2 Meldereiter nötig waren, so 
erscheinen jetzt für jede Batterie deren 3 erforderlich, damit, nach 
Verwendung eines derselben als Beobachter, noch 2 für Aufklärung 
des Geländes u. s. w. verfügbar bleiben. Berücksichtigt man, dafs 
die für die Abteilungen, Regimenter, Brigaden nötigen Meldereiter 
ebenfalls von den Batterien gestellt werden müssen, so ist es 
geradezu Bedürfnis geworden, dafs bei jeder Batterie schon im 
Frieden 4 oder 5 zu diesem wichtigen Dienst geeignete Mann- 
schaften (Unteroffiziere, Trompeter, berittene Gefreite) stets vor- 
handen sind, beziehungsweise in entsprechender Weise für den 
Dienst als Meldereiter herangebildet werden. 

3. Die als Beobachter verwendeten Meldereiter müssen jeden- 
falls mit Ferngläsern ausgerüstet sein. Aufserdem empfiehlt es sich, 
dafs, wie ad III. 1 erwähnt wurde, die Mittel, welche die in den 
letzten Jahren in ihrer Anwendung für militärische Zwecke so sehr 
geförderte Telegraphie darbietet, dahin geprüft werden, ob sich 
mittelst derselben unmittelbare Berichterstattung der Beobachter, 
von ihrem Aufstellungspunkte aus, an die Batterieführer, beziehungs- 
weise die in deren Nähe befindlichen Trompeter, ermöglichen läfst. 
Mit dem Mittel, welches hierfür am besten entspricht, müssen 
namentlich die als Beobachter verwendeten Meldereiter ausgerüstet 
werden. 

4. Nun bleibt noch zu erwägen, welche Änderungen, in 
den für den Gebrauch der Feld -Artillerie im Kriege am meisten 
in Betracht kommenden Vorschriften, durch die Einführung eines 
rauchschwachen Pulvers, nötig werden könnten. Zu diesen Vor- 
schriften gehören: a) Felddienst - Ordnung (1887), b) Exerzier- 



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Der Einflufs des raucbschwachen Pulvere u. s. w. 77 



Reglement für die Feld -Artillerie (1889), c) Schiefsregeln für die 
Feld -Artillerie (1889) und d) Anleitung zur Ausbildung der Richt- 
kanoniere der Feld -Artillerie (1887). 

ad a) Bezüglich der Feld dienst- Ordnung erscheint keine 
Änderung geboten, denn das ad II. 2, c als vorteilhaft bezeichnete 
Folgen der, in der Avantgarde einer selbststandig auftretenden be- 
ziehungsweise auf einer eigenen Strafse marschierenden Division 
eingeteilten Artillerie, statt hinter dem Teten-Bataillon des Haupt- 
trupps, um ein Bataillon weiter zurück, mithin mit einem Infanterie- 
Regiment vor sich, steht mit der Felddienst-Ordnung nicht in 
Widerspruch. Die Ziffer 217, Teil I dieser Vorschrift spricht sich 
bereits dahin aus, dafs die Artillerie in der Marschkolonne so weit 
nach vorne zu nehmen ist, als ihre Sicherheit es erlaubt. 

ad b) Der das Gefecht behandelnde IV. Teil des Ex.- 
Regl. f. d. F.- Art wird, auch nach Einführung eines rauch- 
schwachen Pulvers, mustergültig bleiben. Denn selbst hinsichtlich 
des in Zukunft voraussichtlich noch mehr gebotenen innigen Zu- 
sammenwirkens der Infanterie und Artillerie, in der Weise, dafs 
für die Artillerie des Verteidigers (abgesehen von den Augen- 
blicken, in welchen die Angriffs-Artillerie während ihres Vorgehens 
wirksam beschossen werden kann) die Abweisung des Infanterie- 
Angriffs, für die Artillerie des Angreifers die Niederkampfun g 
der wieder mit ihrem Feuer gegen den Infanterie -Angriff thätig 
werdenden Verteidigungs-Artillerie, noch mehr die Hauptsache 
wird, enthält das Ex.-Regl. bereits das Nötige. Insbesondere ist in 
den die Verteidigung betreffenden Ziffern 327 bis 332 des Regle- 
ments wiederholt hervorgehoben, dais das Bekämpfen des Infanterie- 
Angriffs unbedingt die Hauptsache für die Verteidigungs- Artillerie 
ist. Hier kann nur der Absatz 2 der Ziffer 331 die Erweiterung 
erhalten, »dafs, nicht erst, wenn sich die feindliche Artillerie so 
überlegen zeigt, dals die Fortsetzung des Artilleriekampfes aus- 
sichtslos wird, sondern sobald sich die Überlegenheit der feindlichen 
Artillerie fühlbar machet, die Verteidigungs -Artillerie sich der 
Wirkung des feindlichen Artilleriefeuers vorübergehend entzieht«, 
der Wegfall der starken, die eigene Feuerstellung und Thätigkeit 
verratenden Rauchwolken also vom Verteidiger dahin verwertet 
wird, den Infanterie -Angriff mit dem Feuer seiner thunlichst un- 
geschwächten Artillerie abweisen zu helfen. 

Bezüglich der den Angriff betreffenden Ziffern 319 bis 326 
des Reglements bleibt zu erwähnen, dafs Absatz 2 der Ziffer 323: 
»sollten nach Ansetzen des Infanterie -Angriffs neu auftretende oder 



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78 



Der Eiiiflufs des rauchschwachen Pulvers u. s. w. 



den Kampf wieder aufnehmende feindliche Batterien sich gegen die 
(Angriffs-) Artillerie wenden, so niufs trotzdem die Hauptfeuerkraft 
zur Unterstützung des Infanterie -Angriffs eingesetzt bleiben«, noch 
mehr nur anf die sich mit ihrem Feuer gegen die Artillerie wenden- 
den feindlichen Batterien bezogen werden darf. Denn offenbar 
mufe die feindliche Artillerie, welche sich mit ihrem Feuer gegen 
den Infanterie -Angriff wendet, namentlich dann, wenn letzterer noch 
nicht in den wirksamen Gewehrbereich des Feindes eingetreten ist, 
mit der gesamten Angriffs-Artillerie niedergekämpft werden. Selbst 
dann, wenn der Infanterie -Angriff bereits im wirksamen Gewehr- 
bereich des Feindes angelangt, aber noch 1000 m und mehr von 
den feindlichen Batterieu entfernt ist, wird die Angriffs-Artillerie 
vor Allem die gegen den Infanterie-Angriff thätige Verteidigt! ngs- 
Artillerie niederkämpfen müssen und, bis dieses erreicht ist, nur 
mit dem ihr bleibenden Rest den anzugreifenden Teil der feindlichen 
Stellung bekämpfen können. — Die durch den Wegfall der Hauch- 
wolken vergröfserte Schwierigkeit, eine vom feindlichen Feuer be- 
herrschte Fläche zu durchschreiten, bedingt ferner, dafs, ehe die 
Angriffs-Infanterie eine solche Fläche betritt, die feind- 
lichen Abteilungen, welche mit ihrem Feuer diese Fläche 
beherrschen, von der Angriffs-Artillerie niedergekämpft 
werden müssen. Hierbei wird zu unterscheiden sein, ob die 
Angriffs-Infanterie aus den schon erreichten Stellungen mit Aussicht 
auf Erfolg gegen die feindliche Artillerie selbst thätig sein kann. 
Auf Entfernungen unter 1000 m wird die Infanterie im Gefecht 
gegen Artillerie die Überlegenheit gewinnen, und wird es deshalb 
angezeigter sein, die sichtbare feindliche Artillerie durch die In- 
fanterie und nur die im Gelände gegen unsere Sicht gedeckte 
feindliche Artillerie und die feindliche Infanterie, namentlich die 
durch das Gelände oder Schützengräben der Sicht entzogene, durch 
die Artillerie zu bekämpfen. Hierdurch wird auch das Vorgehen 
der Angriffs -Artillerie aus ihrer für den entscheidenden Artillerie- 
kampf und die Vorbereitung des Infanterie-Angriffs eingenommenen 
(2000— 2500 m von der feindlichen Artillerie, mindestens 1500 m 
von der feindlichen Infanterie entfernten Feuerstellung) in die im 
Verlaufe des Infanterie-Angriffs gebotenen näheren Feuerstellungen, 
in der besten Weise, gegen das feindliche Artilleriefeuer gedeckt. 
Aus diesen näheren, jedoch noch über 1(300 m von der feindlichen 
Infanterie entfernten Feuerstellungen kann dann die Artillerie den 
anzugreifenden Teil der feindlichen Stellung, ohne die Überlegenheit 
des gegen sie gerichteten feindlichen Infanteriefeuers zu sehr fühlen zu 
müssen, und die im Geländp gedeckte feindliche Artillerie fortbekämpfen. 



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Der Einflufo des rauchschwachen Pulrcrs u. s. w. 



79 



ad c) Auf Grund der bis jetzt auf dem Schiefeplatze ge- 
wonnenen Erfahrungen sind rauchschwache Ziele, wenn sie gut 
gedeckt auf dunklem Hintergründe stehen, oft selbst mit dem besten 
Glase nicht zu entdecken. Erst auf der Spreugwolke eines nicht 
zu fern hinter ihuen gesprungenen Geschosses heben sie sich ab. 
Das Schiefsen gegen solche Ziele zerfällt also naturgeniäfe in zwei 
Teile: »Zuerst Aufsuchen des Ziels durch entsprechende Änderung 
der Seiteurichtung und dann fjeran schiefsen von rückwärts an das 
Ziel.« Da Schüsse vor dem Ziel schwieriger als solche hinter dem 
Ziel zu beobachten sind, empfiehlt es sich, sobald ein Schüfe hinter 
dem Ziel beobachtet wurde, den folgenden, entgegengesetzt dem 
seitherigen Verfahren, nicht mit energischem, sondern nur mit einem 
solchen Abbrechen an Entfernung abzugeben, dafs eher darauf ge- 
rechnet werden kann, auch diesen Schüfe hinter das Ziel zu erhalten. 
Das Abbrechen an Entfernung um nur 100 m wird also stets an- 
gezeigt sein, wenn der vorhergehende Schüfe nicht sicher mindestens 
200 m hinter dem Ziel erkannt wurde. Mit dem Abbrecheu wird 
so lange fortgefahren werden müssen, bis das Ziel durch einen 
hinter und einen vor demselben beobachteten Schüfe eingeschlossen 
ist (weite Gabel von 100 m). 

Demnach würden sich für die Schiefsregeln die nachstehen- 
den Ä nderungen ergeben.*) Ziffer 4: War der erste Schufs vor 
dem Ziel, so ist für den nächsten Schufs an Entfernung zuzugeben 
und zwar gleich soviel, dafs man sicher darauf rechnen kann, diesen 
Schüfe hinter das Ziel zu erhalten. War der erste Schufs hinter 
dem Ziel, so wird der folgende nicht mit energischem, sondern nur 
mit einem solchen Abbrechen an Entfernung abgegeben, dafs eher 
darauf gerechnet werden kann, auch diesen Schüfe hinter das Ziel 
zu erhalten. Das Abbrechen an Entfernung um nur 100 in wird 
also stets angezeigt sein, wenn der vorhergehende Schüfe nicht 
sicher mindestens 200 m hinter dem Ziel erkannt wurde. Mit dem 
Abbrechen wird so lange fortgefahren, bis das Ziel durch einen 
hinter und eineu vor demselben beobachteten Schüfe eingeschlossen 
ist (weite Gabel von 100 m). — Ziffer 5: (fällt aus). — Zur Be- 
gründung des befürworteten Ausfalls kann angeführt werden, dafe 
es, bei Bekämpfung von Zielen, welche sich erst auf der Sprengwolke 
eines nicht zu fern hinter ihnen gesprungenen Geschosses abheben, 
vor Allem darauf ankommen wird, zu erkennen, ob das Ziel in die 
Gabel von 100 m zutreffend eingeschlossen ist oder nicht. Wie 



•J Dieser Aufsatz ist den „Jahrbüchern" vor Erscheinen der neuen Schiefs- 
vorschrift eingeliefert worden. Anm. d. L. 



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80 



Der Einflute des rauchschwachen PulTew u. g. w. 



diese wichtige Kenntnis gewonneu werden könnte, ist in einer, im 
September-Hefte 1889 des »Archiv für die Artillerie- und Ingenieur- 
Offizierec erschienenen Studie bereits angegeben worden. In dieser 
Studie: »Was bringen die neuen Schiefsregeln der Feld -Artillerie?« 
wird vorgeschlagen, auf der die Gabel von 100 m halbierenden 
Entfernung stets zwei Schüsse abzugeben, gleichviel ob der 
erste derselben vor oder hinter dem Ziel liegt So lange, als es 
sich nicht um die Erreichung einer Wirkung, sondern um die Er- 
mittelung der zu treffenden Entfernung handelt, kann darin, dafa, 
mit der die Gabel von 100 m halbierenden Entfernung, auch hinter 
dem Ziel liegende, also leichter zu beobachtende Schüsse sich ergeben 
können, sicher kein Nachteil erkannt werden. — Wird der zweite 
Schüfe in demselben Sinne wie der erste beobachtet, so kann sofort 
die andere Grenze der Gabel von 50 m kontrolliert werden. Fällt 
aber der zweite Schnfs im entgegengesetzten Sinne, so weifs man 
nicht, welche Beobachtung am meisten Glauben verdient, ob die 
erste oder die zweite, oder ob vielleicht beide richtig sind. Deshalb 
müsse man in solchem Falle noch zwei Schüsse abgeben. Diese 
können nun entweder beide mit dem ersten oder beide mit dem 
zweiten Schufs übereinstimmen, oder endlich beide wieder verschieden 
ausfallen. Demgemäfs müfste entweder der erste oder der zweite 
Schufs als richtig angenommen und in diesem Falle die andere 
Grenze der Gabel in genau derselben Weise kontrolliert, oder aber 
es könnte, da von 4 Schüssen mit gleichem Aufsatz 2 vor, 2 hinter 
dem Ziele liegen, die Entfernung als zutreffend angenommen und 
das Shrapnelfeuer auf dieser Entfernung eröffnet werden. — Hat 
die Kontrolle der anderen Gabelgrenze gezeigt, dafs die Gabel richtig 
gebildet ist, so kann das Shrapnelfeuer auf der kurzen Gabel- 
entfernung eröffnet werden; zeigt sich dagegen die Gabel falsch 
gebildet, so mufs dieselbe von Neuem erschossen werden. 

Das Verfahren nach dem Ermitteln der weiten Gabel 
von 100 m, würde sich demgemäfs wie folgt gestalten: Ziffer 9: 
Mit der die Gabel von 100 ra halbierenden Entfernung wird das 
Feuer fortgesetzt. — Ziffer 10: Sobald von den nun folgenden 
Schüssen zwei sicher beobachtet wurden, wird auch bekannt sein, 
ob beide zu kurz oder zu weit waren, oder der eine zu kurz, der 
andere zu weit. Im letztgenannten Falle wird das Feuer mit der 
seitherigen Entfernung fortgesetzt, bis zwei weitere Schüsse sicher 
beobachtet worden sind. — Ziffer 11: Werden von den beiden 
zweiten Schüssen wieder der eine hinter, der andere vor dem Ziel 
liegend beobachtet, so ist die Batterie im Allgemeinen als einge- 



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Der Eiuflofs des rauchschwachen Pulvera u. s. w. 81 

Schossen zu betrachten und kann das Feuer, unter Verteilung des- 
selben, mit der seitherigen Entfernung fortgesetzt werden. — 
Ziffer 12: Werden die beiden zweiten Schüsse, oder schon die 
beiden ersten Schüsse zu kurz beziehungsweise zu weit beobachtet, 
so wird die diesen Schüssen entsprechende andere Grenze der Gabel 
von 50m kontrolliert.*) — Ziffer 13: Zeigt diese Kontrolle, dafs 
die Gabel von 50 m richtig gebildet ist, so wird das Feuer mit der 
kleinereu der beiden Gabelentfernungen, unter Verteilung desselben, 
fortgesetzt. Reicht aber diese Kontrolle nicht aus, so mufs von 
Neuem eine Gabel von 100 m gebildet werden. — Ziffer 14: Beim 
ferneren Schiefseu hat der Batterieführer darauf zu achten, dafs 
sich Vi der beobachteten Schüsse als zu weit erweisen. Betragen 
die Weitschüsse mehr als V31 »° ist die Batterie zu weit, betragen 
sie weniger als so ist sie zu kurz eingeschossen. Dementsprechend 
ist um 25 m mit der Entfernung zurück- beziehungsweise vorzu- 
gehen. — Ziffer IG: Das Schiefsen mit Shrapnels beginnt in der 
Regel erst, nachdem mit Granaten die Entfernung ermittelt ist. 
Oft wird hierfür das Erschiefsen der engen, oder unter besonderen 
Umstanden auch einer weiteren Gabel genügen müssen. Will man 
die Entfernung vorher genauer ermitteln, so genügt es schon, weuu 
von vier mit gleicher Erhöhung abgegebenen Schüssen zwei vor und 
zwei hinter dem Ziel liegen. — Ziffer 17: Der Übergang zum 
Shrapnelfeuer geschieht von der ganzen Batterie in durchgehendem 
oder lageweisetn Feuer. Ersteres verdient den Vorzug bei Bekämpfung 
solcher Ziele, gegen welche man, ihrer Beweglichkeit halber, nicht 
zur Regulierung der Sprengweiten kommen kann, wie Infanterie 
in freiem Felde, insbesondere hei kleineren Entfernungen, oder, 



♦) Wird der erste dieser Kontrollschüsse in demselben Sinne beobachtet, wie 
der beim Gabelschiefsen mit der nämlichen Entfernung abgegebene Schuf», so 
kann die enge Gabel von 50 m als zutreffend gebildet betrachtet werden. Wird 
aber der erste Kontrollschufs im entgegengesetzten Sinne beobachtet, wie der 
beim Gabelschiefsen mit derselben Entfernung abgegebene Schufs, so sind noch 
zwei weitere Kontrollschüsse mit der nämlichen Entfernung nötig. Wird dann 
von diesen zwei weiteren Kontrollschüssen der eine kurz, der andere weit be- 
obachtet, so kann die Entfernung, mit welcher die Kontrollschüsse abgegeben 
wurden, als zutreffend angenommen und das Shrapnelfeuer auf dieser Entfernung 
eröffnet werden. — Werden aber die zwei zuletzt abgegebenen Kontrollschüsse 
im selben Sinne beobachtet, so mufs unterschieden werden, ob sie mit dem beim 
Gabelschiefsen mit derselben Entfernung abgegebenen Schufs übereinstimmen, oder 
mit dem znerst abgegebenen Kontrollschufs. Ersterenfalls kann die Uabel von 
50 m als zutreffend gebildet betrachtet werden, während im zweiten Falle die 
Üabel von Neuem erschossen werden innfs. 

Jahrbirhar IVr dl* n»ut>«hi> Arm»» und Maria* Bd. LXXVI., 1. 



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82 



Der Einflufs des ranchschwachen Pulvers u. s. w. 



wenn die Entfernung mit Granaten genauer ermittelt und das Ver- 
halten der Zünder bekannt ist. Das lagenwei9e Laden, bei welchem 
Korrekturen leichter vorzunehmen sind, empfiehlt sich dagegen gegen 
alle Ziele, welche ihrer Natur nach an den Ort ihres Erscheinens 
gebundeu sind, z. B. Batterien, Infanterie in Schützengräben. 
Gleichzeitig mit dem Übergang zum Shrapnelfeuer wird in der 
Regel das Feuer verteilt, falls es noch nicht geschehen sein 
sollte. 

Für die Ziffer 23 der Schieferegeln würde sich die nach- 
stehende, bereits in der oben erwähnten Studie befürwortete und 
begründete, das Gedächtnis viel weniger beschwerende Fassung 
empfehlen: »Erhält man beim Schiefsen mit untergelegten Platten 
die mittlere Sprenghöhe gröfser als Vioo der Entfernung, so läfst 
der Batterieführer eine Platte fortnehmen, und empfiehlt es sich 
demnächst um 50 m vorzugehen.« — 

Nachdem in den Schiefsregeln, bei dem Schiefsen unter be- 
sonderen Verhältnissen, und zwar in Folge schwieriger Beobachtung, 
nur der Fall vorgesehen ist, dafs die Beobachtung wegen starken 
Pulverrauchs am Ziel schwierig ist, würde es sich empfehlen, der 
Ziffer 40. als Ziffer 47 — in den Schiefsregeln zur Zeit ohnehin 
nicht enthalten — anzureihen: »Ist das Ziel nicht sichtbar und 
wird dasselbe auch nicht durch seinen Pulverrauch erkennbar, so 
mufs, sobald dessen Aufstellung in Nähe eines, von der eigenen 
Feuerstellung aus sichtbarem, als Hülfsziel geeigneten Punktes (oder 
einer Linie) im Gelände, bekannt geworden ist, dieser als Zielpunkt 
bestimmt werden. Ist das wirkliche Ziel auch dem Batterieführer, 
von seinem »zwischen, rückwärts oder neben der Batterie« gewählten 
Aufstellungspunkte aus, nicht sichtbar, so mufs auf einem die Sicht 
desselben ermöglichenden, in gesicherter Verbindung mit der Batterie 
befindlichen Übersichtspunkte, ein Beobachter aufgestellt werden. 
Nur unter dieser Bedingung sind Feuerstellungen, von welchen aus 
das zu bekämpfende Ziel nicht sichtbar ist, überhaupt zulässig. 
Die Korrektur der Seiten -Abweichungen mufe, wenn ein, durch 
seinen Pulverrauch sich nicht erkennbar machendes Ziel von den 
Geschützen aus nicht sichtbar ist, vom Batterieführer, auf Grund 
seiner eigenen, oder der ihm vom Beobachter mitgeteilten Wahr- 
nehmungen, angeordnet, oder die Seiten -Abweichung den Zugführern 
bekannt gegeben werden.« — 

ad d) In der Anleitung zur Ausbildung der Richt- 
kanonier e ist das beim Richten gegen verdeckte Ziele gebotene 
Verfahren bereits enthalten. Die in Rede stehende Anleitung wird 



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■ 



Der Einflufs des rauchschwachen Pulrers n. s. w. 



überhaupt, aucli nach Einführung des rauchschwachen Pulvers, noch 
für die Ausbildung der Richtkanoniere sehr entsprechen. — Das 
Richten nach Raucherscheinungen wird jedoch, obwohl diese sehr 
viel schwächer wie seither, einen Anhalt für die feindliche Stellung 
bieten werden, mit Kanonenschlägen geübt werden müssen, deren 
Raucherscheinung jener des rauchschwachen Pulvers entspricht. 
Anfserdem wird die Verteilung des Feuers vermittelst der Seiten- 
verschiebung häutiger und in gröfserem Mafee, wie bisher, geboten 
sein. Dafs hierwegen sogar die Einführung eines speziell die 
gröfsere Verlegung der Schüsse nach der Seite begünstigenden 
Seitenrichtungsmittels nötig werden könnte, wurde bereits 
ad III. 1 erwähnt. Zweifellos wird in Zukunft, die Benutzung eines 
Punktes oder einer Linie als Hülfsziel, wonach die Seitenrichtung 
des Geschützes festgelegt werden kaun, wenn das eigentliche Ziel 
vom Geschütze aus nicht sichtbar ist und sich auch durch seineu 
Pulverrauch viel schwächer verrät, weit häufiger und in viel 
gröfserem Umfange geboten sein. Die Bedingungen, welchen eine 
Hülfsziel entsprechen mufs, sind bereits in der Anleitung zur Aus- 
bildung der Richtkanoniere (1887) angegeben. Auch in Zukunft 
wird ein Hülfsziel um so besser entsprechen, je schärfer es sich 
gegen den Hintergrund abhebt und je weiter es vom Geschütze 
entfernt ist, durch Bewegungen der Truppen nicht verdeckt wird 
und mit Sicherheit wieder aufzufinden ist. Kirchturm, Hauskante, 
Baum, Strauch, heller Sandfleck werden sich nach wie vor am 
besten für Hülfsziele eignen. — 

ad VI. Noch bleibt in Erwägung zu ziehen der etwaige 
Einflufs des neuen Pulvers mit den ihm eigneuden Kampf- 
bedingungen auf die Organisation der Feld -A rtillerie. Wir 
haben zunächst zu erwähnen, dafs der Entwurf des Gesetzes, be- 
treffend die Friedenspräsenzstärke des deutschen Heeres, folgende 
Organisation der Feld -Artillerie in Aussicht genommen hat. Die 
Zahl der Feld-Batterien wird von 304 auf 434, also um 70 Batterien, 
erhöht; nach deren Hinzutritt wird sich die Organisation derart 
gestalten, dafs aufser den für Kavallerie-Divisionen bestimmten 
reitenden Batterien, bei den zu 2 Divisionen formierten Armee- 
Corps je 20 Batterien, in 2 Regimenter und 7 Abteilungen gegliedert, 
vorhanden sind. Bei dem 11. und 2. königlichen bayerischsn Armee- 
Corps, welche 3 Divisionen haben, beziehungsweise erhalten, treten 
je 6 weitere Batterien — ein Regiment zu 2 Abteiinngen — hinzu. 
Das 12. (königlich sächsische) Armee-Corps hat in Rücksicht auf 
seine besondere Stärke im Ganzen 30 Batterien. Die Feld -Artillerie 

6* 



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84 



Der Einflnfs des rauchschwachen Pulvers u. s. w. 



wird hiernach die Stärke von 434 Batterien mit 2381 Bespannungen 
erhalten; sie steht dann hinter der franzosischen immer noch um 
46 Batterien and 742 Bespannungen zurück. 

1. Der Frontraum, welchen eine Batterie in der Feuerstellung 
einnimmt, wird mehr wie bisher dadurch heeinflufst werden, dafe 
die Aufstellung der Geschütze, wie bereits hervorgehoben 
wurde, dem sich in der Feuerstellung darbietenden Ge- 
lände anzupassen ist. Diese Rucksicht kann ebenso zu einer 
Vergröfserung wie Verkleinerung der Zwischenräume von 20 Schritt 
führen. Wenn auch, in Folge Fortfall des Rauches, in den Fällen, 
in welchen ein besonderer Zweck die Aufstellung einer gröfstmöglicheu 
Anzahl von Geschützen gebietet, zwischen den Geschützen viel eher, 
wie seither, kleinere Zwischenräume zulässig sind, so werden doch 
auch in Zukunft die Zwischenräume nicht unter 10 und nicht über 
30, höchstens 40 Schritt betragen dürfen. Der vom Batterie- 
Führer während des Kampfes zu beherrschende Froutraum wird 
also, abgesehen von deu eben erwähnteu Fällen, derselbe wie seither 
bleiben. Allerdings wird dem Batterie- Führer der Überblick über 
diesen Raum nicht mehr zeitweise durch starken Pulverrauch der 
eigenen Geschütze erschwert, dagegen werden sich aber auch die 
auf das Gemüt der Kämpfenden wirkenden Eindrücke, da sie 
nicht mehr durch den Pulverrauch ihrem Anblick verschleiert 
werden, stärker geltend machen. Hierdurch wird der, dem Batterie- 
Führer und dem Zug- Führer durch das rauchschwache Pulver er- 
möglichte ungestörtere Überblick zugleich auch ein gröfseres Be- 
dürfnis. Eine etwaige Erhöhung der Zahl der Geschütze einer 
Batterie von G auf 8 würde nicht nur dem Batterie -Führer den 
Überblick über die Batterie im Kampfe, sondern auch den gesamten 
inneren Dienst und die Verwaltung der Batterie erschweren. Die 
durch die Annahme des rauchschwachen Pulvers in manchen ad III. 
und IV. näher betrachteten Fällen sich schwieriger gestaltende 
Ausführung des Schiefsens läfst sogar vermuten, dafs die beiden 
Grofsmächte, Österreich-Ungarn und Rnssland, welche zur Zeit 
allein noch 8 Geschütze starke Batterien besitzen, auch bei ihren 
fahrenden Batterien die für ihre reitenden bereits festgesetzte Zahl 
von 6 Geschützen annehmen werden. 

2. Die zwischen den Batterien einer Abteilung gebotenen 
Zwischenräume von HO bis 50 Schritt, werden, wenn auch bei 
rauchschwachem Pulver die Beobachtung der Schüsse jeder Batterie 
nicht mehr durch den eigenen Pulverrauch erschwert wird, mit 
Rücksicht auf nachstehende Gründe (abgesehen von den oben ad VI. 1 



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Der EinflufB des ranchschwachen Polyere a. s. w. 



85 



erwähnten, die gröfstraögliche Entfaltung von Artillerie in besonders 
wichtigen Feuerstollungen erfordernden Ausnahmefällen), nach wie 
vor geboten sein: Die Beobachtung der Wirkung der eigenen 
Schüsse gegen einen, unserer Sicht entzogenen, nicht mehr durch 
den Pul verrauch leicht erkennbaren Feind, wird wesentlich schwerer. 
Seither konnte der Batterie- Führer diese Beobachtung fast immer 
von einem neben den Flögeln seiner Batterie sich bietenden Punkte 
aus bethätigen. In Zukunft wird es, wie bereits ad II. 1 hervor- 
gehoben wurde, besonders wichtig werden, dafe die Batterie- Führer 
solche Punkte zu ihrer Aufstellung wählen, welche ihnen den besten 
Blick auf das zu beschiefsende Ziel gestatten. Liifst sich solcher 
Punkt weder zwischen, rückwärts noch neben den Geschützen er- 
möglichen, so wird der Batterie -Führer genötigt sein, seine 
Beobachtungen durch Offiziere oder Meldereiter ergänzen, mitunter 
sogar aussen liefslich von diesen bethätigen zu lassen. Sowohl hier- 
durch, wie durch die mehr zum Anblick kommenden ungünstigen 
Kampfeiudrücke — Verluste, Verwundungen — wird es mehr wie 
bisher geboten sein, iu der Feuerstellung — zwischen den Batterien 
einer Abteilung scharf hervortretende Zwischenräume zu lassen. 
Durch dieselben wird zugleich die dem Abteiluugs-Commandeur ob- 
liegende Leitung des Feuers der Abteilung wesentlich erleichtert. — 
Die Aufstellung der ersten Staffeln und der Geschützprotzen mufs auch 
fernerhin rückwärts-seitwärts der Geschütze augestrebt werden. 
Diesesbe ist aber für die erste Staffel u. 8. w. der mittleren Batterie 
einer Abteilung, ohne zu grolse Entfernung von den Geschützen 
derselben nur zu ermöglichen, wenn die Batterien unter sich gröfsere 
Zwischenräume als zwischen ihren Geschützen haben. 

3. Die vorteilhafteste Stärke einer Abteilung wird 
nach wie vor die von 3 Batterien bleiben. 4 Batterien starke Ab- 
teilungen werden, weil die dem Abteilungs-Commandeur obliegende 
Leitung des Feuers seiner Batterien ohnehin in manchen Fällen 
schwieriger wird, noch weniger wie seither zulässig sein. Abteilungen 
von 2 Batterien würden hingegen dem Abteilungs-Commandeur 
nicht die Möglichkeit bieten, die Niederkämpfung des wichtigsten 
Teils des seiner Abteilung zur Bekämpfung zugewiesenen Abschnitts 
mit Übermacht — 2 Batterien — bethätigen und dabei gleichzeitig 
einen nahezu ebenso wichtigen Teil mit einer Batterie niederhalten 
lassen zu können. — Zur Zeit besitzt unter den Grofsmächten nur 
Italien 4 Batterien starke Abteilungen, während die den Kavallerie- 
Divisionen zugeteilten reitenden Abteilungen, Frankreich aus- 
genommen, nur 2 Batterien stark sind. Im deutschen Reiche und 



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86 



Der Einflufs des rauchschwachen Pulvers u. 8. w. 



in Frankreich bestehen, mit Ausnahme der den Corps- Artillerien, 
beziehungsweise den Kavallerie- Divisionen beigegebenen reitenden 
Abteilungen, nur 3 Batterien starke Abteilungen. Ebenso besitzt 
Osterreich* Ungarn, abgesehen von den reitenden und leichten Ab- 
teilungen, welche den Kavallerie -Divisionen beziehungsweise den 
Corps- Artillerie -Regimentern*) beigegeben sind , uur 3 Batterie 
starke Abteilungen (Batterie- Divisionen), mit Batterien von 8 statt 
6 Geschützen. 

4. Treten zwei oder mehr Abteilungen in Thätigkeit, so mufs 
jeder Abteilung der entsprechend gegenüber befindliche Teil des zu 
überwältigenden Feindes zur Bekämpfung zugewiesen werden. Hier- 
bei empfiehlt sich Abgrenzung nach leicht erkennbaren Gelände- 
Merkmalen, in der Weise, dafs der Teil, dessen Überwältigung vor 
Allem geboten erscheint, mit Übermacht bekämpft werden kann. 
Die Zahl der Abteilungen, welche am vorteilhaftesten zu 
einem Regiment vereinigt wird, kann mit Rücksicht darauf, 
dafs bereits 2 Abteilungen in der Feuerstellung eine Front- 
ausdehnung von nicht viel unter 1 km einnehmen, höchstens 3 be- 
tragen. 

Die Frage, ob 2 oder 3 Abteilungen starkeu Regimentern der 
Vorzug gebühre, hängt wesentlich von der Zusammensetzung der 
grösseren Truppenverbände einer Armee ab. — Für 3 Infanterie- 
Divisionen starke Armee -Corps könnte in Frage kommen, ob sich 
die Vereinigung von 3 Abteilungen ä 3 Batterien im Regiments- 
Verbande und die Zuteilung je eines so gebildeten Feld- Artillerie- 
Regiments au jede Infanterie- Division mehr empfiehlt, als die Zu- 
teilung je eines nur 2 Abteilungen ä 3 Batterien starken Regiments 
au jede Infanterie-Division und die Ausscheidung eines ebenso 
starken weiteren (vierten) Regiments, als Corps- Artillerie des 
Armee-Corps. — Da ein 3 Infanterie - Divisionen starkes Armee- 
Corps eine seiner Infanterie- Divisionen uud deren Artillerie in der 
Hand behalten kann, würde sogar die Zuteilung eines nur 2 Ab- 
teilungen ä 3 Batterien starken Regiments an jede der drei Infanterie- 
Divisionen noch nicht das Vorhandensein einer eigenen Corps- 
Artillerie, mit Rücksicht auf die Gefechtsleitung des Armee-Corps 

*) Es ist zu vermuten, dafs Österreich -Ungarn die schwere Batterie -Division 
der Corps- Artillerie -Regimenter, welche, durch die jüngst erfolgte Neuerrichtung 
von je einer schweren Batterie pro Corps -Artillerie -Regiment, die Stärke von 
4 Batterien besitzt, im Kriege, in 2 Unter- Abteilungen ä 2 Batterien (16 Ge- 
schützen) gliedern, mithin jede dieser in derselben Stärke wie die leichte Batterie- 
Division des Corps-Artillcrie-Regiments auftreten wird. 



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Der Einflufs des rauchachwachen Pulvere u. 8. w. 



87 



bedingen. — Wesentlich anders gestalten sich die Verhältnisse bei 
nur 2 Infanterie -Divisionen starken Armee -Corps, weil in diesem 
Falle der kommandierende General nur durch die Corps- Artillerie 
im Stande ist, den Kampf der Infanterie- Divisionen nach seinen 
Absichten zu beeinflussen. 

Für Armeen, welche, wie die deutsche, aus 2 Infanterie- 
Divisionen starken Armee-Corps zusammengesetzt sind, empfiehlt sich 
also offenbar die Vereinigung von 3 Abteilungen ä 3 Batterien zu 
einem Regiments- Verbände. Diese Organisation ermöglicht die Zu- 
teilung von ausreichender Feld-Artillerie — an jede der zwei Infanterie- 
Divisionen des Armee-Corps entsprechend nahezu 3 Geschützen auf 
je 1000 Mann Infanterie, und das Vorhandensein einer ebenso 
starken Corps- Artillerie, wodurch dann nahezu 4 l / 2 Geschütze auf 
1000 Mann Infanterie vorhanden sind. Im Kriege 1870/71 zählten 
die deutschen Armee-Corps allerdings nur 13 höchstens 15 Batterien 
= 78 bis 90 Geschütze, mithin nur etwas über 3 — 3 7a Geschütze 
pro 1000 Mann Infanterie. In zukünftigen Kriegen wird aber auf 
eine so entschieden taktische und technische Überlegenheit der 
deutschen Feld- Artillerie gegenüber der feindlichen, wie 1870/71, 
nicht zu hoffen sein. Auch werden alle Grofsmächte voraussichtlich 
mindestens 4, Frankreich nahezu 5 Geschütze pro 1000 Mann In- 
fanterie besitzen. Endlich werden die in Folge des rauchschwachen 
Pulvers und kleinkalibriger Mehrlader-Gewehre gesteigerten Schwierig- 
keiten des Infanterie-Angriffs nur mit kräftigster Artillerie- 
Unterstützung überwältigt werden können. Diesen Anforderungen 
trägt die neue Organisation der deutschen Feld-Artillerie in vollem 
Mafse Rechnung. 

5. In nachstehendem sei ein flüchtiger Überblick über die 
Organisation der Feld- Artillerie der europäischen Grofs- 
mächte unserer Arbeit angeschlossen. Diese sämtlich, mit Aus- 
nahme Russland8 (welches jeder Infanterie-Division eine ganze Fufs- 
(Feld-) Artillerie- Brigade von 6 Batterien ä 8 Geschützen, davon 
4 leichte 8,7 cm, und 2 schwere, 10,7 cm Batterien zuteilt, haben 
eine Divisions- und eine Corps-Artillerie. — Frankreich, Italien und 
Österreich -Ungarn haben ihre Corps- Artillerie bereits im Frieden 
in besondere Regimenter formiert, während die deutsche Corps- 
Artillerie erst im Mobilmachuugsfalle als solche gebildet wird. Die 
Zahl der Geschütze der Corps-Artillerie ist in Italien und Österreich- 
Ungarn gleich der Summe der Geschütze der Divisions-Artillerie, in 
Deutschland höchstens gleich jener der einer der beiden Divisionen 
zugeteilten Geschütze, in Frankreich um 2 Batterien (12 Geschütze) 



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Der Einflufs des rauchschwachen Pulvere u. s. w. 



gröfser als die je einer Infanterie- Division. Es entfallen somit in 
Frankreich nahezu 5, in Russlaud 3 Geschütze auf 1000 Mann In- 
fanterie; von den übrigen Großmächten nähern sich Italien und 
Österreich-Ungarn mit je 4 Geschützen mehr Russlaud, Deutschland 
mehr Frankreich.*) — (Nicht unerwähnt bleibe bei dieser Gelegen- 
heit, dafs neuerdings beachtenswerte Stimmen laut werden, welche 
die Ausscheidung einer besonderen Corps- Artillerie überhaupt nicht 
mehr als dem Wesen der neueren Taktik entsprechend erachten und 
die Zuteilung sämtlicher Batterien au die Divisionen von Haus aus 
befürworten. Anmerkung d. L.) 

Deutschland und Frankreich haben bei ihren fahrenden Batterien 
das schwere Kaliber von 8,8 cm, beziehungsweise 9 cm; Russland 
hat sogar ein 10 cm Kaliber bei einem Drittel seiner Batterien, 
während das leichte Kaliber der übrigen Batterien (8,7 cm) mit 
demjenigen Italiens und Österreich -Ungarns übereinstimmt. Letzt- 
genannte Staaten haben das von ihren reitenden Batterien geführte 
leichte Feldgeschütz (7,5 cm) nur in ihrer Corps-Artillerie, im Verhält- 
nis von 1,4, beziehungsweise 1,6 zur Gesamtgeschützzahl der Armee- 
Corps, vertreten. Italien, Russland und Österreich -Ungarn haben 
nur bei den Kavallerie -Divisionen reitende Artillerie, und zwar je 
1 Abteilung zu 2 reitenden Batterien, während wir solche in Deutsch- 
land und Frankreich auch zum Teil bei der Corps- Artillerie ver- 
treten finden. — Der neuerdings mehrfach angeregten Frage der 
Einführung eines Einheits-Feldgeschützes kann an dieser Stelle nicht 
näher getreten werden. 

6. Werfen wir noch einen Blick auf die Zahl der Batterien, 
welche bei den Feld- Artillerien der genannten Großmächte als 
Stämme für Neuformationen im Kriegsfalle verfügbar sind. — 
In Frankreich verbleiben von den 24 Batterien jedes seiner 
19 Armee-Corps zu diesem Zwecke 3 verfügbar, aus welchen durch 
Verdoppelung mit Leichtigkeit die für eine Reserve -Division be- 
nötigende Artillerie von 6 Batterien gebildet werden kann. — 



*) Ein italienisches Corps -Artillerie -Regiment zählt 2 Abteiinngen zn 
4 Batterien von je 5 Geschützen, bei jeder Infanterie- Division 1 Abteilung der- 
selben Starke; Osterreich- Ungarn hat Corps - Artillerie - Regimenter von 
2 Batterie-Divisionen und üu Ganzen 6 Batterien zu je 8 Geschützen, bei jeder 
Infanterie-Division 1 Batterie-Division von 3 Batterien zu je 8 Geschützen; in 
Frankreich besteht die Corps -Artillerie aus 6 Batterien in zwei Gruppen und 
ferner 2 reitenden Batterien, während jeder Infanterie-Division 6 Batterien in zwei 
Gruppen zugeteilt sind. — Aus Rufsland verlautet, dafs die Vermehuung der 
Feld-Artillcrie-Brigaden von 6 auf 8 Batterien geplant werden. 



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Der Einflute des rauchschwachen Pulvere u. s. w. 



HO 



Österreich-Ungarn besitzt bei 14 Armee-Corps je eine Batterie- 
Division von 8 schweren Batterien mit vermindertem Friedens- 
stände (nur 2 bespannte Geschütze) zu demselben Zwecke. Russ- 
land besitzt in 5 Reserve- Fufs- (Feld-) Artillerie -Brigaden von 
6 Batterien und 5 Ausfall -Batterien die Stämme für die Artillerie 
von 24 Reserve-Infanterie-Divisionen. Italien kann die Bildung 
der für jede Mobilmiliz -Infanterie- Division bestimmten 4 Batterien 
bei jedem seiner 12 Armee- Corps aus dem bei jedem Artillerie- 
Regiment bestehenden Depot unterstützen. 

7. Für die bei der Mobilmachung aufzustellenden Munitions- 
Kolonnen und Ersatz-Depots sind nur in Österreich -Ungarn 
und Russland schwache Stämme im Frieden vorhanden. Auf solche 
kann da verzichtet werden, wo im Frieden schon 6 Fahrzeuge 
(Geschütze) bespannt sind und die genügende Zahl von Batterien, 
über den Bedarf der Armee-Corps hinaus, für Neuformationen vor- 
handen ist. Diesen Bedingungen entspricht die Organisation der 
französischen Feld- Artillerie, deren Batterien mindestens je 6 Fahr- 
zeuge (4 Geschütze und 2 Munitionswagen), die an der Ostgrenze 
stehenden sogar 9 Fahrzeuge (6 Geschütze und 3 Munitions wagen) 
bespannt haben. Zu dem ermöglichen die 2 Hauptleute, welcho 
jede Batterie im Friedeu besitzt, die Führung der neu auf- 
zustellenden Batterien und Munitions -Kolonnen Hauptleuten des 
aktiven Heeres zu übertragen. — Bei der deutschen Artillerie 
sollen, dem Reorganisationsplane gemäfs, in Zukunft sämtliche 
Batterien der Grenz- Armee- Corps Nr. 1, 15, 16 und 17 schon im 
Frieden mit 6 bespannten Geschützen ausgerüstet werden. 

8. Schliefslich möge noch an ein sich mehr und mehr geltend 
machendes Bedürfnis der deutschen Feld- Artillerie erinnert werden: 
Die Gewährung eines Offizier-Chargenpferdes an die 
Hauptleute uud Lieutenants der fahrenden Batterien, au 
Stelle des jetzigen Dienst- Reitpferdes. Diese Mafsregel würde dem 
Dienstbetriebe und der Ausbildung unserer Feld-Artillerie entschieden 
zu Gute kommen. 32. 



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V. Umschau in der Militär-Litteratur. 



I. Ausländische Zeitschriften. 

Organ der mllitär- wissenschaftlichen Vereine. 4. Heft: Gedanken 
über Neubefestigungen und Verwendung der Stre.itmittel in denselben. — 
Die Photographie und die damit in Beziehung stehenden modernen Re- 
produktion« -Verfahren auf der Weltausstellung zu Paris 1889. 

Streif leur's österreichische militärische Zeitschrift. IV. Heft: Ruck- 
blicke auf den Feldzug 1870/71, in Bezug auf die Gesundheit«- und 
Krankenpflege der Pferde und das animalische Verpflegsmaterial der 
deutschen Armeen. — Unsere Fahrkanoniere. — Aus dem Buche vom 
Offizier. — Die Schüler-Bataillone in Paris. — Betrachtungen über Nacht- 
märsche und Nachtgefechte. — 

Die Reichswehr. Nr. 120: Arbeiter-Strikes und Militär- 
Assistenzen. Die Bestimmungen des Dienstreglements, derzufolge die 
Truppen bei Unterdrückung von Aufruhr vollständig in die Hand des 
betreffenden jxriitischen Beamten gegeben sind, haben gelegentlich der 
Arbeiter-Unruhen in Mähren zu UnzutrHglichkeiteu geführt, namentlich 
jüngeren oder mutlosen Beamten gegenüber. D. R. dringt auf Ände- 
rung der betreffenden Vorschriften. — Nr. 121: Gegen den Dreibund. 
D. R. bespricht die durch den Rücktritt Bismarcks offenkundig oder ver- 
hüllt hervortretenden Versuche, den Dreibund zu lockern, der Angriffs- 
punkt scheine zunächst Italien bleiben zu sollen, mittelbar versuche die 
russische Presse, einen Keil in das intime Bundesverhältnis Deutschlands 
und Österreich-Ungarns zu treiben , indem sie letzteres als einen Macht- 
faktor von höchst problematischem Werte darzustellen suche. — Nr. 125: 
Das verstärkte deutsche Reichsheer. Für Österreich-Ungarn, sagt 
D. R., bedeute die neue deutsche Militärvorlage eine ernste Mahnung; 
wenn dasselbe eine gleiche Notwendigkeit für sich nicht anerkennen 
wolle, so regele sich hieraus die Verschiebung der Grundlagen des Bünd- 
nisses; es gehe nicht, dafs der eine Teil der gröfseren Macht des anderen 
vertraue und sich selbst von Verstärkung der eigenen Streitkraft onthoben 
erachte. 

Armeeblatt (Österreich.). Nr. 18: Unsere kavalleristische Aus- 
bildung. Verf. sagt: „Man übe die Attacke so lange, bis sie unseren 
Reitern und Offizieren so zur Gewohnheit wird, wie beispielsweise ein 
Kolonnenmarsch, dann wird die so gefürchtet« Unruhe unserer Pferde 



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Umschau in der Militär-Litteratur. 



91 



gewifs verschwinden" ; wogegen das Reglement vorschreibt: „Bei Übungen 
soll nur selten „Marsch marsch" kommandiert werden, nur so bleiben 
Reiter und Pferde während der Vorrückung ruhig". (Wir verweisen den 
Leser auf einen im August-Hefte erscheinenden Aufsatz: „Die Ideale 
der Kavallerie". D. L.) — Hr. 20: Der neue Karabiner (Modell 
MannUcher) ist zur Annahme empfohlen worden. 

Militärisch -politische Revue „Bellona". Heft 15: Monumente für 
Politiker. — Die heutige Verfassung des türkischen Heeres. — Zum 
Erlafs Kaiser Wilhelm IL, betreffend das deutsche Offizier-Corps. — Über 
Landespferdezucht. — Heft 18: Die deutsche Kolonialpolitik. — Jour- 
nalistische Thütigkeit von Offizieren. — Über Landespferdezucht (Schlufs). 

Militär-Zeitung (Österreich.). Nr 30 u.31: Die General-Inspektionen. 
Bemerkenswerte Betrachtungen über den Wirkungskreis der seit 1869 be- 
stehenden „General-Kavallerie-Inspektion". eine Behörde deren das deutsche 
Reichsheer zur Zeit noch ermangelt. Vom „General-Infanterie-Inspektor" 
wird gesagt, seine Aufgabe sei „fast zu grofs". — Mr. 32: Die Standes- 
verhältnisse unserer Geniewaffe. Der Kriegsstand derselben ist 
hiernach auffallend gering; er beträgt 235 Offiziere, 11,043 Mann; in 
Deutschland 600 Offiziere, 25,680 Mann, Uhnlich in Russland und Italien, 
in Frankreich sogar 660 Offiziere, 24,890 Mann; entsprechend ungünstig 
ist das Verhältnis zur Infanterie; es entfallen auf je 100 Bataillone 
18 Offiziere, 852 Mann; in Frankreich 44 Offiziere, 2039 Mann. - 

Mitteilungen über Gegenstände des Artillerie- und Genie -Wesens. 
4. Heft: Das Artilleriewesen auf der Pariser Weltausstellung vom Jahre 
1889. — Über Betonierungen und deren Anwendung bei fortifikatorischen 
Objekten (Schlufs). 

Journal des Sciences mllitaires. (April): Die Taktik der Verpflegung 
(Fortsetzung). — Die Wehrkraft Frankreichs. Verfasser, General 
Oosseron de Villenoisy, meint: „man habe die Armee durch Verkürzung 
der Dienstzeit geschwächt, und indem man nur zu junge, wenig 
ausgebildete und wenig Autorität geniefsende Cadres haben wolle. Man 
schwache sie noch immer durch unausgesetzte Bildung neuer Bataillone, 
Eskadrons, Batterien, ohne Soldaten zu haben, um diese zu Skeletten zu- 
sammen geschrumpften Körper auszufüllen; das sind verhängnisvolle 
Mafsregeln, die ein ungeschickter Minister getroffen oder doch hervor- 
gerufen habe, auf die ein anderer, mehr erfahrener Minister zurückgreifen 
kann. Gebe Gott, dafs sich dies nicht zu lange verzögere!" — Der Feld- 
zug von 1814 (Fortsetzung). — Raid des General Gourko im Balkan. — 
General Faidherbe; Biographie dieses Heerführers. — Die französische 
Remontierung (von General Bonie). — Feuertaktik und Schiefswesen der 
französischen Infanterie (Fortsetzung). — Pajol; Biographie dieses naj>o- 
leonischen Generals. 

Le Spectateur milltaire. (1. Mai): Der Berliner „Aeronaute". 
Besprechung der Bestrebungen der Berliner Gesellschaft für Luftschiffahrt 
und des Inhaltes der von dieser herausgegebenen Zeitschrift. — Die 



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92 



Croschau in der MilitÄr-Litteratur. 



elementarste Taktik. — Disziplin. Enthält interessante Angaben 
Uber den mangelhaften disziplinaren Zustand der Heere der Republik 
1870/71. — Die französischen Stamm- und Ranglisten (Fortsetzung). — 
(15. Mai): Unser Gewehr und das deutsche Gewehr. — Die grofsen 
Manöver und die Führung. — Die elementarste Taktik (Fortsetzung). — 
Bazaine und Maximilian. — Die französischen Stamm- und Rang- 
listen (Fortsetzung). Dieser Artikel enthält wertvolles Material zur 
Geschichte der Heere der ersten Republik. — Sind wir bereit? (Fort- 
setzung). Beschäftigt sich besonders mit der militärischen Lage der fran- 
zösischen Kolonien im Falle eines Krieges gegen die Tripel -Allianz. 

Revue de Cavalerle. (April): Die grofsen Kavallerie-Manöver 
1889. Genaue Beschreibung der von 3 Kavallerie-Divisionen im Lager 
von Chalons, in der Zeit vom 28. August bis 11. September 1889, aus- 
geführten Manöver. — Nansouty (Fortsetzung). — Die deutsche Kavallerie 
(Fortsetzung). — Standquartiere der deutschen Kavallerie am 1. April 
1890. 

Revue du Service de l'lntendance militaire. (März — April): Methoden 
der Statistik. — Organisation der statistischen Bureaus in Frankreich und 
im Auslande. — Kasernement und Militär-Betten. 

Revue du cercle nilitaire. Mr. 17 u. 18: Ein Jahr in Tunis. — Die 
militärischen Einrichtungen Chinas. — Der Krieg am Senegal. — Nr. 19 
u. 20: Ein Jahr in Tunis (Fortsetzung). — Das neue belgische Gewehr. 
— Brieftauben und Taubenschläge. — Der russische Offizier im Heere 
und in der Gesellschaft. — 

Revue militaire universelle. (April): Der Kriegsminister hat einen 
Kredit von 120,000 francs zur Beschaffung von Lanzen für das erste 
Glied der Dragoner-Regimenter verlangt. — Effektivstarke für 1891: 
26,934 Offiziere, 520,548 Mann, 142,870 Pferde, also 1038 Offiziere, 
16,899 Mannschaften und 4569 Pferde mehr als im Vorjahre. — Das 
6. Corps zählt mit den neuerdings verfügten Verstärkungen: an Kom- 
battanten 50,000 Mann, nämlich 57 Bataillonen Linien-Infanterie, 9 Jäger- 
Bataillone, 70 Batterien (Feld-, Festungs- und reitende), 84 Eskadrons, 
4 Genie- und 4 Train-Compagnien. — 

L'Avenlr militaire. Nr. 1468: An den Manövern des 18. Corps wird 
eine Brigade-Marine-Infanterie Teil nehmen unter Befehl des General 
Duchemin. — Nr, 1470: Durch Dekret vom 29. April ist das Militär- 
Telegraphen-Wesen der Leitung des Genie- Wesens unterstellt worden und 
das Militär-Brieftauben-Wesen dem ersteren zugeteilt worden. — Nr. 1471: 
Die Ergänzung der Unter - Lieutenants der Reserve- und 
Territorial-Arme e. Dieselbe scheint ziemlich im Argen zu liegen seit 
Abschaffung der Einjährig -Freiwilligen. „Mehr und mehr machen 
sich die Un Vollkommenheiten und Widersprüche des neuen 
Militärgesetzes fühlbar". — Nr. 1472: Der Grofse Generalstab. 
A. m. nennt das Gesetz vom 6. Mai, welches die Reorganisation des 
Generalstabes verfügt, ein bedeutsames Ereignis, da von demselben die 



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Umschau in der Milit&r-Litteratar. 



bisher schwächste Seite der Heeres- Organisation Nutzen ziehe: Das Armee- 
Ober- Kommando. Die Ernennung Miribel's zum Chef des Generalstabes 
entspreche dem Wunsche: „Jeden an seinem Platze zu sehen." — A. m. 
giebt Italien den freundschaftlichen (!) Rat, sein Heeres- und Marine- 
Budget um die Hälfte (!) zu verringern; es möge aufhören, Frankreich zu 
bedrohen und beständig herauszufordern." — Hr. 1473: Der neue 
deutsche Militär-Gesetzentwurf. Durch ein merkwürdiges Rechen- 
kunststück will A. m. beweisen, dafs die deutsche Armee im Frieden mehr 
als 600,000, die französische noch nicht 500,000 Köpfe zähle. Es lohnt 
nicht, auf diese tendenziöse Fabel des Näheren einzugehen. 

Le Progres militaire. Nr. 992: Ergebnisse der Rekrutierung 
1889. An der Losung haben Teil genommen 295,707 junge Leute, d. h. 
12,538 weniger als 1888, in welchem Jahre sich bereits 7,847 weniger 
als 1887 stellten. Von Neuem anwerben liefeen sich auf 2, 3, 4 oder 
5 Jahre 6182, davon 4118 Unteroffiziere. Die Land -Armee erhielt von 
der ersten Klasse des Jahreskontingentes 140,141 Mann, davon 124,413 zu 
3 jährigem, 10,685 zu 2 jährigem, 5043 zu 1 jährigem Dienste; die Flotte 
6040 zu 3 jährigem Dienst. Zu freiwilligem Eintritt meldeten sich im 
Heer und in der Flotte in Summa 31,641 Mann. — Nr. 993: Fremden 
Offizieren wird, durch Verfügung des Kriegsministers, die Teilnahme an 
den Manövern des 18. Corps, welches mit rauchlosem Pulver übt, nicht 
gestattet. — Pr. kann seine üble Laune Uber den deutschen Gesetz- 
entwurf, betreffend die Friedens-Präsenz-Stärke, nicht verbergen, ohne sich 
klar zu machen, dafs die abermalige Erhöhung derselben doch lediglich ein 
Echo dessen ist, was jenseits der Vogesen geschieht. Der einfache Ver- 
gleich der französischen und deutschen Heeresstärken macht jeden 
Kommentar überflüssig. — Projekt einer strategischen Bahn von Nancy 
nach Beifort, über Epinal und Remiremont, behufs besserer Verteidigung 
der Vogesen und der „trouee de Belfert". — Nr. 996: Deutsche 
Kolonisation. Anerkennende Besprechung der Leistungen der deutschen 
Schutztruppen in Ost-Afrika. 

La France militaire. Nr. 1805: Salvenfeuer und rauchloses 
Pulver. Verfasser meint, der Fortfall des Rauches gestatte, in Zukunft 
mehr Wert auf das Einzelfeuer (feu ä volonte) zu legen, das sei einer der 
wichtigsten Vorzüge des neuen Pulvers; man habe nicht mehr nötig, die 
Patronen in schlecht gezieltem Salvenfeuer zu vergeuden. — Nr. 1807: 
Italiener und Franzosen. F. m. meint, da zwischen Frankreich und 
Italien keine Blutsverschiedenheit bestehe, sei es ein Leichtes, die frühere 
Freundschaft wieder herzustellen; aber so lange Italien Mitglied der 
Triple- Allianz sei, könne man ihm gegenüber nur berechtigte Kälte zur 
Schau tragen! — Nr. 1811: Unsere Generale. F. ra. macht, auf Grund 
des „l'Annuaire de lVtat major gener al de l'armee", Angaben über das 
Alter der Generale; demgemiife haben die 98 aktiven Divisions -Generale 
ein Durchschnittsalter von 61 Jahren 3 Monat; der iiiteste (L'Hotte) ist 
1825, der jüngste (de Negries) 1839 geboren. General de Gallifet ist 



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94 



Umschau in der Militir-Litteratur. 



1830 geboren, also 60 Jahre alt. Die 198 Brigade- Generale haben ein 
Durchschnittsalter von 57 Jahr 8 Monaten. — Mr. 1812: „Abermals 
eine Ablenkung." F. m. spricht sich gegen eine Expedition nach 
Dahoniey aus; solche Politik drohe abermals, die (französische) Aktions- 
freiheit in Europa lahm zu legen! — General de Miribel, der neue 
Chef des Grofsen Generalstabes und ehemalige Kommandant des 6. Corps, 
gilt für einen der fähigsten Generale, er ist jetzt 59 Jahre alt, vor- 
maliger Zögling der Ecole polytechnüjue und 1851 in den Dienst getreten ; 
an seiner Stelle wird General Jamont vom 1. Armee-Corps (Lille) das 
Kommando an der Üstgrenze erhalten und dieser durch den General 
Loizillon, bisherigen Commandeur der 2. Kavallerie- Division (Luneville) 
ersetzt werden. — Mr. 1822: Ahnlich wie kürzlich die Marine-Infanterie- 
Regimenter, soll jetzt das Regiment Marine-Artillerie geteilt werden. 
Dasselbe zählt 35 Batterien (Fufe-Batterien oder fahrende) und 2 Compagnien 
Fahrer, ferner zahlreiche Detachenients. 

Li Belgique militalre. Nr. 998: Der Leitartikel bespricht in scharfer 
Weise eine Kritik der „Revue militaire de letranger" über Brialmont's 
„Les Regions fortifiees". Wir bemerken, dafs die genannte Revue in un- 
gefähr derselben Weise zu dem neuesten Werke Brialmont's Stellung 
genommen hat, wie die „Jahrbücher" (s. Maibeft). — Vergleichende 
Schiefsversuche von Beverloo. Es wird darauf aufmerksam gemacht, 
dafs die Berichte, betreffend den „Sieg" der belgischen Uber die 
Krupp'schen Geschütze an argen Widersprüchen und Übertreibungen 
leiden; es wird von „Pyrrhus- Siegen" gesprochen!! — Nr. 997: Die 
glatten belgischen Geschütze. — Nr. 998: Schiefsübungen der Feld- 
Artillerie in Beverloo. — Nr. 999: Belgisches rauchloses Pulver. 

Allgemeine Schweizerische Militärzeitung. Nr. 18: Bestimmung des 
höchsten zulässigen Gasdruckes durch Berechnung (W. Hebler). 
Verfasser behauptet, lieim Lebel-Gewehr, deutschon Gewehr und belgischen 
Mausergewehr sei der Gasdruck ganz unzulässig hoch für ein brauchbares 
Kriegsgewehr; beim österreichischen Mannlicher-Gewehr Ubersteige er die 
erlaubte Grenze nur unbedeutend, beim Schweiz. Schmidt-Gewehr und 
Hebler-Gewehr sei er bedeutend unter derselben. — Nr. 20: Über die 
Erhitzung des Laufes und des Geschosses, pro Schufs, von 
Hebler. 

Schweizerische Monatsschrift für Offiziere aller Waffen. April. Der 
Feldzug Julius Ciisars gegen die Helvetier im Lichte der Kritik (Fort- 
setzung). — Der Feldkrieg bei Nacht (Fortsetzung). 

Schwelzerische Zeitschrift für Artillerie und Genie. Nr. 4: Die 

schweizerische Kartographie an der Weltausstellung von Paris 1889 und 
ihre neuen Ziele. — Verwendung der Gebirgs-Artillerie in der Tonkin- 
Expedition. — Das deutsche Magazin-Gewehr 88. 

Revue militaire SUiSSe. Nr. 5: Der Dienst im Felde, vom Stand- 
punkte der „Ordres de bataille". — Schweizerische Militär-Plauderei. 



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Unwchau in der Militär-Litteratur. 95 

Army and Navy Gazette 1578: Die Kavallerie der festländischen 
Heere. Vortrag des Oberst Bowdler Beils; behandelt die für die englische 
Kavallerie vorgeschlagenen Änderungen, besonders Aufstellung in einem 
Gliede. Die Einteilung der deutschen Kavallerie wird als die beste hin- 
gestellt — Die Verhaltnisse in Massaua und Abessinien. Die 
aufständische Bewegnng der Derwische schliefst auch für Abessinien eine 
grofse Gefahr in sich. Ferner wird darauf hingewiesen, dafs das Streben 
fast aller europäischer Staaten nach Ländererwerb in Afrika bedenkliche 
Reibungen nach sich ziehen kann. — Die Bereitschaft Englands für 
einen zukünftigen Krieg. Die unter diesem Titel im April dieses 
Jahres erschienenen Aufsätze von Sir Charles Düke werden widerlegt, und 
die Unrichtigkeit der in jenen ausgesprochenen Behauptungen nach- 
gewiesen. — Nr. 1579: Kavallerie gegen Infanterie. Der viel- 
verbreitete Grundsat/, dafs Kavallerie eine nicht erschütterte Infanterie 
nicht mit Erfolg angreifen könne, wird als durchaus falsch hingestellt. 
An der Hand der Kriegsgeschichte wird nachzuweisen gesucht, dafs überall 
da, wo gut ausgebildete Kavallerie im richtigen Augenblick eingriff, sie 
auch Erfolg hatte, selbst wenn dieser Erfolg nur im Gewinnen von Zeit 
bestand. Diesen Zweck erreichte z. B. die preußische Kavallerie mit weit 
geringeren Verlusten bei Mars la Tour, wie sie die Infanterie im anderen 
Falle erlitten haben würde. Trotz der verbesserten Waffen und der ver- 
änderten Taktik kann eine gut geführte und ausgebildete Kavallerie noch 
immer dasselbe leisten wie vor 80 Jahren in den Napoleonischen Kriegen. 
— Körperkraft und Kampf. Das abfällige Urteil, das General 
Wolseley gelegentlich eines Vergleichsschiefeens zwischen Mannschaften der 
Linie und der Freiwilligen Uber die letzteren fällte, wird als nicht gerecht- 
fertigt bezeichnet. Für die Leistungen einer Truppe im Gefecht sind die 
persönliche Körperkraft und die sich daraus ergebenden Leistungen 
wichtiger wie die Schufsfertigkeit derselben. In dieser Beziehung sind 
aber die Leistnugen der Freiwilligen denen der Linie überlegen. 

Adrelralty aad Hene Guards Gazette. Nr. 286: Das „Schildkröten 
Zelt. Eine Beschreibung des „Schildkröten u -Zeltes, das gegenwärtig l>ei 
den Manövern in England Verwendung gefunden hat. Den Mittelpunkt 
desselben bildet ein vierrädriger Wagen, über den das Zeltlaken gespannt 
und auf der Erde befestigt wird, wodurch Raum für 50 Krankenbetten 
entsteht. Gleichzeitig erhält der Wagen einen Ofen, in dem während des 
Fabrens für 150 Mann gekocht werden kann. Auch im Winter soll sich 
das heizbare Zelt gut bewährt haben, r- Leucht-Signale. Eine durch Ab- 
bildungen erläuterte Beschreibung der in der französischen Armee ein- 
gehender versuchten neuen Leuchtsignale. Sie bestehen aus einem ein- 
fachen zylinderischen Sockel, der der raketenähnlich wirkenden Patrone die 
Richtung giebt. Die Rakete hat ungefähr die Gröfse unserer früheren 
Wallbüchsen-Patronen, kann Uberall leicht mitgenommen, und durch den 
Zug an einer Zündschnur senkrecht in die Höhe geschleudert werden- 



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96 Umachau in der MilitÄr-Litteratur. 

— Nr. 287: Lösung der schwebenden Frage betreffs der 
schweren Geschütze. Eis wird empfohlen, von der Vergrößerung der 
Kaliber der schweren Geschütze Abstand zu nehmen, und dafür aus 
kleineren Kalibern mit Dynamit gefüllt« Granaten zu schiefsen. Bei den 
von der „Grayden-Gesellschaft" angefertigten Granaten soll jede Explosions- 
gefahr ausgeschlossen sein. 

The lllustrated Naval and Military Magazin. Nr. 16: Allgemeine 
Wehrpflicht für England. Alle Einwendungen, die man gegen all- 
gemeine Wehrpflicht in England erhebt, werden als unbegründet wider- 
legt. Durch Einführung derselben nach deutschem Muster unter gewissen 
Änderungen würde die Wehrkraft Englands auf die erforderliche Höhe 
gebracht, ohne dafs dem Lande daraus ein Nachteil erwüchse. 

Wajennüj Slbomlk. (Mai): Die heutige Dislokation der öster- 
reichisch-ungarischen, französischen und deutschen Armee 
mit Rücksicht auf ihre Mobilmachung und ihre Konzentrierung. 
über die Dislokation der deutschen Armee wird wie folgt geurteilt: Die 
deutsche Armee hat sehr bedeutende Truppen raassen im Nordosten und 
Südwesten konzentriert. Wenn auch seit dem 1. April dieser Konzen- 
trierung durch die Schaffung zweier neuer Oorpsbezirke der territoriale 
Charakter gegeben ist, so würde doch die Rücksicht auf die Zunahme der 
Bevölkerung allein eine andere Verteilung der Truppen bedingt haben. — 
Dagegen erscheint die letztere im Hinblick auf das Eisenbahnnetz vor- 
trefflich und allen Ansprüchen genügend. — Fortsetzung des Artikels 
über die Pferdezucht und die Transport mittel des europäischen 
Russlands. Übersicht über den südwestlichen Bezirk, d. h. die Gouver- 
nements Wolynien, Podolien, Kijew. Im ganzen wurden dort 1,720,549 
Pferde gezählt; d. h. 12 auf die Quadrat- Werst. Auch eingehende Mit- 
teilungen über die vorhandenen Fahrzeuge und das Geschirr nach Art und 
Zahl werden hinzugefügt. 

Russisches Marine- Journal. Nr. 4: Die russische Flotte im Schwarzen 
Meere. Die gebräuchlichen Vorrichtungen zum Hinablassen der Scha- 
luppen. 

RaswiedtSChik. Nr. 23 U. 24 enthält die Bilder des General -Adjutanten 
Richter, welcher die einflufsreiche Stellung eines Kommandanten des kaiser- 
lichen Hauptquartiers seit 1881 bekleidet, und des Generals v. Notbeck, 
welcher für die Schießausbildung und die Neubewaffnung der Infanterie 
von hoher Bedeutung geworden ist und noch heute Inspekteur des Schiefs- 
Wesens bei den Truppen und Vorsitzender des Komitees für die Neu- 
hewaffnung der Armee ist. 

Russischer Invalide. (April): Unter dem 9./21. April ist die Ver- 
waltung der Chefs der Mineure der Küsten der Ostsee und des Schwarzen 
Meeres aufgehoben worden und das Personal derselben unter die Ingenieur- 
Truppenteile verteilt worden. Ferner sind die bisherigen 4 Mineur- 
Compagnien Nr. 1—4 in 8 Festungs-Mineui-Compagnien der Festungen 
Kronstadt. Sweaborg, Wyborg, Dünamünde, Otschakoff, Sewastopol, Kertsch 



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Umschau in der MilitÄr-Litteratur. 



97 



und Michailow umgewandelt worden, welche in den Verband der Ingenieur- 
Truppen treten. — Ein Bericht über eine eigene Art Kavallerie- 
Cbungsreisen mit den im Winter 88/89 ausgebildeten Ras- 
wiedtschiks (Patrouillen - Führern) der 4 Regimenter der 
7. Kavallerie-Division giebt einen Einblick in diese den „Jagd- 
Kommandos" der russischen Infanterie entsprechenden Einrichtung. — In 
sehr eingehender Weise wird in den Nr. 68, 69, 70, 72 und 73 ein Über- 
blick über die geodätischen, astronomischen, topographischen und karto- 
graphischen Arbeiten gegeben, welcher am 26. März/7. April d. J. an 
Allerhöchster Stelle vorgelegt wurde. — Der Neuordnung der „Verwaltung 
der Armeen im Kriege vom Jahre 90" sind mehrere Artikel gewidmet. 

17. 

EiercitO itlllaiO. Nr. 49—60: Der Schwerpunkt aller Veröffent- 
lichungen des E. I. in genannten Nummern liegt in der Frage der Er- 
sparnisse im Kriegs- und Marinebudget für 1890/91, einer Frage, die von 
der Volksvertretung und auch aufserhalb des Parlamentes angeregt, den 
Zweck hat, das Defizit wegzuschaffen. Extreme Ansichten forderten die 
Herabminderung der 12 Armee-Corps auf 10, Herabsetzung der aktiven 
Dienstdauer auf 2 Jahre, unter Durchführung der rein bezirksweisen Er- 
gänzung und Dislokation, andere die vorzeitige Entlassung von 30,000 Mann 
des ältesten Jahrganges, wieder andere gar die Abrüstung. E. I. tritt 
diesen Ansichten entgegen, weist auf die totale Umwälzung hin, welche 
die Auflösung von 2 Armee-Corps mit sich bringen würde, verwirft die 
2jährige Dienstdauer als gerade jetzt unannehmbar aus politischen wie 
militärischen Gründen und ebenso einstweilen die Durchführung des Regional- 
systems. Wollte man bei der 2jährigen Dienstzeit die Jahrgänge I. Kategorie 
wie jetzt nur zu 82,000 Mann bilden, so hätte man Skelette an Stelle von 
Truppenteilen oder aber man müfste zur Auflösung von solchen schreiten. 
Behielte man die heutige Friedenspräsenzstärke bei, so müfsten die Kon- 
tingente, die man auf 2 Jahre einstellte, 110 — 112,000 Köpfe betragen, 
die Ausgaben würden bei dieser 2jährigen Dienstzeit dann aber bedeutend 
höher und die Qualität der Armee nähme ab, was gerade bei dem modernen 
Kampfe mit der sehr vervollkommneten Wulfe und dem rauchfreien Pulver 
unzulässig sei. Der Übergang zum territorialen Ersatz- und Dislokations- 
system würde, ganz abgesehen davon, dafs derselbe aus innerpoli- 
tischen Gründen für Italien noch nicht zeitgeiniifs, den ganzen Mobilmachungs- 
plan und die territoriale Einteilung umwerfen; dazu sei der jetzige 
Moment weniger als jeder andere geeignet, Unter Hinweis auf die gerade 
jetzt in anderen Grofsstaaten beantragte beziehungsweise durchgeführte 
Stärkung der Rüstung erklärt E. I. Ersparnisse im Kriegs- und Marine- 
budget zwar für möglich, jedoch nur solche, die weder den Umfang, 
noch die Schulung und Kriegsl>ereitschaft des Heeres schädigten, keine 
Verminderung der Corps, keine 2jährige Dienstzeit, nicht die Entlassung 
von 30,000 Mann des ältesten Jahrganges, nicht den Übergang zum 
Territorialsyatem, keine Einstellung der Bauten des Flottenbauprogramms. 

Jfthrbacher Kr di« t*tit.ch. Ara*o ood Martu Bd. LXXVI.. 1. 7 



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98 



Umschau in der Militär-Litteratar. 



Diesen Grundsätzen ist man denn auch im Allgemeinen bei den Abstrichen 
im Kriegabudget, die total 10,002,330 Lire betragen, gefolgt. Die Haupt- 
samme, 4,203,900 Lire, wird im Ordinarium durch eine um 52 Tage ver- 
spätete Einstellung des Rekrutenjahrganges 1870 erzielt, weitere Ersparnisse 
ergeben sich aus der Unterlassung von Garnisonwechseln (800,000), Ver- 
minderung der Zahl der einzuberufenden Leute der Territorialmiliz und 
der Offiziere des Beurlaubtenstandes (200,000 + 100,000), Herabsetzung 
der Ausgaben für Remontierung (700,000), durch Abstriche an Artillerie- 
und Geniematerial (750,000 + 500,000) und an Unterstützungen (74,400). 
Im Extraordinarium, dessen Abstriche total 1,700,000 Lire aufweisen, 
entfällt die Hauptsache auf Ersparnisse im Kapitel Sperrforts (1 Million). 
Im Marinebudget werden total 5,007,336 Lire erspart. 

L'ltalia militare e marina. Nr. 15-21: Behandelt im Allgemeinen 
dieselben Fragen, entscheidet sich aber für die Möglichkeit und ZulUssigkeit 
der 2jährigen Dienstdauer und des Territorialsystem. Bringt als neuen 
Faktor die Frage der Wehrsteuer, die in Italien schon eine Vorgeschichte 
besitzt, in Frankreich, Österreich, der Schweiz und Spanien besteht, in die 
frage hinein und meint, dafs Ersparnisse im Kriegsbudget leichter mög- 
lich seien als in den der Marine. Die Ansichten des Esercito italiano 
stehen denjenigen der Regierung augenscheinlich näher, als die der 
Italia militare, wie die Art der Verteilung der Abstriche im Budget und 
die Entschlüsse der Regierung gegenüber den Forderungen der Extremen 
beweisen. 

Revista scientlfico-militar (Spanien). Nr. 9: Die militärische Ein- 
teilung Spaniens (Fortsetzung mit Plan). — Betrachtungen über die Reiter- 
waft'e (Fortsetzung). 

Memorial de Ingenieros del Ejercito (Spanien). Nr. 8 u. 9: Tragbare 
Rampen zum Ein- und Ausschiffen von Kavallerie und Artillerie auf 
Eisenbahnen. 

Revista doi tcienclat militares (Portugal). (Februarheft): Die 
Organisation der Kriegsmarine und die letzten Reformen (Fortsetzung). 
Verlangt gründlichere Ausbildung der Offiziere und des übrigen Personals 
der Marine. 

Krigsvetenskaps -Akademien! -Handlingar (Schweden). 7. Heft: Die 

Frage der Bekleidung der Infanterie. 

De Militaire Spectator (Holland). Nr. 5: Beiträge zur niederländischen 
Kriegsgeschichte (Fortsetzung). 

Oe Militaire Gidt (Holland). 3. Lieferung: Das neue englische 
Feldgeschütz. Mörserbatterien im Feldkriege. 



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Ümachan in der Militär-Litteratur. 



99 



II. Bücher. 

Karl Graf ZU Wied, König]. Preufs. Generallieuteuant. Ein 
Lebensbild zur Geschichte der Kriege von 1734 bis 1763, 
nach den hinterlasseuen Papieren des Verewigten nnd anderen 
ungedruckten Quellen von Fr. von der Wengen. Gotha. 
Fr. A. Perthes. 1890. Preis 10 M. 

Das vorliegende Lebensbild behandelt einen jener Generale Friedrich 
d. Gr., über den bislang sehr Weniges bekannt wurde, der, wie in der 
Vorrede gesagt wird, „dem Gedächtnisse des Volkes entschwunden, dessen 
Bedeutung man sich selbst in militärischen Kreisen nicht mehr vollkommen 
bewufst ist u . Verfasser darf deshalb das Verdienst fllr sich in Anspruch 
nehmen, durch seine Forscher -Arbeit einen tüchtigen Mann, „welcher 
Preufsens Banner in schweren Tagen kräftigen Armes mittragen half," 
den Grafen Wied, in seine wohl erworbenen geschichtlichen Rechte gewisser 
mafsen wieder eingesetzt, dann aber einen wichtigen Beitrag zur Kriegs- 
und Heeresgeschichte der fridericianischen Zeit geliefert zu haben. — Es 
sind zum Teil bisher nicht erschlossene archivalische Quellen, aus welchen 
v. d. Wengen schöpfen durfte: das Wied'sche Archiv zu Neuwied, das 
gräflich Dohna' sehe Familien -Archiv, ferner die oft genannten Süfsen- 
l>ach'schen Tagebücher, endlich die zum Teil noch ungehobenen Schätze 
des preufsischen Generalstabs- und Geheimen Staat« -Archivs ; aufserdem 
wurden zu Rate gezogen 55 gedruckte Quellwerke, welche namentlich 
aufgeführt sind. Unter letzteren vermissen wir jedoch eine der wichtigsten: 
die „Politische Correspondenz Friedrich des Grofsen" ; da selbige seit dem 
13. Bande auch die militärische Correspondenz des Königs in sich 
schliefst, mufs sie denjenigen Quell werken beigezählt werden, welche die 
Geschichtsschreibung in Zukunft nicht übergehen darf. Verfasser würde 
z. B. im 3. Bande derselben (Nr. 1458/59) zwei für seine Zwecke nicht 
unwichtige Urkunden gefunden haben, welche sich auf die Besitzergreifung 
Ostfrieslands 1744, mit der Friedrich den Grafen Wied beauftragte, beziehen 
und für diese Episode von Wesenheit sind. — Karl Graf zu Wied wurde 
am 19. Oktober 1710 geboren, mit dem 14. Lebensjahre seinem Grofs- 
vater, dem Feldmarschall Graf Dohna, behufs Vorbildung für den mili- 
tärischen Beruf, übergeben und trat im Jahre 1728, I7jiihrig, als Stabs- 
kapitän bei dem Regimente des kurz verstorbenen Feldmarschalls ein. 
1737 verliefe Graf W. auf väterlichen Wunsch den preußischen Dienst, 
trat 1739 als Oberstlieutenant des Dragoner- Regiments Savoyen in öster- 
reichischen Dienst, dann, nachdem er an dem ruhmlosen Türkenkriege 
1739 Teil genommen, in den preufsischen zurück. König Friedrich er- 
nannte ihn zum Oberst und Commandeur des neu errichteten Füsilier- 
Regiments Dohna, Garnison Wesel. Am 2. schlesischen Kriege war das- 
selbe nicht beteiligt. 1746 erhielt Graf W. als Chef das ebenfalls in 
Wesel garnisonierende Regiment Riedesel (Nr. 41 der Stammliste von 
1806) und behielt es bis zu seinem 1765 erfolgenden Tode. Der Ausbruch 

7* 



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100 



Umscbau in der Militär- Litteratur. 



des 7jährigen Krieges findet das Regiment Wied bei der Armee des Königs; 
es nahm Teil an der Einschließung des Pirnaer Lagers, im folgenden 
Jahre an der Schlacht von Prag, in welcher Graf W. eine Brigade be- 
fehligte. Nach Aufhebung der Belagerung von Prag machte derselbe 
den bekannten unglücklichen Rückzug aus Böhmen nach Sachsen beim 
Corps des Prinzen August Wilhelm mit. Wengens Urteil über die Er- 
eignisse jener verhängnisvollen Tage ist nicht unbeeinflufst geblieben durch 
einige von ihm benutzte, mehr oder minder fragwürdige Quellenwerke — 
Schmettau, Retzow und Henckel; namentlich auffällig ist seine ungemein 
scharfe Kritik Winterfeldt'.s, von dem gesagt wird: „Manche wollten 
behaupten, dafs der General, um sich bei dem Monarchen zu rechtfertigen, 
alle Schuld auf den Prinzen abzuwälzen wufste. Wenige Wochen spater 
ereilte ihn die Nemesis (!!) bei Görlitz." Wir bemerken, dafs diese, auf 
genannte Schriftsteller zurück zu führende Auffassung der Zerwürfnisse 
zwischen dem Könige und dem Prinzen, denn doch wohl vor der neuesten 
Forschung, namentlich dem Urkunden-Material, welches uns in der „Poli- 
tischen Conespondenz" (Bd. XV) geboten worden ist, nicht mehr be- 
stehen kann. — An der Siegesschlacht von Leuthen war Graf W. nicht 
beteiligt, da er noch vor der Schlacht von Breslau zum Kommandanten 
von Brieg ernannt wurde. 1758 finden wir ihn vor Olmütz, nachdem er 
am 3. April zum Generallieutenant befördert worden war. Der Glanz- 
punkt seines militärischen Lebens ist der Feldzug 1760. An den Siegen 
von Liegnitz und Torgau gebührt ihm ein schöner, um nicht zu sagen 
hervorragender Anteil. „Die über dem Schlachtfelde von Liegnitz er- 
strahlende Morgensonne," sagt der Verfasser, „wurde die Leuchte für 
seine fernerweite Laufbahn. — Er erwarb sich das Vertrauen des Grofsen 
Königs, und die Tage von Hohengiersdorf, Torgau und Leutmannsdorf 
wurden zu neuen Marksteinen derselben." Für Liegnitz erhielt Graf W. 
den Schwarzen Adlerorden; auch habe, so wird hier behauptet, der König 
zu ihm gesagt: „Die Schlacht ist von Ihnen, Herr Graf." Als Quelle für 
diesen, wenn beglaubigt hochwichtigen Ausspruch nennt Verfasser 
„KorfFs Aufzeichnungen". Dem steht freilich eine andere verbürgte 
Äufserung Friedrichs zu dem englischen Gesandten, Mitchell, gegenüber: 
„Der Sieg, den ich gewonnen hahe, ist gänzlich der Tapferkeit meiner 
Truppen zu verdanken" (vergl. Schäfer, 7jähriger Krieg, II 2, S. 59). Sei 
dem, wie ihm wolle, die Thatsache der Verleihung des Schwarzen Adler- 
ordens ist ein beredtes Zeugnis für Wied's belangreiche Anteilnahme an 
den Erfolgen dieses Tages. Auch an dem glücklichen Ausgange der 
Torgauer Schlacht schreibt Wengen seinem Helden einen nahezu ent- 
scheidenden Anteil zu. In wie weit ein gewifs entschuldbarer Heroen- 
kultus Anlafs wurde, hier und da zu helle Lichter aufzusetzen, bleibe 
dahin gestellt. — In den folgenden Kriegsjahren tritt die Persönlichkeit 
des Grafen W. am meisten im Jahre 1762 in den Vordergrund. Hier 
war es ihm vergönnt, als selbstständiger Corps-Commandeur in direkten 
Verkehr mit dem Könige zu treten' und seine Feldherrn-Begabuug glänzend 



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Umschau in der Militär-Litteratut. 



101 



zu beweisen. — Neben dem biographischen und kriegsgeschichtlichen Teile 
dieser Arbeit fesseln unsere Aufmerksamkeit am meisten die zahlreich 
eingestreuten heeresgeschichtlichen Nachrichten. Sie gewähren einen 
tiefen, für die Beurteilung der Leistungsfähigkeit des fridericianischen 
Heeres ungemein bedeutsamen Einblick in den Mechanismus desselben, 
und lassen die an das Wunderbare grenzende Leistungsfähigkeit des Königs 
selbst erkennen, der mit seinem Ich damals Preufsens Gegenwart und 
Zukunft vertrat. — Ist es nicht von höchstem Interesse, zu erfahren, 
welche unsagbare Mühe es dem Könige in den letzten Jahren machte, die 
gelichteten Reihen seines Heeres zu füllen, wie die moralische Beschaffen- 
heit desselben war, nicht Uufserst charakteristisch für die Beurteilung der 
Operationsfähigkeit der preufsischen Truppen gegen Ende des Krieges, 
dafs im Spätherbste 1762, wie wir hier hören, die Feld -Artillerie teilweise 
mit elenden Kühen bespannt werden mufste?! — Wir heben aus der 
Fülle des Gebotenen nur diese wenigen Daten heraus, um anzudeuten, 
welche Fundgrube diese tüchtige Arbeit für die Friedrichs-Forschung ist. — 
Wenige Jahre nur überlebte Graf W. den Ausgang des 7jährigen Helden- 
kampfes. Am 8. Oktober 1765 machte ein unglücklicher Schufs auf der 
Jagd seinem Leben ein jähes Ende. „Was er geworden," sagt sein 
Biograph, „wurde er aus eigener Kraft. Ein Leben, reich an Schmerz 
und bitterer Prüfung, hatte geendet. Marksteine ruhmvoller Thiitigkeit 
zierten die irdische Laufbahn des Verewigten, den ebenso die Tugenden 
des Herzens wie der Lorbeer des Kriegers schmückten." - Mit hoher 
Befriedigung haben wir das vorliegende Werk gelesen und danken dem- 
selben eine erhebliche Bereicherung unserer Kenntnisse jener Zeit nach 
mehr wie einer Richtung. 1. 

Die Oberfeuerwerker-Schule. Eine Festschrift zur Feier des 
50jährigen Bestehens der Anstalt. Auf Befehl der Direktion 
bearbeitet von v. Kleist, Premierlieutenant u. s. w. Berlin 
1890. E. S. Mittler & Sohn. Preis 1 M. 
Diese am 13. Juni 1840 in das Leben gerufene, zur Heranbildung 
des Feuerwerkspersonals bestimmte Anstalt ist die Rccbtsnachfolgfcrin der 
im Jahre 1816 gegründeten und 1840 aufgelösten vier Inspektionsschulen. 
Diese kleine, auf aktenroäfsigem Material e fufsende Darstellung läfst recht 
klar erkennen, welche Wandelungen die Organisation und technische Fort- 
entwickelung unserer Artillerie in dem genannten Zeiträume erfahren hat. 
Gemäfs der Organisation des Jahres 1840 wurde die neue Oberfeuerwerker- 
Schule mit dem bescheidenen Etat von 30 Avancierten der Artillerie 
eröffnet und anfänglich aushülfsweise in Räumen des Invalidenhauses 
untergebracht, dann im Wachtgebäude des Neuen Thores zu Berlin. 
Letzteres wurde am Abend des 18. März 1848 von ruchloser Hand, nebst 
den Wagenhausern am Oranienburger Thore, in Brand gesteckt. Nam- 
hafte Änderungen der Organisation brachten die Jahre 1853, 1867, 
1868/69, 1870, 1878/79. Durch die Organisations-Bestimmungen vom 



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102 



L'nwchau iu der Militär-Literatur. 



17. August 1878, welche zur Zeit noch in Kraft sind, wuchs die Sehüler- 
zahl auf 240, eingeteilt in zwei Jahrgänge zu je 4 Parallel -Abteilungen. 
Im Jahre 1881 siedelte die Anstalt in ihr jetziges schönes Heim an der 
Invalidenstrafse in Berlin neben der Ulanen-Kaserne Uber, von welchem 
auch die dem Titelblatte vorgeheftete Zeichnung in Lichtdruck (enthaltend 
die A. K. 0. vom 13. Juni 1840 und die bisherigen Kasernements am 
Neuen Thor, in der »Sora m erstraf se und Alexanderstrafse) ein Abbild giebt. 
Verfasser schliefst mit den beherzigenswerten Worten: „Möge sie (die 
Oberfeuerwerker-Schule) stets daran erinnern, dafs die Tugenden: Treue, 
Zuverlässigkeit, Pflichtgefühl, Gehorsam, Pünktlichkeit und Wahrheitsliebe 
die Grundpfeiler sind, auf welche eine preufsische Militär- Erziehungs- 
Anstalt aufgebaut ist." — Diese literarische Gabe wird vornehmlich allen 
ehemaligen Lehrern und Schülern dieser Anstalt eine hoch willkommene 
sein. 1. 

Geschichte des Königlich Preufsischen Ulanen -Regiments 
v. Schmidt (1. Pommersches) Nr. 4. 1815 bis 1890. 

Im Auftrage des Regiments zur Feier des 75jährigen Be- 
stehens desselben dargestellt durch v. Bredau. Sekonde- 
Lieutenant im Regiment. Mit Abbildungen und Karten. 
Berlin 1890. E. S. Mittler & Sohn. (10 M.) 

Nicht voll ein und ein halbes Jahr, von der Empfangnahme seines 
Auftrages bis zur Fertigstellung im Druck, standen dem Verfasser für 
die Bearbeitung einer Geschichte des Ulanen-Regiment« v. Schmidt zur 
Verfügung. Eine kurze Zeit, zumal da der Front-Offizier noch Anderes 
zu thun hat und angesichts des Urafanges, welchen der zu bewältigende 
Stoff lx>t. Denn trotz seines nur 75jährigen Bestehens ist von den Er- 
lebnissen und den Thaten der 4. Ulanen vielerlei und Interessantes zu 
berichten. Die „Vorgeschichte" hineinzuziehen wäre nicht nötig gewesen, 
denn der Zusammenhang mit den Bosniaken und den Towarczys ist nur 
ein loser und kein unmittelbarer. Eine Schwadron des westpreufsischen 
Ulanen-Regiments Nr. 1, je eine des pommerschen und des ostpreusfischen 
National-Kavallerie-Regiments waren die Stammtruppen, aus denen laut 
Kabinetsordre vom 7. März 1815 das 4. Ulanen- Regiment sich zusammen- 
setzte. Eins der heigegebenen Uniformbilder vergegenwärtigt ihren An- 
blick. — Die ersten 50 Jahre seines Bestehens verflossen ziemlich ein- 
förmig und in verhält nismäfsiger Ruhe. Nachdem es bis zum Ende des 
Jahres 1818 der Occupations- Armee in Frankreich angehört hatte, vorblieb 
es bis zum Kriege von ls66 in kleinen pommerschen und westpreufsischen 
Garnisonen. Nur die Grenzbesetzungen , welche durch die polnischen 
Wirren veranlafst waren, unterbrachen 1831 imd 1863/64 die Einförmig- 
keit. Dann kamen zwei Kriege, auf deren Geschichte die Ulanen mit 
Stolz und freudiger Genugtbuung zurückblicken. Der selbstständige Ent- 
schlaf* des Oberst v. Kleist verhalf dem Regiment zur Teilnahme an dem 



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Tmschau in der Militär-Littcratur. 



103 



Reiterkampfe, welcher die Schlacht von Königgrätz beendete, und wenn 
dasselbe im nächsten Feldzuge auch nicht überall war, wie der Verfasser 
seine Kameraden ans jener Zeit gelegentlich sich berühmen Uifst, so sahen 
sie doch ein gute« Stück von Frankreich, und waren vielfach, in guten 
und in trüben Tagen, „dabei". Manche Einzelnheiten aus ihrem Feldzugs- 
leben sind in weiteren Kreisen bekannt geworden, so ihr Vorgehen am 
18. August gegen Point du jour, wo das Regiment die Weisung erhalten 
hatte, „seine Attacken auf dem Glacis von Metz zu endigen" aber statt 
auf einen weichenden auf einen höchst kampfbereiten Gegner traf und 
gar nicht zum Angriff kam; ferner der Überfall von Nemours, welcher 
ebenfalls herbe Verluste brachte, vieles aber war, wenigstens dem Bericht- 
erstatter, unbekannt. Die Mitteilungen gewahren einen ebenso unter- 
haltenden, wie lehrreichen Einblick in das Kriegsleben eines Reiter- 
Regiments der Kavallerie-Division Hartmann. Die Kampfe um Metz, 
die Teilnahme an der Einschließung der Feste und an der für die Ulanen 
bedeutend schwierigeren gleichartigen Thätigkeit vor Diedenhofen, wo ein 
Fähnrich in jugendlichem Leichtsinn mit der blauen Blouse bekleidet 
des Feindes Heim betritt, seinen Übermut mit dem Tode büfst, und, vor 
die Gewehrläufe der Erschiefsungstruppe gestellt, als „un vrai soldat" 
stirbt, der Feldzug an der Loire und der Schluß desselben bei Tours sind 
die Marksteine der Thätigkeit des Regiments. Nach Beendigung des 
Krieges erhält dasselbe Diedenhofen als Garnison angewiesen, wo Örtliche 
Hindernisse der Friedensarbeit schwere Hindernisse in den Weg stellen, 
13 Jahre später kehrte es in seine heimischen Bezirke, nach Thorn, zurück, 
der 27. Januar 1889 trug ihm den Ehrennamen „v. Schmidt 1 * ein; 20 Jahre 
lang, von seiner Ernennung zum Sekondelieutenant bis zur Beförderung 
zum Regiments-Commandeur, hatte der Träger desselben dem Regimente 
angehört. — Die Bearbeitung der Geschichte des letzteren ist mehr in 
Gestalt einer Chronik als in abgerundeter Darstellung erfolgt, nur an 
einzelnen Stellen begegnen wir letzterer, der Mangel an Zeit und Mufse 
wird einer besseren Verarbeitung des oft spröden Stoffes im Wege ge- 
wesen sein. Sehr sorgsam bearbeitet und vollständig sind die Anlagen 
und besondere Anerkennung verdienen die lebensgesebichtlichen Mit- 
teilungen über die Glieder des Offizier-Cori>s. Auch die Karten bei lagen 
entsprechen ihrer Bestimmung, der Bilderschmuck freilich zeigt Pferde, 
deren Beine ein bedenkliches Kopfschütteln hervorrufen. 14. 

Infanteristische Litteratur. 

1. Militärischer Dienst-Unterricht für Einjährig-Frei- 
willige bei der Ausbildung zu Reserve-Offizier-Aspiranten, 
sowie zum Gebrauch für Letztere und für Offiziere des Be- 
urlaubtenstandes der deutschen Infanterie. Von Dilthey, Kgl. 
Preufs. Major a. D. 21. Auflage. E. S. Mittler & Sohn. Preis 3,50 M.; 
in ganz Leinen geb. 4 M. Mit Abbildungen im Texte und einer Stein- 
drucktafel. Diese neue Auflage des bekannten und bewährten Buches 



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Umschau in der Militär-Litteratur. 



wurde in Folge der Neubewaffnung, dann zahlreicher und weitgreifender 
Änderungen der militärischen Dienstvorschriften, ferner der Bildung zweier 
neuer Armee-Corps notwendig und wird sich der gleichen Verbreitung und 
Beliebtheit wie die früheren Auflagen zu erfreuen haben; sie giebt Auf- 
schluß über Alle6, was dem Einjährig-Freiwilligen zu wissen not thut. 
Sehr dankenswert, ist auch das angeschlossene alphabetische Sachregister. 
Das dem Reichstage im Mai des Jahres zugegangene Gesetz betreffend die 
Friedenspräsenzstärke des deutschen Heeres hat, da das Buch vor diesem 
Termine erschien, naturgemals noch keine Berücksichtigung finden können. 

4. 

2. Der deutsche Infanterist im Dienstunterrichh Bearbeitet 
in Gliederungen. Ein Lehrbuch für das deutsche Heer. Herausgegeben 
von M. Menzel, Prem.-Lieut- im 3. Pos. Inf.-Begt. Nr. 58. 2. Autlage. 
Berlin 1890. Mittler Sc Sohn. — Mit Freuden hegrüTsen wir die zweite 
Auflage dieses in seiner Art einzigen Instruktionsbuches, dessen Verfasser 
es sich zur Aufgabe gestellt hat, jeden einzelnen Gegenstand des gesamten 
Unterrichtsstoffes in der Weise zu zergliedern, wie es für einen leicht 
fafslichen Unterricht erforderlich ist. Für den jungen Offizier, dem die 
Fähigkeit, jeden Unterrichtsgegenstand sich rasch logisch zurechtzulegen, 
meistens noch fehlt, wird es ein willkommenes Hülfsmittel sein. Die neue 
Auflage unterscheidet sich dadurch von der vorhergegangenen, dafs das 
Gewehr 88 nebst Munition, unter Beigabe erläuternder Holzschnitte darin 
aufgenommen ist, und dafs eine Reihe vorzüglicher farbiger Abbildungen, 
die Gradabzeichen und Uniformen der Armee und Marine, sowie die 
preufsischen Orden und Ehrenzeichen darstellend, beigefügt sind. D. 

3. Die praktische Ausbildung der Compagnie für den 
Krieg. Nach den Dienstvorschriften bearbeitet von v. Schmeling, 
Oberstlieutenant. Erfurt 1890. Verlag von Carl Villaret. -- Sehr wohl 
bin ich mir der Tragweite meiner Worte bewufst, wenn ich sage: kein 
Hauptmann, kein Bataillons-Commandeur darf die Kenntnisnahme dieser 
Schrift verschmähen! Denn dieselbe giebt in knappster Form in praktischer 
und interessanter Art, mit geschickten Beispielen und in Randbemerkungen, 
die überall den Nagel auf den Kopf treffen, eine stufenweise vorgehende 
Anleitung zur Ausbildung der Compagnie, — der Chargen und der Mann- 
schaften, — für den Krieg. Es i>t eine vor zwei Jahrzehnten noch kaum 
geahnte Fülle von Fertigkeiten, Kenntnissen, Leistungen, welche der 
gegenwärtige Stand der Bewaffnung, der Fechtweise, der Gelandebenutzung 
von der Infanterie fordert, von den unteren Führern s-owohl, wie von den 
einzelnen Leuten. Und da ist es naturgemafs nicht jedem Lieutenant und 
Compagniechef gegeben, so ohne Weiteres mit kundigem Blick die beste 
Art der Ausbildung zu erspähen, mit Sicherheit einen praktischen Weg 
der Unterweisung einzuschlagen: wie man aber im Regiment sich bildet 
nach erfahrenen Hauptleuten u. s. w., so kann man, meine ich, auch 
durch die Verarbeitung einer gediegenen Schrift ä la Schmeling sich 
fördern und zu praktisch-wertvollem Verfahren Gesichtspunkte sich schaffen, 



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UniBchao in der Militär- Litteratur. 



105 



Httlfsmittel sieb liereit stellen u. s. w. In jeder Hinsicht also sei die 
Schmeling'sche Schrift der allgemeinen und eingehenden Würdigung 
empfohlen. 34. 

Polen als Schauplatz vergangener und zukünftiger Kriege 

von K. v. d. Borne, Hptni. uud Comp.-Chef im Inf.-Regt. 
v. Stülpnagel (5. Brandenburg.) Nr. 48. Berlin 1890. Ver- 
lag R. Wilhelmi. 

Eine höchst interessante militärgeographische Studie, deren kriegs- 
geschichtlicbe Beziehungen in zutreffenden Beispielen reichliche Erläuterung 
finden. Uneingeschränktes Lob verdient zunächst die klar bestimmte 
Schreibweise des Verfassers, welche in bündigster Weise ein lebenswahr 
gezeichnetes Bild des polnischen Kriegsschauplatzes zu veranschaulichen 
vermochte. Was Kern und Inhalt der Schrift betrifft , so sind kritische 
Rückblicke auf die bedeutungsvollsten Episoden der Feldzüge von 1806, 
1812, 1830/31, 1848, 1863 mit geographisch-statistischen Schilderungen 
der polnischen Landstriche scharfsichtig und sachgemafs verflochten worden. 
Den fesselnden Darstellungen der einzelnen Abschnitte reihen sich Angaben 
der jeweiligen topographischen Änderungen an , so weit solche von mili- 
tärischer Bedeutung sind, namentlich findet die Vervollkommnung der 
Befestigungsanlagen, der Wasser- und Landverbindungen (Eisenbahnen, 
Chausseen), so wie des Telegraphennetzes gründliche Behandlung. Der 
von grofsem Verständnis, klarem und sicherem Urteil zeigenden Ausführung 
kann man fast unbedingt beipflichten. Mit Recht beanspruchen die Ope- 
rationen des mit äuTserster Kraft geführten Erhebungskrieges Polens gegen 
Russland 1830/31 eingehende Erörterungen, wobei der freilich kühne und 
glückliche Zug des Generals Dombinski wohl etwas zu hoch gewürdigt 
wird, war es doch immerhin ein nur erfolgloses Unternehmen, welches 
der sein Hauptaugenmerk auf Warschau richtende russ. Oberbefehlshaber 
Paskiewitsch auch kaum berücksichtigte, sondern durch geringe Streit- 
kräfte beobachten liefs. Ferner dürfte den Kämpfen um Grochow der 
Wert einer Entscheidungsschlacht nicht beizumessen sein, zwar mufsten 
die geschlagenen Polen das rechte Weichselufer raunien, doch erst die 
Niederlage von Ostrolenka führte jene entscheidende, verhängnisvolle Ein- 
schließung des polnischen Heeres in Warschau herbei. Sollten endlich 
die wirtschaftlichen Verhältnisse Polens (vergl. S. 38) nicht ein wenig 
unterschätzt sein? Schon seit mehreren Jahrzehnten ist die Bodenkultur 
des an vortrefflichen Acker reichen Landes in steigender Entwickelung 
begriffen. Grade die weiten, fruchtbaren Gegenden des polnischen Weichsel- 
gebietes könnten im Stande sein, der Verpflegung eines gröfseren Heeres 
erheblichen Vorschub zu leisten! Besonders wertvoll ist die Schlufs- 
betrachtung, welche sich im Allgemeinen mit den jetzigen Zuständen 
Polens beschäftigt, insofern die Aufmerksamkeit der militärischen Kreise 
heute noch mehr als sonst, ja in sehr erhöhtem Mafse der gegenwärtigen 



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106 Umschau in der MilitAr-Litteratur. 

lj&#e sämtlicher Nachbarstaaten zugewandt ist, Nicht ohne grofse Be- 
friedigung legt man diese anerkennenswerte Schrift au« der Hand, deren 
Veröffentlichung überall mit Freude begrüfst werden wird. — 

Die Befestigungen Frankreichs. Berlin 1890. Verlag von 
Friedr. Lnckhardt. 

Der nicht namhaft gemachte Verfasser nennt seine Arbeit einen 
Beitrag zur Kenntnis der französischen Landesverteidigung, wozu er um so 
mehr berechtigt ist als die höchst beachtenswerte Schrift das erst nach 
Maßgabe des Gesetzes vom 27. Mai 1889 neu organisierte Festungssystem 
Frankreichs behandelt. Die Veranschaulich ung des treu gezeichneten Bildes 
wird durch Beigabe einer Karte des nordöstlich-französischen Gebietes 
erleichtert, Nach einem Vorwort Uber die Entstehung des betreffenden 
Gesetzes, dessen Entwurf übrigens in der militärischen Fachpresse vom 
General Cosseron de Villenoisy (s. Anhang) lebhaft, wenn auch ohne 
wesentliche Beeinflussung bekämpft wurde, beginnt die Darstellung mit 
einem Uberblicke der Gesamtbefestigungen, welche sich in 5 Hauptgruppen 
zergliedern. Demnächst werden die Verteidigungsanlagen der Landesgrenze 
nebst ihren Rückhaltspositionen geschildert. Die Nordlinie zerfällt in 
3 Abschnitte, vom Pas de Calais bis zur Scheide, von deren Ufern bis an 
den Thailand der Sambre und von dort, die Maafs übergehend, bis zur 
luxemburgischen Grenze. Während sich die beiden ersteren in ganz offenem 
Baume ausdehnen, ist der letztgenannte von waldigen Bergzügen und 
Sumpfstrecken stark durchsetzt, Bei der verständnisvollen Charakteristik 
dieser nördlichen Festungen, welche mit Ausnahme des fortsumgürteten 
Lille, lediglich Sperr- und Depotplatze sind, scheint der strategische Wert 
von Mezieres nicht genügend erkannt zu sein, insofern grade von dort die 
wichtige Ardennenspaltung des Maafsthales, der besuchtesten direkten Ver- 
bindung zwischen Frankreich und Belgien l>eherrscht wird. Aus der für 
am meisten gefährdet erachteten Ostfront, einer deshalb nahezu ununter- 
brochenen Kette von Festungen und Forts, heben sich ebenfalls 3 Ab- 
schnitte hervor, nämlich längs der Maafs und Mosel, so wie einer vom 
Ballon d'Alsace Uber Beifort zur schweizerischen Grenze verlaufenden Linie. 
Unter eingehender Betrachtung der vielfach durchschnittenen Boden- 
gestaltung, finden die machtvollen Heeres fest ungen Verdun, Toul, Epinal 
und Beifort volle Berücksichtigung, namentlich letzterer Platz als Schlüssel 
der bekannten burgundischen Pforte (trouee de Beifort) zwischen den 
Vogesen- und .Jurahängen. Vielleicht wäre es bei der Bedeutung der 
Maafslinie im Falle eines deutsch-französischen Krieges, angezeigt gewesen, 
diesem Abschnitte der Ostfront eine noch gröfsere Aufmerksamkeit zu 
widmen. Kritische Erwägungen werden sogar durch die recht bedenkliche 
Anordnung einzelner Forts gradezu provoziert. So vortrefflich z. B. die 
Position Toul — St. Mihiel sein mag, ebenso mifslieh erscheint dagegen die 
nordwärtige Defensivstellung von St. Mihiel über Troyon und Genicourt 
hinaus, welche sich an der niedrigsten Abdachung des Gebirges, ohne 



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UmBchaa in der MilitAr-Litteratur. 



107 



genügende frontale Geschützwirkung und ohne Offensivkraft für gegenseitige 
Cnterstütsung gruppiert. Nur auf der Höhenlage jenseits der Maafs dürfte 
die Verteidigung dieser 30 km breiten Durchbruchslücke wirklichen Halt 
gewinnen! Hie Befestigungen der Jura- und Alpengrenze, jene vom Doubs 
bis Savoyen, diese vom unteren Rhoneknic bis an den Mit telraeerstrand 
reichend, entsprechen den Bedingungen alpiner Gegenden und gelten daher 
ihrem Zwecke nach vorzugsweise als Pafssperren. Nur Lyon, die zweit- 
gröfste Stadt Prankreichs ist zur modernen Lagerfestung, sowie Grenoble 
zu einem Hauptwaffenplatz umgeschaffen worden. Der erstarkten Groß- 
macht Italien gegenüber, hat die ganze, schon an sich leicht zu vertei- 
digende Südostfront noch eine erhöhte Widerstandskraft erhalten. Reges 
Interesse wird den rückhaltigen Stützpunkten der zweiten Zone zwischen 
der vorderen Linie und der Metropole Paris zugewandt. Eine Reihe 
grofser operativer Plätze als Laon, Reims, Langra, Dijon und Besaneon 
lehnen sich bedeutungsvoll an die natürliche Umwallung einiger dem 
Steilrande des Pariser Beckens vorgelagerter Berg- und Hochlandsmassen. 
Sollte beiläufig gesagt, diese strategische Naturmauer nicht bei Dijon resp. 
an der cöte d'or ihren südlichen Abschlufs finden, statt bei dem 80 km 
nach Osten belegenen und füglich den Jurafestungen beizuzählenden Be- 
san<;on? — Gebührende Würdigung zollt die Abhandlung der gewaltigen 
Befestigung von Paris und zwar mit Anführung einer Menge interessanter 
Details. Zwei 12—14 km voneinander entfernte Fortsgürtel, deren innerer 
einen gleichen Abstand von der Hauptumwallung hat, zwingen den Feind 
mindestens 25 km von der eigentlichen Stadt, also „weit vom Schüfe" für 
die Bevölkerung abzubleiben. Der Umfang der äufseren, weit über die 
Stellungen der deutschen Truppen 1870/71 vorgeschobenen Fortslinie, 
beträgt 130 km, wonach die Einschließung sich nun auf 150 km, also 
ziemlich auf das Doppelte der damaligen Cernierung erstrecken mufs. Für 
die großartigen fortifikatorischen Anlagen, welche die Franzosen bei Paris 
geschaffen haben, war nicht sowohl die beeinflussende Stellung der Haupt- 
stadt im staatlichen Leben Frankreichs mafsgebend, als vielmehr die Er- 
füllung der strategischeu Aufgabe, dem gesamten französischen Befestigungs- 
system als Kernwerk zu dienen. — Die Verstärkung der Pyrenäengrenze 
beschränkt sich auf Perpignan unweit des Golfes du Lion, die Aufbesserung 
des Küstenschutzes auf die Haupt kriegshüfen Toulou, Cherbourg und Brest. 
Am Schlüsse der Schrift werden zur Vervollständigung der Angaben noch 
sämtliche Befestigungsanlagen untergeordneter Natur l>ezeichnet, welche 
nach dem eingangs envähnten Gesetze hinzugekommen oder aufgegeben 
worden sind. Ohne Zweifel ermöglicht die vorliegende Arbeit einen vollen 
Einblick in das Verteidigungssystom Frankreichs. Wer das bündig ge- 
haltene, doch erschöpfende Buch gelesen, wird es nicht aus der Hand legen 
ohne das Verdienstliche desselben anzuerkennen. Das Werk empfiehlt sich 
von selbst, weshalb es nur des Hinweises auf sein Erscheinen bedarf, um 
Teilnahrae in militärischen Kreisen zu begegnen. H. 



108 



Unwchan in der Militär-Litteratnr. 



Journal d'un officier de Tarmee du Rhin, par le geoeral Fay. 
5 - edition. Paris — Nancy. Bergcr-Levrault & Cie. 1889. 
Preis 4,50 M. 

General Fay, als Oberstlieutenant dem Stabe der französischen Rhein- 
Armee im Jahre 1870/71 angehörend, schildert in seinem Tagebuche mit 
seltener Offenheit und Freimütigkeit die Schaden und Mangel, welche in 
der Organisation der französischen Armee zu Tage traten, als der Krieg 
gegen Deutschland erklärt wurde. Wohl hatte der Kriegsminister erklärt, 
dafs die Armee kriegsbereit sei, aber diese Erklärung erwies sich als 
falsch. Kaum ist die Mobilmachung in Frankreich befohlen, da be- 
ginnt ein wildes Durcheinander die Bevölkerung zu erfassen. Einberufene 
durchqueren das ganze Land, um von ihrem Wohnort, aus die Depots zu 
erreichen. Behufs Einkleidung und um von hier aus zu ihren Truppen- 
teilen zn gelangen. Generale reisen umher und suchen ihre Truppen; 
Depeschen, wie die nachstehenden: „Suis arrive a Beifort; pas trouve ma 
brigade; pas trouve general de division; que dois-je faire? Sais pas oü 
sont mes regiraents", oder „Ii n'y a ä Metz — ni sucre, ni cafe, ni riz, ni 
eau de vie, ni sei, peu de lard et de biscuit. Envoyer de suite au moins 
un million de rations ä Thionville." bezeugen, welche Bewandtnis es mit 
dem Ausspruch des Ministers hatte: „Nous somme.s arcbi-prets." — Ob 
es jetzt wobl besser hierin bestellt sein mag in Frankreich? Ohne Zweifel! 
Und doch brachten französische Blätter die Nachricht, dafs bei der letzten 
Probe- Mobilmachung Truppenteile ohne ihre Offiziere von der Kaserne 
nach dem Bahnhof marschiert seien und erst nach geraumer Zeit die 
Herren Offiziere mittels Fiaker bei ihnen eintrafen. Der Verfasser be- 
kennt offen, dafs der Feldzug ohne genügende Vorbereitungen eröffnet 
worden sei und dieselben Fehler in der Verteilung der Streitkräfte an der 
Grenze, welche man bei den Österreichern 1866 gertigt hatte, von den 
Franzosen begangen worden seien; forner, dafs die französische Armee, 
namentlich die Kavallerie, nicht auf der Höhe militärischer Ausbildung 
gestanden habe. Wahrend man an der Saar den feindlichen Vorstofs 
erwartete und sich schon einer gewissen Siegesfreude hingab, schätzte 
man doch den Gegner nicht über 40,000 Mann (wahrend man selbst über 
mehr als 70,000 Mann verfugte); man wurde durch das Vorgehen deutscher 
Seits an der Lauter vollständig überrascht - („surprise, c'est le mot de 
toute la campagne"). — Die Gefechte von Saarbrück, Weifsenburg, For- 
bach (Spicheren), die Schlacht von Reichshofen (Wörth) werden nur kurz 
angeführt. Betreffend Spicheren bestreitet Verfasser, ohne nähere Angabe 
Uber die Stärke des Corps Frossard zu machen, dafs die Franzosen an 
Zahl den Deutschen Uberlegen gewesen wären, wie in preufsischen Be- 
richten behauptet wird. Nach „v. Schell. Die Operationen der I. Armee 
u. s. w. w sind 27 Bataillone und 10 Batterien nach und nach gegen das 
ganze 39 Bataillone starke Corps Frossard wirklich ins Gefecht getreten. 
Die Schilderung der Schlacht bei Vionville— Mars la Tour stimmt nicht 



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Umschau in der MilitAr-Littaratur. 



109 



immer mit der unsrigen tiberein. Dem „Tagebuch" gemäfs haben die 
beiden Divisionen des 4. französischen Corps an diesem Tage siegreich ge- 
kämpft, ja die ganze Schlacht von Rezonville sei ein französischer Sieg, 
denn die Franzosen seien Herren des Schlachtfeldes geblieben, die Strafsen 
Uber Verdun sowohl wie über Bricy standen ihnen offen, um von Metz 
fortzukommen. Das SchelTsche Werk dagegen äufsert: „Gefesselt an der 
Stelle, wo man sie gefunden, sah die französische Armee ihre Absicht, 
nach Westen abzumarschieren, vereitelt; ein Resultat, dessen ganze Schwere 
erst die nachfolgenden Tage erkennen Helsen." 

