MONATSHEFTE
FÜR POLITIK UND
WEHRMACHT
[AUCH ORGAN DER
GESELLSCHAFT...
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Jahrbücher
für die
deutsche Armee und Marine.
Verantwortlich geleitet
von
Oberetlieutenant a. D.
Sechsundsiebzigster Band.
Juli bis September 1890.
BERLIN.
BICHARD WILHELM!
1890.
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Inhalts-Verzeichnis.
s«h*
L
1
II.
26
III.
Über das Schiefsen des Infanteristen im Felde, mit Bezugnahme auf
die neue Schiefsvorschrift. Vortrag gehalten in der militärischen
Gesellschaft zn München von Reisner Freiherrn vonLichtenstern,
k. b. Major im 1. Infanterie-Regiment „König 4 '
38
IV
Der Kinflufs des ranchschwachen Pulvers auf die Th&tipkeit Ver-
wendunc und Führuncr der Feld -Artillerie im Gefecht deren Aus-
hilriunp und OriyaniRAtioTi
54
v.
Umschau in der Miutar-Litteratur:
90
99
112
IV. Verzeichnis der zur Besprechung eingegangenen Bücher .
115
VI.
117
VII.
189
VIII.
Die Befestigungen Italiens. Von Obermaier, Hauptmann . .
156
IX.
Über den heutigen Stand der Militär-Rechtswissenschaft und Ge-
179
X.
Die Forts und das Melinit
202
XI.
Die Bedeutung des Mannesmann' sehen Röhren walzverfahrenB für
204
XII,
Umschau in der Militar-Litteratur:
211
218
228
IV. Verzeichnis der zur Besprechung eingegangenen Bücher
232
XIII.
Die Schlacht von Tel-el-Kebir (am 18. September 1882) ....
235
XIV.
Nachrichten über die königlich italienische Armee und Marine,
259
Seite
XV. Die Befestigungen Italiens. Von Obermaier, Hauptmann . . 376
XVI. Die Panzerschiffe und deren Verwejdung im Kampfe bis ir
Gegenwart 298
XVIL Pferdebeine nnd Hnfbeschlag • 311
XVDIL Umschau auf roilitär-technischem Gebiet 320
XIX. Umschau i n der Mili tär- Li tteratur:
I. Ausländische Zeitschriften 335
II. Bücher 343
III. Seewesen 364
IV. Verzeichnis der zur Beaprechnng eingegangenen Bflchcr 866
<o>-
L Betrachtungen über Englands Heerwesen.
Die politische Bedeutung eines Staates, war zu allen Zeiten
abhängig von seiner Machtentwickelung, der Tüchtigkeit und
Stärke seiner Wehrkraft. — Bis zum Ende des vorigen Jahr-
hunderts hat England in kontinentalen Kriegen seinen Verpflichtungen,
Bundesgenossen gegenüber, in der Hauptsache durch Zahlung von
Subsidien nachzukommen gewufst, obschon es nicht versäumte,
allzeit sein kleines, tüchtiges Heer für die gemeinsame Sache ein-
zusetzen. Es war die Subsidien-Zahlung alsNbundesgenössische
Leistung mit dem Wesen der Kabinetskriege des vorigen Jahr-
hunderts durchaus in Einklang, zumal es den Kontinentalmächten,
im Gegensatz zu dem meerbeherrschenden England, wohl am Uelde,
nicht aber an dem nötigen Menschen-Material zum Kriegführen
gebrach. War doch selbst ein »Friedrich« nicht in der* Lage, auf
englische Subsidien verzichten zu können, wie andererseits es
deutsche Regimenter vielfach waren, welche Englands Schlachten
schlugen.
Die Zeiten haben sich geändert. Nicht von seiuen finan-
ziellen Hü 1 fsniitteln wird in Zukunft Englands Weltstellung ab-
hängen, sondern von dem Werte seiner Wehrkraft.
Die Wehrkraft des modernen Kulturstaates beruht in den
Streitkräften, d. h. der Zahl der wehrhaften Männer, dann in
den bereiten Mitteln von Pferden, Waffen, Geschütz und Kriegs-
Material jeder Art, zu welchem in weiterem Sinne auch die
Festungen und die Kriegsschiffe gerechnet werden müssen; endlich
in den Geld- und Arbeitskräften des Landes und der kriegerischen
Erziehung der Bevölkerung. Die Verbindung Beider, der Streit-
kräfte und Streitmittel, bildet das Heer, beziehungsweise die
Kriegsmarine. Damit diese Elemente zur Wehrkraft werden,
bedürfen sie aber der Organisation. Daraus folgt, dafs die Be-
deutung der Wehrkraft nicht allein von der Stärke jener Elemente
Juhri-rhor lit ft-nt.'-h» V,r.„# ..n.< Mario». M. t.XXVI„ l J
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2
Betrachtungen »bor Knglamls Heerwesen.
abhängig ist, sondern ebensowohl von ihrem organisatorischen Werte.
Dies um so mehr, je rascher die Wehrkraft im Kriegsfall in
Thätigkeit zu treteu hat. Bei dem heutigen Stand der kulturellen,
staatlichen und militärischen Entwicklung Europas ist es nicht
zweifelhaft, dafs der Ausbruch eines Krieges meist ein plötzlicher,
überraschender sein werde, dafs ferner bei der jetzigen Spannung
aller Kräfte die Kriege zu rascher Entscheidung hindrängen. Das
aber verlangt ebenso schleunigen Einsatz der gesamten Wehrkraft.
Nur fertige Organisationen sind hierzu befähigt. Was nicht im
Frieden vorbereitet ist, darauf kann für die Entscheidung nicht mit
Sicherheit gerechnet werden. Bei der gewaltigen Entwicklung der
Verkehrsmittel schützt vor dieser unerbittlichen Logik der be-
stehenden Verhältuisse keine noch so günstige geographische Lage,
eine Thatsache, die mau in weiten Kreisen Englands noch immer
nicht in vollem Umfang anzuerkennen geueigt ist.
Der Schwerpunkt der englischen Wehrkraft liegt bekanntlich
in der Flotte und steht diese naturgemäfs bei jedem Engländer im
Vordergrunde des Interesses. Bei Gelegenheit der gTofsen
Flotteuschau im August vorigen Jahres gab die »Times« diesem
Gedanken in folgenden Worten Ausdruck: »Wie sich die deutsche
Armee zur deutschen Marine verhält, so sollte sich die britische
Marine zur britischen Armee verhalten. Unsere Grenzen lassen sich
uicht, wie die Deutschlands, durch Soldaten und Festungswerke
verteidigen. Sie sind viel ausgedehnter und doch sehr verwundbar. *
Wenn wir Rücksicht nehmen auf die Gröfse, Mannigfaltigkeit und
Schwierigkeit der Dienste, welche unsere Flotte im Kriegsfalle zu
verrichten haben würde, ist unsere Marine, so imponierend sie sein
mag, dennoch unzureichend.« Die Richtigkeit dieser Aus-
führungen ist zweifellos. Trotz der überwiegenden Bedeutung
der Flotte für die Weltstellung Englands kann das letztere jedoch
nicht mit dieser allein seine über alle Erdteile zerstreuten Be-
sitzungen verteidigen wollen. Dazu bedarf es eines gut organisierten,
starken und kampfbereiten Heeres.
Die Beurteilung der englischen Wehrkraft zur See, der
Flotte, berufenerer Feder überlassend, bezwecken die nachstehen-
den Zeilen nur, die englische Wehrkraft zu Lande, das englische
Heerwesen soweit es für europäische Verhältnisse in Betracht
kommen kann, einer kurzen Betrachtung zu unterwerfen.
Das englische Heer besteht aus dem stehenden Heer
(arniy) und den Hülfstruppen (auxiliary forces), wie Miliz und
Freiwillige gewinnt werden.
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Betracht nnp'n über Enpland* Heerwesen.
3
I. Das stehende Heer.
L Der Ersatz. Für Heer und Miliz gilt als Grundsatz der
Ergänzung: Freie Werbung im Inlande. Ausländischer Werbung
bedient sich England in neuester Zeit nicht mehr; auch das so-
genannte Pressen hat seit Jahrzehnten aufgehört. Diese dem
englischen Heere eignende Art der Ergänzung ist es, welche vor-
nehmlich den charakteristischen Unterschied bildet zwischen dem-
selben und den Heeren der anderen europäischen Grofsmächte. Die
üblen Folgen dieses Systems machen sich nicht nur insofern geltend,
als es die tüchtigsten Volkskräfte ungenützt läfst und überwiegend
die ärmeren Klassen zu den Fahnen führt, sondern auch das eng-
lische Heer unverhältnismäßig klein an Zahl erscheinen läfst, endlich
auch in Folge dessen die Masse der männlichen Bevölkerung
jeglicher Schulung in den Waffen entbehrt. Nicht Englands
Volk kann im Augenblick der Gefahr, zu wirksamer Verteidigung
des heimatlichen Heerdes aufgeboten werden, sondern nur ein ver-
hältnismäfsiger Teil desselben.
Gewinnt es doch den Anschein, als ob der Maugel allgemeiner
militärischer Schulung auch auf die Politik des englischen Volkes
nicht ohne Einflufs geblieben wäre, denn in allen Fragen, welche
nur das Schwert zu entscheiden vermag, befleifsigt sich dasselbe
seit geraumer Zeit einer auffälligen Zurückhaltung. Gleichwohl hat
das englische Heer in neuerer Zeit einen Fortschritt gemacht auf
dem Wege, welcher zur »Allgemeinen Wehrpflicht« führt: es ist
ein nationales geworden, was es in den Kriegen bis zu Anfang
dieses Jahrhunderts nur zum Teil war. Wellingtons Heer bei
Waterloo zählte zahlreiche Deutsche und Niederländer in seinen
Reihen; noch im Krimkriege stand eine deutsche Fremdenlegion
unter Englands Fahnen. Das englische Heer der Gegenwart kennt
keine ausländischen Söldner mehr. Als ein fernerer Vorzug darf es,
in Anbetracht gewisser politischer Verhältnisse gelten, dafs das
vormals stark vertretene irische Element in der Zahl erbeblich
zurückgegangen ist, von 30,8 Prozent 1808 auf 15,7 im Jahre 1888;
wogegen die Zahl der Engländer (weniger der Schotten) entsprechend
stieg. Schwer nur gelingt es, die nötige Zahl an Rekruten durch
freihändige Werbung aufzubringen; schlimmer noch steht es um die
körperliche Brauchbarkeit derselben. Der englische Rekrut
hat von Haus aus mit der Möglichkeit zu rechnen, in den aus-
ländischen Besitzungen der englischen Krone Verwendung zu finden.
Hieran liegt für jugendliche, dem Abenteuer geneigte Gemüter
allerdings ein gewisser Reiz; so kommt es denn, dafs sich besonders
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I
Betrachtungen über Englands Heerwesen.
viele juuge Leute von 17 uud 18 Lebensjahren zu den Fahnen
drängen. In Ermangelung einer amtlichen Kontrolle des Lebens-
alters, sah man sich, um dem Eintritt körperlich unreifer Rekruten
zu steuern, 1882 genötigt, der Festsetzung eiues Minimalalters von
19 Jahren*) die Bestimmung beizufügen, dafs die körperliche Ent-
wicklung diesem Alter entsprechen müsse. Dies ist der Grund,
dafs fortdauernd über Abnahme der körperlichen Tüchtig-
keit des Zugangs d. h. der Körperlänge und des Brustnmfanges,
geklagt wird.
Nach dem Jahresbericht des Generalinspektors des Rekru-
tier nngswesens inEngland verursacht die An Werbung von Rekruten
für die Armee ziemliche Schwierigkeiten. Das Mafs für die
Garde zu Fufs und der Artillerie hat herabgesetzt werden müssen,
trotzdem aber hatte die Garde zu Fufs bei Ausgabe des Berichts
nicht die etatsmäfsige Stärke an Mannschaften. Ein grofser Strike
ist keine Veranlassung, dafs sich mehr Leute zum Dienst in der
Armee melden. »Der Civilstand«, so sagt Generalmayor Rock, »hat
jetzt mehr Anziehungskraft als früher.« Um den Erfolg der Werbe-
trommel nachhaltend gröfser zu machen, sieht der General nur ein
Mittel, nämlich Soldaten nach 7jähriger Dienstzeit eine Civilver-
sorgung zu verschaffen, weifs aber sehr wohl, dafs unter den be-
stehenden Verhältnissen und Anschauungen wenig Hoffnung dafür
besteht.
Nach dem oben erwähnten Bericht dos Generalinspektors
des Rekrutiernngswesens, Generalmayors Rocke, wurden während
des Jahres 1889 29,401 Rekruten in das stehende Heer eingestellt;
in den vier vorhergehenden Jahren betrug die Anzahl: 1885: 39,971,
1886: 39.409, 1887: 31,225 und 1888: 25,153. Das Gröfsenmafs
mufste, weil- keine genügende Anzahl hierzu geeigneter Leute vor-
handen, für die Kanoniere der Royal Artillery von 5 Fufs 6 Zoll
auf 5 Fufs 5 1 /, Zoll und für die Foot Guards von 5 Fufs 8 Zoll
auf 5 Fnfs 7 Zoll herabgesetzt werden.
Die Schul-Bildung des Ersatzes scheint nicht so tief zu
stehen, als man bei dem Mangel eines Schulzwangs glauben sollte.
Man schickt in England die meisten Kinder freiwillig in die
Schule. 1887 hatten 93.8% des Heeres die Volksschule besucht,
völlige Analphabeten gab es nur 3%- Diese, wie die teilweisen
Analphabeten werden in Garnisonssehulen weitergebildet. Ungleich
tiefer steht die moralische Bildung. Es ist bekaunt, wie grofs
*) 1884 wieder 18 Jahre!
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Betrachtungen Ober Englands Heerwesen.
die Zahl der Desertionen, gerichtlichen und Disziplinarstrafen im
britischen Heere ist. Die Fahnenflucht wird von manchen Indi-
viduen förmlich geschäftsmäfsig betrieben, des Handgeldes wegen.
Desertionsfalle kamen 1890 4261 gegen 4291 im vergangenen
Jahre vor, zwei Drittel dieser Deserteure dienten noch nicht ein
Jahr, und von diesen wieder ein Drittel weniger als drei Monate.
Diese bedenkliche Erscheinung fallt zweifellos zum Teil der Her-
kunft des Ersatzes zur Last. Es sind nicht, wie bei uns, die
tüchtigsten Volks - Elemente im Heere die zahlreichsten; der
Mittelstand ist fast gar nicht, der Bauernstand sehr spärlich ver-
treten, desto stärker die Kategorie der Handlanger und städtischen
Arbeiter. Sie bildeten 1882 60%, die besseren Arbeiter- und
Handwerkerkreise 30% des Zuganges; 10% entstammten kauf-
männischen Kreisen u. s. w., meist Individuen, die in ihrem bis-
herigen Beruf gescheitert waren; diese Kategorie mag die schlechtesten
Elemente des Heeres in sich begreifen. Für diese Zustände mufste
bislang zum Teil die nicht immer menschenwürdige Behandlung des
englischen Soldaten verantwortlich gemacht werden. Erst 1881
wurde die berüchtigte »neunschwänzige Katze« abgeschafft. Der
Soldat wurde bis dahiu in der Kaserne und im Lager fast wie ein
(lefaugener gehalten; für die früheren Zustände bezeichnend ist,
dafs dem Soldaten erst seit 1887 gestattet wurde, auf der Strafse zu
rauchen. Die Rekruteu-Ziffer ist darum teilweis nbbäugig von den
Verhältnissen des Arbeitsmarktes, da der Rekrut vorzugsweise den
Arbeiterkreisen entstammt und der Kriegsdienst, bei dem Werbe-
system, ein Geschäft ist, wie jedes andere.
2. Die Heeresstärke. Die Sollstärke des stehenden Heeres
im Frieden ohne Reserve betrug nach den Army-Estimates für
1889-1890: 224,706 Köpfe (eiuschliefslich 9997 Offiziere) und
25,584 Pferde, in Wahrheit aber am 1. Januar 1890 nur 210,218
Mann, sonach noch nicht die Hälfte kontinentaler Friedensstärken.
Wenn mau bedenkt, dafs über 100,000 hiervon stets in Indien und
den Kolonien stehen, so verbleiben im Königreich rund 104,000 Mann,
also kaum */ A der französischen oder deutschen Friedensstärke. Gleich-
wohl kostet diese Armee Eugland jährlich au 360 Millionen (1889/90
355 Millionen Mark), also etwa eben soviel wie das deutsche weit
über das doppelte stärkere Reichsheer. Dies Mifsverhältnis wird
bleiben, »so lange,« wie Lord Derby einmal sagte, »die Bildung
und das Selbstgefühl des Engländers zu entwickelt sind, um ein
anderes Rekrutierungssystem (die Konskription) ertragen zu
können.«
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Betrachtungen über l'nplaiuls Heerwesen.
Es entfallen auf die Infanterie (einschliefslich Garden) 146,138,
Kavallerie 19,375, Artillerie 36,258, Genie 7118, Sanitäts-
Corps und Administrationen 9480, Kolonial-Corps 2989
Mann.
England hat in neuerer Zeit seine Heeresstärke nicht unbe-
deutend vermehrt. Vor dem Krimkriege betrug dieselbe 178,645
Mann, um dann bis 1858 (Zeit des indischen Aufstandes) bis auf
203,711 zu steigen. Das Wachsen der Heeresstärke hat mit dem-
jenigen der Bevölkerung freilich nicht gleichen Schritt gehalten,
im Gegenteil verhältnismäfeig eher Rückschritte gemacht, welchem
Mifsstande durch Einführung einer »Reserve«, wie wir sehen werden,
teilweis abgeholfen worden ist.
3. Ausbildung. Die Straffheit der englischen Disziplin ist
bekannt. Trotz aller Mängel des Ersatzes ist die Haltung des
britischen Soldaten im Felde eine vorzügliche, diu Disziplin hat in
Glück und Niederlage stets Probe gehalten — ein Beweis für die
Tüchtigkeit des Offizier-Corps und die hervorragende militärische
Beanlagung des englischen Volkes.
a) Die Linien-Infanterie. Dieselbe zählt 3 Regimenter
Garde- (7 Bataillone) und 68 Regimenter (141 Bataillone) Linien-
Infanterie. Die britische Infanterie galt noch 1815 für »die beste
der Welt«, wie selbst Napoleons Marschälle bezeugten. — Die jetzige
englische Infanterie wird auf eine derartige hohe Wertschätzung
nicht mehr Anspruch machen können. Der qualitative Rückgang
der englischen Infanterie stammt, wie Engländer meinen, daher,
dafs man den Soldaten nicht zu viel üben lassen dürfe, weil ein
Hauptreiz für den Diensteintritt darin liege, dafs die hier geforderten
körperlichen Anstrengungen geringere seien als die des Arbeiters.
Eis dürfte der Hauptgrund, unseres Erachtens, doch wohl in den
berührten körperlichen Mängeln liegen; die Armee besitzt in
ihren Reihen solch altgediente, stämmige Gestalten nicht mehr, wie
jene »Löwen von Waterloo« es waren. — Die Geringschätzung,
mit welcher da und dort die Kriegstüchtigkeit, vornehmlich die
Marschfähigkeit der englischen Infanterie behandelt wird, ist
keineswegs berechtigt. Der Krieg in Afghanistan hat das Gegenteil
bewiesen. — Der Marsch Sir Frederic Roberts' von Kabul nach
Kandahar gehört zu den schönsten Leistungen, welche die Kriegs-
Geschichte kennt. Mit 10,000 Mann und einem Trofs von 8000
Trainknechten nebst 11,000 Packtieren 8 Tage hintereinander täg-
lich 21,6 km, die folgenden 8 täglich 27 km, dann nach dem ein-
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IMraclitungen über Englands Heerwesen.
7
zigen Rasttage des ganzen Marsches nochmals täglich 26,3 km
zurücklegen — und dies im Feindesland in unwirtlicher Gegend;
im Hochsommer im Gebirge, dann in dem auf nur 1000 m Meeres-
höhe liegenden Tarnaktale, unter dem Breitengrad vou Tunis,
umgeben von einem wilden, aufständischen Bergvolke, hie und da
selbst bei Wassermangel — das ist eine glänzende Leistung. Man
hat die Langsamkeit der Märsche und das Lagergefolge britischer
Heere in Asien bekrittelt, aber man möge bedenken, dafs die Krieg-
führung in den Tropen und uichteivilisierten Ländern andere
Forderungen stellt als auf europäischen Kriegsschauplätzen. Der
National- Engländer hat nicht mehr Bedürfnisse als der Nord-
Europäer überhaupt; die national-indischen Truppen freilich bedürfen
eines gröfseren Lagergefolges. Lord Napier's Corps in Abessinien
zählte auf 14,650 Soldaten 26,214 camp-followers mit 44 Elefanten
und 27,705 Trage-Tieren. Nicht minder abfällig als über die
Marsch fähigkeit wird über die taktische Schulung geurteilt,
Die alten Reglements beruhten im Wesentlichen auf der Taktik
des vorigen Jahrhuuderts; aber im Januar 1889 erhielt die Infanterie
ein neues Reglement (lnfantry Drill), das zwar manche überlebte
Formen beibehalten hat, im Ganzen jedoch den Forderungen der
neueren Taktik voll entspricht. Dem Feuer wird die Entscheidung
zugesprochen, der Entschlossenheit der Sieg in Aussicht gestellt;
der offensive Geist und die Initiative sollen Grundlage und End-
ziel der militärischen Erziehung bilden; der Schützensch warm ist
als Normalkampfform anerkannt. Es wird versichert, das neue
Reglement sei in der Armee mit Befriedigung aufgenommen
worden.
Die Einzelausbildung des britischen Soldaten, wenn man
darunter Erziehung, nicht Drill versteht, wird ungünstig beeinflufst
durch die mit dem Werbe-Systein zusammenhängende Einstellung
von Rekruten während des ganzen Jahres. Zwar werden die
Rekruten 3 Monate in Brigade-Depots ausgebildet, aber der fort-
währende Nachschub mufs die Truppe in ihrer Ausbildung benach-
teiligen. Das Bataillon z. B. kann nie in voller Friedensstärke
exerzieren. Bei der Schwäche der Compagnien müssen stets je 2
zu einer Kanipfeseinheit zusammengestellt werden. So verteilt sich
auch die Ausbildung der Compagnien ungleichmiifsig über das
ganze Jahr. Eine alte Klage ist es, dafs sich der englische Offizier
im Allgemeinen wenig mit dem einzelnen Soldaten beschäftigt,
dessen Ausbildung vorwiegend in den Händen der Unteroffiziere
liegt. Dies betrifft besonders den theoretischen Unterricht.
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Betracht nnjren über Englands Heerwesen.
Die Bestimmungen des neuen Reglements über den Marschdienst
sind zweckmäfsig und den unseren vielfach älinlich. Thatsache ist
es freilich, dafs Überraschungen englischer Truppen nicht zu den
Seltenheiten gehören; noch 1886 nahm Lord Wolsoley Gelegenheit,
die Nachlässigkeit im Sicherungsdienste scharf zn tadeln. Da die
Einzelausbildung vorwiegend deu Unteroffizieren überlassen ist,
so kommt es beim Schiefsen weniger auf eine Erziehung zum
Schützen, als vielmehr auf eine Sch n eil -Dressur hinaus. Seit
1880 ist die dritte Schiefsvorschrift in Kraft, ohne hierin wesent-
liche Änderungen geschaffen zu haben. Es wird viel nach der
Scheibe geschossen; 150 Patronen sind pro Mann ausgeworfen, aber
alle Übungen werden in verhiiltnismäfsig kurzer Zeit erledigt. Eine
besonders beliebte Entfernung ist die von 300 yards ( 280 tu).
Das Präzisions-Schiefsen auf den nahen Entfernungen gilt nicht
als Grundlage der Schiefsausbildung, dagegen wird auf gefechts-
gemäfse Schiefsübungen hoher Wert gelegt; der Mann erhält
hierfür 40 Patronen. Obwohl die Schiefs-Vorschrift das gefechts-
mäfsige A bt eilu ngsschiefsen, bataillonsweise, unter Zugrundelegung
einer taktischen Idee, kennt, enthält sie doch keine Gesichtspunkte
für die Verwertung der Waffe im Gefecht, also die Feuerleitung,
über welche sich hingegen das neue Reglement, mit gröfster Gründ-
lichkeit verbreitet. Bislang war die Infanterie noch mit dem
Martini-Henry-Hinterlader bewaffnet; es ist jedoch ein kleinkalibriger
(7,7 mm) Mehrlader mit abnehmbarem Magazin für 8 Patronen in
der Einführung begriffen. Das Gewicht der Waffe beträgt ohne
Bajonett und Magazin 4,309 kg. An Munition werden pro Gewehr
180 Patronen mitgeführt. Für den Munitionsersatz im Gefecht
bestehen leicht gepanzerte Handkarren, die gleichzeitig mit dem
neuen Gewehr in Gebrauch genommen werden sollen. — Wenig
Günstiges verlautet über die Geschicklichkeit der höheren Führer
in der Leitung gröfserer Truppen-Körper. Es üben jährlich
im Lager von Aldershot etwa 14 Bataillone, im Lager von Curragh
in Irland 7 in größeren Verbänden, in beschränktem, durch die
vielen Lagerübungen genau bekanntem Gelände. Diese Manöver
treffen demnach nur einen kleineu Bruchteil der in Grofsbrittanien
stehenden Infanterie. Herbstmanöver im Sinne der nnsrigen giebt
es nicht. Trotz erwähnter Mängel darf die englische Infanterie
als eine tüchtige, gut bewaffnete und leistungsfähige be-
zeichnet werden.
b) Die Kavallerie. Dieselbe hat. eiue Stärke von 3 Garde-
und 28 Linien-Regimentern und vielfach eine ähnlich abfällige
Diojtized by CiOOQle
Betrachtungen über Kurland* Herwegen
Kritik erfahren müssen, wie die Infanterie. Ihre Marsch fähigkeit,
besonders ihre Ausbildung im Felddienst, wird bemängelt. Sehr
zu Unrecht. Im letzten afghanischen Kriege hat die englische
Kavallerie im strategischen Auf klärungsdienst oft unter den schwierig-
sten Verhältnissen hervorragendes geleistet und außerordentliche
Marschtüchtigkeit bewiesen. Wenn die Brigade Massy auf ihrem
Marsch durch aufständisches Gebirgsland in 3 Tagen 200 km zurück-
legt, dann auf felsigem Boden in rascher Folge sechs energische
Attacken reitet, nach der sechsten, trotz eines Verlustes von '/s
ihres Bestandes, in fester Haltung weiter marschiert, so können wir
Rolcher Kavallerie gewifs nur unsere gröfste Anerkennung zollen.
Die Reitfertigkeit der englischen Kavallerie wird allgemein —
Dank der 7 bis 12 jährigen Dienstzeit — als eine treffliche bezeichnet.
Die Ausbildung für das Gefecht in gröfseren Verbänden
läfst zu wünschen. Es ist dies im Mangel an Übungen in eben
solchen Verbänden begründet. Zum ersten Male ist im vergangenen
Jahre in den Lagern von Aldershot und Curragh je eine Kavallerie-
Division zu längeren Übungen zusammen gezogen worden. — Der
schwächste Punkt der englischen Kavallerie ist der niemals auch
nur annähernd vollzählige Pferdestand. 1888 zählte sie auf 19,358
Mann nur 12,407 Pferde. Mehr als ein Drittel der englischen
Reiterei ist also unberitten! Dies ist für ihre Schlagfertigkeit sehr
bedenklich. Ein Land, das an Pferden überreich ist, wie England —
das Land des Pferdesports, mufs seine Kavallerie-Remonten zum
Teil von Aufserhalb beziehen. 1888 wurden 165 Remonten aus
Kanada, 700 aus Irland, nur 1174 aus Grofsbrittanien eingestellt,
1879 aueh ungarische Remonten bezogen. Es fehlt an tauglichen
Remonten zu annehmbaren Preisen im Inland; Staatsgestüte giebt
es nicht; zu dem soll ein Teil der Pferde nicht felddienstfähig, d. h.
zu alt oder noch zu jung sein.
c) Die Feldartillerie. Dieselbe hat eine Stärke von 22reitenden.
84 Feld- und 10 Gebirgs-Batterien. Sie ist, vornemlich die reitende,
der Stolz der Engländer. Ihre Ausbildung im Schiefsen ist gut,
die Bespannung vorzüglich; aber die Bewaffnung, also die Haupt-
sache, lag lange Zeit hindurch im Argen. Man hat neuerdings, wie ver-
sichert wird, ein vorzügliches Feld- Geschütz zur Einführung ge-
bracht. Der neue stählerne Zwölfpfünder (10 cm) soll an Anfangs-
geschwindigkeit und Leichtigkeit keinem Geschütz der anderen
Mächte nachstehen. Aber die Neubewaffnimg macht sehr langsame
Fortschritte. 1887 waren von den 107 Feld- Batterien erst 15 mit
der neuen Watte ausgerüstet, noch vor kurzem berichtete »United
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10
Betrachtungen über Englands Heerwesen.
Service Gazette«, dafs die Durchführung der Neubewaffnung noch
nicht abzusehen sei.
d) Die Fufsartilleri e, iu England »garnison batterie« ge-
nannt, ist zahlreich; aufser den 114 englischen Batterien .giebt es
ansehnliche Hilfs- Formationen in Malta, Sierra Leone, Hongkong,
Singapore, Ceylon. Die Fufs- Artillerie ist in Belagerungstrains zu
30 Geschützen zusammengestellt. Die Schiefsausbildung wird
mit Eifer betrieben. Bekannt sind die Klagen über die Mängel
der schweren Küsten- und Schiffs- Artillerie. Selbst hochstehende
englische Offiziere werfen ihr Konstruktionsfehler vor und urteilen,
dals die schweren Geschütze zum Teil für die Bedienung gefähr-
licher seien, als für den Feind.
e) Pioniere und Genie. Das >Royal Eugineer-Corps
gilt in militärischer und technischer Ausbildung als vorzüglich.
Neben den 62 Pionier-Compagnien besteht 1 Telegraphen, l Eisen-
bahn, 1 KÜ9ten- und 1 Submarine- Bataillon u. s. w. Die tech-
nischen Truppen üben besonders den Signaldienst fleifsig; der Helio-
graf hat in tropischen Ländern und im letzten afghanischen Krieg
gute Dienste geleistet; Ballon -Fahrten werden fast sportmäfsig be-
trieben. Die Offiziere — in Feld- und Festuugs-Corps getrennt —
haben in Indien und den Kolonien reichliche Gelegenheit, ihre
Kenntnisse durch die Praxis zu erproben.
II. Die Htilfstruppeil (auxiliary fores).
Dieselben bestehen aus zwei in keinem Zusammenhang stehenden
Teilen: 1. Der Miliz (militia). 2. Den Freiwilligen (volunteers).
1. Die Miliz. Sie ist die eigentliche verfassuugsmäfsige Wehr-
kraft Englands, denn die »Constitution of rights«, das Grundgesetz der
englischen Verfassung von 1088, verbot dem Könige »das Halten eines
stehenden Heeres« ohne Einwilligung des Parlaments. Aber schon
am 28. März 1689 mufste das letztere für das laufende Jahr die
bill of mutiny d. h. ein stehendes Heer genehmigen. Es wurde nie
wieder entlassen; aber bis auf den heutigen Tag wird seine Stärke
durch diese »army diseipline aet« genannte Bewilligung vom Parla-
ment bestimmt. Diese Vorsicht hat iu Cromwell's Schreckensherr-
schaft, deren Spitze sich vorzüglich gegen die Tories richtete, ihre
Begründung. Der konstitutionell denkende Engländer betrachtet noch
heut die Miliz als den einzigen verfassungsmäfsigen Teil des
englischen Wehrwesens. Dieselbe beruht auf dem Grundgedanken
des alten, angelsächsischen Heer- Bannes. Zur Zeit der Restauration
(Karl II.) glich ihre Organisation einigermafsen der Heerbannordnung
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Betrachtungen über Englands Heerwesen.
11
Karls des Grofsen. 1685 zählte sie bei einer Bevölkerung von 5
bis 6 Millionen rund 130.000 Mann. Die alte Ordnung ist auch in
die neue Verfassung übergegangen; denn die »Constitution of rights«
bestimmt im Prinzip, dafs jeder Brite vom 16. bis zum 60. Lebens-
jahr zur Verteidigung des Vaterlandes verpflichtet sei — also die
allgemeine Wehrpflicht — aber nur innerhalb der Landesgrenzen;
eine Verwendung aufserhalb derselben unterliegt der Zustimmung
des Einzelnen. Die Zahl der jährlich nötigen Milizen wird durch
das Parlament bestimmt und durch den altgermauischen Brauch des
Losens das Jahreskontingent aus der Zahl der Dienst-Verpflichteteu
entnommen. Das Miliz-System in seiner ehemaligen Gestalt ist jetzt
nur noch auf den Kanalinseln in Kraft. Nach den Napoleonischen
Kriegen schon begann der Verfall dieser über ein Jahrtausend
bestandeuen Heerbann -Einrichtung. 1832 zum ersten Mal, und
seither alljährlich, hat das Parlament das Gesetz über die Losung
suspendiert und an ihre Stelle die Werbung gesetzt, also die
Pflicht der Landes- Verteidigung mit Geld abgelöst. Alljährlich
wird die nötige Anzahl Leute gemietet, welche zu fünfjähriger
Dienstzeit in die Miliz eingestellt werden. Dieselben dürfen
höchstens 35 Jahre alt sein; da auch genug junge Leute sich zum
Eintritt melden, so hat die Miliz Alters- Unterschiede von 19 bis
40 Jahren aufzuweisen, ein für die Ausbildung nicht eben günstiges
Verhältnis. —
Nach den »Army-Estimates« für 1889- 90 hat die Miliz
folgende Stärke:
Infanterie, 139 Bat.: 3076 Offiz., 111,172 Mann, Summa 114,248
Kavallerie, 39 Corps: 743 » 13,117 » » 13,860
Artillerie, 35 Brigaden
(196 Batterien): 605 * 18,930 » • 19,535
Genie, 8 Corps: 107 » JM35 » *_ 2,542
4531 Offiz., 145,654 Mann, Summa 150,185
dazu 14,000 Pferde.
Seit Cardwell's Reformen sind die Miliz-Infanterie-Bataillone
mit den in ihren Bezirken stehenden Regimentern der Linie in ge-
wisse Beziehung gebracht; sie führen deren Uniform und Namen,
auch die Bewaffnung und taktische Einteilung dieser Patailloue ist
denen der Linie gleich.
Die Miliz-Rekruten werden 56 Tage ausgebildet; iu den dann
folgenden Jahren sollen sie alljährlich 27 Tage üben, in Summa
also in 4 Jahren 164 Tage einschliefslich Sonn- und Feiertagen.
Da aber z. B. 1886 nicht alle Bataillone Schiefsübungen abgehalten
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12 Betrachtungen über Englands Heerwesen.
haben, so scheinen selbst diese kurzen Übungs-Zeiten nicht voll
ausgenützt zu werden. Die Schiefsleistungen gelten als minder-
wertige. Die Art der Ausbildung stellt die Milizen unserer Ersatz-
Reserve etwa gleich.
Von den Offizieren gehören nur 2 bei jedem Bataillon zum
stehenden Heere. Zwar hat ein Teil der eigentlichen Miliz-Offiziere
einige Zeit in der Linie, die Mehrzahl jedoch nur in der Miliz ge-
dient. Das Gleiche gilt von den Unteroffizieren.
Einen eigenartigen Charakter hat die Miliz- Kavallerie (die
Yeomanry). Sie ergänzt sich aus Land- Pächtern und kleinen
Grundbesitzern, die sich selbst beritten machen, und zerfällt in
39 Corps, von je 4 bis 11 troops (in Summa 241).
Die »yeomanry« übt jährlich 7 bis 8, hier und da auch
14 Tage. Eine solide kavalleristische Ausbildung fehlt derselben.
Eine leistungsfähige Kavallerie sind sie nicht. Ein grofser Teil
der yeomanry ist überdies sehr mangelhaft beritten.
Es erübrigt die Frage, was von der »Miliz« im Kriegsfall
billiger Weise erwartet werden darf.
Von der englischen Armee steht etwa die Hüllte ständig in
den Kolonien, wo sie unentbehrlich ist; sie kommt für europäische
Verwickelungen folglich nicht in Betracht. Für die Landes- Ver-
teidigung sind nur die andere Hälfte (zur Zeit rund 110,000 Mann),
die Reserve und die auxiliary forces verfügbar. Wenn man die in
der Heimat dislozierten Rekruten und vorübergehend Felddieust-
Untauglichen mit rnud 32,000 Mann abrechnet, so verbleiben
78,000 Manu Linieutruppen, zu denen 60,000 Mann der beiden Re-
serve-Klassen treten. Dies ergäbe für operative Zwecke etwa
138,000 Mann des stehenden Heeres.
Von der Miliz treten etwas über 30,000 Mann, die sogenannte
»Miliz-Reserve«, zur Feld- Armee, welche mit den obengedachteu
32,000 Rekruten u. s. w. eine Ersatz-Armee von etwa 60,000 Mann
ergeben. Der Miliz verbleiben demnach nur noch etwa
90,000 Mann. Diese sollen selbstständige Truppenkörper bilden.
Ein Teil wird wohl noch zu Besatzungszwecken verwendet*) wer-
den müssen, der Rest an schon bestehende Liuienformationen ange-
schlossen. Denn diesen Sinn hat wohl die Zuteilung im Frieden
von einem oder mehreren Miliz-Bataillonen an die Linien-Regimenter.
Diese für Verwendung im Felde bestimmten Miliz- Bataillone haben
an der Linien -Infanterie-Kavallerie und Feld- Artillerie allerdings
einen <:ewissen Halt. Die Zahl der letzteren freilich — 60 Eska-
*) Für 8 Regimenter ist eine Verwendung in Gibraltar und Malta vorgesehen.
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Betrachtungen über Englands Heerwesen.
13
drons und 54 Feld -Batterien mit 324 Geschützen — steht dann
kaum im richtigen Verhältnis zur Zahl der Infanterie, es kämen auf
je 1000 Mann des letzteren nur etwa 80 Reiter und 2,16 Geschütze.
Die yeomanry als selbstständige Kavallerie- Korper ins Feld zu
schicken, kann nicht in der Absicht liegen. Die besserberittenen
und tüchtigeren Elemente werden den Linien-Kavallerie-Regimentern
einverleibt, aber nicht wesentlich zur Verstärkung derselben bei-
tragen können. Das Mifsverhältnis an Feld- Artillerie läfst sich je-
doch nicht beseitigen.
In neuerer Zeit verlauteten seltsame Nachrichten über die Ist-
Stärke der Milizen. Die »Array und Navy Gazette« behauptete,
von den vorgeschriebenen 150,000 Mann seien nur 61,000 vorhanden,
Transport- und Medizinalwesen, sowie Vorbereitungen für die Mobil-
machung fehlten gänzlich; sie wirft der Regierung vor, dafe die-
selbe diese in der Armee bekannten Mängel leugne. In der That hat
die alte Wehreinrichtung des Landes fortwährende Rückschritte
gemacht; fast hat es den Anschein, als ob dieselbe — wohl zu Gunsten
der Volunteers — mehr und mehr dem Verfall entgegenginge.
2. Die Volunteers. Sie zählen nach den »Array Estimates«
für 1889—90: 257,675 Köpfe (einschliefslich 8435 Offiziere) und
430 Pferde. Man rühmt in England, dafe kein anderes Land je
eine so zahlreiche Freiwilligen- Armee besessen habe. Auf Grund
dessen glaubt man die allgemeine Wehrpflicht entbehren zu können;
der Patriotismus werde , so rühmt man, wie ehedem, im Falle
einer Invasion hunderttausende neuer Freiwilligen den Fahnen zu-
führen. In der That standen im Jahre 1803 über 1 Million Frei-
williger unter den Waffen, 1804 meldeten sich neuerdings 479.000.
Auch in Zukunft wird es England im gegebenen Falle an Frei-
willigen gewifs nicht fehlen, nur ist nicht zu übersehen, dafe die
Kriege der Gegenwart mit Gewitterschuelligkeit hereinbrechen
und die Entscheidung fallen kann, noch ehe diese Massen — von
ihrer Ausbildung zu schweigen — auch nur halbwegs organisiert
sein können. Seit 1859 hat man ans diesen Gründen, vornemlich
auf Betreiben des verstorbenen Prinzen Albert, die Volunteers als
ständigen Teil des Heerwesens geschaffen. Jüngere Männer aus
allen Schichten der Bevölkerung, besonders der besseren Stände,
treten freiwillig zu den Fahnen dieser Corps.*) Ihre Stärke beziffert
sich auf 206 Bataillone zu 6— 12 Compagnien von je 60 bis 100 Mann,
54 Artillerie -Corps mit 565 Battorien, von je 50 bis 80 Mann,
16 Genie-Corps mit 105 Ingenieur-, 6 Eisenbahn-, 13Torpeder und
*) In Irland dürfen Milizen oder Volunteer-Corps nicht aufgestellt werden.
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Betrachtungen Aber Englands Heerwesen.
10 Seemineur-Compagnien, von je 00 bis 80 Mann; auch diese tech-
nischen Truppen sind grösstenteils in Bataillone zusammengestellt.
Die Uniformierung ist ähnlich jener der entsprechenden Linien-
Truppen. Waffen und Munition liefert der Staat; sie werden unter
persönlicher Verantwortlichkeit der Commandeure in Zeughäusern
aufbewahrt. Die Feldausrüstung hat der Einzelne zu beschaffen,
sie ist indessen selten vorrätig. Die >Army-Estimates« ergeben für
1889—90 folgende Zahlen: Infanterie 194,678, Artillerie 46,833,
technische Truppen 14,542, Kavallerie 420, verschiedene Corps 202.
Um als ausgebildet erklärt zu werden, — der Staat gewährt für
jeden Ausgebildeten eine Prämie — müssen die Volunteers eine ge-
wisse Zahl von Tagen (in den ersten beiden Jahren, je nach der
Waffengattung, 30 bis 36, im dritten und vierten 9 bis 15) üben.
Die Übungen finden in Verbänden bis zum Bataillon aufwärts statt
und bestehen, obschon seit einigen Jahren auch Felddieust und Ge-
fecht geübt werden, vorzüglich in Schulexerzieren; sie werden in der
Regel nicht in unmittelbarer Aufeinanderfolge mehrerer Tage, son-
dern an Sonn- und Feiertagen abgehalten. Die Infanterie schiefst
fleifsig ; manche Corps sollen Vorzügliches hierin leisten ; aber im
Allgemeinen gelten die Bedingungen als nicht schwierig. Die Ar-
tillerie, welche mit Munition gut dotiert wird, hält jährlich Schiefs-
übungen in den Küstenforts u. s. w. Viele Volunteers üben auch
häufiger, als es verlangt wird. In letzter Zeit fandeu mehrfach, in
Verbindung mit den Linien-Truppen, kurze Lagerübungen statt. —
Es versteht sich von selbst, dafs diese Ausbildung nicht genügt, um
die Volunteers völlig kriegstüchtig zu machen, obschon sie bei Pa-
raden, Dank ihrem vorzüglichen Ersatz und dem fleifsig betriebenen
Schulexerzieren, nach allgemeinem Urteil stets einen guten Eindruck
machen. Es fehlt derselben gleichwohl, dem Einzelnen wie der
Truppe, die für das moderne Gefecht erforderliche gründliche
Schulung und Gewöhnung an die Disziplin. Die Volunteers legen
viel Eifer und guten Geist an den Tag, sie können nicht mit
Nationalgarden oder Bürgerwehren verglichen werden, aber eine den
Infanterieu anderer Heere ebenbürtige Truppe sind sie nicht.
An Kavallerie besitzen die Volunteers nur 4 Corps mit
420 Mann. Man hat ferner in den Infanterie- Bataillonen ganze
Sektionen tüchtiger Radfahrer, die kürzlich nicht blofs zum Melde-,
sondern auch Aufklärungsdienst verwendet worden sind, angeb-
lich mit gutem Erfolg. — Seit 1888 giebt es 67 bespannte
Batterien, zunächst pro Batterie mit 4 Geschützen und teilweis
3 Fahrzeugen. Die Geschütze sind die von der Liuie abgegebenen
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Betrachtungen über England* Heerwesen.
15
16-, 20- und 24 Pfünder, letzere Positions-Geschütze. Die Batterien
müssen jährlich viermal bespannt exerzieren. Bei früheren Ver-
suchen machte man mit den nicht eingefahrenen und feuerscheuen
Pferden schlimme Erfahrungen; über die neueren Erfolge ist nichts
in die Öffentlichkeit gekommen. Ausrüstung, Bespannung und Be-
dienung müssen vorläufig als minderwertig gelten.
Man beabsichtigt, 117 Volunteer-Bataillone, die im Jahre 1888
in 19 Feld -Brigaden vereinigt waren, — 86 andere wurden in
12 Besatzungs- Brigaden zusammengestellt — der Feld-Armee zuzu-
führen. Ein besonderer übelstand ist es, dafs es ihnen au Kavallerie
fast gänzlich fehlt. Ferner mufs bezweifelt werden, dafs die Volunteer-
Artillerie als eine solche wirklich nützen kann. Die technischen
Truppen werden gelobt; sie bestehen meist aus Fachleuten und
dürfen um so mehr als tüchtige Beihülfe der Landes- Verteidigung
gelten, je weniger ja diese Waffe in nächste Berührung mit dem
Feinde kommt.
Das Offizier- und Unteroffizier-Corps. Die Comman-
deure der Corps sollen zwar aus den Volunteers selbst hervor-
gehen, es sind indes gröfsteuteils Offiziere, die längere Zeit in der
Linie gedient haben, also ihrer Aufgabe gewachsen sind. Die
unteren Führer haben gegen früher in Bezug auf ihre militärische
Brauchbarkeit Fortschritte gemacht. Sie werden nicht mehr von
den Corps gewählt, sondern von den Lord-Lieutenants der Graf-
schaften (welche ehemals die Stellung der alten karolingischen
Heerbann -Grafen in der Miliz bekleideten) mit Hilfe der Offizier-
Corps aus den Reihen der Volunteers auserlesen und auf ihren Vor-
schlag von der Königin ernannt. Vor dem Vorschlag haben sich
dieselben einer theoretischen und praktischen Prüfung zu unter-
ziehen, ebenso vor jeder Beförderung. Die Offiziere können auf 1
bis 3 Monate zur Linie, Miliz oder Schiefsschule, oder zu Kursen
ihrer Waffen einberufen werden. Die Annahme einer Offizierstelle
ist aber mit so bedeutenden Kosten verknüpft, dafs 1888 an
1600 Stellen unbesetzt bleiben mufsten. Es sollen beiläufig 1888
von 8000 Offizieren nur 904 sich der taktischen Prüfung unterzogen
haben. Das ist sehr wenig, besonders, wenn man bedenkt, dafs
diese Prüfung von Freiwilligen wohl kaum allzu streng genommen
werden wird. Man wird, ohne unbillig zu sein, bezweifeln müssen,
dafs diesen Führern jenes Mafs von Diensterfahrung eignet, welches
nötig ist, um Truppen, vollends so mangelhaft geschulte, zu führen.
— Die Unteroffiziere werden von den Commandeureu der Corps
gewählt. Nur die Sergeanten haben eine leichte Prüfung zu be-
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16
Betrachtungen über Englands Heerwesen.
stehen. Da diese Unteroffiziere für die Ausbildung der Mann-
schaften nicht genügen, so ist jedem Corps als >permanenter Stab«
1 Instruktions-Offizier und für 2 bis 3 Compagnien je 1 Sergent der
Linie zugeteilt.
III. Befehligung und Verwaltung des Landheeres.
Dieselbe geht vom Kriegs-Ministerium (war-office) aus, das in
2 Abteilungen zerfallt. Das Militär-Departement (die 1. Ab-
teilung) steht unter Leitung des Oberkommandiereudeu und seines
Generaladjutanten, nach unseren Begriffen des Generalstabschefs
der Armee. Unter ihm, aber zum Ministerium gehörig, stehen die
obersten Waffen-Inspektionen (für Artillerie, Ingenieur-Corps und
Festungswesen), das Militär-Erziehungs- Wesen, das Militär-Kahinett
und 3 Sektionen, deren Geschäfte bei uns teils der Generalstab
teils die Intendantur wahrnehmen: Die Kanzlei des Geueralstabs-
Chefs, jene des Quartermaster-Geuerals (Verpflegung, Unterkunft,
Transport und Remontierung) und das Nachrichten-Bureau; endlich
Sektionen für Sanitäts-, kirchliche und Veterinär-Verwaltung. Das
»civil departement« des »war-office« besteht aus der Finanz- und
der Abteilung für Bekleidung und Herstellung von Ausrüstung,
Bewaffnung und Munition.
Die einzelnen Truppenkörper der aktiven Armee sind nicht zu
höheren Verbänden — weder waffenweise für sich, noch verbunden
— zusammengefafst. Nur die Volunteers-Batailloue bat man kürz-
lich zu Brigaden verbunden. Es giebt nur kommandierende Generale
für grofse Garnisonen, denen eiu gewisser Bezirk unterstellt und
zur Handhabung des Befehls jetzt ein Truppen-Generalstab an die
Seite gegeben ist — in allen organisatorischen Angelegenheiten
verkehren die Truppen direkt mit dem Ministerium. Daraus kann
man entnehmen, welch' ungeheure Arbeitslast auf diesem Amte
liegen mufs, und es erklärt sich, warum Reformen so langsam
durchgeführt werden. Die Vereinigung der Truppen zu höberen
Verbänden (Divisionen, Corps) erfolgt erst im Mobilmachungsfall,
ein Zustand, über den man nichts zu sagen braucht, als dafs es
derjenige der preufsischen Armee vor 1806 und der französischen
vor 1870 war.
Der Kriegsminist er Card well hat anfangs der siebziger Jahre
das Territorialsystem in England eingeführt, welches trotz
anfänglich heftigem Widerstandes sieb gut bewährt hat. Dem-
zufolge tritt die grofse Mehrzahl der Rekruten bei dem Regiment
ihres Ileimatsbezirkes ein. Die Verbindung von Linie und Miliz
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Betrachtungen Aber Englands Heerwesen.
11
wurde schon erwähnt. Jedes Miliz- Regiment untersteht einem Sub-
Distriks-Brigade-Commandeur, der dem Linien-Regiments-Comman-
deur gleichgeordnet ist und mit seinem Hilfsoffizier die Funktionen
unseres Bezirks-Commandeurs versieht. Doch leitet er auch die
Ausbildung der »auxiliary forces« des Bezirks und hält ihre Waffen
und Vorräte in Kontrole. — Durch diese Territorialeinteilung
wurden sämtliche Elemente der Wehrkraft zu Lande nach einem
einheitlichen System gegliedert und so die Mobilmachung wesentlich
erleichtert.
IV. Die Mobilmachung.
In neuester Zeit ist man mit grofsem Ernst daran gegangen,
die Mobilmachung planmäßig vorzubereiten. Ohne Zweifel liegen
auf diesem Gebiet die wichtigsten Fortschritte, welche die englische
Armee seit Jahren gemacht hat. Die Leitung liegt in den Händen
des Militär- Departements des war-office. Die Truppen machen in
ihren Standorten unter Leitung ihrer Commandeure, die Hilfs-
truppen in ihren Bezirken unter Leitung der Volunteer-Brigade-
Kommandos und Subdistrikts-Brigade-Commandeure mobil.*) In
wieweit hierbei die vorerwähnten Generale mitwirken, ist nicht
bekannt. Es besteht für die Mobilmachung des Landheeres eiu
Plan, der das Zusammenwirken der verschiedenen Behörden und
Truppen vorsieht. Ebenso ist ein Plan für die Reichs- und im
Besonderen für die Küsten -Verteidigung vorbereitet. — Über die
Ergänzung des Offizier-Corps auf Kriegsstärke ist nichts bekannt.
Die englische Armee ist mit Linien-Offizieren reichlich ausgestattet,
im Jahre 1888-89: 9944 auf 211,414 Mann, ein Verhältnis, das
sogar dem der deutschen Armee überlegen ist. Dazu kamen 250
Offiziere der Reserve, meist ehemalige Linien-Offiziere. Die auxiliary
forces zählteu 1888—89: 12,857 Offiziere. Wie erwähnt, sind die
Commandeure meist aus der Linie hervorgegangen, die Masse der
niederen Führer aber unseren Offizieren des Beurlaubtenstandes
nicht gleich zu achten. An pensionierten Offizieren giebt es stets
an 14,000. Viele davon sind in Civilstellungen oder bei den
auxiliary forces untergebracht, ein Teil nicht mehr dienstbrauchbar.
Doch darf man annehmen, dafs ein erheblicher Prozentsatz dieser
Offiziere sich zur Verfügung stellen und ein ausgezeichnetes Führer-
inaterial für Neuformationen und Ersatztruppen abgeben wird.
•) Die Volunteere dürfen jetzt schon bei drohendem Kriegsausbruch mobili-
siert werden (national defence-act von 1888).
J»krbS«b«r fir «• Dmtaeh* An»»« »d Mirtne. Bd. LXXVI , 1. <>
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18 Betrachtungen über Englands Heorweaen.
Für die Ergänzung an Mannschaften steht zunächst die
Reserve zur Verfügung. Die Schaffung dieser zur Deckung des
Bedarfs bei eintretender Mobilmachung ist das Hauptverdienst von
Cardwell's und Childers 1 Reorganisation. Schon vor dem Jahre
1870 verpflichtete d. h. mietete man ausgediente Leute zum Wieder-
Eintritt für den Fall des Krieges. Von Erfolg wurde diese Schöpfung
erst, als man anfangs der siebziger Jahre die bis dahin 10 und
12 jährige Dienstzeit in eine 6 und 12 jährige teilte, zwischen
welchen der Eintretende zu wählen hatte. Wie jede neue Mafsregel,
fand auch diese Gegner; aber sie erwies sich als nützlich, denn
der bis dahin spärliche Zugang zur Armee hob sich, und die meisten
Rekruten — 23 von 25 — wählen die kurze Dienstzeit, so dafs
die Zabl der Reserve, für die sie sich bei Wahl der kurzeu Dienst-
zeit verpflichten mufsten, bald wuchs. Indes befand sich die Mehr-
zahl in der II. Klasse, die nur im Inland verwendet werden durfte.
Da setzte 1881 Childers die Dienstzeit auf 7 Jahre »at home« und
8 »abroadc fest und verpflichtete jeden Eintretenden, den Rest der
12 Jahre, also 5 beziehungsweise 4 Jahre in der Reserve I. Klasse,
die ohne Weiteres im Ausland verwendet 'werden kann, zu dienen,
natürlich gegen Bezahlung. Bei grofsem Rekrutenzugang sollte,
um Stellen frei zu machen, die Entlassung schon nach 3 Jahren
erfolgen können. Auch wird ein Neuverpflichten nach Ablauf der
12 Jahre auf weitere 4 für die II. Klasse vorgenommen. Die Re-
servisten sind demnach in der Regel in den kräftigsten Jahren,
zwischen 26 beziehungsweise 23 und 32 Jahren in der T., zwischen
32 und 3(5 eventuell 37 Jahren in der II. Klasse. Die I. Klasse
zählte 1888: 50,950, die IL 4118 Köpfe. 1885 war erstere seit
8 Jahren zum dritten Male eingezogen. Die Leute folgten stets
willig und rasch dem Rufe und bewährten sich vorzüglich, so be-
sonders auch 1882 in Ägypten. An sich bodeuten diese 55,000
Mann einen bedeutenden Zuwachs der Wehrkraft, besonders aber
der Offensivkraft des englischen Heeres, denn ihre Einberufung
gestattet nicht blofs — nach Ausscheidung der Rekruten u. s. w. —
die gesamte Linie auf Kriegsstärke zu bringen, sondern
ergiebt noch einen erheblichen Überschufs (über 20,000 Mann).
Ferner werden sich im Fall eines grofseu Krieges auch viele, der
Reserve nicht mehr angehörende, altgediente Soldaten — 1888
waren von 27,825 Entlassenen nur 15.920 zur Reserve eingereiht
worden — zum Wieder-Eintritt melden.
Für den Nachersatz der Armee im Kriege dient deren
jüngster Jahrgang (1887 88 30,751, welche nur im Mutterland
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Betrachtungen über Englands Heerwesen.
19
stehen) nnd die schon erwähnte Miliz-Reserve (1888: 31,474),
sowie die Neu -Anwerbung. Wie hoch diese letztere ausfallen wird,
kann naturgemäfs nicht genau berechnet werden; es ist dies eine
der Schattenseiten des Werbesystems. Doch darf man für einen
grofsen Krieg die Neurekrutierung auf 50 bis 100,000 Mann, je
nach Bedarf, veranschlagen. Aufserdem ist es sehr wahrscheinlich,
dafs viele Milizen und Volunteers — einzeln und in Verbänden —
sich zur Verwendung im Ausland bereit erklären werden.
Die Ergänzung an Pferden. Für diese war bis 1888 nichts
vorgesehen. Die der Schaffung einer Inspektion des Remontewesens
im Sommer 1888 folgende >national defence bill« hat gründlich ge-
holfen. Es können ihr gemäfs alle Besitzer von Pferden im Mobil-
machungsfall zum Verkauf derselben an die Militärbehörden ge-
zwungen werden. Bei Englands Pferde-Reichtum ist der Bedarf
an Reit- und Zugpferden somit sichergestellt.
Die Ausstattung der Truppen und die Trains. Hier
scheinen noch wunde Punkte der Mobilmachung zu sein. Die
Ausstattung der Truppen mit Waffen, Bekleidung und Ausrüstung
kann wohl direkt aus den Magazinen erfolgen, da zahlreiche
Neu-Eiustellungen nicht erfolgen, und Truppen, sowie auxiliary
forces diese Dinge in Händen haben. Das Lagergeräte dagegen
war noch 1886 für die ganze Armee in den 6 Depots zu Woolwich,
Portsmouth, Plymouth, Aldershot, Dublin und Cork, die Fahr-
zeuge für Truppen und Trains waren, wenigstens kürzlich noch,
für die gesamte Landstreitmacht in Woolwich vereinigt. Auch das
erinnert an die französische Mobilmachmig von 1870. An diesen
Mängeln kann aber eine sonst wohl vorbereitete Mobilmachung
scheitern. Die Volunteers haben übrigens keine Fahrzeuge; nur
deren Beschaffung ist planinäfsig vorgesehen. 1888 haben 10 ihrer
Bataillone wenigstens Versuche gemacht mit Truppenfahrzeugen zu
üben. — Der Train, 37 Compagnien stark, soll bei einer allge-
meinen Mobilmachung auf 74 Compagnien gesetzt werden. Da für
1 Armee-Corps 15 berechnet werden, könnte man 5 Corps aus-
rüsten. Die auxiliary forces haben selbst keine Trains, ihre mobile
Verwendung in voller Stärke mufs sich also unabsehbar verzögern.
Da Train-Trnppen und Material nicht beisammen liegen, kann im
Mobilmachnngsfall gefahrliche Verwirrung entstehen. Für die
Munitious- Kolonnen fehlt es an Personal und man ist auf den nicht
eben glücklichen Ausweg verfallen, der ohnehin schon zu schwachen
Feld -Artillerie der Linie 8 Batterien zu nehmen, um sie in Kolonnen
zu verwandeln.
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20
Betrachtungen Ober Englands Heerwesen.
Die Eisen bahn- V orbereitu ng. Die national defence bill
von 1888 giebt der Regierung bei drobendem Kriege die Verfügung
über die Eisenbahnen in die Hand. Über den Plan der Benutzung
ist nichts Verlässiges bekannt. Vorgesehen sind die Konzentrations-
Transporte, und in den letzten Jahren hat man in diesem Zweig
der Kriegs-Vorbereitung viel gethan. Mufs er ja doch der wesent-
liche Teil des erwähnten Landes-Verteidigungs-Planes sein. Die
Entwicklung des Bahnnetzes ist ja die verhältnismäßig gröfseste in
Europa, die Sicherheit und Raschheit des Betriebes bekannt Bei
sorgfältiger Vorbereitung werden die Bahnen den höchstgespannten
Forderungen sicherlich genügen.
Trotz der Oeifsigen Arbeit der letzten Jahre dürfte doch noch
viel zu thun übrig sein, bis Organisation und Mobilmachung so
geordnet sind, dafs ein sicheres und zugleich rasches Funktionieren
des komplizierten Heeres -Apparates gewährleistet ist. Die Mobil-
machung ist eine Kraftprobe auf die Organisation einer Armee,
insonderheit ihre Befehligung. Hohe englische Militärs haben sich
dahin geäussert, dafs, Dank der allzustraffen Centralisations-Methode,
im Fall einer allgemeinen Mobilmachung die Arbeitslast im »horse
guarde-housec so überwältigend würde, dafe das gesamte Ministerium
unter ihr zusammenbrechen müsse. Je straffer die Centralisation,
um so gefährlicher dieser Zusammenbruch. Der dauernde Bestand
von Befehlstellen zwischen dem Oberbefehl und den Truppen ist
für die Sicherheit und Energie der Befehlsgebung unentbehrlich. —
Die Lagerung des Materials bei den Truppen und Stellen, welche
Formationeu mobil zu machen haben, verbürgt allein die Ordnung
und ruhige Sicherheit der Mobilmachung, sowie die Gewifsheit, dafs
alle Truppen operationsfahig ausmarschieren. Dann verkürzen sich
von selbst die Zeiträume, innerhalb welcher die einzelnen Teile der
Armee schlagfertig werden. Warum kann die Miliz, wenn die
Reserve in 4 Tagen marschbereit ist, das nicht? Sie braucht
14 Tage hierzu. Je weniger fest aber der innere Halt der auxiliary
forces ist, desto rascher mufsten sie kriegsbereit gemacht werden,
um bei einem Einbruch sofort in Überzahl auf den an mili-
tärischem Wert wohl weit überlegenen, anfangs aber noch wenig
zahlreichen und operationsfertigen Gegner geworfen werden zu
können, sowie um jedenfalls noch Zeit zu haben, sich fester zu
fügen und in die Waffen zu gewöhnen, noch ehe der Zusammen-
stofs erfolgt. Sonst mag es geschehen, dafe die Miliz noch kaum
versammelt ist, währeud der Feind schon landet, oder im Offensiv-
krieg, dafs die längst bereite Linien -Armee nicht ausfahren kann,
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Betrachtungen ober England* Heerwesen.
21
weil die Hülfstruppen, welchen man den Schutz des Landes anver-
trauen will, noch nicht zur Stelle sind.
Es ist merkwürdig zu beobachten, wie wenig die öffentliche
Meinung in England die doch teilweise bedenklichen Mängel in der
Landarmee beachtet, obwohl man von der Unzuverlässigkeit der
Lage Europas überzeugt ist, und die meisten Briten für die Sicherheit
ihres indischen Besitzes besorgt sind. In höheren militärischen
Kreisen sieht man sie ein, aber im grofeen Publikum — und das
ist mafsgebend in einem von der öffentlichen Meinung regierten
Lande — kümmert man sich wenig darum. Das kommt nicht
zuletzt von der weit verbreiteten Anschauung her, dafs England
unangreifbar sei, solange es zur See herrsche, darum müsse es
hierauf das Hauptgewicht legen. Natürlich verleiht die in Europa
beispiellose Isoliertheit der geographischen Lage England einen ge-
wissen Grad der Sicherheit; immerhin hat es schon fünfmal eine
Invasion erlebt. (Römer, Angelsachsen, Dänen, Nonnannen, Wil-
helm von Oranien.) Der Schrecken von 1804 und wieder von 1859
sind lebhafte Beweise der Landungsgefahr, und englische Militärs
rechnen es ihren Landsleuten vor, dafc bei der dermaligen Rüstung
Europas zu Wasser und zu Lande eine französische Invasion recht
wohl denkbar, eine Landung von den jenseitigen Küsten her nicht
unmöglich sei. Selbst wenn England, trotz seines Aufeenbesitzes,
sich auf sich selbst zurückziehen könnte, würde es eines tüchtigen
Landheeres nicht entbehren können.
V. Die Küsten -Verteidigung.
Der wichtigste Faktor derselben ist die Flotte.*) Eine Be-
trachtung der maritimen Streitmittel fällt jedoch aufserhalb des
Rahmens dieser Arbeit; es erübrigt also auf die anderweitigen Mittel
derselben noch einen Blick zu werfen. Die Kästen -Verteidigung
Englands ist von der Natur aufserordentlich begünstigt. Die Süd-
küste ist eine an vielen Stellen steile Felsenküste; diese Gestaltung
und die Heftigkeit der Brandung hindern Flotten vielfach, anzulegen.
Die grolsen Häfen derselben, so Plyraouth und Portsmouth, haben
leicht zu verteidigende Einfahrten, die vorliegenden Inseln (nor-
männische, die Scillys, Wight) gewähren der britischen Flotte will-
kommene, feste Anhaltspunkte zum Ausfall auf feindliche Flotten.
Die vielen vorspringenden Punkte, meist hochgelegene Warten, er-
leichtern die Beobachtung der See. — Die Ostktiste ist fast in
einem Zuge von South-Foreland bis Berwick upon Tweed von
•) Vergl. „Jahrbücher f. d. D. A. u. M.", Bd. LXXV. Heft 1: „Rückblicke
auf die englische Marine im Jabre 1889."
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22
Betrachtungen über Englands Heeiwesen.
gefahrlichen Klippen, Sandbänken, Untiefen umgürtet. Nur die
Mündungen der Flüsse bahnen einen Weg zum Lande: Themse-
Medway, Stour (Harwich), Humber, Tees, Tyne. Die Verteidigung
derselben ist nicht allzuschwer. Die ohnehin schon nicht mehr in
erster Linie in Betracht kommende Westküste ist von Gretnagreen
bis Anglesea wenig zugänglich (sumpfige Ufer, Sandbänke), auch
die Küsten von Wales sind teils hohe Felsenküsten , teils mit ge-
fährlichen Saudbänken verlagert und in der Severn-Mündung wandern
die Sandbänke, von der ungeheuren Flutwelle des Bristol-Channels
(20 m!) geschoben, beständig. Die Nordküsten von Devon und
Coruwallis sind steil, schroff, felsig wie die südliche. Auch hier
überall nur wenige Häfen und die Mündungen der Flüsse. Schott-
land liegt wohl zu fern für grofse Unternehmungen d. h. grofse
Landungen, es genügt also hier der Schutz der grofsen Mittelpunkte
des sozialen Lebens und Verkehrs. Auch in Irland ist kaum eine
grofse Landung möglich, ohne dafe die britische Flotte rechtzeitig
dazwischen käme. Eine Diversion aber ist noch keine grofse Ent-
scheidung, ihr Erfolg hängt vom Ausgang der letztern ab, die doch
immer nur in England zu suchen ist.
Der Nachrichtendienst an der Küste ist gut organisiert.
Die ganze Küstenlinie ist von einer Semaforen- Anlage umzogen.
Die 4000 Mann Küsten wache werden allerdings bei der Mobil-
machung in die Flotte eingestellt; sie könnten im Kriegsfall wohl
erst recht von Wichtigkeit werden, während die Flotte leicht eine
andere Quelle der Ergänzung ihres Personals zu finden vermöchte.
Die Befestigung der Haupthäfen und die Sicherung der meist an
den Flufsmündungen gelegenen grofsen Handelsplätze kann man
jetzt kaum mehr als vollkommen kriegstüchtig erachten. Auch hier
spielt eine eigentümliche Anschauung herein, die in letzter Zeit des
öfteren zu hören war. Man sagte: wozu die Millionen ausgeben,
um Werke zu bauen, die in Folge der Fortschritte der Technik
doch bald wieder unbrauchbar werden? Man lege diese Summen
besser gleich in Schiffen an und baue eine Flotte, so stark, dafs
keine europäische Koalition im Stande ist, Landungsversuche zu
wagen. Man bedachte nicht, dafe auch der Schiffsbau den Fort-
schritten der Technik unterliegt! Und wie soll denn eine Flotte
ohne gesicherte Häfen bestehen? Wo soll sie Kohlen und Proviant
entnehmen, Ausbesserungen besorgen, vor Stürmen sich bergen?
Soll zur Deckung jeder einzelnen dieser Lebensfunktionen stets eine
andere Flotte bereit seiu, und ist eine Flotte ohne jene Hilfsmittel
nicht wie eine Armee ohne Verbindungen und ohne Basis?
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Betrachtungen ober Englands Heerwesen
Offiziell beruhigt man sich dabei, dafs es an den nötige» Hülfs-
mitteln zur Küsten- Verteidigung, einer starken Artillerie, Seeminen
und Torpedos nicht fehle; — aber auch diese toten Mittel der
Verteidigung sind nicht durchweg mehr auf der Höhe der Zeit Die
Bauten von Chatham und Sheernefs, Dover, Portland und Pembroke,
vom Anfang der 60er Jahre stammend, sind zum Teil veraltet; die
Werke von Portsmouth, Plymouth und Harwich, teils schlecht armiert,
teils unvollständig in ihrer Zusammenwirkung. Die Neubefestigung
hat indessen begonnen, in Chatham und Sheernefs sind Strand-
Batterien, in Plymouth und Pembroke neue, grofse Batterien, in
Portamonth ein völliger Umbau geplant. Überall findet eine neue
Armierung mit Hinterladern statt.
Die Grundsätze, dafs die Flotte überall die aktive, und bei
Häfen, die offen am Meere liegen, überhaupt allein die Ver-
teidigung zu führen habe, dafs die Einfahrten und Mündungen mit
Seeminen gesperrt und diese (mit Schnellfeuerkanonen und schwersten
Kalibern) aus Strand- Batterien verteidigt werden sollen, werden
wohl allseits als die richtigen anerkannt. Freilich müssen viele
Bauten neuangelegt werden. 1888 sind für Zwecke der Armierung
der Kriegshäfen 35 Millionen, für Beschaffung der Verteidigungs-
mittel der Handelshäfen an 63 Millionen Mark angesetzt worden.
Für Kohlendepot», deren Anlage schon weit vorgeschritten sein soll,
und für unterseeische Verteidigungsmittel waren an 16 Millionen
Mark verlangt. Die passag ere Befestigung Londons ist ins Auge
gefafst, zur Vorbereitung derselben sind kürzlich 400,000 Mk. be-
willigt worden. London hat eine Handelsflotte von über l'/j Mill.
Tons Gehalt, sein Handel beträgt 2 /s des gesamten britischen, d. h.
seine Flotte und sein Umsatz stehen dem Frankreichs wenig nach.
Seine Verteidigung liegt aber vornemlich in den Händen der »auxiliary
forces«, darum ist wohl die oft gestellte Forderung ständiger Be-
festigungen gerechtfertigt. — In den letzten Jahren ist die Reichs-
Verteidigung durchgreifend verbessert worden. Die Verteilung und
Verstärkung der Flotten detachements ist planmäfsig vorgesehen, die
Anlage befestigter Kohlenstationen, Verstärkung der Kriegshäfen und
Organisation lokaler Streitkräfte vielfach in Gang gebracht und teil-
weise schon durchgeführt.
Das Geheimnis, warum die Mängel der Flotte und der grofsen
Landes- Verteidigung verhältnismäfsig rasch behoben wurden, während
in der Armee nur langsame Fortschritte zu verzeichnen sind, liegt
in den dargelegten englischen Anschauungen über die geringere Be-
deutung des Landheeres für die Machtstellung Englands.
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24
Betrachtungen Aber Englands Heerwesen.
Es ist nicht erfindlich, warum eine Invasion Englands absolut
aussichtslos sein sollte, wenn besondere Umstände, wie z. B. Tauschung
und Abziehung des Gros der britischen Flotte, oder eine Koalition
mehrerer Seemächte sie begünstigen. Gewifs noch weniger aber
ist die Verteidigung Indiens, des Juwels des britischen Reiches, zu
Lande sichergestellt. Die vielfachen Interessen, welche Grofebritannien
auf dem ganzen Erdkreis zu vertreten hat, lassen es bei strengster
Neutralität nicht ausgeschlossen erscheinen (siehe Egypten), dafs es
mit einer Grofemacht, die ihren Schwerpunkt zu Lande bat, in
Konflikt gerat. Eine solche kann aber nur zu Lande niedergekämpft
werden, denn den Sieg bringt nur die Offensive und diese kann
gegen eine Landmacht von der Flotte wohl unterstützt, aber nicht
durchgeführt werden. Für solchen Landkrieg ist England nicht ge-
nügend gerüstet. Es kann wohl nicht die Rede davon sein, den
auxiliary forces allein die Verteidigung Englands anzuvertrauen;
man hält es auch in England für nötig, dafs ein Teil der Linie ihre
Stütze bilde. Wie früher dargelegt, übersteigen aber die im Mutter-
laude fürs Feld sofort verfügbaren Kräfte die Zahl von 133 000 Mann
kaum. 60.000 Mann für die Verteidigung des Landes abgerechnet,
bleiben für auswärtige Verwendung nur an 73,000 Mann!
Die Beseitigung der organisatorischen Mängel des britischen
Landheeres liegt im Bereich der Möglichkeit, ein Anderes ist es mit
der Erhöhung der Streiter- Zahl. Das britische Heer kostet soviel,
dafs bei dem herrschenden System eine bedeutende Steigerung
kaum denkbar ist Von den Kritikern des englischen Heerwesens
wird deshalb betont, dafs dasselbe sich der Einführung der Allge-
meinen Wehrpflicht auf die Dauer nicht entziehen könne. Es ist
zu erwidern, dafs die mafsgebenden Kreise Englands sich bislang
mit diesem Gedanken noch nicht haben befreunden können und
wollen. Man denke au Lord Derby's früher erwähnte Äußerungen!
Der bekannte Parlaments -Redner, Charles Düke, sagte vor nicht
langer Zeit einmal: »Ohne Zweifel werden wir in diesem Lande die
allgemeine Wehrpflicht wahrscheinlich nie einführen. Die Stimme
des Landes ist vollständig dagegen, und ich glaube nicht, dafs
ein verantwortlicher Politiker je die Annahme dieses Systems vor-
schlagen wird.« Auch Lord Beaconsfield war, wie der gegenwärtige
Premier, Marquis von Salisbury, ein Gegner dieser »Bluttaxe«. Der
Oberbefehlshaber der Armee selbst hat einmal darauf hingewiesen, dafs
England die allgemeine Wehrpflicht nicht brauche, nicht brauchen
könne, da man die Kolonien und Indien mit einem Volksheer nicht
verteidigen könne; noch im vorigen Jahre hat der (Civil-) Kriegs-
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Betrachtungen über Englands Heerwesen. 25
minister England glücklich gepriesen, dafe es in Folge seiner Lage
»nicht gezwungen sei, zur Konskription seine Zuflucht zu nehmen.«
Schärfer noch hat er sich seiner Zeit im Parlament geaufsert.
Weitaus die meisten Offiziere freilich treten für die allgemeine
Wehrpflicht ein, aber selbst einer ihrer wärmsten Fürsprecher,
Kapitän Hozier, gesteht, er glaube, dafe die Konskription nie an-
genommen werde. Das ist der Stand der Sache.
Kann demnach in absehbarer Zeit von Einführung der Allge-
meinen Wehrpflicht nicht die Rede sein, so schliefet dies doch nicht
aus, dafe die jetzige Wehr Verfassung einer Reform, im Anschlufs
an die bestehenden Einrichtungen unterzogen werde. Dies
kann, unseres Erachtens, auf die einfachste Weise bewirkt werden,
wenn das Parlament die Werbung der Miliz beseitigt und das alte
Gesetz über die Losung nicht mehr suspendiert. Damit würde
eine Kontrole über die Wehrpflichtigen und somit die Grundlage
für die Organisation einer National -Miliz gewonnen werden. Die
Milizpflicht dauert bekanntlich bis zum 60. Lebensjahre, umfafst also
auch die aus dem aktiven Heere scheidenden Offiziere und Mann-
schaften, deren Zahl sich alljährlich auf 28,000 bis 30,000 Mann
belaufen mag. Die Mehrzahl der Mannschaft vollendet mit dem
33. Lebensjahre ihre Dienstzeit im Heere. Wenn man nuu diese
ehemaligen Liniensoldaten noch bis zum 45. Lebensjahre zum Dienste
in der Miliz verpflichtete, so ergäbe das (nach Abzug des üblichen
Abganges durch Tod, Invalidität und Auswanderung) doch noch die
stattliche Zahl von mehr als 200,000 voll ausgebildeter Milizsoldaten
aller Waffen. Dieser vorzüglichen Landwehr würden sich die übrigen
»auxiliary forces« mit Leichtigkeit angliedern lassen. Selbstver-
ständlich bedürfte diese Truppe, welche im Frieden fast gar nichts
kosten würde, der planmäfsigen Formation; der Bedarf an Waffen,
Munition und Ausrüstung müfete jederzeit vollzählig vorhanden sein.
Das Vorhandensein einer derartigen, gut organisierten Landwehr
würde aber zweifelsohne einen bei Weitem grösseren Teil der regu-
lären Armee für operative Verwendung aufeerhalb der Landesgrenzeu
verfügbar machen. Noch günstiger würde sich die Offensivkraft
Englands gestalten, wenn des erfahrenen Sir Frederic Robert's Vor-
schlag angenommen würde: Vollständige Treunung der indischen
von der Königlichen Armee, erstere mit 12-, letztere mit 3 jähriger
aktiver Dienstzeit. Dies ergäbe, bei einem Jahresbedarf von 45 000 Re-
kruten für die Königliche Armee, für 9 Jahrgänge doch mindestens
300,000 zur Reserve entlassener, völlig ausgebildeter Mannschaften,
deren es, bei den zahlreichen, nach mehrjähriger Dienstzeit aus-
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26
Dotachements-Übnngen.
scheidenden Offizieren, welche zum Dienste in der Miliz noch ver-
pflichtet sind, an Führern nicht fehlen dürfte. Die Beschaffung
der erhöhten Rekrutenzahl würde, in Anbetracht der kürzereu Dienst-
zeit, kaum Schwierigkeiten bereiteu.
Diese wenigen Andeutungen bezwecken lediglich, darauf hinzu-
weisen, dafs die englische Wehrverfassung, auch ohne Einführung
der Allgemeinen Wehrpflicht, einer bedeutend gesteigerten Kraft-
entwickelung fähig ist. Einer solchen wird sich England bei Kämpfen
der Zukunft, welche seine Weltstellung in Frage stellen, nicht ent-
ziehen können. 53.
n. Detachements-Ütungen.
Anläfslich derselben will Schreiber dieses den »Marschsicherungs-
dienst«, dann den »Angriff und die Verteidigung« im Rahmen jener,
den Divisions- und Corps-Manövern voraufgeh enden kleinen Übungen
in Nachstehendem zum Gegenstande einiger, dem Nachdenken der
Kameraden empfohlener Betrachtungen machen, welche sich auf
praktische Erfahrungen bei diesen wichtigen Übungen stützen.
1. Der Marschierungsdienst.
Die in der neuen Felddienstordnung enthaltene Angabe, dafs
als Avant- oder Arrieregarde ein bestimmter Teil der Gesamtstärke
zu verwenden ist, soll nur als ganz allgemeiner Anhalt dienen.
Abweichungen hiervon nach der einen oder anderen Richtung werden
häufig notwendig, daher die Stärke dieser Abteilungen sich nicht für alle
Fälle schematisch präzisieren läfst. Sie richtet sich vielmehr ganz nach
den gegebenen Verhältnissen und stellt auch hier den Detachements-
führer vor eine Aufgabe, deren Lösung einen wohlüberlegten, selbst-
ständigen Entschlufs notwendig macht. Unbedingt aber ist daran
festzuhalten, dafs Avantgarden stets auf demselben Wege wie das
folgende Gros marschieren. Die nicht selten vorkommende Anord-
nung, dafs Avantgarde und Gros schon durch den ersten Detache-
ments- Befehl verschiedene Marschstrafsen angewiesen erhalten, ist
durchaus fehlerhaft. Wird dio Benutzung verschiedener Anmarsch-
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Detachements-Übungen.
27
wege für zweckmäfsig gehalten, so sind entweder zwei oder mehrere
Kolonnen zu bilden, deren jede ihre eigene Avantgarde vorschiebt,
oder Avantgarde und Gros marschieren auf der einen, ein rechtes
beziehungsweise linkes Seitendetacheraent auf der anderen Strafee.
Bei den geringen Truppenstärken, die gelegentlich der Detache-
ments-Übungen und Feldmanöver zur Verfugung stehen, wird es sich
aber meistens nicht nur empfehlen, vielmehr als Grundsatz fest-
zuhalten sein, für das gesamte Detachement nur eine und
zwar die beste Marschstrafse zu wählen, da das Detachement
dann geschlossen in der Rand seines Führers bleibt und der Auf-
marsch meist aus einer Kolonne schneller bewerkstelligt wird. Wir
betonen ganz geflissentlich die gute Beschaffenheit der Strafse, da
die Bequemlichkeit der Truppe ein wesentlich mitsprechender Faktor
ist, um nicht Kräfte unnütz zu vergeuden. Anders liegen die
Dinge bei grösseren Verhältnissen, wo es darauf ankommt, in
Erwartung einer Schlacht, mit einer Truppen masse den passenden
beziehungsweise angewiesenen Punkt zu erreichen. Da trägt man
kein Bedenken, dieselbe nötigenfalls durch die schwierigsten Seiten-
wege dahin gelangen zu lassen.
Sehr wohl können aber Rücksichten auf Sicherung einer
Flanke die Formierung eines Seitendetacheraents er-
forderlich machen. Tritt diese Notwendigkeit erst während des
Marsches ein und hält es der Detachementsführer für zweckmäfsig,
die Avantgarde dazu zu verwenden, so verliert die letztere auch
ihre bisherige Bezeichnung und aus dem Gros ist eine neue Avant-
garde zu bilden. Das vorstehend Gesagte findet sinngemäfse An-
wendung auch auf die Fälle wo Arrieregarden zu bilden sind.
Wie die Stärke der gesamten Avantgarde, unterliegt auch die
derselben zuzuteilende Zahl von Schwadronen und Batterien don
jedesmaligen besonderen Verhältnissen. Von der Artillerie wird
selten mehr wie eine Batterie in die Avantgarde zu nehmen sein,
denn der Detachementsführer darf die Bestimmung über Ort und
Zeit der Verwendung der Hauptmasse der Artillerie nicht aus der
Hand geben. Dafs dieselbe zum frühzeitigen Eingreifen bereit ist,
wird durch ihren Platz in der Marschkolonne des Gros erreicht.
Anders stellen sich die Verhältnisse bei Formierung einer Arriere-
garde. Hier kann es häufig geboten sein, derselben starke, be-
sonders reitende Artillerie zuzuteilen, um sich ihrer als wirksamsten
Mittels zur Aufhaltung des Gegners zu bedienen. Die Fähigkeit
dieser Waffe, nicht zu grofse Entfernungen in beschleunigtem Tempo
zurückzulegen und den zersetzenden Einflüssen des Gefechts mehr
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2H
Detacheraent«- Übungen.
Widerstand zu leisten als die anderen Waffen, schliefst eine Gefahr
für dieselbe aus.
Die Kavallerie tritt beim Manöver im Verhältnis zur In-
fanterie in größerer Stärke auf als dies im Kriege der Fall sein
würde. Trotzdem hat sieh ihre Thätigkeit auf die im Ernstfall der
Divisious-Kavallcrie zufallenden Aufgaben zu beschränken. Dies
beeinträchtigt aber keineswegs ihre Gesamt- Verwendung dahin, dafs
bei weiter Entfernung des Gegners und vollständiger Unkenntnis
der Stärke und Absichten desselben, wie solches zu Beginn der
Detachements-Übungen resp. Feldmanöver der Fall ist, von der
Eigentümlichkeit dieser Waffe, welche im schnellen Zurücklegen
grofser Entfernungen besteht, ausgiebiger Gebrauch gemacht wird.
Eine Zersplitterung derselben durch Teilung an Avantgarde und
Gros würde eine unrichtige Verwendung in sich schliefseil. Wir
verstehen hierunter aber nicht die nebenher laufende unbedingte
Zuteilung von Reitern an Gros und etwaige Detachierungen, die
zum Verbindung halten und aufsuchen, zur Beförderung von
Meldungen und Befehlen u. s. w. durchaus notwendig sind; denn
zu diesen Verrichtungen genügen 1 Zug, meistens sogar nur 8 bis
10 Pferde, wir stellen es aber als Grundsatz hin, der Avant- wie
der Arrieregarde in der Regel die gesamte Kavallerie zuzuweisen,
Abweichungen hiervon könnten nur besonders schwierige Terrain-
bedingungen erforderlich machen, was ja nur ausnahmsweise in die
Erscheinung treten wird. Die Kavallerie hat ja die Verpflichtung,
mit dem Feinde Fühlung zu nehmen und die einmal gewonnene
Fühlung nicht zu verlieren, die der Arrieregarde insonders, auf
Versuche des Gegners, unsere Flanken zu überholen, ihr besonderes
Augenmerk zu richten.
Die selbstständig und unabhängig vom Avantgarden-Comman-
deur vorzusendende starke Kavallerie nun eilt dem Detachement
weit voraus, klärt das Gelände, sucht den Feind auf, bemüht sich
Einblicke in die Verhältnisse beim Gegner zu gewinnen und meldet
das Erkannte dem Führer, der damit in den Stand gesetzt wird,
seine Entschlüsse rechtzeitig zu fassen und noch unbehindert vom
Gegner einzuleiten. Haben die Detachements bereits ein oder
mehrere Tage sich gegenüber gestanden, so vereinfacht sich die
Aufgabe der Kavallerie wesentlich. Man wird dann mit bedeutend
geringeren Kräften für Zwecke der Aufkläruug auskommen. Auch
in diesem Fall ist die Kavallerie jedoch nicht an die langsame Vor-
bewegung der Infanterie zu binden, sondern der Avantgarde, zu der
sie dann tritt, vorauszu>>eiulen. Selbstverständlich ist dabei, dafs
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Detacheniente-Übungeii.
29
sich der Führer der Kavallerie stete seiner unbedingten Zugehörigkeit
zu den anderen Waffen bewirfst bleibt und, sobald seine Aufgabe es
gestattet, wieder die engste Verbindung mit denselben sucht.
Der Führer der Kavallerie erhält vom Detachementsf (ihrer
seinen allgemeinen Auftrag unter Angabe der Richtungen in welchen
eine Aufklärung besonders wünschenswert ist. Die Zahl der zu
entsendenden Patrouillen — zu deren Führern je nach der Wich-
tigkeit man zumeist Offiziere erwählt — so wie die einzuschlagenden
Wege und die Begrenzung der Aufklärung nach rechts und links,
dies zu bestimmen, ist als Detail der Ausführung lediglich Sache
des Führers der Kavallerie. Sein Vorgehen hat, sobald das Terrain
und im Frieden die Kulturverhältuisse es gestatten, nicht in Marsch-
kolonne auf den Wegen, sondern in breiter Front seitwärts der-
selben zu geschehen. Weit voraus und in die Flanken gesandte
Patrouillen sichern vor überraschenden Angriffen, unbeabsichtigten
Attacken oder plötzlichem feindlichen Feuer, Eclaireurs vor der
Front geben rechtzeitig Nachricht über Hindernisse im Gelände.
Niemals darf eine geschlossene Abteilung ein Dorf oder Defile be-
treten, bevor dasselbe von Patrouillen durch- beziehungsweise um-
ritten worden ist. Am Besten ist es, aufserhalb der Ortlichkeiten
zu bleiben, um dieselben herum zu gehen. — Die Führer sind
ihren Abteilungen stets weit voraus, um durch ihre Patrouillen,
denen sie desto näher sind, möglichst frühzeitig Meldungen zu er-
halten, sich durch eigene Beobachtung von der Richtigkeit der
Nachrichten zu überzeugen und um endlich für ihre Truppe die
verdeckteste Annäherung zu ermitteln. — Wird beim Vorgehen
feindliche Kavallerie angetroffen, so würde es fehlerhaft sein, die-
selbe sofort zu attackieren, falls nicht die Stärkeverhältnisse oder
besonders günstige Umstände einen sicheren Erfolg versprechen.
Abgesehen davon, dafs durch eine mifslungene Attacke die Erfüllung
des Auftrages — d. h. Aufklärung des Feindes und Verschleierung
der Bewegungen des eigenen Detachements — vollständig in Frage
gestellt wird, verliert die geworfene Kavallerie auch die Fähigkeit,
den ihr später, während und nach dem Gefecht zufallenden Auf-
gaben gerecht zu werden. Unter Vermeidung jedes unnützen Ba-
taillierens, beschränkt sich der Führer dann zunächst darauf, den
Gegner zu beobachten und am weiteren Vordringen zu hindern,
während geschickt dirigierte und umsichtig geführte Patrouillen die
Flügel des Feindes umgehen und von seitwärts Einblick in die
Bewegungen der Hanptkräfte desselben zu gewinnen suchen. Dafs
diese hier, wie überall, die Waffenwirkung des Gegners zu berück-
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30 Detachementa-Übungen.
sichtigen haben und sich feindlichen Truppen nicht in unnatürlicher
Weise nähern dürfen, ist besonders zu beachten. Eine sorgfältige
Instruktion der Patrouillenführer über die allgemeine Lage sowohl
wie über die Absichten des Detachementsführers, wird denselben ihre
Aufgabe wesentlich erleichtern.
Es liegt uns durchaus fern, die Initiative der Kavallerieführer
lähmen zu wollen. Halten dieselben die Chancen für günstig und
glauben sie, dafs es ihnen nur nach Zurückwerfung des Gegners
gelingen wird die gewünschten Nachrichten zu erlangen, so bleibt
es ihnen selbstverständlich unbenommen, von der Attacke Gebrauch
zu machen. Mit vorstehenden Auslassungen verbinden wir nur die
Absicht, einem wilden Darauflosstürmen Einhalt zu thun, wie sich
solches wohl hier und da bei den Manövern abspielt, wenn der Eine
im Gefühl seiner Stärke über den an Zahl schwächer Erscheinenden
herfallt, um diesen zum Rückzug zu zwingen und die eigene Vorwärts-
bewegung fortsetzen zu können. Wer giebt aber dem Attackieren-
den die Gewähr, dafs nicht hinter oder seitwärts des schwächer
auftretenden Gegners, begünstigt vom Gelände stärkere Kräfte
lauern und im Moment des Chocs vernichtend eingreifen!
Die Kämpfe, welche mit der feindlichen Kavallerie geboten
sein können, dürfen daher nie weiter ausgedehnt und durchgeführt
werden, als es zur Erreichung des Zweckes der Aufklärung und
Sicherung durchaus notwendig erscheint. Die Führer der Kavallerie
haben den Gesichtspunkt als mafsgebend festzuhalten, dafs ihre
Thätigkeit der oberen Leitung die Grundlagen für ihre deuinächstigen
wichtigen Entschliefsungen liefern und den anderen Waffen vorzeitige
Entwickelungen oder Detachierungen möglichst ersparen soll. Nächst
der Gefechtsbereitschaft ist die Schonung der Truppen ganz wesent-
lich ins Auge zu fassen. — Geht die Kavallerie zurück, geschehe
dies gezwungen oder nach Erfülluug ihres Auftrages, so müssen die
Führer derselben besorgt sein, die Feuerwirkung der anderen Waffen
nicht zu maskieren.
Der Detachementsführer hat während des Marsches nicht nur
das Recht, sondern auch die Pflicht, seinen Platz au der Tete
beziehungsweise Queue das Gros zu verlassen und — zur Avant-
resp. Arrieregarde oder auf seitlich gelegene Aussichtspunkte reitend
— sich durch eigene Wahrnehmung über die Sachlage zu unter-
richten. Er hat jedoch Vorkehrungen zu treffen, dafs ihn ein-
treffende Meldungen rechtzeitig erreichen, und dafs der Befehl über
das Gros von dem Nächstaltesten übernommen wird, so dafs er
Anordnungen für dasselbe treffen kann, ohne sich persönlich zurück-
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DetacheraentB-Übungen.
31
zubegeben. — Ganz besonderes Augenmerk ist auf eine sehr sorg-
fältige Handhabung der Marschordnung und namentlich
auf die Freihaltung der Strafsen zu richten. Eine Seite der
Marschstrafae ist stets frei zu lassen, um eiuen ungehinderten Verkehr
der Vorgesetzten, Adjutanten, Ordonnanzen, Meldereiter u. s. w.
zu ermöglichen. Wenn Kavallerie bei Ortschaften zum Gefecht zu
Fufs absitzt, dürfen auch die Handpferde niemals auf der Dorfstralse
stehen, wo sie nur die Bewegungen anderer Truppenteile hemmen
können. Es wird sich bei einiger Umsicht in der Regel Gelegenheit
bieten, die Pferde gedeckt und unter Berücksichtigung des Grund-
satzes aufzustellen, dafe sie von den abgesessenen Mannschaften leicht
erreicht werden können. — Die peinlichste Ordnuug und Disziplin
innerhalb jeder Truppe ist daher auf das Strengste aufrecht zu
erhalten.
2. Etwas über Angriff und Verteidigung.
Es ist eine beim Manöver oft wiederkehrende Wahrnehmung,
dafs Detachements oder einzelne Truppen derselben eine
gröfsere Frontausdehnung annehmen als ihrer Stärke an-
gemessen ist und macht sich dieser Fehler vorzugsweise bei dem
Angreifer bemerkbar, wenngleich wir ihn auch in der Verteidigung
nicht immer vermieden sehen. Dieses dünne Gewebe birgt aber
eine grofse Gefahr in sich, denn einem entschlossenen und auf-
merksamen Gegner, der nicht in denselben Fehler verfallt, wird es
jederzeit gelingen, mit konzentrierter Kraft an irgend einem —
natürlich dem ihm bemerkbar werdenden günstigsten — Punkt durch-
zustoßen und sich den Erfolg zu sichern.
In der Schlacht ist die Truppe meist eingeengt durch andere
Truppenteile und kann nur die ihr zukommende Breite einnehmen,
sich also auch nur innerhalb eines genau begrenzten llahmeus be-
wegen. Es ist demnach unbedingte Notwendigkeit, an diesem Bilde
der Wirklichkeit festzuhalten, es zum grundlegenden Gedanken
der Gefechtshandlung zu machen, dann wird es auch gelingen, die
normale Entwickelungsbreite in Fleisch und Blut von Truppe und
Führer aller Grade übergehen zu lassen und die den Grundsätzen
des Gefechts zuwiderlaufenden Fehler der Zersplitterung werden ver-
bannt sein.
Die Überlegenheit der Zahl auf dem entscheidenden Punkte
ist der wichtigste Faktor in dem Resultat eines Gefechts, und hängt
von der Geschicklichkeit in der Verwendung der Truppen ab.
Richtige Würdigung des entscheidenden Punktes, Entschlossenheit,
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32
Detachements-Übnngen.
das Unwichtige zum Besten des Wichtigen fallen za lassen d. h.
seine Kräfte in überwiegendem Mafee vereinigt zu halten, ist die
Norm, und jede Trennung und Teilung eine Abweichung, die mo-
tiviert sein mufs. Der grofse Friedrich und Napoleon I. geben
uns in dieser Beziehung das beherzigenswerteste Vorbild.
Im Gefecht treten die Waffen in fortdauernden eng-
sten Verkehr zu einander, sie müssen sich also als gemein-
sam funktionierende Glieder eines Körpers betrachten
und unterstützen. Das Wesen jeder Waffe bezeichnet ihre Auf-
gabe. * Die Infanterie ist es, welche im gemeinsamen Gefecht die
Entscheidung giebt, die Kavallerie ermöglicht die richtige Verwendung
der anderen Waffen und nutzt deren Erfolge in der Verfolgung aus,
die Artillerie ebnet mit ihrer wuchtigen Kraft der Infanterie den
Weg zum Angriff uud erhöht die Kraft der Defensive. Wir betonen
hier geflissentlich die Zusammengehörigkeit der Waffen im Gefechta-
verbande — über dereu Notwendigkeit theoretisch Niemand in
Zweifel sein wird — weil das Gefühl solcher Zusammen-
gehörigkeit in der Praxis nicht immer vorherrscht. Sache
des Führers gemischter Truppenkörper ist es, das wichtige Inein-
andergreifen der verschiedenen Waffen durch seine Anordnungen zu
ermöglichen und das allgemeine Gefechtsziel zu bezeichnen. Anderer-
seits liegt es aber auch den einzelnen Waffen ob, die gebotenen
Gelegenheiten auszunutzen und in richtiger gegenseitiger Würdigung
helfend und unterstützend für das gemeinsame Ziel zu handeln.
Es würde geradezu eine Gefahr für das Gelingen einer allgemeinen
Gefechtsbewegung in sich schliefsen, wenn einer oder der andere
Unterführer, durch günstige Gestaltung des Geländes verführt, der
Bewegung des Ganzen vorauseilen oder nicht rechtzeitig — sei es
in der Offensive oder Defensive — folgen und sich dadurch los-
sagen wollte von der Pflicht des gemeinsamen Handelns. Um dieses
letztere für jeden Augenblick zn wahren, haben die Commandeure
der verschiedenen Truppen -Abteilungen, beziehungsweise die Führer
der verschiedenen Waffen, sich gegenseitig darüber unterrichtet zu
halten, wie sie die ihnen zugegangenen Befehle auszuführen ge-
denken. Insbesondere darf auch die Kavallerie thnnlichst nicht
versäumen, von einer beabsichtigten Attacke die zunächst fechtenden
Infanterie-Abteilungen — wenn irgend angängig — zu benach-
richtigen. Freilich wird dies nicht immer möglich sein.
Während des Gefechts der Infanterie nimmt die Kavallerie, falls
sie nicht besondere Auftrage, wie z. B. Sicherung einer Flanke
erhält, in gedeckter Stellung außerhalb des wirksamen Feuers eine
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DeUchements-Übangen.
ab wartende Haltung ein. Nach Mafegabe des Vorschreitens des
Gefechts rückt auch sie in geschickter Benutzung des Geländes vor.
Der Führer ist seiner Truppe weit voraus, um Momente zu er-
spähen, welche ihm ein wirksames Eingreifen durch überraschendes
Vorbrechen auf den Flügeln oder unter Benutzung der Intervallen
gestatten. Solche Gelegenheiten werden sich bieten, es kommt nur
darauf an, dafs sie schnell erfaist und schneidig benutzt werden.
Der Führer darf daher nicht auf Befehle warten, wo er durch
selbstständigen Eutschlufs einen Erfolg erringen kann.
Der die Batterien führende Offizier mufs niemals vergessen, dals bei
den Friedensübungen die Gefechtslagen schneller wechseln und die Ent-
scheidungen rascher aufeinander folgen, als im Kriege, daCs daher die
Artillerie-Positionen je nach dem Gange des Infanterie-Ge-
fechts im Manöver häufiger geändert werden müssen als im
Ernstfall, damit das Einsetzen der Artilleriekraft in den einzelnen ent-
scheidenden Momenten, wie bei Dorf- und Wald-Angriffen u. s. w.
zum Ausdruck gelangen kann. Keinesfalls darf eine Artillerie-
Position so lange beibehalten werden, dafs die durch Vorwärts-
schreiten des Gefechte sich vergröbernde Eutfernung zum Feind die
Treffwirksamkeit der Geschütze in Frage stellt. Demgemäß hat die
Artillerie auch eventuell selbstständig, ohne besonderen Befehl ab-
zuwarten, getragen von dem Gefühl der Zusammengehörigkeit, beim
Abzug des Feindes neue Positionen aufzusuchen, aus denen sie
weiterhin wirken kann, oder zurückzugehen, falls ihr durch feind-
liche, auf wirksamste Gewehrschufs weite herangekommene Infanterie
Vernichtung droht — es sei denn, dafs besondere Verhältnisse ein
Ausharren gebieten. Wenngleich der Detachemeuteführer der Ar-
tillerie die ihr in jeder Phase des Gefechts zufallenden Aufgaben
und die Art, in welcher sie die Ausführung seiner Absichten unter-
stützen soll, anzugeben hat, so bleibt der Artillerieführer doch für
Placierung und Verwendung seiner Waffe mit verantwortlich.
Denken wir uns nun in einen Tag der Detachements-
Übu ngen, diesem kleinsten Rahmen zur Schulung der gemein-
samen taktischen Handlung, hinein und verweilen wir zunächst beim
Angreifer. — Ist die Fühlung mit dem Feinde derartig gewonnen,
dafs seine Absichten, die Stellung seiner Hauptkräfte u. s. w. er-
kannt sind, zu welchem Zweck der Detachementsführer sich am
Besten zu seineu vordersten Abteilungen begiebt, um sich persönlich
zu orientieren — so fafst der Führer seinen Entschlufs und ordnet
den Aufmarsch unter dem Schutz der Vortruppen mit Rücksicht
auf die beabsichtigte Verwendung seiner Abteilungen an. Dem
J«*rt>äck«r «r die Dentich» Anw« and Marti« M. I.XXM, |
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34
DeUchetnento-Übungeu.
Entschlufs mufs eine ruhige Prüfung der Verhältnisse
vorausgehen, es sei denn, dafs es gilt, einen abziehenden Gegner
festzuhalten. Aufmarsch und Entwickelung zum Gefecht dürfen nicht
früher stattfinden und nur in dem Malise, als es die Stärke der
gegenüberstehenden feindlichen Truppen zur Erreichung des augen-
blicklichen Gefechtszweckes fordert, da anderenfalls nicht nur Zeit
verloren geht, sondern den Truppen auch unnötige Anstrengungen
zugemutet werden.
Die Absicht, den Gegner mit der Verteilung der eigenen Kräfte
zu überraschen, die günstige Stellung desselben nicht in der
Front anzugreifen, sich vielmehr — unter gleichzeitiger Beschäftigung
dieser letzteren — gegen einen Flügel zu wenden, giebt die Veran-
lassung zur Zerlegung des Ganzen. Je mehr die Starke der Front
hervortritt, um so berechtigter ist der Angriff der Flanke. Diese
grundsätzliche Anordnung ist daher auch durchaus richtig, aber
nur so lange, als hierbei die tiefe Gliederung des Detachements und
die durch Echelonnierung zu bewirkende Sicherung der eigenen
Flanken nicht vergessen wird, die zur Bedrohung der feindlichen
Flanke erforderlichen Bewegungen derart angesetzt werden resp.
angesetzt werden können, dafs sie dem Feuer und der Kenntnis des
Feindes bis zum Beginn ihrer Wirksamkeit entzogen bleiben und
die dadurch eintretende Gruppierung des Detachements räumlich
nicht so weit seitlich ausgreift, dafs die Gegenseitigkeit der Unter-
stützung aller Teile ausgeschlossen wird. Denn Frontal- und Flanken-
Angriff stehen in Wechselwirkung zu einander, richtiges Zusammen-
wirken ist daher Hauptsache. Andererseits würde das beabsichtigte
Aufallen der gegnerischen Flanke den Charakter der Umgehung
annehmen und bei den kleinen Detachements, die einander gegen-
übertreten, eigentlich immer einen Fehler darstellen, der doch nur
äufserst selten mit der Wirklichkeit in Einklang zu bringen ist.
Nur grofse Überlegenheit an Truppenzahl giebt die Berechtigung zu
dem Mittel der Umgehung. Stets hat solcher Anordnung aber die
Überlegung vorherzugehen, ob der dadurch zu erreichende Erfolg
im Verhältnis steht zu dem damit verbundenen Zeitverlust und
Verbrauch an physischen Kräften der Truppe. Durchaus fehlerhaft
würde es beispielsweise sein, eine schwach besetzte Avant- oder
Arrieregarden - Stellung vermittelst weit ausholender Umgehungen
nehmen zu wollen, welche dem Gegner nicht nur den gewünschten
Zeitgewinn gewähren und die eigenen Truppen frühzeitig ermüden,
sondern auch der späteren, vielleicht nach einer ganz anderen Rich-
tung erforderlichen Verwendung der Truppen Schwierigkeiten be-
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Detachements-Übungen.
35
reiten können. In solchen Fällen wird ein schneller, mit ge-
nügenden Kräften unternommenen Angriff besser zum
Ziel führen und grösseren Gewinn bringen.
Der Umstand, dafs bei den Friedens -Übungen die Führer
die beiderseitigen Stärke Verhältnisse annähernd genau kennen
und das zum geschützten Heranführen des Angriffe auf die gegnerische
Flanke fehlende Gelände, verführen gar oft zu diesem fehlerhaften
weiteren Ausgreifen. Im Felde aber hat man nicht nur spärliche
und wenig sichere Nachrichten über den Feind und ist, so lange
man nicht die völlige Gewifsheit der Überlegenheit hat, wohl nicht
sehr geneigt, die rückwärtigen Verbindungen schnell preiszugeben,
weite Trennungen der einzelnen Glieder eintreten zu lassen. So
wird es zumeist auch nicht rätlich erscheinen, sein kleines De-
tachement auf verschiedenen Wegen derartig marschieren zu lassen,
dafe die Vereinigung erst auf dem Gefechtsfelde eintreten kann.
Denn ein leichtes Mifsverständuis, eine Differenz der Uhren, Ände-
rungen in den allgemeinen Verhältnissen, unerwartete Mafsnahmen
des Gegners, können in solchen Fällen die schwerwiegendsten Folgen
nach sich ziehen.
Treffen nun die den Flankenangriff begünstigenden Terrain-
bedingungen zu und entziehen dem Gegner die Einsicht in die Rich-
tung des Hauptstofses, zu welchem Zweck der Führer an der Hand
der Karte und durch ausgesandte berittene Offiziere das Vorfeld
schnell und möglichst genau rekognoszieren mufs, daun gilt es aber
auch entschlossen und energisch zu handeln. Die Artillerie — so
wird sich's wohl in der Regel gestalten — fafst bei dem die feind-
liche Front beschäftigenden Teil Position, die gesamte Kavallerie
geht in der beabsichtigten Stofsrichtung gedeckt vor und verschleiert
die Seitwärtsbewegung. Ohne Zaudern, ohne Zögern bewirkt die
Stolstruppe ihren Aufmarsch, ihre Ordnung, indem die hinteren
Treffen nach der auswendigen Seite debordieren. Dann öffnet sich
der Schleier, die Kavallerie setzt sich, die Bewegungen der Infanterie
begleitend, auf den äufseren Flügel. Überraschend und unaufhaltsam
dringt die Infanterie vor; auf eine längere Feuervorbereitung, ein
Festsetzen im Vorgelände mnfs sie verzichten; nur heran ans Ziel.
Denn, will man angreifen, so mufs dies mit Entschiedenheit ge-
schehen, nur Kraft und Zuversicht reifsen die Truppe mit sich fort
und geben Erfolg. In dieser Gestaltung wird sich ein ideales
Manöverbild lehrreich darstellen.
Bietet sich nun aber die Möglichkeit nicht, dem Hauptangriff
die an und für sich wünschenswerte Richtung gegen die feindliche
3*
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36
Detacheraents-Übunpen.
Flanke zu geben, indem das Gelände oder sonstige Verhältnisse
derartige Unternehmungen ausschliefen, dann mufs man sehen, viel-
leicht kleinere, verhältnismäfsig schwache Abteilungen auf einen
Punkt zu schieben, von wo sie durch ihr Feuer gegen eine Flanke
des Feindes wirken, während der Angriff vorzugsweise gegen den
entsprechenden Flügel gerichtet ist. Im Übrigen darf man änfsersten
Falls aber auch vor einem reinen Frontalangriff nicht zurückschrecken.
Einer sorgfältigen Ausnutzung des Geländes, einer peinlichen Ver-
wertung aller die Annäherung begünstigender Formen desselben,
ist jedoch dann doppelte Beachtung zuzuwenden.
In der Defensive ist ebenfalls vor allen Dingen eine zu frühe
Entwickelung und Verausgabung der Kräfte zu vermeiden. Die
Truppen sind so lange als möglish verdeckt und intakt zu halten.
Selbst die zur ersten Besetzung der Verteidigungsstellung bestimmten
Abteilungen sind zu Beginn des Gefechtes nie ganz zu entwickeln,
von den Bataillonen vielmehr Compagnien, von den Compagnien
Züge in Reserve zu halten und erst nach Mafsgabe des vorschreiten-
den Angriffs, und wenn sich die Absichten des Angreifers ent-
wickelt haben, einzusetzen. Nur dann hat man die Gewähr, an
demjenigen Punkte, gegen welchen der Hauptangriff sich richtet,
auch die gröfste Kraft der Verteidigung zu entfalten.
Die zur Verfügung des Führers zurückgehaltenen Reserven
sind nur im äufsersten Notfall zur Verstärkung der Feuerlinie zu
verwenden, grundsätzlich gehören sie debordierend hinter den nicht
angelehnten Flügel. Ist keiner dieser letzteren durch Terrain-
hindernisse geschützt, so sind die zurückzuhaltenden Abteilungen
hinter beide Flügel zu verteilen, eventuell auch durch Batterie-
stellungen zu verstärken, je nach dem Grade der Gefahrdung resp.
der Wichtigkeit derselben. Es kann nicht genug hingewiesen wer-
den auf diese Etablierung einer zweiten, seitwärts, rückwärts ge-
legenen Gefechtslinie, weil diese die Umgehungs- resp. Flanken-
Truppen des Feindes ihrerseits wieder flankiert, falls sie den An-
griff ausführen. In vielen Fällen wird auch ein energischer Gegen-
stofs, womöglich auf die Flanken des Angreifers, mit Vorteil anzu-
wenden sein. Ebenso kann man, um den Zweck eines erkannten
FlankenRtofses zu paralisieren, durch Reserven die Front verlängern
oder den bedrohten Flügel zurückbiegen, das wirksamste, die Leitung
und einheitliche Führung sichernde Mittel, liegt aber immer in der
seitwärts, rückwärts placierten zweiten Gefechtslinie, nur mufs die
Aufstellung so weit rückwärts liegen, dafs die Abteilungen selbst
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Detacbemeutn-Übungen.
37
durch die Umfassung des Gegners nicht gegen den Willen des
Führers in das Gefecht verwickelt werden können.
Daraus geht auch für die Defensive die Wichtigkeit hervor,
die Kräfte konzentriert und sich nach der Tiefe gegliedert zu
halten.
Um nun die Kunst der sachgemäfsen Aufstellung der Reserven,
der rechtzeitigen Verwendung der Kräfte am entscheidenden Punkte
üben zu können, ist es für den Verteidiger von nicht zu unter-
schätzender Wichtigkeit, sich beim Einnehmen der Stellung in die
Lage des Gegners zu denken. Aus der Frage, was dieser wohl
zweckmässiger Weise nach der Gestaltung des Geländes und der ge-
gebenen Lage thun könne, ergiebt sich die beste Richtschnur
für das eigene Handeln. — Die Truppen sind nach Gruppen, nach
der Wichtigkeit der Geländepunkte zu ordnen, nicht aber nach dem
Gesichtspunkte zusammenhängender Linien. Dann wird es auch mög-
lich werden, die Reserven ihrer Hauptaufgabe zu erhalten,
d. h. dem Führer jederzeit die Möglichkeit zu gewähren, den offen-
siven Gedanken, welcher der Verteidigung niemals fehlen
darf, zur That werden zu lassen. Ihr rechtzeitiges Vorbrechen
gegen den durch Feuer aus der Defensivstelluug erschütterten An-
greifer verbürgt fast immer den Erfolg, zumal wenn auch die Ka-
vallerie zum Nachhauen bereit gehalten und ein Teil der Artillerie
möglichst aufserhalb der eigentlichen Verteidigungsstellung derart
placiert wird, dafs durch denselben der feindliche Angriff enfiliert
wird.
Dörfer und Waldparzellen werden vielleicht in Zukunft seltener
als früher Punkte sein, um welche iu stundenlangem Ringen der
Ausgang des Kampfes hiu und her schwankt, denn bei den heutigen
Schufsweiten vermag der Augreifer ein überwältigendes Feuer auf
dieselben zu konzentrieren. Terrainerhebungen dagegen gewähren
mehr Deckung, meist auch ein weiteres und freieres Schufsfeld und
werden deshalb mehr die Stärke einer Stellung ausmachen. Immer-
hin aber haben darum doch Dörfer und Gehöfte ihre Bedeutung im
Gefecht nicht verloren, es lassen sich vielmehr Fälle sehr wohl
denken, in welchen beide vorteilhaft als Stützpunkte einer Stellung
zu verwerten sein werden, aber nur, falls ihre Lisiere sich zur Ver-
teidigung eignet und Deckung gewährt, und, falls ihre Lage im
Gelände eine günstige ist. Treffen diese Bedingungen nicht zu, so
ist von einer Besetzung von vornherein abzusehen.
In wieweit Örtlichkeiten, welche vor der eigentlichen Stellung
liegen, in den Bereich der direkten Verteidigung zu ziehen sind,
38
Über das SchieJCsen des Infanteristen im Felde,
hängt zu sehr von den jedesmaligen Verhältnissen ab, um im All-
gemeinen angegeben zu werden. Doch ist darauf hinzuweisen, dafs
die Besetzung sogenannter Vortsellnngen meist nur unbedeutenden
Zeitgewinn bringt und, sofern der Rückzug aus denselben nicht sehr
frühzeitig angetreten wird, leicht den Verlust der Besatzung oder
eine Maskierung der Hauptstellung durch dieselbe herbeiführt.
Andererseits ist nicht zu verkennen, dafs derartig gelegene Örtlich-
keiten, wenn sie unbesetzt bleiben, die Annäherung des Gegners er-
leichtern. Zum Schluls möge noch ausdrücklich hervorgehoben
werden, dafs bei der Verteidigung von Örtlichkeiten die Stellung
der Batterien seitwärts derselben liegt, niemals in der Lisiere, und
dafs mit Beginn des Gefechtes und während desselben der Platz des
Führers auf einem rückwärtigen, Übersicht gewährenden Punkte
liegt, von wo er das Gesamtbild im Auge behalten kann, ohne sich
durch Details der Ausführung von der Leitung des Ganzen abziehen
zu lassen. — 51.
HI. tfter das Schiefsen
des Infanteristen im Felde, mit Bezugnahme
auf die neue Schiefsvorschriffc.
Vortrag gehalten in der militärischen Gesellschaft zu München
TOB
Reisner Freiherrn v. Lichtenstern,
k. b. Major im 1. Infulerio-ftefiment .König*.
Die vor Kurzem erschienene Schiefsvorschrift hat wichtige und
einschneidende Änderungen gebracht. Dieselben beziehen sich meist
auf das kleinkalibrige Gewehr und sind in der militärischen Litte-
ratur und politischen Tagespresse schon vielfach eingehend be-
sprochen und gewürdigt worden. Ich möchte es versuchen, einige
Punkte der neuen Instruktion zu besprechen, welche bisher weniger
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mit Bezugnahme auf die neue Schiefsvorechrift.
39
beachtet worden sind, obgleich sie einen ausgezeichneten Fortschritt
unseres militärischen Schiefsens darstellen. Ich meine insbesondere
die Neufassung der Vorschrift in Bezug auf Anschlagen und
Zielen. Dieselbe stellt das Ende einer langen Entwicklung dar,
welche genannte Schützenthätigkeiten in Preufsen und nunmehr in
Deutschland durchgemacht haben.
Es dürfte vielleicht nicht unangemessen sein, zuvorderst diese
Entwicklung des Anschlags und Zielens eingehender zu verfolgen,
da ihre Besprechung für das Verständnis unseres heutigen Schiefsens
nicht ohne Nutzen sein mag. Sie reicht bis zur Zeit der Linear-
taktik zurück.
Der Freund des Schieishan dwerks ist erstaunt, wenn er zum
ersten Male ein Gewehr der Infanterie zu Gesicht bekommt, mit
der Friedrich der Grofse seine Siege erfocht. Der Kolben ist un-
gewöhnlich kurz und so gerade znm Laufe angesetzt, dafe der Kopf,
wenigstens ohne besondere Schwierigkeit, sich nicht genügend zu
ihm herabzubeugen vermag, um ein eigentliches Zielen zu bewerk-
stelligen. Das Erstaunen des Betrachters wächst aber noch mehr,
wenn er eine ältere preufsische Muskete, die noch mit einem hölzer-
nen Ladstocke versehen ist, damit vergleicht. Zwar ist diese be-
trächtlich länger, als jene mit dem eisernen Ladstocke, aber wie
vortrefflich läfst sich mit ihr anschlagen und zielen 1 Sie unter-
scheidet sich eben hierin nicht von den gleichzeitigen Feuerwaffen
der übrigen Heere. Um sich über diese auffallende Erscheinung
klar zu werden, empfiehlt es sich, ein preußisches Reglement aus
jener Zeit zur Hand zu nehmen und zu versuchen, die eigentlichen
Handgriffe, sowie jene der Chargierung, auszuführen. Bald wird
man bemerken, wie förderlich der gerade angesetzte, kurze, nach
der Seite der Kappe hin stark verjüngte, daher sehr handsame
Kolben für die angestrebte, beziehungsweise strengstens anbefohlene
»Schönheit«, Genauigkeit und Geschwindigkeit der »Griffe« war.
Nicht blofs der schwere eiserne Ladstock und die zu seiner Auf-
nahme bestimmten weiten Führungshülsen, sowie die Einführung
des Pulverhorns ermöglichten das ungemein rasche Schieten — bis
zu 5 mal in der Minute — auch die äufeere Gestalt der Gewehre
hatte gleichem Zweck zu dienen. Das schnelle Schiefsen galt eben
damals in der preufsischen Infanterie mehr, als die Fähigkeit zu
treffen.
Es hatte in jener Zeit zwei Wege gegeben, um das Feuer des
Fufsvolks zur größtmöglichen Wirksamkeit gelangen zu lassen: den
des thunlichst genauen oder den des thunlichst raschen Schiefsens.
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40
Über das Schiefsen des Infanteristen im Felde,
Beide Wege zusammen zu beschreiten, indem im selben Kampfe
bald dem einen, bald dem andern eine gröfsere Wichtigkeit bei-
gelegt worden wäre, wie es heutzutage der Fall ist, verbot sich von
selbst durch die Mangelhaftigkeit des Soldatenmaterials und der
Gewehre.
Man betrat in Preufsen den Weg der Feuergeschwindigkeit.
Die ausschliefslich geschlossene Form, in welcher die Truppen
kämpften, war einer individualisierenden Ausbildung, wie sie zum
genaueren Schiefsen nötig gewesen wäre, nicht günstig. Das
Vorherrschen des Drills führte unter Leopold von Dessau natur-
gemäß zur Geschwindigkeit und exerziermäfsigen Auffassung des
Schiefsens. Indessen wurde von König Friedrich II. doch auch das
Zielen, soweit es mit dem damals unvollkommenen Gewohre
möglich war, keineswegs ganz aufser Acht gelassen. Am 1. Juni
1745, also 4 Tage vor der Siegessch lacht von Hohenfriedberg,
befahl der König iu der »Disposition, wie es bei vorgehender Ba-
taille soll gehalten werden «, »dafs der Soldat beim Chargieren
recht in's Feuer sehen und gut auf halben Mann anschlage solle,
damit nicht Pulver und Blei mal a propos verschossen werde, wes-
halb auch die kommandirenden Offiziere den Mann im Anschlage
gut und fest, damit er recht fest zielen könne, liegen lassen müssen.«
Die Flinkheit im Schiefsen war aber das ausschlaggebende Moment
und sie war auch in der That von vorzüglichem Werte, wenn nur
dafür gesorgt wurde, dafs durch sie die Truppe nicht aus der Hand
der Führer käme, und dafa sie entsprechenden Trefferfolg erziele,
nicht einfach zur Munitionsverschwendung führe. Diese Bedingungen
wurden erreicht durch die schärfste Ausbildung im wagrechten
Anschlag und in der Abgabe von Salven. — Durch den wag-
rechten Anschlag erhielten die Gewehre eine sehr praktische mittlere
Lage in Bezug auf die jeweilige Stellung des Gegners, welcher sich
ebenfalls in breiten zusammenhängenden Linien und zumeist auf
offener Ebene gegenüberbefand. Auch kounte sich der Manu diesen
Anschlag leicht aneignen, sowie er anderseits von den Vorgesetzten
durch das Augenmafs genau zu kontrolieren war. Das erste,
knieende Glied schlug horizontal, die beiden hinteren, stehenden
Glieder mit etwas gesenkten Mündungen an, alle Gewehre wann
nach rechts ausgerichtet. Der Kopf senkte sich, soweit es eben
ging, zum Laufe herab, über welchen hinweg der Schütze nach dem
Korn und ius Feuer dreiste hinein sehen mufste: »Dann ein Soldat
wissen mufs, wo er hinschiefset, nemlich nicht in die Luft oder in
die Erde, worauf die Officiers wohl Achtung haben müssen.« —
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mit Berugnahuie auf die neue SchiefsTorschrift.
41
Und was das ausschließlich angewandte Kommandofener betrifft, so
war dies nicht blofs ein vorzügliches Mittel zur gröfstmöglichen
Steigernng der Raschheit Aller im Laden und Schiefsen nach dem
Willen des Vorgesetzten, sondern ermöglichte auch, das Schiefsen
jeden Augenblick einstellen und die Truppe zu einer anderen
Thätigkeit übergehen zu lassen.
Die Salve gewährte indessen noch andere grofse Vorteile. Kein
Mann behinderte in Reih' und Glied bei Abgabe des Feuers den
anderen, das Schufsfeld war jeweils frei von Rauch, jeder Soldat
wurde schon dadurch auf die exakteste Weise kontroliert, dafs die
ganze Abteilung wie ein Mann zu handeln hatte, keiner bei irgend
einem Tempo »herausfallen« durfte. Das gewohnte, zu allen
Tempos scharf abgegebene Kommandowort erleichterte wesentlich
den richtigen Vollzug der Vorschriften. Denn darin li«'gt ja der
zu allen Zeiten und in jeder Gefechtsform sich äufeernde merk-
würdig gute Trefferfolg der Salve, dafs dem Manne bei jedem
Schusse durch das bestimmte Kommaudo der Wille des Komman-
dierenden formlich aufgedrungen wird: Der Schütze wird z. B. auf
das immer wiederkehrende »Legt an!« gewöhn heitsgemäfs jedes-
mal heiläufig in der befohleneu Richtung anschlagen, er wird nach
dem Anschlage nicht gleich losdrücken, wozu er in der Aufregung
des Kampfes allerdings die Neigung hat, sondern gezwungen sein,
abzuwarten, bis das Kommando hierzu erfolgt, und wird die zwischen
Anschlagen und Abziehen entstehende Pause voraussichtlich durch
Zielen ausfüllen u. dergl. m. Der Wert der Salve beruht also
vorzüglich auf der Möglichkeit durchgreifender Einflufsnahme des
Vorgesetzten auf die Schiefsthütigkeit der Mannschaft.
Wenn es erlaubt ist, beim Schiefsen die Begriffe Exerzier-
disziplin und Feuerdisziplin einander gegenüber zu stellen, so möchte
ich sagen, dafs beim Kommandofeuer mehr die Exerzierdisziplin,
beim Schtttzenfeuer aber mehr die Feuerdisziplin zum Ausdruck
zu gelangen habe. Die Exerzierdisziplin ist aber sicherer zu hand-
haben, als die Feuerdisziplin, weil ihr kräftigere und durchgreifendere
Mittel zu Gebote stehen. Es ist daher leichter, mit Salven eine
gute Wirkung zu erzielen, als mit Schützeufeuer. Hingegen pflegt
die Wirkung des Schützenfeuers jene des Kommandofeuers zu über-
treffen, wenn es von wirklich guten Schützen abgegeben wird,
da dabei Jeder nach seiner Individualität und überhaupt mehr nach
seinem Belieben schiefsen kann. Unsere Schiefsvorschrift stellt also
sehr hohe Anforderungen an uns, indem sie, abgesehen von
sonstigen Verhältnissen, die heutzutage zur vorzugsweisen Anwendung
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Über du Schieten de» Infanteristen im Felde,
des Schützenfeuers führen, demselben auch die »Wahrscheinlichkeit
größerer Treffwirkung« zuspricht.
Um auf die preufsische Feuertaktik in den schlesischen Kriegen
zurückzukommen, so war ihr Erfolg bekanntlich ein ungeheurer.
Schnelligkeit des Schiefsens und horizontaler Anschlag, basierend
auf Drill und Kommandofeuer hatten ihn hervorgebracht. —
Die kommenden franzosischen Kriege brachten natürlich wesent-
liche Veränderungen in der Schiefeweise des preufsi sehen Fufevolkes
hervor. Ich brauche nur daran zu erinnern, dafe man sich nunmehr
in jedem Gelände schlug, wo immer man sich traf, dafs das Vor-
bereitnngsfener durch Plänklerlinien gefuhrt wurde, und dafs die
einzelnen Bataillone eine bisher nicht gekannte Selbstständigkeit
und Beweglichkeit gewannen, um sofort die Richtung zu kenn-
zeichnen, in der sich oben erwähnte Veränderungen vollzogen.
Geschwindigkeit im Schiefsen mutete doch wenigstens im Prinzipe
gröfserer Genauigkeit weichen, die Salve konnte nicht mehr allein
das Feld behaupten, es trat das sogenannte Bataillenfeuer an ihre
Seite und bezüglich des Feuers der Schützenlinien sagt das Regle-
ment vom Jahre 1812, »dafs es für diese überhaupt keine bestimmte
Ghargirungs-Art gebe, sondern dafs jeder Einzelne schiefsen solle,
wenn er glaube, durch seinen Schufs etwas bewirken zu können.«
Kommandofeuer und Raschheit des Schiefeens waren also nun-
mehr eingeschränkt beziehungsweise vermindert worden. Nicht so
aber der horizontale Anschlag. Die besondere Vorliebe, die dem-
selben entgegengebracht wurde, beruhte, wie schon ausgeführt, teils
darauf, dafs er den Hoch- und auch den Kurzschufe zu mindern
geeignet erschien, wohl hauptsächlich aber darauf, dafs er, gleich
einem gewöhnlichen Handgriff, besonders rasch und stramm aus-
geführt werden konnte. Allerdings war genaues Schiefsen wichtiger,
als schnelles geworden, und hatte ein exerziermäfsiger Drill des
Anschlagens schon damals keinen rechten Sinn mehr. Aber man
übersehe nicht, dafe gerade diese Art des Drills eine der Grundlagen
war, auf welchen die Ruhmesthaten der preufeischen Armee be-
ruhten, sowie dafe sie es war, welcher derselben, gegenüber anderen
Armeen, ein besonders charakteristisches Aussehen verlieh. Es er-
scheint daher wohl begreiflich, dafs sich der horizontale Anschlag,
als eine Aufserung des strammen Drills, auch dann noch erhielt,
als er schon nicht mehr in die Übrige Ausführung des Schiefsens
pafete. Freilich waren auch kaum die Voraussetzungen in ge-
nügendem Grade vorhanden, um einen individuelleren Anschlag
ausführen lassen zu können. Zwar hatten die mit Büchsen
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mit Berognahme auf die neue Schiehvorschrift. 43
bewaffneten preußischen Schützen schon zu Ende des vorigen
Jahrhunderts jedes Jahr eine vierzehntägige Übung im Scheiben»
schieisen durchzumachen und schofe sogar die gesamte, nunmehr
mit zum richtigen Schiefsen geeigneteren Gewehren ausgerüstete
Infanterie vom Jahre 1808 an den Sommer über auf die Scheibe,
allein man darf wohl annehmen, dafs die Resultate dieser Übungen
erst nach Verlauf einer längeren Zeit zu Tage traten. Auch war
im preufsischen Volke — im Gegensatze zu anderen deutschen
Ländern, wie z. B. Bayern,*) Österreich, Hessen — eine Fertigkeit
des Schieisens nur in sehr geringem Grade verbreitet, daher man
in der Armee umsomehr veranlafst war, durch exerziermäfeige
Fertigkeit diese Lücke auszufüllen.
Der horizontale Anschlag hielt sich aber sehr lange un ge-
schwächt in den Vorschriften, nämlich bis in die Mitte unseres
Jahrhunderts, und auch heute noch hat er, obgleich er seit nun
etwa 100 Jahren veraltet ist, noch nicht alle Anhänger verloren!
Er ist veraltet, seitdem die Coupiertheit des Geländes kein Hindernis
mehr ist, sich darin zu schlagen, die Ziele sich daher in jeder
beliebigen Höhenlage zum Schützen zu befinden pflegen. Denn
seit dieser Zeit ist zwischen wagrechtem Anschlag und Zielerfassen
eine vollständige Zweiteilung entstanden, die früher in dem Grade
nicht bestand, als sich die Gegner auf offener Ebene in beiläufig
gleicher Höhe gegenüber standen. In den französischen Kriegen
hatte der Soldat zuerst stramm horizontal anzuschlagen, dann sollte
er mit der Visierlinie das im Gelände mehr oder weniger geborgene
Objekt aufsuchen, um es zu fassen. Durch solch' schwierige Schiefs-
methode aber war das Zielen, welches im Felde ohnehin den gröfsten
Schwierigkeiten unterworfen zu sein pflegt, fast zur Unmöglichkeit
gemacht worden.
Für die trotz alledem treu gebliebenen Anhänger gedachten
Anschlags aber noch ein paar Worte. Was heilst denn eigentlich
horizontaler Anschlag des Gewehres? Das kann doch nur horizon-
tale Lage der Visierlinie heifsen! Daher wäre er blofe in Anwendung
des niederen Standvisiers leicht und schnell auszufuhren, bei höheren
Visieren aber, deren Gebrauch heutzutage die Regel bildet, gehörte
schon eine bedeutende Übung dazu, um unter wechselnden Ele-
vationen des Gewehrlaufes den Kolben jeweils so richtig an der
*) In bergigen und waldigen Gegenden wurde die Kunst des Schiefsens be-
sonders gepflegt. So besafsen schon i. J. 1507 von den 6428 wehrpflichtigen
Bewohnern des bayerisch -böhmischen Waldes (Mittelgebirge nördlich der Donau
zur böhmischen Grenxe) 1442 Büchsen und 1662 Stahlarmbruste.
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44
Über das Schiefsen des Infanteristen im Felde,
Schulter anzusetzen, dafs die Visierlinie eine wagrechte Lage er-
hielte. Daher böte ein wagrechter Anschlag jetzt nicht einmal
mehr den Vorteil einer besonderen Einfachheit dar. Und noch
eins. Die im Kampfe natürliche grofse Anspannung der Nerven
wurde stets noch mehr erhöht durch ein sehr rasches und ins-
besondere tempomäfsiges Erheben und Einsetzen des Gewehres in
die Schulter, wie es beim horizontalen Anschlage von jeher ge-
bräuchlich war. Reifsen am Abzüge ohne Zielen mufste die fast
unvermeidliche Folge gewesen sein. Dafs aber dergestalt zu schiefseu
für unsere heutigen sehr weiten Entfernungen und sehr schwierig
7.u nehmenden Ziele unzweckraäfsig wäre, dürfte wohl zugegeben
werden.
Ich habe bisher nur vom Anschlagen und Zielen gesprochen,
es erübrigt nur, noch die dritte, der Bedeutung nach aber keines-
wegs letzte Schützenhau dlung, nämlich das Abziehen, wenn auch
nur flüchtig, zu erwähnen. Dasselbe hatte zur Zeit der Lineartaktik,
unter der Herrschaft des Schnell- und Kommandofeuers, rifsähnlich
zu geschehen, in den napoleonischen Kriegeu sollte »der Hahn
ruhig abgezogen weiden« und im Jahre 1842 wurde sogar ange-
ordnet, dafs das Kommando »Feuer!« gedehnt abzugeben sei, »damit
an dem Abzüge nicht gerissen werde«. Man sieht, die Vorschriften
über das Abziehen schlugen ein rascheres Tempo im Sinne des
Fortschrittes ein, als jene über deu Anschlag, ja, die Anordnung
vom Jahre 1842 darf sogar als etwas zu weit gehend bezeichnet
werden.
Von der Mitte unseres Jahrhunderts an war der Anschlag
nach den preufsischen beziehungsweise deutschen Vorschriften in
eine Art Übergangsstadium eingetreten. Von grundsätzlich wag-
rechtem Anschlage war nun allerdings keine Rede mehr; wo aber
die Visierlinie während des Anschlagens hingerichtet werden sollte,
genau in welcher Lage also das Gewehr in dem Augenblick zu
stehen hätte, wo der Kolben an der Schulter eintraf, wurde lange
Zeit hindurch gar nicht gesagt. Später wurde allerdings eine Be-
stimmung hierüber getroffen, zugleich aber eine für den Ernstfall
wohl zu umständliche Schiefsmethode angeordnet. Denn — man
erlaube mir die Frage — ist es gut denkbar, dafs der Soldat im
Kampfe, wie es Vorschrift war, das Gewehr beim Anschlagen zu-
nächst etwa einen halben Meter unter den Haltepunkt richte und
es dann erst gegen den letzteren selbst hebe? Im Kriege gilt nur
das Einfache, sagt der Taktiker; sollte das nicht auch für den
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mit Beiugnahme auf die neue Schiefsvorecbrift
45
Schützen wahr sein, der angesichts des Todes mitten im Streite
steht? Nein, solche Art zu schiefsen hat nur ihre vollste Be-
rechtigung für die Vorschule, die anfängliche Ausbildung, ins-
besondere dann, wenn mau mit dem Heben des Gewehres zugleich
das Abkrümmen verbindet, da hierdurch Mucken und Reifsen wirk-
samst beseitigt wird, — für den Ernstfall und dessen Ersatz aber,
das gefechtsmäfsige Schiefsen, palst sie nicht. Im Gegensatze zu
solcher Art stehend zu schiefsen, war für das Knieen und Liegen,
wo Oberkörper und Arme ziemlich unbeweglich sind, vorgeschrieben,
da£s das Gewehr schon beim Hereinziehen des Kolbens in die Schulter
möglichst genau auf den Haltepunkt seihst zu richten .sei; an der
Richtung des, in der Schulter einmal feststehenden, Gewehres
durften dann nur mehr ganz geringe Verbesserungen nötig sein.
Da jedoch der Anschlag stehend vorschriftsmäßig die Grundlage
für das gesamte Schiefsen bildet, so nahm seine wenig kriegsmäfsige
Art zugleich auf die anderen Anschlagsarten einen ungünstigen
Einflufs. Möglichst genauem Erfassen des Haltepunktes schon durch
den Anschlag allein wurde daher auch bei ihnen durchgängig nicht
die gebührende Wichtigkeit beigelegt.
Das gedachte Übergangsstadium seit der Mitte unseres Jahr-
hunderts fand nun einen ausgezeichneten Abschluß* in der kürzlich
erschienenen Schiefs Vorschrift, welche bezüglich des Anschlagens und
Zielens sagt: »Bei dem Anschlag stehend freihändig ist wie in
allen anderen Anschlagsarten anzustreben, dem Gewehr sogleich die
. ungefähre Richtung auf den Haltepunkt zu geben und sofort mit
dem eigentlichen Zielen zu beginnend Ein Nachsatz, der auch das
Heben des Gewehres zum Haltepunkt mit gleichzeitigem Ab-
krümmen gestattet, ist lediglich als Lehrmittel aufzufassen, was
schon daraus hervorgeht, dafs er im Exerzier- Reglement nicht auf-
genommen ist.
Nunmehr ist der Wichtigkeit feldmäfsigen Anschlagens wieder
volle Rechnung getragen, jetzt ist man in der Lage, dem Schützen
genau sagen zu können, worauf er denn beim Anschlagen sein
Hauptaugenmerk zu richten habe: Nämlich darauf, dafs schon in
dem Augenblicke, wo der Anschlag vollendet ist, d. h. wo der
Kolben an der Schulter eintrifft, die Visierlinie möglichst scharf auf
das Objekt selbst gerichtet sei, so dafs das eigentliche Zielen,
welches unmittelbar darauf zu folgen hat, wesentlich erleichtert
werde. Dieses eigentliche Zielen aber hat darin zu bestehen, dafs
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46
Ober das Schieben des Infanteristen im Felde,
der Schütze die Visierlinie ganz genau in die Richtung anf das
Ziel einstellt.
Ich mochte den nun vorgeschriebenen Anschlag einen »ziel-
gerechten« nennen und zwar um deswillen, weil dabei die Visier-
linie unmittelbar auf das Ziel selbst gerichtet wird, auf welches
aus natürlichen, psychischen Gründen auch das Auge geheftet ist.
Diese einfachste und natürlichste Art anzuschlagen, erscheint als
ein Ergebnis unseres nunmehr beständigen Fortschreitens nach der
Seite des Kriegsmäfsigen hin und steht in vollem Einklang mit
unseren übrigen ausgezeichneten Vorschriften. Und wahrhaft feld-
mäfsig ist dieser Anschlag in der That! Gewinnt doch der Schütze
im Einzelkampfe durch ihn entschiedene Überlegenheit über einen
Gegner, welcher es nicht versteht, schon beim Anschlagen die Visier-
linie auf das Ziel selbst zu bringen. Dieser Gegner wird, bis sein
gezielter Schufs fällt, voraussichtlich länger, als jener Schütze
brauchen, weil bei ihm das Iueinandergehen von Anschlagen und
Zielen ein umständlicheres, längerdauerndes sein wird. Beim Feuern
einer Abteilung aber kommt der zielgerechte Anschlag zu ganz
besonderer Bedeutung. Denn in der furchtbaren Erregung des
Schiefsens inmitten einer Masse gegen eine Masse ist es den Leuten
oftmals nicht möglich, die feinere Arbeit des eigentlichen Zielens
auszuführen. Es fehlt ihnen dann hierzu, wie leicht begreiflich,
die nötige Ruhe, das ungetrübte Auge, ■die sichere Hand! In diese
Lücke des Schiefsens wird nun in ganz besonders günstiger Weise
der zielgerechte Anschlag eintreten, da schon durch ihn allein ziem-
lich geschlossene Geschofsgarben und daher gute Treffresultate
erreicht werden köunen.
Namhafte Schriftsteller besonders des Auslandes gehen indessen
noch weiter und stellen die Behauptung auf, es sei iu Anbetracht
der inneren Erregung der Schützen im Gefechte, welche erfahrungs-
getnäfs zu rascheu Handlungen führe, nur ein wurf artiger An-
schlag auszubilden. Durch denselben soll das Gewehr in raschem
Zuge in die Richtung des Zieles gebracht werden; eine langsamere
und sorgfältigere Art anzuschlagen, oder gar ein eigentliches
Visieren, seien wertlose, weil im Ernstfalle nicht auszuführende
Künsteleien.
Dieser Ansicht darf vor allem der Vorwurf einer gewissen
Einseitigkeit gemacht werden. Denn die Art und Weise des
Schiefsens im Felde ist doch nicht bei allen Gelegenheiten die
gleiche! Im sogenanut kleinen Kriege, aber auch im grofsen Ge-
fechte auf weitere Entfernungen u. s. w. wird z. B. gewifs ruhiger
■
mit Bezugnahme auf die neue Scbiefavorschrift.