In seiner Betrachtung über die Schlacht und ihren Ausgang giebt 
übrigens Verfasser selbst zu, dafs ein Entkommen von Metz nicht durch- 
führbar gewesen sei. Der für die französischen Waffen unglückliche Ver- 
lauf der genannten Kämpfe, rief eine grenzenlose Panik in Frankreich 
hervor. Verfasser schildert mit grofser Lebendigkeit die Stimmung, welche 
Platz griff, sowohl im Heere wie bei der Bevölkerung des Elsafs. 
Letztere forderte Waffen, um sich den Deutschen entgegenstellen zu können 
— aber Alles vergeblich: „le flot germanique descend tout a coup dans 
la Lorraine". In der Umgebung des Kaisers herrschte völlige Verwirrung, 
man war der Ansicht, unverzüglich auf Ohaions zurückgehen zu müssen; 
die Truppen waren ermüdet, entmutigt und litten Mangel an Lebens- 
mitteln u. s. w. — „Glücklich, dafs der Gegner seine Siege nicht sofort 
ausnutzte!" — In einer Note sucht Verfasser seine Landsleute über diese 
Zustände damit zu beruhigen, dafs er auf Jena und Auerstedt hinweist, 
wo ein Gleiches bei der preufsischen Armee geschehen sei. — Der Raum 
verbietet ein näheres Eingehen auf den interessanten Inhalt dieses Buches. 
Das bisher Gesagte wird genügen, um zu zeigen, dafs Verfasser bestrebt 
ist, seinen Landsleuten in möglichst objektiver Weise die Schilden und 
Mängel aufzudecken, welche in der französischen Armee vor 1870/71 ge- 
herrscht haben, und durch Anführung von Beispielen, wie er es auf 
deutscher Seite gefunden (z. B. bei einem Besuche in Metz am 29. Oktbr. 
1870), den Weg zur Besserung zu zeigen. Namentlich betont er die vor- 
zügliche Ausbildung der deutschen Kavallerie im Nachrichten- Dienst und 
die Vermehrung der Artillerie. Das Tagebuch schildert die Erlebnisse der 
Rhein -Armee von Beginn des Feldzuges an bis zur Kapitulation von Metz. 
Die vorliegende 5. Auflage lehrt, welche Anerkennung und Verbreitung 
das fesselnde Buch des General Fay gefunden hat Dafs man jenseits 
der Vogesen aus den bitteren Lehren des Jahres 1870/71 Nutzen ge- 
zogen hat, leidet keinen Zweifel. Ähnlichen Zuständen würden wir, 
täuschen wir uns nicht, zum zweiten Male nicht begegnen. 15. 

Neuheiten der französischen Militar-Litteratnr. 

1. Essais de critique militaire par G. G. de la Nouvelle Revue. 
I. Etüde sur Clausewitz, H. Septembre et Octobre 1806 — Juillet et 
Aout 1870. Supplements et Pieces justificatives — 13 Tableaux de Marche 
et 3 Cartes en touleurs. II edition. Paris. Librairie de la Nouvelle 



1 10 Umschau in der Militftr-Litteratur. 

Revue. 1890. — Die hier vereinigt erschienenen beiden Studien sind zu 
verschiedenen Zeiten verfafst. Sie verdanken anscheinend ihre Entstehung 
den in den Schriften des Prinzen Hohenlohe ausgesprochenen Gedanken, 
dafs die deutschen Generale 1 870 — obwohl von den Lehren napoleonischer 
Kriegführung erfüllt — dieselben durch ruhigere, Uberlegte Durchführung 
vielleicht noch übertroffen hätten. — Verf. will nun zeigen, wie Napoleon 
nicht allein ein unnachahrabarer Lehrer gewesen ist; sondern dafs er noch 
heute der Lehrer geblieben ist, dafs seine Lehrsätze nicht veraltet sind. 
Verf. ist betrübt über die in Frankreich herrschende militärische „Prusso- 
raanie", eine Folge davon die Überschwemmung des französischen Buch- 
handels mit den Übersetzungen Blume's, v. Schmidt, v. Scherff, v. Widdern 
u. s. w., während man oft die klassischen Werke der franz. Militär- 
Litteratar dort vergeblich sucht. Wie weit ihm dies gelungen ist, steht 
dahin. Geistreich und sorgfältig sind die Studien geschrieben; oft finden 
wir Anklänge an neuere deutsche Schriften. 17. 

2. Le nouveau Reglement d'Exerciees de la cavalerie ita- 
lienne. Traduit par le Capitaine Picard. Paris 1890. ßerger-Levrault 
et Cie. Vorliegende kleine Schrift ist eine, zum Teil wörtliche Uber- 
setzung des neuen italienischen Exerzier-Reglements für die Kavallerie. 
Wir empfehlen unseren Herren Kavallerie-Offizieren diese, mit zahlreichen 
Figuren erlHuterte Arbeit als wertvolle taktische Studie, auch im Ver- 
gleich zu den diesseitigen Vorschriften. 4. 

3. La Poudre sans fumee et la Tactique, par G. Hoch, capi- 
taine d'artillerie. Extrait de la Revue d'artillerie. Paris 1890. Berger- 
Levrault et Cie. — Diese zuerst in mehreren Nuramern der Revue 
d'artillerie erschienenen Aufsätze Uber das rauchlose Pulver erregten aller 
Orts berechtigtes Aufsehen, da dieselben, die zahlreichen bislang er- 
schienenen Broschüren und Aufsätze benutzend und aus ihnen gewisser- 
mafsen das Mittel ziehend, das beliebte Thema in der erschöpfendsten 
und geistvollsten Weise behandeln. Denjenigen, welchen die genannte 
Zeitschrift nicht zugänglich ist, möchten wir die Lesung dieser Studie auf 
das Wärmste empfehlen; wir halten sie für das Beste, was über diesen 
Gegenstand bis jetzt geschrieben worden ist. 4. 

4. Quatre homraes par A. Gari;on. Paris — Limoges. Henri Ch. 
Lavauzelle, editeur. 1890. — Die vorliegende Broschüre bringt wenig 
Neues, es sei denn die Zusammenstellung der Biographien von vier 
Leuten, die geringe oder gar keine Ähnlichkeit mit einander haben: 
Skobelefi", Brook, Grant, Riel. Offen gestanden haben wir uns für alle 
vier niemals begeistern können, am Wenigsten für Riel, der in (Kanada 
die untersten Schichten von Halb-lndianern gegen die englische Regierung 
aufhetzte und dabei eine wenig erfreuliche Rolle spielte. Wenn der 
Franzose für seine Landsmannschaft keinen würdigeren Repräsentanten 
finden konnte, so ist dies nicht schmeichelhaft für Frankreich. Auf das 
Leben Riels wirft die Broschüre einiges neues Licht, die Biographien der 



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Umschau in der Militir-Litteratur. 



111 



anderen drei „grofsen Charaktere" enthalten nur Bekanntes, ausgeschmückt 
mit dem üblichen Weihrauch, der solchen Männern gestreut zu werden 
pflegt. 26. 

Rang- and Quartierliste der Königlich Prenfsischen Armee 
für den aktiven Dienststand. Berlin. E. S. Mittler & 
Sohn. Preis brosch. M. 4,25: geb. M. 5.50. 

Die zum 1. April vollzogene Bildung zweier neuer Armee-Corps hat 
die abermalige Herausgabe einer neuen Rangliste zur notwendigen Folge 
gehabt. Dieselbe umfaist nur den aktiven Dienststand, dann die 
Aneiennitätslisten, das Verzeichnis der Garnisonen und die neue tabel- 
larisch geordnete Armee- Einteilung nach dem Stande vom 1. April. Nach 
Angabe der Verlagsbuchhandlung soll die Herausgabe der Rangliste in 
Zukunft immer im April erfolgen, sie würde somit den mit dem Beginn 
des neuen Mobilmachungs-Jahres verknüpften Personal - Veränderungen 
Rechnung tragen können. Die aus der neuen Rangliste ersichtlichen 
Veränderungen sind die zahlreichsten, deren wir uns seit Jahrzehnten er- 
innern können. Ob sich der von Jahr zu Jahr anschwellende Umfang 
dieses „Buches der Bücher" nicht durch etwas sparsameren Druck würde 
verringern lassen, im Interesse der Handlichkeit und Wohlfeilheit, ist 
der Erwägung würdig. Wir verweisen in dieser Beziehung als Beispiel 
auf das französische „Annuaire roilitaire". 2. 

Anciennitätsliste der Offiziere des Deutschen Heeres für 
das Jahr 1890. Von v. Puttkammer, Major z. D. Nach 
dem Stande vom 12. April 1890. Berlin. E. S. Mittler & 
Sohn. Preis M. 5. 

Diese Anciennitätsliste, welche zum ersten Male mit des Verfassers 
Namen gezeichnet ist, bildet eine erwünschte Ergänzung der Rangliste, 
nicht allein um der „Anciennität" innerhalb der verschiedenen Chargen 
halber, sondern auch (da jedem Namen das Datum der Ernennung zum 
Sekondelieutenant beigefügt ist), der Alters Verhältnisse wegen. Von 
besonderem Werte ist es, dafs sämtliche Kontingente des deutschen 
Reichsheeres in diesem Bande Aufnahme gefunden haben; dieselben werden, 
im engen Anschlufs an die Reihenfolge der Ranglisten regimenterweise 
aufgeführt. In Abteilung V: „Anciennitätslisten" sind siimtliche Generale 
und Stäbs-Offiziere aller Kontingente dem Dienstalter nach genannt; von 
den Hauptleuten und Rittmeistern nur diejenigen bis ult. Dezember 1884, 
die Premierlieutenants bis ult. Dezember 1886, Sekondelieutenants bis ult. 
Dezember 1883, also nur die Ältesten dieser Chargen. 4. 



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Umschau in der Militar-Litteratur. 



III. Seewesen. 

The llluitrated naval and military Magazine. Nr. 17: Seekriegs- 
geschiebte, ihre Prinzipien und Praxis historisch beleuchtet durch Rear- 
Admiral P. H. Colomb. Kapitel IX. Die Umstünde, unter welchen Land- 
angriffe von See aus gelungen oder fehlgeschlagen sind. Die Expedition 
der spanischen Armada nach England und der Angriff der italienischen 
Flotte auf Lissa. — Stablpanzerplatten von Charles Weston Smith. — 
„Das unterseeische Boot Goubet". 

Adntiralty and Horse Guards Gazette. Nr. 286: Die englische Re- 
gierung läfst von der Firma Yarrow & Co., Poplar zwei zerlegbare Stahl- 
boote von 18 bis 24 Zoll Tiefgang bei 90 Fufs Länge, mit einem Schaufel- 
rade am Heck für den Sambesi-Fluß* in Afrika bauen. — Die portugiesische 
Regierung hat bei derselben Firma 6 solcher Boote für obigen Flufs 
bestellt — Nr. 287: Vortrag über Schiffs-Maschinenkessel (Thornicroft 
water-tubeboilers) vom dünischen Kapitän Rassmussen, welche man in 
Dänemark aufser für Torpedoboote auch für den Kreuzer Geiser in Aus- 
sicht genommen hat. — Ein zweiter Vortrag betrifft die Konstruktion 
unsinkbarer Panzerschiffe. Die Ausführung der Idee scheint jedoch noch 
auf Schwierigkeiten zu stofsen. Nach einer Äußerung der Wettern Morning 
News vom 19. April sollen die Experimente mit den Armstrong 70 Tons 
Schiffsgeschützen in Italien so günstig verlaufen sein, dafs die italienische 
Regierung beabsichtigen soll, die für die nächsten zwei Jahre in Aussicht 
genommenen neuen Panzerschiffe mit obigen Geschützen zu armieren. Die 
Gazette Nr. 287 bemerkt hierzu, dafs vier 125 Tons Geschütze statt der 
früheren zwei für das italienische Panzerschiff „Sardega", das in Venedig 
auf Stapel steht, bestellt sein sollen und dafs qu. 125 Tonner wohl die 
verstärkten englischen 110, die 70 Tonner wohl die verstärkten 67 Tonner 
sein würden. — Nr. 289: Professor Lewis in Greenwich hat durch 
Experimente ermittelt, dafs das in England gegenwärtig zu grofsen 
Ladungen verwendete Geschützpulver durch das Aufbewahren auf Schiffen 
in der Nähe der Schiffskessel und Maschinen sehr leidet. Man soll daher 
in der englischen Marine besonders bei Konstruktion der neuen Schiffe 
darauf Bedacht genommen haben, die Pulverkammern von Kessel und 
Maschinenraum entfernter anzuordnen. 

Annale« der Hydrographie nnd maritimen Meteorologie. IV. Heft: 
Hydrographische Notizen und Ermittelungen über einige Orte aus Kaiser 
Wilhelms Land, dem Bismarck -Archipel u. s. w. gesammelt von den 
Offizieren des deutschen Kreuzers „ Alexandrine". — Tieflothungen 
im Indischen Ocean, Golf von Bengalen, Stillen Ocean, der Korallen 
See u. s. w. 

Revue maritime et Colonlale. (April): Fortsetzung der Oceanographie 
von Professor E. Thoulet in Nancy. — Studie über die Verwendung des 
Sextant zu astronomischen Messungen auf dem Meere. — Geschichte 
einer Flotte der Vergangenheit von Köraval, Fregatten-Kapitän a. D. 
(Fortsetzung*. 



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Umschau in der Militar-Litteratur. 



113 



Array and Navy Gazette. Nr. 1578: Das in Venedig im Laufe des 
Sommers vom Stapel gelassene italienische Panzerschiff „Sardega" wird 
mit vier 125 Tons Geschützen armiert werden und eine Maschine von 
20,000 Pferdekraft erhalten. — Lieutenant Peral, der Erfinder des sub- 
marinen Bootes gleichen Namens, soll in Carfacca von der spanischen 
Regierung mit dem Bau von 5 solcher verbesserter Boote aus Stahl be- 
auftragt worden sein. — Nach einer französischen Zeitung soll an Bord 
des französischen Schiffes Duguesclin beim Füllen einer Granate für Schnell- 
feuerkanonen mit Melinit das Geschofs aus Unvorsichtigkeit auf Deck ge- 
fallen und explodiert sein, wodurch ein Mann vollständig zerschmettert 
wurde. — Nr. 1579: Artikel des italienischen Fregatten-Kapitäns G. Bartolo 
Uber die englischen Flottenmanöver 1889. Das langsame Einnehmen von 
Kohlen (1888 17 Tons pro Stunde, 1889 22 Tons pro Stunde) wird kriti- 
siert und bemerkt, dafs fast ebenso viele Tons pro Stunde verbrannt 
werden. Verfasser spricht sich ferner sehr ungünstig über die Geschütz- 
Aufstellung auf den Panzerschiffen der Adrairals-Klasse aus und findet 
die Geschützbedienung sehr kompliziert. Der Hero, welcher gejagt wurde, 
hatte keine Ueckarmierung zur Abwehr; der Ansoa konnte, als er in der 
Nähe von 1 Aberdeen aktiv auftreten sollte, nicht einen Schufs abgeben, 
weil seine elektrische Maschinerie nicht funktionierte. Auch die Maschinen 
und Kessel der Schiffe liefsen zu wünschen. Das forcierte Heizen auf 
dem Kreuzer Sharpshooter hatte das Schiff eine Weile gefechtsunfähig 
gemacht. Ein Schiff ohne Kohlen bezeichnet er als: „einen Körper ohne 
Seele". — Nr. 1580: Ein stattliches französisches Panzergeschwader be- 
stehend aus 10 Schlachtschiffen: Formidable (11,400 Tons Deplacement, 
9700 ind. Pferdekräfte, 550 mm Panzerstürke, Turmschiff, 80 cm Deck- 
panzer, drei 37 cm (75 Tons), zwölf 14 cm, 2 Schnellfeuerkanonen, 13 Mi- 
trailleusen), Trident, Vauban, Amiral Baudin, Amirai Duperre, 
Courbet, Re'doutable, Bayard, Le Borgue de Kerambosquer 
und Dugueclin. Alle diese Schiffe mit Ausnahme des Trident sind 
von Eisen und Stahl gebaut, nicht weniger als 14 Knoten Geschwindigkeit, 
mit etwa 40 schweren Geschützen armiert. Hierzu die Kreuzer: Forbin, 
Vautour und Milan, der erstere mit 20, der zweite (Torpedokreuzer) 
mit 18, der Milan mit 17 Knoten Geschwindigkeit, alle drei aus Stahl 
gebaut und moderne Fahrzeuge. Ferner die Torpedoflottille : Dragoone, 
Fleche, Ouragan, Aigle, Nr. 126 und 127, drei verschiedene Typen; 
die beiden ersteren ä 320 Tons Deplacement mit 18 Knoten; die anderen 
vier erster Klasse Torpedoboote für die Küstenverteidigung. Eine formi- 
dable Flotte, sagt die Army and Navy Gazette, und wenn dieselbe etwa 
noch der Verstärkung bedurft hatte, so wäre dieselbe in Toulon in den 
dort in Reserve befindlichen Schiffen: Terrible, Indomp table und 
Ca? mann (Panzerschiffe), dem Condor, Faucon, Dague (Torpedokreuzer) 
uud dem Cecille (Aviso) gefunden worden. — Aus Cherbourg schreibt 
man über neue günstige Experimente mit dem submarinen Boote Goubet. 
Nach verschiedenen Evolutionen, tauchte es unter 5 Torpedoboote in der 

J.hrbich.r fax dl« Deatect» an»» u»d Marin» Bd. I.XXVI. 1. 8 



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Umschau in der Militar-Litteratur. 



Tiefe von 2 m durch, welche als einem englischen Schiffe attachierten 
Torpedodepot angenommen wurden. Nach zweistündigem Verweilen an 
der Oberfläche tauchte es abermals unter, verkeilte die Schraube des 
„Korigan" und brachte unter einem Flofs einen Torpedo von 102 kg an. — 
Diese Experimente wurden in Gegenwart von den Offizieren eines in Cher- 
bourg liegenden russischen Panzerschiffes ausgeführt. — Nach der New- 
York Times soll ein pneuraatic Dynamitgeschütz, welches von Kapitän 
Rapieff konstruiert worden ist, nach England tibetgeführt worden sein, um 
in Shoeburyness versucht zu werden. — Touraine, der gröfste franzö- 
sische Handelsdampfer, ist kürzlich in St. Nazaire vom Stapel gelassen 
worden. Er ist 537 Fufs lang, 55 , / l Fufs breit, 23 Fufs tief im Raum 
und hat dreifache Expansions-Maschinen von 12,000 indizierten Pferden. 
Das obere Deck wird zum Aufstellen von Geschützen hergerichtet, um event. 
als Kreuzer verwendet zu werden. Derselbe wird zu letztgenanntem Zweck 
von der französischen Regierung subventioniert. — Nr. 1581: Lord George 
Hamiltons, erster Lord der englischen Admiralität, Tischrede auf dem 
Akademiebankett lautete etwa folgendermafsen : „Die modernen Kriegs- 
schiffe gleichen von Jahr zu Jahr mehr einem Depot von ingnieusen 
Maschinerien und tödlicher Zusammensetzung. Wenn aber das moderne 
Kriegsschiff ein wirksames Kriegsinstrument sein soll, so ist es absolut 
erforderlich, dafs unsere Seeoffiziere, welche sich mit demselben zu schlagen 
haben, soviel Übung in dessen Benutzung haben müssen, dafs sie befähigt 
sind, die neue Waffe, welche in ihre Hände gelegt wird, mit Vertrauen 
und Energie zu verwerten. Es ist feiner für uns notwendig, danach zu 
streben, eine solche Erziehung in der Marine anzubahnen, welche Offizieren 
sowohl wie Unteroffizieren und Mannschaften Gelegenheit bietet, die 
Pflichten, welche ihnen obliegen, voll und ganz kennen zu lernen, um sie 
im Ernstfalle ausführen zu können. Ein Faktum, welches die Flotten- 
manöver zur Evidenz zu unserer Kenntnis gebracht haben, ist, dafs 
allgemeine Exerzitien, wie streng sie auch durchgeführt werden, nie die 
individuelle Kenntnis des Schiffes, welches manövriert, des Geschützes, 
welches bedient, der Maschine, welche gehandhabt werden soll, im Moment 
der Verwendung ersetzen können. — (Mit einem Wort, Offiziere und 
Mannschaften eines Panzerschiffes müssen das Schiff vorher genau kennen, 
wenn sie sich mit demselben mit Erfolg schlagen sollen. Der Übersetzer.) 

Army and Navy Journal. Nr. 35: Im April 1893 wird im Hafen von 
New-York eine grofse Flottenrevue beabsichtigt, zu welcher auch Kriegs- 
schiffe anderer Nationen eingeladen werden sollen. Im Oktober 1892 
wird die Marine der Vereinigten Staaten Nord -Amerikas 18 — 20 moderne 
Stahlschiffe von der Klasse des Chicago, Boston, Maine und Texas auf- 
zuweisen haben. Die letzteren beiden Schiffe werden mit 10 und 12 zölligen 
Kanonen armiert werden. Zu den obigen Schiffen werden dann noch die 
entsprechende Zahl Kreuzer und Torpcdolx>ote kommen. 



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Umschau in der Militär-Litteratur 



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IV. Verzeichnis der zur Besprechung eingegangenen 

Bücher. 

1. Militärischer DltPituiterricht fir ElnJibHg-FrelwIlllie bei der Aus- 
bildung zu Reserve-Offizier -Aspiranten, sowie zum Gebrauch für Letztere 
und für Offiziere des Beurlaubtenstandes der deutschen Infanterie. 
Rearbeitet von Dilthey, Königl. Preufs. Major a. D. 21. Auflage. Mit 
vielen Abbildungen im Texte und einer Steindrucktafel. Berlin 1890. 
E. S. Mittler & Sohn. Preis M. 3,50; in Leinen geb. 4 M. 

I. Festungen und Fettungtkampf. Von P. M. v. Donat, Hauptmann 
und Compagnie-Chef u. s. w. Berlin 1890. E. S. Mittler & Sohn. Preis 
M. 2,25. 

3. Die Oberfeuerwerkerschule. Eine Festschrift zur Feier des 50juhrigen 
Bestehens der Anstalt. Auf Befehl der Direktion bearbeitet von v. Kleist, 
Premierlieutenant im 1. badischen Feld -Art.- Regt. Nr. 14. Mit einer 
Abbildung in Lichtdruck. Berlin 1890. E. S. Mittler & Sohn. Preis 
M. 1. 

4. Dnnll und Ehre. Ein Beitrag zur praktischen Lösung der Duell- 
frage unter besonderer Berücksichtigung der Verhältnisse des deutsehen 
Offizier -Corps. Von C. Balan, Königl. Konsistorialrat. Berlin 1890. 
Verlag von Walther & Apolant. 

5. Die Brieftaube und die Art ihrer Verwendung zum Nachrichten- 
dienst. Von Dr. W. Roeder. Mit 11 Abbildungen. Heidelberg. Carl 
Winter's Universitats-Buchhandlung. 1890. Preis M. 1,20. 

S. Instruction ministerielle du 25 octobre 1887 sur le service prevotal 
de la gendarmerie aux armees. 2° edition. Paris— Limoges. Henri Charles- 
Lavauzelle. 1890. Preis 1,30 frcs. 

7. Anciennitfltsfiste der Offiziere des deutschen Heeres für das Jahr 
1890. Bearbeitet von v. Puttkammer, Major z. D. Im engen Anschlufs 
an die Reihenfolge der Ranglisten zusammengestellt nach dem Stande vom 
12. April 1890. Berlin 1890. E. S. Mittler & Sohn. Preis M. 5. 

8. Oie Feldzüge des Feldmarschalls Radetzky In Oberitalien 1848 
und 1849. Von Hermann Kunz, Major a. D. Mit 7 Schlachtenskizzen. 
Berlin. Verlag von Richard Wilhelrai. 1890. 

9. Polen als Schauplatz vergangener und zukünftiger Kriege von 
Kreuzwendedich von dem Borne, Hauptmann und Compagnie-Chef im 
Inf.-Regt. v. Stülpnagel. Mit einer Übersichtskarte. Berlin. Verlag von 
Richard Wilhelmi. 1890. 

10. Die Wehrpflicht im deutschen Reich, systematisch bearbeitet, er- 
läutert und herausgegeben von Friedrich Rott, Justizrat und Divisions- 
Auditeur. 1. Band: Gesetze und Verordnungen über die Wehrpflicht. 
Kassel. Verlag von M. Brunnemann. 1890. 

11. Fürst Bismarck. Sein Leben und Wirken. Von Hermann 
Jahnke. Reich illustriert von ersten deutschen Künstlern. Vollständig 
in etwa 14 Lieferungen ä 50 Pf. Berlin W. Verlag von Paul Kittel. 
1890. 

8* 



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Umschau in der Milit&r-Litteratur. 



12. Untersuchungen über die Taktik der Zukunft, entwickelt aas der 
neueren Kriegsgeschichte. Zweite vollständig umgearbeitete und ver- 
mehrte Auflage der „Zwei Brigaden" von Fritz Hoenig. Mit 1 Skizze 

im Text und 3 Planskizzen. Berlin. Verlag von Fr. Luckhardt 1890. 
Preis M. 6. 

13. Oer Felddienst der französischen Armee. Nach amtlichen Quellen 
Ubersetzt und bearteitet von C. H. E. Hannover. Helwing'sche Verlags- 
buchhandlung. 1890. Preis M. 2,50. 

14. Handbuch flr die Offiziere des Beurlaubtenstandes der Infanterie. 

Berlin 1690. E. S. Mittler & Sohn. Subskriptionspreis des Werkes ein- 
s< hliefslich des Einbandes M. 5. 

15. Wolfram-Geschosse. Von R. Wille, Oberst ä la suite des Fufe- 
Art.-Regts. Encke. Berlin 1890. Verlag von R. Eisenschmidt. Preis M. 2. 

16. Einteilung und Quartierliste des Deutschen Heeres. Nach dem 
Stande vom 1. April 1890. 53. Auflage. Berlin 1890. Liebel'sche Buch- 
handlung. Preis 35 Pf. 

17. Taschenbuch für den Schielsichrer bei den Zielübungen, im Ent- 
fernungsschätzen und in der Verwendung der Waffe von v. Brunn, Major 
und Bat.-Commandeur. 3. Auflage. Berlin 1890. Liebel'sche Buchhand- 
lung. Preis M. 1,20. 

18. Handtafel für den Schieislehrer. Verlag der Liebel'schen Buch- 
handlung. Preis 40 Pf. 

19. De Forberedende Skydeovelser. Af F. M. Brun, Kaptein i Ber- 
genske Infanteribrigade. Tillaegshefte til norsk militaert Tidsskrifts. 
53. Bind. Kristiania. Chr. Sehestedts Bogtrykkeri. 1890. 

20. Jahresberichte über die Veränderungen und Fortschritte Im Militlr- 
Wesen. XVI. Jahrgang: 1889. I. Teil; Berichte über das Heerwesen der 
einzelnen Staaten. Unter Mitwirkung mehrerer Offiziere herausgegeben 
von H. v. Löbell, Oberst z. D. Berlin. E. S. Mittler & Sohn. 



TL Die Ideale der Kavallerie. 



Nur ideal gute Kavallerie ist ihrer Aufgabe gewachsen; 
nur ideal gut geschulte, ideal gut verwendete und ideal 
gut geführte Kavallerie kann volle Erfolge erringen. 

Alle Zeiten und alle Verhältnisse bestätigen diesen Ausspruch; 
die Verhältnisse unserer Zeit müssen demselben eine noch weit 
höhere Bedeutung geben. Fehlt der Kavallerie dieser ideale Zug 
überhaupt, so ist sie unbrauchbar; fehlt derselbe in einer oder der 
anderen Richtung, so dürfte er mit aller Konsequenz anzustreben 
sein, und wird mit aller Bestimmtheit nur durch die sorgfältigste 
Auswahl der Führer und durch deren konsequent fortlaufenden 
Einflufe erzielt. — Fehlt der Kavallerie die ideale Schulung, so 
wird sie überall ebenbürtige Gegner finden, sich in nutzlose, ver- 
lustreiche Handgemenge vertiefen, welche überdies für jenen Teil 
um so verlustreicher werden, welcher zum Schlüsse das Feld be- 
hauptet und als Folge dieses Handgemenges in der Regel bei sinn- 
losem Nachjagen und Verfolgen die grofeen Nachteile eines kaum 
zu vermeidenden Rückschlages durchzumachen hat. Nur ideal ge- 
schulte Kavallerie hat ihre Aufgabe stets vor Augen, nur sie wird 
den Gegner niederwerfen, niederreiten, denselben schon im Anpralle 
verderben und Alles dasjenige zu vermeiden wissen, was dem Geiste 
der Waffe widerspricht. 

Ist die Verwendung der Kavallerie nicht ideal gut, so wird in 
der Waffe meistens die Initiative abgeschwächt und untergraben, 
ohne welche die Kavallerie allerdings die bedauerlichste Waffe von 
Allen ist. Fehlt es an der ideal guten Führung, so werden die 
günstigsten Momente für die Waffenwirkung versäumt, sei es durch 
Erklärungen, künstliche Formationen, Unsicherheit im Allgemeinen 
oder selbst durch Befehlsüberbringung und — in der Regel kömmt 
es sodann zu jenen Verzweiflungsangriffen, welche ohne klare 
Grundlage, ohne bestimmtes fafsbares Ziel unternommen ohne be- 

Jahrbfea« Kr rii» D*atorhr AmN and Marin*. M. LXXV1., a. y 



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Die Ideale der Kavallerie. 



sonders glückliche Umstände recht oft damit endigen, dafe die 
Hälfte des Standes verloren geht und im besten Falle nur ganz 
vorübergehende und indirekte Erfolge errungen werden. Solche 
Angriffe sowie jenes Handgemenge mit sinnlosem Nachjagen sind 
sodann die Ursachen verschiedener irrtümlicher Schlüsse und Folge- 
rungen aufser der Waffe und selbst in derselben. 

Wenn wir die Kavallerie dieses Jahrhunderts betrachten, so 
ist recht deutlich zu erkennen, was aus der Waffe wird, wenn man 
in Organisation, Schulung, Verwendung und Führung die idealen 
Ziele aus den Augen verliert. Diese Ziele waren aber vollständig 
verloren. Eine lange Reihe von beobachteten und genau auf- 
gezeichneten Übungen oder Manövern geben dem Gedächtnisse die 
untrüglichsten, mitunter allerdings unglaublichsten Anhaltspunkte. 

Die Feldzüge der letzten Zeit haben einen mächtigen Auf- 
schwung gebracht und nach denselben wurden, Dank einer höchsten 
Persönlichkeit, ganz bedeutende Anstrengungen gemacht, diese 
idealen Ziele wieder vor Augen zu führen. Es haben diese An- 
strengungen auch vielfachen Nutzen gebracht, leider aber wurden 
dieselben viel zu zeitig unterbrochen. — Trotz der Formation von 
Kavallerie-Divisionen mit zugeteilter Artillerie, fehlte es im Feldzuge 
1870/71 vielfach und augenfällig an dem Bewufstsein, wie die 
Kavallerie zu verwenden, auf welche Art sie im Stande ist, 
kavalleristische Aufgaben zu lösen; es fehlte nicht minder an der 
Schulung. Die Leistungen der Kavallerie waren meistens weit mehr 
das Produkt von Zufälligkeiten, wie die Folge sachgemäfser Vor- 
bereitung, Verwendung und Führung. Immerhin war jedoch auch 
ein Teil idealen Zuges in der Truppe haften geblieben und nicht 
zu verkennen. Wir können uns heute nicht verhehlen, daXs die 
ideale Schulung der Kavallerie, nach den Grundsätzen des vorigen 
Jahrhunderts erst nach dem Feldzuge angebahnt wurde, dafo sie 
somit damals nicht vorhanden war. Wir verhehlen uns ferner 
keineswegs, dafe die Verwendung der Kavallerie im Gefecht auch 
nicht entfernt jene ideale Richtung streifte, welche wir anstreben 
müssen, wir dürfen und können uns endlich nicht verhehlen, dafs 
auch die Führung keineswegs jenen idealen Anforderungen ent- 
sprechen konnte, nachdem die Prinzipien für Verwendung und 
Führung — wenn auch vielleicht in der Theorie bekannt — in 
der Praxis weder gesucht, noch viel weniger bereits in Fleisch 
und Blut übergegangen waren. 

War der Aufklärungsdienst meistens mit Erfolg durchgeführt 
worden und waren die Einzelleistungen in der Regel sogar hervor- 



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Die Ideale der Kavallerie. 



119 



ragend gut, so ist doch ebenso richtig, dafs die Gegner gefehlt 
haben, die Erfolge zu erschweren, dafs mitunter und namentlich 
im Grofsen die Merkmale eines ersten Versuches zu erkennen sind. 
Zur erfolgreichen Thätigkeit der Kavallerie gehört dort, wo die 
Truppe mit in Rechnung kommt, Bewegungsfreiheit und ener- 
gische überraschende Angriffe; sie kann diese beiden Grund- 
bedingungen auch im Sicherheit«- und Aufklärungsdienste nicht 
entbehren, wenn sich feindliche Kräfte entgegenstellen. Sie muls 
durch überraschende Bewegungen, Überfalle und Offensivstöfoe da- 
nn d dorthin sich Luft machen und Einblicke gewinnen, entweder 
die Bewegung in anderer Richtung weiterführen, oder in den 
Schutz besetzter Abschnitte zurückkehren überall, wo die Verteidi- 
gung bestimmter Punkte notwendig ist. Die Kavallerie wird stets 
unbeholfen und unsicher sein, wenn sie, an bestimmte Abschnitte 
gebunden, längere Zeit aufklärend und zugleich deckend oder ab- 
wehrend wirken soll. Hier liegen die Prinzipien der Defensive zu 
klar am Tage und es wäre zu wundern, wenn die Kavallerie — 
reine Offensivwaffe — auf sich allein angewiesen, besondere Leistungen 
erzielte. Die Kavallerie aber kann eine Schuld wegen dieser Ver- 
hältnisse nie treffen; dieselben sind in einer langen Reihe von 
Jahrzehnten so mächtig und von allen Seiten über sie herein- 
gebrochen, dafa ein Aufkommen gegen diese Zeit als völlig nutzlos 
hat erscheinen müssen. Nachdem überdies Persönlichkeiten in 
maisgebenden Stellungen fehlten, um die kavalleristischen Ziele 
und Fragen immer wieder vor Angen zu fuhren, konnte es nicht 
ausbleiben, dafs alle Anschauungen auseinanderliefen, dafs Alles mit 
dem Strome in vollkommen unkavalleristischer Richtung schwamm 
und eine dauernde Änderung dieser Direktion unmöglich war. 
Immerhin aber ist mit besonderer Genugthuung zu kon- 
statieren, dafs gerade in der deutschen Kavallerie trotz 
alledem der ideale Zug und das Verständnis für die Waffe 
nie vollständig verloren ging. Von Zeit zu Zeit trat Be- 
geisterung für die Ideale der Waffe immer wieder zu Tage und der 
Forscher wird den deutlichen Merkmalen jenes idealen Zuges des 
Öfteren begegnen. 

Über die Ausbildung der Kavallerie bestehen vortreffliche Ab- 
handlungen, dieselben mehren sich in neuerer Zeit in erfreulicher 
Weise. Unter Anderen schliefsen wir uns auch speziell einem 
Aufsatze (S. v. P.) in einer der Nummern des Militär-Wochenblattes 
an und freuen uns, Alles das in demselben zu finden, was auch 
wir in einer langen Reihe von Jahren als richtig und kavalleristisch, 

9* 



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Die Ideale der Kavallerie. 



als unseren Idealen entsprechend, erkannt nnd erprobt haben, — 
was auch wir bis zur heutigen Stunde mehr oder weniger beinahe 
überall vermissen. Der Reitunterricht, wie er zumeist gehand- 
habt wird, bringt lange nicht den Nutzen, als wenn er mit dem 
gleichen Aufwände an Zeit und Mühe nach richtigeren Prinzipien 
betrieben würde. Aber — da rühre Einer daran, der nicht 
mindestens der Herrgott selber wäre! Er wäre sicher, aller Ver- 
brechen gegen Reitinstruktion und Reglement angeklagt zu werden! 
— (Beide sind unverkennbar so umfangreich, dafs sich wohl jede 
Persönlichkeit einige Lieblingsparagraphen heraussuchen konnte. 
Doch aber mufs mit dieser verderblichsten aller Gewohnheiten ge- 
brochen werden, wenn wir entschieden und allgemein vorankommen 
wollen, wenn wir uns dem Ideale nähern sollen). Der Winterdrill 
mit seinem täglich 40 Minuten währendem, systemlosen Ableiern 
noch so vortrefflicher Erklärungen und verschiedener Kunststückchen 
oder eines Programme« auf der Reitschule (vielleicht für die Be- 
sichtigung) mufs vollständig verschwinden. Es ist unfafelich aber 
wahr, dafs solche Gewohnheiten nicht mehr begreifen lassen, dafs 
man in 80 Minuten Bahnarbeit an einem Tage ebenso viel oder 
wenig leisten kann, wie in je 40 Minuten au 2 Tagen, dafs man 
aber entschieden weiter kommen wird, wenn man an dem andern 
Tage im Freien mindestens 2 Stunden Reitschule, Felddienst oder 
Exerzieren übt und dabei frischere Reiter und Pferde behalten mok 
Eine im Militär -Wochenblatte erschienene Entgegnung auf vor- 
erwähnten Aufsatz zeigt aufs Neue, welche Voreingenommenheit 
bezüglich der einfachsten Fragen kavalleristischer, Ausbildung mit- 
unter in der Kavallerie besteht. Wir speziell kennen diese Ver- 
hältnisse zu genau, welche seit langen Jahrzehnten jede praktische 
Idee in Beziehung auf allgemeine Gesichtspunkte mit allen Mitteln 
zu bekämpfen bereit sind, welche insbesondere durch Zurückziehen 
hinter die vortrefflichen Instruktionen und Reglements Halt zu 
finden hoffen. Die Macht der Gewohnheit kann allem die Er- 
klärung geben. Wenn wir auch keineswegs läugnen wollen, dafe 
mitunter günstige Resultate erreicht wurden, so ist dies doch keines- 
wegs genügend, denn wir bedürfen einer Schule, welche auch minder 
talentierten Lehrern ein Vorwärtskommen gestattet, welche »allge- 
meine in der Hauptsache die gleichen Resultate erreichen läfat; 
gerade der vergangene Winter ist recht belehrend, kaum 10 bis 
14 Tage wäre dem Reiten im Freien ein Hindernis im Wege ge- 
standen. Übrigens wird ja die Ausnützung der Reitbahnen keines- 
wegs verworfen, wohl aber deren unzweckmiifsige Ausnützung. 
Nur selten haben wir Abteilungen gesehen, in welchen kompliziertere 



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Die Ideale der Kavallerie. 



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Übungen annähernd richtig ausgeführt wurden, in welchen die 
Leute ihre Pferde gerade hierdurch nicht stets störten und genierten; 
solche Beobachtungen veranlafsten uns, wie viele Andere zu über- 
legen, wie solche Mängel zu beseitigen sind. S. v. P. scheint die- 
selben Erfahrungen gemacht zu haben; durchaus praktische Gesichts- 
punkte sprechen aus diesen Worten, Gesichtspunkte, welche in Folge 
langjähriger Erfahrungen wohl allgemeiner Erfolge sich rühmen 
können. Was kann es nützen, mit Reitern, welche nicht ganz 
richtig sitzen und nur klare Begriffe über die verschiedenen Hülfen 
haben, irgend eine künstlerischere Lektion auf der Reitschule zu 
üben? Auch das heifsen wir Drill. Auch dieser Drill kann nur 
scheinbare Erfolge erringen und mufs Reiter wie Pferde stets mehr 
und mehr verderben, verderben insbesondere in Beziehung auf 
kavalleristische Leistung, Ausdauer und Konservierung des Materials. 
Gegen solche verkehrte Ausbildung ziehen auch wir zu Felde und 
werden diesen Feldzug fortsetzen. Dicke Pferde werden wir nach 
den Übungen wohl nie fett nach Hause bringen, dagegen lehrt die 
Erfahrung zur Genüge, dafs bei praktischer Vorbereitung wenigstens 
die Beine konserviert bleiben, und das ist am Ende doch die 
Hauptsache. Das, was unsere Pferde beschädigt, ist unruhiger 
heftiger Trab und Galopp, unnötiges Gejage bei schlechter Haltung 
der Reiter. Hier also müssen wir zu verbessern bemüht bleiben; 
kommen wir hier nicht wesentlich voran, wird alles Andere incl. 
höherer Rationen wenig helfen. 

Alle Reitfertigkeit beruht iu der übereinstimmenden, konse- 
quenten Anwendung der wenigen, richtig aufgefafsten , einfachen 
Hülfen; hierüber kann ein Zweifel doch wohl nicht bestehen. Je 
mehr der Unterricht dieses Ziel stets vor Augen hat, sorgfältigst 
vorbereitet und gradatim weiter führt, je mehr mufs sich die Reit- 
fertigkeit heben. Je mehr diese Art der Arbeit verschwindet, je 
mehr nimmt der Drill, speziell auf die Besichtigung oder überhaupt 
zu ; je weniger können wir wirkliche Resultate erzielen. Bei unserer 
kurzen Dienstzeit und den Anforderungen des Dienstes überhaupt 
können wir nicht so lange fort und fort Schule reiten, bis diese 
volle Übereinstimmung erreicht ist, wohl aber müssen wir ver- 
nünftige Schule und kavalleristisches taktisches Reiten 
> nebeneinander und fortlaufende sich ergänzend kulti- 
vieren. Wir werden sodann im Sommer nicht verderben, was wir 
im Winter erreicht zu haben wähnten, um im folgenden Winter 
unter stete schwierigeren Verhältnissen die Arbeit wieder zu beginnen 
und mit 90V# die Grenze der Mittelmäfsigkeit nie zu überschreiten. 



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Die Ideale der Kavallerie. 



Die geschlossene , geordnete, sichere Bewegung der Trappe in 
allen Gangarten, ist sodann die wesentlichste Grandlage aller Taktik 
der Kavallerie; sie beruht auf einem kavalleristischen Unterricht. 
Je mehr die Trappe befähigt ist, in dieser Verfassung und unter 
allen Verhältnissen wie Gangarten dem Führer richtig zu folgen, 
je bestimmter werden wir uns dem Ideale mehr und mehr nähern.*) 
Nur dann, wenn diese Vorbereitung zu einer grösseren Sicherheit 
geführt hat, ist es denkbar, dafe die Angriffe der Kavallerie ohne 
unnötigen Kräfteverbrauch überraschend, so sicher und geordnet 
vorbereitet sind, der letzte Stofe so kurz und energisch ausgeführt 
werde, dafs er wirklich niederwerfend sein mufs. Schon hiermit 
aber fallt die ganze Theorie der öfteren Übung dieses Stolses, sowie 
jene des Handgemenges, welche keineswegs unseren Idealen ent- 
sprechen. Auf das Kommando Marsch! Marsch! muls die fest- 
geschlossene und stets mehr zusammenschliefeende Eskadron ein 
wildes Ungestüm befallen, mit der festen Absicht jedes einzelnen 
Reiters und dem physischen Zwange für die Pferde den Gegner 
niederzureiten; das läfst sich vorbereiten, hie und da versuchen, aber 
nicht üben. Wegen des Handgemenges haben wir aus den uns 
überkommenen Instruktionen und Dispositionen des vorigen Jahr- 
hunderts stets herausgelesen, dafs es damals nicht gesucht wurde, 
wohl aber sofortiges Herstellen der Ordnung nach dem Ghok Prinzip 
war; wir freuen uns, dem erwähnten Aufsatze zu entnehmen, dafs 
wir uns auch darin nicht getäuscht haben, dafe ebenso die gegen- 
teiligen Ansichten und Annahmen nur eine vollständig irrige Auf- 
fassung der thatsächlichen Verhältnisse unseres Jahrhunderts be- 
kunden, wie nicht minder ein vollständiges Verkennen des idealen 
Kavallerie -Angriffes. 

Wir haben bereits erwähnt, dafs heftige unruhige Galopp- 
bewegung zu lockeren, atemlosen Attacken führt, dafs diese 
die Ursache der tollen Handgemenge sind, welchen in der Regel 
wieder das kopflose Verfolgen anklebt; die hierauf gewöhnlich nicht 
zu vermeidenden Rückschläge sind es sodann, welche auf den voll- 
ständig abgejagten Pferden zu vernichtenden Katastrophen führen, 
in Folge deren der Sieger faktisch zum Besiegten wird. Überall, 
wo solche auf Verkennen kavalleristischer Prinzipien beruhende 
Verhältnisse zu beobachten waren, ist es ganz natürlich, dafs man 
sich besinnt, wiederholt solche Siege zu erkämpfen, ist es nicht 



*) Berücksichtigung der reglemeot&ren Bestimmungen in § 100 Ziffer 1 
2. Abeatx vorletzte Zeile und § 169 Ziffer 1 



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Die Ideale der Kavallerie. 



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nur erklärlich, sondern ganz natürlich, dafs man von nutzlosen 
Balgereien der Kavallerie spricht, die Bedeutung der Kavallerie 
überhaupt anzweifelt. Es bleibt sehr bedauerlich, dafs es nicht 
gelungen ist, derartige Vorurteile und irrige Grundsätze seiner Zeit 
zu besiegen; war doch der Anfang hierzu bereits gemacht. Es ist 
jedoch immerhin begreiflich, dafs so gründlich in Fleisch und Blut 
übergegangene Irrtümer nicht in kurzer Zeit zu bewältigen waren, 
da überdies die Persönlichkeit und Stelle mangelte, um jene in 
Kritiken mehrfach angeregten Gedanken weiter zu führen. 

Bereits erwähnt wurde, dals auch in Beziehung auf Ver- 
wendung und Führung der Kavallerie nur eine Zeit lang 
konsequente Fortschritte gemacht wurden, dafs wir in dieser Zeit 
durch helle Sonnenblicke erwärmt, unsere Ideale zu erkennen ver- 
mochten. 

Die Verwendung der Kavallerie mute derselben vor Allem die 
Initiative wahren; dies ist nur zu erreichen, wenn in der Hauptsache 
nur ganz allgemein gehaltene Direktiven stets und immer dem 
reglementären Grundsatze entsprechen: »Der Führer der Ka- 
vallerie bedarf zur Lösung seiner Aufgabe voller Selbst- 
ständigkeit.« Dals es schwer ist, solchem wichtigen Grundsatze 
volle Beachtung zu verschaffen, ist nach der Gepflogenheit langer 
Jahrzehnte begreiflich; beinahe jeder Manövertag giebt neue Be- 
stätigung darüber. Vollen Nutzen werden wir aus der Kavallerie 
erst dann ziehen, wenn auch dieser Grundsatz rückhaltlose Aner- 
kennung gefunden hat, wenn Verlegenheitsattacken — wie sie 
Canitz so treffend bezeichnet — vollständig verschwinden, wenn der 
Unterschied im Auf klärungsdienste , welcher zwischen einem Regi- 
mente der Avantgarde eines Armee- Corps und demjenigen einer 
Kavallerie-Division besteht, schon in der Art des Auftrages Berück- 
sichtigung findet. Die Führung der Kavallerie mufs sodann dafür 
sorgen, dals die günstigen Momente zu den Angriffen gewählt werden, 
sie mufs die Truppe so vorbereiten, dafs deren Erscheinen sich so- 
fort zu überraschend schneller Annäherung in einer den Angriffs- 
objekten entsprechenden Verfassung gestaltet Dies ist nur dann 
denkbar, wenn der räumige Galopp mit gröfster Sicherheit uud 
Ruhe geritten wird, wenn die Übungen so geleitet würden, wie es 
der reglementäre Grundsatz ausspricht: »Die Übungen werden 
um so mehr Nutzen bringen, je mehr die Unterführer ver- 
anlafst werden, selbstständige Entschlüsse zu fassen« und 
den Umständen entsprechend zu handeln. Überall wo dieser Satz 
übersehen bleibt, wird die Form höher gestellt wie das Wesen, 



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Die Ideale der Kavallerie. 



werden die Übungen Ähnlichkeit haben mit dem tagtäglichen Ab- 
leiern des Reitschulprogrammes n. 8. w. und der Besichtigungstürke 
gewinnt die verderbliche Herrschaft über unser ganzes Thun und 
unsere Ideale. 

Man hat der deutschen Reiterei und ihrer Thätigkeit in den 
letzten Kriegen, insbesondere auch in anderen Armeen eine sorg- 
fältigste Beachtung geschenkt. Zahlreiche Schlüsse, welche gezogen 
wurden, sind nur zum Teile zutreffend. In jedem Falle gebührt der 
deutschen Kavallerie der Ruhm, dafs sie begonnen hat, den Ring 
zu zerreifsen, welcher ihr die Ideale verbarg. Es dünkt uns ebenso, 
dafs es keineswegs unsere Art ist in Selbsttäuschung und Selbst- 
überhebung uns Weihrauch zu streuen. Gerade aus der Kavallerie 
ertonten zu allen Zeiten und in steigender Progession jene Stimmen, 
welche ohne Ermüdung immer wieder auf die Ideale hinwiesen und 
deren Bedeutung für die Waffe zu beleuchten suchten. Die genaue 
Beachtung der Vergangenheit, das Erkennen aller bis zur Gegen- 
wart haften gebliebenen Mängel und Fehler, der unentwegte Blick 
auf die Ideale, — das wissen wir ganz sicher und bestimmt, mufs 
und wird uns stetigen Fortschritt bringen. Wir freuen uns an dem 
allerwärts zu beobachtenden, kavalleristischen Leben und Streben, 
wir sind natürlich stolz darauf, dafs die deutsche Kavallerie den 
Impuls dazu gegeben, wir wollen aber gerade deshalb ohne Unter- 
lafe bemüht bleiben, zu sorgen, dafs wir das Erreichte nicht über- 
schätzen und dann ebenso bestimmt stehen bleiben. Wir sind 
endlich von dem Bewufstsein ganz und vollständig durchdrungen, 
dafs wir uns selbst helfen müssen, dafs die Gegenwart nicht vor- 
übergehe, ohne das richtige Verständnis der Kavallerie in, wie 
aufeer der Waffe stets mehr zu wecken. Das Studium der Waffe 
und ihrer gesamten Thätigkeit, Erfahrungen und Beobachtungen in 
der Waffe selbst, wie bei den Übungen haben in gleich untrüglicher 
Weise jene Ideale vorgeführt, wie sie die Kavallerie im vorigen 
Jahrhundert bereits erreicht hatte. Vieles hat sich seit jener Zeit 
geändert, nur die Ideale der Kavallerie sind dieselben geblieben und 
täuschen wir uns nicht: »mit diesen Idealen und ihrer thun- 
lichst vollkommenen Verwirklichung können wir allein 
auf volle kavalleristische Erfolge zählen; diese Ideale ge- 
winnen heute eine viel höhere Bedeutung wie zu jeder 
anderen Zeit!« 

Diese Ideale sind im Aufklärungsdienste ebenso notwendig, 
wie in taktischer Beziehung und im Sicherheitsdienste. Im 
Aufklärungsdienste grösserer Kavalleriekörper greifen die taktischen 



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Die Ideale der Kavallerie. 



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Ideale mächtig ein, nm so mächtiger, je zahlreicher der Gegner vor 
uns erscheint. Im Sicherheitsdienste ist dies nicht im geringeren 
Grade der Fall; die Aufgabe wird für Kavallerie allein um so 
schwerer zu lösen, je länger dieser Sicherheitsdienst für gewisse 
Punkte versehen werden soll, je beschränkter der Bewegungsraum 
wird, je weniger es der Kavallerie möglich ist, nahe vor der Front 
gelegene, verteidigte Hindernisse zu überschreiten oder zu umgehen. 
Die Kavallerie kann den Gegner aufsuchen, seine Bewegungen über- 
wachen and begleiten oder beunruhigen, stören und vorabergehend 
aufhalten, sie kann aber in der Regel nicht in tage- oder stunden- 
langen Gefechten in einer Position sich mit dem Gegner schlagen 
oder seinen Anmarsch unter allen Verhältnissen aufhalten, sie kann 
außerdem »wenn günstige Chancen für sie eintreten den Gegner 
angreifen« oder ohne solche Chancen im Falle der absoluten 
Notwendigkeit attackieren und eventuell siegen oder zu Grunde 
gehen. 

Beschleunigtere und ausdauernde Bewegungsfähigkeit ist die 
charakteristische Eigenschaft der Kavallerie, ist ihr wahres Element. 
Überraschung ist ein Hauptfaktor glücklicher Angriffe. Im Auf- 
klärungs- und Sicherheitsdienste ist sie in ihrem Elemente, so lange 
die Möglichkeit freier Bewegung der Truppe oder des Einzelnen 
gegeben. Dort, wo der gröfsere Raum fehlt, um die Truppe in 
gröberen Verbänden frei zu bewegen, fehlt der Kavallerie ihr Ele- 
ment und sie wird sehr oft umsonst auf güustige Gefechtschancen 
spähen; in solchen Verhältnissen können meistens nur kleine Körper 
oder Patrouillen, im Aufklärnngs- wie Sicherheitsdienst Verwendung 
finden; gröfsere Truppenkörper aber müssen sich den anderen Waffen 
anschließen und in diesem Verhältnisse aus thunlichst gedeckten 
Stellungen in geeigneten Momenten vorbrechen. 

II. In Gefechten giebt es in der Hauptsache nur 2 Verwendungs- 
Arten der Kavallerie. Dieselben lassen sich bezeichnen als: 1. voll- 
kommen selbstständiges Eingreifen in Momenten, welche für 
die Thätigkeit der Waffe günstig sind. 2. Solche Verhältnisse, in 
welchen der Kavallerie durch die Truppenkommandos nicht 
nur der Platz für die Bereitstellung, sondern auch Zeit 
und Objekt für den Angriff bestimmt wird. 

Die erstere Thätigkeit ist jene, welche der Waffe besonders 
zusagt; es ist nicht schwer zu erkennen, dafs wirklich grofse 
Leistungen der Kavallerie beinahe immer nur dann zu verzeichnen 
waren, wann ihre Thätigkeit dem entsprechend ius Leben trat und 
zwar ist diese Bemerkung für alle Zeiten zutreffend. Die Truppen- 



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Die Ideale der Kavallerie. 



Kommandos haben nnr dafür zu sorgen, dafs die Kavallerie in 
genügender Stärke vereinigt bleibt oder wird, dafs der 
Führer der Kavallerie vollständige Klarheit über die Absicht 
des Truppenkommandos besitze. Dies wird somit ganz aus- 
gesprochen die normale Thätigkeit der grofsen Kavalleriekörper 
sein und bleiben müssen. Es dürfte noch besonders hervorzuheben 
sein;, dafs die Geschichte der Kriege im vorigen Jahrhundert den 
klaren Beweis dafür liefert, von welch' ungeheurer Wichtigkeit 
dieser Punkt schon zu jener Zeit war, in welcher die Frontausdehnung 
der Gefechte, gegenüber den Verhältnissen unserer Zeit, sehr un- 
bedeutend gewesen ist. Wir können sohin die Initiative der Waffe 
noch weit weniger entbehren. Die zweite Art der Verwendung wird 
dagegen die Ausnahme sein und bleiben müssen, sie darf nur unter 
zwingenden Verhältnissen ins Leben treten. Es ist sodann auch 
gleichgültig, ob die Kavallerie bei solchen Angriffen allenfalls zu 
Grunde geht, nachdem der höhere Zweck ein solches Opfer 
fordert. Immerhin wird jedoch auch in diesen Ausnahmsfällen jene 
Kavallerie mehr Chancen besitzen, welche nach den unter Ziffer 1 
angegebenen Gesichtspunkten erzogen wurde. Die Verwendung der 
Kavallerie im Beginne dieses Jahrhunderts war mehr nach Ziffer 2 
ins Leben gerufen und bei der damaligen Tragweite der Feuerwaffen 
noch denkbar. Trotz leuchtender Tapferkeit der Truppe vermissen 
wir im Allgemeinen doch die idealen Angriffe und die idealen 
Erfolge bei sehr bedeutenden Verlusten. Die heutigen Verhältnisse 
würden die Wahrnehmungen mit Sicherheit in noch höherem Grade 
bedingen, während die ideale Verwendung keine besonderen Schwierig- 
keiten hervorrufen dürfte. 

Wir halten es für gerechtfertigt, noch weiter zu behaupten, 
dafs der Wert, der Einflufs und die Bedeutung der Waffe mit der 
vollen Anerkennung dieser Punkte innig zusammenhängt, dafs mit 
deren fortlaufender, rückhaltloser Beachtung die Kavallerie in auf- 
steigendem Aste sich befand und befindet, dafs mit deren Aufser- 
achtkommen die Kavallerie successive herabsinkt, herabsinken kann 
zu einer wahren Karrikatur ihres Ideales. Jeder Kavallerist, der 
sich erinnert, wie die Kavallerie im Allgemeinen, mehr oder weniger 
jedoch ganz übereinstimmend geübt und verwendet wurde, wird 
ermessen können, wie sehr die Waffe und ihr Geist hierbei hat zu 
Schaden kommen müssen. Diese Verwendungsart hatte noch zur 
natürlichen Folge, dafs die gründlichst falschen Anschauungen über 
Verbindung und Unterstützung der Waffen sich immer fester ein- 
nisteten, immer weitere Verbreitung fanden, dafs es wahrlich im 



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Die Ideale der Kavallerie. 



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höchsten Grade zu verwundern ist, wenn noch hier und da ein 
Vorfechter der Lebensinteressen der Waffe zu finden war, dafs noch 
dann und wann ein kavalleristischer Gedanke zu Tage trat, der 
im Stande war, Herz und Sinn der empfänglicheren Führer mit 
neuem Feuer für die Waffe zu begeistern. (Wie dies insbesondere 
in dem Werke »Nachrichten und Betrachtungen über die Thaten 
und Schicksale der Reiterei c der Fall war). 

Der Kavallerie mulls richtiges kavalleristisches Verständnis und 
Leben in jeder Zeit fehlen, in welcher dieselbe zwischen allen 
erdenklichen Anschauungen, Anforderungen und Verwendungen hin 
und her schwankt, in welcher eine Vertretung nach Oben, 
eine klärende und treibende Kraft nach Unten fehlt. Dies 
Alles kann kaum der Fall sein, wenn sich die besten Kräfte nicht 
die Vervollkommnung der Waffe als Lebensaufgabe gestellt sehen, 
wenn die Richtung der ganzen Intelligenz ein anderes Ziel vor 
Augen hat. Unter solchen Bedingungen wird die Kavallerie nur 
geringere Beachtung finden, oder doch nicht mit jener Sorgfalt 
beobachtet werden, welche ihr allein frommen kann, welcher sie 
nach der unkavalleristischen Vergangenheit und ihren Konsequenzen 
um so weniger zu entbehren vermag. 

Für das Gedeihen der Kavallerie wünschen und erhoffen wir 
Verhältnisse, welche ihr Emporblühen sichern können; wir wünschen 
insbesondere, data die Technik und Taktik der Waffe von 
talentierten Kavalleristen geleitet werde, mindestens so weit 
es diejenigen Regimenter und Brigaden betrifft, weiche in der 
Kavallerie-Division in Thätigkeit gelangen sollen und insbesondere 
auch für die Verwendung solcher Divisionen. Solche leitende Per- 
sönlichkeit mufis in Personalfragen und Fragen der Technik eine 
gewichtige, in Fragen der Taktik und der Verwendung der Kavallerie- 
Divisionen mindestens die erste beratende Stimme besitzen. Es 
scheint solche Einrichtung um so notwendiger, nachdem die richtigen 
und wichtigsten Prinzipien vollständig verloren gegangen sind, oder 
doch mindestens in der Praxis nur sehr selten in jenem Umfange 
Anerkennung gefunden haben, welche ganz unerläßlich notwendig 
erscheint, wenn aus der Waffe und deren Verwendung ausgiebiger 
Vorteil gezogen werden soll. 

Wenn man mitunter zu hören bekommt, dafs es in allen Heeren 
an geeigneten Persönlichkeiten und Führern der Kavallerie fehlt, so 
erscheint die Frage vom rein kavalleristischen Standpunkte gerecht- 
fertigt: »was ist denn geschehen, um solche Führer heranzuziehen ?c 
Wir können nur antworten, so viel wie Nichts. Keine Waffe 



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Die Ideal« der Kavallerie. 



bedarf so sehr der einheitlichen Leitung und der konse- 
quenten, ganz sachgemäßen Vorbereitung wie die Kaval- 
lerie, und gerade diese hat ihr seit langer Zeit gefehlt, so zwar, 
•dafs mitunter selbst in der Kavallerie die Ideale vollständig ver- 
schwunden waren. Mittelmäfsig ausgebildete Rekruten werden mit 
jedem Jahre schlechter, verderben als eingezogene Reservisten noch 
auf Jahre hinaus die Sicherheit der Eskadrons; werden diese taktisch 
und namentlich in den Gangarten mangelhaft erzogen, sind selbst 
die Früchte eines entsprechenden Reitunterrichtes im Winter, in den 
Sommermonaten wieder verdorben. Offiziere, welche in solchen 
Verhältnissen ihre Tbätigkeit beginnen und fortsetzen, verlieren 
Verständnis und Blick für sacbgemäfses Verfahren und werden sich 
kaum mehr herausarbeiten können. — Kaum trat für die Kavallerie 
die Hoffnung auf bessere Tage ins Leben, so ward in kurzer Frist 
diese Hoffnung wieder zerstört. Wir hatten einstens Gelegenheit 
zu sehen, welch' frischer lebendiger Zug acht Kavallerie-Regimenter 
durchglühte, nachdem ein hervorragend praktischer Kavallerist zu 
ihrem Commandeur ernannt worden war; wir hatten volle Gelegen- 
heit zu erkennen, wie sein Einflufs die ganze Thätigkeit in praktische 
Bahnen lenkte. Dieselbe Persönlichkeit hätte auch der doppelten, 
drei- oder vierfachen Zahl von Regimentern in kurzer Zeit das 
gegeben, woran es fehlte: > kavalleristisches Auge, kavalleristisches 
Gefühl und kavalleristischen Geist«. Sie war von kurzer Dauer, 
diese kavalleristische Herrlichkeit! Anstatt dieser Persönlichkeit 
immer mehr Regimenter und Brigaden zu unterstellen, verschwand 
dieselbe, dem Zöge der Intelligenz entsprechend und in ein Paar 
Jahren war der ganze belebende Einflufs vorüber. Die Kavallerie 
geriet wieder ins Kümmern; es wurden einzelne Paragraphen und 
Sätze der verschiedenen Vorschriften und Instruktionen, je nach 
Ermessen jedes Einzelnen, beachtet, dagegen zumeist gerade jene 
übersehen, welche eine idealere Richtung gaben. Wir behielten 
Schul-, Kampagne- und Rennreiter; wir hatten Eierziermeister, 
Turner, Fechter und Schiefeer, Pferdeschoner und Pferdeverbraucher, 
Männer des Felddienstes und Eclairirens, vielleicht sogar Sattler und 
Schmiede, leider aber wurden die Kavalleristen nicht häufiger. 
Das heilige Feuer, welches begonnen hatte, diese verschiedenen 
Sporte kavalleristisch zu erwärmen, es verschwand zum gröfsten 
Teile, weil jede Glut ohne frischen belebenden Zug erlöschen wird. 

Die Kavallerie kann nur gedeihen und erstarken, 
wenn ihr Führer den kavalleristischen Geist zu beleben, 
wenn er kavalleristisches Auge und Gefühl zu wecken in 



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Die Ideale der Kavallerie. 



129 



der Lage ist, wenn er die Technik zu stets gröfserer Sicherheit 
zu führen versteht. Sonst kommen sicher and im besten Falle, 
wegen der zusammengehetzten Pferde, mindestens 7 fette unka- 
valleristische Jahre auf ein Paar lebhaftere, sonst wird es nicht, 
ausbleiben, dafe im Felde gleich anfänglich, statt niederschmettern«? .e 
Attacken zu reiten, tüchtige Handgemenge ausgerauft werd'jn, 
deren Nachteile wir bereits öfter angeführt haben, deren Ha'jpt- 
nachteil überdies darin besteht, dafe wir die Entscheidung dem 
einzelnen Reiter in die Hand geben, data das Endresultat jeder 
Attacke von ganz unberechenbaren Umständen abhängig wird. Die 
Kavallerie ist ferner nnr dann einer glücklichen Zukunft entgf «gen- 
zuführen, wenn ihr Chef dafür sorgen kann, dais sie kavallerii itisch 
richtig verwendet werde, dafe ihr kavalleristische Aufgaben g» »stellt 
werden, dafe die Truppe lernt, solche Aufgaben auf kavalleris tische 
Weise zu lösen. Hierzu müssen Anleitung und Beurteilung in einer 
Reihe von Jahren die gleichen bleiben.*) Es ist ein ausgesprochener 
Fehler, wenn bei den gröfeeren Truppenübungen in erster Linie die 
unter 2 angegebene Verwendungsart beachtet würde» statt jene 
unter 1. Die Kavallerie, welche in der Hauptsache daran gewöhnt 
wird, das umgekehrte Verfahren zu beachten, ist allein für ihre 
Thätigkeit in jeder Richtung gut vorbereitet; dieses Verfahren sichert 
ihr allein die nötige Ruhe, Sicherheit und Initiative, während das- 
selbe die andere Verwendungsart in keiner Weise ausschliefet. Wir 
haben aufeer zahlreichen Beispielen in der Kriegsgeschichte auch 
bei den Friedensübungen mehrfache Gelegenheit zu beobachten, wie 
schwerfällig, unbeholfen und unkavalleristisch es ist, wenn ein 
gröberer Kavallerie-Körper nach längerem Herumrutschen, längerer 
Vorbereitung sich langweilig formiert und dann in der Regel zu 
einem Angriffe schreitet — der überdies mitunter schon im Tempo 
der Gangarten den Führern aus der Hand kömmt — zu einem 
Angriffe schreitet, der das Zeichen des Mifeerfolges schon an der 



*) Wir können nns im Interesse der Sache nicht versagen, als Beispiele 
un kavalleristischer Verwendung anzuführen : 

1. Ein Trnppen-Corps aller Waffen hat eine Defensivstellnng bezogen. Die 
Kavallerie-Patrouillen melden genau die Stellung des Gegners; dieser aber rührt 
sich nicht von der Stelle — er erwartet Verstärkung. — Der Führer des Truppen- 
Corps wird immer unruhiger und nach einiger Zeit erhält die Kavallerie den 
Befehl: „rücksichtslos vorzugehen!" — 2. Einem Truppen-Corps ist eine Kavallerie- 
Division zugeteilt, welche den Gegner zu überflügeln trachtet. Befehl auf Befehl 
trifft bei der Kavallerie ein „die Artillerie in Thätigkeit zu bringen und zur 
Attacke zu schreiten!* u. s. w. — 



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130 



Die Ideale der Kavallerie. 



Stirn e trägt, selbst wenn er genau nach einzelnen Paragraphen des 
Reglements angelegt, eingeleitet und ausgeführt wurde, welche ins- 
besondere der Form gelten. Wir haben aber sodann auch Gelegenheit 
au beobachten, wie die Kavallerie — trotzdem man wulste, sie 
müsse da oder dort in einer deckenden Stellung sich befinden — 
bei plötzlichem, entschiedenem Vorbrechen nicht unbedeutende Un- 
ruhe hervorgerufen hat. War solche Wahrnehmung zu machen, 
trotz der Ruhe, Kaltblütigkeit und Ordnung im höchsten Grade 
erleichternden Friedensübungen, so wird im Ernstfalle diese Unruhe 
sich wohl in noch weit höherem Grade bemerklich machen. Dort 
war die tote Form, hier das im Reglement ebenso enthaltene be- 
lebende Ideal die Ursache der Wahrnehmungen. Eine gut geschulte 
und praktisch erzogene Kavallerie-Division, wie nicht minder 2 
oder 3, werden im günstigen Momente wie ein Gewittersturm aus 
ihrer Stellung vorbrechen; jeder Unterführer vom Divisions-Comman- 
deur bis zum Eskadrons-Chef wird ohne besonderen Vortrag, ohne 
weitere Instruktion oder Befehl günstige Umstände erkennen und 
mit der zweckmässig geschulten Truppe sofort ausnützen. Im 
anderen Falle wird vorbereitet, instruiert, schwerfällig oder künstlich 
formiert, endlich geht die ungelenke Maschine vorwärts, kömmt 
atemlos, halb aufgelöst an den Gegner und zum Handgemenge, 
oder verfehlt zum Teile das Ziel, bricht an den Flügeln vorüber, 
durch die Zwischenräume und wird ohne wesentlichen Nutzen form- 
lich Spielsruten laufen u. s. w. — Theoretiker rühmen die 
Tapferkeit des Handgemenges; der erfahrene Kavallerist würde 
sagen: »aufgelöst zur Attacke gekommen,« — • Theoretiker sagen, 
»die neuen Feuerwaffen, demnächst das rauchfreie Pulver waren 
die Ursache;« Kavalleristen können leicht herausfinden, dafe der 
Kavallerie die Grundbedingungen gefehlt haben, um solche Angriffe 
glücklich durchzuführen, — wenn sie ihr kavalleristisches Gefühl 
über dem Niveau zu erhalten vermochten. Werden von Allen Be- 
teiligten die vorher geschilderten Umstände bei den Übungen 
unparteiisch im Auge behalten, so wird sich die Kavallerie in Bälde 
gerade auch hier jener wohlwollenden Beurteilung zu erfreuen 
haben, welche immerhin belebend auf ihre Thätigkeit einwirken 
muis. 

Wir sind natürlich weit entfernt Ausstellungen zu machen, 
noch weniger beabsichtigen wir den anderen Waffen zu nahe zu 
treten, wohl aber ist es die Absicht, Ursache und Wirkungen zu 
ergründen, in der Hoffnung, dafe die Waffe wieder das wird, was 
sie war, wenn sie kavalleristisch erzogen, verwendet und gefuhrt 



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Die Ideale der Kavallerie. 



131 



wird. Wir glauben auch durchaus nicht anmalsend zu sein, wenn 
wir die Ansicht aussprechen, dafs dies zu leisten, doch nur ein 
Kavallerist in der Lage sein kann. Erschwert ist diese Angelegen- 
heit unbedingt, wenn den bezüglichen Fragen längere Zeit aus dem 
Wege gegangen würde. Immerhin aber ist die Losung der Aufgabe 
nur denkbar, wenn sie nicht aus dem Auge verloren wird. Wenn 
der Weg konsequent und ohne jedes Schwanken betreten bleibt, 
werden mit aller Sicherheit auch kavalleristische Talente stets mehr 
und mehr entwickelt. Es ist ferner ebenso wichtig, dafs kein 
Punkt dieser Grundbedingung des Gedeihens der Waffe übersehen 
werde. Erziehung, Führung und Verwendung sind die Punkte, 
durch welche dem Ideale näher gerückt werden kann, durch welche 
die Kavallerie schon einmal das Ideal erreicht hat. Bleibt einer 
dieser Punkte unberücksichtigt, oder wird einer derselben nur mit 
geringerem Geschicke beachtet, so kann zwar ein vorübergehendes 
Aufleben der Waffe erreicht werden, es können Zufälligkeiten Er- 
folge bringen, es können wirkliche oder imaginäre indirekte Erfolge 
errungen werden, — vom Ideale aber werden wir ziemlich weit 
abbleiben. Es klingt nun allerdings sehr einfach und man sollte 
glauben, dafs es sehr leicht sein müsse, diese 3 Punkte zu be- 
achten. Die Geschichte dagegen lehrt, dals nur besonderes kavalle- 
ristisches Geschick sie glücklich vereinigen und nach jeder Richtung 
klar legen kann, dafs es überhaupt nur gelingt, wenn wir gelernt 
haben, die Ideale richtig zu erkennen und konsequent anzustreben. 
Eingehende umfangreiche Instruktionen und Reglements erleichtern 
es in der Hauptsache keineswegs, diese Ideale stets zu finden, denn 
sonst mülsten dieselben ja längst erreicht sein. Wir glauben, dals 
im Gegenteil die Schwierigkeit, die wichtigsten Sätze und Para- 
graphen stets vor Augen zu haben, hiermit wächst. Sie werden 
trotz ihrer Einfachheit, vielleicht auch wegen ihrer idealeren, dem 
Wesen der Waffe mehr entsprechenden Richtung mit Vorliebe 
übersehen. Diese wichtigsten Bestimmungen und Paragraphen stets 
und immer wieder anregend in Erinnerung zu bringen, dies kann 
am Ende doch nur ein Techniker, ein praktischer erfahrener 
Kavallerist; mit solcher Einwirkung können wir allein hoffen, 
dals wir von Jahr zu Jahr voranschreitend uns in jeder der 3 Haupt- 
richtungen dem Ideale nähern. Nach allen hier angedeuteten Ver- 
hältnissen ist es sehr einleuchtend, dafs in keiner anderen Waffe 
der persönliche Einflufs des Führers eine höhere Be- 
deutung hat, wie in der Kavallerie, dals sohin ohne eine im 
höchsten Falle einige wenige leitende Persönlichkeiten, verschiedene 



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Die Ideale der Kavallerie. 



Anforderungen verwirrend nach Unten und in keiner Richtung 
fordernd einwirken müssen. Dies wird um so bemerklicher sein, 
je zahlreicher die treffenden Stellen sind, je weniger bereits diejenigen 
einzelnen Prinzipien zur Geltung haben gebracht werden können, 
welche unseren Idealen entsprechen. 

Infanterie und Artillerie haben im Gefechte mancherlei Be- 
rührungspunkte; sie haben die Mittel, die Kraft des anzugreifenden 
Gegners zu erschüttern, zu brechen; sie können Offensive und Defen- 
sive mit einander vereinigen, sie können sich fortlaufend gegen- 
seitig unterstützen. Nicht so die Kavallerie; sie kann nur wie im 
vorigen Jahrhundert »erscheinen und attackieren«. Waren 
alle Vorbedingungen in Erziehung, Verwendung und Führung er- 
füllt, war sodann der Moment des Angriffes ein glücklicher, die 
Art der Durchführung thunlichst überraschend (energisch) und dem 
Zwecke entsprechend, so wird sie auch heute Erfolge erringen; 
war der Moment ein unglücklicher, hat Unbesonnenheit oder Un- 
geduld den Angriff veraulafet, so haben selbst die sieggewohnten, 
vortrefflich geschulten und geführten Schwadronen schon zu jener 
Zeit Nichts ausrichten können, und in einem Falle auf dem 
Rückwege den eigenen Truppen empfindlichen Schaden 
gebracht. 

Die seitherigen Verhältnisse haben mit kurzen Unterbrechungen 
Erziehung, Verwendung und Führung der Kavallerie nicht wesent- 
lich gefordert; diese Verhältnisse können somit eine besondere Be- 
deutung keineswegs besitzen. Ja, diese Verhältnisse haben sogar 
den Wert und die Bedeutung der Reitinstitute für die Kavallerie 
zum Teile illusorisch gemacht. Wenn wir die idealen Punkte in 
diesen Richtungen nicht anerkennen und anstreben, werden wir 
zwar berittene Truppen haben, da oder dort vereinzelte mehr oder 
weniger glänzende Thaten und indirekte Erfolge, aber nie jene 
Kavallerie sehen, welche mit ihrem idealen Können ganz bestimmt 
auch ideale Erfolge als Regel erzielen wird. — Mit freudigem Herzen 
begrüfsen wir wohl Alle die erwarteten Veränderungen. Möge 
der so zäh zerrissene Faden kavalleristischer Leitung 
wieder gefunden und angeknüpft werden, möge mit neuer 
Begeisterung der Kavallerie gelingen, den Idealen stets näher und 
näher zu rücken. Möchten aber auch die andern Waffen, ebenso 
wie alle Stellen, dieser Richtung unseres Strebens rückhaltloses 
Wohlwollen entgegenbringen, damit wir in demselben stets er- 
muntert und bestärkt werden können und dann mit aller Bestimmtheit 
unsere Aufgabe ganz erfüllen. 



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Die Ideale der Kavallerie. 133 

III. Endlich gestatte ich mir die Hauptgefechtsthätigkeit 
der Kavallerie in kurzen Zügen anzuführen, indem wir vorerst 
nur jene Verhältnisse in Betracht ziehen, welche als die idealeren 
bezeichnet werden könuen, > unvermutetes Verbrechen im geeigneten 
Momente und selbststäudiges Eingreifen aller Unterführer«. Es 
ist selbstverständlich, dafs diese Art des Auftretens die bei weitem 
wichtigste ist. 

L Die Befehle oder Instruktionen, welche der Kavallerie zu- 
gegangen sind, geben im Allgemeinen nur die Situation und die 
eigene Absicht des Truppenkommandos für den Marsch oder das 
Gefecht an ; im höchsten Falle möge noch dieser oder jener Wunsch 
für die Thätigkeit der Kavallerie angefügt werden. Nur ganz 
ausnahmsweise und unter ganz besonderen Verhältnissen wird der 
Kavallerie im Allgemeinen, oder für das Gefecht eiu ganz bestimmter, 
detaillierter Auftrag, eine genau bezeichnete Stellung, oder der 
Angriff unter Bezeichnung des Objektes befohlen. Der Kavallerie- 
Führer ist an und für sich für die sachgemäfse Verwendung seiner 
Truppe verantwortlich, er ist verantwortlich ebenso dafür, dafs er 
günstige Momente zum Angriffe ausnützt. Der Befehl zum An- 
griffe durch das Truppenkoramando möge daher stets schrift- 
lich, im Frieden insbesondere unter kurzer Angabe der Gründe 
für denselben gegeben werden. Es erscheint dies notwendig in den 
verschiedensten Hinsichten, deren nähere Erörterung wohl unter- 
bleiben kann. 

2. Die Kavallerie- Division hält, oder bewegt sich verdeckt in 
irgend einer Bereitschaftsform. Der Führer hat einen Punkt ge- 
wonnen, von welchem er den Gegner genau beobachten kann; er 
läfst das Terrain nach den verschiedenen Richtungen rekognos- 
zieren. 

3« Angriff auf Kavallerie. Die reitenden Batterien be- 
ginnen das Feuer. Auf Säbelzeichen des Führers der Kavallerie- 
Division reitet dieselbe au, formiert das 1.' Treffen Eskadrons- 
Kolonnen uud nimmt die Direktion, welche der Divisions-Führer 
angiebt; die beiden hinteren Brigaden, am besten flügel weise formiert, 
stofsen eine Eskadron des Teten-Regimentes als Unterstützuugs- 
Eskadron ab uud hängen sich dem korrespondierenden Flügel des 
1. Treffens auf kurze Distanze an. Dns erste Treffen marschiert 
auf (aufeer dem Gesichtsbereiche des Gegners auf Zeichen) und Retzt 
sich in den Galopp, die debordierenden angehängten Treffen ver- 
halten sich nach den Umständen. Nachdem dem 1. Treffen das 
Attacken-Objekt gegeben, verfügt sich der Divisious-Ftihrer auf 

J»hrtüch»r für di» Dentach« Atom and Marine Bd LXXVI. 2 



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Die Ideale der Kavallerie. 



jenen Fitigel, auf welchem. er das 3. Treffen haben will. Im ruhigen 
geräumigen Galoppe geht das 1. und 2. Treffen — nach Bedürfnis 
auch Teile des 3. Treffens — auf den Gegner los. — Der Angriff 
wird nach den später erörterten Grundsätzen ausgeführt und 
vollendet. 

Angriff auf Infanterie. 4. Wird unter den gleichen Ver- 
hältnissen das Zeichen zum Angriffe auf Infanterie gegeben, so 
formieren sich die beiden inneren Brigaden (oder die Teten-Brigade 
und bei der flfigelweisen Formation der hinteren Brigaden jene auf 
dem inneren Flügel) regimenterweise nebeneinander zum Angriffe 
auf Infanterie; das rechte Regiment der mittleren Brigade nimmt 
Direktion dicht links neben dem Commandeur der Division vor- 
über. Die Brigade des äufseren Flügels bleibt bis gegen Ende des 
Angriffes, gefechtsbereite nahe folgende Reserve; wird ihre Thätigkeit 
nicht anderweitig iu Anspruch genommen, so wirft sie Eskadrons 
auf intakt gebliebene feindliche Objekte, verhütet das Wiedersammeln 
versprengter Abteilungen, räumt unter denselben auf, ganz im Sinne 
der alten Instruktionen. Nicht anderweitig zur Verwendung ge- 
kommene Teile dieses Treffens trachten von Rückwärts in die 
feindliche Stellung einzudringen und benutzen jede sich bietende 
Deckung für solche energischst durchzuführende Bewegung. 

Allgemeine Gesichtspunkte. 5. In den Bereitschafts- 
formen, zu welchen auch die flügelweise Formation der hinteren 
Brigaden zu zählen sein dürfte, nimmt die Teten-Brigade zwei 
Patrouillen in die Front, die beiden folgenden Brigaden je zwei 
Patrouillen in die rechte resp. linke Flanke, von welchen die 
Sicherung nach seit- und rückwärts bethätigt wird. Diese Patrouillen 
verwandeln sich während der Bewegung und dem Angriffe der 
Division in Gefechtspatrouillen, indem sie die Division in ihren Be- 
wegungen begleiten und sichern. Die Patrouillen in der Front 
begleiten den Führer der Kavallerie-Division auf einige 100 Schritt 
verdeckt, wenn sich derselbe weit voraus begiebt. Sobald Eskadrons- 
Kolonnen formiert werden, nimmt jede Eskadron einen Eclaireur 
vor. — Mit dem Anreiten der Kavallerie- Division gehen die Treffen- 
führer für ihre Person rasch voraus in die Direktion, welche der 
Divisions-Commandeur angiebt und zwar im Verhältnisse ihrer Plätze 
im Divisions -Verbände. 

Angriff auf Kavallerie. G. Auf 100 Schritt vom Gegner 
angekommen, geben Eskadronschefs und Zugführer, welche einen 
Feind vor sich haben, Kommando und Signal Marsch! Marsch! Sie 
.stürzen sich festgcschlosseu und stets mehr znsammenschliefsend mit 



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Die Ideale der Kavallerie. 



1 35 



der bestimmtesten Absicht des Niederrennens auf denselben. Die 
Eskadrons stellen sofort die Ordnung her und gehen selbstständig 
nach den gleichen Grundsätzen auf Abteilungen des feindlichen 

2. Treflfens und der Reserve los. Das Signal zum Verfolgen wird 
erst dann gegeben, wenn geschlossene Abteilungen des Gegners 
nicht mehr vorhanden sind. Es bleibt von der allergröfeten Wichtig- 
keit, dafs dieses Verfolgen nicht in ein unbesonnenes, die Kraft der 
Waffe vernichtendes, ineist zu sehr empfindlichen Rückschlägen 
führendes allgemeines Nachjagen ausarte. Diese Wichtigkeit wird 
noch augenfälliger, wenn sich beim Angriffe auch das ganze 2. und 

3. Treffen beteiligt haben sollte, was wohl zumeist der Fall sein 
wird. (Wenn das erste Glied des ersten Treffens und aufserdem 
ein Fingelzug jener Eskadrons aus anderen Treffen, welche ebenfalls 
attackiert haben, die Verfolgung übernimmt, alles übrige geordnet 
und geschlossen folgt, dürfte der Zweck weit sicherer erreicht 
werden). 

Sammeln. 7. Ertönt das Signal »Divisions-Ruf«, formiert 
sich das zunächst befindliche Treffen (Brigade) in Eskadrons-Kolonnen 
hinter dem Divisions-Führer; die beiden anderen Brigaden je nach 
ihrer Stellung in Bereitschaftsform als Echellons an dem korrespon- 
dierenden Flügel desselben. 

Angriff auf Infanterie. 8. Überall, wo mehrere getrennte 
gegnerische Objekte anzugreifen sind, empfiehlt es sich, diese 
Angriffe in leicht dirigierbarer Form auszuführen und die Regimenter 
in sich in möglichst nahe folgende Echellons, mit Eskadrons 
formiert, nebeneinander vorgehen zu lassen. Es dürfte voraussichtlich 
vorteilhaft sein, den Abstand des 2. Gliedes auf 3 — 4 Pferdelängen 
zu vergröfsern. Die Führer sehen darauf, dafs alle feindlichen 
Objekte angegriffen werden, dafs diese Angriffe immer tiefer in die 
feindliche Stellung fortgesetzt und erneuert werden. Auch hier wird 
stets gesammelt und der Angriff weitergeführt. 

9. Alle übrigen Formationen und Bewegungen werden nach 
erfolgter Befehlsubermittluug (oder auf die treffenden Avertissements, 
Kommandos und Signale ausgeführt). In den bei weitem meisten 
Fällen aber werden die beiden angedeuteten Angriffsarten mit den 
angegebenen Grundsätzen genügen. 

10. Sind mehrere Kavallerie-Divisionen zur Stelle, so wird eine 
2. die Stelle des 3. Treffens einer einzelnen Division übernehmen, 
resp. bei Angriffen auf Iufanterie die Stelle der Reserve-Brigade. 
Eine 3. Kavallerie-Division wird sich geschlossen auf dem andern 

10* 



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i :m 



Die Ideale ilor Kavallerie. 



Flügel bewegen und nach den sich bietenden Verhältnissen selbst- 
ständig in das Gefecht eingreifen. 

11. Die Erfahrung lehrt, dafe die zurückgehaltenen Treffen 
und Reserven während der raschen Vorbewegung der Kavallerie in 
der Regel nur geringere Verluste erlitten haben. Diese Abteilungen 
können also unter Umständen fuglich die Bereitschaftsformen länger 
beibehalten, was für ein späteres nicht vorauszusehendes Eingreifen 
immer von Vorteil sein wird. 

12. Das, was zu allen Zeiten die möglichen Erfolge der Ka- 
vallerie ganz wesentlich beeinträchtigt hat, die bereits gewonnenen 
Erfolge wieder verlieren liefs und überdies die Hauptverluste brachte, 
war — von den sogenannten Verlegenheitsattacken abgesehen — 
der unausbleibliche Rückschlag, dort wo die Kavallerie zu ihren 
Angriffen ans ungerechtfertigter Zersplitterung nicht in gröfsere 
Stärke vereinigt wurde, oder der Angriff nicht mit der absolut 
nötigen kavalleristischen Grundlage (energisches Vorbrechen auf 
einfache natürliche Weise) und mit kavalleristischer Routine (sach- 
gemäfses Verhalten und Eingreifen aller Unterführer) durchgeführt 
war. Bei ganz einfachen natürlichen Prinzipien und sachgeraäfsen 
Übungen ist eine gröfsere Schwierigkeit für Bewegung und Angriff 
kaum zu erkennen. Diese Schwierigkeit mufs aber ganz selbst- 
verständlich wachsen, wenn die Unterführer daran gewöhnt werden, 
für jede Bewegung detaillierte Befehle zu erhalten. Es mag viel- 
leicht schwierig für den Kavalleriefiihrer sein, den günstigen Moment 
zum Angriffe zu erspähen; in jedem Falle wird die Ausnützung 
eines solchen Momentes erschwert, wenn nicht unmöglich gemacht 
durch komplizierte Bewegungen und Formationen, durch detaillierte 
Befehle. Wir müssen auch hier das Ideal stets vor Augen haben 
und dieses Ideal zeigt uns den ruhig beobachtenden Führer, das 
Losbrechen der Truppe auf sein Zeichen, die rasche Annahme 
einfacher Formen und das sachgemäfse Eingreifen sämtlicher Unter- 
führer. 

13. Unsere Pferde werden übermäfsig fatigiert durch unruhige 
heftige Gaugarten und unnötiges Herum jagen. Sachgemäßer Unter- 
richt auf der Schule und im Gelände werden solche Wahrnehmung 
allein verschwinden lassen. Dort vor Allem ideal richtige Haltung 
der Reiter, und dann unbedingte Ruhe in allen Gangarten auf den 
Lbungsplätzen bei vorübergehend successivem Erreichen der gröfsten 
Räumigkeit auf die treffenden Avertissements werden geschonte gut 
konservierte Pferde, gewandte Reiter wie Eskadrons weit sicherer 
bringen, wie alle anderen Auskunftsmittel. Ohne solches Vorgehen 



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Die Ideale der Kavallerie. 



137 



werden auch Vollblutpferde bei dreifachem Futter vor der Zeit ab- 
genützt sein. Scharfer Trab und heftiger Galopp sind die wichtigsten 
Merkmale einer unzweckmäfsigen Vorbereitung der Truppe; solche 
Gangarten ruinieren die Pferde ebenso wie die Kraft der Angriffe. 

Die Formationen aus den Bereitscbaftsformen nach der ganzen 
Flanke (Fig I) sind am einfachsten durch Drehung der Regiments- 
Teten auszuführen. Mathematisch genau ist diese Bewegung aus 

Figuren i\x Ziffer III. Fig. L 
im | 1. I i. | 1. I 1 I 1 I 1 



\ 




der Bereitschaftsform in Keginieutern mit Kinlialtung der Zwischen- 
räume allerdings nicht durchzuführen; hierfür müfste der Abstand 
des 2. Regimentes der Brigade auf 42 Schritte vergrößert werden. 
Das Teten- Regiment der 2. Brigade mit 50 Schritt Abstand wird 
nach der Schwenkung einen Zwischenraum von etwa 23 Schritten 
haben. Im Allgemeinen aber hat diese Bewegung auch bei den 
bisherigen Distanzen eine bedeutendere Schwierigkeit um so weniger 
geboten, nachdem in der Regel sofort nach der Schwenkung eine 
neue Formation in Anwendung kommen dürfte. — Die in Fig. II*) 
angedeutete Bereitschaftsform, die hinteren Brigaden flügelweise 
formiert, hat ganz ausgesprochene Vorzüge. Vor Allem haben die 

*) 8iehe Seite 138. 



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13* 



Die Ideale der Kavallerie. 



Divia -Comm&ndeur. 
$ Briir.-Conunandear. 
£i Rogts.-Commandeur. 



Brigade- und Regiments-Commandeure freien Blick, sie sind leichter 
zu sehen und zu finden im Allgemeinen, wie unter sich. Die 
Brigaden und Regimenter dieser Treffen sind weit leichter und 
einfacher zu dirigieren und an die Hügel zu bringen u. s. w. — 
Die bereits angedeutete regimeuterweise Formation zum Angriffe auf 
Infanterie (Fig. 111) hat den Vorzug, ganz leichten und einfachen 
Überganges aus den Bereitschaftsformeu, ganz leicht dirigierbarer 
Brigaden, Regimenter und Eskadrous, und eignet sich wohl ganz 
vorzüglich bei plötzlichem Vorbrechen zu Angriffen auf mehrere 
getrennte Objekte. Die Formation, nach welcher die 3 Brigaden 
einer Kavallerie-Division auf je 100 Schritt Abstand hinter einander 
entwickelt sind, wird lediglich bei Frontalangriffen, oder solchen, 

welche gegen ganz 
Ä Fig. II. aufgelöst zurück- 

weichende Infanterie 
BriK-Commandeur. erfolgen, anwendbar 

sein. Diese Form hat 
die grolseu Nachteile, 
dafs die Regimenter 
und Eskadrons sehr 
wenig dirigierbar 
sind, dafs die ent- 
wickelten folgenden 
Treffen nicht vor- 
wärts sehen und dafs, 
wenn das ersteTreffen 
sich in vorhandene 
Lücken drängen sollte, 

die folgenden Brigaden ganz bestimmt in denselben Fehler verfallen. 
Die Anwendung gerade dieser Form wird daher eine seltenere sein 
und auch in diesen seltenen Fällen wird es sich empfehlen, das 
2. Glied des ersten Treffens auf gröfserem Abstände, das 2. Treffen 
aber in Eskadrons- Kolonnen — die Flügel- Eskadrous debordierend, 
das 3. Treffen geschlossen auf dem äufseren Flügel zu halten, als in 
jedem Falle thätig eingreifende Reserve. 

Die mehrfach erwähnten Zeichen dürften sich auf nachstehende 
beschränken: 1. Säbel erheben — Anreiten, verändern der Gangart 
nach aufwärts. — 2. Säbel erheben und rasch senken — verändern 
der Gangart nach abwärts; halten. — 3. Säbel über dem Kopfe 



<*> 
a 



ü Brigade. 



schwingen — nächst höhere Formation zum Gefechte. 
Tuch über dem Kopfe schwingen — anreiten zum 



— 1. Weifses 
Angriffe auf 



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Die Frühjahrsmauöver der euglis- hen Freiwilligen. 



131» 



Infanterie, die Regimenter neben einander in Echellons mit Eskadrons; 
Brigade des äufseren Flügels geschlossene Reserve. 

Je weniger Säbelzeichen, je besser, je sicherer sind Mifsver- 
ständnisse ausgeschlossen. Das bi.sher gebräuchliche Zeigen in die 
Direktion ist vollständig entbehrlich; die Truppe umfs in jedem 
Falle daran gewohnt sein, Direktion, Gangart und Tempo des Führers 
aufzunehmen. 

Nachfolgende reglementären Bestimmungen dürften besonderer 
Beachtung zu empfehlen seiu. § 1)8 und § 150. Vierter Abschnitt 
überhaupt, insbesondere § 100 Ziffer 1 Absatz 2 und 3. Sechster 
Abschnitt überhaupt, insbesondere Ziffer 3 Absatz 2, 3, 4. Ziffer 6 
und 8, sowie deren Übertragung auf Brigade wie Division, ferner 
§ 159 Ziffer 4 — § 161 Ziffer 3 — § 162 Ziffer 1, 2, 3, 4 — 
§ 169 Ziffer 4 — § 171 Ziffer 1 Absatz 1 - insbesondere 2 und 3 
— § 172 — § 173 — § 174 Ziffer 2. — Wünschenswert erscheint: 
andere Fassung der §§ 165 und 166 in $ 178 Ziffer 4. Die Be- 
reitschaftsform in Brigaden — die hinteren Brigaden auch flügel- 
weise formiert. — 

In der Kavallerie-Division werden nur Regimenter zu 4 Es- 
kadrons eingeteilt. Haben einzelne oder mehrere Regimenter 
5 Eskadrons, werden dieselben iu neue Verbände zusammengezogen 
und aufser der gewöhnlichen Einteilung verwendet u. s. w. 8. 



YH. Die Frlihjahrsmanöver der englischen 

Freiwilligen. 

Seit einer Reihe von Jahren finden in England alljährlich 
während der Ostertage, der Truppenzahl nach, verhältnismäßig aus- 
gedehnte Manöver der Freiwilligen unter Beteiligung eines Teils der 
regulären Truppen statt, und es dürfte heute, wo auch Grofs- 
britannien bemüht ist, seine Landstreitkräfte auf eine möglichst 
hohe Stufe der Ausbildung zu bringen, nicht ohne Interesse sein, 
der jetzigen Gestaltung der Manöver dieser Streitkräfte, auf welche 



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140 



Die Frühjahrsmanöver der englischen Freiwilligen. 



England im Fall einer Verteidigung des Insel reichs gegen einen 
Augriff ganz besonders rechnet, einen Blick zu widmen. Das bis 
jetzt über diese Truppenübungen uns zugängliche Material gestattet 
allerdings nicht, dieselben mit genauer Angabe aller dabei in 
Betracht kommenden Verhältnisse in Form der exakten Manöver- 
berichte, wie sie sonst üblich sind, zur Darstellung zu bringen. 
Allein auch aus einer nicht nur episch erzählenden, sondern zum 
Teil kritisch gehaltenen Schilderung derselben, wie wir sie im 
Folgenden zu geben beabsichtigen, dürften die charakteristischen 
Eigentümlichkeiten dieser Manöver und der dabei verwandten Streit- 
kräfte, auf welche an geeigneter Stelle wir nicht unterliefsen, hinzu- 
weisen, zur Genüge in ihren Hauptmomenteu hervorgehen. — 

Die diesjährigen Ostermanöver der britischen Freiwilligen 
fanden an der englischen Süd- und Südostküste bei Dover, Folke- 
stoue, Eastbourne, Brighton, Portsmouth und Colchester statt, und 
es beteiligten sich an denselben 25,000 Mann Volunteers und 
5000 Mann regulärer Truppen. Die Mauöver begannen am Freitag, 
den 4. April, und der Ostermontag, der 7., war der Haupttag der- 
selben. Sie endeten am darauffolgenden Dienstag mit dem Rück- 
transport der Truppen. Keine gemeinschaftliche Generalidee um- 
fafste die durchgeführten Operationen als ein einheitliches Ganze, 
aber die von den die vier hauptsächlichsten Truppeuzusainmenzüge 
befehligenden Commandeuren ausgegebeneu Manöver- Dispositionen 
lehnten sich an die gemeinsame Annahme an, dafs eine feindliche 
Invasion drohe, und dafs die Londoner Volunteers im ersten Moment 
an die Küsten von Kent, Sussex und Hampshire geworfen wurden, 
um dem in einer Landung begriffenen Feinde entgegen zu treten, 
während man den letzten Widerstandsakt derselben in der vom 
britischen Kriegsministerium dazu in Aussicht genommenen südlichen 
Londoner Verteidigungslinie der »Downs« d. h. der Kreidehügel, 
zwischen Dorking und Halsted erwartet. 

Im Laufe des Donnerstags sammelten sich die verschiedenen 
Corps auf bestimmten Plätzen Londons und anderer Städte Süd- 
Englands, traten unter den Befehl ihrer Commandeure und 
marschierten nach den Bahnhöfen ab, um per Balm in das Manöver- 
Terraiu befördert zu werden. So die Londoner schottischen Schützen, 
die Inns of Court Schützen, die Artists Volunteers, das Queens 
Westminster-Corps und viele andere. Das Gepäck dieser Freiwilligen- 
Corps wurde in besondere Waggons verladen und derart nach dem 
Manöverterrain transportiert. Die Mobilisierung des stärksten Corps 
der an den Munövern teilnehmenden Freiwilligen, der Süd-London- 



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Die Frühjahremanöver der englischen Freiwilligen. 141 



Brigade, welche die besten Freiwilligen-Regimenter der Hauptstadt 
enthält, wurde am Freitag, den 4. April beendet. Diese Mobili- 
sierung wurde nicht vollständig nach der neuerdings vorgeschriebenen 
Mobilmachungs-Instruktion ausgeführt, sondern wies zwei bemerkens- 
werte Abweichungen von derselben auf. Dieselben bestanden in 
der Heranziehung anderer, nicht zur Süd-London-Brigade gehörender 
Bataillone und einer anderen Art der Musterung des Freiwilligen- 
Corps, sowie ihres Transports per Bahn in das Manöverterrain. Die 
Brigade wurde bei Westenhanger, westlich von Folkestone in zwei 
Kolonnen formiert. Die eine rückte über Beachborough und 
Newingtou nach Folkestone und bestand aus den Süd-Middlesex- 
Schützen, dem West- London Corps, dem London- Schotten Corps, 
dem St. Georges-Corps, dem 3. West-Kent Corps, dem 1. Warwick 
Corps, dem Tower Hamlet Corps, welches einige Schnellfeuer- 
Geschütze mitführte, und dem Sanitäts- Stabs-Corps. Die andere 
Kolonne, welche über Saltwood, Hythe und Sandgate marschierte, 
• bestand aus dem West-Middlesex und Harrow Corps und dem 
Civildienst- und Bank of England Corps. Alle diese Corps hatten 
eine variirende Stärke von 1—400 Mann und waren im Ganzen 
circa 4000 Mann stark. 

Die Generalidee für diese Truppen bestand darin, dafs eine 
Iuvasions-Armee an der Süd-Ost-Ecke von Kent gelandet ist, Dover 
einschliefst und inzwischen ein Detachement zur Besitznahme des 
Eisenbahu - Knotenpunkts Ashford entsendet. Als dasselbe dio 
Annäherung von Abteilungen der Truppen des Verteidigers von 
Westen her erfährt, nimmt es eine Stellung auf den nordwestlich 
von Folkestone sich gegen Tolsford Hill und Eatching Hill hin- 
ziehenden Hügeln. Es wurde angenommen, dafe zwei Kolonneu der 
Armee des Verteidigers zur Unterstützung von Dover entsandt wurden. 
Die linke dieser Kolonnen erreichte Canterbury in der Nacht von 
Freitag, die rechte Kolonne zu derselben Zeit Ashford; dieselbe 
hatte Erkundigungen über die Stellung des vorgeschobenen Detache- 
ments des Angreifers eingezogen. — Am Sonnabend in aller Frühe 
sandte die Ashford Kolonne ihre, durch die Süd-London Brigade 
und die derselben zugeteilten Corps repräsentierte Avantgarde vor, 
um Fühlung mit dem Feinde zu gewinnen und seine Stärko und 
Absichten zu erkennen. Auf Grund der Rekognoszierung der Avant- 
garde hatte sich der Führer der Ashford Kolonne zu entscheiden, 
ob er angreifen und suchen solle, den Feind in nordöstlicher 
Richtung gegen die jetzt vorrückende Canterbury Kolonne zurück- 
zuwerfen, oder ob er sich in seiner Stellung auf den Shorncliffe und 



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Die Frühjahrsnianöver der englischen Freiwilligen. 



Folkestone überragenden Höhen halten solle, bis die Canterbury 
Kolonne genügend vorgerückt sei, um dem Gegner den Rückzug 
auf Dover zu verlegeu. — Uiu die Manöver so belehrend als möglich 
zu gestalten, waren die Bataillons-Commaudeure und die Compagnie- 
fiihrer angewiesen, allen unter ihrem direkten Befehl befindlichen 
Mannschaften die Manöveridee und die Generalidee der Operationen 
mitzuteilen. Alle Londoner Truppen gingen vom Charing Cross 
Bahnhof ab und debarkierten bei Westenhanger. Es waren 7 Bahn- 
züge zu ihrem Transport erforderlich, welche im Laufe des Vor- 
mittags abgelassen wurden. Am Freitag Abend bestand das Corps 
in Folkestone aus den Schotten, dem West-London Corps, dem 
Inns of Court und dem Uuiversitäts-Corps, den Radfahrern, dem 
St. Georges und dem West-Kent Corps, sowie dein Birmingham- 
Detachemeut. Die übrigen Corps wurden in die umgebenden Städte 
und Dörfer Newington, Cheriton, Sandgate, Hythe und das Lager 
am Shornoliffe gelegt. Die Anordnungen für die rasche Ausschiffung 
der Züge in Westenhanger waren gut und sorgfältig getroffen, allein a 
die Züge hatten etwas Verspätung. Die Truppen waren im Marsch- 
anzuge, jedoch nur ein Teil derselben führte Spaten, die Mitführuug 
des Gepäcks, der Mäntel und der Feldflascheu war dem Ermessen 
der Conimandeurc anheimgestellt. Dieselben hatten darauf zu halten, 
dafs die Leute eine Mittagsportion in ihren Tornistern trugen, und 
dafs die Feldflaschen vor dem Abmarsch gefüllt waren, und jeder 
Mann 50 Patronen in den beiden Taschen der neuen Ausrüstung 
trug. — In Folkestone formierte sich der Stab und das Haupt- 
quartier des Verteidigungs-Corps unter Oberst Stracey. Der erstere 
bestand aus einem Obersteu, einem Major, einem Kapitän und einem 
Lieutenant, welche verschiedenen Waffen der regulären Armee an- 
gehörten, sowie aus zwei Majors und einem Kapitän von der Lothian 
Yeoiuaury als Ordonnanz-Offizieren (extra aides de camp). Zur 
Leitung des Signaldieustes war ein Hauptmann der Inns of Court 
Schützen und ein Lieutenant der schottischen Garde bestimmt. Das 
Sanitätswesen lag in den Händen der Oberärzte der regulären Armee, 
welche von dem Freiwilligen-Sanitäts-Stabs-Corps als Krankenträger 
uud Gohülfen in den Feldlazaretten unterstützt wurden. Am Freitag 
Abend war die Süd-London Brigade mit ihrem Zubehör 4000 Mann, 
00 Reiter, 42 Radfahrer und 3 Schnei Ifeuergeschütze stark. 

Man war bei den britischen Militär -Autoritäten der Ansicht, 
dafs die Dispositionen für die diesjährigen Manöver sehr spät ge- 
troffen worden seien, denn bis zum Donnerstag war im Stabs- 
quartier des Süd -Ost -Distrikts in Dover die genaue Idee der 



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Die Frühjahrsnianöver der englischen Freiwilligen. 



143 



Ostermontag-Manöver noch nicht bekannt, und erst am Freitag 
wurden von Oberst Stracey aus Folkestone dem den Süd-Ost-Distrikt 
kommandierenden Generalmajor Moore die folgenden Manöverideen 
übersandt: Die Manöver am Sonntag sollten bei Talsford Hill 
7 englische Meilen nordwestlich Folkestone stattfinden. Die dortigen 
Höhen sollten vom 2., 5., 12. und 25. Süd-Middlesex Freiwilligen- 
Schützen - Corps verteidigt werden, ferner den 1. Tower Hamlets 
Schützen mit 3 Maxim-Geschützen und den 1. Ost-Kent Freiwilligen- 
Schützen mit einem Maxim-Geschütz, in Summa etwa 2000 Mann. 
Die Stellung sollte vom 4., 14., 20., 26. und 6. Middlesex Schützen- 
Corps und dem 3. West-Kent Frei willigen- Corps, im Ganzen etwa 
1500 Mann, angegriffen werden, ein Angriff, der besonders in 
Anbetracht des gänzlichen Maugels an Artillerie und seiner Minder- 
zahl sehr unmotiviert erscheint. Die Versammlungszeit des die 
Höhen verteidigenden Corps war auf l / 3 \\ Uhr bei Tolsford Hill 
und die des Angreifers auf 10V 4 Uhr Morgens bei Cheriton fest- 
gesetzt. — Das Wetter am Sonntag war ungünstig, windig und 
regnerisch, mau hatte erwartet, dafs die Manöver bei Folkestone 
stattfinden würden, allein mau täuschte sich und mancbe Truppenteile 
hatten hin und zurück zum Rendezvousplatz 16 englische Meilen 
zurückzulegen. Sämtliche in der Stadt einquartierte Corps rückten 
um 9 Uhr vormittags, eine für deutsche militärische Begriffe sehr 
späte Zeit, nach ihren der ausgegebenen Manöveridee entsprechenden 
Stellungen ab. Es handelte sich für Angreifer und Verteidiger um 
den Besitz von Tolsford Hill und seiner westlichen Erhebungen, 
welche einen Höhenzug von etwa l'/a englische Meilen Länge 
bilden. Es wurde angenommen, dafs dieser Höhenrücken von einem 
Detachement der Angriffs-Armee besetzt war, welches von den Dover 
einschliefsenden Truppen entsandt war, um der Unterstützungs- 
Kolonne des Verteidigers, welche von Ashford vorging, entgegen- 
zutreten. Gleichzeitig rückte eine ähnliche Kolonne von Canterbury 
auf Dover, und es war beabsichtigt, dafs die beiden Kolonnen sich 
vereinigen und den Angreifer nötigen sollten, seine Stellungen 
vor Dover aufzugeben und ihn im freien Felde, während die Be- 
satzung von Dover in seinem Rücken sei, zum Gefecht zu veran- 
lassen. 

Das nach Tolsford Hill entsandte Detachement des An- 
greifers stand unter dem Befehl des Oberst Fräser von den Royal 
Engineers. Man nahm an, dafs sein Gegner Oberst Stracey bei 
seiner Rekognoszierung gegen Ashford die starke Avantgarde der 
dorthin marschierenden Unterstützungskolonue angetroffen hatte, eine 



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144 



Die Frühjahrsmanöver der englischen Freiwilligen. 



Avantgarde von beiläufig höchst mangelhafter Zusammensetzung, 
denn sie bestand nur aus Infanterie, einigen berittenen Signalisten 
und einigen Radfahrern, ohne einen einzigen Kavalleristen und ohne 
ein einziges Geschütz. Nominell bestand sie aus Oberst Stracey's 
Süd-London Brigade, allein thatsächlich aus noch nicht der Hälfte 
derselben, der Rest der Brigade bildete den Feind oder war vor dem 
Zusammentreffen in der Absicht, eine Rekognoszierung gegen die 
Canterbury-Strafse zu unternehmen, abgerückt, um in Erfahrung zu 
bringen, ob die andere Unterstützungskolonue nahe genug sei, um 
sich mit Oberst Stracey zu vereinigen uud Oberst Fräser den Rück- 
zug verlegen zu können. Es wurde supponiert, dafs die Ashford 
Kolonne sich Oberst Fräser derart genähert habe, dafs es für den- 
selben geboten schien, die Strafse von Folkestone nach Ashford zu 
verlassen und seine Streitkräfte auf der obenerwähnten Hügelkette 
zu versammeln, die etwa l'/i englische Meilen entfernt, nördlich 
der Strafse und parallel derselben liegt. Das Detachement Oberst 
Fräsers erreichte seine Stellung über Beachborough, an welches sich 
sein linker Flügel lehnte, während sich der rechte nach Tolsford 
still erstreckte. 

Sämtliche Truppen des Verteidigers (also des gelandeten 
Angriffs-Corps) befanden sich um 11 Uhr vormittags in ihren 
Stellungen auf dem Hügelrücken. Auf dem rechten Flügel standen 
die Middlesex Schützen, nächst diesen die Civilservice Volunteers, 
auf dem linken die Middlesex Schützen. Vor der Front dieser 
Stellung senkten sich die Anhöhen zu einem wenig eingeschnittenen 
Thal hinab, dessen niederer Abhang allmählich zur Strafse von 
Ashford anstieg; vor ihrem linken Flügel erhob sich ein hoher 
kegelförmiger Hügel zwischen dem Höhenrücken und der Strafse, 
auf dem Hügel lag das (lehöft Summerhouse. Dasselbe wurde vom 
Verteidiger mit den Queens Westminster Schützen besetzt. Das 
Gelände zwischen der Strafse und den Hügelabhäugen war mit 
Hecken und kleinen Anpflanzungen bedeckt, welche gute Deckung 
gegen Sicht boten; allein der Hügel selbst war frei und nur einige 
Terrain wellen boten an seinen Hängen Deckung. Die Verteidiger 
waren daher gut postiert und ihr Infanteriefeuer wurde von den 
Schnellfeuergeschützen der Tower Hamlet und der Ost-Ken t Volunteers 
unterstützt, welche in den Intervallen der Infanterie-Bataillone in 
Position standen. Die Artillerie hatte dieselben geschickt in Stellung 
gebracht. Von der Strafse nach Ashfor betrachtet, erschien es 
zweifellos, dafs ein direkter Angriff auf den Hügel aussichtslos sei, 
bevor desseu Verteidiger nicht stark erschüttert wären. Allein zu 



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Die Fröhjahremanöver der englischen Freiwilligen. 



145 



diesem Zweck war kein einziges Geschütz vorhanden, obgleich sich 
in nächster Nähe in dem 2—3 englische Meilen entfernten Lager 
von Shorncliffe Feldbatterien befanden. Dafs dieselben nicht heran- 
gezogen worden, fallt umsomehr auf, da es Grundsatz der britischen 
Heeresleitung ist, dafe die Volunteers so viel als möglich im Verein 
mit regulären Truppen ihre Feldmanöver ausführen sollen. So aber 
führte das Detachement des Angreifers ein in Wirklichkeit völlig 
unmögliches Gefecht durch. Während der Verteidiger auf den 
Höhen Stellung nahm, rückte der Angreifer, anstatt wie die Manöver- 
idee es erwarten liefs. aus der Richtung von Ashford vorzugehen, 
in Folge der erfolgten Dislokation von Folkestone über Cheriton 
und legte derart einen Teil des Weges vom vorigen Tage wieder 
zurück. Das Detachement machte bei Stone Farm Halt und Oberst 
Stracey formierte 3 Angriffskolonnen. Die rechte bestand aus den 
West- London Schützen, die mittelste Kolonne aus den St. Georges 
Volunteers und den ihnen beigegebenen Compagnieu, die linke aus 
den Inns of Court und den Universitäts-Freiwilligen. Aufserdem 
nahmen noch die Artists Volunteers, die vom Lager von Shorncliffe 
heranrückten, an dem Angriff Teil, dieselben trafen jedoch erst nach 
dem Beginn des Gefechts ein und führten dann, sehr weit auf dem 
linken Flügel des Angreifers ausholend, eine den feindlichen reehten 
Flügel bedrohende Flankenbewegung aus. — 

Alle Sachverständige wareu mit dem Commandeur des Süd- 
Ost-Militär-Distrikts, Generalmajor Montgoiuery Moore der Ansicht, 
dafs Oberst Straceys Detachement, um in dem Angriff zu reüssieren, 
weit stärker sein, und sich auf schwere Verluste gefafst machen 
müsse. — Bald nach elf Uhr begann das Feuergefecht und gelangte 
die nur sehr schwache berittene Infanterie-Abteilung der Queens- 
Westminster Volunteers seitens des Verteidigers und die wenigen 
Reiter der Inns of Court Volunteers seitens des Angreifers für den 
Aufklärungsdienst zur Verwendung. — Unmittelbar nach Beginn 
des Gefechts gingen die West-London Schützen so energisch von 
der Strafse gegen die Queens- Westminster Volunteers auf dem 
Sunimerhouse-Hügel vor, in dem sie in den Anpflanzungen an seinem 
Fufs ausschwärmten, dafs das ihn besetzt haltende Westminster 
Bataillon sich von dieser Bewegung einschüchtern Weis und zurück- 
ging. Dasselbe wurde durch das Lewis Bataillon ersetzt, welches 
den Hügel nun längere Zeit hielt. Es entspann sich ein allgemeines 
Feuergefecht. Schliefslich gab der Verteidiger, obgleich der Gegner, 
wie erwähnt, keine Artillerie ins Gefecht zu bringen vermochte, die 
Höhe auf, alle Abteilungen des Angreifers drangen jetzt gedeckt 



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146 Die Frühjalirsmanöver der englischen Freiwilligen. 



durch den Hügel bis zum Gipfel desselben vor, wo sie, um sich zu 
ordnen, einen längeren Halt machten, alsdann gingen sie über 
denselben vor, wobei sie von den Verteidigern unausgesetzt mit 
Salvenfeuer, dessen Anwendung das englische Reglement bekanntlich 
vielfach verlangt, überschüttet wurden. — Das Verteidigungs- 
Detachement nahm nun das Bataillon, welches Summerhouse Hill 
besetzt gehalten hatte in die Hauptstellung zurück, und in und vor 
derselben entspann sich ein anhaltendes heftiges Feuergefecht. Der 
Angreifer setzte verschiedene Male zum entscheidenden Vorgehen 
an, unterliefs dasselbe jedoch augenscheinlich in Anbetracht seiner 
ungünstigen Situation. — Kurz nach 12 Uhr liefs ein in östlicher 
Richtung vernehmbares Feuergefecht erkennen, dafs Abteilungen des 
Oberst Stracey in des Verteidigers rechter Flanke angelangt waren, 
und der Verteidiger entsandte Abteilungen aus der Front seiner 
Stellung, um denselben entgegen zu treten. Um 1 Uhr schickte 
sich der Angreifer zum Sturm der Position an, der Verteidiger wartete 
denselben nicht ab, und zog von den Höhen nach Osten in der 
Richtung auf das Einschliefsungs-Corps von Dover ab. Das Gefecht 
wurde nunmehr abgebrochen und die Freiwilligen auf dem Plateau 
von General Moore besichtigt. Hierauf wurde der Rückmarsch nach 
Folkestone und in die übrigen Quartiere angetreten. 