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nnd genauer geschossen werden können, als etwa mitten im Brenn-
punkte einer Schlacht. Und dann ist bei Anwendung des Wurf-
schusses, selbst von Seiten einer Abteilung, irgend ein Treffergebnis
nur bei niederen Visieren anzunehmen. Bei höhereu Visieren aber
könnten mit einem sehr raschen, wurfartigen Anschlage, wegen der
durch sie bedingten verschiedenartigen Haltung des Kopfes, sowie
wegen des wechselnden Ansetzens des Kolbens an der Schulter,
die Visierlinien nicht einmal mehr ungefähr auf das Ziel gebracht
werden.
Daran müssen wir festhalten, dafs überall da, wo sorgfaltige
Ausbildung vorausgegangen ist und scharfe Disziplin besteht, wo
die Führer es verstehen, in energischer Feuerleitung ihre Persön-
lichkeit geltend zu machen, je nach den Umstanden, ein mehr oder
minder präzises Schieben wird erwartet werden dürfen. In der
höchsten Hitze des Kampfes mag allerdings im Allgemeinen ein
Wurfschufs herauskommen, der deshalb aber noch nicht den Typus
für das gesamte militärische Schiefsen abzugeben braucht. Gerade
in der deutschen Armee hat man sicher keiuen Grund, einem wurf-
ähnlichen Anschlag ohne Zielen zu huldigen, wir thun vielmehr
sicher gut daran, die L bei unserem Volke sich besonderer Vorliebe
und vielfaltiger Übung erfreuende Fertigkeit genauen Schiefsens
militärisch möglichst zu verwerten. Auch stünde eine durch einen
wurfartigen Anschlag bedingte Schießausbildung mit unserer ganzen
übrigen sorgfaltigen Einzelausbildung im direktesten Gegensatze.
Allerdings dürfen wir uns nicht verhehlen, dafs die Ausbildung
im Frieden eine sehr feste Grundlage schaffen mufc, damit auch
unter den gewaltigen Eindrücken des Kampfes verhältnismäfsig
ruhig und sicher geschossen werden könne. Was insbesondere den
Anschlag anbetrifft, der mir der wichtigste Teil des Schiefsens im
Gefechte zu sein scheint, so müssen die Hände in den drei
Stellungsarten lernen, die Visierlinie völlig gewohnheitsgemäfs
in die Linie Auge — Ziel zu schieben. Man kann sich vielleicht
den Jagdschützen anschliefsen*) und sich kurz so ausdrücken:
»Hände und Auge müssen zusammengehen.« — Ebenso wie zur
Zeit der Lineartaktik unablässige Übungen die Gewohnheit horizon-
talen Anschlagens hervorbrachten, so dafs dasselbe auch unter den
schwierigsten Verhältnissen ausgeführt wurde, ebenso mufs nun
rationelles und konsequentes Üben ein allerdings schwierigeres,
*) Die churfurstl. bayrische Verordnung v. J. 1754 sagt auf S. 29: . . . „Das
ist: Es wird angeschlagen und geiiehlet, wie es die Jager machen.»
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48
Über das Schieben des Infanteristen im Felde,
weil individuelleres, Anschlugen auf das Ziel für alle Fälle des
Ernstfalles sicher stellen.
Wenu wir den Drill so definieren — wie es wohl zutreffend
sein dürfte — dafs er die konsequente Übung einer Handlung dar-
stellt, welche darauf abzielt, letztere aus einer Willenshandluug in
eine automatische zu verwandeln, so müssen wir zugestehen,
dafs auch der zielgerechte Anschlag drillinäfsig zu üben sei. Doch
erscheint der Drill zum zielgerechten Anschlag als ein so zu sagen
höherer, wie jener zum horizontalen Anschlag, weil bei ihm der
Intellekt mehr in Anspruch genommen wird, als bei letzterem, wo
das gleichförmige, exerziermäfeige Moment das vorherrschende ist —
Ks ist vielleicht nicht ohne Interesse, die auf Anschlagen und
Zielen bezüglichen Vorschriften der ebenfalls neu erschienenen
österreichischen und französischen Reglements kurz anzu-
führen. Der österreichische Schütze bringt »das Gewehr mit etwas
gesenkter Mündung rasch in den Anschlag . . . und zielt, indem
er dasselbe mit der linken Haud gegen den Zielpunkt hebt.« Der
französische Soldat schlägt ebenso an, nur hat er den Blick von
Hause aus auf den Zielpunkt selbst gerichtet, so dafs sich im An-
schlage die Visierlinie unter der Linie Auge — Zielpunkt befindet.
Die französische Vorschrift stimmt sonach mit der Schiefsart überein,
welche die englische Infanterie vor drei Jahren noch angewandt
hatte, seit dieser Zeit aber aufgegeben hat, indem sie nun, gleich-
wie jetzt die deutsche, schon beim Anschlagen mit der Visierlinie
direkt auf das Ziel geht. Die österreichische Art dürfte geeigneter
für genaues Scheibeuschiefsen, die französische aber, weil bei ihr der
Blick stets auf das Ziel gerichtet ist, passender für den Ernstfall
sein. Während das österreichische Reglement grundsätzlich auf ein
rasches Anschlagen und Zielen sieht, ordnet das französische nur
ein möglichst rasches Anschlagen au, das Zielen hingegen soll
langsam geschehen. Es sagt nämlich: »Der Mann soll so schnell
als möglich laden und anschlagen, um die nötige Zeit zum guten
Zielen zu gewinnen.« Diese Bestimmung scheint mir aber die
Nerven der Schützen zu wenig zu berücksichtigen, denn, dessen bin
ich überzeugt, wer im Kampfe rasch anschlägt, wird, wenn über-
haupt auch rasch zielen. Infolge der deutschen Vorschrift entsteht
hingegen ein viel naturgemäfseres Verfahren: Durch das Bestreben
nämlich, die Visierlinie schon im Anschlage möglichst genau
auf das Ziel zu bringen, wird der Anschlag etwas langsamer,
das eigentliche Visieren aber, wie begreiflich, schnell ausgeführt
werden.
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mit Bezugnahme auf die neue Schiefcvorechrift.
49
Unsere Art zu schiefsen dürfte allen Anforderungen entsprechen,
welche an ein kriegsinäfsiges Verfahren gestellt werden können.
Namentlich wird sich auch das förmlich automatische An-
schlagen in der Richtung des Blickes gegen den so verderblichen
Hochschufs als sehr wirkungsvoll erweisen. Es giebt erfahrungs-
gemäß im Gefechte einen Hochschuis geringeren und einen solchen
bedeutenderen Grades. Der geringeren Grades entsteht dadurch,
dafs der Schütze das Korn zu voll ansieht, oder dadurch, dafs er
nur über das Korn zielt, indem er den Kopf nicht genügend zum
Visier herabbeugt. Wohl auch seinetwegen ist die Kimme des neuen
Gewehres erweitert worden, wodurch man das Korn besser sehen
kann, und vor allem tritt ihm die Schiefsvorschrift wirksam ent-
gegen, wenn sie jetzt bestimmt, dafs man im Abteilungsfeuer auf
allen Entfernungen die Ziele aufsitzen zu lassen habe. Während der
geringere Hochschufs über die Abteilungen, die beschossen werden
sollen, hinweggeht und die rückwärtigen Gefechtskörper zu bedrohen
pflegt, verlieren sich die bedeutenderen Hochschüsse mehr oder
weniger wirkungslos in dem hinter den Kämpfenden liegenden
Räume. Sie kommen häufiger vor, als mau gewöhnlich annimmt,
ja sie pflegen bei nicht genügend disziplinierten und ausgebildeten
Truppen in äufserst bedenklicher Anzahl aufzutreten.
Die Klagen über diese Erscheinung gehen bis ins 16. Jahr-
hundert zurück. Dieselbe wird in der Regel einfach als die Folge
liederlichen Schiefsens aufgefafst. Dem ist aber nicht so, ihre Ur-
sachen stecken vielmehr in der Regel tiefer. Der Schütze wird
durch den Kampf, zumal den in der Masse, ungeheuer aufgeregt,
seine Nerven verlangen nach Muskelthätigkeit, er ist von dem
Triebe nach Gegenwirkung beherrscht. Besitzt er nun nicht ge-
nügend Selbstüberwindung, oder vermögen ihm seine Vorgesetzten
nicht den nötigen Halt zu geben, so werden alle seine Bewegungen
hastig, unzweckmäfsig, ja er verliert, wie man gewöhnlich sagt, den
Kopf. In dieser Verfassung ist es ihm nur noch darum zu thun, zu
schiefsen, zu knallen, an einen wirklichen Erfolg denkt er nicht mehr. Er
erhebt — und das gilt für alle A Uschlagsarten — das Gewehr zum
Anschlage, — soweit reicht seine Gewöhnung, — aber nicht bis zur
Schulter, ferner streckt er den linken Unterarm nicht nach vor-
wärts aus, sondern stellt ihn gerade in die Höhe und reifst ab.
Auf solche Weise giebt er mit einer Art von Anschlag einen
möglichst raschen Schufs unter gröfster Schonung seiner Kräfte ab.
Und Schonuug der Kräfte ist unter solchen Umständen nur zu be-
greiflich! Denn man kann sich wohl denken, dafs das arme Gehirn
Jahrbücher für die Pcit.cl.e Armee und Marine. Bt I N XVI, 1. 4
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50
Über das Schiefoeu des Infanteristen im Felde,
sehr darunter leiden ruüfete, wenn der Kopf bei langem nnd über-
eiltem Schiefsen immer am Kolben wäre, und auch die Arme könnten
bei überhastetem Schieben, zumal wenn der Schütze durch voraus-
gegangene Strapazen und Entbehrungen an Kräften sehr eingebüfst
hat, einfach den Dienst versagen. Übrigens braucht dien nicht ein-
mal so weit zu kommen, der Körper pflegt sich schon instinktiv vor
Insulten und Überanstrengungen möglichst zu bewahren.
Der Hochschufs bedeutenderen Grades ist also hauptsachlich als
eine Folge geschwächter physischer und körperlicher Kraft anzu-
sehen.
Aus diesen Auseinandersetzungen ergiebt sich wohl, wie nütz-
lich es sich erweisen inufs, wenn es dem Manne durch sorgfaltige
und beständige Übungen förmlich in Fleisch und Blut übergegangen
ist, beim Anschlagen seiner Waffe stets die Richtung auf das Ziel
zu geben. Es dürfte aber auch daraus hervorgehen, welche Wichtig-
keit man im Gefechte einem ruhigen, die physischen und körper-
lichen Kräfte des Schützen thunlichst schonenden Schiefsen zuerkennen
müsse. Damit wäre ich wieder bei der Frage der Feuergesch windig-
keit angelangt.
Als die Preufeen in den 40 er Jahren von allen Armeen zuerst
ein Hinterladungsgewehr einführten, folgteu sie der Friedericianischen
Tradition der Überlegenheit eines schnellen Feuers. Aber im Gegen-
satze zur Zeit der Lineartaktik hatten sie mit dem Zündnadelgewehr
gegenüber der Bewaffnung anderer Armeen den Vorteil gewonnen,
trotz gröfserer Raschheit, an Genauigkeit des Schiefsens nicht nach-
zustehen. Heute sind wieder alle Infanterien mit etwa gleich-
wertigen Feuerwaffen ausgerüstet, und abermals liegt es der Aus-
bildung ob, das Übergewicht über den Gegner zu erringen. Die-
selbe kann sich aber nicht mehr einseitig auf irgendeine Feuerart
beschränken, sie mufs sich vielmehr auf das gesamte Gebiet des
Schiefeens erstrecken, will sie anders die Konkurrenz mit den übrigen
Heeren bestehen. Sie nimmt eben immer mehr an Ausdehnung und
Schwierigkeit zu.
Allerdings erscheint eine Frage, die seit der Einführung der
Hinterlader grofse Besorgnisse erweckte, neuesteus, trotz des ver-
vollkommneten Lademechanismus an Bedeutung eher ab-, als zuzu-
nehmen, ich meine die Frage des Haushaltens mit der Muni-
tion. Der Infanterist wird ja jetzt sehr reichlich mit Patronen
versehen, und sind für den Muuitionsersatz sehr zweckmäfsige Ein-
richtungen getroffen. Aber dafür besteht eine andere Sorge un-
vermindert fort, nämlich die um die physische und körperliche
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mit Bezugnahme auf die neue 8chiefsvorechrift.
51
Leistungsfähigkeit des Schützen. Derselbe ist aus Gründen, die
ich bereit« bei Besprechung des Hochschusses erwähnt habe, trotz
leichteren Gewehrs und geringeren Rückstofses nicht im Stande, die
Raschheit seiues Schuellladers und die grosse Menge seiner Patronen
nach Belieben zu verwerten. Dazu reichten seine Kräfte keineswegs
aus! Abgesehen von entstehenden körperlichen Übelständen, miifste
sich bei andauernd schnellen Schiefshantierungen, die ohnehin im
Gefechte vorhandene grofse Aufregung ins Aufserordentliche steigern.
Es würde sich ein Schiefsen ergeben, das stofs weise, also mit
zwischenliegenden Pausen nach je mehreren Schüssen, erfolgte, bei
dem somit der so nötige Zusammenhang verloren ginge. Dafs
darunter auch die Güte des Anschlags sehr leiden müfste, versteht
sich von selbst. Hier entgegen zu wirken, ist ohne Zweifel heute
eine der Hauptaufgaben der Schiefsausbildung und der Fenerleitung.
Zu diesem Behufe haben wir vor allem, wie das Reglement sich
ausdrückt, >den Schützen so zu erziehen, dafs er der Regel nach
den Erfolg nicht im schnellen, sondern im wohlgezielten Schiefsen
suche.« Und als eines der Mittel dieser Erziehung wird an-
gegeben, dafs der Schütze in der Regel mit seinem Nebenmanne im
Schiefsen abwechseln solle; auf den Ernstfall jedoch bezieht sich
dieses wechselweise Schiefsen aus naheliegenden Gründen nicht.
Aber wir wollen nicht nur langsam schiefsen, wir wollen auch
möglichsten Nutzen aus unserm schnellladenden Gewehre ziehen.
Und in dieser Beziehung bestimmt die Schiefsvorschrift, dafs
schnelles und gewandtes Anschlagen und Zielerfassen unablässig zu
üben seien, damit, wie das Exerzier- Reglement sagt, ^der Schütze
auch im Stande sei, aus jeder Körperlage einen einzelnen Schufs,
wie mehrere Schüsse hintereinander schnell und mit Sicherheit
abzugeben.« Es hat also ein angemessener Wechsel im Tempo des
Schiefsens einzutreten, das Feuer soll anwachsen und nachlassen, je
nach den Umständen. Dasselbe kann als Salve, oder, was nach den
heutigen Verhältnissen die Regel ist, als Schützenfeuer abgegeben
werden; letzteres kann langsam, lebhaft und schnell sein.
Die die Lebhaftigkeit des Feuers bestimmenden Ursachen
liegen vorschriftsgemäfs im Gefechtszweck, der Beschaffenheit des
Ziels und der vorhandenen Munition.
Im Geiste des Schütze nfeuers ist es, dafs die Führer nicht
grundsätzlich auf das langsamere oder lebhaftere Schiefsen einwirken
dürfen. Das Kommando lautet reglementär einfach: »Schützen-
fener!« und das Tempo mufs sich in der Regel von selbst ergeben.
Zeigen sich z. B. verhältnismäfsig leicht zu beschiefsende Objekte,
4'
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52
Über das Schiefsen des Infanteristen im Felde,
so werden die Schützen eben mit Anschlagen und Zielen früher
fertig, als wenn jene schwieriger zu fassen wären. Das ganze
Schiefsen erhält dann an und für sich einen lebhafteren Charakter.
Erheischen aber taktische oder andere, dem Verständnis des Mannes
weniger zugängliche, Verhältnisse einen Tempowechsel, so werden
denselben wohl in den meisten Fällen die Vorgesetzten zu veranlassen
haben, indem sie je nach Bedarf »Lebhafter« oder »Langsamer
feuern« kommandieren.
Das Schützenfeuer kann auch ein Schnellfeuer sein, d. h.
ein Feuer so rasch abgegeben, als es der Mechanismus des Gewehrs
und die Schiefsfertigkeit des Mannes zulassen. Beim Schnellfeuer
ist heute noch, wie zu jeder Zeit, der moralische Effekt bedeutender,
als der materielle. Auch das Reglement sagt in diesem Betreff:
Je mehr die Feuerwirkung der Zeit und dem Ziele nach zusammen-
gedrängt wird, desto gröfser ist ihr moralischer Eindruck auf den
Gegner. Aber nicht blofs der Beschossene wird durch das Schnell-
feuer erschüttert, die Schützen selbst verbrauchen bei dem heutigen
rapiden Feuer ihre Kräfte in hohem Grade. Schon aus diesem
Grunde ist das Schnellfeuer nur in wenigen Gefechtsmomenten und
dann blofs auf möglichst kurze Zeit abzugeben.
Am Ende meiner Ausführungen sei es erlaubt, noch ein paar
Worte über das Schiefsen der Offiziere und älteren Unteroffiziere
im Felde, also über das Schiefsen mit dein Revolver, zu sagen.
Ich weifs wohl, dafs diesbezügliche andauernde Übungen dem nur
geringen Werte nicht entsprechen würden, den man dem Revolver-
schiefsen beizumessen pflegt, darf aber vielleicht doch erwähnen,
welche Art mir als die kriegsgemäfseste erscheint. Es ist jene ori-
ginelle Methode, welche die berühmtesten Revolverschützen der
Welt, die amerikanischen Hirten (Cow-Boys), gegen Menschen und
Wild anzuwenden pflegen. Sie deuten nämlich einfach mit dem
Laufe auf das Objekt und drücken dann sofort ab, ohne noch ein
eigentliches Zielen vorzunehmen. Vielp nnter ihnen weuden über-
dies eine besonders sinnreiche Art an, indem sie mit dem Zeige-
finger auf das Ziel deuten, den sie zu diesem Behufe längs des
Schlofskastens ausstrecken, um dann sogleich mit dem Mittelfinger
abzudrücken.* In Wahrheit müssen natürlich auch sie mit dem
Laufe deuten, weil ja dieser und der ausgestreckte Zeigefinger nicht
gleichlaufend sind. Da es dem Menschen aber am geläufigsten und
daher auch am leichtesten ist, ein genaues Deuten mit dein Zeige-
finger zu bewerkstelligen, so benützt der Oow-Boy diese nntürliche
Anlage zu seiner Art zu schiefsen: Durch häufige Übung findet
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mit Bezugnahme auf die neue Schiefsvorschrift.
nämlich eine Übertragung des Deutens vom Zeigefinger auf den
Lauf statt, ohne dafe der Schutze sich dessen wohl stets bewufst
wäre. Die Cow-Boys schlagen selbstverständlich von jeder Lage des
Unterarms aus au, ziehen es aber vor, wenn derselbe nach aufwärts
steht, denn die Hand braucht dann nur, auf das Ziel deutend, nach
abwärts zu fallen, wodurch schnellstes SchieXsen entsteht. Hier
kommt also das mehrfach erwähnte gewohnheitsmäßig sichere
Zusammengehen von Auge und Hand zum vollendetsten Ausdrucke.
Und es mufe auch so sein, denn beim Schiefseu mit dem Re-
volver, das Angesichts des Gegners auf nur wenige Schritte ausge-
führt zu werden pflegt, dürfte ein eigentliches Zielen allerdings
nicht thunlich sein, der TrefFerfolg vielmehr lediglich auf gewandtem
und sicherem Anschlagen beruhen. —
Doch nun wieder zurück zu dem Schießen mit dem Gewehre.
Die Technik schreitet immer mehr und mehr fort, die Gewehre
tragen immer weiter, es läßt sich immer rascher mit ihnen schiefsen.
Der Mensch aber bleibt im Grunde derselbe. Es wäre daher ein
Irrtum, zu glauben, Disziplin und Ausbildung könnten es dahin
bringen, dafs der Infanterist die Leistuug seiner Waffe stets voll
auszunützen vermöchte. Schon heute ist man z. B., wie bereits aus-
geführt, nicht mehr im Stande, längere Zeit hiudurch dem Lade-
inechauismuh entsprechend schnell zu schiefseu. D. h., man kann
schon längere Zeit raschest feuern, aber nicht das Gewehr an der
Schulter, mit der Richtung auf das Ziel. — Wir müssen daher
sorgfältigst auch auf die Natur des Menschen beim Schiefseu im
Felde achten. Diese in Einklang mit der Leistung der Waffe zu
bringen, ist eine der lohnendsten und interessantesten Aufgaben der
Schiefeausbildung und Feuerleitung.
Die Schielsausbildung enthält das Ergebnis genauer Beobach-
tungen in dieser Richtung. Wie sehr es ihr geglückt ist, auch bei
den eigentlichen Schützenthätigkeiten das Richtige zu treffen, d. h.
Einfachstes anzuordnen, das zugleich die Gewähr größter Erfolge
in sich schliefst, habe ich versucht darzuthun.
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IT. Der Einflufs des rauchschwachen Pulvers
auf die Thätigkeit, Verwendung und Führung
der Feld -Artillerie im Gefecht, deren Ausbildung und
Organisation.
Zu diesem Zweck sind in Erwägung zu ziehen: I. Die sich
durch die Anwendung eines ranchsch wachen Pulvers, ein für alle
Male ergebenden Vorteile, ferner der Einflufs, welchen der
Wegfall des die eigene Feuerstellung verratenden, aher auch die
eigene Thätigkeit dem Feinde verschleiernden starken Pulver-
rauches, auf: IT. Die Wahl und die Erkundung der Feuer-
stellung, den Anmarsch in diese, sowie deren Besetzung, dann
III. Die Feuerthätigkeit der Feld -Artillerie, ausüben wird.
— Endlich ist zu erörtern, in welcher Weise, das rauchschwache
Pulver: IV. Die Verwendung und Führung der Feld-
Artillerie im Gefecht. V. Die Ausbildung im Frieden, und
VI. deren Organisation, beeinflussen wird.
ad I. Der ungünstige Einflufs, welchen der eigene
starke Pulverrauch auf die Thätigkeit der Artillerie aus-
übte, fällt in Zukunft weg. Staffelforinige Aufstellung, mit
Berücksichtigung der Windrichtung, ist nicht mehr geboten. Die
Beobachtung des vor und neben der Feuerstellung gelegenen Ge-
ländes, sowie jene der eigenen Feuerwirkung, inglciohen das Richten
der Geschütze, wird durch den Pnlverrauch nicht mehr erschwert.
Die Feuergeschwindigkeit kann daher in viel unbeschränkterer
Weise den taktischen Anforderungen des Augenblicks angepafst
werden. — Alle diese, nicht zu unterschätzenden Vorteile kommen
aber auch der feindlichen Artillerie zu Gute!
ad II. Der Pulverrauch wird weniger zum Verräter der Feuer-
stellung, zugleich wird aber auch die Thätigkeit einer der Sicht
des Feindes ausgesetzten Abteilung nicht mehr durch den Pulver-
rauch verschleiert. Eine Folge hiervon ist, dafs diejenige Artillerie,
welche zuerst die feindliche Artillerie erblickt, um so leichter und
rascher die Überlegenheit im Kampfe gewinnen wird, je unbe-
merkter vom Feinde sie ihre Feuerstellung erkunden, erreichen
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Der Einflufs des rauchschwachen Pulvers u. s. w.
55
und besetzen konnte. Letzteres ist wünschenswert, das Erkennen
(die Sicht) des Ziels ist aber unbedingt die Hauptsache. Daraus
folgt, vor Allem: 1. Feuerstellungen, in welchen die Geschützo der
Sicht des Feindes entzogen aufgestellt werden können, sind nur
unter der Bedingung zulässig, dafs hierdurch die für die Wirkuug,
jetzt noch mehr wie früher, unbedingt nötige Sicht des Ziels er-
möglicht bleibt. Um treffen zu können, mufs die Artillerie ihro
Geschütze richten und ihre Schüsse beobachten können. Für das
Richten ist es vorteilhaft und daher wünschenswert, dafs das Ziel
von den Geschützen aus eben noch über Visier und Korn sichtbar
ist. Um die Schüsse beobachten zu können, ist nnerläfslich, dafs
das zu bekämpfende Ziel von einem, in gesicherter Verbindung
mit der Feuerstellung befindlichen Punkte aus, überblickt werden
kann. — Gegen ein, sich durch den Pulverrauch verratendes Ziel
konnte der Batterieführer die Schüsse seiner Batterie, fast immer,
von einem, sich neben den Flügeln der Feuerstellung darbieteuden
Punkte aus, beobachten. Um hierin nicht durch den Pulverrauch
der eigenen Geschütze behindert zu werden, wählte der Batterie-
führer seinen Aufstellungspunkt seither mit Vorteil neben dem der
Windrichtung zugewendeten Flügel seiner Batterie. Diese Rück-
sichtnahme ist beim neuen Pulver nicht mehr geboten. Dagegen
wird es jetzt besonders wichtig, dafs die Batterieführer Punkte zu
ihrer Aufstellung wählen, welche ihnen die beste Sicht des zu be-
kämpfenden Ziels gestatten. Eine notwendige Folge hiervon Ist,
dafs der Batterieführer nicht blofs die Aufstellung der Geschütze in
der von seiner Batterie einzunehmenden Feuerstellung, sondern vor
Allem auch seinen eigenen Aufstellungspunkt in besondere Er-
wägung nehmen mufs. Läfst sich ein, die Sicht des Ziels ge-
währender Aufstellungspunkt, neben, zwischen oder rückwärts den
Geschützen für den Batterieführer ermöglichen, so wird dieser die
Schüsse seiner Batterie sogar leichter wie seither beobachten können.
Andernfalls kann auf Wirkung gegen das Ziel nur gehofft werden,
wenn sich, von einem, in gesicherter Verbindung mit der Feuer-
stellung befindlichen Punkte aus, die Sicht des Ziels ermöglichen
läfst, und »auf diesem Punkte« vom Batterieführer ein Beobachter
(Offizier oder geeigneter Meldereiter) aufgestellt wird. — Wie das
Richten von Seite derjenigen Geschütze, welchen das Ziel nicht
sichtbar ist, bethäti<,'t werden kann, ist bereits in der Anleitung
zur Ausbildung der Richtkanoniere vorgesehen.
2. Nicht nur beim Anmarsch und Einrücken der Feld -Artillerie
in die für sie bestimmte, vor Allem der vorstehend ad II. 1 angegebeneu
56
Der Einflufc des rauchsch wachen Pulvers u. a. w.
Bedingung entsprechende Feuerstellung, sondern bereits heim
Erkunden letzterer mufs mehr, wie seither, angestrebt werden, dafs
nicht nur diese Thätigkeiten, sondern auch die Feuerstellung selbst
der Sicht des Feindes möglichst entzogen bleiben.
a) Die Erkundung der Feuerstellung obliegt den Führern der
Feld -Artillerie, hierfür und zur Erkundung des Geländes haben sie
ihre Adjutanten und Meldereiter zur Verfügung. An letzteren sind
mindestens: für jede Batterie 2, für jede Abteilung, die deren
Batteriezahl, für jedes Regiment, die dessen Abteilungszahl, für jede
Brigade, die deren Regimenterzahl entsprechende Anzahl nötig. In
welcher Weise Adjutanten und Meldereiter benützt werden können,
um rasch den entsprechendsten Anmarsch für die ihrem Commandeur
unterstellte Artillerie zu ermitteln, wurde im August-Hefte 1889
dieser Zeitschrift (»Zur Ausbildung der Feld-Artillerie«) betrachtet.
Nicht erst der Führer der in die Feuerstellung befohlenen Artillerie-
Truppe, sondern der dieser vorgesetzte Artillerie - Commandeur,
welcher die Feuerstellung auswählte, mufs durch Adjutanten und
Meldereiter den Anmarsch für die Artillerie -Truppe ermitteln
lassen.
b) Die Artillerie- Führer, welchen die Auswahl der Feuer-
stellung und Ermittelung des Anmarsches der Artillerie in diese
obliegt, sind die, während des Marsches, im Stabe des Avantgarde-
Commandeurs, beziehungsweise der höheren Truppenführer befind-
lichen Commandeure der in der Avantgarde und im Gros der
Marschkolonne eingeteilten Artillerie. Aufgabe di.ser Artillerie-
Führer ist es, mit Zuhülfenahine ihrer Adjutanten und Meldereiter,
die in Rede stehenden Ermittelungen, ohne die Aufmerksamkeit des
Feindes zu erregen, sicher, gewandt und rasch zu bethätigen. Denn
es ist höchst wünschenswert, dafs sie beendet sind, ehe die in der
Marschkolonne befindliche Artillerie den Funkt der Aumarschstrafse
erreicht hat, au welchem sie diese verlassen mufs, um in die
Feuerstellung gelangen zu können.
c) Bei einer selbstständig auftretenden beziehungsweise auf
einer eigenen Strafse anmarschierenden Division ist deren Avantgarde
mindestens 1 Batterie, unter Umständen eine Abteilung ü 3 Batterien,
zugeteilt. Der Commandeur der Avantgarden -Artillerie befindet sich
mit seinem Adjutanten, den Meldereitern und dem vom Führer der
zweiten Staffel der Avantgarden -Artillerie zu ihm kommandierten
Unteroffizier währeud des Marsches im Stabe des Commandeurs der
Avantgarde. Gemäfs Ziffer 217, Teil I der Felddienst-Ordnung ist
die Artillerie in der Marschkolonne so weit vorzunehmen, als ihre
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Der Einflufs des rauchschwachen Pulvers u. s. w.
57
Sicherheit es erlaubt. Diese Rücksicbtuahme bedingt, dafe die
Avantgarden -Artillerie stets im Haupttrupp, und auch hier erst
hinter dem Teten-Bataillon marschiert. Folgt die Artillerie erst am
Schlüsse der im Haupttrupp der Avantgarde befindlichen Infanterie-
Bataillone, so hat sie ein ganzes Infanterie- Regiment (3 Bataillone)
vor sich und ist 400 m weiter von der Tete der Avantgarde ent-
fernt. Diese etwas gröfsere Entfernung würde einige Minuten mehr
Zeit gewähren, die Feuerstellung und den zweckentsprechendsten
Anmarsch in dieselbe zu ermitteln. Ferner würde dadurch die
Avantgarden -Artillerie mehr davor gesichert sein, dafe sie, ehe sie
aus der Marschkolonne nach ihrer Feuerstellung abgezweigt werden
kann, nutzlos und wehrlos der Sicht eines bereits entwickelten
Feindes und dem Feuer desselben bloßgestellt werde. Übereiltes
Vornehmen der Artillerie, in eine, nicht durch die eigene Infanterie
oder doch weit ausgeholte Beobachtung der eigenen Kavallerie, vor
überraschendem feindlichen Infanterie-Feuer aus wirksamer Ent-
fernung (1500 m) gesicherte Feuerstellung, wird in Zukuuft noch
mehr wie seither, namentlich danu vermieden werden müssen, wenn
die Feuerstellung der Sicht des Feindes nicht entzogen ist. — Durch
das Folgen der Avantgarde -Artillerie am Schlüsse der Infanterie
des Haupttrupps wird zudem deren Eintreffen in der Feuerstellung
kaum verzögert werden, da, sobald die letztere und der Anmarsch
in dieselbe ermittelt ist, die Artillerie wohl immer im Trabe dahin
vorrücken kann.
d) Bei einem auf einer Strafsc marschierenden Armee-Corps ist
dessen Avantgarde in der Regel eine Abteilung ä 3 Batterien zu-
geteilt. Im Vortrupp einer so starken Avantgarde werden nicht
1, sondern 2 Bataillone Infanterie eingeteilt sein. Daher wird es
hier, namentlich in denjenigen Fällen, in welchen der Avantgarde
ein oder beide Kavallerie- Regimenter des Armee- Corps zugeteilt
sind, und die Masse dieser Kavallerie über die Avantgarde hinaus
vorgetrieben ist, entschieden vorzuziehen sein, die im Haupttrupp
der Avantgarde marschierende Artillerie, wie seither, hinter dem
Teten-Bataillon, mithin ebenfalls mit einem Iufanterie-Regiment vor
sich, statt erst am Schlüsse der Infanterie des Haupttrupps folgen
zu lassen. Das Letztere würde gleichbedeutend mit einer um etwa
1200 m grösseren Entfernung der Artillerie von der Tete der Avant-
garde sein, und könnte dadurch das, insbesondere beim Begegnungs-
gefecht so sehr erwünschte Gewinnen des Vorsprungs im Auf-
marsche verloren gehen.
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Der Einflufs des raachsch wachen Pulten« u. 8. w.
e) Für die im Gros der Marschkolonne marschierende Divisions-
Artillerie empfiehlt sich, wie seither, das Folgen hinter dem Teten-
Bataillon, spätestens Teten-Regiment des Gros. Bezüglich der Ein-
teilung des Corps- Artillerie -Regiments auf dem Marsche bleiben
ebenfalls die zur Zeit bestehenden Grundsätze in Kraft. Das Corps-
Artillerie-Regiment wird mithin spätestens am Schlüsse der Teten-
Division, wenn nicht bereits vor dem letzten Infanterie-Regiment
derselben folgen. Dagegen würde es sich beim Marsche des Armee-
Corps auf einer Strafse empfehlen, das Divisions-Artillerie-Regiment
der rückwärts marschierenden Infanterie- Division nicht hinter dem
Teten-Bataillon dieser, sondern bereits vor demselben, mithin der
voraus befindlichen Division und deren Artillerie, sowie dem Corps-
Artillerie-Regiment so nahe als möglich folgen zu lassen. — Beim
Vormarsch eines Armee-Corps auf zwei Strafsen wird das Corps-
Artillerie- Regiment in der Regel in der Marschkolonne, bei welcher
sich der kommandierende General, mithin der Commandeur der
Feld -Artillerie -Brigade befindet, eingeteilt sein. Dieses schliefst
nicht aus, dafs auch jeder Marschkolonne je eine Abteilung des
Corp8-Artillerie-Regiraents zugeteilt werde. Der Commandeur des
letzteren wird sich dann bei der Abteilung seines Regiments be-
finden, mit welcher der Commandeur der Feld -Artillerie- Brigade
marschiert. Die andere Abteilung des Corps-Artillerie-Regiments
tritt, bis zur Wiedervereinigung mit ihrem Regiment, unter den
Befehl des Commandeurs des Divisions -Artillerie -Regiments der
Marschkolonne, welcher sie zugeteilt ist.
f) Für die abteilungsweise zusammengezogeneu zweiten Wageu-
staffeln der Batterien empfiehlt sich, wie bisher, das Folgen un-
mittelbar au der Queue der selbstständig formierten Verbände.
Mithin werden auch in Zukunft die zweiten Wagenstaffeln der in
der Avantgarde eingeteilten Artillerie unmittelbar am Schlüsse der
Gefechtstruppen der Avantgarde, jene der im Gros marschierenden
am Schlüsse der Gefechtstruppen ihrer Division, jene der Corps-
Artillerie am Schlüsse ihrer letzten Gefechts-Batterie marschieren.
3. Bereits seither war besonderer Wert darauf zu legen, dafs
sich die Artillerie dem Feinde erst durch die Eröffnung ihres Feuers
bemerkbar mache. Uni die Überlegenheit im Kampfe mit der
feindlichen Artillerie zu gewinnen, ist jetzt entschiedener
wünschenswert geworden, die Geschütze der Sicht des Feindes
nicht mehr bloßzustellen, als dieses für deren Wirkung gegen das
zu beschiefsende Ziel unbedingt nötig ist. Die vorteilhaftesten
Feuerstellungen sind jetzt, mehr wie bisher, diejenigen hinter dem
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Per Einfloß des raachachwachen Palvers u. s. w.
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Kamm von Anhöhen, so dafs die Mündungen der Geschütze den-
selben noch eben überragen (Ziffer 275 d. F.-Art.-E.-Regl.) Ohne
zwingende Gründe wird also die Artillerie ihre Feuerstellung nicht
auf den Kämmen oder gar auf gegen den Feind abfallenden, dessen
Sicht ausgesetzten Abhängen nehmen. Die Aufstellung in unmittel-
barer Nähe von besonders hervortretenden Gegenstanden, ins-
besondere dicht vor denselben, mufs mehr wie seither vermieden
werden.
a) Bei Herstelleng von Geschütz-Einschnitten, überhaupt allen
Erdarbeiten zum Schutz gegen feindliches Feuer, wird besonders
darauf geachtet werden müssen, da(s sich dieselben von dem um-
gebenden Gelände nicht in auffallender Weise abheben. Dieses
kann nur erreicht werden, wenn sich der Einschnitt ohne zu
grofeen Zeitaufwand so herstellen läfst, dafs die Müudungen der
Geschütze den natürlichen Boden noch eben überragen, und die aus-
gehobene Erde nicht zum Verräter der Feuerstellung wird. Aus
diesem Grunde empfiehlt es sich, die ausgeschachtete Erde an einer
der Sicht des Feindes entzogenen Stelle oder, wenn sich dieses
nicht ermöglichen läfst, in gröfserer Entfernung von der Feuer-
stellung zu lagern. Der Sicht des Feindes sich bomerklich
machende Geschütz-Einschneiduugen u. s. w. würden dem
Feinde die Beobachtung seiner Schüsse wesentlich er-
leichtern, und daher dem Feinde leicht mehr als uns von Vorteil
sein können.
b) Die Zwischenräume der Geschütze einer Batterie müssen,
innerhalb der Grenzen von 10 bis 30, höchstens 40 Schritten, mit
der Mafsgabe genommen werden, dafs die Geschütze, soweit sich
dieses ohne Beeinträchtigung der Wirkung ermöglichen läfst, der
Sicht des- Feindes entzogen sind. Ein derartiges Anschmiegen
der Artillerie an das Gelände mufs bis zur höchsten Fertigkeit ge-
bracht werden. Dieses, dann die vor Allem gebotene rasche Er-
mittelung eines in gesicherter Verbindung mit der Feuerstellung
befindlichen Punktes, von welchem aus ein ausgedehnter Überblick,
jedenfalls aber die Sicht des zu bekämpfenden Ziels, ermöglicht ist,
erfordert viele Übungen im wechselnden Gelände. Aus diesem
Grunde, sowie durch die nicht minder gebotene Ausbildung der
Offiziere, insbesondere der Adjutanten und Meldereiter, in zweck-
entsprechendster, die Aufmerksamkeit des Feindes nicht erregender
Erkundung des Anmarsches und Eindickens in die Feuerstellung,
sind Feld-Artillerie-übungsreisen, (deren grofser Wert bereits
im März- und September-Hefte 1889, in dem Aufsatze: »Zur Aus-
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Der Kinflufs des rauchschwachen Pulvers u. s. w.
bildung der Feld - Artillerie« hervorgehoben wurde) noch mehr ein
unabweisbares Bedürfnis geworden.
4. Feuerstellungen, in welchen die Geschütze der Sicht des
Feindes entzogen aufgestellt werden können, sind nur dann zulässig,
wenn von einem in gesicherter Verbindung mit ihnen befindlichen
Punkte aus ein freier Überblick, jedenfalls aber die Sicht des zu
bekämpfenden Ziels, ermöglicht ist. Feuerstellungen, welche diesen
beiden Bedingungen entsprechen, gewähren den doppelten Vorteil,
dafs sie dem Feinde nicht mehr durch den eigenen Pulverrauch ver-
raten werden und andererseits die Beobachtung der eigenen Wir-
kung nicht mehr durch den starken Pulverrauch des Ziels erschwert
wird. Die Folgerung, dafs deswegen der Angriff gegen eine, das
Vor-Gelände weithin überblickende, selbst aber wenig sichtbare Ver-
teidigungs-Stellung noch schwieriger werde, liegt nahe. Aber auch
in Zukunft wird beim Angriff grundsätzlich zwischen dem Begegnungs-
gefecht und dem Angriff auf einen bereits entwickelten Feind unter-
schieden werden müssen. Beim Begegnungsgefecht, im Bewegungs-
kriege so häufig , wird wie seither , derjenige der beiden
Gegner Aussicht auf Erfolg haben , dem es gelingt , die
feindliche Artillerie niederzuhalten. Auf Letzteres wird aber, aufser
der Zahl der in Thätigkeit gebrachten Artillerie, noch mehr wie
bisher von Einflute sein, welche der beiden Artillerien, bei Wahl
und Besetzung ihrer Feuerstellungen, in der Benützung des Ge-
ländes, mit Rücksicht auf Wirkung und Deckung begünstigter und
gewandter war. Auch beim Angriff auf eine entwickelte und vor-
bereitete Verteidigungsfront (der nur dann Aussicht auf Erfolg hat,
wenn die Herbeiführung der Feuerüberlegenheit gelingt, und zwar
zunächst diejenige der Artillerie) wird es darauf ankommen, eiue der
Verteidigung überlegene Zahl von Batterien in Feuerstellungen zu
bringen, welche bezüglich Wirkung und Deckung entsprechen.
ad III. Die taktischen Aufgaben, welche die Feld-
Artillerie im Gefecht zu erfüllen hat, werden auch nach
Einführung des rauchschwachen Pulvers dieselben bleiben.
Niederkämpfung der feindlichen Artillerie, deren Vorbereitung und
Unterstützung des Angriffs der eigenen Infanterie durch Beschiefsung
des anzugreifenden Teils der feindlichen Stellung, beziehungsweise
Abwehr des gegen uns gerichteten Angriffs der feindlichen Infanterie,
werden sicher nicht weniger nötig und wichtig — wie seither sein. Die
Erfüllung dieser Aufgaben wird jedoch wesentlich sch werer, wenn der
Gegner, mit rauchschwachem Pulver, aus dem Gesichtskreise unserer Ge-
schütze entzogenen Feuerstellungen thätig ist. Das Erkennen der
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Der Einflnfc des rauchschwachen Palvers o. s. w.
Gl
feindlichen Artillerie, ihrer Verteilung, ihrer Zahl wird nicht mehr
durch deren eigenen Pulverrauch erleichtert. Da beide Gegner be-
strebt sein werden, ihre Geschütze der Sicht thunlichst zu ent-
ziehen, wird das Schielsen, aus verdeckter Stellung gegen eine in
verdeckter Stellung befindliche Artillerie, voraussichtlich häufiger
wie früher vorkommen. Dieses wird jedoch stets nur unter der be-
reits ad II mehrfach hervorgehobenen Bedingung zulässig sein, dafs
die Beobachtung des zu bekämpfenden Ziels, wenn auch nicht von
der Feuerstellung selbst, so doch von einem hierzu geeigneten
Übersichtspunkte aus ermöglicht ist. Im Nachfolgenden sollen zu-
nächst die Mittel erwogen werden, deren Anwendung über die in
Zukunft dem Schiefsen sich entgegenstellenden gröfseren
Schwierigkeiten hiuweghelfen kann. Alles hier und in der
Folge bezüglich der feindlichen Artillerie erwähnte gilt mehr oder
minder auch bezüglich der Bekämpfung feindlicher Infanterie, welche
durch ihre Aufstellung der Sicht mehr oder weniger entzogen ist.
Die von der Feuerstellung aus sichtbaren, als Hülfsziele
geeigneten Punkte oder Linien, bei welchen oder in deren Nähe
feindliche Artillerie Aufstellung genommen hat, gewiunen, wenn
letztere von unseren Geschützen aus nicht sichtbar ist, die höchste
Wichtigkeit. Diese Hülfsziele, sowie ihre Lage, in Bezug auf die
zu bekämpfende, sich — günstigen Falls — nur durch schwach
sichtbar werdende, rasch verschwindende Rauchwolken, oder Feuer-
strahlen ihrer Schüsse, von der Umgebung abhebende Batterie,
müssen besonders ins Ange gefafst werden. Dieses kann aber, so-
bald die eigene Artillerie ihre Feuerstellnng eingenommen hat, nicht
mehr von der aufklärenden Kavallerie und auch nicht allein von
den die Feuerstellung ermittelt habenden Artillerie-Führern verlangt
werden. Diese fortgesetzte Beobachtung ist unbedingt Aufgabe der
in ihrer Feuerstellung eingetroffenen Batterien.
1. Jede Batterie mufs daher das zu bekämpfende Ziel in diesem
Sinne selbst heobachten. Bei jenen Batterien, bei welchen der
Batterie-Führer von seinem Aufstellungspunkte aus die zu bekämpfende
Batterie erblicken kann, wird sich die Beobachtung in ähnlicher
Weise wie seither, ja sogar, des wegfallenden starken feindlichen
Pulverrauches wegen, leichter bethätigen lassen; es wird dann nur
die Ansführuug des Richtens für diejenigen Geschütze schwieriger
werden, welchen der Anblick der feindlichen Geschütze entzogen ist.
Das Richten in diesen Fällen ist in der Anleitung zur Ausbildung
der Rieht- Kanoniere der Feld-Artillerie vom Jahre 1887 bereits vor-
gesehen. Ist durch die Meldungen der aufklärenden Kavallerie oder
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Der EinflufB des rauchschwachen Pulvere u. s. w.
durch eigene Wahrnehmung eine Stelle im Gelände bekannt ge-
worden, in deren Nähe die zu bekämpfende Batterie Aufstellung ge-
nommen hat, so wird diese Stelle, namentlich dann, wenn sie von
den diesseitigen Geschützen aus sichtbar ist, mit Vorteil als Hülfs-
ziel für die Richtung der Geschütze — wenigstens die Seiten-
richtung — bestimmt werden können. Es ist jedoch unbedingt
nötig, dafs die als Hülfsziel gewählte Stelle nicht verdeckt werden,
sondern stets wieder aufgefunden werden kann. Das Hülfsziel wird
um so besser entsprechen, je schärfer es sich gegen den Hintergrand
abhebt und je näher es dem zu bekämpfenden Ziele liegt.
Ist es aber auch dem Batterieführer von seinem Aufstellungs-
punkte aus nicht möglich, die zu bekämpfende Batterie, oder
wenigstens die schwach sichtbaren und rasch verschwindenden Rauch-
wolken oder Feuerstrahlen beobachten zu können, so kann der
Batterie- Führer, auf Grund eigener Beobachtung, nur die Entfernung
nach der Stelle im Gelände, in deren Nähe die zu bekämpfende
Batterie Aufstellung genommen hat, ermitteln. Um die feindliche
Batterie wirksam zu bekämpfen, ist es dann unbedingt nötig, dafs
bereits beim Ermitteln der Feuerstellung ein in gesicherter Ver-
bindung mit dieser befindlicher Übersichtspunkt, oder ein Gegen-
stand,*) von welchem aus die Übersicht gewonnen werden kaun, er-
kannt worden ist. Von diesem Übersichtspunkte aus mufs dann der
Batterie-Führer die Beobachtungen durch einen Offizier oder geeigneten
Meldereiter bethätigen lassen.
Erste Aufgabe des jedenfalls mit Fernglas ausgerüsteten
Beobachters ist es, die Entfernungen zu erkennet, in welchen die
zu bekämpfende Batterie: »rückwärts oder vorwärts und seitwärts«
der als Zielpunkt bestimmten und auch ihm bekannt gegebenen
Geländestelle beziehungsweise der vorerst gegen dieses Hülfsziel ge-
richteten Schüsse der eigenen Batterie liegt. Das Ergebnis dieser
Beobachtungen muls dem Batterie-Führer, wenn sich unmittelbare
Berichterstattung vermittelst des Telegraphen**) nicht ermöglichen
lassen sollte, durch den zweiten Meldereiter übermittelt werden.
*) Baum u. s. w. — Es wurde bereits von auderer Seite vorgeschlagen, bei
jeder Batterie eine zusammenlegbare Leiter oder Steigleiter von Eisen mitzufuhren.
**) Das vielfach eingeführte Buchholz'sche Vorpostenkabel oder das, von der
Firma Mix & Genest in Berlin versuchte , mit dem Mikrophon verbundene
Telephon. Bei Anwendung des Letzteren möfste der Beobachter mit dem zum
Umhängen eingerichteten, einschließlich Trockenbatterie, Mikrophon, und Telephon
etwa 3 kg schweren Apparatkasten ausgerüstet sein, um durch die etwa 3 bis
4 km lauge Leitschnur in stetem Verkehr mit seinem Batterie -Führer bleiben zu
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Der Eiuflufa des rauchschwachen Pulvers u. ». w.
G3
Der Batterieführer kann dann, mit Berücksichtigung der Entfernung,
um welche die feindliche Batterie rückwärts oder vorwärts des Ziel-
punktes und der seither gegen diesen abgegebenen Schüsse von dem
Beobachter erkannt wurde, seine Batterie nach der bisherigen Ziel-
Gelände-) Stelle richten lassen. Auch einem nicht zu beträcht-
lichen seitlichen Abstände, in welchem sich die feindliche Batterie
von diesem Zielpunkte befindet, kann durch entsprechende Seiten-
verschiebung Rechnung getragen werden. — Nachdem der Beobachter
von diesen Verfügungen des Batterie- Führers Mitteilung erhalten
hat, ist es seine Aufgabe, zu erkennen, ob die Batterie richtig nach
einem Geschütze der feindlichen Batterie und welchem eingeschossen
ist, oder um welches Mafs nach Seite und Länge noch abweichend.
Hiervon, und von dem Verhältnisse (Zwischenraum u. s. w.), in
welchem der Beobachter inzwischen die übrigen Geschütze der feind-
lichen Batterie zu demjenigen, auf welches sich seine Beobachtungen
beziehen, erkannte, mufs dem Batterie- Führer natürlich Kenntnis
gegeben werden. Letzterem wird dadurch ermöglicht, das Feuer
seiner Batterie nicht nur bezüglich der Entfernung berichtigen, son-
dern auch auf die gesamte feindliche Batterie thunlichst zutreffend
verteilen zu können. — Um jedoch die Feuerverteilung gegen eine
von der Feuerstellung aus nicht sichtbare und durch ihren Pulver-
rauch wenig bemerkbare feindliche Batterie bethätigen zu können,
erscheint es geboten, dafs der hintere Rand des Schlitzes des in dem
oberen Ende der Aufsatzstange festgelötheten Visierstückes vom
Nullstrich aus nach beiden Seiten in möglichst viele Teilstriche
(Sechzehntel -Grade) eingeteilt werden kann, also das Visierstück
des Aufsatzes thunlichst verlängert wird. Nachdem aber, bei
dem zur Zeit bestehenden Aufsatz das Visierstück nicht
wohl wesentlich verlängert werden kann, wird der Wunsch
nahe gelegt, es möchte, aufeer dem seitherigen Aufsatz und Richt-
bogen, noch ein eigenes Seitenrichtungsmittel vorhanden sein,
welches eine gröfsere Verlegung der Schüsse nach der Seite, mit
Berücksichtigung der bekannten Gedächtnisregel: »ein Teilstrich der
Seitenverschiebung verlegt den Treffpunkt nach der Seite um '/ low
der Entfernung des Zielpunktest — ermöglicht.
2. Treten die Batterien im Abteilungs- Verbände in den Kampf,
so wird der Abteilungs -Commandeur deren Feuer wie seither, also
können. Ob dieser Verkehr zwischen dem Beobachter und dem Batterieführer,
oder einem in unmittelbarer Nähe des letzteren befindlichen Trompeter, überhaupt
befriedigend ausführbar ist, mfifste erprobt uud dann , selbst im günstigsten
Falle, immer noch erwogen werden, ob auch im Ernstfälle darauf gehofft werden kann.
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Der Einflute des rauchschwachen Pulvers a. s. w.
möglichst mit Aufrechterhaltuug der Selbstständigkeit der Batterie-
Führer leiten. Gleichzeitiges Einschiefsen mehrerer Batterien gegen
dasselbe Ziel ist nur dann angezeigt, wenn die Schüsse der einzelnen
Batterien zuverlässig in der Beobachtung auseinander gehalten wer-
den können. Die Entfernung nach ein und derselben feindlichen
Batterie läfst sich also im günstigsten Falle nur durch zwei dies-
seitige Batterien gleichzeitig ermitteln. Ist nur eine der feindlichen
Batterien von der Feuerstellung aus sichtbar, so mufs jedenfalls der
dritten diesseitigen Batterie — ist keine der feindlichen Batterien
sichtbar, jeder Batterie — eine von ihrer Feuerstellung aus min-
destens dem Batterie-Führer sichtbare Geländestelle, in deren Nähe
die Aufstellung feindlicher Artillerie bekannt geworden ist, als Ziel-
punkt zugewiesen werden. — Seine eigene Aufstellung wird der
Abteilungs-Commandeur, wenn sich in Nähe der Feuerstellung ein
Punkt darbietet, welcher Überblick Über die zu bekämpfenden feind-
lichen Batterien ermöglicht, auf diesem nehmen. Läfst sich dieser nur
von in größerer Entfernung gelegenen Punkten aus gewinnen, so
müssen diese schon bei Einnahme der Feuerstellung den Batterie-
Führern bekaunt gegebeu werden, damit letztere ihre Beobachter
dort aufstellen und dadurch das Einschiefsen ihrer Batterie ermög-
lichen. Dem Abteilungs-Commandeur stehen als seitliche Beobachter
seine Meldereiter zur Verfügung. Die Ausrüstung dieser, überhaupt
aller Meldereiter mit Ferngläsern und, wenn sich telegraphische Ver-
bindung ausführbar erweisen sollte, auch mit den hierfür erforderlichen
Mitteln, ist wünschenswert. — Bis die unterhabenden Batterien die Ent-
fernung nach dem ihnen zugewiesenen Ziele ermittelt und nach er-
folgter Gabelbildung die Gabelgrenzen*) dem Abteilungs-Commandeur
auf vorbereiteter Meldekarte gemeldet haben, niufs dieser sich
schlüssig machen, welche der zu bekämpfenden Batterien vor allem
zu bewältigen ist. Gegen diese kaun dann, während die Batterie,
welche die Entfernung ermittelte, unter Feuerverteilung auf die
ganze feindliche Batterie zum Schrapnelfeuer übergegangen ist, eine
zweite Batterie, sobald sie die ihr mitgeteilte Entfernung berichtigt
hat, ihr Grauatfeuer verteilen.**) Ist für letztere Batterie die
Beobachtung nach dem ihr zugewiesenen Ziele, von der Feuer-
*) Hierbei raufa besonders hervorgehoben werden, ob es nur gelangen ist, die
Gabelgrenzen nach der als Zielpunkt angewiesenen Geländestelle, oder, nach der
in deren Nähe aufgestellten feindlichen Batterie selbst, zu ermitteln.
**) Auch kann es sich empfehlen, beide Batterien mit Schrapnels und dann
jede gegen die ihr entsprechend gegenüber befindliche Hälfte der feindlichen
Batterie feuern zu lassen.
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Der Einfluts des ranchschwachen Pulvers u. s. w.
65
Stellung beziehungsweise dem bisher von ihrem Beobachter einge-
nommenen Aufstellungspunkte aus nicht möglich, so muXs sich deren
Beobachter nach dem Punkte begeben, von welchem aus die das-
selbe Ziel schon seither bekämpfende Batterie ihre Schüsse beobachten
lalst. Nachdem die mit Übermacht bekämpfte feindliche Batterie
fiberwältigt ist, kann die seither nur mit einer Batterie niederge-
haltene nächst wichtige feindliche Batterie mit zwei Batterien, und
aufserdem eine bisher nicht beachtete feindliche Batterie mit einer
Batterie bekämpft werden.
3. Tritt ein Regiment in den Feuerkampf, so wird der Regi-
ments-Commandeur jeder seiner Abteilungen den zu bekämpfenden
Teil der feindlichen Artillerie und zwar jeder den ihr gegenüber
befindlichen zuweisen. Die Abgrenzung empfiehlt sich, mit Be-
nutzung leicht erkennbarer Gelände- Merkmale, in der Weise, dais
der Teil der feindlichen Artillerie, dessen Überwältigung vor Allem
geboten erscheint, mit Übermacht bekämpft werden kann. Unter
Umständen kann es sich empfehlen, den wenigst wichtigen Teil der
feindlichen Artillerie vorerst ganz unberücksichtigt zu lassen, um die
hauptsächlich in Betracht kommende feindliche Artillerie desto
kräftiger bekämpfen zu köuuen. — Der Regimen ts-Commandeur
muJCs bestrebt sein, sich Kenntnis der von seinen Abteilungen er-
zielten Wirkung zu verschaffen. Zu diesem Zweck Btehen ihm,
wenn sich erst in grüfserer Entfernung vom Regiment ein Über-
sichtspunkt bietet, seine Meldereiter zur Verfügung. —
Ist es einer Abteilung des Regiments geglückt, den ihr zur
Bekämpfung zugewiesenen Teil der feindlichen Artillerie zu über-
wältigen, so niufs der Regiments - Commandeur die zweckent-
sprechendste Anordnung für die weitere Bekämpfung der noch
thätigen feindlichen Artillerie treffen. Von den Verhältnissen wird
es abhängen, ob nun vorteilhafter wieder jeder Abteilung des
Regiments der ihr entsprechend gegenüber befindliche Teil zuzu-
weisen ist, oder ob es sich empfiehlt, die Abteilung, welche ihre
Aufgabe erfüllt hat, mit schrägem (kreuzendem) Feuer gegen die
noch nicht niedergekämpften feindlichen Batterien zu beauftragen.
Im letzteren Falle wird der Commandeur der Abteilung, welche
unterstützt werden soll, dem Commandeur der Abteilung, welche
diese Unterstützung zu gewähren hat, mitteilen müssen, gegen
welche feindliche Batterien dieses kreuzende Feuer erwünscht ist,
ferner, mit wie vielen Batterien jede der feindlichen Batterien zur
Zeit schon beschossen wird, und mit welcher Geschofsart, sowie,
welche Entfernung gegen jede derselben und ohne oder wie vielen
Jthrbficbar für di. D.uUcb» kirnt« und Maria«. Bd. LXXVI . 1. 5
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66
Der Einflute des rauchsch wachen Pulvers u. 8. w.
Aufsatzplatte u, ermittelt wurde. Ist eine der feindlichen Batterien
von der Feuerstellung aus nicht sichtbar, so mufs auch das Nötige
über deren Lage, in Bezug auf eine — bei den Abteilungen sicht-
bare — Geländestelle, sowie der Funkt, von welchem aus die in
Rede stehende feindliche Batterie überblickt werden kann, mit-
geteilt werden.
4. Tritt mehr als ein Regiment in den Feuerkampf, so wird
der Brigade-Commandeur, ist dieser nicht zur Stelle der älteste
Regiments-Conimandeur, jedem Regiment den entsprechend gegen-
über befindlichen Teil der feiudlicheu Artillerie zur Bekämpfung
zuweisen. Auch hier empfiehlt sich Abgrenzung nach leicht er-
kennbaren Gelände-Merkmalen, in der Weise, dafs der Teil, dessen
Überwältigung vor Allem geboten erseheint, mit Übermacht be-
kämpft werden kann. Die Regimen ts-Comniand»'ure grenzen den,
ihrem Regiment zugewiesenen Teil entsprechend für ihre Abteilungen
ab. — Da es dem Brigade-Commandeur noch weniger als den
Roginients-Goinmaudeuren möglich ist, von seinem Aufstellungs-
punkte ans die Wirkung der unterhabenden Regimenter zu über-
blicken, mufs er besonders Sorge tragen, mit Hülfe seiner Adjutanten
und Meldereiter, Kenntnis bezüglich der Wirkung der Regimenter
zu gewinnen. — ist es einem Regiment geglückt, den ihm zur
Bekämpfung zugewiesenen Teil der feindlichen Artillerie zu über-
wältigen, so wird der Brigade- Gommandeur, durch das Feuer dieses
Regiments vor Ali«>m demjenigen Regiment Unterstützung ge-
währen, das derselben bedarf. Die hierdurch bedingt werdeudeu
Thätigkeiten sind bereits ad III. 3 betrachtet worden.
ad IV. Der Wechsel der Feuerstellung unterbricht
nicht nur die Feuerthätigkeit gegen den Feind, sondern
giebt, wenu sich der Stellungswechsel der Sicht des Feiudes nicht
entziehen läfst, der in Stellung befindlichen feindlichen
Artillerie auch die Möglichkeit der wesentlich erleichter-
ten Beobachtung ihrer Schüsse, was dereu Wirksamkeit zu
Gute kommen kann. Aus diesem Grunde wird es sich, abgesehen
von den Fällen, in welchen die allgemeine taktische Lage die rasche
Einnahme einer undereu Feuerstelluug gebieterisch fordert, weniger
darum handeln, die ueuo Feuerstellung bald und sehneil, als un-
eingesehen vom Feinde zu erreichen und zu besetzen. Nicht der
nächste Weg in die neue Feuerstellung, sondern der dem Anblicke
des Feindes entzogenere, wenn auch der weitere, wird sich dann
empfehlen. — Die Entfernung, auf welcher der Kampf mit der
feindlichen Artillerie am wirksamsten geführt w nlen kann, wird
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Der Einflute des rauchschwachen Pulvere u. a. w.
67
auch in Zukunft die von etwa 2000 ra, nicht über 2500 m, sein.
Lädst es sich ermöglichen, in dieser Entfernung die erste Feuer-
stellung, der Sicht des Feindes und dem wirksamen Bereiche des
feindlichen Gewehrfeuers entzogen, einnehmen zu können, so mufs
dieses nicht minder wie seither geschehen. Die Rücksichtnahme
darauf, dafs die erste Feuerstellung aufserhalb des wirk-
samen feindlichen Gewehrfeuers, mithin etwa 1500m von
feindlichen Iufanterie -Abteilungen entfernt liegt, ist viel wich-
tiger als die, einen späteren Stellungswechsel der Ar-
tillerie zu vermeiden. Die Artillerie kaun die Niederkämpfung
der feindlichen Artillerie nur dann mit Aussicht auf Erfolg be-
thätigen, wenn sie durch ihre Entfernung von der feindlichen
Infanterie gegen Verluste durch Gewehrfeuer gesichert und nicht
genötigt ist, sich der feindliehen Infanterie zu erwehren, statt die
feindliche Artillerie mit ganzer Kraft zu bekämpfen. Dieses, und
der Umstand, dafs namentlich bei einem Begegnungs-Gefecht bei
Einleitung des Kampfes (Auffahren der Artillerie) noch nicht der
endgültige Eutschlufs gefafst sein kann, gegen welchen Teil des selbst
noch im Aufmarsch begriffenen Gegners der Hauptangriff mit der
Infanterie gerichtet werden kann, werden voraussichtlich öfter wie
seither nötigen, die Artillerie ihre erste Feuerstellung nicht auf etwa
2000 in höchstens 2500 m Kntfernung von der feindlichen Artillerie,
sondern auf gröfserer Entfernung von dieser, bis zu 3500 m, unter
Umständen noeb weiter entfernt, nehmen zu lassen.
1. Den Befehl zum Vorgehen in die nähere, für den Eut-
scheiduugskampf mit der feindlichen Artillerie geeignetere Feuer-
stellung, wird «iie Gefeehteleitung erst erteilen können, nachdem sie
die Ausdehnung der feindlichen Hauptstellung erkannt hat und es
gelungen ist, die über diese vorgeschobene feindliche Infanterie so
weit zurück zu drängen, dafs die neue Feuerstellung sich aufserhalb
deren wirksamen Gewehrfeuers (etwa 1500 m) befindet Aufserdem
mufs sich die Gefechtsleitung bis dahin schlüssig gemacht und ihrem
obersten Artillerie-Führer angegeben haben, gegen welchen Teil der
feindlichen Stellung der Hauptangritt" der Infanterie gerichtet wird.
So weit es sich mit der vor Allem zu bethätigenden Niederkämpfung
der feindlichen Artillerie vereinbaren läfst, kann dann die Artillerie
ihre neue Feuerstellung gleich so einnehmen, dafs sie, von derselben
aus, nach Erfülluug ihrer ersten Hauptaufgabe, auch den Angriff der
Infanterie, durch Beschiefsung des von dieser anzugreifenden Teiles
der feindlichen Stellung mit der thunlichst gröfsten Zahl ihrer Ge-
schütze, entsprechend vorbereiten, also auch ihre zweite Ilaupt-
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Der Einflute des rauchschwachen Pulver« u. s. w,
aufgäbe erfüllen kann. Vorteilhaft ist es, die Beschießung
der AngrifF88telle aus seitlicher Richtung erfolgen kann (Ex.-Regl.
f. d. F. -Art. Ziffer 323). — Die zweckentsprechendste Leitung des
Vorgehens in die neue Feuerstellung und Besetzung dieser ist Sache
des obersten Artillerie-Führers, mithin bei einer selbstständig
kämpfenden Infanterie-Division des Commandeurs des Artillerie-
Regiments, beim Armee-Corps des Brigade-Commandeurs der Ar-
tillerie. Letzterer mufs hierbei Sorge tragen, dafe, in der neuen
Feuerstellung, die Divisions-Artillerie-Regimenter auf dem ihrer
Infanterie-Division näher gelegenen Flügel zu stehen kommen. —
Über die Bekämpfung der feindlichen Artillerie aus der neuen
Feuerstellung und die hierauf bezügliche Thätigkeit der Artillerie
und ihrer Führer bleibt dem bereits ad III. Erwähnten nichts
Wesentliches beizufügen.
2. Ehe die feindliche Artillerie niedergekämpft oder wenigstens
gedämpft ist, wird es sich nicht empfehlen, die Infanterie ihren
Hauptangriff beginnen zu lassen. Um der Infanterie ihre schwere
Aufgabe zu erleichtern, wird außerdem wie seither spätestens vom
Beginn des Hauptangriffs ab geboten sein, dafe ein thunlichst grofser
Teil der Artillerie sein Feuer gegen den anzugreifenden Teil der
feindlichen Stellung (Einbruchstelle) richtet. Den Zeitpunkt, von
welchem ab dieses zu geschehen hat, bestimmt die Gefechtsleitung.
Welche Aufgaben hierbei an die Artillerie herantreten und in welcher
Weise diese durch ihr Feuer den Hauptangriff der Infanterie vor-
bereiten und fördern kann, wurde im Juni-Hefte 1888 dieser Zeit-
schrift, rücksichtlich des im Verbände einer selbstständig kämpfenden
Infanterie-Division befindlichen Divisions -Artillerie-Regiments, und
im Februar-März-Hefte 1889 in dem Aufsatze: »Zur Ausbildung der
Feld -Artillerie« eingehend betrachtet. Durch die inzwischen er-
folgte Annahme eines rauchschwachen Pulvers kann sich hierin nur
ändern, dafs, in wenig übersichtlichem Gelände, das Erkennen der
Ortlich keiten, wo, und der Zeitpunkte, in welchen der feindliche
Widerstand besonders kräftig, also hauptsächlich niederzukämpfen
ist, noch schwerer wird. In übersichtlichem Gelände wird dagegen
die Schwierigkeit, eine vom feindlichen Feuer beherrschte Fläche
zu durchschreiten, durch den Wegfall der die eigene Thätigkeit
verschleiernden Rauchwolken, wesentlich gesteigert werden. Über
diese gröfsere Schwierigkeit kann, aufser den Mitteln, welche
die Exerzier-Reglements der Infanterie und Feld -Artillerie bereits
angeben, nur das wirksame Feuer der in Feuerstellung be-
findlichen Artillerie hinweghelfen. Bevor die Infanterie eine
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Der Einflute des ranchschwachen Pulvere u. b. w.
69
vom Feinde eingesehene und beherrschte Fläche betritt, müssen die
feindlichen Abteilungen, welche mit ihrem Feuer diese Fläche be-
herrschen, von der diesseitigen Artillerie niedergekämpft werden.
Nachdem in Zukunft nicht mehr starke Rauchwolken über die
Stellungen und Thätigkeiten von Freund und Feind orientieren,
müssen die Artillerie-Führer aller Grade bestrebt sein, durch ver-
mehrte Beobachtungen, sich die ihnen notige Kenntnis über den
Gang und Verlauf des Infanterie-Angriffs zu sichern. Auch eine
gesteigerte Verbindung — wechselseitige Benachrichtigung — zwischen
der Artillerie und der den Angriff ausführenden Infanterie, ver-
mittelst der Adjutanten und Meldereiter der leitenden Artillerie-
Führer, wird, namentlich in nicht sehr übersichtlichem Gelände,
nötig sein. Diese vermehrten Beobachtungs- und Benachrichtigungs-
Bedürfnisse werden sich auch dahin zu erstrecken haben, ob nicht
der Gegner, trotzdem er sich im Artillerie-Kampfe überwältigt
ergab, bevor dieses von uns wirklich erreicht war, freiwillig
Batterien schweigen liefs, um sie ungeschwächter zur Abwehr unseres
Infanterie -Angriffs erneut in Thätigkeit bringen zu können. Sobald
sich letzteres ergiebt, kann es, behufs Ermöglichung der baldigen
Niederkämpfung der gegen unseren Infanterie -Angriff mit verstärkten
Kräften thätigen feindlichen Artillerie, nötig werden, diese mit dem
gröfseren Teile, dagegen die Ei nb ruchstelle inzwischen nur mit
dem hierfür verfügbar bleibenden Reste der diesseitigen Artillerie
bekämpfen zu lassen. Ist die den Hauptangriff ausführende Infanterie
noch nicht im wirksamen feindlichen Gewehrfeuer angelangt, so wird,
bevor die Infanterie eine vom feindlichen Feuer beherrschte Fläche
betritt, vor Allem die Niederkämpfung der wieder thätig gewordenen
feindlichen Artillerie, dann erst ein überwältigendes Artilleriefeuer
gegen den anzugreifenden Teil, insbesondere gegen jene Teile der
feindlichen Stellung, welche mit Infanteriefeuer die von unserer
Infanterie zu durchschreitende Fläche beherrschen, geboten sein.
3. Die Leitung der Thätigkeit der Artillerie, im Sinne der
Absichten des Truppenführers und mit klarer Beurteilung der Ge-
fechtslage, obliegt beim Kampfe einer selbstständigen Division dem
Commandeur des Divisions-Artillerie-Regiments. Beim Kampfe im
Armee-Corps-Verbande wird, in so lange die mit der Ausführung
des entscheidenden Angriffs beauftragte Division noch nicht mit
ihrer Infanterie in den Kampf eingetreten ist und deshalb auch die
andere Division — deren Avantgarde deu Kampf eingeleitet hat —
diesen nur hinhaltend führt, die obere Leitung der gesamten Artillerie
dem Artillerie- Brigade-Commandeur obliegen. Es wurde bereits
70
Der EinflufB des rauchschwachcn Tulvers u. s. w.
ad IV. 1. erwähnt, dats dieser Sorge getragen haben wird, die
Divisions-Artillerie-Regimenter in der für den entscheidenden Artillerie-
kampf und die Vorbereitung des Infanterie -Angriffs ermittelten Feuer-
stellung auf dem ihrer Division näher gelegenen Flügel aufzustellen.
Dadurch wird dem Brigade-Commandeur ermöglicht, mit der Feuer-
thätigkeit der Divisions -Artillerie-Regimenter die dem AugrifF ihrer
Division entgegen stehenden Hindernisse überwältigen und nach
Bedarf das Feuer der ersteren durch die Feuerthätigkeit des zwischen
ihnen aufgestellten Corps-Artillerie-Regiments unterstützen zu lassen.
Spätestens von dem Augenblicke an, in welchem die mit Ausführung
des entscheidenden Angriffs beauftragte Division mit ihrer Infanterie
in den Kampf tritt, und deshalb auch der seither hinhaltend ge-
führte Kampf der anderen Division wieder vorzuschreiten beginnt,
müssen die Divisious -Artillerie- Regimenter unter den unmittelbaren
Befehl des Divisious-Commandeurs zurücktreten. Dem komman-
dierenden General und dem Brigade-Commandeur der Artillerie ver-
bleibt also, nach Beginn des entscheidenden Infanterie-Angriffs nur
mehr über das Corps-Artillerie-Regiment die Verfügung. Mit dem
Feuer dieses Regiments mnfs der Kampf der Divisionen da unter-
stützt werden, wo solches durch die Verhältnisse geboten ist. In
den Fällen, in welchen das Corps -Artillerie- Regiment, im Vereine
mit einem neben demselben befindlichen Divisions-Artillerie-Regiment
ein und dasselbe Ziel bekämpft, übernimmt der Artillerie-Brigade-
Commandeur die Feuerleitung über beide Regimenter, indem er
jedem Regiment den ihm entsprechend gegeuüber liegenden Teil
des gemeinschaftlichen Ziels zur Bekämpfung zuweist.
4. So lange die Artillerie, aus der für den entscheidenden
Artilleriekampf eingenommenen Feuerstellung, den Infanterie-
Angriff zweckentsprechend unterstützen kann, und die
für eine sichere Feuerleitung in Betracht kommenden Verhältnisse
— Unterscheidung von Freund und Feind, Streuungen der Geschosse,
Beobachtung der Schüsse u. s. w. — eine Gefährdung der eigenen
Truppen ausschliefsen, ist ein Stellungswechsel unnötig (Ex.-
Regl. f. d. F. -Art., Ziffer 323). — Von den besonderen Verhält-
nissen des Gefechts und des Geländes, sowie der Entfernung der
eingenommenen Feuerstellung von der feindlichen Stellung, wird es
abhängig sein, ob die Artillerie aus dieser Feuerstellung die Durch-
führung des Infanterie -Angriffs bis zum Sturm unterstützen und
fördern kann. Ist dieses aus der inne habenden Feuerstellung
möglich, so liegt, namentlich wenn dieselbe wenig über 2000 m von
der feindlichen Stellung entfernt ist, kein Grund zu einem Stellungs-
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Der Einflnfs des rauchsehwaehen Pulvere u. 8. w.
71
Wechsel vor, denn jeder Stellungswechsel unterbricht die Feuer-
thätigkeit und gereicht nicht dem Angreifer, sondern dem Verteidiger
um so mehr zum Vorteil, je weniger derselbe der Sicht des letzteren
entzogen werden kann. Auch läfst sich auf eine Wirkung aus der
neuen Feuerstellung erst nach dem aus derselben bethätigten Eiu-
schiefsen hoffen. Anders liegen natürlich die Entscheidungsgründe,
wenn die für den Artilleriekampf und die Vorbereitung des In-
fanterie-Angriffs eingenommene Feuerstellung 2500 m oder noch
weiter von der feindlichen Stellung entfernt ist, und — der feind-
lichen Stellung nähere — für die Unterstützung des Iufanterie-
Augriffs erst ganz entsprechende oder wenigstens günstigere Feuer-
stellungen, mit Rücksicht auf den wirksamen Bereich des feindlichen
Infanteriefeuers (1500 m), für die Durchführung des Artillerie-
kampfes nicht eingenommen werden konnten. In diesem Falle wird,
sobald die feindliche Infanterie durch unseren Infanterie -Angriff
beschäftigt ist, namentlich dann, wenn sich das Vorrücken in die
neuen Feuerstellungen der Sicht des Feindes entziehen läfst, von
den Divisions -Artillerie-Regimentern unbedingt in dio dem Kampfe
ihrer Division entsprechenderen (erforderlichenfalls zwischen den
Brigaden der Division gelegenen) näheren Feuerstellungen vorgerückt
werden müssen, sobald dieses durch das Vorschreiten des Angriffs
ermöglicht ist. — Erste Bedingung, welcher diese näheren, aber,
wie schon erwähnt wurde, mindestens 1000 m von der feindlichen
Stellung entfernten Feuerstellungen entsprechen müssen, ist »ein
ausgedehntes freies Srhufsfeld und die Möglichkeit der Bestreichung
des Geländes bis auf die nächsten Eutfernungenc. Vorteilhaft ist
auch hier die Aufstellung hinter, wenn auch noch so unbedeutenden
Gelände-Erhebungen, so dafs die Mündungen der Geschütze dieselben
noch eben überragen. Von diesen, dem Feinde nähereu Feuer-
stellungen aus ist die feindliche Stellung, wenn sie erobert wurde,
schneller zu erreichen, im entgegengesetzten Falle kann von ihnen
aus der Verfolgung des Feindes sofort kräftig begegnet werden. —
Ob für beide Abteilungen oder nur eine Abteilung (vielleicht auch
nur einzelne Batterien) der Divisions-Artillerie-Regimenter das Vor-
gehen in diese näheren Feuerstellungen nötig ist, hängt von den
besonderen Verhältnissen des Gefechts und Geländes ab. Jedenfalls
können aber nur diejenigen Abteilungen u. s. w. der Divisions-
Artillerie-Regimenter, in der für die Durchführung des entscheiden-
den Artilleriekampf, s und die Vorbereitung des Infanterie-Angriffs
eingenommenen Feuerstellung belassen werden, welche von dieser
aus den Kampf ihrer Infanterie-Division zweckentsprechend unter-
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72
0er Einflnfe des rauchschwachen Polrers u. s. w.
stützen können. Ob auch das Corps-Artillerie-Regiment mit seinen
beiden Abteilungen oder nur einer derselben dem vorschreitenden
Infanterie -Angriff folgen mufs oder nicht, ist, wie bei den Divisions-
Artillerie-Regimentern, von den besonderen Verhältnissen abhängig.
Erster Grundsatz wird hierbei sein müssen, dafe auch das Corps-
Artillerie-Regiment die für den Erfolg des Infanterie-Angriffs ge-
botene Unterstützung des Feuers der Divisions -Artillerie in wirk-
samster Weise gewähren könne. Läfst sich diese Unterstützung
aus der für den Entscheidungskampf mit der feindlichen Artillerie
eingenommenen Feuerstellung bethätigen, so ist dieses um so günstiger.
Andernfalls mufs darauf Bedacht genommen werden, dafs das Vor-
gehen in die neue, jedenfalls über 1000 m von der feindlichen
Stellung entfernte Feuerstellung der Sicht des Feindes thunlichst
entzogen werde. Gegenangriffe werden wohl meistens von demjenigen
feindlichen Flügel aus, gegen welchen unser Hauptangriflf gerichtet
ist, erfolgen. Die Unterstützung unserer, zur Abwehr des Gegen-
angriffs in Thätigkeit tretenden Reserve, beziehungsweise die rasche
Einnahme einer, die äufeere Flanke unseres Angriffs sichernden
Feuerstellung durch eine Abteilung des Corps -Artillerie-Regiments,
kann dann nötig werden und um so rascher gewährt werden, wenn
sich in der Corps -Artillerie reitende Batterien befinden. — Bei dem
Teile der ihrem Befehlsbereiche unterstellten Artillerie, von welchem
aus die beste Übersicht über den Gefechts verlauf gewonnen werden
kann, müssen sich die höheren Commandeure der Artillerie befinden.
Namentlich in nicht ganz übersichtlichem Gelände werden sie häufig
nur von dem, dem Kampffelde genähertsten Teile ihrer Artillerie
aus die den Gefechts-Verhältnissen der kämpfenden Infanterie ent-
sprechendste Thätigkeit der Artillerie erkennen und demgemäß auch
über die, bis nicht hierher vorgerückte Artillerie mit klarer Be-
urteilung der Gefechtslage verfügen können.
Ob die Artillerie, insbesondere jene der den Hauptangriff aus-
führenden Division, noch näher als mindestens 1000 m von feind-
licher Infanterie entfernt, wiederholt neue Feuerstellung (mit einer
Abteilung oder mit einzelnen Batterien) zu nehmen hat, hängt von
den besonderen Verhältnissen ab. Seither empfahl es sich, um den
Angriff der Infanterie zu erleichtern, ihr Vorgehen durch einzelne
Batterien bis auf nächste, wirksamste Entfernung begleiten zu lassen
(Ex.-Regl. f. d. F.- Art. Ziffer 324). Nachdem aber, seit Erscheinen
dieses Reglements, die Feuerkraft der Infanterie so wesentlich ge-
steigert worden ist, wird ein Herangehen der Artillerie an
die feindliche Infanterie bis auf 1000 m oder weniger
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Der Einflufs des rauchschwachen Pulvers u. s. w.
73
Entfernung, voraussichtlich viel häufiger zur Vernichtung
der Artillerie, als zum Vorteil des Infanterie -Angriffs
gereichen, und deshalb wohl nur selten zu empfehlen sein. Denn
einer intakten feindlichen Infanterie gegenüber wird die Artillerie,
wenn sie eine so nahe Feuerstellung nicht unbemerkt vom Feinde
erreichen und besetzen kann, voraussichtlich kaum zum Abprotzen,
geschweige Einschieben, gelangen.
5. Bei der Verfolgung des Feindes, beziehungsweise beim
Angriff auf die vom Feinde eingenommene Aufnahmestellung, bleibt,
ebenso wie im Falle eines mifslungenen Angriffs und des etwa nötig
werdenden Rückzuges, der hohe Wert der Artillerie-Unterstützung
unverändert. Nur die Bethätigung der Aufgaben, welche der
Artillerie bei der Verfolgung obliegen, wird, namentlich in einem
nicht übersichtlichen Gelände, wegen der nicht mehr durch die
beiderseitigen starken Rauchwolken erleichterten Erkennung und
Beobachtung der von eigenen und feindlichen Truppen erreichten
Linien u. s. w. schwieriger werden.
6. Auch in der Verteidigung, also, wenn »in einer hierzu
geeigneten Stellung das Vorschreiten des Gegners vorerst nur auf-
gehalten werden soll,« werden, wie ad III. erwähnt wurde, die von
der Artillerie zu erfüllenden Aufgaben, durch die Annahme eines
rauchschwachen Pulvers, nicht geändert. Diese Aufgaben sind und
bleiben: »Bekämpfung der feindlichen Artillerie, bis die Infanterie
zum Angriff vorgeht. Alsdann mufs die Artillerie, ohne das feind-
liche Geschützfeuer zu beachten und, erforderlichenfalls unter Auf-
gabe der Deckung, die Infanterie zum Ziel nehmen (Ex.-Regl. f. d.
F.-Art. Ziffer 331)«. Das Letztere ist auch, wenn wir selbst den
Angriff beabsichtigen, geboten, falls uns der Gegner mit dem von
ihm ebenfalls beabsichtigten Angriff zuvorkommt. — Um aber dem
Infanterie -Angriff mit aller Kraft begegnen zu können und so mehr
Aussicht zu haben, diesen — also die Hauptsache — abzuweisen,
kann der Verteidiger, aus dem Wegfall der, die eigene Feuerstellung
seither weithin verratenden Rauchwolken, in der bereits ad IV. 2
angedeuteten Weise Nutzen ziehen. Werden, nicht erst, nachdem
sich die Fortsetzung des Artilleriekampfes aussichtslos zeigt, sondern
sobald sich die Überlegenheit der feindlichen Artillerie erkennbar
macht, auf Befehl des Truppenführers, die Batterien der Wirkung
des feindlichen Feuers entzogen, so kann der Verteidiger dem
Angriff der feindlichen Infanterie mit seiner ungeschwächten Artillerie
mit aller Kraft entgegentreten.
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74
Der Einflute des ranchsch wachen Pulvers u. s. w.
Durch den Wegfall der starken Rauchwolken, welche seither
die Mafsnahmen und Thätigkeiten des Angreifers verschleierten,
wird, wie bereits mehrfach erwähnt wurde, die Schwierigkeit, eine
vom Feuer des Verteidigers beherrschte Fläche zu durchschreiten,
noch gröfser. Der Angreifer wird deshalb, wie schon ad IV. 2
angegeben wurde, eine vom feindlichen Feuer beherrschte Fläche
erst dann mit seiner Infanterie betreten, nachdem es seiner Artillerie
gelungen ist, die feindlichen Abteilungen, welche mit ihrem Feuer
diese Fläche beherrschen, niederzukämpfen oder wenigstens zu
dämpfen. Für den Verteidiger wird, ähnlich wie beim ein-
leitenden Artilleriekampf, das Bestreben sich geltend machen,
seine Artillerie, wenn die Überlegenheit der Augriffs-
Artillerie fühlbar zu werden beginnt, der Wirkung des
feindlichen Feuers vorübergehend wieder zu entziehen,
um sie, sobald die feindliche Iufanterie die von seinem Feuer be-
herrschte Fläche betreten hat, mit thunlichst ungeschwächter Kraft
gegen den Infanterie -Angriff wirken lassen zu können, diesen auf-
zuhalten und, wenn möglich, abzuweisen.
Die Folge eines derartigen Verfahrens des Verteidigers mufs
aber sein, dafs für die Artillerie des Angreifers die Bekämpfung
der feindlichen Artillerie, auch nach Beginn des Infanterie -Angriffs,
mehr, wie seither, nötig sein wird. Der Angreifer wird also, ins-
besondere bis die Angriffs-Infanterie sich den feindlichen Batterien
auf 1000 m Entfernuug genähert hat und so Aussicht hat, durch
ihr Feuer die Überlegenheit über das feindliche Artilleriefeucr ge-
winnen zu können, jeweilig richtig bemessen müssen, mit welchem
Teile seiner Artillerie die feindliche Artillerie, mit welchem der
anzugreifende Teil der feindlichen Stellung bekämpft werden mufs,
um das Vorschreiten und den Erfolg des Infanterie -Angriffs zu
ermöglichen.
7. Eine Verminderung des seither als nötig erkannten Stärke-
Verhältnisses der Artillerie zur Infanterie erscheint also, in Folge
Einführung eines rauchschwachen Pulvers, weder für den Augriff
noch für die Verteidigung zulässig. Dagegen wird, in Zukunft,
ein noch innigeres Zusammenwirken des Feuers beider
Waffen in der Weise geboten sein, dafs für die Artillerie des
Verteidigers die Abweisung des Infanterie- Angriffs, für die
Artillerie des Angreifers die Niederkämpfung der mit ihrem Feuer
gegen die Angriffs- Infanterie thätig werdenden Verteidigungs-
Artillerie — in so lange bis letztere von der Angriffs-lnfanteric
selbst wirksam bekämpft werden kann, und daun ausschliefslich
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Der Kinflufs des rauchschwachen Pulvere u. s. w.
7f>
gegen den anzugreifenden Teil der feindlichen Stellung — noch
mehr, wie seither, die Hauptsache wird.
ad V. Der Einflufs, welchen das rauchschwache Pulver auf
die Thätigkeit, Verwendung und Führung der Feld -Artillerie im
Gefecht ausübt, mufs bereits bei der Ausbildung der Feld-
Artillerie im Frieden, der Vorbereitungszeit für den Krieg, volle
Berücksichtigung finden. Die Aufgaben, welche die Feld -Artillerie
im Gefecht zu erfüllen hat, bleiben dieselben. Die Artillerie wird
jedoch ihre Thätigkeit mehr mit Rücksicht auf die für die Infanterie
gebotene, in der Weise entfalten müssen, dafs sie beim Augriff vor
Allem die Erleichterung des Infanterie -Angriffs, bei der Verteidigung
die Abweisung des feindlichen Infanterie- Augriffs im Auge hat.
Aufserdem wird die Verwertung des Geländes für bestmögliche
Feuerthätigkeit gegen den Feind und für Erschwerung der Feuer-
thätigkeit des Feindes, unter Voranstellung des erstgenannten Be-
dürfnisses, eine noch grofsere Wichtigkeit, gewinnen. Die Thätig-
keit, mit welcher die Artillerie die ihr im Gefecht zukommenden
Aufgaben erfüllen kann, das Schiefsen, und die zweckentsprechendste
Anpassung dieser Thätigkeit an jene der Infanterie, wird aber dann
wesentlich schwieriger werden, weuu der Gegner in der Verwendung
und Aufstellung seiner Infanterie und Artillerie durch das Gelände
begünstigt ist und diese Gunst richtig zu verwerten verstanden hat.
Die Gewandtheit, Geschicklichkeit, mit eiuem Worte die Kunst im
Schiefsen, auch unter für die Beobachtung schwierigen Verhält-
nissen, und in der Benutzung des Geländes für eigenen Vorteil und
Verhinderung des feindlichen, wird zweifelsohne eine wesent-
lich erhöhte Bedeutung gewinnen.
Die gesteigerten Anforderungen, welche au die Führer der
Feld-Artillerie, bei der Wahl, Erkundung, Erreichung und Besetzung
der Feuerstellungen, der Thätigkeit aus letzteren und während des
gesamten Gefechtsverlaufes herantreten, müssen von diesen mit Zu-
hülfenahme ihrer Adjutanten und Meldereiter gelöst werden. Daraus
folgt: 1. Nicht nur die Ausbildung der Führer und der Offiziere
der Feld -Artillerie, sondern auch jene der Meldereiter mufs mit
Rücksicht auf die Überwindung der, in den erwähnten Richtungen
gesteigerten Anforderungen bethätigt werden. Übungsreisen,
nach Art derjenigen, welche sich bei der Kavallerie seit länger als
einem Jahrzehnt und bei der Infanterie seit Erscheinen der neuen
Felddienst-Ordnung so sehr bewähren, uud deren grofser Wert für
die Feld-Artillerie bereits im März- und September-Hefte 1880
dieser Zeitschrift eingehend besprochen wurde, sind ein noch
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76
Der Einflufs des rauchschwachen Pulvers n. s. w.
unabweislicheres Bedürfnis geworden. Rasche Erkennung, Erkundung
und Verwertung des Geländes muls nicht blofs in dem der Garnison
nächst gelegenen, sondern in wechselndem Gelände gefördert werden.
Diese wichtigen Übungen gewinnen an Umfang und Wert, wenn sie
von den Offizieren einer Feld -Artillerie-Brigade, mit Beiziehung der
Meldereiter, unter Leitnng des Brigade-Commandeurs, ausgeführt
werden, und hierfür, nicht wie bei den Übuhgsritten , nur einige
Stunden, sondern einige Tage nach einander verwendet werden
können.
2. Die Meldereiter sind den Batterien, Abteilungen, Regi-
mentern, Brigaden der Feld -Artillerie nicht nur für die Auf klärung
der Gangbarkeit des Geländes, sondern, namentlich den Batterie-
führern, häufiger wie früher, für die Beobachtung der Wirkung
gegen das zu bekämpfende Ziel unentbehrlich. Wenn schon
seither für jede Batterie mindestens 2 Meldereiter nötig waren, so
erscheinen jetzt für jede Batterie deren 3 erforderlich, damit, nach
Verwendung eines derselben als Beobachter, noch 2 für Aufklärung
des Geländes u. s. w. verfügbar bleiben. Berücksichtigt man, dafs
die für die Abteilungen, Regimenter, Brigaden nötigen Meldereiter
ebenfalls von den Batterien gestellt werden müssen, so ist es
geradezu Bedürfnis geworden, dafs bei jeder Batterie schon im
Frieden 4 oder 5 zu diesem wichtigen Dienst geeignete Mann-
schaften (Unteroffiziere, Trompeter, berittene Gefreite) stets vor-
handen sind, beziehungsweise in entsprechender Weise für den
Dienst als Meldereiter herangebildet werden.
3. Die als Beobachter verwendeten Meldereiter müssen jeden-
falls mit Ferngläsern ausgerüstet sein. Aufserdem empfiehlt es sich,
dafs, wie ad III. 1 erwähnt wurde, die Mittel, welche die in den
letzten Jahren in ihrer Anwendung für militärische Zwecke so sehr
geförderte Telegraphie darbietet, dahin geprüft werden, ob sich
mittelst derselben unmittelbare Berichterstattung der Beobachter,
von ihrem Aufstellungspunkte aus, an die Batterieführer, beziehungs-
weise die in deren Nähe befindlichen Trompeter, ermöglichen läfst.
Mit dem Mittel, welches hierfür am besten entspricht, müssen
namentlich die als Beobachter verwendeten Meldereiter ausgerüstet
werden.
4. Nun bleibt noch zu erwägen, welche Änderungen, in
den für den Gebrauch der Feld -Artillerie im Kriege am meisten
in Betracht kommenden Vorschriften, durch die Einführung eines
rauchschwachen Pulvers, nötig werden könnten. Zu diesen Vor-
schriften gehören: a) Felddienst - Ordnung (1887), b) Exerzier-
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Der Einflufs des raucbschwachen Pulvere u. s. w. 77
Reglement für die Feld -Artillerie (1889), c) Schiefsregeln für die
Feld -Artillerie (1889) und d) Anleitung zur Ausbildung der Richt-
kanoniere der Feld -Artillerie (1887).
ad a) Bezüglich der Feld dienst- Ordnung erscheint keine
Änderung geboten, denn das ad II. 2, c als vorteilhaft bezeichnete
Folgen der, in der Avantgarde einer selbststandig auftretenden be-
ziehungsweise auf einer eigenen Strafse marschierenden Division
eingeteilten Artillerie, statt hinter dem Teten-Bataillon des Haupt-
trupps, um ein Bataillon weiter zurück, mithin mit einem Infanterie-
Regiment vor sich, steht mit der Felddienst-Ordnung nicht in
Widerspruch. Die Ziffer 217, Teil I dieser Vorschrift spricht sich
bereits dahin aus, dafs die Artillerie in der Marschkolonne so weit
nach vorne zu nehmen ist, als ihre Sicherheit es erlaubt.
ad b) Der das Gefecht behandelnde IV. Teil des Ex.-
Regl. f. d. F.- Art wird, auch nach Einführung eines rauch-
schwachen Pulvers, mustergültig bleiben. Denn selbst hinsichtlich
des in Zukunft voraussichtlich noch mehr gebotenen innigen Zu-
sammenwirkens der Infanterie und Artillerie, in der Weise, dafs
für die Artillerie des Verteidigers (abgesehen von den Augen-
blicken, in welchen die Angriffs-Artillerie während ihres Vorgehens
wirksam beschossen werden kann) die Abweisung des Infanterie-
Angriffs, für die Artillerie des Angreifers die Niederkampfun g
der wieder mit ihrem Feuer gegen den Infanterie -Angriff thätig
werdenden Verteidigungs-Artillerie, noch mehr die Hauptsache
wird, enthält das Ex.-Regl. bereits das Nötige. Insbesondere ist in
den die Verteidigung betreffenden Ziffern 327 bis 332 des Regle-
ments wiederholt hervorgehoben, dais das Bekämpfen des Infanterie-
Angriffs unbedingt die Hauptsache für die Verteidigungs- Artillerie
ist. Hier kann nur der Absatz 2 der Ziffer 331 die Erweiterung
erhalten, »dafs, nicht erst, wenn sich die feindliche Artillerie so
überlegen zeigt, dals die Fortsetzung des Artilleriekampfes aus-
sichtslos wird, sondern sobald sich die Überlegenheit der feindlichen
Artillerie fühlbar machet, die Verteidigungs -Artillerie sich der
Wirkung des feindlichen Artilleriefeuers vorübergehend entzieht«,
der Wegfall der starken, die eigene Feuerstellung und Thätigkeit
verratenden Rauchwolken also vom Verteidiger dahin verwertet
wird, den Infanterie -Angriff mit dem Feuer seiner thunlichst un-
geschwächten Artillerie abweisen zu helfen.
Bezüglich der den Angriff betreffenden Ziffern 319 bis 326
des Reglements bleibt zu erwähnen, dafs Absatz 2 der Ziffer 323:
»sollten nach Ansetzen des Infanterie -Angriffs neu auftretende oder
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Der Eiiiflufs des rauchschwachen Pulvers u. s. w.
den Kampf wieder aufnehmende feindliche Batterien sich gegen die
(Angriffs-) Artillerie wenden, so niufs trotzdem die Hauptfeuerkraft
zur Unterstützung des Infanterie -Angriffs eingesetzt bleiben«, noch
mehr nur anf die sich mit ihrem Feuer gegen die Artillerie wenden-
den feindlichen Batterien bezogen werden darf. Denn offenbar
mufe die feindliche Artillerie, welche sich mit ihrem Feuer gegen
den Infanterie -Angriff wendet, namentlich dann, wenn letzterer noch
nicht in den wirksamen Gewehrbereich des Feindes eingetreten ist,
mit der gesamten Angriffs-Artillerie niedergekämpft werden. Selbst
dann, wenn der Infanterie -Angriff bereits im wirksamen Gewehr-
bereich des Feindes angelangt, aber noch 1000 m und mehr von
den feindlichen Batterieu entfernt ist, wird die Angriffs-Artillerie
vor Allem die gegen den Infanterie-Angriff thätige Verteidigt! ngs-
Artillerie niederkämpfen müssen und, bis dieses erreicht ist, nur
mit dem ihr bleibenden Rest den anzugreifenden Teil der feindlichen
Stellung bekämpfen können. — Die durch den Wegfall der Hauch-
wolken vergröfserte Schwierigkeit, eine vom feindlichen Feuer be-
herrschte Fläche zu durchschreiten, bedingt ferner, dafs, ehe die
Angriffs-Infanterie eine solche Fläche betritt, die feind-
lichen Abteilungen, welche mit ihrem Feuer diese Fläche
beherrschen, von der Angriffs-Artillerie niedergekämpft
werden müssen. Hierbei wird zu unterscheiden sein, ob die
Angriffs-Infanterie aus den schon erreichten Stellungen mit Aussicht
auf Erfolg gegen die feindliche Artillerie selbst thätig sein kann.
Auf Entfernungen unter 1000 m wird die Infanterie im Gefecht
gegen Artillerie die Überlegenheit gewinnen, und wird es deshalb
angezeigter sein, die sichtbare feindliche Artillerie durch die In-
fanterie und nur die im Gelände gegen unsere Sicht gedeckte
feindliche Artillerie und die feindliche Infanterie, namentlich die
durch das Gelände oder Schützengräben der Sicht entzogene, durch
die Artillerie zu bekämpfen. Hierdurch wird auch das Vorgehen
der Angriffs -Artillerie aus ihrer für den entscheidenden Artillerie-
kampf und die Vorbereitung des Infanterie-Angriffs eingenommenen
(2000— 2500 m von der feindlichen Artillerie, mindestens 1500 m
von der feindlichen Infanterie entfernten Feuerstellung) in die im
Verlaufe des Infanterie-Angriffs gebotenen näheren Feuerstellungen,
in der besten Weise, gegen das feindliche Artilleriefeuer gedeckt.
Aus diesen näheren, jedoch noch über 1(300 m von der feindlichen
Infanterie entfernten Feuerstellungen kann dann die Artillerie den
anzugreifenden Teil der feindlichen Stellung, ohne die Überlegenheit
des gegen sie gerichteten feindlichen Infanteriefeuers zu sehr fühlen zu
müssen, und die im Geländp gedeckte feindliche Artillerie fortbekämpfen.
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Der Einflufo des rauchschwachen Pulrcrs u. s. w.
79
ad c) Auf Grund der bis jetzt auf dem Schiefeplatze ge-
wonnenen Erfahrungen sind rauchschwache Ziele, wenn sie gut
gedeckt auf dunklem Hintergründe stehen, oft selbst mit dem besten
Glase nicht zu entdecken. Erst auf der Spreugwolke eines nicht
zu fern hinter ihuen gesprungenen Geschosses heben sie sich ab.
Das Schiefsen gegen solche Ziele zerfällt also naturgeniäfe in zwei
Teile: »Zuerst Aufsuchen des Ziels durch entsprechende Änderung
der Seiteurichtung und dann fjeran schiefsen von rückwärts an das
Ziel.« Da Schüsse vor dem Ziel schwieriger als solche hinter dem
Ziel zu beobachten sind, empfiehlt es sich, sobald ein Schüfe hinter
dem Ziel beobachtet wurde, den folgenden, entgegengesetzt dem
seitherigen Verfahren, nicht mit energischem, sondern nur mit einem
solchen Abbrechen an Entfernung abzugeben, dafs eher darauf ge-
rechnet werden kann, auch diesen Schüfe hinter das Ziel zu erhalten.
Das Abbrechen an Entfernung um nur 100 m wird also stets an-
gezeigt sein, wenn der vorhergehende Schüfe nicht sicher mindestens
200 m hinter dem Ziel erkannt wurde. Mit dem Abbrecheu wird
so lange fortgefahren werden müssen, bis das Ziel durch einen
hinter und einen vor demselben beobachteten Schüfe eingeschlossen
ist (weite Gabel von 100 m).
Demnach würden sich für die Schiefsregeln die nachstehen-
den Ä nderungen ergeben.*) Ziffer 4: War der erste Schufs vor
dem Ziel, so ist für den nächsten Schufs an Entfernung zuzugeben
und zwar gleich soviel, dafs man sicher darauf rechnen kann, diesen
Schüfe hinter das Ziel zu erhalten. War der erste Schufs hinter
dem Ziel, so wird der folgende nicht mit energischem, sondern nur
mit einem solchen Abbrechen an Entfernung abgegeben, dafs eher
darauf gerechnet werden kann, auch diesen Schüfe hinter das Ziel
zu erhalten. Das Abbrechen an Entfernung um nur 100 in wird
also stets angezeigt sein, wenn der vorhergehende Schüfe nicht
sicher mindestens 200 m hinter dem Ziel erkannt wurde. Mit dem
Abbrechen wird so lange fortgefahren, bis das Ziel durch einen
hinter und eineu vor demselben beobachteten Schüfe eingeschlossen
ist (weite Gabel von 100 m). — Ziffer 5: (fällt aus). — Zur Be-
gründung des befürworteten Ausfalls kann angeführt werden, dafe
es, bei Bekämpfung von Zielen, welche sich erst auf der Sprengwolke
eines nicht zu fern hinter ihnen gesprungenen Geschosses abheben,
vor Allem darauf ankommen wird, zu erkennen, ob das Ziel in die
Gabel von 100 m zutreffend eingeschlossen ist oder nicht. Wie
•J Dieser Aufsatz ist den „Jahrbüchern" vor Erscheinen der neuen Schiefs-
vorschrift eingeliefert worden. Anm. d. L.
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80
Der Einflute des rauchschwachen PulTew u. g. w.
diese wichtige Kenntnis gewonneu werden könnte, ist in einer, im
September-Hefte 1889 des »Archiv für die Artillerie- und Ingenieur-
Offizierec erschienenen Studie bereits angegeben worden. In dieser
Studie: »Was bringen die neuen Schiefsregeln der Feld -Artillerie?«
wird vorgeschlagen, auf der die Gabel von 100 m halbierenden
Entfernung stets zwei Schüsse abzugeben, gleichviel ob der
erste derselben vor oder hinter dem Ziel liegt So lange, als es
sich nicht um die Erreichung einer Wirkung, sondern um die Er-
mittelung der zu treffenden Entfernung handelt, kann darin, dafa,
mit der die Gabel von 100 m halbierenden Entfernung, auch hinter
dem Ziel liegende, also leichter zu beobachtende Schüsse sich ergeben
können, sicher kein Nachteil erkannt werden. — Wird der zweite
Schüfe in demselben Sinne wie der erste beobachtet, so kann sofort
die andere Grenze der Gabel von 50 m kontrolliert werden. Fällt
aber der zweite Schnfs im entgegengesetzten Sinne, so weifs man
nicht, welche Beobachtung am meisten Glauben verdient, ob die
erste oder die zweite, oder ob vielleicht beide richtig sind. Deshalb
müsse man in solchem Falle noch zwei Schüsse abgeben. Diese
können nun entweder beide mit dem ersten oder beide mit dem
zweiten Schufs übereinstimmen, oder endlich beide wieder verschieden
ausfallen. Demgemäfs müfste entweder der erste oder der zweite
Schufs als richtig angenommen und in diesem Falle die andere
Grenze der Gabel in genau derselben Weise kontrolliert, oder aber
es könnte, da von 4 Schüssen mit gleichem Aufsatz 2 vor, 2 hinter
dem Ziele liegen, die Entfernung als zutreffend angenommen und
das Shrapnelfeuer auf dieser Entfernung eröffnet werden. — Hat
die Kontrolle der anderen Gabelgrenze gezeigt, dafs die Gabel richtig
gebildet ist, so kann das Shrapnelfeuer auf der kurzen Gabel-
entfernung eröffnet werden; zeigt sich dagegen die Gabel falsch
gebildet, so mufs dieselbe von Neuem erschossen werden.
Das Verfahren nach dem Ermitteln der weiten Gabel
von 100 m, würde sich demgemäfs wie folgt gestalten: Ziffer 9:
Mit der die Gabel von 100 ra halbierenden Entfernung wird das
Feuer fortgesetzt. — Ziffer 10: Sobald von den nun folgenden
Schüssen zwei sicher beobachtet wurden, wird auch bekannt sein,
ob beide zu kurz oder zu weit waren, oder der eine zu kurz, der
andere zu weit. Im letztgenannten Falle wird das Feuer mit der
seitherigen Entfernung fortgesetzt, bis zwei weitere Schüsse sicher
beobachtet worden sind. — Ziffer 11: Werden von den beiden
zweiten Schüssen wieder der eine hinter, der andere vor dem Ziel
liegend beobachtet, so ist die Batterie im Allgemeinen als einge-
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Der Eiuflofs des rauchschwachen Pulvera u. s. w. 81
Schossen zu betrachten und kann das Feuer, unter Verteilung des-
selben, mit der seitherigen Entfernung fortgesetzt werden. —
Ziffer 12: Werden die beiden zweiten Schüsse, oder schon die
beiden ersten Schüsse zu kurz beziehungsweise zu weit beobachtet,
so wird die diesen Schüssen entsprechende andere Grenze der Gabel
von 50m kontrolliert.*) — Ziffer 13: Zeigt diese Kontrolle, dafs
die Gabel von 50 m richtig gebildet ist, so wird das Feuer mit der
kleinereu der beiden Gabelentfernungen, unter Verteilung desselben,
fortgesetzt. Reicht aber diese Kontrolle nicht aus, so mufs von
Neuem eine Gabel von 100 m gebildet werden. — Ziffer 14: Beim
ferneren Schiefseu hat der Batterieführer darauf zu achten, dafs
sich Vi der beobachteten Schüsse als zu weit erweisen. Betragen
die Weitschüsse mehr als V31 »° ist die Batterie zu weit, betragen
sie weniger als so ist sie zu kurz eingeschossen. Dementsprechend
ist um 25 m mit der Entfernung zurück- beziehungsweise vorzu-
gehen. — Ziffer IG: Das Schiefsen mit Shrapnels beginnt in der
Regel erst, nachdem mit Granaten die Entfernung ermittelt ist.
Oft wird hierfür das Erschiefsen der engen, oder unter besonderen
Umstanden auch einer weiteren Gabel genügen müssen. Will man
die Entfernung vorher genauer ermitteln, so genügt es schon, weuu
von vier mit gleicher Erhöhung abgegebenen Schüssen zwei vor und
zwei hinter dem Ziel liegen. — Ziffer 17: Der Übergang zum
Shrapnelfeuer geschieht von der ganzen Batterie in durchgehendem
oder lageweisetn Feuer. Ersteres verdient den Vorzug bei Bekämpfung
solcher Ziele, gegen welche man, ihrer Beweglichkeit halber, nicht
zur Regulierung der Sprengweiten kommen kann, wie Infanterie
in freiem Felde, insbesondere hei kleineren Entfernungen, oder,
♦) Wird der erste dieser Kontrollschüsse in demselben Sinne beobachtet, wie
der beim Gabelschiefsen mit der nämlichen Entfernung abgegebene Schuf», so
kann die enge Gabel von 50 m als zutreffend gebildet betrachtet werden. Wird
aber der erste Kontrollschufs im entgegengesetzten Sinne beobachtet, wie der
beim Gabelschiefsen mit derselben Entfernung abgegebene Schufs, so sind noch
zwei weitere Kontrollschüsse mit der nämlichen Entfernung nötig. Wird dann
von diesen zwei weiteren Kontrollschüssen der eine kurz, der andere weit be-
obachtet, so kann die Entfernung, mit welcher die Kontrollschüsse abgegeben
wurden, als zutreffend angenommen und das Shrapnelfeuer auf dieser Entfernung
eröffnet werden. — Werden aber die zwei zuletzt abgegebenen Kontrollschüsse
im selben Sinne beobachtet, so mufs unterschieden werden, ob sie mit dem beim
Gabelschiefsen mit derselben Entfernung abgegebenen Schufs übereinstimmen, oder
mit dem znerst abgegebenen Kontrollschufs. Ersterenfalls kann die Uabel von
50 m als zutreffend gebildet betrachtet werden, während im zweiten Falle die
Üabel von Neuem erschossen werden innfs.
Jahrbirhar IVr dl* n»ut>«hi> Arm»» und Maria* Bd. LXXVI., 1.
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Der Einflufs des ranchschwachen Pulvers u. s. w.
wenn die Entfernung mit Granaten genauer ermittelt und das Ver-
halten der Zünder bekannt ist. Das lagenwei9e Laden, bei welchem
Korrekturen leichter vorzunehmen sind, empfiehlt sich dagegen gegen
alle Ziele, welche ihrer Natur nach an den Ort ihres Erscheinens
gebundeu sind, z. B. Batterien, Infanterie in Schützengräben.
Gleichzeitig mit dem Übergang zum Shrapnelfeuer wird in der
Regel das Feuer verteilt, falls es noch nicht geschehen sein
sollte.
Für die Ziffer 23 der Schieferegeln würde sich die nach-
stehende, bereits in der oben erwähnten Studie befürwortete und
begründete, das Gedächtnis viel weniger beschwerende Fassung
empfehlen: »Erhält man beim Schiefsen mit untergelegten Platten
die mittlere Sprenghöhe gröfser als Vioo der Entfernung, so läfst
der Batterieführer eine Platte fortnehmen, und empfiehlt es sich
demnächst um 50 m vorzugehen.« —
Nachdem in den Schiefsregeln, bei dem Schiefsen unter be-
sonderen Verhältnissen, und zwar in Folge schwieriger Beobachtung,
nur der Fall vorgesehen ist, dafs die Beobachtung wegen starken
Pulverrauchs am Ziel schwierig ist, würde es sich empfehlen, der
Ziffer 40. als Ziffer 47 — in den Schiefsregeln zur Zeit ohnehin
nicht enthalten — anzureihen: »Ist das Ziel nicht sichtbar und
wird dasselbe auch nicht durch seinen Pulverrauch erkennbar, so
mufs, sobald dessen Aufstellung in Nähe eines, von der eigenen
Feuerstellung aus sichtbarem, als Hülfsziel geeigneten Punktes (oder
einer Linie) im Gelände, bekannt geworden ist, dieser als Zielpunkt
bestimmt werden. Ist das wirkliche Ziel auch dem Batterieführer,
von seinem »zwischen, rückwärts oder neben der Batterie« gewählten
Aufstellungspunkte aus, nicht sichtbar, so mufs auf einem die Sicht
desselben ermöglichenden, in gesicherter Verbindung mit der Batterie
befindlichen Übersichtspunkte, ein Beobachter aufgestellt werden.
Nur unter dieser Bedingung sind Feuerstellungen, von welchen aus
das zu bekämpfende Ziel nicht sichtbar ist, überhaupt zulässig.
Die Korrektur der Seiten -Abweichungen mufe, wenn ein, durch
seinen Pulverrauch sich nicht erkennbar machendes Ziel von den
Geschützen aus nicht sichtbar ist, vom Batterieführer, auf Grund
seiner eigenen, oder der ihm vom Beobachter mitgeteilten Wahr-
nehmungen, angeordnet, oder die Seiten -Abweichung den Zugführern
bekannt gegeben werden.« —
ad d) In der Anleitung zur Ausbildung der Richt-
kanonier e ist das beim Richten gegen verdeckte Ziele gebotene
Verfahren bereits enthalten. Die in Rede stehende Anleitung wird
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Der Einflufs des rauchschwachen Pulrers n. s. w.
überhaupt, aucli nach Einführung des rauchschwachen Pulvers, noch
für die Ausbildung der Richtkanoniere sehr entsprechen. — Das
Richten nach Raucherscheinungen wird jedoch, obwohl diese sehr
viel schwächer wie seither, einen Anhalt für die feindliche Stellung
bieten werden, mit Kanonenschlägen geübt werden müssen, deren
Raucherscheinung jener des rauchschwachen Pulvers entspricht.
Anfserdem wird die Verteilung des Feuers vermittelst der Seiten-
verschiebung häutiger und in gröfserem Mafee, wie bisher, geboten
sein. Dafs hierwegen sogar die Einführung eines speziell die
gröfsere Verlegung der Schüsse nach der Seite begünstigenden
Seitenrichtungsmittels nötig werden könnte, wurde bereits
ad III. 1 erwähnt. Zweifellos wird in Zukunft, die Benutzung eines
Punktes oder einer Linie als Hülfsziel, wonach die Seitenrichtung
des Geschützes festgelegt werden kaun, wenn das eigentliche Ziel
vom Geschütze aus nicht sichtbar ist und sich auch durch seineu
Pulverrauch viel schwächer verrät, weit häufiger und in viel
gröfserem Umfange geboten sein. Die Bedingungen, welchen eine
Hülfsziel entsprechen mufs, sind bereits in der Anleitung zur Aus-
bildung der Richtkanoniere (1887) angegeben. Auch in Zukunft
wird ein Hülfsziel um so besser entsprechen, je schärfer es sich
gegen den Hintergrund abhebt und je weiter es vom Geschütze
entfernt ist, durch Bewegungen der Truppen nicht verdeckt wird
und mit Sicherheit wieder aufzufinden ist. Kirchturm, Hauskante,
Baum, Strauch, heller Sandfleck werden sich nach wie vor am
besten für Hülfsziele eignen. —
ad VI. Noch bleibt in Erwägung zu ziehen der etwaige
Einflufs des neuen Pulvers mit den ihm eigneuden Kampf-
bedingungen auf die Organisation der Feld -A rtillerie. Wir
haben zunächst zu erwähnen, dafs der Entwurf des Gesetzes, be-
treffend die Friedenspräsenzstärke des deutschen Heeres, folgende
Organisation der Feld -Artillerie in Aussicht genommen hat. Die
Zahl der Feld-Batterien wird von 304 auf 434, also um 70 Batterien,
erhöht; nach deren Hinzutritt wird sich die Organisation derart
gestalten, dafs aufser den für Kavallerie-Divisionen bestimmten
reitenden Batterien, bei den zu 2 Divisionen formierten Armee-
Corps je 20 Batterien, in 2 Regimenter und 7 Abteilungen gegliedert,
vorhanden sind. Bei dem 11. und 2. königlichen bayerischsn Armee-
Corps, welche 3 Divisionen haben, beziehungsweise erhalten, treten
je 6 weitere Batterien — ein Regiment zu 2 Abteiinngen — hinzu.
Das 12. (königlich sächsische) Armee-Corps hat in Rücksicht auf
seine besondere Stärke im Ganzen 30 Batterien. Die Feld -Artillerie
6*
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84
Der Einflnfs des rauchschwachen Pulvers u. s. w.
wird hiernach die Stärke von 434 Batterien mit 2381 Bespannungen
erhalten; sie steht dann hinter der franzosischen immer noch um
46 Batterien and 742 Bespannungen zurück.
1. Der Frontraum, welchen eine Batterie in der Feuerstellung
einnimmt, wird mehr wie bisher dadurch heeinflufst werden, dafe
die Aufstellung der Geschütze, wie bereits hervorgehoben
wurde, dem sich in der Feuerstellung darbietenden Ge-
lände anzupassen ist. Diese Rucksicht kann ebenso zu einer
Vergröfserung wie Verkleinerung der Zwischenräume von 20 Schritt
führen. Wenn auch, in Folge Fortfall des Rauches, in den Fällen,
in welchen ein besonderer Zweck die Aufstellung einer gröfstmöglicheu
Anzahl von Geschützen gebietet, zwischen den Geschützen viel eher,
wie seither, kleinere Zwischenräume zulässig sind, so werden doch
auch in Zukunft die Zwischenräume nicht unter 10 und nicht über
30, höchstens 40 Schritt betragen dürfen. Der vom Batterie-
Führer während des Kampfes zu beherrschende Froutraum wird
also, abgesehen von deu eben erwähnteu Fällen, derselbe wie seither
bleiben. Allerdings wird dem Batterie- Führer der Überblick über
diesen Raum nicht mehr zeitweise durch starken Pulverrauch der
eigenen Geschütze erschwert, dagegen werden sich aber auch die
auf das Gemüt der Kämpfenden wirkenden Eindrücke, da sie
nicht mehr durch den Pulverrauch ihrem Anblick verschleiert
werden, stärker geltend machen. Hierdurch wird der, dem Batterie-
Führer und dem Zug- Führer durch das rauchschwache Pulver er-
möglichte ungestörtere Überblick zugleich auch ein gröfseres Be-
dürfnis. Eine etwaige Erhöhung der Zahl der Geschütze einer
Batterie von G auf 8 würde nicht nur dem Batterie -Führer den
Überblick über die Batterie im Kampfe, sondern auch den gesamten
inneren Dienst und die Verwaltung der Batterie erschweren. Die
durch die Annahme des rauchschwachen Pulvers in manchen ad III.
und IV. näher betrachteten Fällen sich schwieriger gestaltende
Ausführung des Schiefsens läfst sogar vermuten, dafs die beiden
Grofsmächte, Österreich-Ungarn und Rnssland, welche zur Zeit
allein noch 8 Geschütze starke Batterien besitzen, auch bei ihren
fahrenden Batterien die für ihre reitenden bereits festgesetzte Zahl
von 6 Geschützen annehmen werden.
2. Die zwischen den Batterien einer Abteilung gebotenen
Zwischenräume von HO bis 50 Schritt, werden, wenn auch bei
rauchschwachem Pulver die Beobachtung der Schüsse jeder Batterie
nicht mehr durch den eigenen Pulverrauch erschwert wird, mit
Rücksicht auf nachstehende Gründe (abgesehen von den oben ad VI. 1
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Der EinflufB des ranchschwachen Polyere a. s. w.
85
erwähnten, die gröfstraögliche Entfaltung von Artillerie in besonders
wichtigen Feuerstollungen erfordernden Ausnahmefällen), nach wie
vor geboten sein: Die Beobachtung der Wirkung der eigenen
Schüsse gegen einen, unserer Sicht entzogenen, nicht mehr durch
den Pul verrauch leicht erkennbaren Feind, wird wesentlich schwerer.
Seither konnte der Batterie- Führer diese Beobachtung fast immer
von einem neben den Flögeln seiner Batterie sich bietenden Punkte
aus bethätigen. In Zukunft wird es, wie bereits ad II. 1 hervor-
gehoben wurde, besonders wichtig werden, dafe die Batterie- Führer
solche Punkte zu ihrer Aufstellung wählen, welche ihnen den besten
Blick auf das zu beschiefsende Ziel gestatten. Liifst sich solcher
Punkt weder zwischen, rückwärts noch neben den Geschützen er-
möglichen, so wird der Batterie -Führer genötigt sein, seine
Beobachtungen durch Offiziere oder Meldereiter ergänzen, mitunter
sogar aussen liefslich von diesen bethätigen zu lassen. Sowohl hier-
durch, wie durch die mehr zum Anblick kommenden ungünstigen
Kampfeiudrücke — Verluste, Verwundungen — wird es mehr wie
bisher geboten sein, iu der Feuerstellung — zwischen den Batterien
einer Abteilung scharf hervortretende Zwischenräume zu lassen.
Durch dieselben wird zugleich die dem Abteiluugs-Commandeur ob-
liegende Leitung des Feuers der Abteilung wesentlich erleichtert. —
Die Aufstellung der ersten Staffeln und der Geschützprotzen mufs auch
fernerhin rückwärts-seitwärts der Geschütze augestrebt werden.
Diesesbe ist aber für die erste Staffel u. 8. w. der mittleren Batterie
einer Abteilung, ohne zu grolse Entfernung von den Geschützen
derselben nur zu ermöglichen, wenn die Batterien unter sich gröfsere
Zwischenräume als zwischen ihren Geschützen haben.
3. Die vorteilhafteste Stärke einer Abteilung wird
nach wie vor die von 3 Batterien bleiben. 4 Batterien starke Ab-
teilungen werden, weil die dem Abteilungs-Commandeur obliegende
Leitung des Feuers seiner Batterien ohnehin in manchen Fällen
schwieriger wird, noch weniger wie seither zulässig sein. Abteilungen
von 2 Batterien würden hingegen dem Abteilungs-Commandeur
nicht die Möglichkeit bieten, die Niederkämpfung des wichtigsten
Teils des seiner Abteilung zur Bekämpfung zugewiesenen Abschnitts
mit Übermacht — 2 Batterien — bethätigen und dabei gleichzeitig
einen nahezu ebenso wichtigen Teil mit einer Batterie niederhalten
lassen zu können. — Zur Zeit besitzt unter den Grofsmächten nur
Italien 4 Batterien starke Abteilungen, während die den Kavallerie-
Divisionen zugeteilten reitenden Abteilungen, Frankreich aus-
genommen, nur 2 Batterien stark sind. Im deutschen Reiche und
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86
Der Einflufs des rauchschwachen Pulvers u. 8. w.
in Frankreich bestehen, mit Ausnahme der den Corps- Artillerien,
beziehungsweise den Kavallerie- Divisionen beigegebenen reitenden
Abteilungen, nur 3 Batterien starke Abteilungen. Ebenso besitzt
Osterreich* Ungarn, abgesehen von den reitenden und leichten Ab-
teilungen, welche den Kavallerie -Divisionen beziehungsweise den
Corps- Artillerie -Regimentern*) beigegeben sind , uur 3 Batterie
starke Abteilungen (Batterie- Divisionen), mit Batterien von 8 statt
6 Geschützen.
4. Treten zwei oder mehr Abteilungen in Thätigkeit, so mufs
jeder Abteilung der entsprechend gegenüber befindliche Teil des zu
überwältigenden Feindes zur Bekämpfung zugewiesen werden. Hier-
bei empfiehlt sich Abgrenzung nach leicht erkennbaren Gelände-
Merkmalen, in der Weise, dafs der Teil, dessen Überwältigung vor
Allem geboten erscheint, mit Übermacht bekämpft werden kann.
Die Zahl der Abteilungen, welche am vorteilhaftesten zu
einem Regiment vereinigt wird, kann mit Rücksicht darauf,
dafs bereits 2 Abteilungen in der Feuerstellung eine Front-
ausdehnung von nicht viel unter 1 km einnehmen, höchstens 3 be-
tragen.
Die Frage, ob 2 oder 3 Abteilungen starkeu Regimentern der
Vorzug gebühre, hängt wesentlich von der Zusammensetzung der
grösseren Truppenverbände einer Armee ab. — Für 3 Infanterie-
Divisionen starke Armee -Corps könnte in Frage kommen, ob sich
die Vereinigung von 3 Abteilungen ä 3 Batterien im Regiments-
Verbande und die Zuteilung je eines so gebildeten Feld- Artillerie-
Regiments au jede Infanterie- Division mehr empfiehlt, als die Zu-
teilung je eines nur 2 Abteilungen ä 3 Batterien starken Regiments
au jede Infanterie-Division und die Ausscheidung eines ebenso
starken weiteren (vierten) Regiments, als Corps- Artillerie des
Armee-Corps. — Da ein 3 Infanterie - Divisionen starkes Armee-
Corps eine seiner Infanterie- Divisionen uud deren Artillerie in der
Hand behalten kann, würde sogar die Zuteilung eines nur 2 Ab-
teilungen ä 3 Batterien starken Regiments an jede der drei Infanterie-
Divisionen noch nicht das Vorhandensein einer eigenen Corps-
Artillerie, mit Rücksicht auf die Gefechtsleitung des Armee-Corps
*) Es ist zu vermuten, dafs Österreich -Ungarn die schwere Batterie -Division
der Corps- Artillerie -Regimenter, welche, durch die jüngst erfolgte Neuerrichtung
von je einer schweren Batterie pro Corps -Artillerie -Regiment, die Stärke von
4 Batterien besitzt, im Kriege, in 2 Unter- Abteilungen ä 2 Batterien (16 Ge-
schützen) gliedern, mithin jede dieser in derselben Stärke wie die leichte Batterie-
Division des Corps-Artillcrie-Regiments auftreten wird.
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Der Einflufs des rauchachwachen Pulvere u. 8. w.
87
bedingen. — Wesentlich anders gestalten sich die Verhältnisse bei
nur 2 Infanterie -Divisionen starken Armee -Corps, weil in diesem
Falle der kommandierende General nur durch die Corps- Artillerie
im Stande ist, den Kampf der Infanterie- Divisionen nach seinen
Absichten zu beeinflussen.
Für Armeen, welche, wie die deutsche, aus 2 Infanterie-
Divisionen starken Armee-Corps zusammengesetzt sind, empfiehlt sich
also offenbar die Vereinigung von 3 Abteilungen ä 3 Batterien zu
einem Regiments- Verbände. Diese Organisation ermöglicht die Zu-
teilung von ausreichender Feld-Artillerie — an jede der zwei Infanterie-
Divisionen des Armee-Corps entsprechend nahezu 3 Geschützen auf
je 1000 Mann Infanterie, und das Vorhandensein einer ebenso
starken Corps- Artillerie, wodurch dann nahezu 4 l / 2 Geschütze auf
1000 Mann Infanterie vorhanden sind. Im Kriege 1870/71 zählten
die deutschen Armee-Corps allerdings nur 13 höchstens 15 Batterien
= 78 bis 90 Geschütze, mithin nur etwas über 3 — 3 7a Geschütze
pro 1000 Mann Infanterie. In zukünftigen Kriegen wird aber auf
eine so entschieden taktische und technische Überlegenheit der
deutschen Feld- Artillerie gegenüber der feindlichen, wie 1870/71,
nicht zu hoffen sein. Auch werden alle Grofsmächte voraussichtlich
mindestens 4, Frankreich nahezu 5 Geschütze pro 1000 Mann In-
fanterie besitzen. Endlich werden die in Folge des rauchschwachen
Pulvers und kleinkalibriger Mehrlader-Gewehre gesteigerten Schwierig-
keiten des Infanterie-Angriffs nur mit kräftigster Artillerie-
Unterstützung überwältigt werden können. Diesen Anforderungen
trägt die neue Organisation der deutschen Feld-Artillerie in vollem
Mafse Rechnung.
5. In nachstehendem sei ein flüchtiger Überblick über die
Organisation der Feld- Artillerie der europäischen Grofs-
mächte unserer Arbeit angeschlossen. Diese sämtlich, mit Aus-
nahme Russland8 (welches jeder Infanterie-Division eine ganze Fufs-
(Feld-) Artillerie- Brigade von 6 Batterien ä 8 Geschützen, davon
4 leichte 8,7 cm, und 2 schwere, 10,7 cm Batterien zuteilt, haben
eine Divisions- und eine Corps-Artillerie. — Frankreich, Italien und
Österreich -Ungarn haben ihre Corps- Artillerie bereits im Frieden
in besondere Regimenter formiert, während die deutsche Corps-
Artillerie erst im Mobilmachuugsfalle als solche gebildet wird. Die
Zahl der Geschütze der Corps-Artillerie ist in Italien und Österreich-
Ungarn gleich der Summe der Geschütze der Divisions-Artillerie, in
Deutschland höchstens gleich jener der einer der beiden Divisionen
zugeteilten Geschütze, in Frankreich um 2 Batterien (12 Geschütze)
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Der Einflufs des rauchschwachen Pulvere u. s. w.
gröfser als die je einer Infanterie- Division. Es entfallen somit in
Frankreich nahezu 5, in Russlaud 3 Geschütze auf 1000 Mann In-
fanterie; von den übrigen Großmächten nähern sich Italien und
Österreich-Ungarn mit je 4 Geschützen mehr Russlaud, Deutschland
mehr Frankreich.*) — (Nicht unerwähnt bleibe bei dieser Gelegen-
heit, dafs neuerdings beachtenswerte Stimmen laut werden, welche
die Ausscheidung einer besonderen Corps- Artillerie überhaupt nicht
mehr als dem Wesen der neueren Taktik entsprechend erachten und
die Zuteilung sämtlicher Batterien au die Divisionen von Haus aus
befürworten. Anmerkung d. L.)
Deutschland und Frankreich haben bei ihren fahrenden Batterien
das schwere Kaliber von 8,8 cm, beziehungsweise 9 cm; Russland
hat sogar ein 10 cm Kaliber bei einem Drittel seiner Batterien,
während das leichte Kaliber der übrigen Batterien (8,7 cm) mit
demjenigen Italiens und Österreich -Ungarns übereinstimmt. Letzt-
genannte Staaten haben das von ihren reitenden Batterien geführte
leichte Feldgeschütz (7,5 cm) nur in ihrer Corps-Artillerie, im Verhält-
nis von 1,4, beziehungsweise 1,6 zur Gesamtgeschützzahl der Armee-
Corps, vertreten. Italien, Russland und Österreich -Ungarn haben
nur bei den Kavallerie -Divisionen reitende Artillerie, und zwar je
1 Abteilung zu 2 reitenden Batterien, während wir solche in Deutsch-
land und Frankreich auch zum Teil bei der Corps- Artillerie ver-
treten finden. — Der neuerdings mehrfach angeregten Frage der
Einführung eines Einheits-Feldgeschützes kann an dieser Stelle nicht
näher getreten werden.
6. Werfen wir noch einen Blick auf die Zahl der Batterien,
welche bei den Feld- Artillerien der genannten Großmächte als
Stämme für Neuformationen im Kriegsfalle verfügbar sind. —
In Frankreich verbleiben von den 24 Batterien jedes seiner
19 Armee-Corps zu diesem Zwecke 3 verfügbar, aus welchen durch
Verdoppelung mit Leichtigkeit die für eine Reserve -Division be-
nötigende Artillerie von 6 Batterien gebildet werden kann. —
*) Ein italienisches Corps -Artillerie -Regiment zählt 2 Abteiinngen zn
4 Batterien von je 5 Geschützen, bei jeder Infanterie- Division 1 Abteilung der-
selben Starke; Osterreich- Ungarn hat Corps - Artillerie - Regimenter von
2 Batterie-Divisionen und üu Ganzen 6 Batterien zu je 8 Geschützen, bei jeder
Infanterie-Division 1 Batterie-Division von 3 Batterien zu je 8 Geschützen; in
Frankreich besteht die Corps -Artillerie aus 6 Batterien in zwei Gruppen und
ferner 2 reitenden Batterien, während jeder Infanterie-Division 6 Batterien in zwei
Gruppen zugeteilt sind. — Aus Rufsland verlautet, dafs die Vermehuung der
Feld-Artillcrie-Brigaden von 6 auf 8 Batterien geplant werden.
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Der Einflute des rauchschwachen Pulvere u. s. w.
HO
Österreich-Ungarn besitzt bei 14 Armee-Corps je eine Batterie-
Division von 8 schweren Batterien mit vermindertem Friedens-
stände (nur 2 bespannte Geschütze) zu demselben Zwecke. Russ-
land besitzt in 5 Reserve- Fufs- (Feld-) Artillerie -Brigaden von
6 Batterien und 5 Ausfall -Batterien die Stämme für die Artillerie
von 24 Reserve-Infanterie-Divisionen. Italien kann die Bildung
der für jede Mobilmiliz -Infanterie- Division bestimmten 4 Batterien
bei jedem seiner 12 Armee- Corps aus dem bei jedem Artillerie-
Regiment bestehenden Depot unterstützen.
7. Für die bei der Mobilmachung aufzustellenden Munitions-
Kolonnen und Ersatz-Depots sind nur in Österreich -Ungarn
und Russland schwache Stämme im Frieden vorhanden. Auf solche
kann da verzichtet werden, wo im Frieden schon 6 Fahrzeuge
(Geschütze) bespannt sind und die genügende Zahl von Batterien,
über den Bedarf der Armee-Corps hinaus, für Neuformationen vor-
handen ist. Diesen Bedingungen entspricht die Organisation der
französischen Feld- Artillerie, deren Batterien mindestens je 6 Fahr-
zeuge (4 Geschütze und 2 Munitionswagen), die an der Ostgrenze
stehenden sogar 9 Fahrzeuge (6 Geschütze und 3 Munitions wagen)
bespannt haben. Zu dem ermöglichen die 2 Hauptleute, welcho
jede Batterie im Friedeu besitzt, die Führung der neu auf-
zustellenden Batterien und Munitions -Kolonnen Hauptleuten des
aktiven Heeres zu übertragen. — Bei der deutschen Artillerie
sollen, dem Reorganisationsplane gemäfs, in Zukunft sämtliche
Batterien der Grenz- Armee- Corps Nr. 1, 15, 16 und 17 schon im
Frieden mit 6 bespannten Geschützen ausgerüstet werden.
8. Schliefslich möge noch an ein sich mehr und mehr geltend
machendes Bedürfnis der deutschen Feld- Artillerie erinnert werden:
Die Gewährung eines Offizier-Chargenpferdes an die
Hauptleute uud Lieutenants der fahrenden Batterien, au
Stelle des jetzigen Dienst- Reitpferdes. Diese Mafsregel würde dem
Dienstbetriebe und der Ausbildung unserer Feld-Artillerie entschieden
zu Gute kommen. 32.
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V. Umschau in der Militär-Litteratur.
I. Ausländische Zeitschriften.
Organ der mllitär- wissenschaftlichen Vereine. 4. Heft: Gedanken
über Neubefestigungen und Verwendung der Stre.itmittel in denselben. —
Die Photographie und die damit in Beziehung stehenden modernen Re-
produktion« -Verfahren auf der Weltausstellung zu Paris 1889.
Streif leur's österreichische militärische Zeitschrift. IV. Heft: Ruck-
blicke auf den Feldzug 1870/71, in Bezug auf die Gesundheit«- und
Krankenpflege der Pferde und das animalische Verpflegsmaterial der
deutschen Armeen. — Unsere Fahrkanoniere. — Aus dem Buche vom
Offizier. — Die Schüler-Bataillone in Paris. — Betrachtungen über Nacht-
märsche und Nachtgefechte. —
Die Reichswehr. Nr. 120: Arbeiter-Strikes und Militär-
Assistenzen. Die Bestimmungen des Dienstreglements, derzufolge die
Truppen bei Unterdrückung von Aufruhr vollständig in die Hand des
betreffenden jxriitischen Beamten gegeben sind, haben gelegentlich der
Arbeiter-Unruhen in Mähren zu UnzutrHglichkeiteu geführt, namentlich
jüngeren oder mutlosen Beamten gegenüber. D. R. dringt auf Ände-
rung der betreffenden Vorschriften. — Nr. 121: Gegen den Dreibund.
D. R. bespricht die durch den Rücktritt Bismarcks offenkundig oder ver-
hüllt hervortretenden Versuche, den Dreibund zu lockern, der Angriffs-
punkt scheine zunächst Italien bleiben zu sollen, mittelbar versuche die
russische Presse, einen Keil in das intime Bundesverhältnis Deutschlands
und Österreich-Ungarns zu treiben , indem sie letzteres als einen Macht-
faktor von höchst problematischem Werte darzustellen suche. — Nr. 125:
Das verstärkte deutsche Reichsheer. Für Österreich-Ungarn, sagt
D. R., bedeute die neue deutsche Militärvorlage eine ernste Mahnung;
wenn dasselbe eine gleiche Notwendigkeit für sich nicht anerkennen
wolle, so regele sich hieraus die Verschiebung der Grundlagen des Bünd-
nisses; es gehe nicht, dafs der eine Teil der gröfseren Macht des anderen
vertraue und sich selbst von Verstärkung der eigenen Streitkraft onthoben
erachte.
Armeeblatt (Österreich.). Nr. 18: Unsere kavalleristische Aus-
bildung. Verf. sagt: „Man übe die Attacke so lange, bis sie unseren
Reitern und Offizieren so zur Gewohnheit wird, wie beispielsweise ein
Kolonnenmarsch, dann wird die so gefürchtet« Unruhe unserer Pferde
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Umschau in der Militär-Litteratur.
91
gewifs verschwinden" ; wogegen das Reglement vorschreibt: „Bei Übungen
soll nur selten „Marsch marsch" kommandiert werden, nur so bleiben
Reiter und Pferde während der Vorrückung ruhig". (Wir verweisen den
Leser auf einen im August-Hefte erscheinenden Aufsatz: „Die Ideale
der Kavallerie". D. L.) — Hr. 20: Der neue Karabiner (Modell
MannUcher) ist zur Annahme empfohlen worden.
Militärisch -politische Revue „Bellona". Heft 15: Monumente für
Politiker. — Die heutige Verfassung des türkischen Heeres. — Zum
Erlafs Kaiser Wilhelm IL, betreffend das deutsche Offizier-Corps. — Über
Landespferdezucht. — Heft 18: Die deutsche Kolonialpolitik. — Jour-
nalistische Thütigkeit von Offizieren. — Über Landespferdezucht (Schlufs).
Militär-Zeitung (Österreich.). Nr 30 u.31: Die General-Inspektionen.
Bemerkenswerte Betrachtungen über den Wirkungskreis der seit 1869 be-
stehenden „General-Kavallerie-Inspektion". eine Behörde deren das deutsche
Reichsheer zur Zeit noch ermangelt. Vom „General-Infanterie-Inspektor"
wird gesagt, seine Aufgabe sei „fast zu grofs". — Mr. 32: Die Standes-
verhältnisse unserer Geniewaffe. Der Kriegsstand derselben ist
hiernach auffallend gering; er beträgt 235 Offiziere, 11,043 Mann; in
Deutschland 600 Offiziere, 25,680 Mann, Uhnlich in Russland und Italien,
in Frankreich sogar 660 Offiziere, 24,890 Mann; entsprechend ungünstig
ist das Verhältnis zur Infanterie; es entfallen auf je 100 Bataillone
18 Offiziere, 852 Mann; in Frankreich 44 Offiziere, 2039 Mann. -
Mitteilungen über Gegenstände des Artillerie- und Genie -Wesens.
4. Heft: Das Artilleriewesen auf der Pariser Weltausstellung vom Jahre
1889. — Über Betonierungen und deren Anwendung bei fortifikatorischen
Objekten (Schlufs).
Journal des Sciences mllitaires. (April): Die Taktik der Verpflegung
(Fortsetzung). — Die Wehrkraft Frankreichs. Verfasser, General
Oosseron de Villenoisy, meint: „man habe die Armee durch Verkürzung
der Dienstzeit geschwächt, und indem man nur zu junge, wenig
ausgebildete und wenig Autorität geniefsende Cadres haben wolle. Man
schwache sie noch immer durch unausgesetzte Bildung neuer Bataillone,
Eskadrons, Batterien, ohne Soldaten zu haben, um diese zu Skeletten zu-
sammen geschrumpften Körper auszufüllen; das sind verhängnisvolle
Mafsregeln, die ein ungeschickter Minister getroffen oder doch hervor-
gerufen habe, auf die ein anderer, mehr erfahrener Minister zurückgreifen
kann. Gebe Gott, dafs sich dies nicht zu lange verzögere!" — Der Feld-
zug von 1814 (Fortsetzung). — Raid des General Gourko im Balkan. —
General Faidherbe; Biographie dieses Heerführers. — Die französische
Remontierung (von General Bonie). — Feuertaktik und Schiefswesen der
französischen Infanterie (Fortsetzung). — Pajol; Biographie dieses naj>o-
leonischen Generals.
Le Spectateur milltaire. (1. Mai): Der Berliner „Aeronaute".
Besprechung der Bestrebungen der Berliner Gesellschaft für Luftschiffahrt
und des Inhaltes der von dieser herausgegebenen Zeitschrift. — Die
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92
Croschau in der MilitÄr-Litteratur.
elementarste Taktik. — Disziplin. Enthält interessante Angaben
Uber den mangelhaften disziplinaren Zustand der Heere der Republik
1870/71. — Die französischen Stamm- und Ranglisten (Fortsetzung). —
(15. Mai): Unser Gewehr und das deutsche Gewehr. — Die grofsen
Manöver und die Führung. — Die elementarste Taktik (Fortsetzung). —
Bazaine und Maximilian. — Die französischen Stamm- und Rang-
listen (Fortsetzung). Dieser Artikel enthält wertvolles Material zur
Geschichte der Heere der ersten Republik. — Sind wir bereit? (Fort-
setzung). Beschäftigt sich besonders mit der militärischen Lage der fran-
zösischen Kolonien im Falle eines Krieges gegen die Tripel -Allianz.