Zu derselben Zeit, in welcher die Übung bei Folkestone statt- 
fand, hatte sich in Brighton ein Detachement der Freiwilligen und 
bei Brighton eine stärkere Infanterie-Abteilung der Volunteers ge- 
sammelt; zu derselben stiefs eine Feldbatterie von vier Neunpfündern 
aus London, die einzige derartige Batterie der Hauptstadt und wie 
die regulären Batterien bespannt. Diese Kolonne rückte am Sonn- 
abend von ihren Quartieren in Haywards-Heath und Cuckfield in 
der Richtung auf Brighton ab. Bis dahin war sie nicht auf ernst- 
lichen Widerstand gestofsen und hatte nur am Freitag bei Balcombe 
ein lebhaftes Schützengefecht mit den Brighton Schützen zu be- 
stehen gehabt, die ihr per Bahn entgegengekommen waren und 
erwarten durften, ihr am folgenden Tage ernstlicheren Widerstand 
entgegenzusetzen. Die Mauöveridee für die bei Brighton übenden 
Freiwilligen-Corps war, dafs die Brighton verteidigende Streitmacht 
eine Linie von Posten auf den sich von Clayton Mills nach Ditchlony- 
Beacon erstreckenden Höhenrücken vorgeschoben hatte, welche, 
soweit sie es vermochte, das Vordringen des Gegners aufhalten 
sollten, bis ihr Gros von Brighton einträfe. Da einige Strafsen und 
eine beträchtliche Terrainstrecke als unpassierbnr supponiert waren, 
waren die Manöver auf einen verhältnismäfsig kleinen Terrain abschnitt 



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Die PrfthjahrsmanÖTPr der englischen Freiwilligen. 



147 



angewiesen, eine praktische Anordnung, da die kleinen Abteilungen 
sonst sehr Gefahr gelaufen wären, einander in dem wellig und 
koupierten Terrain zu verfehlen. 

Das Brightoner Detachement marschierte um 2 Uhr ab, seine 
schweren Geschütze waren eine Stunde früher abgerückt, also ohne 
den Schutz der übrigen Waffen im Friedensmarsch. Es bestand 
aus den Naval Volunteers, einer kleinen Abteilung Middlesex 
Yeomanry, einem Zuge der 14. Husaren, einer sechszehnpfünder 
Batterie der Sussex Artillerie-Freiwilligen zu 4 Geschützen, einer 
Batterie Vierzigpfünder desselben Corps zu 4 Geschützen, einem 
Bataillon Artilleristen, dem 1. Sussex Schützen -Corps uud den 
3. Middlesex Artillerie-Freiwilligen, im Ganzen elf- bis zwölfhundert 
Mann. Das Detachement marschierte auf der Londoner Strafse 
und erreichte den Kamm einer Erhebung gegenüber den Hohen von 
Clayton Mills, und von diesen Höhen durch eine Entfernung von 
etwa 3000 m getrennt; ein anderer niedrigerer Rücken lag zwischen 
beiden. Die Artillerie traf hier um halb drei Uhr ein, die Stunde, 
zu der die Feindseligkeiten beginnen sollten; die Schützen langten 
20 Minuten später an. Die Kavallerie des Verteidigers befand sich 
bei Clayton Range, allein da sie sich außerhalb des Unterstützungs- 
bereichs ihrer Infanterie bewegte, ging sie nach einigem Plänkeln, 
sobald der Gegner vorrückte, zurück. Der Feind erschien auf dem 
Kamm der Anhöhe gegen 4 Uhr und wurde von beiden Batterien 
des Verteidigers beschossen, welche mit einigen Pausen ihr Feuer 
bis um 5 Uhr fortsetzten, obgleich sich ihnen nach dem ersten 
Erscheinen des Gegners nur einige Reiter und ein- bis zweimal ein 
rot uniformiertes Bataillon zeigte, welches jedoch sofort wieder 
verschwand. — Die Artillerie des Angreifers war dicht bei Clayton 
Mills und zwar etwas hinter den Kamm der Höhe zurückgezogen 
postiert, und beantwortete von dort aus von Zeit zu Zeit das 
Geschützfeuer des Gegners. Die Brighton Schützen und die Middlesex 
Artilleristen avancierten jetzt und postierten sich hinter dem 
Kamme des niedrigen Hügels zwischen beiden Positionen. An 
dieser Stelle verengte sich das unbestellte Land auf 400 Yards 
Breite, über welche das Vorgehen des Feindes erfolgen mufste. 

Die Position des Verteidigers war eine vortreffliche. Seine 
Geschütze beherrschten den Hügelabhang, welchen die Kolonne 
der Ingenieur Volunteers hinabsteigen mufste, und das überlegene 
Feuer der Vierzigpfünder würde die Geschütze des Angreifers ver- 
hindert haben, den Hügel hinabzugehen und eine Stellung weiter 
vorwärts zur Unterstützung ihrer Infanterie einzunehmen. Der 



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14H 



Die Frühjahrsmanöver der englischen Freiwilligen. 



Angriff über den langen, dem Feuer des Feindes ausgesetzten Ab- 
hang war fehlerhaft; aber die Verteidiger unterliefsen es, die von 
ihnen besetzte anliegende Terrainerhebung rechtzeitig aufzugeben 
und sich unter den Schutz des Feuers ihrer 8 Geschütze auf die 
Hauptstellung zurückzuziehen, und wurden, da sie im Moment des 
Angriffs der Unterstützung ihrer Artillerie entbehrten, zurück- 
geworfen. Nach einer Pause von l'/a Stunden (eine etwas lange 
Gefechtspause) sah man die rot uniformierten Bataillone der Engineer 
Kolonne die Abhänge von Clayton Hill hinabrücken, und die 
Brighton Schützen und die Artillerie gingen an den Rand der Höhe 
vor und eröffneten das Feuer gegen dieselben. In kurzer Zeit war 
die Engineer Abteilung durch das Geschützfeuer des Verteidigers 
von dem mittleren Rücken vertrieben, und es entspann sich ein 
halbstündiges Gefecht in der Tlialsenkung, währeud dessen die 
Artillerie des Angreifers seine Infanterie nicht zu unterstützen ver- 
mochte. Dieselbe wurde jedoch uicht geworfen, obgleich die Truppen- 
zahl auf beiden Seiten ziemlich gleich war, allein es schien im 
Plan der Oberleitung zu liegen, dafs der Angreifer alle Hindernisse 
siegreich überwinden sollte. Der Verteidiger ging daher zurück 
und beide Teile gelangten nochmals am Kamm der Höhe zu einem 
lebhaften Fenergefecht in solcher Nähe vou einander, dafs ihre 
Artillerie nicht in dasselbe einzugreifen vermochte. Der Abzug 
in die liauptpositiou, welcher besonders interessant zu werden ver- 
sprach, unterblieb, da durch das Signal »Stopfen« das Gefecht 
beendet wurde. Die Volunteer-Corps trafen statt um 6 erst um 
8 Uhr abends in Brighton wieder ein, wo sie von der Bevölkerung 
warm empfangen wurden. Am späten Abend fanden Rauchver- 
einigungen (stnoking concerts) in mehreren geeigneten Lokalitäten 
statt. 

Am folgenden Tage kam es an den Lewes Downs zum Gefecht. 
Die Idee für die Übung war, dafs eiue Angriffskolonne bei Shoreham 
gelandet sei und auf London marschierte, und dafs von Lewes ein 
Truppen-Corps vorrückte, um diesem Vormarsch entgegenzutreten. 
Die an der Übung beteiligten Truppen waren dieselben wie am 
Sonnabend bis anf die Brighton Schützen, welche zu der Übung 
bei Eastbourne herangezogen wurden, und die Gesamtstärke der 
bei Brighton manövrierenden Abteilungen betrug etwa 2500 Mann. 
Die Rollen wurden an diesem Tage vertauscht und die bisherigen 
Verteidiger Brightons wurden per Bahn nach Lewes befördert und 
rückten von dort aus zum Angriff auf das von Brighton vorgebende 



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Die Frfihjahrsmanöver der englischen Freiwilligen. 149 



Detachenient des Verteidigers vor, welches aus den bisherigen An- 
greifern, der Engineer Kolonne, bestand. 

Bevor wir zur Schilderung der Übungen bei Eastbourne, Ports- 
mouth und Colchester schreiten, sei es gestattet, einige auf die 
Manöver Bezug habenden allgemeinen Bemerkungen und einige un- 
bedeutendere Vorgänge einzuschalten. — Das Lager von Shorncliffe 
liegt in der Mitte des Gelände-Abschnitts, der für die diesjährigen 
Manöver der Freiwilligen zwischen Kythe und Folkestone aus- 
gewählt worden war und wurde für einen Teil derselben zur Unter- 
bringung benutzt. In sämtlichen Ortschaften der Umgegend stellte 
mau Betten für die Einquartierung in den Schulen und sonstigen 
öffentlichen Gebäuden auf und beflaggte die Strafseu, und fanden 
die Volunteers-Corps überhaupt eine gute Aufnahme. Die Marsch- 
leistungen derselben waren übrigens bei diesem Zusammenzuge zum 
Teil nicht unbedeutende. So marschierte z. B. das Artists Vo- 
lunteer-Corps, welches allerdings seinen eigenen Bagagetraiu mit 
sich führte, gute 20 englische Meilen »in a swinging pace« nach 
Wye. — 

Am folgenden Tage marschierte das Corps unter Formierung 
einer Avantgarde und einer Arrieregarde nach dem Lager von 
Shorncliffe. Der Avantgarde war eine kleine Abteilung Radfahrer 
beigegeben. Es lag in der Absicht, dafs die Avantgarde der Londoner 
schottischen Volunteers, welche an diesem Tage bei der Station 
Westenhanger debarkierten, mit den Artists Volunteers bei Newington 
zum Gefecht kommen sollten. Allein, obgleich die Gegend durch 
die Radfahrer, wie man behauptete, gut aufgeklärt wurde, wurde 
jenes Corps nicht angetroffen und die Artists Volunteers bezogen 
das Lager, ohne dafs ein Zusammentreffen mit dem Feinde statt- 
gefunden hatte. — Die Avantgarde des Londoner schottischen 
Volunteer-Corps war am Freitag nach einem langen Marsche von 
Westenhanger, wo sie debarkiert war, in Folkestone eingetroffen. 
Sie war mit Sicherheitsmafsregeln marschiert, allein das beabsichtigte 
Zusammentreffen mit dem Artists Corps wurde dadurch vereitelt, 
dafs, als das erstere Corps an der in Aussicht genommenen Stelle 
etwa 3 englische Meilen vom Lager von Shorncliffe anlangte, das- 
selbe die Artists Volunteers nicht mehr vorfand und daher nach 
Folkestone marschierte. Man stellte nachträglich fest, dafs die 
letzteren die Stelle bereits passiert hatten, und daher ein Miß- 
verständnis in der Berechnung der Zeit des Zusammenstofses statt- 
gefunden hatte, ein Fehler, der unseres Erachtens nach der Leitung 
der Manöver zur Last fällt. — Der Marsch beider Corps fand im 

J»krbich#r !Br dl« Dcitach* Arm»« und Marin«. Bd. LXXVI . 2. j j 



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150 Die Frühjahrsmanöver der englischen Freiwilligen. 



Übrigen ohue Störung und Unfälle statt. Als eine bemerkenswerte 
Erscheinung tritt uns hier die Verwendung der Radfahrer nicht 
etwa blos zum Ordonnanzdienst, sondern zur Aufklärung entgegen. 
Dieselbe setzt jedenfalls feste oder chaussierte Strafsen und Wege 
voraus, welche in dem vortrefflich angebauten Süden Englands viel- 
fach anzutreffen sein dürften. Überhaupt verspricht man sich in 
England von der Verwendung der Radfahrer zu militärischen Zwecken 
erhebliche Vorteile. Es traten sogar Vorschläge zu Vorschriften für 
das Gefecht der Radfahrer, für die Bildung von Barrikaden aus den 
Bicycles gegen Kavallerie u. s. w. auf. Nicht ohne Bedeutung für 
die Anlage der Manöver-Dispositionen erscheint, dafs sich an diesem 
beabsichtigten Mauövertage, wie erwähnt, zwei der Volunteers- 
Corps verfehlten. Die gute Aufnahme, welche die Volunteers seitens 
der Bevölkerung überall fanden, und die sich durch deren Sorge für 
die Einquartierung in den öffentlichen Gebäuden, das Flaggen der 
Häuser u. s. w. aussprach, beweisen, dafs dieselben die Sympathien 
der Bevölkerung besitzen und im Lande beliebt sind, was man früher 
von englischen Truppen keineswegs sagen konnte. — 

Bei dem Eintreffen der Freiwilligen-Corps im Manöverterrain 
ist ferner bemerkenswert, dafs deren Offiziere z. B. in Dover eine 
kameradschaftliche Vereinigung bei einem Abendessen mit dem 
Offizier-Corps der regulären Royal -Artillerie veranstalteten. Ein 
der Artillerie angehörender Teil der Freiwilligen nahm während 
einiger Tage nicht an den Manövern teil, sondern hielt Geschütz- 
Exerzier- und Schiefs-Übungen ab. Wir finden in den englischen 
Berichten dabei die auffallende Bemerkung »das Corps hatte seine 
Feldgeschütze nicht mitgebracht«, es scheiut daher auf dem Schiefs- 
platz bei ShornclifFe mit der regulären Armee gehörigen Geschützen 
geschossen zu haben. Wir fahren in der Schilderung der Übungen 
fort. Bei Eastbourne, wo, wie erwähnt, ebenfalls ein Zusammen- 
zug der Freiwilligen erfolgte, fanden am Freitag keine Brigade- 
Manöver statt, dagegen exerzierten die Bataillous-Commandeure 
ihre Bataillone für sich, in Anwesenheit des Brigade-Commandeurs. 

Am Sonntag und Oster-Moutag manövrierten die Truppen nach 
folgender Generalidee: Die 2. Sub-Brigade, 4 Bataillone stark, mit 
2 Geschützen, unter dem Befehl des Obersten Villiers, bildete die 
Avantgarde eines Angreifers des Süd-Detachements, welches bei 
Eastbourne (supponiert) gelandet war. Die 1. Sub-Brigade, am 
Sonntag 3, am Montag 4 Bataillone stark, mit 2 Geschützen unter 
dem Befehl des Oberst Bevington, bildete die Avantgarde eines 
Vertcidigungs-DetachemenUs, des Nord-Detachements, welches von 



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Die Fröhjahrsmanöver der englischen Freiwilligen. 151 



Croydon entsandt war, um dem Angreifer Widerstand zu leisten 
und Polegate Junction besetzt hatte. Am Sonntag erhielt Oberst 
Villiers den Befehl, das Nord-Detachement durch einen Artillerie- 
Angriff von Coombe Hill aus zu vertreiben, wenn es ihm möglich 
sei, diesen Punkt zu erreichen. Am Montag empfing Oberst Be- 
vington, welcher Verstärkungen erhalten hatte, die Weisung, an 
einem allgemeinen Angriff auf Eastbourne teilzunehmen. Seine 
Brigade bildete dabei den rechten Flügel des Nord-Detachements, 
der linke Flügel wurde supponiert. Die Brigade des Oberst 
Villiers bildete den linken Flügel des Süd-Detachements und leistete 
diesem Angriff, zur Deckung von des ersteren Basis, Eastbourne, 
Widerstand. 

Ein anderer bedeutender Zusammenzug der Freiwilligen fand 
bei Gosport in der Nähe von Portsraouth statt. 4000 Londoner 
Freiwillige vereinigten sich hier mit den regulären Truppen uud 
wurden in den Eastney- Barracken, in den Forts Foreham und 
Elson, sowie den Gosport-Barracken untergebracht. Sie bestanden 
aus dem 1., 2. und 3. Freiwilligen-Bataillon der königlichen Füsiliere, 
dem 2. Londoner Schützen-Corps, dem 3. Middlesex Regiment, den 
Nord-Middlesex Schützen und der City of London- Artillerie- Brigade. 
Die Generalidee für den bei Browndown in der Nähe von Ports- 
mouth stattfindenden Manövertag war die folgende: Einer feind- 
lichen Streitmacht ist es gelungen, den westlichen Zugang zum 
Solent nach siegreichem Gefecht gegen eine Kanonenboot-Flottille 
zu forcieren und eine Landung in der Nähe der Mündung des 
Hambleflusses zu bewerkstelligen. Ein Teil der gelandeten Truppen 
wurde zur Beobachtung von Southampton entsandt, während das 
Gros über Titchfield und Stabington vorrückte, in der Absicht, die 
Stellung von Gosport zu umgehen. Auf die Nachricht von diesen 
Bewegungen entsandte die Garnison von Portsmouth ein Detachement 
zur Verteidigung dieser Stellung; der folgende Teil des Manövers 
wurde vom Gelingen resp. Mifslingen dieser Bewegung abhängig 
gemacht. Die Truppen des Angreifers standen unter dem Befehl 
des Brigadiers Lord Abinger, die des Verteidigers unter Generalmajor 
Stirling von der königlichen Artillerie. 

Das Manöver bei Portsmouth resp. Gosport gestaltete sich im 
Speciellen am Freitag wie folgt. Oberst Rutledge, der Befehls- 
haber des Angriffs-Detacheuionts, bestehend aus dem 2. Royal 
Füseliers- und dem 2. und 3. Middlesex-Corps, rückte auf Rowner 
Church vor. Es war angenommen, dafs dies Detachement bei 
Browndown gelaudet war, auf Gosport marschierte und in Er- 

11* 



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152 



Die Frühjahrsmaiiöver der englischen Freiwilligen. 



fahrung gebracht hatte, dafs ihm der Gegner bei Chark Common 
entgegenzutreten beabsichtige. Dort kam es in der That zu einem 
lebhaften Schützengefecht und zur ausgedehnten Anwendung des 
Aufklärungsdienstes und der Angreifer schob seine Vorhut bis nach 
Rowner vor, dessen Kirche gegen Ende des Gefechts vom Feinde 
supponiert besetzt wurde, wobei es zu einem Nahgefecht kam. Die 
Uupartheiischen entschieden, dafe, obgleich die Verteidiger nicht 
wesentlich gelitten hätten, der Angriff Oberst Rutledge's reüssiert 
hätte. Beim Detachement des Verteidigers befand sich einige be- 
rittene Infanterie, Radfahrer und Schnellfeuergeschütze. — Das 
Wetter war vortrefflich. Man nahm an, dafs die Truppen in der 
Nacht an den Stellen biwakiert hätten, wo sie sich am Freitag 
Nachmittag auf das Signal »Stopfen c befanden. Am Sonnabend 
früh erhielt das Verteidigungs-Detachement das 2. Londoner Schützen- 
Corps zur Verstärkung und hatte in Folge dessen mehr Chancen für 
die Durchführung seines Auftrages. Um 10 Uhr Morgens, eine 
selbst im April sehr späte Zeit, hatten beide Detachements ihre 
Stellungen eingenommen und zwar so nahe aneinander, dafs nur 
Rowner Church und Rcctory zwischen ihnen lagen. Das Gefecht 
begann gegen Mittag mit einer Salve des Angreifers, die von den 
Schützen des Gegners beantwortet wurde; dasselbe wurde bald sehr 
lebhaft und das Detachement des Angreifers geriet in Nachteil. 
Sein Schnellfeuergeschütz schien nicht recht zu funktionieren, und 
Alles in Allem gelang es ihm nicht, den am vorigen Tage errungenen 
Vorteil zu behaupten. Es hatte aufserdem die Besorgnis überflügelt 
zu werden. Auf alle Fälle, bemerkt ein englischer Berichterstatter, 
waren die Übungen beider Tage sehr lehrreich, nicht nur für die 
Detachements im Ganzen, sondern auch für die einzelnen Glieder 
derselben. — Am folgenden Sonntag fand eine Kirchenparade und 
Feldgottesdienst bei Grangefield in Gegenwart einer zahlreichen Zu- 
schauermenge statt, die voll des Lobes über das kriegerische Aus- 
sehen der Volunteers war. 

Die Feldmanöver am Montag gestalteten sich in grofsen Um- 
rissen wie folgt. Das Verteidigungs-Detachement hatte um 9 Uhr 
30 Minuten eine Stellung zu beideu Seiten der Salutspitze nördlich 
Fort Grange eingenommen. Es bestand aus dem 1. Zug der 
14. Husaren, einer Feldbatterie und den Royal Engiueers, der 

1. Infanterie- Brigade, auffallender Weise gebildet aus 2 Bataillonen 
der Royal Marine -Artillerie, der Royal Artillerie und den 1. City of 
London Volunteers nebst einigen Schuellfeuergeschützen: ferner der 

2. Infanterie-Brigade, bestehend aus dem 1. Bataillon des Yorkshire- 



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Die Frühjahrsraanörer der englischen Freiwilligen. 



153 



Regiments, dem 1. Bataillon der Junis Killing Füsiliere und dem 
3. Bataillon des Hampshire Regiments. Die Truppen des Angreifers 
formierten sich hinter einer Linie von Shoobsmitty bis Middle-Carn 
Cottage. Es waren strikte. Befehle erlassen, dafs keine bebauten 
Felder betreten würden. Die im Hafen von Portsmouth liegenden 
Kanonenboote landeten einen Teil ihrer Mannschaft und deckten die 
Bewegungen des Detachements des Obersten Rutledge, welches aus 
der 3. Infanterie-Brigade, gebildet aus den 2. Royal Füsiliers, dem 
2. Middlesex Regiment, den 3. Middlesex Schützen-Volunteers und 
den 2. London Voluuteers, sowie aus der Yorkshirer leichten In- 
fanterie, einem Zug Husaren, einem Zug Royal Engineers und einer 
Royal Artillerie-Batterie bestand. Bei der Mannschaft der Kanonen- 
boote befanden sich einige Radfahrer und Schnellfeuergeschütze. 
Zu einer eingehenderen Darstellung dieses Manövers, wie noch einiger 
anderer steht uns leider das Material nicht zu Gebot. — 

Eine andere bemerkenswerte Übung der Freiwilligen fand in 
Gram-Fort, einem Fort bei Sheerness, statt. In diesem Fort wurden 
die 2. Middlesex Artillerie-Freiwilligen in den Kasematten unter- 
gebracht, richteten sich in denselben ein und exerzierten am 
18 Tonnen- und dem 25 Tonnen-Hinterladungsgeschütz, übten ferner 
auf den in der Nähe der Forts liegenden Wiesen im Bataillon und 
schössen mit dem Vierundsechzigpfünder nach in der See ange- 
brachten Scheiben. Auch wurde bei dieser Übung eine unvermutete 
Allarmierung der Fortbesatzung vorgenommen. Endlich war die 
Gegend von Colchester der Schauplatz eines in taktischer Hinsicht 
besonders interessanten Manövers. Die Generalidee für dasselbe 
bestand darin, dafs ein bei Harwich gelandeter Feind dort ver- 
schanzte Posten angelegt hatte und mit starken Kräften gegen 
Colchester vorrückte. Der Übergang über den Colne-Flufs sollte 
demselben von der Armee des Verteidigers hartnäckig streitig ge- 
macht werden, und dieselbe, nachdem sie zurückgeworfen, sich bei 
Donyland-Wood mit ihrem Flügel, am rechten Ufer des Flusses 
sammeln und dann nach Middlewick zurückgehen, wo ein allgemeines 
Gefecht voraussichtlich über den ferneren Weg des Angreifers ent- 
scheiden sollte. Die hier beteiligten Truppen bestanden aus den 
4 Essex Freiwilligen- Bataillonen, den 1. königlichen Dragonern, 
2 Batterien und den Regimentern Norfolk, Royal Irish und Munster. 
Die Übungen schlössen mit einem Vorbeimarsch vor dem Befehls- 
haber des Ost-Distrikts, General Buchanan. 

Wir finden hier zum ersten Mal die Verwendung eines Kavallerie- 
Regiments bei den Manövern und es niufs auffallen, dafs die dies- 



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154 



Die Frühjahrsmanöver der englischen Freiwilligen. 



jährigen Manöver der britischen Freiwilligen im Allgemeinen eine 
nur äufserst schwache Beteiligung dieser Waffe aufweisen und daCs 
man statt ihrer zur Verwendung der, wie wir sahen, für die Auf- 
klärung keineswegs ausreichenden Dreiradfahrer greift. Auch die 
Zuteilung an Artillerie ist im Allgemeinen eine äufserst geringe 
und tritt diese Waffe sogar in einzelnen Geschützen auf. Beides 
inufs als ein grofeer Mangel bei den Manövern der Freiwilligen be- 
zeichnet werden, hat jedoch seineu Grund darin, dals dieselben sehr 
schwach an Kavallerie sind.*) Unseres Dafürhaltens müfste jedoch 
diesem Mangel, damit die Manöver hinsichtlich der Verwendung der 
3 Waffen und deren gemeinsamen Zusammenwirkens gebührend 
instruktiv werden sollen, durch vermehrte Zuteilung dieser Waffen 
seitens der regulären Armee abgeholfen werden. 

Betrachten wir zum Schluls die Erscheinungen, welche uns aus 
den Frühjahrsmanövern der englischen Volunteers entgegentreten, 
so finden wir wohl überall bei dem britischen Freiwilligen-Corps 
Lust und Liebe zur Sache, getragen von der Sympathie der Be- 
völkerung. Wir sehen die Volunteers, ein kräftiges Menschen- 
material, gut ausgerüstet, wenn auch manchmal unter unkriegs- 
mäfsiger Erleichterung des Gepäcks, und gut bewaffnet, die An- 
strengungen der Manövertage willig und ausdauernd ertragen, auch 
das Verhalten des einzelnen Mannes in der Front und als Schütze 
giebt zu keinen Ausstellungen Veranlassung. Aber die Anordnung 
der Manöver weist zahlreiche Mängel auf. Wir vermissen die wohl 
im Prinzin ausgesprochene, aber in der Praxis nur im Verhältnis 
von 1 : 5 bei weitem nicht genügend und gleichmütig durchgeführte 
Beteiligung der regulären Truppen an den Feldmanövern der Frei- 
willigen, welche augenscheinlich für deren kriegsgemäfse Schulung 
eine nicht zu unterschätzende Bedeutung besitzt. Wir sahen die 
Manöver fast durchgehends unter Zugrundelegung zahlreicher und 
oft zu weit gehender Suppositionen, was immer ein Mangel ist, 
angelegt, die Dislokation führt, wohl in Ermangelung eines aus- 
reichenden Eiuquartierungsgesetzes, zuweilen zu unkriegsmäfsiger 
Anordnung der Märsche bei der Versammlung der Truppen zur 
Übung. Wir vermissen ferner das den Volunteers wohl besonders 
dienliche Einmarschieren per Fufsmarsch ins Manöverterrain, welches 
bei Dover und Portsmouth nur 4 Märsche, bei den übrigen Punkten 
sogar nur 3 Märsche von London entfernt lag. Die Zuteilung au 



*) Vergl. Juli-Heft der „Jahrbücher": «Betrachtungen Aber Englands Heer 
we«en M . D. L. 



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Die Frühjahrsmanöver der englischen Freiwilligen. 155 

Kavallerie und Artillerie zq den Infanterie-Detacheruents ist eine 
äufserst schwache und fehlt hinsichtlich der ersteren Waffe oft ganz 
bis auf einige Patrouillenreiter; die nicht einmal überall vertretenen 
Radfahrer vermochten die Kavallerie nicht zu ersetzen. Sollen die 
britischen Volunteers aber, wie dies ihre ausgesprochene Aufgabe 
ist, im Falle der Landung eines Feindes demselben in offenen Feld- 
kämpfen entgegentreten, so müssen sie, wenn dieser Gegner im . 
ersten Moment nach der Landung an Kavallerie und Feld-Artillerie 
auch zunächst schwach sein wird, ihm gegenüber doch den Kampf 
mit dieseu Waffen zu führen verstehen und daher für das gemein- 
schaftliche Zusammenwirken derselben bereits im Frieden geübt 
sein. Es fällt ferner auf, dafs während der wenigen Tage, welche 
die Übung dauerte, nicht ein einziges Mal biwakiert oder feldmäfsig 
abgekocht und Vorpostenstellungen bei Nacht eingenommen wurden. 
Der Beginn der Übungen und der ausgeführten Märsche ist durch- 
weg unkriegsgemäfs spät angesetzt und die während der Gefechte 
gemachten Pausen sind aufserge wohnlich lange. Hinsichtlich der 
kriegsgemäfsen Anordnung und Beschaffung der Verpflegung für die 
zusammengezogenen Freiwilligen-Corps durch eine Intendantur wird 
nicht das mindeste bemerkbar, man scheint sich daher, da von 
diesem wichtigen Dienstzweige überhaupt nichts erwähnt wird, in 
England im Kriegsfall völlig auf die Verpflegung der Volunteers 
durch die Einwohner zu verlassen, eine Zuversicht, die manche Ent- 
täuschungen im (befolge haben dürfte. Die Uniformierung der 
Freiwilligen erscheint in zwei Punkten unpraktisch, nämlich in den 
roten Röcken einiger Bataillone, besonders im Hinblick auf die 
demnächstige Verwendung des rauchfreien Pulvers, und in den von 
einigen Corps getragenen Bärenmützen, welche Regeufänge bilden 
und die schwer und heifs sind. Sie wird voraussichtlich auch die 
übrigen Mängel der Uniform der britischen Soldaten überhaupt 
teilen, zu knapp anliegende Bekleidungsstücke und zu auffallonde 
Farben. 

Trotz aller dieser Mängel darf jedoch die Bedeutung der In- 
stitution der britischen Freiwilligen und deren Manöver für diu 
Landesverteidigung Englands und besonders die seiner Küsten im 
Fall eines feindlichen Angriffs, nicht unterschätzt werden. Die- 
selbe liegt darin, dafs im Kriegsfall dem Staate eine starke und 
verhältnismäßig wenig kostspielige Trnppenmacht im gebotenen 
Moment zur Verfügung steht, welche von ihrem Patriotismus ge- 
tragen, wenn auch ihrer ganzen Organisation nach nicht zu einem 
langwierigen Feldznge, so doch in Anlehnung au die britische 



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156 



Die Befestigtingen Italiens. 



reguläre Armee zu einer kurzen gewaltigen Kraftanstrengung wohl 
befähigt erscheint, um die Küsten Grofsbritanniens zu verteidigen 
und dem Vordringen des Feindes auf die Landeshauptstadt London 
in den südlich derselben vorbereiteten Stellungen entgegen zu treten. 
Eine fernere Bedeutung der britischen Volunteers-Institution aber 
liegt darin, dafe dieselbe die früher wenig populäre reguläre Armee, 
. welcher die Freiwilligen allerdings mit vielen Lücken nachgebildet 
sind und von der sie ausgebildet wurden und werden, den Sym- 
pathien und dem Interesse der Bevölkerung wesentlich näher gerückt 
hat, ein nicht zu unterschätzendes Ergebnis, auf welches Lord 
Wolseley, eine der ersten militärischen Autoritäten Englands, in 
einer kürzlich erfolgten Beurteilung der englischen Armee hinzu- 
weisen nicht verfehlte. 29. 



YHL Die Befestigungen Italiens. 

■ 

Vom 



Obermaier, 




Das nach dem Abzüge der Franzosen aus Rom im Jahre 1870 
nach jahrelangen Bestrebungen und Kämpfen geeinigte Königreich 
Italien wird geographisch in 3 Teile geteilt: Oberitalien, die Halb- 
insel und die Inseln. Die beiden ersteren werden durch die von der 
ligurischen Küste im Anschlufs an die Alpen quer durch das Land 
in wenig südöstlicher Richtung gegen die Ostküste zu ziehenden, 
im Norden von der Bahn Turin — Piacenza — Rimini- Küsten bahn be- 
gleiteten Apenninen von einander geschieden und begrenzen die 
letzteren im Vereine mit den Alpen die der ganzen Länge nach vom 
Po, mit seinen vielen nicht unbedeutenden, im Wasserstand aber 
vielfach wechselnden Nebenflüssen, im Nordosten noch außerdem 
von Etsch, Brenta, Piave, Levenza u. s. w. durchzogene oberitaliache 
Ebene, die bekanntlich in der Kriegsgeschichte aller Zeiten eine 
hervorragende Rolle spielte. Im Nordwesten gegen Frankreich und 
im Norden gegen die Schweiz und Österreich bilden die Alpen, im 



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Die Befestigungen Italiens. 



157 



Westen und für die InBein bildet das ligurische und tyrrheniache, 
im Süden das jonische und im Osten das adriatische Meer die 
Grenze. Die Gesamtküstenlänge betragt ca. 3300 k und hat Italien 
somit die verhältnismäßig gröfste Küstenausdehnung in Europa. 
Die Ostküste ist nur wenig gegliedert (Golf von Venedig und Man- 
fredonia); die Südküste hat nur den Golf von Tarent und Squillace; 
die Westküste dagegen ist mit Golfen und Buchten genügend reich- 
ausgestattet: Golf von Eufemia, Policastro, Salerno, Neapel, Gaeta, 
Orbetello, Spezzia, Genua u. a. 

Die Grenzen sind somit überall natürliche und teilweise schon 
von Natur aus sehr starko; insbesondere sind die Alpen fast durch- 
weg nur auf den wenigen künstlichen Übergängen zu überschreiten 
und haben daher fast in ihrer ganzen Ausdehnung den Charakter 
eines nur mit den gröfsten Schwierigkeiten zu forcierenden Grenz- 
walles, dessen Bedeutung durch die angelegten Fortifikationen 
wesentlich erhöht wird. Selbst das Gelingen einer Landung zu- 
gegeben, wird die Hauptmacht einer feindlichen Invasion aber trotz- 
dem stets zu Lande, also von Westen oder Norden her vordringen 
müssen und liegt daher der Schwerpunkt des Widerstandes stets 
und immer noch auf dem oberitalienischeu Kriegstheater. Gerade 
hier aber sind schon von Natur aus aufser den Alpen noch zwei 
machtige Verteidigungslinien gegeben, deren Forderung dem Feinde 
durch eine kraftige Verteidigung ganz bedeutend erschwert werden 
kann, der Po und die Hochapenninen. 

Allen auf das Landesbefestigungssystem Italiens bezüglichen 
neueren Plänen, welche mit Rücksicht auf die finanzielle Lage vor 
Allem eine möglichste Vereinfachung des ganzen Befestigungssystems 
anstreben, liegt demgemäß der leitende Gedanke zu Grunde, das 
Hauptgewicht der Verteidigung nach dem nördlichen Italien zu ver- 
legen und zwar: 1. in erster Linie dem Feinde die Überwindung 
des Alpengürtels zu erschweren durch zweckentsprechende Sperrung 
der Defileen und Deboucheen, um dadurch den eigentlichen Ver- 
teidigungskräften Zeit zum Sammeln zu gewähren; 2. den Ent- 
scheidungskampf erst an der Polinie aufzunehmen, für welchen 
Zweck besonders Piacenza als günstiger Manövrierpunkt, sowie 
Mantua und Borgoforte gegen einen Augriff aus Nordosten in 
Betracht kommen; 3. für den Fall eines ungünstigen Ausganges 
dieses Kampfes den Resten der Streitmacht zu ermöglichen, dem 
Feinde die Forcierung der 3. Linie, der Apenniuen, unter deren 
Schutz die letzten Kräfte zu sammeln wären, zu verwehren und 
dieselbe aktiv zu verteidigen. Für diesen Zweck mufs ein grofeer 



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]58 Die Befestigungen Italiens. 

starker Centralplatz vorhanden sein, als welcher sich ganz besonders 
Bologna eignet, da es auch einem von Nordosten kommenden An- 
griffe in gleicher Weise entgegentreten kann. 

Im Allgemeinen werden in Italien die festen Plätze eingeteilt 
in: Festungen I., II., III., IV. Klasse, Plätze mit einfacher Umfassung 
(V.), Forts, Flotteustationen L, II., III. Ranges und Küstenbatterien. 
Aufaer den in Stand gehaltenen und den erst in neuester Zeit auf- 
gelassenen Festungen giebt es in Italien noch eine grofee Zahl von 
Städten mit zum Teil noch gut erhaltenen, meist mittelalterlichen 
Mauern und sonstigen Befestigungswerken, aus alten Zeiten, die 
zwar nicht den geringsten fortifikatorischen Wert im modernen 
Sinne mehr besitzen, trotzdem aber auf Karten immer noch als 
Festungen angeführt werden und immerhin auch für das Gefecht 
unter Umständen noch erhöhte Bedeutung (Weifsenburg!) erlangen 
können, so dafs sie eine kurze Erwähnung an dieser Stelle wohl 
verdienen. 

A. Grenzbefestigungen. 

I. Gegen Frankreich. Die Befestigungen dieser Gruppe 
wurden mit besonderem Eifer in Angriff genommen und erst in 
zweiter Linie wurde an die Ausführung derjenigen an der Nordost- 
grenze gegangen. Neuerdings wird den ersteren wieder erhöhte 
Aufmerksamkeit gewidmet. 

1. Die Befestigung des Passes von Turchino, 16 k nordwest- 
lich Genua, an der Strafse Voltri (6 Vi k) — Ovada im Sturathale 
scheint ausgeführt zu sein, ohne dafs Näheres darüber bestimmt 
ist. -- 2. Fort Altare am gleichnamigen Sattel (492 m) 2'/j k 
westlich (adibona, 12 k nordwestlich Savona, sperrt Strafse und 
Bahn von der Küste (Savona) ins Bormida- und Tanarothal. Auf 
der mit dem Fort durch eine neue Strafse verbundenen Höhe Bjut 
wurden Abdachuugs- und Abwässerungsarbeiten ausgeführt und vor 
dem Eingänge Tagliata — Cadibona eine Gegenwehr hergestellt. — 
3 Fort Sassello (identisch mit Saccarello?) im Sansobbiathale, 
23 k nördlich Savona, soll die Passage über das Gebirge bei 
S. Giustina Verteidigen, beziehungsweise der fahrbaren Verbindung, 
welche von Varazzo und Albissola nach Acqui führt, den nötigen 
Schutz gewähren. — 4. Fort Capra Zoppa, nahe südlich bei 
Finale Borgo, an der Mündung des Porra-(Porri-)Thales, 24 k süd- 
westlich Savona, soll die Küstenstrafse della Cornice sperren und 
indirekt auch die Strafse über den Altaresattel decken, zugleich 
einen Angriff auf Vado von der Landseite hindern und als Stützpunkt 



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Die Befestigungen Italiens.' 



15«) 



für die Verteidigung der südlichen Abhänge der Apeuninen dienen. 
— 5. Die Positiou von Melogno 11k nordwestlich Finalbergo 
besteht aus dem mit guten Zugangsstrafsen versehenen Fort auf 
dem Monte Settepani, dem Centralfort auf dem colle di Melogno, 
von welchem das Maremola-Thal ausgeht und einem Werke auf dem 
Monte Alto (östlich vom Sattel) und soll die Strafse über den Sattel 
von Melogno sperren. — 6. Fort S. Bernardo sperrt die Strafse 
über den gleichnamigen Pafs oder von Zuccarello im Neva-Thale 
und besteht aus einem grofsen Fort, 2 k südlich Zuccarello direkt 
an der Strafse und einem kleineren auf der Höhe Vj k südwestlich 
(Monte d'Arena). Die Sperrbefestiguug von Zuccarello wurde im 
abgelaufenen Jahre durch den Neubau eines Werkes auf der Höhe 
Rocca di Livernä vervollständigt. 

7. 1882 wurde der Bau eines Forts auf dem Monte Tortogna, 
sowie der einer Defensivkaserne auf dem Monte Merizzo aus- 
geschrieben. Die beiden Punkte konnten mit Bestimmtheit nicht 
eruiert werden, dürften aber wohl zu einer der vorgenannten Posi- 
tionen, möglicher Weise jedoch auch zu Genua gehören. — Der 
Bau eines verschanzten Lagers bei Garessio (Provinz Cuueo, 
6900 Einwohner) am Ausgangspunkt der über den Sattel von 
Bernardo führenden Strafse war projektiert, kam jedoch bis jetzt 
noch nicht zur Ausführung. — 8. Fort Nava sperrt die Strafse über 
den gleichnamigen Pafs. — Statt der beiden Forts Bernardo und 
Nava war ursprünglich die Umwandlung von Ceva (nahe am Tanaro 
und an der Bahn Savona — Turin, 4900 Einwohner, wichtiger Knoten- 
punkt) in eine Festung III. Klasse zur Sperrung der genannten 
Übergänge projektiert. Im vergangenen Jahre wurde am Monte 
Escia eine Batterie für 4 Geschütze, dann wurden in der Gegend 
des Monte Saccarello und della Marta bei Nava Truppeuunterkünfte 
erbaut. 

9. Ventimiglia, IV. Klasse, Provinz Porto Maurizio, in der 
Riviera di Ponente, an der Mündung der Roja ins Meer und nahe 
der Greuze, 3500 Einwohner, von einigen alten Forts umgeben, 
wurde 1883 aufgelassen. San Dalmazzo, 10 k südwestlich Cuneo, 
sollte zur Verteidigung der grofsen und wichtigen Strafee über den 
Col di Tenda und zur Mitwirkuug bei der Verteidigung des Stura- 
thales, ursprünglich zu einer Festung III. Klasse gemacht werden 
und sollten insbesondere die Höhen der Madonna di Monserrato 
befestigt werden. Das Projekt wurde jedoch aufgegeben und dafür 
Fort Tenda ausgeführt. 



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160 



Die Befestigungen Italiens. 



10. Fort Roja ä San Dalmazzo di Ten da, auch kurz Fort 
Col di Ten da (Rojathal) sperrt die Strafse von Cuneo nach Nizza 
direkt. Die ganze Position besteht aus einem Centralfort und einem 
Kranz von Werken auf den umliegenden Höhen, die mit dem ersteren 
durch 3 m breite Militarstrafsen verbunden sind und mit ihren 
Kasernen und Baracken ein kleines verschanztes Lager bilden; 
neuerdings wurde hier auch eine Brieftaubenstation errichtet. Die 
Nebenwerke (Batterien) beifsen: Becco Rosso, Salauta, Pernaute, 
Margheria, Pepino, Giaura und Taborda. Die Gesamtkosten sollen 
ca. 7 Millionen betragen. — 11. Fort Viuadio, 1837—50 erbaut, 
aber nicht vollendet, beim gleichnamigen Marktflecken an der Stura, 
(3700 Einwohner), 30 k westlich Cuneo, sperrt die Strafse von 
Tournoux über Argentiera bei Demonte. Die Position besteht aus 
dem seither ausgebauten und verstärkten altem Fort thalabwärts, 
einem neuen Fort am Fufs des Monte Oliva, einem Blockhaus am 
Übergang über den colle del Muro, Batterien am Abhang des Monte 
Argentaro und der aus einem Centralfort mit Batterien bestehen- 
den Position Serziera. — Das als Kuotenpuukt strategisch hoch- 
wichtige Cuneo (Coni), an der Vereinigung der Stura und des 
Gesso, 11,400 Einwohner, war früher stark befestigt; die Werke 
wurden aber nach der Schlacht von Marengo von den Franzosen 
geschleift. — Bei Casteldelfino, 50 k nordwestlich Cuneo, war 
zur Sperrung der Straten, welche durch die Thäler von Bellino 
und Pontechianale in das der Vraita führen, ein Fort projektiert, 
wurde aber nicht ausgeführt. — Perosa, Provinz Turin, am Clusone, 
10 k nordwestlich Pignerolo, 2100 Eiowohner, hat noch alte, ver- 
fallene Werke. 

12. Fenestrelles am Clusone, 19 k nordwestlich Perosa, 
1300 Einwohner, sperrt die über den Monte Genevre nach Pignerolo 
führende Strafse. Die Festung war früher ziemlich stark, wurde 
1796 von den Franzosen genommen und geschleift und später nur 
teilweise wieder hergestellt. Die Strafse wird jetzt speziell durch 
Fort Carlo, an der Biegung ca. 800 m südlich des Ortes gesperrt; 
nördlich von diesem und mit ihm durch eine verschanzte Kommu- 
nikation verbunden, 1300 m öst lich des Ortes, ist das Fort delle Valli, 
auf der Höhe 1764 m, dazwischen die Redute S. Barbara; eine neue 
permanente Batterie liegt bei Serre-Marie, ein verteidigungsfähiges 
Blockhaus (Kasematten-Corps) auf der anschliefsenden Höhe von 
Fallossel. Die Werke sind durch neue Militarstrafsen zugänglich 
gemacht. 



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Die Befestigungen Italiens. 



1G1 



13. Zur Sperrung der Strafse von Esseil Ion nach Susa wurden 
auf dem Mont Cenis seit 1878 drei nicht sehr weit von einander 
liegende Forts angelegt: a) Fort Varisello, 1 k südlich vom Mont 
Cenis-See, westlich der Strafse auf 2115 m; b) Fort la Cassa, nahe 
Östlich der Strafse, nahezu 2 k östlich vom vorigen, auf 1950 m; 
c) Fort Roncia, am schmalen Rücken des Westabfalles der Höhe 
Nolamet, östlich der Strafse und vom Hospiz, ca. 2 k nördlich von 
den beiden vorgenannten, auf 2292 m; neuerdings wurde hier eine 
Defensions-Kaserne gebaut, desgleichen die Batterie »Pattecreuse«. 
Aufeerdem wurden beendet die Rekonstruktion der Verfassungs- 
mauer, der Bau von Flankierungs -Anlagen und Beobachtungsposten 
beim Hospiz am Mont Cenis. Ein viertes Werk soll projektiert 
sein. Die Gesamtkosten sollen ca. 3 Millionen betragen. Für die 
Herstellung waren im Ganzen 4 Jahre, oder, nachdem auf der Hohe 
des Mont Cenis für das Jahr höchsteus 80 brauchhare Arbeitstage 
entfallen, 320 Tage berechnet. Das nötige Baumaterial mufste 
gröfstenteils auf der teilweise Steigungen von 1 : 10 aufweisenden 
Strafee von Susa (23 k) herheige bracht werden. Nachdem die oben 
beschriebene Lage der Forts der italienischen Generalstabskarte ent- 
nommen ist, dürfte die Angabe Tenot's, dafs die Strafse unmittel- 
bar unterhalb des Passes, 6 k von der Grenze, durch die Werke 
von la Gran croce, bestehend aus einem Fort auf der Spitze von 
Corna Rossa und eine Batterie, die ihr Feuer über die Strafse 
kreuzen, gedeckt werde, als ungenau zu bezeichnen sein. 

14. Fort Exil 1 es, auf dem linken Ufer der Dorn Riparia, 
18 k westlich Susa, sperrt den Übergang über den Mont Gene vre 
und deckt die Mont Cenis-Bahn. Das alte, 1825 erbaute, neuer- 
dings verstärkte Fort liegt auf einem Felsen dicht am Flusse und 
wird unterstützt durch die neuen auf dominierenden Hohen liegen- 
den, permanenten Batterien Sape d'Exilles und Serre la Garde. Auf 
dem, die Sperren von Exilles und Fenestrelles scheidenden Höhen- 
zuge »dell Assietta« wurden im letzten Jahre die Batterien >del 
Gran Serin«, »Gran Costa« und »Mottas« erbaut, in Exilles und 
Fenestrelles selbst gelangten Truppenunterkünfte und Depots zur 
Ausführung. 15. Bei Susa (Provinz Turin, an der Vereinigung der 
beiden vorgenannten Übergänge und an der Mont Cenis-Bahn, sowie 
an der Dora Riparia, 3250 Einwohner) ist nur das alte, fast ganz 
in Felsen gehauene Fort Brunetta. Neuere Projekte, und zwar ein 
Blockhaus auf dem colle de True nebst einer Batterie an dessen 
Lehne, eine gedockte Gallerie mit einem Reduit, ein Fort auf der 
Höhe von BrunettA zur Sperrung des fahrbaren Saumweges im 



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ll>2 



Die Befestigungen Italiens. 



Cenischia-Thale, kamen nicht zur Ausführung. Von Susa wurde 
neuerdings zur Höhe Monte Pampalu, sowie von Salbertrand über 
Monfol nach Sanze d'Oulx eine Militärstrafse ausgeführt, ferner 
wurden bei der Strafeensperre von Clavierea Strafsenminen ange- 
bracht und die alte Mont Genevre-Strafse unterbrochen. — 16. Fort 
Bard, 36 k südöstlich Aosta, in dem engen Thal der Dora Baltea, 
nahe beim gleichnamigen Dorfe (450 Einwohner), eine auf isoliertem 
Felsen stehende berühmte Bergfeste, sperrt den schmalen Engpafs 
des Einganges in die Thäler von Aosta (kleiner und grofser St. 
Beruhard u. s. w.). Die Thalsperre von Bard wurde im abge- 
laufenen Jahre durch Erbauung der Batterie >al Machabyc und 
Befestigung der nördlichen Höhe »della Con« samt Ausbau der dazu 
gehörigen Kommunikationen vervollständigt. Das Fort wurde 1800 
vou den Franzosen demoliert, in den dreifsiger Jahren aber wieder 
hergestellt. 1881 wurde ein neues kleines Fort auf der Höhe 
Albard, rechts der Chaussee, gebaut. 20 k thalaufwärts ist 
bei Chatillon das alte, jetzt vollständig bedeutungslose Fort St. 
Vincent. 

II. Gegen die Schweiz. Hier bestehen zur Zeit noch keine 
Befestigungen; projektiert waren: ein Fort bei Gravellona, 3 1 /, k 
vom lago maggiore, 9 k westlich Pallanza, an der Mündung des 
Stroms in den Toce, welch' ersterer die Verbindung mit dem Orta- 
See herstellt, zur Sperrung der Simplonstrafse und der von Bellinzona 
her und Kings des Westufers dos Sees führenden Strafseu, sowie 
zur Deckung der von Gravellona abzweigenden Strafse nach Orta, 
Gozzano, Borgomanero und Novara; ein Fort bei Varese, 11 k 
südwestlich vom Luganer-See, nahe (1 k) dem rechten Olona-Ufer, 
zur Sperrung der vom St. Gotthardt durch das Ticino-Thal und 
vom St. Bernhard durch das Misoco-Thal führenden, sich iu Bellin- 
zona vereinigenden, auf Schweizer Gebiet nach Lugano und von 
liier aus durch mehrere Wege auf italienischem Gebiet nach Varese 
führenden Strafsen; ein neues Fort Fuentes, 1 k östlich des Nord- 
endes des Corao-Sees, zur Sperrung der Splügenstrafse, welche durch 
das St. Jacobs-Thal führt (Liro), ferner der Strafse, welche, durch 
das Mora-Thal kommend, iu die erstere bei Chiavenna mündet, und 
jeuer, welche vom Stilfserjoch durch Valtelin herabführt; das alte 
Fort Fuentes, auf eiuem isolierten Bergkegel inmitten der sumpfigen 
Niederung südlich der Addamündung, hat jetzt keine militärische 
Bedeutung mehr; ein Fort bei Aprica, 9 k südwestlich Tirano 
an der Adda, zur Sperrung der vou Tresceuda (an der Adda) in 
das Thal von Cainonica (Oglio) uach Edolo (16 k östlich) führenden 



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Die Befestigungen Italiens. 163 

Transversalstralse und hierdurch zur Verhinderung der Umgehung 
des Forts von Edolo durch einen im Valtelin vorrückenden Feind; 
hier sollen neuestens Befestigungen zur Ausführung gelangen. 

III. Gegen Osterreich. 1. Fort Edolo, zur Schliefsung 
des Camonica-Thales und zur Sperrung der aus dem Etsch-Thal über 
den Tonale-Pafe in das Bergamaskische führenden Strafee. 

2. Fort Rocca d'Anfo, am Westufer des Idro-Sees, auf einem 
östlichen, felsigen Ausläufer des Monte Censo, ist eine alte, Anfang 
des Jahrhunderts von den Franzosen durch General Haxo erbaute, 
komplizierte, auf 39 Werke, von denen jedoch eiuzelne nicht zur 
Ausführung kamen, berechnete Festung und sperrt die aus dem 
Thal von Judicarien ins Brescianische führende Strafse (Chiesethal). 
Ungefähr 800 m nordlich des Dorfes Anfo und südlich der Festung 
hegt die von der Republik Venedig erbaute Rocca vecchia, jetzt 
fast eine Ruine mit allerdings gewaltigem Mauerwerk. Seit 1877 
wurden umfangreiche Erweiterungs- und Veretärkungs-Arbeiten an 
der Festung vorgenommen und insbesondere die Batterien Istituto, 
Tirolo, Orlando und Belvedere vollständig umgebaut. Die Kosten 
sollen ca. I 1 /» Millionen betragen. 

3. Nördlich Malcesine, am Nordostufer des Gardasees, 12 k 
südlich Riva, liegt auf einer felsigen Kuppe ein altes, in neuerer 
Zeit jedoch adaptiertes Kastell, das, auf 3 übereinander liegenden 
Terrassen befindlich, aus einer Defensivkaserne, einem Rondel und 
einem Turm, sowie starken Verbindungsmaueru besteht. Die 
Anlage eines kleinen Forts zum Schutz von Ausschiffungen und 
Truppentransporten nach Norden war beabsichtigt, scheint jedoch 
nicht ausgeführt worden zu sein. — 4. Zur Beherrschung aller aus 
dem Etschthale in das Seitenthal des Tasso führenden Straten und 
somit zur Verhinderung einer Umgehung der Veroneser Klause 
wurde ein Fort auf dem Monte Pipalo mit 2 Batterien, k 
südlich Rivoli, 4 k westlich des rechten Etschufers und 4 k westlich 
davon, zwischen Etsch und Gardasee, eines auf dem Monte Moscalo 
mit 1 Batterie und 1 Blockhaus, erbaut. 

5. Bei Rivoli (auf der Höhe des rechten Etschufers, ca. 18 k 
von der Grenze, 4900 Einwohner), sowie bei dem 1 k östlich gegen- 
überliegenden Ceraino sind zur Sperrung der wichtigen Kommuni- 
kationen im Etschthale, bei ersterein aufserdem noch zur Sperrung 
derjenigen auf dem ausgedehnten Plateau (alte Römerstrafse von 
Incanale aus) schon seit dem Jahre 1849 starke Befestigungen 
erbaut, die in neuester Zeit vollständig umgebaut, da sie die Front 
gegen Süden hatten, und durch Neuanlagen ergänzt wurden: a) Fort 



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164 Die Befestigungen Italiens. 

Rivoli (früher Wohlgerauth) am Nordostende des Ortes auf dem 
steil abfallenden Monte Castello, ca. 100 m über dem Etschspiegel, 
war ursprünglich ein kasemattierter Turm mit einspringender Kehle 
und gemauertem Tambour gegen die Etsch zu. Aufser andern 
Rekonstruktionsarbeitcn wurde im Osten eine Batterie angebaut; 
eine Batterie für 8 — 10 Geschütze liegt nördlich vor; b) eine neue 
Thalsperre südwestlich Incanale, bei Dogana, 1700 m nordöstlich 
Rivoli, bestehend aus einer erhöhten Batterie zunächst des Thal- 
abhanges östlich des von Rovina kommenden kleinen Baches und 
dem eigentlichen Thalabschlufs, einem 200 A langen traversierten 
Wall, der sich östlich des genannten Baches bis zum Etschufer 
erstreckt; ein weiteres permanentes Werk liegt unterhalb der Batterie, 
zwischen der Strafse nach Incanale und der Flufswand ; c) ein neues 
Fort bei S. Marco auf dem Bergrücken Magnone, 700 m nördlich 
Incanale; d) Fort Monte Pastell o (Mollinary) auf einem Fels- 
wandabsturz des genannten Berges, ca. 300 m über dem Fort Chiusa, 
besteht aus einer gegen das Plateau von Rivoli und den Monte 
Pipalo gerichteten, zweietagigen kasemattierten Batterie, eiuer südlich 
(links) anschliefsenden Flanken -Batterie, 3 terrassenförmig über- 
einander liegenden offenen Batterien und einer krenelierten, mit 
Graben versehenen Mauer als Kehlabschlufs; e) Fort Ceraino 
(Chiusa Yeneta), ursprünglich ein kasemattiertes Blockhans mit 
angehängten krenelierten Mauern und in den Fels gesprengten 
Gallerien, liegt quer über das enge, durch die Felswände des Monte 
Baldo und Monte Pastello gebildete Thal und nimmt Strafse und 
Bahn innerhalb seiner Wälle und Mauern auf; dasselbe soll auch 
eine Panzer- Batterie erhalten haben; f) Fort Hlavaty, 1200 m 
nördlich Mollinary und ca. 1400 m von Rivoli entfernt, an der 
gleichen Felswand wie das erstere, jedoch 150 m tiefer, besteht aus 
einer Batterie mit Richtung Etsch aufwärts, einem Blockhaus, 
beide durch kreneliertc Mauern verbunden, an deren westlichem 
Teile 5 offene Geschützstände die Etsch thalabwärts bestreichen; 
g) ein neues Fort auf den dominierenden Höhen von Calcarole, 
1800 m östlieh Ceraino; h) ein neues Fort auf der Höhe Mazua — 
Molane (wahrscheinlich identisch mit Fort Breonia), 6 k nordöstlich 
Rivoli, S. Marco gegenüber, 2,5 k östlich vom Strom. 

6. Fort Fugazze zur Sperrung des gleichnamigen Passes, 
besteht aus einer Batterie mit Unterkunftsräumen für 300 Mann 
auf einer Abfallskuppe des Monte Covoli (hei Bariolo) und 3 weiteren 
kasemattierten Batterien. — 7. Ursprünglich sollten 2 starke Forts 
auf al Maso, oberhalb Schio im valle dei Signori und bei Prä 



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Die Befestigungen Italiens. 



165 



del Lovo (Monte Castelliero) gebaut werden; es scheint jedoch nur 
das erstere ausgeführt worden zu sein. 8. In den Thälern von 
Posina (& l / 2 k nordöstlich Bariola) einem nördlichen Parallelthale 
des Leograthaies und von Astico, welches von Seghe im Posina- 
Thale aus nördlich zieht und zu mehreren Übergängen ins Trientinische 
führt, wurden nicht näher bestimmbare Nenanlagen ausgeführt. — 
9. Desgleichen ist über die Position des Monte Interrotto bei Asiago 
im val d'Assa (zwischen Astico- und Brentathal) nur bekannt, dafs 
aufeer andern Arbeiten daselbst eine Defensions-Easerne gebaut 
wurde. 

10. Fort Primolano, 3 k von der Grenze, zur Sperrung der 
durch das Sngana-(Brenta-)Thal führenden Strafse und Verteidigung 
derjenigen von Belluno-Feltre, welche die Verbindung zwischen dem 
Brenta-Cismone- nnd Piave-Thal herstellt, besteht aus einem Fort 
für 15 Geschütze auf dem einige Hundert Meter südlich über 
Primolano sich erhebenden Monte Vito (dessen Front das Brenta-, 
dessen rechte Flanke das nach Feltre führende Thal bestreicht), der 
eigentlichen Thalsperre für 600 Mann, 1 k unterhalb Primolano bei 
Piovegga di Sotto und kleineren Werken auf dem Cima della Scala 
(nördlich Primolano), bei Lamon sowie östlich und nördlich an der 
Serpentinstrafse. 11. Ein Fort und eine Defensionskaserne bei Sasso 
di San Martino, zunächst Agordo im val Cordevole. 

12. Cast. Lavazzo, 2,5 k nördlich Longarone, sperrt das Piave- 
Thal und somit auch die verschiedenen fahrbaren Gebirgsübergänge, 
welche 16 k nordöstlich bei Pieve di Cadore in dasselbe einmünden. 
Der projektierte Bau eines neuen Forts an Stelle des alten Kastells 
kam nicht zur Ausführung. — 13. Bei Pieve di Cadore sollen 
verschiedene Befestigungen ausgeführt worden sein, so bei Chiusa 
di Venas (7 k südwestlich Cadore), Vinigo (weitere 2 k westlich), 
auf dem Monte Zucco (1215 m, 2'/, k südwestlich), auf der Höhe 
il Castello, il colle di Vaccher bei Tai, und Monte Ricco. — 14. Fort 
Ospedaletto, halbwegs (4 l / 2 k) Venzone und Osoppo, am linken 
Tagliamentoufer, sperrt die über den bequemsten Alpenpafs führende 
Strafse von Malborghetto im Fellathale und zugleich 3 weitere 
Alpenübergänge: aus dem Gailthale über den Monte Croce durch 
das Butthai (Mündung in das Tagliaraentothal bei Tolmezzo), aus 
dem Piavethal von Sappadia durch das Deganothal (Mündung bei 
Villa) und aus dem Piavethal von Lozzo durch das Mauriathal 
ebenfalls in das Tagliamentothal. 

15. Die weitere Sperrung des Ferro-(Fella-)Thales sollen die 
Befestigungen von Chiusaforte, 12 k südlich Pontebba, bestehend 



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Die Befestigungen Italiens. 



aus einem grofsen Fort auf einem vorspringenden Felsplateau in der 
Nähe des Ortes, einem kleineren auf einer gegenüberliegenden Höhe 
nnd dritten znr Schliessung des in östlicher Richtung ziehenden 
Raccolanothales, bewirken. — 16. Fort Osoppo, ebenfalls auf dem 
linken Tagliamentoufer, anf einem isolierten, steilen Bergkegel, 
dicht nördlich des gleichnamigen Ortes, ist eine alte, jetzt be- 
deutungslose Bergfeste; am OstfuCs des Berges liegt in der Niederung 
ein Kronwerk von 500 m Frontlänge. — 17. Fort Stupizza, 12 k 
nördlich Cividale, soll die über Caporetto im Isonzothal führende 
Predilstrafee sperren. — 18. Palmanova IV. Klasse, Provinz Udine, 
nur 1 k von der Grenze, an der Strafse nach Gradisca, 4250 Ein- 
wohner, war ein vollkommen regelmäßiges bastioniertes Neuneck 
mit doppeltem Graben, 9 Ravelinen und 9 Lünetten vor den Bastions- 
spitzen, diente als Stützpunkt für die Verteidigung der Ostgreuze, 
sowie zur Sperrung der Strafse über Gradisca und über den Monte 
Falcoue aus dem Triester Litorale. Die Werke befanden sich schon 
vor einem Dezennium in sehr defektem Zustande, zum Teil in vollem 
Verfall; seit 1885 ist der Platz ganz aufgelassen. 

B. Im Innern. 

I. Im nördlichen Italien inclusive der ligurischen 

Apenninen. 

a) Nordöstlich der Etsch. Este, Provinz Padua, am Süd- 
fufs der Euganeischen Hügel, 10,000 Einwohner hat noch alte 
Mauern mit Zinnen und ein im 14. Jahrhundert erbautes Schlofs. 

— Der Brückenkopf la Marosino wurde 1878 aufgelassen. — Mon- 
selice, 7 k östlich vom vorigen, 3100 Einwohner hat gleichfalls 
eine alte Mauerumfassung mit einem Kastell im Nordosten. Der 
Brückenkopf Masi wurde 1878 aufgelassen. — Padua, Provinz.- 
Hauptstadt, gröfsteuteils auf dem rechten Ufer des Bacchiglione, 
44,600 Eiu wohner, ist in annähernd dreieckiger Form mit alten 
Mauern, Bastionen und Thürmen und einem breiten Graben um- 
geben, gilt aber nicht mehr als Festung. — Citadella, 30 k nörd- 
lich Padua und 3,5 k Östlich des Brentaflusses, 8500 Einwohner, 

— Castelfranco, 10 k östlich vom vorigen, Provinz Treviso, 
10,000 Einwohner und Treviso, am linken Ufer des schiffbaren 
Sile, 16,800 Einwohner, sind mit alten Mauern, Bastionen, Türmen 
und Wassergräben umgeben. — Bei Sacile, Provinz Udine, an der 
Livenza, 5200 Einwohner, war ursprünglich die Neuerrichtung eines 
Repli- und Manövrierplatzes für die aktive Verteidigung des Taglia- 



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Die Befestigungen Italiens. 



167 



mentothales und der gegen den Isonzo zu offnen Grenze projektiert; 
neuerdings wurde die Anlage eines Brückenkopfes in Aussicht ge- 
nommen, über die Ausführung ist nichts bekannt. — Bei Motta, 
22 k südöstlich vom vorigen, war zur Sicherung eines zweiten 
Livenzaüberganges und zur Unterstützung von Sacile die Anlage 
eines doppelten Brückenkopfes beabsichtigt; die Ausführung unter- 
blieb jedoch. — Udine, Provinz.-Hauptstadt am Roja, 22,700 Ein- 
wohner, ist mit starken Mauern, durch welche 10 Thore führen, 
und mit Türmen umgeben. 

b) An der Etsch. — 1. Pastrengo, IV. Klasse, 16 k nord- 
westlich Verona und 11 k nordöstlich Peschiera, auf der Hohe des 
rechten Etschufers, wurde zur Sicherung der Verbindungen mit 
Tirol und auch wegen der Wichtigkeit als Flankenstellung in Bezug 
zu den beiden ebenerwähnten Festungen in den Jahren 1862 und 
1863 mit 4 permanenten Forts: Leopold, Nugent, Benedek und 
Degenfeld, befestigt, zu deren Unterstützung 1866 noch Geschütz- 
emplacements und versenkte Batterien zur Bestreichuug der Zwischen- 
räume erbaut wurden. Die Forts liegen auf steilen Hügeln, sind 
samtlich nach neudeutschem System gebaut, haben starke Reduits 
und guten Kehlabschlufs und sind für 6—16 (Leopold) Geschütze 
eingerichtet. Da für den Platz wenig mehr geschah, dürfte er in 
ziemlich schlechtem Znstande sein. 

2. Verona, I. Klasse, Provinz.-Hauptstadt, zu beiden Seiten 
des Flusses, der die Stadt in grofsem, nach Norden gerichtetem 
Bogen durchströmt, und über welchen 6 Brücken führen, 62,500 Ein- 
wohner, ist von grofser strategischer Wichtigkeit, da es ganz Ober- 
Italien beherrscht und den Schlüssel zu Tirol bildet. Die Befestigung 
besteht aus der Umfassung mit Citadelle, und einer doppelten Reihe 
von Forts, Schanzen und Reduten, deren äufserer Kranz ca. 22 k 
hat, und welche das verschanzte Lager am rechten Ufer einschliefsen. 
An samtlichen Werken waren in den sechziger Jahren vielfach 
Änderungen, Umbauten und Korrekturen vorgenommen worden. 
In der neueren Zeit waren die Ansichten in der Reichsbefestigungs- 
Kommission bezüglich Verstärkung, einfache Beibehaltung oder gar 
Schleifung der Festung, sehr geteilte, bis endlich 1880 das erstere 
beschlossen wurde. Es sollen besonders die südlichen Forts ver- 
stärkt, und auf den dominierenden Höhen im Norden und Nordosten 
neue errichtet werden. (Bei S. Anna, Fiamine, unweit Prun, in der 
Gemeinde Breonio). Die Mittel sollen den Bewilligungen für die 
Alpenforts entnommen werden. Die Festung soll nach den Motiven 
zum bezüglichen Gesetzentwurf durch die Verstärkung eine Ver- 

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Die Befestigungen Italiens. 



teidigung, gegen Norden und Osten derart ermöglichen, dafs der 
Angreifer ein entsprechendes Hindernis fände, und dafs ein Brücken- 
kopf geschaffen würde, der diesen wichtigen Übergangspunkt sichere 
und auch Offensivbewegungen auf dem linken Ufer gestatte. Die 
Vorschläge für Schleifung der Festung gingen von dem Grundsatze 
aus, dafs die erste Widerstandslinie der Po sein müsse, und von der 
Befürchtung, es könnte Verona die Rolle eines zweiten Sedan oder 
Metz spielen. 

A. Die Hauptumfassung: 1. Rechtes Ufer: Die Umfassung 
zieht hier vom Südende der Stadt, am Flufsufer beginnend, mit 
sechs 400 — 500 ra langen Fronten, im Bogen nach Norden mit den 
Bastionen S. Francesco, S. Trinita, dei Ri forma ti (zwischen den 
beiden letzteren die porta nuova, Strafse nach Mantua), S. Bernar- 
dino, S. Zeno (porta S. Zeno, Strafse Peschiera) und S. Procolo; von 
hier wendet sie fast rechtwinklig nach dem 000 m entfernten Flusse 
ab, an den sie mit den Bastionen di Spagna und dem Uferbastion 
Gatena anschliefst. 1100 m südöstlich von Spagna, hart am rechten 
Ufer, ist das cast. vecchio (jetzt Kaserne und Zeughaus) mit dem 
gegenüberliegenden Arsenal durch eine Zinnenbrücke verbunden: 
300 m vor der Kurtine Procolo — Spagna liegt das grofse Fort 
Procolo mit einem massiven Reduit in Kreuzesform. Die Kurtinen 
haben eine Länge von 300, die Bastionsfacen von 70 — 80, die 
Flanken von 40 m. Die Kurtinen sind auf den Escarpemanern auf- 
liegende alte Erd wälle, die Facen und Flanken dagegen haben 
Rondengang und freistehende Mauer (nach Üarnot) und als Abschnitt 
zu benutzende, 4,25 ra vorspringende Orillons. Die Gräben sind 
20 m breit und vor der Mitte der Kurtinen auf 120 — 200 m Breite 
mit einer Ansfallrampe versehen. 

2. Linkes Ufer: 1100 m nordöstlich vom cast. vecchio beginnt 
die sehr unregelmäfsige Umwall ung mit der Porta und dem Rondell 
S. Giorgio, zieht dann 800 m ostwärt« (mit dem Rondell Boccaro 
in der Mitte) bis zum Torre Baccola, wendet dann gegen Nordnord- 
osten und endigt in dem 900 m vom Flufs entfernten, auf steiler 
Höhe, an der Gabelung des östlich vom val Degana befindlichen 
Bergrückens, dessen südwestlicher Teil mit dem rast. Pietro (1849 
erbaut auf den Grundmauern der alten, 1801 von den Franzosen 
zerstörten Burg Dietrichs von Bern) und dessen südöstlicher Teil 
mit dem Turm Biondella endigt, liegenden cast. S. Feiice (Citadelle); 
von dessen rechter Flanke, der eine Lü nette vorliegt, zieht sie in 
coneavem, 1600 m langem Bogen mit 2 kleinen Bastionen und 
einigen Türmen nach Südosten bis zum Bastion S. Toscana. Bis 



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Die Befestigungen Italiens. 



1G9 



hierher ist sie eine von Rondellen flankierte, von tiefem Graben 
und gedecktem Weg begleitete Mauer. Innerhalb des Bogens, 
400 m vorgeschoben , liegt das kasemattierte Werk Biondella auf 
dem erwähnten, von den rückwärtigen Werken nur wenig ein- 
gesehenen Vorsprang. Von Bastion Toscana wendet sich die Um- 
fassung nach Süden bis zum 500 m entfernten Bastion della Mad- 
dalena (dazwischen die porta del Vescovo mit der Strafse nach 
Vicenza) und von hier 500 m südwestlich nach dem grofsen Bastion 
Campo Marzo, sodann wiederum 500 m westwärts zum Flufa, den 
sie 700 m nördlich Francesco erreicht. In dem eingehenden Winkel 
vor der porta Vittoria, 400 m vor der letztgenannten Front, und 
400 m vom Flufe liegt das halbkreisförmige Fort Gassometro (früher 
Scholl). 

Die detachierten Werke sind entweder runde oder elliptisch 
geformte Türme, ähnlich den Maximilianischen Türmen bei Linz, 
mit gemauerter Plattformbrustwehr, kasemattierten Etagen, krene- 
lierter Mauerumfassung und revetierten 2 m tiefen Graben, oder 
Polygonwerke mit freistehenden Mauern oder anliegenden Revetement, 
mit gemauerten Contreescarpen, gedeckten Weg und Grabencaponieren, 
ferner mit kasemattierten, etagierten, meist halbrunden Reduits in 
den Kehlen, die durch einen zweiten Turm und durch krenelierte 
Mauern geschlossen sind. Die Besatzung besteht aus 1 — 3 Coru- 
pagnien und 4 — 16 schweren Geschützen. Wie weit die Verstärkungs- 
arbeiten gediehen sind, ist nicht bekannt. 

B. Der Fortsgürtel des rechten Ufers, a) Innerer 
Gürtel: (von Süden angefangen) 1. Fort S. Caterina (früher Hefs), 
zwischen den beiden Etschbogcn, nahe am Flufs, 1200 m südöstlich 
Scholl; 2. 1400 m südwestlich davon, vor dem grofsen südlichen 
Bogen des Stromes der Halbturm Tombetta (Cnloz) mit einer 
550 m nordöstlich am Uferrande und einer 450 m nordwestlich be- 
findlichen Batterie; 3. 1300 in nordwestlich davon und 900 m süd- 
lich der porta nuova, an der Gabelung der Strafsen nach Mailand 
und Legnago das grofsc Fort porta nuova (Clam); — 4. 800 in 
nordwestlich von diesem, südlich der Bahn das Fort Pallio (Alt- 
Wratislaw), schon seit den sechziger Jahren aufgelassen; mit Ab- 
ständen von 750 — 800 m folgen nun längs der Trientiner Bahn, 
südlich, beziehungsweise westlich derselben: 5. Fort S. Lucia 
(Schwarzenberg), 1500 m vor der Enceinte, innerhalb der Bahngabel 
Mantua und Mailand; 0. Fort Fenilone (d'Aspre), zwischen der 
Bahn nach Mailand und der nach Trient, 2100 m vor der Enceinte; 
7. Fort Massimo (Lichtenstein), südlich des gleichnamigen Ortes; 



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170 



Die Befestigungen Italiens. 



8. 900 m nördlich vom vorigen , ostlich der Bahn und südlich der 
Strafse nach Mailand Fort S. Zeno (Radetzky), 1600 m vor der 
Enceinte; 9. 1100 m nordwestlich von diesem, westlich der Bahn, 
Fort Croce Bianca (Strassoldo), 550 m südlich des an der Strafse 
nach Pastrengo gelegenen Ortes Chievo ; 10. Der rechte Flügel dieser 
Fortslinie ist verstärkt durch die 900 m westlich des Bastion Procolo 
zwischen den Strafsen nach Pastrengo und Mailand liegende offene 
Redute S. Procolo (Wallmoden). Die sämtlichen genannten Werke, 
waren 1848 von den Truppen als Feldschanzen hergestellt, 1849 
permanent umgebaut und 1859 vielfach verstärkt worden; seit 1887 
sind die Werke 2 — 8 aufgelassen. 

b) Äufserer Gürtel: 1. Fort Garofalo (Ca. vecchia), 1 k 
östlich Palazzina, 2400 m südöstlich Fort S. Caterina; 2. 2600 m 
westlich davon Fort Toniba (Stadion) an der Strafse nach Nogara, 
südlich S. Giacomo della Rogna und 1650 m südlich Tombetta; 
3. 2200 m westlich davon Fort Azzano (S. Lucia, auch Neu- 
Wratislaw), östlich der Strafse; 4. 1800 m nordwestlich vom vorigen 
Fort Dossobuono (Gisela) zwischen Strafse und Bahn nach Mantua, 
2100 m südwestlich von Fort S. Lucia; 5. 2400 m nordnordwestlich 
davon Fort Sugagnano, (Kronprinz Rudolph) zwischen Strafse und 
Bahn nach Mailand; f>. 2600 m nördlich davon das geräumige Fort 
Chievo (Kaiser Franz Josef), 750 m nordwestlich des gleichnamigen 
Ortes, nahe am Flufjs, südlich der Strafse Pastrengo und westlich 
der Trienter Bahn; 7. 1800 m nördlich davon, hart am Strom Fort 
Parona (Erzherzog Albrecht), westlich des gleichnamigen Ortes. 
— Die meisten dieser Werke wurden 1859 provisorisch angelegt 
und später ausgebaut. 1866 wurden in den Intervallen noch 
Zwischenbatterien (in der Kehle offene Batterien mit ca. 70 m 
langen Facen und 21 m langen Flanken und 3 — 4 m tiefem Graben) 
errichtet und zwar: 8. zwischen 1 und 2 eine an der Strafee nach 
Legnago und eine bei Palazzina; 9. zwischen 2 und 3, bei Casa 
Torcolo, nahe westlich der Strafse von Vigasio; 10. zwischen 3 
und 4 bei Casa Martineiii; 11. zwischen 4 und 5 eine nahe süd- 
lich der Mailänder Bahn, nahe Fenilone. 

C. Der Fortsgürtel des linken Ufers: 1. Auf dem vom 
Mte. Gania, im Norden, kommenden Höhenzug der Turm Lesa 
Sofia; 2. auf der Kuppe 300 m nordöstlich davon Fort S. Leonardo, 
700 m nördlich der porta S. Giorgio ; 3. 600 m weiter nördlich Fort 
Malta, 1200 m nordwestlich Fort S. Feiice; 4. auf dem östlichen 
Kamme des Mte. Gaina liegen, 1500, 2100 und 2500 nördlich 
S. Feiice die Türme S. Giluiano Nr. 1, 3 und 4 und 450 m süd- 



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Die Befestigungen Italiens. 171 

westlich von Nr. 3 der Turm Nr. 2; 5. Jenseits des breiten Thaies 
des torrente di val Pantena ist das cast. Montorio, lk südwestlich 
des gleichnamigen Ortes am Fibbio; 6. 750 in nördlich davon Fort 
Preare (John); 7. 1350 m südlich Montorio ist Fort Bellina 
(Catana), 2700 m östlich Bastion Toscana; 8. Weitere 700 m östlich 
die 600 m von einander entfernten Batterien Albere und Matte- 
rana und eine Batterie zwischen Flufs und Bellina; 9. 1400 ni 
südlich Bellina das Fort S. Michele (Elisabeth), südlich an der 
Strafse Vicenza, 1200 m östlich des Ortes, 1 k vom Flufs und 5 k 
von Cavecchia entfernt; 10. auf der Höhe S. Briccio bei Lavagno, 
im Nordosten von Verona wurde in den letzten Jahreu ein neues 
Fort gebaut. Die Werke 1—9 sind sämtlich alt, zum Teil schon 
in den dreifsiger Jahren gebaut. 

3. Legnago, II. Klasse, Provinz Verona, am rechten Ufer, 
3500 Einwohner, hat 2 in alt -italienischer Manier bastionierte 
Fronten mit Ravelins und Lünetten, sowie ein Kronwerk als Brücken- 
kopf auf dem linken Ufer und Inundation auf 1800 m. Die beab- 
sichtigte Verstärkuug wurde aufgegeben. — 4. Badia (Polesine) 
IV. Klasse, Provinz Rovigo, 20 k südöstlich Legnago, an der Ab- 
zweigung des Adigetto, 5900 Einwohner, sichert den Etschübergang 
nach den Euganeischen Hügeln, zu den Monti Berici und nach 
Mantua. — 5. Rovigo — Boara, III. Klasse, die zu beiden Seiten 
des Adigetto liegende Stadt Rovigo (7600 Einwohner) hat teilweise 
schon demolierte Ringmauern, 4 1859 erbaute, 1866 gesprengte 
Turmforts (2 etagige kasemattierte Werke mit Wassergräben), 
nämlich: a) Boara, an der Etsch, 3 ! /j k nördlich; b) Höver di 
Cre, 2 l / a k westlich; c) Borsea, 3 1 /, k südlich; d) Sarzano, 2 1 /, k 
östlich; sowie 4 1866 erbaute provisorische Zwischenwerke für je 
10 Geschütze (mit 34 m langen Facen und 23 m langen Flanken, 
mit tambouriertem Kehlabschlufs und Wassergraben) nämlich: 
a) Lünette Colombara im Nordwesten, zwischen Boara und Rover, 
1878 aufgelassen; b) Tassina im Südwesten; c) Rosada im Süd- 
osten; d) Ceresolo im Nordosten, 1878 aufgelassen. 

c) Nördlich des Po bis zur Etsch: Ivrea, 45 k nord- 
östlich Turin, an der Dora Baltea, Novara, Provinz.-Hauptstadt, 
45 k westlich Mailand, zwischen der Agogna und dem Terdoppio, 
14,800 Einwohner, und Mailand, am Flüfechen Olona, 200,000 Ein- 
wohner, sind mit mittelalterlichen, zum Teil gut erhaltenen Mauern 
und Wällen umgeben. — 1. Pavia, III. Klasse, Provinz.-Haupt- 
stadt, am linken Ticinoufer, 29,500 Einwohner, hat teilweise noch 
gut erhaltene Wälle und Mauern mit 7 Bastionen und mehreren 



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172 



Die Befestigungen Italiens. 



Türmen und eine verfallene Citadelle im Norden. Über den Flut 
führt eine 216 m lange Marmor- und eine 762 m lange Eisenbahn- 
Brücke. Der Brückenkopf am Nebenarm Gravellone, 1700 m süd- 
westlich der Stadt, wurde eingeebnet. — Bergamo, Provinz.-Haupt- 
stadt, 30,850 Einwohner, besteht aus der offenen Neustadt in der 
Ebene und der steilansteigenden, mit hohen Mauern und spitzen 
Bastionen umgebenen Altstadt, vor deren Nordwestspitze auf dem 
Hügel S. Vigilio das alte Kastell (Citadella) liegt. Crema, am 
rechten Serioufer, 8150 Einwohner, und Orzinovi, 2k östlich 
des Oglio, haben alte Uniwallungen (letzteres mit 7 Bastionen) mit 
Aufeen werken. 

2. Pizzighettone, IV. Klasse, am linken Addaufer, 10 k 
oberhalb deren Mündung, 4300 Einwohner, hat eine mit Bastionen 
und Türmen versehene, teilweise doppelte Umfassung mit Aufsen- 
werken, besonders einem Horn werk im Norden, jenseits des hier 
mündenden Serio und einer Citadelle im Nordosten. Der Brücken- 
kopf Gera besteht aus einem Kronwerk mit 2 Ravelins und An'schlufs- 
werken. Die Werke sollen durchweg schlecht erhalten sein. — 
3. Brescia, Provinz.-Hauptstadt, nahe am Einflufs des Garza in 
den Mella, 39,000 Einwohner, hat nahezu die Form eines Rechteckes. 
Die Wälle mit ihren Mauern und Türmen werden grösstenteils als 
Promenaden benützt. An der Nordseite liegt auf hohem Felsen 
(Cidneo) das alte, dominierende, in neuerer Zeit renovierte Kastell 
Falcone di Lombardia (eine bastionierte Front von 2 halben und 
1 ganzen Bastion). — Bozzolo, Provinz Mantua, 2,5 k vom rechten 
Oglioufer entfernt, 4300 Einwohner, und Sabbionata, Provinz 
Cremona, zwischen Oglio und Po, 5 k von letzterem, 7000 Ein- 
wohner, haben alte, zum Teil bastionierte Ringmauern. 

4. Peschiera, III. Klasse, an der Grenze der Provinz Verona 
und Mantua, zu ersterer gehörig, inselartig am Ausflufe des Mincio 
aus dem Gardasee erbaut, 24,000 Einwohner, ist die Nordwestspitze 
des berühmten Festungsviereckes (Peschiera, Verona, 24 k östlich, 
Legnago, 36 k südöstlich des vorgenannten und Mantua, 40 k west- 
lich des letzteren und 32 k südlich Peschiera). Die Festung ist ein 
in altitalienischer Manier bastioniertes Fünfeck mit Fronten von 
ca. 260 m Länge, hat eine kleine, aber starke Citadelle, sowie einen 
kleinen Hafen und ein Arsenal für die Flottille des Sees. 300 m 
südwestlich liegen die nur ca. 150 m von einander entfernten Vor- 
werke (Lünetten) Alt- und Neu-Salvi, und ca. 600 m östlich, auf 
einer Höhe des linken Mincio-Ufers, vor dem Bahnhof, die 2 Vor- 
werke Alt- und Neu-Mandella, ebenfalls nur 150 m von einander 



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Die Befestigungen Italiens. 



173 



entfernt, zwischen ihnen eine kleino Lüuette. Durch eine Reihe 
von anf 1 — 1,5 k vorgeschobenen Werken ist ein kleines verschanztes 
Lager geschaffen. 

a) Auf dem rechten Mincio-Ufer: 1. Werk 1, 650 m 
nordwestlich, am See-Ufer; 2. 400 m südwestlich davon Werk II, 
zwischen Strafse und Bahn nach Brescia; 3. weitere 400 m süd- 
westlich Werk III; 4. 400 ra südlich davon Werk IV, beim Bahnhof 
Seraglio; 5. 600 m südöstlich davon Werk V; 6. 900 m südöstlich 
von letzterem Werk VI; 7. 800 m von Werk VL nahe nördlich des 
Ortes Ponti das starke Werk Monte Croce, westlich der Strafse. — 
b) Anf dem linken Ufer: 8. 1 k östlich des Bahnhofes und 
600 m südwestlich des Ortes Cavalcaselle Werk VII; 9. 1 k nord- 
nordwestlich von letzterem Werk VIII; 10. weitere 800 m nord- 
nordwestlich, nahe am See, Werk IX (1500 ra nordöstlich I). 
1866 wurden zwischen den einzelnen Werken noch passagere Batterien 
und Verbindungslinien hergestellt; seitdem geschah nur wenig mehr 
für den Platz. 

5. Mantua, I. Klasse, Provinz.-Hauptstadt, 26,700 Einwohner, 
auf einer Insel im Miucio, der hier mehrere Arme und morastige 
Ufer hat und einen auf der Nord- und Osteeite sich um die Stadt 
ziehenden See bildet. Mantua ist besonders durch sein ausgedehntes 
Inundationsgebiet stark, hingegen wurden bis jetzt nur wenige Ver- 
starkungsarbeiten ausgeführt, a) Die Hauptumfassung besteht 
aus einer alten bastionierten Mauer von 6 Fronten: a) Hinter der 
künstlichen Inundation liegen: 1. Die 800 m lange Westfront mit 
4 Bastionen; 2. die 900 ra lange kurtinenartige Südwestfront (hinter 
der Te- Verschanzung); 3. die 550 m lange Südostfront, welche durch 
das 500 m lange, durch den Damm Valsechi vom östlich liegenden 
mittleren See getrennte Wasserbecken Valetta gedeckt ist; ß) hinter 
der natürlichen Inundation liegen: 4. Die 1200 ra lange, bastionierte 
Ostfront hinter dem mittleren See, mit je einer Verschanzung mit 
Ravelin, beziehungsweise Bastion auf beiden Flügeln ; 5. die 950 m 
lange, von einer krenelierten Mauer umschlossene Nordostfront; 
6. die 900 m lange vom obern See begrenzte Nordwestfront mit 
4 vorliegenden Werken. — b) Aufsen- und detachierte Werke: 
1. In den westlichen Sümpfen, an der Mailänder Chaussee, 500 m 
weit vorgeschoben das Horn werk Pradella gegen Belfiore, durch 
4 Insel-Batterien (auf Rosten gebaut) unterstützt, vom Obersee zum 
Teil umspült; 2. 200 m westlich davon die Lttnette Belfiore auf 
der gleichnamigen Höhe; 3. 400 m südlich davou die Batterie 
Perina; 4. weitere 400 m südlich die Lünette Pompigli; 5. die 



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174 



Die Befestigungen Italiens. 



aus 4 Bastionen bestehende Te -Verschanzung auf der gleich- 
namigen Insel vor der Südwestfront; 6. daran östlich anschliefsend 
die Migliaretto - Verschanzang, von der Hauptamfassung durch 
die Valetta getrennt, mit 3 vorliegenden Lünetten; sie soll besonders 
das grofee Inundations-Schleusenwerk decken. Auf dem von ihrem 
linken Flügel ausgebenden Damm Chasseloup ist eine, auf dem 
Damm Valsechi sind mehrere Batterien; 7. vom rechten Flügel der 
Te-Verscbanzung zieht zu den Lünetten am Chasseloup-Damni, 
1100 m weit vorspringend die Umwallung des verschanzten 
Lagers mit 3 ca. 600 m von einander entfernten Bastionen ; 8. von 
der Südostecke dieser Umwallung führt der Damm Pietole nach dem 
ca. I k entfernten Fort Pietole, einem Werk mit 2 nach Vauban 
bastionierten Fronten und der Hauptrückschwellungsschleuse in der 
Kehle; 9. 3600 m nördlich davon, auf dem östlichen Ufer des 
Mittelsees, an der Strafse nach Legnago liegt das Fort S. Giorgio 
mit dem Vorwerk Rocca, mit dem dahinter liegenden Burgbastion 
der Ostfront durch die 850 m lange, mit Batterien und vielen 
Durchlässen versehene Dammstrafse (Brücke) S. Giorgio verbunden; 
200 m hinter dem Fort liegt eine Linie verbundener Insel-Batterien; 

10. 600 m südöstlich davon ist die Lü nette Frasine und 600 m 
nördlich die Lünette Fossamana, auf dominierenden Höhen; 

1 1 . die auf dem linken Ufer befindliche Vorstadt Borgo di Fortezza 
oder Porto, wird, je 1200 m von Giorgio und Pradella entfernt, 
von der aus 3 bastionierten Fronten bestehenden Citadelle um- 
schlossen und ist durch den 500 m langen Damin Zapetto, der den 
höher liegenden Obersee vom mittleren See trennt, mit der Stadt 
verbunden. 

d) Am Po: 1. Casale (Monferrato), III. Klasse, Provinz 
Alessandria, 30 k nördlich dieser Stadt, am rechten Ufer, 17,000 
Einwohner, hat aufser der alten Umwallung eine Citadelle im Westen, 
eine Lünette im Süden und einen Brückenkopf auf dem linken 
Ufer. Die Werke sind in ziemlich schlechtem Zustande. — Valenza, 

15 k nördlich Alessandria, am rechten Ufer, 6600 Einwohner, war 
früher starke Festung, ist aber jetzt aufgelassen und verfallen. Die 
projektierte Anlage eines doppelten Brückenkopfes bei Monti kam 
nicht zur Ausführung. — 2. Stradella, III. Klasse, Provinz Pavia, 

16 k südöstlich dieser Stadt, am rechten Ufer des A versa, 2,5 k 
südlich des Po, 6000 Einwohner, hat eine bastionierte Umwallung. 
Die projektierten Neuanlagen (1—2 Forts im Westen in der Linie 
la Rocca dei Vescovo— Capella— Serra, eine Batterie bei Broni, 
2V 3 k südwestlich am steilen Westabhang des Monte di Gabi und 



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Die Befestigungen Italiens. 



175 



ein Werk bei Bonasco, 4'/a k östlich) kamen nicht zur Aus- 
führung. 

3. Piacenza, I. Klasse, Provinz.-Hauptstadt, am rechten Ufer, 
unterhalb der Trebbiamündung, 35,000 Einwohner, ist mit einer 
Umwallung von 12 Bastionen mit Aufseuwerken umgeben; sämtliche 
Werke sind in schlechtem Zustande. Im Südwesten ist die zum 
Teil demolierte Citadelle, ein bastioniertes Fünfeck; auf dem linken 
Ufer befindet sich ein Brückenkopf mit einer einige Hundert 
Meter vorliegenden Schanzenlinie; auf den Inseln liegen einige 
Reduten. Von den aus dem Jahre 1859 stammenden detachierten 
provisorischen Werken wurden nur bei Fort S. Antonio, 2 Vi k 
westlich, an der Strafse nach Stradella und bei Fort S. Lazzaro, 
2 k südöstlich an der Strafse nach Parma Verbesserungsarbeiten 
ausgeführt, während die übrigen schon seit 1859 demoliert sind. 
Die Hauptverstärkung soll der Brückenkopf (Poligone dei Pontieri) 
erhalten haben. Piacenza ist von hoher strategischer Bedeutung, 
weil es der letzte Punkt ist, an dem der Po noch bequem über- 
schritten werden kann, da weiter abwärts schon die Versumpfungen 
beginnen und weil es der Vereinigungspunkt der Straten und 
Bahnen von Frankreich über Turin und aus der Schweiz über 
Mailand ist. 

4. Cremona, IV. Klasse, Provinz.-Hauptstadt, am Unken Ufer, 
1,5 k vom Hauptarme entfernt, 30,500 Einwohner, ist mit Mauern, 
Türmen und Bastionen in einem Umfang von 4 k umgeben ; in der 
Nordwestecke ist die 3 — 400 m breite und lange piazza d'armi. Die 
Werke sind dem Verfalle nahe. — Gnastalla, am rechten Ufer, 
26 k südlich Mantua, in sumpfiger Gegend, 2800 Einwohner, ist 
ein nahezu reguläres, bastioniertes Siebeneck; die im 17. Jahrhundert 
restaurierten Werke sind jedoch vollkommen verfallen. — 5. Borgo- 
forte, I. Klasse, am linken Ufer, 11 k südlich Mantua, 4000 Ein- 
wohner, wurde 1860 — 61 als permanenter Brückenkopf befestigt, 
1866 zum Teil demoliert und besteht aus: 1. Dem Werk Noyau 
(Fort Montechiana) am rechten Ufer, mit Erdumwalluug, frei- 
stehender Mauer, Kaponieren und bombenfesten Reduit; 2. und 3. 
der 2 k von einander entfernten Flügelwerken Rochetta und 
Bocca di Ganda, 800 m nordwestlich, beziehungsweise nordöstlich 
vom Noyau, geschlossene Erdwerke am Podamme, ohne Graben- 
verteidigung; 4. dem 900 m nördlich vom Flufs und 1300 m nörd- 
lich vom Noyau liegenden Centraiwerk, einem geschlossenen 
Oktogon mit Infanterie-Grabenverteidigung und bombensichern Re- 
duit, an der Strafte nach Mantua; sämtliche Werke haben Wasser- 



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17(5 



Die Befestigungen Italiens. 



graben. Die Demolierung gelang nur bei den Flügelwerken, die 
1878 ganz aufgelassen wurden. Die projektierte Umwandlung kam 
bis jetzt noch nicht zur Ausfuhrung. — 6. Der Brückenkopf 
8. Maria Maddalena, III. Klasse, am linken Ufer, Pontelagoscuro 
gegenüber, deckt den Übergang der Strafse und Bahn Padua— 
Ferrara. Neuanlagen sollen hier beabsichtigt sein. — Ferra ra, 
Provinz.-Hauptstadt, am linken Ufer des südlichen Poarmes, nur 
2,4 m über dem 28 k entfernten Meere, und 1 m unter dem Flufs- 
spiegel, 31,200 Einwohner, hat eine alte verfallene Umfassungs- 
mauer mit Bastionen, von Wassergräben und Sümpfen umgeben, 
und eine Citadelle, ein reguläres bastioniertes Fünfeck im Westen. 

e) In der Ebene südlich des Po: Neuesten Nachrichten 
zufolge ist die Errichtung eines verschanzten Lagers für 120,000 
Mann zwischen Asti und Alessandria beabsichtigt. — 1. Alessan- 
dria, L Klasse, Provinz.-Hauptstadt, 74 k südöstlich Turin, in 
sumpfiger Gegend am Tanaro, oberhalb der Einmündung der Bormida, 
28,000 Einwohner, hat: 1. Eine Umfassung von 13 ganzen und 
2 halben Bastionen mit 6 vorliegenden Lünetten; 2. eine Citadelle 
auf dem linken Ufer (ein bastioniertes Sechseck mit 6 Lünetten 
und dem grofsen Hornwerk Opera Valenza im Norden); 3. die 
detachierten Forts: Fort Acqui, l'/j k südwestlich, rechts an der 
Bahn nach Savona; Fort della Ferrovia, l'/j k südöstlich der Bahn- 
gabel, links an der Bahn nach Genna; Fort Bormida 3 k östlich 
am rechten Bormidaufer, links an der Strafse nach Tortona. Die 
Festung ist im Verhältnis zu ihrer strategischen Wichtigkeit räum- 
lich zu sehr beschränkt und sollte insbesondere mit dem PoÜbergang 
Valenza — Monti in direkter Verbindung stehen; die Werke sind 
übrigens in gutem Zustande. 

Novi, am Nordfufs der Apenninen, 12,000 Einwohner, Tor- 
tona, am rechten Scriviaufer, 40 k südwestlich Pavia, 7000 Ein- 
wohner, Parma, Provinz.-Hauptstadt, zu beiden Seiten des Flürchens 
Parma, 42,200 Einwohner, Reggio, Provinz.-Hauptstadt, in weiter 
Ebene unweit des Crostolo, 25,500 Einwohner, Carpi, 15 k nördlich 
Modena, 6000 Einwohner, Modeua, Provinz.-Hauptstadt, zwischen 
den Flüssen Panaro und Sechia, 30,800 Einwohner, Castelfranco 
delT Emilia an der grofsen Strafse und Bahn nach Bologna, 
12,500 Einwohner (mit dem 600 ra nordwestlich liegenden ver- 
fallenen Fort Urbano, einem bastionierten Quadrat von 400 m 
Seitenlänge), Miraudola, an der Burana, 3060 Einwohner, und 
endlich Cento, Provinz Ferrara, nahe dem linken Reno-Ufer, 5000 
Einwohner, haben zum gröfsten Teil verfallene Umfassungsmauern 



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Die Befestigungen Italiens. 



177 



mit Gräben, Bastionen nnd meist auch eine Citadelle; die Umfassung 
von Parma wurde noch in den Sechziger Jahren unterhalten, seine 
Citadelle, ein bastioniertes Fünfeck von 320 m Seitenlänge, erst 
1850 zum Rang einer Festung erhoben. 

2. Bologna, I. Klasse, Provinz.-Hauptstadt, an einem Kanal 
zwischen den Flüssen Reno und Savena, am Nordfufs der Apenninen, 
123,000 Einwohner, hat eine alte Mauerumfassung; 500 m vorwärts 
derselben sind Uberreste einer schwachprofilierten Erdbrustwehr und 
l-l'/i k an den Straten in der Ebene vorgeschoben, sowie auf 
den Höhen von Madonna Santa Lucia im Süden aus den Sechziger 
Jahren stammende, zum Teil schon verfallene Erdwerke. (Fort 
Monte Paderno ist gänzlich verfallen ; in neuester Zeit scheint das- 
selbe jedoch wieder hergestellt zu werden.) Es ist beabsichtigt, 
Bologna zur Unterstützung der Operationen am unteren Po und zur 
Deckung der Hauptkommunikationen aus dem Pothale nach der 
eigentlichen Halbinsel, zu einer Festung I. Ranges zu machen; wie 
weit die bezüglichen Arbeiten gediehen sind, ist aber nicht bekannt. 
Der projektierte Fortsgürtel soll aus folgenden Werken be- 
stehen: 1. Auf dem Höhenzug zwischen den Flüssen Panaro 
und Samoggia: Bei Montebudello, 20 k westlich, Monteveglio, 
17 k westlich, und bei Ca di Zucchi, 2'/ a k südwestlich von letzterem; 
2. zwischen Samoggia undLavino: Bei Oliveto, 16 k westlich, 
S. Lorenzo 12 k westlich, und am Monte Avezzano, 1 k südlich 
zwischen den beiden vorgenannten; 3. zwischen Lavino und 
Reno: Das alte Werk Monte Capra 9 k südwestlich, erweitert; 
3 Forts auf dem Westabhange, von denen das südlichste bei 
S. Maria; das Renothal ist bereits durch einen alten, in der Front 
vollständig dominierten Brückenkopf bei Casalecchio, 4 Vi k süd- 
westlich, abgeschlossen und soll bei Sampieri, l l /j k weiter südlich, 
einen weiteren, beiderseits des Flusses bis auf die Höhen reichender 
Abschlufe erhalten; 4. zwischen Reno und Savena: Ein grofses 
Fort auf dem Rücken von Sabbionara, 6 k südlich; dieser Abschnitt 
soll das eigentliche verschanzte Lager bilden und sollen deshalb 
hierher auch alle Magazine, Artillerie -Anstalten u. s. w. kommen; 
5. zwischen Savena und Idice: Verschiedene Werke auf dem 
Monte Calvo, 6 7» k südöstlich, das südlichste auf dem 10 k ent- 
fernten Monte Albero; 6. in der Ebene: Ein grofses Fort nörd- 
lich Arcoveggio, 1300 m nördlich. Die Thäler des Reno und der 
Savena sind wegen ihrer Verbindungen die wichtigsten: in ersterein 
Strafse und Bahn nach Pistoja, in letzterem die Strafse über den 
Pate delle Filigare und la Futa nach Florenz. — Imola, Provinz 



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178 



Die Befestigungen Italien». 



Bologna, 32 k südöstlich dieser Stadt, am Santerno, 9360 Einwohner, 
Faenza, Provinz Ravenna, 14 k vom vorgenannten, am Amone, 
36,300 Einwohner, Forli, Provinz.-Hanptstadt, am rechten Ufer 
des Montone, 15,300 Einwohner (die Citadelle Rocca di Ravoldino 
wird als Gefängnis benutzt) sind sämtlich mit alten Mauern um- 
geben. 

f) In den ligurischen Apenninen: Au dem wichtigen 
Cisa-Pafe war eine neue Pafssperre bei Varco della Cisa beab- 
sichtigt; die Ausführung ist aber unterblieben. An älteren Be- 
festigungen sind daselbst vorhanden: ein altes Kastell mit 4 Türmen 
bei Berceto, am rechten Taroufer; cast. Piagnaro bei Pontre- 
moli, 13 k südlich des Passes, an der Magra; einige Werke bei 
Aulla, weitere 20 k thalabwärts und das Fort Brunella, nahe 
östlich davon. Südlich Aulla wurde im abgelaufenen Jahre das 
Werk Monte Bastione auf der Höhe della Spolverina bei Sosdinoro 
erbaut. Endlich eine Citadelle und das verfallene, 1878 aufgelassene 
Bergschlofe Sarzanella bei Sarzana, Provinz Genna, in der Riviera 
di Levante und an der Magra, 9 k oberhalb deren Mündung. Pro- 
jektiert waren ferner Pafssperren bei Cereto oder Sassalba, bei 
Pellegrino und Rondinaja, bei Boscolongo, am Futa-Pafs, 
bei Fierenzuola, Cassaglia und San Godenzo; die Ausführung 
jedoch unterblieb. Bei Gajajo, an der Strafse Pistoja — Modena 
(Abetone-Pafs) am linken Panaroufer, 40 k südlich Modena, und 
bei Terra del Sole (bastioniertes Viereck) an der Forlin er-Strafse 
sind alte verfallene Strafeensperren. 

(Schlafs folgt.) 



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IX, Über den heutigen Stand der 
Militär-Reclitswissenscliaft und Gesetzgebung. 



Unsere Aufgabe ist es, zu untersuchen, was die Rechtswissenschaft 
bisher für das Militär-Recht geleistet hat, welcher Standpunkt von 
derselben künftighin einzunehmen ist, und wie sich die Gesetzgebung 
auf dem Gebiete des Militär- Rechts zur heutigen Rechtswissenschaft 
verhält. Hierbei haben wir uns nicht mit dem Detail der Gesetz- 
gebung eines Staates zu befassen, sondern auf die der Gesetzgebung 
der grofeen Militär-Staaten zu Grunde liegenden Prinzipien Bedacht 
zu nehmen. 

Die Wissenschaft des Militärrechts ist ein wichtiger Teil sowohl 
der juridischen als der militärischen Wissenschaft. Weder die 
militärische noch die juridische Bildung kann ohne die Kenntnis des 
militärischen Rechts eine vollständige genannt werden. Jede Wissen- 
schaft ist ein Ganzes (nicht die blofse Summe von Begriffen), dessen 
einzelne Teile unter einander in einem organischen Zusammenhange 
stehen. Ein Organismus kann aber nicht gesunden, wenn auch nur 
ein Teil desselben verkümmert.*) Die Rechtswissenschaft hat bisher 
das Militär-Recht nur stiefmütterlich behandelt, obwohl dasselbe tief 
in die militärischen Lebensverhältnisse eingreift, und daher bei dem 
Bestehen der allgemeinen Wehrpflicht für das ganze Volk von 
grofser Wichtigkeit ist. 

Während die Wissenschaft des Civilrechts seit Savigny, dem 
Begründer der rechtshistorischen Schule in Deutschland, welchem 
durch seine Werke ein unzerstörbares Denkmal im Pantheon der 
Jurisprudenz gesetzt ist, und die Wissenschaft des öffentlichen Rechts 
und des allgemeinen Strafrechts, namentlich in Folge des Auf- 
schwunges der Philosophie durch die unsterblichen Werke des 
Königsberger Weltweisen, namhafte Fortschritte gemacht hat, blieb 
das Militär-Recht ein von der Rechtswissenschaft wenig beachtetes 
Gebiet. L. v. Stein sagt zwar in seinem trefflichen Werke: »Die 
Lehre vom Heerwesen,« S. 139, dafs wir das, was die Rechtslehre 



*) v. Stein, die Lehre vom Heerwesen als Teil der Staats-Wissenschaft 
(1872), S. 142. 



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180 



Über den heutigen Stand 



auf diesem Gebiete geleistet hat, bewundern müssen und dafs 
einer der gröfsten Beweise der Gesittung unseres Jahrhunderts ist, 
dafs der alte römische Satz: »Unter den Waffen schweigen die 
Gesetze« nicht mehr gilt. Dieser Ansicht Stein's über die Fort- 
schritte der Militär-Rechtswissenschaft kann nicht unbedingt beige- 
treteu werden. Die Römer hatten bereits ein ausgebildetes Militär- 
Strafrecht. Es bestand schon nach römischem Recht ein System 
von Militär-Delikten, welches jenem der gegenwärtig in Geltung 
stehenden Militär-Strafgesetze analog ist. Eine Übereinstimmung 
zwischen dem römischen Recht und den heutigen Militär-Strafgesetzen 
besteht sogar in Bezug auf jene Umstände, welche für die Straf- 
milderung oder Verschärfung mafegebend sind. Der römische Satz: 
»Inter arma sileat leges« bezog sich nur auf den Feind. Der Feind 
war nach antiker Auffassung rechtlos, der Krieg war ein Kampf 
gegen alle Unterthanen des feindlichen Staates, während heutzutage 
der Krieg nur unter den Staaten dnrch deren Heere geführt wird, 
und Recht und Billigkeit, soweit es die militärische Notwendigkeit 
zuläfst, auch gegen den Feind beobachtet wird. Das Verdienst, die 
Kriegführung im Sinne der Humanität umgestaltet zu haben gebührt 
den Fortschritten auf dem Gebiete des Völkerrechts. 

Der Grund der bisherigen stiefmütterlichen Behandlung des 
Militär-Rechts durch die Rechtswissenschaft ist teilweise in der Ge- 
staltung des Heerwesens in früheren Zeiten gelegen. Bei dem 
Werbesystem strömten dem Heere Leute aus allen Ländern zu, 
welche den Kriegsberuf als Handwerk ansahen und nur um den 
Sold dienten. Wenn in früheren Jahrhunderten dem Heere auch 
edle Elemente angehörten, so bestand doch ein grofser Teil desselben 
aus Söldlingen, welche nicht der Patriotismus beseelte, welche bald 
für die eine, bald für die andere Sache kämpften. Die für das Heer 
erlassenen Strafnormen wurden lediglich als ein notwendiges Übel 
angesehen, sie hatten ja nur den Zweck, die Disziplin unter den an- 
geworbenen Soldaten aufrecht zu erhalteu, und beruhten daher 
durchgehends auf der alten Abschreckungstheorie. — Ganz anders 
ist das Heerwesen gegenwärtig in Folge der allgemeinen Wehrpflicht 
gestaltet. Es ist die Pflicht eines jeden wehrhaften Bürgers, in 
den Reihen des Heeres seines Vaterlandes zu dienen. Das Heer 
ist der Stolz des Volkes. Mit dem Sohne des schlichten Land- 
mannes dieut der Sohu des reichen Edelmannes. Das Recht ist tür 
Alle gleich, es soll gleicher Lohn für die Pflichterfüllung, gleiche 
Strafe für die Pflichtverletzung sein. Die Worte Freiheit, Gleichheit 
und Brüderlichkeit in ihrer edelsten Bedeutung (nicht in der Be- 



der Militir-Rechtewisaenschaft und Gesetzgebung. 



181 



deutung, in welcher diese Worte nur zu häufig mifsbraucht wurden) 
gelten für das Heer. Frei ist der Soldat innerhalb der Grenzen 
des Gesetzes und den Geboten des militärischen Gehorsams, Gleichheit 
besteht in Bezng auf das Gesetz, und ein Band brüderlicher Kamerad- 
schaft soll alle Angehörigen des Heeres verbinden. 

Die Umgestaltung des Heerwesens hatte die Rechtswissenschaft 
schon längst veranlassen sollen, sich eingehender mit dem Militär-Recht 
zu beschäftigen, und wird es eine ihrer wichtigsten Aufgaben sein, 
das auf diesem Gebiete Versäumte nachzuholen. Zunächst fragen 
wir uns, welchen Umfang das Militär-Recht hat, denn, bevor mau 
eine Wissenschaft darstellen will, mufs man ihr Gebiet, und das sie 
von anderen Wissenschaften Unterscheidende bestimmen, da sonst 
die Grenzen aller Wissenschaften in einander laufen, und keine 
derselben gründlich abgehandelt werden kann.*) 

Das Militär - Strafrecht ist nicht gleichbedeutend mit dem 
Militär- Recht überhaupt, sondern nur ein Teil desselben. Das 
Militär-Recht zerfällt in 3 Gebiete: »Das öffentliche Recht des 
Heeres, das bürgerliche Recht desselben und das Militär-Straf- 
recht. Das Militär-Strafrecht, mit welchem wir uns hier be- 
schäftigen, kann auch das eigentliche Militär-Recht genannt werden, 
weil es die innern Verhältnisse des Heeres, namentlich das Ver- 
hältnis des Vorgesetzten zum Untergebenen und umgekehrt regelt. 
Es ist ein bleibendes Verdienst des grofsen Staatsrechtslehren und 
Nationalökonomen L. v. Stein in seinem obzitierten Werke, darauf 
hingewiesen und wissenschaftlich begründet zu haben, dafe alle 
Teile des Militär- Rechts in einem organischen Zusammenhange 
stehend von einem Prinzip durchdrungen sind, und man daher von 
einem System des Militär-Rechts sprechen kann. 

Das Prinzip, welches das Militär-Recht beherrscht, ist durch die 
Bestimmung des Heeres gegeben. Das Heer ist für den Krieg be- 
stimmt, und das Wohl und Wehe des Staates hängt davon ab, ob 
das Heer seiner Aufgabe gewachsen ist, da die Idee eines ewigen 
Friedens nur ein bisher noch nicht verwirklichtes Ideal edel denkender 
Philosophen ist. Durch die Bestimmung des Heeres für den Krieg 
sind Modifikationen des allgemeinen Rechts in Bezug auf das Heer 
und die dem Heere angehörigen Personen notwendig bedingt. Das 
Militär-Recht ist, wie Stein treffend bemerkt, die systematisch 
dargestelte Modifikation des bürgerlichen, öffentlichen 
und Strafrechts, welche durch das Wesen und die staatliche Be- 



*) Kant, Prolegomena, $. 1. 

J*hrbficb«r ftr D#trt».h» iraM «><! Maris« Bd. LXXVI„ 8. 



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Über den heutigen Stand 



Stimmung des Heeres gefordert wird. Das öffentliche Recht de9 
Heeres regelt dessen Stellung als Ganzes zum Staate und enthält die 
Modifikationen des öffentlichen Rechts in Bezug auf die dem Heere 
angehörigen Personen.*) 

Der Grnndsatz des unbedingten Gehorsams gegen den obersten 
Kriegsherrn ist mit eisernen Lettern am Anfange des öffentlichen 
Rechtes des Heeres geschrieben. Das Heer ist die konzentrierte 
Kraft des Staates und kann seine Aufgabe nur dann erfüllen, wenn 
es von einem Willen beherrscht wird. Das Heer, welches zwar 
durch das Gesetz geschaffen wird, soll weiters mit dem Parlament 
nichts mehr zu thun haben. Heere der Parlamente haben sich 
niemals Lorbeeren auf den Schlachtfeldern erworben. Ungehorsam 
gegen den obersten Kriegsherrn ist das schwerste Militär- Verbrechen, 
welches, wie die Geschichte der Prätorianer und der Janitscharen 
beweist, die gröfeten Gefahren für den Staat herbeiführt. Dem 
öffentlichen Rechte des Heeres gehören ferner an: die Wehrordnung, 
d. h. der Inbegriff der gesetzlichen Bestimmungen, welche die Er- 
füllung der Wehrpflicht regeln, dann die Einquartierungsgesetze und 
die Gesetze über die Versorgungsansprüche der Militär-Personen 
und ihrer Angehörigen. 

Der Grundsatz, dafs der Soldat der Politik ferne bleiben und 
ganz seinem Berufe obliegen soll, führt wichtige Modifikationen in 
den staatsbürgerlichen Rechten der Militär-Personen herbei, 
unter welchen man die öffentlichen Rechte der Staatsbürger gegen- 
über dem Staate versteht. Es bestehen in allen Militär-Gesetz- 
gebungen Beschränkungen der Militär-Personen in Bezug auf das 
Wahlrecht und die Wählbarkeit in die Reichs- und Landesver- 
tretung, in Bezug auf die Beteiligung an der Presse, das Vereins- 
und Versammlungsrecht, und die Ausübung des Geschwornenamtes 
und anderer Berufstellungen. Auf dem Gebiete des Privatrechtes 
bestehen in den gegenwärtigen Gesetzgebungen nur vereinzelte 
Sonderbestimmungen für den Militär-Stand. Im Privat-Recht steht 
in den meisten Beziehungen der Soldat dem Bürger gleich, weil der 
Militär-Dienst mit den Privatrechtsverhältnissen nur wenige Be- 
rührungspunkte hat. Es bestehen für den Soldaten Beschränkungen 
im Eherechte, dann Erleichterungen in Bezug auf die Errichtung 



•) Die Litteratur-Angaben über das öffentliche Recht des Heerea sind in dem 
citierten Werke Stein's enthalten ; anfordern vergleiche man noch Laband, Staats- 
recht des Deutschen Reiches. 



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der Militär-Rechtswissenschaft and Gesetzgebung. 



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letztwilliger Verfügungen,*) und ist ferner den Militär-Personen ein 
Existenz-Minimum gesichert, indem die Exekution auf den Gehalt 
und selbst freiwillige Verpfandungen und Zessionen desselben nur 
bis zu einer bestimmten Grenze zulässig sind. Eine viel gröfsere 
Bedeutung hatte der Militär-Stand für das römische Civilrecht uud 
dessen Fortentwicklung. Die Romer hielten bekanntlich an dem 
alten Rechte und dessen Formen strenge fest. Entstand eine neue 
Rechtsform, so wurde dieselbe an eine alte, bestehende angeknüpft, 
und ihr so die Bestimmtheit und Ausbildung derselben vermöge 
einer Fiktion zugewendet.**) Das Leben des Soldaten machte für 
denselben freiere Bestimmungen in privatrechtlicher Beziehung 
nötig, was allmählich eine weitgreifende Umgestaltung des ganzen 
römischen Civilrecht^ zur Folge hatte. 

So war z. B. das Soldaten-Testament für die Fortentwicklung des 
römischen Erbrechts von Wichtigkeit. Die vielfachen Beschränkungen 
des Erbrechtes und die Förmlichkeiten der Testaments- Errichtung, 
welche nach altem Rechte bestanden, pafsten nicht für den Soldaten 
im Felde. Für den Soldaten mutete zuerst ein freieres Erbrecht 
geschaffen werden. Manche Bestimungen über das Erbrecht und 
die Testamentserrichtung, welche ursprünglich nur für den Soldaten 
erlassen waren, wurden später auf den Bürger ausgedehnt. Eine 
gleiche Bewandnis hatte es mit dem castrense peculium. Das in 
der väterlichen Gewalt stehende Kind war ursprünglich gleich dem 
Sklaven unfähig, eigenes Vermögen zu haben. Eine Ausnahme 
wurde zuerst hinsichtlich des aus Anlafs des Kriegsdienstes Erworbenen 
(castrense peculium) geschaffen, in welcher Beziehung der Haussohn 
als Paterfamilias angesehen wurde. Nach Analogie der castrense 
peculium wurde die Vermögensfahigkeit des Haussohnes in Bezug 
auf andere Erwerbungen (quasi castrense peculium, bona adventitia) 
anerkannt.***) 

Das eben über das römische Privatrecht Gesagte hat für uns 
nur mehr rechtshistorisches Interesse. In privatrechtlicher Beziehung 
bestehen gegenwärtig wie oben bemerkt, nur vereinzelte Sonderbe- 
stimmungen für den Militär-Stand. In bürgerlichen Rechtsan- 
gelegenheiten besteht auch keine Militär- Gerichtsbarkeit, sondern 

•) §• 44 des Deutschen Reichs-MUitär-Gesetzes vom 2. Mai 1874, für Öst.- 
üngarn, Dienst-Rglt I. Th., Absch. XV, § 600 u. b. G. 

**) Savigny, Vom Berufe unsrerZeit für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft, 
Seite 32. 

»*•) Vergleiche: Fitting, zur Geschichte des Soldaten-Tcataments (Halle, 1866); 
derselbe das castrense peculium. 

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Über den heutigen 8tand 



sind für den Soldaten die Civilgerichte kompetent.*) Eine treffliche 
Zusammenstellung der privatrechtlichen Sonderbestimmungen für die 
Personen des Deutschen Heeres hat Daude (»die bürgerlichen 
Rechtsverhältnisse der Militär-Personen«, 1880) geliefert. 

Hier haben wir uns, wie bereits oben bemerkt, nur mit dem 
Militär-Strafrecht zu beschäftigen, und wollen im Folgenden 
untersuchen, was die Rechtswissenschaft bisher auf diesem Gebiete 
geleistet hat, und welches ihre künftige Aufgabe ist. — Das 
Militär-Strafrecht zerfällt bekanntlich in 2 Teile, das materielle 
Straf recht (Strafgesetz), welches diejenigen Handlungen enthält, 
welche vom Gesetze mit Strafe bedroht sind, und das formelle 
Strafrecht (den Strafprozefs), welches den Gang ordnet, den das 
(iericht bei einer Untersuchung und Aburteilung zu beobachten hat. 
Neben dem Strafrecht besteht als wesentliche Ergänzung desselben 
das Disziplinar-Strafrecht**) und das ehrenrätliche Ver- 
fahren.***) Zur Aufrechthaltung der Disziplin ist nämlich den 
militärischen Vorgesetzten das Recht eingeräumt, Untergebene auch 
wegen strafbarer Handlungen oder Unterlassungen, welche im 
Strafgesetze nicht vorgesehen sind, aber dennoch die Disziplin ge- 
fährden, innerhalb genau festgesetzter Grenzen zu bestrafen. Dieses 
Recht wird im Gegensatze zur Strafgerichtsbarkeit das Disziplinar- 
Strafrecht genannt. — Das ehrenrätliche Verfahren entspringt der 
Erkenntnis, dafs die militärische Ehre die notwendige Voraussetzung 
des guten Geistes des Heeres ist, und dafs das Offiziers -Corps der 
Träger der militärischen Ehre ist. Das ehrenrätliche Verfahren be- 
zweckt, die gemeinsame Ehre des Offiziersstandes zu wahren, und 
unterliegen demselben Handlungen, welche zwar nicht nach dem 
Strafgesetze zu behandeln sind, aber dennoch dem richtigen Ehr- 
gefühle und den Verhältnissen des Offiziersstandes derart wider- 



*) Stein verwechselt in seinem citierten Werke die Jurisdiction in bürgerlichen 
Rechtsangelegenheiten und die Jurisdiction in gemeinen Delikten. Die Militär- 
Gerichtsbarkeit in Civilrechts~Angelegenheiten wurde in Frankreich durch das 
Dekret vom 30. September 1791, in Preufsen durch die Kabinetsordre vom 
19. Juli 1809, und in Österreich durch das Gesetz vom 20. Mai 1869 auf- 
gehoben. 

•*) Die Disziplinar- Strafordnung für das preußische Heer vom Jahre 1878, 
abgedruckt im Kommentar zum deutschen Militär- Strafgesetz von Keller, für 
Österreich-Ungarn Dienst.-Rglt., I. Th. XIII. A. 

***) Für das preußische Heer die Vrdg. v. 2. Mai 1874 (für die Marine vom 
2. November 1875), lür Bayern die Verordnung vom 31. August 1874, das ehren- 
rätliche Verfahren für das öBt.-ungarische Heer ist verlautbart mit der Civil. Vrdg. 
des R-K.-M. vom 27. November 1874. 



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der Militär-RechtawisscMchaft and Gesetzgebung. 



185 



streiten, dafs der Schuldige nicht in seiner militärischen Stellung 
belassen werden kann. 

Halten wir nunmehr Rundschau über die Leistungen der Rechts- 
wissenschaft auf dem Gebiete des Militär- Strafrechts. — Die 
römischen Juristen beschäftigten sich eingehender mit dem Militär- 
Strafrecht, als dies unsere Juristen zu thun pflegen. Ein ganzer 
Titel der Pandecten (49,16) handelt von dem Militär-Strafrecht und 
enthält Fragmente aus den Schriften der vornehmsten römischen 
Juristen, des Arrius Menander, Paulus, Ulpian, Julian und 
Papinian. Von der deutschen Rechtswissenschaft ist das römische 
Militär-Strafrecht wenig beachtet worden. Es ist allerdings richtig, 
dafs das römische Strafrecht für die heutige Gestaltung des Straf- 
rechtes nicht von derselben Bedeutung ist, wie das römische Civil- 
recht für das heutige Privatrecht, und zwar aus Gründen, die all- 
gemein bekannt sind, und hier nicht näher erörtert werden sollen. 
Jedenfalls aber ist das römische Militär-Strafrecht von hohem rechts- 
historischen Interesse, da die Römer sowohl die Meister der Kriegs- 
kunst waren, durch ihre Waffen die ganze damals bekannte Welt 
sich unterwarfen, als auch die gröfsten Juristen aufzuweisen haben, 
welche durch die litterarische Ausbildung des Rechtes am meisten 
dazu beitrugen, dafs das römische Recht im Mittelalter in den 
wichtigsten Kulturstaaten rezipiert wurde, und dafs dasselbe ver- 
möge der technischen Ausbildung der wichtigsten Rechts -Institute 
noch heutzutage die Grundlage unseres Civilrechts bildet. 

In der deutschen Litteratur ist mir über das römische Militür- 
Strafrecht aufser einigen Bemerkungen in den verschiedeneu Lehr- 
büchern und Compendien (vergleiche insbesondere Rein, Kriminal- 
recht der Römer; Geib, Geschichte des römischen Kriminalprozesses, 
S. 502; Bethmann-Hollweg, Handbuch des Zivilprozesses S. 93) nur 
ein kurzer Aufsatz von Brauer im Archiv des Kriminalrechts von 
Ahegg (1853) bekannt. — Allgemeine Anerkennung verdient das 
Werk von M. Carcani, dei reati, delle pene e dei giudizi militari 
presso i romani (Milano, 1874). In diesem Werke wird unter Be- 
rücksichtigung nicht nur der im corpus juris enthaltenen Fragmente 
der römischen Juristen, sondern der gesamten uns erhalteuen 
römischen Litteratur eine treffende Darstellung des römischen 
Militär -Strafrechts dargeboten. Dem bezeichneten Werke ist ob 
des rechtshistorischen Interesses ein dauernder Platz in der militär- 
rechtlichen Litteratur gesichert. — Werke rechtshistorischen In- 
halts sind ferner: Friccius, Geschichte des deutschen, insbesondere 
des preufsischen Kriegsrechts (1848) und: Molitor, die Kriegs- 



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Über den heutigen Stand 



gerichte and Militärstrafen im neunzehnten Jahrhundert mit einem 
Rückblicke auf die Kriegsstrafen der Römer, die Kriegsgewohn- 
heiten der alten Deutschen u. s. w. (1855). In beiden Werken 
wird der Versuch gemacht, die Entwicklungsgeschichte des Militär- 
Strafprozesses und teilweise auch des materiellen Strafrechts zu 
schildern. Es ist wohl keinem Zweifel unterworfen, dafs bei dem 
heutigen Stande der Militär -Strafprozefe- Gesetze und den Reform- 
Bestrebungen, welche auf diesem Gebiete bestehen, Untersuchungen 
über den Entwicklungsgang des Militär-Strafprozesses von Wichtig- 
keit sind. In Bezug auf die citierten Werke aber wäre eine ge- 
nauere Angabe des Quelleu-Materials zu wünschen, da eine rechts- 
historische Abhandlung nur dann einen Wert hat, wenn in der- 
selben durch Angabe der Quellen erwiesen wird, dafs das Erzählte 
auf historischer Wahrheit beruht. — Von Bedeutung für die 
Wissenschaft des Militär -Strafprozesses sind ferner: Karl Hilse, 
die leitenden Grundsätze des heutigen deutschen Militär-Strafverfahrens 
(1869), und: Grand, Fonctionnement de la justice militaire dans 
les differents etat de l'Europe (1884). Hilse hat in dem citierten 
Werke unter Bedachtnahme auf die historische Entwicklung des 
Militär-Strafverfahrens und die Verhältnisse des Militär-Standes den 
Nachweis unternommen, auf welchen Grundlagen ein gerechtes 
Militär - Strafverfahren zu beruhen, und welche Sonderheiten 
dasselbe zu enthalten hat. Der schwedische Auditor Grand 
hat in seinem obcitierten, in französischer Sprache geschriebenen 
Werke eine Darstellung der in den verschiedenen Staaten Eu- 
ropas bestehenden Militär- Strafprozesse geliefert. Beide Werke 
sind für eine Reform des Militär-Strafprozesses von hoher Bedeutung, 
Hilse wegen der tiefsinnigen Forschungen, Grand wegen des 
dargebotenen Materials in rechtsvergleichender Beziehung. — Von 
Werken rechtsvergleichenden Inhaltes ist ferner hervorzuheben: 
Studien über das Militär- Strafrecht von Martin Damianitsch 
(1862). Dieses hochinteressante Werk handelt sowohl von dem 
materiellen Strafrecht, als von dem Strafprozefe. Die Straf- 
bestimmungen der Gesetze verschiedener Staaten werden unter ein- 
ander verglichen, die Übereinstimmung derselben in der einen, und 
die Verschiedenheit in der andern Richtung nachgewiesen, und so 
zu zeigen versucht, welche Bestimmungen dem Wesen des Heeres 
entsprechen und daher auch von einer künftigen Militär-Gesetzgebung 
beizubehalten sind. Auf gleiche Weise werden die Grundzüge 
einer Militär - Strafprozefs - Ordnung entworfen, »welche in den 



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der Militär-Rechtewisaenschaft und Gesetzgebung. 



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wesentlichen Prinzipien jener des Zivilstandes gleich sein soll.« 
Rechtsvergleichenden Inhalts ist auch die Schrift: Die Militär- 
Verbrechen und Vergehen nach österreichischem Rechte von 
Dangelmaier (1884). 

Von der Litteratur, welche sich auf die Reform des Militär- 
Strafprozesses bezieht, sollen noch erwähnt werden: v. Richthofen, 
Einige Bemerkungen zu der beabsichtigten Reorganisation des 
Militär-Strafprozesses (1877, eine kleine aber treffliche Schrift); 
von Hoff, Darstellung unseres Militär- Gerichtswesens nebst einer 
Studie über die Notwendigkeit einer Reform unserer Militär-Gerichts- 
Ordnung (Berlin 1884); Reinsdorff, zur Frage des Militär- 
Strafprozesses und seiner Reform (Berlin, 1885); Dangelmair, 
die Grundsätze des Militär- Strafverfahrens und dessen Reform 
(Innsbruck 1887); Weisl, Frankreichs Militär- Strafprozefsordnung; 
Studie zur Reform der Militär -Strafprozeßordnungen des deutschen 
Reiches und der osterreich -ungarischen Monarchie (Wien 1887). — 
Reinsdorff sucht nachzuweisen, dafs die Formen des modernen Zivil- 
Strafprozesses für die militärischen Verhältnisse nicht taugen, 
während Weisl sich bemüht, die Vorzüge des französischen Militär- 
Strafprozesses anzurühren. 

Was die Litteratur über die bestehenden Militär -Strafgesetze 
betrifft, so hat zum österreichischen Militär-Strafgesetz vom Jahre 
1855 Damianitsch einen trefflichen Kommentar geliefert.*) 

An das für den ganzen Umfang des deutschen Reiches geltende 
Militär-Strafgesetz vom Jahre 1872 hat sich eine ziemlich reich- 
haltige Litteratur angesetzt. Keller hat unter Berücksichtigung 
der Motive und Reichstags-Verhandlungen einen guten Kommentar 
geschrieben (1873), Brauer (Handbuch des deutschen Militär- 
Strafrechts), liefert eine selbstständige, übersichtliche Darstellung, 
welche dazu bestimmt ist, auch dem Nicht -Juristen das Verständnis 
des Gesetzes zu ermöglichen. Das bedeutendste Werk über das 
deutsche Militär- Strafgesetz ist jedoch: Hecker, Lehrbuch des 
deutschen Militär-Strafrechts (1887). Dieses Werk, welches den 
Stoff in eingehender Weise und systematischer Darstellung behandelt, 
kann den besten Werken der strafrechtlichen Litteratur überhaupt 
beigezählt werden. — 

In Bezug auf die französische Litteratur über das franzö- 
sische Militär -Strafrecht verweisen wir auf die Litteraturangaben 

*) Von der Siteren Litteratnr heben wir hervor: Moldoner, Synopsie militaris, 
1687 (eine Erläuterung der Artikelabriefe von Ferdinand IIL, Leopold L und 
Carl VI.), Bergmayr, die Kriegsartikel für die k. k. Armee (1836). 



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Über den heutigen Stand 



bei Block, Dict. de l'econ. pol., und fuhren von der neueren 
Litteratur nur noch an: Vexiau, Gommentaire abrege sur le code 
de justice militaire (Paris 1882). Meist sind die französischen 
Arbeiten nur Kommentare, welche eine Umschreibung oder Er- 
läuterung des Gesetzes nebst Formeln über die Abfassung von Ur- 
teilen, Protokollen u. s. w. enthalten. Von den Kommentaren über 
das italienische Militär - Strafgesetz und Strafverfahren (1869) 
führen wir hier nur jenen von Antonio Vismara (Milano 1871) an. 

Über das englische Militär-Recht enthält treffliche Ausführung: 
Gneist, das englische Verwaltungsrecht mit Einschlnfs des Heeres, 
der Gerichte und der Kirche. Zu vergleichen ist auch ein Aufsatz 
von Spangenberg im N. Archiv des Kriminalrechts, Bd. 1 1. Übrigens 
sind die Heereseinrichtungen Englands von denen des Conti nents so 
sehr verschieden, dais das englische Militär-Strafrecht und Straf- 
verfahren für das Militär-Recht der grofsen Militär-Staaten von 
keiner wesentlichen Bedeutung ist. 

Monographien militär-rechtlichen Inhalts, nämlich Bearbei- 
tungen wichtiger Tragen des Militär-Rechts, bestehen nur sehr 
wenige. Gerade den monographischen Bearbeitungen aber verdankt 
die übrige Rechtswissenschaft die Blüte, in welcher sie heute dasteht. 
In den Monographien ist dem Schriftsteller die Gelegen heit geboten, 
sich in den Gegenstand zu vertiefen, denselben nach allen Richtungen, 
gleichsam mikroskopisch zu untersuchen, und auf diese Weise dem 
System den Weg zu ebnen. Die monographische Bearbeitung der 
wichtigen Partien des Militär-Rechts erscheint eine der wichtigsten 
Aufgaben der heutigen Rechtswissenschaft. Von den mir bekannten 
militär-rechtlichen Monographien will ich hier erwähnen: Brauer, 
der dienstliche Befehl als Grund der Straflosigkeit (Gerichtssaal, 
J. 1856); Hecker, Über das Verhältnis des Civil-Strafrechts zum 
Militär-Strafrecht (1885), eine Sammlung von in Goltdammer's 
Archiv erschienener Abhandlungen. Über den Begriff der Körper- 
verletzung nach deutschem Civil- und Militär-Strafrecht von dem- 
selben Verfasser (1885); v. Calker, das Recht des Militärs zum 
administrativen Waffengebrauch (1888). Auch in der österreichischen- 
militärischen Zeitschrift von Streffleur sind einige Abhandlungen 
verschiedener Autoren über militär-rechtliche Fragen erschienen. 

Nachdem wir die wichtigsten Werke über das Militär-Strafrecht 
besprochen haben, ist es unsere weitere Aufgabe darzuthun, welchen 
Weg eine wissenschaftliche Bearbeitung des Militär- 
Strafrechts künftighin einzuschlagen hat. Die Grundlage 
des Militär-Strafrechts ist das allgemeine Strafrecht, da, 



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der Militfr-Köchts Wissenschaft and Gesetzgebung. 



ISO 



wie bereits oben gesagt, das Militär- Recht der Inbegriff der durch 
das Wesen des Heeres bedingten, für das Heer und dessen An- 
gehörige bestehenden besondere Bestimmungen (der Modifikationen 
des allgemeinen Rechtes) ist. Hieraus folgt, dafs die Gesetzgebung 
des Militär-Strafrechts die Gesetzgebung des allgemeinen Strafrechts 
zur Grundlage zu nehmen hat. Dieser Grundsatz ist im jüngsten 
Militär-Strafgesetze, nämlich dem des deutschen Reiches anerkannt, 
indem dasselbe die allgemeinen Grandsätze des Reichsstrafgesetzes 
(über bösen Vorsatz, Zurechnungsfähigkeit, die Strafausschliefsungs- 
gründe u. s. w.) auch für die Militär-Delikte anwendbar erklärt, 
und indem nach demselben die im Militär-Strafgesetze nicht vor- 
gesehenen Delikte der Militär-Personen nach dem Reichsstrafgesetze 
zu behandeln sind. 

Wie die Gesetzgebung des Militär-Strafrechtes das allgemeine 
Strafgesetz, so hat die Wissenschaft des Militär -Straf rechts die 
Strafrechtswissenschaft zu seiner Grundlage zu nehmen. Die Auf- 
gabe der Militär-Rechts Wissenschaft ist es nicht, die Wissenschaft 
des allgemeinen Strafrechtes zu fördern, sie hat vielmehr das durch 
die Strafrechtswissenschaft Geleistete als etwas Gegebenes anzunehmen, 
und sich im Geiste der Strafrechtswissenschaft mit den für das Heer 
bestehenden Sonderbestimmungen zu beschäftigen. Die wissenschaft- 
liche Behandlung des Militär-Strafrechts hat daher dieselbe wie die 
des allgemeinen Strafrechts zu sein. Die wissenschaftliche Behand- 
lung des Strafrechts ist aber eine empirische, eine rechtsphilo- 
sophische, eine rechtshistorische, eine rechtsvergleichende und 
kritische. 

Die blofe empirische Behandlung des Strafrechts ist 
jene, welche den durch die Gesetzgebung gegebenen Stoff als etwas 
in sich Abgeschlossenes ansieht, und sich damit begnügt, die gesetz- 
lichen Bestimmungen »aus sich heraus« zu erläutern. Es ist zwar 
richtig, dafs alles Recht seiner Natur nach positiv ist. In einem 
Staate gilt nur das durch dessen Gesetzgebung anerkannte Recht, 
und ist daher eine empirische Behandlung des Rechts, welche sich 
zur Aufgabe macht, das durch die Gesetzgebung gegebene Material 
zusammen zu tragen und zu sichten, eine notwendige. Allein da 
kein Ding dem Begriffe an sich vollkommen entspricht, so wird 
auch kein Gesetz dem begriffsmälsigen Rechte gleichkommen. Die 
Wissenschaft hat aber den Zweck, den reinen Begriff zum Bewufst- 
sein zu bringen.*) Wenn eine empirische Behandlung des Rechtes 



) Berner, Lehrbach des deutschen Strafrechts, S. 5. 



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Über den heutigen Stand 



auch eine notwendige ist, so kann sich eine wissenschaftliche Be- 
arbeitung mit derselben nicht begnügen. Vergleicht doch schon 
Kaut die blofe empirische Rechtslehre mit einem Kopfe ohne Gehirn. 
Eine wissenschaftliche Bearbeitung des Militär- Strafrechts hat daher 
gleich der des allgemeinen Strafrechts auch den rechtsphilo- 
sophischen Standpunkt einzunehmen. 

Die leitenden Grundsätze herauszufinden und von ihnen aus- 
gehend den inneren Zusammenhang und die Art der Verwandtschaft 
aller juristischen Begriffe und Sätze zu erkennen, gehört eben zu 
den schwersten Aufgaben unserer Wissenschaft, ja es ist eigentlich 
dasjenige was unserer Arbeit den wissenschaftlichen Charakter 
giebt.*) Durch die Einfachheit der leitendeu Grundsätze wird, wie 
Ahrens bemerkt, wahre Eleganz in der Konstrution der Rechts- 
verhältnisse und auch die leichteste Lösung verwickelter Fragen 
gefunden, und schon Leibnitz sagte: »les sciences progressent en 
se simplifiant.c Die Aufgabe der philosophischen Behandlung der 
Wissenschaft aber ist es, das Prinzip zu finden, aus welchem sich 
das Mannigfache der Begriffe und Grundsätze, welche sich früher 
zerstreut darstellten, ergiebt Vor der Auffindung des Prinzips ist 
nur ein Aggregat von Begriffen vorhanden, erst durch die Auf- 
findung des Prinzips kommt ein System zu Stande.**) 

Da das Militär-Strafrecht das allgemeine Strafrecht zur Grund- 
lage hat und nur der Inbegriff der für das Heer bestehenden Sonder- 
bestimmungen ist, so inufe auch das Prinzip des allgemeinen Straf- 
rechts das Prinzip des Militär-Strafrechts sein. Es würde uns hier 
zu weit führen, die Straf rechtstheorien ausführlich zu besprechen. 
Nur das zur Orientierung unbedingt Notwendige wollen wir hier 
anführen. Es giebt bekanntlich absolute und relative Strafrechts- 
theorien. Die relativen Strafrechtstheorien sind jene, welche die 
Berechtigung der Strafe aus einem anderen, aufser der Strafe liegen- 
den Zwecke herleiten. Es soll gestraft werden, um andere vor 
der gleichen That abzuschrecken (Abschreckungstheorie), um den 
Verbrecher zu bessern (Besserungstheorie), es sollen Strafen ange- 
droht werden, um von Verbrechen abzuhalten und die Gesellschaft 
vor rechtswidrigen Handlungen zu schützen (Warnungs-Praeventio- 
Theorie). — Die absoluten Strafrechtstheorien hingegen gründen die 
Strafe auf das Verbrechen selbst. Hierher gehört die Kant'sche 
Theorie, welche die Strafe als kategorischen Imperativ auffafst. Es 



*) Savigny, a. a. 0. S. 22. 

•*) Encyclop&dic der Rechtswissenschaft von Holtiendorff, S. 6. 



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der Milit&r-Ikchtswissenschaft und Gesetzgebung. 191 



mufe Strafe sein, weil die Vernunft Strafe fordert. Die Theorie 
Kant's ist auch jene Herbart's und HegeVs, nur begründet Herbart 
die Strafe noch näher als ästhetische, Hegel als dialektische Not- 
wendigkeit. Auch unserer Ansicht nach ist das Prinzip des Straf- 
rechts die Gerechtigkeit. Es mufe Strafe sein, weil verbrochen 
wurde ; es soll aber auch nur soweit Strafe eintreten, als durch die 
Missethat das Recht verletzt wurde. Nur soweit die Gerechtigkeit 
es zulafst, soll auch anderen Zwecken, welche der Staat zu seinem 
Bestehen und Fortentwicklung nötig erachtet, Rechnung getragen 
werden. 

Das Priuzip des Militär-Strafrechts, der Grundsatz, auf welchem 
dasselbe aufzubauen ist, ist die Gerechtigkeit, da, wir wieder- 
holen es, das Militär-Strafrecht das allgemeine Strafrecht zur Grund- 
lage hat. Die Sonderbestimmungen des Militär-Rechts ergeben sich, 
wie bereits oben gesagt, aus dem Wesen des Heeres, aus der Auf- 
gabe, welche dasselbe zu erfüllen hat, nämlich die Kraft des Staates 
gegen äufsere und innere Feinde zu sein. Alle für das Heer be- 
stehenden Institutionen haben die Aufgabe, die möglichste Kriegs- 
tüchtigkeit des Heeres herzustellen und zu fordern. Das Militär- 
Strafrecht insbesondere hat den Zweck, den militärischen Gehorsam 
in seinem ganzen Umfang (den Gehorsam gegen die militärischen 
Vorgesetzten und die militärischen Vorschriften) aufrecht zu er- 
halten. Die Disziplin, unter welcher wir den organischen militärischen 
Gehorsam verstehen, ist für die Schlagfertigkeit des Heeres eine 
unbedingte Voraussetzung. »Eine Armee ohne Disziplin ist auf alle 
Fälle eine kostspielige, für den Krieg nicht ausreichende, für den 
Frieden gefahrvolle Institution« lautet ein berühmter Ausspruch 
Moltke's. Wir sind weit davon entfernt zu glauben, dafs die Dis- 
ziplin des Heeres nur durch Strafen herzustellen ist. Die militärische 
Schulung des Volkes, der gute Geist, der das Heer beseelt, und die 
Vaterlandsliebe sind es in erster Linie, welche die Disziplin kräftigen 
und die Kriegstüchtigkeit des Heeres begründen. Allein da die 
Menschen nicht vollkommen sind, da das goldene Zeitalter, da jeder 
freiwillig seine Pflicht erfüllte und ein Richter nicht nötig war, 
nur ein erträumtes Ideal des Dichters ist, so ist das Militär-Straf- 
gesetz für die Erhaltung der militärischen Ordnung gerade so not- 
wendig, wie das allgemeine Strafgesetz zur Erhaltung der bürger- 
lichen und staatlichen Ordnung, und sind Handlungen gegen die 
militärische Ordnung eben so strafbar, wie Handlungen gegen die 
bürgerliche Ordnung. Dies zum allgemeinen Verständnis zu bringen, 
wird Aufgabe der militärischen Erziehung des Volkes sein. 



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Über den heutigen Stand 



Es kann also nicht in Zweifel gezogen werden, dafs die Dis- 
ziplin nötigen Falls durch Strafen aufrecht zu erhalten ist, und 
schon der römische Schriftsteller Valerius Maxinius sagt: Sanctissima 
romani imperii custos severa castrorum diseiplina (1. 1, c. b.). 
Ist es als begründet anerkannt, dafs das Heer für den Staat not- 
wendig ist, dafs das Wohl und Wehe des Staates von seinem Heere 
abhängt, und dafs jeder wehrhafte Bürger die Pflicht hat, dem 
obersten Kriegsherrn als Soldat zu dienen, so erscheint eine Be- 
strafung der Verletzung der militärischen Pflichten auch den Grund- 
sätzen der Gerechtigkeit entsprechend. Da das Hoer als Teil des 
Staates eine besondere Aufgabe zu erfüllen hat, und zur Erfüllung 
derselben die Angehörigen des Heeres besondere Pflichten zu über- 
nehmen haben, so müssen für den Militär-Stand besondere Straf- 
bestimmungen bestehen. Diese Sonderbestimmungen sind gerecht- 
fertigt, entsprechen dem Prinzipe der Gerechtigkeit, wenn und in- 
soweit sie durch das Wesen des Heeres gefordert sind. Die rechts- 
philosophische Behandlung des Militär-Rechts hat daher von dem 
demselben zu Grunde liegenden Prinzipe (der Gerechtigkeit in Bezug 
auf die Verletzung militärischer Pflichten) ausgehend zu untersuchen, 
welche Handlungen gegen die militärische Ordnung strafbar sind, 
und in welchem Umfange die Bestrafung derselben einzutreten 
hat. Das Prinzip der Gerechtigkeit wird also auch für die Gröfse 
der Strafe mafsgebeud zu sein haben. Das Strafgesetz wird daher 
bei Bestimmung der Strafe, der Richter bei Bemessung derselben 
innerhalb des gesetzlichen Rahmens, unter Bedachtnahme auf die die 
That begleitenden Erschwerungs- und Milderungsumstände, darauf 
zu achten haben, dafs die Strafe mit der Gröfse der Pflichtverletzung 
in einem gerechten Zusammenhang steht. Es wäre daher nicht zu 
billigen, wenn ein Militär-Strafgesetz auf eine aufserdienstliche Sub- 
ordinatiousverletzung im Frieden die Todesstrafe setzen würde, 
weil die durch eine solche That verursachte Rechtsverletzung unter 
keiner Bedingung mit dem Leben eines Menschen in einem gleichen 
Verhältnis steht. Auch die Todesstrafe auf das Verbrechen der 
Desertion in Friedenszeiten dürfte zu strenge erscheinen. Auch 
gegen die in manchen Militär-Strafgesetzen vorkommende Strafe der 
Decimation muh sich de lege ferenda ausgesprochen werden, denn 
schon Tacitus sagt von dieser Strafe: habet aliquid ex iniquo omne 
maguum exemplum, quod contra singulos utilitate publica repentitur. 
In Kriegszeiteu treten an den Soldaten gröfsere Anforderungen heran 
als in Friedenszeiten, da das Heer erst im Kriege seine eigentliche 
Aufgabe zu erfüllen hat. Es erscheint daher gerechtfertigt, dafs die 



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der Militär-Rechtswissenschaft und Gesetzgebung. 



193 



Militär-Strafgesetze für die Kriegszeit strengere Strafen normieren, 
denn je gröfser die Pflichtverletzung desto gröfser die Strafe. In 
Kriegszeiten wird die Todesstrafe nie ganz entfallen können, wenn 
dieselbe auch dereinst bei fortschreitender Civilisation in den Civil- 
Strafgesetzen aufgehoben werden sollte. 

Die durch die Gerechtigkeit geforderte Strafe ist jedoch keine 
absolut bestimmte, sondern liegt zwischen einem Minimum und einem 
Maximum. Treffend vergleicht Berner die ethischen Begriffe mit 
den an ein bestimmtes Mafs gebundenen physischen Existenzen. 
Vom höchsten Grade der Kälte bis Null Grad bleibt das Eis Eis, 
und verwandelt sich erst dann in Wasser. Von Null Grad bis 
80 Grad Wärme bleibt Wasser Wasser und verwandelt sich erst 
dann in Dampf. In derselben Weise verhält sich der Begriff der 
vergeltenden Gerechtigkeit zu dem von ihr geforderten Quantum 
sinnlichen Leidens. Innerhalb der Grenzen der Gerechtigkeit wird 
daher auch die Militär-Rechtspflege den Strafzwecken Rechnung zu 
tragen haben. Insbesondere wird das Moment der Abschreckung 
anderer in einem Militär-Strafgesetze niemals ganz entbehrlich sein. 
In Fällen, da die Umstände, unter welchen ein Delikt begangen 
wurde, eine abschreckende Strafe erheischen, wird auch die Pflicht- 
verletzung eine derartige sein, dafs eine strenge Strafe gerechtfertigt 
erscheint. Blofs nach Opportunitätsgründen kann nicht geurteilt 
werden. Es gilt nicht mehr der Ausspruch Wallensteiu's: »So 
hänge man Dich unschuldig, desto mehr wird der Schuldige 
zittern.« 

Die wissenschaftliche Bearbeitung des Militär-Rechts soll aufser 
der rechts-philosophischen eine rechts- historische sein, denn das 
Geschichtliche wird stets eine wesentliche Seite des Rechtes bilden. 
Das Recht steht mit dem Wesen und Charakter eines Volkes im 
innigen Zusammenhang und dies bewährt sich auch im Fortgange 
der Zeiten. Die Darstellung eines Rechtes soll nicht mit dem 
Tage seiner Publikation beginnen. Wir können die einzelnen Rechts- 
Institute nicht verstehen, wenn wir nicht deren geschichtliche Ent- 
wicklung kennen. Jene, welche für die Einführung des französischen 
Militär-Strafverfahrens in anderen Staaten plädieren, sollten doch auf 
den organischen Zusammenhang, in welchem das Recht mit dem 
Gesamtbewufstsein des Volkes steht, Bedacht nehmen, und bedenken, 
dafs das Recht kein Kleid ist, welches nur einiger Änderungen be- 
darf, um auch für andere zu passen. Wie das Studium der Ent- 
wicklung des eigenen Rechts, so gewährt auch das Studium der 
Gesetzgebung fremder Staaten hohes Interesse. Die Wissenschaft 



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194 



Über den heutigen Stand 



soll am allerwenigsten mit einer chinesischen Mauer sich umgeben. 
Mit dem rechts-vergleichendem Studium ergiebt sich von selbst die 
kritische Behandlung des Rechts. Da Gesetze nicht für ewige Zeiten 
erlassen werden können, jedes Gesetz mit der Umgestaltung der 
Lebensverhältnisse und den Fortschritten der Wissenschaft in der 
einen oder anderen Richtung einer Verbesserung bedürftig ist, so 
ist es die Aufgabe der Wissenschaft, die in den verschiedenen Staaten 
gleichzeitig bestehenden Gesetze zu vergleichen und daraus Nutzen 
für eine künftige Gesetzgebung zu ziehen. Ist es doch anerkannt, 
dafs die Wissenschaft ein Gemeingut aller Völker ist, dafs jedem 
Volke ein Anteil an den Fortschritten der Wissenschaft gebührt, 
warum sollte dies nicht auch in Bezug auf die Wissenschaft des 
Militär-Rechts der Fall sein? Unser Zeitalter ist recht eigentlich 
das Zeitalter der Kritik, welche, wie Kant in seinem Hauptwerke 
(Kritik der reinen Vernunft) bemerkt, sich sogar an die Religion 
heranwagt. Allerdings hat nur eine wissenschaftliche Kritik 
einen Anspruch auf Berechtigung, nicht eine solche, welche nur 
alles verneint und so die Achtung vor dem Gesetze untergräbt. 
Das gefährlichste ist auch hier die Phrase. Wenn blofe von frei- 
sinnigen Einrichtungen, die einzuführen sind, von veralteten In- 
stitutionen, die abzuschaffen sind, von Volksheeren und Vehmgericht, 
von Geheimthuerei u. s. w. geschrieben wird, so sind solche Schreibe- 
reien nur dazu, um weifses Papier mit Drucker-Schwärze zu ver- 
derben. Die wissenschaftliche Behandlung des Militär-Rechts hat 
also, wie wir im Vorhergehenden gesehen haben, nicht blofs eine 
empirische, sondern zugleich eine historisch-philosophische 
zu sein, wobei auch der rechtsvergleichenden und kritischen Methode 
Rechnung zu tragen ist 

Das System eines Militär-Rechts hat das ganze Gebiet des 
Militär-Rechts, das öffentliche, das Privat- und das Strafrecht zu 
umfassen, wobei in Bezug auf alle Teile die hier für das Strafrecht 
bezeichnete wissenschaftliche Behandlung des Stoffes stattzufinden 
haben wird. Es soll nicht mehr blofs in den Lehrbüchern und 
Compendien des Staats- und Verwaltungsrechts beziehungsweise des 
Strafrechts auf das Militär- Recht hingewiesen werden, es soll ein 
System des Militär-Rechts geschaffen werden. Durch eine wissen- 
schaftliche Behandlung des ganzen Militär- Rechts wird für die 
Rechtswissenschaft und das Heerwesen und somit auch für den 
Staat selbst Ersprießliches geleistet werden. Die Vorwürfe, welche 
hie und da von der Litteratur gegen die eine oder die andere 
Institution des Militär-Rechts erhoben werden, fallen auf die Litte- 



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der Miüt&r-Rechtowissenschaft und Gesetzgebung. 195 

ratur selbst zurück, da es längst Sache der Wissenschaft war, der 
Gesetzgebung den Weg zu ebnen, wie dies auf andern Gebieten der 
Rechtswissenschaft der Fall war. 

Eine Förderung der Wissenschaft des Militär-Rechts wird aber 
erst dann zu erwarten sein, wenn demselben eine Stätte an 
den Universitäten, den Brennpunkten des wissenschaft- 
lichen Lebens eröffnet sein wird. Zwar ist es richtig, dafs 
Theorie und Praxis Hand in Rand zu gehen haben, dafs Theorie 
und Praxis, sich wie <pj(KoM) und ävaoroki] der Respiration, wie 
Denken und Wollen*) verhalten, und dafe dieselben von einander 
nicht durch eine untrennbare Kluft getrennt sind, wie man öfter 
zu hören bekommt. Allein der Praktiker ist zu sehr von seinen 
eigentlichen Berufsgeschäften in Anspruch genommen, um gröfeere 
theoretische Werke verfassen zu könueu. — Die Vorlesungen über 
Militär-Recht an den Universitäten hätten das ganze Gebiet des- 
selben (das Öffentliche, bürgerliche und Strafrecht des Heeres) zu 
umfassen, wobei sich allerdings auf die Grundsätze und den Geist 
der Gesetze zu beschränken wäre, und alles Detail entfallen könnte. 
Allerdings werden an manchen Universitäten Vorlesungen^ über 
Militär-Recht angekündigt, allein nur um nicht gehalten zu werden. 
Dafs hierdurch nichts geholfen ist, liegt auf der Hand. Das Militär- 
Recht soll gleich dem Privat-, Strafrecht, dem kanonischen Recht 
ein obligater Lehrgegenstand werden. Zu Lehrern werden zunächst 
Militär- Juristen zu ernennen sein, weil gegenwärtig nur diese eine 
genaue Kenntnis des Militär-Rechts besitzen. 

Im Folgenden haben wir von dem gegenwärtigen Stand 
der Militär-Strafgesetzgebung jedoch dem Zwecke der uns hier 
gestellten Aufgabe entsprechend nur in allgemeinen Zügen zu 
sprechen. Das Militär-Strafgesetz für die österreichisch- ungarische 
Monarchie wurde im Jahre 1855, das Militär-Strafgesetz Frankreichs 
im Jahre 1857, jenes Italiens im Jahre 1869 und jenes für das 
Deutsche Reich im Jahre 1872 erlassen. Die wichtigsten Be- 
stimmungen der Militär-Strafgesetze beziehen sich auf die Militär- 
Delikte. Die Militär-Delikte sind der strafrechtlich formulierte 
Gegensatz der militärischen Pflichten. — 

Unter den militärischen Pflichten steht oben an, die des 
Gehorsams. Die Verletzung des Gehorsams oder der dem Vor- 
gesetzten schuldigen Achtung bildet das Militär-Delikt der Sub- 
ordinationsverletzung (eine strafbare Handlung gegen die militärische 



•) Berner, die Lehre von der Teilnahme, S. 6. 



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196 Über den heutigen Stand 



Unterordnung), welches von den Militär-Strafgesetzen mit verschiedenen 
Strafen, je nachdem die Handlung im Dienste oder aufser demselben, 
in Kriegs- oder Friedenszeiten, mit Gewalttätigkeiten oder ohne 
dieselben begangen wurde, bedroht wird. (§§ 145 — 158 des 
österr., Art. 218—223 des französ., Art. 112—113, 122—134 des 
italienischen, §§ 89—101 des deutschen M.-St.-G.). Die von mehreren 
Soldaten gemeinsam, im gegenseitigen Einverständnis, begangene 
Insubordinations-Verletzung wird wegen der besondern Gefährlichkeit 
der That meist als ein eigenes Militär-Delikt, das der Meuterei 
strenger als die einfache Subordinationsverletzung bestraft. (§§ 159 
bis 182 des österr; Art. 217, 225 des franz., Art. 114—121 des 
italenischen, und §§ 100—110 des deutschen M.-St-G.). Wird 
von dem Untergebenen ein strenger Gehorsam gegen den Vor- 
gesetzten gefordert, so ist es andererseits Pflicht des Vorgesetzten, 
seine Untergebenen vorschriftsmäfsig zu behandeln. Mifshandlungen 
der Untergebenen im Dienste können, da durch dieselben auch eine 
Dienstpflicht verletzt wird, nicht nach den Bestimmungen des all- 
gemeinen Strafgesetzes behandelt werden. Die Überschreitung der 
Dienstgewalt des Vorgesetzten gegen seine Untergebenen bildet ein 
Militär-Delikt, dessen Bestrafung gerade so notwendig ist, wie jene 
der Insubordination. (§§ 289 — 291 des österr., Art. 168 des 
italienischen Art. 229 des franz., §§ 114 — 123 des deutschen 
M.-St.-G.) — Eine Tugend, welche den Soldaten zieren soll, ist die 
Treue. Diese wird dadurch verletzt, daÜB der Soldat durch Flucht 
oder durch Verstümmlung seines Körpers sich dem Dienste für 
immer zu entziehen trachtet. Die Fahnenflucht (Desertion) und 
SelbBtbeschädigung gehören zu den schwersten Militär-Delikten, und 
werden von den Militär-Strafgesetzen auf das erste Delikt namentlich 
in Kriegszeiten, auf den Rückfall dann, wenn dasselbe gemeinsam 
von mehreren unternommen wird (Desertions-Komplot), besonders 
strenge Strafen gesetzt, während die Selbstmeldung als Milderungs- 
timstand angenommen wird. (§§ 183 — 229, 293 — 298 des österr., 
Art 231 — 243 des französ., Art. 137 — 162, 177 des italienischen, 
§§64 — 83desdeutschenM.-St.-G.) — AllenGefahren mutig entgegen 
zu treten, und für das Wohl des Vaterlandes selbst das Leben zu 
opfern ist eine weitere Pflicht des Soldaten. Die Feigheit wird 
mit strengen Strafen, im Angesicht des Feindes mit dem Tode be- 
straft. (§§ 243—260 des österr., §§ 84—88 des deutschen M.-St.-G.) 

Der Wachtdienst ist für den militärischen Dienstbetrieb von 
gröfster Wichtigkeit. Hüne Aufserachtlassung der Wachsamkeit 
seitens einer Wache, namentlich aber eines Postens, kann in 



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der MilitÄr-Rechtswiasenwhaft und Gesetzgebung. 



197 



Kriegszeiten von unberechenbar nachteiligen Folgen für das ganze 
Heer sein. Pflichtverletzungen im Wachdienste werden daher 
namentlich in Kriegszeiten strenge bestraft. (§§ 230 — 242 des 
österr., Art. 211 — 213 des französ., Art. 95 — 99 des italienischen, 
§§ 143, 144 und 146 des deutschen M.-St.-G.) — Eine weitere Art 
strafbarer Handlungen bilden die Falle, in welchen eine Dienstpflicht 
nicht oder nicht gehörig befolgt wird. Da die militärischen Pflichteu 
mannigfacher Natur sind, so ist das Gebiet der Dienstvergehen 
ein weites und seiner Natur nach unbestimmtes. Hierher gehören 
die strafbaren Handlungen, welche das österreichische Militär-Straf- 
gesetz als Hintansetzung der Dienstvorschriften im Allgemeinen, 
bezeichnet. Derartige Dienstvergehen sollen dem Strafgesetze dann 
angehören, wenn dieselben schwer genug erscheinen, namentlich wenn 
durch dieselben ein Verlust herbeigeführt wurde; sonst aber der 
Disziplinar- Behandlung unterliegen. — Die in den Militär-Straf- 
gesetzen gegen Verleitung von Soldaten zur Verletzung 
ihrer Dienstpflichten, gegen Falsch Werbung, Ausspähung und 
ähnliche Handlungen enthaltenen Strafnormen sollen das Heer 
gegen solche Delikte schützen, deren unmittelbares Objekt die 
Kriegsmacht ist, während die Strafnormen »gegen widerrechtliche 
Handlungen im Felde« den Zweck haben, die Gesittung in der 
Kriegführung zu wahren, und die Mannszucht aufrecht zu erhalten, 
welche durch Plünderungen, unerlaubtes Beutemachen u. s. w. sehr 
leicht gefährdet wird. 

Aufser den militärischen Delikten giebt es noch gemeine 
Delikte, welche von den Militär-Strafgesetzen deshalb normiert 
werden, weil dieselben von Soldaten begangen im Interesse der 
Disziplin eine strengere Bestrafung erheischen, als dies nach den 
allgemeinen Strafgesetzen der Fall ist. Hierher gehören der soge- 
nannte Kameradschaftsdiebstahl (Entwendungen begangen von einem 
Soldateu zum Nachteil eines andern Soldaten, Veruntreuungen und 
Betrügereien im Dienste, nach italienischem Militär-Strafgesetz auch 
Schlägereien unter Soldaten). 

In Bezug auf die andern Delikte steht der Soldat im Wesent- 
lichen dem andern Bürger gleich. Dies bedingt jedoch durchaus 
nicht eine Einschränkung der Militär-Jurisdiktion auf die militärischen 
und die militärisch-qualifizierten Delikte der Militär-Personen. Auch 
durch die gemeinen Delikte kann, wenn sie im Dienste begangen 
werden, oder wenn sie sich häufen, die Disziplin Schaden leiden. 
Aus diesem Grunde, und auch aus andern Gründen, die hier nicht 
weiters entwickelt werden können, soll die gesamte Strafrechtspflege 

Jahrbücher für dl. DMtwha tmN m>d Marin«. Bd. LXXVI , a. J4 



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198 



Über den heutigen Stand 



über Militär- Personen der Militär- Verwaltung überlassen bleiben. 
Obwohl nach deutschem Militär-Strafgesetz die gemeinen Delikte 
der Militär-Personen nach dem Reichs-Strafgesetze zu beurteilen 
sind, so erstreckt sich die Jurisdiktion der Militär-Gerichte doch auch 
auf diese von Militär-Personen begangenen Delikte. 

Sollen wir ein Urteil über das Verhältnis abgeben, in welchem 
die Militär-Strafgesetzgebung zur Straf rechtswissenschaft steht, so 
lautet dasselbe dahin, dafs das deutsche Militär-Strafgesetz vom 
Jahre 1872, welches sich an das Reichsstrafgesetz enge anschliefet, 
den Anforderungen der heutigen Rechtswissenschaft entspricht. 
Militär-Strafgesetze älteren Datums tragen der Abschreckungs- 
Theorie zu sehr Rechnung, was jedoch kein Vorwurf sein kann, da 
jedes Gesetz aus den wissenschaftlichen Ansichten seiner Entstehungs- 
zeit hervorgeht. Allerdings können bei der praktischen Anwendung 
manche Härten strenger Gesetze (durch Strafmilderung, Begnadigung) 
gemildert werden. 

Der Grundsatz, dafs das allgemeine Strafrecht die Grundlage 
des Militär- Rechts zu bilden hat, dafe für den Militär-Stand nur 
insofern Abweichungen bestehen sollen, als dies durch das Wesen 
des Heeres gefordert wird, dafe jedoch auch diese Sonderbestimmungen 
auf dem Priuzipe der Gerechtigkeit zu beruhen haben, soll auch im 
Militär-Strafverfahren zur Anwendung kommen. Es ist jedoch 
ein bisher weder von der Gesetzgebung noch von der Wissenschaft 
gelöstes Problem, in welchen Verzweigungen die modernen Prinzipien 
des Strafprozesses im Militär-Strafverfahren anzuwenden sind, so 
dafs dasselbe sowohl den Anforderungen der Rechtswissenschaft als 
jenen des Heerwesens entspricht. Während für den ganzen Umfang 
des Deutschen Reiches ein Militär-Strafgesetz besteht, sind derzeit 
noch 3 Straf prozefeordnungen in Kraft, die würtembergische vom 
Jahre 1818, die bayerische vom Jahre 1869, und für die übrigen 
deutschen Staaten die preufeische vom Jahre 1845. Während sich 
also die deutschen Staaten darüber einigen konnten, welche Hand- 
lung als Militär-Delikte und mit welchen Strafen dieselben zu 
bestrafen sind, kam eine Einigung auf dem Gebiete des Militär- 
Strafverfahrens bisher nicht zu Stande. In Bayern besteht ein 
mündliches, öffentliches Verfahren, die preufeische Militär-Straf- 
prozefeordnung hingegen ist ein schriftlicher Inquisitions-Prozefe 
mit Ausschliessung der Öffentlichkeit und Beschränkung der Ver- 
teidigung. Auf denselben Prinzipien, jedoch mit gänzlicher Aus- 
schliessung der formellen Verteidigung, beruht der in Österreich- 
Ungarn bestehende Militär-Strafprozefe, welcher auf die Gerichts- 



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der Militär-RechtswiBsenadiafl nnd Gesetzgebung. 199 



Ordnung der groben Kaiserin Maria Theresia (1768) zurückzuführen 
ist. Der Grundgedanke des österreichisch-ungarischen und deutscheu 
Militär-Strafverfahrens ist der, dafs der Gerichtsherr (der militärische 
Kommandant) die Untersuchung anordnet, das Urteil bestätigt, be- 
ziehungsweise wenn er mit dem Urteil nicht einverstanden ist, die 
Akten an die höhere Militär-Gerichtsbehörde vorlegt. — 

Es ist wohl keinem Zweifel unterworfen, dafs das Militär- 
Strafverfahren in Österreich- Ungarn und in Deutschland reform- 
bedürftig ist. Die Wissenschaft hat auf dem Gebiete des Prozeß- 
rechts in diesem Jahrhundert namhafte Fortschritte gemacht, sodafs 
Feuerbach schon im Jahre 1821 seinem Freunde Grolmann in der 
Zueignung seiner Schrift über die Öffentlichkeit und Mündlichkeit 
zurufen konnte: »Wären wir vor 20 Jahren eingeschlafen, um wie 
Epimenides erst jetzt wieder zu erwachen, so würden wir glauben, 
ein Jahrtausend sei unterdessen über den Schläfer dahingegangen.« 
Den Fortschritten der Prozefswissenschaft hat auch das Militär- 
Strafverfahren, beziehungsweise dessen Gesetzgebung, Rechnung zu 
tragen. 

Unter den Schriftstellern, welche sich mit der Reform des 
Militär-Strafverfahrens beschäftigen, herrscht eine wahre Gallomanie. 
Das französische Militär -Strafverfahren wird als ein Gesetz hin- 
gestellt, welches die »Bewunderung der Mitwelt« verdient. Wir 
sind weit davon entfernt, in Zweifel zu ziehen, dafe die französische 
Nation auf allen Gebieten des Wissens Grofses geleistet hat. 
Montesquieu, Voltaire, Rousseau sind Namen, welche allein die 
Gröfee einer Nation begründen. Wir bestreiten nur, dafs die fran- 
zösische Militär -Strafprozefeordnung ein Gesetz ist, welches andere 
Staaten einführen sollten. Nach der französischen Militär- 
Strafprozefs- Ordnung wird das ganze Strafverfahren mit Einschlufs 
der Anklage von Nicht- Juristen durchgeführt; der Verteidiger kann, 
mufs aber nicht Jurist sein. Es ist allerdings richtig, dafs die Bei- 
ziehung von Nicht -Juristen in einem Militär-Strafverfahren in 
Anbetracht der hohen Bildung des Militärstandes in einem weiten 
Umfang zulässig ist, — allein dennoch erscheint der Jurist in einem 
Strafprozeß nicht ganz ein Luxus- Artikel zu sein. Kein Staat 
(gegenwärtig auch kein Staat Nordamerikas) hat eine Civil- 
Strafprozefsorduung mit gänzlicher Ausschliefsung des juristischen 
Elements konstruiert. Die Geschwornen des Civil-Strafprozesses sind 
allerdings Laien in juristischen Dingen, allein sie entscheiden nur 
über die Schuldfrage, nach ihnen gestellten Fragen und nach ge- 
schehener Rechtsbelehrung, die Qualifikation der That und die Zu- 

14» 



DioitizGci by CjOOSle 



200 



Über den heutigen Stand 



messung der Strafe erfolgt durch den ans Juristen bestehenden 
Gerichtshof. Wenn nun auch im Militär -Strafverfahren die Zu- 
ziehung von Nicht -Juristen in noch weiterem Umfang zulässig er- 
scheint, so ist doch die gänzliche Ausschliefsung des juris- 
tischen Elements sehr bedenklich. 

Die Garantie für eine gerechte Urteilsfindung soll nach der 
französischen Militär - Strafprozeßordnung durch den ständigen 
Charakter der Militär-Gerichte erreicht werden, und deshalb soll die 
Functionsdauer der Mitglieder des Kriegsgerichts jedenfalls sechs 
Monate dauern, wenn nicht etwa, was bei der Beweglichkeit des 
Heeres oft genug der Fall sein wird, die Umstände eine noch frühere 
Ablösung erheischen. — Allen Ernstes sagt der Kommentator Vexiau 
zu Art. 6: »En principe, les fonctious de membre d'un conseil de 
guerre doivent durer six mois au moins, parce que >ce qui fait 
le bon juge, c'est l'experience«. Um sich eine gründliche Kennt- 
nis des Strafrechts und die nötige Praxis anzueignen, sind sechs 
Monate eine sehr kurze Zeit. Übrigens soll der Offizier wohl die 
Grundsätze des Militärrechts genau kennen, sein eigentlicher Beruf 
aber ist der militärische, er kann daher seine Zeit nicht mit Führung 
von Untersuchungen, Anklagen und ständigen Gerichtssitzungen 
verbringen. Die Kriegs Wissenschaft hat ein so ausgedehntes Gebiet, 
dafe ihr Studium ein Menschenleben voll in Anspruch nimmt. 

Allerdings siod in der französischen Militär-Strafprozefsordnung 
die Prinzipien der modernen Prozefstheorie anerkannt. Allein die 
Mündlichkeit, Anklageform und die Öffentlichkeit sind keine 
Zauberformeln, durch welche ein vollkommener Strafprozefs hervor- 
gezaubert werden kann; es kommt auf die Durchführung dieser 
Prinzipien an. Im französischen Militär- Strafverfahren sind die 
genannten Prinzipien nicht konsequent durchgeführt. In der Vor- 
untersuchung ist vieles unbestimmt gelassen, wodurch dem Unter- 
suchungsrichter eine zu weit gehende Gewalt eingeräumt und Un- 
klarheit bei der Vornahme der wichtigsten Untersuchungshandlungen 
veranlafst wird.*) Der Untersuchungsrichter wird zum Ankläger, 
während dem Militär-Anwalt öfters richterliche Funktionen beigelegt 
werden (Art. 84, 88 107), so dafc im französischen Militär- Straf- 
verfahren anstatt eines Inquirenten des deutschen Verfahrens deren 
zwei sind. 

Das Prinzip der Unmittelbarkeit (dafs das Kriegsgericht nur 
auf Grund der in der Hauptverhandlung stattfindenden Ver- 



») Archiv des Krimininalrecbts, Jahrg. 1862. 1. Heft, 8. 75. 



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der Militär-Rechtswissenschaft und Gesetzgebung. 201 



nehmungen, also der unmittelbaren Wahrnehmung entscheiden soll) 
ist dadurch unterbrochen, dafs das Kriegsgericht die Befugnis hat, 
die in der Voruntersuchung aufgenommenen Protokolle in der 
Hauptverhandlung vorlesen zu lassen, wenn ein oder der andere 
Zeuge nicht erscheint (Art. 126). 

Endlich erscheint es noch als ein Mangel des französischen 
Verfahrens, dafs es keine oberste Gerichts- Instanz giebt, welche 
allein geeignet ist, Einheit in die Rechtsprechung zu briugen. 

Erwägt man vielleicht noch, dafs das Strafgesetz auf der alten 
Abschreckungstheorie beruht (auf jeder Seite sind die Worte zu 
lesen: »Est puni de raort,«) so dürfte auch von dem französischen 
Militär-Strafrecht der Ausspruch Jean PauTs gelten: »Es ist leichter 
gerühmt, als gerechtfertigt zu werden.c 

Die italienische Militär-Strafprozefs-Ordnung vom Jahre 
1861 beruht auf denselben Prinzipien wie die französische. Es be- 
steht jedoch eine oberste Gerichtsbehörde, der Auwalt ist Jurist, 
und sind auch ausführlichere Bestimmungen über den Gang des 
Prozesses gegeben, als dies nach der französischen Gesetzgebung 
der Fall ist 

Näher auf die Prozefsgesetze einzugehen, ist hier nicht unsere 
Aufgabe. 

Wir sind also zu dem Resultate gekommen, dajs man gegen- 
wärtig nur von einem Anfange einer Wissenschaft des Militär- 
Rechts sprechen kann, und dafs es namentlich an einer auf 
historisch-philosophischer Grundlage beruhenden systematischen Dar- 
stellung des gesamten Militärrechts mangelt. Von den bestehenden 
Militär- Strafgesetzen entspricht zwar jenes für das deutsche Reich 
den Anforderungen der heutigen Rechtswissenschaft, aber die übrigen 
Militär -Strafgesetze und Militär- Strafprozeß- Ordnungen (mit Ein- 
schlullB der preußischen vom Jahre 1845) sind reformbedürftig. 
Es ist eine der wichtigsten Aufgaben der Wissenschaft, 
festzustellen, in welchem Umfange die modernen Rechts- 
prinzipien (der Anklage, Unmittelbarkeit, Öffentlichkeit) 
in einem Militär - Strafverfahren zur Anwendung zu 
bringen sind, so dafs dasselbe den Anforderungen der 
Rechtswissenschaft und den Verhältnissen des Heeres ent- 
spricht. 45. 



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X. Die Forts und das Melinit 



Unter den zahlreichen Schriften, welche durch das Bekannt- 
werden der gewaltigen Zerstörungen hervorgerufen wurden, die das 
Feuer mit brisanten Sprenggeschossen an Festungswerken herbei- 
zuführen vermag, zeichnen sich nur wenige durch so richtige Ge- 
danken aus, wie sie in dem Heftchen: >Un Pionnier, Les forts 
et la Melinite.« (Paris 1890. Charles-Lavauzelle) zum Ausdrucke 
kommen. Waren es doch die mafsgebendsten Ingenieure, welche 
die Erfolge der Brisanzgeschosse lediglich nach denselben Regeln 
bekämpfen wollten, nach welchen der Schiffsbaumeister die Stärke 
der Panzerplatten vermehrt. >Sind unsere Mauern unhaltbar ge- 
worden — gut, verdoppeln wir sie; genügen unsere Gewölbe nicht 
mehr — verstärken wir sie; ist eine Erddecke von einem Meter zu 
schwach — häufen wir mehrere Meter auf; werden Fenster und 
Thüren unan wendbar — vermauern wir sie; hält Erde überhaupt 
nicht mehr — nehmen wir Cement, Beton, Granit, Panzerplatten« 
— das ungefähr war der Gesamtinhalt der meisten Vorschläge, 
mit welcher die Befestigungskunst das Brisanzfeuer zu bekämpfen 
suchte und die Summen, welche dort und da zur Ausfuhrung dieser 
Vorschläge verwendet wurden, sind das beredteste Zeugnis dafür, 
wie wenig Einwendungen gegen ihre Forderung zur Geltung kommen 
konnten. Man darf sagen, dafs es der französische Major und 
Panzerkonstrukteur Mongin war, der diese Lehren über Festungs- 
verstärkung dadurch am folgerichtigsten zusammenfafiste, dafs er 
vorschlug, die Forts gänzlich durch massive Betonblöcke von riesigen 
Ausmafsen zu ersetzen, aus welchen nur einige Panzerkuppeln hervor- 
sehen und die lediglich durch Maschinisten verteidigt werden sollten, 
deren Existenz sich allein mit derjenigen der Maschinisten und 
Heizer eines Kriegsdampfers vergleichen liefse. Vielleicht haben 
gerade diese Vorschläge das Gute gehabt, doch auch andere Gedanken 
in Anregung und zum Ausdrucke zu bringen und hierfür giebt uns 
das Schriftchen des »Pionnier« ein desto erfreulicheres Zeugnis, als 
es nun (seit 1887) bereits in 2. Auflage vor uns liegt. Würden 
wir auch nicht in der Lage sein, die Vorschläge des »Pionnier« zur 
sofortigen Annahme empfehlen zu können, so müssen wir doch 
wiederholen, dafs sie richtigen Anschauungen entspringen. Sie 



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Die Forts und das Melinit. 



203 



wollen vor allem eine aktive, d. b. eine taktische Verteidigung 
durch Truppen, an die Stelle des rein passiven Widerstandes 
• cyclopischer Cementbauten und starker Panzerplatten setzen; sie 
trennen hierbei die Infanterie »von den Geschützstellungen«, fordern 
aber die ausgedehnteste Vorbereitung beider, um der Verteidigung 
zweckdienliche Ortswechsel, oder aber die umfassendste Macht- 
entfaltung zu gestatten. Indem sie das Fort eigentlich aus einer 
grofsen Gruppe solcher Einzelstellungen zusammensetzen und für 
die Kehllinie jener eine Sehnenlänge von mindestens 1000 m in 
Aussicht nehmen, zwingen sie das Angriffsgeschütz zur Feuer- 
zersplitterung und behüten ihre Anordnungen vor der Gefahr — 
gleich den heutigen Forts — »Bombenfange« zu werden. Dabei 
ist auch der Gedanke ganz annehmbar, den der »Pionnier« bezüg- 
lich der ferneren Verwertung unsrer heutigen Werke äufeert. Er 
will dieselben zum »passiven Kern« seiner Verteidigungsstellungen 
machen, mit welchen er diesen Kern daher, im weiten Bogen um- 
fassen möchte. Man wird einräumen müssen, dafs das alles »Ge- 
danken« sind, die diesen Namen in vollstem Mafse verdienen. Wenn 
wir — trotz dieser aufrichtigen Anerkennung — nicht auch ihrer 
Ausführung unsere vollste Zustimmung erteilen können, so be- 
gründet sich dies dadurch, dafs der »Pionnier« nur teilweise mit 
der Wirkung brisanter Sprenggeschosse vertraut ist. Er kennt im 
wesentlichen blofe die Zerstörungskraft derselben gegen Werke 
— ihre Leistungen gegen Annäherungshindernisse und ihre Ver- 
wertung mit Zeitzündern ist ihm sichtlich — noch unbekannt. 
Von einem so klaren Denken, wie es der Verfasser des »Les forts 
et la melinite« bekundet, läfst sich aber mit Zuversicht erwarten, 
dafs es auch gegen die eben berührten Brisanzwirkungen noch 
sachdienlichen Rat zu schaffen vermöge und wir können uns nicht 
verhehlen, dafs wir unsere Nachbarn im Westen zu solchem Rat- 
geber beglückwünschen dürfen. Wenn wir diese Überzeugung aus- 
sprechen, so lenken wir damit die Aufmerksamkeit unserer Leser 
wohl von selbst auf den »Pionnier« und die gesunden Gedanken, 
welche er in »Les forts et la me"linite« niedergelegt hat. 

v. Sauer. 



XI. Die Bedeutung des lannesmann'schen 
Röhrenwalzverfahrens für die Kriegstechnik. 



Wir haben es hier mit einer ganz eigenartigen Erfindung zu 
thun, welcher von den grofeeu Autoritäten des technologischen und 
maschinellen Gebiets eine ganz hervorragende Bedeutung zu erkannt 
wird. Man behauptet in technischen Kreisen, dafs das Verfahren 
gegenüber den bisherigen Methoden, aus schmiedbarem Metall Röhren 
herzustellen, einen Fortschritt darstellt, der von den weittragendsten 
Folgen begleitet sein wird. Soweit bekannt, hat man bisher solche 
Röhren entweder der Art gebildet, dafs man Metallplatten zu Cylindern 
umbog und die Enden an einander schweifste, je nachdem auch nur 
vernietete, — oder volle Cylinder einfach ausbohrte. Im ersten 
Falle fehlt unter allen Umständen die Sicherheit des Zusammen- 
halts, welche auch Schweifsungen nicht bieten, im zweiten Falle tritt 
ein grofeer Material- und Kraftaufwand ein ; es treten beim Ausbohren 
sehr häufig innere Fehler hervor, welche das Stück unbrauchbar 
machen oder was im Falle geforderter grofeer Widerstandsfähigkeit 
noch schlimmer ist, man hat keine Garantie, dafs solche Stellen nicht 
dicht unter der Innenfläche liegen, also der Finflufe der Fehler erst 
beim Gebrauch hervortritt. Wo eine sehr grofse Widerstands- 
fähigkeit gegen Seitendruck verlangt wird, wie namentlich bei den 
Röhren der Feuerwaffen, haben bei Verwendung von im Ganzen 
geschmiedeten und nachher ausgebohrten Blöcken die Fasern 
des Metalls keine zweckmäfsige Lage. Sir Will. Armstrong 
stellte deshalb die Röhre seines Geschützsystems zuerst aus ver- 
schiedenen, in warmem Zustande über einander gestreiften Hohl- 
cylindern her, von denen nur das innere oder Kernrohr bei dem die 
absolute Festigkeit, hauptsächlich in Betracht kommt, in gewöhn- 
licher Fasernlage hergerichtet war, die äufseren Cylinder, welche 
dem Seitendruck entgegenwirken, ihre Herstellung im Wege des 
Aufwickeins erfahren hatten. Die dadurch erreichte spiralförmige 
Lage der Fasern im Ganzen war sehr rationell, doch war hier 
wieder die Schweifsung nötig nnd so hat sich die Sache nicht 
bewährt, ebensowenig bis jetzt die spätere Idee der Draht-Umwicklung 
von Longridge. Jene spiralförmige Laije der Fasern ergiebt sich 



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Die Bedeutung des Mannesmann'schen u. s. w. 



20f> 



nun beim Mannesmann'schen Verfahren von selber, ohne dals 
die Fasern bei der Umlagernng eine Trennung erfahren, sie be- 
dürfen daher auch keines Mittels, um in Zusammenhang gebracht 
zu werden, wie es bei den Coil's von Armstrong durch Schweifsen 
und Schmieden erfolgte. Der Hinweis auf das Armstrong'sche 
Verfahren lag um so näher, als die Mannesmann'sche Röhre ihre 
Entstehung auch dem Bestreben verdankt, eine verbesserte Art 
der Herstellung eines Feuerrohrs zu finden. Im Übrigen ist keine 
Beziehung beider Methoden vorhanden. Wir benutzten nur einen 
in militärischen Leserkreisen bekannten Hergang als Bild. Wie in 
Wirklichkeit der Aufbau der Stahlröhre zu hoher Vollkommenheit 
gebracht worden ist, bedarf hier keines weitereu Hinweises. 

Der Vater der beiden Erfinder des jetzigen Verfahrens, aus 
vollen Blöcken Röhren auszuwalzen, Reinhard Mannes- 
mann, Besitzer einer Feilenhauerei in Remscheid, hatte den Ver- 
such gemacht, aus hohlgegossenen Blöcken (jedenfalls in Gufsstahl) 
Röhren durch Walzen herzustellen, in der Absicht daraus Gewehr- 
läufe zu gewinnen und so das übliche Verfahren der Erzeugung 
durch Ausbohren massiver Cylinder entbehrlich zu machen. Diese 
Bestrebungen gehen bis in die Zeit vor 30 Jahren zurück, blieben 
aber erfolglos. Die Aufgabe ging, als eine Art Familienerbstück 
auf die beiden Söhne Reinhard und Max Mannesmann über. 
Beim näheren Studium der Frage erkannten diese, dafe von massiven 
Blöcken ausgegangen werden müsse, wenn man Röhren von wirklich 
guter Qualität erhalten wolle, und dals ein Verfahren erfunden werden 
müsse, diese Rohren in glühendem Zustande zu verarbeiten, um Schnellig- 
keit der Produktion und Massenherstellung zu erreichen. Ausgehend von 
gewissen theoretischen Studien, welche die Erfinder als Stahlfabrikanten 
über die Molekular-Veränderungen in Stahl gemacht hatten, kon- 
struierten sie die Walztheorie erst theoretisch vollkommen durch 
und stellten dann auf kleinen Versuchswalzwerken praktische Proben 
an. Seit Anfang 1885 ist das erste kleinere Walzwerk, seit 1888 
sind die ersten gröfseren Apparate im Betriebe. Zum fabrikmäfsigen 
Verfahren hatten die Erfinder aber erst noch einige mechanische 
Probleme zu lösen, die wir nur kurz erwähnen: eine Kuppelung 
von durchaus gleichmäßiger Übertragung, die Konstruktion eines 
Schwungrads von besonders grofser Geschwindigkeit (bis 120 m in 
der Sekunde statt bisher höchstens 40 m), um bei den nötigen 
grofsen Kraftmengen des Walzprozesses die erforderlichen Quanti- 
täten derselben aufspeichern zu können, sowie endlich eine be- 
sondere Konstruktion von Zahnrädern mit Flächen -Auflage statt 



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206 



Die Bedeutung des Mannesmann'scheii 



des bisher allgemein üblichen Punktdrucks. Der Techniker wird 
vollauf verstehen, wie hervorragend die Leistungen der Erfinder im 
Gebiete des Maschinenbaues sind, um derartige Aufgaben lösen zu 
können. 

Was nun das eigentliche Verfahren betrifft, so ist es nur 
mittelst Modelle möglich, von dem Hergang einen vollen Begriff zu 
geben. Wir versuchen es, soweit es eben ohne solche geht. Es 
sei zunächst bemerkt, dafs wenn in gewöhnlicher Weise durch Zug 
von beiden Enden ein cylindrischer Stab zum Zerreilsen gebracht 
wird, an der Bruchstelle ein Zusammenziehen des Metalls der 
Trennung vorhergeht. Das M.'sche Verfahren sucht nun durch 
Drehung die Moleküle des Stabs zu verschieben, es nimmt die 
Torsionsfestigkeit desselben in Anspruch (in ähnlicher Weise ist die 
Verdrehung der Teilchen zu denken, als wenn man ein nasses 
Handtuch aasringt) unter gleichzeitigem Fortschreiten der Länge 
nach. So findet gewissermafsen auch ein Zerreiben statt, aber ohne 
wirkliche Trennung, die Teilchen bleiben in der neuen Lagerung 
im Zusammenhalt, wohl aber findet jene Erscheinung des Zusammen- 
ziehens statt, indefe in umgekehrtem Sinne, nämlich von innen 
nach aufsen hin, daher der hohle Raum im Innern der in 
der Lage der Teilchen veränderten Masse entsteht. Dies 
ist der springende Punkt in dem ganzen Hergang. Es werden nun 
nach und nach die sämtlichen Teilchen des cylindrischen Stabs (oder 
Blocks) in die Lage spiralisch durch einander verfilzter Fasern 
gebracht. Es wird also nicht blofe die Röhrengestalt gewonnen, 
sondern die Lage der Fasern giebt der Röhre eine erheblich gröfsere 
Festigkeit als sie einer ausgebohrten Röhre beiwohnt; die Trag- 
fähigkeit, welche die Röhrengestalt an sich besitzt, wird hiermit bei 
dem geringst denkbaren Eigengewicht erzielt, was bei der Ver- 
wendung von ausserordentlichem Vorteil ist, wie wir später sehen 
werden. Das Verfahren schliefet nun auch eine Selbstkontrolle der 
Güte des Fabrikats in sich, denn bedeutendere Risse im Innern des 
Metalls treten in der äufseren oder inneren Fläche der Röhre her- 
aus, während sie beim aasgebohrten Rohre unentdeckt bleiben 
können, kleinere Blasen u. s. w. werden in Folge der Verarbeitung 
des Metalles festgedrückt und unschädlich gemacht. Alles schlechte 
Material aber wird bei der Verarbeitung ausgeschieden. Es sei 
noch bemerkt, dafs nur zähe Metalle dem Verfahren unterworfen 
werden können, besonders handelt es sich um den Stahl. Dieser 
ist bei dem Verfahren rotglühend, Bronze, Messing, Kupfer brauchen 
nur schwarzglühend gemacht zu werden. Was nun den Apparat 



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RöhrenwalzverfahreM ffir die Kriegstochnik. 



207 



selbst betrifft, so besteht derselbe ans zwei konischen und wind- 
schief zn einander gestellten Walzen, die sich in gleichem Sinne 
drehen; dazwischen wird der Stab durchgeführt (beim gewöhnlichen 
Auswalzen dagegen drehen sich die beiden Walzen, die die Walzen- 
stralse bilden, im entgegengesetzten Sinne). Wo es sich um eine 
sehr glatte Höhlung handelt, wird ein Dorn zu Hülfe genommen, 
über welchen die Rohre hinweggeht; derselbe hat aber gar Nichts 
mit der Bildung der Höhlung zu thun. Die Zähigkeit des Metalls 
ist nach dem Verfahren in Folge der günstigen Lagerung der Fasern 
eine ausserordentlich grofse, man kann das Querprofil der Röhren 
beliebig ändern, z. 6. aus der runden die vierkantige Gestalt her- 
stellen, auch die seltsamsten Verlegungen und Verschlingungen mit 
der Röhre vornehmen, ohne dafs die Haltbarkeit im mindesten 
litte. Dafs das Verfahren lediglich auf der äufseren Bearbeitung 
beruht, geht daraus hervor, dafs man Röhren herstellen kann, 
welche vollständig geschlossen bleiben, sodafs die Höhlung gar nicht 
zu Tage tritt. 

Nach den uns gemachten Angaben hat man bisher jedes 
beliebige äufeere Mals von 5 bis 375 mm herzustellen vermocht, 
kann auch bei gegebenem Aufeendnrchmesser jedenbeliebigen Innen- 
durchmesser von Nadelknopfdicke bis zu 95 Prozent des äufseren 
Durchmessers darstellen. Man ist auf dem Wege Röhren mit 
Aufeendurchmessern bis zu 600 mm zu erzeugen und denkt noch bis 
1200 mm zu kommen. Was die Längen betrifft, so hat man bisher 
45 Fufs (13,72 m) erreicht, denkt aber noch bis 90 Fufs (27,43 m) 
zu gelangen. 

Das älteste der in Betrieb befindlichen M. 'sehen Werke ist 
dasjenige zu Remscheid, woselbst die Erfindung gemacht und zuerst 
dem praktischen Betrieb übergeben wurde; das Werk beschäftigt 
400 Arbeiter. Ein zweites Werk ist in Komotau (Böhmen), zur 
Zeit mit 1200 Arbeitern, deren Zahl später auf 3000 gesteigert 
werden soll. Ein drittes Werk von geringerem Umfange ist in 
Bous bei Saarlouis. Das gröfste der bisherigen Werke ist in England 
zu Landore in Wales, zur Zeit mit 1300 Arbeitern. Dasselbe soll 
später für 3000 Arbeiter erweitert werden. Mit dem Röhrenwalz- 
werk ist hier ein grofses Stahlwerk verbunden, das den gröfeten 
Teil desjenigen Stahls für die übrigen Werke liefert, an dessen 
Gleichmäfsigkeit besondere Anforderungen gestellt werden. 

Es haben sich bereits eine grofse Zahl namhafter Ingenieure, 
Mitglieder der Eisenbahnverwaltungen, der Militärbehörden, der 
Admiralitäten u. s. w., sowie Autoritäten der technischen Wissen- 



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20* 



Die Bedeutung des Manneemanu'6chen 



Schäften dahin ausgesprochen, dafe dem Verfahren eine grofee 
Bedeutung beizulegen ist, es würde zu weit führen, hier auf Einzel- 
heiten sich einzulassen. 

Die Verwendung der M. 'sehen Röhren liegt zunächst 
überall da nahe, wo es auf die Röhren gestalt, namentlich mit gleich- 
zeitiger Widerstandsfähigkeit gegen inneren Druck ankommt, ferner 
wo es sich um die der Röhrenform eigene grolse Tragfähigkeit handelt. 
Weiterhin kann man den Röhren eine grofee Zukunft als Ersatz bisher 
massiv hergestellter Körper zuschreiben, wobei sowohl Gewichts- 
verminderung als Material-Ersparnis eine Rolle spielen. Das beliebig 
zu vermindernde Gewicht des hohlen und dabei geschlossenen 
Körpers gestattet es die Röhren zu schwimmfähigen Körpern aus- 
zugestalten und damit andere bisher übliche schwimmende Unter- 
lagen zu ersetzen. Das Metall vermag mit Ausnutzung des M.'schen 
Verfahrens künftighin an vielen Stellen das Holz zu ersetzen, wo 
ersteres bisher mit Rücksicht auf die äufeere Gestalt und geforderte 
Starrheit ausgeschlossen war. Selbstredend soll und kann diese 
Aufzählung keine abschliefeende sein. 

Die gänzliche Neuheit der Sache in anderen als spezifisch tech- 
nischen Kreisen hat uns genötigt, dem eigentlichen Thema diese 
lange Darlegung voranzuschicken, die dem Umfang nach unver- 
hältnismäfeig breit erscheinen mag, aber darum nicht unwillkommen 
sein kaun. Auf dem Gebiete der Kriegstechnik dürfte nun 
das Nächstliegende die Verwertung der M.'schen Erfindung zur Her- 
stellung von Feuerröhren sein. Zu Gewehrläufen, Laufmänteln 
und entsprechend gestalteten anderen Gewehrteilen sollen die M.'schen 
Röhren bereits Anwendung finden. Gewisse Aussichten bieten sich 
hinsichtlich der Geschützröhre, sei es als Massivrohr kleineren Kalibers, 
sei es als Mäntel- oder Rohrringe, vielleicht auch als Verschlufe- 
körper, z. B. als Verschlufeschrauben. Es liegen nur die Anfange der 
Fabrikation vor. Man wird sich fürs erste an die bisher üblichen 
Konstruktion s -Verhältnisse anlehnen, es ist aber nicht ausgeschlossen, 
dafe mit der Zeit auf Grund der M.'schen Röhren gewisse Um- 
gestaltungen, namentlich mit Anwendung schwächerer Dimen- 
sionen kommen werden. Die Herstellung kleinkalibriger Gewehr- 
läufe erscheint durch das M.'sche Verfahren in hohem Grade er- 
leichtert, gradezu aber Bedürfnis zu werden, sobald, wie vor- 
auszusehen, über kurz oder lang eine weitere Verringerung 
der Gewehrkaliber erfolgen sollte. Zu Geschossen der Artillerie 
ist das Fabrikat gleichfalls geeignet und wird damit vielleicht 
bald dem Gufseisen gänzlich der Lebensfaden abgeschnitten 



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Röhrenwalz Verfahrens tor die Kriegstechnik. 



209 



werden. Ein weiter Spielraum ist auf dem Gebiet der Laffeten 
und Fahrzeuge eröffnet. Röhrenförmige Deichseln, hohle Achsen 
und Brenncylinder kommen bereits vor. Wir glanben aber, 
dafs dies nur die Anfänge sind. Sollte nicht, ebenso wie im 
Brückenbau das Winkeleisen dem M.'schen Röhrenträger bereits 
Platz macht, das letztere auch im Aufbau des Laffetenkörper9 be- 
ziehungsweise des Gerüstes des Fahrzeuges Eingang gewinnen können? 
Giebt es ein besseres Mittel, das ganz von Metall hergestellte Rad 
zur Einführung zu bringen, als grade durch jene Erfindung? 

Sehr frühzeitig hat die M.'sche Röhre im Gebiet der Handwaffen 
Nutz-Anwendung gefunden. Vor einiger Zeit wurde nämlich bei 
der deutschen Reiterei die Stahlrohr-Lanze eingeführt, und ist 
es mittels des M.'schen Röhrenwalzverfahrens gelungen, sowohl 
die hohlen Schäfte, als die hohlen Spitzen der Lanze zu erzeugen. 
Mit derselben Berechtigung können auch die Stangen der Wischer 
bei der Artillerie künftig aus Stahl hergestellt werden, ein vor 
Zeiten als unlösbar erfundenes Problem. 

Überall wo in der Artillerie-Technik Maschinen zur An- 
wendung kommen, wird künftig das M.'sche Rohr ähnlich wie im 
Maschinenbau überhaupt eine Rolle spielen. 

Ein besonders weites Feld wird die Erfindung unter den Vor- 
richtungen der technischen Truppen finden. Das jetzige Ponton 
weicht vielleicht der schwimmenden Röhre, der Draht bei Kriegs-Fern- 
schreibern und -Fernsprechern wird hohl und aus Stahl mit Kupfer 
kombiniert sein, wobei keine Dehnung mehr stattfindet; wo Stangen 
bei Leitungen gebraucht werden, benutzt man statt hölzerner solche 
aus Stahlrohr. Ganz besonderen Nutzen ziehen die Eisenbahn- 
truppen aus der Erfindung; wie man bei Überbrückungen künftig- 
hin allgemein statt der bisherigen T Träger M.'sche Röhrenträger 
verwenden wird, wobei ein viel geringeres Eigengewicht der Brücke 
entsteht, daher die Spannungen viel gröfser werden dürfen und 
dieser Vorzug sich dadurch noch potenziert, dafs die neuen Träger 
an sich viel tragfähiger sind, so wird den Eisenbahntruppen noch 
der besondere Vorteil erwachsen, dafs das leichtere Material viel 
transportfähiger ist. Die M.'sche Schiene erhält ein viel rationelleres 
Profil, ist viel leichter und entbehrt der Weitläufigkeit der Laschen- 
verbindung, indem die hohlen Schienen mit den Enden einfach in 
einander gesteckt werden. Diese Vorteile werden dem militärischen 
Eisenbahnbau in erhöhtem Mafse zu Gute kommen und dazu gesellt 
sich noch die Ausbeute für das rollende Material. 

Von aufserordentlichem Belang ist der Gewinn, welcher dem 



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210 



Die Bedeutung des Mannesmann'schen u. 8. 



Schiffsbau der Kriegs-Marine erwächst Hier spielen wieder die 
M.'schen Träger im Schiffskörper eine Rolle, ebenso finden die 
Röhren im Maschinenbau und bei sonstigen Schiffsteilen Verwendung. 
Da die Hohlröhren einer beliebigen Gestaltänderung fähig sind, also 
auch in eine flache Form übergeführt werden können, so hat man 
sogar den Gedanken, dieselben zur Panzerung zu benutzen, und 
hofft sowohl eine erhöhte Widerstandsfähigkeit gegen den Schüfe, 
als eine ausserordentliche Gewichtsverminderung bei den Panzer- 
schiffen zu erzielen, dennoch ist erst festzustellen, wie es sich gegen- 
über der lebendigen K rafft der Geschosse mit dem Widerstand 
solcher Platten gestalten wird. Die englische Admiralität ist bereits 
auf dem Wege, einzelne Vorteile der Erfindung für dieses Land 
auszunutzen. 

Das Vorstehende kann selbstredend nicht erschöpfend sein, es 
kann nur eine Perspektive eröffnen, eine wie umfassende Verwendung 
das M.'sche Röhren walzverfahren in der Kriegstechnik zu finden 
vermag. 

Was wir als den Erfindern vorschwebend andeuteten und weiter 
ausführten, hat aber in der Hauptsache noch die Schule der Praxis 
durchzumachen, welche allein für den Erfolg mafsgebend ist. 
Immerhin verdient die Erfindung, die zudem eine rein deutsche ist, 
die allgemeine Aufmerksamkeit und speziell auch schon heute die 
Beachtung der militärischen Kreise, was uns zu vorstehender Dar- 
stellung veranlagst hat. — t. 



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XU Umschau in der Müitftr-Litteratur. 



I. Ausländische Zeitschriften. 

Streif leur's österreichische militärische Zeitschrift. (Mai). Betrachtungen 
über Nachtmärsche und Nachtgefechte (Schluüj). — Aus dem Buche vom 
Offizier. — Beiträge zur Analyse der Terrainfortnen. 

Organ der mllitar-wlssenschaftlichen Vereine. 5. Heft: Die Manöver 
des 12. Corps am 9. 10. 11. und 12. September 1889 in dem Räume 
zwischen Mediasch und Hermannstadt. — Über nächtliche Unternehmungen 
im Kriege. — Über das Richten nach Licht- und Feuer-Erscheinungen bei 
Nacht, und einige hierzu dienliche Vorrichtungen. 

Mitteilungen Aber Gegenstände des Artillerie- und Genie- Wesens. 
5. Heft: Russische Ansichten und Vorschläge in Bezug auf den gegen- 
wärtigen Stand der Fortifikation. — Das Artilleriewesen auf der Pariser 
Weltausstellung vom Jahre 1889. 

Oie Reichswehr (Österreich.). Nr. 128: Die zweijährige Dienst- 
zeit Dieselbe wird unter den jetzigen Verhältnissen als ein Unding (!) 
bezeichnet, die Forderung derselben sei ein politisches Schlagwort, das der 
Partei, der es gelänge, eine solche Forderung durchzusetzen, wohlfeile 
Popularität sichere. — Nr. 129, 130 U. 131: Ein neues Schiefspulver. 
Zur Einführung des rauchlosen Pulvers in Österreich -Ungarn. — Nr. 132 

H. 133: Das Kriegsbudget. Dasselbe beträgt nach dem Voranschläge 
für 1891: Im Ordinarium 100,493,999 iL, im Extra - Ordinarium 
14,450,439 iL, also 3,224,670 fl. mehr, als für das laufende Jahr. Das 
Erfordernis der Kriegsmarine beträgt 9,834,033 11. im Ordinarium und 

I, 860,500 fl. im Extraordinarium ; 100,456 fl. mehr. Das charakteristische 
Merkmal des Kriegsbudgets, sagt. D. R., liegt nicht so sehr in der 
steigenden Tendenz der Ziffern, als in dem Geiste der Kompromisse und 
dem stark hervortretenden Bestreben halber Mafs nahmen (!). Für die 
Einführung rauchlosen Pulvers wird ein Gesamt - Erfordernis von 
11,4 Millionen gestellt, die Ausrüstung mit dem Mannlicher- Gewehr als 
abgeschlossen bezeichnet. — Nr. 134: Flickarbeit. Begründung des 
Ausspruches des Kriegsministers, dals das vorliegende Heeres- Budget eine 
solche sei; Erhöhung des Rekruten-Kontingentes wird befürwortet — Das 
Marine-Budget. 

Militär-Zeitung (Österreich.). Nr. 37: Folgen des Kriegslebens. 
Verfasser wendet sich gegen die Behauptung, dafs der nächste grobe 



DioitizGci by CjOOSIc 



212 



Umschau in der Militir-Litteratnr. 



Krieg die übelsten moralischen Folgen haben müsse und furchtbarer sein 
werde, als alle seine Vorgänger; er verneint, dafs der Soldat im Kriege 
verwildern müsse, und widerlegt es durch Beispiele aus der Kriegs- 
geschichte der Neuzeit. — Hr. 38: Heeresdienst und Landsturmdienst, — 
Hr. 41: Über Panzer in der Landbefestigung. — Hr. 42: Das 
Okkupationsgebiet und die bosnisch-herzegovinischen Truppen. 
Im Jahre 1882 wurden die ersten 4 Compagnien dieser Truppen auf- 
gestellt, welche die M. Z., in Ansehung des vorzüglichen Materiales, eine 
Mustertruppe nennt. Die gegenwärtige Stärke beträgt 8 Bataillone, 
zu je 4 Compagnien; bis Ende 1891 soll dieselbe auf 10 Bataillone ge- 
bracht werden; 2 Bataillone werden an den diesjährigen Manövern „im 
Reiche" Teil nehmen. 

Arraeeblatt (Österreich.). Hr. 22: F. Z. M. Freiherr v. Rodich f. 
Mit ihm hat die Armee einen ihrer verdientesten Veteranen verloren; er 
starb im 78. Lebensjahre; 1866 wurde er für sein tapferes Verhalten am 
24. Juni an der Spitze des 5. Corps in Italien auf dem Schlachtfelde zum 
Feldmarschall-Lieutenant ernannt und ihm später der Theresien-Orden zu- 
erkannt. 1881 trat er in den Ruhestand. — Hr. 23: Über Meldungen 
im Sicherungsdienste. — Hr. 24 u. 25: Ein Vorschlag für praktische 
Übungen der Sanitätstruppen zur Friedenszeit. 

Militärisch-politische Revue „Bellona". (1. Juni): Nach der Triple- 
Allianz. — Zweijährige Präsenz- Dienstpflicht. — Die neue Organisation 
des französischen Generalstabes. — Die Militär -Institutionen Chinas. — 
Das neue belgische Gewehr. 

Journal des SCiences militalres. (Mai). Taktik der Verpflegungen 
(Forts.). — Die Kavallerie für den Krieg der Neuzeit. — Der Feldzug 
von 1814 (Forts.). — Der Massenkrieg (Forts.). — Dienst und Ausbildung 
im Heere (Forts.). — Pajol (Forts.). 

Revue de Cavalerie. (Mai). Bemerkungen über die Ausbildung der 
Kavallerie. — Die deutsche Kavallerie (Forts.). — Zur „Studie über 
die Kavallerie im modernen Kriege". Diese in der „Revue des 
deux mondes" erschienene Studie, als deren Verfasser General de Gallifet 
gilt, wird eingehend besprochen und folgende Neu-Organisation in Vor- 
schlag gebracht: 14 Regimenter Kürassier-Lanciers, 34 Dragoner-Lanciers, 
21 Chasseurs, 12 Husaren, Summa 81 Regimenter für den Dienst in 
Frankreich. (Aufserdem stehen bekanntlich in Algier und den Kolonien 
noch 10 Regimenter, 6 Chasseurs d'Afrique und 4 Spahis!). — Ein 
deutsches Kavallerie- Regiment während des Krieges 1870/71 (Forts.). — 
Die Frühjahrs -Einstellungen bei der Kavallerie. Selbige werden 
als unzweckmäfsig bezeichnet, nur im Herbste dürfe ein freiwilliger Ein- 
tritt stattfinden. — Eine Rekognoszierung von Chasseurs d'Afrique in der 
Krimm. 

Revue du Genie nllitalre. (Januar — Februar). Einflufs der neuen 
Waffen auf die Feldbefestigung. — Die Ausbildung der Pioniere in 



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Umschau in der Militär-Litteratur. 



213 



Österreich. — Die selbstthätige Entzündung von Minen und Torpedos. — 
Die Befestigung von Kopenhagen. 

Revue d' Artillerie. Juni: Praktische Studie Uber den indirekten 
Scbufs im Kriege. — Drouot (Forts.). — Studien Uber Irrtümer bei der 
Beobachtung. — Bemerkungen Uber zwei neue Verfahren beim indirekten 
Zielen fUr kriegsmäfsiges Schiefsen. 

Revue du cercle militaire. Nr. 21 U. 22: Der russische Offizier im 
Heere und in der Gesellschaft (Forts, u. Schluß). — Ein Jahr in Tunis 
(Forts.). — Brieftauben und Taubenschläge (Schlufs). — Das dänische 
Gewehr 1889. — Der Laufmantel beim deutschen Gewehr. Hier 
wird, gestützt auf einen Aufsatz de« Professor Hebler in der Allg. 
Schweiz. M. Z., die Behauptung aufgestellt, dafs den Vorteilen des Lauf- 
mantels ebenso grofse Nachteile gegenüber ständen, welche selbst die Ge- 
brauchsfähigkeit der Waffe in Frage stellen könnten (??). — Nr, 23: 
Die Arbeiten des geographischen Dienstes 1889. Dieser Aufsatz 
gewährt einen interessanten Überblick über die Leistungen auf dem 
kartographischen Gebiete, denen man hohe Anerkennung nicht ver- 
sagen kann. — Nr. 24: Die maritime Verteidigung Englands und 
seiner Kolonien. — Ein Feld - Entfernungsmesser. — Ein Jahr in Tunis 
(Schlufs). — 

L'Aveiir militaire. Nr. 1476: Krieg und Marine. Kritik des 
Dekretes vom 13. Mai, welches alle Streitkräfte zu Wasser und zu 
Lande, welche zur Küsten Verteidigung bestimmt sind, dem Befehl der 
maritimen Präfekten unterordnet. — Rekrutierung der Armee 1890. 
An der Losung haben 295,707 junge Franzosen Teil genommen, 12,538 
weniger, als im Vorjahre. A. m. üufsert sich über das stete 
Sinken der Zahl der Männer, welche alljährlich ihr 20. Lebensjahr er- 
reichen, beunruhigt. Von jener Zahl waren 30,032 völlig unbrauchbar, 
dienstfähig 130,453, für Friedenszeit befreit (art. 17 d. Rekrut.- Ges.) 
44,403; bedingungsweise befreit (art. 20) 32,504; zu Hülfsdiensten 
geeignet 18,481; zurückgestellt 39,231. — A. m. klagt, dafs die 
physischen Eigenschaften des Kontingentes sehr viel zu wünschen übrig 
liefsen, dies beweise die sehr grofse Zahl der Zurückgestellten. Zum 
Dienste in der Land -Armee wurden eingestellt 140,141, bei der Marine- 
Infanterie und Artillerie 6040. Die Schulbildung betreffend gab es 
9,82 Vi Analphabeten; 9,28 '/ t die " ur lesen; 21,9ti 7, die lesen und 
schreiben konnten; 60,75 % hatten eine bessere Elementar -Schulbildung. 
Trotz der den Unteroffizieren gewährten Vorteile belief sich die Zahl der 
Wiederanwerbungen nur auf 4118 gegen 4906 im Vorjahre; dagegen be- 
trug die Zahl der 3 jährigfreiwilligen 31,641. — Nr. 1482: Vergessene 
Lehren des Jahres 1870. Abfällige Kritik der jetzigen Heeres- 
Verfassung. Verf. sagt u. A.: „Was wird im Kriegsfalle geschaffen? 
Man wird die Zahl haben, aber nichts als dies, nicht wirklich befehligte 
und in festen Rahmen gefügte Truppen, ungeheure Menschenmassen mit 
oberflächlicher Ausbildung, u. s. w. 

Jihrtaefccr <Br di» Doot.cb« Arne» Darf Murin*. B.l t XXVI . * 15 



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214 



Umschau in der Milit&r-Litteratur. 



La France militaire. Nr. 1829: Die Pontonniere. Bekanntlich 
gehören die Pontonnier-Regimenter der französischen Armee zur Artillerie; 
F. ra. befürwortet lebhaft deren Zuteilung zum Genie-Corps. — Die neue 
strategische Bahnlinie Brienne-Sorcy ist nahezu vollendet ; eine andere, 
Bourges-Toul, wird demnächst in Angriff genommen. — Mr. 1830: Das 
Marine-Budget. In dem der Budget- Kommission erstatteten Bericht 
wird betont, dafs Frankreich 299 Gefechts-Einheiten habe, Italien 215, 
Deutschland 252, Österreich 89, Russland 197, England 402. Die Flotte 
der Triple-Allianz könne folglich 556 Einheiten stellen, denen Frankreich 
nur 299 entgegen zu stellen habe. Die Verwaltung der Marine-Etablissements 
wird einer sehr abfälligen Kritik unterworfen. 

Le Progret militaire. Nr. 999: Reorganisation der Territorial- 
Armee. Artikel 47 und 55 des „Cadres-Gesetzes" vom 13. März 1875 
sollen dahin geändert werden, dafs in Zukunft jede Regional-Subdivision 
ein Territorial-lnfanterie-Regiment mit verschiedener Zahl von Bataillonen 
bildet, nebst einem Depot; die Regimenter befehligen Oberstlieutenants 
der aktiven Armee. Im Kriegsfalle können diese Regimenter entweder 
als Besatzungstruppe, oder (in besondere Brigaden, Divisionen und 
Corps formiert), als Feldtruppe verwendet werden, auch im Anschlufs 
an die aktive Armee. Man hofft auf diese Weise die in erster Linie ver- 
wendbaren Streitkräfte zu verdoppeln, indem die 15 jüngsten Jahrgänge 
der Territorial- Armee zu diesen Zwecken Verwendung linden. — (Die 
ungeheure Tragweite dieser Mafsregel steht aufser Zweifel und sollte 
unser n Politikern in ihrem Widerstande gegen unaufschiebbare Reformen 
zu denken geben. Anm. d. Leit.) — Nr. 1000: Davout und Moltke; 
Ein empörender Ausfall auf den Feldmarschall Graf Moltke bezüglich seiner 
Rede, betreffend die Militär- Vorlage. P. m. behauptet, Graf Moltke habe 
Davout beschuldigt, Hamburg bestohlen (!) zu haben, er habe somit eine 
schlechte Handlung begangen, das Andenken eines tapferen Soldaten be- 
schmutzt (!!) u. s. w. Schliefslich macht Verfasser den greisen Feld- 
marschall dafür verantwortlich, wenn dermaleinst die französischen 
Schwadronen nur Ruinen in den Gefilden jenseits des Rheins zurück 
lassen sollten!! (Wir meinen, Baden und Rheinpfalz zumal, können bereits 
ein Lied vom Vandalismus züggelloser französischer Horden singen). 

La Belgique militaire. Nr. 1000: Die glatten belgischen Ge- 
schütze. Mit solchen sind zum Teil noch die Forts von Antwerpen 
armiert. B. m. verlangt deren schleunigen Ersatz durch gezogene, Ant- 
werpen hat etwa 40 — 50 verschiedene Geschützarten: „ein wahres Altertums- 
Museum. w — Die Wiederherstellung der Ausrüstung unserer 
Festungen. — Die Versuche mit neuen Lanzen von Bambusrohr 
haben gute Ergebnisse gehabt. Die Bambuslanze hat eine Länge von 
2,85 m, ein Gewicht von 1,27 kg gegenüber den ebenfalls zum Versuch 
gestellten deutschen Stahllanzen, die 3,20 m lang und 1,932 kg schwer 
sind. — Nr. 1001 — 3: Allgemeine Wehrpflicht. — Die Geschützfrage vor 



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Dmwhau in der Müitfr-Litteratur. 



215 



der Kammer und dem Senat. — Studie über unsere Kavallerie. — Manöver 
der drei Waffen in Brüssel. — 

Allgemeine Schweizerische Militärzeitung. Nr. 21— 24: Bewegung in 
der französischen Armee. Interessante Studie über die Fortentwickelung 
der militärischen Macht Frankreichs, an der Hand des „Etat militaire de la 
France", 1819 zum ersten Male erschienen, und des „Annuaire de Tarmed 
francaise" von 1890. — Übungskurse der Infanterie 1889. — Das Nach- 
brennen beim Schufs, seine Ursachen und Folgen. (Für rauchfreies 
Pulver). 

Schweizerische Monatsschrift für Offiziere aller Waffen. (Mai.) Der 
Feldzug Julius Cäsar gegen die Helvetier im Lichte der Kritik (Fortsetzung). 

— Der Feldkrieg bei Nacht (Schlufs). — Das Operative im Truppen- 
zusammenzug von 1889 (II). 

Schweizerische Zeitschrift für Artillerie und Genie. (Mai.) Ergebnisse 
von Fahrversuchen mit 8,4 und 12 cm Munition. — Der jetzige Beschlag 
für unsere Armeepferde und weitere Vorschläge iiu Hufbeschlagwesen. — 
Die schweizerische Kartographie an der Weltausstellung von Paris 1889 
und ihre neuen Ziele. — Die heutige Gefechtslehre und Gefechtsausbildung 
nach den Anschauungen des deutschen Generalstabes. 

Revue militaire SUiSSe. Nr. 6: Der Dienst im Felde vom Standpunkte 
der „Ordres de bataille". — Die Artillerie-Taktik in Beziehung zum klein- 
kaliberigen Gewehr und rauchlosen Pulver. — Schiefsplätze. 

Adnitralty and Horse Guards Gazette. Nr. 296: Bespannung der 
Militär-Fahrzeuge. Die fehlerhafte Konstruktion der Geschirre der 
Fahrzeuge, besonders aber derGeschütze wird nachgewiesen, werdenÄnderun gen 
vorgeschlagen. — Nr. 291: Hunde zu militärischen Zwecken. Die 
Einführung von Hunden in der Armee, besonders zur Begleitung von 
Patrouillen bei Nacht, wird empfohlen. — Das Bombardement von 
Dover. Schilderung des Verlaufs des von den vereinten Land- und See- 
kräften bei Dover, Ende Mai, stattgehabten Manövers. 

The Army and Navy Gazette. Nr. 1580: Über Kavallerie. Der 
Oberst Grave schildert in einem Vortrage den ungenügenden Zustand der 
englischen Kavallerie. Die Schwadronsstärke von 106 Pferden müsse auf 
150 erhöht werden, auch die Bewaffnung und Ausrüstung stände den 
Kavallerien der übrigen Europäischen Grofsmächte nach. — Nr. 1581: 
Schiefsdienst in Indien. Die englischen Truppen wie die eingeborenen 
in Indien haben solche Fortschritte im Schieben gemacht, dafs sie in ihren 
Leistungen den in England stehenden Truppen gleichkommen. Miliz- 
truppen für die Kolonien. Das Gesetz, das die Verwendung der 
Miliztruppen aufser Landes nicht gestattet, wird als veraltet bezeichnet. 
Es wird volle Gleichstellung der Miliz mit dem stehenden Heere verlangt. 

— Nr. 1582: Vergleichssch iefsen zwischen französischen und 
deutschen Geschützen. Die chilenische Regierung hat in Baluco bei 
Santiago Vergleiche zwischen französischen und deutschen Geschützen ver- 
schiedenster Kaliber stattfinden lassen. Nach dortigen Berichten sind die 

15* 



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216 



Umschau in der Milit&r-Litteratur. 



Krupp'schen schweren und die französischen Feldgeschütze als die besten 
erklärt. Das Krupp'sche 7'/» ein Schnellfeuergeschütz hat über das 
8 cm Geschütz de Bange grofee Überlegenheit gezeigt, ersteres hat 582 Schuf's 
in 65 Minuten, letzteres nur 105 in 160 Minuten abgegeben. Die Ein- 
führung Krupp'scher Geschütze wird empfohlen. — Hr. 1583: Die deutsche 
Kavallerie. Der Major Har Fox schildert in einem Vortrage den Dienst- 
betrieb in der deutschen Kavallerie und die hervorragenden Leistungen 
derselben, gegen die die englische Kavallerie weit zurückstunde. — Nr. 1584: 
Über Festungsartillerie. Die Thätigkgeit der Festungsartillerie bei 
dem letzten Land- und See-Manöver bei Dover wird beschrieben. 

Russisches Artillerie-Journal. April. Das neue Exerzierreglement 
der deutschen Feld- Artillerie wird in eingehendster Weise in Fort- 
.setzung der Kritik im Miirzheft besprochen. Der 4. Teil desselben („Gefecht") 
findet sieh, sogar unter Beibehaltung der Paragraphen, wörtlich wieder- 
gegeben. — Die Hedaktion begründet diese besondere Berücksichtigung 
durch folgendes charakteristische Urteil: „Das neue Ex. R. für d. d. F.-A. 
hat an Klarheit und Kürze nicht seine» Gleichen. Es erreicht das von 
uns der Besprechung vorangestellte ideale Ziel jedes Reglements." 

Russisches Ingenieur-Journal. (April.) Die provisorischen Be- 
festigungen von v. Raaben. Verf. sucht eine Lücke in der russ. 
Mil.-Litt. auszufüllen, welche in den letzten 20 Jahren zahlreiche Artikel 
über die permanente und die Feld-Befestigung, aber fast nichts über 
diesen Gegenstand gebracht hat, trotz der Fortschritte der Belagerungs- 
mittel. Im Laufe der eingehenden Untersuchung kommt Verfasser zum 
Schlüte, dafe durch die Aufgabe der Graben-Bestreichung und der bomben- 
sicheren Blendungen in den Forts die periodische Befestigung der 
permanenten ähnlich geworden. Ihre Hauptstärke mufs heute in einer 
durchdachten Konzentrierung der Feuerwirkung, nicht in 
künstlichen ßefestigungsmitteln gesucht werden. 

BerCSOWSkCs RaswiedtSChik. Nr. 26 enthält mit einem Bild des Schrift- 
stellers eine Übersicht Uber die vorzugsweise den Dienst der Kavallerie 
und die Taktik behandelnden Werke W. Suchomlinow's. — Beschreibung 
der telephonischen Verbindung auf den Vorposten, speziell des 
Apparates des Porutschik Ssokolski. 

Der russische Invalide 1300. Nr. 74-104: Der reiche Inhalt dieser 
Nummern hat teilweise schon Erwähnung gefunden. Wir geben hier nur 
aus Nr. 96 und 97 kurz den Hauptinhalt, die Übungen der russischen 
Armee im kommenden Sommer betreffend wieder. Es finden in allen 
Militärbezirken des europäischen Russlands und in dem Turkestanischen, 
Omsker sowie dem transkaspischen Gebiet gröfsere Zusammenziehungen 
statt. Kleine Abweichungen in der Zeiteinteilung der Übungen in kleinen 
Verbünden derselben Waffen und in den Übungen mit gemischten Waffen 
.sind in mehreren Bezirken angeordnet. So ist z. B. im Petersburger 
Militärbezirk die erstere Periode für die Infanterie auf 7, im Moskauer 
und Wnrsflmuer auf 10—11 Wochen verkürzt, im ersteren in Folge des 



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UmBchan in «1er Militar-Litterarnr. 



217 



späteren Beginns der Sommer-Übungen, in den letzteren wegen des früheren 
Anfanges der Übungen mit gemischten Waffen. — Für die Artillerie wurde 
wegen der Verlängerung der Schiefsübungen bis auf die Dauer von 
8 Wochen die erstere Periode um 2—6 Wochen in der Mehrzahl der 
Militärbezirke verkürzt. Bei der Kavallerie werden die Übungen innerhalb 
der Divisionen (spezialno-kawalleryskije osbory) um 2 Wochen in den 
Militärbezirken Moskau und Petersburg und um eine Woche in den Bezirken 
Kijew, Odessa und bei zwei Divisionen des Bezirks Wilna verkürzt, dagegen 
um 2 Wochen bei der Kaukasischen Kavallerie-Division verlängert. — 
In einigen Bezirken werden auch Manöver mit Quartierwechsel entweder 
an Stelle der Lagerübungen oder neben denselben ausgeführt werden, 
Übungen, welche bis vor kurzem der russischen Armee fremd waren. Die 
bedeutendsten Übungen werden bei Krasnoe Sselo, Warschau, Tscbujujew, 
sowie als Marschmanöver am rechten Ufer der Weichsel und des Bug und 
zwischen Bender und Odessa stattfinden. — Im Allgemeinen werden die 
Manöver überall am */,,. September beendet sein. 17. 

RiVitta mllltare itallana. (Mai): Der Einmarsch nach Frank- 
reich 1814. Eine strategische Studie. Für die Defensive Napoleons wird 
das Zurücklassen schwacher Kräfte am Rhein zwischen Mainz und Coblenz, 
Sammlung aller übrigen Kräfte bei Djjon, die äufsere Flanke durch 
Bescancon und Beifort geschützt, empfohlen. Der Gegner soll dann bis 
zu den Ardennen- bezw. Argon nenpässen vorgelassen und wenn er nicht 
auf Paris marschiert, defensiv erwartet, wenn er auf Paris vorgeht aber in 
der Flanke angefallen werden. 

EtercItO italiaao. Nr. 67: Einberufung von Leuten des Be- 
urlaubtenstandes. Auf 28 Tage werden einbeordert alle Leute der 
I. Kategorie des Jahrganges 1864 einschliefslicb der Offiziere di complemento, 
die zu diesem Jahrgang gehören und zwar zum gröfsten Teile zur Ver- 
stärkung der Etats der an den grofsen Manövern teilnehmenden Truppen, 
so wie die Leute I. Kategorie des Jahrganges 1868, die im vorigen Jahre 
nicht übten. — Hr. 70: Diskussionen ü ber die diesjährige Rekruten- 
Aushebung. Der Kriegsminister lehnte ab, die in diesem Jahre aus 
Ersparnisrücksichten verlängerte Rekrutenvakanz dauernd einzuführen, 
ebenso die Herabsetzung der aktiven Dienstzeit auf 2 Jahre und behielt 
sich vor, bezüglich der Mobilmiliz einen Gesetzentwurf einzubringen, der 
ihren Umfang erweitert. Sein Vorschlag, den Jahrgang 1857, der gesetzlich 
am 31. Dezember 1890 zum Landsturm übertreten sollte, noch ein Jahr 
der Mobilmiliz (Landwehr) zuzurechnen, wurde genehmigt. Der Bericht 
der Budgetkoraraission über das Budget pro 1990/91 schlug vor, dasselbe 
nach Vollzug der Abstriche (10,002,330 Lire) in der Totalhöhe von 
281,721,921 Lire zu genehmigen. Das Budget wird daher um 20,993,030 
Lire niedriger sein, als das des laufenden Jahres. Die balancierte Stärke 
des italienischen stehenden Heeres wird 1890/91 14,489 Offiziere, 3646 
Beamte, 232,022 Mann, 50,604 Pferde, die organische dagegen 261,980 
Mann, 52,570 Pferde aufweisen. 



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218 



Umschau in der Militär-Literatur. 



L'ltalla mllltare e marlna. Nr. 25: Die nächsten Sommer- 
Übungen. Bemerkenswert ist der gröfsere Prozentsatz von Truppenteilen, 
die in diesem Jahre in Gebirgsgegenden üben. — Nr. 29: Die grofsen 
Manöver. Die I. Periode derselben, in welcher die Divisionen der beiden 
Corp.« gegeneinander operieren, die beiden Kavallerie-Divisionen Auf- 
klärungsdienst im grofsen Style gegeneinander üben, dauert vom 17. — 23. 
August, die II. Manöver der beiden Corps gegeneinander, vom 24.— 30. 
August, Gelände zwischen dem Mincio und dem Chiese. — Nr. 34: Das 
Kontingent für die Flotte wird in diesem .Tahru 3500 Köpfe umfassen. 
Auf die 1000 Mann, die dem Marineminister und der nicht seemännischen 
Bevölkerung überwiesen werden sollten, hat derselbe aus Ersparnisgründen 
verzichtet. 

Revista sclentlflco-militar (Spanien). Nr. 11: Die Mängel der Mitrail- 
leusen und der Maxim-Geschütze. 

Memorial de Ingenieros del Cjercito (Spanien). Nr. XI: Tragbare 
Rampen für den Bahntransport von Kavallerie und Artillerie. 
— Die Verteidigung von Lissabon. 

Revista tecnica de Infanteria y Caballeria (Spanien). Nr. 1: Hand- 
feuerwaffen. 

Revista dos sclenclas milltares (Portugal). Nr. 58: Die Organisation 
der Ingenieurtruppen in den verschiedenen Staaten. 

Revista lallltar de Chile. Nr. 44: Ein Geschütz mit 800 m Anfangs- 
geschwindigkeit (System Caint, 10 cm). 

Krlgsvetenskaps -Akademien* - Handlingar (Schweden). 9. n. 10. Heft: 
Statistik über den Übertritt von Leuten der Stammmannschaft zur Indelta 
Armee von 1860—188«. 

Norsk. militaret. TidsskrHt (Norwegen). 5. Heft: Episoden aus dem 
Kriege 1716. 

II. Bücher. 

Geschichte des rheinischen Ulanen •Regiments 1815—1890. 

Auf Befehl des Regimeuts-Commandours zusammengestellt 
von Kusenberg, Sekondelieutenant im Regiment. Mit Bild- 
nissen, Uniformbildern uud Karten. Berlin 1890. E. S. 
Mittler & Sohn. 148 Seiten. M. 4. 

Das Regiment hat zweimal das Mifsgescbick gehabt, seine Akten, 
ganz oder teilweise, einzubüfsen. Zum ersten Male 1815, im Jahre seiner 
Errichtung; zum zweiten Male 1870, als dieselben vor den Franzosen in 
Sicherheit gebracht werden sollten. Der durch die Verluste bedingte 
Mangel an Quellen kommt schon in der iinfseren Erscheinung de* Buches, 
in seinem verhaltnismäfsig geringen Umfange, zum Ausdruck und in dem 
Umstände, dafs demselben leider die zu einer Regimentsgesehichte ge- 
hörigen Personalnachweise fehlen. Gerechtfertigt wird der letztere Ausfall 



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Umschau in der Militir-Litteratnr. 