Revue de Cavalerle. (April): Die grofsen Kavallerie-Manöver
1889. Genaue Beschreibung der von 3 Kavallerie-Divisionen im Lager
von Chalons, in der Zeit vom 28. August bis 11. September 1889, aus-
geführten Manöver. — Nansouty (Fortsetzung). — Die deutsche Kavallerie
(Fortsetzung). — Standquartiere der deutschen Kavallerie am 1. April
1890.
Revue du Service de l'lntendance militaire. (März — April): Methoden
der Statistik. — Organisation der statistischen Bureaus in Frankreich und
im Auslande. — Kasernement und Militär-Betten.
Revue du cercle nilitaire. Mr. 17 u. 18: Ein Jahr in Tunis. — Die
militärischen Einrichtungen Chinas. — Der Krieg am Senegal. — Nr. 19
u. 20: Ein Jahr in Tunis (Fortsetzung). — Das neue belgische Gewehr.
— Brieftauben und Taubenschläge. — Der russische Offizier im Heere
und in der Gesellschaft. —
Revue militaire universelle. (April): Der Kriegsminister hat einen
Kredit von 120,000 francs zur Beschaffung von Lanzen für das erste
Glied der Dragoner-Regimenter verlangt. — Effektivstarke für 1891:
26,934 Offiziere, 520,548 Mann, 142,870 Pferde, also 1038 Offiziere,
16,899 Mannschaften und 4569 Pferde mehr als im Vorjahre. — Das
6. Corps zählt mit den neuerdings verfügten Verstärkungen: an Kom-
battanten 50,000 Mann, nämlich 57 Bataillonen Linien-Infanterie, 9 Jäger-
Bataillone, 70 Batterien (Feld-, Festungs- und reitende), 84 Eskadrons,
4 Genie- und 4 Train-Compagnien. —
L'Avenlr militaire. Nr. 1468: An den Manövern des 18. Corps wird
eine Brigade-Marine-Infanterie Teil nehmen unter Befehl des General
Duchemin. — Nr, 1470: Durch Dekret vom 29. April ist das Militär-
Telegraphen-Wesen der Leitung des Genie- Wesens unterstellt worden und
das Militär-Brieftauben-Wesen dem ersteren zugeteilt worden. — Nr. 1471:
Die Ergänzung der Unter - Lieutenants der Reserve- und
Territorial-Arme e. Dieselbe scheint ziemlich im Argen zu liegen seit
Abschaffung der Einjährig -Freiwilligen. „Mehr und mehr machen
sich die Un Vollkommenheiten und Widersprüche des neuen
Militärgesetzes fühlbar". — Nr. 1472: Der Grofse Generalstab.
A. m. nennt das Gesetz vom 6. Mai, welches die Reorganisation des
Generalstabes verfügt, ein bedeutsames Ereignis, da von demselben die
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Umschau in der Milit&r-Litteratar.
bisher schwächste Seite der Heeres- Organisation Nutzen ziehe: Das Armee-
Ober- Kommando. Die Ernennung Miribel's zum Chef des Generalstabes
entspreche dem Wunsche: „Jeden an seinem Platze zu sehen." — A. m.
giebt Italien den freundschaftlichen (!) Rat, sein Heeres- und Marine-
Budget um die Hälfte (!) zu verringern; es möge aufhören, Frankreich zu
bedrohen und beständig herauszufordern." — Hr. 1473: Der neue
deutsche Militär-Gesetzentwurf. Durch ein merkwürdiges Rechen-
kunststück will A. m. beweisen, dafs die deutsche Armee im Frieden mehr
als 600,000, die französische noch nicht 500,000 Köpfe zähle. Es lohnt
nicht, auf diese tendenziöse Fabel des Näheren einzugehen.
Le Progres militaire. Nr. 992: Ergebnisse der Rekrutierung
1889. An der Losung haben Teil genommen 295,707 junge Leute, d. h.
12,538 weniger als 1888, in welchem Jahre sich bereits 7,847 weniger
als 1887 stellten. Von Neuem anwerben liefeen sich auf 2, 3, 4 oder
5 Jahre 6182, davon 4118 Unteroffiziere. Die Land -Armee erhielt von
der ersten Klasse des Jahreskontingentes 140,141 Mann, davon 124,413 zu
3 jährigem, 10,685 zu 2 jährigem, 5043 zu 1 jährigem Dienste; die Flotte
6040 zu 3 jährigem Dienst. Zu freiwilligem Eintritt meldeten sich im
Heer und in der Flotte in Summa 31,641 Mann. — Nr. 993: Fremden
Offizieren wird, durch Verfügung des Kriegsministers, die Teilnahme an
den Manövern des 18. Corps, welches mit rauchlosem Pulver übt, nicht
gestattet. — Pr. kann seine üble Laune Uber den deutschen Gesetz-
entwurf, betreffend die Friedens-Präsenz-Stärke, nicht verbergen, ohne sich
klar zu machen, dafs die abermalige Erhöhung derselben doch lediglich ein
Echo dessen ist, was jenseits der Vogesen geschieht. Der einfache Ver-
gleich der französischen und deutschen Heeresstärken macht jeden
Kommentar überflüssig. — Projekt einer strategischen Bahn von Nancy
nach Beifort, über Epinal und Remiremont, behufs besserer Verteidigung
der Vogesen und der „trouee de Belfert". — Nr. 996: Deutsche
Kolonisation. Anerkennende Besprechung der Leistungen der deutschen
Schutztruppen in Ost-Afrika.
La France militaire. Nr. 1805: Salvenfeuer und rauchloses
Pulver. Verfasser meint, der Fortfall des Rauches gestatte, in Zukunft
mehr Wert auf das Einzelfeuer (feu ä volonte) zu legen, das sei einer der
wichtigsten Vorzüge des neuen Pulvers; man habe nicht mehr nötig, die
Patronen in schlecht gezieltem Salvenfeuer zu vergeuden. — Nr. 1807:
Italiener und Franzosen. F. m. meint, da zwischen Frankreich und
Italien keine Blutsverschiedenheit bestehe, sei es ein Leichtes, die frühere
Freundschaft wieder herzustellen; aber so lange Italien Mitglied der
Triple- Allianz sei, könne man ihm gegenüber nur berechtigte Kälte zur
Schau tragen! — Nr. 1811: Unsere Generale. F. ra. macht, auf Grund
des „l'Annuaire de lVtat major gener al de l'armee", Angaben über das
Alter der Generale; demgemiife haben die 98 aktiven Divisions -Generale
ein Durchschnittsalter von 61 Jahren 3 Monat; der iiiteste (L'Hotte) ist
1825, der jüngste (de Negries) 1839 geboren. General de Gallifet ist
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Umschau in der Militir-Litteratur.
1830 geboren, also 60 Jahre alt. Die 198 Brigade- Generale haben ein
Durchschnittsalter von 57 Jahr 8 Monaten. — Mr. 1812: „Abermals
eine Ablenkung." F. m. spricht sich gegen eine Expedition nach
Dahoniey aus; solche Politik drohe abermals, die (französische) Aktions-
freiheit in Europa lahm zu legen! — General de Miribel, der neue
Chef des Grofsen Generalstabes und ehemalige Kommandant des 6. Corps,
gilt für einen der fähigsten Generale, er ist jetzt 59 Jahre alt, vor-
maliger Zögling der Ecole polytechnüjue und 1851 in den Dienst getreten ;
an seiner Stelle wird General Jamont vom 1. Armee-Corps (Lille) das
Kommando an der Üstgrenze erhalten und dieser durch den General
Loizillon, bisherigen Commandeur der 2. Kavallerie- Division (Luneville)
ersetzt werden. — Mr. 1822: Ahnlich wie kürzlich die Marine-Infanterie-
Regimenter, soll jetzt das Regiment Marine-Artillerie geteilt werden.
Dasselbe zählt 35 Batterien (Fufe-Batterien oder fahrende) und 2 Compagnien
Fahrer, ferner zahlreiche Detachenients.
Li Belgique militalre. Nr. 998: Der Leitartikel bespricht in scharfer
Weise eine Kritik der „Revue militaire de letranger" über Brialmont's
„Les Regions fortifiees". Wir bemerken, dafs die genannte Revue in un-
gefähr derselben Weise zu dem neuesten Werke Brialmont's Stellung
genommen hat, wie die „Jahrbücher" (s. Maibeft). — Vergleichende
Schiefsversuche von Beverloo. Es wird darauf aufmerksam gemacht,
dafs die Berichte, betreffend den „Sieg" der belgischen Uber die
Krupp'schen Geschütze an argen Widersprüchen und Übertreibungen
leiden; es wird von „Pyrrhus- Siegen" gesprochen!! — Nr. 997: Die
glatten belgischen Geschütze. — Nr. 998: Schiefsübungen der Feld-
Artillerie in Beverloo. — Nr. 999: Belgisches rauchloses Pulver.
Allgemeine Schweizerische Militärzeitung. Nr. 18: Bestimmung des
höchsten zulässigen Gasdruckes durch Berechnung (W. Hebler).
Verfasser behauptet, lieim Lebel-Gewehr, deutschon Gewehr und belgischen
Mausergewehr sei der Gasdruck ganz unzulässig hoch für ein brauchbares
Kriegsgewehr; beim österreichischen Mannlicher-Gewehr Ubersteige er die
erlaubte Grenze nur unbedeutend, beim Schweiz. Schmidt-Gewehr und
Hebler-Gewehr sei er bedeutend unter derselben. — Nr. 20: Über die
Erhitzung des Laufes und des Geschosses, pro Schufs, von
Hebler.
Schweizerische Monatsschrift für Offiziere aller Waffen. April. Der
Feldzug Julius Ciisars gegen die Helvetier im Lichte der Kritik (Fort-
setzung). — Der Feldkrieg bei Nacht (Fortsetzung).
Schwelzerische Zeitschrift für Artillerie und Genie. Nr. 4: Die
schweizerische Kartographie an der Weltausstellung von Paris 1889 und
ihre neuen Ziele. — Verwendung der Gebirgs-Artillerie in der Tonkin-
Expedition. — Das deutsche Magazin-Gewehr 88.
Revue militaire SUiSSe. Nr. 5: Der Dienst im Felde, vom Stand-
punkte der „Ordres de bataille". — Schweizerische Militär-Plauderei.
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Unwchau in der Militär-Litteratur. 95
Army and Navy Gazette 1578: Die Kavallerie der festländischen
Heere. Vortrag des Oberst Bowdler Beils; behandelt die für die englische
Kavallerie vorgeschlagenen Änderungen, besonders Aufstellung in einem
Gliede. Die Einteilung der deutschen Kavallerie wird als die beste hin-
gestellt — Die Verhaltnisse in Massaua und Abessinien. Die
aufständische Bewegnng der Derwische schliefst auch für Abessinien eine
grofse Gefahr in sich. Ferner wird darauf hingewiesen, dafs das Streben
fast aller europäischer Staaten nach Ländererwerb in Afrika bedenkliche
Reibungen nach sich ziehen kann. — Die Bereitschaft Englands für
einen zukünftigen Krieg. Die unter diesem Titel im April dieses
Jahres erschienenen Aufsätze von Sir Charles Düke werden widerlegt, und
die Unrichtigkeit der in jenen ausgesprochenen Behauptungen nach-
gewiesen. — Nr. 1579: Kavallerie gegen Infanterie. Der viel-
verbreitete Grundsat/, dafs Kavallerie eine nicht erschütterte Infanterie
nicht mit Erfolg angreifen könne, wird als durchaus falsch hingestellt.
An der Hand der Kriegsgeschichte wird nachzuweisen gesucht, dafs überall
da, wo gut ausgebildete Kavallerie im richtigen Augenblick eingriff, sie
auch Erfolg hatte, selbst wenn dieser Erfolg nur im Gewinnen von Zeit
bestand. Diesen Zweck erreichte z. B. die preußische Kavallerie mit weit
geringeren Verlusten bei Mars la Tour, wie sie die Infanterie im anderen
Falle erlitten haben würde. Trotz der verbesserten Waffen und der ver-
änderten Taktik kann eine gut geführte und ausgebildete Kavallerie noch
immer dasselbe leisten wie vor 80 Jahren in den Napoleonischen Kriegen.
— Körperkraft und Kampf. Das abfällige Urteil, das General
Wolseley gelegentlich eines Vergleichsschiefeens zwischen Mannschaften der
Linie und der Freiwilligen Uber die letzteren fällte, wird als nicht gerecht-
fertigt bezeichnet. Für die Leistungen einer Truppe im Gefecht sind die
persönliche Körperkraft und die sich daraus ergebenden Leistungen
wichtiger wie die Schufsfertigkeit derselben. In dieser Beziehung sind
aber die Leistnugen der Freiwilligen denen der Linie überlegen.
Adrelralty aad Hene Guards Gazette. Nr. 286: Das „Schildkröten
Zelt. Eine Beschreibung des „Schildkröten u -Zeltes, das gegenwärtig l>ei
den Manövern in England Verwendung gefunden hat. Den Mittelpunkt
desselben bildet ein vierrädriger Wagen, über den das Zeltlaken gespannt
und auf der Erde befestigt wird, wodurch Raum für 50 Krankenbetten
entsteht. Gleichzeitig erhält der Wagen einen Ofen, in dem während des
Fabrens für 150 Mann gekocht werden kann. Auch im Winter soll sich
das heizbare Zelt gut bewährt haben, r- Leucht-Signale. Eine durch Ab-
bildungen erläuterte Beschreibung der in der französischen Armee ein-
gehender versuchten neuen Leuchtsignale. Sie bestehen aus einem ein-
fachen zylinderischen Sockel, der der raketenähnlich wirkenden Patrone die
Richtung giebt. Die Rakete hat ungefähr die Gröfse unserer früheren
Wallbüchsen-Patronen, kann Uberall leicht mitgenommen, und durch den
Zug an einer Zündschnur senkrecht in die Höhe geschleudert werden-
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96 Umachau in der MilitÄr-Litteratur.
— Nr. 287: Lösung der schwebenden Frage betreffs der
schweren Geschütze. Eis wird empfohlen, von der Vergrößerung der
Kaliber der schweren Geschütze Abstand zu nehmen, und dafür aus
kleineren Kalibern mit Dynamit gefüllt« Granaten zu schiefsen. Bei den
von der „Grayden-Gesellschaft" angefertigten Granaten soll jede Explosions-
gefahr ausgeschlossen sein.
The lllustrated Naval and Military Magazin. Nr. 16: Allgemeine
Wehrpflicht für England. Alle Einwendungen, die man gegen all-
gemeine Wehrpflicht in England erhebt, werden als unbegründet wider-
legt. Durch Einführung derselben nach deutschem Muster unter gewissen
Änderungen würde die Wehrkraft Englands auf die erforderliche Höhe
gebracht, ohne dafs dem Lande daraus ein Nachteil erwüchse.
Wajennüj Slbomlk. (Mai): Die heutige Dislokation der öster-
reichisch-ungarischen, französischen und deutschen Armee
mit Rücksicht auf ihre Mobilmachung und ihre Konzentrierung.
über die Dislokation der deutschen Armee wird wie folgt geurteilt: Die
deutsche Armee hat sehr bedeutende Truppen raassen im Nordosten und
Südwesten konzentriert. Wenn auch seit dem 1. April dieser Konzen-
trierung durch die Schaffung zweier neuer Oorpsbezirke der territoriale
Charakter gegeben ist, so würde doch die Rücksicht auf die Zunahme der
Bevölkerung allein eine andere Verteilung der Truppen bedingt haben. —
Dagegen erscheint die letztere im Hinblick auf das Eisenbahnnetz vor-
trefflich und allen Ansprüchen genügend. — Fortsetzung des Artikels
über die Pferdezucht und die Transport mittel des europäischen
Russlands. Übersicht über den südwestlichen Bezirk, d. h. die Gouver-
nements Wolynien, Podolien, Kijew. Im ganzen wurden dort 1,720,549
Pferde gezählt; d. h. 12 auf die Quadrat- Werst. Auch eingehende Mit-
teilungen über die vorhandenen Fahrzeuge und das Geschirr nach Art und
Zahl werden hinzugefügt.
Russisches Marine- Journal. Nr. 4: Die russische Flotte im Schwarzen
Meere. Die gebräuchlichen Vorrichtungen zum Hinablassen der Scha-
luppen.
RaswiedtSChik. Nr. 23 U. 24 enthält die Bilder des General -Adjutanten
Richter, welcher die einflufsreiche Stellung eines Kommandanten des kaiser-
lichen Hauptquartiers seit 1881 bekleidet, und des Generals v. Notbeck,
welcher für die Schießausbildung und die Neubewaffnung der Infanterie
von hoher Bedeutung geworden ist und noch heute Inspekteur des Schiefs-
Wesens bei den Truppen und Vorsitzender des Komitees für die Neu-
hewaffnung der Armee ist.
Russischer Invalide. (April): Unter dem 9./21. April ist die Ver-
waltung der Chefs der Mineure der Küsten der Ostsee und des Schwarzen
Meeres aufgehoben worden und das Personal derselben unter die Ingenieur-
Truppenteile verteilt worden. Ferner sind die bisherigen 4 Mineur-
Compagnien Nr. 1—4 in 8 Festungs-Mineui-Compagnien der Festungen
Kronstadt. Sweaborg, Wyborg, Dünamünde, Otschakoff, Sewastopol, Kertsch
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Umschau in der MilitÄr-Litteratur.
97
und Michailow umgewandelt worden, welche in den Verband der Ingenieur-
Truppen treten. — Ein Bericht über eine eigene Art Kavallerie-
Cbungsreisen mit den im Winter 88/89 ausgebildeten Ras-
wiedtschiks (Patrouillen - Führern) der 4 Regimenter der
7. Kavallerie-Division giebt einen Einblick in diese den „Jagd-
Kommandos" der russischen Infanterie entsprechenden Einrichtung. — In
sehr eingehender Weise wird in den Nr. 68, 69, 70, 72 und 73 ein Über-
blick über die geodätischen, astronomischen, topographischen und karto-
graphischen Arbeiten gegeben, welcher am 26. März/7. April d. J. an
Allerhöchster Stelle vorgelegt wurde. — Der Neuordnung der „Verwaltung
der Armeen im Kriege vom Jahre 90" sind mehrere Artikel gewidmet.
17.
EiercitO itlllaiO. Nr. 49—60: Der Schwerpunkt aller Veröffent-
lichungen des E. I. in genannten Nummern liegt in der Frage der Er-
sparnisse im Kriegs- und Marinebudget für 1890/91, einer Frage, die von
der Volksvertretung und auch aufserhalb des Parlamentes angeregt, den
Zweck hat, das Defizit wegzuschaffen. Extreme Ansichten forderten die
Herabminderung der 12 Armee-Corps auf 10, Herabsetzung der aktiven
Dienstdauer auf 2 Jahre, unter Durchführung der rein bezirksweisen Er-
gänzung und Dislokation, andere die vorzeitige Entlassung von 30,000 Mann
des ältesten Jahrganges, wieder andere gar die Abrüstung. E. I. tritt
diesen Ansichten entgegen, weist auf die totale Umwälzung hin, welche
die Auflösung von 2 Armee-Corps mit sich bringen würde, verwirft die
2jährige Dienstdauer als gerade jetzt unannehmbar aus politischen wie
militärischen Gründen und ebenso einstweilen die Durchführung des Regional-
systems. Wollte man bei der 2jährigen Dienstzeit die Jahrgänge I. Kategorie
wie jetzt nur zu 82,000 Mann bilden, so hätte man Skelette an Stelle von
Truppenteilen oder aber man müfste zur Auflösung von solchen schreiten.
Behielte man die heutige Friedenspräsenzstärke bei, so müfsten die Kon-
tingente, die man auf 2 Jahre einstellte, 110 — 112,000 Köpfe betragen,
die Ausgaben würden bei dieser 2jährigen Dienstzeit dann aber bedeutend
höher und die Qualität der Armee nähme ab, was gerade bei dem modernen
Kampfe mit der sehr vervollkommneten Wulfe und dem rauchfreien Pulver
unzulässig sei. Der Übergang zum territorialen Ersatz- und Dislokations-
system würde, ganz abgesehen davon, dafs derselbe aus innerpoli-
tischen Gründen für Italien noch nicht zeitgeiniifs, den ganzen Mobilmachungs-
plan und die territoriale Einteilung umwerfen; dazu sei der jetzige
Moment weniger als jeder andere geeignet, Unter Hinweis auf die gerade
jetzt in anderen Grofsstaaten beantragte beziehungsweise durchgeführte
Stärkung der Rüstung erklärt E. I. Ersparnisse im Kriegs- und Marine-
budget zwar für möglich, jedoch nur solche, die weder den Umfang,
noch die Schulung und Kriegsl>ereitschaft des Heeres schädigten, keine
Verminderung der Corps, keine 2jährige Dienstzeit, nicht die Entlassung
von 30,000 Mann des ältesten Jahrganges, nicht den Übergang zum
Territorialsyatem, keine Einstellung der Bauten des Flottenbauprogramms.
Jfthrbacher Kr di« t*tit.ch. Ara*o ood Martu Bd. LXXVI.. 1. 7
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Umschau in der Militär-Litteratar.
Diesen Grundsätzen ist man denn auch im Allgemeinen bei den Abstrichen
im Kriegabudget, die total 10,002,330 Lire betragen, gefolgt. Die Haupt-
samme, 4,203,900 Lire, wird im Ordinarium durch eine um 52 Tage ver-
spätete Einstellung des Rekrutenjahrganges 1870 erzielt, weitere Ersparnisse
ergeben sich aus der Unterlassung von Garnisonwechseln (800,000), Ver-
minderung der Zahl der einzuberufenden Leute der Territorialmiliz und
der Offiziere des Beurlaubtenstandes (200,000 + 100,000), Herabsetzung
der Ausgaben für Remontierung (700,000), durch Abstriche an Artillerie-
und Geniematerial (750,000 + 500,000) und an Unterstützungen (74,400).
Im Extraordinarium, dessen Abstriche total 1,700,000 Lire aufweisen,
entfällt die Hauptsache auf Ersparnisse im Kapitel Sperrforts (1 Million).
Im Marinebudget werden total 5,007,336 Lire erspart.
L'ltalia militare e marina. Nr. 15-21: Behandelt im Allgemeinen
dieselben Fragen, entscheidet sich aber für die Möglichkeit und ZulUssigkeit
der 2jährigen Dienstdauer und des Territorialsystem. Bringt als neuen
Faktor die Frage der Wehrsteuer, die in Italien schon eine Vorgeschichte
besitzt, in Frankreich, Österreich, der Schweiz und Spanien besteht, in die
frage hinein und meint, dafs Ersparnisse im Kriegsbudget leichter mög-
lich seien als in den der Marine. Die Ansichten des Esercito italiano
stehen denjenigen der Regierung augenscheinlich näher, als die der
Italia militare, wie die Art der Verteilung der Abstriche im Budget und
die Entschlüsse der Regierung gegenüber den Forderungen der Extremen
beweisen.
Revista scientlfico-militar (Spanien). Nr. 9: Die militärische Ein-
teilung Spaniens (Fortsetzung mit Plan). — Betrachtungen über die Reiter-
waft'e (Fortsetzung).
Memorial de Ingenieros del Ejercito (Spanien). Nr. 8 u. 9: Tragbare
Rampen zum Ein- und Ausschiffen von Kavallerie und Artillerie auf
Eisenbahnen.
Revista doi tcienclat militares (Portugal). (Februarheft): Die
Organisation der Kriegsmarine und die letzten Reformen (Fortsetzung).
Verlangt gründlichere Ausbildung der Offiziere und des übrigen Personals
der Marine.
Krigsvetenskaps -Akademien! -Handlingar (Schweden). 7. Heft: Die
Frage der Bekleidung der Infanterie.
De Militaire Spectator (Holland). Nr. 5: Beiträge zur niederländischen
Kriegsgeschichte (Fortsetzung).
Oe Militaire Gidt (Holland). 3. Lieferung: Das neue englische
Feldgeschütz. Mörserbatterien im Feldkriege.
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Ümachan in der Militär-Litteratur.
99
II. Bücher.
Karl Graf ZU Wied, König]. Preufs. Generallieuteuant. Ein
Lebensbild zur Geschichte der Kriege von 1734 bis 1763,
nach den hinterlasseuen Papieren des Verewigten nnd anderen
ungedruckten Quellen von Fr. von der Wengen. Gotha.
Fr. A. Perthes. 1890. Preis 10 M.
Das vorliegende Lebensbild behandelt einen jener Generale Friedrich
d. Gr., über den bislang sehr Weniges bekannt wurde, der, wie in der
Vorrede gesagt wird, „dem Gedächtnisse des Volkes entschwunden, dessen
Bedeutung man sich selbst in militärischen Kreisen nicht mehr vollkommen
bewufst ist u . Verfasser darf deshalb das Verdienst fllr sich in Anspruch
nehmen, durch seine Forscher -Arbeit einen tüchtigen Mann, „welcher
Preufsens Banner in schweren Tagen kräftigen Armes mittragen half,"
den Grafen Wied, in seine wohl erworbenen geschichtlichen Rechte gewisser
mafsen wieder eingesetzt, dann aber einen wichtigen Beitrag zur Kriegs-
und Heeresgeschichte der fridericianischen Zeit geliefert zu haben. — Es
sind zum Teil bisher nicht erschlossene archivalische Quellen, aus welchen
v. d. Wengen schöpfen durfte: das Wied'sche Archiv zu Neuwied, das
gräflich Dohna' sehe Familien -Archiv, ferner die oft genannten Süfsen-
l>ach'schen Tagebücher, endlich die zum Teil noch ungehobenen Schätze
des preufsischen Generalstabs- und Geheimen Staat« -Archivs ; aufserdem
wurden zu Rate gezogen 55 gedruckte Quellwerke, welche namentlich
aufgeführt sind. Unter letzteren vermissen wir jedoch eine der wichtigsten:
die „Politische Correspondenz Friedrich des Grofsen" ; da selbige seit dem
13. Bande auch die militärische Correspondenz des Königs in sich
schliefst, mufs sie denjenigen Quell werken beigezählt werden, welche die
Geschichtsschreibung in Zukunft nicht übergehen darf. Verfasser würde
z. B. im 3. Bande derselben (Nr. 1458/59) zwei für seine Zwecke nicht
unwichtige Urkunden gefunden haben, welche sich auf die Besitzergreifung
Ostfrieslands 1744, mit der Friedrich den Grafen Wied beauftragte, beziehen
und für diese Episode von Wesenheit sind. — Karl Graf zu Wied wurde
am 19. Oktober 1710 geboren, mit dem 14. Lebensjahre seinem Grofs-
vater, dem Feldmarschall Graf Dohna, behufs Vorbildung für den mili-
tärischen Beruf, übergeben und trat im Jahre 1728, I7jiihrig, als Stabs-
kapitän bei dem Regimente des kurz verstorbenen Feldmarschalls ein.
1737 verliefe Graf W. auf väterlichen Wunsch den preußischen Dienst,
trat 1739 als Oberstlieutenant des Dragoner- Regiments Savoyen in öster-
reichischen Dienst, dann, nachdem er an dem ruhmlosen Türkenkriege
1739 Teil genommen, in den preufsischen zurück. König Friedrich er-
nannte ihn zum Oberst und Commandeur des neu errichteten Füsilier-
Regiments Dohna, Garnison Wesel. Am 2. schlesischen Kriege war das-
selbe nicht beteiligt. 1746 erhielt Graf W. als Chef das ebenfalls in
Wesel garnisonierende Regiment Riedesel (Nr. 41 der Stammliste von
1806) und behielt es bis zu seinem 1765 erfolgenden Tode. Der Ausbruch
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100
Umscbau in der Militär- Litteratur.
des 7jährigen Krieges findet das Regiment Wied bei der Armee des Königs;
es nahm Teil an der Einschließung des Pirnaer Lagers, im folgenden
Jahre an der Schlacht von Prag, in welcher Graf W. eine Brigade be-
fehligte. Nach Aufhebung der Belagerung von Prag machte derselbe
den bekannten unglücklichen Rückzug aus Böhmen nach Sachsen beim
Corps des Prinzen August Wilhelm mit. Wengens Urteil über die Er-
eignisse jener verhängnisvollen Tage ist nicht unbeeinflufst geblieben durch
einige von ihm benutzte, mehr oder minder fragwürdige Quellenwerke —
Schmettau, Retzow und Henckel; namentlich auffällig ist seine ungemein
scharfe Kritik Winterfeldt'.s, von dem gesagt wird: „Manche wollten
behaupten, dafs der General, um sich bei dem Monarchen zu rechtfertigen,
alle Schuld auf den Prinzen abzuwälzen wufste. Wenige Wochen spater
ereilte ihn die Nemesis (!!) bei Görlitz." Wir bemerken, dafs diese, auf
genannte Schriftsteller zurück zu führende Auffassung der Zerwürfnisse
zwischen dem Könige und dem Prinzen, denn doch wohl vor der neuesten
Forschung, namentlich dem Urkunden-Material, welches uns in der „Poli-
tischen Conespondenz" (Bd. XV) geboten worden ist, nicht mehr be-
stehen kann. — An der Siegesschlacht von Leuthen war Graf W. nicht
beteiligt, da er noch vor der Schlacht von Breslau zum Kommandanten
von Brieg ernannt wurde. 1758 finden wir ihn vor Olmütz, nachdem er
am 3. April zum Generallieutenant befördert worden war. Der Glanz-
punkt seines militärischen Lebens ist der Feldzug 1760. An den Siegen
von Liegnitz und Torgau gebührt ihm ein schöner, um nicht zu sagen
hervorragender Anteil. „Die über dem Schlachtfelde von Liegnitz er-
strahlende Morgensonne," sagt der Verfasser, „wurde die Leuchte für
seine fernerweite Laufbahn. — Er erwarb sich das Vertrauen des Grofsen
Königs, und die Tage von Hohengiersdorf, Torgau und Leutmannsdorf
wurden zu neuen Marksteinen derselben." Für Liegnitz erhielt Graf W.
den Schwarzen Adlerorden; auch habe, so wird hier behauptet, der König
zu ihm gesagt: „Die Schlacht ist von Ihnen, Herr Graf." Als Quelle für
diesen, wenn beglaubigt hochwichtigen Ausspruch nennt Verfasser
„KorfFs Aufzeichnungen". Dem steht freilich eine andere verbürgte
Äufserung Friedrichs zu dem englischen Gesandten, Mitchell, gegenüber:
„Der Sieg, den ich gewonnen hahe, ist gänzlich der Tapferkeit meiner
Truppen zu verdanken" (vergl. Schäfer, 7jähriger Krieg, II 2, S. 59). Sei
dem, wie ihm wolle, die Thatsache der Verleihung des Schwarzen Adler-
ordens ist ein beredtes Zeugnis für Wied's belangreiche Anteilnahme an
den Erfolgen dieses Tages. Auch an dem glücklichen Ausgange der
Torgauer Schlacht schreibt Wengen seinem Helden einen nahezu ent-
scheidenden Anteil zu. In wie weit ein gewifs entschuldbarer Heroen-
kultus Anlafs wurde, hier und da zu helle Lichter aufzusetzen, bleibe
dahin gestellt. — In den folgenden Kriegsjahren tritt die Persönlichkeit
des Grafen W. am meisten im Jahre 1762 in den Vordergrund. Hier
war es ihm vergönnt, als selbstständiger Corps-Commandeur in direkten
Verkehr mit dem Könige zu treten' und seine Feldherrn-Begabuug glänzend
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Umschau in der Militär-Litteratut.
101
zu beweisen. — Neben dem biographischen und kriegsgeschichtlichen Teile
dieser Arbeit fesseln unsere Aufmerksamkeit am meisten die zahlreich
eingestreuten heeresgeschichtlichen Nachrichten. Sie gewähren einen
tiefen, für die Beurteilung der Leistungsfähigkeit des fridericianischen
Heeres ungemein bedeutsamen Einblick in den Mechanismus desselben,
und lassen die an das Wunderbare grenzende Leistungsfähigkeit des Königs
selbst erkennen, der mit seinem Ich damals Preufsens Gegenwart und
Zukunft vertrat. — Ist es nicht von höchstem Interesse, zu erfahren,
welche unsagbare Mühe es dem Könige in den letzten Jahren machte, die
gelichteten Reihen seines Heeres zu füllen, wie die moralische Beschaffen-
heit desselben war, nicht Uufserst charakteristisch für die Beurteilung der
Operationsfähigkeit der preufsischen Truppen gegen Ende des Krieges,
dafs im Spätherbste 1762, wie wir hier hören, die Feld -Artillerie teilweise
mit elenden Kühen bespannt werden mufste?! — Wir heben aus der
Fülle des Gebotenen nur diese wenigen Daten heraus, um anzudeuten,
welche Fundgrube diese tüchtige Arbeit für die Friedrichs-Forschung ist. —
Wenige Jahre nur überlebte Graf W. den Ausgang des 7jährigen Helden-
kampfes. Am 8. Oktober 1765 machte ein unglücklicher Schufs auf der
Jagd seinem Leben ein jähes Ende. „Was er geworden," sagt sein
Biograph, „wurde er aus eigener Kraft. Ein Leben, reich an Schmerz
und bitterer Prüfung, hatte geendet. Marksteine ruhmvoller Thiitigkeit
zierten die irdische Laufbahn des Verewigten, den ebenso die Tugenden
des Herzens wie der Lorbeer des Kriegers schmückten." - Mit hoher
Befriedigung haben wir das vorliegende Werk gelesen und danken dem-
selben eine erhebliche Bereicherung unserer Kenntnisse jener Zeit nach
mehr wie einer Richtung. 1.
Die Oberfeuerwerker-Schule. Eine Festschrift zur Feier des
50jährigen Bestehens der Anstalt. Auf Befehl der Direktion
bearbeitet von v. Kleist, Premierlieutenant u. s. w. Berlin
1890. E. S. Mittler & Sohn. Preis 1 M.
Diese am 13. Juni 1840 in das Leben gerufene, zur Heranbildung
des Feuerwerkspersonals bestimmte Anstalt ist die Rccbtsnachfolgfcrin der
im Jahre 1816 gegründeten und 1840 aufgelösten vier Inspektionsschulen.
Diese kleine, auf aktenroäfsigem Material e fufsende Darstellung läfst recht
klar erkennen, welche Wandelungen die Organisation und technische Fort-
entwickelung unserer Artillerie in dem genannten Zeiträume erfahren hat.
Gemäfs der Organisation des Jahres 1840 wurde die neue Oberfeuerwerker-
Schule mit dem bescheidenen Etat von 30 Avancierten der Artillerie
eröffnet und anfänglich aushülfsweise in Räumen des Invalidenhauses
untergebracht, dann im Wachtgebäude des Neuen Thores zu Berlin.
Letzteres wurde am Abend des 18. März 1848 von ruchloser Hand, nebst
den Wagenhausern am Oranienburger Thore, in Brand gesteckt. Nam-
hafte Änderungen der Organisation brachten die Jahre 1853, 1867,
1868/69, 1870, 1878/79. Durch die Organisations-Bestimmungen vom
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102
L'nwchau iu der Militär-Literatur.
17. August 1878, welche zur Zeit noch in Kraft sind, wuchs die Sehüler-
zahl auf 240, eingeteilt in zwei Jahrgänge zu je 4 Parallel -Abteilungen.
Im Jahre 1881 siedelte die Anstalt in ihr jetziges schönes Heim an der
Invalidenstrafse in Berlin neben der Ulanen-Kaserne Uber, von welchem
auch die dem Titelblatte vorgeheftete Zeichnung in Lichtdruck (enthaltend
die A. K. 0. vom 13. Juni 1840 und die bisherigen Kasernements am
Neuen Thor, in der »Sora m erstraf se und Alexanderstrafse) ein Abbild giebt.
Verfasser schliefst mit den beherzigenswerten Worten: „Möge sie (die
Oberfeuerwerker-Schule) stets daran erinnern, dafs die Tugenden: Treue,
Zuverlässigkeit, Pflichtgefühl, Gehorsam, Pünktlichkeit und Wahrheitsliebe
die Grundpfeiler sind, auf welche eine preufsische Militär- Erziehungs-
Anstalt aufgebaut ist." — Diese literarische Gabe wird vornehmlich allen
ehemaligen Lehrern und Schülern dieser Anstalt eine hoch willkommene
sein. 1.
Geschichte des Königlich Preufsischen Ulanen -Regiments
v. Schmidt (1. Pommersches) Nr. 4. 1815 bis 1890.
Im Auftrage des Regiments zur Feier des 75jährigen Be-
stehens desselben dargestellt durch v. Bredau. Sekonde-
Lieutenant im Regiment. Mit Abbildungen und Karten.
Berlin 1890. E. S. Mittler & Sohn. (10 M.)
Nicht voll ein und ein halbes Jahr, von der Empfangnahme seines
Auftrages bis zur Fertigstellung im Druck, standen dem Verfasser für
die Bearbeitung einer Geschichte des Ulanen-Regiment« v. Schmidt zur
Verfügung. Eine kurze Zeit, zumal da der Front-Offizier noch Anderes
zu thun hat und angesichts des Urafanges, welchen der zu bewältigende
Stoff lx>t. Denn trotz seines nur 75jährigen Bestehens ist von den Er-
lebnissen und den Thaten der 4. Ulanen vielerlei und Interessantes zu
berichten. Die „Vorgeschichte" hineinzuziehen wäre nicht nötig gewesen,
denn der Zusammenhang mit den Bosniaken und den Towarczys ist nur
ein loser und kein unmittelbarer. Eine Schwadron des westpreufsischen
Ulanen-Regiments Nr. 1, je eine des pommerschen und des ostpreusfischen
National-Kavallerie-Regiments waren die Stammtruppen, aus denen laut
Kabinetsordre vom 7. März 1815 das 4. Ulanen- Regiment sich zusammen-
setzte. Eins der heigegebenen Uniformbilder vergegenwärtigt ihren An-
blick. — Die ersten 50 Jahre seines Bestehens verflossen ziemlich ein-
förmig und in verhält nismäfsiger Ruhe. Nachdem es bis zum Ende des
Jahres 1818 der Occupations- Armee in Frankreich angehört hatte, vorblieb
es bis zum Kriege von ls66 in kleinen pommerschen und westpreufsischen
Garnisonen. Nur die Grenzbesetzungen , welche durch die polnischen
Wirren veranlafst waren, unterbrachen 1831 imd 1863/64 die Einförmig-
keit. Dann kamen zwei Kriege, auf deren Geschichte die Ulanen mit
Stolz und freudiger Genugtbuung zurückblicken. Der selbstständige Ent-
schlaf* des Oberst v. Kleist verhalf dem Regiment zur Teilnahme an dem
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Tmschau in der Militär-Littcratur.
103
Reiterkampfe, welcher die Schlacht von Königgrätz beendete, und wenn
dasselbe im nächsten Feldzuge auch nicht überall war, wie der Verfasser
seine Kameraden ans jener Zeit gelegentlich sich berühmen Uifst, so sahen
sie doch ein gute« Stück von Frankreich, und waren vielfach, in guten
und in trüben Tagen, „dabei". Manche Einzelnheiten aus ihrem Feldzugs-
leben sind in weiteren Kreisen bekannt geworden, so ihr Vorgehen am
18. August gegen Point du jour, wo das Regiment die Weisung erhalten
hatte, „seine Attacken auf dem Glacis von Metz zu endigen" aber statt
auf einen weichenden auf einen höchst kampfbereiten Gegner traf und
gar nicht zum Angriff kam; ferner der Überfall von Nemours, welcher
ebenfalls herbe Verluste brachte, vieles aber war, wenigstens dem Bericht-
erstatter, unbekannt. Die Mitteilungen gewahren einen ebenso unter-
haltenden, wie lehrreichen Einblick in das Kriegsleben eines Reiter-
Regiments der Kavallerie-Division Hartmann. Die Kampfe um Metz,
die Teilnahme an der Einschließung der Feste und an der für die Ulanen
bedeutend schwierigeren gleichartigen Thätigkeit vor Diedenhofen, wo ein
Fähnrich in jugendlichem Leichtsinn mit der blauen Blouse bekleidet
des Feindes Heim betritt, seinen Übermut mit dem Tode büfst, und, vor
die Gewehrläufe der Erschiefsungstruppe gestellt, als „un vrai soldat"
stirbt, der Feldzug an der Loire und der Schluß desselben bei Tours sind
die Marksteine der Thätigkeit des Regiments. Nach Beendigung des
Krieges erhält dasselbe Diedenhofen als Garnison angewiesen, wo Örtliche
Hindernisse der Friedensarbeit schwere Hindernisse in den Weg stellen,
13 Jahre später kehrte es in seine heimischen Bezirke, nach Thorn, zurück,
der 27. Januar 1889 trug ihm den Ehrennamen „v. Schmidt 1 * ein; 20 Jahre
lang, von seiner Ernennung zum Sekondelieutenant bis zur Beförderung
zum Regiments-Commandeur, hatte der Träger desselben dem Regimente
angehört. — Die Bearbeitung der Geschichte des letzteren ist mehr in
Gestalt einer Chronik als in abgerundeter Darstellung erfolgt, nur an
einzelnen Stellen begegnen wir letzterer, der Mangel an Zeit und Mufse
wird einer besseren Verarbeitung des oft spröden Stoffes im Wege ge-
wesen sein. Sehr sorgsam bearbeitet und vollständig sind die Anlagen
und besondere Anerkennung verdienen die lebensgesebichtlichen Mit-
teilungen über die Glieder des Offizier-Cori>s. Auch die Karten bei lagen
entsprechen ihrer Bestimmung, der Bilderschmuck freilich zeigt Pferde,
deren Beine ein bedenkliches Kopfschütteln hervorrufen. 14.
Infanteristische Litteratur.
1. Militärischer Dienst-Unterricht für Einjährig-Frei-
willige bei der Ausbildung zu Reserve-Offizier-Aspiranten,
sowie zum Gebrauch für Letztere und für Offiziere des Be-
urlaubtenstandes der deutschen Infanterie. Von Dilthey, Kgl.
Preufs. Major a. D. 21. Auflage. E. S. Mittler & Sohn. Preis 3,50 M.;
in ganz Leinen geb. 4 M. Mit Abbildungen im Texte und einer Stein-
drucktafel. Diese neue Auflage des bekannten und bewährten Buches
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104
Umschau in der Militär-Litteratur.
wurde in Folge der Neubewaffnung, dann zahlreicher und weitgreifender
Änderungen der militärischen Dienstvorschriften, ferner der Bildung zweier
neuer Armee-Corps notwendig und wird sich der gleichen Verbreitung und
Beliebtheit wie die früheren Auflagen zu erfreuen haben; sie giebt Auf-
schluß über Alle6, was dem Einjährig-Freiwilligen zu wissen not thut.
Sehr dankenswert, ist auch das angeschlossene alphabetische Sachregister.
Das dem Reichstage im Mai des Jahres zugegangene Gesetz betreffend die
Friedenspräsenzstärke des deutschen Heeres hat, da das Buch vor diesem
Termine erschien, naturgemals noch keine Berücksichtigung finden können.
4.
2. Der deutsche Infanterist im Dienstunterrichh Bearbeitet
in Gliederungen. Ein Lehrbuch für das deutsche Heer. Herausgegeben
von M. Menzel, Prem.-Lieut- im 3. Pos. Inf.-Begt. Nr. 58. 2. Autlage.
Berlin 1890. Mittler Sc Sohn. — Mit Freuden hegrüTsen wir die zweite
Auflage dieses in seiner Art einzigen Instruktionsbuches, dessen Verfasser
es sich zur Aufgabe gestellt hat, jeden einzelnen Gegenstand des gesamten
Unterrichtsstoffes in der Weise zu zergliedern, wie es für einen leicht
fafslichen Unterricht erforderlich ist. Für den jungen Offizier, dem die
Fähigkeit, jeden Unterrichtsgegenstand sich rasch logisch zurechtzulegen,
meistens noch fehlt, wird es ein willkommenes Hülfsmittel sein. Die neue
Auflage unterscheidet sich dadurch von der vorhergegangenen, dafs das
Gewehr 88 nebst Munition, unter Beigabe erläuternder Holzschnitte darin
aufgenommen ist, und dafs eine Reihe vorzüglicher farbiger Abbildungen,
die Gradabzeichen und Uniformen der Armee und Marine, sowie die
preufsischen Orden und Ehrenzeichen darstellend, beigefügt sind. D.
3. Die praktische Ausbildung der Compagnie für den
Krieg. Nach den Dienstvorschriften bearbeitet von v. Schmeling,
Oberstlieutenant. Erfurt 1890. Verlag von Carl Villaret. -- Sehr wohl
bin ich mir der Tragweite meiner Worte bewufst, wenn ich sage: kein
Hauptmann, kein Bataillons-Commandeur darf die Kenntnisnahme dieser
Schrift verschmähen! Denn dieselbe giebt in knappster Form in praktischer
und interessanter Art, mit geschickten Beispielen und in Randbemerkungen,
die überall den Nagel auf den Kopf treffen, eine stufenweise vorgehende
Anleitung zur Ausbildung der Compagnie, — der Chargen und der Mann-
schaften, — für den Krieg. Es i>t eine vor zwei Jahrzehnten noch kaum
geahnte Fülle von Fertigkeiten, Kenntnissen, Leistungen, welche der
gegenwärtige Stand der Bewaffnung, der Fechtweise, der Gelandebenutzung
von der Infanterie fordert, von den unteren Führern s-owohl, wie von den
einzelnen Leuten. Und da ist es naturgemafs nicht jedem Lieutenant und
Compagniechef gegeben, so ohne Weiteres mit kundigem Blick die beste
Art der Ausbildung zu erspähen, mit Sicherheit einen praktischen Weg
der Unterweisung einzuschlagen: wie man aber im Regiment sich bildet
nach erfahrenen Hauptleuten u. s. w., so kann man, meine ich, auch
durch die Verarbeitung einer gediegenen Schrift ä la Schmeling sich
fördern und zu praktisch-wertvollem Verfahren Gesichtspunkte sich schaffen,
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UniBchao in der Militär- Litteratur.
105
Httlfsmittel sieb liereit stellen u. s. w. In jeder Hinsicht also sei die
Schmeling'sche Schrift der allgemeinen und eingehenden Würdigung
empfohlen. 34.
Polen als Schauplatz vergangener und zukünftiger Kriege
von K. v. d. Borne, Hptni. uud Comp.-Chef im Inf.-Regt.
v. Stülpnagel (5. Brandenburg.) Nr. 48. Berlin 1890. Ver-
lag R. Wilhelmi.
Eine höchst interessante militärgeographische Studie, deren kriegs-
geschichtlicbe Beziehungen in zutreffenden Beispielen reichliche Erläuterung
finden. Uneingeschränktes Lob verdient zunächst die klar bestimmte
Schreibweise des Verfassers, welche in bündigster Weise ein lebenswahr
gezeichnetes Bild des polnischen Kriegsschauplatzes zu veranschaulichen
vermochte. Was Kern und Inhalt der Schrift betrifft , so sind kritische
Rückblicke auf die bedeutungsvollsten Episoden der Feldzüge von 1806,
1812, 1830/31, 1848, 1863 mit geographisch-statistischen Schilderungen
der polnischen Landstriche scharfsichtig und sachgemafs verflochten worden.
Den fesselnden Darstellungen der einzelnen Abschnitte reihen sich Angaben
der jeweiligen topographischen Änderungen an , so weit solche von mili-
tärischer Bedeutung sind, namentlich findet die Vervollkommnung der
Befestigungsanlagen, der Wasser- und Landverbindungen (Eisenbahnen,
Chausseen), so wie des Telegraphennetzes gründliche Behandlung. Der
von grofsem Verständnis, klarem und sicherem Urteil zeigenden Ausführung
kann man fast unbedingt beipflichten. Mit Recht beanspruchen die Ope-
rationen des mit äuTserster Kraft geführten Erhebungskrieges Polens gegen
Russland 1830/31 eingehende Erörterungen, wobei der freilich kühne und
glückliche Zug des Generals Dombinski wohl etwas zu hoch gewürdigt
wird, war es doch immerhin ein nur erfolgloses Unternehmen, welches
der sein Hauptaugenmerk auf Warschau richtende russ. Oberbefehlshaber
Paskiewitsch auch kaum berücksichtigte, sondern durch geringe Streit-
kräfte beobachten liefs. Ferner dürfte den Kämpfen um Grochow der
Wert einer Entscheidungsschlacht nicht beizumessen sein, zwar mufsten
die geschlagenen Polen das rechte Weichselufer raunien, doch erst die
Niederlage von Ostrolenka führte jene entscheidende, verhängnisvolle Ein-
schließung des polnischen Heeres in Warschau herbei. Sollten endlich
die wirtschaftlichen Verhältnisse Polens (vergl. S. 38) nicht ein wenig
unterschätzt sein? Schon seit mehreren Jahrzehnten ist die Bodenkultur
des an vortrefflichen Acker reichen Landes in steigender Entwickelung
begriffen. Grade die weiten, fruchtbaren Gegenden des polnischen Weichsel-
gebietes könnten im Stande sein, der Verpflegung eines gröfseren Heeres
erheblichen Vorschub zu leisten! Besonders wertvoll ist die Schlufs-
betrachtung, welche sich im Allgemeinen mit den jetzigen Zuständen
Polens beschäftigt, insofern die Aufmerksamkeit der militärischen Kreise
heute noch mehr als sonst, ja in sehr erhöhtem Mafse der gegenwärtigen
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106 Umschau in der MilitAr-Litteratur.
lj&#e sämtlicher Nachbarstaaten zugewandt ist, Nicht ohne grofse Be-
friedigung legt man diese anerkennenswerte Schrift au« der Hand, deren
Veröffentlichung überall mit Freude begrüfst werden wird. —
Die Befestigungen Frankreichs. Berlin 1890. Verlag von
Friedr. Lnckhardt.
Der nicht namhaft gemachte Verfasser nennt seine Arbeit einen
Beitrag zur Kenntnis der französischen Landesverteidigung, wozu er um so
mehr berechtigt ist als die höchst beachtenswerte Schrift das erst nach
Maßgabe des Gesetzes vom 27. Mai 1889 neu organisierte Festungssystem
Frankreichs behandelt. Die Veranschaulich ung des treu gezeichneten Bildes
wird durch Beigabe einer Karte des nordöstlich-französischen Gebietes
erleichtert, Nach einem Vorwort Uber die Entstehung des betreffenden
Gesetzes, dessen Entwurf übrigens in der militärischen Fachpresse vom
General Cosseron de Villenoisy (s. Anhang) lebhaft, wenn auch ohne
wesentliche Beeinflussung bekämpft wurde, beginnt die Darstellung mit
einem Uberblicke der Gesamtbefestigungen, welche sich in 5 Hauptgruppen
zergliedern. Demnächst werden die Verteidigungsanlagen der Landesgrenze
nebst ihren Rückhaltspositionen geschildert. Die Nordlinie zerfällt in
3 Abschnitte, vom Pas de Calais bis zur Scheide, von deren Ufern bis an
den Thailand der Sambre und von dort, die Maafs übergehend, bis zur
luxemburgischen Grenze. Während sich die beiden ersteren in ganz offenem
Baume ausdehnen, ist der letztgenannte von waldigen Bergzügen und
Sumpfstrecken stark durchsetzt, Bei der verständnisvollen Charakteristik
dieser nördlichen Festungen, welche mit Ausnahme des fortsumgürteten
Lille, lediglich Sperr- und Depotplatze sind, scheint der strategische Wert
von Mezieres nicht genügend erkannt zu sein, insofern grade von dort die
wichtige Ardennenspaltung des Maafsthales, der besuchtesten direkten Ver-
bindung zwischen Frankreich und Belgien l>eherrscht wird. Aus der für
am meisten gefährdet erachteten Ostfront, einer deshalb nahezu ununter-
brochenen Kette von Festungen und Forts, heben sich ebenfalls 3 Ab-
schnitte hervor, nämlich längs der Maafs und Mosel, so wie einer vom
Ballon d'Alsace Uber Beifort zur schweizerischen Grenze verlaufenden Linie.
Unter eingehender Betrachtung der vielfach durchschnittenen Boden-
gestaltung, finden die machtvollen Heeres fest ungen Verdun, Toul, Epinal
und Beifort volle Berücksichtigung, namentlich letzterer Platz als Schlüssel
der bekannten burgundischen Pforte (trouee de Beifort) zwischen den
Vogesen- und .Jurahängen. Vielleicht wäre es bei der Bedeutung der
Maafslinie im Falle eines deutsch-französischen Krieges, angezeigt gewesen,
diesem Abschnitte der Ostfront eine noch gröfsere Aufmerksamkeit zu
widmen. Kritische Erwägungen werden sogar durch die recht bedenkliche
Anordnung einzelner Forts gradezu provoziert. So vortrefflich z. B. die
Position Toul — St. Mihiel sein mag, ebenso mifslieh erscheint dagegen die
nordwärtige Defensivstellung von St. Mihiel über Troyon und Genicourt
hinaus, welche sich an der niedrigsten Abdachung des Gebirges, ohne
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UmBchaa in der MilitAr-Litteratur.
107
genügende frontale Geschützwirkung und ohne Offensivkraft für gegenseitige
Cnterstütsung gruppiert. Nur auf der Höhenlage jenseits der Maafs dürfte
die Verteidigung dieser 30 km breiten Durchbruchslücke wirklichen Halt
gewinnen! Hie Befestigungen der Jura- und Alpengrenze, jene vom Doubs
bis Savoyen, diese vom unteren Rhoneknic bis an den Mit telraeerstrand
reichend, entsprechen den Bedingungen alpiner Gegenden und gelten daher
ihrem Zwecke nach vorzugsweise als Pafssperren. Nur Lyon, die zweit-
gröfste Stadt Prankreichs ist zur modernen Lagerfestung, sowie Grenoble
zu einem Hauptwaffenplatz umgeschaffen worden. Der erstarkten Groß-
macht Italien gegenüber, hat die ganze, schon an sich leicht zu vertei-
digende Südostfront noch eine erhöhte Widerstandskraft erhalten. Reges
Interesse wird den rückhaltigen Stützpunkten der zweiten Zone zwischen
der vorderen Linie und der Metropole Paris zugewandt. Eine Reihe
grofser operativer Plätze als Laon, Reims, Langra, Dijon und Besaneon
lehnen sich bedeutungsvoll an die natürliche Umwallung einiger dem
Steilrande des Pariser Beckens vorgelagerter Berg- und Hochlandsmassen.
Sollte beiläufig gesagt, diese strategische Naturmauer nicht bei Dijon resp.
an der cöte d'or ihren südlichen Abschlufs finden, statt bei dem 80 km
nach Osten belegenen und füglich den Jurafestungen beizuzählenden Be-
san<;on? — Gebührende Würdigung zollt die Abhandlung der gewaltigen
Befestigung von Paris und zwar mit Anführung einer Menge interessanter
Details. Zwei 12—14 km voneinander entfernte Fortsgürtel, deren innerer
einen gleichen Abstand von der Hauptumwallung hat, zwingen den Feind
mindestens 25 km von der eigentlichen Stadt, also „weit vom Schüfe" für
die Bevölkerung abzubleiben. Der Umfang der äufseren, weit über die
Stellungen der deutschen Truppen 1870/71 vorgeschobenen Fortslinie,
beträgt 130 km, wonach die Einschließung sich nun auf 150 km, also
ziemlich auf das Doppelte der damaligen Cernierung erstrecken mufs. Für
die großartigen fortifikatorischen Anlagen, welche die Franzosen bei Paris
geschaffen haben, war nicht sowohl die beeinflussende Stellung der Haupt-
stadt im staatlichen Leben Frankreichs mafsgebend, als vielmehr die Er-
füllung der strategischeu Aufgabe, dem gesamten französischen Befestigungs-
system als Kernwerk zu dienen. — Die Verstärkung der Pyrenäengrenze
beschränkt sich auf Perpignan unweit des Golfes du Lion, die Aufbesserung
des Küstenschutzes auf die Haupt kriegshüfen Toulou, Cherbourg und Brest.
Am Schlüsse der Schrift werden zur Vervollständigung der Angaben noch
sämtliche Befestigungsanlagen untergeordneter Natur l>ezeichnet, welche
nach dem eingangs envähnten Gesetze hinzugekommen oder aufgegeben
worden sind. Ohne Zweifel ermöglicht die vorliegende Arbeit einen vollen
Einblick in das Verteidigungssystom Frankreichs. Wer das bündig ge-
haltene, doch erschöpfende Buch gelesen, wird es nicht aus der Hand legen
ohne das Verdienstliche desselben anzuerkennen. Das Werk empfiehlt sich
von selbst, weshalb es nur des Hinweises auf sein Erscheinen bedarf, um
Teilnahrae in militärischen Kreisen zu begegnen. H.
108
Unwchan in der Militär-Litteratnr.
Journal d'un officier de Tarmee du Rhin, par le geoeral Fay.
5 - edition. Paris — Nancy. Bergcr-Levrault & Cie. 1889.
Preis 4,50 M.
General Fay, als Oberstlieutenant dem Stabe der französischen Rhein-
Armee im Jahre 1870/71 angehörend, schildert in seinem Tagebuche mit
seltener Offenheit und Freimütigkeit die Schaden und Mangel, welche in
der Organisation der französischen Armee zu Tage traten, als der Krieg
gegen Deutschland erklärt wurde. Wohl hatte der Kriegsminister erklärt,
dafs die Armee kriegsbereit sei, aber diese Erklärung erwies sich als
falsch. Kaum ist die Mobilmachung in Frankreich befohlen, da be-
ginnt ein wildes Durcheinander die Bevölkerung zu erfassen. Einberufene
durchqueren das ganze Land, um von ihrem Wohnort, aus die Depots zu
erreichen. Behufs Einkleidung und um von hier aus zu ihren Truppen-
teilen zn gelangen. Generale reisen umher und suchen ihre Truppen;
Depeschen, wie die nachstehenden: „Suis arrive a Beifort; pas trouve ma
brigade; pas trouve general de division; que dois-je faire? Sais pas oü
sont mes regiraents", oder „Ii n'y a ä Metz — ni sucre, ni cafe, ni riz, ni
eau de vie, ni sei, peu de lard et de biscuit. Envoyer de suite au moins
un million de rations ä Thionville." bezeugen, welche Bewandtnis es mit
dem Ausspruch des Ministers hatte: „Nous somme.s arcbi-prets." — Ob
es jetzt wobl besser hierin bestellt sein mag in Frankreich? Ohne Zweifel!
Und doch brachten französische Blätter die Nachricht, dafs bei der letzten
Probe- Mobilmachung Truppenteile ohne ihre Offiziere von der Kaserne
nach dem Bahnhof marschiert seien und erst nach geraumer Zeit die
Herren Offiziere mittels Fiaker bei ihnen eintrafen. Der Verfasser be-
kennt offen, dafs der Feldzug ohne genügende Vorbereitungen eröffnet
worden sei und dieselben Fehler in der Verteilung der Streitkräfte an der
Grenze, welche man bei den Österreichern 1866 gertigt hatte, von den
Franzosen begangen worden seien; forner, dafs die französische Armee,
namentlich die Kavallerie, nicht auf der Höhe militärischer Ausbildung
gestanden habe. Wahrend man an der Saar den feindlichen Vorstofs
erwartete und sich schon einer gewissen Siegesfreude hingab, schätzte
man doch den Gegner nicht über 40,000 Mann (wahrend man selbst über
mehr als 70,000 Mann verfugte); man wurde durch das Vorgehen deutscher
Seits an der Lauter vollständig überrascht - („surprise, c'est le mot de
toute la campagne"). — Die Gefechte von Saarbrück, Weifsenburg, For-
bach (Spicheren), die Schlacht von Reichshofen (Wörth) werden nur kurz
angeführt. Betreffend Spicheren bestreitet Verfasser, ohne nähere Angabe
Uber die Stärke des Corps Frossard zu machen, dafs die Franzosen an
Zahl den Deutschen Uberlegen gewesen wären, wie in preufsischen Be-
richten behauptet wird. Nach „v. Schell. Die Operationen der I. Armee
u. s. w. w sind 27 Bataillone und 10 Batterien nach und nach gegen das
ganze 39 Bataillone starke Corps Frossard wirklich ins Gefecht getreten.
Die Schilderung der Schlacht bei Vionville— Mars la Tour stimmt nicht
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Umschau in der MilitAr-Littaratur.
109
immer mit der unsrigen tiberein. Dem „Tagebuch" gemäfs haben die
beiden Divisionen des 4. französischen Corps an diesem Tage siegreich ge-
kämpft, ja die ganze Schlacht von Rezonville sei ein französischer Sieg,
denn die Franzosen seien Herren des Schlachtfeldes geblieben, die Strafsen
Uber Verdun sowohl wie über Bricy standen ihnen offen, um von Metz
fortzukommen. Das SchelTsche Werk dagegen äufsert: „Gefesselt an der
Stelle, wo man sie gefunden, sah die französische Armee ihre Absicht,
nach Westen abzumarschieren, vereitelt; ein Resultat, dessen ganze Schwere
erst die nachfolgenden Tage erkennen Helsen."
In seiner Betrachtung über die Schlacht und ihren Ausgang giebt
übrigens Verfasser selbst zu, dafs ein Entkommen von Metz nicht durch-
führbar gewesen sei. Der für die französischen Waffen unglückliche Ver-
lauf der genannten Kämpfe, rief eine grenzenlose Panik in Frankreich
hervor. Verfasser schildert mit grofser Lebendigkeit die Stimmung, welche
Platz griff, sowohl im Heere wie bei der Bevölkerung des Elsafs.
Letztere forderte Waffen, um sich den Deutschen entgegenstellen zu können
— aber Alles vergeblich: „le flot germanique descend tout a coup dans
la Lorraine". In der Umgebung des Kaisers herrschte völlige Verwirrung,
man war der Ansicht, unverzüglich auf Ohaions zurückgehen zu müssen;
die Truppen waren ermüdet, entmutigt und litten Mangel an Lebens-
mitteln u. s. w. — „Glücklich, dafs der Gegner seine Siege nicht sofort
ausnutzte!" — In einer Note sucht Verfasser seine Landsleute über diese
Zustände damit zu beruhigen, dafs er auf Jena und Auerstedt hinweist,
wo ein Gleiches bei der preufsischen Armee geschehen sei. — Der Raum
verbietet ein näheres Eingehen auf den interessanten Inhalt dieses Buches.
Das bisher Gesagte wird genügen, um zu zeigen, dafs Verfasser bestrebt
ist, seinen Landsleuten in möglichst objektiver Weise die Schilden und
Mängel aufzudecken, welche in der französischen Armee vor 1870/71 ge-
herrscht haben, und durch Anführung von Beispielen, wie er es auf
deutscher Seite gefunden (z. B. bei einem Besuche in Metz am 29. Oktbr.
1870), den Weg zur Besserung zu zeigen. Namentlich betont er die vor-
zügliche Ausbildung der deutschen Kavallerie im Nachrichten- Dienst und
die Vermehrung der Artillerie. Das Tagebuch schildert die Erlebnisse der
Rhein -Armee von Beginn des Feldzuges an bis zur Kapitulation von Metz.
Die vorliegende 5. Auflage lehrt, welche Anerkennung und Verbreitung
das fesselnde Buch des General Fay gefunden hat Dafs man jenseits
der Vogesen aus den bitteren Lehren des Jahres 1870/71 Nutzen ge-
zogen hat, leidet keinen Zweifel. Ähnlichen Zuständen würden wir,
täuschen wir uns nicht, zum zweiten Male nicht begegnen. 15.
Neuheiten der französischen Militar-Litteratnr.
1. Essais de critique militaire par G. G. de la Nouvelle Revue.
I. Etüde sur Clausewitz, H. Septembre et Octobre 1806 — Juillet et
Aout 1870. Supplements et Pieces justificatives — 13 Tableaux de Marche
et 3 Cartes en touleurs. II edition. Paris. Librairie de la Nouvelle
1 10 Umschau in der Militftr-Litteratur.
Revue. 1890. — Die hier vereinigt erschienenen beiden Studien sind zu
verschiedenen Zeiten verfafst. Sie verdanken anscheinend ihre Entstehung
den in den Schriften des Prinzen Hohenlohe ausgesprochenen Gedanken,
dafs die deutschen Generale 1 870 — obwohl von den Lehren napoleonischer
Kriegführung erfüllt — dieselben durch ruhigere, Uberlegte Durchführung
vielleicht noch übertroffen hätten. — Verf. will nun zeigen, wie Napoleon
nicht allein ein unnachahrabarer Lehrer gewesen ist; sondern dafs er noch
heute der Lehrer geblieben ist, dafs seine Lehrsätze nicht veraltet sind.
Verf. ist betrübt über die in Frankreich herrschende militärische „Prusso-
raanie", eine Folge davon die Überschwemmung des französischen Buch-
handels mit den Übersetzungen Blume's, v. Schmidt, v. Scherff, v. Widdern
u. s. w., während man oft die klassischen Werke der franz. Militär-
Litteratar dort vergeblich sucht. Wie weit ihm dies gelungen ist, steht
dahin. Geistreich und sorgfältig sind die Studien geschrieben; oft finden
wir Anklänge an neuere deutsche Schriften. 17.
2. Le nouveau Reglement d'Exerciees de la cavalerie ita-
lienne. Traduit par le Capitaine Picard. Paris 1890. ßerger-Levrault
et Cie. Vorliegende kleine Schrift ist eine, zum Teil wörtliche Uber-
setzung des neuen italienischen Exerzier-Reglements für die Kavallerie.
Wir empfehlen unseren Herren Kavallerie-Offizieren diese, mit zahlreichen
Figuren erlHuterte Arbeit als wertvolle taktische Studie, auch im Ver-
gleich zu den diesseitigen Vorschriften. 4.
3. La Poudre sans fumee et la Tactique, par G. Hoch, capi-
taine d'artillerie. Extrait de la Revue d'artillerie. Paris 1890. Berger-
Levrault et Cie. — Diese zuerst in mehreren Nuramern der Revue
d'artillerie erschienenen Aufsätze Uber das rauchlose Pulver erregten aller
Orts berechtigtes Aufsehen, da dieselben, die zahlreichen bislang er-
schienenen Broschüren und Aufsätze benutzend und aus ihnen gewisser-
mafsen das Mittel ziehend, das beliebte Thema in der erschöpfendsten
und geistvollsten Weise behandeln. Denjenigen, welchen die genannte
Zeitschrift nicht zugänglich ist, möchten wir die Lesung dieser Studie auf
das Wärmste empfehlen; wir halten sie für das Beste, was über diesen
Gegenstand bis jetzt geschrieben worden ist. 4.
4. Quatre homraes par A. Gari;on. Paris — Limoges. Henri Ch.
Lavauzelle, editeur. 1890. — Die vorliegende Broschüre bringt wenig
Neues, es sei denn die Zusammenstellung der Biographien von vier
Leuten, die geringe oder gar keine Ähnlichkeit mit einander haben:
Skobelefi", Brook, Grant, Riel. Offen gestanden haben wir uns für alle
vier niemals begeistern können, am Wenigsten für Riel, der in (Kanada
die untersten Schichten von Halb-lndianern gegen die englische Regierung
aufhetzte und dabei eine wenig erfreuliche Rolle spielte. Wenn der
Franzose für seine Landsmannschaft keinen würdigeren Repräsentanten
finden konnte, so ist dies nicht schmeichelhaft für Frankreich. Auf das
Leben Riels wirft die Broschüre einiges neues Licht, die Biographien der
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Umschau in der Militir-Litteratur.
111
anderen drei „grofsen Charaktere" enthalten nur Bekanntes, ausgeschmückt
mit dem üblichen Weihrauch, der solchen Männern gestreut zu werden
pflegt. 26.
Rang- and Quartierliste der Königlich Prenfsischen Armee
für den aktiven Dienststand. Berlin. E. S. Mittler &
Sohn. Preis brosch. M. 4,25: geb. M. 5.50.
Die zum 1. April vollzogene Bildung zweier neuer Armee-Corps hat
die abermalige Herausgabe einer neuen Rangliste zur notwendigen Folge
gehabt. Dieselbe umfaist nur den aktiven Dienststand, dann die
Aneiennitätslisten, das Verzeichnis der Garnisonen und die neue tabel-
larisch geordnete Armee- Einteilung nach dem Stande vom 1. April. Nach
Angabe der Verlagsbuchhandlung soll die Herausgabe der Rangliste in
Zukunft immer im April erfolgen, sie würde somit den mit dem Beginn
des neuen Mobilmachungs-Jahres verknüpften Personal - Veränderungen
Rechnung tragen können. Die aus der neuen Rangliste ersichtlichen
Veränderungen sind die zahlreichsten, deren wir uns seit Jahrzehnten er-
innern können. Ob sich der von Jahr zu Jahr anschwellende Umfang
dieses „Buches der Bücher" nicht durch etwas sparsameren Druck würde
verringern lassen, im Interesse der Handlichkeit und Wohlfeilheit, ist
der Erwägung würdig. Wir verweisen in dieser Beziehung als Beispiel
auf das französische „Annuaire roilitaire". 2.
Anciennitätsliste der Offiziere des Deutschen Heeres für
das Jahr 1890. Von v. Puttkammer, Major z. D. Nach
dem Stande vom 12. April 1890. Berlin. E. S. Mittler &
Sohn. Preis M. 5.
Diese Anciennitätsliste, welche zum ersten Male mit des Verfassers
Namen gezeichnet ist, bildet eine erwünschte Ergänzung der Rangliste,
nicht allein um der „Anciennität" innerhalb der verschiedenen Chargen
halber, sondern auch (da jedem Namen das Datum der Ernennung zum
Sekondelieutenant beigefügt ist), der Alters Verhältnisse wegen. Von
besonderem Werte ist es, dafs sämtliche Kontingente des deutschen
Reichsheeres in diesem Bande Aufnahme gefunden haben; dieselben werden,
im engen Anschlufs an die Reihenfolge der Ranglisten regimenterweise
aufgeführt. In Abteilung V: „Anciennitätslisten" sind siimtliche Generale
und Stäbs-Offiziere aller Kontingente dem Dienstalter nach genannt; von
den Hauptleuten und Rittmeistern nur diejenigen bis ult. Dezember 1884,
die Premierlieutenants bis ult. Dezember 1886, Sekondelieutenants bis ult.
Dezember 1883, also nur die Ältesten dieser Chargen. 4.
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Umschau in der Militar-Litteratur.
III. Seewesen.
The llluitrated naval and military Magazine. Nr. 17: Seekriegs-
geschiebte, ihre Prinzipien und Praxis historisch beleuchtet durch Rear-
Admiral P. H. Colomb. Kapitel IX. Die Umstünde, unter welchen Land-
angriffe von See aus gelungen oder fehlgeschlagen sind. Die Expedition
der spanischen Armada nach England und der Angriff der italienischen
Flotte auf Lissa. — Stablpanzerplatten von Charles Weston Smith. —
„Das unterseeische Boot Goubet".
Adntiralty and Horse Guards Gazette. Nr. 286: Die englische Re-
gierung läfst von der Firma Yarrow & Co., Poplar zwei zerlegbare Stahl-
boote von 18 bis 24 Zoll Tiefgang bei 90 Fufs Länge, mit einem Schaufel-
rade am Heck für den Sambesi-Fluß* in Afrika bauen. — Die portugiesische
Regierung hat bei derselben Firma 6 solcher Boote für obigen Flufs
bestellt — Nr. 287: Vortrag über Schiffs-Maschinenkessel (Thornicroft
water-tubeboilers) vom dünischen Kapitän Rassmussen, welche man in
Dänemark aufser für Torpedoboote auch für den Kreuzer Geiser in Aus-
sicht genommen hat. — Ein zweiter Vortrag betrifft die Konstruktion
unsinkbarer Panzerschiffe. Die Ausführung der Idee scheint jedoch noch
auf Schwierigkeiten zu stofsen. Nach einer Äußerung der Wettern Morning
News vom 19. April sollen die Experimente mit den Armstrong 70 Tons
Schiffsgeschützen in Italien so günstig verlaufen sein, dafs die italienische
Regierung beabsichtigen soll, die für die nächsten zwei Jahre in Aussicht
genommenen neuen Panzerschiffe mit obigen Geschützen zu armieren. Die
Gazette Nr. 287 bemerkt hierzu, dafs vier 125 Tons Geschütze statt der
früheren zwei für das italienische Panzerschiff „Sardega", das in Venedig
auf Stapel steht, bestellt sein sollen und dafs qu. 125 Tonner wohl die
verstärkten englischen 110, die 70 Tonner wohl die verstärkten 67 Tonner
sein würden. — Nr. 289: Professor Lewis in Greenwich hat durch
Experimente ermittelt, dafs das in England gegenwärtig zu grofsen
Ladungen verwendete Geschützpulver durch das Aufbewahren auf Schiffen
in der Nähe der Schiffskessel und Maschinen sehr leidet. Man soll daher
in der englischen Marine besonders bei Konstruktion der neuen Schiffe
darauf Bedacht genommen haben, die Pulverkammern von Kessel und
Maschinenraum entfernter anzuordnen.
Annale« der Hydrographie nnd maritimen Meteorologie. IV. Heft:
Hydrographische Notizen und Ermittelungen über einige Orte aus Kaiser
Wilhelms Land, dem Bismarck -Archipel u. s. w. gesammelt von den
Offizieren des deutschen Kreuzers „ Alexandrine". — Tieflothungen
im Indischen Ocean, Golf von Bengalen, Stillen Ocean, der Korallen
See u. s. w.
Revue maritime et Colonlale. (April): Fortsetzung der Oceanographie
von Professor E. Thoulet in Nancy. — Studie über die Verwendung des
Sextant zu astronomischen Messungen auf dem Meere. — Geschichte
einer Flotte der Vergangenheit von Köraval, Fregatten-Kapitän a. D.
(Fortsetzung*.
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Umschau in der Militar-Litteratur.
113
Array and Navy Gazette. Nr. 1578: Das in Venedig im Laufe des
Sommers vom Stapel gelassene italienische Panzerschiff „Sardega" wird
mit vier 125 Tons Geschützen armiert werden und eine Maschine von
20,000 Pferdekraft erhalten. — Lieutenant Peral, der Erfinder des sub-
marinen Bootes gleichen Namens, soll in Carfacca von der spanischen
Regierung mit dem Bau von 5 solcher verbesserter Boote aus Stahl be-
auftragt worden sein. — Nach einer französischen Zeitung soll an Bord
des französischen Schiffes Duguesclin beim Füllen einer Granate für Schnell-
feuerkanonen mit Melinit das Geschofs aus Unvorsichtigkeit auf Deck ge-
fallen und explodiert sein, wodurch ein Mann vollständig zerschmettert
wurde. — Nr. 1579: Artikel des italienischen Fregatten-Kapitäns G. Bartolo
Uber die englischen Flottenmanöver 1889. Das langsame Einnehmen von
Kohlen (1888 17 Tons pro Stunde, 1889 22 Tons pro Stunde) wird kriti-
siert und bemerkt, dafs fast ebenso viele Tons pro Stunde verbrannt
werden. Verfasser spricht sich ferner sehr ungünstig über die Geschütz-
Aufstellung auf den Panzerschiffen der Adrairals-Klasse aus und findet
die Geschützbedienung sehr kompliziert. Der Hero, welcher gejagt wurde,
hatte keine Ueckarmierung zur Abwehr; der Ansoa konnte, als er in der
Nähe von 1 Aberdeen aktiv auftreten sollte, nicht einen Schufs abgeben,
weil seine elektrische Maschinerie nicht funktionierte. Auch die Maschinen
und Kessel der Schiffe liefsen zu wünschen. Das forcierte Heizen auf
dem Kreuzer Sharpshooter hatte das Schiff eine Weile gefechtsunfähig
gemacht. Ein Schiff ohne Kohlen bezeichnet er als: „einen Körper ohne
Seele". — Nr. 1580: Ein stattliches französisches Panzergeschwader be-
stehend aus 10 Schlachtschiffen: Formidable (11,400 Tons Deplacement,
9700 ind. Pferdekräfte, 550 mm Panzerstürke, Turmschiff, 80 cm Deck-
panzer, drei 37 cm (75 Tons), zwölf 14 cm, 2 Schnellfeuerkanonen, 13 Mi-
trailleusen), Trident, Vauban, Amiral Baudin, Amirai Duperre,
Courbet, Re'doutable, Bayard, Le Borgue de Kerambosquer
und Dugueclin. Alle diese Schiffe mit Ausnahme des Trident sind
von Eisen und Stahl gebaut, nicht weniger als 14 Knoten Geschwindigkeit,
mit etwa 40 schweren Geschützen armiert. Hierzu die Kreuzer: Forbin,
Vautour und Milan, der erstere mit 20, der zweite (Torpedokreuzer)
mit 18, der Milan mit 17 Knoten Geschwindigkeit, alle drei aus Stahl
gebaut und moderne Fahrzeuge. Ferner die Torpedoflottille : Dragoone,
Fleche, Ouragan, Aigle, Nr. 126 und 127, drei verschiedene Typen;
die beiden ersteren ä 320 Tons Deplacement mit 18 Knoten; die anderen
vier erster Klasse Torpedoboote für die Küstenverteidigung. Eine formi-
dable Flotte, sagt die Army and Navy Gazette, und wenn dieselbe etwa
noch der Verstärkung bedurft hatte, so wäre dieselbe in Toulon in den
dort in Reserve befindlichen Schiffen: Terrible, Indomp table und
Ca? mann (Panzerschiffe), dem Condor, Faucon, Dague (Torpedokreuzer)
uud dem Cecille (Aviso) gefunden worden. — Aus Cherbourg schreibt
man über neue günstige Experimente mit dem submarinen Boote Goubet.
Nach verschiedenen Evolutionen, tauchte es unter 5 Torpedoboote in der
J.hrbich.r fax dl« Deatect» an»» u»d Marin» Bd. I.XXVI. 1. 8
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Umschau in der Militar-Litteratur.
Tiefe von 2 m durch, welche als einem englischen Schiffe attachierten
Torpedodepot angenommen wurden. Nach zweistündigem Verweilen an
der Oberfläche tauchte es abermals unter, verkeilte die Schraube des
„Korigan" und brachte unter einem Flofs einen Torpedo von 102 kg an. —
Diese Experimente wurden in Gegenwart von den Offizieren eines in Cher-
bourg liegenden russischen Panzerschiffes ausgeführt. — Nach der New-
York Times soll ein pneuraatic Dynamitgeschütz, welches von Kapitän
Rapieff konstruiert worden ist, nach England tibetgeführt worden sein, um
in Shoeburyness versucht zu werden. — Touraine, der gröfste franzö-
sische Handelsdampfer, ist kürzlich in St. Nazaire vom Stapel gelassen
worden. Er ist 537 Fufs lang, 55 , / l Fufs breit, 23 Fufs tief im Raum
und hat dreifache Expansions-Maschinen von 12,000 indizierten Pferden.
Das obere Deck wird zum Aufstellen von Geschützen hergerichtet, um event.
als Kreuzer verwendet zu werden. Derselbe wird zu letztgenanntem Zweck
von der französischen Regierung subventioniert. — Nr. 1581: Lord George
Hamiltons, erster Lord der englischen Admiralität, Tischrede auf dem
Akademiebankett lautete etwa folgendermafsen : „Die modernen Kriegs-
schiffe gleichen von Jahr zu Jahr mehr einem Depot von ingnieusen
Maschinerien und tödlicher Zusammensetzung. Wenn aber das moderne
Kriegsschiff ein wirksames Kriegsinstrument sein soll, so ist es absolut
erforderlich, dafs unsere Seeoffiziere, welche sich mit demselben zu schlagen
haben, soviel Übung in dessen Benutzung haben müssen, dafs sie befähigt
sind, die neue Waffe, welche in ihre Hände gelegt wird, mit Vertrauen
und Energie zu verwerten. Es ist feiner für uns notwendig, danach zu
streben, eine solche Erziehung in der Marine anzubahnen, welche Offizieren
sowohl wie Unteroffizieren und Mannschaften Gelegenheit bietet, die
Pflichten, welche ihnen obliegen, voll und ganz kennen zu lernen, um sie
im Ernstfalle ausführen zu können. Ein Faktum, welches die Flotten-
manöver zur Evidenz zu unserer Kenntnis gebracht haben, ist, dafs
allgemeine Exerzitien, wie streng sie auch durchgeführt werden, nie die
individuelle Kenntnis des Schiffes, welches manövriert, des Geschützes,
welches bedient, der Maschine, welche gehandhabt werden soll, im Moment
der Verwendung ersetzen können. — (Mit einem Wort, Offiziere und
Mannschaften eines Panzerschiffes müssen das Schiff vorher genau kennen,
wenn sie sich mit demselben mit Erfolg schlagen sollen. Der Übersetzer.)
Army and Navy Journal. Nr. 35: Im April 1893 wird im Hafen von
New-York eine grofse Flottenrevue beabsichtigt, zu welcher auch Kriegs-
schiffe anderer Nationen eingeladen werden sollen. Im Oktober 1892
wird die Marine der Vereinigten Staaten Nord -Amerikas 18 — 20 moderne
Stahlschiffe von der Klasse des Chicago, Boston, Maine und Texas auf-
zuweisen haben. Die letzteren beiden Schiffe werden mit 10 und 12 zölligen
Kanonen armiert werden. Zu den obigen Schiffen werden dann noch die
entsprechende Zahl Kreuzer und Torpcdolx>ote kommen.
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Umschau in der Militär-Litteratur
116
IV. Verzeichnis der zur Besprechung eingegangenen
Bücher.
1. Militärischer DltPituiterricht fir ElnJibHg-FrelwIlllie bei der Aus-
bildung zu Reserve-Offizier -Aspiranten, sowie zum Gebrauch für Letztere
und für Offiziere des Beurlaubtenstandes der deutschen Infanterie.
Rearbeitet von Dilthey, Königl. Preufs. Major a. D. 21. Auflage. Mit
vielen Abbildungen im Texte und einer Steindrucktafel. Berlin 1890.
E. S. Mittler & Sohn. Preis M. 3,50; in Leinen geb. 4 M.
I. Festungen und Fettungtkampf. Von P. M. v. Donat, Hauptmann
und Compagnie-Chef u. s. w. Berlin 1890. E. S. Mittler & Sohn. Preis
M. 2,25.
3. Die Oberfeuerwerkerschule. Eine Festschrift zur Feier des 50juhrigen
Bestehens der Anstalt. Auf Befehl der Direktion bearbeitet von v. Kleist,
Premierlieutenant im 1. badischen Feld -Art.- Regt. Nr. 14. Mit einer
Abbildung in Lichtdruck. Berlin 1890. E. S. Mittler & Sohn. Preis
M. 1.
4. Dnnll und Ehre. Ein Beitrag zur praktischen Lösung der Duell-
frage unter besonderer Berücksichtigung der Verhältnisse des deutsehen
Offizier -Corps. Von C. Balan, Königl. Konsistorialrat. Berlin 1890.
Verlag von Walther & Apolant.
5. Die Brieftaube und die Art ihrer Verwendung zum Nachrichten-
dienst. Von Dr. W. Roeder. Mit 11 Abbildungen. Heidelberg. Carl
Winter's Universitats-Buchhandlung. 1890. Preis M. 1,20.
S. Instruction ministerielle du 25 octobre 1887 sur le service prevotal
de la gendarmerie aux armees. 2° edition. Paris— Limoges. Henri Charles-
Lavauzelle. 1890. Preis 1,30 frcs.
7. Anciennitfltsfiste der Offiziere des deutschen Heeres für das Jahr
1890. Bearbeitet von v. Puttkammer, Major z. D. Im engen Anschlufs
an die Reihenfolge der Ranglisten zusammengestellt nach dem Stande vom
12. April 1890. Berlin 1890. E. S. Mittler & Sohn. Preis M. 5.
8. Oie Feldzüge des Feldmarschalls Radetzky In Oberitalien 1848
und 1849. Von Hermann Kunz, Major a. D. Mit 7 Schlachtenskizzen.
Berlin. Verlag von Richard Wilhelrai. 1890.
9. Polen als Schauplatz vergangener und zukünftiger Kriege von
Kreuzwendedich von dem Borne, Hauptmann und Compagnie-Chef im
Inf.-Regt. v. Stülpnagel. Mit einer Übersichtskarte. Berlin. Verlag von
Richard Wilhelmi. 1890.
10. Die Wehrpflicht im deutschen Reich, systematisch bearbeitet, er-
läutert und herausgegeben von Friedrich Rott, Justizrat und Divisions-
Auditeur. 1. Band: Gesetze und Verordnungen über die Wehrpflicht.
Kassel. Verlag von M. Brunnemann. 1890.
11. Fürst Bismarck. Sein Leben und Wirken. Von Hermann
Jahnke. Reich illustriert von ersten deutschen Künstlern. Vollständig
in etwa 14 Lieferungen ä 50 Pf. Berlin W. Verlag von Paul Kittel.
1890.
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Umschau in der Milit&r-Litteratur.
12. Untersuchungen über die Taktik der Zukunft, entwickelt aas der
neueren Kriegsgeschichte. Zweite vollständig umgearbeitete und ver-
mehrte Auflage der „Zwei Brigaden" von Fritz Hoenig. Mit 1 Skizze
im Text und 3 Planskizzen. Berlin. Verlag von Fr. Luckhardt 1890.
Preis M. 6.
13. Oer Felddienst der französischen Armee. Nach amtlichen Quellen
Ubersetzt und bearteitet von C. H. E. Hannover. Helwing'sche Verlags-
buchhandlung. 1890. Preis M. 2,50.
14. Handbuch flr die Offiziere des Beurlaubtenstandes der Infanterie.
Berlin 1690. E. S. Mittler & Sohn. Subskriptionspreis des Werkes ein-
s< hliefslich des Einbandes M. 5.
15. Wolfram-Geschosse. Von R. Wille, Oberst ä la suite des Fufe-
Art.-Regts. Encke. Berlin 1890. Verlag von R. Eisenschmidt. Preis M. 2.
16. Einteilung und Quartierliste des Deutschen Heeres. Nach dem
Stande vom 1. April 1890. 53. Auflage. Berlin 1890. Liebel'sche Buch-
handlung. Preis 35 Pf.
17. Taschenbuch für den Schielsichrer bei den Zielübungen, im Ent-
fernungsschätzen und in der Verwendung der Waffe von v. Brunn, Major
und Bat.-Commandeur. 3. Auflage. Berlin 1890. Liebel'sche Buchhand-
lung. Preis M. 1,20.
18. Handtafel für den Schieislehrer. Verlag der Liebel'schen Buch-
handlung. Preis 40 Pf.
19. De Forberedende Skydeovelser. Af F. M. Brun, Kaptein i Ber-
genske Infanteribrigade. Tillaegshefte til norsk militaert Tidsskrifts.
53. Bind. Kristiania. Chr. Sehestedts Bogtrykkeri. 1890.
20. Jahresberichte über die Veränderungen und Fortschritte Im Militlr-
Wesen. XVI. Jahrgang: 1889. I. Teil; Berichte über das Heerwesen der
einzelnen Staaten. Unter Mitwirkung mehrerer Offiziere herausgegeben
von H. v. Löbell, Oberst z. D. Berlin. E. S. Mittler & Sohn.
TL Die Ideale der Kavallerie.
Nur ideal gute Kavallerie ist ihrer Aufgabe gewachsen;
nur ideal gut geschulte, ideal gut verwendete und ideal
gut geführte Kavallerie kann volle Erfolge erringen.
Alle Zeiten und alle Verhältnisse bestätigen diesen Ausspruch;
die Verhältnisse unserer Zeit müssen demselben eine noch weit
höhere Bedeutung geben. Fehlt der Kavallerie dieser ideale Zug
überhaupt, so ist sie unbrauchbar; fehlt derselbe in einer oder der
anderen Richtung, so dürfte er mit aller Konsequenz anzustreben
sein, und wird mit aller Bestimmtheit nur durch die sorgfältigste
Auswahl der Führer und durch deren konsequent fortlaufenden
Einflufe erzielt. — Fehlt der Kavallerie die ideale Schulung, so
wird sie überall ebenbürtige Gegner finden, sich in nutzlose, ver-
lustreiche Handgemenge vertiefen, welche überdies für jenen Teil
um so verlustreicher werden, welcher zum Schlüsse das Feld be-
hauptet und als Folge dieses Handgemenges in der Regel bei sinn-
losem Nachjagen und Verfolgen die grofeen Nachteile eines kaum
zu vermeidenden Rückschlages durchzumachen hat. Nur ideal ge-
schulte Kavallerie hat ihre Aufgabe stets vor Augen, nur sie wird
den Gegner niederwerfen, niederreiten, denselben schon im Anpralle
verderben und Alles dasjenige zu vermeiden wissen, was dem Geiste
der Waffe widerspricht.
Ist die Verwendung der Kavallerie nicht ideal gut, so wird in
der Waffe meistens die Initiative abgeschwächt und untergraben,
ohne welche die Kavallerie allerdings die bedauerlichste Waffe von
Allen ist. Fehlt es an der ideal guten Führung, so werden die
günstigsten Momente für die Waffenwirkung versäumt, sei es durch
Erklärungen, künstliche Formationen, Unsicherheit im Allgemeinen
oder selbst durch Befehlsüberbringung und — in der Regel kömmt
es sodann zu jenen Verzweiflungsangriffen, welche ohne klare
Grundlage, ohne bestimmtes fafsbares Ziel unternommen ohne be-
Jahrbfea« Kr rii» D*atorhr AmN and Marin*. M. LXXV1., a. y
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Die Ideale der Kavallerie.
sonders glückliche Umstände recht oft damit endigen, dafe die
Hälfte des Standes verloren geht und im besten Falle nur ganz
vorübergehende und indirekte Erfolge errungen werden. Solche
Angriffe sowie jenes Handgemenge mit sinnlosem Nachjagen sind
sodann die Ursachen verschiedener irrtümlicher Schlüsse und Folge-
rungen aufser der Waffe und selbst in derselben.
Wenn wir die Kavallerie dieses Jahrhunderts betrachten, so
ist recht deutlich zu erkennen, was aus der Waffe wird, wenn man
in Organisation, Schulung, Verwendung und Führung die idealen
Ziele aus den Augen verliert. Diese Ziele waren aber vollständig
verloren. Eine lange Reihe von beobachteten und genau auf-
gezeichneten Übungen oder Manövern geben dem Gedächtnisse die
untrüglichsten, mitunter allerdings unglaublichsten Anhaltspunkte.
Die Feldzüge der letzten Zeit haben einen mächtigen Auf-
schwung gebracht und nach denselben wurden, Dank einer höchsten
Persönlichkeit, ganz bedeutende Anstrengungen gemacht, diese
idealen Ziele wieder vor Augen zu führen. Es haben diese An-
strengungen auch vielfachen Nutzen gebracht, leider aber wurden
dieselben viel zu zeitig unterbrochen. — Trotz der Formation von
Kavallerie-Divisionen mit zugeteilter Artillerie, fehlte es im Feldzuge
1870/71 vielfach und augenfällig an dem Bewufstsein, wie die
Kavallerie zu verwenden, auf welche Art sie im Stande ist,
kavalleristische Aufgaben zu lösen; es fehlte nicht minder an der
Schulung. Die Leistungen der Kavallerie waren meistens weit mehr
das Produkt von Zufälligkeiten, wie die Folge sachgemäfser Vor-
bereitung, Verwendung und Führung. Immerhin war jedoch auch
ein Teil idealen Zuges in der Truppe haften geblieben und nicht
zu verkennen. Wir können uns heute nicht verhehlen, daXs die
ideale Schulung der Kavallerie, nach den Grundsätzen des vorigen
Jahrhunderts erst nach dem Feldzuge angebahnt wurde, dafo sie
somit damals nicht vorhanden war. Wir verhehlen uns ferner
keineswegs, dafe die Verwendung der Kavallerie im Gefecht auch
nicht entfernt jene ideale Richtung streifte, welche wir anstreben
müssen, wir dürfen und können uns endlich nicht verhehlen, dafs
auch die Führung keineswegs jenen idealen Anforderungen ent-
sprechen konnte, nachdem die Prinzipien für Verwendung und
Führung — wenn auch vielleicht in der Theorie bekannt — in
der Praxis weder gesucht, noch viel weniger bereits in Fleisch
und Blut übergegangen waren.
War der Aufklärungsdienst meistens mit Erfolg durchgeführt
worden und waren die Einzelleistungen in der Regel sogar hervor-
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Die Ideale der Kavallerie.
119
ragend gut, so ist doch ebenso richtig, dafs die Gegner gefehlt
haben, die Erfolge zu erschweren, dafs mitunter und namentlich
im Grofsen die Merkmale eines ersten Versuches zu erkennen sind.
Zur erfolgreichen Thätigkeit der Kavallerie gehört dort, wo die
Truppe mit in Rechnung kommt, Bewegungsfreiheit und ener-
gische überraschende Angriffe; sie kann diese beiden Grund-
bedingungen auch im Sicherheit«- und Aufklärungsdienste nicht
entbehren, wenn sich feindliche Kräfte entgegenstellen. Sie muls
durch überraschende Bewegungen, Überfalle und Offensivstöfoe da-
nn d dorthin sich Luft machen und Einblicke gewinnen, entweder
die Bewegung in anderer Richtung weiterführen, oder in den
Schutz besetzter Abschnitte zurückkehren überall, wo die Verteidi-
gung bestimmter Punkte notwendig ist. Die Kavallerie wird stets
unbeholfen und unsicher sein, wenn sie, an bestimmte Abschnitte
gebunden, längere Zeit aufklärend und zugleich deckend oder ab-
wehrend wirken soll. Hier liegen die Prinzipien der Defensive zu
klar am Tage und es wäre zu wundern, wenn die Kavallerie —
reine Offensivwaffe — auf sich allein angewiesen, besondere Leistungen
erzielte. Die Kavallerie aber kann eine Schuld wegen dieser Ver-
hältnisse nie treffen; dieselben sind in einer langen Reihe von
Jahrzehnten so mächtig und von allen Seiten über sie herein-
gebrochen, dafa ein Aufkommen gegen diese Zeit als völlig nutzlos
hat erscheinen müssen. Nachdem überdies Persönlichkeiten in
maisgebenden Stellungen fehlten, um die kavalleristischen Ziele
und Fragen immer wieder vor Angen zu fuhren, konnte es nicht
ausbleiben, dafs alle Anschauungen auseinanderliefen, dafs Alles mit
dem Strome in vollkommen unkavalleristischer Richtung schwamm
und eine dauernde Änderung dieser Direktion unmöglich war.
Immerhin aber ist mit besonderer Genugthuung zu kon-
statieren, dafs gerade in der deutschen Kavallerie trotz
alledem der ideale Zug und das Verständnis für die Waffe
nie vollständig verloren ging. Von Zeit zu Zeit trat Be-
geisterung für die Ideale der Waffe immer wieder zu Tage und der
Forscher wird den deutlichen Merkmalen jenes idealen Zuges des
Öfteren begegnen.
Über die Ausbildung der Kavallerie bestehen vortreffliche Ab-
handlungen, dieselben mehren sich in neuerer Zeit in erfreulicher
Weise. Unter Anderen schliefsen wir uns auch speziell einem
Aufsatze (S. v. P.) in einer der Nummern des Militär-Wochenblattes
an und freuen uns, Alles das in demselben zu finden, was auch
wir in einer langen Reihe von Jahren als richtig und kavalleristisch,
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120
Die Ideale der Kavallerie.
als unseren Idealen entsprechend, erkannt nnd erprobt haben, —
was auch wir bis zur heutigen Stunde mehr oder weniger beinahe
überall vermissen. Der Reitunterricht, wie er zumeist gehand-
habt wird, bringt lange nicht den Nutzen, als wenn er mit dem
gleichen Aufwände an Zeit und Mühe nach richtigeren Prinzipien
betrieben würde. Aber — da rühre Einer daran, der nicht
mindestens der Herrgott selber wäre! Er wäre sicher, aller Ver-
brechen gegen Reitinstruktion und Reglement angeklagt zu werden!
— (Beide sind unverkennbar so umfangreich, dafs sich wohl jede
Persönlichkeit einige Lieblingsparagraphen heraussuchen konnte.
Doch aber mufs mit dieser verderblichsten aller Gewohnheiten ge-
brochen werden, wenn wir entschieden und allgemein vorankommen
wollen, wenn wir uns dem Ideale nähern sollen). Der Winterdrill
mit seinem täglich 40 Minuten währendem, systemlosen Ableiern
noch so vortrefflicher Erklärungen und verschiedener Kunststückchen
oder eines Programme« auf der Reitschule (vielleicht für die Be-
sichtigung) mufs vollständig verschwinden. Es ist unfafelich aber
wahr, dafs solche Gewohnheiten nicht mehr begreifen lassen, dafs
man in 80 Minuten Bahnarbeit an einem Tage ebenso viel oder
wenig leisten kann, wie in je 40 Minuten au 2 Tagen, dafs man
aber entschieden weiter kommen wird, wenn man an dem andern
Tage im Freien mindestens 2 Stunden Reitschule, Felddienst oder
Exerzieren übt und dabei frischere Reiter und Pferde behalten mok
Eine im Militär -Wochenblatte erschienene Entgegnung auf vor-
erwähnten Aufsatz zeigt aufs Neue, welche Voreingenommenheit
bezüglich der einfachsten Fragen kavalleristischer, Ausbildung mit-
unter in der Kavallerie besteht. Wir speziell kennen diese Ver-
hältnisse zu genau, welche seit langen Jahrzehnten jede praktische
Idee in Beziehung auf allgemeine Gesichtspunkte mit allen Mitteln
zu bekämpfen bereit sind, welche insbesondere durch Zurückziehen
hinter die vortrefflichen Instruktionen und Reglements Halt zu
finden hoffen. Die Macht der Gewohnheit kann allem die Er-
klärung geben. Wenn wir auch keineswegs läugnen wollen, dafe
mitunter günstige Resultate erreicht wurden, so ist dies doch keines-
wegs genügend, denn wir bedürfen einer Schule, welche auch minder
talentierten Lehrern ein Vorwärtskommen gestattet, welche »allge-
meine in der Hauptsache die gleichen Resultate erreichen läfat;
gerade der vergangene Winter ist recht belehrend, kaum 10 bis
14 Tage wäre dem Reiten im Freien ein Hindernis im Wege ge-
standen. Übrigens wird ja die Ausnützung der Reitbahnen keines-
wegs verworfen, wohl aber deren unzweckmiifsige Ausnützung.
Nur selten haben wir Abteilungen gesehen, in welchen kompliziertere
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Die Ideale der Kavallerie.
121
Übungen annähernd richtig ausgeführt wurden, in welchen die
Leute ihre Pferde gerade hierdurch nicht stets störten und genierten;
solche Beobachtungen veranlafsten uns, wie viele Andere zu über-
legen, wie solche Mängel zu beseitigen sind. S. v. P. scheint die-
selben Erfahrungen gemacht zu haben; durchaus praktische Gesichts-
punkte sprechen aus diesen Worten, Gesichtspunkte, welche in Folge
langjähriger Erfahrungen wohl allgemeiner Erfolge sich rühmen
können. Was kann es nützen, mit Reitern, welche nicht ganz
richtig sitzen und nur klare Begriffe über die verschiedenen Hülfen
haben, irgend eine künstlerischere Lektion auf der Reitschule zu
üben? Auch das heifsen wir Drill. Auch dieser Drill kann nur
scheinbare Erfolge erringen und mufs Reiter wie Pferde stets mehr
und mehr verderben, verderben insbesondere in Beziehung auf
kavalleristische Leistung, Ausdauer und Konservierung des Materials.
Gegen solche verkehrte Ausbildung ziehen auch wir zu Felde und
werden diesen Feldzug fortsetzen. Dicke Pferde werden wir nach
den Übungen wohl nie fett nach Hause bringen, dagegen lehrt die
Erfahrung zur Genüge, dafs bei praktischer Vorbereitung wenigstens
die Beine konserviert bleiben, und das ist am Ende doch die
Hauptsache. Das, was unsere Pferde beschädigt, ist unruhiger
heftiger Trab und Galopp, unnötiges Gejage bei schlechter Haltung
der Reiter. Hier also müssen wir zu verbessern bemüht bleiben;
kommen wir hier nicht wesentlich voran, wird alles Andere incl.
höherer Rationen wenig helfen.
Alle Reitfertigkeit beruht iu der übereinstimmenden, konse-
quenten Anwendung der wenigen, richtig aufgefafsten , einfachen
Hülfen; hierüber kann ein Zweifel doch wohl nicht bestehen. Je
mehr der Unterricht dieses Ziel stets vor Augen hat, sorgfältigst
vorbereitet und gradatim weiter führt, je mehr mufs sich die Reit-
fertigkeit heben. Je mehr diese Art der Arbeit verschwindet, je
mehr nimmt der Drill, speziell auf die Besichtigung oder überhaupt
zu ; je weniger können wir wirkliche Resultate erzielen. Bei unserer
kurzen Dienstzeit und den Anforderungen des Dienstes überhaupt
können wir nicht so lange fort und fort Schule reiten, bis diese
volle Übereinstimmung erreicht ist, wohl aber müssen wir ver-
nünftige Schule und kavalleristisches taktisches Reiten
> nebeneinander und fortlaufende sich ergänzend kulti-
vieren. Wir werden sodann im Sommer nicht verderben, was wir
im Winter erreicht zu haben wähnten, um im folgenden Winter
unter stete schwierigeren Verhältnissen die Arbeit wieder zu beginnen
und mit 90V# die Grenze der Mittelmäfsigkeit nie zu überschreiten.
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Die Ideale der Kavallerie.
Die geschlossene , geordnete, sichere Bewegung der Trappe in
allen Gangarten, ist sodann die wesentlichste Grandlage aller Taktik
der Kavallerie; sie beruht auf einem kavalleristischen Unterricht.
Je mehr die Trappe befähigt ist, in dieser Verfassung und unter
allen Verhältnissen wie Gangarten dem Führer richtig zu folgen,
je bestimmter werden wir uns dem Ideale mehr und mehr nähern.*)
Nur dann, wenn diese Vorbereitung zu einer grösseren Sicherheit
geführt hat, ist es denkbar, dafe die Angriffe der Kavallerie ohne
unnötigen Kräfteverbrauch überraschend, so sicher und geordnet
vorbereitet sind, der letzte Stofe so kurz und energisch ausgeführt
werde, dafs er wirklich niederwerfend sein mufs. Schon hiermit
aber fallt die ganze Theorie der öfteren Übung dieses Stolses, sowie
jene des Handgemenges, welche keineswegs unseren Idealen ent-
sprechen. Auf das Kommando Marsch! Marsch! muls die fest-
geschlossene und stets mehr zusammenschliefeende Eskadron ein
wildes Ungestüm befallen, mit der festen Absicht jedes einzelnen
Reiters und dem physischen Zwange für die Pferde den Gegner
niederzureiten; das läfst sich vorbereiten, hie und da versuchen, aber
nicht üben. Wegen des Handgemenges haben wir aus den uns
überkommenen Instruktionen und Dispositionen des vorigen Jahr-
hunderts stets herausgelesen, dafs es damals nicht gesucht wurde,
wohl aber sofortiges Herstellen der Ordnung nach dem Ghok Prinzip
war; wir freuen uns, dem erwähnten Aufsatze zu entnehmen, dafs
wir uns auch darin nicht getäuscht haben, dafe ebenso die gegen-
teiligen Ansichten und Annahmen nur eine vollständig irrige Auf-
fassung der thatsächlichen Verhältnisse unseres Jahrhunderts be-
kunden, wie nicht minder ein vollständiges Verkennen des idealen
Kavallerie -Angriffes.
Wir haben bereits erwähnt, dafs heftige unruhige Galopp-
bewegung zu lockeren, atemlosen Attacken führt, dafs diese
die Ursache der tollen Handgemenge sind, welchen in der Regel
wieder das kopflose Verfolgen anklebt; die hierauf gewöhnlich nicht
zu vermeidenden Rückschläge sind es sodann, welche auf den voll-
ständig abgejagten Pferden zu vernichtenden Katastrophen führen,
in Folge deren der Sieger faktisch zum Besiegten wird. Überall,
wo solche auf Verkennen kavalleristischer Prinzipien beruhende
Verhältnisse zu beobachten waren, ist es ganz natürlich, dafs man
sich besinnt, wiederholt solche Siege zu erkämpfen, ist es nicht
*) Berücksichtigung der reglemeot&ren Bestimmungen in § 100 Ziffer 1
2. Abeatx vorletzte Zeile und § 169 Ziffer 1
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Die Ideale der Kavallerie.
123
nur erklärlich, sondern ganz natürlich, dafs man von nutzlosen
Balgereien der Kavallerie spricht, die Bedeutung der Kavallerie
überhaupt anzweifelt. Es bleibt sehr bedauerlich, dafs es nicht
gelungen ist, derartige Vorurteile und irrige Grundsätze seiner Zeit
zu besiegen; war doch der Anfang hierzu bereits gemacht. Es ist
jedoch immerhin begreiflich, dafs so gründlich in Fleisch und Blut
übergegangene Irrtümer nicht in kurzer Zeit zu bewältigen waren,
da überdies die Persönlichkeit und Stelle mangelte, um jene in
Kritiken mehrfach angeregten Gedanken weiter zu führen.
Bereits erwähnt wurde, dals auch in Beziehung auf Ver-
wendung und Führung der Kavallerie nur eine Zeit lang
konsequente Fortschritte gemacht wurden, dafs wir in dieser Zeit
durch helle Sonnenblicke erwärmt, unsere Ideale zu erkennen ver-
mochten.
Die Verwendung der Kavallerie mute derselben vor Allem die
Initiative wahren; dies ist nur zu erreichen, wenn in der Hauptsache
nur ganz allgemein gehaltene Direktiven stets und immer dem
reglementären Grundsatze entsprechen: »Der Führer der Ka-
vallerie bedarf zur Lösung seiner Aufgabe voller Selbst-
ständigkeit.« Dals es schwer ist, solchem wichtigen Grundsatze
volle Beachtung zu verschaffen, ist nach der Gepflogenheit langer
Jahrzehnte begreiflich; beinahe jeder Manövertag giebt neue Be-
stätigung darüber. Vollen Nutzen werden wir aus der Kavallerie
erst dann ziehen, wenn auch dieser Grundsatz rückhaltlose Aner-
kennung gefunden hat, wenn Verlegenheitsattacken — wie sie
Canitz so treffend bezeichnet — vollständig verschwinden, wenn der
Unterschied im Auf klärungsdienste , welcher zwischen einem Regi-
mente der Avantgarde eines Armee- Corps und demjenigen einer
Kavallerie-Division besteht, schon in der Art des Auftrages Berück-
sichtigung findet. Die Führung der Kavallerie mufs sodann dafür
sorgen, dals die günstigen Momente zu den Angriffen gewählt werden,
sie mufs die Truppe so vorbereiten, dafs deren Erscheinen sich so-
fort zu überraschend schneller Annäherung in einer den Angriffs-
objekten entsprechenden Verfassung gestaltet Dies ist nur dann
denkbar, wenn der räumige Galopp mit gröfster Sicherheit uud
Ruhe geritten wird, wenn die Übungen so geleitet würden, wie es
der reglementäre Grundsatz ausspricht: »Die Übungen werden
um so mehr Nutzen bringen, je mehr die Unterführer ver-
anlafst werden, selbstständige Entschlüsse zu fassen« und
den Umständen entsprechend zu handeln. Überall wo dieser Satz
übersehen bleibt, wird die Form höher gestellt wie das Wesen,
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124
Die Ideale der Kavallerie.
werden die Übungen Ähnlichkeit haben mit dem tagtäglichen Ab-
leiern des Reitschulprogrammes n. 8. w. und der Besichtigungstürke
gewinnt die verderbliche Herrschaft über unser ganzes Thun und
unsere Ideale.
Man hat der deutschen Reiterei und ihrer Thätigkeit in den
letzten Kriegen, insbesondere auch in anderen Armeen eine sorg-
fältigste Beachtung geschenkt. Zahlreiche Schlüsse, welche gezogen
wurden, sind nur zum Teile zutreffend. In jedem Falle gebührt der
deutschen Kavallerie der Ruhm, dafs sie begonnen hat, den Ring
zu zerreifsen, welcher ihr die Ideale verbarg. Es dünkt uns ebenso,
dafs es keineswegs unsere Art ist in Selbsttäuschung und Selbst-
überhebung uns Weihrauch zu streuen. Gerade aus der Kavallerie
ertonten zu allen Zeiten und in steigender Progession jene Stimmen,
welche ohne Ermüdung immer wieder auf die Ideale hinwiesen und
deren Bedeutung für die Waffe zu beleuchten suchten. Die genaue
Beachtung der Vergangenheit, das Erkennen aller bis zur Gegen-
wart haften gebliebenen Mängel und Fehler, der unentwegte Blick
auf die Ideale, — das wissen wir ganz sicher und bestimmt, mufs
und wird uns stetigen Fortschritt bringen. Wir freuen uns an dem
allerwärts zu beobachtenden, kavalleristischen Leben und Streben,
wir sind natürlich stolz darauf, dafs die deutsche Kavallerie den
Impuls dazu gegeben, wir wollen aber gerade deshalb ohne Unter-
lafe bemüht bleiben, zu sorgen, dafs wir das Erreichte nicht über-
schätzen und dann ebenso bestimmt stehen bleiben. Wir sind
endlich von dem Bewufstsein ganz und vollständig durchdrungen,
dafs wir uns selbst helfen müssen, dafs die Gegenwart nicht vor-
übergehe, ohne das richtige Verständnis der Kavallerie in, wie
aufeer der Waffe stets mehr zu wecken. Das Studium der Waffe
und ihrer gesamten Thätigkeit, Erfahrungen und Beobachtungen in
der Waffe selbst, wie bei den Übungen haben in gleich untrüglicher
Weise jene Ideale vorgeführt, wie sie die Kavallerie im vorigen
Jahrhundert bereits erreicht hatte. Vieles hat sich seit jener Zeit
geändert, nur die Ideale der Kavallerie sind dieselben geblieben und
täuschen wir uns nicht: »mit diesen Idealen und ihrer thun-
lichst vollkommenen Verwirklichung können wir allein
auf volle kavalleristische Erfolge zählen; diese Ideale ge-
winnen heute eine viel höhere Bedeutung wie zu jeder
anderen Zeit!«
Diese Ideale sind im Aufklärungsdienste ebenso notwendig,
wie in taktischer Beziehung und im Sicherheitsdienste. Im
Aufklärungsdienste grösserer Kavalleriekörper greifen die taktischen
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Die Ideale der Kavallerie.
125
Ideale mächtig ein, nm so mächtiger, je zahlreicher der Gegner vor
uns erscheint. Im Sicherheitsdienste ist dies nicht im geringeren
Grade der Fall; die Aufgabe wird für Kavallerie allein um so
schwerer zu lösen, je länger dieser Sicherheitsdienst für gewisse
Punkte versehen werden soll, je beschränkter der Bewegungsraum
wird, je weniger es der Kavallerie möglich ist, nahe vor der Front
gelegene, verteidigte Hindernisse zu überschreiten oder zu umgehen.
Die Kavallerie kann den Gegner aufsuchen, seine Bewegungen über-
wachen and begleiten oder beunruhigen, stören und vorabergehend
aufhalten, sie kann aber in der Regel nicht in tage- oder stunden-
langen Gefechten in einer Position sich mit dem Gegner schlagen
oder seinen Anmarsch unter allen Verhältnissen aufhalten, sie kann
außerdem »wenn günstige Chancen für sie eintreten den Gegner
angreifen« oder ohne solche Chancen im Falle der absoluten
Notwendigkeit attackieren und eventuell siegen oder zu Grunde
gehen.
Beschleunigtere und ausdauernde Bewegungsfähigkeit ist die
charakteristische Eigenschaft der Kavallerie, ist ihr wahres Element.
Überraschung ist ein Hauptfaktor glücklicher Angriffe. Im Auf-
klärungs- und Sicherheitsdienste ist sie in ihrem Elemente, so lange
die Möglichkeit freier Bewegung der Truppe oder des Einzelnen
gegeben. Dort, wo der gröfsere Raum fehlt, um die Truppe in
gröberen Verbänden frei zu bewegen, fehlt der Kavallerie ihr Ele-
ment und sie wird sehr oft umsonst auf güustige Gefechtschancen
spähen; in solchen Verhältnissen können meistens nur kleine Körper
oder Patrouillen, im Aufklärnngs- wie Sicherheitsdienst Verwendung
finden; gröfsere Truppenkörper aber müssen sich den anderen Waffen
anschließen und in diesem Verhältnisse aus thunlichst gedeckten
Stellungen in geeigneten Momenten vorbrechen.
II. In Gefechten giebt es in der Hauptsache nur 2 Verwendungs-
Arten der Kavallerie. Dieselben lassen sich bezeichnen als: 1. voll-
kommen selbstständiges Eingreifen in Momenten, welche für
die Thätigkeit der Waffe günstig sind. 2. Solche Verhältnisse, in
welchen der Kavallerie durch die Truppenkommandos nicht
nur der Platz für die Bereitstellung, sondern auch Zeit
und Objekt für den Angriff bestimmt wird.
Die erstere Thätigkeit ist jene, welche der Waffe besonders
zusagt; es ist nicht schwer zu erkennen, dafs wirklich grofse
Leistungen der Kavallerie beinahe immer nur dann zu verzeichnen
waren, wann ihre Thätigkeit dem entsprechend ius Leben trat und
zwar ist diese Bemerkung für alle Zeiten zutreffend. Die Truppen-
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Die Ideale der Kavallerie.
Kommandos haben nnr dafür zu sorgen, dafs die Kavallerie in
genügender Stärke vereinigt bleibt oder wird, dafs der
Führer der Kavallerie vollständige Klarheit über die Absicht
des Truppenkommandos besitze. Dies wird somit ganz aus-
gesprochen die normale Thätigkeit der grofsen Kavalleriekörper
sein und bleiben müssen. Es dürfte noch besonders hervorzuheben
sein;, dafs die Geschichte der Kriege im vorigen Jahrhundert den
klaren Beweis dafür liefert, von welch' ungeheurer Wichtigkeit
dieser Punkt schon zu jener Zeit war, in welcher die Frontausdehnung
der Gefechte, gegenüber den Verhältnissen unserer Zeit, sehr un-
bedeutend gewesen ist. Wir können sohin die Initiative der Waffe
noch weit weniger entbehren. Die zweite Art der Verwendung wird
dagegen die Ausnahme sein und bleiben müssen, sie darf nur unter
zwingenden Verhältnissen ins Leben treten. Es ist sodann auch
gleichgültig, ob die Kavallerie bei solchen Angriffen allenfalls zu
Grunde geht, nachdem der höhere Zweck ein solches Opfer
fordert. Immerhin wird jedoch auch in diesen Ausnahmsfällen jene
Kavallerie mehr Chancen besitzen, welche nach den unter Ziffer 1
angegebenen Gesichtspunkten erzogen wurde. Die Verwendung der
Kavallerie im Beginne dieses Jahrhunderts war mehr nach Ziffer 2
ins Leben gerufen und bei der damaligen Tragweite der Feuerwaffen
noch denkbar. Trotz leuchtender Tapferkeit der Truppe vermissen
wir im Allgemeinen doch die idealen Angriffe und die idealen
Erfolge bei sehr bedeutenden Verlusten. Die heutigen Verhältnisse
würden die Wahrnehmungen mit Sicherheit in noch höherem Grade
bedingen, während die ideale Verwendung keine besonderen Schwierig-
keiten hervorrufen dürfte.
Wir halten es für gerechtfertigt, noch weiter zu behaupten,
dafs der Wert, der Einflufs und die Bedeutung der Waffe mit der
vollen Anerkennung dieser Punkte innig zusammenhängt, dafs mit
deren fortlaufender, rückhaltloser Beachtung die Kavallerie in auf-
steigendem Aste sich befand und befindet, dafs mit deren Aufser-
achtkommen die Kavallerie successive herabsinkt, herabsinken kann
zu einer wahren Karrikatur ihres Ideales. Jeder Kavallerist, der
sich erinnert, wie die Kavallerie im Allgemeinen, mehr oder weniger
jedoch ganz übereinstimmend geübt und verwendet wurde, wird
ermessen können, wie sehr die Waffe und ihr Geist hierbei hat zu
Schaden kommen müssen. Diese Verwendungsart hatte noch zur
natürlichen Folge, dafs die gründlichst falschen Anschauungen über
Verbindung und Unterstützung der Waffen sich immer fester ein-
nisteten, immer weitere Verbreitung fanden, dafs es wahrlich im
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Die Ideale der Kavallerie.
127
höchsten Grade zu verwundern ist, wenn noch hier und da ein
Vorfechter der Lebensinteressen der Waffe zu finden war, dafs noch
dann und wann ein kavalleristischer Gedanke zu Tage trat, der
im Stande war, Herz und Sinn der empfänglicheren Führer mit
neuem Feuer für die Waffe zu begeistern. (Wie dies insbesondere
in dem Werke »Nachrichten und Betrachtungen über die Thaten
und Schicksale der Reiterei c der Fall war).
Der Kavallerie mulls richtiges kavalleristisches Verständnis und
Leben in jeder Zeit fehlen, in welcher dieselbe zwischen allen
erdenklichen Anschauungen, Anforderungen und Verwendungen hin
und her schwankt, in welcher eine Vertretung nach Oben,
eine klärende und treibende Kraft nach Unten fehlt. Dies
Alles kann kaum der Fall sein, wenn sich die besten Kräfte nicht
die Vervollkommnung der Waffe als Lebensaufgabe gestellt sehen,
wenn die Richtung der ganzen Intelligenz ein anderes Ziel vor
Augen hat. Unter solchen Bedingungen wird die Kavallerie nur
geringere Beachtung finden, oder doch nicht mit jener Sorgfalt
beobachtet werden, welche ihr allein frommen kann, welcher sie
nach der unkavalleristischen Vergangenheit und ihren Konsequenzen
um so weniger zu entbehren vermag.
Für das Gedeihen der Kavallerie wünschen und erhoffen wir
Verhältnisse, welche ihr Emporblühen sichern können; wir wünschen
insbesondere, data die Technik und Taktik der Waffe von
talentierten Kavalleristen geleitet werde, mindestens so weit
es diejenigen Regimenter und Brigaden betrifft, weiche in der
Kavallerie-Division in Thätigkeit gelangen sollen und insbesondere
auch für die Verwendung solcher Divisionen. Solche leitende Per-
sönlichkeit mufis in Personalfragen und Fragen der Technik eine
gewichtige, in Fragen der Taktik und der Verwendung der Kavallerie-
Divisionen mindestens die erste beratende Stimme besitzen. Es
scheint solche Einrichtung um so notwendiger, nachdem die richtigen
und wichtigsten Prinzipien vollständig verloren gegangen sind, oder
doch mindestens in der Praxis nur sehr selten in jenem Umfange
Anerkennung gefunden haben, welche ganz unerläßlich notwendig
erscheint, wenn aus der Waffe und deren Verwendung ausgiebiger
Vorteil gezogen werden soll.
Wenn man mitunter zu hören bekommt, dafs es in allen Heeren
an geeigneten Persönlichkeiten und Führern der Kavallerie fehlt, so
erscheint die Frage vom rein kavalleristischen Standpunkte gerecht-
fertigt: »was ist denn geschehen, um solche Führer heranzuziehen ?c
Wir können nur antworten, so viel wie Nichts. Keine Waffe
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Die Ideal« der Kavallerie.
bedarf so sehr der einheitlichen Leitung und der konse-
quenten, ganz sachgemäßen Vorbereitung wie die Kaval-
lerie, und gerade diese hat ihr seit langer Zeit gefehlt, so zwar,
•dafs mitunter selbst in der Kavallerie die Ideale vollständig ver-
schwunden waren. Mittelmäfsig ausgebildete Rekruten werden mit
jedem Jahre schlechter, verderben als eingezogene Reservisten noch
auf Jahre hinaus die Sicherheit der Eskadrons; werden diese taktisch
und namentlich in den Gangarten mangelhaft erzogen, sind selbst
die Früchte eines entsprechenden Reitunterrichtes im Winter, in den
Sommermonaten wieder verdorben. Offiziere, welche in solchen
Verhältnissen ihre Tbätigkeit beginnen und fortsetzen, verlieren
Verständnis und Blick für sacbgemäfses Verfahren und werden sich
kaum mehr herausarbeiten können. — Kaum trat für die Kavallerie
die Hoffnung auf bessere Tage ins Leben, so ward in kurzer Frist
diese Hoffnung wieder zerstört. Wir hatten einstens Gelegenheit
zu sehen, welch' frischer lebendiger Zug acht Kavallerie-Regimenter
durchglühte, nachdem ein hervorragend praktischer Kavallerist zu
ihrem Commandeur ernannt worden war; wir hatten volle Gelegen-
heit zu erkennen, wie sein Einflufs die ganze Thätigkeit in praktische
Bahnen lenkte. Dieselbe Persönlichkeit hätte auch der doppelten,
drei- oder vierfachen Zahl von Regimentern in kurzer Zeit das
gegeben, woran es fehlte: > kavalleristisches Auge, kavalleristisches
Gefühl und kavalleristischen Geist«. Sie war von kurzer Dauer,
diese kavalleristische Herrlichkeit! Anstatt dieser Persönlichkeit
immer mehr Regimenter und Brigaden zu unterstellen, verschwand
dieselbe, dem Zöge der Intelligenz entsprechend und in ein Paar
Jahren war der ganze belebende Einflufs vorüber. Die Kavallerie
geriet wieder ins Kümmern; es wurden einzelne Paragraphen und
Sätze der verschiedenen Vorschriften und Instruktionen, je nach
Ermessen jedes Einzelnen, beachtet, dagegen zumeist gerade jene
übersehen, welche eine idealere Richtung gaben. Wir behielten
Schul-, Kampagne- und Rennreiter; wir hatten Eierziermeister,
Turner, Fechter und Schiefeer, Pferdeschoner und Pferdeverbraucher,
Männer des Felddienstes und Eclairirens, vielleicht sogar Sattler und
Schmiede, leider aber wurden die Kavalleristen nicht häufiger.
Das heilige Feuer, welches begonnen hatte, diese verschiedenen
Sporte kavalleristisch zu erwärmen, es verschwand zum gröfsten
Teile, weil jede Glut ohne frischen belebenden Zug erlöschen wird.
Die Kavallerie kann nur gedeihen und erstarken,
wenn ihr Führer den kavalleristischen Geist zu beleben,
wenn er kavalleristisches Auge und Gefühl zu wecken in
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Die Ideale der Kavallerie.
129
der Lage ist, wenn er die Technik zu stets gröfserer Sicherheit
zu führen versteht. Sonst kommen sicher and im besten Falle,
wegen der zusammengehetzten Pferde, mindestens 7 fette unka-
valleristische Jahre auf ein Paar lebhaftere, sonst wird es nicht,
ausbleiben, dafe im Felde gleich anfänglich, statt niederschmettern«? .e
Attacken zu reiten, tüchtige Handgemenge ausgerauft werd'jn,
deren Nachteile wir bereits öfter angeführt haben, deren Ha'jpt-
nachteil überdies darin besteht, dafe wir die Entscheidung dem
einzelnen Reiter in die Hand geben, data das Endresultat jeder
Attacke von ganz unberechenbaren Umständen abhängig wird. Die
Kavallerie ist ferner nnr dann einer glücklichen Zukunft entgf «gen-
zuführen, wenn ihr Chef dafür sorgen kann, dais sie kavallerii itisch
richtig verwendet werde, dafe ihr kavalleristische Aufgaben g» »stellt
werden, dafe die Truppe lernt, solche Aufgaben auf kavalleris tische
Weise zu lösen. Hierzu müssen Anleitung und Beurteilung in einer
Reihe von Jahren die gleichen bleiben.*) Es ist ein ausgesprochener
Fehler, wenn bei den gröfeeren Truppenübungen in erster Linie die
unter 2 angegebene Verwendungsart beachtet würde» statt jene
unter 1. Die Kavallerie, welche in der Hauptsache daran gewöhnt
wird, das umgekehrte Verfahren zu beachten, ist allein für ihre
Thätigkeit in jeder Richtung gut vorbereitet; dieses Verfahren sichert
ihr allein die nötige Ruhe, Sicherheit und Initiative, während das-
selbe die andere Verwendungsart in keiner Weise ausschliefet. Wir
haben aufeer zahlreichen Beispielen in der Kriegsgeschichte auch
bei den Friedensübungen mehrfache Gelegenheit zu beobachten, wie
schwerfällig, unbeholfen und unkavalleristisch es ist, wenn ein
gröberer Kavallerie-Körper nach längerem Herumrutschen, längerer
Vorbereitung sich langweilig formiert und dann in der Regel zu
einem Angriffe schreitet — der überdies mitunter schon im Tempo
der Gangarten den Führern aus der Hand kömmt — zu einem
Angriffe schreitet, der das Zeichen des Mifeerfolges schon an der
*) Wir können nns im Interesse der Sache nicht versagen, als Beispiele
un kavalleristischer Verwendung anzuführen :
1. Ein Trnppen-Corps aller Waffen hat eine Defensivstellnng bezogen. Die
Kavallerie-Patrouillen melden genau die Stellung des Gegners; dieser aber rührt
sich nicht von der Stelle — er erwartet Verstärkung. — Der Führer des Truppen-
Corps wird immer unruhiger und nach einiger Zeit erhält die Kavallerie den
Befehl: „rücksichtslos vorzugehen!" — 2. Einem Truppen-Corps ist eine Kavallerie-
Division zugeteilt, welche den Gegner zu überflügeln trachtet. Befehl auf Befehl
trifft bei der Kavallerie ein „die Artillerie in Thätigkeit zu bringen und zur
Attacke zu schreiten!* u. s. w. —
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Die Ideale der Kavallerie.
Stirn e trägt, selbst wenn er genau nach einzelnen Paragraphen des
Reglements angelegt, eingeleitet und ausgeführt wurde, welche ins-
besondere der Form gelten. Wir haben aber sodann auch Gelegenheit
au beobachten, wie die Kavallerie — trotzdem man wulste, sie
müsse da oder dort in einer deckenden Stellung sich befinden —
bei plötzlichem, entschiedenem Vorbrechen nicht unbedeutende Un-
ruhe hervorgerufen hat. War solche Wahrnehmung zu machen,
trotz der Ruhe, Kaltblütigkeit und Ordnung im höchsten Grade
erleichternden Friedensübungen, so wird im Ernstfalle diese Unruhe
sich wohl in noch weit höherem Grade bemerklich machen. Dort
war die tote Form, hier das im Reglement ebenso enthaltene be-
lebende Ideal die Ursache der Wahrnehmungen. Eine gut geschulte
und praktisch erzogene Kavallerie-Division, wie nicht minder 2
oder 3, werden im günstigen Momente wie ein Gewittersturm aus
ihrer Stellung vorbrechen; jeder Unterführer vom Divisions-Comman-
deur bis zum Eskadrons-Chef wird ohne besonderen Vortrag, ohne
weitere Instruktion oder Befehl günstige Umstände erkennen und
mit der zweckmässig geschulten Truppe sofort ausnützen. Im
anderen Falle wird vorbereitet, instruiert, schwerfällig oder künstlich
formiert, endlich geht die ungelenke Maschine vorwärts, kömmt
atemlos, halb aufgelöst an den Gegner und zum Handgemenge,
oder verfehlt zum Teile das Ziel, bricht an den Flügeln vorüber,
durch die Zwischenräume und wird ohne wesentlichen Nutzen form-
lich Spielsruten laufen u. s. w. — Theoretiker rühmen die
Tapferkeit des Handgemenges; der erfahrene Kavallerist würde
sagen: »aufgelöst zur Attacke gekommen,« — • Theoretiker sagen,
»die neuen Feuerwaffen, demnächst das rauchfreie Pulver waren
die Ursache;« Kavalleristen können leicht herausfinden, dafe der
Kavallerie die Grundbedingungen gefehlt haben, um solche Angriffe
glücklich durchzuführen, — wenn sie ihr kavalleristisches Gefühl
über dem Niveau zu erhalten vermochten. Werden von Allen Be-
teiligten die vorher geschilderten Umstände bei den Übungen
unparteiisch im Auge behalten, so wird sich die Kavallerie in Bälde
gerade auch hier jener wohlwollenden Beurteilung zu erfreuen
haben, welche immerhin belebend auf ihre Thätigkeit einwirken
muis.
Wir sind natürlich weit entfernt Ausstellungen zu machen,
noch weniger beabsichtigen wir den anderen Waffen zu nahe zu
treten, wohl aber ist es die Absicht, Ursache und Wirkungen zu
ergründen, in der Hoffnung, dafe die Waffe wieder das wird, was
sie war, wenn sie kavalleristisch erzogen, verwendet und gefuhrt
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Die Ideale der Kavallerie.
131
wird. Wir glauben auch durchaus nicht anmalsend zu sein, wenn
wir die Ansicht aussprechen, dafs dies zu leisten, doch nur ein
Kavallerist in der Lage sein kann. Erschwert ist diese Angelegen-
heit unbedingt, wenn den bezüglichen Fragen längere Zeit aus dem
Wege gegangen würde. Immerhin aber ist die Losung der Aufgabe
nur denkbar, wenn sie nicht aus dem Auge verloren wird. Wenn
der Weg konsequent und ohne jedes Schwanken betreten bleibt,
werden mit aller Sicherheit auch kavalleristische Talente stets mehr
und mehr entwickelt. Es ist ferner ebenso wichtig, dafs kein
Punkt dieser Grundbedingung des Gedeihens der Waffe übersehen
werde. Erziehung, Führung und Verwendung sind die Punkte,
durch welche dem Ideale näher gerückt werden kann, durch welche
die Kavallerie schon einmal das Ideal erreicht hat. Bleibt einer
dieser Punkte unberücksichtigt, oder wird einer derselben nur mit
geringerem Geschicke beachtet, so kann zwar ein vorübergehendes
Aufleben der Waffe erreicht werden, es können Zufälligkeiten Er-
folge bringen, es können wirkliche oder imaginäre indirekte Erfolge
errungen werden, — vom Ideale aber werden wir ziemlich weit
abbleiben. Es klingt nun allerdings sehr einfach und man sollte
glauben, dafs es sehr leicht sein müsse, diese 3 Punkte zu be-
achten. Die Geschichte dagegen lehrt, dals nur besonderes kavalle-
ristisches Geschick sie glücklich vereinigen und nach jeder Richtung
klar legen kann, dafs es überhaupt nur gelingt, wenn wir gelernt
haben, die Ideale richtig zu erkennen und konsequent anzustreben.
Eingehende umfangreiche Instruktionen und Reglements erleichtern
es in der Hauptsache keineswegs, diese Ideale stets zu finden, denn
sonst mülsten dieselben ja längst erreicht sein. Wir glauben, dals
im Gegenteil die Schwierigkeit, die wichtigsten Sätze und Para-
graphen stets vor Augen zu haben, hiermit wächst. Sie werden
trotz ihrer Einfachheit, vielleicht auch wegen ihrer idealeren, dem
Wesen der Waffe mehr entsprechenden Richtung mit Vorliebe
übersehen. Diese wichtigsten Bestimmungen und Paragraphen stets
und immer wieder anregend in Erinnerung zu bringen, dies kann
am Ende doch nur ein Techniker, ein praktischer erfahrener
Kavallerist; mit solcher Einwirkung können wir allein hoffen,
dals wir von Jahr zu Jahr voranschreitend uns in jeder der 3 Haupt-
richtungen dem Ideale nähern. Nach allen hier angedeuteten Ver-
hältnissen ist es sehr einleuchtend, dafs in keiner anderen Waffe
der persönliche Einflufs des Führers eine höhere Be-
deutung hat, wie in der Kavallerie, dals sohin ohne eine im
höchsten Falle einige wenige leitende Persönlichkeiten, verschiedene
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Die Ideale der Kavallerie.
Anforderungen verwirrend nach Unten und in keiner Richtung
fordernd einwirken müssen. Dies wird um so bemerklicher sein,
je zahlreicher die treffenden Stellen sind, je weniger bereits diejenigen
einzelnen Prinzipien zur Geltung haben gebracht werden können,
welche unseren Idealen entsprechen.
Infanterie und Artillerie haben im Gefechte mancherlei Be-
rührungspunkte; sie haben die Mittel, die Kraft des anzugreifenden
Gegners zu erschüttern, zu brechen; sie können Offensive und Defen-
sive mit einander vereinigen, sie können sich fortlaufend gegen-
seitig unterstützen. Nicht so die Kavallerie; sie kann nur wie im
vorigen Jahrhundert »erscheinen und attackieren«. Waren
alle Vorbedingungen in Erziehung, Verwendung und Führung er-
füllt, war sodann der Moment des Angriffes ein glücklicher, die
Art der Durchführung thunlichst überraschend (energisch) und dem
Zwecke entsprechend, so wird sie auch heute Erfolge erringen;
war der Moment ein unglücklicher, hat Unbesonnenheit oder Un-
geduld den Angriff veraulafet, so haben selbst die sieggewohnten,
vortrefflich geschulten und geführten Schwadronen schon zu jener
Zeit Nichts ausrichten können, und in einem Falle auf dem
Rückwege den eigenen Truppen empfindlichen Schaden
gebracht.
Die seitherigen Verhältnisse haben mit kurzen Unterbrechungen
Erziehung, Verwendung und Führung der Kavallerie nicht wesent-
lich gefordert; diese Verhältnisse können somit eine besondere Be-
deutung keineswegs besitzen. Ja, diese Verhältnisse haben sogar
den Wert und die Bedeutung der Reitinstitute für die Kavallerie
zum Teile illusorisch gemacht. Wenn wir die idealen Punkte in
diesen Richtungen nicht anerkennen und anstreben, werden wir
zwar berittene Truppen haben, da oder dort vereinzelte mehr oder
weniger glänzende Thaten und indirekte Erfolge, aber nie jene
Kavallerie sehen, welche mit ihrem idealen Können ganz bestimmt
auch ideale Erfolge als Regel erzielen wird. — Mit freudigem Herzen
begrüfsen wir wohl Alle die erwarteten Veränderungen. Möge
der so zäh zerrissene Faden kavalleristischer Leitung
wieder gefunden und angeknüpft werden, möge mit neuer
Begeisterung der Kavallerie gelingen, den Idealen stets näher und
näher zu rücken. Möchten aber auch die andern Waffen, ebenso
wie alle Stellen, dieser Richtung unseres Strebens rückhaltloses
Wohlwollen entgegenbringen, damit wir in demselben stets er-
muntert und bestärkt werden können und dann mit aller Bestimmtheit
unsere Aufgabe ganz erfüllen.
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Die Ideale der Kavallerie. 133
III. Endlich gestatte ich mir die Hauptgefechtsthätigkeit
der Kavallerie in kurzen Zügen anzuführen, indem wir vorerst
nur jene Verhältnisse in Betracht ziehen, welche als die idealeren
bezeichnet werden könuen, > unvermutetes Verbrechen im geeigneten
Momente und selbststäudiges Eingreifen aller Unterführer«. Es
ist selbstverständlich, dafs diese Art des Auftretens die bei weitem
wichtigste ist.
L Die Befehle oder Instruktionen, welche der Kavallerie zu-
gegangen sind, geben im Allgemeinen nur die Situation und die
eigene Absicht des Truppenkommandos für den Marsch oder das
Gefecht an ; im höchsten Falle möge noch dieser oder jener Wunsch
für die Thätigkeit der Kavallerie angefügt werden. Nur ganz
ausnahmsweise und unter ganz besonderen Verhältnissen wird der
Kavallerie im Allgemeinen, oder für das Gefecht eiu ganz bestimmter,
detaillierter Auftrag, eine genau bezeichnete Stellung, oder der
Angriff unter Bezeichnung des Objektes befohlen. Der Kavallerie-
Führer ist an und für sich für die sachgemäfse Verwendung seiner
Truppe verantwortlich, er ist verantwortlich ebenso dafür, dafs er
günstige Momente zum Angriffe ausnützt. Der Befehl zum An-
griffe durch das Truppenkoramando möge daher stets schrift-
lich, im Frieden insbesondere unter kurzer Angabe der Gründe
für denselben gegeben werden. Es erscheint dies notwendig in den
verschiedensten Hinsichten, deren nähere Erörterung wohl unter-
bleiben kann.
2. Die Kavallerie- Division hält, oder bewegt sich verdeckt in
irgend einer Bereitschaftsform. Der Führer hat einen Punkt ge-
wonnen, von welchem er den Gegner genau beobachten kann; er
läfst das Terrain nach den verschiedenen Richtungen rekognos-
zieren.
3« Angriff auf Kavallerie. Die reitenden Batterien be-
ginnen das Feuer. Auf Säbelzeichen des Führers der Kavallerie-
Division reitet dieselbe au, formiert das 1.' Treffen Eskadrons-
Kolonnen uud nimmt die Direktion, welche der Divisions-Führer
angiebt; die beiden hinteren Brigaden, am besten flügel weise formiert,
stofsen eine Eskadron des Teten-Regimentes als Unterstützuugs-
Eskadron ab uud hängen sich dem korrespondierenden Flügel des
1. Treffens auf kurze Distanze an. Dns erste Treffen marschiert
auf (aufeer dem Gesichtsbereiche des Gegners auf Zeichen) und Retzt
sich in den Galopp, die debordierenden angehängten Treffen ver-
halten sich nach den Umständen. Nachdem dem 1. Treffen das
Attacken-Objekt gegeben, verfügt sich der Divisious-Ftihrer auf
J»hrtüch»r für di» Dentach« Atom and Marine Bd LXXVI. 2
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Die Ideale der Kavallerie.
jenen Fitigel, auf welchem. er das 3. Treffen haben will. Im ruhigen
geräumigen Galoppe geht das 1. und 2. Treffen — nach Bedürfnis
auch Teile des 3. Treffens — auf den Gegner los. — Der Angriff
wird nach den später erörterten Grundsätzen ausgeführt und
vollendet.
Angriff auf Infanterie. 4. Wird unter den gleichen Ver-
hältnissen das Zeichen zum Angriffe auf Infanterie gegeben, so
formieren sich die beiden inneren Brigaden (oder die Teten-Brigade
und bei der flfigelweisen Formation der hinteren Brigaden jene auf
dem inneren Flügel) regimenterweise nebeneinander zum Angriffe
auf Infanterie; das rechte Regiment der mittleren Brigade nimmt
Direktion dicht links neben dem Commandeur der Division vor-
über. Die Brigade des äufseren Flügels bleibt bis gegen Ende des
Angriffes, gefechtsbereite nahe folgende Reserve; wird ihre Thätigkeit
nicht anderweitig iu Anspruch genommen, so wirft sie Eskadrons
auf intakt gebliebene feindliche Objekte, verhütet das Wiedersammeln
versprengter Abteilungen, räumt unter denselben auf, ganz im Sinne
der alten Instruktionen. Nicht anderweitig zur Verwendung ge-
kommene Teile dieses Treffens trachten von Rückwärts in die
feindliche Stellung einzudringen und benutzen jede sich bietende
Deckung für solche energischst durchzuführende Bewegung.