219 



dadurch nicht. Denn Manches hätte sich auf anderem Wege herbei- 
schaffen lassen , alles was seit Mitte Juli 1870 geschrieben ward ist vor- 
handen und die Regiments-Bibliothek besitzt eine Zusammenstellung der 
kriegerischen Thätigkeit des Regiments „einen vollständigen Zu- und 
Abgangsnachweis und verschiedene Ehrentafeln" bis zum Jahre 1865 
(S. 40). Trotzdem ist die Teilnahme des Regiments an der Bekämpfung 
des badischen Aufstandes im Jahre 1849 vollständig unberücksichtigt ge- 
blieben. Stände nicht auf Seite 33, dafs das Regiment in dem kurzen 
Feldzuge nur sehr wenig zur Thätigkeit gekommen sei, so würde der 
Leser gar nicht wissen, dafs es denselben mitgemacht hat, Dergleichen 
Lücken sind umsomehr zu bedauern, als andere Zeiten und Verhältnisse 
sehr hübsch geschildert sind. Dahin rechnen wir die ganze Darstellung 
der Teilnahme am letzten deutsch- französischen Kriege. Hier ist es vor 
allem die denkwürdige Zeit, in welcher das Regiment vor und bei Beginn 
der Feindseligkeiten, zuerst ganz allein, dann verstärkt durch ein einziges 
Füsilier-Bataillon, die äufsersten Vorposten innehatte und von diesem ge- 
fährdeten Platze aus noch kecke Unternehmungen in das feindliche Gebiet 
machte. Aber auch während des Winterfeldzuges im Norden Frankreichs, 
in einem schwierigen und anstrengenden Sicherungs- und Aufklärungs- 
dienste und bei vielen dadurch herbeigeführten Zusammenstöfsen, bot sich 
mannigfache, gern und geschickt benutzte Gelegenheit zur Auszeichnung. 
Das Regiment stand damals im Verbände der 3. Kavallerie-Division. Hübsch 
und anschaulich ist ferner, auf Grund eines Tagebuches, die Zeit geschildert, 
in welcher während der Zugehörigkeit zu dem nach dem zweiten Pariser 
Frieden in Frankreich verbliebenen Besatzungsheere, die Stammtruppen- 
teile allmählich zu einem Ganzen verschmolzen wurden. Es waren Hell- 
wig'scbe und ScbüTsche Husaren und sächsische Prinz Clemens Ulanen, 
dem buntscheckigen Anblicke, welchem ihr Aufseres bot, entsprach die 
innere Beschaffenheit. Eins der Uniformbilder zeigt den Husaren Hellwigs 
im roten, weifs verschnürten Dolman englischen Ursprungs mit der Lanze 
in der Hand, den Schill'schen im dunkelblauen Pelz mit gelbem Besatz, 
den Ulanen in der Litewka, von der Czapka bis zum Stiefel hinunter 
hellblau. Auch von den Stammtruppen wäre erwünscht gewesen etwas 
mehr zu erfahren als im Buche steht. Von den Ulanen ist gar nichts 
gesagt, von den Schill'schen wenig mehr als dafs Oberstlieutenant v. Schill, 
ein Bruder des 1809 gefallenen Major v. Schill, sie geführt hatte. Hier- 
über etwas zu bringen, war um so mehr angezeigt, als die Persönlich- 
keiten der beiden Brüder schon mehrfach zu unliebsamen Verwechslungen 
Anlafs gegeben haben. Die Husaren des einen hatten mit denen des 
andern gar nichts gemein. Dafs Hellwig am 17. Mai 1813 mit 300 Mann, 
bei einem Verluste von 5 Toten und Vermifsten, sowie 20 leicht Ver- 
wundeten, gegen mindestens 1000 feindliche Reiter gekämpft habe, welche 
150 Tote und Verwundete, sowie einige Gefangene verloren, klingt trotz 
der Lanzen, mit welchen das erste Glied der Husaren bewaffnet war, un- 
wahrscheinlich. — Von der Teilnahme am Feldzuge des Jahres 1866 war 



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220 



Umschau in der Militer-Littemtnr. 



' wenig zu sagen. Das Regiment hat denselben hauptsächlich als Zuschauer 
mitgemacht. „Zuschauer" indessen in anderem Sinne, als beim Kriege 
gegen Dänemark, von welchem es heilst: „Im Jahre 1864 hatte das Regi- 
ment die Rolle des unthätigen Zuschauers spielen müssen." Denn damals 
standen die Ulanen an der Saar, 1866 waren sie in Böhmen an Ort und 
Stelle. Dafs das Erscheinen des kronprinzlichen Heeres am 3. Juli den 
Österreichern den Rückzug auf Josefstadt verlegt habe, ist, wohl ein 
Schreibfehler. 14. 

Das Leben des Generallieutenant Heinrich Wilhelm v. Horn, 

von Wellmann, Premierlieutenant. Berlin 1890. E. S. 

Mittler & Sohn. Preis 4,60 M. 
Das vorliegende Werk ist entstanden aus dem Bestreben, den Namen 
des Generals v. Horn, des heldenmütigen Gefährten des eisernen York auf 
dem Siegeszuge von der Düna bis zur Seine, in dem Regiment zu ver- 
ewigen, welches durch die Gnade Kaiser Wilhelms II. seit dem 27. Januar 
1880 den Namen v. Horn trägt. Ein altpreufsischer Soldaten-Charakter, 
wahrlich geeignet der heutigen Generation zum Vorbilde und zur Nach- 
eiferung hingestellt zu werden, wird in vortrefflicher Weise vom Verf. 
geschildert. Kann es ein herrlicheres Zeugnis für einen Soldaten geben, 
als jene Worte York's (Seite 139) an Horn: „Vom Niemen bis zur Seine 
war ich fast täglich Zeuge Ihrer Kühnheit und Ihrer Thaten. Mit jetzt 
noch staunendem und dankbarem Herzen sehe ich zurück auf Ihren grofsen 
Willen und Ihre hohe Kraft bei Grofs-Goorschen, an der Katzbach, bei 
Wartenburg, beim blutigen Möckern, bei Laon; immer sehe ich den Mut- 
beseelten und Mut beseelenden Horn vorauf und den Sieg ihm folgen. . . 
Der König erkannte Ihre Verdienste in Ihrer hohen Stellung, das Vater- 
land zählt Sie unter die tapfersten, an nichts verzweifelnden Führer; und 
wenn die Geschichte sich treu und wahr bleibt, so wird Ihr Andenken 
und Ihr Name dem Heere noch in spätester Zeit ein aufmunterndes Bei- 
spiel sein!" — Wahrhaft prophetische Worte, welche mehr wie alles andere 
für die Bedeutung des Namens Horn sprechen. Wir sind gewifs, dafs das 
Buch alle Zeit im Regiment v. Horn und darüber hinaus eifrige Leser 
finden wird. 17. 

Das Offizier-Corps des Infanterie-Regiments v. Horn (3. Rhei- 
nisches) Nr. 29. 1815—1890. Gedenkblätter im Auftrage 
des Regiments zusammengestellt, von Well mann, Premier- 
lieutenant. Berlin 1890. E. S. Mittler & Sohn. 
Die vortreffliche, aus echt preufsischem Soldatenherzen kommende 
Vorrede des Regiments-Coramandeurs zeichnet mit markigen Worten den 
Zweck des Werkes. Mit den Ranglisten der Jahre 1815—90, mit den 
kurzen Lebensläufen der Offiziere, welche seit der Stiftung des Regiments 
in dessen Reihen dienten, endlich mit der Ehrentafel der vor dem Feinde 
Gefallenen soll die Kunde jedes Einzelnen im Regimente, das doch nur 



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Umschau in der Militär-Litteratar. 



ein Spiegelbild seines Offizier-Corps ist, in ersterem bewahrt werden. 
Möge dieser vortreffliche Gedanke im Heere vielfachen Widerhall finden 
und jedes Offizier-Corps sich eine solche Stammliste schaffen! 17. 

Strategisch-taktische Aufgaben nebst Lösungen, von H. 

v. Gizycki. Heft 4 und 5. 4. nach der Felddienst-Ordnung 
umgearbeitete und wesentlich vermehrte Auflage. Hannover 
1890. Helwing'scbe Buchhandlung. 

Wir begrüfsen mit ganz besonderer Freude die neue, allen An- 
forderungen entsprechende, mit 3 Übersichtskarten und 6 Generalstabs- 
karten versehene Auflage des 4. und 5. Heftes und verbinden hiermit den 
Wunsch, dafs recht bald die Fortsetzungen erscheinen mögen. Wir 
können dieselbe als wertvollen Berater bei Stellung von Aufgaben für 
Manöver oder Kriegsspiel nur auf das Wärmste empfehlen. 17. 

Infanteristische Litteratur. 

1. Handbuch für die Offiziere des Beurlaubtenstandes der 
Infanterie. Berlin 1890. E. S. Mittler & Sohn. Subskriptionspreis 
5 Mk. — Das seit längerer Zeit angekündigte und „bezüglich seines ge- 
sondert erschienenen I. Teiles und S. Abschnittes des III. Teiles, bereits 
an dieser Stelle (s. Maiheft) besprochene Werk liegt nun vollendet vor. 
Dasselbe enthält in der That, wie die Verlagsbuchhandlung in ihrem 
Prospekte sagt, alles für den Dienst der genannten Offiziere Wissenswerte 
in übersichtlicher und handlicher Form. Der Inhalt zerfällt in 4 Teile, 
deren I.: Die Einleitung, der II.: Der innere Dienst; der IH.: 
Der äufsere Dienst; der IV: Mobilmachung betitelt ist. Der 
II. Teil behandelt in 4 Abschnitten die Kenntnis der allgemeinen Dienst- 
verhältnisse, den inneren Dienst der Compagnie, Disziplin, Gerichf ^dienst 
Ehrengerichte und Verwaltung. Der III. in 7 Abschnitten (5. — 11.) den 
Dienstunterricht, Turnen und Bajonettieren; Exerzieren; Waffen, Munition 
und Schiefsen; Gefechtslehre; Felddienst; Garnisondienst. Die Bewältigung 
dieses umfangreichen Stoffes ist einer gröfseren Zahl von Offizieren ab- 
schnittweise übertragen worden, die Gesamtbearbeitung übernahm Oberst- 
lieutenant z. D. Transfeldt. Um das Werk für den Gebrauch handlicher 
zu gestalten, wurden sehr zweckmäßig die einzelnen Abschnitte gesondert 
geheftet und das Ganze in starkem Leinwandband-Einbande vereinigt. — 
Dafs der Bearbeitung die neuesten Dienstvorschriften zu Grunde gelegt 
wurden, ist selbstverständlich und stellen die einzelnen Abschnitte einen 
für den betreffenden Leserkreis genügenden Auszug aus denselben dar. 
Anders ist es zum Teil mit dem 9. Abschnitt: „Gefechtslehre". Der- 
selbe ist unter Anlehnung an das Exerzier-Reglement, eine selbstständige 
Arbeit, welche die Hand eines erfahrenen Taktikers verrät. Wir halten 
diesen Abschnitt für einen besonders gelungenen ; das Gleiche gilt für den 
10. Abschnitt: „Felddienst". Das Werk, welches einem wirklichen Be- 
dürfnisse entspricht, wird sich zweifellos zahlreiche Freunde gewinnen und 



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Umschau in der MilitÄr-Litteratur. 



dürfte selbst den jüngeren aktiven Offizieren eine willkommene Gabe 
sein. — 2. Taschenbuch für den Schiefslehrer bei den Ziel- 
übungen, im Entfernungsschätzen und in der Verwendung der Waffe. 
Von von Brunn, Major und Bataillons-Commandeur. Dritte auf Grund 
der Schiefsvorschrift und des Exerzier-Keglements von 1889 umgeänderte 
Auflage (Infanterie-Ausgabe). Mit 10 Abbildungen im Text. Berlin 1890. 
Verlag der Liebel'schen Buchhandlung. Preis: 1,20 Mk. Wir können bei 
der hervorragenden Wichtigkeit des Schiefsdienst.es dieses H Ulfsbuch, durch 
welche das Gold der dienstlichen Vorschrift gewisserraafsen in die kleine 
Münze für den täglichen Gebrauch umgesetzt wird , nur dringend 
empfehlen. In einem Anhange ist eine für den Korporalschafts- Führer 
bestimmte „Kontrole für Schiefsen, Zielen, Ent fernungsschätzen" beigefügt. 
3. Handtafel für den Schiefslehrer. Verlag der Liebel'schen 
Buchhandlung. Preis: 40 Pf. Diesdlbe enthält in Taschenformat auf 
steifem Papier graphische Darstellungen der verschiedenen Scheibenarten 
für das Schulschießen, sowie der Fehler beim Zielen und Abkommen, 
dann der Scheiben für das gefechtsmäfsige Einzelschiefsen (Bestrichene 
Räume, mittlere Flughöhen, Treffgenauigkeit, Haltezettel); endlich kurze 
Anweisung für das gefechtsmäfsige Abteilungsschiefsen : Visieranwendung, 
Haltevorschrift, Feuerwirkung, Feuerart, Kommando und Feuerdisziplin. 

4. 

4. Anhalt für den Unterricht des Einjährig-Freiwilligen 
und der Reserve-Aspiranten der Infanterie. Bearbeitet von Binde- 
wald, Premier- Lieutenant. Potsdam 1890. Verlag von Eduard Döring. 
Zweck und Eigenart dieses Büchleins erhellen aus dein Zusatz auf dem 
Titel: n Zum Gebrauch für den Offizier des Beurlaubtenstandes mit ein- 
gehender Behandlung des 2. Teils, „Gefecht", des Exerzier-Reglements (Ab- 
druck 1889) und Berücksichtigung des Gewehrs 88., — und aus der 
Vorrede, der zufolge die Arbeit ein Anhalt sein soll, einmal für den 
Lehrer für seine Vorbereitung zum Vortrag, — sodann für den Schüler 
für die Repetition und für das Selbststudium, — endlich Beiden zur Er- 
sparung des zeitraubenden Diktierens bezw. Nachschreibens. Die Frage, 
ob das Bedürfnis nach einem anderen derartigen Leitfaden vorlag, mufs 
im Hinblick auf die vielfachen, zum Teil trefflichen Unterrichtebücher 
gleicher Art und Absicht verneint werden, — bejahet werden, dagegen 
die Frage, ob der Neuling brauchbar und empfehlenswert sei. Besonders 
geglückt ist dem Verfasser die Zusammenstellung des ausgedehnten, aber 
wohl gesichteten Stoffes in klare, knappe Sätze, bei denen durch Wort- 
fassung und Druck das Wichtigste hervortritt. Solche Lehrmittel veralten 
erfahrungsmäfsig schnell durch die Änderungen der Reglements und 
Vorschriften. Wir geben dem Verfasser für eine etwaige zweite Auflage 
einige Punkte zur Erwägung. Lst die Erklärung des „kleinen Krieges" 
(§ 216) wohl erschöpfend bezw. ganz zutreffend? Und doch sind die 
Offiziere des Beurlaubtenstandes, wenn sie bei Landwehrtruppen stehen, 
recht veranlafst, sich in die Eigentümlichkeiten der Unternehmungen des 



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Umschau in der Militär-Litteratur. 



223 



kleinen Krieges hineinzufinden .... Werden die Abmessungen der aller- 
dings der „ Feld pionier- Vorschrift für die Infanterie" entnommenen 
Schützengräben bezw. der Brustwehren hinreichen, auch gegen die Durch- 
schlagskraft der Geschosse der Kleinkalibergewehre? Ein Hinweis auf die 
bezüglichen Angaben der neuen Schiefsvorschrift erscheint geboten, ebenso 
ein Vermerk beim Abschnitt „Verteidigung«- Einrichtungen" von Mauern, 
Zäunen, Hecken, Gebäuden, dafs der Wert derselben ganz erheblich ge- 
sunken ist, insofern sie bei nicht bedeutender Stärko an sich keinen wirk- 
samen Schutz gegen das feindliche Infanterie- geschweige denn Artillerie- 
Feuer bieten. Man wird häufig besser thun, sich vorwärts- oder seitwärts 
dieser Gegenstände hinzulegen, als dieselben zur — oft trügerischen — 
Deckung zu verwerten. 34. 

Neuheiten der französischen Militar-Litteratur. 

Folgende Werke aus dem Verlage von H. Oharles-Lavauzelle, Paris 
und Limoges 1890, sind uns neuerdings zugegangen: 1. Instruction 
thöorique du soldat ou theories dans les chambres par demandes 
et reponses, par G. Le Grand, capitaine adjudant-major au 71 ,IDC regiraent 
d'infanterie. 4 e edition. Das Büchelchen ist für den theoretischen Unter- 
richt des Infanteristen bestimmt und behandelt in Fragen und Antworten 
Alles, was demselben Uber inneren und äufseren Dienst in der Garnison 
und im Felde zu wissen not thut. — 2. Conseils aux sous-officiers 
et caporaux par A. B. Faurie, capitaine au 66° d'infanterie. Eine 
kurz gefafste Instruktion für das Verhalten der Unteroffiziere als Vor- 
gesetzte im Allgemeinen, bei Inspizierungen im Besonderen. — 3. In- 
struction ministerielle du 25. octobre 1887 sur le Service Pre- 
votal de la Gendarmerie aux Armees. 2° edition. Eine sehr umfang- 
reiche Instruktion Uber den Dienst und die Befugnisse der Feld-Gendar- 
merie, verbunden mit zahlreichen Schemas zur Anfertigung von dienst- 
lichen Meldungen und Rapporten. — 4. Les reraontes. Reponse ä 
Monsieur Casimir Perier. Preis 0,50 fr. Anknüpfend an die auch in 
den „Jahrbüchern" erwähnte Thatsache, dafs ein französisches Kavallerie- 
Regiment anstatt 677 nur 580 Mann beritten machen könne im Kriegs- 
falle, da 86 junge, undressierte Pferde eigentlich nur „auf dem Papier" 
vorhanden sind, wird von einem „höheren Kavallerie-Offizier," welcher die 
Frage nochmals eingehend beleuchtet, der Deputierte Casimir- Perier der 
Dankbarkeit der Kavallerie versichert, dafs er die Frage im Parlament 
angeregt habe. 5. Notes sur la Religion musulmane en Algörie. 
(Extrait de la Revue d'infanterie). Eine sehr interessante Monographie 
über den Islam, dessen Geschichte, Lehrsätze und Kultus. Die Broschüre 
verdient, da es sich in den Kreisen der Bekenner dieser Religion stark zu 
„regen" beginnt, und der Panislamismus an Ausdehnung zu.sehends ge- 
winnt, Beachtung. Verfasser meint, alle Gläubigen würden den höheren 
Weisungen blind gehorchen, „wie der Leichnam in den Händen des 
Totenwäschers." 4. 



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224 



Umschau in der Militfir-Litteratar. 



Wolfram-Geschosse. Von R. Wille, Oberst a la saite des Fufs- 
Artillerie- Regiments Encke. Berlin 1890. Verlag von 
R. Eisensch ruidt. 

Das Wolfram gehört zu den in gröfseren Leserkreisen wenig bekannten 
Metallen, seine Erze sind Begleiter der Zinnerze und verursachen beim 
Verhüllen der letztoren eine hochgradige Verschlackung des Zinns; wegen 
dieser quasi „Gefräfsigkeit" dem Zinn gegenüber sprach man von „Wolf* 
oder „Wolfrig", woraus der wissenschaftliche Name Wolfram entstanden 
ist. Man hat bisher von Wolfram sehr wenig Gebrauch gemacht, man 
findet es hauptsächlich nur als Zusatz des Stahls im Wolframstahl und in 
feinen Salzen zur Herstellung der Wolframfarben verwendet. Eine Ausbeute 
im Grofsen konnte dadurch nicht hervorgerufen werden und da man zu 
solcher keinen Anlafs hatte, unterliefs man es, seinem Vorkommen ernstlich 
nachzuforschen, dies hat Anlafs zu der stehenden Kennzeichnung gegeben: 
„Wolfram, sprödes, hartes, sehr dichtes Metall, von seltenem Vorkommen". 
Damit wäre wohl noch auf lange Zeit das Schicksal des Wolfram besiegelt 
gewesen, hätte nicht der in der Armee wohlbekannte Gewehrballistiker 
und Gewehrtechniker Major a. D. Mieg*) schon vor einer Reihe von Jahren 
den Gedanken ins Auge gefafst, dieses Metall von so grofser Eigenschwere 
und Härte als Substanz für Gewebrgeschosse ins Auge zu fassen, wozu die 
damals in Diskussion stehende Verminderung des Gewehrkai ibors besonders 
aufforderte. Die „Jahrbücher" haben zuerst unter den militärischen 
Zeitschriften auf Grund eigener Informationen der Mieg sehen Be- 
strebungen, wenn auch nur kurz, Erwähnung gethan, vergl. darüber die 
militärtechnische Umschau im Septemberheft 1889 (Band 72, Heft 3); 
zwei politische Blätter, die Berliner „Post" und die Münchener „Allgemeine 
Zeitung", hatten darüber bereits Artikel gebracht, die letztere einen sehr 
eingehenden. In den Jahrbüchern wurde u. a. erwähnt, dafs noch Zweifel 
vorlägen, ob die Gewinnung des Wolfrain in genügendem Umfange möglich 
sei, um eine Massen-Fabrikation von Gewehrgeschossen ins Leben zu rufen. 
Die Interessenten glauben indes heute, dafs diese Zweifel gehoben seien 
und berufen sich auf umfassende Nachforschungen. — Späterhin hatte 
das Archiv für Art.- und Ingen. - Offiziere, im Okt.-Nov.-Heft 1889, in 
einem eingehenden Artikel die Frage der Wolfram-Geschosse für Gewehre 
einer lehrreichen Betrachtung unterworfen deren Endergebnis zwar 
kein völlig günstiges war, indes die ballistischen Vorteile, die nach Über- 
windung einzelner, noch bestehender Hindernisse sich ergoben müssen, in 
vollem Mafse anerkannte und im Vergleich mit dem damals bestehenden 
besten Kleinkaliber -Gewehr, demjenigen Frankreichs, wissenschaftlich 
begründete. 

Heute liegt nun eine besondere Schrift über Wolfram -Geschosse 
vor, deren Titel unserer Besprechung vorangestellt ist. Dieselbe entstammt 

*) Verfasser der bekannten Schrift: .Die Verwendung des Inft-Gew. M/71", 
Berlin 1877. 



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Umschau in der Militir-Litteratur. 



225 



der Feder eines höheren Offiziere, der auf dem Gebiete der Waffen- 
Konstruktionen nicht blofs theoretische Studien für sich hat, sondern eine 
lange Reihe von Jahren in der militärischen Technik rein praktische 
Thätigkeit entwickelt hat und zwar in einflußreichen Stellungen, zuletzt 
als Direktor der Artillerie- Werkstatt Spandau. Die Schrift des Obersten 
Wille ist, wie nicht anders zu erwarten, von hohem wissenschaftlichen 
Wert; sie hat das Programm insofern erweitert, als sie auch die Ver- 
wendung des Wolfram zu Artillerie-Geschossen in den Kreis der Betrachtung 
gezogen hat. Man kann die Aussichten, welche sie der Entwicklung der 
Frage eröffnet, als vorherrschend günstige bezeichnen, ja sie entrollt 
ein Zukunftsbild der Gewebrkonstruktion , das die Verwendung des 
Wolfram-Metalls zu Gewehrgeschossen geradezu gebieterisch erheischen 
wird, wir meinen die weitere Verminderung der Gewehrkaliber unter 
7,5 mm, was nach dem Vorgang von Jagdgewehren bis 6 mm schon 
praktisch durchführbar erscheint. 

Die Schrift des Obersten Wille zerfallt in 5 Abschnitte, davon be- 
trachtet der erste als Einleitung das kleine Kaliber Uberhaupt, während 
der zweite dem Metall Wolfram in chemischer und mineralogischer Be- 
ziehung gewidmet ist. Der dritte oder Hauptabschnitt handelt von den 
Wolfram-Geschossen für Handfeuerwaffen, woran sich ein kürzerer vierter 
Abschnitt: „Wolfram -Geschosse für Geschütze" schliefst. Der fünfte 
Abschnitt endlich behandelt Bedarf, Vorkommen und Preis des Wolfram. 
Sechs Anlagen ballistischen Inhalts bilden den Schlüte. Es würde uns zu 
weit führen, wollten wir auch auf die Begründung der ballistischen 
Vorzüge der Wolfram-Geschosse für Gewehre, die das Hauptthema bildet, 
hier näher eingehen. Wohl aber sei es uns vergönnt anzudeuten, wie 
sich Verfasser die Rolle des Wolfram bei fernerer Kaliber-Verminderung der 
Gewehre denkt, nier scheinen ihm Hartblei-Geschosse ganz ausgeschlossen, 
denn sie würden bei einer entsprechenden Querschnittsbelastung Längen be- 
dingen, die aus ballistischen Gründen ausgeschlossen sind. Verfasser be- 
rechnet unter Zugrundelegung des 7,5 mm Wolfram - Geschosses der 
Konstruktion Mieg (beiläufig von 33 mm gleich 4,4 Kaliberlänge, 19,3 g 
Gewicht und 0,437 g Querschnittsbelastung auf den Quadratmillimeter, 
gegen 0,28 g Querschnittsbelastung des 8 mm Hartblei-Geschosses von 
14 g und 0,30 g desjenigen von 15 g Gewicht) die Querschnittsbelastung 
beim 7 mm Wolfram-Geschoss auf 0,4077, bei 6 mm auf 0,3495 g. Um 
gleiche Querschnittsbelastungen zu erzielen, müfsten die Hartblei-Geschosse 
jener Kaliber 46,2 bezw. 39,6 mm lang werden (entsprechend 6,6 Kaliber), 
während die Wolfram-Geschosse 30,8 bezw. 26,4 Länge bedingen. Bei 
den errechneten Längen der Hartblei-Geschosse kleinsten Kalibers würde 
ein ausserordentlich steiler Drall mit allen seinen ballistischen Nachteilen 
in Kauf genommen werden müssen, abgesehen von den Schattenseiten, 
welche so grofse Längen für die Gestaltung der Patrone im Gefolge haben. 
Man ist hier also auf die Wolfram-Geschosse angewiesen. Nun 
könnte allerdings Jemand die Zuliissigkeit weiterer Kaliber- Verminderung 



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226 



IJinwban in der Militär-Litteratur. 



in Abrede stellen. Man hat ja die Unmöglichkeit des Ausbohrens und 
Ziehens solcher Lüufe, wie der Reinigung in den Vordergrund gestellt. 
Erkennt eine in die Maschinen-Technik so tief eingeweihte Persönlichkeit 
wie Oberst Wille diese Einwürfe nicht an, so hat er sicherlich die Be- 
rechtigung dazu. Hören wir endlich, was er im Schlufswort über die 
weiteren Fortschritte sagt: n Die ferneren Fortschritte werden in erster 
Reihe durch die Verwendung erheblich dichterer Geschosse, also durch 
die Annahme des Wolfram-Geschosses ermöglicht werden. Die aus 
den obigen Darlegungen zu entnehmenden ballistischen Vorteile und Vor- 
züge dieser Geschosse sind so grofs, dafs sie der mit ihnen ausgerüsteten 
Infanterie unter sonst gleichen Bedingungen unstreitig eine wesentliche 
Überlegenheit über einen Gegner verleihen werden, der noch die gewöhnlichen 
Hartblei-Mantelgeschosse führt. Zwar ruht der Sieg nicht in den Waffen, 
sondern in den Truppen; nicht die gröfsere oder geringere technische 
Vollendung der toten Werkzeuge besiegelt die Entscheidung auf der 
Wahlstatt, sondern der Geist, der sittliche Wert und die Führung der 
Heere. Gute Waffen bilden jedoch immerhin ein sehr wirksames Hülfs- 
mittel zum Siege und lassen den Sieger sein Ziel mit geringeren Opfern 
erreichen. Deshalb mufs jeder Heeres-Organismus unablässig danach 
streben, die relativ besten Waffen zu besitzen. Zu diesen aber wird 
künftig ohne Zweifel ein Gewehr kleinsten Kalibers mit Wolfram- 
Geschossen zählen." 

Hinsichtlich der Wolfram-Geschosse für Geschütze erscheinen nach der 
Darlegung nur die Füllkugeln der Streugeschosse zunächst praktisch an- 
wendbar zu sein. Die Heranziehung des Wolfram zum Aufbau des Geschofs- 
körpers ist vor der Hand noch nicht ausführbar. Bei dem Massenbedarf 
würde hier auch die Frage des Vorkommens und des Preises in erhöhtem 
Mafse ins Gewicht fallen. 

Im letzten Abschnitt finden wir angegeben, dafs nach genügend 
sicheren Ermittelungen Wolframerze in solcher Menge gefordert werden 
können, dafs sie den errechneten Bedarf (erster Gesamtbedarf von 10,000 
Tonnen, laufender Jahresbedarf 500 Tonnen Metall) mehr als ausreichend 
decken. Der wahrscheinliche Preis ist gleichfalls errechnet, doch fehlt der 
Vergleich mit dem der Hartblei-Geschosse. Im übrigen sagt Verfasser 
hierüber wie folgt: „Die Preisfrage wird sich allem Anschein nach einer 
befriedigenden Lösung entgegenführen lassen. Wenn übrigens die ballistische 
Leistungsfähigkeit und das sonstige Verhalten der Wolfram-Geschosse bei 
einer gründlichen Prüfung im giofsen gleichfalls ihre entscheidende Über- 
legenheit über die gegenwärtig gebräuchlichen Geschofs-Konstruktionen 
darthut, so würde diesen hohen Vorzügen gegenüber der Preis an sieh 
nur wenig ins Gewicht fallen und schwerlich ein ernstes Hindernis für ihre 
Annahme bilden können. Von den eisernen Ladestöcken bis zu den Mehr- 
ladern vermag ich mich keiner wesentlichen Verbesserung, keines wirk- 
lichen Fortschritts in der Bewaffnung zu entsinnen, durch welchen die 
Ausrüstung der Truppe wohlfeiler geworden, oder der lediglich an dem 



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Umschau in der Militär-Litteratur. 



227 



leidigen Kostenpunkt gescheitert wäre." — Wenn unsere Besprechung bei 
dem Leser das Vertrauen erweckt hat, dafs Wolfram als Geschofsmaterial 
nicht ganz aussichtslos ist, so ist in diesem Falle unsere Aufgabe als 
Berichterstatter gelöst, die doch nur darin bestehen sollte, zum Einsehen 
und womöglich zum Studium der Wille'schen Schrift anzuregen, nicht 
durch weitgebende Mitteilung des Inhalts eine unmittelbare Kenntnisnahme 
derselben überflüssig erscheinen zu lassen. In diesem Sinne haben wir 
unsere Besprechung eingerichtet und hoffen, mit derselben der Sache 
förderlich gewesen zu sein. VI. 

Ne quid nimis. Olfener Brief an den Verfasser von »Videant 
consules«. Von Friedrich Wilhelm Schnitze. Berlin 
NW. Verlag von Richard Wilhelmi. 1890. Preis 1,50 M. 
Die bekannte Broschüre „Videant consules" fand vor einiger Zeit in 
einer, ebenfalls aus dem Wilhelmi'schen Verlage hervorgegangenen Schrift: 
„Cedant arma togae" eine Widerlegung besonders nach der politischen 
Seite hin, o bschon die Ausführungen des Verfassers vielfach begründeten 
Widerspruch erfahren haben und in Behandlung der militärischen 
Frage geradezu unzulänglich waren. — Eingehender und mit besserem 
Geschick entledigt sich der vorliegende „Offene Brief" dieser Auf- 
gabe. Fr. W. Schnitze (natürlich ein Pseudonym) bemüht sich, in treffen- 
der Weise und mit den Waffen eines köstlichen, selbst derben Huiuors die 
vielen schiefen Urteile und maßlosen Übertreibungen des „Herrn Videant", 
wie er ihn scherzweise nennt, auf das richtige Mafs zurückzuführen, 
daher das gewühlte Schlagwort: Ne quid nimis. — Einleitend wird zu- 
vörderst mit beifsendem Spotte die sogenannte „Miehelei" abgefertigt, 
jenes, einem grofsen Teile der Durchschnitts-Deutschen anhaftende nörgelnde, 
Alles besser wissende politische Philistertum, dessen Gruudsatz lautet: 
„Ich kenne die Absichten der Regierung nicht, aber ich mifsbillige sie." 
Dem Gebahren dieser durchaus leistungs unfähigen, hier nicht näher zu 
bezeichnenden Partei tritt Verfasser mit aller Schärfe entgegen; „noch 
immer," sagt er, „laute die alte Michelweise: Schmähe das deine, preise 
das Fremde". Eine geradezu staunenswerte Belesenheit befähigt ihn, hier 
mit einigen besonders drastischen Beispielen aus der parlamentarischen 
Michelei aufzuwarten, so der Ausspruch eines noch lebenden fortschritt- 
lichen Parteimannes vom 18. Dezember 1863: „Der Ministerpräsident 
(Bismarck) hat keine Ahnung von einer nationalen Politik;" dann die 
gemeingefährliche Redensart des Wahlflugblattes der Fortschrittspartei 
186ü: „Kein Bruderkrieg, diesem Ministerium keinen Groschen," endlich, 
nach den preufsischen Siegen, die gedankenlose Phrase: „Der Schul- 
meister hat bei Küniggrätz gesiegt." Dieser Schulmeister war eben kein 
anderer als der preufsische Offizier! — Des Ferneren wendet sich unser 
trefflicher F. W. Schultze dann direkt gegen „Videant" und dessen über- 
schwängliche Lobpreisungen der französischen Armee. Er weist, auch an 
der Hand zahlreicher Citate aus französischen Militärzeitschriften der letzten 



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228 



Umschau in der Militär-Litteratur. 



Jahre nach, dafs auch jenseits der Vogesen keineswegs Alles Gold sei, 
was glänze, und recht sehr mit Wasser gekocht werde. „Ein grofser Segen 
sei es, dafs bei uns im Bedarfsfalle stets mehr vorhanden war, als auf 
dem Papier stand, und dafs bei den anderen immer mehr auf dem Papier 
stand, als wirklich da war. tt — Das möge unseren „Micheln" und Angst- 
meiern genügen! — Das Thörichte des Verlangens von „Yideant," dafs 
wir 1887 hätten Frankreich den Krieg erklären sollen, wird sodann in 
überzeugendster Weise dargelegt, namentlich der dagegen sprechenden 
persönlichen Gründe in taktvollster Weise nur andeutend Erwähnung 
gethan; denn, man kann sagen, jedes Kind kennt sie, nur „Yideant" 
nicht. Über das Verhältnis zu Russland wird geurteilt, dafs „unbeschadet 
der treuen Erfüllung unserer Bundespflichten gegen Österreich, es unver- 
nünftig sei, seine Hand zurückzustofsen, wenn es selbst in ehrlicher 
Eintracht mit uns leben wolle." — Aus der Fülle des hier Gebotenen 
können wir nur dieses Wenige herausgreifen; namentlich müssen wir zu 
unserem Bedauern darauf verzichten, den Ausführungen des Verfassers auf 
organisatorischem und militär-politischem Gebiete näher zu treten; wir 
können nur sagen, dafs sie überzeugende sind und den genauen Sach- 
kenner verraten. Die Lesung dieser tüchtigen kleinen Schrift war für 
uns eine geradezu herzerfrischende, wenngleich wir ja manchen An- 
sichten des Verfassers nicht durchaus beipflichten können. Jedenfalls ist 
dieselbe das rechte Wort zur rechten Zeit, dem wir zahlreiche Leser 
und volle Beachtung wünschen. 1. 

III. Seewesen. 

Admiralty and Hone Guards Gazette. Nr. 290: „Unsere mari- 
time Stellung"; Ansichten der Admirale Elliot, Hornby und Symonds 
Uber den Zustand der englischen Flotte. Dieselben betonen am Schlufs, 
dafs man sich die Bestrebungen unseres Kaisers bezüglich der deutschen 
Flotte als Muster nehmen möge. Als Tag der Mobilmachung der englischen 
Flotte zur Ausführung umfassender Manöver, wird der 1. Juli genannt. 
Während der Zeit soll auch ein event. Forcieren der westlichen Passage 
zwischen der Insel Wight und der englischen Küste in Aussicht genommen 
sein, zu welchem Zweck die Hampshire Militia Artillerie die Needles Forts 
besetzen und einige Bataillone Infanterie dahin beordert werden sollen. — 
Seitens der spanischen Marinebehörden sind in Cadix interessante Schiefs- 
versuche mit einem automatisch schnellfeuernden Geschütz nach dem 
„Maxim -System" ausgeführt worden. Das Geschütz wiegt 300 Pfd., das 
Geschofs 11 Pfd. Von den in 10 Sekunden gefeuerten 50 Geschossen »oll 
der Erfinder, trotz heftigen Windes, noch 47 in eine Scheibe auf 600 m 
Entfernung gebracht haben. Später sind noch 50 Granaten auf 2000 m 
in 10 Sekunden gefeuert werden. — Nr. 291: Wie wenig Wert die 
kleinen Torpedoboote für die Operationen auf hoher See haben, dafür 
liefern die Boote Nr. 47 und 48 einen schlagenden Beweis. Sie waren 



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Umschau in der Militar-Litteratnr. 



beide für Gibraltar bestimmt, mufsten aber schlechten Wetters halber 
schon bei Ushout umkehren und nach Plymouth zurtickdampfen. Bei 
Thornycroft & Co. in Chiswick bei London ist für die Argentinische Re- 
publik ein Torpedoboot von 150 Fufs Länge, 14 Fufs 6 Zoll Breite und 
5 Fufs Tiefgang gebaut worden; dasselbe hat dreifache Compound- 
Maschinen mit Doppelschrauben, Kessel nach Tbornycrofts Patent-System, 
ferner 2 Bugrohre für 18 zöllige Whithead Torpedos, 16 Fufs 5 Zoll lang 
und auf Deck bewegliche Rohre für 11 füfsige Torpedos. 3 Nordenfeldt 
dreipfündige Kanonen dienen als Armierung. — Nr. 292: In Amerika 
hat man ein Geschütz versucht, deren Granate mit Dynamit geladen war 
und die mit Pulverladung abgefeuert wurde. Das Geschütz war ähnlich 
dem des Oberst Hope. Es war der erste und letzte Versuch mit dem 
Geschütz, denn es zersprang beim ersten Schufs in Atome. Der Erfinder 
glaubte, dafs nicht das Dynamit, sondern ein Fehler im Roh' oder im 
Geschofs die Ursache des Springens gewesen sei (?). — General Clark 
spricht sich über das Manöver eines Seeangriffs auf Dover folgendermaßen 
aus: Gestatten Sie mir in kurzen Worten einen energischen Protest 
gegen die sinnlosen Operationen gegen Dover. Thörichte (foolish) 
Manöver dieser Sorte dienen nur dazu, irrtümliche Ansichten zu ver- 
breiten, die so vorherrschende Konfusion von Ideen noch zu vermehren 
und taktische Lebren zu geben, welche eines Tages für den Preis von 
Blut und Unheil unerlernt bleiben. Schiffen, durchaus ungeeignet, 
Küstenbefestigungen anzugreifen, wird gestattet, Stunden lang unter Ge- 
schützfeuer zu verweilen, welches sie in 20 Minuten zum Sinken gebracht 
haben würde. Mannschaften werden von gesunkenen Schiffen unter einem 
Feuer gelandet, welches die Landungsboote zerstört haben würde und 
zwar aus dem Gruude gelandet, um eine Position in Front von Festungs- 
werken einzunehmen, welche nicht durch einen Handstreich gewonnen 
werden konnton. Andere Leute werden beordert, das Glacis von Werken 
zu berennen, welche durch einen Handstreich ebenso wenig zu nehmen 
waren. Solche Dinge sind nicht mehr lächerliohe Zwischenfalle, sondern 
schlielsen die Protistution jeder wirklichen militärischen Erziehung in sich 
u. s. w. 

Army and Navy Gazette. Nr. 1582: Der Preis, welchen die United 
Service Institution für den besten Entwurf der maritimen Verteidigung 
Englands ausgesetzt hat, ist dem englischen Kapitän zur See Henry 
F. Cleveland zugesprochen worden. Er teilt seine Abhandlung in zwei 
Abschnitte: 1. Besprechung dessen, was geschehen müsse, 2. die Krlifte 
welche nötig sind, das auszuführen. Er beansprucht für das englische 
Territorium 24 Arsenale, 25 Kohlenstationen, 23 kommerzielle Mittelpunkte 
für merkantile Zwecke u. s. w. Aufser den Landbefestigungen und See- 
minen sind nach dem Entwurf : 72 Schlachtschiffe, 47 gepanzerte Kreuzer, 
82 Kreuzer II. Klasse, 108 Kreuzer III. Klasse, 90 Torpedokreuzer, 
20 Kohlenschiffe, 10 Materialien-, Proviant- und Munitionsschiffe, 9 Torpedo- 
Depotschiffe u. s. w.; für lokale Küstenverteidigung 52 Panzerfahrzeuge, 

Jahrbach« IBr dto Doottcb» Ann«« ud Mmrlne. Bd. LXXVI . . 16 



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230 



Umschau in der Milit&r-Litteratur. 



53 Kanonenboote, 184 Torpedoboote und eine Flotille von 114 Schiffen 
zur Bewachung der Minenfelder, in Summe mit einer Besatzung von 
119,443 Mann u. 8. w. erforderlich. - Mr. 1583: Ein Herr M. Weyl hat 
einen interessanten Artikel in „Le Yacht": „Le curasse d'Escadre" ver- 
öffentlicht. Der Tenor desselben ist etwa folgender. Jedes Panzerschiff 
ist nur eine Einheit im Geschwader; ein Geschwader hat aber nicht das 
rötige Kraftmafs, wenn es nicht aus solchen Typen besteht, die ihm die 
nötige Kraft gewähren, d. h. aus der nötigen Zahl von .schweren Panzer- 
schiffen, Kreuzern und Satelliten (Torpedoboot), durch grofses Deplacement 
kann den Schiffen nur die erforderliche Geschwindigkeit verliehen werden; 
es macht sie unempfindlich gegen Seegang (V); sie tragen die schwersten 
Geschütze, deren Geschosse fähig sind den stärksten Panzer auf grofse 
Entfernungen zu durchschlagen. Grofse Panzerschiffe gewahren Kohlen- 
räume um Kohlenmassen auf denselben anzuhäufen, so dafs sie fast solange, 
als es wünschenswert erscheint, mit denselben in See bleiben können, 
ohne Kohlen auffüllen zu brauchen u. s. w. Andererseits aber kosten 
grofse Panzerschiffe, deren Armirung, Panzerung, Maschinen und sonstige 
Ausrüstung bedeutende Summen, etwa 80 £ Sterling pro Tonne u. s. w. — 
Nach einer Beschreibung des submarinen Bootes Goubet taucht dasselbe 
bis auf eine gewisse Entfernung vom feindlichen Schiffe nur soweit unter, 
dafs der kleine Turm noch über Wasser ist, es wird durch die eigene 
Maschine fortbewegt. Sobald dasselbe möglicherweise vom Feinde gesehen 
wird, taucht es unter. Bis auf 100 m Entfernung vom Feinde ange- 
kommen, taucht es tiefer und wird dann durch 2 Ruder (Riemen) bewegt, 
welche durch wasserdicht abgeschlossene Öffnungen aus der Schiffsseite 
ragen. Etwa 50 m vom Feinde taucht es dann bis zu 4 — 5 m Tiefe 
unter Wasser. Unter dem Boden des feindlichen Schiffes angekommen, 
werden die beiden mitgeführten Torpedos losgeschraubt; die bis zum 
Boden des Schiffes auftreibenden unheimlichen Fische werden dort fest- 
gehalten, so dafs Goubet sich entfernen kann. Auf entsprechender 
Distanz angekommen, wird die mitgeführte elektrische Zündung in 
Thätigkeit gesetzt und das feindliche Schiff zum Sinken gebracht, während 
Goubet sich sal viert und von dem Orte der Zerstörung eilt. Auch ist es 
möglich, durch den Goubet Telegraphenkabel u. s. w. zu zerstören. Die 
Schiffsschrauben können durch zwei an einander gekettete Bogen, die durch 
das submarine Boot an den betreffenden Ort geführt und dort befestigt 
werden, gleichfalls der Zerstörung preisgegeben werden, indem sich Kette 
und Bojen mit den Schraubenflügeln verwickeln, wodurch die Maschine 
und Schrauben am Funktionieren verbindert sind. — Das grofse Er- 
eignis des Tages ist in Spauien noch immer der Triumph des submarinen 
Torpedobootes n Peral, tt welcher die spanische Nation in einen Freuden- 
rausch gestürzt -hat. Dasselbe ist während 65 Minuten 10 m unter dem 
Meeresspiegel-, i y blieben und hat in der Bucht von Cadix manövriert, und 
damit endlich, die Erwartungen erfüllt, welche ganz Spanien seit drei 
Jahren auf sein Problem gesetzt hatte. 



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Umschau in der Militar-Litoratnr. 



831 



Army and Navy Journal. Nr. 37 l. 38 bringen unter der Überschrift 
„das Torpedoboot Cusbing ist ein Wunder", Skizzen und Details 
über das erste Torpedoboot der Nordamerikanischen Marine. Seine 
Dimensionen sind 137'/, Fufs Lange, 15 Fufs Breite, 47, Fufs Tiefgang, 
Deplacement* in Tons a 2240 Pf.— 91,2. Das Material besteht aus Eisen 
und Stahl; wasserdichte Querwände teilen das Boot in 11 Abteilungen; 
Maschinen von 1700 Pferdekräften treiben das Boot mit einer Geschwindigkeit 
von 22'/» bis 24 Knoten durch das Wasser. Der Kohlenverbraucb der 
Maschinen bei voller Kraft beträgt 3800 per Stunde u. s. w. — Bei einer 
Übungsfabrt von Newport bis New York machte das Boot bei heftiger See 
7 Stunden hindurch 19'/, Knoten. — Nr. 38: Nach dem „Le Monde 
illuströ" soll das submarine Boot Goubet mit 2 Mann an Bord 8 Stunden 
unter Wasser gewesen sein. Es sind Gefäfse mit Oxygengas, welche die 
Luft zum Atmen enthalten, an Bord, während eine Pumpe die schlechte 
Luft hinaustreibt. Mr. Goubet, der Erfinder, ist bemüht, Spiegel zu er- 
finden, um bei etwa 2— 4 m Tiefe um sich sehen zu können u. s. w. 

Revue Maritime et Coloniale. (Mai): Fortsetzung und Schlufs der 
Geschichte einer Flotte der Vergangenheit, von M. Keraval, Fregatten- 
Kapitän a. D. — Oceanographie. Fortsetzung und Schlufs von M. J. 
Thoulet's interessanten Schilderungen, unter Bezugnahme auf die auf der 
Reise der englischen Fregatte Cha) lenger u. a. in den Eisregionen des 
südlichen Atlantischen Oceans und anderen Meeren, über Tiefenverraessungen, 
Schleppnetze u. s. w. — Das russische Panzerschiff „Sinope" hat bei 
der Probefahrt im Schwarzen Meere 13,000 Pferdekräfte entwickelt und 
19'/ 4 Knoten Geschwindigkeit gemacht. Die Maschinen waren von M. M. 
Napier in Glasgow geliefert. — Der russische Hülfskreuzer „Oriel" in 
Newcastle-ou-Tyne hat bei seiner Probefahrt 9934 Pferdekräfte entwickelt 
und das Schiff mit denselben 18,9 Knoten bis 19,3 Knoten vorwärts 
getrieben. 

Mitteilungen an dem Gebiete des Seewesens. Nr. III: Besprechung 
bezüglich der internationalen maritimen Conferenz in Was- 
hington 1889. Der Artikel hebt mit Recht hervor, dafs der Gedanke, 
eine grofse Anzahl der auf das Seewesen bezüglichen Angelegenheiten auf 
internationalem Wege gleichförmig zu regeln, ein sehr naheliegender und 
in der Natur der Dinge wohl begründet sei, dafs sich jedoch zur Re- 
alisierung der Idee eine Menge Schwierigkeiten in den Weg stellen, die 
vielleicht weniger in der Sache selbst, als darin liegen, dafs man einer- 
seits die Autonomie der einzelnen Staaten nicht behindern, andererseits die 
in den einzelnen Staaten entwickelten und eingelebten Rechtssysteme und 
Rechtsanschauungen nicht ohne weiteres in andere Bahnen lenken kann. 
Immerhin bleibt die Idee selbst eine gesunde, der angestrebte Zweck ein 
höchst vorteilhafter. — Die Hauptthätigkeit der Konfei bezog sich auf 
die erste Abteilung des Programms, nämlich die Vorschi n zur Ver- 
meidung von Zusammenstößen im Vereine mit den Nomen für die 

Führung der Positionslichter und die ßchallsignale: Das mit dem 

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UmBchau in der MilitÄr-Litterator. 



Studium dieser Frage betraute Comite" legte seinen Beratungen das der- 
malen in Kraft stehende internationale Programm zu Grunde und gelangte 
nach vielfaltigen Debatten und Studien zu der Ausarbeitung eines neuen 
Entwurfs, welcher sich ab eine teilweise Anwendung des jetzigen 
Reglements darstellt. — Auch die Einführung eines internationalen 
ßetonnungswesens bildete ebenfalls den Gegenstand eingehender Beratung. 
Man erkannte jedoch, dafs man ein System, welches viele Staaten zu einer 
durchgreifenden Änderung ihrer bestehenden Einrichtungen zwange, nicht 
wohl beschließen könne, und gelangte daher nur zur Aufstellung von 
solchen Punkten, deren Durchfahrung in keiner Richtung sonderliche 
Schwierigkeiten darbietet. — „Neuerungen an Dampfmaschinen"; 
Vortrag des k. u. k. Maschinenbau- und Betriebs - Oberingenieurs 
J. Fassel, gehalten im marine- wissenschaftlichen Vereine zu Pola, bezweckt 
die Vorführung der im Schiffsmaschinenwesen in der jüngsten Zeit auf- 
getretenen Neuerungen, die Darlegung der nach Anwendung dieser 
Neuerungen gemachten Erfahrungen und die Beleuchtung jener Stand- 
punkte, welche voraussichtlich durch längere Zeit als für weitere Ver- 
besserungen auf diesem Felde maßgebend angesehen werden dürften. 

v. H. 

IV. Verzeichnis der zur Besprechung eingegangenen 

Bücher. 

1. ün Pionnier. Lei Fortl et la Melinite. 2« edition. Paris- Limo- 
ges 1890. H. Cbarles-Lavauzelle. Preis 1,25 frcs. 

2. La Poudre uns fumee et set consequences tactiques par le colonel 
B . . . Paris. Librarie Furne, Jouvet et Cie. 1890. Preis 1,50 frcs. 

3. Droits et Obligation! des Officiers. (Reserve et Armee territoriale). 
Paris — Limoges 1890. H. Charles-Lavauzelle. Preis 5 frcs. 

4. Petlte Bibllotheque de l'Arraee francuise: Historique du 12* re- 
giment d'infanterie. Paris— Limoges 1890. H. Charles-Lavauzelle. Preis 
0,60 frcs. 

5. Ois deutsche Reick ia Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft. National- 
politische Betrachtungen aus Süddeutachland, von G. A. Klausner. Leipzig. 
Ed. H. Mayer, Verlagsbuchhandlung. Preis M. 1. 

8. H. Marcottl. Die Savoyen-Dragoner. Deutsch von Wilhelm Ritter 
von Hackländer, k. u. k. Rittmeister i. d. R. Wien 1890. Verlag von 
L. W. Seidel & Sohn. Preis M. 5. 

7. Oer Militlr-Telegraphlst. Ein Hülfsbuch für den theoretischen 
Unterricht zur Ausbildung in der Feld- und Festungs -Telegraphie. Mit 
54 Abbildungen. Zweite verbesserte Auflage. Von A. v. Renesse, Haupt- 
mann u. s. w. Berlin. Carl Duncker. 1890. Preis M. 1. 

8. Das rauchschwache Pulver und seine Bedeutung für dea Festungs- 
krieg. Eine Studie von Wiebe, General der Artillerie z. D. Berlin 1890. 
E. S. Mittler & Sohn. Preis M. 1. 



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Umschau in der Militar-Litteratur. 



233 



9. Kritische Rückblicke auf den russisch-türkischen Krieg 1877/78. 

Nach Aufsätzen von Kuropatkin bearbeitet von Krahmer, Oberst n. 8. w. 
Dritter (Schlufs-)Band. Mit 10 Planen und Skizzen. Berlin 1890. E. S. 
Mittler & Sohn. Preis M. 4,50. 

10. Taktische Uaterrichtsbrlefe zur Vorbereitung für das Kriegsakademie 
Examen, taktische Übungsritte, Kriegsspiel und Manöver. Aufgaben im 
Rahmen des Detacbements gestellt und erörtert von Griepenkerl, 
Hauptmann u. s. w. Mit 4 Kartenbeilagen. Berlin 1890. E. S. Mittler 
* Sohn. Preis M. 7,50. 

11. Schumann aad die Panzer-Fortlflkation. Von Schröder, General- 
Major z. D. Mit 2 Tafeln. Berlin 1890. E. S. Mittler & Sohn. Preis 
M. 2. 

IS. Aahalt für den Unterricht das Elajlhrl|-Frelwllllgen uid der Reserve* 
Offizier-Aspiranten der Infanterie. Bearbeitet von Bindewald, Premier- 
Lieutenant im Inf.-Regt. Graf Kirchbacb. Potsdam 1890. Verlag von 
Eduard Döring. 

13. Nachtrag zur Rani- und Quartierliste der Kaiserlich Oeutschen 

Marine für das Jahr 1890. (Abgeschlossen Ende Mai 1890). Berlin. E. S. 
Mittler & Sohn. 

14. Zusammengewürfelte Gedanken über unseraa Oleatt. 3. Auflage. 
Rathenow. Verlag von M. Babenzien. Preis M. 3. 

15. L'Artillerie a I' Expotition de 1889 par P. Veyrines, capitaine 
d'artillerie. Avec 30 planches hors texte. Paris. Berger-Levrault et Cie. 
1890. Preis M. 7,20. 

16. Bibliotheque du Marin. Elements da Meteorologie nautique par 
J. de Sugny, lieutenant de vaisseau. Paris— Nancy 1890. Berger- 
Levrault et Cie. 

17. Les Industries da Creusot. Le Materiel de Guerre par le Lieute- 
nant-colonel Henne bert. Paris 1890. Librairie Plön. 

18. Les Industries du Creusot. La cuirasse, la Machlae marine, le 

caaoa par Emile Wey 1, officier de marine en retraite. Paris 1890. 
Librairie Plön. 

19. Oeutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft. Herausgegeben 
von L. Quidde. Dritter Band. 1. Heft. Jahrgang 1890. Erstes Heft. 
Preis M. 5. Freiburg i./B. 1890. Akademische Verlagsbuchhandlung von 
J. C. B. Mohr. 

20. Petite Bibliotheque de I* Armee fraacaise: l. Loi du 15 juillet 
1 889 sur le Recrutement de l'Armee. Tome IV. 2. Historique du 33 e re"- 
giment d'infanterie. Paris — Liraoges. H. Charles-Lavauzelle. 1890. 

21. Etüde sur le Reseau ferre ailemand au point de vue de la con- 
centration. Extrait de la „Revue d'infanterie". 2» edition. Paris — 
Limoges. H. Charles-Lavauzelle. 1890. Preis 0,75 frcs. 

22. Geschichte des 5. Infanterie- Regiments „Prinz Friedrich August" 
Mr. 104. 1867-1889. Auf Befehl des Regiments bearbeitet von Delling, 



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234 



Umschau in der MilitärrLitteratur. 



Hauptmann und Compagnie-Chef im Regiment Chemnitz. Focke'sche 
Buchhandlung (L. Hapke). Preis geb. 3,50 M. 

23. Geschichte des 7. Thüringischen Infanterie - Regiments Nr. 96. 

Erster Teil: Vorgeschichte. Auf Befehl des Königlichen Regiments zu- 
sammengestellt von v. Döring, Hauptmann u. Corap.-Chef im Colberg'- 
schen Grenadier-Regt. Graf Gneisenau. Mit 3 Uniformbildern, 4 Ordens- 
tafeln und 8 Planskizzen. Berlin 1890. E. S. Mittler & Sohn. Preis 
M. 13,50. 

24. Geschichte des 2. Thüringischen Infanterie-Regiments Nr. 32, von 

seiner Gründung an. Von E. Frh. v. Türcke, Sekondelieutenant im 
2. Thüringischen Infanterie-Regiment Nr. 32. Mit Abbildungen, Karten 
und Plänen. Berlin 1890. E. S. Mittler & Sohn. Preis M. 8,50. 

25. Allgemeine Lehre von der Trnppenf Inning Im Kriege. Von .1. 

Meckel, Oberst und Commandeur des 2. Nassauischen Inf.-Regts. Nr. 88. 
Dritte durchgesehene Auflage. Mit Abbildungen im Text, einer Steindruck- 
tafel und einem Gefechtsplan. Berlin 1890. E. S. Mittler & Sohn. 
Preis M. 6. 

28. P. de Pardlellan. L' Armee allemande teile qu'elle est. Paris- 
Limoges. H. Charles- Lavauzelle. 1890. 

27. Russischer Sprachführer für den deutschen Offizier. Herausgegeben 
von Frh. v. Tettau, Premierlieutenant im Pommerschen Füs.-Regt. Nr. 34. 
Hannover 1890. Helwing'sche Verlagsbuchhandlung. Preis M. 1. 

28. Ne quid nimis. Offener Brief an den Verfasser von „Videant 
consules". Von Friedrich Wilhelm Schulze. Berlin. Verlag von 
Richard Wilhelmi. 1890. Preis M. 1,50. 




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XIH Die Schlacht von Tel-el-Kebir 
(am 13. September 1882). 

(Hauptsächlich nach dem Bericht eines Mitkämpfers geschildert). 



Das Heft 12 der vom Grofsen Generalstabe herausgegebenen 
Einzelschriften brachte in der Einleitung zu der Schilderung des 
Nachtgefechtes bei Laon eine höchst interessante, übersichtliche 
Angabe der in der neuern Kriegsgeschichte vorgekommenen nächt- 
lichen Kämpfe. Es wurde dabei auffallenderweise das Gefecht vom 
13. September 1882 bei Tel-el-Kebir in Ägypten übergangen, welches, 
wenn auch sein zweiter Teil schon beim Morgengrauen ausgekämpft 
wurde, doch immerhin mit Rücksicht darauf in die Kategorie der 
Nachtgefechte gerechnet werden kann, dafs seine Einleitung, ebenso 
wie seine erste Durchführung, in die Stille der Nacht oder wenigstens 
— nach dem eigenen Bericht des Oberkommandierenden — in die 
Zeit »etwas vor Tagesanbruch« fielen. 

Verfasser dieser Zeilen fand im März-Heft des bekannten eng- 
lischen Magazins, »Nineteenth Century«, unlängst eine Darstellung 
der genannten Schlacht aus der Feder eines frühern englischen 
Unteroffiziers, des Sergeanten Arthur V. Palmer, welcher mit grofser 
Lebendigkeit und in oft drastischer Weise ein anziehendes Bild von 
den Einzelheiten derselben zu geben weifs, soweit sie sich innerhalb 
des Gesichtskreises eines einzelnen Mitkämpfers abspielen konnten. 
Obgleich diese Darstellung für die Frage der Naclitgefechte, ihre 
Zweckmäfsigkeit und Ausführung nicht von derselben belehrenden 
Bedeutung sein kann wie solche, deren Verfasser auf einer höheren 
Zinne der Beobachtung stehen, so trägt doch auch sie vielleicht ihr 
Körnchen zu der Beurteilung jener Fragen bei. 

Die Schlacht bei Tel-el-Kebir ist auffallenderweise, wie 
der ganze englisch-ägyptische Feldzug des Jahres 1882 überhaupt, 



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236 Die Schlacht von Tel-el-Kebir (am 13. September 1882). 

in Deutschland wenig bekannt, obwohl derselbe die Tüchtigkeit des 
damals kommandierenden Generals, Sir Garnet Wolseley, den die 
Engländer selbst als ihren seiner Zeit bedeutendsten Truppenführer 
angesehen haben, ebenso wie die Tapferkeit und Leistungsfähigkeit 
der englischen Troppen in ein helles Licht stellt. Der Tag von 
Tel-el-Kebir beweist, dafs diejenigen nicht richtig urteilen, welche 
die Landarmee Großbritanniens als eine durchaus minderwertige 
ansehen zu müssen glauben. Was die Güte des Materials, wie das 
bei einer, auf dem Werbesystem beruhenden Truppe natürlich ist, 
etwa zu wünschen übrig läfet, weifs hier doch strammer Drill und 
eine eiserne Disziplin in gewissem Mafse auszugleichen, wobei 
die hervorragenden Eigenschaften des englischen Offizier-Corps und 
die langjährige Erfahrung des tüchtigen Unteroffizier-Corps mit in 
Rechnung zu stellen sind. Wie grofs und eigenartig die Strapazen 
sind, die den englischen Truppen bei ihren Kriegen in südlichen 
Klimaten zugemutet werden müssen, zeigt uns so recht der Bericht 
unseres braven Sergeanten; wir lernen aus demselben zugleich die 
Zähigkeit und Energie unserer Stammesgenossen im Norden schätzen 
und bewundern. Dafs seine Ausführungen, namentlich wegen ein- 
zelner darin erwähnter, weniger angenehmer Vorkommnisse*, in 
England selbst grofees Aufsehen gemacht haben und sogar zum 
Gegenstande einer Interpellation im Parlament gemacht werden 
sollten (oder gemacht worden sind?), dürfte den Lesern der »Jahr- 
bücher« vielleicht bekannt sein.*) 

Es sei zunächst gestattet, den Verlauf des englisch-ägyptischen 
Feldzuges von 1882 bis zu dem Angenblick zu skizzieren, wo 
Sergeant Palmer, von den schottischen Hochländern, das Wort 
ergreift. 

Der englisch-ägyptische Feldzug des Jahres 1882 war das letzte 
Kapitel jener Bewegung im Nillande, die im November des vorher- 
gehenden Jahres mit der von dem Oberst Achmed Arabi in Kairo 
in das Werk gesetzten grofsen Militärrevolte ihren Anfang genommen 
hatte. Immer weiter um sich greifend, hatte diese Bewegung ihre 
Spitze ebenso gegen den Khedive Tewfik gerichtet, dem man die 
Begünstigung der das Land finanziell aussaugenden Europäer vor- 
warf, als gegen die Westmächte, welche durch ihr dem Staat 
10 Millionen francs kostendes Beamtenheer das Land thatsächlich 

*) Verfasser dieser Zeilen wandte sich an den Herausgeber der „Nineteenth 
Century" mit dem Ansuchen, ihm iu gestatten, den Inhalt der englischen Dar- 
stellung in den „Jahrbüchern für die Deutsche Armee und Marine" wiederzugeben, 
was demelbe, in der freundlichsten und dankenswertesten Weise genehmigte. 



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Die Schlacht ron Tel-el-Kebir (am 13. September 1882). 237 



beherrschten. Der in heutiger Zeit, oft so mißbräuchlich ertönende 
Schlachtruf im modernen Nationalitüten kämpf bildete auch damals 
die Parole des von seinen europäischen (zumeist englischen und 
französischen) Gläubigern in drückende Abhängigkeit gebrachten 
Landes: »Ägypten für die Ägypter !« — Die auf dem Boden dieses 
Programms stehende »Nationalpartei«, welche aus der vom Khedive 
berufenen »Notabelnversammlung«, unter Hinzutritt höherer Offiziere, 
entstanden war, und mit ihr Arabi, der an der Spitze des auf- 
ständischen Heeres dadurch zugleich auch das thatsächliche Haupt 
jener Partei geworden war, hatten, da auch die Ulemas größtenteils 
auf ihrer Seite standen, den Fanatismus und den heimlichen Brand 
der Empörung bald im ganzen Lande zu entfachen und zu ver- 
breiten gewußt. Sowohl der Zusammentritt einer Botschafter- 
Konferenz samtlicher europäischer Grofsmächte in Konstantinopel, 
als auch die direkte Vermittelung des Großherrn zu Stambul, durch 
Entsendung eines Bevollmächtigten in der Person des Marschalls 
Derwisch Pascha, blieben erfolglos, und zeigten nur das Spiel einer 
zweideutigen Politik ebenso auf orientalischer wie auf westmächt- 
licher Seite, da die besondere Interessenpolitik der einzelnen Be- 
teiligten mit der von ihnen nach außen hin zur Schau getragenen 
Haltung vielfach direkt im Widerspruch stand. 

Da die Verhältnisse sich mehr und mehr zuspitzten, mußte das 
Ministerium Gladstone des hervorragenden Interesses wegen, welches 
gerade England an Ägypten und dem Suezkanal besaß, sich all- 
mählich von der Notwendigkeit eines selbst isolierten kriegerischen 
Vorgehens gegen Arabi Pascha und seine Partei überzeugen. Bei 
einem solchen Vorgehen wußte es auch die Konservativen hinter 
sich. So wurden denn die Rüstungen im Heimatlande energisch in 
das Werk gesetzt, während bereits eine englisch-französische Flotte 
im Hafen von Alexandrien vor Anker lag, die aber nicht den 
.Ausbruch des blutigen Pöbelaufstandes in der Stadt am 11. Juni 
verhinderte, in welchem zahlreiche Europäer Leben und Eigentum 
verloren. Die in Folge hiervon unter den Fremden ausbrechende 
Panik und die Auswanderung der europäischen Kolonisten aus dem 
Lande riefen Kriegsschiffe aller Nationen nach Alexandrien und 
Port Said, um den Schutz ihrer Landesangehörigen zu übernehmen. 
Diese Ereignisse, sowie die zweifellosen Rüstungen der National- 
partei, welche ihrerseits gegen die ersichtlich kriegerischen Absichten 
Englands und vielleicht auch Frankreichs Verteidigungsmaßregeln 
ergreifen wollte, mußten den Ausbruch eines offenen kriegerischen 
Zusammenstoßes beschleunigen. Schon seit Anfang Juni verstärkte 

17» 



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238 



Die Schlacht von Tel-el-Kebir (am 13. September 1882). 



Arabi Pascha eifrig die Befestigungen der Stadt, armierte die Werke, 
erhöhte die Garnison and sachte Vorräte aller Art in der Stadt 
anzuhäufen. Die von englischer Seite unternommenen Versuche, 
ihn durch Vermittelung des Sultans als seines höchsten Herrn von 
solcher Thätigkeit abzubringen, hatten keinen wirklichen Erfolg; so 
fühlte sich denn der englische Admiral Sir Beauchamp Seymour 
veranlagt, am 10. Juli dem Gouverneur Zulficar Pascha ein 
Ultimatum zu übersenden, in welchem er ein Bombardement der 
Stadt ankündigte, wenn nicht die Forts der Stadt bis zum nächsten 
Morgen geräumt und den Engländern übergeben sein würden. Noch 
an demselben Abend verliefsen die französischen Kriegsschiffe, da 
sich das Ministerium Freycinet den entscheidenden Schritten der 
englischen Regierung nicht angeschlossen hatte, den Hafen und 
dampften nach Port Said ab, da eine Zerstörung oder Unterbrechung 
des Suezkanals befürchtet wurde. Auch die Kriegsschiffe aller 
anderen Länder verliefsen den Hafen und gingen aufeerhalb desselben 
vor Anker. 

Am folgenden Morgen früh 7 Uhr trat dann die angekündigte 
neue Wendung in der so lange hingezogenen Angelegenheit auch 
wirklich ein. Die Geschütze sprachen zum ersten Mal ein ernstes 
Wort mit. Die Wirkung des Feuers der 8 englischen Panzerschiffe 
war die, dafe Arabi Pascha, trotz des anfänglich versuchten heftigen 
Widerstandes, sich am folgenden Morgen (12. September) mit seinen 
Truppen eiligst nach dem 25 km entfernten, an der Bahn nach 
Kairo gelegenen Kafred Dauar zurückzog. Scheinbar eingeleitete 
Kapitulations-Verhandlungen gaben ihm die notwendige Zeit, diesen 
Rückzug auszuführen, während Alexandria teils durch die englischen 
Geschosse, teils durch die Hand des hafserfüllten und raubgierigen 
Pöbels und einer gleich gesinnten Soldateska zum grofeen Teil in 
Trümmer und Asche gelegt ward. 

Der Mangel an genügenden Truppen liefs Admiral Seymour f 
welcher nach Ärabis Abzug etwa 3000 Matrosen und Marinesoldaten 
gelandet hatte, von einem weiteren Vorgehen gegen die neue 
Position des Gegners zunächst Abstand nehmen; ein Umstand, der 
die Beschiefsung und teilweise Vernichtung der wichtigen Handels- 
stadt in deu Augen vieler noch tadelnswerter, weil zwecklos, er- 
scheinen liefe. Endlich trafen in der zweiten Hälfte des Monats die 
ersten Abteilungen des eigentlichen Expeditions-Corps ein, und die 
weiteren Operationen gegen Arabi Pascha, der inzwischen von dem 
Khedive aufgegeben und förmlich von ihm abgesetzt worden war, 
konnten beginnen. 



Die Schlacht von Tel-el-Kebir (»m 13. September 1882). 



Das englische Expeditions- Corps, welches nachdem alles ver- 
einigt war, eine Gesamtstärke von etwa 25,000 Mann zählte, be- 
stand aus drei Teilen: 18,000 Mann, in 2 Divisionen (General- 
lieutenants Willis und Hamley) formiert, kamen aus dem Mutter- 
lande, und 1 Division, etwa 10,000 Mann stark, war unter General 
Macpherson aus Indien beordert worden. Die Division Willis be- 
stand aus den beiden Brigaden Herzog v. Connaught und General- 
major Graham, die Division Hamley aus den Brigaden der General- 
majors Wood und Sir Archibald Alison. Das gesamte Expeditions- 
Corps stand unter dem Oberbefehl Sir Garnet Wolseley's, eines 
bereits bei verschiedenen kriegerischen Gelegenheiten als geschickt 
nnd energisch erkannten Offiziers und Truppenführers, welcher am 
15. August in Ägypten landete und in einer Proklamation als das 
Ziel seiner Thätigkeit nur die Wiederherstellung der Autorität des 
Sultans gegen die Empörer bezeichnete. 

Arabi Pascha hatte sich inzwischen in seiner taktisch sehr 
günstigen Stellung bei Kafra Dauar wohl verschanzt und erwartete 
hier den Angriff der auf der Linie Mekr — Ramie (mit dem Mittel- 
punkt Alexandria) versammelten Truppen seines Gegners. Dieser 
Angriff aber unterblieb klüglicherweise und es fanden in der ersten 
Hälfte des August nur kleinere Rekognoszierungs- Gefechte und 
bedeutungslose Scharmützel der sich nahe gegenüberstehenden Gegner 
statt. Nach seiner Ankunft entschied sich General Wolseley dafür, 
die Stellung Arabi Paschas hier überhaupt nicht anzugreifen, sondern 
den Versuch zu machen, sich überraschend in den Besitz des Suez- 
kanals zu setzen, um dann, diesen als Operationsbasis benutzend, 
die Verbindung zwischen Alexandria und Suez herzustellen und von 
hier aus den wesentlich kürzeren Weg nach Kairo einzuschlagen 
oder sich denselben mit Waffen-Gewalt zu bahnen. 

Am 12. August wurde daher die Division Willis möglichst 
heimlich und unter Verbreitung falscher Nachrichten über ihr 
Ziel von Alexandrien nach Port Said eingeschifft; es gelang, die 
ägyptischen Truppen in diesem Ort zu überrumpeln und den letzteren 
ohne Verluste in Besitz zu nehmen. Infolge dessen konnte General 
Wolseley bereite in den letzten Tagen des August stärkere Truppen- 
massen bei El Kantara und Ismailia an das Land setzen. Die 
Absicht der Ägypter, den Süfswasserkanal abzugraben, wurde durch 
rechtzeitige Besetzung Schalufe, nördlich Suez gelegen, von Seiten 
einer von diesem Ort aus vorgehenden Abteilung verhindert und 
ebenso durch schnelle Besetzung der dorthin führenden Eisenbahn 
die Verbindung zwischen Ismailia und Suez gesichert. So war der 



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240 Di« Schlacht Ton Tel-«1-Kebir (am 13. September 1882). 

Suezkanal, dessen südliche Einfahrt ein englisches Kanonenboot schon 
frühzeitig vor Suez gesperrt hatte, trotz Herrn v. Lesseps Protesten, 
bereits am 20. August völlig in den Händen der Engländer und die 
Vereinigung der von hier aus zu den weiteren Operationen be- 
stimmten Truppenverbände konnte nun schnellstens erfolgen. Schon 
am 21. August landete die Tete der Hl. (indischen) Division des 
Generals Macpherson bei Ismailia, so dals die I. und II. Division in 
den nächsten Tagen hier konzentriert war. Zu diesen ging von der 
bei Alexandria und gegen Kafra-Dauar stehenden II. Division am 
30. August auch noch die Brigade Alison nebst dem Divisions- 
Commandeur Hamley ab. Die somit zur Verteidigung von Alexandria 
allein noch verbleibende Brigade Wood hatte täglich kleinere, 
resultatlos verlaufende Gefechte gegen die gegenüberstehenden 
Ägypter zu liefern deren Hauptmasse sich inzwischen von hier unter 
Arabi Pascha auch nach dem Südosten gezogen hatte, um dort 
konzentriert der englischen Offensive entgegenzutreten. 

Arabi's Hauptstellung befand sich bei Tel-el-Kebir , quer über 
den Suis wasser -Kanal und die Eisenbahn Suez — Alexandria sich 
erstreckend, etwa 50 km von Ismailia entfernt, mit einer Flanken- 
stellung nördlich davon bei Sallhieh, dem englischen Vormarsch 
zur Sperrung der StraJse von Ismailia nach Kairo, der Hauptstadt, 
und deshalb dem wahrscheinlichsten Angriffsobjekt des Feindes 
vorgelagert. Stark befestigt, soll die Gesamtstellung anfangs mit 
etwa 25,000 Mann, welche Zahl sich bis Anfang September noch 
um die Hälfte erhöhte, besetzt gewesen sein. 

Am 27. August erst ging der englische Oberbefehlshaber aus 
seiner am 20. gewonnenon Stellung in der Richtung auf den 
Eisenbahn-Knotenpunkt Sagasig vor. Nachdem er die ägyptischen 
Vortruppen vor sich her getrieben hatte, nahm er nach heftigem 
Widerstande am folgenden Tage Mahsama und rückte am 26. bis 
zu der wichtigen Schleuse von Gassassin vor. Hier waren am 
28. August die Engländer zum ersten Mal die Angegriffenen. Erst 
nach mehrstündigem Kampfe gelang es ihnen, nach Heranziehung 
der rückwärts befindlichen Kavallerie-Brigade Sir Drury Lowe's, den 
mit grofeer Energie unternommenen Angriff zurückzuweisen. Ob- 
gleich die Stellung von Gassassin inzwischen sehr verstärkt worden 
war, wurde der Angriff, nachdem in der Zwischenzeit noch mehrere 
kleinere Zusammenstöße stattgefunden hatten, von Arabi am 
9. September wiederholt. Mit 25,000 Mann und 62 Geschützen ging 
er selbst gegen die Front des Feindes vor, während zugleich ein 
Vorstofs von Sallhieh aus die rechte Flanke desselben bedrohte. 



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Die Schlacht tod Tel-el-Kebir (am 13. September 1882). 241 

Aber auch dieser Angriff mifsglückte, hauptsächlich wegen des 
wiederum erfolgreichen Eingreifens der englischen Kavallerie. Nun- 
mehr beschloß General Wolseley, nachdem jetzt auch noch die 
Brigade Alison in Ismailia gelandet war, selbst zur Offensive vor- 
zugehen und die schon so lange verzögerte Entscheidung herbei- 
zuführen. Dies führte zu der siegreichen und den Feldzug that- 
sächlich beendenden Schlacht von Tel-el-Kebir, die uns der brave 
Mitkämpfer, Sergeant Palmer, weiter unten in ihren Einzelheiten 
erzählen soll. Um den Leser jedoch Aber den allgemeinen Verlauf 
des Gefechts weiter zu orientieren, sei zunächst eine in der Haupt- 
sache dem offiziellen Bericht des Generals Wolseley*) folgende kurze 
Übersicht der Ereignisse des 12. September 1882 gegeben, welchen 
die Engländer mit Recht in der Ruhmesgeschichte ihrer Armee 
bis auf den heutigen Tag als eine der hervorragendsten Waffen- 
thaten zu preisen lieben. 

General Wolseley hatte die Stärke des Feindes richtig auf 
etwa 20,000 Mann Infanterie, 3 Regimenter Kavallerie und etwa 
60 — 70 Geschütze bei Tel-el-Kebir, sowie auf 5000 Irreguläre, 
6000 Beduinen und 24 Geschütze bei Sallhieh geschätzt. Dem 
gegenüber konnte er, durch die bisherigen Verluste und mannig- 
fachen Detachierungen geschwächt, nur 11,000 Bajonette und 
2000 Säbel, sowie 20 Feldgeschütze zur Verwendung bringen, 
trotzdem er wufste, dafs die etwa 3 1 /, englische Meilen (also rund 
etwa 5 km) quer über den Kanal und die Eisenbahn ausgedehnten 
Befestigungen ihrer Natur nach sehr starke waren. Letzterer 
Umstand sowie das Vorgelände liefsen einen Vormarsch gegen 
dieselben bei Tage als fast unmöglich oder nur unter sehr schweren 
Verlusten ausführbar erscheinen. Andererseits schien eine Umgehung, 
bei sehr grolsen Anstrengungen der Truppen, noch die Möglichkeit 
eines Entkommens des Feindes zu gewähren, der hier entscheidend 
geschlagen werden sollte. Günstig für einen überraschenden Angriff 
in der Nacht mutete der durch häufige Rekognoszierungen fest- 
gestellte Umstand sein, dafs der Feind des Nachts seine Posten 
nicht weit über die Werke hinauszuschieben pflegte. 

Am Abend des 12. wurde bei Beginn der Dunkelheit das Lager 
bei Gassassin abgebrochen und die Truppen biwakierten an den 
ihnen vorher bezeichneten Punkten bis Nachts l l /i Uhr, ohne dais 
ihnen das Anmachen von Feuer und selbst das Rauchen gestattet 
wurde. Das äufserste Schweigen während der nächtlichen Operationen 



*) Mitgeteilt u. A. im Milit.-Wochenblatt 1882. Nr. 89. 



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242 



Die Schlacht von Tel-el-Kebir (am 13. September 1888). 



war auf das strengste anbefohlen worden. — Um l'/s Uhr begann 
der gleichzeitige Vormarsch der I. und II. Division, während die 
indische Division eine Stunde später anzutreten hatte. Der Nacht- 
marsch mufete Mangels anderer Richtungspunkte in der Wüste zur 
Nachtzeit lediglich nach den Sternen ausgeführt werden, dennoch 
gelang er so gut, dafe die Teten beider Divisionen die feindlichen 
Werke nur wenige Minuten nach einander erreichten. Der Feind 
wurde völlig überrascht und erst in Folge des Schieisens vorge- 
schobener Posten die Annäherung der Engländer gewahr, als diese 
schon seinen Werken ganz nahe waren. Aber in kürzester Zeit 
waren die letzteren von Infanterie besetzt, die sofort »ein betäubendes 
Gewehrfeuer« eröffneten, dem sich bald der Donner der Geschütee 
zugesellte. »Dennoch avancierten die englischen Truppen, fast ohne 
einen Schafe zu thun, gemäfs den erhaltenen Befehlen, und als sie 
dicht bei den Werken angelangt waren, warfen sie sich gerade aus 
auf dieselben mit schallenden Rufen.« 

Den rechten Flügel bildete die von der Garde-Brigade (Herzog 
von Connaught) unterstützte, schneidig vorgehende 2. Brigade 
Graham der I. Division, den linken Flügel die Hochland-Brigade 
des Generals Alison, welche aus dem 1. Bataillon Royal Highlanders, 
1. Bataillon Gordon Highlanders, 1. Bataillon Cameron Highlanders 
und dem 2. Bataillon Highland Light Infantry bestand. Diese 
Brigade, welche die Erdwerke wenige Minuten vor der Brigade des 
rechten Flügels erreichte, stürmte mit dem Bajonett, ohne einen 
Schüfe bis innerhalb der feindlichen Linie zu thun. Im Centrum 
zwischen den beiden genannten Brigaden waren 7 Batterien ent- 
wickelt, die bei dem Vorgehen gute Dienste leisteten und öfters 
Gelegenheit fanden, auf kurze Entfernungen mit Kartatschen zu 
feuern. — Auf dem äufeersten linken Flügel rückten die indischen 
Truppen und die Marine-Brigade unter Sir Macpherson fest und 
schweigend vor. Sie hatten, da sie später, als der Hauptangriff 
erfolgte, eintrafen, die leichteste Arbeit zu thun und erlitten keine 
Verluste. — Die Kavallerie- Division umging auf dem äufeersten 
rechten Flügel die Nordspitze der feindlichen Werke und attackierte 
die feindlichen Truppen, als sie die Flucht zu ergreifen suchten. 

Das Gefecht, welches sich in der Hauptsache als ein Infanterie- 
kampf, der öfters zum Handgemenge wurde, darstellt, war um 
6 Uhr Morgens beendet. Einige bezeichnende Schlufsworte in dem 
Bericht des Oberkommandierenden mögen hier wörtlich folgen: 
»Ich glaube nicht, dafs zu irgend einer Periode unserer militärischen 
Geschichte die Brittische Infanterie sich mehr als bei dieser 



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Die Schlacht von Tel-el-Kebir (am 13. September 1882). 



243 



Gelegenheit ausgezeichnet hat« — und an einer andern Stelle heilst 
es: »Nach einer Probe von aufsergewöhnlicher Art sowohl im 
Marsch wie im Angriff kann ich nachdrücklich sagen, dafs ich 
niemals anter meinen Befehlen bessere Infanterie- Bataillone zu haben 
wünsche, als die, welche ich stolz bin bei Tel-el-Kebir befehligt zu 
haben.« 

Wichtiger noch und erfolgreicher als der Sieg an und für sich 
schon war, gestaltete sich seine Ausnutzung durch die Energie von 
Führer und Truppe. Diese bewirkte, dafs eine energische Verfolgung 
des geschlagenen und fliehenden Feindes bis an die Mauern von 
Kairo und die Einnahme der ägyptischen Hauptstadt selbst noch 
unter dem Eindruck der erlittenen Niederlage erfolgen und so der 
Hydra des überall sich sonst von neuem entflammenden Aufstandes 
ein völliges Ende bereitet werden konnten. Noch an demselben 
Tage, dem 13. September, wurde die gesamte Kavallerie über Belbes, 
die indische Division, die an dem Kampfe am wenigsten beteiligt 
gewesen war, über Sagasig auf Kairo in Bewegung gesetzt. Ob- 
gleich sowohl Belbes wie Sagasig noch etwa 30 km vom Schlacht- 
felde entfernt lagen, wurden dennoch beide Orte noch an demselben 
Tage erreicht und schon am folgenden Abend stand General Lowe 
nach einem schneidigen Ritt von wieder etwa 50 km mit 1 500 Reitern 
vor den Thoren der ägyptischen Hauptstadt. Obgleich diese eine 
Einwohnerschaft von mehr als 300,000 Menschen und eine Besatzung 
von mehr als 10,000 xMann besafs, so ergab sie sich dennoch ohne 
Weiteres und mit ihr Arabi Pascha auf Gnade und Ungnade. Am 
folgenden Tage (15. September) traf General Wolseley mit der 
vordersten Abteilung der indischen Division mittelst Eisenbahnfahrt 
von Benha (Knotenpunkt zwischen Zagazik und Kairo) gleichfalls 
in Kairo ein und sicherte so den glänzenden Erfolg der Kavallerie. 

Infolge dieser Ereignisse fielen in kurzem auch alle anderen 
von Arabis Anhängern besetzten Plätze wie Kafred Dauar, Abukir, 
Tauta, Dansiette u. s. w. und der Khedive kehrte wenige Tage 
später unter dem Schutz der Engländer nach Kairo zurück. Die 
Sieger haben seitdem mit Recht die Wahrung ihrer Interessen in 
Ägypten vor denen aller anderen Nationen in den Vordergrund 
gestellt und scheinen entschlossen, sich dieses durch Blut und Eisen, 
besonders durch den Tag von Tel-el-Kebir erkaufte Aurecht nicht 
nehmen zu lassen. 

Hören wir nach dieser Übersicht der bezüglichen Ereignisse 
den Bericht unseres Gewährsmannes und Mitkämpfers von Tel-el- 
Kebir, des oben genannten ehemaligen Sergeanten Arthur V. Palmer 



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244 Die Schlacht von Tel-el-Kebir (am 13. September 1882). 

von den Gameron Higlanders, der seine Erlebnisse folgendermaßen 
erzählt: «Sir Archibald Alison's Brigade war aus dem 42., 47., 
75. und 79. Regiment zusammengesetzt und ich stand als Korporal 
bei dem guten alten Regiment der 79. (Cameron) Hochländer. 
Unsere Brigade wurde am 9. September bei Ismailia ausgeschifft, 
wo wir drei Stunden lang auf den Befehl zum Abmarsch warten 
mufsten. Während dieser Zeit machten viele unserer Leute eine 
Branntweinschenke ausfindig, und so kam es, dafs einige von ihnen 
ziemlich stark angetrunken waren, als endlich das Signal zum 
Aufbruch gegeben wurde. — Eis war ungefähr Vj5 Uhr Nach- 
mittags, als wir unseren Marsch quer durch die Wüste antraten. 
Zelte, Gepäck und Rationen waren mit dem Zuge oder auf Wagen 
abgesandt und alles, was wir mit uns trugen, war eine zusammen- 
gerollte Decke, Seife und Handtuch, Wasserflasche, Mütze, EOwchale, 
70 Patronen und unsere Waffen. Die Hitze war entsetzlich und 
das Marschieren in dem losen Sande, in welchem wir bei jedem 
Schritt bis über die Knöchel einsanken, sehr anstrengend, so dafs 
es ein schweres Stück Arbeit war, die Richtung innezuhalten; kein 
Luftzug bewegte sich; vergebens entblofaten wir unsere Brust in 
der Hoffnung uns dadurch ein wenig Kühlung zu verschaffen. 
Hände, Gesicht und Körper trieften von Schweife und bald waren 
wir alle so nafs, dafs wir das Gefühl hatten als wären wir aus dem 
Wasser gezogen. Die Gegend, die wir hier durchzogen, war nichts 
als eine weite Fläche feinen Sandes, die, von den Strahlen einer 
sengenden Sonne getroffen, nicht ein grünes Blatt, nicht irgend ein 
lebendes Wesen enthielt. Nach und nach begann ein brennender 
Durst sich einzustellen. Die dicken, stämmigen Leute hatten von 
ihm und von den Strapazen des Marsches mehr zu leiden als die 
kleinen, und da sie bald ihre Wasserflaschen geleert hatten, bettelten 
sie nun bei ihren Nachbaren um etwas von dem köstlichen Nafs — 
jedoch nur mit geringem Erfolg, denn ein Jeder fühlte es, dafs 
Wasser jetzt etwas zu kostbares sei, um es weggeben zu dürfen. 
Die alten Gewohnheitstrinker litten am schrecklichsten und einigen 
von ihnen hing die Zunge thatsächüch aus dem Munde heraus. 
Ich selbst marschierte in leidlich guter Verfassung vorwärts, da ich 
einen Kieselstein im Munde trug und nur dann und wann meinen 
Mund mit ein wenig Wasser ausspülte, das ich wieder ausspuckte. 
Als wir so immer weiter marschierten, versagten viele von den 
Leuten; einige stürzten zu Boden, ohne jemals in diesem Leben 
wieder aufzustehn — ihnen hatte es die Sonne angethan. Die 
Burschen, welche in der Branntweinschenke zu Ismailia zu viel des 



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Die Schlacht von Tel-el-Kehir (am 13. 8eptember 1882). 245 

Guten gethan hatten, waren als Arrestanten der Wache überwiesen 
worden, die mit Gewehrriemen anf sie einhieb, um sie vorwärts zn 
treiben und zu verhindern, dafs sie umfielen; das Geheul der Ge- 
schlagenen unter dieser rohen, aber entschuldbaren Behandlung 
klang in diesem fremden Lande seltsam in unseren Ohren. Ich 
bekam den Auftrag nach einem Mann zu sehen, der ganz erschöpft 
niedergestürzt war und den ich als einen von denjenigen kannte, 
die mitgetrunken hatten. Als ich ihm befahl, aufzustehen und 
weiterzumarschieren, gab er mir zur Antwort: »Ach, lassen Sie 
mich hier sterben, Korporal, ich kann mich nicht rühren !« Da der 
Regimentsarzt in der Nähe war, so bat ich ihn, sich den Mann 
anzusehen. »Hat er getrunken?« fragte er mich. »Ja, Sir.« »Na, 
dann bringen Sie ihn auf irgend eine Weise in die Höhe und 
gebrauchen Sie dazu Ihren Gewehrriemen, wenn's nötig ist; aber 
lassen Sie ihn unter keinen Umständen hier liegen.« — »Sehr 
wohl, Sir,« antwortete ich, und dachte dabei im Stillen, was für 
eine nette Geschichte das für mich wäre, bei hereinbrechender 
Dunkelheit mit nur wenig Wasser, bei einem hülflosen Menschen 
zurückgelassen zu werden. Als ich zu meinem Kranken zurück- 
kehrte, fand ich ihn lang ausgestreckt, sehr elend und sah, wie er 
eine grüne Masse von sich gab. »Vorwärts! Hoch, Jimmy!«*) sagte 
ich, »oder ich mufs Dich mit dem Riemen bearbeiten!« Er rührte 
sich nicht. Da gab ich ihm ein paar tüchtige Hiebe und diese 
Züchtigung setzte ihn wirklich in Bewegung. Er richtete sich auf 
und schwankte ein paar Schritte vorwärts, dann stürzte er wieder 
zu Boden. Doch eine erneute scharfe Anwendung des Gewehr- 
riemens brachte ihn wieder auf die Beine, von Neuem ging er ein 
Stück vorwärts — bald jedoch wälzte er sich wieder auf der Erde. 
Jetzt liefs ich ihn liegen, und durch die sich in der Finsternis vor 
mir bewegenden Massen vorwärts tappend, suchte ich durch Rufen 
mein Regiment und meine Compagnie ausfindig zu machen. Als 
ich so endlich meinen Sergeanten aufgefunden hatte, meldete ich 
Jimmy's Zustand. »0,« meinte dieser, »lassen Sie ihn nur in Ruhe; 
wenn er die Biwakfeuer sieht, Frost und Hunger empfindet, so soll 
mich der Teufel holen, wenn er nicht bald wieder auf den Beinen 
ist« Der Sergeant hatte Recht; ich machte den Marsch mit meiner 
Compagnie zu Ende mit, und als ich mich, in meine Decke gehüllt, 
mit meinem Kochgeschirr als Kopfkissen, eben zum Schlaf zurecht 



•) Anmerk. d. Verf. .Jimmy- oder „Tom Atkins" ist eine in der britischer) 
Armee übliche, echerxhafte Benennung des gemeinen Soldaten. 



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246 Die Schlacht rot» Tel-el-Kehir (am 13. September 1888). 

legen wollte, stellte sich Jimmy bei mir ein und dankte mir dafür, 
dafs ich ihn so verdroschen hatte. 

Der erste Marsch war natürlich auch unser schlimmster. Durch 
die lauge Unthätigkeit an Bord waren die Leute schlaff geworden, 
so dafs sie die Hitze und der Durst nur um so schrecklicher quälte. 
Noch jetzt stehen mir die Scenen von damals lebhaft vor Augen: 
wie die Leute, vou der Sonnenglut niedergeworfen, auf der Stelle 
eingescharrt wurden, wo sie zu Boden stürzten, wie andere, die 
erschöpft umsanken, an den nahen Eisenbahn danini getragen wurden, 
um dort vielleicht das Glück zu haben, von einem vorüberfahrenden 
Zuge aufgenommen zu werden, wie das jämmerliche Geschrei der 
geprügelten Arrestanten die nächtliche Stille grell durchschnitt und 
wie sich ein wüstes Gedränge und allgemeines Suchen nach Wasser 
erhob, sobald das Signal »Halt« ertönte, ein allgemeines Stürzen 
nach dem faulen und stinkenden »Süfswasser-Kanal«, der seinen 
Namen so sehr mit Unrecht führte. Ich sehe die Gesichter über 
und über versenkt in das faulige Nafs, die Leute sich prügeln, um 
Raum zum Niederknieen zu gewinnen, sehe die Kochkessel eben so 
schnell wie sie gefüllt sind, weggerissen und geleert, bis sie endlich 
unter dem Schutz der Wachmannschaften auf die Kochplätze ge- 
schafft werden können, damit hier Thee hergestellt werde, der mit 
etwas SchifFszwieback das einzige Abendessen von Offizieren und 
Mannschaften bildete. Die ganze Nacht hindurch lagen wir dabei 
in einer abscheulichen Atmosphäre, deren Ursache der folgende 
Morgen klar legte. Der schreckliche Geruch kam gröfstenteils von 
dem Kanal, der mit toten Körpern von Kamelen und Pferden und 
auch mit menschlichen Leichnamen angefüllt war.*) Dieses gräfs- 
liche Wasser mufsten wir trinken — oder verdursten, ein drittes 
gab es nicht; so füllte denn auch ich für den nächsten Tagesmarsch 
damit meine Wasserflasche, deren Inhalt unverändert ebenso seine 
schlammige Farbe wie seinen ekelhafteu, schleimigen Geschmack be- 
hielt. Was nicht der Kanal an verpestender Atmosphäre aus- 
strömte, kam von den unbegrabenen Leichnamen der Pferde und 
Ägypter, welche rings um das Biwak lagen. 

Als die Armee bei Gasassin in Biwak lag, trafen am Morgen 
des 10. September Brigadebefehle ein, welche den an demselben 
Abend beginnenden Nachtmarsch auf Tel-el-Kebir einleiteten. Eine 
der darin enthaltenen Bestimmungen besagte, soweit ich mich noch 

*) Die Ägypter hatten. übrigens geflissentlich das zum Trinken allein brauch- 
bare Wasser dieses Kanals durch Hineinwerfen von Menschen- und Tierkadarem 
zum Gebrauch unmöglich zu machen gesucht. 



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Die Schlacht von Tel-el-Kebir (am 13. September 1888). 247 

entsinne, dafs eines Jeden Wasserflasche mit Thee zu fallen sei, 
damit wir uns, wie wir vermuteten, durch denselben besser wach 
halten konnten. Die am Nachmittag gegebenen Regimentsbefehle 
enthielten weitere Ausführungen der Brigadebefehle und verkündeten, 
dafs die Stellung von Tel-el-Kebir mit dem Bajonett genommen 
werden sollte; keiner dürfte vorher laden und nicht ein Schüfe ab- 
gegeben werden, bis wir in den Verschanznngen selbst wären. 
Beim Vorlesen dieser Befehle riefen die Leute lebhaft Hurrah. 
Sie hatten das vollste Vertrauen zu ihrem Oberst, der, obgleich 
streng, ein gereifter, verstandiger Mann war und den Krieg kannte, 
denn er war ein Veteran aus dem Krimfeldzuge und dem Aufstande 
in Indien; den letzteren hatten auch die drei nächst älteren 
Offiziere mitgemacht. Dreizehn Siege waren mit unseren Fahnen 
verknüpft. Aber kaum ein Unteroffizier oder Gemeiner hatte jemals 
eine Schlacht kennen gelernt. 

Das Regiment stand um b 9 ^ Uhr des Nachmittags in Parade- 
aufstellung und nachdem das Kommando »Rührt euch« gegeben 
war, setzten die Compagniechefs ihren Leuten auseinander, was sie 
zu thun hätten, um den Tag von Tel-el-Kebir zu einem Tag des 
Sieges zu machen. Unser Hauptmann war kein grofser Redner, 
aber er hatte eine gerade, männliche Art und Weise zu sprechen, 
die das Blut in Wallung brachte. Soweit ich mich dessen noch 
entsinnen kann, sprach er etwa folgendes: »Leute, ihr werdet heute 
Abend den Marsch antreten, um eine starke verschanzte Position, 
Tel-el-Kebir genannt, anzugreifen, welche mit 60 Geschützen besetzt 
ist, die unsere Anmarschlinie bestreichen. Auf dem Marsch dorthin 
darf vom Neun-Kanonen-Hiigel an nicht geraucht werden, es mufs 
das tiefste Stillschweigen herrschen und ihr habt, falls nicht ein 
Gegenbefehl kommt, fest darauf loszumarschieren, ohne Rücksicht 
darauf, ob auch Kugeln und Granaten wie ein Hagelwetter auf 
euch einschlagen. Keiner darf das Bajonett aufpflanzen, bevor der 
Hefehl dazu gegeben wird, oder laden, bevor der letzte Ton des 
Signals dazu verhallt ist. Das Bajonett allein mufs die Sache 
machen und kein Schufs darf vorher abgegeben werden, bis die 
Laufgräben genommen sind. Ihr habt zu kämpfen, so lange noch 
einer von euch aufrecht steht. Gedenkt des Vaterlandes und des 
Regiments, dem ihr angehört und streitet jetzt, wie die alten Hoch- 
länder stets gethan haben!« 

Während wir die 4 Meilen*) nach dem genannten »Neun- 



•) 1 engl. Meile — 1,6 km (rund). 



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248 Die Schlacht von Tel-el-Kebir (am 13. September 1882). 

Kanonen-Hügel« marschierten, gaben sich die Zeltkaraeraden Auf- 
• trage an ihre Angehörigen zn Hause für den Fall, dafe sie bleiben 
sollten, denn wir wufsten Alle, dafe uns ein heifser Kampf bevor- 
stände. Mein Zeltkamerad war ein praktischer Bursche, dem Weich- 
herzigkeit fremd war. »Wenn ich abspaziere,« sagte er zu mir, 
»wirst Du zwei Stück Tabak in meiner Tasche finden, die kannst 
Du behalten.« Als wir bei tiefer Dunkelheit den »Neun-Kanonen- 
Hügel« erreicht hatten, marschierten wir zur Linie in Halbbataillonen 
mit Doppelcompagnien und Entwickelungsdistanzen auf. Während 
des Halts hier wurden zwei Tots*) Rum pro Mann ausgeteilt, die 
erste Doppelration schweren Getränkes, seit wir von Bord gekommen 
'waren. »Holländischen Mut« nannten dies die Teatotaller**) des 
Regiments spöttisch, doch hatte keiner von uns irgend eine be- 
sondere Ermutigung zum Kampf nötig. Der Rum stärkte uns recht 
in der kalten Nachtluft, und als wir ihn heruntergegossen hatten — 
denn er wurde sofort weggeputzt — legten sich die meisten von 
uns zum Schlafen nieder. Für viele von ihnen war es der letzte 
Schlaf hier auf Erden vor dem ewigen zum Jenseits. Unser 
Schlummer wurde einmal plötzlich durch Alarm unterbrochen, alles 
eilte schnell an die Gewehre, aber es war nur Sir Garnet und sein 
Stab, der umherritt, um zu sehen, ob Alles in Ordnung war; dann 
legten wir uns wieder hin. 

Etwa um V/ t Uhr Morgens traten wir wieder an. Das 
79. Regiment wurde zum Richtungs-Regiment bestimmt und Lieu- 
tenant Rawson von der Marine bekam den Auftrag, die Führung 
nach den Sternen zu übernehmen, denn wenn auch hin und wieder 
Wolken den Himmel bedeckten, so blieben doch der Nordstern und 
ein Teil des Kleinen Bärs sichtbar. Ich wurde mit einem andereu 
Unteroffizier beauftragt, an dem Richtungsflügel zu marschieren 
und wir blieben so beständig hinter unserem Führer, Lieutenant 
Rawson, der uns befahl die Helme abzunehmen und unsere Augen 
fest auf einen bestimmten Stern gerichtet zu halten und ihn in 
flüsterndem Ton davon zu benachrichtigen, wenn derselbe ver- 
schwände. Als dies noch vor Ablauf einer Stunde geschah, be- 
zeichnete uns Lieutenant Rawson andere zur Beobachtung. Während 
des Marsches herrschte die schärfste Disziplin ; völliges Stillschweigen 
wurde streng beobachtet. Wenn nicht hin und wieder ein Pferd 
gewiehert und hier und dort ein anderes darauf geantwortet hätte, 

•) Tot etwa gleich einer halben Pinte. 

♦*) So heifsen die Mitglieder der MMsigkeitevereine, die jede Art geistigen 
Getränkes auf das 3trengste vermeiden. 



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Die Schlacht von Tel-el-Kebir (am 13. September IS82). 



249 



so hätte man keinen Ton vernehmen können, aufeer dem langsamen 
Aufsetzen vieler Füfee auf den Sandboden, das dem Geflatter einer 
Schar Vögel vergleichbar klang. Mit einem Mal brach ein Mann, 
auf den der genossene Rum seine Wirkung ausübte oder den das 
gespensterhafte Stillschweigen rings umher nervös gemacht hatte, 
in wildes Geschrei ans. Sir Garnet ritt sofort hinzu und befahl, 
den Thäter mit dem Bajonett niederzustofsen, aber der Regiments- 
arzt legte sich in das Mittel und bat um die Erlaubnis ihn chloro- 
formieren zu dürfen. Als dies genehmigt war, wurde der Mann in 
Bewegungslosigkeit versetzt; dann liefs man ihn auf dem Sande 
liegen. 

Nach einem zweistündigen, in einem wahren Leichenschritt 
zurückgelegten Marsch wurde ein Halt von 20 Minuten gemacht. 
Da die Befehle hierzu langsam von Compagnie zu Compagnie in 
leisem Tone weitergegeben wurden, erreichten sie die Seitenkolonnen 
der Brigade nicht, welche im Marsch blieben und, da sie die Fühlung 
nicht verloren, schliefslich so weit herum schwenkten, dafs sie vor 
der Mitte der Marschlinie zusammenstiefsen, so dafe die Brigade 
thatsächlich einen grofsen Kreis bildete und es viel Mühe machte, 
in der pechschwarzen Finsternis endlich wieder die Linie herzu- 
stellen. Dafs dies trotzdem innerhalb eines Zeitraums von 25 Mi- 
nuten möglich war, gab einen schönen Beweis von der Disziplin, 
welche die Truppen beseelte. Um ungefähr 47 s Uhr wurde der 
Vormarsch wieder aufgenommen. Die Langsamkeit des Tempos war 
sehr ermüdend und ich wäre sicherlich, wie viele andere unserer 
Leute selbst im Marsch eingeschlafen, wenn ich nicht ununterbrochen 
meine Aufmerksamkeit hätte auf die Sterne richten müssen; Sir 
Alison, uuser Brigade-Commandeur, welcher sich dicht bei Lieu- 
tenant Rawson aufhielt, fing, als die Nacht abnahm und noch 
immer nichts vom Feinde wahrzunehmen war, an zu fürchten, dafs 
irgend etwas nicht in Ordnung sei. »Sind Sie auch sicher, Rawson,« 
fragte er in leisem Ton, »dafs wir auf dem rechten Wege sind?« — 
»Ja, Sir,« erwiderte der Angeredete, »wir haben den Nordstern zu 
unserer Rechten und den« — den anderen Namen verstand ich 
nicht — »vor uns; wir werden bald am Ziel oder wenigstens nahe 
daran sein.« 

Die Dämmerung war schon im Begriff die Nacht zu verdrängen, 
als ich undeutlich einige Gegenstände vor uns zu erkennen ver- 
mochte, die wie eine Schar Känguruhs bald vorwärts bald rück- 
wärts zu springen schienen — es wnr dies, wie wir später er- 
fuhren, ägyptische Kavallerie. Ich stiefs meinen Nachbar an und 



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250 



Die Schlacht von Tel-el-Kehir (am 13. September 1882). 



Rawson flüsterte: > Jetzt sind wir nicht mehr weit davon,« da horte 
man plötzlich einen Schrei, zwei Schasse fielen unserer linken Flanke 
gegenüber und ein Mann stürzte tot zu Boden. Doch ohne weiter 
Notiz davon zu nehmen, setzte die Brigade stillschweigend ihren 
Marsch weiter fort, während jetzt Jedermann munter und in ge- 
spannter Erwartung war. Da mit einem Mal flammte es auf . . . 
eine lange, dichte Linie Infanteriefeuer vor uns, welche die Scenerie 
rechts und links weithin beleuchtete und deren Knattern bald noch 
von dem Donner der Artillerie übertönt wurde. Aber ohne sich 
auch hierdurch aus ihrer Ruhe bringen zu lassen, marschierten 
nnsere Regimenter schweigend energisch weiter. Als das Kommando 
»Seitengewehre aufpflanzen« gegeben und schnell ausgeführt worden 
war, erklang es wie der Ton von gegen Glas prallenden Hagel- 
körnern, wenn die Geschosse gegen die Bajonette anschlugen. 
Einige, jedoch nicht viele Leute stürzten verwundet nieder. 

Die 79er hatten kaum 100 Yards mit »Gewehr über« zurück- 
gelegt, als das Kommando »Fertig zum Sturm« gegeben wurde. 
Sofort flogen die Gewehre herunter, das Signal »Sturm« ertönte, 
und als der letzte Ton verklungen war, erhob sich ein allgemeines 
lautes Hurrahgeschrei, die Sackpfeifer*) stimmten den Angrins- 
marsch an, und mit unserm tapfern Oberst an der Spitze, der 
»Vorwärts, die Gamerons!« rief, stürmten die Glieder im Lauf- 
schritt gegen die feindliche Stellung, wobei das Hurrahgeschrei 
ununterbrochen fortgesetzt wurde. Einem von den Pfeifern wurde, 
als er eben zu spielen begann, sein Dudelsack von einer Kugel 
durchbohrt, und schrecklich gellende Töne kamen aus dem ver- 
wundeten Instrument. »Bei Gott!« rief sein Besitzer philosophisch 
aus, »es ist verdammt viel besser, dafs die Kugel durch seinen 
Bauch gegangen ist als durch meinen.« Schulter an Schulter 
rückten wir jetzt fast 200 Yards weit unter eiuein Hagel von Ge- 
schossen vor, welche glücklicherweise meist zu hoch gingen und 
uns daher nur wenig Schaden verursachten. Da wurde unser Marsch 
plötzlich durch den ersten Graben gehemmt, der 12 Fufs tief und 
ebenso breit quer vor uns lag. Viele stürzten kopfüber hinein, 
andere fielen auf der Böschung unter einem lebhaften Feuer nieder, 
das der Feind von der gegenüberliegenden Brustwehr aus unter- 
hielt. Der erste von diesen war ein tapferer, junger Soldat, Namens 

*) Die Sackpfeife (Dudeback) ist bekanntlich bis auf den heutigen Tag das 
National-Instrument der Schotten geblieben. Die Sackpfeifer bilden daher auch 
einen Beetandteil der Hochländer-Regimenter, welche ja, wie man weifs, sogar in 
ihrer Uniform die eigentümliche, nationale Tracht zum Ausdruck bringen. 



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Die Schlacht von Tel-el-Kebir (am 13. September 1882). 



251 



Donald Camerou, welcher vorwärts gestürzt war, um uns den Weg 
zu zeigen; ich sah ihn noch im verzweifelten Kampf mit einem 
Haufen Ägypter, bis ihm eine Kugel durch den Kopf ein Ende 
bereitete und er rückwärts mausetot in den Graben niederstürzte. 
Dieser war von Hochländern angefüllt, welche die steile gegen- 
überliegende Böschung emporzuklimmen versuchten und immer 
wieder ausglitten, da der Fufs keinen Halt fand. Ich selbst probierte 
es dreimal vergebens, endlich rief ich einem Kameraden zu: >Um 
Gotteswillen, Finlay, hilf mir das Bein hoch.« — So glückte es 
denn wirklich und ich gelangte auf den obern Rand, aber in einem 
solchen Zustand der Erregung, dafs ich für einen Augenblick ganz 
aufser mir war und kaum wufste, was ich thun sollte. Rings um 
mich schwärmten die Feinde wie ein Bienenschwarm, alle weifs 
gekleidet mit rotem Fez, bald mit braunen bald mit schwarzen Ge- 
sichtern, alle ihre weifsen Zähne teuflisch fletschend. Ich stiels 
mein Bajonett in einen von ihnen, so dafs der Mann auf mich zu- 
fiel und sein Gewicht uns beide zu gleicher Zeit rückwärts wieder 
in den Graben hineinschleuderte, wo wir auf einen meiner Kameraden 
zu liegen kamen. Aber in kurzem war ich mit Hülfe von vieren 
meiner Leute wieder auf der Brustwehr und machte den weiteren 
Sturm des Regiments mit, der sich jetzt gegen den zweiten Graben 
richtete. — Mit kräftigem Hurrah bahnten wir uns den Weg 
weiter mit dem Bajonette und waren bald jenseits des Hindernisses. 
Als ich aus dem Graben herausgeklettert war und eben die Brust- 
wehr erklommen hatte, erhielt ich einen so wuchtigen Hieb von 
dem umgedrehten Gewehr eines Ägypters quer über die Beine, dafs 
ich zu Boden stürzte; schon erblickte ich den kalten Stahl über 
mir, als mich meine Kameraden aus meiner schrecklichen Lage 
befreiten; im nächsten Augenblick war ich wieder hoch, ohne in 
meiner Aufregung selbst irgend einen Schmerz zu verspüren. Plötz- 
lich wurden Rufe laut: »Zurück, Zurück!« — das Wort durcheilte 
die auseinandergekoramenen Glieder der vordersten Kampfeslinie, 
verursachte einen augenblicklichen, allgemeinen Halt und schon 
begannen viele, die glaubten darin ein Kommando zu vernehmen, 
kehrt zu macheu, als glücklicherweise noch im rechten Augenblick 
ein Stabsoffizier nach vorn gesprengt kam, der laut schrie: »Nicht 
Zurückgehen, Leute, vorwärts, vorwärts!« Sofort sammelte sich 
alles wieder und man begann von neuem vorzugehen. Jene Rufe 
»Zurück, Zurück!« waren verräterischerweise von einem Paar 
»Glasgower Iren« ausgestofsen worden, denen es auf irgend eine 
Weise möglich gewesen war, die Bestimmungen zu umgehen, welche 

Jfchrböcber fiu die t»u»ch, Armee uä Mume M, LXiVI., 3. |Q 



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252 Die Schlacht von Tel-el-Kebir (am 13. September 1882). 

seit den Tagen des Feniertuins in Kraft waren, um die Anwerbung 
politisch schlechter Elemente zu verhindern. Sie hatten sich bereite, 
als das Regiment vor Kafr üower war, feige oder noch schlimmer 
gezeigt. Auf Veranlassung ihres Hauptmanns waren daher von den 
Unteroffizieren der Compagnie ein Sergeant und ein Korporal be- 
stimmt worden, welche die Haltung dieser beiden Leute in der 
Schlacht beobachten sollten, und denen die Anwendung geeigneter 
Mittel, im Notfall selbst der Todesstrafe, anheimgestellt worden 
war. Als die verräterischen Hunde nun in den Ruf »Zurückc aus- 
brachen, thaten die zu ihrer Beobachtung bestimmten Unteroffiziere 
sofort ihre Schuldigkeit. Ich sah wie Sergeant .... den einen von 
ihnen mit dem Bajonett niederstiefs und Korporal .... auf den 
anderen einen Schufs abgab; auch dieser stürzte darauf wie der erste 
leblos nieder, aber ob dies die Folge von des Korporals Kugel 
oder von einem feindlichen Geschosse war, vermag ich nicht zn 
sagen. Das Regiment war übereinstimmend der Ansicht, dais beide 
den Tod reichlich verdient hatten und jeder ehrenhafte Soldat wird 
dem beistimmen. 

Jetzt war es heller Tag geworden, und man wurde nun gewahr, 
dafe bei dem Halbdunkel, dem Klettern in den Gräben und dem 
Handgemenge die Brigade durch einander gekommen war und das 
Kampfgewirr des Angriffes die Truppen aller 4 Regimenter mit 
einander vermischt hatte. Es wurde deshalb ein kurzer Halt 
gemacht, um die Ordnung wieder herzustellen, und nach dem dies 
einigermafsen und in Eile ausgeführt war, stürmte die Brigade, 
allen Widerstand vor sich niederwerfend, weiter gegen die Schleuse 
von Tel-el-Kebir vor. Unmittelbar vor dem letzten Halt erhielt ich 
einen zweiten Kolbenhieb, der meine Wasserflasche in Stücke zer- 
schmetterte und mich selbst zu Boden warf; sogleich aber wurde 
ich wieder von meinem Zeltkameraden auf die Füfso gerissen, der 

mit den Worten: »Stahl für Leder! Nimm das, Du < sein 

Bajonett in die Brust des Ägypters stiefe, der mich eben nieder- 
geworfen hatte. Während das Regiment sich wieder rangierte, 
hatte es von einem Kreuzfeuer aus den beiden Gräben zu leiden, 
welche die Flanken der feindlichen Stellung bildeten. Um dieses 
zum Schweigen zu bringen, wnrden Schützen nach links heraus- 
genommen, welche den Graben schnell vom Feinde zu räumen 
wufsten, und diesen durch einen Quergraben hindurch bis in die 
weiter links und rückwärts liegenden Gräben vertrieben. DieAbteilung, 
die links vorgegangen war, kam hierbei an ein Geschütz, dessen 
Kauoniere nicht von der Stelle wichen, sondern kämpfend bis zum 



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Die Schlacht von Tel-el-Kebir (am 13. September 1882). 