Allgemeine Gesichtspunkte. 5. In den Bereitschafts-
formen, zu welchen auch die flügelweise Formation der hinteren
Brigaden zu zählen sein dürfte, nimmt die Teten-Brigade zwei
Patrouillen in die Front, die beiden folgenden Brigaden je zwei
Patrouillen in die rechte resp. linke Flanke, von welchen die
Sicherung nach seit- und rückwärts bethätigt wird. Diese Patrouillen
verwandeln sich während der Bewegung und dem Angriffe der
Division in Gefechtspatrouillen, indem sie die Division in ihren Be-
wegungen begleiten und sichern. Die Patrouillen in der Front
begleiten den Führer der Kavallerie-Division auf einige 100 Schritt
verdeckt, wenn sich derselbe weit voraus begiebt. Sobald Eskadrons-
Kolonnen formiert werden, nimmt jede Eskadron einen Eclaireur
vor. — Mit dem Anreiten der Kavallerie- Division gehen die Treffen-
führer für ihre Person rasch voraus in die Direktion, welche der
Divisions-Commandeur angiebt und zwar im Verhältnisse ihrer Plätze
im Divisions -Verbände.
Angriff auf Kavallerie. G. Auf 100 Schritt vom Gegner
angekommen, geben Eskadronschefs und Zugführer, welche einen
Feind vor sich haben, Kommando und Signal Marsch! Marsch! Sie
.stürzen sich festgcschlosseu und stets mehr znsammenschliefsend mit
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Die Ideale der Kavallerie.
1 35
der bestimmtesten Absicht des Niederrennens auf denselben. Die
Eskadrons stellen sofort die Ordnung her und gehen selbstständig
nach den gleichen Grundsätzen auf Abteilungen des feindlichen
2. Treflfens und der Reserve los. Das Signal zum Verfolgen wird
erst dann gegeben, wenn geschlossene Abteilungen des Gegners
nicht mehr vorhanden sind. Es bleibt von der allergröfeten Wichtig-
keit, dafs dieses Verfolgen nicht in ein unbesonnenes, die Kraft der
Waffe vernichtendes, ineist zu sehr empfindlichen Rückschlägen
führendes allgemeines Nachjagen ausarte. Diese Wichtigkeit wird
noch augenfälliger, wenn sich beim Angriffe auch das ganze 2. und
3. Treffen beteiligt haben sollte, was wohl zumeist der Fall sein
wird. (Wenn das erste Glied des ersten Treffens und aufserdem
ein Fingelzug jener Eskadrons aus anderen Treffen, welche ebenfalls
attackiert haben, die Verfolgung übernimmt, alles übrige geordnet
und geschlossen folgt, dürfte der Zweck weit sicherer erreicht
werden).
Sammeln. 7. Ertönt das Signal »Divisions-Ruf«, formiert
sich das zunächst befindliche Treffen (Brigade) in Eskadrons-Kolonnen
hinter dem Divisions-Führer; die beiden anderen Brigaden je nach
ihrer Stellung in Bereitschaftsform als Echellons an dem korrespon-
dierenden Flügel desselben.
Angriff auf Infanterie. 8. Überall, wo mehrere getrennte
gegnerische Objekte anzugreifen sind, empfiehlt es sich, diese
Angriffe in leicht dirigierbarer Form auszuführen und die Regimenter
in sich in möglichst nahe folgende Echellons, mit Eskadrons
formiert, nebeneinander vorgehen zu lassen. Es dürfte voraussichtlich
vorteilhaft sein, den Abstand des 2. Gliedes auf 3 — 4 Pferdelängen
zu vergröfsern. Die Führer sehen darauf, dafs alle feindlichen
Objekte angegriffen werden, dafs diese Angriffe immer tiefer in die
feindliche Stellung fortgesetzt und erneuert werden. Auch hier wird
stets gesammelt und der Angriff weitergeführt.
9. Alle übrigen Formationen und Bewegungen werden nach
erfolgter Befehlsubermittluug (oder auf die treffenden Avertissements,
Kommandos und Signale ausgeführt). In den bei weitem meisten
Fällen aber werden die beiden angedeuteten Angriffsarten mit den
angegebenen Grundsätzen genügen.
10. Sind mehrere Kavallerie-Divisionen zur Stelle, so wird eine
2. die Stelle des 3. Treffens einer einzelnen Division übernehmen,
resp. bei Angriffen auf Iufanterie die Stelle der Reserve-Brigade.
Eine 3. Kavallerie-Division wird sich geschlossen auf dem andern
10*
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i :m
Die Ideale ilor Kavallerie.
Flügel bewegen und nach den sich bietenden Verhältnissen selbst-
ständig in das Gefecht eingreifen.
11. Die Erfahrung lehrt, dafe die zurückgehaltenen Treffen
und Reserven während der raschen Vorbewegung der Kavallerie in
der Regel nur geringere Verluste erlitten haben. Diese Abteilungen
können also unter Umständen fuglich die Bereitschaftsformen länger
beibehalten, was für ein späteres nicht vorauszusehendes Eingreifen
immer von Vorteil sein wird.
12. Das, was zu allen Zeiten die möglichen Erfolge der Ka-
vallerie ganz wesentlich beeinträchtigt hat, die bereits gewonnenen
Erfolge wieder verlieren liefs und überdies die Hauptverluste brachte,
war — von den sogenannten Verlegenheitsattacken abgesehen —
der unausbleibliche Rückschlag, dort wo die Kavallerie zu ihren
Angriffen ans ungerechtfertigter Zersplitterung nicht in gröfsere
Stärke vereinigt wurde, oder der Angriff nicht mit der absolut
nötigen kavalleristischen Grundlage (energisches Vorbrechen auf
einfache natürliche Weise) und mit kavalleristischer Routine (sach-
gemäfses Verhalten und Eingreifen aller Unterführer) durchgeführt
war. Bei ganz einfachen natürlichen Prinzipien und sachgeraäfsen
Übungen ist eine gröfsere Schwierigkeit für Bewegung und Angriff
kaum zu erkennen. Diese Schwierigkeit mufs aber ganz selbst-
verständlich wachsen, wenn die Unterführer daran gewöhnt werden,
für jede Bewegung detaillierte Befehle zu erhalten. Es mag viel-
leicht schwierig für den Kavalleriefiihrer sein, den günstigen Moment
zum Angriffe zu erspähen; in jedem Falle wird die Ausnützung
eines solchen Momentes erschwert, wenn nicht unmöglich gemacht
durch komplizierte Bewegungen und Formationen, durch detaillierte
Befehle. Wir müssen auch hier das Ideal stets vor Augen haben
und dieses Ideal zeigt uns den ruhig beobachtenden Führer, das
Losbrechen der Truppe auf sein Zeichen, die rasche Annahme
einfacher Formen und das sachgemäfse Eingreifen sämtlicher Unter-
führer.
13. Unsere Pferde werden übermäfsig fatigiert durch unruhige
heftige Gaugarten und unnötiges Herum jagen. Sachgemäßer Unter-
richt auf der Schule und im Gelände werden solche Wahrnehmung
allein verschwinden lassen. Dort vor Allem ideal richtige Haltung
der Reiter, und dann unbedingte Ruhe in allen Gangarten auf den
Lbungsplätzen bei vorübergehend successivem Erreichen der gröfsten
Räumigkeit auf die treffenden Avertissements werden geschonte gut
konservierte Pferde, gewandte Reiter wie Eskadrons weit sicherer
bringen, wie alle anderen Auskunftsmittel. Ohne solches Vorgehen
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Die Ideale der Kavallerie.
137
werden auch Vollblutpferde bei dreifachem Futter vor der Zeit ab-
genützt sein. Scharfer Trab und heftiger Galopp sind die wichtigsten
Merkmale einer unzweckmäfsigen Vorbereitung der Truppe; solche
Gangarten ruinieren die Pferde ebenso wie die Kraft der Angriffe.
Die Formationen aus den Bereitscbaftsformen nach der ganzen
Flanke (Fig I) sind am einfachsten durch Drehung der Regiments-
Teten auszuführen. Mathematisch genau ist diese Bewegung aus
Figuren i\x Ziffer III. Fig. L
im | 1. I i. | 1. I 1 I 1 I 1
\
der Bereitschaftsform in Keginieutern mit Kinlialtung der Zwischen-
räume allerdings nicht durchzuführen; hierfür müfste der Abstand
des 2. Regimentes der Brigade auf 42 Schritte vergrößert werden.
Das Teten- Regiment der 2. Brigade mit 50 Schritt Abstand wird
nach der Schwenkung einen Zwischenraum von etwa 23 Schritten
haben. Im Allgemeinen aber hat diese Bewegung auch bei den
bisherigen Distanzen eine bedeutendere Schwierigkeit um so weniger
geboten, nachdem in der Regel sofort nach der Schwenkung eine
neue Formation in Anwendung kommen dürfte. — Die in Fig. II*)
angedeutete Bereitschaftsform, die hinteren Brigaden flügelweise
formiert, hat ganz ausgesprochene Vorzüge. Vor Allem haben die
*) 8iehe Seite 138.
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13*
Die Ideale der Kavallerie.
Divia -Comm&ndeur.
$ Briir.-Conunandear.
£i Rogts.-Commandeur.
Brigade- und Regiments-Commandeure freien Blick, sie sind leichter
zu sehen und zu finden im Allgemeinen, wie unter sich. Die
Brigaden und Regimenter dieser Treffen sind weit leichter und
einfacher zu dirigieren und an die Hügel zu bringen u. s. w. —
Die bereits angedeutete regimeuterweise Formation zum Angriffe auf
Infanterie (Fig. 111) hat den Vorzug, ganz leichten und einfachen
Überganges aus den Bereitschaftsformeu, ganz leicht dirigierbarer
Brigaden, Regimenter und Eskadrous, und eignet sich wohl ganz
vorzüglich bei plötzlichem Vorbrechen zu Angriffen auf mehrere
getrennte Objekte. Die Formation, nach welcher die 3 Brigaden
einer Kavallerie-Division auf je 100 Schritt Abstand hinter einander
entwickelt sind, wird lediglich bei Frontalangriffen, oder solchen,
welche gegen ganz
Ä Fig. II. aufgelöst zurück-
weichende Infanterie
BriK-Commandeur. erfolgen, anwendbar
sein. Diese Form hat
die grolseu Nachteile,
dafs die Regimenter
und Eskadrons sehr
wenig dirigierbar
sind, dafs die ent-
wickelten folgenden
Treffen nicht vor-
wärts sehen und dafs,
wenn das ersteTreffen
sich in vorhandene
Lücken drängen sollte,
die folgenden Brigaden ganz bestimmt in denselben Fehler verfallen.
Die Anwendung gerade dieser Form wird daher eine seltenere sein
und auch in diesen seltenen Fällen wird es sich empfehlen, das
2. Glied des ersten Treffens auf gröfserem Abstände, das 2. Treffen
aber in Eskadrons- Kolonnen — die Flügel- Eskadrous debordierend,
das 3. Treffen geschlossen auf dem äufseren Flügel zu halten, als in
jedem Falle thätig eingreifende Reserve.
Die mehrfach erwähnten Zeichen dürften sich auf nachstehende
beschränken: 1. Säbel erheben — Anreiten, verändern der Gangart
nach aufwärts. — 2. Säbel erheben und rasch senken — verändern
der Gangart nach abwärts; halten. — 3. Säbel über dem Kopfe
<*>
a
ü Brigade.
schwingen — nächst höhere Formation zum Gefechte.
Tuch über dem Kopfe schwingen — anreiten zum
— 1. Weifses
Angriffe auf
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Die Frühjahrsmauöver der euglis- hen Freiwilligen.
131»
Infanterie, die Regimenter neben einander in Echellons mit Eskadrons;
Brigade des äufseren Flügels geschlossene Reserve.
Je weniger Säbelzeichen, je besser, je sicherer sind Mifsver-
ständnisse ausgeschlossen. Das bi.sher gebräuchliche Zeigen in die
Direktion ist vollständig entbehrlich; die Truppe umfs in jedem
Falle daran gewohnt sein, Direktion, Gangart und Tempo des Führers
aufzunehmen.
Nachfolgende reglementären Bestimmungen dürften besonderer
Beachtung zu empfehlen seiu. § 1)8 und § 150. Vierter Abschnitt
überhaupt, insbesondere § 100 Ziffer 1 Absatz 2 und 3. Sechster
Abschnitt überhaupt, insbesondere Ziffer 3 Absatz 2, 3, 4. Ziffer 6
und 8, sowie deren Übertragung auf Brigade wie Division, ferner
§ 159 Ziffer 4 — § 161 Ziffer 3 — § 162 Ziffer 1, 2, 3, 4 —
§ 169 Ziffer 4 — § 171 Ziffer 1 Absatz 1 - insbesondere 2 und 3
— § 172 — § 173 — § 174 Ziffer 2. — Wünschenswert erscheint:
andere Fassung der §§ 165 und 166 in $ 178 Ziffer 4. Die Be-
reitschaftsform in Brigaden — die hinteren Brigaden auch flügel-
weise formiert. —
In der Kavallerie-Division werden nur Regimenter zu 4 Es-
kadrons eingeteilt. Haben einzelne oder mehrere Regimenter
5 Eskadrons, werden dieselben iu neue Verbände zusammengezogen
und aufser der gewöhnlichen Einteilung verwendet u. s. w. 8.
YH. Die Frlihjahrsmanöver der englischen
Freiwilligen.
Seit einer Reihe von Jahren finden in England alljährlich
während der Ostertage, der Truppenzahl nach, verhältnismäßig aus-
gedehnte Manöver der Freiwilligen unter Beteiligung eines Teils der
regulären Truppen statt, und es dürfte heute, wo auch Grofs-
britannien bemüht ist, seine Landstreitkräfte auf eine möglichst
hohe Stufe der Ausbildung zu bringen, nicht ohne Interesse sein,
der jetzigen Gestaltung der Manöver dieser Streitkräfte, auf welche
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140
Die Frühjahrsmanöver der englischen Freiwilligen.
England im Fall einer Verteidigung des Insel reichs gegen einen
Augriff ganz besonders rechnet, einen Blick zu widmen. Das bis
jetzt über diese Truppenübungen uns zugängliche Material gestattet
allerdings nicht, dieselben mit genauer Angabe aller dabei in
Betracht kommenden Verhältnisse in Form der exakten Manöver-
berichte, wie sie sonst üblich sind, zur Darstellung zu bringen.
Allein auch aus einer nicht nur episch erzählenden, sondern zum
Teil kritisch gehaltenen Schilderung derselben, wie wir sie im
Folgenden zu geben beabsichtigen, dürften die charakteristischen
Eigentümlichkeiten dieser Manöver und der dabei verwandten Streit-
kräfte, auf welche an geeigneter Stelle wir nicht unterliefsen, hinzu-
weisen, zur Genüge in ihren Hauptmomenteu hervorgehen. —
Die diesjährigen Ostermanöver der britischen Freiwilligen
fanden an der englischen Süd- und Südostküste bei Dover, Folke-
stoue, Eastbourne, Brighton, Portsmouth und Colchester statt, und
es beteiligten sich an denselben 25,000 Mann Volunteers und
5000 Mann regulärer Truppen. Die Mauöver begannen am Freitag,
den 4. April, und der Ostermontag, der 7., war der Haupttag der-
selben. Sie endeten am darauffolgenden Dienstag mit dem Rück-
transport der Truppen. Keine gemeinschaftliche Generalidee um-
fafste die durchgeführten Operationen als ein einheitliches Ganze,
aber die von den die vier hauptsächlichsten Truppeuzusainmenzüge
befehligenden Commandeuren ausgegebeneu Manöver- Dispositionen
lehnten sich an die gemeinsame Annahme an, dafs eine feindliche
Invasion drohe, und dafs die Londoner Volunteers im ersten Moment
an die Küsten von Kent, Sussex und Hampshire geworfen wurden,
um dem in einer Landung begriffenen Feinde entgegen zu treten,
während man den letzten Widerstandsakt derselben in der vom
britischen Kriegsministerium dazu in Aussicht genommenen südlichen
Londoner Verteidigungslinie der »Downs« d. h. der Kreidehügel,
zwischen Dorking und Halsted erwartet.
Im Laufe des Donnerstags sammelten sich die verschiedenen
Corps auf bestimmten Plätzen Londons und anderer Städte Süd-
Englands, traten unter den Befehl ihrer Commandeure und
marschierten nach den Bahnhöfen ab, um per Balm in das Manöver-
Terraiu befördert zu werden. So die Londoner schottischen Schützen,
die Inns of Court Schützen, die Artists Volunteers, das Queens
Westminster-Corps und viele andere. Das Gepäck dieser Freiwilligen-
Corps wurde in besondere Waggons verladen und derart nach dem
Manöverterrain transportiert. Die Mobilisierung des stärksten Corps
der an den Munövern teilnehmenden Freiwilligen, der Süd-London-
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Die Frühjahremanöver der englischen Freiwilligen. 141
Brigade, welche die besten Freiwilligen-Regimenter der Hauptstadt
enthält, wurde am Freitag, den 4. April beendet. Diese Mobili-
sierung wurde nicht vollständig nach der neuerdings vorgeschriebenen
Mobilmachungs-Instruktion ausgeführt, sondern wies zwei bemerkens-
werte Abweichungen von derselben auf. Dieselben bestanden in
der Heranziehung anderer, nicht zur Süd-London-Brigade gehörender
Bataillone und einer anderen Art der Musterung des Freiwilligen-
Corps, sowie ihres Transports per Bahn in das Manöverterrain. Die
Brigade wurde bei Westenhanger, westlich von Folkestone in zwei
Kolonnen formiert. Die eine rückte über Beachborough und
Newingtou nach Folkestone und bestand aus den Süd-Middlesex-
Schützen, dem West- London Corps, dem London- Schotten Corps,
dem St. Georges-Corps, dem 3. West-Kent Corps, dem 1. Warwick
Corps, dem Tower Hamlet Corps, welches einige Schnellfeuer-
Geschütze mitführte, und dem Sanitäts- Stabs-Corps. Die andere
Kolonne, welche über Saltwood, Hythe und Sandgate marschierte,
• bestand aus dem West-Middlesex und Harrow Corps und dem
Civildienst- und Bank of England Corps. Alle diese Corps hatten
eine variirende Stärke von 1—400 Mann und waren im Ganzen
circa 4000 Mann stark.
Die Generalidee für diese Truppen bestand darin, dafs eine
Iuvasions-Armee an der Süd-Ost-Ecke von Kent gelandet ist, Dover
einschliefst und inzwischen ein Detachement zur Besitznahme des
Eisenbahu - Knotenpunkts Ashford entsendet. Als dasselbe dio
Annäherung von Abteilungen der Truppen des Verteidigers von
Westen her erfährt, nimmt es eine Stellung auf den nordwestlich
von Folkestone sich gegen Tolsford Hill und Eatching Hill hin-
ziehenden Hügeln. Es wurde angenommen, dafe zwei Kolonneu der
Armee des Verteidigers zur Unterstützung von Dover entsandt wurden.
Die linke dieser Kolonnen erreichte Canterbury in der Nacht von
Freitag, die rechte Kolonne zu derselben Zeit Ashford; dieselbe
hatte Erkundigungen über die Stellung des vorgeschobenen Detache-
ments des Angreifers eingezogen. — Am Sonnabend in aller Frühe
sandte die Ashford Kolonne ihre, durch die Süd-London Brigade
und die derselben zugeteilten Corps repräsentierte Avantgarde vor,
um Fühlung mit dem Feinde zu gewinnen und seine Stärko und
Absichten zu erkennen. Auf Grund der Rekognoszierung der Avant-
garde hatte sich der Führer der Ashford Kolonne zu entscheiden,
ob er angreifen und suchen solle, den Feind in nordöstlicher
Richtung gegen die jetzt vorrückende Canterbury Kolonne zurück-
zuwerfen, oder ob er sich in seiner Stellung auf den Shorncliffe und
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Die Frühjahrsnianöver der englischen Freiwilligen.
Folkestone überragenden Höhen halten solle, bis die Canterbury
Kolonne genügend vorgerückt sei, um dem Gegner den Rückzug
auf Dover zu verlegeu. — Uiu die Manöver so belehrend als möglich
zu gestalten, waren die Bataillons-Commaudeure und die Compagnie-
fiihrer angewiesen, allen unter ihrem direkten Befehl befindlichen
Mannschaften die Manöveridee und die Generalidee der Operationen
mitzuteilen. Alle Londoner Truppen gingen vom Charing Cross
Bahnhof ab und debarkierten bei Westenhanger. Es waren 7 Bahn-
züge zu ihrem Transport erforderlich, welche im Laufe des Vor-
mittags abgelassen wurden. Am Freitag Abend bestand das Corps
in Folkestone aus den Schotten, dem West-London Corps, dem
Inns of Court und dem Uuiversitäts-Corps, den Radfahrern, dem
St. Georges und dem West-Kent Corps, sowie dein Birmingham-
Detachemeut. Die übrigen Corps wurden in die umgebenden Städte
und Dörfer Newington, Cheriton, Sandgate, Hythe und das Lager
am Shornoliffe gelegt. Die Anordnungen für die rasche Ausschiffung
der Züge in Westenhanger waren gut und sorgfältig getroffen, allein a
die Züge hatten etwas Verspätung. Die Truppen waren im Marsch-
anzuge, jedoch nur ein Teil derselben führte Spaten, die Mitführuug
des Gepäcks, der Mäntel und der Feldflascheu war dem Ermessen
der Conimandeurc anheimgestellt. Dieselben hatten darauf zu halten,
dafs die Leute eine Mittagsportion in ihren Tornistern trugen, und
dafs die Feldflaschen vor dem Abmarsch gefüllt waren, und jeder
Mann 50 Patronen in den beiden Taschen der neuen Ausrüstung
trug. — In Folkestone formierte sich der Stab und das Haupt-
quartier des Verteidigungs-Corps unter Oberst Stracey. Der erstere
bestand aus einem Obersteu, einem Major, einem Kapitän und einem
Lieutenant, welche verschiedenen Waffen der regulären Armee an-
gehörten, sowie aus zwei Majors und einem Kapitän von der Lothian
Yeoiuaury als Ordonnanz-Offizieren (extra aides de camp). Zur
Leitung des Signaldieustes war ein Hauptmann der Inns of Court
Schützen und ein Lieutenant der schottischen Garde bestimmt. Das
Sanitätswesen lag in den Händen der Oberärzte der regulären Armee,
welche von dem Freiwilligen-Sanitäts-Stabs-Corps als Krankenträger
uud Gohülfen in den Feldlazaretten unterstützt wurden. Am Freitag
Abend war die Süd-London Brigade mit ihrem Zubehör 4000 Mann,
00 Reiter, 42 Radfahrer und 3 Schnei Ifeuergeschütze stark.
Man war bei den britischen Militär -Autoritäten der Ansicht,
dafs die Dispositionen für die diesjährigen Manöver sehr spät ge-
troffen worden seien, denn bis zum Donnerstag war im Stabs-
quartier des Süd -Ost -Distrikts in Dover die genaue Idee der
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Die Frühjahrsnianöver der englischen Freiwilligen.
143
Ostermontag-Manöver noch nicht bekannt, und erst am Freitag
wurden von Oberst Stracey aus Folkestone dem den Süd-Ost-Distrikt
kommandierenden Generalmajor Moore die folgenden Manöverideen
übersandt: Die Manöver am Sonntag sollten bei Talsford Hill
7 englische Meilen nordwestlich Folkestone stattfinden. Die dortigen
Höhen sollten vom 2., 5., 12. und 25. Süd-Middlesex Freiwilligen-
Schützen - Corps verteidigt werden, ferner den 1. Tower Hamlets
Schützen mit 3 Maxim-Geschützen und den 1. Ost-Kent Freiwilligen-
Schützen mit einem Maxim-Geschütz, in Summa etwa 2000 Mann.
Die Stellung sollte vom 4., 14., 20., 26. und 6. Middlesex Schützen-
Corps und dem 3. West-Kent Frei willigen- Corps, im Ganzen etwa
1500 Mann, angegriffen werden, ein Angriff, der besonders in
Anbetracht des gänzlichen Maugels an Artillerie und seiner Minder-
zahl sehr unmotiviert erscheint. Die Versammlungszeit des die
Höhen verteidigenden Corps war auf l / 3 \\ Uhr bei Tolsford Hill
und die des Angreifers auf 10V 4 Uhr Morgens bei Cheriton fest-
gesetzt. — Das Wetter am Sonntag war ungünstig, windig und
regnerisch, mau hatte erwartet, dafs die Manöver bei Folkestone
stattfinden würden, allein mau täuschte sich und mancbe Truppenteile
hatten hin und zurück zum Rendezvousplatz 16 englische Meilen
zurückzulegen. Sämtliche in der Stadt einquartierte Corps rückten
um 9 Uhr vormittags, eine für deutsche militärische Begriffe sehr
späte Zeit, nach ihren der ausgegebenen Manöveridee entsprechenden
Stellungen ab. Es handelte sich für Angreifer und Verteidiger um
den Besitz von Tolsford Hill und seiner westlichen Erhebungen,
welche einen Höhenzug von etwa l'/a englische Meilen Länge
bilden. Es wurde angenommen, dafs dieser Höhenrücken von einem
Detachement der Angriffs-Armee besetzt war, welches von den Dover
einschliefsenden Truppen entsandt war, um der Unterstützungs-
Kolonne des Verteidigers, welche von Ashford vorging, entgegen-
zutreten. Gleichzeitig rückte eine ähnliche Kolonne von Canterbury
auf Dover, und es war beabsichtigt, dafs die beiden Kolonnen sich
vereinigen und den Angreifer nötigen sollten, seine Stellungen
vor Dover aufzugeben und ihn im freien Felde, während die Be-
satzung von Dover in seinem Rücken sei, zum Gefecht zu veran-
lassen.
Das nach Tolsford Hill entsandte Detachement des An-
greifers stand unter dem Befehl des Oberst Fräser von den Royal
Engineers. Man nahm an, dafs sein Gegner Oberst Stracey bei
seiner Rekognoszierung gegen Ashford die starke Avantgarde der
dorthin marschierenden Unterstützungskolonue angetroffen hatte, eine
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144
Die Frühjahrsmanöver der englischen Freiwilligen.
Avantgarde von beiläufig höchst mangelhafter Zusammensetzung,
denn sie bestand nur aus Infanterie, einigen berittenen Signalisten
und einigen Radfahrern, ohne einen einzigen Kavalleristen und ohne
ein einziges Geschütz. Nominell bestand sie aus Oberst Stracey's
Süd-London Brigade, allein thatsächlich aus noch nicht der Hälfte
derselben, der Rest der Brigade bildete den Feind oder war vor dem
Zusammentreffen in der Absicht, eine Rekognoszierung gegen die
Canterbury-Strafse zu unternehmen, abgerückt, um in Erfahrung zu
bringen, ob die andere Unterstützungskolonue nahe genug sei, um
sich mit Oberst Stracey zu vereinigen uud Oberst Fräser den Rück-
zug verlegen zu können. Es wurde supponiert, dafs die Ashford
Kolonne sich Oberst Fräser derart genähert habe, dafs es für den-
selben geboten schien, die Strafse von Folkestone nach Ashford zu
verlassen und seine Streitkräfte auf der obenerwähnten Hügelkette
zu versammeln, die etwa l'/i englische Meilen entfernt, nördlich
der Strafse und parallel derselben liegt. Das Detachement Oberst
Fräsers erreichte seine Stellung über Beachborough, an welches sich
sein linker Flügel lehnte, während sich der rechte nach Tolsford
still erstreckte.
Sämtliche Truppen des Verteidigers (also des gelandeten
Angriffs-Corps) befanden sich um 11 Uhr vormittags in ihren
Stellungen auf dem Hügelrücken. Auf dem rechten Flügel standen
die Middlesex Schützen, nächst diesen die Civilservice Volunteers,
auf dem linken die Middlesex Schützen. Vor der Front dieser
Stellung senkten sich die Anhöhen zu einem wenig eingeschnittenen
Thal hinab, dessen niederer Abhang allmählich zur Strafse von
Ashford anstieg; vor ihrem linken Flügel erhob sich ein hoher
kegelförmiger Hügel zwischen dem Höhenrücken und der Strafse,
auf dem Hügel lag das (lehöft Summerhouse. Dasselbe wurde vom
Verteidiger mit den Queens Westminster Schützen besetzt. Das
Gelände zwischen der Strafse und den Hügelabhäugen war mit
Hecken und kleinen Anpflanzungen bedeckt, welche gute Deckung
gegen Sicht boten; allein der Hügel selbst war frei und nur einige
Terrain wellen boten an seinen Hängen Deckung. Die Verteidiger
waren daher gut postiert und ihr Infanteriefeuer wurde von den
Schnellfeuergeschützen der Tower Hamlet und der Ost-Ken t Volunteers
unterstützt, welche in den Intervallen der Infanterie-Bataillone in
Position standen. Die Artillerie hatte dieselben geschickt in Stellung
gebracht. Von der Strafse nach Ashfor betrachtet, erschien es
zweifellos, dafs ein direkter Angriff auf den Hügel aussichtslos sei,
bevor desseu Verteidiger nicht stark erschüttert wären. Allein zu
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Die Fröhjahremanöver der englischen Freiwilligen.
145
diesem Zweck war kein einziges Geschütz vorhanden, obgleich sich
in nächster Nähe in dem 2—3 englische Meilen entfernten Lager
von Shorncliffe Feldbatterien befanden. Dafs dieselben nicht heran-
gezogen worden, fallt umsomehr auf, da es Grundsatz der britischen
Heeresleitung ist, dafe die Volunteers so viel als möglich im Verein
mit regulären Truppen ihre Feldmanöver ausführen sollen. So aber
führte das Detachement des Angreifers ein in Wirklichkeit völlig
unmögliches Gefecht durch. Während der Verteidiger auf den
Höhen Stellung nahm, rückte der Angreifer, anstatt wie die Manöver-
idee es erwarten liefs. aus der Richtung von Ashford vorzugehen,
in Folge der erfolgten Dislokation von Folkestone über Cheriton
und legte derart einen Teil des Weges vom vorigen Tage wieder
zurück. Das Detachement machte bei Stone Farm Halt und Oberst
Stracey formierte 3 Angriffskolonnen. Die rechte bestand aus den
West- London Schützen, die mittelste Kolonne aus den St. Georges
Volunteers und den ihnen beigegebenen Compagnieu, die linke aus
den Inns of Court und den Universitäts-Freiwilligen. Aufserdem
nahmen noch die Artists Volunteers, die vom Lager von Shorncliffe
heranrückten, an dem Angriff Teil, dieselben trafen jedoch erst nach
dem Beginn des Gefechts ein und führten dann, sehr weit auf dem
linken Flügel des Angreifers ausholend, eine den feindlichen reehten
Flügel bedrohende Flankenbewegung aus. —
Alle Sachverständige wareu mit dem Commandeur des Süd-
Ost-Militär-Distrikts, Generalmajor Montgoiuery Moore der Ansicht,
dafs Oberst Straceys Detachement, um in dem Angriff zu reüssieren,
weit stärker sein, und sich auf schwere Verluste gefafst machen
müsse. — Bald nach elf Uhr begann das Feuergefecht und gelangte
die nur sehr schwache berittene Infanterie-Abteilung der Queens-
Westminster Volunteers seitens des Verteidigers und die wenigen
Reiter der Inns of Court Volunteers seitens des Angreifers für den
Aufklärungsdienst zur Verwendung. — Unmittelbar nach Beginn
des Gefechts gingen die West-London Schützen so energisch von
der Strafse gegen die Queens- Westminster Volunteers auf dem
Sunimerhouse-Hügel vor, in dem sie in den Anpflanzungen an seinem
Fufs ausschwärmten, dafs das ihn besetzt haltende Westminster
Bataillon sich von dieser Bewegung einschüchtern Weis und zurück-
ging. Dasselbe wurde durch das Lewis Bataillon ersetzt, welches
den Hügel nun längere Zeit hielt. Es entspann sich ein allgemeines
Feuergefecht. Schliefslich gab der Verteidiger, obgleich der Gegner,
wie erwähnt, keine Artillerie ins Gefecht zu bringen vermochte, die
Höhe auf, alle Abteilungen des Angreifers drangen jetzt gedeckt
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146 Die Frühjalirsmanöver der englischen Freiwilligen.
durch den Hügel bis zum Gipfel desselben vor, wo sie, um sich zu
ordnen, einen längeren Halt machten, alsdann gingen sie über
denselben vor, wobei sie von den Verteidigern unausgesetzt mit
Salvenfeuer, dessen Anwendung das englische Reglement bekanntlich
vielfach verlangt, überschüttet wurden. — Das Verteidigungs-
Detachement nahm nun das Bataillon, welches Summerhouse Hill
besetzt gehalten hatte in die Hauptstellung zurück, und in und vor
derselben entspann sich ein anhaltendes heftiges Feuergefecht. Der
Angreifer setzte verschiedene Male zum entscheidenden Vorgehen
an, unterliefs dasselbe jedoch augenscheinlich in Anbetracht seiner
ungünstigen Situation. — Kurz nach 12 Uhr liefs ein in östlicher
Richtung vernehmbares Feuergefecht erkennen, dafs Abteilungen des
Oberst Stracey in des Verteidigers rechter Flanke angelangt waren,
und der Verteidiger entsandte Abteilungen aus der Front seiner
Stellung, um denselben entgegen zu treten. Um 1 Uhr schickte
sich der Angreifer zum Sturm der Position an, der Verteidiger wartete
denselben nicht ab, und zog von den Höhen nach Osten in der
Richtung auf das Einschliefsungs-Corps von Dover ab. Das Gefecht
wurde nunmehr abgebrochen und die Freiwilligen auf dem Plateau
von General Moore besichtigt. Hierauf wurde der Rückmarsch nach
Folkestone und in die übrigen Quartiere angetreten.
Zu derselben Zeit, in welcher die Übung bei Folkestone statt-
fand, hatte sich in Brighton ein Detachement der Freiwilligen und
bei Brighton eine stärkere Infanterie-Abteilung der Volunteers ge-
sammelt; zu derselben stiefs eine Feldbatterie von vier Neunpfündern
aus London, die einzige derartige Batterie der Hauptstadt und wie
die regulären Batterien bespannt. Diese Kolonne rückte am Sonn-
abend von ihren Quartieren in Haywards-Heath und Cuckfield in
der Richtung auf Brighton ab. Bis dahin war sie nicht auf ernst-
lichen Widerstand gestofsen und hatte nur am Freitag bei Balcombe
ein lebhaftes Schützengefecht mit den Brighton Schützen zu be-
stehen gehabt, die ihr per Bahn entgegengekommen waren und
erwarten durften, ihr am folgenden Tage ernstlicheren Widerstand
entgegenzusetzen. Die Mauöveridee für die bei Brighton übenden
Freiwilligen-Corps war, dafs die Brighton verteidigende Streitmacht
eine Linie von Posten auf den sich von Clayton Mills nach Ditchlony-
Beacon erstreckenden Höhenrücken vorgeschoben hatte, welche,
soweit sie es vermochte, das Vordringen des Gegners aufhalten
sollten, bis ihr Gros von Brighton einträfe. Da einige Strafsen und
eine beträchtliche Terrainstrecke als unpassierbnr supponiert waren,
waren die Manöver auf einen verhältnismäfsig kleinen Terrain abschnitt
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Die PrfthjahrsmanÖTPr der englischen Freiwilligen.
147
angewiesen, eine praktische Anordnung, da die kleinen Abteilungen
sonst sehr Gefahr gelaufen wären, einander in dem wellig und
koupierten Terrain zu verfehlen.
Das Brightoner Detachement marschierte um 2 Uhr ab, seine
schweren Geschütze waren eine Stunde früher abgerückt, also ohne
den Schutz der übrigen Waffen im Friedensmarsch. Es bestand
aus den Naval Volunteers, einer kleinen Abteilung Middlesex
Yeomanry, einem Zuge der 14. Husaren, einer sechszehnpfünder
Batterie der Sussex Artillerie-Freiwilligen zu 4 Geschützen, einer
Batterie Vierzigpfünder desselben Corps zu 4 Geschützen, einem
Bataillon Artilleristen, dem 1. Sussex Schützen -Corps uud den
3. Middlesex Artillerie-Freiwilligen, im Ganzen elf- bis zwölfhundert
Mann. Das Detachement marschierte auf der Londoner Strafse
und erreichte den Kamm einer Erhebung gegenüber den Hohen von
Clayton Mills, und von diesen Höhen durch eine Entfernung von
etwa 3000 m getrennt; ein anderer niedrigerer Rücken lag zwischen
beiden. Die Artillerie traf hier um halb drei Uhr ein, die Stunde,
zu der die Feindseligkeiten beginnen sollten; die Schützen langten
20 Minuten später an. Die Kavallerie des Verteidigers befand sich
bei Clayton Range, allein da sie sich außerhalb des Unterstützungs-
bereichs ihrer Infanterie bewegte, ging sie nach einigem Plänkeln,
sobald der Gegner vorrückte, zurück. Der Feind erschien auf dem
Kamm der Anhöhe gegen 4 Uhr und wurde von beiden Batterien
des Verteidigers beschossen, welche mit einigen Pausen ihr Feuer
bis um 5 Uhr fortsetzten, obgleich sich ihnen nach dem ersten
Erscheinen des Gegners nur einige Reiter und ein- bis zweimal ein
rot uniformiertes Bataillon zeigte, welches jedoch sofort wieder
verschwand. — Die Artillerie des Angreifers war dicht bei Clayton
Mills und zwar etwas hinter den Kamm der Höhe zurückgezogen
postiert, und beantwortete von dort aus von Zeit zu Zeit das
Geschützfeuer des Gegners. Die Brighton Schützen und die Middlesex
Artilleristen avancierten jetzt und postierten sich hinter dem
Kamme des niedrigen Hügels zwischen beiden Positionen. An
dieser Stelle verengte sich das unbestellte Land auf 400 Yards
Breite, über welche das Vorgehen des Feindes erfolgen mufste.
Die Position des Verteidigers war eine vortreffliche. Seine
Geschütze beherrschten den Hügelabhang, welchen die Kolonne
der Ingenieur Volunteers hinabsteigen mufste, und das überlegene
Feuer der Vierzigpfünder würde die Geschütze des Angreifers ver-
hindert haben, den Hügel hinabzugehen und eine Stellung weiter
vorwärts zur Unterstützung ihrer Infanterie einzunehmen. Der
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14H
Die Frühjahrsmanöver der englischen Freiwilligen.
Angriff über den langen, dem Feuer des Feindes ausgesetzten Ab-
hang war fehlerhaft; aber die Verteidiger unterliefsen es, die von
ihnen besetzte anliegende Terrainerhebung rechtzeitig aufzugeben
und sich unter den Schutz des Feuers ihrer 8 Geschütze auf die
Hauptstellung zurückzuziehen, und wurden, da sie im Moment des
Angriffs der Unterstützung ihrer Artillerie entbehrten, zurück-
geworfen. Nach einer Pause von l'/a Stunden (eine etwas lange
Gefechtspause) sah man die rot uniformierten Bataillone der Engineer
Kolonne die Abhänge von Clayton Hill hinabrücken, und die
Brighton Schützen und die Artillerie gingen an den Rand der Höhe
vor und eröffneten das Feuer gegen dieselben. In kurzer Zeit war
die Engineer Abteilung durch das Geschützfeuer des Verteidigers
von dem mittleren Rücken vertrieben, und es entspann sich ein
halbstündiges Gefecht in der Tlialsenkung, währeud dessen die
Artillerie des Angreifers seine Infanterie nicht zu unterstützen ver-
mochte. Dieselbe wurde jedoch uicht geworfen, obgleich die Truppen-
zahl auf beiden Seiten ziemlich gleich war, allein es schien im
Plan der Oberleitung zu liegen, dafs der Angreifer alle Hindernisse
siegreich überwinden sollte. Der Verteidiger ging daher zurück
und beide Teile gelangten nochmals am Kamm der Höhe zu einem
lebhaften Fenergefecht in solcher Nähe vou einander, dafs ihre
Artillerie nicht in dasselbe einzugreifen vermochte. Der Abzug
in die liauptpositiou, welcher besonders interessant zu werden ver-
sprach, unterblieb, da durch das Signal »Stopfen« das Gefecht
beendet wurde. Die Volunteer-Corps trafen statt um 6 erst um
8 Uhr abends in Brighton wieder ein, wo sie von der Bevölkerung
warm empfangen wurden. Am späten Abend fanden Rauchver-
einigungen (stnoking concerts) in mehreren geeigneten Lokalitäten
statt.
Am folgenden Tage kam es an den Lewes Downs zum Gefecht.
Die Idee für die Übung war, dafs eiue Angriffskolonne bei Shoreham
gelandet sei und auf London marschierte, und dafs von Lewes ein
Truppen-Corps vorrückte, um diesem Vormarsch entgegenzutreten.
Die an der Übung beteiligten Truppen waren dieselben wie am
Sonnabend bis anf die Brighton Schützen, welche zu der Übung
bei Eastbourne herangezogen wurden, und die Gesamtstärke der
bei Brighton manövrierenden Abteilungen betrug etwa 2500 Mann.
Die Rollen wurden an diesem Tage vertauscht und die bisherigen
Verteidiger Brightons wurden per Bahn nach Lewes befördert und
rückten von dort aus zum Angriff auf das von Brighton vorgebende
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Die Frfihjahrsmanöver der englischen Freiwilligen. 149
Detachenient des Verteidigers vor, welches aus den bisherigen An-
greifern, der Engineer Kolonne, bestand.
Bevor wir zur Schilderung der Übungen bei Eastbourne, Ports-
mouth und Colchester schreiten, sei es gestattet, einige auf die
Manöver Bezug habenden allgemeinen Bemerkungen und einige un-
bedeutendere Vorgänge einzuschalten. — Das Lager von Shorncliffe
liegt in der Mitte des Gelände-Abschnitts, der für die diesjährigen
Manöver der Freiwilligen zwischen Kythe und Folkestone aus-
gewählt worden war und wurde für einen Teil derselben zur Unter-
bringung benutzt. In sämtlichen Ortschaften der Umgegend stellte
mau Betten für die Einquartierung in den Schulen und sonstigen
öffentlichen Gebäuden auf und beflaggte die Strafseu, und fanden
die Volunteers-Corps überhaupt eine gute Aufnahme. Die Marsch-
leistungen derselben waren übrigens bei diesem Zusammenzuge zum
Teil nicht unbedeutende. So marschierte z. B. das Artists Vo-
lunteer-Corps, welches allerdings seinen eigenen Bagagetraiu mit
sich führte, gute 20 englische Meilen »in a swinging pace« nach
Wye. —
Am folgenden Tage marschierte das Corps unter Formierung
einer Avantgarde und einer Arrieregarde nach dem Lager von
Shorncliffe. Der Avantgarde war eine kleine Abteilung Radfahrer
beigegeben. Es lag in der Absicht, dafs die Avantgarde der Londoner
schottischen Volunteers, welche an diesem Tage bei der Station
Westenhanger debarkierten, mit den Artists Volunteers bei Newington
zum Gefecht kommen sollten. Allein, obgleich die Gegend durch
die Radfahrer, wie man behauptete, gut aufgeklärt wurde, wurde
jenes Corps nicht angetroffen und die Artists Volunteers bezogen
das Lager, ohne dafs ein Zusammentreffen mit dem Feinde statt-
gefunden hatte. — Die Avantgarde des Londoner schottischen
Volunteer-Corps war am Freitag nach einem langen Marsche von
Westenhanger, wo sie debarkiert war, in Folkestone eingetroffen.
Sie war mit Sicherheitsmafsregeln marschiert, allein das beabsichtigte
Zusammentreffen mit dem Artists Corps wurde dadurch vereitelt,
dafs, als das erstere Corps an der in Aussicht genommenen Stelle
etwa 3 englische Meilen vom Lager von Shorncliffe anlangte, das-
selbe die Artists Volunteers nicht mehr vorfand und daher nach
Folkestone marschierte. Man stellte nachträglich fest, dafs die
letzteren die Stelle bereits passiert hatten, und daher ein Miß-
verständnis in der Berechnung der Zeit des Zusammenstofses statt-
gefunden hatte, ein Fehler, der unseres Erachtens nach der Leitung
der Manöver zur Last fällt. — Der Marsch beider Corps fand im
J»krbich#r !Br dl« Dcitach* Arm»« und Marin«. Bd. LXXVI . 2. j j
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150 Die Frühjahrsmanöver der englischen Freiwilligen.
Übrigen ohue Störung und Unfälle statt. Als eine bemerkenswerte
Erscheinung tritt uns hier die Verwendung der Radfahrer nicht
etwa blos zum Ordonnanzdienst, sondern zur Aufklärung entgegen.
Dieselbe setzt jedenfalls feste oder chaussierte Strafsen und Wege
voraus, welche in dem vortrefflich angebauten Süden Englands viel-
fach anzutreffen sein dürften. Überhaupt verspricht man sich in
England von der Verwendung der Radfahrer zu militärischen Zwecken
erhebliche Vorteile. Es traten sogar Vorschläge zu Vorschriften für
das Gefecht der Radfahrer, für die Bildung von Barrikaden aus den
Bicycles gegen Kavallerie u. s. w. auf. Nicht ohne Bedeutung für
die Anlage der Manöver-Dispositionen erscheint, dafs sich an diesem
beabsichtigten Mauövertage, wie erwähnt, zwei der Volunteers-
Corps verfehlten. Die gute Aufnahme, welche die Volunteers seitens
der Bevölkerung überall fanden, und die sich durch deren Sorge für
die Einquartierung in den öffentlichen Gebäuden, das Flaggen der
Häuser u. s. w. aussprach, beweisen, dafs dieselben die Sympathien
der Bevölkerung besitzen und im Lande beliebt sind, was man früher
von englischen Truppen keineswegs sagen konnte. —
Bei dem Eintreffen der Freiwilligen-Corps im Manöverterrain
ist ferner bemerkenswert, dafs deren Offiziere z. B. in Dover eine
kameradschaftliche Vereinigung bei einem Abendessen mit dem
Offizier-Corps der regulären Royal -Artillerie veranstalteten. Ein
der Artillerie angehörender Teil der Freiwilligen nahm während
einiger Tage nicht an den Manövern teil, sondern hielt Geschütz-
Exerzier- und Schiefs-Übungen ab. Wir finden in den englischen
Berichten dabei die auffallende Bemerkung »das Corps hatte seine
Feldgeschütze nicht mitgebracht«, es scheiut daher auf dem Schiefs-
platz bei ShornclifFe mit der regulären Armee gehörigen Geschützen
geschossen zu haben. Wir fahren in der Schilderung der Übungen
fort. Bei Eastbourne, wo, wie erwähnt, ebenfalls ein Zusammen-
zug der Freiwilligen erfolgte, fanden am Freitag keine Brigade-
Manöver statt, dagegen exerzierten die Bataillous-Commandeure
ihre Bataillone für sich, in Anwesenheit des Brigade-Commandeurs.
Am Sonntag und Oster-Moutag manövrierten die Truppen nach
folgender Generalidee: Die 2. Sub-Brigade, 4 Bataillone stark, mit
2 Geschützen, unter dem Befehl des Obersten Villiers, bildete die
Avantgarde eines Angreifers des Süd-Detachements, welches bei
Eastbourne (supponiert) gelandet war. Die 1. Sub-Brigade, am
Sonntag 3, am Montag 4 Bataillone stark, mit 2 Geschützen unter
dem Befehl des Oberst Bevington, bildete die Avantgarde eines
Vertcidigungs-DetachemenUs, des Nord-Detachements, welches von
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Die Fröhjahrsmanöver der englischen Freiwilligen. 151
Croydon entsandt war, um dem Angreifer Widerstand zu leisten
und Polegate Junction besetzt hatte. Am Sonntag erhielt Oberst
Villiers den Befehl, das Nord-Detachement durch einen Artillerie-
Angriff von Coombe Hill aus zu vertreiben, wenn es ihm möglich
sei, diesen Punkt zu erreichen. Am Montag empfing Oberst Be-
vington, welcher Verstärkungen erhalten hatte, die Weisung, an
einem allgemeinen Angriff auf Eastbourne teilzunehmen. Seine
Brigade bildete dabei den rechten Flügel des Nord-Detachements,
der linke Flügel wurde supponiert. Die Brigade des Oberst
Villiers bildete den linken Flügel des Süd-Detachements und leistete
diesem Angriff, zur Deckung von des ersteren Basis, Eastbourne,
Widerstand.
Ein anderer bedeutender Zusammenzug der Freiwilligen fand
bei Gosport in der Nähe von Portsraouth statt. 4000 Londoner
Freiwillige vereinigten sich hier mit den regulären Truppen uud
wurden in den Eastney- Barracken, in den Forts Foreham und
Elson, sowie den Gosport-Barracken untergebracht. Sie bestanden
aus dem 1., 2. und 3. Freiwilligen-Bataillon der königlichen Füsiliere,
dem 2. Londoner Schützen-Corps, dem 3. Middlesex Regiment, den
Nord-Middlesex Schützen und der City of London- Artillerie- Brigade.
Die Generalidee für den bei Browndown in der Nähe von Ports-
mouth stattfindenden Manövertag war die folgende: Einer feind-
lichen Streitmacht ist es gelungen, den westlichen Zugang zum
Solent nach siegreichem Gefecht gegen eine Kanonenboot-Flottille
zu forcieren und eine Landung in der Nähe der Mündung des
Hambleflusses zu bewerkstelligen. Ein Teil der gelandeten Truppen
wurde zur Beobachtung von Southampton entsandt, während das
Gros über Titchfield und Stabington vorrückte, in der Absicht, die
Stellung von Gosport zu umgehen. Auf die Nachricht von diesen
Bewegungen entsandte die Garnison von Portsmouth ein Detachement
zur Verteidigung dieser Stellung; der folgende Teil des Manövers
wurde vom Gelingen resp. Mifslingen dieser Bewegung abhängig
gemacht. Die Truppen des Angreifers standen unter dem Befehl
des Brigadiers Lord Abinger, die des Verteidigers unter Generalmajor
Stirling von der königlichen Artillerie.
Das Manöver bei Portsmouth resp. Gosport gestaltete sich im
Speciellen am Freitag wie folgt. Oberst Rutledge, der Befehls-
haber des Angriffs-Detacheuionts, bestehend aus dem 2. Royal
Füseliers- und dem 2. und 3. Middlesex-Corps, rückte auf Rowner
Church vor. Es war angenommen, dafs dies Detachement bei
Browndown gelaudet war, auf Gosport marschierte und in Er-
11*
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152
Die Frühjahrsmaiiöver der englischen Freiwilligen.
fahrung gebracht hatte, dafs ihm der Gegner bei Chark Common
entgegenzutreten beabsichtige. Dort kam es in der That zu einem
lebhaften Schützengefecht und zur ausgedehnten Anwendung des
Aufklärungsdienstes und der Angreifer schob seine Vorhut bis nach
Rowner vor, dessen Kirche gegen Ende des Gefechts vom Feinde
supponiert besetzt wurde, wobei es zu einem Nahgefecht kam. Die
Uupartheiischen entschieden, dafe, obgleich die Verteidiger nicht
wesentlich gelitten hätten, der Angriff Oberst Rutledge's reüssiert
hätte. Beim Detachement des Verteidigers befand sich einige be-
rittene Infanterie, Radfahrer und Schnellfeuergeschütze. — Das
Wetter war vortrefflich. Man nahm an, dafs die Truppen in der
Nacht an den Stellen biwakiert hätten, wo sie sich am Freitag
Nachmittag auf das Signal »Stopfen c befanden. Am Sonnabend
früh erhielt das Verteidigungs-Detachement das 2. Londoner Schützen-
Corps zur Verstärkung und hatte in Folge dessen mehr Chancen für
die Durchführung seines Auftrages. Um 10 Uhr Morgens, eine
selbst im April sehr späte Zeit, hatten beide Detachements ihre
Stellungen eingenommen und zwar so nahe aneinander, dafs nur
Rowner Church und Rcctory zwischen ihnen lagen. Das Gefecht
begann gegen Mittag mit einer Salve des Angreifers, die von den
Schützen des Gegners beantwortet wurde; dasselbe wurde bald sehr
lebhaft und das Detachement des Angreifers geriet in Nachteil.
Sein Schnellfeuergeschütz schien nicht recht zu funktionieren, und
Alles in Allem gelang es ihm nicht, den am vorigen Tage errungenen
Vorteil zu behaupten. Es hatte aufserdem die Besorgnis überflügelt
zu werden. Auf alle Fälle, bemerkt ein englischer Berichterstatter,
waren die Übungen beider Tage sehr lehrreich, nicht nur für die
Detachements im Ganzen, sondern auch für die einzelnen Glieder
derselben. — Am folgenden Sonntag fand eine Kirchenparade und
Feldgottesdienst bei Grangefield in Gegenwart einer zahlreichen Zu-
schauermenge statt, die voll des Lobes über das kriegerische Aus-
sehen der Volunteers war.
Die Feldmanöver am Montag gestalteten sich in grofsen Um-
rissen wie folgt. Das Verteidigungs-Detachement hatte um 9 Uhr
30 Minuten eine Stellung zu beideu Seiten der Salutspitze nördlich
Fort Grange eingenommen. Es bestand aus dem 1. Zug der
14. Husaren, einer Feldbatterie und den Royal Engiueers, der
1. Infanterie- Brigade, auffallender Weise gebildet aus 2 Bataillonen
der Royal Marine -Artillerie, der Royal Artillerie und den 1. City of
London Volunteers nebst einigen Schuellfeuergeschützen: ferner der
2. Infanterie-Brigade, bestehend aus dem 1. Bataillon des Yorkshire-
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Die Frühjahrsraanörer der englischen Freiwilligen.
153
Regiments, dem 1. Bataillon der Junis Killing Füsiliere und dem
3. Bataillon des Hampshire Regiments. Die Truppen des Angreifers
formierten sich hinter einer Linie von Shoobsmitty bis Middle-Carn
Cottage. Es waren strikte. Befehle erlassen, dafs keine bebauten
Felder betreten würden. Die im Hafen von Portsmouth liegenden
Kanonenboote landeten einen Teil ihrer Mannschaft und deckten die
Bewegungen des Detachements des Obersten Rutledge, welches aus
der 3. Infanterie-Brigade, gebildet aus den 2. Royal Füsiliers, dem
2. Middlesex Regiment, den 3. Middlesex Schützen-Volunteers und
den 2. London Voluuteers, sowie aus der Yorkshirer leichten In-
fanterie, einem Zug Husaren, einem Zug Royal Engineers und einer
Royal Artillerie-Batterie bestand. Bei der Mannschaft der Kanonen-
boote befanden sich einige Radfahrer und Schnellfeuergeschütze.
Zu einer eingehenderen Darstellung dieses Manövers, wie noch einiger
anderer steht uns leider das Material nicht zu Gebot. —
Eine andere bemerkenswerte Übung der Freiwilligen fand in
Gram-Fort, einem Fort bei Sheerness, statt. In diesem Fort wurden
die 2. Middlesex Artillerie-Freiwilligen in den Kasematten unter-
gebracht, richteten sich in denselben ein und exerzierten am
18 Tonnen- und dem 25 Tonnen-Hinterladungsgeschütz, übten ferner
auf den in der Nähe der Forts liegenden Wiesen im Bataillon und
schössen mit dem Vierundsechzigpfünder nach in der See ange-
brachten Scheiben. Auch wurde bei dieser Übung eine unvermutete
Allarmierung der Fortbesatzung vorgenommen. Endlich war die
Gegend von Colchester der Schauplatz eines in taktischer Hinsicht
besonders interessanten Manövers. Die Generalidee für dasselbe
bestand darin, dafs ein bei Harwich gelandeter Feind dort ver-
schanzte Posten angelegt hatte und mit starken Kräften gegen
Colchester vorrückte. Der Übergang über den Colne-Flufs sollte
demselben von der Armee des Verteidigers hartnäckig streitig ge-
macht werden, und dieselbe, nachdem sie zurückgeworfen, sich bei
Donyland-Wood mit ihrem Flügel, am rechten Ufer des Flusses
sammeln und dann nach Middlewick zurückgehen, wo ein allgemeines
Gefecht voraussichtlich über den ferneren Weg des Angreifers ent-
scheiden sollte. Die hier beteiligten Truppen bestanden aus den
4 Essex Freiwilligen- Bataillonen, den 1. königlichen Dragonern,
2 Batterien und den Regimentern Norfolk, Royal Irish und Munster.
Die Übungen schlössen mit einem Vorbeimarsch vor dem Befehls-
haber des Ost-Distrikts, General Buchanan.
Wir finden hier zum ersten Mal die Verwendung eines Kavallerie-
Regiments bei den Manövern und es niufs auffallen, dafs die dies-
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154
Die Frühjahrsmanöver der englischen Freiwilligen.
jährigen Manöver der britischen Freiwilligen im Allgemeinen eine
nur äufserst schwache Beteiligung dieser Waffe aufweisen und daCs
man statt ihrer zur Verwendung der, wie wir sahen, für die Auf-
klärung keineswegs ausreichenden Dreiradfahrer greift. Auch die
Zuteilung an Artillerie ist im Allgemeinen eine äufserst geringe
und tritt diese Waffe sogar in einzelnen Geschützen auf. Beides
inufs als ein grofeer Mangel bei den Manövern der Freiwilligen be-
zeichnet werden, hat jedoch seineu Grund darin, dals dieselben sehr
schwach an Kavallerie sind.*) Unseres Dafürhaltens müfste jedoch
diesem Mangel, damit die Manöver hinsichtlich der Verwendung der
3 Waffen und deren gemeinsamen Zusammenwirkens gebührend
instruktiv werden sollen, durch vermehrte Zuteilung dieser Waffen
seitens der regulären Armee abgeholfen werden.
Betrachten wir zum Schluls die Erscheinungen, welche uns aus
den Frühjahrsmanövern der englischen Volunteers entgegentreten,
so finden wir wohl überall bei dem britischen Freiwilligen-Corps
Lust und Liebe zur Sache, getragen von der Sympathie der Be-
völkerung. Wir sehen die Volunteers, ein kräftiges Menschen-
material, gut ausgerüstet, wenn auch manchmal unter unkriegs-
mäfsiger Erleichterung des Gepäcks, und gut bewaffnet, die An-
strengungen der Manövertage willig und ausdauernd ertragen, auch
das Verhalten des einzelnen Mannes in der Front und als Schütze
giebt zu keinen Ausstellungen Veranlassung. Aber die Anordnung
der Manöver weist zahlreiche Mängel auf. Wir vermissen die wohl
im Prinzin ausgesprochene, aber in der Praxis nur im Verhältnis
von 1 : 5 bei weitem nicht genügend und gleichmütig durchgeführte
Beteiligung der regulären Truppen an den Feldmanövern der Frei-
willigen, welche augenscheinlich für deren kriegsgemäfse Schulung
eine nicht zu unterschätzende Bedeutung besitzt. Wir sahen die
Manöver fast durchgehends unter Zugrundelegung zahlreicher und
oft zu weit gehender Suppositionen, was immer ein Mangel ist,
angelegt, die Dislokation führt, wohl in Ermangelung eines aus-
reichenden Eiuquartierungsgesetzes, zuweilen zu unkriegsmäfsiger
Anordnung der Märsche bei der Versammlung der Truppen zur
Übung. Wir vermissen ferner das den Volunteers wohl besonders
dienliche Einmarschieren per Fufsmarsch ins Manöverterrain, welches
bei Dover und Portsmouth nur 4 Märsche, bei den übrigen Punkten
sogar nur 3 Märsche von London entfernt lag. Die Zuteilung au
*) Vergl. Juli-Heft der „Jahrbücher": «Betrachtungen Aber Englands Heer
we«en M . D. L.
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Die Frühjahrsmanöver der englischen Freiwilligen. 155
Kavallerie und Artillerie zq den Infanterie-Detacheruents ist eine
äufserst schwache und fehlt hinsichtlich der ersteren Waffe oft ganz
bis auf einige Patrouillenreiter; die nicht einmal überall vertretenen
Radfahrer vermochten die Kavallerie nicht zu ersetzen. Sollen die
britischen Volunteers aber, wie dies ihre ausgesprochene Aufgabe
ist, im Falle der Landung eines Feindes demselben in offenen Feld-
kämpfen entgegentreten, so müssen sie, wenn dieser Gegner im .
ersten Moment nach der Landung an Kavallerie und Feld-Artillerie
auch zunächst schwach sein wird, ihm gegenüber doch den Kampf
mit dieseu Waffen zu führen verstehen und daher für das gemein-
schaftliche Zusammenwirken derselben bereits im Frieden geübt
sein. Es fällt ferner auf, dafs während der wenigen Tage, welche
die Übung dauerte, nicht ein einziges Mal biwakiert oder feldmäfsig
abgekocht und Vorpostenstellungen bei Nacht eingenommen wurden.
Der Beginn der Übungen und der ausgeführten Märsche ist durch-
weg unkriegsgemäfs spät angesetzt und die während der Gefechte
gemachten Pausen sind aufserge wohnlich lange. Hinsichtlich der
kriegsgemäfsen Anordnung und Beschaffung der Verpflegung für die
zusammengezogenen Freiwilligen-Corps durch eine Intendantur wird
nicht das mindeste bemerkbar, man scheint sich daher, da von
diesem wichtigen Dienstzweige überhaupt nichts erwähnt wird, in
England im Kriegsfall völlig auf die Verpflegung der Volunteers
durch die Einwohner zu verlassen, eine Zuversicht, die manche Ent-
täuschungen im (befolge haben dürfte. Die Uniformierung der
Freiwilligen erscheint in zwei Punkten unpraktisch, nämlich in den
roten Röcken einiger Bataillone, besonders im Hinblick auf die
demnächstige Verwendung des rauchfreien Pulvers, und in den von
einigen Corps getragenen Bärenmützen, welche Regeufänge bilden
und die schwer und heifs sind. Sie wird voraussichtlich auch die
übrigen Mängel der Uniform der britischen Soldaten überhaupt
teilen, zu knapp anliegende Bekleidungsstücke und zu auffallonde
Farben.
Trotz aller dieser Mängel darf jedoch die Bedeutung der In-
stitution der britischen Freiwilligen und deren Manöver für diu
Landesverteidigung Englands und besonders die seiner Küsten im
Fall eines feindlichen Angriffs, nicht unterschätzt werden. Die-
selbe liegt darin, dafs im Kriegsfall dem Staate eine starke und
verhältnismäßig wenig kostspielige Trnppenmacht im gebotenen
Moment zur Verfügung steht, welche von ihrem Patriotismus ge-
tragen, wenn auch ihrer ganzen Organisation nach nicht zu einem
langwierigen Feldznge, so doch in Anlehnung au die britische
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156
Die Befestigtingen Italiens.
reguläre Armee zu einer kurzen gewaltigen Kraftanstrengung wohl
befähigt erscheint, um die Küsten Grofsbritanniens zu verteidigen
und dem Vordringen des Feindes auf die Landeshauptstadt London
in den südlich derselben vorbereiteten Stellungen entgegen zu treten.
Eine fernere Bedeutung der britischen Volunteers-Institution aber
liegt darin, dafe dieselbe die früher wenig populäre reguläre Armee,
. welcher die Freiwilligen allerdings mit vielen Lücken nachgebildet
sind und von der sie ausgebildet wurden und werden, den Sym-
pathien und dem Interesse der Bevölkerung wesentlich näher gerückt
hat, ein nicht zu unterschätzendes Ergebnis, auf welches Lord
Wolseley, eine der ersten militärischen Autoritäten Englands, in
einer kürzlich erfolgten Beurteilung der englischen Armee hinzu-
weisen nicht verfehlte. 29.
YHL Die Befestigungen Italiens.
■
Vom
Obermaier,
Das nach dem Abzüge der Franzosen aus Rom im Jahre 1870
nach jahrelangen Bestrebungen und Kämpfen geeinigte Königreich
Italien wird geographisch in 3 Teile geteilt: Oberitalien, die Halb-
insel und die Inseln. Die beiden ersteren werden durch die von der
ligurischen Küste im Anschlufs an die Alpen quer durch das Land
in wenig südöstlicher Richtung gegen die Ostküste zu ziehenden,
im Norden von der Bahn Turin — Piacenza — Rimini- Küsten bahn be-
gleiteten Apenninen von einander geschieden und begrenzen die
letzteren im Vereine mit den Alpen die der ganzen Länge nach vom
Po, mit seinen vielen nicht unbedeutenden, im Wasserstand aber
vielfach wechselnden Nebenflüssen, im Nordosten noch außerdem
von Etsch, Brenta, Piave, Levenza u. s. w. durchzogene oberitaliache
Ebene, die bekanntlich in der Kriegsgeschichte aller Zeiten eine
hervorragende Rolle spielte. Im Nordwesten gegen Frankreich und
im Norden gegen die Schweiz und Österreich bilden die Alpen, im
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Die Befestigungen Italiens.
157
Westen und für die InBein bildet das ligurische und tyrrheniache,
im Süden das jonische und im Osten das adriatische Meer die
Grenze. Die Gesamtküstenlänge betragt ca. 3300 k und hat Italien
somit die verhältnismäßig gröfste Küstenausdehnung in Europa.
Die Ostküste ist nur wenig gegliedert (Golf von Venedig und Man-
fredonia); die Südküste hat nur den Golf von Tarent und Squillace;
die Westküste dagegen ist mit Golfen und Buchten genügend reich-
ausgestattet: Golf von Eufemia, Policastro, Salerno, Neapel, Gaeta,
Orbetello, Spezzia, Genua u. a.
Die Grenzen sind somit überall natürliche und teilweise schon
von Natur aus sehr starko; insbesondere sind die Alpen fast durch-
weg nur auf den wenigen künstlichen Übergängen zu überschreiten
und haben daher fast in ihrer ganzen Ausdehnung den Charakter
eines nur mit den gröfsten Schwierigkeiten zu forcierenden Grenz-
walles, dessen Bedeutung durch die angelegten Fortifikationen
wesentlich erhöht wird. Selbst das Gelingen einer Landung zu-
gegeben, wird die Hauptmacht einer feindlichen Invasion aber trotz-
dem stets zu Lande, also von Westen oder Norden her vordringen
müssen und liegt daher der Schwerpunkt des Widerstandes stets
und immer noch auf dem oberitalienischeu Kriegstheater. Gerade
hier aber sind schon von Natur aus aufser den Alpen noch zwei
machtige Verteidigungslinien gegeben, deren Forderung dem Feinde
durch eine kraftige Verteidigung ganz bedeutend erschwert werden
kann, der Po und die Hochapenninen.
Allen auf das Landesbefestigungssystem Italiens bezüglichen
neueren Plänen, welche mit Rücksicht auf die finanzielle Lage vor
Allem eine möglichste Vereinfachung des ganzen Befestigungssystems
anstreben, liegt demgemäß der leitende Gedanke zu Grunde, das
Hauptgewicht der Verteidigung nach dem nördlichen Italien zu ver-
legen und zwar: 1. in erster Linie dem Feinde die Überwindung
des Alpengürtels zu erschweren durch zweckentsprechende Sperrung
der Defileen und Deboucheen, um dadurch den eigentlichen Ver-
teidigungskräften Zeit zum Sammeln zu gewähren; 2. den Ent-
scheidungskampf erst an der Polinie aufzunehmen, für welchen
Zweck besonders Piacenza als günstiger Manövrierpunkt, sowie
Mantua und Borgoforte gegen einen Augriff aus Nordosten in
Betracht kommen; 3. für den Fall eines ungünstigen Ausganges
dieses Kampfes den Resten der Streitmacht zu ermöglichen, dem
Feinde die Forcierung der 3. Linie, der Apenniuen, unter deren
Schutz die letzten Kräfte zu sammeln wären, zu verwehren und
dieselbe aktiv zu verteidigen. Für diesen Zweck mufs ein grofeer
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]58 Die Befestigungen Italiens.
starker Centralplatz vorhanden sein, als welcher sich ganz besonders
Bologna eignet, da es auch einem von Nordosten kommenden An-
griffe in gleicher Weise entgegentreten kann.
Im Allgemeinen werden in Italien die festen Plätze eingeteilt
in: Festungen I., II., III., IV. Klasse, Plätze mit einfacher Umfassung
(V.), Forts, Flotteustationen L, II., III. Ranges und Küstenbatterien.
Aufaer den in Stand gehaltenen und den erst in neuester Zeit auf-
gelassenen Festungen giebt es in Italien noch eine grofee Zahl von
Städten mit zum Teil noch gut erhaltenen, meist mittelalterlichen
Mauern und sonstigen Befestigungswerken, aus alten Zeiten, die
zwar nicht den geringsten fortifikatorischen Wert im modernen
Sinne mehr besitzen, trotzdem aber auf Karten immer noch als
Festungen angeführt werden und immerhin auch für das Gefecht
unter Umständen noch erhöhte Bedeutung (Weifsenburg!) erlangen
können, so dafs sie eine kurze Erwähnung an dieser Stelle wohl
verdienen.
A. Grenzbefestigungen.
I. Gegen Frankreich. Die Befestigungen dieser Gruppe
wurden mit besonderem Eifer in Angriff genommen und erst in
zweiter Linie wurde an die Ausführung derjenigen an der Nordost-
grenze gegangen. Neuerdings wird den ersteren wieder erhöhte
Aufmerksamkeit gewidmet.
1. Die Befestigung des Passes von Turchino, 16 k nordwest-
lich Genua, an der Strafse Voltri (6 Vi k) — Ovada im Sturathale
scheint ausgeführt zu sein, ohne dafs Näheres darüber bestimmt
ist. -- 2. Fort Altare am gleichnamigen Sattel (492 m) 2'/j k
westlich (adibona, 12 k nordwestlich Savona, sperrt Strafse und
Bahn von der Küste (Savona) ins Bormida- und Tanarothal. Auf
der mit dem Fort durch eine neue Strafse verbundenen Höhe Bjut
wurden Abdachuugs- und Abwässerungsarbeiten ausgeführt und vor
dem Eingänge Tagliata — Cadibona eine Gegenwehr hergestellt. —
3 Fort Sassello (identisch mit Saccarello?) im Sansobbiathale,
23 k nördlich Savona, soll die Passage über das Gebirge bei
S. Giustina Verteidigen, beziehungsweise der fahrbaren Verbindung,
welche von Varazzo und Albissola nach Acqui führt, den nötigen
Schutz gewähren. — 4. Fort Capra Zoppa, nahe südlich bei
Finale Borgo, an der Mündung des Porra-(Porri-)Thales, 24 k süd-
westlich Savona, soll die Küstenstrafse della Cornice sperren und
indirekt auch die Strafse über den Altaresattel decken, zugleich
einen Angriff auf Vado von der Landseite hindern und als Stützpunkt
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Die Befestigungen Italiens.'
15«)
für die Verteidigung der südlichen Abhänge der Apeuninen dienen.
— 5. Die Positiou von Melogno 11k nordwestlich Finalbergo
besteht aus dem mit guten Zugangsstrafsen versehenen Fort auf
dem Monte Settepani, dem Centralfort auf dem colle di Melogno,
von welchem das Maremola-Thal ausgeht und einem Werke auf dem
Monte Alto (östlich vom Sattel) und soll die Strafse über den Sattel
von Melogno sperren. — 6. Fort S. Bernardo sperrt die Strafse
über den gleichnamigen Pafs oder von Zuccarello im Neva-Thale
und besteht aus einem grofsen Fort, 2 k südlich Zuccarello direkt
an der Strafse und einem kleineren auf der Höhe Vj k südwestlich
(Monte d'Arena). Die Sperrbefestiguug von Zuccarello wurde im
abgelaufenen Jahre durch den Neubau eines Werkes auf der Höhe
Rocca di Livernä vervollständigt.
7. 1882 wurde der Bau eines Forts auf dem Monte Tortogna,
sowie der einer Defensivkaserne auf dem Monte Merizzo aus-
geschrieben. Die beiden Punkte konnten mit Bestimmtheit nicht
eruiert werden, dürften aber wohl zu einer der vorgenannten Posi-
tionen, möglicher Weise jedoch auch zu Genua gehören. — Der
Bau eines verschanzten Lagers bei Garessio (Provinz Cuueo,
6900 Einwohner) am Ausgangspunkt der über den Sattel von
Bernardo führenden Strafse war projektiert, kam jedoch bis jetzt
noch nicht zur Ausführung. — 8. Fort Nava sperrt die Strafse über
den gleichnamigen Pafs. — Statt der beiden Forts Bernardo und
Nava war ursprünglich die Umwandlung von Ceva (nahe am Tanaro
und an der Bahn Savona — Turin, 4900 Einwohner, wichtiger Knoten-
punkt) in eine Festung III. Klasse zur Sperrung der genannten
Übergänge projektiert. Im vergangenen Jahre wurde am Monte
Escia eine Batterie für 4 Geschütze, dann wurden in der Gegend
des Monte Saccarello und della Marta bei Nava Truppeuunterkünfte
erbaut.
9. Ventimiglia, IV. Klasse, Provinz Porto Maurizio, in der
Riviera di Ponente, an der Mündung der Roja ins Meer und nahe
der Greuze, 3500 Einwohner, von einigen alten Forts umgeben,
wurde 1883 aufgelassen. San Dalmazzo, 10 k südwestlich Cuneo,
sollte zur Verteidigung der grofsen und wichtigen Strafee über den
Col di Tenda und zur Mitwirkuug bei der Verteidigung des Stura-
thales, ursprünglich zu einer Festung III. Klasse gemacht werden
und sollten insbesondere die Höhen der Madonna di Monserrato
befestigt werden. Das Projekt wurde jedoch aufgegeben und dafür
Fort Tenda ausgeführt.
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Die Befestigungen Italiens.
10. Fort Roja ä San Dalmazzo di Ten da, auch kurz Fort
Col di Ten da (Rojathal) sperrt die Strafse von Cuneo nach Nizza
direkt. Die ganze Position besteht aus einem Centralfort und einem
Kranz von Werken auf den umliegenden Höhen, die mit dem ersteren
durch 3 m breite Militarstrafsen verbunden sind und mit ihren
Kasernen und Baracken ein kleines verschanztes Lager bilden;
neuerdings wurde hier auch eine Brieftaubenstation errichtet. Die
Nebenwerke (Batterien) beifsen: Becco Rosso, Salauta, Pernaute,
Margheria, Pepino, Giaura und Taborda. Die Gesamtkosten sollen
ca. 7 Millionen betragen. — 11. Fort Viuadio, 1837—50 erbaut,
aber nicht vollendet, beim gleichnamigen Marktflecken an der Stura,
(3700 Einwohner), 30 k westlich Cuneo, sperrt die Strafse von
Tournoux über Argentiera bei Demonte. Die Position besteht aus
dem seither ausgebauten und verstärkten altem Fort thalabwärts,
einem neuen Fort am Fufs des Monte Oliva, einem Blockhaus am
Übergang über den colle del Muro, Batterien am Abhang des Monte
Argentaro und der aus einem Centralfort mit Batterien bestehen-
den Position Serziera. — Das als Kuotenpuukt strategisch hoch-
wichtige Cuneo (Coni), an der Vereinigung der Stura und des
Gesso, 11,400 Einwohner, war früher stark befestigt; die Werke
wurden aber nach der Schlacht von Marengo von den Franzosen
geschleift. — Bei Casteldelfino, 50 k nordwestlich Cuneo, war
zur Sperrung der Straten, welche durch die Thäler von Bellino
und Pontechianale in das der Vraita führen, ein Fort projektiert,
wurde aber nicht ausgeführt. — Perosa, Provinz Turin, am Clusone,
10 k nordwestlich Pignerolo, 2100 Eiowohner, hat noch alte, ver-
fallene Werke.
12. Fenestrelles am Clusone, 19 k nordwestlich Perosa,
1300 Einwohner, sperrt die über den Monte Genevre nach Pignerolo
führende Strafse. Die Festung war früher ziemlich stark, wurde
1796 von den Franzosen genommen und geschleift und später nur
teilweise wieder hergestellt. Die Strafse wird jetzt speziell durch
Fort Carlo, an der Biegung ca. 800 m südlich des Ortes gesperrt;
nördlich von diesem und mit ihm durch eine verschanzte Kommu-
nikation verbunden, 1300 m öst lich des Ortes, ist das Fort delle Valli,
auf der Höhe 1764 m, dazwischen die Redute S. Barbara; eine neue
permanente Batterie liegt bei Serre-Marie, ein verteidigungsfähiges
Blockhaus (Kasematten-Corps) auf der anschliefsenden Höhe von
Fallossel. Die Werke sind durch neue Militarstrafsen zugänglich
gemacht.
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Die Befestigungen Italiens.
1G1
13. Zur Sperrung der Strafse von Esseil Ion nach Susa wurden
auf dem Mont Cenis seit 1878 drei nicht sehr weit von einander
liegende Forts angelegt: a) Fort Varisello, 1 k südlich vom Mont
Cenis-See, westlich der Strafse auf 2115 m; b) Fort la Cassa, nahe
Östlich der Strafse, nahezu 2 k östlich vom vorigen, auf 1950 m;
c) Fort Roncia, am schmalen Rücken des Westabfalles der Höhe
Nolamet, östlich der Strafse und vom Hospiz, ca. 2 k nördlich von
den beiden vorgenannten, auf 2292 m; neuerdings wurde hier eine
Defensions-Kaserne gebaut, desgleichen die Batterie »Pattecreuse«.
Aufeerdem wurden beendet die Rekonstruktion der Verfassungs-
mauer, der Bau von Flankierungs -Anlagen und Beobachtungsposten
beim Hospiz am Mont Cenis. Ein viertes Werk soll projektiert
sein. Die Gesamtkosten sollen ca. 3 Millionen betragen. Für die
Herstellung waren im Ganzen 4 Jahre, oder, nachdem auf der Hohe
des Mont Cenis für das Jahr höchsteus 80 brauchhare Arbeitstage
entfallen, 320 Tage berechnet. Das nötige Baumaterial mufste
gröfstenteils auf der teilweise Steigungen von 1 : 10 aufweisenden
Strafee von Susa (23 k) herheige bracht werden. Nachdem die oben
beschriebene Lage der Forts der italienischen Generalstabskarte ent-
nommen ist, dürfte die Angabe Tenot's, dafs die Strafse unmittel-
bar unterhalb des Passes, 6 k von der Grenze, durch die Werke
von la Gran croce, bestehend aus einem Fort auf der Spitze von
Corna Rossa und eine Batterie, die ihr Feuer über die Strafse
kreuzen, gedeckt werde, als ungenau zu bezeichnen sein.
14. Fort Exil 1 es, auf dem linken Ufer der Dorn Riparia,
18 k westlich Susa, sperrt den Übergang über den Mont Gene vre
und deckt die Mont Cenis-Bahn. Das alte, 1825 erbaute, neuer-
dings verstärkte Fort liegt auf einem Felsen dicht am Flusse und
wird unterstützt durch die neuen auf dominierenden Hohen liegen-
den, permanenten Batterien Sape d'Exilles und Serre la Garde. Auf
dem, die Sperren von Exilles und Fenestrelles scheidenden Höhen-
zuge »dell Assietta« wurden im letzten Jahre die Batterien >del
Gran Serin«, »Gran Costa« und »Mottas« erbaut, in Exilles und
Fenestrelles selbst gelangten Truppenunterkünfte und Depots zur
Ausführung. 15. Bei Susa (Provinz Turin, an der Vereinigung der
beiden vorgenannten Übergänge und an der Mont Cenis-Bahn, sowie
an der Dora Riparia, 3250 Einwohner) ist nur das alte, fast ganz
in Felsen gehauene Fort Brunetta. Neuere Projekte, und zwar ein
Blockhaus auf dem colle de True nebst einer Batterie an dessen
Lehne, eine gedockte Gallerie mit einem Reduit, ein Fort auf der
Höhe von BrunettA zur Sperrung des fahrbaren Saumweges im
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Die Befestigungen Italiens.
Cenischia-Thale, kamen nicht zur Ausführung. Von Susa wurde
neuerdings zur Höhe Monte Pampalu, sowie von Salbertrand über
Monfol nach Sanze d'Oulx eine Militärstrafse ausgeführt, ferner
wurden bei der Strafeensperre von Clavierea Strafsenminen ange-
bracht und die alte Mont Genevre-Strafse unterbrochen. — 16. Fort
Bard, 36 k südöstlich Aosta, in dem engen Thal der Dora Baltea,
nahe beim gleichnamigen Dorfe (450 Einwohner), eine auf isoliertem
Felsen stehende berühmte Bergfeste, sperrt den schmalen Engpafs
des Einganges in die Thäler von Aosta (kleiner und grofser St.
Beruhard u. s. w.). Die Thalsperre von Bard wurde im abge-
laufenen Jahre durch Erbauung der Batterie >al Machabyc und
Befestigung der nördlichen Höhe »della Con« samt Ausbau der dazu
gehörigen Kommunikationen vervollständigt. Das Fort wurde 1800
vou den Franzosen demoliert, in den dreifsiger Jahren aber wieder
hergestellt. 1881 wurde ein neues kleines Fort auf der Höhe
Albard, rechts der Chaussee, gebaut. 20 k thalaufwärts ist
bei Chatillon das alte, jetzt vollständig bedeutungslose Fort St.
Vincent.
II. Gegen die Schweiz. Hier bestehen zur Zeit noch keine
Befestigungen; projektiert waren: ein Fort bei Gravellona, 3 1 /, k
vom lago maggiore, 9 k westlich Pallanza, an der Mündung des
Stroms in den Toce, welch' ersterer die Verbindung mit dem Orta-
See herstellt, zur Sperrung der Simplonstrafse und der von Bellinzona
her und Kings des Westufers dos Sees führenden Strafseu, sowie
zur Deckung der von Gravellona abzweigenden Strafse nach Orta,
Gozzano, Borgomanero und Novara; ein Fort bei Varese, 11 k
südwestlich vom Luganer-See, nahe (1 k) dem rechten Olona-Ufer,
zur Sperrung der vom St. Gotthardt durch das Ticino-Thal und
vom St. Bernhard durch das Misoco-Thal führenden, sich iu Bellin-
zona vereinigenden, auf Schweizer Gebiet nach Lugano und von
liier aus durch mehrere Wege auf italienischem Gebiet nach Varese
führenden Strafsen; ein neues Fort Fuentes, 1 k östlich des Nord-
endes des Corao-Sees, zur Sperrung der Splügenstrafse, welche durch
das St. Jacobs-Thal führt (Liro), ferner der Strafse, welche, durch
das Mora-Thal kommend, iu die erstere bei Chiavenna mündet, und
jeuer, welche vom Stilfserjoch durch Valtelin herabführt; das alte
Fort Fuentes, auf eiuem isolierten Bergkegel inmitten der sumpfigen
Niederung südlich der Addamündung, hat jetzt keine militärische
Bedeutung mehr; ein Fort bei Aprica, 9 k südwestlich Tirano
an der Adda, zur Sperrung der vou Tresceuda (an der Adda) in
das Thal von Cainonica (Oglio) uach Edolo (16 k östlich) führenden
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Die Befestigungen Italiens. 163
Transversalstralse und hierdurch zur Verhinderung der Umgehung
des Forts von Edolo durch einen im Valtelin vorrückenden Feind;
hier sollen neuestens Befestigungen zur Ausführung gelangen.
III. Gegen Osterreich. 1. Fort Edolo, zur Schliefsung
des Camonica-Thales und zur Sperrung der aus dem Etsch-Thal über
den Tonale-Pafe in das Bergamaskische führenden Strafee.
2. Fort Rocca d'Anfo, am Westufer des Idro-Sees, auf einem
östlichen, felsigen Ausläufer des Monte Censo, ist eine alte, Anfang
des Jahrhunderts von den Franzosen durch General Haxo erbaute,
komplizierte, auf 39 Werke, von denen jedoch eiuzelne nicht zur
Ausführung kamen, berechnete Festung und sperrt die aus dem
Thal von Judicarien ins Brescianische führende Strafse (Chiesethal).
Ungefähr 800 m nordlich des Dorfes Anfo und südlich der Festung
hegt die von der Republik Venedig erbaute Rocca vecchia, jetzt
fast eine Ruine mit allerdings gewaltigem Mauerwerk. Seit 1877
wurden umfangreiche Erweiterungs- und Veretärkungs-Arbeiten an
der Festung vorgenommen und insbesondere die Batterien Istituto,
Tirolo, Orlando und Belvedere vollständig umgebaut. Die Kosten
sollen ca. I 1 /» Millionen betragen.
3. Nördlich Malcesine, am Nordostufer des Gardasees, 12 k
südlich Riva, liegt auf einer felsigen Kuppe ein altes, in neuerer
Zeit jedoch adaptiertes Kastell, das, auf 3 übereinander liegenden
Terrassen befindlich, aus einer Defensivkaserne, einem Rondel und
einem Turm, sowie starken Verbindungsmaueru besteht. Die
Anlage eines kleinen Forts zum Schutz von Ausschiffungen und
Truppentransporten nach Norden war beabsichtigt, scheint jedoch
nicht ausgeführt worden zu sein. — 4. Zur Beherrschung aller aus
dem Etschthale in das Seitenthal des Tasso führenden Straten und
somit zur Verhinderung einer Umgehung der Veroneser Klause
wurde ein Fort auf dem Monte Pipalo mit 2 Batterien, k
südlich Rivoli, 4 k westlich des rechten Etschufers und 4 k westlich
davon, zwischen Etsch und Gardasee, eines auf dem Monte Moscalo
mit 1 Batterie und 1 Blockhaus, erbaut.
5. Bei Rivoli (auf der Höhe des rechten Etschufers, ca. 18 k
von der Grenze, 4900 Einwohner), sowie bei dem 1 k östlich gegen-
überliegenden Ceraino sind zur Sperrung der wichtigen Kommuni-
kationen im Etschthale, bei ersterein aufserdem noch zur Sperrung
derjenigen auf dem ausgedehnten Plateau (alte Römerstrafse von
Incanale aus) schon seit dem Jahre 1849 starke Befestigungen
erbaut, die in neuester Zeit vollständig umgebaut, da sie die Front
gegen Süden hatten, und durch Neuanlagen ergänzt wurden: a) Fort
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164 Die Befestigungen Italiens.
Rivoli (früher Wohlgerauth) am Nordostende des Ortes auf dem
steil abfallenden Monte Castello, ca. 100 m über dem Etschspiegel,
war ursprünglich ein kasemattierter Turm mit einspringender Kehle
und gemauertem Tambour gegen die Etsch zu. Aufser andern
Rekonstruktionsarbeitcn wurde im Osten eine Batterie angebaut;
eine Batterie für 8 — 10 Geschütze liegt nördlich vor; b) eine neue
Thalsperre südwestlich Incanale, bei Dogana, 1700 m nordöstlich
Rivoli, bestehend aus einer erhöhten Batterie zunächst des Thal-
abhanges östlich des von Rovina kommenden kleinen Baches und
dem eigentlichen Thalabschlufs, einem 200 A langen traversierten
Wall, der sich östlich des genannten Baches bis zum Etschufer
erstreckt; ein weiteres permanentes Werk liegt unterhalb der Batterie,
zwischen der Strafse nach Incanale und der Flufswand ; c) ein neues
Fort bei S. Marco auf dem Bergrücken Magnone, 700 m nördlich
Incanale; d) Fort Monte Pastell o (Mollinary) auf einem Fels-
wandabsturz des genannten Berges, ca. 300 m über dem Fort Chiusa,
besteht aus einer gegen das Plateau von Rivoli und den Monte
Pipalo gerichteten, zweietagigen kasemattierten Batterie, eiuer südlich
(links) anschliefsenden Flanken -Batterie, 3 terrassenförmig über-
einander liegenden offenen Batterien und einer krenelierten, mit
Graben versehenen Mauer als Kehlabschlufs; e) Fort Ceraino
(Chiusa Yeneta), ursprünglich ein kasemattiertes Blockhans mit
angehängten krenelierten Mauern und in den Fels gesprengten
Gallerien, liegt quer über das enge, durch die Felswände des Monte
Baldo und Monte Pastello gebildete Thal und nimmt Strafse und
Bahn innerhalb seiner Wälle und Mauern auf; dasselbe soll auch
eine Panzer- Batterie erhalten haben; f) Fort Hlavaty, 1200 m
nördlich Mollinary und ca. 1400 m von Rivoli entfernt, an der
gleichen Felswand wie das erstere, jedoch 150 m tiefer, besteht aus
einer Batterie mit Richtung Etsch aufwärts, einem Blockhaus,
beide durch kreneliertc Mauern verbunden, an deren westlichem
Teile 5 offene Geschützstände die Etsch thalabwärts bestreichen;
g) ein neues Fort auf den dominierenden Höhen von Calcarole,
1800 m östlieh Ceraino; h) ein neues Fort auf der Höhe Mazua —
Molane (wahrscheinlich identisch mit Fort Breonia), 6 k nordöstlich
Rivoli, S. Marco gegenüber, 2,5 k östlich vom Strom.
6. Fort Fugazze zur Sperrung des gleichnamigen Passes,
besteht aus einer Batterie mit Unterkunftsräumen für 300 Mann
auf einer Abfallskuppe des Monte Covoli (hei Bariolo) und 3 weiteren
kasemattierten Batterien. — 7. Ursprünglich sollten 2 starke Forts
auf al Maso, oberhalb Schio im valle dei Signori und bei Prä
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Die Befestigungen Italiens.
165
del Lovo (Monte Castelliero) gebaut werden; es scheint jedoch nur
das erstere ausgeführt worden zu sein. 8. In den Thälern von
Posina (& l / 2 k nordöstlich Bariola) einem nördlichen Parallelthale
des Leograthaies und von Astico, welches von Seghe im Posina-
Thale aus nördlich zieht und zu mehreren Übergängen ins Trientinische
führt, wurden nicht näher bestimmbare Nenanlagen ausgeführt. —
9. Desgleichen ist über die Position des Monte Interrotto bei Asiago
im val d'Assa (zwischen Astico- und Brentathal) nur bekannt, dafs
aufeer andern Arbeiten daselbst eine Defensions-Easerne gebaut
wurde.
10. Fort Primolano, 3 k von der Grenze, zur Sperrung der
durch das Sngana-(Brenta-)Thal führenden Strafse und Verteidigung
derjenigen von Belluno-Feltre, welche die Verbindung zwischen dem
Brenta-Cismone- nnd Piave-Thal herstellt, besteht aus einem Fort
für 15 Geschütze auf dem einige Hundert Meter südlich über
Primolano sich erhebenden Monte Vito (dessen Front das Brenta-,
dessen rechte Flanke das nach Feltre führende Thal bestreicht), der
eigentlichen Thalsperre für 600 Mann, 1 k unterhalb Primolano bei
Piovegga di Sotto und kleineren Werken auf dem Cima della Scala
(nördlich Primolano), bei Lamon sowie östlich und nördlich an der
Serpentinstrafse. 11. Ein Fort und eine Defensionskaserne bei Sasso
di San Martino, zunächst Agordo im val Cordevole.
12. Cast. Lavazzo, 2,5 k nördlich Longarone, sperrt das Piave-
Thal und somit auch die verschiedenen fahrbaren Gebirgsübergänge,
welche 16 k nordöstlich bei Pieve di Cadore in dasselbe einmünden.
Der projektierte Bau eines neuen Forts an Stelle des alten Kastells
kam nicht zur Ausführung. — 13. Bei Pieve di Cadore sollen
verschiedene Befestigungen ausgeführt worden sein, so bei Chiusa
di Venas (7 k südwestlich Cadore), Vinigo (weitere 2 k westlich),
auf dem Monte Zucco (1215 m, 2'/, k südwestlich), auf der Höhe
il Castello, il colle di Vaccher bei Tai, und Monte Ricco. — 14. Fort
Ospedaletto, halbwegs (4 l / 2 k) Venzone und Osoppo, am linken
Tagliamentoufer, sperrt die über den bequemsten Alpenpafs führende
Strafse von Malborghetto im Fellathale und zugleich 3 weitere
Alpenübergänge: aus dem Gailthale über den Monte Croce durch
das Butthai (Mündung in das Tagliaraentothal bei Tolmezzo), aus
dem Piavethal von Sappadia durch das Deganothal (Mündung bei
Villa) und aus dem Piavethal von Lozzo durch das Mauriathal
ebenfalls in das Tagliamentothal.
15. Die weitere Sperrung des Ferro-(Fella-)Thales sollen die
Befestigungen von Chiusaforte, 12 k südlich Pontebba, bestehend
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Die Befestigungen Italiens.
aus einem grofsen Fort auf einem vorspringenden Felsplateau in der
Nähe des Ortes, einem kleineren auf einer gegenüberliegenden Höhe
nnd dritten znr Schliessung des in östlicher Richtung ziehenden
Raccolanothales, bewirken. — 16. Fort Osoppo, ebenfalls auf dem
linken Tagliamentoufer, anf einem isolierten, steilen Bergkegel,
dicht nördlich des gleichnamigen Ortes, ist eine alte, jetzt be-
deutungslose Bergfeste; am OstfuCs des Berges liegt in der Niederung
ein Kronwerk von 500 m Frontlänge. — 17. Fort Stupizza, 12 k
nördlich Cividale, soll die über Caporetto im Isonzothal führende
Predilstrafee sperren. — 18. Palmanova IV. Klasse, Provinz Udine,
nur 1 k von der Grenze, an der Strafse nach Gradisca, 4250 Ein-
wohner, war ein vollkommen regelmäßiges bastioniertes Neuneck
mit doppeltem Graben, 9 Ravelinen und 9 Lünetten vor den Bastions-
spitzen, diente als Stützpunkt für die Verteidigung der Ostgreuze,
sowie zur Sperrung der Strafse über Gradisca und über den Monte
Falcoue aus dem Triester Litorale. Die Werke befanden sich schon
vor einem Dezennium in sehr defektem Zustande, zum Teil in vollem
Verfall; seit 1885 ist der Platz ganz aufgelassen.
B. Im Innern.
I. Im nördlichen Italien inclusive der ligurischen
Apenninen.
a) Nordöstlich der Etsch. Este, Provinz Padua, am Süd-
fufs der Euganeischen Hügel, 10,000 Einwohner hat noch alte
Mauern mit Zinnen und ein im 14. Jahrhundert erbautes Schlofs.
— Der Brückenkopf la Marosino wurde 1878 aufgelassen. — Mon-
selice, 7 k östlich vom vorigen, 3100 Einwohner hat gleichfalls
eine alte Mauerumfassung mit einem Kastell im Nordosten. Der
Brückenkopf Masi wurde 1878 aufgelassen. — Padua, Provinz.-
Hauptstadt, gröfsteuteils auf dem rechten Ufer des Bacchiglione,
44,600 Eiu wohner, ist in annähernd dreieckiger Form mit alten
Mauern, Bastionen und Thürmen und einem breiten Graben um-
geben, gilt aber nicht mehr als Festung. — Citadella, 30 k nörd-
lich Padua und 3,5 k Östlich des Brentaflusses, 8500 Einwohner,
— Castelfranco, 10 k östlich vom vorigen, Provinz Treviso,
10,000 Einwohner und Treviso, am linken Ufer des schiffbaren
Sile, 16,800 Einwohner, sind mit alten Mauern, Bastionen, Türmen
und Wassergräben umgeben. — Bei Sacile, Provinz Udine, an der
Livenza, 5200 Einwohner, war ursprünglich die Neuerrichtung eines
Repli- und Manövrierplatzes für die aktive Verteidigung des Taglia-
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Die Befestigungen Italiens.
167
mentothales und der gegen den Isonzo zu offnen Grenze projektiert;
neuerdings wurde die Anlage eines Brückenkopfes in Aussicht ge-
nommen, über die Ausführung ist nichts bekannt. — Bei Motta,
22 k südöstlich vom vorigen, war zur Sicherung eines zweiten
Livenzaüberganges und zur Unterstützung von Sacile die Anlage
eines doppelten Brückenkopfes beabsichtigt; die Ausführung unter-
blieb jedoch. — Udine, Provinz.-Hauptstadt am Roja, 22,700 Ein-
wohner, ist mit starken Mauern, durch welche 10 Thore führen,
und mit Türmen umgeben.
b) An der Etsch. — 1. Pastrengo, IV. Klasse, 16 k nord-
westlich Verona und 11 k nordöstlich Peschiera, auf der Hohe des
rechten Etschufers, wurde zur Sicherung der Verbindungen mit
Tirol und auch wegen der Wichtigkeit als Flankenstellung in Bezug
zu den beiden ebenerwähnten Festungen in den Jahren 1862 und
1863 mit 4 permanenten Forts: Leopold, Nugent, Benedek und
Degenfeld, befestigt, zu deren Unterstützung 1866 noch Geschütz-
emplacements und versenkte Batterien zur Bestreichuug der Zwischen-
räume erbaut wurden. Die Forts liegen auf steilen Hügeln, sind
samtlich nach neudeutschem System gebaut, haben starke Reduits
und guten Kehlabschlufs und sind für 6—16 (Leopold) Geschütze
eingerichtet. Da für den Platz wenig mehr geschah, dürfte er in
ziemlich schlechtem Znstande sein.
2. Verona, I. Klasse, Provinz.-Hauptstadt, zu beiden Seiten
des Flusses, der die Stadt in grofsem, nach Norden gerichtetem
Bogen durchströmt, und über welchen 6 Brücken führen, 62,500 Ein-
wohner, ist von grofser strategischer Wichtigkeit, da es ganz Ober-
Italien beherrscht und den Schlüssel zu Tirol bildet. Die Befestigung
besteht aus der Umfassung mit Citadelle, und einer doppelten Reihe
von Forts, Schanzen und Reduten, deren äufserer Kranz ca. 22 k
hat, und welche das verschanzte Lager am rechten Ufer einschliefsen.
An samtlichen Werken waren in den sechziger Jahren vielfach
Änderungen, Umbauten und Korrekturen vorgenommen worden.
In der neueren Zeit waren die Ansichten in der Reichsbefestigungs-
Kommission bezüglich Verstärkung, einfache Beibehaltung oder gar
Schleifung der Festung, sehr geteilte, bis endlich 1880 das erstere
beschlossen wurde. Es sollen besonders die südlichen Forts ver-
stärkt, und auf den dominierenden Höhen im Norden und Nordosten
neue errichtet werden. (Bei S. Anna, Fiamine, unweit Prun, in der
Gemeinde Breonio). Die Mittel sollen den Bewilligungen für die
Alpenforts entnommen werden. Die Festung soll nach den Motiven
zum bezüglichen Gesetzentwurf durch die Verstärkung eine Ver-
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Die Befestigungen Italiens.
teidigung, gegen Norden und Osten derart ermöglichen, dafs der
Angreifer ein entsprechendes Hindernis fände, und dafs ein Brücken-
kopf geschaffen würde, der diesen wichtigen Übergangspunkt sichere
und auch Offensivbewegungen auf dem linken Ufer gestatte. Die
Vorschläge für Schleifung der Festung gingen von dem Grundsatze
aus, dafs die erste Widerstandslinie der Po sein müsse, und von der
Befürchtung, es könnte Verona die Rolle eines zweiten Sedan oder
Metz spielen.
A. Die Hauptumfassung: 1. Rechtes Ufer: Die Umfassung
zieht hier vom Südende der Stadt, am Flufsufer beginnend, mit
sechs 400 — 500 ra langen Fronten, im Bogen nach Norden mit den
Bastionen S. Francesco, S. Trinita, dei Ri forma ti (zwischen den
beiden letzteren die porta nuova, Strafse nach Mantua), S. Bernar-
dino, S. Zeno (porta S. Zeno, Strafse Peschiera) und S. Procolo; von
hier wendet sie fast rechtwinklig nach dem 000 m entfernten Flusse
ab, an den sie mit den Bastionen di Spagna und dem Uferbastion
Gatena anschliefst. 1100 m südöstlich von Spagna, hart am rechten
Ufer, ist das cast. vecchio (jetzt Kaserne und Zeughaus) mit dem
gegenüberliegenden Arsenal durch eine Zinnenbrücke verbunden:
300 m vor der Kurtine Procolo — Spagna liegt das grofse Fort
Procolo mit einem massiven Reduit in Kreuzesform. Die Kurtinen
haben eine Länge von 300, die Bastionsfacen von 70 — 80, die
Flanken von 40 m. Die Kurtinen sind auf den Escarpemanern auf-
liegende alte Erd wälle, die Facen und Flanken dagegen haben
Rondengang und freistehende Mauer (nach Üarnot) und als Abschnitt
zu benutzende, 4,25 ra vorspringende Orillons. Die Gräben sind
20 m breit und vor der Mitte der Kurtinen auf 120 — 200 m Breite
mit einer Ansfallrampe versehen.
2. Linkes Ufer: 1100 m nordöstlich vom cast. vecchio beginnt
die sehr unregelmäfsige Umwall ung mit der Porta und dem Rondell
S. Giorgio, zieht dann 800 m ostwärt« (mit dem Rondell Boccaro
in der Mitte) bis zum Torre Baccola, wendet dann gegen Nordnord-
osten und endigt in dem 900 m vom Flufs entfernten, auf steiler
Höhe, an der Gabelung des östlich vom val Degana befindlichen
Bergrückens, dessen südwestlicher Teil mit dem rast. Pietro (1849
erbaut auf den Grundmauern der alten, 1801 von den Franzosen
zerstörten Burg Dietrichs von Bern) und dessen südöstlicher Teil
mit dem Turm Biondella endigt, liegenden cast. S. Feiice (Citadelle);
von dessen rechter Flanke, der eine Lü nette vorliegt, zieht sie in
coneavem, 1600 m langem Bogen mit 2 kleinen Bastionen und
einigen Türmen nach Südosten bis zum Bastion S. Toscana. Bis
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Die Befestigungen Italiens.
1G9
hierher ist sie eine von Rondellen flankierte, von tiefem Graben
und gedecktem Weg begleitete Mauer. Innerhalb des Bogens,
400 m vorgeschoben , liegt das kasemattierte Werk Biondella auf
dem erwähnten, von den rückwärtigen Werken nur wenig ein-
gesehenen Vorsprang. Von Bastion Toscana wendet sich die Um-
fassung nach Süden bis zum 500 m entfernten Bastion della Mad-
dalena (dazwischen die porta del Vescovo mit der Strafse nach
Vicenza) und von hier 500 m südwestlich nach dem grofsen Bastion
Campo Marzo, sodann wiederum 500 m westwärts zum Flufa, den
sie 700 m nördlich Francesco erreicht. In dem eingehenden Winkel
vor der porta Vittoria, 400 m vor der letztgenannten Front, und
400 m vom Flufe liegt das halbkreisförmige Fort Gassometro (früher
Scholl).
Die detachierten Werke sind entweder runde oder elliptisch
geformte Türme, ähnlich den Maximilianischen Türmen bei Linz,
mit gemauerter Plattformbrustwehr, kasemattierten Etagen, krene-
lierter Mauerumfassung und revetierten 2 m tiefen Graben, oder
Polygonwerke mit freistehenden Mauern oder anliegenden Revetement,
mit gemauerten Contreescarpen, gedeckten Weg und Grabencaponieren,
ferner mit kasemattierten, etagierten, meist halbrunden Reduits in
den Kehlen, die durch einen zweiten Turm und durch krenelierte
Mauern geschlossen sind. Die Besatzung besteht aus 1 — 3 Coru-
pagnien und 4 — 16 schweren Geschützen. Wie weit die Verstärkungs-
arbeiten gediehen sind, ist nicht bekannt.
B. Der Fortsgürtel des rechten Ufers, a) Innerer
Gürtel: (von Süden angefangen) 1. Fort S. Caterina (früher Hefs),
zwischen den beiden Etschbogcn, nahe am Flufs, 1200 m südöstlich
Scholl; 2. 1400 m südwestlich davon, vor dem grofsen südlichen
Bogen des Stromes der Halbturm Tombetta (Cnloz) mit einer
550 m nordöstlich am Uferrande und einer 450 m nordwestlich be-
findlichen Batterie; 3. 1300 in nordwestlich davon und 900 m süd-
lich der porta nuova, an der Gabelung der Strafsen nach Mailand
und Legnago das grofsc Fort porta nuova (Clam); — 4. 800 in
nordwestlich von diesem, südlich der Bahn das Fort Pallio (Alt-
Wratislaw), schon seit den sechziger Jahren aufgelassen; mit Ab-
ständen von 750 — 800 m folgen nun längs der Trientiner Bahn,
südlich, beziehungsweise westlich derselben: 5. Fort S. Lucia
(Schwarzenberg), 1500 m vor der Enceinte, innerhalb der Bahngabel
Mantua und Mailand; 0. Fort Fenilone (d'Aspre), zwischen der
Bahn nach Mailand und der nach Trient, 2100 m vor der Enceinte;
7. Fort Massimo (Lichtenstein), südlich des gleichnamigen Ortes;
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Die Befestigungen Italiens.
8. 900 m nördlich vom vorigen , ostlich der Bahn und südlich der
Strafse nach Mailand Fort S. Zeno (Radetzky), 1600 m vor der
Enceinte; 9. 1100 m nordwestlich von diesem, westlich der Bahn,
Fort Croce Bianca (Strassoldo), 550 m südlich des an der Strafse
nach Pastrengo gelegenen Ortes Chievo ; 10. Der rechte Flügel dieser
Fortslinie ist verstärkt durch die 900 m westlich des Bastion Procolo
zwischen den Strafsen nach Pastrengo und Mailand liegende offene
Redute S. Procolo (Wallmoden). Die sämtlichen genannten Werke,
waren 1848 von den Truppen als Feldschanzen hergestellt, 1849
permanent umgebaut und 1859 vielfach verstärkt worden; seit 1887
sind die Werke 2 — 8 aufgelassen.
b) Äufserer Gürtel: 1. Fort Garofalo (Ca. vecchia), 1 k
östlich Palazzina, 2400 m südöstlich Fort S. Caterina; 2. 2600 m
westlich davon Fort Toniba (Stadion) an der Strafse nach Nogara,
südlich S. Giacomo della Rogna und 1650 m südlich Tombetta;
3. 2200 m westlich davon Fort Azzano (S. Lucia, auch Neu-
Wratislaw), östlich der Strafse; 4. 1800 m nordwestlich vom vorigen
Fort Dossobuono (Gisela) zwischen Strafse und Bahn nach Mantua,
2100 m südwestlich von Fort S. Lucia; 5. 2400 m nordnordwestlich
davon Fort Sugagnano, (Kronprinz Rudolph) zwischen Strafse und
Bahn nach Mailand; f>. 2600 m nördlich davon das geräumige Fort
Chievo (Kaiser Franz Josef), 750 m nordwestlich des gleichnamigen
Ortes, nahe am Flufjs, südlich der Strafse Pastrengo und westlich
der Trienter Bahn; 7. 1800 m nördlich davon, hart am Strom Fort
Parona (Erzherzog Albrecht), westlich des gleichnamigen Ortes.
— Die meisten dieser Werke wurden 1859 provisorisch angelegt
und später ausgebaut. 1866 wurden in den Intervallen noch
Zwischenbatterien (in der Kehle offene Batterien mit ca. 70 m
langen Facen und 21 m langen Flanken und 3 — 4 m tiefem Graben)
errichtet und zwar: 8. zwischen 1 und 2 eine an der Strafee nach
Legnago und eine bei Palazzina; 9. zwischen 2 und 3, bei Casa
Torcolo, nahe westlich der Strafse von Vigasio; 10. zwischen 3
und 4 bei Casa Martineiii; 11. zwischen 4 und 5 eine nahe süd-
lich der Mailänder Bahn, nahe Fenilone.
C. Der Fortsgürtel des linken Ufers: 1. Auf dem vom
Mte. Gania, im Norden, kommenden Höhenzug der Turm Lesa
Sofia; 2. auf der Kuppe 300 m nordöstlich davon Fort S. Leonardo,
700 m nördlich der porta S. Giorgio ; 3. 600 m weiter nördlich Fort
Malta, 1200 m nordwestlich Fort S. Feiice; 4. auf dem östlichen
Kamme des Mte. Gaina liegen, 1500, 2100 und 2500 nördlich
S. Feiice die Türme S. Giluiano Nr. 1, 3 und 4 und 450 m süd-
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Die Befestigungen Italiens. 171
westlich von Nr. 3 der Turm Nr. 2; 5. Jenseits des breiten Thaies
des torrente di val Pantena ist das cast. Montorio, lk südwestlich
des gleichnamigen Ortes am Fibbio; 6. 750 in nördlich davon Fort
Preare (John); 7. 1350 m südlich Montorio ist Fort Bellina
(Catana), 2700 m östlich Bastion Toscana; 8. Weitere 700 m östlich
die 600 m von einander entfernten Batterien Albere und Matte-
rana und eine Batterie zwischen Flufs und Bellina; 9. 1400 ni
südlich Bellina das Fort S. Michele (Elisabeth), südlich an der
Strafse Vicenza, 1200 m östlich des Ortes, 1 k vom Flufs und 5 k
von Cavecchia entfernt; 10. auf der Höhe S. Briccio bei Lavagno,
im Nordosten von Verona wurde in den letzten Jahreu ein neues
Fort gebaut. Die Werke 1—9 sind sämtlich alt, zum Teil schon
in den dreifsiger Jahren gebaut.
3. Legnago, II. Klasse, Provinz Verona, am rechten Ufer,
3500 Einwohner, hat 2 in alt -italienischer Manier bastionierte
Fronten mit Ravelins und Lünetten, sowie ein Kronwerk als Brücken-
kopf auf dem linken Ufer und Inundation auf 1800 m. Die beab-
sichtigte Verstärkuug wurde aufgegeben. — 4. Badia (Polesine)
IV. Klasse, Provinz Rovigo, 20 k südöstlich Legnago, an der Ab-
zweigung des Adigetto, 5900 Einwohner, sichert den Etschübergang
nach den Euganeischen Hügeln, zu den Monti Berici und nach
Mantua. — 5. Rovigo — Boara, III. Klasse, die zu beiden Seiten
des Adigetto liegende Stadt Rovigo (7600 Einwohner) hat teilweise
schon demolierte Ringmauern, 4 1859 erbaute, 1866 gesprengte
Turmforts (2 etagige kasemattierte Werke mit Wassergräben),
nämlich: a) Boara, an der Etsch, 3 ! /j k nördlich; b) Höver di
Cre, 2 l / a k westlich; c) Borsea, 3 1 /, k südlich; d) Sarzano, 2 1 /, k
östlich; sowie 4 1866 erbaute provisorische Zwischenwerke für je
10 Geschütze (mit 34 m langen Facen und 23 m langen Flanken,
mit tambouriertem Kehlabschlufs und Wassergraben) nämlich:
a) Lünette Colombara im Nordwesten, zwischen Boara und Rover,
1878 aufgelassen; b) Tassina im Südwesten; c) Rosada im Süd-
osten; d) Ceresolo im Nordosten, 1878 aufgelassen.
c) Nördlich des Po bis zur Etsch: Ivrea, 45 k nord-
östlich Turin, an der Dora Baltea, Novara, Provinz.-Hauptstadt,
45 k westlich Mailand, zwischen der Agogna und dem Terdoppio,
14,800 Einwohner, und Mailand, am Flüfechen Olona, 200,000 Ein-
wohner, sind mit mittelalterlichen, zum Teil gut erhaltenen Mauern
und Wällen umgeben. — 1. Pavia, III. Klasse, Provinz.-Haupt-
stadt, am linken Ticinoufer, 29,500 Einwohner, hat teilweise noch
gut erhaltene Wälle und Mauern mit 7 Bastionen und mehreren
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172
Die Befestigungen Italiens.
Türmen und eine verfallene Citadelle im Norden. Über den Flut
führt eine 216 m lange Marmor- und eine 762 m lange Eisenbahn-
Brücke. Der Brückenkopf am Nebenarm Gravellone, 1700 m süd-
westlich der Stadt, wurde eingeebnet. — Bergamo, Provinz.-Haupt-
stadt, 30,850 Einwohner, besteht aus der offenen Neustadt in der
Ebene und der steilansteigenden, mit hohen Mauern und spitzen
Bastionen umgebenen Altstadt, vor deren Nordwestspitze auf dem
Hügel S. Vigilio das alte Kastell (Citadella) liegt. Crema, am
rechten Serioufer, 8150 Einwohner, und Orzinovi, 2k östlich
des Oglio, haben alte Uniwallungen (letzteres mit 7 Bastionen) mit
Aufeen werken.
2. Pizzighettone, IV. Klasse, am linken Addaufer, 10 k
oberhalb deren Mündung, 4300 Einwohner, hat eine mit Bastionen
und Türmen versehene, teilweise doppelte Umfassung mit Aufsen-
werken, besonders einem Horn werk im Norden, jenseits des hier
mündenden Serio und einer Citadelle im Nordosten. Der Brücken-
kopf Gera besteht aus einem Kronwerk mit 2 Ravelins und An'schlufs-
werken. Die Werke sollen durchweg schlecht erhalten sein. —
3. Brescia, Provinz.-Hauptstadt, nahe am Einflufs des Garza in
den Mella, 39,000 Einwohner, hat nahezu die Form eines Rechteckes.
Die Wälle mit ihren Mauern und Türmen werden grösstenteils als
Promenaden benützt. An der Nordseite liegt auf hohem Felsen
(Cidneo) das alte, dominierende, in neuerer Zeit renovierte Kastell
Falcone di Lombardia (eine bastionierte Front von 2 halben und
1 ganzen Bastion). — Bozzolo, Provinz Mantua, 2,5 k vom rechten
Oglioufer entfernt, 4300 Einwohner, und Sabbionata, Provinz
Cremona, zwischen Oglio und Po, 5 k von letzterem, 7000 Ein-
wohner, haben alte, zum Teil bastionierte Ringmauern.
4. Peschiera, III. Klasse, an der Grenze der Provinz Verona
und Mantua, zu ersterer gehörig, inselartig am Ausflufe des Mincio
aus dem Gardasee erbaut, 24,000 Einwohner, ist die Nordwestspitze
des berühmten Festungsviereckes (Peschiera, Verona, 24 k östlich,
Legnago, 36 k südöstlich des vorgenannten und Mantua, 40 k west-
lich des letzteren und 32 k südlich Peschiera). Die Festung ist ein
in altitalienischer Manier bastioniertes Fünfeck mit Fronten von
ca. 260 m Länge, hat eine kleine, aber starke Citadelle, sowie einen
kleinen Hafen und ein Arsenal für die Flottille des Sees. 300 m
südwestlich liegen die nur ca. 150 m von einander entfernten Vor-
werke (Lünetten) Alt- und Neu-Salvi, und ca. 600 m östlich, auf
einer Höhe des linken Mincio-Ufers, vor dem Bahnhof, die 2 Vor-
werke Alt- und Neu-Mandella, ebenfalls nur 150 m von einander
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Die Befestigungen Italiens.
173
entfernt, zwischen ihnen eine kleino Lüuette. Durch eine Reihe
von anf 1 — 1,5 k vorgeschobenen Werken ist ein kleines verschanztes
Lager geschaffen.
a) Auf dem rechten Mincio-Ufer: 1. Werk 1, 650 m
nordwestlich, am See-Ufer; 2. 400 m südwestlich davon Werk II,
zwischen Strafse und Bahn nach Brescia; 3. weitere 400 m süd-
westlich Werk III; 4. 400 ra südlich davon Werk IV, beim Bahnhof
Seraglio; 5. 600 m südöstlich davon Werk V; 6. 900 m südöstlich
von letzterem Werk VI; 7. 800 m von Werk VL nahe nördlich des
Ortes Ponti das starke Werk Monte Croce, westlich der Strafse. —
b) Anf dem linken Ufer: 8. 1 k östlich des Bahnhofes und
600 m südwestlich des Ortes Cavalcaselle Werk VII; 9. 1 k nord-
nordwestlich von letzterem Werk VIII; 10. weitere 800 m nord-
nordwestlich, nahe am See, Werk IX (1500 ra nordöstlich I).
1866 wurden zwischen den einzelnen Werken noch passagere Batterien
und Verbindungslinien hergestellt; seitdem geschah nur wenig mehr
für den Platz.
5. Mantua, I. Klasse, Provinz.-Hauptstadt, 26,700 Einwohner,
auf einer Insel im Miucio, der hier mehrere Arme und morastige
Ufer hat und einen auf der Nord- und Osteeite sich um die Stadt
ziehenden See bildet. Mantua ist besonders durch sein ausgedehntes
Inundationsgebiet stark, hingegen wurden bis jetzt nur wenige Ver-
starkungsarbeiten ausgeführt, a) Die Hauptumfassung besteht
aus einer alten bastionierten Mauer von 6 Fronten: a) Hinter der
künstlichen Inundation liegen: 1. Die 800 m lange Westfront mit
4 Bastionen; 2. die 900 ra lange kurtinenartige Südwestfront (hinter
der Te- Verschanzung); 3. die 550 m lange Südostfront, welche durch
das 500 m lange, durch den Damm Valsechi vom östlich liegenden
mittleren See getrennte Wasserbecken Valetta gedeckt ist; ß) hinter
der natürlichen Inundation liegen: 4. Die 1200 ra lange, bastionierte
Ostfront hinter dem mittleren See, mit je einer Verschanzung mit
Ravelin, beziehungsweise Bastion auf beiden Flügeln ; 5. die 950 m
lange, von einer krenelierten Mauer umschlossene Nordostfront;
6. die 900 m lange vom obern See begrenzte Nordwestfront mit
4 vorliegenden Werken. — b) Aufsen- und detachierte Werke:
1. In den westlichen Sümpfen, an der Mailänder Chaussee, 500 m
weit vorgeschoben das Horn werk Pradella gegen Belfiore, durch
4 Insel-Batterien (auf Rosten gebaut) unterstützt, vom Obersee zum
Teil umspült; 2. 200 m westlich davon die Lttnette Belfiore auf
der gleichnamigen Höhe; 3. 400 m südlich davou die Batterie
Perina; 4. weitere 400 m südlich die Lünette Pompigli; 5. die
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Die Befestigungen Italiens.
aus 4 Bastionen bestehende Te -Verschanzung auf der gleich-
namigen Insel vor der Südwestfront; 6. daran östlich anschliefsend
die Migliaretto - Verschanzang, von der Hauptamfassung durch
die Valetta getrennt, mit 3 vorliegenden Lünetten; sie soll besonders
das grofee Inundations-Schleusenwerk decken. Auf dem von ihrem
linken Flügel ausgebenden Damm Chasseloup ist eine, auf dem
Damm Valsechi sind mehrere Batterien; 7. vom rechten Flügel der
Te-Verscbanzung zieht zu den Lünetten am Chasseloup-Damni,
1100 m weit vorspringend die Umwallung des verschanzten
Lagers mit 3 ca. 600 m von einander entfernten Bastionen ; 8. von
der Südostecke dieser Umwallung führt der Damm Pietole nach dem
ca. I k entfernten Fort Pietole, einem Werk mit 2 nach Vauban
bastionierten Fronten und der Hauptrückschwellungsschleuse in der
Kehle; 9. 3600 m nördlich davon, auf dem östlichen Ufer des
Mittelsees, an der Strafse nach Legnago liegt das Fort S. Giorgio
mit dem Vorwerk Rocca, mit dem dahinter liegenden Burgbastion
der Ostfront durch die 850 m lange, mit Batterien und vielen
Durchlässen versehene Dammstrafse (Brücke) S. Giorgio verbunden;
200 m hinter dem Fort liegt eine Linie verbundener Insel-Batterien;
10. 600 m südöstlich davon ist die Lü nette Frasine und 600 m
nördlich die Lünette Fossamana, auf dominierenden Höhen;
1 1 . die auf dem linken Ufer befindliche Vorstadt Borgo di Fortezza
oder Porto, wird, je 1200 m von Giorgio und Pradella entfernt,
von der aus 3 bastionierten Fronten bestehenden Citadelle um-
schlossen und ist durch den 500 m langen Damin Zapetto, der den
höher liegenden Obersee vom mittleren See trennt, mit der Stadt
verbunden.
d) Am Po: 1. Casale (Monferrato), III. Klasse, Provinz
Alessandria, 30 k nördlich dieser Stadt, am rechten Ufer, 17,000
Einwohner, hat aufser der alten Umwallung eine Citadelle im Westen,
eine Lünette im Süden und einen Brückenkopf auf dem linken
Ufer. Die Werke sind in ziemlich schlechtem Zustande. — Valenza,
15 k nördlich Alessandria, am rechten Ufer, 6600 Einwohner, war
früher starke Festung, ist aber jetzt aufgelassen und verfallen. Die
projektierte Anlage eines doppelten Brückenkopfes bei Monti kam
nicht zur Ausführung. — 2. Stradella, III. Klasse, Provinz Pavia,
16 k südöstlich dieser Stadt, am rechten Ufer des A versa, 2,5 k
südlich des Po, 6000 Einwohner, hat eine bastionierte Umwallung.
Die projektierten Neuanlagen (1—2 Forts im Westen in der Linie
la Rocca dei Vescovo— Capella— Serra, eine Batterie bei Broni,
2V 3 k südwestlich am steilen Westabhang des Monte di Gabi und
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Die Befestigungen Italiens.
175
ein Werk bei Bonasco, 4'/a k östlich) kamen nicht zur Aus-
führung.
3. Piacenza, I. Klasse, Provinz.-Hauptstadt, am rechten Ufer,
unterhalb der Trebbiamündung, 35,000 Einwohner, ist mit einer
Umwallung von 12 Bastionen mit Aufseuwerken umgeben; sämtliche
Werke sind in schlechtem Zustande. Im Südwesten ist die zum
Teil demolierte Citadelle, ein bastioniertes Fünfeck; auf dem linken
Ufer befindet sich ein Brückenkopf mit einer einige Hundert
Meter vorliegenden Schanzenlinie; auf den Inseln liegen einige
Reduten. Von den aus dem Jahre 1859 stammenden detachierten
provisorischen Werken wurden nur bei Fort S. Antonio, 2 Vi k
westlich, an der Strafse nach Stradella und bei Fort S. Lazzaro,
2 k südöstlich an der Strafse nach Parma Verbesserungsarbeiten
ausgeführt, während die übrigen schon seit 1859 demoliert sind.
Die Hauptverstärkung soll der Brückenkopf (Poligone dei Pontieri)
erhalten haben. Piacenza ist von hoher strategischer Bedeutung,
weil es der letzte Punkt ist, an dem der Po noch bequem über-
schritten werden kann, da weiter abwärts schon die Versumpfungen
beginnen und weil es der Vereinigungspunkt der Straten und
Bahnen von Frankreich über Turin und aus der Schweiz über
Mailand ist.
4. Cremona, IV. Klasse, Provinz.-Hauptstadt, am Unken Ufer,
1,5 k vom Hauptarme entfernt, 30,500 Einwohner, ist mit Mauern,
Türmen und Bastionen in einem Umfang von 4 k umgeben ; in der
Nordwestecke ist die 3 — 400 m breite und lange piazza d'armi. Die
Werke sind dem Verfalle nahe. — Gnastalla, am rechten Ufer,
26 k südlich Mantua, in sumpfiger Gegend, 2800 Einwohner, ist
ein nahezu reguläres, bastioniertes Siebeneck; die im 17. Jahrhundert
restaurierten Werke sind jedoch vollkommen verfallen. — 5. Borgo-
forte, I. Klasse, am linken Ufer, 11 k südlich Mantua, 4000 Ein-
wohner, wurde 1860 — 61 als permanenter Brückenkopf befestigt,
1866 zum Teil demoliert und besteht aus: 1. Dem Werk Noyau
(Fort Montechiana) am rechten Ufer, mit Erdumwalluug, frei-
stehender Mauer, Kaponieren und bombenfesten Reduit; 2. und 3.
der 2 k von einander entfernten Flügelwerken Rochetta und
Bocca di Ganda, 800 m nordwestlich, beziehungsweise nordöstlich
vom Noyau, geschlossene Erdwerke am Podamme, ohne Graben-
verteidigung; 4. dem 900 m nördlich vom Flufs und 1300 m nörd-
lich vom Noyau liegenden Centraiwerk, einem geschlossenen
Oktogon mit Infanterie-Grabenverteidigung und bombensichern Re-
duit, an der Strafte nach Mantua; sämtliche Werke haben Wasser-
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Die Befestigungen Italiens.
graben. Die Demolierung gelang nur bei den Flügelwerken, die
1878 ganz aufgelassen wurden. Die projektierte Umwandlung kam
bis jetzt noch nicht zur Ausfuhrung. — 6. Der Brückenkopf
8. Maria Maddalena, III. Klasse, am linken Ufer, Pontelagoscuro
gegenüber, deckt den Übergang der Strafse und Bahn Padua—
Ferrara. Neuanlagen sollen hier beabsichtigt sein. — Ferra ra,
Provinz.-Hauptstadt, am linken Ufer des südlichen Poarmes, nur
2,4 m über dem 28 k entfernten Meere, und 1 m unter dem Flufs-
spiegel, 31,200 Einwohner, hat eine alte verfallene Umfassungs-
mauer mit Bastionen, von Wassergräben und Sümpfen umgeben,
und eine Citadelle, ein reguläres bastioniertes Fünfeck im Westen.
e) In der Ebene südlich des Po: Neuesten Nachrichten
zufolge ist die Errichtung eines verschanzten Lagers für 120,000
Mann zwischen Asti und Alessandria beabsichtigt. — 1. Alessan-
dria, L Klasse, Provinz.-Hauptstadt, 74 k südöstlich Turin, in
sumpfiger Gegend am Tanaro, oberhalb der Einmündung der Bormida,
28,000 Einwohner, hat: 1. Eine Umfassung von 13 ganzen und
2 halben Bastionen mit 6 vorliegenden Lünetten; 2. eine Citadelle
auf dem linken Ufer (ein bastioniertes Sechseck mit 6 Lünetten
und dem grofsen Hornwerk Opera Valenza im Norden); 3. die
detachierten Forts: Fort Acqui, l'/j k südwestlich, rechts an der
Bahn nach Savona; Fort della Ferrovia, l'/j k südöstlich der Bahn-
gabel, links an der Bahn nach Genna; Fort Bormida 3 k östlich
am rechten Bormidaufer, links an der Strafse nach Tortona. Die
Festung ist im Verhältnis zu ihrer strategischen Wichtigkeit räum-
lich zu sehr beschränkt und sollte insbesondere mit dem PoÜbergang
Valenza — Monti in direkter Verbindung stehen; die Werke sind
übrigens in gutem Zustande.
Novi, am Nordfufs der Apenninen, 12,000 Einwohner, Tor-
tona, am rechten Scriviaufer, 40 k südwestlich Pavia, 7000 Ein-
wohner, Parma, Provinz.-Hauptstadt, zu beiden Seiten des Flürchens
Parma, 42,200 Einwohner, Reggio, Provinz.-Hauptstadt, in weiter
Ebene unweit des Crostolo, 25,500 Einwohner, Carpi, 15 k nördlich
Modena, 6000 Einwohner, Modeua, Provinz.-Hauptstadt, zwischen
den Flüssen Panaro und Sechia, 30,800 Einwohner, Castelfranco
delT Emilia an der grofsen Strafse und Bahn nach Bologna,
12,500 Einwohner (mit dem 600 ra nordwestlich liegenden ver-
fallenen Fort Urbano, einem bastionierten Quadrat von 400 m
Seitenlänge), Miraudola, an der Burana, 3060 Einwohner, und
endlich Cento, Provinz Ferrara, nahe dem linken Reno-Ufer, 5000
Einwohner, haben zum gröfsten Teil verfallene Umfassungsmauern
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Die Befestigungen Italiens.
177
mit Gräben, Bastionen nnd meist auch eine Citadelle; die Umfassung
von Parma wurde noch in den Sechziger Jahren unterhalten, seine
Citadelle, ein bastioniertes Fünfeck von 320 m Seitenlänge, erst
1850 zum Rang einer Festung erhoben.
2. Bologna, I. Klasse, Provinz.-Hauptstadt, an einem Kanal
zwischen den Flüssen Reno und Savena, am Nordfufs der Apenninen,
123,000 Einwohner, hat eine alte Mauerumfassung; 500 m vorwärts
derselben sind Uberreste einer schwachprofilierten Erdbrustwehr und
l-l'/i k an den Straten in der Ebene vorgeschoben, sowie auf
den Höhen von Madonna Santa Lucia im Süden aus den Sechziger
Jahren stammende, zum Teil schon verfallene Erdwerke. (Fort
Monte Paderno ist gänzlich verfallen ; in neuester Zeit scheint das-
selbe jedoch wieder hergestellt zu werden.) Es ist beabsichtigt,
Bologna zur Unterstützung der Operationen am unteren Po und zur
Deckung der Hauptkommunikationen aus dem Pothale nach der
eigentlichen Halbinsel, zu einer Festung I. Ranges zu machen; wie
weit die bezüglichen Arbeiten gediehen sind, ist aber nicht bekannt.
Der projektierte Fortsgürtel soll aus folgenden Werken be-
stehen: 1. Auf dem Höhenzug zwischen den Flüssen Panaro
und Samoggia: Bei Montebudello, 20 k westlich, Monteveglio,
17 k westlich, und bei Ca di Zucchi, 2'/ a k südwestlich von letzterem;
2. zwischen Samoggia undLavino: Bei Oliveto, 16 k westlich,
S. Lorenzo 12 k westlich, und am Monte Avezzano, 1 k südlich
zwischen den beiden vorgenannten; 3. zwischen Lavino und
Reno: Das alte Werk Monte Capra 9 k südwestlich, erweitert;
3 Forts auf dem Westabhange, von denen das südlichste bei
S. Maria; das Renothal ist bereits durch einen alten, in der Front
vollständig dominierten Brückenkopf bei Casalecchio, 4 Vi k süd-
westlich, abgeschlossen und soll bei Sampieri, l l /j k weiter südlich,
einen weiteren, beiderseits des Flusses bis auf die Höhen reichender
Abschlufe erhalten; 4. zwischen Reno und Savena: Ein grofses
Fort auf dem Rücken von Sabbionara, 6 k südlich; dieser Abschnitt
soll das eigentliche verschanzte Lager bilden und sollen deshalb
hierher auch alle Magazine, Artillerie -Anstalten u. s. w. kommen;
5. zwischen Savena und Idice: Verschiedene Werke auf dem
Monte Calvo, 6 7» k südöstlich, das südlichste auf dem 10 k ent-
fernten Monte Albero; 6. in der Ebene: Ein grofses Fort nörd-
lich Arcoveggio, 1300 m nördlich. Die Thäler des Reno und der
Savena sind wegen ihrer Verbindungen die wichtigsten: in ersterein
Strafse und Bahn nach Pistoja, in letzterem die Strafse über den
Pate delle Filigare und la Futa nach Florenz. — Imola, Provinz
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Die Befestigungen Italien».
Bologna, 32 k südöstlich dieser Stadt, am Santerno, 9360 Einwohner,
Faenza, Provinz Ravenna, 14 k vom vorgenannten, am Amone,
36,300 Einwohner, Forli, Provinz.-Hanptstadt, am rechten Ufer
des Montone, 15,300 Einwohner (die Citadelle Rocca di Ravoldino
wird als Gefängnis benutzt) sind sämtlich mit alten Mauern um-
geben.
f) In den ligurischen Apenninen: Au dem wichtigen
Cisa-Pafe war eine neue Pafssperre bei Varco della Cisa beab-
sichtigt; die Ausführung ist aber unterblieben. An älteren Be-
festigungen sind daselbst vorhanden: ein altes Kastell mit 4 Türmen
bei Berceto, am rechten Taroufer; cast. Piagnaro bei Pontre-
moli, 13 k südlich des Passes, an der Magra; einige Werke bei
Aulla, weitere 20 k thalabwärts und das Fort Brunella, nahe
östlich davon. Südlich Aulla wurde im abgelaufenen Jahre das
Werk Monte Bastione auf der Höhe della Spolverina bei Sosdinoro
erbaut. Endlich eine Citadelle und das verfallene, 1878 aufgelassene
Bergschlofe Sarzanella bei Sarzana, Provinz Genna, in der Riviera
di Levante und an der Magra, 9 k oberhalb deren Mündung. Pro-
jektiert waren ferner Pafssperren bei Cereto oder Sassalba, bei
Pellegrino und Rondinaja, bei Boscolongo, am Futa-Pafs,
bei Fierenzuola, Cassaglia und San Godenzo; die Ausführung
jedoch unterblieb. Bei Gajajo, an der Strafse Pistoja — Modena
(Abetone-Pafs) am linken Panaroufer, 40 k südlich Modena, und
bei Terra del Sole (bastioniertes Viereck) an der Forlin er-Strafse
sind alte verfallene Strafeensperren.
(Schlafs folgt.)
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IX, Über den heutigen Stand der
Militär-Reclitswissenscliaft und Gesetzgebung.
Unsere Aufgabe ist es, zu untersuchen, was die Rechtswissenschaft
bisher für das Militär-Recht geleistet hat, welcher Standpunkt von
derselben künftighin einzunehmen ist, und wie sich die Gesetzgebung
auf dem Gebiete des Militär- Rechts zur heutigen Rechtswissenschaft
verhält. Hierbei haben wir uns nicht mit dem Detail der Gesetz-
gebung eines Staates zu befassen, sondern auf die der Gesetzgebung
der grofeen Militär-Staaten zu Grunde liegenden Prinzipien Bedacht
zu nehmen.
Die Wissenschaft des Militärrechts ist ein wichtiger Teil sowohl
der juridischen als der militärischen Wissenschaft. Weder die
militärische noch die juridische Bildung kann ohne die Kenntnis des
militärischen Rechts eine vollständige genannt werden. Jede Wissen-
schaft ist ein Ganzes (nicht die blofse Summe von Begriffen), dessen
einzelne Teile unter einander in einem organischen Zusammenhange
stehen. Ein Organismus kann aber nicht gesunden, wenn auch nur
ein Teil desselben verkümmert.*) Die Rechtswissenschaft hat bisher
das Militär-Recht nur stiefmütterlich behandelt, obwohl dasselbe tief
in die militärischen Lebensverhältnisse eingreift, und daher bei dem
Bestehen der allgemeinen Wehrpflicht für das ganze Volk von
grofser Wichtigkeit ist.
Während die Wissenschaft des Civilrechts seit Savigny, dem
Begründer der rechtshistorischen Schule in Deutschland, welchem
durch seine Werke ein unzerstörbares Denkmal im Pantheon der
Jurisprudenz gesetzt ist, und die Wissenschaft des öffentlichen Rechts
und des allgemeinen Strafrechts, namentlich in Folge des Auf-
schwunges der Philosophie durch die unsterblichen Werke des
Königsberger Weltweisen, namhafte Fortschritte gemacht hat, blieb
das Militär-Recht ein von der Rechtswissenschaft wenig beachtetes
Gebiet. L. v. Stein sagt zwar in seinem trefflichen Werke: »Die
Lehre vom Heerwesen,« S. 139, dafs wir das, was die Rechtslehre
*) v. Stein, die Lehre vom Heerwesen als Teil der Staats-Wissenschaft
(1872), S. 142.
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180
Über den heutigen Stand
auf diesem Gebiete geleistet hat, bewundern müssen und dafs
einer der gröfsten Beweise der Gesittung unseres Jahrhunderts ist,
dafs der alte römische Satz: »Unter den Waffen schweigen die
Gesetze« nicht mehr gilt. Dieser Ansicht Stein's über die Fort-
schritte der Militär-Rechtswissenschaft kann nicht unbedingt beige-
treteu werden. Die Römer hatten bereits ein ausgebildetes Militär-
Strafrecht. Es bestand schon nach römischem Recht ein System
von Militär-Delikten, welches jenem der gegenwärtig in Geltung
stehenden Militär-Strafgesetze analog ist. Eine Übereinstimmung
zwischen dem römischen Recht und den heutigen Militär-Strafgesetzen
besteht sogar in Bezug auf jene Umstände, welche für die Straf-
milderung oder Verschärfung mafegebend sind. Der römische Satz:
»Inter arma sileat leges« bezog sich nur auf den Feind. Der Feind
war nach antiker Auffassung rechtlos, der Krieg war ein Kampf
gegen alle Unterthanen des feindlichen Staates, während heutzutage
der Krieg nur unter den Staaten dnrch deren Heere geführt wird,
und Recht und Billigkeit, soweit es die militärische Notwendigkeit
zuläfst, auch gegen den Feind beobachtet wird. Das Verdienst, die
Kriegführung im Sinne der Humanität umgestaltet zu haben gebührt
den Fortschritten auf dem Gebiete des Völkerrechts.
Der Grund der bisherigen stiefmütterlichen Behandlung des
Militär-Rechts durch die Rechtswissenschaft ist teilweise in der Ge-
staltung des Heerwesens in früheren Zeiten gelegen. Bei dem
Werbesystem strömten dem Heere Leute aus allen Ländern zu,
welche den Kriegsberuf als Handwerk ansahen und nur um den
Sold dienten. Wenn in früheren Jahrhunderten dem Heere auch
edle Elemente angehörten, so bestand doch ein grofser Teil desselben
aus Söldlingen, welche nicht der Patriotismus beseelte, welche bald
für die eine, bald für die andere Sache kämpften. Die für das Heer
erlassenen Strafnormen wurden lediglich als ein notwendiges Übel
angesehen, sie hatten ja nur den Zweck, die Disziplin unter den an-
geworbenen Soldaten aufrecht zu erhalteu, und beruhten daher
durchgehends auf der alten Abschreckungstheorie. — Ganz anders
ist das Heerwesen gegenwärtig in Folge der allgemeinen Wehrpflicht
gestaltet. Es ist die Pflicht eines jeden wehrhaften Bürgers, in
den Reihen des Heeres seines Vaterlandes zu dienen. Das Heer
ist der Stolz des Volkes. Mit dem Sohne des schlichten Land-
mannes dieut der Sohu des reichen Edelmannes. Das Recht ist tür
Alle gleich, es soll gleicher Lohn für die Pflichterfüllung, gleiche
Strafe für die Pflichtverletzung sein. Die Worte Freiheit, Gleichheit
und Brüderlichkeit in ihrer edelsten Bedeutung (nicht in der Be-
der Militir-Rechtewisaenschaft und Gesetzgebung.
181
deutung, in welcher diese Worte nur zu häufig mifsbraucht wurden)
gelten für das Heer. Frei ist der Soldat innerhalb der Grenzen
des Gesetzes und den Geboten des militärischen Gehorsams, Gleichheit
besteht in Bezng auf das Gesetz, und ein Band brüderlicher Kamerad-
schaft soll alle Angehörigen des Heeres verbinden.
Die Umgestaltung des Heerwesens hatte die Rechtswissenschaft
schon längst veranlassen sollen, sich eingehender mit dem Militär-Recht
zu beschäftigen, und wird es eine ihrer wichtigsten Aufgaben sein,
das auf diesem Gebiete Versäumte nachzuholen. Zunächst fragen
wir uns, welchen Umfang das Militär-Recht hat, denn, bevor mau
eine Wissenschaft darstellen will, mufs man ihr Gebiet, und das sie
von anderen Wissenschaften Unterscheidende bestimmen, da sonst
die Grenzen aller Wissenschaften in einander laufen, und keine
derselben gründlich abgehandelt werden kann.*)
Das Militär - Strafrecht ist nicht gleichbedeutend mit dem
Militär- Recht überhaupt, sondern nur ein Teil desselben. Das
Militär-Recht zerfällt in 3 Gebiete: »Das öffentliche Recht des
Heeres, das bürgerliche Recht desselben und das Militär-Straf-
recht. Das Militär-Strafrecht, mit welchem wir uns hier be-
schäftigen, kann auch das eigentliche Militär-Recht genannt werden,
weil es die innern Verhältnisse des Heeres, namentlich das Ver-
hältnis des Vorgesetzten zum Untergebenen und umgekehrt regelt.
Es ist ein bleibendes Verdienst des grofsen Staatsrechtslehren und
Nationalökonomen L. v. Stein in seinem obzitierten Werke, darauf
hingewiesen und wissenschaftlich begründet zu haben, dafe alle
Teile des Militär- Rechts in einem organischen Zusammenhange
stehend von einem Prinzip durchdrungen sind, und man daher von
einem System des Militär-Rechts sprechen kann.
Das Prinzip, welches das Militär-Recht beherrscht, ist durch die
Bestimmung des Heeres gegeben. Das Heer ist für den Krieg be-
stimmt, und das Wohl und Wehe des Staates hängt davon ab, ob
das Heer seiner Aufgabe gewachsen ist, da die Idee eines ewigen
Friedens nur ein bisher noch nicht verwirklichtes Ideal edel denkender
Philosophen ist. Durch die Bestimmung des Heeres für den Krieg
sind Modifikationen des allgemeinen Rechts in Bezug auf das Heer
und die dem Heere angehörigen Personen notwendig bedingt. Das
Militär-Recht ist, wie Stein treffend bemerkt, die systematisch
dargestelte Modifikation des bürgerlichen, öffentlichen
und Strafrechts, welche durch das Wesen und die staatliche Be-
*) Kant, Prolegomena, $. 1.
J*hrbficb«r ftr D#trt».h» iraM «><! Maris« Bd. LXXVI„ 8.
13
1M2
Über den heutigen Stand
Stimmung des Heeres gefordert wird. Das öffentliche Recht de9
Heeres regelt dessen Stellung als Ganzes zum Staate und enthält die
Modifikationen des öffentlichen Rechts in Bezug auf die dem Heere
angehörigen Personen.*)
Der Grnndsatz des unbedingten Gehorsams gegen den obersten
Kriegsherrn ist mit eisernen Lettern am Anfange des öffentlichen
Rechtes des Heeres geschrieben. Das Heer ist die konzentrierte
Kraft des Staates und kann seine Aufgabe nur dann erfüllen, wenn
es von einem Willen beherrscht wird. Das Heer, welches zwar
durch das Gesetz geschaffen wird, soll weiters mit dem Parlament
nichts mehr zu thun haben. Heere der Parlamente haben sich
niemals Lorbeeren auf den Schlachtfeldern erworben. Ungehorsam
gegen den obersten Kriegsherrn ist das schwerste Militär- Verbrechen,
welches, wie die Geschichte der Prätorianer und der Janitscharen
beweist, die gröfeten Gefahren für den Staat herbeiführt. Dem
öffentlichen Rechte des Heeres gehören ferner an: die Wehrordnung,
d. h. der Inbegriff der gesetzlichen Bestimmungen, welche die Er-
füllung der Wehrpflicht regeln, dann die Einquartierungsgesetze und
die Gesetze über die Versorgungsansprüche der Militär-Personen
und ihrer Angehörigen.
Der Grundsatz, dafs der Soldat der Politik ferne bleiben und
ganz seinem Berufe obliegen soll, führt wichtige Modifikationen in
den staatsbürgerlichen Rechten der Militär-Personen herbei,
unter welchen man die öffentlichen Rechte der Staatsbürger gegen-
über dem Staate versteht. Es bestehen in allen Militär-Gesetz-
gebungen Beschränkungen der Militär-Personen in Bezug auf das
Wahlrecht und die Wählbarkeit in die Reichs- und Landesver-
tretung, in Bezug auf die Beteiligung an der Presse, das Vereins-
und Versammlungsrecht, und die Ausübung des Geschwornenamtes
und anderer Berufstellungen. Auf dem Gebiete des Privatrechtes
bestehen in den gegenwärtigen Gesetzgebungen nur vereinzelte
Sonderbestimmungen für den Militär-Stand. Im Privat-Recht steht
in den meisten Beziehungen der Soldat dem Bürger gleich, weil der
Militär-Dienst mit den Privatrechtsverhältnissen nur wenige Be-
rührungspunkte hat. Es bestehen für den Soldaten Beschränkungen
im Eherechte, dann Erleichterungen in Bezug auf die Errichtung
•) Die Litteratur-Angaben über das öffentliche Recht des Heerea sind in dem
citierten Werke Stein's enthalten ; anfordern vergleiche man noch Laband, Staats-
recht des Deutschen Reiches.
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der Militär-Rechtswissenschaft and Gesetzgebung.
183
letztwilliger Verfügungen,*) und ist ferner den Militär-Personen ein
Existenz-Minimum gesichert, indem die Exekution auf den Gehalt
und selbst freiwillige Verpfandungen und Zessionen desselben nur
bis zu einer bestimmten Grenze zulässig sind. Eine viel gröfsere
Bedeutung hatte der Militär-Stand für das römische Civilrecht uud
dessen Fortentwicklung. Die Romer hielten bekanntlich an dem
alten Rechte und dessen Formen strenge fest. Entstand eine neue
Rechtsform, so wurde dieselbe an eine alte, bestehende angeknüpft,
und ihr so die Bestimmtheit und Ausbildung derselben vermöge
einer Fiktion zugewendet.**) Das Leben des Soldaten machte für
denselben freiere Bestimmungen in privatrechtlicher Beziehung
nötig, was allmählich eine weitgreifende Umgestaltung des ganzen
römischen Civilrecht^ zur Folge hatte.
So war z. B. das Soldaten-Testament für die Fortentwicklung des
römischen Erbrechts von Wichtigkeit. Die vielfachen Beschränkungen
des Erbrechtes und die Förmlichkeiten der Testaments- Errichtung,
welche nach altem Rechte bestanden, pafsten nicht für den Soldaten
im Felde. Für den Soldaten mutete zuerst ein freieres Erbrecht
geschaffen werden. Manche Bestimungen über das Erbrecht und
die Testamentserrichtung, welche ursprünglich nur für den Soldaten
erlassen waren, wurden später auf den Bürger ausgedehnt. Eine
gleiche Bewandnis hatte es mit dem castrense peculium. Das in
der väterlichen Gewalt stehende Kind war ursprünglich gleich dem
Sklaven unfähig, eigenes Vermögen zu haben. Eine Ausnahme
wurde zuerst hinsichtlich des aus Anlafs des Kriegsdienstes Erworbenen
(castrense peculium) geschaffen, in welcher Beziehung der Haussohn
als Paterfamilias angesehen wurde. Nach Analogie der castrense
peculium wurde die Vermögensfahigkeit des Haussohnes in Bezug
auf andere Erwerbungen (quasi castrense peculium, bona adventitia)
anerkannt.***)
Das eben über das römische Privatrecht Gesagte hat für uns
nur mehr rechtshistorisches Interesse. In privatrechtlicher Beziehung
bestehen gegenwärtig wie oben bemerkt, nur vereinzelte Sonderbe-
stimmungen für den Militär-Stand. In bürgerlichen Rechtsan-
gelegenheiten besteht auch keine Militär- Gerichtsbarkeit, sondern
•) §• 44 des Deutschen Reichs-MUitär-Gesetzes vom 2. Mai 1874, für Öst.-
üngarn, Dienst-Rglt I. Th., Absch. XV, § 600 u. b. G.
**) Savigny, Vom Berufe unsrerZeit für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft,
Seite 32.
»*•) Vergleiche: Fitting, zur Geschichte des Soldaten-Tcataments (Halle, 1866);
derselbe das castrense peculium.
13*
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184
Über den heutigen 8tand
sind für den Soldaten die Civilgerichte kompetent.*) Eine treffliche
Zusammenstellung der privatrechtlichen Sonderbestimmungen für die
Personen des Deutschen Heeres hat Daude (»die bürgerlichen
Rechtsverhältnisse der Militär-Personen«, 1880) geliefert.
Hier haben wir uns, wie bereits oben bemerkt, nur mit dem
Militär-Strafrecht zu beschäftigen, und wollen im Folgenden
untersuchen, was die Rechtswissenschaft bisher auf diesem Gebiete
geleistet hat, und welches ihre künftige Aufgabe ist. — Das
Militär-Strafrecht zerfällt bekanntlich in 2 Teile, das materielle
Straf recht (Strafgesetz), welches diejenigen Handlungen enthält,
welche vom Gesetze mit Strafe bedroht sind, und das formelle
Strafrecht (den Strafprozefs), welches den Gang ordnet, den das
(iericht bei einer Untersuchung und Aburteilung zu beobachten hat.
Neben dem Strafrecht besteht als wesentliche Ergänzung desselben
das Disziplinar-Strafrecht**) und das ehrenrätliche Ver-
fahren.***) Zur Aufrechthaltung der Disziplin ist nämlich den
militärischen Vorgesetzten das Recht eingeräumt, Untergebene auch
wegen strafbarer Handlungen oder Unterlassungen, welche im
Strafgesetze nicht vorgesehen sind, aber dennoch die Disziplin ge-
fährden, innerhalb genau festgesetzter Grenzen zu bestrafen. Dieses
Recht wird im Gegensatze zur Strafgerichtsbarkeit das Disziplinar-
Strafrecht genannt. — Das ehrenrätliche Verfahren entspringt der
Erkenntnis, dafs die militärische Ehre die notwendige Voraussetzung
des guten Geistes des Heeres ist, und dafs das Offiziers -Corps der
Träger der militärischen Ehre ist. Das ehrenrätliche Verfahren be-
zweckt, die gemeinsame Ehre des Offiziersstandes zu wahren, und
unterliegen demselben Handlungen, welche zwar nicht nach dem
Strafgesetze zu behandeln sind, aber dennoch dem richtigen Ehr-
gefühle und den Verhältnissen des Offiziersstandes derart wider-
*) Stein verwechselt in seinem citierten Werke die Jurisdiction in bürgerlichen
Rechtsangelegenheiten und die Jurisdiction in gemeinen Delikten. Die Militär-
Gerichtsbarkeit in Civilrechts~Angelegenheiten wurde in Frankreich durch das
Dekret vom 30. September 1791, in Preufsen durch die Kabinetsordre vom
19. Juli 1809, und in Österreich durch das Gesetz vom 20. Mai 1869 auf-
gehoben.
•*) Die Disziplinar- Strafordnung für das preußische Heer vom Jahre 1878,
abgedruckt im Kommentar zum deutschen Militär- Strafgesetz von Keller, für
Österreich-Ungarn Dienst.-Rglt., I. Th. XIII. A.
***) Für das preußische Heer die Vrdg. v. 2. Mai 1874 (für die Marine vom
2. November 1875), lür Bayern die Verordnung vom 31. August 1874, das ehren-
rätliche Verfahren für das öBt.-ungarische Heer ist verlautbart mit der Civil. Vrdg.
des R-K.-M. vom 27. November 1874.
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der Militär-RechtawisscMchaft and Gesetzgebung.
185
streiten, dafs der Schuldige nicht in seiner militärischen Stellung
belassen werden kann.
Halten wir nunmehr Rundschau über die Leistungen der Rechts-
wissenschaft auf dem Gebiete des Militär- Strafrechts. — Die
römischen Juristen beschäftigten sich eingehender mit dem Militär-
Strafrecht, als dies unsere Juristen zu thun pflegen. Ein ganzer
Titel der Pandecten (49,16) handelt von dem Militär-Strafrecht und
enthält Fragmente aus den Schriften der vornehmsten römischen
Juristen, des Arrius Menander, Paulus, Ulpian, Julian und
Papinian. Von der deutschen Rechtswissenschaft ist das römische
Militär-Strafrecht wenig beachtet worden. Es ist allerdings richtig,
dafs das römische Strafrecht für die heutige Gestaltung des Straf-
rechtes nicht von derselben Bedeutung ist, wie das römische Civil-
recht für das heutige Privatrecht, und zwar aus Gründen, die all-
gemein bekannt sind, und hier nicht näher erörtert werden sollen.
Jedenfalls aber ist das römische Militär-Strafrecht von hohem rechts-
historischen Interesse, da die Römer sowohl die Meister der Kriegs-
kunst waren, durch ihre Waffen die ganze damals bekannte Welt
sich unterwarfen, als auch die gröfsten Juristen aufzuweisen haben,
welche durch die litterarische Ausbildung des Rechtes am meisten
dazu beitrugen, dafs das römische Recht im Mittelalter in den
wichtigsten Kulturstaaten rezipiert wurde, und dafs dasselbe ver-
möge der technischen Ausbildung der wichtigsten Rechts -Institute
noch heutzutage die Grundlage unseres Civilrechts bildet.
In der deutschen Litteratur ist mir über das römische Militür-
Strafrecht aufser einigen Bemerkungen in den verschiedeneu Lehr-
büchern und Compendien (vergleiche insbesondere Rein, Kriminal-
recht der Römer; Geib, Geschichte des römischen Kriminalprozesses,
S. 502; Bethmann-Hollweg, Handbuch des Zivilprozesses S. 93) nur
ein kurzer Aufsatz von Brauer im Archiv des Kriminalrechts von
Ahegg (1853) bekannt. — Allgemeine Anerkennung verdient das
Werk von M. Carcani, dei reati, delle pene e dei giudizi militari
presso i romani (Milano, 1874). In diesem Werke wird unter Be-
rücksichtigung nicht nur der im corpus juris enthaltenen Fragmente
der römischen Juristen, sondern der gesamten uns erhalteuen
römischen Litteratur eine treffende Darstellung des römischen
Militär -Strafrechts dargeboten. Dem bezeichneten Werke ist ob
des rechtshistorischen Interesses ein dauernder Platz in der militär-
rechtlichen Litteratur gesichert. — Werke rechtshistorischen In-
halts sind ferner: Friccius, Geschichte des deutschen, insbesondere
des preufsischen Kriegsrechts (1848) und: Molitor, die Kriegs-
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186
Über den heutigen Stand
gerichte and Militärstrafen im neunzehnten Jahrhundert mit einem
Rückblicke auf die Kriegsstrafen der Römer, die Kriegsgewohn-
heiten der alten Deutschen u. s. w. (1855). In beiden Werken
wird der Versuch gemacht, die Entwicklungsgeschichte des Militär-
Strafprozesses und teilweise auch des materiellen Strafrechts zu
schildern. Es ist wohl keinem Zweifel unterworfen, dafs bei dem
heutigen Stande der Militär -Strafprozefe- Gesetze und den Reform-
Bestrebungen, welche auf diesem Gebiete bestehen, Untersuchungen
über den Entwicklungsgang des Militär-Strafprozesses von Wichtig-
keit sind. In Bezug auf die citierten Werke aber wäre eine ge-
nauere Angabe des Quelleu-Materials zu wünschen, da eine rechts-
historische Abhandlung nur dann einen Wert hat, wenn in der-
selben durch Angabe der Quellen erwiesen wird, dafs das Erzählte
auf historischer Wahrheit beruht. — Von Bedeutung für die
Wissenschaft des Militär -Strafprozesses sind ferner: Karl Hilse,
die leitenden Grundsätze des heutigen deutschen Militär-Strafverfahrens
(1869), und: Grand, Fonctionnement de la justice militaire dans
les differents etat de l'Europe (1884). Hilse hat in dem citierten
Werke unter Bedachtnahme auf die historische Entwicklung des
Militär-Strafverfahrens und die Verhältnisse des Militär-Standes den
Nachweis unternommen, auf welchen Grundlagen ein gerechtes
Militär - Strafverfahren zu beruhen, und welche Sonderheiten
dasselbe zu enthalten hat. Der schwedische Auditor Grand
hat in seinem obcitierten, in französischer Sprache geschriebenen
Werke eine Darstellung der in den verschiedenen Staaten Eu-
ropas bestehenden Militär- Strafprozesse geliefert. Beide Werke
sind für eine Reform des Militär-Strafprozesses von hoher Bedeutung,
Hilse wegen der tiefsinnigen Forschungen, Grand wegen des
dargebotenen Materials in rechtsvergleichender Beziehung. — Von
Werken rechtsvergleichenden Inhaltes ist ferner hervorzuheben:
Studien über das Militär- Strafrecht von Martin Damianitsch
(1862). Dieses hochinteressante Werk handelt sowohl von dem
materiellen Strafrecht, als von dem Strafprozefe. Die Straf-
bestimmungen der Gesetze verschiedener Staaten werden unter ein-
ander verglichen, die Übereinstimmung derselben in der einen, und
die Verschiedenheit in der andern Richtung nachgewiesen, und so
zu zeigen versucht, welche Bestimmungen dem Wesen des Heeres
entsprechen und daher auch von einer künftigen Militär-Gesetzgebung
beizubehalten sind. Auf gleiche Weise werden die Grundzüge
einer Militär - Strafprozefs - Ordnung entworfen, »welche in den
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der Militär-Rechtewisaenschaft und Gesetzgebung.
187
wesentlichen Prinzipien jener des Zivilstandes gleich sein soll.«
Rechtsvergleichenden Inhalts ist auch die Schrift: Die Militär-
Verbrechen und Vergehen nach österreichischem Rechte von
Dangelmaier (1884).
Von der Litteratur, welche sich auf die Reform des Militär-
Strafprozesses bezieht, sollen noch erwähnt werden: v. Richthofen,
Einige Bemerkungen zu der beabsichtigten Reorganisation des
Militär-Strafprozesses (1877, eine kleine aber treffliche Schrift);
von Hoff, Darstellung unseres Militär- Gerichtswesens nebst einer
Studie über die Notwendigkeit einer Reform unserer Militär-Gerichts-
Ordnung (Berlin 1884); Reinsdorff, zur Frage des Militär-
Strafprozesses und seiner Reform (Berlin, 1885); Dangelmair,
die Grundsätze des Militär- Strafverfahrens und dessen Reform
(Innsbruck 1887); Weisl, Frankreichs Militär- Strafprozefsordnung;
Studie zur Reform der Militär -Strafprozeßordnungen des deutschen
Reiches und der osterreich -ungarischen Monarchie (Wien 1887). —
Reinsdorff sucht nachzuweisen, dafs die Formen des modernen Zivil-
Strafprozesses für die militärischen Verhältnisse nicht taugen,
während Weisl sich bemüht, die Vorzüge des französischen Militär-
Strafprozesses anzurühren.
Was die Litteratur über die bestehenden Militär -Strafgesetze
betrifft, so hat zum österreichischen Militär-Strafgesetz vom Jahre
1855 Damianitsch einen trefflichen Kommentar geliefert.*)
An das für den ganzen Umfang des deutschen Reiches geltende
Militär-Strafgesetz vom Jahre 1872 hat sich eine ziemlich reich-
haltige Litteratur angesetzt. Keller hat unter Berücksichtigung
der Motive und Reichstags-Verhandlungen einen guten Kommentar
geschrieben (1873), Brauer (Handbuch des deutschen Militär-
Strafrechts), liefert eine selbstständige, übersichtliche Darstellung,
welche dazu bestimmt ist, auch dem Nicht -Juristen das Verständnis
des Gesetzes zu ermöglichen. Das bedeutendste Werk über das
deutsche Militär- Strafgesetz ist jedoch: Hecker, Lehrbuch des
deutschen Militär-Strafrechts (1887). Dieses Werk, welches den
Stoff in eingehender Weise und systematischer Darstellung behandelt,
kann den besten Werken der strafrechtlichen Litteratur überhaupt
beigezählt werden. —
In Bezug auf die französische Litteratur über das franzö-
sische Militär -Strafrecht verweisen wir auf die Litteraturangaben
*) Von der Siteren Litteratnr heben wir hervor: Moldoner, Synopsie militaris,
1687 (eine Erläuterung der Artikelabriefe von Ferdinand IIL, Leopold L und
Carl VI.), Bergmayr, die Kriegsartikel für die k. k. Armee (1836).
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18*
Über den heutigen Stand
bei Block, Dict. de l'econ. pol., und fuhren von der neueren
Litteratur nur noch an: Vexiau, Gommentaire abrege sur le code
de justice militaire (Paris 1882). Meist sind die französischen
Arbeiten nur Kommentare, welche eine Umschreibung oder Er-
läuterung des Gesetzes nebst Formeln über die Abfassung von Ur-
teilen, Protokollen u. s. w. enthalten. Von den Kommentaren über
das italienische Militär - Strafgesetz und Strafverfahren (1869)
führen wir hier nur jenen von Antonio Vismara (Milano 1871) an.
Über das englische Militär-Recht enthält treffliche Ausführung:
Gneist, das englische Verwaltungsrecht mit Einschlnfs des Heeres,
der Gerichte und der Kirche. Zu vergleichen ist auch ein Aufsatz
von Spangenberg im N. Archiv des Kriminalrechts, Bd. 1 1. Übrigens
sind die Heereseinrichtungen Englands von denen des Conti nents so
sehr verschieden, dais das englische Militär-Strafrecht und Straf-
verfahren für das Militär-Recht der grofsen Militär-Staaten von
keiner wesentlichen Bedeutung ist.
Monographien militär-rechtlichen Inhalts, nämlich Bearbei-
tungen wichtiger Tragen des Militär-Rechts, bestehen nur sehr
wenige. Gerade den monographischen Bearbeitungen aber verdankt
die übrige Rechtswissenschaft die Blüte, in welcher sie heute dasteht.
In den Monographien ist dem Schriftsteller die Gelegen heit geboten,
sich in den Gegenstand zu vertiefen, denselben nach allen Richtungen,
gleichsam mikroskopisch zu untersuchen, und auf diese Weise dem
System den Weg zu ebnen. Die monographische Bearbeitung der
wichtigen Partien des Militär-Rechts erscheint eine der wichtigsten
Aufgaben der heutigen Rechtswissenschaft. Von den mir bekannten
militär-rechtlichen Monographien will ich hier erwähnen: Brauer,
der dienstliche Befehl als Grund der Straflosigkeit (Gerichtssaal,
J. 1856); Hecker, Über das Verhältnis des Civil-Strafrechts zum
Militär-Strafrecht (1885), eine Sammlung von in Goltdammer's
Archiv erschienener Abhandlungen. Über den Begriff der Körper-
verletzung nach deutschem Civil- und Militär-Strafrecht von dem-
selben Verfasser (1885); v. Calker, das Recht des Militärs zum
administrativen Waffengebrauch (1888). Auch in der österreichischen-
militärischen Zeitschrift von Streffleur sind einige Abhandlungen
verschiedener Autoren über militär-rechtliche Fragen erschienen.
Nachdem wir die wichtigsten Werke über das Militär-Strafrecht
besprochen haben, ist es unsere weitere Aufgabe darzuthun, welchen
Weg eine wissenschaftliche Bearbeitung des Militär-
Strafrechts künftighin einzuschlagen hat. Die Grundlage
des Militär-Strafrechts ist das allgemeine Strafrecht, da,
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der Militfr-Köchts Wissenschaft and Gesetzgebung.
ISO
wie bereits oben gesagt, das Militär- Recht der Inbegriff der durch
das Wesen des Heeres bedingten, für das Heer und dessen An-
gehörige bestehenden besondere Bestimmungen (der Modifikationen
des allgemeinen Rechtes) ist. Hieraus folgt, dafs die Gesetzgebung
des Militär-Strafrechts die Gesetzgebung des allgemeinen Strafrechts
zur Grundlage zu nehmen hat. Dieser Grundsatz ist im jüngsten
Militär-Strafgesetze, nämlich dem des deutschen Reiches anerkannt,
indem dasselbe die allgemeinen Grandsätze des Reichsstrafgesetzes
(über bösen Vorsatz, Zurechnungsfähigkeit, die Strafausschliefsungs-
gründe u. s. w.) auch für die Militär-Delikte anwendbar erklärt,
und indem nach demselben die im Militär-Strafgesetze nicht vor-
gesehenen Delikte der Militär-Personen nach dem Reichsstrafgesetze
zu behandeln sind.
Wie die Gesetzgebung des Militär-Strafrechtes das allgemeine
Strafgesetz, so hat die Wissenschaft des Militär -Straf rechts die
Strafrechtswissenschaft zu seiner Grundlage zu nehmen. Die Auf-
gabe der Militär-Rechts Wissenschaft ist es nicht, die Wissenschaft
des allgemeinen Strafrechtes zu fördern, sie hat vielmehr das durch
die Strafrechtswissenschaft Geleistete als etwas Gegebenes anzunehmen,
und sich im Geiste der Strafrechtswissenschaft mit den für das Heer
bestehenden Sonderbestimmungen zu beschäftigen. Die wissenschaft-
liche Behandlung des Militär-Strafrechts hat daher dieselbe wie die
des allgemeinen Strafrechts zu sein. Die wissenschaftliche Behand-
lung des Strafrechts ist aber eine empirische, eine rechtsphilo-
sophische, eine rechtshistorische, eine rechtsvergleichende und
kritische.
Die blofe empirische Behandlung des Strafrechts ist
jene, welche den durch die Gesetzgebung gegebenen Stoff als etwas
in sich Abgeschlossenes ansieht, und sich damit begnügt, die gesetz-
lichen Bestimmungen »aus sich heraus« zu erläutern. Es ist zwar
richtig, dafs alles Recht seiner Natur nach positiv ist. In einem
Staate gilt nur das durch dessen Gesetzgebung anerkannte Recht,
und ist daher eine empirische Behandlung des Rechts, welche sich
zur Aufgabe macht, das durch die Gesetzgebung gegebene Material
zusammen zu tragen und zu sichten, eine notwendige. Allein da
kein Ding dem Begriffe an sich vollkommen entspricht, so wird
auch kein Gesetz dem begriffsmälsigen Rechte gleichkommen. Die
Wissenschaft hat aber den Zweck, den reinen Begriff zum Bewufst-
sein zu bringen.*) Wenn eine empirische Behandlung des Rechtes
) Berner, Lehrbach des deutschen Strafrechts, S. 5.
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190
Über den heutigen Stand
auch eine notwendige ist, so kann sich eine wissenschaftliche Be-
arbeitung mit derselben nicht begnügen. Vergleicht doch schon
Kaut die blofe empirische Rechtslehre mit einem Kopfe ohne Gehirn.
Eine wissenschaftliche Bearbeitung des Militär- Strafrechts hat daher
gleich der des allgemeinen Strafrechts auch den rechtsphilo-
sophischen Standpunkt einzunehmen.
Die leitenden Grundsätze herauszufinden und von ihnen aus-
gehend den inneren Zusammenhang und die Art der Verwandtschaft
aller juristischen Begriffe und Sätze zu erkennen, gehört eben zu
den schwersten Aufgaben unserer Wissenschaft, ja es ist eigentlich
dasjenige was unserer Arbeit den wissenschaftlichen Charakter
giebt.*) Durch die Einfachheit der leitendeu Grundsätze wird, wie
Ahrens bemerkt, wahre Eleganz in der Konstrution der Rechts-
verhältnisse und auch die leichteste Lösung verwickelter Fragen
gefunden, und schon Leibnitz sagte: »les sciences progressent en
se simplifiant.c Die Aufgabe der philosophischen Behandlung der
Wissenschaft aber ist es, das Prinzip zu finden, aus welchem sich
das Mannigfache der Begriffe und Grundsätze, welche sich früher
zerstreut darstellten, ergiebt Vor der Auffindung des Prinzips ist
nur ein Aggregat von Begriffen vorhanden, erst durch die Auf-
findung des Prinzips kommt ein System zu Stande.**)
Da das Militär-Strafrecht das allgemeine Strafrecht zur Grund-
lage hat und nur der Inbegriff der für das Heer bestehenden Sonder-
bestimmungen ist, so inufe auch das Prinzip des allgemeinen Straf-
rechts das Prinzip des Militär-Strafrechts sein. Es würde uns hier
zu weit führen, die Straf rechtstheorien ausführlich zu besprechen.
Nur das zur Orientierung unbedingt Notwendige wollen wir hier
anführen. Es giebt bekanntlich absolute und relative Strafrechts-
theorien. Die relativen Strafrechtstheorien sind jene, welche die
Berechtigung der Strafe aus einem anderen, aufser der Strafe liegen-
den Zwecke herleiten. Es soll gestraft werden, um andere vor
der gleichen That abzuschrecken (Abschreckungstheorie), um den
Verbrecher zu bessern (Besserungstheorie), es sollen Strafen ange-
droht werden, um von Verbrechen abzuhalten und die Gesellschaft
vor rechtswidrigen Handlungen zu schützen (Warnungs-Praeventio-
Theorie). — Die absoluten Strafrechtstheorien hingegen gründen die
Strafe auf das Verbrechen selbst. Hierher gehört die Kant'sche
Theorie, welche die Strafe als kategorischen Imperativ auffafst. Es
*) Savigny, a. a. 0. S. 22.
•*) Encyclop&dic der Rechtswissenschaft von Holtiendorff, S. 6.
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der Milit&r-Ikchtswissenschaft und Gesetzgebung. 191
mufe Strafe sein, weil die Vernunft Strafe fordert. Die Theorie
Kant's ist auch jene Herbart's und HegeVs, nur begründet Herbart
die Strafe noch näher als ästhetische, Hegel als dialektische Not-
wendigkeit. Auch unserer Ansicht nach ist das Prinzip des Straf-
rechts die Gerechtigkeit. Es mufe Strafe sein, weil verbrochen
wurde ; es soll aber auch nur soweit Strafe eintreten, als durch die
Missethat das Recht verletzt wurde. Nur soweit die Gerechtigkeit
es zulafst, soll auch anderen Zwecken, welche der Staat zu seinem
Bestehen und Fortentwicklung nötig erachtet, Rechnung getragen
werden.
Das Priuzip des Militär-Strafrechts, der Grundsatz, auf welchem
dasselbe aufzubauen ist, ist die Gerechtigkeit, da, wir wieder-
holen es, das Militär-Strafrecht das allgemeine Strafrecht zur Grund-
lage hat. Die Sonderbestimmungen des Militär-Rechts ergeben sich,
wie bereits oben gesagt, aus dem Wesen des Heeres, aus der Auf-
gabe, welche dasselbe zu erfüllen hat, nämlich die Kraft des Staates
gegen äufsere und innere Feinde zu sein. Alle für das Heer be-
stehenden Institutionen haben die Aufgabe, die möglichste Kriegs-
tüchtigkeit des Heeres herzustellen und zu fordern. Das Militär-
Strafrecht insbesondere hat den Zweck, den militärischen Gehorsam
in seinem ganzen Umfang (den Gehorsam gegen die militärischen
Vorgesetzten und die militärischen Vorschriften) aufrecht zu er-
halten. Die Disziplin, unter welcher wir den organischen militärischen
Gehorsam verstehen, ist für die Schlagfertigkeit des Heeres eine
unbedingte Voraussetzung. »Eine Armee ohne Disziplin ist auf alle
Fälle eine kostspielige, für den Krieg nicht ausreichende, für den
Frieden gefahrvolle Institution« lautet ein berühmter Ausspruch
Moltke's. Wir sind weit davon entfernt zu glauben, dafs die Dis-
ziplin des Heeres nur durch Strafen herzustellen ist. Die militärische
Schulung des Volkes, der gute Geist, der das Heer beseelt, und die
Vaterlandsliebe sind es in erster Linie, welche die Disziplin kräftigen
und die Kriegstüchtigkeit des Heeres begründen. Allein da die
Menschen nicht vollkommen sind, da das goldene Zeitalter, da jeder
freiwillig seine Pflicht erfüllte und ein Richter nicht nötig war,
nur ein erträumtes Ideal des Dichters ist, so ist das Militär-Straf-
gesetz für die Erhaltung der militärischen Ordnung gerade so not-
wendig, wie das allgemeine Strafgesetz zur Erhaltung der bürger-
lichen und staatlichen Ordnung, und sind Handlungen gegen die
militärische Ordnung eben so strafbar, wie Handlungen gegen die
bürgerliche Ordnung. Dies zum allgemeinen Verständnis zu bringen,
wird Aufgabe der militärischen Erziehung des Volkes sein.
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Über den heutigen Stand
Es kann also nicht in Zweifel gezogen werden, dafs die Dis-
ziplin nötigen Falls durch Strafen aufrecht zu erhalten ist, und
schon der römische Schriftsteller Valerius Maxinius sagt: Sanctissima
romani imperii custos severa castrorum diseiplina (1. 1, c. b.).
Ist es als begründet anerkannt, dafs das Heer für den Staat not-
wendig ist, dafs das Wohl und Wehe des Staates von seinem Heere
abhängt, und dafs jeder wehrhafte Bürger die Pflicht hat, dem
obersten Kriegsherrn als Soldat zu dienen, so erscheint eine Be-
strafung der Verletzung der militärischen Pflichten auch den Grund-
sätzen der Gerechtigkeit entsprechend. Da das Hoer als Teil des
Staates eine besondere Aufgabe zu erfüllen hat, und zur Erfüllung
derselben die Angehörigen des Heeres besondere Pflichten zu über-
nehmen haben, so müssen für den Militär-Stand besondere Straf-
bestimmungen bestehen. Diese Sonderbestimmungen sind gerecht-
fertigt, entsprechen dem Prinzipe der Gerechtigkeit, wenn und in-
soweit sie durch das Wesen des Heeres gefordert sind. Die rechts-
philosophische Behandlung des Militär-Rechts hat daher von dem
demselben zu Grunde liegenden Prinzipe (der Gerechtigkeit in Bezug
auf die Verletzung militärischer Pflichten) ausgehend zu untersuchen,
welche Handlungen gegen die militärische Ordnung strafbar sind,
und in welchem Umfange die Bestrafung derselben einzutreten
hat. Das Prinzip der Gerechtigkeit wird also auch für die Gröfse
der Strafe mafsgebeud zu sein haben. Das Strafgesetz wird daher
bei Bestimmung der Strafe, der Richter bei Bemessung derselben
innerhalb des gesetzlichen Rahmens, unter Bedachtnahme auf die die
That begleitenden Erschwerungs- und Milderungsumstände, darauf
zu achten haben, dafs die Strafe mit der Gröfse der Pflichtverletzung
in einem gerechten Zusammenhang steht. Es wäre daher nicht zu
billigen, wenn ein Militär-Strafgesetz auf eine aufserdienstliche Sub-
ordinatiousverletzung im Frieden die Todesstrafe setzen würde,
weil die durch eine solche That verursachte Rechtsverletzung unter
keiner Bedingung mit dem Leben eines Menschen in einem gleichen
Verhältnis steht. Auch die Todesstrafe auf das Verbrechen der
Desertion in Friedenszeiten dürfte zu strenge erscheinen. Auch
gegen die in manchen Militär-Strafgesetzen vorkommende Strafe der
Decimation muh sich de lege ferenda ausgesprochen werden, denn
schon Tacitus sagt von dieser Strafe: habet aliquid ex iniquo omne
maguum exemplum, quod contra singulos utilitate publica repentitur.
In Kriegszeiteu treten an den Soldaten gröfsere Anforderungen heran
als in Friedenszeiten, da das Heer erst im Kriege seine eigentliche
Aufgabe zu erfüllen hat. Es erscheint daher gerechtfertigt, dafs die
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der Militär-Rechtswissenschaft und Gesetzgebung.
193
Militär-Strafgesetze für die Kriegszeit strengere Strafen normieren,
denn je gröfser die Pflichtverletzung desto gröfser die Strafe. In
Kriegszeiten wird die Todesstrafe nie ganz entfallen können, wenn
dieselbe auch dereinst bei fortschreitender Civilisation in den Civil-
Strafgesetzen aufgehoben werden sollte.
Die durch die Gerechtigkeit geforderte Strafe ist jedoch keine
absolut bestimmte, sondern liegt zwischen einem Minimum und einem
Maximum. Treffend vergleicht Berner die ethischen Begriffe mit
den an ein bestimmtes Mafs gebundenen physischen Existenzen.
Vom höchsten Grade der Kälte bis Null Grad bleibt das Eis Eis,
und verwandelt sich erst dann in Wasser. Von Null Grad bis
80 Grad Wärme bleibt Wasser Wasser und verwandelt sich erst
dann in Dampf. In derselben Weise verhält sich der Begriff der
vergeltenden Gerechtigkeit zu dem von ihr geforderten Quantum
sinnlichen Leidens. Innerhalb der Grenzen der Gerechtigkeit wird
daher auch die Militär-Rechtspflege den Strafzwecken Rechnung zu
tragen haben. Insbesondere wird das Moment der Abschreckung
anderer in einem Militär-Strafgesetze niemals ganz entbehrlich sein.
In Fällen, da die Umstände, unter welchen ein Delikt begangen
wurde, eine abschreckende Strafe erheischen, wird auch die Pflicht-
verletzung eine derartige sein, dafs eine strenge Strafe gerechtfertigt
erscheint. Blofs nach Opportunitätsgründen kann nicht geurteilt
werden. Es gilt nicht mehr der Ausspruch Wallensteiu's: »So
hänge man Dich unschuldig, desto mehr wird der Schuldige
zittern.«
Die wissenschaftliche Bearbeitung des Militär-Rechts soll aufser
der rechts-philosophischen eine rechts- historische sein, denn das
Geschichtliche wird stets eine wesentliche Seite des Rechtes bilden.
Das Recht steht mit dem Wesen und Charakter eines Volkes im
innigen Zusammenhang und dies bewährt sich auch im Fortgange
der Zeiten. Die Darstellung eines Rechtes soll nicht mit dem
Tage seiner Publikation beginnen. Wir können die einzelnen Rechts-
Institute nicht verstehen, wenn wir nicht deren geschichtliche Ent-
wicklung kennen. Jene, welche für die Einführung des französischen
Militär-Strafverfahrens in anderen Staaten plädieren, sollten doch auf
den organischen Zusammenhang, in welchem das Recht mit dem
Gesamtbewufstsein des Volkes steht, Bedacht nehmen, und bedenken,
dafs das Recht kein Kleid ist, welches nur einiger Änderungen be-
darf, um auch für andere zu passen. Wie das Studium der Ent-
wicklung des eigenen Rechts, so gewährt auch das Studium der
Gesetzgebung fremder Staaten hohes Interesse. Die Wissenschaft
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194
Über den heutigen Stand
soll am allerwenigsten mit einer chinesischen Mauer sich umgeben.
Mit dem rechts-vergleichendem Studium ergiebt sich von selbst die
kritische Behandlung des Rechts. Da Gesetze nicht für ewige Zeiten
erlassen werden können, jedes Gesetz mit der Umgestaltung der
Lebensverhältnisse und den Fortschritten der Wissenschaft in der
einen oder anderen Richtung einer Verbesserung bedürftig ist, so
ist es die Aufgabe der Wissenschaft, die in den verschiedenen Staaten
gleichzeitig bestehenden Gesetze zu vergleichen und daraus Nutzen
für eine künftige Gesetzgebung zu ziehen. Ist es doch anerkannt,
dafs die Wissenschaft ein Gemeingut aller Völker ist, dafs jedem
Volke ein Anteil an den Fortschritten der Wissenschaft gebührt,
warum sollte dies nicht auch in Bezug auf die Wissenschaft des
Militär-Rechts der Fall sein? Unser Zeitalter ist recht eigentlich
das Zeitalter der Kritik, welche, wie Kant in seinem Hauptwerke
(Kritik der reinen Vernunft) bemerkt, sich sogar an die Religion
heranwagt. Allerdings hat nur eine wissenschaftliche Kritik
einen Anspruch auf Berechtigung, nicht eine solche, welche nur
alles verneint und so die Achtung vor dem Gesetze untergräbt.
Das gefährlichste ist auch hier die Phrase. Wenn blofe von frei-
sinnigen Einrichtungen, die einzuführen sind, von veralteten In-
stitutionen, die abzuschaffen sind, von Volksheeren und Vehmgericht,
von Geheimthuerei u. s. w. geschrieben wird, so sind solche Schreibe-
reien nur dazu, um weifses Papier mit Drucker-Schwärze zu ver-
derben. Die wissenschaftliche Behandlung des Militär-Rechts hat
also, wie wir im Vorhergehenden gesehen haben, nicht blofs eine
empirische, sondern zugleich eine historisch-philosophische
zu sein, wobei auch der rechtsvergleichenden und kritischen Methode
Rechnung zu tragen ist
Das System eines Militär-Rechts hat das ganze Gebiet des
Militär-Rechts, das öffentliche, das Privat- und das Strafrecht zu
umfassen, wobei in Bezug auf alle Teile die hier für das Strafrecht
bezeichnete wissenschaftliche Behandlung des Stoffes stattzufinden
haben wird. Es soll nicht mehr blofs in den Lehrbüchern und
Compendien des Staats- und Verwaltungsrechts beziehungsweise des
Strafrechts auf das Militär- Recht hingewiesen werden, es soll ein
System des Militär-Rechts geschaffen werden. Durch eine wissen-
schaftliche Behandlung des ganzen Militär- Rechts wird für die
Rechtswissenschaft und das Heerwesen und somit auch für den
Staat selbst Ersprießliches geleistet werden. Die Vorwürfe, welche
hie und da von der Litteratur gegen die eine oder die andere
Institution des Militär-Rechts erhoben werden, fallen auf die Litte-
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der Miüt&r-Rechtowissenschaft und Gesetzgebung. 195
ratur selbst zurück, da es längst Sache der Wissenschaft war, der
Gesetzgebung den Weg zu ebnen, wie dies auf andern Gebieten der
Rechtswissenschaft der Fall war.
Eine Förderung der Wissenschaft des Militär-Rechts wird aber
erst dann zu erwarten sein, wenn demselben eine Stätte an
den Universitäten, den Brennpunkten des wissenschaft-
lichen Lebens eröffnet sein wird. Zwar ist es richtig, dafs
Theorie und Praxis Hand in Rand zu gehen haben, dafs Theorie
und Praxis, sich wie <pj(KoM) und ävaoroki] der Respiration, wie
Denken und Wollen*) verhalten, und dafe dieselben von einander
nicht durch eine untrennbare Kluft getrennt sind, wie man öfter
zu hören bekommt. Allein der Praktiker ist zu sehr von seinen
eigentlichen Berufsgeschäften in Anspruch genommen, um gröfeere
theoretische Werke verfassen zu könueu. — Die Vorlesungen über
Militär-Recht an den Universitäten hätten das ganze Gebiet des-
selben (das Öffentliche, bürgerliche und Strafrecht des Heeres) zu
umfassen, wobei sich allerdings auf die Grundsätze und den Geist
der Gesetze zu beschränken wäre, und alles Detail entfallen könnte.
Allerdings werden an manchen Universitäten Vorlesungen^ über
Militär-Recht angekündigt, allein nur um nicht gehalten zu werden.
Dafs hierdurch nichts geholfen ist, liegt auf der Hand. Das Militär-
Recht soll gleich dem Privat-, Strafrecht, dem kanonischen Recht
ein obligater Lehrgegenstand werden. Zu Lehrern werden zunächst
Militär- Juristen zu ernennen sein, weil gegenwärtig nur diese eine
genaue Kenntnis des Militär-Rechts besitzen.
Im Folgenden haben wir von dem gegenwärtigen Stand
der Militär-Strafgesetzgebung jedoch dem Zwecke der uns hier
gestellten Aufgabe entsprechend nur in allgemeinen Zügen zu
sprechen. Das Militär-Strafgesetz für die österreichisch- ungarische
Monarchie wurde im Jahre 1855, das Militär-Strafgesetz Frankreichs
im Jahre 1857, jenes Italiens im Jahre 1869 und jenes für das
Deutsche Reich im Jahre 1872 erlassen. Die wichtigsten Be-
stimmungen der Militär-Strafgesetze beziehen sich auf die Militär-
Delikte. Die Militär-Delikte sind der strafrechtlich formulierte
Gegensatz der militärischen Pflichten. —
Unter den militärischen Pflichten steht oben an, die des
Gehorsams. Die Verletzung des Gehorsams oder der dem Vor-
gesetzten schuldigen Achtung bildet das Militär-Delikt der Sub-
ordinationsverletzung (eine strafbare Handlung gegen die militärische
•) Berner, die Lehre von der Teilnahme, S. 6.
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196 Über den heutigen Stand
Unterordnung), welches von den Militär-Strafgesetzen mit verschiedenen
Strafen, je nachdem die Handlung im Dienste oder aufser demselben,
in Kriegs- oder Friedenszeiten, mit Gewalttätigkeiten oder ohne
dieselben begangen wurde, bedroht wird. (§§ 145 — 158 des
österr., Art. 218—223 des französ., Art. 112—113, 122—134 des
italienischen, §§ 89—101 des deutschen M.-St.-G.). Die von mehreren
Soldaten gemeinsam, im gegenseitigen Einverständnis, begangene
Insubordinations-Verletzung wird wegen der besondern Gefährlichkeit
der That meist als ein eigenes Militär-Delikt, das der Meuterei
strenger als die einfache Subordinationsverletzung bestraft. (§§ 159
bis 182 des österr; Art. 217, 225 des franz., Art. 114—121 des
italenischen, und §§ 100—110 des deutschen M.-St-G.). Wird
von dem Untergebenen ein strenger Gehorsam gegen den Vor-
gesetzten gefordert, so ist es andererseits Pflicht des Vorgesetzten,
seine Untergebenen vorschriftsmäfsig zu behandeln. Mifshandlungen
der Untergebenen im Dienste können, da durch dieselben auch eine
Dienstpflicht verletzt wird, nicht nach den Bestimmungen des all-
gemeinen Strafgesetzes behandelt werden. Die Überschreitung der
Dienstgewalt des Vorgesetzten gegen seine Untergebenen bildet ein
Militär-Delikt, dessen Bestrafung gerade so notwendig ist, wie jene
der Insubordination. (§§ 289 — 291 des österr., Art. 168 des
italienischen Art. 229 des franz., §§ 114 — 123 des deutschen
M.-St.-G.) — Eine Tugend, welche den Soldaten zieren soll, ist die
Treue. Diese wird dadurch verletzt, daÜB der Soldat durch Flucht
oder durch Verstümmlung seines Körpers sich dem Dienste für
immer zu entziehen trachtet. Die Fahnenflucht (Desertion) und
SelbBtbeschädigung gehören zu den schwersten Militär-Delikten, und
werden von den Militär-Strafgesetzen auf das erste Delikt namentlich
in Kriegszeiten, auf den Rückfall dann, wenn dasselbe gemeinsam
von mehreren unternommen wird (Desertions-Komplot), besonders
strenge Strafen gesetzt, während die Selbstmeldung als Milderungs-
timstand angenommen wird. (§§ 183 — 229, 293 — 298 des österr.,
Art 231 — 243 des französ., Art. 137 — 162, 177 des italienischen,
§§64 — 83desdeutschenM.-St.-G.) — AllenGefahren mutig entgegen
zu treten, und für das Wohl des Vaterlandes selbst das Leben zu
opfern ist eine weitere Pflicht des Soldaten. Die Feigheit wird
mit strengen Strafen, im Angesicht des Feindes mit dem Tode be-
straft. (§§ 243—260 des österr., §§ 84—88 des deutschen M.-St.-G.)
Der Wachtdienst ist für den militärischen Dienstbetrieb von
gröfster Wichtigkeit. Hüne Aufserachtlassung der Wachsamkeit
seitens einer Wache, namentlich aber eines Postens, kann in
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der MilitÄr-Rechtswiasenwhaft und Gesetzgebung.
197
Kriegszeiten von unberechenbar nachteiligen Folgen für das ganze
Heer sein. Pflichtverletzungen im Wachdienste werden daher
namentlich in Kriegszeiten strenge bestraft. (§§ 230 — 242 des
österr., Art. 211 — 213 des französ., Art. 95 — 99 des italienischen,
§§ 143, 144 und 146 des deutschen M.-St.-G.) — Eine weitere Art
strafbarer Handlungen bilden die Falle, in welchen eine Dienstpflicht
nicht oder nicht gehörig befolgt wird. Da die militärischen Pflichteu
mannigfacher Natur sind, so ist das Gebiet der Dienstvergehen
ein weites und seiner Natur nach unbestimmtes. Hierher gehören
die strafbaren Handlungen, welche das österreichische Militär-Straf-
gesetz als Hintansetzung der Dienstvorschriften im Allgemeinen,
bezeichnet. Derartige Dienstvergehen sollen dem Strafgesetze dann
angehören, wenn dieselben schwer genug erscheinen, namentlich wenn
durch dieselben ein Verlust herbeigeführt wurde; sonst aber der
Disziplinar- Behandlung unterliegen. — Die in den Militär-Straf-
gesetzen gegen Verleitung von Soldaten zur Verletzung
ihrer Dienstpflichten, gegen Falsch Werbung, Ausspähung und
ähnliche Handlungen enthaltenen Strafnormen sollen das Heer
gegen solche Delikte schützen, deren unmittelbares Objekt die
Kriegsmacht ist, während die Strafnormen »gegen widerrechtliche
Handlungen im Felde« den Zweck haben, die Gesittung in der
Kriegführung zu wahren, und die Mannszucht aufrecht zu erhalten,
welche durch Plünderungen, unerlaubtes Beutemachen u. s. w. sehr
leicht gefährdet wird.
Aufser den militärischen Delikten giebt es noch gemeine
Delikte, welche von den Militär-Strafgesetzen deshalb normiert
werden, weil dieselben von Soldaten begangen im Interesse der
Disziplin eine strengere Bestrafung erheischen, als dies nach den
allgemeinen Strafgesetzen der Fall ist. Hierher gehören der soge-
nannte Kameradschaftsdiebstahl (Entwendungen begangen von einem
Soldateu zum Nachteil eines andern Soldaten, Veruntreuungen und
Betrügereien im Dienste, nach italienischem Militär-Strafgesetz auch
Schlägereien unter Soldaten).
In Bezug auf die andern Delikte steht der Soldat im Wesent-
lichen dem andern Bürger gleich. Dies bedingt jedoch durchaus
nicht eine Einschränkung der Militär-Jurisdiktion auf die militärischen
und die militärisch-qualifizierten Delikte der Militär-Personen. Auch
durch die gemeinen Delikte kann, wenn sie im Dienste begangen
werden, oder wenn sie sich häufen, die Disziplin Schaden leiden.
Aus diesem Grunde, und auch aus andern Gründen, die hier nicht
weiters entwickelt werden können, soll die gesamte Strafrechtspflege
Jahrbücher für dl. DMtwha tmN m>d Marin«. Bd. LXXVI , a. J4
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198
Über den heutigen Stand
über Militär- Personen der Militär- Verwaltung überlassen bleiben.
Obwohl nach deutschem Militär-Strafgesetz die gemeinen Delikte
der Militär-Personen nach dem Reichs-Strafgesetze zu beurteilen
sind, so erstreckt sich die Jurisdiktion der Militär-Gerichte doch auch
auf diese von Militär-Personen begangenen Delikte.
Sollen wir ein Urteil über das Verhältnis abgeben, in welchem
die Militär-Strafgesetzgebung zur Straf rechtswissenschaft steht, so
lautet dasselbe dahin, dafs das deutsche Militär-Strafgesetz vom
Jahre 1872, welches sich an das Reichsstrafgesetz enge anschliefet,
den Anforderungen der heutigen Rechtswissenschaft entspricht.
Militär-Strafgesetze älteren Datums tragen der Abschreckungs-
Theorie zu sehr Rechnung, was jedoch kein Vorwurf sein kann, da
jedes Gesetz aus den wissenschaftlichen Ansichten seiner Entstehungs-
zeit hervorgeht. Allerdings können bei der praktischen Anwendung
manche Härten strenger Gesetze (durch Strafmilderung, Begnadigung)
gemildert werden.
Der Grundsatz, dafs das allgemeine Strafrecht die Grundlage
des Militär- Rechts zu bilden hat, dafe für den Militär-Stand nur
insofern Abweichungen bestehen sollen, als dies durch das Wesen
des Heeres gefordert wird, dafe jedoch auch diese Sonderbestimmungen
auf dem Priuzipe der Gerechtigkeit zu beruhen haben, soll auch im
Militär-Strafverfahren zur Anwendung kommen. Es ist jedoch
ein bisher weder von der Gesetzgebung noch von der Wissenschaft
gelöstes Problem, in welchen Verzweigungen die modernen Prinzipien
des Strafprozesses im Militär-Strafverfahren anzuwenden sind, so
dafs dasselbe sowohl den Anforderungen der Rechtswissenschaft als
jenen des Heerwesens entspricht. Während für den ganzen Umfang
des Deutschen Reiches ein Militär-Strafgesetz besteht, sind derzeit
noch 3 Straf prozefeordnungen in Kraft, die würtembergische vom
Jahre 1818, die bayerische vom Jahre 1869, und für die übrigen
deutschen Staaten die preufeische vom Jahre 1845. Während sich
also die deutschen Staaten darüber einigen konnten, welche Hand-
lung als Militär-Delikte und mit welchen Strafen dieselben zu
bestrafen sind, kam eine Einigung auf dem Gebiete des Militär-
Strafverfahrens bisher nicht zu Stande. In Bayern besteht ein
mündliches, öffentliches Verfahren, die preufeische Militär-Straf-
prozefeordnung hingegen ist ein schriftlicher Inquisitions-Prozefe
mit Ausschliessung der Öffentlichkeit und Beschränkung der Ver-
teidigung. Auf denselben Prinzipien, jedoch mit gänzlicher Aus-
schliessung der formellen Verteidigung, beruht der in Österreich-
Ungarn bestehende Militär-Strafprozefe, welcher auf die Gerichts-
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der Militär-RechtswiBsenadiafl nnd Gesetzgebung. 199
Ordnung der groben Kaiserin Maria Theresia (1768) zurückzuführen
ist. Der Grundgedanke des österreichisch-ungarischen und deutscheu
Militär-Strafverfahrens ist der, dafs der Gerichtsherr (der militärische
Kommandant) die Untersuchung anordnet, das Urteil bestätigt, be-
ziehungsweise wenn er mit dem Urteil nicht einverstanden ist, die
Akten an die höhere Militär-Gerichtsbehörde vorlegt. —
Es ist wohl keinem Zweifel unterworfen, dafs das Militär-
Strafverfahren in Österreich- Ungarn und in Deutschland reform-
bedürftig ist. Die Wissenschaft hat auf dem Gebiete des Prozeß-
rechts in diesem Jahrhundert namhafte Fortschritte gemacht, sodafs
Feuerbach schon im Jahre 1821 seinem Freunde Grolmann in der
Zueignung seiner Schrift über die Öffentlichkeit und Mündlichkeit
zurufen konnte: »Wären wir vor 20 Jahren eingeschlafen, um wie
Epimenides erst jetzt wieder zu erwachen, so würden wir glauben,
ein Jahrtausend sei unterdessen über den Schläfer dahingegangen.«
Den Fortschritten der Prozefswissenschaft hat auch das Militär-
Strafverfahren, beziehungsweise dessen Gesetzgebung, Rechnung zu
tragen.
Unter den Schriftstellern, welche sich mit der Reform des
Militär-Strafverfahrens beschäftigen, herrscht eine wahre Gallomanie.
Das französische Militär -Strafverfahren wird als ein Gesetz hin-
gestellt, welches die »Bewunderung der Mitwelt« verdient. Wir
sind weit davon entfernt, in Zweifel zu ziehen, dafe die französische
Nation auf allen Gebieten des Wissens Grofses geleistet hat.
Montesquieu, Voltaire, Rousseau sind Namen, welche allein die
Gröfee einer Nation begründen. Wir bestreiten nur, dafs die fran-
zösische Militär -Strafprozefeordnung ein Gesetz ist, welches andere
Staaten einführen sollten. Nach der französischen Militär-
Strafprozefs- Ordnung wird das ganze Strafverfahren mit Einschlufs
der Anklage von Nicht- Juristen durchgeführt; der Verteidiger kann,
mufs aber nicht Jurist sein. Es ist allerdings richtig, dafs die Bei-
ziehung von Nicht -Juristen in einem Militär-Strafverfahren in
Anbetracht der hohen Bildung des Militärstandes in einem weiten
Umfang zulässig ist, — allein dennoch erscheint der Jurist in einem
Strafprozeß nicht ganz ein Luxus- Artikel zu sein. Kein Staat
(gegenwärtig auch kein Staat Nordamerikas) hat eine Civil-
Strafprozefsorduung mit gänzlicher Ausschliefsung des juristischen
Elements konstruiert. Die Geschwornen des Civil-Strafprozesses sind
allerdings Laien in juristischen Dingen, allein sie entscheiden nur
über die Schuldfrage, nach ihnen gestellten Fragen und nach ge-
schehener Rechtsbelehrung, die Qualifikation der That und die Zu-
14»
DioitizGci by CjOOSle
200
Über den heutigen Stand
messung der Strafe erfolgt durch den ans Juristen bestehenden
Gerichtshof. Wenn nun auch im Militär -Strafverfahren die Zu-
ziehung von Nicht -Juristen in noch weiterem Umfang zulässig er-
scheint, so ist doch die gänzliche Ausschliefsung des juris-
tischen Elements sehr bedenklich.
Die Garantie für eine gerechte Urteilsfindung soll nach der
französischen Militär - Strafprozeßordnung durch den ständigen
Charakter der Militär-Gerichte erreicht werden, und deshalb soll die
Functionsdauer der Mitglieder des Kriegsgerichts jedenfalls sechs
Monate dauern, wenn nicht etwa, was bei der Beweglichkeit des
Heeres oft genug der Fall sein wird, die Umstände eine noch frühere
Ablösung erheischen. — Allen Ernstes sagt der Kommentator Vexiau
zu Art. 6: »En principe, les fonctious de membre d'un conseil de
guerre doivent durer six mois au moins, parce que >ce qui fait
le bon juge, c'est l'experience«. Um sich eine gründliche Kennt-
nis des Strafrechts und die nötige Praxis anzueignen, sind sechs
Monate eine sehr kurze Zeit. Übrigens soll der Offizier wohl die
Grundsätze des Militärrechts genau kennen, sein eigentlicher Beruf
aber ist der militärische, er kann daher seine Zeit nicht mit Führung
von Untersuchungen, Anklagen und ständigen Gerichtssitzungen
verbringen. Die Kriegs Wissenschaft hat ein so ausgedehntes Gebiet,
dafe ihr Studium ein Menschenleben voll in Anspruch nimmt.
Allerdings siod in der französischen Militär-Strafprozefsordnung
die Prinzipien der modernen Prozefstheorie anerkannt. Allein die
Mündlichkeit, Anklageform und die Öffentlichkeit sind keine
Zauberformeln, durch welche ein vollkommener Strafprozefs hervor-
gezaubert werden kann; es kommt auf die Durchführung dieser
Prinzipien an. Im französischen Militär- Strafverfahren sind die
genannten Prinzipien nicht konsequent durchgeführt. In der Vor-
untersuchung ist vieles unbestimmt gelassen, wodurch dem Unter-
suchungsrichter eine zu weit gehende Gewalt eingeräumt und Un-
klarheit bei der Vornahme der wichtigsten Untersuchungshandlungen
veranlafst wird.*) Der Untersuchungsrichter wird zum Ankläger,
während dem Militär-Anwalt öfters richterliche Funktionen beigelegt
werden (Art. 84, 88 107), so dafc im französischen Militär- Straf-
verfahren anstatt eines Inquirenten des deutschen Verfahrens deren
zwei sind.
Das Prinzip der Unmittelbarkeit (dafs das Kriegsgericht nur
auf Grund der in der Hauptverhandlung stattfindenden Ver-
») Archiv des Krimininalrecbts, Jahrg. 1862. 1. Heft, 8. 75.
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der Militär-Rechtswissenschaft und Gesetzgebung. 201
nehmungen, also der unmittelbaren Wahrnehmung entscheiden soll)
ist dadurch unterbrochen, dafs das Kriegsgericht die Befugnis hat,
die in der Voruntersuchung aufgenommenen Protokolle in der
Hauptverhandlung vorlesen zu lassen, wenn ein oder der andere
Zeuge nicht erscheint (Art. 126).
Endlich erscheint es noch als ein Mangel des französischen
Verfahrens, dafs es keine oberste Gerichts- Instanz giebt, welche
allein geeignet ist, Einheit in die Rechtsprechung zu briugen.
Erwägt man vielleicht noch, dafs das Strafgesetz auf der alten
Abschreckungstheorie beruht (auf jeder Seite sind die Worte zu
lesen: »Est puni de raort,«) so dürfte auch von dem französischen
Militär-Strafrecht der Ausspruch Jean PauTs gelten: »Es ist leichter
gerühmt, als gerechtfertigt zu werden.c
Die italienische Militär-Strafprozefs-Ordnung vom Jahre
1861 beruht auf denselben Prinzipien wie die französische. Es be-
steht jedoch eine oberste Gerichtsbehörde, der Auwalt ist Jurist,
und sind auch ausführlichere Bestimmungen über den Gang des
Prozesses gegeben, als dies nach der französischen Gesetzgebung
der Fall ist
Näher auf die Prozefsgesetze einzugehen, ist hier nicht unsere
Aufgabe.
Wir sind also zu dem Resultate gekommen, dajs man gegen-
wärtig nur von einem Anfange einer Wissenschaft des Militär-
Rechts sprechen kann, und dafs es namentlich an einer auf
historisch-philosophischer Grundlage beruhenden systematischen Dar-
stellung des gesamten Militärrechts mangelt. Von den bestehenden
Militär- Strafgesetzen entspricht zwar jenes für das deutsche Reich
den Anforderungen der heutigen Rechtswissenschaft, aber die übrigen
Militär -Strafgesetze und Militär- Strafprozeß- Ordnungen (mit Ein-
schlullB der preußischen vom Jahre 1845) sind reformbedürftig.
Es ist eine der wichtigsten Aufgaben der Wissenschaft,
festzustellen, in welchem Umfange die modernen Rechts-
prinzipien (der Anklage, Unmittelbarkeit, Öffentlichkeit)
in einem Militär - Strafverfahren zur Anwendung zu
bringen sind, so dafs dasselbe den Anforderungen der
Rechtswissenschaft und den Verhältnissen des Heeres ent-
spricht. 45.
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X. Die Forts und das Melinit
Unter den zahlreichen Schriften, welche durch das Bekannt-
werden der gewaltigen Zerstörungen hervorgerufen wurden, die das
Feuer mit brisanten Sprenggeschossen an Festungswerken herbei-
zuführen vermag, zeichnen sich nur wenige durch so richtige Ge-
danken aus, wie sie in dem Heftchen: >Un Pionnier, Les forts
et la Melinite.« (Paris 1890. Charles-Lavauzelle) zum Ausdrucke
kommen. Waren es doch die mafsgebendsten Ingenieure, welche
die Erfolge der Brisanzgeschosse lediglich nach denselben Regeln
bekämpfen wollten, nach welchen der Schiffsbaumeister die Stärke
der Panzerplatten vermehrt. >Sind unsere Mauern unhaltbar ge-
worden — gut, verdoppeln wir sie; genügen unsere Gewölbe nicht
mehr — verstärken wir sie; ist eine Erddecke von einem Meter zu
schwach — häufen wir mehrere Meter auf; werden Fenster und
Thüren unan wendbar — vermauern wir sie; hält Erde überhaupt
nicht mehr — nehmen wir Cement, Beton, Granit, Panzerplatten«
— das ungefähr war der Gesamtinhalt der meisten Vorschläge,
mit welcher die Befestigungskunst das Brisanzfeuer zu bekämpfen
suchte und die Summen, welche dort und da zur Ausfuhrung dieser
Vorschläge verwendet wurden, sind das beredteste Zeugnis dafür,
wie wenig Einwendungen gegen ihre Forderung zur Geltung kommen
konnten. Man darf sagen, dafs es der französische Major und
Panzerkonstrukteur Mongin war, der diese Lehren über Festungs-
verstärkung dadurch am folgerichtigsten zusammenfafiste, dafs er
vorschlug, die Forts gänzlich durch massive Betonblöcke von riesigen
Ausmafsen zu ersetzen, aus welchen nur einige Panzerkuppeln hervor-
sehen und die lediglich durch Maschinisten verteidigt werden sollten,
deren Existenz sich allein mit derjenigen der Maschinisten und
Heizer eines Kriegsdampfers vergleichen liefse. Vielleicht haben
gerade diese Vorschläge das Gute gehabt, doch auch andere Gedanken
in Anregung und zum Ausdrucke zu bringen und hierfür giebt uns
das Schriftchen des »Pionnier« ein desto erfreulicheres Zeugnis, als
es nun (seit 1887) bereits in 2. Auflage vor uns liegt. Würden
wir auch nicht in der Lage sein, die Vorschläge des »Pionnier« zur
sofortigen Annahme empfehlen zu können, so müssen wir doch
wiederholen, dafs sie richtigen Anschauungen entspringen. Sie
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Die Forts und das Melinit.
203
wollen vor allem eine aktive, d. b. eine taktische Verteidigung
durch Truppen, an die Stelle des rein passiven Widerstandes
• cyclopischer Cementbauten und starker Panzerplatten setzen; sie
trennen hierbei die Infanterie »von den Geschützstellungen«, fordern
aber die ausgedehnteste Vorbereitung beider, um der Verteidigung
zweckdienliche Ortswechsel, oder aber die umfassendste Macht-
entfaltung zu gestatten. Indem sie das Fort eigentlich aus einer
grofsen Gruppe solcher Einzelstellungen zusammensetzen und für
die Kehllinie jener eine Sehnenlänge von mindestens 1000 m in
Aussicht nehmen, zwingen sie das Angriffsgeschütz zur Feuer-
zersplitterung und behüten ihre Anordnungen vor der Gefahr —
gleich den heutigen Forts — »Bombenfange« zu werden. Dabei
ist auch der Gedanke ganz annehmbar, den der »Pionnier« bezüg-
lich der ferneren Verwertung unsrer heutigen Werke äufeert. Er
will dieselben zum »passiven Kern« seiner Verteidigungsstellungen
machen, mit welchen er diesen Kern daher, im weiten Bogen um-
fassen möchte. Man wird einräumen müssen, dafs das alles »Ge-
danken« sind, die diesen Namen in vollstem Mafse verdienen. Wenn
wir — trotz dieser aufrichtigen Anerkennung — nicht auch ihrer
Ausführung unsere vollste Zustimmung erteilen können, so be-
gründet sich dies dadurch, dafs der »Pionnier« nur teilweise mit
der Wirkung brisanter Sprenggeschosse vertraut ist. Er kennt im
wesentlichen blofe die Zerstörungskraft derselben gegen Werke
— ihre Leistungen gegen Annäherungshindernisse und ihre Ver-
wertung mit Zeitzündern ist ihm sichtlich — noch unbekannt.
Von einem so klaren Denken, wie es der Verfasser des »Les forts
et la melinite« bekundet, läfst sich aber mit Zuversicht erwarten,
dafs es auch gegen die eben berührten Brisanzwirkungen noch
sachdienlichen Rat zu schaffen vermöge und wir können uns nicht
verhehlen, dafs wir unsere Nachbarn im Westen zu solchem Rat-
geber beglückwünschen dürfen. Wenn wir diese Überzeugung aus-
sprechen, so lenken wir damit die Aufmerksamkeit unserer Leser
wohl von selbst auf den »Pionnier« und die gesunden Gedanken,
welche er in »Les forts et la me"linite« niedergelegt hat.
v. Sauer.
XI. Die Bedeutung des lannesmann'schen
Röhrenwalzverfahrens für die Kriegstechnik.
Wir haben es hier mit einer ganz eigenartigen Erfindung zu
thun, welcher von den grofeeu Autoritäten des technologischen und
maschinellen Gebiets eine ganz hervorragende Bedeutung zu erkannt
wird. Man behauptet in technischen Kreisen, dafs das Verfahren
gegenüber den bisherigen Methoden, aus schmiedbarem Metall Röhren
herzustellen, einen Fortschritt darstellt, der von den weittragendsten
Folgen begleitet sein wird. Soweit bekannt, hat man bisher solche
Röhren entweder der Art gebildet, dafs man Metallplatten zu Cylindern
umbog und die Enden an einander schweifste, je nachdem auch nur
vernietete, — oder volle Cylinder einfach ausbohrte. Im ersten
Falle fehlt unter allen Umständen die Sicherheit des Zusammen-
halts, welche auch Schweifsungen nicht bieten, im zweiten Falle tritt
ein grofeer Material- und Kraftaufwand ein ; es treten beim Ausbohren
sehr häufig innere Fehler hervor, welche das Stück unbrauchbar
machen oder was im Falle geforderter grofeer Widerstandsfähigkeit
noch schlimmer ist, man hat keine Garantie, dafs solche Stellen nicht
dicht unter der Innenfläche liegen, also der Finflufe der Fehler erst
beim Gebrauch hervortritt. Wo eine sehr grofse Widerstands-
fähigkeit gegen Seitendruck verlangt wird, wie namentlich bei den
Röhren der Feuerwaffen, haben bei Verwendung von im Ganzen
geschmiedeten und nachher ausgebohrten Blöcken die Fasern
des Metalls keine zweckmäfsige Lage. Sir Will. Armstrong
stellte deshalb die Röhre seines Geschützsystems zuerst aus ver-
schiedenen, in warmem Zustande über einander gestreiften Hohl-
cylindern her, von denen nur das innere oder Kernrohr bei dem die
absolute Festigkeit, hauptsächlich in Betracht kommt, in gewöhn-
licher Fasernlage hergerichtet war, die äufseren Cylinder, welche
dem Seitendruck entgegenwirken, ihre Herstellung im Wege des
Aufwickeins erfahren hatten. Die dadurch erreichte spiralförmige
Lage der Fasern im Ganzen war sehr rationell, doch war hier
wieder die Schweifsung nötig nnd so hat sich die Sache nicht
bewährt, ebensowenig bis jetzt die spätere Idee der Draht-Umwicklung
von Longridge. Jene spiralförmige Laije der Fasern ergiebt sich
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Die Bedeutung des Mannesmann'schen u. s. w.
20f>
nun beim Mannesmann'schen Verfahren von selber, ohne dals
die Fasern bei der Umlagernng eine Trennung erfahren, sie be-
dürfen daher auch keines Mittels, um in Zusammenhang gebracht
zu werden, wie es bei den Coil's von Armstrong durch Schweifsen
und Schmieden erfolgte. Der Hinweis auf das Armstrong'sche
Verfahren lag um so näher, als die Mannesmann'sche Röhre ihre
Entstehung auch dem Bestreben verdankt, eine verbesserte Art
der Herstellung eines Feuerrohrs zu finden. Im Übrigen ist keine
Beziehung beider Methoden vorhanden. Wir benutzten nur einen
in militärischen Leserkreisen bekannten Hergang als Bild. Wie in
Wirklichkeit der Aufbau der Stahlröhre zu hoher Vollkommenheit
gebracht worden ist, bedarf hier keines weitereu Hinweises.
Der Vater der beiden Erfinder des jetzigen Verfahrens, aus
vollen Blöcken Röhren auszuwalzen, Reinhard Mannes-
mann, Besitzer einer Feilenhauerei in Remscheid, hatte den Ver-
such gemacht, aus hohlgegossenen Blöcken (jedenfalls in Gufsstahl)
Röhren durch Walzen herzustellen, in der Absicht daraus Gewehr-
läufe zu gewinnen und so das übliche Verfahren der Erzeugung
durch Ausbohren massiver Cylinder entbehrlich zu machen. Diese
Bestrebungen gehen bis in die Zeit vor 30 Jahren zurück, blieben
aber erfolglos. Die Aufgabe ging, als eine Art Familienerbstück
auf die beiden Söhne Reinhard und Max Mannesmann über.
Beim näheren Studium der Frage erkannten diese, dafe von massiven
Blöcken ausgegangen werden müsse, wenn man Röhren von wirklich
guter Qualität erhalten wolle, und dals ein Verfahren erfunden werden
müsse, diese Rohren in glühendem Zustande zu verarbeiten, um Schnellig-
keit der Produktion und Massenherstellung zu erreichen. Ausgehend von
gewissen theoretischen Studien, welche die Erfinder als Stahlfabrikanten
über die Molekular-Veränderungen in Stahl gemacht hatten, kon-
struierten sie die Walztheorie erst theoretisch vollkommen durch
und stellten dann auf kleinen Versuchswalzwerken praktische Proben
an. Seit Anfang 1885 ist das erste kleinere Walzwerk, seit 1888
sind die ersten gröfseren Apparate im Betriebe. Zum fabrikmäfsigen
Verfahren hatten die Erfinder aber erst noch einige mechanische
Probleme zu lösen, die wir nur kurz erwähnen: eine Kuppelung
von durchaus gleichmäßiger Übertragung, die Konstruktion eines
Schwungrads von besonders grofser Geschwindigkeit (bis 120 m in
der Sekunde statt bisher höchstens 40 m), um bei den nötigen
grofsen Kraftmengen des Walzprozesses die erforderlichen Quanti-
täten derselben aufspeichern zu können, sowie endlich eine be-
sondere Konstruktion von Zahnrädern mit Flächen -Auflage statt
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206
Die Bedeutung des Mannesmann'scheii
des bisher allgemein üblichen Punktdrucks. Der Techniker wird
vollauf verstehen, wie hervorragend die Leistungen der Erfinder im
Gebiete des Maschinenbaues sind, um derartige Aufgaben lösen zu
können.
Was nun das eigentliche Verfahren betrifft, so ist es nur
mittelst Modelle möglich, von dem Hergang einen vollen Begriff zu
geben. Wir versuchen es, soweit es eben ohne solche geht. Es
sei zunächst bemerkt, dafs wenn in gewöhnlicher Weise durch Zug
von beiden Enden ein cylindrischer Stab zum Zerreilsen gebracht
wird, an der Bruchstelle ein Zusammenziehen des Metalls der
Trennung vorhergeht. Das M.'sche Verfahren sucht nun durch
Drehung die Moleküle des Stabs zu verschieben, es nimmt die
Torsionsfestigkeit desselben in Anspruch (in ähnlicher Weise ist die
Verdrehung der Teilchen zu denken, als wenn man ein nasses
Handtuch aasringt) unter gleichzeitigem Fortschreiten der Länge
nach. So findet gewissermafsen auch ein Zerreiben statt, aber ohne
wirkliche Trennung, die Teilchen bleiben in der neuen Lagerung
im Zusammenhalt, wohl aber findet jene Erscheinung des Zusammen-
ziehens statt, indefe in umgekehrtem Sinne, nämlich von innen
nach aufsen hin, daher der hohle Raum im Innern der in
der Lage der Teilchen veränderten Masse entsteht. Dies
ist der springende Punkt in dem ganzen Hergang. Es werden nun
nach und nach die sämtlichen Teilchen des cylindrischen Stabs (oder
Blocks) in die Lage spiralisch durch einander verfilzter Fasern
gebracht. Es wird also nicht blofe die Röhrengestalt gewonnen,
sondern die Lage der Fasern giebt der Röhre eine erheblich gröfsere
Festigkeit als sie einer ausgebohrten Röhre beiwohnt; die Trag-
fähigkeit, welche die Röhrengestalt an sich besitzt, wird hiermit bei
dem geringst denkbaren Eigengewicht erzielt, was bei der Ver-
wendung von ausserordentlichem Vorteil ist, wie wir später sehen
werden. Das Verfahren schliefet nun auch eine Selbstkontrolle der
Güte des Fabrikats in sich, denn bedeutendere Risse im Innern des
Metalls treten in der äufseren oder inneren Fläche der Röhre her-
aus, während sie beim aasgebohrten Rohre unentdeckt bleiben
können, kleinere Blasen u. s. w. werden in Folge der Verarbeitung
des Metalles festgedrückt und unschädlich gemacht. Alles schlechte
Material aber wird bei der Verarbeitung ausgeschieden. Es sei
noch bemerkt, dafs nur zähe Metalle dem Verfahren unterworfen
werden können, besonders handelt es sich um den Stahl. Dieser
ist bei dem Verfahren rotglühend, Bronze, Messing, Kupfer brauchen
nur schwarzglühend gemacht zu werden. Was nun den Apparat
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RöhrenwalzverfahreM ffir die Kriegstochnik.
207
selbst betrifft, so besteht derselbe ans zwei konischen und wind-
schief zn einander gestellten Walzen, die sich in gleichem Sinne
drehen; dazwischen wird der Stab durchgeführt (beim gewöhnlichen
Auswalzen dagegen drehen sich die beiden Walzen, die die Walzen-
stralse bilden, im entgegengesetzten Sinne). Wo es sich um eine
sehr glatte Höhlung handelt, wird ein Dorn zu Hülfe genommen,
über welchen die Rohre hinweggeht; derselbe hat aber gar Nichts
mit der Bildung der Höhlung zu thun. Die Zähigkeit des Metalls
ist nach dem Verfahren in Folge der günstigen Lagerung der Fasern
eine ausserordentlich grofse, man kann das Querprofil der Röhren
beliebig ändern, z. 6. aus der runden die vierkantige Gestalt her-
stellen, auch die seltsamsten Verlegungen und Verschlingungen mit
der Röhre vornehmen, ohne dafs die Haltbarkeit im mindesten
litte. Dafs das Verfahren lediglich auf der äufseren Bearbeitung
beruht, geht daraus hervor, dafs man Röhren herstellen kann,
welche vollständig geschlossen bleiben, sodafs die Höhlung gar nicht
zu Tage tritt.
Nach den uns gemachten Angaben hat man bisher jedes
beliebige äufeere Mals von 5 bis 375 mm herzustellen vermocht,
kann auch bei gegebenem Aufeendnrchmesser jedenbeliebigen Innen-
durchmesser von Nadelknopfdicke bis zu 95 Prozent des äufseren
Durchmessers darstellen. Man ist auf dem Wege Röhren mit
Aufeendurchmessern bis zu 600 mm zu erzeugen und denkt noch bis
1200 mm zu kommen. Was die Längen betrifft, so hat man bisher
45 Fufs (13,72 m) erreicht, denkt aber noch bis 90 Fufs (27,43 m)
zu gelangen.
Das älteste der in Betrieb befindlichen M. 'sehen Werke ist
dasjenige zu Remscheid, woselbst die Erfindung gemacht und zuerst
dem praktischen Betrieb übergeben wurde; das Werk beschäftigt
400 Arbeiter. Ein zweites Werk ist in Komotau (Böhmen), zur
Zeit mit 1200 Arbeitern, deren Zahl später auf 3000 gesteigert
werden soll. Ein drittes Werk von geringerem Umfange ist in
Bous bei Saarlouis. Das gröfste der bisherigen Werke ist in England
zu Landore in Wales, zur Zeit mit 1300 Arbeitern. Dasselbe soll
später für 3000 Arbeiter erweitert werden. Mit dem Röhrenwalz-
werk ist hier ein grofses Stahlwerk verbunden, das den gröfeten
Teil desjenigen Stahls für die übrigen Werke liefert, an dessen
Gleichmäfsigkeit besondere Anforderungen gestellt werden.
Es haben sich bereits eine grofse Zahl namhafter Ingenieure,
Mitglieder der Eisenbahnverwaltungen, der Militärbehörden, der
Admiralitäten u. s. w., sowie Autoritäten der technischen Wissen-
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20*
Die Bedeutung des Manneemanu'6chen
Schäften dahin ausgesprochen, dafe dem Verfahren eine grofee
Bedeutung beizulegen ist, es würde zu weit führen, hier auf Einzel-
heiten sich einzulassen.
Die Verwendung der M. 'sehen Röhren liegt zunächst
überall da nahe, wo es auf die Röhren gestalt, namentlich mit gleich-
zeitiger Widerstandsfähigkeit gegen inneren Druck ankommt, ferner
wo es sich um die der Röhrenform eigene grolse Tragfähigkeit handelt.
Weiterhin kann man den Röhren eine grofee Zukunft als Ersatz bisher
massiv hergestellter Körper zuschreiben, wobei sowohl Gewichts-
verminderung als Material-Ersparnis eine Rolle spielen. Das beliebig
zu vermindernde Gewicht des hohlen und dabei geschlossenen
Körpers gestattet es die Röhren zu schwimmfähigen Körpern aus-
zugestalten und damit andere bisher übliche schwimmende Unter-
lagen zu ersetzen. Das Metall vermag mit Ausnutzung des M.'schen
Verfahrens künftighin an vielen Stellen das Holz zu ersetzen, wo
ersteres bisher mit Rücksicht auf die äufeere Gestalt und geforderte
Starrheit ausgeschlossen war. Selbstredend soll und kann diese
Aufzählung keine abschliefeende sein.
Die gänzliche Neuheit der Sache in anderen als spezifisch tech-
nischen Kreisen hat uns genötigt, dem eigentlichen Thema diese
lange Darlegung voranzuschicken, die dem Umfang nach unver-
hältnismäfeig breit erscheinen mag, aber darum nicht unwillkommen
sein kaun. Auf dem Gebiete der Kriegstechnik dürfte nun
das Nächstliegende die Verwertung der M.'schen Erfindung zur Her-
stellung von Feuerröhren sein. Zu Gewehrläufen, Laufmänteln
und entsprechend gestalteten anderen Gewehrteilen sollen die M.'schen
Röhren bereits Anwendung finden. Gewisse Aussichten bieten sich
hinsichtlich der Geschützröhre, sei es als Massivrohr kleineren Kalibers,
sei es als Mäntel- oder Rohrringe, vielleicht auch als Verschlufe-
körper, z. B. als Verschlufeschrauben. Es liegen nur die Anfange der
Fabrikation vor. Man wird sich fürs erste an die bisher üblichen
Konstruktion s -Verhältnisse anlehnen, es ist aber nicht ausgeschlossen,
dafe mit der Zeit auf Grund der M.'schen Röhren gewisse Um-
gestaltungen, namentlich mit Anwendung schwächerer Dimen-
sionen kommen werden. Die Herstellung kleinkalibriger Gewehr-
läufe erscheint durch das M.'sche Verfahren in hohem Grade er-
leichtert, gradezu aber Bedürfnis zu werden, sobald, wie vor-
auszusehen, über kurz oder lang eine weitere Verringerung
der Gewehrkaliber erfolgen sollte. Zu Geschossen der Artillerie
ist das Fabrikat gleichfalls geeignet und wird damit vielleicht
bald dem Gufseisen gänzlich der Lebensfaden abgeschnitten
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Röhrenwalz Verfahrens tor die Kriegstechnik.
209
werden. Ein weiter Spielraum ist auf dem Gebiet der Laffeten
und Fahrzeuge eröffnet. Röhrenförmige Deichseln, hohle Achsen
und Brenncylinder kommen bereits vor. Wir glanben aber,
dafs dies nur die Anfänge sind. Sollte nicht, ebenso wie im
Brückenbau das Winkeleisen dem M.'schen Röhrenträger bereits
Platz macht, das letztere auch im Aufbau des Laffetenkörper9 be-
ziehungsweise des Gerüstes des Fahrzeuges Eingang gewinnen können?
Giebt es ein besseres Mittel, das ganz von Metall hergestellte Rad
zur Einführung zu bringen, als grade durch jene Erfindung?
Sehr frühzeitig hat die M.'sche Röhre im Gebiet der Handwaffen
Nutz-Anwendung gefunden. Vor einiger Zeit wurde nämlich bei
der deutschen Reiterei die Stahlrohr-Lanze eingeführt, und ist
es mittels des M.'schen Röhrenwalzverfahrens gelungen, sowohl
die hohlen Schäfte, als die hohlen Spitzen der Lanze zu erzeugen.
Mit derselben Berechtigung können auch die Stangen der Wischer
bei der Artillerie künftig aus Stahl hergestellt werden, ein vor
Zeiten als unlösbar erfundenes Problem.
Überall wo in der Artillerie-Technik Maschinen zur An-
wendung kommen, wird künftig das M.'sche Rohr ähnlich wie im
Maschinenbau überhaupt eine Rolle spielen.
Ein besonders weites Feld wird die Erfindung unter den Vor-
richtungen der technischen Truppen finden. Das jetzige Ponton
weicht vielleicht der schwimmenden Röhre, der Draht bei Kriegs-Fern-
schreibern und -Fernsprechern wird hohl und aus Stahl mit Kupfer
kombiniert sein, wobei keine Dehnung mehr stattfindet; wo Stangen
bei Leitungen gebraucht werden, benutzt man statt hölzerner solche
aus Stahlrohr. Ganz besonderen Nutzen ziehen die Eisenbahn-
truppen aus der Erfindung; wie man bei Überbrückungen künftig-
hin allgemein statt der bisherigen T Träger M.'sche Röhrenträger
verwenden wird, wobei ein viel geringeres Eigengewicht der Brücke
entsteht, daher die Spannungen viel gröfser werden dürfen und
dieser Vorzug sich dadurch noch potenziert, dafs die neuen Träger
an sich viel tragfähiger sind, so wird den Eisenbahntruppen noch
der besondere Vorteil erwachsen, dafs das leichtere Material viel
transportfähiger ist. Die M.'sche Schiene erhält ein viel rationelleres
Profil, ist viel leichter und entbehrt der Weitläufigkeit der Laschen-
verbindung, indem die hohlen Schienen mit den Enden einfach in
einander gesteckt werden. Diese Vorteile werden dem militärischen
Eisenbahnbau in erhöhtem Mafse zu Gute kommen und dazu gesellt
sich noch die Ausbeute für das rollende Material.
Von aufserordentlichem Belang ist der Gewinn, welcher dem
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210
Die Bedeutung des Mannesmann'schen u. 8.
Schiffsbau der Kriegs-Marine erwächst Hier spielen wieder die
M.'schen Träger im Schiffskörper eine Rolle, ebenso finden die
Röhren im Maschinenbau und bei sonstigen Schiffsteilen Verwendung.
Da die Hohlröhren einer beliebigen Gestaltänderung fähig sind, also
auch in eine flache Form übergeführt werden können, so hat man
sogar den Gedanken, dieselben zur Panzerung zu benutzen, und
hofft sowohl eine erhöhte Widerstandsfähigkeit gegen den Schüfe,
als eine ausserordentliche Gewichtsverminderung bei den Panzer-
schiffen zu erzielen, dennoch ist erst festzustellen, wie es sich gegen-
über der lebendigen K rafft der Geschosse mit dem Widerstand
solcher Platten gestalten wird. Die englische Admiralität ist bereits
auf dem Wege, einzelne Vorteile der Erfindung für dieses Land
auszunutzen.
Das Vorstehende kann selbstredend nicht erschöpfend sein, es
kann nur eine Perspektive eröffnen, eine wie umfassende Verwendung
das M.'sche Röhren walzverfahren in der Kriegstechnik zu finden
vermag.
Was wir als den Erfindern vorschwebend andeuteten und weiter
ausführten, hat aber in der Hauptsache noch die Schule der Praxis
durchzumachen, welche allein für den Erfolg mafsgebend ist.
Immerhin verdient die Erfindung, die zudem eine rein deutsche ist,
die allgemeine Aufmerksamkeit und speziell auch schon heute die
Beachtung der militärischen Kreise, was uns zu vorstehender Dar-
stellung veranlagst hat. — t.
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XU Umschau in der Müitftr-Litteratur.
I. Ausländische Zeitschriften.
Streif leur's österreichische militärische Zeitschrift. (Mai). Betrachtungen
über Nachtmärsche und Nachtgefechte (Schluüj). — Aus dem Buche vom
Offizier. — Beiträge zur Analyse der Terrainfortnen.
Organ der mllitar-wlssenschaftlichen Vereine. 5. Heft: Die Manöver
des 12. Corps am 9. 10. 11. und 12. September 1889 in dem Räume
zwischen Mediasch und Hermannstadt. — Über nächtliche Unternehmungen
im Kriege. — Über das Richten nach Licht- und Feuer-Erscheinungen bei
Nacht, und einige hierzu dienliche Vorrichtungen.
Mitteilungen Aber Gegenstände des Artillerie- und Genie- Wesens.
5. Heft: Russische Ansichten und Vorschläge in Bezug auf den gegen-
wärtigen Stand der Fortifikation. — Das Artilleriewesen auf der Pariser
Weltausstellung vom Jahre 1889.
Oie Reichswehr (Österreich.). Nr. 128: Die zweijährige Dienst-
zeit Dieselbe wird unter den jetzigen Verhältnissen als ein Unding (!)
bezeichnet, die Forderung derselben sei ein politisches Schlagwort, das der
Partei, der es gelänge, eine solche Forderung durchzusetzen, wohlfeile
Popularität sichere. — Nr. 129, 130 U. 131: Ein neues Schiefspulver.
Zur Einführung des rauchlosen Pulvers in Österreich -Ungarn. — Nr. 132
H. 133: Das Kriegsbudget. Dasselbe beträgt nach dem Voranschläge
für 1891: Im Ordinarium 100,493,999 iL, im Extra - Ordinarium
14,450,439 iL, also 3,224,670 fl. mehr, als für das laufende Jahr. Das
Erfordernis der Kriegsmarine beträgt 9,834,033 11. im Ordinarium und
I, 860,500 fl. im Extraordinarium ; 100,456 fl. mehr. Das charakteristische
Merkmal des Kriegsbudgets, sagt. D. R., liegt nicht so sehr in der
steigenden Tendenz der Ziffern, als in dem Geiste der Kompromisse und
dem stark hervortretenden Bestreben halber Mafs nahmen (!). Für die
Einführung rauchlosen Pulvers wird ein Gesamt - Erfordernis von
11,4 Millionen gestellt, die Ausrüstung mit dem Mannlicher- Gewehr als
abgeschlossen bezeichnet. — Nr. 134: Flickarbeit. Begründung des
Ausspruches des Kriegsministers, dals das vorliegende Heeres- Budget eine
solche sei; Erhöhung des Rekruten-Kontingentes wird befürwortet — Das
Marine-Budget.
Militär-Zeitung (Österreich.). Nr. 37: Folgen des Kriegslebens.
Verfasser wendet sich gegen die Behauptung, dafs der nächste grobe
DioitizGci by CjOOSIc
212
Umschau in der Militir-Litteratnr.
Krieg die übelsten moralischen Folgen haben müsse und furchtbarer sein
werde, als alle seine Vorgänger; er verneint, dafs der Soldat im Kriege
verwildern müsse, und widerlegt es durch Beispiele aus der Kriegs-
geschichte der Neuzeit. — Hr. 38: Heeresdienst und Landsturmdienst, —
Hr. 41: Über Panzer in der Landbefestigung. — Hr. 42: Das
Okkupationsgebiet und die bosnisch-herzegovinischen Truppen.
Im Jahre 1882 wurden die ersten 4 Compagnien dieser Truppen auf-
gestellt, welche die M. Z., in Ansehung des vorzüglichen Materiales, eine
Mustertruppe nennt. Die gegenwärtige Stärke beträgt 8 Bataillone,
zu je 4 Compagnien; bis Ende 1891 soll dieselbe auf 10 Bataillone ge-
bracht werden; 2 Bataillone werden an den diesjährigen Manövern „im
Reiche" Teil nehmen.
Arraeeblatt (Österreich.). Hr. 22: F. Z. M. Freiherr v. Rodich f.
Mit ihm hat die Armee einen ihrer verdientesten Veteranen verloren; er
starb im 78. Lebensjahre; 1866 wurde er für sein tapferes Verhalten am
24. Juni an der Spitze des 5. Corps in Italien auf dem Schlachtfelde zum
Feldmarschall-Lieutenant ernannt und ihm später der Theresien-Orden zu-
erkannt. 1881 trat er in den Ruhestand. — Hr. 23: Über Meldungen
im Sicherungsdienste. — Hr. 24 u. 25: Ein Vorschlag für praktische
Übungen der Sanitätstruppen zur Friedenszeit.
Militärisch-politische Revue „Bellona". (1. Juni): Nach der Triple-
Allianz. — Zweijährige Präsenz- Dienstpflicht. — Die neue Organisation
des französischen Generalstabes. — Die Militär -Institutionen Chinas. —
Das neue belgische Gewehr.
Journal des SCiences militalres. (Mai). Taktik der Verpflegungen
(Forts.). — Die Kavallerie für den Krieg der Neuzeit. — Der Feldzug
von 1814 (Forts.). — Der Massenkrieg (Forts.). — Dienst und Ausbildung
im Heere (Forts.). — Pajol (Forts.).
Revue de Cavalerie. (Mai). Bemerkungen über die Ausbildung der
Kavallerie. — Die deutsche Kavallerie (Forts.). — Zur „Studie über
die Kavallerie im modernen Kriege". Diese in der „Revue des
deux mondes" erschienene Studie, als deren Verfasser General de Gallifet
gilt, wird eingehend besprochen und folgende Neu-Organisation in Vor-
schlag gebracht: 14 Regimenter Kürassier-Lanciers, 34 Dragoner-Lanciers,
21 Chasseurs, 12 Husaren, Summa 81 Regimenter für den Dienst in
Frankreich. (Aufserdem stehen bekanntlich in Algier und den Kolonien
noch 10 Regimenter, 6 Chasseurs d'Afrique und 4 Spahis!). — Ein
deutsches Kavallerie- Regiment während des Krieges 1870/71 (Forts.). —
Die Frühjahrs -Einstellungen bei der Kavallerie. Selbige werden
als unzweckmäfsig bezeichnet, nur im Herbste dürfe ein freiwilliger Ein-
tritt stattfinden. — Eine Rekognoszierung von Chasseurs d'Afrique in der
Krimm.
Revue du Genie nllitalre. (Januar — Februar). Einflufs der neuen
Waffen auf die Feldbefestigung. — Die Ausbildung der Pioniere in
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Umschau in der Militär-Litteratur.
213
Österreich. — Die selbstthätige Entzündung von Minen und Torpedos. —
Die Befestigung von Kopenhagen.
Revue d' Artillerie. Juni: Praktische Studie Uber den indirekten
Scbufs im Kriege. — Drouot (Forts.). — Studien Uber Irrtümer bei der
Beobachtung. — Bemerkungen Uber zwei neue Verfahren beim indirekten
Zielen fUr kriegsmäfsiges Schiefsen.
Revue du cercle militaire. Nr. 21 U. 22: Der russische Offizier im
Heere und in der Gesellschaft (Forts, u. Schluß). — Ein Jahr in Tunis
(Forts.). — Brieftauben und Taubenschläge (Schlufs). — Das dänische
Gewehr 1889. — Der Laufmantel beim deutschen Gewehr. Hier
wird, gestützt auf einen Aufsatz de« Professor Hebler in der Allg.
Schweiz. M. Z., die Behauptung aufgestellt, dafs den Vorteilen des Lauf-
mantels ebenso grofse Nachteile gegenüber ständen, welche selbst die Ge-
brauchsfähigkeit der Waffe in Frage stellen könnten (??). — Nr, 23:
Die Arbeiten des geographischen Dienstes 1889. Dieser Aufsatz
gewährt einen interessanten Überblick über die Leistungen auf dem
kartographischen Gebiete, denen man hohe Anerkennung nicht ver-
sagen kann. — Nr. 24: Die maritime Verteidigung Englands und
seiner Kolonien. — Ein Feld - Entfernungsmesser. — Ein Jahr in Tunis
(Schlufs). —
L'Aveiir militaire. Nr. 1476: Krieg und Marine. Kritik des
Dekretes vom 13. Mai, welches alle Streitkräfte zu Wasser und zu
Lande, welche zur Küsten Verteidigung bestimmt sind, dem Befehl der
maritimen Präfekten unterordnet. — Rekrutierung der Armee 1890.
An der Losung haben 295,707 junge Franzosen Teil genommen, 12,538
weniger, als im Vorjahre. A. m. üufsert sich über das stete
Sinken der Zahl der Männer, welche alljährlich ihr 20. Lebensjahr er-
reichen, beunruhigt. Von jener Zahl waren 30,032 völlig unbrauchbar,
dienstfähig 130,453, für Friedenszeit befreit (art. 17 d. Rekrut.- Ges.)
44,403; bedingungsweise befreit (art. 20) 32,504; zu Hülfsdiensten
geeignet 18,481; zurückgestellt 39,231. — A. m. klagt, dafs die
physischen Eigenschaften des Kontingentes sehr viel zu wünschen übrig
liefsen, dies beweise die sehr grofse Zahl der Zurückgestellten. Zum
Dienste in der Land -Armee wurden eingestellt 140,141, bei der Marine-
Infanterie und Artillerie 6040. Die Schulbildung betreffend gab es
9,82 Vi Analphabeten; 9,28 '/ t die " ur lesen; 21,9ti 7, die lesen und
schreiben konnten; 60,75 % hatten eine bessere Elementar -Schulbildung.
Trotz der den Unteroffizieren gewährten Vorteile belief sich die Zahl der
Wiederanwerbungen nur auf 4118 gegen 4906 im Vorjahre; dagegen be-
trug die Zahl der 3 jährigfreiwilligen 31,641. — Nr. 1482: Vergessene
Lehren des Jahres 1870. Abfällige Kritik der jetzigen Heeres-
Verfassung. Verf. sagt u. A.: „Was wird im Kriegsfalle geschaffen?
Man wird die Zahl haben, aber nichts als dies, nicht wirklich befehligte
und in festen Rahmen gefügte Truppen, ungeheure Menschenmassen mit
oberflächlicher Ausbildung, u. s. w.
Jihrtaefccr <Br di» Doot.cb« Arne» Darf Murin*. B.l t XXVI . * 15
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214
Umschau in der Milit&r-Litteratur.
La France militaire. Nr. 1829: Die Pontonniere. Bekanntlich
gehören die Pontonnier-Regimenter der französischen Armee zur Artillerie;
F. ra. befürwortet lebhaft deren Zuteilung zum Genie-Corps. — Die neue
strategische Bahnlinie Brienne-Sorcy ist nahezu vollendet ; eine andere,
Bourges-Toul, wird demnächst in Angriff genommen. — Mr. 1830: Das
Marine-Budget. In dem der Budget- Kommission erstatteten Bericht
wird betont, dafs Frankreich 299 Gefechts-Einheiten habe, Italien 215,
Deutschland 252, Österreich 89, Russland 197, England 402. Die Flotte
der Triple-Allianz könne folglich 556 Einheiten stellen, denen Frankreich
nur 299 entgegen zu stellen habe. Die Verwaltung der Marine-Etablissements
wird einer sehr abfälligen Kritik unterworfen.
Le Progret militaire. Nr. 999: Reorganisation der Territorial-
Armee. Artikel 47 und 55 des „Cadres-Gesetzes" vom 13. März 1875
sollen dahin geändert werden, dafs in Zukunft jede Regional-Subdivision
ein Territorial-lnfanterie-Regiment mit verschiedener Zahl von Bataillonen
bildet, nebst einem Depot; die Regimenter befehligen Oberstlieutenants
der aktiven Armee. Im Kriegsfalle können diese Regimenter entweder
als Besatzungstruppe, oder (in besondere Brigaden, Divisionen und
Corps formiert), als Feldtruppe verwendet werden, auch im Anschlufs
an die aktive Armee. Man hofft auf diese Weise die in erster Linie ver-
wendbaren Streitkräfte zu verdoppeln, indem die 15 jüngsten Jahrgänge
der Territorial- Armee zu diesen Zwecken Verwendung linden. — (Die
ungeheure Tragweite dieser Mafsregel steht aufser Zweifel und sollte
unser n Politikern in ihrem Widerstande gegen unaufschiebbare Reformen
zu denken geben. Anm. d. Leit.) — Nr. 1000: Davout und Moltke;
Ein empörender Ausfall auf den Feldmarschall Graf Moltke bezüglich seiner
Rede, betreffend die Militär- Vorlage. P. m. behauptet, Graf Moltke habe
Davout beschuldigt, Hamburg bestohlen (!) zu haben, er habe somit eine
schlechte Handlung begangen, das Andenken eines tapferen Soldaten be-
schmutzt (!!) u. s. w. Schliefslich macht Verfasser den greisen Feld-
marschall dafür verantwortlich, wenn dermaleinst die französischen
Schwadronen nur Ruinen in den Gefilden jenseits des Rheins zurück
lassen sollten!! (Wir meinen, Baden und Rheinpfalz zumal, können bereits
ein Lied vom Vandalismus züggelloser französischer Horden singen).
La Belgique militaire. Nr. 1000: Die glatten belgischen Ge-
schütze. Mit solchen sind zum Teil noch die Forts von Antwerpen
armiert. B. m. verlangt deren schleunigen Ersatz durch gezogene, Ant-
werpen hat etwa 40 — 50 verschiedene Geschützarten: „ein wahres Altertums-
Museum. w — Die Wiederherstellung der Ausrüstung unserer
Festungen. — Die Versuche mit neuen Lanzen von Bambusrohr
haben gute Ergebnisse gehabt. Die Bambuslanze hat eine Länge von
2,85 m, ein Gewicht von 1,27 kg gegenüber den ebenfalls zum Versuch
gestellten deutschen Stahllanzen, die 3,20 m lang und 1,932 kg schwer
sind. — Nr. 1001 — 3: Allgemeine Wehrpflicht. — Die Geschützfrage vor
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Dmwhau in der Müitfr-Litteratur.
215
der Kammer und dem Senat. — Studie über unsere Kavallerie. — Manöver
der drei Waffen in Brüssel. —
Allgemeine Schweizerische Militärzeitung. Nr. 21— 24: Bewegung in
der französischen Armee. Interessante Studie über die Fortentwickelung
der militärischen Macht Frankreichs, an der Hand des „Etat militaire de la
France", 1819 zum ersten Male erschienen, und des „Annuaire de Tarmed
francaise" von 1890. — Übungskurse der Infanterie 1889. — Das Nach-
brennen beim Schufs, seine Ursachen und Folgen. (Für rauchfreies
Pulver).
Schweizerische Monatsschrift für Offiziere aller Waffen. (Mai.) Der
Feldzug Julius Cäsar gegen die Helvetier im Lichte der Kritik (Fortsetzung).
— Der Feldkrieg bei Nacht (Schlufs). — Das Operative im Truppen-
zusammenzug von 1889 (II).
Schweizerische Zeitschrift für Artillerie und Genie. (Mai.) Ergebnisse
von Fahrversuchen mit 8,4 und 12 cm Munition. — Der jetzige Beschlag
für unsere Armeepferde und weitere Vorschläge iiu Hufbeschlagwesen. —
Die schweizerische Kartographie an der Weltausstellung von Paris 1889
und ihre neuen Ziele. — Die heutige Gefechtslehre und Gefechtsausbildung
nach den Anschauungen des deutschen Generalstabes.
Revue militaire SUiSSe. Nr. 6: Der Dienst im Felde vom Standpunkte
der „Ordres de bataille". — Die Artillerie-Taktik in Beziehung zum klein-
kaliberigen Gewehr und rauchlosen Pulver. — Schiefsplätze.
Adnitralty and Horse Guards Gazette. Nr. 296: Bespannung der
Militär-Fahrzeuge. Die fehlerhafte Konstruktion der Geschirre der
Fahrzeuge, besonders aber derGeschütze wird nachgewiesen, werdenÄnderun gen
vorgeschlagen. — Nr. 291: Hunde zu militärischen Zwecken. Die
Einführung von Hunden in der Armee, besonders zur Begleitung von
Patrouillen bei Nacht, wird empfohlen. — Das Bombardement von
Dover. Schilderung des Verlaufs des von den vereinten Land- und See-
kräften bei Dover, Ende Mai, stattgehabten Manövers.
The Army and Navy Gazette. Nr. 1580: Über Kavallerie. Der
Oberst Grave schildert in einem Vortrage den ungenügenden Zustand der
englischen Kavallerie. Die Schwadronsstärke von 106 Pferden müsse auf
150 erhöht werden, auch die Bewaffnung und Ausrüstung stände den
Kavallerien der übrigen Europäischen Grofsmächte nach. — Nr. 1581:
Schiefsdienst in Indien. Die englischen Truppen wie die eingeborenen
in Indien haben solche Fortschritte im Schieben gemacht, dafs sie in ihren
Leistungen den in England stehenden Truppen gleichkommen. Miliz-
truppen für die Kolonien. Das Gesetz, das die Verwendung der
Miliztruppen aufser Landes nicht gestattet, wird als veraltet bezeichnet.
Es wird volle Gleichstellung der Miliz mit dem stehenden Heere verlangt.
— Nr. 1582: Vergleichssch iefsen zwischen französischen und
deutschen Geschützen. Die chilenische Regierung hat in Baluco bei
Santiago Vergleiche zwischen französischen und deutschen Geschützen ver-
schiedenster Kaliber stattfinden lassen. Nach dortigen Berichten sind die
15*
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216
Umschau in der Milit&r-Litteratur.
Krupp'schen schweren und die französischen Feldgeschütze als die besten
erklärt. Das Krupp'sche 7'/» ein Schnellfeuergeschütz hat über das
8 cm Geschütz de Bange grofee Überlegenheit gezeigt, ersteres hat 582 Schuf's
in 65 Minuten, letzteres nur 105 in 160 Minuten abgegeben. Die Ein-
führung Krupp'scher Geschütze wird empfohlen. — Hr. 1583: Die deutsche
Kavallerie. Der Major Har Fox schildert in einem Vortrage den Dienst-
betrieb in der deutschen Kavallerie und die hervorragenden Leistungen
derselben, gegen die die englische Kavallerie weit zurückstunde. — Nr. 1584:
Über Festungsartillerie. Die Thätigkgeit der Festungsartillerie bei
dem letzten Land- und See-Manöver bei Dover wird beschrieben.
Russisches Artillerie-Journal. April. Das neue Exerzierreglement
der deutschen Feld- Artillerie wird in eingehendster Weise in Fort-
.setzung der Kritik im Miirzheft besprochen. Der 4. Teil desselben („Gefecht")
findet sieh, sogar unter Beibehaltung der Paragraphen, wörtlich wieder-
gegeben. — Die Hedaktion begründet diese besondere Berücksichtigung
durch folgendes charakteristische Urteil: „Das neue Ex. R. für d. d. F.-A.
hat an Klarheit und Kürze nicht seine» Gleichen. Es erreicht das von
uns der Besprechung vorangestellte ideale Ziel jedes Reglements."
Russisches Ingenieur-Journal. (April.) Die provisorischen Be-
festigungen von v. Raaben. Verf. sucht eine Lücke in der russ.
Mil.-Litt. auszufüllen, welche in den letzten 20 Jahren zahlreiche Artikel
über die permanente und die Feld-Befestigung, aber fast nichts über
diesen Gegenstand gebracht hat, trotz der Fortschritte der Belagerungs-
mittel. Im Laufe der eingehenden Untersuchung kommt Verfasser zum
Schlüte, dafe durch die Aufgabe der Graben-Bestreichung und der bomben-
sicheren Blendungen in den Forts die periodische Befestigung der
permanenten ähnlich geworden. Ihre Hauptstärke mufs heute in einer
durchdachten Konzentrierung der Feuerwirkung, nicht in
künstlichen ßefestigungsmitteln gesucht werden.
BerCSOWSkCs RaswiedtSChik. Nr. 26 enthält mit einem Bild des Schrift-
stellers eine Übersicht Uber die vorzugsweise den Dienst der Kavallerie
und die Taktik behandelnden Werke W. Suchomlinow's. — Beschreibung
der telephonischen Verbindung auf den Vorposten, speziell des
Apparates des Porutschik Ssokolski.
Der russische Invalide 1300. Nr. 74-104: Der reiche Inhalt dieser
Nummern hat teilweise schon Erwähnung gefunden. Wir geben hier nur
aus Nr. 96 und 97 kurz den Hauptinhalt, die Übungen der russischen
Armee im kommenden Sommer betreffend wieder. Es finden in allen
Militärbezirken des europäischen Russlands und in dem Turkestanischen,
Omsker sowie dem transkaspischen Gebiet gröfsere Zusammenziehungen
statt. Kleine Abweichungen in der Zeiteinteilung der Übungen in kleinen
Verbünden derselben Waffen und in den Übungen mit gemischten Waffen
.sind in mehreren Bezirken angeordnet. So ist z. B. im Petersburger
Militärbezirk die erstere Periode für die Infanterie auf 7, im Moskauer
und Wnrsflmuer auf 10—11 Wochen verkürzt, im ersteren in Folge des
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UmBchan in «1er Militar-Litterarnr.
217
späteren Beginns der Sommer-Übungen, in den letzteren wegen des früheren
Anfanges der Übungen mit gemischten Waffen. — Für die Artillerie wurde
wegen der Verlängerung der Schiefsübungen bis auf die Dauer von
8 Wochen die erstere Periode um 2—6 Wochen in der Mehrzahl der
Militärbezirke verkürzt. Bei der Kavallerie werden die Übungen innerhalb
der Divisionen (spezialno-kawalleryskije osbory) um 2 Wochen in den
Militärbezirken Moskau und Petersburg und um eine Woche in den Bezirken
Kijew, Odessa und bei zwei Divisionen des Bezirks Wilna verkürzt, dagegen
um 2 Wochen bei der Kaukasischen Kavallerie-Division verlängert. —
In einigen Bezirken werden auch Manöver mit Quartierwechsel entweder
an Stelle der Lagerübungen oder neben denselben ausgeführt werden,
Übungen, welche bis vor kurzem der russischen Armee fremd waren. Die
bedeutendsten Übungen werden bei Krasnoe Sselo, Warschau, Tscbujujew,
sowie als Marschmanöver am rechten Ufer der Weichsel und des Bug und
zwischen Bender und Odessa stattfinden. — Im Allgemeinen werden die
Manöver überall am */,,. September beendet sein. 17.
RiVitta mllltare itallana. (Mai): Der Einmarsch nach Frank-
reich 1814. Eine strategische Studie. Für die Defensive Napoleons wird
das Zurücklassen schwacher Kräfte am Rhein zwischen Mainz und Coblenz,
Sammlung aller übrigen Kräfte bei Djjon, die äufsere Flanke durch
Bescancon und Beifort geschützt, empfohlen. Der Gegner soll dann bis
zu den Ardennen- bezw. Argon nenpässen vorgelassen und wenn er nicht
auf Paris marschiert, defensiv erwartet, wenn er auf Paris vorgeht aber in
der Flanke angefallen werden.
EtercItO italiaao. Nr. 67: Einberufung von Leuten des Be-
urlaubtenstandes. Auf 28 Tage werden einbeordert alle Leute der
I. Kategorie des Jahrganges 1864 einschliefslicb der Offiziere di complemento,
die zu diesem Jahrgang gehören und zwar zum gröfsten Teile zur Ver-
stärkung der Etats der an den grofsen Manövern teilnehmenden Truppen,
so wie die Leute I. Kategorie des Jahrganges 1868, die im vorigen Jahre
nicht übten. — Hr. 70: Diskussionen ü ber die diesjährige Rekruten-
Aushebung. Der Kriegsminister lehnte ab, die in diesem Jahre aus
Ersparnisrücksichten verlängerte Rekrutenvakanz dauernd einzuführen,
ebenso die Herabsetzung der aktiven Dienstzeit auf 2 Jahre und behielt
sich vor, bezüglich der Mobilmiliz einen Gesetzentwurf einzubringen, der
ihren Umfang erweitert. Sein Vorschlag, den Jahrgang 1857, der gesetzlich
am 31. Dezember 1890 zum Landsturm übertreten sollte, noch ein Jahr
der Mobilmiliz (Landwehr) zuzurechnen, wurde genehmigt. Der Bericht
der Budgetkoraraission über das Budget pro 1990/91 schlug vor, dasselbe
nach Vollzug der Abstriche (10,002,330 Lire) in der Totalhöhe von
281,721,921 Lire zu genehmigen. Das Budget wird daher um 20,993,030
Lire niedriger sein, als das des laufenden Jahres. Die balancierte Stärke
des italienischen stehenden Heeres wird 1890/91 14,489 Offiziere, 3646
Beamte, 232,022 Mann, 50,604 Pferde, die organische dagegen 261,980
Mann, 52,570 Pferde aufweisen.
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218
Umschau in der Militär-Literatur.
L'ltalla mllltare e marlna. Nr. 25: Die nächsten Sommer-
Übungen. Bemerkenswert ist der gröfsere Prozentsatz von Truppenteilen,
die in diesem Jahre in Gebirgsgegenden üben. — Nr. 29: Die grofsen
Manöver. Die I. Periode derselben, in welcher die Divisionen der beiden
Corp.« gegeneinander operieren, die beiden Kavallerie-Divisionen Auf-
klärungsdienst im grofsen Style gegeneinander üben, dauert vom 17. — 23.
August, die II. Manöver der beiden Corps gegeneinander, vom 24.— 30.
August, Gelände zwischen dem Mincio und dem Chiese. — Nr. 34: Das
Kontingent für die Flotte wird in diesem .Tahru 3500 Köpfe umfassen.
Auf die 1000 Mann, die dem Marineminister und der nicht seemännischen
Bevölkerung überwiesen werden sollten, hat derselbe aus Ersparnisgründen
verzichtet.
Revista sclentlflco-militar (Spanien). Nr. 11: Die Mängel der Mitrail-
leusen und der Maxim-Geschütze.
Memorial de Ingenieros del Cjercito (Spanien). Nr. XI: Tragbare
Rampen für den Bahntransport von Kavallerie und Artillerie.
— Die Verteidigung von Lissabon.
Revista tecnica de Infanteria y Caballeria (Spanien). Nr. 1: Hand-
feuerwaffen.
Revista dos sclenclas milltares (Portugal). Nr. 58: Die Organisation
der Ingenieurtruppen in den verschiedenen Staaten.
Revista lallltar de Chile. Nr. 44: Ein Geschütz mit 800 m Anfangs-
geschwindigkeit (System Caint, 10 cm).
Krlgsvetenskaps -Akademien* - Handlingar (Schweden). 9. n. 10. Heft:
Statistik über den Übertritt von Leuten der Stammmannschaft zur Indelta
Armee von 1860—188«.
Norsk. militaret. TidsskrHt (Norwegen). 5. Heft: Episoden aus dem
Kriege 1716.
II. Bücher.
Geschichte des rheinischen Ulanen •Regiments 1815—1890.
Auf Befehl des Regimeuts-Commandours zusammengestellt
von Kusenberg, Sekondelieutenant im Regiment. Mit Bild-
nissen, Uniformbildern uud Karten. Berlin 1890. E. S.
Mittler & Sohn. 148 Seiten. M. 4.
Das Regiment hat zweimal das Mifsgescbick gehabt, seine Akten,
ganz oder teilweise, einzubüfsen. Zum ersten Male 1815, im Jahre seiner
Errichtung; zum zweiten Male 1870, als dieselben vor den Franzosen in
Sicherheit gebracht werden sollten. Der durch die Verluste bedingte
Mangel an Quellen kommt schon in der iinfseren Erscheinung de* Buches,
in seinem verhaltnismäfsig geringen Umfange, zum Ausdruck und in dem
Umstände, dafs demselben leider die zu einer Regimentsgesehichte ge-
hörigen Personalnachweise fehlen. Gerechtfertigt wird der letztere Ausfall
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Umschau in der Militir-Litteratnr.
219
dadurch nicht. Denn Manches hätte sich auf anderem Wege herbei-
schaffen lassen , alles was seit Mitte Juli 1870 geschrieben ward ist vor-
handen und die Regiments-Bibliothek besitzt eine Zusammenstellung der
kriegerischen Thätigkeit des Regiments „einen vollständigen Zu- und
Abgangsnachweis und verschiedene Ehrentafeln" bis zum Jahre 1865
(S. 40). Trotzdem ist die Teilnahme des Regiments an der Bekämpfung
des badischen Aufstandes im Jahre 1849 vollständig unberücksichtigt ge-
blieben. Stände nicht auf Seite 33, dafs das Regiment in dem kurzen
Feldzuge nur sehr wenig zur Thätigkeit gekommen sei, so würde der
Leser gar nicht wissen, dafs es denselben mitgemacht hat, Dergleichen
Lücken sind umsomehr zu bedauern, als andere Zeiten und Verhältnisse
sehr hübsch geschildert sind. Dahin rechnen wir die ganze Darstellung
der Teilnahme am letzten deutsch- französischen Kriege. Hier ist es vor
allem die denkwürdige Zeit, in welcher das Regiment vor und bei Beginn
der Feindseligkeiten, zuerst ganz allein, dann verstärkt durch ein einziges
Füsilier-Bataillon, die äufsersten Vorposten innehatte und von diesem ge-
fährdeten Platze aus noch kecke Unternehmungen in das feindliche Gebiet
machte. Aber auch während des Winterfeldzuges im Norden Frankreichs,
in einem schwierigen und anstrengenden Sicherungs- und Aufklärungs-
dienste und bei vielen dadurch herbeigeführten Zusammenstöfsen, bot sich
mannigfache, gern und geschickt benutzte Gelegenheit zur Auszeichnung.
Das Regiment stand damals im Verbände der 3. Kavallerie-Division. Hübsch
und anschaulich ist ferner, auf Grund eines Tagebuches, die Zeit geschildert,
in welcher während der Zugehörigkeit zu dem nach dem zweiten Pariser
Frieden in Frankreich verbliebenen Besatzungsheere, die Stammtruppen-
teile allmählich zu einem Ganzen verschmolzen wurden. Es waren Hell-
wig'scbe und ScbüTsche Husaren und sächsische Prinz Clemens Ulanen,
dem buntscheckigen Anblicke, welchem ihr Aufseres bot, entsprach die
innere Beschaffenheit. Eins der Uniformbilder zeigt den Husaren Hellwigs
im roten, weifs verschnürten Dolman englischen Ursprungs mit der Lanze
in der Hand, den Schill'schen im dunkelblauen Pelz mit gelbem Besatz,
den Ulanen in der Litewka, von der Czapka bis zum Stiefel hinunter
hellblau. Auch von den Stammtruppen wäre erwünscht gewesen etwas
mehr zu erfahren als im Buche steht. Von den Ulanen ist gar nichts
gesagt, von den Schill'schen wenig mehr als dafs Oberstlieutenant v. Schill,
ein Bruder des 1809 gefallenen Major v. Schill, sie geführt hatte. Hier-
über etwas zu bringen, war um so mehr angezeigt, als die Persönlich-
keiten der beiden Brüder schon mehrfach zu unliebsamen Verwechslungen
Anlafs gegeben haben. Die Husaren des einen hatten mit denen des
andern gar nichts gemein. Dafs Hellwig am 17. Mai 1813 mit 300 Mann,
bei einem Verluste von 5 Toten und Vermifsten, sowie 20 leicht Ver-
wundeten, gegen mindestens 1000 feindliche Reiter gekämpft habe, welche
150 Tote und Verwundete, sowie einige Gefangene verloren, klingt trotz
der Lanzen, mit welchen das erste Glied der Husaren bewaffnet war, un-
wahrscheinlich. — Von der Teilnahme am Feldzuge des Jahres 1866 war
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Umschau in der Militer-Littemtnr.
' wenig zu sagen. Das Regiment hat denselben hauptsächlich als Zuschauer
mitgemacht. „Zuschauer" indessen in anderem Sinne, als beim Kriege
gegen Dänemark, von welchem es heilst: „Im Jahre 1864 hatte das Regi-
ment die Rolle des unthätigen Zuschauers spielen müssen." Denn damals
standen die Ulanen an der Saar, 1866 waren sie in Böhmen an Ort und
Stelle. Dafs das Erscheinen des kronprinzlichen Heeres am 3. Juli den
Österreichern den Rückzug auf Josefstadt verlegt habe, ist, wohl ein
Schreibfehler. 14.
Das Leben des Generallieutenant Heinrich Wilhelm v. Horn,
von Wellmann, Premierlieutenant. Berlin 1890. E. S.
Mittler & Sohn. Preis 4,60 M.
Das vorliegende Werk ist entstanden aus dem Bestreben, den Namen
des Generals v. Horn, des heldenmütigen Gefährten des eisernen York auf
dem Siegeszuge von der Düna bis zur Seine, in dem Regiment zu ver-
ewigen, welches durch die Gnade Kaiser Wilhelms II. seit dem 27. Januar
1880 den Namen v. Horn trägt. Ein altpreufsischer Soldaten-Charakter,
wahrlich geeignet der heutigen Generation zum Vorbilde und zur Nach-
eiferung hingestellt zu werden, wird in vortrefflicher Weise vom Verf.
geschildert. Kann es ein herrlicheres Zeugnis für einen Soldaten geben,
als jene Worte York's (Seite 139) an Horn: „Vom Niemen bis zur Seine
war ich fast täglich Zeuge Ihrer Kühnheit und Ihrer Thaten. Mit jetzt
noch staunendem und dankbarem Herzen sehe ich zurück auf Ihren grofsen
Willen und Ihre hohe Kraft bei Grofs-Goorschen, an der Katzbach, bei
Wartenburg, beim blutigen Möckern, bei Laon; immer sehe ich den Mut-
beseelten und Mut beseelenden Horn vorauf und den Sieg ihm folgen. . .
Der König erkannte Ihre Verdienste in Ihrer hohen Stellung, das Vater-
land zählt Sie unter die tapfersten, an nichts verzweifelnden Führer; und
wenn die Geschichte sich treu und wahr bleibt, so wird Ihr Andenken
und Ihr Name dem Heere noch in spätester Zeit ein aufmunterndes Bei-
spiel sein!" — Wahrhaft prophetische Worte, welche mehr wie alles andere
für die Bedeutung des Namens Horn sprechen. Wir sind gewifs, dafs das
Buch alle Zeit im Regiment v. Horn und darüber hinaus eifrige Leser
finden wird. 17.
Das Offizier-Corps des Infanterie-Regiments v. Horn (3. Rhei-
nisches) Nr. 29. 1815—1890. Gedenkblätter im Auftrage
des Regiments zusammengestellt, von Well mann, Premier-
lieutenant. Berlin 1890. E. S. Mittler & Sohn.
Die vortreffliche, aus echt preufsischem Soldatenherzen kommende
Vorrede des Regiments-Coramandeurs zeichnet mit markigen Worten den
Zweck des Werkes. Mit den Ranglisten der Jahre 1815—90, mit den
kurzen Lebensläufen der Offiziere, welche seit der Stiftung des Regiments
in dessen Reihen dienten, endlich mit der Ehrentafel der vor dem Feinde
Gefallenen soll die Kunde jedes Einzelnen im Regimente, das doch nur
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Umschau in der Militär-Litteratar.
ein Spiegelbild seines Offizier-Corps ist, in ersterem bewahrt werden.
Möge dieser vortreffliche Gedanke im Heere vielfachen Widerhall finden
und jedes Offizier-Corps sich eine solche Stammliste schaffen! 17.
Strategisch-taktische Aufgaben nebst Lösungen, von H.
v. Gizycki. Heft 4 und 5. 4. nach der Felddienst-Ordnung
umgearbeitete und wesentlich vermehrte Auflage. Hannover
1890. Helwing'scbe Buchhandlung.
Wir begrüfsen mit ganz besonderer Freude die neue, allen An-
forderungen entsprechende, mit 3 Übersichtskarten und 6 Generalstabs-
karten versehene Auflage des 4. und 5. Heftes und verbinden hiermit den
Wunsch, dafs recht bald die Fortsetzungen erscheinen mögen. Wir
können dieselbe als wertvollen Berater bei Stellung von Aufgaben für
Manöver oder Kriegsspiel nur auf das Wärmste empfehlen. 17.
Infanteristische Litteratur.
1. Handbuch für die Offiziere des Beurlaubtenstandes der
Infanterie. Berlin 1890. E. S. Mittler & Sohn. Subskriptionspreis
5 Mk. — Das seit längerer Zeit angekündigte und „bezüglich seines ge-
sondert erschienenen I. Teiles und S. Abschnittes des III. Teiles, bereits
an dieser Stelle (s. Maiheft) besprochene Werk liegt nun vollendet vor.
Dasselbe enthält in der That, wie die Verlagsbuchhandlung in ihrem
Prospekte sagt, alles für den Dienst der genannten Offiziere Wissenswerte
in übersichtlicher und handlicher Form. Der Inhalt zerfällt in 4 Teile,
deren I.: Die Einleitung, der II.: Der innere Dienst; der IH.:
Der äufsere Dienst; der IV: Mobilmachung betitelt ist. Der
II. Teil behandelt in 4 Abschnitten die Kenntnis der allgemeinen Dienst-
verhältnisse, den inneren Dienst der Compagnie, Disziplin, Gerichf ^dienst
Ehrengerichte und Verwaltung. Der III. in 7 Abschnitten (5. — 11.) den
Dienstunterricht, Turnen und Bajonettieren; Exerzieren; Waffen, Munition
und Schiefsen; Gefechtslehre; Felddienst; Garnisondienst. Die Bewältigung
dieses umfangreichen Stoffes ist einer gröfseren Zahl von Offizieren ab-
schnittweise übertragen worden, die Gesamtbearbeitung übernahm Oberst-
lieutenant z. D. Transfeldt. Um das Werk für den Gebrauch handlicher
zu gestalten, wurden sehr zweckmäßig die einzelnen Abschnitte gesondert
geheftet und das Ganze in starkem Leinwandband-Einbande vereinigt. —
Dafs der Bearbeitung die neuesten Dienstvorschriften zu Grunde gelegt
wurden, ist selbstverständlich und stellen die einzelnen Abschnitte einen
für den betreffenden Leserkreis genügenden Auszug aus denselben dar.
Anders ist es zum Teil mit dem 9. Abschnitt: „Gefechtslehre". Der-
selbe ist unter Anlehnung an das Exerzier-Reglement, eine selbstständige
Arbeit, welche die Hand eines erfahrenen Taktikers verrät. Wir halten
diesen Abschnitt für einen besonders gelungenen ; das Gleiche gilt für den
10. Abschnitt: „Felddienst". Das Werk, welches einem wirklichen Be-
dürfnisse entspricht, wird sich zweifellos zahlreiche Freunde gewinnen und
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Umschau in der MilitÄr-Litteratur.
dürfte selbst den jüngeren aktiven Offizieren eine willkommene Gabe
sein. — 2. Taschenbuch für den Schiefslehrer bei den Ziel-
übungen, im Entfernungsschätzen und in der Verwendung der Waffe.
Von von Brunn, Major und Bataillons-Commandeur. Dritte auf Grund
der Schiefsvorschrift und des Exerzier-Keglements von 1889 umgeänderte
Auflage (Infanterie-Ausgabe). Mit 10 Abbildungen im Text. Berlin 1890.
Verlag der Liebel'schen Buchhandlung. Preis: 1,20 Mk. Wir können bei
der hervorragenden Wichtigkeit des Schiefsdienst.es dieses H Ulfsbuch, durch
welche das Gold der dienstlichen Vorschrift gewisserraafsen in die kleine
Münze für den täglichen Gebrauch umgesetzt wird , nur dringend
empfehlen. In einem Anhange ist eine für den Korporalschafts- Führer
bestimmte „Kontrole für Schiefsen, Zielen, Ent fernungsschätzen" beigefügt.
3. Handtafel für den Schiefslehrer. Verlag der Liebel'schen
Buchhandlung. Preis: 40 Pf. Diesdlbe enthält in Taschenformat auf
steifem Papier graphische Darstellungen der verschiedenen Scheibenarten
für das Schulschießen, sowie der Fehler beim Zielen und Abkommen,
dann der Scheiben für das gefechtsmäfsige Einzelschiefsen (Bestrichene
Räume, mittlere Flughöhen, Treffgenauigkeit, Haltezettel); endlich kurze
Anweisung für das gefechtsmäfsige Abteilungsschiefsen : Visieranwendung,
Haltevorschrift, Feuerwirkung, Feuerart, Kommando und Feuerdisziplin.
4.
4. Anhalt für den Unterricht des Einjährig-Freiwilligen
und der Reserve-Aspiranten der Infanterie. Bearbeitet von Binde-
wald, Premier- Lieutenant. Potsdam 1890. Verlag von Eduard Döring.
Zweck und Eigenart dieses Büchleins erhellen aus dein Zusatz auf dem
Titel: n Zum Gebrauch für den Offizier des Beurlaubtenstandes mit ein-
gehender Behandlung des 2. Teils, „Gefecht", des Exerzier-Reglements (Ab-
druck 1889) und Berücksichtigung des Gewehrs 88., — und aus der
Vorrede, der zufolge die Arbeit ein Anhalt sein soll, einmal für den
Lehrer für seine Vorbereitung zum Vortrag, — sodann für den Schüler
für die Repetition und für das Selbststudium, — endlich Beiden zur Er-
sparung des zeitraubenden Diktierens bezw. Nachschreibens. Die Frage,
ob das Bedürfnis nach einem anderen derartigen Leitfaden vorlag, mufs
im Hinblick auf die vielfachen, zum Teil trefflichen Unterrichtebücher
gleicher Art und Absicht verneint werden, — bejahet werden, dagegen
die Frage, ob der Neuling brauchbar und empfehlenswert sei. Besonders
geglückt ist dem Verfasser die Zusammenstellung des ausgedehnten, aber
wohl gesichteten Stoffes in klare, knappe Sätze, bei denen durch Wort-
fassung und Druck das Wichtigste hervortritt. Solche Lehrmittel veralten
erfahrungsmäfsig schnell durch die Änderungen der Reglements und
Vorschriften. Wir geben dem Verfasser für eine etwaige zweite Auflage
einige Punkte zur Erwägung. Lst die Erklärung des „kleinen Krieges"
(§ 216) wohl erschöpfend bezw. ganz zutreffend? Und doch sind die
Offiziere des Beurlaubtenstandes, wenn sie bei Landwehrtruppen stehen,
recht veranlafst, sich in die Eigentümlichkeiten der Unternehmungen des
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Umschau in der Militär-Litteratur.
223
kleinen Krieges hineinzufinden .... Werden die Abmessungen der aller-
dings der „ Feld pionier- Vorschrift für die Infanterie" entnommenen
Schützengräben bezw. der Brustwehren hinreichen, auch gegen die Durch-
schlagskraft der Geschosse der Kleinkalibergewehre? Ein Hinweis auf die
bezüglichen Angaben der neuen Schiefsvorschrift erscheint geboten, ebenso
ein Vermerk beim Abschnitt „Verteidigung«- Einrichtungen" von Mauern,
Zäunen, Hecken, Gebäuden, dafs der Wert derselben ganz erheblich ge-
sunken ist, insofern sie bei nicht bedeutender Stärko an sich keinen wirk-
samen Schutz gegen das feindliche Infanterie- geschweige denn Artillerie-
Feuer bieten. Man wird häufig besser thun, sich vorwärts- oder seitwärts
dieser Gegenstände hinzulegen, als dieselben zur — oft trügerischen —
Deckung zu verwerten. 34.
Neuheiten der französischen Militar-Litteratur.
Folgende Werke aus dem Verlage von H. Oharles-Lavauzelle, Paris
und Limoges 1890, sind uns neuerdings zugegangen: 1. Instruction
thöorique du soldat ou theories dans les chambres par demandes
et reponses, par G. Le Grand, capitaine adjudant-major au 71 ,IDC regiraent
d'infanterie. 4 e edition. Das Büchelchen ist für den theoretischen Unter-
richt des Infanteristen bestimmt und behandelt in Fragen und Antworten
Alles, was demselben Uber inneren und äufseren Dienst in der Garnison
und im Felde zu wissen not thut. — 2. Conseils aux sous-officiers
et caporaux par A. B. Faurie, capitaine au 66° d'infanterie. Eine
kurz gefafste Instruktion für das Verhalten der Unteroffiziere als Vor-
gesetzte im Allgemeinen, bei Inspizierungen im Besonderen. — 3. In-
struction ministerielle du 25. octobre 1887 sur le Service Pre-
votal de la Gendarmerie aux Armees. 2° edition. Eine sehr umfang-
reiche Instruktion Uber den Dienst und die Befugnisse der Feld-Gendar-
merie, verbunden mit zahlreichen Schemas zur Anfertigung von dienst-
lichen Meldungen und Rapporten. — 4. Les reraontes. Reponse ä
Monsieur Casimir Perier. Preis 0,50 fr. Anknüpfend an die auch in
den „Jahrbüchern" erwähnte Thatsache, dafs ein französisches Kavallerie-
Regiment anstatt 677 nur 580 Mann beritten machen könne im Kriegs-
falle, da 86 junge, undressierte Pferde eigentlich nur „auf dem Papier"
vorhanden sind, wird von einem „höheren Kavallerie-Offizier," welcher die
Frage nochmals eingehend beleuchtet, der Deputierte Casimir- Perier der
Dankbarkeit der Kavallerie versichert, dafs er die Frage im Parlament
angeregt habe. 5. Notes sur la Religion musulmane en Algörie.
(Extrait de la Revue d'infanterie). Eine sehr interessante Monographie
über den Islam, dessen Geschichte, Lehrsätze und Kultus. Die Broschüre
verdient, da es sich in den Kreisen der Bekenner dieser Religion stark zu
„regen" beginnt, und der Panislamismus an Ausdehnung zu.sehends ge-
winnt, Beachtung. Verfasser meint, alle Gläubigen würden den höheren
Weisungen blind gehorchen, „wie der Leichnam in den Händen des
Totenwäschers." 4.
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224
Umschau in der Militfir-Litteratar.
Wolfram-Geschosse. Von R. Wille, Oberst a la saite des Fufs-
Artillerie- Regiments Encke. Berlin 1890. Verlag von
R. Eisensch ruidt.
Das Wolfram gehört zu den in gröfseren Leserkreisen wenig bekannten
Metallen, seine Erze sind Begleiter der Zinnerze und verursachen beim
Verhüllen der letztoren eine hochgradige Verschlackung des Zinns; wegen
dieser quasi „Gefräfsigkeit" dem Zinn gegenüber sprach man von „Wolf*
oder „Wolfrig", woraus der wissenschaftliche Name Wolfram entstanden
ist. Man hat bisher von Wolfram sehr wenig Gebrauch gemacht, man
findet es hauptsächlich nur als Zusatz des Stahls im Wolframstahl und in
feinen Salzen zur Herstellung der Wolframfarben verwendet. Eine Ausbeute
im Grofsen konnte dadurch nicht hervorgerufen werden und da man zu
solcher keinen Anlafs hatte, unterliefs man es, seinem Vorkommen ernstlich
nachzuforschen, dies hat Anlafs zu der stehenden Kennzeichnung gegeben:
„Wolfram, sprödes, hartes, sehr dichtes Metall, von seltenem Vorkommen".
Damit wäre wohl noch auf lange Zeit das Schicksal des Wolfram besiegelt
gewesen, hätte nicht der in der Armee wohlbekannte Gewehrballistiker
und Gewehrtechniker Major a. D. Mieg*) schon vor einer Reihe von Jahren
den Gedanken ins Auge gefafst, dieses Metall von so grofser Eigenschwere
und Härte als Substanz für Gewebrgeschosse ins Auge zu fassen, wozu die
damals in Diskussion stehende Verminderung des Gewehrkai ibors besonders
aufforderte. Die „Jahrbücher" haben zuerst unter den militärischen
Zeitschriften auf Grund eigener Informationen der Mieg sehen Be-
strebungen, wenn auch nur kurz, Erwähnung gethan, vergl. darüber die
militärtechnische Umschau im Septemberheft 1889 (Band 72, Heft 3);
zwei politische Blätter, die Berliner „Post" und die Münchener „Allgemeine
Zeitung", hatten darüber bereits Artikel gebracht, die letztere einen sehr
eingehenden. In den Jahrbüchern wurde u. a. erwähnt, dafs noch Zweifel
vorlägen, ob die Gewinnung des Wolfrain in genügendem Umfange möglich
sei, um eine Massen-Fabrikation von Gewehrgeschossen ins Leben zu rufen.
Die Interessenten glauben indes heute, dafs diese Zweifel gehoben seien
und berufen sich auf umfassende Nachforschungen. — Späterhin hatte
das Archiv für Art.- und Ingen. - Offiziere, im Okt.-Nov.-Heft 1889, in
einem eingehenden Artikel die Frage der Wolfram-Geschosse für Gewehre
einer lehrreichen Betrachtung unterworfen deren Endergebnis zwar
kein völlig günstiges war, indes die ballistischen Vorteile, die nach Über-
windung einzelner, noch bestehender Hindernisse sich ergoben müssen, in
vollem Mafse anerkannte und im Vergleich mit dem damals bestehenden
besten Kleinkaliber -Gewehr, demjenigen Frankreichs, wissenschaftlich
begründete.
Heute liegt nun eine besondere Schrift über Wolfram -Geschosse
vor, deren Titel unserer Besprechung vorangestellt ist. Dieselbe entstammt
*) Verfasser der bekannten Schrift: .Die Verwendung des Inft-Gew. M/71",
Berlin 1877.
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Umschau in der Militir-Litteratur.
225
der Feder eines höheren Offiziere, der auf dem Gebiete der Waffen-
Konstruktionen nicht blofs theoretische Studien für sich hat, sondern eine
lange Reihe von Jahren in der militärischen Technik rein praktische
Thätigkeit entwickelt hat und zwar in einflußreichen Stellungen, zuletzt
als Direktor der Artillerie- Werkstatt Spandau. Die Schrift des Obersten
Wille ist, wie nicht anders zu erwarten, von hohem wissenschaftlichen
Wert; sie hat das Programm insofern erweitert, als sie auch die Ver-
wendung des Wolfram zu Artillerie-Geschossen in den Kreis der Betrachtung
gezogen hat. Man kann die Aussichten, welche sie der Entwicklung der
Frage eröffnet, als vorherrschend günstige bezeichnen, ja sie entrollt
ein Zukunftsbild der Gewebrkonstruktion , das die Verwendung des
Wolfram-Metalls zu Gewehrgeschossen geradezu gebieterisch erheischen
wird, wir meinen die weitere Verminderung der Gewehrkaliber unter
7,5 mm, was nach dem Vorgang von Jagdgewehren bis 6 mm schon
praktisch durchführbar erscheint.
Die Schrift des Obersten Wille zerfallt in 5 Abschnitte, davon be-
trachtet der erste als Einleitung das kleine Kaliber Uberhaupt, während
der zweite dem Metall Wolfram in chemischer und mineralogischer Be-
ziehung gewidmet ist. Der dritte oder Hauptabschnitt handelt von den
Wolfram-Geschossen für Handfeuerwaffen, woran sich ein kürzerer vierter
Abschnitt: „Wolfram -Geschosse für Geschütze" schliefst. Der fünfte
Abschnitt endlich behandelt Bedarf, Vorkommen und Preis des Wolfram.
Sechs Anlagen ballistischen Inhalts bilden den Schlüte. Es würde uns zu
weit führen, wollten wir auch auf die Begründung der ballistischen
Vorzüge der Wolfram-Geschosse für Gewehre, die das Hauptthema bildet,
hier näher eingehen. Wohl aber sei es uns vergönnt anzudeuten, wie
sich Verfasser die Rolle des Wolfram bei fernerer Kaliber-Verminderung der
Gewehre denkt, nier scheinen ihm Hartblei-Geschosse ganz ausgeschlossen,
denn sie würden bei einer entsprechenden Querschnittsbelastung Längen be-
dingen, die aus ballistischen Gründen ausgeschlossen sind. Verfasser be-
rechnet unter Zugrundelegung des 7,5 mm Wolfram - Geschosses der
Konstruktion Mieg (beiläufig von 33 mm gleich 4,4 Kaliberlänge, 19,3 g
Gewicht und 0,437 g Querschnittsbelastung auf den Quadratmillimeter,
gegen 0,28 g Querschnittsbelastung des 8 mm Hartblei-Geschosses von
14 g und 0,30 g desjenigen von 15 g Gewicht) die Querschnittsbelastung
beim 7 mm Wolfram-Geschoss auf 0,4077, bei 6 mm auf 0,3495 g. Um
gleiche Querschnittsbelastungen zu erzielen, müfsten die Hartblei-Geschosse
jener Kaliber 46,2 bezw. 39,6 mm lang werden (entsprechend 6,6 Kaliber),
während die Wolfram-Geschosse 30,8 bezw. 26,4 Länge bedingen. Bei
den errechneten Längen der Hartblei-Geschosse kleinsten Kalibers würde
ein ausserordentlich steiler Drall mit allen seinen ballistischen Nachteilen
in Kauf genommen werden müssen, abgesehen von den Schattenseiten,
welche so grofse Längen für die Gestaltung der Patrone im Gefolge haben.