253 



letzten Mann ausharrten. Sie wurdeu alle getötet, dann das Geschütz 
genommen und akbald gegen seine bisherigen Besitzer in Thätigkeit 
gebracht. Als das Regiment seinen Vormarsch weiter fortsetzte, 
wurde ich leider auf Befehl meines Feldwebels abkommandiert, um 
einen Gefangenen zu bewachen, einen sechs Fufs hohen Kerl von 
kohlschwarzer Farbe. Da er eigensinnig war und nicht von der 
Stelle wollte, so versuchte ich ihn etwas mit meinem Gewehrkolben 
aufzumuntern, aber dies fafste er falsch auf und ergriff die Flucht, 
der ich jedoch durch eine Kugel Einhalt gebot. Als ich mich 
darauf aufmachte, um meinem Regiment nachzufolgen, fand ich 
mich plötzlich einem dicken ägyptischen Offizier gegenüber, der mir 
mit dem Revolver in der einen, dem Säbel in der andern Hand 
gegen übertrat. Er feuerte und traf mich an der rechten Hand, aber 
die Kugel glitt an dem Ring ab, den ich trug, und ich stürzte nun 
mit dem Bajonett auf ihn los. Er parierte meinen ersten Stöfs, da 
machte ich eine Finte und als er mit seinem Säbel dagegen eine 
Parade ausführen wollte, hatte er keine Zeit mehr den Nachstofe 
aufzuhalten, mit dem ich das Bajonett in seinen Körper stiefe. Ein 
Rifs an einem blauen Petschaft, das aus seinem Waffenrock heraus- 
hing, förderte eine silberne Uhr zu Tage, die ich noch heute als 
Erinnerung an ihn besitze. 

Als ich den Kamm des Hügels erreicht hatte, welchen die Tel- 
el-Kebir Schleuse beherrschte, lagen die vielen hundert Zelte des 
ägyptischen Lagers vor meinen Blicken ausgebreitet, und ich konnte 
beobachten, wie der Feind durch den Kanal schwamm oder zu 
tausenden einem gehetzten Wilde gleich quer durch die Wüste lief. 
Die zweite Brigade stürmte vorwärts, mit ihr im Galopp die 
schottische Artillerie- Abteilung. Als die Kanoniere der letztern 
unsere Hochländer-Brigade passierteu, erhob sich ein lautes Jubel- 
geschrei »Schottland foreverlc Sie machten Halt, protzten ab, 
luden, feuerten eine bis zwei sehr wirkungsvolle Salven ab und 
waren, wie es schien in wenigen Sekunden, in einem rasenden 
Galopp, schon wieder auf und davon. Eine ihrer Granaten fiel in 
ein Pulvermagazin und es erhob sich ein Getöse, das die Toten 
hätte auferwecken können, eine zweite traf die Lokomotive eines 
aus dem Bahnhof abfahrenden Zuges und machte sie gebrauchs- 
unföhig, so dafs sie nicht vorwärts konnte, aber eine andere kam 
zu Hülfe und obgleich eine weitere Granate den hintersten Wagen 
traf, so ging es doch vorwärts und der Zug entkam. Ein ununter- 
brochenes Knattern des Infanteriefeuers bezeichnete den Weg, den 
das indische Detachement südlich vom Kanal genommen hatte. 

18* 



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254 Die Schlacht von Tel-el-Kebir (am 13. September 1882). 

Bald nachdem die Hochländer-Brigade die Tel-el-Kebir Schleuse 
erreicht hatte, sprengte Sir Garnet mit Sir Alison heran und rief 
uns zu: »Die Schlacht ist gewonnen, Leute!« worauf er die 42er 
vorsandte, um das Dorf zu säubern. Während wir noch dem 
General zujubelten, kam auch unsere Kavallerie vorgesprengt, um 
die Verfolgung aufzunehmen. Fluchend riefen sie uns zu: »Ihr, 
.... Kerls, habt uns ja nichts mehr vom Gefecht übrig gelassen« 
und schössen dann in einer dichten Staubwolke an uns vorüber, 
aus der nur die Lanzenspitzen und blitzende Säbel hervorblickten. • 

Unsere Leute hatten so schrecklich vom Durst zu leiden gehabt, 
bevor sie den Kanal erreichten, dafs ich gesehen habe, wie einige 
von ihnen das aus den verwundeten Kamelen strömende Blut 
tranken. Als wir nun unseren Bedarf an Kanal wasser eingenommen 
hatten, wurde das Signal zum Sammeln gegeben und die Verlesung 
der Mannschaften, bei welcher so mancher braver Kerl als »fehlend« 
bezeichnet werden mufste, ging vor sich. Die Leute erzählten sich 
gegenseitig ihre Abenteuer, berichteten, wie es ihnen gelungen war, 
glücklich Allem zu entkommen und hatten Zeit, ihre unteren 
Extremitäten, denen gar manches Stück Haut beim Stürzen in die 
Gräben und beim Herausklettern aus denselben, verloren gegangen 
war, einer genauen Prüfung zu unterziehen. Das bemerkenswerteste 
Glück hatte, wie ich mich entsinne, ein Feldwebel gehabt, der den 
Feind durch einen Krimstecher beobachtete, als ein Geschofe an- 
kam, das ihm das Glas zersplitterte und danu sich senkend in seinen 
Mund hineinflog, so dafs er es, mit dem alleinigen Verlust von 
einem Paar Zähne einfach ausspucken konnte. 

Einige von uns wurden nun dazu ausgewählt, das ägyptische 
Lager abzusuchen, um sich zu vergewissern, dafs sich kein Feind 
mehr darin versteckt hielt. Vor Arabis Zelt wurde eine Wache 
aufgestellt. Letzteres hatte ich beim Vorgehen selbst passiert und 
mir dabei ein Kotelett von dem Tisch darin angeeignet, ohne zu 
wissen, wem Zelt und Speisen gehörten. Dabei hatte ich das Glück 
zufällig auch auf einen kleinen Verschlag zu stofsen, der mit 
Melonen, Nüssen, Eau de Cologne - Flaschen, Blechbüchsen mit 
türkischem Tabak und Cigarretten-Dose angefüllt war. Ich füllte 
meine Wasserflasche mit Eau de Cologne, meinen Brotbeutel mit 
Cigaretten, und machte mich dann auf, eine Blechbüchse mit Tabak 
und eine Flasche Eau de Cologne in der Hand, meinen Hauptmann 
aufzusuchen. Da er in dem Zelt, in dem die Offiziere sich ver- 
sammelt hatten, nicht zu finden war, so gab ich meine Eau de 
Cologne-Flasche einem Major, einem Irländer, der den ganzen 



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Die Schlacht ron Tel-el-Kebir (am 13. September 1882). . 255 

Inhalt derselben mit einem Schluck in sich aufnahm und dann zum 
grofsen Vergnügen der anderen Offiziere in die Worte ausbrach: 
»Heiliger Jesus, was ist das für ein guter Stoff! c In demselben 
Augenblick traf ich meinen Hauptmann, dem ich die Cigaretten 
gab und ihm anzeigte, wo er Alles was er an Citronen, Tabak und 
Eau de Cologne gebrauchte, finden konnte; er schenkte mir einen 
Sovereign für meine Bemühung. Freiwillige wurden nun auf- 
gerufen, um die Verwundeten aufzusuchen und ihnen beizustehen. 
Ich war mit dabei und brach wohl dazu ausgerüstet auf, die Pfeife 
im Munde, den Brotbeutel voll Cigaretten, und eine Wasserflasche 
voll Eau de Cologne und mit einem grofsen Vorrat von Wasser. Der 
Anblick des Schlachtfeldes, auf das man jetzt so kaltblütig nieder- 
sah, war grauenvoll; die Artillerie hatte schrecklich gewütet. Ich 
entsinne mich unter Anderm eines Haufens von 24 Körpern, von 
denen einige völlig in kleine Stücke zerrissen waren, andere kopflos, 
wieder andere einzelner Gliedmafsen beraubt. Einige der toten 
Ägypter brieten langsam, wie sie dalagen, da ihre Kleider Feuer 
gefangen hatten und noch weiter brannten. Einer unserer Jäger, 
der daher kam, zog seine Pfeife aus der Tasche und zündete sie 
an einem der Körper an, indem er, meinem Gefühl nach ziemlich 
roh, dabei bemerkte: »Beim . . . ., ich hätte niemals gedacht, dafs 
ich noch 'mal in meinem Leben einen toten Ägypter zum anstecken 
meiner Pfeife haben würde. c In dem äußeren Graben lagen unsere 
Toten und Verwundeten dichter als die des Feindes, aber in den 
inneren Gräben und zwischen diesen kamen auf einen von uns 
gewifs 10 Ägypter. In den Redouten lagen die schwarzen Kanoniere 
fast bis auf den letzten Mann tot oder verwundet, denn man hatte 
sie sowohl an die Geschütze als auch untereinander mit schmalen 
Kettchen angeschlossen, die an ihren Fufegelonken befestigt waren 
und ihnen nur erlaubten, die Geschütze zu bedienen, sie aber am 
Weglaufen hinderten. Zwischen ihnen lag der arme Lieutenant 
Rawson tötlich verwundet. Es schien uns sehr hart, dafs derjenige, 
welcher so viel zu dem Siege dadurch beigetragen hatte, dafs er 
die Truppen so schön geführt hatte, nun in der Stunde des Triumphes 
im Sterben liegen niufete. Als mau Sir Alison von seiner Ver- 
wundung berichtete, ritt dieser sofort zu ihm, um nach ihm zu 
sehen. »Führte ich Sie nicht gut, Sir?c lauteten des Sterbenden 
letzte, schwache Worte, pflichtgetreu bis in den Tod. 

Der erste Verwundete, dem ich Hilfleistung gewährte, war ein 
Ägypter, dessen Ächzen schrecklich war und den ich bei näherer 
Untersuchung schwer in dem Bauche verwundet fand. Ich gofe 



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256 Die Schlacht Ton Tel-el-Kebir (am 13. September 1882). 

ihm etwas Eau de Cologne in den Hals und verwandte mein 
eigenes Verbandzeug dazu, seine Wunde so zu verbinden, dafs die 
Fliegen nicht hinzukommen konnten. Dann zündete ich eine 
Cigarette an, steckte sie ihm in den Mund, legte mehrere andere 
neben ihn und gab ihm noch einen Schluck Wasser. Er küfste 
raeine Hand und murmelte etwas von > Allah c Ich war noch nicht 
weit von ihm weggegangen, als ich den Knall eines Gewehres ver- 
nahm und eine Kugel an meinem Ohr vorbeipfiff; mich umblickend 
sah ich, dafs der Rauch des Schusses von dort kam, wo mein Ver- 
wundeter lag, und bemerkte zugleich, dafs der Kerl ruhig von 
Neuem auf mich zielte. Bevor ich ihn erreichen konnte, hatte er 
Zeit, noch einen Schüfe abzufeuern, aber die Kugel verfehlte mich 
wieder, und nun trug ich kein Bedenken, seinem Dasein mit meinem 
Bajonett ein Ende zu bereiten, indem ich zu mir, als ich den Stahl 
zum letzten Mal aus seinem Leibe herauszog, sagte: »Das Spiel 
wirst Du nicht noch einmal versuchen, Du undankbares Viehle 
Solche Beispiele eines verräterischen Hasses kamen übrigens vielfach 
vor und ich selbst machte 4 anderen Verwundeten den Garaus, 
weil ich sie abfafste, wie sie auf unsere Leute, die an ihnen vor- 
tibergekommen waren, feuerten. Das Bajonett in einen auf dem 
Boden liegenden Menschen zu stofsen ist, wie Jeder sich vorstellen 
wird, keine schöne Sache und man konnte es nur mit Widerstreben 
thun, aber in solchen Fällen, wie ich sie erwähnte, war es einfach 
ein Akt der Notwendigkeit und Pflicht 

Grofse Haufen Gefangener waren eingebracht worden, die über- 
rascht und höchst erfreut zu sein schienen, dafs sie lebend gefangen 
genommen und nicht auch hiugemetzelt worden waren. Die meisten 
von ihnen kauten Datteln und alle schnatterten in einer uns ganz 
unbekannten Sprache und mit aufserordentlicher Lebhaftigkeit mit 
einander. Der ganze Haufen wurde einem starken Wachkommando 
unterstellt und dann wurden aus ihnen Begräbnis -Abteilungen ge- 
bildet, welche, mit Schaufeln versehen, unter Bedeckung alsbald 
dorthin abmarschierten, wohin sie zum Einscharren ihrer eigenen 
Toten befohlen waren. Bei diesem Geschäft verfuhren sie weder 
mit Rücksicht noch mit Menschlichkeit: Tote und scheinbar Toto 
wurden irgendwo in die Gräben auf einen Haufen aufgestapelt und 
dann Sand über das ganze geworfeu. Man konnte sehen, wie einzelne 
Glieder sich noch bewegten und nände schwach in die Höhe gehoben 
wurden, um das unterschiedlose Begräbnis abzuwehren, aber die 
gefühllosen Totengräber kümmerten sich nicht im geringsten um 
diesen stummen, eindrucksvollen Widerspruch. Bereits war der von 



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Die Schlacht von Tel-«1-Kebir (am 13. September 1882). 257 

den Körpern ausströmende Geruch entsetzlich, was einige der Ge- 
wohnheit der Ägypter Ol in Menge zu trinken zuschrieben. Nach- 
dem ich noch mehreren Verwundeten Beistand geleistet hatte, 
begann ich in der Richtung auf Tel-el-Kebir zurück zu wandern, 
während verlorene Geschosse noch aus wer weifs welchen Richtungen 
umherflogen. Plötzlich verspürte ich ein Stechen in der rechten 
Schulter, das mich veranlagte mein Gewehr auf die Erde zu werfen, 
aber ich nahm es dann wieder auf und ging weiter, trotzdem mich 
meine Schulter sehr schmerzte. Jetzt fühlte ich etwas meinen Arm 
herunter rieseln, zu meinem Erstaunen sah ich dafs es Blut war 
und war mir klar, dafs ich eine Schulswunde erhalten hatte. Da 
Ärzte ganz in der Nähe waren, so begab ich mich zu diesen und 
bekam schnell einen Verband auf meine Verletzung, welche, wie 
ich hier erfuhr, nur eine nicht gefährliche Fleischwunde war. Da 
ich mich aber doch sehr schwach fühlte, so nahm ich den Vorschlag 
eines Matrosen an, der auf einem Kamel ritt und sich erbot, mich 
zu meinem Regiment hinzubringen. Auf dem Kamel zu reiten, 
deuchte mir schlimmer als zu Schiff auf hoher See zu fahren. Denn 
Jack und sein Tier schienen sich gegenseitig nicht zu verstehen. 
Das Kamel nahm Jack's Versuche, es durch Schläge auf den Kopf 
mit einem Stock Stenern zu wollen, übel auf, während Jack das Tier 
in seiner Seemannsprache ausschimpfte und mir mitteilte, >dafs 

das dem Steuer nicht gehorchen wolle«. So grofse Schmerzen 

ich auch empfand, so mutete ich doch so lachen, dafs ich von dem 
Kamel herunterfiel und eine Zeitlang ganz unbeweglich liegen blieb, 
wo ich hingefallen war. Endlich richtete ich mich jedoch wieder 
zusammen, stand auf und setzte meinen Weg fort, der mich bald 
an Sergeant Donald Gunn von meinem Regiment vorüberführte, 
welcher schwer verwundet mit einem Schüfe in der Lunge dalag. 
Er vermochte nicht zu gehen und ich konnte ihn nicht tragen; aber 
als ich das Regiment erreichte, meldete ich, wo er ungefähr zu 
finden wäre, so genau, als ich es zu beschreiben im Stande war. 
Er erzählte mir später, dafe er doch noch den ganzen Tag und die 
folgende Nacht auf dem Schlachtfeld gelegen hätte, bevor er weg- 
getragen worden wäre und wie überrascht er, als sich die Nacht 
auf das Schlachtfeld niedergesenkt hatte, gewesen wäre zu sehen, 
eine wie grofee Anzahl bis dahin scheinbar toter Ägypter sich plötz- 
lich erhoben hätten, und anscheinend ganz unverletzt davon ge- 
laufen wären. Die Wiederherstellung Gunn's, der noch nach seiner 
Verwundung weitergekämpft und sich sehr ausgezeichnet hatte, bis 
er vom Blutverlust überwältigt, niedergesunken war, blieb lange 



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258 Die Schlacht von Tel-el-Kebir (am 13. September 1882). 



äufseret zweifelhaft; jetzt aber ist er wieder woblauf, mit der Tapfer- 
keitsmedaille geschmückt, und im Besitz des ehrenvollen Postens 
eines Thorwächters Ihrer Majestät. Bald nachdem ich Gunn ver- 
lassen hatte, war ich so glücklich, ein Pferd zu rinden, das an einen 
Pfahl angebunden war; ich bestieg es, ritt es in das Lager meines 
Regiments und verkaufte es am nächsten Tage für 5 Pfund au einen 
Offizier. Jetzt wurde auch meine Wunde ordentlich verbunden uud 
ich war froh zu erfahren, dafs ich deswegen nicht in das Lazarett 
zu kommen notig hatte. Meine Kameraden waren inzwischen zum 
Fouragieren ausgegangen und kehrten reich mit Geflügel beladen 
zurück, das sofort gerupft und den Feldkesseln überwiesen wurde. 
Wir hatten alle einen mörderlichen Hunger, da wir seit Gaesin 
nichts als Biskuit zu uns genommen hatten. Mit meiner Zuthat zu 
unserem gemeinsamen Mahl hatte ich leider ziemliches Unglück. 
Als ich nämlich das ägyptische Lager durchstreifte, war ich auch 
auf mehrere kleine Zinnbüchsen gestofsen, welche mit einem Etikett 
versehen waren, auf dem ich in der Eile das Wort »Suppe« (Potage) 
gelesen hatte; von diesen brachte ich nun einige herbei und ver- 
sprach meinen Kameraden einen Hochgenufe, indem ich einen Kessel 
voll Wasser kochte und in diesen den Inhalt meiner Büchsen 
hineinthat. Nachdem sie gut umgerührt war, wurde die angebliche 
Suppe ausgeteilt; das erste Urteil über sie lautete, dafs sie merk- 
würdig schwarz aussehe. Als sie zum Kosten kühl genug war, da 
wurden die verzerrten Gesichter der ersten, welche sich daran 
gewagt hatten, zum Warnungszeichen für alle anderen, und ein 
lautes Geschrei erhob sich: »Beim . . . ., das ist Schuhwichse!« 
Und wahrhaftig, es war so! Das Etikett, das ich als Suppe (Potage) 
entziffert hatte, hatte »Wichse« (Cirage) bedeutet! 

Die Gesamtverluste der bei Tel-el-Kebir ins Gefecht gekommenen 
englischen Truppen beliefen sich auf 339 Mann, von denen 243 auf 
die Hochland-Brigade kamen, während sich der Rest von 96 auf die 
übrigen Truppenteile verteilte. Das 79. war das erste, welches über 
die äufsere Verteidigungslinie hinausdrang, da es die Seitengewehre 
während des Marsches aufgepflanzt hatte, wogegen die anderen Re- 
gimenter der Brigade hierzu Halt machten; freilich betrug dieser 
Zeitgewinn nur wenige Sekunden. Man kann nicht sagen, dafs die 
Verteidiger von Tel-el-Kebir völlig überrumpelt worden seien, ob- 
gleich sie zweifellos wenig Kenntnis davon hatten, dafs wir ihnen 
schou so nahe seien, als unser Anmarsch von ihnen entdeckt wurde. 
Sie ruhten in den Kampfstellungen und waren beim ersten Alarm 
auf ihren Posten. Wir hatten 300 Yards unter ihrem sehr heftigen 



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Nachrichten über die königlich italienische Anne« a. s. w. 



259 



Feuer zurückzulegen, aber %# ihrer Geschosse giugen zu hoch 
und waren auch wohl ziellos abgegeben worden, sonst hätten wir 
dabei sehr schwere Verluste erleiden müssen.« — 

Wenngleich sich im Allgemeinen Widerspruche zwischen dieser 
Erzählung unseres Augenzeugen und der vorher nach dem Bericht 
des Oberkommandierenden, Generals Wolseley, gegebenen kurzen Dar- 
stellung des Gefechtes kaum finden, so weichen doch die offiziellen 
Verlustziffern von denen, welche Sergeant Palmer giebt, etwas ab. 
General Wolseley beziffert nämlich die Gesamtverluste am 13. Sep- 
tember auf: 9 Offiziere, 48 Unteroffiziere und Mannschaften tot; 
27 Offiziere, 353 Unteroffiziere und Mannschaften verwundet; 
22 Mann vermifst — in Summa Verlust: 459 Offiziere und Mann- 
schaften. Hiervon fallen alles in allem auf die Hochland-Brigade 
223 Offiziere und Mannschaften. 

le Juge, 
Hauptmann ä la suite des Kadetten-Corps 
und Militärlehrer bei der Haupt-Kadetten -Anstalt. 



XTV. Nachrichten über 
die königlich italienische Armee und Marine, 
im ersten Halbjahre 1890. 



Wer rastet, der rostet, das gilt mehr oder minder für alle 
Stande, aber für keinen, speziell in der Jetzzeit, mehr, als für den 
Wehrstand, nur wer vorwärts geht, kanu den Anderen folgen; ein 
Stehenbleiben in dieser rastlos drängenden Zeit giebt es nicht, 
»avanti, sempre avanti«, das ist deren Losung. Werfen wir 
einen kurzen Rückblick, auf alles das, was in der uns so nahe 
stehenden italienischen Armee in dem ersten Semester 1890 sich 
ereignet hat, die Neuerungen, Fortschritte, Versuche in deu ersten 
6 Monaten dieses Jahres. 



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260 



Nachrichten über die königlich italienische Armee 



Ein schwerer Schlag, doppelt hart, weil völlig unerwartet, traf 
das Haus Savoyen, die Armee und ganz Italien, mit dem Tode 
Seiner Königlichen Hoheit des Herzogs Amadeo Ferdi- 
nand o Maria von Aosta; mit ihm schied einer der edelsten und 
liebenswertesten Prinzen, die je an eines Thrones Stufe gestanden, 
aus dem Leben, ein Edelmann in des Wortes bester Bedeutung; 
ein schneidiger, tapferer Soldat, ein Vater aller Armen und Elenden, 
schlofs dieser echte Ritter ohne Furcht und Tadel am 18. Januar 
für immer die Augen. Es würde weit über den Rahmen dieses 
kurzen Berichtes hinausgehen, wollten wir hier eingehend das Leben 
und Wirken des Dahingeschiedenen schildern. Es mögen hier nur 
die letzten Worte des Verewigten erwähnt sein, die er seinem über 
alles geliebten Königlichen Bruder sagte: »Ich bin unendlich 
glücklich, Umberto, Dich noch einmal zu sehen und in Deinen 
Armen sterben zu können, ich fürchte den Tod nicht, denn ich habe 
ihm oft in das Auge gesehen, aber es ist mir dennoch schwer zu 
scheiden, weil ich so gerne Dir, der Armee und dem Vaterlande 
noch gedient hätte und gezeigt hätte, wie unbeschreiblich ich Dich 
und diese beiden geliebt.« — Es bedarf keines Kommentares dieser 
edelen heldenhaften Worte, Denkmäler in Erz und Marmor werden 
für den Frühdahingeschiedenen errichtet werden, aber länger als 
diese werden die Worte des Königs Umberto, im Herzen jeden 
Italieners wiederklingen, mit denen er seinem Bruder, das schönste, 
unvergänglichste Denkmal setzte: »Ich habe meinen besten Freund, 
meinen treuesten Diener und meinen uneigennützigsten Ratgeber 
verloren!« — Elf Tage vor dem Prinzen starb eine dem Könige 
ebenfalls sehr nahestehende Persönlichkeit, sein langjähriger, erster 
General -Adjutant, Conte Raffaele Pasi, im Alter von circa 
61 Jahren, mit ihm schied ein treuer Diener des Königlichen 
Hauses und ein tapferer, hochbegabter Offizier aus dem Leben. 

Prinz Amadeo war bei Lebzeiten General - Inspekteur der 
Kavallerie, an seine Stelle, wurde der bisherige Commandeur der 
1. Kavallerie-Brigade Generalmajor Domenico De Marra berufen, an 
Stelle des General Pasi wurde auf den in der italienischen Armee, 
sehr wichtigen Posten, des ersten General-Adjutanten Sr. Majestät 
der Generallieutenant und kommandierende General des IX. Armee- 
Corps (Rom) Marchese Emilio Pallavicini di Priola berufen; er 
hatte die Ehre, Sr. Majestät unserem Kaiser die Truppen bei der 
grofsen Parade bei Centocelle am 14. Oktober 1888 vorzuführen. 
Iu dem Kommando des IX. Armee-Corps ersetzte ihn der bisherige 
Commandeur der 2. Division Alessandro Asinari di San Marzano, 



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and Marine, im ersten Halbjahre 1890. 



261 



im Winter 1887/8 Kommandant der italienischen Besatzungstruppen 
in Afrika. Diesen Veränderungen, folgten zahlreiche andere in 
den höheren und niederen Chargen. Der Kriegsminister Bertole- 
Viale hatte erkannt, dafs es für die Schlagfertigkeit des Heeres 
dringend notwendig sei die oberen Führer desselben nicht zu alt 
werden zu lassen; es wurde deshalb ein Ausschufs höherer Offiziere 
(Commissione straordinaria dei generali) für den 14. Januar nach 
Rom befohlen. Dieselbe bestand aus dem General Cialdini, Herzog 
von Gaeta, dem General und Kriegsminister Bertole -Viale, den 
Generallieutenants Gosenz, Chef des königlich italienischen Generai- 
stabes, Ricotti (früheren Kriegsministers) und Grafen Pianell, kom- 
mandierenden Generals des V. Armee-Corps (Verona). Die Folgen 
der Beratungen obiger Kommission waren die Verabschiedung 
(collocazione a riposo), Dispositionsstellung (collocazione in disponi- 
bilitä) oder Überführung in den nülfsdienst (collocazione in 
posizione ausiliaria) zahlreicher höherer Offiziere aller Waffen. 
Die Stellung eines in den Hülfsdienst versetzten Offiziers giebt es 
im deutschen Heere nicht. Die italienischen Hülfs-Offiziere zählen 
zu den aktiven Offizieren und beziehen die Hälfte ihres Gesamt- 
einkommens; meistens pflegt diese Stellung der Übergang zur Dis- 
position oder Verabschiedung zu sein. Es wurden verabschiedet: 
4 Generallieutenants (darunter der Bruder des Kriegsministers, zu- 
letzt Commandeur der 19. Division Neapel), 14 Generalmajors (7 der 
Infanterie, 4 der Kavallerie, 1 der Artillerie und 2 vom Genie-Corps), 
ferner 48 Obersten, Oberstlieutenants und Majors, unter denen sich 
13 Regiments-Commandeure der Infanterie und 4 der Kavallerie 
befanden. Diese und vorhergehende zahlreiche Verabschiedungen, 
lassen es erklärlich erscheinen, dafs innerhalb 15 Monaten, vom 
1. Januar 1889 bis 31. März 1890, 2 Armee-Corps, das IX. Rom 
und das XI. Bari, und 17 Divisionen von 24, ihre Commandeure 
wechselten. Was Lebens- und Dienstalter der ausgeschiedenen 
höheren Offiziere anbetrifft, so zählten die Generallieutenants zwischen 
59 und 56 Lebens- und 38 und 41 Dienstjahren; die Generalmajors 
zwischen 60 und 52 Lebens- und 42 und 37 Dienstjahren, die 
Obersten zwischen 64 und 52 Lebens- und 47 und 36 Dienstjahren. 
Wir sehen, dafs die Obersten, zum Teil an Lebens- und Dienstalter 
die Generale übertreffen. Es liegt aber nicht daran, dafs die 
physischen Kräfte beim Südländer sich eher erschöpfen als bei dem 
Nordländer, es giebt in den südlichen Ländern viel mehr gesunde 
alte Leute als im Norden, weil der Südländer meistens mäfsiger im 
Essen und namentlich im Trinken ist, als der Nordländer. Die in 



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262 Nachrichten über die königlich italienische Armee 

den Ruhestand getretenen Obersten, von hohem Lebens- und Dienst- 
alter konnten letzteres nur erreichen, weil sie, aktiv, eigentlich doch 
schon inaktiv waren und zwar als Bezirks-Commandeure (coman- 
danti i distretti militari). In den verschiedenen Bolletini treffen 
wir häufig die Erscheinung, die bei uns zu den Seltenheiten gehört, 
dafe die Divisions- und Brigade-Commandeure unter einander im 
Kommando der Divisionen und Brigaden wechseln. 

Betrachten wir im weiteren jetzt kurz die wichtigsten ein- 
getretenen Neuerungen. Auf der Schiefs schule zu Parma sollten 
4 je zweimonatliche Kurse, der erste beginnend am 25. Februar, 
der letzte endend am 20. November, abgehalten werden, an denen 
720 Premier- uud Sekondelieutenants der Grenadier-, Infanterie-, 
Bersaglieri- und Alpini-Regimenter, sowie 80 Premier- und Sekoude- 
Lieutenants der Kavallerie teilzunehmen haben. Diese Kurse sind 
hauptsächlich befohlen zur Erprobung des neuen, rauch- 
schwachen Pulvers (Polvere senza fumo oder Ballistite). Dieses 
Pulver hat eine bräunliche Farbe und kaufte die italienische 
Regierung von dem Erfinder desselben, dem Schweden Nobel, das 
Recht der Anfertigung für 12 Jahre; sie zahlt an Nobel für jedes 
angefertigte Kilogramm Pulver 1,45 Lire oder 1,16 Mark. Das 
Pulver wurde in der vor einiger Zeit zum Teile in die Luft 
geflogenen Pulverfabrik von Avigliana bei Turin angefertigt. Da 
die Versuche mit dem neuen Pulver sehr günstige Resultate sowohl 
für die Handfeuerwaffen, als die verschiedenen Geschützkaliber ge- 
liefert haben, da ferner die Herstellung desselben auf Kosten des 
Staates bedeutend billiger zustehen kommt, so hat die Regierung 
beschlossen, eine neue Pulverfabrik in grofsartigstem Stile 
bei Tivoli zu bauen; dieselbe wird in etwa 1—2 Jahre vollendet 
sein, die Kosten für dieselbe sind auf 3 Millionen Lire veranschlagt. 
Zur Kriegschargierung für die Handfeuerwaffen der italienischen 
Armee bedarf es 450,000 kg Pulver, die bis Ende nächsten Monats 
fertig gestellt sein sollen, dann wären noch 800,000 kg Pulver für 
die Kriegschargierung der Feld-Artillerio anzufertigen und später 
ungefähr noch das doppelte Quantum für die Festungs- und Marine- 
Geschütze. Die Hauptvorteile des neuen Pulvers sind: »Wieder- 
standsfähigkeit gegen Nässe, langsames Verbrennen ohne Rückstand, 
in Folge dessen grofse Schonung der Gewehre und Geschütze, sehr 
geringe Explosionsgefahr«. Die Kosten der Infanteriepatrone sind 
um l 1 /» Centesimo gestiegen (früher 10, jetzt II 1 /»)» das Gewicht 
derselben hat sich dagegen von 34 auf 29 gr vermindert. Die 
Kriegschargierung d. h. die vom Manne getragene, hat sich um 



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und Marine, im ersten Halbjahre 1890. 



263 



20 Patronen, von 96 auf 116 vermehrt. Znr Herstellung der neuen 
Munition stehen 20 Vi Millionen Lire zur Verfügung, die bewilligt 
wurden nach den sehr eingehenden Auseinandersetzungen im Par- 
lamente seitens der Generale Bertole -Viale und Pelloux. Der noch 
zahlreich vorhandene Bestand alter Patronen, etwa 205 Millionen, 
wird im Einzelschiefeen bei den Truppen und den Schiefsvereinen 
verschossen, während das Gefechtsschiefsen mit den neuen Patronen 
ausgeführt wird. Bei den diesjährigen grofsen Manövern wird, 
ebenso wie im vorigen Jahre in Deutschland, das eine Corps die alte, 
das andere die neue Mnnition führen. 

Mitte Januar, trat in Rom unter dem Vorsitze des Präsidenten 
des höchsten Gerichtshofes für Heer und Marine, des General- 
Lieutenants Mezzacapo, eine Kommission zusammen, um über das 
demnächst einzuführende neue Militär-Strafgesetzbuch zu be- 
raten. Im italienischen Civilstrafcodex giebt es die Todesstrafe 
nicht mehr, es wurde von mancher Seite gewünscht, dafs dieselbe 
auch aus dem neuen Militär-Strafcodex verschwände, doch hat die 
Kommission einstimmig sich für Beibehaltung derselben, als unbe- 
dingt notwendiges Mittel zur Aufrechthaltung der Disziplin in 
äufsersten Fällen, entschieden. 

Im Herbste d. J., also nach Beendigung der Lager und Manöver, 
finden gröfsere Garnisonswechsel statt; es wechseln ihre 
Garnisonen: 13 Brigadestäbe und 26 Regimenter der Infanterie, 
ferner 5 Bersaglieri- und 5 Kavallerie- Regimenter. — Für das 
Jahr 1890/91 ist seitens des Kriegsministeriums bestimmt worden, 
dafs jedes Infanterie-, Bersaglieri-, Artillerie- und Genie-Regiment 8 
vierjährige Freiwillige einstellen darf, jedes Kavallerie-Regiment 
10 und jedes Alpini-Regiment in unbegrenzter Anzahl, jedoch in 
näher durch die Inspektion der Alpini-Regimenter zu regulierender 
Weise. Sowohl die Lehrzüge der Offiziers- als Unteroffiziers- 
Aspiranten bei l / 3 aller Regimenter der verschiedenen Waffengattungen 
bestehend, zeigten wie die Unteroffizierschule zu Caserta, wie ferner 
die Anmeldungen zum Eintritt in das Colonial-Corps, einen sehr 
großen Zudrang, ein Zeichen, dafs der Waffendienst in Italien bei der 
Masse des Volkes beliebt ist. 

Dem neuen Exerzier-Reglement der Infanterie, das in 
manchen Bestimmungen dem unseren sehr ähnelt, speziell darin, 
dafs es den unteren Chargen, namentlich den Compagniechefs viel 
mehr Selbstständigkeit aber auch mehr Verantwortung giebt als 
wie dies bisher der Fall war, wo alles bis in die kleinsten Details 
vom Regimente vorgeschrieben wurde, folgten der erste und zweite 



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264 Nachrichten über die königlich italienische Armee 



Band des neuen Kavallerie-Exerzier-Reglements, der dritte 
soll im Laufe des Juli an die Regimenter ausgegeben werden, ferner 
die Instruktion über den Aufklärungsdienst und neue Vor- 
schriften über die Rekrutierung der Armee. 

Während im Monat Dezember 1889 der Gesundheitszustand 
im italienischen Heere ein sehr guter war, es traten auf 1000 Köpfe 
nur 0,56 Todesfälle ein, stieg die Sterblichkeitsziffer im Monat Januar 
1890 in Folge der Influenza auf 0,98. Diese Krankheit trat bei 
einigen Truppenteilen so heftig auf, dafs dieselben eine Zeitlang 
aufser Stande waren, den regelrechten Dienstbetrieb aufrecht zu 
erhalten, im Ganzen waren wohl sehr zahlreiche Erkrankungen, aber 
nur sehr wenige Todesfälle in Folge derselben, zu verzeichnen. 
Mitte Februar konnte die Influenza als im ganzen Königreiche 
erloschen betrachtet worden. — Durch Königliche Ordre wurden die 
bestehenden 86 Distrikts-Kommandos um ein 87. vermehrt, 
mit dem Sitze in Cefalu auf Sicilien. Die italienische Armee hat 
nunmehr 100 Distrikts-Compagnien in der Durchschnittszahl von 
72 Köpfen incl. Chargen. 

Am 20. Februar feierte die aus dem 5. und G. Linien-Infanterie- 
Regiment bestehende Brigade Aosta ihr 200jähriges Jubi- 
läum. 1690 aus dem »Reggimento Fucilieri« hervorgegangen, hat 
diese alte, ruhmreiche Brigade eine an Sieg und Ehren reiche 
Vergangenheit hinter sich. Wo die Tricolore wehte, war Aosta zu 
finden, sei es in guten, sei es in hosen Tagen ; immer hat die Brigade 
den Schild der Ehre rein gehalten, viele haben Leben und Blut für 
Italien und das Haus Savoyen dahin gegeben, iu den Kriegen 1848, 
1859/60/61, 1866 und 1887 in Afrika erwarben sich 290 Offiziere 
und Mannschaften die Tapferkeitsmedaille. Die Prinzen des König- 
lichen Hauses haben oft Dienst gethan im 5. Regimente, so der 
verstorbene Prinz Araadeo, so jetzt Seine Königliche Hoheit der 
Kronprinz als Oberstlieutenant und Commandeur des I. Bataillons. 
In Folge der 45tägigen Armeetrauer um den Ersteren, konnte sich 
die Feier natürlich nur im engsten Rahmen halten, es wurde die- 
selbe vom 20. Februar auf den 24. Juni verschoben, an welchem 
Tage das Denkmal für die der Brigade angehörigen bei Solferino 
und San Martino 1859 Gefallenen eingeweiht wurde. Se. Majestät 
der König erliefs eine eigenhändige Cabinetsordre , in derselben in 
wärrasten Worten der Brigade dankend für die 200jährigen treuen 
und makellosen Dienste, schliefsend mit den Worten: »Evviva 
Aosta la Veja« (veja im piemontesischen Dialecte will sagen >la 
vecchia« die alte). Am 4. März empfing Se. Majestät eine Deputation 



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und Marine, im ersten Halbjahre 1890. 



2G5 



der Brigade unter Führung des Brigade-Gonimandeurs Generalmajor 
Mocenni, welche die Ehre hatte Se. Majestät ein Exemplar der 
Brigadegeschichte zu überreichen, ferner eine goldene Jubiläums- 
Medaille; dieselbe trägt auf der einen Seite den Kopf Sr. Majestät 
im Profil, auf der anderen Seite die Worte: »Die Brigade Aosta, 
welche von den Graischen Alpen, die ihr Namen und Ursprung 
gaben, 200 Jahre lang, glorreich und ohne Fehl ihre Fahnen in 
allen italienischen Kriegen trug, feiert in Rom, der Hauptstadt 
Italiens, am 20. Februar 1890 ihr 200jähriges Jubiläum c. Am 
22. Mai feierte ein anderes Regiment, Nizza Cavallerie Nr. 1, 
sein lOOjähriges Jubiläum in Mailand, Se. Majestät der König und 
Se. Königliche Hoheit der Graf von Turin, wohnten den Festen 
bei, die ihren Glanzpunkt in einem prächtigem Turnier erreichten, 
das das Offiziers-Corps des Regiments, zum Besten des roten Kreuzes, 
in dem berühmten Teatro della Scala ritt. 

Was die gröfseren Übungen in diesem Jahre anbelangt, so 
ist nachstehendes bestimmt worden. Im Bereiche eines jeden der 
12 Armee -Corps werden je ein Divisions- oder zwei Brigadelager 
formiert; dies ist abhängig von dem disponibelen Gelände, Dis- 
lokationsräumen u. s. w. Die Übungsperiode dauert einen Monat 
und muJs in der ersten Decade des Augusts beendet sein, den 
Beschluß machen 8tägigo Marschmanöver. Während der letzten 
14 Tage werden der Infanterie Kavallerie- und Artillerie-Detache- 
ments zugeteilt. Unter dem Oberbefehl des Generallieutenants 
Ricotti-Magnani finden in dem Monate August grofse Manöver 
statt, die in zwei Perioden zerfallen. In der ersten Periode üben 
die zu diesen Manövern gebildeten Manöver-Corps unter der Leitung 
ihrer Führer divisionsweise gegeneinander. Die Manöver finden auf 
historischem Boden (die Schlachtfelder von Custozza, Solferino, 
Goito befinden sich auf dem Manöverterrain) zwischen den Flüssen 
Mella und Mincio statt. Die Generalidee für die 2. Periode, in der 
die Corps gegeneinander operieren werden, ist die nachfolgende: 
Eine West-Armee hat den Ticino überschritten, sie nähert sich mit 
der Absicht, die Übergänge über den Mincio zu forzieren und in 
das Venetianische einzudringen. Venetien ist von einer Ost -Armee 
besetzt, welche die Mincio-Übergänge stark verschanzt hat. Beide 
Armeen haben als Avantgarde ein Armee - Corps designiert, die 
beiden Manöver -Armee-Corps, diese stofsen zwischen Monti (am 
Chieseflusse) und Castiglione delle Stiviere auf einander. — Die 
Manöver-Corps werden in Italien, nicht, wie im deutschen Heere, 
aus bestimmten Corpseinheiten gebildet, sondern der Kriegsminister 



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2C6 



Nachrichten über die königlich italienische Armee 



bestimmt die Brigaden resp. Divisionen der dem Manöverterrain 
nahe garnisonierenden Corps, die zur Bilduug der Manöver-Corps 
abgegeben werden. Das 1. Manöver-Corps, unter Kommando des 
Generallieutenant Dezza, wird Patronen mit rauchschwachem Pulver ge- 
brauchen, es wird gebildet aus der 1. kombinierten Division General- 
Lieutenant Caccialupi — Brigade Acqui (17. und 18. Regiment) und 
Brigade Bergamo (25. und 26. Regiment) und aus der 2. kom- 
binierten Division Generallieutenant Bava Beccaris — Brigade Calabria 
(59. und 60. Regiment) und Brigade Verona (85. und 86. Regiment), 
dem Corps ist zugeteilt das 6. Bersaglieri-Regiment und das Kavallerie- 
Regiment Monferrato Nr. 13, ferner die 1. kombinierte Kavallerie- 
Division, Generallieutenant Longhi — 1. Brigade Kavallerie-Regimenter 
Nizza Nr. 1 und Genova Nr. 4, 1 reitende Batterie, 2. Brigade 
Kavallerie-Regimenter Lodi Nr. 15 und Lucca Nr. 16, 1 reitende 
Batterie. — Das 2. Manöver-Corps, unter Kommando des Geueral- 
Lientenant Boni, wird die bisherigen Patronen gebrauchen, es setzt 
sich zusammen aus der 3. kombinierten Division, Generallieutenant 
Corsi — Brigade Forli (43. und 44. Regiment) und Brigade Alpi 
(51. und 52. Regiment) und aus der 4. kombinierten Division General- 
Lieutenant Taffini d'Acceglio — Brigade Bologna (39. und 40. Re- 
giment) und Brigade Modena (41. und 42. Regiment). Dem Corps 
sind zugeteilt das 12. Bersaglieri-Regiment und das Kavallerie- 
Regiment Catania Nr. 22, ferner die 2. kombinierte Kavallerie- 
Division Generalmajor Rubeo — 3. Brigade, Kavallerie-Regimenter 
Savoia Nr. 3 und Novara Nr. 5 und 4. Brigade, Kavallerie-Regimenter 
Piacenza Nr. 18 und Roma Nr. 20, sowie 2 reitende Batterien. 
Zur Disposition des Höchstkommandierenden verbleiben das 9. und 
10. Bersaglieri-Regiment. Über die Zuteilung der Artillerie-, der 
Genie-, der Sanitäts- und Verpflegungs-Truppen sollte in den ersten 
Tagen des Juli Bestimmung seitens des Kriegsministers getroffen 
werden. Die nicht an den grofeen Manövern teilnehmende Kavallerie 
formiert zwei Übungslager und zwar im Bereiche des I. Armee- 
Corps Turin die Regimenter Piemonte Reale Nr. 2 und Montebello 
Nr. 8; im Bereiche des X. Armee -Corps Neapel die Regimenter 
Guide Nr. 19, Vittorio Emanuele Nr. 10 und Saluzzo Nr. 12. Die 
Dauer dieser Lager, in denen das Regiments- und Brigade-Exerzieren, 
sowie Aufklärungsdienst abgehalten wird, ist auf 40 Tage berechnet 
in den Monaten Juli und August. Im Bereiche des IV. Armee- 
Corps (Piacenza) und in dem des VIII. (Firenze) finden gröfeere 
Übungen im Aufkliirungsdieuste (esercitazioni di avanscoperta) von 
16tägiger Dauer im Monat August statt, bei dem ersteren Corps 



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und Marine, im ersten Halbjahre 1890. 



sind zu obigen Übungen designiert die Regimenter Milano Nr. 7 
und Caserta Nr. 12, bei letzterem die Regimenter Aosta Nr. 6 und 
Umberto I Nr. 23. Vorstehend genannter Kavallerie werden 2 rei- 
tende und 2 fahrende Batterien während der Übungsdauer zugeteilt 
werden. Die gesamte Feld- (24 Regimenter und 1 reitendes), 
Festungs -Artillerie (5 Regimenter) und 1 Gebirgs -Artillerie-Regiment 
halten in der Zeit vom 1. Mai bis 30. August gröbere Schiefs- 
Obungen auf den 12 Schiefsplätzen (poligoni) ab. Die gesamten, zu 
den Brigade- und Divisionslagern, sowie zu den grofsen Mauövern 
herangezogenen Infanterie- und Bersaglieri- Regimenter setzen sich 
durch Einberufung des Jahrganges 1864 resp. 1865 auf die Stärke 
von 195 Mann per Compagnie incl. Chargen. Aus den Mannschaften 
des Beurlaubtenstandes werden aufser obengenannten Mannschaften 
dieses Jahr einbeordert: die Mannschaften des Jahrganges 1864 der 
I. Kategorie, angehörend den Bersaglieri-, Alpini- und Feld -Artillerie- 
Regimentern, ausgenommen diejenigen des Artillerietrains, für die 
Dauer von 28 Tagen, 30,000 Mann der II. Kategorie der Jahrgänge 
1868 und 1869 für die Dauer von 45 Tagen, und schliefslich der 
gesamte Jahrgang 1869 der III. Kategorie für die Dauer von 
15 Tagen. Dieses Jahr werden zu Übungszwecken etwa 100,000 Mann 
unter die Waffen gerufen werden, während voriges Jahr mehr als 
230,000 der verschiedenen Kategorien einberufen worden waren. 

Das königliche militärgeographische Institut zu Twin hat eine • 
auch für das Ausland sehr beachtenswerte Karte von Italien in 
24 Blättern im Malsstabe von 1 : 500,000 herausgegeben, die 
von den genau durchgeführten Arbeiten obigen Institutes Zeugnis 
giebt. 

In Bezug auf die Beförderungsverhältnisse ist nachstehen- 
des vom Kriegsminister befohlen worden. Es können im Etate- 
jahre 1890/91 die Oberstlieutenants aller Waffen mit Patent vom 
Jahre 1888 zur Beförderung zum Obersten, zu Oberstlieutenants die 
Majors der Infanterie, Artillerie und des Genies vom Jahre 1886, 
die der Kavallerie vom Jahre 1888, zu Majors die Hauptleute der 
Infanterie, Artillerie und des Genies vom Jahre 1882, die der Ka- 
vallerie von 1884, zu Hauptleuten die Lieutenants der Infanterie und 
Kavallerie von 1884 und die der Artillerie und des Genies von 1885 
in Vorschlag gebracht werden. Auöh in Italien giebt es für tadellos 
12jährig gedient habende Unteroffiziere den Civilversorgungsschein 
(gli impieghi ai sottufficiali), es wurden vom 1. Juli 1888 bis 
30. Juni 1889 249 Aspiranten angestellt und verblieben noch 
623 Aspiranten; die meisten Anstellungen fanden statt als Unter- 

J*hrbüeh«r für dl« Deotacb* Ann», nid Maria«. M. LXXVU 3. IQ 



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Nachrichten Oher die königlich italienische Armee 



beamte des Kriegsministeriums, des Post- und des Telegraphen- 
wesens. Das italienische, aktive Offizier-Corps, eingeschlossen die 
Sanitäts-, Veterinär-, Zahlmeister- und Intendantur-Beamte, die 
sämtlich Offiziersrang haben, beziffert sich anf 14,367 Kopfe, von 
diesen waren verheiratet 3612, während im Jahre 1887, bei fast der 
ganz gleichen Kopfzahl, nur 3206 und 1888 3382 Verheiratete zu 
finden waren. 

Zur Ablegung der Vorprüfung zur scuola di guerra (Kriegs- 
akademie) sind dies Jahr 74 Offiziere befohlen worden, von denen 
42 der Infanterie incl. Bersaglieri und Alpini, 7 der Kavallerie, 
13 der Artillerie und 12 dem Genie angehören, 29 derselben sind 
Hauptleute, 45 Premierlieutenants. Wie in allen Staaten (eine 
rühmliche Ausnahme macht Frankreich) suchen auch die italienischen 
Volksvertreter an den Ausgaben für Armee und Marine möglichst 
viel abzuschneiden. Es sind dem Kriegsminister vom ordentlichen 
und außerordentlichen Budget für 1890/91 rund 10 Millionen 
gestrichen worden, die Hauptersparnis mit 4,200,000 Lire wird er- 
zielt durch die um 52 Tage später erfolgende Einberufung der 
Infanterie-Rekruten ; ob dies den, ohnehin schon einen so schwachen 
Friedensstand habenden italienischen Compagnien gut bekommen 
wird, ist eine andere Frage; zwar ist der für alles Militärische 
aufserordentlich gut beanlagte Italiener leichter und schneller aus- 
zubilden als im Grofeen und Ganzen die deutschen Rekruten. 

Dem hochverdienten Chef des königlich italienischen General- 
stabes, Generallieutenant Cosenz, verlieh Se. Majestät, in Anlafs 
seines zurückgelegten 50. Dienstjahres, den höchsten italienischen 
Orden Sta. Annunziata und die Medaglia Mauriziana, welche nach 
ÖOjähriger, tadelloser Dienstzeit verliehen wird. Die Entlassung 
zur Reserve erfolgt im italienischen Heere dieses Jahr am 3. August 
für die Infanterie-, Bersaglieri- und Genie-, am 25. für die Alpini- 
Regimenter, am 28. für die Artillerie-, am 1. September für die 
Kavallerie-Regimenter und am 10. für die Mannschaften der Distrikts- 
Kommandos. 

La societa anonima cooperativa tra gli Ufficiali dell'Esercito e 
deirarmata,rUnioneMilitare(dieOffiziersgeno88enschaft, anonime 
Gesellschaft der Offiziere des Heeres und der Flotte) auf den Grundlagen 
unseres Offiziervereines vor l 1 /, Jahren in das Leben gerufen, hat 
trotz mancher zu bekämpfender Schwierigkeiten, sich kräftig ent- 
wickelt, dieselbe zählt gegenwärtig 13,196 Mitglieder mit einem 
eingezahlten Betrage von 1,092,925 Lire. Von obigen Mitgliedern 
sind 11,231 aktive Offiziere der Armee und 663 der Flotte, 1251 



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und Marine, im ersten Halbjahre 1890. 



269 



inaktive Offiziere des Heeres und 51 der Flotte. Dnrch kriegs- 
ministerielle Verfügung vom 18. März wurde die Auflösung der bei 
jedem selbstständigen Truppenteile bisher bestandenen Offiziers- 
bekleidungsgenossenschaft für den 1. April befohlen. Die vor- 
handenen Bestände sollen verkauft werden, die vorhandenen Schulden 
der Offiziere an obige Genossenschaften sind bis 1. April 1893 zu 
begleichen, nötigenfalls durch monatliche Gehaltabzüge in der Höhe 
von 15 Lire für die Stabsoffiziere, 10 Lire für die Hauptleute und 
5 Lire für die Subalternoffiziere. Die Überschüsse der Vereinigungen, 
die sich nach endgültiger Liquidation derselben ergeben, sind an 
das Kriegsministerium abzuführen, um seitens dieses zum Nutzen der 
Offizier-Corps verwandt zu werden. 

Eine die Disziplin schädigende Vergünstigung der italienischen 
Generale ist auf Antrag des Kriegsministers seitens Sr. Majestät 
aufgehoben worden, dies war das Civiltragen der Generale und 
in Generalsstellung befindlichen Obersten. Vor dieser Verfügung, 
gab es Generale, die die Uniform nur anlegten zum Geburtstage 
der Majestäten, des Kronprinzen u. s. w., sonst aber selbst bei 
Empfangnahme von Meldungen, Besichtigungen von Kasernen u. s. w. 
in Civil gingen. Jetzt hat jeder General im Dienste immer Uniform 
zu tragen, aufser Dienst natürlich nur an öffentlichen Orten, an 
Wochentagen bis 4 Uhr, an Feiertagen bis 1 Uhr Nachmittags. 
In militärischen Kreisen ist man von diesem allerhöchsten Befehle 
sehr befriedigt, hofft aber, dafs dies nur der Anfang sei und die 
Generale binnen kurzen verpflichtet seien, wie alle anderen Offiziere 
immer die Uniform zu tragen; natürlich müfste man alsdann auch 
ihnen eine etwas weniger kostspielige Interimsuniform geben. 

Im Auslande, auch in militärischen Kreisen, herrschen noch 
jetzt ganz falsche Ansichten in Bezug auf den Betrieb des Reit-, 
Jagd-, Fecht- und Turnsportes resp. Dienstes; man glaubte, 
der Italiener interessiere sich für derartige Dinge nicht, dies war 
und ist doppelt jetzt ein grofeer Irrtum, denn wir finden unter den 
italienischen Offizieren vorzügliche Schützen, schneidige Campagne- 
und Steeplechase-Reiter, und vor allen Dingen Offiziere, die auf 
Hieb und Stofe eine ausgezeichnete Klinge fuhren. Durch zahl- 
reiche Begünstigungen, Prämien, Gewinne u. s. w., wird seitens des 
Kriegsministeriums und der kommandierenden Generale darauf ge- 
wirkt, dafs dieser schneidige, frische Geist nicht erlahme, sondern 
sich stärke und wachse, sowohl im Offizier-Corps als auch im 
Mannschaftsstande. Letzterem angehörige Leute, die einem der 
Schiefs vereine angehören und die vorgeschriebenen Übungen alle 

19* 



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270 Nachrichten Ober die königlich italienische Armee 

regelmäfeig absolviert haben, geniefeen bestimmte Vergünstigungen 
in Bezug auf Einberufungen bei Übungen des Beurlaubtenstandes. 
Einjährig dienen dürfen nur diejenigen, auch wenn sie glänzend 
allen sonstigen Anforderungen genügten, die als Mitglied einem 
Schieisverein angehören und 10 Übungen mit Erfolg absolviert 
haben. Unter der Direktion des Generalmajor Pelloux fand in den 
Tagen vom 5. — 18. Mai vor den Thoren Roms, in herrlicher Lage 
auf der Farnesina, das erste grofse nationale Wettschiefsen (la 
prima gara di tiro a segno nazionale) statt; dasselbe gelang, Dank 
den vorzüglich getroffenen Einrichtungen, in jeder Hinsicht sehr 
gut. Es wurde unter unendlichem Enthusiasmus am 5. Mai durch 
Se. Majestät den König und die Königin, eröffnet; ersterer that 
5 sehr gute Schüsse. Das Fest nahm in hohem Grade das Interesse 
der ganzen Nation in Anspruch und waren von allen Enden der 
Welt Prämien und Geschenke für dasselbe eingelaufen. Die Armee 
nahm daran in nachfolgender Weise Teil. Jedes Infanterie-, 
Bersaglieri-, Alpini-, Kavallerie-, Festungs- Artillerie- und Genie- 
Regiment entsendet nach Rom 1 Unteroffizier und 3 Mann seiner 
besten Schützen, ferner ist fakultativ die Teilnahme je eines 
Subalternoffiziers obiger Truppen. Die in dem Wettschiefeen seitens 
der Mannschaften erzielten Prämien verbleiben Eigentum des be- 
treffenden Truppenteiles. Die in allen andern Schiefsen verdienten 
Preise bleiben Eigentum des Gewinners, aufser den Geldpreisen, 
die zur Hälfte der Gewinner erhält und die andere Hälfte der 
Truppenteil, dem er angehört. Die dazu kommandierten Offiziere 
erhalten Tagegelder, Meilengelder, Freiquartier u. s. w. müssen aber 
die Munition und den Schiefseintritt bezahlen. Alle diejenigen, 
welche einen Preis gewonnen haben, die in Geldprämien, goldenen, 
silbernen und bronzenen Medaillen und sonstigen zahllosen mehr 
oder minder wertvollen Geschenken bestehen, sind berechtigt an 
dem Königschiefsen (Tiro reale) teil zu nehmen. Hier errungene 
Prämien teilten Se. Majestät und Ihre Majestät persönlich an die 
Sieger aus. Das Fest verlief in jeder Weise harmonisch, in Bezug 
auf die Schiefsleistungen glänzend. L'Esercito Italiano beklagt, dafs 
die militärischen Schützen im tiro accelerato (Schnellfeuer) erst den 
13. Posten eingenommen hätten; im Übrigen wurden aber von den 
daran beteiligten Offizieren und Mannschaften recht schöne Leistungen 
vorgeführt. 

Auch in seinen afrikanischen Besitzungen war Italien mit 
Erfolg aufserordentlich thätig; dem im Dezember 1889 aus Gesund- 
heitsrücksichten zurücktretenden Generalmajor Baidissera, folgte als 



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und Marine, im ersten Halbjahre 189a 



271 



Oberbefehlshaber in Afrika der Generalmajor Orero. Konig, 
Parlament und Vaterland haben dankbar anerkannt, was Baidissera 
in nimmer rastender, unermüdlicher Thätigkeit für Italien dort 
gethan hat. Die Occupation von Eeren und Asmara, die Anlage 
der Eisenbahn, von Telegraphen- und Postbureaus, sowie der Bau 
mehrerer Straten dienen dazu, das Andenken dies hochgeschätzten 
Offiziers im italienischen Afrika immer wach zu erhalten. Nachdem 
das Schutz- und Trutzbündnis mit Menelick, Kaiser von Abessinien, 
perfekt geworden war, handelte es sich für Italien nicht allein 
darum, den eingebornen Fürsten zu zeigen, was es leisten könnte, 
sondern auch dem Verbündeten zu zeigen, dafs die Freundschaft 
Italiens etwas wert sei. Der aus Italien zurückkehrende Gesandte 
Makonnen des Kaisers Menelick reiste in Begleitung des Grafen 
Autonelli; da die nähere Strafse durch Tigre nicht ganz sicher 
erschien, weil feindliche Banden sich hier und da zeigten, wurde 
beschlossen den Weg durch Schoa zu nehmen. Menelick war in- 
dessen am 6. November zu Antoto zum Negus Negesti gekrönt 
worden, nachdem zuvor der zwischen Italien und Abessinien ab- 
geschlossene Handels- und Freundschafts-Vertrag ratificiert worden 
war, durch denselben waren nicht allein Italien sehr grofse Vorteile 
für Handel und Wandel eingeräumt worden, sondern war auch der 
Besitz des im vorigen Jahre occupierten Gebiete Asmara und Keren 
endgültig gesichert. Italien war Herr Abessiniens und Menelick, wenn 
nicht Vasalle, doch abhängig von Italien geworden. Alles war 
ruhig, nur im Süden der Landschaft Tigre kämpften noch die beiden 
Generale des Negus, Deschak Sebbat und Deschak Sejum gegen 
Ras Alula und Ras Mangascha. — Am 16. Januar brach der erst 
seit einem Monat das Kommando in Afrika übernommen habende 
General Orero mit drei Kolonnen von Asmara auf, um wenn möglich 
Adua, die heilige Stadt Abessiuiens und gleichzeitig Hauptstadt der 
Landschaft Tigre zu erreichen. Die rechte Kolonne führte der 
Lieutenant Barbanti, unter ihm standen drei Banden besoldeter 
Eingeborner, 400 Gewehre stark; die linke der durch seine kühnen 
Ritte und Rekognoszierungen bekannte Major Di Majo, sie war 
von 4 besoldete Banden circa 500 Gewehren, eine eingeborene 
Compagnie und die eingeborneGebirgs- Batterie von 6 Geschützen stark. 
Der Auftrag des Di Majo lautete dahin, Ras Alula scharf im Auge zu 
behalten, ferner durch Geld und gute Worte den Deschak Sebbat 
zu bewegen, sich mit Deschak Sejum zu vereinen um gegen Ras 
Alula gemeinsam zu kämpfen; wir haben gesehen, dafs dies gelang. 
Beide Generale verfügten über etwa 5800 Gewehre, der Feind über 



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272 



Nachrichten über die königlich italienische Armee 



etwas weniger. Die Hauptkolonne unter persönlichem Befehl Oreroa, 
bestehend aus 1800 Mann italienischer Truppen, 1 Bataillon Ber- 
saglieri, 1 Bataillon Jäger, 1 Gebirgs-Batterie, 6 Geschützen, 1 Genie- 
Gompagnie und etwa 800 Mann eingeborner Truppen, 3 Compagnien 
Infanterie und die Kundschafter-Schwadron, marschierten über De- 
baroa, Godofelassi, Adi Gana, Gundet auf Adua. Am 26. Januar 
1890 (drei Jahre nach dem verlust- aber ehrenreichen Tage von 
Dogali, wo die Italiener zeigten, data der Feind ihre Rücken nicht 
zu sehen bekam, wo die Welt sah, wie Tapfere zu sterben wissen, 
nachdem die letzte Patrone verschossen, mit dem Rufe »Evviva 
LTtalia, evviva il Re«) vereinigten sich die 3 Kolonnen vor den 
Thoren Aduas, um von der Bevölkerung mit Frohlocken begrüfet, 
unter den Klängen der italienischen Fanfaren, ihren Einzug zu 
halten. Es war dies wiederum ein neuer Beweis der aufserordent- 
lichen Marschleistungsfähigkeit der italienischen Truppen, ihrer 
Ausdauer und grofeen Geuügsamkeit, auch bei aufserge wohn liehen 
Strapazen. Durch steinige Flufebetten, über Berge und Höheu, ohne 
irgend eine Strafse in unserem Sinne, ging der Marsch vorwärts, 
kein Mann blieb als krank oder marode zurück, trotzdem die Mann- 
schaften alles feldkriegsniäfeige Gepäck, aufser den Zelten, trugen, 
dafür aber die Italiener für 3, die Eingebornen für 5 und die 
Banden für 15 Tage Lebensmittel. Zum Transport der Reserve- 
Lebensmittel, Reserve -Munition, Krankentragen u. s. w. waren 
4500 Träger und mehr als 1500 Kamele und Esel angeworben 
beziehungsweise angekauft worden. Adua ist ein Ort, der nicht 
allein von hohem strategischem Werte, da er zahlreiche nach 
Massaua, Asmara, Axum, Gondar und Schoa führende Strafsen 
beherrscht, sondern auch in religiöser und kommerzieller Beziehung 
ist es ein höchst wichtiger Punkt. General Orero erklärte den 
Spitzen der Stadt und Geistlichkeit, dals er nicht gekommen sei, 
um Adna zu erobern, nein dieses sei Eigentum des erhabenen 
Freundes Italiens, des Kaisers Menelick, er sei nur gekommen, um 
allen zu zeigen, was Italien könne und wie mächtig es sei. Das, 
was erlangt werden sollte, hohe Stärkung des moralischen Ansehens 
und der Macht Italiens war vollkommen erreicht worden. General 
Orero bestimmte Deschack Sebbat zum kaiserlichen Statthalter in 
Adua, liefs dort als Vertreter Italiens den Hauptmann Toselli mit 
der Kundschafter-Schwadron und sämtlichen besoldeten Banden 
zurück, während er selbst in langsamen Märschen über den Mareb 
zurückging. Mitte Februar waren die Expeditionstruppen wieder 
in ihre Garnisonen zurückgekehrt. Später wurde ein Dislokations- 



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and Marine, im ersten Halbjahre 1890. 



273 



Wechsel befohlen und die ganzen Besitzungen in drei militärische 
Zonen eingeteilt: 1. Die von Massaua und Umgebung, 2. die von 
Keren und Umgebung und endlich 3. die von Asmara und das 
Thal des Mareb. In den nächsten Monaten ereignete sich nichts 
von Wichtigkeit in den afrikanischen Besitzungen; aufser einigen 
kleinen Scharmützeln gegen auf Raub ausgehende Banden, fiel nichts 
Bemerkenswertes vor. General Orero, bat leider aus naher nicht 
bekannten Gründen, um seine Abberufung; als sein Nachfolger als 
Militär- und Civilgouverneur der »Kolonie Eritrea«, wie offiziell 
die italienischen Besitzungen in Afrika benannt werden, wurde 
bestimmt der Generalmajor Gandolfi, ein in den vierziger Jahren 
stehender sehr verdienter und tüchtiger Offizier, der bis jetzt die 
Brigade Parma (49. und 50. Regiment) in Bologna befehligte. 

Bei einigen Fällen von Unordnungen, wo die bewaffnete Macht 
gegen die durch Verführer irregeleitete Bevölkerung den königlichen 
Carabinieri Hülfe leisten musste, zeigte sich, dals der italienische 
Soldat getreu seinem Eide, unbedingt gehorcht, so bei einzelnen 
stattgehabten Revolten am 1. Mai in Turin und Livorno. Von der 
Schußwaffe mufete das Militär Gebrauch machen am 22. Mai in 
Conselice, Provinz Ravenna, wo aufrührische, ländliche Arbeiter 
und Arbeiterinnen, mit Steinhagel Carabinieri und Soldaten be- 
grüßten, der dreimaligen Aufforderung auseinanderzugehen nicht 
folgten, sondern sogar den Lieutenant der Carabinieri schwer ver- 
wundeten; 3 Tote und 18 mehr oder minder schwer verwundete 
Aufrührer waren die Folge des militärischen Einschreitens, danach 
ward die Ruhe hergestellt. 

Am 1. Januar 1890 wurde das italienische Marine- 
Ministerium umgeformt und zwar zergliedert es sich nunmehr 
wie folgt: 1. Stab und Marinekabinett, 2. Generaldirektion für 
Militärdienst, 3. Generaldirektion für Schiffskonstruktion, 4. General- 
direktion für Artillerie und Armierung, 5. Generaldirektion für 
Handelsmarine, 6. Direktion für Hydrographie, 7. Direktion für 
Gesundheitsdienst, 8. Direktion für Ingenieur- und Torpedo-Ange- 
legenheiten, 9. Revisions- Bureau, 10. Rechnungskanzlei. An der 
Spitze von Nr. 1, 2, 4, 5 und 6 stehen Admirale, der an der Spitze 
der Abteilung Nr. 1 stehende führt den Titel Chef des Stabes des 
Marineministeriums. Neben dem Marineministerium, giebt es behufs 
Beratung in besonders wichtigen Angelegenheiten noch »das Haupt- 
Komitee der Marine«, erster Vorsitzender ist der Marineminister, 
zweiter ein Viceadmiral, fernere Beisitzer: 2 Vice- oder Contre- 
Admiräle, der Inspekteur des Schiffsbauwesens, der Generaldirektor 



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274 



Nachrichten über die königlich italienische Armee 



der Handelsmarine und ein höherer Marine-Offizier als Sekretär. — 
Die Stärke des Offizier-Corps der königlich italienischen 
Marine beziffert sich auf a) im aktiven Dienste: 6 Viceadmirale, 
15 Contreadmirale, unter diesen Se. Königliche Hoheit Tommaao 
Herzog von Genua, Bruder Ihrer Majestät der Königin, 36 Kapitäns 
zur See, 56 Fregatten-, 75 Korvetten -Kapitäns, 225 Lieutenants 
und 115 Unterlieutenants zur See, ferner 36 Schiffsfähnriche (Guardie 
marine), eine Art Portepeefähnrich mit Erlaubnis zum Tragen des 
Offiziersdegen, unter ihnen der dritte Sohn des verstorbenen Herzogs 
von Aosta, Luigi, Herzog der Abruzzen. Im Hülfsoffizierdienst- 
verhältnis befinden sich 6 Vice- und 3 Contreadmirale, 9 Kapitäns 
zur See, 10 Fregatten- und 4 Korvetten-Kapitäns und 10 Lieutenants 
zur See. Der Schiffsreserve (La riserva navale) gehören 9 Vice- 
und 10 Contreadmirale, 33 Kapitäns zur See, 17 Fregatten- und 
15 Korvetten -Kapitän s, 70 Lieutenants, 44 Unterlieutenants zur 
See und 98 Schifisfahnriche an. — Am 15. Februar wurde das 
permanente Geschwader zu Spezzia unter dem Kommando des 
Viceadmiral Grafen Lovero di Maria in Dienst gestellt, es wurde in 
3 Divisionen geteilt: die I. Division bestehend aus 2 Schlachtschiffen 
»Italia« und »Lauria«, beide I. Klasse, ferner dem Schlachtschiffe 
U. Klasse »Piemonte« und Aviso »Colonna«, die II. Division unter 
Kommando Sr. Königlichen Hoheit des Herzogs von Genua bestehend 
aus dem Schlachtschiffe I. Klasse »Lepanto«, II. Klasse »Bausan« 
und Kreuzer »Montebello« , die III. Division aus den Schlacht- 
schiffen I. Klasse »Dandolo« und »Duilio« und dem Kreuzer »Mon- 
zambanoc, attachiert sind ferner 4 Torpedoavisos: »Aquila«, »Falco«, 
»Nibbio« und »Avvoltojo« und 12 Torpedoboote Modell Schichau. 
Das Geschwader nahm erst Kreuzfahrten vor, dampfte nach Sicilien, 
später nach Sardinien, absolvierte Schiefsübungen bei der Insel 
Maddelena; ein Teil ging ferner zur Begrüfsung des Präsidenten 
Carnot nach Toulon. Die Torpedoboote sollten auf Maschinen und 
Seetüchtigkeit eingehend geprüft worden, da neuerdings einige 
Bedenken gegen den Typus Schichau aufgetreten zu sein scheinen. 
Im Juli finden gröfsere Flottenmanöver statt, über die Generalideen, 
Ausführung derselben u. s. w. wird im nächsten Bericht ausführ- 
licheres mitgeteilt werden. Bis jetzt ist seitens des Marine- 
ministeriums befohlen worden die Einteilung des Manövergeschwaders 
in 2 Divisionen, die eine die verteidigende Nationalflotte unter dem 
Kommando Sr. Königlichen Hoheit des Herzogs von Genua be- 
stehend aus den Schiffen: »Lepanto«, »Piemonte«, »Dogali«, »Mon- 
zambano«, »Montebello«, »Goito« und 8 Hochseetorpedobooten, die 



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und Marine, im eraten Halbjahre 1890. 



275 



andere die feindliche angreifende Flotte anter dem Kommando des 
Contre-Admiral Grafen Sambuy wird besteben aus den Schiffen: 
»Dandolo«, »Duilio«, »Laoria« und ebenfalls 8 Hochseetorpedo- 
booten. Die Übungen werden statthaben in den Gewässern des 
Golfes von Genua, von dem Kap Melle nordwestlich bis im Süden 
gegen das Kap Corso (die Nordspitze der Insel Corsica), die Insel 
Elba und die vom Festland Toscanas vorspringende Halbinsel 
von Piombino. Hauptsächlich soll geübt werden der Kundschafts- 
und Aufklärungsdienst, ferner sollen die Semaforien ihre Thätigkeit 
entfalten; alle im ersten Seedepartement (Spezzia) befindlichen Se- 
maforien werden auf Kriegsfufs gesetzt. Die später folgenden 
Manöver sollen rein strategischer und nicht taktischer Natur sein. 
Die nationale Partei, soll sich mehr auf die Defensive verlegen, 
während hingegen der Feind unausgesetzt Angriffs- und Landungs- 
versuche machen soll. Ein letzterer ist als gelungen zu betrachten, 
wenn es dem Feinde gelingt, bis unter das Feuer der Küsten- 
Geschütze ungefährdet zu kommen. Das Oberkommando übernimmt 
der Viceadmiral Graf Lovera di Maria, er hifet seine Flagge auf 
der Italia, auf der für einige Zeit auch Se. Majestät der König, 
der Kronprinz, der Marineminister, Viceadmiral Brin und Unter- 
staatssekretär der Marine Morin sich einschiffen werden. Nach 
einer ausgezeichneten Rede »Gegenwart und Zukunft der italienischen 
Marine«, gehalten im Parlamente am 16. Juni 1890 vom oben ge- 
nannten hochbegabten Unterstaatssekretär, wurde, da-sie überzeugend 
und überwältigend auf die Volksvertreter wirkte, das ganze Marine- 
budget 1890/91 in der Höhe von 121,465,218 Lire mit einem 
Abstriche von nur 100,000 Lire angenommen. In unserem nächsten 
Berichte werden wir noch näher auf die Kammerverhandlungen bei 
Gelegenheit des Heeres- und Marine-Budgete zurückkommen, für 
jetzt verbietet es der Raum. 

Pallanza sul Lago Maggiore. Italia. Gingno 1890. 

De. S. 



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XV. Die Befestigungen Italiens. 

Vo» 



Oberniaier, 




(Schluß.) 

II. In Mittel- (südlich der ligurischen Apenninen) und 

Unter-Italien. 

Pisa, am rechten Arnoufer, 8 k oberhalb dessen Mündang, 
60,300 Einwohner, ist im Umkreis von ca. 10 k mit alten Ring- 
mauern, Türmen und Gräben umgeben und hat eine Citadelle im 
Südwesten. 

1. Lucca, V. Klasse, Prov. -Hauptstadt am linken Serchio-Ufer, 
21,300 Einwohner, hat eine breite Umwallung von 11 Bastionen 
mit vielen Ravelins, die gut erhalten ist und neuestens auch ver- 
stärkt werden soll. — Pistoja, Provinz Florenz, am linken 
Orabroneufer (Nebenflufs des Arno) 13,000 Einwohner, Prato am 
linken Bisenzio-Ufer, 16 k nordwestlich Florenz, 16,000 Einwohner, 
Florenz, am rechten Ufer des nur 30 — 40 m breiten Arno, 
170,000 Einwohner, (östlich der Bahn das alte Kastell San Giovanni 
Battista, ein bastioniertes Fünfeck mit 250 — 400 m Frontlängen, im 
Süden der Stadt die alte Fortezza di Belvedere, 200 m lang, 100 m 
breit, im Osten und Westen mit je 2 Halbbastionen); Siena, Prov.- 
Hauptstadt, 40 k südlich Florenz, und 5 k nordwestlich der Bozzone- 
Mündung (in die Arbia) mit der Citadelle Forte S. Barbara, einem 
bastionierten Rechteck von 240 und 300 m Seitenlänge, sind 
sämtlich mit alten Ringmauern (Florenz im Umfang von 12 k) 
umgeben. 

2. Grossetto, V. Klasse, Prov.-Hauptstadt, in der grofsen und 
fruchtbaren Ebene des Ombrone, nahe dessen rechtem Ufer, 15 k 
nordöstlich seiner Mündung, 3300 Einwohner, bat eine Umfassung 
von 6 Bastionen, von denen das nördliche die Fortezza ist. Der 
Platz ist unbedeutend. 

3. Radicofani, IV. Klasse, auf einer steilabfallenden Kuppe, 
32 k südwestlich des Trasimenischen Sees, ist eine alte Bergfeste, 
welche die Strafee Siena — Aquapendente — Viterbo — Rom mit einigen 
wichtigen Nebenstrafsen sperrt. Die projektierte Neubefestigung kam 
nicht zur Ausführung. 



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Die Befestigungen Italiens. 



277 



Arezzo, Prov.-Hauptstadt, an dem 4 k unterhalb in den Kanal 
Chiana mündenden Flüfschen Castro, 39,000 Einwohner, Cortona, 
21 k südöstlich Arezzo, auf einem steil abfallenden Bergausläufer 
am östlichen Rande des Chianathales, 5000 Einwohner, San Sepol- 
cro, nahe dem linken Tiberufer, 3600 Einwohner, Citta di Castello, 
Provinz Perugio, am linken Tiberufer, 6000 Einwohner, Perugia, 
Prov.-Hauptstadt, 3 k vom rechten Tiberufer entfernt, 400 m über 
dem Flufe, 16,700 Einwohner, Urbino, Provinz Pesaro, in dem 
waldigen Höhengebiet zwischen Metauro und Foglia, 5200 Einwohner, 
Macerata, Prov.-Hauptstadt, auf einem 300 m hohen Hügel zwischen 
den 7 k von einander entfernten Flüssen Potenza und Chienti, 
20,000 Einwohner, Pansula, 7 k südöstlich vom letzteren auf der 
Höhe des rechten Chienti-Ufere, Fermo, Provinz Ascoli Piceno, 
7 k vom Meere, auf der Höhe zwischen den Flüssen Tenna und 
Leta, 8000 Einwohner, sind sämtlich mit alten, zum Teil cyclopischen 
Mauern, Wällen und Bastionen umgeben, einzelne auch mit einer 
Citadelle versehen. Bei Chiusi, Provinz Siena, auf einem Hügel 
südlich des von der Chiana gebildeten Sees von Chiusi, 4660 Ein- 
wohner, und beiMagione, 2k östlich des Trasimenischen Sees 
war die Anlage von Strafsensperren, bei Perugia, umfangreichere 
Neubefestigung und bei Antrodoco, 18 k östlich Rieti, an der 
Bahn nach Pescara ein Sperrfort projektiert, wurden jedoch nicht 
ausgeführt. 

4. Civitella del Toronto, Provinz Teramo, in den Abruzzen 
auf steilem Felsen am rechten Ufer des Salinello, 7200 Einwohner, 
hat zwar nur eine alte Umfassung mit einer Citadelle, gilt aber noch 
als fester Platz. 

5. Rom, L Klasse, die Haupt- und Residenzstadt des König- 
reichs, zu beiden Seiten des Tiber, 23 k von dessen Mündung, hat 
300,000 Einwohner. Der Flufs durchzieht von Norden nach Süden 
die Stadt in 3 Windungen in einer Länge von 4 l / t k und scheidet 
die eigentliche Stadt vom Gebiete des Vatikans im Nordwesten und 
dem Stadtteil Trastevere im Westen und Südwesten. Seine Breite 
wechselt zwischen 52 und 103 m, seine Tiefe zwischen 5 und 13 m. 
Die alte Stadtumfassung, durch quadratische Türme und Bastione 
flankierte Mauern mit 12 Thoren und ohne Graben, umzieht in 
einem Umfang von ca. 23 k die bekaunten 7 Hügel; im Nordwesten 
ist dicht am rechten Flufsufer die alte Citadelle, die Engelsburg, 
ein bastioniertes Fünfeck mit 200 m langen Fronten. Von ihrer 
Nordwestfront aus umschliefet die Umfassung mit 9 verschieden 
grofsen und verschieden geformten Bastionen den Mte. Vaticano, 



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278 



Die Befestigungen Italiens. 



zieht dann auf der Höhe des Mte. Gianiculo entlang mit 6 Bastionen 
ca. 1800 m südlich und wendet dann rechtwinklig mit 4 ungleichen 
Bastionen zu dem 900 m entfernten Flufs. 1100 m südlich zieht 
die Umfassung des linken Ufers von der Eisenbahnbrücke mit einigen 
Biegungen zuerst 2400 m weit in östlicher Richtung, biegt dann 
nach Norden und dann nach 700 m wieder 1600 m weit nach 
Nordosten, das Maranna-Thal entlaug; sodann wendet sie sich nord- 
westlich nach dem 2000 m entfernten campo militare, umzieht diesen 
und wendet endlich in westlicher Richtung nach dem 2% k ent- 
fernten Flufs, den sie 800 m nördlich der Engelsburg erreicht. 
Die Projekte für die Neubefestigung von Rom waren zahlreich und 
sehr verschiedenartig; 1877 wurde die Neubefestigung endlich ver- 
fügt und auch im selben Jahre noch mit dem Bau begonnen; aber 
auch während der Ausführung traten noch vielfach Änderungen in 
dem angenommenen Plane ein. Der 40 k messende Fortsgürtel 
besteht aus 15 Werken, sämtlich an Punkten, wo die wichtigsten 
Strafeen nach der Stadt, oder deren Kreuzungspunkte, unter Feuer 
genommen werden können, und wo gleichzeitig Fronthinderniase 
irgend welcher Art die Verteidigung begünstigen. 

a) Auf dem rechten Ufer (ca. 3 k von der Umfassung ent- 
fernt): 1. Fort Monte Mario (145 m, der höchste Punkt der 
Hügelkette des Janiculus), östlich der via triumphalis, nahe nördlich 
der villa Mellini und 2 Vi k nördlich der porta angelica, 600 m vom 
Flufs entfernt, beherrscht das obere Tiberthal von den Wiesen der 
Farnesina bis zur Mündung des Anio und darüber hinaus, dann den 
östlich gegenüber liegenden Monte Parioli und die ponte Molle, über 
welche die via Cassia führt; dasselbe ist mit 20 schweren Geschützen 
armiert. Die ursprünglich beabsichtigte Befestigung des 2 k weiter 
nördlich liegenden Monte Faruesina wurde nicht ausgeführt. — 
2. Fort Trionfale, 3 l /j k von der Mauer des Vatikans und 1800 m 
nordwestlich Monte Mario, bei dem Dorfe S. Onofrio, sperrt die 
via triumphalis, welche hier umgelegt wurde. — 3. Fort casal 
B rasch i (100 m), 2 x / t k südöstlich vom vorigen, dicht an der strada 
de Pigneto Saccheti (oder del Pidochio), welche die via triumphalis 
1 k vorwärts der Kirche von Onofrio mit der via di Boccea, Vi k 
von der porta Cavaleggieri entfernt, verbindet, 4 k vor der Um- 
fassung, 2 k vor den Gärten des Vatikan, überhöht das Vorterrain 
um 25 m und soll den Raum zwischen den beiden Strafsen unter 
Feuer nehmen. — 4. Fort Boccea (83 m), auch val Canuta, 1,6 k 
südlich vom vorigen, 2'/j k vom ausspringenden Winkel der Gärten 
des Vatikan entfernt, links an der via Boccea, ist das kleinste der 



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Die Befestigungen Italiens. 



279 



rechtsseitigen Werke, aber durch seine Lage stark nnd beherrscht 
die via Salura, sowie das westliche Vorterrain bis jenseits der fossa 
Galera um 10 m. — 5. Fort Aurelia antica (76 m), 1600 ra 
südlich vom vorigen, westlich der villa Pamfili, nahe der Abzweigung 
der strada Pisana, 3 k vor der porta S. Pancrazio, bestreicht die 
via Aurelia und das Vorterrain bis auf 6 k; es hat 15 Geschütze. 
6. Etwas über 2 k südlich davon Fort Bravetta (50 m), nördlich 
der casetta Mattei (bei der villa Trojani oder Trevisani) am Abhang 
des Casaletto-Berges beherrscht sowohl das hohe, durchschnittene 
hügelige Plateau südwestlich der porta S. Pancrazio, als auch die 
Thäler der Bravetta und Magliana, die Ravins jenseits der letzteren 
und die strada Pisana. Das Fort hat über 20 Geschütze. — 7. Fort 
Portuense (60 m), 3 k östlich vom vorigen, etwas über 3 k südlich 
der nahe der Tiber befindlichen porta Portese auf einer Kuppe in 
der Nähe der villa Grossi und der Abzweigung des Weges nach 
Imbracciata, beherrscht die strada Portuense und die untere Tiber 
ziemlich vollständig, außerdem das ganze mit Villen und Wein- 
gärten bedeckte Gelände vor dem Südende des Janiculus. Auf dem 
hart am Uferrande befindlichen Monte Truglio soll zur speziellen 
Bestreichung der Eisenbahn ein besonderes Werk gebaut werden. 

b) Auf dem linken Ufer (durchschnittlich 4—5 k weit vor- 
geschoben): 8. Fort Ostiense, 4 k südlich der porta Paolo, 2 l / t k 
südöstlich vom vorigen, auf der Hohe vigna Veuerati, zwischen via 
Ostiense und Laurentina; 9. Fort Ardeatina (51 m), 2% k östlich 
vom letzteren, vor der porta S. Sebastiano, nördlich der tenuta di 
S. Alesio, halbwegs zwischen der Abtei Quattro Fontane und der 
via Appia (westlich der chiesa dell' Annunciatello), soll sehr grofe 
und stark sein, doch soll es wegen des südwestlich dominierenden 
Monte Creta das Vorterrain gegen den Tiber hin nur unvollkommen 
beherrschen. Ursprünglich war hier ein Fort 2 k weiter nördlich, 
südlich der Grotta perfetta (51 m) projektiert. 10. Fort Appia 
antica (71 m) auf der tenuta Capo di Bove, 2 k östlich von Ar- 
deatina, 1 k vorwärts des Grabmals der Cäcilia Metella ist eines 
der stärksten Werke mit in den Felsen gesprengtem Graben und 
beherrscht die Bahn nach Neapel, die strada Ardeatina und die alte 
und neue via Appia, sowie die via Tusculaua. 11. Fort Casilina 
(52 m) 4 k nordöstlich vom vorigen, 4 k südöstlich der porta 
Maggiore, nahe der nach Frascati führenden via Tusculana, bei der 
tenuta di casetta degli Angeli, beherrscht die vorliegenden Strafsen 
und die Bahn; zur bessern Bestreichung der letzteren und der via 
Tusculana soll an der Kreuzung der Beiden eine Zwischenbatterie 



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280 



Die Befestigungen Italiens. 



errichtet werden (Porta Furba). — 12. Fort Prenestina (47 m), 
3 k nördlich vom vorigen, an der gleichnamigen Strafse (nach 
Palestrina) in der Nähe von Marcellini und südwestlich der tennta 
di Quarticcioli ; 13. 2'/a k nordwestlich davon Fort Tibnrtina 
(36 m) 500 m rechts der gleichnamigen Strafse (nach Tivoli), auf 
der tenuta di Grotta di Gregna, 4 k nordöstlich der porta S. Lorenzo. 
Es dient, wie das vorige, zur wirksamen Beherrschung des jen- 
seitigen Ufers des Anio, sowie der Strafsen und Brücken über den- 
selben. Ursprünglich war hier ein Werk näher an der Stadt bei 
Partonaccio projektiert. 14. Fort Pietra Lata (46 m), ca. 2 k 
nordwestlich vom vorigen, auf der gleichnamigen Kuppe am linken 
Ufer des alten Tiber (Teverone), 5 k vor der porta S. Lorenzo, soll 
die via Nomentana und Salaria beherrschen. 15. Fort Monte 
Antemne, (62 m), 4 k nordwestlich vom vorigen, gleichfalls auf 
dem linken Teverone-Ufer, links der via Salaria und 5 k nordöstlich 
Monte Mario, beherrscht das Tiberthal aufwärts bis zu den colli di 
Castel Giubileo, die Bahn nach Florenz, die via Salaria und Flaminia. 
Ursprünglich war statt der beiden letzten Forts ein Werk bei Ponte 
Namentano, am Monte Sacro, auf der Höhe des rechten Teve- 
rone-Ufers projektiert gewesen. Es werden auch Forts von Albano 
und Frascati genannt, die wahrscheinlich unter den vorgenannten 
schon aufgeführt sind. 

Die Forts, im wesentlichen nach neupreufsischem System er- 
baut, haben eiuen mit Niederwall versehenen Hauptwall, bastionierten 
Kehlwall, ergiebige Grabenverteidigung aus Kaponieren, zahlreiche 
Hohl- und bombensichere Unterkunftsräume. Die Besatzung soll 
aus 1 — 2 Compagnien, zum Teil sogar aus 2 Bataillonen bestehen 
mit 12 — 24 schweren Kampfgeschützen; die Kosten sollen durch- 
schnittlich lVi Millionen betragen. Alle Werke sind unter ein- 
ander und mit der Stadt durch Straten und Telegraphen oder 
Telephon verbunden. 

Das Projekt, auf dem Monte verdo bei Campobasso (Prov.- 
Hauptstadt, mitten in den Apenninen, 60 k nordöstlich Capua und 
54 k nordwestlich Lucera, 14,000 Einwohner) ein Sperrfort zu bauen, 
wurde fallen gelassen. 

6. Capua, II. Klasse, Provinz Caserta, 22 k nördlich von 
Neapel, am linken Volturnoufer, von dem die Stadt auf 3 Seiten 
umflossen wird, 13,150 Einwohner, hat eine alte, aber gut erhaltene 
Umfassung, eine Citadelle im Westen und einen Brückenkopf. 
Neuerdings soll die Festung bedeutend verstärkt, insbesondere durch 
Anlage eines Fortsgürtels erweitert werden, um sowohl als Depot- 



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Die Befestigungen Italiens. 



281 



platz, wie als Stützpunkt für die Verteidigung der Südprovinzen 
auf der tyrrhenischen Seite der Apenninen mit Erfolg dienen zu 
können. — Lncera, Provinz Focero, ca. 17 k nordwestlich Foggia, 
13,000 Einwohner, sollte zur Unterstützung der Verteidigung 
ostlich der Apenninen befestigt werden; doch wurde das Projekt 
wieder aufgegeben . 

C. Küstenbefestigungen. 

I. Westküste. 

1. Ventimiglia (siehe Grenzbefestigungen). — 2. Oneglia, 
Provinz Porto Maurizio, an der Mündung des Imper, 8000 Ein- 
wohner, hat ein Fort (Kastenbatterie) zur Deckung des Hafens. — 

3. Vado, Fl. St. II. R., 5 k südwestlich Savona. Nahe süd- 
lich ist das Fort Lorenzo, V/ 2 k südöstlich, am Sudufer des Hafens, 
das Fort S. Stefano. Der Platz wird nicht unbedeutend verstärkt; 
neu errichtet ist bereits die Position Monte S. Elena, Batterien bei 
Madonne degli Angeli, auf Madonna del Monte und bei Capo di 
Vado. 

4. Savona, 20,350 Einwohner, hat einen kleinen aber sichern 
Hafen, der durch ein auf einem Felsen im Meer stehendes Fort 
geschützt wird. Die Batterie S. Andrea bei Sestri Ponente, 11 k 
westlich Genua, 9500 Einwohner, wurde 1878 aufgelassen. 5. Genua, 
I. Klasse und Fl. St. L R., Prov.-Hauptstadt, zwischen der Mündung 
des Polcevere und Bisagno, amphitheatralisch bis zu 190 m an- 
steigend, 180,000 Einwohner, ist der gröfste Hafen der ligurischen 
Küste und nach Marseille der bedeutendste am ganzen Mittelmeer. 
Die Bucht wird durch 2 mächtige Molen abgeschlossen. 

a) Die Hauptumfassung: 1. Die eigentliche innere Stadt 
ist von einer zum Teil schon durchbrochenen Mauer umgeben im 
Umfang von 12 k. 2. Eine zweite, sturmfreie, äufsere Enceinte 
(Erdbrustwehr) zieht im Umkreis von 20 k über die umliegenden 
Höhen und um die Vorstädte und endigt im Norden in einem 
spitzen Winkel, dem Sporn (Sperone 489 m), 3 1 /* k nördlich des 
Hafens. 3. Diese Enceinte schliefet an einige mächtige Bollwerke 
an: Fort Crocetta, 157 m im Nordwesten, Fort Begatto, 472 m 
zwischen dem vorigen und dem Sporn und Fort Castellaccio, 
362 m, im Nordosten. Im letzten Dezennium wurden die nötigen 
Verstarkungsarbeiten ausgeführt, insbesondere am Bastion della 
Concezione and am Fort Tenaglia. 



282 



Die Befestigungen Italiens. 



b) Die Küstenbefestigung: 1. Batterie S. Andrea, 3 1 /, k 
westlich; 2. 3 Batterien in der Nähe des Leuchtturmes (neu); 
3. je 2 Batterien auf dem molo vecchio und nuovo; am Ende 
des letzteren eine neue Batterie; 4. an der Ostkaste des Hafen- 
einganges die Batterien Janus, S. Giacomo, Stella; 5. Mit dem 
Fort Streya trifft die Ostenceinte an die Küste; 6. Fort S. Giu- 
liano, V/ 2 k östlich der Enceinte; 7. eine neue Batterie auf der 
spinata di S. Benigno; 8. desgleichen auf spinata alla Cava. 
Die Batterie Teodoro wurde 1879 aufgelassen. 

c) Die Landbefestigung soll zum Schutz gegen etwaige an 
der Riviera versuchte Landungen besonders verstärkt werden. 
1. Lünette Belvedere, 128 ra, 1 k westlich der Enceinte, südlich 
Crocetta; 2. Fort Puin, auf dem Sattel 509, 800 m nördlich des 
Sperone; 3. weitere 1600 m nördlich Fort Diamante auf dem 
Sattel 667 m, von welchem das Polcevere- und Bisagno-Thal aus- 
gehen, 5 1 /, k nördlich der Küste; 4. Fort Quezzi, 2 1 /, k südöstlich 
des Sperone, 281m; 5. Fort S. Tecla, 190 m, 2 k östlich der 
Enceinte; 6. Zwischen Tecla und Küste das Fort S. Martino, 
106 m; 7. Fort Richelieu, 415 m, 2'/ 4 k östlich Quezzi; 8. I 1 /, k 
nördlich davon Fort Ratti, 564 m; die beiden letztgenannten auf 
der Höhe von S. Francesco. 

6. Auf der Südspitze der Halbinsel Portofino im Westen 
des Busens von Rapallo, 40 k südöstlich Genua, liegen auf ca. 
100 m Höhe: Fort Castello, Oliveta und Castelletto. 

7. Spezzia, I. Klasse und Fl. St. I. R., am Nordwestende 
des tiefeingeschnittenen gleichnamigen Golfes, Provinz Genua, 10,650 
Einwohner, ist Hauptkriegshafen und hat alle Marine-Etablissements. 
Der Golf, einer der schönsten und gröfsten Naturhäfen ist 8 k 
lang, 4 k breit und bis auf einen 200 m breiten Streifen am Nord- 
ufer, selbst für die gröfsten Schiffe tief genug. Die westlich um- 
schliefsende Halbinsel hat Höhen bis zu 640 m ; von ihr ist im 
Süden die Insel Palmaria durch den Hafen von Porto Venere ab- 
getrennt, noch weiter südlich liegt das Eiland Tino. Der östlich 
umschliefseude Landstrich fällt zum Golf steil, gegen das 3—5 k 
entfernte, zur Küste nahezu parallele Magrathai flach ab. Der Golf 
hat mehrere Seitenhäfen: Porto Venere mit grobem Marinespital, 
della Castagna, delle Grazie, Seno di Panigaglia mit Munitions- 
depots, sämtlich auf der West-, Porto de Lerici auf der Ostseite. 
Das Arsenal ist südwestlich von Spezzia bei San Vito, 5 k östlich 
bei S. Bartolom eo ist eine Werfte, bei Porto di Cadimare Kohlen- 
depots und bei Fezzano Werfte und Reparatur- Werkstätten. 3 k 



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Die Befestigungen Italien* 



283 



südlich Spezzia liegt quer über den Golf der Wellenbrecher 
(Diga) in der Linie S. Maria — S. Teresa. Er ist 2300 m lang; die 
westliche Durchfahrt ist 350. die östliche 150 m breit. Spezzia hat 
keine Enceinte, doch soll der Bau einer solchen beabsichtigt sein. 

Die Seebefestigung dürfte in der Hauptsache vollendet sein; an 
der Landbefestigung wird mit Eifer gearbeitet. 

a) Seebefestigung. 1. Auf der Westseite des Golfes: 
1. Auf der dominierenden Kuppe der Insel Palmaria, 160 m, 
das gleichnamige Fort mit einem Reduit, dann eine Batterie mit 
Panzerturm. 2. 1400 m nordostlich davon auf einer kleinen Insel 
nahe der Nordostspitze der Insel Palmaria Fort und Pauzerbatterie 
Scuola. Das alte Kastell von Porte Venere wurde 1878 aufge- 
lassen. 3. £00 m nördlich Scuola an der den Hafeneingang von 
Porto Venere nördlich begrenzenden Halbinsel Punta del Salto die 
2 Batterien Castagna alta e bassa (letztere gepanzert). 4. 500 m 
nördlich davon auf der den Hafen von Castagna nördlich eiuschliefsen- 
den Halbinsel Fort S. Maria, eine Pauzerbatterie für 5 127aZöllige 
guiseiserne Kanonen. 5. Zwischen den beiden letztgenannten Werken 
eine Batterie für 3 40 cm Geschütze zur speziellen Bestreichung 
der Damm-Durchfahrt. 6. 500 m nordwestlich S. Maria eine Panzer- 
batterie auf Punta di Varignano zur Beherrschung des gleich- 
namigen Hafens. 7. 700 m nordwestlich davon auf der Landzunge 
Pezzino 2 Batterien in etagierter Lage zur Beherrschung des 
zwischen dieser und Varignano liegenden seno delle Grazie. Zur 
Unterstützung der genannten Werke und zu ihrer Deckung von 
Palmaria her, sowie zur Bestreichung der offenen See (eine Laudung 
ist hier wegen der steilen Westküste überhaupt nicht möglich) 
dienen: 8. Fort Muzzerone, 319 m, im Süden, und 9. Fort 
Castellana, 498 m, nördlich davon, westlich des Hafens delle 
Grazie, beide auf den gleichnamigen Höhen, 1800 m von der Golf- 
küste entfernt. 10. Neuestens soll noch ein Fort auf dem Verugula- 
Berge erbaut werden, das die Meeresfläche bei Sella di Campiglia 
bestreichen und so ein Bombardement der Arsenale von dieser Seite 
her verhindern soll. 

2. Auf der Ostseite des Golfes: 11. Die Batterien Ca- 
puzzini, nahe nordöstlich Spezzia; 12. nordwestlich von dieser die 
Batterie del Telegrafo. 13. Die Batterien Bartolomeo alto e 
basso, ca. 7 k südöstlich Spezzia, zur Verteidigung des durch den 
Wellenbrecher abgeschlossenen inneren Hafens im Vereine mit den 
beiden gegenüber liegenden Batterien Pezzino; 14. 2 k sudöstlich 
davon die Batterien S. Teresa alta e bassa, die eine, gepanzerte, 



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Die Befestigungen Italiens. 



an der Küste, die andere auf einem Hügel nahe dabei. (32 cm Ge- 
schütze) die alte Batterie Teresa wurde aufgelassen. 15. 600 m 
östlich davon auf punta della Galera die Batterie Falconara, 
speziell zur Verteidigung des südlich davon liegenden Busens von 
Lerici gegen Landungsversuche; 16. an der Mündung der Magra 
das alte Fortino S. Croce; 17. ca. 1500 m südöstlich des Wellen- 
brechers 2 grofse gepanzerte Seeforts mit 1000— 1200 m Abstand 
unter sich und von Teresa (40 cm Krupp- Geschütze). — Zum 
Schutz gegen Landungsversuche, die besonders durch das Magrathai 
begünstigt werden können, liegen auf den zum Thal flach ab- 
fallenden Höhen: 18. Fort Pugliola, 110 m, an der von der 
Magra nach Lerici führenden Strafse, 1200 m nördlich dieses Ortes; 
19. 1200 m nördlich davon Fort Monte Canorbino, 309 ra, mit 
einer Winkel- und Distanz- Wasserstation am Kehlglacis. 20. 1200 m 
westlich von diesem, zu seiner Unterstützung, sowie znr Bestreichung 
des Terrains gegen Areola Fort Valdilocchi, 80 m; 21. weitere 
1500 in westlich, 800 ra nördlich Bartolomeo, das dadurch auch im 
Rücken gedeckt werden soll, Fort Rufino, 160 m. 22. Eine Batterie 
auf dem Monte Pianellino(?); hier könnte auch noch Sarzaua in 
betracht kommen (siehe Grenzbefestigungen). 23. Auf der Höhe 
Roch et ta bei Sarzana wird seit 1884 ein starkes Fort gebaut, das 
mit 26 Geschützen und 4 Mörsern armiert werden soll. 

b) Landbefestigung: 1. Fort Paroli, 667 ra, 4 k nord- 
westlich Spezzia, zur Beherrschung des Überganges über den colle 
di Biassa. 2. 1100 ra nordnordöstlich davon Fort Soramovigo, 
südlich der Strafse nach Genua; 3. 1100 m nordnordöstlich von 
diesem Fort Vissegi, 349 ra nördlich der vorgenannten Strafse; 
4. 2 k östlich von letzterem und 3 k nördlich Spezzia Fort Castel- 
lazo, 220 m, das Werk soll mit 6 15 cm und 3 9 cm Geschützen 
armiert werden. 5. 800 m südöstlich davon Fort Sorbia. Ferner 
wurden im letzten Jahre fertig gestellt die Werke am Monte Bastia 
und Monte Bochetta der Landfront. Die Armierung der sämtlichen 
Werke soll im Ganzen aus 278 Geschützen bestehen, wovon 146 
gegen die See-, 94 gegen die Landseite und 38 gegen beide wirken 
sollen. 

8.— 15. Es folgen nun längs der Küste die älteren Küsten- 
forts: Cinquale 12 k südöstlich Carrara; weitere 3 k südöstlich 
Marmi; 7 k südöstlich davon Fortino de Ponente; 3 k südöstlich 
davon bei Viareggio (nautische Schule, 9400 Einwohner); 3 k 
südlich davon Fortino di Levante; 3 k südlich von diesem 
Fortino di Migliarino (südwestlich vom lago di Massaciuccoli); 



Die Befestigungen Italiens. 



5 k nördlich der Arnomündang Fort del Gombo; am buken Ufer 
der Arnomündung die Fortezza; 6 k südlich davon Fortino di 
Mezza Piaggia. 

16. Livorno, III. Klasse und Fl. St. III. R., Provinz.-Hauptstadt, 
an flacher Küste, 85,600 Einwohner, hat einen wichtigen Hafen 
von 600 m Länge, 400 m Breite und 12 m Tiefe mit einer Werfte, 
auf welcher auch Kriegsschiffe gebaut werden. Er zerfallt in den 
innern (porto vecchio) mit 2 Molen und äufsern Hafen (porto 
nuovo) mit einem 500 m langen Molo. An den innern Hafen 
schliefst sich im Süden und Osten der innerste mit den Docks 
(Darsena) an, dessen Ausgang durch die Fortezza vecchia gedeckt 
wird. Die Altstadt ist mit alten, wertlosen Mauern auf der Land- 
seite umgeben; im Nordosten ist die Citadelle, Fortezza nuova; das 
Lazarett im Südwesten und südlich des Hafens ist durch ein grofses 
Horn werk gedeckt; 1 k südlich davon ist auf einer Landzunge das 
Fort dei Cavaleggeri. Neuestens sollen Neubefestigungen in der 
Weise projektiert sein, dafs Livorno und Pisa (22 k nordöstlich) 
durch eine Reihe von Küstenbatterien in eine gewisse Verbindung 
gebracht und besonders die Höhen von Montenero und das Thal 
von Benedetta mit in den Befestigungskreis hereingezogen werden 
sollen. 

17. — 26. Die alten Küstenforts: westlich Antignano (5 k süd- 
lich von Livorno); 28 k südöstlich davon Cecina an der Mündung 
des gleichnamigen Flusses; Bibbona 8 k südöstlich vom letzteren; 
weitere 7 k südlich Castagueto; 9 k südlich davon S. Vincenzo, 
nahe südlich der Mündung des Aquaviva; Piombino (Provinz Pisa, 
der Insel Elba auf 11k gegenüber, mit alten Mauern umgeben) mit 
einer Citadelle im Westen und der Fortezza auf einer Anhöhe im 
Osten; 23 k südöstlich davon del Barbiere; 700 m südwestlich 
davon della Troja; 5 k südöstlich davon delle Rocchette; end- 
lich Talamone, 13 k nördlich des Monte Argentaro. 

27. Orbetello, V. Klasse, Provinz Grossetto, auf der West- 
spitze einer schmalen, 3 k langen Landzunge, inmitten des Sees 
(Stagno) von Orbetello, mit dem Mte. Argentaro durch einen 
1,5 k Damm mit 3 Brücken verbunden, hat eine einfache Umfassung 
mit einigen Aufsen werken auf der Landseite und soll die Ver- 
teidigung des Mte. Argentaro unterstützen. 

28. Mte. Argentaro, Fl. St. III. R., 5000 Einwohner, vom 
Festlaude durch Landengen getrennt, 500 m hoch, 7 k breit, 11 k 
von Südosten nach Nordwesten lang, ist für die Verteidigung der 
Maremmen-Litorale von der gröfsten Wichtigkeit. An der Ostseite 

20* 



286 



Die Befestigungen Italiens. 



liegt auf einer Landzunge der Ort Ercole mit Fort, Leuchturm 
und kleinem Hafen; 1 k nordwestlich davon auf isoliertem, ziemlich 
steilen Hügel das grofse horn werkartige Fort Mte. Philippo, und 
1 k südwestlich das kleine Fort Stella. An der Nordküste ist der 
Ort Porto San Stefano mit dem Fortino 3Natali lk östlich 
gegenüber, und der Küstenbatterie della Sanitä, 600 m nordwest- 
lich, zur Verteidigung des Hafens. Neuestens wurden nicht un- 
bedeutende Verstärkungsarbeiten ausgeführt, mehrere neue Batterien 
(z. B. am Poggio Pozzarello bei San Stefano) und ein neues Fort 
bei Orbetello erbaut. 

29. Civita vecchia, in. Klasse, in öder, ungesunder Gegend, 
56 k nordwestlich Rom, 10,200 Einwohner, ist Kriegshafen und 
mit Mauern, auf der Landseite bastioniert, umgeben mit einer 
Citadelle im Süden und einem achteckigen Turm im Norden. Die 
den Hafen einschliefeenden 2 Molen sind durch starke Türme ge- 
deckt; vor dem Hafen (Werfte, Arsenal, Magazine) liegt eine kleine 
befestigte Insel. In neuerer Zeit wurden Verstärkungsarbeiten auf 
der Seeseite ausgeführt und bei dem im Nordosten befindlichen, 
durch die Franzosen angelegten verschanzten Lager eine starke 
Redute auf dem Mte. Capuzzini erbaut. 

30. Castel Fusano (alt), 7 k östlich der Tibermündung 3 k 
ostlich Ostia und 2 k vom Strande entfernt 

31. Gaeta, II. Klasse und Fl. St. II. R., Provinz Caserta, am 
gleichnamigen 5 k breiten Golf, auf einem nach Süden in steilen, 
eine Landung nicht gestattenden Felsen abfallenden Vorgebirge, das 
mit dem Festlande durch einen schmalen niederen Isthmus, dessen 
gröfeter Teil vom Mte. Orlando (166 m) eingenommen wird, zu- 
sammenhängt, 18,400 Einwohner, war bis in die neueste Zeit eine 
der stärksten Festungen Europas. 

a) Die Landfront: Die an sich schon ziemlich unzugängliche, 
550 m lange, gegen Westen gerichtete Land- oder Angriffsfront 
wird durch hohes Mauerwerk und mehrere Reihen über einander 
befindlicher, starker Werke gedeckt und durch offene und kase- 
mattierte Batterien der vorspringenden Nebenfronten flankiert. Vom 
Fufe des Glacis dieser Werke erhebt sich der der Stadt gegenüber- 
liegende Mte. della Tratina. Die Werke sind, von der Südwest- 
spitze der Halbinsel, Transilvanio Malpasso, an folgende: 1. Die 
Batterien Malpasso und Transilvanio; 2. die Redute und vorliegende 
Batterie della Trinita; 3. die Batterien Malladrone und Denti di 
Sega; 4. die kasemattierte Batterie Piatta forma mit der vorliegenden 
Batterie cinque piani; 5. Batterie Philippstadt; 6. Kurtine S. Andrea; 



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Die Befestigungen Italiens. 



287 



7. Batterie S. Giacomo, Fico, Conca; 8. Bastion, Niederflanke und 
Retranchement Capeletti; 9. Kurtine, Kasematte und obere Cita- 
della; 10. Niederwall S. Andrea; 11. fronte a scalone; 12. vor- 
geschobene porta di Terra; 13. neue Batterie porta di Terra ; 14. die 
bastionartige Contregarde Citadella; 15. die nene Redute porta di 
Terra. Hinter und über Philippstadt bis S. Giacomo liegen: 16. die 
ausgedehnte Batterie Regiua; 17. auf der Rolandshöhe die Batterie 
torre Orlando. 

b) Die Seefront: Im Allgemeinen ist die Festung gegen den 
Golf zu durch einen einfachen, mit Mauer verkleideten, kase- 
mattierten und mit Batterien versehenen Wall, dessen Fufe auf dem 
felsigen Ufer ruht, gedeckt. Im Einzelnen sind die Werke, an die 
Landfront anschliefsend, folgende: 1. die untere Citadella; 2. die 
sägeformige Batterie S. Antonio; 3. die bastionartige Batterie S.An- 
tonio; 4. die Kurtine Addolorato; 5. die bastionartige Batterie 
Annunziata; 6. die Batterie Riversa; 7. hinter den beiden letzt- 
genannten die Batterie Duca di Calabria; 8. ferner die Batterien 
Spirito Santo, Favorita, Ferdinando, Gran Guardia, Poterna und 
Vico an der den Hafen westlich begrenzenden Landspitze; 9 Kurtine 
del Porto, als südliche Begrenzung des Hafens; 10. Batterie S. Maria 
an der den Hafen nordöstlich begrenzenden Landzunge; daran reihen 
sich: 11. Batterie Guastaferi, und S. Montano an der Ostküste der 
Halbinsel; 12. S. Domenico und S. Teresa an der Südostküste; 
13. Torrione francese südöstlich von Orlando; 14. Trabacco süd- 
westlich Orlando. Neuestens wurden verschiedene Verstärkungs- 
arbeiten vorgenommen, auf der Punta Stendardo eine Batterie für 
4 Stück 149 mm Geschütze in Verschwindungslafetten und bei den 
bestehenden Batterien von Monte Orlando (untere) und Monte Conca 
Distanzmesserstände erbaut, ferner letztere zwei Werke mit Signal- 
Apparaten ausgerüstet. 

Bajä, Fl. St. II. R., an der Westküste des gleichnamigen 
Busens (Golf von Puzzoli), 20 k westlich Neapel, hat eine alte 
Mauerumfassung; das 1 k südöstlich liegende Kastell wurde 1887 
aufgelassen. Die projektierte Umwandlung kam nicht zur Aus- 
führung. 

Neapel, Fl. St. II. R., Provinz.- Hauptstadt, 500,000 Ein- 
wohner, hat einen von 2 ca. 400 m langen Molen begrenzten, 10 m 
tiefen Kriegs- und einen Handelshafen. Die 3 alten Kastelle: Die 
Citadelle S. Elmo im Westen (ein in Felsen gehauenes Sechseck 
von 200 m Länge und 140 m Breite auf dominierender Höhe); cast. 
Nuovo, am Nordwestufer des Kriegshafens und cast. d'Ovo auf einer 



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288 



Die Befestigungen Italiens. 



durch einen 200 m breiten Steindamm mit dem Festlande ver- 
bundenen Insel, sind wertlos und nur als Kasernen etc. verwendet. 
Das Projekt von Neubefe.stigungen wurde fallen gelassen. 

32. Castellamare, Fl. St. III. R., am Südostgestade des Golfes 
von Neapel, 27.700 Einwohner, ist mit Mauern und 2 Kastellen 
befestigt, jedoch ohne Bedeutung. Der den Hafen begrenzende 
Molo wird durch eine Batterie verteidigt. Auch hier kam die pro- 
jektierte Umwandlung nicht zur Durchführung. 

33. Auf der Südspitze der den Golf von Neapel südlich ein- 
schliefsendeu Halbinsel, Capri gegenüber, ist das alte Küstenfort 
punta di Campanella. Am Golf von Santa Eufemia war die 
Umwandlung der alten Befestigungen von II Pizzo, Fl. St. III. R,, 
Proviuz Catanzaro, 8200 Eiu wohner (ein festes Schlofs und eine 
1878 aufgelassene Batterie), sowie die Anlage neuer Befestigungen 
bei Porto Santa Veuere projektiert, aber nicht ausgeführt 
worden. 

34. Am Eingang der Strafse von Messina sind die alten Forts 
Scilla und 3 k südwestlich davon Joachim. Die im Gebiet der 
Gemeinde Villa S. Giovanni, Messina gegenüber, liegenden Batterien 
Torre Cavallo, Alta Fiumara, und Puntadel Pezzo wurden 1887 
aufgelassen. 

II. Inseln. 

1. Capraja: zur Provinz Genua gehörig, 30 k östlich der 
Nordspitze von Corsica, 37 k Umfang, ist nur von der Ostseite zu- 
gänglich. Der Hafen des hier befindlichen gleichnamigen Ortes ist 
durch ein Fort gedeckt. 

2. Elba (zur Provinz Livorno gehörig). 1. Porto Ferrajo 
Fl. St. II. R., Hauptstadt der Insel, an der Nordküste auf einer 
Halbinsel, 5800 Einwohner, ist mit Mauern umgeben; im Osten ist 
die Citadella Fort Stella; 300 m südwestlich Fort S. Claudio; 300 m, 
600 beziehungsweise 2000 m gegen Westen vorgeschoben die Küsten- 
forts: S. Rocco, Ilario, Albaro. 1883 wurde der Platz aufgelassen, 
neuestens aber sollen die wichtigsten Batterien wieder hergestellt 
werden. 

2. Auf der schmalen Landzunge 5 k westlich Ferrajo ist nahe 
dem capo dell'Enfola ein altes Fort; desgleichen eines an der 
Nordwestspitze der Insel beim capo S. Andrea zur Deckung des 
dortigen Ankerplatzes. 

3. Porto Longone Fl. St. II. R., auf der Ostseitc der Insel, 
8 k südöstlich Ferrajo; 4000 Einwohner; auf schwer zugänglichen 



Die Befestigtiiigen Italiens. 289 

Felsen liegt das starke Fort Longone, ein unregelinäfsiges bastioniertes 
Fünfeck, und auf einer schmalen Landzunge 1200 m südöstlich 
gegenüber das Fort Fasardo. Die Befestigungen wurden ähnlich 
wie Ferrajo 1883 aufgelassen, neuestens aber wieder in Stand 
gesetzt; die früheren Projekte der Umwandlung und von Neuanlagen 
wurden jedoch fallen gelassen. 

4. An der Nordostspitze der Insel, 11 k nördlich Longone ist 
das Fort capo Castello und 2800 m südöstlich davon Fort Capo 
Pero. Zwei neue Forts sollen gebaut werden und dürfte das eine 
wohl auf dem die beiden nur 2,5 k entfernten (Luftlinie) Haupt- 
rheden beherrschenden Monte Castel lo liegen; auch soll schon die 
Anlage einer starken Batterie auf dem 4 k weiter westlich liegenden 
Monte Orello beabsichtigt gewesen sein. 