Man ist hier also auf die Wolfram-Geschosse angewiesen. Nun
könnte allerdings Jemand die Zuliissigkeit weiterer Kaliber- Verminderung
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226
IJinwban in der Militär-Litteratur.
in Abrede stellen. Man hat ja die Unmöglichkeit des Ausbohrens und
Ziehens solcher Lüufe, wie der Reinigung in den Vordergrund gestellt.
Erkennt eine in die Maschinen-Technik so tief eingeweihte Persönlichkeit
wie Oberst Wille diese Einwürfe nicht an, so hat er sicherlich die Be-
rechtigung dazu. Hören wir endlich, was er im Schlufswort über die
weiteren Fortschritte sagt: n Die ferneren Fortschritte werden in erster
Reihe durch die Verwendung erheblich dichterer Geschosse, also durch
die Annahme des Wolfram-Geschosses ermöglicht werden. Die aus
den obigen Darlegungen zu entnehmenden ballistischen Vorteile und Vor-
züge dieser Geschosse sind so grofs, dafs sie der mit ihnen ausgerüsteten
Infanterie unter sonst gleichen Bedingungen unstreitig eine wesentliche
Überlegenheit über einen Gegner verleihen werden, der noch die gewöhnlichen
Hartblei-Mantelgeschosse führt. Zwar ruht der Sieg nicht in den Waffen,
sondern in den Truppen; nicht die gröfsere oder geringere technische
Vollendung der toten Werkzeuge besiegelt die Entscheidung auf der
Wahlstatt, sondern der Geist, der sittliche Wert und die Führung der
Heere. Gute Waffen bilden jedoch immerhin ein sehr wirksames Hülfs-
mittel zum Siege und lassen den Sieger sein Ziel mit geringeren Opfern
erreichen. Deshalb mufs jeder Heeres-Organismus unablässig danach
streben, die relativ besten Waffen zu besitzen. Zu diesen aber wird
künftig ohne Zweifel ein Gewehr kleinsten Kalibers mit Wolfram-
Geschossen zählen."
Hinsichtlich der Wolfram-Geschosse für Geschütze erscheinen nach der
Darlegung nur die Füllkugeln der Streugeschosse zunächst praktisch an-
wendbar zu sein. Die Heranziehung des Wolfram zum Aufbau des Geschofs-
körpers ist vor der Hand noch nicht ausführbar. Bei dem Massenbedarf
würde hier auch die Frage des Vorkommens und des Preises in erhöhtem
Mafse ins Gewicht fallen.
Im letzten Abschnitt finden wir angegeben, dafs nach genügend
sicheren Ermittelungen Wolframerze in solcher Menge gefordert werden
können, dafs sie den errechneten Bedarf (erster Gesamtbedarf von 10,000
Tonnen, laufender Jahresbedarf 500 Tonnen Metall) mehr als ausreichend
decken. Der wahrscheinliche Preis ist gleichfalls errechnet, doch fehlt der
Vergleich mit dem der Hartblei-Geschosse. Im übrigen sagt Verfasser
hierüber wie folgt: „Die Preisfrage wird sich allem Anschein nach einer
befriedigenden Lösung entgegenführen lassen. Wenn übrigens die ballistische
Leistungsfähigkeit und das sonstige Verhalten der Wolfram-Geschosse bei
einer gründlichen Prüfung im giofsen gleichfalls ihre entscheidende Über-
legenheit über die gegenwärtig gebräuchlichen Geschofs-Konstruktionen
darthut, so würde diesen hohen Vorzügen gegenüber der Preis an sieh
nur wenig ins Gewicht fallen und schwerlich ein ernstes Hindernis für ihre
Annahme bilden können. Von den eisernen Ladestöcken bis zu den Mehr-
ladern vermag ich mich keiner wesentlichen Verbesserung, keines wirk-
lichen Fortschritts in der Bewaffnung zu entsinnen, durch welchen die
Ausrüstung der Truppe wohlfeiler geworden, oder der lediglich an dem
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Umschau in der Militär-Litteratur.
227
leidigen Kostenpunkt gescheitert wäre." — Wenn unsere Besprechung bei
dem Leser das Vertrauen erweckt hat, dafs Wolfram als Geschofsmaterial
nicht ganz aussichtslos ist, so ist in diesem Falle unsere Aufgabe als
Berichterstatter gelöst, die doch nur darin bestehen sollte, zum Einsehen
und womöglich zum Studium der Wille'schen Schrift anzuregen, nicht
durch weitgebende Mitteilung des Inhalts eine unmittelbare Kenntnisnahme
derselben überflüssig erscheinen zu lassen. In diesem Sinne haben wir
unsere Besprechung eingerichtet und hoffen, mit derselben der Sache
förderlich gewesen zu sein. VI.
Ne quid nimis. Olfener Brief an den Verfasser von »Videant
consules«. Von Friedrich Wilhelm Schnitze. Berlin
NW. Verlag von Richard Wilhelmi. 1890. Preis 1,50 M.
Die bekannte Broschüre „Videant consules" fand vor einiger Zeit in
einer, ebenfalls aus dem Wilhelmi'schen Verlage hervorgegangenen Schrift:
„Cedant arma togae" eine Widerlegung besonders nach der politischen
Seite hin, o bschon die Ausführungen des Verfassers vielfach begründeten
Widerspruch erfahren haben und in Behandlung der militärischen
Frage geradezu unzulänglich waren. — Eingehender und mit besserem
Geschick entledigt sich der vorliegende „Offene Brief" dieser Auf-
gabe. Fr. W. Schnitze (natürlich ein Pseudonym) bemüht sich, in treffen-
der Weise und mit den Waffen eines köstlichen, selbst derben Huiuors die
vielen schiefen Urteile und maßlosen Übertreibungen des „Herrn Videant",
wie er ihn scherzweise nennt, auf das richtige Mafs zurückzuführen,
daher das gewühlte Schlagwort: Ne quid nimis. — Einleitend wird zu-
vörderst mit beifsendem Spotte die sogenannte „Miehelei" abgefertigt,
jenes, einem grofsen Teile der Durchschnitts-Deutschen anhaftende nörgelnde,
Alles besser wissende politische Philistertum, dessen Gruudsatz lautet:
„Ich kenne die Absichten der Regierung nicht, aber ich mifsbillige sie."
Dem Gebahren dieser durchaus leistungs unfähigen, hier nicht näher zu
bezeichnenden Partei tritt Verfasser mit aller Schärfe entgegen; „noch
immer," sagt er, „laute die alte Michelweise: Schmähe das deine, preise
das Fremde". Eine geradezu staunenswerte Belesenheit befähigt ihn, hier
mit einigen besonders drastischen Beispielen aus der parlamentarischen
Michelei aufzuwarten, so der Ausspruch eines noch lebenden fortschritt-
lichen Parteimannes vom 18. Dezember 1863: „Der Ministerpräsident
(Bismarck) hat keine Ahnung von einer nationalen Politik;" dann die
gemeingefährliche Redensart des Wahlflugblattes der Fortschrittspartei
186ü: „Kein Bruderkrieg, diesem Ministerium keinen Groschen," endlich,
nach den preufsischen Siegen, die gedankenlose Phrase: „Der Schul-
meister hat bei Küniggrätz gesiegt." Dieser Schulmeister war eben kein
anderer als der preufsische Offizier! — Des Ferneren wendet sich unser
trefflicher F. W. Schultze dann direkt gegen „Videant" und dessen über-
schwängliche Lobpreisungen der französischen Armee. Er weist, auch an
der Hand zahlreicher Citate aus französischen Militärzeitschriften der letzten
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228
Umschau in der Militär-Litteratur.
Jahre nach, dafs auch jenseits der Vogesen keineswegs Alles Gold sei,
was glänze, und recht sehr mit Wasser gekocht werde. „Ein grofser Segen
sei es, dafs bei uns im Bedarfsfalle stets mehr vorhanden war, als auf
dem Papier stand, und dafs bei den anderen immer mehr auf dem Papier
stand, als wirklich da war. tt — Das möge unseren „Micheln" und Angst-
meiern genügen! — Das Thörichte des Verlangens von „Yideant," dafs
wir 1887 hätten Frankreich den Krieg erklären sollen, wird sodann in
überzeugendster Weise dargelegt, namentlich der dagegen sprechenden
persönlichen Gründe in taktvollster Weise nur andeutend Erwähnung
gethan; denn, man kann sagen, jedes Kind kennt sie, nur „Yideant"
nicht. Über das Verhältnis zu Russland wird geurteilt, dafs „unbeschadet
der treuen Erfüllung unserer Bundespflichten gegen Österreich, es unver-
nünftig sei, seine Hand zurückzustofsen, wenn es selbst in ehrlicher
Eintracht mit uns leben wolle." — Aus der Fülle des hier Gebotenen
können wir nur dieses Wenige herausgreifen; namentlich müssen wir zu
unserem Bedauern darauf verzichten, den Ausführungen des Verfassers auf
organisatorischem und militär-politischem Gebiete näher zu treten; wir
können nur sagen, dafs sie überzeugende sind und den genauen Sach-
kenner verraten. Die Lesung dieser tüchtigen kleinen Schrift war für
uns eine geradezu herzerfrischende, wenngleich wir ja manchen An-
sichten des Verfassers nicht durchaus beipflichten können. Jedenfalls ist
dieselbe das rechte Wort zur rechten Zeit, dem wir zahlreiche Leser
und volle Beachtung wünschen. 1.
III. Seewesen.
Admiralty and Hone Guards Gazette. Nr. 290: „Unsere mari-
time Stellung"; Ansichten der Admirale Elliot, Hornby und Symonds
Uber den Zustand der englischen Flotte. Dieselben betonen am Schlufs,
dafs man sich die Bestrebungen unseres Kaisers bezüglich der deutschen
Flotte als Muster nehmen möge. Als Tag der Mobilmachung der englischen
Flotte zur Ausführung umfassender Manöver, wird der 1. Juli genannt.
Während der Zeit soll auch ein event. Forcieren der westlichen Passage
zwischen der Insel Wight und der englischen Küste in Aussicht genommen
sein, zu welchem Zweck die Hampshire Militia Artillerie die Needles Forts
besetzen und einige Bataillone Infanterie dahin beordert werden sollen. —
Seitens der spanischen Marinebehörden sind in Cadix interessante Schiefs-
versuche mit einem automatisch schnellfeuernden Geschütz nach dem
„Maxim -System" ausgeführt worden. Das Geschütz wiegt 300 Pfd., das
Geschofs 11 Pfd. Von den in 10 Sekunden gefeuerten 50 Geschossen »oll
der Erfinder, trotz heftigen Windes, noch 47 in eine Scheibe auf 600 m
Entfernung gebracht haben. Später sind noch 50 Granaten auf 2000 m
in 10 Sekunden gefeuert werden. — Nr. 291: Wie wenig Wert die
kleinen Torpedoboote für die Operationen auf hoher See haben, dafür
liefern die Boote Nr. 47 und 48 einen schlagenden Beweis. Sie waren
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Umschau in der Militar-Litteratnr.
beide für Gibraltar bestimmt, mufsten aber schlechten Wetters halber
schon bei Ushout umkehren und nach Plymouth zurtickdampfen. Bei
Thornycroft & Co. in Chiswick bei London ist für die Argentinische Re-
publik ein Torpedoboot von 150 Fufs Länge, 14 Fufs 6 Zoll Breite und
5 Fufs Tiefgang gebaut worden; dasselbe hat dreifache Compound-
Maschinen mit Doppelschrauben, Kessel nach Tbornycrofts Patent-System,
ferner 2 Bugrohre für 18 zöllige Whithead Torpedos, 16 Fufs 5 Zoll lang
und auf Deck bewegliche Rohre für 11 füfsige Torpedos. 3 Nordenfeldt
dreipfündige Kanonen dienen als Armierung. — Nr. 292: In Amerika
hat man ein Geschütz versucht, deren Granate mit Dynamit geladen war
und die mit Pulverladung abgefeuert wurde. Das Geschütz war ähnlich
dem des Oberst Hope. Es war der erste und letzte Versuch mit dem
Geschütz, denn es zersprang beim ersten Schufs in Atome. Der Erfinder
glaubte, dafs nicht das Dynamit, sondern ein Fehler im Roh' oder im
Geschofs die Ursache des Springens gewesen sei (?). — General Clark
spricht sich über das Manöver eines Seeangriffs auf Dover folgendermaßen
aus: Gestatten Sie mir in kurzen Worten einen energischen Protest
gegen die sinnlosen Operationen gegen Dover. Thörichte (foolish)
Manöver dieser Sorte dienen nur dazu, irrtümliche Ansichten zu ver-
breiten, die so vorherrschende Konfusion von Ideen noch zu vermehren
und taktische Lebren zu geben, welche eines Tages für den Preis von
Blut und Unheil unerlernt bleiben. Schiffen, durchaus ungeeignet,
Küstenbefestigungen anzugreifen, wird gestattet, Stunden lang unter Ge-
schützfeuer zu verweilen, welches sie in 20 Minuten zum Sinken gebracht
haben würde. Mannschaften werden von gesunkenen Schiffen unter einem
Feuer gelandet, welches die Landungsboote zerstört haben würde und
zwar aus dem Gruude gelandet, um eine Position in Front von Festungs-
werken einzunehmen, welche nicht durch einen Handstreich gewonnen
werden konnton. Andere Leute werden beordert, das Glacis von Werken
zu berennen, welche durch einen Handstreich ebenso wenig zu nehmen
waren. Solche Dinge sind nicht mehr lächerliohe Zwischenfalle, sondern
schlielsen die Protistution jeder wirklichen militärischen Erziehung in sich
u. s. w.
Army and Navy Gazette. Nr. 1582: Der Preis, welchen die United
Service Institution für den besten Entwurf der maritimen Verteidigung
Englands ausgesetzt hat, ist dem englischen Kapitän zur See Henry
F. Cleveland zugesprochen worden. Er teilt seine Abhandlung in zwei
Abschnitte: 1. Besprechung dessen, was geschehen müsse, 2. die Krlifte
welche nötig sind, das auszuführen. Er beansprucht für das englische
Territorium 24 Arsenale, 25 Kohlenstationen, 23 kommerzielle Mittelpunkte
für merkantile Zwecke u. s. w. Aufser den Landbefestigungen und See-
minen sind nach dem Entwurf : 72 Schlachtschiffe, 47 gepanzerte Kreuzer,
82 Kreuzer II. Klasse, 108 Kreuzer III. Klasse, 90 Torpedokreuzer,
20 Kohlenschiffe, 10 Materialien-, Proviant- und Munitionsschiffe, 9 Torpedo-
Depotschiffe u. s. w.; für lokale Küstenverteidigung 52 Panzerfahrzeuge,
Jahrbach« IBr dto Doottcb» Ann«« ud Mmrlne. Bd. LXXVI . . 16
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230
Umschau in der Milit&r-Litteratur.
53 Kanonenboote, 184 Torpedoboote und eine Flotille von 114 Schiffen
zur Bewachung der Minenfelder, in Summe mit einer Besatzung von
119,443 Mann u. 8. w. erforderlich. - Mr. 1583: Ein Herr M. Weyl hat
einen interessanten Artikel in „Le Yacht": „Le curasse d'Escadre" ver-
öffentlicht. Der Tenor desselben ist etwa folgender. Jedes Panzerschiff
ist nur eine Einheit im Geschwader; ein Geschwader hat aber nicht das
rötige Kraftmafs, wenn es nicht aus solchen Typen besteht, die ihm die
nötige Kraft gewähren, d. h. aus der nötigen Zahl von .schweren Panzer-
schiffen, Kreuzern und Satelliten (Torpedoboot), durch grofses Deplacement
kann den Schiffen nur die erforderliche Geschwindigkeit verliehen werden;
es macht sie unempfindlich gegen Seegang (V); sie tragen die schwersten
Geschütze, deren Geschosse fähig sind den stärksten Panzer auf grofse
Entfernungen zu durchschlagen. Grofse Panzerschiffe gewahren Kohlen-
räume um Kohlenmassen auf denselben anzuhäufen, so dafs sie fast solange,
als es wünschenswert erscheint, mit denselben in See bleiben können,
ohne Kohlen auffüllen zu brauchen u. s. w. Andererseits aber kosten
grofse Panzerschiffe, deren Armirung, Panzerung, Maschinen und sonstige
Ausrüstung bedeutende Summen, etwa 80 £ Sterling pro Tonne u. s. w. —
Nach einer Beschreibung des submarinen Bootes Goubet taucht dasselbe
bis auf eine gewisse Entfernung vom feindlichen Schiffe nur soweit unter,
dafs der kleine Turm noch über Wasser ist, es wird durch die eigene
Maschine fortbewegt. Sobald dasselbe möglicherweise vom Feinde gesehen
wird, taucht es unter. Bis auf 100 m Entfernung vom Feinde ange-
kommen, taucht es tiefer und wird dann durch 2 Ruder (Riemen) bewegt,
welche durch wasserdicht abgeschlossene Öffnungen aus der Schiffsseite
ragen. Etwa 50 m vom Feinde taucht es dann bis zu 4 — 5 m Tiefe
unter Wasser. Unter dem Boden des feindlichen Schiffes angekommen,
werden die beiden mitgeführten Torpedos losgeschraubt; die bis zum
Boden des Schiffes auftreibenden unheimlichen Fische werden dort fest-
gehalten, so dafs Goubet sich entfernen kann. Auf entsprechender
Distanz angekommen, wird die mitgeführte elektrische Zündung in
Thätigkeit gesetzt und das feindliche Schiff zum Sinken gebracht, während
Goubet sich sal viert und von dem Orte der Zerstörung eilt. Auch ist es
möglich, durch den Goubet Telegraphenkabel u. s. w. zu zerstören. Die
Schiffsschrauben können durch zwei an einander gekettete Bogen, die durch
das submarine Boot an den betreffenden Ort geführt und dort befestigt
werden, gleichfalls der Zerstörung preisgegeben werden, indem sich Kette
und Bojen mit den Schraubenflügeln verwickeln, wodurch die Maschine
und Schrauben am Funktionieren verbindert sind. — Das grofse Er-
eignis des Tages ist in Spauien noch immer der Triumph des submarinen
Torpedobootes n Peral, tt welcher die spanische Nation in einen Freuden-
rausch gestürzt -hat. Dasselbe ist während 65 Minuten 10 m unter dem
Meeresspiegel-, i y blieben und hat in der Bucht von Cadix manövriert, und
damit endlich, die Erwartungen erfüllt, welche ganz Spanien seit drei
Jahren auf sein Problem gesetzt hatte.
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Umschau in der Militar-Litoratnr.
831
Army and Navy Journal. Nr. 37 l. 38 bringen unter der Überschrift
„das Torpedoboot Cusbing ist ein Wunder", Skizzen und Details
über das erste Torpedoboot der Nordamerikanischen Marine. Seine
Dimensionen sind 137'/, Fufs Lange, 15 Fufs Breite, 47, Fufs Tiefgang,
Deplacement* in Tons a 2240 Pf.— 91,2. Das Material besteht aus Eisen
und Stahl; wasserdichte Querwände teilen das Boot in 11 Abteilungen;
Maschinen von 1700 Pferdekräften treiben das Boot mit einer Geschwindigkeit
von 22'/» bis 24 Knoten durch das Wasser. Der Kohlenverbraucb der
Maschinen bei voller Kraft beträgt 3800 per Stunde u. s. w. — Bei einer
Übungsfabrt von Newport bis New York machte das Boot bei heftiger See
7 Stunden hindurch 19'/, Knoten. — Nr. 38: Nach dem „Le Monde
illuströ" soll das submarine Boot Goubet mit 2 Mann an Bord 8 Stunden
unter Wasser gewesen sein. Es sind Gefäfse mit Oxygengas, welche die
Luft zum Atmen enthalten, an Bord, während eine Pumpe die schlechte
Luft hinaustreibt. Mr. Goubet, der Erfinder, ist bemüht, Spiegel zu er-
finden, um bei etwa 2— 4 m Tiefe um sich sehen zu können u. s. w.
Revue Maritime et Coloniale. (Mai): Fortsetzung und Schlufs der
Geschichte einer Flotte der Vergangenheit, von M. Keraval, Fregatten-
Kapitän a. D. — Oceanographie. Fortsetzung und Schlufs von M. J.
Thoulet's interessanten Schilderungen, unter Bezugnahme auf die auf der
Reise der englischen Fregatte Cha) lenger u. a. in den Eisregionen des
südlichen Atlantischen Oceans und anderen Meeren, über Tiefenverraessungen,
Schleppnetze u. s. w. — Das russische Panzerschiff „Sinope" hat bei
der Probefahrt im Schwarzen Meere 13,000 Pferdekräfte entwickelt und
19'/ 4 Knoten Geschwindigkeit gemacht. Die Maschinen waren von M. M.
Napier in Glasgow geliefert. — Der russische Hülfskreuzer „Oriel" in
Newcastle-ou-Tyne hat bei seiner Probefahrt 9934 Pferdekräfte entwickelt
und das Schiff mit denselben 18,9 Knoten bis 19,3 Knoten vorwärts
getrieben.
Mitteilungen an dem Gebiete des Seewesens. Nr. III: Besprechung
bezüglich der internationalen maritimen Conferenz in Was-
hington 1889. Der Artikel hebt mit Recht hervor, dafs der Gedanke,
eine grofse Anzahl der auf das Seewesen bezüglichen Angelegenheiten auf
internationalem Wege gleichförmig zu regeln, ein sehr naheliegender und
in der Natur der Dinge wohl begründet sei, dafs sich jedoch zur Re-
alisierung der Idee eine Menge Schwierigkeiten in den Weg stellen, die
vielleicht weniger in der Sache selbst, als darin liegen, dafs man einer-
seits die Autonomie der einzelnen Staaten nicht behindern, andererseits die
in den einzelnen Staaten entwickelten und eingelebten Rechtssysteme und
Rechtsanschauungen nicht ohne weiteres in andere Bahnen lenken kann.
Immerhin bleibt die Idee selbst eine gesunde, der angestrebte Zweck ein
höchst vorteilhafter. — Die Hauptthätigkeit der Konfei bezog sich auf
die erste Abteilung des Programms, nämlich die Vorschi n zur Ver-
meidung von Zusammenstößen im Vereine mit den Nomen für die
Führung der Positionslichter und die ßchallsignale: Das mit dem
16*
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UmBchau in der MilitÄr-Litterator.
Studium dieser Frage betraute Comite" legte seinen Beratungen das der-
malen in Kraft stehende internationale Programm zu Grunde und gelangte
nach vielfaltigen Debatten und Studien zu der Ausarbeitung eines neuen
Entwurfs, welcher sich ab eine teilweise Anwendung des jetzigen
Reglements darstellt. — Auch die Einführung eines internationalen
ßetonnungswesens bildete ebenfalls den Gegenstand eingehender Beratung.
Man erkannte jedoch, dafs man ein System, welches viele Staaten zu einer
durchgreifenden Änderung ihrer bestehenden Einrichtungen zwange, nicht
wohl beschließen könne, und gelangte daher nur zur Aufstellung von
solchen Punkten, deren Durchfahrung in keiner Richtung sonderliche
Schwierigkeiten darbietet. — „Neuerungen an Dampfmaschinen";
Vortrag des k. u. k. Maschinenbau- und Betriebs - Oberingenieurs
J. Fassel, gehalten im marine- wissenschaftlichen Vereine zu Pola, bezweckt
die Vorführung der im Schiffsmaschinenwesen in der jüngsten Zeit auf-
getretenen Neuerungen, die Darlegung der nach Anwendung dieser
Neuerungen gemachten Erfahrungen und die Beleuchtung jener Stand-
punkte, welche voraussichtlich durch längere Zeit als für weitere Ver-
besserungen auf diesem Felde maßgebend angesehen werden dürften.
v. H.
IV. Verzeichnis der zur Besprechung eingegangenen
Bücher.
1. ün Pionnier. Lei Fortl et la Melinite. 2« edition. Paris- Limo-
ges 1890. H. Cbarles-Lavauzelle. Preis 1,25 frcs.
2. La Poudre uns fumee et set consequences tactiques par le colonel
B . . . Paris. Librarie Furne, Jouvet et Cie. 1890. Preis 1,50 frcs.
3. Droits et Obligation! des Officiers. (Reserve et Armee territoriale).
Paris — Limoges 1890. H. Charles-Lavauzelle. Preis 5 frcs.
4. Petlte Bibllotheque de l'Arraee francuise: Historique du 12* re-
giment d'infanterie. Paris— Limoges 1890. H. Charles-Lavauzelle. Preis
0,60 frcs.
5. Ois deutsche Reick ia Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft. National-
politische Betrachtungen aus Süddeutachland, von G. A. Klausner. Leipzig.
Ed. H. Mayer, Verlagsbuchhandlung. Preis M. 1.
8. H. Marcottl. Die Savoyen-Dragoner. Deutsch von Wilhelm Ritter
von Hackländer, k. u. k. Rittmeister i. d. R. Wien 1890. Verlag von
L. W. Seidel & Sohn. Preis M. 5.
7. Oer Militlr-Telegraphlst. Ein Hülfsbuch für den theoretischen
Unterricht zur Ausbildung in der Feld- und Festungs -Telegraphie. Mit
54 Abbildungen. Zweite verbesserte Auflage. Von A. v. Renesse, Haupt-
mann u. s. w. Berlin. Carl Duncker. 1890. Preis M. 1.
8. Das rauchschwache Pulver und seine Bedeutung für dea Festungs-
krieg. Eine Studie von Wiebe, General der Artillerie z. D. Berlin 1890.
E. S. Mittler & Sohn. Preis M. 1.
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Umschau in der Militar-Litteratur.
233
9. Kritische Rückblicke auf den russisch-türkischen Krieg 1877/78.
Nach Aufsätzen von Kuropatkin bearbeitet von Krahmer, Oberst n. 8. w.
Dritter (Schlufs-)Band. Mit 10 Planen und Skizzen. Berlin 1890. E. S.
Mittler & Sohn. Preis M. 4,50.
10. Taktische Uaterrichtsbrlefe zur Vorbereitung für das Kriegsakademie
Examen, taktische Übungsritte, Kriegsspiel und Manöver. Aufgaben im
Rahmen des Detacbements gestellt und erörtert von Griepenkerl,
Hauptmann u. s. w. Mit 4 Kartenbeilagen. Berlin 1890. E. S. Mittler
* Sohn. Preis M. 7,50.
11. Schumann aad die Panzer-Fortlflkation. Von Schröder, General-
Major z. D. Mit 2 Tafeln. Berlin 1890. E. S. Mittler & Sohn. Preis
M. 2.
IS. Aahalt für den Unterricht das Elajlhrl|-Frelwllllgen uid der Reserve*
Offizier-Aspiranten der Infanterie. Bearbeitet von Bindewald, Premier-
Lieutenant im Inf.-Regt. Graf Kirchbacb. Potsdam 1890. Verlag von
Eduard Döring.
13. Nachtrag zur Rani- und Quartierliste der Kaiserlich Oeutschen
Marine für das Jahr 1890. (Abgeschlossen Ende Mai 1890). Berlin. E. S.
Mittler & Sohn.
14. Zusammengewürfelte Gedanken über unseraa Oleatt. 3. Auflage.
Rathenow. Verlag von M. Babenzien. Preis M. 3.
15. L'Artillerie a I' Expotition de 1889 par P. Veyrines, capitaine
d'artillerie. Avec 30 planches hors texte. Paris. Berger-Levrault et Cie.
1890. Preis M. 7,20.
16. Bibliotheque du Marin. Elements da Meteorologie nautique par
J. de Sugny, lieutenant de vaisseau. Paris— Nancy 1890. Berger-
Levrault et Cie.
17. Les Industries da Creusot. Le Materiel de Guerre par le Lieute-
nant-colonel Henne bert. Paris 1890. Librairie Plön.
18. Les Industries du Creusot. La cuirasse, la Machlae marine, le
caaoa par Emile Wey 1, officier de marine en retraite. Paris 1890.
Librairie Plön.
19. Oeutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft. Herausgegeben
von L. Quidde. Dritter Band. 1. Heft. Jahrgang 1890. Erstes Heft.
Preis M. 5. Freiburg i./B. 1890. Akademische Verlagsbuchhandlung von
J. C. B. Mohr.
20. Petite Bibliotheque de I* Armee fraacaise: l. Loi du 15 juillet
1 889 sur le Recrutement de l'Armee. Tome IV. 2. Historique du 33 e re"-
giment d'infanterie. Paris — Liraoges. H. Charles-Lavauzelle. 1890.
21. Etüde sur le Reseau ferre ailemand au point de vue de la con-
centration. Extrait de la „Revue d'infanterie". 2» edition. Paris —
Limoges. H. Charles-Lavauzelle. 1890. Preis 0,75 frcs.
22. Geschichte des 5. Infanterie- Regiments „Prinz Friedrich August"
Mr. 104. 1867-1889. Auf Befehl des Regiments bearbeitet von Delling,
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234
Umschau in der MilitärrLitteratur.
Hauptmann und Compagnie-Chef im Regiment Chemnitz. Focke'sche
Buchhandlung (L. Hapke). Preis geb. 3,50 M.
23. Geschichte des 7. Thüringischen Infanterie - Regiments Nr. 96.
Erster Teil: Vorgeschichte. Auf Befehl des Königlichen Regiments zu-
sammengestellt von v. Döring, Hauptmann u. Corap.-Chef im Colberg'-
schen Grenadier-Regt. Graf Gneisenau. Mit 3 Uniformbildern, 4 Ordens-
tafeln und 8 Planskizzen. Berlin 1890. E. S. Mittler & Sohn. Preis
M. 13,50.
24. Geschichte des 2. Thüringischen Infanterie-Regiments Nr. 32, von
seiner Gründung an. Von E. Frh. v. Türcke, Sekondelieutenant im
2. Thüringischen Infanterie-Regiment Nr. 32. Mit Abbildungen, Karten
und Plänen. Berlin 1890. E. S. Mittler & Sohn. Preis M. 8,50.
25. Allgemeine Lehre von der Trnppenf Inning Im Kriege. Von .1.
Meckel, Oberst und Commandeur des 2. Nassauischen Inf.-Regts. Nr. 88.
Dritte durchgesehene Auflage. Mit Abbildungen im Text, einer Steindruck-
tafel und einem Gefechtsplan. Berlin 1890. E. S. Mittler & Sohn.
Preis M. 6.
28. P. de Pardlellan. L' Armee allemande teile qu'elle est. Paris-
Limoges. H. Charles- Lavauzelle. 1890.
27. Russischer Sprachführer für den deutschen Offizier. Herausgegeben
von Frh. v. Tettau, Premierlieutenant im Pommerschen Füs.-Regt. Nr. 34.
Hannover 1890. Helwing'sche Verlagsbuchhandlung. Preis M. 1.
28. Ne quid nimis. Offener Brief an den Verfasser von „Videant
consules". Von Friedrich Wilhelm Schulze. Berlin. Verlag von
Richard Wilhelmi. 1890. Preis M. 1,50.
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XIH Die Schlacht von Tel-el-Kebir
(am 13. September 1882).
(Hauptsächlich nach dem Bericht eines Mitkämpfers geschildert).
Das Heft 12 der vom Grofsen Generalstabe herausgegebenen
Einzelschriften brachte in der Einleitung zu der Schilderung des
Nachtgefechtes bei Laon eine höchst interessante, übersichtliche
Angabe der in der neuern Kriegsgeschichte vorgekommenen nächt-
lichen Kämpfe. Es wurde dabei auffallenderweise das Gefecht vom
13. September 1882 bei Tel-el-Kebir in Ägypten übergangen, welches,
wenn auch sein zweiter Teil schon beim Morgengrauen ausgekämpft
wurde, doch immerhin mit Rücksicht darauf in die Kategorie der
Nachtgefechte gerechnet werden kann, dafs seine Einleitung, ebenso
wie seine erste Durchführung, in die Stille der Nacht oder wenigstens
— nach dem eigenen Bericht des Oberkommandierenden — in die
Zeit »etwas vor Tagesanbruch« fielen.
Verfasser dieser Zeilen fand im März-Heft des bekannten eng-
lischen Magazins, »Nineteenth Century«, unlängst eine Darstellung
der genannten Schlacht aus der Feder eines frühern englischen
Unteroffiziers, des Sergeanten Arthur V. Palmer, welcher mit grofser
Lebendigkeit und in oft drastischer Weise ein anziehendes Bild von
den Einzelheiten derselben zu geben weifs, soweit sie sich innerhalb
des Gesichtskreises eines einzelnen Mitkämpfers abspielen konnten.
Obgleich diese Darstellung für die Frage der Naclitgefechte, ihre
Zweckmäfsigkeit und Ausführung nicht von derselben belehrenden
Bedeutung sein kann wie solche, deren Verfasser auf einer höheren
Zinne der Beobachtung stehen, so trägt doch auch sie vielleicht ihr
Körnchen zu der Beurteilung jener Fragen bei.
Die Schlacht bei Tel-el-Kebir ist auffallenderweise, wie
der ganze englisch-ägyptische Feldzug des Jahres 1882 überhaupt,
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236 Die Schlacht von Tel-el-Kebir (am 13. September 1882).
in Deutschland wenig bekannt, obwohl derselbe die Tüchtigkeit des
damals kommandierenden Generals, Sir Garnet Wolseley, den die
Engländer selbst als ihren seiner Zeit bedeutendsten Truppenführer
angesehen haben, ebenso wie die Tapferkeit und Leistungsfähigkeit
der englischen Troppen in ein helles Licht stellt. Der Tag von
Tel-el-Kebir beweist, dafs diejenigen nicht richtig urteilen, welche
die Landarmee Großbritanniens als eine durchaus minderwertige
ansehen zu müssen glauben. Was die Güte des Materials, wie das
bei einer, auf dem Werbesystem beruhenden Truppe natürlich ist,
etwa zu wünschen übrig läfet, weifs hier doch strammer Drill und
eine eiserne Disziplin in gewissem Mafse auszugleichen, wobei
die hervorragenden Eigenschaften des englischen Offizier-Corps und
die langjährige Erfahrung des tüchtigen Unteroffizier-Corps mit in
Rechnung zu stellen sind. Wie grofs und eigenartig die Strapazen
sind, die den englischen Truppen bei ihren Kriegen in südlichen
Klimaten zugemutet werden müssen, zeigt uns so recht der Bericht
unseres braven Sergeanten; wir lernen aus demselben zugleich die
Zähigkeit und Energie unserer Stammesgenossen im Norden schätzen
und bewundern. Dafs seine Ausführungen, namentlich wegen ein-
zelner darin erwähnter, weniger angenehmer Vorkommnisse*, in
England selbst grofees Aufsehen gemacht haben und sogar zum
Gegenstande einer Interpellation im Parlament gemacht werden
sollten (oder gemacht worden sind?), dürfte den Lesern der »Jahr-
bücher« vielleicht bekannt sein.*)
Es sei zunächst gestattet, den Verlauf des englisch-ägyptischen
Feldzuges von 1882 bis zu dem Angenblick zu skizzieren, wo
Sergeant Palmer, von den schottischen Hochländern, das Wort
ergreift.
Der englisch-ägyptische Feldzug des Jahres 1882 war das letzte
Kapitel jener Bewegung im Nillande, die im November des vorher-
gehenden Jahres mit der von dem Oberst Achmed Arabi in Kairo
in das Werk gesetzten grofsen Militärrevolte ihren Anfang genommen
hatte. Immer weiter um sich greifend, hatte diese Bewegung ihre
Spitze ebenso gegen den Khedive Tewfik gerichtet, dem man die
Begünstigung der das Land finanziell aussaugenden Europäer vor-
warf, als gegen die Westmächte, welche durch ihr dem Staat
10 Millionen francs kostendes Beamtenheer das Land thatsächlich
*) Verfasser dieser Zeilen wandte sich an den Herausgeber der „Nineteenth
Century" mit dem Ansuchen, ihm iu gestatten, den Inhalt der englischen Dar-
stellung in den „Jahrbüchern für die Deutsche Armee und Marine" wiederzugeben,
was demelbe, in der freundlichsten und dankenswertesten Weise genehmigte.
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Die Schlacht ron Tel-el-Kebir (am 13. September 1882). 237
beherrschten. Der in heutiger Zeit, oft so mißbräuchlich ertönende
Schlachtruf im modernen Nationalitüten kämpf bildete auch damals
die Parole des von seinen europäischen (zumeist englischen und
französischen) Gläubigern in drückende Abhängigkeit gebrachten
Landes: »Ägypten für die Ägypter !« — Die auf dem Boden dieses
Programms stehende »Nationalpartei«, welche aus der vom Khedive
berufenen »Notabelnversammlung«, unter Hinzutritt höherer Offiziere,
entstanden war, und mit ihr Arabi, der an der Spitze des auf-
ständischen Heeres dadurch zugleich auch das thatsächliche Haupt
jener Partei geworden war, hatten, da auch die Ulemas größtenteils
auf ihrer Seite standen, den Fanatismus und den heimlichen Brand
der Empörung bald im ganzen Lande zu entfachen und zu ver-
breiten gewußt. Sowohl der Zusammentritt einer Botschafter-
Konferenz samtlicher europäischer Grofsmächte in Konstantinopel,
als auch die direkte Vermittelung des Großherrn zu Stambul, durch
Entsendung eines Bevollmächtigten in der Person des Marschalls
Derwisch Pascha, blieben erfolglos, und zeigten nur das Spiel einer
zweideutigen Politik ebenso auf orientalischer wie auf westmächt-
licher Seite, da die besondere Interessenpolitik der einzelnen Be-
teiligten mit der von ihnen nach außen hin zur Schau getragenen
Haltung vielfach direkt im Widerspruch stand.
Da die Verhältnisse sich mehr und mehr zuspitzten, mußte das
Ministerium Gladstone des hervorragenden Interesses wegen, welches
gerade England an Ägypten und dem Suezkanal besaß, sich all-
mählich von der Notwendigkeit eines selbst isolierten kriegerischen
Vorgehens gegen Arabi Pascha und seine Partei überzeugen. Bei
einem solchen Vorgehen wußte es auch die Konservativen hinter
sich. So wurden denn die Rüstungen im Heimatlande energisch in
das Werk gesetzt, während bereits eine englisch-französische Flotte
im Hafen von Alexandrien vor Anker lag, die aber nicht den
.Ausbruch des blutigen Pöbelaufstandes in der Stadt am 11. Juni
verhinderte, in welchem zahlreiche Europäer Leben und Eigentum
verloren. Die in Folge hiervon unter den Fremden ausbrechende
Panik und die Auswanderung der europäischen Kolonisten aus dem
Lande riefen Kriegsschiffe aller Nationen nach Alexandrien und
Port Said, um den Schutz ihrer Landesangehörigen zu übernehmen.
Diese Ereignisse, sowie die zweifellosen Rüstungen der National-
partei, welche ihrerseits gegen die ersichtlich kriegerischen Absichten
Englands und vielleicht auch Frankreichs Verteidigungsmaßregeln
ergreifen wollte, mußten den Ausbruch eines offenen kriegerischen
Zusammenstoßes beschleunigen. Schon seit Anfang Juni verstärkte
17»
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238
Die Schlacht von Tel-el-Kebir (am 13. September 1882).
Arabi Pascha eifrig die Befestigungen der Stadt, armierte die Werke,
erhöhte die Garnison and sachte Vorräte aller Art in der Stadt
anzuhäufen. Die von englischer Seite unternommenen Versuche,
ihn durch Vermittelung des Sultans als seines höchsten Herrn von
solcher Thätigkeit abzubringen, hatten keinen wirklichen Erfolg; so
fühlte sich denn der englische Admiral Sir Beauchamp Seymour
veranlagt, am 10. Juli dem Gouverneur Zulficar Pascha ein
Ultimatum zu übersenden, in welchem er ein Bombardement der
Stadt ankündigte, wenn nicht die Forts der Stadt bis zum nächsten
Morgen geräumt und den Engländern übergeben sein würden. Noch
an demselben Abend verliefsen die französischen Kriegsschiffe, da
sich das Ministerium Freycinet den entscheidenden Schritten der
englischen Regierung nicht angeschlossen hatte, den Hafen und
dampften nach Port Said ab, da eine Zerstörung oder Unterbrechung
des Suezkanals befürchtet wurde. Auch die Kriegsschiffe aller
anderen Länder verliefsen den Hafen und gingen aufeerhalb desselben
vor Anker.
Am folgenden Morgen früh 7 Uhr trat dann die angekündigte
neue Wendung in der so lange hingezogenen Angelegenheit auch
wirklich ein. Die Geschütze sprachen zum ersten Mal ein ernstes
Wort mit. Die Wirkung des Feuers der 8 englischen Panzerschiffe
war die, dafe Arabi Pascha, trotz des anfänglich versuchten heftigen
Widerstandes, sich am folgenden Morgen (12. September) mit seinen
Truppen eiligst nach dem 25 km entfernten, an der Bahn nach
Kairo gelegenen Kafred Dauar zurückzog. Scheinbar eingeleitete
Kapitulations-Verhandlungen gaben ihm die notwendige Zeit, diesen
Rückzug auszuführen, während Alexandria teils durch die englischen
Geschosse, teils durch die Hand des hafserfüllten und raubgierigen
Pöbels und einer gleich gesinnten Soldateska zum grofeen Teil in
Trümmer und Asche gelegt ward.
Der Mangel an genügenden Truppen liefs Admiral Seymour f
welcher nach Ärabis Abzug etwa 3000 Matrosen und Marinesoldaten
gelandet hatte, von einem weiteren Vorgehen gegen die neue
Position des Gegners zunächst Abstand nehmen; ein Umstand, der
die Beschiefsung und teilweise Vernichtung der wichtigen Handels-
stadt in deu Augen vieler noch tadelnswerter, weil zwecklos, er-
scheinen liefe. Endlich trafen in der zweiten Hälfte des Monats die
ersten Abteilungen des eigentlichen Expeditions-Corps ein, und die
weiteren Operationen gegen Arabi Pascha, der inzwischen von dem
Khedive aufgegeben und förmlich von ihm abgesetzt worden war,
konnten beginnen.
Die Schlacht von Tel-el-Kebir (»m 13. September 1882).
Das englische Expeditions- Corps, welches nachdem alles ver-
einigt war, eine Gesamtstärke von etwa 25,000 Mann zählte, be-
stand aus drei Teilen: 18,000 Mann, in 2 Divisionen (General-
lieutenants Willis und Hamley) formiert, kamen aus dem Mutter-
lande, und 1 Division, etwa 10,000 Mann stark, war unter General
Macpherson aus Indien beordert worden. Die Division Willis be-
stand aus den beiden Brigaden Herzog v. Connaught und General-
major Graham, die Division Hamley aus den Brigaden der General-
majors Wood und Sir Archibald Alison. Das gesamte Expeditions-
Corps stand unter dem Oberbefehl Sir Garnet Wolseley's, eines
bereits bei verschiedenen kriegerischen Gelegenheiten als geschickt
nnd energisch erkannten Offiziers und Truppenführers, welcher am
15. August in Ägypten landete und in einer Proklamation als das
Ziel seiner Thätigkeit nur die Wiederherstellung der Autorität des
Sultans gegen die Empörer bezeichnete.
Arabi Pascha hatte sich inzwischen in seiner taktisch sehr
günstigen Stellung bei Kafra Dauar wohl verschanzt und erwartete
hier den Angriff der auf der Linie Mekr — Ramie (mit dem Mittel-
punkt Alexandria) versammelten Truppen seines Gegners. Dieser
Angriff aber unterblieb klüglicherweise und es fanden in der ersten
Hälfte des August nur kleinere Rekognoszierungs- Gefechte und
bedeutungslose Scharmützel der sich nahe gegenüberstehenden Gegner
statt. Nach seiner Ankunft entschied sich General Wolseley dafür,
die Stellung Arabi Paschas hier überhaupt nicht anzugreifen, sondern
den Versuch zu machen, sich überraschend in den Besitz des Suez-
kanals zu setzen, um dann, diesen als Operationsbasis benutzend,
die Verbindung zwischen Alexandria und Suez herzustellen und von
hier aus den wesentlich kürzeren Weg nach Kairo einzuschlagen
oder sich denselben mit Waffen-Gewalt zu bahnen.
Am 12. August wurde daher die Division Willis möglichst
heimlich und unter Verbreitung falscher Nachrichten über ihr
Ziel von Alexandrien nach Port Said eingeschifft; es gelang, die
ägyptischen Truppen in diesem Ort zu überrumpeln und den letzteren
ohne Verluste in Besitz zu nehmen. Infolge dessen konnte General
Wolseley bereite in den letzten Tagen des August stärkere Truppen-
massen bei El Kantara und Ismailia an das Land setzen. Die
Absicht der Ägypter, den Süfswasserkanal abzugraben, wurde durch
rechtzeitige Besetzung Schalufe, nördlich Suez gelegen, von Seiten
einer von diesem Ort aus vorgehenden Abteilung verhindert und
ebenso durch schnelle Besetzung der dorthin führenden Eisenbahn
die Verbindung zwischen Ismailia und Suez gesichert. So war der
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240 Di« Schlacht Ton Tel-«1-Kebir (am 13. September 1882).
Suezkanal, dessen südliche Einfahrt ein englisches Kanonenboot schon
frühzeitig vor Suez gesperrt hatte, trotz Herrn v. Lesseps Protesten,
bereits am 20. August völlig in den Händen der Engländer und die
Vereinigung der von hier aus zu den weiteren Operationen be-
stimmten Truppenverbände konnte nun schnellstens erfolgen. Schon
am 21. August landete die Tete der Hl. (indischen) Division des
Generals Macpherson bei Ismailia, so dals die I. und II. Division in
den nächsten Tagen hier konzentriert war. Zu diesen ging von der
bei Alexandria und gegen Kafra-Dauar stehenden II. Division am
30. August auch noch die Brigade Alison nebst dem Divisions-
Commandeur Hamley ab. Die somit zur Verteidigung von Alexandria
allein noch verbleibende Brigade Wood hatte täglich kleinere,
resultatlos verlaufende Gefechte gegen die gegenüberstehenden
Ägypter zu liefern deren Hauptmasse sich inzwischen von hier unter
Arabi Pascha auch nach dem Südosten gezogen hatte, um dort
konzentriert der englischen Offensive entgegenzutreten.
Arabi's Hauptstellung befand sich bei Tel-el-Kebir , quer über
den Suis wasser -Kanal und die Eisenbahn Suez — Alexandria sich
erstreckend, etwa 50 km von Ismailia entfernt, mit einer Flanken-
stellung nördlich davon bei Sallhieh, dem englischen Vormarsch
zur Sperrung der StraJse von Ismailia nach Kairo, der Hauptstadt,
und deshalb dem wahrscheinlichsten Angriffsobjekt des Feindes
vorgelagert. Stark befestigt, soll die Gesamtstellung anfangs mit
etwa 25,000 Mann, welche Zahl sich bis Anfang September noch
um die Hälfte erhöhte, besetzt gewesen sein.
Am 27. August erst ging der englische Oberbefehlshaber aus
seiner am 20. gewonnenon Stellung in der Richtung auf den
Eisenbahn-Knotenpunkt Sagasig vor. Nachdem er die ägyptischen
Vortruppen vor sich her getrieben hatte, nahm er nach heftigem
Widerstande am folgenden Tage Mahsama und rückte am 26. bis
zu der wichtigen Schleuse von Gassassin vor. Hier waren am
28. August die Engländer zum ersten Mal die Angegriffenen. Erst
nach mehrstündigem Kampfe gelang es ihnen, nach Heranziehung
der rückwärts befindlichen Kavallerie-Brigade Sir Drury Lowe's, den
mit grofeer Energie unternommenen Angriff zurückzuweisen. Ob-
gleich die Stellung von Gassassin inzwischen sehr verstärkt worden
war, wurde der Angriff, nachdem in der Zwischenzeit noch mehrere
kleinere Zusammenstöße stattgefunden hatten, von Arabi am
9. September wiederholt. Mit 25,000 Mann und 62 Geschützen ging
er selbst gegen die Front des Feindes vor, während zugleich ein
Vorstofs von Sallhieh aus die rechte Flanke desselben bedrohte.
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Die Schlacht tod Tel-el-Kebir (am 13. September 1882). 241
Aber auch dieser Angriff mifsglückte, hauptsächlich wegen des
wiederum erfolgreichen Eingreifens der englischen Kavallerie. Nun-
mehr beschloß General Wolseley, nachdem jetzt auch noch die
Brigade Alison in Ismailia gelandet war, selbst zur Offensive vor-
zugehen und die schon so lange verzögerte Entscheidung herbei-
zuführen. Dies führte zu der siegreichen und den Feldzug that-
sächlich beendenden Schlacht von Tel-el-Kebir, die uns der brave
Mitkämpfer, Sergeant Palmer, weiter unten in ihren Einzelheiten
erzählen soll. Um den Leser jedoch Aber den allgemeinen Verlauf
des Gefechts weiter zu orientieren, sei zunächst eine in der Haupt-
sache dem offiziellen Bericht des Generals Wolseley*) folgende kurze
Übersicht der Ereignisse des 12. September 1882 gegeben, welchen
die Engländer mit Recht in der Ruhmesgeschichte ihrer Armee
bis auf den heutigen Tag als eine der hervorragendsten Waffen-
thaten zu preisen lieben.
General Wolseley hatte die Stärke des Feindes richtig auf
etwa 20,000 Mann Infanterie, 3 Regimenter Kavallerie und etwa
60 — 70 Geschütze bei Tel-el-Kebir, sowie auf 5000 Irreguläre,
6000 Beduinen und 24 Geschütze bei Sallhieh geschätzt. Dem
gegenüber konnte er, durch die bisherigen Verluste und mannig-
fachen Detachierungen geschwächt, nur 11,000 Bajonette und
2000 Säbel, sowie 20 Feldgeschütze zur Verwendung bringen,
trotzdem er wufste, dafs die etwa 3 1 /, englische Meilen (also rund
etwa 5 km) quer über den Kanal und die Eisenbahn ausgedehnten
Befestigungen ihrer Natur nach sehr starke waren. Letzterer
Umstand sowie das Vorgelände liefsen einen Vormarsch gegen
dieselben bei Tage als fast unmöglich oder nur unter sehr schweren
Verlusten ausführbar erscheinen. Andererseits schien eine Umgehung,
bei sehr grolsen Anstrengungen der Truppen, noch die Möglichkeit
eines Entkommens des Feindes zu gewähren, der hier entscheidend
geschlagen werden sollte. Günstig für einen überraschenden Angriff
in der Nacht mutete der durch häufige Rekognoszierungen fest-
gestellte Umstand sein, dafs der Feind des Nachts seine Posten
nicht weit über die Werke hinauszuschieben pflegte.
Am Abend des 12. wurde bei Beginn der Dunkelheit das Lager
bei Gassassin abgebrochen und die Truppen biwakierten an den
ihnen vorher bezeichneten Punkten bis Nachts l l /i Uhr, ohne dais
ihnen das Anmachen von Feuer und selbst das Rauchen gestattet
wurde. Das äufserste Schweigen während der nächtlichen Operationen
*) Mitgeteilt u. A. im Milit.-Wochenblatt 1882. Nr. 89.
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242
Die Schlacht von Tel-el-Kebir (am 13. September 1888).
war auf das strengste anbefohlen worden. — Um l'/s Uhr begann
der gleichzeitige Vormarsch der I. und II. Division, während die
indische Division eine Stunde später anzutreten hatte. Der Nacht-
marsch mufete Mangels anderer Richtungspunkte in der Wüste zur
Nachtzeit lediglich nach den Sternen ausgeführt werden, dennoch
gelang er so gut, dafe die Teten beider Divisionen die feindlichen
Werke nur wenige Minuten nach einander erreichten. Der Feind
wurde völlig überrascht und erst in Folge des Schieisens vorge-
schobener Posten die Annäherung der Engländer gewahr, als diese
schon seinen Werken ganz nahe waren. Aber in kürzester Zeit
waren die letzteren von Infanterie besetzt, die sofort »ein betäubendes
Gewehrfeuer« eröffneten, dem sich bald der Donner der Geschütee
zugesellte. »Dennoch avancierten die englischen Truppen, fast ohne
einen Schafe zu thun, gemäfs den erhaltenen Befehlen, und als sie
dicht bei den Werken angelangt waren, warfen sie sich gerade aus
auf dieselben mit schallenden Rufen.«
Den rechten Flügel bildete die von der Garde-Brigade (Herzog
von Connaught) unterstützte, schneidig vorgehende 2. Brigade
Graham der I. Division, den linken Flügel die Hochland-Brigade
des Generals Alison, welche aus dem 1. Bataillon Royal Highlanders,
1. Bataillon Gordon Highlanders, 1. Bataillon Cameron Highlanders
und dem 2. Bataillon Highland Light Infantry bestand. Diese
Brigade, welche die Erdwerke wenige Minuten vor der Brigade des
rechten Flügels erreichte, stürmte mit dem Bajonett, ohne einen
Schüfe bis innerhalb der feindlichen Linie zu thun. Im Centrum
zwischen den beiden genannten Brigaden waren 7 Batterien ent-
wickelt, die bei dem Vorgehen gute Dienste leisteten und öfters
Gelegenheit fanden, auf kurze Entfernungen mit Kartatschen zu
feuern. — Auf dem äufeersten linken Flügel rückten die indischen
Truppen und die Marine-Brigade unter Sir Macpherson fest und
schweigend vor. Sie hatten, da sie später, als der Hauptangriff
erfolgte, eintrafen, die leichteste Arbeit zu thun und erlitten keine
Verluste. — Die Kavallerie- Division umging auf dem äufeersten
rechten Flügel die Nordspitze der feindlichen Werke und attackierte
die feindlichen Truppen, als sie die Flucht zu ergreifen suchten.
Das Gefecht, welches sich in der Hauptsache als ein Infanterie-
kampf, der öfters zum Handgemenge wurde, darstellt, war um
6 Uhr Morgens beendet. Einige bezeichnende Schlufsworte in dem
Bericht des Oberkommandierenden mögen hier wörtlich folgen:
»Ich glaube nicht, dafs zu irgend einer Periode unserer militärischen
Geschichte die Brittische Infanterie sich mehr als bei dieser
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Die Schlacht von Tel-el-Kebir (am 13. September 1882).
243
Gelegenheit ausgezeichnet hat« — und an einer andern Stelle heilst
es: »Nach einer Probe von aufsergewöhnlicher Art sowohl im
Marsch wie im Angriff kann ich nachdrücklich sagen, dafs ich
niemals anter meinen Befehlen bessere Infanterie- Bataillone zu haben
wünsche, als die, welche ich stolz bin bei Tel-el-Kebir befehligt zu
haben.«
Wichtiger noch und erfolgreicher als der Sieg an und für sich
schon war, gestaltete sich seine Ausnutzung durch die Energie von
Führer und Truppe. Diese bewirkte, dafs eine energische Verfolgung
des geschlagenen und fliehenden Feindes bis an die Mauern von
Kairo und die Einnahme der ägyptischen Hauptstadt selbst noch
unter dem Eindruck der erlittenen Niederlage erfolgen und so der
Hydra des überall sich sonst von neuem entflammenden Aufstandes
ein völliges Ende bereitet werden konnten. Noch an demselben
Tage, dem 13. September, wurde die gesamte Kavallerie über Belbes,
die indische Division, die an dem Kampfe am wenigsten beteiligt
gewesen war, über Sagasig auf Kairo in Bewegung gesetzt. Ob-
gleich sowohl Belbes wie Sagasig noch etwa 30 km vom Schlacht-
felde entfernt lagen, wurden dennoch beide Orte noch an demselben
Tage erreicht und schon am folgenden Abend stand General Lowe
nach einem schneidigen Ritt von wieder etwa 50 km mit 1 500 Reitern
vor den Thoren der ägyptischen Hauptstadt. Obgleich diese eine
Einwohnerschaft von mehr als 300,000 Menschen und eine Besatzung
von mehr als 10,000 xMann besafs, so ergab sie sich dennoch ohne
Weiteres und mit ihr Arabi Pascha auf Gnade und Ungnade. Am
folgenden Tage (15. September) traf General Wolseley mit der
vordersten Abteilung der indischen Division mittelst Eisenbahnfahrt
von Benha (Knotenpunkt zwischen Zagazik und Kairo) gleichfalls
in Kairo ein und sicherte so den glänzenden Erfolg der Kavallerie.
Infolge dieser Ereignisse fielen in kurzem auch alle anderen
von Arabis Anhängern besetzten Plätze wie Kafred Dauar, Abukir,
Tauta, Dansiette u. s. w. und der Khedive kehrte wenige Tage
später unter dem Schutz der Engländer nach Kairo zurück. Die
Sieger haben seitdem mit Recht die Wahrung ihrer Interessen in
Ägypten vor denen aller anderen Nationen in den Vordergrund
gestellt und scheinen entschlossen, sich dieses durch Blut und Eisen,
besonders durch den Tag von Tel-el-Kebir erkaufte Aurecht nicht
nehmen zu lassen.
Hören wir nach dieser Übersicht der bezüglichen Ereignisse
den Bericht unseres Gewährsmannes und Mitkämpfers von Tel-el-
Kebir, des oben genannten ehemaligen Sergeanten Arthur V. Palmer
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244 Die Schlacht von Tel-el-Kebir (am 13. September 1882).
von den Gameron Higlanders, der seine Erlebnisse folgendermaßen
erzählt: «Sir Archibald Alison's Brigade war aus dem 42., 47.,
75. und 79. Regiment zusammengesetzt und ich stand als Korporal
bei dem guten alten Regiment der 79. (Cameron) Hochländer.
Unsere Brigade wurde am 9. September bei Ismailia ausgeschifft,
wo wir drei Stunden lang auf den Befehl zum Abmarsch warten
mufsten. Während dieser Zeit machten viele unserer Leute eine
Branntweinschenke ausfindig, und so kam es, dafs einige von ihnen
ziemlich stark angetrunken waren, als endlich das Signal zum
Aufbruch gegeben wurde. — Eis war ungefähr Vj5 Uhr Nach-
mittags, als wir unseren Marsch quer durch die Wüste antraten.
Zelte, Gepäck und Rationen waren mit dem Zuge oder auf Wagen
abgesandt und alles, was wir mit uns trugen, war eine zusammen-
gerollte Decke, Seife und Handtuch, Wasserflasche, Mütze, EOwchale,
70 Patronen und unsere Waffen. Die Hitze war entsetzlich und
das Marschieren in dem losen Sande, in welchem wir bei jedem
Schritt bis über die Knöchel einsanken, sehr anstrengend, so dafs
es ein schweres Stück Arbeit war, die Richtung innezuhalten; kein
Luftzug bewegte sich; vergebens entblofaten wir unsere Brust in
der Hoffnung uns dadurch ein wenig Kühlung zu verschaffen.
Hände, Gesicht und Körper trieften von Schweife und bald waren
wir alle so nafs, dafs wir das Gefühl hatten als wären wir aus dem
Wasser gezogen. Die Gegend, die wir hier durchzogen, war nichts
als eine weite Fläche feinen Sandes, die, von den Strahlen einer
sengenden Sonne getroffen, nicht ein grünes Blatt, nicht irgend ein
lebendes Wesen enthielt. Nach und nach begann ein brennender
Durst sich einzustellen. Die dicken, stämmigen Leute hatten von
ihm und von den Strapazen des Marsches mehr zu leiden als die
kleinen, und da sie bald ihre Wasserflaschen geleert hatten, bettelten
sie nun bei ihren Nachbaren um etwas von dem köstlichen Nafs —
jedoch nur mit geringem Erfolg, denn ein Jeder fühlte es, dafs
Wasser jetzt etwas zu kostbares sei, um es weggeben zu dürfen.
Die alten Gewohnheitstrinker litten am schrecklichsten und einigen
von ihnen hing die Zunge thatsächüch aus dem Munde heraus.
Ich selbst marschierte in leidlich guter Verfassung vorwärts, da ich
einen Kieselstein im Munde trug und nur dann und wann meinen
Mund mit ein wenig Wasser ausspülte, das ich wieder ausspuckte.
Als wir so immer weiter marschierten, versagten viele von den
Leuten; einige stürzten zu Boden, ohne jemals in diesem Leben
wieder aufzustehn — ihnen hatte es die Sonne angethan. Die
Burschen, welche in der Branntweinschenke zu Ismailia zu viel des
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Die Schlacht von Tel-el-Kehir (am 13. 8eptember 1882). 245
Guten gethan hatten, waren als Arrestanten der Wache überwiesen
worden, die mit Gewehrriemen anf sie einhieb, um sie vorwärts zn
treiben und zu verhindern, dafs sie umfielen; das Geheul der Ge-
schlagenen unter dieser rohen, aber entschuldbaren Behandlung
klang in diesem fremden Lande seltsam in unseren Ohren. Ich
bekam den Auftrag nach einem Mann zu sehen, der ganz erschöpft
niedergestürzt war und den ich als einen von denjenigen kannte,
die mitgetrunken hatten. Als ich ihm befahl, aufzustehen und
weiterzumarschieren, gab er mir zur Antwort: »Ach, lassen Sie
mich hier sterben, Korporal, ich kann mich nicht rühren !« Da der
Regimentsarzt in der Nähe war, so bat ich ihn, sich den Mann
anzusehen. »Hat er getrunken?« fragte er mich. »Ja, Sir.« »Na,
dann bringen Sie ihn auf irgend eine Weise in die Höhe und
gebrauchen Sie dazu Ihren Gewehrriemen, wenn's nötig ist; aber
lassen Sie ihn unter keinen Umständen hier liegen.« — »Sehr
wohl, Sir,« antwortete ich, und dachte dabei im Stillen, was für
eine nette Geschichte das für mich wäre, bei hereinbrechender
Dunkelheit mit nur wenig Wasser, bei einem hülflosen Menschen
zurückgelassen zu werden. Als ich zu meinem Kranken zurück-
kehrte, fand ich ihn lang ausgestreckt, sehr elend und sah, wie er
eine grüne Masse von sich gab. »Vorwärts! Hoch, Jimmy!«*) sagte
ich, »oder ich mufs Dich mit dem Riemen bearbeiten!« Er rührte
sich nicht. Da gab ich ihm ein paar tüchtige Hiebe und diese
Züchtigung setzte ihn wirklich in Bewegung. Er richtete sich auf
und schwankte ein paar Schritte vorwärts, dann stürzte er wieder
zu Boden. Doch eine erneute scharfe Anwendung des Gewehr-
riemens brachte ihn wieder auf die Beine, von Neuem ging er ein
Stück vorwärts — bald jedoch wälzte er sich wieder auf der Erde.
Jetzt liefs ich ihn liegen, und durch die sich in der Finsternis vor
mir bewegenden Massen vorwärts tappend, suchte ich durch Rufen
mein Regiment und meine Compagnie ausfindig zu machen. Als
ich so endlich meinen Sergeanten aufgefunden hatte, meldete ich
Jimmy's Zustand. »0,« meinte dieser, »lassen Sie ihn nur in Ruhe;
wenn er die Biwakfeuer sieht, Frost und Hunger empfindet, so soll
mich der Teufel holen, wenn er nicht bald wieder auf den Beinen
ist« Der Sergeant hatte Recht; ich machte den Marsch mit meiner
Compagnie zu Ende mit, und als ich mich, in meine Decke gehüllt,
mit meinem Kochgeschirr als Kopfkissen, eben zum Schlaf zurecht
•) Anmerk. d. Verf. .Jimmy- oder „Tom Atkins" ist eine in der britischer)
Armee übliche, echerxhafte Benennung des gemeinen Soldaten.
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246 Die Schlacht rot» Tel-el-Kehir (am 13. September 1888).
legen wollte, stellte sich Jimmy bei mir ein und dankte mir dafür,
dafs ich ihn so verdroschen hatte.
Der erste Marsch war natürlich auch unser schlimmster. Durch
die lauge Unthätigkeit an Bord waren die Leute schlaff geworden,
so dafs sie die Hitze und der Durst nur um so schrecklicher quälte.
Noch jetzt stehen mir die Scenen von damals lebhaft vor Augen:
wie die Leute, vou der Sonnenglut niedergeworfen, auf der Stelle
eingescharrt wurden, wo sie zu Boden stürzten, wie andere, die
erschöpft umsanken, an den nahen Eisenbahn danini getragen wurden,
um dort vielleicht das Glück zu haben, von einem vorüberfahrenden
Zuge aufgenommen zu werden, wie das jämmerliche Geschrei der
geprügelten Arrestanten die nächtliche Stille grell durchschnitt und
wie sich ein wüstes Gedränge und allgemeines Suchen nach Wasser
erhob, sobald das Signal »Halt« ertönte, ein allgemeines Stürzen
nach dem faulen und stinkenden »Süfswasser-Kanal«, der seinen
Namen so sehr mit Unrecht führte. Ich sehe die Gesichter über
und über versenkt in das faulige Nafs, die Leute sich prügeln, um
Raum zum Niederknieen zu gewinnen, sehe die Kochkessel eben so
schnell wie sie gefüllt sind, weggerissen und geleert, bis sie endlich
unter dem Schutz der Wachmannschaften auf die Kochplätze ge-
schafft werden können, damit hier Thee hergestellt werde, der mit
etwas SchifFszwieback das einzige Abendessen von Offizieren und
Mannschaften bildete. Die ganze Nacht hindurch lagen wir dabei
in einer abscheulichen Atmosphäre, deren Ursache der folgende
Morgen klar legte. Der schreckliche Geruch kam gröfstenteils von
dem Kanal, der mit toten Körpern von Kamelen und Pferden und
auch mit menschlichen Leichnamen angefüllt war.*) Dieses gräfs-
liche Wasser mufsten wir trinken — oder verdursten, ein drittes
gab es nicht; so füllte denn auch ich für den nächsten Tagesmarsch
damit meine Wasserflasche, deren Inhalt unverändert ebenso seine
schlammige Farbe wie seinen ekelhafteu, schleimigen Geschmack be-
hielt. Was nicht der Kanal an verpestender Atmosphäre aus-
strömte, kam von den unbegrabenen Leichnamen der Pferde und
Ägypter, welche rings um das Biwak lagen.
Als die Armee bei Gasassin in Biwak lag, trafen am Morgen
des 10. September Brigadebefehle ein, welche den an demselben
Abend beginnenden Nachtmarsch auf Tel-el-Kebir einleiteten. Eine
der darin enthaltenen Bestimmungen besagte, soweit ich mich noch
*) Die Ägypter hatten. übrigens geflissentlich das zum Trinken allein brauch-
bare Wasser dieses Kanals durch Hineinwerfen von Menschen- und Tierkadarem
zum Gebrauch unmöglich zu machen gesucht.
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Die Schlacht von Tel-el-Kebir (am 13. September 1888). 247
entsinne, dafs eines Jeden Wasserflasche mit Thee zu fallen sei,
damit wir uns, wie wir vermuteten, durch denselben besser wach
halten konnten. Die am Nachmittag gegebenen Regimentsbefehle
enthielten weitere Ausführungen der Brigadebefehle und verkündeten,
dafs die Stellung von Tel-el-Kebir mit dem Bajonett genommen
werden sollte; keiner dürfte vorher laden und nicht ein Schüfe ab-
gegeben werden, bis wir in den Verschanznngen selbst wären.
Beim Vorlesen dieser Befehle riefen die Leute lebhaft Hurrah.
Sie hatten das vollste Vertrauen zu ihrem Oberst, der, obgleich
streng, ein gereifter, verstandiger Mann war und den Krieg kannte,
denn er war ein Veteran aus dem Krimfeldzuge und dem Aufstande
in Indien; den letzteren hatten auch die drei nächst älteren
Offiziere mitgemacht. Dreizehn Siege waren mit unseren Fahnen
verknüpft. Aber kaum ein Unteroffizier oder Gemeiner hatte jemals
eine Schlacht kennen gelernt.
Das Regiment stand um b 9 ^ Uhr des Nachmittags in Parade-
aufstellung und nachdem das Kommando »Rührt euch« gegeben
war, setzten die Compagniechefs ihren Leuten auseinander, was sie
zu thun hätten, um den Tag von Tel-el-Kebir zu einem Tag des
Sieges zu machen. Unser Hauptmann war kein grofser Redner,
aber er hatte eine gerade, männliche Art und Weise zu sprechen,
die das Blut in Wallung brachte. Soweit ich mich dessen noch
entsinnen kann, sprach er etwa folgendes: »Leute, ihr werdet heute
Abend den Marsch antreten, um eine starke verschanzte Position,
Tel-el-Kebir genannt, anzugreifen, welche mit 60 Geschützen besetzt
ist, die unsere Anmarschlinie bestreichen. Auf dem Marsch dorthin
darf vom Neun-Kanonen-Hiigel an nicht geraucht werden, es mufs
das tiefste Stillschweigen herrschen und ihr habt, falls nicht ein
Gegenbefehl kommt, fest darauf loszumarschieren, ohne Rücksicht
darauf, ob auch Kugeln und Granaten wie ein Hagelwetter auf
euch einschlagen. Keiner darf das Bajonett aufpflanzen, bevor der
Hefehl dazu gegeben wird, oder laden, bevor der letzte Ton des
Signals dazu verhallt ist. Das Bajonett allein mufs die Sache
machen und kein Schufs darf vorher abgegeben werden, bis die
Laufgräben genommen sind. Ihr habt zu kämpfen, so lange noch
einer von euch aufrecht steht. Gedenkt des Vaterlandes und des
Regiments, dem ihr angehört und streitet jetzt, wie die alten Hoch-
länder stets gethan haben!«
Während wir die 4 Meilen*) nach dem genannten »Neun-
•) 1 engl. Meile — 1,6 km (rund).
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248 Die Schlacht von Tel-el-Kebir (am 13. September 1882).
Kanonen-Hügel« marschierten, gaben sich die Zeltkaraeraden Auf-
• trage an ihre Angehörigen zn Hause für den Fall, dafe sie bleiben
sollten, denn wir wufsten Alle, dafe uns ein heifser Kampf bevor-
stände. Mein Zeltkamerad war ein praktischer Bursche, dem Weich-
herzigkeit fremd war. »Wenn ich abspaziere,« sagte er zu mir,
»wirst Du zwei Stück Tabak in meiner Tasche finden, die kannst
Du behalten.« Als wir bei tiefer Dunkelheit den »Neun-Kanonen-
Hügel« erreicht hatten, marschierten wir zur Linie in Halbbataillonen
mit Doppelcompagnien und Entwickelungsdistanzen auf. Während
des Halts hier wurden zwei Tots*) Rum pro Mann ausgeteilt, die
erste Doppelration schweren Getränkes, seit wir von Bord gekommen
'waren. »Holländischen Mut« nannten dies die Teatotaller**) des
Regiments spöttisch, doch hatte keiner von uns irgend eine be-
sondere Ermutigung zum Kampf nötig. Der Rum stärkte uns recht
in der kalten Nachtluft, und als wir ihn heruntergegossen hatten —
denn er wurde sofort weggeputzt — legten sich die meisten von
uns zum Schlafen nieder. Für viele von ihnen war es der letzte
Schlaf hier auf Erden vor dem ewigen zum Jenseits. Unser
Schlummer wurde einmal plötzlich durch Alarm unterbrochen, alles
eilte schnell an die Gewehre, aber es war nur Sir Garnet und sein
Stab, der umherritt, um zu sehen, ob Alles in Ordnung war; dann
legten wir uns wieder hin.
Etwa um V/ t Uhr Morgens traten wir wieder an. Das
79. Regiment wurde zum Richtungs-Regiment bestimmt und Lieu-
tenant Rawson von der Marine bekam den Auftrag, die Führung
nach den Sternen zu übernehmen, denn wenn auch hin und wieder
Wolken den Himmel bedeckten, so blieben doch der Nordstern und
ein Teil des Kleinen Bärs sichtbar. Ich wurde mit einem andereu
Unteroffizier beauftragt, an dem Richtungsflügel zu marschieren
und wir blieben so beständig hinter unserem Führer, Lieutenant
Rawson, der uns befahl die Helme abzunehmen und unsere Augen
fest auf einen bestimmten Stern gerichtet zu halten und ihn in
flüsterndem Ton davon zu benachrichtigen, wenn derselbe ver-
schwände. Als dies noch vor Ablauf einer Stunde geschah, be-
zeichnete uns Lieutenant Rawson andere zur Beobachtung. Während
des Marsches herrschte die schärfste Disziplin ; völliges Stillschweigen
wurde streng beobachtet. Wenn nicht hin und wieder ein Pferd
gewiehert und hier und dort ein anderes darauf geantwortet hätte,
•) Tot etwa gleich einer halben Pinte.
♦*) So heifsen die Mitglieder der MMsigkeitevereine, die jede Art geistigen
Getränkes auf das 3trengste vermeiden.
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Die Schlacht von Tel-el-Kebir (am 13. September IS82).
249
so hätte man keinen Ton vernehmen können, aufeer dem langsamen
Aufsetzen vieler Füfee auf den Sandboden, das dem Geflatter einer
Schar Vögel vergleichbar klang. Mit einem Mal brach ein Mann,
auf den der genossene Rum seine Wirkung ausübte oder den das
gespensterhafte Stillschweigen rings umher nervös gemacht hatte,
in wildes Geschrei ans. Sir Garnet ritt sofort hinzu und befahl,
den Thäter mit dem Bajonett niederzustofsen, aber der Regiments-
arzt legte sich in das Mittel und bat um die Erlaubnis ihn chloro-
formieren zu dürfen. Als dies genehmigt war, wurde der Mann in
Bewegungslosigkeit versetzt; dann liefs man ihn auf dem Sande
liegen.
Nach einem zweistündigen, in einem wahren Leichenschritt
zurückgelegten Marsch wurde ein Halt von 20 Minuten gemacht.
Da die Befehle hierzu langsam von Compagnie zu Compagnie in
leisem Tone weitergegeben wurden, erreichten sie die Seitenkolonnen
der Brigade nicht, welche im Marsch blieben und, da sie die Fühlung
nicht verloren, schliefslich so weit herum schwenkten, dafs sie vor
der Mitte der Marschlinie zusammenstiefsen, so dafe die Brigade
thatsächlich einen grofsen Kreis bildete und es viel Mühe machte,
in der pechschwarzen Finsternis endlich wieder die Linie herzu-
stellen. Dafs dies trotzdem innerhalb eines Zeitraums von 25 Mi-
nuten möglich war, gab einen schönen Beweis von der Disziplin,
welche die Truppen beseelte. Um ungefähr 47 s Uhr wurde der
Vormarsch wieder aufgenommen. Die Langsamkeit des Tempos war
sehr ermüdend und ich wäre sicherlich, wie viele andere unserer
Leute selbst im Marsch eingeschlafen, wenn ich nicht ununterbrochen
meine Aufmerksamkeit hätte auf die Sterne richten müssen; Sir
Alison, uuser Brigade-Commandeur, welcher sich dicht bei Lieu-
tenant Rawson aufhielt, fing, als die Nacht abnahm und noch
immer nichts vom Feinde wahrzunehmen war, an zu fürchten, dafs
irgend etwas nicht in Ordnung sei. »Sind Sie auch sicher, Rawson,«
fragte er in leisem Ton, »dafs wir auf dem rechten Wege sind?« —
»Ja, Sir,« erwiderte der Angeredete, »wir haben den Nordstern zu
unserer Rechten und den« — den anderen Namen verstand ich
nicht — »vor uns; wir werden bald am Ziel oder wenigstens nahe
daran sein.«
Die Dämmerung war schon im Begriff die Nacht zu verdrängen,
als ich undeutlich einige Gegenstände vor uns zu erkennen ver-
mochte, die wie eine Schar Känguruhs bald vorwärts bald rück-
wärts zu springen schienen — es wnr dies, wie wir später er-
fuhren, ägyptische Kavallerie. Ich stiefs meinen Nachbar an und
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250
Die Schlacht von Tel-el-Kehir (am 13. September 1882).
Rawson flüsterte: > Jetzt sind wir nicht mehr weit davon,« da horte
man plötzlich einen Schrei, zwei Schasse fielen unserer linken Flanke
gegenüber und ein Mann stürzte tot zu Boden. Doch ohne weiter
Notiz davon zu nehmen, setzte die Brigade stillschweigend ihren
Marsch weiter fort, während jetzt Jedermann munter und in ge-
spannter Erwartung war. Da mit einem Mal flammte es auf . . .
eine lange, dichte Linie Infanteriefeuer vor uns, welche die Scenerie
rechts und links weithin beleuchtete und deren Knattern bald noch
von dem Donner der Artillerie übertönt wurde. Aber ohne sich
auch hierdurch aus ihrer Ruhe bringen zu lassen, marschierten
nnsere Regimenter schweigend energisch weiter. Als das Kommando
»Seitengewehre aufpflanzen« gegeben und schnell ausgeführt worden
war, erklang es wie der Ton von gegen Glas prallenden Hagel-
körnern, wenn die Geschosse gegen die Bajonette anschlugen.
Einige, jedoch nicht viele Leute stürzten verwundet nieder.
Die 79er hatten kaum 100 Yards mit »Gewehr über« zurück-
gelegt, als das Kommando »Fertig zum Sturm« gegeben wurde.
Sofort flogen die Gewehre herunter, das Signal »Sturm« ertönte,
und als der letzte Ton verklungen war, erhob sich ein allgemeines
lautes Hurrahgeschrei, die Sackpfeifer*) stimmten den Angrins-
marsch an, und mit unserm tapfern Oberst an der Spitze, der
»Vorwärts, die Gamerons!« rief, stürmten die Glieder im Lauf-
schritt gegen die feindliche Stellung, wobei das Hurrahgeschrei
ununterbrochen fortgesetzt wurde. Einem von den Pfeifern wurde,
als er eben zu spielen begann, sein Dudelsack von einer Kugel
durchbohrt, und schrecklich gellende Töne kamen aus dem ver-
wundeten Instrument. »Bei Gott!« rief sein Besitzer philosophisch
aus, »es ist verdammt viel besser, dafs die Kugel durch seinen
Bauch gegangen ist als durch meinen.« Schulter an Schulter
rückten wir jetzt fast 200 Yards weit unter eiuein Hagel von Ge-
schossen vor, welche glücklicherweise meist zu hoch gingen und
uns daher nur wenig Schaden verursachten. Da wurde unser Marsch
plötzlich durch den ersten Graben gehemmt, der 12 Fufs tief und
ebenso breit quer vor uns lag. Viele stürzten kopfüber hinein,
andere fielen auf der Böschung unter einem lebhaften Feuer nieder,
das der Feind von der gegenüberliegenden Brustwehr aus unter-
hielt. Der erste von diesen war ein tapferer, junger Soldat, Namens
*) Die Sackpfeife (Dudeback) ist bekanntlich bis auf den heutigen Tag das
National-Instrument der Schotten geblieben. Die Sackpfeifer bilden daher auch
einen Beetandteil der Hochländer-Regimenter, welche ja, wie man weifs, sogar in
ihrer Uniform die eigentümliche, nationale Tracht zum Ausdruck bringen.
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Die Schlacht von Tel-el-Kebir (am 13. September 1882).
251
Donald Camerou, welcher vorwärts gestürzt war, um uns den Weg
zu zeigen; ich sah ihn noch im verzweifelten Kampf mit einem
Haufen Ägypter, bis ihm eine Kugel durch den Kopf ein Ende
bereitete und er rückwärts mausetot in den Graben niederstürzte.
Dieser war von Hochländern angefüllt, welche die steile gegen-
überliegende Böschung emporzuklimmen versuchten und immer
wieder ausglitten, da der Fufs keinen Halt fand. Ich selbst probierte
es dreimal vergebens, endlich rief ich einem Kameraden zu: >Um
Gotteswillen, Finlay, hilf mir das Bein hoch.« — So glückte es
denn wirklich und ich gelangte auf den obern Rand, aber in einem
solchen Zustand der Erregung, dafs ich für einen Augenblick ganz
aufser mir war und kaum wufste, was ich thun sollte. Rings um
mich schwärmten die Feinde wie ein Bienenschwarm, alle weifs
gekleidet mit rotem Fez, bald mit braunen bald mit schwarzen Ge-
sichtern, alle ihre weifsen Zähne teuflisch fletschend. Ich stiels
mein Bajonett in einen von ihnen, so dafs der Mann auf mich zu-
fiel und sein Gewicht uns beide zu gleicher Zeit rückwärts wieder
in den Graben hineinschleuderte, wo wir auf einen meiner Kameraden
zu liegen kamen. Aber in kurzem war ich mit Hülfe von vieren
meiner Leute wieder auf der Brustwehr und machte den weiteren
Sturm des Regiments mit, der sich jetzt gegen den zweiten Graben
richtete. — Mit kräftigem Hurrah bahnten wir uns den Weg
weiter mit dem Bajonette und waren bald jenseits des Hindernisses.
Als ich aus dem Graben herausgeklettert war und eben die Brust-
wehr erklommen hatte, erhielt ich einen so wuchtigen Hieb von
dem umgedrehten Gewehr eines Ägypters quer über die Beine, dafs
ich zu Boden stürzte; schon erblickte ich den kalten Stahl über
mir, als mich meine Kameraden aus meiner schrecklichen Lage
befreiten; im nächsten Augenblick war ich wieder hoch, ohne in
meiner Aufregung selbst irgend einen Schmerz zu verspüren. Plötz-
lich wurden Rufe laut: »Zurück, Zurück!« — das Wort durcheilte
die auseinandergekoramenen Glieder der vordersten Kampfeslinie,
verursachte einen augenblicklichen, allgemeinen Halt und schon
begannen viele, die glaubten darin ein Kommando zu vernehmen,
kehrt zu macheu, als glücklicherweise noch im rechten Augenblick
ein Stabsoffizier nach vorn gesprengt kam, der laut schrie: »Nicht
Zurückgehen, Leute, vorwärts, vorwärts!« Sofort sammelte sich
alles wieder und man begann von neuem vorzugehen. Jene Rufe
»Zurück, Zurück!« waren verräterischerweise von einem Paar
»Glasgower Iren« ausgestofsen worden, denen es auf irgend eine
Weise möglich gewesen war, die Bestimmungen zu umgehen, welche
Jfchrböcber fiu die t»u»ch, Armee uä Mume M, LXiVI., 3. |Q
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252 Die Schlacht von Tel-el-Kebir (am 13. September 1882).
seit den Tagen des Feniertuins in Kraft waren, um die Anwerbung
politisch schlechter Elemente zu verhindern. Sie hatten sich bereite,
als das Regiment vor Kafr üower war, feige oder noch schlimmer
gezeigt. Auf Veranlassung ihres Hauptmanns waren daher von den
Unteroffizieren der Compagnie ein Sergeant und ein Korporal be-
stimmt worden, welche die Haltung dieser beiden Leute in der
Schlacht beobachten sollten, und denen die Anwendung geeigneter
Mittel, im Notfall selbst der Todesstrafe, anheimgestellt worden
war. Als die verräterischen Hunde nun in den Ruf »Zurückc aus-
brachen, thaten die zu ihrer Beobachtung bestimmten Unteroffiziere
sofort ihre Schuldigkeit. Ich sah wie Sergeant .... den einen von
ihnen mit dem Bajonett niederstiefs und Korporal .... auf den
anderen einen Schufs abgab; auch dieser stürzte darauf wie der erste
leblos nieder, aber ob dies die Folge von des Korporals Kugel
oder von einem feindlichen Geschosse war, vermag ich nicht zn
sagen. Das Regiment war übereinstimmend der Ansicht, dais beide
den Tod reichlich verdient hatten und jeder ehrenhafte Soldat wird
dem beistimmen.
Jetzt war es heller Tag geworden, und man wurde nun gewahr,
dafe bei dem Halbdunkel, dem Klettern in den Gräben und dem
Handgemenge die Brigade durch einander gekommen war und das
Kampfgewirr des Angriffes die Truppen aller 4 Regimenter mit
einander vermischt hatte. Es wurde deshalb ein kurzer Halt
gemacht, um die Ordnung wieder herzustellen, und nach dem dies
einigermafsen und in Eile ausgeführt war, stürmte die Brigade,
allen Widerstand vor sich niederwerfend, weiter gegen die Schleuse
von Tel-el-Kebir vor. Unmittelbar vor dem letzten Halt erhielt ich
einen zweiten Kolbenhieb, der meine Wasserflasche in Stücke zer-
schmetterte und mich selbst zu Boden warf; sogleich aber wurde
ich wieder von meinem Zeltkameraden auf die Füfso gerissen, der
mit den Worten: »Stahl für Leder! Nimm das, Du < sein
Bajonett in die Brust des Ägypters stiefe, der mich eben nieder-
geworfen hatte. Während das Regiment sich wieder rangierte,
hatte es von einem Kreuzfeuer aus den beiden Gräben zu leiden,
welche die Flanken der feindlichen Stellung bildeten. Um dieses
zum Schweigen zu bringen, wnrden Schützen nach links heraus-
genommen, welche den Graben schnell vom Feinde zu räumen
wufsten, und diesen durch einen Quergraben hindurch bis in die
weiter links und rückwärts liegenden Gräben vertrieben. DieAbteilung,
die links vorgegangen war, kam hierbei an ein Geschütz, dessen
Kauoniere nicht von der Stelle wichen, sondern kämpfend bis zum
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Die Schlacht von Tel-el-Kebir (am 13. September 1882).
253
letzten Mann ausharrten. Sie wurdeu alle getötet, dann das Geschütz
genommen und akbald gegen seine bisherigen Besitzer in Thätigkeit
gebracht. Als das Regiment seinen Vormarsch weiter fortsetzte,
wurde ich leider auf Befehl meines Feldwebels abkommandiert, um
einen Gefangenen zu bewachen, einen sechs Fufs hohen Kerl von
kohlschwarzer Farbe. Da er eigensinnig war und nicht von der
Stelle wollte, so versuchte ich ihn etwas mit meinem Gewehrkolben
aufzumuntern, aber dies fafste er falsch auf und ergriff die Flucht,
der ich jedoch durch eine Kugel Einhalt gebot. Als ich mich
darauf aufmachte, um meinem Regiment nachzufolgen, fand ich
mich plötzlich einem dicken ägyptischen Offizier gegenüber, der mir
mit dem Revolver in der einen, dem Säbel in der andern Hand
gegen übertrat. Er feuerte und traf mich an der rechten Hand, aber
die Kugel glitt an dem Ring ab, den ich trug, und ich stürzte nun
mit dem Bajonett auf ihn los. Er parierte meinen ersten Stöfs, da
machte ich eine Finte und als er mit seinem Säbel dagegen eine
Parade ausführen wollte, hatte er keine Zeit mehr den Nachstofe
aufzuhalten, mit dem ich das Bajonett in seinen Körper stiefe. Ein
Rifs an einem blauen Petschaft, das aus seinem Waffenrock heraus-
hing, förderte eine silberne Uhr zu Tage, die ich noch heute als
Erinnerung an ihn besitze.
Als ich den Kamm des Hügels erreicht hatte, welchen die Tel-
el-Kebir Schleuse beherrschte, lagen die vielen hundert Zelte des
ägyptischen Lagers vor meinen Blicken ausgebreitet, und ich konnte
beobachten, wie der Feind durch den Kanal schwamm oder zu
tausenden einem gehetzten Wilde gleich quer durch die Wüste lief.
Die zweite Brigade stürmte vorwärts, mit ihr im Galopp die
schottische Artillerie- Abteilung. Als die Kanoniere der letztern
unsere Hochländer-Brigade passierteu, erhob sich ein lautes Jubel-
geschrei »Schottland foreverlc Sie machten Halt, protzten ab,
luden, feuerten eine bis zwei sehr wirkungsvolle Salven ab und
waren, wie es schien in wenigen Sekunden, in einem rasenden
Galopp, schon wieder auf und davon. Eine ihrer Granaten fiel in
ein Pulvermagazin und es erhob sich ein Getöse, das die Toten
hätte auferwecken können, eine zweite traf die Lokomotive eines
aus dem Bahnhof abfahrenden Zuges und machte sie gebrauchs-
unföhig, so dafs sie nicht vorwärts konnte, aber eine andere kam
zu Hülfe und obgleich eine weitere Granate den hintersten Wagen
traf, so ging es doch vorwärts und der Zug entkam. Ein ununter-
brochenes Knattern des Infanteriefeuers bezeichnete den Weg, den
das indische Detachement südlich vom Kanal genommen hatte.
18*
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254 Die Schlacht von Tel-el-Kebir (am 13. September 1882).
Bald nachdem die Hochländer-Brigade die Tel-el-Kebir Schleuse
erreicht hatte, sprengte Sir Garnet mit Sir Alison heran und rief
uns zu: »Die Schlacht ist gewonnen, Leute!« worauf er die 42er
vorsandte, um das Dorf zu säubern. Während wir noch dem
General zujubelten, kam auch unsere Kavallerie vorgesprengt, um
die Verfolgung aufzunehmen. Fluchend riefen sie uns zu: »Ihr,
.... Kerls, habt uns ja nichts mehr vom Gefecht übrig gelassen«
und schössen dann in einer dichten Staubwolke an uns vorüber,
aus der nur die Lanzenspitzen und blitzende Säbel hervorblickten. •
Unsere Leute hatten so schrecklich vom Durst zu leiden gehabt,
bevor sie den Kanal erreichten, dafs ich gesehen habe, wie einige
von ihnen das aus den verwundeten Kamelen strömende Blut
tranken. Als wir nun unseren Bedarf an Kanal wasser eingenommen
hatten, wurde das Signal zum Sammeln gegeben und die Verlesung
der Mannschaften, bei welcher so mancher braver Kerl als »fehlend«
bezeichnet werden mufste, ging vor sich. Die Leute erzählten sich
gegenseitig ihre Abenteuer, berichteten, wie es ihnen gelungen war,
glücklich Allem zu entkommen und hatten Zeit, ihre unteren
Extremitäten, denen gar manches Stück Haut beim Stürzen in die
Gräben und beim Herausklettern aus denselben, verloren gegangen
war, einer genauen Prüfung zu unterziehen. Das bemerkenswerteste
Glück hatte, wie ich mich entsinne, ein Feldwebel gehabt, der den
Feind durch einen Krimstecher beobachtete, als ein Geschofe an-
kam, das ihm das Glas zersplitterte und danu sich senkend in seinen
Mund hineinflog, so dafs er es, mit dem alleinigen Verlust von
einem Paar Zähne einfach ausspucken konnte.
Einige von uns wurden nun dazu ausgewählt, das ägyptische
Lager abzusuchen, um sich zu vergewissern, dafs sich kein Feind
mehr darin versteckt hielt. Vor Arabis Zelt wurde eine Wache
aufgestellt. Letzteres hatte ich beim Vorgehen selbst passiert und
mir dabei ein Kotelett von dem Tisch darin angeeignet, ohne zu
wissen, wem Zelt und Speisen gehörten. Dabei hatte ich das Glück
zufällig auch auf einen kleinen Verschlag zu stofsen, der mit
Melonen, Nüssen, Eau de Cologne - Flaschen, Blechbüchsen mit
türkischem Tabak und Cigarretten-Dose angefüllt war. Ich füllte
meine Wasserflasche mit Eau de Cologne, meinen Brotbeutel mit
Cigaretten, und machte mich dann auf, eine Blechbüchse mit Tabak
und eine Flasche Eau de Cologne in der Hand, meinen Hauptmann
aufzusuchen. Da er in dem Zelt, in dem die Offiziere sich ver-
sammelt hatten, nicht zu finden war, so gab ich meine Eau de
Cologne-Flasche einem Major, einem Irländer, der den ganzen
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Die Schlacht ron Tel-el-Kebir (am 13. September 1882). . 255
Inhalt derselben mit einem Schluck in sich aufnahm und dann zum
grofsen Vergnügen der anderen Offiziere in die Worte ausbrach:
»Heiliger Jesus, was ist das für ein guter Stoff! c In demselben
Augenblick traf ich meinen Hauptmann, dem ich die Cigaretten
gab und ihm anzeigte, wo er Alles was er an Citronen, Tabak und
Eau de Cologne gebrauchte, finden konnte; er schenkte mir einen
Sovereign für meine Bemühung. Freiwillige wurden nun auf-
gerufen, um die Verwundeten aufzusuchen und ihnen beizustehen.
Ich war mit dabei und brach wohl dazu ausgerüstet auf, die Pfeife
im Munde, den Brotbeutel voll Cigaretten, und eine Wasserflasche
voll Eau de Cologne und mit einem grofsen Vorrat von Wasser. Der
Anblick des Schlachtfeldes, auf das man jetzt so kaltblütig nieder-
sah, war grauenvoll; die Artillerie hatte schrecklich gewütet. Ich
entsinne mich unter Anderm eines Haufens von 24 Körpern, von
denen einige völlig in kleine Stücke zerrissen waren, andere kopflos,
wieder andere einzelner Gliedmafsen beraubt. Einige der toten
Ägypter brieten langsam, wie sie dalagen, da ihre Kleider Feuer
gefangen hatten und noch weiter brannten. Einer unserer Jäger,
der daher kam, zog seine Pfeife aus der Tasche und zündete sie
an einem der Körper an, indem er, meinem Gefühl nach ziemlich
roh, dabei bemerkte: »Beim . . . ., ich hätte niemals gedacht, dafs
ich noch 'mal in meinem Leben einen toten Ägypter zum anstecken
meiner Pfeife haben würde. c In dem äußeren Graben lagen unsere
Toten und Verwundeten dichter als die des Feindes, aber in den
inneren Gräben und zwischen diesen kamen auf einen von uns
gewifs 10 Ägypter. In den Redouten lagen die schwarzen Kanoniere
fast bis auf den letzten Mann tot oder verwundet, denn man hatte
sie sowohl an die Geschütze als auch untereinander mit schmalen
Kettchen angeschlossen, die an ihren Fufegelonken befestigt waren
und ihnen nur erlaubten, die Geschütze zu bedienen, sie aber am
Weglaufen hinderten. Zwischen ihnen lag der arme Lieutenant
Rawson tötlich verwundet. Es schien uns sehr hart, dafs derjenige,
welcher so viel zu dem Siege dadurch beigetragen hatte, dafs er
die Truppen so schön geführt hatte, nun in der Stunde des Triumphes
im Sterben liegen niufete. Als mau Sir Alison von seiner Ver-
wundung berichtete, ritt dieser sofort zu ihm, um nach ihm zu
sehen. »Führte ich Sie nicht gut, Sir?c lauteten des Sterbenden
letzte, schwache Worte, pflichtgetreu bis in den Tod.
Der erste Verwundete, dem ich Hilfleistung gewährte, war ein
Ägypter, dessen Ächzen schrecklich war und den ich bei näherer
Untersuchung schwer in dem Bauche verwundet fand. Ich gofe
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256 Die Schlacht Ton Tel-el-Kebir (am 13. September 1882).
ihm etwas Eau de Cologne in den Hals und verwandte mein
eigenes Verbandzeug dazu, seine Wunde so zu verbinden, dafs die
Fliegen nicht hinzukommen konnten. Dann zündete ich eine
Cigarette an, steckte sie ihm in den Mund, legte mehrere andere
neben ihn und gab ihm noch einen Schluck Wasser. Er küfste
raeine Hand und murmelte etwas von > Allah c Ich war noch nicht
weit von ihm weggegangen, als ich den Knall eines Gewehres ver-
nahm und eine Kugel an meinem Ohr vorbeipfiff; mich umblickend
sah ich, dafs der Rauch des Schusses von dort kam, wo mein Ver-
wundeter lag, und bemerkte zugleich, dafs der Kerl ruhig von
Neuem auf mich zielte. Bevor ich ihn erreichen konnte, hatte er
Zeit, noch einen Schüfe abzufeuern, aber die Kugel verfehlte mich
wieder, und nun trug ich kein Bedenken, seinem Dasein mit meinem
Bajonett ein Ende zu bereiten, indem ich zu mir, als ich den Stahl
zum letzten Mal aus seinem Leibe herauszog, sagte: »Das Spiel
wirst Du nicht noch einmal versuchen, Du undankbares Viehle
Solche Beispiele eines verräterischen Hasses kamen übrigens vielfach
vor und ich selbst machte 4 anderen Verwundeten den Garaus,
weil ich sie abfafste, wie sie auf unsere Leute, die an ihnen vor-
tibergekommen waren, feuerten. Das Bajonett in einen auf dem
Boden liegenden Menschen zu stofsen ist, wie Jeder sich vorstellen
wird, keine schöne Sache und man konnte es nur mit Widerstreben
thun, aber in solchen Fällen, wie ich sie erwähnte, war es einfach
ein Akt der Notwendigkeit und Pflicht
Grofse Haufen Gefangener waren eingebracht worden, die über-
rascht und höchst erfreut zu sein schienen, dafs sie lebend gefangen
genommen und nicht auch hiugemetzelt worden waren. Die meisten
von ihnen kauten Datteln und alle schnatterten in einer uns ganz
unbekannten Sprache und mit aufserordentlicher Lebhaftigkeit mit
einander. Der ganze Haufen wurde einem starken Wachkommando
unterstellt und dann wurden aus ihnen Begräbnis -Abteilungen ge-
bildet, welche, mit Schaufeln versehen, unter Bedeckung alsbald
dorthin abmarschierten, wohin sie zum Einscharren ihrer eigenen
Toten befohlen waren. Bei diesem Geschäft verfuhren sie weder
mit Rücksicht noch mit Menschlichkeit: Tote und scheinbar Toto
wurden irgendwo in die Gräben auf einen Haufen aufgestapelt und
dann Sand über das ganze geworfeu. Man konnte sehen, wie einzelne
Glieder sich noch bewegten und nände schwach in die Höhe gehoben
wurden, um das unterschiedlose Begräbnis abzuwehren, aber die
gefühllosen Totengräber kümmerten sich nicht im geringsten um
diesen stummen, eindrucksvollen Widerspruch. Bereits war der von
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Die Schlacht von Tel-«1-Kebir (am 13. September 1882). 257
den Körpern ausströmende Geruch entsetzlich, was einige der Ge-
wohnheit der Ägypter Ol in Menge zu trinken zuschrieben. Nach-
dem ich noch mehreren Verwundeten Beistand geleistet hatte,
begann ich in der Richtung auf Tel-el-Kebir zurück zu wandern,
während verlorene Geschosse noch aus wer weifs welchen Richtungen
umherflogen. Plötzlich verspürte ich ein Stechen in der rechten
Schulter, das mich veranlagte mein Gewehr auf die Erde zu werfen,
aber ich nahm es dann wieder auf und ging weiter, trotzdem mich
meine Schulter sehr schmerzte. Jetzt fühlte ich etwas meinen Arm
herunter rieseln, zu meinem Erstaunen sah ich dafs es Blut war
und war mir klar, dafs ich eine Schulswunde erhalten hatte. Da
Ärzte ganz in der Nähe waren, so begab ich mich zu diesen und
bekam schnell einen Verband auf meine Verletzung, welche, wie
ich hier erfuhr, nur eine nicht gefährliche Fleischwunde war. Da
ich mich aber doch sehr schwach fühlte, so nahm ich den Vorschlag
eines Matrosen an, der auf einem Kamel ritt und sich erbot, mich
zu meinem Regiment hinzubringen. Auf dem Kamel zu reiten,
deuchte mir schlimmer als zu Schiff auf hoher See zu fahren. Denn
Jack und sein Tier schienen sich gegenseitig nicht zu verstehen.
Das Kamel nahm Jack's Versuche, es durch Schläge auf den Kopf
mit einem Stock Stenern zu wollen, übel auf, während Jack das Tier
in seiner Seemannsprache ausschimpfte und mir mitteilte, >dafs
das dem Steuer nicht gehorchen wolle«. So grofse Schmerzen
ich auch empfand, so mutete ich doch so lachen, dafs ich von dem
Kamel herunterfiel und eine Zeitlang ganz unbeweglich liegen blieb,
wo ich hingefallen war. Endlich richtete ich mich jedoch wieder
zusammen, stand auf und setzte meinen Weg fort, der mich bald
an Sergeant Donald Gunn von meinem Regiment vorüberführte,
welcher schwer verwundet mit einem Schüfe in der Lunge dalag.
Er vermochte nicht zu gehen und ich konnte ihn nicht tragen; aber
als ich das Regiment erreichte, meldete ich, wo er ungefähr zu
finden wäre, so genau, als ich es zu beschreiben im Stande war.
Er erzählte mir später, dafe er doch noch den ganzen Tag und die
folgende Nacht auf dem Schlachtfeld gelegen hätte, bevor er weg-
getragen worden wäre und wie überrascht er, als sich die Nacht
auf das Schlachtfeld niedergesenkt hatte, gewesen wäre zu sehen,
eine wie grofee Anzahl bis dahin scheinbar toter Ägypter sich plötz-
lich erhoben hätten, und anscheinend ganz unverletzt davon ge-
laufen wären. Die Wiederherstellung Gunn's, der noch nach seiner
Verwundung weitergekämpft und sich sehr ausgezeichnet hatte, bis
er vom Blutverlust überwältigt, niedergesunken war, blieb lange
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258 Die Schlacht von Tel-el-Kebir (am 13. September 1882).
äufseret zweifelhaft; jetzt aber ist er wieder woblauf, mit der Tapfer-
keitsmedaille geschmückt, und im Besitz des ehrenvollen Postens
eines Thorwächters Ihrer Majestät. Bald nachdem ich Gunn ver-
lassen hatte, war ich so glücklich, ein Pferd zu rinden, das an einen
Pfahl angebunden war; ich bestieg es, ritt es in das Lager meines
Regiments und verkaufte es am nächsten Tage für 5 Pfund au einen
Offizier. Jetzt wurde auch meine Wunde ordentlich verbunden uud
ich war froh zu erfahren, dafs ich deswegen nicht in das Lazarett
zu kommen notig hatte. Meine Kameraden waren inzwischen zum
Fouragieren ausgegangen und kehrten reich mit Geflügel beladen
zurück, das sofort gerupft und den Feldkesseln überwiesen wurde.
Wir hatten alle einen mörderlichen Hunger, da wir seit Gaesin
nichts als Biskuit zu uns genommen hatten. Mit meiner Zuthat zu
unserem gemeinsamen Mahl hatte ich leider ziemliches Unglück.
Als ich nämlich das ägyptische Lager durchstreifte, war ich auch
auf mehrere kleine Zinnbüchsen gestofsen, welche mit einem Etikett
versehen waren, auf dem ich in der Eile das Wort »Suppe« (Potage)
gelesen hatte; von diesen brachte ich nun einige herbei und ver-
sprach meinen Kameraden einen Hochgenufe, indem ich einen Kessel
voll Wasser kochte und in diesen den Inhalt meiner Büchsen
hineinthat. Nachdem sie gut umgerührt war, wurde die angebliche
Suppe ausgeteilt; das erste Urteil über sie lautete, dafs sie merk-
würdig schwarz aussehe. Als sie zum Kosten kühl genug war, da
wurden die verzerrten Gesichter der ersten, welche sich daran
gewagt hatten, zum Warnungszeichen für alle anderen, und ein
lautes Geschrei erhob sich: »Beim . . . ., das ist Schuhwichse!«
Und wahrhaftig, es war so! Das Etikett, das ich als Suppe (Potage)
entziffert hatte, hatte »Wichse« (Cirage) bedeutet!
Die Gesamtverluste der bei Tel-el-Kebir ins Gefecht gekommenen
englischen Truppen beliefen sich auf 339 Mann, von denen 243 auf
die Hochland-Brigade kamen, während sich der Rest von 96 auf die
übrigen Truppenteile verteilte. Das 79. war das erste, welches über
die äufsere Verteidigungslinie hinausdrang, da es die Seitengewehre
während des Marsches aufgepflanzt hatte, wogegen die anderen Re-
gimenter der Brigade hierzu Halt machten; freilich betrug dieser
Zeitgewinn nur wenige Sekunden. Man kann nicht sagen, dafs die
Verteidiger von Tel-el-Kebir völlig überrumpelt worden seien, ob-
gleich sie zweifellos wenig Kenntnis davon hatten, dafs wir ihnen
schou so nahe seien, als unser Anmarsch von ihnen entdeckt wurde.
Sie ruhten in den Kampfstellungen und waren beim ersten Alarm
auf ihren Posten. Wir hatten 300 Yards unter ihrem sehr heftigen
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Nachrichten über die königlich italienische Anne« a. s. w.
259
Feuer zurückzulegen, aber %# ihrer Geschosse giugen zu hoch
und waren auch wohl ziellos abgegeben worden, sonst hätten wir
dabei sehr schwere Verluste erleiden müssen.« —
Wenngleich sich im Allgemeinen Widerspruche zwischen dieser
Erzählung unseres Augenzeugen und der vorher nach dem Bericht
des Oberkommandierenden, Generals Wolseley, gegebenen kurzen Dar-
stellung des Gefechtes kaum finden, so weichen doch die offiziellen
Verlustziffern von denen, welche Sergeant Palmer giebt, etwas ab.
General Wolseley beziffert nämlich die Gesamtverluste am 13. Sep-
tember auf: 9 Offiziere, 48 Unteroffiziere und Mannschaften tot;
27 Offiziere, 353 Unteroffiziere und Mannschaften verwundet;
22 Mann vermifst — in Summa Verlust: 459 Offiziere und Mann-
schaften. Hiervon fallen alles in allem auf die Hochland-Brigade
223 Offiziere und Mannschaften.
le Juge,
Hauptmann ä la suite des Kadetten-Corps
und Militärlehrer bei der Haupt-Kadetten -Anstalt.
XTV. Nachrichten über
die königlich italienische Armee und Marine,
im ersten Halbjahre 1890.
Wer rastet, der rostet, das gilt mehr oder minder für alle
Stande, aber für keinen, speziell in der Jetzzeit, mehr, als für den
Wehrstand, nur wer vorwärts geht, kanu den Anderen folgen; ein
Stehenbleiben in dieser rastlos drängenden Zeit giebt es nicht,
»avanti, sempre avanti«, das ist deren Losung. Werfen wir
einen kurzen Rückblick, auf alles das, was in der uns so nahe
stehenden italienischen Armee in dem ersten Semester 1890 sich
ereignet hat, die Neuerungen, Fortschritte, Versuche in deu ersten
6 Monaten dieses Jahres.
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Nachrichten über die königlich italienische Armee
Ein schwerer Schlag, doppelt hart, weil völlig unerwartet, traf
das Haus Savoyen, die Armee und ganz Italien, mit dem Tode
Seiner Königlichen Hoheit des Herzogs Amadeo Ferdi-
nand o Maria von Aosta; mit ihm schied einer der edelsten und
liebenswertesten Prinzen, die je an eines Thrones Stufe gestanden,
aus dem Leben, ein Edelmann in des Wortes bester Bedeutung;
ein schneidiger, tapferer Soldat, ein Vater aller Armen und Elenden,
schlofs dieser echte Ritter ohne Furcht und Tadel am 18. Januar
für immer die Augen. Es würde weit über den Rahmen dieses
kurzen Berichtes hinausgehen, wollten wir hier eingehend das Leben
und Wirken des Dahingeschiedenen schildern. Es mögen hier nur
die letzten Worte des Verewigten erwähnt sein, die er seinem über
alles geliebten Königlichen Bruder sagte: »Ich bin unendlich
glücklich, Umberto, Dich noch einmal zu sehen und in Deinen
Armen sterben zu können, ich fürchte den Tod nicht, denn ich habe
ihm oft in das Auge gesehen, aber es ist mir dennoch schwer zu
scheiden, weil ich so gerne Dir, der Armee und dem Vaterlande
noch gedient hätte und gezeigt hätte, wie unbeschreiblich ich Dich
und diese beiden geliebt.« — Es bedarf keines Kommentares dieser
edelen heldenhaften Worte, Denkmäler in Erz und Marmor werden
für den Frühdahingeschiedenen errichtet werden, aber länger als
diese werden die Worte des Königs Umberto, im Herzen jeden
Italieners wiederklingen, mit denen er seinem Bruder, das schönste,
unvergänglichste Denkmal setzte: »Ich habe meinen besten Freund,
meinen treuesten Diener und meinen uneigennützigsten Ratgeber
verloren!« — Elf Tage vor dem Prinzen starb eine dem Könige
ebenfalls sehr nahestehende Persönlichkeit, sein langjähriger, erster
General -Adjutant, Conte Raffaele Pasi, im Alter von circa
61 Jahren, mit ihm schied ein treuer Diener des Königlichen
Hauses und ein tapferer, hochbegabter Offizier aus dem Leben.
Prinz Amadeo war bei Lebzeiten General - Inspekteur der
Kavallerie, an seine Stelle, wurde der bisherige Commandeur der
1. Kavallerie-Brigade Generalmajor Domenico De Marra berufen, an
Stelle des General Pasi wurde auf den in der italienischen Armee,
sehr wichtigen Posten, des ersten General-Adjutanten Sr. Majestät
der Generallieutenant und kommandierende General des IX. Armee-
Corps (Rom) Marchese Emilio Pallavicini di Priola berufen; er
hatte die Ehre, Sr. Majestät unserem Kaiser die Truppen bei der
grofsen Parade bei Centocelle am 14. Oktober 1888 vorzuführen.
Iu dem Kommando des IX. Armee-Corps ersetzte ihn der bisherige
Commandeur der 2. Division Alessandro Asinari di San Marzano,
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and Marine, im ersten Halbjahre 1890.
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im Winter 1887/8 Kommandant der italienischen Besatzungstruppen
in Afrika. Diesen Veränderungen, folgten zahlreiche andere in
den höheren und niederen Chargen. Der Kriegsminister Bertole-
Viale hatte erkannt, dafs es für die Schlagfertigkeit des Heeres
dringend notwendig sei die oberen Führer desselben nicht zu alt
werden zu lassen; es wurde deshalb ein Ausschufs höherer Offiziere
(Commissione straordinaria dei generali) für den 14. Januar nach
Rom befohlen. Dieselbe bestand aus dem General Cialdini, Herzog
von Gaeta, dem General und Kriegsminister Bertole -Viale, den
Generallieutenants Gosenz, Chef des königlich italienischen Generai-
stabes, Ricotti (früheren Kriegsministers) und Grafen Pianell, kom-
mandierenden Generals des V. Armee-Corps (Verona). Die Folgen
der Beratungen obiger Kommission waren die Verabschiedung
(collocazione a riposo), Dispositionsstellung (collocazione in disponi-
bilitä) oder Überführung in den nülfsdienst (collocazione in
posizione ausiliaria) zahlreicher höherer Offiziere aller Waffen.
Die Stellung eines in den Hülfsdienst versetzten Offiziers giebt es
im deutschen Heere nicht. Die italienischen Hülfs-Offiziere zählen
zu den aktiven Offizieren und beziehen die Hälfte ihres Gesamt-
einkommens; meistens pflegt diese Stellung der Übergang zur Dis-
position oder Verabschiedung zu sein. Es wurden verabschiedet:
4 Generallieutenants (darunter der Bruder des Kriegsministers, zu-
letzt Commandeur der 19. Division Neapel), 14 Generalmajors (7 der
Infanterie, 4 der Kavallerie, 1 der Artillerie und 2 vom Genie-Corps),
ferner 48 Obersten, Oberstlieutenants und Majors, unter denen sich
13 Regiments-Commandeure der Infanterie und 4 der Kavallerie
befanden. Diese und vorhergehende zahlreiche Verabschiedungen,
lassen es erklärlich erscheinen, dafs innerhalb 15 Monaten, vom
1. Januar 1889 bis 31. März 1890, 2 Armee-Corps, das IX. Rom
und das XI. Bari, und 17 Divisionen von 24, ihre Commandeure
wechselten. Was Lebens- und Dienstalter der ausgeschiedenen
höheren Offiziere anbetrifft, so zählten die Generallieutenants zwischen
59 und 56 Lebens- und 38 und 41 Dienstjahren; die Generalmajors
zwischen 60 und 52 Lebens- und 42 und 37 Dienstjahren, die
Obersten zwischen 64 und 52 Lebens- und 47 und 36 Dienstjahren.
Wir sehen, dafs die Obersten, zum Teil an Lebens- und Dienstalter
die Generale übertreffen. Es liegt aber nicht daran, dafs die
physischen Kräfte beim Südländer sich eher erschöpfen als bei dem
Nordländer, es giebt in den südlichen Ländern viel mehr gesunde
alte Leute als im Norden, weil der Südländer meistens mäfsiger im
Essen und namentlich im Trinken ist, als der Nordländer. Die in
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262 Nachrichten über die königlich italienische Armee
den Ruhestand getretenen Obersten, von hohem Lebens- und Dienst-
alter konnten letzteres nur erreichen, weil sie, aktiv, eigentlich doch
schon inaktiv waren und zwar als Bezirks-Commandeure (coman-
danti i distretti militari). In den verschiedenen Bolletini treffen
wir häufig die Erscheinung, die bei uns zu den Seltenheiten gehört,
dafe die Divisions- und Brigade-Commandeure unter einander im
Kommando der Divisionen und Brigaden wechseln.
Betrachten wir im weiteren jetzt kurz die wichtigsten ein-
getretenen Neuerungen. Auf der Schiefs schule zu Parma sollten
4 je zweimonatliche Kurse, der erste beginnend am 25. Februar,
der letzte endend am 20. November, abgehalten werden, an denen
720 Premier- uud Sekondelieutenants der Grenadier-, Infanterie-,
Bersaglieri- und Alpini-Regimenter, sowie 80 Premier- und Sekoude-
Lieutenants der Kavallerie teilzunehmen haben. Diese Kurse sind
hauptsächlich befohlen zur Erprobung des neuen, rauch-
schwachen Pulvers (Polvere senza fumo oder Ballistite). Dieses
Pulver hat eine bräunliche Farbe und kaufte die italienische
Regierung von dem Erfinder desselben, dem Schweden Nobel, das
Recht der Anfertigung für 12 Jahre; sie zahlt an Nobel für jedes
angefertigte Kilogramm Pulver 1,45 Lire oder 1,16 Mark. Das
Pulver wurde in der vor einiger Zeit zum Teile in die Luft
geflogenen Pulverfabrik von Avigliana bei Turin angefertigt. Da
die Versuche mit dem neuen Pulver sehr günstige Resultate sowohl
für die Handfeuerwaffen, als die verschiedenen Geschützkaliber ge-
liefert haben, da ferner die Herstellung desselben auf Kosten des
Staates bedeutend billiger zustehen kommt, so hat die Regierung
beschlossen, eine neue Pulverfabrik in grofsartigstem Stile
bei Tivoli zu bauen; dieselbe wird in etwa 1—2 Jahre vollendet
sein, die Kosten für dieselbe sind auf 3 Millionen Lire veranschlagt.
Zur Kriegschargierung für die Handfeuerwaffen der italienischen
Armee bedarf es 450,000 kg Pulver, die bis Ende nächsten Monats
fertig gestellt sein sollen, dann wären noch 800,000 kg Pulver für
die Kriegschargierung der Feld-Artillerio anzufertigen und später
ungefähr noch das doppelte Quantum für die Festungs- und Marine-
Geschütze. Die Hauptvorteile des neuen Pulvers sind: »Wieder-
standsfähigkeit gegen Nässe, langsames Verbrennen ohne Rückstand,
in Folge dessen grofse Schonung der Gewehre und Geschütze, sehr
geringe Explosionsgefahr«. Die Kosten der Infanteriepatrone sind
um l 1 /» Centesimo gestiegen (früher 10, jetzt II 1 /»)» das Gewicht
derselben hat sich dagegen von 34 auf 29 gr vermindert. Die
Kriegschargierung d. h. die vom Manne getragene, hat sich um
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und Marine, im ersten Halbjahre 1890.
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20 Patronen, von 96 auf 116 vermehrt. Znr Herstellung der neuen
Munition stehen 20 Vi Millionen Lire zur Verfügung, die bewilligt
wurden nach den sehr eingehenden Auseinandersetzungen im Par-
lamente seitens der Generale Bertole -Viale und Pelloux. Der noch
zahlreich vorhandene Bestand alter Patronen, etwa 205 Millionen,
wird im Einzelschiefeen bei den Truppen und den Schiefsvereinen
verschossen, während das Gefechtsschiefsen mit den neuen Patronen
ausgeführt wird. Bei den diesjährigen grofsen Manövern wird,
ebenso wie im vorigen Jahre in Deutschland, das eine Corps die alte,
das andere die neue Mnnition führen.
Mitte Januar, trat in Rom unter dem Vorsitze des Präsidenten
des höchsten Gerichtshofes für Heer und Marine, des General-
Lieutenants Mezzacapo, eine Kommission zusammen, um über das
demnächst einzuführende neue Militär-Strafgesetzbuch zu be-
raten. Im italienischen Civilstrafcodex giebt es die Todesstrafe
nicht mehr, es wurde von mancher Seite gewünscht, dafs dieselbe
auch aus dem neuen Militär-Strafcodex verschwände, doch hat die
Kommission einstimmig sich für Beibehaltung derselben, als unbe-
dingt notwendiges Mittel zur Aufrechthaltung der Disziplin in
äufsersten Fällen, entschieden.
Im Herbste d. J., also nach Beendigung der Lager und Manöver,
finden gröfsere Garnisonswechsel statt; es wechseln ihre
Garnisonen: 13 Brigadestäbe und 26 Regimenter der Infanterie,
ferner 5 Bersaglieri- und 5 Kavallerie- Regimenter. — Für das
Jahr 1890/91 ist seitens des Kriegsministeriums bestimmt worden,
dafs jedes Infanterie-, Bersaglieri-, Artillerie- und Genie-Regiment 8
vierjährige Freiwillige einstellen darf, jedes Kavallerie-Regiment
10 und jedes Alpini-Regiment in unbegrenzter Anzahl, jedoch in
näher durch die Inspektion der Alpini-Regimenter zu regulierender
Weise. Sowohl die Lehrzüge der Offiziers- als Unteroffiziers-
Aspiranten bei l / 3 aller Regimenter der verschiedenen Waffengattungen
bestehend, zeigten wie die Unteroffizierschule zu Caserta, wie ferner
die Anmeldungen zum Eintritt in das Colonial-Corps, einen sehr
großen Zudrang, ein Zeichen, dafs der Waffendienst in Italien bei der
Masse des Volkes beliebt ist.
Dem neuen Exerzier-Reglement der Infanterie, das in
manchen Bestimmungen dem unseren sehr ähnelt, speziell darin,
dafs es den unteren Chargen, namentlich den Compagniechefs viel
mehr Selbstständigkeit aber auch mehr Verantwortung giebt als
wie dies bisher der Fall war, wo alles bis in die kleinsten Details
vom Regimente vorgeschrieben wurde, folgten der erste und zweite
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264 Nachrichten über die königlich italienische Armee
Band des neuen Kavallerie-Exerzier-Reglements, der dritte
soll im Laufe des Juli an die Regimenter ausgegeben werden, ferner
die Instruktion über den Aufklärungsdienst und neue Vor-
schriften über die Rekrutierung der Armee.
Während im Monat Dezember 1889 der Gesundheitszustand
im italienischen Heere ein sehr guter war, es traten auf 1000 Köpfe
nur 0,56 Todesfälle ein, stieg die Sterblichkeitsziffer im Monat Januar
1890 in Folge der Influenza auf 0,98. Diese Krankheit trat bei
einigen Truppenteilen so heftig auf, dafs dieselben eine Zeitlang
aufser Stande waren, den regelrechten Dienstbetrieb aufrecht zu
erhalten, im Ganzen waren wohl sehr zahlreiche Erkrankungen, aber
nur sehr wenige Todesfälle in Folge derselben, zu verzeichnen.
Mitte Februar konnte die Influenza als im ganzen Königreiche
erloschen betrachtet worden. — Durch Königliche Ordre wurden die
bestehenden 86 Distrikts-Kommandos um ein 87. vermehrt,
mit dem Sitze in Cefalu auf Sicilien. Die italienische Armee hat
nunmehr 100 Distrikts-Compagnien in der Durchschnittszahl von
72 Köpfen incl. Chargen.
Am 20. Februar feierte die aus dem 5. und G. Linien-Infanterie-
Regiment bestehende Brigade Aosta ihr 200jähriges Jubi-
läum. 1690 aus dem »Reggimento Fucilieri« hervorgegangen, hat
diese alte, ruhmreiche Brigade eine an Sieg und Ehren reiche
Vergangenheit hinter sich. Wo die Tricolore wehte, war Aosta zu
finden, sei es in guten, sei es in hosen Tagen ; immer hat die Brigade
den Schild der Ehre rein gehalten, viele haben Leben und Blut für
Italien und das Haus Savoyen dahin gegeben, iu den Kriegen 1848,
1859/60/61, 1866 und 1887 in Afrika erwarben sich 290 Offiziere
und Mannschaften die Tapferkeitsmedaille. Die Prinzen des König-
lichen Hauses haben oft Dienst gethan im 5. Regimente, so der
verstorbene Prinz Araadeo, so jetzt Seine Königliche Hoheit der
Kronprinz als Oberstlieutenant und Commandeur des I. Bataillons.
In Folge der 45tägigen Armeetrauer um den Ersteren, konnte sich
die Feier natürlich nur im engsten Rahmen halten, es wurde die-
selbe vom 20. Februar auf den 24. Juni verschoben, an welchem
Tage das Denkmal für die der Brigade angehörigen bei Solferino
und San Martino 1859 Gefallenen eingeweiht wurde. Se. Majestät
der König erliefs eine eigenhändige Cabinetsordre , in derselben in
wärrasten Worten der Brigade dankend für die 200jährigen treuen
und makellosen Dienste, schliefsend mit den Worten: »Evviva
Aosta la Veja« (veja im piemontesischen Dialecte will sagen >la
vecchia« die alte). Am 4. März empfing Se. Majestät eine Deputation
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und Marine, im ersten Halbjahre 1890.
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der Brigade unter Führung des Brigade-Gonimandeurs Generalmajor
Mocenni, welche die Ehre hatte Se. Majestät ein Exemplar der
Brigadegeschichte zu überreichen, ferner eine goldene Jubiläums-
Medaille; dieselbe trägt auf der einen Seite den Kopf Sr. Majestät
im Profil, auf der anderen Seite die Worte: »Die Brigade Aosta,
welche von den Graischen Alpen, die ihr Namen und Ursprung
gaben, 200 Jahre lang, glorreich und ohne Fehl ihre Fahnen in
allen italienischen Kriegen trug, feiert in Rom, der Hauptstadt
Italiens, am 20. Februar 1890 ihr 200jähriges Jubiläum c. Am
22. Mai feierte ein anderes Regiment, Nizza Cavallerie Nr. 1,
sein lOOjähriges Jubiläum in Mailand, Se. Majestät der König und
Se. Königliche Hoheit der Graf von Turin, wohnten den Festen
bei, die ihren Glanzpunkt in einem prächtigem Turnier erreichten,
das das Offiziers-Corps des Regiments, zum Besten des roten Kreuzes,
in dem berühmten Teatro della Scala ritt.
Was die gröfseren Übungen in diesem Jahre anbelangt, so
ist nachstehendes bestimmt worden. Im Bereiche eines jeden der
12 Armee -Corps werden je ein Divisions- oder zwei Brigadelager
formiert; dies ist abhängig von dem disponibelen Gelände, Dis-
lokationsräumen u. s. w. Die Übungsperiode dauert einen Monat
und muJs in der ersten Decade des Augusts beendet sein, den
Beschluß machen 8tägigo Marschmanöver. Während der letzten
14 Tage werden der Infanterie Kavallerie- und Artillerie-Detache-
ments zugeteilt. Unter dem Oberbefehl des Generallieutenants
Ricotti-Magnani finden in dem Monate August grofse Manöver
statt, die in zwei Perioden zerfallen. In der ersten Periode üben
die zu diesen Manövern gebildeten Manöver-Corps unter der Leitung
ihrer Führer divisionsweise gegeneinander. Die Manöver finden auf
historischem Boden (die Schlachtfelder von Custozza, Solferino,
Goito befinden sich auf dem Manöverterrain) zwischen den Flüssen
Mella und Mincio statt. Die Generalidee für die 2. Periode, in der
die Corps gegeneinander operieren werden, ist die nachfolgende:
Eine West-Armee hat den Ticino überschritten, sie nähert sich mit
der Absicht, die Übergänge über den Mincio zu forzieren und in
das Venetianische einzudringen. Venetien ist von einer Ost -Armee
besetzt, welche die Mincio-Übergänge stark verschanzt hat. Beide
Armeen haben als Avantgarde ein Armee - Corps designiert, die
beiden Manöver -Armee-Corps, diese stofsen zwischen Monti (am
Chieseflusse) und Castiglione delle Stiviere auf einander. — Die
Manöver-Corps werden in Italien, nicht, wie im deutschen Heere,
aus bestimmten Corpseinheiten gebildet, sondern der Kriegsminister
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Nachrichten über die königlich italienische Armee
bestimmt die Brigaden resp. Divisionen der dem Manöverterrain
nahe garnisonierenden Corps, die zur Bilduug der Manöver-Corps
abgegeben werden. Das 1. Manöver-Corps, unter Kommando des
Generallieutenant Dezza, wird Patronen mit rauchschwachem Pulver ge-
brauchen, es wird gebildet aus der 1. kombinierten Division General-
Lieutenant Caccialupi — Brigade Acqui (17. und 18. Regiment) und
Brigade Bergamo (25. und 26. Regiment) und aus der 2. kom-
binierten Division Generallieutenant Bava Beccaris — Brigade Calabria
(59. und 60. Regiment) und Brigade Verona (85. und 86. Regiment),
dem Corps ist zugeteilt das 6. Bersaglieri-Regiment und das Kavallerie-
Regiment Monferrato Nr. 13, ferner die 1. kombinierte Kavallerie-
Division, Generallieutenant Longhi — 1. Brigade Kavallerie-Regimenter
Nizza Nr. 1 und Genova Nr. 4, 1 reitende Batterie, 2. Brigade
Kavallerie-Regimenter Lodi Nr. 15 und Lucca Nr. 16, 1 reitende
Batterie. — Das 2. Manöver-Corps, unter Kommando des Geueral-
Lientenant Boni, wird die bisherigen Patronen gebrauchen, es setzt
sich zusammen aus der 3. kombinierten Division, Generallieutenant
Corsi — Brigade Forli (43. und 44. Regiment) und Brigade Alpi
(51. und 52. Regiment) und aus der 4. kombinierten Division General-
Lieutenant Taffini d'Acceglio — Brigade Bologna (39. und 40. Re-
giment) und Brigade Modena (41. und 42. Regiment). Dem Corps
sind zugeteilt das 12. Bersaglieri-Regiment und das Kavallerie-
Regiment Catania Nr. 22, ferner die 2. kombinierte Kavallerie-
Division Generalmajor Rubeo — 3. Brigade, Kavallerie-Regimenter
Savoia Nr. 3 und Novara Nr. 5 und 4. Brigade, Kavallerie-Regimenter
Piacenza Nr. 18 und Roma Nr. 20, sowie 2 reitende Batterien.
Zur Disposition des Höchstkommandierenden verbleiben das 9. und
10. Bersaglieri-Regiment. Über die Zuteilung der Artillerie-, der
Genie-, der Sanitäts- und Verpflegungs-Truppen sollte in den ersten
Tagen des Juli Bestimmung seitens des Kriegsministers getroffen
werden. Die nicht an den grofeen Manövern teilnehmende Kavallerie
formiert zwei Übungslager und zwar im Bereiche des I. Armee-
Corps Turin die Regimenter Piemonte Reale Nr. 2 und Montebello
Nr. 8; im Bereiche des X. Armee -Corps Neapel die Regimenter
Guide Nr. 19, Vittorio Emanuele Nr. 10 und Saluzzo Nr. 12. Die
Dauer dieser Lager, in denen das Regiments- und Brigade-Exerzieren,
sowie Aufklärungsdienst abgehalten wird, ist auf 40 Tage berechnet
in den Monaten Juli und August. Im Bereiche des IV. Armee-
Corps (Piacenza) und in dem des VIII. (Firenze) finden gröfeere
Übungen im Aufkliirungsdieuste (esercitazioni di avanscoperta) von
16tägiger Dauer im Monat August statt, bei dem ersteren Corps
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und Marine, im ersten Halbjahre 1890.
sind zu obigen Übungen designiert die Regimenter Milano Nr. 7
und Caserta Nr. 12, bei letzterem die Regimenter Aosta Nr. 6 und
Umberto I Nr. 23. Vorstehend genannter Kavallerie werden 2 rei-
tende und 2 fahrende Batterien während der Übungsdauer zugeteilt
werden. Die gesamte Feld- (24 Regimenter und 1 reitendes),
Festungs -Artillerie (5 Regimenter) und 1 Gebirgs -Artillerie-Regiment
halten in der Zeit vom 1. Mai bis 30. August gröbere Schiefs-
Obungen auf den 12 Schiefsplätzen (poligoni) ab. Die gesamten, zu
den Brigade- und Divisionslagern, sowie zu den grofsen Mauövern
herangezogenen Infanterie- und Bersaglieri- Regimenter setzen sich
durch Einberufung des Jahrganges 1864 resp. 1865 auf die Stärke
von 195 Mann per Compagnie incl. Chargen. Aus den Mannschaften
des Beurlaubtenstandes werden aufser obengenannten Mannschaften
dieses Jahr einbeordert: die Mannschaften des Jahrganges 1864 der
I. Kategorie, angehörend den Bersaglieri-, Alpini- und Feld -Artillerie-
Regimentern, ausgenommen diejenigen des Artillerietrains, für die
Dauer von 28 Tagen, 30,000 Mann der II. Kategorie der Jahrgänge
1868 und 1869 für die Dauer von 45 Tagen, und schliefslich der
gesamte Jahrgang 1869 der III. Kategorie für die Dauer von
15 Tagen. Dieses Jahr werden zu Übungszwecken etwa 100,000 Mann
unter die Waffen gerufen werden, während voriges Jahr mehr als
230,000 der verschiedenen Kategorien einberufen worden waren.
Das königliche militärgeographische Institut zu Twin hat eine •
auch für das Ausland sehr beachtenswerte Karte von Italien in
24 Blättern im Malsstabe von 1 : 500,000 herausgegeben, die
von den genau durchgeführten Arbeiten obigen Institutes Zeugnis
giebt.
In Bezug auf die Beförderungsverhältnisse ist nachstehen-
des vom Kriegsminister befohlen worden. Es können im Etate-
jahre 1890/91 die Oberstlieutenants aller Waffen mit Patent vom
Jahre 1888 zur Beförderung zum Obersten, zu Oberstlieutenants die
Majors der Infanterie, Artillerie und des Genies vom Jahre 1886,
die der Kavallerie vom Jahre 1888, zu Majors die Hauptleute der
Infanterie, Artillerie und des Genies vom Jahre 1882, die der Ka-
vallerie von 1884, zu Hauptleuten die Lieutenants der Infanterie und
Kavallerie von 1884 und die der Artillerie und des Genies von 1885
in Vorschlag gebracht werden. Auöh in Italien giebt es für tadellos
12jährig gedient habende Unteroffiziere den Civilversorgungsschein
(gli impieghi ai sottufficiali), es wurden vom 1. Juli 1888 bis
30. Juni 1889 249 Aspiranten angestellt und verblieben noch
623 Aspiranten; die meisten Anstellungen fanden statt als Unter-
J*hrbüeh«r für dl« Deotacb* Ann», nid Maria«. M. LXXVU 3. IQ
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Nachrichten Oher die königlich italienische Armee
beamte des Kriegsministeriums, des Post- und des Telegraphen-
wesens. Das italienische, aktive Offizier-Corps, eingeschlossen die
Sanitäts-, Veterinär-, Zahlmeister- und Intendantur-Beamte, die
sämtlich Offiziersrang haben, beziffert sich anf 14,367 Kopfe, von
diesen waren verheiratet 3612, während im Jahre 1887, bei fast der
ganz gleichen Kopfzahl, nur 3206 und 1888 3382 Verheiratete zu
finden waren.
Zur Ablegung der Vorprüfung zur scuola di guerra (Kriegs-
akademie) sind dies Jahr 74 Offiziere befohlen worden, von denen
42 der Infanterie incl. Bersaglieri und Alpini, 7 der Kavallerie,
13 der Artillerie und 12 dem Genie angehören, 29 derselben sind
Hauptleute, 45 Premierlieutenants. Wie in allen Staaten (eine
rühmliche Ausnahme macht Frankreich) suchen auch die italienischen
Volksvertreter an den Ausgaben für Armee und Marine möglichst
viel abzuschneiden. Es sind dem Kriegsminister vom ordentlichen
und außerordentlichen Budget für 1890/91 rund 10 Millionen
gestrichen worden, die Hauptersparnis mit 4,200,000 Lire wird er-
zielt durch die um 52 Tage später erfolgende Einberufung der
Infanterie-Rekruten ; ob dies den, ohnehin schon einen so schwachen
Friedensstand habenden italienischen Compagnien gut bekommen
wird, ist eine andere Frage; zwar ist der für alles Militärische
aufserordentlich gut beanlagte Italiener leichter und schneller aus-
zubilden als im Grofeen und Ganzen die deutschen Rekruten.
Dem hochverdienten Chef des königlich italienischen General-
stabes, Generallieutenant Cosenz, verlieh Se. Majestät, in Anlafs
seines zurückgelegten 50. Dienstjahres, den höchsten italienischen
Orden Sta. Annunziata und die Medaglia Mauriziana, welche nach
ÖOjähriger, tadelloser Dienstzeit verliehen wird. Die Entlassung
zur Reserve erfolgt im italienischen Heere dieses Jahr am 3. August
für die Infanterie-, Bersaglieri- und Genie-, am 25. für die Alpini-
Regimenter, am 28. für die Artillerie-, am 1. September für die
Kavallerie-Regimenter und am 10. für die Mannschaften der Distrikts-
Kommandos.
La societa anonima cooperativa tra gli Ufficiali dell'Esercito e
deirarmata,rUnioneMilitare(dieOffiziersgeno88enschaft, anonime
Gesellschaft der Offiziere des Heeres und der Flotte) auf den Grundlagen
unseres Offiziervereines vor l 1 /, Jahren in das Leben gerufen, hat
trotz mancher zu bekämpfender Schwierigkeiten, sich kräftig ent-
wickelt, dieselbe zählt gegenwärtig 13,196 Mitglieder mit einem
eingezahlten Betrage von 1,092,925 Lire. Von obigen Mitgliedern
sind 11,231 aktive Offiziere der Armee und 663 der Flotte, 1251
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und Marine, im ersten Halbjahre 1890.
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inaktive Offiziere des Heeres und 51 der Flotte. Dnrch kriegs-
ministerielle Verfügung vom 18. März wurde die Auflösung der bei
jedem selbstständigen Truppenteile bisher bestandenen Offiziers-
bekleidungsgenossenschaft für den 1. April befohlen. Die vor-
handenen Bestände sollen verkauft werden, die vorhandenen Schulden
der Offiziere an obige Genossenschaften sind bis 1. April 1893 zu
begleichen, nötigenfalls durch monatliche Gehaltabzüge in der Höhe
von 15 Lire für die Stabsoffiziere, 10 Lire für die Hauptleute und
5 Lire für die Subalternoffiziere. Die Überschüsse der Vereinigungen,
die sich nach endgültiger Liquidation derselben ergeben, sind an
das Kriegsministerium abzuführen, um seitens dieses zum Nutzen der
Offizier-Corps verwandt zu werden.
Eine die Disziplin schädigende Vergünstigung der italienischen
Generale ist auf Antrag des Kriegsministers seitens Sr. Majestät
aufgehoben worden, dies war das Civiltragen der Generale und
in Generalsstellung befindlichen Obersten. Vor dieser Verfügung,
gab es Generale, die die Uniform nur anlegten zum Geburtstage
der Majestäten, des Kronprinzen u. s. w., sonst aber selbst bei
Empfangnahme von Meldungen, Besichtigungen von Kasernen u. s. w.
in Civil gingen. Jetzt hat jeder General im Dienste immer Uniform
zu tragen, aufser Dienst natürlich nur an öffentlichen Orten, an
Wochentagen bis 4 Uhr, an Feiertagen bis 1 Uhr Nachmittags.
In militärischen Kreisen ist man von diesem allerhöchsten Befehle
sehr befriedigt, hofft aber, dafs dies nur der Anfang sei und die
Generale binnen kurzen verpflichtet seien, wie alle anderen Offiziere
immer die Uniform zu tragen; natürlich müfste man alsdann auch
ihnen eine etwas weniger kostspielige Interimsuniform geben.
Im Auslande, auch in militärischen Kreisen, herrschen noch
jetzt ganz falsche Ansichten in Bezug auf den Betrieb des Reit-,
Jagd-, Fecht- und Turnsportes resp. Dienstes; man glaubte,
der Italiener interessiere sich für derartige Dinge nicht, dies war
und ist doppelt jetzt ein grofeer Irrtum, denn wir finden unter den
italienischen Offizieren vorzügliche Schützen, schneidige Campagne-
und Steeplechase-Reiter, und vor allen Dingen Offiziere, die auf
Hieb und Stofe eine ausgezeichnete Klinge fuhren. Durch zahl-
reiche Begünstigungen, Prämien, Gewinne u. s. w., wird seitens des
Kriegsministeriums und der kommandierenden Generale darauf ge-
wirkt, dafs dieser schneidige, frische Geist nicht erlahme, sondern
sich stärke und wachse, sowohl im Offizier-Corps als auch im
Mannschaftsstande. Letzterem angehörige Leute, die einem der
Schiefs vereine angehören und die vorgeschriebenen Übungen alle
19*
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270 Nachrichten Ober die königlich italienische Armee
regelmäfeig absolviert haben, geniefeen bestimmte Vergünstigungen
in Bezug auf Einberufungen bei Übungen des Beurlaubtenstandes.
Einjährig dienen dürfen nur diejenigen, auch wenn sie glänzend
allen sonstigen Anforderungen genügten, die als Mitglied einem
Schieisverein angehören und 10 Übungen mit Erfolg absolviert
haben. Unter der Direktion des Generalmajor Pelloux fand in den
Tagen vom 5. — 18. Mai vor den Thoren Roms, in herrlicher Lage
auf der Farnesina, das erste grofse nationale Wettschiefsen (la
prima gara di tiro a segno nazionale) statt; dasselbe gelang, Dank
den vorzüglich getroffenen Einrichtungen, in jeder Hinsicht sehr
gut. Es wurde unter unendlichem Enthusiasmus am 5. Mai durch
Se. Majestät den König und die Königin, eröffnet; ersterer that
5 sehr gute Schüsse. Das Fest nahm in hohem Grade das Interesse
der ganzen Nation in Anspruch und waren von allen Enden der
Welt Prämien und Geschenke für dasselbe eingelaufen. Die Armee
nahm daran in nachfolgender Weise Teil. Jedes Infanterie-,
Bersaglieri-, Alpini-, Kavallerie-, Festungs- Artillerie- und Genie-
Regiment entsendet nach Rom 1 Unteroffizier und 3 Mann seiner
besten Schützen, ferner ist fakultativ die Teilnahme je eines
Subalternoffiziers obiger Truppen. Die in dem Wettschiefeen seitens
der Mannschaften erzielten Prämien verbleiben Eigentum des be-
treffenden Truppenteiles. Die in allen andern Schiefsen verdienten
Preise bleiben Eigentum des Gewinners, aufser den Geldpreisen,
die zur Hälfte der Gewinner erhält und die andere Hälfte der
Truppenteil, dem er angehört. Die dazu kommandierten Offiziere
erhalten Tagegelder, Meilengelder, Freiquartier u. s. w. müssen aber
die Munition und den Schiefseintritt bezahlen. Alle diejenigen,
welche einen Preis gewonnen haben, die in Geldprämien, goldenen,
silbernen und bronzenen Medaillen und sonstigen zahllosen mehr
oder minder wertvollen Geschenken bestehen, sind berechtigt an
dem Königschiefsen (Tiro reale) teil zu nehmen. Hier errungene
Prämien teilten Se. Majestät und Ihre Majestät persönlich an die
Sieger aus. Das Fest verlief in jeder Weise harmonisch, in Bezug
auf die Schiefsleistungen glänzend. L'Esercito Italiano beklagt, dafs
die militärischen Schützen im tiro accelerato (Schnellfeuer) erst den
13. Posten eingenommen hätten; im Übrigen wurden aber von den
daran beteiligten Offizieren und Mannschaften recht schöne Leistungen
vorgeführt.
Auch in seinen afrikanischen Besitzungen war Italien mit
Erfolg aufserordentlich thätig; dem im Dezember 1889 aus Gesund-
heitsrücksichten zurücktretenden Generalmajor Baidissera, folgte als
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und Marine, im ersten Halbjahre 189a
271
Oberbefehlshaber in Afrika der Generalmajor Orero. Konig,
Parlament und Vaterland haben dankbar anerkannt, was Baidissera
in nimmer rastender, unermüdlicher Thätigkeit für Italien dort
gethan hat. Die Occupation von Eeren und Asmara, die Anlage
der Eisenbahn, von Telegraphen- und Postbureaus, sowie der Bau
mehrerer Straten dienen dazu, das Andenken dies hochgeschätzten
Offiziers im italienischen Afrika immer wach zu erhalten. Nachdem
das Schutz- und Trutzbündnis mit Menelick, Kaiser von Abessinien,
perfekt geworden war, handelte es sich für Italien nicht allein
darum, den eingebornen Fürsten zu zeigen, was es leisten könnte,
sondern auch dem Verbündeten zu zeigen, dafs die Freundschaft
Italiens etwas wert sei. Der aus Italien zurückkehrende Gesandte
Makonnen des Kaisers Menelick reiste in Begleitung des Grafen
Autonelli; da die nähere Strafse durch Tigre nicht ganz sicher
erschien, weil feindliche Banden sich hier und da zeigten, wurde
beschlossen den Weg durch Schoa zu nehmen. Menelick war in-
dessen am 6. November zu Antoto zum Negus Negesti gekrönt
worden, nachdem zuvor der zwischen Italien und Abessinien ab-
geschlossene Handels- und Freundschafts-Vertrag ratificiert worden
war, durch denselben waren nicht allein Italien sehr grofse Vorteile
für Handel und Wandel eingeräumt worden, sondern war auch der
Besitz des im vorigen Jahre occupierten Gebiete Asmara und Keren
endgültig gesichert. Italien war Herr Abessiniens und Menelick, wenn
nicht Vasalle, doch abhängig von Italien geworden. Alles war
ruhig, nur im Süden der Landschaft Tigre kämpften noch die beiden
Generale des Negus, Deschak Sebbat und Deschak Sejum gegen
Ras Alula und Ras Mangascha. — Am 16. Januar brach der erst
seit einem Monat das Kommando in Afrika übernommen habende
General Orero mit drei Kolonnen von Asmara auf, um wenn möglich
Adua, die heilige Stadt Abessiuiens und gleichzeitig Hauptstadt der
Landschaft Tigre zu erreichen. Die rechte Kolonne führte der
Lieutenant Barbanti, unter ihm standen drei Banden besoldeter
Eingeborner, 400 Gewehre stark; die linke der durch seine kühnen
Ritte und Rekognoszierungen bekannte Major Di Majo, sie war
von 4 besoldete Banden circa 500 Gewehren, eine eingeborene
Compagnie und die eingeborneGebirgs- Batterie von 6 Geschützen stark.
Der Auftrag des Di Majo lautete dahin, Ras Alula scharf im Auge zu
behalten, ferner durch Geld und gute Worte den Deschak Sebbat
zu bewegen, sich mit Deschak Sejum zu vereinen um gegen Ras
Alula gemeinsam zu kämpfen; wir haben gesehen, dafs dies gelang.
Beide Generale verfügten über etwa 5800 Gewehre, der Feind über
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Nachrichten über die königlich italienische Armee
etwas weniger. Die Hauptkolonne unter persönlichem Befehl Oreroa,
bestehend aus 1800 Mann italienischer Truppen, 1 Bataillon Ber-
saglieri, 1 Bataillon Jäger, 1 Gebirgs-Batterie, 6 Geschützen, 1 Genie-
Gompagnie und etwa 800 Mann eingeborner Truppen, 3 Compagnien
Infanterie und die Kundschafter-Schwadron, marschierten über De-
baroa, Godofelassi, Adi Gana, Gundet auf Adua. Am 26. Januar
1890 (drei Jahre nach dem verlust- aber ehrenreichen Tage von
Dogali, wo die Italiener zeigten, data der Feind ihre Rücken nicht
zu sehen bekam, wo die Welt sah, wie Tapfere zu sterben wissen,
nachdem die letzte Patrone verschossen, mit dem Rufe »Evviva
LTtalia, evviva il Re«) vereinigten sich die 3 Kolonnen vor den
Thoren Aduas, um von der Bevölkerung mit Frohlocken begrüfet,
unter den Klängen der italienischen Fanfaren, ihren Einzug zu
halten. Es war dies wiederum ein neuer Beweis der aufserordent-
lichen Marschleistungsfähigkeit der italienischen Truppen, ihrer
Ausdauer und grofeen Geuügsamkeit, auch bei aufserge wohn liehen
Strapazen. Durch steinige Flufebetten, über Berge und Höheu, ohne
irgend eine Strafse in unserem Sinne, ging der Marsch vorwärts,
kein Mann blieb als krank oder marode zurück, trotzdem die Mann-
schaften alles feldkriegsniäfeige Gepäck, aufser den Zelten, trugen,
dafür aber die Italiener für 3, die Eingebornen für 5 und die
Banden für 15 Tage Lebensmittel. Zum Transport der Reserve-
Lebensmittel, Reserve -Munition, Krankentragen u. s. w. waren
4500 Träger und mehr als 1500 Kamele und Esel angeworben
beziehungsweise angekauft worden. Adua ist ein Ort, der nicht
allein von hohem strategischem Werte, da er zahlreiche nach
Massaua, Asmara, Axum, Gondar und Schoa führende Strafsen
beherrscht, sondern auch in religiöser und kommerzieller Beziehung
ist es ein höchst wichtiger Punkt. General Orero erklärte den
Spitzen der Stadt und Geistlichkeit, dals er nicht gekommen sei,
um Adna zu erobern, nein dieses sei Eigentum des erhabenen
Freundes Italiens, des Kaisers Menelick, er sei nur gekommen, um
allen zu zeigen, was Italien könne und wie mächtig es sei. Das,
was erlangt werden sollte, hohe Stärkung des moralischen Ansehens
und der Macht Italiens war vollkommen erreicht worden. General
Orero bestimmte Deschack Sebbat zum kaiserlichen Statthalter in
Adua, liefs dort als Vertreter Italiens den Hauptmann Toselli mit
der Kundschafter-Schwadron und sämtlichen besoldeten Banden
zurück, während er selbst in langsamen Märschen über den Mareb
zurückging. Mitte Februar waren die Expeditionstruppen wieder
in ihre Garnisonen zurückgekehrt. Später wurde ein Dislokations-
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and Marine, im ersten Halbjahre 1890.
273
Wechsel befohlen und die ganzen Besitzungen in drei militärische
Zonen eingeteilt: 1. Die von Massaua und Umgebung, 2. die von
Keren und Umgebung und endlich 3. die von Asmara und das
Thal des Mareb. In den nächsten Monaten ereignete sich nichts
von Wichtigkeit in den afrikanischen Besitzungen; aufser einigen
kleinen Scharmützeln gegen auf Raub ausgehende Banden, fiel nichts
Bemerkenswertes vor. General Orero, bat leider aus naher nicht
bekannten Gründen, um seine Abberufung; als sein Nachfolger als
Militär- und Civilgouverneur der »Kolonie Eritrea«, wie offiziell
die italienischen Besitzungen in Afrika benannt werden, wurde
bestimmt der Generalmajor Gandolfi, ein in den vierziger Jahren
stehender sehr verdienter und tüchtiger Offizier, der bis jetzt die
Brigade Parma (49. und 50. Regiment) in Bologna befehligte.
Bei einigen Fällen von Unordnungen, wo die bewaffnete Macht
gegen die durch Verführer irregeleitete Bevölkerung den königlichen
Carabinieri Hülfe leisten musste, zeigte sich, dals der italienische
Soldat getreu seinem Eide, unbedingt gehorcht, so bei einzelnen
stattgehabten Revolten am 1. Mai in Turin und Livorno. Von der
Schußwaffe mufete das Militär Gebrauch machen am 22. Mai in
Conselice, Provinz Ravenna, wo aufrührische, ländliche Arbeiter
und Arbeiterinnen, mit Steinhagel Carabinieri und Soldaten be-
grüßten, der dreimaligen Aufforderung auseinanderzugehen nicht
folgten, sondern sogar den Lieutenant der Carabinieri schwer ver-
wundeten; 3 Tote und 18 mehr oder minder schwer verwundete
Aufrührer waren die Folge des militärischen Einschreitens, danach
ward die Ruhe hergestellt.
Am 1. Januar 1890 wurde das italienische Marine-
Ministerium umgeformt und zwar zergliedert es sich nunmehr
wie folgt: 1. Stab und Marinekabinett, 2. Generaldirektion für
Militärdienst, 3. Generaldirektion für Schiffskonstruktion, 4. General-
direktion für Artillerie und Armierung, 5. Generaldirektion für
Handelsmarine, 6. Direktion für Hydrographie, 7. Direktion für
Gesundheitsdienst, 8. Direktion für Ingenieur- und Torpedo-Ange-
legenheiten, 9. Revisions- Bureau, 10. Rechnungskanzlei. An der
Spitze von Nr. 1, 2, 4, 5 und 6 stehen Admirale, der an der Spitze
der Abteilung Nr. 1 stehende führt den Titel Chef des Stabes des
Marineministeriums. Neben dem Marineministerium, giebt es behufs
Beratung in besonders wichtigen Angelegenheiten noch »das Haupt-
Komitee der Marine«, erster Vorsitzender ist der Marineminister,
zweiter ein Viceadmiral, fernere Beisitzer: 2 Vice- oder Contre-
Admiräle, der Inspekteur des Schiffsbauwesens, der Generaldirektor
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Nachrichten über die königlich italienische Armee
der Handelsmarine und ein höherer Marine-Offizier als Sekretär. —
Die Stärke des Offizier-Corps der königlich italienischen
Marine beziffert sich auf a) im aktiven Dienste: 6 Viceadmirale,
15 Contreadmirale, unter diesen Se. Königliche Hoheit Tommaao
Herzog von Genua, Bruder Ihrer Majestät der Königin, 36 Kapitäns
zur See, 56 Fregatten-, 75 Korvetten -Kapitäns, 225 Lieutenants
und 115 Unterlieutenants zur See, ferner 36 Schiffsfähnriche (Guardie
marine), eine Art Portepeefähnrich mit Erlaubnis zum Tragen des
Offiziersdegen, unter ihnen der dritte Sohn des verstorbenen Herzogs
von Aosta, Luigi, Herzog der Abruzzen. Im Hülfsoffizierdienst-
verhältnis befinden sich 6 Vice- und 3 Contreadmirale, 9 Kapitäns
zur See, 10 Fregatten- und 4 Korvetten-Kapitäns und 10 Lieutenants
zur See. Der Schiffsreserve (La riserva navale) gehören 9 Vice-
und 10 Contreadmirale, 33 Kapitäns zur See, 17 Fregatten- und
15 Korvetten -Kapitän s, 70 Lieutenants, 44 Unterlieutenants zur
See und 98 Schifisfahnriche an. — Am 15. Februar wurde das
permanente Geschwader zu Spezzia unter dem Kommando des
Viceadmiral Grafen Lovero di Maria in Dienst gestellt, es wurde in
3 Divisionen geteilt: die I. Division bestehend aus 2 Schlachtschiffen
»Italia« und »Lauria«, beide I. Klasse, ferner dem Schlachtschiffe
U. Klasse »Piemonte« und Aviso »Colonna«, die II. Division unter
Kommando Sr. Königlichen Hoheit des Herzogs von Genua bestehend
aus dem Schlachtschiffe I. Klasse »Lepanto«, II. Klasse »Bausan«
und Kreuzer »Montebello« , die III. Division aus den Schlacht-
schiffen I. Klasse »Dandolo« und »Duilio« und dem Kreuzer »Mon-
zambanoc, attachiert sind ferner 4 Torpedoavisos: »Aquila«, »Falco«,
»Nibbio« und »Avvoltojo« und 12 Torpedoboote Modell Schichau.
Das Geschwader nahm erst Kreuzfahrten vor, dampfte nach Sicilien,
später nach Sardinien, absolvierte Schiefsübungen bei der Insel
Maddelena; ein Teil ging ferner zur Begrüfsung des Präsidenten
Carnot nach Toulon. Die Torpedoboote sollten auf Maschinen und
Seetüchtigkeit eingehend geprüft worden, da neuerdings einige
Bedenken gegen den Typus Schichau aufgetreten zu sein scheinen.
Im Juli finden gröfsere Flottenmanöver statt, über die Generalideen,
Ausführung derselben u. s. w. wird im nächsten Bericht ausführ-
licheres mitgeteilt werden. Bis jetzt ist seitens des Marine-
ministeriums befohlen worden die Einteilung des Manövergeschwaders
in 2 Divisionen, die eine die verteidigende Nationalflotte unter dem
Kommando Sr. Königlichen Hoheit des Herzogs von Genua be-
stehend aus den Schiffen: »Lepanto«, »Piemonte«, »Dogali«, »Mon-
zambano«, »Montebello«, »Goito« und 8 Hochseetorpedobooten, die
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und Marine, im eraten Halbjahre 1890.
275
andere die feindliche angreifende Flotte anter dem Kommando des
Contre-Admiral Grafen Sambuy wird besteben aus den Schiffen:
»Dandolo«, »Duilio«, »Laoria« und ebenfalls 8 Hochseetorpedo-
booten. Die Übungen werden statthaben in den Gewässern des
Golfes von Genua, von dem Kap Melle nordwestlich bis im Süden
gegen das Kap Corso (die Nordspitze der Insel Corsica), die Insel
Elba und die vom Festland Toscanas vorspringende Halbinsel
von Piombino. Hauptsächlich soll geübt werden der Kundschafts-
und Aufklärungsdienst, ferner sollen die Semaforien ihre Thätigkeit
entfalten; alle im ersten Seedepartement (Spezzia) befindlichen Se-
maforien werden auf Kriegsfufs gesetzt. Die später folgenden
Manöver sollen rein strategischer und nicht taktischer Natur sein.
Die nationale Partei, soll sich mehr auf die Defensive verlegen,
während hingegen der Feind unausgesetzt Angriffs- und Landungs-
versuche machen soll. Ein letzterer ist als gelungen zu betrachten,
wenn es dem Feinde gelingt, bis unter das Feuer der Küsten-
Geschütze ungefährdet zu kommen. Das Oberkommando übernimmt
der Viceadmiral Graf Lovera di Maria, er hifet seine Flagge auf
der Italia, auf der für einige Zeit auch Se. Majestät der König,
der Kronprinz, der Marineminister, Viceadmiral Brin und Unter-
staatssekretär der Marine Morin sich einschiffen werden. Nach
einer ausgezeichneten Rede »Gegenwart und Zukunft der italienischen
Marine«, gehalten im Parlamente am 16. Juni 1890 vom oben ge-
nannten hochbegabten Unterstaatssekretär, wurde, da-sie überzeugend
und überwältigend auf die Volksvertreter wirkte, das ganze Marine-
budget 1890/91 in der Höhe von 121,465,218 Lire mit einem
Abstriche von nur 100,000 Lire angenommen. In unserem nächsten
Berichte werden wir noch näher auf die Kammerverhandlungen bei
Gelegenheit des Heeres- und Marine-Budgete zurückkommen, für
jetzt verbietet es der Raum.
Pallanza sul Lago Maggiore. Italia. Gingno 1890.
De. S.
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XV. Die Befestigungen Italiens.
Vo»
Oberniaier,
(Schluß.)
II. In Mittel- (südlich der ligurischen Apenninen) und
Unter-Italien.
Pisa, am rechten Arnoufer, 8 k oberhalb dessen Mündang,
60,300 Einwohner, ist im Umkreis von ca. 10 k mit alten Ring-
mauern, Türmen und Gräben umgeben und hat eine Citadelle im
Südwesten.
1. Lucca, V. Klasse, Prov. -Hauptstadt am linken Serchio-Ufer,
21,300 Einwohner, hat eine breite Umwallung von 11 Bastionen
mit vielen Ravelins, die gut erhalten ist und neuestens auch ver-
stärkt werden soll. — Pistoja, Provinz Florenz, am linken
Orabroneufer (Nebenflufs des Arno) 13,000 Einwohner, Prato am
linken Bisenzio-Ufer, 16 k nordwestlich Florenz, 16,000 Einwohner,
Florenz, am rechten Ufer des nur 30 — 40 m breiten Arno,
170,000 Einwohner, (östlich der Bahn das alte Kastell San Giovanni
Battista, ein bastioniertes Fünfeck mit 250 — 400 m Frontlängen, im
Süden der Stadt die alte Fortezza di Belvedere, 200 m lang, 100 m
breit, im Osten und Westen mit je 2 Halbbastionen); Siena, Prov.-
Hauptstadt, 40 k südlich Florenz, und 5 k nordwestlich der Bozzone-
Mündung (in die Arbia) mit der Citadelle Forte S. Barbara, einem
bastionierten Rechteck von 240 und 300 m Seitenlänge, sind
sämtlich mit alten Ringmauern (Florenz im Umfang von 12 k)
umgeben.
2. Grossetto, V. Klasse, Prov.-Hauptstadt, in der grofsen und
fruchtbaren Ebene des Ombrone, nahe dessen rechtem Ufer, 15 k
nordöstlich seiner Mündung, 3300 Einwohner, bat eine Umfassung
von 6 Bastionen, von denen das nördliche die Fortezza ist. Der
Platz ist unbedeutend.
3. Radicofani, IV. Klasse, auf einer steilabfallenden Kuppe,
32 k südwestlich des Trasimenischen Sees, ist eine alte Bergfeste,
welche die Strafee Siena — Aquapendente — Viterbo — Rom mit einigen
wichtigen Nebenstrafsen sperrt. Die projektierte Neubefestigung kam
nicht zur Ausführung.
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Die Befestigungen Italiens.
277
Arezzo, Prov.-Hauptstadt, an dem 4 k unterhalb in den Kanal
Chiana mündenden Flüfschen Castro, 39,000 Einwohner, Cortona,
21 k südöstlich Arezzo, auf einem steil abfallenden Bergausläufer
am östlichen Rande des Chianathales, 5000 Einwohner, San Sepol-
cro, nahe dem linken Tiberufer, 3600 Einwohner, Citta di Castello,
Provinz Perugio, am linken Tiberufer, 6000 Einwohner, Perugia,
Prov.-Hauptstadt, 3 k vom rechten Tiberufer entfernt, 400 m über
dem Flufe, 16,700 Einwohner, Urbino, Provinz Pesaro, in dem
waldigen Höhengebiet zwischen Metauro und Foglia, 5200 Einwohner,
Macerata, Prov.-Hauptstadt, auf einem 300 m hohen Hügel zwischen
den 7 k von einander entfernten Flüssen Potenza und Chienti,
20,000 Einwohner, Pansula, 7 k südöstlich vom letzteren auf der
Höhe des rechten Chienti-Ufere, Fermo, Provinz Ascoli Piceno,
7 k vom Meere, auf der Höhe zwischen den Flüssen Tenna und
Leta, 8000 Einwohner, sind sämtlich mit alten, zum Teil cyclopischen
Mauern, Wällen und Bastionen umgeben, einzelne auch mit einer
Citadelle versehen. Bei Chiusi, Provinz Siena, auf einem Hügel
südlich des von der Chiana gebildeten Sees von Chiusi, 4660 Ein-
wohner, und beiMagione, 2k östlich des Trasimenischen Sees
war die Anlage von Strafsensperren, bei Perugia, umfangreichere
Neubefestigung und bei Antrodoco, 18 k östlich Rieti, an der
Bahn nach Pescara ein Sperrfort projektiert, wurden jedoch nicht
ausgeführt.
4. Civitella del Toronto, Provinz Teramo, in den Abruzzen
auf steilem Felsen am rechten Ufer des Salinello, 7200 Einwohner,
hat zwar nur eine alte Umfassung mit einer Citadelle, gilt aber noch
als fester Platz.
5. Rom, L Klasse, die Haupt- und Residenzstadt des König-
reichs, zu beiden Seiten des Tiber, 23 k von dessen Mündung, hat
300,000 Einwohner. Der Flufs durchzieht von Norden nach Süden
die Stadt in 3 Windungen in einer Länge von 4 l / t k und scheidet
die eigentliche Stadt vom Gebiete des Vatikans im Nordwesten und
dem Stadtteil Trastevere im Westen und Südwesten. Seine Breite
wechselt zwischen 52 und 103 m, seine Tiefe zwischen 5 und 13 m.
Die alte Stadtumfassung, durch quadratische Türme und Bastione
flankierte Mauern mit 12 Thoren und ohne Graben, umzieht in
einem Umfang von ca. 23 k die bekaunten 7 Hügel; im Nordwesten
ist dicht am rechten Flufsufer die alte Citadelle, die Engelsburg,
ein bastioniertes Fünfeck mit 200 m langen Fronten. Von ihrer
Nordwestfront aus umschliefet die Umfassung mit 9 verschieden
grofsen und verschieden geformten Bastionen den Mte. Vaticano,
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278
Die Befestigungen Italiens.
zieht dann auf der Höhe des Mte. Gianiculo entlang mit 6 Bastionen
ca. 1800 m südlich und wendet dann rechtwinklig mit 4 ungleichen
Bastionen zu dem 900 m entfernten Flufs. 1100 m südlich zieht
die Umfassung des linken Ufers von der Eisenbahnbrücke mit einigen
Biegungen zuerst 2400 m weit in östlicher Richtung, biegt dann
nach Norden und dann nach 700 m wieder 1600 m weit nach
Nordosten, das Maranna-Thal entlaug; sodann wendet sie sich nord-
westlich nach dem 2000 m entfernten campo militare, umzieht diesen
und wendet endlich in westlicher Richtung nach dem 2% k ent-
fernten Flufs, den sie 800 m nördlich der Engelsburg erreicht.
Die Projekte für die Neubefestigung von Rom waren zahlreich und
sehr verschiedenartig; 1877 wurde die Neubefestigung endlich ver-
fügt und auch im selben Jahre noch mit dem Bau begonnen; aber
auch während der Ausführung traten noch vielfach Änderungen in
dem angenommenen Plane ein. Der 40 k messende Fortsgürtel
besteht aus 15 Werken, sämtlich an Punkten, wo die wichtigsten
Strafeen nach der Stadt, oder deren Kreuzungspunkte, unter Feuer
genommen werden können, und wo gleichzeitig Fronthinderniase
irgend welcher Art die Verteidigung begünstigen.
a) Auf dem rechten Ufer (ca. 3 k von der Umfassung ent-
fernt): 1. Fort Monte Mario (145 m, der höchste Punkt der
Hügelkette des Janiculus), östlich der via triumphalis, nahe nördlich
der villa Mellini und 2 Vi k nördlich der porta angelica, 600 m vom
Flufs entfernt, beherrscht das obere Tiberthal von den Wiesen der
Farnesina bis zur Mündung des Anio und darüber hinaus, dann den
östlich gegenüber liegenden Monte Parioli und die ponte Molle, über
welche die via Cassia führt; dasselbe ist mit 20 schweren Geschützen
armiert. Die ursprünglich beabsichtigte Befestigung des 2 k weiter
nördlich liegenden Monte Faruesina wurde nicht ausgeführt. —
2. Fort Trionfale, 3 l /j k von der Mauer des Vatikans und 1800 m
nordwestlich Monte Mario, bei dem Dorfe S. Onofrio, sperrt die
via triumphalis, welche hier umgelegt wurde. — 3. Fort casal
B rasch i (100 m), 2 x / t k südöstlich vom vorigen, dicht an der strada
de Pigneto Saccheti (oder del Pidochio), welche die via triumphalis
1 k vorwärts der Kirche von Onofrio mit der via di Boccea, Vi k
von der porta Cavaleggieri entfernt, verbindet, 4 k vor der Um-
fassung, 2 k vor den Gärten des Vatikan, überhöht das Vorterrain
um 25 m und soll den Raum zwischen den beiden Strafsen unter
Feuer nehmen. — 4. Fort Boccea (83 m), auch val Canuta, 1,6 k
südlich vom vorigen, 2'/j k vom ausspringenden Winkel der Gärten
des Vatikan entfernt, links an der via Boccea, ist das kleinste der
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Die Befestigungen Italiens.
279
rechtsseitigen Werke, aber durch seine Lage stark nnd beherrscht
die via Salura, sowie das westliche Vorterrain bis jenseits der fossa
Galera um 10 m. — 5. Fort Aurelia antica (76 m), 1600 ra
südlich vom vorigen, westlich der villa Pamfili, nahe der Abzweigung
der strada Pisana, 3 k vor der porta S. Pancrazio, bestreicht die
via Aurelia und das Vorterrain bis auf 6 k; es hat 15 Geschütze.
6. Etwas über 2 k südlich davon Fort Bravetta (50 m), nördlich
der casetta Mattei (bei der villa Trojani oder Trevisani) am Abhang
des Casaletto-Berges beherrscht sowohl das hohe, durchschnittene
hügelige Plateau südwestlich der porta S. Pancrazio, als auch die
Thäler der Bravetta und Magliana, die Ravins jenseits der letzteren
und die strada Pisana. Das Fort hat über 20 Geschütze. — 7. Fort
Portuense (60 m), 3 k östlich vom vorigen, etwas über 3 k südlich
der nahe der Tiber befindlichen porta Portese auf einer Kuppe in
der Nähe der villa Grossi und der Abzweigung des Weges nach
Imbracciata, beherrscht die strada Portuense und die untere Tiber
ziemlich vollständig, außerdem das ganze mit Villen und Wein-
gärten bedeckte Gelände vor dem Südende des Janiculus. Auf dem
hart am Uferrande befindlichen Monte Truglio soll zur speziellen
Bestreichung der Eisenbahn ein besonderes Werk gebaut werden.
b) Auf dem linken Ufer (durchschnittlich 4—5 k weit vor-
geschoben): 8. Fort Ostiense, 4 k südlich der porta Paolo, 2 l / t k
südöstlich vom vorigen, auf der Hohe vigna Veuerati, zwischen via
Ostiense und Laurentina; 9. Fort Ardeatina (51 m), 2% k östlich
vom letzteren, vor der porta S. Sebastiano, nördlich der tenuta di
S. Alesio, halbwegs zwischen der Abtei Quattro Fontane und der
via Appia (westlich der chiesa dell' Annunciatello), soll sehr grofe
und stark sein, doch soll es wegen des südwestlich dominierenden
Monte Creta das Vorterrain gegen den Tiber hin nur unvollkommen
beherrschen. Ursprünglich war hier ein Fort 2 k weiter nördlich,
südlich der Grotta perfetta (51 m) projektiert. 10. Fort Appia
antica (71 m) auf der tenuta Capo di Bove, 2 k östlich von Ar-
deatina, 1 k vorwärts des Grabmals der Cäcilia Metella ist eines
der stärksten Werke mit in den Felsen gesprengtem Graben und
beherrscht die Bahn nach Neapel, die strada Ardeatina und die alte
und neue via Appia, sowie die via Tusculaua. 11. Fort Casilina
(52 m) 4 k nordöstlich vom vorigen, 4 k südöstlich der porta
Maggiore, nahe der nach Frascati führenden via Tusculana, bei der
tenuta di casetta degli Angeli, beherrscht die vorliegenden Strafsen
und die Bahn; zur bessern Bestreichung der letzteren und der via
Tusculana soll an der Kreuzung der Beiden eine Zwischenbatterie
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280
Die Befestigungen Italiens.
errichtet werden (Porta Furba). — 12. Fort Prenestina (47 m),
3 k nördlich vom vorigen, an der gleichnamigen Strafse (nach
Palestrina) in der Nähe von Marcellini und südwestlich der tennta
di Quarticcioli ; 13. 2'/a k nordwestlich davon Fort Tibnrtina
(36 m) 500 m rechts der gleichnamigen Strafse (nach Tivoli), auf
der tenuta di Grotta di Gregna, 4 k nordöstlich der porta S. Lorenzo.
Es dient, wie das vorige, zur wirksamen Beherrschung des jen-
seitigen Ufers des Anio, sowie der Strafsen und Brücken über den-
selben. Ursprünglich war hier ein Werk näher an der Stadt bei
Partonaccio projektiert. 14. Fort Pietra Lata (46 m), ca. 2 k
nordwestlich vom vorigen, auf der gleichnamigen Kuppe am linken
Ufer des alten Tiber (Teverone), 5 k vor der porta S. Lorenzo, soll
die via Nomentana und Salaria beherrschen. 15. Fort Monte
Antemne, (62 m), 4 k nordwestlich vom vorigen, gleichfalls auf
dem linken Teverone-Ufer, links der via Salaria und 5 k nordöstlich
Monte Mario, beherrscht das Tiberthal aufwärts bis zu den colli di
Castel Giubileo, die Bahn nach Florenz, die via Salaria und Flaminia.
Ursprünglich war statt der beiden letzten Forts ein Werk bei Ponte
Namentano, am Monte Sacro, auf der Höhe des rechten Teve-
rone-Ufers projektiert gewesen. Es werden auch Forts von Albano
und Frascati genannt, die wahrscheinlich unter den vorgenannten
schon aufgeführt sind.
Die Forts, im wesentlichen nach neupreufsischem System er-
baut, haben eiuen mit Niederwall versehenen Hauptwall, bastionierten
Kehlwall, ergiebige Grabenverteidigung aus Kaponieren, zahlreiche
Hohl- und bombensichere Unterkunftsräume. Die Besatzung soll
aus 1 — 2 Compagnien, zum Teil sogar aus 2 Bataillonen bestehen
mit 12 — 24 schweren Kampfgeschützen; die Kosten sollen durch-
schnittlich lVi Millionen betragen. Alle Werke sind unter ein-
ander und mit der Stadt durch Straten und Telegraphen oder
Telephon verbunden.
Das Projekt, auf dem Monte verdo bei Campobasso (Prov.-
Hauptstadt, mitten in den Apenninen, 60 k nordöstlich Capua und
54 k nordwestlich Lucera, 14,000 Einwohner) ein Sperrfort zu bauen,
wurde fallen gelassen.
6. Capua, II. Klasse, Provinz Caserta, 22 k nördlich von
Neapel, am linken Volturnoufer, von dem die Stadt auf 3 Seiten
umflossen wird, 13,150 Einwohner, hat eine alte, aber gut erhaltene
Umfassung, eine Citadelle im Westen und einen Brückenkopf.
Neuerdings soll die Festung bedeutend verstärkt, insbesondere durch
Anlage eines Fortsgürtels erweitert werden, um sowohl als Depot-
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Die Befestigungen Italiens.
281
platz, wie als Stützpunkt für die Verteidigung der Südprovinzen
auf der tyrrhenischen Seite der Apenninen mit Erfolg dienen zu
können. — Lncera, Provinz Focero, ca. 17 k nordwestlich Foggia,
13,000 Einwohner, sollte zur Unterstützung der Verteidigung
ostlich der Apenninen befestigt werden; doch wurde das Projekt
wieder aufgegeben .
C. Küstenbefestigungen.
I. Westküste.
1. Ventimiglia (siehe Grenzbefestigungen). — 2. Oneglia,
Provinz Porto Maurizio, an der Mündung des Imper, 8000 Ein-
wohner, hat ein Fort (Kastenbatterie) zur Deckung des Hafens. —
3. Vado, Fl. St. II. R., 5 k südwestlich Savona. Nahe süd-
lich ist das Fort Lorenzo, V/ 2 k südöstlich, am Sudufer des Hafens,
das Fort S. Stefano. Der Platz wird nicht unbedeutend verstärkt;
neu errichtet ist bereits die Position Monte S. Elena, Batterien bei
Madonne degli Angeli, auf Madonna del Monte und bei Capo di
Vado.
4. Savona, 20,350 Einwohner, hat einen kleinen aber sichern
Hafen, der durch ein auf einem Felsen im Meer stehendes Fort
geschützt wird. Die Batterie S. Andrea bei Sestri Ponente, 11 k
westlich Genua, 9500 Einwohner, wurde 1878 aufgelassen. 5. Genua,
I. Klasse und Fl. St. L R., Prov.-Hauptstadt, zwischen der Mündung
des Polcevere und Bisagno, amphitheatralisch bis zu 190 m an-
steigend, 180,000 Einwohner, ist der gröfste Hafen der ligurischen
Küste und nach Marseille der bedeutendste am ganzen Mittelmeer.
Die Bucht wird durch 2 mächtige Molen abgeschlossen.
a) Die Hauptumfassung: 1. Die eigentliche innere Stadt
ist von einer zum Teil schon durchbrochenen Mauer umgeben im
Umfang von 12 k. 2. Eine zweite, sturmfreie, äufsere Enceinte
(Erdbrustwehr) zieht im Umkreis von 20 k über die umliegenden
Höhen und um die Vorstädte und endigt im Norden in einem
spitzen Winkel, dem Sporn (Sperone 489 m), 3 1 /* k nördlich des
Hafens. 3. Diese Enceinte schliefet an einige mächtige Bollwerke
an: Fort Crocetta, 157 m im Nordwesten, Fort Begatto, 472 m
zwischen dem vorigen und dem Sporn und Fort Castellaccio,
362 m, im Nordosten. Im letzten Dezennium wurden die nötigen
Verstarkungsarbeiten ausgeführt, insbesondere am Bastion della
Concezione and am Fort Tenaglia.
282
Die Befestigungen Italiens.
b) Die Küstenbefestigung: 1. Batterie S. Andrea, 3 1 /, k
westlich; 2. 3 Batterien in der Nähe des Leuchtturmes (neu);
3. je 2 Batterien auf dem molo vecchio und nuovo; am Ende
des letzteren eine neue Batterie; 4. an der Ostkaste des Hafen-
einganges die Batterien Janus, S. Giacomo, Stella; 5. Mit dem
Fort Streya trifft die Ostenceinte an die Küste; 6. Fort S. Giu-
liano, V/ 2 k östlich der Enceinte; 7. eine neue Batterie auf der
spinata di S. Benigno; 8. desgleichen auf spinata alla Cava.
Die Batterie Teodoro wurde 1879 aufgelassen.
c) Die Landbefestigung soll zum Schutz gegen etwaige an
der Riviera versuchte Landungen besonders verstärkt werden.
1. Lünette Belvedere, 128 ra, 1 k westlich der Enceinte, südlich
Crocetta; 2. Fort Puin, auf dem Sattel 509, 800 m nördlich des
Sperone; 3. weitere 1600 m nördlich Fort Diamante auf dem
Sattel 667 m, von welchem das Polcevere- und Bisagno-Thal aus-
gehen, 5 1 /, k nördlich der Küste; 4. Fort Quezzi, 2 1 /, k südöstlich
des Sperone, 281m; 5. Fort S. Tecla, 190 m, 2 k östlich der
Enceinte; 6. Zwischen Tecla und Küste das Fort S. Martino,
106 m; 7. Fort Richelieu, 415 m, 2'/ 4 k östlich Quezzi; 8. I 1 /, k
nördlich davon Fort Ratti, 564 m; die beiden letztgenannten auf
der Höhe von S. Francesco.
6. Auf der Südspitze der Halbinsel Portofino im Westen
des Busens von Rapallo, 40 k südöstlich Genua, liegen auf ca.
100 m Höhe: Fort Castello, Oliveta und Castelletto.
7. Spezzia, I. Klasse und Fl. St. I. R., am Nordwestende
des tiefeingeschnittenen gleichnamigen Golfes, Provinz Genua, 10,650
Einwohner, ist Hauptkriegshafen und hat alle Marine-Etablissements.
Der Golf, einer der schönsten und gröfsten Naturhäfen ist 8 k
lang, 4 k breit und bis auf einen 200 m breiten Streifen am Nord-
ufer, selbst für die gröfsten Schiffe tief genug. Die westlich um-
schliefsende Halbinsel hat Höhen bis zu 640 m ; von ihr ist im
Süden die Insel Palmaria durch den Hafen von Porto Venere ab-
getrennt, noch weiter südlich liegt das Eiland Tino. Der östlich
umschliefseude Landstrich fällt zum Golf steil, gegen das 3—5 k
entfernte, zur Küste nahezu parallele Magrathai flach ab. Der Golf
hat mehrere Seitenhäfen: Porto Venere mit grobem Marinespital,
della Castagna, delle Grazie, Seno di Panigaglia mit Munitions-
depots, sämtlich auf der West-, Porto de Lerici auf der Ostseite.
Das Arsenal ist südwestlich von Spezzia bei San Vito, 5 k östlich
bei S. Bartolom eo ist eine Werfte, bei Porto di Cadimare Kohlen-
depots und bei Fezzano Werfte und Reparatur- Werkstätten. 3 k
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Die Befestigungen Italien*
283
südlich Spezzia liegt quer über den Golf der Wellenbrecher
(Diga) in der Linie S. Maria — S. Teresa. Er ist 2300 m lang; die
westliche Durchfahrt ist 350. die östliche 150 m breit. Spezzia hat
keine Enceinte, doch soll der Bau einer solchen beabsichtigt sein.
Die Seebefestigung dürfte in der Hauptsache vollendet sein; an
der Landbefestigung wird mit Eifer gearbeitet.
a) Seebefestigung. 1. Auf der Westseite des Golfes:
1. Auf der dominierenden Kuppe der Insel Palmaria, 160 m,
das gleichnamige Fort mit einem Reduit, dann eine Batterie mit
Panzerturm. 2. 1400 m nordostlich davon auf einer kleinen Insel
nahe der Nordostspitze der Insel Palmaria Fort und Pauzerbatterie
Scuola. Das alte Kastell von Porte Venere wurde 1878 aufge-
lassen. 3. £00 m nördlich Scuola an der den Hafeneingang von
Porto Venere nördlich begrenzenden Halbinsel Punta del Salto die
2 Batterien Castagna alta e bassa (letztere gepanzert). 4. 500 m
nördlich davon auf der den Hafen von Castagna nördlich eiuschliefsen-
den Halbinsel Fort S. Maria, eine Pauzerbatterie für 5 127aZöllige
guiseiserne Kanonen. 5. Zwischen den beiden letztgenannten Werken
eine Batterie für 3 40 cm Geschütze zur speziellen Bestreichung
der Damm-Durchfahrt. 6. 500 m nordwestlich S. Maria eine Panzer-
batterie auf Punta di Varignano zur Beherrschung des gleich-
namigen Hafens. 7. 700 m nordwestlich davon auf der Landzunge
Pezzino 2 Batterien in etagierter Lage zur Beherrschung des
zwischen dieser und Varignano liegenden seno delle Grazie. Zur
Unterstützung der genannten Werke und zu ihrer Deckung von
Palmaria her, sowie zur Bestreichung der offenen See (eine Laudung
ist hier wegen der steilen Westküste überhaupt nicht möglich)
dienen: 8. Fort Muzzerone, 319 m, im Süden, und 9. Fort
Castellana, 498 m, nördlich davon, westlich des Hafens delle
Grazie, beide auf den gleichnamigen Höhen, 1800 m von der Golf-
küste entfernt. 10. Neuestens soll noch ein Fort auf dem Verugula-
Berge erbaut werden, das die Meeresfläche bei Sella di Campiglia
bestreichen und so ein Bombardement der Arsenale von dieser Seite
her verhindern soll.
2. Auf der Ostseite des Golfes: 11. Die Batterien Ca-
puzzini, nahe nordöstlich Spezzia; 12. nordwestlich von dieser die
Batterie del Telegrafo. 13. Die Batterien Bartolomeo alto e
basso, ca. 7 k südöstlich Spezzia, zur Verteidigung des durch den
Wellenbrecher abgeschlossenen inneren Hafens im Vereine mit den
beiden gegenüber liegenden Batterien Pezzino; 14. 2 k sudöstlich
davon die Batterien S. Teresa alta e bassa, die eine, gepanzerte,
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Die Befestigungen Italiens.
an der Küste, die andere auf einem Hügel nahe dabei. (32 cm Ge-
schütze) die alte Batterie Teresa wurde aufgelassen. 15. 600 m
östlich davon auf punta della Galera die Batterie Falconara,
speziell zur Verteidigung des südlich davon liegenden Busens von
Lerici gegen Landungsversuche; 16. an der Mündung der Magra
das alte Fortino S. Croce; 17. ca. 1500 m südöstlich des Wellen-
brechers 2 grofse gepanzerte Seeforts mit 1000— 1200 m Abstand
unter sich und von Teresa (40 cm Krupp- Geschütze). — Zum
Schutz gegen Landungsversuche, die besonders durch das Magrathai
begünstigt werden können, liegen auf den zum Thal flach ab-
fallenden Höhen: 18. Fort Pugliola, 110 m, an der von der
Magra nach Lerici führenden Strafse, 1200 m nördlich dieses Ortes;
19. 1200 m nördlich davon Fort Monte Canorbino, 309 ra, mit
einer Winkel- und Distanz- Wasserstation am Kehlglacis. 20. 1200 m
westlich von diesem, zu seiner Unterstützung, sowie znr Bestreichung
des Terrains gegen Areola Fort Valdilocchi, 80 m; 21. weitere
1500 in westlich, 800 ra nördlich Bartolomeo, das dadurch auch im
Rücken gedeckt werden soll, Fort Rufino, 160 m. 22. Eine Batterie
auf dem Monte Pianellino(?); hier könnte auch noch Sarzaua in
betracht kommen (siehe Grenzbefestigungen). 23. Auf der Höhe
Roch et ta bei Sarzana wird seit 1884 ein starkes Fort gebaut, das
mit 26 Geschützen und 4 Mörsern armiert werden soll.
b) Landbefestigung: 1. Fort Paroli, 667 ra, 4 k nord-
westlich Spezzia, zur Beherrschung des Überganges über den colle
di Biassa. 2. 1100 ra nordnordöstlich davon Fort Soramovigo,
südlich der Strafse nach Genua; 3. 1100 m nordnordöstlich von
diesem Fort Vissegi, 349 ra nördlich der vorgenannten Strafse;
4. 2 k östlich von letzterem und 3 k nördlich Spezzia Fort Castel-
lazo, 220 m, das Werk soll mit 6 15 cm und 3 9 cm Geschützen
armiert werden. 5. 800 m südöstlich davon Fort Sorbia. Ferner
wurden im letzten Jahre fertig gestellt die Werke am Monte Bastia
und Monte Bochetta der Landfront. Die Armierung der sämtlichen
Werke soll im Ganzen aus 278 Geschützen bestehen, wovon 146
gegen die See-, 94 gegen die Landseite und 38 gegen beide wirken
sollen.
8.— 15. Es folgen nun längs der Küste die älteren Küsten-
forts: Cinquale 12 k südöstlich Carrara; weitere 3 k südöstlich
Marmi; 7 k südöstlich davon Fortino de Ponente; 3 k südöstlich
davon bei Viareggio (nautische Schule, 9400 Einwohner); 3 k
südlich davon Fortino di Levante; 3 k südlich von diesem
Fortino di Migliarino (südwestlich vom lago di Massaciuccoli);
Die Befestigungen Italiens.
5 k nördlich der Arnomündang Fort del Gombo; am buken Ufer
der Arnomündung die Fortezza; 6 k südlich davon Fortino di
Mezza Piaggia.
16. Livorno, III. Klasse und Fl. St. III. R., Provinz.-Hauptstadt,
an flacher Küste, 85,600 Einwohner, hat einen wichtigen Hafen
von 600 m Länge, 400 m Breite und 12 m Tiefe mit einer Werfte,
auf welcher auch Kriegsschiffe gebaut werden. Er zerfallt in den
innern (porto vecchio) mit 2 Molen und äufsern Hafen (porto
nuovo) mit einem 500 m langen Molo. An den innern Hafen
schliefst sich im Süden und Osten der innerste mit den Docks
(Darsena) an, dessen Ausgang durch die Fortezza vecchia gedeckt
wird. Die Altstadt ist mit alten, wertlosen Mauern auf der Land-
seite umgeben; im Nordosten ist die Citadelle, Fortezza nuova; das
Lazarett im Südwesten und südlich des Hafens ist durch ein grofses
Horn werk gedeckt; 1 k südlich davon ist auf einer Landzunge das
Fort dei Cavaleggeri. Neuestens sollen Neubefestigungen in der
Weise projektiert sein, dafs Livorno und Pisa (22 k nordöstlich)
durch eine Reihe von Küstenbatterien in eine gewisse Verbindung
gebracht und besonders die Höhen von Montenero und das Thal
von Benedetta mit in den Befestigungskreis hereingezogen werden
sollen.
17. — 26. Die alten Küstenforts: westlich Antignano (5 k süd-
lich von Livorno); 28 k südöstlich davon Cecina an der Mündung
des gleichnamigen Flusses; Bibbona 8 k südöstlich vom letzteren;
weitere 7 k südlich Castagueto; 9 k südlich davon S. Vincenzo,
nahe südlich der Mündung des Aquaviva; Piombino (Provinz Pisa,
der Insel Elba auf 11k gegenüber, mit alten Mauern umgeben) mit
einer Citadelle im Westen und der Fortezza auf einer Anhöhe im
Osten; 23 k südöstlich davon del Barbiere; 700 m südwestlich
davon della Troja; 5 k südöstlich davon delle Rocchette; end-
lich Talamone, 13 k nördlich des Monte Argentaro.
27. Orbetello, V. Klasse, Provinz Grossetto, auf der West-
spitze einer schmalen, 3 k langen Landzunge, inmitten des Sees
(Stagno) von Orbetello, mit dem Mte. Argentaro durch einen
1,5 k Damm mit 3 Brücken verbunden, hat eine einfache Umfassung
mit einigen Aufsen werken auf der Landseite und soll die Ver-
teidigung des Mte. Argentaro unterstützen.
28. Mte. Argentaro, Fl. St. III. R., 5000 Einwohner, vom
Festlaude durch Landengen getrennt, 500 m hoch, 7 k breit, 11 k
von Südosten nach Nordwesten lang, ist für die Verteidigung der
Maremmen-Litorale von der gröfsten Wichtigkeit. An der Ostseite
20*
286
Die Befestigungen Italiens.
liegt auf einer Landzunge der Ort Ercole mit Fort, Leuchturm
und kleinem Hafen; 1 k nordwestlich davon auf isoliertem, ziemlich
steilen Hügel das grofse horn werkartige Fort Mte. Philippo, und
1 k südwestlich das kleine Fort Stella. An der Nordküste ist der
Ort Porto San Stefano mit dem Fortino 3Natali lk östlich
gegenüber, und der Küstenbatterie della Sanitä, 600 m nordwest-
lich, zur Verteidigung des Hafens. Neuestens wurden nicht un-
bedeutende Verstärkungsarbeiten ausgeführt, mehrere neue Batterien
(z. B. am Poggio Pozzarello bei San Stefano) und ein neues Fort
bei Orbetello erbaut.
29. Civita vecchia, in. Klasse, in öder, ungesunder Gegend,
56 k nordwestlich Rom, 10,200 Einwohner, ist Kriegshafen und
mit Mauern, auf der Landseite bastioniert, umgeben mit einer
Citadelle im Süden und einem achteckigen Turm im Norden. Die
den Hafen einschliefeenden 2 Molen sind durch starke Türme ge-
deckt; vor dem Hafen (Werfte, Arsenal, Magazine) liegt eine kleine
befestigte Insel. In neuerer Zeit wurden Verstärkungsarbeiten auf
der Seeseite ausgeführt und bei dem im Nordosten befindlichen,
durch die Franzosen angelegten verschanzten Lager eine starke
Redute auf dem Mte. Capuzzini erbaut.
30. Castel Fusano (alt), 7 k östlich der Tibermündung 3 k
ostlich Ostia und 2 k vom Strande entfernt
31. Gaeta, II. Klasse und Fl. St. II. R., Provinz Caserta, am
gleichnamigen 5 k breiten Golf, auf einem nach Süden in steilen,
eine Landung nicht gestattenden Felsen abfallenden Vorgebirge, das
mit dem Festlande durch einen schmalen niederen Isthmus, dessen
gröfeter Teil vom Mte. Orlando (166 m) eingenommen wird, zu-
sammenhängt, 18,400 Einwohner, war bis in die neueste Zeit eine
der stärksten Festungen Europas.
a) Die Landfront: Die an sich schon ziemlich unzugängliche,
550 m lange, gegen Westen gerichtete Land- oder Angriffsfront
wird durch hohes Mauerwerk und mehrere Reihen über einander
befindlicher, starker Werke gedeckt und durch offene und kase-
mattierte Batterien der vorspringenden Nebenfronten flankiert. Vom
Fufe des Glacis dieser Werke erhebt sich der der Stadt gegenüber-
liegende Mte. della Tratina. Die Werke sind, von der Südwest-
spitze der Halbinsel, Transilvanio Malpasso, an folgende: 1. Die
Batterien Malpasso und Transilvanio; 2. die Redute und vorliegende
Batterie della Trinita; 3. die Batterien Malladrone und Denti di
Sega; 4. die kasemattierte Batterie Piatta forma mit der vorliegenden
Batterie cinque piani; 5. Batterie Philippstadt; 6. Kurtine S. Andrea;
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Die Befestigungen Italiens.
287
7. Batterie S. Giacomo, Fico, Conca; 8. Bastion, Niederflanke und
Retranchement Capeletti; 9. Kurtine, Kasematte und obere Cita-
della; 10. Niederwall S. Andrea; 11. fronte a scalone; 12. vor-
geschobene porta di Terra; 13. neue Batterie porta di Terra ; 14. die
bastionartige Contregarde Citadella; 15. die nene Redute porta di
Terra. Hinter und über Philippstadt bis S. Giacomo liegen: 16. die
ausgedehnte Batterie Regiua; 17. auf der Rolandshöhe die Batterie
torre Orlando.
b) Die Seefront: Im Allgemeinen ist die Festung gegen den
Golf zu durch einen einfachen, mit Mauer verkleideten, kase-
mattierten und mit Batterien versehenen Wall, dessen Fufe auf dem
felsigen Ufer ruht, gedeckt. Im Einzelnen sind die Werke, an die
Landfront anschliefsend, folgende: 1. die untere Citadella; 2. die
sägeformige Batterie S. Antonio; 3. die bastionartige Batterie S.An-
tonio; 4. die Kurtine Addolorato; 5. die bastionartige Batterie
Annunziata; 6. die Batterie Riversa; 7. hinter den beiden letzt-
genannten die Batterie Duca di Calabria; 8. ferner die Batterien
Spirito Santo, Favorita, Ferdinando, Gran Guardia, Poterna und
Vico an der den Hafen westlich begrenzenden Landspitze; 9 Kurtine
del Porto, als südliche Begrenzung des Hafens; 10. Batterie S. Maria
an der den Hafen nordöstlich begrenzenden Landzunge; daran reihen
sich: 11. Batterie Guastaferi, und S. Montano an der Ostküste der
Halbinsel; 12. S. Domenico und S. Teresa an der Südostküste;
13. Torrione francese südöstlich von Orlando; 14. Trabacco süd-
westlich Orlando. Neuestens wurden verschiedene Verstärkungs-
arbeiten vorgenommen, auf der Punta Stendardo eine Batterie für
4 Stück 149 mm Geschütze in Verschwindungslafetten und bei den
bestehenden Batterien von Monte Orlando (untere) und Monte Conca
Distanzmesserstände erbaut, ferner letztere zwei Werke mit Signal-
Apparaten ausgerüstet.
Bajä, Fl. St. II. R., an der Westküste des gleichnamigen
Busens (Golf von Puzzoli), 20 k westlich Neapel, hat eine alte
Mauerumfassung; das 1 k südöstlich liegende Kastell wurde 1887
aufgelassen. Die projektierte Umwandlung kam nicht zur Aus-
führung.
Neapel, Fl. St. II. R., Provinz.- Hauptstadt, 500,000 Ein-
wohner, hat einen von 2 ca. 400 m langen Molen begrenzten, 10 m
tiefen Kriegs- und einen Handelshafen. Die 3 alten Kastelle: Die
Citadelle S. Elmo im Westen (ein in Felsen gehauenes Sechseck
von 200 m Länge und 140 m Breite auf dominierender Höhe); cast.
Nuovo, am Nordwestufer des Kriegshafens und cast. d'Ovo auf einer
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288
Die Befestigungen Italiens.
durch einen 200 m breiten Steindamm mit dem Festlande ver-
bundenen Insel, sind wertlos und nur als Kasernen etc. verwendet.
Das Projekt von Neubefe.stigungen wurde fallen gelassen.
32. Castellamare, Fl. St. III. R., am Südostgestade des Golfes
von Neapel, 27.700 Einwohner, ist mit Mauern und 2 Kastellen
befestigt, jedoch ohne Bedeutung. Der den Hafen begrenzende
Molo wird durch eine Batterie verteidigt. Auch hier kam die pro-
jektierte Umwandlung nicht zur Durchführung.
33. Auf der Südspitze der den Golf von Neapel südlich ein-
schliefsendeu Halbinsel, Capri gegenüber, ist das alte Küstenfort
punta di Campanella. Am Golf von Santa Eufemia war die
Umwandlung der alten Befestigungen von II Pizzo, Fl. St. III. R,,
Proviuz Catanzaro, 8200 Eiu wohner (ein festes Schlofs und eine
1878 aufgelassene Batterie), sowie die Anlage neuer Befestigungen
bei Porto Santa Veuere projektiert, aber nicht ausgeführt
worden.
34. Am Eingang der Strafse von Messina sind die alten Forts
Scilla und 3 k südwestlich davon Joachim. Die im Gebiet der
Gemeinde Villa S. Giovanni, Messina gegenüber, liegenden Batterien
Torre Cavallo, Alta Fiumara, und Puntadel Pezzo wurden 1887
aufgelassen.
II. Inseln.
1. Capraja: zur Provinz Genua gehörig, 30 k östlich der
Nordspitze von Corsica, 37 k Umfang, ist nur von der Ostseite zu-
gänglich. Der Hafen des hier befindlichen gleichnamigen Ortes ist
durch ein Fort gedeckt.
2. Elba (zur Provinz Livorno gehörig). 1. Porto Ferrajo
Fl. St. II. R., Hauptstadt der Insel, an der Nordküste auf einer
Halbinsel, 5800 Einwohner, ist mit Mauern umgeben; im Osten ist
die Citadella Fort Stella; 300 m südwestlich Fort S. Claudio; 300 m,
600 beziehungsweise 2000 m gegen Westen vorgeschoben die Küsten-
forts: S. Rocco, Ilario, Albaro. 1883 wurde der Platz aufgelassen,
neuestens aber sollen die wichtigsten Batterien wieder hergestellt
werden.
2. Auf der schmalen Landzunge 5 k westlich Ferrajo ist nahe
dem capo dell'Enfola ein altes Fort; desgleichen eines an der
Nordwestspitze der Insel beim capo S. Andrea zur Deckung des
dortigen Ankerplatzes.
3. Porto Longone Fl. St. II. R., auf der Ostseitc der Insel,
8 k südöstlich Ferrajo; 4000 Einwohner; auf schwer zugänglichen
Die Befestigtiiigen Italiens. 289
Felsen liegt das starke Fort Longone, ein unregelinäfsiges bastioniertes
Fünfeck, und auf einer schmalen Landzunge 1200 m südöstlich
gegenüber das Fort Fasardo. Die Befestigungen wurden ähnlich
wie Ferrajo 1883 aufgelassen, neuestens aber wieder in Stand
gesetzt; die früheren Projekte der Umwandlung und von Neuanlagen
wurden jedoch fallen gelassen.
4. An der Nordostspitze der Insel, 11 k nördlich Longone ist
das Fort capo Castello und 2800 m südöstlich davon Fort Capo
Pero. Zwei neue Forts sollen gebaut werden und dürfte das eine
wohl auf dem die beiden nur 2,5 k entfernten (Luftlinie) Haupt-
rheden beherrschenden Monte Castel lo liegen; auch soll schon die
Anlage einer starken Batterie auf dem 4 k weiter westlich liegenden
Monte Orello beabsichtigt gewesen sein.
3. Giglio, kleine Felseninsel, 14 k südwestlich Mte. Argentaro
2000 Einwohner, bat mehrere alte Wachttürme und ein Kastell,
sämtlich bedeutungslos.
4. Ponza, Fl. St. II. R., die gröfste der pontinischen Inseln,
60 k südwestlich Gaeta mit dem Hauptorte gleichen Namens,
3150 Einwohner. Die alten Befestigungen wurden 1878 auf-
gelassen.
5. Ischia, nordwestlich am Eingang des Golfes von Neapel
hat auf der Ostseite, vor dem gleichnamigen Städtchen, auf 180 m
hohen, durch einen schmalen Damm mit der Insel verbundenen
Felsen ein altes Kastell.
6. Sardinien. 1. Cagliari, Hauptstadt, an der Südküste
und an der Mündung der Mulargia, 32,000 Einwohner; der am
Hafen liegende Stadtteil la Marina ist mit Wällen umgeben; im
Osten ist ein Kastell; der Hafen ist durch 2 alte Forts gedeckt.
2. 25 k südlich davon liegt ein altes Küstenfort bei Pala. Durch-
weg ältere, bedeutungslose und zum Teil schon aufgelassene Be-
festigungen sind: 3. Je ein Fort zu beiden Seiten der Durchfahrt
bei der kleinen Insel S. Antioco im Norden des Golfes von Pal mos;
4. die kleine Festung Carloforte auf der Insel Pietro; 5. die ehe-
malige Festung Bosa, 6700 Einwohner, an der Mündung des Terno,
im Westen; 6. 34 k nördlich davon Fort Alghero; 7. im Norden
bei Sassari, 10 k von der Küste auf einem Felsvorsprung das
castel Sardo.
Von den Projekten der Neuanlage von Befestigungen am Golf
von Aranci, der Erbauung eines verschanzten Lagers bei Ozieri,
sowie der Befestigung des Maddalena-Archipels (in der Meerenge
von S. Bonifacio) kommt nur das letztere zur Ausführung. Auf
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Die Befestigungen Italiens.
der Insel Santa Maddalena sollen bereits 4, auf Caprera 2 Forts
fertig sein ; weitere Batterien, Sperren, Marineetablissements u. s. w.
sollen noch angelegt werden, wofür, wie oben erwähnt, dem Marine-
minister 13 Millionen zur Verfügung gestellt wurden. Diese Gruppe
von Inseln besitzt sowohl als Station der eigenen Flotte, wie auch,
in den Händen des Feindes, als Ausgangspunkt für Unternehmungen
gegen die italienische Küste, die gröfste Wichtigkeit.
7. Sicilien. 1. Messina, II. Klasse und Fl. St. U.R., Haupt-
stadt der gleichnamigen Provinz, am Fufs des Peloritauiscben Gebirges,
an der Nordostspitze der Insel, 127,000 Einwohner, hat einen vor-
züglichen Hafen von 900 m Durchmesser und mit einer nur 350 m
breiten Einfahrt. Die Befestigungen sind durchweg alt und zum
Teil schon verfallen, nämlich: 1. eine alte Mauerumfassung;
2. auf der Spitze der den Hafen im Südosten umschliefsenden Land-
zunge Braccio di San Ramiero das Fort Salvatore zur Beherrschung
des Hafeneinganges; 3. 700 m südöstlich davon das Werk Faro
grande; 4. 600 m südwestlich davon, über der ganzen Breite der
vorgenannten Landzunge (300 m) die Citadella, ein bastioniertes
Fünfeck mit Ravelin im Nordosten, und einem andern Aufsenwerk
im Süden; 5. 500 m westlich des Südendes der Stadt Fort Gon-
zaga; 6. 1 k nördlich davon: Fort Castellacio; 7. 5 k nördlich
Salvatore, an der Küste, das alte Fort Grotta; 8. 3 k nordöstlich
davon Fort Folly; 9. weitere 2 k nordöstlich, an der äufsersten
Landspitze, gleichsfalls ein altes Küstenfort. Neuestens werden
ziemlich bedeutende Neubefestiguugen (unter anderem Panzertürme
mit 40 cm Kruppgeschützeu) angelegt und wird die Meerenge
aufserdem noch durch submarine Anlagen geschlossen. Es wurden
zur Sicherung der Strafse von Messina im abgelaufenen Jahre
folgende Arbeiten ausgeführt: Beendigung der Küstenbatterie am
Monte Pietrazza samt Erbauung von Distanzmessern für dieselbe,
der Batterien Matiniti inferiore und Poggio Pignatelli (Cala-
brien), der Batterie Polveriera bei Messina, der Batterie Torre
Telegrafo (Calabrien); ferner Neubau einer Batterie für 24 cm Hau-
bitzen auf der Position Mangialupi bei Messina, und eben solcher
auf der Höhe Cimitero bei Catona (Calabrien). — Mit der Zeit
soll Messina ein grofses verschanztes Lager werden, das als Centrai-
punkt für die auf der Insel befindlichen Truppen und als Brücken-
kopf gegen den Kontinent zu dienen hat.
2. Milazzo, Fl. St. III. R., auf der gleichnamigen, 7 k langen,
1— 2 k breiten Halbinsel, 30 k westlich Messina, 7750 Einwohner,
hat einen durch ein Kastell und einige Batterien verteidigten
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Die Befestigungen Italiens.
291
Hafen, an dem noch weitere
ausgeführt werden
sollen. 80 k südwestlich davon ist das alte Fort amCap Orlando,
nordwestlich Naso und weitere 80 k südwestlich Fort T usa, nord-
westlich Mistretta; Termini, 33 k, südöstlich Palermo, 26,000
Einwohner, hat nur Überreste alter Hafenbefestigungen.
3. Palermo, Provinz.-Hauptstadt, an einer weiten und tiefen
Bucht der Nordküste, 186,400 Einwohner, hat einen durch einen
450 m langen Molo gebildeten, gegen Osten offenen Hafen. 1. Die
Stadt hat eine zum Teil durchbrochene Mauerumfassung von 8 k
Umfang; 2. der Hafen wird verteidigt durch die Citadelle, das
cast. del Molo, ein Viereck mit 2 Bastionen, im Norden der Stadt;
3. demselben gegenüber ist das Fort Galita und an der Südspitze
des molo eine Batterie; 4. südöstlich der Stadt liegt auf einem
kleinen Vorsprung die Batterie Erasmo; 5. ausserdem sind noch
mehrere Batterien auf der Halbinsel und im Nordosten des
Hafens vorhanden. (Batterie Castellaraare.) Die Befestigungen
scheinen sämtlich aufgegeben zu sein ; werden jedenfalls nicht mehr
unterhalten.
Trapani, Provinz.-Hauptstadt, an der Westküste am Fufs des
Monte Giuliano, 27,400 Einwohner (am Hafen das Kastell Colom-
baia Forte); Marsala, etwas nördlich der Mündung des gleich-
namigen Flüfschens, zunächst der Westspitze der Insel (cap Boeo)i
17,700 Einwohner; Mazarra, 18 k südöstlich vom vorigen, 11,800
Einwohner, haben sämtlich noch Überreste früherer Befestigungen.
4. Syracus, Fl. St. II. R., Provinz.-Hauptstadt, auf der durch
einen Damm und Brücken mit der Hauptinsel verbundenen Insel
Ortygia, 18,100 Einwohner, hat jetzt nur mehr 4 k Umfang gegen
33 k des alten Syracus, eine 1878 aufgelassene Mauerumfassung mit
Bastionen, Gräben und vielen Thoren, eine Citadelle und ein Kastell.
Der Hafen wird durch einige Batterien geschützt.
5. Augusta, Fl. St. II. R., 22 k nördlich Syracus, auf einer
mit der Hauptinsel durch eine Brücke verbundenen Felseninsel,
9400 Einwohner, hat eine Citadelle, sowie die Hafen forts Garzia,
Vittoria und Torre Avolos, welche sämtlich 1878 aufgelassen wurden.
— Catania, Provinz.-Hauptstadt, 32 k nördlich vom vorigen, am
Südostfufs des Ätna, 100,000 Einwohner, hat nur wenige Überreste
der früheren Befestigung.
8. Pantalaria nur 8 — 9 Meilen von Afrika entfernt; der
Hauptort Oppidolo, 7000 Einwohner, ist befestigt.
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292
Die Befestigungen Italiens.
HL Ostküste.
Cotrone, Provinz Catanzaro (Kalabrien) an der Mündung des
Esaro in den Busen von Tarent, 7700 Einwohner, hat eine alte
Mauerumfassung und ein Kastell. — 1. Tarent, Fl. St. I. R.,
Provinz.-Hauptstadt, auf einer Insel zwischen dem grofsen Golf und
dem lagunenartig ins Land hineinreichenden mare piccolo, 22,850
Einwohner, ist mit dem Festlande durch eine Brücke und einen
alten Aquädukt verbunden; der zum Kriegshafen sehr geeignete
Hafen wird durch die Vorgebirge San Vito und San Collichio
gebildet, zwischen welchen, noch weiter im Meere aufsen die beiden
flachen, zur Sicherung des Aufsenhafens durch einen Damm mit
einander verbundenen Inseln S. Pietro und S. Paolo liegen. Tarent
hat eine alte Umfassung, ein Kastell und eine Citadelle. Neuestens
sollen eine Sicherheitsumfassung an der Landseite (zur Sicherung
des neu errichteten Seearsenals) und die zur Sicherung des Hafens
nötigen Dämme, hergestellt werden und sind starke Batterien zum
Schutze der Rhede im Süden der Stadt und auf den Inseln Pietro
und Paolo gebaut worden.
Otranto, am gleichnamigen Kap, an der Grenze zwischen dem
jonischen und adriatischen Meer, 2100 Einwohner, hat auf dem
Felsen über der Stadt ein altes Kastell. Brindisi, Fl. St. I. R.,
Provinz Terra d'Otranto, 13,750 Einwohner, hat einen 8'/a m tiefen
Hafen, den das auf der vorliegenden Insel S. Andrea liegende alte
Kastell Forte a Mare schützen soll. Die alte Stadtumfassung ist
geschleift. Das Projekt einer Neubefestigung wurde aufgegeben.
Pescara, Provinz Chieti, am rechten Ufer der Pescara-Mündung,
2500 Einwohner, hat noch Reste der früheren Mauerbefestigung.
Bei Uniana, Fl. St. III. R., 16 k südöstlich Ancona, war die
Anlage eines neuen Küstenforts zur Deckung von Ancona gegen
einen Angriff von der Landseite projektiert, wurde aber wieder
aufgegeben.
2. Ancona, I. Klasse und Fl. St. II. R., Provinz.-Hauptstadt,
auf der Spitze einer nach Norden vorspringenden Halbinsel, in der
Einsenkung zwischen den steil abfallenden Vorgebirgen Monte
Ciriaco (Capuzzini und Gardetto) und Monte Astagno, 32,450 Ein-
wohner, hat einen Hafen von 890 m Länge und 780 m Breite, der
in den letzten Dezennien bedeutende Verbesserungen und Neuanlagen
erhielt. Die älteren Befestigungen wurdeu 1815 geschleift, später
aber wieder hergestellt.
a) Die Umfassung mit den Aufsen werken: Die Um-
fassung zieht von dem im Norden steil zum Meere abfallenden Monte
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Die Befestigungen Italiens
29:5
Gardetto, einige Hundert Meter östlich, über die Lünette S. Stefano,
700 m südostlich der Stadt, zur Fortezza und ist hier verbessert
und über die frühere Umfassung vorgeschoben, während sie vou hier
bis zur porta Pia noch aus der alten, schwachen, niederen, krene-
lierten Mauer besteht.
Die Werke innerhalb und vor der Umfassung sind:
1. Zur Bestreichung des Hafeneinganges: Die Lazarett-
Batterie im Süden; Bastion S. Lucia und S. Agostino; 3 Erd-
Batterien mit gemauerten Plattformen zunächst der porta Pia;
ein kasemattierter Turm am Hafendamm; 2. gegen die offene
See: Batterie de la lanterna im Nordwesten; Fort Murano mit
2 Erdbatterien östlich und 3 Erdbatterien im Süden; 3. gegen
die Landseite: Die Fortezza (Citadelle) auf der Höhe des Monte
Astagno im Süden; 300 m südöstlich von dieser und mit ihr durch
eine bastionartig gebrochene Linie verbunden, ein Horn werk;
300 m nordöstlich von diesem und 500 m östlich der Citadelle die
Lünette S. Stefano; 700 m nördlich vor dieser die Bastion Monte
Gardetto; und nordwestlich von letzterer Bastion dei Capuzzini
mit 2 anschliefsenden Erdbatterien im Südosten. Die Batterie
Dorica (?) inferiore wurde neuestens adaptiert und eine Batterie
del Telegrafo neuerbaut.
b) Die detachierten Werke sind: 1. Fort Scrima, lk
südlich, nahe der Küste; 2. Fort Posatore, 800 m südwestlich von
diesem; 3. Fort Montagnolo, etwas über 3 k südwestlich der
Citadelle; 4. Fort Monte Ago, 3 k südlich; 5. Fort Monte Acuto,
nahezu 5 k südöstlich; am Fufs des Berges eine Strandbatterie;
6. Fort Altavilla (?); 7. Fort Monte Pelago, 2 k südöstlich der
Stadt. In wie weit Neubefestigungeu oder Umwandlungen ausge-
führt wurden, ist nicht bekannt.
Pesaro, Provinz.-Hauptstadt, am rechten Ufer der Foglia-
Mündung, 12,000 Einwohner, ist in Form eines Fünfeckes mit alten
Mauern umgeben und hat eine Citadelle im Osten.
3. Bei Rimini, Provinz Forli (am rechten Marecchia-Ufer,
9750 Einwohner, mit Mauerumfassung und einer Citadelle) ist an der
1 k entfernten Marecchia- Mündung eine Strandbatterie.
4. Raven na, in den Niederungen zwischen Lamone und Ronco-
Montone, 7 k vom Meere entfernt, 11,900 Einwohner, hat eine ca.
4 k messeude Mauerurafassung mit einigen flankierenden Türmen ;
an dem 9 k nordöstlich liegenden Hafen Porto Corsini, an der
Mündung des canale nuovo, ist eine Strandbatterie.
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294
Die Befestigungen Italiens.
5. Fortino di Primaro, am rechten Ufer der Mündung des
gleichnamigen Poarmes, 14 k sudöstlich Comacchio.
6. Comacchio, Provinz Ferrara, mitten in den valli di Comacchio
(stehende Wasserbecken, durch Dämme von einander getrennt) 4 k
vom offenen Meere entfernt, 8900 Einwohner, ist nur zu Wasser
zugänglich, durch den canale Paletta, an dessen Mündung der durch
eine Batterie verteidigte Hafen Magnavacca liegt. An einer
Biegung des Kanals ist der grofee Turm Rossa; die Stadt selbst ist
mit Mauern umgeben und hat im Osten die Citadelle Fort S.
Agostino.
Po- Mündung: An den Mündungen der wichtigsten Poarme
sind alte, 1878 aufgelassene, nach diesen Armen benannte Batterien:
am linken Ufer des südlichsten Armes Fortino di Goro, 20 k
nordöstlich Comacchio; 3 1 /* k weiter nördlich Fortino della
Gnocca; 8 k nordöstlich davon Batterie della Tolle (am mittleren
Arm), 4k nördlich davon Batterie Canarino; 7 k nordwestlich davon,
auf einer Insel des Hauptarmes, Batterie della Maestra; 8 ! /j k
nordwestlich davon, am rechten Ufer des nördlichen Armes Batterie
di Levante.
7. Cavanella d'Adige, IV. Klasse, am linken Etschufer,
7 k oberhalb der Mündung, zu beiden Seiten des nach dem 8 k
nördlich liegenden Brondolo führenden canale di Valle ist einfacher
Brückenkopf, zur Deckung der Kommunikationen längs der Etsch
und nach Brondolo.
8. Brondolo, IV. Klasse, an der Westküste der k breiten,
gleichnamigen, vor der Brentamündung liegenden Insel, 3 l /a k süd-
lich Chioggia, ist ein bastioniertes Viereck, von dem aus in östlicher
Richtung bis zum Meere hin zur Absperrung der Insel gegen die
Brentamündung eine Schanzenlinie hinzieht Auf einer Insel 400 m
östlich ist das kleine Fort S. Michele; 2'/j k südöstlich auf einer
Düne eine Strandbatterie; die alte Redute Lombardo wurde ein-
geebnet.
9. Chioggia, IV. Klasse, auf der gleichnamigen Laguneninsel,
westlich Brondolo und des litorale di Sotto Marina, 26 k südlich
Venedig, 19.800 Einwohner, ist, wie Venedig, auf Pfählen erbaut
und durch eine 430 m lange Brücke (mit 43 Bogen) mit dem Fest-
lande verbunden. Der Hafen, der tiefste der Lagunen, wird im
Süden durch Brondolo gedeckt. Den eigentlichen, 600 m breiten
und 8 m tiefen Eingang, 1 k nördlich der Stadt, verteidigen:
1. Fort Caroman, an der Südspitze des 11k langen, schmalen
Litorale von Pelestrina, mit dem auf einer kleinen Insel 6 k nord-
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Die Befestigungen Italiens.
295
westlich liegenden Bastione (Octogon); 2. südlich gegenüber Fort
S. Feiice, mit der gleichnamigen Strand bat terie an der Nord-
spitze der Insel Brondolo; 3. 1800 m südlich davon Batterie Sotto
Marina; 4. weitere 1800 m südlich Redate nnd Brückenkopf
Madonna Marina am Westufer von Brondolo zur Deckung des
Überganges über den schmalen Lagunenarm nach dem südlichen
Teil der Insel Chioggia. Was in neuerer Zeit hier und in Bron-
dolo an Verbesserungen gearbeitet wurde, ist nicht bekannt.
10. Venedig, I. Klasse und Fl. St. I. R., in den Lagunen,
mit dem 4 k entfernten Festlande durch eine kolossale Brücke
(222 Bogen) verbunden, auf 3 gröfseren, 114 kleineren Inseln
(147 Kanäle, ca. 400 Brücken und Stege) 133,000 Einwohner, hat
die Form eines Dreieckes von 12 k Umfang. Im östlichen Teile der
Stadt liegt das Arsenal, mit Schiffswerfte, Bassins, Magazinen u. s. w.,
mit Mauern umgeben. Im Südosten wird die Lagune durch das
11 k lange litorale (Lido, Sandbank) von Malornorco, im Nordosten
durch das 4 k lange von S. Erasmo vom offenen Meere getrennt.
Der Kriegshafen ist für schwere Schiffe nicht tief genug.
a) Seefront. (Hafeneinfahrten Porto Malamorco, 11k süd-
lich, 4 m tief, Lido, 2 k östlich 2 ! /a m tief, Treporti 6 k nordöstlich.)
1. Fort S. Pietro mit der gleichnamigen Strandbatterie, süd-
lich der Einfahrt Malamorco, am Nordende des Litorale von Peles-
trina; 2. 1 k südlich davon Fort S. Pietro in Volta, ein reguläres
Sechseck; 3. südlich von diesem Fort S. Stefano; 4. das grofse
Fort Alberoni mit der gleichnamigen Hafen batterie nördlich
der Einfahrt Malamorco, Pietro auf 1 k gegenüber (am Südende
des Litorale von Malamorco); 5. 1400 m nordöstlich davon die
Strand batterie S. Leonardo; 6. 4 k nordöstlich davon Fort Ma-
lamorco oder dell a Terre perse mit der gleichnamigen Strand -
batterie; 7. 1200 ra nördlich davon die Strandbatterie casa
bianca; 8. 900 m nördlich von dieser Fort Quattro Fontane;
9. 2 k nordöstlich davon Batterie Sta. Elisabetha; 10. die Ver-
schanzung des grofisen, 1 k langen, 500 m breiten Fort S. Nico 16
del Lido, am Nordende des Litorale; 11. diesem auf 1300m gegen-
über, 2'/a k nordöstlich der Stadt, Fort Erasmo, am Südende des
gleichnamigen Litorale; 12. hinter den beiden letztgenanuten Forts,
quer über die Hafeneinfahrt, eine 1400 m lange verschanzte
Linie, die einige Inseln mit einander verbindet, mit dem Fort
S. Andrea im Süden und einer Batterie im Norden; 13. 600 m
nördlich der letzteren, auf der Westspitze des Litorale Erasmo,
deckt ein Brückenkopf den Übergang nach dem Lazaretto nuovo;
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296
Die Befestigungen Italiens.
14. 4 k nordöstlich des Fort Erasmo, am Nordende des Litorale ist
eine Batterie und deckt im Vereine mit dem 1400 m südöstlich
gegenüberliegenden 15. Fort Treporti die gleichnamige Hafen-
einfahrt, hinter welcher sich 16. die Reduten Crevan und Mazorbo
befinden; 17. 12 k nordöstlich Treporti, an der Mündung des Sile
(Porto di Piave vecchio) ist eine Schanze auf dem rechten Ufer
und 1300 m nördlich von dieser die Batterie Cavallino auf dem
linken Ufer. An der Seefront wurden in neuester Zeit umfang-
reiche Verstärkungsarbeiten ausgeführt, und sind solche noch im
Gange.
b) Lagunen werke: 1. Batterie Buel del Lovo, 67a k nörd-
lich der Stadt; 2. Batterien Pieretto, 8. Antonio, Penigo,
S. Marco; 3. Batterien Carbon ara, Tessera, 3 k nördlich und
1400 m von einander entfernt; 4. Batterie Campalto, 1200 m
nordwestlich, 2 k südwestlich der vorgenannten; 5. Fort S. Giu-
liano, nahe des Anfanges der Lagunenbrücke; 6. Die Brücken-
Batterie Piazzale; 7. Fort S. Giorgio in Alga, 2 k südwestlich
der Stadt; 8. 1800 m südlich davon Fort S. Angelo della pol-
vere; 9. Redute Monte dell'Oro; 10. Batterie di Podo, 3 k
südlich Angelo; 11. 1 k weiter südöstlich Batterie di Poveglia;
12. 1400 m südlich davon Batterie Fisolo; 13. 3300 m östlich der
ietzteren und 1400 m nordwestlich der Batterie Leonardo, bastione
Campana; 14. endlich die beiden 1600 m von einander entfernten
Bastione (Octogone) Alberoni und Pietro, 700 m westlich der
gleichnamigen Forts an der Seefront. Die sämtlichen Lagunen-
werke sind alt, auf kleinen Inseln und Untiefen, und scheint in
neuester Zeit an denselben nichts geschehen zu sein.
c) Landfront: 1. Fort Malghera (früher Haynau), 6 k nord-
westlich der Stadt, 2 k südöstlich Mestre, in Sümpfen gelegen, zu
beiden Seiten der Bahnlinie. Es besteht aus dem Eernwerk (einem
ungleichseitigen bastiouierten Viereck) und einem im Westen und
Norden umsch liefsenden Kronwerk, hat einen von mehreren Lünetten
verteidigten gedeckten Weg und einen Wassergraben. 2. In neuester
Zeit wurde in der Nähe von Mestre ein weiteres starkes Werk,
Fort Brondolo, gebaut; 3. weiter rückwärts, am canale dell 1
Osellino liegt ein kleines Fort (früher Maniu); 4. diesseits, süd-
westlich des Bahndammes ein drittes älteres Fort (früher Rizzardi);
5. 600 m östlich das kleine Fort Campalto. Über vorgenommene
Verbesserungsarbeiten ist Näheres nicht bekannt, — 11. — 14. Am
rechten Ufer der Piave-Mündung ist die alte Redute Cortellazzo;
Die Befestigungen Italiens.
297
an der Livenzamiindung das Fort Margheritta, an der Tagliamento-
Münduug die Batterie porto di Tagliaraento; endlich an der
Einfahrt in die Lagune östlich vom Tagliaraento die Batterie
Porto Lignano.
Litteratur.
1. Übersicht der Befestigungen in Frankreich, Italien n. 8. w. von
Blasek in den Mitteilungen über Gegenstände des Artillerie- und Genie -Wesens,
Jahrgang 1881 Seite 288 ff. Mit 2 Fortsetzungen: ■ 1883 Seite 156; 1884
Seite 304; im bulletin de la r£union des officiere erschien eine Übersetzung dieses
Aufsatzes, die auch als Separatabdruck ausgegeben wurde (examen du Systeme de
fortification dans les principales pnissances de l'Europe, par Bornecque. Paris
1882). — 2. Venetien mit dem Festungsvicreck, eine militär-geographische
Skizze von Biffart. Darmstadt 1863. 3. Auszug des offiziellen Berichtes
der k. italienischen Kommission für Landesverteidigung von Bingler. Mitteilungen
über Gegenstande u. s. w. 1872. Heft I— III. 4. Die Befestigungsfrage
Italiens von Bingler. Mitteilungen u. s. w. 1873. IX. und X. 5. Der
gegenwärtige Stand der Befestigungsfrage in Italien von Bingler. Mit-
teilungen u. 8. w. 1880. X. und XI. 6, Italiens westliche Verteidigungs-
front und heutiges Befestigungssystem. Jahrbücher für die Deutsche
Armee und Marine u. s. w. 1883. IX. und XII. 7. La defense des Alpes
par 1' Italic. Journal des sciences militaires. 1883. August. 8. Haymerle,
Österreich. Generalstabsoberst; Italicae res. 1879. 9. Die Befestigungen
Roms und das darauf beruhende Verteidigungssystem. Allgemeine
Militär -Zeitung. 1882. Nr. 83—86. 10. Über die Befestigung Roms:
Vedette. 1880, Nr. 12; Militär- Wochenblatt. 1880. Nr. 74 (mit Skizze) ; Mit-
teilungen über Gegenstände etc. 1882. II. III.; Allgemeine Militär- Zeitung.
1883. Nr. 68; Archiv für Artillerie- und Ingenieur-Offiziere. 1883. III.; Italia
militare. 1883. u. s. w., u. s. w. 11. Spezia und Taren t: Militär -Wochen-
blatt. 1883. Nr. 16.
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XVI. Die Panzerschiffe und deren
Verwendung im Kampfe bis zur Gegenwart
Unter den technischen Wissenschaften haben in verhältnismäßig
kurzer Zeit der Bau von Kriegsschiffen und die Artillerie den ge-
waltigsten Umschwung erfahren. Beides sind Antagonisten und
beide kämpfen seit alters her um den Sieg. Die Triremen der
alten Griechen und Römer haben sich nach und nach in Monstre-
schiffe von 10 bis 14,000 Tonnen Deplacement, wie die englischen
»Howe«, »Hood«, »Royal Sovereign«, u. s. w., die franzö-
sischen »Admiral Duperre«, »Formidable«, »Hoche« u. s. w.;
die italienischen »Dandolo«, »Italia«, »Lepanto« u. s.w. mit
4—500 mm Panzer; die Bailisten und Katapulten in Armstrong ge-
zogene 100 Tons resp. Krupp's 35 bis 45 cm Geschütze u. a. m.
verwandelt, aber noch immer ist der Kampf nicht entschieden, ob-
wohl er in den letzten Decennien mit einer Energie, einem Scharf-
sinn und einer Ausdauer geführt wird, welche die höchste Be-
wunderung verdienen. Namentlich sind es wieder die alten Rivalen
England und Frankreich, welche diesen Kampf mit einer Kraft
führen, die uns in Erstaunen setzen mufs. Eine Erfindung jagt
die andere, Millionen über Millionen werden ohne Zögern dahin
gegeben, diese Erfindungen zur praktischen Anwendung zu bringen,
aber schon nach wenigen Monaten sind sie veraltet und neue Ent-
deckungen haben sie wertlos gemacht. Von einem Innehalten kann
nicht die Rede sein; die Weltverhältnisse gestatten auch in dieser
Hinsicht keinen Stillstand, weil dies Rückschritt wäre. Für England
steht alles auf dem Spiele, wenn es sich überflügeln läfst, seine
Suprematie zur See und mit dieser sein Rang unter den Völkern,
seine Macht und sein Wohlstand. Ebenso unmöglich ist es aber
auch, dafs die übrigen europäischen Mächte bei diesem vorläufig nur
kostspieligen, aber noch unblutigen Kampfe ruhige Zuschauer bleibeu.
Der Gedanke an ihre eigene Zukunft zwingt sie, sich thätig an der
allgemeinen Bewegung zu beteiligen, wenn auch nicht in so hastig
überstürzender Kraft. Durch ruhigeres Vorgehen geniefsen sie den
grofeen Vorteil, aus den Fehlern ihrer Vorkämpfer Nutzen zu ziehen,
sie zu vermeiden und namentlich — Geld zu sparen.
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Die Panzerschiffe und deren Verwendung im Kampfe u. 8. w. 299
Die Erfindung der Panzerschiffe gehört bekanntlich Frankreich
an, ebenso die der Bombenkanouen , welche zu den Panzerschiffen
den Anstofs gegeben haben. Derselbe Oberst Paixhans, welcher die
Bombenkanone konstruierte, legte seine Vorschläge zum Panzern
von Schiffen dem Comite consultatif de la Marine und dem Institut
de France vor. Die Idee wurde als unausführbar zurückgewiesen,
weil kein Schiff das ungeheuere Gewicht eines Eisenpanzers zu
tragen vermöge, der es unverwundbar mache. Dieses Argument
war für die damalige Stufe des Schiffbaues vollständig richtig,
und erst der neueren Zeit blieb es vorbehalten, das Problem zu
lösen.
Beim Ausbruch des russisch-türkischen Krieges 1854 sehen wir
die Paixhaus'sche Idee des Panzerns zuerst verwirklicht und drei
französische schwimmende Batterien, deren jede 16 Stück 50 pfundige
Bombenkanonen und 300 Mann Besatzung führte, mit einer Maschine
von 150 Pferdekräften ausgerüstet und mit 3 Va zölligen Platten
gepanzert war, bei der Einnahme von Kinburn (17. Oktober 1855)
thätig. Der Ausgang des Kampfes vor Kinburn, welcher drei Stunden
dauerte und mit der Einnahme des Platzes endete, entschied auch
die Frage des Panzerns von Fahrzeugen zu deren Gunsten. Napo-
leon III. zog aus den gemachten Erfahrungen Nutzen, und gab
damit das Signal zu einer vollständigen Revolution im Schiffbau
und in der ganzen Seekriegführung, nachdem zuvor die Frage
gelöst war, die gepanzerten schwimmenden Batterien in Schiffe zu
verwandeln, welche in Form und Manövrierfähigkeit mit den Modellen
der besten Holzschiffe rivalisieren konnten, und sodann, ob der Eisen-
panzer, den solche Schiffe zu tragen im Stande waren, dem Feuer
der schwersten gebräuchlichen Marine- und Laudgeschtitze unter
den für den Panzer ungünstigsten Umständen erfolgreichen Wider-
stand zu leisten vermöchte.
So schritt man in Frankreich wie in England zum Bau von
sogenannten Panzerfregatten mit 4 ! / a zölliger Beplattung, von denen
beim Ausbruch des amerikanischen Krieges 1861 bereits mehrere
fertig, andere noch in Bau waren. Obwohl ihre Wirk-
samkeit im Kampfe noch nicht erprobt war, so hatten die vor
Kinburn thätigen schwimmenden Batterien doch zur Genüge dar-
gethan, dafs eine vierzöllige Eisendecke die Bordwände gegen die
damaligen stärksten Schiffsgeschütze — 68pfündige Bombenkanonen
bei den Engländern und 50pfundige gezogene bei den Franzosen —
fast vollständig sicherte. Die Südstaaten suchten deshalb die neue
Erfindung sofort für sich zu verwerten und begannen, während der
Jihrbücbor für di» IfcuUek« Ar«» ud Mari» Bd. LXXVi„ J. g|
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Die Panierschiffe und deren Verwendung
Norden alle Hände voll zu thun hatte, um nur zuerst die Blockade
zu vervollständigen, mit aller Kraft an den Bau eines grösseren
Panzerschiffes zu gehen. Um Zeit zu gewinnen, wandelten sie
zunächst die ihnen in der Räumung von Norfolk in die Hände
gefallene Dampffregatte »Merrimac« in ein Panzerschiff um.
Durch Herausnehmen der Bemastung und Herunterschneiden des
Rumpfes bis auf wenige Fu£s über der Wasserlinie, wurde das
Gewicht für eine vierzöllige Panzerung der noch übrig bleibenden
Bordwände über Wasser und eines schrägen Daches gewonnen,
welches das Schiff von oben schützte. Die Bewaffnung bestand aus
acht glatten 9zölligen und zwei 7 Vi zölligen gezogenen Geschützen,
die auf dem Oberdeck aufgestellt waren und durch Pforten feuerten.
Am 8. März 1862 eröffnete »Merrimac« die Feindseligkeiten
gegen das nordische Blockadegeschwader, welches in der Nähe des
Forts Monroe vor der Mündung des James-Flusses lag und zer-
störte mehrere Holzfregatten desselben, welche ihm gegenüber
fast wehrlos waren , durch Anrennen oder durch Granatfeuer. Als
er jedoch am 9. März Morgens abermals auf Hampton Rhede er-
schien, um sein Zerstörungswerk vom Tage vorher zu vollenden,
fand er dort noch einen andern wenn auch nur winzigen Gegner,
den »Monitor« vor. Derselbe, nach den Plauen des schwedischen
Ingenieurs Erichsohn gebaut, war 172 Fufs lang, mit einer ge-
panzerten Plattform, nur 2 Fufs über Wasser, und überragenden
Seiten, so dafs er fast völlig gegen einen Spornangriff gesichert
war. Er führte einen Turm von 9 Fufs Höhe und etwa 20 Fufs
Durchmesser mit 8 zölligem Lamellenpanzer versehen; derselbe war
drehbar, so dafs er mit seinen 11 zölligen Dalgreen-Geschützen den
ganzen Horizont bestreichen konnte. Gegen 9 Uhr feuerte »Mer-
rimac« die erste Breitseite gegen den »Monitor«, und von diesem
Augenblick an bis nach 12 Uhr wütete der Kampf ununterbrochen
fort, während welcher Zeit die beiden Schiffe fast unausgesetzt
Seite an Seite lagen. Der Rammversuch des »Merrimac« gegen den
»Monitor« mifsglückte, indem der Sporn verletzt wurde, ohne den
Gegner ernstlich zu beschädigen. Die Breitseiten des »Merrimac«
verschlugen nichts, da vom »Monitor« nur der Turm, das Steuer-
häuschen und der 4 Fufs hohe Schornstein aus dem Wasser ragten.
Der Turm erwies sich als unverwundbar; das Entern mifslang
ebenfalls, da die mit Eisengitter geschlossenen Deckluken des
»Monitor« nicht forciert werden konnten und sämtliche Mannschaften
sich im Turm resp. unter Deck aufhielten. Der Monitor behauptete
das Feld, »Merrimac« erhielt einen Schuls unterhalb der Wasser-
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im Kampfe bU xnr Gegenwart.
301
Linie, was ihn notigte, den Kampf aufzugeben und sich nach Nor-
folk zurückzuziehen.
Der beendete Kampf, einer der merkwürdigsten und in seinen
Folgen der wichtigste der neueren Zeit, hatte in nautisch-militärischer
Beziehung zwei Thatsachen festgestellt, die Ohnmacht der bisherigen
Holzschiffe gegen gepanzerte und die Überlegenheit des Monitor-
systems über das der Breitseitschiffe, und sie wurden der
Ausgangspunkt für die vollständige Umgestaltung der Flotten sämt-
licher Seemächte. Wie Nordamerika bereits zweimal bestimmend
in die allgemeinen Schiffahrtsverhältnisse eingegriffen hatte durch
Anwendung des Dampfes auf die Schiffahrt und durch Einführung
der Schraube, so geschah dies jetzt zum dritten Male mit Bezug
auf die Kriegführung zur See, welche nach seinem Vorgange eine
neue, von der früheren gänzlich abweichende wurde. Wir über-
gehen die übrigen während des Secessionskrieges gelieferten Gefechte
gegen Landbatterien, der Ramm versuche des »Monitors« u. s. w.
und verweisen auf die geschichtlichen Daten, sowie auf »the life of
D. G. Farragut by his son« u. s. w.
Jene Kämpfe in dem nordamerikanischen Secessionskriege be-
schränkten sich hauptsächlich auf eine verhältnismäfsige geringe
Zahl kleinerer und teilweise unvollkommen gepanzerter Schiffe in
engen, gefährlichen Fahrwassern und konnten deshalb den end-
gültigen Wert der Panzer für die eigentliche Seeschlacht auf offenem
Meere nicht feststellen. Admiral Farragut's und Porter's Haupt-
aufgabe war es, Flüsse und Häfen zu forcieren, während taktische
Regeln und Bewegungen, wie sie in offener Seeschlacht zur Ent-
scheidung stets wesentlich beitragen werden, wenig in Frage kommen
konnten.
Die gröfeeren Seemächte Europas, welche bereits eine bedeutende
Zahl von seegehenden Panzerfregatten besaßen, waren deshalb auch
nach Beendigung des Secessionskrieges immer noch im Zweifel über
deren Wirksamkeit und ihr Vertrauen auf die neuen Streitmittel
mehr oder minder theoretischer Natur, wenn sie dies auch nicht
abhielt, sich im Bau derselben gegenseitig zu überbieten. Nament-
lich waren es England und Frankreich, die sich in Zahl und Stärke
ihrer Eisenschiffe mit solcher Hast den Rang abzulaufen suchten,
dafs es den Anschein gewann, als gedachten sie in nächster Zeit
ihre Kräfte zur See zu messen. Doch war es anderen Staaten vor-
behalten, die grolseu Panzerschiffe in regelrechter Seeschlacht zu
prüfen und damit der modernen Seekriegführung die Wege zu
zeigen, auf denen sie zunächst fortzuschreiten habe, bis neue
uigm
302
Die Panzerschiffe und deren Verwendung
Erfindungen des nie rastenden menschlichen Zerstörungsgeistes eine
abermalige Änderung bedingen würden. Es war das aufstrebende
Italien, welches dazu den Anlafs gab, als es versuchte, Österreich
die Herrschaft der Adria zu entreifsen.
Bei Lissa trafen die ersten Panzerflotten der Gegner auf ein-
ander, wo Italiens Übermacht und besser gebaute und armierte
Schiffe an dem Mute und der Energie des österreichischen Admirals
Tegethoff scheitern sollten. Lissa ist die gröfete der Inseln an der
dalmatinischen Küste von etwa 8 Seemeilen Lange und 5 Seemeilen
Breite. Sie ist im allgemeinen steil und unzugänglich, hat jedoch
verschiedene Einbuchtungen und drei Häfen St. Giorgio, Comisa und
Manego, wo eine Truppenlandung ausführbar ist. Am 16. Juli 1866
war der italienische Admiral Persano mit 11 Panzern, 5 Schrauben-
fregatten, 3 Korvetten, 4 Avisos, 3 Kanonenbooten und etwa
4000 Mann Landungstruppen von Ancona in See gegangen, um die
Insel Lissa zu nehmen. Seine Dispositionen waren, mit 3 Panzer-
schiffen und 1 Korvette die Befestigungen von Comisa anzugreifen
und dort eine Landung vorzubereiten. Vier Schraubenfregatten
sollten die den Hafen von Manego verteidigende Batterie zum
. Schweigen bringen und Landungstruppen ausschiffen , 8 Panzer-
schiffe unter Persano's Befehl die Befestigungen von St. Giorgio
beschiefsen. Die Werke von St. Giorgio zahlten 44 Geschütze
darunter 18 gezogene und 6 Mörser. Comisa wurde durch 8 ge-
zogene Kanonen und 2 Mörser verteidigt, die 500 Fuls über dem
Meeresspiegel aufgestellt waren, und Manego durch eine ebenfalls
hochgelegene Batterie von 4 glatten und 2 gezogenen Geschützen
gedeckt.
Die gegen St. Giorgio bestimmten 8 Panzerschiffe führten zu-
sammen 173 Geschütze, davon 144 gezogene (Armstrong) und unter
ihnen zwei 300 Pfänder und sechs 150 Pfänder. Die gegen Comisa
operierende Abteiluug (Contre -Admiral Vacca) hatte 82 Geschütze,
davon 66 gezogene, und die 4 Fregatten, mit denen Vice -Admiral
Albini Manego beschießen sollte, zählten 206 Geschütze, darunter
40 gezogene.
Der an zwei Tagen, am 18. und 19. Juli, unternommene Angriff
der italienischen Flotte auf Lissa wurde durch tapfere Gegenwehr
der Österreicher mit ziemlichen Verlusten des Angreifers zurück-
gewiesen, und als Admiral Persano am 20. Juli Morgens bereits den
Befehl zum erneuten Angriff gegeben und den Admiral Albini mit
einer abermaligen Landung betraut hatte, dampfte der auf Vorposten
befindliche Aviso »Esploratore« mit dem Signal heran: »Feindliche
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im Kampfe bis sur Gegenwart.
303
Schiffe in Sicht!« und liefs das Unternehmen scheitern. Die Italiener
waren von den Anstrengungen der vorhergehenden beiden Tage
erschöpft, die Schiffe teils havariert, teils um die Insel zerstreut,
die Holzfregatten und Kanonenboote mit der Ausschiffung von
Truppen beschäftigt — genug Ursache, um Admiral Persano in
arge Verlegenheit zu setzen und die Chancen des Erfolges für den
Gegner günstiger zu gestalten: Admiral Persano blieb nicht lange
im Ungewissen darüber, dafs die herandampfenden feindlichen Schiffe
das Geschwader »Tegethoffsc zum Entsatz von Lissa war. Er that
daher alles, was er konnte, um sich dem Gegner entgegenzuwerfen,
befahl Albini die Landung rückgängig und sich kampfbereit zu
machen, liefs die beiden Panzer von Coniisa heransignalisieren und
sämtliche Panzerschiffe die Frontlinie nach Nordnordost bilden.
Das war jedoch nicht etwa schon die Schlachtlinie, weil man damit
dem entgegenkommenden Feinde die gröfste Starke der Panzer,
ihren Bug zeigte, — nein, diese wurde erst nachträglich formiert
und zwar, indem sich die Schiffe wie in der Kiellinie der Segel-
flotten hinter einander rangierten und somit dem Gegner für den
Spornstofs ihre schwächste Seite, die Flanke boten. Dies war
wenigstens unter den obwaltenden Verhältnissen ein Fehler, der
sich auf das Schwerste hätte rächen können und nur durch einen
anderen Fehler der Österreicher aufgewogen wurde. Einen weiteren
Mifsgriff aber machte Persano dadurch, dafs er plötzlich und ohne
seinen Kapitänen davon Kenntnis zu geben, sein Flaggschiff wechselte
und von dem R£ d'Italia auf das Turmschiff » Affondatore«
überging. Das österreichische Geschwader hatte am 19. Juli Mittags
die Rhede von Fasana verlassen und dampfte zum Entsatz von
Lissa nach Südost. Am 20. Juli Morgens gegen 10 Uhr wurde
dem Admiral Tegethoff die italienische Flotte in Sicht gemeldet,
welche in zwei etwas verworrenen Gruppen rangiert erschien. Um
10 f /a Uhr gab Admiral Tegethoff die Signale: »Klar Schiff zum
Gefecht, Formation-Angriffswinkel in drei Divisionen, Schiffe eng-
geschlossen bleiben!« —
Diese Ordnung bestand in einer Gruppieruug der gleichartigen
Schiffe hinter einander, die dann unter sich je einen Keil bildeten.
Die erste Division bestand aus 7 Panzerschiffen mit TegethoiFs
Flaggschiff »Erzherzog Ferdinand Max« an der Spitze, während
drei an jeder Seite von ihm en echelons Aufstellung nahmen. Da-
hinter folgten als zweite Division die 7 gröfseren Holzschiffe mit
dem Linienschiffe »Kaiser« an der Spitze, drei Fregatten an der
einen, zwei Fregatten und eine Korvette an der anderen Seite,
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304
Die Panzerschiffe und deren Verwendung
ebenfalls en echelons, während die dritte Division aus 9 Kanonen-
booten bestand una* die Radavisos als Repetiteare zwischen den
Abteilungen verteilt waren. Diese Formation war in der Seetaktik
neu, wie ja überhaupt bei Lissa zum ersten Male Geschwader von
grofeen seegehenden Panzerschiffen auf offenem Meere gegen ein-
ander kämpften, aber sie war unzweifelhaft gut gewählt, kompakt,
und machte wenig Schwierigkeiten bei etwa nötig werdendem Über-
gange in eine andere Ordnung. Die Panzer waren fertig zum
Spornstofs und sämtliche Schiffe konnten ihre Breitseiten zur
Geltung bringen. Natürlich mufsten die hölzernen Schiffe auf
einen ungleichen Kampf mit den feindlichen Panzerschiffen ge-
fafst sein.
Die Armierung der Panzerschiffe bestand aus 99 glatten
48 Pfundern und 75 Krupp'schen gezogenen 24 Pfändern; die der
gröfseren Holzschiffe auf 40 glatten 60 Pfündern, 266 glatten
30 Pfündern und 22 gezogenen Krupp'schen 24 Pfündern und die
der Kanonenboote aus 30 glatten 48 Pfündern und 6 Krupp'schen
24 Pfünderu. Die Gegenüberstellung der beiden Flotten ergiebt
für die Italiener eine Übermacht von 4 Panzern und 138 Geschützen.
Mit ihrer Fahrt von 8 Knoten kamen die Österreicher schnell naher,
und um 10 l /j Uhr gab Admiral Tegethoff das Signal » Distanz en-
schliefsen, Panzerschiffe den Feind anrennen und zum
Sinken bringen!« — Der Kurs der Österreicher war auf das
vierte Schiff der italienischen Schlachtlinie gerichtet, während die
übrigen hinteren soweit entfernt waren, dafs sie beim ersten Zu-
sammenstofse ihren Kameraden nicht zu Hülfe kommen konnten.
Tegethoffs Manöver war deshalb geschickt und gut berechnet, in-
dem er die feindliche Übermacht paralysierte. Die Italiener blieben
unbegreiflicherweise quer vor ihm liegen und gaben ihre Seiten
dem Stofee preis. Wäre TegethoflTs Befehl »den Feind anrennen
und zum Sinken bringen« gleich beim ersten Zusammentreffen be-
folgt worden, so würden 4 — 6 feindliche Schiffe in den Grund gebohrt
und höchst wahrscheinlich mit dem ersten Anprall die ganze Schlacht
entschieden worden sein. Dafs es nicht geschah und die Öster-
reicher nur durch die Intervalle der feindlichen Linie brachen, war
ein grofser Fehler. Der etwaige Einwurf, dafs das Rammen nicht
habe geschehen können, weil der Pulverdampf dasselbe verhindert
habe, mag berechtigt sein; aber deshalb durften die Österreicher
eben nicht feuern, wie ja auch Nelson bei Trafalgar seinen
Schiffen das Feuern bis zum Durchbrechen der feindlichen Schlacht-
linie verbot.
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im Kampfe bis zur Gegenwart.
305
Die Schlacht begann um 10*/« Uhr mit der Eröffnung des
Feuere vom leitenden Schiffe der italienischen Vorhut »Principe
Carignano« mit dem Contre-Admiral Vacca an Bord. Die Öster-
reicher erwiderten das Feuer und unmittelbar darauf erfolgte der
Durchbrach. Dieser erste Anlauf der österreichischen Flotte, der
zermalmend werden zu wollen schien, ward ein Schlag ins Wasser.
Die hinteren Schiffe der italienischen Schlachtlinie fielen darauf
nördlich ab und bedrohten die Holzschiffe der Österreicher. Admiral
Tegethoff, der die Gefahr bemerkte, liefs ebenfalls nördlich abfallen,
um den Fregatten Luft zu machen, während sich der linke Flügel
gegen die feindliche Vorhut wandte, ohne indessen während der
nächsten Stunde irgend welche Entscheidung herbeizuführen. Die
ganze Wucht der Österreicher wandte sich dann gegen die mittlere
Gruppe. Damit hörte jedoch so ziemlich jede taktische Ordnung
in beiden Flotten auf und es entstand ein allgemeines und ziemlich
wirres Durcheinander, zunächst der Panzer dann auch der Holz-
schiffe. Die Österreicher feuerten die konzentrierten Breitseiten,
aber ohne den gehofften Erfolg, da die schwachen Kaliber nirgends
die feindlichen Panzer durchschlugen; die Italiener gaben ihre
Schüsse einzeln ab, aber wegen schlechten Zielens ebenfalls ohne
gröfsere Wirkung. Von vorher überlegten Bewegungen konnte nur
wenig die Rede sein, da der Pulverdampf alles einhüllte und Freund
wie Feind einander verbarg. — Gegen Mittag waren die beiden
Holzdivisionen der Österreicher durch die feindliche Flotte gedampft
und hatten sich wieder gesammelt. Admiral Tegethoff liefs darauf
»drei Kolonnen«, mit einem NO. Kurse, formieren; die Panzerschiffe
auf dem linken Flügel zum Schutz der Holzschiffe. Die Stellung
der Gegner war die umgekehrte wie am Morgen: die Österreicher
befanden sich jetzt zwischen Lissa und der italienischen Flotte,
und schien es, als sammle sich der Feind zu erneutem Angriff.
Die Italiener hatten es indes zuvörderst auf den Leiter der zweiten
Division, das Linienschiff »Kaiser« abgesehen; vier Panzerschiffe,
darunter der » Affondatore « (Flaggschiff des Admiral Persano)
umzingelten und beschossen denselben. Der »Kaiser« beantwortete
das Feuer mit konzentrierten Breitseiten; allein vier Panzerschiffe
gegen ein hölzernes Linienschiff waren zu viel für letzteres. Zwar
wurde er kampfunfähig, verlor sein Bugspriet und Fockmast; eine
150pfündige Granate, die in der Batterie krepierte, demontierte
zwei Geschütze und tötete 22 Mann, doch gelang es der Umsicht
seines Kapitäns, sich mit dem Schiffe aus dem Gefecht nach der
Richtung der Insel Lissa zurückzuziehen ohne vom Gegner daran
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30tf
Die Panzerschiffe und deren Verwendung
verhindert zu werden. Inzwischen tobte der Geschtitzkanipf unab-
lässig fort, Breitseite auf Breitseite erschütterte die Luft, die See
war bedeckt vom Pulverdampf der 1182 Kanonen, die hier ihre
ehernen Grüfse entsandten; die Schiffe bewegten sich mit voller
Maschinenkraft und wirbelten schwarze Rauchsäulen aus ihren
Schornsteinen empor. > Admiral Tegethoff, mit voller Dampfkraft
umherjagend, durchforschte die Wahlstatt und suchte hier uud dort
einen Stofe anzubringen; wo immer er eine graue Schiffsseite*)
wahrnahm, warf er sich auf dieselbe, um sie anzurennen. — Doch
konnte dies Durcheinanderfahren nicht lange dauern. Die italie-
nische Übermacht hätte doch endlich Herr der Situation werden
müssen. Da trafen das österreichische Flaggschiff und das italie-
nische Panzerschiff Re d'Italia auf einander. Der Kommandant
des ersteren gewahrte den Gegner gerade vor sich, als er von
4 Österreichern beschossen wurde und sein Heck soeben eine volle
österreichische Breitseite erhalten hatte. Der Palestro eilte ihm
zwar zur Hülfe, erhielt jedoch von zwei Österreichern heftiges
Feuer, das zwar seinen Panzer nicht durchbohrte, aber dennoch sein
Schicksal besiegelte. Eine Granate drang dnrch das ungepanzerte
Heck in die Offiziermesse und zündete. War der Steuerapparat des
Re d'Italia durch die soeben erhaltenen Geschosse havariert und
seine Maschine beschädigt worden, wie die Italiener behaupten, so
dafs das Schiff momentan nicht lenkbar war? Oder hatte sein
Kommandant, wie die Österreicher es darstellen, Angesichts eines
zweiten Schiffes, das ihm den Weg nach vorne verlegte, nicht die
Geistesgegenwart, dasselbe niederzurennen, oder aber mit Rücksicht
auf die Gefahr, die ihm in der Flanke drohte, sein Schiff möglichst
seitwärts zu drehen und so den Stöfs abzuschwächen? Gewifs ist,
dafe der Re d'Italia keinen dieser Auswege wählte, sondern stoppte
und rückwärts ging; gewifs ist es, dafe der Ferdinand Max keinen
Augenblick säumte, seinen Sporn in die Backbordseite des Re
d'Italia zu bohren. Ein furchtbares Krachen erfolgte und der
gewaltige Sporn versetzte dem Re d'Italia eine klaffende Bresche
von 137 DFufs, während der Angreifer fast unverletzt blieb.
Wenige Minuten darauf versank jener stolze Panzer in die Tiefe.
Die Waffenruhe nach dieser erschütternden Katastrophe war
jedoch von nur kurzer Dauer und die Schlacht tobte fort, ärger
als zuvor. Da kam auch der Brand auf dem Palestro zum vollen
Ausbruch und er verliefe das Melee mit einem NW. Kurse. Um
*) Die italienischen Schiffe waren aufeenbords grau gestrichen.
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im Kampfe bis zur Gegenwart.
307
27 2 Uhr sah man eine Rauchsäule aus dem brennenden Schiffe
senkrecht in die Luft steigen; eine halbe Minute später erfolgte ein
furchtbarer Krach, das italienische Panzerschiff Palestro war ver-
schwunden. Damit war die Schlacht beendet. Die Österreicher
dampften nach Lissa, die Italiener zogen sich nach Ancona zurück.
Der Verlust an Menschenleben betrug auf österreichischer Seite
38 Tote und 176 Verwundete; während die italienische Flotte im
Ganzen 740 Mann verloren hatte; hiervon ertranken etwa 400,
ferner kamen 230 bei der Explosion des Palestro um und 110 wurden
sonst getötet oder verwundet.
Aus der Schlacht von Lissa, der ersten und bis jetzt einzigen
zwischen Panzerflotten, Schlüsse zu ziehen und taktische Regeln für
die Zukunft ableiten zu wollen, wäre ein müfeiges Beginnen. Die
Streitmittel haben sich in den letzten 24 Jahren in solcher Weise
geändert, dafs jene Schlüsse und Regeln hinfallig wären. Vergleicht
man die heutigen Kriegsschiffe mit denjenigen vor 30 Jahren, so
ist man geneigt anzunehmen, dafs uns für den Gang eines See-
gefechtes noch keine feste Normen geboten sind; aber so gut die
Kriegswissenschaft zu Lande, trotz aller Änderungen in Waffen und
Organisation, in der Erforschung vergangener, ja längst vergangener
Zeiten, Lehren für die Gegenwart sucht und findet, ebenso gut
müssen auch wir aus der schriftlichen Darstellung der Seeschlachten
früherer Zeiten, wie mangelhaft solche zuweilen auch ist, Regeln
finden können, nach denen wir im Falle eines Krieges zu ver-
fahren haben. Aufserdem ist an Bord der Schiffe eine neue Waffe,
der Torpedo, eingeführt, dessen Wirkung im Ernstfalle erst ab-
gewartet werden inufs, ehe man neue taktische Regeln aufstellen
kann.*)
Über die Wegnahme des peruanischen Monitors »Huascarc
durch die beiden chilenischen Panzerschiffe »Almirante Cock-
rane« und »Blanco Encalada« (zwei Schwesterschiffe) am
8. Oktober 1879 entnehmen wir dem Engineering u. a. Blättern
folgende Details. Als am Morgen, 8. Oktober, die chilenischen
Schiffe den »Huascarc in südlicher Richtung zu Gesicht bekommen
hatten, machten beide sofort Jagd auf denselben und versuchten,
ihm seinen Kurs nach Norden zu verlegen. Bereits um 8 Uhr
40 Minuten Morgens war das schnellere Schiff »Almirante Cockrane«
bis auf 3000 m Abstand an den Gegner herangedampft, während
»Blancoc sich nur langsam näherte. Der Kommandant des ersteren
*) Siehe auch: „Berühmte Seeleute" von R. Werner, Berlin 1882.
308
Die Panzerschiffe and deren Verwendung
Schiffes hatte bei seiner überlegenen Fahrgeschwindigkeit dem
»Huascar« gegenüber die Wahl, entweder vor dem Bug des letzteren
vorüber zu dampfen und ihn auf diese Weise so lange aulzuhalten
suchen, bis auch die »Blanco« herankam; oder zu versuchen ihn zu
rammen, oder sich die beste Position zu wählen, von wo aus er den
Gegner am wirksamsten zu beschiefsen vermochte. Er wählte das
letztere und erwiderte das Feuer des Gegners erst aus nächster
Nähe, nachdem er hinter demselben herumgedampft war, und an
Backbord in schräger Richtung von dessen Heck so Posto gefafst
hatte, dafs sein kräftiges Bugfeuer den »Hnascar« der Länge nach
bestrich, während die Geschütze des Peruaners durch dessen Heck-
verschanzung maskiert waren. Die Granaten des »Almirante Cockrane«
richteten daher arge Verheerungen auf dem »Huascar« an, obgleich
dessen Maschine noch intakt war, so dafs er seinen Kurs nach
Norden hin fortwährend verfolgen konnte. Inzwischen war auch
»Blanco« herangekommen und wurde der Gegner nun zwischen
zwei Feuer genommen, so dafs ein Widerstand desselben auf die
Dauer nicht möglich war. Doch hätte das weniger geschickte
Manövrieren des Kommandanten vom »Blanco Encalada« bald dahin
führen können, den »Huascar« entwischen zu lassen, indem er, in
der Absicht, den Gegner zu rammen, ihn verfehlte, beim Heck des-
selben vorüberschiefsend, beinahe vom »Almirante« gerammt worden
wäre, wenn letzterer nicht durch eine geschickte Wendung den Stofe
abgewendet hätte. Immerhin gewann »Huascar« wieder gröfseren
Vorsprung und dauerte es eine Weile bis »Almirante« seine frühere
Position wieder einnehmen konnte, um nun mit erneuter Kraft seine
todbringenden Geschosse in das Innere des Gegners zu entsenden.
Als schon nach kurzer Zeit die Geschwindigkeit des »Huascar«
abnahm und auch »Blanco« das Geschützfeuer auf ihn richtete,
inufete sich »Huascar« dann, nach kräftiger Gegenwehr, ergeben.
Nach den obigen Darstellungen lassen sich höchst lehrreiche
Schlüsse auf die im modernen Seekampfe anzuwendende Taktik
ziehen. Zunächst hat der »Almirante Cockrane« seine kaum
nennenswerten Verluste hauptsächlich der geschickten und wohl
überlegten Führung seines Kapitäns zu danken, welcher das Schiff
unausgesetzt in einer solchen Stellung dem Gegner gegenüber zu
halten wufste, dafe sein kräftiges Bugfeuer voll zur Wirkung kam,
während die Turmgeschütze des »Huascar« durch das eigene Heck
maskiert wurden. — Es ist bekannt, dafs der »Huascar« schneller
lief, als der »Blanco Encalada«, denn, obwohl jener beim Insicht-
kommen südlicher als dieser stand, konnte er ihm doch mit nörd-
im Kampfe bis inr Gegenwart
lichem Kurse vorbeilaufen, und hatte ihn, als das Gefecht begann,
erheblich hinter sich zurückgelassen. — Andererseits war der
»Almirante« dem »Huascar« an Geschwindigkeit überlegen, sonst
wäre dieser mit nordlichem Kurse entkommen, denn er befand sich
bei Beginn des Gefechtes nördlich vom »Almirante« ond seine
Maschine blieb bis zuletzt intakt. — Hier entsteht die Frage, wie
es kam, dafs zwei Schwesterschiffe, wie die chilenischen, welche nach
gleichen Plänen erbaut, mit gleichen Maschinen ausgerüstet und
auf der Probefahrt gleiche Geschwindigkeiten hatten, doch am Tage
des Gefechtes so erhebliche Differenzen in der Fahrgeschwindigkeit
zeigten. Es müssen daher entweder die Maschinen des »Blanco«
nicht so in Ordnung gewesen sein, wie die des Schwesterschiffes,
oder sein Boden war starker bewachsen u. s. w. Es ist dies ein
Wink für alle Marinen, dafs es mindestens ebenso wichtig ist, nach
jeder Richtung hin für eine gute Erhaltung der Geschwindig-
keit der Schiffe Sorge zu tragen, als eine grofse Geschwindigkeit
zu verlangen, wenn sie neu sind.
Das Gefecht selbst betreffend, so handelte der Kommandant
des »Almirante Cockrane« durchaus richtig, wenn er hinter dem
»Huascar« aufdrehte. Dadurch kam er bei seiner grösseren Ge-
schwindigkeit und besseren Drehfähigkeit in eine sehr vorteilhafte
Stellung gegenüber dem feindlichen Fahrzeuge. Er hielt sich vom
Beginn des Gefechtes an bis zum Eingreifen des »Blanco« unaus-
gesetzt in einer solchen Position Backbordachterlich vom Gegner,
dafs er sein kräftiges Bngfeuer voll zur Wirkung bringen konnte,
während die Geschütze des »Huascar« maskiert waren. Er hing
in dieser Position dem Feinde so zu sagen an den Fersen und liefs
sich nicht abschütteln. Allerdings hätte das Turmschiff seine Heck-
verschanzung wegschiefsen müssen oder durch die dünnen Platten
derselben durchfeuern können, doch scheint dies nicht geschehen zu
sein und wahrscheinlich ist sein Feuer von Anfang an auf das
Geratewohl abgegeben worden.
Die Position des »Almirante Cockrane« gab diesem Schiff
auch die beste Gelegenheit, den Steuerapparat seines Gegners zu
beschädigen, und es scheint, dafs diese Gelegenheit auch bestens
ausgenutzt worden ist. Auch ist es klar, dafs es dem »Huascar«
nicht möglich war, sich den an Geschwindigkeit und Drehfahigkeit
überlegenen Gegner abzuschütteln, nachdem dieser einmal die be-
schriebene Position eingenommen hatte und dicht herangekommen
war; denn derselbe war nun vollkommen in der Lage jeden Augen-
blick seine Ramme zu gebrauchen. Der schneidige Kommandant
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310
Die Panzerschiffe und deren Verwendung im Kampfe u. 6. w.
des peruanischen Fahrzeuges Admiral Grau und der gröfste Teil
seiner Offiziere war gefallen. Das Steuerrad war zerschossen und
es mufste mit Taljen gesteuert werden. Die Ruderpinne wurde
daun auch teilweise weggeschossen und die Leute an den Taljen
sämtlich getötet, so dafs jede Steuerfähigkeit verloren ging. Von
diesem Augenblick an ist auch wenig mehr geschehen, um das
Schiff wieder steuerfähig zu machen; es sei denn, dafs eine Zeit lang
noch versucht wurde, den Rest der Pinne Backbord zu halten oder
sie gelegentlich mittschiffs schlagen zu lassen. Von diesem Augen-
blick an scheint das Fahrzeug vollkommen der Gnade seines
Gegners preisgegeben gewesen zu sein, welcher bis dicht an
sein Heck herangelaufen war und es in der Hand hatte, ihn zu
rammen und zur Übergabe zu zwingen, oder langsseit zu laufen
und zu entern.
Torpedos sind auf keinem Schiffe zur Anwendung gekommen,
scheinen überhaupt nicht an Bord gewesen zu sein.
Betrachten wir nun das Manöver des »Blanco Encalada«
etwas genauer, so kann die Führung dieses Schiffes im Vergleich
zu der vorzüglichen Leitung des »Almirante Cockrane«, nur als
eine durchaus mangelhafte bezeichnet werdeu. Die klare Überlegung,
und das unbefangene Urteil des Kommandanten des »Blanco Enca-
ladac hatte augenscheinlich unter dem peinlichen Gefühl gelitten,
den »Huascar« nicht einholen und erst so spät in das Gefecht ein-
greifen zu können. Obwohl er nun während der Verfolgung des
Gegners die beste Gelegenheit gehabt hatte, die Vorteile einzusehen,
welche die Stellung achterlich vom »Huascar« dem »Almirante
Cockrane« über seinen Gegner verlieh, so scheint doch der Kom-
mandant des »Blanco Encalada« sich, ohne die Folgen zu über-
legen, rücksichtslos zwischen jene beiden geworfen zu haben; in der
guten Absicht zwar, den »Huascar« zu rammen, thatsächlich aber
dadurch, da der Stöfs mifsglückte, den »Almirante« zwingend, um
eine Kollision zu vermeiden, hart nach Backbord zu drehen und
damit seine vorteilhafte Stellung aufzugeben. Bei dieser Gelegenheit
erhielt der »Almirante Cockrane« auch einen Schufs vom »Blanco
Encalada«. Zunächst war bei der Ungleichheit der Chancen die
Absicht zu rammen überhaupt ein Mifsgriff. Es war aber noch
ein gröberer Mifsgriff, dabei den »Almirante« zu gefährden, ihn
aus seiner Position zu drängen und dabei dessen Feuer zu mas-
kieren — von der Granate gar nicht zu reden, mit der er seinen
Gefährten bei dieser Gelegenheit begrüfste. Dieser Treffer beruhte
selbstverständlich auf einem unglücklichen Zufall, war aber nur
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Pferdebeine und Hufbeschlag.
311
eine Folge des unüberlegten Manövers des »Blanco«. Hätte der
»Blanco« den »Cockrane«, was leicht hätte eintreten können, irgend
wie ernstlich beschädigt, so wäre der »Huascarc aller Wahrschein-
lichkeit nach entkommen, denn seine Maschine war noch intakt.
So indessen liefs sich der Kapitän des »Almirante Cockranec durch
die Ungeschicklichkeit seines Kameraden nicht irre machen. Wir
sehen vielmehr, dafs er sofort nach der Drehung seine alte Position
Backbord achterlich vom »Huascar« wieder einzunehmen bestrebt
war, was ihm auch vermöge seiner gröfseren Geschwindigkeit bald
wieder gelang. Die überlebenden Offiziere des »Huascar« be-
absichtigten, das Schiff zu versenken; bereits waren die Ventile
geöffnet, doch versagte bald darauf die Maschine, die chilenischen
Offiziere nahmen das Schiff und zwangen die Maschinisten mit dem
Revolver in der Hand, die Ventile wieder zu schliefsen.
v. H.
XVIL Pferdebeine und Hufbesclilag
bilden den Inhalt zweier Bücher, welche in der Armee vielen Nutzen,
leider aber auch Schaden stiften können. Das erste Buch mit dem
Titel: »Der Fufs des Pferdes in Rücksicht auf Bau, Ver-
richtungen und Hufbeschlag« von Leisering, Hartmann und
Lungwitz, 7. Auflage, enthält 378 Seiten grofe 8 mit 249 Holz-
schnitten und kostet elegant gebunden 7 Mark (Dresden, Schoen-
feld'sche Buchhandlung). Es hat uns in Bezug auf den L anatomisch-
physiologischen Teil ganz aufserordentlich befriedigt. In klarer,
deutlicher Sprache wird uns die Anatomie und Physiologie des
Pferdefufees vorgetragen und durch vortreffliche Zeichnungen er-
läutert. Den Nutzen der da vorgetragenen Kenntnisse weifs der
Verfasser, Geh. Mediciualrat Theodor Leisering, jedem gebildeten
Pferdebesitzer vortrefflich klar zu machen. Er findet den Grund,
dals »die Füfse des Pferdes so häufig Krankheiten unterworfen sind,«
nicht sowohl in der grofsen Inanspruchnahme dieser Organe bei den
Verrichtungen des Pferdes, als vielmehr »ganz besonders darin,
312
Pferdebeine und Hufbeschlag.
dafs sie die meisten Eingriffe von Menschenhand zn er-
tragen haben, Eingriffe, welche nur zu oft zu wahren
Mifshandlungen werden. Viele Fufs- beziehungsweise
Hufkrankheiten können vermieden werden, wenn man den
Pferdefufs nicht als eine leblose, tote Masse, sondern als
ein lebendiges, zweckmäfsiges Organ betrachtet, das sich
unangemessene Eingriffe und naturwidrige Behandlung
nicht ungestraft gefallen läfst.t
Wie scharf dieser Ausspruch einzelne der im II. Teil von
A. Lungwitz empfohlene Behandlungsweisen kranker Hufe trifft,
werden wir noch sehen! Auch die in der vortrefflich geschriebenen
2. Abteilung des Buches: »Die Verrichtungen des Fufses« gethanen
Aussprüche über den sogenannten »Nervenschnitt« am Hufe, das
Verhalten der Hufe gegen Wasser, Ammoniak u. s. w. sind uns in
ihrer wahrhaft vernichtenden Logik gegen die heutige Operations-
und Salbenvorliebe durchaus sympathisch, wie wir denn überhaupt
diesen ganzen I. Teil für sehr gelungen halten. — Etwas anders
stehen wir zum II. Teile des Buches und müssen uns gerade des-
halb etwas eingehender mit ihm beschäftigen. Denn es scheint uns,
als ob der grofae Nutzen, welchen die dort gegebene Darstellung
eines guten mechanischen Hufbeschlages unzweifelhaft stiften wird,
zu einem nicht geringen Teil wieder aufgewogen würde, durch aller-
lei arzneigläubige Ratschläge bezüglich der Behandlung kranker Hufe,
Ratschläge, die unserer Ansicht nach eigentlich gar nicht in dieses
Buch hineingehören. — So stofeen wir gleich in der Einleitung
S. 143 auf das unglückliche Wort »Tierarzneikunde«, während
offenbar die Tierheilkunde gemeint ist, welche mit der »Arznei-
kunde« insofern in einem durchaus gegensätzlichen Verhältnis steht,
als durch und mittelst sogenannten Arzneien noch niemals, so lange
die Welt steht, eine wirkliche und dauernde Heilung erzielt
worden ist, vielmehr die auf solche Weise erzeugten uns täglich
vor Augen tretenden Tausende von Pferdekrüppeln ein höchst
klägliches Zeugnis für die Wirkungen dieser »Arzneikunde« ab-
legen. Das durch diese Einleitung erweckte Vorgefühl, dafs in dem
2. Teile durchaus nicht die Konsequenzen, welche der klare ana-
tomisch-physiologische Inhalt des L Teils und namentlich dessen
oben angeführter und gesperrt gedruckter Ausspruch S. 107 nahe
legt, gezogen werden würden, haben wir denn auch leider bestätigt
gefunden.
Dafs der Verfasser über den Hufbeschlag selbst, den er als ein
»notwendiges Übel« bezeichnet, die prinzipiell richtigen Ansichten
Pferdebeine und Hufbeschlag.
313
besitzt, erfahren wir namentlich aus dem Kapitel: Ȇber die Nach-
teile des Hufbescblages« (S. 263 ff.). — Die S. 145—163 ein-
nehmende Geschichte des Hufbeschlages ist interessant und ihre
ebenso kurze, wie aufklärende Zusammenstellung ein Originalverdienst
des Verfassers. Die dann folgende (S. 164 — 267 einnehmende)
Beschlaglehre oder Lehre von der mechanischen Ausführung des
Beschlages ist grösstenteils vortrefflich. Das Wenige, was wir
auszusetzen haben, würde vermieden worden sein, wenn der Ver-
fasser seinen eigenen Prinzipien stets treu geblieben wäre und nicht
zuweilen es für »opportuner« gehalten hätte, nicht seiner eigenen
Meinung zu sein. Wir wollen zum Beweise dessen hier zunächst
nur daran erinnern, dafe derselbe Verfasser, welcher sich vor einigen
Jahren das grofse Verdienst erwarb, in seinem, für die Ausübung
der Beschlagkunst höchst förderlich gewesenen, Blatte »der Huf-
schmied«, in ausführlicher, überzeugender und absolut jeden faulen
Compromifs ausschliefsender Weise gegen die schädlichen, aber nach
seiner eigenen Berechnung jährlich circa 4 Millionen Mark Ausgaben
im deutschen Reiche erfordernden, Hufsalben aufzutreten, im vor-
liegenden Buche auf die ganz unhaltbare Theorie, dem Hufe
Wasser zuzuführen und dies durch Fettung der Ober-
fläche zu konservieren gestützt, auf den höchst schwächlichen
Fettlappen (S. 262 und 263) zum Einfetten des Hufes wieder zurück-
kommt.*) Wir müssen diese und andere ünfolgerichtigkeiten später
noch gründlicher beleuchten.
Prinzipiell denkt der Verfasser in vielen Dingen ganz richtig,
nur scheint es ihm schwer zu fallen, diese seine grundsätzlichen
Ansichten auch da unentwegt festzuhalten, wo sie dem, im grofeen
Publikum und in tierärztlichen Werken verbreiteten, Glauben,
Meinen u. s. w. entgegenstehe u. — Dafe z. B. der Verfasser über
die Abdachung der Hufflächen der Eisen im Allgemeinen richtig
denkt, zeigt seine Bemerkung S. 263 unter »Nachteile des Huf-
beschlages«, wo er unter diese ganz besonders den rechuet, dafs der
Druck der Körperlast beim beschlagenen Pferde nicht mehr auf die
ganze Huffläche verteilt wird, sondern nur auf der Wand ruht,
wie nicht minder seine sehr richtige Bemerkung S. 169 über die
Eisen mit ebener Huffläche und S. 249 der die ganze Angelegenheit
eben so kurz wie bündig entscheidende Ausspruch: »Die Breite
der Tragefläche am Eisen ergiebt sich einerseits aus den trage-
*) Im Mfirzheft des „Hufschmied" von 1890 ist er inzwischen wieder gegen
die Verwendwig irgend welcher Huffettnng aulgetreten.
314
Pferdebeine and Hufbeschlag.
fähigen Teilen des Hufumfanges d. i.: die Wand, die weifse Linie
und derjenige Teil des äufseren Sohlenrandes, der den unteren Rand
des Hufbeins seitlich überragte u. s. w. Wenn er demungeachtet
eine Abdachung des inneren Tragerandes um 3 mm für gesunde
Hufe im Allgemeinen empfiehlt, so geht das doch zu weit und
wird bei den meisten Hufen eben das vollständige Nichtmittragen
der Sohle zur Folge haben, welches der Verfasser unter den Nach-
teilen des Beschlages aufführt. Ein Überragenlassen der horizon-
talen Tragefläche über die weifse Linie nach innen um etwa 3 mm
für seine Reitpferde und von da ab erst sanfte Abdachung um
1 — 2 mm wird auch die tragefähigen Teile der Sohle beim Fufe
mittragen lassen, ohne sie permanent zu drücken.
Sehr wahr und beherzigenswert ist wieder das S. 179 über die
häufige Entbehrlichkeit der Stollen Gesagte, die noch in 50% von
Fällen Anwendung finden, wo glatte Eisen nicht nur ausreichten,
sondern auch nützlicher wären. Bei Erwähnung der an den Hufen
angebrachten Gewichte, um die Trabbewegung beim Trabertraining
entweder zu regulieren oder ausgiebiger zu gestalten, läfst die Dar-
stellung zu wünschen, nach welcher man versucht sein könnte, zu
glauben, dafe die Tiere mit diesen Gewichten ausgiebiger trabten,
als ohne solche, während doch die Übung des beiasteten Hufes
während des Trainings nur dazu führen soll, mit unbelastetem Huf
besser zu traben. Recht gut sind die Winterbeschläge (S. 184 bis
207) abgehandelt und haben wir an diesem Kapitel nichts aus-
zusetzen.
Der nun folgende Abschnitt: »Der Fuls in seinen Beziehungen
zum ganzen Schenkel,« behandelt die verschiedenen Stellungen der
Gliedmafsen, die Grundformen der Füfse, Stellungen der Hufe in
Folge der natürlichen Organisation des Tieres, wie in Folge von
durch Beschlag erzeugten Veränderungen, das Wachstum und die
Abnutzung des Hufes, wie die Abnutzung der Eisen eben so klar,
als sachgemäfe. Zweckmäfsig dürfte es sein, sich der in der Reiter-
sprache üblichen Ausdrücke zu bedienen, z. B. S. 211 zu Figur 125
statt »hammelbeinig« zu sagen »rückbiegig«. Mit der dann er-
örterten mechanischen Ausführung des Hufbeschlages können wir
uns ebenfalls — bis auf wenige Punkte einverstanden erklären.
Nicht einverstanden sind wir z. B. mit der (S. 233) Empfehlung
des Beschlagens ohne Au fh alter. Wenn dies auch für den ge-
wandten Beschlagschmied bequemer ist, so greift es doch den viel
zu wenig festgestellten Fessel des Pferdes an, da dieser in beiden
Gelenken, dem Kothen- wie dem Kronengelenk bei jedem Schlage
Pferdebeine und Hafbsschlag.
315
auf die Nägel viel zu sehr erschüttert wird, als dafs dieses un-
schädlich sein könnte. Ich habe mir dieses Beschlagen ohne Auf-
halter nur in der Not gefallen lassen, wenn nämlich ein Aufhalter
nicht zur Hand war. Darum sollte es jeder Beschlagschmied auch
können. Sonst aber halte man auf ein möglichst gutes Festlegen
des Fessels durch Umfassen mit beiden Händen durch den Auf-
halter in der Weise, data namentlich das mit umfafste Kronen-
gelenk vor allen Diugen gegen jede Bewegung durch die Hammer-
schläge des Beschlagenden gesichert wird. Geschähe das bei allen
Truppenteilen, so würden auch dadurch der struppierten Fesseln
immer weniger werden. Sodann geht uns der Verfasser bei Em-
pfehlung der Stegeisen (S. 285) zu weit und bedenkt nicht, dafs
sie die Elasticität des Hufes an der Tragefläche unbedingt vermindern,
den Strahl zwar zum Stützen zwingen, ihn aber auch niemals zur
völligen Entlastung gelangen lassen und seine natürliche Abnutzung
verhindern. Darüber ausführlicher bei einer anderen Gelegenheit.
Ebenso haben wir uns wiederholt gegen den Defays'schen Diletator
ausgesprochen, wobei wir allerdings dessen Gebrauch bei Zwang-
hufen warmblütiger Reitschläge vorzugsweise im Auge gehabt haben.
Wir erkennen an, dafs die Regeln, welche der Autor (301 — 304)
für seine Anwendung des Diktators angiebt, sehr sorgsam und vor-
sichtig ausgewählt sind. Nichts desto weniger geben wir dem Eisen
mit nach aufsen abgedachter Tragefläche und dem Einsiederschen
Strebeeisen den Vorzug, weil hier nur der natürliche Auftritt des
Pferdes und sein Gewicht in sehr milder, wenn auch unaufhörlich
wiederholter Weise wirkeu, während in Folge der aktiven Gewalt
bei Anwendung des Diletators, bei noch so grofeer Vorsicht, stets
Verletzungen, Trennungen der Wand von der Lederhaut u. s. w.
möglich bleiben. Wir haben von dem Eisen mit nach aulsen ab-
gedachter Tragefläche (S. Spohr's Bein- und Hufleiden S. 91
4. Aufl.) stets vollen Erfolg gesehen. Weshalb dies uns schon
seit 30 Jahren bekannte Eisen jetzt dem Franzosen de la Broue
zugeschrieben wird, ist uns unerfindlich — oder sollte es dadurch
an Wert gewinnen? Auch bezüglich der mechanischen Mittel, bei
Hornspalten die getrennten Wände einander zu nähern beziehungs-
weise zusammenzuhalten, wie eiserne Klammern, Niete, Schrauben
mit Platten u. s. w. sind wir der Ansicht, dafs sie mehr schaden,
als nützen, indem sie nicht nur grobe Verletzungen der Hufwände
bedingen, sondern auch die Hufmechanik in einer Weise beschränken,
welche der natürlichen Heilung der Hornspalte mehr entgegenwirkt,
als sie befördert. Allenfalls kann der S. 321 in Fig. 217 abge-
Jjü>rbbeh«r fftr dl» Daatoehe Armee and Muu». bd. LXXVI., 3.
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316
Pferdebeine und Hufbeschla*.
bildete Hornspaltriemen versucht werden. Wir haben aber niemals
einen dauernden Erfolg von dergleichen gesehen. Der Autor selbst
erwähnt das Barfufsgeheu als das sicherste Mittel zur gründlichen
Heilung von Hornspalten. Wo dies nicht möglich, bildet ein ein-
seitig genageltes Stegeisen nebst künstlich eingeschnittener Hornklaft
am oberen Ende des Spaltes, sobald sich von der Krone her
5 — 8 mm volle Wand gebildet, das beste Mittel zur Heilung
(S. Spohr's Bein- und Hufleiden S. 96—98 4. Aufl.).
S. 288 bemerkt Verfasser sehr richtig, dafs die »Defays'sche
Hnfmasse« (Hufkitt) bei »loser Wand« keine Anwendung finden
dürfe, weil sie nach ihrer Verhärtung als Keil wirke und die Wand
noch mehr löse. Gleichwohl empfiehlt er selbst, die Ausfüllung mit
Holztheer und S. 329 auch die Ausfüllung von Hornspalten mit
»im Holztheer oder besser dicken Terpentin« getränktem Werg.
Wir wollen dazn nur bemerken, dafs nach unserer langjährigen
Erfahrung auch diese Wergbauschen, ebenso wie der blofse Holz-
theer, stets verhärten und als Keil wirken, welche die Trennung
der Wände erhält und befördert. Noch wunderlicher ist das
S. 328 empfohlene »Beraspeln ausgebogener Wände mit Rücksicht
auf ihre ursprüngliche Richtung« das ist eine Heilung ä la Vogel
Straufs, d. b. dieses Raspeln verdeckt doch nur für das Auge die
Ausbiegung der Wand. Oder sollte der Autor glauben, dafs die so
geschwächte Wand sich nun auch innerlich der gerade kalfater-
ten Aufsenfiäche gemäfs gerade stelle? W 7 ir trauen ihm etwas mehr
Kenntnisse in der Mechanik zu, aber dieser Ratschlag ist so recht
bezeichnend für gewisse Richtungen in der »Arzneikunde«, die
»übertünchen«, was sie nicht »heilen« können. Dagegen wollen
wir nicht vergessen lobend hervorzuheben: die Zubereitung der
Hufe zum Barfufs gehen S. 244 und die vortreffliche Beschreibung
des Beschlags zur Vermeidung von Einhauen und Streichen (S. 267 bis
273).