3. Giglio, kleine Felseninsel, 14 k südwestlich Mte. Argentaro 
2000 Einwohner, bat mehrere alte Wachttürme und ein Kastell, 
sämtlich bedeutungslos. 

4. Ponza, Fl. St. II. R., die gröfste der pontinischen Inseln, 
60 k südwestlich Gaeta mit dem Hauptorte gleichen Namens, 
3150 Einwohner. Die alten Befestigungen wurden 1878 auf- 
gelassen. 

5. Ischia, nordwestlich am Eingang des Golfes von Neapel 
hat auf der Ostseite, vor dem gleichnamigen Städtchen, auf 180 m 
hohen, durch einen schmalen Damm mit der Insel verbundenen 
Felsen ein altes Kastell. 

6. Sardinien. 1. Cagliari, Hauptstadt, an der Südküste 
und an der Mündung der Mulargia, 32,000 Einwohner; der am 
Hafen liegende Stadtteil la Marina ist mit Wällen umgeben; im 
Osten ist ein Kastell; der Hafen ist durch 2 alte Forts gedeckt. 
2. 25 k südlich davon liegt ein altes Küstenfort bei Pala. Durch- 
weg ältere, bedeutungslose und zum Teil schon aufgelassene Be- 
festigungen sind: 3. Je ein Fort zu beiden Seiten der Durchfahrt 
bei der kleinen Insel S. Antioco im Norden des Golfes von Pal mos; 
4. die kleine Festung Carloforte auf der Insel Pietro; 5. die ehe- 
malige Festung Bosa, 6700 Einwohner, an der Mündung des Terno, 
im Westen; 6. 34 k nördlich davon Fort Alghero; 7. im Norden 
bei Sassari, 10 k von der Küste auf einem Felsvorsprung das 
castel Sardo. 

Von den Projekten der Neuanlage von Befestigungen am Golf 
von Aranci, der Erbauung eines verschanzten Lagers bei Ozieri, 
sowie der Befestigung des Maddalena-Archipels (in der Meerenge 
von S. Bonifacio) kommt nur das letztere zur Ausführung. Auf 



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290 



Die Befestigungen Italiens. 



der Insel Santa Maddalena sollen bereits 4, auf Caprera 2 Forts 
fertig sein ; weitere Batterien, Sperren, Marineetablissements u. s. w. 
sollen noch angelegt werden, wofür, wie oben erwähnt, dem Marine- 
minister 13 Millionen zur Verfügung gestellt wurden. Diese Gruppe 
von Inseln besitzt sowohl als Station der eigenen Flotte, wie auch, 
in den Händen des Feindes, als Ausgangspunkt für Unternehmungen 
gegen die italienische Küste, die gröfste Wichtigkeit. 

7. Sicilien. 1. Messina, II. Klasse und Fl. St. U.R., Haupt- 
stadt der gleichnamigen Provinz, am Fufs des Peloritauiscben Gebirges, 
an der Nordostspitze der Insel, 127,000 Einwohner, hat einen vor- 
züglichen Hafen von 900 m Durchmesser und mit einer nur 350 m 
breiten Einfahrt. Die Befestigungen sind durchweg alt und zum 
Teil schon verfallen, nämlich: 1. eine alte Mauerumfassung; 
2. auf der Spitze der den Hafen im Südosten umschliefsenden Land- 
zunge Braccio di San Ramiero das Fort Salvatore zur Beherrschung 
des Hafeneinganges; 3. 700 m südöstlich davon das Werk Faro 
grande; 4. 600 m südwestlich davon, über der ganzen Breite der 
vorgenannten Landzunge (300 m) die Citadella, ein bastioniertes 
Fünfeck mit Ravelin im Nordosten, und einem andern Aufsenwerk 
im Süden; 5. 500 m westlich des Südendes der Stadt Fort Gon- 
zaga; 6. 1 k nördlich davon: Fort Castellacio; 7. 5 k nördlich 
Salvatore, an der Küste, das alte Fort Grotta; 8. 3 k nordöstlich 
davon Fort Folly; 9. weitere 2 k nordöstlich, an der äufsersten 
Landspitze, gleichsfalls ein altes Küstenfort. Neuestens werden 
ziemlich bedeutende Neubefestiguugen (unter anderem Panzertürme 
mit 40 cm Kruppgeschützeu) angelegt und wird die Meerenge 
aufserdem noch durch submarine Anlagen geschlossen. Es wurden 
zur Sicherung der Strafse von Messina im abgelaufenen Jahre 
folgende Arbeiten ausgeführt: Beendigung der Küstenbatterie am 
Monte Pietrazza samt Erbauung von Distanzmessern für dieselbe, 
der Batterien Matiniti inferiore und Poggio Pignatelli (Cala- 
brien), der Batterie Polveriera bei Messina, der Batterie Torre 
Telegrafo (Calabrien); ferner Neubau einer Batterie für 24 cm Hau- 
bitzen auf der Position Mangialupi bei Messina, und eben solcher 
auf der Höhe Cimitero bei Catona (Calabrien). — Mit der Zeit 
soll Messina ein grofses verschanztes Lager werden, das als Centrai- 
punkt für die auf der Insel befindlichen Truppen und als Brücken- 
kopf gegen den Kontinent zu dienen hat. 

2. Milazzo, Fl. St. III. R., auf der gleichnamigen, 7 k langen, 
1— 2 k breiten Halbinsel, 30 k westlich Messina, 7750 Einwohner, 
hat einen durch ein Kastell und einige Batterien verteidigten 



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Die Befestigungen Italiens. 



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Hafen, an dem noch weitere 




ausgeführt werden 



sollen. 80 k südwestlich davon ist das alte Fort amCap Orlando, 
nordwestlich Naso und weitere 80 k südwestlich Fort T usa, nord- 
westlich Mistretta; Termini, 33 k, südöstlich Palermo, 26,000 
Einwohner, hat nur Überreste alter Hafenbefestigungen. 

3. Palermo, Provinz.-Hauptstadt, an einer weiten und tiefen 
Bucht der Nordküste, 186,400 Einwohner, hat einen durch einen 
450 m langen Molo gebildeten, gegen Osten offenen Hafen. 1. Die 
Stadt hat eine zum Teil durchbrochene Mauerumfassung von 8 k 
Umfang; 2. der Hafen wird verteidigt durch die Citadelle, das 
cast. del Molo, ein Viereck mit 2 Bastionen, im Norden der Stadt; 
3. demselben gegenüber ist das Fort Galita und an der Südspitze 
des molo eine Batterie; 4. südöstlich der Stadt liegt auf einem 
kleinen Vorsprung die Batterie Erasmo; 5. ausserdem sind noch 
mehrere Batterien auf der Halbinsel und im Nordosten des 
Hafens vorhanden. (Batterie Castellaraare.) Die Befestigungen 
scheinen sämtlich aufgegeben zu sein ; werden jedenfalls nicht mehr 
unterhalten. 

Trapani, Provinz.-Hauptstadt, an der Westküste am Fufs des 
Monte Giuliano, 27,400 Einwohner (am Hafen das Kastell Colom- 
baia Forte); Marsala, etwas nördlich der Mündung des gleich- 
namigen Flüfschens, zunächst der Westspitze der Insel (cap Boeo)i 
17,700 Einwohner; Mazarra, 18 k südöstlich vom vorigen, 11,800 
Einwohner, haben sämtlich noch Überreste früherer Befestigungen. 

4. Syracus, Fl. St. II. R., Provinz.-Hauptstadt, auf der durch 
einen Damm und Brücken mit der Hauptinsel verbundenen Insel 
Ortygia, 18,100 Einwohner, hat jetzt nur mehr 4 k Umfang gegen 
33 k des alten Syracus, eine 1878 aufgelassene Mauerumfassung mit 
Bastionen, Gräben und vielen Thoren, eine Citadelle und ein Kastell. 
Der Hafen wird durch einige Batterien geschützt. 

5. Augusta, Fl. St. II. R., 22 k nördlich Syracus, auf einer 
mit der Hauptinsel durch eine Brücke verbundenen Felseninsel, 
9400 Einwohner, hat eine Citadelle, sowie die Hafen forts Garzia, 
Vittoria und Torre Avolos, welche sämtlich 1878 aufgelassen wurden. 
— Catania, Provinz.-Hauptstadt, 32 k nördlich vom vorigen, am 
Südostfufs des Ätna, 100,000 Einwohner, hat nur wenige Überreste 
der früheren Befestigung. 

8. Pantalaria nur 8 — 9 Meilen von Afrika entfernt; der 
Hauptort Oppidolo, 7000 Einwohner, ist befestigt. 



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292 



Die Befestigungen Italiens. 



HL Ostküste. 

Cotrone, Provinz Catanzaro (Kalabrien) an der Mündung des 
Esaro in den Busen von Tarent, 7700 Einwohner, hat eine alte 
Mauerumfassung und ein Kastell. — 1. Tarent, Fl. St. I. R., 
Provinz.-Hauptstadt, auf einer Insel zwischen dem grofsen Golf und 
dem lagunenartig ins Land hineinreichenden mare piccolo, 22,850 
Einwohner, ist mit dem Festlande durch eine Brücke und einen 
alten Aquädukt verbunden; der zum Kriegshafen sehr geeignete 
Hafen wird durch die Vorgebirge San Vito und San Collichio 
gebildet, zwischen welchen, noch weiter im Meere aufsen die beiden 
flachen, zur Sicherung des Aufsenhafens durch einen Damm mit 
einander verbundenen Inseln S. Pietro und S. Paolo liegen. Tarent 
hat eine alte Umfassung, ein Kastell und eine Citadelle. Neuestens 
sollen eine Sicherheitsumfassung an der Landseite (zur Sicherung 
des neu errichteten Seearsenals) und die zur Sicherung des Hafens 
nötigen Dämme, hergestellt werden und sind starke Batterien zum 
Schutze der Rhede im Süden der Stadt und auf den Inseln Pietro 
und Paolo gebaut worden. 

Otranto, am gleichnamigen Kap, an der Grenze zwischen dem 
jonischen und adriatischen Meer, 2100 Einwohner, hat auf dem 
Felsen über der Stadt ein altes Kastell. Brindisi, Fl. St. I. R., 
Provinz Terra d'Otranto, 13,750 Einwohner, hat einen 8'/a m tiefen 
Hafen, den das auf der vorliegenden Insel S. Andrea liegende alte 
Kastell Forte a Mare schützen soll. Die alte Stadtumfassung ist 
geschleift. Das Projekt einer Neubefestigung wurde aufgegeben. 
Pescara, Provinz Chieti, am rechten Ufer der Pescara-Mündung, 
2500 Einwohner, hat noch Reste der früheren Mauerbefestigung. 
Bei Uniana, Fl. St. III. R., 16 k südöstlich Ancona, war die 
Anlage eines neuen Küstenforts zur Deckung von Ancona gegen 
einen Angriff von der Landseite projektiert, wurde aber wieder 
aufgegeben. 

2. Ancona, I. Klasse und Fl. St. II. R., Provinz.-Hauptstadt, 
auf der Spitze einer nach Norden vorspringenden Halbinsel, in der 
Einsenkung zwischen den steil abfallenden Vorgebirgen Monte 
Ciriaco (Capuzzini und Gardetto) und Monte Astagno, 32,450 Ein- 
wohner, hat einen Hafen von 890 m Länge und 780 m Breite, der 
in den letzten Dezennien bedeutende Verbesserungen und Neuanlagen 
erhielt. Die älteren Befestigungen wurdeu 1815 geschleift, später 
aber wieder hergestellt. 

a) Die Umfassung mit den Aufsen werken: Die Um- 
fassung zieht von dem im Norden steil zum Meere abfallenden Monte 



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Die Befestigungen Italiens 



29:5 



Gardetto, einige Hundert Meter östlich, über die Lünette S. Stefano, 
700 m südostlich der Stadt, zur Fortezza und ist hier verbessert 
und über die frühere Umfassung vorgeschoben, während sie vou hier 
bis zur porta Pia noch aus der alten, schwachen, niederen, krene- 
lierten Mauer besteht. 

Die Werke innerhalb und vor der Umfassung sind: 
1. Zur Bestreichung des Hafeneinganges: Die Lazarett- 
Batterie im Süden; Bastion S. Lucia und S. Agostino; 3 Erd- 
Batterien mit gemauerten Plattformen zunächst der porta Pia; 
ein kasemattierter Turm am Hafendamm; 2. gegen die offene 
See: Batterie de la lanterna im Nordwesten; Fort Murano mit 
2 Erdbatterien östlich und 3 Erdbatterien im Süden; 3. gegen 
die Landseite: Die Fortezza (Citadelle) auf der Höhe des Monte 
Astagno im Süden; 300 m südöstlich von dieser und mit ihr durch 
eine bastionartig gebrochene Linie verbunden, ein Horn werk; 
300 m nordöstlich von diesem und 500 m östlich der Citadelle die 
Lünette S. Stefano; 700 m nördlich vor dieser die Bastion Monte 
Gardetto; und nordwestlich von letzterer Bastion dei Capuzzini 
mit 2 anschliefsenden Erdbatterien im Südosten. Die Batterie 
Dorica (?) inferiore wurde neuestens adaptiert und eine Batterie 
del Telegrafo neuerbaut. 

b) Die detachierten Werke sind: 1. Fort Scrima, lk 
südlich, nahe der Küste; 2. Fort Posatore, 800 m südwestlich von 
diesem; 3. Fort Montagnolo, etwas über 3 k südwestlich der 
Citadelle; 4. Fort Monte Ago, 3 k südlich; 5. Fort Monte Acuto, 
nahezu 5 k südöstlich; am Fufs des Berges eine Strandbatterie; 
6. Fort Altavilla (?); 7. Fort Monte Pelago, 2 k südöstlich der 
Stadt. In wie weit Neubefestigungeu oder Umwandlungen ausge- 
führt wurden, ist nicht bekannt. 

Pesaro, Provinz.-Hauptstadt, am rechten Ufer der Foglia- 
Mündung, 12,000 Einwohner, ist in Form eines Fünfeckes mit alten 
Mauern umgeben und hat eine Citadelle im Osten. 

3. Bei Rimini, Provinz Forli (am rechten Marecchia-Ufer, 
9750 Einwohner, mit Mauerumfassung und einer Citadelle) ist an der 
1 k entfernten Marecchia- Mündung eine Strandbatterie. 

4. Raven na, in den Niederungen zwischen Lamone und Ronco- 
Montone, 7 k vom Meere entfernt, 11,900 Einwohner, hat eine ca. 
4 k messeude Mauerurafassung mit einigen flankierenden Türmen ; 
an dem 9 k nordöstlich liegenden Hafen Porto Corsini, an der 
Mündung des canale nuovo, ist eine Strandbatterie. 



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Die Befestigungen Italiens. 



5. Fortino di Primaro, am rechten Ufer der Mündung des 
gleichnamigen Poarmes, 14 k sudöstlich Comacchio. 

6. Comacchio, Provinz Ferrara, mitten in den valli di Comacchio 
(stehende Wasserbecken, durch Dämme von einander getrennt) 4 k 
vom offenen Meere entfernt, 8900 Einwohner, ist nur zu Wasser 
zugänglich, durch den canale Paletta, an dessen Mündung der durch 
eine Batterie verteidigte Hafen Magnavacca liegt. An einer 
Biegung des Kanals ist der grofee Turm Rossa; die Stadt selbst ist 
mit Mauern umgeben und hat im Osten die Citadelle Fort S. 
Agostino. 

Po- Mündung: An den Mündungen der wichtigsten Poarme 
sind alte, 1878 aufgelassene, nach diesen Armen benannte Batterien: 
am linken Ufer des südlichsten Armes Fortino di Goro, 20 k 
nordöstlich Comacchio; 3 1 /* k weiter nördlich Fortino della 
Gnocca; 8 k nordöstlich davon Batterie della Tolle (am mittleren 
Arm), 4k nördlich davon Batterie Canarino; 7 k nordwestlich davon, 
auf einer Insel des Hauptarmes, Batterie della Maestra; 8 ! /j k 
nordwestlich davon, am rechten Ufer des nördlichen Armes Batterie 
di Levante. 

7. Cavanella d'Adige, IV. Klasse, am linken Etschufer, 
7 k oberhalb der Mündung, zu beiden Seiten des nach dem 8 k 
nördlich liegenden Brondolo führenden canale di Valle ist einfacher 
Brückenkopf, zur Deckung der Kommunikationen längs der Etsch 
und nach Brondolo. 

8. Brondolo, IV. Klasse, an der Westküste der k breiten, 
gleichnamigen, vor der Brentamündung liegenden Insel, 3 l /a k süd- 
lich Chioggia, ist ein bastioniertes Viereck, von dem aus in östlicher 
Richtung bis zum Meere hin zur Absperrung der Insel gegen die 
Brentamündung eine Schanzenlinie hinzieht Auf einer Insel 400 m 
östlich ist das kleine Fort S. Michele; 2'/j k südöstlich auf einer 
Düne eine Strandbatterie; die alte Redute Lombardo wurde ein- 
geebnet. 

9. Chioggia, IV. Klasse, auf der gleichnamigen Laguneninsel, 
westlich Brondolo und des litorale di Sotto Marina, 26 k südlich 
Venedig, 19.800 Einwohner, ist, wie Venedig, auf Pfählen erbaut 
und durch eine 430 m lange Brücke (mit 43 Bogen) mit dem Fest- 
lande verbunden. Der Hafen, der tiefste der Lagunen, wird im 
Süden durch Brondolo gedeckt. Den eigentlichen, 600 m breiten 
und 8 m tiefen Eingang, 1 k nördlich der Stadt, verteidigen: 
1. Fort Caroman, an der Südspitze des 11k langen, schmalen 
Litorale von Pelestrina, mit dem auf einer kleinen Insel 6 k nord- 



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Die Befestigungen Italiens. 



295 



westlich liegenden Bastione (Octogon); 2. südlich gegenüber Fort 
S. Feiice, mit der gleichnamigen Strand bat terie an der Nord- 
spitze der Insel Brondolo; 3. 1800 m südlich davon Batterie Sotto 
Marina; 4. weitere 1800 m südlich Redate nnd Brückenkopf 
Madonna Marina am Westufer von Brondolo zur Deckung des 
Überganges über den schmalen Lagunenarm nach dem südlichen 
Teil der Insel Chioggia. Was in neuerer Zeit hier und in Bron- 
dolo an Verbesserungen gearbeitet wurde, ist nicht bekannt. 

10. Venedig, I. Klasse und Fl. St. I. R., in den Lagunen, 
mit dem 4 k entfernten Festlande durch eine kolossale Brücke 
(222 Bogen) verbunden, auf 3 gröfseren, 114 kleineren Inseln 
(147 Kanäle, ca. 400 Brücken und Stege) 133,000 Einwohner, hat 
die Form eines Dreieckes von 12 k Umfang. Im östlichen Teile der 
Stadt liegt das Arsenal, mit Schiffswerfte, Bassins, Magazinen u. s. w., 
mit Mauern umgeben. Im Südosten wird die Lagune durch das 
11 k lange litorale (Lido, Sandbank) von Malornorco, im Nordosten 
durch das 4 k lange von S. Erasmo vom offenen Meere getrennt. 
Der Kriegshafen ist für schwere Schiffe nicht tief genug. 

a) Seefront. (Hafeneinfahrten Porto Malamorco, 11k süd- 
lich, 4 m tief, Lido, 2 k östlich 2 ! /a m tief, Treporti 6 k nordöstlich.) 
1. Fort S. Pietro mit der gleichnamigen Strandbatterie, süd- 
lich der Einfahrt Malamorco, am Nordende des Litorale von Peles- 
trina; 2. 1 k südlich davon Fort S. Pietro in Volta, ein reguläres 
Sechseck; 3. südlich von diesem Fort S. Stefano; 4. das grofse 
Fort Alberoni mit der gleichnamigen Hafen batterie nördlich 
der Einfahrt Malamorco, Pietro auf 1 k gegenüber (am Südende 
des Litorale von Malamorco); 5. 1400 m nordöstlich davon die 
Strand batterie S. Leonardo; 6. 4 k nordöstlich davon Fort Ma- 
lamorco oder dell a Terre perse mit der gleichnamigen Strand - 
batterie; 7. 1200 ra nördlich davon die Strandbatterie casa 
bianca; 8. 900 m nördlich von dieser Fort Quattro Fontane; 
9. 2 k nordöstlich davon Batterie Sta. Elisabetha; 10. die Ver- 
schanzung des grofisen, 1 k langen, 500 m breiten Fort S. Nico 16 
del Lido, am Nordende des Litorale; 11. diesem auf 1300m gegen- 
über, 2'/a k nordöstlich der Stadt, Fort Erasmo, am Südende des 
gleichnamigen Litorale; 12. hinter den beiden letztgenanuten Forts, 
quer über die Hafeneinfahrt, eine 1400 m lange verschanzte 
Linie, die einige Inseln mit einander verbindet, mit dem Fort 
S. Andrea im Süden und einer Batterie im Norden; 13. 600 m 
nördlich der letzteren, auf der Westspitze des Litorale Erasmo, 
deckt ein Brückenkopf den Übergang nach dem Lazaretto nuovo; 



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296 



Die Befestigungen Italiens. 



14. 4 k nordöstlich des Fort Erasmo, am Nordende des Litorale ist 
eine Batterie und deckt im Vereine mit dem 1400 m südöstlich 
gegenüberliegenden 15. Fort Treporti die gleichnamige Hafen- 
einfahrt, hinter welcher sich 16. die Reduten Crevan und Mazorbo 
befinden; 17. 12 k nordöstlich Treporti, an der Mündung des Sile 
(Porto di Piave vecchio) ist eine Schanze auf dem rechten Ufer 
und 1300 m nördlich von dieser die Batterie Cavallino auf dem 
linken Ufer. An der Seefront wurden in neuester Zeit umfang- 
reiche Verstärkungsarbeiten ausgeführt, und sind solche noch im 
Gange. 

b) Lagunen werke: 1. Batterie Buel del Lovo, 67a k nörd- 
lich der Stadt; 2. Batterien Pieretto, 8. Antonio, Penigo, 
S. Marco; 3. Batterien Carbon ara, Tessera, 3 k nördlich und 
1400 m von einander entfernt; 4. Batterie Campalto, 1200 m 
nordwestlich, 2 k südwestlich der vorgenannten; 5. Fort S. Giu- 
liano, nahe des Anfanges der Lagunenbrücke; 6. Die Brücken- 
Batterie Piazzale; 7. Fort S. Giorgio in Alga, 2 k südwestlich 
der Stadt; 8. 1800 m südlich davon Fort S. Angelo della pol- 
vere; 9. Redute Monte dell'Oro; 10. Batterie di Podo, 3 k 
südlich Angelo; 11. 1 k weiter südöstlich Batterie di Poveglia; 
12. 1400 m südlich davon Batterie Fisolo; 13. 3300 m östlich der 
ietzteren und 1400 m nordwestlich der Batterie Leonardo, bastione 
Campana; 14. endlich die beiden 1600 m von einander entfernten 
Bastione (Octogone) Alberoni und Pietro, 700 m westlich der 
gleichnamigen Forts an der Seefront. Die sämtlichen Lagunen- 
werke sind alt, auf kleinen Inseln und Untiefen, und scheint in 
neuester Zeit an denselben nichts geschehen zu sein. 

c) Landfront: 1. Fort Malghera (früher Haynau), 6 k nord- 
westlich der Stadt, 2 k südöstlich Mestre, in Sümpfen gelegen, zu 
beiden Seiten der Bahnlinie. Es besteht aus dem Eernwerk (einem 
ungleichseitigen bastiouierten Viereck) und einem im Westen und 
Norden umsch liefsenden Kronwerk, hat einen von mehreren Lünetten 
verteidigten gedeckten Weg und einen Wassergraben. 2. In neuester 
Zeit wurde in der Nähe von Mestre ein weiteres starkes Werk, 
Fort Brondolo, gebaut; 3. weiter rückwärts, am canale dell 1 
Osellino liegt ein kleines Fort (früher Maniu); 4. diesseits, süd- 
westlich des Bahndammes ein drittes älteres Fort (früher Rizzardi); 
5. 600 m östlich das kleine Fort Campalto. Über vorgenommene 
Verbesserungsarbeiten ist Näheres nicht bekannt, — 11. — 14. Am 
rechten Ufer der Piave-Mündung ist die alte Redute Cortellazzo; 



Die Befestigungen Italiens. 



297 



an der Livenzamiindung das Fort Margheritta, an der Tagliamento- 
Münduug die Batterie porto di Tagliaraento; endlich an der 
Einfahrt in die Lagune östlich vom Tagliaraento die Batterie 
Porto Lignano. 



Litteratur. 

1. Übersicht der Befestigungen in Frankreich, Italien n. 8. w. von 
Blasek in den Mitteilungen über Gegenstände des Artillerie- und Genie -Wesens, 
Jahrgang 1881 Seite 288 ff. Mit 2 Fortsetzungen: ■ 1883 Seite 156; 1884 
Seite 304; im bulletin de la r£union des officiere erschien eine Übersetzung dieses 
Aufsatzes, die auch als Separatabdruck ausgegeben wurde (examen du Systeme de 
fortification dans les principales pnissances de l'Europe, par Bornecque. Paris 
1882). — 2. Venetien mit dem Festungsvicreck, eine militär-geographische 
Skizze von Biffart. Darmstadt 1863. 3. Auszug des offiziellen Berichtes 
der k. italienischen Kommission für Landesverteidigung von Bingler. Mitteilungen 
über Gegenstande u. s. w. 1872. Heft I— III. 4. Die Befestigungsfrage 
Italiens von Bingler. Mitteilungen u. s. w. 1873. IX. und X. 5. Der 
gegenwärtige Stand der Befestigungsfrage in Italien von Bingler. Mit- 
teilungen u. 8. w. 1880. X. und XI. 6, Italiens westliche Verteidigungs- 
front und heutiges Befestigungssystem. Jahrbücher für die Deutsche 
Armee und Marine u. s. w. 1883. IX. und XII. 7. La defense des Alpes 
par 1' Italic. Journal des sciences militaires. 1883. August. 8. Haymerle, 
Österreich. Generalstabsoberst; Italicae res. 1879. 9. Die Befestigungen 
Roms und das darauf beruhende Verteidigungssystem. Allgemeine 
Militär -Zeitung. 1882. Nr. 83—86. 10. Über die Befestigung Roms: 
Vedette. 1880, Nr. 12; Militär- Wochenblatt. 1880. Nr. 74 (mit Skizze) ; Mit- 
teilungen über Gegenstände etc. 1882. II. III.; Allgemeine Militär- Zeitung. 
1883. Nr. 68; Archiv für Artillerie- und Ingenieur-Offiziere. 1883. III.; Italia 
militare. 1883. u. s. w., u. s. w. 11. Spezia und Taren t: Militär -Wochen- 
blatt. 1883. Nr. 16. 



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XVI. Die Panzerschiffe und deren 
Verwendung im Kampfe bis zur Gegenwart 



Unter den technischen Wissenschaften haben in verhältnismäßig 
kurzer Zeit der Bau von Kriegsschiffen und die Artillerie den ge- 
waltigsten Umschwung erfahren. Beides sind Antagonisten und 
beide kämpfen seit alters her um den Sieg. Die Triremen der 
alten Griechen und Römer haben sich nach und nach in Monstre- 
schiffe von 10 bis 14,000 Tonnen Deplacement, wie die englischen 
»Howe«, »Hood«, »Royal Sovereign«, u. s. w., die franzö- 
sischen »Admiral Duperre«, »Formidable«, »Hoche« u. s. w.; 
die italienischen »Dandolo«, »Italia«, »Lepanto« u. s.w. mit 
4—500 mm Panzer; die Bailisten und Katapulten in Armstrong ge- 
zogene 100 Tons resp. Krupp's 35 bis 45 cm Geschütze u. a. m. 
verwandelt, aber noch immer ist der Kampf nicht entschieden, ob- 
wohl er in den letzten Decennien mit einer Energie, einem Scharf- 
sinn und einer Ausdauer geführt wird, welche die höchste Be- 
wunderung verdienen. Namentlich sind es wieder die alten Rivalen 
England und Frankreich, welche diesen Kampf mit einer Kraft 
führen, die uns in Erstaunen setzen mufs. Eine Erfindung jagt 
die andere, Millionen über Millionen werden ohne Zögern dahin 
gegeben, diese Erfindungen zur praktischen Anwendung zu bringen, 
aber schon nach wenigen Monaten sind sie veraltet und neue Ent- 
deckungen haben sie wertlos gemacht. Von einem Innehalten kann 
nicht die Rede sein; die Weltverhältnisse gestatten auch in dieser 
Hinsicht keinen Stillstand, weil dies Rückschritt wäre. Für England 
steht alles auf dem Spiele, wenn es sich überflügeln läfst, seine 
Suprematie zur See und mit dieser sein Rang unter den Völkern, 
seine Macht und sein Wohlstand. Ebenso unmöglich ist es aber 
auch, dafs die übrigen europäischen Mächte bei diesem vorläufig nur 
kostspieligen, aber noch unblutigen Kampfe ruhige Zuschauer bleibeu. 
Der Gedanke an ihre eigene Zukunft zwingt sie, sich thätig an der 
allgemeinen Bewegung zu beteiligen, wenn auch nicht in so hastig 
überstürzender Kraft. Durch ruhigeres Vorgehen geniefsen sie den 
grofeen Vorteil, aus den Fehlern ihrer Vorkämpfer Nutzen zu ziehen, 
sie zu vermeiden und namentlich — Geld zu sparen. 



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Die Panzerschiffe und deren Verwendung im Kampfe u. 8. w. 299 

Die Erfindung der Panzerschiffe gehört bekanntlich Frankreich 
an, ebenso die der Bombenkanouen , welche zu den Panzerschiffen 
den Anstofs gegeben haben. Derselbe Oberst Paixhans, welcher die 
Bombenkanone konstruierte, legte seine Vorschläge zum Panzern 
von Schiffen dem Comite consultatif de la Marine und dem Institut 
de France vor. Die Idee wurde als unausführbar zurückgewiesen, 
weil kein Schiff das ungeheuere Gewicht eines Eisenpanzers zu 
tragen vermöge, der es unverwundbar mache. Dieses Argument 
war für die damalige Stufe des Schiffbaues vollständig richtig, 
und erst der neueren Zeit blieb es vorbehalten, das Problem zu 
lösen. 

Beim Ausbruch des russisch-türkischen Krieges 1854 sehen wir 
die Paixhaus'sche Idee des Panzerns zuerst verwirklicht und drei 
französische schwimmende Batterien, deren jede 16 Stück 50 pfundige 
Bombenkanonen und 300 Mann Besatzung führte, mit einer Maschine 
von 150 Pferdekräften ausgerüstet und mit 3 Va zölligen Platten 
gepanzert war, bei der Einnahme von Kinburn (17. Oktober 1855) 
thätig. Der Ausgang des Kampfes vor Kinburn, welcher drei Stunden 
dauerte und mit der Einnahme des Platzes endete, entschied auch 
die Frage des Panzerns von Fahrzeugen zu deren Gunsten. Napo- 
leon III. zog aus den gemachten Erfahrungen Nutzen, und gab 
damit das Signal zu einer vollständigen Revolution im Schiffbau 
und in der ganzen Seekriegführung, nachdem zuvor die Frage 
gelöst war, die gepanzerten schwimmenden Batterien in Schiffe zu 
verwandeln, welche in Form und Manövrierfähigkeit mit den Modellen 
der besten Holzschiffe rivalisieren konnten, und sodann, ob der Eisen- 
panzer, den solche Schiffe zu tragen im Stande waren, dem Feuer 
der schwersten gebräuchlichen Marine- und Laudgeschtitze unter 
den für den Panzer ungünstigsten Umständen erfolgreichen Wider- 
stand zu leisten vermöchte. 

So schritt man in Frankreich wie in England zum Bau von 
sogenannten Panzerfregatten mit 4 ! / a zölliger Beplattung, von denen 
beim Ausbruch des amerikanischen Krieges 1861 bereits mehrere 
fertig, andere noch in Bau waren. Obwohl ihre Wirk- 
samkeit im Kampfe noch nicht erprobt war, so hatten die vor 
Kinburn thätigen schwimmenden Batterien doch zur Genüge dar- 
gethan, dafs eine vierzöllige Eisendecke die Bordwände gegen die 
damaligen stärksten Schiffsgeschütze — 68pfündige Bombenkanonen 
bei den Engländern und 50pfundige gezogene bei den Franzosen — 
fast vollständig sicherte. Die Südstaaten suchten deshalb die neue 
Erfindung sofort für sich zu verwerten und begannen, während der 

Jihrbücbor für di» IfcuUek« Ar«» ud Mari» Bd. LXXVi„ J. g| 



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Die Panierschiffe und deren Verwendung 



Norden alle Hände voll zu thun hatte, um nur zuerst die Blockade 
zu vervollständigen, mit aller Kraft an den Bau eines grösseren 
Panzerschiffes zu gehen. Um Zeit zu gewinnen, wandelten sie 
zunächst die ihnen in der Räumung von Norfolk in die Hände 
gefallene Dampffregatte »Merrimac« in ein Panzerschiff um. 
Durch Herausnehmen der Bemastung und Herunterschneiden des 
Rumpfes bis auf wenige Fu£s über der Wasserlinie, wurde das 
Gewicht für eine vierzöllige Panzerung der noch übrig bleibenden 
Bordwände über Wasser und eines schrägen Daches gewonnen, 
welches das Schiff von oben schützte. Die Bewaffnung bestand aus 
acht glatten 9zölligen und zwei 7 Vi zölligen gezogenen Geschützen, 
die auf dem Oberdeck aufgestellt waren und durch Pforten feuerten. 
Am 8. März 1862 eröffnete »Merrimac« die Feindseligkeiten 
gegen das nordische Blockadegeschwader, welches in der Nähe des 
Forts Monroe vor der Mündung des James-Flusses lag und zer- 
störte mehrere Holzfregatten desselben, welche ihm gegenüber 
fast wehrlos waren , durch Anrennen oder durch Granatfeuer. Als 
er jedoch am 9. März Morgens abermals auf Hampton Rhede er- 
schien, um sein Zerstörungswerk vom Tage vorher zu vollenden, 
fand er dort noch einen andern wenn auch nur winzigen Gegner, 
den »Monitor« vor. Derselbe, nach den Plauen des schwedischen 
Ingenieurs Erichsohn gebaut, war 172 Fufs lang, mit einer ge- 
panzerten Plattform, nur 2 Fufs über Wasser, und überragenden 
Seiten, so dafs er fast völlig gegen einen Spornangriff gesichert 
war. Er führte einen Turm von 9 Fufs Höhe und etwa 20 Fufs 
Durchmesser mit 8 zölligem Lamellenpanzer versehen; derselbe war 
drehbar, so dafs er mit seinen 11 zölligen Dalgreen-Geschützen den 
ganzen Horizont bestreichen konnte. Gegen 9 Uhr feuerte »Mer- 
rimac« die erste Breitseite gegen den »Monitor«, und von diesem 
Augenblick an bis nach 12 Uhr wütete der Kampf ununterbrochen 
fort, während welcher Zeit die beiden Schiffe fast unausgesetzt 
Seite an Seite lagen. Der Rammversuch des »Merrimac« gegen den 
»Monitor« mifsglückte, indem der Sporn verletzt wurde, ohne den 
Gegner ernstlich zu beschädigen. Die Breitseiten des »Merrimac« 
verschlugen nichts, da vom »Monitor« nur der Turm, das Steuer- 
häuschen und der 4 Fufs hohe Schornstein aus dem Wasser ragten. 
Der Turm erwies sich als unverwundbar; das Entern mifslang 
ebenfalls, da die mit Eisengitter geschlossenen Deckluken des 
»Monitor« nicht forciert werden konnten und sämtliche Mannschaften 
sich im Turm resp. unter Deck aufhielten. Der Monitor behauptete 
das Feld, »Merrimac« erhielt einen Schuls unterhalb der Wasser- 



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im Kampfe bU xnr Gegenwart. 



301 



Linie, was ihn notigte, den Kampf aufzugeben und sich nach Nor- 
folk zurückzuziehen. 

Der beendete Kampf, einer der merkwürdigsten und in seinen 
Folgen der wichtigste der neueren Zeit, hatte in nautisch-militärischer 
Beziehung zwei Thatsachen festgestellt, die Ohnmacht der bisherigen 
Holzschiffe gegen gepanzerte und die Überlegenheit des Monitor- 
systems über das der Breitseitschiffe, und sie wurden der 
Ausgangspunkt für die vollständige Umgestaltung der Flotten sämt- 
licher Seemächte. Wie Nordamerika bereits zweimal bestimmend 
in die allgemeinen Schiffahrtsverhältnisse eingegriffen hatte durch 
Anwendung des Dampfes auf die Schiffahrt und durch Einführung 
der Schraube, so geschah dies jetzt zum dritten Male mit Bezug 
auf die Kriegführung zur See, welche nach seinem Vorgange eine 
neue, von der früheren gänzlich abweichende wurde. Wir über- 
gehen die übrigen während des Secessionskrieges gelieferten Gefechte 
gegen Landbatterien, der Ramm versuche des »Monitors« u. s. w. 
und verweisen auf die geschichtlichen Daten, sowie auf »the life of 
D. G. Farragut by his son« u. s. w. 

Jene Kämpfe in dem nordamerikanischen Secessionskriege be- 
schränkten sich hauptsächlich auf eine verhältnismäfsige geringe 
Zahl kleinerer und teilweise unvollkommen gepanzerter Schiffe in 
engen, gefährlichen Fahrwassern und konnten deshalb den end- 
gültigen Wert der Panzer für die eigentliche Seeschlacht auf offenem 
Meere nicht feststellen. Admiral Farragut's und Porter's Haupt- 
aufgabe war es, Flüsse und Häfen zu forcieren, während taktische 
Regeln und Bewegungen, wie sie in offener Seeschlacht zur Ent- 
scheidung stets wesentlich beitragen werden, wenig in Frage kommen 
konnten. 

Die gröfeeren Seemächte Europas, welche bereits eine bedeutende 
Zahl von seegehenden Panzerfregatten besaßen, waren deshalb auch 
nach Beendigung des Secessionskrieges immer noch im Zweifel über 
deren Wirksamkeit und ihr Vertrauen auf die neuen Streitmittel 
mehr oder minder theoretischer Natur, wenn sie dies auch nicht 
abhielt, sich im Bau derselben gegenseitig zu überbieten. Nament- 
lich waren es England und Frankreich, die sich in Zahl und Stärke 
ihrer Eisenschiffe mit solcher Hast den Rang abzulaufen suchten, 
dafs es den Anschein gewann, als gedachten sie in nächster Zeit 
ihre Kräfte zur See zu messen. Doch war es anderen Staaten vor- 
behalten, die grolseu Panzerschiffe in regelrechter Seeschlacht zu 
prüfen und damit der modernen Seekriegführung die Wege zu 
zeigen, auf denen sie zunächst fortzuschreiten habe, bis neue 



uigm 



302 



Die Panzerschiffe und deren Verwendung 



Erfindungen des nie rastenden menschlichen Zerstörungsgeistes eine 
abermalige Änderung bedingen würden. Es war das aufstrebende 
Italien, welches dazu den Anlafs gab, als es versuchte, Österreich 
die Herrschaft der Adria zu entreifsen. 

Bei Lissa trafen die ersten Panzerflotten der Gegner auf ein- 
ander, wo Italiens Übermacht und besser gebaute und armierte 
Schiffe an dem Mute und der Energie des österreichischen Admirals 
Tegethoff scheitern sollten. Lissa ist die gröfete der Inseln an der 
dalmatinischen Küste von etwa 8 Seemeilen Lange und 5 Seemeilen 
Breite. Sie ist im allgemeinen steil und unzugänglich, hat jedoch 
verschiedene Einbuchtungen und drei Häfen St. Giorgio, Comisa und 
Manego, wo eine Truppenlandung ausführbar ist. Am 16. Juli 1866 
war der italienische Admiral Persano mit 11 Panzern, 5 Schrauben- 
fregatten, 3 Korvetten, 4 Avisos, 3 Kanonenbooten und etwa 
4000 Mann Landungstruppen von Ancona in See gegangen, um die 
Insel Lissa zu nehmen. Seine Dispositionen waren, mit 3 Panzer- 
schiffen und 1 Korvette die Befestigungen von Comisa anzugreifen 
und dort eine Landung vorzubereiten. Vier Schraubenfregatten 
sollten die den Hafen von Manego verteidigende Batterie zum 
. Schweigen bringen und Landungstruppen ausschiffen , 8 Panzer- 
schiffe unter Persano's Befehl die Befestigungen von St. Giorgio 
beschiefsen. Die Werke von St. Giorgio zahlten 44 Geschütze 
darunter 18 gezogene und 6 Mörser. Comisa wurde durch 8 ge- 
zogene Kanonen und 2 Mörser verteidigt, die 500 Fuls über dem 
Meeresspiegel aufgestellt waren, und Manego durch eine ebenfalls 
hochgelegene Batterie von 4 glatten und 2 gezogenen Geschützen 
gedeckt. 

Die gegen St. Giorgio bestimmten 8 Panzerschiffe führten zu- 
sammen 173 Geschütze, davon 144 gezogene (Armstrong) und unter 
ihnen zwei 300 Pfänder und sechs 150 Pfänder. Die gegen Comisa 
operierende Abteiluug (Contre -Admiral Vacca) hatte 82 Geschütze, 
davon 66 gezogene, und die 4 Fregatten, mit denen Vice -Admiral 
Albini Manego beschießen sollte, zählten 206 Geschütze, darunter 
40 gezogene. 

Der an zwei Tagen, am 18. und 19. Juli, unternommene Angriff 
der italienischen Flotte auf Lissa wurde durch tapfere Gegenwehr 
der Österreicher mit ziemlichen Verlusten des Angreifers zurück- 
gewiesen, und als Admiral Persano am 20. Juli Morgens bereits den 
Befehl zum erneuten Angriff gegeben und den Admiral Albini mit 
einer abermaligen Landung betraut hatte, dampfte der auf Vorposten 
befindliche Aviso »Esploratore« mit dem Signal heran: »Feindliche 



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im Kampfe bis sur Gegenwart. 



303 



Schiffe in Sicht!« und liefs das Unternehmen scheitern. Die Italiener 
waren von den Anstrengungen der vorhergehenden beiden Tage 
erschöpft, die Schiffe teils havariert, teils um die Insel zerstreut, 
die Holzfregatten und Kanonenboote mit der Ausschiffung von 
Truppen beschäftigt — genug Ursache, um Admiral Persano in 
arge Verlegenheit zu setzen und die Chancen des Erfolges für den 
Gegner günstiger zu gestalten: Admiral Persano blieb nicht lange 
im Ungewissen darüber, dafs die herandampfenden feindlichen Schiffe 
das Geschwader »Tegethoffsc zum Entsatz von Lissa war. Er that 
daher alles, was er konnte, um sich dem Gegner entgegenzuwerfen, 
befahl Albini die Landung rückgängig und sich kampfbereit zu 
machen, liefs die beiden Panzer von Coniisa heransignalisieren und 
sämtliche Panzerschiffe die Frontlinie nach Nordnordost bilden. 
Das war jedoch nicht etwa schon die Schlachtlinie, weil man damit 
dem entgegenkommenden Feinde die gröfste Starke der Panzer, 
ihren Bug zeigte, — nein, diese wurde erst nachträglich formiert 
und zwar, indem sich die Schiffe wie in der Kiellinie der Segel- 
flotten hinter einander rangierten und somit dem Gegner für den 
Spornstofs ihre schwächste Seite, die Flanke boten. Dies war 
wenigstens unter den obwaltenden Verhältnissen ein Fehler, der 
sich auf das Schwerste hätte rächen können und nur durch einen 
anderen Fehler der Österreicher aufgewogen wurde. Einen weiteren 
Mifsgriff aber machte Persano dadurch, dafs er plötzlich und ohne 
seinen Kapitänen davon Kenntnis zu geben, sein Flaggschiff wechselte 
und von dem R£ d'Italia auf das Turmschiff » Affondatore« 
überging. Das österreichische Geschwader hatte am 19. Juli Mittags 
die Rhede von Fasana verlassen und dampfte zum Entsatz von 
Lissa nach Südost. Am 20. Juli Morgens gegen 10 Uhr wurde 
dem Admiral Tegethoff die italienische Flotte in Sicht gemeldet, 
welche in zwei etwas verworrenen Gruppen rangiert erschien. Um 
10 f /a Uhr gab Admiral Tegethoff die Signale: »Klar Schiff zum 
Gefecht, Formation-Angriffswinkel in drei Divisionen, Schiffe eng- 
geschlossen bleiben!« — 

Diese Ordnung bestand in einer Gruppieruug der gleichartigen 
Schiffe hinter einander, die dann unter sich je einen Keil bildeten. 
Die erste Division bestand aus 7 Panzerschiffen mit TegethoiFs 
Flaggschiff »Erzherzog Ferdinand Max« an der Spitze, während 
drei an jeder Seite von ihm en echelons Aufstellung nahmen. Da- 
hinter folgten als zweite Division die 7 gröfseren Holzschiffe mit 
dem Linienschiffe »Kaiser« an der Spitze, drei Fregatten an der 
einen, zwei Fregatten und eine Korvette an der anderen Seite, 



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304 



Die Panzerschiffe und deren Verwendung 



ebenfalls en echelons, während die dritte Division aus 9 Kanonen- 
booten bestand una* die Radavisos als Repetiteare zwischen den 
Abteilungen verteilt waren. Diese Formation war in der Seetaktik 
neu, wie ja überhaupt bei Lissa zum ersten Male Geschwader von 
grofeen seegehenden Panzerschiffen auf offenem Meere gegen ein- 
ander kämpften, aber sie war unzweifelhaft gut gewählt, kompakt, 
und machte wenig Schwierigkeiten bei etwa nötig werdendem Über- 
gange in eine andere Ordnung. Die Panzer waren fertig zum 
Spornstofs und sämtliche Schiffe konnten ihre Breitseiten zur 
Geltung bringen. Natürlich mufsten die hölzernen Schiffe auf 
einen ungleichen Kampf mit den feindlichen Panzerschiffen ge- 
fafst sein. 

Die Armierung der Panzerschiffe bestand aus 99 glatten 
48 Pfundern und 75 Krupp'schen gezogenen 24 Pfändern; die der 
gröfseren Holzschiffe auf 40 glatten 60 Pfündern, 266 glatten 
30 Pfündern und 22 gezogenen Krupp'schen 24 Pfündern und die 
der Kanonenboote aus 30 glatten 48 Pfündern und 6 Krupp'schen 
24 Pfünderu. Die Gegenüberstellung der beiden Flotten ergiebt 
für die Italiener eine Übermacht von 4 Panzern und 138 Geschützen. 
Mit ihrer Fahrt von 8 Knoten kamen die Österreicher schnell naher, 
und um 10 l /j Uhr gab Admiral Tegethoff das Signal » Distanz en- 
schliefsen, Panzerschiffe den Feind anrennen und zum 
Sinken bringen!« — Der Kurs der Österreicher war auf das 
vierte Schiff der italienischen Schlachtlinie gerichtet, während die 
übrigen hinteren soweit entfernt waren, dafs sie beim ersten Zu- 
sammenstofse ihren Kameraden nicht zu Hülfe kommen konnten. 
Tegethoffs Manöver war deshalb geschickt und gut berechnet, in- 
dem er die feindliche Übermacht paralysierte. Die Italiener blieben 
unbegreiflicherweise quer vor ihm liegen und gaben ihre Seiten 
dem Stofee preis. Wäre TegethoflTs Befehl »den Feind anrennen 
und zum Sinken bringen« gleich beim ersten Zusammentreffen be- 
folgt worden, so würden 4 — 6 feindliche Schiffe in den Grund gebohrt 
und höchst wahrscheinlich mit dem ersten Anprall die ganze Schlacht 
entschieden worden sein. Dafs es nicht geschah und die Öster- 
reicher nur durch die Intervalle der feindlichen Linie brachen, war 
ein grofser Fehler. Der etwaige Einwurf, dafs das Rammen nicht 
habe geschehen können, weil der Pulverdampf dasselbe verhindert 
habe, mag berechtigt sein; aber deshalb durften die Österreicher 
eben nicht feuern, wie ja auch Nelson bei Trafalgar seinen 
Schiffen das Feuern bis zum Durchbrechen der feindlichen Schlacht- 
linie verbot. 



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im Kampfe bis zur Gegenwart. 



305 



Die Schlacht begann um 10*/« Uhr mit der Eröffnung des 
Feuere vom leitenden Schiffe der italienischen Vorhut »Principe 
Carignano« mit dem Contre-Admiral Vacca an Bord. Die Öster- 
reicher erwiderten das Feuer und unmittelbar darauf erfolgte der 
Durchbrach. Dieser erste Anlauf der österreichischen Flotte, der 
zermalmend werden zu wollen schien, ward ein Schlag ins Wasser. 
Die hinteren Schiffe der italienischen Schlachtlinie fielen darauf 
nördlich ab und bedrohten die Holzschiffe der Österreicher. Admiral 
Tegethoff, der die Gefahr bemerkte, liefs ebenfalls nördlich abfallen, 
um den Fregatten Luft zu machen, während sich der linke Flügel 
gegen die feindliche Vorhut wandte, ohne indessen während der 
nächsten Stunde irgend welche Entscheidung herbeizuführen. Die 
ganze Wucht der Österreicher wandte sich dann gegen die mittlere 
Gruppe. Damit hörte jedoch so ziemlich jede taktische Ordnung 
in beiden Flotten auf und es entstand ein allgemeines und ziemlich 
wirres Durcheinander, zunächst der Panzer dann auch der Holz- 
schiffe. Die Österreicher feuerten die konzentrierten Breitseiten, 
aber ohne den gehofften Erfolg, da die schwachen Kaliber nirgends 
die feindlichen Panzer durchschlugen; die Italiener gaben ihre 
Schüsse einzeln ab, aber wegen schlechten Zielens ebenfalls ohne 
gröfsere Wirkung. Von vorher überlegten Bewegungen konnte nur 
wenig die Rede sein, da der Pulverdampf alles einhüllte und Freund 
wie Feind einander verbarg. — Gegen Mittag waren die beiden 
Holzdivisionen der Österreicher durch die feindliche Flotte gedampft 
und hatten sich wieder gesammelt. Admiral Tegethoff liefs darauf 
»drei Kolonnen«, mit einem NO. Kurse, formieren; die Panzerschiffe 
auf dem linken Flügel zum Schutz der Holzschiffe. Die Stellung 
der Gegner war die umgekehrte wie am Morgen: die Österreicher 
befanden sich jetzt zwischen Lissa und der italienischen Flotte, 
und schien es, als sammle sich der Feind zu erneutem Angriff. 
Die Italiener hatten es indes zuvörderst auf den Leiter der zweiten 
Division, das Linienschiff »Kaiser« abgesehen; vier Panzerschiffe, 
darunter der » Affondatore « (Flaggschiff des Admiral Persano) 
umzingelten und beschossen denselben. Der »Kaiser« beantwortete 
das Feuer mit konzentrierten Breitseiten; allein vier Panzerschiffe 
gegen ein hölzernes Linienschiff waren zu viel für letzteres. Zwar 
wurde er kampfunfähig, verlor sein Bugspriet und Fockmast; eine 
150pfündige Granate, die in der Batterie krepierte, demontierte 
zwei Geschütze und tötete 22 Mann, doch gelang es der Umsicht 
seines Kapitäns, sich mit dem Schiffe aus dem Gefecht nach der 
Richtung der Insel Lissa zurückzuziehen ohne vom Gegner daran 



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30tf 



Die Panzerschiffe und deren Verwendung 



verhindert zu werden. Inzwischen tobte der Geschtitzkanipf unab- 
lässig fort, Breitseite auf Breitseite erschütterte die Luft, die See 
war bedeckt vom Pulverdampf der 1182 Kanonen, die hier ihre 
ehernen Grüfse entsandten; die Schiffe bewegten sich mit voller 
Maschinenkraft und wirbelten schwarze Rauchsäulen aus ihren 
Schornsteinen empor. > Admiral Tegethoff, mit voller Dampfkraft 
umherjagend, durchforschte die Wahlstatt und suchte hier uud dort 
einen Stofe anzubringen; wo immer er eine graue Schiffsseite*) 
wahrnahm, warf er sich auf dieselbe, um sie anzurennen. — Doch 
konnte dies Durcheinanderfahren nicht lange dauern. Die italie- 
nische Übermacht hätte doch endlich Herr der Situation werden 
müssen. Da trafen das österreichische Flaggschiff und das italie- 
nische Panzerschiff Re d'Italia auf einander. Der Kommandant 
des ersteren gewahrte den Gegner gerade vor sich, als er von 
4 Österreichern beschossen wurde und sein Heck soeben eine volle 
österreichische Breitseite erhalten hatte. Der Palestro eilte ihm 
zwar zur Hülfe, erhielt jedoch von zwei Österreichern heftiges 
Feuer, das zwar seinen Panzer nicht durchbohrte, aber dennoch sein 
Schicksal besiegelte. Eine Granate drang dnrch das ungepanzerte 
Heck in die Offiziermesse und zündete. War der Steuerapparat des 
Re d'Italia durch die soeben erhaltenen Geschosse havariert und 
seine Maschine beschädigt worden, wie die Italiener behaupten, so 
dafs das Schiff momentan nicht lenkbar war? Oder hatte sein 
Kommandant, wie die Österreicher es darstellen, Angesichts eines 
zweiten Schiffes, das ihm den Weg nach vorne verlegte, nicht die 
Geistesgegenwart, dasselbe niederzurennen, oder aber mit Rücksicht 
auf die Gefahr, die ihm in der Flanke drohte, sein Schiff möglichst 
seitwärts zu drehen und so den Stöfs abzuschwächen? Gewifs ist, 
dafe der Re d'Italia keinen dieser Auswege wählte, sondern stoppte 
und rückwärts ging; gewifs ist es, dafe der Ferdinand Max keinen 
Augenblick säumte, seinen Sporn in die Backbordseite des Re 
d'Italia zu bohren. Ein furchtbares Krachen erfolgte und der 
gewaltige Sporn versetzte dem Re d'Italia eine klaffende Bresche 
von 137 DFufs, während der Angreifer fast unverletzt blieb. 
Wenige Minuten darauf versank jener stolze Panzer in die Tiefe. 

Die Waffenruhe nach dieser erschütternden Katastrophe war 
jedoch von nur kurzer Dauer und die Schlacht tobte fort, ärger 
als zuvor. Da kam auch der Brand auf dem Palestro zum vollen 
Ausbruch und er verliefe das Melee mit einem NW. Kurse. Um 



*) Die italienischen Schiffe waren aufeenbords grau gestrichen. 



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im Kampfe bis zur Gegenwart. 



307 



27 2 Uhr sah man eine Rauchsäule aus dem brennenden Schiffe 
senkrecht in die Luft steigen; eine halbe Minute später erfolgte ein 
furchtbarer Krach, das italienische Panzerschiff Palestro war ver- 
schwunden. Damit war die Schlacht beendet. Die Österreicher 
dampften nach Lissa, die Italiener zogen sich nach Ancona zurück. 
Der Verlust an Menschenleben betrug auf österreichischer Seite 
38 Tote und 176 Verwundete; während die italienische Flotte im 
Ganzen 740 Mann verloren hatte; hiervon ertranken etwa 400, 
ferner kamen 230 bei der Explosion des Palestro um und 110 wurden 
sonst getötet oder verwundet. 

Aus der Schlacht von Lissa, der ersten und bis jetzt einzigen 
zwischen Panzerflotten, Schlüsse zu ziehen und taktische Regeln für 
die Zukunft ableiten zu wollen, wäre ein müfeiges Beginnen. Die 
Streitmittel haben sich in den letzten 24 Jahren in solcher Weise 
geändert, dafs jene Schlüsse und Regeln hinfallig wären. Vergleicht 
man die heutigen Kriegsschiffe mit denjenigen vor 30 Jahren, so 
ist man geneigt anzunehmen, dafs uns für den Gang eines See- 
gefechtes noch keine feste Normen geboten sind; aber so gut die 
Kriegswissenschaft zu Lande, trotz aller Änderungen in Waffen und 
Organisation, in der Erforschung vergangener, ja längst vergangener 
Zeiten, Lehren für die Gegenwart sucht und findet, ebenso gut 
müssen auch wir aus der schriftlichen Darstellung der Seeschlachten 
früherer Zeiten, wie mangelhaft solche zuweilen auch ist, Regeln 
finden können, nach denen wir im Falle eines Krieges zu ver- 
fahren haben. Aufserdem ist an Bord der Schiffe eine neue Waffe, 
der Torpedo, eingeführt, dessen Wirkung im Ernstfalle erst ab- 
gewartet werden inufs, ehe man neue taktische Regeln aufstellen 
kann.*) 

Über die Wegnahme des peruanischen Monitors »Huascarc 
durch die beiden chilenischen Panzerschiffe »Almirante Cock- 
rane« und »Blanco Encalada« (zwei Schwesterschiffe) am 
8. Oktober 1879 entnehmen wir dem Engineering u. a. Blättern 
folgende Details. Als am Morgen, 8. Oktober, die chilenischen 
Schiffe den »Huascarc in südlicher Richtung zu Gesicht bekommen 
hatten, machten beide sofort Jagd auf denselben und versuchten, 
ihm seinen Kurs nach Norden zu verlegen. Bereits um 8 Uhr 
40 Minuten Morgens war das schnellere Schiff »Almirante Cockrane« 
bis auf 3000 m Abstand an den Gegner herangedampft, während 
»Blancoc sich nur langsam näherte. Der Kommandant des ersteren 



*) Siehe auch: „Berühmte Seeleute" von R. Werner, Berlin 1882. 



308 



Die Panzerschiffe and deren Verwendung 



Schiffes hatte bei seiner überlegenen Fahrgeschwindigkeit dem 
»Huascar« gegenüber die Wahl, entweder vor dem Bug des letzteren 
vorüber zu dampfen und ihn auf diese Weise so lange aulzuhalten 
suchen, bis auch die »Blanco« herankam; oder zu versuchen ihn zu 
rammen, oder sich die beste Position zu wählen, von wo aus er den 
Gegner am wirksamsten zu beschiefsen vermochte. Er wählte das 
letztere und erwiderte das Feuer des Gegners erst aus nächster 
Nähe, nachdem er hinter demselben herumgedampft war, und an 
Backbord in schräger Richtung von dessen Heck so Posto gefafst 
hatte, dafs sein kräftiges Bugfeuer den »Hnascar« der Länge nach 
bestrich, während die Geschütze des Peruaners durch dessen Heck- 
verschanzung maskiert waren. Die Granaten des »Almirante Cockrane« 
richteten daher arge Verheerungen auf dem »Huascar« an, obgleich 
dessen Maschine noch intakt war, so dafs er seinen Kurs nach 
Norden hin fortwährend verfolgen konnte. Inzwischen war auch 
»Blanco« herangekommen und wurde der Gegner nun zwischen 
zwei Feuer genommen, so dafs ein Widerstand desselben auf die 
Dauer nicht möglich war. Doch hätte das weniger geschickte 
Manövrieren des Kommandanten vom »Blanco Encalada« bald dahin 
führen können, den »Huascar« entwischen zu lassen, indem er, in 
der Absicht, den Gegner zu rammen, ihn verfehlte, beim Heck des- 
selben vorüberschiefsend, beinahe vom »Almirante« gerammt worden 
wäre, wenn letzterer nicht durch eine geschickte Wendung den Stofe 
abgewendet hätte. Immerhin gewann »Huascar« wieder gröfseren 
Vorsprung und dauerte es eine Weile bis »Almirante« seine frühere 
Position wieder einnehmen konnte, um nun mit erneuter Kraft seine 
todbringenden Geschosse in das Innere des Gegners zu entsenden. 
Als schon nach kurzer Zeit die Geschwindigkeit des »Huascar« 
abnahm und auch »Blanco« das Geschützfeuer auf ihn richtete, 
inufete sich »Huascar« dann, nach kräftiger Gegenwehr, ergeben. 

Nach den obigen Darstellungen lassen sich höchst lehrreiche 
Schlüsse auf die im modernen Seekampfe anzuwendende Taktik 
ziehen. Zunächst hat der »Almirante Cockrane« seine kaum 
nennenswerten Verluste hauptsächlich der geschickten und wohl 
überlegten Führung seines Kapitäns zu danken, welcher das Schiff 
unausgesetzt in einer solchen Stellung dem Gegner gegenüber zu 
halten wufste, dafe sein kräftiges Bugfeuer voll zur Wirkung kam, 
während die Turmgeschütze des »Huascar« durch das eigene Heck 
maskiert wurden. — Es ist bekannt, dafs der »Huascar« schneller 
lief, als der »Blanco Encalada«, denn, obwohl jener beim Insicht- 
kommen südlicher als dieser stand, konnte er ihm doch mit nörd- 



im Kampfe bis inr Gegenwart 



lichem Kurse vorbeilaufen, und hatte ihn, als das Gefecht begann, 
erheblich hinter sich zurückgelassen. — Andererseits war der 
»Almirante« dem »Huascar« an Geschwindigkeit überlegen, sonst 
wäre dieser mit nordlichem Kurse entkommen, denn er befand sich 
bei Beginn des Gefechtes nördlich vom »Almirante« ond seine 
Maschine blieb bis zuletzt intakt. — Hier entsteht die Frage, wie 
es kam, dafs zwei Schwesterschiffe, wie die chilenischen, welche nach 
gleichen Plänen erbaut, mit gleichen Maschinen ausgerüstet und 
auf der Probefahrt gleiche Geschwindigkeiten hatten, doch am Tage 
des Gefechtes so erhebliche Differenzen in der Fahrgeschwindigkeit 
zeigten. Es müssen daher entweder die Maschinen des »Blanco« 
nicht so in Ordnung gewesen sein, wie die des Schwesterschiffes, 
oder sein Boden war starker bewachsen u. s. w. Es ist dies ein 
Wink für alle Marinen, dafs es mindestens ebenso wichtig ist, nach 
jeder Richtung hin für eine gute Erhaltung der Geschwindig- 
keit der Schiffe Sorge zu tragen, als eine grofse Geschwindigkeit 
zu verlangen, wenn sie neu sind. 

Das Gefecht selbst betreffend, so handelte der Kommandant 
des »Almirante Cockrane« durchaus richtig, wenn er hinter dem 
»Huascar« aufdrehte. Dadurch kam er bei seiner grösseren Ge- 
schwindigkeit und besseren Drehfähigkeit in eine sehr vorteilhafte 
Stellung gegenüber dem feindlichen Fahrzeuge. Er hielt sich vom 
Beginn des Gefechtes an bis zum Eingreifen des »Blanco« unaus- 
gesetzt in einer solchen Position Backbordachterlich vom Gegner, 
dafs er sein kräftiges Bngfeuer voll zur Wirkung bringen konnte, 
während die Geschütze des »Huascar« maskiert waren. Er hing 
in dieser Position dem Feinde so zu sagen an den Fersen und liefs 
sich nicht abschütteln. Allerdings hätte das Turmschiff seine Heck- 
verschanzung wegschiefsen müssen oder durch die dünnen Platten 
derselben durchfeuern können, doch scheint dies nicht geschehen zu 
sein und wahrscheinlich ist sein Feuer von Anfang an auf das 
Geratewohl abgegeben worden. 

Die Position des »Almirante Cockrane« gab diesem Schiff 
auch die beste Gelegenheit, den Steuerapparat seines Gegners zu 
beschädigen, und es scheint, dafs diese Gelegenheit auch bestens 
ausgenutzt worden ist. Auch ist es klar, dafs es dem »Huascar« 
nicht möglich war, sich den an Geschwindigkeit und Drehfahigkeit 
überlegenen Gegner abzuschütteln, nachdem dieser einmal die be- 
schriebene Position eingenommen hatte und dicht herangekommen 
war; denn derselbe war nun vollkommen in der Lage jeden Augen- 
blick seine Ramme zu gebrauchen. Der schneidige Kommandant 



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310 



Die Panzerschiffe und deren Verwendung im Kampfe u. 6. w. 



des peruanischen Fahrzeuges Admiral Grau und der gröfste Teil 
seiner Offiziere war gefallen. Das Steuerrad war zerschossen und 
es mufste mit Taljen gesteuert werden. Die Ruderpinne wurde 
daun auch teilweise weggeschossen und die Leute an den Taljen 
sämtlich getötet, so dafs jede Steuerfähigkeit verloren ging. Von 
diesem Augenblick an ist auch wenig mehr geschehen, um das 
Schiff wieder steuerfähig zu machen; es sei denn, dafs eine Zeit lang 
noch versucht wurde, den Rest der Pinne Backbord zu halten oder 
sie gelegentlich mittschiffs schlagen zu lassen. Von diesem Augen- 
blick an scheint das Fahrzeug vollkommen der Gnade seines 
Gegners preisgegeben gewesen zu sein, welcher bis dicht an 
sein Heck herangelaufen war und es in der Hand hatte, ihn zu 
rammen und zur Übergabe zu zwingen, oder langsseit zu laufen 
und zu entern. 

Torpedos sind auf keinem Schiffe zur Anwendung gekommen, 
scheinen überhaupt nicht an Bord gewesen zu sein. 

Betrachten wir nun das Manöver des »Blanco Encalada« 
etwas genauer, so kann die Führung dieses Schiffes im Vergleich 
zu der vorzüglichen Leitung des »Almirante Cockrane«, nur als 
eine durchaus mangelhafte bezeichnet werdeu. Die klare Überlegung, 
und das unbefangene Urteil des Kommandanten des »Blanco Enca- 
ladac hatte augenscheinlich unter dem peinlichen Gefühl gelitten, 
den »Huascar« nicht einholen und erst so spät in das Gefecht ein- 
greifen zu können. Obwohl er nun während der Verfolgung des 
Gegners die beste Gelegenheit gehabt hatte, die Vorteile einzusehen, 
welche die Stellung achterlich vom »Huascar« dem »Almirante 
Cockrane« über seinen Gegner verlieh, so scheint doch der Kom- 
mandant des »Blanco Encalada« sich, ohne die Folgen zu über- 
legen, rücksichtslos zwischen jene beiden geworfen zu haben; in der 
guten Absicht zwar, den »Huascar« zu rammen, thatsächlich aber 
dadurch, da der Stöfs mifsglückte, den »Almirante« zwingend, um 
eine Kollision zu vermeiden, hart nach Backbord zu drehen und 
damit seine vorteilhafte Stellung aufzugeben. Bei dieser Gelegenheit 
erhielt der »Almirante Cockrane« auch einen Schufs vom »Blanco 
Encalada«. Zunächst war bei der Ungleichheit der Chancen die 
Absicht zu rammen überhaupt ein Mifsgriff. Es war aber noch 
ein gröberer Mifsgriff, dabei den »Almirante« zu gefährden, ihn 
aus seiner Position zu drängen und dabei dessen Feuer zu mas- 
kieren — von der Granate gar nicht zu reden, mit der er seinen 
Gefährten bei dieser Gelegenheit begrüfste. Dieser Treffer beruhte 
selbstverständlich auf einem unglücklichen Zufall, war aber nur 



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Pferdebeine und Hufbeschlag. 



311 



eine Folge des unüberlegten Manövers des »Blanco«. Hätte der 
»Blanco« den »Cockrane«, was leicht hätte eintreten können, irgend 
wie ernstlich beschädigt, so wäre der »Huascarc aller Wahrschein- 
lichkeit nach entkommen, denn seine Maschine war noch intakt. 
So indessen liefs sich der Kapitän des »Almirante Cockranec durch 
die Ungeschicklichkeit seines Kameraden nicht irre machen. Wir 
sehen vielmehr, dafs er sofort nach der Drehung seine alte Position 
Backbord achterlich vom »Huascar« wieder einzunehmen bestrebt 
war, was ihm auch vermöge seiner gröfseren Geschwindigkeit bald 
wieder gelang. Die überlebenden Offiziere des »Huascar« be- 
absichtigten, das Schiff zu versenken; bereits waren die Ventile 
geöffnet, doch versagte bald darauf die Maschine, die chilenischen 
Offiziere nahmen das Schiff und zwangen die Maschinisten mit dem 
Revolver in der Hand, die Ventile wieder zu schliefsen. 

v. H. 



XVIL Pferdebeine und Hufbesclilag 

bilden den Inhalt zweier Bücher, welche in der Armee vielen Nutzen, 
leider aber auch Schaden stiften können. Das erste Buch mit dem 
Titel: »Der Fufs des Pferdes in Rücksicht auf Bau, Ver- 
richtungen und Hufbeschlag« von Leisering, Hartmann und 
Lungwitz, 7. Auflage, enthält 378 Seiten grofe 8 mit 249 Holz- 
schnitten und kostet elegant gebunden 7 Mark (Dresden, Schoen- 
feld'sche Buchhandlung). Es hat uns in Bezug auf den L anatomisch- 
physiologischen Teil ganz aufserordentlich befriedigt. In klarer, 
deutlicher Sprache wird uns die Anatomie und Physiologie des 
Pferdefufees vorgetragen und durch vortreffliche Zeichnungen er- 
läutert. Den Nutzen der da vorgetragenen Kenntnisse weifs der 
Verfasser, Geh. Mediciualrat Theodor Leisering, jedem gebildeten 
Pferdebesitzer vortrefflich klar zu machen. Er findet den Grund, 
dals »die Füfse des Pferdes so häufig Krankheiten unterworfen sind,« 
nicht sowohl in der grofsen Inanspruchnahme dieser Organe bei den 
Verrichtungen des Pferdes, als vielmehr »ganz besonders darin, 



312 



Pferdebeine und Hufbeschlag. 



dafs sie die meisten Eingriffe von Menschenhand zn er- 
tragen haben, Eingriffe, welche nur zu oft zu wahren 
Mifshandlungen werden. Viele Fufs- beziehungsweise 
Hufkrankheiten können vermieden werden, wenn man den 
Pferdefufs nicht als eine leblose, tote Masse, sondern als 
ein lebendiges, zweckmäfsiges Organ betrachtet, das sich 
unangemessene Eingriffe und naturwidrige Behandlung 
nicht ungestraft gefallen läfst.t 

Wie scharf dieser Ausspruch einzelne der im II. Teil von 
A. Lungwitz empfohlene Behandlungsweisen kranker Hufe trifft, 
werden wir noch sehen! Auch die in der vortrefflich geschriebenen 
2. Abteilung des Buches: »Die Verrichtungen des Fufses« gethanen 
Aussprüche über den sogenannten »Nervenschnitt« am Hufe, das 
Verhalten der Hufe gegen Wasser, Ammoniak u. s. w. sind uns in 
ihrer wahrhaft vernichtenden Logik gegen die heutige Operations- 
und Salbenvorliebe durchaus sympathisch, wie wir denn überhaupt 
diesen ganzen I. Teil für sehr gelungen halten. — Etwas anders 
stehen wir zum II. Teile des Buches und müssen uns gerade des- 
halb etwas eingehender mit ihm beschäftigen. Denn es scheint uns, 
als ob der grofae Nutzen, welchen die dort gegebene Darstellung 
eines guten mechanischen Hufbeschlages unzweifelhaft stiften wird, 
zu einem nicht geringen Teil wieder aufgewogen würde, durch aller- 
lei arzneigläubige Ratschläge bezüglich der Behandlung kranker Hufe, 
Ratschläge, die unserer Ansicht nach eigentlich gar nicht in dieses 
Buch hineingehören. — So stofeen wir gleich in der Einleitung 
S. 143 auf das unglückliche Wort »Tierarzneikunde«, während 
offenbar die Tierheilkunde gemeint ist, welche mit der »Arznei- 
kunde« insofern in einem durchaus gegensätzlichen Verhältnis steht, 
als durch und mittelst sogenannten Arzneien noch niemals, so lange 
die Welt steht, eine wirkliche und dauernde Heilung erzielt 
worden ist, vielmehr die auf solche Weise erzeugten uns täglich 
vor Augen tretenden Tausende von Pferdekrüppeln ein höchst 
klägliches Zeugnis für die Wirkungen dieser »Arzneikunde« ab- 
legen. Das durch diese Einleitung erweckte Vorgefühl, dafs in dem 
2. Teile durchaus nicht die Konsequenzen, welche der klare ana- 
tomisch-physiologische Inhalt des L Teils und namentlich dessen 
oben angeführter und gesperrt gedruckter Ausspruch S. 107 nahe 
legt, gezogen werden würden, haben wir denn auch leider bestätigt 
gefunden. 

Dafs der Verfasser über den Hufbeschlag selbst, den er als ein 
»notwendiges Übel« bezeichnet, die prinzipiell richtigen Ansichten 



Pferdebeine und Hufbeschlag. 



313 



besitzt, erfahren wir namentlich aus dem Kapitel: Ȇber die Nach- 
teile des Hufbescblages« (S. 263 ff.). — Die S. 145—163 ein- 
nehmende Geschichte des Hufbeschlages ist interessant und ihre 
ebenso kurze, wie aufklärende Zusammenstellung ein Originalverdienst 
des Verfassers. Die dann folgende (S. 164 — 267 einnehmende) 
Beschlaglehre oder Lehre von der mechanischen Ausführung des 
Beschlages ist grösstenteils vortrefflich. Das Wenige, was wir 
auszusetzen haben, würde vermieden worden sein, wenn der Ver- 
fasser seinen eigenen Prinzipien stets treu geblieben wäre und nicht 
zuweilen es für »opportuner« gehalten hätte, nicht seiner eigenen 
Meinung zu sein. Wir wollen zum Beweise dessen hier zunächst 
nur daran erinnern, dafe derselbe Verfasser, welcher sich vor einigen 
Jahren das grofse Verdienst erwarb, in seinem, für die Ausübung 
der Beschlagkunst höchst förderlich gewesenen, Blatte »der Huf- 
schmied«, in ausführlicher, überzeugender und absolut jeden faulen 
Compromifs ausschliefsender Weise gegen die schädlichen, aber nach 
seiner eigenen Berechnung jährlich circa 4 Millionen Mark Ausgaben 
im deutschen Reiche erfordernden, Hufsalben aufzutreten, im vor- 
liegenden Buche auf die ganz unhaltbare Theorie, dem Hufe 
Wasser zuzuführen und dies durch Fettung der Ober- 
fläche zu konservieren gestützt, auf den höchst schwächlichen 
Fettlappen (S. 262 und 263) zum Einfetten des Hufes wieder zurück- 
kommt.*) Wir müssen diese und andere ünfolgerichtigkeiten später 
noch gründlicher beleuchten. 

Prinzipiell denkt der Verfasser in vielen Dingen ganz richtig, 
nur scheint es ihm schwer zu fallen, diese seine grundsätzlichen 
Ansichten auch da unentwegt festzuhalten, wo sie dem, im grofeen 
Publikum und in tierärztlichen Werken verbreiteten, Glauben, 
Meinen u. s. w. entgegenstehe u. — Dafe z. B. der Verfasser über 
die Abdachung der Hufflächen der Eisen im Allgemeinen richtig 
denkt, zeigt seine Bemerkung S. 263 unter »Nachteile des Huf- 
beschlages«, wo er unter diese ganz besonders den rechuet, dafs der 
Druck der Körperlast beim beschlagenen Pferde nicht mehr auf die 
ganze Huffläche verteilt wird, sondern nur auf der Wand ruht, 
wie nicht minder seine sehr richtige Bemerkung S. 169 über die 
Eisen mit ebener Huffläche und S. 249 der die ganze Angelegenheit 
eben so kurz wie bündig entscheidende Ausspruch: »Die Breite 
der Tragefläche am Eisen ergiebt sich einerseits aus den trage- 



*) Im Mfirzheft des „Hufschmied" von 1890 ist er inzwischen wieder gegen 
die Verwendwig irgend welcher Huffettnng aulgetreten. 



314 



Pferdebeine and Hufbeschlag. 



fähigen Teilen des Hufumfanges d. i.: die Wand, die weifse Linie 
und derjenige Teil des äufseren Sohlenrandes, der den unteren Rand 
des Hufbeins seitlich überragte u. s. w. Wenn er demungeachtet 
eine Abdachung des inneren Tragerandes um 3 mm für gesunde 
Hufe im Allgemeinen empfiehlt, so geht das doch zu weit und 
wird bei den meisten Hufen eben das vollständige Nichtmittragen 
der Sohle zur Folge haben, welches der Verfasser unter den Nach- 
teilen des Beschlages aufführt. Ein Überragenlassen der horizon- 
talen Tragefläche über die weifse Linie nach innen um etwa 3 mm 
für seine Reitpferde und von da ab erst sanfte Abdachung um 
1 — 2 mm wird auch die tragefähigen Teile der Sohle beim Fufe 
mittragen lassen, ohne sie permanent zu drücken. 

Sehr wahr und beherzigenswert ist wieder das S. 179 über die 
häufige Entbehrlichkeit der Stollen Gesagte, die noch in 50% von 
Fällen Anwendung finden, wo glatte Eisen nicht nur ausreichten, 
sondern auch nützlicher wären. Bei Erwähnung der an den Hufen 
angebrachten Gewichte, um die Trabbewegung beim Trabertraining 
entweder zu regulieren oder ausgiebiger zu gestalten, läfst die Dar- 
stellung zu wünschen, nach welcher man versucht sein könnte, zu 
glauben, dafe die Tiere mit diesen Gewichten ausgiebiger trabten, 
als ohne solche, während doch die Übung des beiasteten Hufes 
während des Trainings nur dazu führen soll, mit unbelastetem Huf 
besser zu traben. Recht gut sind die Winterbeschläge (S. 184 bis 
207) abgehandelt und haben wir an diesem Kapitel nichts aus- 
zusetzen. 

Der nun folgende Abschnitt: »Der Fuls in seinen Beziehungen 
zum ganzen Schenkel,« behandelt die verschiedenen Stellungen der 
Gliedmafsen, die Grundformen der Füfse, Stellungen der Hufe in 
Folge der natürlichen Organisation des Tieres, wie in Folge von 
durch Beschlag erzeugten Veränderungen, das Wachstum und die 
Abnutzung des Hufes, wie die Abnutzung der Eisen eben so klar, 
als sachgemäfe. Zweckmäfsig dürfte es sein, sich der in der Reiter- 
sprache üblichen Ausdrücke zu bedienen, z. B. S. 211 zu Figur 125 
statt »hammelbeinig« zu sagen »rückbiegig«. Mit der dann er- 
örterten mechanischen Ausführung des Hufbeschlages können wir 
uns ebenfalls — bis auf wenige Punkte einverstanden erklären. 
Nicht einverstanden sind wir z. B. mit der (S. 233) Empfehlung 
des Beschlagens ohne Au fh alter. Wenn dies auch für den ge- 
wandten Beschlagschmied bequemer ist, so greift es doch den viel 
zu wenig festgestellten Fessel des Pferdes an, da dieser in beiden 
Gelenken, dem Kothen- wie dem Kronengelenk bei jedem Schlage 



Pferdebeine und Hafbsschlag. 



315 



auf die Nägel viel zu sehr erschüttert wird, als dafs dieses un- 
schädlich sein könnte. Ich habe mir dieses Beschlagen ohne Auf- 
halter nur in der Not gefallen lassen, wenn nämlich ein Aufhalter 
nicht zur Hand war. Darum sollte es jeder Beschlagschmied auch 
können. Sonst aber halte man auf ein möglichst gutes Festlegen 
des Fessels durch Umfassen mit beiden Händen durch den Auf- 
halter in der Weise, data namentlich das mit umfafste Kronen- 
gelenk vor allen Diugen gegen jede Bewegung durch die Hammer- 
schläge des Beschlagenden gesichert wird. Geschähe das bei allen 
Truppenteilen, so würden auch dadurch der struppierten Fesseln 
immer weniger werden. Sodann geht uns der Verfasser bei Em- 
pfehlung der Stegeisen (S. 285) zu weit und bedenkt nicht, dafs 
sie die Elasticität des Hufes an der Tragefläche unbedingt vermindern, 
den Strahl zwar zum Stützen zwingen, ihn aber auch niemals zur 
völligen Entlastung gelangen lassen und seine natürliche Abnutzung 
verhindern. Darüber ausführlicher bei einer anderen Gelegenheit. 
Ebenso haben wir uns wiederholt gegen den Defays'schen Diletator 
ausgesprochen, wobei wir allerdings dessen Gebrauch bei Zwang- 
hufen warmblütiger Reitschläge vorzugsweise im Auge gehabt haben. 
Wir erkennen an, dafs die Regeln, welche der Autor (301 — 304) 
für seine Anwendung des Diktators angiebt, sehr sorgsam und vor- 
sichtig ausgewählt sind. Nichts desto weniger geben wir dem Eisen 
mit nach aufsen abgedachter Tragefläche und dem Einsiederschen 
Strebeeisen den Vorzug, weil hier nur der natürliche Auftritt des 
Pferdes und sein Gewicht in sehr milder, wenn auch unaufhörlich 
wiederholter Weise wirkeu, während in Folge der aktiven Gewalt 
bei Anwendung des Diletators, bei noch so grofeer Vorsicht, stets 
Verletzungen, Trennungen der Wand von der Lederhaut u. s. w. 
möglich bleiben. Wir haben von dem Eisen mit nach aulsen ab- 
gedachter Tragefläche (S. Spohr's Bein- und Hufleiden S. 91 
4. Aufl.) stets vollen Erfolg gesehen. Weshalb dies uns schon 
seit 30 Jahren bekannte Eisen jetzt dem Franzosen de la Broue 
zugeschrieben wird, ist uns unerfindlich — oder sollte es dadurch 
an Wert gewinnen? Auch bezüglich der mechanischen Mittel, bei 
Hornspalten die getrennten Wände einander zu nähern beziehungs- 
weise zusammenzuhalten, wie eiserne Klammern, Niete, Schrauben 
mit Platten u. s. w. sind wir der Ansicht, dafs sie mehr schaden, 
als nützen, indem sie nicht nur grobe Verletzungen der Hufwände 
bedingen, sondern auch die Hufmechanik in einer Weise beschränken, 
welche der natürlichen Heilung der Hornspalte mehr entgegenwirkt, 
als sie befördert. Allenfalls kann der S. 321 in Fig. 217 abge- 

Jjü>rbbeh«r fftr dl» Daatoehe Armee and Muu». bd. LXXVI., 3. 



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316 



Pferdebeine und Hufbeschla*. 



bildete Hornspaltriemen versucht werden. Wir haben aber niemals 
einen dauernden Erfolg von dergleichen gesehen. Der Autor selbst 
erwähnt das Barfufsgeheu als das sicherste Mittel zur gründlichen 
Heilung von Hornspalten. Wo dies nicht möglich, bildet ein ein- 
seitig genageltes Stegeisen nebst künstlich eingeschnittener Hornklaft 
am oberen Ende des Spaltes, sobald sich von der Krone her 
5 — 8 mm volle Wand gebildet, das beste Mittel zur Heilung 
(S. Spohr's Bein- und Hufleiden S. 96—98 4. Aufl.). 

S. 288 bemerkt Verfasser sehr richtig, dafs die »Defays'sche 
Hnfmasse« (Hufkitt) bei »loser Wand« keine Anwendung finden 
dürfe, weil sie nach ihrer Verhärtung als Keil wirke und die Wand 
noch mehr löse. Gleichwohl empfiehlt er selbst, die Ausfüllung mit 
Holztheer und S. 329 auch die Ausfüllung von Hornspalten mit 
»im Holztheer oder besser dicken Terpentin« getränktem Werg. 
Wir wollen dazn nur bemerken, dafs nach unserer langjährigen 
Erfahrung auch diese Wergbauschen, ebenso wie der blofse Holz- 
theer, stets verhärten und als Keil wirken, welche die Trennung 
der Wände erhält und befördert. Noch wunderlicher ist das 
S. 328 empfohlene »Beraspeln ausgebogener Wände mit Rücksicht 
auf ihre ursprüngliche Richtung« das ist eine Heilung ä la Vogel 
Straufs, d. b. dieses Raspeln verdeckt doch nur für das Auge die 
Ausbiegung der Wand. Oder sollte der Autor glauben, dafs die so 
geschwächte Wand sich nun auch innerlich der gerade kalfater- 
ten Aufsenfiäche gemäfs gerade stelle? W 7 ir trauen ihm etwas mehr 
Kenntnisse in der Mechanik zu, aber dieser Ratschlag ist so recht 
bezeichnend für gewisse Richtungen in der »Arzneikunde«, die 
»übertünchen«, was sie nicht »heilen« können. Dagegen wollen 
wir nicht vergessen lobend hervorzuheben: die Zubereitung der 
Hufe zum Barfufs gehen S. 244 und die vortreffliche Beschreibung 
des Beschlags zur Vermeidung von Einhauen und Streichen (S. 267 bis 
273). 

Viel tiefgreifender an Schädlichkeit, als die durch unsere obigen 
wenigen Ausstellungen an der mechanischen Ausführung des Huf- 
beschlages gekennzeichneten, sind in unseren Augen die vom Ver- 
fasser an vielen Stellen angeratenen arzneilichen Hülfen, von 
denen wir nicht umhin können, unseren Lesern eine Auslese zum 
Nachdenken vorzusetzen. S. 226 empfiehlt der Verfasser zur Be- 
förderung des Huf Wachstums das Einreiben von Lorbeeröl und 
Kantharidentinktur in die Haarlederhaut der Krone und zwar 
thut er dies ganz allgemein, also auch bei gesunden Hufen. Wir 
haben die betreffenden Versuche und deren höchst zweifelhafte 



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Pferdebeine und Hufbeschlag. 



317 



Resultate in Bezug auf eine qualitative Vennehrung des Horn- 
wachstums im Hufschmied*) seiner Zeit gelesen und anderweitig 
sehr abfallig besprochen. Damals aber handelte es sich nur um 
Behandlung von kranken Hufen. Jetzt wird uns eine reizende 
und krankmachende Einreibung schädlichster Art auch für gesunde 
Hufe empfohlen. Also derselbe Autor, welcher gegen die schädliche 
Verschwendung von 4 Millionen Mark jährlich in gewöhnlichen 
Hufsalben mit Recht eifert, empfiehlt nun eine weit schädlichere 
und teuerere Einreibung in die zunächst den Hornsaum ergänzende 
Krone! Es ist freilich richtig, wo man in den lebenden Körper 
eines Tieres reizende Fremdstoffe einreibt, da wird er zunächst 
äufserlich umfangreicher, denn dorthin entsendet er Blut, um durch 
vermehrte Zufuhr desselben im Kapillargefäfssystem sich zu wehren 
gegen den schädlichen und zudringlichen Fremdstoff. Es schwillt 
daher die Lederhaut, es schwellen eventuell die Muskelpartien an. 
Das ist der erste Vorgang, der auch vielleicht zu krankhafter Neu- 
bildung von Stoff führt. Die Qualität desselben also wird jeden- 
falls verschlechtert. Es wird aber auch schliefelich die Nerven- 
thätigkeit, welche allem Stoffwechsel vorsteht, gelähmt und dann 
erfolgt der Rückschlag, es bilden sich entweder Verhärtungen, es 
erfolgen, wenn der Organismus sich überhaupt der Fremdstoffe zu 
entledigen im Stande ist, Ausschläge, Eiterungen u. s. w. und 
8chlief8lich schwillt das gereizte Organ entweder wieder ab, kehrt 
zur Norm zurück, oder es bleibt dauernd mehr oder weniger ver- 
härtet, atrophisch, krank. Das tritt auch beim Hufhorn ein, es 
bildet sich lockeres, krankhaftes Horn, Ringelhuf u. s. w., wie wir 
dies in allen Fällen, wo längere Zeit solche reizende Salben ange- 
wendet wurden, festzustellen vermochten. Wir haben hier in der 
That einen »jener Eingriffe der Menschenhand vor uns, 
welche nur zu oft zu wahren Mifshandlungen werden,c 
wie es im 1. Buche S. 9 von Leisering zu lesen steht. 

Über den S. 262 und 263 gerühmten Fettlappen bei der 
Hufpflege sprachen wir schon oben. Der Verfasser empfiehlt »nicht 
ranziges FetU anzuwenden. Nun weifs wohl jeder, dafs alle Fette 
sehr bald durch Einwirkung von Luft und Wasser ranzig werden, 
und dafs wirkliche Fette sich nicht mit Wasser mischen. Von 
letzterer Eigenschaft will der Verfasser Gebrauch machen, indem er 



♦) Das Minheft des „Hufschmied" Ton 1890, welches derselbe Verfasser 
A. Lungwita redigiert, bringt nun eine durchaus vernichtende Kritik dieser 
Versuche, das Wachstum des Hufes durch Reizmittel m befördern. 

22* 



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318 



Pferdebeine und Hufbeechlag. 



die Oberfläche der Hufwand und der Sohle durch Fett so abschliefst, 
dafs die Verdunstung des im Hufe nicht chemisch gebundenen, 
sondern mechanisch aufgenommenen Wassers verhindert wird. Ge- 
länge das — und bis zu einem gewissen Grad gelingt es — so 
würde das im Hufe mechanisch aufgenommene Wasser sich in dem- 
selben zersetzen, faulen und den Huf mürbe und bröcklich machen, 
wie es in der That zum Teil geschieht. Aber er würde auch — 
und dieses ist der Fall — die naturgemäfse Aufnahme von frischem 
Wasser von aufeen hindern, oder glaubt der Verfasser etwa, dafs 
die geschlossene Thür, welche Niemand von innen nach aufsen 
gelangen lallst, doch den Aufsenstehenden Zutritt nach Innen ge- 
währen könnte? In solche traurige Dilemmas begiebt sich derjenige, 
welcher nicht immer seiner eigenen Überzeugung ist, sondern von 
ihr irgend einem herrschenden Vorurteil zu Liebe etwas ablassen 
zu können glaubt. Gesunde Hufe erzeugen das ihnen nötige Huf- 
fett in bester Qualität selbst, und, wo das bei kranken Hufen nicht 
der Fall ist, da giebt es gewifs kein schlimmeres Mittel, sie von 
ihrer Krankheit herzustellen, als ihnen dieses Fett von aufsen zu- 
zuführen: das wäre so, als ob man den an Zuckerharnruhr leiden- 
den durch Zuckerzufuhr heilen wollte oder könnte. Der Verfasser 
hat seiner Zeit im Hufschmied so unwiderleglich bewiesen, dafs 
jede künstliche Fettzufuhr den Huf austrocknet und ihm schadet, 
dafs er, wenn in der That seine Überzeugung sich seitdem geändert 
haben sollte, erst seine eigenen damaligen Beweisgründe niederlegen 
mülste — was ihm wohl unmöglich sein wird: »Die Wahrheit ist 
keine Mode-Waare, Die man anders modelt alle Jahre.« 

Was die Behandlung wunder Flächen mit so reizenden Sub- 
stanzen, wie Terpentinöl, Myrrhentinktur, mit sogenanntem asep- 
tischen Atzmittel, wie Karbolsäure, Sublimat n. s. w. betrifft, so 
ist dies ein trauriges Kapitel, in welchem der Verfasser zwar 
mitten in der Zeit, aber nicht auf der Höhe der Zeit steht. Wir 
empfehlen ihm betreffs der »Antiseptik« über die Tragweite des 
Ausspruches in Eulenberg's Encyklopädie der gesamten Arznei- 
wissenschaften etwas nachzudenken, dafs nämlich: »Die Drainage 
bei allen antiseptischen Verbänden die Hauptsache sei und 
dafs, wenn diese zweckmäfsig gehandhabt werde, gute 
Heilung ohne störende Zwischenfälle selbst dann erfolge, 
wenn die antiseptische Wirkung des Verbandes keine voll- 
ständige sei.« 

Das Wasser in Form der Bespritzung, wie der nassen Um- 
schläge liefert nun aber die unfehlbarste Drainage. Die Tage des 



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Pferdebeine and Hufbeschlag. 



319 



antiseptischen Verbandes mit Ätzstoffen sind überhaupt 
gezählt Wie der berühmte englische Chirurg Dr. Lawson Fait 
denselben schon seit Jahren verworfen und mit vollstem Erfolge 
ohne Ausnahme durch die Wasserbespritzung (Waterspray) ersetzt 
hat, so ist neuerem Vernehmen nach Generalarzt v. Bergmann seit 
2 Jahren schon diesem Beispiele gefolgt und bedient sich auch zur 
Reinigung seiner chirurgischen Instrumente nur noch des heifeen 
Wassers. Die positiven Schädigungen des Organismus aber durch 
die zum bisherigen antiseptischen Verbände verwandten Chemikalien 
werden von Tag zu Tage mehr erkannt. Wenn wir nun auch aus 
der Unkenntnis dieser noch nicht so allgemein in die Öffentlichkeit 
gedrungenen Thatsachen dem Autor des II. Teils des hier in Rede 
stehenden Buches keinen grofeen Vorwurf machen wollen, so können 
wir doch nicht umhin zu bedauern, dafs gerade er, welcher die 
Vorteile des von Oberstlieutenant Spohr in seinem Buche »Die 
Bein- und Hufleiden der Pferdec nach 40jährigen günstigsten 
Erfahrungen dargelegten arzneilosen Verfahrens seiner Zeit in 
seinem Blatte, dem »Hufschmiede so unumwunden anerkennt, hier 
ohne alle Not sogenannte Hülfsmittel der Arznei künde herbei- 
gezogen und empfohlen hat, die ausnahmslos teils als sehr 
schädlich, teils mindestens als überflüssig bezeichnet werden 
müssen. 

Unser Gesamturteil über das Buch lautet: es ist sehr empfehlens- 
wert in Bezug auf Alles, was zur Kenntnis der Anatomie und 
Physiologie des Pferdefufees gehört und bildet betreffs Ausführung 
eines guten und zweckmäßigen Beschlages gesunder und kranker 
Hufe einen zuverlässigen Ratgeber. Dagegen müssen wir vor allen 
darin enthaltenen arzneilichen Ratschlägen auf das Nachdrück- 
lichste warnen. Wir empfehlen daher das Buch allen zu selbst- 
ständigem Denken und Urteilen befähigten und geneigten Pferde- 
besitzern, Offizieren und Rofeärzten, bedauern aber befürchten zu 
müssen, dafe es in den Händen ungebildeter Hufschmiede gerade 
durch seine arzneilichen Ratschläge manches Unheil anrichten 
werde. 

Ganz dasselbe Urteil müssen wir über ein 2. von A. Lungwitz 
uns in 4. Auflage vorliegendes soeben 1890 in der Schoenfeld'schen 
Verlagshandlung erschienenes Buch »der Lehrmeister im Huf- 
beschlage c (156 Seiten) Preis geb. 2 Mark, fällen. Es enthält 
in abgekürzter und noch populärerer Form im Wesentlichen alles 
das, was in dem zuerst besprochenen Buche ausfuhrlicher und 
wissenschaftlicher dargelegt und begründet ist. Es besitzt dieselben 



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320 



Umschau auf militär-technischem Gebiet. 



Vorzüge und leidet an denselben Fehlern. Letztere dürften in 
diesem, hauptsächlich für den Durchschnittsbeschlagschmied be- 
stimmten Buche noch verhängnisvollere Folgen haben, insofern sie 
jene Leute zu einem Verfahren anleiten, welches in ihren Händen 
wohl mit doppeltem Recht als Kurpfuscherei bezeichnet werden 
kann. Freilich mufs diese Art der Behandlung die betreffenden 
Pferde stets schliefelich dem Rofearzt zuführen, da die Schmiede 
mit der Behandlung doch nicht zurechtkommen. Gewinnen würden 
diese beiden Bücher außerordentlich, wenn sie der Verfasser von 
Allem, was an Arznei und Arzneiglauben erinnert, gründlich reinigen 
wollte. — 

April 1890. -hr. 



xvm 

Umschau auf militär-technisclieni (rettet 

Das Artillerie-Material der Republik Chile zeigt nach 
den »Jahresberichten über Veränderungen und Fortschritte im 
Militärwesen für 1889« eine sehr bunte Zusammensetzung, welche 
noch zu steigern man auf bestem Wege war. Die Feldgeschütze sind 
bisher wie die Gebirgsgeschütze Krupp' scher Konstruktion; als es sich 
kürzlich um eine Vermehrung des betreffenden Materials handelte, kam 
das System des frz. Obersten de Bange (technischen Direktors der 
Werke Cail in Paris) in Frage und sollten zwei kurze Zeit vorher ein- 
getroffene Kanonen de Bange für Feld- und Gebirgs -Artillerie mit 
den bestehenden Kruppschen Geschützen einem Vergleichsschiefsen 
unterworfen werden. Dieses unterblieb, weil Krupp, dem bereits 
die Lieferung von zehn schweren Geschützen von 28 und 30,5 cm 
Kaliber für die Verteidigung des Hafens von Valparaiso zugeteilt 
worden war, die Zusendung eines Feld- und eines Gebirgsgeschützes 
neuerer Konstruktion in Aussicht stellte. Nach dem Eintreffen 
derselben haben sehr interessante vergleichende Schiefs- 
versuche zwischen den Geschützen von Krupp und de 



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Umschau auf militär-techni schein Gebiet 



Bange stattgefunden, worüber wir nach dem »Diario oficial de Ja 
repüblica de Chile« vom 6. Mai d. J. einige kurze Angaben machen 
werden. Nebenbei gesagt, hatte die chilenische Regierung zur 
Armierung der im Bau befindlichen Kriegsschiffe das System Canet 
gewählt, eine Wahl, die gänzlich von der für die Küsten-Artillerie 
getroffenen abweicht, gleichwohl noch eine viel glücklichere ist, als 
es in obigem Falle die Wahl des Systems de Bange gewesen wäre. 
In den Artillerie- Beständen finden sich übrigens noch Geschütze 
von Armstrong, Vavasseur, White u. a., sowie Mitrailleusen ver- 
schiedener Konstruktionen. 

Die zum Wettbewerb herangezogenen beiden Krupp' sehen 
Geschütze waren eine Feld- und eine Gebirgskanone C/89, 
vom Kaliber 7,5 cm, sie sind für rauchloses Pulver und für 
Metallpatrouen mit Einheitszündung konstruiert. Die Feld- 
Kanone hat ein Rohr von 28 Kaliber Länge und 307 kg Gewicht, 
dasselbe hat Keilverschluß, 28 Züge mit Progressiv-Drall, ist ohne 
Zündloch und hat Perkussions-Zündvorrichtung; die Geschosse sind die 
Segmentgranate von 5,85 kg (128 Segmentstücke, 0,145 kg Spreng- 
ladung) und das gleich schwere Shrapnel (160 Kugeln, 0,10 kg 
Sprengladung), die Geschützladung beträgt 0,39 kg. Die Gebirgs- 
kanone hat ein Rohr von 13 Kaliber Länge und 103 kg Gewicht, 
sonstige Einrichtung wie oben; sie hat ebenfalls die Segmentgranate, 
welche hier 4,3 kg wiegt (80 Segmentstücke, 0,105 kg Spreng- 
ladung) und das gleich schwere Shrapnel (105 Kugeln, 0,05 kg 
Sprengladung), die Geschützladung beträgt 0,135 kg. 

Die Feld- und die Gebirgskanone von de Bange hatten 
die Konstruktion des in der französischen Feld- beziehungsweise 
Gebirgs -Artillerie eingeführten Kalibers von 80 mm M/77, die 
Geschosse waren Segmentgranaten (obus ä balles) und Shrapnels 
(obus ä mitraille). Die Verhältnisse sind die bekannten. 

Die Versuche fanden am 1., 5., 7., 11., 13., 15. und 18. März 
d. J. statt. Die Kruppschen Geschütze wurden durch Mannschaften 
des 2. Artillerie - Regiments, die Bange'schen durch chilenische 
Artillerie-Offiziere bedient, nur bei den ersteren war ein Vertreter 
der Firma zugegen. Der Schiefsplatz war der Thalkessel von 
Batuco, der auf 5000 m ein fast gänzlich ebenes Schufsfeld liefert, 
aber sonst mancherlei nachteilige Eigentümlichkeiten besitzt. Die 
Schieisversuche hatten zunächst im Auge, die Präzision der ver- 
schiedenen Geschütze zu ermitteln, und erstreckten sich erst im 
zweiten Teile auf die kriegsmäfsige Wirkung derselben, dem 
entsprechend waren die Ziele im ersten Falle Anschufescheiben, im 



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322 Umschau auf militar-technischem Gebiet. 



zweiten Kolonnenscheiben, die Entfernungen im ersten Falle 1000 m, 
im zweiten 1500 m und 4000 m. 

Die Kommission bestand aus 5 Mitgliedern unter Vorsitz eineB 
Divisions- Generals. Nach dem Urteil der Mehrheit haben die 
Krupp'schen Kanonen eine gröfsere Solidität der Konstruktion und 
den Vorzug eines besseren Materials gezeigt. Nach 99 Schub ergab 
das Krupp'sche Feldgeschütz nicht die mindeste Veränderung 
während die Mehrheit bei demjenigen von de Bange nach 84 Schüfe 
die Fortsetzung des Schiebens für gefahrvoll erklärte. Die Vorzüge 
des rauchlosen Pulvers, der Anwendung von Metallkartuschen, sowie 
des Wegfalls des Zündlochs bei den Krupp'schen Geschützen wurden 
in hohem Mafse anerkannt. Beim Präzision sschiefsen wurde für 
das Feldgeschütz von Krupp ein Treffergebnis von 96°/t» für das 
Gebirgsgeschütz von 80%, für das Feldgeschütz von de Bange ein 
Treffergebnis von 76 a /&, für das Gebirgsgeschütz von 68*/ 0 ver- 
rechnet. Die beim kriegsmäßigen Schieben erzielten Resultate 
zeigt beifolgende Tabelle, aus welcher die aufserordentliche 
Üb erlegenheit der Krupp'schen Geschütze in der Geschofs- 
wirkung ins Auge fällt. 

An Sprengteilen trafen das Ziel: 



Entfernung 


Abgegebene 


Bei der Feldkanone. 


Bei der Gebirgskanone. 


m 


Schule. 


Kropp. 


de Bange. 


Krupp. 


de Bange. 


1500 


20 Granaten 


1639 


1447 


357 


146 


1500 


lOSbrapnels 


645 


97 






1500 


20 Shrapnela 






662 


251 


4000 


20 Granaten 


582 


105 







Die Munition von de Bange lieb viel zu wünschen übrig, indem 
mehr als 70°/ 0 der Shrapnels Rohrkrepierer waren, andrerseits wird 
die Überlegenheit der Krupp'schen Munition, die Präzision und 
Sicherheit seiner Zünder in hohem Mabe anerkannt. Die Kommission 
hebt die Vorteile hervor, welche die Reinerhaltung der Seele bei 
Anwendung des rauchlosen Pulvers im Gefolge habe. Die solide 
Laffetierung, die gröbere Leichtigkeit der Bedienung, die geringere 
Zuglast beim Feldgeschütz sind ebenso viele Momente der unbe- 
streitbaren Überlegenheit des im Wettbewerb gestandenen Krupp- 
schen Materials. Aus den voranstehenden Gründen empfahl die 
Mehrheit der Kommission die Annahme desselben aufs angelegent- 
lichste und hob noch besonders hervor, dab damit der Zusammen- 
hang mit dem jetzigen Material, dessen ausgezeichnete Eigen- 



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Umschau auf railitär-technischem Gebiet. 



323 



Schäften der letzte Krieg (mit Peru) vollauf erwiesen hätte, 
gewahrt werden würde. 

Diesem wohlbegründeten Urteil gegenüber ist das abgesonderte 
Gutachten der Minderheit von geringem Belang. Sie rät die Sache 
noch in der Schwebe zu belassen, umsomehr da für die neuen Schiffs- 
bauten bereits das Artilleriesystem Canet gewählt sei. Das neue 
Pulver, wie die Metallkartusche, so vorteilhaft die Verbesserungen 
auch seien, erhielten den Staat in Abhängigkeit von der Kruppschen 
Fabrik. Es wäre eine Unbilligkeit gewesen, das schon 13 Jahre 
alte System Bange mit der Konstruktion Krupp's in Parallele zu 
setzen, die inzwischen vollzogene wichtige Fortschritte in sich ver- 
körpere, hinsichtlich der Präzision will die Minderheit einer Über- 
legenheit für das Bange'sche Material herausrechnen, die Niederlage 
des letzteren im kriegsmäßigen Schiefsen aber durch die mindere 
Zahl der Segmentstücke beziehungsweise Füllkugeln bei den be- 
treffenden Geschossen beschönigen. Keines der beiden Systeme 
habe eine Überlegenheit gezeigt, welche zu einer sofortigen Ent- 
scheidung veranlassen könne, dagegen gebe es ein System, das vom 
kleinsten bis zum gröfsten Kaliber hinauf die gröfsten Vorzüge in 
sich schliefee und das sei das für die grofson Schiffe bereits an- 
genommene System Canet. — Es erhellt somit genugsam, worauf 
das Gutachten der Minderheit hinausläuft, um so weniger ist das- 
selbe im Stande, den entschiedenen Sieg des Krupp'schen 
Materials irgendwie in Frage zu stellen, Man gewinnt den Ein- 
druck, als ob auch in diesem Falle de Bange und seine Anhänger, 
ähnlich wie 1884 in Belgrad, gehofft hätten, durch persönliche Ein- 
wirkungen auch hier den Sieg davon zu tragen, denn bei einiger 
Urteilsfähigkeit mufeten sich dieselben vorhersagen, dafs beim Vor- 
wiegen sachlicher Gründe keine Aussicht auf Erfolg vorlag. Das ohne- 
hin im Ansehen schon wesentlich geschwächte Material de Bange's hat 
auf dem Schiefsplatz von Batuco eine Niederlage erlitten , von der es 
sich wohl schwerlich erholen dürfte, denn es hat sich eben gezeigt, dafe 
man es auf dieser Seite nicht verstanden hat, mit der Zeit fort- 
zuschreiten. Angesichts der Anfechtungen, welchen das Krupp'sche 
Material seit geraumer Zeit von belgischer Seite ausgesetzt ge- 
wesen ist (vergl. die letzte Umschau), konnte der Sieg Krapp's in 
keinem gelegeneren Momente kommen. 

Unter dem Titel: »Ein neues Schiefspulver. Zur Ein- 
führung des rauchlosen Pulvers in Österreich- Ungarn.« bringt die 
»Reichswehr« in ihrer Nr. 129 bis 131 zwei interessante Aufsätze, 
die sich auch über die Pulverfrage im Allgemeinen verbreiten. Ohne 



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324 Umschau auf militÄr-technischera Gebiet. 



dem Inhalt in allen Punkten beizutreten, halten wir es doch für 
angebracht, einen kurzen Blick auf denselben zu werfen, da die 
Aufsätze zweifellos zur Klärung der Ansichten über das schwierige 
Thema beizutragen geeignet sind. Danach hat Vieille in Frank- 
reich den Anatofe dazu gegeben, die Schiefswolle in einem Lösungs- 
mittel zu lösen und dieses dann wieder zu verdunsten. Als Lösungs- 
mittel dient Äther- Alkohol; wird die entstandene dicke Flüssigkeit 
auf eine Fläche gestrichen, sodafe der Äther-Alkohol rasch verdunsten 
kann, so bleibt die Schiefewolle als dünnes Häutchen zurück und 
dieses Häutchen in Blättchen zerschnitten, ergiebt das Blatt chen- 
Pulver, das erste rauchlose Pulver, welches die Franzosen er- 
zeugten. Das Verfahren wurde der Fabrikation im Grofsen halber 
insofern fortgebildet, dafs man das Gemisch von Schiefswolle mit 
dem Lösungsmittel zwischen . erhitzten Walzen durchgehen liefe und 
die Schiefswolle somit gelatinierte; die erhaltenen dünnen Platten 
wurden auf Maschinen in Blättchen zerschnitten und so ergiebt sich 
das rauchlose Schiefepulver für die Lebelgewehre, dessen Geheimnis 
die Franzosen so ängstlich hüteten. In Deutschland entstand zu- 
nächst das Rottweiler Collodin-Pulver (R. C. P.), bei welchem ähn- 
lich wie beim Schultzeschen Pulver nitriertes Holz als Ausgangs- 
punkt genommen war, zugleich ein Salpeterzusatz stattgefunden 
hatte. Dasselbe entsprach nicht den Anforderungen und ist es dann 
später dort gelungen, gleichfalls ein Blättchenpulver herzustellen. 
Als Nachteil des Blättchenpulvers führt der Aufsatz die Unmöglich- 
keit auf, die Pulverplatten völlig gleich mäfeig dick und dicht zu 
walzen, sie ferner ganz gleichmäfeig in Blättchen zu zerschneiden 
und das Lösungsmittel völlig zu entfernen, es wird daher die gleich- 
artige ballistische Leistung der einzelnen Gewehrpatronen an- 
gezweifelt, länger aufbewahrte Patronen sollen eine Neigung zu 
erhöhter Brisanz zeigen, auch wird die Erzeugung des Pulvers als 
keineswegs einfach bezeichnet, sie erfordere grofee und sehr kost- 
spielige Fabrik-Einrichtungen. Wenig günstig ist das Urteil Über 
das in Italien angenommene Ballistit oder Nobel'sche rauchlose 
Pulver; namentlich wird die Gefahr betont, die durch Entmischung 
in Folge Ausscheidens des Nitroglycerins aus der Lösung entstehen 
könne, dagegen werden die grofee Anfangsgeschwindigkeit und der 
geringe Gasdruck, welche sich bei Verwendung dieses Pulvers 
ergeben, voll anerkannt. Indem Verfasser nun auf das rauchlose 
Pulver in Österreich-Ungarn übergeht, erfahren wir, dafs die Her- 
stellung desselben den vereinten Bestrebungen des Artillerie -Haupt- 
mann, jetzt Major J. Schwab (früher Kommandant der Pulver- 



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Umschau auf militfir-technischem Gebiet. 



325 



Fabrik zu Stein), sowie des Ingenieur E. Kubin zu danken ist, die 
entscheidenden Versuche zu Prefsburg in der der Aktien-Gesellschaft 
Dynamit Nobel gehörigen Fabrik stattgefunden haben. Seinem 
Wesen nach wird das Sch wab-Kubin'sche Pulver als reine 
Nitrocellulose hingestellt, es wäre demnach frei von Stoffen, die 
bei längerer Aufbewahrung sich verflüchtigen könnten. Dem Aus- 
sehen nach stellt das Pulver gleich grofse Körner von *j A mm 
Höhe und Breite dar, zeigt beim Anfühlen grofee Härte und ist in 
Folge der Graphitierung von stahlgrauer Farbe; grofse Dauer- 
haftigkeit und Unempfindlichkeit gegen Stöfs oder Schlag werden 
demselben beigelegt. Den gröfeten Vorteil sucht der Verfasser in 
der gekörnten Form dieses Pulvers, welche allein einen stetig 
gleichbleibenden ballistischen Effekt garantiere und zugleich durch 
die Gröfse der Körner die brisante Wirkung zu regulieren gestatte. 
Es könne danach dieses Pulver für Kleingewehre genau so ver- 
wendet werden, wie für Geschütze; es steigere sich durch die Form 
zugleich die Widerstandsfähigkeit des Pulvers gegen alle äufeere 
Einflüsse. Beim Feuer eines einzelnen Schützen ist nach den 
Angaben thatsachlich kein Rauch zu bemerken, beim Feuern von 
Abteilungen wird durch die leichte bläulich-graue Rauchschicht, 
selbst bei andauerndem Schnellfeuer, keinen Augenblick lang das 
Zielen und Beobachten der Schüsse erschwert, so dünn und flüchtig 
ist jene Schicht. — Das 15,8 g schwere Stahlmantelgeschofs des 
Gewehrs 88 erhält mit der 2,78 g betragenden Normal-Ladung eine 
Geschwindigkeit von 600 m. Wenn die Gasspannung auch 3000 Atmo- 
sphären beträgt, so haben weitgehende Dauerversuche bewiesen, dafs 
die hohe Spannung keinen nachteiligen Einflufs auf das Gewehr 
ausübt. Das nur durch das gröfsere Korn sich auszeichnende 
Geschützpulver ergiebt die gleiche Geschwindigkeit, wie die Schwarz- 
pulverpatrone mit einem halb so grofeen Ladungsgewicht. Die 
Präzision ist sowohl beim Gewehr als beim Geschütz eine aufser- 
ordentlich gesteigerte. — Es erscheint danach das Schwab-Kubin'sche 
rauchlose Pulver in einem sehr günstigen Lichte, wir haben keinen 
Grund, die Darstellung mit Mifstrauen anzusehen, wenn wir auch 
das Urteil über die anderen Pulverarteu mit Vorbehalt wiedergeben. 
Die klare und präzise Art der Darstellung, welche die beiden Auf- 
sätze der » Reichswehr« auszeichnet, erscheint sehr geeignet, zur 
Klärung der Anschauungen über die Natur des rauchlosen Pulvers 
beizutragen. 

Über Versuche mit einer 15 cm Schnellfeuerkanone des 
Systems Canet in Sevran-Livry berichtet die »Revue d'artillerie« 



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326 



Umschau auf milit&r-tecbnischem Gebiet. 



April-Heft. Es kamen 40 kg schwere Geschosse zur Verwendung, 
die mit der Messinghulse der Ladung in Verbindung standen; die 
Ladungen, aus rauchlosem Pulver (Poudre B. N.) bestehend, wurden 
elektrisch entzündet, sievariirten in dem Gewicht zwischen 8 und 15 kg. 
Die ganze Patrone wiegt bei 15 kg Ladung 67,4 kg, das Gewicht 
der Messinghülse betragt alsdann 12,4 kg. Die grofete Ladung 
verleiht dem Geschofe eine Mündungsgeschwindigkeit von 838 m, bei 
einem Gasdruck von etwa 2900 Atmosphären. Die lebendige Kraft 
an der Mündung beträgt 1430 m, laut Rechnung würden 40 cm 
Plattenstarke durchschlagen. Der Rücklauf beträgt nicht über 
550 mm. Bei 8 kg ist Geschwindigkeit 495 m, Gasdruck 653 Atmo- 
sphären, bei 10 kg 583 m beziehungsweise 990 Atmosphären, bei 
12 kg 684 m beziehungsweise 1770 Atmosphären, bei 14 kg 773 m 
beziehungsweise 2644 Atmosphären. 