Viel tiefgreifender an Schädlichkeit, als die durch unsere obigen
wenigen Ausstellungen an der mechanischen Ausführung des Huf-
beschlages gekennzeichneten, sind in unseren Augen die vom Ver-
fasser an vielen Stellen angeratenen arzneilichen Hülfen, von
denen wir nicht umhin können, unseren Lesern eine Auslese zum
Nachdenken vorzusetzen. S. 226 empfiehlt der Verfasser zur Be-
förderung des Huf Wachstums das Einreiben von Lorbeeröl und
Kantharidentinktur in die Haarlederhaut der Krone und zwar
thut er dies ganz allgemein, also auch bei gesunden Hufen. Wir
haben die betreffenden Versuche und deren höchst zweifelhafte
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Pferdebeine und Hufbeschlag.
317
Resultate in Bezug auf eine qualitative Vennehrung des Horn-
wachstums im Hufschmied*) seiner Zeit gelesen und anderweitig
sehr abfallig besprochen. Damals aber handelte es sich nur um
Behandlung von kranken Hufen. Jetzt wird uns eine reizende
und krankmachende Einreibung schädlichster Art auch für gesunde
Hufe empfohlen. Also derselbe Autor, welcher gegen die schädliche
Verschwendung von 4 Millionen Mark jährlich in gewöhnlichen
Hufsalben mit Recht eifert, empfiehlt nun eine weit schädlichere
und teuerere Einreibung in die zunächst den Hornsaum ergänzende
Krone! Es ist freilich richtig, wo man in den lebenden Körper
eines Tieres reizende Fremdstoffe einreibt, da wird er zunächst
äufserlich umfangreicher, denn dorthin entsendet er Blut, um durch
vermehrte Zufuhr desselben im Kapillargefäfssystem sich zu wehren
gegen den schädlichen und zudringlichen Fremdstoff. Es schwillt
daher die Lederhaut, es schwellen eventuell die Muskelpartien an.
Das ist der erste Vorgang, der auch vielleicht zu krankhafter Neu-
bildung von Stoff führt. Die Qualität desselben also wird jeden-
falls verschlechtert. Es wird aber auch schliefelich die Nerven-
thätigkeit, welche allem Stoffwechsel vorsteht, gelähmt und dann
erfolgt der Rückschlag, es bilden sich entweder Verhärtungen, es
erfolgen, wenn der Organismus sich überhaupt der Fremdstoffe zu
entledigen im Stande ist, Ausschläge, Eiterungen u. s. w. und
8chlief8lich schwillt das gereizte Organ entweder wieder ab, kehrt
zur Norm zurück, oder es bleibt dauernd mehr oder weniger ver-
härtet, atrophisch, krank. Das tritt auch beim Hufhorn ein, es
bildet sich lockeres, krankhaftes Horn, Ringelhuf u. s. w., wie wir
dies in allen Fällen, wo längere Zeit solche reizende Salben ange-
wendet wurden, festzustellen vermochten. Wir haben hier in der
That einen »jener Eingriffe der Menschenhand vor uns,
welche nur zu oft zu wahren Mifshandlungen werden,c
wie es im 1. Buche S. 9 von Leisering zu lesen steht.
Über den S. 262 und 263 gerühmten Fettlappen bei der
Hufpflege sprachen wir schon oben. Der Verfasser empfiehlt »nicht
ranziges FetU anzuwenden. Nun weifs wohl jeder, dafs alle Fette
sehr bald durch Einwirkung von Luft und Wasser ranzig werden,
und dafs wirkliche Fette sich nicht mit Wasser mischen. Von
letzterer Eigenschaft will der Verfasser Gebrauch machen, indem er
♦) Das Minheft des „Hufschmied" Ton 1890, welches derselbe Verfasser
A. Lungwita redigiert, bringt nun eine durchaus vernichtende Kritik dieser
Versuche, das Wachstum des Hufes durch Reizmittel m befördern.
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318
Pferdebeine und Hufbeechlag.
die Oberfläche der Hufwand und der Sohle durch Fett so abschliefst,
dafs die Verdunstung des im Hufe nicht chemisch gebundenen,
sondern mechanisch aufgenommenen Wassers verhindert wird. Ge-
länge das — und bis zu einem gewissen Grad gelingt es — so
würde das im Hufe mechanisch aufgenommene Wasser sich in dem-
selben zersetzen, faulen und den Huf mürbe und bröcklich machen,
wie es in der That zum Teil geschieht. Aber er würde auch —
und dieses ist der Fall — die naturgemäfse Aufnahme von frischem
Wasser von aufeen hindern, oder glaubt der Verfasser etwa, dafs
die geschlossene Thür, welche Niemand von innen nach aufsen
gelangen lallst, doch den Aufsenstehenden Zutritt nach Innen ge-
währen könnte? In solche traurige Dilemmas begiebt sich derjenige,
welcher nicht immer seiner eigenen Überzeugung ist, sondern von
ihr irgend einem herrschenden Vorurteil zu Liebe etwas ablassen
zu können glaubt. Gesunde Hufe erzeugen das ihnen nötige Huf-
fett in bester Qualität selbst, und, wo das bei kranken Hufen nicht
der Fall ist, da giebt es gewifs kein schlimmeres Mittel, sie von
ihrer Krankheit herzustellen, als ihnen dieses Fett von aufsen zu-
zuführen: das wäre so, als ob man den an Zuckerharnruhr leiden-
den durch Zuckerzufuhr heilen wollte oder könnte. Der Verfasser
hat seiner Zeit im Hufschmied so unwiderleglich bewiesen, dafs
jede künstliche Fettzufuhr den Huf austrocknet und ihm schadet,
dafs er, wenn in der That seine Überzeugung sich seitdem geändert
haben sollte, erst seine eigenen damaligen Beweisgründe niederlegen
mülste — was ihm wohl unmöglich sein wird: »Die Wahrheit ist
keine Mode-Waare, Die man anders modelt alle Jahre.«
Was die Behandlung wunder Flächen mit so reizenden Sub-
stanzen, wie Terpentinöl, Myrrhentinktur, mit sogenanntem asep-
tischen Atzmittel, wie Karbolsäure, Sublimat n. s. w. betrifft, so
ist dies ein trauriges Kapitel, in welchem der Verfasser zwar
mitten in der Zeit, aber nicht auf der Höhe der Zeit steht. Wir
empfehlen ihm betreffs der »Antiseptik« über die Tragweite des
Ausspruches in Eulenberg's Encyklopädie der gesamten Arznei-
wissenschaften etwas nachzudenken, dafs nämlich: »Die Drainage
bei allen antiseptischen Verbänden die Hauptsache sei und
dafs, wenn diese zweckmäfsig gehandhabt werde, gute
Heilung ohne störende Zwischenfälle selbst dann erfolge,
wenn die antiseptische Wirkung des Verbandes keine voll-
ständige sei.«
Das Wasser in Form der Bespritzung, wie der nassen Um-
schläge liefert nun aber die unfehlbarste Drainage. Die Tage des
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Pferdebeine and Hufbeschlag.
319
antiseptischen Verbandes mit Ätzstoffen sind überhaupt
gezählt Wie der berühmte englische Chirurg Dr. Lawson Fait
denselben schon seit Jahren verworfen und mit vollstem Erfolge
ohne Ausnahme durch die Wasserbespritzung (Waterspray) ersetzt
hat, so ist neuerem Vernehmen nach Generalarzt v. Bergmann seit
2 Jahren schon diesem Beispiele gefolgt und bedient sich auch zur
Reinigung seiner chirurgischen Instrumente nur noch des heifeen
Wassers. Die positiven Schädigungen des Organismus aber durch
die zum bisherigen antiseptischen Verbände verwandten Chemikalien
werden von Tag zu Tage mehr erkannt. Wenn wir nun auch aus
der Unkenntnis dieser noch nicht so allgemein in die Öffentlichkeit
gedrungenen Thatsachen dem Autor des II. Teils des hier in Rede
stehenden Buches keinen grofeen Vorwurf machen wollen, so können
wir doch nicht umhin zu bedauern, dafs gerade er, welcher die
Vorteile des von Oberstlieutenant Spohr in seinem Buche »Die
Bein- und Hufleiden der Pferdec nach 40jährigen günstigsten
Erfahrungen dargelegten arzneilosen Verfahrens seiner Zeit in
seinem Blatte, dem »Hufschmiede so unumwunden anerkennt, hier
ohne alle Not sogenannte Hülfsmittel der Arznei künde herbei-
gezogen und empfohlen hat, die ausnahmslos teils als sehr
schädlich, teils mindestens als überflüssig bezeichnet werden
müssen.
Unser Gesamturteil über das Buch lautet: es ist sehr empfehlens-
wert in Bezug auf Alles, was zur Kenntnis der Anatomie und
Physiologie des Pferdefufees gehört und bildet betreffs Ausführung
eines guten und zweckmäßigen Beschlages gesunder und kranker
Hufe einen zuverlässigen Ratgeber. Dagegen müssen wir vor allen
darin enthaltenen arzneilichen Ratschlägen auf das Nachdrück-
lichste warnen. Wir empfehlen daher das Buch allen zu selbst-
ständigem Denken und Urteilen befähigten und geneigten Pferde-
besitzern, Offizieren und Rofeärzten, bedauern aber befürchten zu
müssen, dafe es in den Händen ungebildeter Hufschmiede gerade
durch seine arzneilichen Ratschläge manches Unheil anrichten
werde.
Ganz dasselbe Urteil müssen wir über ein 2. von A. Lungwitz
uns in 4. Auflage vorliegendes soeben 1890 in der Schoenfeld'schen
Verlagshandlung erschienenes Buch »der Lehrmeister im Huf-
beschlage c (156 Seiten) Preis geb. 2 Mark, fällen. Es enthält
in abgekürzter und noch populärerer Form im Wesentlichen alles
das, was in dem zuerst besprochenen Buche ausfuhrlicher und
wissenschaftlicher dargelegt und begründet ist. Es besitzt dieselben
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320
Umschau auf militär-technischem Gebiet.
Vorzüge und leidet an denselben Fehlern. Letztere dürften in
diesem, hauptsächlich für den Durchschnittsbeschlagschmied be-
stimmten Buche noch verhängnisvollere Folgen haben, insofern sie
jene Leute zu einem Verfahren anleiten, welches in ihren Händen
wohl mit doppeltem Recht als Kurpfuscherei bezeichnet werden
kann. Freilich mufs diese Art der Behandlung die betreffenden
Pferde stets schliefelich dem Rofearzt zuführen, da die Schmiede
mit der Behandlung doch nicht zurechtkommen. Gewinnen würden
diese beiden Bücher außerordentlich, wenn sie der Verfasser von
Allem, was an Arznei und Arzneiglauben erinnert, gründlich reinigen
wollte. —
April 1890. -hr.
xvm
Umschau auf militär-technisclieni (rettet
Das Artillerie-Material der Republik Chile zeigt nach
den »Jahresberichten über Veränderungen und Fortschritte im
Militärwesen für 1889« eine sehr bunte Zusammensetzung, welche
noch zu steigern man auf bestem Wege war. Die Feldgeschütze sind
bisher wie die Gebirgsgeschütze Krupp' scher Konstruktion; als es sich
kürzlich um eine Vermehrung des betreffenden Materials handelte, kam
das System des frz. Obersten de Bange (technischen Direktors der
Werke Cail in Paris) in Frage und sollten zwei kurze Zeit vorher ein-
getroffene Kanonen de Bange für Feld- und Gebirgs -Artillerie mit
den bestehenden Kruppschen Geschützen einem Vergleichsschiefsen
unterworfen werden. Dieses unterblieb, weil Krupp, dem bereits
die Lieferung von zehn schweren Geschützen von 28 und 30,5 cm
Kaliber für die Verteidigung des Hafens von Valparaiso zugeteilt
worden war, die Zusendung eines Feld- und eines Gebirgsgeschützes
neuerer Konstruktion in Aussicht stellte. Nach dem Eintreffen
derselben haben sehr interessante vergleichende Schiefs-
versuche zwischen den Geschützen von Krupp und de
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Umschau auf militär-techni schein Gebiet
Bange stattgefunden, worüber wir nach dem »Diario oficial de Ja
repüblica de Chile« vom 6. Mai d. J. einige kurze Angaben machen
werden. Nebenbei gesagt, hatte die chilenische Regierung zur
Armierung der im Bau befindlichen Kriegsschiffe das System Canet
gewählt, eine Wahl, die gänzlich von der für die Küsten-Artillerie
getroffenen abweicht, gleichwohl noch eine viel glücklichere ist, als
es in obigem Falle die Wahl des Systems de Bange gewesen wäre.
In den Artillerie- Beständen finden sich übrigens noch Geschütze
von Armstrong, Vavasseur, White u. a., sowie Mitrailleusen ver-
schiedener Konstruktionen.
Die zum Wettbewerb herangezogenen beiden Krupp' sehen
Geschütze waren eine Feld- und eine Gebirgskanone C/89,
vom Kaliber 7,5 cm, sie sind für rauchloses Pulver und für
Metallpatrouen mit Einheitszündung konstruiert. Die Feld-
Kanone hat ein Rohr von 28 Kaliber Länge und 307 kg Gewicht,
dasselbe hat Keilverschluß, 28 Züge mit Progressiv-Drall, ist ohne
Zündloch und hat Perkussions-Zündvorrichtung; die Geschosse sind die
Segmentgranate von 5,85 kg (128 Segmentstücke, 0,145 kg Spreng-
ladung) und das gleich schwere Shrapnel (160 Kugeln, 0,10 kg
Sprengladung), die Geschützladung beträgt 0,39 kg. Die Gebirgs-
kanone hat ein Rohr von 13 Kaliber Länge und 103 kg Gewicht,
sonstige Einrichtung wie oben; sie hat ebenfalls die Segmentgranate,
welche hier 4,3 kg wiegt (80 Segmentstücke, 0,105 kg Spreng-
ladung) und das gleich schwere Shrapnel (105 Kugeln, 0,05 kg
Sprengladung), die Geschützladung beträgt 0,135 kg.
Die Feld- und die Gebirgskanone von de Bange hatten
die Konstruktion des in der französischen Feld- beziehungsweise
Gebirgs -Artillerie eingeführten Kalibers von 80 mm M/77, die
Geschosse waren Segmentgranaten (obus ä balles) und Shrapnels
(obus ä mitraille). Die Verhältnisse sind die bekannten.
Die Versuche fanden am 1., 5., 7., 11., 13., 15. und 18. März
d. J. statt. Die Kruppschen Geschütze wurden durch Mannschaften
des 2. Artillerie - Regiments, die Bange'schen durch chilenische
Artillerie-Offiziere bedient, nur bei den ersteren war ein Vertreter
der Firma zugegen. Der Schiefsplatz war der Thalkessel von
Batuco, der auf 5000 m ein fast gänzlich ebenes Schufsfeld liefert,
aber sonst mancherlei nachteilige Eigentümlichkeiten besitzt. Die
Schieisversuche hatten zunächst im Auge, die Präzision der ver-
schiedenen Geschütze zu ermitteln, und erstreckten sich erst im
zweiten Teile auf die kriegsmäfsige Wirkung derselben, dem
entsprechend waren die Ziele im ersten Falle Anschufescheiben, im
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322 Umschau auf militar-technischem Gebiet.
zweiten Kolonnenscheiben, die Entfernungen im ersten Falle 1000 m,
im zweiten 1500 m und 4000 m.
Die Kommission bestand aus 5 Mitgliedern unter Vorsitz eineB
Divisions- Generals. Nach dem Urteil der Mehrheit haben die
Krupp'schen Kanonen eine gröfsere Solidität der Konstruktion und
den Vorzug eines besseren Materials gezeigt. Nach 99 Schub ergab
das Krupp'sche Feldgeschütz nicht die mindeste Veränderung
während die Mehrheit bei demjenigen von de Bange nach 84 Schüfe
die Fortsetzung des Schiebens für gefahrvoll erklärte. Die Vorzüge
des rauchlosen Pulvers, der Anwendung von Metallkartuschen, sowie
des Wegfalls des Zündlochs bei den Krupp'schen Geschützen wurden
in hohem Mafse anerkannt. Beim Präzision sschiefsen wurde für
das Feldgeschütz von Krupp ein Treffergebnis von 96°/t» für das
Gebirgsgeschütz von 80%, für das Feldgeschütz von de Bange ein
Treffergebnis von 76 a /&, für das Gebirgsgeschütz von 68*/ 0 ver-
rechnet. Die beim kriegsmäßigen Schieben erzielten Resultate
zeigt beifolgende Tabelle, aus welcher die aufserordentliche
Üb erlegenheit der Krupp'schen Geschütze in der Geschofs-
wirkung ins Auge fällt.
An Sprengteilen trafen das Ziel:
Entfernung
Abgegebene
Bei der Feldkanone.
Bei der Gebirgskanone.
m
Schule.
Kropp.
de Bange.
Krupp.
de Bange.
1500
20 Granaten
1639
1447
357
146
1500
lOSbrapnels
645
97
1500
20 Shrapnela
662
251
4000
20 Granaten
582
105
Die Munition von de Bange lieb viel zu wünschen übrig, indem
mehr als 70°/ 0 der Shrapnels Rohrkrepierer waren, andrerseits wird
die Überlegenheit der Krupp'schen Munition, die Präzision und
Sicherheit seiner Zünder in hohem Mabe anerkannt. Die Kommission
hebt die Vorteile hervor, welche die Reinerhaltung der Seele bei
Anwendung des rauchlosen Pulvers im Gefolge habe. Die solide
Laffetierung, die gröbere Leichtigkeit der Bedienung, die geringere
Zuglast beim Feldgeschütz sind ebenso viele Momente der unbe-
streitbaren Überlegenheit des im Wettbewerb gestandenen Krupp-
schen Materials. Aus den voranstehenden Gründen empfahl die
Mehrheit der Kommission die Annahme desselben aufs angelegent-
lichste und hob noch besonders hervor, dab damit der Zusammen-
hang mit dem jetzigen Material, dessen ausgezeichnete Eigen-
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Umschau auf railitär-technischem Gebiet.
323
Schäften der letzte Krieg (mit Peru) vollauf erwiesen hätte,
gewahrt werden würde.
Diesem wohlbegründeten Urteil gegenüber ist das abgesonderte
Gutachten der Minderheit von geringem Belang. Sie rät die Sache
noch in der Schwebe zu belassen, umsomehr da für die neuen Schiffs-
bauten bereits das Artilleriesystem Canet gewählt sei. Das neue
Pulver, wie die Metallkartusche, so vorteilhaft die Verbesserungen
auch seien, erhielten den Staat in Abhängigkeit von der Kruppschen
Fabrik. Es wäre eine Unbilligkeit gewesen, das schon 13 Jahre
alte System Bange mit der Konstruktion Krupp's in Parallele zu
setzen, die inzwischen vollzogene wichtige Fortschritte in sich ver-
körpere, hinsichtlich der Präzision will die Minderheit einer Über-
legenheit für das Bange'sche Material herausrechnen, die Niederlage
des letzteren im kriegsmäßigen Schiefsen aber durch die mindere
Zahl der Segmentstücke beziehungsweise Füllkugeln bei den be-
treffenden Geschossen beschönigen. Keines der beiden Systeme
habe eine Überlegenheit gezeigt, welche zu einer sofortigen Ent-
scheidung veranlassen könne, dagegen gebe es ein System, das vom
kleinsten bis zum gröfsten Kaliber hinauf die gröfsten Vorzüge in
sich schliefee und das sei das für die grofson Schiffe bereits an-
genommene System Canet. — Es erhellt somit genugsam, worauf
das Gutachten der Minderheit hinausläuft, um so weniger ist das-
selbe im Stande, den entschiedenen Sieg des Krupp'schen
Materials irgendwie in Frage zu stellen, Man gewinnt den Ein-
druck, als ob auch in diesem Falle de Bange und seine Anhänger,
ähnlich wie 1884 in Belgrad, gehofft hätten, durch persönliche Ein-
wirkungen auch hier den Sieg davon zu tragen, denn bei einiger
Urteilsfähigkeit mufeten sich dieselben vorhersagen, dafs beim Vor-
wiegen sachlicher Gründe keine Aussicht auf Erfolg vorlag. Das ohne-
hin im Ansehen schon wesentlich geschwächte Material de Bange's hat
auf dem Schiefsplatz von Batuco eine Niederlage erlitten , von der es
sich wohl schwerlich erholen dürfte, denn es hat sich eben gezeigt, dafe
man es auf dieser Seite nicht verstanden hat, mit der Zeit fort-
zuschreiten. Angesichts der Anfechtungen, welchen das Krupp'sche
Material seit geraumer Zeit von belgischer Seite ausgesetzt ge-
wesen ist (vergl. die letzte Umschau), konnte der Sieg Krapp's in
keinem gelegeneren Momente kommen.
Unter dem Titel: »Ein neues Schiefspulver. Zur Ein-
führung des rauchlosen Pulvers in Österreich- Ungarn.« bringt die
»Reichswehr« in ihrer Nr. 129 bis 131 zwei interessante Aufsätze,
die sich auch über die Pulverfrage im Allgemeinen verbreiten. Ohne
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324 Umschau auf militÄr-technischera Gebiet.
dem Inhalt in allen Punkten beizutreten, halten wir es doch für
angebracht, einen kurzen Blick auf denselben zu werfen, da die
Aufsätze zweifellos zur Klärung der Ansichten über das schwierige
Thema beizutragen geeignet sind. Danach hat Vieille in Frank-
reich den Anatofe dazu gegeben, die Schiefswolle in einem Lösungs-
mittel zu lösen und dieses dann wieder zu verdunsten. Als Lösungs-
mittel dient Äther- Alkohol; wird die entstandene dicke Flüssigkeit
auf eine Fläche gestrichen, sodafe der Äther-Alkohol rasch verdunsten
kann, so bleibt die Schiefewolle als dünnes Häutchen zurück und
dieses Häutchen in Blättchen zerschnitten, ergiebt das Blatt chen-
Pulver, das erste rauchlose Pulver, welches die Franzosen er-
zeugten. Das Verfahren wurde der Fabrikation im Grofsen halber
insofern fortgebildet, dafs man das Gemisch von Schiefswolle mit
dem Lösungsmittel zwischen . erhitzten Walzen durchgehen liefe und
die Schiefswolle somit gelatinierte; die erhaltenen dünnen Platten
wurden auf Maschinen in Blättchen zerschnitten und so ergiebt sich
das rauchlose Schiefepulver für die Lebelgewehre, dessen Geheimnis
die Franzosen so ängstlich hüteten. In Deutschland entstand zu-
nächst das Rottweiler Collodin-Pulver (R. C. P.), bei welchem ähn-
lich wie beim Schultzeschen Pulver nitriertes Holz als Ausgangs-
punkt genommen war, zugleich ein Salpeterzusatz stattgefunden
hatte. Dasselbe entsprach nicht den Anforderungen und ist es dann
später dort gelungen, gleichfalls ein Blättchenpulver herzustellen.
Als Nachteil des Blättchenpulvers führt der Aufsatz die Unmöglich-
keit auf, die Pulverplatten völlig gleich mäfeig dick und dicht zu
walzen, sie ferner ganz gleichmäfeig in Blättchen zu zerschneiden
und das Lösungsmittel völlig zu entfernen, es wird daher die gleich-
artige ballistische Leistung der einzelnen Gewehrpatronen an-
gezweifelt, länger aufbewahrte Patronen sollen eine Neigung zu
erhöhter Brisanz zeigen, auch wird die Erzeugung des Pulvers als
keineswegs einfach bezeichnet, sie erfordere grofee und sehr kost-
spielige Fabrik-Einrichtungen. Wenig günstig ist das Urteil Über
das in Italien angenommene Ballistit oder Nobel'sche rauchlose
Pulver; namentlich wird die Gefahr betont, die durch Entmischung
in Folge Ausscheidens des Nitroglycerins aus der Lösung entstehen
könne, dagegen werden die grofee Anfangsgeschwindigkeit und der
geringe Gasdruck, welche sich bei Verwendung dieses Pulvers
ergeben, voll anerkannt. Indem Verfasser nun auf das rauchlose
Pulver in Österreich-Ungarn übergeht, erfahren wir, dafs die Her-
stellung desselben den vereinten Bestrebungen des Artillerie -Haupt-
mann, jetzt Major J. Schwab (früher Kommandant der Pulver-
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Umschau auf militfir-technischem Gebiet.
325
Fabrik zu Stein), sowie des Ingenieur E. Kubin zu danken ist, die
entscheidenden Versuche zu Prefsburg in der der Aktien-Gesellschaft
Dynamit Nobel gehörigen Fabrik stattgefunden haben. Seinem
Wesen nach wird das Sch wab-Kubin'sche Pulver als reine
Nitrocellulose hingestellt, es wäre demnach frei von Stoffen, die
bei längerer Aufbewahrung sich verflüchtigen könnten. Dem Aus-
sehen nach stellt das Pulver gleich grofse Körner von *j A mm
Höhe und Breite dar, zeigt beim Anfühlen grofee Härte und ist in
Folge der Graphitierung von stahlgrauer Farbe; grofse Dauer-
haftigkeit und Unempfindlichkeit gegen Stöfs oder Schlag werden
demselben beigelegt. Den gröfeten Vorteil sucht der Verfasser in
der gekörnten Form dieses Pulvers, welche allein einen stetig
gleichbleibenden ballistischen Effekt garantiere und zugleich durch
die Gröfse der Körner die brisante Wirkung zu regulieren gestatte.
Es könne danach dieses Pulver für Kleingewehre genau so ver-
wendet werden, wie für Geschütze; es steigere sich durch die Form
zugleich die Widerstandsfähigkeit des Pulvers gegen alle äufeere
Einflüsse. Beim Feuer eines einzelnen Schützen ist nach den
Angaben thatsachlich kein Rauch zu bemerken, beim Feuern von
Abteilungen wird durch die leichte bläulich-graue Rauchschicht,
selbst bei andauerndem Schnellfeuer, keinen Augenblick lang das
Zielen und Beobachten der Schüsse erschwert, so dünn und flüchtig
ist jene Schicht. — Das 15,8 g schwere Stahlmantelgeschofs des
Gewehrs 88 erhält mit der 2,78 g betragenden Normal-Ladung eine
Geschwindigkeit von 600 m. Wenn die Gasspannung auch 3000 Atmo-
sphären beträgt, so haben weitgehende Dauerversuche bewiesen, dafs
die hohe Spannung keinen nachteiligen Einflufs auf das Gewehr
ausübt. Das nur durch das gröfsere Korn sich auszeichnende
Geschützpulver ergiebt die gleiche Geschwindigkeit, wie die Schwarz-
pulverpatrone mit einem halb so grofeen Ladungsgewicht. Die
Präzision ist sowohl beim Gewehr als beim Geschütz eine aufser-
ordentlich gesteigerte. — Es erscheint danach das Schwab-Kubin'sche
rauchlose Pulver in einem sehr günstigen Lichte, wir haben keinen
Grund, die Darstellung mit Mifstrauen anzusehen, wenn wir auch
das Urteil über die anderen Pulverarteu mit Vorbehalt wiedergeben.
Die klare und präzise Art der Darstellung, welche die beiden Auf-
sätze der » Reichswehr« auszeichnet, erscheint sehr geeignet, zur
Klärung der Anschauungen über die Natur des rauchlosen Pulvers
beizutragen.
Über Versuche mit einer 15 cm Schnellfeuerkanone des
Systems Canet in Sevran-Livry berichtet die »Revue d'artillerie«
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Umschau auf milit&r-tecbnischem Gebiet.
April-Heft. Es kamen 40 kg schwere Geschosse zur Verwendung,
die mit der Messinghulse der Ladung in Verbindung standen; die
Ladungen, aus rauchlosem Pulver (Poudre B. N.) bestehend, wurden
elektrisch entzündet, sievariirten in dem Gewicht zwischen 8 und 15 kg.
Die ganze Patrone wiegt bei 15 kg Ladung 67,4 kg, das Gewicht
der Messinghülse betragt alsdann 12,4 kg. Die grofete Ladung
verleiht dem Geschofe eine Mündungsgeschwindigkeit von 838 m, bei
einem Gasdruck von etwa 2900 Atmosphären. Die lebendige Kraft
an der Mündung beträgt 1430 m, laut Rechnung würden 40 cm
Plattenstarke durchschlagen. Der Rücklauf beträgt nicht über
550 mm. Bei 8 kg ist Geschwindigkeit 495 m, Gasdruck 653 Atmo-
sphären, bei 10 kg 583 m beziehungsweise 990 Atmosphären, bei
12 kg 684 m beziehungsweise 1770 Atmosphären, bei 14 kg 773 m
beziehungsweise 2644 Atmosphären.
Nach der Ende Mai d. J. genehmigten deutschen Schiefs-
vorschrift für die Feld -Artillerie trägt das schwere Feld-
geschütz die Bezeichnung C/73. 88. Die Änderungen beziehen
sich nicht auf die ballistischen Verhältnisse, sondern auf die Ent-
zündnngsweise der Ladung; in Stelle der Reibschlagröhre ist die
Entzündung durch ein Zündhütchen und ein einfaches Schlagschlofe
getreten. Die Geschofs-Ausrüstung besteht aus der Granate C/82
mit Aufschlagzünder, dem Shrapnel C/82 mit Shrapnelzünder
C/83 beziehungsweise Doppelzünder C/86, der Sprenggranate mit
Doppelzünder und der Kartätsche. Die Sprenggranate ist mit
einem brisanten Sprengstoff gefüllt; sobald dieselbe beim Aufschlag
krepiert, gehen die Sprengstücke nach allen Seiten aus einander;
krepiert sie aber in der Luft, so verbreiten sich die Sprengstücke
zum gröfeten Teile unter einem sehr stumpfen Kugel winkel nach
vorwärts. In jedem Falle soll die Sprenggranate durch die sehr
grofee Zahl ihrer Splitter wirken. Die Richtung der Sprengteile
der Sprunggranate mit Brennzünder befähigt sie besonders, Ziele
dicht hinter Deckungen zu treffen, sodafe sie eine dem Mörser
ähnliche Wirkung gegen lebende Ziele auszuüben vermag, voraus-
gesetzt, dafe diese nicht gleichzeitig von oben her gedeckt sind.
Ob damit der Feldmörser entbehrlich wird, ist also nicht aus-
gesprochen; es mufs sogar bezweifelt werden, sobald es sich um
solid verstärkte Positionen handelt. Das Einschielsen mit Spreng-
granaten gegen gedeckte Ziele erfordert ein genaues Regeln der
Sprengweiten und ist jedenfalls mit Schwierigkeiten verknüpft.
Gegen freistehende Ziele kann man die Sprenggranaten sowohl mit
dem Aufschlag-, als mit dem Brennzünder anwenden. — Beim
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Umschau anf milittr-technischem Gebiet. 327
Shrapnel mit Doppelzunder findet das Einschieben stets unmittelbar
statt, eine Benutzung der Granate zu dem Zwecke unterbleibt. —
Bei Benutzung von Brisanzgranaten, zu deren Klasse die Spreng-
granaten gehören, erwächst durch etwaige Rohrkrepierer eine grofse
Gefahr, indem die Gase des brisanten Mittels das Geschützrohr aufs
äufeerste angreifen. Nach Versuchen sollen in solchem Falle Stahl-
rohre leicht springen, Bronzerohre nur schwer beschädigt werden.
Wenn daher bei Friedensübungen ans Vorsicht Bronzerohre statt
der normalmäfsigen Stahlrohre zum Schieben mit Sprenggranaten
benutzt werden, so ist dies keine Rückkehr zum Bronzerohr, wie
man es zeitweise in der Presse hingestellt hat. Im Kriegsfälle
würde man sich über den Übelstand hinaussetzen, jedenfalls liegt
kein Grund vor, dem Stahl aus diesem Grunde zu entsagen. Alle
Nachrichten dieser Art waren unbegründet.
Uber das belgische Repetiergewehr M/89 finden sich in
der »Belgique militaire« Nr. 992 und 994 nähere Angaben, anf
welche wir zur Ergänzung beziehungsweise Berichtigung früherer
Mitteilungen zurückkommen. Die Einrichtung hat mancherlei
Analogie mit derjenigen des deutschen Gewehrs 88. Wir finden
die Doppelbewegung des Verschlusses, den Kasten für 5 Patronen
unter dem Verschlufegehäuse, sowie den Laufmantel. Das Kaliber
ist 7,65 mm, die 4 rechtsgängigen Züge haben eine Breite von
4.2 mm, eine Tiefe von 0,35 mm, die Felderbreite ist 1,55 mm, die
Länge der Windung 250 mm. Der Laufmantel ist durch 2 zuaaramen-
gelötete Teile gebildet, er trägt das Visier und das Korn und über-
nimmt durch 2 Gewehrringe die Verbindung des Laufes mit dem
Schafte. Der Verschlufscy linder hat ein doppeltes Widerlager, er
trägt den Auszieher und hat am hintern Ende den seitlich vor-
springenden Griff. Die Schlofsteile sind: Schlagbolzen, Schlöfschen,
Schlöfschency linder, Sicherung; die letztgenannte hemmt im Bedarfs-
falle nicht nur die Bewegung des Schlagbolzens, sondern stellt auch
den Verschluss fest Die Seitenwände des Kastens sind elastisch
und nach innen umgebogen, wodurch das unfreiwillige Heraustreten
der Patronen verhindert wird. Die Zufuhrung der Patronen
bewirkt ähnlich wie beim österreichischen Gewehr ein gelenkartiger
Doppelhebel. Ein stählerner Rahmen hält jedesmal fünf Patronen
mit einander in Verbindung. Der gefüllte Patronenrahmen wird
aber nicht in den Kasten eingebracht, sondern es werden aus dem
auf letzteren aufgesetzte Rahmen die Patronen mit der Hand in
jenen hineingedrückt, wobei die Umbiegungen der Kastenwände in
Folge der Federung nachgel)en. Der aufserhalb verbliebene Rahmen
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328
Umschau auf militÄr-technUchem Gebiet
wird vom vorgehenden Verschlufecylinder ausgeworfen. Der Kasten
läfet sich nötigenfalls mit einzelnen Patronen laden, nach Bedarf
lassen sich Patronen iu denselben nachfüllen. Eine Patronen sperre
ist nicht vorhanden, weshalb ein Einzelladen in den Lauf nur bei
leerem Kasten angänglich erscheint. — Die Patronenhülse ist, wie
früher erwähnt, ohne vorstehenden Rand und behufs Ausziehens
mit Eindrehung versehen. Das Gewehr ist ohne das Dolchbajonett
1,275 m lang, mit demselben 0,25 m länger. Das Gewicht des
Gewehrs ohne Patronenfüllung beträgt 3,9 kg, mit 5 Patronen ge-
laden 4,043 kg, durch das Bajonett steigert sich das Gewicht um
0,37 kg.
In Nr. 994 der »Belgique militaire« finden sich Angaben über
Vergleichsversuche zwischen dem Repetiergewehr und dem
Gewehr der Bürgergarde System Comblain in Bezug auf
Eindringungstiefen in verschiedenen Mitteln. Die Ladung des
Repetiergewebrs wird zu 3 g rauchlosen Pulvers, das Gewicht seines
Geschosses zu 14 g angegeben, letzteres, mit Nickelmantel und
Weich bleikern, erlangt eine Geschwindigkeit von 620 m. Das
Comblain-Gewehr hat 5 g Schwarzpulver als Ladung. Die Schufe-
entfernung war 50 m. Das Geschofe des Repetiergewehrs durch-
schlug 30 bis 32 Bretter aus kanadischem Pappelholz von 3 cm
Stärke, das Geschofs des Comblain-Gewehrs blieb im 8. Brett
stecken. Das erstere zeigte nicht die mindeste Veränderung durch
den Schüfe. Dasselbe durchschlug ferner ein Kesselblech von 10 mm
Stärke und hinterliefe eine runde Öffnung von 11 mm Durchmesser;
das Comblain-Geschofs durchschlug ein Kesselblech von 4 mm, die
Öffnung hatte 20 mm Durchmesser. In Erde von fester Lagerung
verursachten die Geschosse des Repetiergewehrs Trichter von 20 cm
Tiefe und 10 cm Durchmesser, sie selber waren auf 25 cm einge-
drungen, wurden vollständig zerstückelt, Blei wie Mantel in Späne
zerrissen vorgefunden. Das Verhalten gegen Erde ist also sehr
ungünstig und steht in keine Übereinstimmung mit den Angaben,
welche die deutsche Schiefsvorschrift über das Verhalten der Ge-
schosse des deutschen Gewehrs 88 in Erde macht. Nicht ausgeschlossen
erscheint es, dafe das Weichblei des Kerns am ungünstigen Ver-
halten des belgischen Geschosses die Schuld trägt. Auch die An-
gaben des Stabsarzt Bruns in »die Geschofswirkung der neuen
Kleinkaliber-Gewehre« lauten in Bezug auf das Verhalten der belgischen
Geschosse gegen Erde ungünstig; eine weitere Versuchsreihe bleibt
abzuwarten.
Umschau auf militir-technischem Gebiet. 329
Die Nr. 993 der »Belgique militaire« bringt Angaben über ein
Gewehr und eine Patrone des Lieutenant Marga, sowie über Ver-
suche mit solchen, die erstaunliche Ergebnisse geliefert haben.
Es ist die Rede von Geschwindigkeiten bis zu 800 m und mehr.
Das Geschofe soll die Stahlmantelgeschosse in seinem Verhalten
erheblich übertreffen. Schon vor Abschlufs der belgischen Gewehr-
Versuche hatte von dem Margan-Gewehr verlautet, indes erschien
dasselbe zu spät für den Wettbewerb. An einen Erfolg dürfte daher
wohl zunächst nicht zu denken sein. —
Die » Revue d'artillerie« beginnt im Juliheft eine Artikel-Reihe:
»Les armes ä repetition ä l'etranger,« welche zunächst die Ab-
änderungen des italienischen und des niederländischen Ordonnanz-
Gewehrs zum Mehrlader nach dem System Vitali behandelt. In
Bezug auf den niederländischen Mehrlader Beaumont -Vitali
sei zu Früherem ergänzend hinzugefügt, dafs der Lader 4 Patronen
enthält, das Gewehr ohne Bajonett 4,52 kg wiegt, die Patrone,
welche ein Gewicht von 43 g besitzt, das Schwarzpulver beibehält.
Die Anwendung flüssiger Kohlensäure als Treibmittels
bei Handfeuerwaffen ist von einem französischen Techniker
Paul Giffard zunächst bei Privatgewehren verwirklicht worden.
Die Handelskammer von St. Etienne hat dem Erfinder einen Geld-
preis und eine goldene Medaille als Anerkennung zu Teil werden
lassen. Das französische Kriegs-Ministerium soll die Übertragung
auf Kriegsfeuerwaffen ins Auge gefafst haben. In Brüssel hat ein
Beauftragter des Erfinders mit einer dem Verfahren aDgepafsten
Chassepot-Büchse ein Schiefsen veranstaltet, dem auch der belgische
Kriegsminister anwohnte, letzterer will nach der »Belgique militaire«
eine 8 mm Terssen-Büchse behufs Umformung nach dem System
Giffard zur Verfügung stellen. Bekanntlich ist die flüchtige Kohlen-
säure der Hauptbestandteil der treibenden Gase, welche sich aus
den verschiedenen Pulverarten entwickeln. Beim Giffard-Gewehr
wird sie unmittelbar dem Laufe zugeführt und zwar durch einen
vertauschbareu Behälter, aus dem die Flüssigkeit tropfenweise in
die Bohrung des Laufes tritt, wo sie sich sofort in Gas verwandelt.
Der Behälter wird ähnlich am Gewehr angebracht, wie jetzt z. B.
der Patronenrahmen. Die genaue Abmessung der Quantität müfste
eine vollkommene Präzision des Schusses im Gefolge haben.
Die bisherige Art der Erzeugung kohlensaurer Treibgase im
Wege des Verbrennungsprozesses hat zudem eine Menge Nachteile
im Gefolge, die jetzt wegfallen würden, wie Erhitzung des Laufes,
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330 Umschau aof militär-technischem Gebiet.
Verunreinigung, Bildung von Rauch und sonstigen lästigen Pro-
dukten, Gefährlichkeit. Es kann auch keine Verschlechterung der
treibenden Materie in Folge längerer Aufbewahrung eintreten.
Zweifellos würde man sehr rasch feuern können und ist der
Preis des Treibmittels ein sehr geringer. An sich ist der
Oedanke jedenfalls ein gesunder, indes scheint bis jetzt die
entwickelte Kraft des Geschosses eine sehr geringe gewesen zu sein;
es fragt sich auch, ob mit Abnahme der Kohlensäure im Behälter
die Kraft nicht allmählich geringer wird. Jedenfalls läfst sich
zur Zeit über die Sache noch kein auch nur annäherndes Urteil
fällen.
Im 3. Heft des 74. Bandes (S. 381) hatten wir über Schiefs-
versuche des Grusonwerks nach den beiden zuerst ausgegebenen
Berichten (Nr. 1 und 2) Mitteilungen gemacht. Der Bericht
Nr. 3 setzt die in jenen behandelten Schieisversuche mit der 12 cm
Schnellfeuerhaubitze in Panzerlaffete fort und enthält ins-
besondere die Trefffäbigkeits-Ermittelungen beim Schieten mit an-
gehobener Panzerdecke. In solchem Falle kann bei Änderung des
Ziels die Seiteurichtung schneller gewonnen werden, da die sonst
zum Heben der Panzerlaffete erforderliche Zeit in Wegfall kommt.
Auch bei angehobener Pauzerdecke erwies sich die Trefffahigkeit
als eine gute. Nach früheren Mitteilungen beläuft sich die Feuer-
geschwindigkeit auf 12 bis 15 Schills in der Minute; es kann
danach ein Schnellfeuergeschütz vier bis sechs langsamfeuernde er-
setzen. Die Stellung ist eine fast unverwundbare, nur Volltreffer
von Wurfgeschützen grofeen Kalibers sind im Stande gegen Geschütze
in Panzerlaffeten zu wirken.
Nach Bericht Nr. 7 fanden mit einer Panzerlaffete für
eine 15 cm Haubitze Versuche statt. Man wollte die Laffete in
Bezug auf ihre Haltbarkeit und auf die Trefffahigkeit der Haubitze
prüfen. Bei der einen Schufsserie lag die Panzerdecke während
des Schiefsens auf dem Vorpanzer auf, bei der anderen war die
Panzerdecke etwa 5 mm über den Vorpanzer angehoben. Bei beiden
Serien war die Trefffahigkeit der Haubitze eine sehr gute, sodafs
der Anwendung der zweiten Lage beim Schiefsen als Regel Nichts
im Wege steht. Nach der Schufetafel zeigt dieselbe Haubitze in
Räderlaffete eine weniger gute Trefffahigkeit als in Panzerlaffete,
letztere hat auch nach Abgabe von 175 Schüfe keine Veränderung
gezeigt und entsprach in jeder Hinsicht den an sie gestellten An-
forderungen. Zur Bedienung der Panzerlaffete genügen 4 Mann,
von denen 3 in dem Geschützraum zum Laden, Richten und Abfeuern
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Umschau auf militär-technischem Gebiet.
331
der Haubitze erfordert werden, der 4. im unteren Raum das Heben
und Senken der Panzerlaffete bewirkt und den Geschofsaufzug
bedient. Bei etwa 15 Grad Erhöhung befindet sich die Haubitze
in Liadestellung. Die Verwendbarkeit des gröfseren Haubitzkalibers
in Panzerlaffete erscheint als eine wesentliche Stärkuug der Ver-
teidigung.
Der Bericht Nr. 4 enthält die Versuche mit einer 8,2 cm
Schnellfeuerkanone L/35 in Mittelpivotlaffete. Das Gruson-
werk war, soweit bekannt, bisher mit seinen Konstruktionen von
Schnellfeuerkanonen nur bis zum 5,7 cm Kaliber hinaufgegangen ;
jetzt schliefst es sich also der ansteigenden Richtung an, welche
bezüglich der Ausdehnung der Kaliber dieser Geschützart herrscht.
Das Rohr der 8,2 cm Schnellfeuerkanone L/35 ist von geschmiedetem
Tiegelstahl und als Mantelringrohr konstruiert, der Verschluss ist
der Gruson'sche Patent -Verschlufs; das Gewicht des Rohrs beträgt
605 kg. Man hat bisher nur stählerne Panzergranaten L/2,9 von
7 kg Gewicht versucht. Das Geschütz feuert mit gasdichten
Einheits-Kartuschen. An Pulversorten kamen folgende rauchende
zur Verwendung: Grobkörniges Pulver von 4 — 9 mm Körnergröfee,
prismatisches Pulver C/68, Würfelpulver von 10 — 13 mm Seiten-
länge, desgleichen von 10 mm Seitenlänge und grobkörniges Geschütz-
Pulver G/86; außerdem feuerte man mit rauchlosem Pulver
C/89 in Würfeln von 5 mm Seitenlänge. Die Laffete besteht aus
einem feststehenden Bock, auf welchem die mit Gleitbahn ver-
sehene Unterlaffete drehbar ist. Auf der Gleitbahn bewegt sich der
Rohrträger mit dem Rohr; ein in der Unterlaffete gelagerter
Bremscylinder hemmt den Rücklauf des Rohrträgers. Die Laffete
ist mit einem Schild von 15 mm Stärke versehen, welcher gegen
Gewehrfeuer und Shrapnelkugeln, sowie gegen Sprengstücke und
Geschosse der Schnellfeuerkanonen kleineren Kalibers Sicherung
gewähren soll. Das Geschütz wird durch 3 Mann bedient Die
Ladung von 2,50 kg grobkörnigem Geschütz-Pulver C/86 ergiebt
680 m Geschofsgesch windigkeit bei einem Gasdruck von 2740 Atmo-
sphären; 1,25 kg des rauchlosen Pulvers ergeben 692 m beziehungs-
weise 2328 Atmosphären. Die lebendige Kraft auf 1 kg Ladung
betrug im ersten Falle 65,99, im zweiten 136,68 mt, auf 1 kg Rohr-
gewicht 0,273 beziehungsweise 0,282 mt. Die andern rauchenden
Sorten blieben in der Geschofsgeschwindigkeit erheblich zurück,
ergaben dann auch entsprechend geringere Gasdrucke. Mit rauchen-
dem Pulver wurden im Schnellfeuer einmal 24 Schüsse in 60 Se-
kunden, ein anderes Mal 20 Schufs in 49 Sekunden abgegeben.
JM,rl.r.rl or fHr 6i* DeuhKho Armee oc4 Marin«. M. 1.IXVI . 3. 03
332
Umschau auf milit&r-techniachem Gebiet.
Der Rücklauf betrug iu einem Falle 15 cm. Das allgemeine Ver-
halten des Geschützes war ein günstiges, die Trefffahigkeits-
Ermittelungen sind erst in den Anfangsstadien.
Der Bericht Nr. 5 enthält Versuche mit rauchlosem
Pulver C/89 (Ballistit). Die Ergebnisse sind in einer Tabelle zu-
sammengestellt, aus welcher ersichtlich ist, dafe die Verwertung
des Pulvers C/89 pro Kilogramm Ladung eine 3 bis 4 mal grofsere
iat als die der älteren Pulversorten. Das Pulver C/89 entwickelt
schwach bräunliche Nebel, die jedoch so dünn sind, dafs unmittel-
bar nach erfolgtem Schüfe wieder gerichtet werden kann, da das
Ziel deutlich sichtbar bleibt. Selbst bei starkem Regenwetter ver-
zogen sich diese bräunlichen Nebel innerhalb dreier Sekunden voll-
ständig, während der vom Schwarzpulver herrührende Pulverrauch
längere Zeit vor dem Geschütz lagerte und ein schnelles Richten
unmöglich machte. Das Pulver C/89 hinterläfst beim Verbrennen
so wenig Rückstand, dafs die Seele des Rohres fast rein bleibt; auch
die Erwärmung von Rohr und Patronenhülse ist merkbar geringer
als beim Schwarzpulver.
Es kamen folgende Geschütze zur Verwendung: a) Schnell-
feuerkanonen — 3,7 cm L/23 in Feldlaffete, 5,3 cm L/24 in
Bockpivotlaffete, desgleichen L/30 in Feldlaffete, desgleichen L/40
in Schiffslaffete, 5,7 cm L/25 in Bockpivotlaffete, 7,5 cm L/25
in Kasemattenlaffete, 8,2 cm L/35 in Schiffslaffete, b) die 12 cm
Schnellfeuerhaubitze L/12 in Feldlaffete, c) der 12 cm Kugel-
mörser im Panzerstand. Es kam rauchloses Pulver iu Würfeln
von l, 2, 3, 4, 5 mm Seitenlänge zur Anwendung; zu Gegen-
proben dienten: Gewehr-Pulver, grobkörniges Pulver von 3—7 mm,
desgleichen von 4—9 mm, grobkörniges Geschütz-Pulver C/86, end-
lich feinkörniges Geschütz-Pulver.
Bei der 3,7 cm Schnellfenerkanone standen sich rauchloses
Pulver von 1 mm und Gewehr-Pulver gegenüber, vom ersteren er-
geben 0,025 kg 369 m Geschwindigkeit, 970 Atmosphären Gasdruck,
vom letzteren 0,070 kg 390 m beziehungsweise 1690 Atmosphären —
0,035 kg des ersteren, 0,08 des letzteren ergeben auf 1 kg Ladung
153,34 beziehungsweise 48,87 mt an lebendiger Kraft (Mündung),
bei Gasdrücken von 1992 beziehungsweise 1844 Atmosphären, auf
1 kg Rohrgewicht bezogen 0,145 beziehungsweise 0,105 mt. Ähnlich
wie bei den Krupp'schen Versuchen (vergl. Bd. 75 Heft 3 S. 403)
finden wir die erheblich gröfsere Ergiebigkeit des rauchlosen Pulvers
nachgewiesen, unter Voraussetzung gleicher Leistung aber einen
wesentlich verringerten Gasdruck.
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Umschau auf railitär-techrmchem Gebiet.
333
Bei der 5,3 cm Schuellfeaerkauone L/24 ist dem rauchlosen
Pulver von l*/a nim das grobkörnige Pulver von 4— 9 mm gegen-
über gestellt. Auf 1 kg Ladung ergeben 0,14 kg des ersteren
158,78 mt, 0,365 kg des letzteren aber nur 40,3 mt lebendiger Kraft;
auf 1 kg Rohrgewicht ergaben sich in beiden Fällen 0,157 beziehungs-
weise 0,104 mt. Auf 1 kg Rohrgewicht ergeben 0,11 kg rauchloses
Pulver 0,11 mt an lebendiger Kraft, 0,365 des grobkörnigen Pulvers
0,104 mt, die Gasdrucke sind in beiden Fällen 1486 beziehungsweise
1896 Atmosphären, also beim rauchlosen Pulver unter besserer
Leistung ganz erheblich geringer.
Bei der 7,5 ein Schnellfeuerkanoue ergeben 0,60 kg rauchlosen
Pulvers von 3 mm 503 m beziehungsweise 1936 Atmosphären,
0,65 kg von 4 mm 498 ni beziehungsweise 1604 Atmosphären. Man
ersieht den Einflufs der wachsenden Gröfse des Würfels auf die
Schonung des Rohrs. — 0,75 kg rauchlosen Pulvers von 4 mm er-
geben 560 m, beziehungsweise 2287 Atmosphären, 1,5 kg grob-
körnigen Geschütz-Pulvers C/86 538 m beziehungsweise 2547 Atmo-
sphären, lebendige Kraft auf 1 kg Ladung 127,86 beziehungsweise
59,01 mt, auf 1 kg Rohrgewicht 0,278 beziehungsweise 0,256 mt.
Das aus neuerer Zeit stammende rauchende Pulver zeigt sich hier
nicht in dem Mafse ungünstig wie die älteren Sorten.
Beim 12 cm Kugelmörser ergaben 0,24 kg rauchlosen Pulvers
von 1 mm 223 m beziehungsweise 1051 Atmosphären, 0,50 fein-
körnigen Geschütz-Pulvers 178 m, 1352 Atmosphären, lebendige Kraft
auf 1 kg Ladung 41,57 beziehungsweise 26,48 mt. Beim Mörser
sind die ballistischen Verhältnisse für das rauchende Pulver weniger
ungünstig, als bei den längeren Geschützen, was mit sonstigen Er-
fahrungen hinsichtlich des Einflusses der Rohrlänge auf die Ergiebig-
keit des rauchlosen Pulvers übereinstimmt.
Der Bericht Nr. 6 behandelt die Schiefsversuche mit einer
7,5 cm Schnellfeuerkanone L/25 in Kasemattenlaffete. Das
Rohr ist aus geschmiedetem Tiegelstahl und Mantelrohr, wiegt
345 kg, der Verschlufs ist der erwähnte patentierte des System
Gruson; Liderung durch die Patronenhülse, das Abfeuern mittelst
der Abzugsschnur. Die Geschosse sind die Granate L/3,2, das
Shrapnel und die Kartätsche; die ersteren beiden Geschosse wiegen
jedes 6 kg, das Shrapnel hat 200 Füllkugeln, die Kartätsche
204 Füllkugelu, das Gewicht der Kartätsche ist 7,2 kg. Granaten
und Shrapnels haben Kupferführung und Eisenzentrierung. Geschofs
und Ladung sind durch die Messinghülse zu einer Patrone ver-
bunden; die Ladungen bestehen ans verschiedenen Pulversorten.
2.'i*
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334
Umschau auf militar- technischem Gebiet
Das Kohr ruht in einem Rohrträger, der auf einer Unterlaffete
gleitet, die drehbar auf einem feststehenden Bocke ruht. Ein an
der Unterlaffete angebrachter Bremscylinder hemmt den Rücklauf
des Rohrträgers auf höchstens 12 cm. Zum Nehmen der Höhen-
richtung dient eine Zahnbogen-Richtmaschine. Das Rohr kann bis
12 Grad eleviert und bis 5 Grad gesenkt werden. Das Gewicht der
Laffete ist 1105 kg. Zur Bedienung sind 2 Mann erforderlich,
davon der eine lediglich das Einlegen der Patronen ins Rohr besorgt.
An rauchenden Pulversorten kamen zur Verwendung:
2 Arten grobkörniges Pulver, die eine von 4 — 9, die andere von
3—7 mm Körnergröfse, 2 Arten Würfelpulver, die eine von 10— 13mm,
die andere von 10 mm Seitenlänge, endlich grobkörniges Geschütz-
Pulver C/86; an rauchlosen Sorten war nur rauchloses Pulver C/89
in Würfeln von 4 mm Seitenläuge in Frage. Von jeder einzelnen Sorte
kamen verschiedene Ladungen vor. Bei den samtlichen rauchenden
Sorten kehrte die Ladung von 1,5 kg wieder; hinsichtlich der Ge-
schwindigkeit verhielt sich hier das grobkörnige Geschütz-Pulver
C/86 am günstigsten mit 538 m, am wenigsten günstig verhielten
sich die beiden Sorten Würfel-Pulver mit 397 und 416 m, das
letztere erzielte die geringsten Gasdrucke, 1355 und 1249 Atmo-
sphären, die gröfsten Gasdrucke dagegen das grobkörnige Pulver
mit 2663 und 3204, grobkörniges Geschütz-Pulver C/86 ergab
2547 Atmosphären. Vom rauchlosen Pulver C/89 ergaben 0,7 kg
529 m, 0,75 kg 560 m Geschwindigkeit und Gasdrucke von 1936
beziehungsweise 2257 Atmosphären. Wir erkennen hier wieder die
grofse Ergiebigkeit des rauchlosen Pulvers bei mäfsigem
Gasdruck. Auf das Kilogramm des Rohrgewichts entfielen mit
0,75 kg rauchlosen Pulvers 0,278 mt lebendiger Kraft, mit 1,5 kg
rauchenden Pulvers zwischen 0,257 und 0,14 rat. Am günstigsten ver-
hielt sich von letzterem wieder das grobkörnige Geschütz-Pulver C/86,
am wenigsten günstig das Würfel-Pulver. Die Treffbilder Bind nur
mit rauchenden Pulversorten erschossen und zeigen keine Besonder-
heiten. Rohr und Laffete verhielten sich gut, die Patronenhülsen
wurden stets energisch aus dem Rohr geworfen, die Dichtung war
einwandfrei; sämtliche Hülsen erwiesen sich als wiederverwendbar.
Die Feuergeschwindigkeit schwankte bei den rauchenden Pulver-
sorten zwischen 20 und 26 Schufs in der Minute; von rauchlosem
Pulver liegen keine Daten vor. Sch.
Digitized by CiOOQlc
XIX. Umschau in der Müitär-Litteratur.
I. Ausländische Zeitschriften.
Organ der mllitär- wittenschaftllchen Vereine (öfterreich.). 6. Heft:
Die ersten Feldzüge der französischen Revolution. 1792 und 1793. Der
Feldzug 1793. Von A. Minanelli-Fitzgerald, k. und k. Hauptmann des
Generalstabs. — Tagesfragen auf dem Gebiete des Waffen- und Schiefs-
wesens. Von N. Ritter v. Wuich, Oberstlieutenant.
Streif leur't österreichische militärische Zeitschrift. (Juni.) Die Schlacht
bei Austerlitz. — Schiefsen gegen Ziele in Bewegung. — Die deutsche
Kriegsmacht seit dem Herbste 1889. Von J. Schott, Major a. D. (Aus
„Unsere Zeit"). — Aus dem Buche vom Offizier. — Der Melde- und
Befehlstil. — Die vorhandenen Waffen im Gefecht.
Mitteilungen über Gegenstande des Artillerie- und Genie -Wesens
(Österreich.). 6. Heft: Russische Ansichten und Vorschläge in Bezug auf
den gegenwärtigen Stand der Fortifikation. — Übersicht der Versuche auf
dem Gebiete des Artillerie- und Waffenwesens im Jahre 1889.
Die Reichswehr (Österreich.). Nr. 136: Udine und Montecitorio.
D. R. giebt ihrer Befriedigung Ausdruck über die in Görz und Udine
neubesiegelte Waffenbrüderschaft der k. u. k. Armee und des italienischen
Heeres, und die sympathische Stellung der italienischen Militärpresse ;
um so mehr sei es geboten, gegen die revolutionären Umtriebe der irre-
dentistischen Partei, des Feindes des Dreibundes, energische Mafsregeln zu
ergreifen. — Eisenbahn-Verköstigungs-Stationen. — Nr. 137: Ein
schlechter Tausch. Bezieht sich auf das deutsch-englische Abkommen ;
der Besitz von Helgoland sei viel zu teuer bezahlt durch Hingabe grofser
Landkomplexe, weit bedeutsamer sei noch die Anerkennung des englischen
Protektorates über Sansibar. — Nr. 138: Stillstand oder Fortschritt.
Betont wird die Notwendigkeit der Bewilligung fernerer grofser Forde-
rungen der Heeresverwaltung, damit das Diktum wahr bleibe: Austria
erit in orbe ultima. — Nr. 139: Major Panitz a. D. R. tadelt, dafs
Fürst Ferdinand nicht im Lande war, wahrend ein Akt strafender
Gerechtigkeit an diesem hochverräterischen Offizier vollzogen wurde ; es sei
der gröTste Fehler, den die Regierung des Koburgers je beging. — Nr. 140 :
Bemerkungen zur neuen Instruktion für die Waffenübungen. — Nr. 141:
Honved-Herbstmanöver. Sämtliche Truppenkörper der Honved werden
336 Umschau in der Militär-Iiitteratnr.
an solchen Teil nehmen, die des I. und III. Honved-Distriktes auch an
den Schluß-Manövern des 6. und 7. Corps bei Mezö-Telegd.
Militär-Zeitung (Österreich.). Nr. 43/44: Custozza. Erinnerungen
an den 24jährigen Gedenktag dieses glänzenden Sieges und kurze Dar-
stellung der bezüglichen Ereignisse. — Probeschiefs en mit dem rauch-
losen Pulver. Bei dem am 18. Juni stattgehabten Probeschiefsen ergab
sich, dafs der Rückstofs ein stärkerer sei wie beim Schiefsen
mit den alten Patronen. Beim Schiefsen auf 8 10 cm dicke, mit
einander verbundene Eichenpfosten ergab sich, dafs die Geschosse 54 cm
tief in das harte Holz gedrungen waren ; es wurde ferner konstatiert, dafs
das neue Pulver einen kaum merkbaren Genich hatte. — Nr. 45: Die
deutsche Militärvorlage im Reichstage. Anerkennende Besprechung
der jüngsten Debatten im deutschen Reichstage, die „einen wahrhaft er-
frischenden Eindruck von Kraft bewufstsein der Regierung wie auch der
Volksvertretung üben.* 1 — Nr. 46: Friedenspräsenzstlirke. — Der mili-
tärische Wert Helgolands. — Nr. 47: Über die Präsenzdienstzeit.
Das Rütteln an derselben wird als unbegründet bezeichnet und bedeute
bei den heutigen militilr-politischen Zuständen eine Gefahr.
Armeeblatt (ölterreieh.). Nr. 26: Das Kriegs- Budget. Der Be-
friedigung der Armee über die Stellung des Kriegsrainisters in den Ver-
handlungen der Delegationen wird Ausdruck gegeben, namentlich be-
treffend die in Aussicht gestellte Erhöhung des Präsenzstandes. Wer eine
kräftige Politik verlange, dürfe an den Bedürfnissen der Wehrkraft des
Staates nicht engherzig knausern! — Nr. 27: Militärische Kapitel.
Nachtmanover, Millionen-Heere. — Nr. 28: Graf Nie. Pejacsevies f. Der
Verewigte, kommandierender General und Kommandant des 4. Corps in
Budapest, war am 27. Juli 1S33 geboren, schon mit 31 Jahren Oberst
und Commandeur des Hus.-Regts. Nr. 9, mit dem er am Feldzuge gegen
Dänemark Theil nahm. Bei Königgrätz verlor er einen Arm. Am
13. Juli 1886 wurde er, nach Pensionierung des Baron Edelsheim, mit
dem Kommando des 4. Corps betraut. Die österreichisch-ungarische Ka-
vallerie verliert in ihm einen ihrer erprobtesten Führer.
Journal des SCiences militaires. (Juni.) Taktik der Verpflegung
(Fortsetzung). — Bemerkungen über die Reorganisation der Armee (Fort-
setzung): Die Artillerie eines Armee-CorpB von 3 Divisionen. — Die Ka-
vallerie im Kriege der Neuzeit (Schlufs). — Der Feldzug von 1814 (Fort-
setzung): Die Kavallerie der Verbündeten während des Feldzuges von
1814. — Islj: Oberst Morris und das 2. Regiment der Chasseurs d'Afrique.
— Erinnerungen an den Feldzug in Tonkin (Fortsetzung). — Pajol
(Schlufs).
Revue militaire universelle. (Mai.) Dem 5. Teile dieser Monats-
schrift entnehmen wir folgende Zahlen über die Effektivstärke für 1891:
26,934 Offiziere, 520,548 Mann, 142,890 Pferde. Dies bedeutet gegen
früher eine Vermehrung um 1,038 Offiziere, 16,899 Mann, 4,569
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Umschau in der Militir-Litteratur.
337
Pferde. R. m. u. meint, ihre Leser würden „mit Befriedigung" von
dieser steigenden Vermehrung der National -Armee Kenntnis nehmen. —
Die Armee-Corps-Commandeure. Dieselben sind ausnahmslos aus
einer Militär-Schule hervorgegangen; Jamont und Ferron aus der „Ecole
polytechnique", die übrigen aus St. Cyr. (Mit dem „Marschallsstab in
der Patrontasche" des französischen Soldaten ist's also nichts mehr ! D. L.)
Revue du cercle Ulllltaire. Nr. 25: Der serbisch-bulgarische Krieg
1885. — Die Befestigungen von Saint- Maurice. — Die maritime Ver-
teidigung Englands und seiner Kolonien (Schlufs). — Nr. 26: Noch ein
Wort über den serbisch-bulgarischen Krieg. — Bemerkungen über einen
Anzeiger -Apparat beim Scbiefsen. — Mobilmachung der Flotte. Am
20. Juni erging an die Prüfekten von Cherbourg, Brest, Lorient und
Rochefort der telegraphische Befehl zur schleunigen Ausrüstung einiger
Schiffe, behufs Verstärkung des Mittelmeer-Geschwadors und der Panzer-
Division des Nordens während der grofsen Manöver. Die 4 Divisionen
zählen zusammen 36 Fahrzeuge, von denen 12 Panzerschiffe, darunter 7
der „neuen Flotte". — Nr. 27: Erörterungen über die zweijährige Dienst-
zeit in Deutschland. — Die Gebirgs -Artillerie. — Die chinesische
Marine.
Revue de Cavalerle. (Juni): Pajol (mit Porträt) von General Thouraas.
— Die deutsche Kavallerie (Fortsetzung). — Regimentsgeschichten der
französischen Kavallerie: Das 4., 5. und 6. Husaren-Regiment. — Über
das gut zugerittene Pferd.
Revue de l'intendaece militaire. (Mai — Juni): Der Wein. Eine
Geschichte desselben, seine Verbreitung und Kultur. — Der Kaffee auf
dem französischen Markt. — Das Mahlen mit Cylindern. — Geschichte
und Verwaltung.
L'Avenir militaire. Nr. 1485: Das rauchlose Pulver. Dieser Auf-
satz betont, die Zukunftsschlacht werde ein langes Artillerie-Duell sein f
gefolgt von dem Hin- und Herwogen zweier sich auf 800 m bekämpfender
Schützenlinien. Es wird dann die Frage aufgeworfen, in welcher For-
mation die rauchlose Zone der Gefahr durchschritten werden soll, Behufs
Einbruch in die feindliche Stellung. Geschlossenen und tiefen Formationen
werde es ergehen wie der preufsischen Garde bei St. Privat. Man be-
dürfe breiter, durch weite Zwischenräume getrennter Staffeln, doployierter,
zwei- oder selbst eingliedriger Com pagnien; wenn der Angriff befohlen sei,
müfsten diese Staffeln unaufhaltsam vordringen, jeder Aufenthalt sei ver-
derbenbringend, die Schützenlinie müsse durch sie vorwiirts getrieben
werden. Wenn auch die ersten beiden oder ersten drei Staffeln empfind-
liche Verluste erleiden, so würden es doch der vierten oder fünften
gelingen, das Hindernis zu bewältigen. Es sei Zeit, entsprechende Vor-
schriften in das Exerzier-Reglement aufzunehmen. — Nr. 1488: Die
Enceinte von Paris und die bürgerlichen Interessen. Verfasser
meint, die Niederlegung der Umfassungsmauern bedinge den Fortfall des
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338
Umschau in der Milittr-Litteratur.
städtischen Octroi, was unverträglich sei mit der städtischen Finanz-
wirtschaft. — Nr. 1489: Die taktischen Vorschriften für die
Manöver des 18. Corps. Dieselben schreiben für das Angriffsgefecht
der Infanterie vor: Entwickelung zur Schützenlinie auf 2000 m, wenn
man gesehen wird; Feuereröffnung (Salven) auf 1500 — 1200 m; Ent-
scheidungs-Gefecht der Infanterie in der Zone von 700—400 m, sodann
schnelles Vorgehen gegen die Stellung, bei dem die Schützen durch die
Compagnien der Bataillone des zweiten Treffens nach und nach vorwärts
getrieben werden ; die allgemeine Reserve folgt auf 1 000 m, zur Verfolgung,
oder aber um das zweite Treffen vorwärts zu treiben, bezw. die abge-
schlagenen Truppen zu sammeln.
La France militaire. Nr. 1851: Die Insel Helgoland. F. m. meint,
die Abtretung derselben sei vom politischen und strategischen Standpunkte
von höchster Bedeutung; England habe dafür sich die Unterstützung
Deutachlands in der ägyptischen Frage zusichern lassen (?). — Nr. 1854:
Remonten. Nach Mitteilung des Kriegsministers soll im Jahre 1891 der
Pferdestand der Kavallerie um 3000 Pferde (!) vermehrt werden, man will
die Brauchbarkeits-Zeit der Pferde ein wenig verlängern und 1000 Re-
monten mehr ankaufen. — Nr. 1855: Das Armee-Oberkommando.
F. m. befürwortet, dafs bei einem nationalen Kriege sich der Präsident
der Republik mit dem Kriegsminister inmitten der Operations -Armeen auf-
halte, nicht in Paris bleibe, dies würde keineswegs die Stellung des
„Generalissismus 11 so schwierig machon, dafs kein General gewillt sein
worde, dieselbe anzunehmen. — Nr. 1856: Vier gegen einen. F. m.
bespricht den angeblichen Beitritt Englands zum Dreibunde, welcher die
Gefahren für Frankreich steigere und schliefst mit den drohenden Worten:
„Rüsten wir uns zum letzten Waffengange ... für unser Leben!" F. m.
mag sich beruhigen; Niemand wird Frankreich angreifen; aus dem lesens-
werten Aufsatze erhellt nur der schlecht verborgene Arger über das
englisch-deutsche Abkommen! — Nr. 1859: Das Budget der Marine.
Frankreich hat seit 1871 für seine Marine verausgabt 3 Milliarden,
000 Millionen; England 4 Milliarden, 300 Millionen; Italien 1 Milliarde,
101 Million; Deutschland 1 Milliarde; Österreich 470 Millionen. Frank-
reich hat jetzt 378 Gefechtseinheiten anstatt 471 im Jahre 1871, die
M.'lchle des Dreibundes hatten in letzterem Jahre deren 290, jetzt 538. —
Nr. 1864: Das Marine-Budget, Abermalige Kritik der maritimen
Wehrkräfte; es sei in den Kriegshäfen kein einziges Schiff, welches sich
in Bezug auf Bewaffnung und Schnelligkeit mit einem englischen oder
italienischen Schiffe messen könne (V).
Le Progrei militaire. Nr. 1005: Studien über das rauchfreie
Pulver. Ergebnis der in Chalons und bei Paris stattgehabten Übungen
mit solchem. Infanterie, und Kavallerie würden von demselben Nutzen
ziehen, nur die Kavallerie werde benachteiligt beim Aufklärungsdienste;
dies sei Grund genug, ihr statt der Lanze, wie beabsichtigt sei, einen
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Umschau in der Militar-Litteratur.
339
Repetier-Karabiner zu geben. — Nr. 1006: Pr. m. beschäftigt sich noch
immer mit der Frage, was aus den 200 im dienstpflichtigen Alter (unter
45 Jahren) stehenden Abgeordneten im Falle der Mobilmachung werden
solle und meint, ihr Posten sei zweckmäfsiger im Palais Bourbon als hinter
irgend einem Festungswalle fern vom Feinde. — Hr. 1007: Die Uni-
formen der Kavallerie und das rauchlose Pulver. Pr. m. verlangt
die Beseitigung aller grellen Farben, glänzender Beschläge an den Kopf-
bedeckungen u. 8. w. — Nr. 1008: Sechsmonatliche Dienstzeit
beim Train. Selbige wird, nach deutschem Vorbilde, empfohlen. —
Nr. 1000: Durch Dekret vom 26. Juni ist das 4. Regiment tonkinesischer
Tirailleure aufgelöst worden.
Allgemeine Schweizerische Militärzeitung. Nr. 25: Bewegung in
der französischen Armee (Schlufs). Behandelt die höheren Militär-
Bildungsanstalten, Generalität, Disziplin, Avancement und den jetzigen
Kriegsminister. Eine sehr beachtenswerte Arbeit, welche wir den Herren
Parlaments-Rednern zu eifrigem Studium empfehlen möchten. „So ist die
französische Armee", sagt Vorf., „in steter Bewegung und Arbeit, ein
wahres Bild des bewaffneten Friedens". — Farbe der Wehrmanns-
kleider; als solche wird grau, graublau, braun, moosgrün vorgeschlagen,
Farben, „welche im Gelände verschwinden". — Nr. 26: Unser Gewehr im
Lichte der Vergleichung.
Schweizerische Monatsschrift für Offiziere aller Waffen. (Juni.) Der
Feldzug Julius Cäsar's gegen die Helvetier im Lichte der Kritik (Schlufs).
— Über die Disziplin. — Das Operative im Truppenzusammenzug von
1889 (Schlufe). — Pioniere bei der Kavallerie.
Schweizerische Zeitschrift für Artillerie und Genie. (Juni.) Oberst
der Artillerie H. Wehiii in Zürich f. — Taktische Ergebnisse des Schiefs-
kurses für Feld -Artillerie 1890. — Die schweizerische Kartographio an
der Weltausstellung von Paris 1889, und ihre neuen Ziele (Fortsetzung).
— Bericht des Militär-Departements über seine Geschäftsführung im Jahr
1889 (Fortsetzung).
La Belgique militaire. Nr. 1004: 75. Jahrestag der Schlacht
von Waterloo. Dieser Aufsatz giebt vornehmlich eine ziemlich eingehende
Darstellung der Teilnahme der belgischen Truppenteile an der Schlacht. —
Die Geschützfrage. — Nr. 1005: Studie über unsere Kavallerie (Fort-
setzung). — Nr. 1006: Allgemeine Wehrpflicht in Holland. Be-
sprechung des bezüglichen Gesetzentwurfes, welcher die Dienstzeit in der
Marine auf 6, in der Landarmee auf 8 Jahre festsetzt. Es wird betont,
dafs Belgien zukünftig das einzige Land auf dem Kontinent sei, welches
Söldner habe und den „Reichen" gestatte, sich für einige hundert Franks
von der Pflicht der Vaterlandsverteidigung loszukaufen. — Panzertürme
an der Maas.
Admiralty and Horse Guards Gazette. Nr. 293: Der Rekruten-
mangel. Der Jahresbericht der Armee von 1889 zeigt eine bedeutende
340
Um*cbau in der Mtlit&r-Litterator.
Abnahme an Rekruten, obgleich die Annahme-Bedingungen erleichtert
und manche Verbesserungen in der Verpflegung der Mannschaft einge-
treten sind. Bei der Linie und der Miliz fehlen gegen 25,000 Mann.
The United Service Magazine. (Juli.) Die Neubewaffnung der
deutschen Armee. Ein deutscher Generalstabs-Offizier schreibt für das
englische Journal einen umfangreichen Aufsatz über die Zusammensetzung
und die I^eistungen des deutschen Infanterie-Gewehrs 88. Der englische
Herausgeber spricht sich anerkennend darüber aus. — Ein Sommer-
nachtstraum. Ubersetzung der bekannten Flugschrift aus dem Deutschen
in das Englische, zu der Oberst Maurice von der Artillerie eine kritische
Einleitung giebt, die sich im Allgemeinen anerkennend über jene Schrift
ausspricht. — Die Afrika- Manie. Von Sir Samuel W. Baker. Die
Sucht der Lilndererwerbnng fast aller europäischer Staaten in Afrika wird
geschildert. Der Verfasser weist darauf hin, dafs es für England am
notwendigsten ist, Ägypten und demzufolge auch den Sudan zu halten.
In einer Nachschrift wird der am Jahrestage der Schlacht von Waterloo
abgeschlossene Vertrag mit Deutschland betreffs Abtretung von Helgoland
und Ausgleich in Afrika besprochen, wodurch die in jener Schlacht ge-
schlossene Waffenbrüderschaft von Neuem befestigt ist.
Journal of the United Service Institution of India. Nr. 80: Neue
Grundsätze für Befestigungen. Von Major Stanell. Enthält eine
Zusammenstellung aller derjenigen Grundsätze für Festungs-Bau, Angriff
und Verteidigung, welche in der Militär-Litteratur Deutschlands, Frank-
reichs, Belgiens und Russlands ausgesprochen sind. Es wird dabei nach-
zuweisen gesucht, dafs von allen in den letzten 20 Jahren errichteten
Befestigungen keine der Sprengwirkung der neuerfundenen Stoffe ge-
wachsen ist. — Die Compagnie als taktische Einheit der Zu-
kunft. Von Oberst lieutenant Gowann. Die englische Compagnie müsse
auf gleiche Stärke wie die deutsche gebracht werden, um die taktische
Einheit im Gefecht bilden zu können. Die Ausbildung der deutschen
Infanterie-Corapagnie wird, nach deutschen Büchern in Wochenzettel zer-
legt, als mustergültig hingestellt. — Die Ausbildung der russischen
Offiziere in Mittel-Asien. Auf Grund russischer Veröffentlichungen
wird die eigenartige Kriegführung gegen die mittelasiatischen Völker, wie
sie durch deren Kampfweise und die klimatischen Verhältnisse bedingt
wird, näher erörtert. Gründliche Kenntnis der geographischen Verhält-
nisse, der Kampfweise, Stärke und Befestigungen jener Völker sind für
den Offizier unerläfslich:
The illuitrated Naval and Military Magazine. Nr. 17: Die Be-
festigungen der Maas. Von C. T. L'Eatrange. Eine strategisch-
taktische Studie über die neuen Maas-Befestigungen, unter Beifügung gut
gezeichneter Pläne. Der Verfasser kommt zu dem Schlufs, dafs, trotz der
vortrefflichen Anlage dieser Werke, deren Widerstandsfähigkeit sehr
fragwürdig er&cheint, da es Belgien an der nötigen Zahl ausgebildeter
Mannschaft zur Besatzung jener fehlt.
ümschaa in der Militir-Litteratnr.
341
WajeiMÜj Ssborilik. Nr. 6: Die Pferdezucht und die Transport-
mittel des europäischen Russlands (Fortsetzung). Es werden die
kleinrussischen Gouvernements Kursk, Tschernigow, Charkow, Poltawa
behandelt. Dieselben haben nach der Zählung vom Jahre 1888 1,892,374
Pferde, so dafs auf die Quadrat- Werst in denselben 16,2; 12,8; 7,7 Pferde
entfallen. Für die Verbesserung der Land-Race sorgen die berühmten
Bielowodsker Gestüte im Gouvernement Charkow, sowie eine grofse Reihe
von Privatgestüten — 511 in den 4 Gouvernements mit 1,174 Hengsten
und 8,583 Mutterstuten. — Auf 115 sogenannten Beschölpunkten standen
1888 248 Hengste, von denen 7,381 Stuten gedeckt wurden. — General-
lieutenant Woide beginnt eine Reihe von Artikeln über: Die Selbst-
ständigkeit der Truppenbefehlsbaber im Kriege. Der erste der-
sell >en, „Die Selbstständigkeit der Truppenbefehlshaber bei den Deutschen,"
spendet uneingeschränkte Anerkennung den Leistungen des deutschen
Offizier-Corps. Es heifst im Eingange u. a.: „Es ist bekannt, dafs der
Löwenanteil an den staunenswerten Erfolgen der Deutschen im Feldzuge
1870 der selbstständigen Initiative der deutschen Führer gebührt. — Die
deutschen Truppen-Conimandeure machten nicht selten die Fehler gut,
welche von höherer Befehlsstelle verschuldet waren und errangen für
letztere den nicht immer verdienten Sieg. Durch die Energie und Um-
sicht der Truppen-Commandeure haben die Deutschen auch da den Sieg
davon getragen, wo die Franzosen ihnen mit bedeutend gröfseren Kräften
gegenüberstanden." — Wahrlich goldene Worte, welche auch in unserer
Armee von denen nicht vergessen werden sollten, in deren Händen die
Ausbildung der Truppen und die Erziehung der Offizier-Corps liegt.
Wer die Frische und die Selbstständigkeit seiner Untergebenen tötet, der
nimmt der Armee ein Unterpfand des Sieges.
Russisches Artillerie-Journal. Nr. 5: Das 500jahrige Jubiläum
der russischen Artillerie vom deutschen Gesichtspunkt. — Be-
merkungen zu der im Beiheft Nr. 7 1889 zum Militär- Wochenblatt ent-
haltenen Recension „Fünfhundert Jahre der russischen Artillerie". Dieser
Artikel wendet sich in ziemlicher Schärfe gegen die Behauptungen der
erwähnten deutschen Recension, dafs ein 500 jähriges Bestehen einer selbst-
ständigen russischen Artillerie liistorisch kaum nachweisbar sei, da in
gewissem Sinne doch nur der Italiener Fioranti der Begründer des russischen
Geschützwesens gewesen. Besonders erregte Widerlegung finden aber die-
jenigen Stellen der Reconsion, welche die Bedeutung deutschen Ein-
flusses für die Entwicklung der Artillerie überhaupt und der russischen
im besonderen betonen. — Einige Worte mit Bezug auf die Broschüre
des Prinzen Hohenlohe „Die Feld -Artillerie in ihrer Unter-
stellung unter die Corps-Coramandeure" von Baumgarten. Dem
Talente und der Bedeutung des Prinzen Hohenlohe wird volle Anerkennung
gezollt, aueh da, wo ihm ein gewisser Optimismus zu Gunsten deutscher
Verhältnisse vorgeworfen wird.
342
Umschau in der Militär-Litteratur.
Rullisches Ingenieur- Journal. Nr. 5: Die erste Artillerie- Stellung
beim Angriff auf Festungen mit einer Skizze. — Übersetzung der Schrift
des Generals Brialmont: „Les regions fortinees". — Übersicht über
Arbeiten betreffend den Bau neuer südlicher Handelshufen Russlands.
Russisches Marine- Journal. Nr. 5: Die russische Flotte im Schwarzen
Meere (Fortsetzung). — Erinnerungen aus dem Leben eines alten See-
mannes (des 1888 als Neunzigjähriger verstorbenen Generalmajors de
Lioron). 17.
Rivista milltare italiana. (Juni-Heft.) Die Invasion in Frank-
reich 1814. Strategisch - taktische Studie (Fortsetzung). Die
Heeresstärke. Vorschläge zur Durchführung der 2jährigen Dienstzeit in
Italien bezw. zur Herabsetzung der Ausgaben für das Heer unter Ver-
mehrung des heutigen Rekruten-Kontingents. Die Frage ist durch die
Vorschläge der Deputiertenkammer in Flufs geraten, dürfte aber durch
die Erklärung des Kriegsministers, dafs er die 2jährige aktive Dienstzeit
durch eine Kommission einer Beratung unterziehen lassen wolle, dieselbe
aber aus Rücksicht auf die durch die Einführung des rauchfreien Pulvere
und die enorm vervollkommnende Bewaffnung notwendige Verleihung der
Schulung heute noch nicht für opportun halte, wohl als erledigt an-
gesehen werden können.
EsercitO Italiaao. Nr. 73: Das Marine-Budget pro 1890/91: Der
Beriebt des Ausschusses der Deputiertenkammer über das Budget pro
1890/91 konstatiert, dafs Italien in Bezug auf Zahl der Schiffe England,
Frankreich und Russland unterlegen ist, nicht aber in Bezug auf Quali-
tät der vorhandenen neuen Panzer. Der Ausschufs hat nur mit schwerem
Herzen die Abstriche, die der Marineminister selbst als zulässig erklärte,
angenommen. Die Ausgaben, die gefordort wurden, betrugen im Ordinarium
98,319,718 für die Kriegs-, 6,665.014 für die Handelsmarine, 2895 Lire
in den Giroteilen, 13,100,000 im Extraordinarium. An Stelle von 121,565,218
Lire, die der Marineminister ursprünglich gefordert hatte, bewilligt der
Ausschufs 121,465,218. — Nr. 75: Gegenwart und Zukunft der
italienischen Marine. Rede des Unterstaats-Sekretärs im Marine-
Ministerium, in welcher das Bauprogramm für die italienische Flotte eine
Uberzeugende Begründung findet. Die 2. Periode der grofsen Manöver
würde sich unter General Ricotti-Magnani's Leitung zwischen Mincio und
Mella abspielen.
L'ltalia milltare e marina. Nr. 36: Der 24. Juni 1859-1866.
Skizze der Schlachten von San Martino und Custozza. — Nr. 37: Mit
der im Kapitel 50 des Marinebudgets ausgeworfenen Summe für
Schiffsneu bauten beabsichtigt der Marinerainister die Fortsetzung der
Arbeiten an den Panzern Re Umberto, Sicilia und Sardegna, den Schiffen
2. Klasse Etruria, Umbria, Liguria und Marco Polo, an den im Bau be-
griffenen Last- und Hülfsschiffen, sowie der Torpedofahrzeuge fortzusetzen.
— Nr. 39: Die Übungen der Älpentruppen an der Westgrenze, an
dem die Reservisten des Jahrganges 1864 Teil nehmen werden, umfassen
Umschau in der Militär-Litteratur. 343
3 Gruppen, eine a 12, eine ä 6, eine ä 4, Summa 22 Bataillone, zu denen
noch Gebirgs- Artillerie tritt.
Revista dentffico-mllitar (Spanien). Nr. 12: Das sociale Problem
und die Abrüstung. Politische und administrative Einteilung Marocoos.
Memorial de Ingenierot del Ejerclto (Spanien). Nr. XII: Tragbare
Rampen für Kavallerie und Artillerie auf den Eisenbahnen.
Revista milltar Argentina. Nr. 72: Die Militär-Telegraphie.
De Militaire Gida (Holland). 4. Lieferung: Das österreichische
Reglement für die Feld-Artillerie.
II. Bücher.
Jahresberichte über die Veränderungen und Fortschritte im
Militärwesen. XVI. Jahrgang: 1889. I. Teil: Berichte
über das Heerwesen der einzelnen Staaten. Unter Mitwirkung
mehrerer Offiziere herausgegeben von H. v. Lobell, Oberst z.D.
Berlin. E. S. Mittler & Sohn.
Die Löbell'schen Jahresberichte sind mit gewohnter Pünktlichkeit
auch dieses Mal erschienen, leider jedoch zunächst als Torso. *) Von den
zwei Teilen jedes Jahrganges ist bislang nur der erste erschienen, wahrend
der zweite: „Berichte über die einzelnen Zweige der Kriegswissenschaften K
erst im Herbste zur Ausgabe kommen soll. Die zahlreichen Freunde
dieses verdienstvollen Unternehmens weiden diese Mafsnahme aufrichtig
bedauern, da die zum Jahreswechsel bereits fälligen Berichte in unserer
schnelllebigen Zeit nach '/ t Jahren bereits als mehr oder minder veraltet
gelten dürften; nicht minder störend ist es, dafs das für den Gebrauch
der „Jahresberichte" als Nachschlagebuch unentbehrliche Namen- und
Sachregister ebenfalls erst im Herbste erscheinen kann. Im Vorworte
wird das gesonderte Erscheinen der beiden einander ergänzenden Teile
mit der Überfülle des Stoffes begründet; wir sind der Ansicht, dafs der-
selbe vielleicht wohl in Rücksicht auf die Handlichkeit, die Zerlegung
in zwei Bände erfordorlich gemacht haben mag, nicht aber das verspätete
Erscheinen des zweiten, und können bei dieser Gelegenheit nicht unter-
lassen, auf die Notwendigkeit einer gröfseren Beschränkung im Räume
von Seiten der Herren Mitarbeiter hinzuweisen. Es ist nicht angängig,
dafs sich die Berichterstattung in beliebiger Breite ergeht; sie mufs viel-
mehr danach streben, auf möglichst knappem Räume einen recht inhalt-
reichen Bericht zu liefern. Freilich wissen wir, dafs letzteres mühe-
voll ist! Wäre demgemäfs verfahren worden, so hätte es nicht geschehen
können, dafs der Umfang dieses I. Teiles mehr als das Doppelte des
vorjährigen (652 gegen 300 Seiten) beträgt. Füllt doch der Bericht über
das Heerwesen Russlands allein 130 (!) Seiten. Allerdings ist derselbe
*)Anm. der Leitung. Der II. Teil ist mittlerweile ebenfalls erschienen,
Besprechung desselben bleibt vorbehalten.
344
Umschau in «1er MilitÄr-Litteratur.
eine trefflich gelungene Gesamtdarstellung des russischen Heerwesens,
welche etwa bis zum Jahre 1874 zurückgreift Wir meinen aber, eine
solche falle über den Rahmen eines „Jahresberichtes" hinaus. Wohin
soll es führen, wenn durchweg nach dieser Praxis verfahren wird?! —
Di« hier vorliegenden Berichte lassen das Heerwesen keines europäischen
Staates vermissen; von aufsereuropäischen sind vertreten: Argentinien
(58 S.), Chile (44 S.), China, Congostaat, Persien; hingegen die „Vereinigten
nordamerikanischen Staaten", desgl. „Brasilien" nicht. Der Wert
dieser „Jahresberichte" ist ein so unbestritten hoher und allgemein an-
erkannter, dafs es Uberflüssig erscheint, darüber noch ein Wort, zu ver-
lieren. Besondere Erwühnung verdienen jedoch die Berichte über
Russland, Österreich, Frankreich, Italien, Grofsbritannien, dann diejenigen
über die Staaten der Balkan-Halbinsel. Wir freuen uns, im Interesse der
Sache, der ausdrücklichen Zusicherung des hochverdienten Herausgebers,
dals in Zukunft die Jahrgange wieder in bisheriger Stärke erscheinen
sollen. 1.
Geschichte des königlich bayerischen Infanterie • Leib-
Regiments. Bearbeitet zu Unterrichtszwecken von Illing,
Hauptmann u. Comp.-Chef im Regiment. Zweite Auflage.
Berlin 1890. E. S. Mittler & Sohn. Preis M. 1,20.
Verfasser giebt den Unteroffizieren und Soldaten des, 16. Juli 1814
— aus den Mannschaften der bis dabin bei den bayerischen Linien-
Infanterie-Regimontern und den leichten Infanterie-Bataillonen bestandenen
Grenadier-Compagnien, dann aus den 4 Grenadier -Compagnien des der
Krone Bayern 1814 einverleibten Grofsherzogtums Würzburg — errichteten
königlich bayerischen Grenadier-Garde seit 6. Dezember 1825 Infanteric-
Leil)-Regiment8, einen kurzen Überblick Uber die Leistungen und Thaten
des Regiments. Mit Recht nimmt die hervorragende Thätigkeit des
Regiments im Feldzuge 1870/71 gut die Hälfte des gesamten Inhalts des
Büchleins ein. In geradezu musterhafter, zur Nacheiferung mächtig an-
regender Weise werden die Thaten der Angehörigen des Regiments, die
Ereignisse auf dem Marsche, im Biwak, im Quartier u. s. w. erzählt. Das
Büchlein entspricht daher in gelungenster Weise dem von seinem Verfasser
beabsichtigten Unterrichtszweck. Welchen Anklang aber auch eine derartig
verfafste Regiments-Geschichte findet, beweist die vor Jahresfrist erschienene
zweite Auflage. Da voraussichtlich eine weitere Auflage nötig werden
wird, mufs die einzige Ungenauigkeit, welche in der vorliegenden Auflage
bemerkt wurde, erwähnt werden: „Nicht 8. Januar, wie Seite 116 an-
gegeben wird, sondern 5. Januar 1871 wurde aus den deutschen Batterien
das Feuer auf Paris eröffnet." — Nicht nur allen früheren, derzeitigen
und künftigen Angehörigen des königlich bayerischen Infanterie -Leib-
Regiments, sondern auch Offizieren, welchen die ehrenvolle und höchst
wichtige Aufgabe zu Teil wird, die Geschichte ihres Regiments zu schreiben,
kann das vorliegende Büchlein empfohlen werden. 32.
Umschau in der Militar-Littaratur.
345
Kritische Rückblicke auf den russisch-türkischen Krieg
1877/78. Nach Aufsätzen von Kuropatkin, bearbeitet von
Krahmer, Oberst. Dritter (Schlufs-)Band. Ubergang der
Armee -Abteiluug des Generals Skobelew über den Balkan
und die Schlacht bei Scheinowo. Mit 10 Plänen u. Skizzen.
Berlin 1890. E. S. Mittler & Sohn. Preis M. 4,50.
Der in den ersten Januartagen des Jabres 1878 erfolgte Übergang
der Russen Uber den Balkan und die sich daran schließenden Kämpfe mit
den Türken gehören zu den Kriegsbegebenheiten, welche in erster Reihe
genannt zu werden verdienen, wenn die Frage aufgeworfen wird: wie
weit geht die Leistungsfähigkeit einer braven, hingebenden, energisch
geführten Truppe in Überwindung von Strapazen, Entbehrungen; von Eis
und Schnee; von Terrainschwierigkeiten geradezu unglaublicher Art? Die
Antwort auf diese Frage giebt das vorliegende Buch, so zwar, dafs —
wer die ersten Blätter gelesen, sich mit der Armee -Abteilung des Generals
Skobelew in Marsch nach dem Balkan gesetzt hat, mitzieht und mitkämpft
bis zum glorreichen Ende des Zuges. So ergreifend sind die Schicksale,
die Thaten und Leiden der Russen, — ao packend ist die übrigens ganz
einfache, schmucklose Darstellung des jetzigen Generals Kuropatkin, der
den Balkan Übergang in der wichtigen Stellung als Generalstabschef von
Skobelew mitgemacht hat, also besonders befähigt und berechtigt ist, die
Vorgänge zu schildern. Es ist nur zu billigen, wenn Herr Oberst Krahmer
diese Aufsätze Kuropatkin's nicht, wie die früheren „bearbeitet", sondern
schlechtweg übersetzt und ihnen dadurch die Ursprünglichkeit gewahrt
hat. Man lebt sich vollständig in die russische Abteilung ein: die Einzel-
heiten der Vorbereitung zum Übergange hinsichtlich Verpflegung, Aus-
rüstung, Bewaffnung; die Marschzucht; die soldatischen und moralischen
Eigentümlichkeiten von Mann und Führern, deren Verhältnis zu einander;
die Anspruchslosigkeit, Zähigkeit, Religiosität;, Todesver-
achtung des russischen Soldaten: Alles tritt so zu sagen: greifbar, vor
uns. Mag die Gesittung, die Intelligenz, die taktische Schulung gering
sein: die eben genannten Vorzüge stempeln den Russen zu einem gefähr-
lichen Gegner, zumal, wenn er gut geführt wird. Und: alle Achtung
vor dem General, dem schneidigen, umsichtigen und doch tollkühnen, das
Äufserste von seinen Leuten erheischenden, aber auch väterlich für sie
sorgenden und von ihnen vergötterten Führer, als welcher Skobelew sich
gerade bei diesem Kriegszuge erwiesen und glänzend bewährt hat.
34.
Relation de la bataille de Froeschwiller, livree le 6 Aout 1870.
Paris— Naucy 1890. Berger-Levrault & Co.
Diese Schilderung der Schlacht von Wörth (Froeschwiller) vom fran-
zösischen Standpunkte, deren Verfasser sich ausdrücklich gegen den
Vorwurf der Parteilichkeit verwahrt, bemüht sich, den Nachweis zu
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340
Umschau in der Militär-Litteratur.
liefern, dafs lediglich die numerische Überlegenheit der Deutschen und
die der Artillerie im Besonderen dem heldenhaften französischen Heere
den Sieg entrissen habe. Wir sind weit entfernt davon, die Tapferkeit
und Ausdauer unserer Gegner von Wörth in Frage zu stellen — der
Sieger ehrt ja im Besiegten auch sich selbst — um so mehr wäre zu
wünschen gewesen, der Verfasser hatte es vermieden, in ermüdender Breite
das französische Heldentum zu preisen und den französischen „älan" und
„esprit" der angeblichen deutschen Ungeschicklichkeit entgegen zu
stellen;*) dafs es wenig ehrenvoll sein kann, sich von einem angeblich so
unbeholfenen Gegner schlagen zu lassen, entgeht dem Verfasser. — Von
den süddeutschen Truppen, zumal den Bayern, wagt es der Verfasser zu
sagen, sie seien von schlechtem Willen für die Sache erfüllt gewesen; wir
l)egnügen uns, diese dreiste Verleumdung, für welche Verfasser selbst-
redend den Beweis schuldig bleibt, hiermit als solche zu kennzeichnen. —
Erheiternd wirkte auf uns die Behauptung, die Deutschen hätten sehr
geringes Verständnis für das Gefecht in zerstreuter Ordnung; das zeige
sich schon im Altertum (!); man wisse, dafs die alten Deutschen sich zur
Schlacht mit Ketten aneinander geschlossen hätten. Es zeige sich dies
Ungeschick auch darin, dafs die taktischen Verbände bei den Angriffen
der Deutschen sich sehr stark gelöst hätten. Sollte i jr Verfasser wirklich
nicht wissen, dafs dies auf französischer Seite in noch weit höherem
Mafse der Fall war, trotz elan und esprit?! Sodann wird tadelnd er-
wähnt, dafs die preufsische Compagnie zu stark und mit Offizieren zu
schwach besetzt sei. „Preufsen sei zu arm, um ein starkes Offizier-Corps
unterhalten zu können." (!) Unwahr ist ferner die Behauptung, der
deutsche Offizier schätze das Leben seiner Soldaten gering; wir meinen,
dafs in keiner anderen Armee ausgiebiger für den Soldaten gesorgt
wird, als in der deutschen; wenn es galt, den Sieg an unsere Fahnen zu
fesseln, da freilich konnte und durfte mit dem Leben unserer Soldaten
ebenso wenig wie demjenigen der Offiziere aller Grade ernstlich gerechnet
werden; die gleiche Erscheinung trat auch bei unseren Gegnern zu
Tage; man denke an die heldenhafte (freilich recht zwecklose) Aufopferung
der französischen Kavallerie bei Wörth und Sedan. — Wir haben nur
diese wenigen Einzelheiten aus der sehr umfangreichen Arbeit heraus-
greifen können. Für den deutschen Leser wird diese Schilderung der
Öchlacht von Wörth — nach dem Prinzipe des „Audiatur et altera pars"
— nicht ohne Interesse sein, obschon er nicht eben Neues aus derselben
entnehmen dürfte. Gr. v. Pf.
Untersuchungen Uber die Taktik der Zukunft, entwickelt
aus der neueren Kriegsgeschichte. Zweite vollständig ura-
*) Dergleichen tendenziöse Übertreibungen beeinträchtigen den kriegsgeschicht-
lichen Wert dieser Arbeit.
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Ünuchan in der Militftr-Litteratur.
347
gearbeitete und vermehrte Auflage der »Zwei Brigaden«.
Von Fritz Honig. Berlin 1890. Luckhardt.
Die vorliegende Neubearbeitung der „Zwei Brigaden" ist eine derart
erweiterte und veränderte, dafs wir ein ganz neues Buch vor uns sehen,
das auf hervorragende Beachtung Anspruch erheben kann. Bei aller
Anerkennung der geistvollen Darstellungsweise können wir dem Herrn
Verfasser aber den Vorwurf nicht ersparen, dafs er, namentlich bei den
kritischen Betrachtungen der Kämpfe der 28. Brigade bei KöniggrUtz und
der 38. Brigade bei Mars la Tour in einen Ton verfällt, der in der
deutschen Militär-Litteratur vermieden werden sollte. Die Thatsache, dafs
das Generalstabs-Werk und Regiments-Geschichten nicht frei von Irrtümern
und Fehlern sind, ist allgemein anerkannt; man mag diese nachweisen
und besprechen, dabei aber verletzende Schärfe vermeiden. Dasselbe
ist der Fall, wenn (S. 143) der blutige Kampf der 38. Brigade am
16. August und der der 1. Garde-Brigade am 18. August einfach für
„Unsinn" erklärt werden. Unangenehm berührt es auch, wenn (S. 221)
dem Feldmarschall Moltke der Vorwurf gemacht wird, dafs er nicht die
Eigenschaften eines gehenden, beweglichen" Feldherrn besitze, der selbst
die feindliche Stelhthg aufklärt, bevor er den Befehl zum Angriff giebt,
und wenn dabei Napoleon I. als Muster hingestellt wird. Als Napoleon
vor der Schlacht bei Borodino das Schlachtfeld abritt, hatte er eine Ent-
fernung von 5 km zurückzulegen, die Entfernung von Vaux bis St. Privat
beträgt allein aber schon 1 5 km. — Der in der gegenwärtigen Bearbeitung
ganz neue III. Teil, „Taktische Folgerungen", enthält die Betrachtungen
über die Taktik der Zukunft, wie sie durch die verbesserten Feuerwaffen
u. s. w. bedingt wird. Sehr richtig schildert der Verfasser die beiden
gegenwärtig in der Armee vorhandenen Strömungen, von denen die eine
den Schwerpunkt auf die Ausbildung des einzelnen Mannes zum selbst-
ständigen Schützen und die Herbeiführung der Entscheidung durch Feuer-
überlegenheit legt, während die andere Alles durch energisches Herangehen
mit „geschlossenen Schiefsmaschinen" auf nächste Entfernungen zu er-
reichen strebt. Aus der Einführung des schwachrauchenden Pulvers zieht
der Verfasser den Schlufs, dafs dadurch der Wert der Artillerie noch
zugenommen hat Er bezeichnet es als einen „Erbfehler" der deutschen
Armee, dafs die Infanterie -Angriffe fast niemals die vorbereitende Wirkung
der Artillerie abgewartet haben. Soweit dieses den Krieg 1870/71 betrifft,
hat er Recht, für die Zukunft wird dieser Grundsatz aber nicht mehr
als Regel aufzustellen sein. Bei der Gleichwertigkeit des Materials fast
aller europäischen Artillerien werden wir uns meistens damit begnügen
müssen, dafs die eigene Artillerie die gegnerische derart beschäftigt, dafs
diese den Infanterie -Angriff nicht beschiefsen kann. Ganz unverständlich
erscheint uns aber die Behauptung, dafs die Artillerie im deutschen Heere
„so wenig Sympathie" geniefst. Vor 25 Jahren war das vielleicht hier
und da noch der Fall, gegenwärtig kann davon gar koinc Rede sein. —
JaLrbächM fit di» DooUch« Arme« und Murin«. Iii t.XXVI.. 3.
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34*
L niHchau in der Militär- Litterat ur.
Die für die taktische Zerteilung der Einheiten und die Treffen-Gliederung
aufgestellten Grundsätze sind richtig; letztere soll nicht ausschließlich zur
Nahrung der Feuerlinie dienen, .sondern die Heranführung der verschieden
starken Verbinde Uberhaupt ermöglichen. Es ist aber ein Irrtum,
wenn (S. 211) aus dem Reglement gefolgert wird, dafs über 1000 m nicht
mehr gefeuert werden soll. Es heifst dort § 133, daß bei unge leiteten)
Feuer und „im Allgemeinen* der Schütze nicht Uber 1000 m feuern darf. —
Den in Bezug auf Nachtgefechte ausgesprochenen Grundsätzen schliefsen
wir uns vollständig an; ob das von Crom well angezogene Beispiel richtig
gewählt ist, vermögen wir nicht zu entscheiden. — Nochmals wiederholen
wir, daf^ das Buch hervorragende Beachtung verdient, und vielen Nutzen
dadurch schaffen wird, dafs es in geistvoller Weise zum Nachdenken
anregt, selbst wenn man sich nicht allen Ansichten de* Verfassers an-
schließen kann. 10.
Zusammengewürfelte Gedanken über unseren Dienst. 3. Auf-
lage. Rathenow. Verlag von M. Babenzien. Preis 3 M.
Bei dem Erscheinen dieser Schrift haben wir die hohe Bedeutung
derselben für die Kavallerie hervorgehoben und den Wunsch angefügt,
dafs dieselbe Heifsig gelesen und studiert werden möge, dafs die zahlreich
enthaltenen, überaus praktischen Winke richtig erfafst und angewendet
werden möchten. Die vorliegende 3. Autlage ist ein erfreuliches Zeichen
dafür, wie sehr man in der Kavallerie bemüht ist, die Erfahrungen Anderer
zu verwerten. Gerade hierin aber liegt die einzige Möglichkeit des Fort-
schreitens zweck mäßiger Verbreitung und ebensolcher Ausbildung. Die
jungen Generationen müssen mit den Erfahrungen der vorausgegangenen
Generation ihre Arbeit lieginnen und weiterführen. — Die Kavallerie hat
zwar sehr eingehende Keit-Instruktionen und Reglements, dennoch sind
die Ansichten über die Ausführungen und praktischen Anwendungen dieser
Bestimmungen seht verschieden. Solche Gegensätze bestehen wohl am
allermeisten in der Kavallerie; auch die vorliegende Schrift giebt mehr-
faches Zeugnis hiervon. Diese Gegensätze haben sich aber nur dadurch
in so bedauerlichem Grade entwickeln können, daß der Kavallerie
mit kurzer Unterbrechung die praktische einheitliche Leitung gefehlt hat.
Gerade nur dies« praktische einheitliche Leitung wäre im Stande gewesen
mit der Zeit gleiche Anschauungen über den Dienst und die Übungen zu
wecken und einen systematischen Fortschritt anzubahnen. Die einfachsten,
natürlichst"!! Grundsitze über Ausbildung des einzelnen Reiters, der
Truppe, über deren Verwendung und Führung können unseres Dafür-
halten:-, nur von praktischen Kavalleristen ins Leben gerufen und
systematisch verbreitet werden. Nachdem solcher Einfluß lange, lange
Jahrzehnte — eigentlich seit dem letzten Drittel des vorigen Jahrhunderts
— gefehlt hat. kann es keineswegs verwundern, daß man im Unklaren
blieb bis nach dem letzten Feldzuge. Von hier an wurde ein Versuch
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Umschau in der Militär-Litteratur.
;549
gemacht diesen für die Kavallerie so überaus bedenklichen Mangel zu
verbessern.
Hoffen wir, dafs die „Zusammengewürfelten Gedanken" auch ferner
weitere Klarheit über einen Teil des Dienstes verbreiten, dafs andere zu-
sammengewürfelte Gedanken den gleichen Nutzen bringen, in Hinsicht
auf Führung und Verwendung der grofsen Kavalleriekörper. Dafs auch
in dieser Hinsicht noch manche Fortachritte gemacht werden können und
müssen, das liegt in der Natur der Sache und in den Verhältnissen, in
welcher die Kavallerie während eines vollen Jahrhunderts lebte, während
der Hälfte dieser Zeit geradezu vegetierte. Was nützt es, wenn wir —
um mit einem hervorragenden Kavalleristen zu sprechen — unsere Waffen
stets vervollkommnen, wenn wir die Scharfe des Schwertes stets vermehren,
ohne ganz sicher zu sein, wie wir dieselbe gebrauchen werden. Alles
Abrichten auf der Schule und auf dem Exerzierplatze ist nur Mittel zum
Zwecke, ist lediglich Vorbereitung, wenn auch noch so wichtige Vor-
bereitung.
Die Kavallerie mufs ebenso wie die Infanterie, ja in noch weit
höherem Grade, vollständig klar sein Uber ihre Aufgaben und wie sie
gelöst werden müssen. Wir müssen uns auch in der Kavallerie jenen
Grundsätzen weit mehr zuwenden, welche uns im Ernstfalle von Nutzen
sein werden, durch welche das Einüben gewisser Formen erst Wert und
Bedeutung erhält. 8.
Ewiger Krieg! Eine Studie von Bernhard Kiefsling, Premier-
lieutenant im königlich bayerischen 5. Infanterie-Regiment.
2. Auflage. Berlin 1890. F. Luckhardt. 3 11
Schon das Erscheinen einer zweiten Auflage vorliegender Studie
deutet an, dafs dieselbe mannigfache Verbreitung gefunden hat. Auch
dieser Auflage ist ein recht zahlreicher Leserkreis aus allen Ständen zu
wünschen, besonders in einer Zeit, wie der jetzigen, in der Friedens-
vereine tagen, Abrüstungsgerüchte spuken und fortgesetzte Klagen über
Erhöhung der Kriegsbudgets ertönen. Jeder, der Freund eines gesunden
Realismus ist, welcher doch wieder von warmer Vaterlandsliebe durch-
haucht wird, kann die Schrift nur mit reger Anteilnahme lesen und wird
sie sicherlich mit bober Befriedigung aus der Hand legen. Durch die
sieben Abteilungen der Studie hindurch zeigt Verfasser, wie allüberall in
der Welt Krieg war, Krieg ist und Krieg sein wird, und wie der friedliche
Kampf um das Dasein mehr Opfer und Menschenleben verschlingt, wie
Schlachten und Gefechte. Er beweist packend die Naturnotwendigkeit
und Unabwendlichkeit des Krieges. Besonders anregend ist die 4. Ab-
teilung, in der Verfasser von den Beziehungen des Krieges zu den Künsten,
zu Handel und Industrie und zu den Wissenschaften spricht und in der
er darauf hinweist, wie der Krieg diese keineswegs unterdrückt, sondern
sie im Gegenteil entwickeln hilft und zu ihrem Gedeihen beiträgt. — Die
24*
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350
Umschau in der Militär-Litteratur.
Absicht des Verfassers, in seiner Studie die absolute Nichtigkeit der
Idee vom „Ewigen Frieden" nachzuweisen, dürfte ihm glänzend gelungen
sein. 28.
Neuheiten der französischen Militär-Litteratnr.
L Petite bibliotheque de P Armee francaise. Paris — Limoges.
H. Charles-Lavauzelle. 1890. Über zwei neu erschienene Bändchen dieser
Sammlung haben wir heute zu berichten: 1. Historique du 36* regi-
mcnt d'infanterie par le lieutenant V. Fanet. Diese Regiments-
geschichte wird eingeleitet mit einer ruhmredigen Ansprache an die „Sechs-
und dreifsiger", in welcher an die Zurückerobernung „der von der Natur
gegebenen Grenzen" erinnert wird: „Halten wir uns also bereit!" Ob die
„stolze und vielgeliebte Nummer (nochmals) auf jenem Rhein erscheinen
wird, wo sie schon einmal grofsen Ruhm gewann," mufs freilich ja die
Zukunft lehren! Qui vivra verra. — Das in Rede stehende Regiment
führte vor der Revolution der Namen Anjou, focht unter (Justine, Jourdan,
Pichegru, dann Napoleon, in Holland, der Schweiz, Spanien, Österreich,
Polen, Portugal, Deutschland und Russland. In diesem Regiment erwarb
Bernadotte seine Epauletten. 1823 finden wir es in Spanien, 1844 — 48 in
Algier, 1849 in Rom, spater abermals in Algier. 1870 gehörte es zur
Rhein -Armee, kämpfte bei Wörth und Sedan und wurde sodann, in Folge
der Kapitulation, nach Magdeburg in die Kriegsgefangenschaft geführt.
Als 36. „Marsch-Regiment" neu gebildet, nahm es Teil an den Kämpfen
an der Loire (bei einem Verlust von 114 Toten und 279 Verwundeten),
dann an den Kämpfen gegen die Kommune. Seit 1873 wechselt das
Regiment alle 3 Jahre seine Garnison zwischen Paris und Caen. —
2. Historique du 12 e regiment d'infanterie. Dieses Regiment ist
in der Lage, seinen Ursprung ohne Unterbrechung, auf das alt-
französische Regiment Auxerrois zurückzuführen. Seine kriegerische Ver-
gangenheit ist, wie diejenige des zuvor genannten, eine sehr reiche; wir
nennen nur die Namen Austerlitz, Auerstiidt, Eylau, Wagram, Borodino;
Napoleon nannte es „Le Brave" ; ferner nahm es Teil an den Feldzügen
1813 — 15, war sodann 4 mal in Algier. 1870 kämpfte es tapfer bei
St. Privat unter dem Befehl von Canrobert gegen die preufsischen Garden ;
dort verlor es 690 Mann. Als 12. „Marsch-Regiment" nahm es Teil an
der Verteidigung von Paris. Seine gegenwärtige Garnison ist Perpignan. —
Eine Liste der auf dem Felde der Ehre gefallenen Offiziere (von 1799 bis
1870), dann der von einzelnen Unteroffizieren und Mannschaften erworbenen
Ehren- Waffen (6 Ehren-Gewehre, 1 Ehrensübel), endlich die Rangliste
des Regiments im Jahre 1890, beschliefsen diese kleine, gut geschriebene
Regimentsgeschichte. Verfasser ist der dem Regiment angehörige Oberst-
lieutenant Dunon-Dahlmann. — II. Reserve et Armee territoriale.
Droits et Obligation des Officiers. Paris— Limoges. 1890. H.
Cliarles-Lavauzelle. Dieses „Handbuch für Offiziere des Beurlaubtenstandes",
wie wir es nennen können, giebt in 8 Abschnitten eine gedrüngte Über-
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Umschau in der Militär-Litteratur.
351
sieht alles dessen, was die genannten Offiziere von der Verwaltung, der
Militärgesetzgebung und den persönlichen Angelegenheiten des Offiziers in
Erfahrung bringen müssen. Der Anhang enthalt einen „Vortrag über den
militärischen Geist". Das gut ausgestattete Buch ist für die Kenntnis
der inneren Zustände der französischen Armee recht wertvoll. 4.
G. Marcotti« Die Sa voyen -Dragoner, deutsch von Wilhelm
Ritter v. Hackländer, k. und k. Rittmeister in der Re-
serve des Dragoner-Regiments Prinz Eugen von Savoyen.
Wien 1890. L. W. Seidel & Sohn. VI1L und 336 Seiten.
Ein eigentümliches Buch, von welchem man nicht weifs, ob es eine
Selbstbiographie oder ein Roman ist. Der Verfasser sagt in der Vorrede,
der Held der Erzählung habe seine Schicksale eigenhändig aufgezeichnet;
er selbst sei nur der Herausgeber und habe nichts weiter gethan, als dafs
er die Niederschrift der gegenwärtigen Lesewelt mundgerecht gemacht
habe; der Übersetzer schweigt sich aus; die Verlagshandlung nennt das
Buch einfach einen Roman. Jedenfalls ist es ein sehr geschickt abgefafster.
Der Berichterstatter hält die Erzählung für eine nach dem Muster von
Bleibtreu ausgeführte gelungene Schilderung des k. k. Heeres zur Zeit
des Edelen Ritters. Das Werk des k. und k. Kriegsarchivs über die
„Feldzüge des Prinz Eugen von Savoyen" und die von Fr. v. d. Wengen,
früherem Offizier des Regiments, geschriebene Geschichte des letzterem,
werden der Darstellung als Unterlage gedient haben. Die Erzählung
führt uns, anknüpfend an den Lebensgang eines ragusanischen Edelmannes,
welcher seine Vaterstadt hat meiden müssen und kurz vor dem Türken-
kriege von 1683 in ein kaiserliches Dragoner-Regiment getreten ist, auf
einen grofsen Teil der Kriegsschauplätze, welche bis zum Frieden von
Passarowitz die schwarzgelbe Standarte flattern sahen. Graf Trifone Bisanti
lüfst sich gegen ein Handgeld von 15 Thalern anwerben, hilft Wien ent-
setzen und Ofen einnehmen, zeichnet sich in der Schlacht am Berge Harsan
so aus, dafs er zum Fähnrich ernannt wird, empfängt vor Belgrad eine
schwere Wunde, geht mit seinem Regimente auf den oberitalienischen
Kriegsschauplatz über, wo er dem Prinzen Eugen das Leben rettet, zieht
zum zweiten Male gegen die Türken zu Felde, siegt bei Zenta und dann
wieder Jahre lang in Italien, bis sein Regiment, als die Schlacht bei
Turin geschlagen ist, nach Ungarn zurückkehrt. Seine Weigerung Carassa's
Bluturteile in Eperies zu unterschreiben macht seiner soldatischen Laufbahn
ein vorläufiges Ende. Bisanti hat sich inzwischen verheiratet und zieht
sich in das Privatleben zurück. Seine Mittel erlauben es ihm, denn der-
zeit „gab es reiche Beute". Die seinige hatte ihn in den Stand gesetzt ein
kleines Grundstück zu erwerben. Dazu erhielt er eine Pension von
500 Gulden. Aber zur Liebesfreude gesellt sich Liebesleid. Bald steht
er wieder einsam in der Welt. Da entschliefst er sich noch einmal Dienste
zu nehmen. Der Schlachtruf seines Regiments „A me Savoia!" klingt an
sein Ohr. Prinz Eugen verleiht ihm die beim Regimente errichtete
Diojtized by CjOOqIc
352
Umschau in der Milittr-Litteratur.
Grenadier-Corapagnie, an deren Spitze er mm letzten Male in den Türken-
krieg zieht. Als der zu Passarowitz geschlossene fünfundzwanzigjährige
Waffenstillstand denselben beendet hat, sieht er auf ebenso viele Dienst-
jahre zurück. Er legt nun den Degen, aber auch die Feder nieder. Wir
erfahren nur noch, dafs er als Major endgiltig in den Ruhestand tritt.
Die hier erzählten nackton Thatsachen sind aus einer Fülle kriegs-,
heeres- und kulturgeschichtlichen Beiwerks hervorgehoben. Bisanti führt
uns in das Feldlager und auf die Wahlstätten, zeigt uns das Leben der
Christen und der Türken, Land und Leute. Er schildert lebendig, an-
ziehend und naturgetreu. 14.
Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft. Heraus-
gegeben von L. Quidde. III. Band 1. Heft. Freiburg i. B.
1890. Akademische Verlagsbuchhandlung. Preis 5 M.
Diese seit dem Januar 1889 in vierteljährlichen Heften erscheinende
Zeitschrift hat sich seit ihrem Bestehen durch die Gediegenheit und
Reichhaltigkeit ihres Inhaltes zahlreiche Freunde erworben, zu denen auch
Schreiber dieser Zeilen sich rechnet. Das vorliegende Heft enthält zu-
nächst 5 gröfsere Abhandlungen: 1. Zur Beurteilung Georg Grote's und
seiner griechischen Geschichte, von R. Pöhlmann. 2. Wilhelm von Oranien
und die Genfer Pacification (1576), von M. Ritter. 3. Die Vemeprozesse
gegen Herzog Heinrich den Reichen von Baiern-Landshut. Von Th. Lindner.
4. Arthur Schopenhauer und die Geschichtswissenschaft. Von R. Fester.
5. Konrad Engelbert ölsner's Briefe und Tagebücher. Eine vergessene
Quelle der Geschichte der französischen Revolution. Von A. Stern. Dann
folgen „Kleine Mitteilungen" von O. Fischer, Weizsäcker, Arnoldt und
Quidde, ferner „Berichte und Besprechungen, Nachrichten und Notizen",
endlich zum Schlufs die fortlaufende systematische „Bibliographie zur
deutschen Geschichte". — Wir glauben diese Zeitschrift in ihrer Eigenart
und der Reichhaltigkeit ihres Inhaltes nach allen Freunden der Geschichts-
wissenschaft nur warm empfehlen zu können. Der Abonnemontspreis für
den Jahrgang von mindestens 60 Bogen beträgt 18 M. und erscheint
uns nicht hoch gegriffen. Der Jahrgang umfafst 4 Hefte. 3.
Fürst Bismarck, Sein Leben und Wirken. Von Hermann
Jahnke. 1. — 6. Lieferung. Berlin W. Verlag von Paul
Kittet. 1890.
Dafs der Rücktritt des grofsen deutschen Staatsmannes alsbald das
Erscheinen einer neuen Bismarck-Biographie zur Folge haben würde, war
zu erwarten. Zwar ist die Bismarck-Litteratur bereits eine recht umfang-
reiche, aber an einer im wahren Sinne volkstümlichen, dabei aus besten
Quellen schöpfenden Lebensbeschreibung des Mannes, der „Deutschland in
den Sattel gehoben", fehlte es bislang. Wir begrüfsen dies Unternehmen
deshalb mit Freuden. Dasselbe ist auf 14 Lieferungen a 50 Pfennige
veranlagt und bringt zahlreiche Illustrationen von ersten deutschen
Dicjitized by CiOOqIc
Umschau in der Militär-Litteratur.
353
Künstlern; die beigegebenen Probeblätter, photolitographische Verviel-
fältigungen des Werner'schen Kongrefs-Bildes und des Wagner'schen Hildes:
„Friedensverhandlung in Versailles", geben die Originale trefflich wieder.
Wir bemerken zum Schlüsse, dafs Verfasser sich bereits durch die Werke
„Kaiser Wilhelm L* und „Kaiser Wilhelm II U auf dem Gebiete der
volkstümlichen Geschichtsschreibung einen guten Namen gemacht hat und
erwarten von der Fortsetzung des vorliegenden Bismarck-Buches das Beste.
1.
Das Deutsche Reich in Vergangenheit, Gegenwart und
Znknnft. Nationalpolitische Betrachtungen aus Süddeutsch-
land von G. A. Klausner. Leipzig E. H. Mayer, Verlags-
haudlung.
Unter diesem hochtönenden Titel giebt Verfasser dieser nur 38 Seiten
zählenden Broschüre seine, wie er selbst sagt, „stark idealistisch ange-
hauchten" Anschauungen über Deutschlands politische Aufgaben zum
Besten. Wir gestehen, dafs wir diese Blätter mit wachsendem Erstaunen
gelesen haben. „Alles ist schon einmal da gewesen," sagt Ben Akiba;
doch nein, dies noch nicht. Verfasser will durchaus „das deutsche Vater-
land müsse gröber sein". Das habe auf feindlichem Wege oder mit
Gewalt zu geschehen; unverzüglich sei zunächst an Kussland der Krieg
zu erklären. Sehen wir nun, was sich auf dem politischen Wunschzettel
des Verfassers vorfindet: Burgund, die deutsche Schweiz, Luxemburg,
Belgien, Holland, Deutsch-Österreich, die baltischen Ostsee-Provinzen und
— „bei der im Flusse befindlichen Zerbrückelung der Türkei eine Insel
im Mittelmeer zur Etablierung einer Verbrecher-Kolonie!" Wie das Alles
zu machen sei, das ist des Verfassers Geheimnis geblieben. Zwar dürfte
sich innerhalb der deutschen Grenzpfühle kaum .Temand finden, welcher
diese Ausgeburten einer überreizten Phantasie ernsthaft zu nehmen
geneigt sei; doch ist nicht ausgeschlossen, dafs dieses merkwürdige Schrift-
werk im Auslande da oder dort Schaden stiften kann. Nur aus diesem
Grunde haben wir von demselben Notiz genommen. Sapienti sat. 2.
Einteilung und Quartierliste des Deutschen Heeres. Nach
dem Stande vom 1. April 1890. f)3. Auflage. Berlin 1890.
Verlag der LiebeKschen Buchhandlung. Preis 35 Pf.
Diese Einteilung giebt die neue Armee-Einteilung und deren Stand-
quartiere, unter Namen -Angabe der Corps-, Divisions-, Brigade- und
Regiments-Commandeure (nachgetragen bis zum 2ü. April 1^90), ferner
die Militär-Behörden und Bildungs- Anstalten; endlich die Friedensstärke
des deutschen Heeres, waffenweise geordnet, sowie ein Verzeichnis der
Regimenter, nach der Stamm-Nummer, mit Angabe der Armee-Corps, zu
welchem sie gehören, zum Schlufs die kaiserliche Marine, deren Kommando-
behörden, Kriegsschiffe und Kriegsfahrzeuge. 3.
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354
Umschau in der Militär-Literatur.
Karte von Deutsch-Ostafrika von Kettler. 2. Lieferung. Geo-
graphisches Institut. Weimar 1890. Preis 1,50 M.
Die vorliegende 2. Lieferung des verdienstvollen und zeitgemäfsen
Kartenwerkes enthält die ursprünglich von der deutsch-ostafrikanischen
Gesellschaft erworbene, jetzt von Italien beanspruchte Soniali-Küste mit
dem sog. „Sultanat" Obia, dann auf Blatt 91 den südlichen Teil der
deutschen Interessen-Sphäre, also den Schauplatz der jüngsten Kämpfe
Wifsmann's. — Bei dem durch das deutsch-englische Abkommen er-
höhten Interesse an unserem Kolonial- Besitz dürfte eine beschleunigte
Fertigstellung dieser in ihrer Art einzigen Karte in hohem Grade wünschens-
wert sein. Wir lenken gern abermals die Aufmerksamheit unserer Leser
auf dieselbe. 4.
III. Seewesen.
The llloitrated nival and mllltary Magazine. Nr. 17: Nachdem ge-
nanntes Journal im November 1889 einige Skizzen des spanischen sub-
marinen Bootes „Peral", welches auf der Rhede von Cadix, und im
Februar d. J. einige Details über das französische submarine Boot
„Gymnote", welches auf der Rhede von Toulon Versuche ausgeführt,
gebracht hatte, bringt obige Nummer Einiges über das französische sub-
marine Boot „Goubet", entnommen aus der „Monde illustre" u nebst Skizzen.
Die erste Skizze stellt den „Goubet" in Ketten geschlungen, an einem
Krahne hängend, dar. Der Bootskörper ist von Broncegufs, 18 Fufs lang
mit einem größten Durchmesser von 6 Fufs und einem Totalgewicht von
100 Tons. Es hat die Form eines auf der Seite schwimmenden Karpfens,
auf dessen oberer Fläche sich eine Art niedriger Turm mit einem darauf
festzuschraubenden Verschlufs nebst Flaggenstock befindet. Im schwimmen
den Zustande auf der Oberflüche des Wassers hat es soviel Stabilität,
dafs 4 Personon aufrecht auf Deck stehen können, welche dadurch her-
gestellt wird, dafs 15 Tons Bleigewichte am Boden befestigt sind, welche,
wenn erforderlich, durch Drehen eines Hebels detachiert werden können.
Diese Bleimasse wird Sicherheitsgewicht genannt, und mufste schon, nach
dem Berichte des „Monde illustre", entfernt werden, weil das Boot sonst
im Schlamm sitzen geblieben wäre. Die übrigen Illustrationen stellen den
„Goubet" teils auf der Oberfläche schwimmend, teils halb versenkt mit
abgenommenem Turmdeckel, teils ganz versenkt, so dafs nur die Flaggen-
stange auf dem Dome Uber Wasser sichtbar ist, dar. Die Experimente
mit dem Boote werden noch fortgesetzt, da noch nicht alle Einrichtungen
funktionieren.
Rivlsta marittlma Nr. VI enthält eine Abhandlung über die sub-
marinen Boote und Torpedos und knüpft hieran eine interessante Be-
merkung über die Verwendbarkeit und Zuverlässigkeit derselben.
Annalen der Hydrographie und maritimen Meteorologie. Nr. 5: Ab-
handlung über die neuen amerikanischen Seekarten in geomonischer oder
Umschau in der Militar-Litteratur. 355
Centraiprojektion für die Schiffahrt im gröfsten Kreise von Dr. Wever,
Professor an der Universität zu Kiel. — Segelanweisungen für die Nord-
ostküste von Kaiser-Wilhelmsland (Neu-Guinea), zusammengestellt aus
den Berichten und Beobachtungen des früheren Landeshauptmanns Vice-
Admiral a. D. Freiherrn v. Schleinitz. — Nr. 6: Hydrographische und
kartographische Beobachtungen an der Westküste von Afrika, gesammelt
und zusammengestellt von dem Kommandanten des deutschen Kanonen-
bootes „Hyäne".
The Ädmiralty and Hone Guards Gazette. Nr. 293 bringt einen
Artikel über den oft schon zurückgewiesenen Tunnel zwischen Dover und
Calais. — In einem anderen befürwortet der Herzog von Fife die Be-
schaffung eines Dampfers für den „Victoria Nyanza-See u (Afrika). —
Eine Anzahl Seeoffiziere, wie der Admiral Symonds, Admiral Tryon,
Kapitän Lord Beresford werfen die Frage auf „ob die englische Marine
im Besitz einer genügenden Anzahl schneller Kreuzer sei, die mit den
nötigen Quantitäten Kohlen versehen werden können, um lange See zu
halten, so dafs sie im Falle eines Krieges die Handelsflotte, welche die
Zufuhr von Lebensbedürfnissen für England vermittele, zu schützen im
Stande sind, und kommen zu dem Resultate, dafs dies auch nach der
Fertigstellung der 70 neuen Schiffe nicht der Fall sein würde. Gleich-
falls ist man der Ansicht, dafs der neue Kreuzer „Barham" dem fran-
zösischen Kreuzer „Forbin" von derselben Klasse an Geschwindigkeit
u. s. w. nachstehe. — Auf dem englischen Mittelmeergeschwader hat man
ein neues Signalsystem versucht, und soll dasselbe zur Zufriedenheit der
höheren Seeoffiziere ausgefallen sein. Dasselbe ist nicht so kompliziert
als das alte; auch haben die Flaggen oino Änderung erfahren. — Nach
Aufserungen des russischen „Invaliden" wird die russische Manöver-
Division der Ostsee in diesem Jahre aus dem Turmschiff „Peter der
Grofse" (Flaggschiff des Admiral Kopoitoff); ferner aus den seegehenden
Kreuzern „Admiral Grieg", „ Admiral Lazareff", „ Admiral Tchit-
chageff", „Admiral Spiridoff"; dann 2 Turmkreuzern: „Trombe"
und „ Magieienne" ; 3 Avisos und 4 seegehenden Torpedobooten be-
stehen. Versuchs -Kommandos sind an Bord des neuen Turmschiffes
„Nicolaus I." und des neuen Panzerkanonenboots „Grozyaschy"
beordert. Dio Dimensionen des im Mai auf Stapel gelegten gepanzerten
Kreuzers „Rurik" sind: 416 Fufs Länge, 67 Fufs Breite, 26 Fufs Tiefe,
10,140 Tons Deplacement; Armierung: 6 achtzöllige, 14 sechszöllige Ge-
schütze; Panzerung 10 Zoll über, 5 Zoll unter der Wasserlinie. 13,250
indizierte Pferdekraft, 18 Knoten Geschwindigkeit.
Army and Navy Journal. Nr. 40 bringt die Nachricht, dafs der
Dynamitkreuzer „Vesuvius" am 2. Juni zu Versuchs- und Übungs-
zwecken in Dienst gestellt worden sei.
The United Service Magazin. (Juli) enthält eine Zeitungs-Polemik
zwischen dem Admiral Tryon und Kapitiin Beresford über einen Artikel
erstgenannten Offiziers: „National Insurance", worin derselbe hervor-
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Umschau iu der MilitAr-Litteratnr.
hebt, dafs die Regierung die Versicherung der Handelsschiffe für Kriegs-
gefahr übernehmen müsse. Er hebt hervor, dafs England jährlich
elf Millionen Tons Lebensmittel importiere, welche 150 Millionen Pfund
Sterling Wert repräsentieren ; dafs die englische Schiffahrt annähernd
79 Prozent der der ganzen übrigen Welt in sich schliefse, dafs über
37,000 Schiffe unter britischer Flagge segeln, dafs etwa 1800— 1900 Schiffe
täglich in die englischen Hlifen ein- und auslaufen u. s. w.
Bücher ;
Elements de meUorologie nautique par J. de Sugny.
Berger-Levrault & Cie. Paris— Nancy. Das Buch ist, wie fast alle
Erzeugnisse der französischen seemännischen Fachliteratur und speziell die
in der sogenannten „Bibliotheque du marin" erscheinenden, mit grofser
Gewissenhaftigkeit und Sachkenntnis geschrieben. Es behandelt, dem
praktischen Bedürfnis des Seemanns Rechnung tragend, zunächst die
Eigenschaften der Atmosphäre, ihre Temperatur im Zusammenhang mit
der Erdtemperatur, Wolken- und Luftströmungen im Allgemeinen. Dem-
nächst werden in besonderen Kapiteln die allgemeinen Gesetze der Luft-
strömungen über den verschiedenen Wasserbecken der Erde entwickelt.
Daran schliefen sich Beschreibungen der Stürme in den verschiedenen
Meeren, wobei gleichzeitig die zur Vermeidung der Centren erforderlichen
Manöver angegeben und an Figuren tatVln erläutert werden. Hierbei
werden Auszüge aus den Berichten verschiedener Schiffe angezogen, erklärt
und nutzbar gemacht. Es folgen Notizen Uber Böen, Tornados und
Tromben, ferner über die Schwankungen in Temperatur, Luftdruck und
Feuchtigkeit, Ratschläge über die Benutzung der verschiedenen meteo-
rologischen Instrumente und schliefslich Regeln für die Wetterprognose in
den gemäfsigten Zonen. v. H.
IV. Verzeichnis der zur Besprechung eingegangenen
Bücher.
1. Oie Erziehung des Einjährig-Freiwilligen aller Waffen zum Reserve-
Offizier •Aspiranten. Herausgegeben unter Mitwirkung aktiver Offiziere der
Spezial -Waffen von Hilkon, Hauptmann a. D. Infanterio-Ausgabe.
Heuser's Verlag. Berlin, W. Oberwallstr. H— 16. 1890. Preis M. 4,50.
2. Kettler't Karte von Deutsch-Ostafrika. 2. Lieferung. Geogra-
phisches Institut. Weimar 1890. Preis M. 1,50.
3. Strategisch-taktische Anfgabea nebst Lösungen, von H. v. Gizycki.
Heft 5. Mit einer Übersichtskarte und zwei Generalstabskarton. Vierte,
nach der Felddienst -Ordnung umgearbeitete und wesentlich vennehrte
AuHage. Hannover 1890. Helwing'sche Verlagsbuchhandlung.
4. Kolonlal-BibllOthek, herausgegeben von J. Kettler. Die Frage
der Siobenbürger Sachsen. Von Rudolf Bergner. Mit einer Sprachen-
karte von Siebenbürgen von J. Kettler. Weimar. Verlag des Geogra-
phischen Instituts. 1890. Preis M. 1,20.
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Umschau in der Militar-Litteratur.
357
5. Die europäische« Heere der Gegenwart. Von Hermann Vogt,
Oberstlieutenant a. D. Illustrationen von Riebard Knötel. Heft XXVIII
bis XXXV. (Ergttnzungs-Heft 1888 u. 1889). Preis ä M. 2. Rathenow.
Verlag von Max Babenzien. 1890.
6. Die Kriege Friedrichs des Groden Erster Teil: Der erste
schlesische Krieg. 1740—1742. Herausgegeben vom Grofsen General-
stabe, Abteilung für Kriegsgeschichte. Erster Band: Die Besetzung
Schlesiens und die Schlacht bei Mollwitz. Mit 14 Karten, Plänen und
Skizzen, sowie 3 Handzeichnungen des Königs. Berlin 1890. E. S. Mittler
& Sohn. Preis M. 16.
7. Ole Abrlchtung dei Remonte- Pferdes in 30 Lektionen. Nebst
einem praktischen Lehrgang der Hohen Schule von van den Hove-de
Heusch, Kapitün im 2. belgischen Ulanen - Regiment. Mit 1 Tafel
Abbildungen. Autorisierte Übersetzung. Dresden. Hof-Verlag R. von
Grumbkow. 1890. Preis M. 6.
8. Lol des Depressions barometriques dans ccs ouragans et ses
applications a la mer, par F. Em est Fournier, capitaine de voisseau.
Publiü avec autorisation du ministre de la manne. Paris. Librairie
müitaire de L. Baudoin & Ce. 1890. Preis 0,80 fres.
9. Geschichte des Infanterie- Regiments, Kaiser Wilhelm, König von
Preufsen (2. württ.) Nr. 120. Im Auftrage des Regiments für Unter-
offiziere und Mannschaften dargestellt von Petermann, Premierlieutenant.
Stuttgart. Verlag von W. Kohlhammer. 1890.
10. Fürst Bismarck. Sein Leben u. Wirken. Von Hermann Jahnke.
Reich illustriert von ersten deutschen Künstlern. Vollständig in etwa
14 Lieferungen ä 50 Pfg. 2.-6. Lieferung. Berlin. Verlag von Paul
Kittel. 1890.
11. Das Infanterie-Gefecht. A. Die Compagnie. Reglementarisch-
taktische Studie von Möller, Hauptmann und Compagnie-Clief im K. S.
6. Inf.-Regiment Nr. 105. Hannover 1890. Helwing'sche Verlagsbuch-
handlung. Preis M. 1,20.
12. Huf- Lederkitt. Seine Verwendung zur Herstellung eines natur-
geniafsen Hufbescblages und bei Hufdefekten. Zweite Auflage. Berlin.
• Verlag von N. N. Botten.
13. Taktische Darlegungen aus der Zeit von 1859 bis 1890 mit be-
sonderer Beziehung auf die Infanterie. Von v. Boguslawski, General-
major u. s. w. Berlin 1890. E. S. Mittler & Sohn. Preis M. 1.
14. Übersicht der Geschichte des Königlichen Regiments des Gardes du
Corps von 1740 bis 1890. Mit Bildnissen, Abbildungen und Skizzen.
Berlin 1890. E. S. Mittler & Sohn. Preis M. 3,50.
15. Der Zug der Engländer gegen Kopenhagen Im Frühjahr 1801. Ein
Wort zur Anregung Uber die Bedeutung der Flotte. Von v. Bogus-
lawski, Generalmajor. Mit einer Skizze. Berlin 1890. E. S. Mittler
k Sohn. Preis M. 1.
358
Umschau in der Milit&r-Litteratur.
16. Offizier - Stammliste des königlich preußischen Magdeburgischen
Jäger-Bataillons Nr. 4 vom 50jährigen Jubelfest am 61. Juni 1865 bis
1890. Die Ranglisten des Magdeburgischen Jäger-Bataillons Nr. 4 von
1815 bis 1890. Im Einverständnis mit dem Bataillon zusammengestellt
von Model, Major a. D. Berlin 1890. E. S. Mittler & Sohn. Preis
M. 6,25.
17. Geschichte des Kürassier-Regiments von Seydlitz (Magdeburgisches)
Nr. 7. Im Auftrage dargestellt von Frh. Hiller v. Gaertringen, Ritt-
meister und v. Schirmeister, Sekondelieutenant im Regiment. Mit
Bildnissen, einer Übersichtskarte und Skizzen. Berlin 1890. E. S. Mittler
& Sohn. Preis M. 6,50.
18. Geschichte des Infanterie-Regiments von Borcke (4. Pommersches)
Nr. 21. 1813 bis 1889. Bearbeitet von H. Schreiber, Hauptmann und
Compagnie-Chef. Mit 9 Abbildungen und 10 Karten und Plänen. Berlin
1889. E. S. Mittler & Sohn. Preis M. 15.
19. Geschichte des königlich preuftischen Ulanen-Regiments Gral zu
Oohna (Ostpreufsisches) Nr. 8, von 1815 bis 1890. Zur Feier des 75jährigen
Bestehens des Regiments dargestellt von v. Förster, Rittmeister. Mit
Karten, Uniforms- und Gefechtsbildern und etwa 230 Bildnissen. Berlin
1890. E. S. Mittler & Sohn. Preis M. 26.
20. Oer Kavalleriedienst und die Wehrkräfte des deutschen Reiches.
Ein Lehrbuch für jüngere Offiziere, sowie zur Benutzung beim theore-
tischen Unterricht. Bearbeitet und herausgegeben von G. v. Pelet-
Narbonne, Generalmajor. 3. Auflage. Berlin 1890. E. S. Mittler & Sohn.
Preis M. 7.
21. Oie russische Armee in Krieg und Frieden. Mit einer Übersichts-
karte der Standorte, mit Uniform -Abbildungen und Skizzen der wichtigsten
Gefechtsformationen. Berlin 1890. E. S. Mittler & Sohn. Preis M. 4.
22. Oer Prinz von Homburg. Nach archivalischen und anderen Quellen
von Joh. Jungfer, Dr. phil. Mit zahlreichen Briefen und Aktenstücken
und einem Facsimile. Berlin 1890. Kurt Brachvogel. Preis M. 2,40.
23. Generale Montecuccoli. Lotte nel Reggimento. Milano. Libreria
editrice Galli. 1890.
24. Aide-Memolre de l'Officler francals en Allemagne par P. de Pai - .
diellan. Paris— Li moges. H. Charles-Lavauzelle 1890. Preis 2,50 fres.
Draek von A. Huiak in Berlin NN ., Doroth**nMr. ib.