Nach der Ende Mai d. J. genehmigten deutschen Schiefs- 
vorschrift für die Feld -Artillerie trägt das schwere Feld- 
geschütz die Bezeichnung C/73. 88. Die Änderungen beziehen 
sich nicht auf die ballistischen Verhältnisse, sondern auf die Ent- 
zündnngsweise der Ladung; in Stelle der Reibschlagröhre ist die 
Entzündung durch ein Zündhütchen und ein einfaches Schlagschlofe 
getreten. Die Geschofs-Ausrüstung besteht aus der Granate C/82 
mit Aufschlagzünder, dem Shrapnel C/82 mit Shrapnelzünder 
C/83 beziehungsweise Doppelzünder C/86, der Sprenggranate mit 
Doppelzünder und der Kartätsche. Die Sprenggranate ist mit 
einem brisanten Sprengstoff gefüllt; sobald dieselbe beim Aufschlag 
krepiert, gehen die Sprengstücke nach allen Seiten aus einander; 
krepiert sie aber in der Luft, so verbreiten sich die Sprengstücke 
zum gröfeten Teile unter einem sehr stumpfen Kugel winkel nach 
vorwärts. In jedem Falle soll die Sprenggranate durch die sehr 
grofee Zahl ihrer Splitter wirken. Die Richtung der Sprengteile 
der Sprunggranate mit Brennzünder befähigt sie besonders, Ziele 
dicht hinter Deckungen zu treffen, sodafe sie eine dem Mörser 
ähnliche Wirkung gegen lebende Ziele auszuüben vermag, voraus- 
gesetzt, dafe diese nicht gleichzeitig von oben her gedeckt sind. 
Ob damit der Feldmörser entbehrlich wird, ist also nicht aus- 
gesprochen; es mufs sogar bezweifelt werden, sobald es sich um 
solid verstärkte Positionen handelt. Das Einschielsen mit Spreng- 
granaten gegen gedeckte Ziele erfordert ein genaues Regeln der 
Sprengweiten und ist jedenfalls mit Schwierigkeiten verknüpft. 
Gegen freistehende Ziele kann man die Sprenggranaten sowohl mit 
dem Aufschlag-, als mit dem Brennzünder anwenden. — Beim 



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Umschau anf milittr-technischem Gebiet. 327 

Shrapnel mit Doppelzunder findet das Einschieben stets unmittelbar 
statt, eine Benutzung der Granate zu dem Zwecke unterbleibt. — 
Bei Benutzung von Brisanzgranaten, zu deren Klasse die Spreng- 
granaten gehören, erwächst durch etwaige Rohrkrepierer eine grofse 
Gefahr, indem die Gase des brisanten Mittels das Geschützrohr aufs 
äufeerste angreifen. Nach Versuchen sollen in solchem Falle Stahl- 
rohre leicht springen, Bronzerohre nur schwer beschädigt werden. 
Wenn daher bei Friedensübungen ans Vorsicht Bronzerohre statt 
der normalmäfsigen Stahlrohre zum Schieben mit Sprenggranaten 
benutzt werden, so ist dies keine Rückkehr zum Bronzerohr, wie 
man es zeitweise in der Presse hingestellt hat. Im Kriegsfälle 
würde man sich über den Übelstand hinaussetzen, jedenfalls liegt 
kein Grund vor, dem Stahl aus diesem Grunde zu entsagen. Alle 
Nachrichten dieser Art waren unbegründet. 

Uber das belgische Repetiergewehr M/89 finden sich in 
der »Belgique militaire« Nr. 992 und 994 nähere Angaben, anf 
welche wir zur Ergänzung beziehungsweise Berichtigung früherer 
Mitteilungen zurückkommen. Die Einrichtung hat mancherlei 
Analogie mit derjenigen des deutschen Gewehrs 88. Wir finden 
die Doppelbewegung des Verschlusses, den Kasten für 5 Patronen 
unter dem Verschlufegehäuse, sowie den Laufmantel. Das Kaliber 
ist 7,65 mm, die 4 rechtsgängigen Züge haben eine Breite von 
4.2 mm, eine Tiefe von 0,35 mm, die Felderbreite ist 1,55 mm, die 
Länge der Windung 250 mm. Der Laufmantel ist durch 2 zuaaramen- 
gelötete Teile gebildet, er trägt das Visier und das Korn und über- 
nimmt durch 2 Gewehrringe die Verbindung des Laufes mit dem 
Schafte. Der Verschlufscy linder hat ein doppeltes Widerlager, er 
trägt den Auszieher und hat am hintern Ende den seitlich vor- 
springenden Griff. Die Schlofsteile sind: Schlagbolzen, Schlöfschen, 
Schlöfschency linder, Sicherung; die letztgenannte hemmt im Bedarfs- 
falle nicht nur die Bewegung des Schlagbolzens, sondern stellt auch 
den Verschluss fest Die Seitenwände des Kastens sind elastisch 
und nach innen umgebogen, wodurch das unfreiwillige Heraustreten 
der Patronen verhindert wird. Die Zufuhrung der Patronen 
bewirkt ähnlich wie beim österreichischen Gewehr ein gelenkartiger 
Doppelhebel. Ein stählerner Rahmen hält jedesmal fünf Patronen 
mit einander in Verbindung. Der gefüllte Patronenrahmen wird 
aber nicht in den Kasten eingebracht, sondern es werden aus dem 
auf letzteren aufgesetzte Rahmen die Patronen mit der Hand in 
jenen hineingedrückt, wobei die Umbiegungen der Kastenwände in 
Folge der Federung nachgel)en. Der aufserhalb verbliebene Rahmen 



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Umschau auf militÄr-technUchem Gebiet 



wird vom vorgehenden Verschlufecylinder ausgeworfen. Der Kasten 
läfet sich nötigenfalls mit einzelnen Patronen laden, nach Bedarf 
lassen sich Patronen iu denselben nachfüllen. Eine Patronen sperre 
ist nicht vorhanden, weshalb ein Einzelladen in den Lauf nur bei 
leerem Kasten angänglich erscheint. — Die Patronenhülse ist, wie 
früher erwähnt, ohne vorstehenden Rand und behufs Ausziehens 
mit Eindrehung versehen. Das Gewehr ist ohne das Dolchbajonett 
1,275 m lang, mit demselben 0,25 m länger. Das Gewicht des 
Gewehrs ohne Patronenfüllung beträgt 3,9 kg, mit 5 Patronen ge- 
laden 4,043 kg, durch das Bajonett steigert sich das Gewicht um 
0,37 kg. 

In Nr. 994 der »Belgique militaire« finden sich Angaben über 
Vergleichsversuche zwischen dem Repetiergewehr und dem 
Gewehr der Bürgergarde System Comblain in Bezug auf 
Eindringungstiefen in verschiedenen Mitteln. Die Ladung des 
Repetiergewebrs wird zu 3 g rauchlosen Pulvers, das Gewicht seines 
Geschosses zu 14 g angegeben, letzteres, mit Nickelmantel und 
Weich bleikern, erlangt eine Geschwindigkeit von 620 m. Das 
Comblain-Gewehr hat 5 g Schwarzpulver als Ladung. Die Schufe- 
entfernung war 50 m. Das Geschofe des Repetiergewehrs durch- 
schlug 30 bis 32 Bretter aus kanadischem Pappelholz von 3 cm 
Stärke, das Geschofs des Comblain-Gewehrs blieb im 8. Brett 
stecken. Das erstere zeigte nicht die mindeste Veränderung durch 
den Schüfe. Dasselbe durchschlug ferner ein Kesselblech von 10 mm 
Stärke und hinterliefe eine runde Öffnung von 11 mm Durchmesser; 
das Comblain-Geschofs durchschlug ein Kesselblech von 4 mm, die 
Öffnung hatte 20 mm Durchmesser. In Erde von fester Lagerung 
verursachten die Geschosse des Repetiergewehrs Trichter von 20 cm 
Tiefe und 10 cm Durchmesser, sie selber waren auf 25 cm einge- 
drungen, wurden vollständig zerstückelt, Blei wie Mantel in Späne 
zerrissen vorgefunden. Das Verhalten gegen Erde ist also sehr 
ungünstig und steht in keine Übereinstimmung mit den Angaben, 
welche die deutsche Schiefsvorschrift über das Verhalten der Ge- 
schosse des deutschen Gewehrs 88 in Erde macht. Nicht ausgeschlossen 
erscheint es, dafe das Weichblei des Kerns am ungünstigen Ver- 
halten des belgischen Geschosses die Schuld trägt. Auch die An- 
gaben des Stabsarzt Bruns in »die Geschofswirkung der neuen 
Kleinkaliber-Gewehre« lauten in Bezug auf das Verhalten der belgischen 
Geschosse gegen Erde ungünstig; eine weitere Versuchsreihe bleibt 
abzuwarten. 



Umschau auf militir-technischem Gebiet. 329 

Die Nr. 993 der »Belgique militaire« bringt Angaben über ein 
Gewehr und eine Patrone des Lieutenant Marga, sowie über Ver- 
suche mit solchen, die erstaunliche Ergebnisse geliefert haben. 
Es ist die Rede von Geschwindigkeiten bis zu 800 m und mehr. 
Das Geschofe soll die Stahlmantelgeschosse in seinem Verhalten 
erheblich übertreffen. Schon vor Abschlufs der belgischen Gewehr- 
Versuche hatte von dem Margan-Gewehr verlautet, indes erschien 
dasselbe zu spät für den Wettbewerb. An einen Erfolg dürfte daher 
wohl zunächst nicht zu denken sein. — 

Die » Revue d'artillerie« beginnt im Juliheft eine Artikel-Reihe: 
»Les armes ä repetition ä l'etranger,« welche zunächst die Ab- 
änderungen des italienischen und des niederländischen Ordonnanz- 
Gewehrs zum Mehrlader nach dem System Vitali behandelt. In 
Bezug auf den niederländischen Mehrlader Beaumont -Vitali 
sei zu Früherem ergänzend hinzugefügt, dafs der Lader 4 Patronen 
enthält, das Gewehr ohne Bajonett 4,52 kg wiegt, die Patrone, 
welche ein Gewicht von 43 g besitzt, das Schwarzpulver beibehält. 

Die Anwendung flüssiger Kohlensäure als Treibmittels 
bei Handfeuerwaffen ist von einem französischen Techniker 
Paul Giffard zunächst bei Privatgewehren verwirklicht worden. 
Die Handelskammer von St. Etienne hat dem Erfinder einen Geld- 
preis und eine goldene Medaille als Anerkennung zu Teil werden 
lassen. Das französische Kriegs-Ministerium soll die Übertragung 
auf Kriegsfeuerwaffen ins Auge gefafst haben. In Brüssel hat ein 
Beauftragter des Erfinders mit einer dem Verfahren aDgepafsten 
Chassepot-Büchse ein Schiefsen veranstaltet, dem auch der belgische 
Kriegsminister anwohnte, letzterer will nach der »Belgique militaire« 
eine 8 mm Terssen-Büchse behufs Umformung nach dem System 
Giffard zur Verfügung stellen. Bekanntlich ist die flüchtige Kohlen- 
säure der Hauptbestandteil der treibenden Gase, welche sich aus 
den verschiedenen Pulverarten entwickeln. Beim Giffard-Gewehr 
wird sie unmittelbar dem Laufe zugeführt und zwar durch einen 
vertauschbareu Behälter, aus dem die Flüssigkeit tropfenweise in 
die Bohrung des Laufes tritt, wo sie sich sofort in Gas verwandelt. 
Der Behälter wird ähnlich am Gewehr angebracht, wie jetzt z. B. 
der Patronenrahmen. Die genaue Abmessung der Quantität müfste 
eine vollkommene Präzision des Schusses im Gefolge haben. 
Die bisherige Art der Erzeugung kohlensaurer Treibgase im 
Wege des Verbrennungsprozesses hat zudem eine Menge Nachteile 
im Gefolge, die jetzt wegfallen würden, wie Erhitzung des Laufes, 



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330 Umschau aof militär-technischem Gebiet. 

Verunreinigung, Bildung von Rauch und sonstigen lästigen Pro- 
dukten, Gefährlichkeit. Es kann auch keine Verschlechterung der 
treibenden Materie in Folge längerer Aufbewahrung eintreten. 
Zweifellos würde man sehr rasch feuern können und ist der 
Preis des Treibmittels ein sehr geringer. An sich ist der 
Oedanke jedenfalls ein gesunder, indes scheint bis jetzt die 
entwickelte Kraft des Geschosses eine sehr geringe gewesen zu sein; 
es fragt sich auch, ob mit Abnahme der Kohlensäure im Behälter 
die Kraft nicht allmählich geringer wird. Jedenfalls läfst sich 
zur Zeit über die Sache noch kein auch nur annäherndes Urteil 
fällen. 

Im 3. Heft des 74. Bandes (S. 381) hatten wir über Schiefs- 
versuche des Grusonwerks nach den beiden zuerst ausgegebenen 
Berichten (Nr. 1 und 2) Mitteilungen gemacht. Der Bericht 
Nr. 3 setzt die in jenen behandelten Schieisversuche mit der 12 cm 
Schnellfeuerhaubitze in Panzerlaffete fort und enthält ins- 
besondere die Trefffäbigkeits-Ermittelungen beim Schieten mit an- 
gehobener Panzerdecke. In solchem Falle kann bei Änderung des 
Ziels die Seiteurichtung schneller gewonnen werden, da die sonst 
zum Heben der Panzerlaffete erforderliche Zeit in Wegfall kommt. 
Auch bei angehobener Pauzerdecke erwies sich die Trefffahigkeit 
als eine gute. Nach früheren Mitteilungen beläuft sich die Feuer- 
geschwindigkeit auf 12 bis 15 Schills in der Minute; es kann 
danach ein Schnellfeuergeschütz vier bis sechs langsamfeuernde er- 
setzen. Die Stellung ist eine fast unverwundbare, nur Volltreffer 
von Wurfgeschützen grofeen Kalibers sind im Stande gegen Geschütze 
in Panzerlaffeten zu wirken. 

Nach Bericht Nr. 7 fanden mit einer Panzerlaffete für 
eine 15 cm Haubitze Versuche statt. Man wollte die Laffete in 
Bezug auf ihre Haltbarkeit und auf die Trefffahigkeit der Haubitze 
prüfen. Bei der einen Schufsserie lag die Panzerdecke während 
des Schiefsens auf dem Vorpanzer auf, bei der anderen war die 
Panzerdecke etwa 5 mm über den Vorpanzer angehoben. Bei beiden 
Serien war die Trefffahigkeit der Haubitze eine sehr gute, sodafs 
der Anwendung der zweiten Lage beim Schiefsen als Regel Nichts 
im Wege steht. Nach der Schufetafel zeigt dieselbe Haubitze in 
Räderlaffete eine weniger gute Trefffahigkeit als in Panzerlaffete, 
letztere hat auch nach Abgabe von 175 Schüfe keine Veränderung 
gezeigt und entsprach in jeder Hinsicht den an sie gestellten An- 
forderungen. Zur Bedienung der Panzerlaffete genügen 4 Mann, 
von denen 3 in dem Geschützraum zum Laden, Richten und Abfeuern 



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Umschau auf militär-technischem Gebiet. 



331 



der Haubitze erfordert werden, der 4. im unteren Raum das Heben 
und Senken der Panzerlaffete bewirkt und den Geschofsaufzug 
bedient. Bei etwa 15 Grad Erhöhung befindet sich die Haubitze 
in Liadestellung. Die Verwendbarkeit des gröfseren Haubitzkalibers 
in Panzerlaffete erscheint als eine wesentliche Stärkuug der Ver- 
teidigung. 

Der Bericht Nr. 4 enthält die Versuche mit einer 8,2 cm 
Schnellfeuerkanone L/35 in Mittelpivotlaffete. Das Gruson- 
werk war, soweit bekannt, bisher mit seinen Konstruktionen von 
Schnellfeuerkanonen nur bis zum 5,7 cm Kaliber hinaufgegangen ; 
jetzt schliefst es sich also der ansteigenden Richtung an, welche 
bezüglich der Ausdehnung der Kaliber dieser Geschützart herrscht. 
Das Rohr der 8,2 cm Schnellfeuerkanone L/35 ist von geschmiedetem 
Tiegelstahl und als Mantelringrohr konstruiert, der Verschluss ist 
der Gruson'sche Patent -Verschlufs; das Gewicht des Rohrs beträgt 
605 kg. Man hat bisher nur stählerne Panzergranaten L/2,9 von 
7 kg Gewicht versucht. Das Geschütz feuert mit gasdichten 
Einheits-Kartuschen. An Pulversorten kamen folgende rauchende 
zur Verwendung: Grobkörniges Pulver von 4 — 9 mm Körnergröfee, 
prismatisches Pulver C/68, Würfelpulver von 10 — 13 mm Seiten- 
länge, desgleichen von 10 mm Seitenlänge und grobkörniges Geschütz- 
Pulver G/86; außerdem feuerte man mit rauchlosem Pulver 
C/89 in Würfeln von 5 mm Seitenlänge. Die Laffete besteht aus 
einem feststehenden Bock, auf welchem die mit Gleitbahn ver- 
sehene Unterlaffete drehbar ist. Auf der Gleitbahn bewegt sich der 
Rohrträger mit dem Rohr; ein in der Unterlaffete gelagerter 
Bremscylinder hemmt den Rücklauf des Rohrträgers. Die Laffete 
ist mit einem Schild von 15 mm Stärke versehen, welcher gegen 
Gewehrfeuer und Shrapnelkugeln, sowie gegen Sprengstücke und 
Geschosse der Schnellfeuerkanonen kleineren Kalibers Sicherung 
gewähren soll. Das Geschütz wird durch 3 Mann bedient Die 
Ladung von 2,50 kg grobkörnigem Geschütz-Pulver C/86 ergiebt 
680 m Geschofsgesch windigkeit bei einem Gasdruck von 2740 Atmo- 
sphären; 1,25 kg des rauchlosen Pulvers ergeben 692 m beziehungs- 
weise 2328 Atmosphären. Die lebendige Kraft auf 1 kg Ladung 
betrug im ersten Falle 65,99, im zweiten 136,68 mt, auf 1 kg Rohr- 
gewicht 0,273 beziehungsweise 0,282 mt. Die andern rauchenden 
Sorten blieben in der Geschofsgeschwindigkeit erheblich zurück, 
ergaben dann auch entsprechend geringere Gasdrucke. Mit rauchen- 
dem Pulver wurden im Schnellfeuer einmal 24 Schüsse in 60 Se- 
kunden, ein anderes Mal 20 Schufs in 49 Sekunden abgegeben. 

JM,rl.r.rl or fHr 6i* DeuhKho Armee oc4 Marin«. M. 1.IXVI . 3. 03 



332 



Umschau auf milit&r-techniachem Gebiet. 



Der Rücklauf betrug iu einem Falle 15 cm. Das allgemeine Ver- 
halten des Geschützes war ein günstiges, die Trefffahigkeits- 
Ermittelungen sind erst in den Anfangsstadien. 

Der Bericht Nr. 5 enthält Versuche mit rauchlosem 
Pulver C/89 (Ballistit). Die Ergebnisse sind in einer Tabelle zu- 
sammengestellt, aus welcher ersichtlich ist, dafe die Verwertung 
des Pulvers C/89 pro Kilogramm Ladung eine 3 bis 4 mal grofsere 
iat als die der älteren Pulversorten. Das Pulver C/89 entwickelt 
schwach bräunliche Nebel, die jedoch so dünn sind, dafs unmittel- 
bar nach erfolgtem Schüfe wieder gerichtet werden kann, da das 
Ziel deutlich sichtbar bleibt. Selbst bei starkem Regenwetter ver- 
zogen sich diese bräunlichen Nebel innerhalb dreier Sekunden voll- 
ständig, während der vom Schwarzpulver herrührende Pulverrauch 
längere Zeit vor dem Geschütz lagerte und ein schnelles Richten 
unmöglich machte. Das Pulver C/89 hinterläfst beim Verbrennen 
so wenig Rückstand, dafs die Seele des Rohres fast rein bleibt; auch 
die Erwärmung von Rohr und Patronenhülse ist merkbar geringer 
als beim Schwarzpulver. 

Es kamen folgende Geschütze zur Verwendung: a) Schnell- 
feuerkanonen — 3,7 cm L/23 in Feldlaffete, 5,3 cm L/24 in 
Bockpivotlaffete, desgleichen L/30 in Feldlaffete, desgleichen L/40 
in Schiffslaffete, 5,7 cm L/25 in Bockpivotlaffete, 7,5 cm L/25 
in Kasemattenlaffete, 8,2 cm L/35 in Schiffslaffete, b) die 12 cm 
Schnellfeuerhaubitze L/12 in Feldlaffete, c) der 12 cm Kugel- 
mörser im Panzerstand. Es kam rauchloses Pulver iu Würfeln 
von l, 2, 3, 4, 5 mm Seitenlänge zur Anwendung; zu Gegen- 
proben dienten: Gewehr-Pulver, grobkörniges Pulver von 3—7 mm, 
desgleichen von 4—9 mm, grobkörniges Geschütz-Pulver C/86, end- 
lich feinkörniges Geschütz-Pulver. 

Bei der 3,7 cm Schnellfenerkanone standen sich rauchloses 
Pulver von 1 mm und Gewehr-Pulver gegenüber, vom ersteren er- 
geben 0,025 kg 369 m Geschwindigkeit, 970 Atmosphären Gasdruck, 
vom letzteren 0,070 kg 390 m beziehungsweise 1690 Atmosphären — 
0,035 kg des ersteren, 0,08 des letzteren ergeben auf 1 kg Ladung 
153,34 beziehungsweise 48,87 mt an lebendiger Kraft (Mündung), 
bei Gasdrücken von 1992 beziehungsweise 1844 Atmosphären, auf 
1 kg Rohrgewicht bezogen 0,145 beziehungsweise 0,105 mt. Ähnlich 
wie bei den Krupp'schen Versuchen (vergl. Bd. 75 Heft 3 S. 403) 
finden wir die erheblich gröfsere Ergiebigkeit des rauchlosen Pulvers 
nachgewiesen, unter Voraussetzung gleicher Leistung aber einen 
wesentlich verringerten Gasdruck. 



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Umschau auf railitär-techrmchem Gebiet. 



333 



Bei der 5,3 cm Schuellfeaerkauone L/24 ist dem rauchlosen 
Pulver von l*/a nim das grobkörnige Pulver von 4— 9 mm gegen- 
über gestellt. Auf 1 kg Ladung ergeben 0,14 kg des ersteren 
158,78 mt, 0,365 kg des letzteren aber nur 40,3 mt lebendiger Kraft; 
auf 1 kg Rohrgewicht ergaben sich in beiden Fällen 0,157 beziehungs- 
weise 0,104 mt. Auf 1 kg Rohrgewicht ergeben 0,11 kg rauchloses 
Pulver 0,11 mt an lebendiger Kraft, 0,365 des grobkörnigen Pulvers 
0,104 mt, die Gasdrucke sind in beiden Fällen 1486 beziehungsweise 
1896 Atmosphären, also beim rauchlosen Pulver unter besserer 
Leistung ganz erheblich geringer. 

Bei der 7,5 ein Schnellfeuerkanoue ergeben 0,60 kg rauchlosen 
Pulvers von 3 mm 503 m beziehungsweise 1936 Atmosphären, 
0,65 kg von 4 mm 498 ni beziehungsweise 1604 Atmosphären. Man 
ersieht den Einflufs der wachsenden Gröfse des Würfels auf die 
Schonung des Rohrs. — 0,75 kg rauchlosen Pulvers von 4 mm er- 
geben 560 m, beziehungsweise 2287 Atmosphären, 1,5 kg grob- 
körnigen Geschütz-Pulvers C/86 538 m beziehungsweise 2547 Atmo- 
sphären, lebendige Kraft auf 1 kg Ladung 127,86 beziehungsweise 
59,01 mt, auf 1 kg Rohrgewicht 0,278 beziehungsweise 0,256 mt. 
Das aus neuerer Zeit stammende rauchende Pulver zeigt sich hier 
nicht in dem Mafse ungünstig wie die älteren Sorten. 

Beim 12 cm Kugelmörser ergaben 0,24 kg rauchlosen Pulvers 
von 1 mm 223 m beziehungsweise 1051 Atmosphären, 0,50 fein- 
körnigen Geschütz-Pulvers 178 m, 1352 Atmosphären, lebendige Kraft 
auf 1 kg Ladung 41,57 beziehungsweise 26,48 mt. Beim Mörser 
sind die ballistischen Verhältnisse für das rauchende Pulver weniger 
ungünstig, als bei den längeren Geschützen, was mit sonstigen Er- 
fahrungen hinsichtlich des Einflusses der Rohrlänge auf die Ergiebig- 
keit des rauchlosen Pulvers übereinstimmt. 

Der Bericht Nr. 6 behandelt die Schiefsversuche mit einer 
7,5 cm Schnellfeuerkanone L/25 in Kasemattenlaffete. Das 
Rohr ist aus geschmiedetem Tiegelstahl und Mantelrohr, wiegt 
345 kg, der Verschlufs ist der erwähnte patentierte des System 
Gruson; Liderung durch die Patronenhülse, das Abfeuern mittelst 
der Abzugsschnur. Die Geschosse sind die Granate L/3,2, das 
Shrapnel und die Kartätsche; die ersteren beiden Geschosse wiegen 
jedes 6 kg, das Shrapnel hat 200 Füllkugeln, die Kartätsche 
204 Füllkugelu, das Gewicht der Kartätsche ist 7,2 kg. Granaten 
und Shrapnels haben Kupferführung und Eisenzentrierung. Geschofs 
und Ladung sind durch die Messinghülse zu einer Patrone ver- 
bunden; die Ladungen bestehen ans verschiedenen Pulversorten. 

2.'i* 



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334 



Umschau auf militar- technischem Gebiet 



Das Kohr ruht in einem Rohrträger, der auf einer Unterlaffete 
gleitet, die drehbar auf einem feststehenden Bocke ruht. Ein an 
der Unterlaffete angebrachter Bremscylinder hemmt den Rücklauf 
des Rohrträgers auf höchstens 12 cm. Zum Nehmen der Höhen- 
richtung dient eine Zahnbogen-Richtmaschine. Das Rohr kann bis 
12 Grad eleviert und bis 5 Grad gesenkt werden. Das Gewicht der 
Laffete ist 1105 kg. Zur Bedienung sind 2 Mann erforderlich, 
davon der eine lediglich das Einlegen der Patronen ins Rohr besorgt. 

An rauchenden Pulversorten kamen zur Verwendung: 
2 Arten grobkörniges Pulver, die eine von 4 — 9, die andere von 
3—7 mm Körnergröfse, 2 Arten Würfelpulver, die eine von 10— 13mm, 
die andere von 10 mm Seitenlänge, endlich grobkörniges Geschütz- 
Pulver C/86; an rauchlosen Sorten war nur rauchloses Pulver C/89 
in Würfeln von 4 mm Seitenläuge in Frage. Von jeder einzelnen Sorte 
kamen verschiedene Ladungen vor. Bei den samtlichen rauchenden 
Sorten kehrte die Ladung von 1,5 kg wieder; hinsichtlich der Ge- 
schwindigkeit verhielt sich hier das grobkörnige Geschütz-Pulver 
C/86 am günstigsten mit 538 m, am wenigsten günstig verhielten 
sich die beiden Sorten Würfel-Pulver mit 397 und 416 m, das 
letztere erzielte die geringsten Gasdrucke, 1355 und 1249 Atmo- 
sphären, die gröfsten Gasdrucke dagegen das grobkörnige Pulver 
mit 2663 und 3204, grobkörniges Geschütz-Pulver C/86 ergab 
2547 Atmosphären. Vom rauchlosen Pulver C/89 ergaben 0,7 kg 
529 m, 0,75 kg 560 m Geschwindigkeit und Gasdrucke von 1936 
beziehungsweise 2257 Atmosphären. Wir erkennen hier wieder die 
grofse Ergiebigkeit des rauchlosen Pulvers bei mäfsigem 
Gasdruck. Auf das Kilogramm des Rohrgewichts entfielen mit 
0,75 kg rauchlosen Pulvers 0,278 mt lebendiger Kraft, mit 1,5 kg 
rauchenden Pulvers zwischen 0,257 und 0,14 rat. Am günstigsten ver- 
hielt sich von letzterem wieder das grobkörnige Geschütz-Pulver C/86, 
am wenigsten günstig das Würfel-Pulver. Die Treffbilder Bind nur 
mit rauchenden Pulversorten erschossen und zeigen keine Besonder- 
heiten. Rohr und Laffete verhielten sich gut, die Patronenhülsen 
wurden stets energisch aus dem Rohr geworfen, die Dichtung war 
einwandfrei; sämtliche Hülsen erwiesen sich als wiederverwendbar. 
Die Feuergeschwindigkeit schwankte bei den rauchenden Pulver- 
sorten zwischen 20 und 26 Schufs in der Minute; von rauchlosem 
Pulver liegen keine Daten vor. Sch. 



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XIX. Umschau in der Müitär-Litteratur. 



I. Ausländische Zeitschriften. 

Organ der mllitär- wittenschaftllchen Vereine (öfterreich.). 6. Heft: 

Die ersten Feldzüge der französischen Revolution. 1792 und 1793. Der 
Feldzug 1793. Von A. Minanelli-Fitzgerald, k. und k. Hauptmann des 
Generalstabs. — Tagesfragen auf dem Gebiete des Waffen- und Schiefs- 
wesens. Von N. Ritter v. Wuich, Oberstlieutenant. 

Streif leur't österreichische militärische Zeitschrift. (Juni.) Die Schlacht 
bei Austerlitz. — Schiefsen gegen Ziele in Bewegung. — Die deutsche 
Kriegsmacht seit dem Herbste 1889. Von J. Schott, Major a. D. (Aus 
„Unsere Zeit"). — Aus dem Buche vom Offizier. — Der Melde- und 
Befehlstil. — Die vorhandenen Waffen im Gefecht. 

Mitteilungen über Gegenstande des Artillerie- und Genie -Wesens 
(Österreich.). 6. Heft: Russische Ansichten und Vorschläge in Bezug auf 
den gegenwärtigen Stand der Fortifikation. — Übersicht der Versuche auf 
dem Gebiete des Artillerie- und Waffenwesens im Jahre 1889. 

Die Reichswehr (Österreich.). Nr. 136: Udine und Montecitorio. 
D. R. giebt ihrer Befriedigung Ausdruck über die in Görz und Udine 
neubesiegelte Waffenbrüderschaft der k. u. k. Armee und des italienischen 
Heeres, und die sympathische Stellung der italienischen Militärpresse ; 
um so mehr sei es geboten, gegen die revolutionären Umtriebe der irre- 
dentistischen Partei, des Feindes des Dreibundes, energische Mafsregeln zu 
ergreifen. — Eisenbahn-Verköstigungs-Stationen. — Nr. 137: Ein 
schlechter Tausch. Bezieht sich auf das deutsch-englische Abkommen ; 
der Besitz von Helgoland sei viel zu teuer bezahlt durch Hingabe grofser 
Landkomplexe, weit bedeutsamer sei noch die Anerkennung des englischen 
Protektorates über Sansibar. — Nr. 138: Stillstand oder Fortschritt. 
Betont wird die Notwendigkeit der Bewilligung fernerer grofser Forde- 
rungen der Heeresverwaltung, damit das Diktum wahr bleibe: Austria 
erit in orbe ultima. — Nr. 139: Major Panitz a. D. R. tadelt, dafs 
Fürst Ferdinand nicht im Lande war, wahrend ein Akt strafender 
Gerechtigkeit an diesem hochverräterischen Offizier vollzogen wurde ; es sei 
der gröTste Fehler, den die Regierung des Koburgers je beging. — Nr. 140 : 
Bemerkungen zur neuen Instruktion für die Waffenübungen. — Nr. 141: 
Honved-Herbstmanöver. Sämtliche Truppenkörper der Honved werden 



336 Umschau in der Militär-Iiitteratnr. 

an solchen Teil nehmen, die des I. und III. Honved-Distriktes auch an 
den Schluß-Manövern des 6. und 7. Corps bei Mezö-Telegd. 

Militär-Zeitung (Österreich.). Nr. 43/44: Custozza. Erinnerungen 
an den 24jährigen Gedenktag dieses glänzenden Sieges und kurze Dar- 
stellung der bezüglichen Ereignisse. — Probeschiefs en mit dem rauch- 
losen Pulver. Bei dem am 18. Juni stattgehabten Probeschiefsen ergab 
sich, dafs der Rückstofs ein stärkerer sei wie beim Schiefsen 
mit den alten Patronen. Beim Schiefsen auf 8 10 cm dicke, mit 
einander verbundene Eichenpfosten ergab sich, dafs die Geschosse 54 cm 
tief in das harte Holz gedrungen waren ; es wurde ferner konstatiert, dafs 
das neue Pulver einen kaum merkbaren Genich hatte. — Nr. 45: Die 
deutsche Militärvorlage im Reichstage. Anerkennende Besprechung 
der jüngsten Debatten im deutschen Reichstage, die „einen wahrhaft er- 
frischenden Eindruck von Kraft bewufstsein der Regierung wie auch der 
Volksvertretung üben.* 1 — Nr. 46: Friedenspräsenzstlirke. — Der mili- 
tärische Wert Helgolands. — Nr. 47: Über die Präsenzdienstzeit. 
Das Rütteln an derselben wird als unbegründet bezeichnet und bedeute 
bei den heutigen militilr-politischen Zuständen eine Gefahr. 

Armeeblatt (ölterreieh.). Nr. 26: Das Kriegs- Budget. Der Be- 
friedigung der Armee über die Stellung des Kriegsrainisters in den Ver- 
handlungen der Delegationen wird Ausdruck gegeben, namentlich be- 
treffend die in Aussicht gestellte Erhöhung des Präsenzstandes. Wer eine 
kräftige Politik verlange, dürfe an den Bedürfnissen der Wehrkraft des 
Staates nicht engherzig knausern! — Nr. 27: Militärische Kapitel. 
Nachtmanover, Millionen-Heere. — Nr. 28: Graf Nie. Pejacsevies f. Der 
Verewigte, kommandierender General und Kommandant des 4. Corps in 
Budapest, war am 27. Juli 1S33 geboren, schon mit 31 Jahren Oberst 
und Commandeur des Hus.-Regts. Nr. 9, mit dem er am Feldzuge gegen 
Dänemark Theil nahm. Bei Königgrätz verlor er einen Arm. Am 
13. Juli 1886 wurde er, nach Pensionierung des Baron Edelsheim, mit 
dem Kommando des 4. Corps betraut. Die österreichisch-ungarische Ka- 
vallerie verliert in ihm einen ihrer erprobtesten Führer. 

Journal des SCiences militaires. (Juni.) Taktik der Verpflegung 
(Fortsetzung). — Bemerkungen über die Reorganisation der Armee (Fort- 
setzung): Die Artillerie eines Armee-CorpB von 3 Divisionen. — Die Ka- 
vallerie im Kriege der Neuzeit (Schlufs). — Der Feldzug von 1814 (Fort- 
setzung): Die Kavallerie der Verbündeten während des Feldzuges von 
1814. — Islj: Oberst Morris und das 2. Regiment der Chasseurs d'Afrique. 
— Erinnerungen an den Feldzug in Tonkin (Fortsetzung). — Pajol 
(Schlufs). 

Revue militaire universelle. (Mai.) Dem 5. Teile dieser Monats- 
schrift entnehmen wir folgende Zahlen über die Effektivstärke für 1891: 
26,934 Offiziere, 520,548 Mann, 142,890 Pferde. Dies bedeutet gegen 
früher eine Vermehrung um 1,038 Offiziere, 16,899 Mann, 4,569 



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Umschau in der Militir-Litteratur. 



337 



Pferde. R. m. u. meint, ihre Leser würden „mit Befriedigung" von 
dieser steigenden Vermehrung der National -Armee Kenntnis nehmen. — 
Die Armee-Corps-Commandeure. Dieselben sind ausnahmslos aus 
einer Militär-Schule hervorgegangen; Jamont und Ferron aus der „Ecole 
polytechnique", die übrigen aus St. Cyr. (Mit dem „Marschallsstab in 
der Patrontasche" des französischen Soldaten ist's also nichts mehr ! D. L.) 

Revue du cercle Ulllltaire. Nr. 25: Der serbisch-bulgarische Krieg 
1885. — Die Befestigungen von Saint- Maurice. — Die maritime Ver- 
teidigung Englands und seiner Kolonien (Schlufs). — Nr. 26: Noch ein 
Wort über den serbisch-bulgarischen Krieg. — Bemerkungen über einen 
Anzeiger -Apparat beim Scbiefsen. — Mobilmachung der Flotte. Am 
20. Juni erging an die Prüfekten von Cherbourg, Brest, Lorient und 
Rochefort der telegraphische Befehl zur schleunigen Ausrüstung einiger 
Schiffe, behufs Verstärkung des Mittelmeer-Geschwadors und der Panzer- 
Division des Nordens während der grofsen Manöver. Die 4 Divisionen 
zählen zusammen 36 Fahrzeuge, von denen 12 Panzerschiffe, darunter 7 
der „neuen Flotte". — Nr. 27: Erörterungen über die zweijährige Dienst- 
zeit in Deutschland. — Die Gebirgs -Artillerie. — Die chinesische 
Marine. 

Revue de Cavalerle. (Juni): Pajol (mit Porträt) von General Thouraas. 
— Die deutsche Kavallerie (Fortsetzung). — Regimentsgeschichten der 
französischen Kavallerie: Das 4., 5. und 6. Husaren-Regiment. — Über 
das gut zugerittene Pferd. 

Revue de l'intendaece militaire. (Mai — Juni): Der Wein. Eine 
Geschichte desselben, seine Verbreitung und Kultur. — Der Kaffee auf 
dem französischen Markt. — Das Mahlen mit Cylindern. — Geschichte 
und Verwaltung. 

L'Avenir militaire. Nr. 1485: Das rauchlose Pulver. Dieser Auf- 
satz betont, die Zukunftsschlacht werde ein langes Artillerie-Duell sein f 
gefolgt von dem Hin- und Herwogen zweier sich auf 800 m bekämpfender 
Schützenlinien. Es wird dann die Frage aufgeworfen, in welcher For- 
mation die rauchlose Zone der Gefahr durchschritten werden soll, Behufs 
Einbruch in die feindliche Stellung. Geschlossenen und tiefen Formationen 
werde es ergehen wie der preufsischen Garde bei St. Privat. Man be- 
dürfe breiter, durch weite Zwischenräume getrennter Staffeln, doployierter, 
zwei- oder selbst eingliedriger Com pagnien; wenn der Angriff befohlen sei, 
müfsten diese Staffeln unaufhaltsam vordringen, jeder Aufenthalt sei ver- 
derbenbringend, die Schützenlinie müsse durch sie vorwiirts getrieben 
werden. Wenn auch die ersten beiden oder ersten drei Staffeln empfind- 
liche Verluste erleiden, so würden es doch der vierten oder fünften 
gelingen, das Hindernis zu bewältigen. Es sei Zeit, entsprechende Vor- 
schriften in das Exerzier-Reglement aufzunehmen. — Nr. 1488: Die 
Enceinte von Paris und die bürgerlichen Interessen. Verfasser 
meint, die Niederlegung der Umfassungsmauern bedinge den Fortfall des 



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338 



Umschau in der Milittr-Litteratur. 



städtischen Octroi, was unverträglich sei mit der städtischen Finanz- 
wirtschaft. — Nr. 1489: Die taktischen Vorschriften für die 
Manöver des 18. Corps. Dieselben schreiben für das Angriffsgefecht 
der Infanterie vor: Entwickelung zur Schützenlinie auf 2000 m, wenn 
man gesehen wird; Feuereröffnung (Salven) auf 1500 — 1200 m; Ent- 
scheidungs-Gefecht der Infanterie in der Zone von 700—400 m, sodann 
schnelles Vorgehen gegen die Stellung, bei dem die Schützen durch die 
Compagnien der Bataillone des zweiten Treffens nach und nach vorwärts 
getrieben werden ; die allgemeine Reserve folgt auf 1 000 m, zur Verfolgung, 
oder aber um das zweite Treffen vorwärts zu treiben, bezw. die abge- 
schlagenen Truppen zu sammeln. 

La France militaire. Nr. 1851: Die Insel Helgoland. F. m. meint, 
die Abtretung derselben sei vom politischen und strategischen Standpunkte 
von höchster Bedeutung; England habe dafür sich die Unterstützung 
Deutachlands in der ägyptischen Frage zusichern lassen (?). — Nr. 1854: 
Remonten. Nach Mitteilung des Kriegsministers soll im Jahre 1891 der 
Pferdestand der Kavallerie um 3000 Pferde (!) vermehrt werden, man will 
die Brauchbarkeits-Zeit der Pferde ein wenig verlängern und 1000 Re- 
monten mehr ankaufen. — Nr. 1855: Das Armee-Oberkommando. 
F. m. befürwortet, dafs bei einem nationalen Kriege sich der Präsident 
der Republik mit dem Kriegsminister inmitten der Operations -Armeen auf- 
halte, nicht in Paris bleibe, dies würde keineswegs die Stellung des 
„Generalissismus 11 so schwierig machon, dafs kein General gewillt sein 
worde, dieselbe anzunehmen. — Nr. 1856: Vier gegen einen. F. m. 
bespricht den angeblichen Beitritt Englands zum Dreibunde, welcher die 
Gefahren für Frankreich steigere und schliefst mit den drohenden Worten: 
„Rüsten wir uns zum letzten Waffengange ... für unser Leben!" F. m. 
mag sich beruhigen; Niemand wird Frankreich angreifen; aus dem lesens- 
werten Aufsatze erhellt nur der schlecht verborgene Arger über das 
englisch-deutsche Abkommen! — Nr. 1859: Das Budget der Marine. 
Frankreich hat seit 1871 für seine Marine verausgabt 3 Milliarden, 
000 Millionen; England 4 Milliarden, 300 Millionen; Italien 1 Milliarde, 
101 Million; Deutschland 1 Milliarde; Österreich 470 Millionen. Frank- 
reich hat jetzt 378 Gefechtseinheiten anstatt 471 im Jahre 1871, die 
M.'lchle des Dreibundes hatten in letzterem Jahre deren 290, jetzt 538. — 
Nr. 1864: Das Marine-Budget, Abermalige Kritik der maritimen 
Wehrkräfte; es sei in den Kriegshäfen kein einziges Schiff, welches sich 
in Bezug auf Bewaffnung und Schnelligkeit mit einem englischen oder 
italienischen Schiffe messen könne (V). 

Le Progrei militaire. Nr. 1005: Studien über das rauchfreie 
Pulver. Ergebnis der in Chalons und bei Paris stattgehabten Übungen 
mit solchem. Infanterie, und Kavallerie würden von demselben Nutzen 
ziehen, nur die Kavallerie werde benachteiligt beim Aufklärungsdienste; 
dies sei Grund genug, ihr statt der Lanze, wie beabsichtigt sei, einen 



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Umschau in der Militar-Litteratur. 



339 



Repetier-Karabiner zu geben. — Nr. 1006: Pr. m. beschäftigt sich noch 
immer mit der Frage, was aus den 200 im dienstpflichtigen Alter (unter 
45 Jahren) stehenden Abgeordneten im Falle der Mobilmachung werden 
solle und meint, ihr Posten sei zweckmäfsiger im Palais Bourbon als hinter 
irgend einem Festungswalle fern vom Feinde. — Hr. 1007: Die Uni- 
formen der Kavallerie und das rauchlose Pulver. Pr. m. verlangt 
die Beseitigung aller grellen Farben, glänzender Beschläge an den Kopf- 
bedeckungen u. 8. w. — Nr. 1008: Sechsmonatliche Dienstzeit 
beim Train. Selbige wird, nach deutschem Vorbilde, empfohlen. — 
Nr. 1000: Durch Dekret vom 26. Juni ist das 4. Regiment tonkinesischer 
Tirailleure aufgelöst worden. 

Allgemeine Schweizerische Militärzeitung. Nr. 25: Bewegung in 
der französischen Armee (Schlufs). Behandelt die höheren Militär- 
Bildungsanstalten, Generalität, Disziplin, Avancement und den jetzigen 
Kriegsminister. Eine sehr beachtenswerte Arbeit, welche wir den Herren 
Parlaments-Rednern zu eifrigem Studium empfehlen möchten. „So ist die 
französische Armee", sagt Vorf., „in steter Bewegung und Arbeit, ein 
wahres Bild des bewaffneten Friedens". — Farbe der Wehrmanns- 
kleider; als solche wird grau, graublau, braun, moosgrün vorgeschlagen, 
Farben, „welche im Gelände verschwinden". — Nr. 26: Unser Gewehr im 
Lichte der Vergleichung. 

Schweizerische Monatsschrift für Offiziere aller Waffen. (Juni.) Der 
Feldzug Julius Cäsar's gegen die Helvetier im Lichte der Kritik (Schlufs). 

— Über die Disziplin. — Das Operative im Truppenzusammenzug von 
1889 (Schlufe). — Pioniere bei der Kavallerie. 

Schweizerische Zeitschrift für Artillerie und Genie. (Juni.) Oberst 
der Artillerie H. Wehiii in Zürich f. — Taktische Ergebnisse des Schiefs- 
kurses für Feld -Artillerie 1890. — Die schweizerische Kartographio an 
der Weltausstellung von Paris 1889, und ihre neuen Ziele (Fortsetzung). 

— Bericht des Militär-Departements über seine Geschäftsführung im Jahr 
1889 (Fortsetzung). 

La Belgique militaire. Nr. 1004: 75. Jahrestag der Schlacht 
von Waterloo. Dieser Aufsatz giebt vornehmlich eine ziemlich eingehende 
Darstellung der Teilnahme der belgischen Truppenteile an der Schlacht. — 
Die Geschützfrage. — Nr. 1005: Studie über unsere Kavallerie (Fort- 
setzung). — Nr. 1006: Allgemeine Wehrpflicht in Holland. Be- 
sprechung des bezüglichen Gesetzentwurfes, welcher die Dienstzeit in der 
Marine auf 6, in der Landarmee auf 8 Jahre festsetzt. Es wird betont, 
dafs Belgien zukünftig das einzige Land auf dem Kontinent sei, welches 
Söldner habe und den „Reichen" gestatte, sich für einige hundert Franks 
von der Pflicht der Vaterlandsverteidigung loszukaufen. — Panzertürme 
an der Maas. 

Admiralty and Horse Guards Gazette. Nr. 293: Der Rekruten- 
mangel. Der Jahresbericht der Armee von 1889 zeigt eine bedeutende 



340 



Um*cbau in der Mtlit&r-Litterator. 



Abnahme an Rekruten, obgleich die Annahme-Bedingungen erleichtert 
und manche Verbesserungen in der Verpflegung der Mannschaft einge- 
treten sind. Bei der Linie und der Miliz fehlen gegen 25,000 Mann. 

The United Service Magazine. (Juli.) Die Neubewaffnung der 
deutschen Armee. Ein deutscher Generalstabs-Offizier schreibt für das 
englische Journal einen umfangreichen Aufsatz über die Zusammensetzung 
und die I^eistungen des deutschen Infanterie-Gewehrs 88. Der englische 
Herausgeber spricht sich anerkennend darüber aus. — Ein Sommer- 
nachtstraum. Ubersetzung der bekannten Flugschrift aus dem Deutschen 
in das Englische, zu der Oberst Maurice von der Artillerie eine kritische 
Einleitung giebt, die sich im Allgemeinen anerkennend über jene Schrift 
ausspricht. — Die Afrika- Manie. Von Sir Samuel W. Baker. Die 
Sucht der Lilndererwerbnng fast aller europäischer Staaten in Afrika wird 
geschildert. Der Verfasser weist darauf hin, dafs es für England am 
notwendigsten ist, Ägypten und demzufolge auch den Sudan zu halten. 
In einer Nachschrift wird der am Jahrestage der Schlacht von Waterloo 
abgeschlossene Vertrag mit Deutschland betreffs Abtretung von Helgoland 
und Ausgleich in Afrika besprochen, wodurch die in jener Schlacht ge- 
schlossene Waffenbrüderschaft von Neuem befestigt ist. 

Journal of the United Service Institution of India. Nr. 80: Neue 
Grundsätze für Befestigungen. Von Major Stanell. Enthält eine 
Zusammenstellung aller derjenigen Grundsätze für Festungs-Bau, Angriff 
und Verteidigung, welche in der Militär-Litteratur Deutschlands, Frank- 
reichs, Belgiens und Russlands ausgesprochen sind. Es wird dabei nach- 
zuweisen gesucht, dafs von allen in den letzten 20 Jahren errichteten 
Befestigungen keine der Sprengwirkung der neuerfundenen Stoffe ge- 
wachsen ist. — Die Compagnie als taktische Einheit der Zu- 
kunft. Von Oberst lieutenant Gowann. Die englische Compagnie müsse 
auf gleiche Stärke wie die deutsche gebracht werden, um die taktische 
Einheit im Gefecht bilden zu können. Die Ausbildung der deutschen 
Infanterie-Corapagnie wird, nach deutschen Büchern in Wochenzettel zer- 
legt, als mustergültig hingestellt. — Die Ausbildung der russischen 
Offiziere in Mittel-Asien. Auf Grund russischer Veröffentlichungen 
wird die eigenartige Kriegführung gegen die mittelasiatischen Völker, wie 
sie durch deren Kampfweise und die klimatischen Verhältnisse bedingt 
wird, näher erörtert. Gründliche Kenntnis der geographischen Verhält- 
nisse, der Kampfweise, Stärke und Befestigungen jener Völker sind für 
den Offizier unerläfslich: 

The illuitrated Naval and Military Magazine. Nr. 17: Die Be- 
festigungen der Maas. Von C. T. L'Eatrange. Eine strategisch- 
taktische Studie über die neuen Maas-Befestigungen, unter Beifügung gut 
gezeichneter Pläne. Der Verfasser kommt zu dem Schlufs, dafs, trotz der 
vortrefflichen Anlage dieser Werke, deren Widerstandsfähigkeit sehr 
fragwürdig er&cheint, da es Belgien an der nötigen Zahl ausgebildeter 
Mannschaft zur Besatzung jener fehlt. 



ümschaa in der Militir-Litteratnr. 



341 



WajeiMÜj Ssborilik. Nr. 6: Die Pferdezucht und die Transport- 
mittel des europäischen Russlands (Fortsetzung). Es werden die 
kleinrussischen Gouvernements Kursk, Tschernigow, Charkow, Poltawa 
behandelt. Dieselben haben nach der Zählung vom Jahre 1888 1,892,374 
Pferde, so dafs auf die Quadrat- Werst in denselben 16,2; 12,8; 7,7 Pferde 
entfallen. Für die Verbesserung der Land-Race sorgen die berühmten 
Bielowodsker Gestüte im Gouvernement Charkow, sowie eine grofse Reihe 
von Privatgestüten — 511 in den 4 Gouvernements mit 1,174 Hengsten 
und 8,583 Mutterstuten. — Auf 115 sogenannten Beschölpunkten standen 
1888 248 Hengste, von denen 7,381 Stuten gedeckt wurden. — General- 
lieutenant Woide beginnt eine Reihe von Artikeln über: Die Selbst- 
ständigkeit der Truppenbefehlsbaber im Kriege. Der erste der- 
sell >en, „Die Selbstständigkeit der Truppenbefehlshaber bei den Deutschen," 
spendet uneingeschränkte Anerkennung den Leistungen des deutschen 
Offizier-Corps. Es heifst im Eingange u. a.: „Es ist bekannt, dafs der 
Löwenanteil an den staunenswerten Erfolgen der Deutschen im Feldzuge 
1870 der selbstständigen Initiative der deutschen Führer gebührt. — Die 
deutschen Truppen-Conimandeure machten nicht selten die Fehler gut, 
welche von höherer Befehlsstelle verschuldet waren und errangen für 
letztere den nicht immer verdienten Sieg. Durch die Energie und Um- 
sicht der Truppen-Commandeure haben die Deutschen auch da den Sieg 
davon getragen, wo die Franzosen ihnen mit bedeutend gröfseren Kräften 
gegenüberstanden." — Wahrlich goldene Worte, welche auch in unserer 
Armee von denen nicht vergessen werden sollten, in deren Händen die 
Ausbildung der Truppen und die Erziehung der Offizier-Corps liegt. 
Wer die Frische und die Selbstständigkeit seiner Untergebenen tötet, der 
nimmt der Armee ein Unterpfand des Sieges. 

Russisches Artillerie-Journal. Nr. 5: Das 500jahrige Jubiläum 
der russischen Artillerie vom deutschen Gesichtspunkt. — Be- 
merkungen zu der im Beiheft Nr. 7 1889 zum Militär- Wochenblatt ent- 
haltenen Recension „Fünfhundert Jahre der russischen Artillerie". Dieser 
Artikel wendet sich in ziemlicher Schärfe gegen die Behauptungen der 
erwähnten deutschen Recension, dafs ein 500 jähriges Bestehen einer selbst- 
ständigen russischen Artillerie liistorisch kaum nachweisbar sei, da in 
gewissem Sinne doch nur der Italiener Fioranti der Begründer des russischen 
Geschützwesens gewesen. Besonders erregte Widerlegung finden aber die- 
jenigen Stellen der Reconsion, welche die Bedeutung deutschen Ein- 
flusses für die Entwicklung der Artillerie überhaupt und der russischen 
im besonderen betonen. — Einige Worte mit Bezug auf die Broschüre 
des Prinzen Hohenlohe „Die Feld -Artillerie in ihrer Unter- 
stellung unter die Corps-Coramandeure" von Baumgarten. Dem 
Talente und der Bedeutung des Prinzen Hohenlohe wird volle Anerkennung 
gezollt, aueh da, wo ihm ein gewisser Optimismus zu Gunsten deutscher 
Verhältnisse vorgeworfen wird. 



342 



Umschau in der Militär-Litteratur. 



Rullisches Ingenieur- Journal. Nr. 5: Die erste Artillerie- Stellung 
beim Angriff auf Festungen mit einer Skizze. — Übersetzung der Schrift 
des Generals Brialmont: „Les regions fortinees". — Übersicht über 
Arbeiten betreffend den Bau neuer südlicher Handelshufen Russlands. 

Russisches Marine- Journal. Nr. 5: Die russische Flotte im Schwarzen 
Meere (Fortsetzung). — Erinnerungen aus dem Leben eines alten See- 
mannes (des 1888 als Neunzigjähriger verstorbenen Generalmajors de 
Lioron). 17. 

Rivista milltare italiana. (Juni-Heft.) Die Invasion in Frank- 
reich 1814. Strategisch - taktische Studie (Fortsetzung). Die 
Heeresstärke. Vorschläge zur Durchführung der 2jährigen Dienstzeit in 
Italien bezw. zur Herabsetzung der Ausgaben für das Heer unter Ver- 
mehrung des heutigen Rekruten-Kontingents. Die Frage ist durch die 
Vorschläge der Deputiertenkammer in Flufs geraten, dürfte aber durch 
die Erklärung des Kriegsministers, dafs er die 2jährige aktive Dienstzeit 
durch eine Kommission einer Beratung unterziehen lassen wolle, dieselbe 
aber aus Rücksicht auf die durch die Einführung des rauchfreien Pulvere 
und die enorm vervollkommnende Bewaffnung notwendige Verleihung der 
Schulung heute noch nicht für opportun halte, wohl als erledigt an- 
gesehen werden können. 

EsercitO Italiaao. Nr. 73: Das Marine-Budget pro 1890/91: Der 
Beriebt des Ausschusses der Deputiertenkammer über das Budget pro 
1890/91 konstatiert, dafs Italien in Bezug auf Zahl der Schiffe England, 
Frankreich und Russland unterlegen ist, nicht aber in Bezug auf Quali- 
tät der vorhandenen neuen Panzer. Der Ausschufs hat nur mit schwerem 
Herzen die Abstriche, die der Marineminister selbst als zulässig erklärte, 
angenommen. Die Ausgaben, die gefordort wurden, betrugen im Ordinarium 
98,319,718 für die Kriegs-, 6,665.014 für die Handelsmarine, 2895 Lire 
in den Giroteilen, 13,100,000 im Extraordinarium. An Stelle von 121,565,218 
Lire, die der Marineminister ursprünglich gefordert hatte, bewilligt der 
Ausschufs 121,465,218. — Nr. 75: Gegenwart und Zukunft der 
italienischen Marine. Rede des Unterstaats-Sekretärs im Marine- 
Ministerium, in welcher das Bauprogramm für die italienische Flotte eine 
Uberzeugende Begründung findet. Die 2. Periode der grofsen Manöver 
würde sich unter General Ricotti-Magnani's Leitung zwischen Mincio und 
Mella abspielen. 

L'ltalia milltare e marina. Nr. 36: Der 24. Juni 1859-1866. 
Skizze der Schlachten von San Martino und Custozza. — Nr. 37: Mit 
der im Kapitel 50 des Marinebudgets ausgeworfenen Summe für 
Schiffsneu bauten beabsichtigt der Marinerainister die Fortsetzung der 
Arbeiten an den Panzern Re Umberto, Sicilia und Sardegna, den Schiffen 
2. Klasse Etruria, Umbria, Liguria und Marco Polo, an den im Bau be- 
griffenen Last- und Hülfsschiffen, sowie der Torpedofahrzeuge fortzusetzen. 
— Nr. 39: Die Übungen der Älpentruppen an der Westgrenze, an 
dem die Reservisten des Jahrganges 1864 Teil nehmen werden, umfassen 



Umschau in der Militär-Litteratur. 343 



3 Gruppen, eine a 12, eine ä 6, eine ä 4, Summa 22 Bataillone, zu denen 
noch Gebirgs- Artillerie tritt. 

Revista dentffico-mllitar (Spanien). Nr. 12: Das sociale Problem 
und die Abrüstung. Politische und administrative Einteilung Marocoos. 

Memorial de Ingenierot del Ejerclto (Spanien). Nr. XII: Tragbare 
Rampen für Kavallerie und Artillerie auf den Eisenbahnen. 

Revista milltar Argentina. Nr. 72: Die Militär-Telegraphie. 

De Militaire Gida (Holland). 4. Lieferung: Das österreichische 
Reglement für die Feld-Artillerie. 

II. Bücher. 

Jahresberichte über die Veränderungen und Fortschritte im 
Militärwesen. XVI. Jahrgang: 1889. I. Teil: Berichte 
über das Heerwesen der einzelnen Staaten. Unter Mitwirkung 
mehrerer Offiziere herausgegeben von H. v. Lobell, Oberst z.D. 
Berlin. E. S. Mittler & Sohn. 

Die Löbell'schen Jahresberichte sind mit gewohnter Pünktlichkeit 
auch dieses Mal erschienen, leider jedoch zunächst als Torso. *) Von den 
zwei Teilen jedes Jahrganges ist bislang nur der erste erschienen, wahrend 
der zweite: „Berichte über die einzelnen Zweige der Kriegswissenschaften K 
erst im Herbste zur Ausgabe kommen soll. Die zahlreichen Freunde 
dieses verdienstvollen Unternehmens weiden diese Mafsnahme aufrichtig 
bedauern, da die zum Jahreswechsel bereits fälligen Berichte in unserer 
schnelllebigen Zeit nach '/ t Jahren bereits als mehr oder minder veraltet 
gelten dürften; nicht minder störend ist es, dafs das für den Gebrauch 
der „Jahresberichte" als Nachschlagebuch unentbehrliche Namen- und 
Sachregister ebenfalls erst im Herbste erscheinen kann. Im Vorworte 
wird das gesonderte Erscheinen der beiden einander ergänzenden Teile 
mit der Überfülle des Stoffes begründet; wir sind der Ansicht, dafs der- 
selbe vielleicht wohl in Rücksicht auf die Handlichkeit, die Zerlegung 
in zwei Bände erfordorlich gemacht haben mag, nicht aber das verspätete 
Erscheinen des zweiten, und können bei dieser Gelegenheit nicht unter- 
lassen, auf die Notwendigkeit einer gröfseren Beschränkung im Räume 
von Seiten der Herren Mitarbeiter hinzuweisen. Es ist nicht angängig, 
dafs sich die Berichterstattung in beliebiger Breite ergeht; sie mufs viel- 
mehr danach streben, auf möglichst knappem Räume einen recht inhalt- 
reichen Bericht zu liefern. Freilich wissen wir, dafs letzteres mühe- 
voll ist! Wäre demgemäfs verfahren worden, so hätte es nicht geschehen 
können, dafs der Umfang dieses I. Teiles mehr als das Doppelte des 
vorjährigen (652 gegen 300 Seiten) beträgt. Füllt doch der Bericht über 
das Heerwesen Russlands allein 130 (!) Seiten. Allerdings ist derselbe 



*)Anm. der Leitung. Der II. Teil ist mittlerweile ebenfalls erschienen, 
Besprechung desselben bleibt vorbehalten. 



344 



Umschau in «1er MilitÄr-Litteratur. 



eine trefflich gelungene Gesamtdarstellung des russischen Heerwesens, 
welche etwa bis zum Jahre 1874 zurückgreift Wir meinen aber, eine 
solche falle über den Rahmen eines „Jahresberichtes" hinaus. Wohin 
soll es führen, wenn durchweg nach dieser Praxis verfahren wird?! — 
Di« hier vorliegenden Berichte lassen das Heerwesen keines europäischen 
Staates vermissen; von aufsereuropäischen sind vertreten: Argentinien 
(58 S.), Chile (44 S.), China, Congostaat, Persien; hingegen die „Vereinigten 
nordamerikanischen Staaten", desgl. „Brasilien" nicht. Der Wert 
dieser „Jahresberichte" ist ein so unbestritten hoher und allgemein an- 
erkannter, dafs es Uberflüssig erscheint, darüber noch ein Wort, zu ver- 
lieren. Besondere Erwühnung verdienen jedoch die Berichte über 
Russland, Österreich, Frankreich, Italien, Grofsbritannien, dann diejenigen 
über die Staaten der Balkan-Halbinsel. Wir freuen uns, im Interesse der 
Sache, der ausdrücklichen Zusicherung des hochverdienten Herausgebers, 
dals in Zukunft die Jahrgange wieder in bisheriger Stärke erscheinen 
sollen. 1. 

Geschichte des königlich bayerischen Infanterie • Leib- 
Regiments. Bearbeitet zu Unterrichtszwecken von Illing, 
Hauptmann u. Comp.-Chef im Regiment. Zweite Auflage. 
Berlin 1890. E. S. Mittler & Sohn. Preis M. 1,20. 
Verfasser giebt den Unteroffizieren und Soldaten des, 16. Juli 1814 
— aus den Mannschaften der bis dabin bei den bayerischen Linien- 
Infanterie-Regimontern und den leichten Infanterie-Bataillonen bestandenen 
Grenadier-Compagnien, dann aus den 4 Grenadier -Compagnien des der 
Krone Bayern 1814 einverleibten Grofsherzogtums Würzburg — errichteten 

königlich bayerischen Grenadier-Garde seit 6. Dezember 1825 Infanteric- 

Leil)-Regiment8, einen kurzen Überblick Uber die Leistungen und Thaten 
des Regiments. Mit Recht nimmt die hervorragende Thätigkeit des 
Regiments im Feldzuge 1870/71 gut die Hälfte des gesamten Inhalts des 
Büchleins ein. In geradezu musterhafter, zur Nacheiferung mächtig an- 
regender Weise werden die Thaten der Angehörigen des Regiments, die 
Ereignisse auf dem Marsche, im Biwak, im Quartier u. s. w. erzählt. Das 
Büchlein entspricht daher in gelungenster Weise dem von seinem Verfasser 
beabsichtigten Unterrichtszweck. Welchen Anklang aber auch eine derartig 
verfafste Regiments-Geschichte findet, beweist die vor Jahresfrist erschienene 
zweite Auflage. Da voraussichtlich eine weitere Auflage nötig werden 
wird, mufs die einzige Ungenauigkeit, welche in der vorliegenden Auflage 
bemerkt wurde, erwähnt werden: „Nicht 8. Januar, wie Seite 116 an- 
gegeben wird, sondern 5. Januar 1871 wurde aus den deutschen Batterien 
das Feuer auf Paris eröffnet." — Nicht nur allen früheren, derzeitigen 
und künftigen Angehörigen des königlich bayerischen Infanterie -Leib- 
Regiments, sondern auch Offizieren, welchen die ehrenvolle und höchst 
wichtige Aufgabe zu Teil wird, die Geschichte ihres Regiments zu schreiben, 
kann das vorliegende Büchlein empfohlen werden. 32. 



Umschau in der Militar-Littaratur. 



345 



Kritische Rückblicke auf den russisch-türkischen Krieg 
1877/78. Nach Aufsätzen von Kuropatkin, bearbeitet von 
Krahmer, Oberst. Dritter (Schlufs-)Band. Ubergang der 
Armee -Abteiluug des Generals Skobelew über den Balkan 
und die Schlacht bei Scheinowo. Mit 10 Plänen u. Skizzen. 
Berlin 1890. E. S. Mittler & Sohn. Preis M. 4,50. 

Der in den ersten Januartagen des Jabres 1878 erfolgte Übergang 
der Russen Uber den Balkan und die sich daran schließenden Kämpfe mit 
den Türken gehören zu den Kriegsbegebenheiten, welche in erster Reihe 
genannt zu werden verdienen, wenn die Frage aufgeworfen wird: wie 
weit geht die Leistungsfähigkeit einer braven, hingebenden, energisch 
geführten Truppe in Überwindung von Strapazen, Entbehrungen; von Eis 
und Schnee; von Terrainschwierigkeiten geradezu unglaublicher Art? Die 
Antwort auf diese Frage giebt das vorliegende Buch, so zwar, dafs — 
wer die ersten Blätter gelesen, sich mit der Armee -Abteilung des Generals 
Skobelew in Marsch nach dem Balkan gesetzt hat, mitzieht und mitkämpft 
bis zum glorreichen Ende des Zuges. So ergreifend sind die Schicksale, 
die Thaten und Leiden der Russen, — ao packend ist die übrigens ganz 
einfache, schmucklose Darstellung des jetzigen Generals Kuropatkin, der 
den Balkan Übergang in der wichtigen Stellung als Generalstabschef von 
Skobelew mitgemacht hat, also besonders befähigt und berechtigt ist, die 
Vorgänge zu schildern. Es ist nur zu billigen, wenn Herr Oberst Krahmer 
diese Aufsätze Kuropatkin's nicht, wie die früheren „bearbeitet", sondern 
schlechtweg übersetzt und ihnen dadurch die Ursprünglichkeit gewahrt 
hat. Man lebt sich vollständig in die russische Abteilung ein: die Einzel- 
heiten der Vorbereitung zum Übergange hinsichtlich Verpflegung, Aus- 
rüstung, Bewaffnung; die Marschzucht; die soldatischen und moralischen 
Eigentümlichkeiten von Mann und Führern, deren Verhältnis zu einander; 
die Anspruchslosigkeit, Zähigkeit, Religiosität;, Todesver- 
achtung des russischen Soldaten: Alles tritt so zu sagen: greifbar, vor 
uns. Mag die Gesittung, die Intelligenz, die taktische Schulung gering 
sein: die eben genannten Vorzüge stempeln den Russen zu einem gefähr- 
lichen Gegner, zumal, wenn er gut geführt wird. Und: alle Achtung 
vor dem General, dem schneidigen, umsichtigen und doch tollkühnen, das 
Äufserste von seinen Leuten erheischenden, aber auch väterlich für sie 
sorgenden und von ihnen vergötterten Führer, als welcher Skobelew sich 
gerade bei diesem Kriegszuge erwiesen und glänzend bewährt hat. 

34. 

Relation de la bataille de Froeschwiller, livree le 6 Aout 1870. 
Paris— Naucy 1890. Berger-Levrault & Co. 

Diese Schilderung der Schlacht von Wörth (Froeschwiller) vom fran- 
zösischen Standpunkte, deren Verfasser sich ausdrücklich gegen den 
Vorwurf der Parteilichkeit verwahrt, bemüht sich, den Nachweis zu 



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340 



Umschau in der Militär-Litteratur. 



liefern, dafs lediglich die numerische Überlegenheit der Deutschen und 
die der Artillerie im Besonderen dem heldenhaften französischen Heere 
den Sieg entrissen habe. Wir sind weit entfernt davon, die Tapferkeit 
und Ausdauer unserer Gegner von Wörth in Frage zu stellen — der 
Sieger ehrt ja im Besiegten auch sich selbst — um so mehr wäre zu 
wünschen gewesen, der Verfasser hatte es vermieden, in ermüdender Breite 
das französische Heldentum zu preisen und den französischen „älan" und 
„esprit" der angeblichen deutschen Ungeschicklichkeit entgegen zu 
stellen;*) dafs es wenig ehrenvoll sein kann, sich von einem angeblich so 
unbeholfenen Gegner schlagen zu lassen, entgeht dem Verfasser. — Von 
den süddeutschen Truppen, zumal den Bayern, wagt es der Verfasser zu 
sagen, sie seien von schlechtem Willen für die Sache erfüllt gewesen; wir 
l)egnügen uns, diese dreiste Verleumdung, für welche Verfasser selbst- 
redend den Beweis schuldig bleibt, hiermit als solche zu kennzeichnen. — 
Erheiternd wirkte auf uns die Behauptung, die Deutschen hätten sehr 
geringes Verständnis für das Gefecht in zerstreuter Ordnung; das zeige 
sich schon im Altertum (!); man wisse, dafs die alten Deutschen sich zur 
Schlacht mit Ketten aneinander geschlossen hätten. Es zeige sich dies 
Ungeschick auch darin, dafs die taktischen Verbände bei den Angriffen 
der Deutschen sich sehr stark gelöst hätten. Sollte i jr Verfasser wirklich 
nicht wissen, dafs dies auf französischer Seite in noch weit höherem 
Mafse der Fall war, trotz elan und esprit?! Sodann wird tadelnd er- 
wähnt, dafs die preufsische Compagnie zu stark und mit Offizieren zu 
schwach besetzt sei. „Preufsen sei zu arm, um ein starkes Offizier-Corps 
unterhalten zu können." (!) Unwahr ist ferner die Behauptung, der 
deutsche Offizier schätze das Leben seiner Soldaten gering; wir meinen, 
dafs in keiner anderen Armee ausgiebiger für den Soldaten gesorgt 
wird, als in der deutschen; wenn es galt, den Sieg an unsere Fahnen zu 
fesseln, da freilich konnte und durfte mit dem Leben unserer Soldaten 
ebenso wenig wie demjenigen der Offiziere aller Grade ernstlich gerechnet 
werden; die gleiche Erscheinung trat auch bei unseren Gegnern zu 
Tage; man denke an die heldenhafte (freilich recht zwecklose) Aufopferung 
der französischen Kavallerie bei Wörth und Sedan. — Wir haben nur 
diese wenigen Einzelheiten aus der sehr umfangreichen Arbeit heraus- 
greifen können. Für den deutschen Leser wird diese Schilderung der 
Öchlacht von Wörth — nach dem Prinzipe des „Audiatur et altera pars" 
— nicht ohne Interesse sein, obschon er nicht eben Neues aus derselben 
entnehmen dürfte. Gr. v. Pf. 

Untersuchungen Uber die Taktik der Zukunft, entwickelt 
aus der neueren Kriegsgeschichte. Zweite vollständig ura- 



*) Dergleichen tendenziöse Übertreibungen beeinträchtigen den kriegsgeschicht- 
lichen Wert dieser Arbeit. 



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Ünuchan in der Militftr-Litteratur. 



347 



gearbeitete und vermehrte Auflage der »Zwei Brigaden«. 
Von Fritz Honig. Berlin 1890. Luckhardt. 

Die vorliegende Neubearbeitung der „Zwei Brigaden" ist eine derart 
erweiterte und veränderte, dafs wir ein ganz neues Buch vor uns sehen, 
das auf hervorragende Beachtung Anspruch erheben kann. Bei aller 
Anerkennung der geistvollen Darstellungsweise können wir dem Herrn 
Verfasser aber den Vorwurf nicht ersparen, dafs er, namentlich bei den 
kritischen Betrachtungen der Kämpfe der 28. Brigade bei KöniggrUtz und 
der 38. Brigade bei Mars la Tour in einen Ton verfällt, der in der 
deutschen Militär-Litteratur vermieden werden sollte. Die Thatsache, dafs 
das Generalstabs-Werk und Regiments-Geschichten nicht frei von Irrtümern 
und Fehlern sind, ist allgemein anerkannt; man mag diese nachweisen 
und besprechen, dabei aber verletzende Schärfe vermeiden. Dasselbe 
ist der Fall, wenn (S. 143) der blutige Kampf der 38. Brigade am 
16. August und der der 1. Garde-Brigade am 18. August einfach für 
„Unsinn" erklärt werden. Unangenehm berührt es auch, wenn (S. 221) 
dem Feldmarschall Moltke der Vorwurf gemacht wird, dafs er nicht die 
Eigenschaften eines gehenden, beweglichen" Feldherrn besitze, der selbst 
die feindliche Stelhthg aufklärt, bevor er den Befehl zum Angriff giebt, 
und wenn dabei Napoleon I. als Muster hingestellt wird. Als Napoleon 
vor der Schlacht bei Borodino das Schlachtfeld abritt, hatte er eine Ent- 
fernung von 5 km zurückzulegen, die Entfernung von Vaux bis St. Privat 
beträgt allein aber schon 1 5 km. — Der in der gegenwärtigen Bearbeitung 
ganz neue III. Teil, „Taktische Folgerungen", enthält die Betrachtungen 
über die Taktik der Zukunft, wie sie durch die verbesserten Feuerwaffen 
u. s. w. bedingt wird. Sehr richtig schildert der Verfasser die beiden 
gegenwärtig in der Armee vorhandenen Strömungen, von denen die eine 
den Schwerpunkt auf die Ausbildung des einzelnen Mannes zum selbst- 
ständigen Schützen und die Herbeiführung der Entscheidung durch Feuer- 
überlegenheit legt, während die andere Alles durch energisches Herangehen 
mit „geschlossenen Schiefsmaschinen" auf nächste Entfernungen zu er- 
reichen strebt. Aus der Einführung des schwachrauchenden Pulvers zieht 
der Verfasser den Schlufs, dafs dadurch der Wert der Artillerie noch 
zugenommen hat Er bezeichnet es als einen „Erbfehler" der deutschen 
Armee, dafs die Infanterie -Angriffe fast niemals die vorbereitende Wirkung 
der Artillerie abgewartet haben. Soweit dieses den Krieg 1870/71 betrifft, 
hat er Recht, für die Zukunft wird dieser Grundsatz aber nicht mehr 
als Regel aufzustellen sein. Bei der Gleichwertigkeit des Materials fast 
aller europäischen Artillerien werden wir uns meistens damit begnügen 
müssen, dafs die eigene Artillerie die gegnerische derart beschäftigt, dafs 
diese den Infanterie -Angriff nicht beschiefsen kann. Ganz unverständlich 
erscheint uns aber die Behauptung, dafs die Artillerie im deutschen Heere 
„so wenig Sympathie" geniefst. Vor 25 Jahren war das vielleicht hier 
und da noch der Fall, gegenwärtig kann davon gar koinc Rede sein. — 

JaLrbächM fit di» DooUch« Arme« und Murin«. Iii t.XXVI.. 3. 



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34* 



L niHchau in der Militär- Litterat ur. 



Die für die taktische Zerteilung der Einheiten und die Treffen-Gliederung 
aufgestellten Grundsätze sind richtig; letztere soll nicht ausschließlich zur 
Nahrung der Feuerlinie dienen, .sondern die Heranführung der verschieden 
starken Verbinde Uberhaupt ermöglichen. Es ist aber ein Irrtum, 
wenn (S. 211) aus dem Reglement gefolgert wird, dafs über 1000 m nicht 
mehr gefeuert werden soll. Es heifst dort § 133, daß bei unge leiteten) 
Feuer und „im Allgemeinen* der Schütze nicht Uber 1000 m feuern darf. — 
Den in Bezug auf Nachtgefechte ausgesprochenen Grundsätzen schliefsen 
wir uns vollständig an; ob das von Crom well angezogene Beispiel richtig 
gewählt ist, vermögen wir nicht zu entscheiden. — Nochmals wiederholen 
wir, daf^ das Buch hervorragende Beachtung verdient, und vielen Nutzen 
dadurch schaffen wird, dafs es in geistvoller Weise zum Nachdenken 
anregt, selbst wenn man sich nicht allen Ansichten de* Verfassers an- 
schließen kann. 10. 

Zusammengewürfelte Gedanken über unseren Dienst. 3. Auf- 
lage. Rathenow. Verlag von M. Babenzien. Preis 3 M. 

Bei dem Erscheinen dieser Schrift haben wir die hohe Bedeutung 
derselben für die Kavallerie hervorgehoben und den Wunsch angefügt, 
dafs dieselbe Heifsig gelesen und studiert werden möge, dafs die zahlreich 
enthaltenen, überaus praktischen Winke richtig erfafst und angewendet 
werden möchten. Die vorliegende 3. Autlage ist ein erfreuliches Zeichen 
dafür, wie sehr man in der Kavallerie bemüht ist, die Erfahrungen Anderer 
zu verwerten. Gerade hierin aber liegt die einzige Möglichkeit des Fort- 
schreitens zweck mäßiger Verbreitung und ebensolcher Ausbildung. Die 
jungen Generationen müssen mit den Erfahrungen der vorausgegangenen 
Generation ihre Arbeit lieginnen und weiterführen. — Die Kavallerie hat 
zwar sehr eingehende Keit-Instruktionen und Reglements, dennoch sind 
die Ansichten über die Ausführungen und praktischen Anwendungen dieser 
Bestimmungen seht verschieden. Solche Gegensätze bestehen wohl am 
allermeisten in der Kavallerie; auch die vorliegende Schrift giebt mehr- 
faches Zeugnis hiervon. Diese Gegensätze haben sich aber nur dadurch 
in so bedauerlichem Grade entwickeln können, daß der Kavallerie 
mit kurzer Unterbrechung die praktische einheitliche Leitung gefehlt hat. 
Gerade nur dies« praktische einheitliche Leitung wäre im Stande gewesen 
mit der Zeit gleiche Anschauungen über den Dienst und die Übungen zu 
wecken und einen systematischen Fortschritt anzubahnen. Die einfachsten, 
natürlichst"!! Grundsitze über Ausbildung des einzelnen Reiters, der 
Truppe, über deren Verwendung und Führung können unseres Dafür- 
halten:-, nur von praktischen Kavalleristen ins Leben gerufen und 
systematisch verbreitet werden. Nachdem solcher Einfluß lange, lange 
Jahrzehnte — eigentlich seit dem letzten Drittel des vorigen Jahrhunderts 
— gefehlt hat. kann es keineswegs verwundern, daß man im Unklaren 
blieb bis nach dem letzten Feldzuge. Von hier an wurde ein Versuch 



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Umschau in der Militär-Litteratur. 



;549 



gemacht diesen für die Kavallerie so überaus bedenklichen Mangel zu 
verbessern. 

Hoffen wir, dafs die „Zusammengewürfelten Gedanken" auch ferner 
weitere Klarheit über einen Teil des Dienstes verbreiten, dafs andere zu- 
sammengewürfelte Gedanken den gleichen Nutzen bringen, in Hinsicht 
auf Führung und Verwendung der grofsen Kavalleriekörper. Dafs auch 
in dieser Hinsicht noch manche Fortachritte gemacht werden können und 
müssen, das liegt in der Natur der Sache und in den Verhältnissen, in 
welcher die Kavallerie während eines vollen Jahrhunderts lebte, während 
der Hälfte dieser Zeit geradezu vegetierte. Was nützt es, wenn wir — 
um mit einem hervorragenden Kavalleristen zu sprechen — unsere Waffen 
stets vervollkommnen, wenn wir die Scharfe des Schwertes stets vermehren, 
ohne ganz sicher zu sein, wie wir dieselbe gebrauchen werden. Alles 
Abrichten auf der Schule und auf dem Exerzierplatze ist nur Mittel zum 
Zwecke, ist lediglich Vorbereitung, wenn auch noch so wichtige Vor- 
bereitung. 

Die Kavallerie mufs ebenso wie die Infanterie, ja in noch weit 
höherem Grade, vollständig klar sein Uber ihre Aufgaben und wie sie 
gelöst werden müssen. Wir müssen uns auch in der Kavallerie jenen 
Grundsätzen weit mehr zuwenden, welche uns im Ernstfalle von Nutzen 
sein werden, durch welche das Einüben gewisser Formen erst Wert und 
Bedeutung erhält. 8. 

Ewiger Krieg! Eine Studie von Bernhard Kiefsling, Premier- 
lieutenant im königlich bayerischen 5. Infanterie-Regiment. 
2. Auflage. Berlin 1890. F. Luckhardt. 3 11 

Schon das Erscheinen einer zweiten Auflage vorliegender Studie 
deutet an, dafs dieselbe mannigfache Verbreitung gefunden hat. Auch 
dieser Auflage ist ein recht zahlreicher Leserkreis aus allen Ständen zu 
wünschen, besonders in einer Zeit, wie der jetzigen, in der Friedens- 
vereine tagen, Abrüstungsgerüchte spuken und fortgesetzte Klagen über 
Erhöhung der Kriegsbudgets ertönen. Jeder, der Freund eines gesunden 
Realismus ist, welcher doch wieder von warmer Vaterlandsliebe durch- 
haucht wird, kann die Schrift nur mit reger Anteilnahme lesen und wird 
sie sicherlich mit bober Befriedigung aus der Hand legen. Durch die 
sieben Abteilungen der Studie hindurch zeigt Verfasser, wie allüberall in 
der Welt Krieg war, Krieg ist und Krieg sein wird, und wie der friedliche 
Kampf um das Dasein mehr Opfer und Menschenleben verschlingt, wie 
Schlachten und Gefechte. Er beweist packend die Naturnotwendigkeit 
und Unabwendlichkeit des Krieges. Besonders anregend ist die 4. Ab- 
teilung, in der Verfasser von den Beziehungen des Krieges zu den Künsten, 
zu Handel und Industrie und zu den Wissenschaften spricht und in der 
er darauf hinweist, wie der Krieg diese keineswegs unterdrückt, sondern 
sie im Gegenteil entwickeln hilft und zu ihrem Gedeihen beiträgt. — Die 

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Umschau in der Militär-Litteratur. 



Absicht des Verfassers, in seiner Studie die absolute Nichtigkeit der 
Idee vom „Ewigen Frieden" nachzuweisen, dürfte ihm glänzend gelungen 
sein. 28. 

Neuheiten der französischen Militär-Litteratnr. 

L Petite bibliotheque de P Armee francaise. Paris — Limoges. 
H. Charles-Lavauzelle. 1890. Über zwei neu erschienene Bändchen dieser 
Sammlung haben wir heute zu berichten: 1. Historique du 36* regi- 
mcnt d'infanterie par le lieutenant V. Fanet. Diese Regiments- 
geschichte wird eingeleitet mit einer ruhmredigen Ansprache an die „Sechs- 
und dreifsiger", in welcher an die Zurückerobernung „der von der Natur 
gegebenen Grenzen" erinnert wird: „Halten wir uns also bereit!" Ob die 
„stolze und vielgeliebte Nummer (nochmals) auf jenem Rhein erscheinen 
wird, wo sie schon einmal grofsen Ruhm gewann," mufs freilich ja die 
Zukunft lehren! Qui vivra verra. — Das in Rede stehende Regiment 
führte vor der Revolution der Namen Anjou, focht unter (Justine, Jourdan, 
Pichegru, dann Napoleon, in Holland, der Schweiz, Spanien, Österreich, 
Polen, Portugal, Deutschland und Russland. In diesem Regiment erwarb 
Bernadotte seine Epauletten. 1823 finden wir es in Spanien, 1844 — 48 in 
Algier, 1849 in Rom, spater abermals in Algier. 1870 gehörte es zur 
Rhein -Armee, kämpfte bei Wörth und Sedan und wurde sodann, in Folge 
der Kapitulation, nach Magdeburg in die Kriegsgefangenschaft geführt. 
Als 36. „Marsch-Regiment" neu gebildet, nahm es Teil an den Kämpfen 
an der Loire (bei einem Verlust von 114 Toten und 279 Verwundeten), 
dann an den Kämpfen gegen die Kommune. Seit 1873 wechselt das 
Regiment alle 3 Jahre seine Garnison zwischen Paris und Caen. — 
2. Historique du 12 e regiment d'infanterie. Dieses Regiment ist 
in der Lage, seinen Ursprung ohne Unterbrechung, auf das alt- 
französische Regiment Auxerrois zurückzuführen. Seine kriegerische Ver- 
gangenheit ist, wie diejenige des zuvor genannten, eine sehr reiche; wir 
nennen nur die Namen Austerlitz, Auerstiidt, Eylau, Wagram, Borodino; 
Napoleon nannte es „Le Brave" ; ferner nahm es Teil an den Feldzügen 
1813 — 15, war sodann 4 mal in Algier. 1870 kämpfte es tapfer bei 
St. Privat unter dem Befehl von Canrobert gegen die preufsischen Garden ; 
dort verlor es 690 Mann. Als 12. „Marsch-Regiment" nahm es Teil an 
der Verteidigung von Paris. Seine gegenwärtige Garnison ist Perpignan. — 
Eine Liste der auf dem Felde der Ehre gefallenen Offiziere (von 1799 bis 
1870), dann der von einzelnen Unteroffizieren und Mannschaften erworbenen 
Ehren- Waffen (6 Ehren-Gewehre, 1 Ehrensübel), endlich die Rangliste 
des Regiments im Jahre 1890, beschliefsen diese kleine, gut geschriebene 
Regimentsgeschichte. Verfasser ist der dem Regiment angehörige Oberst- 
lieutenant Dunon-Dahlmann. — II. Reserve et Armee territoriale. 
Droits et Obligation des Officiers. Paris— Limoges. 1890. H. 
Cliarles-Lavauzelle. Dieses „Handbuch für Offiziere des Beurlaubtenstandes", 
wie wir es nennen können, giebt in 8 Abschnitten eine gedrüngte Über- 



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sieht alles dessen, was die genannten Offiziere von der Verwaltung, der 
Militärgesetzgebung und den persönlichen Angelegenheiten des Offiziers in 
Erfahrung bringen müssen. Der Anhang enthalt einen „Vortrag über den 
militärischen Geist". Das gut ausgestattete Buch ist für die Kenntnis 
der inneren Zustände der französischen Armee recht wertvoll. 4. 

G. Marcotti« Die Sa voyen -Dragoner, deutsch von Wilhelm 
Ritter v. Hackländer, k. und k. Rittmeister in der Re- 
serve des Dragoner-Regiments Prinz Eugen von Savoyen. 
Wien 1890. L. W. Seidel & Sohn. VI1L und 336 Seiten. 
Ein eigentümliches Buch, von welchem man nicht weifs, ob es eine 
Selbstbiographie oder ein Roman ist. Der Verfasser sagt in der Vorrede, 
der Held der Erzählung habe seine Schicksale eigenhändig aufgezeichnet; 
er selbst sei nur der Herausgeber und habe nichts weiter gethan, als dafs 
er die Niederschrift der gegenwärtigen Lesewelt mundgerecht gemacht 
habe; der Übersetzer schweigt sich aus; die Verlagshandlung nennt das 
Buch einfach einen Roman. Jedenfalls ist es ein sehr geschickt abgefafster. 
Der Berichterstatter hält die Erzählung für eine nach dem Muster von 
Bleibtreu ausgeführte gelungene Schilderung des k. k. Heeres zur Zeit 
des Edelen Ritters. Das Werk des k. und k. Kriegsarchivs über die 
„Feldzüge des Prinz Eugen von Savoyen" und die von Fr. v. d. Wengen, 
früherem Offizier des Regiments, geschriebene Geschichte des letzterem, 
werden der Darstellung als Unterlage gedient haben. Die Erzählung 
führt uns, anknüpfend an den Lebensgang eines ragusanischen Edelmannes, 
welcher seine Vaterstadt hat meiden müssen und kurz vor dem Türken- 
kriege von 1683 in ein kaiserliches Dragoner-Regiment getreten ist, auf 
einen grofsen Teil der Kriegsschauplätze, welche bis zum Frieden von 
Passarowitz die schwarzgelbe Standarte flattern sahen. Graf Trifone Bisanti 
lüfst sich gegen ein Handgeld von 15 Thalern anwerben, hilft Wien ent- 
setzen und Ofen einnehmen, zeichnet sich in der Schlacht am Berge Harsan 
so aus, dafs er zum Fähnrich ernannt wird, empfängt vor Belgrad eine 
schwere Wunde, geht mit seinem Regimente auf den oberitalienischen 
Kriegsschauplatz über, wo er dem Prinzen Eugen das Leben rettet, zieht 
zum zweiten Male gegen die Türken zu Felde, siegt bei Zenta und dann 
wieder Jahre lang in Italien, bis sein Regiment, als die Schlacht bei 
Turin geschlagen ist, nach Ungarn zurückkehrt. Seine Weigerung Carassa's 
Bluturteile in Eperies zu unterschreiben macht seiner soldatischen Laufbahn 
ein vorläufiges Ende. Bisanti hat sich inzwischen verheiratet und zieht 
sich in das Privatleben zurück. Seine Mittel erlauben es ihm, denn der- 
zeit „gab es reiche Beute". Die seinige hatte ihn in den Stand gesetzt ein 
kleines Grundstück zu erwerben. Dazu erhielt er eine Pension von 
500 Gulden. Aber zur Liebesfreude gesellt sich Liebesleid. Bald steht 
er wieder einsam in der Welt. Da entschliefst er sich noch einmal Dienste 
zu nehmen. Der Schlachtruf seines Regiments „A me Savoia!" klingt an 
sein Ohr. Prinz Eugen verleiht ihm die beim Regimente errichtete 



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Umschau in der Milittr-Litteratur. 



Grenadier-Corapagnie, an deren Spitze er mm letzten Male in den Türken- 
krieg zieht. Als der zu Passarowitz geschlossene fünfundzwanzigjährige 
Waffenstillstand denselben beendet hat, sieht er auf ebenso viele Dienst- 
jahre zurück. Er legt nun den Degen, aber auch die Feder nieder. Wir 
erfahren nur noch, dafs er als Major endgiltig in den Ruhestand tritt. 

Die hier erzählten nackton Thatsachen sind aus einer Fülle kriegs-, 
heeres- und kulturgeschichtlichen Beiwerks hervorgehoben. Bisanti führt 
uns in das Feldlager und auf die Wahlstätten, zeigt uns das Leben der 
Christen und der Türken, Land und Leute. Er schildert lebendig, an- 
ziehend und naturgetreu. 14. 

Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft. Heraus- 
gegeben von L. Quidde. III. Band 1. Heft. Freiburg i. B. 
1890. Akademische Verlagsbuchhandlung. Preis 5 M. 

Diese seit dem Januar 1889 in vierteljährlichen Heften erscheinende 
Zeitschrift hat sich seit ihrem Bestehen durch die Gediegenheit und 
Reichhaltigkeit ihres Inhaltes zahlreiche Freunde erworben, zu denen auch 
Schreiber dieser Zeilen sich rechnet. Das vorliegende Heft enthält zu- 
nächst 5 gröfsere Abhandlungen: 1. Zur Beurteilung Georg Grote's und 
seiner griechischen Geschichte, von R. Pöhlmann. 2. Wilhelm von Oranien 
und die Genfer Pacification (1576), von M. Ritter. 3. Die Vemeprozesse 
gegen Herzog Heinrich den Reichen von Baiern-Landshut. Von Th. Lindner. 

4. Arthur Schopenhauer und die Geschichtswissenschaft. Von R. Fester. 

5. Konrad Engelbert ölsner's Briefe und Tagebücher. Eine vergessene 
Quelle der Geschichte der französischen Revolution. Von A. Stern. Dann 
folgen „Kleine Mitteilungen" von O. Fischer, Weizsäcker, Arnoldt und 
Quidde, ferner „Berichte und Besprechungen, Nachrichten und Notizen", 
endlich zum Schlufs die fortlaufende systematische „Bibliographie zur 
deutschen Geschichte". — Wir glauben diese Zeitschrift in ihrer Eigenart 
und der Reichhaltigkeit ihres Inhaltes nach allen Freunden der Geschichts- 
wissenschaft nur warm empfehlen zu können. Der Abonnemontspreis für 
den Jahrgang von mindestens 60 Bogen beträgt 18 M. und erscheint 
uns nicht hoch gegriffen. Der Jahrgang umfafst 4 Hefte. 3. 

Fürst Bismarck, Sein Leben und Wirken. Von Hermann 
Jahnke. 1. — 6. Lieferung. Berlin W. Verlag von Paul 
Kittet. 1890. 

Dafs der Rücktritt des grofsen deutschen Staatsmannes alsbald das 
Erscheinen einer neuen Bismarck-Biographie zur Folge haben würde, war 
zu erwarten. Zwar ist die Bismarck-Litteratur bereits eine recht umfang- 
reiche, aber an einer im wahren Sinne volkstümlichen, dabei aus besten 
Quellen schöpfenden Lebensbeschreibung des Mannes, der „Deutschland in 
den Sattel gehoben", fehlte es bislang. Wir begrüfsen dies Unternehmen 
deshalb mit Freuden. Dasselbe ist auf 14 Lieferungen a 50 Pfennige 
veranlagt und bringt zahlreiche Illustrationen von ersten deutschen 



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Umschau in der Militär-Litteratur. 



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Künstlern; die beigegebenen Probeblätter, photolitographische Verviel- 
fältigungen des Werner'schen Kongrefs-Bildes und des Wagner'schen Hildes: 
„Friedensverhandlung in Versailles", geben die Originale trefflich wieder. 
Wir bemerken zum Schlüsse, dafs Verfasser sich bereits durch die Werke 
„Kaiser Wilhelm L* und „Kaiser Wilhelm II U auf dem Gebiete der 
volkstümlichen Geschichtsschreibung einen guten Namen gemacht hat und 
erwarten von der Fortsetzung des vorliegenden Bismarck-Buches das Beste. 

1. 

Das Deutsche Reich in Vergangenheit, Gegenwart und 
Znknnft. Nationalpolitische Betrachtungen aus Süddeutsch- 
land von G. A. Klausner. Leipzig E. H. Mayer, Verlags- 
haudlung. 

Unter diesem hochtönenden Titel giebt Verfasser dieser nur 38 Seiten 
zählenden Broschüre seine, wie er selbst sagt, „stark idealistisch ange- 
hauchten" Anschauungen über Deutschlands politische Aufgaben zum 
Besten. Wir gestehen, dafs wir diese Blätter mit wachsendem Erstaunen 
gelesen haben. „Alles ist schon einmal da gewesen," sagt Ben Akiba; 
doch nein, dies noch nicht. Verfasser will durchaus „das deutsche Vater- 
land müsse gröber sein". Das habe auf feindlichem Wege oder mit 
Gewalt zu geschehen; unverzüglich sei zunächst an Kussland der Krieg 
zu erklären. Sehen wir nun, was sich auf dem politischen Wunschzettel 
des Verfassers vorfindet: Burgund, die deutsche Schweiz, Luxemburg, 
Belgien, Holland, Deutsch-Österreich, die baltischen Ostsee-Provinzen und 
— „bei der im Flusse befindlichen Zerbrückelung der Türkei eine Insel 
im Mittelmeer zur Etablierung einer Verbrecher-Kolonie!" Wie das Alles 
zu machen sei, das ist des Verfassers Geheimnis geblieben. Zwar dürfte 
sich innerhalb der deutschen Grenzpfühle kaum .Temand finden, welcher 
diese Ausgeburten einer überreizten Phantasie ernsthaft zu nehmen 
geneigt sei; doch ist nicht ausgeschlossen, dafs dieses merkwürdige Schrift- 
werk im Auslande da oder dort Schaden stiften kann. Nur aus diesem 
Grunde haben wir von demselben Notiz genommen. Sapienti sat. 2. 

Einteilung und Quartierliste des Deutschen Heeres. Nach 
dem Stande vom 1. April 1890. f)3. Auflage. Berlin 1890. 
Verlag der LiebeKschen Buchhandlung. Preis 35 Pf. 

Diese Einteilung giebt die neue Armee-Einteilung und deren Stand- 
quartiere, unter Namen -Angabe der Corps-, Divisions-, Brigade- und 
Regiments-Commandeure (nachgetragen bis zum 2ü. April 1^90), ferner 
die Militär-Behörden und Bildungs- Anstalten; endlich die Friedensstärke 
des deutschen Heeres, waffenweise geordnet, sowie ein Verzeichnis der 
Regimenter, nach der Stamm-Nummer, mit Angabe der Armee-Corps, zu 
welchem sie gehören, zum Schlufs die kaiserliche Marine, deren Kommando- 
behörden, Kriegsschiffe und Kriegsfahrzeuge. 3. 



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354 



Umschau in der Militär-Literatur. 



Karte von Deutsch-Ostafrika von Kettler. 2. Lieferung. Geo- 
graphisches Institut. Weimar 1890. Preis 1,50 M. 

Die vorliegende 2. Lieferung des verdienstvollen und zeitgemäfsen 
Kartenwerkes enthält die ursprünglich von der deutsch-ostafrikanischen 
Gesellschaft erworbene, jetzt von Italien beanspruchte Soniali-Küste mit 
dem sog. „Sultanat" Obia, dann auf Blatt 91 den südlichen Teil der 
deutschen Interessen-Sphäre, also den Schauplatz der jüngsten Kämpfe 
Wifsmann's. — Bei dem durch das deutsch-englische Abkommen er- 
höhten Interesse an unserem Kolonial- Besitz dürfte eine beschleunigte 
Fertigstellung dieser in ihrer Art einzigen Karte in hohem Grade wünschens- 
wert sein. Wir lenken gern abermals die Aufmerksamheit unserer Leser 
auf dieselbe. 4. 

III. Seewesen. 

The llloitrated nival and mllltary Magazine. Nr. 17: Nachdem ge- 
nanntes Journal im November 1889 einige Skizzen des spanischen sub- 
marinen Bootes „Peral", welches auf der Rhede von Cadix, und im 
Februar d. J. einige Details über das französische submarine Boot 
„Gymnote", welches auf der Rhede von Toulon Versuche ausgeführt, 
gebracht hatte, bringt obige Nummer Einiges über das französische sub- 
marine Boot „Goubet", entnommen aus der „Monde illustre" u nebst Skizzen. 
Die erste Skizze stellt den „Goubet" in Ketten geschlungen, an einem 
Krahne hängend, dar. Der Bootskörper ist von Broncegufs, 18 Fufs lang 
mit einem größten Durchmesser von 6 Fufs und einem Totalgewicht von 
100 Tons. Es hat die Form eines auf der Seite schwimmenden Karpfens, 
auf dessen oberer Fläche sich eine Art niedriger Turm mit einem darauf 
festzuschraubenden Verschlufs nebst Flaggenstock befindet. Im schwimmen 
den Zustande auf der Oberflüche des Wassers hat es soviel Stabilität, 
dafs 4 Personon aufrecht auf Deck stehen können, welche dadurch her- 
gestellt wird, dafs 15 Tons Bleigewichte am Boden befestigt sind, welche, 
wenn erforderlich, durch Drehen eines Hebels detachiert werden können. 
Diese Bleimasse wird Sicherheitsgewicht genannt, und mufste schon, nach 
dem Berichte des „Monde illustre", entfernt werden, weil das Boot sonst 
im Schlamm sitzen geblieben wäre. Die übrigen Illustrationen stellen den 
„Goubet" teils auf der Oberfläche schwimmend, teils halb versenkt mit 
abgenommenem Turmdeckel, teils ganz versenkt, so dafs nur die Flaggen- 
stange auf dem Dome Uber Wasser sichtbar ist, dar. Die Experimente 
mit dem Boote werden noch fortgesetzt, da noch nicht alle Einrichtungen 
funktionieren. 

Rivlsta marittlma Nr. VI enthält eine Abhandlung über die sub- 
marinen Boote und Torpedos und knüpft hieran eine interessante Be- 
merkung über die Verwendbarkeit und Zuverlässigkeit derselben. 

Annalen der Hydrographie und maritimen Meteorologie. Nr. 5: Ab- 
handlung über die neuen amerikanischen Seekarten in geomonischer oder 



Umschau in der Militar-Litteratur. 355 



Centraiprojektion für die Schiffahrt im gröfsten Kreise von Dr. Wever, 
Professor an der Universität zu Kiel. — Segelanweisungen für die Nord- 
ostküste von Kaiser-Wilhelmsland (Neu-Guinea), zusammengestellt aus 
den Berichten und Beobachtungen des früheren Landeshauptmanns Vice- 
Admiral a. D. Freiherrn v. Schleinitz. — Nr. 6: Hydrographische und 
kartographische Beobachtungen an der Westküste von Afrika, gesammelt 
und zusammengestellt von dem Kommandanten des deutschen Kanonen- 
bootes „Hyäne". 

The Ädmiralty and Hone Guards Gazette. Nr. 293 bringt einen 
Artikel über den oft schon zurückgewiesenen Tunnel zwischen Dover und 
Calais. — In einem anderen befürwortet der Herzog von Fife die Be- 
schaffung eines Dampfers für den „Victoria Nyanza-See u (Afrika). — 
Eine Anzahl Seeoffiziere, wie der Admiral Symonds, Admiral Tryon, 
Kapitän Lord Beresford werfen die Frage auf „ob die englische Marine 
im Besitz einer genügenden Anzahl schneller Kreuzer sei, die mit den 
nötigen Quantitäten Kohlen versehen werden können, um lange See zu 
halten, so dafs sie im Falle eines Krieges die Handelsflotte, welche die 
Zufuhr von Lebensbedürfnissen für England vermittele, zu schützen im 
Stande sind, und kommen zu dem Resultate, dafs dies auch nach der 
Fertigstellung der 70 neuen Schiffe nicht der Fall sein würde. Gleich- 
falls ist man der Ansicht, dafs der neue Kreuzer „Barham" dem fran- 
zösischen Kreuzer „Forbin" von derselben Klasse an Geschwindigkeit 
u. s. w. nachstehe. — Auf dem englischen Mittelmeergeschwader hat man 
ein neues Signalsystem versucht, und soll dasselbe zur Zufriedenheit der 
höheren Seeoffiziere ausgefallen sein. Dasselbe ist nicht so kompliziert 
als das alte; auch haben die Flaggen oino Änderung erfahren. — Nach 
Aufserungen des russischen „Invaliden" wird die russische Manöver- 
Division der Ostsee in diesem Jahre aus dem Turmschiff „Peter der 
Grofse" (Flaggschiff des Admiral Kopoitoff); ferner aus den seegehenden 
Kreuzern „Admiral Grieg", „ Admiral Lazareff", „ Admiral Tchit- 
chageff", „Admiral Spiridoff"; dann 2 Turmkreuzern: „Trombe" 
und „ Magieienne" ; 3 Avisos und 4 seegehenden Torpedobooten be- 
stehen. Versuchs -Kommandos sind an Bord des neuen Turmschiffes 
„Nicolaus I." und des neuen Panzerkanonenboots „Grozyaschy" 
beordert. Dio Dimensionen des im Mai auf Stapel gelegten gepanzerten 
Kreuzers „Rurik" sind: 416 Fufs Länge, 67 Fufs Breite, 26 Fufs Tiefe, 
10,140 Tons Deplacement; Armierung: 6 achtzöllige, 14 sechszöllige Ge- 
schütze; Panzerung 10 Zoll über, 5 Zoll unter der Wasserlinie. 13,250 
indizierte Pferdekraft, 18 Knoten Geschwindigkeit. 

Army and Navy Journal. Nr. 40 bringt die Nachricht, dafs der 
Dynamitkreuzer „Vesuvius" am 2. Juni zu Versuchs- und Übungs- 
zwecken in Dienst gestellt worden sei. 

The United Service Magazin. (Juli) enthält eine Zeitungs-Polemik 
zwischen dem Admiral Tryon und Kapitiin Beresford über einen Artikel 
erstgenannten Offiziers: „National Insurance", worin derselbe hervor- 



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356 



Umschau iu der MilitAr-Litteratnr. 



hebt, dafs die Regierung die Versicherung der Handelsschiffe für Kriegs- 
gefahr übernehmen müsse. Er hebt hervor, dafs England jährlich 
elf Millionen Tons Lebensmittel importiere, welche 150 Millionen Pfund 
Sterling Wert repräsentieren ; dafs die englische Schiffahrt annähernd 
79 Prozent der der ganzen übrigen Welt in sich schliefse, dafs über 
37,000 Schiffe unter britischer Flagge segeln, dafs etwa 1800— 1900 Schiffe 
täglich in die englischen Hlifen ein- und auslaufen u. s. w. 

Bücher ; 

Elements de meUorologie nautique par J. de Sugny. 
Berger-Levrault & Cie. Paris— Nancy. Das Buch ist, wie fast alle 
Erzeugnisse der französischen seemännischen Fachliteratur und speziell die 
in der sogenannten „Bibliotheque du marin" erscheinenden, mit grofser 
Gewissenhaftigkeit und Sachkenntnis geschrieben. Es behandelt, dem 
praktischen Bedürfnis des Seemanns Rechnung tragend, zunächst die 
Eigenschaften der Atmosphäre, ihre Temperatur im Zusammenhang mit 
der Erdtemperatur, Wolken- und Luftströmungen im Allgemeinen. Dem- 
nächst werden in besonderen Kapiteln die allgemeinen Gesetze der Luft- 
strömungen über den verschiedenen Wasserbecken der Erde entwickelt. 
Daran schliefen sich Beschreibungen der Stürme in den verschiedenen 
Meeren, wobei gleichzeitig die zur Vermeidung der Centren erforderlichen 
Manöver angegeben und an Figuren tatVln erläutert werden. Hierbei 
werden Auszüge aus den Berichten verschiedener Schiffe angezogen, erklärt 
und nutzbar gemacht. Es folgen Notizen Uber Böen, Tornados und 
Tromben, ferner über die Schwankungen in Temperatur, Luftdruck und 
Feuchtigkeit, Ratschläge über die Benutzung der verschiedenen meteo- 
rologischen Instrumente und schliefslich Regeln für die Wetterprognose in 
den gemäfsigten Zonen. v. H. 

IV. Verzeichnis der zur Besprechung eingegangenen 

Bücher. 

1. Oie Erziehung des Einjährig-Freiwilligen aller Waffen zum Reserve- 
Offizier •Aspiranten. Herausgegeben unter Mitwirkung aktiver Offiziere der 
Spezial -Waffen von Hilkon, Hauptmann a. D. Infanterio-Ausgabe. 
Heuser's Verlag. Berlin, W. Oberwallstr. H— 16. 1890. Preis M. 4,50. 

2. Kettler't Karte von Deutsch-Ostafrika. 2. Lieferung. Geogra- 
phisches Institut. Weimar 1890. Preis M. 1,50. 

3. Strategisch-taktische Anfgabea nebst Lösungen, von H. v. Gizycki. 
Heft 5. Mit einer Übersichtskarte und zwei Generalstabskarton. Vierte, 
nach der Felddienst -Ordnung umgearbeitete und wesentlich vennehrte 
AuHage. Hannover 1890. Helwing'sche Verlagsbuchhandlung. 

4. Kolonlal-BibllOthek, herausgegeben von J. Kettler. Die Frage 
der Siobenbürger Sachsen. Von Rudolf Bergner. Mit einer Sprachen- 
karte von Siebenbürgen von J. Kettler. Weimar. Verlag des Geogra- 
phischen Instituts. 1890. Preis M. 1,20. 



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Umschau in der Militar-Litteratur. 



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5. Die europäische« Heere der Gegenwart. Von Hermann Vogt, 
Oberstlieutenant a. D. Illustrationen von Riebard Knötel. Heft XXVIII 
bis XXXV. (Ergttnzungs-Heft 1888 u. 1889). Preis ä M. 2. Rathenow. 
Verlag von Max Babenzien. 1890. 

6. Die Kriege Friedrichs des Groden Erster Teil: Der erste 
schlesische Krieg. 1740—1742. Herausgegeben vom Grofsen General- 
stabe, Abteilung für Kriegsgeschichte. Erster Band: Die Besetzung 
Schlesiens und die Schlacht bei Mollwitz. Mit 14 Karten, Plänen und 
Skizzen, sowie 3 Handzeichnungen des Königs. Berlin 1890. E. S. Mittler 
& Sohn. Preis M. 16. 

7. Ole Abrlchtung dei Remonte- Pferdes in 30 Lektionen. Nebst 
einem praktischen Lehrgang der Hohen Schule von van den Hove-de 
Heusch, Kapitün im 2. belgischen Ulanen - Regiment. Mit 1 Tafel 
Abbildungen. Autorisierte Übersetzung. Dresden. Hof-Verlag R. von 
Grumbkow. 1890. Preis M. 6. 

8. Lol des Depressions barometriques dans ccs ouragans et ses 
applications a la mer, par F. Em est Fournier, capitaine de voisseau. 
Publiü avec autorisation du ministre de la manne. Paris. Librairie 
müitaire de L. Baudoin & Ce. 1890. Preis 0,80 fres. 

9. Geschichte des Infanterie- Regiments, Kaiser Wilhelm, König von 
Preufsen (2. württ.) Nr. 120. Im Auftrage des Regiments für Unter- 
offiziere und Mannschaften dargestellt von Petermann, Premierlieutenant. 
Stuttgart. Verlag von W. Kohlhammer. 1890. 

10. Fürst Bismarck. Sein Leben u. Wirken. Von Hermann Jahnke. 
Reich illustriert von ersten deutschen Künstlern. Vollständig in etwa 
14 Lieferungen ä 50 Pfg. 2.-6. Lieferung. Berlin. Verlag von Paul 
Kittel. 1890. 

11. Das Infanterie-Gefecht. A. Die Compagnie. Reglementarisch- 
taktische Studie von Möller, Hauptmann und Compagnie-Clief im K. S. 
6. Inf.-Regiment Nr. 105. Hannover 1890. Helwing'sche Verlagsbuch- 
handlung. Preis M. 1,20. 

12. Huf- Lederkitt. Seine Verwendung zur Herstellung eines natur- 
geniafsen Hufbescblages und bei Hufdefekten. Zweite Auflage. Berlin. 

• Verlag von N. N. Botten. 

13. Taktische Darlegungen aus der Zeit von 1859 bis 1890 mit be- 
sonderer Beziehung auf die Infanterie. Von v. Boguslawski, General- 
major u. s. w. Berlin 1890. E. S. Mittler & Sohn. Preis M. 1. 

14. Übersicht der Geschichte des Königlichen Regiments des Gardes du 
Corps von 1740 bis 1890. Mit Bildnissen, Abbildungen und Skizzen. 
Berlin 1890. E. S. Mittler & Sohn. Preis M. 3,50. 

15. Der Zug der Engländer gegen Kopenhagen Im Frühjahr 1801. Ein 

Wort zur Anregung Uber die Bedeutung der Flotte. Von v. Bogus- 
lawski, Generalmajor. Mit einer Skizze. Berlin 1890. E. S. Mittler 
k Sohn. Preis M. 1. 



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Umschau in der Milit&r-Litteratur. 



16. Offizier - Stammliste des königlich preußischen Magdeburgischen 
Jäger-Bataillons Nr. 4 vom 50jährigen Jubelfest am 61. Juni 1865 bis 

1890. Die Ranglisten des Magdeburgischen Jäger-Bataillons Nr. 4 von 
1815 bis 1890. Im Einverständnis mit dem Bataillon zusammengestellt 
von Model, Major a. D. Berlin 1890. E. S. Mittler & Sohn. Preis 
M. 6,25. 

17. Geschichte des Kürassier-Regiments von Seydlitz (Magdeburgisches) 

Nr. 7. Im Auftrage dargestellt von Frh. Hiller v. Gaertringen, Ritt- 
meister und v. Schirmeister, Sekondelieutenant im Regiment. Mit 
Bildnissen, einer Übersichtskarte und Skizzen. Berlin 1890. E. S. Mittler 
& Sohn. Preis M. 6,50. 

18. Geschichte des Infanterie-Regiments von Borcke (4. Pommersches) 
Nr. 21. 1813 bis 1889. Bearbeitet von H. Schreiber, Hauptmann und 
Compagnie-Chef. Mit 9 Abbildungen und 10 Karten und Plänen. Berlin 

1889. E. S. Mittler & Sohn. Preis M. 15. 

19. Geschichte des königlich preuftischen Ulanen-Regiments Gral zu 
Oohna (Ostpreufsisches) Nr. 8, von 1815 bis 1890. Zur Feier des 75jährigen 
Bestehens des Regiments dargestellt von v. Förster, Rittmeister. Mit 
Karten, Uniforms- und Gefechtsbildern und etwa 230 Bildnissen. Berlin 

1890. E. S. Mittler & Sohn. Preis M. 26. 

20. Oer Kavalleriedienst und die Wehrkräfte des deutschen Reiches. 
Ein Lehrbuch für jüngere Offiziere, sowie zur Benutzung beim theore- 
tischen Unterricht. Bearbeitet und herausgegeben von G. v. Pelet- 
Narbonne, Generalmajor. 3. Auflage. Berlin 1890. E. S. Mittler & Sohn. 
Preis M. 7. 

21. Oie russische Armee in Krieg und Frieden. Mit einer Übersichts- 
karte der Standorte, mit Uniform -Abbildungen und Skizzen der wichtigsten 
Gefechtsformationen. Berlin 1890. E. S. Mittler & Sohn. Preis M. 4. 

22. Oer Prinz von Homburg. Nach archivalischen und anderen Quellen 
von Joh. Jungfer, Dr. phil. Mit zahlreichen Briefen und Aktenstücken 
und einem Facsimile. Berlin 1890. Kurt Brachvogel. Preis M. 2,40. 

23. Generale Montecuccoli. Lotte nel Reggimento. Milano. Libreria 
editrice Galli. 1890. 

24. Aide-Memolre de l'Officler francals en Allemagne par P. de Pai - . 
diellan. Paris— Li moges. H. Charles-Lavauzelle 1890. Preis 2,50 fres. 



Draek von A. Huiak in Berlin NN ., Doroth**nMr. ib.